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Full text of "Karmarsch und Heeren's Technisches Wörterbuch"

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TECHNISCHES  LEXIKON 


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Gewerbe  und  Industrie, 


Herausgegeben  von 
Friedrich  Kick,  Dr.  Wilhelm  Gintl, 

k.  k.  Reg.-Rath  u.  ord.  Prof,  der  mech.  Technologic,  ordentl.  Professor    der    Chemie, 

am  k.   k.   deutschen   polytechnischen  Institute  in  Prag 
unter  Mitwirkung  von : 


Alter   C.,   Bremierei-Ingenieur  ; 
Arehleb  J..  Fabriksdireetor ; 
Balling  C,     Professor  ; 
Bellani  Fr.,  Gussmeister; 
Benade   C.   Fabriksleiter  ; 
Benedikt  F.,  Ingenieur; 
Bock  Rupert,   Professor; 
Brandeis  F.,   Fabrikant ; 
Brauer  E.,  Decent  ; 

Brick  Joh.,   Professor  ; 
Bussler,  Director  ; 
Czuber,  Professor  ; 
Donath  E.,   Adjunct; 
Dworacek,  Director  ; 
Ernst  C.  Ritter  v.,  Director  ; 
Gebauer  Otto,  Ober-Inspector  ; 
Gollner  H.,  Professor; 
Grenzner  C,  Brauerei-Iugenicur ; 
Grohmann  H.,  Professor ; 
Harlacher  A.   R.,  Professor; 
Hartig  Dr.  Ernst,  Reg,-K.,  Profesi 
Haswell  Robert  L.,  Ingenieur; 
Hauer  Jul.  Ritter  v..  Professor-; 
Hausding  A.,  Ober-Tngenieur  ; 
Hausner  J..  Major; 
Herrmann   Gust.,   Professor; 
Blasiwetz  Dr.  H..  Hofratli,  Profess 
Hinkefuss,  Ingenieur; 


Hojer  E.,  Professor; 
Ihl  A.,  Professor ; 
Janowsky  J.,  Professor  ; 
Kassner  B.,   Ingenieur  ; 
Kielmeyer  Dr.  E.,  Coloris( 
Knaust.  Fabrikant ; 
Koch   J.,    Architekt  : 
Kohlfiirst  L.,  Ingenieur; 
Kohn  Mor.,  Ingenieur; 
Kiipper  Karl,  Professor; 
Kuhner  Rudolf  Freiherr  v 
Lambl  Dr.,  Professor  ; 
Laulie   Dr.    Gust.,   Profess,, 
Lieblein  Joh.,  Professor; 
Lippick  Ferd.,  Professor; 
Lorey  T.,  Professor; 
Ludwik  Cam.,  Ingenieur; 
Marchetti,  inspector; 
Markl  A.,  Director ; 
Mikolaschek,  Professo!  : 
Xiess  B..  Director; 
Oldcnburg'er,   Ingenieur  u. 
Ott  v.,  Director; 
Perels  Dr.  E.,  Professor; 
Pfuhl   E.,   Ingenieur  u.  Leln 
Polak  F.,   Assistent  : 
Preis   C,    Professor; 
Radinger  Joh.,  Professor; 

a  Is 


Riehter  J.,  Professor; 
P,ii!ghoffer  Em.,  Professor; 
Rittershaus  Trajan,  Professor; 
Rochleder  Dr.  Fr.,  Reg.-R.,  Professor;t 
Royer  John,  Schiffsbaumeister  ; 
Rziha  F.,  Professor  ; 
Sablik,  Professor; 
Schmidt  Gust.,   Reg. -It.,  Professor; 
Schneider  R.,  Glashiitten  -  Ingenieur ; 
Schor!emmer  C,  Professor; 
Schwarz   Rob.,   Dr.  der  Chemie; 
Schwarz  Flemming,   Civ.-Ing.  u.  Doc.  . 
Seckendorf  Frh.  v.,  Reg. -R.,  Professor; 
Serlo  Dr.  Alb.,  Bergliauptmann  ; 
Skraup  Dr.  Zd.,  Assistent ; 
Specht  C,  Fabriksdirektur; 
Stiibehen-Kirchner  Franz,  Assistent; 
Trauzl  Isid.,   k.  k.  Genie-Hauptmann  ; 
Vogl  Dr.  Aug.,  Professor; 
Vorbach  Emil.  Huttencbemiker  ; 
Waltenhofen  Dr.  A    von,  Professor  ; 
Weis   Karl.   Chemiker; 
Wellner  Georg,  Professor; 
Wersiu  Karl  v..  kais.  Rath,  Professor; 
Willigk  Dr.  E.,  Professor  ; 

Winiwarter  G.  R.  v.,  Fabrikant  ; 

Wunder  Dr.   G.,     Geiverbschuldirector ; 
Zeller  Jos.,   Ingenieur. 


"3.  Auflage  von  Karmarsch  und  Heeren's 

technischem  W  orterbuc  h.. 


III.  Band. 

Eisenerzeugung.  —  Giesserei. 


Prag  1878. 
V  e  r  1  a  g   der   Bohemia. 

Aotieu-Gesellschaft  fur  Papier-  und  Druck-Iudustrie. 


Karmarsch  und  Heeren's 

TECHNISCHES  WORTERBUCH 


Dritte  Auflage 

erganzt  und  bearbeitet  von 

Friedrich  Kick,  Dr.  Wilhelm  Gintl, 

k.  k.  Reg.-Eath  u.  ord.  Prof,  der  mech.  Technologic,  ordentl.  Professor    der    Chemie, 

am  k.  k.  dentschen  polytechnischen  Institute  in  Prag. 


Mit  liber  2000  in  den  Text   gedruckfen  Abbildungen. 


III.  Band. 

Eisenerzeugung.  —  Giesserei. 


Prag  1878. 
Verlag   tier  Bohemia. 

Actien-Gesellschaft  fiir  Papier-  und  Druck-Industrie. 


Druck  der  Bohemia 

Actien-Gesellschaft  fur  Papier-  und  Druck-Iadustrie. 

Prag. 


Eisen-Erzeugung  oiler  Eisen-Hiittenkunde.  Von  der  Eisenerzeugung 
im  Allgem ein en.  Die  zur  Erzeugnng  von  Eisen  verwendeten  Eisenerze  sind 
durchwegs  Oxyde  des  Eisens,  nnd  handelt  es  sich  bei  der  Eisenerzeugung  urn  eine 
Reduction  der  Erze,  um  ein  reducirendes  Schmelzen,  bei  welchem  Holzkohle 
oder  Koks  (Coaks),  selten  andere  Brennmaterialien  als  Reductionsmittel  dienen. 

Je  holier  die  Teraperatur  des  Processes  1st,  um  so  melir  nimmt  das  reducirte 
Erz  KohlenstofF  auf,  und  wahrend  wenig  gekohltes  Eisen  teigig  bleibt,  wird  melir 
gekohltes  fliissig.  Die  Erze  sind  aber  ausserst  selten  reine  Eisenoxyde,  sondern 
enthalten  sehr  versehiedene  Beimengungen,  als  Kalk,  Magnesia,  Thonerde,  Kiesel- 
saure,  Schwefeleisen,  phospliorsaure  Thonerde,  Schwefelkupfer,  Manganoxyde  etc.  etc. 
Diese  Beimengungen  verhalten  sich  ausserordentlich  verschieden  ;  einige  verwandeln 
sich  beini  Schraelzprocesse  in  eine  fliissige,  glasige  Masse,  Sell  la  eke  (scorie  — 
slag))  andere  (z.  B.  Schwefel,  Arsen,  Zink)  verdampfen  ganz  oder  theilweise; 
wieder  andere  mengen  sich  zum  Theil  dem  erzeugten  Eisen  bei  (so  Mangan, 
Phosphor,  Schwefel,  Silicium)  und  wirken  verandernd  auf  die  Beschaffenheit  des- 
selben  ein.  Audi  diese  Beimengungen  andern  ihr  Verhalten  mit  der  beim  Processe 
herrschenden  Temperatur. 

Der  Hiittenmann  trachtet  diese  Beimengungen  (das  Mangan  ausgenommen) 
moglichst  zu  beseitigen  und  wendet  Zusatze,  Zuschlage  (fondant  —  flux)  an, 
welche  deren  moglichst  vollstandige  Ueb  erf  lib  rung  in  die  Schlacke  bewirken  sollen, 
und  welche  der  Schlacke  audi  den  geeigneten  Grad  der  Diinnfltissigkeit  zu  geben 
bestimmt  sind.  In  friiherer  Zeit  verstand  man  nuf  wenig  gekohltes  Eisen  (Schmied- 
eisen  und  Stahl)  herzustellen,  denn  die  Eisengewinnung  wurde  in  kleinen  Herden 
oder  Oefen  bei  verhaltnissmassig  niedriger  Temperatur  durchgeftihrt.  Dies  Ver- 
fahren  nennt  man  Rennarbeit,  audi  unmittelbare  Eisenerzeugung,  weil  das 
Product  unmittelbar  Schmiedeisen  oder  Stahl  war.  Ein  geringes  Ausbringen  aus 
den  Erzen,  eine  kleine  Productionsmenge  und  verhaltnissmassig  holier  Kohlen- 
aufwand  dieser  Methode  haben  die  spatere  der  mittelbar  en  Eisenerzeugung  zur 
fast  allein  gebrauchlichen  gemacht.  Bei  dieser  Methode  reducirt,  kohlt  und  schmilzt 
man  das  Eisenerz  in  grossen  Oefen  (Hochofen)  bei  hoherer  Temperatur.  Das  so 
erhaltene  Eisen^  welches  einen  weit  hoheren  Kohlenstoffgehalt  besitzt,  wird  fliissig 
aus  dem  Ofen  abgelassen,  es  heisst  Roll  eisen  (fer  fondu  —  fig  iron).  Der 
Betrieb  kann  nun  ein  eon tinuir richer  sein,  die  Productionsmengen  sind  gross, 
desgleichen  das  Ausbringen,  der  Aufwand  an  Brennmaterial  verhaltnissmassig  klein. 

Gewisse  Roheisensorten  gestatten  eine  Verwendung  zum  Gusse  und  werden 
Giesserei-Roh eisen,  Guss eisen  genannt,  wahrend  andere  Roheisensorten 
sich  vorzugsweise  zur  Herstellung  von  Schmiedeisen  eignen  und  F  r  i  s  c  h-  oder 
Puddel-Roh eisen  heissen. 

Dif;  Herstellung  des  Schmie dels  ens  aus  dem  Roheisen  ist  vorziiglich 
ein  Entkohlnngsprocess,  aber    bei    der  durch  Oxydation    bewirkten  Entkohlung  — 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.  Bd.  III.  1 


Eisen-Erzeiigunsf. 


Frischpro  cess —  werden  audi  nianche  im  Roheisen  euthaltene  Beimengimgen, 
namentlich  Silicium  und  Scliwefel  entfernt.  Diese  Reinigung  erfolgt  im  Allgemeinen 
urn  so  vollkommener,  je  welter  die  Entkohlung  vorschreitot ;  daherwird  das  durcli 
Frischen  gewoimene  Schmiedeisen  im  Allgemeinen  reiner  als  Stahl  sein.  Dies  ist 
der  Grand,  warum  man  sich  zur  Herstellung  rein  en  Stables  gerne  des  Schmied- 
eisens  bedient,  mid  z war  durcli  Kolilnng  desselben  Stahl  erzeugt,  welchen  man 
audi  ■ —  aber  niclit  so  rein  —  erhalten  hatte,  wcnn  der  Frischprocess  friiher  unter- 
broclien  worden  ware. 


Die  Pro ces se  der  Eiscnerzen  gun; 
sollen  dnrch  die  nachsteliende  Zusammenstellung 
sie  zerfallen  in: 


sind    dalier    mannigfaltig,    und 
iibersichtliclier  gemacht  werden 


I.  Erzeugung  von 

E  i  s  e  n  direct  a  u  s 

den  Erzen. 


A)  R  o  li  e  i  s  e  n  -  E  r  z  e  u  g  u  n  g.  Rediicirendes  Schmelzen 

der  Eisenerze  bei  sehr  holier  Temperatnr  in  grossen 

Schachtbfen  (H  o  c  h  b  f  e  n). 

■p,     t     ,     13    t     .  I   Gnsseisen, 

Product :  Koheisen      n    -n  i  ™  i    • 

|   Puddel  Roheisen. 

B)  Rennarbeit.  Rediicirendes  Schmelzen  der  Eisen- 
erze bei  niedrigerer  Temperatnr  in  kleinen  Oefen, 
Herden  etc. 

Product:  Schmiedeisen  oder  Stahl. 


II.  E  r  z  e  u  g  u  n  g 

s  c  h  m  i  e  d  b  a  r  e  n 

li  s  en  s  an  s  Roh 

e  i  s  e  11 . 


A)  Ft i  sch  arbcit.     Die  Oxydation    des    im  Roheisen 

enthaltenen    Kohlenstoft'es    (und   gewisser   Verunrcini- 

gungen)  erfolgt  durcli  den  Sauerstoff  der  Luft 

mit  zuhiire-  (  a)  in  Herden.  II  e  r  d  f  r  i  s  c  li  e  n;  F  r  i  s  c  li  e  n, 

":1|',1,''nn"u  >  ^)  m  Plammenbfen.  F 1  a m  m  o  i'e n  f r is  ch.e n. 

materiale     [  P  11  d  del  11. 

Product:  S'clnvei ss eiscn  od. Schweiss- 

stahl. 
(^Diesen  Operationen  geht  hiiufig  das  Pei- 
ne 11  des  Roheisens  voraus.) 
c)  Durcli  Einpressen  von  Luft   in  gesehmol- 
zenes  Roheisen:  Bess  em  em. 
Product :  F 1  u  s  s  e  i  s  c  n  und  F 1  u  s  s  s  t  a  h  1. 

Z>)  Dureh  Gliihen  von  Roheisen  in  oxytiirenden  Pulvern. 

a)  Adouciren,  Temp  em  oder  Herstellung  von 
sclimiedbarem  Eisenguss. 

b)  G  L  u  h  s  t  all  1  -  B  c  r  e  it  u  n  g. 

C)  Durcli  Zusammenschmelzen  von  Roheisen  mit  Eisen- 
erz  oder  Eisenoxyden  (Breant-  u.  Uchatzius-Stahl). 


III.  Erze 

St  a 
S  c  h  m  i 


u  g  i 

hi  g 
ede 


n  g  v  o  n 
us 
i  s  c  n. 


A)  Kohlung  des  Schniiedeeisens  durcli  Gliihen  mit  Kohle 
in  verschlossenen  Gcfassen: 

«)  C  e  m  e  n  t  s  t  a  h  1  b  e  r  e  i  t  u  n  g. 
b)  Einsetzen  (Cementiren  eines   fertigen  Gegen- 
standes  aus  Schmiedeisen  an  der  Oberflache). 

B)  Kohlung  des  Schmiedeisens  durcli  Zusammenschmelzen 
mit  gutem  Roheisen. 

Martin -Stahl-Bereituiig  (in  Siemens  Regenerativ-Oefen). 
(Hierlier  gehbrt  audi  der  Spiegeleisenzusatz  iim  Ende 
des  Bessemer-Processes.) 


IV.  Raffi-nir.iiii._g 

des  Sclnniedeisens 
unci  St ahles. 


Eisen-Ei'zeugung  (Ilochofenproecss).  3 

A)  Durch    Schweissen   und    Strecken    odor   Gerbcn    des 
Schweisseiseiis  und  Schweissstahles : 

a)  Raffinirtes  Eisen, 
6)  Gerbstahl. 

B)  Durch  Uraschmelzen  des  Stahles  G  u  s  s  s  t  a  h  1  (Fliiss- 
Stahl). 


I.  A)  Die  Roh  eisenerz'e u g ung  ,  der  Hochofcnpro  cess.  Die 
wenigsten-  Erze  sind  von  soldier  Bcscliaffenheit;  dass  sie  unmittelbar  zur  Ver- 
scliraelzung  in  den  Ilocliofen  gelangen;  sie' werden  vielmehr  gewohnlich  einigen 
vorbereitenden  Operational  unterworfen.,  welehe  einerseits  den  Zweck  haben,  die 
Erze  in  Stiicke  von  tauglicher  Grosse  zu  verwandeln,  mechanischc  Aufbe- 
rcitungj*)  andererseits  aber  eine  A  uf  locker  ung  und  Reinigung  der  Erze 
bewirken,  und  sie  so  zur  Gewinnung  eines  guten  Roheisens  tauglicher  machen. 
In  dieser  Richtung  sind  als  wi.ch'tige  Vorbereitungs-Operationen  das  Rosten, 
Verwittern  und  Auslaugen  zu  bezeichnen. 

Beim  Rosten  (methode  de  grillage  —  roasting  process)  findet  eine  Er- 
hitzung,  ein  Gliilien  der  Erze  statt.  Hierdurch  werden  sie  gelockert,  das  liygro- 
skopisclie  Wasser  verdanipft,  das  Hydratwasser  des  Spath-,  Thon-  und  Kohlen- 
eisensteines,  so  wie  jenes  enthaltener  Beimengungen  (Gyps)  wird  ausgetrieben  und 
auch.  die  Kohlensaure  der  beigemengten  kohlensauren  Erden  (des  Kalks  etc.)  entfernt. 
Besonders  wiclitig  ist,  dass  die,  vielen  Erzen  beigemengten  Kiese  (Eisenkies,  Kupfer- 
kies)  durch  das  Gliilien  einen  grossen  Theil  ihres  Schwef'els  verlieren,  welcher  als 
sehweflige  Siiure  entweicht,  wahrend  die  zuriickbleibende  niedrige  Schweflungsstufe 
durch  das  dem  Rosten  folgende  Verwittern  und  Auslaugen  grossteiitheils  entfernt 
wird.  Bei  dem  Rosten  geht  Brauneisenstein  in  Eisenoxyd,  Spatheisenstein  in 
Eisenoxyduloxyd  iiber.  Es  kommen  iibrigens  auch  theilweise  Reductionen  und  in 
anderen  Fallen  Oxydationen  vor7  je  nachdem  die  Gase  in  den  Rostofen  Kohlen- 
oxyd  oder  Sauerstoff  im  Ueberschuss  aufweisen. 

Durch  das  Rosten  also  entweichen  Kohlensaure  und  Wasser  nebst  dem  grossten 
Theil  des  Schwefels  (letzterer  als  sehweflige  Saure)  und  das  Cyanoxydul  (bei 
Sideriten,  Chamoisiten,  Magneteisensteinen)  verwandelt  sich  in  Eisenoxyd.  Durch 
diesen  Gewichtsverlust  (Rostverlust,  Rostabgang)  werden  die  Erze  specifisch  leichter, 
also  auch  poroser;  eine  Eigenschaft,  welche  fiir  den  Hochofenprocess  von  liochsrer 
Wichtigkeit  ist. 

Bei  Thonerde-,  Magnesia-  oder  kalkreichen  Erzen  ist  die  Entfernung  des 
Schwefels,  wie  sie  durch  das  Rosten  derselben  erreiclit  werden  kann,  nicht  voll- 
stiindig  genug.  Es  nehmen  die  genannten  Basen  die  entweichende  sehweflige  Siiure 
auf  und  bilden  Sulfate,  Avelche  bei  der  Rosthitze  nicht  wieder  zersetzt  werden. 
In  solchen  Fallen  miissen  die  Erze  nach  dem  Rosten  noch  gelaugt  werden. 


')  Die  mechanische  Aufbereitung  bezweckt  eine  Trennung  der  g-ehaltreichen  von 
den  unhaltigen  (tanben)  Erzpartien  nnd  eine  Zerkleinerung  zu  grosser  Stiicke,  selten 
ein  Zusammenbaeken  zu  kleiner;  sie  erfolgt  fast  innner  auf  der  Grnbe.  Sollen  die  Eize 
gerostet  werden-,  so  liisst  man  sie  faust-  bis  kopfgross;  gelangen  sie  direct  zum  Ver- 
schmelzen,  so  zerkleinert  man  sie  bis  zur  Nuss-  oder  Eigrosse. 

Bei  der  gewohnlichen  Hands cheidung  findet  die  Zerkleinernug  gleichzeitig 
mit  der  Trennung  der  unbaltigen  Tbeile  statt.  Diese  Sclieidung  erreicht  den  Zweck 
bei  den  meisten  Erzen  am  besten,  wenn  sie  auch  theuer  ist;  dnrcli  sie  findet  nicht  so 
sehr  ein  Zerreiben  in  feine  Theilchen  statt  wie  bei  der  mechanischen  Zerkleinermig 
durch  Pochwerke,  Walzen,  Quetschen  oder  Steinbr echer.  (Vergleiche  die 
diesbeziiglichen  Artikel.)  Gewisse  Erze,  z.  B.  die  Bohnerze,  haben  jedoch  unhaltige 
Partien  in  so  feiner  Vertheiiung,  dass  die  Handstheidung  nicht  ausreichr,  und  in  diesem 
Ealle  muss  zum  W  a  s  c  h  e  n  gegriffen  werden,  welches  am  besten  in  rotirenden  W  a  s  c  h- 
trommeln  stattfindet.  Nach  Mengung  des  Erzes  mit  Wasser  in  Riihrbottichen  liisst 
man  Erz  und  Wasser  in  die  mit  schraubenformigen  Kippen  versehene  Vorwasch- 
trommel  gelangen,  wo  der  Sehlamm  sich  vom  Erz  ablost  und  in  der  FertigAvasc li- 
tre mm  el  durch  einen  entseK'eno-efiihrten  Strom  klaren  AVassers  gescliieden  wird. 


Eisen-Erzeugung  (Rosten). 


das  Rosten  in  H  an  fen,  gewohnlich  von  1 — 3m  Hohe,  statt,  so  ist  die  Aus- 
niitzung  der  Warme  des  Brenmnateriales  eine  schlechte,  daher  ist  diese  Rost- 
methode  nnr  bei  Kohleneis  enst  eiD,  welcher  in  sicli  das  Brennmateriale  besitzt, 
angezeigt.  Man  halt  die  II  auf  en  urn  so  niedriger,  je  reicher  dieses  Erz  an  Kohle  ist. 
Die  Ro  stung  in  Stadeln  gewahrt  schon  eine  bessere  Warmeausntitziing. 
Man  versteht  unter  Stadel  einen  dnrch  vier  Manern  umschlossenen,  viereckigen, 
gepflasterten  Rauin,  haufig  ohne  Bedachnng.  In  den  bis  4m  hohen  Manern  sind 
in  regelmassiger  Vertlieilung  Lnftziige  (16cm  liocli  und  breit,  60cm  von  einander) 
angebracht,  ofter  auch  solche  in  der  Stadelsohle.  Die  eine  Seitenwand  hat  znm 
beqnemeren  Einfahren  des  Erzes  ein  Thor,  welches  successive  mit  dera  Anwachsen 
der  Beschickinig  zngelegt  wird.  Die  Beschickung  besteht  aus  dem  zn  rostenden 
Erze  and  dem  Brennmateriale,  welche  in  horizontalen  Schichten  eingetragen  werden. 
Man  rechnet  pr.  Cubikmeter  Erz  50  Kg.  Kohle.  Die  Stadel  bilden  den  Uebergang 
zn  den  Oefen,  von  welchen  sie  sich  im- Principe  nicht  uuterscheidcn. 

Rostnng  in  Oefen.  Hierbei  wird  das  Brennmateriale  entweder  ebenfalls 
in  Schichten  zwischen  das  zn  rostende  Erz  gegeben,  oder  es  werden  heisse 
brennbare  Gase,  z.  B.  die  Giehtgase  des  Hochofens  vcrwendet,  oder  endlich  die 
Flamme  eines  ansserhalb  des  Rostofens  znm  Zwecke  des  Rostens  verbrannten 
Brennmateriales  in  den  Ofen  geleitet. 

Indem  die  dritte  Art  der  Heizung  der  Rostijfen  (meist  liegende  Flammofen) 
eine  minder  gate  Ansniitznng  des  Brennmateriales  gestattet  nnd  mehr  Arbeit  bean- 
sprucht,  sei  hier  nur  auf  die  beiden  ersten  Rostofensysteme  etwas  naher  eingegangen. 
Sie  sind  fast  immer  Schachtofen  mit  meist  kreisformigem  Querschnitte.  Ge- 
wbhnlich  vermindert  man  nnten  die  Weite  des  Schachtes,  wenn  das  Brennmateriale 
in  Schichten  znr  Anwendnng  kommt,  weil  die  dnrch  die  Verbrennnng  des  Brenn- 
materiales eintretende  Voliimsvermindernng  diese  Form  erwiinsehlich  macht;  es 
erweist  sich  aber  die  cylindrische  Form  auch  fiir  diesen  Fall  (bei  Gasheizung 
ist  sie  fast  ansschliesslich  in  Gebraucli)  dann    als    geniigend,    wenn  dem  Ofen  ein 

conischer  Kern  gegeben  wird,  weil 
dann  dieser  die  Verengnng  bewirkt. 
Unsere  Figur  zeigt  nns  einen 
cylindrisehen  Rostofen,  wie  derselbe 
in  Kladno*)  in  Anwendnng  steht.  Im 
Betriebe  wird  taglieh  nnten  gerostetes 
Erz  so  lange  abgezogen,  bis  man  auf 
heisse  Schichten  stosst.  Hierbei  findet 
ein  Niedersinken  der  Schichten  statt. 
Oben  wird  nach  crfolgtem  Sinken  eine 
Schichte  Brennmaterial  (Kohlcnklein) 
nnd  hieranf  eine  Schichte  Erz  aufge- 
geben.  Fiir  den  erforderlichen  Lnft- 
zntritt  ist  durch  die  Kana'le  i, i  nnd  0,0 
gcsorgt.  Der  dnrchbrochene  Kern- 
schacht  A',  welcher  in  abweichender 
Form  auch  bei  dem '  oblongen  Ofen 
(Fig.  1213)  sich  findet,  gestattet  eine 
vorziiglich  gute  Ziifiihrnng  von.Luft 
nnd  empfiehlt  sich  besonders  bei  kies- 
reichen  Erzen. 

Znr  naheren  Erlanternng  nnserer 
^Fignren    sei    noch  Folgendes    gesagt. 

Die  gleichen  Theile  sind  mit  den- 
selben  Buchstaben  bezeiclmet.  M  dor  Mantel 
oder  das  Sqhachtmauerwerk,  K  der  Kern 
odor    Kernscliaelit    (Fig.    1212)     uder    Ab- 


Fig. 

1212 

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1 

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Cylindrischer  Rostofen. 


i  Technische  Blatter  1870  S.  149  (Notizen  aus  der  Adalbertshiitte  in  Kladno  von  J.  Z  e  m  a  n). 


Eisen-Erzeiigung  (Rostenj. 
Fig.  12 13  a.  (J 


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3  D  □  b"a  babadaabdoaDDtibbdaaboaa'^ 


— ^-^5— 

I 
Oblouger  Rostofen. 


1213  h. 


rutsclikege]  (Fig-.  1213), 
i  die    Luftkaniile,     I    die 

Hauptluftzufuhi'ungSr 

rohre.  Das  ScKacht- 
niauerwerk  ist  aus  feuer- 
festen  Steinen  oder  Zie- 
geln,  0'32ni  stark,  herge- 
stellt;  durcli  horizontale 
gusseiserne  Platten  und 
verticale  Sehienen  s  ar- 
mirt  und  ruht  unten  auf 
einer    ringformigen,  von 

einigen  gusseisernen 
Fiissen  getragenen  Platte 
(beim  oblongen  Ofen  auf 

einer  Platte  oblonger 
Forrn).     Das    Auszieben 
des  gerosteten  Erzes  ist 
daher  rings  inn  den  Ofen 

ermoglicht.  ;  : 

Die Luftzufiibrung     '  :  :  ::  j  :   :.-;.•: ~~1 — 

erfolgt   tbeilweise    durcli     ~J  -  '  ■— ,  '  — 

ausgesparte     Oefl'nungen 
o  im  Schachtmauijrwerk, 

tlieils  durch  die  Ziige  ;°  im  Kernseliaeht.  Der 
unten  enveiterte  Durchmesser  des  Kernes  K 
Fig.  1212,  so  wie  die  conisclie  Form  von  K 
in  Fig.  1213  und  die  Einziehung  des  Mauer- 
werkes  des  Scbacbtes  bei  e  verengt  den  Quer- 
schnitt  des  Ofens  in  seinen  unteren  Theilen 
zum  Zwecke  gleichformigerefa  Niederganges. 
Der  Ofen  Fig.  1212  fasst  42000  Kg.  Erz  und 
rostet  taglich  8400  Kg.;  der  oblonge  Rostofen 
fasst  und  rostet  viermal  so  viel  Erz,  kostet 
aber  nur  die  doppelten  Anlagekosten. 

Es  sei  liier  bemerkt,  dass  Rost- 
ofen olme  Kernschacht  meist  nach  unten 
verjiingt  hergestellt  werden.  Die  Sohle 
des  Ofens  ist  dann  entweder  eine  feste 
oder  aus  einem  Roste  (Plan-  oder  Treppen- 
roste)  gebildete.  Im  ersteren  Falle  milssen 
geeignete  Ztige  angebracht  sein  und  stets 
muss  durcli  Ziehoffnungen  oder  Beweg-  j 
licbkeit  des  Rostes  die  Moglichkeit  des  ' 
bequemen  Entfernens  (Ziehen  s)  des 
Erzes  an  der  Ofensolile  geboten  sein. 

Bei  Rostofen  mit  Beniitzung  von  Gichtgasen  leitet  man  die  fur  die  Ver- 
brennung  erforderlicbe  Luft  moglicbst  nahe  an  der  Ofensolile  ein?  wahrend  die 
Gichtgase  in  einem  etwas  hoheren  Niveau  zugefiihrt  werden.  Hierdurcb  wird  die 
Luft,  indem  sie  eine  etwa  '/„ — lm  liobe,  heisse  Erzschiclite  passirt,  vorgewarmt 
und  die  Verbrennung  der  Essengase  findet  intensiver  statt.  Eine  genaue  Regu- 
lirung  der  zugefiihrteii  Luftmenge  gestattet  die  Anwendung  von  Geblaseluft;  wie 
selbe  beim  W  e s  t m  a n  n'schen  Ofen*)  stattnndet. 

Am  leiclitesten  rosten  sicb  Brauneisensteine  und  Siderite,  am  schwersten 
Magneteisensteine. 

.  Das  Verwittern  (tomher  en  efflorescence  —  to  effloresce)  und  Aus- 
laugen  (laver  —  to  wash)  folgt  dem  Rosten.  Durch  das  Verwittern  oder 
Aussetzen  der  gerosteten  Erze  der  Einwirkung  der  Atmosphiirilien,  daher  audi 
dem  Pr  0  s te,  findet  eine  weitere  Lockerung  der  Masse  und  Oxydiren  der  Schwefel- 
metalle  zu  Vitriolen  statt. 


:)  Siehe  Wedding's   Eisenhiittenkunde.,   in  welther   sich    cine   grosse  Zahl  verscliiedener 
Rostofenconstructionen  beschrieben  linden. 


Eiserr-Erzeugung  (Auslaugen). 


Durch  das  Auslaugen  cntfernt  man  die  losbaren  Vitriole  durch  die  Ehr 
wirkung  von  Wasser. 

Beide  Operationen  konnen  in  Halden,  auf  welehen  die  Erze  1  —  2m  hocli 
aufgeschiittct  werden,  oder  in  Bassins  vorgenommen  werden.  In  lctztereni  Falle 
hat  man  den  Process  mehr  in  der  Gewalt,  namentlich  dann,  wenn  die  Wasser- 
zufiihrung  in  die  etwa  l1/.-111  tiefen  Bassins  in  der  durch  Fig.  1214  dargestelltcn 
Art  erfolgt.*)  Hierbei  tritt  das  Wasser  von  nnten  ein,  verdrangt  die  Luft,  durch- 
Fig.  1214  a.     Fig.  1214  b.    Fig.  1214  c.  weicht  die  Erze  niid  lost  die  beim  Rosten 

gebildeten  schwefelsauren  Verbindungen; 
beim  Ablassen  hingegen  findet  ein  Saugen 
der  Luft  statt,  welche  alle  Zwischen- 
raume  fullt  und  oxydirend  auf  die  Schwefel- 
metalle  wirkt.  Nach  Analysen  bringt  das 
Rosten  den  Schwefelgehalt  von  circa  1*4  °/0 
I  auf  0*6  °/0  im(3  das  folgende  Auslaugen 
auf  0-1%. 

Das  Auslaugen  durch  schweflige 
Sau re  zum  Zwecke  der  Entfernung  der  Phosphorsaure  aus  den  Erzen  ist 
mit  gutem  Erfolge  durch  Director  J.  Jacobi  in  Kladno  seit  circa  3  Jahren  ein- 
gefiihrt. 

Das  durch  Rosten  und  Auslaugen,  manclimal  audi  durch  Rosten  allein,  vor- 
bereitete  Erz    wird    auf  Nussgrosse   gebracht   und   gelangt   nun   zum   Zwecke    der 
Herstellung  von  R  o  h  e  i  s  e  n  in  den  H  o  c h  o  f  e  n  [liaut  fourneau  —  high  furnace). 
Fig.   1215.  Der    Hochofen    (audi    Hob  of  en)    ist  ein  Schachtofen  von 

bedeutenden  Dimensionen,  seine  Hohe  schwankt  zwischen  8m  (bei 
kleinen  Holzkohlen-Hockofen)  bis  25m  (bei  grossen  Kokshochofen). 
Der  Betrieb  ist  ein  continuirli  ch  er,  d.  h.  es  wird,  so  lange  der 
Ofen  intact  bleibt,  oben  Erz  sammt  Zuschlag  und  Brennmateriale 
in  kurzen  Zwisclienzeiten  aufgegeben,  und  unten  Schlacke  und 
fliissiges  Roheisen  abgelassen.  Die  Mengen  des  je  in  diesen  Perioden 
aufgegebcnen  Erzes,  Zuschlags  und  Brennmaterials  begreift  man  unter 
dem  Namea  Gicht en  (charges  —  charges),  abgesehen  von  dem 
Gewichte,  wird  die  Bezeichnung  Beschickung  gebraucht.**)  Das 
Brennmateriale,  ferntr  Erz  und  Zuschlag  werden  hinter  einander 
aufgegeben,***)  so  dass  in  dem  Ofen  schichtenweise  Erz  und  Brenn- 
materiale sich  befindet.  In  dem  obersten  Theile  (1)  des  Hochofens 
der  Vorwarmezonc  findet  ein  Trocknen  der  Erze  (Rosten")  statt;  im 
zweiten  nachst  tieferem  Abschnitte  wirkt  das  Kohlenoxydgas  red  u- 
cirend  auf  die  Erze,  daher  dieser  Theil  Reductions-Zone 
genannt  wird  :  in  der  3.  Zone  —  K  o  h  1  u  n  g  s  z  o  n  e  —  nimmt  der  aus  der  Reductions- 
zone    niedersinkende  Eisensehwamru    Kohlenstoff    auf,    und    erlangt  dadurch    einen 


*)  In  unserer  Figur  ist  w  die  Wasserzufuhrrinne,  aus  welcher  bei  aufgezogerier  Schiitze  s 
das  Wasser  durch  a  in  das  Reservoir  dringt.  Hat  man  genligend  "Wasser,  so  wird 
durch  6 — 8  Woehen  das  Auslaugen  in  der  Weise  vorgenommen,  dass  man  circa  jcden 
•J.  Tag  das  Laugewasser  durch  am  Boden  des  Bassins  befindliche  Oettnungen  ablasst 
und  nach  kurzer  Zwischenpause  wieder  frisches  Wasser  zufiilirt.  Die  Abnussoffnungen 
sind  durch  einen  conischen  Pfropf,  dessen  Stiel  iiber  das  Erz  hervorragt,  verschlosSen; 
damit  beim  Heben  des  Pfropfes  nieht  Erz  in  die  Abflussoflimng  fallt,  ist  an  der  Oeft'nung 
um  den  Pfropf  Ireruin  ein  unten  durchlocherter  Blechcylinder  aiigebracht.  Hat,  man 
wenig  Wasser  zur  Disposition,  so  ist  es  zweckmassig,  die  Laugebassins,  z.  B.  je  vicr, 
derart  anzuordnen  und  unter  einander  zu  verbindeu,  dass  das  Laugewasser  aus  dem 
ersten  in  das  zweite  etc.  gebracbt  ■werden  kann.  Man  Iasst  das  frische  Wasser  dann  in 
jenes  Bassin  treteu.  welches  das  bereits  am  meisten  gelaugte  Erz  entbalt.  Das  friscn 
mit  Erz  beschickte  Bassin  erhalt  das  Laugewasser  aus  jenem,  welches  naclist  friiher 
beschickt  Avar. 
**)  Hautig  wird  unter  Beschickung  nur  Erz  und  Zuschlag  verstanden. 
***)  Bei  freier  Gicht  zuerst  das  Brennmaterial.  dann  Erz  und  Zuscblag.  bei  geschlossener 
Gicht  umgekehrt. 


Eisen-Erzeugung  (Hoehofen). 


niedrigeren  Schmelzpunkt,  wodurch  das  Schmelzen  des  gekohlten  Eisens  in  der 
Schmelzzone  4  ermoglicht  ist.  Das  abtropfcnde  Roheisen  sammelt  sieh  bei 
5,  dem  Eisenkasten,  an.*) 

Der  Hochofenproeess  ist  mitliin  ein  r  e d u c i r  c n  d  c s  S  c li  m  c I z  e n  inVe r- 
b  in  dung  mit  Kohlung. 

Es  ist  leicht  einzusehen,  dass  der  natiirliche  Zug  nicht  ausreichen  kann,  dass 
dnrch  ihn  nicht  die  genligende  Luftraenge  zutreten  wiirde;  man  ist  daher  ge- 
zwungen,  dnrch  Geblase  atmospharische  Luft  (Wind)  unter  hoherem  Druck  in 
den  Ofen  zn  treiben.  Fiihrt  man  der  Lnft  beim  Einblasen  keine  Warme  zu,  so 
blast  man  mit  .k  alt  em  Wind;  erhitzt  man  die  Lnft  in  sogenannten  Winder- 
hitzungs-  Appar  at  en,  dann  blast  man  mit  heissem  Win  de. 

Die  Hohe  des  Hochofens,  mithin  auch  die  Hohe  der  Schichten,  deren  Wider- 
stand  fiir  das  Dnrchstreifen  des  Windes  iiberwunden  werden  muss,  bestimmt  die 
Windpressung.  Sehr  leichtes  Brennmateriale  (Holzkohle)  wiirde  dnrch  zu  hohe 
Pressung  vertragen ;  auch  hielte  die  verhaltnissmassig  zartere  Holzkohle  den  be- 
deutenden  Materialdruck  in  hohen  Hoehofen  nicht  aus,  es  ist  daher  begreiflich, 
dass  jene  Hoehofen,  in  welchen  die  Eisenerzeugung  mit  Holzkohle  stattfindet  — 
die  Hoi z kohl enh o  chofe  n  —  relativ  klein  sind,  wahrend  die  sogenannten 
K  o k s-  oder  Coakshochofen,  deren  Brennmateriale  die  weit  widerstandsfahigeren 


Koks  sind,  viel  grosser 
gebaut  werden  konnen, 
wenn    sie    auch    in    den 

wesentlichen  Theilen, 
welche  wir  zunachst  be- 
sprechen    wollen ,    iiber- 
einstimmen. 

Fig.  1216  a  stellt 
den  Verticalschnitt  eines 
Kokshochofens  moderner 
Construction  dar.  Die 
obere  Oeffnung  des  Hoch- 
ofens, die  Gicht  (gueulard 

—  month)  ist  hier,  der 
spater  naher  zu  bespre- 
chendenNutzbarmachung 
der  entweichenden  Gase 
(G  i  c  h  t  g  a  s  e)  wegen  , 
durch  den  Gasfang  C,  E 
geschlossen.  Das  Mauer- 
werk   K,   welches ,    aus 

feuerfestem  Materiale 
hergestellt ,  den  Innen- 
ranm  einschliesst,  heisst 
Kernschacht,  wel- 
che Bezeiclmung  auch 
dem  Innenraum  selbst 
(cheminee  — fife  room) 
zukommt.  DieTheiledcs 

Kern  sell  achtes  (Innen- 
raum   wie     Mauerwerk) 
heissen  der  S  c h  a  c  h  t  a, 
Kohlensack     (ventre 

—  belly)    b,    die  Rast 


Fig.  1216  a. 


')  J.  L.  Bell:  Ueber  die  Entwicklung  unci  Verwcndiuig-  der  Warme  in  Eisenhoehofen  von 
verscliiedenen  Dimensionen.  Dentscl:  von  P.  T miner,  Leipzig  1870.  Troska,  Hoeh- 
ofen-Dimensionen,  "Weimar  1867.    Schinz,  Docnmente  fiir  den  Hoehofen,  Berlin  1868. 


Eisen-Erzeugurig  (HocLofen). 


1216  b.  (etalages  —  boshes)  c  unci  das  G  e- 

s telle  (puvrage  —  hearth)  d. 

Von  der  Giclit  bis  zum  Ge- 
stelle  ist  das  Kernschachtmauerwerk 
ununterbrochen.  Iin  Gestelle  wird 
dasselbe  von  den  Oeffnungen  — 
F  o  r  m  e  n  {tuyeres  —  twyers)  e  — 
durchbrochen,  welche  zur  Einfiihrung 
des  Windes  mittelst  der  Dtisen 
{tuyeres  —  blast-pipe)  f  dienen. 
Gewohnlich  sind  alle  Formen  in  dem 
gleichen  Niveau  (der  Formenebene), 
ibre  Zabl  ist  verscbieden ;  bei  dem 
dargestellten  Ofen  sind  6  Formen 
(vgl.  Fig.  1216  b)  verwendet. 

Der  unterste  Tbeil  des  Ge- 
stelles  beisst Eisenkasten (creuset 
—  crucible)  G  und  in  ibm  sammelt 
sich  das  gescbmolzene  Roheisen  an. 
Der  ober  den  Formen  liegende  Tbeil 
des  Gestelles  heisst  auch  Oberge- 
8 tell,  der  unterbalb  liegende  Untergestell.  Die  vordere  Seite  des  Gestelles 
bei  B  (Fig.  1216  b)  beisst  B rust  (poitrine  —  breast),  und  man  unterscheidet  die 
Hocbofen,  je  nacbdem  die  Brnst  off  en  oder  gescblossen  ist,  in  Hocbofen  mit 
offener  Brust  (Sumpf ofen)  und  Oefen  mit  ges  cblossener  Brust  (B la u-, 
aucb  Blaseofen). 

Die  Skizze  Fig.  1217  a  zeigt  das  Gestelle  eines  Ofens  der  ersten  Art, 
Fig.  1217  b  der  zweiten.*)  Der  in  Fig.  1217  a  mit  t  bezeicbnete  Tbeil  der  Brust 
heisst  Tiimpel,  u  Wall-  oder  D am m stein  {dame  —  dame).  Beim  Ofen  mit 
offener    Brust    fliesst    die  Scblaeke   liber  u  ab,    das   Eisen   bingegen   dureb  s  aus, 


Fig.  1217  a. 


umbiillende  Mauerwerk  heisst  Raulisc h 

ausserste  Rauhgemauer**)  12  (manteau 

wolbe  iiber  den  Formen,  Formgewolbe  {encorbellement  des  soufflets 


falls  der  das  Stichloch  (Stich) 
s  verscbliessende  Tbonpfropf  ein- 
gestossen  wird;  beim  Ofen  Fig. 
1217  b  ist  o  der  Kanal,  durcb 
weleben  die  Scblaeke  abgelassen 
wird,  bingegen  s  das  Sticblocb. 
Ist  der  Wallstein  bei  den  Oefen 
mit  offener  Brust  weiter  binaus- 
geriickt,  so  nennt  man  die  dadurcb 
bedingte  Erweiterung  v  des  Eisen- 
kastens  Vorberd  {avant  creuset  — 
breastjpan).  Das  den  Kernsebacbt 
cbt  (chemise- — rough-icalling)  und  das 
mantle).  In  demselben  sind  die  Ge- 
ticyer 


■)  Percy- Wedding:  Lehrbueh  der  Eisenhuttenkimde,  Braunschweig  1S68  2.  Abtli  S.  701- 
Ueber  die  Liirmaun'sche  Stichlocbkiihlung  s.  Dgl.  p.  J.  Bd.  217  S.  460,  von  demselben 
eine  Abhandlung  iiber  Hocliofen  mit  geschlosseuer  Brust.  Dgl.  p.  J.  194  Bd.  S.  106  u. 
•175,  ferner  findet.  sich  eine  selir  interessante  polemiscbe  Abhandlung  dieses  heryoiv 
ragenden  Eisenbuttenmannes  iiber  die  gescblossene  Brust  und  Kuhlung  im  221.  Bd. 
S.  28  d.  J. 

Zu  erwahnen  ware  bier,  dass  Dusanek  in  Althiitten  einen  Hocbofen  baute,  bei 
welcbem  das  Gestelle  aus  Blechkasten  (Steine  genannt)  mit  Wassercirculation  herge- 
stellt  ist,  die  Scbmelzung  also  bier  unmittelbar  vor  der  mit  Wasser  gekiihlten  eisernen 
Iuneinvand  erfolgt 

*)  Beide  Bezeichmmgen,  Raubscbacbt  und  Rauhgemauer  werden  oft  :\h  gleichbedeutend 
gebraucht.  In  Fig.  1216  ist  K  der  Kernschaclit,  S  der  Rauhschacht,  R  das  Rauhgemauer, 


Eisen-Erzeugimg  (Hoeliofen). 


arch)  und  das  Gewolbe  auf  der  Seite  der  Ofenbrust,  das  Arbeitsgewolbe 
(encorb.  de  la  tympe  —  working  arch)  angebracbt.  Zwisclien  Kernschacht  und  Rauh- 
schachtj  cifter  audi  zwiscben  Raubschacbt  und  Rauhgemauer  ist  die  sogenannte 
Fiil lung,  d.  h.  eine  Scbichte  von  Ascbe  oder  Schlackenklcin  etc.  angebracbt, 
welehe  als  schlechte  Warmeleiter  wirken.  Aus  Fig.  1216  a  und  b  ist  ersichtlich, 
dass  beim  Ofengestelle  das  Rauhgemauer  vom  Kernscbacbt  zuriicktritt.  Eiserne 
Saulen  tragen  dann  die  entsprechenden  Theile  des  Rauhges  auers,  und  es  ist  Raum 
gewonnen  fiir  eine  spater  zu  besehreibende  Wasserkiiblnng  des  freistehenden 
Gestelles.  Bei  mancben  Hochofen  ist  das  ganze  Rauhgemauer  unten  durch  Saulen 
getragen,  ja  man  stellt  statt  des  Rauhgemauers  einen  eisernen  Mantel  her,  welcber 
den  Kernschacht  mit  den  Fiillungen  umgibt  und  zusammenhalt,  und  welcher  dann 
stets  auf  eisernen  Saulen  ruht, 

Wir  betrachten  nun  zunachst  den  Hoch  of  en-Pro  cess  wahrend  des  Betriebes, 
mit  Uebergehung  des  ziemlich  lange  dauernden  Anheizens  des  Ofens,  welches  nur 
einmal  stattfindet,  da  der  Ofen,  so  lange  Absatz  fiir  die  Producte  vorhanden  ist,  fort- 
gesetzt  1m  Betriebe  ist  und  erst  „ausgeblasen"  wird,  wenn  er  der  Reparatur  bedarf. 

Ist  die  Gicht  wie  in  Fig.  1216  a  mit  einem  Abschlusse  versehen,  so  muss 
beim  Chargiren  oder  Aufgeben  der  Beschickung  der  Verschluss  beseitigt  werden, 
was  beim  Hochofen  Fig.  1216  durch  Heben  oder  Senken  des  Conus  C  geschehen 
kann.*) 

TJni  Erz  und  Zuschlag  aufzugeben,  fahrt  man  mit  dem  in"  Fig.  1218  dar- 
gestellten  Erzhund  auf  die  iiber  die  Gicht  gelegten  Schienen  (vgl.  Fig.  1220)  und 
lasst  durch  Heben  des  Mantels  m  das  Erz  ringsum  in  den  Trichter  E  fallen ;  fahrt 


hierauf  mit  dem  den  Zuschlag 
(meist  Kalk)  enthaltenden 
ilunde,  welcher  dieselbe  Ein- 
richtung  besitzt,  iiber  die  Gicht 
und  entleert  ihn  ebenfalls  in 
den  Trichter.  Hierbei  findet 
schon  ein  Mengen  von  Erz 
und  Zuschlag  (M  o  1 1  e  r  u  n  g) 
statt.  welches  aber  erst  da- 
durch  vollstandig  erreicht 
wird,  dass  man  den  Conus 
C  senkt.  Erz  und  Zuschlag 
kollert  hierbei  iiber  den  Kegel 
gegen  die  Ofenwand. 

Nun  fiilltman  den  Trich- 
ter mittelst  der  Kokshunde 
(Fig.  1219)  mit  Koks,  indem 
man  mit  diesen  Hunden  an 
4  Stellen  den  Trichter  an- 
fahrt,  und,  wie  aus  der  Figur 
ersiebtlich,  selbe  entleert. 
Wird  nun  der  Conus  abermals 
gesenkt,  so  kollern  die  Koks, 

namentlich  die  grosseren 
Stiicke,  iiber  die  an  der  Ofen- 
wand anliegende  Bescbickung 


1218  b. 


Kokslmnd 


Wird  der  Conns  gelioben,  so  fallt  das  im  Trichter  liegende  Materiale  gegen  die  Mitte 
des  Ofens  ;  wird  er  gesenkt,  so  fallt  es  gegen  die  Ofenwand.  Da  nun  das  Erz  als  sjie- 
eiflsch  schweret  stets  rascher,  also  gegen  die  Mitte  des  Ofens  sinkt,  so  sorgte  man  fiir 
einen  gleielnna'ssig-eivn  Nicdergang  elien  dadnrch,  dass  man  das  Erz  gegen  die  Wand, 
die  Kolile  gegen  die  Mitte  aufgab,  wodurt-h  in  den  tieferen  Schichten  eine  giinslige  Ver- 
theiluug  stattfindet.  Uassellje  kann  durch  geeignete  Folge  der  Beschickung  erzielt  werden. 


10  Eisen-Erzeugung  (Hocbofen). 

gegen  die  Mitte.  Beim  Nicdergange  des  Materiales  im  Ofen  erlangen  die  specifisch 
schwereren  Erze  die  Tendenz,  gegen  die  Mitte  des  Ofens  zu  sinken,  und  es  findet 
dann  eine  giinstigere  Vertheilnng  des  Materiales  statt. 

Bei  dem  allmaligen  Niedersinken  findet  successive  ein  Erhitzen,  ein  .Rbsten 
und  eine  Reduction  der  Erze  statt.  Ira  sogenannten  Kohlensack  (Fig.  1216)  b 
ist  das  Erz  reducirt,  zu  Eisenscbwamrn  geworden,  und  nimmt  nun  Koblenstoff  auf. 

Das  gekoblte  Eisen  gelangt  in  die  Schmelzzone  und  bier  nun  haben  die  Z  u- 
schlage  ibre  Aufgabe  zu  erfiillen. 

Man  darf  sicb  allerdings  die  erwahnten  Zonen  nicbt  scharf  von  einander 
gescbieden  denken,  aber  zum  Zwecke  der  ubersichflicheren  Darstellung  des  Vor- 
ganges  ist  ibre  Annahme  durcbaus  zulassig. 

Die  Reduction  der  Eisenerze  beginnt  scbon  bei  verbiiltnissmassig  niedriger 
Temperatur,  wird  aber  erst  vollendet,  wenn  Erze  und  Zuschlage  keine  Koblensaure 
mebr  gebunden  enthalten,  also  bereits  voile  Glutb  erlangt  baben  5  und  wenn  die 
umgebenden  Gase  reich  an  Koblenoxyd  sind.  So  wie  die  Reduction  beendet  ist, 
beginnt  die  Koblung,  iiber  deren  Vorgang  leider  noch  keine  geuiigende  Erklarung 
gcgeben  ist  (vgl.  II  S.  769) ;  man  weiss  nur,  dass  Eisen  mit  Koblenstoff  in  Beriihrung 
scbon  bei  sebwacbem  Gliihen  sicb  koblt,  daher  die  Koblung  nicbt  erst  in  den 
tiefen  Tbeilen  des  Ofens  erfolgt,  sondern  sogleicb  nacli  beendeter  Reduction. 

Das  binreicbend  gekoblte  Eisen  scbmilzt  bei  der  in  der  Nabe  des  Gestelles 
berrscbenden  hoben  Temperatur  und  koblt  sieb  bierbei  holier  durcb  unmittelbare 
Beriilirung  rait  glidiendem  Koblenstoffe. 

Je  holier  die  Temperatur  im  Gestelle,  einen  um  so  bbberen  Kohlungsgrad 
erlangt  das  Eisen,  und  um  so  geneigter  wird  das  Eisen,  den  Koblenstoff  nacb  dem 
Erstarren  tbcilweise  als  Grapbit  auszusdieiden ,  d.  b.  graues  Rob  eisen  zu 
liefern.  Bei  relativ  niedrigerer  Temperatur  bildet  sicb  lieber  weiss  es  Rob  eisen. 

Wenn  die  Koblung  des  reduerrten  Erzes  im  Ofen  beginnt,  muss  aucb  der 
Zuscblag  auf  die  Gangarten  der  Erze  einwirken,  mit  denselben  eine  scbraelzbarc 
Verbindung  —  Scblacke  —  eingeben  und  ziemlieb  gleiebzeitig  mit  dem  gekoblten 
Eisen  niederscbmelzen.  Fiir  dieses  ricbtige  Verbalten  in  der  Scbmelzung  wird  die 
Bezeicbnung  garer  Gang  oder  Gar  gang  gebraucbt.  Das  Robeisen  und  die 
Scblacke  sind  diinnniissig,  letztere  erstarrt,  von  licbter  Farbe.  Das  beim  Gargang 
erhaltene  Robeisen  kann  grau  oder  weiss  sein ;  das  Wescn  des  garen  Ganges  liegt 
in  der  Art  des  Scbmelzens  von  Erzen  und  Scblacke. 

Ist  bingegen  der  Zuscblag  scblecbt  gewablt  oder  die  Brennmaterialmenge  zu 
gering,  so  dass  die  Scblacke  vor  der  vollstandigen  Reduction  der  Erze  scbmilzt, 
wobei  sie  Eisenoxyde  aufnimmt,  so  wirkt  sie  oxydirend  (entkoblend)  auf  das  Rob- 
eisen durcb  die  in  ibr  gelbsten  Eisenoxyde.  Das  Resultat  ist  dann  stets  ein 
weisses  Eisen  von  wenig  Koblenstoffgebalt,  daher  bobem  Scbmelzpunkt.  Dieser 
Gang  fiibrt  die  Bezeicbnung  Robgang,  audi  k  alter  oder  iib  ersetzt er  Gang. 
Die  Scblacke  ist  dunkel  bis  sebwarz. 

Nacb  Wedding  ist  es  notbwendig,  wenn  in  einem  Ofen  graues  Eisen 
erzeugt  wird  und  man  zu  weiss  em  iibergeben  will,  den  Gargang  durcb  Herab- 
rainderung  der  Brennstoffmenge  zuerst  in  Rohgang  zu  verwandeln  und  bierauf 
durcb  Aenderung  oder  Vermebrung  des  Zuscblages  zu  dem  abgeanderten  Gargang 
(auf  weisses  Eisen)  zu  gelangen. 

Arbeitete  ein  Hocbofen  unter  garem  Gauge  auf  weisses  Eisen  und  vermebrt 
man  in  der  Bescbickung  das  Brennmateriale,  so  erbalt  man  graues  Eisen ;  arbeitete 
ein  Hocbofen  unter  Gargang  auf  graues  Robeisen  und  vermebrt  man  das  Brenn- 
materiale, so  erbalt  man  ein  sebr  koblenstoff-  und  siliciumreicbes  Eisen  —  ii  b  e  r- 
gares  Robeisen  —  welches  namentlicb  fiir  den  Bessemerprocess  absicbtlicb 
erzeugt  wird.  Das  Kriterium  des  liber  gar  en  Ganges  ist  daher  die  Verwendung 
von  mebr  Brennraaterial,  als  zum  Gargang  noting  ist.  Interessant  ist  es,  dass  ein 
iibergarer  Gang  stattfinden  kann  bei  gleichzeifiger  Gewinnung  weissen  Eisens.  Es 
riibrt  dies  \o\\  den  Erzen  nicbt  angepassten  oder  zu  schwer  schmelzigen  Zuschlagen 
her,  wodurch  eine  Scblacke  entstebt,  die  zu  streng  fliissig  ist,  und  nicbt  die  Fabigkeit 


Eisen-Erzeugung  (Zuschlage).  11 

hat,  die  Eisentropfen  bei  ilircm  Vorbeigange  vor  clem  Winde  durch  Umhiillung 
vor  der  Entkohlung  zu  schiitzen.  Es  ist  moglich,  dass  sich  hierbei  an  den  Ofen- 
wanden  Ansatze  von  gefrischtem  Eisen  bilden  (E  is  en  sane),  die  Schlacke  selbst 
kann  durch  Aufnahme  von,  vor  den  Formen  oxydirten  Eisens  eisenhaltig  werden 
wie  beim  Robgang.  Dieser  Fall  zeigt  ganz  besonders  die  hohe  Wiclitigkeit  der 
riohtigen  Wabl  der  Zuschlage  (s.  u.)  und  der  richtigen  Mengenverhaltnisse  der 
Beschickung. 

Das  Roheisen  sammelt  sich  im  Eisenkasten,  iiber  demselben  die  Schlacke. 
Da  mm  der  Ei senab s tick  periodisch  (etwa  alle  4  Stunden)  geschieht,  das 
Niveau  der  Schlacke  aber  nie  die  Formen  erreichen  darf,  so  ist  die  Nothwendigkeit 
gesonderten  Schlackenabstiches  gegeben  und  sind  bei  den  Oefen  mit  ge- 
sclilossener  Brust  stets  besondere  Schlackenabstichkanale  vorhanden,  durch  welche 
man  die  Schlacke  am  besten  in  Schlackenwagen  laufen  lasst,  weil  so  der  Transport 
zur  Halde  vereinfacht  ist. 

Der  Abstich  des  Roheisens  erfolgt  nach  Herstellung  eines  im  Boden  der 
Hiitte  (Sand)  gemachten  schmalen  Grabens,  des  Mass  el  grab  ens,  durch  welchen 
das  Roheisen  entweder  in  eine  vor  dem  Ofen  befindliche  grosse,  sehr  flache  Mulde 
oder  in  ofFene,  meist  in  Sand,  seltener  und  niir  fur  weisses  Eisen  aus  Gusseisen 
liergestellte   Formen,  Rinnen  von  U-formigem  Profil,  geleitet  wird. 

Lasst  man  das  Eisen  in  der  Mulde  erstarren  und  zerschlagt  die  dicke  Platte 
in  Stiicke,  so  erhalt  man  die  F 1  o  s  s  e  n,  M  a  s  s  e  1  n  (saumons  —  pigs),  erstarrt 
das  Eisen.  in  den  Formen,  so  erhalt  man  Stiicke  von  Stangenform,  Barren, 
Ganze  (gueuses  — pigs),  giesst  man  auf  das  fliissige,  in  der  Mulde  (Sumpf) 
stehende  Eisen  Wasser,  und  reisst  die  erstarrte  Platte  ab  —  Scheibenreissen 
—  so  erhalt  man  Blatteln  (bleltes). 

Ueber  die  Zuschlage.  Aus  der  vorstehenden  kurzen  Bcsprechung  des 
Hochofenprocesses  konnte  schon  entnommen  werden,  dass  die  rechtzeitige  Bildung 
einer  Schlacke  von  geeignetem  Grade  der  Diinnfliissigkeit  eines  der  wichtigsten 
Erfordernisse  des  Garganges  ist.  Da  nur  wenige  Erze  (selbstgehen  de)  ein 
solches  Verhaltniss  der  Gangarten  aufw eisen,  welches  zur  Bildung  einer  ge- 
eigneten  Schlacke  erforderlich  ist,  so  muss  entweder  durch  entsprechende  Mischung 
verschiedener  Erze  (Gattirung*)  oder  viel  haufiger  durch  Zugabe  soldier  Ma- 
terialien  (Zuschlage),  welche  mit  den  Gangarten  der  Erze  zusammen  eine  Schlacke 
von  richtiger  Beschaffenheit  liefern,  der  gute,  gare  Gang  erzielt  werden. 

Die  Analyse  der  in  dem  Hochofen  zur  Verschmelzung  kommenden  Erze,  in 
Verbindung  mit  der  Kenntniss  des  Fliissigkeitsgrades  und  Schmelzpunktes  der  zu 
bildenden  Silicate,  lasst  die  Bestimmung  der  geeigneten  Zuschlage  zu  und  begreift 
man  die  hierher  gehorigen  Kenntnisse  unter  der  Bezeichnung  Eisenprobir- 
kunst. **)  Hire  Aufgabe  ist,  aus  den  durch  die  Analyse  bekannten  Bestandtheilen 
der  Gangarten  der  Erze  solche  billige  Materialien  —  Zuschlage  —  zu  bestimmen, 
welche    eine  Schlacke    liefern,  die   beim  Schmelzpunkt   des   herzustellenden  Eisens 


*)  Gattiren  der  Erze.  Unter  diesem  Ausdruck  versteht  man  die  zweckmassige  Mischnng 
verschiedener  Eisenerze,  wenn  solche  aus  verschiedenen  Gruben  zu  haben  sind.  Der 
Zweck  hierbei  kann  ein  mehrfacher  sein.  Einestheils  ist  es  besser,  gutartige,  d.  h. 
leicht  zu  verschme]zende  Erze  mit  strengfliissigen  zu  mischen,  um  so  einen  stets  gleieii- 
artigen  Gang  des  Schmelzprocesses  zu  befordern,  als  bald  die  einen,  bald  die  andern 
getrennt  zu  verschmelzen ;  sodann  ist  es  sehr  wichtig,  durch  Mischung  armerer  mit 
reicheren  Erzen  ein  moglichst  gleichbleibendes  Verhaltniss  zwischen  Eisen  und  erdigen 
Beimengungen  zu  erzielen;  entllich  ist  es  zuweilen  moglich,  solche  Erze  zu  mischen, 
deren  erdige  Nebenbestandtheile  ihrer  chemischen  Zusammensetzung  nach  gceiguet  sind, 
sich  zu  einer  leichtfliissigen  Schlacke  zu  vereinigen,  so  dass  sich  die  verschiedenen  Erze 
geg'enseitig  als  Flussmittel  dienen.  Die  zweckmassige  Gattirung  setzt  nicht  nur  grosse 
Erfalirung,  sondern  genaue  Kenntniss  der  verschiedenen  disponibeln  Erze  und  des  che- 
mrschen  Processes  der  Schlackenbildung  voraus. 

**)  Ueber  hierlier  Gehoriges  kann  in  .Sehr otter's  Chemie  Bd.  I,  ferner  in  Bruno  Karl's 
Kisenprobirkunst  als  Anhang  zu  dessen  Handb.  d.  Eisenhiittenkunde  nachgesehen  werden, 


12  Eisen-Erzeugung  (Zuschlage). 

gleichfalls  diinnfliissig  ist.  Zugleich  darf  aber  aus  okonomischen  Griinden  die 
Menge  der  Schkicke  hoc  listens  fiinfm.nl  jene  dcr  Eiscnmenge  sein ;  andererseits 
muss  sie  aber  mindestens  a/5  jener  des  Eisens  betragen,  weil  miter  dieseni  Ver- 
haltniss  kein  geniigender  Schutz  vor  Oxydation  stattfindet. 

Da  die  Kohlung  des  Roheisens  aufhort,  wenn  dasselbe  mit  einer  Schlacken- 
schiclite  bedeckt  ist,  so  wird  fur  das  melir  zu  ko blende  graue  Roh- 
eisen  die  Sc  hi  a  eke  sebwerer  scbraelzig  sein  mils  sen,  wie  fur  das 
weniger  zu  kohlende  weisse  Eisen. 

■  Die  gewohnlichsten  und  wicbtigsten  Bestandtheile  der  Gangarten  sowohl,  als 
der  Hochofenschlacke  sind :  Kieselsaure,  K a  1  k-  und  T li o  ncrde.  Fcrner 
finden  sicb  Magnesia,  Baryt,  Mangan  und  Alkalien.  (Eisen  als  Oxydul  kommt  nur 
bei  fehlerhaftem  Processe  in  grosserer  Menge  in  die  Scblacke.)  Alkalien  finden 
sicb  meist  inur  beim  Holzkoblenbetrieb ;  manganhaltige  Zuschlage  werden  oft  ab- 
sicbtlicb  begegeben;  Baryt,  namentlich  Schwerspath,  wird  geniieden ;  Magnesia 
wird  oft  statt  des  Kalkes  im  Zuscblag  beigegeben  und  wirkt  dieseni  ahnlicb,  doch 
maclit  es  die  Scblacke  sebwerer  scbmelzig. 

Das  Verbaltuiss  der  Kieselsaure  zu  den  Basen  der  Scblacke  schwankt  zwiscben 
den  Grenzen  eines  einfacben  und  eines  Doppelsilicates,  wie  dies  durch  die  Formeln 
HfiiO^  (nacb  der  friiberen  Scbreibweise  2  HO,  SiO„  und  I^SiO^  (HO,  SiO,,) 
ausgedriickt  ist.  Hierin  konnen  zwei  Wasserstoffatome  durch  ein  Calcium-,  Mag- 
nesium-, Mangan-  oder  Eisenatom.  oder  drei  Wasserstoftatome  durch  ein  Atom 
Aluminium  vertreten  werden.*)  Die  Thonerdesilicate  sind  sebwerer  schmelzbar  als 
die  gleichartigen  Kalk-,  Magnesia-  oder  Mangansilicate,  und  liegt  in  dcr  Moglichkeit 
der  Regulirung  dieses  Miscliungsverhaltnisses  die  Moglichkeit,  den  Schmelzpunkt 
der  Schlacke  in  geeigneter  Weise  zu  bestimmen.  D«r  Gehalt  an  Calcium  zu 
jenem  von  Aluminium  wechselt  zwiscben  4  :  1  und  3  :  2,  dariiber  hinaus 
wiirde  die  Schlacke  zu  leicht,  resp.  zu  schwer  scbmelzig. 

Als  Zuchlage  finden  Anwendung: 

M a r m or,  g c  w.  K a  1  k s  t  e i n,  Kreide,  Kalkstoff. 

Dolomit  (Kalk  mit  bis  fast  der  Ilalfte  kohlensaurer  Magnesia). 

Kalks tcinm ergel,  Dolomitmergel  (thonhaltig). 

F lu ss  spa th  (Fluorealcium),  bei  Vorhandensein  von  schwefelsauren  Verbin- 
dungen  und  Ofenansatzen  besonders  wirksam,  doch  meist  zu  theuer. 

Bauxit  mit  35 — 70  "/„  Thonerde  wird  dort,  wo  er  zu  haben  ist,  dann  als 
Zuscblag  gegeben,  wenn  derselbe  zumeist  aus  Thonerde  bestehen  soil. 

Th  ons  chief  er,  Sehieferthon,  Mergel  werden  als  Zuschlage  verwendet,  wenn 
die  Erze  einen  Tlion-  und  Kieselsaurezuschlag  fordern. 

Quarz  oder  Sandstein  allein  wird  selten  verwendet,  hiiufig  hingegen  Schweiss-, 
Friseh-  und  Puddel-Sehlacken,  um  ihren  Gehalt  an  Eisen  zu  gewinnen.  (Diese 
Schlacken  werden  haufig  vorher  gerostet.) 

Hocho  fen  sch  lack  en,  wenn  es  sicb  um  blose  Vermehrung  der  Schlacken - 
menge  handelt. 

Manganoxy dul  und  Alkalien  werden  selten,  dann  aber  zum  Zweek.' 
der  Ernicdrigung  des  Schmelzpunktes  der  Schlacke  beigegeben  (Manganoxydul  wird 
meist  durch  Gattirung  manganhaltiger  Eisenerze  zugesetzt,  um  manganhaltiges  Roh- 
eisen  zu  erhalten) ;  dies  macht  auch  erklarlieh,  dass  es  schwierig  ist,  aus  mangan- 
haltigen  Erzen  graues  Roheisen  herzustellen,  welches  cine  sebwerer  schmelzige 
Schlacke  (s.  oben)  erheischt. 

Es  ist  fast  selhstvcrstandlieh,  dass  es  bei  sehr  reichen  Erzen  durch  Zu- 
schlage, welche  die  okonomisch  zuliissige  Menge  nicht  uberschreiten,  moglich  ist, 
Schlacken  von  sehr  verauderlichcm  Schmelzpunkte  zu  erzeugen,  d.  h.  auch  ver- 
schiedene  Roheisensorten  zu  erzeugen;  wiihrend  dies  bei  arm  en  Erzen,  deren 
Gangarten  an  sicb  sehon  eine  Schlacke  ausgesprochenerer  Qualitat  liefern,  nicht  so 


')  Die    betreffenden  Verhaltnisse   iindeu   sich   eingeliendcr   im  Artikcl   Kieselsaure   at) 
gehandelt. 


Eisen-Erzeugung  (Brennmaterialc,  Wind).  13 

leicht  moglich  ist,  daher  fiir  arme  Erze  ganz  besonders  der  Erfahrungssatz  gilt, 
(lass  sie  nnr  fiir  eine  Roheisenart  mit  dem  okonomisch  besten  Erfolge  zu  ver- 
schraelzen  sind. 

Wir  haben  im  Yorstehenden  den  wesentlichen  Einfluss  der  Zuschlage 
anf  die  Schlacke  cliarakterisirt.  Da  die  Schlacke  von  Einfinss  anf  die  Roh- 
eisenbildung  ist,  so  ist  hierdurch  allerdings  den  Zuschlagen  ein  indirecter  Ein- 
finss anf  das  Product  des  Hocliofens  znerkannt;  sie  besitzen  aber  atich  theilweise 
einen  directen,  nnd  hiervon  soil  zunachst  die  Rede  sein. 

Hang  an,  sei  es  dnrcli  manganhaltende  Erze,  oder  als  Znschlag  (Brannstein) 
in  den  Hochofen  gelangt,  bewirkt  niclit  nnr  eine  leichter  schmelzbare  Schlacke, 
sondern  bewirkt,  indem  es  einen  Bestandtheil  des  Rolieisens  bildet,  dass  dieses 
den  Kohlenstoff  nnr  chemisch  gebnnden  anfnimmt,  gibt  also  znr  Bildung  Aveissen 
E  is  ens,  resp.  bei  hoherem  Procentsatz  znr  Spiegele  is  en  bildung  Anlass. 

Silicium,  aus  der  Kieselsaure  reducirt,  gelangt  in  das  Rolieisen  namentlich 
bei  holier  Temperatur.  Die  Bedingungen,  welche  die  Ofentemperatur  erhohen,  be- 
fordern  audi  die  Aufnahme  von 'Silicium  in  das  Rolieisen,  und  wird  die  Kiesel- 
saure um  so  eher  reducirt,  je  weniger  basisch  die  Schlacke  ausfallt.  Koksroheisen 
ist  daher  siliciumreieher  als  Holzkohlenroheisen. 

Der  die  Qualitat  des  Rolieisens  wesentlich  verschlechternde  Schwefel  und 
Phosphor  wird  durch  Rosten  der  Erze,  Auslaugen  etc.  von  der  Beschickung 
des  Hocliofens  nach  Thunlichkeit  fern  gehalten.  Zwar  gelingt  es,  (lurch  starken 
Kalkzuschlag  (audi  durch  Mangan  enthaltende  Zuschlage),  so  wie  durch  Flussspath 
den  Schwefel  grossentheils  zu  entfernen ;  doch  gelang  es  bisher  nicht,  den  noch 
schadlicheren  Phosphor  im  Hochofenprocess  zu  beseitigen ;  er  geht  in  das  Roli- 
eisen fiber. 

Brennmaterial,  Wind  und  Hochofengase  in  ihrem  wesentlichsten 
Einfluss  auf  den  Hochofenprocess.  (Vergl.  d.  Artikel :  Brennstoffe,  Geblase, 
K  o  k  s  etc.) 

Das  im  Hochofen  znr  Verbrennung  gelangende  B  r  en  n mater i ale  muss 
drei  Bedingungen  erfiillen.  1.  Es  muss  die  hinreichende  Widerstandskraft  haben, 
den  grossen  Drnck  der  Materialien  auszuhalteu,  ohne  zerdriickt  zu  werden;  2.  es 
darf  bei  seiner  Verbrennung  die  Temperatur  des  Ofens  nicht  zu  selir  herabmindern, 
wie  dies  bei  nassem  und  solchem  Brenrimateriale  geschehen  wiirde,  welches  vor 
dem  Gliihen  einen  grossen  Theil  seiner  Bestandtheile  durcli  trockene  Destination 
(naaientlicli  Kohlenwasserstoffe)  vergast;  und  3.  es  darf  niclit  zu  viele  und  na- 
mentlich keine  schadlichen  Aschenbestandtlieilo  besitzen. 

Der  ersten  Bedingung  entsprechen  Braunkohlen-  und  Torfkoks  nicht  (oder 
selten) ;  der  zweiten  entspriclit  weder  Holz  noch  gasreiche  Steinkohlen ;  und  um 
der  dritten  Bedingung  Greniige  zu  thun,  miissen  viele  aschenreiche  (namentlich 
schwefelkiesreiche)  Steinko'.len  vor  dem  Verkoken  einer  nassen  Aufbereitung  unter- 
worfen  werden  (s.  Koks). 

Wedding  sagt:  Ob  eine  Steinkohle  im  rohen  oder  verkokten  Zustande  an- 
zuwenden  ist,  dariiber  entscheiden  vor  Allem  die  Eigenschaften  derselben  beim 
Verkoken  (geniigende  Reinlieit  vorausgesetzt).  Lasst  sich  eine  Steinkohle  als  Klein- 
kohle  verkoken,  so  [ist  es  der  Regel  nach  vortheilhafter,  die  grosseren  Stiicke  zur 
Flanimofenfeuerung  zu  verwerthen  ;  lasst  sich  die  Kleinkohle  dagegen  nicht  verkoken, 
so  ist  es  zweckmassiger,  die  rohen  Stuckkohlen  audi  fiir  den  Hochofen  zu  beniitzen. 
Stark  backende  Kohlen  lassen  sich  im  rohen  Zustande  im  Hochofen  nicht  ver- 
wenden,  weil  sie  den  Niedergang  ungleichmassig  machen. 

Der  Wind,  d.  i.  die  unter  erhohtem  Drucke  in  den  Hocliofen  getriebene 
atmospharische  Luft,  verbrennt  den  Kohlenstoff  vor  den  Formen  zu  Ko  hi  en- 
ox  ydg as  und  Kohlensaure,  welche  letztere  aber,  da  gliihender  Kohlenstoff  ge- 
niigend  vorhanden  ist,  sich  gleichfalls  in  Kohlenoxyd  umsetzt. 

Der  Wind  wird  entweder  kalt  oder  heiss  angewendet.  Im  ersteren  Falle 
fiihrt    der    gare  Gang    die    Bezeichnung  Kaltgar,    im    zweiten  Heiss  gar.     Bei 


14 


Eisen-Erzeugnng  (Wind). 


Anwendung  von  heissem  Winde  wird  weit  mehr  Brennmateriale  im  Hochofen 
erspart,  als  zur  Erwarmung  des  Windes  erforderlioh  war.*)  Diese  Thatsache, 
filr  wclche  viele  Erklarungsversuche  vorliegen,  scheint  ihre  Begriindimg  darin  zu 
linden,  dass  durcli  die  Winderhitzung,  abnlicb  wie  dies  bei  der  Verbrennung  in 
Siemen's  Regenerativofen  der  Fall  ist,  die  Verbrennungstemperatur  im  Gestelle 
wesentlicb  erbobt  and  dadurch  der  Scbmelzprocess  so  sebr  gefordert  wird. 

Die  Menge  des  Windes  kann  als  proportional  dem  zu  verbrennenden 
KoblenstofFe  genommen  und  biernacb  bestiinmt  werden;  die  P  res  sung  soil  derart 
gewablt  werden,  dass  noch  freier  Sauerstoff  bis  gegen  die  Acbse  des  Ofens  gelangt, 
aber  nicbt  dartiber  binaus.  Soil  die  Production  des  Ofens  vermelirt  werden,  so 
darf  niclit  die  Windpressung,  sondern.es  soil  der  Diisenquerschnitt,  resp.  die  Zabl 
der  Diisen,  eine  Vermebrung   finden,  weil   nur   bierdnrcb    giinstig  gearbeitet  wird. 

Die  im  Winde  enthaltenen  Wasserdampfe  werden  zerlegt,  wobei  freier  Wasser- 
stoff  und  Koblenoxydgas  sicb  bilden;  diese  Zerlegung  ist  mit  Warmeverbraucb 
verkniipft,  weil  kein  freier  Sauerstoff  vorhanden  ist,  welcber  den  freien  Wasser- 
stoff  oxydiren  konnte.     Daber  finden  wir  unter  den  Hochofen  gas  en**)  ausser 


*)  Eine    sebr   interessante    Zusammenstellung    der    dureh    heisse  Geblaseluft    erzeugten  Ke- 
sultate   ist    selion    vor  40  Jahren    von  Dufrenoy   gegeben,    der   sammtliehe    englische 


Eisenvverke,  auf   welchen  das    damals  neue  Verfahren    eingefiihrt  war,  besucht  liat. 
beriehtet  dariiber  Folgendes: 

Auf  den  Clyde-Eisemverken  bei  Glasgow  wurden  im  Jahre  1829  bei  kalte: 
bliiseluft  pr.  Ton  Eisen  verbraueht: 

Znm  Schmelzen  3  Tons  Koks,  entsprechend     7  Tons  13     Ztr.  '0  Pfd.  Steinkoble 
Zuin  Betrieb  des  Geblases 1       „         0       „      7     ,,  „ 


Ge- 


0     „ 
!°  C.   und  Anwendnno-    von  Kol 


Summa     8      „      13 

Ferner  Kalkstein 0       „       10' 

Im  Jahre  1831    mit    heisser  Geblaseluft    von 
war  der  Verbraueh: 

Zum  Schmelzen  1  Tons  18  Ztr.  Koke  entsprechend 

4  Tons  G  Ztr.  0  Pfd.  Steinkoh 

Zum  Erhitzen  der  Luft 0       „       b     „      0     „  „ 

Zum  Betrieb  des  Geblases 0       „       7     „      4     „ 


4       „     IS      „      4     „ 
Kalkstein        0       „       9     „      0     „  „ 

Im  Jahre  1833  beim  8climelzen  mit  heisser  Luft  von  3'22°  C.  und  rohcr,  iinvir 
kokter  Steinkphle  ergaben  sich  : 

Zum  Schmelzen 2  Tons  0  Ztr.  0  Pfd.  Steinkoble     ■ 

Zum  Erhitzen  der  Luft 0       „      8     „      0     „  „ 

Zum  Betrieb  des  Geblases 0      „11„2„  „ 

Summa     .     .     2       „     19      „       2     „  „ 

Kalkstein .     .     0       „      7     r      0     „  „ 

Die  tagliche  Production  derOefen  hatte  dabei  um  mehr  als  J/..  zugenommen  und 
also  eine  bedeutende  Erspamng  an  Arbeitslohn  gestattet,  dabei  war  in  der  Menge  der 
nothigen  GeblSseluft  cine  merkliche  Yermiuderung  eingetreten,  denn  ein  Darnpfgehiase 
von  17  Pferdekraften,  das  bei  kalter  Geblaseluft  nur  3  Hochofen  versab,  reiclite  jetzt 
zu  4  Oefen  bin. 

Auf  den  Eisenwerken  von  Calder  hat  sich  der  Kohlenverbrauch  in  dem  Yer- 
haltniss  von  157  Ztr.  zu  42  Ztr.,  der  Kalksteinverbrauch  von  13  Ztr.  auf  5 '/2  Ztr.  ver- 
mindert.  Das  erforderliche  Luftvolumen  ist  von  3500  auf  2627  Kub.-F.  pr.  Minute  ge- 
smjcen,  selbst  die  Pressung  dieser  geringeren  Luftmenge  kanu  in  dem  Verbaltniss  von 
23/4  gegeu  S-Vj  Pfd.  auf  den  Quadratzoll  sehwacher  genommen  werden. 
<:*)  Buns  en  fand  das  Gas  aus  einem  Holzkohlenofen  folgendeimassen  zusammeugesetzt : 


Bcstandtheile 

H 

j  h  e    ii  b  e 

r    der   Fo 

r  m 

l-9m 

4-0m 

5-l>n 

6-2>" 

Stic-kstotfgas 

64-58 
26  51 

63-89 

29-27 

3-60 

2-17 

1-07 

66-29 

25-77 

3-32 

0-58 

404 

62-34 

24-20 

8-77 

1-33 

3'36 

Koblensaures  Gas 

5-97 
1-06 
1-88 

Brennbare  Gase 

10000 

29-45 

10000 
32  54 

10000 
30-39 

100  00 
28--80 

Eisen-Er&eugung. 


15 


Kohlenoxyd  and  Stickstoff  audi  Wass  erst  off.  Der  Stickstoff  diirfte 
keinen  wesentliehen  Antheil  an  den  Vorgangen  im  Hochofen  nehmen,  wenigstens 
beseitigen  die  Arbeiten  R  am  in  els  berg's  diesbezligliclie  friihere  Vermnthungen 
und  sind  Cyanbildiirigen  mehr  Ausnahme  als  Regel.  Audi  der  Wasserstoff  gelangt 
grosstentheils  in  die  Giclitgase  nnd  fallt  mitliin  die  Hauptaufgabe  dem  Kolilen- 
oxydgase  zu,  welches  die  Erze  in  den  oberen  Regionen  reducirt  und  hierbei  zuin 
Tlieile  zu  Kohlensaure  oxydirt  wird.  Die  Giclitgase  bestelien  daher  aus  Stickstoff, 
Wasserstoff,  Kohlenoxyd  (circa  30°/,,),  Kohlensaure  (theilweise  auch  von  den  Zu- 
schla'gen  und  Erzen  herriihrend),  Wasserdampf  (aus  der  Beschickung)  und  Kohlen- 
wasserstoffen  (aus  manchen  Brennmaterialien),  wozu  noch  scliweflige  Saure,  Zink 
dainpf  u.  dgl.  sich  gesellen. 

Die  Gase  haben  vor  den  Formen  eine  Temperatur  von  circa  1600 — 1700°  C. 
und  ninimt  diese  Temperatur  in  den  hoheren  Schichten  rasch  ab,  so  dass  sie  in 
der  Mitte  der  Ofenhohe  nur  circa  600 — 800°  C.  betragt.  Die  im  Hochofen  cr- 
forderliche  Warmemenge  wird  vor  den  Diisen  durch  Verbrennen  des  Kohlenstoffes 
zu  Kohlenoxydgas  gewonnen. 

Die  Form  des  Hoc  ho  fens  ist  durch  nachstehende  Momente  bedingt. 
Das  cylindrische  und  geschlossene  Gestelle  ist  vortheilhaft,  weil  durch  diese  Form 
so  wie  durch  die  geschlossene  Brust  die  Wiirmestrahlung  verniindert,  daher  die 
Temperatur  im  Gestelle  erhoht  wird.  Die  Wandstarke  des  Gestelles  soil  nicht 
iiber  0-6 — 0'71U  betragen,  weil  sonst  die  Wandungen  innen  abschmelzen,  was  stets 
ungleichmassig  geschieht  und  zu  nachtbeiligen  Aenderungen  der  Herdform  Ver- 
anlassung  gibt,  wahrend  bei  der  obgenannten  Dimensionirung  eine  das  Gestelle 
conservirende  Wasserktibluug  ermoglicht  wird.  Der  lichte  Durchmesser  des  Ge- 
stelles wird  selten  grosser  als  2*5m  gemacht.  Von  diesem  hangt  gewissermassen 
die  Productionsmenge  ab,  indem  weiteres  Gestelle  mit  rascherem  Niedergang7  engeres 
Gestelle  mit  langsamerem  Niedergang  (also  geringerer  Production)  zusammenhangt. 
Von  dem  Gestelle  erweitert  sich  der  Ofen7  wodurch  den  Gasen  ein  geringerer 
Widerstand  entgegensteht,  weil  im  grosseren  Querschnitt  die  Bewegung  derselben, 
Avie  der  Beschickiing  langsamer  stattfindet7  wodurch  die  Einwirkung  der  Gase  eine 
vollkommenere  wird.  An  der  Gicht  wird  der  Schacht  wieder  verengt,  um  die  noch 
vorhandene  Warme  der  Gase  moglichst  gleichformig  vorbereitend  auf  die  Be- 
schickung wirken  zu  lassen ;  doch  soil  die  Spannung  der  Gase  dadurch  nicht  erhoht 
werden,  daher  darf  diese  Verengung  um  so  weniger  betragen,  je  mehr  Gase  die 
Beschickung  selbst  entwickelt.  Fiir  rohe  Brennmaterialien  wird  daher  eine  weitere, 
fur  Holzkohlc  und  Koks,  so  wie  fiir  gut  gerostete  Erze  und  gebrannte  Zuschlage 
eine  engere  Gicht  angewendet. 

Erze,  die  schwer  reducirbar  sind,  also  langer  der  Einwirkung  der  Gase  aus- 
gesetzt  sein  miissen,  erfordcrn  einen  weiteren  Kohlensack,  leicht  reducirbare  einen 
engeren. 

Wedding  charakterisirt  die  Hauptfalle  nachstehend:  ' 

1.  Die  Erze  sind  leicht  reducirbar,  die  Schlacke  ist  leicht  scbmelzbar  (z.  B. 
manganhaltigc  Spateisensteine),  der  Ofen  erhalt  wenig  Erweiternng  in  der  Mitte, 
eine  weite  Gicht  und  weites  Gestelle. 


Niicli  E  h  el  me  n  ist  das  Otis  eines  Koksofens  zusammengcsetzt  aus: 


Bestandtheile 


Tiefe  unter  der  Gicht 


Qm  lm 


4-36»i 


Stirkstoffgas  .  . 
Kohlenoxydgas  . 
Kohlensaures  Gas 

"Wasserstoffg-as     . 

Brennbare  Gase 


6070 

2524 

11-58 

2-48 


10000 

27-72 


63-59 
31-83 

2-77 
1-81 


100-00 
33-64 


64-66 

335i> 

0-57 

1-38 


10000 

34  97 


16 


Eisen-Erzeugung. 


2.  Die  Erze  sind  schwer  reducirbar  und  die  Schlacke  ist  schwer  schmelzbar 
(kieselsaurehaltige  Rotheisensteine),  der  Ofen  ist  stark  auszubauchen,  mit  enger 
Gicht  und  engem  Gestelle. 

3.  Die  Erze  sind  leicbt  reducirbar  und  die  Schlacke  schwer  schmelzbar  (ge- 
wisse  Brauneisensteine),  die  Gicht  ist  weit,  das  Gestelle  eng  zu  halten. 

4.  Die  Erze  sind  schwer  reducirbar  und  die  Schlacke  leicht  schmelzbar  (viele 
Magneteisensteine),  die  Gicht  ist  enge  und  das  Gestelle  weit  zu  halten. 

Ueber  Details  der  Hochofen. 

Die  Gasfange  (cloche  a  gaz  —  gas-bell)  haben  den  Zweck,  die  Gicht- 
gase  aufzufangen  und  einer  nutzbaren  Verwendung  zuzufiihreu.  Es  kann  dieser 
Zweck  auch  bei  offener  Gicht  erreicht  werden ,  wenn  man  in  die  Gicht  ein 
Rohr  derart  einlasst,  dass  zwischen  ihni  und  dem  Mauerwerk  ein  ringformiger 
Raum  bleibt,  welcher  oben  abgeschlossen  wird  und  seitlich  mit  Gasabzugs-Rohren 
communicirt.  Das  Innere  des  Rohres  ist  mit  der  Beschickung  gefiillt,  setzt  daher 
den  abziehenden  Gasen  mehr  Widerstand  entgegen,  als  sie  auf  ihrem  Wege  in  den 
ringformigen  Zwischenraum  und  der  weiteren  Gasleitung  finden ;  und  da  die  Ver- 
brennungsgase  jenen  Weg  nehmen  werden,  welcher  die  kleinsten  Widerstande 
bietet,  so  ist  ilire  Ableitung  (allerdings  mit  Verlusten)  moglich,  auch  ohne  eigent- 
lichcn  Abschluss  der  Gicht.  Gichtglocken  oder  Trichterapparate,  wie  der  neben- 
stehende,  erfiillen  die  Aufgabe  allerdings  vorziiglicher ;  nicht  nur  der  geringeren 
Verluste  wegen,  sondern  hauptsachlich  darum7  weil  die  naturliche  Bewegung  der 
Gase  im  Ofen  nicht  gestort  wird,  wenn  die  Ableitung  oberhalb  der  Oberflache  der 
Beschickung  erfolgt. 

Der  hier  gezeichnete  Gasfang*)  ist  naeh  dem  frUher  Gesagten  verstandlich. 
Bei  to  ist  die  Winde,  durch  welche  der  Conus  C  gehoben  oder  gesenkt  wird.  G 
ist   das  Gasrohr,    welches    die    Gase    zu    dem  Winderhitzungsapparate  (oder    einer 

Fig.   1220.  (y6,  „at.  Gr.) 


sonstigen  Bcniitzung)  leitet.  Conus  und  Trichter  bieten  an  sicli  schon  einen  ziemlich 
guten  Abschluss,  welcher  durch  in  den  Trichter  geworfenes  Erz  vervollstandifft  wird. 


■■')  Technisohe  Blatter  1870  S.   li 


Eisen-Erzeuguns 


17 


Die  For  men  und  Dusen.  In  das  Mauerwerk  des  Gestelles  sind  die 
Formen  e  (vgl.  Fig.  1221)  eingesetzt,  in  welch  en  die  den  Wind  zufiihrenden  Diisen 
/  zienilich  geschiitzt  liegen.  Urn  das  Verbrennen  der  Formen  zu  verhindern,  1st 
eine  Wasserkuhlung  vortheilhaft.  Diese  kann  dann  der  Art  angewendet  werden, 
dass  die  Formen,  wie  aus  unsererFigur  ersichtlich  ist,  hohl  sind;  das  Kuhlwasser 
tritt  am  tiefsten  Punkte  ein,  am  hdchsten  aus.*)  Zu  den  6  Diisen  unseres  Hoch- 
ofens  gelangt  der,  vom  Winderhitzungsapparate  auf  circa  350°  C.  vorgehitzte 
Wind  unter  dem  Drucke  von  i/3  Atmosphare  aus  dem  Rohre  R  durch  die 
Zweigrohren  z.  Bei  i  ist  ein  kleines  Guckloch ,  durch  welches  man  den 
Process  im  Ofen  beobachten  kann.  Hat  sich  das  Auge  durch  langeres  Hinein- 
sehen  an  den  Glanz  der  verbrennenden  und  schmelzenden  Massen  gewolmt,  so 
nimmt  man  den  Vorgang  vor  den  Diisen  nicht  nur  wahr,  sondern  ein  geiibtes 
Auge  vermag  den  Gargang,  Rohgang  und  iibergaren  Gang  aus  der  klaren  und 
hellen,  rothen  und  relativ  dunkeln  oder  stark  leuchtenden  Verbrennung  zu  erkennen. 
Die  Lage  der  Formen  und  Dusen  ist  nicht  radial,  d.  h.  die  Achse  der  Formen 
schliesst  mit  dem  vom  Ofen-  zum  Formen-Mittel  gezogenen  Radius  einen  kleinen 
Winkel  ein,  wodurch  eine  bessere  Vertheilung  des  Windes  im  Ofen  erfolgt.  Je 
nachdem  das  Ende  der  Diise  dicht  an  die  Form  sich  anschliesst  oder  nicht,  unter- 
scheidet  man  geschlossene  oder  oflfene  Formeu.  In  unserer  Figur  1221  ist  die  Form 
eine  geschlossene. 

Fig.   1221.  (V48  nat.  Gr.) 


Die  Kiihlung  der  Gestellwande  bezweckt  die  langere  Erhaltung  der- 
selben  und  wird  durch  Ueberrieslung  der  Aussenwande  des  Gestellmauerwerkes 
erzielt  Bei  manchen  Oefen  wird  auch  das  Schlackenabflussloch  und  das  Stichloch 
durch  directe  Berieselung  gekiihlt,  muss  aber  dann  vor  dem  Abstich  der  Schlacke 
und  des  Eisens  sorgfaltig  getrocknet  werden.  Dass  die  Kiihlung  des  Gestell- 
Kernschachtes  durch  Ueberrieselung  der  Aussenwand  das  Abschmelzen  der  Innenseite 


*)  Eine  der  besten  Diisenkiihhingen  bestelit  darin,  aus  einem  spiralforrnig  gewundenen 
Kupferrohre,  welches  mit  feinen  Oeffnungen  versehen  ist,  Wasser  gegen  die  Innenseite 
der  Diisenwiinde  zu  spritzen.  Die  Diise  l)esteht  aus  zwei  an  der  Vorderseite  mit  einander 
verbundenen,  in  einander  gesteckten  Hohlkegeln,  zwiscben  welchen  das  Kupferrobr  ge- 
lagert  ist.  Eine  eintretende  Undichtheit  ist  bier  leicht  zu  bemerken,  da  die  Diise  riick- 
warts  often  ist. 

Karmai'srh  &  Heeren,  Technisches  Woi-terbuch.    Bd.  III.  2 


18       '  Eisen  Erzeugung  (Rennarbeit). 

nur  dann  verhindern  kann,  wenn  die  Gestellwand  keine  zu  grosse  Dicke  hat  (circa 
60cm  soil  nicht  iiberschritten  werden),  ist  leiclit  begreiflich.  Fig.  1221  la'sst  er- 
kennen,  dass  rings  um  den  Ofen  aclit  horizontale  Wasserrinnen  herumgefiihrt  sind. 
Der  obersten  Rinne  lauft  Wasser  aus  dem  Rohre  W  zu,  welches  nach  Fullung 
derselben  in  die  nachst  tiefere  iiberlauft  u.  s.  f.,  bis  das  Wasser,  aus  der  untersten 
Rinne  abfliessend,  sich  im  Kanal  W  sanmielt.  Die  Aussenseite  des  Gestelles  ist 
hierbei  mit  Cement  verkleidet,  mit  welchem  audi  die  Fngen  der  Bleche,  welche 
die  Rinnen  bilden,  gedichtet  sind. 

Nebenerforderniss  e  des  Hochofens  sind  die  Geblase,  Wind- 
er hitzungsappa rate  und  Gichtaufziige.  Erstere  liefern  den  Wind  von 
erforderlicher  Pressung  (s.  Geblase),  die  Winderhitzungsapparate  (s.  d.)  haben 
die  Aufgabe,  den  Wind  zu  erhitzen,  und  die  Gichtaufziige  (s.  H  e  b  e  m  e  c h  a  n  i  s  m  e  n), 
die  Materialien  (Koks,  Erz  und  Zuschlag)  zur  Gicht  zu  befordern. 

Hochofen-Betriebsresultate.  Kraftbedarf.  Fiir  einen  Hochofen 
grosserer  Dimension,  welcher  800  Z.-Ztr.  Koks  pr.  24  Stunden  verbraucht,  ist 
eine  Geblasemasckine  von  120 — 150  Pferdekraften  erforderlich.  Der  Gichtaufzug 
beansprucht  5 — 10  Pferdekrafte. 

Production.  Bei  circa  350°  C.  Windtemperatur,  basischer  Schlacke  und 
einem  auf  Puddelroheisen  gerichteten  Betriebe  erhalt  man  bei  einem  Koksverbrauch 
von  800  Z.-Ztr.  pr.  24  Stunden,  bei  mittelmassigem  Eiz  500  Z.-Ztr.,  bei  sehr  gutem 
bis  900  Z.-Ztr.  Roheisen. 

Pro  125  Z.-Ztr.  Koks  oder  80  Z.-Ztr.  Holzkohle  kann  man  als  Durchsclmitt 
100  Ztr.  weisses  Roheisen,  pro  180  Z.-Ztr.  Koks  oder  115  Z.-Ztr.  Holzkohle 
kann  man  als  Durchsclmitt  100  Ztr.  graues  Roheisen  reclmen. 

I.  B)  Die  Rennarbeit  oder  das  Ren n en  ist  jene  unmittelbare  Dar- 
stellung  schmiedbaren  Eisens  aus  den  Eisenerzen,  auf  welcher  in  friiherer  Zeit  die 
gesammte  Eisengewinnung  beruhte  (altere  Rennarbeit)  und  welche  in  neuester  Zeit 
den  Gegenstand  mannigfacher  Versuche  bildet  (neuere  Rennarbeit),  die  aber  bisher 
noch  zu  keiner  durclischlagenden  Bedeutung  gekommen  sind.*) 

Bei  der  Rennarbeit  findet  eine  Reduction  der  Erze  zu  Eisenschwamm  und 
eine  Kohlung  dieses  letzteren  bei  verhaltnissmassig  niedriger  Temperatur  statt, 
daher  die  Kohlung  nicht  bis  zur  Roheisenbildung  vorschreitet,  das  Product  teigig 
bleibt  (nicht  diinnfliissig),  und  die  Gangarten  zu  einer  leichtfliissigen,  sehr  eisen- 
reichen  Schlacke  verschmelzen,  wodurcli  sich   das  geringe  „Ausbringen"  erklart. 

Die  it  Iter  en  Rennarbeit  en  wnrden  theils  in  Herden,  theils  in  Schacht- 
ofen  vorgenommen,  und  nannte  man  das  Rennen  in  Herden  Luppenfrisch  er  ei, 
und  zwar  die  Fraiizosische  oder  Catalonische,  Corsikanische  und  Deutsche,  je 
naehdern  das  Erz  von  einer  Seite  des  Herdes,  oder  mit  Kohle  gemischt  rings  um 
da.s  l'ingformig  geschichtetc  Brennmateriale  oder  endlich  in  Scliichten  Erz  und  Kohle 
abwechselnd  iiber  die  ganze  Herdflache  aufgegeben  wird.  Uebrigens  wurde  die 
deutsche  Luppenfrischerei  auch  ofter  in  kleinen  Schaclitofen  (Stiickofen)  und  hierauf 
in  Herden  betrieben. 


")  Eine  interessaute  Abhandlung  iiber  die  directe  Darstellung  des  Eisens  aus  seinen  Erzen 
und  namentlich  auch  iiber  die  neueren  Methoden  von  Blair  und  Dr.  G;  W.  Siemens 
findet  sich  in  T  u n ner :  „das  Eisenhiittenwesen  der  vereinigten  Staaten  von  Nordamerika," 
Wien  1877  S.  58  bis  74. 

Betreli'end  die  in  Xordamerika  noch  hiiufig  in  Herden  durchgefiihrte  Rennarbeit, 
welche  der  alten  deutschen  Methode  entspricht,  gibt  Tunner  S.  60  an,  dass  pr.  1  Ztr. 
Luppeneisen  nur  2  Ztr.  Holzkohle  verbraucht  tmd  aus  68 — 70  %  Erzen  57  %  Eisen  ge- 
wonnen  werden,  daher  der  Verlust  nur  17  °0  betriigt.  Betretfs  der  S  i  e  m  e  n  s'schen 
Methode  wird  angegeben,  dass  selbe  derzeit  noch  ziemlich  im  Versuchsstadium  stecke, 
pr.  Ztr.  Eisen  3 — 4  Ztr.  Kohle  erfordert  werde,  die  Yerschlackung  noch  25  %  betrage, 
aber  die  Entphosphorung  eine  fast  vollstandige  sei,  daher  angenommen  werden  konne, 
dass  bei  weiterer  Entwickluug  dieser  Pi-ocess  sich  fiir  die  Yerarbeitung  phosphor- 
reichen  Erzes  eignen  werde.  Findet  diese  Erwartung  ihre  Bestatigung,  so  kommen  wir 
unter  Rennarbeit  neuere  nochmals  auf  diesen  Process  zu  sprechen. 


Eisen-Erzeugung.  19 

Die  franzosische  Luppenfrischarbeit  findet  noch  gegenwartig  hie  und  da  in 
den  Pyrenaen  statt.  Die  kleineren  Feuer,  welche  nur  3  bis  4  Ztr.  Erze  fassen,  werden  kata- 
lonische,  die  grosseren,  in  welchen  7  bis  8  Ztr.  Erze  gefrisclit  werden,  biskayische  ge- 
nannt.  Das  kataloniscKe  Feuer  (denn  hier  sowohl  wie  bei  alien  itbrigen  zum  Eisenfrischen 
dienenden  Apparaten  nennt  man  *den  Apparat  selbst  ein  Feuer)  besteht  aus  einem  flach  vier- 
eckigen  Herds  von  05 — 3m  Lange  und  Breite  und  23  —  70cm  Tiefe.  Die  Form  liegt  liber  der 
Herdsohle  in  schrag  geneigter  Richtung.  Doch  ist  sie  beweglich,  damit  ihre  Neigung  je  nacli 
dem  Fortgange  der  Arbeit  und  der  Menge  des  in  dem  Herde  angesammelten  Eisens  geandert 
werden  konne.  Sie  wird  durch  untergelegte  Thonklumpehen  oft  selbst  nach  einem  graduirten 
Instrumente  regulirt,  eine  Sache,  die  von  den  Arbeitern  als  ein  grosses  Geheimniss  bewahrt 
wird.  Gewolmlich  liegen  die  Diisen  zweier  Blasebalge  neben  einander  in  derselben  Form.  Die 
untere  Herdplatte  wird  mit  einer  Schicht  von  Lehm  und  Kohlenstaub  bedeckt. 

Das  gerostete  Erz  wird  zerstampft,  und  der  feinste  Staub  davon  abgesiebt,  urn  spater 
im  Verlauf  der  Schmelzung  zugesetzt  zu  werden;  die  Hauptmasse  des  Groberen  aber  an  der 
dem  Geblase  gegeniiber  liegenden  Seite  zu  einem  sattelformigen  Haufen  aufgehauft,  und  der 
iibrige  Raum  des  Herdes  zwischen  dem  Erzhaufen  und  der  Form  mit  Holzkohlen  gefiillt.  Urn 
dem  Erzhaufen  mehr  Festigkeit  zu  geben,  beschlagt  man  ihn  mit  Thon  und  Kohlenklein. ' 
Wahrend  der  ersten  zwei  Stunden  lasst  man  das  Feuer  nur  langsam  angehen,  wobei  der  Arbeiter 
die  Kohlen,  so  wie  sie  verbrennen,  stets  durch  neue  ersetzt,  die  er  fest  in  den  Herd  eindriickt, 
damit  der  Erzhaufen  nicht  zusammenfalle.  Bei  dieser  massigen  Hitze  tritt  schon  eine  theil- 
weise  Reduction  des  Erzes,  aber  noch  keine  Schmelzung  ein. 

Etwa  nach  Verlauf  von  zwei  Stunden  aber  lasst  man  die  Balge  mit  ihrer  vollen  Gewalt 
angehen,  um  das  Erz  zum  Schmelzen  zu  bringen.  Der  Punkt,  wo  das  Erz  die  zum  Ein- 
schmelzen  geeignete  Beschaffenheit  erlangt  hat,  lasst  sich  theils  an  der  Flamme,  theils  auch 
an  dem  porosen  Ansehen  des  Erzes  leicht  genug  erkennen.   ■ 

Um  alle  Theile  gehorig  zum  „Fluss"  zu  bringen,  sucht  der  Arbeiter  die  unteren  Partien 
des  Erzes  von  der  Herdsohle  abzulosen  und  sie  der  Form  gegeniiber  zu  bringen.  Nach  Ver- 
lauf einiger  Zeit  wird  auch  das  abgesiebte  Erzmehl,  jedoch,  um  nicht  zu  verstauben,  feucht 
hinzugegeben  und  iiber  die  ganze  Oberflache  der  Kohlen  ausgebreitet.  Dieses  Mehl  soil, 
ausserdem,  dass  es  die  Eisenausbeute  vermehrt,  noch  den  Zweck  haben,  den  Schlacken  den 
angemessenen  Grad  von  Schmelzbarkeit  zu  geben.  Ist  die  Schlacke  zu  leicht-  und  dunnfliissig, 
so  wird  dieser  Fehler  durch  den  Zusatz  des  Erzmehles  verbessert;  hat  sie  dagegen  eine  sehr 
zahe  Consistenz,  so  darf  nur  wenig  Erzmehl  aufgegeben  werden.  Die  Schlacke  selbst  wird 
zum  Theil  durch  einen  Schlackenabzug  abgela^sen.  Der  ganze  Process  dauert  5  oder  6  Stunden, 
worauf  der  teigige  Eisenklumpen  aus  dem  Herde  gehoben  und  unter  den  Hammer  gebracht 
wird.  Das  Eisen,  auf  diese  Art  erhalten,  ist  als  eine  Mischung  von  Eisen  und  Stahl  zu  be- 
trachten,  doch  kann  man  das  relative  Verhaltniss  beider  nach  Belieben  abandern;  denn  wenn 
sehr  reichlich  Erzmehl,  das  offenbar  mit  zur  Entkohlung  des  Eisens  beitragt,  angeAvandt  und 
die  Form  stark  geneigt  wird,  so  dass  der  Wind  unter  einem  grosseren  Winkel  auf  die  Ober- 
flache des  Eisens  trifft,  so  bildet  sich  vorzugsweise  reines  Stabeisen;  wird  dagegen  umgekehrt, 
bei  sparsaraem  Erzmehlzusatz,'  die  Form  mehr  horizontal  gerichtet,  und  der  ganze  Process  in 
die  Lange  gezogeu,  so  entsteht  ein  stahlartiges  Stabeisen.  Das  Gewicht  der  bei  einmaligem 
Schmelzen  erfolgenden  Luppe  betragt  etwa  2  bis  4  Ztr.  Der  Kohlenverbrauch  ist  aber  sehr 
gross  und  betragt  mindestens  das  Dreifache  von  dem  gewonnenen  Eisen,  daher  die  Luppen- 
frischarbeit, sowohl  die  jetzt  bescbriebene  franzosische,  als  auch  die  italienische,  nur  allein  in 
Gegenden  betrieben  werden  kann,  wo  auf  Kolenersparung  nicht  Bedacht  genommen  werden  muss. 

Die  Ausbeute  an  Eisen  belauft  sich  auf  etwa  33  Procent  der  rohen  Erze  (Spatheisen- 
stein),  so  dass  mithin,  da  der  Spatheisenstein  54  bis  56  Procent  Eisen  halt,  ein  betrachtlicher 
Verlust  eintritt. 

Figur  1222  zei'gt  ein  catalonisches  Feuer7  welches  zuerst  bis  e  f  mit  Holz- 
kohle  gefiillt  wird,  reclits  bei  A  ist  die  Erzschicht,  links  bei  B  die  Kohlen- 
Bchieht,  b  d  ist  die  ^rait  Losche  bekleidete  Trennungsflache  beider,  b  c  die  natiirliche 
Bosclmng  des  Erzes.     In    nnserer  Figur   stellt  D  die  Schlacke,  C  die  Luppe  vor. 

Italienische  oder  korsische  Luppenfrischarbeit.  Die  Feuer  oder  Herde 
haben  bei  dieser,  besonders  auf  Korsika  heimischen  Methode  die  Gestalt  halbkreisformiger, 
16cm  tiefer,  47«n  im  Durchmesser  haltender  Vertiefungen,  die  sich  in  einem  niedrigen,  2-5  bis 
3-lm  langen,  l-6m  breiten  Mauerwerk  befinden,  und  mit  einer  Esse  uberdeckt  sind.  Die.  Form 
ist  oberhalb  des  Herdes  angebracht,  und  ein  wenig  abwarts  geneigt. 

Auf  Korsika  sowohl,  wie  in  den  Kiistendistrikten  Italiens  wird  am  meisten  Elbaner  Eisen- 
glanz  verschmolzen,  der  nur  sehr  wenig  Wasser,  geringe  Beimengungen  von  Spatheisenstein 
und  efAvas  Schwefelkies  enthalt;  Wasser  und  Schwefel  miissen  vor  der  Reduction  durch  eine 
Rostung  ausgetrieben  werden,  wozu  jedoch  keine  besonderen  Oefen  A'orhanden  sind,  da  diese 
auch  in  dem  Schmelzherd  bewirkt  wird;  nur  dass  die  ganze  Arbeit  in  zwei  getrennte  Ab- 
theilungen  zerfjillt.  In  der  ersten  namlich  findet  die  Rostung  einer  Portion  rohen  Erzes  und 
zugleich  die  theilweise  Reduction  einer  zweiten,  bereits  friiher  gerosteten  statt,  in  der  zweiten 
Abtlieilung  dagegen  die  Verschmelzung  so  zwar,  dass  allemal  zu  gleicher  Zeit  sich  ein  Theil 
rohes  Erz  zum  Rosten  und  das  von  dem  vorhergehenden  Processe  erhaltene  gerostete  Erz  zum 
Reduciren    auf    dem  Herde    befindet,  nur    dass    das  Letztere    der  starksten,  das  Erstere    einer 


20 


Eisen-Erzeugung  (Rennarbeit). 


schwacheren  Hitze  ausgesetzt 
Avird,  Avorauf  dann  in  einer  be- 
sonderen  zweiten  Operation  das 
reducirte  Erz  verschmolzen  und 
•     gefrischt  wird. 

Man  fangt  damit  an,  die 
Herdsohle  und  die  Umfassungs- 
mauer  um  den  Herd  mit  einer 
8cm  dicken  Schicht  von  Lehm 
und  Kohlenstaub  zu  bekleiden, 
und  rund  um  den  Herd  eine 
ringfornrige,  12cm  hohe  Erhohung 
aus  derselben  Masse  zu  bilden. 
Nunmehr  formirt  man  in  dem 
Herde  zunachst  vor  der  Miin- 
dung  der  Blasform  einen  balb- 
kreisformigen  hoben  Kohlen- 
baufen  etwa  von  16cm  Radius, 
und  umgibt  diesen  mit  einer 
Lage  gerosteten  Erzes  in  etwa 
uussgrossen  Stiicken,  lasst  anf 
diese  wieder  eine  Lage  Kohlen 
folgen,  umgibt  diese  endlicb  mit 
dem  zu  rostenden  rohen  Erz, 
und  bedeckt  das  Ganze  mit  einer 
starken  Lage  Kohlenklein.  Die 
heiden  Erzlagen  erbalten  eine 
Dicke  von  etwa  18cm,  so  dass 
die  Gesammtbeschickung  mit  den 
Kohlen  einen  etwa  63cm  im 
Radius  haltenden  HaUfen  bildet, 
der  den  Herd  um  ein  Bedeu- 
tendes  iiberragt.  Das  robe  un- 
gerostete  Erz  kommt  daker 
xsssss^Vv.  ^-ast   ganz    ausserhalb    des  Her- 

Catalomsches  leuer.  deS)  auf  desgen    Umgebung  zu 

ruben,  und  wird  in  der  Art  angeordnet,  dass  die  grosseren  Stiicke  zu  unterst,  die  kleineren 
zu  oberst  liegen.  1st  so  weit  Alles  fertig,  so  ziindet  man  den  mittleren  Kohlenbaufen  an, 
und  lasst  das  Geblase  (fast  allgemein  ein  Wassertrommelgeblase)  angeben.  So  wie  die 
Koble  in  der  Mitte  des  Haufens  verbrennt,  wird  stets  neue  Kohle  aufgegeben,  die  zu  Anfang 
der  Arbeit  mit  kurzen  holzernen,  spater  mit  wachsender  Hitze,  wo  die  Arbeiter  dem  Feuer 
nicbt  mehr  nahe  treten  konnen,  mit  langen  eisernen  Stangen  moglichst  test  niedergedriickt 
werden  muss,  damit  die  Erzlagen  so  lange  wie  moglich  in  ibrer  concentrisch  cylindriscben 
Lagerung  verbarren.  Nach  drei  Stunden  pflegt  diese  erste  Arbeit,  bei  welcher  das  innere 
Erz  grosstentheils  reducirt,  dass  aussere  aber  gerostet  Averden  soil,  beendigt  zu  sein,  was 
man  daran  erkennt,  dass  das  Letztere  aufhort  zu  rauchen,  das  Erstere  aber  in  mebr  oder 
weniger  zusammenhangende  Klumpen  zusammensintert.  Das  Geblase  wird  nun  abgestellt,  die 
aussere,  jetzt  gerostete  Erzscbiebte  abgebrochen,  behufs  der  Zerkleinerung  fur  die  demnacbstige 
Reduction  vor  den  Herd  geworfen,  und  nunmehr  auch  das  reducirte  Erz  nebst  den  riick- 
standigen  Kohlen  und  Seklaeken  aus  dem  Herde  entfernt. 

Dieser  Avird  hierauf  Avieder  mit  Kohlenstaub  uud  Lehm  ausgeschlagen  und  an  der  rechten 
und  linken  Seite  zwei  Haufen  Kohlenklein  und  zwischen  diese  zwei  oder  drei  Korbe  Kohlen 
anfgeschiittet.  Oben  auf  diese  Kohlen  werden  einige  Klumpen  von  reducirtem  Erz  gelegt,  und 
nunmehr  das  Geblase  angelassen.  Sobald  das  Erz  in  Gluth  kommt,  tritt  iEAA-ischen  den  erdigen 
Beiniongungen  und  dem  stets  in  Menge  noch  vorhandenen  Eisenoxydul  eine  WechselAvirkung 
ein,  in  deren  Folge  sie  sicb  zu  einer  ziemlich  diinnfliissigen  Schlacke  vereinigen,  die  man  in 
Menge  herabfliessen  sieht.  Bald  fangt  auch  das  reducirte  Eisen  an,  in  Fluss  zu  gerathen,  und 
sicb  dureh  die  Kohlen  awi  den  Grund  des  Herdes  herabzubegeben.  Man  fahrt  nun  mit  dem 
Aufgeben  A-on  Erzstiicken  fort,  und  lasst  die  Schlacke,  Avenn  sie  sicb.  iiber  dem  Eisen  in  einer 
starken  Schicht  angesammelt  hat,  durch  Oeffnung  des  Schlackenabzuges  ablaufen,  unterhalt 
aber  das  Feuer,  bis  das  Eisen  durch  EinAvirkung  des  Geblases  eine  gleichformige  zahteigige 
Consistenz  angenommen  hat,  aa*o  es  dann  in  Gestalt  eines  Klumpens  mit  starken  eisernen  Haken 
aus  dem  Herde  gehoben  und  unter  den  Hammer  gebracht  Avird.  Ein  solcher  Schmelzprocess 
dauert  durchschnittlich  3 J  !'i  Stunden.  Das  geAA*onnene  Stabeisen  ist  geAvohnlich  von  sehr  guter 
Qualitat ;  es  ist  weich,  sehr  dehnbar  und  Avenig  stahlartig.  Vier  Arbeiter  sind  geAvohnlich  bei 
einem  Plerde  beschaftigt.  Die  Ausbeute  ist  ziemlich  gering,  und  belauft  sich  auf  etAA'a  4  "Ztr. 
Eisen  gegen  10  Ztr.  Erz  und  20  Ztr.  Kohle,  mit  Buchen-  und  Kastanienholz  gemengt. 

Es  werden  also  nur  40  Procent  Eisen  von  dem  rohen  Erz  ausgebracht,  so  dass  mithin, 
bei  dem  mittleren  Eisengehalt  von  65  Procent,  etAA-a  25  Procent,  d.  i.  reichlich  ein  Drittel  des 
Eisens  in  Schlacke  iibergeht. 


Eisen-Erzeugung.  21 

Der  Unterschied  zwischen  der  katalonischen  und  der  italienischen  Luppenfrischarbeit 
besteht  also  ausser  der  geanderten  Anordnung  noch  darin,  dass  bei  der  Ersteren  das  in  Rb'st- 
haufen  gerostete  Erz  in  einer  Operation  reducirt,  geschmolzen  und  gefrischt  wird,  wahrend  bei 
der  letzteren  ein  jedes  Stiickchen  Erz  zu  drei  Malen  anf  den  Herd  kommt,  einmal  urn  geroatetj 
das  zweite  Mai  urn  reducirt  und  das  dritte  Mai  um  eingeschmolzen   und    gefrischt  zu  werden. 

Die  in  St  tick-  oder  Wolfs  6  fen  und  hierauf  in  Herden  ausgefiihrte  Luppen- 
frischerei  bildet  den  Uebergang  zum  Hochofenprocess  und  dem  auf  dasselbe  fol- 
genden  Frischen. 

Diese  Rennarbeit  liefert  schon  grossere  Quantitaten  (iiber  500  K.)  auf  einmal, 
wahrend  die  in  kleinen  Schachtofen  (1 — 2*5m  hoch  und  25 — 60cm  weit)  noch  jetzt 
ausgefiihrte  Rennarbeit  mancher  Volker  Afrika's  und  Asien's  nur  ca.  70 — 90,  ja 
auch  oft  selbst  weniger  als  10  K.  pr.  Charge  ergibt.  Die  kleineren  Schachtofen 
fiihrten  ehemals  die  Benennung  Bauern-  oder  Osmundofen. 

Die  Eisengewinnung  in  Stiickofen  stimmt  anit  der  Luppenfrischarbeit  im 
Wesentlichen  iiberein,  insofern  auch  bei  ihr  das  Frischen  des  Eisens  gleich  unmittelbar  im 
Schmelzofen  vorgenommen  und  das  Eisen  in  einem  zusammenhangenden  Stiick  aus  dem  Ofen 
genommen  wird,  daher  der  Name  Stiickofen. 

Es  sind  dies  niedrige  Schachtofen  von  3  bis  5m  Hbhe  und  etwa  lm  innerem  Durch- 
messer.  Die  Form  des  Schachtes  hat  zwar  Aehnlichkeit  mit  jener  der  friiher  besclu'iebenen 
Hochofen,  doch  ist  der  Herd  verhaltnissmassig  weiter,  der  Kohlensack  dagegen  enger,  die 
Unterschiede  in  der  Schachtweite  in  verschiedehen  Hohen  sind  daher  nicht  so  gross  als  bei 
dem  Hochofen.  Der  Querschnitt  des  Schachtes  ist  gewbhnlich  quadratisch,  die  Blasform  etwas 
geneigt,  um  den  Wind  behufs  der  Entkohlung  auf  die  Oberflache  des  Eisens  zu  treiben.  Auch 
ist  der  Herd,  d.  h.  der  Eaum  unter  der  Blasform,  weniger  tief,  dagegen  aber,  wie  erwahnt, 
weiter,  um  das  Eisen  in  einer  mehr  flachen,  ausgedehnten  Schichte  dem  Winde  darzubieten, 
was  beim  Hochofen,  dessen  Bestimmung  darin  besteht,  unentkohltes  Eoheisen  zu  liefern,  zweck- 
widrig  sein  wiirde. 

Da  das  Eisen  nicht  fliissig  abgestochen,  sondern  in  einem  Stiick  aus  dem  Herd  gehoben 
werden  muss,  so  erwachst  hieraus  eine  der  wesentlichsten  Unvollkommenheiten  des  Stiickofen- 
betriebes :  die  Nothwendigkeit,  um  den  Eisenklumpen  (Guss)  herauszubringen,  bei  dieser  schon 
an  und  fiir  sich  beschwerlichen  Arbeit  die  Ofenbrust  jedesmal  zu  offnen  und  nach  ausgehobenem 
Guss  wieder  zu  vermauern.  Die  Arbeit  selbst  ist  folgende:  Hat  man  die  Brust  mit  Mauer- 
steinen  und  fettem  Thon  geschlossen,  so  fiillt  man  den  Ofen  mit  Kohlen,  setzt  diese  von  unten 
in  Brand  und  lasst  das  Geblase  an.  Hat  sich  nach  einiger  Zeit  die  Kohle  bis  zur  Gicht  hinauf 
entziindet,  so  fangt  man  an,  das  vorher  gerostete  Erz  schichtweise  abwechselnd  mit  Kohle  auf- 
zugeben,  und  fahrt,  so  wie  diese  Gichten  herabgehen,  mit  dem  Aufgeben  von  Erz  und  Kohlen 
fort,  bis  das  zu  einmaligem  Schmelzen  bestimmte  Erzquantum  eingetragen  ist.  Sobald  man 
bemerkt,  dass  die  ersten  Gichten  zur  Schmelzung  gekommen  sind,  lasst  man  die  iiber  dem 
Eisen  schwimmende  Schlacke  durch  den  in  der  beweglichen  Ofenbrust  angebrachten 
Schlackenabzug  ab,  um  das  Eisen  von  der  schiitzenden  Schlackendecke  zu  befreien,  und 
es  der  Einwirknng  der  Geblaseluft  vollstandiger  darzubieten.  Hat  sich  das  Eisen  bis  fast 
zum  Niveau  der  Form  angesammelt,  die  in  geringer  Hbhe  iiber  der  Herdsohle  in  die 
neu  gemauerte  Ofenbrust  eingesetzt  wurde,  so  nimmt  man  sie  heraus,  und  setzt  sie  etwas 
hoher  wieder  ein,  bringt  auch  einen  neuen  Schlackenabzug  in  entsprechender  Hbhe  an, 
und  riickt  so  in  dem  Masse,  wie  sich  mehr  und  mehr  Eisen  im  Herde  ansammelt,  mit  der 
Form  und  dem  Schlackenabzug  weiter  aufwarts,  bis  die  letzte  Erzgicht  zur  Schmelzung  gelangt 
ist.  Die  Balge  werden  n'un  ausgehangt,  die  Schlacke  mbglichst  abgezogen,  die  Brustmauer 
aufgerissen,  der  Guss  mit  Haken  und  Zangen  herausgeholt,  unter  den  Hammer  gebracht,  zu 
einem  8 — 11cm  dicken  Kuchen  ausgereckt,  in  mehrere  Stiicke  zerschrotet,  und  diese  einzeln 
noch  einem  nachtraglichen  Frischprocess  unterworfen.  Man  bringt  sie  namlich  auf  einem  eigenen 
Herde  bei  fast  horizontal  liegender  Form  zum  Schmelzen,  indem  man  sie  mit  einer  grossen 
Zange  gerade  gegen  den  Wind  in  das  Feuer  einschiebt,  und  allmalig  abschmelzen  lasst.  Das 
abgeschmolzene,  hiebei  dem  Winde  dargebotene  und  grbsstentheils  entkohlte  Eisen  sammelt 
sich  auf  dem  Herdboden,  wird  hier  durch  Beriihrung  mit  dem  Eisenoxydul  der  Schlacken  noch 
weiter  entkohlt  und  kommt  nun  abermals  unter  den  Hammer,  um  zu  Stabeisen  ausgereckt  zu 
werden.  Der  bei  diesem  Einschmelzen  in  der  Zange  verbleibende,  also  nicht  weiter  entkohlte 
Theil  wird    ebenfalls    unter  den  Hammer   gebracht,  und  als  Stahl   in  Stangen  ausgeschmiedet. 

Der  in  einem  Stiickofen  von  mittlerer  Grbsse  entstehende  Klumpen  (Wolf)  oder  Guss  wird 
gewbhnlich  alle  24  Stunden  ausgenommen,  und  wiegt  15  bis  20  Zentner.  Um  ibn  herauszuhebeu 
und  unter  den  Hammer  zu  bringen,  sind  mindestens  8  Mann  erforderlich.  Er  wird  hier  in  etwa 
zentnerschwere  Stiicke  zerschrotet,  die  dann  in  der  beschriebenen  Art  weiter  verfrischt  werden. 

Die  Eisengewinnung  in  Stiickofen  war  friiher  besonders  in  Steiermark  und 
Karnthen  in  Gebrauch,  ist  aber  gegenwartig  des  grossen  Kolilenverbrauches,  des 
grossen  Eisenverlustes  und  Arbeitsaufwandes  wegen  ganz  abgekonimen.  Der  Vor- 
theil  des  Processes  bestand  in  einem  reinen,  namentlich  Phosphor  und  Silicium 
freien  Producte^  bedingt  durch  die  niedrige  Reductionstemperatur. 


22  Eisen-Erzeugung  (Frischen). 

II.  Die  Erzeugung  schmiedbaren  Eisens  aus  Koheisen. 

A)  Durch  die  Frischarbeit  im  weitesten  Sinne.  Es  ist  Aufgabe 
der  Frischarbeit,  den  Koblenstoff  des  Roheisens  grossentheils  durch  die  Einwirkung 
des  Sauerstoffes  der  atmospharischen  Luft  zu  entfemen ;  gleichzeitig  aber  audi  die 
moglichste  Abscheidimg  der  im  Roheisen  entbaltenen  nachtheiligen  Substanzen  zu 
bewirken.  Bei  der  Frischarbeit  befindet  sich  das  Roheiseu  im  geschmolzenen  Zu- 
stande  und  kann  der  Process  vorgenommen  werdeu : 

in  Herd  en  —  Herdfrisehen,  Frischen  im  engeren  Sinne  (affinage  —  refining), 

in  Flammofen  —  Flanirnofenfrischen,  Puddeln  (puddler  —  puddling), 

in  Convertern  —  Windfrischen,  Bess  em  em. 

Beim  Herd  frischen  fallen  die  Tropfen  des  niederschinelzenden  Roheisens 
durch  den  von  der  Diise  kommenden  Windstrom  in  den  Herd,  welcher  mit  Holz- 
kohle  beschickt  ist.  Die  Holzkohle  liefert  die  zum  Einschmelzen  erforderliche 
Wa'rme  und  kommt  in  unmittelbare  Beriihrung  mit  dem  Eisen. 

Beim  Puddeln  wird  das  Roheisen  durch  die  Flamme  des  von  ihm  ge- 
trennten  Brennmateriales  (meist  Steinkohle)  in  einer  Mulde  des  Ofens  eingeschmolzen 
und  die  Einwirkung  des  in  der  Flamme  entbaltenen  freien  Sauerstoffes  und  der 
Kohlensaure  wird  durch  Riihren  des  Eisenbades  befordert. 

Beim  Bessemer n  wird  in  die  Retorte  (Converter,  Birne)  fliissiges  tibergares 
Roheisen  eingefiillt  und  Luft  in  moglichster  Vertheilung  durehgetrieben,  welche 
durch  Verbrennung  des  im  Roheisen  entbaltenen  Siliciums  und  Kohlenstoffs  jene 
Warmemenge  liefert,  welche  erforderlich  ist,  das  gebildete  schmiedbare  Eisen  in 
diinnfliissigem  Zustande  zu  erhalten. 

Zum  Vergleiche  dieser  Methoden  dienen  nachstehende  Durchschnittszahlen : 
100  Ztr.  Roheisen  werden  in  einem  Herde  in  lOTagen,  in  einem  Puddelofen 
in  l1/,,   Tagen,  im  Converter  in  30  Minuten  in  schmiedbares  Eisen  verwahdelt. 

An  Brenn materia le  brauehen  100  Ztr.  Roheisen  beim  Herdfrischen 
circa  60  Ztr.  Holzkohle^  beim  Puddeln  100  Ztr.  Steinkohle,  beim  Bessemer n 
fur  die  Geblasemaschine,  das  Einschmelzen  und  den  Mehrbedarf  beim  vorhergehenden 
Hochofenprocess,  welcher   iibergares  Roheisen    liefern  muss,  circa  110  Ztr.  St.  K. 

Aus  100  Ztr.  Roheisen  gewinnt  man  ca.  74  Ztr.  gefrischtes  Stabeisen,  75  Ztr. 
gepuddeltes  Stabeisen  und  80  Ztr.  Bessemereisen. 

Die  chemischen  Vorgange  beim  Frischen.  Beim  Einschmelzen 
des  Roheisens  lost  sich  der  in  demselben  als  Graphit  enthaltene  Koblenstoff  im 
geschmolzenen  Eisen  und  ist  nun  chemisch  gebimden.  Findet  das  Einschmelzen 
langsam  und  unter  reichlichem  Luftzutritte  statt,  wie  dies  im  Frisehherde  und 
Puddelofen  der  Fall  ist,  so  findet  eine  Oxydation  des  grossten  Theiles  des  im 
Eisen  entbaltenen  Siliciums  statt,  welches  mit  dem  gebildeten  Eisenoxydule 
eine  Schlacke  bildet.  (Rohschlacke,  Bisilicat  FeoSi606  oder  nach  der  alten  Schreib- 
weise  FeO,  SiO„.)  Beim  Bessemern  findet  die  Oxydation  des  Siliciums  im  Converter 
selbst  statt.  Diese  Periode  heisst  die  1.  oder  Feinperiode  auch-Periode  der 
Schlackenbildung.  Im  weiteren  Verlaufe  des  Processes  nimmt  die  Schlacke  mehr 
und  mehr  Eisenoxydul  auf  und  geht  in  die  Gar  schlacke  (Singulosilicat  Fe,1SiOi 
oder  2 FeO,  SO,,)  iiber.  Diese  Schlacke  lost  das  weiter  sich  bildende  Eisenoxydul- 
oxyd  auf,  und  dieses  wirkt,  da  die  Schlacke  in  Beriihrung  mit  dem  geschmolzenen 
Eisen  ist,  entkohlend  auf  dasselbe  ein,  wobei  sich  Kohlenoxyd  bildet.  Ist  das 
Roheisen  manganhaltig,  so  enthalt  schon  die  Rohschlacke  einen  grossen  Theil  des- 
selben,  und  die  Garschlacke  hat  dann  weniger  die  Fahigkeit  Eisenoxyduloxyd  zu 
Ibsen,  die  Schlacke  verzbgert  daun  die  Entkohlung.  Diese  Periode  heisst  die  2. 
oder  Periode  des  Rohfrischens. 

Die  3.  Periode  ist  das  Garfrischen.  In  ihr  nimmt  die  Schlacke  noch 
weiter  Eisenoxyduloxyd  auf,  wirkt  durch  dasselbe  weiter  entkohlend  und  bedingt 
dadurch  die  Bildung  von  Schmiedeis  en,  welches  beim  Frischen  in  Herden  und 
Puddelofen  in  teigiger  Beschaffenheit,  beim  Bessemern'  fliissig  erhalten  wird. 

Wiihrend  des  Roll-  und  Gartrischens  oxydirt  sich  der  im  Roheisen  enthaltene 
P  h  o  s  p  h  o  r  und  geht  in  die  Schlacke,  und  zwar  besonders  dann,  wenn  die  Tempe- 


Eisen-Erzeugung  (Braten,  Feinen). 


23 


ratur  n  i  c  h  t  zu  hocli  ist.  Bei  der  hohen  Temperatur  des  Bessemerprocesses  findet 
entweder  diese  Oxydation  nicht  statt,  oder  sie  wird  durch  nachfolgende  Reduction 
aufgehoben.  Audi  der  Schwefel  oxydirt  und  entweicht  als  schweflige  Saure, 
und  zwar  um  so  vollkominener,  je  danger  der  Process  dauert.  Die  ubrigen  Ver- 
unreinigungen,  Kupfer  ausgenommen,  werden  durch  den  Frischprocess  leicht  oxydirt 
und  getien  in  die  Sclilacke. 

Graues  und  siliciumreiches  Roheisen  wird,  —  wenn  es  im  Frischherde  ver- 
arbeitet  werden  soil  (was  hochst  selten  geschielit)  immer,  wenn  es  verpuddelt  werden 
sollhaufig,  —  dadurch  vorbereitet,  dass  man  es  unter  lebhaftem  Winde  in  besonderen 
Oefen  einschmilzt,  welche  Operation  das  Feinen,  Weiss  en,  Raffiniren  oder 
Lantern  (finage  — fining)  heisst  und  weisses  Roheisen  liefert. 

Die  Entkohlung  des  Roheisens  geht  um  so  rascher  vor  sich;  je  holier  die 
Temperatur  und  je  reichlicher  die  Luftmenge  ist;  sie  kann  —  namentlich  beim 
Puddeln  —  auch  dadurch  beschleunigt  werden,  dass  man  dem  Eisenbade  Hammer- 
schlag  oder  Garsehlacke  oder  reine  gerostete  Erze  zusetzt. 

Das  weisse  Roheisen  schmilzt  langsam  ein  (gar),  das  graue  und  das  Spiegel- 
eisen  plotzlich  (roh) ;  daher  eignet  sich  das  weisse  Roheisen  zum  Herdfrischen  und 
Puddeln  weit  besser,  wahrend  fur  den  Bessemerprocess  nur  graues  und  s  i  1  i  c  i  u  m- 
reiches  Eisen,  welches  durch  Verbrennung  dieser  Beimengungen  die  geniigende 
Temperatur  liefert,  verwcndet  werden  kann. 

D  i  e  V  o  r  b  e  r  e  i  t  u  n  g  d  e  s  R  o  h  e  i  s  e  n  s  z  u  m  F  r  i  s  c  h  e  n  oder  Puddeln. 
Sehr  lichtgraues  oder  halbirtes  Roheisen  kann  in  weisses  Eisen  von  brauchbarer 
Beschaffenheit  durch  rasche  Abkiihlung  (A  b  s  c  h  r  e  c  k  e  n)  des  geschmolzenen  Eisens 
iibergeftilirt  werden;  man  erreicht  dies  entweder  dadurch,  dass  man  das  ge- 
schmolzene  Roheisen  in  eisernen  Formen  erstarren  lasst,  oder  durch  das  Scheiben- 
reissen  oderBlattelheben  s.III  S.  11  oder  endlich  durch  Einleiten  in  Wasser,  Granuliren. 

Wirksamer  als  das  Abschrecken  ist  das  Braten  oder  Gllihen.  Gliiht 
man  graues  Roheisen  langere  Zeit  unter  Zutritt  der  Luft,  so  oxydirt  sich  nicht 
nur  die  Oberflache  desselben,  sondern  es  oxydirt  sich  das  Silicium,  und  das  Eisen 
geht  aus  der  grauen  in  die  weisse  Modification  iiber. 

Rascher  und  vollkommener  wirksam  ist  das  Umschmelzen  des  grauen  Roh- 
eisens unter  kraftigem  Winde.  Bedient  man  sich  hierzu  des  gewohnlichen  Frisch- 
herdes,  so  heisst  die  Operation  auch  Har  tzerrenn  en ;  beniitzt  man  besondere 
mit  Koks  geheizte  Feuer  — -  Feinfeuer  —  so  heisst  der  Process  Feinen,  Raffi- 
niren, auch  Affiniren. 

Fig.  1223  und  1224  stellen  ein  Feinfeuer  im  verticalen  und  horizontalen  Durchschnitt 
dar.  Der  Herd  desselben  a  besteht  in  einem  langlich  viereckigen  Kasten,  der  an  3  Seilen 
durch  kastenformige,  hohle,  gusseiserne  Wiinde  b,  die  mittelst  durchfliessenden  Wassers  kiihl 
gehalten  werden ,  einge- 
schlossen  ist.  Die  vierte 
Seitenvvand  c,  durch  wel- 
che das  Eisen  abgestochen 
wird ,  besteht  aus  einer 
einfachen  Eisenplatte.  Der 
Boden  des  Herdes  wird 
aus  fettera  Sand  gebildet. 
An  jeder  der  langeren  Sei- 
ten  liegen  3  Formen,  so 
jedoch,  dass  sie  einander 
nicht  gerade  gegeniiber 
sind ,  und  in  ihnen  die 
Diisen   der  aus  der  Figur 

deutlich  ersichtlichen 
AVindleitung.  Die  Formen 
sind  hohl  gegossen,  so  dass 
sie  dutch  einen  Strom  hin- 
durchfliessenden  Wassers 
bestandig    kiihl    gehalten 

werden  konnen.     Zwei 
Einnen    e  e    ffibren     de)n 

Apparate  das  ncithige  kalte 

Afnmr-  oder  lemteuer. 


24 


Eisen- Erzeugung  (Herdfriscken). 


Wasser  zu,  welches  theils  dnrch  die  Rohren 
d  d  zu  den  Formen  und  aus  diesen  durch 
die  Rohren  i  i  in  die  Abflussbehalter  k  k, 
theils  durch  andere  in  der  Figur  nicht 
sichtbare  Rohren  in  die  hohlen  Wande  ge- 
langt,  urn  auch  aus  diesen  in  die  Behalier 
k  k  zu  treten.  Das  ganze  Affinirfeuer  be- 
findet  sich  unter  einer  5 — 6m  hohen  Esse, 
deren  unterer  Rauchmantel  etwa  l'3m  von 
dem  Herde  absteht. 

Man  fiillt  bei  der  Arbeit  zuerst  den 
ganzen  Herd  mit  Koks  an,  und  legt  6 
Flossen  (pigs)  dergestalt  auf  sie  auf,  dass 
vier  den  vier  Seiten  des  Herdes  parallel 
und  zwei  in  der  Mitte  quer  iiber  jene  zu 
liegen  kommen,  worauf  man  sie  mit  einem 
Haufen  Koks  bedeckt.  Das  Feuer  wird 
nun  in  Gang  gebracht  und  nach  Verlauf 
einer  Viertelstunde  das  Geblase  an£ 


worauf  das  Eisen  allmalig  zum  Fluss  komrat  und  sich  auf  dem  Sandbette  des  Herdes  ansammelt. 
Hierbei  werden  die  Koks  in  dem  Masse,  wie  sie  verbrennen,  stets  durch  neue  ersetzt  und 
auch  von  Zeit  zu  Zeit  neues  Eisen  aufgegeben,  bis  zur  Gesammtmenge  von  2  bis  2 1/4  Tonnen. 

Das  herabgeschmolzene  Eisen  darf  aber  nicht  aufgebrochen  oder  geriihrt  werden,  wie 
dies  bei  der  eigentlichen  Frischarbeit  geschieht,  sondern  man  hat  nur  darauf  zu  sehen,  die 
Temperatur  stets  auf  dem  richtigen  Punkte  und  das  geschmolzene  Eisen  fliissig  zu  erlialten. 
Man  bemerkt  hierbei  eine  eigenthiimliche,  gleichsam  wallende  Bewegung  der  Koks,  die  zum 
Theil  von  dem  heftigen  Luftstrom  des  Geblases,  zum  Theil  wohl  auch  von  einer  in  dem  Metalle 
vor  sich  gehenden  Entwicklung  von  Kohlenoxydgas  herriihrt.  Wenn  nach  Verlauf  von  etwa 
2  oder  2J/2  Stunden  alles  Eisen  eingeschmolzen  ist,  wird  es  abgestochen  und  fliesst  nun  nebst 
den  Schlacken  in  eine  vor  dem  Stich  bemidliche,  von  unten  durch  kaltes  Wasser  abgekiihlte 
und  mit  Lehmbrei  bestrichene  flache  eiserne  Form  von  2m  Lange,  lm  Breite  und  5  — 8cm  Eisen- 
starke. 

Der  Zweck  dieser  ganzen  Operation  ist  ein  doppelter:  1.  das  Roheisen  durch  das  Um- 
schmelzen  unter  Einwirkung  der  Geblaseluft  theilweise  zu  entkohlen,  und  2.  keine  Grapb.it- 
abscheidung  zuzulassen,  zu  welchem  Ende  man  sogleich  nach  Ausfliessen  die  Platte  durch  Be- 
giessen  mit  kalten  Wasser  auch  oben  kiihlt.  Das  hierdurch  erhaltene  Feinmetall  ist  sehr  weiss 
und  von  fasrig  strahligem  Gefiige,  zuweilen  zellig,  mit  vielen  kleinen  runden  Blasenraumen. 
Bei  schwefelhaltigem  Roheisen  setzt  man  beim  Afh'niren  wohl  etwas  Kalkstein  zu. 

DerAbbrand  beim  Feinmachen  betriigt  etwa  12  bis  17  Procent,  der  Verbrauch  an  Koks 
auf  die  Tonne  (20  Ztr.)  Eisen  etwa  4  bis  5  Ztr. 

Das  Feinmetall  wird  nun  zerschlagen,  gewogen  und  dem  Puddelofen  iibergeben.  In 
einem  gewohnlichen  Affinirfeuer  kbnnen  taglich  10  Tons  Eisen  fertig  gemacht  werden. 

An  manchen  Orten  wendet  man  auch  Feinofen  mit  Gasfeuerung  an.  S.  Percy 
Wedding  Eisenhiittenkunde 

Die  Her  dfri  sch  erei  findet  iu  den  Frischherden  oder  Frischfeuern  (forge 
d'afjinerie  —  refining -fire)  Hire  Durchftiliruiig. 

Die  beistelienden  Figuren  zeigen  ein  oflfenes  Frischfeuer  im  Verticalschnitt 
und  Gmndriss.  a  und  b  sind  Mauern,  welehe  das  Feuer  gegen  die  Formseite 
und  die  Rlickseite  begrenzen.  c  ist  die  Untermauerung.  a,  b  und  die  Saule  d 
tragen  den  Rauchmantel,  welclier  die  Verbrennungsproducte  zur  Esse  fiihrt.  Der 
eigentliche  Herd  ist  ein  vertiefter  Kasten  e,  welclier  durch  dicke  Gussplatten  be- 
grenzt  ist.  Diese  Platten  fiiliren  besondere  Bezeichnungen,  u.  zw.  heisst  /  der 
Fig.   1225  a.  Fig.  1225  b. 


Formzacken,  </  der  Gichtzacken,  h  der 
Hinterzacken,  auf  welchen  zuweilen  ein 
Zacken  i  (Aschenzacken)  aufruht,  k  heisst 
Bodenzacken  und  m  Vorder-  od.  Schlaken- 


Eisen-Erzeugung. 


25 


zacken,  weil  sich  in  ihm  eine  Oeffhung  zum  Ablassen  der  Schlacke  befindet.  Anf 
dem  Vorderzacken  ruht  die  breitere  Arbeitsplatte  m.  Die  durcbschnittlichen  Di- 
mensionen  sind  63— 93cm  Lange  und  Breite  und  19 — 25cm  Tiefe  unter  der  Form. 
Der  Bodenzaeken  ist  durch  Wasser,  welches  in  dem  unter  clem  Bodenzacken 
(Fig.   1225)  befindlichen  Hohlraum  circulirt,  gekithlt. 

Um  die  abgehende  Warme  in  etwas  auszuniitzen,  iiberdeckt  man  den  Herd 
—  bedecktes  Frischfeuer  (Fig.  1226)  —  und  gewinnt  so  einerseits  einen 
Raum  (Vorherd)  n  zum  Vorhitzen  (Braten)  des  zu  verfrischenden  Roheisens,  tbeils 
einen  Raum  v  zum  Erbitzeri  der  Geblaseluft.  In  unserer  Figur  bat  /,  h,  Jc  die 
obige  Bedeutung,  I  ist  der  Schlackenzacken,  m  die  Arbeitsplatte  und  p  die    Esse. 

Fig.  1226- 


Je  robschmelziger  ein  Eisen  ist,  um  so  langsamer  verlauft  im  Allgemeinen 
der  Process.  Bei  rein  em  robschmelzigen  Eisen  trachtet  man  denselben  durch  Ver- 
minderung  der  Herdtiefe,  starkere  Neigung  der  Form,  Neigung  des  Bodenzackeus 
zur  Form  und  durch  kalten,  schwacber  gepressten  AYind  zu  kiirzen.  Man  nennt 
diesen  Gang  Gargang.  Derselbe  wird  audi  durch  Zusatz  oxydirender  Mittel, 
namentlich  Garschlacke  von  einem  friiheren  Processe,  befordert. 

Bei  garschmelzigem,  aber  dabei  unreinem  Eisen  verlangsamt  man  den  Process 
durch  die  umgekehrten,  die  Herdform  beeinflussenden  Mittel. 

Will  man  im  Frischherde  graues  Roheisen  auf  Schmiedeisen  verarbeiten,  so 
bat  ein  erstes  Niederschmelzen  die  Aufgabe  des  Feinens,  ein  zweites  die  des  Roh- 
frischens  und  ein  drittes  die  des  Garfrischens.  Man  nennt  dann  deses  Verfabren 
Dreimalschmelzer  ei  oder  deutsches  Frischen. 

Der  bei  der  Dreimalschmeljzerei  beobachtete  Vorgang  ist  folgender. 
Wenn  der  Herd  mit  Holzkohlen  gefiillt,  das  Geblase  angelassen  und  das  Feuer  in 
Gang  gekommen  ist,  so  bringt  man  das  in  Gauze  von  2 — 2-6m  Lange,  5 — 8cm 
Dicke  und  23 — 26cm  Breite  gegossene  Roheisen  der  Form  gegeniiber  auf  den 
Gichtzacken  und  schiebt  es  so  weit  in  das  Feuer,  dass  sein  vorderes  Ende  etwa 
18rm  von  der  Form  entfernt  ist.  Das  Eisen  kommt  nun  bald  zum  Schmelzen  und 
fliesst  in  den  Herd,  worauf  man  die  Ganz  weiter  vorschiebt,bis  sie  ganzlich  nieder- 
geschmolzen  ist.  Auf  diese  Weise  wird  das  zu  einem  Frischsttick  bestimmte  Roh- 
eisen, 2  Vo  bis  3  Zentner,  niedergeschmolzen  und  schon  hierbei  durch  die  oxy- 
dirende  Einwirkung  des  auf  das  schmelzende  und  herabtraufelnde  Eisen  einwirkenden 
Luftstromes    einer    anfangenden   Entkohlung   unterworfen,    und    dadureh   zur    dick- 


26  Eisen-Erzeugung  (Herdfriscben). 

fliissigen  Consistenz  gebracht.  Der  Arbeiter  untersucht  das  im  Herde  befindliche 
Eisen  mit  einem  Spiess;  zeigt  es  sich  sebr  'fliissig  (roh),  so  dass  er  den  Spiess 
leicht  bindurch  bis  auf  die  Bodenplatte  bringen  kann,  so  sucbt  er  dadurch  nach- 
zuhelfen,  dass  er  eiue  gewisse  Menge  Garschlacke  in  den  Herd  bringt  und  mit 
dem  Eisen  durchzuarbeiten  sucht.  .  Zeigt  sicb  das  Eisen  im  Herd  von  teigiger 
Consistenz,  so  dass  der  Spiess  nur  mit  Miihe  bis  auf  die  Bodenplatte  hindurch- 
gestossen  werden  kann,  so  ist  dies  ein'  Zeicben  von  einem  guten  garen  Gauge. 
Sollte  dagegen  das  Eisen  sich  hart  anfiihlen,  so  ist  der  Gang  zu  gar,  die  Ent- 
koblung  fur  dieses  Stadium  des  Processes  schon  zu  weit  vorgeschritten,  und  der 
Arbeiter  muss  durcb  Zufiigung  von  etwas  Roheisen  nachzuhelfen  suchen.  Bei  diesem 
ersten  Einschmelzen  bildet  sich  eine  sehr  fliissige  Scblacke,  Roh  scblacke, 
welche,  da  sie  ibrer  zu  diinnfltissigen  Bescbaffenheit  wegen  sich  mit  dem  Eisen 
nicht  vermengt,  daher  nur  wenig  zur  Entkoblung  beitragt,  durch  das  Schlacken- 
loch  abgelassen  wird. 

Man  schreitet  nun  zum  Rohaufbr  echen  oder  Durchbrecben,  indem  man 
die  Kohlen  abraumt  und  bei  ununterbrocbenem  Gauge  des  Geblases  mittelst  schwerer 
Brechstangen  den  im  Herde  befind lichen  weichen  Eisenldumpen  in  die  Hohe  hebt 
und  auf  frische  Kohlen  iiber  den  Windstrom  in  umgekehrter  Lage  bringt,  so  dass 
die  obere  Seite  jetzt  zu  unterst  und  die  der  Form  vorber  zugekehrte  Seite  an 
den  Gichtzacken  kommt.  Das  Eisen  beginnt  nun  wieder  zu  schmelzen  und  fliesst 
nach  und  nach  wieder  in  den  Herd ,  wobei  eine  weitere  Entkoblung  und 
Schlackenbildung  eintritt.  Der  im  Herde  entstehende  Eisenklumpen  zeigt  nun  schon 
grossere  Consistenz,  so  dass  der  Spiess  nicht  mehr  bindurch  gebracht  werden  kann, 
und  man  nimmt  ein  abermaliges  Auf  brcchen,  Garaufbreclien,  vor,  wobei  also  jedesmal 
die  aufgebrochene  Eisenmasse  iiber  die  Form  gebracht  und  wieder  niedergeschmolzen 
wird.  Geht  der  Frischprocess  gut  von  statten,  so  reicht  ein  zweimaliges  Auf- 
brechen  und  Wiedereinscbmelzen ,  Rohaufbr  echen  und  Garaufbreclien, 
bin,-  doch  kann,  wenn  das  Eisen  nach  dem  ersten  Aufbrechen  noch  zu  roh  ge- 
blieben  ist,  ein  zweites,  ja  selbst  ein  drittes  Rohaufbreeheii  erforderlich  sein. 
Das  Einschmelzen  nach  dem  Garaufbreclien  erfordert  eine  sehr  starke  Hitze,  weil 
durch  die  vorgeschrittene  Entkoblung  sich  das  Eisen  in  einem  fast  stabeisenartigen 
Zustande  befindet.  Die  in  diesem  Stadium  des  Processes  sich  bildende,  verhaltniss- 
massig  mehr  Eisenoxydul  und  weniger  Kieselerde  enthaltende,  daher  weniger  diinn- 
fliissige  Scblacke  fiihrt  den  Namen  Garschlacke;  sie  ist  es,  welche,  wie  schon 
crwalmt,  bei  der  Entkoblung  des  Roheisens  eine  so  wichtige  Rolle  spielt. 

Bei  dem  letzten  Niederscbmelzen  wird  in  einigen  Eisenhiitten  das  sogenannte 
Anlaufenlassen  vorgenommen.  Man  halt  namlich  einen  geschmiedeten  Eisen- 
stab  unter  das  herabfliessende  Eisen  und  dreht  ihn  von  Zeit  zu  Zeit,  bis  sich  das 
auf  seiner  Oberflache  erstarrende  Eisen  zu  einem  Klumpen,  Anla  uf  kolben,  von 
16  bis  20  Pfd.  vereinigt  hat,  der  sodann  ausgescbmiedet  ein  Eisen  von  vorziiglicher 
Giite  liefert. 

Nachdem  sich  alles  iibrige  Eisen  iui  Herde  zu  einem  zusammenhangenden 
weissgliihenden  Klumpen,  Deul  oder  Luppe,  vereinigt  hat,  wird  dieser  ausge- 
brochen  und  nach  dem  Abklopfen  der  ibm  ausserlich  anbangenden  Scblacke 
(Schwahl)  sofort  unter  den  Hammer  gebracht,  dessen  Aufgabe  darin  bestebt,  die 
im  Innern  des  Eisens  noch  befindliche  fliissige  Scblacke  herauszupressen,  und  zugleich 
die  Theile  des  Eisens  durch  Schweissung  zu  einer  auch  im  Inneren  vollstandig 
zusammenhangenden  Masse  zu  vereinigen,  eine  Aufgabe,  die  freilich  bei  diesem 
ersten  Zangen  nie  vollstandig  erreicht  wird.  Das  so  durch  angemessenes  Wenden 
auf  dem  Ambos  gebildete  prismatische  Stuck  wird  hierauf  mittelst  des  Setzeisens 
in  4  oder  6  Stiicke,  Scbirbel,  zerschrotet,  diese  eutweder  in  dem  Friscbfeuer 
oder  einem  besonderen  Schweissofen  wieder  angewarmt,  d.  b.  zum  Weissgliiiien 
gebracht,  und  unter  dem  Hammer  zu  Staben  von  der  verlangten  Dicke  mid  Gestalt 
ausgescbmiedet. 

Der  Frischprocess  bezweckt  den  Kohlen-  und  Kieselgehalt  des  Roheisens 
durch  Oxydation    aus    dem  Eisen    zu    entfernen,   wobei    a*ber    die  vollstandige 


Eisen-Erzeugung  (Puddeln).  27 

Abseheidung  des  Kohlenstoffes  keineswegs  beabsichtigt  wird,  ja  sorgfaltig  zu  ver- 
rueiden  ist,  weil  sie  ein  schlechtes,  verbranntes  Eisen  liefern  wiirde.  Aber  nicht  nur 
der  Kohlenstoff,  soudern  audi  Kiesel  und  Mangan  nnterliegen  derselben  Oxydation, 
schnielzen  rait  dem  im  Ueberschuss  vorliandenen  Eisenoxydul  zu  einer  schwarzen 
Scblacke  zusarmnen,  die  sicb  zum  Tbeil  bei  der  Friscbarbeit  selbst,  zum  Tbeil  beim 
nachherigen  Zangen  von  dem  reinen  Eisen  trennt.  Soil  jedocb  diese  Einwirkung  des 
Eisenoxyduls  auf  die  inneren  Tbeile  des  Kobleneisens  rascb  erfolgen,  so  miissen 
beide  Tbeile  zur  innigen  Berlihrung  und  Mengung  kommen,  und  bierin  liegt  der 
Grund,  weshalb  der  Friscbprocess  bei  allzngrosser  Hitze  weniger  gut  von  statten 
geht.  Bei  sebr  starker  Hitze  namlicb  geben  Eisen  und  oxydulhaltige  Schlacke 
(das  Entkohlungsmittel)  in  diinnfliissigen  Zustand  fiber,  trennen  sicb  in  Folge  des 
verscbiedenen  specifisehen  Gewichtes  von  einander,  indem  die  Scblacke  auf  dem 
Eisen  schwinirnt,  und  kommen  dabei  nur  in  oberflachliche  Beriihrung,'  wahrend  sie 
bei  niedriger  Temperatur  und  geringerer  Fliissigkeit  sicb  besonders  bei  einigem 
Durcbrtibren  innig  mit  einander  mengen. 

Im  Anfange  der  Periode  des  Rohfrischens  scbeidet  sich  eine  besonders  phos- 
pborreicbe  Scblacke  ab,  welche  abgelassen  werden  muss.  Das  Product  des  Roh- 
frischens  ist  ein  stablartiges  Eisen,  jenes  des  Garfrischens  Schmiedeisen. 

Verarbeitet  man  bereits  gefeintes  oder  sehr  siliciumarmes,  weisses  Roh- 
eisen,  dann  fallt  das  erste  Sebmelzen  (Feinen  oder  Ganzeschmelzen)  weg;  es  ge- 
niigen  zur  Herstellung  von  Scbmiedeeisen  zwei  Scbmelzungen,  und  dieses  Friscb- 
verfahren  wird  dann  Zweimalscbmelzerei  oder  Wallonen f r i schen  genannt. 
Es  wird  bierbei  beisser  Wind  beniitzt  und  der  Process  durch  Zusatz  von  Gar- 
schlacken  bescbleunigt. 

Ist  das  verwendete  Robeisen  sehr  arm  an  Koblenstoff,  manganbaltig  und 
rein,  so  kann  ein  einmaliges  Einschmelzen  geniigen.  Einmalschmelzerei.  Es 
wird  die  Entkoblung  bierbei  bescbleunigt  durch  Herstellung  eines  Garschlacken- 
bodens  im  Herde,  so  wie  durch  Zusatz  von  Garschlacke  beim  Einschmelzen.  Ist 
durch  die  Einschmelzung  die  Entkoblung  noch  nicht  geniigend,  so  findet  allerdings 
auch  hier  ein  theilweises  Aufbrechen  —  Nachrennen  —  statt. 

Die  richtige  Fiibrung  des  Frischprocesses  —  der  in  zahlreicben  Abanderungen, 
woriiber  Tunner's  „Stabeisen  und  Stablbereitung"  nachgesehen  werden  kann; 
durch gefiihrt  wird  —  erfordert  viele  praktische  Erfahrung ;  denn  derFrischer  muss 
aus  dem  "Widerstancl,  den  die  Stange  im  Eisen  findet,  aus  der  Helligkeit  der  Funken 
und  des  Feuers,  so  wie  aus  der  Beschaffenheit  der  Schlacke  den  Process  be- 
urtheilen. 

Soil  der  Process  nur  bis  zur  Stahlbildung  durchgefuhrt  werden^  so  ist 
derselbe  nicht  cinfach  friiher  (am  Ende  des  Rohfrischens)  zu  unterbrechen ;  weil 
man  so  ein  Product  erhielte,  welches  meist  nicht  rein  genug  ware.  Man  sucht 
vielmehr  den  Process  durch  die  oben  erwahnten  Mittel,  welche  den  Rohgang  be- 
dingen,  namentlich  aber  durch  Anwendung  manganhaltigen  Roheisens  zu  verlangern, 
d.  h.  die  Entkoblung  zu  verzogern.  In  dieser  Richtung  wirkt  auch  ein,  die  Ab- 
kiihlung  verzogernder,  Sandsteinboden  des  Herdes.  Durch  dieses  Hinausziehen  des 
Processes,  das  Garen  unter  der  manganhaltigen  Schlacke,  steigt  der  Brennmaterial- 
verbrauch  iiber  jenen  zur  Schmiedeisenerzeugung  erforderlichen. 

Bei  dem  Fri schen  auf  Stahl  sind  die  Benennungen  Zweimalschmelzerei, 
Einmalschmelzerei  nicht  mehr  so  bezeichnend  wie  bei  Schmiedeisenbildung;  denn 
selbst  dann,  wenn  rohschmelziges  Eisen  verarbeitet  wird,  findet  nach  dem 
Einschmelzen  kein  Aufbrechen  statt,  sondern  es  wird  das  gefeinte  Eisen  auf  dem 
Boden  des  Herdes  gar  gemacht  und  zwar  entweder  durch  Einriihren  von  Gar- 
schlacke, oder  durch  den  auf  das  Eisenbad  (resp.  die  Schlackendecke)gerichtetenWind. 

Die  gebildete  Luppe  (hier  Schrei  genannt)  wird  eben  so  gezangt7wie  dies 
beim  Schmiedeisen  der  Fall  ist,  und  wie  es  spater  besprochen  wird. 

Das  Puddeln.  Dieser  Process  wird  im  Flammofen  durchgefuhrt,  in  welchem 
das  zu  verpuddelnde  Robeisen  auf  einer  aus  schwerschmelziger  Schlacke  gebildeten 


28 


Eisen-Erzeugung   (Flarnmofenfrischen  o.  Puddeln). 


Mulde  eingeschmolzen  und  durch  die  Einwirkung  des,  in  der  dariiber  ziehenden 
Flanime  enthaltenen,  freien  Sauerstoffs  gefrischt  wird.  Die  Einwirkung  der  Flamrae 
wird  durch  Riihren  des  Eisenbades  (to  pucldel,  riihren*)  befordert. 

Wir  seben  beisteliend  einen  P  u  d  d  e  1  o  f  e  n  in  Ansicht,  Vertical-  und  Horizontal- 
scbnitt.  Das  einzuscbmelzende  Roheisen  wird  auf  den  Schlackenkerd  a  gegeben, 
welcber  auf  den  Herd-  oder  Bodenplatte'n  aufgestampft  ist.  Bei  b  ist  die  Arbeits- 
thiire,  in  derselben  ist  ein  kleines  Loch  c  (Fig.  1227  a)  ausgespart,  durch  welches 
der  Puddler  wahrend  des  Processes  mit  den  Riihrstangen  (Kriicken)  in  das  Innere 
des  Ofens  gelangen  kann;  beim  Einschmelzen  ist  c  zugelegt.  Das  Brennmateriale 
wird  auf  den  Rost  /  in  den  Verbrennungsraum  g  durch  die  Heizthiire  i  gebracht 
und  die  Flamnien  scblagen  iiber  die  Feuerbriicke  I  nach  a. 

Fig.  1227  a. 


Einfacher  Pnddelofen; 
Die  Form  des  Ofengewolbes  h  driickt  bierbei  die  Flamme  auf  den  Schlacken- 
herd  nieder.  Gegen  den  Fuclis  o  ist  der  Herd  durch  die  Fuchsbriickera 
begrenzt.  Die  Fucbsbriicke  m  liegt  etwas  niederer  als  die  Feuerbriicke  und  kann 
die  auf  dern  Eisenbade  scbwimmende  Schlacke  iiber  m  nach  o  abfliessen.  Uebrigens 
ist  zum  Ablassen  der  Schlacke  bei  d  (Fig.  1227  a)  oder  an  anderer  geeigneter  Stelle 
ein  Schlackenstichloch  angebracbt.  Die  Ascbe  fallt  durch  den  Rost  in  den  Aschen- 
fall  h.     Die  Feuer-  und  die  Fucbsbriicke  bestehen  aus  einem  hohlen  Eisenkasten, 


*)  Die  Benennuug  dieses  Processes  stammt  wie  dieser  selbst  aus  England.  Das  Verfrischen 
des  Roheisens  wurde  friiher  audi  in  England  mit  Holzkoblen  nach  dem  deutschen  Ver- 
fahren  ausgefiilirt ;  als  aber  das  Holz  in  England  seltener  und  theurer  wurde,  fing  man 
an,  Holzkoblen  mit  Koks  gemeugt  anzuwenden.  Allein  das  Stabeisen  tiel  gewohnlich 
von  barter,  schlechter  Bescliaiienbeit  aus  und  der  Process  ging  so  langsam  von  Statten, 
dass  eine  Eisenhiitte,  die  vocbentlich  20  Tons  Stabeisen  zu  liefern  im  Stande  war, 
scbon  zu  den  bedeutenden  gezahlt  wurde. 

Es  gelang  (1787)  den  unausgesetzten  Bemiibungen  Cort's,  Eoheisen  dadurch 
zu  Stabeisen  zu  verfrischen,  dass  er  es  auf  dein  Herde  eines  Flammofens  einer  lebbaften 
Steinkohlenrlamme-  exponirte,  wodurch  er  den  doppelten  Vortheil  erreicbte,  einestheils 
mit  Steinkohlen  als  Brennmaterial  auszureichen,  und  zweitens,  keines  kiinstlichen  Ge- 
blases  zu  bediirfen.  Aber  dieses  Verfahren  allein  fiihrte  noch  keineswegs  zu  dem  ge- 
wiinschten  Resultat ;  es  war  sekr  unsicher,  gab  mitunter  einen  sehr  unbedeutenden,  ein 
andermal  wieder  einen  sebr  grossen  Verlust;  das  Eisen  fiel  sehr  verschieden  aus,  und 
eben  so  grosse  Differenzen  zeigten  sich  in  der  Menge  des  Steinkoblenverbrauchs.  Indessen 
gelang  es  Co r t ,  audi  diese  Schwierigkeit  dadurch  zu  iiberwinden ,  dass  er  v o r  dem 
eigentlichen  Puddeln  im  Flammofen  ein  Feinen  mit  Koks  vornahm.  Das  so  vorbereitete 
Eisen  nannte  er  rinery  metal  oder  tine  metal  (Feinmetall,  Feineisen). 

Statt  der  bis  dahin  gebrauchlichen  Behandlung  des  gefrischten  Eisens  unter  dem 
Hammer  fiihrte  Cort  das  Walzwerk  ein,  wodurch  die  Stabeisenfabrication  wieder  eine 
ausserordentliche  Erleichterung,  wenn  auch  nicht  Yerbesserung  erfubr.  Aber  auch  durch 
alle  diese  Mittel  wurde  ein  briichiges  Stabeisen  von  sehr  geringer  Giite  erzielt,  das 
wenigstens  unmittelbar  keiuer  Anwendung  fahig  war.  Um  auch  diesen  Febler  zu  ver- 
bessern  und  ilim  die  nothige  Consistenz  zu  geben,  unterwarf  er  das  gepuddelte  Eisen 
einer  nachtraglichen  sehr  heftigen  Schweisshitze  in  einem  besonderen  Flammofen,  wodurch 
es  dann  gelang,  ein  gutes  verkaufliekes  Stabeisen  herzustellen. 

Cort  ist  nach  den  bier  angedeuteten  ausserordentlichen  Leistungen  nicht  minder 
epochemachend  in  der  Eisenindustrie  aufgetreten  als  in  der  jiingsten  Vergangenheit 
Bessemer. 


29 


Fig.  1227  b. 


welcher  durch  feuerfestes  Materiale  aussen  verkleidet  und  inneu  durch  circulirendes 
Wasser  gekiihlt  ist.  Das  Mauerwerk  des  Ofens  ist  aus  feuerfesten  Ziegeln  hergestellt 
und  aussen  durch  Eisenplatten  und  Schliessen  armirt.  Die  Lange  des  Schlaeken- 
herdes  betragt  durchschnittlich  l.*6m  ,  die  Breite  l-5m  und  die  Tiefe  15— 20cm 
bei  einera  Einsatz  von  3 — 4  Ztr.  Roheisen  und  bei  der  nur  fur  die  Bearbeitung 
von  einer  Seite  (einfache  Oefen)  eingerichteten  Anordnung.  Oefen,  welche 
eine  Bearbeitung  von  beiden  Seiten  gestatten,  heissen  Doppelofen.  An  den 
Fucks  schliesst  sich  der  Schornstein  an,  dessen  innerer  lickter  Querschnitt  ge- 
wohnlich  quadratisck  ist  und  die  Verbrennungsproducte  abfiihrt.  Die  obere  Oeffnung 
des  Schornsteines  ist  mit  einer  Klappe  (Deckel)  versehen,  welcher  die  Regulirung 
des  Zuges  gestattet. 

Zum  Zwecke  der  Ausniitzung  der  in  den  Verbrennung'sprodueten  abg'ehenden  Warme 
werden  manche  Puddelofen  so  constrnirt,  dass  sich  an  die  anf  den  Schlackenherd  anscliliessende 
Vertiefung-  far  den  Abfluss  der  Schlacke  ein  zweiter  ebeiier  Herd  anschliesst  zum  Vorwarmen 
des  Eisens  (vgl.  Fig.  1226  S.  25).  Oder  man  beniitzt  die  Verbrennungsgase  zur  Kesselheizung, 
wobei  besonders  die  verticale  Aufstellung,  wie  eine  solche  durch  umstehende  Skizze  (Fig.  1228) 
dargestellt  ist,  haufig  angetroffen  wird. 

Was  die  Puddelofenfeuerung  anbelangt,  so  kann  dieselbe  —  abgesehen  von  der  Form  der 
Roste,  in  welcher  Hinsicht  zumeist  Plan-  und  Treppenroste  angetroffen  werden  —  auch  ganz 
vom  Puddelofen  getrennt  werden  und  ist  dann  stets  eine  Gas feue rung  (s.  d.).  In  dem 
sogenannten  Generator  wird  aus  Torf,  Siig'espanen  u.  dgl.  sonst  schlechter  verwerthbarem 
Brennmateriale  durch  unvollkommene  Verbrennung  Kohlenoxydgas  erzeugt,  und  dieses  in  dem 
Schlackenherde  des  Pnddelofens  mitLuft  gemengt  verbrannt.  Hierbei  kann  der  Siemens'sche 
Regenerativofen,  welchen  wir  bei  der  Gussstahlbereitung  besprechen  werden,  zur  Anwendung 
komrnen. 

Es  sei  nun  zunachst  die  Manipulation  beira  Puddeln  anf  Schmiedeeisen  be- 
sprochen  und  hierauf  jene  Unterschiede    ira  Gauge  dieses  Processes,  welcke    beim 


30 


Eisen-Erzeugung  (Puddeln). 


Fig.  1228. 


Puddeln  sehnigen  (Puddeln  auf 
Sehne)  oder  kornigen  (Puddeln 
auf  Korn)  Schmiedeeisens ,  so 
wie  beim  Stahlpuddeln  beob- 
achtet  werden  miissen. 

Die  Operation  des  Puddelns 
selbst  erfordert  viel  Geschick- 
lichkeit  nnd  Sorgfalt  von  Seiten 
des  Arbeiters.  Er  bringt  nanilich 
das  Feinruetall  oder  Puddel-Roh- 
eisen  mit  einer  Schaufel  in  den 
Ofen  ein,  nnd  thiirmt  die  Stiicke 
pfeilerformig  an  den  Seiten  des 
Herdes  bis  fast  unter  die  Wol- 
bung  des  Ofens  aufeinander, 
wobei  die  Mitte  des  Herdes  frei 
bleibt.  Die  einzelnen  Pfeiler  oder 
Stapel  miissen  so  viel  wie  nioglich 
von  einander  getrennt  bleiben, 
damit  das  Eisen  von  alien  Seiten 
dem  Zutritt  der  Luft  und  der 
Flamme  dargeboten  werde.  Das 
Arbeitsloch  wird  nun  mit  seiner 
Fallthiir  verschlossen,  Steinkoblc 
auf  den  Eost  gegeben,  und  das 
Schiirloch  damit  zugelegt,  dagegen  aber  die  zum  Oetfnen  und  Verschliessen  auf 
der  oberen  Miindung  des  Schornsteins  angebraehte  Klappe  geoffnet,  so  dass  der 
Ofen  in  voile  Gluth  kommt.  Nach  etwa  20  Minuten  wird  das  Eisen  hellgliihend 
und  fangt  an  den  hervorragenden  Ecken  und  Kanten  zu  schmelzen  und  auf  den 
Herd  herabzutropfen  an ;  so  wie  dieser  Punkt  eingetreten  ist,  offnet  der  Arbeiter 
die  kleine,  in  der  Fallthiir  eigens  zu  diesem  Zwecke  ausgesparte  Oeffnung  und 
sucht  nun  mit  einem  hakenformigen  Instrumente  die  Eisenstiicke  so  zu  wenden, 
und  je  nach  dem  grosseren  oder  geringeren  Hitzgrade  so  anzuordnen,  dass  das 
Eisen  nicht  zu  rasch  einschmilzt.  Nunmehr  beginnt  das  eigentliehe  Puddeln.  Der 
Arbeiter  sucht  namlich  das  geschmolzene  Eisen  mit  zugesetzter  Schlacke  und  der 
beim  Einschmelzen  gebildeten  zu  mengen,  und  arbeitet  es  bestandig  durch,  urn 
stets  neue  Oberfla'ehen  mit  der  Luft  in  Beriihrung  zu  bringen.  Das  Eisen  schwillt 
hierbei  durch  Entwicklung  von  Kohlenoxydgas  auf,  das  seinerseits,  sobald  es  das 
Eisen  durchbricht,  in  Gestalt  kleiner  Flammchen  abbrennt.  In  dem  Masse,  wie 
das  Eisen  seinen  Kohlengehalt  hierbei  verliert,  nimmt  es  an  Strengfliissigkeit  zu, 
es  wird  in  der  Sprache  der  Eisenarbeiter  trockner,  allmalig  A'ermindert  sich 
die  Entwicklung  von  Kohlenoxj^dgas  und  hort  endlich  ganz  auf.  Walirend  dem 
wird  das  Eisen  bestandig  durchgearbeitet  und  umgewandt,  bis  es  kornig-teigig 
(steif)  ist.  "Wenn  dieser  Punkt  erreicht  ist,  wird  das  Feuer  wieder  verstarkt 
nnd  die  Klappe  auf  dem  Schornstein  geoffnet.  Bei  steigender  Temperatur  nimmt 
das  Eisen  jetzt  wieder  eine  zahe  BeschafFenheit  an  und  backt  oder  schweisst  sich 
zu  einer  kliimprigen  Masse  zusammen,  wo  dann  der  Process  beendigt  ist. 

Es  handelt  sich  jetzt  nur  noch  darum,  das  Eisen  in  grossere  Klumpen, 
Ballen,  zu  vereinigen.  Zu  d«m  Ende  wird  ein  Kliimpchen,  das  hierbei  gleichsam 
als  Kern  dient,  auf  der  weichen  Masse  bin-  und  hergerollt,  so  dass  es  sich  durch 
Anhaufung  von  Eisen  mehr  und  mehr  vergrossert,  bis  ein  Ballen  von  30  bis 
50  Kg.  cntstanden  ist.  Dieser  wird  mit  einer  vorher  heissgemachten  Stange  nach 
der  heissesten  Stelle  des  Herdes  in  der  Nahe  der  Feuerbrucke  gebracht,  um 
bier  noch  weicher  zu  werden,  mit  Gewalt  zusammengedriickt,  damit  sich  die  Schlacke 
muglichst  herausquetsche.  Wenn  nach  ungefahr  20  Minuten  alles  Eisen  in  Ballen 
formirt  ist,  wird  auch  das  Arbeitsloch  geschlossen,  damit  die  Hitze  ihren  hochsten 


Eisen-Erzeugung.  31 

Grad  erreiche,  und  die  Theile  des  Eisens  sich  noch  inniger  und  vollstandiger 
verbinden.  Die  Ballen  werden  nnn  einzeln  mittelst  einer  grossen  Zange  aus  dem 
Ofen  'gezogen  und  so  schnell  wie  moglich  unter  dem  Hammer  oder  der  Presse, 
zuweilen  auch  direct  zwischen  Walzen,  gezangt. 

Der  ganze  Process  des  Puddelns  dauert  1 '/»  bis  2I/!j  Stun'den,  namlich 
V4  Stunde  zum  ersten  Erhitzen  des  Feinmetalls,  bis  es  anfangt  zu  schmelzen,  1 
bis  1 7o  Stimde  zum  Puddeln  bis  zur  kornigen  Zertheilung,  in  welcliem  Zustande 
das  Eisen  1/Q  Stunde  erlialten  wird,  endlich  20  Minuten  zum  Formiren  der  Ballen. 
Etwa  3  '/„  bis  4  '/„  Ztr.  Feineisen  kommen  zur  Zeit  in  den  Puddelofen.  Der  Abbrand 
oder  vielmelir  Verlust  an  Eisen  ist  je  nach  der  Geschicklichkeit  des  Arbeiters  und 
der  Beschaffenheit  des  Robeisens  sehr-  verschieden  und  schwankt  zwischen  8  und  15  °/0. 

Der  Sand-  oder  Schlackenherd  muss  schon  12  Stunden  vor  Anfang  der  Arbeit 
am  Montag  Morgen  angewarmt,  am  Sonnabend  aber  nach  dem  letzten  Puddeln 
durch  ein  lebhaftes  Feuer  ganz  eingeschmolzen  und  als  fliissige  Schlacke  durch 
den  Abzug  abgelassen  werden. 

Das  Puddeln  auf  Sehne  ist  in  dem  Vorstehenden,  ein  garschmelziges 
nicht  manganhaltiges  Roheisen,  wie  es  verwendet  werden  soil,  vorausgesetzt,  bereits 
beschrieben.  Die  frtiher  erwahnten  Perioden  des  Feinens,  Roh-  und  Garfrischens 
sind  beim  Puddeln,  weil  kein  Aufbrechen  erfolgt,  nicht  so  deutlich  unterschieden. 
Die  Periode  des  Feinens  ist  die  Zeit  des  Einschmelzens,  die  des  Rohfrischens  folgt 
unmittelbar  auf  das  Einschmelzen  und  zeichnet  sich  durch  die  Bildung  der  Roh- 
schlacke  aus,  welche  allmalig  in  Garschlacke  iibergeht.  Die  Periode  des  Roh- 
frischens soil  urn  so  mehr  verlangert  werden,  je  unreiner  das  Eisen  ist;  denn  bei 
verhaltnissmassig  niedriger  Temperatur  gelingt  die  Abscheidung  des  Phosphors 
am  besten,  derselbe  geht  in  die  Schlacke,  welche  abgestochen  wird.*)  Ein  Zusatz 
von  Hammerschlag.  und  Garschlacke  befordert  das  Entkohlen.  Ganz  wesentlich 
ist  das  Ruhren  mit  der  Kriicke  (dem  •  Haken  oder  der  Kratze),  weil  dadurch  stets 
neue  Theilchen  dem  oxydirenden  Einflusse  der  Flamme  ausgesetzt  werden,  die 
Rohschlacke  rascher  in  Garschlacke  iibergeht  und  diese  dann  lebhaft  entkoldend 
auf  das  Eisenbad  einwirkt. 

Da  nach  5 — 7  Minuten  die  Kriicke  weissgluhend  wird,  aus  dem  Ofen  ge- 
nommen,  in  Wasser  abgeldscht  und  durch  eine  frische  ersetzt  werden  muss,  so 
bezeichnet  man  an  manchen  Orten  auch  die  Dauer  des  Rohfrischens  durch  die 
Anzahl  der  Auswechslungen  der  Kriicken  und  sagt  „mit  drei,  fiinf,  zehn  Kriicken 
gar".  Man  kann  nun  allerdings  durch  langes  Hinausziehen  der  Rohfrischperiode 
auch  sehr  verunreinigtes  Roheisen  in  taugliches,  selbst  gutes  sehniges  Eisen  ver- 
wandeln,  aber  da  hierdurch  auch  der  Consum  an  Brennmaterial  wachst,  so  ist  es 
eine  hauptsachlich  okonomische  Frage,  ob  der  Process  bis  zur  Erzielung  guten 
Produktes  erstreckt  werden  kann.  Steigt  der  Steinkohlenverbrauch  pr.  100  Kg. 
Lnppen  gegen  160  Kg.,  so  wird  die  Rentabilitat  meist  schon  fraglich.  ' 

Die  Rohfrischperiode  ist  beendet,  wenn  das  Eisen  „steif"  geworden,  und  nun 
schliesst  sich  die  rascher  verlaufende  Garfrischperiode  an.  Das  Eisen  wird  mit 
einer  spitzen  Brechstange  zusammengebracht,  der  nun  gesteigerten  Erhitzung  aus- 
gesetzt und  endlich  zu  Luppen  geballt. 

Die  sich  in  reichlicher  Menge  bildende  oder  absichtlich  zugesetzte  Schlacke 
bedingt  durch  die  oben  beschriebene  Wechselwirkung  (S.  22)  die  Entkohlung. ' 
Dieses  Puddeln,  jetzt  allgemein,  fuhrt  auch  die  Bezeichnung  Schlacken-  oder 
Koch  puddeln,  zur  Unter schei dung,  der  von'  Cort  urspriinglich  eingefuhrten  Me- 
thode  des  Tr  o  ckenp  uddeln  s,  bei  welchem  sehr  kohlenstofFarmes  Roheisen 
teigig  eingeschmolzen  bei  sehr  geringer  Schlackenmenge  —  trocken  —  verpuddelt 
wurde. 

Puddeln  auf  Korn  und  Stahlpuddeln.  Wie  bei  dem  Stahlfrischen 
so  ist  auch  beim  Puddeln  auf  Feinkorneisen  und  Stahl  ein   manganhaltiges 


^  Weil  die  Periode  des  Rohfrischens  bei  grauem  Eoheisen  langer  wie  bei  weissem  dauert, 
so  verwendet  man  auch  bei  unreinem  Roheisen  lieher  graues  als  weisses. 


32 


Eisen-Erzeugung  (Puddeln). 


Roheisen  wesentlich,  weil,  wie  oben  erwahnt,  der  Mangangehalt  der  Schlacke  die 
Auflosung  des  Eisenoxydoxyduls  erschwert  und  so  verzogernd  auf  die  Entkohlung 
wirkt.  Beim  Puddeln  aufKorn  schmilzt  man  rasch  ein,  um  eine  zu  bedeutende 
Oxydation  der  ausseren  Partien  der  Roheisenstiickc  zu  hindern;  man  lasst  ferner 
von  der  Rohschlacke  so  viel  im  Ofen,  dass  das.  Eisenbad  bedeckt  ist  und  ein 
Gar  en  unter  der  Schlacke  moglich  wird  und  endlich  wird  die  Oxydation 
der  Luppen  dadurcli  yerhindert,  dass  man  die  Brennmaterialschiclit  erhoht,  wodurch 
die  Behandlung  der  Luppen  in  rauchender  (redoucirender)  Flamme  ermoglicbt  ist. 
Statt  der  garenden  Zuschlage,  welche  beim  Sehnepuddeln  wahrend  des  Einschmelzens 
gegeben  werden,  setzt  man  Rohschlacke,  Sand,  manganhaltige  Zuschlage  und  selbst 
Alkalien  zu,  um  eine  wenig  oxydirende  Schlacke  zu  erlangen. 

Je  kohlenstoffhaltiger  das  Product  sein  soil,  um  so  langsamer  muss  gegart 
werden,  soil  ein  gleichformiges  Product  hervorgehen.  Daher  ist  die  Chargedauer 
beim  Stahlpuddeln  langer  als  beim  Puddeln  .auf  Feinkorneisen. 

Das  mechanische  Puddeln  und  die  -rotirenden  Pud  del  ofen. 
Die  mechanischen  Puddle r  sind  Riihrapparate,  welche  die  Bestimmung  haben, 
das  iiberaus  anstrengende  Handhaben  der  Krucken  dem  Arbeiter  abzunehmen  und 
von  einem  Mechanismus  besorgen  zu  lassen,  welcher,  von  dem  Puddler  beaufsichtigt, 
die  Arbeit  des  Riihrens  vollbringen  soil. 

Wedding  sagt,  dass  der  Ersatz  der  menschlichen  Arbeit  nur  dann  Erfolg 
gewahrt,  wenn  die  Riilirperiode  in  Folge  der  Anwendung  eines  sich  stets  gleich- 
bleibenden,  ziemlich  reinen,  dabei  rohschmelzigen  Materiales  bei  geringer  Aufmerk- 
samkeit  eine  lange  Dauer  beansprucht.  Zu  den  verbreiteteren  Constructionen 
gehbren  die  von  Dumeny  und  Lemut,  von  Eastwood  und  fur  Doppelbfen 
von  Whitham.*) 

Weit  entsprechender  als  diese  Riihrapparate  sind  die  rotirenden  Pu  ddel- 
6 fen,  von  welchen  die  Constructionen  von  Menelaus  und  Danks**)  wohl 
die  bekanntesten  sind.  Die  wesentlichste  Schwierigkeit  macht  das  feuerfeste 
Materiale  zur  inneren  Bekleidung,  indem  dasselbe  den  chemischen  und  mechanischen 
Einwirkungen  der  Schlacke  und  des  Eisens  bei  dieser  hohen  Temperatur  schwierig 
Stand  halt  und  daher  eine  kostspielige  und  bftere  Erneuerung  erforderlich  macht. 
Die  beistehende  Skizze  zeigt  den  Rotator  von  Siemens,***)  welcher  allerdings  zur 
directen  Eisenerzeugung  verwendet  wird,  aber  das  Princip  eines  rotirenden  Puddel- 

ofens  ganz  wohl  darstellen  kann. 

R  ist  der  rotirende  Herd  (Rotator), 
welcher  aus  einem  eisernen  Mantel,  einer 
aus  feuerfesten  Ziegeln  und  Steinen  ge- 
mauerten  Schichte  und  endlich  aus  einer 
13 — 16cm  dicken  angeschmolzenen  Schlak- 
^  kenschichte  besteht.  Am  ausseren  Mantel 
^^T^  ^  desselben  sind  die  auf  den  Rollen  n  n 
laufenden  Radkranze  r  r  angebracht,  wel- 
chen die  Be  n'egung  mitgetheilt  wird  und 
die  den  Rotator  sehr  langsam,  pr.  Stunde 
'20-  bis  40-inal,  um  seine  Achse  drehen. 
Der  D  an  k'sche  Rotator  macht  pr.  Minute 
2  Touren. 

a  ist  der  Zustromungskanal  fiir  die 
den  Ofen  heizenden,  von  einem  Generator 


Vergleiche  Zeitsclirift   d.  deutsch.  Ingcnieure   Bd.  XI.  u.  Zeitschrift   fiir   Berg1-,  Hiitten- 

ii.   Salinemvestn   in  Pieussen  Bd.  XYIII.     Beziiglicli  P  on  sard's  Apparat  s.  Dingl.  pol. 

Jdurn.  Bd.   198  S.  302,  betreffs  jenem  von  Dormoy  s.  Dgl.  p.  J.  Bd.  204  S.  287. 
**)  Dingl.  p.  Joun.  Bd.  203  S.  277—286,  Bd.  204  S.  216  u.  282. 
t**)  S.  Dingler's    p.  J.    Bd.  209  S.   1;  ferner    Tunner's    Berielit  rDas    Eisenhiittenwesen 

der  vereinigteu  Staaten  von  Nordamerika". 


Eisen-Erzeugung  (Bessemern).  33 

kommenden  Gase,  hinter  demselben  befindet  sicli  der  Zustromungskanal  fiir  die 
Luft.  Gas  mid  Luft,  beide  durch  den  Siemen'sclien  Regenerativofen  (s.  S.  46,  47j 
vorgehitzt,  gelangen  im  Rotator  zur  Verbrennung  und  die  Verbrennungsproducte 
gehen  durch  zwei  hinter  einander  liegende  Kanale  b  ab.  Beim  Dank'sehen 
Rotator  ist  eine  Rostfeuerung  vor  demselben  angebracht,  und  die  Verbrennungs- 
gase  ziehen  am  Ende  derselben  durch  einen  (beweglichen)  Fuchs  ab. 

Das  den  rotirenden  Puddelofen  zu  Grande  liegende  Princip  scheint  uns  vor- 
ziiglicher,  wie  die  Ersetzung  der  Handarbeit  durch  Riihrapparate,  aber  ebenfalls 
an  dem  Uebelstande  zu  leiden,  dass  sich  das  Puddeln  mit  diesen  Apparaten  schwer 
dem  Materiale  anpassen  lasst,  daher  auch  ein  gleichbleibendes  Roheisen  voraussetzt. 

Das  Bessemern  (nach  dem  Erfinder  H  ein  rich  Bessemer,  welcher  im 
October  1855  das  engl.  Patent  erwarb,  so  benannt)  oder  die  Erzeugung  von  Fluss- 
schmiedeisen  und  von  Flussstahl  mittelst  Windfrischen  findet  dadurch  statt,,  dass 
geschmolzenes  tibergares  Roheisen  in  ein  birnformiges  Gefass,  Birne,  C  onverter, 
gebracht  wird,  in  welches  atmospharische  Luft  unter  so  hohem  Drucke  gepresst 
wird,  dass  sie  die  Eisenmasse  durchstromt.  Hierdurch  findet  eine  kraftige  Ein- 
wirkung  der  Luft  auf  das  Eisenbad,  ein  rasches  Frischen,  statt.  (Die  stabilen 
schwedischen  Bessemerofen  sind  veraltet.*) 

Die  beistehenden  Figuren  1230  a  und  b  zeigen  den  Converter  in  zwei 
Ansichten  und  im  Verticalschnitt.**)  Es  ist  aus  denselben  ersichtlich,  dass  der 
Converter  eine  aussen  mit  Kesselblech  armirte  Retorte  ist,  welche  im  Inneren  eine 
etwa  18cm  dicke  Verkleidung  aus  feuerfestem  Materiale  (1  Thl.  feuerfester  Thou, 
6 — 7  Thl.  Quarz)  besitzt,  welche  sehr  sorgfaltig 
eingestampft  werden  muss.  In  dem  Boden  des 
Converters  befinden  sich  etwa  10  Cylinder  (Diisen) 
aus  feuerfestem,  gut  umstampftem  Thone,  deren 
jeder  etwa  12  Langskanalchen  von  7mm  Durch- 
messer  besitzt,  durch  welche  der  Wind  in  das 
Innere  des  Converters  aus  dem  am  Converterboden 
angebrachten  Windkasten  w  stromt.  Der  Wind 
wird  durch  b    dem  Windkasten  zugefiihrt. 

Die  Drehachse  des  Converters  a  gestattet 
diesem  Gefasse  je  nach  Beclarf  eine  verschiedene 
Lage  zu  geben.  An  manchen  Orten  ist  hierzu  eine 
kleine  Dampfmaschine  m  vorhanden ,  welche  die 
Welle  des  Schwungrades  s  bethatigt.  An  dieser 
Welle  sitzt  eine  Schraube  ohne  Ende,  welche  in 
das  an  a  sitzende  Schraubenrad  r  eingreift.  Das 
mit  Coulissensteuerung  versehene  Dampfmaschinchen 
gestattet  eine  Drehung  der  Schwungradwelle  und 
dadurch  auch  des  Converters  nach  beiden  Drehungs- 
richtungen.  Will  man  den  Converter  beim  Fallen 
oder  Entleeren  neigen,  benutzt  man  die  eine  Be- 
wegungsrichtung ;  will  man  ilin  heben,  die  andere. 

Der    erforderliche  Wind    von    80   bis    135cm 
Quecksilbersaule-Pressung  wird  von  einer  kraftigen 
Geblasemaschinegeliefert(200 — 250Pferdestarken); 
und  zum  Zwecke  der  Uebernahme  des  im  Converter  erzeugten  fliissigen  Productes 
ist  am  hydraulischen  Krahne  K  die  Pfanne  (und  ein  Gegenwicht)  angebracht. 


Converter. 


*)  Uie  erste  grossere  Specialschrift  ist  Boman:  Das  Bessemern  in  Schweden,  Leipzig  1864, 

Felix. 
**)  Eingehende    Beschreibungen   von    Besseineranlagen    finden    sich  in  Bittinger's  Erfah- 

rungen  Jg.  1805  S.  37,  Taf.  7 — 14;  ferner  im  5.  Bd.  „Oesterr.  Eisenbalmen  vonEtzel, 

Wien  1867,  Holder    u.  zw.  Taf.  16—37    das  Schienenwalzwerk   in  Graz,    beschr.    von 

Paul  us  u.  a.  a.  O. 
Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch    Bd.  III.  3 


34 


Eisen-Erzeugung. 
Fig,  1230  b. 


Bessemer-Anlage. 
Der  beistehende  Holzsehnitt  zeigt  den  oberen  Tbeil  des  Krabnes  im  Scbnitt. 
a  ist  die  Kolbenstange  des  Brahma-  oder  bydrauliscben  Kolbens,  sie  tvagt  an 
ibrem  oberen  Ende  die  drehbare  Hiilse  b,  an  welch er  die  Krahnarme  befestigt 
sind.  G  ist  die  Giesspfanne,  deren  Pfropf  von  d  aus  bewegt  werden  kann.  R  ist 
das  Gegengewicbt,  welches  in  Fiihriingen  verschiebbar  mit  dem  Krahnarm  ver- 
bnnden  ist.  Die  Verschiebung  kann  von  der  Kurbel  n  aus  durch  die  Schraube, 
das  Schraubenrad  imd  ein  an  der  Achse  des  letzteren  sitzendes  Stirnrad  erfolgen, 
welches  in  eine  mit  dem  Arm  verbundene  Zahnstange  eingreift. 

Fig.  1231. 


\{  n    „ 


1 :  a 

■n  i\  n 


Obertlieil  des  hydraulischen  Krahnes 
Die  Drehung    des  Krahnes    erfolgt   von  c  aus    durch    die  Bethatigung   einer 
Kurbel  oder  durch  einen  bydrauliscben  Kolben. 


Eisen-Erzeugung  (Bessemern).  35 

Beschreibung  des  B es s em erpro cesses.  1st  die  Bessemerhiitte  mit 
einer  Hochofenanlage  verbunden,  so  kann  das  libergare  Roheisen  unmittelbar  aus 
dem  Hochofen  in  den  Converter  geleitet  werden.  1st  diese  Verbindung  nicht  vor- 
handen,  so  kommt  das  fliissige  Roheisen  von  den  Umschmelzofen  (Flamm-  oder 
Cupolofen).  Der  Converter  muss  gut  durch  Koks  vorgewarmt  und  hierauf 
entleert  sein.  Er  wird  dureh  Ingangsetzung  des  seine  Achse  bewegenden  Me- 
chanismus  so  geneigt,  dass  die  Convertermiindung  in  der  Horizontalebene  der 
Achsen  steht,  das  Zuleitungsgerinne  wird  angeschoben,  der  Abstich  erfolgt7  das  Roh- 
eisen fliesst  in  den  Converter.  Nach  Zuriickziehen  des  Rohres  hebt  sich  der  Con- 
verter langsam,  nnd  gleichzeitig  wird  Wind  gegeben,  damit  kein  Verstopfen  der 
Diisen  stattfinden  kann.     Der  Process  ist  im  Beginne. 

Sausend  durchdringt  der  hochgepresste  Wind  das  fliissige  Roheisen  und  die 
gliihenden  Case  entstromen  der  Converteroffnung  untermischt  mit  Funken,  aber 
ohne  eigentliche  Flamme.  Diese  tritt  erst  nach  2  bis  6  Minuten  ein.  Man  nennt 
diese  Periode  jene  des  Feinens  oder  der  Schlackenbildung.  Sie  geht 
mit  Eintritt  der  Flamme  in  die  Rohfrisch-  (Koch-  oder  Eruptions-)  Periode 
iiber,  das  aus  dem  Eisen  entweichende  Kohlenoxyd  bedingt  ein  noch  vermehrtes 
Wallen  der  Masse,  der  Funken-  und  Schlackenauswurf  wird  lebhafter,  die  Flamme 
allmalig  lichter  und  langer,  auch  das  Gerausch  des  durchstromenden  Windes  starker. 
Das  Spectrum  entwickelt  die  griinen  Streifen.  Diese  Periode  hat  meist  die  langste 
Dauer,  circa  15  Minuten.  (Soil  direct  Stahl  erblasen  werden,  so  kippt  man  den 
Converter  im  gehorigen  Zeitpunkte,  andernfalls  fahrt  man  mit  dem  Blasen  bis  zur 
vollstandigen  Entkohlung  fort.) 

Das  Rohfrischen  geht  in  die  Garfrischperiode  iiber,  die  Flamme  wird 
blaulich-weiss  und  viel  kiirzer.  (Bei  Beginn  dieser  Periode  schleudert  ein  kraftiger 
Arbeiter  Abfalle  von  Bessemereisen  in  den  Converter,  welche  in  wenigen  Secunden 
dem  weissfliissigen  Metalle  beigemengt  sind.)  Die  kurze,  fast  durchsichtig  werdende 
Flamme  und  noch  sicherer  die  Beobachtung  durch  das  Spectroscop  verrath  dem 
dirigirenden  Ingenieur,  wann  die  Entkohlung  beendet  ist. 

Der  Converter  macht  wieder  die  Drehung,  eine  herrliche  Garbe  weisser  Eisen- 
fnnken  ausschleudernd,  das  Geblase  ruht  einige  Secunden,  die  Rinne  wird  in  die 
Miindung  eingeriickt  und  bringt  die  zur  Kohlung  und  Veredlung  des  Productes 
erforderliche  Menge  geschmolzenen  Spiegeleisens,  der  Converter  nimmt  sie  auf, 
erhebt  sich  unter  gleichzeitiger  Zufiihrung  des  Windes  wieder,  um  nach  einigen 
Secunden  abermals  zu  sinken,  denn  nun  ist  der  Process  beendet. 

Im  Converter  befinden  sich  jetzt  statt  der  100  Ztr.  Roheisen  circa  90  Ztr. 
geschmolzenen  Stahles  oder  Flusseisens. 

Der  hydraulische  Krahn  bringt  die  Pfanne,  gleichfalls  gut  vorgewarmt,  zum 
Converter,  derselbe  wird  weiter  gedreht  und  entleert  den  weissheissen,  wasser- 
fliissigen  Inhalt  in  die  Pfanne.  Die  Masse  erscheint  wie  kochend,  sie  wirft  Blasen 
auf  und  man  lasst  sie  etwas  zur  Ruhe  kommen. 

Hierauf  lasst  man  den  Krahn  sich  heben  und  fiihrt  die  Pfanne  iiber  die 
erste  der  im  Halbkreis  aufgestellten  eisernen  Formen,  Coquillen.  Durch  Heben 
des  conischen  Pfropfes  fliesst  der  Stahl  in  die  Coquille.  Man  fiillt  die  Coquillen 
nun  der  Reihe  nach,  bis  man  sieht,  dass  die  Schlacke,  welche  eine  mehr  rothgelbe 
Farbe  hat,  auszufliessen  beginnt.     Diese  lasst  man  dann  in  die  Grube  ausfliessen. 

Wahrend  des  Processes  beobachtet  der  Dirigent  den  Verlauf  durch  ein  Spectro- 
scop, und  neben  ihm  steht  der  Arbeiter,  welcher  je  nach  Bedarf  durch  Drehen 
eines  Handrades  die  Windmenge  regulirt,  durch  Drehen  eines  zweiten  den  Krahn 
bethatigt,  ja  selbst  auch  das  Neigen  des  Converters  veranlassen  kann,  wenn  diese 
Drehbewegung  gleichfalls  durch  hydraulischen  Druck  bewirkt  wird.  So  erfolgt 
dieser  gigantische  Process  ohne  u  n  mittelbares  Eingreifen  des  Menschen  mit  einer 
den  Beschauer  zur  Bewunderung  zwingenden  Regelmassigkeit  und  Gewalt.  Zur 
Zeit  ist  der  Bessemerprocess  unstreitig  das  schonste  Beispiel  der  Beherrschung 
der  Naturkrafte  von  Seite  des  Menschen. 


36  Eisen-Erzeugung. 

Der  Bessemer-Process  erfordert  zu  seinem  richtigen  Verlaufe  ein  iiber- 
gares,  siliciumreiches  Roheisen,*)  weil  dieses  durch  Verbrennung  des  enthaltenen 
Kohlenstoffes  imd  namentlich  des  Siliciums  jene  Warmemenge  zu  liefern  vermag, 
welche  auch  in  der  Periode  des  Roh-  und  Garfrischens  das  bereits  kohlenstoff- 
armere  und  schwerer  schmelzige  Product  in  diinnfliissigem  Zustande  erhalten  kann. 
Das  Geblase  driickt  30 — 31cbm  Luft  (auf  normale  Dichte  bezogen)  pro  100  Kg. 
Roheisen  in  den  Converter.  In  dieser  Luftmenge,  welche  38-8  Kg.  wiegt,  sind 
29-8  Kg.  Stickstoff,  welche  mitgefuhrt  werden,  ohne  direct  am  Processe  betheiligt 
zu  sein.  Diese  29*8  Kg.  Stickstoff  werden  den  Converter  auf  circa  1000°  C. 
erhitzt  verlassen  und  absorbiren  circa  8000  Warmeeinheiten.  Durch  Warmeleitung 
und  Strahlung  geht  gleichfalls  eine  grossere  Warmemenge  verloren,  es  ist  daher 
wohl  einleuchtend,  dass  nur  dann  die  Masse  im  Converter  in  dunnflussigem  Zustande 
rerharren  kann,  wenn  die  durch  die  Verbrennung  des  Siliciums  und  Kohlenstoffes 
freiwerdende  Warmemenge  diese  Warmeverluste  nicht  nur  zu  decken,  sondern  auch 
jenen  Ueberschuss  an  Warme  zu  liefern  vermag,  welcher  erforderlich  ist,  urn  das 
schwer  schmelzbare  Endproduct  in  diinnfliissigem  Zustande  zu  erhalten.  Wiirde  ein 
silicium-  und  kohlenstoffarmes  Eisen  angewendet,  so  wiirde  im  Converter  bald  eine 
teigige,  klumpige,  theilweise  verbrannte  Masse  entstehen,  das  Product  ware  schlecht. 

Durch  den  fliissigen  Zustand,  in  welchem  bei  gutem  Gange  die  Masse  im 
Converter  sich  stets  befinden  muss,  und  durch  die  vielfache  Vertheilung  des  ein- 
gepressten  Windes  findet  der  friiher  im  Allgemeinen  besprochene  Frischprocess  in 
sehr  kurzer  Zeit  statt.  Das  Feinen  (Schlackenbilden),  das  Rohfrischen  (Aufkochen) 
und  das  Garfrischen  (weitere  Entkohlen)  nehmen  zusammen  einen  Zeitraum  von 
nur  20 — 35  Minuten  inAnspruch;  ersteres  circa  die  Halfte,  letzteres  ein  Sechstheil 
dieser  Zeit.  Die  Windpressung  wird  wahrend  der  ersten  Periode  allmalig  gesteigert, 
in  der  zweiten  Periode  ermassigt  und  gegen  Schluss  der  dritten  bis  zu  ibrem 
Maximum  gebracht. 

Anfanglich  beurtheilte  man  den  Verlauf  des  Processes  nur  nach  der  Be- 
schaffenheit  der  Flamme,  der  Funken  und  der  Qualitat  der  ausgeschleuderten 
Schlacke  und  Eisens,  es  gehorte  eine  ausserordentliche  Uebung  und  Beobachtungs- 
gabe  dazu,  den  Process  gerade  dann  zu  unterbrechen,  wenn  ein  Product  von  der 
gewiinschten  Beschaffenheit,  ein  Stahl  von  bestimmtem  Kohlenstoffgehalte,  ge- 
bildet  war. 

Leichter  liess  sich  jenes  Stadium  des  Processes,  welches  der  Bildung  von 
Flusssehmiedeisen ,  also  der  fast  vollstandigen  Entkohlung  entsprach,  aus  den 
ausseren  Erscheinungen  erniitteln.  Man  kam  daher  auf  die  Idee,  das  Flussschmied- 
eisen durch  Zusatz  von  Spiegeleisen  wieder  zu  kohlen  und  hatte  durch 
die  Menge  dieses  Zusatzes  den  Grad  der  Kohlung  in  der  Hand.  Der  Spiegel- 
eisen- oder  Ferromangan  -  Zusatz  wirkt  auch  giinstig  durch  den  Mangangehalt, 
und  wird  gegenwartig  meist  beibehalten,  obwohl  es  durch  die  Anwendung  des 
Spectroscopes  (zuerst  durch  den  osterreichischen  Chemiker  Prof.  Andreas 
Liel egg**)  in  der  Bessemerhiitte  in  Graz  1866  mit  Erfolg  angewendet)  gelang, 
ein  einfaches,  wenn  auch  nicht  immer  sicheres  Mittel  fiir  die  Erkennung  des 
Verlaufes  dieses  Processes  zu  erhalten. 


*)  Dasselbe  darf  weder  schwefel-  noch  phosphorhaltig  sein. 

**)  Unsere  Angabe  ist  richtig,  obwohl  Roscoe  bereits  im  Beginn  des  Jahres  1863  in  „the 
Proceedings  of  the  Literary  and  Philos.  Society  of  Manchester u  V.  Ill  pag.  57  in  wenigen 
Zeilen  die  Vermuthung  aussprach,  dass  die  Spectralanalyse  berufen  sein  konne,  beim 
Bessemern  eine  Rolle  zn  spielen.  Die  nachste  (indirect)  von  Roscoe  stammende  Pu- 
blication in  dieser  Sache,  datirt  vom  December  1867  im  Philosoph.  Magazin,  wahrend 
Li  el  egg  bereits  im  Juni  1867  in  den  Sitzungberichten  der  k.  k.  Akademie  der  AVissen- 
schaften  es  aussprach  und  begriindete,  dass  „Anfang  und  Ende  der  Entkohlung  des 
Eisens  mit  dem  Spectroscope  durch  das  Erscheinen  und  Verschwinden  gewisser  Linien 
des  Spectrums  sicher  erkannt  werden  konne."  Die  Verdienste  Lieleggs  wurden  im 
Engeneer  28.  Febr.  186S,  und  in  Wedding's  Arbeit  „Das  Spectrum  der  Bessemer- 
flammen"  Berlin  1869  (u.  im  17.  Bande  der  Zeitschr.  f.  d.  Berg-,  Hiitten-  u.  Salinen- 
wesen  im  pr.  St.),  durch  A.  Habets  in  der  Revue  universelle  d.  M.  T.  13  &  14  p.  388 
u.  a.  a.  0.  anerkannt. 


Eisen-Erzeugung  (Bessemern).  37 

Die  gegenwartig  angewendeten  Spectroscope*)  (sog.  Westentaschenspectroscope) 
sind  so  einfach  construirt,  dass  sie  leicht  (als  etwa  18cm  langes  Rohrchen)  in  der 
Hand  gehalten  werden,  die  Beobachtung  daher  stehend  stattfinden  kann. 

Im  Nachstehenden  sollen  die  Erscheinungen,  wie  man  sie  bei  Beobachtung 
der  Flammen  durch  ein  Spectroscop  empfangt,  angegeben  und  spater  naher  er- 
ortert  werden.  Indem  Referent  noch  nicht  Gelegenheit  hatte,  diese  Beobachtungen 
selbst  zu  machen,  folgen  selbe  nach  einer  schriftlichen  Mittheilung  des  Herrn 
Vorbach,  Huttenchemikers  in  Kladno. 

Beim  Aufgang  des  Converters,  bei  Eintritt  der  Flamme,  bemerkt  man  nur 
ein  mattes  continuirliches  Spectrum,  in  dem  die  gelbe  Natriumlinie  zeitweise  auf- 
leuchtet ;  sie  nimmt  aber  mit  Fortgang  des  Processes  an  Helligkeit  zu  und  bleibt 
mit  Eintritt  der  Flamme  bestandig. 

Zugleich  siebt  man  links  von  derselben  (im  Roth)  eine  oder  auch  zwei  rothe 
Linien  aufblitzen,  die  dem  Kalium  und  Lithium  angehoren.  Auch  diese  werden 
mit  Anfang  der  zweiten  Periode  (Rohfrischperiode)  stabil. 

Die  nachste  Aenderung  zeigt  sich  jetzt  im  griinen  Felde.  Hier  erscheint 
zunachst  am  59.  Theilstrich  der  Millimeterscala  (die  Linie  D  auf  50  gestellt)  ein 
matter,  griiner  Streifen,  der  sich  aber  bald  in  eine  Gruppe  von  Linien  auflost, 
die  immer  scharfer  hervortreten.  Kurze  Zeit  darauf  tauchen  rechts  von  dieser 
Gruppe  eine  grosse  Anzahl  neuer  Streifen  auf  und  entwickeln  sich  von  links  nach 
rechts.  Bei  Spectroscopen  mit  kleinem  Gesichtsfelde  unterscheidet  man  am  Ende 
der  zweiten  und  bei  Beginn  der  dritten  Periode  vier  Gruppen  von  griinen  Linien, 
die  sammtlich  rechts  von  der  Natriumlinie  liegen;  ihre  linke  Seite  ist  mehr  gelb- 
griin,  die  rechte  blaugriin  gefarbt.  Sie  sind  der  wesentlichste  Theil  des 
Bessemerspectrums,  denn  mit  ihrem  Verschwinden  ist  auch  die  v o li- 
st a  n  d  i  g  e  Entkohlung  des  Bades  erreicht.  Das  Verschwinden  erfolgt 
aber  bei  verschiedenen  Roheisengattungen  auf  ungleiche  Weise.  In  manchen  Fallen 
verlieren  sie  sich  sehr  rapid,  wohingegen  sie  anderwarts  nur  langsam  verschwinden. 
Im  letzteren  Falle  werden  immer  die  am  rechts  gelegensten  matt  und  unsichthar, 
bis  sich  auch  die  der  Natriumlinie  am  nachsten  gelegene  anfangt  zu  verdunkeln. 
Die  Entkohlung  ist  dann  erreicht  und  der  Converter  wird  gewendet. 

Manche  Bessemerwerke  halten  sich  an  das  Verschwinden  nur  einer  b  e- 
stimmten  Linie  und  verfinstern  dann  den  iibrigen  Theil  des  Spectrums  durch 
einen  Schirm  in  den  Apparaten. 

Wie  vorhin  angedeutet,  ist  beim  Verschwinden  der  griinen  Linien  das  Stahl- 
bad  entkohlt.  Es  ergibt  sich  hieraus,  dass  der  Gebrauch  des  Spectralapparates 
in  der  angedeuteten  Weise  nur  dort  zutreffcnd  sein  wird,  wo  man  mit  Spiegel- 
eisen  riickkohlt.  Blast  man  direct,  so  sind  die  Massgaben  anders  und  jedenfalls 
schwieriger  zu  tretFen. 

Eben  so  verschieden  ist  das  Blasen  auf  Werkzeugstahl,  wo  das  erhaltene 
Product  noch  06— 0-7%  Kohlenstoff  halten  soil. 

Wie  man  jetzt  schon  einsehen  diirfte,  ist  also  der  Gebraueh  des  Spectral- 
apparates kein  gleichartiger  und  auch  kein  unbedingter. 

Hiezu  kommt  noch  ein  Umstand,  wodurch  sein  Werth  auf  vielen  Werken 
sehr  herabgedruckt  wird.  Arbeitet  man  namlich  mit  manganreichem  Roheisen,  so 
entwickelt  sich  am  Ende  der  zweiten  Periode  so  viel  Rauch,  dass  die  Flamme 
ganz  eingehiillt  erscheint  und  das  Spectroscop  lasst  den  Beobachter  vollig  im 
Stich.  Es  verschwinden  die  griinen  Linien  schon  weit  vor  dem  Ende  des  Processes 
und  das  Spectrum  ist  entwedei*  continuirlich  oder  enthalt  nur  die  Natriumlinie. 

Oft  verschwinden  die  griinen  Linien  vorzeitig,  kommen  aber  spater,  wenn 
das  Bad  durch  geworfcne  Abfalle  etwas  gekiihlt  ist,  wieder  zum  Vorschein ;  allein 
dies  ist  keineswegs  immer  der  Fall. 


*)  Von  Starke  &  Kammerer  in  Wien,   Hofmann  in  Paris,   Herrmann  &  Pfister 
in  Bern,  Brauning  in  London,  Liittich  in  Berlin.    (S.  Art.  Spectroscop.) 


38  Eisen-Erzeugung  (Zangen). 

Daher  kommt  es,  dass  wahrend  sich  das  Spectroscop  beim  Umschmelzbetrieb 
in  den  bei  weiteni  meisten  Fallen  bewahrte,  es  auf  solchen  Werken,  die  mit  Koks 
arbeiten  und  ihr  Roheisen  direct  dem  Hochofen  entnehmen,  nur  als  ein  Mithilfs- 
mittel  gebraucht  wird.  So  auf  der  Konigshiitte  in  Schlesien,  in  Kladno  in  Bohmen 
u.  a.  a.  0. 

Ueber  den  Ursprung  der  einzelnen  Linien  ist  man  noch  tbeilweise  im  Unklaren. 

Dass  die  gelbe  Linie  vom  Natrium,  die  zwei  Linien  links  vom  Kalium  und 
Lithium  stammen,  ist  sicher.  Anders  aber  bei  den  Linien  im  griinen  Felde.  Diese 
hielt  man  langere  Zeit  fiir  Kohlenstofflinien,  und  zwar  fur  das  Spectrum  des  Kohlen- 
oxyds.  Als  es  aber  nicht  gelingen  wollte,  mit  dem  letzteren  Korper  ein  auch 
nur  annahernd  ahnliches  Spectrum  hervorzubringen,  wurde  diese  Annahme  zweifelhaft, 
und  B runner  wies  zuerst  darauf  bin  (Oesterr.  Zeitschr.  f.  Berg-  u.  Hitttenwesen 
1868  pag.  226),  dass  die  bellen,  griinen  Streifen  moglicherweise  dem  Mangan  zu- 
zuschreiben  waren.  Er  stiitzte  seine  Aussage  auf  die  Beobachtung,  dass  jene 
Flamme,  welche  beim  Anwarmen  eines  scbon  gebrauchten  Converters  aus  der 
Schnauze  stromt,  ein  Spectrum  mit  griinen  Linien  gibt,  wahrend  diese  bei  neuer 
Einmauerung  ausbleiben.  Der  directe  Vergleich  des  Bessemer-Spectrums  mit  dem 
Manganspectrum  ergab ,  dass  die  griinen  Streifen  zum  grossen  Theil  Mangan- 
linien  sind. 

Manche  Werke  wendeten  nach  Erlangung  dieses  Hilfsmittels  die  Kohlung 
durch  Spiegeleisen  nicht  mehr  an,  sondern  brachen  den  Process  im  geeigneten 
Momente  ab.  In  der  Mehrzahl  der  Falle  ist  man  jedoch  bei  dem  Spiegeleisen- 
zusatz  (oder  seinem  Stellvertreter  Ferromangan)  geblieben  oder  wieder  zu  demselben 
zuriickgekehrt,  weil  der  Mangangehalt  dieses  Zusatzes  zweifelsohne  vortheilhaft 
auf  die  Qualitat  des  Productes  einwirkt.  Das  Spiegeleisen  wird  zu  5 — 12  °/0  der 
verarbeiteten  Eisenmenge  gewohnlich  fliissig,  selten  nur  gliihend,  zugesetzt.  Der 
Zusatz  anderer  reiner  kohlenstoffreicher  Eisensorten,  welche  aber  einen  geringen 
Mangangehalt  besitzen,  bewahrte  sich  nicht.  Das  Mangan  scheint  einerseits  jeder 
zu  weit  gegangenen  Oxydation  entgegenzuwirken,  gebildetes  Eisenoxydul  zu  re- 
duciren,  andererseits  zu  bewirken,  dass  der  Kohleustoflf  nur  chemisch  gebunden 
im  Producte  auftreten  kann.  So  wie  manganhaltiges  Roheisen  zur  Entwicklung 
eines  braunen  Rauches  besonders  in  der  letzten  Periode  Veranlassung  gibt,  welcher 
aus  Manganoxyd  und  Eisenoxydul  besteht,  so  bewirkt  auch  der  Mangangehalt  des 
Spiegeleisens  diese  Rauchbildung  nach  dem  Zusatze  desselben  und  deutet  so  auf 
eine  reducirende  Wirkung. 

Der  Spiegeleisen-  resp.  Manganzusatz  macht  das  Product  weniger  blasig,  was 
gleichfalls  von  Wichtigkeit  ist.  Ohne  diesen  Zusatz  ist  das  Product  nach  voll- 
standiger  Entkohlung  —  Flussschmiedeisen  —  grobkrystallinisch,  enthalt  oft  etwas 
Eisenoxyde  und  erlangt  technische  Brauchbarkeit  erst  durch  Zusammenschmelzen 
mit  holier  gekohltem  Eisen  oder  durch  Gliihen  mit  Holzkohle.  Der  ohne  Spiegel- 
eisenzusatz  erhaltene  Bessemerstahl  ist  nach  dem  Gusse,  besonders  wenn  die  Guss- 
formen  ohne  einiges  Ruhenlassen  der  Masse  gefiillt  wurden,  stark  blasig  und  er- 
fordert  eine  kraftige  Dichtung  mittelst  des  Dampf  hammers.  Hierbei  geben  oxydirte 
oder  angelaufene  Blascn  unganze  Stellen. 

Von  der  Umwandlung  der  Luppen  und  Ingots  in  Stabeisen. 
Die  vom  Frischherde  oder  dem  Puddelofen  kommenden  Luppen  werden  gezangt, 
d.  h.  durch  verschiedene  mechanische  Mittel  derart  verdichtet,  dass  sich  die 
loekere  Eisenmasse,  deren  Zwischenraume  mit  fliissiger  Schlacke  gefiillt  sind,  unter 
Auspressen  der  Schlacke  zu  einer  dichten,  compacten  Masse  verschweisst.  Das 
Auspressen  der  Schlacke  hat  urn  so  vollkommener  zu  geschehen,  ein  je  vorziig- 
licheres  Product  man  anstrebt.  Die  kleineren  Luppen  des  Frischherdes  erfordern 
eine  schwachere  Bearbeitung  als  die  grosseren  der  Puddelofen,  dafiir  soil  die  Arbeit 
um  so  rascher  beendet  sein,  je  kleiner  die  Luppe  ist,  weil  selbe  dann  auch  schneller 
die  Schweisshitze  verliert. 

Der  Eisenhammer  fiir  gepuddeltes  Eisen  unterscheidet  sich  von  dem  fiir 
die  kleineren  Luppen  aus  den  Frischherden  durch  viel  grosseres  Gewicht  und  daher 


Eisen-Erzeugung. 


39 


auch .  durch    niassivere  Construction    aller  Theile,  daher  wandte  man  hier  haufiger 
Stirn-  und  Aufwerfhammer  als  Schwanzhammer  (vgl.  I  S.  564)  an. 

Fig.  1232  zeigt  einen  Stirnhammer,  bei  welchem  der  Angriffspunkt  zum 
Heben  vor  dem  Hammerkopfe  liegt.  a  der  Helm,  in  welchem  vorn  der  Hammer 
b  eingesetzt  ist.  Beide  Theile  zusammen  haben  gewohnlich  ein  Gewicht  von  60 
bis  80  Ztr.  c  c  die  Daumen  oder  Frosche,  welche  an  der  starkcn  Welle  d 
sitzen,  die  mit  einem  Schwungrade  /  verselien  ist,  und  durch  Wasserkraf't  oder 
haufiger  durch  erne  Dampfmaschine  geclreht  wird.  e  der  Ambos,  g  der  auf  einem 
durch  Federn  unterstiitzten  Lager  ruhende  Drehpunkt  des  Helmes. 

Fig.  1232. 


Stirnhammer. 

Fig.  1233  ist  eine  Abbildung  eines  Aufwerf hammers.  Er  unterscheidet 
sich  von  dem  vorhergehenden  dadurch,  dass  der  Angriffspunkt  zwischen  Hammer- 
kopf  und  Drehpunkt,  obwohl  dem  ersteren  naher  als  dem  letzteren,  liegt.  Die 
Hebung  wird  durch  drei  auf  der  Welle  befindliche,  in  der  Figur  zum  Theil  durch 
Punktirung  angegebeue  Excentriks  h  bewirkt,  welche  den  Fuss  i  des  Hammers 
heben.  Man  ersieht  leicht,  dass  hier  eine  sanftere  allmalige  Hebung  des  Hammers 
erfolgt,  wahrend  bei  dem  vorhin  beschriebenen  Stirnhammer  eine  stossweise  Hebung 
stattfindet,  die  bei  dem  grossen  Gewicht  des  Hammers  eine  nachtheilige  Er- 
schiitterung  bedingt. 

Statt  der  Hammer  wendet  man  auch  Quetschen  an7  welche  nicht  schlagend, 
sondern  driickend  wirken.  Eine  solche  durch  Fig.  1234  dargestellte  Maschine  wirkt 
wie  eine  Zange,  zwischen  deren  grosses  Maul  die  Luppe  gebracht  wird.  Die  Be- 
wegungsweise  ist  ohne  weitere  Beschreibung  aus  der  Figur  ersichtlich.  Die  Zahl 
der  Hiibe  betragt  durchschnittlich  40 — 50  pr.  Minute  und  geniigt  eine  Luppen- 
quetsche  fiir  circa  15  Puddelofen.     Kraftbedarf  circa  8  Pferdekraffce. 

Die  Luppe  erlangt  hier  nicht  eine  ausgepragt  parallelopipadische  Form  wie 
unter  dem  Hammer,  sondern  nur  eine  sehr  rohe  Form,  hinreichend,  urn  von  den 
weiten  Kalibern  einer  Luppenwalze  erfasst  und  ausgewalzt  werden  zu  konnen. 

Zu  dem  gleichen  Zwecke  verwendet  man  auch  Luppenmiihlen,  welche 
aus  einem  gerippten  gusseisernen  Mantel  a  Fig.  1235  und  dem  gerippten  Cylinder 


40 


Eisen-Erzeugung. 
Fig.  1233. 


Anfwerf  hammer. 
(Walze)  b  besteben.  Die  Luppe  wird  bei  c  eingefiihrt,  von  der  rotirenden  Walze 
b  weiter  bewegt  imd  dadurch,  dass  sie  den  stets  enger  werdenden  Raum  c  d  zwischen 
Walze  und  excentriscbem  Mantel  passiren  muss,  verdicbtet.  Der  Raum  c  d  ist 
mit  einer  Eisenplatte  bedeckt,  welche  der  Luppe  nicht  gestattet,  nach  oben  aus- 
zuweichen.  Die  Arbeit  der  Luppen-Quetscben  und  Mtiblen  ist  in  Bezug  auf  die 
Qualitat  des  Productes  nicht  von  derselben  Giite  wie  die  Hammerarbeit,  auch  lasst 
es  sich  nicht  so  leicbt  wie  beim  Hammer  beurtheilen,  ob  die  Verdicbtung  eine 
geniigende  war;  und  die  ausgepresste  Schlacke  wirkt  leicbt  storend  auf  die  Me- 
cbanismen  ein .*)     Kraftbedarf  bei  gleicher  Leistungsf'aliigkeit  circa  11  Pf. 

Fig.  1234.         .txiN^^ay 


Lupp 


Presshammer,  obwohl  von  vorztiglicher  Wirkung,  werden  zum  Zangen 
doch  selten  verwendet,  sie  stimmen  im  Wesentlichen  mit  den  hydrauliscben  Schmiede- 
pressen  (s.  P  r  e  s  s  s  c  h  m  i  e  d  e  n)  iiberein.  Ein  seiir  vollkommenes  Zangen  kann 
auch  untcr  dera  Dampfhammer  (s.  d.)  stattfinden. 


*)  Ueber  Dunk's  Luppenquetsche  s.  Dingl.  p.  J.  Bd.  204  S.  281. 


Eisen-Erzeugung  (Adouciren,  Tempera' 


41 


Die  Ingots  von  Bessemer- 
stahl  miissen,  wenn  sie  grbsserer  Di- 
mension sind,  unter  kraftigen  Dampf- 
hammern  verdichtet  werden.  Kleine 
Ingots  konnen  unmittelbar  zum  Walzen 
gelangen. 

II.  B)  D  a  r  s  t  e  1 1  u  n  g  s  c  h  m  i  e  d- 
b  a  r  e  n  E  i  s  e  n  s  d  u  r  c  h  G 1  ii  h  e  n  von 
Roheisen  in  oxydirenden  P  u  1- 
v  e  r  n. 

Hierher  gehort  die  Herstellung 
schmiedbarenEisengusses,  auch 
A d o u c i r e n  oder  Tempem  genannt, 
nnd  die  Bereitung  von  Glti  I:  stall  1. 

Das  zu  beiden  Zwecken  zu  ver- 
vvendende  Roheisen  soil  rein,  lichtgrau 
nnd  feinkornig  sein.  Grapl.ithaltiges  oder 
graues    Eisen   liefert    schlechte  Waare,  nppenmu 

Mangaugehalt  verzogert  die  Entkohlnng.  Weisses  Roheisen  ist  verwendbar,  docli 
wird  es  schwieriger  so  dlinnflussig,  als  reine  Giisse  erheischen  und  daher  wahlt 
man  meist  lichtgraues  Holzkohlenroheisen. 

Indem  die  Gliihstahlbereitung  aufgelassen  ist,  konnen  wir  nns  hier  darauf 
beschriinken,  vom  Adouciren  (vgl.  I  S.  48)  zu  sprechen.  Man  schmilzt  das  Materiale 
in  geschlossenen  Tiegeln  in  Windbfen,  oder  falls  es  sich  urn  ordinarere  Waare 
handelt,  auch  in  Cupolofen  (s.  Eisengiessere  i)  ein.  Das  Einschmelzen  in 
Tiegeln  liat  den  Vortlieil,  dass  das  Materiale  seine  Qualitat  besser  belialt.  Das 
Formen  und  Giessen  erfolgt  wie  gewolmlich.  Die  Gussgegenstande  werden  hierauf 
in  Tiegel,  Gusseisenkasten  oder  Blechbiichsen  mit  Adoucirpulver  so  eingeschichtet, 
dass  sie  rings  von  demselben  umgeben  sind.  Als  Adoucirpulver  wahlt  man  ver- 
kleinerten  Rotheisenstein  oder  Eisenglanz,  von  minderer  Giite  ist  gerosteter  Spath- 
oder  Brauneisenstein. 

Wedding  sagt,  es  seien  diese  Materialien  in  Kornform  von  etwa  lmm  Durch- 
messer  anzuwenden,  doch  scheint  auch  feineres  Pulver  in  Anwendung  zu  stehen. 
Auch  finden  andere  oxydirende  Substanzen,  z.  B.  Braunstein,  Zinkoxyd,  Anwendung. 

Wesentlich  ist  langsames  Anheizen  bis  zur  Rothgluth,  genligend  langes,  gleich- 
massiges  Gliihen,  so  wie  langsames  Abkiihlen.  Die  Gliihzeit  betragt  circa  5  Tage, 
unter  Umstanden  jedoch  mehr.  Die  Angaben  hieriiber  weichen  sehr  von  einander 
ab  (vgl.  Tunner's  Eisenhiittenwesen  der  verein.  Staaten,  Wien  1877,  S.  116,  u. 
Wedding's  Grundriss  d.  Eisenhiittenkunde,  Berlin  1871,  S.  237).  Die  Oefen, 
in  weichen  das  Gluhen  erfolgt,  sind  verschiedener  Construction,  meist  Flammbfen. 
Auch  hier  sind  bereits  continuirliche  Oefen  in  Gebrauch  gekommen,  auf  dem  Principe 
der  fur  Ziegeleien  verwendeten  Ringofen  basirend.*) 

Der  getemperte  Eisenguss  lasst  sich  kalt  sehr  gut  bearbeiten,  bei  schwacher 
Gliihhitze  Schmieden  und  nimmt  beim  „Einsetzen"  (s.  u.)  leichter  als  gewohnliches 
Schmiedeisen  Kohlenstoff  auf.  Der  schmiedbare  Eisenguss  ist  zwar  minder  zah 
und  fest  als  Schmiedeisen,  auch  rostet  derselbe  leichter,  daftir  aber  kann  er  leicht 
verzinnt,  vernickelt  etc.  werden,  und  stellen  sich  die  Herstellungskosten  kleiner 
Stiicke  namentlich  bei  complicirter  Form  weit  billiger  als  durch  Schmieden. 

II.  C)  Darstellung  von  F 1  u  s  s  s  t  a  h  1  —  E  r  z  s  t  a  h  1  —  durch  Z  u- 
sammenschmelzen    von    Roheisen    mit   Eisenerz    oder   Eisen  ox  yd. 

Schmilzt  man  reines  weisses,  granulirtes  Roheisen  in  Tiegeln  mit  gerostetem 
reinem    Eisenerze    zusammtn,    so    erhalt   man   bei    richtig   gewahltera  Verhaltnisse 


*)  VergL  Dingl.  p.  J.  Bd.   199  S.  364. 


42 


Eisen-Erzeugung  (Cementstahl). 


einen  Stahl,  welch er  in  seiner  Beschaffenheit  vom  Tiegelgussstahl  kanni  zu  untef- 
scheiden  ist. 

Uchatzius  sckniolz  100  Thl.  Roheisen,  24  Thl.  gerosteten  Spatheisen- 
stein  nnd  llj„  Thl.  Braunstein  zusammen.  Weichere  Stahlvarietaten  wurden  bei 
Anwendung  dieses  Gemenges  durch  Beigabe  von  12 — 20  Thl.  Schmiedeisen  er- 
halten.  (Siehe  iiber  den  Uchatziusstahl  Dingl.  p.  J.  Bd.  142  S.  34  u.  146 
S.  313.) 

Statt  des  Erzes  verwendete  B  re  ant  durch  Gliihen  oxydirte  Schniiedeisen- 
spane  (Breantstahl).  Hierdurch  weicht  man  der  Schwierigkeit  der  Beschaffung  reiner 
Erze  aus,  es  bleibt  aber  die  kaum  geringere,  so  reines  Roheisen  zu  erhalten,  wie 
es  hierzu  Bedingung  ist. 

Dies  ist  wohl  audi  die  Ursache,  dass  die  Erzeugung  des  sogenannten  Erz- 
stahles,  obwohl  sie  schon  von  Reaumur  ausgefiihrt  wurde,  eine  auf  wenige  Orte 
beschrankte  ist. 

Hierher  gehort  auch  der  sogenannte  Lando re-Process,  welchen  wir  als 
Varietat  des  Siemens-Martin-Processes  bei  diesem  S.  45  bes"chreiben. 

III.  Erzeugung  von  Stahl  aus  Schmiedeisen.  . 

A)  Durch  Gliihen  in  Pulvern,  welche  dem  Schmiedeisen  Kohlenstoff  abgeben. 
Hierher  gehort  die  Erzeugung  von  Cementstahl  und  das  Einsetzen. 

Der  Cementstahl  (acier  a  cementation  —  steel  of  cementation)  wird 
durch  Gliihen  schmiedeisener  Flachstabe  (reines  Feinkorneisen)  in  Holzkohle  ker- 
gestellt.  Die  Dauer  des  Gliihens  betragt  9 — 10  Tage  bei  einer  Dimension  der 
Stabe  von  circa  20mm  Dicke  und  78mm  Breite. 

Die  beistehende  Figur  zeigt  einen  Cementir-Ofen  (fourneau  a  cementer 
—  cementing  furnace)  im  Schnitte.  Die  Kasten  oder  Kisten  k,  aus  feuerfestem 
Materiale  gemauert,  werden  zuerst  mit  einer  etwa  60mm  hohen  Lage  von  dichter 
Holzkohle  —  von  Erbsen-  bis  Haselnussgrosse  —  besetzt  (haufig  mit  Zusatz  von 


Fig.  1236. 


einem  Alkali  und  thierischer  Kohle),  hierauf 
kommen  die  Schmiedeisenstabe  hochkantig 
im  Abstande  von  beilaufig  15mm,  hierauf 
eine  Kohlenschichtc  von  10  bis  15mm 
Hohe,  dann  wieder  eine  Lage  Stabe 
u.  s.  f.  Oben  wird  eine  dickere  Kohlen- 
schichte  und  zum  Abschluss  Sand  gegeben. 
fF>  Diese  Besetzung  muss  so  erfolgen,  dass 
jeder  Stab  ringsum  von  Kohle  umgeben 
ist.  Durchaus  frische  Kohle  wiirde  zu 
kraftig  wirken,  man  mengt  daher  ein 
Viertel  bis  die  Halfte  bereits  gebrauchter 
Kohle  bei.  Der  Kohlenaufwand  betragt  circa  27°/0  vom  Eisengewichte.  Am  Roste 
r  wird  nun  mit  Holz,  Steinkohle  oder  Trockentorf  Feuer  gemacht,  welches  binnen 
24  Stunden  so  gesteigert  wird,  dass  die  Kisten  rothgliihend  werden,  in  welcher 
Temperatur  sie  nun  durch  die  gauze  Dauer  des  Processes  zu  erhalten  sind.  Die 
Verbrennungsproducte  gehen,  nachdem  sie  durch  entsprechend  gefiihrte  Ziige  die 
Kisten  umspielt  haben,  zur  Esse  s.  Die  Vorderwand  eines  der  Kasten,  so  wie 
des  Ofens  ist  an  correspondirender  Stelle  mit  einer  Oeffnuug,  welche  wahrend  des 
Processes  wohl  zugelegt  ist,  versehen;  es  kann  durch  dieselbe  eine  Probestange 
herausgenommen  und  durch  Abbrechen  auf  den  Grad  der  Kohlung  untersucht 
werden.  Die  Kolilung  muss  bis  in  den  Kern  der  Stabe  vorgeschritten  sein,  darf 
aber  andererseits  niclit  zu  weit  getrieben  sein.  Die  Gewichtszunahme  der  einge- 
setzten  Stabe  soil  0*5 — 0-75  °/0  betragen.  Im  Bruch  erscheiut  das  Product  grob- 
kbrnig  bis  grobbliittrig,  die  Oberflache  zeigt  Blasen,  daher  der  rohe  Cementstahl 
auch  die  Benennung  Bias  ens  tahl  fiihrt;  und  diirfte  sich  die  Entstehung  der 
Blasen  dadurch  erklaren,  dass  im  Ei.sen  enthaltene  Schlackentheilchen  durch  Re- 
duction zur  Bildung  von  Kohlenoxydgas  Veranlassung  geben. 


Eisen-Erzeugung  (Einsetzen).  43 

Das  Einsetzen  ist  *im  Wesen  niclits  anderes  als  ein  Cementiren  fertiger 
Schmiedeisenstucke  auf  eine  gewisse  Tiefe.  Feinkorneisen  und  besonders  adoucirter 
Guss  cementirt  bierbei  leichter  als  sebniges  Schmiedeisen.  Man  bettet  die  Stiicke, 
welche  man  durcb  Einsetzen  oberflachlich  in  Stahl  verwandeln  will,  am  besten  in 
gutes  Spodium  von  Hanfkorngrdsse  in  Eisenblechbiichsen,  welche  nicbt  zu  rascb 
erbitzt  und  hierauf  ein  Paar  Stunden  in  Rothgluth  erhalten  werden  sollen.  Die 
Biicbsen  sollen  bierbei  dnrcb  einen  Lehmbrei  verscblossen  sein.  Statt  des  Spooliums 
bedient  man  sicb  aucb  gerdsteter  Knochenspahne  oder  eines  Gemenges  von  Holz- 
koble  mit  Koble  von  Horn  ,  Klauen  u.  dgl.  Ein  Zusatz  von  Cyankalium  oder 
Blutlaugensalz  bescbleunigt  den  Vorgang;  so  wie  man  eine  ganz  diinne  Stahl- 
scbichte  dadurch  erhalten  kann,  dass  man  die  gliihenden  Schmiedeisenstiicke  in 
die  Pulver  dieser  Salze  eintaucht  oder  damit  bestreut.  Man  kann  ferner  gliihendes 
Scbmiedeisen  durcb  Eintauchen  in  geschmolzenes  Roheisen,,  ja  selbst  nur  durch 
Reiben  mit  einem  Stiicke  Guss-  eisens  oder  durcb  Eintauchen  in  Gusseisenfeilspane 
scbwacb  verstablen. 

Wenn  man  nacb  diesen  Operationen  die  Stiicke  noch  gliihend  in  kaltes  Wasser 
wirft  oder  taucht,  so  nebmen  sie  an  der  Oberflache  Harte  an ;  und  da  zum  Zwecke 
dieser  Hartung  das  Einsetzen  oft  vorgenommen  wird,  so  bezeichnet  man  aucb  den 
ganzen  Vorgang  durcb  die  Benennung  Einsatz-  oder  Oberflachenbartung 
(trempe  en  coquille  ou  en  paquet  —  case-hardening).  Das  Einsetzen  ist  von 
grosser  Wicbtigkeit  fur  manche  Maschinenbestandtheile,  z.  B.  Gleitstiicke,  Kreuz- 
kdpfe  etc.,  welcbe  bierdurcb  viel  langere  Dauer  erlangen ;  fur  Frasen,  Walzen  etc., 
weil  man  der  Gefabr  des  Springens  beim  Harten  entgebt ;  endlich  auch  fur  kleine 
Schmuekgegenstande,  sogenannten  Stahlscbmuck,  weil  durcb  die  Einsatzhartung  die 
Politurfahigkeit  wesentlicb  erbdht  wird. 

Es  ist  leicbt  mdglicb,  die  eingesetzten  Stiicke  nur  partiell  zu  verstablen  und 
zu  harten,  man  braucht  dieselben  nur  beim  Einsetzen  theilweise  in  Sand,  theil- 
weise  in  Cementirpulver  zu  betten.  So  z.  B.  werden  „  Stahlstiftchen "  mit  polirten 
und  facettirten  Kdpfchen,  aber  weichem  Stifte  dadurch  erhalten,  dass  man  die  Draht- 
stifte  mit  ihren  Schaften  in  eine  Sandschichte  einsteckt  und  die  vorstehenden 
Kopfe  mit  Cementirpulver  bestreut.  Man  kann  in  der  Blecbbiichse  eine  grossere 
Zabl  solcher  Schichten  anordnen  und  nacb  Verschluss  der  Biichse,  wenn  selbe  ge- 
niigend  lange  gliihend  gemacht  wurde,  den  ganzen  Inhalt  durch  Wegschlagen  des 
Deckels  in  Wasser  werfen.  Es  harten  sicb  die  Kdpfchen,  die  Schafte  bleiben 
weich;  erstere  lassen  sich  schleifen  und  poliren,  letztere  kalt  vernieten. 

B)  Stahlbildung  a  us  Schmiedeisen  durch  Verschmelzen  mit 
Koble  oder  mit  Roheisen. 

a)  Durch  Schmelzen  von  Schmiedeisen  mit  Kohle.  Es  wird  in  Indien 
aus  dem  durch  Rennarbeit  gewonnenen  Schmiedeisen  mit  Beigabe  von  Holzspanen 
und  Blattern  in  kleinen  Tiegeln  ein  Stabl  erzeugt,  welcher  unter  dem  Namen 
Wootz  beriihmt  ist.  Da  die  Schmelzung  eine  unvollkommene  ist  und  nach  der- 
selben  noch  ein  anhaltendes  Gliihen  des  Stahles  stattfindet,  so  zeigt  sich  das  Product 
als  ein  Gemenge  verschieden  stark  gekohlten  Eisens,  welches,  zu  Messern  etc.  aus- 
geschmiedet  und  geatzt,  oft  sehr  hiibsche  Zeichnungen  aufweist  (Damast).  Seine 
Giite  ist  der  Reinheit  zuzuschreiben,  welche  einerseits  durch  die  Qualitat  der  Erze, 
andererseits  durch  die  Rennarbeit  bedingt  ist.  —  Der  Parry -Stahl  wird  durch 
Schmelzen  von  Schmiedeisenabfallen  im  Cupolofen  und  hierauf  folgendes  Bessemern 
erhalten.     Man  erhalt  ein  reines,  aber  theueres  Product. 

h)  Schmilzt  man  Schmiedeisen  mit  r einem  Roheisen  im  entspre- 
chenden  Mengenverhaltnisse  zusammen,  so  erhalt  man  Stahl.  Nicbt  selten  werden 
hierbei  zum  Zwecke  der  Erlangung  des  richtigen  Kohlungsgrades  oxydirende  Zu- 
satze,  als :  Hammerschlag,  gerdstete  Erze  u.  dgl.  mit  verwendet  und  der  Process  ist 
dann  der  Erzstahlbereitung  ahnlich. 

Hierher  gehdrt  das  von  Mushet  eingefiihrte  Kohlen  des  Bessemer flusseisens 
durch  Spiegeleisenzusatz  (s.  S.  35,  36).  Erfolgt  das  Zusammenschmelzen    von  Rob- 


44  Eisen-Erzeugung  (Siemens-Martin-Stahl). 

und  Schmiedeisen  in  Tiegeln,  so  erhalt  man  Tiegel-Flussstahl ;  erfolgt  dasselbe  in 
Flammofen,  wobei  man  sich  der  S  i  e  m  e  n  s'schen  Regenerativofen  bedienen  muss, 
um  die  ausreichende  Temperatur  zu  erhalten,  so  erhalt  man  den  Flammofen-Fluss- 
stahl  oder  Martinstahl. 

Martin  gebuhrt  das  Verdienst,  den  S i e m e n s'schen  Regenerativofen  zum 
Zwecke  des  Zusammenschmelzens  von  Roh-  und  Schmiedeisen  beniitzt  und  dadurch 
diese  Art  Stahlerzeugung  im  Flammofen  moglich  gemacht  zu  haben,  welche 
friiher  stets  misslang.  Die  Anwendung  des  Siemens-Ofens  ist  daher  wesentlich, 
und  so  fuhrt  diese  Stahlerzeugung  auch  mit  Recht  den  Namen  des  Siemens- 
Martin-Processes  (open-hearth  process). 

Der  Siemens'sche  Regenerativofen  gestattet,  wie  erwahnt,  die  Hervorbringung 
eines  besonders  hohen  Hitzegrades  im  Schmelzraume,  weil  die  zur  Verbrennung 
gelangenden,  von  einem  Generator  kommenden  Gase,*)  so  wie  die  atmospharische 
Luft  bereits  auf  circa  800°  vorgehitzt  in  den  Schmelz-  und  Verbrennungsraum 
treten.  Dadurch  muss  die  Verbrennungstemperatur  der  Generatorgase,  welche  sich 
unmittelbar  beim  Eintritt  in  den  Ofen  mit  der  Luft  mengen,  eine  ungewohnlich 
hohe,  2000°  C.  nahekommende  werden.  Wir  unterlassen  die  Besprechung  des 
zum  Siemens-Martin-Processe  angewendeten  Ofens,  weil  derselbe  im  Wesentlichen 
mit  dem  S.  46  dargestellten  Tiegel-Gussstahl-Ofen  tibereinstimmt.  Die  Lange  des 
Herdes  betragt  zwischen  4 — 5m  ,  die  Breite  2 — 3m  ,  die  lichte  Hohe  0-8— lm  . 

Beim  Siemens-Martins-Processe  arbeiten  gewohnlich  zwei  soldier  Oefen  zu- 
sammen.  In  dem  ersten  schmilzt  man  circa  500  Kg.  Roheisen  ein;  in  dem  zweiten 
wird  das  Schmiedeisen  nahe  zur  Weissgluth  gebracht  und  dann  partienweise  bis 
zu  200  Kg.  in  den  ersten  ubertragen,  etwa  in  Intervallen  von  30  Minuten,  bis  der 
Gesammtzusatz  an  Schmiedeisen  (bis  2400  Kg.)  im  Roheisenbade  gelost  ist.  Ueber 
dem  Roheisen  bildet  sich  beim  Einschmelzen  eine  Schlackendecke ,  welche  bei 
Beginn  des  Schmiedeisenzusatzes  abgelassen  wird.  Statt  des  Schmiedeisenzusatzes 
kann  auch  Stalil  genommen  werden,  in  welchem  Falle  die  Menge  des  einzuschmel- 
zenden  Roheisens  eine  kleinere  wird.  Ist  das  Bad  nach  circa  6  Stunden  gleich- 
formig,  so  zieht  man  eine  Probe  (Schopfprobe).  Man  fuhrt  den  Process  gewohnlich 
so,  dass  durch  den  Schmiedeisenzusatz,  so  wie  durch  die  oxydirenden  Einfliisse 
der  Flamme  ein  kohlenstoffarmeres  Product  entstanden  ist,  als  man  herstellen  will, 
und  kohlt  dasselbe  durch  Spiegeleisen  oder  Ferromanganzusatz  ent- 
sprechend  auf,  worauf  abgestochen  wird.  Nach  den  einzelnen  Eisenzusatzen  wird 
mittelst  der  Kriicke  untersucht,  ob  die  Auflbsung  im  Bade  vollstandig  erfolgt  ist, 
und  erst  dann  ein  neuer  Zusatz  gegeben,  wenn  dies  der  Fall.  Dass  der  Schluss- 
zusatz  von  Spiegeleisen  wie  beim  Bessemerprocess  auch  durch  seinen  Mangangehalt 
auf  das  Product  gtinstig  einwirkt,  ist  begreiflich. 

Der  Siemens-Martin-Process  gewahrt  bei  billiger  Anlage  **)  den  grossen  Vor- 
theil,  mit  ihm  bedeutende  Quantitaten  alten  Materiales,  z.  B.  Altschienen  (mogen 
sie  Schmiedeisen-,  Stahlkopf-  oder  Stahlschienen  sein)  aufarbeiten  zu  konnen ;  sein 
Product  ist  dabei  wenig  theuerer  als  das  Bessemereisen  und  kann  leichter  von 
bestimmter  Qualitat  erhalten  werden.  Auch  gestattet  dieser  Process  die  Bentitzung 
mannigfacheren  Materiales. 

Es  bedarf  kaum  der  Erwahnung,  dass  der  Process  mannigfach  abgeandert 
werden    kann,  ja  je  nach    den    verwendeten  Materialien    abgeandert  werden    muss. 


")  Siehe  den  Artikel  Gas  feue  rung- en. 

*)  Kupelwieser  hat  im  berg-  u.  hiittm.  Jahrbuch  (hieraus  Dingl.  pol.  Journ.  Bd.  190 
S.  104)  eine  interessante  ATergleichung  des  Bessemerprocesses  mit  jenem  von  Siemens- 
Martin  gegeben.  woraus  hervorgeht,  dass  fur  den  Bessemerprocess,  falls  derselbe  nicht 
mit  dem  Hochofen  derart  verbunden  ist,  dass  ein  neuerliches  Schmelzen  des  Roheisens 
entfallt,  ein  eben  so  grosser  Aufwand  an  Brennmaterial  erforderlich  ist.  Vgl.  auch 
Dingl.  pol.  Journ.  Bd.  188  S.  46.  Diese  Betrachtung  stellt  sich  jedoch  fur  den  Martin- 
Process  etwas  zu  giinstig,  weil  seither  die  Erfahrung  gezeigt  hat,  dass  man  graues  Roh- 
eisen wahlen  muss. 


Eisen-Erzeugung  (Raffiniren).  45 

Auch  wird  bei  geeigneter  Ofengrosse  bis  250  Ztr.  pr.  Charge  verarbeitet.  Martin 
hat  schon  im  Anfange  seiner  Versuche  garende  Zuschlage,  gerostetes  reines  Erz, 
Hammerschlag  etc.  beigegeben.  W.  Siemens  hat  in  Landore  einen  Betrieb  ein- 
gefiihrt,  den  Landore-Process,  welcher  im  Nachstehenden  aus  Tunner's 
wiederholt  erwahnten  Bericht  (S.  105)  in  Kiirze  besprochen  werden  soil.  Es 
werden  106  Ztr.  Bessemerroheisen  und  bis  53  Ztr.  Abfalleisen  in  einem  Ofen 
eingesehmolzen,  wozn  4 — 5  Stunden  erforderlich  sind.  Die  Schlaeke  bleibt  iiber 
dem  Eisenbade,  welchem  allmalig  wahrend  weiterer  4 — 5  Stunden  circa  27  Ztr. 
Erz  (Magneteisenstein  von  Mokta  60 — 62-procentig)  in  ziemlich  grossen  Stiicken 
durch  Einwerfen  zugesetzt  wird.  1st  die  Entkohlung  durch  den  Erzzusatz  nun 
erfolgt,  so  nimmt  man  die  Schopfprobe;  klihlt  die  Probe  unter  Wasser,  bricht  sie 
und  beurtheilt  die  Qualitat.  Hierauf  erfolgt  der  Spiegeleisen-  oder  Ferromangan- 
zusatz;  ersterer,  wenn  das  Product  noch  eine  Kohlung  erhalten,  letzterer,  wenn 
es  weich  bleiben  soil.  Die  Menge  dieses  Zusatzes  wird  so  bestimmt,  dass  das 
Product  0-3  °/0  Mangan  enthalt.  Dieser  Mangangehalt  soil  den  Stahl  vor  Roth- 
briichigkeit  schiitzen.  Die  ganze  Chargedauer  betragt  10  Stunden.  Pro  100  Kg. 
Ingots  werden  beim  Siemens-Martin-Process  70  Kg.,  beim  Landore-Process  75  Kg. 
Steinkohle  gebraucht.  Bei  ersterem  Processe,  wo  die  Schlaeke  abgelassen  wird, 
betragt  der  Abbrand  circa  6  %• 

Die  beim  Siemens-Martin -Processe  verwendete  hohe  Temperatur  so  wie  geringe 
Oxydation  des  Eisenbades  bedingt,  dass  dieser  Process  n  u  r  bei  Anwendung  reinen 
Roheisens  und  reiner  Stahl-  oder  Schmiedeisenabfalle  angezeigt  ist,  weil  eine  Ab- 
scheidung  des  Phosphors  und  Schwefels  nicht  stattfindet;  daher  der  Puddelprocess 
durch  ihn  auch  nicht  verdrangt  werden  kann. 

IV.  Das  Raffiniren  oder  Veredeln  und  die  Formgebung. 

Schweisseisen  in  jenem  Zustande,  wie  es  durch  das  Hammern  der  Luppen 
erhalten  ist,  bedarf  fiir  viele  Verwendungen  allerdings  nur  eincs  nochmaligen  Er- 
hitzens  und  Auswalzens,  um  unmittelbar  als  Stabeisen  in  den  Handel  gebracht 
werden  zu  konnen;  eben  so  geniigt  hiiufig  dieselbe  Operation  bei  den  durch 
Hammern  verdichteten  Ingots  von  Rohstahl;  fur  andere  Zwecke  aber  miissen  die 
Ungleichfdrmigkeiten  und  Unganzen  durch  die  Schweissarbeit  oder  das  U m- 
schmelzen  behoben  werden;  und  zwar  wendet  man  erstere  bei  kohlenstoff- 
armeren  Eisensorten,  letztere  bei  kohlenstofFreicheren  an. 

Werden  Frisch-  oder  Puddel  Luppen  nach  dem  Zangen  unmittelbar  durch 
Walzen  in  die  Form  von  Flachstaben  gebracht,  so  zeigen  diese,  Rohschienen 
(mille  bars)  genannt,  ein  so  rauhes,  schuppiges,  unegales  Aussehen,  sind  noch  so 
unganz ,  dass  sie  keine  unmittelbare  Verwendung  zulassen.  Man  bricht  diese 
Schienen  in  gleich  lange  Stiicke,  bildet  daraus  ein  Packet,  welches  im  Schweissofen 
zur  Weissgliihhitze  gebracht,  hierauf  unter  dem  Dampfhammer  verschweisst  und 
unmittelbar  hiernach  in  Walzwerken  weiter  verstreckt  wird.  Oder  man  lasst  diese 
schweissheissen  Packete  auch  sogleich  durch  Walzen  gehen.  Hierbei  wird  nocli 
viel  Schlaeke  ausgepresst,  die  Masse  dichter  und  gleichformiger ;  das  Product  ist 
raffinirtes  Eisen.  Die  Bildung  des  Packets  ermoglicht  auch  verschiedene 
Eisensorten  zu  packetiren,  wovon  spater  beim  Walzen  ausfiihrlicher  gesprochen 
werden  soil.  Hier  ist  die  Veredlung  des  Productes  mit  der  Formgebung  unmittelbar 
verbunden. 

Schmilzt  man  hingegen  Stahl  um,  und  giesst  die  umgeschmolzene,  dadurch 
auch  verbesserte  Masse  in  einfache  Gussformen,  wodurch  man  Ingots  erhalt,  so 
haben  wir  hier  eine  Veredlung  des  Productes  ohne  wesentliche  Veranderung  der 
Form.  Diese  Veredlung  findet  bei  der  Gussstahl-Erzeugung  statt  und  wir  wollen 
daher  zunachst  von  dieser  sprechen. 

A)  G  u  s  s  s  t  a  h  1-E  r  z  e  u  g  u  n  g.  Gussstahlwird  durch  Umschmelzen 
fertig  gebildeten  Rohstahls  in  Tiegeln  erhalten.  Dem  durch  den 
Bessemer-  oder  den  Siemens-Martin-Process    erhaltenen  Stable    wird   irriger  Weise 


4G 


Eisen-Erzeugung  (Gussstahl). 


wohl  auch   zuweilen    die  Bezeiclinung  Gussstahl    beigelegt,  er  ist  jedoch  ein  Roh- 
stahl,  welcher  erst  durch  Umschmelzen  in  Tiegeln*)  zum  Gussstahl  wird. 

Das  Materiale  zur  Fabrication  von  Gussstahl  kann  jeder  nicht  allzu  kohlen- 
stoffarme  Rohstahl  sein.  Fiir  die  Fabrication  von  Werkzeugstahl  wird  vorwiegend 
Cementstahl;  fiir  Achsen,  Radreifen  (Tyers)  etc.  Pud  del  stahl,  fiir  Kanonen 
u.  d.  Bessemer  stahl  genomnien. 

Der  eutsprechend  ausgewahlte,  in  Stiicke  gebrochene  Stahl  wird  in  die  Tiegel 
gegeben,  entweder  vor  deren  Anwarmung  in  einem  Gliihofen,  oder  auch  nach  der- 
selben.  Nach  dem  Einsetzen  des  Stables  in  die  Tiegel  werden  dieselben  durch 
einen  Deckel  geschlossen. 

Hie  unci  da  wendet  man  Zuchlage  an.  Holzkohlenstiickchen,  welche  kohlend  wirken ; 
Schmiedeisenstiicke,  welche  weicheren  Stahl  liefern;  metallisches  Mangan,  Wolfram,  Titan  etc., 
welche  die  Aufgabe  haben,  einen  feinkornigeren,  harteren  Stahl  zu  liefern.  Dm  die  Schlacke 
recht  dunnfliissig  zu  machen,  setzt  man  manchmal  Braunstein  zu. 

Die  Schmelzung  des  Stables  erfolgt  theils  in  kleinen  Schachtofen 
verschiedenster  Bauart,  wie  selbe  auch  theilweise  fiir  den  Tiegelguss  und  zu  anderen 
Zwecken  Anwendung  fin  den  und  beztiglich  deren  auf  den  Artikel  Schmelzofen 
verwiesen  wird;  theils  in  Flam  mo  fen,  von  welchen  sich  nur  die  Siemens-Oefen 
vortheilhaft  bewahrten  und  jetzt  auch  in  den  meisten  grosseren  Gussstahlfabriken 
in  Gebrauch   stehen,  und  deren  Princip  bereits  S.  44  besprochen  wurde. 

Die  Figuren  1237  a  und  b  zeigen  uns  einen  solchen  Ofen  im  Vertical-  und 
Horizontalschnitt.  Die  Tiegel  b  stehen  in  dem  kanalartigen  Raume  a  a  aufUnter- 
lagen,  den  Kasen.  Das  den  Raum  a  deckende  Gewolbe  ist  aus  einzelnen  ab- 
hebbaren  Segmenten  c  bestehend,  durch  deren  Entfernung  das  Ein-  und  Ausheben 
der  Tiegel  ermoglicht  ist. 

Fig.  1237  a. 


T 


ggiPiiiui 


I  ;*y,y^^^^f 


Die  in  a  zur  Verbreunung  gelangenden  Gase  kommen  von  einem  Generator 
(s.  Art.  Gasfeuerungen),  durchziehen  den  Kanal  g^g*  in  der  Richtung  der 
Pfeile,  gelangen  in  den  mit  einem  Fachwerk  feuerfester  Ziegel  versehenen  verticalen 
Kanal  g.A  und  durch  kt  in  den  Ofen.  Die  zur  Verbreunung  erforderliche  Luft  ist 
gezwungen,  den  Weg  /17  l„,  13  zuriickzulegen  und  gelangt  durch  hv'  in  den  Ofen. 
Die  Mengung  beider  findet  bei  o  statt  und  es  erfolgt  die  Verbrennung.  Die 
Verbrennungsproducte  ziehen  durch  7c„,k„'  ab  und  nehmen  ihren  Weg  zum  Theile 
durch  73/2}'!,  zum  Theile  durch  ).3  l„  Xx  zur  Esse.  Diese  abziehenden  Gase  er- 
hitzen  nun  das  Ziegelfachwerk  in  y3  und  ).3  bis  zum  Gliihen.  Stellt  man  nun  die 
Klappen  px  und  p„  um,  d.  h.  verdreht  man  sie  urn  90°.  so  gehen  die  Generator- 
gase  durch  yx  y„  ys  nach  k„,  die  Luft  durch  ).x  l„  X3  nach  &,/,  in  y:i,  beziehungs- 
weise  P.3  findet  eine  Abgabe  der  aufgespeicherten  Warme  an  Gas,  resp.  Luft  statt, 


*)  Ueber   die    erforderlichen  Eigenschaften   der  Tiegel   und    deren  Fabrication    s.    den  Art. 
Schmelztieerel. 


Eisen-Erzeugung  (Gussstahl). 
Fig.   1237  b. 

I 


47 


Siemens  Regenerativofen. 
beide  treten  daher  nun  auf  etwa  800°  erhitzt  in  den  Ofen ;  die  Verbrennungs- 
temperatur  wircl  hierdurch  auf  1500 — 2000°  C.  gebracht.  Die  Verbrennungspro- 
ducte  ziehen  nun  durch  kl  g.v  g„,  gt  und  durch  lcx4  l3Jl^lx  ab  und  erhitzen  wiecler 
das  Fachwerk  in  g3  und  l3.  Nach  einiger  Zeit  —  circa  30  Minuten  —  verstellt 
man  die  Klappen  wieder  in  ihre  Anfangsposition  und  dann  nelimen  Gas  und  Luft 
ihre  Vorhitzung  aus  den  Fachwerken  g3  und  l3.  Vor  den  Vertheilungsklappen 
_p,  Pq  sind  nock  Klappen  angebracht,  durch  welche  man  iiberhaupt  die  Generator- 
gase  und  die  Luft  absperren  oder  ihren  Zutritt  auch  regeln  kann.  Der  Name 
Regenerativofen  stammt  von  dem  Zurtickgewinnen  (regenere)  der  im  Fach- 
werke  gleichsam  deponirten  Warme.  Hieraus  darf  aber  nicht  geschlossen  werden, 
dass  diese  Feuerung  iiberhaupt  okononomisch  vortheilhaft  ist.*)  Sie  empfiehlt  sich 
nur  dort;  wo  man  hoher  Hitzegrade  benothigt;  in  dieser  Richtung  aber  ist  ihre 
Leistung  uniibertrofFen. 

Die  Schmelzung  dauert  3 — 4Stunden;  und  man  untersucht,  ob  der  Stahl  in 
den  Tiegeln  zum  vollen  Flusse  gelangt  ist,  oft  auch  dadurch,  dass  man  einen 
Eisendraht  durch  ein  im  Deckel  des  Tiegels  angebrachtes  Loch  einfiihrt  oder  be- 
stimmt  durch  die  Erfahrung  allein  den  richtigen  Zeitpunkt.  Nach  dem  Ausheben 
der  Tiegel,  welche  circa  15,  selten  bis  25  Kg.  Stahl  enthalten,  findet  das  Giessen 
in  Gusseisenformen  statt,  deren  im  Querschnitt  achteckiger,  prismatischer  Hohl- 
raum  sich  mit  Stahl  fiillt  und  daher  achteckige  Ingots  liefert. 

Zuweilen  werden  die  Tiegel  in  Faconformen  entleert  und  dadurch  Gussstiicke 
bestimmter  Gestalt  erhalten.  Giesst  man  grosse  Stiicke,  so  sammelt  man  sich  die 
erforderliche  Stahlmenge  in  einer  Gusspfanne  durch  Entleeren  einer  entsprechenden 
Zahl  Tiegel  in  dieselbe.  Hierbei  kann  die  Schwierigkeit  eintreten,  gleichzeitig  die 
erforderliche  Tiegelzahl  mit  fliissigem  Stahle  in  Bereitschaft  zu  haben,  welche  sich 
nur  durch  entsprechende  Grosse  der  Anlage  und  Leitung  des  Schmelprocesses 
beheben  lasst. 

Beim  Gusse  selbst  findet  eine  geringe  Sauerstoflfaufnahme  statt,  welche  sich 
nicht  verhindern  lasst,  da  der  Strahl  des  fliissigen  Metalles  mit  der  Luft  in  Be- 
riihrung  kommt.  Diese  Sauerstoffaufnahme  gibt  zur  Bildung  von  Kohlenoxydgas 
Anlass,  welche  bewirkt,  dass  der  die  Form  fiillende  noch  fliissige  Stahl  sein  Volumen 


')  Dingl.  polyt.  Journ.  Bd.   166  S.  270  u.   167  S.  439. 


48 


Eisen-Erzeugung  (Schweissarbeit). 


vermehrt  —  steigt  —  wodurch  blasige  Giisse  entstehen,  wenn  dieses  Steigen 
nicht  durch  einen  kraftigen  Gegendruck  gehindert  wird.  Am  einfachsten  lasst  sich 
dieser  Gegendruck  dadurch  herstellen,  dass  die  Form  niclit  ganz  gefiillt,  sondern 
rasch  auf  die  Stahloberflache  im  Einguss  eine  Sandschichte  gegeben  wird,  welche 
man  mit  einer  eisernen,  liinreichend  beschwerten  oder  sonst  fixirten  Platte  nieder- 
gedriickt.     Meist  wird  durch  Steigrohren  gegossen  (s.  Eisengiesserei). 

Die  Gussstahlingots  werden,  um  sie  in  Form  von  Stahlstaben  zu  bringen,  in 
Herden  oder  Flammofen  zunachst  hellrothgliihend  gemacht,  wobei  in  den  Herden 
es  zu  vermeiden  ist,  den  Stahl  vor  den  Wind  zu  bringen,  und  in  Flammofen  die 
Feuerung  so  geleitet  sein  muss,  dass  die  Flamme  etwas  rauchig  ist. 

Die  gliihenden  Ingots  werden  liierauf  entweder  unter  Hammern  *)  oder  Walzen 
ausgereckt.  Findet  das  Ausrecken  unter  Hammern  statt,  so  wird  (bier  ist  die 
Erhitzung  in  Herden  angewendet)  zuerst  die  eine  Halfte  unter  dem  sehr  rasch 
gehenden  Hammer  gestreckt,  dann  abgehauen,  hierauf  gelangt  die  zweite  Halfte 
zur  Erhitzung  in  den  Herd  zuriick  und  wird  dann  gleichfalls  ausgeschmiedet.  Die 
so  erhaltenen  Stabe  werden  in  Stiicke  halber  Lange  geschnitten,  neuerlich  gliihend 
gemacht  und  hierauf  zur  verlangten  Endform  —  von  circa  1  Y„Dcm  im  Querschnitt 
—  ausgeschmiedet. 

Findet  das  Ausrecken  unter  Walzen  statt,  dann  muss  der  gauze  Ingot  zur 
gleichformigen  Gluhhitze  in  den  Gliihofen  gebracht  sein,  und  passirt  dann  rasch 
hintereinander  die  Walzen  (Kali b er),  bis  der  gewiinschte  Endquerschnitt  erhalten  ist. 

B)  Die  Schweissarbeit.  Jene  Veredlung  des  Schmiedeisens  oder  Stahles, 
welche  durch  die  Schweissarbeit  stattfindet,  setzt  die  gute  Schweissbarkeit  des  zu 
veredelnden  Materiales  voraus;  kohlenstoffreicher  Stahl  ist  daher  bier  ausgeschlossen. 
Das  Wesen  der  Schweissarbeit  ist  gekennzeichnet  durch  die  Worte:  Packe- 
tiren,  Schweissen  und  Strecken.  Ist  es  Aufgabe,  aus  Schmiedeisen-Roh- 
schienen  (millebars)  durch  die  Schweissarbeit  ein  verbessertes  Product,  sog.  dou- 
blirtes  oder  raffinirtes  Eisen  (corroye)  herzustellen,  so  werden  die  langen 
Rohschienenstangen,  wie  sie  durch  das  Walzen  erhalten  werden,  auf  der  Schere  in 
circa  lm  lange  Stiicke  geschnitten  und  diese  in  ein  Packet  {jjaquet  —  bundle  of 
iron  bars)  zusarnmengelegt,  wie  es  durch  beistehende  Figur  dargestellt  sein  mag. 
Des    besseren  Zusammenhaltens  wegen  wird  dasselbe   gewohnlich  durch  Binddraht 

umbunden.  Diese  Arbeit  nennt  man  Packe- 
tiren.  Das  Packet  kommt  nun  in  den 
Schweissofen  und  wird  zur  Schweisshitze  ge- 
bracht; dann  aus  dem  Ofen  genommen  und 
auf  einem  kleinen  eisernen  Wagelchen  dem 
Walzwerke  (friiher  auch  zuweilen  dem  Dampf- 
hammer)  zugefiihrt  und  verstreckt.  Indem 
das  schweissheisse  Packet  das  erste  Kaliber 
(s.  u.)  der  Walzen  passirt  oder  einigen  Schlagen 
des  Dampfhammers  ausgesetzt  wird,  findet  die 
Verschweissung  der  Lamellen  statt.  Die  weiteren  Durchgange  durch  die 
Walzen  haben  die  Aufgabe  desStreckens  bis  zur  gewiinschten  Endform  des  Quer- 
schnittes.  Statt  der  Walzen  konnen  audi  Hammer  zum  Strecken  verwendet  werden. 
Ganz  ahnlich  ist  die  Anwendung  der  Schweissarbeit  auf  weiche  Stahlsorten, 
nur  werden  bier  gegenwartig  haufiger,  als  dies  beim  Schmiedeisen  der  Fall  ist, 
statt  der  Schweissofen  theils  offene,  tbeils  bedeckte  Feuer,  Schweissfeuer,  in 
Anwendung  gebracht.  Der  durch  Packetiren,  Schweissen  und  Strecken  veredelte 
Stahl  fiihrt  die  Bezeichnung  Gerb stahl  und  heisst  l-;  2-,  3mal  gegerbt,  wenn 
diese  Operation  nur  einmal,  zwei-  oder  dreimal  durcbgefiihrt  ist.  Der  zweiraal 
gegerbte  Stahl  wird  daher  durch  Packetirung,  Schweissung  und  Streckung  des  bereits 
einmal  gegerbten  Stables  erhalten,  der  dreimal  gegerbte  Stahl  durch  dieselbe 
Bearbeitung  des    zweimal    gegerbten.     Es    heisst  die  Schweissarbeit    auf  Stahl  an- 


Paeket. 


»)  Vergl.  Prechtl,  techn.  Encyelop.  Bd.  15  S.  538. 


Eisen-Erzeugung  (Schweissarbeit). 


49 


gewendet  G  e  r  b  e  n  (ancli  Garben),  das  Stahlpacket  beisst  G  a  r  b  e ;  bei  Sclimiedeisen 
wird  die  Bezeicbnung  Gerben  nie  gebraucht,  es  beisst  diese  Arbeit  dann  Raffiniren. 

Die  Bildung  desPacketes,  der  Garb  e,  muss  beim  Stable,  welcher  schwieriger 
schweisst,  vorsichtiger  erfolgen.  Die  Stahlstabe  werden  nach  dem  Aushammern 
(Platten)  gerade  gerichtet  (geschient),  damit  sie  sich  dicht  aneinander  legen  und 
keine  Luftraume  bleiben. 

Die  vollkouimene  Vereinigung,  das  gute  Schweissen,  erfordert  reine  Flachen. 
Da  die  zu  verscbweissenden  Stabe  aber  an  ihrer  Oberflache  gewohnlich  schon  eine 
diinne  Oxyduloxydschichte  besitzen,  selbe  iibrigens  in  den  Schweissfeuern  und  Oefen 
auch  allsogleicb  erhielten ;  so  muss  man  durch  Zugabe  von  Kieselsaure,  S  ch  w  e  i  a  s- 
sand;  bei  Sclimiedeisen  oder  durcb  Zugabe  von  Schweisssand,  Lehm,  gestossenein 
Glase,  Flussspath,  ja  selbst  Borax  und  Alkalien  bei  Stahl  dafiir  Sorge  tragen,  dass 
sicb  eine  leichtfliissige  Schlacke  bildet.  Dieser  fallt  die  Aufgabe  zu,  das  gebildete 
Eisenoxydoxydul  von  der  .Oberflache  der  zu  verschweissenden  Stabe  aufzunehmen., 
so  dass  bei  dem  folgenden  Hammern  oder  Walzen  die  Stabe,  indem  die  Scblacke 
ausgedruckt  wird,  sich  metallisch  rein  bertihren  und  verschweissen.  Meist  werden 
diese  Scbweisspulver  trocken  auf  die  Packete  oder  Garben  gestreut,  zuweilen  (bei 
Stabl)  riihrt  man  das  Scbweisspulver  mit  Wasser  an  und  bestreicht  damit  die 
Stabe.  Urn  die  Oxydation  bei  der  Erhitzung  zu  hindern,  setzt  man  in  diesem  Falle 
wohl  auch  kohlende  Substanzen,  als  Blutlaugensalz,  Kolophonium  dem  Schweiss- 
pulver  bei.     (S.  hieriiber  Naheres  bei  Sen  sen.) 

Fig.  1239  a. 


Zur  Erhitzung 
derSchweisspackete, 
so   wie    der    Ingots 
aus     Bessemerstahl 
werden    gewohnlich 
Flammofen ,    sogen. 
Schweiss  -  Ofen 
verwendet,  wie  einen 
solchen    Fig.    1239 
a   und    b    im    Ver- 
tical- und  Horizon - 
talscbnitt    darstellt. 
k  ist    der   Herd,    b 
die  Feuerbrticke,  /  der 
Verbrennungsraum,  r  der 
Rost,  a   der  Aschenfall, 
t  die  Feuerthiire,   s  der 
Schlackenkanal     und    u 
der  Fuchs. 

Bei  Bildung  der 
Packete  wird  fur  ge- 
wisse  Zwecke  auch  ver- 
schiedenes  Materiale  an- 

gewendet.  So  z.  B.  werden  die  Packete  fur  Schmiedeisen-E  i 
bahnschienen  gewohnlich  so  packetirt,  wie  Fig.  1240  zeigt; 
oben  eine  Platte  aus  Feinkorneisen ,  die  Kopfplatte  Jc,  hierauf 
folgen  die  Rohschienen  r  aus  ordinarem  Eisen  und  unten  kommt 
die  Fussplatte  /  aus  sehnigem  Eisen.  Kopf-  und  Fussplatte  be- 
stehen  aus  bereits  einmal  raffinirtem  Eisen.  Soil  eine  Stahl- 
kopfschiene  hergestellt  werden,  so  besteht  die  Kopfplatte 
aus  Stahl.  Indem  jedoch  die  Verschweissung  von  Stahl  und  Sclimiedeisen  sehwierig 
erfolgt,  so  sind  gewisse  Vorsichten  zu  beobachten.*) 


ycliwei.ssiii'f) 


en-        Fig.  1240. 


m 


*)  Das  Packet  wird  z.  B.  mit   der  Kopfplatte  nach  unten   in  den  Schweissofen  gelegt  \md 
in  Sand  eingebetet,  damit  die  Erhitzung  derselben  nicht  zu  bedeutend  wird.  Siehe  iiber 
Karraarseh  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.    Bd.  III.  4 


50 


Eisen-Erzeugung  (Walzen). 


Werden    Eisenabfiille   und  Alteisen   packetirt,    so    ist    eine   so   regelmjissige    Anordnung, 

wie   sie  Fig    1240  darstellt,    natiirlich   nicht   moglich  und   lassen    sich   grossere  Hohlraume  im 

Innern  des  Packets   nicht  vermeiden.     Dock  schadet   dies  dem  Endproducle    dann  nickt,  wenn 

Fiq.   1241.  man   recnt  „saftige  Schweisshitze"   gibt    und  durch  Schweisssand  fiir  ge- 

Diigende  Schlackenbildung  sorgt.     Das    aus  Abfiillen  guter  Qualitat   her- 

gestellte,    sogenannte  Ramasseisen   ist   sogar   als   vorziigliches,    zahes 

Eisen  beliebt.  Sollen  alte  Eisenbahn-Schienen  zur  Packetirung  verwendet 

wei-den,    so    lassen   sich    unliebsame,    grossere    Zwischenraume    gleichfalls 

nicht  vermeiden;  falls  man  nicht  zu  dem  etwas    kostspieligen  Umwalzen 

der    Schienen,  d.  h.  Verwandlung    derselben   in  Flacheisen,    greifen  will. 

Fiir   die  Herstellung   von  Facon-Eisen,  z.  B.  fiir  H-Eisen,  werden 

zuweilen  Packete  gebildet,  welche  nicht  die  rechteckige  Querschnittsform 

— Tl     haben,    sondern    eine    solche,    welche    der    angestrebten    End  form    nliher 

,  kommt  und  dadurch  die  Zahl  der  erforderlichen  Caliber  vermindert.  Fig.  1241. 

Packete  fiir  Nasenplatten,    so  wie    solche    fiir  besonders    zahes  Kesselblech    werden   aus 

querliegenden  Schienenstiicken  zwischen  einer  Fuss-  und  Kopfplatte  zusammengestellt. 

Die  Grosse  des  Packetquerschnittes  steht  zur  Dimension  des  Schlnssproductes  in  keinem 
bestimmten  Verhaltnisse,  so  ist  z.  B.  der  Querschnitt  eincs  ausgesehmiedeten  Massels  (Zackels) 
100-mal  grosser  als  jener  des  daraus  hergestellten  Walzdrahtes,  wahrend  eine  Eisenbahnschiene 
etwa  den  5.  oder  6.  Theil  des  Querschuitts  ihres  Packetes  besitzt. 

C)  Die  Form.gebung  durch  Walzen.  Obwohl  audi  der  Hammer  und 
die  Presse*)  zur  Formgebung  der  Schweisspackete  verwendet  werden  kann,  so  soil 
bier  docb  nur  die  zur  Zeit  fiir  die  Herstellung  von  Eisenstaben  verbreitetste  und 
wiehtigste  Methode,  das  Walzen   (cylindrer  —  rolling),  besprochen  werden. 

Die  Maschine,  welcber  die  Aufgabe  des  Walzens  zufallt,  lieisst  Walzwerk 
(cylindve  —  roll).  Hat  dasselbe  die  Aufgabe,  die  Luppen  zu  zangen  oder  die 
bereits  unter  dem  Hammer  gezangten  Luppen  zu  Robscbienen  auszuwalzen^  so  fiihrt 
es  den  Namen  Praparir-,  Luppen-,  Zang-  oder  Robscbienen  -  Walz- 
werk {cylindres  a  cinglev  —  blooming-rolls)  ;  ist  seine  Aufgabe,  aus  den  Paeketen 
Stabeisen  berzustellen,  so  beisst  es  Stabei  sen  walzwerk  (cylindres  a  etireurs 
—  merchant -rolls). 

Gewobnlieb  sind  mchrere  Walzenpaare,  wie  die  beistebende  Skizze  zeigt, 
derart  verbunden,  dass  sie  gemeinsamen  Antrieb  von  der  Scbwnngradacbse  a  er- 
balten.  Eine  solcbe  Anonlnnng  lieisst  W  alz  en  s  trass  e  oder  W.-Strecke.  In 
unserer  Figur  bedeuten  s  die  Stander  des  Schwungrades,  h  ist  die  ausriiekbare 
Kupplung  zwischen  s  und  s',  bierauf  folgen  die  zwischen  den  Standern  s"  liegenden 
Getriebe  (Krauseln)  und  zwischen  s'"  sind  die  Walzen  gclagert.  a  b  ist  die  untere, 
c  d  die  obere  Welle,  diese  Wellen  laufen  jedoch  nicht  durch,  sondern  sind  dnrch 
die  Brechkiipfe  v  und  Zwischenstticke  o  verbunden,  worauf  wir  soglcich  zuriick- 
konimen. 

Fig.   1242. 


I 

A\  al/.enstrasse. 
Die  Walzen  bestehen  aus  dem  mittleren  Tlieile,  dem  sog.  Walzenbunde 
a  (Fig.  1243),  den  Lagerzapfen  b  und  den  Kupplungszapfen  c.  Der  Walzenbund 
a  ist  bei  Blechwalzen  und  Universalwalzen  glatt,  bei  den  Robscbienen-  und  Stab- 
eisenwalzwerken  aber  mit  Einschnitten  oder  Calibern  (Kalibern)  verselien.  Die 
Lanjrc  des  Bundcs  ist  2xja  —  3'/0-mal  dem  Walzendiirchmesser  gleich.  Der  Quer- 
schnitt der  Kuppelzapfen  oder  audi  Kreuzzapfen  ist  aus  Fig.  1243  b  und  Fig.  1243  a 
zu    entnehmen.     Den    gleichen  Querschnitt    hat    auch    die    kurze    Kupplungswelle 


hierher  Gehoriges:  Petzholdt,  Fabrication,  Priifung  und  Uebcrnahme  von  Eismbahn- 
Material  Wiesbaden,  Kreidel,   1872. 
]f)  Vergleiche  die  Artikel  Dampfha in  mer,  Pressschmieden  und  Schmieden. 


Eisen-Erzeugung. 
Fig.  1248  a. 


51 


Fig.  1243  b. 


Walze  mit  glattem  Walzenbunde 
(o  Fig.  1244  u.  d  Fig.  1244  b),  der  Muff  /  (Fig.  1244  b)  ist  dazu  passend  ge- 
raacbt  und  liber  c  und  d  so  aufgeschoben,  dass  er  die  Verbindung  beider  herstellt. 
Uni  die  Verschiebung  der  Muffen  zu  hindern,  sind  an  die  Kupplungswelle  d  Stabe 
e  angelegt  und  mit  Riemen  oder  Reifen  g  g'  festgelialten.  Der  Muff  oder  Brech- 
kopf  wird  gewobnlich  scliwacber  gebalten,  damit  bei  einem  vorkomraenden  Stoss 
—  Klemmen  des  Walzstiickes  —  kein  Brecben  der  Walzen,  sondern  ein  solches 
des  billigen  Brecbkopfes  erfolge. 
Fig.  1244  a. 

Fig.  1244  b. 


Walzenkupphmg  (f  Brechkopf). 
Zwei  zusammengehorige  Caliberwalzen  sind  in  Fig.   1245  dargestellt.  7c1}% 
sind    die   Caliber,    also  jene  Nuthen,    durcb    welche    das  Walzstiick    durclizugehen 
liat^  r  r    sind  die  Walzenringe.        rr.      /o^^ 


Caliberwalzen. 
Es  sei    zunacbst  die    fur  verschiedene  Zwecke    erforderliche  Mannigfaltigkeit 
der  Form  der  Caliber    ausser  Betrachtung   gelassen,  und    nur  ira  Allgemeinen  die 


Wirkungs weise  betrachtet. 

Indem  die  Walzen  im  Sinne  der  Pfeile 
(Fig.  1246)  rotiren,  fassen  sie  das  Walzstiick 
und  zwangen  dasselbe  durcb  den  geringeren 
Caliberquerscbnitt.  Dieses  Fassen  findet  aber 
nur  dann  statt,  wenn  das  Walzstiick  nicbt 
breiter  ist,  als  das  Caliber,  und  auch  nur 
dann,  wenn  die  Zugkraft  der  Walzen  grosser 
ist,  als  der  vom  Walzstiick  gegen  die  Form- 
veranderung  in  der  Durcbzugsricbtung  geleistete 
Widerstand.  In  seiner  Hbhendimension  wird  das 


Fig.  1246. 


52  Eisen-Erzeugung  (Calibrirung). 

Walzsttick  von  ht  auf  /?.„  gebracht,  es  findet  also  eine  Hohenabnahme  statt. 
Der  Lange  nach  erfolgt  ein  S  tree  ken,  eine  Langenverniehrung ;  der  Breite  naeh 
aber  ist  die  Einwirkung,  Breitung,  gering,  mid  zwar  um  so  geringer,  je  leichter 
das  Materiale  sicb  strecken  lasst.*)  Indem  der  Zug  der  Walzen,  d.  i.  die  Reibung 
derselben  am  Walzstiick,  dieses  zwisclien  den  Walzenoberflachen  durchdrangt, 
wirken  die  Walzen  driickend  auf  das  Walzstiick,  und  man  kann  daher  ganz 
wohl  von  einem  Drucke  in  der  Richtung  der  Hohe,  vom  sogenannten  Hohen- 
drucke  reden. 

Will  man  von  einem  bestimmten  Anfangsquerschnitt  (des  Packets)  zu  einem 
gleichfalls  bestimmten  Endquerscbnitt  gelangen,  z.  B.  von  A  B  C  D  zu  a  b  c  d, 
so  ist  die  Anwendung  einer  Reilie  von  Calibern  noting,  welche  das  Walzstiick 
abwechselnd  in  gewendeter  Lage,  d.  h.  die  Breite  als  Hohe  gesetzt  passiren  muss, 
Es  wird  dies  sogleich  klar  werden.  Wollte  man  A  B  C  D  den  Walzen  zufiihren, 
Fia    1247  so    kann    man    dies,  je    nachdem    die    Caliber   gewahlt    sind, 

*  n    entweder   so    machen,    dass  AC  (oder  AB)    oder    auch    die 

Diagonale  A  D  als  Hobe  erscheint.  Betracliten  wir  zunachst 
den  ersten  Fall,  A  C  sei  als  Hobe,  A  B  als  Breite  genommen. 
Dann  muss  das  gewahlte  Caliber,  damit  es  das  Walzstiick 
rein  fassen  kann,  mindestens  die  Breite  A  B  besitzen ;  die 
Hobe  des  Calibers  mag  um  '/8  A  C  niedriger  oder  gleich 
F  7/s  A  C  sein.  Wir  sagten,  das  Caliber  miisse  mindestens 
J)  die  Breite  A  B  baben ;  denn  sonst  wirken  die  Walzenringe 
ein,  sebneiden  vom  Walzstiick  Material  ab,  welches  zu  diinnen 
Lamellen  ausgewalzt  mit  dent  Walz-stiicke  recbts  und  links  zusammenhangen  und 
die  ricbtige  Form  beeiiitraclitigen  wiirde.  Audi  dann,  wenn  das  Walzstiick  genau 
einpasst,  driickt  sicb  durch  die  Breitung  etwas  Materiale  zwisclien  die  Walzenringe 
und  bildet  die  Walznahte.  Aus  diesem  Grunde  macht  man  das  Caliber  stets 
etwas  weniges  breiter.  Durch  den  Durchgang  erhalt  man  nun  ein  Walzstiick  von 
geringerer  Hobe,  aber  derselben  oder  etwas  grosserer  Breite  und  durch  analoge 
Wiederholung  des  Walzens  durch  mehrere  Caliber  konnte  man  endlich  zur  Form 
CD  E  F  des  Querschnittes  kommen.  Man  sieht  aber  wohl,  dass  auf  diesem 
Wege  die  verlangte  Endform  abed  nicht  zu  erzielen  ist.  Denkt  man  sich 
jedoch  nach  jedem  Durchgang  das  Walzstiick  gewendet,  so  dass,  was  Hohe  war, 
zur  Breite  gemacht  wird,  so  hat  die  Breite  jedes  nachsten  Calibers  stets  um  ge- 
ringes  die  Hohe  des  vorhergehendeh  zu  iibersteigen,  und  man  gelangt  so  zu  einer 
Abnahme  der  Breiten-  und  Hohendimensionen,  kann  also  die  Schlussform  abed 
erzielen. 

Wird  die  Diagonale  AD  zur  Hohe,  CB  zur  Breite  gemacht,  beim  nachsten 
Durchgang  C B  zur  Hohe,  das  reducirte  A  D  zur  Breite,  so  kann  man  durch  ge- 
eignete  Fortsetzung  audi  zum  Schlussprotil  gelangen. 

Es  sieht  nach  dem  Gesagten  die  Aufgabe,  die  richtigen  Caliber  in  den  Walzen 
anzubringen,  die  Calibrirung,  sehr  einfach  aus;  aber  doch  bietet  sie  grosse 
Schwierigkeiten,  welche  einerseits  darin  liegen,  dass  man  in  einer  Hitze  vom 
Packet  bis  zum  Endproduct  zu  gelangen  strebt,  daher  die  Zahl  der  Caliber  nioglichst 
herabzumindern  hat,  und  mit  rnogliehst  wenig  AValzeu  moglichst  viele  Endformen 
herstellen  soil;  andererseits  aber  bei  Herstellung  von  Fagoneisen  die  dann  ungleich 
streckende  Wirkung  ein«-und  desselben  Calibers  mit  der  Beschaffenheit  des  Materiales 
in  Einklang  bringen  muss. 

Die  Caliber  sind  sowohl  beziiglich  ihrer  Aufgabe,  Form  und  Lage  in  den 
Walzen  sehr  verschieden.  In  ersterer  Hinsicht,  also  beziiglich  des  Z  w  e  c  k  e  s 
oder  der  Aufgabe,  lassen  sicb  die  Caliber  eintheilen  in: 


"_)  Dit-s  erklart  die  autaiiglich  iiberraschende  Erscheinung-,  dass  weieheres  (oder  heisseres) 
Materiale  eine  geriugere  Breitung  aufweist  als  harteres.  Daher  bei  gleicher  Gliilihitze 
Schmiedeisen  weniger  in  die  Breite  zunirarat  als  Stahl.  Die  theoretische  Beti-achtung 
des  Walzproeesses  bringen  wir  im  Artikel  W  a  1  z  e  n. 


Eisen-Erzeugung. 


53 


1.  Sch  weiss caliber.     Sie    haben    die  Aufgabe,    die  Verschweissung    der 
einzelnen  Schienen  des  Packetes  zu  bewirken. 

2.  Streck-  oder  Vorb  er  ei  tun  gs  calib  er,  welclie  thunlichste  Streckung 
des  Walzstuckes  bewirken  sollen. 

3.  Entwick  lungs-Caliber,  welche  die  Endform  allmalig  bilden. 

4.  Vollend-    oder  Fertigcalib er,    welclie    die  Endform    namentlich  mit 
Riicksicht  auf  das  Schwindmass  ausbilden. 

Eine  specielle  Art  der  Entwicklungs-Caliber  sind : 

5.  Die  Breitungs-  oder  St  auch -Caliber,  durch 
welche  gewisse  Theile  des  Walzstuckes  (z.  B.  der  Scbienenfuss 
bei  Eisenbahnschienen)  ausgebildet  werden. 

Zu  den  Vollend-Calibern  gehoren: 

6.  Die  A/djustir- Caliber,  bestiramt  zur  Ausbildung 
der  Kanten  o.  dgl. 

Der  Form  nach  unterscheidet  man: 

1.  Die  Spitzbogencalib  er.  Figur  1248 
zeigt  seine  Construction.  Gegeben  ist  a  b  und  c  d, 
die  Bogenmittelpunkte  m  bestimmen  sich,  indem 
man  von  b  und  c  (eben  so  von  je  zwei  anderen 
Eckpunkten)     Kreisbogen    vom    Radius    a  b    be- 


2.  Quadratcaliber.  (Fig.  1249  a  u.  b.) 
Die  erste  Figur  zeigt  ein  Quadratcaliber  als  Streck- 
caliber,  die  zweite  als  Vollendcaliber. 

3.  Flack  caliber.  (Fig.  1250  a  u.  b.)  Die 
erste  Figur  zeigt  ein  offenes,  die  zweite  ein  ge- 
schlossenes  Flachcaliber. 

4.  Oval  caliber.  (Fig.  1251  a  u.  b.)  Es  be- 
steht  dasselbe  aus  den  beiden  Kreisbogensegmenten 
a  b  c  und  d  ef,  welche,'  wie  die  zweite  Figur  dar- 
stellt,  dadurch  erhalten  werden,  dass  man  durch 
die  Punkte  m  und  n  des  verticalen  Durchmesser 
Sehnen  zieht;  wobei  bm  =z  mn  rr  ne  ist. 

5.  R u n d-  oder  Kreiscaliber  (Fig.  1252) 
ist  stets  nur  als  Vollendcaliber  zu  verwenden. 

6.  Polygoncaliber.  (Fig.  1253  a  u.  b.) 
Die  erste  Figur  zeigt  ein  Vorbereitungs-,  die  zweite  ^V  1253  a 
ein  Vollendcaliber. 


Fig.   1253  b. 


7.  Fa 90 n caliber. 


In  Bezug  auf  die  Lage  der  Caliber  in  den 
Walzen  unterscheidet  man: 

1.  Offene  oder  getheilte  Caliber. 

2.  Geschlossene  oder  versenkte  Caliber. 

3.  Theils  geschlossene,  theils  offene  Caliber. 

4.  Excentrische  Caliber,  zu  welchen  auch  die  unterbrochenen  und  periodischen 
gehoren. 

Die  off  en  en  oder  getheilten  Caliber  konnen  betreffs  der  Form  alien 
diesbeziiglich  angegebenen  7  Hauptformen  angehoren ;  beztiglich  ihrer  Aufgabe  sind 
es  sowohl  Schweiss-  als  Streck-Caliber,  ofter  auch  Entwicklungs  und  Vollend- 
caliber, seltener  Adjustircaliber.  Die  in  Fig.  1245  gezeichneten  Caliber  sind  durch- 
gehends  offene. 


54 


Eisen-Erzeugung  (Calibrirung). 


^~\ 


Die  geschlossenen  oder  versenkten  Caliber  sind  durch  beistehende 
Skizze    dargestellt.     Der    Form    nach    konnen    es    Flach-    und   Faconcaliber    sein. 
Fig.  1254.  Eine    specielle  Art  der  geschlossenen  Caliber   sind  die  Brei- 

tungs-  oder  Stauchcaliber  nnd  stellt  ein  solches  unsere  Figur 
bei  b  dar.  Es  bat  dieses  speciell  den  Z week  der  Ausbildung, 
Breitung,  des  Schienenfusses.    Die  geschlossenen  Caliber  sind 
!  \    meist  Entwicklungs-  oder  Vollend-Caliber. 

jL_^-— £_U=  J       Fig.  1255.  Als  Beispiel  eines  theils  geschlosse- 

nen und  theils  of  fen  en  Calibers  mag 
Fig.  1255  dienen,  es  ist  dies  ein  Adjustircaliber 
zur  Abrundung  des  Schienenkopfes. 

Alle  diese  Caliber  laufen  centrisch  zur 
Walzenachse  und  sind  nach  Schablonen  in  den 
Walzenbund  eingedreht.  Ist  jeder  einzelne 
Querschnitt  durch  die  Walze  zwar  ein  Kreis, 
liegt  derselbe  aber  excentrisch  zur  Walzen- 
achse, so  nennt  man  ein  solches  Caliber  ein 
excentrisch  es.  (Hierher  gehoren  die  Caliber 
fur  die  Fischbauchschienen.)  Horen  die  Querschnitte  auf7  Kreise  zu  sein,  so 
werden  die  Caliber  unterbrochene,  und  falls  die  Unterbrechung  im  Walzen- 
umfang  sich  2-,  3-...n-raal  wiederholt,  periodische  Caliber  genannt.  (Unter- 
brochene und  periodische  Caliber  finden  bei  Feilenwalzen,  Zuspitzen  von  Draht  etc. 
Anwendung.) 

Das  A  b  n  a h  m  s  v  e  r  h  a  1 1  n  i  s  s  ist  das  Verhaltniss  eines  Caliber-Quersehnittes 
zum  nachstfolgenden  oder  das  Verhaltniss  des  Querschnittes  des  eintretenden  Walz- 
stiickes  zu  jenem  des  austretenden.  Es  ist  dieses  Verhaltniss  von  der  Beschaffenheit 
des  Walzstuckes,  von  der  Dimension  und  Form  abhangig;  es  kann  fur  grossere 
Stiicke  bei  Flachcalibern  5  :  4,  bei  sehr  heissem  und  weichem  Materiale  selbst 
4:3  bis  3:2  betragen,  ja  fiir  kleine  Querschnitte  selbst  auf  2  :  1  steigen,  wenn 
die  Formen  einfache  sind,  die  Streckung  daher  gleichmassig  erfolgt.  Die  Abnahme 
des  Querschnittes  findet  hingegen  bei  Faconeisen  viel  laugsamer  statt,  weil  das 
Caliber  dann  insbesondere  die  Aufgabe  der  Formgebung  zu  erfullen  hat,  der 
Hohendruck,  resp.  die  Streckung  des  Walzstuckes  eine  ungleiche  ist  und  das 
Materiale  dieser  ungleichen  Anspruchnahme  ohne  Reissen  Folge  leisten  muss. 

Bei  Spitzbogen-Calibern  findet  fiir  Schmiedeisen  die  Abnahme  durch  nach- 
stehende ,  in  Millim.  ausgedriickte  Werthe  des  Constructionskreisdurchmessers 
(a,  b  Fig.  1248)  seinen  Ausdruck:  158,  132,  112,  98,  86,  75,72,66,59,53,46. 
Durch  die  beistehende  Figur  ist  in  */„  n.  Gr.  die  Aufeinanderfolge  der  Caliber 
fiir  die  Herstellung  einer  Grubenschiene  dargestellt,  und  sind  hierbei  die  Caliber 
in  jener  Lage  gezeichnet,  in  welcher  sie  in  den  Walzen  liegen.  I  ist  das  Schweiss- 
caliber,  //  bis  V  sind  Entwicklungscaliber  (hierbei  ist  TV  das  Stauchcaliber),  VI 
ist  das  Vollend-  und  VII  das  Adjustircaliber  zum  Zwecke  der  Abrundung  der 
Kante  bei  k. 

Fig.   1256  a. 

Fig.  1256  c. 


Was    die    Vertheilung    des    Caliber  querschnittes    in    den  Walzen 
betrifft,  so  ware  es  zwar  scheinbar  am  natiirlichsten,  beide  Walzen  gleichviel  ein- 


Eisen-Erzeug'ung. 


zudrehen  und  so  vom  Caliberquersclmitt  je  die  Halfte  in  jeder  Walze  anzubringen ; 
aber  in  diesem  Falle  konnte  das  austretende  Stuck  gleich  leicht  sich  gegen  die 
obere  oder  untere  Walze  ausbiegen,  ja  selbst  wickeln.  In  den  Schweisscalibern 
konnte  ein  Spalten  des  Packetes  eintreten,  ein  Wickeln  des  einen  Theiles  um  die 
obere,  des  anderen  nm  die  nntere  Walze,  wodurch  ein  Bruch  fast  unvermeidlich 
wiirde.  Man  miisste  an  beiden  Walzen  Abstreicbvorrichtungen  anbringen,  was 
flir  die  Arbeit  unbequern  ware.  Dies  wird  vermieden,  und  die  Abstreichvorrichtungen 
(Walzenbank,  Abstreifnieissel)  konnen  auf  die  untere  Walze  beschrankt  bleiben, 
wenn  man  das  Caliber  mellr  in  die  untere  Walze  einlasst,  weil  dadurch  das  Walz- 
sttick  die  Tendenz  erhalt,  sick  gegen  die  untere  Walze  auszubiegcn,  um  diese  zu 
wickeln,  woran  es  eben  durch  die  Abstreichbank  gehindert  ist.  Indem  man  die 
Mittellinie  des  Walzstiiekes  mehr  in  die  untere  Walze  einlasst,  wird  der  Caliber- 
durchmesser  der  oberen  Walze  grosser.  Bei  getheilten  Calibern  erhalt  die  obere 
Walze  um  2 — 3mm  grosseren  Durchmesser,  bei  versenkten  Flachcalibern  wird 
der  Durchmesser  der  Matrize  um  2 — 8mm  kleiner  als  der  Durchmesser  der  Patrize 
gemacht,  bei  Faconcalibern  legt  man    hingegen  ofter  iiber  2/3  des  Calibers   in  die 

untere  Walze,  besonders  dann,  wenn  die  Form  ein  leicliteres  Hangen  an  der  Ober- 
walze  gestattet. 

Einspringende  Winkel,    welche    das  Freilassen    des  Walzstiiekes    verhindern, 
diirfen    nie   vorkomrnen,    und    bei  der  Herstellung    von  Walzstiicken,  welcbe  dies 

scheinbar  unvermeidlich  machen,  wie  z.  B.  die  Nasenplatte  (Fig.  1257),  walzt 

man  das  Stiick  so  aus,  wie  Fig.  1258  zeigt,  und  biegt  die  Nase 

dann  um,  wobei  der  Raum  unter  der  Nase  frei  bleibt,  die  Caliber- 

grenze  entspricht  der  punktirten  Linie  in  Fig.   1257. 

Wir  haben    hier    noch  jene    Mittel    zu    besprechen,    durch 

welche  eine  wesentliche  Ersparniss    an  Calibern,    namentlich    bei 

der  Herstellung  der  verschiedenen  Flacheisensorten,  erzielbar  ist. 

In    dieser   Beziehung   sind    die  Stufen-  oder  Staff  el  walzen 

und  die  U  n  i  v  e  r  s  a  1  w  a  1  z  w  e  r  k  e  zu  nennen. 

Die  Stufen  wal- 
zen,   deren    zwei    von  **l9'  1259- 

gleicher  Gestalt,  wie  selbe 

durch     die    beistehende 

Figur  gekennzeichnet  ist, 

zusammenwirken,  werden 

ausschliesslich    als   Vor- 

walzen  fur  Flacheisen  beniitzt.  Stufenwalze. 

Indem    die  Stufenwalzen    keine  seitlich   begrenzten  Caliber  aufweisen,  so  ist 

ihre  Wirkung  eine  weniger  vollkommene.  Die  Seitenflachen  des  Walzstiiekes  nehmen 

keine  gezwungene  Gestalt  an,  sondern  bilden  sich  (durch  das  sogenannte  Fliessen 

des  Metalles)  unrein  aus.  Als  Vollendcaliber  muss  daher  mindestens  ein  versenktes 

Caliber  angewendet  werden.  Fig.  1260. 

Die  Universalwalzwerke    be- 

sitzen    ausser    den   gewohnlichen    zwei 

horizontalen  Walzen  noch  zwei  verticale. 

Das  Walzstiick  passirt  zuerst  die  hori- 
zontalen Walzen  und  hierauf  die  verti- 

calen.     In    diesen    Walzen    sind   keine 

Caliber  angebracht,  sondern  die  Walzen-  Y 

biinde  sind  flach.   Hiervon  machen  die  >- 

verticalen  Walzen  nur  dann  eine  Aus- 

nahme,    wenn    das    Universal walzwerk 

als  Vorwalzwerk  fur  Doppelt- T-Eisen 

dient.     Die   Walzen  a  und  c  sind   ge- 

wohnlich    fix   gelagert,    die    Walzen  b 

und  d  (hinter  c  liegend,  daher  in  der 

°        ;  Umversalwalzwerfc. 


56  Eisen-Erzeugung.  —  Eisenamianth. 

Figur  nicht  sichtbar)  sind  parallel  zu  sich  selbst  gegen  a  resp.  c  verstellbar.  Die 
Wirkungsweise  ist  vollkouimener  wie  jene  der  Stufenwalzen,  weil  alle  vier  Seiten- 
flachen  gepresst  werden,  kann  aber  doch  keine  so  reinen  Formen  liefern  als  die 
Calibrirung,  weil  die  Pressungen  nicht  in  derselben  Verticalebene  ihr  Maximum 
erreichen,  sondern  die  verticale  Pressung  in  a,  b,  die  korizontsle  in  c  c.  Hierdurch 
ist  die  Bildung  reiner  Seitenflachen  und  namentlich  reiner  Kanten  nicht  moglich. 
Das  Universalwalzwerk  kann  daher  nur  als  Vorwalzwerk  gebraucht  werden. 

Der  Losung  der  Aufgabe,  vom  Packet  bis  zur  Schlussform  in  einer  Hitze 
zu  gelangen,  ist  bei  der  Anwendung  nur  zweier,  nach  der  gleichen  Richtung 
laufender  Walzen,  dem  Zweiwalzensystem,  der  Zeitverlust  hinderlich,  welcher 
durch  das  Zuriickbringen  des  Walzsttickes  zur  Einlassseite  entsteht.  Nach  dem 
Durchgang  des  Walzstiickes  wird  derselbe  auf  die  obere  Walze  gehoben  und 
dadurch  auf  die  Einlassseite  zurtickgefuhrt,  es  erfolgt  dies  zwar  eben  so  rasch 
wie  der  Durchgang,  aber  doch  findet  wahrend  dieser  Zeit  eine  Abkiihlung  statt. 
Diesem  Uebelstande  begegnet  man  durch  Umkehrung  der  Walzenbe- 
w e g u n g *)  oder,  noch  besser,  durch  das  Dreiwalzensystem,  beim  Draht- 
walzen  aber  durch  die  im  Art.  Draht  H  S.  649  beschriebene  Anordnung. 

Das  Dreiwalzensystem  ist  durch  drei  liber 
einander  gelagerte  Caliber- Walzen  charakterisirt.  D^s 
Walzstiick  tritt  in  der  Richtung  1  durch  das  erste 
Caliber,  welches  in  den  Walzen  a  und  b  angebracht 
ist,  und  gelangt  dann  in  der  Richtung  zwei  in  das 
2.  Caliber,  daher  durch  b  und  c  wieder  auf  die 
friihere  Seite  zuriick.  Das  3.,  5.,  7.  Caliber  liegt 
wieder  in  a  b,  das  4.,  6.,  8.  in  c  b,  es  findet  das 
Walzen  daher  nach  beiden  Richtungen  statt.  Die 
Schwierigkeiten  dieses  Systems  liegen  in  der  Stellung 
der  Walzen  und  in  der  Vertheilung  der  Caliber,  sie 
sind  aber  uberwunden  und  das  Dreiwalzensystem 
gewinnt  immer  inehr  Verbreitung. 

Zum  Schlusse    seien    noch    einige    Specialitaten 

erwahnt. 

Walzen,  deren   wirksame  Theile  iiber  das  Walzengeriiste   vorstehen  (ahnlich 

den  Bd.  I  S.  550  etc.  beschriebenen),  und  das  Auswalzen  eines  Ringes  oder  Reifens 

gestatten,    heissen    Kopfwalzen  (s.  d.).     Sie    finden   z.  B.  Anwendung    bei  der 

Fabrication  der  Tyres. 

Co  liar  walzen  werden  zum  Walzen  der  Glieder  fur  Kettenbriicken  ver- 
wendet  (s.  Berg-  u.  hiittenmannisches  Jahrbuch  neue  Folge  XII.  Bd.  S.   144). 

Ueber  R  6  h  r  e  n  walzen  s.  den  Artikel  R  6  h  r  e  n  f  a  b  r  i  c  a  t  i  o  n,  auch  obgen. 
Jnhrbuch  IX.  Bd.  S.   176. 

Literatur  der  Eisenhuttenkunde.  Die  Wiederholung  der  bereits  im  Ver- 
laufe  dieses  Artikels  genannten  Werke  kann  vermieden  werden,  auch  sollen 
hier  nur  einige  die  Eisenhiittenkiinde  im  Allgemeinen  behandelnde  hervor- 
lvigende  Werke  genannt  sein.  —  Kars ten's  Eisenhiittenkiinde,  Berlin  1827. 
Percy -Wed  ding",  Eisenhiittenkiinde,  Braunschweig  1864  bis  1876.  — 
Wedding,  Darstellung  d.  schm.  Eisens,  Braunschweig  Vieweg  1875.  — 
T  u  n  n  e  r,  Stabeisen-  und  Stahlbereitung  auf  Frischherden,  Freiberg  1858.    Kk. 

Eisenalaun,  s.  Alaun  I  pag.  77. 

Eisenamianth,  Eisenasbest  nennt  man  die  in  den  Fugen  der  Sohlsteine 
und  des  Gestelles  bei  Hochofen  sich  nicht  selten  findende  Kieselsaure,  welche 
schneeweisse  faserige  Massen  bildet,  die  dem  Amianth  ahnlich  sehen.     Gtl. 


*)  Vorric-htungcn    zum  Yor-  u.    Eiickwartswalzen    sind    u.  a,    beschriebeu    in    Dingl.    p.   J. 
Bd.  200  S.  3  u.  Bd.  203  S.  338.—  Booth's  Schnellwalzwerk  fur  Draht  Bd.  197  S.  9. 


Eisenapatit.  —  Eisenbahn.  57 

Eisenapatit,  s.  Zwieselit. 

Eisenasbest,  s.  E  is  en  ami  an  th. 

Eisenbahn  (chemin  de  fer  —  rail-way).  Eisenbahnen  sind  kiinstliclie 
Strassen  von  einer  derartigen  Einrichtung,  dass  die  den  Fulirwerken  sich  entgegen- 
stellenden  Widerstande  auf  ein  geringes  Mass  herabgedriickt  werden.  Beinahe 
ausschliesslich  besteht  diese  Einrichtung  aus  2  parallelen,  neben  einander  liegenden 
Schienen,  auf  welchen  die  Fabrzeuge  mit  einem  Spurkranze,  der  ihnen  zur  Fiihrung 
dient,  laufen. 

Die  Geschichte  der  Eisenbahnen  datirt  zuriick  bis  in  das  alte  Grieclien-  und 
Romerthum,  in  welcher  Zeit  wir  bereits  Spurbahnen  vorfinden ;  diese  verschwinden 
dann  durch  voile  1  '/„  Jahrtausende  aus  der  Geschichte  des  Verkehrs,  bis  die  Spur- 
strassen  als  Holzbahnen  in  den  alten  Gruben  im  Harze  und  in  England  wieder 
erschienen ;  eine  Krise  in  den  Eisenpreisen  v.  J.  1767  gab  Veranlassung  zur  Her- 
stellung  eines  gusseisernen  Bahnstranges  und  Benjamin  Curr  legte  im  J.  1776 
die  erste  Balin  mit  gusseisernen  Schienen.  Der  letzte  grosse  Schritt  in  der  Ent- 
wicklung  geschah  durch  die  Erfindung  des  Schienenwalzens  durch  John  Berkin- 
shaw  im  J.  1828;  Robert  Stephenson  verwendete  Schienen  mit  parallelen 
Ober-  und  Unterflachen  und  Charles  Vignoles  gab  den  Schienen  endlich  jene 
Gestalt,  in  welcher  sie  gegenwartig  auf  circa  40°/0  der  europaischen  Bahnen  im 
Gebrauche  sind.  Eine  ungleich  schnellere  Ausbildung  erlitten  die  Fabrzeuge  selbst 
(s.  E  i  s  e  n  b  a  h  n  -  F  a  h  r  b  e  t  r  i  e  b  s  m  i  1 1  e  1). 

Ausbreitung  der  Eisenbahnen.  Mit  der  Einfiihrung  der  Locomotiv- 
bahnen  erbffnete  England  den  Reigen.  in  welchem  Lande  1830  die  erste  Locomotiv- 
Eisenbahn  in  Europa  zwischen  Liverpool  und  Manchester  dem  offentlichen  Ver- 
kehre  iibergeben  wurde ;  in  demselben  Jahre  folgten  die  Vereinigten  Staaten  Nord- 
amerikas;  1835  folgte  Belgien  und  Deutschland,  1837  Frankreich  und  Oesterreiehj 
1838  Russland,  1839  Holland  und  Italien,  1844  die  Schweiz  und  Danemark, 
1848  Spanien7  1850  Mexico,  1851  Schweden  und  Peru,  1853  Ostindien  und  Nor- 
wegen,  1.854  Portugal  und  Brasilien,  1855  Australien,  1856  Aegypten,  1860  Ru- 
manien,  1864  Kleinasien,   1867  Java,   1875  die  europaische  Tiirkei. 

Nach  den  neuesten,  mit  Ende  1871  abgeschlossenen  Nacbweisen  von  Sturmer 
zahlen  wir: 

in  Europa 142.807  Kilometer  Eisenbahnen, 

in  Asien 12.302  „ 

in  Amerika 133.914  „  „ 

in  Afrika 2.279 

in  Australien 2.820  „  „ 

Zusammen  .    .  294.122  Kilometer. 

Spurweite  (largeur  de  la  vote  —  oa^9e)-  Hierunter  versteht  man  die 
Entfernung  der  beiden  Schienenstrange  gemessen  zwischen  den  beiden  Innenseiten 
der  Schienenkopfe  (Fig.  1262).  Ueber  die  Grosse  dieser  Spurweite  entspaun 
sich  besonders  in  England  ein  langer  Kampf,  aus  dem  die  Spurweite  Stepbensons 
(4'  8y2"  engl.  —  143 6m  )  siegreich  hervorging.  Dieselbe  ist  die  verbreitetste 
und    wird    daher   Normal -Spur   genannt.     Kleinere  Fig.  1262. 

Spurweiten  kommen  nur  in  Landern  mit  wenig  ent-  *<...,... Spymeite 

wickeltem  Verkehr    oder    isolirt    von   Hauptbahnen      |Sf^^F^^§^^^^fe^ 
vor.  In  Europa  sind  4  Lander,  welche  eine  grossere 

Spurweite  haben :  Spanien  und  Portugal  (l-68m  ),  Russland  (l*525m  )  und  Irland 
(l-60m  ).  Die  aussereuropaischen  Lander  zeigen  in  Betreff  der  Spurweiten  er- 
hebliche  Verschiedenheiten:  In  den  Vereinigten  Staaten  Nordamerikas  ist  das  Mass 
l*436m  vorwaltend,  es  kommen  aber  daselbst  noch  andere  Weiten  bis  l*83mvor; 
in  Ostindien  und  in  Chili  findet  man  Spurweiten  von  l-68m  ,  in  Brasilien  solche 
von  l'60m  . 


58  Eisenbahn. 

Eintheilung  der  Eisenbahnen.  Dieselbe  kann  nach  verschiedenen 
Richtungen  geschehen,  und  zwar: 

1.  Nach  der  Grosse  des  Verkekrs  in  Hauptbahnen  (lignes  principales  — 
main  lines)  mit  grossem  und  in  Secundarbahnen  (lignes  secondaires ,  lignes 
d'embranchements  —  secondary    lines)    mit    kleinerem,    untergeordnetem  Verkehr. 

2.  Nach  der  Spurweite  in  normalspurige  [chemin  de  fer  a,  voie  normale  — 
normal  gauge  railways)  und  in  schnial-  (eng-)  spurige  (chemin  de  fer  a  voie 
etroite  —  narrow  gange  railways)  (letztere  werden  audi  irrig  Secundarbahnen 
genannt). 

3.  Nach  der  Art  der  die  Fuhrwerke  bewegenden  Kraft  in  solche  mit  arii- 
malischer  Zngkraft  und  in  solche  mit  Wasser-,  Luft-  oder  Dampfkraft. 

4.  Nach  den  Anforderungen,  die  der  Verkehr  stellt,  in  Bahnen  fur  den  ge- 
samraten  Verkehr,  in  solche  fur  ausschliesslich  Personen- oder  Frachtentransport,  ferner 
in  Materialtransport-,  Arbeits-,  Interims-,  Strassen-,  Pferde-  und  Locomotivbahnen. 

5.  Nach  der  Beschaffenheit  der  Erdoberflache,  langs  welcher  sich  die  Bahn 
hinzieht,  in  Bahnen  in  der  Ebene  (mit  regelmassigeni  Grundriss  und  unregelmassigem 
Profil),  Bahnen  im  offenen  Thai  (unregelmassigem  Grundriss  und  regelmassigem 
Profil),  Bahnen  im  Hiigellande  (Utnwege,  scharfere  Curven  und  starkere  Steigungen), 
in  Gebirgsbahnen  (grosse  Umwege,  noch  scharfere  Curven  und  Steigungen). 

6.  Nach  der  Construction  des  Oberbaues  in  Bahnen  mit  2  parallelen  Sehienen- 
strangen,  mit  einem  Schienenstrang,  System  Fell,  Riggenbach,  Wetli,  Zschokke, 
K  o  s  1 1  i  n  &  L  e  b  r  e  t,  L  a  r  m  a  n  j  a  t  etc.  (siehe  weiter  unten). 

Bei  naclifolgenden  Auseinandersetzungen  sind  stets  normalspurige  Bahnen 
mit  dem  gewohnlichen  Locomotivbetriebe  in's  Auge  genommen  und  werden  am 
Schlusse  derselben  die  aussergewohnlichen  Bahnsysteme  einer  Besprechung  unter- 
zogen.     Die  Cotirung  der  Figuren  bezieht  sich  auf  das  Metermass. 

Alignement-  und  Neigungs  verhaltnisse  (alignement  et  disposition 
des  pentes  et  rampes  —  gradients)  der  Eisenbahnen.  Diese  beziehen  sich  auf 
die  Richtnng  der  Bahn  und  auf  die  in  derselben  vorkommenden  Steigungen  und 
Gefalle;  die  Wechselwirkung  zwischen  Bahn  und  Fuhrwerk  tritt  bei  Bestimmung 
dieser  Verhiiltnisse  in  beinerkenswerther  Weise  hervor,  eben  so  wollen  auch  hiebei 
die  Verkehrsverhaltnisse,  der  Bahnbetrieb  und  die  Beschaffenheit  des  Terrains  be- 
riicksichtigt  seiu. 

Nach  den  „Grundziigen  fur  die  Gestaltung  der  Eisenbahnen  Deutschlands" 
(herausgegeben  vom  Vereine  deutscher  Eisenbahnvervvaltungen)  soil  das  Langen- 
gefalle  nicht  iiberschreiten :  im  flachen  Lande  1:200.  d.  i.  5  %o  (^-  n-  au^  ^00 
Langeneinheiten  Lange  1  Langeneinheit  Steigung),  im  Hiigellande  1  :  100,  d.  i. 
10°/00,  im  Gebirge  1:40,  d.  i.  25°/00. 

Die  Kriimmungshalbmesser  der  Curven  sollen  wo  moglich  im  flachen  Lande 
nicht  unter  1100™  ,  im  Hiigellande  nicht  unter  600m  ,  bei  Gebirgsbahnen  nicht 
unter  300'"  ,  ausnahmsweise  mindestens  180m  betragen.  Durch  die  Steigungen 
wird  eine  Vermehrung  der  Zngkraft  noting.  Walirend  durchschnittlich  pro  Tonne 
(1000  Kilogr.)  Zugsgewicht  4  Kgr.  Zugskraft  benothigt  wird,  steigert  sich  letztere 
auf  Steigungen  urn  1  Kgr.  fur  je  ein  pro  mille;  es  ist  daher  auf  Steigungen  von 
1:100  (10°  on)  der  Mehrbedarf  an  Zugskraft  10  Kgr.  pro.  Tonne,  also  im  Ganzen 
11  Kgr.  pro  Tonne  Zugsgewicht. 

Beim  Befahren  von  Curven  werden  die  Fahrzeuge  durch  die  Centrifugalkraft 
an  die  ausseren  Schienen  angepresst,  wodurch  einestheils  Widersta'nde  entstehen, 
anderseits  eine  Abniitzung  der  Schienen  und  Fahrbetriebsmittcl  herbeigefiihrt  wird. 
Weiters  bedingt  das  Befahren  in  Curven,  dass  das  aussere  Rad  in  derselben  Zeit 
einen  grosseren  Weg  zuriieklegt  als  das  innere.  Man  begegnet  diesen  schadlichen 
Eintlusseii,  indem  man  in  Curven  den  ausseren  Schienenstrang  gegen  den  inneren 
erhoht  (je  nach  dem  llalbmesser  des  Bogens  und  der  Gesehwindigkeit,  mit  welcher 
die  Bahn  befahren  wird,  bis  150mm),  die  Geleiseweite  vergrossert  (bis  25mm)  und 
den  Radkranzen  eine  conische  Flache   mit  der  Neigung   1/7  bis  yiG  gibt. 


Eisenbahn. 


59 


In  Betreff  der  Aliguements-  und  Hohenverhaltnisse  der  Statioiien  Fig.  1268. 
bcstimmen  oben  erwahnte  „Grundziigc" :  „die  Bahnhofe  sollen  eiue 
horizontale  Strecke  erhalten,  welche  im  flaclien  Lande  wenigstens 
550m,  im  Gebirge  wenigstens  180m  lang  ist.  Im  flaclien  nnd  Hiigel- 
Lande  muss  wenigstens  ein  Theil  dieser  Strecke  eine  gerade  Linie 
von  180™  Liinge  erhaltenr  Grossere  Steiguugen  als  1  :  400  sollen  auf  Stationen 
nicbt  vorkommen." 

Normalprofil  des  lie b ten  Raumes.  Die  Wecbselwirkung  zwischen 
Balm,  Fuhrwerk  und  den  neben  den  Geleisen  befindlichen  Baulichkeiten  bedingt 
eine  Grenzregulirung,  welche,  bildlich  dargestellt,  unter  dem  Namen  „  Normalprofil 
des  lichten  Raumes"  bekannt  ist,  welches  auf  der  freien  Balm  und  auf  jenen  Ge- 


leisen, auf  denen  Ziige  verkehren. 


mindestens  einzubalten  ist.  (Fig.  1264.) 
Fig.  1264. 


DlTibev  ^~up- 


T  raci  rung  (trace, — survey,  tracing)  nennt  man  die  Ermittlung  der  Eisen- 
bahnlinie    und    deren  Absteckung   auf  dem    Felde;    als  Grundlage    dienen  Hohen- 


60 


Eisenbahn. 


and  Langenmessungen  in  jenem  Terrain,  welches  von  der  Babn  durchschnitten 
werden  soil;  mit  Hilfe  derselben  wird  die  Babntrace  ermittelt  und  abgesteckt.  Die 
hiezu  nbthigen  Behelfe  sind  Situationsplane,  Nivellir  -  Instrumente ,  Nivellirlatten, 
Messketten  oder  Messbarider.  (Hieriiber  Werke  von  Heyne,  Stummer  u.Kaven.) 
Die  Ergebnisse  der  Tracirung  werden  durch  Einzeicbnen  der  Linie  in  die 
Situationsplane,  so  wie  durch  ein  sogenanntes  Langenprofil,  welches  die  Ge- 
staltung  des  durchschnittenen  natiirlichen  Terrains,  so  wie  die  Steigungs-  und 
Richtungsverhaltnisse  der  Bahntrace  darstellt,  ersichtlich  gemacht. 

Fig.  1265. 


:■?!>§         ft      »§b     5       '•    c!  .?   §  §      t    n  qo  •?       So  cv,       ^      S        o~os    £       <o 


Fig.  1265  stellt  ein  Stlick  eines  Laugenprofils  dar;  das  natiirliche  Terrain 
soil  mit  schwacheren  Strichen,  die  Bahntrace,  d.  i.  die  sogenannte  Nivellette  mit 
starkeren  Strichen  ausgezogen  sein ;  die  auf  das  natiirliche  Terrain  sich  beziehenden 
Coten  sollen  durch  liegende  Schrift,  hingegen  die  Nivellettecoten  durch  eine  stehende 
kraftige  Schrift,  eben  so  auch  die  Richtungs-  und  Steigungsverhaltnisse  und  die 
Kunstbauten  gekennzeichnet  sein.  ^Vom  Xylographen  in  unserer  Figur  zu  wenig 
hervorgehoben.) 

Auf  Grundlage  dieser  Aufnahmen  werden  die  Plane  und  Kostenvoranschlage 
fur  den  gesammten  Babnbau  verfasst.  Letzterer  lasst  sich  eintheilen:  1.  in  Unter- 
bau,  2.  Oberbau,  3.  Hocbbau,  4.  Ausriistung  der  Babn,  5.  diverse  Arbeiten. 

Unterbau  (terrassement  et  travavx  d'art  —  way  and  works).  Hierunter 
versteht  man  denjenigen  Theil  der  Babn,  welcher  die  Schienen  mit  ihren  Lagern 
nebst  deren  Unterbettung  tra'gt.  Es  gehort  sonach  hieher  die  Construction  des 
Erdkbrpers  (^Damnie,  Einschnitte),  der  Durchlasse,  Briicken,  Viaducie,  Tuunels. 

Die  Form  des  Erdkorpers,  d.  i.  sein  Querprofil  bestimmt  sich  1.  durch  die 
Kronenbreite,  2.  durch  die  Bbschungen,  3.  durch  die  Anlagen  zum  Schutz  und 
zur  Erhaltung  des  Erdkorpers. 

Die  Kronenbreite  soil  nach  den  Beschliissen  des  Vereins  deutscher  Eisen- 
bahnverwaltungen  in  einer  durch  die  Unterkante  der  Schienen  gelegten  Linie  vom 
Durchschnittspunkte  der  Bbschungslinie  bis  zur  Mitte  des  nachsten  Geleises  nicht 
unter  2m  betragen  (Fig.  1267);  die  Doppelgeleise  in  der  freien  Babn  sollen  von 
Mitte  zu  Mitte  nicht  weniger  als  3om  von  einander  entfernt  sein.  In  der  Regel 
sind  die  Kronenbreiten  grosser  als  obiges  Mass,  wie  umstehende  Figur  nachweist. 


Eisenbahn. 


61 


Bei  Einschnitten  wird  die  Breite  des  Erdkorpers  urn  den  Raum  fur  die  auf  beiden 
Seiten  des  Bahnkorpers  herzustellenden  Graben  grosser  als  bei  Dammen.  Die  Tiefe 
dieser  Graben  ist  0*64 — 094m  ,  deren  Breite  richtet  sich  nach  dem  abzufiihrenden 
Wasserqnantura  und  betragt  durchschnittlich  O30m  .  Die  zulassigeNeigung  der  Bo- 
schungen  ist  bedingt  dnrch  die  Art  des  Materials  urid  durcli  das  Verhalten  desselben 
gegen  die  Einwirkungen  der  Atmosphare  nnd  des  Wassers.  Bei  vielen  Bahnen  gilt  als 
Kegel,  die  Damme  1  y2-ftissig  (d.  h.  das  Verhaltniss  der  Hohe  h  zur  Breite  b  =  1  :  1 V2), 
die  Einschnitte  einfiissig  zu  boschen  (s.  Fig.  1266  u.  1267).  Die  Boschungen  werden 
zuweilen  durcli  sog.  Bermen  (b  Fig.  1266),  d.  i.  durch  horizontale  Absatze  unter- 

Fig.  1266.  (y15  nat.  Gr.) 


inSric 


7,85 


Koln-Giessener  Bahn. 

Fig.  1267. 
SlTuuiuaB  eK/*mdmite 


(V25  nat.  Gr.) 


brochen,  tiber  deren  Zweckmassigkeit  die  Ansicbten  getbeilt  sind.  Sollen  die  Bo- 
schungen, um  mit  dem  Material  oder  mit  dem  znm  Bahnbau  nothigen  Grund  zu  sparen, 
steiler  angelegt  werden,  so  geschieht  es  durch  Bekleidung  mit  Rasen  (Fig.  1267), 
durch  Abpflasterungen,  Stiitz-  und  Futtermauern  (Fig.  1268  u.  1269).  Die  Mittel, 
urn  Storungen  in  der  Form  der  Einschnitte  vorzubeugen,  oder  sie  zu  beseitigen, 
bestehen  in  der  Entfernung  des  Bodens,  welcher  durch  den  Einschnitt  seine  Stittze 
verloren  hat  (Entlastung)  oder  in  dem  Ersatz  dieser  verloren  gegangenen  Stiitze 
durch  Stiitz-  und  Futtermauern,  Strebepfeiler  u.  s.  f.  Weiter  sind  Mittel  gegen 
die  schadlichen  Einfliisse  des  Wassers,  der  Atmosphare,  des  Windes  anzuwenden; 
diese  bestehen  in  Herstellung  der  Einschnittsgraben,  von  Graben  oberhalb  der 
Einschnitte,    von    Rigolen ,    Abteufen    von  jp-q^  1269. 

Brunnen ,    Drainirungen,    in    dem    Berasen, 

Fig.  1268. 


62  Eisenbahn. 

Bepflanzen  und  Abpflastern  der  Boschungen,  Herstellen  von  Stiitzmauern.  Letztere 
Mittel  werden  audi  zur  Erbaltung  der  Damrnboschungen  angewendet.  (Werke 
Uber  den  Erdbau:  Becker,  Baukunde  des  Ingenieurs,  Winkler  und  Rziha 
Unterbau,  Hensinger  von  Waldegg  Eisenbahnbau,  H  enz,  S  c limit t,  Erdbau.) 
Die  von  der  Bahnlinie  zu  iibersetzenden  Wege  und  Strassen  werden,  insoferne 
sie  nicbt  ira  gleichen  Niveau  liegen,  mit  Briicken  (Durchfahrten,  wenn  die  Strasse 
unter,  Ueberfahrten,  wenn  die  Strasse  iiber  die  Balm  gefiibrt  wird)  iibersetzt,  deren 
Spannweite  von  der  Breite  des  Weges  oder  der  Strasse  abhangt;  Wasserlaufe, 
Qjiellen ,  Bache  werden  mit  Kanalen,  Durchlassen,  Fltisse  und  Scblucbten  mit 
Briicken  und  Viaducten  iibersetzt ;  unterirdische  Tbeile  der  Balm  werden  als  Tunnel- 
bauten  bergestellt.  Wege,  Strassen  etc.,  welche  von  der  Balm  im  Niveau  gekreuzt 
werden,  werden  mit  sogenanuten  Rampen  iibersetzt ;  die  Herstellung  eines  solcben 
Niveau-Ueberganges  umfasst  gewohnlich:  die  Ausfiibrung  der  Rampe,  die  Her- 
stellung der  Rampenkanale  fur  den  Abfluss  des  Wassers  in  den  beiden  Seiten- 
graben  der  Balm,  die  Abanderung  des  Oberbaues  in  der  Breite  der  Fahrbahn, 
die  Abpflasterung  des  Ueberganges,  die  Versclilussvorrichtungen ,  welche  den 
Passanten  den  Uebergang  nur  zu  Zeiten,  wo  kein  Zugsverkehr  stattfindet,  erlaubt. 

Oberbau  {superstructure  —  -permanent  toay) .  Dies  ist  die  eigentliche 
Schienenbalm ;  er  bestebt  aus  3  Haupttheilen  :  1.  aus  der  Bettung,  2.  aus  den  Unter- 
lagen, 3.  aus  den  Schienen  sammt  deren  Befestigungs-  und  Verbindungsmitteln. 

DieBettung  {chaussee,  lit  en  dessous  des  traverses  —  ballast)  {B  Fig.  1266 
u.  1267)  bestebt  entweder  aus  einer  Steinpflasterung  von  circa  25cm  Starke  und 
einer  dariiber  befindlichen  Scbotterscbicbte  von  15 — 20cm  Starke  oder  bios  aus 
einer  Schotterscbicbte  von. 0-4 — 05m  Hohe. 

Die   Unterlagen    sind    grosstentbeils    Schwellen,    und    zwar    heissen    sie 

Langscbwellen  (longrines  — ■  longitudinal  timbers),  wenn   sie    den    Schienen 

in  Hirer  ganzen  Lange  zur  Unterstiitzung  dienen,  und  Quersch  well  en  (traverses 

Fia    1270  —  sleepers),  wenn  sie  senkrecht   zur  Ricbtung 

I — i     /\     /\      /\      /\     i — i        ^es    Schienenstrangs     unter    demselben     gelegt 

~\7  \y~\  \y  n^Hzj~^  werden;  weiter  gibt  es  noch  Einzeln  -  Unter- 
lagen von  Holz,  Stein  oder  Eisen,  welche  die 
Schienen  nur  in  einzelnen  Punkten  unterstiitzen 
,  und  keine  Querverbindungen  zwischen  den 
^      ^      v     '— J         Schienen  herstellen  (Fig.  1270). 

Auf  diesen  Unterlagen  liegen  die  Schienen  (rails  —  rails),  welche  unter 
einander  mit  Lapp  en  (eclisses  —  fishplates)  (Laschen)  und  Polzen  (boidons  — 
nuts  and  bolts)  und  mit  den  ersteren  mittelst  Unterlagsplatten  (Stoss-,  Mittcl- 
und  Zwisehenplatten)  und  Nageln  {attaches  —  spikes)  befestigt  sind.  Die  Schwellen 
sind  beinahe  ausschliesslieh  aus  Holz,  und  zwar  aus  hartem  oder  weichem ;  erst 
in  neuerer  Zeit  wendet  man  solche  aus  Eisen  an.  Um  die  holzernen  Schwellen 
vor  Faulniss  zu  bewahren,  werden  sie  zuweilen  conservirt,  und  zwar  geschieht 
dies  durch  Austroeknen  des  Holzes  an  der  Luft  oder  in  hoherer  Temperatur  (Diirr- 
ofen),  durch  Entziehung  des  Saftes  durch  Auslangen  im  Wasser  oder  durch  Dampfen 
und  schliesslich  durch  Impragnirung,  d.  i.  Durchdringung  der  Schwellen  mit  Faulniss 
verhindemden  Stoffen.  Die  Impragnirung  geschieht  nach  mehreren  Methoden,  von 
denen  hervorzubeben  sind  jene  nach  Ky  an  mit  Chlorquecksilber,  nach  B  o  uch  erie 
mit  Kupfervitriol,  nach  Burnett  mit  Zinkehlorid,  nach  Beth  ell  mit  Kreosot. 
(Ueber  Conservirung  des  Holzes  :  Scheden,  Organ  fur  Foitschritte  des  Eisenbahn- 
wesens  1866  u.  1868,  Heu singer  v.  W.  Eisenbahnbau  V.  Kap.) 

Die  Schienen  sind  entweder  Eisenschienen  oder  solche  mit  Puddelstahlkopfen, 
Puddelstahlschienen,  Eisenschienen  mit  Bessemerstahlkopf,  Bessemerstahl-,  Martin - 
und  Gussstahlschienen.  (Ueber  Fabrication  der  Schienen  im  Organ  1850,  1851, 
1864,   1866,  1867,  Hensinger  v.  W.  Eisenbahnbau  VI.  Kap.) 

Die  bis  jetzt  angewendeten  Schienenformen  sind:  Flachschienen  (Fig.  1271 
u.    1272)    auf   Langscbwellen,     Briickenschienen    auf   Lang-    und    Querschwellen 


Eisenbahn. 


63 


Fig.  1271 


1272. 


Fig.  1274 


Schweizer  Siid-Ost  E.-B. 
Brunei's  Schiene  der  Great-Western  E.-B. 
(Fig.  1273  u.  1274),  Sattelschienen  auf  Langschwellen  (Fig.  1275),  Stuhlschienen, 
und  zwar  mit  einem  Kopf  (Fig.  1276)  unci  mit  2  Kopfen  (Fig.  1277),  breitbasige 
(Vignoles)  Schienen  anf  Lang-  und  Quersehwellen  (Fig.  1278  u.  1279),  zusammen- 
gesetzte  Schienen,  die  ans  mebreren  Theilen  bestehen  (Fig.  1280). 


Fig.  1275. 


Seaton's  Sattelschiene. 
Fig.  1278. 


Kaiser  Ferdinand- Nordbahn. 


Fig.  1277. 


Orleans  Central-E.-B. 


Amerikanische  E.-B. 


Die  Hohe  der  Schienen  soil  fiir  Hauptbahnen  nicht  unter  114mm  betragen 
(in  Amerika  betragt  sie  bis  90mm),  deren  Lange  betragt  gewohnlich  zwischen  6 
und  7  Meter  fin  Amerika  selbst  iiber  9m  ).  Bei  den  breitbasigen  Schienen  soil 
der  Kopf,  d.  i.  jener  Theil  der  Schienen,  auf  welchem  die  Rader  der  Fahrzeuge 
laufen,  aus  hartem  Material  sein,  wahrend  der  Fuss  derselben,  mit  welchem  sie  auf 
die  Unterlagen  aufruhen,  eine  sehnige  Structur  haben  soil.  Das  Gewicht  eines 
cur.  Meters  Schienen  fiir  Locomotivbetrieb  variirt  zwischen  26 — 36  Kgr.  (in  Amerika 
abwarts  bis  20  Kgr.). 

Bei  der  Anwendung  des  Querschwellensystems  unterscheidet  man  2  ver- 
schiedene  Lagen  der  Schienenflache:  1.  ruhende  (feste)  Stosse,  wenn  der  Stoss 
zweier  Schienen  auf  eine  Schwelle  komrat;  2.  schwebende  Stosse,  wenn  derselbe 
zwischen  2  Schwellen  kommt.  Die  letztere  Art  des  Stosses  wird  nach  iiberein- 
stimmenden  Urtheilen  als  die  bessere  bezeichnet. 

In  neuerer  Zeit  fing  man  an,  statt  der  holzernen  Unterlagen  eiserne  zu  geben ; 
es  geschieht  dies  mit  Riicksicht  auf  das  verhaltnissmassig  schnelle  Schadhaftwerden 


64 


Eisenbahn. 


der   hblzernen  Schwellen,  auf  die  hieraus    entstehenden  Storungen    im  Betrieb  bei 


Fig.  1282. 


System  Vautheriu. 


Fig.  1281.  Auswechslimgen ,    auf    die    un- 

vollkommene  Unterstiitzung  und 
Verbindung  der  Schienen.  So 
entstand  das  eiserne  Quer- 
schwellen-  und  L  a  n  g  - 
schwellen-System.  Quer- 
schwellen  wurden  nach  verschie- 
System  Oosyns.  denen  Qnerschnitten  angewendet ; 

es  sind  hieher  gehorig  zu  bezeichnen  jene  nach 
Cosyns  (Fig.  1281),  Vautherin  (Fig.  1282), 
Le  Crenier  (Fig.  1283),  Lazar  mit  "["-formigen 
Querscbnitt,  Breite  200mm,  Hohe  65mm.  Die  Con- 
Fig.  1283.  (y10  nat.  Gr.) 


Stoss  und  Quersehnitt  der  Schwellen  nach  Crenier. 
structionen  des  eisernen  Langschwellensystems  lassen  sich  eintlieilen:  1.)  in  e  i  li- 
the ilige;  hieher  gehort  die  B  a  r  1  o  w  -  Schiene  (Fig.  1284),  a  die  Laschenbleclie 
bei  den  Schienenstossen,,  b  Querverbindung  an  den  Stossen,  die  Hartwich-Schiene 
(Fig.  1285),  a  Laschen  an  den  Stossen,  d  und  c  Querverbindungen,  b  Unterlags- 
platten  an  den  Stossen,  ferner  das  System  W  i  n  k  1  e  r  ahnlich  der  Hartwich-Schiene; 
bei  diesen  Con  structionen  sind  Schiene  und  Unterlage  zu  einem  einzigen  Stuck  ver- 
Fiq.  1284.       0&§^^  bunden.  2.)  in  z  w  e  i  t  h  e  i  1  i  g  e, 

wohin  das  System  Mac  Don- 
nel  (Fig.  1286),  a  Schiene, 
b  Langschwellen  mit  2  Lei- 
sten  cc  und  Rippe  d,f\Jnter- 
0lj^s''j4y'  "^llll^s^fll^  lagsplatte  mit  Rippe  am  " 

g  QuerverbindiiDg,  e  Holzunter- 
Fig.  1285. 


Sytsem  Mac  Donell.  System  Hartwich.     Rhein-E.-B. 

•    lage ;  das  System  H  i  1  f  (Fig.   1287)  und  System  H  o  h  e  n  e  g  g  e  r  (die  Langschwellen 

Fig.  1287. 


System  Hilf. 


Eisenbahn. 


65 


vom  Querscbnitte  der  Vautherin-Schwelle) 
einzureihen  sind.  3.)  in  dr  eith  eilige, 
hieher  sind  zu  verzeichnen  die  Systeme  von 
S  chef  fler  (Fig.  1288),Kostlin&Battig 
(Fig.  1289),  Paulus,  Atzinger,  Daelen 
etc. ;  b  die  beiden  Unterschienen,  e  die  Ober- 
schiene,  c  Querverbindungen,  d  Unterlags- 
platten  an  den  Stossen. 

Die  Erfahrnngen  iiber  das  Verhalten 
des  eisernen  Oberbaues  sind  jedocli  noch 
nicht  geeignet,  dem  einen  Systeme  vor  dem 
anderen  entschieden  einen  Vovzug  zu  geben. 

Der  Preis  eines  cur.  Meters  gewohnli- 
chen  Oberbaues  (mit   holzernen    Schwellen) 
stellt  sicli  auf  circa  13  bis  15  fl., 
und  jener  eines  cur.  M.  eisernen 
Oberbaues  auf  15  bis  22  fl. 

A  u  s  w  e  i  c  h  e  n ,  D  r  e  h- 
s chef ben  und  Schiebebiih- 
nen.  Ausweichen,  Weichen 
(cliangements  de  vote  —  swit- 
ches). Behufs  Ausweichen  von 
Ziigen  undUebergehen  derselben 
von  einem  Geleise  auf  ein  anderes 
sind  eigeneVorkehrungen  noting, 
welche  man  Ausweichen  nennt. 
Jenes  Geleise  H}  welches  seine 
Richtung  beibehalt,  wird  Haupt- 
geleise  (la  voie  principal  — 
main  line)  genannt,  und  jenes,  das  aus 
demselben  abzweigt,  N,  Nebengeleise  (la  voie  secondaire  —  siding),  Fig.  1290. 

Je  nachdem  dieses  Nebengeleise  nach  rechts  oder  links  abzweigt,  entsteht 
eine  rechts-  oder  linksseitige  Ausweiche.  Die  Construction  dieser  Ausweiche  ist 
fur  Eisenbahnen  von  grosser  Wichtigkeit ;  eine  solche  besteht  aus  3  Haupttheilen, 
und  zwar:  1.  aus  clem  Wechsel,  2.  aus  dem  Herzstuck,  3.  aus  der  Weichencurve. 
Der  Wechsel  a,  a,  d,  d  ist  jener  Theil,  welcher    den  Uebergang    der  Fahrzeuge 

Fig.  1290. 


System  Kostlin  &  Battig. 


Ausweiche. 

von  dem  Haupt-  auf  das  Nebengeleise  vermittelt.  In  Fig.  1291  (S.  66)  ist  er  in 
Details  dargestellt.  Seine  Hauptbestandtheile  sind :  2  Stockschienen  a  (stock- 
rail)  und  2  um  ihren  Endpunkt  c  bewegliche  Spitz-  oder  Zungenschienen  Z 
(aiguille  —  sioitch-rail).  Je  nachdem  letztere  die  Lage  c  b  oder  c  &'  annehmen, 
ist  der  Wechsel  fur  das  Haupt-  oder  Nebengeleise  gestellt,  d.  h.  konnen  die  Fahr- 
zeuge auf  das  Haupt-  oder  Nebengeleise  ubergehen.  Die  Bewegung  der  Zungen 
geschieht  mittelst  eines  Hebels,  welcher  einen  Theil  des  sogenannten  Standers  A 
bildet  und  mit  welchem  ein  Gewicht  in  solcher  Weise  in  Verbindung  gesetzt  wird, 
dass  dessen  Wirkung  die  eine  Zunge  in  einer  bestimmten  Richtung  gegen  die 
Stockschiene    presst   und    hiedurch    die    Stellung    beider,    mit   Querstangen   V  mit 

Karmarsch  &  Heeren,  Teclini8ches  Wortorbuch.    Bd.  III.  5 


66 


Eisenbahn. 
Fig.  1291. 


Pj&uttjk 


einander  verbundenen  Zungen  sicher  fixirt.  Die  Lange  der  Zungen  betrii'gt  in 
der  Regel  4-5 — 5m  ,  dev  Stocksehienen  5*5 — 6m  ;  die  Zungen  bewegen  sicli  auf 
zum  Schmieren  vorgericbtete  Unterlager  C,  welche  man  Chairs,  Weichenstiihlej  nennt. 

Das  Herzstiick  (pointe  de  coeur  —  crossing)  liegt  an  der  Durchkreuzung 
der  beiden  Geleise;  dasselbe  ist  entweder  aus  gewobnlichen  Scbienen  con- 
struirt,  in  welcJiem  Falle  die  2  Scbienen  li  die  Herzscbienen  nnd  die  beiden  Scbienen 
k  die  Knie-  oder  Fliigel-  oder  Hornsebienen  heissen,  odcr  aber  das  ganze  Herz- 
stiick ist  als  Gussstiick  (aus  Gussstabl  oder  Hartguss)  erzeugt.  Gegeniiber  dem 
Herzstiick  liegen  die  2  sogenannten  Leit-  oder  Zwangschienen  I,  welche  dem  einen 
Rade  des  Fahrzeuges  wahrend  des  Passirens  iiber  das  Herzstiick  die-Fiihrung 
gcben.  Zwisehen  dem  Weehsel  und  dem  Herzstiick  liegt  die  Weichencurve,  deren 
Radius  nicht  unter  180m  sein  soil.  Sowohl  Wecbsel  als  Herzstiick  sollen  stets 
in  der  Geraden  liegen.  Die  ganze  Ausweiche  liegt  nicht  auf  gewobnlichen  Schwellen, 
sondern  auf  sogenannten  Extraholzern  von  stiirkeren  Dimensionen  und  besser  her- 
gerichteten  Formen.  Soil  eine  Anzahl  paralleler  Geleise  mit  Weichen  verbunden 
werden,  so  gescbiebt  es  mittelst  eines  schrag  liegenden  Geleises,  in  welches  jedes 
der  parallelen  Geleise  mit  einer  Ausweiche  einmiindet;  dieses  schrag  liegende  Ge- 
leise heisst  Mutter-  oder  Stammgeleise,  die  ganze  Anlage  eine  Weichenstrasse 
(Fig.  1292).  Ausweicben  bebandeln  die  Werke  von  Baugut,  Schille,  Ernst 
&  Gottsleben,  Werner,  Pinzger. 

Den  Uebergang  von  einem  Geleise  auf  ein  zweites  vermitteln  ausser  den 
Ausweicben  nocb  Drehscheib en  und  Scb.iebebiib.nen. 

Fig.  1292 

h 


Drehscheib  en  {plaqiie  tournante  —  turn  table)  bestehen  aus  einem 
Gestell  mit  kraftigen  Tragern,  welche  ein  Stiick  Schienengeleise  tragen  und  das- 
selbe in  seiner  ganzen  Lange  unterstiitzen,  ferner  aus  Verbindungsrippen  am  tJm- 
Fange  und  einem  starken  Zapfen,  um  den  sich  die  ganze  Drehscbeibe  dreht. 


Eisenbahn. 


07 


Drehscheiben. 


Soil  ein  Fahrzeug  vom  Geleise  a  (Fig.  1293)  auf  jenes  b  iibergehen ,  so 
wird  es  auf  die  Drehscheibe  1  geschoben,  dieselbe  gedreht,  wodurch  das  Fahrzeug 
in  die  Richtung  c  d  gelangt  nnd  in  die  Lage  kommt,  auf  dera  Geleise  c  d  weiter 
geschoben   zu  werden;    durch  ein  Drehen  der  Scheibe  Fig.  1293. 

II  kann    das   Fahrzeug    auf   das  Geleise  b  iibergehen.  <i 

Drehscheiben    finden  auch  Anwendung    zum  Umdrehen     fW\ 

der  Maschinen  und  Wag  en  beiin  Rangiren  der  Ziige.  Die 
Grosse  der  Drehscheiben  ist  verschieden,  je  nachdem 
sie  zum  Umdrehen  bios  von  Raderpaaren  oder  von 
Wagen  oder  von  Locomotiven  dient;  sie  wechselt  von  , 
3 — 12m  und  selbst  bis  15m  .  Das  Material  der  Dreh- 
scheiben ist  Holz,  Guss-,  in  der  Regel  aber  Schmied- 
eisen.  Beziiglich  der  Unterstiitzungsweise  des  Scheiben- 
korpers  gibt  es  solche,  welche  im  Zustande  der  Ruhe  oder  der  Bewegung  am 
Umfange  von  Rollen  getragen  werden,  solche,  welche  theils  am  Centrum,  theils  am 
Umfang  gestiitzt  sind,  solche,  deren  Belastung  in  der  Mitte  von  einer  Saule  (Zapfen) 
getragen  wird,  solche,  welche  im  Zustand  der  Ruhe  am  Umfang,  bei  der  Bewegung 
im  Mittelpunkte  die  Stiitze  finden. 

Die  Drehscheiben  liegen  mit  ihren  Schienen  im  Niveau  der  Geleise  und  ist 
deren  Construction  somit  in  einer  Grube  versenkt;  ihre  Bewegung  geschieht  in 
der  Regel  mittelst  eines  Vorgeleges,  das  von  Arbeitern  bewegt  wird. 

Schiebebiihnen  (pont  roidant,  chariot  roulant  — platforms)  sind  Vor- 
richtungen,  welche  ein  Stiick  gewohnliches  Geleise  tragen,  parallel  zu  sich  selbst 
und  senkrecht  zu  den  zu  verbindenden  Geleisen  I,  II,  III,  IV . . .  bewegt  und 
der  Reihe  nach  in  jedes  der  letzteren  eingeschaltet  werden  kann  (Fig.  1294).  Die 
Schiebebiihne  tragt  das  Geleise  a  b,  und  indem  selbe  in  der  Richtung  g  h  bewegt 
wird,    erhalt    dieses    Geleisestiick  Anschluss    an    die  Geleise  II,  III,  IV...     Ein 


Fig.  1294. 

i     n    m    iv    v 


auf  die  Schiebebiihne  geschobener  Wagen  kann  auf  diese 
Weise  schnell  auf  eines  der  bezeichneten  Geleise  iibergehen. 
Man  unterscheidet  zweierlei  Constructionen :  1.  die  altere, 
d.  sind  Schiebebiihnen  mit  versenktem  Geleise,  2.  die  neuere 
ohne  versenktes  Geleise;  bei  der  ersteren  Construction 
werden  sammtliche  parallele  Geleise  durch  eine  Grube  g  h,  g 
in  welcher  sich  die  Schiebebiihne  bewegt,  unterbrochen ;  bei  * 
bei  der  zweiten  werden  die  zu  verschiebenden  Wagen  iiber 
das  Schienen-Niveau  gehoben  und  sodann  erst  die  Schiebe- 
biihne fortbewegt.  Schiebebiihne. 

Bahnhofsanlagen  und  Hochbau  (gares  et  construction  au  dessu's  du 
sol  —  stations).  Bahnhofe  (Stationen)  sind  Anlagen  zum  Befordern  von  Personen 
und  Frachten  oder  zur  Vermehrung  oder  Erneuerung  der  zur  Bewegung  erforder 
lichen  Kraft  der  Maschinen.  Demnach  unterscheidet  man  auch:  1.  Personenbahn 
hofe  fiir  den  Personenverkehr,  2.  Frachtenbahnhofe  fur  den  Frachtenverkehr" 
3.  Bahnhofe  gemeinschaftlich  fur  den  Personen-  und  Frachtenverkehr,  4.  Rangir-? 
(Manipulations-)  Bahnhofe,  wo  die  Zusammenstellung,  bezieh.  Theilung  der  Ziige 
stattfindet;  5.  Betriebsstationen,  wo  die  Kraft  der  Maschine  (durch  Wasserspeisen 
und  Ausriisten  mit  Brennmaterial)  vermehrt  oder  die  Maschinen  gewechselt  oder 
sonstige  Verkehrsmanipulationen  vorgenommen  werden;  6.  Werkstattenbahnhofe 
mit  Anlagen  fiir  Reparatur  oder  Bau  von  Fahrbetriebsmitteln. 

Nach  der  Lage  der  Bahnhofe  zur  Hauptrichtung  der  Bahnlinie  werden  erstere 
eingetheilt:  l.Anfangs-  oder  Endstationen,  welche  an  den  Enden  der  betreffenden 
Bahnlinie  liegen,  2.  Zwischenstationen,  3.  Durchgangsstationen  D,  wo  die  Richtung 
des  Zugs  bei  der  Ein-  und  Ausfahrt  dieselbe 
bleibt ;  4.  Kopfstationen  K,  wo  der  einfahrende 
Zug  die  entgegengesetzte  Richtung  des  aus- 
fahrenden  hat  (Fig.  1295).  Aus  Sicherheits- 
riicksichten  legt  man  die  Bahnhofe  in  der  Regel 


68 


Eisenbahn. 


horizontal  und  in  einer  Geraden  an;  muss  jedoch,  wo  es  die  Umstande  erheischen 
(bei  Gebirgsbahnen  besonders),  von  dieservRegel  abweichen.  (Die  diesbeziiglichen 
Bestimmungen  des  V.  D.  E.  V.  wie  oben.) 

Nacli  der  Grosse  des  zu  erwartenden  Verkehrs  und  nach  der  Art  desselben  richtet 
sich  die  Einrichtung  der  Stationen,  welche  aus  den  Geleiseanlagen  und  in  den  Ge- 
baulichkeiten  bestehen.  Die  auf  Bahnkofen  nach  Bedarf  vorkommenden  Gebaude  sind : 

1.  Aufnahms-  (Ein  pf  an  gs  -  Stations-)  Gebaude  (bdtiment  de  depart 
et  d'arrivee  —  station  buildings),  welche  die  fur  den  Betriebsdienst  nothigen 
Raumlichkeiten  und  grosstentheils  auch  noch  Beanitenwohnungen  enthalten.  Diese 
Raumlichkeiten  sind:  Vestibule  welches  die  Zugange  zu  alien  Localen  vermitteln 
soil,  Billet-  und  Gepackscassa,  Wartesale,  Restaurationen ,  Corridore,  Betriebs- 
bureaux,  Bureaux  fur  Zoll-,  Polizei-  und  Postbekorden. 

2.  Perronsiiberdachungen  und  Personenhallen  (abris).  Zwischen 
den  fur  den  Person  enverkekr  bestimmten  Geleisen  oder  auch  nur  neben  dem  ersten 
dem  Aufnahmsgebaude  zugekehrten  Geleise  werden  aus  Erde  oder  auch  gemauerte 
erhohte  Wege  —  Perrons  —  hergestellt,  welche  ein  leichteres  Ein-  und  Aus- 
steigen  der  Passagiere  erlauben.  Diese  Perrons  oder  auch  nur  die  Vorplatze  der 
Aufnahmsgebaude  werden  zum  Schutz  gegen  Witterung  durch  sogenannte  Perrons- 
dacher  liberdeckt ;  werden  sammtliche  fiir  den  Personenverkehr  bestimmten  Geleise 
iiberdacht,  so  entstehen  die  Personenhallen. 

3.  Frachtenmagazine  (magasin  des  marchandises  —  goods-shed,  goods- 
warehouse),  (Giiterschupfen).  Diese  enthalten  Lagerraume  fiir  die  Giiter,  ferner 
Bureaux  fiir  die  Frachtenexpedition.  Gewohnlich  sind  an  beiden  Langenseiten 
des  Magazins  Perrons  von  2 — 2'5m  Breite  hergestellt,  urn  ein  Bewegen  der  Collis 
ausserhalb  der  Lagerraume  zu  gestatten;  der  Fussboden  derselben7  so  wie  jener 
des  Magazins  ist  im  Niveau  der  Boden  der  beladenen  Wagen,  urn  ein  leichtes  Ein- 
und  Ausladen  zu  ermoglichen.   Zuweilen  sind  gesonderte  Zollmagazine  erforderlich. 

4.  Locomotiv-Remisen  [remise  de  locomotives — locomotiv  shed)  sind 
Gebaude  zum  Unterbringen  der  Locomotiven,  wo  dieselben  angeheizt  und  in  Be- 
triebsfahigkeit  gesetzt  und  kleinere  Reparaturen  vorgenommen  werden.  Sie  ent- 
halten Geleiseanlagen  fiir  die  Maschinen  und  zwischen  den  Schienen  sogenannte 
Putzkanale  P,  welche  vertieft  sind,  um  ein  leichteres  Untersuchen  der  Maschinen  zu 
gestatten.  Ausserhalb  der  Locomotiv-Remise,  in  der  Nahe  des  Ausfahrtsthores  ist 
stets  noch  ein  Putzkanal,  um  nach  zuriickgelegter  Fahrt  der  Maschine  das  im 
Feuerraum  befindliche  Feuer  und  die  Asche  entfernen  zu  konnen.  Die  Form  der 
Remisen  ist  rechteckig  mit  parallelen  oder  kreisformig  mit  radialen  Maschinen- 
stiinden  (Fig.   1296  u.  1297).  , 

Fig.  1296. 


5.  W  a  gen  re  in  is  en  [remise  de  wagons  —  carriages-shed)  zur  Unter- 
bringung  von  Wagen,  und  zwar  gewohnlich  solcher7  die  kleinerer  Reparaturen  be- 
diirfen,  welche  auch  dort  vorgenommen  werden. 


Eisenbakn.  69 

6.  Wasserstationen  {station  a  eau  — pumping  station)  dienen  zur 
Versorgung  der  Locomotiven  mit  Wasser;  sie  bilden  entweder  einen  Anbau  an 
die  Locoruotiv-Reinise  oder  befinden  sich  in  deren  Nake.  Sie  enthalten  einen 
Raimi  fur  den  Bnmnen  und  die  Pumpe,  welche  das  Wasser  einem  im  obersten 
Stockwerke  des  Gebaudes  befindlicken  Reservoir  zufiibrt;  dasselbe  stekt  durch  Rokr- 
leitungen  mit  den  Wasser kraknen  der  Station  in  Verbindung,  aus  welcben 
durck  OeflFnen  eines  Haknes  das  Wasser  in  clen  Tender  abgelassen  werden  kann; 
eben  so  wird  durck  eine  Rokrleitung  das  Wasser  in  die  Locomotiv-Remise  gefiikrt, 
damit  auck  dort  gespeist  werden  kann.  Vor  einem  jeden  Wasserkrakn  sind  zwiscken 
den  Geleisen  stets  gemauerte  Putzkanale  angelegt,  um  das  Reinigen  der  Masckine 
vornekmen  zu  konnen,  wakrend  dieselbe  Wasser  nimmt. 

7.  Koklensckupfen  zum  Aufbewakren  eines  geniigenden  Vorratks  an 
Brennmaterial. 

8.  Werkstiitten  (ateliers  —  workshops),  das  sind  Anlagen  zumBaue  und 
zur  Reparatur  der  Fakrbetriebsmittek 

Deren  Grosse  ricktet  sick  nack  der  Lange  der  Baknlinie  und  der  Anzakl 
der  der  Baknanstalt  gekorigen  Masckinen  und  Wagen.  Mit  solcken  Werkstatten 
sind  gewoknlick  auck  nock  Magazinsraume  zum  Lagern  der  Materialien  und  Werk- 
zeuge  vorkanden. 

9.  Wackterkauser  (maisons  de  garde,  guerites  de  garde  —  guard- 
houses) zur  Unterbringung  der  Baknwackter,  wovon  gewoknlick  je  eines  an  den 
Enden  des  Baknkofes,  nack  Bedarf  auck  mekrere  situirt  sind. 

Die  Geleisanlagen  der  Baknkofe  rickten  sick  nack  der  Grosse  und  Be- 
deutung  des  Baknkofes ;  stets  sind  ein  oder  mekrere  durckgekenden  Geleise  fur  die 
verkekrenden  Ziige,  dann  Seiterjgeleise  fur  die  Aufstellung  von  Ztigen  bei  Kreuzungen, 
fur  Versckiebungen,  fur  Aufstellung  von  ein-  und  auszuladenden  Wagen,  von  Re- 
serve- und  reparatursbediirftigen  Wagen;  ferner  Nebengeleise,  wie  z.  B.  Geleise 
zu  den  Locomotiv-  und  Wagenreniisen,  zu  den  Dreksckeiben  u.  s-  f.  Dem  Zwecke 
entspreckend  gibt  es  daker  Hauptgeleise,  Geleise  fiir  den  Personen-  und  Frackten- 
verkekr,  Rangirgeleise,  Locomotiv-Remisengeleise,  Werkstattengeleise  etc. 

(Ueber  Baknkofs-Anlagen  und  Eisenbakn-Hockbau  von  Prof.  Ed.  Sckmitt, 
Erbkam's  Zeitsckrift  fur  Bauwesen,  Heusinger  von  Waldegg  „Specielle 
Eisenbakntecknik  " .) 

Aus rli stung  der  Eisenbaknen  und  diverse  Arbeiten.  Die  Aus- 
riistung  bestekt,  abgeseken  von  der  Ausrlistung  mit  den  erforderlicken  Fakr- 
betriebsmitteln  (s.  weiter  unten),  aus  den  zum  Eisenbaknbetriebsdienste  und  zur 
Sickening  und  Regelmassigkeit  desselben  notkwendigen  Einricktungen,  als: 

1.  Inventar  in  den  Aufnakms-  und  Wacktergebauden ,  soweit  es  der 
offentlicke  Dienst  erfordert. 

2.  Telegrafenapparatein  den  Stationen  zur  gegenseitigen  Verstandigung 
(s.  unten  Telegrafenwesen). 

3.  Signalisirungsmittel  (signal  de  chemin  de  fer  —  railway-signal), 
welcke  den  Zweck  kaben,  den  Verkekr  der  Ziige  sicker  zu  stelleh,  zur  Mittkeilung 
versckieclener  Kundgebungen  und  zur  Verstandigung  der  Baknbediensteten  unter 
einander  dienen.  Es  gibt  2  Hauptgattungen :  1.  optiscke(7e  signal  optique  — 
the  optical  signal),  sicktbare,  2.  acustiscke  ile  signal  acoustiaue  —  the 
acustic  signal),  kb'rbare. 

Die  optiscken  sind:  a)  rotke  Handsignalfaknen  und  Handsignalsckeiben  (bei 
Tag)  und  die  Handsignallaternen  (bei  Nacbt)  von  den  Baknwacktern  gekandkabt 
zum  Signalisiren,  ob  der  Zug  ungekindert  oder  langsam  oder  gar  nicbt  die  Strecke 
befakren  kann.  h)  Die  feststekende  Signalsckeibe  (Stationsdeckungssignal)  in  einer 
Entfernung  von  200 — 500m  vor  und  kinter  einer  jeden  Station,  um  dem  Zugs- 
personale  anzuzeigen,  dass  Ein-  und  Ausfakrt  in  die  beziek.  aus  der  Station  erlaubt 
ist  oder  nickt.  c)  Weckselsignalsckeiben  und  Laternen,  um  anzuzeigen,  fiir  welckes 
Geleise   die   Ausweicke   gestellt    ist.     d)    Quittirungssignale ,    feststekende    Signal- 


70  Eisenbabn. 

maste  bei  den  Wachterhausern,  woniit  dem  Zugspersonale  dieselben  Signale  wie 
mit  den  sub  a)  angefiihrten  Mitteln,  jedocb  auf  grossere  Distanz  gegeben  werden 
konnen.  e)  Die  Zugssignallaternen  vorn  an  der  Locomotive  und  hinten  an  der 
Riickseite  des  letzten  Wagens  im  Zuge,  mit  welchen  Mitteln  auch  ein  vorherge- 
bender  Zug  einen  nachfolgenden  oder  einen  entgegengesetzt  fabrenden  Zug  signalisirt. 
Die  acustiscb en  Signale  sind:  a)  Knallkapseln,  welcbe  von  den  Wachtern 
oder  dem  Zngspersonale  auf  die  Schienenkopfe  befestigt  werden,  und  durch  den 
Druck  dariiber  gebender  Rader  explodiren;  sie  baben  den  Zweck,  einem  heran- 
nabenden  Zug  (bei  Nacbt  oder  triibem  Wetter)  das  Signal  zum  Anhalten  zu  geben. 
b)  Dampfpfeife  der  Maschine,  von  dem  Maschin-  oder  Zugsfitbrer  gehandhabt,  um 
das  Streckenpersonale  zu  warnen  und  dem  Zngspersonale  Mittheilungen  zu  macben 
(Achtung,  Bremsen  anzieben,  Bremsen  los,  Hilferuf).  c)  Handsignalpfeife  fiir  Signale 
beim  Verscbieben  angewendet,  aucb  vom  Zugsfiibrer  zum  Zeicben  der  Abfabrt. 
d)  Stationsglocke,  um  das  Publikum  zum  Einsteigen  in  die  Waggons  aufzufordern 
und  das  Zeicben  zur  Abfahrt  zu  geben.  e)  Elektriscbe  Lautewerke  und  elektrische 
Controlle  Ivlingelapparate  in  den  Stationen  und  Wachterhausern  zur  Signalisirung 
der  Ziige  und  zu  sonstigen  Kundgebungen  fiir  das  Streckenpersonale  (s.  unten 
Eisenb  aim- Sign  ale). 

4.  Wasserstationseinricbtungen  (bereits  oben  bescbrieben). 

5.  Stossvorricbtungen  an  den  Enden  von  Geleisen,  um  Wagen  von 
dem  Entrollen  zu  schiitzen. 

6.  Grenzmarken  (Polizeistock)  bei  Kreuzungen  und  Ausweichen  in  Form 
weiss  angestricbener  Pfosten  a  b  (Fig.  1292),  welcbe  jene  Punkte  bezeichnen,  bis 
zu  denen  Fabrbetriebsmittel  obne  Hemmung  der  Bewegung  der  Ziige  auf  den  neben- 
liegenden  Geleisen  aufgestellt  werden  konnen;  die  Entfernung  der  beiden  Geleise 
an  diesen  Stellen  von  Mitte  zu  Mitte  betragt  3-5m  . 

7.  Laderampen  (rampe  de  chargement  —  platform  for  loading  goods) 
zur  leicbteren  Verladung  von  Fracbten  in  die  Waggons  und  umgekebrt. 

8.  B  r  ii  c  k  e  n  w  a  g  e  n  (bascide  a  pont  —  waghing  apparatus)  zur  Ermittlung 
des  Gewichtes  von  Strassenfubrwerken,  Waggons  und  Locomotiven. 

9.  Ladeprofile,  welcbe  die  geringsten  inneren  Weiten  und  Hohen  der 
auf  der  Strecke  und  auf  den  Babnbofen  sicb  befindlicben  Objecte  angibt, 

10.  Profilp  flocke  (Kilometersteine),  in  Entfernungen  von  100m  langs  der 
Balm  gesetzt,  und  dieselbe  sonacb  in   '/,„  Kilometer  eintbeilen  (Stationirung). 

11.  Niveautafeln  (indicateur  de  niveau  —  gradient  board),  welche  bei 
Gefallsbriicben  auf  der  Strecke  stehen  und  das  Gefalls-  (Steigungs-)  Verbaltniss 
unter  Angabe  der  Lange  ersicbtlicb  machen. 

12.  Warnungstafeln  {tableau  d'avis)  bei  Strassen-  und  Wegiiber- 
setzungen,  welcbe  dem  Publikum  das  Verbot  des  Betretens  der  Bahn  kundgeben. 

13.  Weg-  und  Absperrscbranken  {barrieres  et  clotures  —  gates  and 
femes)  ebendaselbst,  welcbe  vor  dem  Eintreffen  eines  jeden  Zugs  geschlossen  werden. 

14.  Einfriedung  der  Strecke,  um  von  derselben  Menscben  und  Vreb  ab- 
zubalten. 

Aus  serge  wobnlicbe  Eisenbabnsy  steme.  Dieselben  haben  den 
Zweck,  entweder  die  Anlage-  und  Betriebskosten  der  Bahn  zu  verringern  oder 
aussergewolmlicben  Scbwierigkeiten  und  besonders  starken  Steigungen  zu  begegnen 
oder  an  der  e  Motoren  als  Zugskraft  zu.  beniitzen.  Von  den  vielen  Systemen,  die 
zum  Tbeil  nur  als  Versuche  gelten  konnen,  seien  bier  angefiibrt:  1.  die  normal- 
spurigen  Balinen  mit  langsamer  Fabrbewegung;  2.  die  scbmalspurigen  Eisenbahnen  ; 
3.  die  FelTscbe  Eisenbabn:  4.  das  System  Riggenbacb  nnd  Zschokke; 
5.  das  System  Wet li;  6.  System  Larmanjat;  7.  System  Kostlin  &  Lebret 
(Superficial-Eisenbahnen) ;  8.  die  Seilbabnen;  9.  die  atmospbariscben  und  pneuma- 
tiscben  Eiscnbabnen. 

Die  beiden  ersten  Systeme,  welcbe  dann  angewendet  werden,  wenn  der  an- 
zuhoftende  Yerkebr  ein  scbwacberer  ist,  die  Balm  iiberbaupt   nur  lokalen  Bediirf- 


Eisenbahn. 


71 


nissen  zu  entspreclien  hat,  waren  unci  sind  noch  imracr  gegen'seitig  Rival  on  (siehe 
W.  N  o  r  d  1  i  n  g  Stimmen  iiber  schmalspurige  Eisenbahnen,  M.  M.  Weber  Secundar- 
balinen  und  neue  Pfade  der  Volltswirthschaft),  und  wird  bald  dem  einen,  bald 
dem  anderen  Systeme  der  Vorzug  gegeben.  So  viel  kann  jedoch  mit  Bestimmtheit 
angefuhrt  werden,  dass  die  Sehmalspur-Bahneri,  welche  den  Uebergang  ihrerFalir- 
betriebsmittel  auf  die  normalspurigen  und  umgekehrt  niclit  erlauben,  nur  zu  ganz 
localen  Zwecken,  fur  einen  schwacheren  Verkehr,  welcher  voraussichllich  keine 
Steigerung  erfahrt,  und  bei  Frachten;  die  keinen  Schaden  durch  Ueberladungen  er- 
leiden,  angewendet  werden  sollen.  Die  schmalspurigen  Bahnen  werden  auch 
falschlich  Secundar-  oder  Vicinalbahnen  genannt,  obwohl  auch  weniger  frequentc 
normalspurige  diese  Benennung  verdienen.  Bei  beiden  Systemen  werden  in  der 
Anlage  der  Bahn  durch  scharfere  Krlimmungen  und  Steigungen,  und  daher  auch 
durch  kleinere  Grundeinlbsuhg,  Erdbewegung  und  durch  geringere  Kunstbauten, 
ferner  durch  einen  leichteren  Oberbau,  durch  kleine  Hochbauten  und  geringe  Aus- 
riistung    bedeutende  Ersparnisse   gemacht.     Das  Anlagekapital    wird    hiedurch    bis 


Als  eine  Specialitat  erscheinen  die  schmalspurigen  Bahnen  mit  F  a  i  r  1  i  e'schem 
Maschinen-Betrieb,  Doppelmaschinen  mit  beweglichem  Untergestell,  welche  starke 
Kriimmungen  und  Steigungen  (bis  Bogen  von  20m  Radius  und  Steigungen  1 :  20) 
iiberwindet  und  eine  erhohte  Zugskraft  hervorbringen  kann.  Ausgefuhrte  schmal- 
spurige Eisenbahnen  inEuropa:  in  Schweden;  Norwegen,  in  Belgien  die  Antwerpen- 
Genter  Balm,  in  England  die  Festining-Bahn;  in  Oesterreich  die  Lambach-Gmundncr 
und  in  Preussen  die  Brohlthalbahn. 


Die  sub  3  bis  inch 
gungen  auf  Bahnen  zu 
grossen  Steigungen  reicht  die  gewohnliche 
Adhasion  der  Locomotive  auf  den  Schienen, 
welche  1/i  bis  V10  des  auf  den  Triebradern 
der  Maschine  ruhenden  Gewichtes  betragt 
und  fur  die  Zugkraft  massgebend  ist^  nicht 
mehr  hin  und  ging  das  Bestreben  dahin, 
diese  Adhasion  zu  vermehren,  und  zwar  bei 
dem  System  Fell  (Mont  -  Cenis -  Balm, 
77  Kilom.  lang  mit  Steigungen  von  8  °/0, 
d.  i.  1  :  12*5)  sind  ausser  den  gewohnlichen 
Triebradern  der  Maschine  noch  2  Paar  unter 
sich  gekuppelte  horizontale  Triebrader,  die 
mittelst  Federn  an  eine  3.,  etwas  holier 
als  die  Hauptschienen  gelegene  Mittelschiene 
(Fig.  1298)  gepresst  werden;  durch  diese 
Einrichtung  wird  die  Adhasion  der  Maschine 
und  daher  auch  die  Zugkraft  derselben  ver- 
grossert,  und  die  Mbglichkeit  geboten,  grosse 
Steigungen  zu  befahren. 

Bei  dem  System  Riggenbach  und 
Zschokke (Rigibahn  in  cler  Schweiz,  Kahlen- 
bergbahn  bei  Wien  mit  Steigungen  von  1  :  4, 
d.  i.  25  °/0)  geschieht  die  Uebertragung  der 
Zugkraft  nicht  durch  die  4  Rader  der  Loco- 
motive, welche  auf  einem  Geleise  gewohnlicher 
Spurweite  rollen,  sondern  durch  ein  Zahnrad, 
auf  das  die  Bewegung  der  Kolbenstangen 
iibertragen  wird  und  welches  in  eine  zwiscben 
den  2  Schienen  des  Geleises  liegende  Zahn- 
stange  eingreift  (Fig.   1299). 


angefiihrten  Systeme   haben    den  Zweck,  grosse  Stei- 
Fig.  1208. 


72 


Eisenbahn. 


Fid.  1299 


Bel  dem  System  We  tli  (Schweiz,  Waden- 
zweil-Einsiedeln)  hat  die  Maschine  zwischen  ihren 
gewohnliclien  Triebradern  xmd  mit  denselben 
gekuppelt  ein  Sckraubenrad,  d.  b.  eine  Walze 
rnit  schraubenformigen  Felgen,  welche  auf  den 
ziwscbeu  den  Hauptscbienen  liegenden  Leit- 
schienen  rollen  (Fig.  1300). 

(Ueber  die  3  letzt  angefiibrten  Systeme: 
Prof.  Harlacher,  das  W e 1 1  i'scbe  Eisenbahn- 
system,  Dr.  Z  w  i  c  k  neuere  Tunnelbauten  etc.) 

Bei  dem  System  Larmanjat  (in 
Frankreicb  ausgefiibrt)  laufen  die  Triebrader 
der  Locomotive  auf  einer  Holz-  oder  Stcin- 
bahn,  wabrend  die  Laufrader  auf  einer  Scbie- 
nenbahn,  die  bios  aus  einem  Strang  besteht, 
rollen.  Die  Reibung  auf  Holz  oder  Stein 
ist  circa  lOmaL  grosser  als  auf  Eisen  und  in 
demselben  Verhaltniss  wachst  die  Adhasion. 
Durcb  einen  Mechauismus  kann  das  Gewicht 
der  Maschine  bald  auf  den  Trieb-,  bald  auf 
den  Laufradern  ruhend  gemacht  werden,  je 
nachdem  man  starke  oder  schwache  Steigungen 
zu  tiberwinden  hat. 

Im  ersten  Fall  erhalt  man  das  Maximum, 
im  zweiten  das  Minimum  der  Adhasion.  Die 
Wagen  rollen  ebenfalls  mit  1  Raderpaar  auf 
die  Schienenbahn7  mit  dem  2.  auf  der  Holz- 
oder  Steiubabn ;  jedoch  ruht  die  ganze  Last  auf 
erst  erwahnten  Radern,  urn  die  Widerstande  so 
klein  als  moglich  zu  machen. 

Das  System  Kostlin  &  Lebret 
verfolgt  ein  ahnliches  Princip  wie  das  vorher- 
gehende  System ;  und  zwar  durcb  eine  neben  der 
gewohnliclien  Balm  erhbht  gelegte  Stein-  oder 
Fig.  1301. 


Holzbabn,  auf  welcher  die  Locomotive  nicht  mit  ihren  Triebradern,  sondern  mit  an 
der  Achse  derselben  sitzenden  Rollen  (Walzen)  rollt  (Fig.  1301).  An  Stellen, 
wo  die  Balm  kerne  so  grosse  Steigung  hat,  dass  eine  erhohte  Adhasion  nothwendig 
wird,  hat  die  Bahn  die  gewohnliehe  Einrichtung  (ohne  Steinbahn)  und  lauft  die 
Locomotive  mit  ihren  Triebradern  auf  den  Schienen,  wabrend  die  angegossenen 
Walzen  ausser  Thatigkeit  kommen.  Das  System  eignet  sich  besonders  fiir  Bahnen, 
welche  bald  geringere,  bald  starkere  Steigungen  haben,  also  fiir  solche,  welche 
sich  dem  natiirlichen  Terrain  so  viel  als  moglich  anschliessen ;  deshalb  werden  sie 
*  audi  Superficial-Eisenbahnen  genannt.  Eine  solche  Balm  hat  daher  2  Typen, 
und  zwar:   1.  auf  horizontalen  und  wenig  geneigten  Strecken  die  gewohnliehe  Ein- 


Eisenbalm.  73 

richtung,  2.  in  den  starken  Steigungen  nebst  der  Schienen-  noch  die  Stein-  (oder 
Holz-)  Bahn ;  auf  ersterer  rollen  die  Wagen,  auf  der  letzteren  die  Locomotive. 
Dieses  System  ist  bisher  nicht  ausgefiihrt  (s.  Allgemeine  Bauzeitung,  Wien  1872). 

Seilbabnen  sind  Eisenbahnen,  wo  die  Ziige  durch  feststehende  Maschinen 
mittelst  Seilen  betrieben  werden;  derartige  Anlagen  besteben  unter  anderem  in 
Lyon  (500m  lang),  zwischen  Liittich  und  Ans  in  Belgien  (3S60m  ),  zwischen  Diissel- 
dorf  und  Elberfeld  (2450m  ).  Sie  lassen  sich  in  3  Gruppen  eintheilen:  1.  selbst- 
thatige,  wo  die  bergauffabrenden  Wagen  durch  den  absteigenden  Zug  bewegt  werden ; 
2.  in  solcbe  mit  feststebenden  Maschinen  und  endlosem  Seil;  beide  dieser  Arten 
sind  zweigleisige  Eisenbahnen;  3.  System  A  gu  dio,  bios  eingleisig;  das  Treibseil 
bewegt  nicbt  direct  den  Zug,  sondern  einen  Rollwagen,  auf  welchem  um  ein  paar 
Rollen  ein  sogenanntes  Schleppseil  gewunden  ist. 

Indem  diese  Rollen  durch  das  Treibseil  gedreht  werden,  steigt  der  Roll- 
wagen  und  mit  ihm  der  vor  bezieh.  hinter  ihm  angehangte  Zug  auf-  oder  abwarts, 
indem  sieh  ersterer  langs  des  in  der  Mitte  des  Geleises  liegenden  Scbleppseiles 
(welches  mit  der  Zahnstange  des  Riggenbach'schen  Systems  verglichen  werden 
kann)  fortbewegt.  (Ueber  Seilbabnen  Organ  furFortsch.  d.  Eisenb.  1849,  Forster's 
Bauzeitung  1842,  Eg  en  Betrieb  stark  geneigter  Eisenbahnen,  Heusinger  von 
W  aid  egg  Eisenbahnbau.)     Vergl.  d.  Art.  Drahtseilbahnen. 

Die  atmospbarischen  und  pneumatischen  Eisenbahnen  unter- 
scheiden  sich  von  alien  iibrigen  Eisenbahnen  durch  die  Verschiedenheit  derMotoren; 
bei  ihnen  wird  die  atmospharische  Luft  als  Uebertragungsmittel  der  auf  einem 
feststebenden  Punkt  entwickelten  Kraft  auf  den  in  seiner  Stellung  veranderlichen 
Wagenzug  benutzt.  Bei  den  atmospbarischen  Eisenbahnen  befindet  sich  die  in  einer 
langs  der  ganzen  Bahn  sich  hinziehenden  Rohre  (Treibrohre)  eingeschlossene  Luft 
ausserhalb  des  Wagenzuges.  Von  alien  den  verschiedenen  Systemen  ist  wohl  nur 
jenes  lebensfahig,  wo  die  verdiinnte  oder  verdichtete  Luft  in  dieser  Treibrohre 
einen  Kolben  treibt,  welcher  durch  einen  aus  der  Rohre  hervorragenden  Arm  den 
Zug  bewegt  (System  Medhurst,  Pinkus,  Clegg,  Samuda).  Hiernach  aus- 
gefiihite  Bahnen  von  Klingstown  nach  Dalkey  (Irland),  von  London  nach  Croydon 
und  Epsom,  von  Exeter  nach  Plymouth,  von  Narterre  nach  St.  Germain  (Frankreich). 

Bei  den  pneumatischen  Bahnen  ist  die  Treibrohre  (tunnelartig)  so  gross. 
dass  sie  den  zu  bewegenden  Zug  aufnimmt.  Der  Kolben  bangt  hier  mit  dem 
Wagenzug  unmittelbar  zusammen  und  wird  ebenfalls  von  der  verdichteten  oder 
verdiinnten  Luft  getrieben,  deren  Spannung  jedoch  von  der  atmospbarischen  Luft 
nur  wenig  abweicht,  da  die  grosse  Kolbenflache  den  erforderlichen  Druck  schon 
bei  geringer  Differenz  der  Spannungen  erzeugt. 

(Ueber  beide  Bahnsysteme  Eisenbahnzeitung  1846,  Forster  Bauzeitung 
Wien  1847,  Heusinger  von  Wald egg  Eisenbahnbau.) 

E is enbahn betrieb  (Verkehrsdienst  [exploitation  des  cliemins  de  fer  — 
traffic]).  Hierunter  werden  alle  jene  Vorkehrungen  unci  Anstalten  verstanden, 
welche  zum  Verkehr  der  gewohnlichen  und  aussergewohnlichen  Ziige  nothig  sind, 
als  Beistellung  der  Fahrbetriebsmittel ,  Commandirung  des  erforderlichen  Zugs- 
personales,  Aufstellung,  Rangirung  und  Ausriistung  der  Ziige,  Verstandigung  und 
Avisirung  des  Maschinen-,  Bahnaufsichts-  und  Streckenpersonales,  Signalisirung 
und  Beforderung  der  Ziige,  Ueberwachung,  Hilfeleistung  bei  Storungen,  Hand- 
habung  der  gesetzlichen  Bestimmungen.  Letztere  sind  in  den  betreffenden  behord- 
lichen  Urkunden  (Eisenbahnbetriebsordnung,  Betriebsreglement,  Strafgesetz)  und 
in  den  besonderen  Instructionen  enthalten. 

Sammtliche  Ziige  verkehren  nach  einer  sogenannten  Fahrordnung  (Fahr- 
plan  [marche  des  trains  —  timetable]),  welche  die  Ankunfts-  und  Abfahrtszeiten, 
so  wie  den  Aufenthalt  eines  jeden  Zugs  in  den  einzelnen  Stationen  festsetzt.  Die 
in  Verkehr  zu  setzenden  Ziige  sind :  1.  regelmassige,  welche  nach  der  allgemeincn 
Fahrordnung  entweder  taglich  oder  an  bestimmten  Tagen  verkehren.  2.  Ziige 
nach  Erforderniss,  welche   wohl   in  der    allgemeinen  Fahrordnung    enthalten  sind, 


74  Eisenbahn. 

die  aber  bios  dann  in  Verkehr  gesetzt  werden,  wenn  es  die  Masse  des  Transportes 
erheischt.  3.  Separatziige  bei  aussergewohnlichen  Anlassen  oder  im  Nothfalle 
(bei  Hilfs-  und  Schneepflugsfahrten).  Nach  der  Bestimmung  und  nach  der  Fahr- 
geschwindigkeil  lassen  sich  die  Ziige  eintheilen :  1.  in  Eilziige  {trains  a  grande 
vitesse  —  express  trains),  2.  in  Personen-  (trains  de  voyageurs  —  passenger 
trains),  3.  in  gemischte  (trains  mixtes),  4.  in  Lastziige  (trains  de  marchandises 
—  goods  trains).  Um  den  Verkehr  zu  regeln,  sind  die  Ziige  in  den  Beziehungen 
zu  einander  derart  gestellt,  dass  die  einen  Ziige  den  anderen  untergeordnet  sind. 
Dies  nennt  man  dieRangordnung  der  Ziige,  welche  in  der  Fahrordnung  ersichtlich 
gemacht  ist.  In  der  Regel  nimmt  ein  Hofzug  den  1.  Rang  ein  und  im  Allgemeinen 
geht  der  Eilzug  dem  Personen-,  dieser  dem  gemischten  und  letzterer  dem  Last-Zuge 
vor.  Weiters  haben  die  Z;ige  in  der  einen  Richtung  stets  den  Vorrang  vor  den 
gleichnamigen  Ziigen  der  entgegengesetzten  Richtung. 

Die  Zusammenstellung  der  Ziige  (disposition  des  trains  —  making 
up  trains)  geschieht  in  der  Abfahrtsstation ;  die  Zugsmaschine  muss  sich  in  der 
Regel  an  der  Spitze  des  Zugs  befinden,,  hierauf  folgt  der  Tender  und  sodann  der 
Wagen,  worauf  der  Zugsfiihrer  seinen  Platz  zu  nehmen  hat  ;  in  einem  Zuge  mtissen 
zwischen  dem  Tender  und  dem  ersten  mit  Passagieren  besetzten  Personenwagen 
wenigstens  eben  so  viele  mit  Passagieren  nicht  besetzte  Wagen  (Sicherheitswagen) 
eingereiht  werden,  als  geheizte  Maschinen  vorgespannt  sind;  in  gemischten  Ziigen 
sind  die  Personenwagen  grundsatzlich  gegen  das  Ende  einzureihen,  jedoch  ist  ge- 
stattet,  dass  der  3.  Theil  der  Lastwagen  hinter  denselben  gestellt  werden  kann. 
Bei  Anwendung  der  Personenzngsgeschwindigkeit  diirfen  mit  Ausschluss  der  ge- 
heizten  Maschinen  und  ihrer  Tender  nicht  mehr  als  100  Achsen,  bei  Anwendung  von 
Lastzugsgeschwindigkeit  nicht  mehr  als  200  Achsen  in  einem  Zuge  gehen.  Ausser 
der  Tenderbremse  der  geheizten  Maschinen,  welche  durch  die  Heizer  gehandhabt 
werden,  miissen  in  jedem  Zuge  eine  gewisse  Anzahl  mit  Bremsen  versehener  Wagen 
sein,  die  sich  nach  der  Steigung  der  Bahnstrecke  richtet ;  dieselbe  betragt  bei 
Personenziigen  den  ]/3  bis  */g  Theil,  bei  Lastziigen  den  */5  bis  Y,2  Theil  der 
gesammten  Wagenzahl.  Jeder  Zug  muss  iibrigens  mit  dem  Inventar  (Einrichtungs- 
gegenstande,  Signalmittel),  jeder  Personen  befdrdernde  Zug  mit  einem  Rettungs- 
kasten  (zur  ersten  Hilfeleistung  bei  Ungliicksfallen,  enthaltend  Arzneien  und  In- 
strumente)  ausgeriistet  sein. 

Stundenpassfiihrung.  Jeder  Zug  und  jede  leer  oder  mit  Schneepflug 
verkehrende  Maschine  muss  mit  einem  Stundenpasse  versehen  sein,  welcher  folgende 
Angaben  enthalt:  Gattung  des  Zuges,  dessen  Nummer  und  Rang,  die  Ausgangs- 
und  Bestimmungsstation,  das  Datum,  Namen  des  zur  Ueberwachung  und  Bedienung 
des  Zugs  beigegebenen  Personales  und  Nummern  jener  Wagen,  die  ihnen  zuge- 
wiesen  sind,  Nummer  oder  Name  der  Maschinen  und  Tender,  Namen  der  Stationen, 
Fahr-,  Ankunfts-,  Aufenthalts-  und  Abfahrtszeiten,  Zahl  der  Personen-  und  Last- 
wagen, der  Reisenden,  Nummern  der  Ziige,  mit  denen  gekreuzt  wurde,  Belastung 
des  Zuges,  Temperaturs-  und  Witterungsverhaltnisse,  Ursachen  der  Verspatungen, 
Unterschrift  der  expedirenden  Beamten,  Anmerkungen. 

Diese  Stundenpasse  sind  nur  vom  Zugsfiihrer  zu  fiihren.  Dem  Stundenpass 
ist  gleichzeitig  ein  Wagenbelastungsausweis  beigegeben,  welcher  die  Nummern 
eines  jeden  Wagens,  so  wie  dessen  Brutto-  und  Nettogewicht,  A*usgangs-  und 
Bestimmungs-Station  angibt.  Beide  Documente  werden  in  der  Endstation  an  den 
diensthabenden  Beamten  abgegeben. 

Vor  der  fahrordnungsmassigen  Abfahrtszeit  darf  kein  Zug  eine  Station  ver- 
lassen ;  sind  Verspatungen  vorgekommen,  so  ist  die  Rangordnung  der  Ziige  die 
Grundlage  der  Verkehrsdisposition  und  muss  festgehalten  werden,  dass  ein  Nach- 
rangszug  den  Verkehr  eines  Vorrangszuges  nicht  beeintrachtigt.  Die  gegenseitige 
Verstandigung  iiber  den  Verkehr  der  Ziige  und  die  diesbeziiglichen  Anfragen  ge- 
schehen  mittelst  des  Telegrafeg;  ist  die  telegrafische  Correspondenz  unterbrochen, 
so  richtet  sich  das  Ablassen  der  Ziige  nach  der  spatesten  (bei  Nachrangs-),  resp. 
der  fruhesten  (bei  Vorrangsziigen)  Abfahrtszeit. 


Eisenbahn  (Locomotive).  75 

Die  Fahrgeschwindigkeit(£a  vitesse  de  marclie  —  velocity  of  tra ins) 
der  Ziige  ist  durch  die  Fahrordnung  bestimrat;  die  hbchst  gesetzlich  erlaubte  ist 
fiir  Personenziige  uiit  10  Meilen,  fur  Lastziige  mit  5  Meilen  pr.  Stunde  festgesetzt. 
Die  Sicherheit  macht  es  nothwendig,  dass  Ztige,  welche  in  derselben  Richtung 
verkekren,  nur  in  bestimmten  Zeitintervallen  auf  einander  folgen  diirfen,  und  zwar 
darf  in  der  Regel  ein  Personen-  oder  gemischter  Zug  einem  Lnstzug  erst  nach 
15  Minuten,  ein  Lastzug  einem  Personen-  oder  gemischten  Zug  erst  nach  5  Minuten, 
Ziige  von  gleicher  Eigenschaft  einander  erst  nach  10  Minuten  folgen. 

(Ueber  Eisenbahnbetrieb :  Hen  singer  von  Waldegg  „Die  Technik  des 
Eisenbahnbetriebs".)  F.  Benedikt. 

Eisenbahn -Fahrbetriebsmittel.  Zu  diesen  gehoren  zunachst  die  Motor  en, 
welche  zur  Fortschaffung  der  Zlige  dienen :  die  Dampfwagen  —  Locomotiven 
—  sodann  die  Munitions wagen  —  Tender  —  welche  den  Brennstoff  und  das 
zur  Erzeugung  des  Dampfes  nothige  Wasser  mitfiihren,  und  endlich  die  Wagen, 
welche  zur  Aufnahme  der  Reisenden  und  der  Frachtguter  dienen,  schliesslich  noch 
die  Schneepfliige  und  D  raisin  en. 

A)  Dampfwagen  oder  Locomotiven  (machine  locomotive  —  locomotive 
engine).  Diese  grossartige  Erfindung  und  mit  derselben  die  Eisenbahnen  haben 
in  dem  kurzen  Zeitraume  eines  halben  Jahrhunderts  Verbreitung  ilber  den  ganzen 
Erdball  gefunden  und  das  Culturleben  der  Volker  vbllig  umgestaltet. 

Ganze,  machtige  Industriezweige,  wie  z.  B.  der  Kohlenbergbau,  die  Eisen- 
und  Stahlindustrie,  basiren  in  ihrer  riesigen  Entwicklung  allein  auf  den  Eisen- 
bahnen, und  es  gibt  wohl  keine  Industrie,  welche  nicht  durch  die  Eisenbahnen 
einen  starken  Impuls  zu  ihrem  Fortschreiten  erhalten  hatte. 

Eine  Hungersnoth  ist,  Dank  den  unermiidlichen,  auf  den  Eisenbahnen  dahin 
schnaubenden  Dampfrossen  und  den  durch  sie  allein  zu  bewaltigenden  Massentrans- 
porten,  heute  nicht  mehr  denkbar,  und  die  noch  im  Mittelalter  durch  Jahrzehende 
wiithende  Kriegsfurie  wird,  wenn  entfesselt,  in  wenigen  Monaten  durch  die  alle 
Culturlander  durchkreuzenden  Schienenstrange  in  stahlerne  Bande  geschlagen. 

Diese  Erfindung  verdient  es  wahrlich,  dass  ihre  Geschichte,  trotz  des  be- 
sckrankten  Raumes,  mit  wenigen  Strichen  skizzirt,  und  dass  dabei  jener  Manner 
anerkennend  gedacht  werde,  welchen  sie  ihren  Ursprung  und  ihre  Fortbildung 
verdankt. 

Geschichtliches:  England  ist  die  Heimath  der  Locomotive;  der  Erfinder  derselben 
ist  Robert  Stephenson  und  der  Geburtstag  der  Locomotive  ist  der  8.  October  1829. 

Die  Vorgeschichte  dieser  Erfindung  ist  dunkel.  Beinahe  zwei  Jahrhunderte  vorher 
kam  1637  Salomon  deCaus  aus  der  Normandie  nach  Paris,  um  dem  Konig  und  dem 
allmachtigen  Cardinal  Richelieu  auseinander  zu  setzen;  wie  die  Dampfe  des  siedenden 
Wassers  zur  Bewegung  von  Schiffen  und  Wagen  beniitzt  werden  konnten.  Er  wurde  als 
wahnsinnig  im  Bicetre  eingesperrt  und  starb  dort.  Auch  Dionys  Papin  sprach  um  das  Jahr 
1690  die  Ansicht  aus,  dass  sich  die  Dampfkraft  als  Betorderungsmittel  fiir  Schiffe  beniitzen 
lasse,  und  S  a  very  wollte  sie  im  Jabre  1708  fiir  Wagen  und  Schiffe  beniitzen.  Cugnot 
baute  1763  das  Modell  eines  Dampfwagens,  sodann  1778  auf  Kosten  des  Marschalls  von 
Sachsen  einen  wirklichen  Dampfwagen,  welcher  bei  der  Probe  eine  Mauer  durchstiess  und  in 
Folge  dessen  fiir  zu  gefahrlich  gehalten  wurde.  Derselbe  befindet  sich  noch  heute  im  Con- 
servatoire des  arts  et  de  metiers  in  Paris  aufbewahrt.  Im  Jahre  1759  scheint  Dr.  Eobinson 
in  Glasgow  die  Idee  gefasst  zu  haben,  Fuhrwerke  mittelst  Dampfkraft  in  Bewegung  zu  setzen. 
Ein  Jahrzehent  spater,  1769,  verfolgte  der  geniale  Erfinder  der  Dampfmaschine,  James  Watt, 
in  Verbindung  mit  Murdoch  diese  Idee;  wenige  Jahre  nachher  beschaftigte  sich  1772 
Oliver  Evans  in  Amerika  erfolglos  mit  dem  Baue  eines  Dampfwagens  und  1784  nahmen 
Watt  und  Murdoch  ein  Patent  auf  eine  Dampfmaschine  zur  Bewegung  von  Fuhrwerken 
auf  gewohnlichen  Strassen. 

Es  war  eine  Niederdruckmaschine  mit  Condensation,  welche  nicht  zur  Ausfiihrung  kam, 
da  die  Erfinder  bei  der  Construction  auf  uniiberwindliche  Schwierigkeiten  gestossen  sein 
mochten. 


76  Eisenbahn  (Locomotive). 

Oliver  Evans  erfand  inzwischen  die  Hochdruckdampfmaschine  ohne  Condensation 
uud  wendete  dieses  Princip  1799  bei  dem  Baue  eines  Dampfwagens  an,  welcher  5  Jahre  Zeit 
in  Anspruch  nabm  und  1804  mit  dem  Namen  Oructor  Amphibolos  in  Philadelphia  im 
Beisein  von  mehreren  Tausend  Zuschauern  auf  der  gewohnlichen  Strasse  in  Bewegung  gesetzt 
wurde.  Oliver  Evans  fehlten  die  Mittel,  seine  Versuche  fortzusetzen,  so  wie  das  Verstandniss 
seiner  Zeitgenossen  und  deren  Anerkennung.     Er  starb  1819. 

Gleichzeitig  erbauten  die  Ingenieure  Trevethick  und  Vivian  in  England  einen  Dampf- 
wagen,  welcher  1804  auf  einer  Eisenbahn  in  Slid- Wales  in  Gang  kam. 

Dieser  hatte  nur  Einen  horizontalen,  im  Dampfkessel  liegenden,  Cylinder  von  200 
Millimetern  Durchmesser  und  1370  Millimeter  Hub.  Die  Bewegung  des  Kolbens  wurde  durch 
eine  Kurbelstange  und  zwei  Zahnrader  auf  die  Triebrader  vermittelt.  Der  gebrauchte  Dampf 
wurde  in  den  Schornstein  geleitet,  ohne  die  ausgesprochene  Absicht,  zur  Zugerzeugung  beniitzt 
zu  werden.  Diese  Locomotive  zog  10  Tonnen  (ungefahr  10.000  Kilogramm  oder  200  Zoll- 
Zentner)  mit  7J/2  Kilometer  (nahezu  5  englische  oder  1  deutsche  Meile)  Geschwindigkeit.  Eine 
regelmassige  Verwendung  derselben  trat  jedoch  nicht  ein,  indem  man  bis  1813  der  Ansicht 
war,  die  Reibung  zwischen  Radern  und  Schienen  sei  so  gering,  dass  die  Rader  sich  auf  dem- 
selben  Punkte,  ohne  fortschreitende  Bewegung,  drehen  wiirden.  Dieser  Irrthum  wirkte  lahmend 
auf  die  Verbesserung  der  Locomotive. 

Urn  eine  grossere  Reibung  zu  erzielen,  wollten  Trevethick  und  Vivian  die  Rad- 
reifen  rauh  machen.  Blenkinshop  dagegen  legte  1811  neben  die  Schienen  einer  Eisenbahn 
bei  Leeds  eine  gezahnte  Stange,  in  welche  ein  gezahntes  Rad  des  Dampfwagens  eingriff. 

Dieser  Zahnrad-Dampfwagen  wurde  der  erste  als  brauchbar  erkannt  und  soil  nahezu 
23  Jahre  Dienste  geleistet  haben.  *) 

Ein  Jahr  spater,  1812,  nahmen  William  und  Edward  Chapman  eine  Kette  zu 
Hilfe,  welche  zwischen  den  Schienen  lag  und  um  ein  Triebrad  der  Maschine  geschlungen  war. 
Wegen  der  ungemeinen  Reibung  der  Kette  und  ihrer  schnellen  Abniitzung  gaben  die  Erfinder 
diese  Idee  bald  auf,  um  so  mehr,  als  auch  der  Dampfwagen  oft  aus  der  Balm  gerieth. 

Dasselbe  Schicksal  hatte  B  run  ton's  Locomotive,  welche  1813  erbaut  wurde.  Sie  ruhte 
auf  vier  Radern  und  war  mit  Ein  em  Cylinder  versehen.  Die  Kolbenstange  bewegte  sich  in 
horizontaler  Richtung  nach  hinten  und  war  mit  zwei  Kriicken  in  Verbindung,  welche  sich  auf 
den  Boden  stiitzen  und  abwechselnd  die  Locomotive  fortschoben,  somit  als  mechanische  Beine 
wirkten.  In  demselben  Jahre  machte  zuerst  B 1  a  c  k  e  1 1  Versuche,  die  Locomotive  ohne  Zahn- 
rader, ohne  Kette,  ohne  mechanische  Beine  u.  dgl.  laufen  zu  lassen,  um  festzustellen,  ob  die 
Rader  gleiten  werden,  was,  wie  gesagt,  bis  dahin  als  feststehend  angenommen  worden  war. 
Black  ett's  Bemiihungen  waren  von  Erfolg  gekrbnt;  es  ergab  sich,  dass  die  Reibung  zwischen 
Radern  und  Schienen  nicht  nur  so  gross  sei,  um  die  Locomotive  selbst  eine  fortschreitende 
Bewegung  annehmen  zu  lassen,  sondern  dass  auch  noch  ein  Ueberschuss  vorhanden  war,  um 
auf  horizontaler  oder  gering  ansteigender  Strecke  mehrere  Wagen  fortziehen  zu  konnen. 

Die  erste  Maschine,  bei  welcher  nur  die  Reibung  der  Rader  auf  den  Schienen  (die 
Adhasion)  wirkte,  hatte  auch  nur  Einen  Cylinder  und  ein  Schwungrad,  um  die  unregel- 
rnassige  Wirkung  auszugleichen. 

Wenn  beim  Stillstehen  die  Kurbel  auf  dem  todten  Punkte  stand,  musste  der  Dampf- 
wagen mit  Hebeln  in  Bewegung  gesetzt  werden.  In  dem  folgenden  Jahre  1814  baute  George 
Stephenson  den  ersten  auf  vorstehendes  Princip  sich  stiitzenden  Dampfwagen  fur  die 
Stockton-Darlington  Eisenbahn  mit  zwei  vertical  stehenden  Cylindern  von  200  Millimetern 
Durchmesser  und  610  Millimetern  Hub,  wobei  Zahnrader  die  Uebersetzung  auf  die  Triebachse 
bewirkten.  Durch  den  Kessel  ging  ein  Feuerrohr.  Diese  Locomotive  zog  30  Tonnen  (ungefahr 
30.000  Kilogramm)  mit  etwa  6  Kilometern  (etwa  %  deutsche  Meilen)  Geschwindigkeit  in  der  Stunde. 

George  Stephenson  baute  nun  in  Verbindung  mit  Dodds  und  wieder  allein  noch 
mehrere  Locomotiven,  1820  eine,  wo  der  gebrauchte  Dampf  zur  Erzielung  eines  besseren  Zuges 
in  den  Schornstein  geleitet  wurde.  **) 


6)  In  unserem  Jahrzehent  ist  dieses  Princip  (freilich  nur  fur  Steigungen,  welche  friiher  als  un- 
uberwindlich  fur  eine  Eisenbahn  galten)  zu  Ehren  gekommen ;  in  Europa  zuerst  bei  der  Rigi- 
bahn  mit  Steigungen  von  250  Millimeter  auf  einen  Meter  Lange. 

*)  In  demselben  Jahre  baute  Gryffiths  nach  dem  Plane  Prof.  Arzbergers  die  erste 
Strassenlocomotive. 


Eisenbahn.  77 

Der  Franzose  Pellet  an  streitet  rait  George  Stephenson  und  Hackworth  urn 
die  Prioritat  der  Erfindung,  don  gebrauchten  Dampf  als  Zugerzeugungsmittel  zuerst  beniitzt 
zu  haben. 

Tim.  Hackworth  liess  1825  die  zwei  verticalen  Cylinder  seines  neuen  Dampfwagens 
zuerst  zu  beiden  Seiten  des  Kessels  auf  Eine  Triebachse  wirken. 

George  Stephenson  hatte  nun  schon  in  seiner  Fabrik  in  New-Castle  16  Locomotiven 
gebaut,  welehe  auf  der  Stockton-Darlington  Bahn  verkehrten,  der  ersten  Bahn,  auf  welcher 
regelmassig  und  andauernd  Personen  befordert  wurden. 

Bis  1826  verwendete  man  Gusseisen  fiir  alle  Locomotiv-Rader,  welehe  sich  auf  der 
Laufflache  schnell  abniitzten,  auch  ofters  sprangen  und  Unfalle  veranlassten. 

Nic.  Wood  versah  zuerst  auf  der  Killingworth-Eisenbahn  die  Rader  mit  Bandagen 
von  Schmiedeisen,  und  es  entstand  1827  in  der  Bedlington-  Hiitte  das  erste  Walzwerk  fiir 
Fabrication  der  schmiedeisemen  Radreifen  (hande-tyre). 

Bis  zurn  Jahre  1827  waren  durchschlagend  gunstige  Resultate  mit  den  Dampfwagen 
nicht  zu  erzielen  gewesen,  indem  die  beschrankte  Kesselanlage  den  verbrauchten  Dampf  nicht 
schnell  genug  ersetzen  konnte.  In  diesem  Jahre  stellte  der  Franzose  Marc  Seguin  auf  der 
Bahn  von  Etienne  nach  Lyon  Versuche  mit  einer  englischen  Locomotive  an  und  kam  zu  der 
Ueberzeugung,  dass  nur  durch  Vergrosserung  der  Heizflache  bessere  Resultate  zu  erzielen  seien. 
Er  machte  den  Vorschlag,  eine  grosse  Anzahl  Rohren  von  geringer  Wandstarke  im  Kessel 
einzubringen  und  liess  sich  den  „Rohrenkessel"  1827  in  Frankreich  patentiren,  jedoch  kam 
derselbe  erst  mehrere  Jahre  nachher  auf  der  Lyoner  Babn  in  Betrieb. 

Im  Jahre  1828  baute  Robert  Stephenson,  der  Sohn  des  George  Stephenson, 
eine  Locomotive  mit  2  Cylindern,  welehe,  unter  einem  Winkel  von  45  Grad  geneigt,  am  Kessel 
befestigt  waren. 

Die  Kolbenstangen  wurden  mittelst  eines  Kreuzkopfes  zwischen  zwei  Parallelschienen 
gerade  gefiihrt  und  die  Kurbelstangen  griffen  an  den  beiden  um  90  Grad  versetzten  Kurbeln 
der  Triebachse  an;  die  Zapfen  der  zweiten  Triebachse  waren  durch  Stangen  mit  diesen  ver- 
bunden;  der  Kessel  hatte  zwei  Feuerrohren. 

Dies  war  die  erste  Maschine  mit  vier  gekuppelten  Radern.  Das  Kuppeln  der  Rader  ist 
als  ein  wesentlicher  Fortschritt  zu  bezeichnen,  indem  dadurch  die  Adhasion  verdoppelt 
werden  kann. 

Aber  alle  Locomotiven  hatten  einen  so  langsamen  Gang,  dass  die  Reisenden  mit  der 
Post  doppelt  so  schnell  vorwarts  kamen. 

Als  nun  1829  die  Manchester-Liverpooler  Bahn  beinahe  fertig  war,  schrieb  die  Gesell- 
schaft,  welehe  lange  geschwankt  hatte,  ob  feststehende  Motoren  oder  Pferde  oder  aber  Loco- 
motiven zur  Zugforderung  beniitzt  werden  sollten,  auf  den  Rath  ihres  Oberingenieurs  George 
Stephenson  einen  Preis  auf  die  beste  Locomotive  aus.  Man  forderte  Locomotiven,  welehe 
fahig  waren,  bei  einem  Gewichte  von  10  x/2  Tonnen,  inclusive  Tender,  einen  Zug  von  19  % 
Tonnen  Gewicht  mit  10  englischen  Meilen  Geschwindigkeit  in  der  Stunde  zu  befordern,  d.  h. 
circa  20.000  Kilogramm  mit  15  Kilometern  Geschwindigkeit. 

Am  8.  October  1829  concurrirten  4  Bewerber  um  den  Preis  von  5000  Gulden. 

1.  Burstall  mit  der  Maschine  Perseverance  (die  Beharrlichkeit).  Diese  Maschine  kam 
defect  an,  entsprach  mehreren  Bedingungen  nicht  und  wurde  zu  den  Probefahrten  nicht  zu- 
gelassen. 

2.  Tim.  Hackworth  von  Shildon  mit  der  Maschine  Sanspareil  (die  Unvergleichliche). 
Diese  Maschine  entsprach  gleichfalls  nicht  alien  Bedingungen ;  sie  war  zu  schwer  und  es  fehlten 
die  vorgeschriebenen  Tragfedern.  Sonst  hatte  der  Kessel  eine  doppelte  Feuerrohre,  welehe 
von  hinten  nach  vorn  und  wieder  zuriick  ging,  so  dass  Kamin  und  Rost  an  deraselben  Ende 
lagen.  Die  Cylinder  standen  vertical  iiber  der  Triebachse,  welehe  mit  der  zweiten  Achse  ge- 
kuppelt  war.     Der  gebrauchte  Dampf  wirkte  in  dem  Schornstein  saugend  auf  das  Feuer. 

3.  Braithwaith  und  Erics  on  von  London  mit  der  Maschine  Novelty  (die  Neuigkeit). 
Diese  Maschine  fiihrte  Wasser  und  Kohle  selbst  mit,  war  also  eine  Tendermaschine.  Ein  durch 
die  Maschine  getriebenes  Geblase  fiihrte  die  Luft  unter  den  Rost.  Der  Kessel  bestand  aus 
Steh-  und  Langkessel.  Vom  Rost  ging  ein  Flammrohr  durch  den  Langkessel  nacb  vorn, 
dann  zuriick,  und  endlich  wieder  nach  vorn  zutn  Schornstein.  Von  dem  Feuerraum  ging  ein 
Rohr  durch  den  Stehkessel  nach  oben,  durch  welches   das  Brennmaterial  eingeschiittet  wurde. 


78 


Eisenbalm  (Locomotive). 


Die  Maschine  hatte  vorn  auf  dem  Kessel  nrir  Einen  Cylinder.  Die  Triebrader  wurden 
mittelst  Kurbelstangen  und  Winkelhebeln  gedreht  und  konnten  mit  den  Radern  der  zweiten 
Achse  gekuppelt  werden. 

4.  Robert  Stephenson  von  New-Castle  mit  der  Maschine  Rocket  (Rackete).  Diese 
allein  entsprach  alien  Bedingungen,  iibertraf  in  ilirer  Leistungen  die  gestellten  Anfordernngen 
und  erhielt  den  Preis. 

Figur  1302  a  und  b  zeigt  diese  Locomotive  in  Langenansicht  und  Querschnitt.  Der 
Kessel  a  war  cylindrisch  mit  flachen  Enden,  2  Meter  lang  und  etwa  1  Meter  im  Durcbmesser. 


Fig.   1302  a 


Fig.  1302  b. 


Mit  dem  einen  Ende  des  Kessels  war  ein  viereckiger  Kasten  oder  Ofen  b  verbunden, 
etwa  1  Meter  breit  und  hoch,  0-7  Meter  lang.  Am  Boden  dieses  Kastens  waren  die  Roststabe 
c  Fig.  1302  a  angebracht,  und  er  war  ganzlich  von  einem  Gebause  umgeben,  ausgenommen 
am  Boden  und  an  der  Seite  des  Kessels.  Zwischen  dem  Gehause  und  dem  Feuerkasten  blieb 
nur  ein  Raum  von  circa  75  Millimetern,  welcher  mit  Wasser  gefiillt  war.  Eine  Rohre  d  versah 
ihn  mit  Wasser  aus  dem  Kessel  und  ein  Rohr  e  fiihrte  den  Dampf  in  den  Obertheil  des  Kessels, 
welcher  oben  mit  Dampf,  unten  mit  Wasser  gefiillt  war.  Durch  den  Untertheil  des  Kessels 
gingen  25  kupferne  Rohren  von  circa  75  Millimetern  Weite  von  einem  Ende  bis  zum  anderen. 

Die  2  Cylinder  wirkten,  schief  stehend,  jeder  auf  nur  einRad;  sie  batten  200  Millimeter 
Durcbmesser  und  420  Millimeter  Hub. 

Der  gebrauchte  Dampf  ging  mittelst  der  Rohre  g  in  den  Schornstein  und  erzeugte  stoss- 
weise  den  Zug  des  Feuers.  Die  Triebrader  hatten  circa  1-250  Meter,  die  Laufrader  1  Meter 
Durchtnesser.  Die  Rostflache  betrug  0-6D  Meter,  die  gesammte  Heizflache  13D  Meter.  Das 
Gewicht  der  Locomotive  war  circa  4200  Kilogramm,  jenes  des  Tenders  3000  Kilogramm. 

Die  Maschine  Rackete  zog  ausser  dem  Tender  2  beladene_Wagen  von  9y2  Tonnen  Ge- 
wicht und  erreichte  eine  Maximalgeschwindigkeit  von  20  englischen  Meilen  (circa  30  Kilometer 
oder  4  deutsche  Meilen)  in  der  Stunde,  die  mittlere  Geschwindigkeit  war  14  englische  Meilen 
circa  21  Kilometer  in  der  Stunde.  Es  war  die  gliickliche  Combination  des  Rbhrenkessels  von 
S  e  g  u  i  n  mit  dem  Exhaustor  von  Pelletan  oder  Haekworth  oder  Geo  rgeStephenson 
welche  die  Maschine  Rackete  den  Preis  gewinnen  liess. 

Schon  im  Jahre  1830  baute  man  Maschinen  mit  90  bis  130  Siederohren  von  40  bis 
50  Millimetern  Durcbmesser  und  zwischen  den  Radern  liegenden  Cylindern  mit  gekropften 
Achsen.     Die  Rader  waren  von  Holz  mit  schmiedeisernen  Bandagen. 

Edmund  Bury  war  1830  der  erste,  welcher  die  Cylinder  ganz  horizontal  legte;  in 
demselben  Jahre  erfaud  W.  Losh  die  schmiedeisernen  Speichenriider.  Nun  wurden  auch  die 
Schienen  tragfahiger  gemacht  und  so  konnte  das  Gewicht  und  die  Leistungsfahigkeit  der  Lo- 
comotive gesteigert  werden. 

Robert  Stephenson  construirte  1833  die  erste  Dampf bremse.  In  demselben  Jahre 
wandte  Dixon  zuerst  Messingrohren  statt  der  kupfernen  an. 

B a  1  d u i n  in  Philadelphia  und  Forrester  in  Liverpool  vereinfachten  und  verbesserten 
1834  die  Steuerung  behufs  des  Yor-  und  Ruckwartsganges. 

Auch  wandte  man  nun  schon  Triebra:er  an  von  mehr  als  2  Meter  (7  Fuss  englisch) 
Durcbmesser  und  Geschwindigkeiten  von  40  bis  50  Kilometer  per  Stunde. 


Eisenbalin.  79 

Im  Jalire  1835  erfand  John  Melling  die  Kugelventile  der  Speisepumpen  statt  der 
sich  haufig  festsetzenden  conischen.  Gleichzeitig  baute  Robert  Stephenson  Locomotiven 
mit  aussen-  nnd  innenliegenden  Cylindern  mit  drehbarem  Vordergestelle. 

Dieses  letztere  wurde  namentlich  dnrch  William  N orris  nnd  Balduin  in  Phila- 
delphia ansgebildet  und  fast  alle  amerikanischen  Locomotiven  fiir  Personenziige  haben  noch 
hente  ein  drehbares  Vordergestell  (truck). 

R.  und  W.  Hawthorn  construirte  damals  zuerst  metallene  Wasserleitungen  zwischen 
Maschine  und  Tender  mit  Kugelgelenken,  wie  sie  auch  jetzt  noch  vorkommen. 

Derselbe  Ingenieur  verbesserte  auch  die  Steuerung  durch  Anwendung  von  4  festen  Ex- 
centrics,  2  fiir  jeden  Cylinder  und  je  eines  davon  fiir  den  Vorwarts-  und  fiir  den  Riickwartst 
gang,  und  wandten  Triebrader  von  mehr  als  3  Meter  Durchmesser  (10  englische  Fuss)  an, 
von  welchen  jedoch  bald  wieder,  wegen  der  hohen  Lage  des  Schwerpunktes,  abgegangen  wurde. 

Gillingham  und  Winaus  in  Baltimore  bauten  die  ersten  Dampfwagen  mit  ver- 
anderlichen  Expansion;  jeder  Cylinder  hatte  3  Excenter,  eines  fiir  voile  Fiillung  und  2  fur 
eben  so  viele  verschiedene  Expansionsgrade. 

Man  hatte  nun  gern  Maschinen  von  grosserer  Leistungsfahigkeit  gebaut,  aber  man  kam 
nicht  liber  50D  Meter  Heizflache,  und  glaubte,  bei  der  nun  einmal  feststehenden  Spurweite 
von  1*435  Meter  nicht  mehr  erreichen  zu  konnen,  und  es  entstanden  nun  Bahnen  in  England 
von  2*135  Meter  Spurweite.  In  anderen  Staaten  und  auch  in  England  wandte  man  ein 
mittleres  Mass  von  1*500  bis  1-840  Meter  an,  ohne  dass  es  gelang,  kraftigere  oder  schnellere 
Locomotiven  zu  bauen. 

Alle  diese  Verschiedenheiten  sind  verlassen  worden  und  hat  man  derzeit  in  der  ganzen 
Welt  mit  Aiisnahme  von  Russland  und  Spanien  alle  Normalbahnen  mit  der  Spurweite  von 
1*435,  wahrend  die  Secundarbahnen  mit  Spurweiten  von  0300  bis  1*200  Meter  ausgefiihrt  wurden. 

East  wick  tmd  Harrison  bauten  im  Jahre  1839  eine  Locomotive  mit  8  Radern, 
wovori  4  gekuppelt  und  4  in  dem,  um  Ein  en  Punkt  drehbaren  Gestelle  mit  einer  Feder- 
hangung  so  vereinigt  waren,  dass  die  ganze  Maschine  auf  nur  drei  Punkten  ruhte. 

Gleichzeitig  erzielte  Clapeyron  eine  fixe  Expansion,  indem  er  den  Excentern  Vor- 
eilung  und  den  Schiebern  eine  Ueberlappung  gab. 

Pauwels  in  Lille  legte  die  Gleitflachen  der  Schieber  zuerst  vertical,  was  die  Steuerung 
wesentlich  vereinfachte. 

Dr.  Ridder  erfand  1840  in  Belgien  die  Warmrohren,  um  den  uberschiissigen  Dampf 
in  den  Tender  zu  leiten.  G  o  o  c  h  nahm  in  demselben  Jahre  ein  Patent  auf  verstahlte  Rad- 
bandagen. 

Lud.  Klein  in  Wien  erfand  1841  die  Funkenfanger,  um  die  Feuersbriinste  zu  be- 
seitigen,  welche  nicht  selten  durch  Losomotiven  veranlasst  worden  waren. 

Rob.  Stephenson  baute  im  Jahre  1842  eine  Locomotive  mit  nahezu  4 Meter  langen 
Siederohren  aus  Schmiedeisen  und  mit  Coulissensteuerung  behufs  variabler  Expan- 
sion, welche  bis  jetzt,  trotz  der  sehr  grossen  Anzahl  seitdem  erdachter  Steuerungen  mit 
variabler  Expansion,  mit  einem  oder  zwei  Schiebern,  nicht  iibertroffen  worden  ist.  Die  Speise- 
pumpen wurden  durch  das  Riickwarts- Excenter  getrieben. 

Die  3  Achsen  (die  mittlere  Triebachse)  lagen  alle  vor  der  Feuerkiste,  die  Maschine 
hatte  somit  einen  kurzen  Radstand  und  konnte  scharfe  Kriimmungen  durchfahren. 

In  Deutschland  wurde  die  erste  Locomotive  (Saxonia)  1837  zu  Uebigau  fiir  die  Leipzig- 
Dresdner  Bahn  gebaut;  dieselbe  Anstalt  lieferte  auch  die  zweite  Maschine  (Phonix).  In  dem- 
selben Jahre  erbaute  Dr.  Kiifeld  in  Berlin  eine  Maschine  fiir  die  Berlin-Potsdamer  Eisen- 
bahn  mit  verticalen  Kesseln  und  Cylindern. 

Dobbs  und  Pons  gen  in  Aachen  bauten  1840  und  Jacobi  Haniel  und  Huysten 
in  Sterkrade  1841  je  eine  Locomotive. 

A.  Borsig  in  Berlin  stellte  1841  die  erste  Locomotive  fiir  die  Berlin-Anhalter  Bahn, 
Eg  els  in  Berlin  folgte  1842. 

Nun  treten  die  Wien-Gloggnitzer  Eisenbahn  in  Wien,  Giinther  in  Wiener-Neustadt, 
Maffei  in  Hirschau  bei  Miinchen,  Kessler  in  Carlsruhe  als  Locomotivfabrikanten  auf. 

Die  Eisenbahnen  (und  mit  ihnen  der  Locomotivbau)  breiteten  sich  nun  immehr  mehr 
aus.  Natiirlich  waren  es  Bahnen  mit  horizontalen  oder  wenig  geneigten  Strecken,  welche 
man   der  leichten   und   billigeren   Herstellungs-  und  Transports-Kosten   wegen   zunachst   aus- 


80 


Eisenbahn  (Locomotive). 


fiihrte:  Tkalbaknen,  Flaclilandsbaliuen;  allmiilig  ging  man  weiter  imd  stieg  aus  den 
Thalern  auf  die  Hitgel  und  iiberscbritt  Wasserscheiden  mit  Steigungen  von  10  Millimetern 
auf  1  Meter  (Yl00),  bis  sick  endlich  zu  Ende  der  vierziger  Jabre  das  Bediirfniss  zn  einer  Ueber- 
schreitung  der  Alpen  berausstellte,  una  die  italieniscben  Provinzen  Oesterreichs  mit  der  Haupt- 
stadt  zu  verbinden. 

Die  osterreickiscke  Eegierung  scbrieb  1850  einen  Preis  von  20.000  Dukaten  fiir  die 
beste  Locomotive  aus,  welcke  im  Stande  sei,  die  Bakn  iiber  den  Semmering  mit  Steigungen 
von  25  Millimetern  per  1  Meter  (J/,o)  nn<l  m^  sear  scharfen  Kriimmungen  mit  einer  Zugs- 
last  von  125.000  Kilogramm  (2500  Zoll-Ztr.  —  125  Tonnen)  exclusive  Tender  zu  befakren. 
Es  wurden  4  Masckinen  zur  Concurrenz  zugelassen,  und  zwar  je  eine  von  Maffei  in 
Miincken,  von  Giintker  in  Wiener-Neustadt,  von  Jokn  Cocke  rill  in  Seraing  und  von 
der  Masckinen-Fabrik  der  "Wien-Gloggnitzer  Eisenbabn. 

Die  Bavaria  von  Muff  ei  in  Miincken  erhielt  den  ersten  Preis  und  auck  die  drei  anderen 
wurden  preisgekront,  jedock  wurde  keine  als  dauernd  geniigend  fur  den  Betrieb  auf  dem 
Semmering  anerkannt. 

Unter  Zubilfenakme  der  bis  dabin  gemaekten  Erfakrungen  und  der  besten  Constructionen 
projectirte  Engertk  in  Wien  seine  Tenderlocomotive  mit  3  gekuppelten  Acksen,  von  welcker 
Fig.  1303  eine  Ansickt  zeigt.  Die  Masckine  kat  nock  2  Tenderacksen,  von  welcken  eine  voi- 
der Feuerkiste  und  die  zweite  kinter  der  Feuerkiste  sick  befindet. 

Der  weit  nacb  ruckwarts  iiberbaute  Kessel  stiitzt  sich  mittelst  der  Stiitzen  p,  welcke 
kugelforraige  Zapfen  kaben  und  sick  in  Gussstakllagern  dreken,  auf  den  Tender. 

Fig.  1303. 


rB, 


g^^EF 


Wahrend  man  friiker  bei  starken  Steigungen  die  Eisenbabn  mit  feststekenden  Dampf- 
masckinen  betrieb,  wie  z.  B.  die  scbiefe  Ebene  bei  Liittick,  erklimmen  jetzt  Locomotiven  mit 
ihren  Trains  Steigungen  von  35  Millimeter  per  Meter  (V2S)  mit  glatten  Bandagen  nur  ver- 
mittelst  der  Adkasion. 

Im  Jakre  1850  erfand  Giffard  in  Franlu-eich  die  Dampfstraklpumpe  (injecteur  —  in- 
jector), welcke  nunmehr  in  den  versckiedensten  Constructionen  bei  fast  alien  neueren  Loco- 
motiven angewendet  wird,  da  die  friikeren  Speisepumpen  allzukaufig  den  Dienst  versagten. 
Es  wiirde  zu  weit  fiikren,  alle  moglichen  Locomotiv-Constructionen  zai  bescbreiben,  und  wir 
begniigen  uns  mit  der  Angabe,  dass  mit  Sekluss  des  Jakres  1874  nack  autkentiscken  Angaben 
auf  den  Eisenbaknen,  welcke  zum  Verbande  des  „Vereines  deutscber  Eisenbaknverwaltung" 
gekoren,  der  die  deutscken,  osterreickiscken,  ungariscken,  so  wie  mekrere  Baknen  in  Belgien, 
in  den  Niederlanden,  Euinanien  und  Russisck-Polen  umfasst,  13.237  Locomotiven  im  Betrieb 
waren.  Die  Anzabl  der  Locomotiven  in  alien  Erdtkeilen  kann  mit  rund  50.000  Stuck  ange- 
nommen  werden.  Nimmt  man  den  Preis  einer  Locomotive  mit  Tender  mit  30.000  Gulden 
osterr.  Wabr.  an,  so  sind  dafiir  Fiinfzekn  Hundert  Millionen  Gulden  angelegt  worden. 

Organe  der  Locomotiven.  Alle  Locomotiven,  mogen  sie  nun  zur  Be- 
forderung  von  Courier-,  ge^blmlichen  Personenziigen  oder  zur  Fortschaffuiig  von 
Frachten  dienen,  hub  en  gewisse  Haupttheile  mit  einander  gemein,  und  unterscbeiden 
sich  nur  in  jenen  Einzelnbeiten  von  einander,  welcbe  ibre  verscbiedene  Bestimmung 
erfordert. 

Die  alien  Locomotiven  gemeinscbaftlicben  Hauptorgane  sind :  der  D  a  m  p  f- 
kessel  (generateur  —  steamboiler),  der  AY ag en,  welcher  den  erzeugten  Dampf 


Eisenbahn  (Locomotiv-Kessel). 


81 


unmittelbar  fur  Eisenbahnzwecke  verfiigbar  macht,  und  der  Mechanismus,  welcher 
Kessel  und  Wagen  verbindet,  die  Mas  chine. 

Diese  3  Elemente  sind  nach  bestimmten  Principien  anzuordnen,  und  sollen 
zunachst  getrennt  aufgefasst  und  beschrieben  werden. 

I.  Kessel.  Jeder  Locomotivkessel  besteht  aus  der  Feuerkiste  (boite  a  feu 

—  fire-box),  in  welcher  sich  der  Rost  befindet  und  der  Brennstoff  zur  Verwendung 
gelangt,  dann  aus  dem  Langkessel  von  cylindrischer  Form,  welcher  die  Siederohren 
enthalt,  endlich  dem  Rauchkasten  mit  dem  Schornslein. 

Die  Feuerkiste  oder  der  Feuerkasten  hat  meistens  eine  im  Grundrisse  oblonge 
Form  mit  abgerundeten  Ecken ;  er  ist  auf  alien  4  Seiten  durch  kraftige,  mit  einander 
vernietete  Kupferplatten  von  15 — 20mm  Dicke  gebildet  und  hat  eine  Decke  aus 
Kupfer.  In  Amerika  pflegt  man  haufig  Stahl-  oder  Eisenplatten  dazu  zu  nehmen, 
und  man  hat  dies  auch  in  Europa  mehrfach,  jedoch  mit  ungiinstigem  Erfolge 
versucht. 

Bei  dem  hohen  Dampfdrucke,  welchen  man  bei  Locomotiven  aus  okonomischen 
Gr iinden  zur  Anwendung  bringt,  8  bis  15  Atmospharen  effectiv,  miissen  diese 
ebenen  Fliichen  versteift  werden,  was  durch  die  sogenannten  Stehbolzen  (enfretoise 

—  stay)  geschieht,  d.  h.  Schrauben  aus  Eisen,  Stahl  oder  Kupfer,  deren  Gewinde 
in  der  Platte  des  Feuerkastens  und  des  Stehkessels  ihre  Muttern  und  beiderseits 
noch  runde  Nietenkopfe  haben. 

Fig.  1304  zeigt  einen  S  tehbolzen  im  Schnitt. 
In  der  Mitte  sind  die  Gewinde  weggedreht,  von  der 
Seite  ist  der  Bolzen  angebohrt.  Dies  hat  den  Zweck, 
ein  Abreissen  des  Bolzens  durch  das  sodann  heraus- 
spritzende  Wasser  bemerkbar  zu  machen.  Dieser 
Uebelstand  kommt  haufig  genug  vor  und  bedingt  na- 
turlich  den  Ersatz  des  Stehbolzens. 

Der  Stehkessel  hat  in  der  Entfernung  von  80 
bis  100mm  mit  dem  Feuerkasten  parallele  Wande 
und  Decke,  und  besteht  aus  Eisen-  oder  Stahlblech. 
Der  Zwischenraum  ist  mit  Wasser  ausgefiillt,  welches 
noch  die  Feuerkastendecke  mindestens  100mm  hoch 
bedecken  muss. 


Fig.  1304. 


Stehbolzen. 


Die  Decke  des  Stehkessels  ist  entweder  flach  und  muss  dann  gleichfalls  mit 
Stehbolzen  verankert  sein  wie  die  Seitenwande,  oder  halbcylindrisch. 

In  dem  zweiten  Falle  muss  die  flache  Decke,  der  Box,  mit  Ueberlegeisen 
und  Schrauben  versteift  sein. 

In  den  letzteren  Jahren  hat  man  Feuerkasten  construirt,  wo  die  Decke  ge- 
wolbt  ist  und  iiberdies  aus  ge  well  tern  Kupferblech  besteht,  um  die  Decken- 
anker  zu  ersparen.  Dies  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  der  bei  den  Locomotiven 
besonders  lastige  Kesselstein  leicht  entfernt  werden  kann,  und  diirfte  auch  die 
Dampfproduction  eine  bessere  sein. 

Im  Jahre  1875  construirte  Kaselowski  in  Berlin  eine  Feuerbiichse  ohne 
alle  Stehbolzen,  Deckbarren  und  Deckanker.  Wenn  sich  diese  Construction,  wie 
nicht  zu  bezweifeln,  bewahrt,  so  wird  die  Erhaltung  der  Locomotivkessel  wesentlich 
billiger  zu  stehen  kommen. 

Auf  der  riickwartigen  Seite  des  Stehkessels  befindet  sich  die  Feuerthiir, 
durch  welche  das  Brennmaterial  auf  den  Rost  gebracht  wird.  Die  Oeflrmng  ist 
von  einem  schmiecleisernen  Ringe  umgeben,  welcher  den  Raum  zwischen  Box  und 
Stehkessel  ausfiillt  und  mit  beiden  Wanden  vernietet  ist. 

Um  das  untere  Ende  der  Feuerkiste  geht  ein  starker,  schmiedeiserner  Rahmen, 
welcher  mit  den  Platten  der  Feuerbiichse  und  des  Stehkessels  gleichfalls  ver- 
nietet wird. 

In  der  Nahe  befindet  sich  der  Rost  (grille  — ■  grate).  Er  wird  aus  geraden, 
parallelen  Staben  (barres   du  foyer  —  fire-bars),   aus    Schmied-  oder   Gusseisen 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.   Bd.  III.  g 


82  Eisenbahn  (Locomotiv-Kessel). 

gebildet,  welche  Luftspalten  zwischen  sich  lassen,  deren  Breite  von  der  Beschaffenheit 
des  Brennmateriales  abhangig  ist  und  von  etwa  10 — 50mm  variirt. 

Koks,  Stuck-,  backende  oder  scblackende  Kohle  erfordert  weite,  Kleinkolile 
oder  sinternde,  im  Feuer  zerfallende  Kohle,  braucbt  enge  Spalten. 

Unter  dem  Roste  befindet  sicb  der  Aschenkasten,  welcher  vorn  und  riickwarts 
nait  Klappthiiren  verseben  sein  muss,  durch  welche  die  Luft  unter  den  Rost  treten 
kann.  Dieser  Kasten  besteht  aus  Eisenblech,  ist  leicbt  abnehmbar  und  bat  zur 
Verbiitung  von  Scbadenfeuern  zu  dienen,  welche  durch  die  noch  gliihenden  Kohlen- 
stiicke  leicbt  entstehen  konnten,  welohe  durch  die  Rostplatten  fallen.  Den 
Vordertheil  der  Feuerkiste  bildet  die  Rohrwand.  Sie  nirnmt  das  hintere  Ende  der 
Siederohren  auf  (bouilleurs,  tuyaux  —  holler  tubes,  heating-tubes),  deren  Anzahl 
in  den  kraftigen  Maschinen  der  Neuzeit  tiber  200  steigt  und  deren  lichte  Weite 
40 — 55mm  betragt.'  Die  Siederohren  bestehen  meist  aus  Messing,  und  dort,  wo 
es  die  chemische  Beschaffenheit  des  Wassers  und  des  Brennstoffes  gestattet,  aus 
Schmiedeisen.  Die  Wandstarke  betragt  2 — 3mm.  Auch  aus  Stahl  werden  sie 
erzeugt,  um  ihnen  ein  geringeres  Gewicht  geben  zu  konnen;  jedoch  sind  Stahl- 
rohren  zur  allgemeineren  Anwendung  noch  nicht  gelangt. 

Die  Verbindung  der  Siederohren  mit  der  Rohrwand  geschieht  dadurch,  dass 
durch  eigene  Werkzenge  die  Wandung  der  Rohren  an  die  Rohrwand  angepresst 
wird.  Die  frtiher  allgemein  angewendeten  Brandringe  sind  ganz  ausser  Gebrauch 
gekommen. 

Haufig  werden  die  eisernen  und  messingenen  Siederohren  bei  der  Feuer- 
kasten-Rohrwand  mit  Kupferstutzen  verseben,  um  das  bei  schlechtem  Speisewasser 
und  nicht  vorsichtiger  Manipulation  haufig  vorkommende  Rohrrinnen  zu  ver: 
meiden.  Diese  Erscheinung  tritt  leicht  ein,  wenn  wahrend  der  Fahrt  die  Feuer- 
tbiir  aus  irgend  einem  Grunde  offen  bleibt  und  kalte  Luft  in  den  Feuerkasten 
treten  kann.  Der  in  der  Rohrwand  befindliche  Theil  der  Siederohren  zieht  sicb 
zusammen,  die  Dichtung  wird  aufgehoben  und  Wasser  in  den  Feuerkasten  gepresst. 
Rinnende  Rohren  mlissen  frisch  gedichtet  werden. 

Der  Holzschnitt  Fig.  1305  zeigt  ein  Siederohr  in  Verbindung  mit  den 
Rohrwanden.  Da  die  Rohren  vom  Rauchkasten  aus  in  den  Kessel  gebracht  werden, 
Fig.  1305.  so  miissen  die  Locher  in  der  vorderen  Rohr- 

wand grosser  sein  als  die  Rohren  selbst, 
welche  dann  beim  Eindicbten  an  dieser 
Stelle  etwas  erweitert  werden.  Die  Rohr- 
wand muss  dicker  im  Fleische  sein  als 
alle  ubrigen  Kesselplatten,  weil  zwischen 
den  Rbhrenlochern  wenig  Material  stehen 
bleibt. 

Der  Lang-  oder  cylindrische  Kessel  ist  mit  den  Stehkesselwanden 
durch  Nietung  verbimden,  er  besteht  aus  Eisen-  oder  Stahlplatten,  welche  nicht 
dicker  als  15mm  sein  sollten  und  am  vorderen  Ende  die  Rauchkasten-Rohrwand 
aus  Eisen,  Stahl,  seltener  Kupfer,  aufnehmen,  mit  welcher  die  Siederohren  eben  so 
verbimden  sind,  wie  mit  der  anderen.  Der  Durchmesser  dieses  Theiles  betragt 
selten  liber  T300m  ,  die  Lange  bis  4m  und  dariiber. 

Eigentlich  nicht  mehr  zum  Kessel  gehorig,  aber  mit  demselben  durch  Nieten 
verbimden,  ist  die  Rauchkammer,  der  Rauchkasten  (boite  a  fumee  —  smoke  box), 
durch  welche  die  Verbrennungsproducte  aus  dem  Feuerkasten  und  den  Siederohren 
zum  Rauchfang  (cheminee  —  chimney)  gelangen.  Er  muss  luftdicht  geschlossen 
sein,  damit  in  denselben  keine  kalte  Luft  eindriuge.  Die  vorderste  Wand  des 
Rauchkastens  wird  fast  ganz  durch  eine  grosse  Thiir  emgenommen,  welche  dazu 
dient,  die  Siederohren  und  den  Rauchkasten  von  Russ  und  mitgerissenen  Kohlen- 
theilchen  zu  reinigen,  die  Reparaturen  zu  erleichtern  u.  s.  w. 

Behufs  Vergrosserung  des  meist  beschrankten  Dampfraumes  haben  viele 
Kessel  noch  einen  Dom  [dome  —  dome),  d.  i.  einen  verticalen  Cylinder  aus 
Eisenplatten   von   verschiedener  Grosse,  in   dessen    oberem  Theile  der  Dampf  fur 


Eisenbahn. 


83 


die  Cylinder  entnommen  wird.  Dies  tliut  man  gern,  urn  moglichst  trockenen  Dampf 
zu  erhalten  nnd  nicht  unniitz  Wasser  und  Kohle  zu  vergeuden. 

Bisweilen  finden  sich  noch  kleinere  Aufsatze  auf  den  Locomotivkesseln,  um 
die  Sicherheitsventile,  Dampfpfeife  u.  dgl.  aufzunehmen. 

Der  Schornstein  ist  gleichfalls  ein  cylinderformiger  oder  wenig  conischer 
Aufsatz,  welcher  die  Verbrennungsgase  und  den  Rauch,  so  wie  den  gebrauchten 
Dampf  moglichst  hoch  in  die  Luft  leiten  soil,  um  die  Belastigung  der  in  der  Nahe 
befindlichen  Menscben  u.  dgl.  zu  verhuten. 

Die  Function  des  Scbornsteines  bei  Locomotiven  ist  also  nicht  die,  Zug  zu 
erzeugen  zu  einer  vollkommenen  Verbrennung  der  Kohlen  oder  des  Holzes,  wie 
bei  den  Schornsteinen  der  stabilen  Dampfkessel  und  sonstigen  Feuerungsanlagen, 
indem  der  scharfe  Zug  durch  den  Strahl  des  ausgeblasenen  Dampfes  hervor- 
gebracht  wird. 

Oft  sind  in  demselben  Funkenfanger  angebracht,  welche  abweichende  Formen 
bedingen,  wie  z.  B.  bei  den  Mantelrauchfangen.  Alle  diese  Aufs&tze  sind  mittelst 
Flanschen  an  den  Kessel  und  an  den  Rauchkasten  genietet  oder  geschraubt. 
Obwohl  nun  der  cylindrische  Theil  des  Locomotivkessels  in  Folge  seiner  Form 
an  sich  widerstandsfahig  genug  gemacht  werden  kann,  um  Verankerungen  zu  ent- 
behren,  obwohl  ferner  die  Wandungen  des  Feuerkastens  und  des  Stehkessels, 
so  wie  die  Rohrwande  durch  die  Stehbolzen  und  die  Siederohren  hinreichend  ver- 
steift  sind,  so  bleibt  doch  noch  der  Obertheil  der  Feuerthiirwand  und  der  Rauch- 
kasten Rohrwand  iibrig,  welche  flach  sind  und  fur  sich  allein  den  hohen  Dampf- 
spannungen  nicht  widerstehen  konnten. 

Man  pflegte  sie  friiher  mit  einander  durch  Anker  zu  verbinden.  Diese  dehnten 
sich  aber  in  Folge  der  hohen  Temperatur  mit  der  Zeit  so  aus,  dass  sie  nicht 
gespannt  blieben  und  absolut  unwirksam  wurden.  Man  ersetzte  sie  durch  Winkel- 
eisen,  welche  correspondirend  am  Cylinderkessel  und  Stehkessel  und  den  friiher 
erwahnten  Wanden  angenietet  und  durch  starke  Blechstiicke  verbunden  sind  und 
erzielt  auf  diese  Art  eine  ganz  solide  Versteifung. 

Die  Figuren  1306  und  1307,  welche  den  Langenschnitt  und  zwei  Quer- 
schnitte  einer  Locomotive  zeigen,  machen  alle  Theile  des  Kessels  ersichtlich. 

Fia.  1306. 


Langsschnitt  einer  Locomotive. 
Die  Buchstaben  o,  o  bezeichnen    den  Feuerkasten   mit  dem  Roste   und  dem 
Aschenkasten  z;   m   die  Deckelbarren,    Z,  I   die  Siederohren,    u    die  Feuerthiir,  r 
und  e  die  Dampfrohren,  e,  r,  h  Rauchkasten,  g  den  Schornstein,    n  den  Dampfdom, 
/  den  Aufsatz  fiir  die  Sicherheitsventile. 

Reinigung    der    Kessel.     Die  Reinigung    der  Locomotivkessel   ist   von 
ungemeiner  Wichtigkeit.     Die   Vernachlassigung  derselben    wird   bei    den    stabilen 

6* 


84 


Eisenbatm  (Kessel-Garnitur). 


Fig.  1307. 


Kesseln  nicht  mit  so  bedeutenden  Reparaturen  und  so 
hohem  Brennstoffverbrauch  bezahlt  als  bei  diesen. 

Zugleich  ist  sie  nirgend  so  schwierig  durchzufiihren 
als  gerade  hier,  wo  die  Stehbolzen,  die  Siederohren,  die 
Wande  von  Fenerkasten  und  Stehkessel  so  kleine  Zwi- 
schenraume  bieten,  dass  die  menschliche  Hand  keinen 
Raum  findet. 

Es  muss  also  von  vornherein  beim  Baue  des  Kessels 
auf  Vorkehruugen  gedaclit  werden,  um  das  Innere  moglichst 
zuganglich  zu  machen,  und  zwar  vorzugsweise  jene  Stellen, 
an  denen  die  Bilduug  von  Incrustationen  am  meisten  be- 
giinstigt  wird,  in  den  Kanten  und  untersten  Ecken  des 
Feuerkastens,  so  wie  im  Langkessel,  auf  dem  Boden  und 
zwischen  den  Siederohren. 

Man  bringt  deshalb  Reinigungsloeher  an  dem  unteren 
Rande  des  Feuerkastens,  auf  dem  Boden,  unter  den  Rbhren, 
in  den  beiden  Rohrwanden  und  in  den  Seitenwanden  des 
Stehkessels  oberhalb  der  Feuerbiichsdecke  an.  Diese 
Verticalschnitte  Locher    werden    mittelst    Metallscbrauben    oder     mittelst 

links  durch      reehts  durch     Deckel  und  Biigel  gescblossen. 

den  Cylinder.  dieFeuerbuchse.  °        ° 

Der  Kesselstein  wird  sodann  abgekratzt  und  durch  einen  kraftigen  Wasser- 
strahl,  welchen  man  nach  alien  Ricbtungen  in  die  Lucken  einfiihrt,  abgespiilt. 

Je  scblechter  das  Speisewasser,  um  so  haufiger  ist  das  Auswaschen  des 
Kessels  vorzunehmen.  Ausserdem  soil  man  recht  oft  den  Scblamm  durch  Ablassen 
des  Wassers  mittelst  der  Ablasshahne  entfernen. 

Ist  das  verfiigbare  Speisewasser  chemisch  sehr  unrein,  hat  es  namlich  einen 
grossen  Gehalt  an  Gyps,  kohlensaurem  Kalk  oder  gar  Sauren,  so  ist  es  trotz  grosser 
Kosten  vortheilbaft  und  nothwendig,  eine  chemiscbe  Reinigung  in  den  Wasser- 
stationen  vorzunehmen,  ehe  das  Wasser  in  den  Kessel  kommt.  Die  wegfallenden 
Reparaturen  an  Stehbolzen,  Nieten,  Siederohren,  so  wie  der  geringere  Kohlen- 
verbrauch  bringen  die  daftir  aufgewendeten  Kosten  wieder  herein. 

Bewahrt  hat  sich  das  Reinigungsverfahren  des  Dr.  Haen  in  Hannover 
mittelst  Chlorbaryum  und  Kalkmilch  auf  verschiedenen  Eisenbahnen. 

Verb  tit  ung  von  Explosionen.  Trotz  der  gesetzlich  vorgeschriebenen 
Vorrichtungen,  um  den  Wasserstand  im  Kessel  zu  controlliren,  kann  es  bei  un- 
aufmerksamer  Wartung  doch  vorkommen,  dass  der  Wasserspiegel  in  dem  Kessel 
bis  zum  Entblossen  der  Feuerbiichsdecke  sinkt.  Es  bedarf  dUn  nur  weniger 
Minuten  bis  zum  Augenblicke  der  hochsten  Gefahr. 

Ftir  einen  solchen  Fall  ist  eine  kleine  Schraube  von  circa  20 — 26mm  Durch- 
messer  aus  Blei  oder  einer  leicht  schmelzbaren  Metalllegirung  in  der  Decke  des 
Feuerkastens  die  Rettung  vor  di'ingender  Explosionsgefahr. 

Ist  namlich  die  Decke  von  Wasser  frei,  so  schmilzt  der  Pfropf  durch  die 
Hitze,  der  Dampf  tritt  in  den  Feuerraum  und  erstickt  das  Feuer. 

Garnitur  oder  Armatur  der  Kessel.  Gesetzliclie  Vorschriften  in 
den  verschiedenen  Staaten,  so  wie  die  „Technischen  Vereinbarungen  des  Vereines 
Deutscher  Eisenbahnverwaltungen"  bestimmen  die  Apparate  und  Vorrichtungen, 
welche  zur  Verhiitung  von  Gefahren  an  jedem  Dampfkessel  und  somit  auch  bei 
den  Kesseln  der  Locomotive  vorhanden  sein  miissen.     Diese  sind: 

Das  Manometer  zur  bestandigen  Controlle  der  Dampfspannung  im  Kessel, 
zwei  verschiedene  Vorrichtungen  zur  Beurtheilung  der  Hohe  des  Wasserstandes 
im  Kessel,  zwei  Sicherheitsvcntile,  welche  selbstthatig  Dampf  aus  dem  Kessel 
treten  lassen,  sobald  die  normirte  Dampfspannung  uberschritten  ist,  und  endlich 
zwei  Speisevorrichtungen,  jede  gross  genug,  um  fur  sich  allein  den  Kessel  beim 
grossten  Dampfverbrauche  hinreichend  mit  Wasser  versehen  zu  konnen.  Ausserdem 
ist  ein  Ventil    oder  ein  Hahn    zum  Ablassen    des  Wassers    aus  dem  Kessel  noth- 


Eisenbahn. 


85 


Fig.  1308. 


wendig;  Dampfventile  fttr  die  Speisepumpen,  dann  fur  das  Vorwarmen  des  Wassers 
im  Tender,  das  Speiseventil  und  eine  kraftige  Dampfpfeife. 

Das  Manometer  {^nanometre  —  manometer)  bei  Locomotiven  unterscheidet 
sich  nicht  von  jenem  bei  stationaren  Dampfkesseln.  Es  wird  daher  nicht  wetter 
behandelt;  doch  sei  erwahnt,  dass  man,  um  Uebersclireitung  der  Dampfspannung 
durcli  leichtsinnige  Locomotivfiihrer  zu  verhiiten,  ausser  dem  gewohnlichen  Mano- 
meter noch  sogenannte  Maximalmanometer  zur  Controlle  anwendet.  Bei  diesen 
bleibt  der  Zeiger  stets  auf  der  hoc  listen  angewendeten  Dampfspannung  stehen, 
auch  wenn  diese  ganz  nachgelassen  hat.  Der  Controllbeamte  kann  somit  eine 
Uebersclireitung  der  erlaubten  Dampfspannung  noch  nachtraglich  constatiren. 

Zur  Erkennung  des  Wasserstandes  im  Kessel  dienen  dieWasserstands- 
glaser  (niveau  d'eau  —  glass  gauge),  sodann  die  Probirhahne  oder  Probir- 
ventile  (robinet  d'epreuve,  soupape  d'epreuve  —  gauge  cock,  gauge  valve).  Auch 
diese  unterscheiden  sich  nicht  wesentlich  von  denen  bei  gewohnlichen  Dampf- 
kesseln und  ermoglichen  die  directe  Beobachtung  des  Wasserstandes.  Beistehende 
Figur  1308  verdeutlicht  ihre  Einrichtung.  Die  beiden  Hahne  h,  h',  wovon  der 
untere  in  der  Hohe  des  tiefsten,  der  obere  in 
der  Hbhe  des  hochsten  Wasserstandes  zur  Seite 
des  Fuhrers  in  die  Riickwand  des  Stehkessels 
eingeschraubt,  sind  mittelst  Stopfbiichse,  Grund- 
biichse  und  Gummipackung  durch  die  Glas- 
rohren  r,  r  dampf-  und  wasserdicht  verbunden. 
Sind  beide  Hahne  geotFnet,  so  steht  das  Wasser 
im  Glase  gerade  so  hoch  wie  im  Kessel,  wenn 
die  Kanale  gleich  gross  und  nicht  verstopft  sind. 

Unter  dem  Apparate  befindet  sich  noch 
ein  dritter  Hahn  /i2,  welcher  dazu  dient,  Ver- 
stopfungen  der  beiden  Kanale  erkennen  und 
beheben  zu  lassen.  Das  abfliessende  Wasser 
wird  durch  das  Rohrchen  k  unter  den  Ftihrer- 
stand  geleitet.  Die  Schraubchen  i,  i  dienen 
dazu,  um  hartnackige  Verstopfungen  der  Kanale 
zu  beheben. 

Um  bei  dem  nicht  selten  vorkommenden 
Springen  eines  Glases  Verletzungen  des  Ma- 
schinenpersonals  durch  Glassplitter  7M  verhiiten, 
umgibt  man  das  Glas  mit  einem  Gitter ;  um  Ver- 
briihungen  durch  das  Wasser  zu  vermeiden,  hat 
man  einen    selbstthatigen  Ab- 

schluss  durch  ein  Kugelventil       ^ _,_ 

construirt,  welcher  im  Augen- 
blick  des  Sprengens  der  Rohren 
einen  sicheren  Verschluss  des 
unteren  mit  dem  Wasserraume 
correspondirenden  Hahnes  bil- 
det.  Auch  verbindet  man  die 
beiden  Griffe  der  Hahne  durch 
eine  Zugstange  und  bringt  einen 
Hebel  so  an,  dass  der  Fiihrer 
von    seinem    Platze    aus    mit 


m 

A\  asserstandsfflas. 


Einem  Griffe  beide  Hahne  schliessen  kann. 

Die  Glasrbhren  sollen  recht  dtinn  im  Glase  sein  und  uberall  gleiche  Wand- 
starken  haben.  Auch  sollen  sie  sehr  langsam  gekiihlt  sein,  indem  sie  andernfalls 
Bchnell,  meistens  schon  beim  Einziehen  zu  Grunde  gehen.  Es  kommt  vor,  dass 
10,  selbst  20  Glaser  mangelhafter  Beschaffenheit  hinter  einander  beim  Einbriiigen 
ferechen,  ohne  dass  dem  Personal  ein  Verschulden  zur  Last   gelegt  werden  kann. 


86 


Eisenbahn  (Kessel-Garnitur). 


Probirkahne  und  V  en  tile  hat  man  in  verschiedenen  Constructionen. 
Mindestens  2  Stiick  sind  so  am  Stehkessel  anzubringen,  dass  sie  der  Fiihrer  oder 
Heizer  leicht  zur  Hand  hat.  Eines  muss  in  der  Hohe  des  zulassigen  niedersten 
Wasserstandes  und  eines  100 — 200mm  holier  angebracht  sein.  Der  untere  Hahn 
muss  stets  Wasser  geben,  geschieht  dies  nicht,  so  ist  die  Gefahr  vorhanden. 

Eine  bequeme  Construction  zeigt  Fig.   1309.    Das  Ventil  a  wird  durch  den 
Dampfdruck   im  Kessel  stets  geschlossen    gehalten.     Das  Oeffnen  geschieht  durch 
Fig.  1309.  den    holzernen    GrifF    c    am    Gabelhebel. 

Ausserdem  dient  ein  am  Ende  des  Ventil- 
bolzens  befindlicher,  holzerner  Knopf  b 
zum  Hin-  und  Herdrehen  des  Ventils,  um 
wabrend  der  Fahrt  etwaige  Unreinigkeiten 
des  Ventilsitzes  zu  beseitigen. 

Eine  leichte  Spiralfeder  aus  Messing- 
draht  halt  das  Ventil  geschlossen,  wenn 
kein  Dampfdruck  im  Kessel  ist.  Um  die 
ganze  Vorrichtung  leicht  abnehmen  und 
reinigen  zu  konnen,  ist  dieselbe  mittelst 
Conus  und  Verschraubungsmutter  an  einem 
besonderen  Kesselstutzen  befestigt.  Das 
Rohrchen  e  dient  zum  Ablasen  des  Dampfes 
oder  Wassers,  /  ist  die  Verschalung  des 
Stehkessels. 

Probir- Ventil.  S  i  c  h  e  r  h  e  i  t  s  v  e  n  t  i  1  e.     Auch  die 

Sicherheitsventile  der  Locomotiven  (soupape  cle  surete —  safety  valve)  sind  jenen 
bei  den  stabilen  Dampfkesseln  gleich  und  nur  durch  die  Art  der  Zuhaltung  ver- 
schieden. 

Ein  Sicherheitsventil  ist  eine  runde  OefFnung  im  Kessel,  auf  die  von  aussen 
eine  metallene  Scheibe  aufgeschlifFen  und  so  belastet  ist,  dass  die  Oeffnung  ge- 
schlosssn  bleibt,  so  lange  der  zulassige  Dampfdruck  nicht  erreicht  ist,  welches 
sich  aber  hebt  und  Dampf  austreten  la'sst,  wenn  er  die  erlaubte  Spannung  iiber- 
schreitet.  Bei  Locomotiven  wurden  die  Sicherheitsventile  niemals  direct  mit  Ge- 
wichten  belastet,  sondern  meist  mittelst  einer  Hebellibersetzung  und  Federn. 

Die  gebrauchlichste  Art  ist  in  Fig.  1310  dargestellt,  Ventile  mit  indirecter 
F  e  d  e  r  b  e  1  a  s  t  u  n  g. 

Die  Vorrichtung  hiezu  heisst  die 
Fe  der  wage  {balance  a,  ressort  ■ — 
spring -balance).  Sie  besteht  aus  einer 
Messingbiichse  mit  einer  liegenden  Spi- 
ralfeder. Wird  die  iiber  dem  entfern- 
teren  Ende  des  Hebels  liegende  Mutter 
m  angezogen,  so  wird  die  Feder,  wenn 
das  Stiick  s  unten  festgebalten  wird, 
auseinander  gezogen  und  dadurch  ge- 
spannt.  Diese  Spannung  lasst  sich 
natiirlich  in  Kilogrammen  ausdriicken, 
und  auf  dem  Stiicke  s  befindet  sich 
eine  Scala,  welche  den  Druck  bei  einer 
gewissen  Spannung  anzeigt.  Dieser 
Druck    ist    im   Verhaltniss    der    ange- 


Fig.  1310, 


Sicherheitsventil  mit  Federbelastnng-. 


wendeten  Hebeliibersetzung  geringer,  als  er  bei  directer  Belastung  sein  musste. 
Eine  wesentliche  Verbesserung  durch  eine  sinnreiche  Hebelcombination  hat  an 
der  Federwage  Meggenhofer  angebracht,  um  zu  vermeiden,  dass  bei  geofFnetem 
Sicherheitsventil  die  Spannung  der  Feder  zunimmt  und  somit  das  Ventil  ge- 
schlossen werde,  bevor  der  Dampfdruck   unter  das  gestattete  Maximum  gesunken. 


Eisenbahn. 


87 


Ramsbottom  und  Kit  son  haben  ganz  abweichende  Constructionen  er- 
dacht,  welche  auch  sclion  Eingang  gefunden  haben. 

Bei  Revision  der  Sicherheitsventile  ist  Acht  zu  haben7  dass  es  durch  den 
leichtsinnigen  Maschinisten  nieht  auf  irgend  eine  Art  nnbeweglich  gemacht  sei, 
was  leider  haufig  genug  vorkommt. 

Speis  evorrichtungen.  Die  altesten  Locomotiven  fiibrten  eine  Hand- 
pumpe  mit  und  miTsste  das  Personal  stets  dieselbe  in  Gang  setzen,  wenn  der 
Wasserstand  im  Kessel  gesnnken  war.  Spater  wurden  Saug-  und  Druckpumpen 
durch  die  Locomotive  selbst,  meistens  von  einem  Excenter  der  Steuerung  aus 
getrieben.  Stand  die  Locomotive  still,  so  konnte  natiirlich  nicht  gespeist  werden, 
man  gab  deshalb  spater  noch  eine  dritte  Pumpe  bei,  welche  durch  eine  eigene 
kleine  Dampfmaschine  in  Thatigkeit  gesetzt  wurde.  In  den  letzten  Jahren  haben 
sich  die  Dampfstrahlpumpen  immer  mehr  Eingang  verschafft,  welche  bei  still- 
stehender  und  bei  in  Bewegung  befindlicher  Maschine  arbeiten. 

Eine  vom  Excenter  getriebene  Speisepumpe  (pompe  alimentaire — feed 
pump)  stellt  Fig.  1311  a  und  b  dar.  Wenige  Worte  werden  zur  Erklarung  ge- 
niigen.   Das  Excenter  E  zieht  mittelst  der  Stange  s  den  Kolben  k  in  den  Pumpen- 

Fig.  1311  a. 


Fig.  1311  b 


stiefel  P  bin  und  her.     Die  Stopfbiichse  b  dichtet  den  Kolben 

S  Flansche  des  Saugrohres,    IFWindkessel,  v  Saugventil7  d  Druck- 

ventil,  D  Speiserohr.  Der  Pumpenkorper  P  ist  am  Kessel  oder  am 

Rahmen  gut  angeschraubt.    Wenn  die  Pumpe  nicht  gebraucht  wird7 

so    wird    sie   nicht   ausgeschaltet,    sondern    man    setzt   sie    dadurch 

ausser  Thatigkeit,  dass  das  Wasser  des  Tenders  durch  einen  im  Saugrohr  liegenden 

Hahn  abgesperrt  wird. 

Injector.  Die  moderne  Locomotivspeisevorrichtung  ist  die  schon  er- 
wahnte,  von  dem  Franzosen  Giffard  im  Jahre  1858  erfundene  Dampfstrahl- 
pumpe  (injecteur  —  injector).  Sie  hat  vor  den  gewohnlichen  Pumpen  viele  Vor- 
theile,  namentlich  Einfachheit,  Billigkeit  in  der  Anschaffung  und  Erhaltung,  sie 
functionirt  beim  Stillstand  und  beim  Gang  der  Maschine,  ist  betriebssicherer,  bedarf 
wenig  Aufsicht  und  liefert  endlich  nur  heisses  Wasser  in  den  Kessel. 

Diese  Vortheile  haben  ihr  auch  in  einem  Decennium  allgemeine  Verbreitung 
verschafft  und  derzeit  diirften  alle  neuen  Locomotiven  ohne  Ausnahme  mindestens 
mit  Einer  Dampfstrahlpumpe  versehen  werden. 


88  Eisenbahn  (Kessel-Garnitur). 

Die  Speisung  findet  einfach  durch  die  directe  Wirkung  des  im  Kessel  er- 
zeugten  Dainpfes  statt;  indem  derselbe  in  den  Apparat  geleitet  wird,  reisst  er  die 
darin  befindliche  Luft  mit  sich  fort  und  die  dadurch  erzeugte  Luftverdiinnung 
bewirkt  mittelst  des  den  Apparat  mit  dem  Tender  verbundenen  Rohres  den  Zntritt 


In  ausreichender  Menge  hinzutretend,  condensirt  dasseibe  einen  Theil  des 
Dampfes,  der  aber  demselben  zugleich  einen  Theil  seiner  lebendigen  Kraft  mit- 
theilt,  wodurch  sich  eine  Stosswirkung  des  Wasserstrahles  ergibt,  die  bei  ent- 
sprechender  Construction  der  Diise  kraftiger  ist,  als  nothig  ware,  urn  den  Eintritt 
in  den  Kessel  zu  ermoglichen.  So  einfach  wie  die  eben  beschriebene  Wirkungs- 
weise  ist  auch  der  Apparat  selbst,  welcher  in  Fig.  1312  dem  Leser  in  der  Con- 
struction von  Schau  speciell  fiir  Locomotiven  vor  Augen  gefiihrt  wird. 

Fla.  1312. 


m 


Injector. 

Mittelst  der  Platte  h  ist  er  an  der  Locomotive  befestigt;  der  vom  Kessel 
hergeleitete  Dampf  tritt  durch  den  Stutzen  /,  der  seitlich  einmiindet  und  das 
Wasser  vom  Tender  seitlich  hereinleitet.  Bei  g  ist  ein  Ventil  oder  ein  Hahn  an- 
geschraubt,  wo  mittelst  der  Schlitze  b  Dampf  entweicht,  wenn  der  Apparat  nicht 
speist.  Dieses  Ventil  dient  also  dem  Fiihrer  als  Kennzeichen  der  guten  oder 
mangelhaften  Function  des  Apparates.  Bei  guter  Function  wird  horbar  Luft  ein- 
gesaugt,  bei  schlechter  Dampf  ausgestossen,  beides  in  auffallender  Weise.  Es 
lasst  sich  denken,  dass  diese  Erfindung  bei  ihrem  ersten  Auftreten  Aufsehen  erregte. 
Trotzdem  stiess  die  Einfiihrung  auf  nicht  geringe  Hindernisse,  welche  theils  durch 
die  mangelhafte  Uebung  des  Personals  beim  Anlassen,  theils  durch  die  sich  allem 
Neuen  entgegenstellenden  Vorurtheile  und  theils  endlich  durch  mangelhafte  Con- 
struction entstanden.  Alle  diese  Schwierigkeiten  sind  vollkommen  iiberwunden 
und  leben  kaum  in  der  Erinnerung;  es  gibt  heute  schon  eine  ganz  betrachtliche 
Anzahl  Locomotivfiihrer,  welche  die  alten  Saug-  und  Druckpumpen  nur  vom  Horen- 
sagen  oder  aus  Blichern  kennen. 

Alle  civilisirten  Nationen  bemachtigten  sich  der  Erfindung  Giffard's,  um 
sie  zu  verandern,  zu  vereinfachen  und  zu  verbessern.  Namentlich  waren  es : 
Sharp,  Stewart  und  Comp.,  Th.  Hunt,  C  T.  Bo nsfi eld,  Andrew  Barclay, 
Sellers,  S chaffer  und  Budenb erg,  welche  die  saugenden  Injectoren  ver- 
besserten;  Flechter  und  Bower,  Krauss,  Schau,  Friedmann,  Korting, 
Fink,  Has  well  und  Webb  und  Andere,  welche  die  nicht  saugenden  Dampf- 
strahlpumpen  erfanden  und  verbesserten. 

Der  Wasserablasshahn  oder  das  Wasserablassventil  ist  mit  einer  Flantsche 
an  einem  tief  gelegenen  Punkte  des  Stehkessels  angebracht  und  sollte  zum  Ab- 
blassen  von  Schlamm  und  zum  Ablassen  des  schmutzigen  Wassers  recht  oft  ge- 
braucht  werden.  Auch  die  weiteren  Armaturstlicke,  als  Dampfpfeife,  Dampfventile 
fiir  die  Speisepumpe  und  das  Vorwarmen  des  Tenderwassers  konnen  nicht  wohl 
mit  Stillschweigen  iibergangen  werden,  da  sie  sich  von  anderen  Dampfventilen 
unterscheiden.  Auch  sei  erwahnt,  dass  man  bei  Anwendung  von  Dampfstrahl- 
pumpen  nicht  eigene  Ventile  und  Rbhreu  fiir  das  Anwa'rmen  des  Tenderwassers 
braucht,  sondern  den  Dampf  auch  durch  den  Injector  in  den  Tender  leiten  kann, 
was  ein  weiterer  Vortheil  dieser  genialen  Erfindung  ist. 

Die  Figuren  1314  und  1315  zeigen  die  sehr  empfehlenswerthe  Form  eines 
Dampfventils    fiir   Dampfstrahlpumpen    von    Rayl    in    Mahrisch  -  Ostrau.     Mittelst 


Eisenbahn. 


89 


Fig    1314. 


Fig.  1315. 


ernes  stark  iibersetzten  Hebels  wird  zuerst  ein  kleines  Hilfsventil  geoffnet,  und  es 
stromt  Dampf  durch  die  nun  frei  gewordenen,  kleinen  Oeffnungen  iiber  das 
eigentliche  Hauptventil,  so  dass  die  Oeffnung  desselben  nunmehr  eine  geringe  An- 
strengung  erfordert.  Da  der  von  unten  auf  die  grosste  Oberflache  des  Ventils 
stets  wirkende  Dampf  jedoch  das  Ventil  wieder  schliessen  wiirde,  so  wird  dasselbe 
dann  durch  eine  Art  Sperrklinke  nicdergehalten. 

Ein  als  kraftiges,  akustisches  Signalmittel  unentbehrliches  Armaturstiick  ist 
die  Dampfpfeife  (sifflet  a  vapeur  —  ivhislle),  deren  bald  schrillen,  ohren- 
zerreissenden,  bald  tieferen  und  hoheren  Ton  wohl  jeder  Leser  kennt.  (Beschrei- 
bung  siehe  Dampfpfeife.)  Manche  Locomotiven  haben  2  Dampfpfeifen  mit 
verschiedenem  Ton  fur  bestimmte  Signale. 

II.  Der  Wag  en.  Durch  ihre  Eigenschaft  als  Wagen  wird  die  Locomotive 
unmittelbar  fur  Eisenbahnzwecke  dienstbar  gemacht. 

Sie  muss  schwer  genug  sein,  um  durch  ihr  Gewicht  eine  hinreichende,  der 
Zugkraft  angemessene,  Adhasion  auf  den  Schienen  zu  sichern,  und  dieses  Gewicht 
muss  so  auf  alle  Rader  vertheilt  sein,  dass  bei  der  grossten  Geschwindigkeit  der 
grosstmoglichste  Grad  von  S.abilitat  erreicht  wird.  Ausserdem  ist  das  Arrangement 
des  Wagens  so  zu  treffen,  dass  die  vom  Bewegungsmechanismus  der  Maschine 
und  von  der  Bahn  selbst  herriihrenden,  storenden  Bewegungen  mdglichst  ausge- 
schlossen  werden. 

Gewichts-Vertheilung.  Das  Gewicht  der  Locomotiven  ist  gegeben 
durch  die  fur  eine  bestimmte  Dampfentwicklung  erforderliche  Grosse  der  Heiz- 
und  Rostflache,  somit  durch  das  Gewicht  des  Kessels,  durch  das  Gewicht  der 
Cylinder  nebst  Mechanismus,  und  endlich  durch  jenes  der  Raderpaare  nebst  Zugehor. 

Unter  Belastungsgewicht  einer  Achse  oder  eines  Raderpaares  versteht  man 
die  mittelst  der  Federn  darauf  ruhende  Belastung,  inclusive  des  Eigengewichtes 
dieser  Achse,  also  den  Druck,  welchen  die  Rader  auf  die  Schienen 
ausiiben. 

Rah  men.  Der  Wagen  der  Locomotiven  wird  gebildet  zunachst  durch 
zwei  sehr  kraftige,  parallele  Rahmen  aus  Schmiedeisen,  welche  vor  dem  Rauch- 
kasten  die  Brust  und  die  Buffer  nebst  Zugapparaten  tragen  und  bis  hinter  den 
Stehkessel  reichen,  wo  sie  die  Auflage  des  Platteaus  fur  das  Personal  bilden. 

Diese  Rahmen  (chassis  cadre  ■ —  frame)  liegen  entweder  innerhalb  der 
Rader  (chassis  interieur  —  inside  frame)  oder  ausserhalb  derselben  (chassis 
exterieur  —  outside  frame),  und  mtissen  durch  starke  Querverbindungen  unver- 
rfickbar  mit  einander  verbunden  sein,  da  die  Rahmen  zwischen  dem  Mechanismus 
und    dem  Kessel    das  Verbindnngsglied    bilden.     Mit    dem    Kessel    muss    die  Ver- 


90 


Eisenbahn. 


bindung  gleickfalls  sehr  stark  sein,  aber  sie  muss  gleickzeitig  gestatten,  dass  der 
Kessel  sick  entspreckend  den  Temperatursgraden  des  Dampfes  migehindert  aus- 
dehnen  konne.  Dies  wird  bewerkstelligt,  indem  man  den  Rakmen  an  dem  Rauck- 
kasten  gut  ansckraubt,  dass  jedock  die  am  Stekkessel  befindlicken  Kesseltrager 
die  beiden  Rakmen  so  umfassen,  dass  sie  parallel  bleiben  und  den  Kesseltragern 
sammt  dem  Kessel  jedock  eine  Versckiebung  gestatten. 

Auck  unter  dem  cylindriscken  oder  Langkessel  befindet  sick  eine  oder 
mekrere  Querverbindungen,  welcbe  einerseits  zur  Versteifung  der  Rakmen  dienen, 
anderseits  dem  Langkessel  Unterstiitzungen  bieten,  und  endlicb,  so  wie  die  Rakmen 
selbst,  beniitzt  werden,  um  gewisse  Steuerungstkeile  daran  aufzukangen. 

Auck  diese  Querverbindungen  besteken  aus  kraftigen  Sckmiedeisenplatten 
und  sind  mit  dem  Rakmen  versckraubt ;  auck  ruken  sie  bisweilen  bekufs  Ent- 
lastung  der  Bolzen  mit  einer  Nase  auf  dem  Rakmen.  Von  unten  ist  der  Rakmen 
mit  mekrfacken  Aussparungen  verseken,  welcke  parallele  Begrenzungen  kaben  und 
die  Lager  fur  die  A  ck  sen  aufneknien,  auf  welcken  letzteren  die  Rader  festsitzen. 

Die  Rakmen  sitzen  nickt  unmittelbar  auf  den  Ackslagern,  sondern  die  Ver- 
bindung  ist  mittelst  elastiscker  Staklfedern  kergestellt,  so  dass  die  von  der  Baku 
auf  das  Fakrzeug  ausgeiibten  Stosse  durck  die  Federn  gemildert  auf  die  Rakmen, 
den  Meckanismus  und  den  Kessel  iibertragen  werden. 

Vor  der  Brust  des  Rakmens  sind  die  B  a  k  n  r  a  u  m  e  r  aus  Eisen  kraftig  ker- 
gestellt, welcke  wenige  Centimeter  von  den  Sckienen  entfernt  sind  und'kleinere 
Hindernisse,  wie  Steine  etc.  von  den  Sckienen  wegdrangen  und  verkiiten,  dass 
die  Rader  aus  der  Baku  geratken.  Die  amerikaniscken  Locomotiven  kaben  vor 
der  Brust  die  sogenannten  Kukfanger  (cow  —  catches),  welcke  so  stark  sind, 
dass  sie  die  auf  dem  Baknkorper  befindlicken  Biiffel  zur  Seite  sckleudern.  Am 
rtickwartigen  Ende  befindet  sick  zwiscken  den  Rakmen  der  Kuppelkasten,  wo  die 
Verbindungsglieder  mit  dem  Tender  oder  bei  den  Tenderlocomotiven  mit  den  zu 
ziekenden  Wagen  befestigt  werden. 

Tenderlocomotiven  mussen  auck  am  kinteren  Ende  des  Rakmens  mit  Buffern 
und  Zugapparaten  verseken  sein,  so  wie  vorn  an  der  Brust.  Die  beistekenden 
Holzscknitte  (Fig.  1316  a  und  6)  zeigen  das  ganze  Rakmengestell  mit  Brust, 
Bahnraumer,  Radern,  Acksen,  Lagern,  Federn  und  Zugapparaten  in  Langenansickt 
und   Dratifsickt. 

Fig.  1316  a. 


Eisenbabn  (Rader). 


91 


F  deutet  die  Lage  des  Feuerkastens  an.  Die  Lage  der  Rahmen  ist,  wie 
man  sieht,  innerlialb  der  Rader.  Die  Federn  der  1.  und  2.  Achse  sind  durch 
einen  zweiarmigen  Hebel  (balancier  —  engine  beam)  verbunden,  um  eine  gleiche 
Belastnng  beider  Achsen  zu  erzielen. 

Betreffend  die  als  Kesseltrager  beniitzten  Rahmenverbindungen  unter  dem 
Langkessel  sei  noch  erwahnt,  dass  eine  nachtheilige  Wirkung  dieser  auf  die  Kessel- 
platten  constatirt  wurde,  was  Veranlassung  gab,  dass  in  den  letzten  Jahren  der 
Cylinderkessel,  welclier  selbst  ein  steifer  Trager  ist,  gar  niclit  mehr  direct  unter- 
stiitzt  wird,  sondern  dass  nur  der  Rauchkasten  und  der  Stehkessel  die  Verbindung 
mit  dem  Rahmengestell  bilden.  Da  gewisse  Theile  aller  Eisenbahnfahrzeuge  mit 
einander  iibereinstimmen,  so  sollen  dieselben  gleich  hier  abgehandelt  werden,  und 
konnen  wir  uns  dann  bei  den  Tendern  und  Waggons  schon  darauf  bezieben. 

Diese  Tbeile  sind :  Die  Rader,  die  Achsen  und  die  Federn,  sodann  die  Zugs- 
imd  Stossapparate. 

Rader.  Die  Rader  {roue  —  wheel)  bestehen  ans  dem  Radgestell  (dem 
Radstern)  und  dem  Radreifen.  Nur  bei  Scheibenradern,  welche  aus  Schmiedeisen, 
Tiegel-  oder  Bessemergussstabl  oder  audi  G-usseisen  (Schalengussracler)  bestehen, 
fertigt  man  Rad  und  Radreif  aus  Einem  Stuck  an. 

Die  Anforderungen,  welche  an  die  Rader  aller  Eisenbahnfahrzeuge  gestellt 
werden  miissen,  sind  zu  gross,  als  dass  bei  lose  auf  den  Achsen  sitzenden  Radern 
eine  geniigende  Sicherheit  erreicht  werden  konnte.  Sie  miissen  demnach, 
weichend  von    dem  Ge- 

brauche  bei  Strassenwa-  bm  jr{g,  1317. 

gen,  auf  denAchsen 
festsitzen  und  es  ma- 
chen    somit    die    beiden 
Rader    einer  Achse    in 
derselben  Zeit  dieselbe 
Anzahl  Umdrehungen. 

Die  Figuren  1317 
und     1318     stellen    die 
Triebachseund  die  Trieb- 
rader     einer    Personen- 
zugslocomotive   fur  aussen 
liegenden  Rahmen  dar.     h 
bezeichnet    den    im   Lager 
sich  drehenden  Kurbelhals. 
Eben  so  zeigen  die  Figuren 
die   aufgesetzte   Kurbel   K 
und   die  Kurbelwarze,  das 
Gegengewicht  g,  von    wel- 
chem  weiter  unteu  die  Rede 
sein  wird,  die  Speichen,  die 
Radfelge ,    die     Radreifen, 
Bandagen  (bande-tyre)  und 
die  Schrauben  zur  Verbin- 
dung von   Radgestell    und 
Radreif. 

Fig.  1319. 


92  Eisenbalin  (Aclisen). 

Alle  Radreifen  haben  an  der  Innenseite  eine  Flansche,  den  sog.  Spurkranz, 
um  sie  auf  den  Schienen  zu  erhalten  nnd  eine  gewisse  Neigung  der  Laufflache, 
so  dass  der  ausserste  Rand  der  Bandage  den  geringsten  Durclimesser  bat. 

In  Bogen  ist  namlich  der  aussere  Schienenstrang  etwas  langer  als  der  innere, 
und  die  Schienen  liegen  um  ein  gewisses  Mass  weiter  auseinander.  Da  nun  das 
aussere  Rad  einen  grosseren  Weg  mit  derselben  Anzahl  Umdrehungen  zuriickzulegen 
hat,  so  ist  durch  obige  Einricbtung  die  Moglichkeit  dazu  gegeben,  indem  der 
Spurkranz  des  ausseren  Rades  sich  in  Folge  der  Centrifugalkraft  an  die  aussere 
Scbiene  anlegt  und  sich  auf  einem  grosseren  Kreise  umdreht  als  das  innere  Rad. 

Bezeichnet  R  den  Radius  einer  zu  befahrenden  Bahncurve,  d  den  mittleren 
Durclimesser  der  Rader,  b  die  Geleisbreite  (l-453m  ),  a  die  Geleiserweiterung  in 
der  Curve,  n  der  Radreife,  so  "findet  allgemein  die  Relation  statt :  n .  b .  d  —  2 .  a .  R. 
woraus  sich  sowohl  die  erforderlicbe  Geleiserweiterung,  als  auch  in  gegebenen 
Fallen  der  Conus  berechnen  lasst,  welchen  die  Rader  erhalten  sollen. 

Ist  72  =:  500m,  d  —  l-000m  ,  ar=0-026m,  so  ist  der  Conus  n  =  17Sm  . 

Die  technischen  Vereinbarungen  des  „Vereines  Deutscher  Eisenbahn- 
Verwaltungen"  empfehlen,  den  Conus  mindestens  1/20 ,  hochstens  Via  zu 
machen. 

Die  Speichenrader  werden  derzeit  ausnahmslos  aus  Schmiedeisen  hergestellt, 
entweder  unter  dem  Dampfhammer  geschmiedet  oder  mit  der  Schmiedepresse  (von 
Ha  swell  in  Wien)  gepresst.  Die  Radreifen,  Bandagen,  werden  in  eigenen  Walz- 
werken  nunmehr  grosstentheils  aus  Einem  Stiick  (Ingot)  Gussstahl  erzeugt. 

Denken  wir  uns  von  der  dargestellten  Triebachse  die  Gegengewichte  und 
die  Kurbeln  weg,  so  haben  wir  das  Bild  einer  Laufachse  von  Locomotiven,  Tendern 
oder  Waggons  vor  uns.  Bei  Locomotiven  werden  die  Rader  auf  den  Achsen  mit 
Keilen  befestigt,  bei  den  Tendern  und  Wageu  werden  sie  ohne  Keile  mit  einer 
Kraft  von  30.000 — 50.000  Kg.  mittelst  hydraulischer  Pressen  aufgepresst. 

Achsen.  Die  Achsen  (axe  —  axis,  axletree)  besteben  gleichfalls  aus 
Schmiedeisen  oder  Stahl,  sie  werden  gewalzt  und  unter  Dainpfbanmiern  bebufs 
Erlangung  grbsserer  Festigkeit  bearbeitet.  Von  ihrer  Festigkeit  ist  die  ganze 
Sicherheit  der  Fahrzeuge  abhangig.  Sie  mtissen  haufig  revidirt,  und  bei  dem  ge- 
ringsten Anbrucbe,  der  kanm  mit  einer  guten  Loupe  zu  entdecken  ist,  ausrangirt 
werden.  Viele  Eisenbabngesellschaften  bezahlen  fur  die  Entdeckung  von  Anbriichen 
und  Defecten  bei  Achsen,  Radreifen,  Radern  u.  dgl.  bestimmte  Pramien.  Ein 
Achsenbruch  in  einem  Zuge  gehort  nunmehr,  Dank  den  verschiedenen  Vorsichts- 
massregeln  bei  der  Construction,  Erzeugung,  Ueberwachung  und  der  Revision  zu 
den  Seltenheiten. 

Eine  sorgfaltige  Oelung  der  im  Lager  laufenden  Achshalse  ist  von  besonderer 
Wichtigkeit.  Wird  sie  vernachlassigt,  oder  verlegen  sich  die  Oelzuftihrungskanale, 
oder  verharzen  die  Dochte,  welche  den  Schmierstoff  zu  den  reibenden  Flacben 
fiihren,  so  tritt  zunacbst  eine  Erwarmung  ein,  welche,  wenn  nicht  sofort  Abhilfe 
geschieht,  schnell  zunimmt,  bis  die  Achse  und  das  Lager  gliibend  wird,  Oel  und 
Docht  verbrennt  und  die  gleitenden  Flacben  sich  verreiben,  d.  h.  Riffe  und  Furchen 
bekommen.  Durch  den  penetranten  Gerucb,  der  sich  nun  entwickelt,  wird  das 
Personal  aufmerksam  gemacht  und  das  Fabrzeug  wird  vorsichtig  und  langsam  bis 
zur  nachsten  Station  gebracht  und  bier  zuruckgelassen.  1st  es  eine  Locomotive 
oder  ein  Tender,  so  muss  eine  Hilfslocomotive  requirirt  werden,  um  den  Zug 
weiter  zu  befordern. 

Da  in  vielen  Fallen  eine  Nachlassigkeit  des  betreffenden  Personals  vorliegt, 
so  wird  dasselbe  zur  Verantwortung  gezogen.  Oft  aber  kann  eine  heisslaufende 
Acbse  ohne  Verschuldung  der  Eisenbabnbediensteten  eintreten,  indem  der  aufge- 
wirbelte  Staub  oder  Sand  in  ein  Lager  geratb,  oder  sich  vom  Lager  kleine 
Stiickchen  loslosen  in  Folge  von  Materialfeblern,  welcbe  so  versteckt  siud,  dass 
sie  bei  der  besten  Revision  nicht  entdeckt  werden  konnen. 


Eisenbahn  (Lager). 


93 


Achslager.  Fiir  den  guten  Gang  .tier  Fahrzeuge  sind  die  Lager  gleichfalls 
sehr  wichtig.  Sie  besteben  aus  der  eigentlichen  Lagerschale  (aucb  Flitter  genannt), 
dem  Lagerkasten  und  Unterkasten. 

In  den  Holzschnitten  (Fig.  1320  a,  b  und  c)  ist  b  das  Futter,  a  der 
Lagerkasten,  c  der  Unterkasten,  e  des  Oelbehalteiv,  s  der  Federstift,    punktirt  an- 


gedeutet,    i,  i  Federn, 


Fig.  1320 


welebe  das  Scbmier- 
brettcben  h  und  den 
Schmierpolster  an  die 
Acbse  driicken,  und  g,g 
Bolzen,  welebe  den  Un- 
terkasten mit  dem  La- 
gergehause  verbinden, 
n,  ii  Rohrchen  aus  Ku- 
pfer,  welebe  die  Dochte 
fiir  die  Oelzufiibr  auf- 
nehmen. 

Der  Lagerkasten 
oder  das  Gehause  be- 
stebt  bei  Locomotiven 
aus  Schniiedeisen  oder 
GussstahL  der  Unter- 
kasten   auch  wobl  aus 

Gusseisen,  die  Lagerschalen  aus  Kanonen- 
metall,  Bronce,  Pbospborbronce,  baufig  nocb 
mit  einem  Einguss  d,  d  von  verscbiedenen 
harteren  Metalllegirungen  versehen.  Die  vier 
Ansatze  an  dem  Lagergehause,  welebe  im 
Grnndrisse  sichtbar  sind,  dienen  zur  Fiibrung 
des  Lagers  in  den  Ausscbnitten  der  Rahmen. 
Die  Gleitflacben  (sebwarz)  sind  Beilagen  von 
Messing  oder  Bronce.  Die  Lager  miissen  in 
ihren  Fiihrungen  auf-  und  niedergleiten  konnen. 
Empfangt  namlicb  das  Rad  einen  Stoss  auf 
der  Babn,  so  wird  das  Lager  und  von  diesem 
Lager    die  Acbse    und  die  Rader  durcb    die 

Feder   und  Federbangung.     Ma 
sein,  beim  Befahren  derselben  werden 
dort  ein,  wo  zwei  Scbienen 
ganz    vollkommen    ^elagert 


Fig.  1320  b. 


K 


Ach  slager. 
die  Feder  gehoben,  worauf  das 
Feder  wieder  hinabgedriickt  werden. 
.  Mag  die  Babn  noch  so  gut  unterbalten 
immer  Stosse  vorkommen.  Dieselben  treten 
zusammen  stossen,  und  dort,  wo  die  Schwellen  nicht 
sind.  Unter  sonst  gleichen  Umstanden  nebmen  die 
Stosse  mit  der  Geschwindigkeit  des  Fahrzeuges  zu,  und  wirken  urn  so  zerstorender 
auf  die  Bahn  und  auf  das  Fahrzeug.  Um  diese  Stosse  zu  mildern,  bringt  man 
nun  zwiscben  Achslager  und  Rahmen  elastische  Verbindungen  an,  die  Federn  (ressorts 
—  springs),  welche  um  so  vollkommener  sein  miissen,  je  schneller  das  betreffende 
Fahrzeug  verkehrt. 

Schlagt  Jemand  z.  B.  mit  einem  Hammer  auf  eine  Schiene,  so  wird  sie  bald 
zerstort  werden,  wahrend  ein  ruhig  auf  ihr  liegendes  Gewicht  von  hundertfacher 
Grosse  ihr  nichts  anhaben  wird. 

Die  Rader  mit  den  Achsen  und  Achsenlagern  scblagen  ahnlicb  wie  ein 
Hammer  auf  die  Schienen,  wahrend  die  iibrigen  Maschinentheile  vermittelst  der 
Federn  nur  driicken.  Aus  diesem  Grunde  sollte  man  die  Gewiebte  der  Rader- 
paare  und  Achslager  recht  klein  machen  und  also  nur  Material  von  ausgezeiebneter 
Giite  dazu  verwenden. 

Die  Federn  sollen  stets  moglichst  lang  gemacht  werden,  da  die  Durchbiegung 
mit  dem  Cubus  der  Lange  zunimmt,  d.  b.  eine  Feder  von  2m  Lange  biegt  sicb 
unter  sonst   gleichen  Umstanden  achtmal  so  stark    als  eine  Feder  von  lm  Lange. 


94 


Eisenbahn  (Federn). 


Man  ist  jedoch  durch  constructive  imd  audere  Rucksickten  in  der  Feder- 
lange  eingesckrankt  imd  kann  iiber  gewisse  Masse  nicht  kinausgeken. 

Bei  Locomotiven  und  Tendern  ist  die  Lange  der  Federn  ungefahr  lm  ,  des- 
gleichen  bei  Giiterwagen,  wakrend  sie  bei  Post-  und  Personenwagen  bis  zu  2m  steigt. 

Man  nimmt  zu  den  Federn  Stakl  oder  vulcanisirten  Kautschuk  (gummi  ela- 
sticum) ;  da  bei  dem  letzten  Material  allzuviele  Schwindeleien  vorkommen  kbnnen, 
so  hat  die  Verwendung  von  Stakl  inimer  mekr  zugenormnen,  nur  in  Amerika,  dem 
Vaterlande  des  Gummi,  wird  dasselbe  nock  in  grosseren  Quantitaten  verwendet 
Die  Figur  1321  a  und  1321  b  zeigt  eine  sehr  gebraucklicke  Form  von  Eisenbakn- 
federn.  Sie  bestekt  aus  einer  Anzahl  Stakllamellen  gleicker  Dicke  und  Breite, 
jedock  versckiedener  Lange,  deren  Ende  spitzig  zugeschnitten  sind.    a  sind  solche 

Fig.  1321  a. 


Eiseubalm-Federu. 


Lagen  von  Stakl,  b  ist  der  Federbund,  g  sind  die  Spannsckrauben,  welcke  zur 
Verbindung  mit  dem  Raknien  und  zur  Regulirung  der  Federspannung  dienen,  8 
ist  der  Stab  oder  die  Stlitze,  welcke  auf  dem  Lager  ruht.  Folgende  praktisck 
erprobte  Formeln  zur  Berechnung  der  Feder  lassen  erkennen,  welcke  Functionen 
auf  die  Wirkung  der  Feder  von  Einfluss  sind.  Ist  P  das  Belastungsgewickt,  resp. 
die  Tragkraft  der  Feder  bei  voller  Sicherkeit  in  Tonnen  a  1000  Kg.,  /  die 
Biegung  (Pfeilhbhe)  per  1  Tonne  Last,  I  die  Lange  der  Feder  in  Centimeter, 
b  die  Breite  der  Feder  in  Centimeter,  e  die  Blattdicke  der  Feder  in  Centimeter, 
n  die  Anzakl  der  Blatter  (Lagen),  so  ist  fur  guten  Tiegelgussstakl 
0-0016  >  ■  l.P 

*  -        be*.n         imd    n  =     3-56.  b.  e°-   ' 

Diese  Formeln  zeigen,  dass  die  Anzakl  der  Blatter  mit  der  Belastung  und 
der  Lange  zunimmt,  jedock  abnimmt  mit  der  Breite  und  sogar  im  quadra- 
tiscken  Verhaltniss  mit  der  Dicke  der  einzelnen  Lagen.  Die  Biegung  nimmt  zu 
mit  dem  Cubus  der  Lange,  dagegen  ab  mit  der  Breite  und  der  Anzakl  der  Blatter 
in  einfackem,  dagegen  mit  der  Blattdicke  im  cubiscken  Verhaltniss. 

Da  jede  Eisenbakn  sucken  muss,  so  wenig  als  moglick  Versckiedenkeiten  in 
ihrem  Fahrparke  zu  kaben,  so  pflegt  man  dieselbe  Lamellenbreite  und  Dicke  fili- 
al le  Federn  zu  verwenden.  Gebraucklick  ist  die  Breite  von  60 — 90mm  und  eine 
Dicke  von  10— 14mm. 

F  e  d  e  r  h  a  n  g  u  n  g.  Am  kaufigsten  sind  die  Federn  so  am  Rahmen  ange- 
bracht,  wie  Figur  1321  a  und  1321  b  zeigt;  oftbefinden  sie  sich  aber  unt  erkalb  des 
Lagers  und  miissen  dann  durck  Bolzen  mit  dem  Lager  verbunden  sein.  Bei  kleinen 
Radern  und  inneliegenden  Rahmen  ist  man  genbthigt,  zu  dieser  Construction  zu 
greifen ;  bei  sehr  vielen  Locomotiven  wendet  man  noch  Balanciers  an,  welche  auf 


Eisenbahn  (Buffer). 


95 


sehr   verschiedene   Art    angcbracht    sein    konnen.     Eine    gewbhnliche    Anordnung 
zeigt  Fig.  1315  und  1316. 

Auch  Querbalanciers  wendet  man  oft  an,  d.  b.  solche,  welche  zwei  Lager 
einer  und  derselben  Acbse  verbinden,  dann  Balanciers  mit  ungleicb  langen  Armen, 
urn  z.  B.  bei  Achsen,  welche  vermoge  ihrer  Lage  vom  Schwerpunkte  sehr  ver- 
scbieden  belastet  wtirden,  eine  gleichformige  Gewichtsvertheilung  zu  erzielen. 

Stoss apparate,  Buffer.  An  jedem  Ende  eines  Eisenbahnfahrzeuges 
(Maschine  und  Tender  werden  als  Ein  Fahrzeug  betrachtet,  da  sie  stets  mit 
einander  verkehren  miissen)  miissen  sich  elastiscbe  Apparate  befinden,  welche  die 
die  Stosse,  die  sie  bei  der  Fahrt  oder  selbst  beim  Stillstande  durch  andere  an- 
fahrende  Wagen  empfangen,,  zu  mildern  und  die  Fahrzeuge  zu  schiitzen  haben. 
Diese  Apparate  nennt  man  Buffer.  Sie  bestehen  im  Wesentlichen  aus  der  Buffer- 
hlilse  a  aus  Gusseisen  oder  Schmiedeisen  oder  auch  Stahl,  der  Bufferstange  b 
und  der  Volutfeder  (auch  Spiralfeder  genannt)  g,  r  ist  die  Bufferscheibe,  welche 
den  Stoss  auffangt,  c  ist  ein  Ansatz,  welclier  auf  die  Bufferhiilse  zu  sitzen  kommt, 
wenn  die  Feder  die  grosste  gestattete  Pressung  erfahrt,  urn  sie  vor  Zerstorung 
zu  schiitzen,  cl  ist  eine  ringformige  Scheibe  zur  Uebertragung  des  Stosses  auf  die 
Feder,  e  ist  eine  Schraubenrnutter,  welche  dazu  dient,  urn  die  Feder  zu  spannen 
Fig.  1322  a.  |  Fig.  1322  b. 


Buffer, 
und  alle  Theile  des  Buffers  zusammen  zu  halten.  Sie  ruht  auf  der  Schlussscheibe 
/,  die  sich  wieder  in  einer  Nuth  der  Bufferflansche   befindet.     Bie  Bufferhiilse  ist 
mit  mehreren  Schrauben  h  an  der  Brust  der  Fahrzeuge  befestigt. 

Zugvorrichtung.  Jedes  Eisenbahnfahrzeug  muss  an  beiden  Enden  ferner 
mit  Apparaten  versehen  sein,  um  mit  anderen  Fahrzeugen  verbunden  werden  zu 
konnen.  Dies  sind  die  Zughaken  und  die  Kuppeln.  Im  Gebiete  des  Vereines 
deutscher  Eisenbahn- Verwaltungen  sind  die  Form  und  Dimensionen  der  Zughaken 
und  Kupplungen,  so  wie  der  Stossapparate  einheitlich  vorgeschrieben ,  eben  so 
gewisse  Maximal-  und  Minimalgrenzen  gesteckt,  damit  sowohl  jeder  Wagen  einer 
Eisenbahngesellschaft  mit  jedem  Wagen  aller  anderen  Gesellschaften  des  Vereines 
zusammengekuppelt  werden  kann,  als  auch  alle  Fahrzeuge  einer  Bahn  auf  sammt- 
lichen  iibrigen  Vereinsbahnen  ungehindert  passiren  konnen. 

Am  vorderen  Ende  der  Maschine  und  am  rlickwartigen  Ende  des  Tenders 
befindet  sich  nun  in  der  Mitte  zwischen  den  Buffern  der  Zughaken  und  daran  die 
Kupplung,  bei  den  Waggons  an  beiden  Enden. 

Die  Kupplung  besteht  in  einer  kraftigen,  schmiedeisernen  Schraubenspindel 
von  33I,im  Durchmesser  im  Kern,  mit  rechtem  und  linkem  Gewinde,  in  der  Mitte 
mit  einem  Hebel  zum  Umdrehen.  Die  beiden  Enden  der  Spindel  greifen  in  Muttern, 
welche  Zapfen  haben  und  sich  nicht  drehen  konnen,  sodann  einerseits  in  einem 
Loche  des  Zughakens  aufgehangt  sind,  anderseits  mittelst  eines  Biigels  in  den 
Zughaken  des  zweiten  Fahrzeuges  eingehangt  werden. 

Sollen  die  Fahrzeuge  einander  genahert  werden,  so  dreht  man  die  Spindel, 
noch  Einhangen  des  Kuppelbiigels,  mittelst  des  Hebels  so  lange  herum,  bis  die 
Scheiben  der  Buffer  sich  beriihren,  oder  bei  Personenziigen  noch  fester.  Will 
man  auskuppeln,  so  schraubt  man  so  lange  zuruck,  bis  man  den  Biigel  leicht 
iiber  die  Spitze  des  Zughakens  heben  kann. 


96 


Eisenbahn  (Radbelastung). 


Zwischen  der  Maschine  und  dem  Tender  befiuden  sich  bisweilen  auch 
Schraubenkuppeln,  haufig  jedoch  auch  steife  Kupplungen  oder  solcbe  mit  Gelenken. 
Stets  wird  die  Verbindimg  mit  starken,  verticalen  Bolzen  (den  Reibnageln)  hergestellt, 
durch  deren   leicbt   zu   bewerkstelligende  Entfernung  die  Verbindimg   gelost  wird. 

Ferner  sind  zwischen  Maschine  und  Tender  noch  Vorrichtimgen  angebracht, 
um  die  Schwankungen  zu  verringern,  indem  durch  Federn  z.  B.  kleine  Buffer  vom 
Tender  an  der  Brust  der  Maschine  gedriickt  werden,  oder  indem  ein  Zahn  vom 
Tender  in  eine  entsprechende  Liicke  der  Maschine  greift  u.  s.  w. 

Radstand.  Die  Entfernung  der  aussersten  Achsen  eines  Fahrzeuges  nennt 
man  den  Radstand.  Je  grosser  der  Radstand,  desto  ruhiger  geht  der  Wagen. 
Allein  bei  den  Eisenbahnen  ist  die  Grosse  durch  die  Krtimmungen  gegeben.  Je 
kleiner  der  Halbmesser  einer  Kriimmung  ist,  um  so  kleiner  muss  der  feste  Rad- 
stand der  passirenden  Fahrzeuge  sein.  Bei  Flachlandbahnen  mit  wenigen  und 
sanften  Bogen  hat  man  anstandslos  den  grossten  Radstand,  auf  Gebirgsbahnen 
mit  scharfen  und  haufigen  Bogen  muss  man  den  Radstand  auf  das  Aeusserste 
verkiirzen,  da  andernfalls  der  Zugswiderstand  allzusehr  wachsen,  die  Fahrzeuge 
und  die  Bahn  selbst  allzusehr  leiden  miissten. 

Es  ist  zu  empfehlen,  fur  Bahnen,  welche  haufig  Curven  von  250m  Radius 
haben,  den  festen  Radstand  bei  Locomotiven  nicht  tiber  3-5m  ,  bei  400m  Radius 
nicht  iiber  4*7m    und  bei  600m  Radius    und  dariiber  nicht   iiber  6'0m  zu  machen. 

Radbelastung  und  Gewichts-Vertheilung.  Im  Zusammeuhange 
mit  dem  Radstande  steht  auch  die  Belastung  der  Schienen  durch  einzelne  Rader. 
Hier  gelten  folgende  Grundsatze:  Zur  Verhiitung  eines  zu  grossen  Verschleisses 
von  Radreifen  und  Schienen  sollte  kein  Rad  die  Schiene  holier  belasten  als  mit 
7000  Kg.  Gekuppelte  Rader  sollen  moglichst  gleich  belastet  sein.  Die  Vorder- 
achse  soil  bei  dreiachsigen  Personenzugsmaschinen  mindestens  l/4  des  Locomotiv- 
gewichtes  tragen ;  ist  die  Hinterachse  Laufachse,  so  ist  derselben  nicht  unter  V5 
des  Locomotivgewichtes  zuzutheilen.  Setzt  man  fur  eine  Maschine  3  feste  Achsen 
voraus,  so  ergibt  sich  die  Lastvertheilung  nach  Andeutung  der  Figur  1323  wie 
Fiq.  1323.  folgt:    Bezeichnet   a,  b,  c   das    auf 

die  einzelnen  Achsen  entfallende  Be- 
lastungsgewicht,  d  die  Summe  dieser 
Gewichte,  m,  n  die  Entfernung  der 
Achsen  von  einander,  also  m  -(-  n 
den  Radstand,  x  die  Entfernung  des 
Schwerpunktes  von  der  Mittelachse, 
so  ist  a  x  -\-  c  (m  -\-  x)  z=z  b 
(n — x),  woraus  sich  wegen  d  ■=. 
cm  —  dx  b  n  —  d x 


-\-  b  -\-  c  findet  :  x  = 


b  = 


d  m  m 

a  =:  d  —  b  —  c.  Sind  bestimmte  Belastungsgewiehte  gegeben,  so  kann  man  die 
Entfernung  m  und  n  bestimmen.  Durch  den  Einfluss  der  Feder  kann  die  Mittel- 
achse auf  Kosten  der  beiden  anderen  Achsen  be-  oder  entlastet  werden,  weil  ihre 
Lage  mit  der  des  Schwerpunktes  ziemlich  nahe  zusammenfallt. 

Arrangement  des  Wa- 
gens.  Nachdem  wir  die  Haupt- 
theile  des  Wagens  besprochen, 
konnen  wir  nun  zu  dem  allgemeinen 
Arrangement  desselben  iibergehen, 
welches  sich  je  nach  der  Bestimmung 
der  Locomotive  und  nach  den  Bahn- 
verhaltnissen  richtet. 

Fig.  1324  zeigt  eineEilzugs- 
locomotive  von  Crampton,  welche 
die  Triebrader  hinter  dem  Feuer- 


Eisenbahn  (Allgem.  Anordnung). 


hasten  und  die  Laufrader  vor  demselbea  hat,  die  Cylinder  liegen  in  der  Mitte  dee 
Cylinderkessels.  Dieses  System  ist  verlassen,  indem  nach  und  nach  die  Eilziige 
schwerer  wurden  und  das  Adhasionsgewicht  der  Triebachse  in  Folge  ilirer  grossen 
Entf'ernung  vom  Schwerpunkte  selir  gering  ist. 

Audi  hat  es  nocli  vcrschiedene  andere  Uebelstande,  z.  B.  einen  unruhigen 
Gang  trotz  des  grossen  Radstandes.  Die  gebrauchlichste  Form  der  Eilzugsmaschine  ist 
auf  dem  europaischen  Festlande  derzeit  auf  Bahnen  mit  Aachen  Bogen  (Fig.  3  325) 
mit  der  Triebachse  vor  dem  Feuerkasten,  eine  Laufachse  vor  und  hinter  dem 
Feuerkasten.  Figur  1326  fur  Bahnen  mit  starken  Kriimmungen ;  beide  Laufachsen 
vor  der  Box. 

Fig.  1325.       TJ  £3        Fig.  1326. 


Fig.  1327  zeigt  eine  Schnellzugsmaschine  fur  amerikanische  Bahnen,  Trieb- 
achse vor  der  Box  und  ein  drehbares  Vordergestell  mit  vier  Radern. 

Einen  guten  Typus  fur  kraftige  Gebirgsmaschinen  zum  Frachtentransport 
zeigt  Fig.  1328  mit  acht  geknppelten  Radern,  alle  vor  der  Box,  die  letzte  Achse 
verschiebbar.  ^    iS2S. 

<3     Fig.  1327. 


Alle  diese  Maschinen  haben  aussen  liegende  Cylinder. 

In  England  haben  die  meisten  Schnellzugslocomotiven  innere  Cylinder  und 
die  Triebachsen  vor  dem  Feuerkasten ;  sie  zeichnen  sich  durch  den  ruhigen  Gang 
aus,  haben  jedoch  mehrfach  gekropfte  Achsen,  welche  haufiger  brechen  als  gerade. 


Fig.  1329  zeigt  eine  Engerth- 
sche  Tenderlocomotive  mit  2  ge- 
kuppelten  Achsen  und  ein  em  Cy- 
linder, welche  auf  der  osterreichi- 
schen  Staatsbahn  for  Eilziige  und 
Personenzlige  und  selbst  Lastziige  _  „r 
beniitzt  werden.  ^tJ_j: 

Beliebte    Typen    fiir    schwere     i     >*~/. — i*-=2. 


Fig.  1329. 


^ 


r 


m 


im 


Personenziige  oder  leichte  Lastziige  sind  in  den  Figuren  1330  und  1331  dargestellt. 
Fig.  1330.      <U  Fi9-  1S3L 


Kanoaisch  &  Heeren,  Tec-hnisches  Worteibuch    Bd.  III. 


98  Eisenbahn  (Bremsen). 

Beide  Typen   liaben  vier  gekuppelte   und  zwei  Laufrader,  und  nnterscheiden  sich 

nur    daduch,  dass  Fig.   1330    alle    drei  Achsen   vor    dem  Feuerkasten    und    einen 

p.       ,090  ^y       kurzen  Radstand  bat,  und  Fig.  1331  eine  Kuppel- 

"'     '       '  H        achse  hinter  dem  Feuerkasten  und  einen  langen 

Radstand.    Die  Cylinder  liegen  aussen  und  ho- 

/-    x  ^        rizontal. 

\ \~\  ^  ttr  gewShnliche  Lastziige  auf  Hiigelland- 

f  babnen  wendet   man  den  Typus  Fig.  1336  an. 

| yk^^^^^^^z — J_,     Sechs    Rader    gekuppelt,    alle    vor    der    Box, 

\ '  ':©"  A  (f)  )(     f/1      f     klemer  Radstand,  Cylinder  aussenliegend,  letzte 
. V.  jy  V  y  VlLV .  Acbse  borizontal  verscbiebbar. 

Br  em  sen  der  Locomotiven.  Die  gesteigerten  Anforderungen  an  die 
Eisenbahnen  in  Beziehung  auf  die  Gescbwindigkeit  und  das  Gewicbt  der  Ziige 
bedingten  aucb  wieder  wirksamere  Hemmvorrichtungen,  und  so  wurden  denn,  na- 
mentlich  in  dem  letzten  Decennium,  aucb  an  den  Locomotiven  die  verscbiedensten 
Bremsen  angebracht,  um  dem  Fuhrer,  weleher  die  Zugsgescbwindigkeit  zu  regeln 
hat,  und  der  an  der  Spitze  des  Zuges  eine  berannahende  Gefahr  in  den  meisten 
Fallen  zuerst  erkennt,  ein  kraftiges,  scbnellwirkendes  Mittel  an  die  Hand  zu  geben, 
und  dabei  das  grosse  Gewicbt  der  Locomotive  nicht  nur  fur  die  Fortscbaffung, 
sondern  aucb  fur  die  Hemmung  des  Zuges  zu  beniltzen. 

Nacb  der  Natur  ihrer  Wirkung  kann  man  die  Bremsen  zunacbst  eintheilen 
in  Reibungs-  und  Compressions-Bremsen.  (Vergl.  Art.  Bremsen  H  S.   1  bis  13.) 

Reibungsbr  em  sen.  Die  Reibungsbremsen  wirken  theils  auf  den  Umfang 
der  Rader  (Radbremsen),  tbeils  auf  die  Schienen  (Scblittenbremsen),  sie  werden 
theils  durch  Menschenkraft,  theils  durch  Danrpf  in  Thatigkeit  gesetzt,  und  haben 
durch  mechanisehe  Einrichtung  Reibung  zu  erzeugen,  hiedurch  das  Bewegungs- 
moment  der  Locomotive  zu  absorbiren  und  dasselbe  tbeils  in  Erwarmung  der 
reibenden  Tlieile,  theils  in  mechanisehe  Arbeit  umzusetzen,  durch  welche  die  Zer- 
stbrung  der  reibenden  Theile  bedingt  wird. 

Die  Radbremsen  unterscheiden  sich  im  Principe  nicht  von  den  AVagenbremsen 
und  werden  dort  behandelt.  Man  wandte  sie  zumeist  bei  Tendermascbinen  an, 
um  einen  Ersatz  fur  die  entfallende  Tenderbremse  zu  schaffen.  Die  Scblitten- 
bremsen werden  audi  durch  ein  Hebelwerk  mittelst  Hand  oder  Dampf  auf  die 
.Schienen  gedriickt.  Eine  recht  gute  derlei  Bremse  ist  in  Fig.  1306  ersichtlich. 
P  bezeichnet  einen  kleinen  horizontalen  Dampfcylinder,  welcher  mitten  unter  dem 
Langkessel  sich  befindet.  Der  Kolben  driickt  beim  Niedergange  den  Schlitten 
</  auf  die  Schienen,  und  hebt  ihn  von  den  Schienen,  wenn  er  hinaufgeht.  Der 
Locomotivfiilirer  hat  nur  einen  Dampfhahn  zu  ofthen,  um  die  Bremse  wirksam  zu 
machen. 

Compressionsbrems  en.  Das  einfachste  und  effectvollste  Mittel,  die 
Schnelligkeit  einer  Locomotive  zu  massigen,  ist  die  Anwendung  des  Contradampfes. 
Es  besteht  darin,  dass  man  beim  Vorwartsgange  der  Mascbine  die  Steuerung  auf 
den  Riiekwartsgang  stellt  (u.  umgekehrt)  und  Dampf  in  die  Cylinder  stromen  lasst. 

Dies  hat  aber  den  Nachtheil,  dass  die  Locomotive  in  der  kiirzesten  Zeit 
dienstunfahig  wird,  die  Packungen  verbrennen  und  der  Kolben  nebst  Cylinder 
durch  die  aus  dem  Schornstein  und  dem  Rauchkasten  eingesaugten  Gase  ver- 
dorben  werden. 

Le  Ch atelier's  Bremsen.  Dies  hat  Le  Cb atelier  auf  den  Gedanken 
gebracht,  vom  Kessel  aus  Wasser  und  Dampf  in  den  Schornstein  stromen  zu  lassen 
und  in  der  That  werden  durch  dieses  hochst  einfache  Mittel  die  nachtheiligen 
Wirkungen  des  Contradampfes  aufgehoben. 

Nach  den  angestellten  Versuchen  und  aufgenommenen  Diagrammen  ist  schon 
die  Riiekwarsstellung  der  Steuerung  allein  ein  sehr  effectvolles  Mittel  der  Hemmung, 
welches  durch  den  Contradampf  noch  betrachtlich  gesteigert  wird. 


Eisenbahn.  99 

Le  Chatelier's  Brerase  hat  in  Folge  dessen  audi  eine  sehr  ausgedelmte 
Anwendung  gefunden. 

Repressionsbremsen.  Bei  den  Repressionsbremsen  wird  die  ganze 
lebendige  Kraft,  welche  sie  absorbiren,  in  Compression  des  Dampfes  im  Kessel 
und  in  Warme  umgesetzt.  Dies  wird  dadurch  erreicht,  dass  der  Ausgangsregulator 
ganz  gesclilossen  nnd  der  vor  den  Kolben  gefiihrte  Dampf  wieder  vollstandig  in 
den  Kessel  zuriickgefiihrt  wird. 

Die  ausgefiihrten  Bremsen  dieses  Systems  sind  die  von  L  a  n  d  s  e  e  und  Krauss. 
Die  Repressionsbremse  von  Landsee  ist  bei  Locomotiven  der  franzosischen  West- 
bahn  zur  Ausfiibrimg  gekommen,  jene  von  Krauss  bei  verschiedenen  von  ihm  ge- 
bauten  Locomotiven. 

Die  Zeh'sche  Klappe.  Diese  besteht  aus  einem  im  Ausgangsrohre  ange- 
brachten  Drosselventil.  Beim  Gebrauche  dieser  Bremse  wird  die  Steuerung  auf 
einen  sehr  hohen  Expansionsgrad  gestellt  und  die  Klappe  gesclilossen,  so  dass 
nur  ein  sehr  geringer  Querschnitt  fur  die  Ausstromung  des  Dampfes  ertibrigt. 
Der  Effect  derselben  ist  nicht  bedeutend. 

Luftdruckbremse  von  Bergue.  Diese  Bremse  ist  an  einer  Maschine 
angebracht,  welche  die  schiefe  Ebene  von  Pecq  nach  St.  Germain  befahrt. 

Wenn  der  Regulatorschieber  gesclilossen  ist/  sind  die  Cylinder  in  Verbindung 
mit  einem  Recipienten  auf  dem  Kessel.  Der  Luftrecipient  ist  mit  einem  Sicherheits- 
ventil,  welches  sich  bei  einem  bestimmten  Drucke  offnet,  und  mit  einem  Absperr- 
hahn  versehen,  welcher  vom  Fiihrerstande  aus  geoffnet  werden  kann.  Das  Dampf- 
ausstromungsrohr  hat  einen  Absperrschieber  und  wird  durch  den  Abschluss  desselben 
gleichzeitig  eine  Communication  des  Schieberkastens  mit  der  atmospharischen  Luft 
hergestellt.  Schliesst  man  den  Regulator  und  den  Schieber  im  Blasrohre,  so  werden 
die  Cylinder  von  dem  Kolben  mit  dem  Recipienten  und  hinter  demselben  mit  der 
atmospharischen  Luft  in  Verbindung  gesetzt  und  die  Dampfmaschine  in  eine  Luft- 
pumpe  verwandelt,  welche  die  angesaugte  Luft  in  den  Recipienten  driickt  und 
durch  die  lebendige  Kraft  des  Zuges  in  Bewegung  gesetzt  wird.  Die  Bremsarbeit 
wird  durch  die  Belastung  des  Ventils  regulirt,  um  ein  Gleiten  der  Rader  zu  ver- 
meiden. 

Audi  kann  der  Fiihrer  durch  den  erwahnten  Hahn  und  durch  verschiedenes 
Auslegen  der  Steuerung  die  Bremswirkung  variiren. 

Alle  Umstande  erwogen,  so  kann  mit  den  Repressionsbremsen,,  welche  iiberdies 
complicirt  sind,  und  mit  der  gleichfalls  complicirten  Luftdruckbremse  von  Bergue 
ein  wirksamerer  Bremseffect  nicht  erzielt  werden  als  mit  den  so  viel  einfacheren 
Contradampfbremsen  und  ist  eine  allgemeine  Anwendung  derselben  in  der  Zukunft 
nicht  anzunehmen. 

Schnellbremsen.  Unter  Schnellbremsen  sind  solche  Bremsen  verstanden, 
bei  welchen  die  Bremskraft  von  der  Locomotive  auf  den  Tender  und  die  Wagen 
des  Zuges  ubertragen  werden  kann,  so  dass  gleichzeitig  alle  Fahrzeuge  eines 
Zuges  durch  den  Locomotiv fiihrer  gebremst  werden  konnen. 

Bremse  vonRaux.  Schon  vor  mehr  als  20  Jahren  hat  A.  Raux  eine 
solche  Bremse  construirt;  unter  der  Locomotive,  dem  Tender  und  den  Wagen 
waren  kleine  Cylinder  mit  doppelten  Kolben  angebracht,  welche  direct  mit  den 
gegen  die  Rader  wirkenden  Bremsklotzen  in  Verbindung  standen.  Nach  diesen 
Cylindern  fiihrte  vom  Locomotivkessel  aus  eine  flexible  Rokre,  und  wenn  durch 
dieselbe  der  Kesseldampf  in  die  Cylinder,  und  zwar  zwischen  die  Kolben  trat,  so 
gingen  letztere  aus  einander  und  bewirkten  das  Anpressen  der  Klotze  gegen  die 
Rader. 

Bremse  von  Barker.  Im  Jahre  1871  fiihrte  Barker  auf  der  Great- 
Eastern-Bahn  in  England  einen  Bremsapparat  aus,  bei  dem  Wasser  zur  Druck- 
iibertragung  verwendet  wird.  An  der  Locomotive  ist  ein  Accumulator  angebracht, 
welcher  voll  Wasser  gepumpt  wird,  und  von  dem  aus  jeden  Moment  die  hydrau- 


100  Eisenbahn  (Bremsen). 

lischen  Presseu  in  Thatigkeit  gesetzt  werden  konnen,  welche  die  Bremsen  des 
Zuges  anziehen.     Dieser  Bremsapparat  soil  nocb  im  Gebrauch  sein. 

Brenise  von  Heberlein.  In  demselben  Jahre  fiihrte  nacb  langeren 
Versuchen  Heberlein  eine  Sclmellbreinse  auf  der  bayerischen  Staatsbabn  aus, 
bei  welch  er  das  Bewegnngsmoment  des  Fahrzeuges  selbst  zur  Bremsung  beniitzt 
wird,  nnd  die  so  eingerichtet  ist,  dass  sie,  wenn  ausgelost,  automatisch  wirkt. 

Sie  kann  sowohl  vom  Loconiotivfiilirer,  als  auch  von  den  anderen  Zngsbe- 
gleitern  in  Thatigkeit  gesetzt  werden,  und  werden  sodann  die  Rader  der  Loco- 
motive, des  Tenders  und  der  Wagen  gleichzeitig  gebrerast.  Die  Bremse  des  Tenders 
kann  ausserdeni,  wie  gewohnlich,  vom  Heizer  bedient  werden. 

Soil  der  ganze  Zug  gebremst  werden,  so  wird  mittelst  einer  Leine  eine 
Knagge  zuruckgedriickt,  worauf  eine  Frictionsscheibe  auf  eine  Rolle  fallt,  die  sich 
auf  einer  Locomotivachse  befindet.  Die  Frictionsscheibe  dreht  sich  um  und  auf 
ihr  wickeln  sich  Ketten  auf,  welche  die  Bremsstangen  so  in  Bewegung  setzen, 
dass  die  Klotze  an  die  Rader  gedriickt  werden.  Die  Bremse  wirkt  momentan 
und  energisch.  Tritt  eine  Zugstorung  ein,  so  werden  in  Folge  des  Reissens  der  Zug- 
leine  die  Bremsen  in  Thatigkeit  gesetzt  und  verhindern  so  einen  erheblichen  Unfall. 

Westingho use's  Bremse.  Eine  pneumatische  Schnellbremse  ist  die  in 
Nordamerika  sehr  verbreitete  und  auch  in  England  eingefiihrte  W  e  s  t  i  n  g  h  o  u  s  e- 
Bremse.  Auf  der  Locomotive  befindet  sich  eine  separate  kleine  Dampfmaschine, 
welche  eine  Luft-Compressionspumpe  betreibt,  von  der  ein  unter  dem  Fuhrerstande 
liegendes  Reservoir  von  circa  V3  Cub. -Met.  Inhalt  mit  comprimirter  Luft  gefiillt  wird. 

Unter  dem  Tender  und  den  Wagen  des  Zuges  befinden  sich  2  Luftrohren, 
welche  mit  diesem  Reservoir  communiciren.  Zwischen  diesen  Rohren  und  dem 
Reservoir  ist  ein  Dreiwegehahn  eingeschaltet,  durch  welchen  die  Luftrohren  mit 
der  Atmosphare  oder  mit  dem  Reservoir  verbunden  werden  konnen.  Zwischen 
den  Fahrzeugen  sind  die  Luftrohren  mittelst  elastischer  Scklauche  und  einer  Metall- 
kupplung  nach  Art  des  Bajonnetverschlusses  (s.  I  S.  279)  in  Verbindung  gebracht. 

In  jeder  Kupplungshalfte  befindet  sich  ein  Ventil  und  die  Fiihrungsspindeln 
beider  Ventile  einer  Kupplung  stossen  bei  geschlossener  Kupplung  zusammen  und 
halten  die  Ventile  geoflhet. 

Ist  die  Kupplung  getrennt  oder  reisst  der  Zug,  so  schliessen  sich  sofort  die 
Ventile  und  die  comprimirte  Luft  kann  nicht  entweichen. 

Aus  den  Luftrohren  gelangt  comprimirte  Luft  durch  Zweigrohren  und  einen 
Ventilkorper  zu  den  Bremscylindern.  In  dem  Ventilkorper  ist  ein  nach  beiden 
Richtungen  schliessendes  Doppelventil,  welches  gewohnlich  in  der  mittleren  Lage 
sich  befindet,  so  dass  beide  Luftrohren  geoffnet  sind  und  sich  in  ihnen  die  gleiche 
Spannung  befindet.  Wird  das  Gleichgewicht  gestort,  so  schliesst  das  Ventil  ein 
Rohr  und  es  tritt  nur  aus  dem  anderen  Rohr  Luft  in  den  Bremscylinder  ein.  Die 
comprimirte  Luft  treibt  den  Kolben  vorwarts,  und  da  die  Kolbenstange  direct  auf 
den  Bremshebel  wirkt,  so  tritt  die  Bremse  sofort  in  Thatigkeit.  Jede  vorhandene 
Bremse  lasst  sich  als  Luftbremse  einrichten,  und  kann  dabei  noch  separat  durch 
den  gewohnlichen  Bremser  bedient  werden. 

Die  pneumatische  Bremse  ist  ganz  in  die  Hand  des  Locomotivfuhrers  gelegt, 
der  einen  Manometer  bei  sich  hat,  welcher  ihm  stets  den  Druck  im  Reservoir 
anzeigt  und  nach  dem  er  den  Gang  der  Compressionspumpe  regulirt. 

Die  Erfolge  dieser  Construction  sind  giinstig  und  die  grosse  Verbreitung 
spricht  auch  fiir  die  Westinghouse'sche  Bremse  trotz  des  ziemlich  complicirten 
Mechanismus. 

Smith's  Vacuumbremse.  Diese  Bremse  beruht  auf  der  ansaugenden 
Wirkung  des  Dampfstrahls,  der  mittelst  eines  sehr  einfachen  sogenannten  Ejectors 
die  Luft  aus  elastischen  Cylindern  heraussaugt,  die  sich  nur  nach  der  Langs- 
richtung  zusammenziehen  konnen. 

Der  aussere  Luftdruck  bewirkt  ein  Zusammenklappen  der  Cylinder,  und  diese 
Bewegung  wird  mittelst  an  den  Cylinderdeckeln  vorhandenen  Stangen  und  Hebeln 
auf  die  Bremsklotze  tibertragen. 


Eisenbahn  (Besonclere  Locom.-Syst.).  101 

Die  Lasting  der  Bremsen  bewirkt  der  Locomotivflihrer  durch  Oeffnung  eines 
hiezu  bestiinmten  Lufteintrittventils.  Der  Locomotiv-Superintendent  H.  Stirling 
von  der  Great-Northern  Bahn  hat,  wie  auch  andere  Ingenieure,  das  System 
Smith  zu  vervollkommnen  gesucht,  da  dasselbe  fur  den  Fall  einer  Zugstrennung 
nicht  vorsorgt.  Die  Einfachheit  desselben  lassen  ihm  nnr  den  besten  Erfolg 
wiinschen. 

Die  osterreichische  Siidbahn  hat  es  im  Winter  1876 — 1877  probeweise  ein- 
gefiihrt. 

Sandstreuapparat.  Bei  nebelfeuchten  oder  bethauten  Schienen,  oder 
bei  nassem  Schneewetter,  oder  auch  dann,  wenn  die  Schienen  durch  Fett,  Letten 
u.  dgl.  verunreinigt  sind,  wird  die  Adhasion  sehr  gering  und  es  tritt  das  sogenannte 
Gleiten,  Schleifen,  Umhauen  oder  Trommeln  der  Rader  ein.  Dies  besteht  darin, 
dass  sich  die  Rader  der  Maschine  sehr  schnell  umdrehen,  ohne  ihren  Platz  zu 
verlassen. 

Diese  Erscheinung  ist  gleich  nachtheilig  fur  die  Schienen,  wie  fur  die  Ban- 
dagen  und  den  ganzen  Mechanismus,  abgesehen  von  der  storenden  Wirkung  auf 
den  Zugsverkehr  durch  starke  VerspStungen.  Um  dieses  Gleiten  nioglichst  hint- 
anzuhalten,  muss  die  Reibung  kiinstlich  vergrossert  werden,  und  dieses  geschieht 
durch  den  Locomotivfiihrer,  indem  er  einen  stets  auf  der  Maschine  befindlichen 
Kasten  voll  Sand  offnet  und  einen  Sandstrahl  auf  die  Schienen  fallen  lasst. 

Fiir  Gebirgsbahnen  und  im  Winter  ist  das  Sandstreuen  ein  nothwendiges 
Uebel,  denn  die  Schienen  und  Bandagen  werden  dadurch  sehr  angegriffen. 

Reinigen  der  Schienen  durch  heisses  Wasser.  Man  hat  ver- 
sucht,  um  diese  Nachtheile  zu  beseitigen,  die  Schienen  durch  Bespritzen  mit 
heissem  Wasser  aus  dem  Kessel  zu  trocknen  und  zu  reinigen,  und  die  Versuche 
versprechen  einen  guten  Erfolg. 

Doch  sind  dabei  noch  manche  praktische  Schwierigkeiten  zu  tiberwinden, 
ehe  dieses  Verfahren  allgemein  werden  kann. 

Besondere  Systenie  der  Maschinen.  Um  zur  Erzielung  eines  ruhigen  Ganges 
einen  langen  Radstand  niachen  und  doch  scharfe  Curven  anstandslos  durchfahren  zu  konnen, 
geben  die  Anierikaner  ihren  Locornotiven  ein  drehbares  Vordergestell,  wie  bereits  wiederholt 
envahnt.  Wenn  aber  alle  Achsen  gekuppelt  sind,  so  ist  die  Anwendung  desselben  nicht  moglich. 

System  Krauss.  Dieses  besteht  in  der  Anwendung  vierradriger  oder  sechsradriger 
T  endermaschinen  einfachster  Construction,  alle  Rader  gekuppelt.  Aussen  Cylinder,  der  Rahmeu, 
welcher  zwischeri  den  Radern  liegt,  wird  durch  den  Wassei-kasten  gebildet,  die  Steuerung  liegt 
aussen.  Diese  Maschinen  haben  ein  gutes  Aussehen  und  sind  fiir  gewisse  Zwecke  sehr 
empfehlenswerth. 

System  Fair  lie.  Fair  lie  hat  zu  diesem  Behufe  bei  seiner  Gebirgsrnas  chine  einen 
sehr  grossen  Kessel  angewendet,  namlich  in  der  Mitte  des  Kessels  den  Feuerkasten,  dann 
zwei  cylindrische  Kessel,  zwei  Rauchkasten  und  zwei  Schornsteine  angewendet,  und  unter 
diesem  Einen  Doppelkessel  und  zwei  drehbare  Gestelle,  jedes  mit  separaten  zwei  Cylindern 
und  separater  Steuerung  angeordnet.  Jedes  Gestell  hat  nun  nach  Bedarf  zwei  oder  drei  ge- 
kuppelte  Achsen. 

Wir  haben  es  somit  eigentlich  mit  zwei  Locornotiven  zu  thun,  welche  nur  einen  ge- 
meinsamen  Kessel  haben.  Mit  zwei  getrennten  Tenderlocomotiven  kann  man  dasselbe  erreicheu, 
und  hat  dies  noch  den  Vortheil,  dass  eine  Locomotive  Dienst  machen  kann,  wenn  die  andere 
in  Reparatur  steht. 

Solche  Zwillingstendermaschinen  mit  je  zwei  gekuppelten  Achsen  werden  seit  zwei  De- 
cennien  auf  der  schiefen  Ebene  von  Giovi  mit  sehr  gutem  Erfolge  beniitzt,  diese  Maschinen 
wurden  in  Seraing  erbaut  und  haben  Schlittenbremsen. 

System  Nowotny.  Nowotny  in  Dresden  hat  eine  Eilzugsmaschine  fiir  starke 
Steigung  construirt,  bei  welcher  zwei  Achsen  gekuppelt  sind ;  die  vordere  Achse  ist  Laufachse 
und  drehbar,  zugleich  so  eingerichtet,  dass  sie  sich  in  den  Geraden  normal  stellt,  in  Bogen 
der  Kriimmung  anschmiegt. 

Dieses  System  hat  den  Vortheil  v'or  Drehgestellen  mit  zwei  Achsen,  dass  die  vordere 
Achse  besser  belastet  ist  und  das  Fahrzeug  eine  grossere  Stabilitat  besitzt. 


102  Eisenbahn. 

System  Sturrock.  Der  Ingenieur  Archibald  Sturrock  hatte  die  Idee,  den 
Schlepptender  mit  Cylindern  zu  versehen  und  die  Rader  zu  kuppeln,  urn  die  Leistungsfahigkeit 
der  Locomotive  zu  erhohen.  Der  Dampf  fiir  die  Tendercylinder  wird  vom  Locomotivkessel 
entnommen  und  warmt  das  Tenderwasser  vor.  Auf  flachen  Strecken  wird  ohne  Zuliilfenahme 
der  motorischen  Kraft  des  Tenders  gefahren. 

Der  Director  der  Grande  central  beige,  Maurice  Urban  inLSwen,  fuhrte  neue  solche 
Locomotiven  aus,  und  auf  einigen  englischen  Bahnen  wurden  a'ltere  Locomotiven  mit  Motor- 
tendern  versehen.     Man  soil  damit  zufrieden  sein. 

System  Petiet.  Auch  die  Locomotive  von  Petiet  ist  eine  Zwillingstenderlocomotive 
mit  zwei  drehbaren  Gestellen,  jedes  mit  sechs  gekuppelten  Radern  und  jedes  mit  zwei  Cy- 
lindern.  Die  Eigenthiimlichkeit  liegt  in  dem  Roste,  welcher  iiber  dem  Rahmen  liegt,  wodurch 
es  moglich  war,  ihm  eine  lichte  Breite  von  l-8m  und  eine  Flache  von  3-33D™  zu  geben.  Die 
grosse  Breite  der  Feuerkiste  gestattete  die  Anwendung  eines  sehr  weiten  Cylinderkessels 
und  sehr  vieler  Rbhren;  ferner  hat  Petiet  ebenfalls  an  seinem  Kessel  noch  ein  separates, 
sehr  grosses  Dampfreservoir  (circa  30  Cylinderfullungen)  angebracht,  durch  welches  die  heissen 
Verbrennungsgase  in  Rohren  streichen  und  den  Dampf  trocknen.  Die  Leistungsfahigkeit  dieser 
Maschine  ist  uniibertroffen,  der  asthetische  Eindruck  derselben  ist  jedoch  kein  giinstiger,  sie 
hat  ein  gar  zu  mammuthartiges  Aussehen. 

System  Fran9ois.  Den  Gegensatz  zu  diesem  Colosse  bildet  die  Rangirmaschine 
mit  verticalem  Kessel,  welche  vom  Ingenieur  Nicolas  Francois  in  Seraing  fur  den  Dienst 
in  dem  ausgedehnten  Etablissement  mit  sehr  gutem  Erfolge  angewendet  und  von  da  aus  ver- 
breitet  wurde.  Zugsleistung  90  Tonnen  Brutto  auf  der  Horizontalen  bei  einem  Dienstgewieht 
von  7-5  Tonnen. 

System  Fell.  Alle  anderen  Locomotivsysteme  mit  gewohnlicher  Adhasion  fallen  mit 
den  crwalmten  zusammen.  Es  gibt  jedoch  noch  einige  interessante  Systeme,  welche  bei  Se- 
cundar-  oder  Bergbahnen  mit  Erfolg  angewendet  wurden  oder  noch  werden,  welche  sich  von 
den  vorigen  dadurch  unterscheiden,  dass  bei  ihnen  ausser  der  naturlichen  noch  eine  kiinstliche 
Adhasion  zur  Anwendung  kam. 

Das  erste  war  das  System  Fell,  es  kam  bei  der  Durchtunnelung  des  Mont-Cenis  auf 
der  gewohnlichen  Strasse  mit  Steigungen  von  1  :  13  in  Anwendung. 

Das  Wesen  dieses  Systems  beruht  auf  der  Anwendung  einer  erhohten  Mittelschiene 
(untcr  Beibehaltung  der  gewohnlichen  Aussenschienen),  welche  beiderseits  zwei  Horizontal- 
rollen  angreift,  welche  durch  die  Maschine  gleichzeitig  mit  den  Triebradern  in  Rotation  ver- 
setzt  und  an  die  Mittelschiene  angepresst  werden  konnen.  *) 

System  Rig  gen  bach.  Das  System  Riggenbach,  welches  zuerst  auf  der  weltbe- 
riihmten  Rigibahn  zur  Ausfiihrung  gelangte,  hat  zwischen  den  Schienen  eine  Zahnstange,  in 
welche  ein  auf  der  Triebachse  festsitzendes,  gewohnlicb.es  Zahnrad  eingreift.  Es  eignet  sich 
nur  fiir  geringe  Gesclnvindigkeiten,  hat  sich  aber  fiir  diese  seit  Jahren  bewa'krt,  indem  die  Rigi- 
baltn  Steigungen  von  1:4  zu  iiberwinden  hat. 

System  Wetli.  Dieses  besteht  in  der  Anwendung  eines  Schraubenrades  bei  der 
Locomotive,  dessen  Gewinde  sich  an,  zwischen  den  Langs-Schienen  liegende,  gegen  das 
Bahnmittel  entsprcchend  geneigte  Schienen  stiitzen  und  durch  dessen  Rotationen  dann  die 
Maschine  nnd  der  Train  bergan  bewegt  werden.  Dieses  System  ist  sehr  complicirt  und  in 
der  Ausfiihrung  kostspielig.  Eben  so  diix-fte  sich  auch  der  Betrieb  in  Folge  der  theueren 
Bahnerhaltung  kostspielig  gestalten. 

Im  Herbste  1876  wurde  die  Streeke  Wadenswyl-Einsiedeln  bei  Zurich  zur  Probe  be- 
fahren,  bei  der  Thalfahrt  der  zweiten  Probe  war  die  Locomotive  nicht  zu  halten  und  es  er- 
folgte  eine  schreckliche  Katastrophe,  bei  welcher  mehrere  angesehene  Personen  das  Leben 
verloren. 

III.  Maschine.  Der  dritte  Haupttheil  jeder  Locomotive  ist  die  Maschine, 
d.  i.  jener  Theil,  welcher  den  Dampf  zur  Umdrehung  der  Rader  nutzbar  macht. 
Wenn  auch  schon  Stephenson  eine  Locomotive   mit  drei  Cylindern,  Ha  swell 


* )  Sielie  E  i  s  e  n b  a  h  n  S.  71 


Eisenbahn  (Locomotive,  Mascbine).  103 

eine  Schnellzugslocomotive  mit  vier  Cylindern  gebaut  hat,  wenn  audi  in  neuester 
Zeit  eine  Locomotive  mit  vier  Cylindern  nach  Woolfschem  Dampfmaschinen- 
system  construirt  wurde,  so  sind  dies  doch  nur  vereinzelnte  Falle,  und  man  kann 
sagen,  dass  derzeit  jede  Locomotivmaschine  eine  Dampfmaschine  mit  Hochdruck, 
mit  variabler  Expansion  und  mit  Vor-und  Riickwartsgang  ist,  mit  2  Cylindern, 
welche  auf  die  Triebacbse  unter  90  Grad  wirken,  d.  b.  steht  die  Kurbel  der  einen 
Mascbine  auf  einem  todten  Punkte,  so  ist  die  Kurbel  tier  anderen  Maschine  um 
90  Grad  voraus  und  stebt  senkrecht. 

Derzeit  baut  man  alle  Locomotiven  mit  horizontalen  Cylindern,  ob  dieselben 
nun  innerhalb  oder  ausserbalb  der  Rader  liegen,  und  ist  das  Bestreben  aller  Con- 
structionen  dabin  gericbtet,  alle  Tbeile  so  einfacb,  als  nur  moglich,  anzuwenden 
und  Reparaturen  moglicbst  zu  vermeiden  oder  dieselben  wenigstens  zu  erleicbtern. 

Man  bat  alle,  nur  einigermassen  complicirten  Constructionen,  z.  B.  Kirch- 
weger'sche  Condensation,  die  Steuerungen  mit  2  Schiebern,  die  Pumpen  mit 
Kolben  u.  s.  w.  verlassen,  um  einfacbe  Mecbanismen  zu  erhalten,  und  was  man  dabei 
allenfalls  an  Brennstoff  zusetzen  sollte,  wird  wieder  eingebracht,  indem  man 
Dampf  von  bober  Spannung  verwendet.  10  Atmospbaren  Kesseldruck  ist  jetzt 
scbon  etwas  Gewohnliches,  in  Amerika,  in  England  und  in  der  Schweiz  Avendet 
man  jetzt  (1877)  seit  mehreren  Jahren  scbon  Dampf  von  13  und  selbst  15  Atmo- 
spbaren Spannung  an,  und  bei  dem  Fortschritte  der  Industrie  ist  man  wobl  nocb 
nicht  an  der  Grenze  angelangt.  Die  Amerikaner  spannen  selbst  bei  ibren  stabilen 
Dampfmascbinen  die  Kessel  bis  10 — 12  Atmospbaren  und  die  Rohrenkessel  fitr 
stabile  Dampfmascbinen  von  Belleville,  Root,  Howard  u.  dgl.  werden  auf 
20  Atmospbaren  Dampfdruck  geprlift,  und  wer  wollte  bebaupten,  dass  wir  nun 
plotzlick  stehen  bleiben  und  nicht  mebr  fortscbreiten  werden*? 

Geben  wir  jedoch  zur  Beschreibung  der  Mascbine  iiber. 

Wie  gesagt,  ist  die  Locomotivmaschine  eine  horizontale  rlochdruck-Zwillings- 
dampfmaschine  mit  variabler  Expansion  ohne  Condensation,  wobei  die  Triebachse 
mit  den  Triebradern  an  die  Stelle  der  Scbwungradachse  tritt. 

Die  Figuren  1333  a  und  b  stellen  einen  sehr  verbreiteten  Typus  fitr  eine 
Schnellzugslocomotive  dar.  Diese  hat  alle  drei  Achsen  vor  dem  Feuerkasten,  die  erste 
Achse  ist  Laufachse,  die  zweite  ist  Triebachse  und  die  dritte  Achse  ist  gekuppelt. 
Der  Rabmen  A  liegt  ausserbalb  der  Rader,  die  Federn  der  letzteren  zwei  Achsen 
sind  durch  einen  Balancier  verbunden. 

Aucb  die  S  tephenson'sche  Steuerung  liegt  hier  ausserhalb  der  Rader  und 
des  Rahmens,  und  ist  somit  leicbt  zuganglich.  Wir  wollen  zunachst  den  Dampf 
auf  seinem  Wege  begleiten.  Der  Dampf  befindet  sich,  wie  bekannt,  im  Obertbeile 
des  Kessels.  Vom  Dome  D  stromt  derselbe  in  der  Richtung  des  Pfeiles  in  das 
offene  Rohr  zum  Regulator  B,  von  da  bei  geoffnetem  Regulatorscbieber  durch  die 
Einstromungsrohren  in  die  Schieberkasten  der  Cylinder  bei  w.  Der  Vertbeilungs- 
schieber  v  lasst  ihn  nun  bald  durch  den  Kanal  y  in  den  Vordertheil  des  Cylinders  C 
treten,  bald  durch  den  Kanal  x  in  den  riickwartigen  Theil,  und  von  da  tritt  er 
nach  vollzogener  Arbeit  durch  die  Kanale  und  die  Hohlung  des  Scbiebers  in  den 
Ausstromungskanal  u,  von  da  durch  das  im  Rauchkasten  L  befindliche  Aus- 
stromungsrohr  nach  der  Richtung  des  Pfeiles  in  den  Rauchfang  L'  und  durch  den 
Funkenfanger,  recte  Funkenloscher  T  in's  Freie.  Der  Theil  X  des  Rauchfanges 
heisst  der  Mantel.  Der  Raum  zwischen  Mantel  nnd  cylindrischem  Rauchfang  fiillt 
sich  mit  kleinen  Kohlentheilchen  und  soil  ofter  gereinigt  werden. 

Die  Mascbine  ist  im  Vorwartsgange  dargestellt.  In  dem  durcbschnittenen 
Cylinder  C  driickt  nun  der  Dampf  (im  Momente  der  Darstellung  nur  mittelst  der 
Expansion)  auf  den  Kolben,  schiebt  denselben  zuritck.  Die  Kolbenstange  d  schiebt 
den  Kreuzkopf  zwischen  seiner  Parallelfiibrung  gleichfalls  zuriick  und  diese  gerad- 
linige  Bewegung  wird  durch  die  Pleuelstange  b  (audi  Leit-  und  Fltigelstange  ge- 
nannt)  und  die  Kurbel  k  in  eine  rotirende  verwandelt  und  das  Triebrad  R,  so  wie 
vermittetst  der  Kuppelstange  c  das  Kuppelrad  R%  resp.  die  beiden  Achsen  a  der- 
selben,  gedreht. 


104 


Eisenbahn  (Steuerung). 


Auf  der  zweiten 
Seite  der  Maschine  geht 
dasselbe  vor;  nur  sind 
die  Kurbeln  um  90  Grad 
versetzt  und  stehen  jetzt 
auf  dem  rtickwartigen, 
todten  Punkte,  d.  b.  ho- 
rizontal uach  riickwarts, 
wahrend  auf  der  sicht- 
baren  Seite  die  Kurbeln 
vertical  nach  ab warts 
stehen.  Hinter  demKol- 
ben  auf  der  sichtbaren 
Seite  ist  im  Cylinder 
Compression;  derSchie- 
ber  bat  den  Kanal  x 
bereits  geschlossen  und 
die  Ausstrornung  unter- 
brochen,  in  der  nachsten 
Periode  offnet  er  wieder 
^  den  Kanal  x,  bevor  der 
^  Kolben  ganz  auf  dem 
£g  todten  Punkte  steht, 
°°  undlasstfrischenDampf 
®  aus  dem  Schieberkasten 
hinter  den  Kolben  tre- 
ten ,  denselben  weiter 
nach  vorwarts  treibend, 
der  nun  auf  die  Kurbel 
ziehend  wirkt. 

Steuerung.  Die 
Steuerung  ist  der  wich- 
tigste  Theil,  so  zu  sa- 
gen,  die  Seele  der  Ma- 
schine. Durch  sie  wird 
der  Schieber  so  bewegt, 
dass  er  den  Dampf  nach 
Bedarf  vor  und  hinter 
den  Kolben  treten  lasst; 
ferner  ihm  gestattet,  zur 
richtigen  Zeit  aus  dem 
Cylinder  zu  treten.  Wir 
wollen  mit  Hilfe  der 
Figuren  1333  a  und  b 
mit  kurzen  Worten  dem  Leser  ein  Bild  geben,  auf  welche  Art  diese  Wirkung 
hervorgebracht  wird. 

Es  befinden  sich  auf  der  Triebachse  fur  jede  Seite  der  Maschine  zwei  Kreis- 
Scheiben  E,  E}  deren  Mittel  jedoch  nicht  mit  dem  Mittel  der  Achse  zusammen 
fallt,  sondern  welche  excentrisch  aufgekeilt  sind.  Um  diese  Excenter  E,E  herum 
geht  je  ein  Ring,  welcher  sich  auf  einer  Seite  in  eine  Stange  fortsetzt,  die  Ex- 
centerstangen  E',  E\  welche  wieder  direct  oder  mittelst  eines  Hebels  auf  die 
Schieberstange  0  wirken,  welche  mit  dem  Schieber  v  verbunden  ist. 

Dreht  sich  die  Triebachse,  so  werden  die  Excenterstangen  und  mit  ihr  die 
Schieberstange  und  der  Schieber  hin-  und  hergezogen.  Je  grosser  der  Abstand 
des  Mittels  der  Triebachse  von  dem  Mittel  der   excentrischen  Scheiben,  also  ndie 


Eisenbahn. 


105 


Excentricitat"  ist,  desto 
grosser  ist  der  Weg, 
welchen  der  Scbieber  zu- 
riicklegt.  Soil  die  Trieb- 
achse  oder  bei  einer 
stabilenDampfmaschine 
die  Schwungradwelle 
sicb  stets  nur  nach  einer 
Richtung  umdreken,  so 
geniigt  ein  einziges  Ex- 
ceiiter,  11m  den  Scbieber 
so  zu  bewegeu,  dass 
ein  regelmassiger  Gang 
der  Mascbine  eintritt.*) 

Die  Excentricitat 
muss  in  diesem  Falle 
bei  einem  Scbieber  ohne 
Ueberlappung  der  Kur- 
bel .  um  90°  vorausge- 
hen,  bei  den  Schiebern 
mit  Ueberlappung,  wel- 
che  fast  ausnahrnslos 
im  Gebraucb  sind,  aber 
um  10—30°  mehr,  d.  b. 
um  100—120°. 

Diese  Differenz 
der  angewendeten  Win- 
kel  gegen  den  recbten 
Winkel  heisst  die  Vor- 
eilung  unci  der  entspre- 
chende  Winkel  der  Vor- 
eilungswinkel. 

Soil  die  Maschine 
aber  aucb  in  entgegen- 
gesetztem  Sinne  arbei- 
ten?  so  ist,  wie  bei  den 
Locomotiven,  noch  ein 
zweites  Excenter  notbig, 
welches  wieder  beim 
Riickwartsgange  derMa- 
schine  zu  arbeiten  hat 
und  welches  gleichfalls 
um  ein  en  gewissen  Win- 
kel (100-120°)  der  Kur- 
bel  vorausgehen  muss, 
wenn  diese  in  entgegengesetzter  Richtung  bewegt  wird. 

Das  erst  erwahnte  nennt  man  das  Vorwarts-,  das  letztere  das  Riick- 
warts- Excenter.  In  der  Figur  1333  a  und  b  ist  das  Excenter,  dessen  Stange 
nach  oben  geneigt  zu  m  geht,  das  Vorwarts-  und  das  ein  wenig  nach  abwarts  ge- 
neigte,  zu  n  gehende,  das  Riickwarts-Excenter. 

Wahrend  man  bei  den  altesten  Locomotiven  die  Excenterstangen  direct  mit  den 
Schieberstangen  in  e:ne  durch  den  Locomotivflihrer  jederzeit  leicbt  auslosbare  und 
wieder  herznstellende  Verbindung  brachte  (Gabelsteuerung),  sind  seit  1843  die 
Enden  m  und  n  der  Excenterstaneren  mit  den  Enclen  der  soffenannten  Coulisse 


f)  Vergl.  Art.  Dampfmaschine  II  S.  560  etc. 


106  Eisenbahn  (Steuerung). 

gleiten  oder  des  Schleifbogens  verbunden,  in  welchem  ein  Backen  auf-  und 
niederkann,  an  dem  die  Schieberstange  befestigt  ist  (Coulissensteuerung).  Je  mehr 
der  Coulissenbacken  sich  dem  AngrifFspunkte  der  beiden  Excenter  nahert,  desto 
grosser  wird  der  Weg  des  Scbiebers. 

Aucb  wenn  der  Backen  in  der  Mitte  der  Coulisse  sicb  befindet,  macbt  der 
Schieber  noch  eine,  aber  so  kleine  Bewegnng,  dass  die  Maschine  dabei  nicbt  aus 
der  Rube  kommt. 

Bei  der  Gabelsteuerung  tritt  immer  gleichviel  Dampf  in  die  Cylinder,  man 
hat  dabei  constante  Expansion;  bei  der  Coulissensteuerung  bat  man  eine  in 
weiten  Grenzen  variable  Expansion;  je  naher  der  Backen  der  Mitte  der  Coulisse 
ist,  desto  grosser  ist  die  Expansion. 

Geleitet  wird  die  Steuerung  vom  Locomotivfiihrer,  welcher  am  Feuerkasten 
seinen  Standort  bat,  indem  er  die  Steuerungsvvelle  dreht.  Diese  liegt  vor  dem 
Triebrade  ziemlicb  tief,  neben  q.  Mehrere  Hebel  sitzen  auf  ihr  und  werden  mit 
ihr  gedreht.  Legt  nun  der  Fiihrer  den  aufrecbt  stehenden  Hebel  am  Steuerungs- 
bogen  (Reversirbebel)  nach  vom,  so  senkt  sich  der  Hebel  q,  durch  Ver- 
mittlung  der  langen  Zugstange,  desgleichen  das  mit  q  verbundene  Hangeisen  und 
die  Coulisse,  und  der  Backen  kommt  dem  oberen  Ende  der  Coulisse  so  nahe,  als 
moglich,  der  Schieber  macht  den  grossten  Weg,  der  Cylinder  bekommt  die  grosste 
Quantitat  Dampf  und  die  Maschine  kann  die  grosste  Kraft  im  Vorwartsgange  ent- 
wickeln. 

Zieht  der  Fiihrer  den  Reversirbebel  in  seine  ausserste  Stellung  nach  hinten, 
so  wird  die  Coulisse  gehoben,  der  Backen  kommt  dem  unteren  Ende  der  Coulisse 
zunachst  zu  stehen,  die  Maschine  arbeitet  mit  Riickwartsgang,  mit  grosster  Dampf- 
fiillung  und  geringster  Expansion.  Zwischen  diesen  beiden  Extremen  liegen  sehr 
viele  Variationen. 

Steht  der  Reversirbebel  auf  der  Mitte,  so  bleibt  die  Maschine  in  Rube. 

Es  ist  eine  grosse  Anzahl  den  sinnreichsten  Constructionen  fur  die  Steuerung 
der  Locomotive  erdacht;  die  bekanntesten  sind  die  von  Stephenson,  Gooch, 
Allan,  Heu  singer  von  W  aid  egg  mit  Ein  em  Schieber,  dann  die  von  Gon- 
z  en  bach,  Meyer,  Polonceau  mit  2  Schiebern,  welche  letzteren  man  wohl 
nicht  mehr  anwendet,  da  man  die  moglichste  Einfachheit  in  Allem  und  Jedem 
anstrebt. 

Es  ist  theoretisch  nachgewiesen ,  dass  man  mit  der  Stephenson'schen 
Steuerung  bei  richtiger  Ausmittlung  aller  Dimensionen  alle  jene  Vortheile  erreichen 
kann,  welche  von  cLen  anderen  geriihmt  werden.*) 

Man  hat  aucb.  Steuerungen  mit  nur  Ein  em  Excenter  fiir  den  Vor-  und 
Riickwartsgang  construirt,  z.  B.  Fink,  Watzka,  Hack  worth  u.  a.,  allein  die- 
selben  sind  wohl  iuteressant,  aber  haben  versehiedene  Nachtheile,  welche  ihrer 
Verbreitung  hindernd  in  den  Weg  treten.  Der  Schieber  ist  in  der  Regel  ein  ge- 
wbhnlicher  Muschelschieber,  welcher  bei  seinem  mittleren  Stande  die  beiden  Ein- 
stromungskanale  so  iiberdeckt,  dass  sowohl  aussen  als  audi  innen  ein  Uebergreifen 
stattfindet.  Man  kann  im  Allgemeinen  sagen,  dass  je  grosser  die  aussere  Ueber- 
lappung  ist,  eine  desto  grossere  Expansion  mit  dem  Schieber  erreicht  werden  kann. 

Die  innere  Ueberlappung  ist  weniger  wesentlich,  sie  hat  nur  eine  grossere 
oder  eine  geringere  Compression  des  Dampfes  im  Cylinder  zu  Folge,  welche  er- 
wiesener  Massen  auf  den  Dampf-,  resp.  Kohlenverbrauch  von  wenig  merkbarem 
Einflusse  ist. 

Vergleichen  wir  die  verschiedenen  Stellungen  des  Kolbens  und  des  Scbiebers 
und  die  Fnnctionen  des  Dampfes  mit  Zuhilfenahme  der  Figuren  1334  a  und  b, 
welche  in  acht  Stellungen  einen  Vertheilungsscldeber  zeigen,  der  bei  3/4  des  Kolben- 
hubes  absperrt.  Ueber  jeder  einzelnen  Schieberstellung  ist  der  Stand  des 
Kolbens  im  Cylinder,  unter  jeder  der  Stand  des  Scbiebers  auf  seinem  Wege 
bezeiclmet. 


f;)  Vergleiobe:  Zeuuer,  die  Schieliersteuerungeii,  3.  Auflage,  Freiberg  1862. 


Eisenbahn. 


107 


und  der  Dampfwege  sind  etwa  die  folgenden: 
Fig.  1334  a. 


Die  Verhaltnisse  des  Schiebers 
1st  0  die  Lange  der  Ein- 
strbmungskanale,  so  ist  die 
Lange  der  Stege  zwischen 
Einstrbmungs-  nnd  Ausstrb- 
mungskanal  b=.3/i0  (o  u.  b 
in  der  Richtung  der  Schie- 
berbewegung  geniessen). 

Lange  des  Ausstrb- 
niungskanals  zzz  2  '/4  0,  Lan- 
ge der  ausseren  Ueberdek- 
kung  =  0,  Liinge  des  Schie- 
bers im  Lichten  —  33/40, 
Lange  des  Schieberhubes 
==  4 . 0.  Eine  innere  Ueber- 
lappung  ist  nicht  vorhanden. 


Fig.  1334  a  zeigt  fol- 
gende  vier  Stellnngen  von 
Kolben  und  Scliieber. 

1.  Kolben  oben ;  Schie- 
ber  im  Begriff,  die  obere 
Einstrbmiing  zu  bffnen,  un- 
tere  Einstromung  mit  der 
Ausstrbmung  in  Verbindung. 

2.  Kolben  bat  1/i  seines 
Hubes  nach  unten  durch- 
laufen,  obere  Einstromung 
ganz  bffnen,  untere  Einstro- 
mung mit  der  Ausstrbmung 
inVerbindung7  Schieber  nach 
unten    ganz    ausgeschoben. 

3.  Der  Kolben  hat  3/4 
seines  Weges  zuriickgelegt. 


sen,  Beginn  der  Expansion, 
untere  Einstromung  noch  mit 
der  Ausstrbmung  in  Verbin- 
dung. 

4.  Der  Kolben  hat  1?/16  seines  Weges  durchlaufen,  die  Expansion  hat  bis 
jetzt  gedauert,  beim  Fortriicken  des  Kolbens  und  des  Schiebers,  und  beginnt  die 
Ausstrbmung  —  die  untere  Einstromung  ist  ausser  Verbindnug  mit  der  Ausstrb- 
mung getreten.     Beginn  der  Compression. 

Fig.  1334  b  zeigt  die  den  vorigen  Punkten  entsprechenden  Schieberstellungen 
beim  Aufsteigen  des  Kolbens. 

5.  Der  Kolben  ist  unten  angelangt  und  beginnt  aufzusteigen,  der  Schieber 
ist  im  Begriffe,  die  untere  Einstromung  zu  bflhen  und  der  Compression  ein  Ende 
zu  machen,  die  obere  Einstromung  mit  der  Ausstrbmung  in  Verbindung. 

6.  Unten  Einstromung,  oben  Ausstrbmung,  der  Kolben  hat  ]/4  seines  Weges 
gemacht,  der  Scliieber  am  Ende  seines  Hubes. 

7.  Unten  Beginn  der  Expansion,  oben  Ausstrbmung,  Kolben  hat  3/4  des 
Weges  gemacht. 

8.  Unten  Expansion  und  Beginn  der  Ausstrbmung,  oben  Beginn  der  Com- 
pression, der  Kolben  hat   15/,0  seines  Schubes  vollendet. 

Wiirde  der  Schieber  einc  innere  Ueberdeckung  hciben,  so  musste  die  Compression  frifher 
beginnen,  und  da  an  der  ausseren  Ueberdeckung  sich  nichts  andert,  so  miisste  die  Compression 
langer  dauern. 


st-f 


1' 


II 


108  Eisenbalm  (Steuerungstheile). 

Man  hat  Locomotiven  mit  innerer  Ueberdeckung  von  mehr  als  2/.  0  gemacht,  ohne  im 
Gange  der  Maschine  oder  im  Koblenverbrauche  eine  Aenderung  zu  merken. 

Dies  komnit  einerseits  daher,  weil  auch  die  Dauer  der  Expansion  mit  der  inneren  Ueber- 
deckung zunimmt  nnd  Compression  und  Expansion  sick  gegenseitig  coinpensiren  mogen ;  ferner 
die  Einstromungskanale  nnd  die  kleinen  Zwischenraume  zwischen  Kolben  nnd  Cylinderdeckel, 
welche  nothig  sind,  nm  das  Zertriimmerh  der  Cylinderdeckel  zu  verhindern ,  mussen  von 
vornberein  mit  Dampf  gefiillt  werden,  was  immer  eine  gewisse,  wenn  aucb  noch  so  kleine  Zeit 
erfordert;  sie  bilden  die  schadlichen  Raume,  der  dort  befindliche  Dampf  wird  nnr  bei  der 
Expansion  ausgeniitzt.    Compression  fiillt  diese  Raume  mit  Dampf,  kann  daher  Dampf  ersparen. 

Wird  der  Weg  des  Schiebers  verkleinert,  so  endet  die  Einstromung  friiher  und  die  Ex- 
pansion beginnt  friiher.  Je  nacb  der  Witterung  und  den  Steigungsverhaltnissen  der  Bahu  wird 
der  Locomotivfiibrer  die  Steuerung  so  stellen,  dass  er  den  Dampf  durch  die  Expansion  moglichst 
ausniitzt. 

Bei  boben  Expansionsgraden  wird  dann  der  Einstromungskanal  zu  wenig  gebffhet,  und 
es  kann  zu  wenig  Dampf  ausstromen,  resp.  derselbe  wird  zu  sebr  gedrosselt.  Um  die  davon 
berriibrenden  Nachtheile  aufzuheben,  wendet  man  Schieber  an,  welche  um  die  •Muschel  berum 
einen  Kanal  haben,  so  dass  aucb  durch  den  Kanal  des  Schiebers  Dampf  aus  dem  Schieber- 
kasten  in  den  Einstromungskanal  gelangen  kanu.     (Trick's  Kanalschieber.) 

Diese  Schieber  haben  aber  den  Naehtneil.  dass  sie  bei  einiger  Abniitzung  leicht  brechen 
und  dass  die  Brucbstiicke  in  den  Cylinder  gelangen  und  eine  Zertriimmerung  der  Cylinder- 
deckel herbeifiihren  konnen. 

Schieber gesicbt.  Der  Theil  des  Cylinders  im  Schieberkasten,  auf  welchem  der 
Schieber  gleitet,  heisst  das  Schiebergesicht,  es  muss  wegen  seiner  unausbleiblicben  Abniitzung 
etwas  hervorragen  und  so  eingerichtet  sein,  dass  man  mit  leichter  Miihe  bei  fortgescbrittener 
Abniitzung  ein  neues  Schiebergesicht  einsetzen  kann.  Dies  pflegt  man  dann  aus  Stahl  zu 
macben.  Die  Cylinder  werden  derzeit  ausnahmslos  aus  Gusseisen  gemacht.  Die  Schieber  in 
der  Regel  aus  Bronce,  baufig  auf  den  Gleitflachen  mit  einer  Legirung  von  Zinn  und  Kupfer 
(80  %  Zinn,  20  %  Kupfer)  gefiittert. 

Alle  anderen  Tbeile  der  Steuerung,  Welle,  Excenterstange,  Zugstange,  Hangeeisen, 
Reversirhebel,  Coulisse,  Backer],  Schieberstange,  Bolzen  macbt  man  von  Stahl  oder  Schmied- 
eisen,  welches  letztere  man  sodann  aber  auf  der  Oberflache  durch  Cementiren  anstahlt  und 
hartet.  Nur  die  Excenterringe  werden  von  Bronce  gemacht  oder  mit  Bronce  oder  einer  Le- 
girung ausgefiittert. 

Zu  alien  Tbeilen  der  Locomotive  ist  das  beste  Material  zu  wahlen,  es  erweist  sich 
dieses  mit  der  Zeit  immer  als  das  billigste. 

In  dem  Bessemerstahl  bat  man  ein  Material  gefunden,  welches  mit  trefflicher  Be- 
schaffenheit  den  Yorzug  eines  niedrigen  Preises  vereinigt. 

Reversirhebel.  Der  Reversirhebel,  von  welchem  die  Rede  war,  ist  ein 
langer  Hebel,  welcher  sich  um  eiuen  Punkt  in  einem  gewissen  Winkel  dreht,  seine 
Bewegung  erfolgt  von  Hand  aus.  Er  muss  an  verschiedenen  Punkten  fixirt  werden 
konnen.  Dies  geschieht  durch  Eingreifen  eines  bewcglichen  Zahnes  in  die  ent- 
prechenden  Liicken  eines  Kreisbogens  an  seinem  Stander,  dem  sogenanten  Steuerungs- 
bock,  welcher  bei  dem  Fiihrerstande  am  Locomotivrahmen  verschraubt  ist.  Die 
Zugstange,  welche  die  Steueruugswelle  drehen  kann,  greift  so  am  Reversirhebel 
an,  dass  eine  zwei-  bis  dreifache  Uebersetzung  vorhanden  ist. 

Bei  den  jetzt  tiblicheu  grossen  Maschinen  und  dem  hohen  Dampfdrucke  er- 
leichtert  man  dem  Fiilirer  die  Arbeit  dadurch,  dass  der  Hebel  durch  eine  Schraube 
oder  durch  eine  Combination  von  Hebel  und  Schraube  ersetzt  wird. 

R  e  g  u  1  a  t  o  r.  Der  Locomotivfiihrer  muss  von  seinem  Stande  aus  natiirlich 
die  Maschine  in  und  ausser  Tha'tigkeit  bringen  konnen,-  und  es  ist  eine  Forde- 
rung  der  Sicherheit,  dass  dies  so  schnell  als  moglich  geschehe.  Das  Ventil, 
welches  dem  Dampfe  den  Weg  zu  den  Cylindern  bffnet,  heisst  das  Regulatorventil, 
die  Dampfschleusse,  auch  Regulator  kurzweg.  Es  ist  in  verschiedener  Construc- 
tion ausgefukrt.  Die  gebrauchlichste  besteht  in  einem  flachen  Schieber,  welcher 
iiber    eine    entsprechende    Oeffnung   im    Kopf    des    Dampfrohres    geschoben    wird. 


Eisenbahn  (Zugswiderstand).  109 

Diese  Verschiebung  bewirkt  der  Locomotivfuhrer  durch  einen  Hebel  oder  eine  Zug- 
stange.  Em  leicbter  Gang  des  Regulators  ist  aus  Sicberheitsriicksichten  und  aus 
Griinden  der  langeren  Dienstfahigkeit  des  Personals  wichtig.  Ein  Hilfsschieber 
und  eine  rationelle  Scliraierung  der  Gleitflache  machen  dieses  moglich. 

Bias  rob  r  (Exhaust  or).  Ein  wesentliclier  Theil  der  Locomotive  ist  das 
Blasrolir.  Dasselbe  hat  den  Zweck,  den  gebrauchten  Dampf  aus  den  Cylindern 
in  den  Scliornstein  zu  fiihren,  und  dadurch  die  im  Schornstein  und  der  Rauch- 
kammer  befindliclien  Gase  mit  fortzureissen,  wodurch  dann  in  der  Rauchkammer 
eine  Lnftverdiinnung  entsteht,  welche  die  Luft  durch  die  Rostspalten  zum  Feuer 
und  durch  die  Siederohren  in  die  Rauchkammer  reisst,  und  endlich  durch  den 
Kamin  ins  Freie  fiihrt.  Diese  Saugwirkung  ist  um  so  grosser,  je  schnellcr  der 
Dampf  ausstromt,  somit  abhangig  von  der  Schnelligkeit  der  Maschine,  der  Grosse 
der  Fiillung  der  Cylinder  und  dem  Querschnitte  des  Blasrohres.  Geht  die  Ma- 
schine  rascher,  so  verbraucht  sie  mehr  Dampf,  es  stromt  mehr  aus  und  die  An- 
fachung  des  Feuers  ist  eine  lebhaftere;  desgleichen,  wenn  die  Maschine  einen 
schweren  Zug  zu  Ziehen  hat  und  mit  starker  Fiillung  arbeiten  muss.  Soil  mehr 
Dampf  producirt  werden  als  unter  normalem  Verhaltnisse,  so  verengt  der  Locomotiv- 
fiihrer  das  Blasrohr,  und  es  hat  nach  Zeuner*)  eine  Verengung  des  Blasrohres 
um  30  7o?  eme  Verrnehrung  der  angesaugten  Luftquantitat  um  etwa  22  °/0  zur 
Folge  und  umgekehrt. 

Diese  Verengung  ist  aber  in  so  fern  nachtheilig,  als  die  Pressung  des  aus- 
stromenden  Dampfes  einen  Riickdruck  auf  den  Kolben  ausiibt,  und  in  Folge  dessen 
die  Comsumtion  des  Brennstoffes  in  grosserem  Masse  zunimmt,  als  die  Leistung 
eigentlich  erfordern  wiirde. 

Die  iibrigen  Theile  der  Locomotive  sind  denen  der  Dampfmaschinen  gleich 
und  werden  deshalb  hier  nicht  besonders  behandelt. 

Bestimmung  der  Dimensionen  und  der  Leistung  der  Loco- 
motive.**) Es  mogen  hier  noch  einige  praktisch  erprobte  Ziffern  fur  die  Be- 
stimmung der  Verdampfung  und  Leisiung  der  Locomotiven  Platz  finden. 

Erfahrungsr esultate  beziiglich  der  Verdampfung.  Die  Loco- 
motivkessel  verdampfen  bei  voller  Leistung  und  guter  Fiihrung  per  lQm  Heiz- 
flache  in  der  Stunde  27 — 33  Kg.  Wasser  und  verbrauchen  3*5 — 4  Kg.  Koks,  so 
das  1  Kg.  Koks  im  Mittel  8  Kg.  Wasser  verdampft.  Die  grosseren  Werthe  gelten 
fiir  ein  Verhaltniss  der  Rostflache  zur  Heizflache  von  1  :  70  und  1  :  80,  die  kleineren 
fur  ein  Verhaltniss  von  1  :  90  bis  1  :  100. 

Eine  weitere  Erfahrung  zeigt,  class  die  Locomotiven  bei  guter  Erhaltung  und 
bei  okonomischem  Betriebe  per  Stunde  und  Pferdekraft  14 — 16  Kg.  Dampf  und 
1*7 — 2  Kg.  Koks  verbrauchen,  was  wieder  8  Kilo  Dampf  per  1  Kilo  Koks  gibt. 
Der  Dampfverbrauch  per  Pferdekraft  hangt  bei  gleicher,  voller  Leistung  der  Lo- 
comotiven hauptsachlich  von  der  Dampfspannung  im  Kessel  ab,  und  wird  um  so 
giinstiger,  je  hoher  diese  Spannung  ist;  der  kleinere  Verbrauch  entspricht  etwa 
10  Atmospharen  und  der  grossere  etwa  8  Atmospharen  absoluter  Kesselspannung. 

Zugs  wider  stand.  Erfahrungsresultate  beziiglich  des  Zugwiderstandes. 
Ueber  den  Zugswiderstand  wurden  vielseitig  Versuche  angestellt  und  verschiedene 
Formeln  zur  Berechnung  desselben  ausgemittelt ,  welche  meist  von  der  durch- 
schnittlichen,  groben  Annahme  eines  Widerstands-Coefficienten  Y„go  bis  7300  fiir 
die  gerade,  horizontale  Balm  bei  der  mittleren  Geschwindigkeit  von  34  Kilom. 
per  Stunde   #enig  abweichende  Werthe  liefern. 

Auf  Steigungen  nimmt  der  Zugswiderstand  zu,  u.  zw.  per  Tonne  bei  -5- 
Steigung  um  circa  n  Kilogramm. 


*)  Zeuner,  das  Locomotivblasrohr,  Zurich   1863. 

*)  Vergleiche  Pius  Fink's  Artikel  hieriiber  in  der  Zeitschrift  des  osterreichisclien  Ingenieur- 
und  Architekten-Vereines  1870. 


110  Eisenbahn  (Leistung). 

Alle  Versuche  zeigen  jedoch,  class  der  Widerstand  von  del-  Witterung,  von  dem  Zustande 
der  Balm,  den  Kriimmungen,  von  der  Construction,  Schmierung  und  Erhaltung  der  Wagen, 
und  endlich  vorziiglich  von  der  Geschwindigkeit  des  Zuges  abbangig  ist. 

Diese  Factoren  sind  jedoch  nach  Zeit  und  Ort  so  verschieden,  dass  es  sehr  erklarlich 
ist,  wenn  die  Resultate  der  verschiedenen  alteren  und  neueren  Versuche  wenig  ubereins.timmen 
und  sogar  ganz  betrachtliche  Abweichungen  zeigen.  Aus  diesem  Grunde  wurde  auch  keine 
Formel  aufgestellt,  welche  allgemein  als  zufriedenstellend  betrachtet  wiirde,  und  ein  Abscbatzen 
der  Umstande  ist  unvermeidlich. 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  derEinfluss  der  Geschwindigkeit ;  und  lasst  sich  derselbe, 
wie  Clark  gezeigt  hat,  geniigend  in  der  Formel  z  —  a  -\-  c  v'1  ausdriicken. 

Zieht  man  den  Widerstand  eines  Zuges  ohne  Maschine  und  Tender  auf  horizontaler 
Bahn  in  Betracht,  so  kann  man  nach  den  heutigen  Erfahrungen  und  far  die  derzeitigen  Bahn- 
und  Betriebs-Verhaltnisse  per  T.onne  Zugslast  setzen: 

1.  Bei  mittleren  guten  Verhliltnissen  (d.  i.  wenige  Curven,  und  diese  liber  450  Meter 
Radius,  scharfer  Wind,  Temperatur  iiber  5°,  Oel-Lager,  gut  belastete  Ziige  mit  mehr  als  100 
Tonnen  Brutto)  z  ~  2-5  -(-  0001 1>2,  z  in  Kilogrammen,  v  in  Kilometern  pro  Stunde  geraessen. 

2.  Bei  mittleren  schlechten  Verhaltnissen  (haufige  Curven  nnter  450  Meter  Radius, 
starker  Wind,  Temperatur  unter  5°,  Lager  mit  fester  Schmierung,  schlecht  belastete  Ziige  mit 
weniger  als  100  Tonnen  Brutto)  z,    —  1'5  z  —  3-75  +  0-0015  v'\ 

Diese  Formeln  liefern  unter  den  gemachten  Voraussetzungen  mit  den  Erfalirungen  gut 
iibereinstimmende  Eesultate,  doch  wird  nochmals  bemerkt,  dass  man  bei  einzelnen  Beobachtungen 
noch  giinstigere  und  auch  noeh  ungiinstigere  Werthe  erhalten  kann,  es  kann  namentlich  beim 
Sturm  und  dem  Zusammentreften  mehrerer,  der  erwahnten,  ungiinstigen  Umstande  zx  ~  2  z 
werden. 

Leistung  der  Locomotive,  Gross  e  der  K  ess  el.  Die  Leistung  der 
Locomotive  wird  fast  ausschliesslich  durch  die  Grosse  der  Heizflache  bedhigt  und 
spielen  die  ubrigen  Verhaltnisse  der  Kessel  und  der  Maschine  bei  gleicher 
guter  Fiihrung  eine  melir  untergeordnete  Rolle. 

Nach  den  obigen  Resultaten  folgt  unter  gitnstigen  Umstanden  per  Pferde- 
kraft  der  Locomotive  0*4?m  und  unter  weniger  giinstigen  Umstanden  O^S0111. 
Im  Mitt  el  kann  man  daher  bei  Locomotiven  0.5Dm  Heizflac  he  per 
P  f  e  r  d  e  k  r  a  ft  anne  h  m  e  n. 

Daher  auch,  wenn  H  die  Heizflache  bedeutet  und  N  die  Anzahl  der  Pferde- 
krafte,  N  z=  2  H  gesetzt  werden  kann. 

Driickt  man  die  Leistung,  wie  es  die  Rechnung  unmittelbar  ergibt,  durch 
die  Gewichts-  und  Wegeinheit  in  Kilo  meter -Tonnen  per  Stunde  aus  (eine 
Kilometer-Tonne  per  Stunde  ist  gleich  3*7  Pferdekraft),  und  'bezeichnet  diese  Ein- 
heiten  zum  Unterschiede  von  den  transportirten  gleichen  Einheiten  als  effective, 
so  ist  die  ncithige  Heizflache  per  effective  Kilometer-Tonne  annahernd  l-8Dm  und  die 
Leistung,  d.  i.  das  Product  aus  der  Zugkraft  Z  in  Tonnen  in  die  Geschwindigkeit 

Zv 

v  in  Kilometer   berechnet  sich  aus  N  z=.       ^    =r  2  H  oder  aus  Zv  -=z  0*54  H. 

Betreffs  der  Beziehungen  zwischen  dem  Zugwider  stand  der  Geschwin- 
digkeit und  den  Dimensionen  der  Maschine  muss  auf  die  am  Schlusse 
angegebene  Literatur  verwiesen  werden,  und  sei  hier  nur  bemerkt,  dass  die  Ge- 
schwindigkeit von  13  Kilometer  fur  Lastzugs-Maschin  en,  19  Kilometer  fiir 
G  e  m  i  s  c  h  t  e  z  u  g  s  -  M  a  s  c  h  i  n  e,  40  Kilometer  fiir  E  i  1  z  u  g  s  -  M  a  s  c  h  i  n  e  n  als 
Maximalgeschwindigkeiten  gelten  konnen. 

Verbrauch  an  Brennstoff  und  Wasser.  Wie  schon  Eingangs  er- 
wahnt,  ist  der  Verbrauch  an  Koks  per  Stunde  und  Pferdekraft  durchschnittlich 
circa  1-7  Kg.,  und  die  Menge  des  verdampften  Wassers  das  Achtfache  des  Koks- 
verbrauchs ;  der  Verbrauch  des  Wassers  im  Tender  aber  ist  verschiedener  Ver- 
lustc  wegen  ungefahr  das  Zehnfache  des  Koksverbrauches. 

Fiir  eine  Stunde  Verschubdienst  (Rangiren  der  Ziige)  erhalt  man  den  Koks- 

TT 

verbrauch  annahernd  genau,  wenn  man  die  Heizflache  durch  1*7  dividirt  =z— -  Kg. 


Eisenbahn  (Tender). 


Ill 


Fiir  eine  Stunde  Danipfhalten  kann  man  10  Kg.  per  lQm  Rostflache  rechnen. 

B)  Tender.  All  gem  eines.  Der  Tender  bildet  als  Munitionswagen  der 
Locomotive  die  nothwendige  Erganzung  derselben ;  er  hat  den  Brennstoff,  das 
Wasser  mid  noch  ausser  dem  verschiedene  Utensilien  und  Werkzeuge  anfzunehmen. 

Manche  Locomotiven  fiihren  jedoch  unter,  neben  oder  auf  dem  Kessel  das 
nothige  Wasser  neben  dem  Kessel  oder  hinter  dem  Fiihrerstande  den  Brennstoff 
mit  sicb,  es  sind  dies  die  sogenannten  Tenderlocomotiven.  Wir  sprechen  hier 
ausschliesslich  von  den  Schlepptendern. 

Jeder  Tender  muss  ausser  den  fiir  jedes  Eisenbahnfuhrwerk  unentbelirlicben 
Achsen,  Radern,  Lagern  und  Federn  nebst  Stoss-  und  Zugapparaten,  den  Behalter 
fiir  Wasser  und  Brennstoff  noch  mit  einer  Bremse ,  der  Vorrichtung  zum  Er- 
warmen,  zur  Abgabe  und  zum  Empfange  des  Wassers,  endlich  den  Bebaltern  fiir 
die  auf  der  Fahrt  nothigen  Werkzeuge  und  das  kleine  Material  und  einer  Platt- 
form  fiir  das  mitfabrende  Personal  verseben  sein. 

Die  Gro'sse  des  Fassungsraumes  fiir  das  Wasser  und  die  Koblen  oder  anderen 
Brennstoff  ricbtet  sicb  ganz  nach  localen  und  Betriebsverhaltnissen.  Im  Durcb- 
sebnitt  haben  die  in  Deutscbland  und  Oesterreicb-Ungarn  gebrauchlichen  Tender 
einen  Wasserraum  von  5  bis  7,  ausnabmsweise  bis  10cubm  und  geniigend  Platz 
fiir  2000  bis  5000  Kg.  Koble.  Das  Eigengewicht  eines  mittleren  Tenders  betragt 
beilaufig  10.000  Kg.  Je  nach  dem  Fassungsraume  und  der  Belastung  ist  der 
Tender  mit  2  bis  3  Achsen  versehen. 

Das  friihere  Vorurtheil  gegen  zweiachsige  Locomotiven  und  Tender  wegen 
angeblicber  Unsicherheit  bei  eintretenden  Achsenbriichen   hat  man  fallen  gelassen. 

In  Amerika  baut  man  audi  4-achsige  Tender,  jedoch  in  2  Drehgestellen, 
um  die  scharfen  Bogen  leichter  zu  befahren. 

Beschreibung.  Die  beistehende  Figur  1335  zeigt  den  recht  guten  Typus 
eines  modernen  Schlepptenders,  wie  er  in  Oesterreicb-Ungarn  beinahe  als  Normale 
betrachtet  werden  kann.  Der  Tender  bildet  einen  Blechkasten,  der  zwischen  den 
Radern  bis  nahe  an  die  Achsen  reicht  und  durch  die  punktirte  Linie  a,  b,  c  in 
zwei  Theile  getheilt  ist.  Der  obere  Theil  A  nimmt  das  Brennniaterial,  der  untere 
Theil  B  das  Wasser  auf,  welches  durch  das  Saugrobr  S  der  Locomotive  zugefiihrt 
werden  kann. 


Durch  dasselbe  Saugrobr  kann  auch  Dampf  aus  dem  Kessel  in  das  Tender- 
wasser  gefiihrt  werden,  um  dasselbe  zu  erwarmen.  C  ist  ein  verschliessbarer 
Raum  fiir  die  Hebewinden  und  Utensilien,  D  die  Kurbel  fiir  die  Bremse,  welche 
gleichzeitig  auf  alle  sechs  Rader  wirkt. 

Was  von  den  Achsen,  Radern,  Lagern,  Federn,  Buffern  u.  dgl.  bei  den 
Locomotiven  gesagt  ist,  gilt  auch  fiir  die  gleichnamigen  Bestandtheile  des  Tenders. 

F iil  1  vorrichtung'.  Der  Wassei-vorrath  des  Tenders  ist  von  Zeit  zu  Zeit  zu  er- 
gsinzen;  dies  geschielit  durch  die  sogenannten  Wasserkralme  (vgl.  Art.  Pump  en). 


112 


Eisenbalm. 


Fur  die  Nachfullung  des  Tenders  sind  nach  Umstanden  5  bis  15  Minuten  Zeit  er- 
forderlich.  Man  beschrankt  sich  dalier  thunlichst  auf  solclie  Stationen,  wo  aus  Verkehrsriick- 
sichten  ohnehin  ein  langerer  Aufenthalt  geboten  erscheint. 

Bei  den  sick  steigernden  Anforderungen  an  die  Schnelligke  it,  insbesonders  der  Courier- 
und  Express-Ziige,  hat  man  auf  Mittel  gesonnen,  jene  Aufenthalte  zu  vermeiden.  Der  Eng- 
lander  Ramsbottom  loste  diese  Aufgabe  auf  geniale  Weise,  so  dass  die  Tender  wahrend 
der  Fahrt  ihr  Wasser  nehmen  konnen.  Das  Princip  ist  folgendes:  Voni  Boden  des  Tenders, 
etwa  in  der  Mitte  geht  ein  schlank  nach  vorn  gebogenes  Rohr,  das  sich  nach  unten  zu  ver- 
jiingt,  bis  zuni  Niveau  der  Schianen.  Der  unterste  Theil  ist  beweglich  und  kann  vom  Fiihrer 
beliebig  gehoben  und  gesenkt  werden. 

Im  Innern  des  Kastens  ist  das  Kohr  senkrecht  nach  Oben  fortgesetzt  und  endet  in  einen 
halbkreisformig  mngebogenen  Ausguss,  welcher  die  zehnfache  Weite  der  unteren  Miindung 
besitzt,  um  die  Geschwindigkeit  des  in  den  Tender  eintretenden  Wasserstrahles  zu  vermmdern. 

An  jenen  Bahnstrecken,  welche  fur  die  Fiillitng  des  Tenders  bestimmt  sind,  befindet 
sich  zwischen  den  Schienen  ein  Kanal  aus  Gusseisen,  welcher  oben  often  und  mit  Wasser 
gefiillt  ist.     Der  Kanal  ist  circa  400m  lang. 

Der  Fiihrer  lasst  nun  das  untere  Ende  in  das  Wasser  tauchen,  und  es  steigt  in  Folge 
der  Geschwindigkeit  des  Tenders  das  Wasser  im  Rohre  in  die  Hohe  und  ergiesst  sich  in  die 
Cisterne. 

Die  erste  Einrichtung  wurde  1861  mit  bestem  Erfolge  gemacht,  so  dass  die  Express- 
ziige  von  London    nach  Liverpool    erst   nach  circa  180  Kilometern  Fahrt    in  Rugby   anhalten. 

In  20  Secunden  gelangen  5cul>-m  Wasser  in  den  Tender. 

Es  ist  bedauerlich,  dass  die  harten  Winter  des  mitteleuropaischen  Continentes  eine 
ahnliche  Anlage  aussichtslos  machen. 

Hauptdimensionen  einiger  Locomotiven. 


Eisenbalm 


§*1 


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s  = 

feS 

Bb% 

SD 

b<  •-  rj 

g  a 

H.5 

<£ 


Cylinder 


Buschtghrader  Eiscnbalin  * 
Hannoverische  Staatsb.  ** 
Oberschlesische  Eisenb.  ** 
Koln-Mindener  Eisenb.  ** 
Breslau-Freiburger  Eis.  :;;i: 
Hannoversehe  Staatsb.  ** 
Bbhmische  Nordbabn  * 
Pilsen-Prieseu-Eisenbahn  j  i 
Braunschweig'sche  Eisenb.** 
Elsass-Lothringsche  Eis.  * 
Main- Weser  Eisenbalm  ** 
Altona-Kieler  Eisenbalm  ** 


Eilzugs- 

Locomot. 


Pers.-Z.-Loc 

Lastz.-Loc. 


Tender  Luc. 


1-693 

128-5 

1-920 

97-8 

1-330 

90  9 

1-550 

971 

1  800 

90-9 

1-710 

96-6 

1-650 

139-5 

1-900 

159-0 

2-090 

89-0 

1-450 

126-5 

L-090 

62-6 

0-910 

65-5 

2570 
1956 
181-7 
194-1 
181-8 
193-2 
279-0 
318-0 
178-0 
253-0 
125-3 
131-0 


10 

1-750 

10 

1-850 

10 

1-890 

9 

1-696 

10 

1-575 

10 

1-523 

10 

1-186 

9-5 

1-191 

9 

1-464 

9 

1-301 

10 

1-200 

8 

1-196 

0-410 
0-420 
0-420 
0-406 
0-420 
0-420 
0-475 
0-510 
0-432 
0-471 
0-350 
0-355 


0-632 
0-560 
0-610 
0-508 
0-523 
0-558 
0-632 
0-550 
0-610 
0-600 
0-550 
0-560 


3G-7 


360 
44-0 


C)  Eisenbahnwagen  (voiture,  icaggon  —  carriage,  waggon).  Je  nach 
clem  Zweeke,  welchem  die  Wagen  dienen  sollen,  imterscheidet  man  2  Hauptab- 
theilungen,  u.  zw.:  Personenwagen  und  Lastwagen.  Jede  dieser  Abthei- 
lungen  lasst  sieb  je  nach  der  speciellen  Verwendung  in  Unterabtheilungen  scbeiden. 

Wir  fiihren  im  Xaebstehenden  die  allgemein  iiblichen  Benennnngen  der  Eisen- 
balmwagen  an:  Personenwagen,  Postwagen,  Gepacks wagen,  Pferde- 
wagen,  Bo  rstenvieh  wagen,  Horn  vieh  wagen,  gedeckteGiiter  wagen, 
offene  Giiterwagen,  a)  mit  festen  hohen  Wanden  (Kohlenwagen),  b)  mit  ab- 
nehmbaren  niedrigen  Wanden  fur  den  Transport  von  schweren  und  voluminosen 
Gegenstanden,  Equipagen,  Sebotter  etc.,  c)  ohne  Wande  mit  Drebscbemmel  zum 
Langholztransport. 


:i     System  der  Steuernnor  nach  Stephenson. 
**)        „  -  „  ..      Allan, 

f)        .-  ..  „      Gooch. 


Eisenbahn. 


]  1 


Ausserdem  gibt  es  noch  Wagen  fiir  besondere  Transportzwecke,  u.  z\v. : 
Fleisck-,  Bier-,  Kalk-,  Theerwagen  etc. 

Diese  Wagen  sind  jedoch  bios  fiir  den  bestimmten  Zweck  adaptirte  gedeckte 
oder  offene  Giiterwagen. 

Allgemeine  Construction.  Das  Haupt-  oder  Untergestell  aller Wagen 
besteht  aus  einem  rectangularen  Rahmenwerke,  in  Fig.  1336  punktirt  angedeutet, 
von  Haupttragern ,  Kopfschwellen  (Brustbaumen),  Querstreben,  Diagonalstreben 
und  Mittelstiicken,  welche  mit  Winkeln  und  Schrauben  unter  einander  so  verbunden 
sind,  dass  eine  Verschiebung  in  irgend  einer  Richtung  nicht  mciglich  ist  (s.  S.  118). 

Fig.  1336. 


M 

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:._i__7::::!C.| 

^ 


S»Ht 


Die  Untergestelle  wurden  friiher  ganz  aus  Holz  hergestellt;  jetzt  verwendet 
man  dazu  Holz  und  Eisen  oder  Eisen  allein,  u.  zw.    U-,  Doppel-7-  und  T-Eisen. 

Die  Verbindung  des  Untergestelles  mit  den  Radern  und  Achsen  vermitteln 
die  an  die  Haupttrager  genieteten  Achsbalter  (Lagergabeln,  Chairs),  seiche  zwischen 
sich  die  Achsbiichsen  aufnehmen.  Auf  den  Obertheilen  der  Achsbiichsen  ruheri 
in  einer  Aussparung  mit  einem  Zapfen  oder  sind  mit  denselben  fest  verbunden 
die  Tragfedern  (ressorts  — -  springs),  welche  mittelst  Gehangen  mit  den  am  Haupt- 
trager befestigten  Federstiitzen  verbunden  sind  (Fig.  1337).  Hiedurch  werden 
Rader  und  Untergestell  zu  einem  Ganzen  vereinigt,  auf  welches  die  bei  der  Be- 
wegung  der  Rader  auf  den  Schienen  eintretenden  Stosse  keine  nachtheiligen  Wir- 
kungen  ausiiben  konneh.  Die  Achsen  (essieii  —  axle-tree)  sind  aus  Schmiedeisen 
oder  Stahl  angefertigt. 

Die  friiher  iib- 
liche  Befestigung  der 
Rader  auf  den  Achsen 
mittelst  Keilen  ist 
als  ungenligend  und 
nachtheilig  fast  ganz 

ausser  Gebrauch. 
Jetzt  werden  die  Ach- 
sen am  Radnaben- 
sitze  schwach  conisch 
gedreht  und  die  Ra- 
der mit  hydrauli- 
schen  Pressen  bei 
einem  Druck  von  30 
bis  40  Tons  aufge- 
presst. 

Die  wichtig- 
sten  Gattungen  der 
in  allgemeinerer  Ver- 
wendung  befindlichen  Rader  {roue  —  wheel)  sind : 

Speichen  rader,  Schalenguss rader  und  G  u  s  s  s  t  a  h  1  s  c  h  e  i  b  e  n  r  a  d  e  r. 

Die  Speichenrader  sind  entweder  ganz  aus  Schmiedeisen  oder  liaben  eine  gusseiserne 
Nabe  (moyeu  —  nave),  in  welche  die  schmiedeisernen  Speichen  (rais  —  spokes)  eingegossen 
sind,  und  schmiedeisernen  Radkranz  (jante  —  rim,  segment).  Auf  den  Eadkranz  wird  der 
stahlerne  Radreifen  (baude  —  tyre)  warm  aufgezogen  und  mit  Schrauben,  Nieten  oder  Seiten- 
klammern  befestigt.  Bei  den  Sclialengussradern  und  Gussstahlscheibenradern  (erstere  aus  Guss- 
Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.  Bd.  III.  g 


im  Schenkel 

mit 

65mm 

3800  Kg. 

75  „ 

5500  „ 

85  „ 

8000  „ 

95  „ 

10000  _ 

114  Eisenbahn  (Fahrbetriebsinittel). 

eisen  mit  geharteter  Laufflache)  besteht  das  ganze  Bad  bios  aus  Einem  Stiicke.  Holzscheiben- 
rader,  bei  welchen  die  Speichen  durch  testes  Holz  ersetzt  sind,  sind  seltener  in  Verwendung. 
In  neuester  Zeit  wird  in  Amerika  imd  England  der  Baurn  zwiscben  Nabe  und  Eadreif  mit 
Papierscbeiben  ausgeftillt. 

Fiir  die  Constructionsverhaltnis.se  der  Achsen  und  Eader  sind  in  den  tecbnischen  Ver- 
einbarungen  des  deutseben  Eisenbahnvereins  nacbfolgende  Bedingungen  festgesetzt. 

Achsen   von    besteni    Eisen   kounen    im    Verhaltnisse    folgender    Scala    bei 
einem  Durchmesser  von         an  der  Nabe 
100mm 
115  „ 

139  „ 

140  „ 
Bruttolast  im  Maximum  belastet  werden. 

Bei  Anwendung  von  Gussstabl  konnen  diese  Belastungen  um  20  °/0  erhoht  werden,  fiir 
Achsen  der  Personenwagen  sind  der  Sicherheit  wegen  die  Belastungen  um  20  n/0  geringer  zu 
nehmen.  Die  Achsschenkeldurekniesser  beziehen  sich  auf  Schenkellangen  bis  zum  2V3-fachen 
des  Durchmessers. 

Bei  den  Achsen  sind  alle  scliarfen  Ansatze  zu  vermeiden,  und  ist  jeder  Uebergang  durch 
eine  sanfte  Curve  zu  vermitteln. 

Die  Eadreifen  miissen  eine  conische  Form  von  mindestens  '/20  Neigung  haben.  Die 
Breite  derselbeu  soil  130 — 145mm  betragen.  Sammtliche  Eader  miissen  mit  Spurkranzen  ver- 
sehen  sein. 

Die  geringste  noch  zulassige  Starke  der  Spurkranze  soil  an  der  Beriihrungsstelle  der 
Scliiene  gemessen  19mm  betragen.  Der  lichte  Abstand  der  Spurkranze  betra'gt  normal  1360mm. 
Eine  Abweichung  bis  zu  3mm  iiber  und  unter  diesem  Masse  ist  zulassig.  Die  Eader  miissen 
in  unverriickbarer  Lage  auf  der  Achse  festgestellt  sein. 

Der  Ead stand  (die  Entfernung  der  Eader  von  einander)  soil  bei  Balmen,  welche  auf 
freier  Strecke  vieltacb  Curven  haben,  nicht  grosser  sein  als  4-om  bei  Curven  von  250m  Eadius, 
5-0m  bei  Curven  von  300m  Eadius,  5'6m  bei  Curven  von  400m  Eadius,  6'2m  bei  Curven  von 
oOOm  Eadius,  6-8m  bei  Curven  von  600m  Eadius,  7-Qm  b6i  Curven  iiber  600m  Eadius. 

Bei  Wagen  mit  3  Achsen  muss  die  Mittelachse  eine  entsprechende  Vei-schiebbarkeit  be- 
sitzen.  Bei  Wagen  mit  4  Achsen  werden  immer  je  2  in  ein  fiir  sich  drehbares  Untergestell 
vereinigt. 

Die  fast  allgemein  verwendeten  B  latt-Tragfedern  bestehen  aus  mehreren  Lagen 
von  Stahlblattern  gleieher  Breite,  jedoch  verschiedener  Lange,  welche  durch  einen  Stift  oder 
einen  Bund  zusammengehalten  werden. 

Die  Enden  des  obersten  und  langsten  (Haupt-)  Blattes  sind  umgerollt  oder  mit  einem 
angeschweissten  Auge  versehen,  um  die  Verbindung  mit  dem  Federgehiinge  mit  Hilfe  eines 
Bolzens  herstellen  zu  konnen.  Die  Liinge  der  Federn  soil  bei  Personenwagen  nicht  unter 
l-5m5  ljei  Lastwagen  nicht  unter  lm  betragen.  Die  Blattstarke  kann  im  Maximum  13mm 
betragen. 

Seltener  als  Blattfedern  sind  Yolut-  und  Spiraltragfedern  in  Verwendung. 

Um  die  Wagen  anstandslos  sowohl  ziehen  als  auch  scbieben  zu  konnen,  sind  selbe  mit 
Zug-  und  Stossvorrichtungen  versehen. 

An  jedem  Brustbaum  beriuden  sich  zu  diesem  Behufe  2  elastische  Buffer,  welche 
1040mm  iiber  den  Schienen  in  einer  horizontalen  Entfernung  von  1750mm  befestigt  sind.  Jeder 
Stossapparat  besteht  wie  bei  Locomotiven  und  Tendern  aus  der  Bufferhiilse,  der  Bufferstange 
sammt  Stossplatte  iind  der  elastiscben  Stossfeder,  Gummi-  oder  Sph-alfeder  (ressort  a  boudin 
—  spiral-spring).  Der  in  der  Hohenlinie  der  Buffer  liegende  Zughaken  befindet  sich  in  der 
Mine  des  Brustbaumes.     Zu  beiden  Seiten  desselben  befinden  sich  die  beiden  Nothketten. 

Die  Zughaken  finden  ihre  Fortsetzung  in  den  Zugstangen,  welclie  innerhalb  des  Ge- 
stelles  mit  dem  elastischen  Zugapparate  (Fig.  1338)  in  Yerbindung  sind. 

Zur  Verbindung  der  einzelnen  Wagen  dienen  die  mittelst  Bolzen  am  Zughaken  be- 
festigten  Kuppeln  (Schraubenkuppeln  und  Ketten).  Die  Wagenkasten  bestehen  aus  einem, 
durch  Winkel  und  Sjehrauben  solid  verbundenem  Eahmengestell  (Saulen,  Eck-  und  Thiirsaulen, 
ObeiTahmen,    Streben,    BodenschweUen   etc.)   aus   Eicbenholz    oder   Faconeisen,   und   sind   mit 


Eisenbahn. 


Hi 


dem   Untergestell    durch  Consolen 
uud  Sehrauben  verbunden. 

Das  Kastenrahmengestelle 
wird  bei  den  Lastwagen  zunieist 
mit  Holzverscbaliingen,  bei  Per- 
sonenwagen  innen  mit  Holz,  aussen 
mit  Blecb  (seltener  Papiermache) 
verkleidet. 

Lastwagen  mit  eisernen  Ka- 
stenrahmen  und  Blecbwiinden  sind 
stark  verbreitet. 

Das  Dach  der  gedeckten 
Wagen  ist  nacb  einem  flachen 
Bogen  ausgefiibrt.  Dasselbe  besteht 
aus  einer  Holzverschalung,  welcbe  Elastiscber  Zugapparat. 

auf  die  Dacbrippen  (Bogen  aus  Holz  orler  Eisen)  befestigt  wird,  und  einer  dariiber  gespannten 
Decke  aus  Blech  (Eisen-,  Zink-  oder  Kupferblech),  Segeltuch,  Dacbpappe  etc. 

Beziiglich  der  im  Eisenbahndienste  so  ausserordentlich  wiehtigen  Bremsvorrichtnngen 
verweisen  wir  auf  das  oben  Gesagte  und  den  Artikel  Bremse,  II.  Bd.  S.  1,  und  bemerken  bier 
nur  noch,  dass  ausser  Holz  und  Schmiedeisen  auch  Gusseisen  und  Bessemerstabl  zur  Er- 
zeugung  von  Bremsklotzen  verwendet  wird. 

Die  Handbremsen  werden  durch  das  Zugspersonal  bedient,  zu  welcbem  Behufe  an 
jedem  Bremswagen  ein  offener  oder  gedeckter  erhohter  Bremsersitz  oder  eine  mit  Gelander 
versebene  Plattform  angebracbt  ist.  Da  die  Bremswagen  auch  zur  Anbringung  der  Zugssignale 
verwendet  werden,  so  miissen  an  jedem  derselben  die  hiezu  nothigen  Vorrichtungen  (Latern- 
stiitzen,  Kloben)  vorhanden  sein. 

Wir  lassen  nun  eine  kurze  Beschreibung  der  einzelnen  Wagengattungen 
folgen. 

Von  Personenwagen  unterscheidet  man  -2  Systeme,  u.  zw. :  ct)  Coupe- 
wag  en  (engl.  System),    b)    Inter communicationswagen  (amerik.  System). 

Erstere  haben7  da  der  innere  Kastenraum  durch  Querwande  in  mehrere 
Coupes  getheilt  ist,  die  Thiiren  an  den  Langswanden,  welclie  nach  unten  einwarts 
gescliweift  sind7  um  ein  besseres  Einsteigen  zu  ermogliclien.  Diese  Wagen  haben 
Laufbretter  und  Fusstritte. 

Die  Inter  communicationswagen  haben  gerade  Wande,  einen  Durch- 
gang  durch  den  ganzen  Wagen,  u.  zw.  in  der  Mitte  oder  seitlich.  Die  Thiiren 
filhren  von  den  Stirnwanden  auf  gedeckte  Plattformen ,  welche  durch  bequeme 
Treppen  bestiegen  werden  konnen. 

Je  nach  der  Ausstattung  nnterscheidet  man :  a)  Wagen  L,  II.,  III.  und  IV. 
Classe.  b)  Combinirte  Personenwagen  (mehrere  Classen  vereinigt).  c)  Salonwagen 
(mit  grosseren  Raumen)  fiir  Gesellschaften.  d)  Hofwagen  (fur  fiirstliche  Reisende 
mit  mehreren  in  Verbindung  stehenden  Appartements). 

Fiir  den  Localverkehr  sind  auch  Wagen  mit  2  Etagen  in  Verwendimg. 

Fig.  1339  zeigt  den  Grundriss  eines  Coupewagens  III.  CI.;  Fig.  1340  eines 
combinirten  Coupewagens  I.  und  II.  CI.;  Fig.  1341  eines  Intercommunications- 
wagens  IV.  61.  mit  Mittelgang;  Fig.  1342  eines  solchen  mit  Seitengang. 

Fig.  1339. 


pH 


PH 


Coupewagen  III.  CI. 


8* 


116 


Eisenbahn  (Fahrbetriebsmittel). 
Fig.  1340. 


Coupewagen  I.  und  II.  Classe. 

Fig.  1341. 


Intercommunicationswagen  mit  Mittelganj; 

Fig.  1342. 


Ksl 


<Ns| 


Intercommunicationswagen  mit  Seitengang. 

Die  Wagen  verschiedener  Classen  unterscheiden  sicli  hauptsachlich  durch 
die  innere  Einriehtung  und  Ausstattung. 

Die  Anzahl  Platze  per  Coupe  ist  in  Oesterreich  und  Deutschland  in  der 
I.  CI.  G  SitzplStze,  II.  CI.  8  Sitzplatze,  III.  CI.  10  Siztplatze,  IV.  CI.  20—25 
Stehplatze. 

Bei  einzelnen  Wagen  I.  CI.  werden  in  neuerer  Zeit  die  Sitze  so  hergestellt,  dass  aus 
denselben  eine  bequeme  Seblat'stelle  hergerichtet  werden  kann.  Einige  Bahnen  besitzen  eigene 
Hotel-  und  Schlafwagen.     Die  Bleeliverkleidung  der  Personenwagenkasten  ist  lackirt. 

Die  Beleucktung  der  Wagen  vermitteln  bei  Tag  die  in  und  neben  den  Thiiren  ange- 
brachten  Fcnster,  bei  Nacht  aber  Deckenlampen.  Als  Beleuehtungsmaterial  dient  zumeist 
Riibol,  seltener  Kerzen  etc.  Die  Einfiihrung  der  Gasbeleucbtung  auf  verscluedenen  Eisen- 
bahnen  gibt  die  besten  Resultate. 

Die  Bebeizung  der  Personemvagen  im  Winter  geschieht  auf  mannigfaclie  Weise,  u.  zw. 
mittelst  Warmflaschen,  Fiillofen,  Dampfheizung,  Luftheizung  und  Heizung  mit  comprimirter 
Holzkoble.  Die  billigste  Heizung  ist  jene  mit  Fiillofen,  die  theuerste  jene  mit  comprimirter  Kohle. 

Die  Postwagen  werden  durch  eine  Scheidewand  in  2  Raume  getheilt. 
Einer  derselben  dient  zur  Dienstmanipulation ,  der  andere  zur  Unterbringung 
grosserer  Gepacksstiicke. 

Die  Beleuchtung  geschieht  durch  Fenster  und  durch  Deckenlampen,  im  Manipulations- 
mum  ausserdem  noch  durch  Wandhangelampen. 

Fig.  1343  zeigt  die  Eintheilung  eines  auf  deutschen  Bahnen  verwendeten  Postwagens. 
Auf  den  Hauptlinien  der  osterreichischen  Bahnen  bestehen  die  Postwagen  aus  2  mit  Drehnagel 
eng  an  einander  gekuppelten  2-achsigen  Wagen,  von  welchen  der  eine  als  Gepacks-,  der  andere 
als  Manipulationsraum    dient.     Den  Uebergang   von  cinem    in    den  anderen  Wagen    vermitteln 


Eisenbahh. 
Fig.  1343. 


117 


Postwaggon. 
2  Thliren,  der  Zwischenraum  zwischen  beiden  Wagen  ist  durch  fibergreifende  Trittbleclie  gedeckt. 
Die  beiden  ThiirofTnungen  sind  mittelst  eines  wasserdichten,  in  Falten  liegenden  Gummistoffes 
verbunden,  wodurch  der  Uebergang  gegen  Unwetter  vollig  geschiitzt  wird. 

Die  Gepackswagen  sind  durchwegs  mit  Bremse  versehen;  sie  dienen  zum  Transport 
von  Reisegepack  und  Eilgut.  Der  Kasten  wird  durch  2  Scheidewande  in  den  Manipulations-, 
den  Gepacksraum  und  den  zur  Unterbringung  von  1  oder  2  Aborten  nothigen  Raum  geschieden. 

Die  Pferdewagen  dienen  hauptsachlich  zum  Transport  von  Luxuspferden, 
da  die  iibrigen  Pferde  in  gedeckten  Lastwagen  transportirt  werden. 

Die  Kasten  dieser  Wagen  sind  gewohnlich  kiirzer  als  die  der  anderen  Wagen  und  er- 
halten  2  durch  eine  Thiir  verbundene  Abtheilungen,  deren  eine  fiir  3  Pferde,  die  andere  lin- 
den Pferdewarter  bestimmt  ist.  In  ersterer  Abtheilung  sind  Seitenwande  und  Plafond  mit  Stroh 
gepolstert.  Zwischen  den  3  Standen  werden  2  ebenfalls  mit  Stroh  gepolsterte  Zwischenwande 
eingehangt.  Fiir  jeden  Stand  ist  eine  Krippe,  welche  vom  Warter  bedient  werden  kann,  an- 
gebracht.  Die  2.  Abtheilung  enthalt  eine  mit  einem  Deckel  versehene,  auch  als  Sitzbank 
dienende  Futtertruhe  und  einen  Wasserbehalter.  Thiiren  sind  in  den  Stirnwanden,  seltener 
auch  noch  in  den  Langswanden  angebracht. 

Der  Eingang  in  die  Warterabtheilung  geschieht  fiber  eine  Plattform,  zu  welcher  Fuss- 
tritte  oder  Stiegen  fiihren. 

Bei  den  Bo rstenvieh wagen  erhalt  der  Kasten  keine  vollen,  sondern 
durclibrochene  Wande,  und  ist  in  2  tiber  einander  liegende  Abtheilungen  getrennt. 

Da  das  Holz  durch  den  Unrath  des  Borstenviehs  rasch  zerstort  wird,  sind  die  Boden 
geneigt  und  so  eingerichtet,  dass  eine  Auswechslung  derselben  leicht  moglich  ist.  Die  Ver- 
schalungen  sind  uberdies  mit  Blech  beschlagen.  Beide  Abtheilungen  erhalten  besondere  Schub- 
thiiren  an  beiden  Langseiten  und  von  Aussen  zugangliche  Wasserbehalter.  Zwischen  den 
Achsen  ist  am  Untergestell  oft  noch  ein  Kasten  angehangt,  welcher  zur  Unterbringung  von 
Jungvieh  dient. 

Die  Hornviehwagen  werden  sowohl  mit  als  auch  ohne  Dacher  gebaut. 
Das  circa  2m  hohe  Kastengerippe  wird  jedoch  nur  auf  circa  1  4m  Hohe  verschalt. 
An  beiden  Langseiten  befindet  sich  je  eine  Schubthiire. 

Die  gedeckten  Lastwagen  erhalten  meist  eine  doppelte  Verschalung^  von 
welcher  die  innere  jedoch  nur  bis  zu  einer  Hohe  von  l*5m  reicht  und  als  Schutz 
gegen  die  Beschadigung  durch  Transportstiicke  dient.  An  den  Langsseiten  be- 
findet sich  je  eine  Schubthiire,  an  den  Stirnwanden  wohl  auch  je  eine  Fliigelthure. 

Da  diese  Wagen  auch  zum  Militar-,  Pferde-  und  Hornviehtransporte  verwendet  werden, 
erhalten  sie  an  den  Langsseiten  2  oder  4  Fensteroffnungen,  welche  entweder  vergittert  sind 
oder  durch  Klappen  geschlossen  werden  konnen.  Fiir  den  Thiertransport  sind  im  Inneren 
Ringe  und  Kloben  zum  Anbinden  angebracht.  Durch  Einstellen  einfacher  Sitzbanke  werden 
diese  Wagen  zum  Militartransport  eingerichtet. 

Die  Kohlenwagen  erhalten  je  nach  der  Lange  eine  Hohe  von  0  870  bis 
l'25m,  in  den  Langswanden-Thuren,  welche  entweder  einfliiglig  nach  oben  auf- 
klappbar  sind  oder  zweifliiglig  sich  nach  beiden  Seiten  otrhen  lassen. 

Der  bequemeren  Entladung  wegen  sind  oft  auch  Stirnthiiren  vorhanden.  Die 
Oberrahmen  dieser  Wagen  sind  sehr  stark  ausgefiihrt  und  gewohnlich  in  der  Mitte 
durch  ein  Holz,  Kette  oder  Stange  abgesteift. 

Die  Lowries  haben  zum  Abnehmen  eingerichtete  Wande  von  circa  0*450m 
Hiihe.     Die  Stirnwande  sind  durch  Einfallhaken  mit  den  Langswanden  verbunden. 


118 


Eisenbahn  (Fahrbetriebsmittel). 


Haben  diese  Wagen  gar  kerne  Wande,  so  nennt  man  sie  Plateauwagen. 

Tragen  diese  Wagen  in  der  Mitte  einen  Drebscbemrnel,  so  dienen  sie  zum 
L  a  n  g  b  o  1  z  t  r  a  n  s  p  o  r  t. 

Die  Drebscbemrnel  aus  Holz  oder  Eisen  sind  durcb  einen  starken  Drehnagel 
mit  dern  Wagengestell  in  sicberer  und  drebbarer  Weise  verbunden,  tragen  an  beiden 
En  den  zum  Herauszieben  eingericbtete  eiserne  Rungen,  deren  obere  Enden  durcb 
Spannketten  verbunden  werden  konnen.  Auf  die  Drebscbemrnel  und  zwiscben  die 
Rungen  zweier  Wagen,  welche  entsprecbend  der  Lange  der  zu  verladenden  Hblzer  auf- 
gestellt  werden,  wird  das  Holz  aufgelegt.  Dasselbe  erbalt  eine  feste  Lagerung  durcb 
die  am  Scbemmel  befindlicben  eisernen  Scbneiden,  welcbe  sicb  in  das  Holz  eindriicken. 

Eine  Kupplung  zweier  mit  Langholz  beladener  Wagen  ist  nicht  erforderlich ; 
steife  lange  Kuppelstangen  K  (Fig.  1336)  werden  hur  nocb  von  einzelnen  Bahnen 
verwendet.  Von  Wagen,  welcbe  zu  besonderen  Transportzwecken  dienen,  sind 
erwabnungswertb : 

B  i  e  r-  u  n  d  F 1  e  i  s  c  h  w  a  g  e  n.  Es  sind  dies  gedeckte  Lastwagen  mit  doppelten 
Wanden,  Fussboden  und  Decke. 

Der  Raum  zwiscben  den  2  Verscbalurigen  wird  mit  scblecbten  Warmeleitern, 
Stroh,  Hacksel  etc.  ausgefiillt.  Die  Fliigeltbiiren  miissen  sebr  genau  scbliessen. 
An  der  Wagendecke  sind  2  flacbe  Eisreservoirs  auf  eisernen  Quertragern  gelagert. 
Die  Reservoirs  fassen  1 — 2  '/<>  Tons  Eis,  welcbes  vom  Wagendacb  durcb  gut  ver- 
scbliessbare  Klappen  eingefiillt  wird.  Jedes  Reservoir  ist  mit  2  Abflussrobrcben 
fur  das  Tbauwasser  verseben.  Die  Fleiscbwagen  baben  ausserdem  nocb  an  der 
Decke  starke,  eiserne  Haken,  damit  das  Fleiscb  frei  aufgebangt  werden  kann. 
Wande  und  Dach  erbalten  einen  licbten  Anstrich. 

Ein  Bier  wag  en  fasst  circa  50  Hectoliter  Bier,  ein  Fleischwagen  circa 
8  Tons  Fleiscb. 

Die  Bierwagen  leisten  den  Brauereien  audi  im  Winter  gute  Dienste,  indem 
sie,  was  sonst  ofter  vorkam,  das  Einfrieren  und  somit  Verderben  des  Bieres  bei 
bbberen  Kaltegraden  verbindern. 

Wagen  zum  Transport  von  Kalk,  Cement,  Tbon,  Gyps  werden  aus 
Kohlenwagen  durcb  Anbringung  fester,  nach  oben  aufklappbarer  Deckel  bergestellt. 

Wagen  zum  Transport  von  Theer,  0  e  1  etc.  sind  ganz  eiserne,  oben  gc- 
scblossene  Lastwagen  von  den  Dimensionen  der  Koblenwagen.  Der  Boden  ist 
gegen  die  Mitte  zu  geneigt,  fiir  den  Abfluss  resp.  Entladung  dient  ein  unterbalb 
des  Wagenbodens  angebracbtes  Kreuzrobr  mit  Ventilen  und  Habnen.  Der  Wagen 
erbalt  eine  flacb  gewolbte,  durcb  f-Eisen  versteifte  Decke,  in  welcber  2  gut 
scbliessbare,  zum  Einfiillen  der  Flussigkeit  dienende  Mannlocber  angebracht  sind. 
Zum  Transport  von  Fliissigkeiten  werden  audi  Plateauwagen  verwendet,  auf 
welchen  die  Gefasse  entsprecbend  befestigt  werden.  Auf  diese  Art  wird  in  Amerika 
Petroleum  in  grossen  Holzbotticben,  in  Oesterreicb  Scbwefelsaure  (aus  der  Aussiger 
chem.  Fabrik)  iu  bleiernen  Kesseln  transportirt. 

Im  Nacbstebenden  lassen  wir  eine  Tabelle  der  Eigengewicbte,  Tragfa'bigkeit 
und  des  Fassuugsraumes  neuerer  Lastwagen  folgen. 


W 


a  g  e  n 


Eig'eug-ewielit 


mit  Bremse  1 0bne  Brem: 


Trag- 
fahiarkeit 


Fassungsvermbgen 


Gepackswagen  .  .  . 
Pferdewagen  .  .  .  . 
Borstenviebwagen  .  . 
Hornviebwagen  .  .  , 
G  edeckte  Lastwagen 
Kohlenwagen      .    .    , 

Lowries 

Langbolzwagen  .    . 


6-5 

— 

5-5 

5-2 

6-9 

6-1 

5-9 

5-1 

6-0 

5*5 

5-2 

1-5 

5-2 

4-8 

II       — 

5-7 

10 

10 

10 

10 

11-3 

10-1P3 

11-3 


3  Pferde 

6  Stiick 
40  Mann  od.  6  Pferde 


Eisenbahn.  —  Eisenbahn-Krahn.  119 

Schneepfliige.  Die  zur  Entfernung  des  Schnees  dienenden  Schnee- 
pfliige  miissen  so  construirt  sein,  dass  zuerst  der  Schnee  gehoben  und  dann 
ahnlich  wie  mit  einer  Pflugschaar  seitwarts  gelegt  wird.  Um  diese  Wirkung  zu 
erzielen,  wird  der  vordere  Theil  des  Schneepflugs  nach  eigenen  Curven  geformt. 
Die  Schneepfliige  bestehen  aus  einem  kraftigen,  holzernen  Rahmenwerk,  welches 
mit  Blecli  verkleidet  wird;  sie  sind  vorn  mit  einer  steifen  Kuppelstange,  riickwarts 
mit  einer  gewolmlichen  Kuppel,  Nothketten  und  Buffern  verselien. 

Da  das  Eigengewicbt  der  Scbneepfltige  fur  die  nothwendige  Stabilitat  und 
Wider  stand  skr  aft  nicbt  ausreicht,  werden  dieselben  durch  Steine,  Drehspahe, 
Scbienenstlicke  etc.,  welche  in  entsprechende,  im  Rahmenwerk  befindliche  Kasten 
gelegt  werden,  derart  belastet,  dass  das  Gesammtgewicbt  etwa  10 — 20  Tonnen 
betragt.  Beim  Gebraucbe  werden  die  auf  2  oder  3  Achsen  laufenden  Schnee- 
pflitge vor  eine  Maschine  gestellt,  mit  welcher  dann  gegen  die  zu  entfernenden 
Schneemassen  gefabren  wird. 

Zum  Scblusse  wollen  wir  noch  der  zu  Babnzwecken  dienenden  kleinen  Wagen 
gedenken,  welche  nicht  in  Ziige  eingestellt  werden  konnen.  Es  sind  dies  die 
Bahnwagen  und  D raisin  en. 

Erstere  bestehen  aus  einem  holzernen,  mit  Brettern  bedeckten  Rabraen, 
welcher  obne  Federn  mittelst  der  Lager  auf  2  schwachen  Achsen  ruht.  Dieselben 
haben  meist  Schalengussrader  von  circa  0*5m  Durchmesser. 

Die  Bahnwagen  dienen  zum  Transport  von  Schwellen,  Schienen  etc.,  welche 
auf  der  Strecke  ausgewechselt  werden  sollen. 

Die  Draisinen  sind  sehr  leichte  vierradrige  Fahrzeuge  mit  einem  Mecba- 
nismus  zur  Fortbewegung.  Zumeist  ist  die  eine  Achse  mit  einem  Krummzapfen 
versehen,  welcher  mit  Lenkstangen,  mit  Hebeln  oder  Kurbeln  in  Verbindung  stebt. 

Die  auf  der  Draisine  postirten  Arbeiter  setzen  selbe  durch  Hin-  und  Her- 
bewegung  der  Hebel  oder  Drehen  der  Kurbeln  in  Bewegung.  Die  Draisinen  dienen 
als  Beforderungsmittel  bei  Bahnrevisionen,  sind  daher  audi  mit  2  Sitzbanken  fill- 
die  controllirenden  Beamten  und  einer  Bremse  versehen. 

Wegen  des  geringen  Gewichtes  und  der  bedeutenden  Fahrgeschwindigkeit, 
welche  mit  den  Draisinen  erreicht  werden  kann,  sind  Entgleisungen  derselben 
ausserst  haufige  Erscheinungen.  Die  Beniitzung  derselben  erfordert  daher  besondere 
Vorsicht  und  ist  moglichst  zu  beschranken. 

D)  K  o  s  t  e  n  der  E  r  h  a  1 1  u  n  g  der  F  a  h  r  b  e  t  r  i  e  b  s  m  i  1 1  e  1.  Zu  einer 
annabernden  Beurtheiluug  mcige  die  Angabe  dienen,  dass  die  Erhaltungskosten 
der  Locomotiven  und  Tender  per  Jahr  3'5 — 7-2  °/0,  im  Mittel  5  °/0  der  Anschaffungs- 
kosten  beanspruchen ,  jene  der  Personenwagen  4*1 — 5-3%?  im  Mittel  4'70/0j 
und  endlich  jene  der  Giiterwagen  2*7 — 4*7  °/0,  im  Mittel  3-8  %• 

Literatur:  Hensinger  von  Waldegg:  Die  Locoraotivmaschine.  —  Heusinger  von 
Waldegg:  Handbuch  fiir  specielle  Eisenbahntechnik.  —  Heusinger  von  Waldegg: 
Organ  f.  d.  Fortschritte  des  Eisenbahnwesens.  —  Kedtenbacher:  Die  Gesetze  des 
Locomotivbaues.  —  Welkner:  Die  Locomotive.  —  Weber:  Die  Schule  des  Eisen- 
bahnwesens. —  Brosuis  &  Koch:  Die  Schule  des  Locoinotivfiihrers.  —  Paul  us: 
Ban  und  Ausriistung  der  Eisenbahnen.  -  Zeuner:  Die  Schiebersteuernng'en.  — 
Zeuner:  Das  Locomotivblasrohr.  —  Scholl:  Der  Fiihrer  des  Maschinisten.  — 
Hellfeld:  Georg  Stephenson.  —  Clark:  Railway  Machinery.  —  Col  burn: 
Locomotive  engineering.  —  Lechatelier,  Etudes  sur  la  stabilite  des  machines  loco- 
motives en  mouvement.  —  Armengaud  aine,  Traite  theoretique  et  practique  des 
moteur  a  vapeur.  Otto   Gebauer. 

Eisenbahn-Alarmsignal,  s.  electrische  Signale,  Anhang  zum  Art.  elektr. 
Telegraph. 

Eisenbahnbewegung,  s.  II  S.   144  (bei  der  Bewegung  der  Schriftform). 

Eisenbahnbillet-Druckmaschine,  s.  I  S.  522. 

Eisenbahn-Briicken,  s.  Briicken  II  S.  77. 

Eisenbahn-Krahn,  s.  Hebemaschinen. 


120  Eisenbahnschienen.  —  Eisengiesserei. 

Eisenbahnschienen,  s.  Eisen  III  S.  54. 

Eisenbahn-Signale,  s.  Anhang  d.  Art.  Electr.  Telegraph. 

Eisenbahn-Telegraphen,  s.  Electrischer  Telegraph. 

Eisenbahnwagen,  s.  Ill  S.  112. 

Eisenbahn-Zuggeschwindigkeit,  s.  Geschwindigkeit. 

Eisenband,  s.  Band  I  s.  286. 

Eisenbeize,  Eisenbriihe  (Schwarzbeize,  Eisenrostwasser),  syn.  mit  holz- 
essigsaurem  und  essigsaurem  Eisen,  s.  Eisen  II  pag.  760  nnd  763,  vgl.  a. 
Beize  I  pag.  372. 

Eisenblau,  natiirl.  Eisenphosphat,  s.  Vivian  it. 

Eisenblausaure  und  eisenblausaure  Salze,  s.  Blutlaugensalze  I  pag. 
662,  vgl.  Cyan  II  pag.  459. 

Eisenblech,  s.  Blech  I  S.  537. 

Eisenbliithe,  s.  A r ago  nit  I  pag.  179. 

Eisenblumeil ,  syn.  mit  wasserfreiem  Eisenchlorid,  s.  Eisen  II 
pag.   765. 

Eisenbromid  und  Eisenbromiir,  s.  Eisen  II  pag.  766. 

Eisencarburet,  syn.  rnit  Koblenstoffeisen,  s.  Eisen  II  pag.  769. 

Eisenchamaeleon  nannte  man  ein  durch  Vermischen  von  mangansaurem 
Natron  mit  schwefelsaurem  Eisenoxyd  hergestelltes  Desinfectionsmittel  (s.  d.  II 
pag.  604).     Audi  das  eisensaure  Kalium  fiihrt  diesen  Namen.     Gtl. 

Eisenchlorid  nnd  Eisenchloriir,  s.  Eisen  II  pag.  765. 

Eisencyanid  und  Eisencyaniir,  vgl.  Blutlaugensalze  I  pag.  662. 

Eisendraht,  s.  Draht  II  S.  643. 

Eisenepidot,  s.  Epidot. 

Eisenerde  (griine),  s.  Hypochlorit. 

Eisenerz  oolithisches,  s.  Eisen oolith. 

Eisenerze  gibt  es  nur  vier  Hauptarten,  u.  zw. :  1.  Magneteisenerze,  2.  Rotheisen- 
erze,  3.  Spatheisenstein,  4.  Brauneisenerze.  Siehe  d.  f.  die  betreffenden  Artikel.  Lb. 

Eisenfeilspane.  Eine  Maschine  zur  Trennung  der  Eisenfeilspane  von  Messing- 
spanen  hat  V  a  v  i  n  construirt.  Magnete  in  geeigneter  Weise  angebracht,  bewirken 
die  Scheidung.     S.  Dingier  pol.  Journ.  Bd.  197. 

Eisenfels.  Itabirit,  dicbtkorniges  oder  schiefriges  Gestein  aus  Quarz,  Magnet- 
eisen.  Eisenglimmer  und  Eisenglanz  bestehend.  Vorkommen  in  Brasilien  (pic  de 
Itabira).     Gtl. 

Eisenferridcyailid,  syn.  mit  Turnbulls-Blau,  s.  Blutlaugensalze  I 
pag.  667. 

Eisenferi'OCyanid,   syn.  mit  Berlin  erblau  I  pag.  667. 

Eisengam  ist  stark  gedrelites  und  mit  Starke  appretirtes  Baumwollgarn  oder 
Zwirn .  s.  G  a  r  n  -  A  p  p  r  e  t  u  r. 

Eisengiesserei  (fonderie  en  fer —  iron-foundiy).  Zur  Geniige  kennzeiclinet 
das  Wort  ..Eisengiesserei",  dass    es    sich    hier    darum    handelt,  fliissig   gemacbtes 


Eisengiesserei. 


121 


Eiscn  in  friiher  hergestellte  Formen  derart  zu  leiten,  class  nach  dem  Erstarren 
des  Metalles  der  verlangte  Gusseisen-Gegenstand  (Gussstiick)  erhalten  wird. 

Da  die  Eisengiesserei  mit  ihren  Erzeugnissen  beinahe  jedes  industrielle  Wirken 
mehr  oder  weniger  beriihrt,  musste  dieselbe  darauf  bedaclit  sein,  den  raannigfachsten 
Anforderungen  gerecbt  zu  werden,  und  vermag  sie  dies  aucb  in  Folge  ihrer  neueren 
Entwicklung  in  den  meisten  Fallen. 

In  dem  Nacbfolgenden  soil  nur  dasjenige  besprocben  werden,  was  speciell 
fitr  die  Eisengiesserei  gilt  oder  des  Zusammenhanges  wegen  nicht  feblen  darf, 
im  Uebrigen  sei  auf  den  Artikel  Giesserei  verwiesen. 

Das  Rob-Material  fur  die  Gussstiicke  der  Eisengiesserei  ist  Roheisen,  dessen 
Herstellung  im  Artikel  Eisen  II  S.  771  geniigend  besprochen  wurde. 

Nach  der  Farbe  des  Giesserei-Roheisens  unterscheidet  man  weisses  und 
graues,  das  Gemiscb  beider  Farbungen  findet  sich  bei  dem  balbirten  Eisen.  Hier 
unterscheidet  man  wieder  schwach  und  stark  halbirtes. 

Schwach  halbirt  ist  jenes  Giesserei-Roheisen,  welches  vorwiegend  eine 
gran e  Farbung  aufzuweisen  hat,  stark  halbirtes  Eisen  jenes  mit  vorwiegend 
weisser  Farbe. 

Je  dunkler,  das  ist  also,  je  mehr  grau  das  Roheisen  im  frischen  Bruche  sich 
zeigt,  desto  besser  verwendbar  ist  es  im  Allgemeinen  zum  Giessereibetrieb,  aus 
dem  Grunde,  weil  eben  dieses  Eisen  nicht  nur  in.  die  schwacbsten  Theile  der 
Form  gleichmassig  ausfliesst,  sondern  aucb  nach  dem  Erstarren  weich,  also  leicht 
bearbeitbar  bleibt.  Doch  nicht  zu  alien  den  verschiedenen  Gegenstanden,  welche 
die  Eisengiesserei  herzustellen  beauftragt  wird,  verlangt  man  absolut  weich  s 
graues  Eisen.  Beim  Gusse  eines  Dampfcylinders  z.  B.  wird  man  bei  der  Gattirung 
des  Eisens  wobl  darauf  bedacht  sein  miissen,  ein  schwach  halbirtes,  in  seinem 
Gusse  sich  dicht  zeigendes  Eisen  zu  erhalten,  denn  ein  solches  Eisen  bat  nicht 
nur  den  Vortheil,  dass  beim  Ausbohren  des  in  Rede  stehenden  Stuckes  die  Innen- 
flache  moglichst  frei  von  Grapbitausscheidung  sich  zeigt,  sondern  es  liefert  diese 
auch  etwas  barter,  also  mehr  der  Abnutzung  widerstehend.  Das  in  seinem  Bruche 
sich  vollkommen  weissstrahlig  zeigende  Eisen  ist  zum  Giessereibetrieb  im  Allge- 
meinen nicht  anwendbar. 

Das  Schmelzen  des  Roheisens  geschieht  in  eigens  hiezu  hergerichteten  Ofen 
(Cupol-,  Flamm-  und  Tiegelofen).  Der  Cupolofen  ((forneau  a  manche  —  cupolo 
furnace),  welcher  beim  Giessereibetrieb  zum  Schmel-  Fig.  1344. 

zen  des  Roheisens  die  meiste  Verwendung  findet, 
ist  der  Hauptsache  nach  ein  Schacbtofen  und  als 
solcher  dem  Hochofen  (s.  Ill  S.   7)  ahnlich. 

Auf  einem  wohlfundirten,  gemauerten  Unter- 
gestell  ist  eine  kraftige  Gussplatte  aufgelegt  und 
mit  derselben  ein  verticaler  Cylinder  aus  Kessel- 
blech  verbunden ,  welc?  er  der  feuerfesten  Aus- 
mauerung  als  Armatur  client.  Die  Gicbt  des  Ofens 
ist  offen  und  die  Ofenwande  haben  geeignete  Durch- 
brechungen  fur  die  Formen  und  das  Eisen-  und 
Schlackenstichloch.  Eine  der  einfachsten  und  zweck- 
entsprecliendsten   Constructionen    ist    in  Fig.   1814        r-^—~"  J\^ 

dargestellt.     a  ist    die  Boclenplatte,  b  der  Mantel  Cupolofen. 

oder  Blecbcylinder,  c  die  Ausmauerung,  e  die  Form,  /  die  Diise,  g  das  Windrohr, 
h  das  Schlackenioch,  i  die  Ofenbrust^  in  welcher  sich  das  Stichloch  fur  das  Eisen 
befindet. 

Die  zur  Ausmauerung  des  Cupolofens  in  Verwendung  kommenden  feuer- 
festen (Chamotte-)  Ziegeln  werden  je  nach  dem  Durchmesser  des  Ofens  in 
Keilform  hergestellt  und  auf  die  Hochkante  voll  auf  Fug  gemauert.  Als  Binde- 
mittel  der  Ziegel  wendet  man  im  Ofen  schon  gebrauchte  zermablene  Cbamotte- 
Ziegelstiicke  mit  Wasser  zu  einem  ziemlich  fliissig  gemacbten  Brei  an.  Die  Fugen 
zwischen    den    einzelnen  Ziegeln    miissen    moglichst    dicht    an  einander    scbliessen. 


122 


Eisengiesserei  (Oefen). 


Zwischen  der  Mauerung  des  Ofens  imd  dem  Bleclimantel  wird  ein  schleehter 
Warmeleiter  (Asche)  aufgestainpft,  um  das  Warmwerden  der  Blechhiille  zu  ver- 
hindern.  Bei  einem  inneren  Durchmesser  des  Cupolofens  von  90cm  wird  man  die 
Einstromungs-OefFnung  des  Windes  in  eine  Hohe  von  40 — 45cm  von  der  Sohle  des 
Ofens  legen. 

Es  genligt  fiir  diese  Dimension  eine  Windpressung  von  13 — 16cm  Queck- 
silber,  um  mit  guten  Koks  pr.  Stunde  60  Ctr.  Eisen  fllissig  zu  machen.  Ohne 
dass  die  Mauerung  des  Ofens  stark  leidet,  ist  es  bei  diesen  Dimensionen  des 
Cupol-Ofens  leicht  moglick,  110 — 120  Ctr.  Roheisen  niederzusclimelzen.  Die  Be- 
schickung  des  Ofens  vor  dem  Anblasen  geschieht  auf  folgende  Weise. 

Vorerst  hat  man  die  von  der  vorhergegangenen  Schmelzung  schadhaften 
Stellen  des  inneren  Gemauers  thunlickst  in  guten  Stand  zu  setzen,  so  wie  den 
Herd  von  anhangenden  Schlackentheilen  zu  befreien.  Nachdem  diese  Ausbesserung 
mit  feucht  angemaclitem  feuerfesten  Thon  besorgt  wurde,  trocknet  man  den  Ofen 
mit  angemacbtem  Feuer  langsam  aus.  So  dies  gescheben,  beginnt  man  den  Ofen 
bis  an  25cm  iiber  der  Windeinstromungs-Oeffnung  mit  Koks  zu  fullen,  bierauf 
setzt  man  10  Ctr.  (500  Kg.)  Eisen  moglichst  gut  vertheilt  auf  die'  so  entstandene 
erste  Scbiittung  Koks,  schichtet  dann  35  —  40  Kg.  Koks  auf,  dann  wieder  weitere 
10  Ctr.  Eisen  u.  s.  w.,  bis  scbliesslicb  der  Ofen,  auf  seine  ganze  Hohe  gefiillt, 
fiinf  Gichten  enthalt.  Zwischen  die  einzeluen  Gichten  setzt  man  etwas  Flussspatb, 
um  einen  leicbteren  Fluss  der  Seblacke  zu  erzielen.  Sodann  wird  bei  offener 
Brust  die  erste  Fiillung  des  Ofens  in  Brand  gesteckt  und  abgewartet,  bis  das 
Feuer  sich  iiber  der  Winddiise  gezeigt,  dann  die  Brust  gescklossen,  das  Wind- 
register  geoffnet.     Nun  ist  der  Schmelzprocess  im  Gange. 

Ausser  der  oben  dargestellten  Form  eines  Cupolofens  gibt  es  viele  andere 
Constructionen,  an  welchen  namentlieb  Abanderungen  in  der  Anordnung  der  Wind- 
einstromung  getrofFen  sind. 

So  wird  der  Wind  in  einen  ausserbalb  an  den  Ofen  an- 
gebrachten,  sogenannten  Windmantel  w  geleitet  (Fig.  1345 
u.  1346),  anderntheils  wieder  befindet  sich  der  Mantel 
im  Innern  des  Ofens  und  bedingt  dann  eine  nach  Fig.  1347 
angedeutete  Ausmauerung.  Aus  diesem  Mantel  theilt 
sich  der  zugefiihrte  Wind  durch  angebracbte  Diisen  in 
den  inneren  Ofenraum.  Die  Diisen  haben  in  diesem 
Falle  einen  elliptiscben  Querschnitt,  deren  grosse  Achse 
10'5cm  und  die  kleine  Achse  8tm  betragt  und  sind  in 
Fig.  1346  u.  1347  derart  in  dem  Ofen  angeordnet,  dass 
37cm  vom  Herde  die  erste  und  weitere  37cm  iiber  selbem 
die  zweite  Partie  ihren  Platz  finden.  Diese  Windzu- 
fiihrung  bietet  den  Vortheil  einer  gleichmassigeren,  inten- 
siveren  Erzeugung   des  Hitzegrades    in  der  Scbmelzzone 


Ft 

g.  1346. 

■ 

i 

s 

1 

/ 

1347. 


des  Ofens.  Um  das  Ausscharren  des 
Ofens  nach  geschehener  Scbmelzung  des 
Eisens  nicht  nach  gewbhnlicher  Art  be- 
werkstelligen  zu  miissen,  halt  man  Cupol- 
ofen  in  Verwendung,  deren  Boden  durch 
eine  Thiir,  welche  sich  nach  abwarts 
bffnen  lasst,  ersetzt  ist.  Fig.  1348. 

Selbstverstandlich  ruht  dann  solch 
ein  Ofen  nicht  auf  einem  gemauerten 
Sockel,  sondern  wird  von  vier  Fiissen 
getragen.  Der  Uebelstand  bei  dieser 
Construction  des  Ofens  ist  wesentlich  der, 
dass  bei  jeder  stattzufindenden  Scbmel- 
zung der  Boden  des  Ofens  neu  bergestellt 
werden    muss,  in  Folare  dessen    es   auch 


Eisengiesserei  (Formen). 


12: 


1348. 


nothwendig  ist,  unnothig  mehr  Breimmaterial  zum  Austrocknen  ties  Ofens  in  An- 
wendung  zu  bringen,  als  es  bei  anderen  Oefen  ohne  dieser  Vorrichtung  noth- 
wendig ist. 

Flammofen  (fovneau  a  reverbere  —  reverberatory 
furnace)  werden  zum  Einschmelzen  des  Giesserei-Robeisens 
verwendet,  wenn  statt  der  Koks  ein  minder  werthiges,  billig 
zu  beschaffendes  Brennmateriale  verwendet  werden  muss, 
oder  wenn  das  Eisen  langer  im  Fluss  erbalten  werden  soil  mid 
auf  bestimmte  Gattirung  ein  besonderer  Wertb  zu  legen  ist. 

Das  im  Flammofen  zu  verscbmelzende  Roheisen  wird 
direct  am  Herde  durch  die  Flamme  zum  Scbmelzen  gebracbt, 
sammelt  sich  dort  in  geboriger  Menge  mid  wird  endlich 
durch    die    Stichoffnung,    welche    am    tiefsten    Punkte    des 

Herdes  angebracbt  ist,  abgelassen.  Die  Bd.  Ill  S.  28  und  29  dargestellten  Flamm- 
ofen stimmen  in  den  Hauptmerkmalen  mit  jenen  zum  Umschmelzen  verwendeten 
iiberein  und  kann  bier  auf  Beiftigung  einer  Figur  verzichtet  werden.  . 

Um  Roheisen  in  kleineren  Quantitaten  zum  Schmelzen  zu  bringen,  wird  der 
Tiegelofen  in  Anwendung  gebracbt;  hier  kommt  das  zu  verscbmelzende  Eisen 
nickt  direct  mit  dem  Breimmaterial  in  Beriihrung,  sondern,  wie  scbon  der  Name 
andeutet,  in  einen  Tiegel,  welcher,  aus  feuerfestem  Thon  oder  Graphitmasse  her- 
gestellt,  in  das  Feuer  eingesetzt  ,  Fig.  1349  a.  Fig.  1349  b. 

wird.*)  Um  das  Feuer  in  dem 
Tiegelofen  lebhafter  zu  erbal- 
ten, bringt  man  selben  audi 
mit  einem  Geblase  (Fig.  1349 


a  und  b)  in  Verbindung    und 
erzielt     dabei     ein     rascberes 
Schmelzen  des  Eisens  im  Tie- 
gel,  als  dies  bei  gewohnlichem     ' 
Zug  (Fig.  1350  a  und  b)  moglich  ware. 


Fiq.  1350 


Das  in  einer  dieser  drei  angefiihrten  Oefen 
fliissig  gemachte  Eisen  muss  in  entsprechende 
Formen  geleitet  werden,  um  dort  zu  erstarren. 

Von  dem  Formen  (moulage  —  moulding) 
oder   der  Herstel-lung  der  Form. 

Die  Form  (moide  —  moidd)  fur  den  Eisen- 
guss  wird  gewbhnlich  aus  Sand,  Lehm  oder 
einem  Gemiscb  beider  Substanzen  der  Masse 
hergestellt;  seltener  ganz  oder  zum  Theile  aus 
Eisen.  Diesbeziiglich  unterscheidet  man  den 
Sand-,  Lehm-,  Masse-  und  Schalengiiss. 

Selten  kann  der  Sand,  wie  selben  die  Natur 
bietet,  zum  Formen  verwendet  werden,  mid 
wird  beinahe  jede  Giesserei  ihr  Hauptaugenmerk 
darauf  zu  richten  haben,  verschiedene  Sandsorten 
mit  ihren  bekannten  Eigenschaften  derart  zu  mischen,  dass  das  Product  eine  homogene, 
unschmelzbare,  die  sich  beim  Guss  bildenden  Gase  leicht  durchlassige  Masse  bildet.  Im 
Allgemeinen  wird  von  zwei  sonst  verwendbaren  Sandsorten  diejenigen  zum  Formen 
geeigneter  sein,  welche  beim  Betraufeln  das  meiste  Wasser  einsaugt  (s.  F  0  r  m  s  a  n  d). 

Bei  den  Sandformen  unterscheidet  man  solche,  in  welche  ohne  vorheriges 
Trocknen  das  Eisen  gegossen  (griine  Form)  wird,  und  solche,  welche  vor  dem 
Gusse  getrocknet  werden.  Um  das  Anschmelzen  des  Sandes  moglichst  zu  ver- 
hindern,  wird    bei  den    griinen  Formen  die  Oberflache  derselben  mit    genifihlenem 


Fig.  1350  b. 


')  S.  SchmelztiegeL     Vergl.  audi    die  Artikel    Gas-S  chmelzof  en.     Beziigiioli    der 
fiir  das  Schmelzen  des  Staliles  beniitzten. Tiegelofen  s.  Art.  Eisenerzengnng  III  S.  46. 


124  Eisengiesserei  (Herstellung  der  Formen). 

Graphit  oder  Kohle,  welcher  in  einen  Leinwandbeutel  gebracht  wird,  bestaubt; 
bei  den  getrockneten  Formen  aber  vor  dem  Trocknen  die  Oberflache  mit  im 
Wasser  angernachten  Graphit  bestrichen  (geschwarzt). 

Gegenstande,  welche  besonders  dicht  im  Gusse  sein  sollen,  dabei  stark  im 
Eisen  sind  (Walzen,  Presskopfe  u.  s.  w.),  werden  in  Masse  geformt.  Dieses 
durch  Mischung  hergestellte  Formmaterial  besteht  aus  Lehm,  Flnsssand  mid  Pferde- 
mist  zu  gleicben  Theilen.  Pferdemist  wird  aus  dem  Grunde  beigegeben,  um  den 
beim  Abgiessen  der  Form  sich  bildenden  Gasen  leicbteren  Abzug  zu  gestatten. 

Selbstverstandlich  wird  die  Masseform  vor  dem  Gusse  gut  getrocknet. 

Die  Lehmf  orm  erei  findet  beim  Eisenguss  dann  ihre  Anwendung,  wenn  Ab- 
gitsse  grosserer  Dimensionen  meist  ohne  Modell  in  Ausfiihrung  zu  bringen  sind.  Der 
Lehm  wird  auch  liier  mit  Pferdemist  gemengt  und  mit  Wasser  teigartig  angemacht. 
Mit  Vortheil  mengt  man  in  den  Lehm  auch  Kuhhaare,  um  das  Zerreissen  der 
Form  beim.  scharfen  Trocknen  moglichst  zu  verhindern. 

Der  Schalenguss  wird  iiberall  dort  augewendet,  wo  es  sich  darum  handelt, 
eine  oder  mehrere  Flachen  des  Abgusses  gleichmassig  hart  zu  erhalten  (Schalen- 
gussrader,  Hartwalzen  u.  s.  w.).  Das  Giesserei-Roheisen  besitzt  namlich  mehr 
oder  weniger  die  Eigenschaft,  sich  im  fliissigen  Zustande  an  eisernen  Wandungen 
(Schalen)  abzuschrecken  und  dadurch  weiss  (hart)  zu  werden. 

Die  Herstellung  guter  Formen  ist  die  wichtigste  Arbeit  des  Giessers  und 
sei  „das  Formen"   daher  an  mehreren  Beispielen  besprochen. 

Das  Formen  eines  Roll  res  in  griinem  Sande  geschieht  mittelst  eines 
Modelles  in  eigens  hiezu  hergerichteten  gusseisernen  Rahmen  (Formkasten),  welche 
zuweilen,  durch  sogenannte  Vorhange  in  Facher  abgetheilt,  den  aufzustampfenden 
Sand  aufnehmen.  Das  Rohr-Modell  wild  behufs  leichteren  Abformens  seiner  Lange 
nach  aus  zwei  Theilen  hergestellt,  welche  durch  das  sogenannte  Schloss  verbunden 
sind,  damit  ein  Verschieben  der  beiden  Modellhalften  nicht  vorkommen  kann.  Man 
bringt  zu  diesem  Zwecke  an  der  einen  Halfte  Ftihrungsstifte  an  s  (Fig.  1351), 
wahrend  die  andere  entsprechende  Vertiefungen  enthalt.  Die  Halfte  mit  den  Ver- 
Fi(j.   1351.  tiefungen  wird  auf  das  Formbrett  gelcgt, 

der  Formkasten  darauf  gesttirzt  und 
der  leere  Raum  zwischen  Modell  und 
Rahmen  (nach  Bestauben  mit  Graphit) 
mit  Sand  aufgestampft,  sodann  wendet 


5 


Modell  man  den  Formkasten  sammt  dem  Modell 

n  sog.  Kernmarkeu.  um?   glattet    die    Oberflache    der  Form 

mittelst  des  Polireisens,  bestaubt  selbe  mit  pulverisirter  Holzkohle,  legt  die  zweite 

Halfte  des  Modells  auf  die  erste,  setzt  die  zweite  Formkastenhalfte  darauf,  welche 

wieder  durch  Stifte  s  (Fig.  1352)  einerseits  und  Locher  andererseits  eine  Fiihrung 

Fig.   1362.  erhalt,  und  stampft  wie  friiher 

den  Formkasten  auf.  Die  Ka- 
nale  zumEingiessen  desEisens, 
so  wie  die  nothigen  Steigtrichter 
werden  im  Sande  ausgespart. 
Nun  schreitet  man  zum 
"$/-"  H^  Abheben  des  Oberkastens  vom 

j  unteren,    wendet    selben    um, 

Oberkasten,  u  Qnterkasten,  z  Zapfen,  an  welche  bei      zieht>  nachdem  man  friiher  noch 
grrosseu  Formkasten  die  Hebehaken  eingeha'ngt  werden.      die  BeriihrilllgSStellen    des  Mo- 

delles  mit  dem  Sand  befeuchtet 
und  das  Modell  losgeklopft  hat,  dieses  aus  dem  Formmaterial.  Die  schadhaften 
Stellen  der  Form,  welche  bei  noch  so  vorsichtigem  Herausziehen  des  Modells  zu 
Tage  treten,  werden  wieder  mit  Hilfe  der  diversen  Former  Werkzeuge  reparirt  und 
die  Form  mit  Graphit  bestaubt.  Ganz  dasselbe  Verfahren  wiederholt  sich  bei 
der  unteren  Formkastenhalfte.     Beide  zusammen  geben  den  Mantel  der  Form. 


Eisengiesserei. 


m 


Fig.  1353. 

2 

-s 

1 

Kernkasten 

Fig.  1354. 


Herstellung  eines  Lelmikernes. 


Je  nacb  dem  licliten  Durchmesser  und  der  Lange  des  Rolires  werden  Sand- 
oder  Lehmkerne  in  Anwendung  gebracht.  Erstere  gelangen  in  sogenannten  K  e  rn- 
b  ii  c  b  s  e  n  oder  Kernkasten  zur  Ausfiihrung,  wo  der  Kern  auf  ein  entsprechendes 
gusseisernes  Gerippe  aufgestampft  wird.  Da  diese  Kernkasten  zwei-  oder  mehr- 
tbeilig  sind,  so  lasst  sich  der  Kern  leicht  aus  denselben  nebmen.     Fig.   1353. 

Zur  Anfertigung  eines  Lehmkernes  bedient  man  sicb  eines,  nacb  seiner 
Lange  mit  kleinen  Lochern  \ersehenen  Gasrohres,  welches  mit  einem  dem 
Durchmesser  des  Kernes  entsprechend 
starken  Strohseil  umwunden  wird.  Auf 
diese  so  bergerichtete  Spindel  wird  Lehm 
aufgetragen,  dieser  getrocknet,  die  Kern- 
spindel  sodann  in  entsprechende  Lager 
gelegt,  und  wieder  weiter  so  viel  Lehm 
aufgetragen,  als  nach  einem  vorgelegten 
Schablonen-Brett  nothwendig  ist,  um  den 
Kern  auf  den  verlangten  Durchmesser  zu 
bringen.     Fig.   1354. 

Der  Sand-,  so  wie  der  Lehmkern 
wird  mit  Graphitschwarze  iiberzogen  und 
in  der  Trockenkammer  vor  dem  Einlegen 
in  die  Form  gut  getrocknet. 

Um  das  Rohr,  wie  es  in  den  meisten 
Fallen  verlangt  wird,  stehend  zu  giessen, 
muss    auch    die  Form    geschwarzt   und    getrocknet  werden.     Nach    dem  Einsetzen 
des  Kernes  in  die  Form  ist  selbe  zum  Guss  fertig.     Fig.  1355. 

Nicht  immer  geniigt  zum 
Abformen  diverser  Gegenstande 
ein  zweitheiliger  Formkasten, 
bei  einer  Seilrolle  z.  B.  wird, 
wie  beistehende  Figur  1356 
a  und  h  zeigt,  ein  dreitheiliger 
Formkasten  noting  sein  oder 
doch  das  Formen  wesentlich 
erleichtern. 

A  Ober-,   B  Mittel-,   C 
Unterkasten.     Das  zum  Abformen  in  Ver- 
wendung  zu  bringende  Modell  muss  selbst- 
verstandlich  nach  a  b  getheilt  sein. 

Beim  Formen  legt  man  das  Modell  auf 
ein  Modellbrett  c,  gibt  dartiber  den  Mittel - 
kasten  B  und  stampft  den  Sand  zwischen 
Modell  und  Rahmen  auf.  Hernach  glattet 
man  mittelst  des  Polireisens  die  Sand- 
flache  bei  d,  f}  bestaubt  selbe  mit  Holz- 
koblenstaub  und  setzt  den  Untertheil  C 
auf,  stampft  auch  diesen  mit  Sand  voll 
und  wendet  diese  beiden  Formkasten  nebst 
dem  Modellbrett  um.  Nachdem  das  Modell- 
brett abgehoben,  die  Fla'che  bei  g,  h 
glatt  gestrichen  und  bestaubt  wurde,  stampft 
man  den  Obertheil  A  ein,  in  welchem  auch 
der  Gusskanal  ausgespart  wurde.  Nach 
Abheben  desselben  zieht  man  die  Modell- 
balfte  1  aus  dem  mittleren  Formkastentheil 
B,  setzt  dann  den  Kasten  A  wieder  auf  B,  wendet  die  drei  Formkastentheile, 
bebt  dann  den  Theil  C  von  B  ab,    und    ziebt  die  Halfte  2  des  Modells  aus  dem 


Fig.  1355. 

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k  der  Kern  ist  mit  seinen  Enden  m  in  die  Kernmarken 
der  Form  eingelegt. 

Fig.  1356  a. 


126 


Eisengiesserei  (Formen  mit  Modell). 


Kastentheile  B.  Nachdem  cler  Kasten  C  wieder  aufgesetzt  wurde,  wendet  man 
die  drei  Theile  noehmals  und  der  Guss  kann  vor  sich  gehen.  1st  der  Durchmesser 
der  Rolle  ein  kleiner  und  die  Stiickzahl  der  Abgiisse  eine  mindere,  dann  lohnt  es 
sich  der  Giesserei  nicht,  erst  eigens  hiezu  passende  Formkasten  anfertigen  zu 
lassen.  Das  Abformen  soldier  Rollen  kann  audi  in  zweitheiligen  Formkasten  vor- 
genommen  werden. 

1st  1,  2   in  Fig.  1357    das    abzuformende  Modell  (wie    friiher   getlieilt),  so 
legt  man  selbes  vorerst   auf  das  Modellbrett  c,   beschwert   leicht    das  Modell,  und 
1357.  drtickt  den  Sand,  wie  nach  Fig.  1357  ange- 

deutet  ist,  rings  in  die  Nuth  des  Modelles 
ein.  Glattet  und  bestaubt  die  so  erhaltene 
Oberflache  des  Sandes,  setzt  den  Formkasten 
(A)  dariiber  und  stampft  selben  voll  Sand, 
wendet  den  Kasten  sammt  dem  Modellbrett, 
stampft  den  zweiten  Theil  (B)  des  Formkastens  voll ;  hebt,  so  selbes  geschehen, 
diesen  wieder  ab  und  zieht  die  Halfte  2  des  Modelles  aus  dem  Sande,  setzt  den 
Formkastentheil  B  wieder  darauf,  wendet  die  beiden  Theile,  hebt  den  Kasten  A, 
welcher  jetzt  nach  oben  gekommen,  ab,  und  zieht  die  Halfte  1  des  Modelles  aus 
dem  Sandkorper  3,  welcher  bei  dieser  Art  von  Formerei  die  Stelle  des  mittleren 
Rahmens  beim  clreitheiligen  Formkasten  vertritt,  setzt  das  Obertheil  wieder  darauf 
und  die  Form  ist  zum  Abgiessen  bereit. 

Nach  dem  Gesagten  ist  das  Einformen  eines  Topfes  Fig.  1358  a,  b,  c,  einer 
Stufenscheibe  Fig.  1359  a  u.  b,  und  der  in  Fig.  1360  a  u.  b  dargestellten  kleinen 
Gegenstande  ohne  weitere  Erklarung  verstandlich. 
Fig.  1358  a.     Fig.  1358  b.     Fig.  1358 

e 


Fig.  1359 


Fig.  1361  a. 


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Ig^pfygi 


JtL. 

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=0 


Urn  einenDampf- 
cy  Under  mit  ange- 
gossenen  Pratzen,  welche 
zum  Befestigen  an  die 
Fundamentplatte  dienen, 
nicht  in  einem  dreithei- 
ligen,  ja  je  nach  seiner 
Art  in  einem  viertheiligen 
Formkasten  form  en  zu 
miissen ,  werden  soge- 
nannte  f  a  1  s  c li  e  T  h  e  i  1  e 
der  Form  (Keilstiicke) 
in  Anwendung  gebracht. 
Fig.  1361  a  zeigt  die 
Halfte  des  Modelles  in 
dem  Untertheil  des  Form- 
kastens eingestampft  und 
Fig.  1361  b  den  Quer- 
schnitt  nach  a  @.  Nach- 
dem bei  c  der  Sand  ent- 


Eisengiesscrei. 


127 


Fig.  1361  b. 


sprechend  der  Form  der  Pfatzen  heraus- 
gehoben,  die  seitlichen  Wandungen  des 

stehen  gebliebenen  Sandes  geglattet  imd 
bestaubt  sind,  setzt  man  ein  schon  friiher 
abgegossenes  Kerneisen  in  den  so  ent- 
standenen  freien  Ranm  und  stampft 
dieses  bis  zur  Halfte  des  Modelles  e,f 


des  Modelles  iiber  die  bereits  einge- 
stanipfte,  stampft  den  Oberkasten  ein, 
hebt  diesen  vom  Unterkasten  ab,  und 
zieht  die  Halfte  des  Modelles  aus  dem 
Formkasten.  Das  gleiche  Verfahren  wiederholt  sich  beim  Untertheil,  nur  dass  in 
diesem  Falle  die  Pratzen  g,  h,  k,  I  vorerst  vom  Modell  losgeschraubt  werden 
miissen,  urn  die  falschen  Tlieile  sammt  den  Kerneisen  aus  dem  Sand  heben  zu 
konnen.  Schliesslich  zieht  man  die  so  zu  Tage  getretenen  Pratzen-Modelle  aus 
der  Form,  reparirt  diese  so  wie  die  falschen  Tlieile,  iiberstreicht  selbe  mit  Graphit- 
schwarze  und  trocknet  die  Form  in  der  Kammer  gut  durch.  Die  weiter  in  die 
Form  einzulegenden  Kerne  B7  C,  D  werden  in  Kernbtichsen  hergestellt,  der  cy- 
lindrische  Kern  A  wird  nacli  Art  des  oben  beschriebenen  Rohrkernes   angefertigt. 

Der  Lehm  flir  die  Kanal-Kerne  muss  besonders  gut  durchgearbeitet  und 
poros  sein  (mit  Vortheil  mengt  man  den  dritten  Theil  Kuhmist  zu,  damit  die  sich 
wahrend  des  Gusses  bildenden  Gase  durch  die  sorgfaltig.  im  Kern  ausgesparten 
Abzugskanale  leichten  Abgang  finden.  1st  die  so  nothwendige,  fleissige  Herstellung 
dieser  Sandkerne  ausser  Acht  gelassen,  so  wird  es  vorkommen,  dass  die  Gase, 
welche  dann  nicht  regelrecht  entweichen  konnen,  sich  durch  das  noch  in  der  Form 
fliissige  Eisen  Balm  brechen  und  das  Gussstiick  bei  der  weiteren  Bearbeitung  sich 
in  seinen  Wandungen  als  blasiges  zeigen  wird.  Zur  Versteifung  der  Sandkerne 
selbst  legt  man  je  nach  der  Starke  des  Kernes  in  die  entsprechende  Kernbuchse 
vorerst  etwas  Lehm  und  dritckt  in  diesen  ein  der  Form  des  Kernes  ahnliches 
Draht-Gitter  ein,  so  dass,  nachdem  der  Lehm  bis  auf  die  verlangte  Starke  des 
Kernes  aufgetragen  wurde,  dieses  das  Gerippe  des  Dampfkanal-Kernes  bildet. 

Die  Abzugskanale  der  Gase  aus  dem  Kerne  werden  am  sichersten  ausgespart 
durch  eingelegte  Wachsdrahte,  welche  beim  gelinden  Trocknen  des  Kernes  aus- 
fliessen.  Der  zuriickbleibende  Draht  (Docht)  kann  dann  leicht  herausgezogen  werden. 

Das  Einlegen  der  Kerne  bei  gut  getrockneter  Form  des  Cylinders  beginnt 
mit  dem  Hauptkern  A  in  Fig.  1361,  hierauf  legt  man  in  die  Form  den  Kern  B, 
welcher  nach  Abguss  des  Stiickes  den  inneren  Raum  des  Schieberkastens  bildet 
und  reiht  an  selben  und  den  Kern  A  die  beiden  Sandkerne  C,  C.  Diese  werden 
zu  ihrer  Befestigung  einerseits  in  den  Kern  B  bei  o,  p  in  die  ausgesparten 
Marken  eingelegt,  anderseits  stumpf  an  den  Kern  A  angeschoben  und  mittelst 
eingesteckter  Kernnadeln  (Stipper)  an  selben  festgehalten.  Schliesslich  wird  der 
Kern  D  des  zu  bildenden  Dampfausstromungs-Kanales  eingelegt  und  ebenfalls 
durch  Marken  und  Stipper  in  der  Form  fixirt.  Bei '  der  Versteifung  der  Kerne 
unter  einander  wird  man  nur  an  jenen  Stellen  Kernnadeln  (Stipper)  in  Anwenduug 
bringen,  deren  Flachen  durch  Ausbohren  oder  Behobeln  einer  Appretur  nicht  unter- 
liegen.  Sind  die  Kerne,  wie  erwahnt,  eingelegt,  der  Staub,  der  sich  wahrend 
des  Einsetzens  in  die  Formvertiefungen  abgesetzt,  sorgfaltig  herausgeblasen,  dann 
setzt  man  den  Obertheil  des  Kastens  auf  den  Unterkasten,  schraubt  die  beiden 
Theile  zusammen,  und  stellt  dann  diese  mit  dem  Aufguss  E  (verlorenen  Kopf) 
nach  oben  in  der  Dammgrube  auf.  Nachdem  der  Kasten  sorgfaltig  in  der  Grube 
mit  Sand  eingedammt  wurde  und  die  Gase  aus  der  Form  durch  Kanale  urn  den 
Formkasten  ihren  Abzng  erhalten  haben,  kann  zum  Gusse  des  Stiickes  geschritten 
werden.  Rasches  Abgiessen  bei  sonst  sorgfaltig  hergestellter  Form,  so  wie  ein 
reines,  nicht  zu  sehr  uberhitztes  Eisen,  wird  einen  dichten,  porenfreien,  gut  be- 
arbeitbaren  Dampfcylinder  liefern. 


128 


Eisengiesserei  (Schablonenformerei). 


Das  Form  en  von  Zahnradern  erfordert  darum  einer  grosseren  Auf- 
merksamkeit,  weil  meist  die  Zahne  des  gegossenen  Rades  ohne  weitere  Bearbeitung 
in  die  eines  zweiten  so  eingreifen  sollen,  dass  ein  ruhiger  Gang  sicb  bemerkbar 
macht.  Ein  genaues  Modell,  ein  vorsichtiges  Einstampfen  des  Zahnkranzes  bei 
gut  zubereitetem  Formsand,  so  wie  ein  gleichmassiges  Losklopfen  des  Modells 
aus  dem  Sande,  mid  scliliesslich  eine  ruliige  Hand  beim  Ausheben  sind  die  Haupt- 
factoren,  urn  einen  gelungenen  Abguss  zu  Stande  zu  bringen. 

Da    es   bier   zu    weit   fiihren  wlirde,    die  Formerei   der   divers  en  Arten   von 

Zahnradern  in's  Detail  zu  beschreiben,  so  sei   nur  die  Formerei  eines  Holzkamm- 

rades  nach  einem  Modell  und  eines  grossen  Zabnrades  mittelst  Scbablone  besprochen. 

In  Fig.  1362  a  und  b  ist  das  Modell  in  dem  Unterkasten  eingestampft.  Nachdem 

der  Obertlieil    abgehoben  wurde,  wurden    im  Untertheil  die  Beriihrungsflachen  des 

Sandes  mit  dem  Modell  vorsiclitig  mittelst 
eines  Pinsels  befeuchtet,  das  Modell  gleich- 
zeitig  losgeklopft  und  aus  dem  Sande  ge- 
hoben.  Nachdem  die  Kernmarken  so  wie 
die  iibrigen  Theile  der  Form  reparirt 
wurden,  schreitet  man  zum  Einsetzen  der 
Kerne ,  welche  nach  dem  Abgusse  die 
Kammlocher  bilden.  Diese  Kerne  werden 
in  Kernkasten  mit  den  nothigen  Gas-Ab- 
zugskanalen  hergestellt ,  getrocknet  und 
in  die  im  Sande  ausgesparten  Kernmarken 
1,  2,  3  u.  s.  w.  nach  einander  zum  Mittel- 
punkt  des  Rades  bin  eingelegt.  Die  ober- 
halb  der  Kerne  an  der  Peripherie  der 
Form  offen  stehenden  Liicken  werden 
mittelst  eines  vorgehaltenen,  entsprechend 
dem  Halbmesser  des  Rades  convex  ge- 
schnittenen  Brettchens  b  Fig.  1363  mit 
Sand  bis  zur  Gleiche  der  Form  zugedammt. 
Sind  Zahnrader  von  grosserem  Durch- 
messer,  bis  10'  und  dariiber,  herzustellen, 
dann  ist  es  die  S  c  h  a  b  1  o  n  e  n  f  o  r  m  e  r  e  i ;  welche  bei 
praciser  Handhabung  ganz  gelungene  Abgusse  erzielt. 
Sie  ist  in  manchen  Fallen  den  Radform-Maschinen  vor- 
zuziehen,  weil  der  Durchmesser  des  zu  formenden  Rades 
hier  kein  beschrankter  ist;  und  die  Anschaffimgskosten 
gegeniiber  denen  einer  Formmaschine  viel  geringer  sind. 
Bei  dem  Formen  eines  grosseren  Zabnrades  ohne  Modell 
sind  es  die  nach  Zeichnung  geschnittenen  Schablonen, 
welche  durch  Dj-ehung  um  eine  verticale  Achse  die  verlangte  Form  in  dem  auf- 
gestampften  Sand  herstellen  helfen. 

In  Fig.  1364  ist  a  die  in  ihren  Lagern  c  c'  senkrecht  stehende  abgedrehte 
Spindel  und  b  der  Arm,  welche  auf  derselben  leicht  auf-  und  abgeschoben  werden 
kann  und  notbigenfalls  wahrend  des  Formens  bei  d  mittelst  einer  Schraube  fest- 
gestellt  wird.  So  genugen  weiter  noch  zwei  Flugspindeln,  eine  kleine  Schablone 
zum  Ausziehen  der  Arme7  so  wie  deren  obere  Rippen  und  eine  Kernbiichse  zur 
Herstellnng  der  Zahnlucken ,  um  mit  der  Formerei  des  Zabnrades  beginnen  zu 
konnen. 

Die  Grosse  des  in  Rede  stehenden  auszufiihrenden  Gussstiickes  bedingt, 
dass  selbes  direct  in  der  Herdsohle  der  Giesserei  geformt  wird. 

Nachdem  vorerst  die  Grube  hiezu  ausgehoben  wurde,  die  Spindel  a  nebst  Arm 
b  auf  ihr  unteres  Lager  c  gestellt  ist,  wird  der  Arm  e,  wie  in  Fig.  1364  a  u.  b 
deutlich  ersichtlich  ist,  in  das  Lager  c'  der  Spindel  niedergelassen.  e  ist  durch 
die  beiden  Streben  f,  f  gespreizt.     So  vorbereitet    schraubt  man  das    mit  Blech- 


Fig.  1362  b. 

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1363. 


Eisengiesserei  (Schablonenformerei). 
Fig.  1364  a. 


129 


Fig.  1364  b. 


streifeu  beschlagene 
Schablonenbrett  S  an 
den  Arm  b  der  Spin- 
del  ,  vorausgesetzt , 
dass  die  Schablone  auf 
das  richtige ,  innere 
Mass  des  zn  formen- 
den  Rades  gestellt 
wurde.  Starapft  die 
Grnbe  mit  fein  ge- 
siebten  Sand  beilaufig 
der  zu  erbaltenden 
Form  an,  senkt  den 
Arm  sammt  Schablone 
und  dreht  die  Form 
nach  Fig.  1364  rein 
aus.  Glattet  die  so 
erhaltene  Flache  mit 
dem  Polireisen ,  be- 
streut  selbe  mit  ma- 
geren  trockenen  Sand 
nnd  reisst  mittelst 
eines  spitzigen  Griffels 
die  Arme  ihrer  Figur  nach  auf  das  durch  Ausdrehen  so  erhaltene  Untertheil  der 
Form.  Nachdem  die  oberen  Rippen  (-Modelle)  auf  das  Mittel  der  vorgerissenen  Arme 
mittelst  Drahtstiften  fixirt  wurden,  setzt  man  den  Formkasten  dartiber  und  stampft 
auf  die  frtiher  eingelegten  Kerneisen,  die  Felder  zwischen  den  Armen,  so  wie 
weiter  den  Kasten  mit  Sand  voll.  Die  in  die  Kerneisen  eingeschraubten  Oesen 
werden  jetzt  an  die  im  Formkasten  befindlichen  Traversen  festgekeilt;  urn  den 
Kasten  in  die  Herdsohle  die  Fiihrungsstiften  geschlagen  und  dann  der  Obertheil 
der  Form  abgehobeu. 

Fig.  1365. 


Die  Spindel,  welche  wahrend  des  Einstampfens  des  Obertheiles  herausgehoben 
wurde,  wird  jetzt  wieder  in  ihre  Lager  gebracht  und  an  den  Arm  das  zweite 
Schablonenbreft  B  angeschraubt  (Fig.  1365).  Nach  einmaliger  Umdrehung  der 
Schablone  wird  die  Schraube  bei  d  geliiftet  und  der  Arm  sammt  Brett  um  circa 
4mrn  tiefer  gesenkt,  dies  wiederholt  sich  bei  stetem  Ausheben  des  Sandes  so  lange, 
bis  die  Schablone  B  die  schon  frtiher  nach  Schablone  S  in  Fig.  1364  gebildete 
Flache  bei  g  g'  g"  g4"  trifft,  wie  dies  unsere  Fig.   1365  zeigt. 

Die  Eintheilung  der  Zahne  geschieht  auf  einem  gusseisernen  Ringe  E,  dessen 
Durchmesser  grosser  ist  als  der  des  zu  formenden  Rades.  Man  giesst  auf  ihn  eine 
beilaufig  4mm  starke  Schichte  Gyps,  schabt  diese  nach  dem  Erstarren  mittelst  eines 

Karmarsch  &  Heeren,  Tcchnisches  Worterbuch.    Bd.  HI.  9 


130 


Eisengiesserei. 


Fig'.  1368. 


Messers  ab  unci  schwarzt 
den  Gyps  mit  Holzkoh- 
lenstaub,  urn  scharfer 
markirte  Tlieilstriche 
zu  erbalten.  In  die  Form 
wirdbeiaFig.  1366  auf 
den  verlangerten  Arm 
derSpindel  eingehobel- 
tes  Lineal  vertical  aufge- 
schraubt,  und  an  dieses 
die  im  Kernkasten  aus 
fettem  Sand  angefertig- 
ten  Zahnlucken,  nach- 
dem  der  Zeiger  bei  b 
immer  um  einen  Theil- 
stricb  weiter  gegangen, 
nach  einander  von  links 
nacb  rechts  angelegt 
und  durch  die  fiiiher 
ausgesparten  Oeffnungen  an  die  ausgedrehte  aussere  Wandung  der  Form  angestiftet. 
Fig.  1367  stellt  die  Kernbikhse  der  berzustellenden  Zahn- 
liicken  in  der  Draufsicht  vor. 

Die  Rad-Arme  werden,  wie  in  Fig.  1366  und  1368 
ersichtlich  ist,  mittelst  eines  Scbablonbrettcbens  n  zwiscben 
zwei  Linealen  m  durch  Herausbeben  des  Sandes  bergestellt. 
Wurde  die  Form  im  Unter-  und  Obertheil  reparirt, 
so  iiberziebt  man  diese  mit  Grapbitscbwarze  und  troeknet 
sie  gut  durch.  Mit  dieser  Art  von  Formerei  ist  man 
in  den  Stand  gesetzt,  alle  Arten  von  Zalmradern,  Schwung- 
radern,  Turbin-  oder  Riemscheiben  u.  s.  w.  mit  geringen 
Abanderungen  in  Ausfuhrung  zu  bringen. 

Unter  den  verschiedenen  Arten  von  mecbanischer  Formerei*)  sei  bier  das 
Formen  auf  Modellplatten  (welcbe  gleichsam  aus  einer  Vereinigung  der 
Modellbalften  mit  je  einem  Formbrett  bestehen)  bervorgeboben,  weil  man  mittelst 
derselben  in  den  Stand  gesetzt  ist,  die  diversesten  Gegenstande  rascb,  gut  und 
billig  berzustellen.  Soil  z.  B.  selbes  zum  Formen  von  massiven  Kugeln  in  An- 
wendung  gebracbt  werden,  so  miissen  die  biezu  nothwendigen  Formkasten  an  ibren 
Beriibrungsflacben  gebobelt  sein,  und  deren  Fiibrungsstifte,  so  wie  die  entspre- 
cbenden  Locber  derart  genau  in  einander  passen,  dass  das  Obertheil  eines  Kastens 
auf  sa'mmtliche  Untertheile  der  anderen  Kasten  und  umgekehrt  ohne  im  geriugsten 
zu  scblottern,  gesetzt  werden  kann. 

Der  Ober-,  so  wie  der  Unterkasten  wird  jeder  fur  sicb  auf  seiner  ibm  zu- 
geborigen  Modell-Platte  eingestampft,  welcbe  durch  ein  Schloss  (vergl.  s  S.  124) 
derart  mit  dem  Kasten  verbunden  ist,  dass  eine  gegenseitige  Verscbiebung  nicht 
stattfinden  kann. 

Es  kommt  mitbin  der  Unterkasten  auf  die  genau  gehobelte  erste  Modellplatte, 
z.  B.  jene,  welche  nebst  den  vier  Halbkugeln  auch  die  Erhbhungen  fiir  die  Ein- 
giisse  aufgenietet  tragt,  der  Oberkasten  auf  die  eben  so  genau  zugerichtete  zweite 


0  S.  den  Artikel  Kohren. 


Eisengiesserei  (Lehmformerei).  131 

Modellplatte,  welche  mit  den  zur  Erganzung  erforderlichen  Modellbalften  armirt 
ist;  so  class,  wenn  beide  Kastentheile  rait  Sand  angestampft,  von  den  Flatten  ab- 
gehoben  und  aufeinander  gesetzt,  niclit  die  geringste  Versehiebung  der  ausgesparten 
Formtlieile  bemerkbar  ist.  Zu  bemerken  ware  hiebei  noch,  dass  die  Eingusskanale 
des  raschen  Form  ens  halber  auf  der  Formplatte  des  Unterkastens  ein  fur  allemal 
lest  angemacht  sind.  Nach  diesem  angefiilirten  Beispiel  der  Plattenforrnerei  ist 
es  ersichtlich ,  dass  die  verschiedenartigsten  Gussgegenstande  durcb  Austausch 
anderer  Modellplatten  mit  denselben  Kasten  zur  Ausfiihrung  gebracht  werden  kbnnen. 

Bei  der  Lehmformerei  ist  das  die  Form  bildende  Materiale  Lehm. 

Die  Lehmformerei  wird  durch  das  rationellere  Herstellen  der  Formen  in 
Sand  und  Masse  immer  mehr  in  den  Hintergrund  gedrangt.  Das  langsame  Arbeiten 
der  Formen  in  Lehm;  so  wie  die  kostspielige  Herstellung  haben  die  Eisengiessereien 
aufmerksam  gemackt,  dass  man  im  fetten  Formsand  (Masse)  schneller  und  eben  so 
gelungene,  verhaltnissmassig  billigere  Abgiisse  schaffen  kann.  Die  Lehmformerei 
wird  heute  dort  Anwendung  linden,  wo  es  sich  handelt,  Abgiisse  anzufertigen, 
deren  Modelle  nicht  nur  wegen  ihres  grosseren  Volumens  sehr  kostspielig  kommen, 
sondern  wobei  auch  die  hiezu  in  Verwenclung  kommenden  Formkasten  ausserge- 
wbhnlich  grosse  Dimensionen  annehmen  miissten  (z.  B.  Geblasecylinder) ;  und  dort, 
wo  schwere,  massig  in  Eisen  gehaltene  Gussstiicke  herzustellen  sind,  weil  eben 
dieses  Formmaterial  dem  fliissigen  Eisen  mehr  Widerstand,  in  Folge  dessen  grossere 
Sicherheit  wahrend  des  Gusses  bietet.  Die  zum  Formen  in  Sand  nothwendigen 
Formkasten  fallen  bei  dieser  Art  von  Formerei  ganzlich  weg  und  an  deren  Stelle 
treten  Backsteine,  und  je  nach  der  Figur  des  herzustellenden  Gusses  verschieden- 
artig  gekriimmte  Eisenschienen. 

Der  Lehm,  wie  er  an  seinen  Fundorten  gegraben  wird,  muss  immer  vor 
Verwendung  zum  Formen  eigens  zugerichtet  werden.  Das  Ausscheiden  der  im 
Lehm  eingeniengten  Steinchen  geschieht  mittelst  des  Siebes.  In  den  so  gereinigten 
Lehm  mischt  man  Flusssand,  damit  er  poroser  wird  und  die  beim  Guss  sich 
bildenden  Gase  leichter  entweichen  lasst.  Aus  eben  demselben  Grunde  gibt  man, 
je  nachdem  der  Lehm  mehr  oder  weniger  fett  ist,  Pferdemist  bis  ein  Drittel 
hinzu.  Um  das  Zerreissen  des  Lehms  wahrend  des  Trocknens  bestmoglichst  zu 
vermindern,  mengt  man  Kuhhaare  binein.  Nachdem  die  angefiilirten  Theile  im 
richtigen  Verhaltniss  dem  Lehm  beigegeben  wurden,  feuchtet  man  das  Gemisch 
mit  Wasser  an  und  knetet  die  Masse  am  besten  mit  den  Fiissen  so  lange  durch- 
einander,  bis  selbe  eine  teigartige  Consistenz  angenommen  hat. 

Um  an  einem  Beispiel  die  Formerei  in  Lehm  zu  veranschaulichen,  sei  die 
Herstellung  der  Form  einer  Kiihlpfannschale  naher  besprochen. 

In  F.ig.  1369  a  und  b  ist  a,  a  ein  gusseiserner  Ring,  dessen  Durchmesser 
grosser  ist  als  die  abzugiessende  Schale,  b,  b  sind  Fiisse,  auf  welche  der  Ring 
bestmoglichst  horizontal  gelegt  wird,  c  ist  eine  vertical  stehende  Spindel  in  ihren 
Lagern  d,  d  laufend.  An  den  Arm  e  wird  die  Schablone  /,  welche  den  Kern  der 
Form  abzugleiclien  hat,  angeschraubt.  Das  Aufmauern  des  Kernes  geschieht  mittelst 
halbgebrannten  Backsteinen ,  als  deren  Bindemittel  breiartig  angemachter  Sand 
verwendet  wird.  Auf  den  so  hergestellten  rohen  Kern  wird  Lehm  1  —  2CIU  stark 
aufgetragen,  hierauf  trocknet  man  den  Kern  schwach,  gibt  dann  eine  weitere  Lehm- 
schichte  von  2cm,  und  gleicht  diese  darin  mittelst  des  mit  dem  Blechstreifeu  g 
beschlagenen  Schablonenbrettes  /  ab  (Ausdrehen).  Der  so  weit  hergestellte  Kern 
wird  nun  getrocknet  und  nachher  mit  einem  Gemisch  von  fein  gesiebter  Asche 
und  Wasser  bestrichen.  Nun  schreitet  man  zur  Biklung  des  sog.  Hemd  es  h,  d.  b. 
man  tragt  eine  Lehmschichte  auf,  deren  Dicke  der  nach  dem  Abguss  verlangten 
Eisenstarke  entspricht.  Eine  zweite  Schablone  dient  zum  Ausdrehen  des  Hemdes. 
Nachdem  die  Form  (Kern  und  Hemd)  abermals  getrocknet  wurde,  setzt  man  nach 
Angabe  der  Werk-Zeichnung  die  eventuell  am  Guss  verlangten  Pratzen,  Flanschen 
u.  s.  w.  (aus  Holz  hergestellt)  auf  und  bestreicht,  um  eine  Trennungsnache  zu  erhalten, 
die  Oberflache  der  neu  hergestellten  Lehmschichte  wieder  mit  angemachter  Asche. 
Nun  beginnt  das  sogenannte  M  a  n  t  e  1  n  derForm,  die  Herstellung  des  Mantel  s. 


132 


Eisengiesserei  (Lehmguss). 
Fig.  1369  a. 
d 


Fig.  1369  b. 


Olme  weitere  Benutzung  der  Schablonenbretter  tra'gt  der  Former  eine  1 — 2cm 
starke  Scbichte  Lebm  bestmoglichst  gleiehformig  auf  die  so  bergestellte  Eisen- 
starke oder  das  Herud  und  trockuet  sie  abermals. 

Die  nach  der  Form  gebogenen  Schienen  s  werden  jede  einzeln  wieder  mit 
Lebm  auf  der  der  Form  zugekehrten  Seite  auf  1  V2cm  bocb  bestricben  und  auf 
eine  Entfernung  von  10  zu  10cm  auf  die  so  weit  bergestellte  Lebmform  gut  aufge- 
rieben.  Die  entstandenen  Felder  zwischen  den  Eisenscbienen  werden  nun  wieder  mit 
Lebm  ausgefiillt  und  weiter  dann  der  gauze  Corpus  mit  einer  1/ncm  starken  Schicbte 
Lebm  tiberzogen.  Nacbdem  die  Form  so  weit  vorgescbritten  und"  wieder  getrocknet 
wurde,  setzt  man,  wie  nach  Fig.  1369  ersichtlich  ist,  einen  gusseisernen  Ring  g 
liber  das  Eisengerippe  und  verbindet  selben  wieder  innig  mittelst  Lebm  mit  der 
zuletzt  aufgetragenen  Lehmschichte.  Der  jetzt  neu  auf  die  Form  gebracbte  Lebm 
muss  gut  getrocknet  werden,  weil  man  widrigen falls  leicbt  Gefabr  laufen  konnte, 
dass  beim  Abbeben  des  Mantels  m  der  Ring  iiber  die  Form  abglitte. 

Bei  vorausgesetzt  vorsicb tiger  Manipulation  kann  dies  nicht  so  leicbt  vor- 
kommen,  und  ohne  Anstand  la'sst  sicb  der  Mantel  der  Form  von  der  mit  Ascbe 
bestricbenen  Trennungsflacbe  des  friiber  aufgetragenen  Hemdes  (Eisenstarke)  ab- 
beben. Nun  scbreitet  man  zum  Ablosen  der  Eisenstarke  und  iiberziebt  bierauf, 
nacbdem  man  friiber  den  Kern  von  den  anhangenden  Ascbentheileu  befreit  und 
die  vorgekommenen  Risse  ausgebessert  hat,  mit  Graphitschwarze  und  trocknet  den 
Kern  gut  durch.  Audi  der  Mantel  wird  jetzt  ausgebessert,  die  etwa  vorkommenden 
Modelltheile,  Lappen,  Sttitzen  u.  s.  w.  aus  selben  berausgezogen,  und  scbliesslicb 
so  wie  der  Kern  mit  in  Wasser  angemachtem  Graphit  bestricben  und  gut  ge- 
trocknet. Beim  Zusammensetzen  der  Form  wird  vorerst  der  Kern  in  die  Damm- 
grube  gebracbt,  der  innere  bohle  Raum  mit  Sand  angefiillt,  die  zuriiekgebliebene 
Oeffnung  nach  der  Form  des  Kernes  mittelst  Lehm  geschlossen,  und  der  Mantel 
nach  den,  vor  dem  Abbeben  angedeuteten  Zeichen  dariiber  gesetzt. 


Eisengiesserei  (Schalenguss).  133 

Friiher  unter  den  Ring  a  in  die  Dattimgrube  gelegte  drei  Eisenschienen  werden 
gegeniiber  den  sechs  angegossenen  Lappen  I  des  Mantelringes  g  gebracht  und 
dnrch  Schrauben  verbunden.  Anf  diese  Weise  wird  der  Mantel  der  Form  mit 
dem  Kern  fest  zusammengezogen.  Weiter  wird  die  Form  vorsichtig  eingedammt 
mid  iiberdies  nocb  mit  Bescbwereisen  belastet.  Durcli  ausgesparte  Kanale  in  dem 
Sand  wird  Sorge  getragen,  dass  die  wabrend  des  Gusses  sich  bildenden  Gase  leicbten 
Abzng  aus  dem  Kern,  so  wie  ans  dem  Mantel  der  Form  erbalten.  Die  an  der 
hocbsten  Stelle  der  Form  angebracbten  Gusskanale  sollen  nicbt  zu  stark  sein,  urn 
dem  Aussprengen  beim  weiteren  Putzen  des  Gusssttickes  vorzubeugen.  Dieser 
scbwacben  Gusskanale  bringt  man  4  an,  deren  Durcbmesser  19mm  nicbt  iiber- 
steigen  soil,  vereinigt  selbe  ausserbalb  der  Form  in  eine  Mulde  und  der  Guss 
kann  vor  sich  gehen.*) 

Der  Schalenguss  wird  in  der  Eisengiesserei,  wie  friiher  scbon  erwahnt, 
bei  solcben  Gegenstanden  in  Verwendung  kommen,  von  denen  beansprucht  wird, 
dass  selbe  Harte,  also  in  Folge  dessen  weniger  leicht  sich  abniitzende  Flacben 
besitzen.  Diejenigen  Flacben  des  Gussstiickes,  welche  bearbeitet  werden  sollen 
oder  iiberhaupt  das  ursprtinglich  graue  Eisen  aufzuweisen  haben,  werden  in  Sand 
abgeformt,  jene  Tbeile,  welche  hart  werden  sollen,  erhalten  als  Begrenzung  die 
gusseiserne  Schale.     Sandform    und  Schale    miissen   genau    zusammengepasst  sein. 

Als  Beispiel  eines  Schalengusses  sei  bier  die  Form  einer  Hartwalze 
naher  in's  Auge  gefasst.  Die  ganze  Form  bestebt  der  Hauptsache  nach  aus 
dem  Unterkasten  a  (Fig.  1370),  der  Schale  b  und  dem  Oberkasten  c.  Vorerst 
wird  der  Unterkasten  a  g ,  welcher  tangential  einmundet ,  aufgestampft ,  der 
Eingusskanal  mit  Zubilfenahme  des  entsprechenden  Modelltheiles  ausgespart  und 
die  Form  gut  getrocknet,  am  Boden  der  Dammgrube  hingesetzt.  Wie  in  der 
Figur  ersichtlich,  passt  die  Schale  b  in  den  ausgedrehten  Theil  des  Kastens  a, 
wie  auch  in  den  analogen  Theil  des  Kastens  c.  Mittelst  angebrachter  Schrauben 
werden  diese  drei  Theile  fest  zusammengezogen  und  der  Eingusskanal  circa  6  bis 
7cm  stark  an  den  Unterkasten  angepasst.  Um  das  Reissen  der  Schale  moglichst 
zu  verhindern,  wird  selbe  vor  dem  Giessen  der  Walze  gut  vorgewarmt.  Wabrend 
des  Eindammens  der  Walzenform  in  die  Dammgrube  wird  mit  Vortbeil  rings  um 
die  Schale  ein  2cm  starker  Ring  im  Sande  ausgespart,  indem  mit  der  Schale  die 
spater  zu  entfernenden  Holzbrettchen  i  eingestampft  werden.  In  dicsen  Raum 
wird  knapp  vor  dem  Guss  Eisen  gegossen.  Dies  hat  lediglich  den  Zweck,  best- 
moglichst  von  Aussen  die  Schale  zit  erwarmen  und  das  Springen  der  Schale  zu 
verhindern.  d  und  /  sind  Formkasten  fur  den  Gusskanal,  bier  Steigrohr  genannt. 

Mit  dem  Schalenguss  verwandt  ist  der  Scbwenkguss.**)  In  die  mehr- 
theilige,  wobl  zusammengefiigte,  gut  vorgewarmte  eiserne  Form  wird  geschmolzenes 
Eisen  gegossen,  einige  Secunden  rnben  gelassen,  und  durcb  Umstiirzen  der  Form 
der  noch  grossentheils  fltissige  Inhalt  entleert.  Man  erhalt  bierdurch  einen  sehr 
diinnwandigen  Guss,  entsprecbend  der  an  den  Wandungen  der  Form  erstarrten 
Kruste. 

Beim  Centrifugal  guss  wird  das  gescbmolzene  Eisen  in  eine  rotirende 
eiserne  Form,  deren  Innenflache  eine  Rotationsflac.be  sein  muss,  gegossen.  Durcli 
die  Rotation  legt  sich  das  fltissige  Eisen  an  die  Form  wandungen  an    und  erstarrt 


*)  In  ganz  almlicher  Weise  findet  die  Herstellung  der  Form  fiir  Geblasecylinder,  grosse 
Saulen  etc.  statt.  Bei  sehr  grossen  Gussstiicken  muss  jedocli  anf  die  beim  Erkalten 
eintretende  Zusammenziehung  des  Metalles  Riieksicht  genommen  werden.  Bei  der  Anf- 
manernng  des  Kernes  z.  B.  einer  grossen  Saule,  wie  solehe  bei  Balancirmaschinen 
vorkommen,  werden  eiserne,  oben  in  einen  Ring  endigende  Flachsehienen  eingemauert 
und  nach  eingetretener  Erstarrung  mittelst  des  Krahnes  aus  dem  Kern  gezogen,  damit 
sich  derselbe  zusammenziehen  kann.  Eben  so  werden  unter  den  IMantel  t'iir  das  Kapital 
der  Saule  segmentformige  Eisenplatten  gelegt,  welche  man  gleichfalls  naeli  eingetretenem 
Erstarren  seitlich  entfernt,  und  bierdurch  ein  Abreissen  des  Kapitals  von  dem  Sa'ulen- 
schafte  verhindert. 

**)  Derselbe  findet  in  der  Hiitte  in  Badisch-Wiesenthal  zum  Gusse  von  Christus-Biisten 
ii.  dgl.  Anwendung,     Dingl.  polyt.  Journ.  167.  Bd.  S.  121. 


134 


Eisengiesserei.  —  Eisenguss. 


Fig.  1370. 


mi 

si 


an  denselben.     Man  hat  durch  Centrifugalguss  Rohren  und   paraboloidische  Hohl- 
gefasse  hergestellt.     (Dingl.  pol.  Journ.  Bd.   114  S.  326.) 

Die  beim  Eisengusse  selbst  zu  beobachtenden  Vorsichten  sind  der  Haupt- 
sache  nach  die  gleichen,  welche  auch  beim  Giessen  anderer  Metalle  eingehalten 
werden  miissen ;  desgleichen  bietet  die  Nacharbeitung  oder  Appretur  der  Guss- 
stiicke  nielits  Eigenthiimliches ,  so  dass  beziiglich  dessen  anf  den  Artikel 
Giesserei  verwiesen  wird. 

Li  teratnr:  Kars ten's  Eisenhiittenkunde  Bd.  III.  —  Technol.  Encycl.  von 
Prechtl,  Bd.  V  S.  70  — 121,  Bd.  22  S.  613.  —  D  iirre,  Eisengiesserei 
2.  Bd.  Leipzig,  Felix  1870  —  1875.  —  Ueber  Formraascliinen  siehe 
Kerpeli  J.  B.  ii.  Fortscli.  in  Eisenhiittenwesen.  ferner  Dingler's  polyt. 
Journ.  u.  A.  Anton  Belani. 

Eisenglanz,  s.  Rotheisenerz. 

Eisenglimmer,  schuppige  Form  von  Eisenglanz,  s.  Rotheisenerz. 

Eiseiiglimmersclliefer,  em  schiefriges  Gemenge  von  mehr  oder  weniger 
Quarz  mit  schuppigem  Eisenglanz,  wodurch  das  Gestein  glimmersehieferartig  wird. 
Lst  in  Schweden  ein  sehr  verbreitetes  Erz,  kommt  namentlicli  in  der  Gegend  von 
Nonberg  reiehlich  vor,  und  ist  liauptsaeldich  jenes,  welches  von  den  Schweden  als 
„diirres  Erz"  (torr  Malm)  bezeiehnet  wird  (wegen  des  Bedarfes  von  Zuschlagen 
zur  Schmelzung).  In  Brasilien  und  Siidcarolina  bildet  der  Eisenglimmerschiefer 
zwischen  Tbonschiefer  und  Stakalemit  machtige  Schichtensysteme.  Sonst  ist  er 
sehr  untergeordnet  verbreitet.     Lh, 

Eisengliihspan,  Eisenhammerschlag,  Schmiedesin ter  (ecailles  — 
scale),  s.  Eisen  bei  Eiseno  xy  dul  oxy  d  II  pag.  764. 

Eisengranat,  s.  Granat,  s.  Pyrop. 

Eisenguss  hammerbarer  oder  schmiedbarer  (fonts  malleable  —  annealde 
cast  iron),  adoucirter  Eisenguss,  s.  Bd.  I  S.  48  u.  Bd.  Ill  S.  41. 


Eisengyps.  —  Eisenoolith.  135 

Eisengyps,  s.  Vivian  it. 
Eisenhammerschlag,  s.  Eisengliihspan. 
Eisenhammer,  s.  Ill  S.  39. 
Eisenhochofen,  s.  Ill  S.  6  bis  18. 

Eisenholz  (bois  de  fer),  Eisengrenadill,  wird  besonders  hartes  Grenadill- 
holz  genannt  (s.  d.),  iibrigens  fiihren  auch  andere  Holzer  den  Namen  Eisenholz, 
s.  z.  B.  das  Holz  von  Mesna  ferrea7  M.  speciosa,  Metrosideros  vera,  Cupania  >Si- 
deroxyton,  Siderodendron  triflorum  u.  a. 

Eisenjodid  und  Eisenjodiir,  s.  Eisen  II  pag.  766. 

Eisenkali   blausaures,  s.  Blutlaugensalze  I  pag.  662. 

Eisenkalkstein,  oolithischer  Kalk  stein,  s.  Eisenoolith. 

Eisenkies.  Man  unterscheidet  den  hexaedrischen  Eisenkies  oder  Pyrit> 
dann  den  prismatischen  Eisenkies,  d.  i.  Markasit  oder  Was serkies,  und  den 
rhomboedrischen,  d.  i.  Magnetkies,  s.  bei  Pyrit,  bei  Markasit  und  bei 
Magnetkies,  vgl.  a.  Eisen  II  pag.  767.     Gtl. 

Eisenkiesel,  s.  Quarz. 

Eisenkitt,  s.  Kitte. 

Eisetllack,  gewohnlick  eine  Auflosung  von  Asphalt  in  Terpentinol  oder  Benzin. 
Vgl.  Asphalt  I  pag.  216,  s.  a.  La  eke.     Gtl. 

Eisenlegirungen,  s.  Eisen  II  pag.  769. 

Eisenmangan,  Ferromangan,  s.  Eisen  bei  Eisenlegirungen  II 
pag.  769. 

Eisenmennige,  s.  Eisen  bei  Eisenoxyd  II  pag.  760. 

Eisenmohr  (aefliiops  marticdis),  Eisenoxyduloxy dhy drat,  s.  Eisen 
II  pag.  764. 

Eisenmulm,    syn.    mit    erdigem    Rotheisenerz    oder   Magneteisen- 

erz,  s.  d. 

Eisennickelkies.  Ein  tesseral  krystallisirendes,  auch  derb  und  in  kornigen 
Aggregaten  vorkommender  Kies  von  der  Zusanimensetzung  2FeS  -f-  NiS  rnit 
36  Schwefel,  22  Nickel  und  42  Eisen  nach  Scheerer.  Harte  3-5 — 4,  spec.  Gew. 
z=  4-6,  Farbe  licht  tonibackbraun,  Strich  dunkel,  nicht  magnetisch.  Findet  sich 
zu  Lillehaniiner  in  Norwegen.     Lb. 

Eisenniere,  knollige  nierenformige  Massen  von  Thoneisenstein,  s.  Braun- 
eisenerz. 

Eisenocher,  Eisenocker,  s.  Ocher. 

Eisenol,  s.  Eisen  II  pag.  766. 

Eisenoolith,  Eisenrogenstein,  oolithisches  Eisenerz.  Eine  Varietat 
des  Rotheisenerzes  oder  auch  Brauneisenerzes,  bestehend  aus  kleinen  gerundeten 
rothen  oder  braunen  Kornern  von  Rotheisenstein  und  Brauneisenstein  oder  nur 
von  einem  derselben,  namentlich  des  ersteren.  Die  Korner  sind  meist  flach,  linsen- 
formig,  entweder  selbststandig  verwachsen,  oder  sie  werden  durch  thonige  oder 
kalkige  Bindemittel  zusammengehalten.  Die  Eisenoolithe  bilden  selbststiindige 
Lager  in  Sedimentarformationen  von  der  silurischen  bis  in  die  Kreideformation. 
Hierher  gehoren  die  Eisensteinlager  des  mittleren  Bohmens  bei  Zdic,  Zbirow, 
Neu-Joachimsthal  n.  s.  w.,  die  in  Herkimes  und  Oveida  Counti  im  Staate  New- 
York    in  N.-A.  auftretenden    aus  deni    Silur,    die  Eifler   von  Lissingen   bei  Gerol- 


136  Eisenoolith.  —  Eisenschlacken. 

stein,  Dollendorf  u.  s.  w.  aus  dem  Devon.  Von  betrachtlicher  Machtigkeit  sind 
auch  die  bei  Aalen  in  Wiirttemberg  im  unteren  Dogger  auftretenden  Eisenoolith- 
flotze,  welche  gleiclifalls  bergmannisch  gewonnen  werden.     Lb. 

Eisenopal,  so  viel  als  Jaspopal,  s.  Opal. 

Eisenoxyd  und  Eisenoxydsalze,  s.  Eisen  II  pag.  760. 

Eisenoxydul  und  Eisenoxydulsalze,  s.  Eisen  II  pag.  756. 

Eisenoxyduloxyd,  s.  Eisen  II  pag.  764. 

Eisenpecherz,  s.  Triplit  und  Stilpnosiderit. 

Eisenphosphorete,  syn.  mit  Phosphor  eisen,  s.  Eisen  II  pag.  768. 

Eisenplatin,  Platin  mit  einem  Gehalt  von  11 — 19°/0  Eisen,  welches  sich 
meist  nur  in  kleinen  Kornern  von  dunkelstahlgrauer  Farbe,  Harte  6,  spec.  Gew. 
=r  14 — 15,  starkeni  Magnetismus  in  den  Platingruben  von  Nischne  Tapinsk  am 
Ural  findet.     Lb. 

Eisenrahm,  s.  Rotheisenerz. 

Eisenresin,  Humboldtin,  Oxalit,  Mineral,  ist  natiirlich  vorkommendes 
Eisenoxalat,  s.  Eisen  II  pag.   760. 

Eisenrogenstein,  syn.  mit  Eisenoolith,  s.  d. 

El'senrose,  eigenthiimliche  rosen-  oder  rosettenformige  Krystallgruppen  und 
polysynthetische  Krystalle  von  Eisenglanz  oder  Titaneisenerz,  welche  durch  regel- 
massige  und  parallele  Verwachsung  sehr  flacher  lamellarer  Individuen  entstehen, 
kommen  besonders  schon  am  St.  Gotthard  in  der  Schweiz  vor.     Lb. 

Eisenrost,  s.  Eisen  bei  Eisenhydroxyd  II  pag.  761. 

EisenrOStwasser,  Eisen  bei  ze,  s.  Eisen  II  pag.  763. 

Eisen  roth  ,  syn.  mit  Polirroth,  En  gel  roth,  Englischroth  etc.,  s. 
Eisen  II  pag.  761. 

Eisensaccharat,  Eisenzucker,  s.  Eisen  II  pag.   764. 

EisensaueHinge,  Eisen  wasser,  Stall  lwasser,  s.  Wasser,  vgl.  a. 
Eisen  II  pag.  760. 

Eisensaure,  s.  Eisen  II  pag.  765. 

Eisensafran,  syn.  mit  Eisenoxyd  und  Eisenoxy dhy drat,  s.  Eisen 
II  pag.  760. 

Eisensalmiak  (fiores  mils  martialis),  s.  Eisen  II  pag.  766. 

Eisensau  (renard  —  bear,  horse),  Of  en  sail  (Wolf,  Hartling,  Biine).  Htitten- 
mannischer  Ausdruck  fur  die  in  dem  Boden  des  Hochofengestelles  eingeschmolzenen 
Eisenmassen,  welche  vorherrschend  aus  Eisen,  oft  neben  Zink,  Nikel,  Kobalt, 
Mangan,  Kupfer,  selbst  Silber  und  Gold,  dann  Schwefel,  Phosphor,  Arsen,  Antimon, 
Kiesel,  endlich  Titan,  gewohnlich  in  der  Form  von  Cyantitan-StickstofFtitan.    Gtl. 

EiseilSChaum,  Garschaum,  hiittenmannische  Bezeichnung  fur  den  im  Roh- 
eisen  enthaltenen,  mechanisch  beigemengten  Kohlenstoff  (Graphit)^  welcher  beim 
Auflbsen  des  Eisens  in  Siiuren  ungelost  zurlickbleibt.     Gtl. 

Eisenschlacken  (laitier,  scorie  —  slag,  iron-dross  cinders),  s.  Eisen- 
huttenkunde  III  pag.  12  und  22.  Sie  sind  zumeist  entweder  Hochofen- 
schlacken  {scorie  cinders)  oder  Frischschlacken  (rifining  cinders).  Erstere  werden 
als  Beschotterungs-  und  Bauinateriale  und  zur  Erzeugung  von  Schlackenwolle, 
s.  d.,  letztere  selbst  wieder  zur  Eisengewinnung  verwendet 


Eisenschwamm.  —  Eisenverband. 


137 


Eisenschwamm,  s.  Eisen  II  pag.  756. 

Eisenschwarze  (gris  de  fer  —  iron  liquor),  Gemenge  von  loslichen  Eisen- 
salzcn  (Eisenbeizen)  mit  gerbstoffhaltigen  Materialien,  welcbe  zum  Schwarzfarben, 
namentlicb  in  der  Lederfarberei,  verwendet  werden,  vgl.  Zeugfarberei.  Den- 
selben  Namen  fiilirt  librigens  auch  der  Graphit,  welcher  bekanntlich  zum  Ein- 
schwarzen  von  Eisenwaaren  verwendet  wird.     Otl. 

Eisenschwarz  (coideur  de  bronze  —  bronze  paint)  ist  fein  vertheiltes,  durch 
Fallung  von  Antimonchloridlosungen  mit  Zink  dargestelltes  Antimon,  welches  als 
Farbe  dient.     Otl. 

Eisensiilter,  syn.  mit  Arseneisensinter  oder  Pittizit. 

Eisenspaltwerk,  s.  bei  Scheren. 

Eisenspath,   s.  Spatheisen  stein,  vgl.  a.  Eisen  II  pag.  759. 

Eisensteiiimai'k,  sachsischc  Wundererde,  Teratolith,  derbe,  bolusartige  Erde 
von  blaulicber  oder  graulicher  Farbe7  worm  lichte  Flecken  und  Adern  sichtbar 
sind.  Stricb  gleichfarbig.  Findet  sich  bei  Planitz  in  Sacbsen,  und  wurde  ehedem 
wie  die  Terra  sigillata  in  der  Apotheke  gebraucht,  vgl.  Bolus  I  pag.   724.    Lb. 


Eisensublimat,  syn.  mit  Eisenchlorid,  s.  Eisen  II  pag.   765. 

Eisensulfate,  s.  Eisen  II  pag.  756  und  759. 

Eisensulfurete,  s.  Eisen  II  pag.  767. 

Eisensyrup  nennt  man  eine  wassrige  Losung  von  Eisensaccharat. 

Eisenverband  (assemblage  en  fer  —  iron-bond).  Die  Verbindung  zweier 
Eisenconstructionstbeile  mit  einander  kann  je  nach  den  speciellen  Fallen  haupt- 
sacblich  durch  folgende  Mittel  geschehen: 

1.  Nietverbindung,  besonders  fiir  Blecbe  geeignet.  Dieselben  werden 
in  bestimmten  Abstanden  durcblocht  oder  durchbobrt^  behufs  Aufnahme  des  Niet- 
bolzens.  Die  Verbindung  der  beiden  Blecbe  gescbieht  entweder  direct  (einfache 
Nietnng)  Fig.  1371?  oder  indirect,  mit  Zuhilfenahme  von 
Blecbstreifen  (Lascbennietung)  oder  Winkeleisen. 

Fig.  1372  gibt  ein  Beispiel  der  Anwendung  von  Winkel- 
eisen, wenn  die  Bleche  recbtwinklig  aneinander  stossen. 

2.  S  chraub  en  verbindung,  zumeist  dort  anzu- 
wenden,  wo  die  Construction  losbar  oder  regulirbar 
sein  soil,  z.  B.  wenn  Rohren  (Dampfleitungs-,  Wasserlei- 
tungsrohren)  mit  einander  verbunden  werden,  so  gescbieht 
dies  an  den  Flantschen  (d.  s.  scheibenformige  Ansiitze  am 
Ende  des  Rohres)  mittelst  Schrauben  und  zwischen  die 
Flantschen  kommt  eine  Dichtung  aus  Kautschuk  oder  Bind- 
faden. 

Bei  Verbindung  von  Zugstangen  u.  dgl.  kann  ent- 
weder der  eine  Theil  die  Schraubenspindel,  der  zweite  die 
Mutter  erhalten,  oder  beide  haben  Schraubenspindeln  (event. 
Mnttern)  und  durch  eine  Kupplungsschraubenmutter  (event.  Spindel)  wird  die  Ver 
bindung  hergestellt.  Fig.  1373  gibt  die  regulirbare  Schraubenkupplung  eines  Zug 
stange  fiir  eine  Dachconstruction.  jr[(,    1373. 

3.  Keil verbindung.  In  ent- 
sprechende  Oeffnungen  der  beiden  zuj 
verbindenden  Eisenbestandtheile  wird 
ein  Keil  (oder  auch  zwei  Keile,  namlich 

Keil  mit  Gegenkeil)  eingetrieben.  Das  Ineinandergreifen  der  Eisentlieile  kann 
verschieden  stattfinden.  Fig.  1374  zeigt  eine  Stangenverbindung ,  wo  der  eine 
Theil  den  zweiten  gabelformig  umfasst. 


138 


Eisenverband.  —  Eisschranke. 


4.  Muff  en  verbindung,  nur  bei 
Rohren  (z.  B.  Wasser-  und  Gasleitungs- 
rohren)  angewendet.  Das  eine  Rohr  hat 
an  einem  Ende  eine  Erweiterung  (Muffe), 
in  welche  das  zweite  Rohr  einpasst.  Die 
Fuge  wird  durch  Kitt,  Wergtau  oder  einen 
Bleiring  gedichtet. 

5.  Falzverbindung,  zumeist  bei  Dacheindeckung  mit  Blech  verwendet; 
siehe  Dachdeckung  Bd.  II  S.  494  und  Bd.  I  S.  545. 

6.  Z  ap  f  en  verb  in  dung,  bei  schwachen  Eisenconstructionen ,  z.  B.  bei 
Gelandern,  Fenstern  etc.  angewendet. 

a)  Der  einfache  gerade  Zapfen  des  einen  Eisens  wird  durch  eine  entsprechende 
Oeffnung  des  zweiten  durchgesteckt  und  entweder  auf  der  entgegengesetzten  Seite 
umgenietet  oder  im  Loche  festgestenirat  oder  verschraubt. 

b)  1st  der  Zapfen  schwalbenschwanzformig  (trapezformig),  so  muss  er  von 
der  Seite  eingeschoben  werden;  in  vielen  Fallen  wird  die  Verbindung  noch  durch 
Vernietung  oder  Verschraubung  gesichert. 

c)  Umfasst  das  eine  Eisen  das  zweite  theilweise  oder  vollstandig,  so  heisst 
die  Verbindung  Gabelzapfen  und  muss  verschraubt  oder  vernietet  werden. 

Fiq.  1375  ?■    Verb  and    durch    Ueberblattung.     Beide 

Eisen  erhalten  an  der  Kreuzungsstelle  nach  der  halben 
Dicke  Ausschnitte,  so  dass  der  iibrig  bleibende  Korper 
des  einen  Theils  in  den  Ausschnitt  des  zweiten  einpasst. 
Fig.  1375  zeigt  eine  hochkantige  Ueberblattung. 

8.  Verbindung  durch  Schweissung. 

9..  Verbindung  durch  Lot  hung. 

10.  Verbindung  durch  Verkittung. 

Siehe  dariiber  die  speciellen  Artikel.  Grolim. 

Eisenverbindungen,  s.  Eisenverband,  s.  a.  Eisen  II  pag.  755. 

Eisenvitriol,  griiner  Vitriol,  s.  Eisen  II  pag.  75G. 

Eisenwalzen,  s.  Ill  S.  50;  liber  Theorie  und  Literatur  s.  Walzen. 

Eisenzillkspath.  Zinkspath  von  einem  grosseren  Gelialt  an  kohlensaurem 
Eisenoxydul,  s.  S  m  i  t  h  s  o  n  i  t.      Lb. 

EisetlZUCker,  Eisensaccharat,  s.  Eisen  II  pag.  764. 

Eisessig,  s.  Essigsaure. 

Eisglas  (verve  cragnele  —  crackle  glass).  Eine  Glassorte,  meist  farblos, 
seltener  gefarbt,  welche  an  der  Oberflache  durch  zahlreiche,  zum  Tbeile  wieder 
verflossene  Spriinge  zerklliftet  ist  und  dadurch  ein  eiskrustenahnliches  Aussehen 
gewinnt,  s.  Glas.     Gtl. 

EiskartOll,  Alabaster-  oder  Perlmutterpapier  (papier  nacre),  s.  I 
S.   171. 

Eiskeller,  s.  Eis -Keller  II  S.  749. 

Eislebner  Griin,  syn.  mit  Schweinfurter  Griin,  s.  Kupfer. 

Eismaschine,  s.  II  S.  743. 

Eispunkt,  G  e  f r  i  e  r  p  u  n  k  t,  Thau  p  u  n  k  t  (point  de  congelation  freezing 
point),  Fundaraentalpunkt  der  Therinometerscalen  (Celsius  und  Reaumur),  welcher 
jener  Teniperatur  entspricht,  bei  welcher  das  Eis  unter  gewohnlichen  Verbaltnissen 
eben  schrailzt,  s.  Warm  em  essung.     Gtl. 

Eisschranke,  s.  II  S.  753. 


Eisspath.  —  Eiweisskorper. 


139 


Eisspath,  syn.  initAdular,  s.  Feldspath  und  syn.  mit  Sanidin  (s.  d.). 

Eiweiss  (blanc  d'oeuf,  albumine  —  ivhite  of  eggs,  albumen),  s.  Albumin 
I.  png.  78,  s.  Eiweisskorper. 

Eiweisskitt,  s.  Kitt. 

Eiweisskorper  {albumine  —  albumen),  Proteinkorper.  Mit  diesera 
Nam  en  bezeichnet  man  eine  Gruppe  von  organischen  Verbindungen,  die  sowohl 
im  Thier-  als  auch  im  Pflanzenreiche  vorkommen.  Diese  Verbindungen  besitzen  eine 
nahezu  gleiche  Zusammensetzung  und  haben  viele  Eigenscliaften  gemein.  Ge- 
wShnlich  kennt  man  zwei  Modificationen  dieser  Stoffe,  eine  losliche  und  eine 
unlosliche;  in  ersterer  Form  finden  sicli  die  Eiweisskorper  im  Blut,  in  der 
Fleischfliissigkeit,  Milch  etc.  gelost. 

Die  Eiweissstoffe  sind  vielfach  untersucht  worden,  doch  ist  die  chemische 
Natur  derselben  nocb  wenig  klar.  Friiher  wurden  diese  Stoffe  Proteinstoffe  ge- 
nannt,  weil  man  von  der  Ansicht  ausging,  dass  dieselben  ein  gemeinschaftliches 
Radical,  das  von  Mulder  „Protein"  genannt  wurde,  enthalten.  Man  hat  aber, 
nachdem  die  Existenz  des  Proteins  durch  Liebig  widerlegt  wurde,  den  Namen 
Eiweissstoffe  wieder  aufgenommen. 

Wie  oben  erwahnt,  treten  diese  Kdrper  in  zwei  Foi'men  auf ;  man  kann  die 
losliche  Form  meist  leicht  in  die  unlosliche  Form  durch  Erwarmen,  durch  Ein- 
wirkung  von  Alkohol,  Aether,  Sauren  etc.  iiberfiihren.  Alle  loslichen  Eiweissstoffe 
liefern  nach  dem  Verdunsten  amorphe  gummose  Massen,  nur  das  Hamatoglobulin 
kann  unter  geeigneten  Umstanden  krystallisirt  erhalten  werden. 

Von  den  im  Thierkorper  vorkommenden  loslichen  Eiweissstoffen  unterscheidet 
man  hauptsachlich  drei  Gruppen,  die  Fibrin-,  die  Albumin-  und  die  Caseingruppe, 
wobei  aber  bemerkt  werden  muss,  dass  diese  Eintheilung  sich  nur  auf  aussere 
Eigenscliaften  bezieht.  Zur  ersten  Gruppe  zahlen  wir  diejenigen  Stoffe,  welche 
ohne  besondere  Reagentien,  also  scheinbar  freiwillig  in  den  unloslichen  Zustand 
iibergehen  oder  gerinnen  (wie  das  Blutfibrin).  Die  zweite  Gruppe  umfasst 
Stoffe,  die  erst  bei  Einfluss  der  Warme  (bei  60 — 70°  C.)  gerinnen,  die  letzte 
Gruppe  endlich  enthalt  jene  Stoffe ,  welche  durch  die  Schleimhaut  des  Kalber- 
magens  (Lab)  abgeschieden  werden  konnen. 

Die  loslichen  Eiweisskorper  geben  mit  verschiedenen  Metallsalzen,  wie  Kupfer-, 
Quecksilber-,  Blei-Salzen,  ferner  mit  Gerbsaure,  Phosphorsaure  etc.  Niederschlage 
(s.  Albumin),  auch  mit  anderen  Substanzen  gehen  sie  feste  Verbindungen  ein. 
Die  wiissrige  Losung  hat  einen  faden  Geschmack,  reagirt  neutral  und  dreht  die 
Polarisationsebene  nach  links.  Die  Eiweisskorper  verhalten  sich  wie  indifferente 
Verbindungen,  ihr  Atomgewicht,  das  noch  nicht  festgestellt  werden  konnte,  scheint, 
wie  der  geringe  Schwefelgehalt  0*8 — 2  °/0  schliessen  lasst,  jedenfalls  ein  holier 
zu  sein. 

Im  Folgenden  sind  die  Analysen  der  hauptsachlichsten  Eiweissstoffe  angefiihrt, 
alle  enthalten  ohne  Ausnahme  Kohlenstoff,  Wasserstoff,  Stickstoff,  Sauerstoff  und 
Schwefel.  Andere  Bestandtheile,  wenn  solche  vorkommen,  sind  nur  als  Verun- 
reinigungen  zu  betrachten. 


Kohlen- 
stoff 

Wasser- 
stoff 

Stickstoff 

Sauer- 
stoff 

Schwefel 

Fleischfibrin 

Blutalbumin      

Eialbiimin 

Pflanzenalbumin 

Legumin 

52-6 
53-0 
53-4 
53-4 
51:5 
42-9 
53-6 

7-0 
7-1 
7-0 
7-1 
7-0 
7-1 
7-1 

17-4 
15-6 
15-7 
15-6 
16-8 
11-5 
15-7 

21-8 
23-1 
22-4 
23-0 
24-3 
37-3 
22-6 

1-2 
1-2 
1-6 

0-9 
0-4 
1-2 
1-0 

Emulsin 

Casein 

140  Eiweisskorper. 

Die  unloslichen  Eiweissstoffe  zeigen  im  Allgemeinen  ein  gleicliartiges  Ver- 
halten ;  Essigsaure  mid  dreibasische  Phosphorsaure,  Alkalien  und  Alkalisalze  Ibsen  sie 
auf,  audi  durch  Behandeln  mit  Wasser  bei  160  — 170°  C.  tibergehen  sie  in  Lbsung, 
von  Sauren,  Alkohol,  Aether  werden  dieselben    aus  ihren  Lbsungen  abgeschieden. 

Die  lbslichen  und  unloslichen  Eiweissstoffe  zeigen  noch  folgendes  Verhalten. 
Oxydationsmittel  (chromsaures  Kalium  und  Schwefelsaure,  Mangansuperoxyd 
und  Schwefelsaure)  verwandeln  dieselben  in  Fett sauren  (Ameisen-,  Essig-, 
Propion-,  Butter-,  Valerian-,  Capronsaure),  Aldehyde  der  Fettsauren  und  Benzoe- 
saure  nebst  anderen  nicht  naher  untersuchten  Producten. 

Salpetersaure  (verdiinnt)  liefert  Xanthoprotei'nsaure  (C36i?"54iV8Oi a(M)a), 
die  als  unlbsliche  gelbe  Masse  sich  abscheidet,  Zuckersaure  und  Oxalsaure  bleiben 
gelost.     Chlorsaures  Kalium  und  Salzsaure  liefern  gechlorte  Verbindungen. 

Schwefelsaure  lost  die  Eiweissstoffe,  mit  Wasser  wird  eine  weisse 
schwefelsaurehaltende  Verbindung  abgeschieden.  Mit  Zuckerlosung  und  Schwefel- 
saure werden  sie  roth-violett  gefarbt.  Jod  farbt  dieselben  gelb,  salpetersaures 
Quecksilber  mit  salpetriger  Saure  roth. 

Durch  Alkalien  werden  alle  Eiweisstoffe  unverandert  gelost,  insofern  die 
Temperatur  von  30°  C.  nicht  iiberschritten  wurde,  bei  40 — 50°  C.  entwickeln  sie 
SchwefelwasserstofF  und  erleiden  eine  tiefer  gehende  Zersetzung,  bei  langerem 
Kochen  mit  Alkalien  liefern  sie  Ammoniak,  beim  Schmelzen  mit  Kaliumhydroxyd 
fliichtige  Ammoniakbasen  und  als  Riickstand  valeriansaures  und  buttersaures  Kalium 
neben  Tyro  sin  und  Leucin  (s.  d.). 

Durch  den  Pankreassaft  und  Magensaft  werden  die  unloslichen  wie  die  los- 
lichen Eiweissstoffe  in  losliche  Stoffe,  sog.  Peptone  verwandelt.*) 

Beim  Erhitzen  schmelzen  die  Eiweissstoffe,  blahen  sich  auf  und  verkohlen, 
bei  der  trockenen  Destination  liefern  sie  Aminbasen  und  schwefelhaltige  Oele. 

Es  sollen  hier  in  Kiirze  die  wichtigsten  Eiweisskorper  betrachtet  werden. 

I.  Fibrin e ■  (fibrine  —  fibrin).  B 1  u t f  i b  r  in,  T h i  e r f i b r  i n,  B 1  u  t  f  a  s  e  r- 
stoff  genannt,  findet  sich  im  Blute  der  lebenden  Thiere  im  gelosten  Zustande. 
Sobald  das  Blut  aus  dem  Korper  austritt  (oder  aber  nach  dem  Tode  des  Thieres), 
geht  das  losliche  Blutfibrin  in  die  unlosliche  Modification  fiber.  Das  Blut  gerinnt, 
die  geronnene,  aus  Fibrin  und  alien  im  Blute  vorkommendcn  festen  Substanzen 
(Blutzellen,  Lymphkbrpern  etc.)  bestehencle  Masse  wird  Blutkuchen  (cruor) 
genannt,  die  dariiber  stehende  Fliissigkeit  bildet  das  Blutserum.  Das  Fibrin 
kann  am  besten  durch  Sclilagen  (Peitschen)  des  Blutes  gewonnen  werden,  es 
sclieidet  sich  in  Form  von  Faden  ob,  die  mit  Wasser  gewasclien  vollkommen  weiss 
sind.  Das  unlosliche  Fibrin  ist  in  Alkalien,  ferner  in  salpetersanrem  Kalium  lijslich, 
audi  von  Wasser  wird  es  bei  150°  C.  unter  erbohtem  Druck  aufgenommen.  Mit 
Wasser  gekocht  (bei  100°  C.)  entwickelt  es  Ammoniak  und  liefert  leimartige  Sub- 
stanzen. :i::i:) 

M  u  s  k  e  1  f  i  b  r  i  n  (Musculin,  Syntonin)  en  thai  t  Kohlenstoff  54-9,  Wasserstoff 
7-3,  Stickstoff  16-2,  Sauerstoif  20-5,  Schwefel  l'l  "/0.  Findet  sich  im  ungelosten 
Zustande  in  den  Muskeln  der  holier  organisirten  Thiere  in  Form  von  feinen  ela- 
stischen  Fasern  ;  durch  Auslangen  des  Fleisches  mit  Wasser  (wobei  Kreatin,  Xanthin, 
Fleischmilchsa'ure  etc.  entfernt  werden)  erhalt  man  einen  hauptsachlich  aus  Syntonin 
bestehenden  Riickstand.  Wird  derselbe  mit  sehr  verdfinnter  Salzsaure  behandelt, 
so  lost  sich  Syntonin  auf,  welches  durch  kohlensaures  Natrium  gefallt  werden  kann. 
Die  meisfen  Eiweissstoffe  liefern  mit  Salzsaure  behandelt  ebenfalls  Syntonin.  Die 
Lbsungen  des  Syntonins  in  Salzsaure  besitzen  ein  bedeutendes  optisches  Drehungs- 
vei-mbgen  ( —  72°). 

Neben  Syntonin  kommt  im  Fleische  noch  Mj^osin  aber  in  lbslicher  Form 
vor,  nach  dem  Tode  findet  es  sich  im  geronnenen  Zustande. 


')  Chem.   Centralbl,  1SG7  pag.  411. 

!'*)  Das   Nahere   dariiber    wie    iilier   das   von    Denis   Plasmin    genaunte    s.   Jahresb.   der 
Chemie  1861  pag.  795,  audi  Chem.  Centralbl.  18G5  pag-.  7s9. 


Eiweisskorper.  141 

Pflanz  en  fibrin  konimt  hauptsachlich  in  den  Samen  der  Pflanzen  vor, 
man  gewinnt  es  aus  dem  K 1  e  b  e  r;  einem  Korper,  der  beim  Kneten  von  Mehl 
in  einem  Leinwandsackchen  unter  Wasser  als  gelbgraue  elastische  Masse  zuriick- 
bleibt.  Der  Kleber  enthalt  hauptsachlich  Pflanzenfibrin  nebst  Glyadin,  Mucin 
und  Legumin.  Man  kann  das  Pflanzenfibrin  durch  Auskochen  des  Klebers  mit 
Alkohol  in  unloslicher  Modification  gewinnen.  Dasselbe  lost  sich  in  Ammoniak, 
Alkalien,  Pkosphorsaure,  Essigsaure  auf. 

II.  Alb  limine  (albumine  —  albumen).  Thier  albumin,  Eiweiss,  Al- 
bumin. Das  Albumin  kommt  in  loslicher  Form  in  vielen  thierischen  Fliissigkeiten 
vor,  hauptsachlich  im  Blutserum,  im  Weissen  der  Vogeleier,  im  Cbylus,  in  der  Lymphe, 
der  Milch  u.  s.  w.  Abnormal  finclet  sich  dasselbe  audi  im  Harn.  Ueber  die  Eigen- 
schaften  und  Gewinnung  des  Albumins  siehe  Albumin  I  pag.  78.  In  unloslicher 
Form  kann  dasselbe  durch  Kochen  oder  durch  Einwirkung  von  Mineralsauren  dar- 
gestellt  werden.  Die  Losungen  des  Albumins  werden  mit  Bleiessig  (bas.-essigs. 
Blei),  Quecksilbercklorid,  etc.  gefallt,  Eisenchlorid  und  neutrales  Bleiacetat  fallen 
die  Losung  nicht  (Dreliungsvermogen  35°).  Mit  Alkalien  liefert  das  Albumin  Ver- 
bindungen,  welche  frisch  bereitet  loslich  sind.  Eine  zweite  Modification  des  Al- 
bumins ist  das  Paralbumin,  welches  sich  in  den  Ovarialcysten  vorfindet.  Das- 
selbe zeichnet  sich  durch  ein  ausserordentliches  Dreliungsvermogen  =  ( —  70°)  aus. 

Vitellin.  Albumin  aus  dem  Eigelb.  Ein  wesentlicher  Bestandtheil  des 
Eidotters,  die  Losung  desselben  coagulirt  bei  70°  C.  und  hat  dasselbe  im  coagulirten 
Zustande  dieselben  Eigenschaften  wie  das  gewohnliche  Albumin  und  Myosin.*) 

B  hit  album  in  (Serin,  Serosiu,  Serumalbumin)  kommt  neben  gewohnlichem 
Albumin  im  Blutserum  vor,  dasselbe  ist  dem  Albumin  ahnlich,  besitzt  aber  ein 
grosseres  Drehungsvermogen  =  — 56°.     S.  Albumin  I  pag.  78. 

Globulin  (Krystallin,  Blutcasein)  ist  ein  in  der  Krystalllinse  enthaltenes 
Albumin,  welches  sich  vom  gewohnlichen  durch  ein  grosseres  Lichtbrechimgsver- 
mogen  unterscheidet,  auch  gerinnt  dasselbe  erst  bei  93°  C. 

Hamoglobin  (Hamoglobulin),  der  wesentlichste  Bestandtheil  der  Blut- 
korperchen  des  Blutes  der  Saugethiere ;  man  kann  diesen  Korper  aus  Blut  ge- 
winnen, aus  welchem  man  das  Fibrin  (durch  Peitschen)  entfernt  hat,  versetzt  man 
so  ein  Blut  mit  Alkohol  und  Wasser,  so  scheiden  sich  rothe  Krystalle  von  Hamo- 
globulin ab.  Die  Krystalle  sind  prismatisch  oder  tafelformig,  dichroitisch,  u.  zw. 
scharlachroth  und  blaulich.  Die  wassrige  Losung  desselben  zeigt  2  breite  Ab- 
sorptionsstreifen  im  Spectrum,  u.  zw.  in  gelb  und  griin.  Diese  Reaction  ist  sehr 
empfiudlich  und  verlasslich.  Mit  Sauren  und  Alkalien  spaltet  sich  das  Hamoglobin 
in  Hamatin  und  Globulin. 

Das  Hamatin  (Blutfarbstoff)  kann  durch  Zersetzung  des  Hamoglobins  mit 
Kochsalz  und  Essigsaure  gewonnen  werden.  Dadurch  entsteht  eine  Salzsaurever- 
bindung  des  Hamatins,  die  mit  Ammoniak  zersetzt  reines  Hamatin  liefert.  Dasselbe 
ist  blauschwarz,  in  Alkalien  leicht  loslich,  unloslich  in  Wasser,  Alkohol,  Aether. 
Das  Hamatin  verbindet  sich  mit  Mineralsauren,  die  Verbindungen  sind  meist  kry- 
stallisirt. 

Pflanz  en  album  in.  Sitosin,  Pflanzeneiweiss  ist  in  den  meisten  Pflanzen 
enthalten,  hauptsachlich  in  den  Samen  der  Getreidearten,  der  Papilionacecn  und 
in  den  Blattern  der  Cruciferen.  Man  kann  es  durch  Auswaschen  des  Weizenmehls 
erhalten.  Der  Kleber  bleibt  zuriick,  das  Albumin  lost  sich  auf,  durch  Erhitzen 
coagulirt  das  Pflanzenalbumin.     Es  ist  dem  Thieralbumin  ahnlich. 

Der  Kleber  enthalt,  wie  oben  bemerkt,  Pflanzenfibrin  neben  Mucin  und 
Glyadin,  diese  letzteren  eiweissartigen  Korper  konnen  durch  schwachen  Wein- 
geist  ausgezogen  werden.  Setzt  man  starken  Alkohol  zu  der  so  bereiteten  Losung, 
so  scheidet  sich  Mucin  oder  Mucedin  aus,  das  Mucin  liefert  unter  geeigneten 
Umstanden  mit  Schwefelsaure  erhitzt  Glutaminsaure.**) 


s)  Chem.  Centralbl.  1867  pag.  852. 

'"■)  Journ.  f.  prakt.  Chemie  Bel.  99  pag.  454,  Bd.  103  pag. 


142  Eiweisskorper.  —  Elaeometer. 

Casein  {caserne  —  casein),  Thiercasein,  Kasestoff,  ist  in  der  Milch  der 
Saugethiere  in  loslicher  und  unloslicher  Form  enthalten.  Rein  kann  dasselbe  durch 
Behandeln  der  Milch  mit  Salzsaure,  Losen  des  Rlickstandes  in  lauem  Wasser, 
Ausfallen  mit  kohlensaurem  Natrium  und  Auswaschen  mit  Alkohol  und  Aether 
dargestellt  werden.  Auch  durch  Fallung  der  Milch  mit  Essigsaure,  Abpressen, 
Auswaschen  mit  Aether  erhalt  man  ein  reines  Product.  Das  coagulirte  Casein  ist 
nur  bei  Zusatz  von  Saure  und  Alkali  im  Wasser  loslich  (s.  Casein  II  pag.  427). 
Mit  Alkalien  und  alkalischen  Erden  geht  es  Verbindungen  ein.  Mit  Alkalien 
geschmolzen  liefert  es  Leucin  und  Tyrosin. 

Pflanzencasein  (Legumin)  ist  in  den  Samen  der  Hulsenfriickte  ent- 
halten. Durch  Behandeln  der  zerkleinerten  Friichte  mit  Wasser  geht  dasselbe  in 
Losung  iiber,  mit  Essigsaure  scheidet  sich  das  Legumin  vollkommen  ab,  dasselbe 
ist  in  Aether  und  Alkohol  unloslick,  Alkalien  losen  es  auf.  Ueberhaupt  verhalt 
sich  das  Legumin  dem  Casein  ahnlich.  Das  aus  den  Mandeln  u.  a.  Friichten 
dargestellte  Casein  ftihrt  den  Namen  Conglutin.  An  diesen  Korper  schliesst 
sich  die  Synapt  ase,  auch  Emul sin  genannt,  ein  in  den  Mandeln  vorkommender 
Stoff,  an ;  derselbe  wird  wie  das  Legumin  gewonnen.  Er  wirkt  auf  Amygdalin 
und  ahnliche  Stoffe  als  Ferment.  In  Wasser  ist  er  loslich,  kann  mit  Sauren  aus- 
geschieden  werden.  Aehnlich  dem  Emulsin  ist  die  Diastase,  ein  Zersetzungs- 
product  des  Klebers,  welche  ebenfalls  als  Ferment  wirkt  und  Starke  in  Zucker 
umwandelt  (s.  B  i  e  r).  J.   V.  J. 

Eiweissleim  (colle  gluten,  colle  albumino'ide  —  gluten  decomposed  by 
putrefaction).  Ueberlasst  man  den  Kleber  im  ausgewaschenen  Zustande  bei  einer 
Temperatur  von  15 — 25°  C.  sich  selbst,  so  tritt  alsbald  Zersctzung  ein,  bei 
welcher  sich  zunachst  ein  Antheil  von  Milchsaure  bildet.  In  Folge  des  Auf- 
tretens  dieser  Saure  wird  die  Klebermasse  fliissig  und  lost  sich  nach  geraumer 
Zeit  vollstandig  in  Wasser.  So  veranderter  Kleber  wird  gewbhnlich  auf  flachen 
Tassen  getrocknet  und  bildet  nach  dem  Trocknen  (bei  einer  30°  C.  nicht  tiber- 
steigenden  Temperatur)  Tafeln  von  Eigenschaften,  welche  ihn  dem  Leim  ahnlich 
erscheinen  lassen  (Kleberleim).  Er  wird  in  2  Thl.  Wasser  gelost  gleich  dem 
Leim  verwendet,  dient  wie  dieser  znr  Bereitung  von  Schlichten,  so  wie  fur  Zwecke 
der  Appretur  in  der  Farberei  und  Druckerei,  endlich  als  Klarmittel  fur  Fliissig- 
keiten  u.  s.  w.     Gil. 

Eiweisspapier,  s.  Albuminpapier  I.  pag.  84. 

Ejector,  s.  Injecto  r. 

Eklogit,  Omphacitfels,  S  mar  agdi  t  f  el  s,  ein  Gestein  bestehend  aus 
einem  kbrnigen  Gemenge  von  griinem  oder  grauem  Smaragdit  und  rothem  Granat. 
Hat  nur  eine  geringe  Verbreitung  und  bildet  stockartige  Einlagerungen  in  kry- 
stalliuischen  Schiefern.  Z.  B.  an  der  Saualpe  in  Karnthen,  Bacheralpe  in  Steier- 
mark,  Eppenreuth  bei  Hof  im  Fichtelgebirge  u.  a.  a.  0.     Lb. 

Ektypographie,  Blindendruck,  s.  I  S.  641,  feruer  Aetzen  „erhabene 
Manier"  I  S.  55. 

Elaeolith,  syn.  mit  Nephelin. 

Elaeometer  (eleometre  —  oleometer).  Ein  von  Berjot  (Repert.  de  chim. 
appl.  II  pag.  160)  zur  Bestimmung  des  Oelgehaltes  der  Oelsameu  angegebener 
xVpparat  zur  erschopfenden  Extraction  gewogener  kleiner  Mengen  von  Oelsameu 
mittelst  Schwefelkohlenstoff.  Die  Oelgehaltsbestimmung  erfolgt  durch  Wagung  des 
nach  Verjagung  des  Schwefelkohlenstotfs  hinterbleibeuden  Oeles. 

Den  Namen  Elaeometer  ftihrt  iibrigens  auch  ein  von  A.  Vogel  (Dingl.  pol. 
Journ.  168  pag.  267)  construirter  Apparat  zur  Bestimmung  des  Fliissigkeitsgrades 
eines  fetten  Oeles,  der  bekanntlich  fiir  die  Beurtheilung  der  Eignung  eines  Oeles 
zu  Beleuchtungszwecken  insoferne  in  Betracht  gezogen  werden  muss,  als  von  dem 


Elaeometer.  —   Elasticitat.  143 

Fliissigkeitsgrade  die  Quantitat  des  in  der  Zeifeinheit  in  einem  Dochte  von  be- 
sfimmter  Qualitat  durch  Capillaritat  aufsteigendcn  Oeles  und  also  indirect  der 
Beleuchtungseffect  abh  an  ist.  Der  Apparat  bestelit  wesentlich  aus  einem  mit 
einer  Cub.-Centim.-Theilung  versehenen  Glasrohre  von  4cin  Weite  und  34cm  Hbhe, 
dessen  untere  Oeffnung  bis  auf  3.5mm  verengt  und  mit  einem  eingeschliffenen  Glas- 
stabe  verschliessbar  ist,  so  dass  man  durch  Heben  des  Glasstabes  eine  in  dem 
aufrecht  stehenden  Rohre  befindliche  Fltissigkeit  plbtzlich  zum  gleichmassigen  Ab- 
fliessen  bringen  kann.  DicBestimmung  des  Fliissigkeitgrades,  die  selbstveistandlich 
nur  eine  vergleiehende  sein  kann,  wird  nun  in  der  Weise  vorgenommen,  dass  man 
genaa  die  Zeit  niisst,  inngrhalb  welcher  eine  bestimmte  Menge  der  zu  priifenden 
Fliissigkeit  aus  dem  Rohre  abfliesst,  wozu  man  sich  bequem  einer  kleinen  Sand- 
uhr  bedient.  Als  Basis  fur  die  Vergleichung  wahlt  V  o  g  e  1  die  Menge  des  in  der 
Zeiteinheit  ablaufenden  destillirten  Wassers  (z=z  100  gesetzt).  Laufen  z.  B.  bei 
mittlerer  Temperatur  aus  dem  Messrohre  in  der  Zeit  von  ]/,2  Minute  272°°  ab, 
wahrend  von  raffinirtem  Rapsol  144rc  und  von  rohem  Rapsole  122fC  in  der 
gleichen  Zeit  abliefen,  so  ware  das  Verhaltniss  der  Fliissigkeitsgrade,  wenn 
Wasser  ~  100  gesetzt  wird,  fiir  raff.  Rapsol  — z  52  und  fiir  rohes  Rapsol  —  44. 
(Vgl.  a.  Wagner,  Jahr.-Bericht  1863  pag.  565.)     Gtl. 

Elaeopten  (elaeoptene —  elaoptene),  Hygrusin,  nennt  man  im  Gegensatze 
zu  Stearopten  (d.  i.  dem  bei  der  Abkiihlung  sich  aus  gewissen  atherischen 
Oelen  abscheidendcn  festen  Antheile)  den  bei  der  Abkiihlung  fliissig  bleibenden 
Antheil  gewisser  atherischer  Oele.     Gtl. 

Elaerin  (e'laeerine  —  oleine  in  icool  grease),  nach  Chevreul  (vgl.  Dingl. 
pol.  Journ.  85  pag.  222)  eine  unverseifbare  Fettsubstanz  aus  dem  Wollschweisse. 
Schmilzt  bei  15°  C.  und  sieht  dem  Terpentin  ahnlich.     Gtl. 

Elaiditl  (elaidine  —  elaidlne).  Ein  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Saure 
auf  Olein  entstehendes  starres  Umwandlungsproduct,  das  bei  32°  C.  schmilzt  und 
in  Alkohol  schwer,  dagegen  in  Aether  leicht  loslich  ist.  Wurde  seinerzeit  als 
Materiale  fiir  Zwecke  der  Kerzenfabrication  empfohlen  (s.  Olein).     Gtl. 

ElaTdinsaure,  s.  bei  0  el  saure. 

ElaTn,  s.  Olein. 

Elain saure,  s.  0  el  saure. 

Elasticitat  und  Festigkeit  {elasticiU  et  compacite  —  elasticity  and  fastness). 
Die  Elasticitat  (von  £/.«co,  icli  treibe),  Spannkraft  oder  Federkraft  ist  jene  Kraft, 
mit  welcher  die  Korper  einer  vorubergehenden  Formanderung  widerstelien,  oder  jene 
Kraft,  welche  die  Formanderung  wieder  aufzulieben  sue' t,  wenn  die  ausseren 
Krafte,  welche  diese  veranlassten,  zu  wirken  aufhoren.  Man  nennt  den  Iubegriff 
der  auf  einen  Korper  wirkenden  ausseren  Krafte,  die  Belastung  desselben  und 
den  Korper  selbst  den  Trager  dieser  Belastung.  Wird  nach  der  Beseitigung 
der  Belastung  die  ursp.iingliehe  Form  des  Tragers  durch  die  Elasticitat  genau 
wieder  hergestellt,  so  sagt  man,  der  Trager  verhalte  sich  vollkommen  elastisch ; 
ist  dies  aber  nicht  der  Fall,  d.  h.  verschwindet  die  Formanderung  nach  der  Weg- 
nahme  der  Belastung  nicht  ganzlich,  so  sagt  man,  der  Trager  verhalte  sich  un- 
vollkommen  elastisch.  Die  grbsste  Formanderung,  welche  ein  Trager  durch  die 
allmalige  Belastung  erleiden  kann  und  welche  bei  Beseitigung  der  Last  ver- 
schwindet, heisst  die  Elasticitat sgr en ze,  und  die  Belastung,  durch  welche 
diese  Grenze  erreicht  wird,  die  E 1  a s t i c i t a t s s: r 6 s  s  e  oder  Grenzbelastun £?.*) 


*=)  Uebrigens  wird  die  Bezeiclinung  Elastici  tats  grenze  gewohnlich  auch  fiir  ElasticitJitj- 
grcisse  angewendet  und  folgen  wir  diesem  Gebrauclie  auch  im  Folgenden;  weil  stets 
leicht  erkennbar  ist,  in  welchem  Sinne  dieses  Wort  gebraucht  wird. 


144  Elasticity  (u.  Festigkeit). 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  beide  sowohl  von  der  materiellen  Beschaffenheit 
als  auch  von  der  Form  und  Grosse  des  Tragers  abhangen. 

Wird  durch  die  Belastung  die  Electricitatsgrenze  iiberschritten,  so  erfaliren 
die  einzelnen  materiellen  Punkte  desselben  eine  bleibende  Verriickung ,  durch 
welch e  meist  auch  eine  Aenderung  der  urspriinglichen  Cohasion  bedingt  ist.  Jener 
Theil  der  Formanderung,  welcher  alsdann  nach  der  Beseitigung  der  Belastung 
wieder  verschwindet,  heisst  die  elastische,  wahrend  der  zuriickgebliebene  Theil 
die  bleibende  oder  permanente  Formanderung  genannt  wird. 

Erfolgt  endlich  bei  stetiger  Zunahme  der  Belastung  und  der  hiermit  fort- 
schreitenden  Formanderung  eine  Trennung  der  materiellen  Theilchen,  d.  h.  tritt  ein 
Bruch  des  Tragers  ein,  so  wird  die  ganze  Cohasion  des  Materiales  an  der  Bruch- 
stelle  iiberwunden  und  im  Augenblicke  des  Bruches  das  Mass  der  sogenannten 
Festigkeit  erreicht. 

Festigkeit  ist  also  der  durch  die  Belastung  eines  Tragers  in  demselben 
hervorgerufene  maximale  Widerstand  gegen  die  Trennung  seiner  Theile. 

Je  nach  der  Art  der  Belastung  und  der  durch  dieselbe  erzielten  Form- 
anderung unterscheidet  man  mehrere  Arten  der  Elasticitat  und  Festigkeit,  wie 
z.  B.  die  Zug-,  Druck-,  Schub-,  Biegungs-  und  Drehungs- Elasticitat,  resp. 
Festigkeit. 

Sollen  die  Trager  die  Belastung  fur  die  Dauer  mit  hinreichender  Sicherheit 
tragen,  so  darf  durch  die  Belastung  die  Elasticitatsgrenze  nicht  iiberschritten,  ja 
in  den  meisten  Fallen  nicht  einmal  erreicht  werden ;  denn  die  Trager  sind  ausser 
der  Belastung  mehr  oder  weniger  momentanen  Erschiitterungen  oder  Stossen  aus- 
gesetzt,  die  sich  haufig  eben  so  wenig  wie  die  schadlichen  Einfliisse  der  Atmo- 
spharilien  in  Rechnung  bringen  lassen  und  doch  beriicksichtigt  werden  miissen. 
Es  gilt  daher  bei  definitiven  Bauten  als  Kegel,  dass  durch  die  grosstmogliche 
Belastung  die  Elasticitatsgrenze  der  einzelnen  Constructioustheile  des  Tragers  nicht 
erreicht  werde. 

Die  zulassige  Belastung  darf  also  nur  einen  aliquoten  Theil  der  betreffenden 
Elasticitatsgrenze  betragen.  Bezieht  man  die  Elasticitatsgrenze  auf  die  Flachen- 
einheit,  so  heisst  ilire  Grosse  der  Grenzmodul  (oder  Elasticitatsgrenze),  und 
dieser  ist  wieder  ein  aliquoter  Theil  des  Festigkeitsmoduls,  d.  i.  des  Bruch- 
widerstandes  pro  Flacheneinheit. 

Nach  zahlreichen  Versuchen  liegt  fur  die  verschiedenen  Eisen-  und  Stahl- 
sorten  das  Verhaltniss  des  Grenz-  und  Festigkeitsmoduls  zwischen  0*7  und  0*4, 
betragt  also  iui  Mittel  circa  0*5.  Fiir  Holz  betragt  dieses  Verhaltniss  circa  0'3. 
Da  jedoch  die  Elasticitatsgrenze,  resp.  der  Grenzmodul,  fur  alle  Baumaterialien 
noch  nicht  ermittelt  wurde,  so  pflegt  man  die  zulassige  Beanspruchung  des  Mate- 
riales (pro  Flacheneinheit)  gewolmlicli  durch  einen  aliquoten  Theil  des  Bruch- 
oder  Festigkeitsmoduls  anzugeben,  und  nennt  die  Zahl,  mit  der  man  den  Festig- 
keitsmodul  dividiren  muss,  urn  die  zulassige  Beanspruchung  pro  Flacheneinheit 
zu  erhalten,  den  Sicherheitscoefficienten.  Er  betragt  bei  Tragern  aus  Metall  3 
bis  G,  aus  Holz  6 — 12,  aus  Stein  20 — 30.  Der  Sicherheitscoefficient  wird  urn 
so  grosser  gewahlt,  je  mehr  die  Belastung  des  Triigers  variirt,  je  grosseren  Er- 
schiitterungen derselbe  ausgesetzt  ist  und  je  mehr  der  Festigkeitsmodul  des  Ma- 
teriales, aus  welchem  der  Trager  besteht,  schwankt.  Die  folgende  Tabelle  gibt 
die  iiblichen  Werthe  des  Sicherheitscoefficienten  fiir  die  gangbarsten  Baumaterialien 
und  Belastungsweisen.*) 


')  In  neuesterZeit  warden  vou  nichreren  liervtirragenden  Ingenieurcn  andere Bestimmnngs- 
weisen  der  zulassigen  Inansprucbnahme  der  Baumaterialien  fiir  veranderliche  Belastungen 
in  Yorsehlag  gebraclit,  die  wir  iiu  Anhange  in  dem  Kajntcd  Arbeitsfestigkeit  cr- 
Avalmcn  werden. 


Elasticitat  (u.  Festigkeit). 


145 


Noth- 

Hoclibau- 

oder 

Construe- 

provisor. 

tionen 

Bauten 

(Gebaude) 

Briicken- 

Construc- 

tionen 


Stark  er- 
schiitterte 

Construc- 
tionen 


Stein  15  20  30  35 

Holz      6  10  12  15 

Gusseisen !  6 

Sckmiedeeisen 
Eisenblech  . 
Eisendraht  . 
Gussstahl  .    . 

Die  nachstehende  Tabelle  gibt  die  Werthe  des  Festigkeitsmoduls  und  der  Elasti 
citatsgrenze  oder  des  Grenzmoduls  fur  mittelgute  Materialien  in  Kilogramm  per  Ucm 


}  5—6 


\  7—8 


Festigkeitsmodul  fur 

Elasticitatsgrenze  fur 

Speci- 

fische 

Zug    |  Druck 

Schub 

Zug 

Druck 

Schub 

Dichte 

In  Kilogi 

•ammen 

pr.   1  □Centimeter 

Aluminium      .... 

2000 

— 

— 

1000 

— 

— 

2-5 

Blei 

130 

500 

100 

100 

— 

— 

11-4 

Bronze    

2300 

. — 

1840 

440 

— 

— 

8-8 

Eisen  gegossen  .    .    . 

1300 

7000 

1040 

500 

1400 

400 

7-25 

„      geschmiedet      . 

4000 

4000 

3200 

1400 

1400 

1100 

7-7 

„      Blech    .... 

3000 

— 

2400 

1400 

1400 

1100 

7-8 

„      Draht   .... 

6000 

— 

— 

2200 

— 

— 

7-8 

Gold-Draht     .... 

2700 

— 

— 

1300 

— 

— 

19-26 

Holz-Faserrichtung     . 

800 

600 

70 

200 

180 

20 

0-8 

„     radial     .... 

120 

270 

100 

— 

— 

— 

— 

Kupfer  gehammert     . 

2380 

4100 

1900 

270 

— 

200 

8-94 

Blech      .    .    . 

2100 

— 

1680 

300 

— 

240 

8-94 

Draht     .    .    . 

4200 

— 

— 

1200 

— 

— 

8-95 

Messing  gegossen  .    . 

1240 

1100 

990 

500 

— 

400 

8-6 

Draht   .    .    . 

3650 

— 

— 

1300 

— 

— 

8-6 

Platin-Draht   .... 

3400 

— 

2700 

2660 

— 

— 

22-7 

Silber  gegossen      .    . 

2900 

— 

— 

1100 

— 

— 

10-47 

„       Draht  .... 

2975 

. — 

— 

— 

— 

— 

10-51 

Stahl  ungehartet     .    . 

5000 

5000 

4000 

2500 

2500 

2000 

7'6 

„       gehartet    .    .    . 

7500 

7500 

6000 

2700 

2700 

2160 

7-8 

„       Gussstahl      .    . 

8000 

10000 

6400 

6660 

6660 

3200 

7-87 

„      Draht  (Gussstahl) 

11000 

— 

— 

6500 

— 

— 

7-9 

Zink  gegossen    .    .    . 

526 

— 

— 

230 

— 

— 

6-8 

„      gewalzt     .    .    . 

480 

— 

— 

230 

— 

— 

7-0 

Zinn  gegossen    .    .    . 

800 

— 

— 

440 

— 

— 

7-29 

„      Draht     .... 

850 

— 

— 

440 

— 

— 

7-3 

Basalt 

_ 

1200 

— 

— 

— 

— 

2-8 

Gneis,  Granit      .    .    . 

30 

800 

100 

— 

— 

— 

2-8 

Kalkstein  dichter    .    . 

27 

300 

70 

— 

— 

— 

2-45 

Quarz 

— 

1200 

— 

— 

— 

— 

2-62 

Sandstein  dichter  .    . 

17 

200 

80 

— 

. 

— 

2-35 

Ziegelstein      .... 

12 

100 

40 

— 

— 

— 

1-6 

Mortel  gewbhnlicher  . 

— 

40 

5 

— 

— 

— 

1-8 

Kalksteinmauer  .    .    . 

— 

500 

— 

_ 

— 

— 

2-4 

Sandsteinmauer  .    .    . 



200 







— 

2-1 

Ziegelmauer    .... 

-*) 

40 

— 

— 

— 

— 

1-7 

")  Wo  die  Bubriken  nicht  ausgefiillt  sind,  dort  sind  die  betreffenden  Moduls  uoch  unbestimnit. 
Kanuarsch  &  Heeren,  Technischea  Worterbuch.    Bd.  III.  10 


146 


Elasticitat  (u.  Festigkeit). 


Die  Elasticitatslelire  hat  demnach  im  Allgemeinen  die  Aufgabe :  zu  ermitteln, 
welclie  Belastung  die  Trager  mit  hinveichender  Sicherlieit  fur  die  Dauer  tragen 
konnen,  oder  welclie  Dimensionen  sie  erhalten  miissen,  urn  einer  gegebenen  Be- 
lastung fur  die  Dauer  zu  widerstehen.  Eine  secundare  Aufgabe  der  Elasticitats- 
lelire ist  die  Bestimmung  der  Formanderung,  welclie  die  Trager  durch  die  ge- 
gebene  Belastung  erleiden. 

Da  sich  alle  Arten  der  Elasticitat  auf  die  Zug-  und  Druck-Elasticitat  zuriick- 
fiilireu  lassen,  so  wird  in  der  Elasticitatslelire  zum  Grundsatze  das  Gesetz  der 
Formanderung  gewahlt,  welches  sich  ergibt,  wenn  auf  ein  homogenes  Prisma  in 
Richtung  seiner  Langenachse  eine  Zug-  oder  Druckkraft  einwirkt.  Dieses  Gesetz 
lautct:  Die  Verl anger img  oder  Verktirzung  eines. Prism  as  steht 
innerhalb  der  Elasticitatsgr enze  in  geradem  Verhaltnisse  zu 
seiner  axialen  Belastung  P  und  seiner  Lange  Z,  dagegen  im  u  m- 
gekehrtenVerhaltnisse  zurQuerschnittsflache  .Fund  ein  em  von 
der  materiellen  Beschaff enheit  des  Prismas  abhangigen  Co  effi- 
cient en,  dem  sogenannten  Elasticitatsmodul  E.  Bezeichnen  wir  diese 

P .  I 

Langenanderung  mit  /\  /;  so  ist  demnach     A  I  =z         '         (1). 

Fur  P  —  1,  F  —  1  wird   \l  —  -—   oder  E  =  —^r (2); 

E  A^ 

d.  h.  der  Elasticitatsmodul  ist  der  reciproke  Werth  der  red  at  iv  en 
Langenanderung,  w e  1  c h  e  von  der  a  1  s  Zug  oder  Druck  w i r k e n d e n 
Krafteinheit  in  einem  Prisma  vom  Querschnitt  e  Eins  bewerk- 
stelligt  wird. 

Mit  der  Langenanderung  der  Kanten  des  Prismas  in  axialer  oder  der  Kraft- 
Richtung  ist  aber  audi  eine  Aenderung  des  Querschnittes  und  somit  der  Quer- 
schnittskanten  verbunden.  Bei  axialer  Zugbelastung  werden  namlich  die  Quer- 
scbnittskanten  verkiirzt,  dagegen  bei  axialer  Druckbelastung  verlangert.  Das  Gesetz 
dieser  transversalen  Langenanderung  lautet  analog  wie  jenes  der  longitudinalen, 
doch  ist  der  Elasticitatsmodul  der  transversalen  Elasticitat  circa  3mal  grosser  als 
jener  der  longitudhialen,  so  dass  die  transversale  Langenanderung  bei  gleichen 
Umstanden  circa  3mal  geringer  ist  als  die  longitudinale. 

Gewohnlich  ist  nur  vom  Elasticitatsmodul  der  longitudinalen  Elasticitat  die 
Rede7  dessen  numeri scher  Werth  nicht  nur  vom  Materiale,  sondern  selbst- 
verstandlich  audi  von  der  Wahl  der  Kraft-  und  Flacheneinheit  abhangt. 

In  der  folgenden  Tabelle  (s.  S.  147)  sind  die  Mittelwerthe  des  Elasticitats- 
moduls  E  verschiedener  Materialien  pro  Kilogramm  und  Quadratcentimeter,  so  wie 

Ai 

l 


die  relativen  Langenanderiingen 
Fig.  1376. 


fur  die  Elasticitiitsgrenze  zusammengestellt. 


.'•• 


iP 


A)  Zug- und  Druck-Elasticitat  resp.  Festig- 
keit gerader  Stabe  (ehemals  absolute,  beziehentlich 
ruckwirkende  Festigkeit  genannt).  Wir  untersclieiden 
dabei  zwei  Falle;  entweder  ist  der  Querschnitt  des  achsial 
belasteten  Stabes  constant  oder  veranderlich. 

1.  Ist  der  Stab  prism atisch  (Fig.  1376)  und 
bezeichnet  F  den  Querschnitt,  I  die  Lange,  y  das  Gewicht 
der  Volumseinheitj  lc  die  zulassige  Anspruchnahme  pro 
Flacheneinheit  uud  P  die  axiale  Belastung  des  Stabes,  so 
wirkt  auf  denselben  bei  lothrechter  Lage  seiner  Achse 
ausser  P  auch  sein  Gewicht  G  :rr  yFl,  so  dass  ftir  den 
Endquerschnitt  B  die  Gleichung  bestehen  muss :  P  -\-  y  F I 
=z  k  F,  woraus  die  Belastung  P  —  F  (k  —  y  I)    .    .  (3), 

p 
oder  der  Querschnitt  F  =  — = j- (4). 


Elasticitat   (u.  Festigkeit). 


117 


Material 


E  in  Kg. 

pro  (J1'"1 


A' 


l.<l.El;i  st.-On-.uy.' 


Aluminium 

Blei 

Bleidraht 

Bronce     

Eichenholz,  Faserriclitung 

„  radial  

„  tangential    .    .    . 

Eisen,  Gusseisen    J-  ,-.  &  ,  '    '■ 

„       geschmiedet  in  Staben 

„       gewalzt 

Draht 

Fichte,  Kiefer,  Faserriclitung 

„  „        radial     .    .    . 

„  „         tangential  .    . 

Glas 

Gold 

Kupfer  gehammert      .    .    .    . 

„        Blech  

Draht 

Lederriemen 

Messing 

Draht 

Platin      

Stahl  ungehartet 

„      gehartet 

„  Guss  ungehartet  .  .  . 
„   gehartet  .  .  .  . 

Silber 

Zink 

Zinn 


6 75000 

50000 

70000 

690000 

117000 

1300 

800 

1000000 

990000 

2000000 

1800000 

2190000 

100000 

1100 

650 

700000 

800000 

1100000 

1100000 

1200000 

730 

640000 

987000 

1600000 

2046780 

2250000 

2500000 

3000000 

730000 

950000 

400000 


0-002100 
0-000667 

0-000629 
0-001667 


0-000760 
0-001330 
0-000690 
0-000800 
0-001000 
0-002000 


0-001667 
0  000250 
0-000274 
0-001000 

0-000758 
0-001350 
0-001667 
0-000857 
0-001208 
0-001500 
0-002222 
0-001515 
0-000241 
0-001111 


Die  totale  Verlangerung,  resp. 


Verkiirzung  betragt  in  diesem  Falle 


(5)- 

seiner    Belastung    P, 


lJ  —  kF 


(8). 


EF 
1st    der  Stab    so    kurz,    dass    sein,    im  Verlialtniss    zu 
geringes  Gewicht  G  vernachlassigt  werden  kann,  so  wird 

(6),  F  =  -|- (7)  und  A  I  =  -|4 

2.  1st  derQuerschnitt  desStabes  veranderlichj  und  zwar  derart, 
dass  alle  Querschnitte  desselben  gleiche  Zug-  oder  Druck-Spannung  pro  Flachen- 
einheit  erleiden?  so  heisst  der  Stab  ein  Trager  von  constanter  Zug-  resp.  Druck- 
Festigkeit,  und  ist  durch  den  geringsten  Materialbedarf  ausgezeichnet. 

Bezeiclmet  F0  den  Querschnitt  bei  A  (Fig.  1377),  so  ergibt  sich  nach  der 
Elasticitatslelire*)  fiir    einen    beliebigen  Querschnitt  F,  in    der   Entfernung  x  von 

A,  die  Formel  F  zzz  F0  e'F (9), 

wobei  e  die  Grundzahl  2-71828...   der   natiirlichen  Logarithmen  und  y  das  speci- 

P 


fische  Gewicht  des  Materials  bedeutet  und  Fn  durch  Fn  = 


bestimmt  ist. 


^  >S.  Naheres  z.  B.  in  Ott's  Baumechanik,  11.  Theil  Seite  14. 


10* 


148  Elasticitat  (u.  Festigkeit). 

Die  Langenanderung  ist  in  diesem  Falle  /\  I  ~ 


l.k 
~FT 


.    .    .    .(10). 

Da  jedoch  die  stetige  Aenderung  des  Querschnittes  in  der  Praxis  schwer 
ausfiilirbar  ist,  so  pflegt  man  Stabe  von  gleichem  Widerstande  annahernd  dadurch 
zu  erzielen,  das#  man,  nach  Fig.  1378,  den  Trager  aus  einzelnen  prismatischen 
Staben  so  formt,  dass  in  den  Endquerschnitten  dieser  Stabe  dieselbe  Spannung 
k  pro  Flacheneinheit  herrscbt. 

Fig.  1377.  Fig.  1378. 


A s  p 

i  r 

^  "1     A 


Sind    llf  l„,  l3...  die   Langen    der    einzelnen    Prismen,    Fi}  Fq,  F3...  ihre 
Querscbnitte  mid  P  die  axiale  Belastung  des  Tragers,  so  ist: 

P  P  k  P  ,k- 

F*   =  T=jT?     F°-  =     (k-yl^ik-yl,)'     F*  =  {k-yl^ik-yQik-yl,) 

P.k"-1 


s.  w.,  daher  allgemein :  F„  z= 


..(k-yl„)    •    •    • 

.  z=z  ln)  wird  allgemein 


(11). 


{k-ylx)(k-y\), 

Fiir  den  besonderen  Fall,  dass  lt  ■=.  L=.  l3  . 

Anmerkung.  Es  verstebt  sicb  wohl  von  selbst,  dass  sicb  die  sammtlichen 
Langen-  mid  Querschnittsdimensionen  auf  dieselbe  Langeneinbeit  und  die  Krafte 
oder  Lasten  auf  dieselbe  Gewichtseinheit  bezieben  miissen.  Ist  z.  B.  1  Centimeter 
als  Langen-  und  1  Kilogramm  als  Krafteinbeit  gewahlt,  so  ist  I  in  cm.,  F  in 
□cm,  A;  in  Kg.  pr.  Dcm,  y  in  Kg.  pr.  Cub.  cm.  und  P  in  Kg.  auszudiiicken. 

Beispiele.  1.  Welcben  Durcbmesser  muss  eine  cylindrische  Zugstange 
aus  Scbmiedeeisen  erbalten,  wenn  sie  mit  5facber  Bruchsicherheit  eine  Last  von 
1000  Kg.  (1  Tonne)  tragen  soil? 

P 

Nacb  Gleichung  (7)  ist  F  =  —j—.     Darin  ist  P  =  1000  und  bei  5facher 
4000  n'-k        „.  .,   „  1000 


Bruclisicherbeit  k  = 


=.  800  pro  Qcm,  somit  F  = 


800 


l-25ncm. 


Bezeiehnet  d  den  Durcbmesser  der  Stange,  so  ist  F  =:  — —  d"  =:  1*25, 
woraus  d  =  \/iXl!5  —  Vl-5915  =  l-26cm. 

V      3-1416  V 

2.  Mit  wie  vielfacber  Bruchsicherheit  widersteht  die  unterste  Ziegelschaar 
dem  Gewichte  einer  30m  hohen,  unbelasteten  Ziegelmauer,  wenn  lcbm  der  Mauer 
1800  Kg.  wiegt  und  die  Druckfestigkeit  der  Ziegel  pr.  Dcm  200  Kg.,  also  pr. 
Jm  2000000  Kg.  betriigt? 

Das  Mauergewicht  pro  Um  der  Grundflache  ist  P  =  30  X  1800  =  54000  Kg.  5 
dagegen  die  Druckfestigkeit  pro  Qm  Kzrz  2000000  Kg.,  daher  die  Bruchsicberheit 
K  2000000       .     „„ 

n  =  -p-=       54000       =  37' 


Elasticitat  (u.  Festigkeit).  149 

3.  Welche  Querschnitte  wird  ein  20m  hoher  Bruckenpfeiler  von  Granit  er- 
halten,  der  ausser  seineni  Gewichte  noch  einen  Auflagerdruck  von  100  Tonnen 
(a  1000  Kg.)  zu  tragen  und  aus  vier  gleich  langen  prismatischen  Stiicken  zu  be- 
stehen  hat7  wenn  lcbm  Granit  2*4  Tonnen  und  der  zulassigc  Druck  (bei  30-facher 
Bruclisicberheit)  27  Kg.  pro  Qcm  oder  270  Tonnen  pro  Qm  betragt? 

Wahlt  man  den  Quadratmeter  als  Flachen-  und  die  Tonne  als  Kraft-Einheit, 
so  ist  P  =  100,  k  =  270,  y  =  2*4,  I  =  5,  daher  nach  Pormel  (12)  die 
einzelnen  Querschnitte : 


405GUrn 


F'  =  4  ferr)  =  °-3876Dm •  F°  =  -f  (4xT  =  ° 

?•  =  4-  (ftt)3  =  °-4244Qm'  *• =  T  (i^t)4  =  °'444ia"  • 

Das'  Gewicht  des  Pfeilers  bei  dieser  Anordnung  ist  G  =z  19*9404  Tonnen. 
Hatte  man  aber  unter  denselben  Bedingungen  einen  Pfeiler  von   constantem 

P 
Widerstande  cdnstruirt,  so  ware7  nach  Formel  (9)  fiir  x  =  30m  und  F0  =  -=-  c=z 

0.3703Dm  ,  an  der  Sohle  die  grosste  Querschnittsflache  F  =  0'442 lDm  . 

Aus  P  +  G  ■=  k  .  F  ergibt  sich  dann  das  Gewicht  des  Pfeilers  G  m 
19-367  Tonnen,  welches  gegen  jenes  im  vorigen  Falle  um  0*5734  Tonnen  oder. 
573-4  Kg.  geringer  ist. 

B)  Schub-  oder  Absche  rungs  festigkeit,  resp.  Elasticitat.  Ein 
Trager  wird  in  einem  Querschnitte  auf  Schub-  oder  Abscherungsfestigkeit  (die 
auch  Gleitungs-  oder  Scherfestigkeit  genannt  wird)  in  Anspruch  genommen,  wenn 
die  Resultirende  aller  ausseren  Krafte  in  der  Ebene  des  Querschnittes  selbst  wirkt 
und  in  dessen  Schwerpunkte  angreift.  In  der  Baupraxis  kommt  die  Scherfestigkeit, 
resp.  Scherelasticitat,  nur  dann  ganz  allein  zur  Geltung,  wenn  auf  einen  Stab 
zwei  Krafte  auf  beiden  Seiten  einer  Querschnittsebene  knapp  neben  dieser  Ebene 
und  parallel  zu  derselben  nach  entgegengesetzten  Richtungen  wirken.  Diese  Krafte 
suchen  dann  den  Stab  in  dem  bezeichneten  Querschnitte  zu  trennen  oder,  wie  man 
sagt,  abzuscheeren. 

Der  Widerstand  gegen  das  Abscheren  ist  —  wie  jener  gegen  das  Zerreissen 
—  der  Grosse  der  Trennungsflache  direct  proportional. 

Bezeichnet  daher  P  die  Kraft,  welche  das  Abscheren  bewirken  soil,  F  die 
Grosse  des  Querschnittes  und  S  den  Modul  der  Scherfestigkeit  pro  Flacheneinheit, 
so  ist  offenbar  P  rr:  F .  8 . ...  (13). 

Diese  Gleichung  gilt  also  fiir  jene  Falle,  in  welch  en  die  Trennung  der  be- 
anspruchten  Flache  bezweckt  wird,  also  fiir  das  Abschneiden,  Abstossen  und 
Durchlochen  der  Materialien,  welche  Arbeiten  mit  den  sogenannten  Durchbruch- 
maschinen  bewerkstelligt  werden.  Soil  aber  das  Abscheren,  z.  B.  der  Dobeln, 
Nieten,  Schrauben  und  dergleichen  auf  Scherfestigkeit  in  Anspruch  genommenen 
Verbindungsmittel,  nicht  erfolgen,  so  wablt  man  als  z  u  1  a  s  s  i  g  e  Anspruch- 
nahme  s  pr.  Flacheneinheit  vom  Moclul  S  bei  Metallen  den  5.,  bei  Holzern  den 

10.  und  bei  Steinen  den  20.  Theil.     Die  Gleichung  P  =  F.s (14) 

gilt  demnach  fiir  jene  Falle,  in  welchen  kein  Abscheren  erfolgen  darf. 

Bei  Metallen  betragt  der  Abscherungsmodul  8  etwa  3/s  bis  4/5  von  jenem 
K  gegen  das  Zerreissen.  Beim  Holze  ist  der  Widerstand  gegen  das  Abscheren, 
wegen  der  Faserbildung,  nach  den  verschiedenen  Richtungen  verschieden :  wahrend 
er  z.  B.  in  Richtung  der  Fasern  sehr  gering  ist,  ist  er  in  radialer  Richtiing  der 
Jahresringe  verhaltnissmassig  gross. 

Der  Elasticitatsmodul  E'  fiir  Schub  betragt  circa  2/3  von  jenem  fiir  Zug. 

C)  Biegungs-Elasticitat,  resp.  Festigkeit,  homogener  T r a g e r 
mit  gerader  Achse.*)  Allgemeine  Begriff  e.  Ein  Trager  A,  B  (Fig.  1379} 


*)  Friiher  durch  die  Benennung  relative  Festigkeit  bezeichnet. 


150 


Elasticity  (u.  Festigkeit). 


wird    auf  Biegung-Elasticitat,    resp.  Festigkeit,  allein    nur    dann   in  Anspruch    ge- 
nommen,  wenn  die  angreifenden  oder  ausseren  Krafte  senkrecht  stehen  zur  Langen- 

achseA,B  des  Tragers  und  sammtlich 
in  einer  Ebene  —  der  sogenannten 


Fig. 


1379. 
0 


Kraftebene  —  liegen,  die  dureh  A,  B 
gent.  Zu  (Jen  ausseren  Kraften  ge- 
horen  auch  die  Reactionen  der  Stiiz- 
zen,  auf  welchen  der  Trager  auf 
ruht,  d.  i.  die  sogenannten  Stiitzen- 
drticke  D, ,  D,r  Durch  die  Einwir- 
kung  dieser  Krafte  erfahrt  der  Tra- 
ger, den  wir  uns  als  ein  Biindel  von 
parallel  zu  seiner  Langenachse  lie- 
D„  genden,  unter  einander  fest  verbun- 
denen  Fasern  denken,  eine  Biegung. 
Die  urspriinglich  parallelen,  einander 
sehr  nahen  Querschnitte  C,  (7,  wer- 
den  nach  eingetretener  Biegung  nicht 
mehr  parallel  sein,  sondern  sie  stehen 
dann,  wenn  die  Durchbiegnng  inner- 
halb  der  Elasticitatsgrenze  bleibt, 
auf  den  gekriimmten  Langenfasern 
nahezu  senkrecht  und  schneiden  sich 
in  einer  Geraden  0. 
Aus  dem  Urastande,  dass  die  beiden  Querschnitte  C,  C\  bei  eingetretener 
Biegung  des  Tragers  eine  convergirende  Lage  annehmen,  folgt  nun  unmittelbar, 
dass  die  zwisclien  denselbcn  befindlichen  Fasern  in  den  verschiedenen  Faser- 
schichten  eine  verschiedene  Lange  haben  miissen.  Es  werden  daher,  nach  Fig.  1379, 
die  auf  der  unteren  oder  convexen  Seite  liegenden  Fasern  ausgedehnt,  somit  ge- 
zogen,  dagegen  die  auf  der  oberen  oder  concaven  Seite  liegenden  verkiirzt,  daher 
gedriickt.  Demnach  wird  man  beim  Uebergange  von  den  gezogenen  Fasern  zu 
den  gedriickten  auf  eine  Faserschichte  gelangen,  deren  Fasern  weder  gezogcn 
noch  gedriickt  sind,  die  also  trotz  der  Biegung  ihre  urspriingliche  Lange  bei- 
behielten;  man  nennt  deshalb  diese  Faserschichte  die  neutrale  Schi elite, 
ferner  die  Schnittlinie  derselben  mit  einer  Querschnittsebene  die  neutrale 
Achse,  und  endlich  die  Schnittlinie  der  neutralen  Faserschichte  mit  der  Kraft- 
ebene die  elastische  Linie.  Von  der  neutralen  Faserschichte  aus  nimmt  die 
Faserspannung  gcgen  die  Sussersten  Fasern  allmiilig  zu  und  erreicht  somit  in  den 
iiussersten  Fasern  ihren  grossten  Werth.  Soil  nun  durch  die  Biegung  die  Ela- 
sticitatsgrenze nicht  iiberschritten  werden,  so  diirfen  die  grossten  Zug-  und  Druck- 
spannungen  k  und  hv  der  aussersten  Fasern  den  zuliissigen  Tragmodul  fur  Zug 
und  Druck  nicht  erreichen. 

Widerstandsmoment.  Betrachten  wir  nun  ein  bcliebiges  Fragment  AC 
des  durch  die  ausseren  Krafte  innerhalb  der  Elasticitatsgrenze  gebogenen  Tragers, 
und  ist  R  die  Resultante  der  auf  dieses  Fragment  wirkenden  Krafte  (Z>, ,  —  P, ,  — 1\) 
und  a  der  Abstand  dieser  rtesultanten  von  der  durch  C  gehenden  neutralen  Achse 
dt's  Querschnittes,  so  muss  fur  den  Gleichgewichtszustand  gegen  Drehung  des 
Fragmentes  A  C,  beziiglich  der  neutralen  Achse  C,  das  Drehungsmoment  R  a, 
das  wir  allgemein  mit  31  bezeiclmen,  gleich  sein  der  Summe  der  Drehungsmomente 
aller  Faserspannungen  des  Querschnittes  C  beziiglich  derselben  Drehachse  C. 

Aus  dieser  Gleichsetzung  des  Drehungs-  und  Widerstands-Momentes  ergibt 
sich  die  fiir  Baupraxis  wichtige  Formel: 

31  r=  A   T  ) 


oder  M 


h 


(15). 


Elasticitat  (u.  Festigkeit).  1 51 

Hicrin  ist  k  resp.  kx  die  pro  Flacheneinlieit  zulassigc  Zug-  oder  Druck- 
spannuhg,  e  resp.  e,  die  Entfernung  del'  aussersten  gezogenen  oder  gedriickten 
Fascrn  von  der  neutralen  Aclise,  mid  T  das  sogenannte  Tr%heitsmoment  des 
Quersclinittes  beziiglich  der  neutralen  Aclise,  die  liier  zugleieh  Schwerpunktachse 
des  Quersclinittes  ist.  Dieses  Tragheitsmoment  stellt  die  Summe  aller  Producte 
aus  den  einzelnen  Flachenelementen  des  Quersclinittes  in  die  Quadrate  ihrer  Ab- 
stiinde  von  der  neutralen  Aclise  vor. 

Qu  erschni  ttsform.     Durch    die  Gleichstellung    der    beiden  Wertlie    von 

M  aus  (15),  erhalt  man    :  — —    oder    k  :  k}   r=  e  : ■  e1}  d.  h.  bei  jedem  ra- 

e  e, 

tionell  construirten  Trager  ist  die  Quersclinittsform  so  anzuordnen,  dass  die  grosste 
zuliissige  Zug-  und  Druckspannung  in  den  aussersten  Fasern  zu  beiden  Seiten  der 
neutralen  Faserschiclite  gleiclizeitig  erreicht  wird.  Da  nun  beim  Stable,  Schmiede- 
eisen  und  Holze  innerbalb  der  Elasticitatsgrenze  nahezu  k  =  kt  ist,  so  sullen 
die  aus  einem  dieser  Materialien  construirten  Trager  so  geformt  werden,  dass  die 
Querschnittsfiache  durch  die  neutrale  Aclise  halbirt  werde.  Beim  Gusseisen  ist 
dagegen  die  Druckfestigkeit  wenigstens  zweimal  so  gross  als  die  Zugfestlgkeit, 
wesbalb  bei  gusseisernen  Tragern  der  Querschnitt  so  anzuordnen  ist,  dass  die 
aussersten  gedriickten  Fasern  von  der  neutralen  Aclise  wenigstens  zweimal  weiter 
abstehen  als  die  aussersten  gezogenen. 

Da  iibrigens  das  Materiale  zunaebst  der  neutralen  Scliichte  am  wenigsten, 
dagegen  in  den  von  ihr  am  weitesten  abstelienden  Fasern  am  meisten  in  Ansprucli 
genommen  wird,  so  soil  man  das  Materiale,  um  es  ordentlicb  auszuniitzen,  mogliclist 
weit  von  der  neutralen  Scliichte  anordnen,  wie  dies  bei  den  Blech-  und  Gitter- 
triigern  der  Fall  ist,  deren  Querschnitte  aus  zwei  parallelen  Garten  bestehen,  die 
durch  eine  Blechwand  oder  durch  Stabe  zweckmassig  verbunden  sind. 

Querschnitts  -  Berech  nung.     In    der    Gleichung    1    z: T   oder 

k  e 

M  z=z  — —    T  kommen  vier  verschiedene  Grossen  vor;  soil  daher  eine  derselben 

ei 
bestimmt  werden,  so  miissen  die  drei  anderen  gegeben  sein.     Gewobnlich    ist  die 
Lange  I  des  Tragers,  die  zulassige  Spannung  des  Materiales  k  pro  Flacheneinlieit 
und  die  Belastung  des  Tragers  gegeben. 

Aus  der  Lange  I  und  der  Belastung  lasst  sich  clann  leicht  das  jedem  Quer- 
schnitte zukommende  Biegungsmoment  M  bestimmen,  und  da  auch  die  Hohe  h 
des  Quersclinittes  und  somit  auch  e  von  der  Lange  des  Tragers  abhangig  gemacht 
wird,  so  ist  gewohnlich  nur  das  Tragheitsmoment  T  des  Quersclinittes  zu  be- 
stimmen, wobei  im  Allgemeinen  die  Form  des  Quersclinittes  und  alle  Dimensionen 
desselben    bis  auf   cine  gegeben    sein  miissen,  die  eben  aus  der  Gleichung  M  — 

k 

T  berechnet  werden  soil. 

e 

Kurze  Trager  erhaltcn  gewohnlich  wegen  der  leichteren  Herstellung  einen 
constanten  Querschnitt,  dessen  Dimensionen  aber  fur  jene  Stelle  des  Tragers  zu 
bereclmen  sind,  fur  welche  das  Biegungsmoment  fll  der  ausseren  Kriifte  den 
grossten  Werth  erreicht.  Man  nennt  desbalb  den  Querschnitt  an  dieser  Stelle 
den  gefahrlichen  oder  Bruch -Querschnitt.  Die  Hohe  h  des  Quersclinittes 
wird,  aus  praktischen  Griinden ,  bei  Briickentragern  mit  '/s  bis  '/i2  cIei*  h'cxon 
Tragerlange  I,  dagegen  bei  Hochbautra'gern  mit   1/16  bis   yj^n  von  I  bemessen. 

Trager  von  constantem  Biegungswiderstande.  Bei  Ian  gen 
Tragern  wiirde  man  durch  die  Wahl  eines  constanten  Quersclinittes  niclit  nur 
unnothigerweise  Materiale  verschwenden,  sondern  auch  die  Tragfa'liigkeit  verringern, 
wesbalb  man  sie  am  rationellsten  als  Trager  von  c o n s t a n t e m  W id er s tan d e 
construirt,  deren  Querschnitte  den  beziiglichen  Biegungsmomenten  der  ausseren 
Krafte  proportional  gemacbt  werden.  Hicrbei  ist  jedoch  zu  beriicksichtigen,  dass 
die  Querschnitte,  fur  welche  M  r=  0  ist,  so  gross  gemacht  werden  miissen.  dass 
sie    den    in  diescn  Querschnitten    auftretenden  Schubkraften    hinrcichenden  Wider- 


152  Elasticitat  (u.  Festigkeit). 

stand  gegen  Abscheren  entgegensetzen.  Die  Schubkraft  in  einem  Querschnitte  C 
(Fig.  1379)  ist  aber  gleich  der  Resultirenden  R  aller  von  einem  Tragerende  bis  zu 
diesem  Querschnitte  auftretenden  ausseren  Krafte,  den  Stiitzendruck  mit  eingerechnet. 

Vertheilung  der  S  chub  spannungen.  Waren  die  durch  die  Trans- 
versal- oder  Schubkraft  V  im  Querschnitte  C  (Fig.  1379)  hervorgerufenen  Schub- 
spannungen  iiber  den  ganzen  Querschnitt  gleichinassig  vertheilt,  so  wtirde  sich  — 
wenn  s  die  zulassige  Schubspannung  des  Materiales  pro  Flacheneinheit  bezeichnet 
—  die  Querschnittsgrosse  F  fur  jene  Stelle  7  an  welc'  er  das  Biegungsmoment 
M  m  0  ist,  aus  der  Gleichung   V  ==  s .  F  berechnen  lassen. 

Eine  gleichmassige  Vertheilung  der  durch  die  Biegung  hervorgerufenenSchub- 
spannungen  kann  jedoch  deshalb  nicht  stattfinden,  weil  die  zur  neutralen  Faser- 
schichte  parallelen  Fasern  zu  beiden  Seiten  derselben  entgegengesetzte  und  mit 
der  Entfernung  von  der  neutralen  Achse  zunehmende  Spannungen  erleiden.  In 
Folge  dieser  entgegengesetzten  Spannungen  tritt  offenbar  in  der  neutralen  Faser- 
schichte  die  grosste  Schubkraft  auf,  und  es  muss  daher,  damit  die  zu  beiden 
Seiten  der  neutralen  Faserschichte  liegenden  Tragerhalften  nicht  iibereinander  ver- 
schoben  werden,  der  Trager  in  der  neutralen  Schichte  eine  gewisse  Breite  z  erhalten. 

Sind  .F,  und  F^  die  Inhalte  der  zu  beiden  Seiten  der  neutralen  Achse  liegenden 
Querschnittstheile,  ferner  at  und  a2  die  Abstande  der  Schwerpunkte  der  beiden 
Querschnittshalften  Ft  und  F„  von  der  neutralen  Achse,  so  ist  die  Schubspannung 

s0  pro  Flacheneinheit  in  der  neutralen  Faserschichte  bestimmt  durch  su  = 

— - — " '    2  ,  wobei  im  Allgemeinen  fiir  Metalle  s0  zzz 


z0,T 

3/4  Jc  und 

V.Fx.ax 

k 
fiir  Holzer  s0  ■=.  — — "     Es  wird  nun  aus  den  obigen  Gleichungen  z0  __ 

oder  zn  -—  — '- — "  '    g  . 


Von  der  neutralen  Faserschichte  aus  nimmt  die  Schubspannung  mit  der  Ent- 
fernung y  von  der  neutralen  Achse  ab  und  ist  stets  in  der  Langenrichtung  eben 
so  gross,  wie  in  der  Querrichtung.  Bezeichnet  z  die  Querschnittsbreite  in  der 
Entfernung  y  von  der  neutralen  Achse,  so  ist  die  in  dieser  Entfernung  pro  Flachen- 
einheit in  horizontaler  und  verticaler  Richtnng  auftretende  Schubspannung  s  be- 
stimmt   durch  s  —  — — ^r  /     y.z.dy,  wobei    /    y.z.dy  oder    /    y  .  d  F  die 

Summe  aller  innerhalb  der  Grenzen  y  und  e  liegenden  Flachenelemente  z.dy 
oder  d  F  beziiglich  der  neutralen  Achse  bezeichnet. 

Gleichung  der  elastischen  Linie.  Es  wurde  bereits  erwahnt,  dass 
man  unter  der  elastischen  Linie  die  durch  die  Biegung  deformirte  Langenachse 
A,  B  (Fig.  1379)  des  Tragers  versteht.  Bezieht  man  dieselbe  auf  ein  recht- 
wiukliges  Achsenkreuz,  dessen  Ursprung  z.  B.  im  Punkte  A  liegt,  dessen  X-Achse 
A,  B  ist  und  dessen  F-Achse  darauf  senkrecht  steht,  so  ist  fiir  einen  beliebigen 
Punkt  C  der    elastischen   Linie,    mit    den    Coordinaten   x  und  y,  die    Grosse    der 

Durchbiegung,  namlich  y  aus  der  Differentialgleichung  .  ^  =  ~F~T  ^llrcn 
zweimalige  Integration  zu  bestimmen. 

Hierbei  bedeutet  M  das  Biegungsmoment  V.x  fiir  den  Punkt  C,  E  den 
Elasticitiitsmodul  des  Materiales  und  T,  wie  friiher,  das  Tragheitsmoment  des 
Querschnittes. 

Der  Kriimmungshalbmesser  CO  =  :  fur  den  Punkt  C  der  elastischen  Linie 

., ,    .  .             1  M  1  k 

ergibt  sich  aus  =  -= — ^   oder 


E.T  4     ~~   e  .  E ' 

Tragheitsmomente.  In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  Tragheitsmomente 
T  der  iiblichsten  Querschnittsformen  beziiglich  der  Schwerpunktsachse,  so  wie  die 
Abstande  e,  resp.  e,,  der  entferntesten  Fasern  von  derselben  zusammengestellt. 


Elasticitat  (u.  Festigkoit). 


lbl 


For  m 
des   Querschnittes 


T  uiuT  e 


F  p  r  in 
dcs  Querschnittes 


7'  and  e 


J^_ 


&  :^ 


12"   5  ¥ 

-A 

"IT 


A 


e  —  — 

2 

1 


e  —  M. 

2 

A4 


r  = 


e  —    H 

2~ 

7'=  il 

12 
e  —  — 


T  — 


7? 

36 
2ll 


B*  +  4:Bb  +  b' 


36  (B  +  6) 
&  +  2£      7* 


B  +  b       3 
T  =:  0-5413  r4 

e  =  0-866  r 


JL- 


-fy^t-h-n 


^.mWA 


~.w~ 


T  —  0-5413  r* 

T  —  0-638  r* 
e  =  0-924  r 


T—7^-—  0-0491^ 

04 


64      V 


A64    0-0491  6 /i3 
2~ 
Tr:^  [B  H3  - 


T= 


w[B(H3-h*)  + 


Tz=1^(BH3-\-bh3) 
e  —  — 

b(]i3—d3)  +  b3(h-d)] 

e  —  A 
T  =  A.[<dh3+QHh 

■  _  h  {H-m 


T  —  I   [(B—b)e,3  +  B^ll—e,)3  —  b(h—e.Y] 

&1  —    2{BH—bh) 

T—   I   [BiH—e^-iB—b,)  (H-re1—hy  +  be,3  — 

(6— &J  (e,—  V3] 
Bh(2H-h)-\-  blh°-+bi{H+  lh—h)  (H—h-h, ) 


2[Bh  -f  bh,  +  b^/l-h—h,)] 

T=l  [BttH—e^—iH-e.-hyi  +  b^Y-^—h,)3}] 

—     Bll^H—  h)  +  5y 
6l  ~"  2(13/i  +  6/i.)- 


154 


Elasticitat  (u.  Festigkeit). 


BcsondereBelastungsfJille.  In  der  folgenden  Tabelle  sincl  fiir  eine 
Reilie  von  Belastungs-  und  Befestigungs-Arten  eines  prismatisclien  Tragers  die 
Werthe  der  Tragkraft  P  und  der  grossten  Durclibiegung  F  zusammengestellt. 
Hierbei  bedeutet:  T  das  Tragheitsnioment  des  Quersclmittes  zu  seiner  neutralen 
oder  Scbwerpunktssaclise,  e  den  Abstand  der  von  der  neutralen  Aclise  am  weitesten 
entferuten  Fasern  und  k  die  grosste  zulassige  Spannung  derselben  pro  Fliiclien- 
einheit. 


An  gr  i  ffsweis  e 


Tragkraft  P 


Durclibiegung  f 


-2srr 


'^A 


rs- 


m 


ITT. 


f 


- 


:■■'.' 


->--i--f  r 


"% 


1380. 


fc 


P  =  2 


kT 

el 


Jc  T 


p 

— 

4 

kT 
el 

p 

= 

8 

kT 
el 

p  - 

"V. 

kT 

P  —  8 


P  =  8 


kT 

el 

kT 

12 


kT_ 
el 


f  = 


f  = 


f  = 


PI3 
SET 


PI* 

Yet 


pi* 


f  = 


48E  T 

PI* 

11ET 

pi* 

107 E  T 
0447  / 


1  —    1921?  T 

a  —  :i/8  I 

PP 
J   ~~    192E11 


f  = 


PI* 


:^-iET 


Specielle  Bereclmung 
eines  a  u  f  B  i  e  g  u  n  g  s  -  E 1  a  s  t  i- 
citat  beansprucbten  Tra- 
gers. Wir  wollen  schliesslich  die 
allgeraeine  Bestimmungsweise  der 
Biegungs-  und  Widerstandsmomente 
eines  auf  zwei  Stiitzen  aufruhenden 
j*  Tragers  A,  B  (Fig.  1380)  durch- 
!      fiihren,  welclier  dureh  mehrcre  Ein- 

zellasteu  P^P,,,  Ps and  durch 

1       eine    iiber    seine    ganze    Liinge    I 


Elasticitat  (u.  Festigkeit).  155 

gleicbmassig  vertheilte  Last  beanspruclit  wird,  die  gewolinlicb  vom  Eigengewicbte 
des  Tragers  lierriibrt.  Bezeiclinet  man  die  Abstande  der  Einzellasten  P, ,  P„,  P., -t . . 
von  A  mit  a_,  a,_, as  *. .  and  von  B  mit  b,,  b_,  b3,  so  ergeben  sioli  mit  Riicksieht 
auf  die  gleicbfbrmig  vertlieilte  Belastung,  welclie  q  pro  Langeneinbeit  des  Tragers 
betragen  soil,  bei  A  und  />'  die  Stiitzendriicke 

Die  Biegungsmomente  ergeben  sieb  am  grossten  in  den  Belastungspunkten 
C,,  C_,  C,....;  bezeiclinet  man  dieselben  fiir  die  betreffenden  Quersclinitte  mit 
M_,  M„,  M_  .  .  . .,  so  wird 

My   -  Dx   ax  -    ?f-;    M_   =  D_   a,    -  P,    («,-«,)  -  l|l!  ; 

M3  —  Dt    a3   -  Px  (aa-a_)  —  P2  (a3  — a2)  —  -^-~-  u.  s.  w. 

Bezeiclinet  man  die  Tragheitsmomente  der  Quersclinitte  innerlialb  der  Fragmente 
AC1}  C,  Co,  C_G_....  mit  Tu  T„,  P,  .  .  . .,  so  wiirden  die  betreffenden  Quer- 
sclinitte zu  bestimmen  sein  aus :  Mx '  —   —  Tt ;  M„  —  —  P„ ;  Mj  —  —  T3  .  . . ., 

wobei  Ml}  M_,  M3  die  obigen  Werthe  and  e_,  e_,  es  die  Entfernungen  der  von 
der  neutralen  Acbse  am  weitesten  abstebenden  Fasern  der  beziiglichen  Quersclinitte 
bezeiebnen. 

Sollte  der  Trager  durch  seine  ganze  Lange  einen  constanten  Querschnitt  er- 

halten,  so  ware  selbstverstiindlicb  die  Querscbnittsgrosse  aus  maximum  M —  —  T 

zu  erniitteln,  wobei  sicb  maximum  Mm  einem  der Belastungspiinkte  C_,  C_,,  C:) 

ergibt. 

Beispiel.     Es    sei   nacb    Fig.  1380  die    freie    Spannweite  I  — :  12  Meter, 

P,  —  P„  —  P3  —  200  Kg.,  a_   —  -L,  a_  =  -i-j  a3  =  M   und  die   gleicli- 

massig  iiber  die  Lange  des  prismatiscben,  bblzernen  Tragers  vertlieilte  Belastung 
pro  laufenden  Meter,  d.  i.  q  —  150  Kg.  Welche  Dimensionen  muss  der  recbt- 
eckige  Querscbnitt  dieses  Tragers  erbalten,  wenn  sicb  die  Breite  b  zur  Hobe  7* 
des  Querscbnittes  wie  1  zu  \/2*)  verbalten,  und  bei  10-facher  Brucbsicberlieit 
k,  d.  i.  die  grosste  Ansprucbnalime  des  Holzes  pro  Qcm  60  Kg.  betragen  soil? 
Wegen  der  symmetriscben  Anordnung  der  Belastung  beziiglicb  der  Auflager 
sind  die  Stiitzendriicke  gleicb,  also 

D.   —  D„  =  ^A  +  —  P    +  —   P„  +  —  P,  =  1200  Kg. 

Der   grosste    Biegungsmoment    ergibt    sicb    bier   in    der    Mitte    des  Tragers, 

namlicli :  M  —  D,  . P  . -^  . 

1      2  t      6  8 

Sollen  nun  die  Qiierschnittsdimcnsionen  in  Centimetern  bestimmt  werden,  so 

mtissen    audi    bei    der    Ermittlung  von  M  die  Langendimensionen    in  Centimetern 

ausgedriickt  werden  ;  eben  so  ist  der  Wertb  von  q,  der  sicb  auf  einen  Meter  beziebt, 

_______  Fig.   1381. 

*)  Ist  aus  einem  Baumstamm  vom  kreisrunden  Quersclinitte  (Fig.  1381) 
ein  Balken  rait  rechteckigem  Quersclinitte  von  grosster  Tragfahig- 
keit  zu  zimmern,  so  theilt  man  den  Durchmesser  A,  B  in  drei 
gleiche  Theile  und  errichtet  in  den  Tlicilpunkten  auf  A,  B  die 
Senki'echten  1  C  und  2  D.  Die  Punkte  A,  C,  B,  D  sind  alsdann 
die  Eckpunkte  des  gcsucliten  Eecliteckes,  in  welcliem  sich  die  Breite 
A,  C  zur  Ilohe   C,  B  wie   1   zu  V  -  verliiilt. 


156 


Elasticitat  (u.  Festigkeit). 


Hiernach  wird  M=  1200  X 


auf  einen  Centimeter  zu  reduciren,  also  statt  q  nur  — ^—  in  Rechnung  zu  nebmen. 

1200     onn  v    1200      150      12002 

~2 200X— -7oo-X^-  =  410000- 

—  T  ist  nun  M  =  410000,  k  =  60,   T==  %„  b  .  h3 
60  Z^3 

VaA    '      12 


In  der  Form  el  M  = 

und    e  i=  -—  einzufiihren 
bh"  —  41000. 

Da    aber    b  :  h  =r  1 


also    410000 


=z  10  b  /t2,    woraus 


V  2,    also    6  rr:  z— =,  so    wird  r^= 
V  2  3        V  2 


=  41000    oder 


57982-2 ,    woraus    endlicb    h   =  V  57982-2  =   39cm    und 


A3  —   41000  V  2 

&  =  r-L  —  28cm. 
V2 

D)  Drehungs-  oder  Torsions-Elasticitat  resp.  Festigkeit.  Ein 
fester  Korper  wird  auf  Drebungs-Elasticitat,  resp.  Festigkeit  in  Anspruch  ge- 
nommen,  wenn  ihn  aussere  Krafte  um  seine  geometrische  Acbse  zu  dreben  sucben. 
Der  einfacbste  Fall  tritt  dann  ein;  wenn  der  Korper  (Fig.  1382)  an  ein  em 
Ende  B  festgebalten  und  am  anderen  Ende  A  von  einer  Kraft  P,  die  in  der 
Ebene  des  Querscbnittes  A  liegt,  derart  angegritfen  wird,  dass  sie  ihn  um  seine 
Fig.  1382.  Langenachse  zu  dreben  strebt.   Ist  a  der 

Abstand  der  drebenden  Kraft  vom  Mittel- 
punkte  des  Querscbnittes,  so  bildet  das 
Product  P .  a  das  sogenannte  Drehungs- 
moment,  welcbes  die  zur  Langenacbse 
¥P  des  Stabes  parallel  gedacbten  Fasern  zu 
verdreben  sucbt.  Da  nun  der  Stab  bei 
B  befestigt  ist,  so  wird  die  Verdrebung 
der  Fasern  von  B  gegen  A  zu  nebmen  und 
es  werden  die  Fasern  nacb  der  Drebung 
die  Lage  von  Schraubenlinien  annebmen.  Diese  Deformirung  der  Fasern,  resp. 
die  Drehung  der  einzelnen  Querschnitte  des  Stabes  um  seine  Langenacbse  wird 
um  so  grosser,  je  weiter  die  Querschnitte  von  der  Befestigungsstelle  B  entfernt 
sind,  so  dass  der  Querscbnitt  A  die  grosste  Drebung  erleidet. 

Zugleicb  wird  die  Verscbiebung  der  einzelnen  Querscbnittselemente  mit  der 
Entfernung  vom  Querscbnitts  -  Mittelpunkte  zunebmen,  so  dass  in  Folge  dessen 
auch  die  Verdrebung  der  Fasern  mit  der  Entfernung  von  der  Acbse  wacbst,  wabrend 
die  Acbse  selbst  neutral  bleibt. 

Da  also  das  zunacbst  der  Acbse  liegende  Materiale  am  wenigsten  in  Anspruch 
genommen  wird,  so  folgt  daraus,  dass  boble  Cylinder  bei  gleicber  Querscbnitts- 
grtisse  eine  grossere  Torsionsfestigkeit  baben  als  massive.  Der  Verdrebung 
der  Fasern  oder  der  Verscbiebung  ibrer  Quersclmitte  widersteben  die  einzelnen 
Querscbnittselemente  mit  ibrer  Schub-  oder  Gleitungsfestigkeit,  so  dass  die  Torsions- 
festigkeit von  der  Scbubfestigkeit  auf  ahnliche  Weise  abbangig  ist  wie  die  Biegungs- 
festigkeit  von  der  Zug-  und  Druckfestigkeit. 

Demzufolge  ist  auch  der  Elasticitatsmodul  fur  Torsion  gleich  jenem  El  fiir 
fiir  Schub,  welcber  mit  2/5  E  bemessen  wurde,  wenn  E  den  Elasticitatsmodul  fur 
Zug  bedeutet. 

Aus  der  Gleicbgewicbtsbedingung  zwiscben  dem  Drebungsmomente  P .  a  und 
dem  Widerstandsmomente  der  einzelnen  Querscbnittselemente  beziiglicb  der  Acbse 

lSsst  sicb  die  Formel  ableiten:     P.  a  ~   7", (16). 


Hierin   bedeutet  t  die  zulassige  Torsionsspannung  der  aussersten  Faserquer- 
schnitte    pro  Flacbeneinbeit,  r  den   grossten  Abstand    der  Fasern    von    der  Acbse 


Elasticitat  (u.  Festigkeit).  157 

und  Tx   das    polare    oder    Torsions-Tragheitsmoment    des    Querschnittes,    d.  i.  die 

Summe    der   Producte    aus    sammtlichen  Querschnittselementen  f  in    die  Quadrate 

ihrer  Entfennmgen  e  vom  Querschnittsmittelpunkte,  alse   rJ\    ±=  &  (f.ea). 

Fiir    einen    quadratischen    Querschnitt    von    der    Seitenlange    b    1st 

T  b3  t  63 

— l-  =  7^-=,  also  Pa  =  -r-=  oder  Pa  =.  0-236  £ 53      (17 ). 

r  3 V  2  3V  2 

2'  «r3 

Fiir  einen  kreisformigen  Querschnitt  ist  — —  z=  — - —  =  1*57  r* 

somit  Pa=  1-571  *r3,  oder  fur  r  =  — ,  Pa  —  0-1963  -Jd?    ....  (18;. 

Fiir  einen    ringformigen  Querschnitt    ist,  wenn  r  den  ausseren  und 

r.   den   inneren   Halbmesser   bezeichnet,  — -  =■= — - —  —  — ■ - — 

i  r  2  r  r 

also    P  a   ■=. L- ^- ,    oder   fur  r  ==  — -  und    r-j   =  — ±- ,  Pa  — 

0-1963  f(d«-d,*) 

s  ( Jj- 

Zu  bemerken  ist  noch,  dass  £  circa  4/5  von  der  zulassigen  Zugsspannung 
betragt,  also  t  —  'Q-8  &. 

Die  fiir  das  Torsionsmoment  entwickelten  Formeln  gelten  insbesondere  zur 
Berechnung  von  Wellen  und  Achsen. 

Bezieht  sich  t  auf  den  \Jem,  so  ist  selbstverstandlich  auch  a  in  Centim. 
auszudriicken. 

Bei  Wellen  ist  aber  das  Drehungsmoment  gewblmlich  durch  die  Arbeits- 
grosse  in  Pferdekraften  und  durch  die  Anzahl  der  Umdrehungen  der  Welle  pr. 
Minute  ausgedriickt.  Bedeutet  also  JY  die  Anzahl  der  Pferdekrafte,  welche  durch 
die  Welle  iibertragen  werden  soil  und  11  die  Anzahl  der  Umdrehungen  pr.  Minute, 
so    ist,    wenn    eine   Pferdekraft   mit   75mk   bemessen   und    a   in    Centim.   gegeben 

ist,  P  2Too7rn  =  75  N,  woraus  Pa—  6Q0°  X  75  N  =  71620  — Met.-Kg.  (20). 
■ gQ 2  it  n  n 

Fiihren    wir    diesen  Werth    des   in  Meter-Kg.  ausgedriickten    Kraftmomentes 

in  die  obigen  Gleichungen  ein,  so  ergibt  sich    fiir  den  quadratischen  Querschnitt: 

N 
71620  ■ —  =  0-236  -f  V (17  a); 

N 
fiir  den  kreisformigen  Querschnitt:  71620    —  =  0-1963  tcP (18  a), 

n 

und  fiir  den  ringformigen  Querschnitt:  71620  —  =  \ —  (19  a). 

11  a 

Zur   naheren    Erlauterung    der    aufgestellten    Formeln   mogen    die   folgenden 

Beispiele  dienen. 

1.  Wie  gross  muss  der  Durchmesser  d  einer  schmiedeisernen  Welle  werden, 

wenn    durch    ein    auf   der  Welle    aufgekeiltes    Zahnrad    von  lm  Durchmesser  eine 

Kraft  von  2000  Kg.  mit  8-facher  Sicherheit  iibertragen  werden  soil? 

Nach  Gleichung  (18)  ist  das  Drehungsmoment  Pa  =  0*1963  tds.     Hieraus 


ergibt  sich :  d  =  \  / 


■19(33  t 

Es  ist  Pz=  2000  Kg.,  a  —  100cm,  t  =  0-8  k,  und  weil  fiir  8-fache  Bruch- 
sicherheit    beim    Schmiedeeisen   pro    Dcm    k  =  500    Kg.,    so    ist    t  =  400    Kg. 

Fur  diese  Werthe  wird  d  —  \7  20QQ  X  10°    ==  V  2547,11  =  13-65cm. 
V  0-1963  X  400 
2.  Welche  Wandstarke   muss    eine  solche   gusseiserne  Welle  erhalten,  wenn 
sie   bei    einem    Durchmesser   von    20cm  eine  Arbeitsgrbsse   von    24    Pferdekraften 


158 


Elasticitat  (u.  Festigkeit). 


iibertragen    und    36    Umdrehungen    in    der   Minute    bei    8-facher    Bruchsicherheit 
machen  soil? 


71620  Nd 


wobei   d  ■==.  20c 


Aus  Gleichung  (19  a)  wird  d,   —  \/cZ4 

&    v  ;  l  V  0  19(53 1  n 

N  =  24,  n  =z  36  und  t  —  0*8  &;    da   nun    fur    8-fache    Bruchsicherheit  A;  =: 

163  Kg.  per  Dcm  ist,  so  wird  t  =  130  Kg.,  daher  fur  diese  Werthe 


*. 


=  \: 


/ 160000  — 


und  die    gesuchte  Wandstarke  n 


71620  X  24  X  20 
0-1963  X  130  X  36 
i=^L  ^  0-65- 


18-71c 


E)  Zusamniengesetzte  Elasticitat  resp.  Festigkeit.  a)  Knick- 
oder  Stau chungs-Elasticitat.  1.  Fall.  Der  einfachste  Fall  des  Wider- 
standes  gegen  Zerknicken  eines  prismatischen  oder  cylindrischen  Stabes  tritt  bei 
axialer  Belastung  ein,  wenn  derselbe  an  beiden  Enden  frei  beweglich  oder  um 
Seharniere  drehbar  ist  und  seine  Lange  I  (Fig.  1383),  die  kleinste  Querschnitts- 
dimension  mindestens  um  das  3-fache  iiberschreitet. 

Die  Curve  A,  C,  B  sei  die  elastische  Linie,  d.  i. 
die  durch  die  Belastung  P  deformirte  Langenachse  des 
prismatischen  Stabes,  dessen  Durchbiegung  im  Allgemeinen 
in  Richtung  der  kleinsten  Querschnittsdicke  derart  erfolgt, 
dass  die  Durchbiegungsebene  zugleich  durch  die  Kraft- 
richtung  geht.  Der  Stab  erfahrt  durch  die  axiale  Belastung 
eine  Druckspannung,  welche  durch  die  Bieguug  auf  der 
concaven  Seite  vergrossert,  dagegen  auf  der  convexen  Seite 
durch  die  Zugspannung  vermindert  wird. 

Bezeichnet  Z  die  Lange  des  Stabes,  F  dessen  Quer- 
schnitt,  T  das  kleinste  Tragheitsmoment  des  Querschnittes 
in  Bezug  auf  eine  Schwerpunktsachse  und  a  einen  von 
der  materiellen  Beschaffenheit  des  Stabes  abhangigen  Coeffi- 
cienten,  so  ergibt  sich  die  durch  die  achsiale  Belastung  P 
pro  Flacheneinheit  hervorgerufene  grosste  Druckspannung  aus 

*  =  40  +  -J£) 

ferner  die  auf  der  convexen  Seite  entstehende  grosste  Zugspannung  aus 


Fig. 

1383. 

I         JT 
lilj  urn                 i1  ii  mill 

1 

fri 

i        I 

L liuft 

\ 

!i 

A 

; 

\           1 

1  \ 

p 

i 

<  i 

Ac 
a 

\  j 

% 

> 

i 

p 

i 

fiB 

■  B 

(20), 


(21). 


Fur  Schmiedeeisen  ist  a 


Eine  Zugspannung 
handen,  wo  sich  k  >  0, 


der 
al*F 


,    fiir  Gusseisen    und  Holz  a  z=.  ■         • 

10000 '  5000 

convexen  Seite    ist   nur    in    solchen  Fallen    vor- 
1   ergibt.     Da  iibrigens  Jct    stets  grosser 


als  k,  so    ist   die  Ermittlung   von  k  nur    bei  Gusseisen    erforderlich   und    fiir    die 
Widerstandsfahigkeit  erst  dann  massgebend,  sobald  k  ~>  'D/t4  kt   wird. 

In  der  folgenden  Tabelle  (S.  159)  sind  die  fur  verschiedene  Querschnittformen 
el-  F                            <>l-F 
berechncten  Werthe  von  1  -\ t^—    und  —  1  -\ ^—  zusammengestellt,    also 


ausgedriickt.     Es    bedeutet  dabei 


1 

P 

k.   und  k  als  Vielfache  von  — ^ 
r 

haltniss  der  Stablange  I  zur  kleinsten  Querschnittsdimtnsion  d. 

Hierbei  ist  bei  5-facher  Bruchsicherheit  pro   Gcm  fiir  Gusseisen  k 

und  k  ■=.  500  Kg.,    fiir    Schmiedeeisen   ki   =r  bOO   und    fiir   Holz    bei 

Bruchsicherheit  kt   ■=  60  Kg. 


das  Ver- 


=  1400 
10-facher 


Elasticity  (u.  Festigkeit). 


150 


co  -r-t 


o 

9  f5 


CO       CO 
b-  CO       CO  iH       r-H 

^JH  G5       b-  CO       t-H 


CO       CO 
CM        6 


<N 

CM 

CO 
CO 

CO 
GO 

CO 
CM 

CO 
CM 

CM 

OS 

CO 
O 

CO 
CO 

o 

o 

CM 

CO 

CO 

o 

GO 

to 

^ 

CO 

1-1 

GO 

to 

CM 

CO 

CM 

CM 

-* 

CO 

o 

-# 

CO 
X 

GO 
GO 

C5 

G2 
O 

o 

o 

GO 
O 

<* 

o 
t^ 

CO 

CO 

o 

o 

CO 

co 

^ 

CM 

o 

o 

CO 

CM 

CM 

1-1 

1-1 

CO 

CM 

CO 

CO 

CO  CO 
CO  CM 
CM       © 


r-l  GO 

CO        -<# 

6  iH 


i   z:  i 


O  tH  CO  CO  O 

CM  rH         I  CO  ©  iH 


i  'J  -2'  I  t  I 


,M*  ,| 


X 


xxxxxxx      X      X      X       X       X      X 

i^a^-ft^fe,   f^|^   a^    fin^    as|t*H    Cs|^    f^l^    R*|fei 


^k 


U9SJ9SSnJC) 


uoswdpouuipg 


zioH 


160 


Elasticitat  (u.  F 


eit). 


Bei spiel.  Wie  gross  ist  bei  5-facber  Bruchsicherbeit  die  zulassige  achsiale 
Belastung  P  einer  an  beiden  End  en  drebbaren,  schmiedeisernen  Strebe,  deren  recht- 
eckiger  Querschnitt  die  Breite  4cm  und  die  Hbhe  lcm  bat,  wenn   die  Lange  I  der 

Strebe  40cm  betragt?     Hier    ist  —r-  =  40,  daber   nacb   der  obigen  Tabelle   fur 

P  l 

diesen    Wertb    \   =  -=-  2*92,    woraus    fur    kx   ==  800    Kg.    und   F  =    4cm, 


P  — 


800  X  4 

2-92 

i3S4.       Fig 


Ax  gebogen 
man  daher  in  den  beid( 

*=£{ 

P     r 

und  A;  rz   — =-  I 


P 

=  1092  Kg. 

1385.  2.  Fall.     Der   prismatische  Stab  A,  C  (Fig. 

1384)  ist  an  einem  Ende  eingespannt  und  am  anderen 
freien  Ende  acbsial  belastet. 

Dieser  Fall  ist  offenbar  auf  den  vorigen  zurtick- 
zufiihren,  wenn  in  den  dortinge  Formeln  statt  der 
Lange  I  jene  2  Z,   eingefiihrt   wird;    es    wird    dann 

3.  Fall.  Der  prismatiscbe  Stab  ist  an  beiden 

Enden    eingespannt    oder   befestigt    (Fig.  1385),   so 

wird    er    durcb    die    acbsiale  BelastuDg   nach    einer 

Curve  C  A  C\  A,  C2  mit  zwei  Wendepunkten  A  und 

und  biedurcb  der  vorige  Fall   viermal  wiederbolt.     Setzt 

beiden  letzten  Formeln  statt  /,    nur  — -,  so  erbalt  man 

(23). 


1  + 
die 


4  T 
al°-F 


4  T     ' 
haufisrste  Anwendung   bei    der  Be- 


Dieser   Fall   findet 
recbnung  der  Saulen. 

4.  Fall.  Der  Stab  ist  an  einem  Ende  eingespannt,  am 
anderen  Ende  gegen  seitlicbe  Ausbiegung  gesichert  und  mit  P 
acbsial  belastet.     Fig.   1386. 

Dieser  Fall  geht  aus  dem  zweiten  Falle  hervor,  wenn  dort 


statt  I.   nur 


gesetzt  wird 


und  k  ^  -^-  I  — 


1    4- 


1  + 


man  erbalt  also : 

±al°-F 


9  T 

4al°-F 


) 


(24). 


9   T     J 

b)  E  x  c  e  n  t  r  i  s  c  b  e  Z  u  g-  oder  D  r  u  c  k  b  e  1  a  s  t  u  n  g.  Ist 
die  Durcbbiegung  der  Langenacbse  A  B  der  prismatiscben  Stabe 
(Fig.  1387)  im  Verhaltniss  zur  Excentricitat  c  der  belastenden 
Kraft  P  sebr  klein,  so  ist,  wenn  F  die  ganze  Querscbnittsflache, 
T  deren  Tragbeitsmoment  in  Bezug  auf  die  Scbwerpunktsachse 
normal  zur  Bildebene  und  e,  resp.  e^  die  Entfernung  der  aussersten 
gezogenen,  resp.  gedruckten  Fasern  von  der  Scbwerpunktsaclise 
bezeichnen,  die  pro  Flacbeneinheit  auftretende  grosste  Zugspannung 

l  =  T(I  +  1r) (2S)' 

P     C\  c.etF-\ 


und  die    grosste  Druckspannung  A'x 


1   + 


(26). 


Elasticitat  (u.  Fcstigkeit). 


161 


Die  Werthe  von  T  sind  fiir  verschiedene  Querschnittsformen  aus  der  Tabelle 
pag.  153  zu  entnehmen. 

c)  Achsiale  und  transversale  Belastung.  1.  Fall.  1st  der  Stab 
A  B  (Fig.  1388)  an  einem  Ende  befestigt  und  am  anderen  Ende  durch  erne  zm 
geraden  Stabachse  A  B  schrag  gerichtete  Kraft  R  belastet,  Fig.   1388. 

so  lasst  sich  R  in  die  beiden  Componenten  H  und  V  zer- 
legen,  und  es  wird  die  durch  beide  Componenten  hervor- 
gerufene   grosste   Zugspannung   k   pro    Flacheneinheit   an- 

nahernd  erbalten  aus   k  =  — =-  4-  ^ —  ,    .    .  (27), 

U  1 

wobei  wieder  F  den  Querschnitt,  T  dessen  Tragheitsmoment 

fiir  die  Schwerpunktsachse,  I  die  Stablange  und  e  die  Entfernung  der    aussersten 

gezogenen  Fasern  von    der  Schwerpunktsachse    bedeutet.     Es  wird  hierbei  jedocb 

vorausgesetzt ,   dass   die   durch  V  eingeleitete   Biegimg   des    Stabes   sehr    gering, 

also  der  Biegungspfeil  /  verschwindend  klein  sei. 

2.  Fall.  Der  prismatische  Stab 
liegt  mit  beiden  Enden  auf  Stiitzen  A,  B 
(Fig.  1389),  ist  gleichmassig  mit  g  pro 
Langeneinheit  und  achsial  durch  die 
Kraft  H  in  Anspruch  genommen. 

Ist   die   Durchbiegung    des  Stabes 
sehr   gering,  also  H  im  Verhaltniss  zu  g  I  gross,  so  ergibt   sich  die   grosste  pro 
Flacheneinheit  auftretende  Zugspannung  k  annahernd  aus 

*  =  4  +  ^! w 

Die  Grossen  e,  I,  F  und  T  haben  hierbei  dieselbe  Bedeutung  wie  im  vorher- 
gehenden  Falle.  Der  vorliegende  Fall  findet  bei  der  Berechnung  langer  Zug- 
stangen,  deren  Gewicht  berucksicht  werden  muss,  haufige  Anwendung. 


Fig.  1389. 


d)  Biegungs-  und  Torsionsbelastung. 
Ist  Mb  das  Biegungs-  und  Mt  das  Torsionsmoment 
einer  Welle  (Fig.  1390),  so  ergibt  sich  die  grosste 
Anspruchnahme  k  dieser  Welle  pro  Flacheneinheit 

k  =     "     (21/,  +  Mt)  .    .    .  (29). 


Fig.  1390. 


Hier  ist  Mh  — 


Q(l—a) 
I 


a  und  M  —  Pi 


d  der  Durchmesser  der  Wellc^ 


I  deren  zwischen  den  Lagern  liegende  Lange  und  n  =^  3-14. 

F)  Elasticitat,  resp.  Festigkeit  der  Gefass wande  und  Platten.*) 
Bezeichnet  p  den  auf  die  Gefasswand  wirkenden  Druck  pro  Flacheneinheit  (nach 
Abzug   des    gegenseitigen),  k  die   in    der  Gefasswand    zulassige  Maximalspannung 

und  Wanddicke,  so  ist  fur  geringe 


und 


(pro  Flacheneinheit), 
Wandstarken : 

1.  beim  cylindrischen  Gefasse 
(Fig.  1391) 


S  Gefasshalbmesser 
Fig. 


1391. 


Fig.  1392. 


1  + 


■i<) 


—  -  -2-  (l  +  -2- 

r      -      k     V      ^    2k 

2.  bei  der  Hohlkugel  (Fig.  1392) 

p  =  2k  —  und  —  =  JL.  .  (3i) 
r  r  2k 

3.  bei  der  kreisformigen,  lose  aufgelegten  Platte  (Fi 


1393) 


*)  Vergleiche:  Grashof,  Festigkeitslehre. 
Kanaar3ch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.  Bd.  III. 


11 


162 


Elasticitat  (u.  Festigkeit). 


Fig.  1S93. 


Fig.  1394. 


k 


c-fy-^-v? 


...........     (32), 

4.  bei  der    kreisformigen,  am 
Rande    fest    eingekleramten    Platte 
d   (Fig.  1394) 

P  =  ^k  {—)     Und    T"  = 


v- 


.f  1 (33). 

Anmerkung.  Bei  Gefassen  und  Rohren,  welche  sehr  hohen  Pressungen 
ausgesetzt  werden  nnd  demnach  grosse  Wandstarken  erhalten  miissen  (z.  B.  bei 
Cylindern  der  hydraulischen  Pressen),  ist  der  Umstand  zu  beriicksichtigen,  dass  das 
Material  der  Gefasswand  in  radialer  Richtung  in  sehr  ungleicher  Weise  (an  der 
inneren  Wand  am  starksten)  beansprucht  wird.  Hit  Riicksicht  auf  diesen  Umstand 

(r    _j_    #)2 r2 


ian    nach  Lame  fiir  cylindrische  Gefasse  p  —=.  k 


\ 


—  i 


(r  +  ^)2+^fi 


k  —  p 

ferner  fiir  kugelformige  Gefasse 
(r  +  sy 


p  —  2  k 


{r  +  8)*+i 


2^3 


und 


VI 


2[k  +  p) 


-  und 

(34); 


(35). 


Bei  spiel.  Wie  gross  muss  die  Wanddicke  d  des  gusseisernen  Cylinders 
von  30cm  lichter  Weite  einer  hydraulischen  Presse  werden,  wenn  der  Druck  100 
Atmospharen  oder  nahezu  100  Kg.  pro  Ucm  betragt  und  die  zulassige  Material- 
spannung  k  =  250  Kg.  pro  Qcm  betragen  soil? 

Ilier  ist  r  =  15em,  k  z=z  250  und  p  =  100  Kg.,  also  nach  obiger  Formel  (34) 


=  15A/250  -<- 1Q0  -  A  =  7 

V  V  250  —  100  J 


G)  Elastische  Fed  em.*)  Die  elastischen  Federn  gleicher  Construction 
oder  desselben  Systems  haben,  wenn  sie  bei  gleichem  Material  und  gleicher  Be- 
lastung  (innerhalb  der  Elasticitatsgrenze)  dieselbe  Formanderung  erfahren,  auch 
gleiches  Gewicht.  —  Man  unterscheidet  im  Allgemeinen:  Blatt-,  Spiral-  und 
Schraubenfedern.  Die  ersteren  werden  auf  Biegungs-,  die  letzteren  auf 
Druck-  oder  Torsionsfestigkeit,  resp.  Elasticitat  beansprucht. 

a)  Einfache  Blatt  fed  em.  Es  bezeichnet  P  die  zulassige  Belastung 
der  Feder,  b,  h  und  I  die  aus  den  Figuren  (s.  nachste  Seite)  ersichtlichen  Dimen- 
sionen,  k  die  zulassige  Beanspruchung  des  Materiales  pro  Flacheneinheit,  E  den 
Elasticitatsmodul  und  d  die  grosste  zulassige  Durchbiegung. 

b)  Zusammengesetzte  Blattfedem.  Legt  man  mehrere  der  vorge- 
fiihrten  einfachen  Blattfedern  aufeinander,  so  erhalt  man  ein  Blattfederwerk. 
Die  Hauptbedingungen  fiir  ein  gutes  Feder  we  rk  sind: 

1.  dass  es  moglichst  einen  Trager  von  gleichem  Biegungswiderstande  bilde; 

2.  dass  es  bei  der  Biegung  nicht  klaflfe,  d.  h.  dass  sich  die  einzelnen  Blatter 
nicht  von  einander  entfernen. 

Diesen  beiden  Bedingungen  entspricht  nur  das  erste  der  folgenden  Feder- 
werke  vollstandig,  wahrend  die  anderen  nur  die  letztere  Bedingung  erfullen. 

Das  Trapezfederwerk.  Denkt  man  sich  die  Dreieckfeder  Fig.  1398, 
I,  in  eine  gerade  Anzahl  gleich  breiter  Streifen  zerschnitten  und  die  mit  gleichen 
Ziffern  bezeichneten  Stiicke  so  zusammengefugt,  dass  hiedurch  das  Blattwerk  II 
gebildet  wird,  so  erhalt  man  das  sogenannte  Trapezfederwerk,  welches  offenbar 
dieselbe  Tragfahigkeit  hat  wie  die  Dreieckfeder  /. 


Vergleiche :  Eelaux,  Theorie  der  Federn. 


Elasticity  (u.  Festigkcit).  1G3 

Tabelle   der  zur  Berechnung  der  Blattfedern   nothigen  For  me  In. 


Nr. 


Benennung  und  Form 
der  Feder 


Tragkraft 
P  = 


Federung 


Jiegnamkeit 


Volum 
iin   Vergl, 
zu  Nr.  i 


Fig.  1395. 


Rechteckfeder 

Fig.  1396. 
4& 


v? 


Dreieckfeder  *) 

Fig.  1397. 


Ill 


k_  bW 
6       I 


k_  bh*_ 

T    l 


Jc     b  ¥ 

1T~T 


Pi3 
Ebh:i 


kl 

Eh 


PI3 


Ebh3 


kl 
~Eh 


PI3 

Ebh1 


kl 
Eh 


Reckteckfeder  nach  der  cubischen 
Parabel  zugescharft  *) 

Statt  die  Enden  der  einzelnen  Federn  dreieckig  zu  machen,  scbarft  man  sie 
nach  der  cubischen  Parabel  zu  (Fig.  1399);  wobei  sie  dann  tiberall  gleiche  Breite 
haben,  oder  man  macht  sie,  nach  Fig.  1400,  trapezisch.  In  diesem  Falle  muss 
ausserdem  noch  eine  Zuscharfung  der  Enden  eintreten,  die  sich  aus  der  folgenden 

Formel  ergibt 


Fig.  1398. 


b  x 


b  x  -f-  bt  (c 


x) 


Fig.  1399. 


')  Die  elastischen  Linien  der  beiden  letztgenannten  Federformen  bilden  bei  eintretender 
Biegung  Kreisbogen,  wesbalb  sich  diese  beiden  Federn  vorziigiich  fur  die  znsammen- 
gesetzten  Federn  eignen. 

II* 


164  Elasticitat  (u.  Festigkeit). 

In  derRegel  sind  zwei  Federwerke,  nack  Fig.  1-101,  mit  einander  verbunden 

Fig.  1401.  und  erhalten  eine  geringe  Kriimmung,  die  man  bei 

der  Berechnung    tier  Tragfahigkeit  vernacklassigt. 

c)     Schrauben-     und    Spiralfedern. 

Hierbei   bezeicbne:    P  die   zulassige  Belastung,  k 

die   zulassige    Ansprucbnahme    des   Materials    pro 

Flacheneinheit,  Ex  den  Elasticitatsmodul  fur  Schub 

oder  Torsion,  der   bekanntlich   gleich    ist  2/5  von 

jenem    fiir  Zug  (S.  147),  n  die  Anzabl  der  Win- 

dungen,    r  den   grossten   Radius    der  Scbraubenfeder   bis   zur  Mitte    des  Drahtes, 

d   die    durck   P  kervorgerufene    Langenanderung    (Federung),   den  Wertk  ftir 

das  Feuerungsverhaltniss,  w  die  Grosse  des  Verdrekungswinkels  und  I  die  Lange 
der  gestreckt  gedacbten  Federn  (Fig.  1402  bis  1407). 

Tabelle    der   zur  Berechnung    der  Schrauben-  und  Spiralfedern    nothigen  Formeln. 


Nr. 


Benennung  und  Form  der  Feder 


Trag- 

Fede- 

kraft 

rung 

P  — 

i  — 

Fi'.derungs- 
Verhaltniss 


Vergl 
zu  Nr.  I 


III 


Fig.  1402. 


+ 


+ 


+ 


^ 


Kl 


7. 


Elasticitat  (u.  Festigkeit). 


105 


Nr. 


Benennung  unci  Form  der  Feder 


Tragkraft 
P  == 


Federung 


Drehungswinkel 


Volum 
im  Vergl, 
zu  Nr.  I 


IV 


VI 


Fig.  1405. 


Spiralfedef  niit  reekteck.  Querschnitte 

Fig.  1406. 


Drehschraubenfeder  mit  rechteckigem 
Querschnitte 

1407. 


kbh* 
6r 


12PZr2 


Eb¥ 


kbh* 
6r 


12PI 


Eblv 


lend1 
32  r 


64PZ?-2 

TtEd* 


2kl 
~ET 


2kl 
Eh 


2kl 
~Ed 


Drehschraubenfeder  mit  ruudem 
Querschnitte 

H)  Arbeitsfestigkeit.  Man  ver  stent  darunter,  nach  Launhardt,  die 
Maximalspannung  A  pro  Flacheneinheit  eines  Tragers,  bei  welcher  erst  nach  einer 
grossen  Anzahl  von  Belastungswiederholungen  der  Bruch  des  Tragers  erfolgt. 
Nach  den  Versuchen  von  Wohler  ist  die  Arbeitsfestigkeit  A  kleiner  als  der 
Bruch-  oder  Festigkeitsmodul  K,  bei  dessen  einmaliger  Wirkung  bereits  der  Bruch 
erfolgt. 

Die  von  Wohler  mit  Eisen  und  Stahl  angestellten  und  von  Prof.  Spangenberg 
fortgesetzten  Versuche  iiber  den  Einfluss  wiederholter  Beanspruchung  der  Trager  fiihrten  zu 
den  folgenden  W  o  h  1  e  r'schen  Gesetzen: 

1.  Der  Bruch  erfolgt  bereits  bei  einer  kleineren  Spannung  als  bei  ruhender  Belastung, 
wenn  man  die  Beanspruchung  haufig  wieederholt. 

2.  Die  Anzahl  der  zam  Bruche  erforderlichen  Beanspruchungen  ist  urn  so  grosser,  je 
kleiner  hierbei  —  bei  constant  bleibender  Minimalspannung  —  die  Maximalspannung  ist,  oder 
je  grosser  —  bei  gleich  bleibender  Maximalspannung  —  die  Minimalspannung  ist. 

3.  Wenn  die  Maximalspannung  kleiner  ist  als  eine  von  der  Minimalspannung  abhangige 
Grenze.  so  tritt  nie  ein  Bruch  ein. 

4.  Die  Arbeitsfestigkeit  ist  um  so  grosser,  je  grosser  die  Minimalspannung  ist. 

Auf  Grundlage  der  Wohler'schen  Gesetze  wurden  von  den  Ingenieuren  und 
Professoren  Backer,  Gerber,  Launhardt,  Miiller,  Schaffer,  Weyrauch 
und  E.  Winkler  in  neuester  Zeit  Formeln   zur  Berechnung  der  Arbeitsfestigkeit 


166  Elasticity  (u.  Festigkeit). 

und  der  zulassigen  Inanspruclmahme  der  Eisen-  und  Stahl  construction  en  aufgestellt. 
Wir  wollen  hier  jedoch  nur  die  von  Weyrauch*)  in  Vorschlag  gebrachten 
Formeln  vorfiihren. 

Bezeichnet  min.  B  die  Minimal-  und  max.  B  die  Maximal-Belastung  eines 
Tragers,  so  ist  fiir  TVager,  die  nur  auf  Zug  oder  nur  auf  Drnck  bean- 
sp  rue  lit   werden,    die    Arbeitsfestigkeit   in   Kg.    pro    Qcm:    fiir    Schmiedeeisen 

A  =  2100  (l  +   %  ^-f),  fiir  Gussstahl  A  =  3300  (  1  +  7,,    ^^T)  ; 
V  '-*  max.  BJ  V  max.  BJ 

ferner  fiir  Trager,  die  abwechselnd  auf  Zug  und  Druck  beansprucht 
sind,  wenn  max.  B  das  absolute  Maximum  der  vorkommenden  Beanspruchungen 
und  max.  B'  die  relativ  grosste  Beansprucbung  im  entgegengesetzten  Sinne  be- 
zeichnet:   fiir    Schmiedeeisen    A    rr    2100    (  1  —   1L — jr  I,  fur  Gussstahl 

V  lz   max.  BJ 

A  =  3300  (l  -  ./„  5^|). 

V  1T    max.  BJ 

Uebrigens  miissen  die  auf  Druck  beanspruchten  Stabe  gegen  seitliche  Durch- 
biegung  gesichert  sein. 

Schliesslich  mag  noch  erwahnt  werden,  dass  die  zulassige  Inanspruclmahme 
k  pro  Flacheneinheit  aller  Constructionstheile,  die  wechselnden  Belastungen  hin- 
reichenden  Widerstand  zu  leisten  haben,  aus  der  Arbeitsfestigkeit  A  bestimmt 
werden    soil.     Wahlt   man    also  nach   Weyrauch    die    3fache   Sicherheit   gegen 

den  Bruch;  so  ist  k  zz  — — . 

Hiernach  ergibt  sich  also  die  zulassige  I  n  a  n  s  p  r  u  c  h  n  a  h  m  e  &  pro  dcm 
in  Kg.  bei  Constructionstheilen,  die  nur  Zug  oder  nur  Druck  zu  erleiden  haben: 

fur   Schmiedeeisen  k  =  700  (  1  +   %  """'    „  )) 
V.  '"  max.  BJ\ 

fiir    Gussstahl    k    =    1100    fl  +  7,,   mm'   S\\ 

V  /u   max.  BJ) 

dagegen  fiir  Constructionstheile  mit  entgegengesetzten  Belastungen, 
also  fiir  Zug  und  Druck: 

fiir  Schmiedeeisen  k  =  700  (  1  —   V„  — „  )\ 

>  "  *£  &Y (")• 

fiir    Gussstahl    k    —    1100    (  1  —  5/n  '—^     I 

V  1T   max.  BJ) 

Bei  Dach-  und  Briickenconstructionen  wird  gewohnlich  min.  B  durch  das 
Eigengewieht  allein  und  max.  B  durch  die  totale  Belastung  (Eigengewicht  und 
zeitweilige  oder  mobile  Belastung)  hervorgerufen. 

Zur  Erlauterung  mogen  noch  die  beiden  folgenden  Beispiele  dienen. 

1.  Bei  spiel.  Wie  gross  ist  die  zulassige  Inanspruclmahme  k  und  der 
Querschnitt  i^einer  schmiedeisernen  Zugstange  eines  Fachwerktragers,  deren  Minimal- 
belastung  z=  1000  und  deren  Maximalbelastung  r=  6000  Kg.  betragt? 

Nach  (36)  ist  fiir  min.  B  =  1000  und  max.  B  =  6000 

k  =  700  (l  +   %  i^-)  =   760  Kg.  pro  □-, 

daher  der  Querschnitt    F  =  -5^ —  — — -  =  7-9Qcm. 

A;  760 

2.  Bei  spiel.  Wie  gross  ist  die  zulassige  Inanspruchnahme  k  und  der 
Querschnitt  F  einer  schmiedeisernen  Diagonalstange  eines  Fachwerktragers,  deren 
durch  die  mobile  Belastung  bedingten  entgegengesetzten  Maximalbelastungen  -\-  7080 
und  — 1770  Kg.  betragen? 


B\\       (36)? 


•:)  Dr.  J.  Weyrauch's  Festigkeit-  und  Dimensionenbereclmung  der  Eisen-  und  Stahlcon- 
structionen,  Leipzig,  Teubner  1876. 


Elasticitat  (u.  Festigkeit).  —  Elaterium.  107 

Hier  ist  max.  B  z=z  7080  und  max.  B'  —  1110,  also  nach  (37) 

(1770  "\ 
1  ~   V*  "7080" J  =  61°  Kg-  pr°  D" 
max.  B  7080  _ 

Elasticitatsgrenze  und  Elasticitatsgrbsse,  s.  Elasticitat  III  S.  143. 
Elasticitatsmodul,  s.  Elasticitat  III  S.  146. 
Elastische  Linie,  s.  Elasticitat  III  S.  152. 

Elaterin  (elaterine  —  elaterine),  E latin.  Bitterstoff  aus  dem  Fruchtsafte 
der  Eselsgurke  oder  Springgurke  (Momordica  Elaterium  L.),  welcher  im  ein- 
gedickten  Zustande  unter  dem  Namen  Elaterium  als  Arzneimittel  in  Verwendung 
steht.  Man  unterscheidet  im  Handel  zwei  Sorten  des  Elateriums,  u.  zw.  ein 
weisses  und  ein  schwarzes  Elaterium.  Das  erstere  wird  durch  Verdunstung  des 
aus  noch  nicht  vollig  reifen  Frtichten  durch  Pressen  gewonnenen  und  filtrirten 
Saftes  bei  gewohnlicher  Temperatur,  das  letztere  durch  Eindampfen  des  von  vollig 
reifen  Frtichten  gewonnenen  Saftes  in  der  Warme  dargestellt.  Das  Elaterin  stellt 
weissgraue  bis  grtinliche  (weisses  oder  englisches),  oder  aber  dunkel  griinlich- 
braune  (schwarzes  oder  deutsches),  brockliche,  am  Bruche  oft  mattglanzende 
Massen  von  bitterem  scharfem,  bis  brennendem  Geschmacke  dar,  welche  im 
Wasser  so  wie  in  Alkohol  loslich  sind  und  sich  durch  die  heftig  purgirende  und 
brechenerregende  Wirkung  auszeichnen,  die  sie  schon  in  geringer  Dosis  hervor- 
rufen  konnen. 

Das  Elaterin  darzustellen,  erschopft  man  weisses  Elaterium  mit  kochendem 
Weingeist  und  fallt  aus  dem  durch  Abdampfen  concentrirten  Auszuge  mit  Wasser 
das  rohe  Elaterin^  das  durch  Waschen  mit  Aether  und  durch  Umkrystallisiren 
mit  Weingeist  gereinigt  werden  kann  (vgl.  Zwenger,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm. 
43  pag.  359).  Bildet  farblose,  glanzende  sechsseitige  Tafeln7  geruchlos,  von 
scharfem  und  stark  bitterem  Geschmacke  und  neutraler  Reaction.  In  Wasser  un- 
loslicb,  schwer  in  kaltem  Weingeist  und  Aether7  leicht  in  kochendem  Weingeist, 
Schwefelkohlenstoff,  Amylalkohol  und  Chloroform.  Aetzende  Alkalien7  so  wie  Aetz- 
ammoniak  losen  es  leicht,  durch  Sauren  wird  es  aus  diesen  Losungen  wieder 
gefallt.  In  kohlensauren  Alkalien  unloslich.  Beim  Erhitzen  auf  200°  C.  schmilzt 
es  unter  Gelbfarbung  und  erstarrt  nach  dem  Erkalten  zu  einer  gelblichen  amorphen 
Masse.  Concentrirte  Schwefelsaure  farbt  es  dunkelroth ;  wird  es  mit  Salzsaure 
eingedampft  und  der  Riickstand  mit  concentrirter  Schwefelsaure  befeuchtet,  so 
farbt  es  sich  amaranthroth  (vgl.  Kohler,  Neu.  Repert.  f.  Pharm.  18  pag.  578). 
Wirkt  schon  in  geringen  Gaben  ausserst  heftig  purgirend.  Seine  Zusammen- 
setzung  entspricht  der  Formel  C20-S28O5.  Im  weissen  Elaterium  sind  nach  Walz 
(N.  Jahrb.  f.  Pharm.  11  pag.  21  u.  178)  bis  50%  Elaterin  enthalten. 

Neben  dem  Elaterin  soil  die  Momordicapflanze  nach  Walz  (s.  oben)  noch 
Elaterinsaure  oder  Ecbalin  C20H3iO^  (?),  eine  harzartige  bitterscharfe 
Substanz,  dann  Elaterid,  Hydroelaterin  und  Prophetin  enthalten,  welcher 
letztere  Korper  sich  nach  Winckler  auch  im  Safte  der  Friichte  von  Cucumis 
Prophetarim  findet.     Gil. 

Elaterit.  Elastisches  Erdpech,  bildet  derbe  eingesprengte  oder  knollige 
Massen,  auch  Ueberziige,  ist  elastisch;  sehr  weich,  klebt  zuweilen  etwas,  spec.  Gew. 
■=.  0-8 — 1-23,  schwarzlichbraun,  rothlich-  bis  gelblichbraun.  Hat  Fettglanz,  ist 
kantendurchscheinend  bis  undurchsichtig,  riecht  stark  bituminos.  Chemische  Zu- 
sammensetzung  CH2.  Findet  sich  auf  Erzgangen  zu  Castleton  in  Derbyshire, 
so  wie  zu  Nuahaven  in  Connecticut  N.-A.     S.  Asphalt  S.  213.  Lb. 

Elaterium,  s.  b.  Elaterin. 


168  Elatin.  —  Electricitat  (Reibungselectricitat). 

Elatin,  s.  El  at  er  in. 

Elaylgas  (gaz  olefiant  —  oil  gas),  blbildendes  Gas,  Aethylengas, 
s  c  h  w  e  r  e  s '  K  o  h  1  e  n  w  a  s  s  e  r  s  t  o  f  f  g  a  s.  Ein  Kohlenwasserstoff  von  der  Formel 
Colli,  welcher  ganz  allgemein  imter  den  Producten  der  trockenen  Destination 
organisclier  Substanzen  (Holz-,  Stein-  und  Braunkohle  etc.)  angetroffen  wird,  s. 
Kohlenwasser  stoffe.     Gil. 

Elaylverbindungen,  syn.  mit  A  ethyl  en  verb  in  dun  gen,  s.  b.  Kolilen- 
wasser stoffe. 

Elbeufschwarz,  Sedanschwarz,  ein  Schwarz  aufWolle  oder  Seide,  durch 
Ausfarben  der  in  einer  Indigktipe  grundirten  Zeuge  in  einem  kocbendem  Bade 
von  Campecheholz,  Sumach  und  Eisenvitriol  dargestellt.     Gil. 

Electricitat  (electricite  —  electricity).  So  nennt  man  die  ihrem  Wesen 
nach  noch  nicht  bekannte  Ursache  eines  zuerst  am  Bernstein  (tjIsxtqov,  spr. 
Electron)  beobachteten  Zustandes,  der  sich  durch  gewisse  sowohl  von  der 
Gravitation  als  auch  vom  Magnetismus  (s.  d.)  verschiedene  anziehende  und  ab- 
stossende  Krafte  zu  erkennen  gibt.  Korper,  welche  sich  in  diesem  sogleich  naber 
zu  erorternden  Zustande  befinden,  nennt  man  electrisch. 

A)  Reibungselectricitat.  In  sebr  hohem  Grade  lasst  sich  der  elec- 
trische  Zustand  an  festen  Harzen  (z.  B.  Bernstein,  Sckellack,  Schiffspech,  Siegel- 
lack)  durch  Reiben  mit  Pelzwerk  oder  Flanell  u.  dgl.  hervorrufen.  Die  genannten 
Korper  erlangen  auf  diese  Art  voriibergehend  die  Eigenschaft,  leichte  Korperchen 
(z.  B.  Stiickchen  von  Hollundermark,  Papierschnitzel)  anzuziehen  und  nach  er- 
folgter  Beriihrung  wieder  abzustossen. 

Je  zwei  durch  Beriihrung  mit  einer  geriebenen  Harzstange  electrisirte  Korper 
stossen  einander  ab. 

Auch  Glas  wird  durch  Reiben  (vornehmlich  mit  feinem  Papiere,  Tuch,  amal- 
gamirtem  Leder)  electrisch  und  bewirkt  dieselben  Erscheinungen,  jedoch  mit  dem 
Unterschiede,  dass  zwei  Korper,  deren  einer  mit  geriebenem  Harze,  der  andere 
mit  geriebenem  Glase  electrisirt  worclen  ist,  einander  nicht  abstossen,  sondern  an- 
zielien. 

Wir  schliessen  aus  diesen  und  vielen  ahnlichen  Erscheinungen ,  dass  es 
zweierlei  Electricitaten  gibt,  die  man  als  H  a  r  z  -  E 1  e  c  t  r  i  c  i  t  a  t  und  G 1  a  s  -  E 1  e  c- 
tricitat  unterscheidet.  Insofern  dieselben  wie  entgegengesetzte  Grossen  sich 
verhalten,,  pflegt  man  sie  beziehungsweise  als  negative  und  positive  Electricitaten 
( —  E  und  -f-  E)  zu  bezeichnen,  wobei  also  die  willkiirliche  Annahme  zu  Grunde 
liegt,  class  man  die  Glas-Electricitat  als  die  positive  gelten  lasst I.) 

Weiterbin  folgt  aus  den  angefiihrten  Tbatsachen  noch  der  bekannte  Satz, 
dass  gleichnamige  Electricitaten  einander  abstossen,  ungleichnamige  einander  an- 
ziehen      . II.) 

Niihere  Untersuchungen  iiber  die  Electricitats-Entwickelung  durch  Reibung 
baben  gelehrt^  dass  dabei  stets  beide  Electricitaten  gleichzeitig  und 
in  gleicher  Menge  auftreten,  so  dass  von  den  beiden  aneinander  geriebenen 
Korp.ern  der  eine  positiv  und  der  andere  negativ  electrisch  wird III.) 

Ferner  hat  sich  herausgestellt,  dass  ein  und  derselbe  Korper,  je  nachdem 
er  mit  diesem  oder  jenem  anderen  Korper  („Reibzeug")  gerieben  wird,  bald 
positiv,  bald  negativ  electrisch  wird.  So  kann  z.  B.  Glas,  welches  in  den  meisten 
Fallen  positiv  electrisch  wird,  durch  Reiben  mit  Katzenfell  auch  negativ  electrisch 
gemacht  werden.  Es  lasst  sich  iiberhaupt  eine  Reihe  von  Korpern  so  ordnen, 
dass  bci  der  Reibung  je  zweier  der  in  der  Reihe  vorhergehende  stets  positiv, 
der  nachfolgende  negativ  electrisch  wird.  Eine  solche  Reihe  ware  z.  B.  folgende: 
Katzenfell,  Flanell.  Glas,  Baumwolle,  Seide,  Holz,  Schellack,  Metalle,  Schwefel, 
Guttapercha*)    .    .' IV.) 


i:)  Vergl.  B alf o ni - S t  c  w a  r t,  kurzes  Lehrlmcli  der  Physilc. 


Electricitat  (Reibungselectricitat).  109 

Der  electrische  Zustancl  eines  Korpers  kann,  wie  schon  die  angefiihrten  Ver- 
suche  erkennen  lassen,  audi  anderen  Korpern  durch  Beriihrung  oder  auch  durch 
blosse  Annaherung  mitgetheilt  werden.  Dabei  bestehen  hinsichtlich  der  Leichtigkeit, 
mit  welcher  die  Korper  Electricitat  annehmen  oder  abgeben,  grosse  Unterschiede. 
So  nehmen  z.  B.  die  Harze,  Glas,  &eide,  wenn  sie  mit  electrischen  Korpern  in 
Beriihrung  kommen,  die  Electricitat  nur  schwer  und  eben  nur  an  der  Beriihrungs- 
stelle  an,  wahrend  dagegen  ein  Stiick  Metall,  mit  einem  electrischen  Korper  in 
Beriihrung  gebracht,  sogleich  und  auf  seiner  ganzen  Oberflache  electrisch  wird. 
Man  schreibt  deshalb  den  Korpern  ein  verschiedenes  Leitungsvermogen  fur 
Electricitat  zu  und  bezeichnet  insbesondere  die  Harze,  das  Glas,  die  Seide  u.  s.  w. 
als  schlechte,  die  Metalle  aber  als  gute  Leiter.  Es  mag  bei  dieser  Gelegenheit 
schon  jetzt  bemerkt  werden,,  dass  gute  oder  schlechte  Warmeleiter  (s.  den  Artikel 
Warm  ernes  sung)  im  Allgemeinen  auch  gute  oder  schlechte  Electricitatsleiter 
sind V.) 

Schlechte  Leiter  nennt  man  auch  Isolator  en,  und  einen  Korper,  der  mit 
keinem  guten  Leiter  in  Beriihrung  ist,  isolirt.  Der  leere  Raum  ist  als  absolut 
nicht  leitend  zu  betrachten ;  trockene  Luft  als  schlecht  leitend.  Feuchtigkeit  erhoht 
ihr  Leitungsvermogen  sehr  auffallend      VI.) 

Deshalb  ist  auch  leicht  einzusehen,  dass  electrische  Versuche,  bei  welchen 
es  darauf  ankommt,  die  Electricitat  auf  isolirten  Korpern  zu  erhalten,  nur  in 
trockener  Luft  gut  gelingen  konnen.  Eine  hohere  Temperatur  ist  dabei 
insofern  vortheilhaft,  als  dieselbe  bei  gleichem  absolutem  Wassergehalte  der  Luft 
einen  geringeren  Feuchtigkeitsgrad  (s.  den  Artikel  Hygrometer)  bedingt    .  VII.) 

Von  den  Fliissigkeiten  konnen  die  Sauren  und  Salzlosungen  im  Allgemeinen 
als  ziemlich  gute  Leiter,  Alkohol,  Aether,  fette  Oele  als  sehr  schlechte  Leiter 
bezeichnet  werden.  Letzteres  gilt  auch  vom  chemisch  reinen  Wasser  und  vom 
Eise.  Aeusserst  geringe  Beimischungen  (Verunreinigungen)  von  Sauren  oder  Salzen 
erhbhen  das  Leitungsvermogen  des  Wassers  schon  sehr  bedeutend*)    .    .    .  VIII.) 

Uebrigens  hangt  das  Leitungsvermogen  der  Korper  auch  von  der  Temperatur 
ab.  Metalle  werden  durch  Erwarmung  schlechter,  chemisch  zusammengesetzte 
Fliissigkeiten  besser  leitend IX.) 

Auch  Glas  wird  in  der  Rothgliihhitze  leitend. 

Um  die  electrischen  Erscheinungen  iibersichtlicher  zu  machen,  bedient  man 
sich  der  Vorstellung,  als  wenn  es  zwei  ausserst  feine  Fliissigkeiten  (Fluida)  gabe, 
-|-_EJund  —  E  genannt,  welche  das  im  Satze  II  ausgesprochene  Verhalten  aussern. 
Im  unelectrischen  Korper  denkt  man  sich  dieselben  gleichformig  und  in  gleicher 
Menge  vereinigt  und  einander  neutralisirend.  Beim  Electrisiren ,  z.  B.  durch 
Reibung,  findet  eine  Scheidung  der  beiden  Fluida  statt,  und  zwar  in  einer  dem 
Satze  III  entsprechenden  Weise. 

Wird  ein  mit  -j-  E  geladener  Korper  K  (z.  B.  eine  geriebene  Glasstange) 
einem  isolirten  Leiter  L  (z.  B.  einer  metallenen  Kugel  auf  glasernem  Fusse  oder 
einer  Hollundermarkkugel  an  einem  seidenen  Faden)  genahert,  so  wird  die  in  L 
enthaltene  negative  Electricitat  angezogen,  die  positive  abgestossen  und  auf  diese 
Art  eine  electrische  Trennung,  d.  i.  eine  Electricitats-Entwickelung  bedingt,  wobei 
eine  Electricitatsmenge  —  E'  auf  der  dem  Korper  K  zugewendeten  und  eine  gleich- 
grosse  entgegengesetzte  Electricitatsmenge  -\-  E"  auf  der  von  K  abgewendeten 
Seite  des  Leiters  L  sich  ansammelt.  Ware  K  mit  negativer  Electricitat  geladen, 
so  wiirden  auf  L  beziehungsweise  die  Electricitaten  -\-  E'  und  —  E"  in  der  bc- 
schriebenen  Anordnung  auftreten.  Man  nennt  diesen  Vorgang  der  Electrisirung 
durch  Fernwirkung  electrische  Influenz  und  bezeichnet  die  von  der  E  des 
influencirenden  Korpers  angezogene  E'  des  influencirten  Leiters  L  als  Influenz- 
electricitat  der  erst  en  Art,  die  abgestossene  E"  als  Influen  z  elect  ri- 
citat  der  zw eiten  Art X.) 


~':)  Siehe  audi  den  Artikel  Electrolyse. 


170  Electricitat  (Reibungelecti-icitat). 

Theorie  unci  Erfahnmg  lehren  iibereinstimmend,  class  das  Innere  eines  durchaus 
gleichartigen  electrisirten  Leiters  stets  unelectrisch  ist.  Elect rische  Ladungen 
kcinncn  sich  also  immer  ntir  auf  der  Oberflache  eines  Leiters 
befinden XL) 

Es  ist  immer  rfc  E'  —  =p  E",  d.  h.  die  beiden  Influenzelectricitaten  sind 
immer  von  gleiclier  Menge  aber  entgegengesetzter  Bescliaffenheit   .    .        .    .  XII.) 

Die  Electricitatsmenge  E'  (oder  E")  ist  nur  dann  der  influencirenden  Elec- 
tricitatsmenge  E  gleich,  wenn  der  influenzirende  Korper  K  vom  influenzirten  Leiter 
L  ringsum  (wie  z.  B.  von  einer  metallenen  Scbale)  eingeschlossen  ist.  In  alien 
anderen  Fallen  ist  E'  (oder  E")  kleiner  als  E XIII.) 

Im  ersten  Falle  des  Satzes  XIII  iiben  die  beiden  eingeschlossenen  Electri- 
citaten  E  imd  E'  nach  aussen  gar  keine  anziehende  oder  abstossende  Wir- 
kung  aus  und  es  ersclieint  demnach  L,  wenn  man  E"  abgeleitet  hat,  ganz  un- 
electrisch     XIV.) 

Annahernd  gilt  XIV  audi  von  der  abgeleiteten  ausseren  Belegung  einer  ge- 
ladenen  Leydener  Flasche,  wobei  die  innere  Belegung  den  Korper  K,  die  aussere 
den  (theilweise)  einschliessenden  Leiter  L  vertritt;  so  wie  auch  von  einer  zur 
Erde  abgeleiteten  Metallplatte  L,  hinter  welcher  sich  der  electriscbe  Korper  K 
befindet,  jedoch  nur  innerhalb  des  Raumes,  welchen  man  den  „electrischen  Scbatten" 
des  Scbirmes  L  nennt XV.) 

Bei  dem  Versuche  X  wird,  weil  die  Entfernung  zwiscben  E  und  E  kleiner 
ist  als  zwiscben  E  und  E",  die  Anziebung  zwiscben  K  und  L  audi  dann  iiber- 
wiegen,  wenn  E"  niclit  abgeleitet  worden  ist.  Ist  L  beweglich,  wie  z.  B.  ein 
electriscbes  Pendel,  und  kommt  es  in  Folge  dessen  mit  K  in  Beriihrung,  so  wird 
E  einen  Tbeil  von  E  neutralisiren,  und  L,  welches  iiberdies  noch  einen  Theil 
von  E  aufnimmt,  als  gleichnamig  electrisch  abgestossen  werden XVI.) 

Ist  der  influenzirte  Leiter  L  auf  Seite  des  electrischen  Korpers  K  mit  einer 
oder  mehreren  Spitzen  (scharfen  Kanten  u.  dgl.)  verseheu,  so  tritt  die  im  Artikel 
Blitzableiter  I  pag.  641  und  642  beschriebene  Ladung  mit  gleichnamiger  In- 
fluenzelectricitat  durch  Spitzenwirkung  ein XVII.) 

Nach  demselben  Principe  ist  leicht  einzusehen,  wie  durch  Spitzenwirkung 
auch  der  Electricitatsverlust  eines  Leiters  an  die  Luft  befdrdert  wird,  weshalb  an 
isolirten  Leitern,  anf  welchen  man  electriscbe  Ladungen  erhalten  will  (wie  z.  B. 
bei  den  leitenden  Bestandtheilen  von  Electrisirmaschinen,  Leydener  Flaschen  u.  s.  w.), 
scharfe  Kanten,  Spitzen  u.  dgl.  sorgfaltig  vermieden  sein  rnussen,  mit  Ausnahme 
der  zur  Vermittlung  von  Ladungen  bestimmten  Spitzen,  die  man  wegen  ihrer 
scheinbar  (XVII)  saugenden  Wirkung  „Saugspitzen"  nennt XVIII.) 

Der  electriscbe  Korper  K  kann  (besonders  wenn  er  selbst  ein  Leiter  ist) 
bei  hinreichend  starker  Ladung  einen  Theil  seiner  Electricitat  an  einen  ange- 
n  aber  ten  Leiter  L  in  der  Form  einer  sogenannten  Funkenentladung  abgeben. 
Diese  Erscheinung  beruht  darauf,  dass  die  zwiscben  K  unci  L  befindliche  Luft- 
schichte,  wegen  ihres  schlechten  Leitungsvermogens,  durch  die  iibergeheude  Elec- 
tricitat bis  zum  Gliihen  erhitzt  wird XIX.) 

Im  leeren  Raume  ist  aus  dem  bereits  in  VI  angegebenen  Grunde  eine  elec- 
triscbe Entladung  unmoglich,  so  wie  wir  iiberhaupt  die  Electricitat  immer  nur  an 
den  Korpern  (an  denselben  haftend  oder  von  denselben  geleitet),  niemals  aber 
von  den  Korpern  getrennt  beobachten  konnen  ......        ...    .XX.) 

Die  Strecke  der  Funkenentladung  nennt  man  Schlagweite,  wobei  voraus- 
gesetzt  wird,  dass  L  mit  der  Erde  leitend  verbunden  ist.  Nahert  man  L  ver- 
schicdenen  Stellen  von  K,  so  erhalt  man  unter  iibrigens  gleichen  Umstanden  ver- 
schiedene  Schlagweiten,  nach  Massgabe  der  sogenannten  Dichte  der  Electricitat 
an  derjenigen  Stelle  der  Oberflache  des  Leiters  R,  von  welcher  der  Funke  aus- 
geht.  Starker  g e k r ii m m t e n  Stellen  entspricht  eine  grossere  elec- 
triscbe Dichte  (und  Schlagweite)  als  schwacher  gekriimmten       ....  XXI.) 

Deshalb  ist  z.  B.  an  der  Funkenstelle  des  Conductors  der  Winter'schen 
Electrisirmaschine  ein  hervorragender,  abgerundeter  Leiter  angebracht. 


Electricitat  (Electroscope). 


171 


Ueber  den  Einfluss  der  Gestalt  des  Leitcrs  L,  welcher  die  Funkenentladung 
aufnimmt,  ist  im  Artikel  Blitzablciter  pag.  642  (unten)  und  643  das  Nothige 
gesngt  worden. 

Von  der  Dichte  der  Electricitat,  welche  anf  der  Oberflache  eines  Leiters 
stellenweise  verschieden  ist,  hat  man  die  sogenannte  Spannung  der  Electricitat 
wohl  zu  nnterscheiden.  Diese  ist,  wenn  Gleichgewicht  besteht,  anf  der  ganzen 
Oberflache  eines  Leiters  oder  auch  mehrerer  mit  einander  leitend  verbundener 
Leiter  dieselbe.  Man  konnte  sie  durch  die  Electricitatsmenge  messen,  welche  in 
eine  kleine  metallene  Kugel  iiberginge,  die  man  mittelst  eines  langen  diinnen 
Drahtes  mit  der  nntersuchten  Stelle  des  Leiters  in  Verbindung  brachte      .  XXII.) 

Znr  genaueren  Untersuchnng  des  electrischen  Zustandes  der  Korper  dienen 
eigere  Instrnmente,  die  man  Electroscope  oder  Electrometer  nennt.  Vom 
Electroscope  wird  nur  verlangt,  dass  es  das  Vorhandensein  von  Electricitat  nnd 
deren  Qualitat  (-J-  E  oder  —  E)  erkennen  lasse,  ohne  jedoch  genaue  quali- 
tative Bestimmungen  zu  gestatten.  Ein  Instrument,  welches  auch  der  letzteren 
Anforderung  geniigt  und  zur  Messung  von  Electricitatsmengen  geeignet  ist,  heisst 
Electrometer XXIII.) 

Ein  alteres,  sehr  einfaches,  fur  viele  Zwecke  ausreichendes  Electroscop  ist 
das  in  Fig.  1408  abgebildete. 

Durch  den  Deckel  eines  Glasgefasses  geht,  durch 
ein  Glasrohr  isolirt,  ein  dicker  Draht,  der  oben  eine 
metallene  Kugel  tragt,  wahrend  an  seinem  unteren  Ende 
entweder  zwei  feine  Reisstrohhalme  an  feinen  Hackchen 
angehangt   oder  zwei  Streifen  Blattgold  angeklebt  sind. 

Nahert  man  der  Kugel  einen  electrischen  Korper, 
so  wird  bei  starker  z.  B.  positiver  Ladung  desselben  die 
Influenzelectricitat  -\-  E"  (siehe  Satz  X)  in  die  Gold- 
blattchen  getrieben '  werden  und  durch  gegenseitige  Afo- 
stossung  ein  Auseinandergehen  derselben,  eine  sogenannte 
„Divergenz"  bewirken.  Die  Grosse  der  letzteren,  zu 
deren  Vergleichung  in  verschiedenen  Fallen  ein  in  der 
Zeichnung  angedeuteter  Gradbogen  dienen  mag,  gestattet 
zugleich  ein  Urtheil  tiber  die  Intensitat  der  Ladung. 
Wird  die  Divergenz  der  Goldblattchen  durch  Annaherung 
einer  geriebenen  Siegellackstange  an  die  Kugel  des 
Electroscopes    vermindert,  so    ist  E"  positiv  und    somit 

auch  die  untersuchte  Ladung  E  positiv,  wie  im  obigen  Beispiele.  Eine  Divergenz, 
die  durch  Annaherung  einer  geriebenen  Siegellackstange  vermehrt  wird,  riihrt 
von  negativer  Electricitat  her.  Schwach  electrische  Korper  miissen  mit  der 
Kugel  des  Electroscopes  in  Beriihrung  gebracht  werden,  um  eine  Divergenz  zu 
bewirken        XXIV.") 

Una  den  electrischen  Zustand  von  Korpern  nachzuweisen,  deren  Ladung  auch 
bei  Beriihrung  des  Electroscopes  nicht  ersichtlich  wird,  dient  ein  Hilfs-Apparat, 
der  alsbald  unter  dem  Namen  Condensator  beschrieben  werden  soil. 

Auf  die  Beschreibung  von  Electrometern  (siehe  XXIII.)  kann  hier  nicht  ein- 
gegangen  werden.  Den  meisten  liegt  das  Princip  der  C  o  u  1  o  m  b'schen  Drehwage 
zu  Grunde,  mittelst  welcher  das  Gesetz  der  electrischen  Anziehung  und  Abstossung 
nachgewiesen  worden  ist.  Dieselbe  ist,  wie  Coulomb  gefunden  hat,  dem  Producte 
der  auf  einander  wirkenden  (in  zwei  Punkten  concentrirt  gedachten)  electrischen 
Quantitaten  (m  und  m1)  direct  und  dem  Quadrate  ihrer  Entfernung  (r)  verkehrt 
proportional,  entsprechend  der  Formel  (Coulomb'sches  Gesetz) 

P  =  =t  k  ~—^- XXV.) 

Der  Abstossung  entspricht  das  positive,  der  Anziehung  negative  Vorzeichen. 
Der  Coefficient  k  bedeutet  die  Wirkung  zweier  Quantitatseinheiten  im  Abstande 
der  Langeneinheit  (m  rr:  m'  —  1;  r  =  1). 


Fig. 

1409. 

/ 

S^l      2^ 

Lt( 

V* 

K 

K% 

172  Electricitat  (Electrisirmaschinen). 

Zur  Erzeugung  grosserer  Mengen  von  Reibungselectricitat  dienen  die  Elec- 
trisirmaschinen, welcbe  dem  Principe  nach  von  zweierlei  Art  sind. 

Die  gewohnliehen  Reibungsmaschinen  baben  bekanntlicb  eine  solcbe  Ein- 
richtung,  dass  in  der  Nahe  eines  Leiters  (Conductors)  von  grosser  Oberflache 
eine  Glasscheibe  an  ainalgamirten  belederten  Reibkissen  gerieben  wird.  Der  in 
der  Regel  mit  Saugspitzen  versehene  Conductor  wird  dabei  in  Folge  des  im  Ab- 
satze  XVII  angegebenen  Vorganges  mit  positiver  Influenzeleetricitat  geladen.  Die 
negative  Reibungselectricitat  des  Reibzeuges  wird  gewobnlich  zur  Erde  abgeleitet, 
kann    aber    audi    auf  einem    zweiten  Conductor    angesarnmelt   werden,  wenn  man 

dafiir  den  ersten  Conductor  mit  der  Erdleitung  verbindet XXVI.) 

Die  neuere  und  fur  manche  Zwecke  geeignetere  Gattung  von  Electrisirma- 
scbinen ist  unter  dem  Namen  Influenzmaschinen*)  (Poggendorff  nannte 
sie  Electromascbinen)  bekannt.  Sie  beruhen  auf  dem  von  Riess  sogenannten 
Principe  der  Doppelinfluenz  und  zwar  in  folgender  Weise. 

Befindet  sicb  zwiscben  einem  negativ  electriscben  Korper  Kt  (Fig.  1409) 
und  einem    mit  Saugspitzen  versebenen  Leiter  Lj,  den  wir  uns   zunachst  mit  der 

Erde  verbunden  denken,  eine  Glasscheibe  a  b,  so 
wird  dieselbe  beiderseits  positiv  electriscb ;  diesseits 
durch    unmittelbare    Influenz    (X),    und    auf    der 
anderen    Seite    dadurch,    dass    zugleicb    aucb    der 
Leiter  Lt   influenzirt  wird   und    seine   positive  In- 
l    fluenzelectricitat  aus  den  Saugspitzen  auf  die  Glas- 
scheibe   (durch    die    dazwischen    befindliche    Luft- 
scbichte)    iibergehen   lasst,    wodurch    die    daselbst 
zuerst    erregte    negative   Influenzeleetricitat    mehr 
als  neutralisirt  wird.  Dieser  Vorgang  heisst  Doppelinfluenz  und  ist  natiirlich 
von    einem  Abstromen   negativer  Influenzeleetricitat  aus  Z,   in  die  Erde  begleitet. 
Der  Vorgang  erneuert'  sicb,  wenn  die   Glasscheibe  zwiscben  K±  und  Lx  be- 
wegt  wird. 

Denkt  man  sicb  nun  bei  K,,  einen  positiv  electriscben  Korper  und  auf  der 
anderen  Seite  der  Glasscheibe  einen  eben  solchen  Leiter  L„  wie  Lx  angebracht, 
so  ist  leicht  einzusehen,  dass  von  L„  ein  Strom  positiver  Electricitat  in  die  Erde 
abgehen  wird,  wahrend  man  die  Glasscheibe  a  b  uni  eine  Achse  c  dreht.  Sind 
die  Leiter  i,  und  L,x  nicht  zur  Erde  abgeleitet,  sondern  mit  metallenen  Biigeln 
verbunden^  deren  Enden  1  und  2  nicht  zu  weit  von  einander  abstehen,  so  wird 
zwiscben  1  und  2  eine  Funkenentladung  stattfinden,  welcbe  von  den  Influenz- 
electricitaten  der  Leiter  Lx   und  L,2  gebildet  wird. 

Bei  der  Influenzmaschine  sind  Kx  und  K^  mit  Spitzen  versehene  Halbleiter 
und  erhalt  K{  seine  negative  Ladung  durch  einmalige  Beriihrung  mit  einer  ge- 
riebenen  Hartgummiplatte,  K^  seine  positive  Ladung  durch  die  zwischen  Kt  und 
L,  positiv  geladene  Scheibe,  die  dann  zwischen  A',  und  L„  negativ  electriscb 
wird  und  Kx  neuerdings  mit  negativer  Electricitat  versieht7  dann  wieder  K„  mit 
positiver  u.  s.  w.,  so  dass  zwischen  1  und  2  ein  fast  continuirlicher,  bis  zu  einem 

gewissen  Maximum  anwachsender  Funkenstrom  iibergeht XXVII.) 

Um  die  von  einer  Electrisirmascbine  gelieferte  Electricitat  in  grosserer  Menge 
auf  einem  auderen  Leiter  anhaufen  zu  konnen,  bedient  man  sicb  der  sogenannten 
A  n  s  a  m  m  lungs  a  p  p  a  rate.  In  diese  Kategorie  gehoren  vornelimlich  die  Leydener 
Flaschen  und  die  aus  solchen  zusammengestellten  Batterien,  deren  Einrichtung 
wir  wohl  als  bekannt  voraussetzen  diirfen,  ferner  die  Condensatoren,  von  welchen 
schon  ira  Artikel  Condensator  im  Allgemeinen  die  Rede  war. 

Die  im  Obigen  besprochenen  Fundamentalgesetze  gestatten,  wenn  audi  nicht 
eine  strenge  Nachweisung,  doch  eine  leichtere  Beurtheilung  der  Verbaltnisse,  von 
welchen    die  Leistungsfahigkeit  eines   Condensator s  abhangt,  weshalb    wir  die 


*)  Die  Bezeiehaung  ist  insafern  niclit  treflfend,  weil  ja   auch  die  Wirkung   der  alten  Elec- 
trisirmaschinen  auf  Influenz  beruht.  „Doppelinflaenzmascbinen"  ware  passender. 


Electricitat  (Condensatoren). 


173 


v< 


Fig.  1411. 


fur   praktische   Anwendungen    nothigen   Andeutungen  hieruber  diesem  Artikel    ein- 
gefiigt  haben. 

Man  denke  sich  einen  Streifen  A  B  (Fig.  1410  und  1411)  von  gut  ge- 
firnisstem  Wachstaffet  beiderseits  mit  Stanniolstreifen  C\  und  C,,  belegt,  die  etwas 
kiirzer    und  sckmaler  sind,  so  dass  Fig.  1410. 

vom  Wachstaffet  ringsum  ein  un- 
belegter  Rand  bleibt.  Das  Stanniol 
kann  mit  Schellackfirniss  aufgeklebt 
werden.  Um  diese  Vorrichtung,  wel- 
cbe  im  wesentlichen  nichts  anderes 
als  eine  biegsame  Franklin'sche 
Tafel  istj  in  eine  compendiosere 
Gestalt  zu  bringen,  legt  man  sie  nach 
dem  Schema  Fig.  1412  zusammen 
und  trennt  die  einzelnen  Lagen 
durch  diinne  Brettchen  oder  Glas- 
tafeln  oder  sonst  geeignete  isoli- 
rende  Substanzen. 

Wird  nun  eine  der  beiden  Be- 
legungen,  z.  B.  Ct  durch  leitende 
Verbindung  mit  dem  Conductor  einer 
Electrisirmaschine  oder  einer  anderen 
Electricitatsquelle  positiv  geladen, 
wahrend  C,2  zur  Erde  abgeleitet  ist, 
so  wird  die  von  der  Ladung  -\-  E 
der  Belegung  Ct  herriihrende  Iu- 
fluenzelectricitat  —  E'  der  Belegung 
Cn  bewirken,  dass  der  grcisste  Theil 
von  E  auf  der  inneren  Flache  der 
Belegung  C\  sich  ansammelt  und  mit  —  E'  zusammen  (da  sich  beide  Electrici- 
taten  gegenseitig  anziehen)  keine  merkliche  Wii'kung  in  die  Feme  ausiibt,  oder, 
wie  man  sagt,  „gebunden"  wird.  In  Folge  dessen  kann  Cx  noch  weiter  Electri- 
citat von  der  Maschine  aufnehmen,  wobei  sich  der  beschriebene  Vorgang  mit  eiuem 
Theile  der  neu  aufgenommenen  Electricitat  wiederholt,  bis  endlich  die  Ladung 
eine  gewisse  Grenze  erreicht  hat,  bei  welcher  der  Leiter  C,  viel  mehr  Electricitat 
aufgenommen  hat_,  als  er  ohne  die  Riickwirkung  von  C2  fur  sich  allein  hatte  auf- 
nehmen  konnen.  Die  Spannung  der  Electricitat  aber  auf  C,  kann  (vermoge  XXII) 
in  beiden  Fallen  nie  grosser  werden  als  auf  dem  Conductor  der  Maschine  .  XXVIII.) 

Nennt  man  F  die  Flache  der  Belegung  Cx  (wir  wollen  C„  als  gleich  gross 
voraussetzen),  P  die  Spannung  der  Electricitat  auf  dem  Conductor  der  Electrisir- 
maschine oder  der  sonst  angewendeten  Electricitatsquelle,  mit  welcher  der  Con- 
densator  geladen  wird,  und  D  die  Dicke  der  isolirenden  Zwischenschichte,  so  ist 
die   Electricitatsmenge  M  (Ladung),  welche    der  Condensator    aufzunehmen 

FP 

vermag,  annahernd  proportional  dem  Quotienten  — ^r — ,  also 

FP      D 
M—k  -^- XXIX.), 

wobei  k  eine    constante  Zahl    ist,    welche   mit  F  und  D  die    sogenannte  Verstar- 

k  F 
kungszahl   — =—  des  Condensators  bildet. 

Um  also  einen  Condensator  herzustellen,  der  moglichst  viel  Electricitat  auf- 
nimmt,  miissen  die  Belegungen  sehr  gross  und  das  isolirende  Diaphragma  (so 
weit  es  mit  der  Widerstandsfahigkeit  gegen  durchbrechende  Selbstentladungen  ver- 
einbar  ist)  sehr  diinn  gemacht  werden. 

Soil  der  Condensator  die  nach  XXIX  berechnete  Ladung  aufnehmen,  so  ist 
ausser  der   besagten  Widerstandsfahigkeit   des  Diaphragma    audi    ein   hinreichend 


174  Electricitat  (Fortpflanzungsgeschwindigkeit). 

breiter  unbelegter  Rand  desselben  erforderlieh,  damit  nicht  eine  Selbstentladung 
einer  Belegung  zur  anderen  um  den  Rand  des  Diaphragmas  herum  stattfinde  .  XXX.) 

Dieselben  Satze  gelten  inehr  oder  weniger  annahernd  fiir  alle  electrischen 
Ansammlungsapparate ,  mogen  diese  nun  Condensatoren ,  Leydener  Flaschen, 
Franklin'sche  Tafeln  oder  wie  immer  genannt  werden. 

Werden  die  beiden  Belegungen  des  geladenen  Ansamrnlungsapparates  leitend 
mit  einander  verbunden,  so  findet  jene  Ausgleichung  entgegengesetzter  Electricitaten 
statt,  die  man  Entladung  nennt. 

Die  einer  solchen  Entladung  entsprechende  Arbeitsleistung  A  ist   dem 

Producte  der  Ladung  M  und  ihrer  Spannung  P  proportional XXXI.) 

und  kann  mit  Riicksiclit  auf  die  Formel  XXIX  auch  durch  die  Gleichung 

A  =  c    Dp' xxxn.) 

ausgedriickt  werden,  wobei  c  einen  constanten  Factor  vorstellt,  und  die  ilbrigen 
Buchstaben  die  bereits  angegebenen  Bedeutungen  baben.  Man  kann  also  aucb 
sagen :  die  Wirkung  der  Entladung  ist  bei  einem  und  demselben  Condensator  dem 
Quadrate  der  Ladung  proportional. 

Die  Wirkung  der  Entladung  bestebt  entweder  bios  in  einer  Erwarmung  des 
Verbinduugsleiters,  oder,  wenn  derselbe  unterbrochen  ist,  auch  in  der  Bildung 
electrischer  Funken  (XIX)  an  den  Unterbrecbungsstellen,  in  welchen  Fallen  zugleich 
mechanische  Wirkungen  (Losreissen  von  metallischen  Theilchen,  Erschiitterung  der 
Luff,  Durcbbreclien  eingeschalteter  schlechter  Leiter  u.  dgl.)  auftreten. 

Auf  die  chemischen  Wirkungen ,  welcbe  electriscbe  Entladungen  mit  sich 
bringen  konnen  (z.  B.  Ozonbildung  bei  der  Funkenentladung),  wollen  wir  bier  nicht 
weiter  eingeben.  (Vergl.  den  Artikel  Electrolyse.)  Eben  so  mogen  die  physio- 
logischen  Wirkungen  iibergegangen  werden.  Auf  die  magnetischen  Wirkungen 
kommen  wir  im  Artikel  Elect romagnetismus  zuriick.    , 

Bei  jeder  Entladung  findet  in  dem  Verbindungsleiter  („Schliessungsbogen"), 
in  welchem  die  entgegengesetzten  Electricitaten  zur  Ausgleichung  kommen,  eine 
Bewegung  derselben  statt  (beziehungsweise  eine  durch  electriscbe  Krafte  bewirkte 
Molecularbewegung),  welche  wir  einen  electrischen  Strom  nennen  .  XXXIII.) 

Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  die  electrischen  Strome  von  langerer  Dauer 
(continuirliche  Strome),  insbesondere  die  constanten  (oder  stationaren)  Strome,  von 
welchen  spa'ter  die  Rede  sein  soil.  Die  Reibungselectricitat  liefert  uns  in  der 
Regel  nur  Strome  von  sehr  kurzer  Dauer  und  rasch  veranderlicher  Intensitat. 

Ueber  die  Dauer  electrischer  Entladungsfuuken  hat  Wheatstone  Ver- 
suche  angestellt ;  er  fand  dieselbe  kleiner  als  ein  Millionstel  einer  Secunde  .  XXXIV.) 

Fiir  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Electricitat  in  Leitern 
hatte  Wheatstone  61000  Meilen  pro  Secunde  gefunden.  Kirch hoff  be- 
rechnete  auf  Grundlage  des  Weber'schen  Fundamentalgesetzes  eine  Geschwin- 
digkeit  von  41000  Meilen.  Nach  den  in  neuester  Zeit  auf  Telegraphenlinien  aus- 
geftihrten  Werner  Siemens'schen  Messungen  ergaben  sich  Geschwindigkeiten 
von  durchschnittlich  30000  Meilen.  Dieses  letztere  Resultat  verdient  am  meisten 
Vertrauen  und  widerlegt  zugleich  die  jedenfalls  viel  zu  kleinen  Geschwindigkeiten, 
welche  von  Walker,  Mitchell  und  Gould  auf  amerikanischen  Telegraphen- 
linien gefunden  worden  sind.  —  Nach  Kirchhoff  ware  aus  theoretischen  Griinden 
anzunehmen,  dass  die  Geschwindigkeit  der  Electricitat  in  alien  Leitern  gleich 
gross  sei XXXV.) 

B)  Beriihrungs electricitat.  Wir  haben  bisher  vorausgesetzt,  dass 
der  electriscbe  Zustand  durch  Reibung  hervorgerufen  worden  sei. 

Zur  Erzeugung  der  so  erregten  Electricitat,  welche  man  Reibungselec- 
tricitat nennt,  eignen  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  schlechte  Leiter.  Bei  guten 
Leitern  geniigt  eine  blose  Berlihruug  des  einen  mit  einem  anderen  zur  Electri- 
citats-Erregung,  vorausgesetzt,  dass  beide  nicht  von  gleicher  Art  sind,  sondern 
entNveder  chemisch  verschieden    oder  doch  wenigstens  von    ungleicher  Temperatur 


Electricitat  (Beriihrungselectricitat).  175 

oder  ungleicher  Beschaffenheit  der  Oberflache  (z.  B.  der  eine  polirt,  der  andere 
matt).  Man  nennt  die  unter  solchen  Umstanden  durch  Beriihrung  erregte  Elec- 
tricitat: Beriihrungselectricitat  oder  Contact-Elect ricitat,  oder  auch 
galvanise  he  oder  volta'sche  Electricitat,  endlich  auch  Galvanismus  oder 
■  V  o  1 1  a  i  s  m  u  s. 

Die  beiden  letzteren  Bezeichnungen  riihren  bekanntlich  davon  her,  dass 
Galvani  zuerst  gewisse  physiologische  Erscheinungen  (Zuckungen  von  Frosch- 
scbenkeln  bei  metallischen  Beriihrungen)  beobachtete,  von  welchen  Volta  spater 
nachwies,  dass  dieselben  von  der  Contact-Electricitat  der  dabei  angewendeten  un- 
gleichartigen  Metalle  verursacht  worden  sind*) XXXVI.) 

Zur  Erzeugung  von  Contact-Electricitat  eignen  sich  vornehmlich  die  Metalle, 
unter  welchen  am  haufigsten  Kupfer  und  Zink  zu  dicsem  Zwecke  benutzt  werden, 
bei  deren  Beriihrung  jenes  negativ,  dieses  positiv  electrisch  wird. 

Ganz  analog  dem  fur  die  Reibungselectricitat  geltenden  Satze  III  treten 
namlich  auch  bei  der  Electricitatsentwicklung  durch  Contact  stets  beide  Electri- 
citaten  gleichzeitig  und  in  gleicher  Menge  auf,  indem  jedesmal  der  eine  von  den 
beiden  miteinander  in  Beriihrung  gebrachten  Leitern  (z.  B.  Metallen)  positiv,  der 
andere  negativ  electrisch  wird. 

Alle  einfachen  und  auch  mehrere  zusammengesetzte  Korper  lassen  sich 
dergestalt  in  eine  Reihe  stellen,  dass  bei  der  Beriihrung  von  je  zwei  beliebigen 
Gliedern  dieser  Reihe  das  vorhergehende  positiv,"  das  nachfolgende  negativ  elec- 
trisch wird.     Diese  Reihe  nennt  man  S  p  an  nun  gs  reihe. 

Einige  Glieder  derselben,  die  besonders  haufig  in  Betracht  kommen,  sind 
z.  B.  folgende:  Zink,  Zinn,  Blei,  Eisen,  Kupfer,  Silber,  Gold,  P latin, 
Kohle;  oder  mit  chemischen  Zeichen  geschrieben:  Zn,  Sn,  Pb,  Fe,  Cu,  Ag, 
Au,  Pt,  C.  Das  vorhin  ausgesprochene  Verhalten  ist  noch  dahin  naher  zu  pra- 
cisiren,  dass  die  bei  der  Beriihrung  zweier  Glieder  der  Spannimgsreihe  erregte 
Contactelectricitat  mit  desto  grosserer  Spannungsdifferenz**)  auftritt,  je  weiter 
die  beiden  Glieder  in  der  Reihe  von  einander  entfernt  sind.  Es  wird  also  z.  B. 
Kupfer  im  Contacte  mit  Blei  starker  als  mit  Eisen,  noch  starker  mit  Zinn  oder 
endlich  mit  Zink  negativ  electrisch,  es  wird  hingegen  positiv  electrisch  mit  Silber, 
noch  mehr  mit  Gold,  starker  noch  mit  Platin  oder  endlich  mit  Kohle.  Dieses 
Gesetz  wird  das  erste  Gesetz  der  Spannungsreihe  genannt. 

Ein  zweites  Gesetz  der  Spannungsreihe  sagt,  dass  die  DifFerenz 
der  auf  zwei  Gliedern  derselben  auftretenden  contactelectrischen  Spannungen  ganz 
dieselbe  ist,  man  mag  jene  beiden  Glieder  unmittelbar  mit  einander  in  Beriihrung 
bringen  oder  durch  andere  Glieder  der  Spannungsreihe  in  beliebiger  Auswahl  und 
Anordnung  ,mit  einander  leitend  verbinden.  Wenn  also  z.  B.  das  eine  Mai  auf 
eine  Kupferplatte  unmittelbar  eine  Zinkplatte  gelegt  wird,  das  andere  Mai  hingegen 
auf  die  Kupferplatte  zunachst  etwa  eine  Platinplatte,  auf  diese  eine  Bleiplatte, 
dann  vielleicht  eine  eiserne  Platte  und  endlich  die  Zinkplatte,  so  werden  die 
Contactelectricitaten  auf  den  beiden  Endplatten  in  beiden  Fallen  dieselbe  Be- 
schaffenheit und  Spannungsdifferenz  haben. 

Die  bei  dem  Contacte  zweier  Korper  auf  denselben  auftretenden  entgegen- 
gesetzten  Electricitaten  treten  mit  bestimmten  Spannungen  auf,  deren  Differenz 
nur  von  der  materiellen  Beschaffenheit,  nicht  aber  von  der  Form  oder  Beriihrungs- 
flache  der  beiden  Korper  abhangt.  Man  nennt  diese  Differenz  die  electrische 
Differenz,  welche  den  betreffenden  Gliedern  der  Spannungsreihe  entsprieht. 
Wird  einer  der  beiden  Korper  leitend  mit  der  Erde  verbunden,  so  wird  die 
Spannung    auf  demselben   gleich  Null,    steigt  aber   gleichzeitig    auf  dem    anderen 


h)  Zum  Theile  kommt  bei  den  von  Galvani  beobachteten Erscheinungen  allerdings  aucb 
die  spater  von  Matte  ucci  und  Du  Bois  Reymond  beobachtete  Muskel-  und  Nerven- 
Electricitat  („thierische  Electricitat"')  in  Betracht. 

")  Sei  die  Spannimg  auf  dem  einen  Metalle  -J-  p,  auf  dem  anderen  —  p',  so  ist  die 
Spannungsdifferenz  d  —  ~\-p    —  (—  p')  ~  p  -\-  p'. 


176  Electricitat  (Berlihrungselectricitat). 

Korper  um  so  viel,  class  die  electrisclie  Differenz  constant  bleibt,  also  die  Spannung 
auf  dem  nicht  abgeleiteten  Korper  der  urspriingliclien  electrischen  Differenz  gleich  wird. 
Dagegen  hangt  die  Electricitats-Menge,  welche  sicb.  beim  Contacte  entwickelt, 
von  der  Oberflache  und  Bertihrungsflache  der  im  Contacte  befindlichen  Leiter  ab. 
Es  entwickelt  sicb  eben  auf  beiden  Korpern  gleichviel  Electricitat  in  solcher 
Menge  und  Anordnung,  dass  die  der  Natur  der  Korper  entsprechende  electriscbe 
Differenz  erreicbt  wird.  Die  Electricitaten  verbreiten  sicb  in  Gemassheit  des 
Satzes  XI  auf  den  Oberflacben  beider  Leiter,  wobei  die  an  den  mit  einander  in 
Bertibrung  stebenden  Tbeilen  der  Oberflacben  befindlichen  Electricitaten  eine 
ahnliche  Wecbselwirkung  („Bindung")  auf  einander  ausiiben  wie  die  Ladungen 
eines  Condensators  (XXVIII).  Die  Kraft,  welche  die  Vereinigung  der  beiden  Con- 
tactelectricitaten  verhindert  und  also  gewissermassen  die  Widerstandsfahigkeit  eines 
Diaphragmas  ersetzt,  nennt  man  elect romotorische  Kraft  und  wird  der 
electrischen  Differenz  proportional  angenoninien. 

Aus  dem  zweiten  Gesetze  cler  Spannungsreihe  lasst  sich  der  Schluss  ab- 
leiten,  dass  die  electriscbe  Differenz  je  zweier  Glieder  stets  gleich  ist  der  alge- 
braischen  Summe  der  electrischen  Differenzen  der  Zwischenglieder. 

Diejenigen  Electricitatsleiter,  deren  Verhalten  beiden  Gesetzen  der  Spannungs- 
reihe   entspricht,  werden  Leiter    erster  Ordnung,    alle   tibrigen  Electricitats- 

leiter  hingegen  Leiter  zweiter  Ordnung  genannt XXXVII.) 

Einen  Leiter  erster  Ordnung,  der  im  Contacte  mit  einem  anderen  Leiter 
erster  Ordnung  positiv  electrisch  wird,  nennt  man  beziiglich  des  letzteren  electro- 
positiv,  hingegen  den  letzteren  gegeniiber  dem  ersteren  electronegativ.  So 
heisst  z.  B.  Silber  electropositiv  gegeniiber  dem  Platin,  aber  electronegativ  gegen- 
iiber dem  Zinn.  In  cliesem  Sinne  bezeichnet  man  unter  diesen  drei  Metallen  Zinn 
als  den  electropositivsten  und  Platin  als  den  electronegativsten  Korper  und  nennt 
die  Zwischenglieder  desto  positiver,  je  naher  sie  in  der  Spannungsreihe  dem 
ersteren,  oder,  was  dasselbe  ist,  desto  negativer,  je  naher  sie  dem  letzteren  stehen. 
Die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  chemische  Affinitat  des  Sauerstoffes  zu  den 
Korpern,  welche  der  Spannungsreihe  angehoren,  desto  energischer  ist,  je  positiver 
die  letzteren  sind.  Diese  und  viele  andere  analoge  Thatsachen  haben  zu  dem 
Schlusse  gefiihrt,  dass  die  chemische  Affinitat  der  Korper  mit  der  electrischen 
Differenz  beim  Contacte  derselben  wesentlich  zusammenhangt. 

Auf  dieser  Grundlage  ist  es  moglich  geworden,  alien  Grundstoffen  eine  be- 
stimmte  Stellung  in  der  Spannungsreihe  mit  mehr  oder  weniger  Sicherheit  anzu- 
weisen.  Die  so  erweiterte  Spannungsreihe  wird  auch  die  elect rochemische 
Reihe  genannt. 

In  derselben  erscheint  das  Casiuni  als  der  positivste,  der  Sauerstoff 
als  der  negativste  Korper.  Im  Uebrigen  verweisen  wir  jedoch  hinsichtlich  der 
electrochemischen   Reihe    auf  die   Lehrbucher   der  Chemie,    da   in    diesem  Artikel 

nicht  weiter  darauf  eingegangen  werden  soil XXXVIII.) 

Aus  dem  zweiten  Gesetze  der  Spannungsreihe  lasst 
sich  auch  der  Satz  ableiten,  dass  in  einem  Cyclus  von 
beliebig  vielen  einander  beriihrenden  Leitern  erster 
Ordnung,  wie  immer  dieselben  angeordnet  sein  mogen 
(z.  B.  wie  in  Fig.  1413,  wobei  il/ein  beliebiges  zwischen 
Zink  und  Kupfer  eingeschaltetes  Metall  bedeutet),  immer 
nur  electriscbe  Spannungen,  die  im  Gleichgewichte  stehen, 
aber  niemals  ein  electrischer  Strom  (XXXIII)  auftreten 
kann,  so  lange  in  der  Leiter-Combination  iiberall  dieselbe 

Temperatur  herrscht XXXLX.) 

Durch  Einschaltung  eines  Leiters  zweiter  Ordnung, 
z.  B.  einer  die  Electricitat  leitenden  (chemisch  zusammen- 
gesetzten)  Fliissigkeit  kann  das  electriscbe  Gleichgewicht 
aufgehoben  und  ein  electrischer  Strom  hervorgebracht 
werden,  der  durch  die  fortdauernde  Contactwirkung  der 


Electricitat  (galvanische  Elemente). 


177 


Fig.  1414. 
Za  A  Cu, 


Leiter  erster  Ordnung  unter  sicli  mul  rait  dem  Leiter  zweiter  Ordnung  unterhalten 
wird.*) 

Eine  zur  Stromerzeiigung  geeignete  Combination  von  Leitern  erster  und 
zweiter  Ordnung  wird  eine  galvanise  he  (volt  a'sche  oder  h  y  d  r  o  e  1  e  ct.fi  s  c  h  e) 
Kette  genanut,  oder  auch  ein  gal  van  is  eh  es  Element. 

Man  erhalt  eine  solche  Kette  in  einfachster  Form, 
wenn  man  z.  B.  je  ein  Stuck  Kupfer  und  Zink  (Fig.  1414), 
welche  einander  einerseits  beruhren,  anderseits  in  ver- 
diinnte  Schwefelsaure  taucht.  Es  geht  in  diesem  Falle 
ein  electrischer  Strom  vom  electropositiven  Zink  durch 
die  Fliissigkeit  zum  electronegativen  Kupfer  und  von 
diesem  durch  die  Beriihrungsstelle  zum  Zink. 

Um  von  diesem  Strome  Gebrauch  machen  zu  konnen, 
ist    es    zweckmassig,  die  Beriihrung  der    beiden  Metalle 
durch    einen    Draht  (Fig.  1415)  zu    vermitteln,    welcher 
die    Metalle    leitend    verbindet    und    Schliessungsdraht 
genannt  wird.  Vermoge  des  zweiten  Gesetzes  der  Spannungs- 
reihe  ist  es  flir  die  Contactwirkung  zwischen  Kupfer  und  Zink 
gleiehgiltig,  aus  welchem  Materiale    der  Schliessungsdraht  be- 
steht.     Zu    dieser  Contact- Wirkung   gesellt  sich    in   der  Kette 


noch  diejenige,  welche  durch  die  Beriihrung  der  Metalle  mit 
der  Fliissigkeit  —  wir  wollen  sie  Ladungsfliissigkeit  nennen 
—  verursacht  wird.  So  werden  z.  B.  Zink  und  Kupfer  durch 
Beriihrung  mit  verdiinnter  Schwefelsaure  negativ  electrisch, 
jedoch  ersteres  starker  als  das  letztere,  weshalb  die  gleich- 
zeitig  auftretende  positive  Erregung  der  Fliissigkeit  von  der 
Art  ist,  dass  sie  eine  Verstarkung  des  Stromes  in  derselben 
bedingt. 

Diese  und  ahnliche  Contact- Wirkungen  zwischen  Metallen 
und  Fliissigkeiten  beruhen  entweder  darauf,  class  ein  Me  tall  von  einer  Fliissigkeit 
angegrifFen  und  in  Folge  dessen  mit  einer  Gas-  oder  Oxyd-Schichte  bedeckt  wird, 
die  im  Contacte  mit  dem  Metalle  electromotorisch  wirksara  ist;  oder  aber  darauf, 
dass,  wenn  kein  directer  Angriff  stattfindet,  eine  der  chemischen  Affinitat  zwischen 
dem  Metalle  und  dem  electronegativen  Bestandtheile  der  Fliissigkeit  entsprechende 
electrische  Differenz  auftritt,  wie  z.  B.  beim  Eintauchen  von  Platin  und  Gold  in 
starke  Sauren,  wobei  die  genannten  Metalle  positiv  electrisch  werden. 

Ein   fiir   practische  Anwendungen    wich tiger  Vorgang   ahnlicher  Art    ist   das 
Passivwerden    des    Eisens    beim    Eintauchen    in    coneentrirte    Salpetersaure.     Das 


Zn 

Cu 

— 5^ 

Verhalten,  wie  man  annimrnt,  einer  diinnen  Oxydulscliichte,  mit  der  es  sich  im 
ersten  Momente  iiberzieht.  Diese  Oxydulscliichte  verhalt  sich  stark  electronegativ 
und  schiitzt  in  Folge  dessen  das  Eisen  gegen  weitere  Angriife.  Man  nennt  das 
in  diesen  Zustand  versetzte  Eisen  passiv;  es  verhalt  sich  gegeniiber  dem  gewohn- 
lichen  Eisen  electronegativ,  ahnlich  wie  Platin,  an  dessen  Stelle  es  auch  bei  der 
haufig  vorkommenden  Zinkeisenkette,  von  welcher  spater  die  Rede  sein  soil,  an- 
gewendet  wird. 

Fiigt  man  mehrere  Zinkkupferketten  der  vorhin  beschriebenen  Art  nach  dem 
Schema  der  Fig.  1416  aneinander,  so  erhalt  man  cine  zusammengesetzte  Kette 
oder    eine    gal  van  i  sch  e  (vol  t  a'sche    oder   hy  dro  electrisch  e)    Batterie. 

Es  ist  sofort  ersichtlich,  class  die  positive  Electricitat  der  letzten  Zinkplatte 
durch  die  Fliissigkeit  in  die  letzte  Kupferplatte  iibergeht,  welche  man  deshalb 
den  p  o  sit  i  ven  Pol  (Kupferpol)  der  Batterie  nennt..  Aus  analogem  Grundo 
heisst  die  erste  Zinkplatte,  welche  die  negative  Electricitat  der  ersten  Kupferplatte 


*)  Aut'  die  nahere 
Karmarsch  &  Heeren, 


•wag  dieses  Voi'gang-es 
ches  Wortoibuch.    B.l.  III. 


commen  wir  spater  (LXVII)  zuriiek. 
12 


178 


Electricitat  (galvanische  Elcmente). 
Fig.  1416. 


Z/> 

\ 

aufnimmt,  tier  negative  Pol  (Zinkpol).  Verbindct  man  beide  Pole  dtircb  einen 
Schliessungsdraht,  so  verlauft  in  demselben  der  Strom  vom  Knpferpole  zum  Zinkpole. 

Auch  bei  einer  einfachen  Kette,  wie  Fig.  1415,  wird  die  (obgleicli  im  Con- 
tacte  mit  Zink  negative)  Kupferplatte  als  der  positive  und  die  Zinkplatte  als  der 
negative  Pol  bezeichnet,  weil  der  Strom  im  Schliessungsdrahte  von  der  ersteren 
zur  letzteren  geht.  Es  ist  also  zwischen  dem  positiven  Pole  und 
dem  positiven  Met  a  lie  einer  Kette  wo  hi  zu  unterscheiden. 

Eine  Kette  oder  Batterie,  deren  Pole  nieht  leitend  verbunden  sind,  heisst 
of  fen,  im  entgegengesetzten  Falle  geschlossen. 

Kette  (oder  Batterie)  und  Schliessungsbogen  zusammengenommen,  also  die 
ganze  Strombahn  einer  Kette,  nennt  man  den  S  ch  1  i.e  s  s  u  n  g  s  k  r  e  i  s  derselben  .  XL.) 

In  alien  Fallen  bewirkt  der  electrische  Strom  eine  Warm  e -En  twicke- 
lung  in  alien  Theilen  des  Schliessungskreises ;  ausserdem  ist  derselbe  mit 
einer  Zersetzung  der  im  Schliessungskreis  e  befindlichen  Leiter 
zweiter  Ordnung  verbunden.  Cbemisch  zusammengesetzte  Fliissigkeiten  leiten 
den  Strom  eben  nur,  insofern  sie  dabei  zerlegt  werden,  wodureh,  wie  es  scheint, 
die  Stromleitung  eigentlicb  vermittelt  wird.  Man  nennt  den  Vorgang  einer  solcben 
Zerlegung  dnrch  den  Strom  Electrolyse*)  und  die  dieser  Zerlegung  unter- 
liegenden  Korper  Electrolyten. 

Bei  der  Electrolyse  der  verdtinnten  Schwefebiiure,  welche  in  der  vorhin  er- 
wahnten  Zinkkupferkette  als  Leiter  zweiter  Ordnung  dient,  wird  das  Hydrat  S04H„ 
in  der  Art  zerlegt,  dass  H„  an  der  Knpferplatte  sich  ausscheidet,  an  der  Zink- 
platte bingegen  aS'O,  mit  einer  aquivalenten  Menge  dieses  Metalles  zu  Zinkvitriol 
sich  vereinigt. 

Hieraus  wird  ersiebtlich,  dass  einerseits  eine  gewisse  Zinkconsumtion  mit 
der  Unterbaltmig  des  Stromes  unzertrennbar  verbunden  ist  und  anderseits  eine 
Ablagerung  von  Wasserstotf  an  der  Knpferplatte. 

Der  letztere  Vorgang,  bei  welehem  der  Wasserstotf  positive  Contaetelectrieitat 
annimmt,  ist  der  Wirknng  der  Kette  offenbar  abtraglich,  da  die  Wasserstotf-Sehicbte 
auf  der  Kupferplatte  mit  dem  Zinke  gewissermassen  aueh  eine  Kette  bildet,  welche 
jedoeh  eine  dem  Strome  der  Zinkkupferkette  entgegengesetzte  Stromrichtung  her- 
zustellen  strebt. 

Diese  Ges-enwirkung,  Polarisation  genannt,  tritt  noch  starker  auf,  wen n 


saure  geschiitzt  ist. 

Bei  fortgesetzter  Tbatigkeit  der  Kette  wird  der  dabei  gebildete  und  in  Losung 
gegangene  Zinkvitriol  ebenfalls  zerlegt  und  in  Folge  dessen  Zink  an  der  Kupfer- 
platte ausgeschieden. 

Diese  Ablagerungen  an  der  Kupferplatte,  insbesondere  die  Polarisation,  be- 
wirken  eine  rasch  eintretende  Stromabnalime,  weshalb  man  Ketten  dieser  Art  in- 
constante  Ketten  nennt. 

Das  Wesen  der  sogenannten  constanten  Ketten,  welcbe  mit  diesen  Uebel- 
standen  nicbt  behaftet  sind,  besteht  also  in  Einriehtungen,  welche  electro-positive 
Ablagerungen,  insbesondere  des  Wasserstoffes,  an  der  Kupferplatte  verhindern. 

Zu  diesem  Zwecke  dienen  oxydirende  oder  „depolarisirende" 
Fliissigkeiten,   welche    man    neben    der  verdiinnten  Schwefelsaure,  von    dieser 


*)  Siehe  d.  Artikel. 


Electrieitat  (constantc  Ketten).  179 

durch  ein  poroses  Diaphragma  getrennt,  in  der  Art  anwendet,  dass  die  Zinkplatte 
in  die  Zelle  mit  verdunnter  Schwefelsaure  taucht,  wj'ihrend  die  mit  der  depolari- 
sirenden  Fliissigkeit  gefiillte  Zelle  zur  Aufnahme  der  Kupferplatte  oder  iiberhaupt 
derjenigen  Platte  dient,  welehe  mit  der  Zinkplatte  als  electronegativer  Bestandtheil 
der  Kette  verbnnden  wird XLI.) 

Zu  den  gebranchlichsten  constanten  Ketten  gehort  vor  Allem  die  D  aniell'sche, 
bei  welcher  eine  concentrirte  Losung  von  Kupfervitriol  als  depolarisircnde  Fliissigkeit 
die  Kupferplatte  utngibt.  Die  beiden  Fliissigkeiten  durchdringen  das  Diaphragma 
und  der  electrolytisch  ansgescliiedene  Wasserstoff  der  Schwefelsaure  tritt  im  Kupfer- 
vitriole  an. die  Stelle  des  Kupfers,  von  welchem  eine  aquivalente  Menge  an  der 
Kupferplatte  ausgefallt  wird. 

Die  gewohuliche  Form  des  Daniell'schen  Elementes  (vergl.  d.  Artikel 
Telegraphie)  ist  folgende:  Ein  cylindrisches  Glasgefass  wird  zunacbst  mit 
verdunnter  Schwefelsaure  (etwa  1  :  15  bis  1  :  8  dem  Volumen  nach)  etwa  zu 
einem  Drittel  angefiillt.  In  dieses  Glasgefass  stellt  man  einen  mit  geringem 
Spielraum  hineinpassenden  Hohlcylinder  aus  dickem  gewalzten  Zinkbleck,  welcher 
durch  Rundbiegen  eines  entsprechend  grossen  rechteckigen  Stiickes  Zinkblech  er- 
halten  worden  ist.  In  den  Hohlraum  dieses  Zinkcylinders  kommt  ein  mit  wenig 
Spielraum  hineinpassendes  cylindrisches  Gefass  aus  nicht  glasirtem  feinem  porosem 
Thon,  welches  das  vorhin  besagte  Diaphragma  bildet  und  mit  der  concentrirten 
Losung  von  Kupfervitriol  gefiillt  ist.  In  diesen  mit  Kupfervitriollosung  gefiillten 
Thoncylinder  stellt  man  schliesslich  ein  cylindrisch  zusammengebogenes  Stiick 
Kupferbleeh,  den  Kupfercylinder.  Dieser  sowohl,  wie  der  Zinkcylinder  sind  mit 
angenieteten  Streifen  aus  Kupferblech  oder  dicken  Kupferdrahten  versehen,  welehe 
znr  Anbringung  des  aus  weiteren  Drahtverbindungen  bestehenden  Schliessungs- 
bogens  oder  zur  Vereinigung  mehrerer  Elemente  zu  einer  Batterie  dienen,  wobei 
passende  Schraubklemmen  von  verschiedener  Form  in  Anwendung  kommen. 

Gibt  man  in  die  Tbonzelle  Salpetersaure,  indem  man  gleichzeitig  anstatt 
des  Kupfers  Platin  anwendet,  so  erhalt  man  die  Grove'sche  Kette. 

Das  Platinblech  lasst  sich,  wie  es  zuerst  der  Englander  Cooper  gethan 
hat,  durch  ein  (cylindrisches  oder  prismatisches)  Stiick  Gaskohle  (Retortenriickstand 
bei  der  Leuchtgasbereitung  aus  Steinkohle)  ersetzen.  Man  erhalt  auf  diese  Art 
die  viel  weniger  kostspielige  und  in  dieser  Form  sehr  haufig  angewendete  Zink- 
kohlenkette  von  mindestens  gleicher  electromotorischer  Kraft.  Diese  Kette  wird 
gewohnlich  die  Bunse n'sche  genannt,  obgleich  diese  Bezeichnung  eigentlich  auf 
eine  andere  Art  der  Zinkkohlenkette  sich  bezieht,  in  welcher  statt  der  Gaskohle 
eine  nach  Bun  sen's  Angabe  hergestellte  ktinstliche  Kohlenmasse  die  Stelle  des 
Platins  vertrat.  Diese  Kohlenmasse  ist  wegen  ihrer  grossen  Porositat  weniger 
empfehlenswerth  als  die  Gaskohle,  doch  hat  sie  zur  allgemeinen  Verbreitung  der 
Zinkkohlenketten  sehr  viel  beigetragen,  weshalb  man  eben  diese  Art  von  Ketten 
kurzweg  B  u  n  s  e n'sche  nennt.*) 

Die  Salpetersaure  wird  in  der  Bunsen'sche  Kette  audi  biiufig  durch  eine 
Mischung  von  Schwefelsaure  mit  einer  Losung  von  doppeltchromsaurem  Kali  (12 
Tbeile  doppelt-chromsaures  Kali,  25  Tbeile  engl.  Schwefelsaure  und  100  Theile 
Wasser**)  ersetzt.  Man  vermeidet  auf  diese  Art  ganzlich  die  Dampfe  von  Unter- 
salpetersaure,  deren  Auftreten  sich  tibrigens  schon  durch  reichliche  Anmlgamirung 
der  Zinkcylinder  (in  deren  Zellen  man  am  besten  etwas  Quecksilber  eingicsst, 
damit  sich  die  Amalgamirung  fortwahrend  selbst  erneuert)  sehr  beschranken  und 
fiir  einige  Stunden  fast  unmcrklich  machen  lasst. 

Die  Ketten  von  D  an  i  ell  und  Bun  sen  sind  die  gebranchlichsten  constanten 
Ketten.  Von  den  inconstanten  haben  wir  die  einfaclie  Zinkkupferkette  bereits  er- 
w-ilint.     Ersetzt    man    in    dieser    das  Kupfer    durch    platinirtes  Silber  (mit  Platin- 


*)  Bei  der  urspriingliehen  B tin sen'scfoen Kette  w;ir  ein  hohl'er,  mit  Salpetei'satire  gefullter 
Kohlencylinder  in  Anworidung,  dor  also  zugleich  die  Stelle  des  Diaphragmas  verti-at; 
eine  Einriehtung,  von  der  man  spater  wioder  abgekommen   ist. 

**)   Nach  Wohler    und   linn';    Poggendorff  empfiehlt   das  Verhaltniss  3 • -^-  4    ;     18. 

12*' 


180  Electricitat  (Thermoelectricitat). 

moor  beiderseits  galvanoplastisch  bekleidetcs  Silberblech),  so  erhalt  man  die  sehr 
haufig  angewendete  S  m  e  e'sche  Kette,  welclie  also  audi  zu  den  inconstanten  Ketten 
gehort,  aber  wirksamer  ist  als  die  Zinkkupferkette.  Man  verbindet  gewohnlich 
eine  grossere  Zabl  von  Smee'schen  Elementen  (6  bis  24)  zu  Tauchbatterien, 
welclie  ihrer  bequemen  Handhabnng  wegen  selir  beliebt  und  verbreitet  sind. 

Handelt  es  sich  urn  eine  Kette,  welclie  selbst  bei  haufigem  Gebrauclie 
monatelang  aushalten  soil,  olme  erneuert  zu  werden,  so  bedient  man  sich  einer 
der  Modificationen,  welclie  die  Daniel l'sche  Kette  nanientlich  durch  Mei dinger 
u.  A.  erfahren  hat.  Insbesondere  sind  die  sogenannten  Me  id  in  ger'schen  Ballon- 
Elemente  sehr  verbreitet.  Wir  verweisen  diesfalls  auf  den  Artikel  Telegraphic. 
Selbstverstandlieh  ist  (mit  Riicksicht  auf  den  Materialverbrauch)  eine  so  lange 
Stromdauer  nur  bei  verhaltnissmassig  geringen  Stromstarken  zu  erzielen. 

Wo  es  nur  auf  weniger  ausdauernde  Strome  ankommt,  wie  z.  B.  bei  Haus- 
telegraphen,  leisten  die  Le  cl  au  ch  e'schen  Elemente  durch  lange  Zeitraume  gute 
Dienste.  Die  neueste  Construction  dieser  Elemente  besitzt  kein  Diaphragma  und 
hat  folgende  Einrichtung. 

Ein  massiver  Cylinder  aus  einem  Gemenge  von  40  Theilen  gepulvertem 
Braunstein,  55  Theilen  Gaskohle  und  5  Theilen  Scliellack,  bei  einer  Temperatur 
von  100°  C.  durch  einen  Druck  von  300  Atmospharen  in  einer  stalilernen  Form 
hergestellt,  befindet  sich  nebst  einem  amalgamirtem  Zinkstabe  in  einem  mit  Salmiak- 
losung  gefiillten  Glasgefiisse.  Der  Cylinder  und  der  Zinkstab  sind,  durch  eine 
holzerne  Zwischenlage  von  einander  isolirt,  mittelst  zweier  Kautschiikbander  zu- 
sammengebunden  und  mit  Fassungen  versehen,  welclie  die  zur  Aufnahme  der  Lei- 
tungsdrahte  dienenden  Schraubklemnien  tragen. 

Die  Cylinder  der  oben  beschriebenen  Zusammensetzung  erhalten  noch  einen 
3-  bis  4-procentigen  Zusatz  von  zweifach  schwefelsaurem  Kali,  welcher  sie  besser 
leiteud    macht   und    als  Losungsmittel  fur  die  sich  bildenden  Oxychloriire  client.*) 

Als  ein  constantcs  Element  mit  einer  einzigen  Fliissigkeit  und  ohne  Diaphragma 
verdient  noch  das  Element  von  Pin  ens  erwahnt  zu  werden.  Auf  dem  Boden 
einer  mit  verdiinnter  Schwefelsaure  gefiillten  gliisernen  Eprouvette  befindet  sich 
eine  silberne  Kapsel,  die  etwas  Chlorsilber  enthalt,  und  in  einiger  Entfernung 
iiber  derselben  ein  amalgamates  Zinkklotzchen.  Beide  Metalle  sind  mit  isolirten 
Zuleitungsdrahten  versehen,  welclie  durch  einen  die  Eprouvette  verschliessenden 
Kork  austreten. 

Bei  diesem  sehr  compendicisen  Elemente  is*t  die  zweite  Fliissigkeit  durch 
Chlorsilber  ersetzt,  welches  als  depolarisirender  Korper  wirkt,  indem  es  durch 
den  electrolytisch  ausgeschiedenen  "SYasserstoif  reducirt  wird.  Die  feste  Form  des 
Chlorsilbers  macht  ein  Diaphragma  iiberfliissig XLII.) 

C)  Thermoelectricitat  und  Pyro electricitat.  Der  Satz  XXXIX 
gilt,  wie  ausdriicklich  bemerkt  worden  ist,  nur  unter  der  Voraussetzung  einer 
durchaus  gleichen  Temperatur.  Das  electrische  Gleichgewicht  in  einem  Cyclus 
von  Leitern  erster  Ordnung  kann  also  nicht  nur  durch  Einsclmltung  eines  Leiters 
zweiter  Ordnung,  wodurch  eine  galvanische  Kette  (XL)  entsteht,  aufgehoben  werden, 
sondern  audi  durch  ungleiche  Erwarmung.  Der  im  letzteren  Falle  auftretende 
Strom  wird  ein  therm  o  e  1  ec  tris  ch  er  genannt  und  die  Leitercombination,  welclie 
ihn  liefert,  heisst  eine  T  h  e  r  m  o  k  e  1 1  e. 

Man  erhalt  eine  solche  z.  B.,  wenn  man  die  Beriihrungsstelle  a  (Fig.  1417) 
eines  Wisniuthstabchens  a  l>  und  eines  Aiitimonstabehens  a  c  erwarmt  oder  ab- 
kiihlt.  Der  Strom  geht  im  ersten  Falle  in  der  Richtung  a  c  d  b  a,  im  zweiten 
Falle  entgegengesetzt.  Dabei  mag  b  d  c  einen  Schliessungsdraht  vorstellen.  — 
Dasjenige  Metall,  zu  welch  em  der  Strom  durch  die  er  warm  t  e  Con  tact- 
stelle  geht,  wird  das  thermoelectriseh  positivere  genannt;  im  vorliegenden 
Beispiele  also  Antimon. 


*i   Pogg.  Aim.  Beiblatter  1^1 


Electricitat  (Thermoelcmente). 


181 


1418. 


Man  kann  die  Metalle  nacli  diesem  Verhalten  in  eine  Reihe 
stellen,  welche  der  Spannungsreihe  (XXXVII)  nachgebildet 
ist  und  die  thermoelectrische  Reihe  heisst.  Einige 
Glieder  derselben,  vom  positivsten  angefangen,  sind  z.  13. 
Tellur,  Antimon,  Arsen,  Eisen,  Z  i  n  k ,  Kupfer, 
N i c k e  1,  W ismut h.  Uebrigens  gilt  eine  gewisse  thermo- 
electrische Reihenfolge  immcr  nur  innerhalb  bestimmter  Tem- 
peratursgrenzen  . XL1II.) 

Legirungen  fallen  in  der  thermoelectrischen  Reihe  nicht 
immer  zwischen  ilire  Bestandtheile ;  so  z.  B.  ist  eine  der 
empirischen  Formel  Sb  Zn3  entspreehende  Legirnng  viel  po- 
sitiver  als  Antimon.  Audi  konnen  sehr  geringe  Zusatze  oder 
Vernnreinigiingen  die  thermoelectrische  Stellnng  eines  Metalles 
bedeutend  verandern XLVI.) 

Durch  eine  Aneinanderreihung  von  thermoelectrischen 
Elementen  in  ahnlicher  Weise  wie  bei  einer  hydroelectrisclien 
Batterie  (XL)  erhalt    man    eine    sogenannte  Therm osaule, 

wobei  entweder  nur  eine  Erwarmnng  der  nngeraden  (a,  c,  e,  g,  i)  oder  auch  zugleich 
eine  Abkiihlimg  der  geraden  (b,  d,  f,  h,  k)  Contactstellen  stattfindet.  Siehe  das 
Schema  Fig.  1418,  wobei  la,  be,  de,fg,  hi  die  Stitbe  des  einen  und  ab,  cd,  ef,  git,  ik 
die    Stabe    des    anderen    Metalles    be-  Fig. 

deuten  und  kl  einen  Schliessungsdraht 
vorstellt. 

Die  ungleichartigen  Metallstabe 
sind;  wo  sie  sich  beriihren  sollen,  ge- 
wohnlich  zusammengelothet ,  weshalb 
man  die  Contactstellen  auch  Lbth- 
stellen  nennt. 

Die  electromotorische  Kraft 
eines  Therraoelementes  lab  c 
(Fig.  1419)  und  in  sofern  auch  die  Starke 
des  von  demselben  gelieferten  Stromes 
ist  innerhalb  gewissen  Grenzen  stets 
der  Differ  en  z  der  T  em  per  at  li- 
re n7  welciie  man  den  Contactstellen  a  und  b  ertheilt 

Wir  konnen  in  diesem  Artikel  nur  die  gebrauchlichsten 
Thermoelemente  und  Thermosaulen  beritcksiclitigen. 

Hierher  gehoren  zunachst  die  ftir  verschiedene  Zwecke 
in  den  verschiedensten  Grossen  und  Formen  ausgefiihrten 
Wismuth-Antimon-Saulen.  Die  aus  moglichst  diinnen  Stab- 
chen  zusammengefiigten  Saulclien  dieser  Art  sind  bei  Unter- 
suchungen  iiber  Warmestrahlung  unentbehrlich. 

Grossere  Thermosaulen  zum  Ersatze  fiir  hydroelec- 
trische  Ketten  hat  zuerst  S.Marcus  in  Wien  (1864)  con- 
struirt,  dessen  Elemente  eine  nahezu  sechsfache  electro- 
motorische Kraft  im  Vergleiche  mit  einem  Wismuth-Antimon-  V 

Elemente     besitzen.     Noch     zweimal     kraftigere    Elemente    X^ 

lieferte   F.    Noe   in    Wien    (1871),    dessen    Thermosaulen 

auch  die  ersten  sind,  die  selbst  fiir  industrielle  Zwecke  (z.  B.  in  galvanoplastischen 

Anstalten)  bereits  Anwendung  gefunden  haben.*) 

Die  chemische  Zusammensetzung  der  N  o  e'schen  Legirungen 
stellung  ist  privilegirt  und  noch  nicht  veroffentlicht. 

Beziiglich   der   neuesten  Construction    der  No  e'schen  Thermosaulen.    welche 
auf   Gasheizuug    eingerichtet    sind,    keine    nasse    Kiihlung    erfordern    und    in    ver- 


proportional      .  XLV.) 


d  dt 


Her- 


iiehe  den  offieiellen  Bericht  der  Wiener  Weltausstellung  1873,  Heft  LX,  Seite  101. 


182 


Electricitat  (Inductionselectricitat). 


schiedenen  Formen  und  beliebigen  Grossen  geliefert  werden,  verweisen  wir  auf 
den  Jahrgang  1877  des  Dingler'schen  polytechnischen  Journals. 

Wahlt  man  Metalle  von  sehr  holien  Schmelzpuhkten,  wie  z.  B.  Eisen  und 
Platin,  so  vertragt  ein  aus  denselben  gebildetes  Thermoelement  eine  sehr  starkc 
einseitige  Erhitzung.  Der  dabei  entsteliende  Strom  gestattet  dann  mit  Ililfe  des 
Satzes  XLV  eine  annahernde  Beurtheiluug  der  Temperatur,  welcher  die  erhitzte 
Contactstelle  ausgesetzt  war.  Man  hat  hierauf  ein  p  y  r  o  m  e  t  r  i  s  c  h  e  s  V  e  r  f  a  h  r  e  n 
gegriindet,  von  welchem  im  Artikel  War  m  em  e  ssung  die  Rede  sein  soil  .  XL VI.) 

Eine  der  TLermoelectricitat  nahe  verwandte  Erscheinung  ist  die  Pyroelec- 
tricitat.  Dieselbe  soil  jedoch,  da  sie  keine  technische  Anwendung  tindet,  hier 
nicht  naher  besprochen,  sondern  nur  an  einem  Beispiele  kurz  erwahnt  werden. 

Bringt  man  ein  en  Turmalin-Krystall  aus  einem  kalteren  in  einen  warmeren 
Raum,  so  zeigt  er  sich  mit  zwei  electrischen  Polen  behaftet.  Das  Ende  P  des 
Krystalles,  an  welchem  bei  der  Erwarmung  der  positive  Pol  auftritt,  nennt  man 
das  analoge,  das  andere,  gleichzeitig  negativ  electrisch  gewordene  Ende  iV  das 
antiloge.  Wird  sodann  der  Krystall  abgekiiklt,  so  wechseln  die  Pole ;  B  wird 
negativ  und  N  positiv.  Dieses  Verhalten  zeigt  sich  auch  an  Bruchstiicken  des 
Krystalles  und  kann  mittelst  eines  cmpfindlichen  Electroscopes  leicht  nachgewiesen 
XLVIU 


werdc 


D)  Inductionselectricitat.     a)  Wir  denken    uns,    es    liegen  zwei  ge- 
schlossene  Drahtleituugen  I  und  II  Fig.  1420    so    nebeneinander,    dass    sie    ganz 
Fig.  1420.  oder   theilweise   in  geringer  Entfernung  von 

C  cinander  parallel  laufen,  wie  z.  B.  die  Draht- 

stiicke  A  B  und  a  b.  Erzengt  man  nun  in 
der  Leitnng  1,  welche  die  prim  ii  r  e  genannt 
werden  soil,  auf  was  immer  fur  eine  Art 
(z.  B.  durch  Einschaltung  einer  Batterie) 
einen  electrischen  Strom,  so  ist  leicht  er- 
klarbar,  dass  in  diesem  Augenblicke  auch 
im  benachbarten  Leiter  II,  welcher  der  s  e- 
e  u  ndare  heissen  mag,  eine  Stoning  des  bisher 
bestandenen  (neutralen)  electrischen  Gleich- 
gewichtszustarides  eintreten  muss;  miisste  ja 
doch  z.  B.,  wenn  /  electrisirt  wird,  nach  dem 
Satze  X  auch  der  Leiter  II  durch  Ihflueriz 
electrisch  werden.  Die  besagte  Gleichge- 
wichtsstorung  in  II  gibt  sich  in  der  Form  eines  electrischen  Stromes  zu  erkennen, 
der,  wenn  der  Strom  in  /  die  Richtung  1  hat,  in  der  entgegengesetzten  Richtung 
'J  verlauft.  —  Dauert  sodann  der  in  I  erzeugte  Strom  1  unverandert  fort,  so  ist 
keine  Veranlassung  zu  einer  weiteren  Stoning  des  electrischen  (Heichgewichtes  in 
//,  also  auch  keine  Veranlassung  zu  einer  Fortdauer  des  daselbst  voihin  erregten 
Stromes  2  gegeben.  Dieser  Strom  2,  welchen  man  einen  vom  Strome  1  indu- 
cirten  Strom  nennt.  ist  also  ein  augenblicklich  voriibergehender  sogenanntcr 
momentaner  Strom,  der  nach  ausserst  kurzer  Dauer  sofort  wieder  verschwindet. 
Eine  neue  electrische  Grleichgewichtsstbrung  in  II  muss  aber  eintreten,  sobald 
der  primare  Strom  (d.  h.  der  Strom  1  im  primaren  Leiter  2)  wieder  verschwindet. 
In  der  That  ti'itt  in  diesem  Augenblicke  ein  zweiter  Inductionsstrom  o*  im  se- 
cundaren  Leiter  II  auf,  dessen  Richtung  jeuer  des  zuerst  inducirten  entgegen- 
gesetzt;  somit  jerier  des  primaren  Stromes  gleiehgerichtct.  aber  ebenfalls  nur  von 
momentaner  Dauer  ist. 

Insofern  der  Inductionsstrom  2  die  lierstellung  des  Stromes  1  durch  Schliessung 
einer  in  /  eingeschalteten Batterie  begleitet,  nennt  man  ihn  auch  Schli ess ungs- 
strom,  wahrend  der  das  Aufhoren  des  Stromes  1  (bei  Oeffnung  der  Batterie) 
begleitende  Inductionsstrom  3  der  Oeffnun  gsstrom  heisst. 

/;)  Inductionsstrome  von  der  Richtung  2  oder  o  erhalt  man  auch,  wenn 
mail  den  Leiter  7  des  Stromes  1   dem  Leiter  II  rasch  nahert,  oder  von  demselben 


Electricitat  (Inductionselcctricitat).  183 

rasch    entfernt,    oder    vielmehr    die   parallelen    Stiicke  A  B  und  a  b  beider  Loiter 
rasch  einander  nahert  oder  von  einander  entfernt. 

c)  Endlich  bewirkt  auch  ein  plotzliches  Anwaclisen  oder  Abnehmen  des 
Stroines  1  einen  gleichzeitig  auftretenden  Inductionsstrom ,  welcher  beziehungs- 
weise  die  Riehtung  2  oder  3  hat. 

Die  indncirten  Strome  sind  desto  starker,  je  starker  der  in  a)  und  b)  an- 
geweudete  indueirende  Strom  ist,  ferner  je  rascher  die  im  Falle  b)  stattfindende 
Bewegnng  vor  sich  geht  und  je  grosser  und  rascher  die  im  Falle  c)  in  Betracht 
kommenden  Aenderungen  (Schwankungen)  des  indueirenden  Stromes  sind.  Man 
nennt  die  uuter  a  bis  c  aufgezahlten  indncirten  Strome  el  ectrodynami  sch- 
inducirte XLVIII.) 

d)  Denken  wir  uns  den  Draht  ABC  entfernt  und  durch  die  Drahtschleife 
a  b  c  einen  Magnetstab  rasch  bewegt,  etwa  mit  dem  Nordpol  voraus  die  Zeichnungs- 
ebene  durchdringend,  so  entsteht  ebenfalls  ein  inducirter  Strom  und  zwar  in  der 
Riehtung  3;  dagegen  entsteht  bei  der  ruckgangigen  Bewegung  des  besagtcn  Magnct- 
stabes  ein  inducirter  Strom  von  der  Riehtung  2. 

e)  Denkt  man  sich  den  Draht  ab  c  ganz  oder  zum  Theile  urn  einen  Eisen- 
stab  hernmgewickelt  und  den  Eisenstab  plotzlich  magnetisirt  oder  entmagnetisirt, 
so  treten  ebenfalls  Inductionsstrome  auf,  deren  Richtungen  in  der  in  d  ange- 
deuteten  Weise  von  der  Lage  der  entstehenden  oder  verschwindenden  Magnet- 
pole  abha'ngen. 

f)  Auch  eine  plotzliche  Zu-  oder  Abnahme  des  Magnetismus  im  Falle  e 
wiirde  das  Auftreten  inducirter  Strome  von  den  bereits  angedeuteten  Richtungen 
zur  Folge  habeu. 

Die  unter  d)  bis  f)  aufgezahlten  Strome  heissen  magnetisch  inducirte; 
ihre  Starke  hangt  von  der  Starke  der  indueirenden  Magnete  und  beziehungsweise 
von  der  Schnelligkeit  ab7  mit  welcher  diese  beAvegt  oder  deren  Magnetismus  ver- 
•tndert  wird XLIX.) 

Eine  besondere  Art  von  inducirten  Stromen,  welche  wir  noch  zu  besprechen 
haben,  sind  die  sogenannten  Extrastrome.  Sie  gehciren  in  die  Kategorie  der 
electro dynaniisch  inducirten  Strome,  erheischen  jedoch  mit  Riicksicht  auf  die  eigen- 
thiimlichen  Verhaltnisse,  unter  welchen  sie  zu  Stande  kommen,  eine  besondere 
Betrachtung. 

Wenn  in  einer  Drahtrolle  der  Strom  einer  beliebigen  Electricitatsquelle  her- 
gestellt  oder  unterbrochen  wird,  so  findet  nicht  nur  eine  indueirende  Fernwirkung 
auf  eine  etwa  vorhandene  benachbarte  Drahtrolle  statt  (in  ahnlicher  Weise  wie 
bei  dem  in  Fig.  1419  dargestellten  Versuche),  sondern  es  wirkt  auch  jede  einzelne 
Dralrtwindung  auf  alle  iibrigen  Windungen  derselben  Drahtrolle  inducirend  ein, 
wodorch  in  der  Leitung  des  primaren  Stromes  selbst  sowohl  ein  Schliessungsstrom 
als  auch  ein  Oeffnungsstrom  entsteht.  Diese  von  einem  entstehenden  oder  ver- 
schwindenden Strome  in  seiner  eigen en  Leitung  inducirten  Strome  nennt 
man  Extrastrome. 

Der  Unterbrechungs-Extrastrom  ist  es,  welcher  den  glanzenden  und  gerausch- 
vollen  Funken  erzeugt,  der  bei  der  Unterbrechung  eines  in  einer  grossen  Draht- 
rolle circulirenden  kraftigen  Stromes  auftritt.  Er  hat  mit  dem  unterbrochenen 
Strome  gleiche  Riehtung  und  macht  sich  insofern  gewissermassen  als  eine  Fort- 
setznng  desselben  geltend.  Dieser  Umstand  kann  in  gewissen  Fallen  sehr  storend 
sein,  namlich  dann,  wenn  es  auf  ein  plotzliches  und  vollstandiges  Aufhoren  des 
primaren  Stromes  ankommt,  wie  es  z.  B.  zur  Erzeugung  eines  moglichst  kraftigen 
inductionsstromes  in  einer  benachbarten  (secundaren)  Drahtrolle  erforderlich  ist, 
wie  spater  gezeigt  werden  wird. 

In  solchen  Fallen  muss  der  den  primaren  Strom  gewissermassen  fortsetzenden 
Pnnkenentladung  des  Extrastromes  vorgebeugt  werden,  was  durch  alsbald  zu  be- 
sprechende  Hilfsmittel  erzielt  werden  kann L.) 

Die  inducirten  Strome  finden  vielseitige  Anwendungen  im  Gebiete  der  Physik, 
der  Heilkunst  und  der  Technik  und  man  hat  daher  zur  zweckentsprechenden  Er- 


184 


Electricitat  (Inductionsapparate). 


zeugung  inducirter  Strome  die  mannjgfaltigsten  Inductions-Apparate  con 
struirt.  Sie  lassen  sich,  den  vorausgeschickten  Principien  (XLVIII  und  XLIX) 
entsprechend  in  zwei  grosse  Gruppen  theilen,  namlich  in  electrodynamische  und 
magnetoelectrische,  wobei  wir  jedoeh  sogleich  benierken  wollen,  dass  bei  den 
sogenannten  electrodynamiseheu  Inductionsapparaten  nebenbei  auch  das  Princip  der 
magnetoelectrischen  Induction  zur  Verstarkung  der  Wirkung  Anwendung  findet. 

Bei  alien  Inductions  -  Apparaten  werden  in  rascher  Aufeinanderfolge  a  b- 
wechselnd  entgegengesetzte  Strome  indueirt,  namlich  bei  den  Apparaten 
der  einen  Art  Schliessungs-  und  Oeffnuugsstrom,  bei  jenen  der  zweiten  Art  die 
entgegengesetzten  Strome,  welche  durch  eine  periodische  (z.  B.  Lin-  und  her- 
gehende  oder  rotirende)  relative  Bewegung  zwisclien  Magnet  und  Stromleiter  zu 
Stande  kommen. 

In  vielen  Fallen  (z.  B.  bei  den  meisten  therapeutischen  Anwendungen)  ist 
dieser  Richtungswechsel  nicht  storend ;  in  manchen  anderen  Fallen,  z.  B.  bei  der 
Erzeugung  von  Inductions-Funken,  kommt  er  bei  der  Wirkung  des  Apparates 
insofern  weniger  zur  Geltung,  als  Oeffnungs-  und  Schliessungsstrom,  obschon  sie 
gleiche  Electricitatsmengen  mit  sich  fiihren,  doch  selir  ungleiche  Spannungser- 
scheinungen  zeigen,  so  dass  der  erstere  vorherrscht.  Haufig  aber  kommt  es  auf 
gleichgericlitete  Strome  an.  In  solchen  Fallen  wird  entweder  (wie  bei  den  alteren 
magnetoelectrischen  Inductionsapparaten)  jeder  zweite  Inductionsstrom  ausgeschaltet, 
oder  aber  mittelst  eines  Stromwechslers,  „ Commutator"  genannt,  in  die  ent- 
gegengesetzte Riehtung  iibergefuhrt. 

Wir  beschreiben  zuna'chst  einen  electrodynamiseheu  Inductions  Apparat  ein- 
fachster  Art. 

In  Fig.  1 421  stellt  i"  eine  mit  iibersponnenem  Drahte  bewickelte  Holzspule 
vor.  Durch  diesen  Draht  gelit  der  Strom  einer  Batterie  B  (oder  nach  Umstanden 

eines  einzelnen  Ele- 
mentes)  auf  dem  Wege 
B Jin  I ocpdef  g B, 
vorausgesetzt,  dass  der 
hamraerartige,  bei  o 
drehbare  Hebel  o  c 
auf  der  leitendenUn- 
terlage  („Ambos")  p 
aufliegt  und  auf  diese 
Art  die  vorhin  be- 
schriebene  Leitung 
schliesst.  In  der  Spi- 
rale  1  befindet  sich 
ein  Eisendraht-Biindel 
a  b.  Dieses  wird,  urn- 
kreist  vom  Strome  in 
der  Spirale  /,  sofort 
magnetisch.  In  Folge 
dessenwird  dereiserne 
Kopf  c  des  Hammers 
o  c  vom  Ende  b  des 
■^  JT  ^  besagten  Eiseukernes 

angezogen  und  dadurch  von  p  abgehoben.  Auf  diese  Art  wird  die  Stromleitung 
unterbrochen,  das  Eisen  a  b  also  wieder  unniagnetisch  und  der  Hammer  o  c  fallt 
auf  den  Ambus  zuriick.  Dadurch  ist  aber  der  Strom  wieder  bergestellt,  der  sofort 
auf  die  bescliriebene  AYeise  seine  Selbstunterbrechung  ncuerdings  veranlasst. 

Dieses  Spiel  des  Apparates,  welches  so  lange  dauert,  als  die  Kette  B  ein- 
geschaltet  ist,  hat  zur  Folge,  dass  in  einer  weiteren  Drahtrolle  17,  welche  die 
friiher  erwahnte  umgibt,  ein  Oeffnungs-  oder  Scliliessungsstrom  entsteht,  je  nachdem 
der  Hammer  <>  c  abgehoben  wird  oder  niederfallt. 


Electricitat  (inductionsapparate). 


185 


Die  so  erzeugten  in  rascher  Aufeinanderfolge  alternirenden  entgegengesetzten 
Strome  konnen  dann  durcli  eine  an  den  Drahtenden  der  zweiten  Spirale  ange- 
brachte  Leitung  iklm  ihrer  Verwendurig  zugefiilirt  werden,  indem  man  in  diese 
Leitung,  z.  B.  bei  F,  den  Korper  einschaltet,  welcber  der  Einwirkung  der  In- 
ductionsstrpme  ausgesetzt  werden  soil. 

Die  Drahtrolle  /  wird  die  prim  are,  die  weitere  II,  die  s  ecu  n  dare  ge- 
nannt.  Die  beschriebene  selbstthatige  Unterbrechungs-Vorrichtung  ist  miter  dem 
Namen  des  Wag.ner'schen  (oder  audi  Neef'schen)  Hammers  bekannt.  Er 
kommt  in  den  mannigfaltigsten  Formen  zur  Anwenclung. 

Bei  den  sebr  zweekmassigen  Du  Bois  R e y m o n d'scben  Apparaten  fiir 
Aerzte  ist  die  secundare  Spirale  iiber  der  primaren  verschiebbar,  wodurcb  die 
Wirkung  nach  Bedarf  verstarkt  oder  gescbwacbt  werden  kann.  Solche  Apparate 
(mit  verscbiebbarer  Inductions -Spirale)  heissen  S  cb  lit  ten  -Apparate.  Man  hat 
iibrigens  aueb  andere  Vorrichtungen  zur  Regulirung  des  Wirkungsgrades,  auf  die 
wir  jedoch,  so  wie  auf  die  Hilfsgerathschaften  fiir  medicinische  Zwecke,  nicht  ein- 
geben.  Auch  unsere  Zeichnung  soil  nur  im  Principe,  nicht  aber  in  den  Details 
(welche  in  den  mannigfaltigsten  Moclificationen  vorkommen)  die  Einrichtung  der 
electrodynamischen  Inductions- Apparate  veranschaulichen. 

Die  Apparate  fur  Heilzwecke  befinden  sicb  in  verschliessbaren  Kastclien, 
welche  zugleich  'die  nothigsten  Hilfsgerathschaften  und  bei  kleineren  Apparaten 
auch  das  galvanische  Element  enthalten LI.) 

Man  hat  in  neuerer  Zeit  Mittel  gefunden,  Inductions-Apparate  von  ausserst 
intensiver  Wirksamkeit  herzustellen  und  damit  Effecte  zu  erzielen,  welche  man 
friiher  wohl  fiir  unerreichbar  gebalten  hatte.  In  diese  Kategorie  gehoren  zunacbst 
die  auch  in  technischer  Hinsicbt  wiclitig  gewordenen  Ru  h  mko  rffschen  Induc- 
tions-Apparate. Mau  nennt  dieselben  baufig  auch  Funken-Inductoren,  weil  sie  In- 
ductions-Strome  von  so  holier  Spannung  liefern,  dass  man  mit  denselben  mehr 
oder  weniger  kraftige  Funken-Entladungen  hervorrufen  kann.  Apparate  dieser 
Art  finden  nicht  nur  in  physikalischen  p-       1499 

und  chemischen  Laboratorien  vielfache  "'  ^,  ~'' 

Anwendung;    sie    konnen    auch    zum  f     [ 

Minenziinden  dienen ;  man  verwendet 
sie  ferner  zur  Entziindung  explosiver 
Gasgemenge  bei  manchen  Gasma- 
schinen^,  und  sie  sind  endlich  bei  den 
neueren  Chronographen  (s.  d.)  in  vielen 
Fallen  unentbehrlich. 

Die  Fig.  1422  gibt  das  Schema 
eines  solchen  Apparates.  Von  der 
primaren  (7)  und  secundaren  (II) 
Spirale  gilt  das  bereits  bei  Fig.  1421 
Gesagte;  docb  sehen  wir  bier  auf 
dem  Wege  Bgh  Uc  Sn  defB 
des  von  der  Batterie  B  kommenden 
Stromes  einen  Unterbrecher  („Interrup- 
tbr")  U  eingescbaltet,  der  sicb  vom 
Wagner'schen  Hammer  zwar  nicht 
im  Principe,  wohl  aber  (lurch  seine  be- 
sondereEinriclitung  unterscheidet.  Der 
strundeitende  Draht  h  taucht  namlich  *n 
bei  U  in  ein  mit  Quecksilber  gcfulltes 
Glasgefass.  In  dieses  Quecksilber 
taucht  anderseits  auch  eine  Platindralitspitze,  die  von  einer  an  einem  Saulchen  *S 
festgemachtcn  Feder  gehalten  wird.  Auf  dieser  Feder  ist  das  eiserne  Klotzchen 
e  befestigt,  welches  vom  Ende  b  des  P^isenkernes  a  b  angezogen  wird,  sobald  der 
Strom  der  Kette  B  (lurch  die  primare  Spirale  gebt.     So  wie  dies  geschieht,  wird 


18G  Electricitat  (Inductionsapparate). 

die  Feder  emporgezo'gen  und  dadurch  die  mit  ihr  verbundene  Platinspitze  aus 
dem  Quecksilber  ausgehoben.  Auf  diese  Art  wird  der  Batteriestrom  unterbroehen, 
a  b  wieder  unnmgnetisch,  c  fSllt  zunick,  und  darait  auch  die  Feder,  welche  die 
Platinspitze  wieder  in's  Quecksilber  taucht  und  in  Folge  dessen  neuerdings  Strom- 
schluss  bewirkt  u.  s.  w. 

Diese  von  F  o  u  c  a  u  1 1  berriihrende  Modification  des  W  a g  n  e r'sclien  Hammers 
hat  vor  der  urspriingliclien  Form  desselben  den  Yorzug,  dass  beim  Auslieben  der 
Platinspitze  aus  dem  Quecksilber,  w e n n  sick  auf  derselben  e i n e  S  c h i c h t e 
von  Alkohol  befindet,  eine  geringere  Funkenbildung  durch  den  Extrastrom 
stattfiudet,  was  aus  den  im  Absatze  L  erorterten  Griiiiden  zur  Verstarkung  des 
von  der  secundaren  Spirale  II  durch  die  Leitung  i  k  I  m  gehenden  Inductions- 
stromes  wesentlich  beitragt. 

Ein  anderer  Kimstgriff,  der  Funken-Entladung  des  Extrastromes  moglickst 
vorzubeugen  und  dadurcb  die  Intensitat  des  Stromes  in  der  Nebenspirale  (II)  zu 
begtinstigen,  besteht  in  der  Anbringung  eines  Condensators  als  Nebenschliessung 
des  Unterbrecbers,  d.  h.  in  der  Art,  dass  zu  beiden  Seiten  des  letzteren,  z.  B. 
bei  1  und  2,  Drahtleitungen  angebracht  werden,  w7elche  zu  den  beiden  Belegungen 
(C\  und  C„)  eines  Condensators  (siebe  die  Beschreibung  im  Absatze  XXVIII) 
fiihren.     Durcli  diese  Einriclitung  wird  Folgendes  bewirkt. 

Man  kann  sicb  den  Extrastrom,  so  wie  jeden  electrischen  Strom,  in  der  Art 
gebildet  denken,  dass  im  Stromleitcr  gleiche  Mengen  positiver  und  negativer  Elec- 
tricitat gleichzeitig  in  entgegengesetzter  Ricbtung  sich  bewegen.  Denkt  man  sich 
also  im  vorliegenden  Falle  z.  B.  die  positive  Electricitat  (-j-  E)  des  Extrastromes 
in  der  Ricbtung  BghUcSn  u.  s.  w.,  die  negative  ( — E)h\  der  Richtmig  Bfedn 
Sc  U  u.  s.  w.  verlaufend,  so  1st  klar,  dass  ein  Tbeil  der  gegen  U  binstromenden 
-)-  E  bei  1  in  die  Belegung  C,  und  eben  so  ein  Tlieil  der  von  der  anderen  Seite 
her  nacli  U  zustromenden  —  E  bei  2  in  die  Belegung  C,  des  Condensators  ab- 
geleitet  werden  wird.  Diese  abgeleiteten  Electricitaten  werden  also  der  im  Unter- 
brecber  stattiindenden  Entladuug  des  Extrastromes  entzogen  und  kcinnen  zu  der 
(fill*  den  Oefthungsstrom  in  //  nacbtheiligen)  Funkenbildung  daselbst  nichts  bei- 
tragen ;  sie  binden  sicb  im  Condensator,  bis  im  nacbsten  Augenblicke  der  Platin- 
stift  des  Unterbrecbers  wieder  in  das  Quecksilber  taucht,  wobei  sie  sich  dann 
auf  dem  Wege  L\  1  Uc  2  C2  wieder  ausgleicben. 

Der  Condensator  i  s  t  das  w  i  r  k  s  a  m  s  t  e  M  i  1 1  e  1  zur  Absch  wachung 
des  Unterbrecbungsfunkens  und  somit  auch  z  u  r  V  e  r  s  t  ii  r  k  u  n  g  des  0  e  f  f  n  u  n  g  s- 
stromes  in  der  Inductionsspirale  (II). 

Durcli  den  Condensator  (seine  Anwendung  in  diesem  Falle  riihrt  vonFizeau 
her)  und  den  F  o  u  c  a  u  1  t'scben  Quccksilber-Unterbreclier  wird  die  Spannung  des 
Oeffnungsstromes  so  erhoht,  dass  eine  sehr  vollkommene  Isolirung  des  Inductions- 
drahtes  erforderlich  ist,  um  zu  verbindern,  dass  der  Oeffnungsstrom  in  der  In- 
ductionsspirale (11)  von  einer  Drahtwiudung  zur  anderen  iibergehe.  Die  sehr 
zahlreichen  Windungen  des  sehr  diinnen  Inductionsdrahtes  werden  also  nicht  nur 
durcb  sehr  sorgfaltige  Ueberspinnung  mit  Scide ,  sondcrn  auch  durch  starkes 
Firnissen  und  die  einzelncn  Drahtlagen  selbst  durch  Scbicbten  von  Schellack 
isolirt.*) 

In  dicser  vollkommencn  Isolirung  des  Inductionsdrahtes  besteht  das  dritte 
llaupterforderniss  l'iir  die  Erzielung  von  Inductionssfcromen  von  sehr  hoher  Spannung. 

Apparate  dicser  Art  geben  an  einer  Unterbrechungsstelle  F  einer  die  Drabt- 
enden  der  Inductionsspiralen  verbindenden  Leitung  mehr  oder  weniger  lange 
Funken,  von  wenigen  Millimetern  bis  zu  mehr  als  GO  Centim.,  je  nach  der  Grosse 
und  constructive*]   Vorziiglichkeit  der  Apparate. 


|;)  I?i-i    den    nenei-en  Stohrer'scben  Apparaten  wird    die  Inductionsspirale   nicht,  wie    ge- 
wohnlichj  aus  iibereinander  gewickelten  cylindrischen,  sondern  aus  sogenannten  „teller- 

formigen"  Drahtlagen  aufgebaut.  Diese  Drahtlagen  sind  ebene  Scheiben  aus  (^Jformig 

.uvwiuideneiu   Drahte, 


Electricitat  (G  r  a  m  m  e'sche  Mascbine) 


187 


Auf  die  verscbiedenen  Formen  der  Ausftihrung  dieser  zuerst  von  R  ii  li  m  k  o  iff 
in  Paris  zu  Stande  gebracbten  Funken-Inductoren,  so  wie  iiberbaupt  auf  constructive 
Details    einzugehen,  wiirde   zu  wcit   fuhren.     Die  gegebenen  prineipielleu  Erlaute- 


rungen  geniigen  zur  Orientirung  an  jedem  Apparate  dieser  Art 


LII. 


Sebr  gute,  dauerbafte  und  preiswtirdige  Fun- 
ken-Inductoren hat  Referent  vora  Herin  Dr.  E. 
St 8 brer,  Mecbaniker  in  Dresden,  erbalten. 

Von  magnetoeiectrisehen  Inductions-Apparaten 
mogen  bier  nur  zwei  der  neuesten  Maschinen  dieser 
Art  erwahnt  werden. 

a)  Die  Gramme'scbe  Maschine.  Hire  Ein- 
ricbtung  ist  durcb  das  Schema  Fig.  i423  an- 
scbaulicb  gemacht. 

Man  denke  sich  einen  Ring  aus  weichem 
Eisen*)  mit  gut  isolirtem  Kupferdrahte  bewickeit, 
so  dass  der  eiserne  Ring  den  Kern  einer  gleichfalls 
ringforraigen  Drabtrolle  bildet,  wie  am  Apparate 
Fig.  1424  ersicbtlicb  ist.  Diese  in  sich  zuriick- 
kebrende  Drabtrolle  besteht  aus  mehreren  Abthei- 
lungen,  die  im  Schema  Fig.  1423  nur  durch  je 
eine  einzelne  Windnng  vorgestellt  sind.  Der  be- 
schriebene,  mit  Drabt  bewiekelte  eiserne  Ring  (I  n- 
d  u  e  t  o  r)  ist  mittelst  eines  Zalmradgetriebes  urn 
eine  horizontale  (auf  der  Ringebene  senkre'ehte) 
Acbse  drebbar.  Er  lauft  zwiscben  den  Polen  N 
und  >S  eines  kraftigen  Stablmagneten.  In  Folge 
dessen  wird  der  eiserne  Ring  in  der  Art  magnetisirt 
werden,  dass  er  dem  Nordpol  -iVgegeniiber  (bei  s)  \  j 

faune?  siidlicb  und  dem  Stidpol  S'gegeniiber  (bei  n)  \  ! 

immer   nordlicb  magnetiscb  wird.  Weil  die  so  er- 
regten    Pole  s  und  n  ihre    Stellung   gegeniiber  N  V\^        r  y 

und  8  stets  unverandert  beibebalten,  wahrend  die  "~~ ''" 

Drahtrollen  sammt  dem  Eisen-Ring  von  rechts    nach  links  umlaufen,  so    muss  die 

Fig,  1424. 


•)  Man  macht  ilm  aus  Eisendraht. 


188  Electricitat  (dynamoelectrisehe  Mascliinen). 

Wirkung  dieses  Vorganges  dieselbe  sein,  als  wenn  die  Dralitrollen  stille  standen  und 
im  Innern  derselben  die  Magnetpole  s  und  n  einen  Kreislauf  von  links  nach  rechts 
machten.  Eine  solche  Bewegung  der  Magnetpole  s  und  n  muss  aber  nach  den  unter 
Nr.  XLIX  angefiihrten  Satzen  inducirte  Strome  erzeugen,  welche  in  den  Drahtwin- 
dungen  so  verlaufen,  wie  es  die  im  Schema  Fig.  1423  angefiihrten  Pfeile  auzeigen, 
riamlich  sowohl  in  der  oberen  als  aueh  in  der  untereri  Halfte  des  Inductors  von  b 
gegen  a  bin.  Denkt  man  sich  bei  a  und  h  an  den  auf  den  eisernen  Ring  aufgewiekelten 
Dralit  Kupferstifte  1  und  2  angelothet,  welche  bei  der  Drehung  an  zwei  punktirt 
angedeuteten  Federn  (Contactfedern,  Schleifern)  anstreifen,  so  wefden  die 
bei  a  zusammenlaufenden  Strome  bei  1  in  die  daselbst  aufliegende  Contactfeder 
iibergehen  und  durch  die  zwischen  beiden  Contactfedern  eingeschaltete  Leitung  L 
iiber  2  nach  b  zuriickkehren.  Denkt  man  sich  nun  zwischen  je  zwei  Abtheilungen 
des  Inductorgewindes  solche  Ableitungsstifte  angebracht,  deren  Enden  3,  4 ;  5,  6 
u.  s.  w.  bei  fortgesetzter  Drehung  der  Reihe  nach  paarweise  mit  den  Contact- 
federn in  Beriihrung  treten,  so  wird  eine  bei  rascher  Drehung  fast  ununterbrochene 
Folge  von  inducirten  Stromen  durch  den   Schliessungsbogen  (L)  gehen. 

In  Fig.  1424  sind  die  Schleifer  als  aufrechtstehende  federnde  Drahtbiindel 
dargestellt,  welche  auf  einem  die  Achse  des  Inductors  umgebenden  Krauze  gleiten, 
der  aus  eben  so  vielen  von  einander  isolirten  kupfernen  Klotzchen  (Contactstiickeri) 
zusammengefiigt  ist,  als  das  Inductorgewinde  Abtheilungen  (Dralitrollen)  hat.  Je 
zwei  benachbarte  Drahtenden  von  zwei  neb  en  einander  liegenden  Abtheilungen 
sind  (entsprechend  den  in  Fig.  1423  durch  1  bis  6  angedeuteten  Ableitungsstiften) 
mit  je  einem  Contactstucke  auf  der  Achse  leitend  verbunden,  so  wie  anderseits 
die  Schleifer  mit  je  einer  Drahtklemme  zur  Aufnahme  der  Poldrahte. 

Die  Pole  N  und  S  des  inducirenden  Stahlmagneten  sind  mit  starken  eisernen 
Armaturen  belegt,  die  so  gestaltet  sind,  class  sie  eine  zur  Aufnahme  des  Inductors 
dienende  Hohlung  ttmschliessen,  wie  audi  aus  Fig.   1424  ersichtlich  ist       .  LIII.) 

Die  Gr  am  nie'sehen  Mascliinen  sind  entweder,  wie  eben  beschrieben  worden 
ist,  mit  Stahlmagneten  versehen  (z.  B.  mit  den  seit  der  Wiener  Weltausstellung 
bekannt  gewordenen  Jamin'schen  BJattermagneten *)  oder  sie  sind  nach  dem 
spater  zu  besprechcnden  dynamoelectrischen  Principe  eingerichtet.  Die  grosseren 
Mascliinen  der  letzteren  Art  (wie  sie  z.  B.  zur  electrischen  Beleuchtung  dienen) 
konnen  nicht  mehr  mit  der  Hand  bewegt  werden,  sondern  erfordern  zu  ihrem 
Betriebe  eine  Dampfmascliine  oder  Gasmasehine. 

Die  fiir  den  Handbetrieb  eingerichteten  G  r a m  m  e'schen  Mascliinen  sind  in 
Laboratorien  als  Ersatz  fiir  hydroelectrische  Batterien  sehr  bequem. 

b)  Die  Siemens  &  II a  1  s  k  e'sclie  magnetoelectrisclie  Maschine.  Dieselbe 
ist  noch  viel  wirksamer  als  eine  Grammesche  Maschine  von  gleichem  Preise. 
Zwischen  den  in  zwei  horizontalen  Reihen  angeordneten  Polen  von  50  Stahl- 
magneten, deren  Wolbungen  abwechsclnd  nach  aufwarts  und  nach  abwarts  gekehrt 
sind,  rotirt  ein  der  Lange  nach  mit  mehreren  Drahtlagen  bewickelter  eiserner 
Cylinder.  Dieser  Inductor**)  hat  im  Wesentlichen  aieselbe  (v.  Hefner- 
Alt  en  e  c  k'sche)  Einrichtung  wie  bei  den  grossen  dynamoelectrischen  Mascliinen 
von  Siemens  &  Plalske,  von  welchen  weiter  unten  die  Rede  sein  wird.  Die 
Anordnung  der  einzelnen  Theile  ist  nicht  so  leicht  ubersichtlich  wie  bei  der 
Gramm  e'schen  Maschine.  weshalb  wir  ohne  allzugrosse  Weitlaufigkeit  bier  nicht 
auf  cine  nahere  Beschreibung  eingehen  konnen***) LIV.) 

c )  Die  d  y  n  a  m  o  e  1  e  c  t  r  i  s  c  h  e  n  Mascliinen.  So  liennt  man  eine  besondere 
Art  von    hochst    leistungsfahiffen    und  audi    bereits    technisch  wichtiff  gewordenen 


i  si,  1).    deo  offieiellen  Ausstellungsbericht  Gruppe  XIV,  Heft  LX,  Seite  99. 
';)  Er    ist    eine  Modification   des   von  Werner  Siemens  erdachten,  1  * <  i    den  Inductions- 

Telegraphen  schon  liingst  mit  Vortheil  angewendeten  Inductors. 
*)  Wir   verweisen    diesfalls    auf  das    zweite    Heft    des   Jahrganges   1^75   der   „technischen 

Blatter"   (Prag,  Calve),  indein  wir  nur  noch   beifiigen,  dass  die  Leistungen  des  dort  l>e- 

schriebenen  Apparates,  wie  neuere  Versuche  gelehrt  lxaben,  um  eine  nambafte  Ditt'erenz 

zu  eeriiiLT  an^euvlieu  sind. 


Electricitat  (allgemeine  Gesetze).  189 

inagnetoelectrischen  Ihductionsmaschinen,  deren  eigenthiimliches  (vor  etwa  10  Jahr<  n 
von  Dr.  Werner  Siemens  erdachtes)  Princip  kurz  in  folgender  Weise  aus- 
gesprochen  werdcn  knnn. 

Vorerst  ist  klar,  dass  als  inducirender  Magnet  anstatt  eines  Stahlmagneten 
auch  ein  Electromagnet  verwendet  werden  kann.  Urn  einen  solchen  in  Thatigkeit 
zu  erhalten,  wiirde  (nach  der  gewohnlichen  Einrichtung)  eine  galvanische  Batterie 
erforderlich  sein,  die  den  magnetisirenden  Strom  lief'ert.  Bei  den  dynamoelectrischen 
Mascliinen  hat  der  Eisenkern  des  Electromagneten  sclion  von  vornherein  (als  Ruck- 
stand  von  einer  friiheren  Magnetisirnng  her)  eine  Spur  von  Magnetismus,  die  au 
sich  schon  (auch  wenn  kein  magnetisirender  Batteriestrom  in  Anwendung  koramt) 
vermogend  ist,  bei  der  Drehung  des  Inductors  einen,  wenngleich  sehr  scliwachen, 
Inductionsstrom  liervorzurufen.  Man  denke  sich  nun  diesen  Inductionsstrom 
(anstatt  eines  Batteriestrom es)  durch  die  Drahtwindungen  des  Electromagneten 
geleitet,  so  ist  klar,  dass  derselbe  den  Magnetismus  des  Eisenk ernes  verstarken 
wird.  Dies  hat  unmittelbar  zur  Folge,  dass  die  bei  fortgesetzter  Drehung  des 
Inductors  nunmehr  inducirten  Strome  schon  starker  sind.  Wenn  nun  diese  in- 
ducirten Strome  stets  in  gleicher  Richtuug  durch  die  Drahtwindungen  des  Electro- 
magneten geleitet  werden,  so  wird  eine  succesive  Verstarkung  desselben,  und  somit 
auch  der  inducirten  Strome  selbst,  eintreten  miissen,  bis  ein  gewisses  der  Be- 
schaffenheit  des  Apparates  angemessenes  Maximum  erreicht  ist. 

Das  Princip  der  dynamoelectrischen  Mascliinen  besteht  also, 
kurz  gesagt,  in  der  succesiven  Verstarkung  magnetoelectrisch  inducirter  Strome, 
iridem  diese  selbst  zur  Verstarkung  des  inducirenden,  urspriinglich  nur  mit  einem 
magnetisehen  Riiekstande  behaf'teten  Electromagneten  verwendet  werden. 

Hat  der  dynamoelectrisch  inducirte  Strom  die  erforderliche  Starke,  so  kann 
durch  eine  einfache  Vorrichtung  leicht  die  Leitung,  in  welcher  der  Strom  zur  Wirk- 
samkeit  kommen  soil,  in  den  Schliessungskreis  des  Apparates  eingeschaltet  werden. 

Man  hat  auch  d  op  p  el  twirken  d  e,  d.  h.  dynamoelectrische  Mascliinen  mit 
zwei  Inductoren  construirt  (einem  grosseren  und  einem  kleineren),  die  zwischen 
je  zwei  Magnetpolen  so  angeordnet  sind,  dass  der  kleinere  Inductor  zur  Ver- 
starkung des  Magnetismus,  der  grossere  hingegen  zur  Erzeugung  des  nutzbaren 
Stromes  dient. 

Eine  ahnliche  Einrichtung  hatte  die  bekannte  Wild'sche  Maschine,  jedoeh 
mit  dem  wesentlichen  Unterschiede,  dass  der  kleinere  Inductor  zwischen  den  Polen 
eines  Stahlmagneten  rotirte  und  seine  Strome  in  die  Windungen  eines  grossen 
Electromagneten  entsendete,  zwischen  dessen  Polen  der  grossere  Inductor  rotirte 
und  den  Nutz-Strom  lieferte.  Die  Wild'sche  Maschine  ist  also  auch  eine  doppelt- 
wirkende  (mit  Anwendung  des  S  i  e  m  e  n  s'schen  Inductors),  aber  keine  „  dynamo- 
electrische" in  dem  gangbaren  Sinne  dieses  Wortes.*) 

E)  Allgemeine  Gesetze  des ,  elect  ri  schen  Stromes.  Die  Wir- 
kungen,  welche  ein  electrischer  Strom  hervorzubringen  vermag,  bestehen  entweder 
unmittelbar  in  einer  Erwarmung  des  Loiters,  in  welchem  sich  der  Strom  bewegt, 
oder  sie  lassen  sich  (wenn  sie  chemischer  oder  mechanischer  Natur  sind,  wie 
z.  B.  bei  der  Electrolyse  oder  bei  dem  Betriebe  einer  electromagnetischen  Arbeits- 
maschine)  auf  die  Entwickelung  einer  aquivalenten  Warmemenge  zuriickfiihren. 
Zerlegt    z.    B.    ein    Strom    1    Gramm  =  0*001    Kilo    Schwefelsaurehydrat ,    also 

— — —  Aequivalente  (auf  Kilo  bezogen)  von  dieser  Substanz,**)  so  wird  dabei  eine 


*)  Wichtige  Bemerkungen  fiber  das  Wesen  und  die  Vovzuge  dieser  Maschinen  im  Ver- 
gleiche  mit  jenen  mit  Stahlmagneten  enthalt  die  Abhandlung  von  Dr.  AY  erner  Siemens 
im  Monatsberiehte  der  Berliner  Akademie  vom  Jaimer  1867. 
**)  SOiR  —  49.  Aus  Griinden,  welche  im  Artikel  „Electrolyse"  angefiihrt  sind.  bedienen 
wir  uns  bei  der  Ijesprechnng  electrochemischer  Fragen  der  alteren  Verbindungsgewichte 
(0  —8  statt  0=16)  und  sehreiben  demgemass  SO AH  statt  SO^H^  fur  Seli-wefelsaure- 
Hydrat.  Dabei  lassen  wir  die  betreffende  Aequivalentzahl  (z.  B.  SOAH  —  49J  stets 
Kilo  bedenten. 


100  Electricitat  (Obm'scbes  Gesetz). 

vom  Strome   gelieferte  Warmerneiige    im  Betrage    von  — — — .46462  Calorien  ge- 

buiiden.  *)     Oder    leistet  ein    Strom    z.    B.    bei  clem  Betriebe  einer    electromagne- 
tischen  Maschine    eine   Brutto-Arbeit  von  a  Meterkilo,    so    ist  die  zur  Bestreitung 

dieser   Arbeit    erforderlicbe    aquivalente    Warmemenge  r=  — —         Calorien  ,    weil 

424 

424  bekanntlich  das  meebanische  Aequivalent  der  Warme  ist. 

Joule  n.  A.  haben  (auf  verscbiedenen  experimentellen  und  tbeoretiscben 
Wegen**)  nacbgewiesen,  dass  die  durcb  einen  electriscben  Strom  in  der  Zeiteinbeit 
bewirkte  Warine-Eiitwickelung  dem  Quadrate  der  Stronistiirke  und  zngleicb 
einer  von  der  Bescbaffenbeit  des  Leiters  abha'ngigen  Grosse,  welcbe  man  Lei- 
t  ungs  wider  stand  nennt,  direct  proportional  ist. 

Mit  Beibebaltung  der  Jacobi'scben  Stromeinbeit  (l  Cubic-Centimeter  Knall- 
gas-Entwickelung  pro  Minute)  und  der  Siemens'schen  Widerstandseinheit  (d.  i. 
der  Leitungswiderstand  eines  Queeksilberprisma's  von  1  Meter  Lange  und  1  Quadrat- 
millimeter  Quersclinitt  bei  0°  C.)  findet  man  die  Warme-Entwiekeliing  q  in  der 
Zeiteinbeit  (Secunde)  mittelst  der  Formel 

q  —  0.00000207  s-iv  ~  cs-w LV) 

in  Calorien. 

Die  aquivalente  Arbeit  a  (S  tr  omar  b  eit)  in  der  Zeiteinbeit  ist  demnacb 
gegeben  durcli 

a  =r  424  q  =  0.00Q878  s*w  ==  ks*w***)  ....  LVI), 
indem  wir  fiir  die  Zablencoefficienten  0.00000207  und  0.000878  der  Kiirze  wegen 
beziebungsweise  die  Bezeicbnungen  c  und  k  ein  fiir  alle  Mai  einfiihren.  Der 
Satz  LV  wird  das  Joule'scbe  Gesetz  genannt. 

Verstebt  man  unter  w  den  Gesamintwiderstand  des  Scbliessungskreises  einer 
beliebigen  Stromquelle  (z.  B.  Batterie  oder  Inductions-Apparat),  namlicb  die  Summe 
aller  Widerstande  innerbalb  der  Batterie  und  ausserbalb  derselben  in  der  einge- 
scbalteten  Leitung,  so  findet  man  (so  lange  an  der  Stromquelle  nicbts  geandert 
wird,  also  z.  B.  die  Zabl  und  Bescbaftenbcit  der  Batterie-Elemente  dieselbe  bleibt, 
oder  ein  Inductions  -Apparat  mit  constanter  Gescbwindigkeit  in  Gang  erbalten 
wird),  dass  s  in  demselben  Yerbaltnisse  abnimmt,  als  man  w  vergrossert  und  um- 
gekehrt,  dass  also  das  Product  bcider  Grossen  constant  bleibt.   Man  nennt  dieses 

Product  e  =  sio LVII) 

die  electro  root  oris  die  Kraft    der  Stromquelle   und  das  so  eben   t'ormulirte 
Gesetz  das  Obm'scbe.  f)     Es  wird  gewobnlieb  in   der  Form 

s  =  —        LVIII) 

gescbrieben  und  ausgesprocben. 

Befinden  sicb  im  Scbliessungskreise  mebrere  Stromquellen  oder  denkt  man 
sicb  die  vorbandene  in  mebrercn  zerlegt  (man  kann  z.  B.  jedes  Batterie-Element 
fiir  sicb  oder  jede  Induetor-Windung  fiir  sicb  als  eine  Stromquelle  betracbten), 
welchen    einzeln    genommen    die    electromotorischen    Kriifte   e.,  e„,  o   zu- 


*J  Siehe  die  Bestimmungen  calorischer  Aequivalente  von  F  a  v  r  c,  P  o  g  g  e  n  d  o  r  ff's  Anhalefl, 
Bd.  135. 
**)   Siehe    Wiedemann,    die   Lehre    vom    Galvanisnius    und   Electromagnetismus,    lid.    3, 

Schlusscapitel. 
***)  Kino  Berechnung    dieses  Coefficienten  k  habe  ich  gegeben    in  meiner  Abhandlung  fiber 
den  Kravogl'sehen  Electromotor  im   188.  Bdo.  dos  Dingler'schen  polyt.  Journals. 

f)  Man  kann  unter  w  auch  den  Widerstand  eines  Stfickes  des  Scbliessungskreises  (z.  B. 
eines  eingeschalteten  Drabtes)  versteben;  dann  bedeutet  p  die  Differenz  der  electriscben 
Spannungen  am  Anfange  und  am  Ende  des  betrachteten  Leiterstfickes.  In  dieser  allge- 
rueineren  Auffassung  ist  jenes  Gesetz  (auf  theoretischem  Wege)  von  Ohm  zuerst  er- 
griindet  worden.  Zahlreicbe  experimentelle  Untersuchnngen  (Po  uillet,  1».  K  o  li  1  ra  n  s  c  h 
u.  A.)  haben  es  bestStigt.  Die  eigentlicbe  Bedeutung  dor  sogenanntcn  „Spannunga  hat 
Kirchhoff  durch  Einfuhrung  der  Potentialfunction  naher  pracisirt.  Sic-he  Clausius1 
Abhandlungen  fiber  die  meebanische  Warmetheorie  (l.Aufl.)  Bd.  2,  S.  l'U  u.  folgende, 
(Die  zweite  Anflage  ist  noch  nicht  so  weit  erscbienen.) 


Electricitat  (specifischer  Widerstand).  191 

kamen,*)  unci    denkt   man   sich    aucb   den    Schliessungskreis    in    Theile   von    den 

Widcrstanden  w1 ,  w^  w3 zerlegt,  so  wiirdo  das  Ohm'sche  Gesetz  die  Form 

t  =  .-*  +  «.  +  »+■•••■,  =A!L IJX, 

u\  -{-  wa  -(-  w3  -(-••••  2  to 

annehmen. 

Wirken  nicht  alle  e  iibereinstimmend,  so  sind  die  entgegengesetzt  wirkendeii 
rait  den  Vorzeichen  -4-  und  —  in  die  algebraischc  Siimme  2e  einzufiihrcn. 

Fiir  Loiter  von  prismatischer  oder  cylindrischer  Gestalt  (z.  B.  fiir  Dralite) 
ist  der  Widerstand  to  der  Lange  I  direct  und  dem  Querschnitte  /  verkehrt  pro- 
portional, so  dass  die  Formel         w  z=z  q   -^- LX) 

Anwendung  findet,  wenn  man  unter  dem  Coefficienten  n  den  Widerstand  versteht, 
welchen  ein  Stuck  des  Leiters  von  der  Lange  1  und  von  dem  Querschnitte  1  haben 
wiirde.  Diese  Grosse  q  ist  von  der  materiellen  Beschaffenheit  des  Leiters  ab- 
hangig  und  lieisst  sein  specifischer  Widerstand. 

Werden  die  Langen  (I)  in  Metern  und  die  Querschnitte  (f)  in  Quadrat- 
millimetern  geniessen,  so  ist  der  specifiscbe  Widerstand  des  Quecksilbers  gleicb 
einer  Siemens'scben  Widerstandseinbeit  (gewohnlich  mit  S.  E.  kurz  bczeichnet). 
Dagegen  ware  der  specifiscbe  Widerstand  des  Quecksilbers  —  O-OOOOOl  8.  E., 
wenn  man  die  Quersclmitte  (f)  in  Quadratmeiern  ausdriicken  wiirde. 

Wir  geben  im  Nacbstebenden  die  Verhaltnisszahlen  der  specifiscben  Wider- 
stande fiir  einige  Metalle  und  Legirungen  bei  0°  C. : 

Quecksilber 1-0000      Messing;  gegliiht 0-0723 

Reincs  Silber;  ausgegliibt  .    .    .00161      Stahl;  gegliiht 0-1149 

Reines  Kupfer;  ausgegliibt     .    .  0-0179      Reines  Zinn     .    .    , 0-1211 

Silber  (750/1000);  ausgegliibt  .    .  0-0201      Eisen;  gegliiht 0-1272 

Reines  Gold ;  gegliiht     .    .    .    .0-0227      Platin ;  gegliiht 0-1647 

Aluminium ;  gegliiht     .....  0*0324      Reines  Blei       0-2075 

Reines  Zink ;  gehammert     .    .    .  0*0621      Neusilber;  gegliiht 0-2775 

Reines  Cadmium;  gehammert     .  0*0716 

G  e  r  i  n  g  e  Beimengungen  v  e  r  a  n  d  e  r  n  die  specifiscben  Wider- 
stande sebr  bedeutend.  Die  Kupferdrabtsorten  des  Handels  haben  sammtlich 
viel  grossere  Widerstande  als  reines  Kupfer.  Referent  fand  Widerstande  von  0-0266 
bis  0-0577.    Aehnlicbc  Verschiedenheiten  jand  man  audi  bei  Neusilberdrahtsorten. 

Der  Leitungswiderstand  der  Korper  hangt  ubrigens  von  der  Temperatur 
ab  und  wachst  bei  den  Me  tall  en  mit  z  un  ehm  en  d  er  Erwarm  ung.  Man 
findet  den  Widerstand  wt  bei  t{)  C.  aus  dem  Widerstande  wa  bei  0°  C.  annahernd 
durch  eine  Gleichung  von  der  Form  wt  —.  ?t*0  (1  -\-  a  t  ~\-  ft  t").  Dabei  ist 
z.  B.  fur  Platin  a  =  0.002454  und  ($  =  —  0.000000594.  Uebrigens  lasst  sich 
der  Zusammenhang  zwischen  Widerstand  und  Temperatur  aucb  durch  andere 
empirische  Formeln  darstellen;  so  gibt  z.  B.  Siemens  fiir  Platin  aucb  die 
Formel  wt  —  to0  (a  T1'*  -\-  ft  T  -J-  /).  Dabei  bedeutet  T  die  sogenannte  ab- 
solute Temperatur  (so,  dass  T—  273  -\- 1  zu  setzen  ist),  wahrend  a  =  0.039369, 
ft  =  0.00216407  und  y=  —0.24127.  Wir  erwahnen  diese  Relation,  weil  sie 
dem  in  technischer  Hinsicbt  sehr  wichtigen  Widerstands-Pyrometer  zu  Grande 
liegt,  von  welchem  im  Artikel  Warm  ernes  sung  die  Rede  sein  soil**)    .  LXI.) 

Die  Widerstande  der  Leiter  zweiter  Ordnung  (z.  B.  Salzlosungen,  fliissige 
Sauren)  sind  verhaltnissmassig  sehr  gross.  So  ist  z.  B.  der  Leitungswiderstand 
einer  concentrirten  Kupfervitriollosung  etwa  210000mal  grosser  als  der  des  Queck- 
silbers. Uebrigens  wird  der  Leitungswiderstand  der  fliissigen  Leiter 
zweiter  Ordnu  n  g  d  u  r  c  h  E  r  warm  u  n  g  v  e  r  m  in  d  e  r  t. 

*)  Nach  LVII  ware  also  unter  der  electromotorischen  Kraft  einer  Stromquelle    die  Strom- 
intensitat   zu  verstehen,  welcbe    die    nntersuchte  Stromquelle  bei  eine  in  Gesammtwider- 
stande  ~    1   (iv  ~  1,  e  ~  s)  hervorbringen  wiirde. 
**)  Jahrbuch    der    Erfindung-en    von    Hirzel    und    Gnetschel,    Bd.    10,    S.    189   u.  Bd.  9; 
S.  109. 


192  'Electricitat  (electroruotorische  Kraft). 

Fiir  moglichst  rein  dargestelltes  Wasser  fand  F.  Kohlrausch  den  Leitungs- 
widerstand  14000000000mal  grosser  als  den  des  Quecksilbers.  Man  betrachtet 
da  her  jetzt  das  chemisch  reine  Wasser  nicht  m  e  h  r  als  einen 
Loiter,  sondern  als  einen  Isolator.  Aehnliehes  gilt  vonAlkohol  nnd  Aether. 
Der  Widerstand  des  ersteren  betragt  etwa  das  Doppelte  von  dem  des  oben  er- 
wahnten  Wassers;  der  Widerstand  des  letzteren  verhalt  sich  zn  dem  des  Queck- 
silbers etwa  wie  eine  Billion  zu  Ems.  In  diese  Kategorie  der  fliissigen  Isolatoren 
gehoren  auch  noch  viele  andere  Substanzen,  z.  B.  Essigsaure  (Eis-Essig),  fliissige 
sehweflige  Saure,  Kohleri  saure,  Schwefelkohlenstoff  u.  s.  w.,  fette  nnd  atherische 
Oele.  Dnrch  Mischung  zweier  nichtleit  en  d  er  Fliis  sigk  ei  t  en  kann 
eine  leitende  entstehen;  so  z.  B.  geben  Essigsaure  und  Wasser  beim 
specifischen  Gewiehte  1-022  Essig,  der  38000mal,  beziehungsweise  2000mal  besser 
leitet,  als  seine  Bestandtheile.  —  Geringe  Beimengungen  and  em  den 
L  eit ungs  wider s tan  d  auch  der  Fliissigkeiten  sehr  bedeutend. 
Em  Tropfen  Schwefelsaure  in  GO  Liter  Wasser  gebracht,  vermindert  den  Wider- 
stand  etwa  auf  den  zehnten  Theil.*)  Die  fliissigen  Leiter  der  zweiten  Ordnung 
werden,  indem  sie  den  Strom  leiten,  durch  denselben  zngleich  zersetzt.  Man 
nennt    sie  deshalb    auch  Electrolyten  (vgl.  den  Artikel  Electrolyse).    .  LXII) 

Eliminirt  man  to  aus  den  Gleichungen  LV  und  LVII,  so  ergibt  sich  fur  die 
calorische  Wirkung  des  Stromes  in  der  Zeiteinheit  (Secunde)  der  Ausdruck 

q  —  cse LXIII,) 

und  fiir  die  Stromarbeit  a  =  Jcse LXIV.) 

Bezeichnet  man  den  Warme-Eftect  der  Stromeinheit  (s  —  1)  in  der  Zeit- 
einheit mit  q1}  so  erhalt  man  q{  —  ce  und  somit  e  =  -^— .  Eben  so  ergibt 
sich,   wenn  man  die  Arbeit    der  Stromeinheit  a1   nennt,  der  Ausdruck  e  =:  —r—- 

Die  im  Schliessungskreise  einer  Stromquelle  thatige  electrornotorische  Kraft  ist 
also  eine  dem  calorischen,  somit  auch  dem  mechanischen  Effecte  der  Stromeinheit 
proportion  ale  Griisse.  In  der  That  muss  ja  die  Warme,  welche  bei  der  Erwar- 
mung  der  Stromleiter  durch  den  Strom  in  jeder  Zeiteinheit  abgegeben  wird,  durch 
die  electrornotorische  Thatigkeit  der  Stromquelle  in  jeder  Zeiteinheit  geliefert 
werden.  Man  kann  sich  namlich  vorstellen,  dass  in  der  Secunde  die  Warme- 
menge  qx  in  der  Stromquelle  (z.  B.  einem  galvanisclien  oder  tbermoelectrischen 
Elemente**)  in  Electricitat  umgesetzt  wird,  welche  dann,  indem  sie  den  Schliessungs- 
kreis   durchstrbmt,  dieselbe  Warmcmenge  qx    wieder  abgibt LXV.) 

Bei  einer  hydroelectrischen  Kette  ist  die  in  der  Zeiteinheit  fiir  jede  Strom- 
einheit entwickelte  Warmemenge  qx  leicht  zu  find  en,  sobald  man  die  in  der  Kette 
vor  sich  gehenden  chemischen  Processe  genau  kennt. 

Wir  wollen  die  bei  der  chemischen  Verbindung  zweier  Stoffe  A  und  B  frei 
werdende  Warmemenge  durch  das  Symbol  -)-  (A,  B)  und  die  bei  der  Zerlegung 
einer  Verbindung  A,  B  in  die  Bestandtheile  A  und  B  gebundene  Warmemenge 
durch  das  Symbol  —  (A,  B)  bezeichnen.  Wir  verstehen  also  z.  B.  unter  -|-  (Zn,SO±) 
die  bei  der  Bildung  eines  Aequivalentes  (d.  i.  32*5  -4-  48  zn  80-5  Kilo)  Zink- 
vitriol  freiwerdende  Warmemenge  von  6629b*  Calorien;  und  eben  so  unter 
—  (Cu,  S04),  die  bei  der  Ausfallung  von  31-7  Kilo  Kupfer  aus  Kupfervitriol 
gebundene  Warmemenge  von   38950  Calorien. 

Betrachten  wir  nun  beispielsweise  die  Processe  in  einer  Daniell'schen 
Kette  und  erwagen  wir,  dass  dabci  fiir  jedes  (unter  Bildung  von  Zinkvitriol)  con- 


*)  Sielie  F.  Kohlrausch,  iiber  das  electrische  Leitimgsvermogen  des  Wassers  und  der 
Sauren.  Sitznngsberichte  der  Munchener  Akademie  ls?5. 
**)  Bei  der  Bewegung  eines  Inductionsapparates  ist  die  inechanisclie  Wechselwirknng  zwischen 
hiducirenden  Magneten  und  den  zu  iudueirenden  Stroinen  zu  iiberwinden;  es  muss  also 
bei  der  Stromerzeugung  fiir  jede  Stromeinheit  und  Zeiteinheit  eine  gewisse  Ai'beit  «, 
geleistet  werden,  die  in  Electricitat  umge«etzt  und  vom  Strome  sodann  in  Form  einer 
aquivalenteu  Warmemenge.  (}1   wieder  abgegeben  wird. 


Electricitat  (electromotorische  Kraft).  193 

surairte  Aequivalent  Zink  ein  Aequivalent  Schwefelsiiurehydrat  zerlegt  wird,  dessen 
freiwerdender  Wasserstoff  (unter  Wiederbildung  von  Schwefelsaurebydrat)  aus  dem 
Kupfervitriol  ein  Aequivalent  Kupfer  ausfallt.  Demnach  entspricht  einer  Zink- 
consumtion  von  32*5  Kilo  die  Warmeentwickelung 

+  (Zn,  S04)  —  (SO,,  H)  +  (H,  S04)  -  (S04,  Gu)    .    .    .  LXVI.) 

Dieselbe  reducirt  sich    mit  Rlicksicht  auf  die    sich  aufhebenden  Glieder  auf 
-f  (Zn,  S04)  —  (,S'04,  Cu)  —  66296—38950  =  27346  Calorien. 

Wir  wollen  die  so  gefimdene  algebraische  Snmme  der  in  der  Kette  ent- 
wickelten  Warmemengen  kurz  mit  2&  bezeiclinen  (indem  wir  uns  die  einzelnen 
Glieder  von  LXVI  der  Reilie  nach  mit  -4-  #,  —  0„  -\-  &3  . . . .  bezeichnet  denkenj. 

Von  diesem  2Q  —  27346  wird  jedoch  durch  die  Jacob  i'sclie  Stromeinheit  ($  r~ 
1)  in  der  Zeiteinlieit  (1  Secunde)  nur  ein  kleiner  Bruchtheil  entwickelt  werden.  Diese 
Stromeinheit  entwickelt  namlich  in  jcder  Minute  ein  Cub.-Centim.  Knallgas,  zerlegt  also 

in  der  Minute    ■     „■  Gramm  Wasser*)  also  in  der  Secunde  — — — — — 

1870  '  ;  1870  X  1000  X  60 

1  32-5 

Kilo  Wasser.  Dem  entspricht  erne  Zink- Con  sumtion  von     Q7n       innf        af  •  —^— 

Kilo,  also  von =  0.0000000009903  Aequivalenten. 

1870  X   1000  X   60   X   9 

Bezeichnet  man  diesen  Coefncienten  mit  «,  so  findet  man  also  die  zur  Unterhaltung 

dieser    Stromeinheit    in    der    Zeiteinheit    erforderliche    Warmemenge  qx   —  a  2  -0, 

somit  die  electromotorische  Kraft  der  Dan  iell'schen  Kette  (vermoge  LXV  und  LVj 

a.  a     '„  0.0000000009903     „ 

6  =  -c-  =  —  **  =         0.00000207         **>  alS° 

e  ==  0.000478  2& LXVII), 

d.  i.  e  =  0.000478  X  27346  =  13,  was    mit    der    durch  Versuche    ermittelten 

Zahl,  welche  etwas  grosser  als  12  ist,  nahe  iibereinstimmt.  **) 

In  ahnlicher  Weise  lasst  sich  fur  jede  hydroelectrische  Kette,  deren  chemische 
Processe  man  genau  kennt,  die  electromotorische  Kraft  durch  Rechnung  mittelst 
der  Formel  LXVII  finden. 

Aus  dem  Joule'schen  Gesetze  und  der  claraus  abgeleiteten  Formel  LXIV 
ist  ersichtlich ?  dass  die  Arbeitsleistung  eines  electrischen  Stromes  (z.  B. 
beim  Betriebe  einer  electromagnetischen  Mascliine)  nicht  bios  von  der  Strom- 
star  k  e  a b h a n g t,  sondem  audi  von  der  e  1  e c t r  o m o  t o r i s c h  e n  K r  a  f t 
der  Stromquelle,  so  wie  z.  B.  die  Arbeitsleistung  einer  sinkenden  Masse  nicht 
nur  vom  Gewichte  derselben  abhangt,  sondern  auch  von  der  Hubhohe.  In  der 
That  bestimmt  die  Stromstarke  wohl  die  Material-Consumtion ,  z.  B.  Zinkcon- 
sumtion  in  einer  hydroelectrischen  Kette,  aber  die  Consumtion  eines  und  desselben 
Zinkquantums  kann  von  sehr  ungleichen  Warme-Entwickelungen  begleitet  sein,  je 
nach  der  Einrichtung  der  Kette  und  dem  dadurch  bedingten  Verlaufe  der  darin 
stattfindenden  chemischen  Processe.  Je  grosser  die  diesen  Processen  entsprechende 
Warme-Entwickelung  qt  =  a2i>  (per  Stromeinheit  und  Zeiteinheit)  ist,  desto 
grosser  wird  bei  gleicher  Stromstarke  die  Stromarbeit  ausfallen  ....  LXVIII.) 

Es  ist  gut  zu  bemerken,  dass  die  in  einem  Stromleiter  nach  dem  Joule'schen 
Gesetze  stattfindende  Warmeentwickelung  nicht  verwechselt  werden  darf  mit  der 
im  Stromleiter  bewirkten  Temperaturs-Erhohung.  Fiir  den  Grad  der  Erhitzung 
eines  in  den  Stromkreis  eingeschaltefen  Dralitstiickes  fand  J.  Miiller  gewisse 
empirische  Gesetze,  deren  Zuriickfiihrung  auf  das  Joule'sche  Erwarmungsgesetz 
bisher  noeh  nicht  vollstandig  gelungen  ist.  So  gelten  z.  B.  fiir  das  Dralitgliiheri 
folgende  Erfahrungssatze. 


*)  Da  das  Wasser,  wie  wir  oben  (LXII)  gesagt  haben,  den  Strom  nicht  leitet,  somit  durch 
denselben  auch  nicht  zerlegt  wird,  so  ist  diese  Ausdrucksweise  so  zu  verstehen.  dass 
in  der  Minute  ein  Quantum  Schwefelsaure  zerlegt  wird,  welches  "lv-0  Gramm  Wasser 
aquivalent  ist. 

**)  Die  so  berechneten  electromotorischen  Kriifte  fallen  stets  etwas  grosser  aus  als  die 
experimentell  ermiltelten,  aus  Griinden,  deren  Erorferuttg  bier  iibergangen  werden  muss. 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.     Bd.  III.  13 


194 


Electricitat  (Batterie-  Combination  en). 


Bezeichnet  man  mit  d  die  Drahtdicke  in  Millimetern  and  mit  s  die  Strom- 
starke, wahrend  y  eine  vorn  Materiale  des  Drahtes  und  vora  Grade  des  Gliiliens 
abhangige  Constante  („Gliihwerth"  genannt)  bedeutet,  so  gilt  die  einfaelie  Relation 


LXIX.) 


so  ware  dazn  (wegen 


dicker  Platindraht  rothgliihend  gemach't  werden, 
=  172)  eine  Stromstarke  vora  Betrage  s  =  0'5X  172 


Dabei  ist  y  fiir  rothgliihenden  Platindraht  —  172,  fiir  weissgliihenden  Platin- 
dralit  —  220,  fiir  rothgliihenden  Kupferdraht  —  430,  fiir  rothgliihenden  Eisen- 
draht  z=  135  n.  s.  w. 

Sollte  also  z.  B.  ein  0-51 
s 
~d 
m  86  nach  chemischem  Masse  erforderlich.*) 

Der  Widerstand  w  ini  Schliessungskreise  einer  Stromquelle  kann  als  ans 
zwei  Theilen  bestehend  betrachtet  werden,  die  wir  als  inner  en  und  ausseren 
Widerstand  unterscheiden  wollen.  Unter  jenem  verstehen  wir  den  Widerstand  u 
in  der  Stromquelle  selbst,  unter  diesem  den  Widerstand  /  im  Schliessungsbogen, 
so,  dass  man  hat:  w  ■=  ii  -j-  I.     Das  Ohm'sche  Gesetz  (LVIII)  nimmt  in  Folge 

e 


dessen  die  Gestalt  an 


LXX). 


u  +  I  .... 

Wir  wollen  dabei  voraussetzen,  die  Stromquelle  sei  ein  Batterie-Element 
von  der  electromotorischen  Kraft  e  und  vom  Widerstande  u.  — ■  Wie  nun,  wenn 
mehrere  Elemente,  z.  B.  n  an  der  Zahl,  miteinander  zur  Batterie  verbunden 
werden?  Stellt  man  die  n  Elemente  in  der  tiblicben  Weise  (wie  Fig.  1425  an- 
deutet)  hintereinander,    so    erhalt    man    eine  Batterie    von    der    electromotorischen 

ende  Stromstarke    wiirde  dann 


Aus  Fig.  1426  bis 
Fig.  1428  ist  nun  aber  er- 
sichtlich,  dass  eine  An- 
zahl  von  Elementen  in 
sehr  verschiedener  Weise 
znr  Batterie  angeordnet 
werden  kann,  so  z.  B.  8 
einer  8-ele- 
atterie  (Fig. 
zu  zwei  pa- 
rallel geschalteten  Halb- 
Batterien  von  je  4  Ele- 
menten (Fig.  1 426),  ferner 
zu  vier  parallel  geschal- 
teten Viertel  -  Batterien 
von  je  2  Elementen  (Fig. 
1427)  und  endlich  zu 
acht  parallel  geschalteten 
Elementen  (Fig.  1428). 
Sind  die  Elemente,  wie 
wir  annehmen  wollen, 
einander  gleich,  so  wir- 
ken  die  drei  dargestellten 
Parallelschaltungen  (Fig. 
1426  bis  1428)  so,  als 

;i)  Naberes  iibcr  diesen  Gegenstand  findet  man  in  des  Verfassers  Abbandlung:  „Ueber  die 
Gesetze  des  durch  eleetrische  Strome  bewirkten  Drahtgliihenstt.  Sitzmigsberiebte  der 
kgl.  bohm.  Gesellschaft  der  Wissenscbaften  Jahrgang  1874. 


^^-  Elemente  zu 

^^\_J  mentigen    B; 

^^T^f  1425),  dann 

ft* 


Electricit&t  (Batterie-Combinationen).  195 

lu'itte  man  beziehungsweise  4  Doppel-Elemente  (4  Elemente  von  doppelter  Platten- 
grosse),  2  vierfache  Elemente  und  endlich  1  achtfaches  Element  genommen. 

Es  entsteht  nun  die,Frage,  welche  von  den  aufgezahlten  Combinationen  in 
einera  gegebenen  Falle  die  vortheilhafteste  ist. 

Es  lasst  sich  zeigen,  dass  man  die  gross  te  8  tr  o  m  s  t  a .  r  k  e  erzielt, 
wenn  man  j  en  e  Batter  ie- Combination  wahlt,  dor  en  Widerstand 
dem  Widerstande  im  S  cbliessungsb  ogcn  am  nac'hsten  kommt. 

Die  Widerstande  der  aufgezahlten  vier  Combinationen  (den  Widerstand  fines 
Elementes  ■=.  u)  gesetzt)  wiirden  sein : 

U '         2  U '         4  2    '         8     '    '     8     " 
Hiitte    man,    urn  allgemein   zu    sprechen,  n  Elemente  in  m  Batterien  von  je 
r  Elementen  abgetheilt  (wobei    also  n  zrz  m'r  angenommen  wird)  und  jene  rn   r- 
elementigen  Batterien  parallel  geschaltet,  so  wiirde  diese  Combination  den  Wider- 
stand   r rr  ^  haben.     Die  Stromstarke 

m  m  - 


LXXI) 


r \-  I  n  -4-  m  L 

•m       '  m       ' 

erreicht  den  grossten  nioglichen  Werth,  wenn 

nU     =  I,    also   m  —  \IJ^L LXXII) 

m"  V     1 

gemacbt  werden  kann.  In  den  meisten  Fallen  wird  V/_™^_  keine  ganze  Zahl 
sein,  welche  in  n  als  Factor  enthalten  ist;  man  wahlt  dann  von  alien  moglichen 
Parallelschaltungen  diejenige,  fur  welche  m  der  Grosse  \/-^- am  nachsten  kommt. 

Bei spiel.  Es  seien  zum  Betriebe  einer  electrischen  Uhr  von  8  S.  E. 
Widerstand  6  Meidinger-Elemente  von  je  10.  S.  E.  Widerstand  zur  Verfugung. 
Welche    Combination    wird     den     starksten    Strom     geben?     Man     findet    m    = 

\l — ^ —     m  2-7;    die    nachstliegende    in    6  als    Factor   enthaltene    Zahl    ist  3. 

Man  wird  also  bei  der  Parallelschaltung  von  drei  Drittel-Batterien  zu  je  zwei 
Elementen,  oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt,  bei  der  Combination  der  6  Elemente 
zu  2  3-fachen  Elementen  einen  starkeren  Strom  erhalten  als  bei  jeder  anderen 
Combination.  Es  ist  sogar  moglich,  dass  eben  nur  die  bereclmete  vortheilhafteste 
Combination  iiberhaupt  geeignet  ist,  die  Uhr  in  Gang  zu  erhalten,  jede  andere  aber 
nicht LXXIII.) 

Die  Formel  LXXII  zeigt,  dass  m  abnimmt,  wenn  I  waclist;  es  liegt  aber 
in  der  Natur  der  Sache,  dass  m  nicht  kleiner  werden  kann  als  1.  Bei  sehr 
grossen  Schliessungs-Widerstanden  (I)  (z.  B.  beim  Telegraphiren)  wird  man  also 
keine  Parallelschaltungen  der  Batterie-Elemente  mit  Vortheil  anwenden  konnen, 
sondern  dieselben  einfach  hintereinander  '  zur  Saule  anordnen.  Wohl  aber  wird 
die  Parallelschaltung  bei  ldeinen  Schliessungs-Widerslanden  angezeigt  sein,  wobei 
zu  bemerken  ist,  dass  m  nicht  grosser  als  n  gemacht  werden  kann.  Dies  ist  der 
Fall  des  kleinsten  moglichen  Batterie-Widerstandes.  Er  entspricht  der  Parallel- 
schaltung aller  w-Elemente,  d.  i.  ihrer  Combination  zu  einem  einzigen  ra-fachen 
Elemente. 

Um  die  Verbindung  der  Batterie-Elemente,  ohne  die  letzteren  verstellen  zu 
mtissen,  nach  Belieben  in  der  Art  abandern  zu  konnen,  wie  es  den  verschiedenen 
Combinationen  (Parallelschaltungen)  entspricht,  hat  man  eigene  Apparate  con- 
struirt,  die  man  P  achy  trope  (Quersehnittswechsel)  nennt LXXIV.^ 

Bei  der  Beurtheilung  des  Material- Verb  rauches  (z.  B.  der  Zinkconsumtion) 
kommt   immer   nur  die  Anzahl  der   hintereinander  gestellten  Batterie-Elemente  in 

13* 


196 


Electricitat  (Stroniverzweigung). 


in  jeder  Minute,    im  Ganzen    also    die    Zinkmenge  2 


Graramen  in 


Betraclit,  nicht  aber  die  Zahl  der  parallel  geschalteten  Partialketten.  Liefert  z.  B. 

die  in  LXXIII    erwahnte  Combination    einen  Strom  von    der  Intensitat  s,  so  wird 

s  32-5 

in  jedcm  der  beiden  3-fachen  Elemente  die  Zinkmenge  .  — —  Grammen*) 

s  32-5 

1870   '      9 
der  Minute    consumirt,    gerade    so,  als    wenn    2  einfache  Elemente    hintereinander 

gestellt  denselben  Strom  liefern  wiirden LXXV.) 

Findet  ausserhalb  der  Batterie  eine  Stromverzweigung  statt,  so  lassen 
sich  die  entstelienden  Zweigstrome  selbst  in  den  complicirtesten  Fallen  dieser  Art 
mit  Hilfe  der  Kirchhof f'schen  Gesetze**)  bereclmen.  Wir  konnen  hier  nur 
den  am  haufigsten  in  Betraclit  kommenden  speciellen  Fall  einer  Stromtbeilung  in 
zwei  parallel  gescbaltete  Zweige  beriicksicbtigen. 

Fig.  1429.  Wir    denken    tins 

einen  von  einer  beliebi- 
gen  Stromquelle  B  (Fig. 
1429),  welche  die  electro- 
motorische  Kraft  e  baben 
mag,  ausgebenden  Strom 
S,  der  bei  C  in  die 
Zweigstrome  s,  und  s,2 
sicb  tbeilt. 

Es  ist  leicbt  ein- 
zusehen,  dass  die  Summe 
dieser  Zweigstrome  dem 

ungetheilten  Strome 
gleicb  sein  muss,namlicb 

Sl  -f  s„—  S LXXVI), 

die  beiden  Zweigstrome  s,  und  s„  sicb  v  e  r  k  e  b  r  t 
z u  einander  v e r b  a  1 1 e n  m  ii  s  s e n  ,  w i  e  die  W i d e r s  t a n  d  e  u^  u  n  d  <r„ 
der  beiden  Z weigl eitun gen  /  und  II,  welche  zwischen  den  beiden  Knoten- 
punkten  C  und  D  parallel  gescbaltet  sind,  also 

1  1 


so  wie  aucb,  dai 


LXXVIL) 


Aus  diesen  beiden  Relationen  folgen  (wenn  man  - 


offenbar  noch  die  weiteren 


somit 


S 


S  z= 


1 

'r1 

1 

:  ~w 

1 

1 

tvn 

w 

sw  ( 

So 


SW 


w„ 


setzt) 


LXXVIIIO 


Bezeichnet  man  den  Widerstand  des  punktirt  angedeuteten  ungetheilten  Tlieiles 
des  Scbliessungskreises  mit  u  und  beriicksichtigt,  dass 

w.  w„ 


W 


«-,  +  ws 


LXXIX) 


*)  s  Cubic-Centimeter    Knallgas    entsprechen    uamlieh 


Graunuen   Wasser,    folglich 


Gran, m  mi  Zink. 


1870  9 

**)  Siehe  "W  iedema n n,  Galvanisnius,  Bd.  I  S. 


iOo. 


Electricitat.  — Electrische  Telegrafie.  197 

den  Widerstand    der   parallel    geschalteten  Zweige    zwischen    den    beiden  Knoten- 
punkten  C  und   I)  vor'stellt,  dass  also  nach  dem  Ohm'schen  Gesetzc 

sein  muss,  so  gelangt  man  durch  Einsetzung   dieses  Ausdruckes  in  LXXVIII  und 
Substitution  des  Werthes  fiir    W  aus  LXXIX  leicht  zu  den  Formeln 


ew„ 


-\-  uw,2  -j-  wxwtl     \ 


-f-  uws  -\-  wtwq    ) 


} LXXX), 


welehe  die  Berechnung  eines  jeden  der  beiden  Zweigstrome  in  zwei  parallel  ge- 
schalteten  Stromzweigen  sofort  gestatten.  wenn  die  electroinotorische  Kraft  der 
Stromquelle  und  alle  Widerstande  (u,  u\   und  iv^)  bekannt  sind. 

Jeder  der  beiden  Zweigstrome  ist  also  proportional  dem  Producte  der  electro- 
motorischen  Kraft    der  Stromquelle    mit   dem  Widerstande    der    Nebenseliliessung. 

Dieser  Satz  findet  sebr  wichtige  Anwendungen  in  der  Galvanometrie  und 
in  der  Telegraphen-Tecbnik. 

Sielie  auch  die  Artikel:  Electrolyse  und  Elect romagnetism us. 

A.  v.   W. 

Electrische  Telegrafie  (telegraphs  electrique  —  electric  telegraph).  Unter 
eiectrisehen  Telegrafen  sind  jene  Ferosehreib-Vorriehtungen  (s.  Telegrafie)  ver- 
standen,  bei  welchen    die  Zeicbengebung    mittelst  Electricitat    bewerkstelligt  wird. 

Das  der  Anlage  eines  eiectrisehen  Telegrafen  Wesentliche 
ist  ein  isolirter,  continuirlicher  Schliessungsdraht,  so  weit  gezogen,  dass  er  durch 
zwei  von  einander  entfernte  Orte  (Stationen)  lauft7  in  welchen  eine  galvanische 
Batterie  oder  eine  sonstige  Electricitatsquelle  entweder  dauernd  oder  zeitweilig  ein- 
geschaltet  werden  kann.  An  einem  dieser  Orte  ist  ein  Apparat  aufgestellt,  welcher 
eine  Unterbrechung  oder  Schliessung  dei'  Kette,  beziehungsweise  die  Ein-  oder  Aus- 
schaltung  der  Electricitatsquelle  oder  uberhaupt  eine  Aenderung  des  Schliessungs- 
kreises  beliebig  bewerkstelligen  lasst,  wahrend  am  zweiten  Orte  ein  anderer 
Apparat  sich  befindet,  welcher  diese,  durch  den  ersteren  Apparat  verursachte 
Aenderung  irgendwie  wahrnehmbar  macht.  —  Hiermit  werden  die  Bedingungen 
fiir  die  Mbglichkeit  einer  telegrafischen  Correspondenz  mittelst  Electricitat  erfiillt 
sein.  Die  Signale  konnen  nun  nach  der  Kiirze  und  Lange  und  Anzahl  der 
Schliessungen  oder  Unterbrechungen7  Aenderung  der  Stromrichtung  oder  Strom- 
starke  u.  s.  w.  dargestellt.  werden,  je  nachdem  die  Einricbtung  des  Zeichenapparates 
getroffen  sein  wird.  Ein  unbedingtes  Erforderniss  fiir  jede,  wie  immer  geartete, 
electrische  Telegrafenanlage  ist  sonach  die  L  e  i  t  u  n  g;  die  Electricitatsquelle 
(Batterie,  Inductor  u.  s.  w.),  die  T  a  s  t  e  r  v  o  r  r  i  c  h  t  u  n  g  (Drucker,  Taster,  Scbliissel, 
Manipulator;  Commutator)  und  der  Zeichengeber  (Indicator,  Schreibapparat, 
Receptor  u.  s.  w.). 

Die  Electricitatsquellen,  Tastervorrichtungen  und  Zeichengeber  konnen  nicht 
nur  an  einem,  sondern  an  jedem  beliebigen  Punkte  der  Leitung  zur  Beobaehtung 
und  zum  Gebrauche  eingeschaltet  werden.  Bei  hinlanglich  kraftiger  Electricitats- 
quelle wird  die  mittelst  des  Tasters  ausgeiibte  Action  an  alien  Stellen  des 
Schliessungskreises  fast  gleichzeitig  erfolgen  und  also  die  eingeschalteten  Zeichen- 
geber in  gleicher  Weise  ebenfalls  gleichzeitig  in  Thatigkeit  setzen.  Eine 
Pteihenfolge  solcher  mit  Electricitatsquellen,  Taster  und  Zeichengeber  ausgeriisteter 
Stationen  auf  einer  gemeinscbaftlichen  Leitung  heisst  schlechtweg  Linie  oder 
Section. 

Sch  altungssy  s  tem.  Wird  bei  einem  Telegrafensysteme  der  electrische 
Strom  in  der  Art  verwendet,  dass  er  in  bestimmten  Intervalkn  in  die  Linie  ge- 
bracht  wird,  urn  bier  die  einzelnen  Signale  zu  erzeugen,  he'sst  diese  Anordnung 
eine  Sclialtung  auf  Arbeits-  oder  Sprechstrom  {courant  en  travail  — 
working -courrent);  werden  hingegen  die  Signale  dadurch  hervorgerufen,  dass  ein 


198  Electrische  Telegrafie  (Leitung). 

bei  norinalern  Zustande  des  Schliessuugskreises  gleicbmassig  und  dauernd  circuli- 
render  Strom  unterbrocben  wird,  nennt  man  dies  eine  Scbaltung  auf  cons  tan  ten 
oder  Ruhestrom  (courant  constant  —  constant  courreni). 

Gescbiebt  das  Hervorrufen  der  telegnifiscben  Zeicben  dureh  Vermebrung 
oder  Verminderung  eines  vorbandenen  Rubestromes,  beisst  dies  eine  Scbaltung  auf 
Differenz  str  om  (courant  differentielle —  differ ence-courrent).  Sind  einauder 
entgegengesetzte  Strome  angewendet,  welcbe  sicb  im  normalen  Zustande  aufbeben, 
bei  Action  des  Scbltissels  aber  einzeln  thatig  werden,  heisst  die  Scbaltung  auf 
Gegenstrome. 

Telegrafen-  und  Erdleitung.  Die  wiebtigsten  Bedingungen  fur  eine 
Telegra  fen  leitung  sind :  gute  Leitungsfahigkeit,  Continuitat  und  Isolirung.  Den 
beiden  ersten  Erfordernissen  nacb  mitsste  also  eine  Telegrafenleitung  aus  einer  iso- 
lirten  Metall-Drabtleitung  bestehen,  die  von  der  Anfangsstation  bis  zur  Endstation 
und  von  der  Endstation  wieder  zuriick  zur  Anfangsstation  gezogen  ist.  Seit  der 
Entdeckung  der  Erdleitung  jedocb  wird  kein  eigener  Rttckleitungsdrabt  gezogen, 
sondern  statt  eines  solcben  die  Erde  verwendet.  Es  werden  namlicb  die  Enden 
der  einen  Drabtleitung  vor  der  Anfangs-  und  binter  der  Endstation  unter  die  Erde 
auslaufen  gelassen,  und  zwar,  entweder  an  grosse  Kupfer-  oder  Zinkplatten  ge- 
nietetj  in  Gruben,  womoglicb  unter  dem  Niveau  des  Grundwassers,  vergraben, 
oder  an  Eisenbabnscbienen,  Eisenrobren  etc.  befestigt,  welcbe  in  den.Bodeii  ein- 
getrieben  sind.  Als  vorziiglicbe  Erdleitungen  konnen  die  Metallrobren  der  Gas- 
und  Wasserleitungen  verwendet  werden.  Eine  Erdleitung  ist  nur  dann  gut;  wenn 
die  Enden  der  Luftleitung,  also  die  Erdplatten  oder  Erdscbienen  etc.  in  eine 
permanent  feucbte  Erdscbicbte  zu  liegen  kommen.  Wheatstone*)  bat  im 
Uebrigen  nacbgewiesen,  dass  die  Erde  nicbt  als  leitende  Verbindung  der  beiden 
Electroden  einer  galvaniscben  Batterie,  sondern  als  Reservoir  angeseben  werden 
muss,  in  welebes  die  galvaniscbe  Electricitat  abfliesst. 

Je  nachdem  die  Hinleitung  auf  Saulen  oder  Trager  oberirdiscb  gezogen, 
oder  unter  der  Erde,  oder  am  Meeresboden  gelegt  wird,  gibt  es  oberirdiscbe, 
unterirdische  und  unterseeiscbe  Leitungen. 

Oberirdiscbe  Leitungen  (conducter  d'electricite  — conducting -wire). 
Fur  oberirdiscbe  Leitungen  wurde  urspriinglicb  das  Kupfer  als  Leiter  angewendet ; 
aus  okonomiscben  Griinden  sowobl,  als  audi  desbalb,  weil  das  Eisen  eine  grossere 
Festigkeit  und  geringere  Debnbarkeit  besitzt,  also  weniger  Stiitzpunkte  bedarf, 
bat  man  bei  oberirdiscb  en  Leitungen  nunmebr  seit  langerem  scbon  von  der  An- 
wendung  anderer  Metalle,  ausser  Eisen  und  Stahl,  Abgang  genommen.  Derzeit 
wendet  man  3 — 5mm  (in  Ostindien  und  Bengalen  sogar  8mm)  dicken  Eisendraht, 
so  wie  aucb  Stabldrabt  an.  Die  laufende  Leitung  ist  aus  contiiiuirlich  verbundenen 
Drahten  (sog  Drabtadern)  bergestellt;  die  Lange  einer  Drabtader  betragt  80  bis 
100m.  *)  Die  Enden  je  zweier  zusammenstossender  Adern  mtissen  selbverstandlicb 
so  verbunden  sein,  dass  sie  nicbt  nur  entsprecbend  fest  an  einauder  balten,  sondern 
aucb  soliden  metalliscben  Contact  baben.  In  der  Praxis  des  Leitungsbaues  kommen 
die  mannigfacbsten  Bundformen  vor;  die  baufigste  Anwendung  finden:  der  in 
Fig.  1430  dargestellte  Kropfbund,  der  in  Fig.  1431  und  1432  dargestellte  Binde- 
drabt-Bund  und  endlicb  der  Klemmenbund  (Fig.  1433).  Die  zwei  ersteren 
Fig.  1430.  Fig.  1431. 


Fig.  1433. 


Bundformen. 


Bother's  Telegrafenbau,  pag.  "21;  Ludewig,  Bau  v.  Telegrf.-Linien,  pag.  254. 


Electrische  Tel'egrafie.  199 

Bundformen  sind  jedenfalls  die  besseren,  uur  miissen  sic  gehiJrig  hergestellt  und 
die  Bimdstellen  durch  solides  Verlothen  oder  Ueberziehen  von  Blei-  oder  Gutita- 
perckamuffen  vor  der  Oxydation  geschiitzt  werden.  Nach  den  Messungen  des 
Telegrafendirectors  Ludwig*)  belauft  sich  in  einer  gewftbnlicben  eisernen 
Telegrafenleitung  die  jahrliche  Abnabme  der  Drahtdicke  zufolge  der  Oxydation 
nahezu  auf  2/ioomm-  ^u  Frankreich,  Belgien,  Deutschland  und  Amerika  wurde 
deshalb  versucht,  einen  Ueberzug  von  Zink  als  Schutzmittel  gegen  das  Oxydiren 
des  Drab tes  anzuwenden.  In  Deutscbland  bat  man  aucb  den  Draht  mit  Oelfarben 
oder  Tbeer  iiberzogen,  allein  gleicbfalls  mit  mebr  Kosten  als  Erfolg.  Ein  giinsti- 
geres  Resultat  erzielte  man  in  Norddeutschland  und  in  Oesterreich  mit  der  Methode, 
den  Drabt  in  Oel  scbwarz  zu  sieden  oder  in  sebr  beissem  Zustande  in  Leinbl 
einzutaueben. 

Eine  ueuere,  in  Eugland  und  Amerika  jedoch  scbon  vielfach  angewendete 
Erfindung  ist  der  Kupfers tabid ralit**)  {compound  telegraph  wire).  Derselbe 
entbalt  als  Seele  einen  verzinnten  Stabldrabt  von  vorztiglichstem  Material,  lira 
welche  zwei  auf  beiden  Seiten  verzinnte  Kupferstreifen  mittelst  Zieheisen  auf- 
gepresst  werden.  Durcb  die  bei  der  Pressung  entstebende  Hitze  werden  die 
Kupferstreifen  gleichzeitig  aucb  an  den  Stabldrabt  angelothet.  Das  Gewiebt  eines 
solcben  Dralites  betragt  nur  1/3  des  gewobnlicb  verwendeten  Telegrafen-Eisen- 
drahtes  fur  gleicbe  Langen  und  Widerstande.  Der  von  M.  G.  Farmer  und 
G.  Milliken  in  Boston  erfundene  Kupferstabldrabt  wird  in  der  Fabrik  der 
New-Yorker  Telegrapb  -  Wire  -  Oompagnie  und  in  Woolwicb  von  der  Fabrik  der 
Londoner  Firma  Gebrtider  Siemens  erzeugt  und  zeicbnet  sicb  durch  seine  grosse 
Festigkeit  und  Dauerbaftigkeit  aus. 

Die  in  der  Luft  ausgespannte  Telegrafen-Drabtleitung  (fit  conducteur  — 
telegraph-ivire)  muss  selbstverstandlicb  in  gewissen  Abstanden  unterstutzt  oder 
aufgebangt  sein  5  biefiir  stehen  bolzerne,  eiserne  oder  steinerne  Saulen  oder  an 
Gebauden  guss-  und  scbmiedeiserne  Triiger  der  mannigfacbsten  Construction  in 
Anwendung.  Am  baufigsten  sind  fiir  laufende  Leitungen  Holzsaulen,  weniger  baufig 
eiserne,***)  seiten  steinerne  Saulen  im  Gebrauche,  dock  ist  vorauszuseben,  dass  mit 
der  Abnabme  des  Holzes  die  Anwendung  und  Vervollkommnung  der  letzteren 
Systeme  stetig  zunebmen  muss. 

Die  bolzernen  Telegrafensaulen,  Telegrafenstangen  (poteau  telegraphique  — 
telegraph  pole),  die  derzeit  zumeist  nach  irgend  einer  der  flir  Holz  bestehenden 
Conservirungsmetboden  behandelt  (impragnirt)  werden,  sind  in  Entfernungen  von 
circa  30 — 60m  von  einander  aufgestellt.  Diese  Entfernung  ist  naher  bedingt  durcb 
die  Anzabl  und  Schwere  der  aufgebangten  Drabtleitungen,  durcb  die  Starke  der 
verwendeten  Telegrafenstangen  und  durch  den  Krtimmungsradius  der  Linientrace. 
Die  aufgebangte  Drahtleitung  darf  nie  unmittelbar  mit  den  Stiitzen  in  Beruhrung 
kommen,  weil  sonst  durch  die  Saulen,  aucb  wenn  sie  nicht  von  Eisen,  sondern 
von  Holz  oder  von  Stein  sind,  Nebenschliessungen  entstehen,  indem  sie  bei 
feuchtem  Wetter  dem  Strome  das  Abgeben  zur  Erde  ermoglichen. 

An  den  Stiitzpimkten  also  sind  solche  Stoffe  (Isolatoren)  zwischen  Trager 
und  Draht  zu  bringen ,  welche  letzteren  vollstandig  isoliren.  Diese  Isolatoren 
werden  aus  Porcellan,  Glas,  Guttapercha  u.  s.  w.  hergestellt  und  haben  die 
mannigfachste  Gestalt;  fiir  alle  gilt  jedoch  die  Grundbedingung,  dass  ihre  Form 
das  Abrinnen  der  feucbten  Niederscblage  bestens  erleichtert.  Fast  immer  sind 
die  Isolatoren  glockenformig  (Fig.  1434  bis  1437)  und  auf  eisernen  Tragern, 
Fig.  1436  (Rundeisen),  Fig.  1437  (Winkeleisen)  aufgegypst  oder  mittelst  iirniss- 
getranktem  Werg  aufgekittet  und  aufgeschraubt  etc.  Die  Befestigung  des  Drahtes 
am  Isolator    geschieht,    indem   jener    entweder    urn  den  Hals    des  Isolators  umge- 


*)  Brix,  Journ.,  Jhrg.  IX,  pag.   187. 

'**)  Journal  telegraphique  Rd.  2,  pag.   296;  Polyt.  Journal,  Bd.  217,    pag.  384;  Organ 

Prt.  d.  Eisenbahnwesens   1S76— II,  pag.   75. 
■:*)   Uingler's  polyt.  Journal  Bd.  21 4,  pag.  199. 


200 


Fig.  1434. 


Electrische  Telegrafie  (Leitmig). 

Fig.  1436.  Fig.  1437. 


wunden  (Fig.  1434)  oder  auf  den  Kopf  aufgelegt  (Fig.  1435)  oder  seitlich  an- 
gelegt  und  mit  einem  zahen  Bindedraht  festgebunden  wird.  Bei  Uebersetzungen 
von  Fliissen  oder  an  solchen  Punkten  iiberhaupt,  wo  die  Unterstiitzungen  der 
Leitung  nur  in  besonders  grosser  Entfernung  von  einander  angebracht  werden 
konnen,  ebenso  an  Gebauden  oder  an  den  Vereinigungsstellen  vieler  Telegrafen- 
linien  kommt  mit  Vortheil  Stahldrabt  zur  Anwendung.  An  den  Stelien,  wo  die 
Leitnngen  durcli  die  Mauern  in  die  Station  eiugefiibrt  werden  miissen,  sowie  im 
Bureau  selbst,  wird  jedocb  kein  blanker  Metalldralit  verwendet,  sondern  Gutta- 
percha-, Kautschuk-  oder  Gummi-Drabt  u.  s.  w.,  d.  h.  mit  Guttapercha,  Kautscbuk 
oder  Gumraielastikum  etc.  tiberzogener  Kupferdraht.  Fiir  die  Verbindungen  der 
Apparate  und  Batterien  untereinander  innerbalb  des  Bureaus  dient  gewohnlich 
diinner  Kupferdraht,  der  mit  Baumwolle  tibersponnen  und  mit  Wachs  eingelassen 
ist;  die  Multi  plicationen  in  den  Apparaten  sind  aus  Kupfer-  oder  Neusilberdraht, 
welch er  durch  eine  Umspinnung  von  Seide  isolirt  ist,  hergestellt. 

Unterirdische  Leitung  en  (conducteur  d'electricite  sonterrain  ■ — 
underground-cable).  Einer  noch  sorgfaltigeren  Isolirung,  als  die  oberirdischen 
Leitungen,  bediirfen  die  unterirdisclien.  Solche  werden  aus  einem  oder  mehreren 
Kupferdrahten  hergestellt,  die  vorerst  eine  gleicbmassige  Guttapercha-  oder 
Kaiitscliukiimhiillung  erbalten.  Guttapercha  und  Kautschuk  eignen  sich  desbalb 
besonders  #ls  isolirende  Umbtillungen  fiir  unterirdische  Leitungen,  weil  sie  von 
kaltem  Wasser,  Weingeist  oder  schwachen  Sauren,  selbst  von  der  Salzsaure  nicht 
und  von  der  Schwefelsaure  nur  wenig  angegrift'en  werden.  Zum  Sclmtze  gegen 
Nagethiere  und  mechanische  Einwirkungen  wird  der  mit  Kautscbuk  oder  Gutta- 
percba  iiberzogene  Leitungsdraht  noch  mit  dicht  aneinander  liegenden  Eisen-  oder 
Stahldrahten  spiralformig  umwunden,  so  class  er  das  Aussehen  und  die  Gestalt 
eines  Drabtseiles  (Kabel)  erhalt. 

Fig.  1438  gibt  den  Quersclmitt  der  Wiener-,  Fig.  1439  einer  Pariser  Stadt- 
Fig.  1438.  Fig.  1439.  leitung  fiir  den  Feuertelegrafen,  wobei  immer  die  Kupfer- 
ader  a  den  eigentlichen  Leitungsdraht,  b  die  Gutta- 
percha-Umbullung  und  c  den  urn  die  Peripherie  d  s  Gutla- 
percbadrahtes  gewundenen  Eisendraht  darstellt.  Es 
wurden  iibrigens  unterirdische  Telegrafenleitungen  in 
mannigfach  anderen  Weisen  herzustellen  versucht;  man 
mit  gutcm  Erfolge  gewiibnliche,  mit  Kautschuk  iiberzogene  Drahte  in 
ic  eingelegt,  welcbe  dann  mit  Cement  oder  Asphalt  ausgegossen 
wurden,  so  dass  der  Leitungsdraht  ringsum  von  der  betreffenden  isolirenden  und 
schutzenden  Masse  umgeben  war. 

Die  submarinen  Telegrafenleitungen  (cable  sout-marin  —  suh~ 
marine  cable).  In  ganz  verwandter  Weise,  wie  die  unterirdisclien,  sind  die  unter- 
seeischen  oder  submarinen  Telegrafenleitungen  hergestellt,  nur  dass  sie  ent- 
sprechend  ilirer  grijsseren  Abniitzung  und  Inansprucbnabme  viel  haltbarer  construirt 


bat    z.  B. 
gemauerte  Gei 


Electrische  Tele'grafie. 


201 


sein  miissen.  Sie  hangen  haufig  auf  weite  Distanzen  ohne  Stutzpunkte  frei,  oder 
werclen  durcli  die  Stiirme  am  Meeresboden  hin-  und  hergeworfen ;  es  miissen 
sonach  ihre  schiitzenden  Umwindungen  aus  starkerem  Eisen-  oder  Stahldraht  her- 
gestellt  werden,  und  zwar  besonders  an  den  beiden  nachst  dem  Ufer  liegenden 
Enden  des  Kabels.  Fig.  1440  zeigt  Querschnitt  und  Ansiclit  eines  Stuckes  dee 
letzten  atlantischen  Kabels,  wie  es  im  offenen  Meere  liegt;  Fig.  1441  den  Quer- 
schnitt eines  Stiickes  am  Ende  dieses  Kabels  (Strand-  odor  Ktistenkabel)  in 
natiirlicher  Grosse;  in  der  Mitte  befindet  sich  der  eigentliebe  Leiter,  ein  7faeher 
Kupferdraht,    denselben    umgeben  vier  Lagen  Guttapercha,    E  ist  mit  Manillahanf 

Fin.  1440. 

Fig.  1441. 


Submarine  Kabel. 

umsponnener,  sorgfaltig  verzinkter  Eisendraht,  H  mit  Cateehu-Losung  gegerbtes 
Jutegarn  und  A  Schmiermasse  aus  Asphalt.  Die  Kupferadern  erhalten  vor  der 
ersten  GuttaperehaUmhtillung  einen  isolirenden  Ueberzug  von  Chaterton's  Mischung, 
d.  i.  ein  Gemenge  von  3  Theilen  Guttapercha,   1  Theil  Harz  und  einem  Theil  Holz- 


nachste  Lage  dariiber  kommt,  zu  dem  Zwe*cke7  die  Verbindung  der  Guttapercha- 
lagen  urn  so  dichter  und  undurchlassiger  zu  machen.  Per  Seemeilc  wiegt  die 
siebenfache  Kupferader  150  Kg.,  die  Umhullungen  1500  Kg.,  zusammen  1650  Kg., 
imWasser  728*5  Kg. ;  die  absolute  Festigkeit  des  Kabels  ist  llmal  so  gross,  als 
das  Gewicht  per  Seemeile  im  Wasser. 

Tragb  are  oder  ambulante  Lei  tun  gen  (conducteuv  d'electricite 
transportable  —  ■portative-contuctor).  Wenri  es  sich  darum  handelt,  provisorische 
Stationspunkte  in  telegrafische  Verbindung  zu  bringen^  u.  zw.  mittelst  Leitungen. 
welche  eventuell  in  kiirzester  Zeit  vvieder  fiir  andere  Tragen  verweudet  werden 
sollen,  so  miissen  diese  Anlagen  einer  raschen  Herstellung  und  ebeuso  raschen 
Abtragnng  entsprechen.  Solche  Telegrafen  sind  hauptsachlich  in  neuerer  Zeit  i'iir 
militarischc  Zwecke  in  Aufschwung  gekommen,  fast  in  alien  grosseren  Armeen 
bestehen  eigene  Truppenkorper,  denen  im  Kriegsfalle  die  Herstellungen  von  Feld- 
telegrafen-Leitimgen  und  Stationen  obliegen.  Das  fiir  Feldtelegrafenleitungen  an- 
gewendete  Materiale  besteht  aus  dem  Leitungsdralit  und  den  Telegrafenstangen. 
Als  Leitungsdralit  wird  entweder  blanker  Knpferdraht  oder  audi  Kautschukdraht 
verwendet,  der  auf  Trommelrolleu,  die  sich  auf  Karren  befiuden,  aufgewunden  ist 
und  nach  Bedarf  abgewickelt  wird.  Die  Telegrafenstangen  sind  3-5  bis  5  Meter 
hohe,  mit  einem  eisernen  Schuh  versehene  Piquirstangen,  an  deren  oberem  Ende 
ein  Kautschukisolator  angebraclit  ist.     In  Distanzen    von    50 — 70  Metern    werden 


202 


Electrische  Telegrafie  (Elemente). 


diese    Stangen    moglichst   tief  in    die  Erde    eingepresst    und    der   Draht  urn    den 
Kantschukisolator  umgewiirgt. 

Electrici  tats  quell  eh.  Bei  der  Wichtigkeit,  welclie  die  Electiieitatsquelle 
fiir  den  Betrieb  einer  Telegrafenanlage  besitzt,  wird  es  jederzeit  eine  Hauptaufgabe 
seiri,  eine  moglichst  entsprecliende  zu  wahlen  und  fiir  deren  vorziigliche  Erhaltung 
Sorge  zu  tragen.  Unter  den  feuchten  Batterien  verdient  jene  den  Vorzug,  welche 
bei  langer  Dauer  kraftige  und  moglichst  constante  Strome  zu  erzeugen  vermag, 
gleiehzeitig  billig  anzuschafFen  und  zu  erhalten  ist  und  clabei  der  moglichst  ge- 
ringen  Pflege  bedarf.  Bei  alien  Schaltungssystemen  oder  Telegrafenanlagen  iiber- 
haupt,  bei  welchcn  langandauernde  Stromschliisse  verlangt  werden,  werden  nur 
solclie  Batterien  anwendbar  sein;  welche  sich  durch  besondere  Constanz  auszeichuen ; 
in  Leitungen  hingegen,  wo  nur  momentane  Schliessungen  vorkommen,  sind  selbst- 
verstandlich  Elemente  vorzuziehen,  welche  einen  energischeren  Strom  liefern,  wenn 
sie  auch  nicht  vollkomrnen  constant  sind,  da  ihnen  die  Intervalle  zwischen  den 
Stromschliissen  Zeit  zur  Erholung  bieten. 

Die  Batterie  muss  gehorig  znsammengesetzt,  sowie  richtig  orientirt,  d.  h. 
mit  den  richtigen  Polen  eingeschaltet  sein ;  ferner  muss  sie  rechtzeitig  durch  neue 
ersetzt7  respective  wahrend  Hirer  Inanspruchnahme  in  entspreclienden  Zeitraumen 
mit  jenen  Stoffen  wieder  versehen  werden,  welche  sie  fiir  ihre  Thatigkeit  noting  hat. 
Die  Anwendung  der  Inductoren  (vgl.  S.  184)  empfiehlt  sich  besonders  bei  solchen 
Telegrafenanlagen,  wo  vom  electrischen  Strome  grossere,  mechanische  Leistungen 
bei  bedeutender  Sicherheit  gefordert  werden,  jedoch  mit  der  Beschrankung,  dass  der 
Leitungswiderstand  kein  zu  grosser  und  hauptsachlich  nicht  zu  viel  Multiplicationen 
eingeschaltet  seien.  Inductoren  sind  sonach  fiir  den  Betrieb  kurzer  Telegrafen- 
und  Signalleitungen,  z.  B.  bei  Eisenbahnen,  Feuertelegrafen  u.  s.  f.  von  ganz  aus- 
gezeiclmeter  Eignung  und  unbedingt  jeder  feuchten  Batterie  vorzuziehen.  Die 
Nachtheile  der  letzteren  gegeniiber  den  Inductoren  bestehen  vorerst  in  dem  Erfor- 
derniss  einer  sorgfaltigen  Pflege  und  den  deshalb  auch  noch  auflaufenden,  bedeu- 
tenden  Erhaltungskosten,  sodann  in  den  vielen  Unterbrechungspunkten  der  Batterie 
selbst  und  den  cladurch  leicht  mogliclien  Betriebsstorungen. 

Dagegen  ist  wieder  der  Anschaffungspreis  von  Inductoren  sehr  hoch  und  die 
Moglichkeit  der  Verwendung  eben  eine  beschninktere.  Die  beim  Telegrafenbetriebe 
am  haufigsten  verwendeten,  feuchten  Batterien  (batterie  galvanique  —  galvanic 
battery)  sind: 

Das  Smeesche  Element.  Dasselbe  ist  dorr,  wo  es  sich  bios  urn  kurz 
dauernde  und  ziemlich  intensive  Stromentwicklung  handelt,  vortrefflich  zu  vcr- 
Es  besteht  in  der  nach  Straub  und  Schweizer*)  verbesserten  Form  aus 
zwei  amalgamirten  Zinkplatten,  zwischen  welchen  sich 
isolirt  eine  platinirte  Silberplatte  befindet ;  diese  Platten 
werden  in  ein  prismatisches  Glasgefass  eingehangt  nnd 
sind  die  zwei  Zinkplatten  immer  mit  einauder  (und  mit 
der  Silberplatte  des  nachsten  Elementes)  in  metallischer 
Verbindung.  Die  verwendete  Fliissigkeit  besteht  aus  10 
Theilen  Schwefelsaure  und  90  Theilen  Wasser. 

Das  Daniell'sche  Element  Fig.  1442.  In 
einem  cylindrischeu  Glasgefasse  a  steht  ein  kleinerer, 
oben  offener  Cylinder  aus  gebranntem,  unglasirtem  Thone 
c  zwischen  dem  ersteren  und  letzteren  befindet  sich  ein 
der  Gefassform  angepasster  Cylinder  aus  Zinkblech  b,  im 
Thongefasse  ist  ein  kleinerer  Cylinder  aus  Kupfer- 
blech  d;  der  letztgenannte  ist  immer  mit  dem  Zinkpole 
des  nachsten  Elementes  durch  einen  angenieteten  Kupfer- 
blechstreifen  in  Verbinduner. 


wenden. 


f)  Dingler's  polyt.  Juurual  Bd.  16:2  pag.  418. 


Electrische  Telegrafie, 


203 


Weitcrs  wird  der  Ruum  zwiscben  Glas-  un< 
Kande  des  Zinkcylinders  mit  Wasscr,  welchem  zu\ 
gesetzt  1st,  gefiillt,  und  in  das  Thongefass  Kupfervj 
Kette  geschlossen  werden,  so  wird    der  Zinkpol  des 


Thongefass  bis  zum  oberen 
ilcn  etwas  Sehwefelsaure  zu* 
iollSsung  gebracht.     Soil  die 

letztcn  Elementes  durcli  den 


Schliesungsdraht  mit  dem  Kupfer  des  ersten  verbunden.  Der  im  Elemente  statt- 
findende  Vorgang  ist  Seite  192  letzte  Alinea  besprochen.  Dieses  Element  erfullt 
alle  Bedingungen  einer  constanten  Batterie  und  wird  aucb  in  der  That  als  solche 
angewendet.  Ein  Uebelstand  bei  den  DanieH'schen  Elemeriten  ist  die  grosse  Pflegc, 
weleher  sie  bediirfen.  Der  verbrauchte  Kupf'ervitriol  muss  dureh  regelmassiges 
Nachfiillen  sorgfaltig  ersetzt  und  die  Fliissigkeit  zwiscben  Thonzelle  und  Glasgefass 
recbtzeitig  mit  reinem  Wasser  verdiinnt  werden,  damit  die  Losung  immer  wieder 
den  neuerzeugten  Zinkvitriol  aufzunebmen  vermag. 

Ein  nacbtheiliger  Umstand  ist  noch  der,  dass  die  Poren  der  Thonzelle  leieht 
durch  das  metailisch  niedergescblagene  Kupfer  verstopft  werden,  woclurch'die 
Verbindung  zwiscben  den  beiden  Fltissigkeiten  und  folglicb  die  Stromentwicklung 
gebemmt  wird.  Das  Daniell'scbe  Element  bat  durch  Sechi*)  eine  zweckmassige 
Abanderung  erfabren. 

Das  M  e  i  d  i n g  e  r  's  c  h  e  Element  **)  unterscheidet  sich  von  clem  friiher 
angefiihrten  durch  clen  Mangel  eines  Diaphragmas.  Es  besteht  (Fig.  1443)  aus 
einem  Glasgefasse,  dem  Standglase,  auf  dessen  Boden  concentrisch  ein  kleineres 
Glasgefass  eingekittet  ist.  In  dem  Standglase  ist  der  Zinkcylinder  so  angebracbt7 
dass  er  auf  einem  durch  Verengerung  des  Standglases  entstandenem  Wulste  fest- 
steht.  In  das  innere  kleinere  Gefass  wird  ein  Kupferblechcylinder  eingesetzt,  an 
dem  ein  mit  Kautschuk  iiberzogener  Kupferdraht  angenietet  ist,  weleher  als  Pol- 
anschluss  dient,  und  einige  Zoll  iiber  den  Rand  des  Standglases  hinausragt.  Das 
ganze  Element  ist  mit  einem  Holzdeckel  verschlossen,  in  welchem  sich  Ausschnitte 
fur  die  zwei  Polanschliisse  befinden ;  weiters  ist  in  der  Mitte  des  Deckels  aucb 
noch  ein  kreisrunder  Ausschnitt,  weleher  dazu  dient,  einen  Trichter  aus  Glas, 
weleher  zum  Festhalten  den  oberen  Rand  libergebogen  hat7  in  das  Element  hinein 
zu  hangen.  Der  Glastrichter,  dessen  unteres  Ende  mit 
einer  ca.  2mm  weiten ,  kreisrunden  Ausflussoffnung 
versehen  ist,  reicht  fast  bis  in  die  halbe  Hohe  des 
kleinen  Glases,  in  welchem  sich  der  Kupferpol  be- 
findet,  hinab.  Das  ganze  Element  wird  bis  zum 
oberen  Rande  des  Zinkcylinders  mit  einer  Losung 
von  Bittersalz  (1  :  50)  der  Glastrichter  jedoch  mit 
Kupfervitriolkrystallen,  gefiillt.  Die  sich  daselbst  bil- 
dende  Kupfervitriollosung  dringt  ziemlich  cpneentrirt 
durch  die  Ausflussoffnung  in  das  Gefass  des  Kupfer- 
poles  und  sammelt  sich  als  die  specifisch  schwerere 
Fliissigkeit  dort  so  an,  dass  der  ganze  Kupferpol 
damit  umgeben  wird.  Wenn  diese  Elemente  ruhig 
stehen,  so  arbeiten  sie  sehr  constant  und  ca.  12  Monate 
lang ,  ohne  dass  der  Zinkcylinder  ersetzt  werden 
mtisste ;  werden  sie  aber  geriittelt,  so  dass  die  Kupfer- 
vitriollosung mit  clem  Zink  in  Beriihrung  kommt,  so 
wird  die  Stromentwicklung  becleutend  geschwacht,  in 
dem  sich  an  dem  Zinkpol  metallisches  Kupfer  nieder- 
schlagt.  Eine  Modification  dieses  Elementes  ist  das 
sogenannte  offene  Meidinger-Element  (Fig.  1444). 
Bei  diesem  client  anstatt  des  friiheren  Glastrichters  zur 


Aufnahme  des  Kupfervitrioles 


s)  Ding-ler's  polyt.  Journ.  Bd.  156  pag.  28.     - 

r)  Fogg.  Ann.  CVIII,   pag.    602;    Brix's   Journ.    Jlirg.   VII,    pag.  5;    Dingle 
Journ.  Bd.   155,  pag.  109. 


polyt. 


204 


Electrische  Telegrafie  (Elemente). 


ein  Glascylinder,  cler  durch  Vermittlung  des 
Kupferpoles  feststehend  erhalten  wird.  Der 
Kupferpol  ist  namlich  aus  Blech  cylindrisch  ge- 
forint,  unten  mit  ausgeschnittenen  Fiissen  undhat 
in  seiner  halben  Hohe  Einkerbungen,  welch e  den 
Glascylinder,  der  in  den  Knpfercylinder  genau 
hineinpasst,  festhalten.  Das  zweite  kleine  Glas 
der  frliher  beschriebenen  Meidinger-Elemente 
wird  hier  also  erspart. 'Die  Kupfervitriollosung 
bleibt  vermoge  ihrer  speeifischen  Sehwere  am 
Boden  des  Standglases.  Der  Zinkcylinder  ist 
ein  wenig  holier  angebracht,  damit  er  nicht  in 
die  Kupfervitriollosung  hinreiche.  Diese  Gattung 
von  Elementen  findet  bei  dem  Betriebe  von 
Eisenbahn-Telegrafen  sehr  verbreitete  Anwen- 
dung,  da  es  sich  durch  seine  Einfachheit  aus- 
zeichnet  und  gegeniiber  dem  Trichterelemente 
den  Vortheil  bietet,  dass  das  Auflosen  des 
Kupfervitrioles  gleichmassiger  vor  sich  geht  als 
bei  Anwendung  der  Glastrichter,  bei  welchen 
die  Verstopfung  der  kleinen  Austin  ssdffnung 
haufig  eintritt,  was  selbstverstandlich  die  ganze 
Stromentwicklung  gefahrdet. 

Eine  weitere  Abart  des  Meidinger-Ele- 
mentes  ist  das  Ball  on  element*)  (Fig.  1445). 
Die  Eiurichtung  desselben  ist  fast  ganz  die 
gleiche,  wie  die  des  urspriiugliclien  Meidinger- 
elementes,  nur  dass  statt  des  Glastrichtcrs  eine 
Ballonflasche  angeweudet  wird,  deren  Hals  bis  in  die  Mitte  des  kleinen  Gefasses 
hinabreicht.  Die  Ballonflasche  ist  tiberdiess  so  geblasen,  dass  sie  cine,  der  Weite 
des  Standglases  entsprechende  Einkerbung  hat,  vermoge  welcher  sie  unverriickbar 
am  Glasrande  aufsitzt  und  so  gleichsam  als  Deckel,  be- 
zielmugsweise  Verschluss  des  Elementes  dient ;  ausserdem 
sind  zwei  Einkerbungen  da,  welche  die  Polanschliisse 
durchlassen.  Zum  Gebrauehe  wird  die  Ballonflasche  mit 
Kupfef vitriol  und  Wasser  angefiillt,  und  dann  mit  einem 
Korkstopsel,  durch  welchen  ein  Glasrbhrchen  oder  ein 
Federkiel  durchgesteckt  ist,  verschlossen.  Das  Standglas 
wird  liingegen  bis  zur  entsprechenden  Hobe  mit  Bitter- 
salzlosung  gefullt,  sodann  erst  die  gefiillte  Ballonflasche, 
mit  dem  Halse  nach  unten,  eingesetzt.  Die  Kupfervitriol- 
losung, geht  durch  das  Glasrbhrchen  oder  den  Federkiel  in 
das  kleine  Gefass  des  Kupferpoles.  Die  ziemlich  voluminose 
Ballonflasche  bildet  ein  Reservoir  fur  die  Kupfervitriol- 
losung wodurch  das  lastige  Nachfiillen  uberfliissig  gemacht 
wird.  Ausserdem  haben  diese  Elemente  noch  den  Vortheil, 
dass  bei  ihnen  der  Consum  des  Kupfervitrioles  auf  ein 
Minimum  beschrankt  ist;  dabei  muss  ihnen  jedoch,  gleich 
den  Trichterelementen  zur  Last  gelegt  werden,  dass  sie  sehr  leicht  durch  Un- 
reinigkeiten  des  Kupfervitrioles  sich  im  Ausflussrohrchen  verstopfen. 

Das  L  eel  a  nc  he  Element**).  Seit  Jahren  beim  Telegrafenbetriebe 
in  Frankreich  in  Anwendung,  besteht  aus  einer  Tlionzelle,  in  der  sich  eine  Kohlen- 
platte    befindet,    die    ringsum    mit    grobkornigem  Braunstein    und  Kohlenstiickchen 


:)  R.  Hondin,  Mondes  XI,  pag.  184. 

*)  Brix's  Journ.  Jahrg.  XIV,  pag.  1-tT;  Jahrbuch  d.  Erfindg.   187.").  pag. 


Electrische  Telegrafie  (Inductoren).  205 

umgeben  ist.  Ausserlialb  der  Thonzelle  befindet  sich  im  Batterieglase  ein  massiver, 
amalgamirter  Zinkcylinder.  Das  Batterieglas  wird  mit  wasscriger  Salmiaklosung 
gefiillt.  Der  chemisclie  Vorgang  in  der  Batterie  ist  nachstehender :  Der  Salraiak 
wird  durcb  den  galvanischen  Strom  in  seine  Bestandtheilc,  Chlor  und  Ammonium, 
zerlegt,  das  freie  Chlor  geht  an  den  Zinkpol  und  bildet  Chlorzink,  das  in  Wasser 
loslich  ist;  andererseits  zerfallt  auch  der  Braunstein  in  Manganoxydul  und  Sauer- 
stoff,  ein  Theil  des  Sauerstoffes  oxydirt  das  Ammonium  zu  Ammoniak,  der  andere 
Theil  des  Sauerstoffes  verbindet  sich  mit  dem  Wasscrstoffe  des  ebenfalls  zerlegten 
Wassers  der  Salmiaklosung  wieder  zu  Wasser,  indem  sich  das  gebildete  Ammoniak 
theihveise  auflost.  Der  Ueberschuss  des  Wassers  wird  ebenfalls  noch  in  seine 
Bestandtheile,  Wasserstoff  und  Sauerstoff,  zerlegt,  der  freie  Wasserstoff  zersetzt 
das  gebildete  Chlorzink  in  Salzsaure  und  metallisches  Zink,  wahrend  der  Sauer- 
stotf  das  Manganoxydul  wieder  zu  Braunstein  oxydirt.  Die  gebildete  Salzsaure 
gibt  mit  der  Ammoniaklosung  wieder  Chlorammonium  (Salmiak)  und  Wasser.  Diese 
Kette  hat  bei  dem  Vortheil  eines  geringen  Materialverbrauches  und  einer  bedeu- 
tenden  electromotorischen  Kraft  hingegen  wieder  den  Nachtheil,  dass  sic  durch 
die  entweichenden  Ammoniakdampfe  sehr  belastigt  und  einer  ziemlichen  Polarisation 
wegen  keine  langdauernden  Schliessungen  vertragt ,  jedoch  ist  in  Boumans  *) 
neuester  Abanderung  des  Leclanche-Elementes  in  Betreff  des  ersteren  Uebelstandes 
Abhilfe  geschaffen. 

Verwendet  werden  weiters  noch  beim  Telegrafenbetriebe :  Elemente  von 
Kramer,  Minoto,  Satory,  Callot,  Grove,  Bunseu,  Doit,  Siemens,  Halske  **),  ferner 
neuerer  Zeit  sehr  haufig  Alaunelemente  d.  s.  Zinkkohlen  oder  Kupferzinkelemente, 
bei  welchen  der  feuchte  Leiter  aus  einer  Alaunlosung  (6  Pfund  Alaun  in  12  Mass 
Wasser)  besteht  und  Chromsaure-Elemente***),  d.  s.  Zinkkohlenelemente  mit  einer 
Losung  von  3  Gewichtstheilen  doppeltchromsaurem  Kali,  4  Gewichtstheilen  Schwefel- 
saure  und  18  Gewichtstheilen  V/asser  als  feuchter  Leiter,  endlich  Victor  Doat's 
J odiire  Batterie  etc.  f) 

Inductoren  {inducteur  —  inductor).  Sowohl  electrische  als  magneto- 
electrische  Inductoren  sind  fill"  die  Telegrafie  zu  verwenden  versucht  worden.  Unter 
alien  diesen  von  Gauss,  Saxton,  Clarke,  Faraday,  Ettingshausen,  Petfina,  Siemens, 
Wheatstone  etc.  construirten  Apparaten  haben  nur  die  letzten  zwei,  aber  in  urn 
so  ausgezeichneter  Weise  Anwendung  gefunden. 

Der  Inductor  von  Siemens  besteht  ft)  aus  einem  in  Fig.  1446  im  Quer- 
schnitte  dargestellten  Eisencylinder  E,  wel-  Fig.    1446. 

cher  der  Lange  nach  mit  zvei  einander 
gegeniiberstehenden,  7/i6  ^es  Durchmessers 
tiefen,  etwa  a/3  des  Durchmessers  breiten 
Einschnitten  versehen  ist.  Die  dadurch 
entstandene  Nut  ist  mit  seidebesponnenem 
Kupferdrahte  umwunden  und  ganz  ausge- 
fiillt.  An  den  Enden  des  auf  diese  Weise 
erzeugten  Cylinders  werden  die  Metallhiilsen  F  F1  befestigt,  welche  seine  Lager- 
zapfen  bilden.  Die. Enden  der  Umwindungsdrahte  sind  in  F\  Fig.  1447  mit  der 
kommenden  und  gehenden  Linie  oder  mit  der  kommenden  Linie  und  der  Erde  in 
Verbindung.  Der  beschnebene  Cylinder  d relit  sich  zwischen  den  Polen  mehrerer 
(10,  12,  14  u.  s.  w.)  in  geringer  Entfernung  von  einander  aufgelegter  Stahl- 
magnete  G  G.  Die  Lamellen  dieser  Stahlmagnete  haben  eiucn  kreissegment- 
formigen  Ausschnitt  m  m  (Fig.  1446),  welcher  vom  Cylinder  E  fast  ausgefiillt 
wird.     E  dient    als   gcmeinschaftlicher   Schliessungsanker ;    bei    jeder    halben  Uin- 


*)  Jahrbuch  der  Erfindungen  1874. 

*i;j  Brix's  JoTirn.,  Jhrg.  VI,  pag.  53. 

***)  Wiedemann,  Galvans.,  Cap.  V;  Dub,  Anwendung  d.  Electromagtism. 

f)  Brix's  Journ.,  Jhrg.  IV,  pag.   10;  Moigne  Cosmos,  Jhrg.  3,  8,  pag.   174. 

tf)  Schellen's  „EJectronrcagnetischer  Telegrat",  pag.   3S-2. 


206 


Eleetrische  Telegrafie  (Nebcnnpparate). 


Fig.  1447. 

Inductor  von  Siemen s. 


drebung  desselben  wird 
seine  Polaritat  gewechselt 
und  also  dabei  jedesmai 
in  dem  Drahtgewinde  ein 
Inductionsstrom  entstehen. 
Das  Umdreben  des  Cy- 
linders geschieht  mittelst 
einer  Kurbel  D  und  der 
Rader  L  und  T,  wie  Fig. 
1447  zeigt.  Uni  die  wech- 
selnden  Strome  in  eine 
Riehtung  zu  bringen,  ist  im 
Bedarfsfall  bei  Fl  ein  Com- 
mutator (Stromwecbsler) 
angebracbt. 

Neb  en  ap  par  a  to. 
Ausser  den  vorbesproche- 
nenApparaten,  dem  Schliis- 
sel,  Zeicbengeber  und  der 
Electricitatsquelle  mllssen 
aucb  mebrfache  andere  an- 
gewendet  werden,  welcbe 
den  Zweck  haben,  die  Sicherheit,  Leicbtigkeit  und  Schnelligkeit  der  telegrafiscben 
Zeiebengebung  und  der  Manipulation  zu  erhohen.  Hierber  geboren  :  die  An  schluss- 
Fig.  14u0  a.  kl  em  men  (Fig.  1448),  diezur  leich- 
teren  Yerbindung  der  Dra'hte  unter 
einander  dienen,  dann  die  B  a  1 1  e  r  i  e- 
und  Linien  w  ecbse  1  (Fig.  1449 
u.  1450  a  u.  &),  welcbe  es  er- 
mogliehen,  durcb  Einstecken  von  Me- 
tallstiften  gewisse  Leitungen  mit  ein- 
ander beliebig  und  bequem  zu  verbin- 
den,  oder  mehr  oder  weniger  Batterie- 
Elemente  einzuscbalten  (Ausschal- 
tungs-  und  Einfiihrungsklemmen), 
welter  das  G  a  1  v  a  n  o  s  c  o  p  oder  die 
Bo  us  sole  Fig.  1451  a  u.  b  und 
Fig.  1452,  welcher  Apparat  dazu  ein- 
gescbaltet  wird,  urn  iiber  die  Strom- 
starke  und  den  Zustand  der  Linie 
sofortigen  Aufsebluss  zu  geben,  ferner 
die  Wecker,  welcbe  ertonen,  sobald 
der  Zustand  des  Scbliessungskreises 
eine  Aenderung  erleidet,  welcbe  dem 
Telegrafisten  zu  wissen  notbwendig 
ist,  und  endlich  die  Blitzableiter  (s.  Seite  208). 

Storungen  im  Telegrafenbetriebe.  Unterbre- 
cbungsstellen  im  Stromkreise,  Nebenscbliessungen  oder  Einwir- 
kungen  von  atmospbariscber  Electricitat  konnen  bei  sonst  voll- 
kommen  gutem  Apparatstande  die  Ursacbe  von  Storungen  im  Tele- 
grafenbetriebe abgegeben.  Unterbrechungen  entstehen  durcb 
'  Zerreissen  der  Leitungsdrabte,  oder  durcb  mangelhafte  Anscbliisse  an  den  Wechsel- 
lamellen,  Apparaten,  Batteriepolen  etc.  Eine  Unterbrecbung  anssert  sicb  durcb 
ganzlicbes  Versagen  der  Spreebapparate ;  die  eingescbaltete  Boussole  bleibt  unter 
jedem  Umstande  auf  0.  Unterbrecliungen  sind  zumeist  im  Bureau  und  ist  ihr 
Vorbandensein  leicbt  zu  constatiren,  indem    man  den  bereinkommenden  Drabt  mit 


Fig.  1448. 

4"' 

a  Y9  W  Is  E  1  *       s  t" 

Electrische  Telegrafie  (Storungen).  207 

dem  hinausgehenden  (bei  der  Endstation  der  Erdleitung)  verbiridet,  also  einen 
kurzen  Schhiss  herstellt.  Bl'eiben  die  Fehlererscheinungen,  so  ist  der  Fehler  im 
Bureau  mid  muss  durch  successives  Ausschalten  der  einzelnen  Bureaubestandtheile 
aufgesucht  werden;  horen  die  Fehlererscheinungen  nach  der  gemachten,  kurzeii 
Verbindung  auf,  so  liegt  der  Fehler  ansser  dem  Bureau  mid  wird  daim  die 
Richtung  des  Fehlerortes  durch  Erdeeinlegen*)  leicht  zu  constatiren  sein.  Neben- 
schliessungen  entstehen,  wenn  die  Leitungen,  Apparate  oder  Batterien  mit 
fremden  Telegrafenleitungen  oder  Baumen,  Mauern  u.  s.  w.,  uherhaupt  mit  Gegeh- 
standen  in  Beriihrung  kommen,  welche  dem  Strome  eine  Abzweigung  in  einen  fremden 
Leiter  oder  den  Weg  zur  Erde  gestatten.  Bei  einer  solchen  Stoning  arbeiten 
die  eigenen  Zeichenapparate  sclileeht  oder  gar  nicht,  sobald  eine  Station  spricht, 
welche  fiber  die  Fehlerstelle  hinausliegt;  die  Nadel  zeigt  einen  anormalen  Aus- 
schlag.  Entsteht  die  Nebenschliessung  durch  Beriihrung  der  Leitung  mit  einer 
anderen  Telegrafenleitung,  so  kommen  von  der  fremden  Linie  Zweigstrome  heruber, 
welche  je  nach  Richtung  und  Starke  den  eigenen  Strom  verstarken,  aufheben  oder 
verminderu,  was  das  Galvanoscop  deutlich  anzeigt.  Durch  Erdeeinlegen  kann 
sofort  constatirt  werden,  nach  welcher  Richtung  von  der  Station  der  Fehler  liegt. 

Ableitungen  kommen  selten  im  Bureau,  meist  nur  auf  der  Strecke  vor. 
Im  ersten  Falle  sind  es  immer  nur  feuchtstehende  Batterien  oder  mangelhaft  isolirte 
Zufiihrungsdrahte,  die  den  Fehler  hervorrufen.  Die  Ableitungen  in  der  laufenden 
Leitung  kann  man  eingrenzen,  indem  man  die  Linie  in  bestimmten  Punkten  unter- 
brechen  lasst,  und  dann  den  Schliissel  oder  Taster  so  stellt,  dass  der  Strom  in 
der  Linie  sein  sollte,  wenn  die  angewendete  Unterbrechung  nicht  vorhanden  ware. 
Zeigt  die  Nadel  genau  0,  so  ist  die  Ableitung,  beziehungsweise  Beriihrung  iiber 
die  Unterbrechungsstelle  hinaus;  zeigt  sie  einen  Ausschlag,  so  ist  eine  Ableitung 
zwischen  der  Beobachtungsstation  und  der  Unterbrechungsstelle  unci  eine  fortgesetzte 
Priifung  in  diesem  Sinne  lasst  also  die  Fehlerstelle  genau  bestimmen. 

Durch  Gewitterwolken,  welche  iiber  die  Leitung  hinziehen,  oder  durch  den 
ungleichen  electrischen  Zustand  der  Atmosphare  der  von  der  Telegrafenleitung 
durchlaufenen  Gegend  wird  der  Leitungsdraht  mit  Spannungselectricitat  geladen, 
welche  dann  plotzlich  durch  die  Leitung  in  die  Erde  abstromt,  sobald  eine  Ent- 
ladung  der  Wolke  stattgefunden  oder  der  Spannungszustand  der  die  Leitungs- 
drahte  umgebenden  Atmosphare  sich  geandert  hat.  Die  durch  solche  Strome 
hervorgerufenen  Storungen  sind  vorziiglich  bei  Arbeitsstromsystemen  hochst  nach- 
theilig,  weniger  bei  Ruhestromsystemen,  so  lange  die  Entladungsstrome  nicht  gleich 
und  entgegengesetzt  clem  vprhandenen  Betriebsstrome  sind.  Die  letztere  Eventualitat 
ist  besonders  bei  elect,  auf  Ruhestrom  geschalteten  Eisenbahnsignalen  von  grossem 
Nachtheile,  da  die  Apparate  unter  dieser  Voraussetzung  arbeiten,  als  wie  wenn 
sie  absichtlich  in  Thatigkeit  gesetzt  wiirden.  Zumeist  sind  jedoch  derlei  Ent- 
ladungs-Strome  viel  starker  als  der  in  Anwendung  stehende  Betriebsstrom  und 
statischer  Natur.  Noch  weit  kraftigere  Strome  entstehen  natiirlich  bei  directen 
Entladungen  der  Luftelectricitat  durch  die  Leitung,  d.  i.  wenn  der  Blitz  in  den 
Leitungsdraht  schlagt.  In  diesem  Falle  wird  die  im  Drahte  gebundene,  ungleich- 
namige  Electricitat  zwar  parallisirt  werden,  allein  immer  noch  ein  enormer  Ueber- 
schuss  von  Electricitat  den  Draht  passiren,  welcher  auf  die  eingeschalteten  Apparate 
verderbend  oder  zerstorend  einwirkt.  Es  zerstoren  solche  Strome  gewohnlich  den 
Magnetismus  der  im  Systeme  etwa  vorhandenen  Magnetnadeln;  haufig  schmelzen 
sie  audi  die  feinen  Multiplicationsdrahte  der  Electromagnete  zusammen  und  machen 
letztere  dadurch  unbrauchbar,  oder  ricliten  unter  Umstanden  endlich  alle  jene 
ZerstiJrungen    an,   welche  Blitzschlage    eben    hervorzubringen  -Vermogen.     Bei  G-e- 


*)  Erdeeinlegen  heisst:  die  Telegrafenlinie  an  irgend  einer  Stclle  zwischen  Anfangs-  und 
Endstation  mit  dem  Erdboden  in  leitende  Verbindung  bringen.  Jede  Mittelstation  ist 
mit  einem  zum  Linienwechse]  zugefubr.ten  Erdleitungsdrabt  yerseben,  also  in  der  Lage, 
sich  durch  das  „Erdeeinlegen"  im  Bedarfsfalte  nach  beiden  Richtungen  liin  zur  End- 
station  %n  machen 


208 


Electrisclie  Telegrafie  •  (Blitz vorrichtungen). 


wittern  muss  es  strenge  vermieden  wcrden,  rait  den  blanken  Bestandtlieilen  der 
Apparatc  und  Leitungen  in  Beriihrnng  zu  kommen,  weil  leiclit  eine  gefahrliche 
Entladung  dtirch  den  Korper  stattfinden  kann. 

Als  Schutz  fur  das  Bureau  gegen  die  heftigen  Entladungen  der  Luftelec- 
tricitat  sind  eigene  B 1  i  t  z  f  a  n  g  e  r  oder  Blitzableiter  (paratonnevr  —  contuctbr  of 
lightning)  eingeschaltet.     Alle    diese  Vorrichtungen    sind    daranf   begriindet,    dass 

die  atmospharische  Electricitat  ahn- 
lich  der  Reibungselectricitat  grosse 
Neigung  besitzt,  iiberznspringcn  und 
den  kiirzesten  Weg  zur  Erde  zu 
wahlen ,  wahrend  die  galvanische 
Electricitat  niclit  die  geringste  Un- 
terbrechungsstelle  im  Leiter  zu 
iiberspringen  vermag.  Sclion  der 
erste  von  Steinheil*)  1846  con- 
struirte  Blitzschutzapparat  war  nach 
diesem  Princip  eingericlitet.  Die  am 
haufigsten  angewendeten  Blitzvor- 
richtungen  fur  Telegrafenbureaux 
sind  derzeit  die  M  e  i  s  n  e  r'schen 
Platten,  die  Si  em  ens-Hal  ske- 
sehen  Blitzplatten  (Fig.  1453),  die 
B  r  e  g  u  e  t'seh en  **):  Spitzenableiter 
(Fig.  1454),  K  e  r.khof  s  Saugspitzen- 
ableiter,  E.  Wenkebac h's ***)  und 
M  a  s  s  o  n's  f)  Blitzschutzvon-ielitung 
etc.  Bei  alien  ist  die  Luftlinie  vor 
und  nach  ilirem  Eintritte  in's  eigent- 
liche  Bureau  an  isplirte  Metallplatten, 
Sehneiden  oder  Spitzen  angefiihrt, 
welche  je  einer  ahnlichen,  mit  der 
Erde  in  Vcrbindung  stehenden  Platte, 
Selmeide  oder  Spitze,  nahe  gegen- 
iiberstehen  und  dadnrch  dem  atmo- 
Blitzvomclitimgen.  spharischen  Strom    einen  Weg  zuni 

Uebersprmgcn  und  zur  Erde  gestatten.  In  Fig.  1453  bezeichnet  L,  die  von  der 
Aufangsstation  kommende,  L.,  die  zur  Endstation  weitergehende  Luftlinie,  bei  ax 
schliesst  die  zu  den  Bureauapparaten  gehende  Leitung  an,  welche  wieder  bei  a„ 
zuriickkehrt.  fl,,  H„   srnd  Handhaben  aus  isolirendem  Material,  urn  die  sogenannten 


von  der  Erdlamelle  E  ungefahrdet  abheben  zu  konnen.  Die  unten  mit  Kautschuk- 
plattchen  versehenen  Kldbchens  aus  Hartgummi  oder  Horn  haben  den  Zweck,  die 
Platten  At,  A,2  und  E  von  einander  zu  isoliren.  In  Fig.  1454  sind  wieder  L 
und  Lx  die  Linienanschliisse,  e  und  e,  die  Apparatanschliisse,  bei  e  schliesst  die 
Erdleitung  an.  Die  drei  messingenen  Lamellen  P.  P'  und  E  sind  auf  einer  Unter- 
lagsplatte  aus  isolirtem  Material  befestigt.  Bei  den  Kerkhofschen  Saugspitzen 
sind  iiberdies  in  der  Blitzvorrichtung  Spiralen  von  ganz  diinnem  Neu  -  Silber- 
draht  dazwischen  geschaltet,  welche  der  Entladungsstrom  passiren  muss  und  ab- 
schmilzt ,  wodurch  seine  zerstorende  Wirkung  aufgehoben  oder  wenigstens  be- 
deutend  abgeschwacht  wird.  Eine  der  neueren  Blitzvorrichtungen,  welche  Digney 
in  Paris  ft)  erzcugt,  besteht  aus  einer  U-fonuigen,  mit  Alkohol  gefidlten  Glasrohre, 


■'■')  Dingler's  polyt.  Journal  Bel.   109  pag.  35-2. 
**)  G  am  ret,  Telegrph.  electrqu.   1859  pag.  83. 
***)  Brix's  Journ.,  Jhrg    Y  pag.   187. 

f)  Cosmos  XII,  Livr.  16,  pag.  425,  Brix's  Journ.,  Jhrg.  Y  pag.   102. 
ft)  Dr.  Leander  Ditscheiner,  Ausstelluns'sljericht,  Wien  1^74. 


Electrische  Telegrafie  (Apparatsysteme).  209 

duveh  welche  der  kommende  und  gehende  Liniendraht  hindurcligezogen  ist.  Eine 
Drahtleitiuig .  zur  Erde  reicht  jedoch  gleichfalls  in  den  Alkohol  hinein.  S&mmtliche 
Drahte  sind  durch  zwei  die  Rohre  verschliessende  Kautschuk-Pfropfen  durch - 
gefiikrt  und  auf  diese  Weise  vor  der  gegenseitigen  Beriihrung  geschiitzt.  Da  der 
Alkohol  sekr  schlecht  leitet,  nimmt  der  Linienstrom  ohne  merkbare  Ableitung 
seinen  Weg  iiber  den  Liniendraht,  eine  atmospharische  Entladung  aber  schlagt 
durch  den  Alkohol  in  den  Erddraht  und  geht  unbeschadet  der  Bureauapparate 
zur  Erde.  Alle  diese  Blitzschutzvorrichtungen  haben  die  Schwache,  nur  jene  Ent- 
ladungsstrome  unschadlich  zu  machen,  welche  kraftig  genug  sind,  die  Distanz  von 
Linienlanielle  zur  Erdlamelle  zu  iiberspringen.  Durch  einen  die  Telegrafenleitung 
passirenden  Blitzschlag  wird  jedoch  noch  eine  dritte  Gattung  Strome  erzeugt.  Der 
durchlaufende  Eisendraht  wird  namlich  magnetisirt  wie  ein  Electromagnet  und 
kehrt  nach  der  Entladung  in  den  normalen  Zustand  zuriick.  Die  Entmagnetisirung 
der  Leitung  rnft  einen  Induction sstrom  hervor,  welcher  der  atmospharischen  Ent- 
ladung unter  Umstanden  nach  einem,  sogar  merkbaren  Intervalle  folgt  und  nicht 
mehr  kraftig  genug  ist,  gleich  dem  Entladungsstrome  iiberzuspringen ;  jedoch  ist 
er  stark  genug,  una  auf  die  im  Leitungskreise  befindlichen  Boussolen  und  Multipli- 
cationen  nachtheilig  einzuwirken.  Zur  Unschadlichmachung  dieses  ,,Nachschlages" 
hat  man  Blitzvorrichtungen  construirt,  bei  welchen  durch  den  Entladungsfunken 
die  Linienlamellen  auf  einige  Momente  leitend  mit  der  Erde  verbunden  werden. 
Varley*)  bringt  zu  diesem  Zwecke  zwischen  die  Luft-  und  Erdlamellen  einer 
gewohnlichen  Blitzvorrichtung  pulverisirte  Holzkohle,  K  o  h  1  f ii  r  s  t  50  °/0  Holz- 
kohle  und  50  °/0  Magnesia.  Der  von  der  Luftlamelle  zur  Erdlamelle  iiberspringende 
Entladungsfunke  bringt  die  dazwischen  befindliche,  im  kalten  Zustande  gar  nicht 
oder  wenigstens  so  schlecht  leitende  Masse,  dass  dadurch  ein  nennenswei'ther  oder 
storender  Verlust  des  Betriebsstromes  nicht  herbeigefiihrt  wird,  zum  Gliihen  und 
macht  sie  dadurch  so  leitungsfiihig,  dass  der  hinter  der  Entladung  folgende  Magnet- 
Inductionsstrom  einen  bequemen  Weg  zur  Erde  findet,  ehe  er  in  die  Apparate 
dringen  kann.  Die  fast  momentan  erkaltende  Masse  ist  wieder  so  nichtleitend 
wie  friiher.  Eine  ahnlich  wirkende,  dabei  hochst  einfache  und  billige  Blitzschutz- 
vorrichtung  wurde  vom  Telegrafensekretar  Schaak**)  angegeben. 

Apparatsysteme.  Alle  electrischen  Telegrafensysteme  beruhen  auf  der 
Ausniitzung   nachstehender    eigenthiimlichen  Wirkungen    des    electrischen  Stromes : 

a)  Bringt  man  die  Polenden  einer  Schliessungskette  zusammen  oder  trennt 
man  sie,  so  bemerkt  man  hiebei  einen  Funken,  der  in  seiner  Intensitat  abhangt 
von  der  Art  und  Grosse  der  verwendeten  Electricitatsquelle.  Die  Systeme  von 
Lesage***)  und  Reissner  sind  die  Reprasentanten  fur  Telegrafen,  welche 
diese  Eigenschaft  ausniitzen. 

b)  Fasst  man  die  Poldrahte  einer  Schliessungskette  mit  feuchten  Han  den 
an,  so  ftihlt  man  ein  hochst  sonderbares  Zucken  in  denselben  und  in  den  Armen, 
das  mit  der  Stromstarke  bis  zur  Unertraglichkeit  gesteigert  werden  kann.  Diese 
Eigenschaft  bentitzte  Vosselman  de  Heer  zur  Grundlage  fiir  seinen  electro- 
phy siologischen  Telegrafen. 

c)  Viele  Stoffe  erleiden  im  Schliessungskreise  einer  electrischen  Batterie 
chemische  Veranderungen,  die  dem  Auge  durch  auffallige  Erscheinungen  bemerkbar 
werden.  Hierauf  basirt  seit  Sb'mmering'sf)  Telegrafen  eine  reiche  Serie  der 
hauptsachlich  von  Gintl,  Davay,  Stohrer  u.  s.  w.  gepflegten  electro- 
chemischen  Telegrafen. 

d)  Eine  Magnetnadel  wird,  wenn  man  in  der  Nahe  derselben  einen  elec- 
trischen Strom  voriiberleitet,  aus  ihrer  normalen  Lage  abgelenkt,  u.  zw.  urn  so 
mehr,  je  starker  der  Strom  ist  und  je  naher  und  ofter  er  an  derselben  vorbeigeht. 


*)  Ingeneur,  October  1870. 

**)  Dingler's  polyt.  Journ.  Bel.  217  pag    109. 
***)  Moigne  Telegrph.  eMectrqu.  pag.  59. 
f)  Dingler's  polyt.  Jonrn.  Bd.  67  pag.  388. 
Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.  Bd.  III.  ^4 


210 


Electrische  Telegrafie  (Nadeltelegraf). 


Von    der  Richtung    des   Stromes   ist   auch    die  Richtung    der  Nadelablenkung   ab- 
hangig.     Hierauf  basiren  die  Nadeltelegraf  en. 

e)  Ein  Stiick    weiches  Eisen,  nm    welches    ein    galvaniscber  Strom    in    einer 
spiralformigen,    mit    einer   isolirenden    Hiille    unigebenen  Drabtleitung  (Fig.   1455) 
geleitet  wird,  wird  zum  temporaren  Magnet  (Electromagnet);  die  Pole  eines  solcben 
Fig.   1455.  Electromagneten  andern  sicb  mit  der  Rich- 

tung  des  iiber  die  Schenkel  geleiteten 
Stroines,  d.  h.  der  Nordpol  wird  zum  Sud- 
pol  unci  umgekehrt,  wenn  man  den  Strom 
in  entgegengesetzter  Ricbtung  durcb  die 
Multiplication  sendet.  Wird  ein  Magnetstab 
mit  einer  Multiplicatlonsrolle  umgeben,  durcb. 
welche  ein  Strom  geht,  so  wird  der  Magne- 
tismus  des  Stabes  entweder  verstarkt  oder  auch  gesckwacht,  ja  bis  zum  ganzlichen 
Verscbwinden  parallisirt  oder  umgekehrt  werden,  je  nach  Ricbtung  und  Starke 
des  iiber  die  Multiplication  geleiteten  Stromes.  Dicse  Eigenschaft  findet  Anwendung 
bei  den  Zeiger-,  Druck-,  Typo- etc.  Telegrafen;  kurz  bei  den  meisten, 
derzeit  im  Gebraucbe  stehenden  Systemen.  Wohl  auch  ist  bei  den  jetzigen 
Telegrafen  die  eine  oder  andere  der  angefiihrten  Eigenschaften  combinirt  ange- 
wendet  und  unter  Zubilfenahme  scharfsinniger,  mechanischer  Apparate  ausgeniitzt. 
Die'  wichtigsten  der  noch  beute  in  Anwendung  und  Entwicklung  stehenden  Systerae 
(Apparat-  und  Scbaltungssysteme)  sind  nachfolgend  erlautert,  so  weit?  als  es  der 
Platz  bier  gestattet. 

Die    Nadeltelegrafen    (telegraphs    a    aiguille   —  needle    telegraph). 

Dieselben    beniitzen ,    wie    erwahnt,    die    Ablenkung    der   Magnetnadel    durch    den 

electriscben  Strom    als    telegiafiscbe  Zeichen.     Ein  noch    in  Anwendung  stehender 

Fiq    1456  Nadeltelegraf  ist  der  von  Prof. 

Thomson  in  Glasgow  (1858 
fur  die  transatlantiscbe  Linie 
nach  den  Principien  des  von 
Gauss  und  Weber  1833 
construirten  Spiegelgalvano- 
meters)  eingericbtete  Marine- 
galvanometer  (Fig.  1456). 
Dieser  Apparat  stebt  auf  einem 
solid  erbauten  Steinsockel  in 
einem  vor  der  bewegten  Luft 
1  thunlicbst  gescbtitzten  und 
dunklen  Raume.  Es  befindet 
sich  in  dem  auf  einem  Drei- 
fuss  angebracbten  Gehause 
k  k  das  mit  zablreichen,  sehr 
diinnen  Multiplicationswindun- 
gen  versehene  Galvanometer 
S.  Die  Enden  der  Multipli- 
cation x  und  y  sind  in  die 
Leitung  eingeschaltet.  Die 
12mm  lange,  2mm  dicke  und 
2mm  breite  Nadel  des  Galvano- 
meters hangt  auf  einem  Coconfaden  in  der  Aufhangrohre  p,  wo  auch  der  Richt- 
magnet  N,  S  angebracht  ist.  An  den  Magnetstabchen  ist  im  Aufbangepunkt  ein 
kleines  Spiegelchen  aufgeklebt7  dessen  Spiegelebene  mit  der  Veracalebene  des 
Stabchens  zusammenfallt.  Vor  diesem  Spiegelchen,  welches  bei  normalem  Stande 
mit  der  Nadel  im  magnetischen  Meridian  liegt,  befindet  sich  auch  eine  kleine 
Sammellinse.  Das  Licht  einer  Lampe  F  wird  durch  einen  Schirm  R  U  vom 
Galvanometer    abgehalten ;    nur    durch    einen    bei    T  gelassenen    Spalt    kann    ein 


Thomson's  Nadel 


Electrische  Telegrafie  (Zeigertelegraf).  211 

Lichtstreifen  bis  zum  Spiegel  des  Galvanoscopes  gelangen  unci  von  diesem  nach 
den  Gesetzen  der  Reflexion  auf  die  graduirte  Elfenbeinplatte  M  E  zuriickge- 
geworfen  werden.  Da  das  ganze  Instrument  so  gestellt  ist,  dass  die  Nadel  bei 
stroniloser  Linie  im  magnetischen  Meridian  liegt,  so  ist  das  Einstellen  des  Spiegel- 
bildes  auf  die  Marke  des  Elfenbeinplattchens,  welche  normal  auf  die  Nadel  steht, 
durcli  Verdreben  des  Ricbtmagnetes  leicht  moglich.  Vor  Bentitzung  des  Instrumentes 
muss  diese  Einstellung  immer  erfolgt  sein.  Kommt  nun  ein  Strom  in  die  Leitung, 
d.  b.  in  die  Multiplication  des  Galvanometers,  so  wird  die  Nadel  und  mit  der- 
selben  das  Spiegeleben  abgelenkt;  das  Spiegelbild  des  Lampenstrables  wird  von  der 
Marke  der  Elfenbeinplatte  seitlich  abweichen,  und  zwar  nach  recbts  oder  nach  links, 
je  nachdem  die  Ricbtung  des  Stromes  sein  wird ;  und  mehr  oder  weniger,  je  nachdem 
der  Strom,  also  auch  die  Nadelablenkung  stark  oder  schwach  war.  Diese  Ab- 
weichungen  sind  die  telegrafischen  Zeichenelemente.  Die  Schliissel  fur  solclie 
Apparate  geben  fur  je  einen  Impuls  der  Nadel  mehrere  ungleich  gericbtete  Strome 
von  verschiedener  Zeitdauer  ab,  damit  Ladungen  des  Kabels  vermieden  werden. 
Der  Taster  von  Thomson  und  V  a  r  1  e  y  gibt  z.  B.  +  100—1 56  -\-  80—32  5  +  26 
und  damit  einen  Ausschlag  nach  recbts,  die  gleichen  Strome  entgegengesetzter 
Ricbtung  bringen  den  Ausschlag  nach  links.  Diese  Taster  bestehen  aus  2  Gleit- 
rollen  mit  den  entsprechenden  Contactsegmenten,  welche  mittelst  zweier  Taster 
beliebig  eingeschaltet  werden  konnen  und  pr.  Umdrehung  ein  Zeicben  (die  Ab- 
lenkung  nach  recbts  oder  links)  hervorbringen.  Zur  rascheren  Abtelegrafirung 
hat  man  eigene  Signalcodexe  eingefilhrt,  welche  es  gestatten,  haufig  gebraucbte 
Phrasen  und  Namen,  statt  sie  erst  durch  Buchstaben  langwierig  abzutelegrafiren, 
mit  einer  einzigen  bestimmten  Zeichencombination  kurz  auszudriicken.  Bei  dem 
ersten  atlantischen  Telegrafen  ist  der  Signalcodex  des  Capitan  F.  J.  Bolton  im 
Gebrauche. 

Ausser  dem  T  h  o  m  s  o  n'schen  stehen  noch  die  Einnadel-  *)  unci  Doppelnadel- 
Telegrafen2)  von  Wheatstone  und  Cooke,  so  wie  der  Bain'sche3)  Nadel- 
telegraf,  u.  zw.  ersterer  bei  den  englischen  Eisenbahnen  und  dem  japanischen 
Staatstelegrafen,  letztere  bei  einer  osterreichischen  Balm  in  Anwendung,  wahrend 
die  Nadeltelegrafen 4)  von  S 1 6 h r e r,  Brett  und  Little,  Henley  und  F  o  r  s  t  e r, 
Bright,  Siemens,  Mapple  und  Brown,  High  ton,  Varley,  Glosener, 
Allan  u.  s.  w.  nirgends  mehr  praktisch  verwendet  werden. 

Die  Zeigertelegrafen.  Dieselben  sind  leicht  zu  handhaben  und  empfehlen 
sich  deshalb  dort,  wo  weniger  geschulte  und  routinirte  Individuen  als  Telegrafisten 
verwendet  werden  miissen,  also  bei  Eisenbahn-,  Haus-,  Fabriks-  und  Feuertelegrafen 
oder  als  Notbtelegrafen  ftlr  Bahnwachter  etc.  Sie  haben  den  Nachtheil,  dass  sie 
zu  ihrem  Betriebe  sehr  kraftige  Strome,  also  einen  kostspieligen  Batterieaufwand 
nothig  haben  und  wie  die  Nadeltelegrafen  keine  fixirbaren  Zeicben  geben.  Ihre 
Einrichtung  besteht  darin,  dass  sich  ein  Zeiger  schrittweise  tiber  einer  kreis- 
runden  Scbeibe  dreht,  auf  welcher  die  Buchstaben  und  Ziffern  oder  sonstigen 
Schriftzeicben  wie  auf  einer  Uhrplatte  angeschrieben  sind.  Das  zu  telegrafireude 
Zeichen  markirt  der  Zeiger,  indem  er  vor  demselben  einige  Zeit  stehen  bleibt. 
Es  geschieht  dies,  indem  dieser  Zeiger  durch  einen  oder  mehrere  in  die  Leitung 
geschaltete  Electromagnete,  deren  Anker  und  damit  verbundene  Hebel  schrittweise 
in  Umdrehung  versetzt  wird,  oder  indem  die  Electromagnete  bios  ein  mecbanisches 
Uhrwerk,  das  den  Zeiger  dreht,  aus-  unci  einlosen,  je  nachdem  der  Stromkreis 
geschlosse-n  oder  geoffnet  wird.  Der  Erfincler  des  Zeigertelegrafen  ist  Ronulds 
und    nach     ihm     haben    denselben     Cooke,     Wheatstone,5)     Drescher,6) 


')  Glosener,  Traite  I  pag.  93;  Dingier  89  pag.  317;  Zetzsche,  Handb.,  Bd.  I  pag.  172. 

2J  Preece,  Telegraphy,  pag.  49;  Zetzsche,  Handb.,  Bd.  I  pag.  178;  Sc  heller,  5.  Aufl. 
pag.  352. 

3)  Dingler's  Journal  110,  pag.  8;  Zetzsche  Handb.,  Bd.  I  pag.  1S3. 

4)  Zetzsche,  Handb.,  Bd.  I  pag.  191  —  202. 

5)  Gavarret,  TIgrph.   electrqu.  pag.  161;  Brix's  Journ.,  Jhrg.  XI  pag.  64. 
")  Zetzsche,  Handb.,  Bd.  I  pag.  222—290. 

14* 


212 


Electrische  Telegrafie  (Zeigertelegraf). 


Leonhardt,  F  a  r  d  e  1  y ,  G  e  i  g  e  r ,  Poole,  L  i  p  p  e  n  s ,  D  i  d  i  e ,  Wilde,1) 
Kramer,2)  Stohrer,'1)  Breguet  unci  Digney,4)  Regnard,5)  Schellen,6) 
High  ton,  Glosener,  Braun,  fi)  From  en  t,7)  Map  pie,  Paul  Gamier,  8) 
Bain,     Barlow,     Henley,9)     Nott,     Yeates,10)    Siemens")    etc.    ver- 

bessert ,  und  war  es 
besonders  der  Letztge- 
nannte,  welcher  dieses 
System  durch  die  inge- 
nieuse  Anordnung  seines 
vervollkommten  Zeiger- 
apparates,  u)  zu  dessen 
Betrieb  er  Magnetinduc- 
tionsstrome  verwendet, 
lebensfahig  gemacbt  und 
dieser  Gattung  Telegra- 
fen  hauptsachlich  bei  den 
deutschen  Eisenbahnen 
eine  grosse  Verbreitung 
verschafft  hat.  Fig.  1457 
stellt  das  Aeussere  eines 
S  i  e  m  e  n  s'schen  Zeiger- 
apparates  dar,  welcher 
der  Hauptsache  nach  be- 
steht  aus  dem  Kasten 
1,  in  welchem  sich  der 
Inductor  (s.  Fig.  1446 
u.  1447)  befindet,  dessen 
Antrieb-Kurbel  H  ist, 
ferner  aus  dem  Buch- 
stabenblatt  2  mit  dem 
rotirenden  Zeiger,  d.  i. 
der  eigentliche  Zeichen- 
geber;  endlich  aus  dem 
Wecker  3  und  dem  Um- 
schalter  W  Z.  Auf  der 
Zeigerplattesind  imKrei- 
se  die  Buchstaben  und 
Ziffern  vertheilt.  Jeder 
Stromimpuls,  der  in  die 
Linie  gelangt,  bewegt 
den  Zeiger  um  ein  Feld 
von  links  nach  rechts  weiter.  Die  Stromenlsendung  geschieht  durch  Drehung 
der  Kurbel  H.  Der  aufnehmende  Telegrafist  hat  den  rotirenden  Zeiger  des  Re- 
ceptors (2)  genau  zu  beobachten  und  jene  Schriftzeichen,  bei  welchen  der  Zeiger 
Pausen  macht,  niederzuschreiben.    Die  Intervalle  zwischen  je  zwei  Worten  werden 


Siemens  Zeigerteloo-raf. 


Zetzsche,  Handb.,  Bd.  I  pag.  223     290. 

Schellen,    der    electr.    Telegr.    5.  Aufl.  pag.  390;    Dub,    die    Amvendung    des    Elect. 

Magnetismns,  Y.  Abschnitt  §.  10. 

Brix's  Journ.  II  pag.  193. 

Gavarret,  Tlgrpli.  electrqu.  pag.  114;  Dub,  Amvendg.  d.  Elect,  mgt.,  V.  Abschn.  §.9 

Zetzsche,  Handb.,  BJ.  I  pag.  222     290. 

Bulletin  d.  1.  Societe  d'enconragement  1851  pag.  319:  Dingier,  CXXII,  pag.  37. 

Zetsche.  Handb..  Bd.  I  pag.  222  —  290. 

Brix's  Journal,  Jhrg.  IX  pag.  253. 

Dinglers  pol.  Jor.rn.  Bd.  214  pag.  291. 

Practical  Mechanics  Journ.,  Mai    1852;  Dinglers  Journ.   CXXVII  pag.  255. 

Yerhandlungen  d.  Yereines  f.  Eisenbahnkunde,  Ma'rz  1857  pag.  121. 


Electrische  Telegrafie  (Schreibtelegrafj.  213 

durch  grossere  Pausen  markirt.  Auch  der  Telegrafirende  muss  sein  Zeigerblatt 
des  Stromsenders  J  genau  im  Auge  behalten,  damit  er  mit  dem  Drelien  der  Kurbel 
im  richtigen  Momente  einhalt.  So  lange  die  Station  aufnimmt  oder  abtelegrafirt, 
ist  der  Umschalter  auf  Z  gestellt,  d.  h.  dem  Strome  der  Weg  durch  den  eigent- 
lichen  Zeigerapparat  gestattet,  sonst  steht  der  Umschalter  auf  W,  d.  h.  der  Strom- 
weg  ist  nicht  durch  den  Zeigerapparat,  dagegen  durch  den  Wecker  hindurch  ge- 
offnet.  Die  in  die  Linie  entsendeten  Strome  werden  bei  dieser  Stellung  des  Um- 
schalters  nicht  den  Zeiger  des  Buchstabenblattes,  dagegen  den  Klopel  Z  des  Weckers 
in  Bewegung  bringen  und  an  die  daneben  angebrachte  Glocke  anschlagen  machen. 

Die  S chr eibtelegrafen  sind  solche,  bei  welchen  auf  mechanischem  oder 
chemischem  Wege  auf  Papierstreifen  bleibende  Zeichen  erzeugt  werden,  die  zwar 
nicht  den  in  der  Schrift  gebrauchlichen  Charakteren  gleich  sind,  jedoch  dauernde 
Aufschreibungen  und  Nachweise  fur  die  gefiihrte  telegrafische  Correspondenz  dar- 
bieten.  Fast  zu-gleicher  Zeit  wurden  in  Mtinchen  von  Steinheil*)  und  von 
Morse**)  in  Philadelphia  Schreibtelegrafen  erfunden.  Ersteres  System,  welches 
auch  unter  die  Nadeltelegrafen  rangirt  werden  kann,  ist  langst  ausser  Gebrauche, 
letzteres  jedoch  derzeit  das  verbreitetste  und  hat  durch  Robinson,  Siemens, 
Stohrer,  Steinheil,  Digney,  Matzenauer,  Gintl  etc.  die  mannigfachsten 
Modificationen  und  Vervollkommnungen  erfahren. 

Beim  Mors  e'schen  Systeme  erhalt  der  Zeichengeber  —  Schreibapparat  — 
(Fig.  1458)  einen  temporaren  Electromagnet  E,  dessen  Anker  o  auf  dem  Hebel 
n,  h,  n  befestigt,  von  ihm  abwechselnd  angezogen  und  durch  die  Feder  /  wiecler 
abgerissen  werden  kann.  Am  anderen  Ende  dieses  Hebels  befindet  sich  ein  stahlerner 
Stilt  S  eingeschraubt,  der  beim  jedesmaligen  Anziehen  des  Ankers  gegen  einen 
Papierstreifen  gepresst  wird,  den  ein  mittelst  Federkraft  oder  durch  ein  Gewicht 
getriebenes  Uhrwerk  in  gleichformiger  Geschwindigkeit  voriiberftihrt.  Der  Papier- 
streifen lauft  zwischen  2  Rollen  durch,  wovon  die  eine  W  eine  Furche  hat,  auf 
welche  der  Schreibstift  S  genau  passt.  Wird  ein  momentaner  Strom  durch  die 
Multiplication  des  Electromagnetes  gesendet,  so  erfolgt  eine  kurzdauernde  An- 
ziehung  des  Ankers  und  der  Stift  S  driickt  einen  Punkt  in  das  Papier.  Dauert 
der  Strom,  also  auch  die  Anziehung  des  Ankers  langer,  so  presst  sich  der  Stift 
in  das  ganze  Stlick  des  Papierstreifens,  welches  wahrend  dieser  Zeit  passirt  und 
erzeugt  so  einen  Strich.  Punkt  und  Strich  geben  die  Grundzeichen  der  Mors  e'schen 
telegrafischen  Schrift. 

Der  Taster  oder  Schliissel  (Fig.  1459)  ist  ein  metallener,  zweiarmiger 
Hebel,  der  auf  einer  Achse  in  Lagern  B  beweglich  ist.  In  der  normalen 
Lage  zieht  ihn  die  Feder  /  so  nieder,  dass  die  an  einem  Ende  des  Hebelarmes 
angebrachte  Contact-Schraube  s  auf  den  unterhalb  im  Tasterbrette  eingelassenen 
Metallambos  c  angepresst  ist.  Dieser  Ambos  ist  mit  der  Anschlussklemme  2  und 
das  Lager  B  mit  der  Anschlussklemme  1  mittelst  isolirten  Kupferdrahtes  innerhalb 
des  Fussbrettchens  A  verbunden.  Ein  zweiter  Ambos  a  steht  mit  der  Anschluss- 
klemme 3  eben  so  durch  Draht  in  Verbindung.  Am  langeren  Arme  des  Hebels 
sitzt  das  Klobchen  a'  mit  einem  eingesetzten  Platinkegel  (Contact),  dem  Ambos  a 
genau  gegenliber,  ohne  diesen  jedocli  wahrend  der  Ruhelage  des  Tasterhebels  zu 
beriihren.  Zu  der  Anschlussklemme  1  fiihrt  die  Leitung,  welche  zum  Schreib- 
apparate  durch  die  Multiplication  desselben  und  dann  weiter  zur  nachsten  Station 
oder  (in  einer  Endstation)  zur  Erde  geht.  Zu  2  schliesst  die  von  der  vorher- 
gehenden  Station  kommende  Leitung  (in  der  Anfangsstation  die  Erde)  an  und 
ausserdem  noch  ein  Draht,  welcher  zu  einem  Pole  der  Batterie  geht;  bei  3  endlich 
ist  der  zum  anderen  Batteriepole  ftihrende  Draht  angeschlossen.  So  lange  in  einer 
so  geschalteten  Morseleitung  alle  Taster  in  der  Ruhelage  sich  befinden,  wird 
also  die  Linie  zwar  continuirlich  geschlossen,  aber  kein  Strom  in  ihr  vorhanden 
sein.     Der   vorliandene,  jedoch   nicht   beniitzte    Stromweg   wiirde    folgender    sein : 


*)  Bericht  der  b.  Akademie,  Miinchen  1838. 
**)  Schaeffner,  Electr.  Telegrph.  pag.  423;  Brix's  Journ.  I  pag.    196. 


214 


Electrische  Telegrafie  (Schreibapparat  u.  Taster). 
Fig.  1458. 


Mors  e's  Schreibapparat. 

Von  der  Erde  oder  der  vorhergehendeii  Nachbarstation  zur  Klemme  2,  durch  den 
Drahtanschluss  zum  Ambos  c  in  die  Contactschraiibe  S,  durch  den  vorderen  Arm 

Fig.  1459. 


Taster  (Schliissel). 
des    Tasterhebels    und    die    Drebachse   in    das    Lager  B,  durch  den    Kupferdraht 
innerhalb  des  Tasterbrettchens  zur  Anscblussklemme  1,  Aron  da  weiter  zur  Multi- 
plication des  Schreibapparates,  durch  diese  weiter   zur  nacbsten  Station  oder  (bei 


Elect'rische  Telegrafie  (Relais). 


215 


der  Endstation)  in  die  Erde.  Uebt  man  bei  einem  Taster  auf  den  am  langeren 
Arme  seines  Hebels  befindlichen  beinernen  oder  holzernen  Knopf  g  einen  Druck 
nach  unten  aus,  so  wird  die  Kraft  der  Feder  iiberwunden,  der  Contact  zwischen 
c  nnd  s  aufgehoben  und  dafiir  der  zwischen  a  nnd  a'  hergestellt,  Jetzt  ist  in 
der  Station,  wo  sich  der  niedergedrtickte  Taster  befindet,  der  fruhere  Weg  von 
2  iiber  s  nnd  B  nach  1  aufgehoben,  dagegen  von  2  zu  einem  Batteriepole  durch 
die  Batterie  nnd  vom  2.  Pol  zur  Anschlnssklemme  3,  von  da  weiter  iiber  a,  a', 
B  und  1  die  Linie  continuirlich  hergestellt,  wobei  die  Batterie  eingescbaltet  und 
wirksam  gemacht  ist.  In  alien  Schreibapparaten  der  Linie  sind  dann  die  Multipli- 
cationen  so  lange  vom  Strom  durchflossen,  und  in  Folge  dessen  die  Anker  an- 
gezogen,  als  der  Taster  niedergedriickt  bleibt.  Ist  die  Telegrafenleitung  lang 
oder  sind  viele  Stationen  auf  eine  Linie  gemeinschaftlich  geschaltet,  iiberhaupt 
der  Widerstand  in  der  Leitung  gross,  so  wiirde  ein  enormer  Stromaufwand  noting 
werden,  urn  die  Schreibapparate  so  zu  betreiben,  dass  sie  scheme,  deutliche  Zeichen 
geben.  Man  hat  deshalb  die  Schreibapparate  bei  langen  Linien  nicht  direct  in 
dieselben  eingeschaltet,  sondern  fur  dieselben  einen  viel  empfindlicheren  und  selbst 
durch  ganz  schwache  Strome  leicht  beweglichen  Apparat  substituirt,  der  seine 
Bewegungen  erst  wieder  durch  Vermittlung  eines  anderweitigen,  kleinen  Strom- 
kreises  (Locallinie)  auf  den  Schreibapparat  iibertragt.  Dieser  Uebertragungsapparat, 
das  Relais  (Fig.  1460)  wurde  zuerst  von  Cooke  und  Wheats  tone  1837  fur 
denWecker  ihres  Nadeltelegrafen,  von  Morse  1844  bei  seinem  Schreibtelegrafen 
B  Fig.  1460. 


Relais. 
in  Anwendung  gebracht.  Ein  Hauptbestandtheil  desselben  ist  wieder  ein  Electro- 
magnet A/,  dessen  Multiplicationsenden  einerseits  mit  der  kommenden  Telegrafen- 
leitung m,  andererseits  mit  der  gehenden  oder  bei  Endstationen,  wie  es  die  Zeichnung 
zeigt,  zur  Erde  m'  metallisch  verbunden  sind.  Ueber  den  Kernen  des  Electromagneten 
ist  ein  eiserner  Anker  A  auf  einem  im  Lagerstander  C  drehbaren,  messingenen 
Hebel  B,  B'  aufgehangt.  Die  Bewegung  dieses  Hebels  ist  begrenzt  durch  die 
beiden  Schrauben  D  und  D',  wovon  die  obere  mit  einer  Elfenbeinspitze,  die  untere 
mit  einer  Platinspitze  (Contact)  verse'nen  ist.  Der  Arm  B'  des  Relaishebels  wird 
durch  die  Feder  /,  welche  mit  der  Schraube  h  starker  gespannt  oder  nachgelassen 
werden   kann,    niedergezogen ,    so    dass    der   Arm    B   normal   gegen    die    isolirte 


216 


Electrische  Telegrafie. 


Schraube  D  driickt.  An  den  messingenen  Federstander  S  und  an  den  Schwanen- 
halsstander  E  schliessen  die  Enden  der  Locallinie  an.  Letztere  ist  ein  besonderer 
Schliessungskreis,  in  welcheni  die  sogenannte  Local-  oder  Scbreibbatterie  und  die 
Multiplication  des  Scbreibapparates  eingeschaltet  ist.  Die  Stander  E  und  S  sind  von 
einander  vollkonimen  isolirt,  der  Schraubenstander  S  ist  (lurch  die  messingene 
oder  neusilberne  Feder  /  mit  dem  Relaishebel  in  Verbindung.  Denkt  man  sich 
eine  Morse-Telegrafen-Anlage,  wie  die  vorhergeschilclerte ,  nur  mit  dem  Unter- 
schiede,  dass  jetzt  statt  der  Schreibapparate  Relais  eingeschaltet  sind,  u.  zw. 
derart,  dass  in  jeder  Station  eine  so  eben  besprochene  Locallinie  sammt  Local- 
batterie  vorhanden  ist,  so  werden,  so  lange  kein  Strom  in  die  Linie  kommt,  be- 
ziehungsweise  kein  Taster  niedergedriickt  ist,  alle  Relaishebel  „abg.erissen"  und  die 
Schreibapparate  in  Ruhe  bleiben.  Wird  hingegen  ein  Taster  niedergedrtickt,  d.  h. 
Strom  in  die  Linie  gebracht,  so  erfahrt  der  Relaisanker  eine  Anziehung,  da  der 
Electromagnet  durch  den  seine  Multiplication  passirenden  Linienstrom  magnetisch 
wird;  die  Kraft  der  Spiralfeder  /  wird  iiberwunden  und  der  Relaishebel  B  auf 
die  Schraube  D'  niedergezogen.  Die  bis  jetzt  durch  die  nichtleitende  Elfenbein- 
spitze  D  unterbrochen  gewesene  Locallinie  wird  hierdurch  geschlossen,  denn  von  S 
zu  E  ist  dem  Strome  der  Localbatterie  nun  anstandslos  der  Weg  iiber  den  Relais- 
hebel zur  Schraube  D'  gestattet;  der  Localstrom  passirt  die  Multiplication  des 
Scbreibapparates  und  bringt  demnach  eben  so  oft  und  so  lange  die  Anziehung  des 
Sch:  eibhebels  hervor,  als  das  Relais  angezogen  wird.  Der  Schreibapparat  arbeitet  also 
in  rythmischer  Beziehung  gerade  so,  als  wenn  er  direct  in  die  Linie  geschaltet  ware. 
Die  hier  besprochene  Morseanlage  ware  eine  solche  mit  Arbeitsstrom. 
Einfacher  ist  die  Anlage  fiir  Ruhestrom.  Die  Linienbatterien  sind  dann 
direct  in  die  Leitung  geschaltet.  Der  Schliissel  hat  bios  die  Klemmen  1  und  2, 
zu  welchen  einerseits  der  zum  Relais  gehende  Draht  m  (Fig.  1460),  anderseits 
die  von  der  Nachbarstation  kommende  Luftlinie  anschliesst.  Beim  Relais  fur 
Ruhestrom  ist  die  Schraube  D'  mit  Elfenbein  und  dagegen  die  obere  D  mit 
dem  Contacte  versehen.  Bei  normalem  Zustande  des  Schliessungskreises  sind 
nunmehr  alle  Relais  angezogen  und  die  Locallinien  unterbrochen,  durch  das  Nieder- 
driicken  des  Tasterhebels  wird  der  Linienstrom  unterbrochen,  die  Relaishebel 
durch  die  Spiralfedern  abgerissen  und  die  Locallinien  geschlossen,  also  die  Schreib- 
hebeln  angezogen.  Fig.  1461  stellt  das  Leitungsschema  einer  Morse-Telegrafen- 
anlage  fiir  Ruhestrom  dar.  A,B,CD  sind  die  Stationen,  a  die  Relais,*)  b  die 
Taster,  c  die  Batterien,  d  die  Erdeleitung.  Fiir  das  Morse'sche  System  sind  iibrigens 

Fig.  1461. 

A-  B  C  B 


Leitungsschema. 

die   mannigfachsten  Schaltungssysteme   in  Anwendung,  eben  so    auch    der  Betrieb 
mit  Inductionsstromen.     Die  letztere  Art,  welche  hauptsachlich  von  Siemens,**) 


*)  Es    g-ibt   audi  Ruhestromsysteme,  bei   welchen    keine   Relais  angewendet,  sondern    statt 
denselben    die    Schreibapparate,    deren    Schreibvorrichtung    entsprechend    constrnirt    sein 
muss,  direct  in  die  Linie  geschaltet  werden. 
**)  Schellen,  Dub  und  Zetzschke. 


Electrische  Telegrafie  (Translation).  217 

Varley  und  Wheatstone  ihfe  Ausbildung  erfahren  hat,  erfordert  eigens  con- 
struirte  Taster,  welche  gleichzeitig  als  In  duct  or  en  thatig  sind,  und  besonders 
eingeriehtete  (Inductions-)  Relais  oder  Schreibapparate.  Eine  haufig  angewendete 
Modification  der  Schreibapparate  sind  die  Schwarz-,  Blau-  oder  Farb-Schreiber, 
welche  das  Zeichen.  statt  in  Relief,  rait  Farbe  auf  dem  Streifen  markiren. 
Wernicke  und  Siemens  &Halske*)  in  Berlin,  D i g n e y  in  Paris,  G.  H a s  1  e r, 
Wiehl,  Brabender,  Mark  us,  Gebriider  Digney  und  Andere  haben  solche 
Apparate  in  mannigfachen  Varianten  construirt  oder  ausgefiihrt. 

Zuerst  Stohrer  und  Gintl  und  nach  ihnen  Andere  haben  weiters  die 
Morsezeichen  auf  electrochemischem  Wege  hervorgerufen,  indem  sie  den  Papier - 
streifen  mit  diversen  chemischen  Stoffen,  als  Jodkalium  mit  Starkekleister,  Cyan- 
kalium  mit  Salzsaure  und  einer  gesattigten  Kochsalzlosung,  salpetersaures  Am- 
moniak  mit  Kaliumeisencyaniir  etc.  impragnirten.  Ein  Strom,  welcher  Tiber  den 
Schreibstift  durch  das  Papier  gesendet  wird,  zersetzt  den  Stoff,  mit  welchem  das 
Papier  getrankt  wurde  und  bringt  farbige  Zeichen  hervor. 

Eine  vorziigliche  Entwicklung  haben  die  Relais  erfahren.  Es  sind  ausser 
dem  geschilderten  Schwanenhalsrelais  aus  der  reichen  Reihe  dieser  Apparate 
besonders  zu  erwahnen :  das  Dosenrelais  von  Siemens*),  die  polarisirten  Relais 
von  Siemens  fur  Inductionsstrome**),  das  Relais  mit  schwingendem  Magnete 
von  Frischen  und  Siemens,***)  das  Relais  von  Nottebohm,*)  von 
Borggrev e,**)  von  Dr.  M i I i  t z  e r,  ***)  Edison*),  das  polarisirte  Relais  mit  zwei 
Hufeisen-Electromagneten,  zwei  Stalilmagneten  und  zwei  Ankern  von  Siemens*), 
das  Relais  von  Boivin,  *)  v.  Fro  men  t,  *)  von  d'Arlincourtf)  etc. 

Anschliessend  an  die  Relais  kommen  die  Translations  apparate  zu  er- 
wahnen, welche  den  ersteren  sowohl  in  Construction  als  Zweck  ziemlich  ahnlich  sind 
und  sich  in  letzterer  Beziehung  von  jenen  nur  insoferne  charakteristisch  unterscheiden, 
als  sie  die  Bestimmung  haben,  die  auf  einer  Telegrafeulinie  erfolgenden  Strom- 
impulse,  beziehungsweise  Unterbrechungen  nicht  auf  eine  Locallinie,  sondern  auf  eine 
zweite  oder  auf  mehrere  andere  Telegrafensprechlinien  zu  iibertragen.  Bei  langen 
Linien  (etwa  iiber  50  Meilen)  erscheint  es  namlich  unter  Umstanden  empfehlens- 
werth,  wohl  auch  nothwendig,  die  Weiterbeforderung  von  Depeschen,  welche  fur 
eine  in  der  benachbarten  Partiallinie  eingeschaltete  Station  bestimmt  sind,  in  der 
Weise  zu  bewerkstelligen,  dass  man  die  aneinanderstossenden  oder  sich  kreuzen- 
den  Linien  nicht  direct  verbindet,  d.  i.  gleichsam  zu  einer  einzigen  macht,  sondern 
dass  zur  Zeicheniibertragung  derlei  Translationsapparate  in  Anwendung  gebracht 
werden.  Es  wird  damit  den  Schwierigkeiten,  welche  dem  directen  Functioniren 
der  Telegrafenapparate  durch  die  directe  Verbindung  zweier  langer  Leitungen, 
beziehungsweise  die  damit  verbundene  bedeutende  Vermehrung  des  Widerstandes 
und  der  Fehlcrquellen  bereitet  wiirden,  ausgewichen.  Soil  von  einer  Linie  I  auf 
eine  anstossende  Linie  II  eine  Depescheniibertragung  stattfinden,  so  werden  in  der 
gemeinschaftlichen  End-  oder  Mittelstation  fur  jede  Linie  ein  Translator,  fiir  den 
gedachten  Fall  also  zusammen  zwei  Uebertragungsapparate  aufgestellt  sein  miissen. 
Stellt  man  sich  das  friiher  beschriebene  Relais  (Fig.  1460)  als  Translator  vor, 
so  miisste  unter  der  Annahme  einer  Ruhestromschaltung  zu  den  Linienanschltissen 
des  Translators  /  die  Sprechlinie  /,  zu  Translator  //  die  Sprechlinie  II  zuge- 
fiihrt^  die  Fortsetzung  der  Linie  /  jedoch  zum  Localanschlusse  des  Translator  77, 
jene  der  Sprechlinie  II,  zum  Localanschlusse  des  Translator  I  angeschlossen  sei. 

Die  Contacte  im  Schwanenhalsstander  miissten  selbstredend  so  angeordnet 
sein,  dass  der  Stromweg  iiber  den  Relais  —  beziehungsweise  —  Translatorhebel 
walirend  der  Ruhelage  des  Translators  hergestellt  ist.  Bei  dieser  Stellung  des 
Translators  I  wird  also  die  Linie  II  ihren  continuirlichen  Weg  finden,  erfolgt 
jedoch  in  der  Linie  I  durch  Niederdrucken  eines  Schliissels  die  Stromunterbrechung, 

*)  Schellen,  Dub  und  Zetzsche. 
**)  Brix's  Journal,  Jahrg.  VIII  pag.   220. 
***)  Dingler's  polyt.  Journ.  Bel.  214  pag.  290 
f)  Ditsch  einer,  Ausstellungsbericht. 


218       *  Electrische  Telegrafie  (Translation). 

also  das  Abreissen  des  Trauslatorhebels  2,  so  wird  damit  audi  die  Linie  II  unter- 
brochen,  u.  zw.  theoretiscb  genau  so  lange,  als  der  Hebel  des  Translator  I  ab- 
gerissen,  bezielmngsvveise  die  Linie  I  unterbrochen  bleibt.  Dieselbe  Riickwirkung 
hat  umgekehrt  die  Unterbrechung  der  Linie  II  auf  die  Linie  I,  da  sie  Avie  oben 
dnrch  den  Translator  II  fortgepflanzt  werden  wird.  In  der  Praxis  ist  jedoch 
damit  die  Frage  der  Translation  nocb  nicht  gelost,  weil  bei  der  geschilderten 
Anordnung  durch  die  Zeiten ,  welche  die  Translationsbebel  brauchen ,  urn  den 
Weg  von  der  Contactstellung  in  die  Unterbrechungsstelliing  nnd  umgekehrt  zuriick- 
zulegen,  wechselweise  Verzogerungen  und  in  Folge  dessen  dauernde  Unterbrechungen 
herbeigefiihrt  werden.  Es  muss  also  das  Translationssystem  dahin  erganzt  werden, 
dass  der  Translator  I  immer,  sobald  er  aus  der  Ruhelage  kommt,  die  Folge- 
Unterbrechung  des  Translators  II  verhindert  und  der  Translator  II  wieder  die- 
selbe Einwirkung  auf  den  Localschluss  des  Translators  I  ausiibt.  Der  Translator 
muss  also  aus  zwei  Relais  oder  einem  Doppelrelais  bestehen.  Natiirlich  muss  in 
das  Schema  der  Translationsstation  stets  ein  entsprechender  Linienumsehalter 
eingeschaltet  sein,  der  die  willkiirliche  Ein-  und  Ausschaltung  der  Translatoren 
ermoglicht.  Nach  diesen  hier  angedeuteten  Principien  sind  so  ziemlich  alle  be- 
stehenden  Translatoren  construirt  und  schematisirt.  Fur  das  Morse-System  wird 
sehr  haufig  die  Translationsvorrichtung  direct  am  Schreibapparat  angebracht, 
namlich  der  Schreibhebel  gleich  als  Translatorhebel  ausgentitzt.  Unter  der  reichen 
Anzahl  der  im  Clebrauche  stehenden  diversen  Translations-Anordnungen  waren  hervor- 
zuheben :  das  System  von  S  t e i n h e i  1  * ),  Clark2),  Bonggreve3),  F r i s c h e n 4), 
Siemens-Halske  4),  Leopo  Id  er,  Miglitzer,  Jaite5)  u.  s.  w.  Auch  die  Tast- 
formen  sind  zahlreich;  Morse  und  Siemens  haben  z.  B.  statt  Hebeltaster  der  ge- 
schilderten Art  auch  Tasttafeln  angewendet,  d.  h.  Tafeln  aus  Hartgummi,  Horn  oder 
trockenem  Holze,  in  welche  den  Punkten  und  Strichen  entsprechende  Metallstttcke 
eingesetzt  sind,  die  alle  mit  dem  einen  Pole  der  Batterie  in  Verbindung  stehen,  und 
iiber  welche  man  nur  einen  mit  der  Leitung  verbundenen  Metallgritfel  gleitend  hinzu- 
fiihren  braucht,  um  die  Batterie  ebenso  zu  schliessen  wie  durch  das  Mederdriicken 
des  Tasterhebels.  Siemens  a)  construirte  ferner  ein  Lineal,  in  welches  die  Typen 
fur  Punkte  und  Striche  eingesetzt  werden,  und  welches  durch  eine  den  Contact 
vermittelnde  Rolle  und  Feder  gleiten  gelassen  wird,  und  auf  diese  Weise  die 
sonst  mit  der  Hand  am  Schlussel  bewerkstelligten  Oeftnungen  und  Schliessungen 
des  Stromkreises  automatisch  besorgt.  Um  die  in  unterseeischen  und  unterirdischen 
Leitungen  vorkommenden  —  von  K r a m e r  c),  G u i  1 1  e m i n  7),  Siemens**),  F a r a- 
dey9),  Wheatstone  ,0),  Varley11)  beobachteten  und  erforschten  —  Ladungs- 
erscheinungen,  durch  welche  die  telegrafische  Zeichengebung  bei  gewohnlicher  An- 
ordnung des  Tasters  gestort  werden  wtirde,  zu  parallisiren  sind  fiir  derlei  Linien 
eigens  construirte  Schltissel  in  Anweudung:  darunter  der  Submarinschliissel  von 
Siemens-Halske12)  und  der  von  Varley  l3). 

Mechaniker  Stohrer  in  Leipzig  hat  weiters  einen  Schreibtelegrafen  con- 
struirt, der  in  seiner  Wesenheit  dem  Morse'schen  ahnlich  ist;  sein  Schreibapparat 
hat  jedoch  zwei  Hebel  und  schreibt  also  in  zwei  Linien.  Der  Taster  ist  ein 
zweiarmiger    Commutator,    der    es    zulasst,    beim    Niederdriicken    des   einen    oder 


')  Schellen,  V.  Abschn.  C.  4. 

2)  Brix's  Jouru.,  Jhrg.  II  pag.  145. 

3)  Brix's  Journ.,  Jhrg.  V  pag.   216. 

4)  Dub,  Anwendung  d.  Electrs.  Mgnt.  VII.  Abschnitt  §.   1,   13. 
s)  Brix's  Journ.,  Jhrg.  XI  pag.  271. 

6)  Brix's  Journ.,  Jhrg.  I  pag.   137. 

7)  Pogg.  Annl.  79  pag.  333. 

8)  Pogg.  Annl.  79  pag.   108  und  698. 

9)  Philos.  Mag.  (4)  VIII  pag.  117;  Brix's  Journ.  I  pag.   126. 

10)  Philos.  Mag.  (4)  X  pag.  56     Brix's  Journ.,  Jhrg.  II  pag.  152. 

n)  Brix's   Journ.,   Jhrg.    I   pag.  188    u.    287;    Engineer.    22.    Februar    1867    pag.    169; 
Chemie  al  News.   l.  Marz  1867  pag.   102;  Dingler's  polyt.  Journ.  185  pag.   1. 

12)  Schellen,  V.  Abschn.  C.  5  §  209;  Dub,  Anwend.  d.  Electsch.  Vi  §.  4—2. 

13)  Schellen,  V.  Abschn.  C.  5  §.  210;  Dub,  Anwendg.  d.  Electr.  Mag.  VI  §.  4-3. 


Electrische  Telegrafie  (Mayer's  Multiplex).  219 

anderen  Tasterhebels  den  Strom  in  einer  bestimmten  oder  entgegengesetzten 
Richtung  durcli  ein  eigenthiimlich  construirtes  Relais  zu  senden  und  dadurch  den 
einen  oder  anderen  Schreibliebel  in  Bewegung  zu  setzen.  Die  Grundzeichen  sind 
wieder  der  Punkt  und  der  Strich,  jedoch  in  zwei  Zeilen ;  die  Schriftzeichen  dieses 
Systems  konnen  also  doppelt  so  kurz  sein  wie  die  gewohnlichen  Morsezeichen. 
Dieses  System  war  in  Sachsen  und  Bayern  beim  Staatstelegrafen  in  Anwendung, 
wurde  jedoch  wieder  aufgelassen,  als  des  Durchspielens  wegen,  im  deutsch-oster- 
reiehischen  Telegrafenverein  der  Einstiftapparat  allgemein  eingefiihrt  wurde.  Die 
Schreibtelegrafen  von  Hipp*)  (1851),  V  a  r  i  n  *),  F  r  i  b  o  u  r g  *),  Bournes  **),  B  o- 
nelli**)  u.  A.  sind  electrocliemische  und  bestehen  der  Hauptsache  nach  in  beiden 
Stationen  (in  der  gebenden  und  nehmenden)  aus  einem  oder  mehreren  Metallstiften, 
welche,  durch  ein  Uhrwerk  bewegt,  bestandig  bestimmte  Ztige  auf  einer  mit 
cliemisch-praparirtem  Papier  belegten  Metallplatte  beschreiben  ;  durch  Vermittlung 
des  in  entsprechenden  Zwisehenraumen  hergestellten  und  unterbrochenen  galvanischen 
Stromes  schreibt  der  Stift  oder  schreiben  die  Stifte  nur  die  Theile  des  Zuges  auf 
das  Papier,  welche  den  beziiglichen  Buchstaben  liefern  sollen,  der  iibrige  Theil 
wird  in  die  Luft  beschrieben.  Im  praktischen  Gebrauche  stehen  diese  Systeme 
ihrer  subtilen  und  heiklichen  Construction  wegen  nirgends.  Eine  weit  giinstigere 
Zukunft  diirften  indessen  M  ay  e r's  Multiplexapparat***)  und  Bauer's  Illimit-Telegraf 
zu  gewartigen  haben.  Beide  diese  Systeme  bezwecken  eine  erhohte  Ausntitzung 
der  Telegrafenlinie  dadurch,  dass  sie  die  Pausen,  welche  in  einef  Leitung  mit 
nur  einer  Abgabe-  oder  Aufnahmsstation  wegen  der  verhaltnissmassig  langen  Vor- 
bereitung  zur  Stromsendung  zwischen  je  zwei  auf  einander  folgende  Stromimpulse 
eintreten,  zum  Betriebe  mehrerer  auf  derselben  Stelle  angeordneten  Aufnahms-  und 
Abgabsapparate  ausniitzen.  Der  Mayer'sche  Multiplexapparat,  mit  welchem  seit 
1874  bei  der  osterr.  Staatstelegrafenanstalt  Versuche  gemacht  werden,  ist  auf 
4  Auf-  und  ebenso  viele  Abgabsstationen  eingerichtet,  d.  h.  auf  ein  und  derselben 
Linie  depeschiren-  8  Beamte  (4  gebende ,  4  aufnehmende)  gleichzeitig.  Die 
Empfangsapparate  des  Mayer'schen  Multiplex  schreiben  die  Zeichen,  welche  gleich- 
falls  aus  Punkten  und  Stricken  bestehen,  nicht  wie  beim  Morse  in  einer  Zeile 
der  Lange  des  Papierstreifens  nach,  sondern  es  stehen  die  Buchstaben  unterein- 
ander  und  bildet  jeder  fiir  sich  eine  Zeile.  Die  4  Papierstreifen  werden  von 
einem  durch  ein  Uhrwerk  bewegten  Walzenpaar  fest  bewegt.  Die  Schreibvor- 
richtung  besteht  aus  einer  rotirenden  Welle,  welche  iiber  die  Streifen  lauft  und 
gleiclifalls  von  demselben  Uhrwerke  wie  die  Zugwalzen  bewegt  wird.  Auf  dieser 
Welle  sitzen  genau  den  Papierstreifen  gegeniiber  die  4  Schreibwalzen,  von  welchen 
jede  eine  Schneide  tragi  Die  vier  Schneiden  bilden  zusammen  eine  Schrauben- 
linie,  deren  Hohe  gleicii  dem  Wellenumfange  ist,  so  dass  auf  eine  Schreibwalze 
ein  Viertelschraubengang  entfallt. 

Diese  schraubenformigen  Schneiden  werden  durch  darttberliegende  Farbwalzen 
fortwahrend  mit  Druckfarbe  befeuchtet  und  verrichten  dieselbe  Leistung  wie  die 
Schreibvorrichtung  der  Morse-Farbschreiber. 

Unter  den  Papierstreifen  liegt  ein  Rahmen,  der  so  lange  gehoben  bleibt, 
und  das  Papier  an  die  Schreibwalze  driickt,  als  sich  Strom  in  der  Linie  befindet. 

Wird  dieser  Rahmen  kurze  Zeit  angedriickt,  so  entsteht  offenbar  auf  jenem 
Streifen,  iiber  welchem  sich  die  Schneide  der  Schreibwalze  soeben  befindet,  ein 
Punkt,  bei  langerem  Andriicken  ein  Strich.  Die  vier  Tastervorrichtungen  bestehen 
jede  aus  je  4  weissen  und  je  4  schwarzen  Klaviertasten,  von  denen  die  ersteren 
Striche,  die  letzteren  Punkte  geben. 

Der  wichtigste  Bestandtheil  endlich  ist  der  Stromvertheiler.  Dieser  ist  eine 
aus  48  von  einander  isolirten  Theilen  zusammengesetzte,  ringformige  Contact- 
Scheibe,    auf  welcher  ein  auf  der  Schreibwelle  befestigter  und  mit  der  Linie  ver- 


*)  Zetzsche,  Katechismus. 

**)  Dub,  Anwendg.  d.  Electr.-Mgt.  VII.  Abschnitt,  §.  6,  6. 
***)  Dr.  Leander  Ditscheiner,  Ausstelhwgsbcr,  pag.  36 ;  Zetzsche,  Abriss  d.  Geschichte 
d.  Tlgphie.  pag.  59. 


220 


Electrische  Telegrafie  (Typendrucktelegraf). 


bundener  Metallarm  contactirend  kinweggleitet.  Die  Taster  der  einzelnen  Zeichen- 
geber  sind  rait  den  Contacten  je  eines  Quadranten  des  Stromvertheilers  in  bestimmter 
Weise  verbunden  und  der  Gleitcontact  so  eingestellt,  dass  die  durch  das  Nieder- 
drucken  der  Taster  eines  Sckliissels  entstehenden  Strome  gerade  nur  dann  in  die 
Linie  gesendet  werden,  wenn  die  Schreibwelle  iiber  jenen  Papierstreifen  weglauft, 
welcher  dem  gebrauchten  Taster  entspricht.  Es  konnen  sonacb  hintereinander 
die  Tastervorrichtungen  in  Gebrauch  genommen  werden  mid  wird  jede  nun  auf 
ibre  correspondirenden  Selireiber  die  Zeichen  hervorrufen. 

Bauer's  Illimit-Telegraf*)  ist  wie  der  soeben  erwahnte  Multiplex- 
apparat  gleicbfalls  nach  den  Principien  der  Arbeitsvertbeilung  construirt,  unter 
Anwendung  von  Strorovertheilem,  narnlicb  synchronistiseh  rotirende  Contactscheiben, 


Ein  bestimmtes  Segment  der  Contactscheibe  entspricht  je  einer  Apparatgarnitur. 
Die  Typendrucktelegrafen  (typotelegrcuph  —  typotelegrapli).  Diese 
aueh  Lettern-  oder  Buchstaben-Drucktelegrafen  genannt,  bringen  das  Telegramm 
auf  der  Empfangsstation  in  Farben  und  Lettern  auf  Papier  gedruckt  fertig.  Der 
erste  solcbe  Telegraf  wurde  von  Alfred  Vail  1837  in  Nordamerika  und  gleichzeitig 
von  Wheats  ton  e  erfunden,  dann  haben  sicb  Fardely  in  Mannheim,  Siemens 
in  Berlin,  M  ay  er  in  Miihlhausen  (jetzt  Paris),  H u g h  e s  in  Philadelphia;  S eh  warzl  er 
in  Bregenz,  Greay  in  New- York**)  etc.  mit  der  Construction  und  Vervollkommnung 
solcher  Telegrafen  abgegeben  und  diese  Aufgabe  zumeist  in  wahi'haft  iDgenieuser 
Weise  gelost.  Allein  die  Einrichtung  solcher  Apparate  ist  zu  kiinstlich,  die  Be- 
handlungsweise  und  Erbaltung  meist  zu  schwierig  und  die  Zuverlassigkeit  zu 
gering,  als  dass  sie  in  der  Praxis  eine  grosse  Verbreitung  hatten  finden  konnen.  Nur 
der  von  Hughes  ***)  hat  in  den  letzteren  Jabren,  seiner  grossen  Scbnelligkeit  wegen, 
fur  lange  Linien  in  Europa,  wie  Asien  und  Amerika  grosse  Verbreitung  gefunden  und 


1462. 


Hughes    Typeudrucktel 


das    Morse'sche    System 
theilweise  verdrangt. 

Die     Haupttheile 
des  Hughe  s'schen  Tele- 
grafen -  Apparates    (Fig. 
1462     bis    1464)     sind 
der  Schlitten  S  und  die 
Klaviatur,  das  Laufwerk 
{T,  M,  iX,  b,  R,  nj,   die 
Druckachse      und      das 
Druckwerk    (b,  o),    der 
Electromagnet    E,     die 
'PAuslosung  n  des  Druck- 
m    werkes    und    der  Regu- 
|    lator  G.     Das  Abgeben 
|    der  Depeschen  geschieht 
mittelst     Niederdriicken 
der  Taster  derKlaviatur, 
welche  je  einem  Schrift- 
zeichen    oder    einer   be- 
stimmten  Schriftpause 
entsprechen.  Jeder  dieser 
Taster  ist  ein  zweiarmi- 
ger  Hebel,  der  in  einen 
Stift  endigt.  Jeder  dieser 
Stifte  lauft  in  einem  4>e- 


")  Dr.  Leander  Ditscheiner,  Ausstellungsbericht,  Wieu  1874  ;  D ingle r's  polyt.  Journ. 

Bd.   213  pag.   17. 
*)  Dingler's  polyt.  Journal  1S66,   Bd.  CLXXXII  pag.  1. 
")  Dingler's  polyt,  Journ.   Bd.  217  pag.  468;  Journal  of  the  Telegraph,  Bd.  8  pag.  193. 


Electrisehe  T.elegrafie  (Hughes). 


221 


stimraten  Spalt  eines  ringformigen  Geliauses  A.  Im  normalen  Zustande  werden  die 
Tasterliebel  durch  Federn  derart  gehalten,  dass  die  Stifte  nicht  tiber  die  Gehaus- 
fla'ehe  A  hcrvorragen;  driickt  man  aber  eine  Taste  nieder,  so  hebt  sich  das 
andere  Hebelende  und  der  entsprechende  Stift  tritt  aus  seiner  OefFnung  ein 
Stiickchen  hervor.  In  der  Mitte  des  Geliauses  A  befindet  sich  eine  verticale  Aehse 
Q  (Fig.  1463  u.  1464),  welche  einerseits  mit  der  Linie,  welche  durch  die  Multi- 
plication des  Electromagneten  E  und  dann  weiter  zur  Fig.  14V3. 
nachsten  Station  geht,  andererseits  mit  der  Erdleitung 
in  Verbindung  steht;  von  der  besproehenen  Biichse  A 
aber  vollkommen  isolirt  ist.  An  der  Achse  Q  ist  der 
Schlitten  S  befestigt,  welclier  wahrend  der  Rotation 
dicht  tiber  die  Deckplatte  des  Geliauses  A  weglauft. 
Wird  eine  Taste  niedergedriickt  und  dadurch  der  ent- 
sprechende Stift  liber  die  Deckplatte  emporgehoben, 
so  beriihrt  ihn  der  Schlitten,  sobald  er  auf  seiner 
Drehung  diesen  Punkt  passirt  und  stellt  zwischen  der 
Achse  Q  und  der  Taste  eine  metallische  Verbindung 
her;  gleichzeitig  wird  aber  auch  beim  Aufsteigen  des 
Schlittens  die  bestandene  Verbindung  der  Achse  Q  zur 
Erde  unterbrochen. 

Sammtliche  Taster  sind  mit  einem  Pole  der 
Linienbatterie  verbunden,  deren  zweiter  Pol  zur  Erdleitung  anschliesst.  So  lange 
also  in  keiner  Station  eine  Taste  niedergedriickt  wird,  ist  zwar;  wie  dies  das  in 
Fig.  1464  dargestellte  Schema  naher  versinnlicht ;  die  Linie  continuirlich  ge- 
schlossen;  aber  kein  Strom  in  derselben  vorhanden;  wird  jedoch  eine  Taste  nieder 
gedriickt,  so  ist  die  Batterie  in  dem  Momente  eingeschaltet  und  wirksam ,  in 
welchem  der  Schlitten  Fig.  1464. 

den "  emporgehobenen 
Tasterstift  im  Vor- 
beigehen  streift.  Die 
Schlittenachse  Q  wird 
von  einem  durch  Ge- 
wicht  getriebenenUhr- 
werke  in  Rotation  ge- 
setzt  und  macht  circa 
110  Umdrehungen  pr. 
Minute  ;  gleichzeitig 
mit  derselben  wird  l.b.-^~ 
das  Typenrad  a  be- 
wegt.  Dieses  Rad- 
chen  hat  am  Rande 
in  derselben  Reihen- 
folge,  wie  die  Buch- 
stabenstifte  in  der 
Biichse   A   nebenein- 

ander  liegen,  die  entsprechenden  Typen  eingeschnitten,  und  bewegt  sich  in  der 
Weise,  dass  genau  immer  die  Type  jenes  Buchstabens  zu  unterst  sich  befindet, 
welche  dem  Schlitze,  beziehungsweise  jenem  Taster-Contactstift  entspricht,  iiber 
den  im  gleichen  Momente  der  Contactschlitten  hinstreift.  Unter  dem  Typen- 
radchen,  welches  an  seinem  Rande  durch  ein  darneben  angebrachtes  Farbradchen 
immer  mit  der  nothigen  Druckerschwarze  befeuchtet  wird,  lauft  in  einem  Schiffchen 
der  Papierstreifen  p.  Kommt  Strom  in  die  Multiplication,  so  wird.  eine  am  Electro- 
magnet angebrachte  Armatur  n  in  Folge  der  plotzlich  eingetretenen  Aenderung 
im  magnetischen  Zustande  des  Electromagneten  abgerissen  und  dadurch  das 
Schiffchen  mit  dem  Papier  gegen  den  Rand  des  Typenrades  gedriickt  und  dann 
um  eine  Buchstabenbreite  weiter  geriickt.     Denkt    man  sich  nun  in  der  gebenden 


222  Electrische  Telegrafie  (Automat-T.). 

wie  nehmenden  Station  Typenrad  und  Schlittenacb.se  ganz  iibereinstirnmend  bewegt, 
was  durch  eine  genaue  Regulirung  der  Laufwerke  beider  Stationen  erzielt  werden 
kann,  so  wird,  wenn  die  depeschirende  Station  A  z.  B.  die  Taste  x  niederdriickt, 
in  der  aufnehmenden  Station  B  in  dem  Momente  ein  Strom  die  Multiplication 
passiren;  als  der  Schlitten  in  A  den  Schlitz  x  passirt.  Nach  dem  Vorhergesagten 
muss  aber  bei  richtiger  Einstellung  der  Typenrader  in  beiden  Stationen  in  dem 
Momente  der  Stromerregung  gerade  der  Buchstabe  x  zu  unterst  liegen;  in  B 
wird  also  das  durc'i  die  Stromerregung  emporgeschnellte  Papier  den  Buchstaben 
x  abdrucken  und  dann  um  ein  Buchstabenintervall  vorwarts  gezogen.  Sollen  am 
Streifen  Pausen  markirt  werden,  so  driickt  der  Telegrafist  eine  besondere  Taste 
nieder,  fiir  welche  am  Typenrad  keine  Type  eingeschnitten  ist;  der  Streifen  wird 
bei  dieser  Taste  also  keinen  Abdruck  erzeugen,  sondern  nur  vorwarts  riicken. 
Die  hier  nur  im  Principe  gekennzeichneten  Bestandtheile  des  Hughes'schen 
Apparates  sind  sehr  complicirt,  aber  audi  hochst  genial  ausgeftihrt  und  ermogliehen 
die  staunenswerthe  Leistung  von  150  Buchstaben  oder  25  Wortern  in  der  Minute. 

Die  Copir-,  Auto-  und  Pan-Telegrafen  ')  telegrafireu  Handschriften, 
Zeichnungen  u.  s.  w.  Sie  beruhen  im  Allgemeinen  darauf,  class  auf  eine  leitende 
Platte  mit  einem  nicht  leitenden  Materiale  das  Telegramm  oder  die  zu  telegraiirende 
Zeichnung  geschrieben,  beziehungsweise  anfgezeichnet  wird.  Ist  diese  Platte  mit 
einem  Pole  einer  Batterie  verbunden  und  wird  mit  einem  Metallgriffel,  welch er 
mit  dem  anderen  Pol  dieser  Batterie  in  leitender  Verbindung  steht,  iiber  die  Platte 
hin-  und  hergefahren,  so  wird  der  Stromkreis  offenbar  abwechselnd  geschlossen 
oder  unterbrochen,  je  nachdem  der  Griffel  tiber  die  isolirende  Sclirift  oder  iiber 
die  leitende  Platte  gleitet.  Denkt  man  sich  in  den  Schliessungskreis  den  Empfangs- 
apparat  einer  zweiten  Station  eingeschaltet  und  diesen  so  eingerichtet,  dass  bei 
ihm  ein  Schreibstift  die  ganz  gleichen  Bewegungen  macht  wie  der  Griffel  in  der 
Aufgabsstation  und  dabei  jedesmal  ein  Zeiehen  auf  ein  Papierblatt  hervorbriugt, 
sobald  Strom  in  die  Linie  kommt  oder  umgekehrt,  so  muss  das  Ensemble  der 
erzeugten  Zeiehen  endlich  eine  complette  Nachbildung  der  Originaldepesche  geben. 
Die  Hauptbedingung  fiir  solche  Apparate,  aber  auch  ihre  Hauptsehwache,  ist  also 
der  Synchronismus  der  Apparate  in  der  Abgabs-  und  Ankunftsstation.  Das  Hervor- 
rufen  der  Zeiehen  wird  zumeist  auf  electrochemischem  Wege  erzielt,  wie  bei  den 
Copirtelegrafen  des  Bain,2)  B  a  eke  well,3)  Charles,4)  Cros,  4)  Caselli5) 
u.  s.  w.,  oder  auf  electromagnetisch-mechanischem  Wege,  wie  bei  jenen  von 
Hipp,4)  Lenoir,4)  Mayer,'1)  d'Arlin court7)  etc.  So  interessant  und  ingenios 
diese  Telegrafen  sind,  haben  sie  keine  oder  doch  nur  ephemere  Anwendung  in 
der  Praxis  gefunden.  Im  Jahre  1865  war  Casellis  System  auf  der  Route  Paris- 
Marseille  und  Paris-Lyon  in  Anwendung,  indessen  wurde  dasselbe  1866  durch 
Mayer's  Pantelegraf,  der  auf  der  Strecke  Marseille-Bordeaux  Eingang  fand,  vor- 
iibergehend  verdriingt. 

Autom at-Telegr af en  sind  solche,  bei  welchen  die  zeichengebenden  Strom- 
impulse  nicht  direct  mit  der  Hand  rhytmisch  abgegeben,  sondern  die  Depeschen 
erst  auf  einem  Vermittlungsapparate  vorbereitet  werden.  Sie  theilen  sich  ein  in 
solche,  bei  welchen  die  Depeschenabgabe  im  Sendapparate  mittelst  Typen,  welche 
in  langen  Schienen  eingesetzt  sind,  geschieht,  dann  in  solche,  bei  welchen  dies 
mittelst  durchlocherten  Papierstreifen  bewerkstelligt  wird,  und  endlich  in  solche, 
bei  welchen  das  Vorbereiten  der  Depesche  und  das  automatische  Abtelegrafiren 
ein  einziger  Apparat  in  Ausfiihrung  bringt.  Die  erstere  Art  ist  schon  bei  dem 
Morse'schen  Apparatsysteme  erwahnt  worden  und  findet  ihre  wichtigsten  Ver- 
treter  in  dem  magnetoelectrischen   Typenschnellschreiber  von  Siemens-Hals ke 

l)  Dr.  Zetzsche,  Die  Copir-  u.  Typendrucktelegrafen,  Leipzig  1865. 

a)  Mech.  Mag.  1850,  pag.  83;  Dingier'  polyt.  Journ.  117,  pag    40. 

3)  Mech.  Mag.  V.,  50,  pag.  544;  Diugler's  polyt.  Journ.   119,  pag    75. 

*)  Zetzsche,  Katechismus. 

s)  Schellen,  V   Absch.,  II,  §.  217. 

ti)  Bulletin  d.  1.  Societe  de  Mulhouse  XL,  pag.  197;  Dingler's  polyt.  Journ.  124,  pag.  488. 

')  Dingler's  polyt.  Journ.,  Bd.  212,  pag.  295. 


Electrische  Telegrafie.  223 

und  in  deren  Typenschnellschreiber  fur  Batteriestrom. ')  1846  machte  Bain 
seine  ersten  Versuche,  die  Morse-Punkte  und  Striche  in  einen  Papierstreifen  zu 
stanzen,  der  dann  zwischen  einer  Walze  und  Feder  durcligefiihrt  wurde.  Die 
Rolle  war  mit  dera  Batteriepol,  die  Feder  mit  der  Linie  verbunden,  und  sobald 
ein  Loch  des  Papierstreifens  die  Rolle  passirte,  konnte  die  Feder  in  Contact  treten 
und  Stromirapulse  erzeugen.  Nach  diesem  Principe  sind  auch  die  Automattelegrafen 
von  Siemens,2)  Schneider,  Lacca,  G  a  s  p  o  r  i , 3)  Little,4)  3 a i t e 5) 
und  Wheatstone6)  construirt,  unter  welchen  wieder  hauptsachlich  der  letzt- 
genannte  beim  Staatstelegrafen  in  England  eine  vorziigliche  Anwendung  findet. 
Sowohl  der  Si  em  ens'sche  als  Wheats  ton  e'sche  Automattelegraf  liaben  nach- 
stehende  Hauptapparate :  Der  Mittellochschreiber,  ein  Stanzapparat,  welcher 
den  Streifen  mit  einer  Reihe  in  gleichen  Intervallen  von  einander  stehenden  und 
in  der  Mittellinie  des  Papieres  laufenden  Lochern  versieht.  Diese  Locher  haben 
den  Zweck,  den  Papierstreifen  zum  Bearbeiten  auf  dem  zweiten  Apparate,  dem 
Han  dsch  rift  locher  geeigneter  zu  machen.  Der  Handschriftlocher  ist  ein 
Stanzapparat,  mit  dem  nun  die  Schriftzeichenlocher  erzeugt  werden,  u.  zw.  beim 
Siemens'schen  in  einer  Reihe,  beim  Wheatstone'schen  in  zwei  Reihen.  Die 
auf  diese  Weise  vorbereiteten  Streifen  kommen  nun  in  den  eigentlichen  Greber, 
das  sind  Walzwerke,  welche  wieder  so  eingericktet  sind,  dass  Strome  in  die  Linie 
entsendet  werden,  sobald  ein  Schriftloch  passirt,  und  diese  Strome  bringen  in  der 
Aufnahmsstation  am  Schreibapparate,  der  ein  hochst  leicht  beweglicher,  polarisirter 
Farbschreiber  (Morse)  ist,  die  entsprechenden  Schriftzeichen  hervor.  Durch  die 
colossale  Geschwindigkeit,  die  mit  solchen  Apparatsystemen  erzielt  werden  kann, 
ist  der  Aufwand  von  Vorarbeiten  leicht  hereingebracht.  Eine  Abart  dieses  Sy- 
stemes  ist  das  von  Dumoulin-Froment, 7)  bei  welchem  statt  Papierstreifen 
Staniolstreifen  und  statt  der  gestanzten  Locher  mit  Lack  gemalte  Zeichen,  jedoch 
mit  wenig  Erfolg  verwendet  wurden.  Der  neueste  automatische  Telcgraf  ist 
der  Si  em  ens'sche  Dosen  -  Schnellschriftgeber.  8)  Er  erfilllt  beide  Functioned 
namlichdas  Vorarbeiten  und  Abtelegrafiren  der  Schriftzeichen  mittelst  eines  einzigen 
Apparates.  Die  Idee  zu  diesem  Apparate  gab  v.  Hefner- Alt  en  eck,  die  Aus- 
fiihrung  ist  von  Siemens.  Der  Dosenschnellschriftgeber  hat  seinen  Namen  von 
einer  dosenartigen ,  sich  sprungweise  auf  einer  horizontalen  Achse  drehenden 
Trommel,  die  an  ihrem  ganzen  Umfange  mit  dicht  neben  einander  liegenden  Stiften 
besetzt  ist,  welche  die  zur  automatischen  Beforderung  nothigen  Typen  dadurch 
bilden,  dass  eine  bestimmte  Anzahl  derselben  durch  das  Niederdriicken  je  einer 
einzigen  Taste  verschoben  wird.  Solche  Taster,  knopfformige  Drucker  sind  zu- 
sammen  49  vorhanden  und  treppenartig  in  7  Reihen  auf  einer  pultartigen  Tastertur 
untergebracht.  Jede  Taste  entspricht  einem  Schriftzeichen ;  ihre  Reihenfolge  ist 
so  getroffen,  dass  die  am  haufigsten  vorkommenden  sich  besonders  leicht  und 
bequem  greifen  lassen.  Das  Niederdriicken  eines  jeden  Driickers  bringt  am 
Empfangsapparat  den  entsprechenden  Buchstaben  in  Morse-Schrift  hervor.  Der 
Empfangsapparat  kann  ein  leicht  beweglicher  Farbschreiber  ^sein.  Es  kann  auf 
diesem  Apparate  ein  routinirter  Telegrafist  ohne  Schwierigkeit  5  Tasten  hinter 
einander  in  1  Secunde  greifen ;  ist  der  Mechanismus  dem  entsprechend  eingestellt, 
so  sind  das  300  Schriftzeichen  in  der  Minute.  Nimmt  man  den  mittleren  Bedarf 
per  Depesche  mit  200  Schriftzeichen,  so  entsprache  das  einer  Leistung  von  90 
Depeschen,  das  Doppelte  der  mittleren  Hughesleistung.     Die  praktischen  Versuche 


')  Dub,  Anwendung1   d.  E.-Magt.    2.  Aufl.  pag.  524 ;    Z  e t z s c h e's  Gescliiehte    d.  Telegrf. 
pag.  46. 

2)  Anwendung  d.  E.-Mgt.  pag.  572;  Zetzsche's  Geschiclite  der  Telegrf.  pag.  44;  Brix's 
Journ.  XIV  pag.  139. 

3)  Dub,  pag.  579. 

f)  Dr.  Lean  der  Ditscheiner,  Ausstellungsbeiicht,  pag.  36. 

5)  D  ingle  r's  polyt.  Journ.  Bd.  214  pag.  446. 

6)  Dingler's  polyt.  Journ.  Bd.  216  pag.  219. 

7)  Dingler's  polyt.  Journ.  Jahrg.  1867. 

%)  Ditscheiner,  Ausstellungsbericht  pag.  32;  Zetzsche's  Gescliiehte  pag.  48. 


224 


Eleetrische  Telegrafie  (Gegensprechen). 


rait  diesem  Apparate  auf  cler  Linie  Berlin -Breslan  haben  jedoch  gezeigt,  dass  die 
oben  berechnete  Leistung  nicht  zu  erzielen  ist,  sondern  eben  nur  eine  solche, 
welche  liinter  der  des  Hughes'schen  Apparates  nicht  zuruckbleibt.  Ein  anderer 
von  Siemens  constrnirter  Autoraattelegraf  ist  der  Kettenschnellschriftgeber, ') 
welcher  die  Steinli  eil'schen  Schriftzeichen  (Pnnkte  in  zwei  Reihen)  schreibt, 
nnd  der  Sclmelldrucker. ")  Letzterer  ist  ganz  ahnlich  dem  Dosenschnellschrift- 
geber,  niir  dass  bei  ihm  die  Zeichen  in  Typenschrift  hervorgerufen  werden. 

Die  Doppel-  und  Gegensprech  -  Telegrafen.3)  Darunter  sind 
jene  Systeme  verstanden,  welche  die  gleichzeitige  Beforderung  zweier  Depeschen 
auf  einem  und  demselben  Draht  entweder  in  gleicher  (D  o  p  p  e  1  s  p  r  e  c  h  e  r)  oder  in 
entgegengesetzter  (Gegensprech er)  oder  auch  in  gleicher  und  entgegengesetzter 
Richtung  gleichzeitig  gestatten.  Das  erste  dieser  Telegrafensysteme  wurde  von 
Dr.  Willi  elm  Gintl, 4)  osterr.  Telcgrafendirector,  im  Juni  1853  erfunden,  nach 
ihm  haben  Kramer,5)  Dr.  Nedden,  Rystor,  Schreder,")  F  risen  en,7) 
Siemens,  Dr.  Stark,  Edland,  Kohl,8)  Mar  on, 3)  Schaak.10)  und  andere 
Doppel-  und  Gegensprechtelegrafen  construirt.  Das  von  Gin  tl  zuerst  angewendete 
Schema  fiir  Gegensprechtelegrafen  ist  das  in  Fig.  1465  dargestellte.  Der  Taster, 
welcher  spater  in  einen  einhebeligen  mit  5  Contacten  umgeandert  wurde,  hatte 
urspriinglich  zwei  Hebelsarine,  die  durch  Vermittlung  eines  isolirenden  Querstiickes 
steif  verbunden  waren  nrd  mittelst  einem  auf  diesem  Querstiicke  festsitzenden 
Knopfe  ganz  gleichzeitig  niedergedriickt  werden  konnten.  Das  Relais  hat  eine 
doppelte  Multiplication,  wovon  die  Enden  der  inneren  aus  diinnerem  Draht  her- 
gestellten    zur   Leitung    und    zum    Tasterlager    V}    die   Enden    der    ausseren    aus 

Fig.  146o. 


Gintl's  Schema  zum  Gegensprechen. 
starkerem  Draht  bestehenden  zum  Tasterlager  I  und  zu  einem  Pol  der  Ausgleichs- 
batterie  anschliessen.  Die  iibrigen  Verbindungen  sind  in  der  Zeichnung  ersichtlich 
und  zeigen,  dass,  so  lange  der  Taster  in  der  Ruhelage  ist,  die  Linie  direct  iiber 
die  innere  Multiplication  weg  und  durch  den  vorderen  rechtseitigen  Tasterhebel 
in  die  Erde  gelangt.  Wird  der  Doppeltaster  niedergedriickt,  so  ist  erstens  die 
Linienbatterie  eingeschaltet  und  ein  Strom  wird  in  die  Leitung  entsendet.  Dieser 
Strom  kann  jedoch  nur  das  Relais  der  Station  B  und  nie  auch  das  der  Station  A 


J)  Zetzsche's   Geschichte  der  Telegrf   pag.  53. 

'-')  Zetzsche,  Geschichte  d.  Telegrf.  pag.  54;  D i t s c h e i n e r,  Ausstellungsbericht  pag.  35. 

3)  Dr.  Zetzsche,  Zeitschrift  f.  Math.  u.  Physik,  10.  Jhrg.,  Heft  3  bis  5. 

*)  Brix's  Journ.  II  pag.  25. 

s)  Brix's  Journ    III  pag.  4. 

6)  Brix's  Journ.  VII  pag.  85    u.  258:  Zetzsche,  die  Cop.-  u.  Typ.-Tlgrf.,    Lpzg.   1865. 

7)  Brix's  Journ.  IX  pag.  241. 

8)  Brix's  Journ.  IX  pag.  76. 

9 1  Brix's  Journ.  X  pag.   1  u.   125. 
10)  Brix's  Journ.  X  pag.  5  u.  240. 


Electrische  Telegrafie.  225 

magnetisiren,  weil  in  letztei-er  durch  das  gleichzeitige  Niederdriicken  der  beiden 
Tasterhebel  audi  die  Ausgleiclisbatterie  geschlossen  wird',  deren  Strom  iiber  die 
aussere  Relaisraultiplication  lauft.  Die  Starke  der  Ausgleiclisbatterie  und  die 
Multiplicationswindungen  sind  aber  so  bemessen,  dass  die  magnetiscbe  Wirkung 
des  Ausgleichsstromes  eben  so  stark  wie  die  des  Linienstromes,  jedoch  entgegen- 
gesetzt  polarisirt  ist.  Wenn  also  audi  in  beiden  Stationen  die  Taster  zur  selben 
Zeit  niedergedriickt  wiirden,  so  kann  dock  immer  nur  das  Relais  vom  f'remden 
Strom e  afficirt  werden,  niemals  vom  eigenen,  und  das  gleicbzeitige  Hin-  und  Zuriick- 
telegrafiren  ist  biedurch  also  errnoglicht,  gleichgiltig,  ob  die  Linienbatterien  gleicb 
oder  entgegengesetzt  orientirt  sind.  Dieses  System  hat  durch  Grintl  selbst  nnd 
seine  Nachfolger  mannigfache  Abanderungen  und  Verbesserungen  erfahren. 

Die  Doppelsprecher  basiren  darauf,  dass  in  der  Sprechstation  mit  zwei 
Tastern  Strome  ungleicher  Starke  entsendet  werden,  und  dass  die  Relaie  in  den 
Aufhahmsstationen  so  eingerichtet  sind,  dass  das  eine  nur  durch  den  schwacheren, 
das  zweite  nur  durch  den  starkeren  Strom  thatig  gemacht  werden  kann.  Systeme, 
wo  das  Doppelsprechen  mit  dem  Gegenspreclien  vereinigt  ist,  haben  zuerst  Dr. 
Stark,  dann  Dr.  Bosocha,  Telegrafeninspector  Mar  on  etc.  construirt.  In  der 
Praxis  haben  alle  diese  Doppel-  und  Gegensprechtelegrafen  trotz  ihrer  eben  so 
richtigen  als  ingenieusen  Conception  bisher  wenig  Ausniitzung  gefunden,  weil  das 
denselben  characteristisch  anhaftende  Bediirfniss  der  steten  Stromausgleichung, 
besonders  bei  schlecht  gebauten  Linien,  die  Vortheile  des  Systems  arg  beein- 
trachtigt.  Erst  in  neuerer  Zeit  fanden  sie  wieder  Anwendung,  u.  zw.  besonders 
in  England  und  Amerika.  Die  jiingeren  Gegensprechsysteme  J)  sind  von  Vans, 
Steares,  Pracce,  Winter  etc.,  allein  selbe  dlirften  kaum  vollkommener  sein 
als  die  alteren,  und  wenn  die  Versuche  damit  sich  gitnstiger  herausstellten,  so  ist 
dies  wohl  nur  darauf  zuriickzufiihren,  dass  jetzt  der  Linienbau  bedeutend  besser 
und  das  Personale  geschulter  und  getibter  i&t,  als  dies  vor  20  Jahren  der  Fall  war. 

Entwicklung.  Die  electrische  Telegrafie  ist  erst  spat  in  die  Reihe  der  Weltver- 
kehrsmittel  eiugetreten,  ran  so  rascher  liat  sie  jedoch  ihren  Entwicklungsgang  dnrchgemacht, 
und  um  so  grosser  miissen  die  Erfolge  genannt  werden,  welche  in  verhaltnissmassig  kurzer 
Zeit  auf  diesem  Felde  errungen  wurden. 

Die  friiheste  literarische  Notiz  iiber  die  Idee  einer  electrischen  Telegrafie  findet  sich 
1753  in  Scot's  Magazin, 2)  15.  Band,  pag.  73,  obwohl  schon  1727  Stephen  Gray,3)  1735 
bis  1737  Du  Fay,4)  1746  Benjamin  Franklin5)  in  Philadelphia  und  Professor 
Winkler6)  in  Leipzig  Versuche  gemacht  hatten,  die  Electricitat  in  Bezug  auf  ihre  Fort- 
pflanzungsfahigkeit  zu  priifen  und  zur  Versendung  einzelner  Signale  auf  grossere  Distanzen 
auszuniitzen. 

Im  Jahre  1774  hatte  Lessaye7)  in  Genf  bereits  einen  electrischen  Apparat  zusammen- 
gestellt,  welcher  auf  24  Drahten,  wovon  jeder  einem  Buchstaben  des  Alphabetes  entsprach, 
durch  das  Einschalten  einer  Leidnerflasche  die  Entladungsfunken  erzeugte  und  dadurch  den 
gewiinschten  Buchstaben  signalisirte. 

Eeusser8)  suchte  diese  Idee  1794  weiter  zu  entwickeln.  Ausserdem  hatten  Cavallo, 
Salva,  Betancour9)  iihnliche  Versuche  gemacht.  Allein  alle  diese,  so  wie  spateren  auf 
Ausniitzung  der  Reibungselectricitat  basirenden  Systeme  erwiesen  sich  far  die  Praxis  als  un- 
anwendbar,  und  erst  seitdem  die  Hoi  ta'sche  Saule  durch  Dr.  SSmmering  10)  (1S08)  und  der 


')  Zetzsche,  Kritik  der  neuen  tlgri.  Gegensprecher ;  D i n g  1  e r's  poly t.  Joiirn.  CCXI pag.  111. 

2)  The    Common  Wealth.    1854;    Zeitschrift   des    deutsch-osterr.    Telegr.-Vereines    1.  Jhrg. 
pag.  93;  Zetzs die's  Handbuch  I  pag.  21. 

3)  Robert  Sabine,  the   hystory  and  progress    of  the  elect,  tlgrph.  2.  Aufl.  1869  pag.  3. 

4)  Robert  Sabine  pag.  4;  E.  Higthon,  London  1869  pag.  3. 
"')  Zetzsche,  Handbuch  d.  electr.  Telegrf.  Band  I  pag.  15. 

")  Zetsche,  Handbuch  I  pag.  15. 

')  Moigno,  Telegrph.  electrique  pag.  59. 

8)  Lichtenb erg's  Magazin,  Bd.  9  pag.  183;  Kohn,  Electricitatslehre  pag.  825. 

9)  Gauss  u.   Weber,  Resultate  aus  den  Beobachtungen  des  magn'etischen  Vereines  1837 
pag.  14. 

,0)  Dingle  r's  polyt.  Journ.  67  pag.  388. 

Karmarscli  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.    Bd.  III.  15 


226  Electrische  Telegrafie  (Geschichtliches). 

Magnetinductor  durcli  Ronald  (1816)  als  Electricitatsquelle  in  Gebrauch  kam,  konnte  das 
Problem  der  electrischen  Telegrafie  als  gelost  betrachtet  werden. 

Von  da  arbeiteten  S  c h i  1 1  i g, J)  Beckmann,  L i c h  t e n b  e r  g,  Cooke,2)  O  e r  s t e d t 
(1832)  etc.  an  der  Weiterentwicklung.  1832  wurde  von  Gauss  und  Weber3)  die  erste 
im  Freien  angelegte  Telegrafenleitung  erbaut  und  ein  electrisches  Sprachsystem,  bei  welchem 
die  Nadelablenkung  als  Signalzeicben  beniitzt,  wurde,  zwischen  dem  physikalischen  Cabinet 
der  Gottinger  Universitat  und  der  Sternwarte  eingerichtet.  Damit  \^ar  die  Serie  der  Nadel- 
telegrafen,  welche  spiiter  durch  Steinheil,'')  Wheatstone,  5)  Bain,  Matzenauer, 
Eekling,  Schefcik  u.  s.  w.  verbessert  wurden,  eroffnet  und  alle  ersten  Eisenbahn-  und 
Staatstelegrafen  in  Europa  waren  urspriinglich  mit  diesem  Systeme  oder  mit  Zeigertelegrafen 
verseben.  Letztere  wurden  1816  —  1823  von  Francis  Ronulds  aus  Hammersmith  erl'unden, 
durch  Wheatstone, u)  Fardely,  D  reseller,  Leonhard,  Krome,  Breguet, 7)  Map  pie, 
Froment, 8)  Stohrer, 9)  Siemens  und  Halske10)  etc.  verbessert  und  sind  beute  noch 
in  Anwendung. 

Alle  diese  Systeme  wurden  durch  den  von  Morse11)  1837  in  Amerika  erfundenen 
Schreibtelegrafen  in  den  Hintergrund  gedrangt.  Die  Einfiihrung  des  electrischen  Telegrafen 
begann  nun  in  England  mit  der  1840  von  Cooke  und  Wheatstone  erbauten  39  engl. 
Meilen  langen  Sprechlinie  langs  der  Great- Westernbahn,  in  Amerika  1844  mit  der  8  deutsche 
Meilen  langen,  von  Morse  erbauten  Linie  Washington-Baltimore,  in  Deutschland  1843  mit 
der  von  der  Direction  der  rheinischen  Eisenbahn  bei  Aachen  errichteten  Bahntelegrafenlinie, 
in  Russland  1844  mit  der  Linie  Petersburg-Zansko-Selo,  in  Frankreich  1845  mit  der  Linie 
Paris-Rouen,  in  Oesterreich  mit  der  Linie  Wien-Briinn.  Bayern,  Wiirttemberg  tind  Belgien 
folgten  1846,  Baden  und  Holland  1847,  Sachsen  1850,  Ostindien  1851,  Italien  und  die  Schweiz 
1852,  Schweden  1853,  Spanien  1854,  Norwegen,  der  Kirchenstaat  1855,  Portugal  1857,  Persien 
1859,  Japan  1864  u.  s.  w.  Fur  den  offentlichen  Verkehr,  d.  h.  fiir  die  Beforderung  von  Privat- 
depeschen,  wurden  die  electrischen  Telegrafen  zuerst  1843  in  Amerika,  1845  in  Holland,  1847 
in  Deutschland  (Linie  Bremen-Vogesack),  1848  in  England,  1849  in  Preussen  und  Oesterreich, 
1851  in  Frankreich  und  1854  in  Danemark  etc.  in  Beniitzung  genommen.  In  Bezug  auf  die 
allgemeine  Gestaltung  des  Telegrafenwesens  waren  nachstehende  Phasen  als  besonders  weit- 
tragend  zu  bezeichnen:  Die  Entdeckung  der  Erdleitung  durch  Steinheil  1838,  die  Ent- 
deckung  Director  Gintl's,  class  es  moglich  ist,  auf  einem  Drahte  gleichzeitig  nach  beiden 
Richtungen  zu  telegrafiren  (1853) ;  die  Anwendung  von  Magnetinductionsstromen  zum  Telegrafen- 
betrieb,  wieder  eingefiihrt  durch  Siemens,  nachdem  schon  Gauss  und  Weber  1832  und 
Steinheil  1837  ihre  Telegrafen  damit  betrieben  batten;  endlich  die  Einfiihrung  der  submarinen 
Telegrafenleitungen,  wovon  die  ersten  nennenswerthen  Versuche  von  O'Schangkessy  im 
Huglistrome  (Indien)  aus  dem  Jahre  1839  datiren. 

Die  Apparat-  und  Schaltungssysteme  haben  eine  rasehe  und  glanzende  Entwicklung 
erfahren  und  der  bier  gebotene  Raum  gestattet  nicht  alle  auf  diesem  Gebiete  stattgehabten 
Wandlungen  nominell  zu  registriren.  Als  letzte  Glieder  miissen  nur  noch  erwahnt  werden  die 
Typotelegrafen,  Copir-,  Auto-  und  Pantelegrafen,  die  Gegen-  und  Doppelsprechtelegrafen, 
endlich  die  Automattelegrafen,  die  Multiplextelegrafen  und  die  Ilimit-Telegrafen.  Im  Grossen 
und  Ganzen  hat  unter  den  obigen  Systemen  wohl  nur  der  Hughes'sche  Typotelegraf  eine 
bedeutende  Verbreitung  gefunden  und  im  Laufe  des  letzten  Decenniums  fiir  das  Sprechen  auf 


')  Allgemeine  Bauzeitung  1837  Nr.  52  pag.  410. 

a)  Schafner:  The  Telegraph  manual,  pag.  199 

3)  Pogg.  Ann.  3i  pag.  568;  Gottg.  glsrt.  Anzeiger  1834,   128  Stiick. 

4)  Dingler's  polyt.  Journ.  70  pag.  292. 

5)  Mechanics  Magazine  1839;  Dingler's  polyt.  Journ.  74  pag.  394. 

b)  Gavarret  Telegraph  electqu.  pag.   1.61. 

T)  Telegraphie  electqu.  p.  Gavarret  pag.  114. 

8)  Bulletin    d.  1.  Societe   d'encouragement    1851    pag.    319;    Dingler's    polyt.    Journ.  122 
pag.  37. 

9)  Brix's  Journ.  II  pag.  193. 

J0)  Verhandlung  fiir  Eisenbahnkunde  10.  Marz  1857. 

1J)  Moigno,  Telegr.  elect.  1852  pag.  75 ;  Brix's  Journ.  I  pag.  193;  Schossner,  Eleefcr. 
Tlgrf.  pag.  423. 


Electrische  Telegrafie. 


227 


hinge  Linien    den  Morse    fast  verdrangt,  aber   auch    ihm    ist  ein   iiborlegener  Rival  entstanuen 
in  dem  Wheatston e'schen  Automattelegrafen. 

Die  Thatsache,  dass  derzeit  Europa  mit  Asien  durch  3  Telegrafenlinien,  mit  Amerika 
durch  3  Kabel,  mit  Afrika  durch  4,  bez.  5  Kabel,  ferner  Asien  mit  Australien  durch  1  Kabel 
in  Verbindung  steht,  dass  bereits  ein  Liniennetz  von  623.742  Kilometer  oberirdische  Telegrafen- 
linien mit  1.375596-3  Klmt.  Drahtleiluiigen  und  circa  100000  Klmt.  unterseeische  Leitungen 
die  Welt  umspinnt,  obwohl  die  erste  Anwendung  der  Telegrafen  fur  den  offentlichen  Verkebr 
aus  dem  Jahre  1843  datirt,  liisst  am  deutlichsten  ersehen,  mit  welch1  wunderbaren  Raschheit 
und  in  welcher  colossalen  Ausdehnung  die  electrische  Telegrafie  sich  als  Weltverkehrsmittel 
entwickelt  hat. 

Telegrafen  der  aus  s  creuropaischen  Staaten. 


S  t  a  a  t  e  n 


Leitungren 


Kilometer 


Flacheninhalt 

in 
D  Kilometer 


Einwolmer 


Entfallen  an  Lei- 
tungen Kilometer 


auf  100Q     auf  1000 
Kilometer  Einwolmer 


Egypten 

Brasilien 

Chili      ....... 

Algier 

Canada     .    

Cap  und  Natal    .    .    . 

Ostindien      

Engl.-Australien    .    .    . 

Marocco 

Niederl.  Ostindien    .    . 

Persien 

Cuba 

Tunis 

Verein.  St.  v.  Amerika 


6488 

1600 

1648 

4000 

8800 

1080 

20000 

14736 

360 

4184 

864 

1272 

560 

149200 


559.350 
8,347.515 
343.090 
389.510 
975.260 
548.900 


671.550 

1,454.750 
118.600 
118.250 

9,167.565 


5,000.000 
11,780.000 
2,085.000 
2,921.000 
3,753.000 
760.000 


3,750.000 


4,400.000 


2,000.000 


1-160 
0-019 
0-474 
1-052 
0-909 
0-197 


0-053 

0-059 
1-072 

0-473 
1-628 


1-299 
0-135 
0-781 
1-711 
2-344 
1-421 


0-092 

0-191 
0-928 
0-280 
3-860 


.  teratur.  Deutsche  Liter  at  ur:  Sommering,  Ueber  eine  electrische  Telegrafie, 
Miinchen  1811;  Denkschriften  der  Miinchener  Akademie  1808  u.  1810.  —  Gauss  und 
Weber,  Resultate  aus  den  Beobachtungen  des    magnetischen  Vereines  1836,  Gottingen 

1837.  —  Steinheil,  Ueber  Telegrafie,    besonders    durch    galvanische  Krafte,  Miinchen 

1838.  —  De  reterum  re  telegraphia  1842.  —  Fandely,  Der  electrische  Telegraf  (aus 
dem  Englischen),  Mannheim  1844.  —  D reseller,  Die  electrische  Telegrafie,  Kassel 
1848.  —  Pelcharim,  Der  electr.-magn.  Telegrf.,  Berlin  1848.  —  Vail,  Darstelluug 
der  electr.  Telegrafen  nach  dem  Systeme  d.  Prof.  Morse  (deutsch  v.  G  e  r  k  e),  Hamburg 
1848.  —  Dr.  Adolf  Poppe,  Die  Telegrafie  von  ihrem  Ursprung  bis  auf  die  neueste 
Zeit,  Frankfurt  1848.  —  Schellen,  Der  electr.-magn.  Tlgf.  1850,  6.  Aufl.  1872.  — 
Steinheil,  Beschreibung  und  Vergleichung  der  galv.  Tlgf.  Deutschland's,  Miinchen 
1850.  —  Josef  Buerbaum,  Die  electro-magnet.  Telegrf.,  Berlin  1851.  —  Gerke, 
Der  practische  Telegrafist,  Hamburg  1851.  —  W.Siemens,  Darstellung  der  mit  unter- 
irdischen  Leitungen  in  Preussen  gemachten  Erfahrungen,  Berlin  1851.  —  L.  B  e  r  g  m  a  n  n, 
Die  Telegrafie,  Leipzig  1853.  —  Lardner,  Populare  Lehre  von  der  electr.  Tlgrf.,  deutsch 
von  Hardtmann,  Weimar  1856.  —  Galle,  Katechismus  der  electr.  Tlgf.,  Leipzig-  1S59, 
5.  Auflage,  bearbeitet  von  Dr.  E.  Zetzsche,  Leipzig  1873.  —  Fardely,  Der  Zeigertelegraf 
fur  den  Eisenbahndienst,  Mannheim  1856.  --  K  r  i  e  s,  Der  Tlgrf.  als  Verkehrsmittel,  Tubingen 
1857.  —  Vichelmann,  Elemente  der  unterseeischen  Telegrafie  (nach  Delamarche), 
Berlin  i860.  —  Dub,  Die  Anwendung  des  Electromagnetismus,  Berlin  1862,  2.  Aufl. 
1873.  —  Dr.  W.  Sommering,  Der  electrische  Telegraf  als  deutsche  Erfindung,  Frankfurt 
a.  M.  1863.  —  J.  Richter,  Morse's  electro-magnet.  Drucktelegrf.,  Reichenberg  1865. 
—  Dr.  Zetzsche,  Die  Copir-  u.  Typendruck-Telegrf.,  Leipzig  1865. —  M.  M.  Freiherr 
v.  Weber,  Das  Telegrafen-  u.  Signalwesen  d.  Eisenbahnen,  Weimar  1867. —  Ludwig, 
Der  Ban  von  Telegrafenlinien,  Dresden  1870.  —  L.  F.  W.  Rother,  Der  Telegrafenbau, 
Berlin  1870.  —  Ludwig,  Die  Telegrafie  in  staats-  und  privatrechtlieher  Beziehung, 
Dresden  1872.  -  H.  Z  ab e  1,  Der  electrische  Feuertelegraf,  Breslau  1S73.  —  Dr.  Z  e  tz  s  ch  e, 
Kritik  fiber  die  neueren  Gegen-  u.  Doppeltelegrafen,  Augsburg  1874.  —  Lohmaier 
u.  Pohl,  Leitfaden  zum  Selbstunterricht  des  Telegrafenwesens,  2.  Aufl.,  Berlin  1874. — 
Dr.  Zetzsche,  Beitrag  zur  Geschichte  der  electr.  Tlgrf.,  Berlin  1874.  —  Dr.  Lean  der- 

15* 


228 


Electrisclie  Telegrafie  (Eisenbahnsignale). 

Stand    des    Tele  gr  a  feu    in    den    Staaten 


S  t 


Jahr 


Flachen- 
Inhalt 
in 
Quadrat- 
Kilometer 


Gesammt- 
Bevolke- 
rung 
(letzte 
Ziihlung  o. 
Bereckng.) 


Staats-Telegrafen- 
Netz 


Linien 


Drahte 


Kilometer 


Anstalten 


Staats-  Eisenb 
Privat 


Stationen 


Grossbritannien  u.  Irland 

Dannemark 

Norwegen 

Sehwe'ien 

Kussland  (Gesammt)     .    . 

Oesterreicli-Ungarn  .    .    . 

Gebiet  d.  Reichsrathes 

„         d.  ung.  Krone 

Sekweiz 

Deut-(  Eeicks-Tlg.-Gebiet 

sckes  ]  Bayern 

Reich  (  Wiirttemberg     .    . 

Niederlande 

Luxemburg 

Belgien -    .    . 

Frankreick 

Portugal      

Spanien 

Italien 

Grieckenland      

Tiirkei 

Komanien 

Serbien    


1875 
1875 
1875 
1875 
1874 
1875 
1875 
1875 
1875 
1875 
1875 
1875 
1875 
1874 
1875 
1875 
1874 
1873 
1875 
1875 
1875 
1875 
1874  II 


314.950 

38.237 

316.694 

444.846 

21,750.943 

624.045 

300.191 

323.854 

41.418 

449.536 

75.863 

19.508 

32.875 

2.587 

29.455 

528.577 

92.753 

507.036 

296.305 

50.212 

369.257 

121.154 

43.555 


31,845.379 

1,784.741 

1,795.000 

4,383.291 

86,722.000 

35,904.435 

20,394.980 

15.509.455 

2,669.147 

35,850.817 

5,024.832 

1,881.505 

3.767.263 

197.528 

5,253.821 

36,102.921 

4,367.882 

16,798.925 

26.801.154 

1,457.894 

9,791.582 

4,800.000 

1,338.505 


38.850-0 
2780 
7175 
7959-4 

62.35H 

36  262-4 

21.926-0 

14.336-4 
6334 

35.708-4 
7598-5 
2480-6 
3440-4 

290 
4959 

51.615-0 
3317 

11.754 

20.756 
2565 

25.232 
3820-6 

1.461-3 


176.352-7 

3.741 

7.653 

114 

12.405 

110 

19.377-4 

170 

120.522 

715 

108.147-6 

1.341 

59.977-9 

979 

48.169-7 

362 

15.442-6 

892 

132.009-7 

1.945 

19.665-9 

734 

6.236-8 

328 

12.332-5 

159 

445 

16 

21.094 

503 

135.944-5 

2.767 

7.450 

126 

26.728 

196 

62.224 

1.128 

3.165 

60 

48.650 

397 

6.842-4 

83 

2.145-5 

37 

1866 


351 

900 

1758 

1233 

525 

110 

2393 

140 

10 

171 

22 

83 

1499 

10 

26 

825 


Summa .     .  ||372.979      1 1,052.981  ||16.903  1 12204 

Ditsckeiner,  Die  Telegrafenapparate,  officieller  Ausstellungsbericbt,  Wien  1874.  — 
Ludwig,  Der  Reicbstelegrafist,  Dresden  1874.  —  J  oh.  Krall,  Handbuch  des  Tele- 
grafendienstes,  Marburg  1875.  —  Kovacevic,  Betriebsstorungen  oberirdischer  Tele- 
grafenleitungen,  Agram  1875.  —  Dr.  K.  E.  Zetzsche,  Die  Entwicklung  der  automa- 
tiscken  Telegrafie,  Berlin  1875.  —  Dr.  K.  E.  Zetzscke,  Handbuch  der  electrischen 
Telegrafie,  Berlin  1876  (I.  Band  1.  und  2.  Heft,  II.  Band  1.  Heft).  —  Grawinkel, 
Die  Telegrf.-Technik,  Berlin  1876.  —  We.idenbach,  Compendium  der  electr.  Telegrafio, 
Wiesbaden  1877. 

Journale  und  auslandische  Literatur:  Zeitsckrift  des  osterr.-deutscken  Telegrafen- 
vereines  (bezieh.  B  r  i  x  -  Journal)  1854 — 1867.  —  Tke  Telegrapkic- Journal ,  London 
1850.  —  Annal.  telegrapkiques ,  Paris  1855.  —  Journal  telegraphique ,  public  par  le 
bureau  international  des  administrations  telegrapkiques,  Bern  1872.  • —  Vail,  The 
american  Electrotelegraph,  Philadelphia  1847.  —  High  ton,  The  elect.  Telegraph, 
London  1852.  —  L.  Turnball,  The  electric  Telegraph,  2.  Aufl.,  Philadelphia  1853.— 
Schaffner,  The  telegraph  manual,  New-York  1S59.  —  Pressatt,  History  of  the 
telegraph,  London  1859.  —  Robert  Sabine,  The  history  and  progress  of  the  elect, 
telegraph,  London  1869. —  Culley,  handbook  of  practical  telegraphy,  6.  Aufl.  1874. — 
Douglas,  a  manual  of  telegraph  construction,  London  1875.  —  W.  H.  Preece  and 
T.  Sivew right,  Telegraphy,  London  1876.  —  Moigno,  Traite  de  tlgrph.  electrique, 
Paris  1853.  —  Blavier,  Cours  de  telegraph,  Paris  1860.  —  Breguet,  Manual  de 
tlgrph.  electr.,  5.  Aufl.  1861.  —  Glosener,  Traite  general  des  application  de  Electr.,  Paris 
u.  Briissel  1870.  —  Alfred  Etenaud,  Telegraphie  electrique  en  France  et  enAlgerie, 
Paris  1872.  —  Gavarret,  Telegraphie  electr.,  Paris  1872.  —  Blavier,  Nouv.  traite 
de  telegraphie  elect.,  Paris  1876.  —  Du  Moncel,  De  tlgrph.  electr.,  Paris,  3.  Aufl.  1876. 
(Siehe :  Haus-Telegraf  en,  Tele g-rafie.) 

Anhang.  Electrisclie  Eisenbahnsignale  (les  signeaux  electriques  de  chemins 
de  fer  —  the  electric  railway  signed)  shut  jene  mittelst  Electricitat  betriebenen  Vorrichtungen, 
welche  dem  Zwecke  dienen,  bei  Eisenbahnen  den  Verkehr  der  Ziige  zu  sickern,  indem  sie 
durch  leieht  verstandliche,  die  Aufmerksamkeit  lebkaft  erregende,  in  die  Sinne  fallende  Zeicken 
eine  rascke  und  klare  Verstiindigung  der  Baknbediensteten  gestatten. 

Das  vornehmste,  weil  fernwirkendste  und  ausgebildetste  electrisclie  Eisenbaknsignal- 
mittel  ist  der  electrisclie  Sprechtelegraf  (s.  Electr.  Telegrafie).  Eine  Reihe  von  Apparat- 
systemeu  waren  mid  sind  diesfalls  in  Anwendung.    Derzeit  dominiren  in  England  noch  i7nmer 


Electrische  Telegrafie. 
Euro  pa's*)  mit  Anfang  des  Jahres   1876. 


229 


Per- 

sonale 


Appa- 
rate 


Auzabl 


Correspondenz-Verkehr 


inter-      Gebiihren 
national  i  freie  Dienst- 


Zusammen 


Depesclien 


Ein- 
nahmen 


Ausgaben 


ordentliche 


ordentliche 


Gulden  osterr.  Wahr. 


11.605 

11.988 

299 

233 

637 

297 

714 

475 

6.159 

1.754 

4.689 

2.956 

3.354 

1.653 

1.335 

1.303 

1.557 

1.349 

4.610 

4.477 

362 

1.414 

154 

538 

1.082 

379 

34 

26 

1.769 

1.088 

5.410 

5.069 

687 

244 

1.826 

385 

4.302 

3.200 

333 

120 

2.894 

1.240 

988 

212 

255 

52 

18,433.092 

385.282 

486.779 

743.060 

2,900330 

4,473.445 

2,762.311 

1,711.134 

1,846.898 

7,114.095 

792.121 

312.706 

1,601.711 

19.512 

1,929.945 

6.988.832 

244.031 

1.124.239 

4,460.924 

191.523 

491.898 

615.812 

95.002 


2,331.486 
501.635 
248.456 
359.285 
669.276 

1,717.035 

1,398.429 
318.606 
834.486 

3,566.118 
967.845 
472.259 
755.444 
41.498 
941.945 

2,633.031 
167.107 
108.165 
904.978 
52.391 
230.338 
196.212 
56.800 


298.400 

25.393 

46.247 

285.372 

207.935 

613.069 

387.090 

225.979 

68.079 

515.414 

31.807 

123.660 

17.771 

1.799 

1,245.547 

1,360.000 

70.010 

51.503 

205.944 

5759 

448.520 

165.245 

13.374 


21,062.978 

912.310 

781.482 

1,387.717 

3,777.541 

6,803.549 

4,547.830 

2,255.719 

2,749.463 

11,195.627 

1,791.773 

908.625 

2,374.926 

62.809 

4,117.437 

10,981.863 

481.148 

1,283.907 

5,571.846 

249.673 

1,210.756 

977.269 

165.256 


12,766.620 

328.412 

495.451 

782.838 

7,820.924 

3,799.256 

2,755.090 

1,044.166 

823.284 

5,129.265 

525.746 

220.500 

632.486 

14.194 

839.245 

6,402.855 

184.593 

1,037.813 

2,868.610 

145.027 

2,440.279 

292.453 

59.617 


10,414.780 

328.031 

540.516 

739.453 

6,393.394 

5,065.790 

3,571.306 

1,494.484 

728.932 

6,749.214 

504.960 

229.350 

957.651 

18.887 

964.700 

5,445.000 

337.189 

1,567.430 

2,330.364 

171.997 

1,960.264 

1,276.229 

134.595 


91,635.250 
66.412 
354.634 
119.733 
605.120 
229.511 
229.511 

90.137 
1,230.057 

75.138 
66.525 
11.839 
32.071 
428.000 
46.269 

256.000 
15.890 
19.434 
30.461 
11.136 


55.055 1 40.452  j| 

die  Nadeltelegrafen,  am  europaischen  Continent  und  in  Amerika  ist  jedoch  fast  durchwegs 
der  Morse'scbe  Schreibtelegrafirn  Gebrauche.  Nur  die  franzosischen,  belgischen  und 
einige  wenige  deutscbe  Bahnen  haben  audi  noch  Zeigertelegrafen  der  Systeme  Br  eguet 
D  i  g  n  e  y,  K  r  a  m  e  r,  Far  del  y,  Siemens  und  H  a  1  s  k  e  etc.  in  Anwendung. 

Von  besonderem  Werthe  fur  die  Eisenbahnzwecke  sind  die  portativen  Telegrafen, 
welcbe  von  den  Ziigen  mitgefiihrt  werden.  Es  ist  dies  eine  compendios  angeordnete  Apparat- 
gamitur  derselben  Schaltung  wie  die  betreffende  Sprechlinie.  Im  Falle  der  Zug  auf  der  Strecke 
anhalten  muss  und  die  Nothwendigkeit  eintritt,  sich  mit  der  nachsten  Station  zu  verstandigen, 
bringt  der  Zngfiihrer  den  ambulanten  Apparat  in  die  nacbste  Bahnwarterbude,  wo  er  die 
notbigen  Anscblussklemmen  vorfindet.  Durch  die  entsprecbende  Verbindung  dieser  Klemmen  mit 
seinem  Apparat  schaltet  er  letzteren  in  die  Sprechlinie  ein  und  kann  nun  seine  Correspondenzen 
absetzen,  eventuell  auch  solche  empfangen.  Statt  einer  completen  Apparatgarnitur  wird  aucb 
haufig  nur  ein  Automattaster  angewendet.  Dieser  Taster  enthalt  eine  Eeihe  von  Depesclien, 
die  sicb  von  selber  abspielen,  wenn  ein  bestimmter  Knopf  niedergedriickt,  oder  ein  Zeiger 
eingestellt,  endlich  nebstbei  eine  Kurbel  gedreht  oder  eine  Scbnur  angezogen  wird.  Bei  Be- 
niitzung  solcber  Apparate  braucht  also  der  Zugfiihrer  nicht  erst  telegrafiren  zu  konnen,  kann 
aber  auch  keine  Antwort  empfangen. 

Die  elect  rise  hen  Lautewerke  (cloche  lelegraphique  —  electric-signal-hell)  dienen 
dazu,  von  einer  Station  aus  auf_  einen  gewissen  Punkt  der  Strecke  oder  an  alle  Baknwarter 
bis  zur  nachsten  Station  und  vice  versa  Signale  zu  ertheilen.  Es  sind  Glockensclilagwerke, 
die  durch  Vermittlung  von  Electromagneten  zum  Auslosen  gebracht  werden,  wohl  auch  nur 
einfache  Klingel  auf  einzelne  Scblage,  ein  Electromagnet,  dessen  Anker  gleich  den  Kloppel 
tragt,  Klingel  mit  Selbstunterbrechung  oder  Selbstausschaltung,  Klingel  mit  Relais,  endlich 
kleine  und  grosse  Glocken  mit  Uhrwcrken.  Bei  letzterer  Gattung  lassen  sich  noch  solche 
unterscheiden,  bei  welchen  das  Uhrwerk  durch  die  Ankerbewegung  bios  ausgelost  wird,  die 
Riickstellung  aber  durch  eine  Person  bewerkstelligt  werden  muss;  die  also  so  lange  lauten, 
als  dies    letztere    nicht    geschiekt  und    die  Kraft    des  Uhrwerkes    ausreicht;   ferner    solcbe,  bei 


*)  Nachrichten   iiber   Industrie,  Handel   u.  Verkehr   des   osterr.  k.  k.  Handelsministeriums 


230  Electrische  Telegrafie  (Eisenbahnsignale). 

welchen  nach  der  einmaligen  Auslosung  eine  Anzahl  von  Schlagen  abgegeben  werden,  nacli 
welchem  wieder  eine  Selbsteinlosung,  die  Arretiruhg  des  Uhrwerkes  eintritt,  nnd  endlich  solche, 
bei  welchen  die  Einlosung  (Selbstarretinmg)  nach  jedem  Glockenschlage  erfolgt. 

Die  ersterwahnten  Lautewerke  findeh  eine  wichtige  Anwendung"  als  Controlapparate 
fiir  Distanzsignale  aller  Art,  Drehbriicken-  nnd  Tunnelsignale,  zur  Controle  der  Stellung  von 
Zugsschranken,  Weichen  etc.  Sie  werden  an  jenen  Punkten  angebraeht,  wo  man  iiber  die 
richtige  Stellung  einer  der  vorgedachten  S:gnalmittel  oder  Bahnrichtungen  Gewissheit  braucht, 
ohne  dies  der  Entfernung  wegen  durch  den  Augenschein  erreichen  zu  konnen.  An  den  zu 
controlirenden  Signalapparaten  sind  Contactvorrichtungen  angebracht1,  welche  entweder  bei 
der  „Sicherheits-Stellung"  oder  bei  der  „Gefahr" -Stellung  den  Stromkreis,  in  welchem  die 
beziigliclie  Klingel  eingeschaltet  ist,  schliessen,  im  entgegengesetzten  Fall  unterbrechen.  Das 
Lauten  oder  Schweigen  des  Controlklingelwerkes  wild  sonach  die  eine  oder  andere  Stellung 
signalisiren.  Zum  Abgeben  durchlaufender  Streckensignale  werden  nur  Lautewerke  mit  Schlag- 
uhrwerk  und  Selbsteinlosung  beniitzt.  Nachdem  nur  ein  Grundzeichen,  der  einfache  Glocken- 
schlag  vorhanden  ist,  so  ist  die  Zahl  der  ermoglichten  Signalbegriffe  eine  ziemlich  beschrankte, 
uud  steht  dieselbe  im  umgekehrten  Verhaltniss  zur  Deutlichkeit,  beziehungsweise  Sicherheit 
der  Signale. 

In  Deutschland  werden  mit  den  Lautewerken  nur  4  Signale  gegeben*:  Ein  Zug  geht 
ab  in  diese  oder  entgegengesetzte  Richtung  —  eine  Gruppe,  resp.  zwei  Gruppen  von  5  oder 
6  Glocken-chlagen,  „Feierabend",  drei  solche  Gruppen  und  „Alarm"  mehrere  wiederholte  solche 
Gruppen. 

In  Oesterreich-Ungarn  hingegen  werden  9  bis  16  Signalbegriffe  zum  Ausdrucke  gebracht. 

Die  in  Deutschland  angewendeten  Apparate  losen  sich  immer  erst  nach  einer  Gruppe 
von  5  oder  6  Schlagen  wieder  ein,  konnen  mit  Arbeitsstrom ,  z.  B.  mit  Siemens'schen 
Magnetinductoren  betrieben  werden  und  bieten  schon  deshalb  und  der  geringen  Anzahl  der 
Signalbegriffe  wegen  ein  ausserst  werthvolles,  weil  sicheres  Signalmittel. 

In  Oesterreich-Ungarn  ist  durch  die  Anzahl  der  Signale  und  die  verschiedene  Gruppirung 
der  Glockenschlage,  sowie  durch  den  Umstand,  dass  eine  Reihe  der  Glockensignale  vom  Bahn- 
warter  aus  gegeben  werden  muss,  die  Schaltung  auf  Ruhestrom  sozusagen  bedingt,  wenn  auch  (wie 
z.  B.  bei  der  Graz-Koflacher  Balm)  die  Anwendnng  des  Inductors  nicht  absolut  ausgeschlossen  ist. 

Von  den  in  Beniitzung  stehenden  Lautewerkssystemen  waren  anzufiihren:  Kramer,*) 
Siemens-Halske**)  in  mehrfachen  Varianten ,  Scholz,  Leopolder  ,***)  Holub, 
Wensch  u.  s.  w. 

Auf  einigen  schleswig'schen  uud  holsteinischen  Bahnen  sind  electrische  Klingeln  auch 
in  Verbindung  mit  electrisck-optischen  Signalen  als  durchlaufende  Streckensignale  in  An- 
wendung.  Bei  jedem  Streckenwachterhause  befindet  sich  eine  eigene  Signalbude,  in  der  der 
Apparat  aufgestellt  ist.  Diese  bei  Nacht  immer  durch  eine  Lampe  beleuchtete  Signalbude  hat 
an  zwei  entgegengesetzten  "Wanden  viereckige  Fenster  ausgeschnitten,  die  verglast  sind;  die 
Glasscheiben  haben  riickwarts  einen  weissen  Oelanstrich,  so  dass  sie  wie  Milchglas  erscheinen. 
In  der  Mitte  jeder  Scheibe  befindet  sich  eine  Oeffnung  fiir  eine  Achse,  die  vom  Apparat  heraus- 
reicht  und  auf  welchen  ein  schwarz  angestrichener  Zeiger  aus  Blech  anfgesteckt  ist. 

Durch  die  Erregung  des  Electromagneten  im  Apparate  kann  das  Ukrwerk  desselben 
ausgelost  und  der  Zeiger  von  der  Station  aus,  wo  ein  Inductor  als  Stromerzeuger  angewendet 
wird,  von  rechts  nach  links  gedreht  werden,  u.  zw.  bei  jedem  Stromimpulse  urn  90°.  Die 
vier  moglichen  Stellungen  des  Zeigers  geben  eben  so  viele  Signale  und  erliiutern  erstens  das 
mit  der  Klingel  gekommene  allgemeine  Achtungssignal,  und  bedeuten  den  Bahnwarter  noch 
nachtraglich,  dass  ein  und  wofiir  ein  Signal  gegeben  wurde,  wenn  or  auch  das  Lautewerk 
iiberhort  haben  sollte. 

Solche  electrische  Zugsanzeiger  sind  iibrigens  auch  ohne  Verbindung  mit  electrischen 
Klingeln  oder  Lautewerken  in  Anwendung. 

Ein  wichtiges  Glied  in  derReihe  der  electrischen  Eisenbahnsignale  bilden  die  Distanz- 
signale (le  signal  proteeteiir).     Wenn    es    gilt,    einen   bestimmten  Punkt   der  Balm   aus    er- 


f)  S c h e  1 1  e n,  Eleetromagnetiseher  Telegi'af,  4.  Aufl.  pag.  650 ;  Dub,  Die  Anwendung  des 

Electr.  Magnetisnms  pag.   654. 
*)  Schelleu,  Electromagnet.  Telegraf,  4.  Aufl.  pag.  654;  Dub,  pag.  655. 
*)  Oesterr.  Bericht  iiber  die  Weltausstellung  zu  Paris  1867,  Heft  V  pag.   127. 


Electrische  Telegrafie.  231 

heblicher  Feme  zu  decken,  stehen  drehbare  Scheiben  oder  Maste  mit  beweglicben  Armen  in 
Anwendung.  Eine  mit  ihrer  Flache  zum  Geleise  parallel  stehende  Scheibe  oder  der  45°  schrag 
kufwSrts  stenendeArm  des  Mastsignales  bedeutet  „frei",  die  Flache  der  Scheibe  senkrecht  auf 
die  Richtung  des  Bahngeleises  oder  der  wagrechte  Arm  des  Semaphors  bedeutet  „halt". 

Diese  zwei  Signale  A  und  B  sollen  von  dem  zu  deckenden  Punkte  aus  gegeben  werden 
und  wird  hiezu  die  Electricitafr  mit  Vortheil  als  Motor  in  Verwendung  gebracht.  Der  Apparat 
ist  wieder  ein  Laufwerk  mit  Uhrwerk  oder  Echappement  mid  Selbsteinlosung,  das  durch  den 
Anker  eines  temporaren  Electromagnetes  ausgeldst  und  wieder  arretirt  wird.  Jede  Auslosung, 
die  je  nach  der  Schaltung  durch  Stromgeben  oder  Stromunterbrechen  bewerkstelligt  wird, 
andert  die  Stellung  d>js  Signales  von  A  auf  B,  beziehungsweise  umgekehrt  von  B  auf  A. 

Bei  den  electrischen  Distanzsignalscheiben,  welche  fur  die  Stations-Deckung  beniiizt 
werden,  lassen  sich  zwei  wesentlich  von  eiuander  abweichende  Systeme  unterscheiden. 

Wenn  die  Scheibe  bei  Nacht  bios  zweierlei  Liclit,  namlich  nur  weiss  oder  roth  zu  zeigen 
hat,  geniigt  eine  stetige  Bewegung  urn  90°  im  gleichen  Turnus;  soil  aber  die  Scheibe  mehr- 
faches,  namlich  rothes,  weisses  und  grimes  Licht  zeigen,  wie  dies  z.  B.  in  Oesterreich-Ungarn 
vorgeschrieben  ist,  so  wird  eine  Steuerung  nothwendig,  da  sich  die  Scheibe  alternirend  bewegen 
muss,  oder  es  wird  bei  Drehung  nach  einer  Eichtung  abwechselnd  eine  Wendung  um  90,  dann 
wieder  um  270°  nothwendig  sein. 

Unter  den  in  Anwendung  stehenden  Systemen  waren  anzufiihren:  Hipp,1)  Le op  older,2) 
Hohenegger,3)  Langie,1)  Kficik,5)  Kleeblatt,  Schonbach,  Weyrich,  Schaffler,6) 
Rikli, 7)  Teirich,  Rommel  u.  s.  w. 

Electrische  Distanzsignale  sind  fast  stets  in  der  bereits  obengedachten  Weise  mit  Control- 
lautewerken  in  Verbindung  gebracht;  ausserdem  sind  in  die  Controllautewerkslinie  auch  noch 
haufig  electrisch-optische  Control  -  Appnrate  eingeschaltet.  Ein  soldier  Apparat  besteht  aus 
einer  Magnetnadel  mit  einer  entsprechend  reichlichen  Drahtmultiplication,  die  in  einem  Gehause 
untergebracht  ist.  Das  Gehause  hat  eine  verglaste  Oeffnung,  hinter  der  jedesmal  ein  rothes, 
an  der  Magnetnadel  befestigtes  Scheibchen  in  Vorschein  kommt,  sobald  das  Distanzsignal  die 
Contactstellung  eingenommen  hat,  also  in  der  Controlleitung  Strom  vorhanden  und  die  Nadel 
abgelenkt  ist.  Fur  electrische  Deckungssignale ,  welche,  wie  z.  B.  bei  Bahnkreuzungen, 
in  der  Weise  von  einander  in  Abhangigkeit  stehen  sollen,  dass  eines  nie  auf  „frei"  gestellt 
werden  kann,  Avenn  nicht  alle  iibrigen  auf  „halt"  zeigen,  sind  die  Bifurcations- Vorrichtungen 
von  hochster  Wichtigkeit.  Es  sind  dies  bei  Ruhestromsystemen  eigens  angeordnete  Taster  oder 
Schliissel,  welche  vermoge  ihrer  Schaltung  nur  solche  Schliisselbewegungen  zulassen,  durch 
welche  immer  bios  eine  einzige  Signallinie  fur  die  Freistellung  unterbrochen  werden  kann, 
wahrend  die  Linie  einer  etwa  friiher  frei  gestandenen  Scheibe  gleichzeitig  mit  unterbrochen 
und  dadmch  das  Signal  auf  „halt"  umgestellt  wird.  Es  ist  nur  noch  eine  zweite  Schliissel- 
bewegung  moglich,  namlich  jene,  durch  welche  alle  Signalscheiben  auf  „halt"  gestellt  werden. 

Bei  Arbeitsstromschaltiing  muss  fur  die  Bifurcation  zu  jedem  Signale  eine  zweite  Leitung 
vorhanden  sein.  Die  Bifurcationsvorrichtung  ist  in  diesem  Falle  nach  Art  eines  Relais  oder 
Translators  angeordnet. 

Eine  weitere  Unterabtheilung  der  Distanzsignale  sind  die  Tunnel  sign  ale,  welche 
den  Zweck  haben,  die  gleichzeitige  Einfahrt  zweier  Ziige  in  einen  Tunnel  zu  verhiiten  Die 
electrischen  Tunnelsignale  sind  entweder  aut'Wecker,  Glockensignale  oder  Distanzsche  be  ein- 
gerichtet,  welche  eventuell  durch  den  an  der  einen  oder  anderen  Tunnelmiindung  postirten 
Halmwarter  in  Thatigkeit  gebracht  werden  oder  auch  selbst  thatig  wirken. 

Apparate    letzterer    Gattung    hat    z.    B     die    franzosische    Nordbahn 8)    in    Anwendung. 


')  Teclmische  Mittheilungen,  Or  ell  Fiissli  &  Comp.,  Zurich  1877. 

2)  Oesterr.  Bericht  iiber  die  Weltausstellung  zu  Paris  1867,  Heft  V  pag.   119. 

J)  Zeitschrift  des  osterr.  Ingenieur-  u.  Architekten-Vereins,  Bd.  XXII  pag.   103 ;  Organ  f. 

d.  Fortschritt  d.  Eisenbahnwesens,  Bd.  VIII  pag.   176. 
4)  Technische  Blatter,  Jahrg.  1873  pag.  228. 
s)  Dingle r's  polyt.  Journal  1876,  Bd.  222   pag.  59. 
6>  Organ  f.  Eisenbahnwesen  1875  Heft  VI;    Die  Eisenbahn-Stations-Deckungssignale    von 

Schaffler,  Selbstverlag,  Wien  1876. 
7)  Zeitschrift  des  osterr.  Ingenieur-  u.  Architekten-V(;reins,  Jahrg.  XXIV  pag.  307. 
s)  Oesterr.  Bericht  iiber  die  Weltausstellung  in  Paris  1867,  Heft  V  pag.   121. 


232  Electrische  Telegrafie  (Eisenbalmsignale). 

Sobald  der  Zug  in  den  Tunnel  einfahrt,  wird  durch  ein  am  inneren  Kand  der  Schiene  ange- 
brachtes  Pedal,  auf  welches  das  Rad  der  Zugsmascliine  beim  Voriiberfahren  driickt,  der  Strom- 
kreis  geschlossen,  welcher  ein  Glockenschlagwerk  am  Tunneleingang,  sowie  ein  zweites  bei 
der  zweiten  Tunnelmiindung  in  Thatigkeit  versetzt.  So  lange  das  Lauten  der  gedachten 
Glockenapparate  ankalt,  ist  jedem  Zuge  die  Einfahrt  in  den  Tunnel  verboten.  Dieses  Lauten 
halt  aber  so  lange  an,  als  ein  Zug  im  Tunnel  ist,  und  hbrt  erst  dann  auf,  wenn  durch  das 
vorderste  Ead  der  Maschine  ein  zweites  Pedal  niedergedriickt  und  der  Strom  wieder  unter- 
brochen  wurde.  Die  dabei  angewendeten  Pedalschlussel  sind  Blasbalg-Contactunterbrecher 
(comutateur  h  soufflet). 

In  ahnlicher  Weise  kommen  fiir  die  Deckung  besonders  wichtiger  Bahnpunkte  oder 
fur  die  Zugsdeckung  auch  selbstthatige  Scheibensignale  in  Anwendung,  sowohl  fiir  die  Deckung 
auf  Zeit  als  auf  Eaumintervalle. 

Die  ersteren  sind  in  der  Weise  eingerichtet,  dass  der  voriiberfahrende  Zug  den  Strom 
schliesst  oder  unterbricht  und  dadurch  die  Armatur  des  Electromagneten  der  Scheibe  auslost, 
in  Folge  dessen  sich  letztere  auf  „ halt"  stellt.  Eine  in  den  Stromkreis  geschaltete  Uhr  scliliesst 
oder  unterbricht  nach  dem  gegebenen  Zeitintervall  (5,  10  oder  s  Minuten)  den  Stromkreis 
neuerlich,  worauf  der  Electromagnet  wieder  ausgelost  und  die  Scheibe  auf  „frei"  zuriick- 
gestellt  wird. 

Selbstthatige  Deckungssignale  auf  Eaumintervalle  werden  in  gleicher  Weise  auf  „halt" 
gestellt,  wahrend  die  Freistellung  auch  wieder  durch  den  Zug  selber  erfolgt,  indem  das  Ma- 
schinenrad  desselben  an  einer  entsprechend  weit  entfernten  Gleisstelle  wieder  einen  zweiten 
Pedalcontact  niederdriickt,  wodurch  die  zweite  Auslbsung  des  Electromagneten  der  Scheibe, 
also  deren  Eiickstellung  auf  „frei"  erfolgt. 

Ein  in  der  Schweiz  mehrfach  in  Verwendung  stehendes  solches  Signalniittel  ist  das 
von  Dr.  Hipp1)  construirte,  welches  aus  einem  auf  einer  Saule  ruhenden  quadratformigen 
Eisenrahmen  besteht,  in  welchem  sich  zwischen  zwei  Glasspiegeln  jalousienformige  Blechstreifen 
offnen  oder  schliessen  und  dadurch  die  Signale  geben.  Die  Bewegung  der  Jalousien  geschieht 
durch  ein  Uhrvverk  mit  Selbsteinlosung,  das  durch  den  electrischen  Strom,  beziehungsweise 
den  Electromagneten  ausgelost  wird. 

Anzufiihren  sind  ferner  die  selbstthatig  wirkenden  electrischen  Deckungssignal-Systeme : 
Lenoir,  Brequet,  Guillaume  (franzosische  Ostbahn),  Verite  (franzosische  Nordbahn), 
F  r  a  g  n  e  a  u,  d  e  F  o  r  e  s  t  a  2)  etc. 

Wenn  Deckungssignale  an  der  ganzen  Balmstrecke  in  bestimmten  Distanzen  von  einander 
aufgestellt  und  so  von  einander  in  Abhangigkeit  gesetzt  sind,  dass  sie  irnmer  nur  erst  dann 
dem  Zuge  die  Einfahrt  in  die  betreffende  Theilstrecke  gestatten  konnen,  wenn  kein  zweiter 
Zug  sich  mehr  in  derselben  befindet,  so  heisst  diese  Anordnung  ein  Blocksignalsystem. 
Die  ersten  solcher  Signale  hat  1843  Cooks3)  angegeben  und  bei  der  Eastern-Coutics- 
London-Chatham-  und  Dover-Balm  zur  Anwendung  gebracht.  Er  beniitzte  fiir  seine  Systeme 
einen  einfachen'  Nadeltelegrafen.  Die  nach  rechts  axisschlagende  Nadel  bedeutete  „Strecke 
besetzt",  die  nach  links  ausschlagende  „Strecke  frei". 

Regnault'1)  fiihrte  1847  auf  der  franzosischen  Westbahn  Blocksignal-Apparate  ein, 
die  im  Wesentlichen  nach  den  Principien  des  Wheat stone'schen  Nadeltelegrafen  construirt 
waren.  Cook's  System  wiu-de  durch  Clark5)  wesentlich  verbessert  und  auf  der  London- 
und  North-AYestem-Balm  eingefiilirt,  wo  es  durch  15  Jahre  in  Anwendung  blieb. 

Weitere  solche  Systeme  sind  von  Walker  6)  (alt  und  neucres),  von  T  y  e  r  d  c  D  a  1 1  o  n, 7) 


J)  Oesterr.  Bericht  iiber  die  Weltausstellung  in  Paris  1867,  Heft  V  pag.  120 ;  Dr.  Schmitt 

Signalwesen  pag.  353. 
J)  Organ  f.  d.  Fortschritt  d.  Eisenbahnwesens,  Bd.  V  pag.   173. 
3)  Dr.  Schmitt,  Signalwesen  pag.  317. 
*)  DuMoncel,  App.  deL'Elct.  Ilpag.  155;  Gavarret,  Teleg.  elect,  pag.  221 ;  Glasener, 

App.  de  L'Elct.  I  pag.  291;  Dub,  Electromagnetisnms  pag.  662. 
r')  Dr.  Sell  mitt,  Signalwesen  pag.  319. 

")  Kosraos,  1857  pag.  420;  Brix's  Journal  IX  pag.  5;  Dub,  Electr.  Mgnts.  661. 
7)  Dingler's  polyt.  Journ.  Bd.  217  pag.  468;  Dr.  Schmitt,  Signalwesen  pag.  322. 


Electrische  Tclcgrafie.  233 

Bartolomew,1)  Highton  unci  Spagndletti, 2)  MLargfoy,3)  Preece,1)  Siemens- 
Hals  ke,5)  Wiesenthal,  Kricik  u.  s.  w. 

Am  verbreitetsten  darunter  ist  das  Preece'sche  System.  Jede  Preece'sche  Block- 
station  enthalt : 

«)  einen  kleinen  electrischen  Semaphor,  dcr  nur  von  der  Nacbbarstation  gestellt  und 
dessen  Stellung  in  der  Station  selbst  nicbt  geitndert  werden  kann; 

b)  eine  Tastervorriehtung  zum  Stellen  des  Nachbarsemaphors ; 

c)  einen  optiscben  Controlapparat,  der  die  gleicbe  Stellung  zeigt  wie  der  Nachbarsemaphor  ; 

d)  ein  Lautewerk,  das  von  der  Nacbbarstation  in  Tbatigkcit  versetzt  werden  kann,  endlicb 

e)  einen  Taster,  welcber  dazu  dient,  das  Lautewerk  der  Nacbbarstation  thiitig  zu  machert. 
Zum  Betriebe    dieser  Apparate    sind    drei  Leitungen    vorhanden,    zwei    dienen   zur  Ver- 

biudung  des  Semaphore  unci  dazu  gehorigen  Tastervorriebtungen,  unci  in  der  dritten  sind  die 
Controlapparate,  sowie  die  Lautewerke  und  dazu  gehorigen  Taster  eingeschaltet.  Die  Hand- 
babung  des  Signales  ist  folgende: 

Passirt  ein  Zug  die  Signalstelle  A,  so  driickt  der  Signalist  den  Taster  e,  wodurcb  das  Laute- 
werk der  Nacbbarstation  in  Thatigkeit  gebracht  wird,  was  als  Aufforderung  gilt,  den  Semaphor 
A  auf  „Gesperrt"  zu  bringen.  In  der  Station  B  wird  dies  mittelst  des  Tasters  (b)  bewerk- 
stelligt  und  gleicbzeitig  markirt  daselbst  der  Controlapparat  (c)  die  erfolgte  „Halt"-Stellung. 
Der  Zug  bleibt  nun  solange  durcb  das  Haltsignal  an  der  Signalstelle  bei  A  gedeckt,  als  der 
Signalist  bei  B  die  Ruckstellung  des  Semapbors  nicht  wieder  vornimmt,  was  eben  erst  dann 
geschehen  darf,  bis  der  Zug  die  Signalstelle  B  passirt  bat.  Die  im  Inneren  der  Stations- 
kanzleien  oder  Wachterhauser  erfolgenden  electrischen  Signale  werden  aussen  auf  den  Stations- 
platzen  oder  vor  den  Wachterhausern  mittelst  optischen  Telegrafen,  welche  dem  Zugs-  oder 
Maschinenpersonale  auffallig  sichtbar  und  deutlicb  erkennbar  sind,  wiederholt. 

Im  Falle  von  Linienstorungen  stellen  sich  die  electrischen  Semaphore  von  selbst  auf 
„Halt".  Auf  der  London-  und  South- Western-Bahn  hat  das  P r e  e  c e'sche  System  in  einer 
noch  verbesserten  Form  Anwendung  erfahren.  Es  ist  da,  um  mogliche  Irrungen  fern  zu  halten, 
das  Zuriickstellen  des  Semaphors  dem  Signalisten  nicht  frei  gegeben,  sondern  kann  erst  dann 
das  einmal  ertheilte  Signal  „Bahn  blockirt"  aufgehoben  werden,  wenn  der  Zug  die  Partial- 
strecke  thatsachlich  passii-t  und  dabei  durch  den  Druck  derEader  eine  mechanisch-electrische 
Sperrvorrichtung  ausgelost  hat. 

Die  in  Detitschland  angewendeten  Blocksignaleinrichtungen  sind  meist  nach  dem  Sy- 
steme  Siemens-Halske  durchgefiihrt.  An  jeder  Signalstelle  befindet  sich  ein  gusseisernes 
Kiistchen,  in  welchem  der  ganze  electzische  Apparat  untergebracht  ist,  welters  ein  gewohnliches 
Armsignal  (Semaphor)  mit  zwei  Flugeln  (fiir  jede  Richtung  der  Fahrt  einen),  welche  letztere 
mittelst  Ketten,  die  mit  den  Constructionstheilen  des  electrischen  Apparates  gekuppelt  sind, 
dirigirt  werden.  Am  Apparatkasten  sind  oben  an  der  vorderen  Wand  zwei  kreisrunde  ver- 
glaste  Oeffnungen,  hinter  welchen  sich  conform  der  Signalstellung  eine  weisse  (Bahn  frei) 
oder  rothe  (Bahn  gesperrt)  Scheibe  zeigt  Jede  der  Scheiben  gilt  fiir  eine  andere  Fahrrichtung, 
was  am  Apparate  durch  Pfeile  besonders  angedeutet  ist. 

Am  Deckel  des  Apparatkastens  befindet  sich  iiber  jeder  der  bezeichneten  Scheibenoffnuagen 
ein  Tasterknopf,  im  Kasten  selbst  ein  Magnetinductor,  zu  dem  von  Aussen  eine  Kurbel  an- 
gesteckt  ist.  Unter  der  Inductorkurbel  sincl  noch  zwei  weitere  Kurbeln  im  Kasten  vorhanden 
eine  reclits,  die  andere  links,  auf  welchen  die  zu  den  Semaphorflugeln  fiihrenden  Zugsketten 
befestigt  sincl.  Dicse  Kurbeln  dienen  zum  Stellen  der  Semaphorarme  unci  stehen  mit "  dem 
Apparate  derart  in  mechanischer  Abhangigkeit,  dass  die  Armstellung  „Strecke  frei"'  nicht  ge- 
geben werden  kann,  wenn  nicht  friiher  von  der  Nachbarsignalstelle  deblockirt  (Sperrvorrichtung 
durch  den  Strom  gelost)  wurde,  ndu  dass  umgekehrt  der  Signalist  die  Nacbbarstation  auch  nicht 
friiher  zu  deblockiren  vermag,  ehe  er  nicht  seinen  Semaphor  auf  „Strecke  gesperrt"  gestellt  hat. 


J)  Dr.  Schmitt,   Signalwesen  pag.  324. 
-)  Engineering,  20.  Janner  1871. 

3)  Dr.  Schmitt,  Signalwesen  pag.  o26. 

4)  Oesterr.  Bericht  iiber  die  Weltausstellung  zu  Paris   1867,  Heft  V  pag.   128;    Schmitt, 
Signalwesen  pag.  328. 

s)  Dub,    Electromagnt.    pag.    681;    Schmitt,    Signalwesen    pag.    330;    Dingler's    polyt. 
Journal,  Bd.  213  pag.  89. 


234  Electrisehe  Tele-nine. 

Wareu  die  Blockstatlonen  -4,  B,  C,  D  vorhanden,  und  sei  ein  Zug  von  A  ab,  so  drtickt 
der  Beamte  den  entsprechenden  Knopf  nieder  und  dreht  die  Kurbel  des  Inductors,  wodureh 
die  bisher  auf  „weiss"  gestaudene  Seheibe  auf  „roth"  gestellt  wird.  Hiedurch  ist  die  Strecke 
von  A  Ids  B  fur  einen  nachfolgenden  Zug  gesperrt,  da  A  so  lange  keinen  Zng  folgen  lassen 
darf,  bis  nicht  von  B  aus  die  Seheibe  auf  „weiss"  zuriickgestellt  wurde.  Dies  geschieht  vom 
Signalisten  bei  B,  sobald  der  Zng  semen  Posten  passirt,  indem  vorerst  der  betreffende 
Semaphorarm  mittelst  der  Kettenkurbel  horizontal  fauf  gesperrt)  gestellt,  sodann  der  betreffende 
Knopf  am  Apparatkasten  niedergedriickt  wird.  In  Folge  dessen  stellt  sich  nun  die  Seheibe 
in  A,  sowie  die  nacli  A  gerichtete  Seheibe  in  B  auf  „\veiss",  wahrend  sich  die  in  B  be- 
nndliclie,  gegen  C  gerichtete  and  die  in  C  befindliche,  gegen  B  gerichtete  Seheibe  auf  „rotha 
stellt.  In  B  ist  der  Semaphor  mm  so  lange  in  der  Haltstellung  arretirt,  als  die  Seheibe 
von  C  her  nicht  auf  „weiss"  gestellt  ist;  erst  dann  kann  der  Bahnwarter  den  Arm  auf  die 
Freistellung  zuriickbringen. 

Dieses  System  wurde  von  Frischen  noch  in  der  Weise  vervollkommnet,  dass  durch 
Anbringung  von  zwei  Weckern  und  ?.Wei  Contactvorri'cktungen  auf  jeder  Bloekstation  besondere 
Glockensignale  zwischen  denselben  gewechselt  werden  konnen. 

Fur  alle  diese  Zwecke  reicht  ein  Draht  aus,  nur  iu  den  letzten  Streckensegmenten  vor 
jedem  Balmhofe  werden  zw-ei  Leitungen  nothwendig.  Fine  Reihe  von  electrischen  Vorrichtungen 
sind  construirt  und  theilweise  audi  angewendet,  welche  den  Zweck  haben,  die  Fahrt  eines 
Zuges  zu  controlliren.  Den  ersten  Vorschlag  far  solche  automatische  Controllapparate  machte 
Wouss  1845  und  1847  stellte  Brequet J)  einen  solchen  her.  Er  brachte  von  20  zu  20  Meter 
am  Bahngeleise  Pedalcontacte  an,  welche  yon  den  Radern  des  vorbeifahrenden  Zuges  ge- 
schlossen  warden.  Die  eine  Lamelle  dieser  Contacte  war  zur  Erde,  die  zweite  zur  Linie  ver- 
bunden,  welche  in  der  Controlstation  durch  einen  Chronographen  ztu-  Batterie  und  dann  zur 
Erde  geleitet  wird.  Bei  jedem  Xiederdrucken  eines  Pedalcontactes  wird  der  Strom  geschlossen 
und  dieser  Stromschluss  am  Chronographen  mai  Ivirt. 

Diese  Vorrichtung  wurde  durch  Ma.iyrot2J  dahin  abgeandert,  dass  in  der  Control- 
station  bei  einer  Zahlscheibe  zwei  verschieden  gefarbte  Nadeln  angebracht  sind,  die  sich  in 
entgegengesetzter  Richtung  drehen,  und  woven  eine  den  Gang  der  sich  nahernden,  die  andere 
der  sich  eutfernenden  Ziige  registriren.  A'hnlich  eingerichtet  ist  der  electrisch-automatische 
Zugsanzeiger  von  Bellemare. s)  Steinlieil1)  hatte  auf  der  Bahnstrecke  Miinchen-Nanliofen 
ein  almliches  Signalsystem  eingefiihrt,  welches  ausser  der  Controle  der  Fahrt  des  Zuges  auch 
die  Controle  derWachter  verband,  da  diese  die  Unterbreclnmg  der  Controllinie  nacli  Passirung 
des  Zuges  selbst  bewerkstelligen  nmssten  und  sich  jede  solche  Uuterbrechung  am  Papierstreifen 
des  in  der  Station  aufgestellten  Chronogi-aphen  markirt.  Auch  Hipp5)  hat  mit  seinem  friiher 
erwalmten  Ja'ousie-Signal  einen  electrisch-automatischen  Zugsanzeiger  verbunden  und  auf 
einigen  Strecken  der  schweizerischen  Nordostbalm  in  Anwendung ;  ausserdem  hat  Hipp") 
auch  einen,  dem  Brequet'schen  ahnlichen  Zugsanzeiger,  der  nur  die  Besonderheit  besitzt, 
dass  auch  jede  Achse  des  Zuges  an  den  von  1000  zu  1000  Metern  aufgestellten  Tastervor- 
richtungen  eine  Stromuuterbrechung  erzeugt,  wodureh  am  Chronograph  nicht  nur  ersichtlich 
gemacht  wird,  an  welcher  Stelle  sich  der  Zug  befindet  und  mit  welcher  Schnelligkeit  er  ver- 
kehrt,  sondern  auch  mit  wie  viel  Achsen  er  fahrt,  anf  der  Bahnlime  Basel-Olten  eingerichtet. 

Die  gleichfalls  zahlreichen  Versuche,  Anordnungen  zu  treffen,  wodureh  der  fahrende 
Zug  direct  init  den  zwei  nachsten  Stationen  in  telegrafische  Verbindung  gebracht  wird,  z.  B. 
von  Tyer    de  Dal  ton,7)  Bonelli,    Du  M  one  el,  SJ  Manuel  Fernandez  de  Castro,9) 


J)   Du  Moncel,  Appl.  de  l'Ect.  II  pag.  181 ;  Dub,  Anwendung  des  Elect.-Mgnts.  pag.  686. 

■)  D  n  b,  Anwdg.  des  Electromagnetismus  pag.  686 

3)   Glbsener,  Appl.  de  l'Ectr.  I  pag.  303;  Dub,  Anwdg.   d.  Electromagnetismus  pag.  687. 

■*)  Diib,  Anwendung  d.  Electromagnetismus  pag.  666. 

5)  Polyt    Cont.  Blatt  33  pag.   608;  Dub,  Anwendung  des  Electr.  Magnet,  pag.  690. 

l)  Schweizerische    polytechnische    Zeitschrift    1870;    Zeitschrift    des    osterr.  Ingenieui-  und 

Architekten-Vereins  Jhrg.  XXIII  pag.  167. 
7)  Du  Moncel,  App.de  l'Ect  2.  Aufl.  II  pag.  164;  Glosener,  App.  de  l'Ect.  I  pag.  306 ; 

Dub,  Anwendung  des  Electr.-Masnetismus  pag.  688. 
s)  Du  Moncel,  App.  d'Elct.  2.  Aufl    II  pag.  185. 
;')  Du  Moncel,  App.  d'Elct.  2.  Aufl    II  pag.  198;    Glosener,  App.  d'Elct,  I    pag.  320; 

Dub,  Anwendung  de  l'Elect.  pag.  693. 


Electrische  Telegrafie.  —  Electrisirmascliinen.  235 

v.  Konneburg1)  etc.  haben  zu  keinem  cigentlich  praktfschen  Erfolg  gefiihrt.  Werthvoller 
sind  die  Telegrafen  am  Zuge  selbst  zum  Zwecke  der  Verstandigung  der  Zugsbfiamten  unter 
einander  und  des  Publikums  mit  dem  Zugsbeamten,  und  wird  besonders  den  letzteren,  den 
sogenannten  Intercommunicatiohsignalen  neuerer  Zeit  eine  erhohte  Aufmerksamkeit  zugewendet. 
Bei  solcben  Einrichtungeri  wird  der  Hauptsache  nacb  eine  isolirte  Drahtleitung  nothwendig 
sein,  welcbe  vom  Signalwagen  aus  iiber  den  ganzen  Zng  lauft,  ferner  in  jedem  Coupe  ein 
Taster  und  ini  Signalwagen  endlicb,  wo  sieh  der  Zngsfiihrer  aufhalt,  ein  Alarmapparat  und 
eine  Batterie.  Wird  die  Tastervorrichtung  in  einem  Coupe  in  Anwendung  gebracht,  muss  der 
Alarmapparat  thatig  werden. 

Es  waren  als  bieher  gehorig  anzufiihren  die  Systeme  von  Brequet,')  Hermann,3) 
Gluckmann,  Mir  and,')  Prudbomme,5)  David  Lloyd  Trice,  Preece,  Tyer,  Ha  sin, 
Spagnoletti,  Binney  u.  s.   w. 

InVerbindung  mit  Distanzsignalen  findet  in  England  eine  electrisch-automatische  Dampf- 
pfeife  Anwendung.  Der  Hahn  einer  Dampfpfeife 6)  auf  eirier  Locomotive  ist  in  Verbindung 
mit  einem  Electromagneten,  der  in  einem  Stromkreise  eingeschaltet  ist.  Die  Leitung  ist  zu 
einer  unten  an  der  Locomotive  angebracbten  Feder  contact  gefiibrt.  So  lange  dieser  Contact 
geschlossen,  eventuell  offeii  (je  nacbdem  auf  Ruhe  oder  Arbeitsstrom  gescbaltet  ist),  bleibt 
aiicb.  der  Electromagnet  in  Rube,  sobald  aber  die  normale  Lage  der  Contactvorricbtung  ge- 
andert  wird,  erfolgt  das  Abreissen  des  Electromagnetankers,  wodurch  gleichzeitig  auch  der 
Habn  der  Dampfpfeife"  geoffriet  wird.  Diese  ertont  und  zwar  so  lange,  bis  der  Mascbinenfiihrer 
die  Riickstellung  des  Hahnes  mit  der  Hand  bewerkstelligt. 

Das  Oeffnen  oder  Scliliessen  der  Contactvorricbtung  wird  durch  daumenartige  Pflocke 
bewirkt,  w^elcbe  an  ricbtiger  Stelle  in  der  Balm  festgemacht  sind.  Beim  Dariiberfabren  des 
Zuges  streift  der  Federcontact  an  den  Daumen.  Diese  Daumen  sind  entweder  stabil  und  dann 
hat  das  Pfeifen-Signal  den  Zweck,  den  Mascbinenfiihrer  zu  erinnern,  dass  er  sich  einer  Stelle 
naht,  wo  die  Signale  besonders  zu  beacbten  sind,  oder  auch  werden  die  Daumen  erst  durch 
die  Haltstellung  eines  Deckungssignales  auf  mechanischem  Wege  in  jene  Lage  gebracht,  wo 
sie  die  dariiber  weggehende  Controlvorrichtung  erfassen  und  in  diesem  Falle  gilt  das  Ertonen 
der  Pfeife  nicht  nur  als  Avertirungs-,  sondern  selbst  schon  als  Haltsignal. 

So  bedeutend  der  Fortschritt  in  der  Anwendung  der  Electricitiit  fiir  den  Betrieb  von 
Bahnsignalen  genannt  werden  muss,  so  darf  doch  nicht  verkannt  werden,  dass  diese  fiir  den 
lieutigen  Bahnverkebr  ganz  unentbeluiich  gewordenen  Signalmitteln  in  Bezug  auf  die  wichtigste 
und  nothwendigste  Eigenschaft  eines  Eisenbahnsignales  „die  Sicherheit"  Manches  zu  wiinschen 
iibrig  lassen.  Electrische  Apparate  konnen  dem  Einflusse  atmospharischer  und  tellurischer  Ein- 
wirkungen  nie  ganz  entzogen  werden,  ferner  sind  solche  Apparate  zart  und  subtil  construirt 
und  konnen  sonach  leicht  schadbaft  oder  selbst  auch  durch  Rost,  Frost  u.  s.  w.  unbrauchbar 
gemacht  werden.  Endlicb  erfordern  sie  bei  eingetretenen  Fehlern  die  Hilfe  eines  Sachver- 
standigen.  Durch  moglichst  solide,  separirte  Leitungen,  eventuell  von  ganz  isolirten  Drahten, 
durch  die  thunlichste  Eliminirung  feuchter  Batterien  und  durch  die  moglichste  einfache  und 
kraftige  Construction  der  Apparate  durfte  aber  auch  in  Bezug  auf  die  Funktions-Sicherheit  der 
electrischen  Signalmittel  noch  hochst  Erhebliches  und  Werthvolles  zu  erreichen  sein. 

Literatur:  M.  M.  Frh.  v.  Weber,  Das  Telegrafen-  u,  Signalwesen  der  Eisenbabnen, 
Weimar  1867.  —  Heusinger  u.  Wald egg,  Handbch.  f.  specll.  Eisenbahntechnik, 
IV.  Theil,  Wiesbaden  1873.  —  Weber's  Schule  d.  Eisenbahnwesens,  3.  Aufl.,  Leipzig 
1873.  —  Winkler,  Vortrage  iiber  Eisenbahnbau  IX,  Signalwesen  von  Dr.  Ed.  S  chmitt, 
1-4  Heft  1874.  L.    Koilfurst. 

Electrisirmaschinen  (machine  electrique  —  electrical  machine) ,  s.  im 
Artikel  Elect ricitat  die  Absatze  XXVI  unci  XXVII. 


x)  Dinglcr's  polyt.  Journal  Bd.  217  pag.   109. 

2)  Du  Moncel,    App.  d'Elct    2    Aufl.  II  pag.  215;    Dub,  Anwendung   des  Elect. -Magnt. 
pag.  672. 

3)  Dub,  Anwendung  des  Electromagnetismus  pag    672;  Dingler's  polyt.  Journal  Bd.  128 
pag.  247. 

*)  Dub,  Anwendung  des  Electromgt.  pag.  673. 

s)  Organ  f.  d.  Fortschritt  d.  Eisenbahnwesens  Bd.  V  pag.  61,  173. 

b)  Dingler's  polyt.  Journal  Bd.  213  pag.  356. 


236  Electrode.  —  Electrolyse. 

Electrode  (electrode  —  electrode),  Ein-  oder  Austrittsstelle  eines  electrischen 
Stromes,  s.  Electrolyse. 

Electrograph  (electrogrcvplie  —  electrographe).  Diese  Bezeichnung  wird 
manchmal  den  electrochemischen  Copir-Telegraphen  (s.  d.  Art.  Telegraphie) 
beigelegt  und  im  weiteren  Sinne  iiberhaupt  alien  Apparaten,  mittelst  welchen  auf 
electrischem  Wege  bleibende  Zeichen,  seien  es  mm  Zeitinarken,  Schriftziige  oder 
Zeichnungen,  hervorgebracht  werden  konnen.  (S.  a.  d.  Art.  Chronograph.)  — 
Den  Namen  Elect rographie  fiihren  gewisse  galvanoplastische  Metkoden, 
insbesondere  das  von  D  e  v  i  n  c  e  n  z  i  herriihrende  Verfahren,  auf  galvanokaustischem 
Wege  erhaben  geatzte  Zinkplatten  fiir  die  Buclidruckerpresse  herzustellen.  Hierher 
gehort  auch  die  von  F.  v.  K  o  b  e  1 1  erfundene  Methode  zur  Erzeugung  galvano- 
plastischer  Druckplatteu  fiir  Zeiclinungen  in  Tuschmanier,  welches  Verfahren  jedoch 
gewohnlich  Galvanographie  genannt  wird.  (Siehe  den  Artikel  Galvano- 
plastik.)  A.  v.   W. 

Electrolyse  (electrolyse  ou  electrolysation  —  electrolysis).  So  nennt  man 
jede  chemische  Zerlegung  durch  einen  electrischen  Strom. 

Jede  chemisch  zusammengesetzte  Fliissigkeit,  welche  den  electrischen  Strom 
leitet,  wird  durch  denselben  zerlegt  oder  electrolysirt,  und  heisst  insofern  audi 
ein  Electrolyt.  Die  Stellen  des  Ein-  und  Austrittes  des  Stromes  am  Electro- 
lyten  heissen  Electroden,  und  zwar  Anode  die  Eintritts-  und  Kathode  die 
Austrittsstelle.  Die  Electrolyse  geschieht  stets  in  der  Weise,  dass  die  Ausschei- 
dung  der  Bestandtheile,  das  ist  der  sogenannten  Joneu,  des  Electrolyten  nur  an 
den  beiden  Electroden  stattfindet.  Ein  an  der  Anode  ausgeschiedenes  Jon  nennt 
man  Anion,  ein  an  der  Kathode  ausgeschiedenes  Kation. 

Ein  sehr  bekanntes  Beispiel  von  Electrolyse,  welches  zugleich  die  erste  naher 
beobachtete  Erscheinung  dieser  Art  darbietet,  zeigt  sich  beim  Dnrchgange  des 
electrischen  Stromes  durch  verdiinnte  Schwefelsaure.  Taucht  man  in  diese  Fliissigkeit 
zwei  Platinplattchen,  deren  eines  (als  Anode)  mit  dem  positiven,  das  andere  (als 
Kathode)  mit  dem  negativen  Pole  einer  electrischen  Stromquelle  (z.  B.  einer  hydro- 
electrischen  Batterie)  leitend  verbunden  ist,  so  beobachtet  man  an  beiden  Electroden 
eine  nach  Massgabe  der  Stromstiirke  mehr  oder  weniger  lebhafte  Gasentwicklung, 
und  zwar  in  der  Art,  dass  an  der  Anode  Sauerstoff,  an  der  Kathode  Wasserstoff 
ausgeschieden  wird. 

Da  beide  Gase  in  dem  Verhaltnisse  auftreten,  in  welchem  sie  Wasser  bilden, 
so  hat  man  den  beschriebenen  Vorgang  als  eine  Zersetzung  des  mit  der  ver- 
diinnten  Schwefelsaure  gemischten  und  dadurch  besser  leitend  gemachten  Wassers 
aufgefasst.  Neuere  Untersuchungen  haben  dagegen  immer  mehr  zur  Ueberzeugung 
gefiihrt,  dass  das  Wasser  fiir  sich  allein  (in  vollkommen  reinem  Zustande)  den 
electrischen  Strom  fast  gar  nicht  leitet,  so  dass  von  einer  directen  Zersetzung 
desselben  durch  den  electrischen  Strom  kaum  die  Rede  sein  kann.  Man  muss 
demnach  den  in  einer  wassrigen  Losung  stattfindenden  electrolytischen  Vorgang 
lediglich  als  eine  Electrolyse  des  gelosten  Korpers  betrachten,  dessen  Theilchen 
die  Stromleitung  vermitteln  und  durch  das  Wasser  als  Losungsmittel  eben  nur 
den  zur  Electrolyse,  wie  wir  bald  sehen  werden,  erforderlichen  Grad  von  Beweg- 
lichkeit  erlangen. 

Demnach  wird  das  vorhin  betrachtete  Beispiel  einer  sogenannten  Wasser- 
zersetzung  vielmehr  als  eine  Zersetzung  des  Schwefelsaure-Hydrates  HS04*)  an- 
zusehen  sein,  welche  in  der  Art  vor  sich  geht,  dass  H  an  der  Kathode  sich  aus- 
scheidet,  wahrend  von  dem  an  der  Anode  austretenden  $04,  welches  als  solches 
nicht  bestehen  kann,  0  frei  wird  und  S03  neuerdings  ein  HO  aus  dem  Losungs- 
mittel aufnimmt. 


')  Wir  bedieneu  xius  in  diesem  Artikel,  aus  Griindeu,  welche  alsliald  zur  Spraclie  kommen 
werden,  durchwegs  der  Aequivaleutformeln,  nicht  aber  der  neueren  Atomgewichtsformeln. 
Wir  schreiben  also  HO  ~  9  und  nicht  H20  ~  18  fiir  Wasser  u.  s.  av. 


Electrolyse. 


237 


Bei  der  electrolytisclien  Sauerstoff-Ausscheidimg  findet  besondiefs  in  weniger 
verdiinnter  Schwefelsaurc  und  bei  grosser  Stromdichte  (kleiner  Anode)  Ozon- 
bildung  start.  Die  dadurch  bewirkte  Volumsverkleinerung  (s.  d.  Art.  Ozon)  und 
die  im  Vergleiche  mit  Wasserstotf  viel  grossere  Absorption  des  Sauerstoffes  im 
Wasser  bringen  es  mit  sich,  dass  das  an  der  Anode  entwickelte  Sauerstoff-Volum 
oft  weit  unter  dem  halben  Wasserstoff-Volum  an  der  Kathode  zurttckbleibt.  Dieses 
Missverhaltniss  kann  auch  nocli  durch  eine  an  der  Anode  etaftfindende  [durch 
niedrige  Temperatur  grosse  Stromdichte  und  eine  der  Diclite  1*4  sich  nahernde 
Concentration  der  Satire  begiinstigte)  WasserstofFhyperoxyd  -  Bildung  gesteigert 
werden. 

Gar  kein  SauerstofFgas  wird  entwickelt,  vvenn  die  Anode  aus  einem  leicht 
oxydirbaren  Metalle,  z.  B.  Kupfer  besteht.  Der  electrolytisch  ansgeschiedene  Sauer- 
stoff  verbindet  sich  in  einem  solchen  Falle  unmittelbar  mit  dem  Materiale  der 
Anode. 

In  Recipienten,  welche  mit  der  electrolysirten  Fliissigkeit  gefiillt  und  in 
passender  Weise  tiber  den  Electroden  angebracht  sind,  lassen  sich  beide  Gase 
getrennt  oder  zu  Knallgas  vereinigt  aufsammeln.  Aus  dem  Wasserstoff-Volurnen 
oder,  insofern  eine  erhebliche  Verminderung  des  Sauerstoff-Volumens  vermieden 
ist,  aus  dem  Knallgas-Volum  lasst  sich  das  electrolysirte  Quantum  von  Schwefel- 
saure-Hydrat  leicht  berechnen,  so  wie  auch  die  dem  entwickelten  Knallgase  ent- 
sprechende  Wassermenge  HO,  welche  man  gewohnlich  kurzweg  (obwohl  uneigentlich) 
als  die  durch  den  Strom  zersetzte  Wassermenge  bezeichnet.  Ausdiesem  Grunde 
wollen  wir  denn  auch7  dem  herrschenden  Sprachgebrauche  folgend,  die  Electrolyse 
der  verdtinnten  Schwefelsaure  kurz  als  Wasserzersetzung  bezeichnen  und  jeden 
zur  Ausfiihrung  dieses  Experimentes  dienlichen  Apparat  einen  Wasserzer- 
setzungsapparat  nennen. 

Geht  ein  (von  einer  Batterie  ab  herriihrender)  electrischer  Strom  gleichzeitig 
durch  einen  Wasser-Zersetzungsapparat  A  und  durch  andere  (aus  U-formig  ge- 
bogenen  Bohren  hergestellte)  Zersetzungsapparate  B,  Q,  D,  E  (Fig.  1466),  welche 
z.  B.  geschmolzenes  Blei- 
oxyd,  Chlorblei,  Jodblei 
und  Chlorsilber  enthal- 
ten  und  hintereinander 
(mittelst  eingetauchter 
Platindrahte)  in  den 
Stromkreis  eingeschaltet 
sind,  so  treten  an  den 
Anoden  in  A  und  B 
SauerstofF,  *)  in  C  Chlor; 
in  D  Jod7  in  E  Chlor 
und  an  den  Kathoden 
in  A  Wasserstotf,  in  B, 
C  und  D  Blei  und  in  E 
Silber  auf;  kurz:  es  werden  die  electronegativen  **)  Bestandtheile  an  den  Anoden, 
die  electropositiven  an  den  Kathoden  ausgeschieden.  Wendet  man  z.  B.  anstatt 
geschmolzenem  Chlorblei  gelostes  Chlorblei  ***)  an,  so  wird  es  in  ganz  gleicher 
Weise  zerlegt.  Salpetersaures  Silberoxyd  (s.  unten  bei  Silber- Voltameter) 
zerfallt  bei  der  Electrolyse  in  Ag7  welches  an  der  Kathode  sich  ausscheidet, 
wahrend  der  Rest  (N05  -j-  0)  an  der  Anode  frei  wird  und  sich,  nach  Beschaffenheit 
derselben,  mit  einer  aquivalenten  Menge  ihres  Metalles  wieder  zu  einem  salpeter- 
saurem  Salze  verbindet.  Bei  der  Electrolyse  des  Kupfervitriols  wird  in  analoger 
Weise  Kupfer  an  der  Kathode  ausgeschieden,  wahrend  an    der  Anode  S03   -j-   0 


*)  In  A  eigentlicli  S04,  welches  in  der  bereits  angedeuteten  Weise  in  £03  imd  0  zerfallt. 

*)  Siehe  den  Artikel  Electricitat,  Absatz  XXXVIII. 

*)  In  kaltem  Wasser  1st  es  schwer  loslieh ;  in  vielem  heissen  Wasser  lost  es  sich  leicliter. 


238  Electrolyse. 

frei  werden,  deren  weiteres  Verhalten  eben  aueh  wieder  von  der  materiellen  Be- 
schaffenlieit  der  Anode  abhangt.  Salzsaure  gibt  bei  der  Electrolyse  CI  an  der 
Anode  und  H  an  der  Kathode. 

Diese  und  viele  ahnliche  Thatsachen  haben  zu  der  Anschaimng  gefiihrt,  das 
Schwefelsaurehydrat ,  das  salpetersaure  Silberoxyd,  den  Kupfervitriol,  kttrz  die 
sogenannten  Sauerstoff-Sauren  und  Salze  im  Gegensatze  zur  Berzelius'schen 
Schreibweise  S03  HO,  NO^AgO,  S03CuO  nach  Daniell  in  der  Form  HS04, 
AgNOG,  CuSO±  auf  den  Typus  der  anderen  vorhin  erwahnten  binaren  Verbin- 
dungen,  namentlich  der  sogenannten  Wasserstoff  -  Sauren  und  Haloidsalze  HCl, 
PbCl,  PbJ,  Ag  CI  u.  s.  w.  zuriickfiihren,  und  die  (gleichwolil  nicht  isolirt  dar- 
stellbaren)  Atomencomplexe  SO^  N06  u.  dgl.  als  dem  Chlor,  .Tod  u.  s.  w.  analoge 
electronegative  Jonen  anzuseben.  Daniell  bat  dafiir  sogar  die  besonderen  Be- 
nennungen  Oxysulphion  fiir  SOi}  Oxynitrion  fur  N06,  Oxyborion  fur  BoO^  u.  s.  w. 
vorgeschlagen. 

Indem  wir  von  dieser  DanieH'schen  Schreibweise  weiterhin  Gebrauch 
machen,  wollen  wir  die  derselben  zu  Gran.de  liegende  Auffassung  nicht  als  eine 
allgeraein  massgebende  Typentheorie,  sondern  vorlaufig  nur  als  eine  fiir  die  TJeber- 
sicht  der  electrolytischen  Processe  jedenfalls  sehr  bequeme  Hypothese  in  Anspruch 
n  eh  men. 

Im  Sinne  dieser  Auffassung  erscheint  die  Electrolyse  als  die  electrische  Zer- 
legnng  fliissiger  (geschmolzener  oder  geloster)  binarer  Verbindungen^  welche  aus 
gleichen  Aequivalenten  zweier  G-rundstoffe  (z.  B.  HCl,  AgCl)  oder  eines  Grund- 
stoftes  mit  einem  der  vorhin  erwahnten  Atomencomplexe  (z.  B.  HSOi}  CuS04) 
zusammengesetzt  sind.  *) 

Alle  Verbindungen,  welche  nicht  electrolysirt  werden  (mit  Ausnahme  der  in 
die  Spannungsreihe  gehorigen  Legirungen,  Hyperoxyde  und  Schwefelmetalle)  sind 
audi  keine  Stromleiter,  **)  wie  dies  namentlich  vom  chemisch  reinen  Wasser  bereits 
gesagt  worden  ist.  Die  Beobaclitimgen  von  Carlisle,  Nicholson  u.  A., 
welche  eine  Wasserzersetznng  zu  constatiren  schienen,  sind  eben  nicht  mit  chemisch 
reinem  Wasser  ausgefiilirt  worden.  Vielmehr  haben  die  neuesten  Untersnchungen 
von  F.  Kohlrausch  einen  so  grossen  Leistungswiderstand  fiir  das  Wasser 
(14.0007OOO.OOOinal  grosser  als  fiir  Quecksilber)  ergeben,  dass  wir  mit  Riicksicht 
auf  die  Schwierigkeit,  dasselbe  beim  Versuche  in.  absoluter  Reinheit  anzuwenden 
und  zu  erhalten,  wobl  berechligt  sind;  es  als  nicht  lei  tend  zu  betracliten. 
Hierher  gelioren  auch  noch  fliissige  schweflige  Saure  6'02  und  Kohlensaure  CO,,, 
geschmolzene  wasserfreie  Schwefelsaure  SOv  Borsaure  Bo0.6,  Chlorphosphor  PCl^, 
Chlorschwefel  SCl3,  Zinnchlorid  SnCl2***)  u.  v.  A. 

Ausser  der  bereits  angefiihrten  allgemeinen  Regel,  dass  der  electronegative 
Bestandtheil  des  Electrolyten  an  der  Anode  (als  Anion),  der  electropositive  an 
der  Kathode  (als  Kation)  auftritt,  haben  sich  noch  andere  Gesetzinassigkeiten  er- 
geben,  von  welchen  sofort  die  Rede  sein  soil. 

Man  denke  sich  in  den  Stromkreis  einer  Batterie  B  (Fig.  1467)  funfWasser- 
zersetzungsapparate  a,  b,  c,  d  und  e  nach  dem  beigeftigten  Schema  eingeschaltet, 
so  dass  der  Strom,  nachdem  er  durch  a  gegangen  ist,  sich  in  zwei  Zweige  theilt, 
deren  einer  durch  b  und  c,  der  andere  durch  d  geht,  worauf  beide  Zweige  wieder 
zum  urspriinglichen  Strome  sich  vereinigen,  der  endlich  noch  e  durchsetzt.  Be- 
zeichnet  man  mit  a,  b,  c,  d  und  e  zugleich  die  Wassermengen,  welche  den  innerhalb 
einer  bestimmten  Zeit,  z.  B.  1/i  Stunde  in  den  gleichnamigen  Apparaten  entwickelten 


*)  Eisen-Chloriir  FeCl  gibt  CI  an  der  Anode  und  Fe  an  der  Kathode     Urn  Eisen-Chlorid 
Fe.x  CV.j  derselben  Regel  unterzuordnen,  muss  es  als  Fe.z  CI  betrachtet  werden,  indem  es 

'3 

CI  an  der  Anode    und  \Fe  an  der  Kathode    gibt.     (Wiedemann,  Galvanismus,  Bd.  I 
S.  460.) 
**)  Selbst  bei  dem  durch  Erhitzung  leitend  gemachten  Glase  hat  Beetz  Electrolyse  nach- 

gewiesen. 
***)  Siehe  Wiedemann.  Galvanismus    Bd.  I  S.  461   u.  Art.  Electricitat    Absatz  LXII. 


Electrolyse. 


239 


g  e  eines  Elec- 
proportional. 


Knallgasmengen  entsprechen,  so  zeigt  I-   1467. 

sich ,    class  a  =  e,    ferner    6  —  c 

und  endlich  6  -}-  tZ  =  a,  also  audi 

|  _|_  cZ  m  c  --|-  (2  =  a-  ==  e.  Da 

nun    die    Summe    tier    Zweigstrome, 

wie    immer    dieselben    zu    einander 

sich  verhalten  mogen,  stets  dem  nr- 

spriinglichen  Strorne  gleich  sein  muss, 

so  folgt  hieraus,  dass  die  innerhalb 

einer  bestimmten  Zeit  zersetzte  Menge 

des  Schwefelsaurehydrates  stets  der 

Starke    des    die    Zersetzung    bewir- 

kenden    Stromes     proportional     ist. 

Dasselbe  gilt,  wie  Versuche  gelelirt 

haben,  audi  fiir  andere  Electrolyte, 

so  dass  man  allgemein  sagen  kann : 

die  innerhalb  einer  bestimmten   Zeit  z e r  1  e g t e  Men 

t r o  1  y  t  e n    ist    der    elect rolysir  en  den    S  t  r  o  m.  s  t  a  r  k  e 

Dies  ist  das  erste  Faraday'sche  Grundgesetz  der  Electrolyse. 

Die  so  eben  angefiihrte  Beziehung  zwischen  Electrolyse  und  Stromstarke 
lasst  erkennen,  dass  man  die  erstere  zum  Messen  der  letzteren  benutzen  kann. 
In  der  That  dient  der  Wasserzersetzungsapparat  (in  verschiedencn  Formen)  schon 
langst  als  ein  Instrument  zur  Messung  electrischer  Strome^  und  wird  deshalb  alien 
haufig  Voltameter  genannt.  Jacobi  hat  vorgeschlagen,  jenen  Strom  als  Ein- 
heitsstrom  zu  betrachten^  der  im  Voltameter  ein  C  u  b  i  c  -  C  e  n  t  i  m  e  t  e r  K  n  a  1 1- 
gas,  reducirt  auf  0°  C.  und  760™™  Druck,  in  der  Minute  entwickelt.  Wir 
wollen  diese  „chemische  Stromeinheit"  beibehalten;  es  entspricht  diesem  Knall- 
gasquantum  eine  Wassermenge  von  nahezu   Visto  Grammen. 

Ein  zu  Strommessungen  geeignetes  Voltameter,  welches  vonMohr  herriihrt, 
zeigt  Fig.  1468.  Der  eigentliche  Zersetzungsapparat  besteht  aus  dem  Glasrohre 
a,  welches    zwei    Platinplatten  (als  Electroden)  Fig.  1468. 

in  verdiinnter  Schwefelsaure  en  thai  t ,  welche 
mittelst  zweier  unten  angefiigten  Drahtklemmen 
in  den  Stromkreis  der  Batterie  eingeschaltet 
werden  konnen.  Das  entwickelte  Knallgas  tritt 
in  die  Flasche  b,  in  welcher  sich  die  Sperr- 
fliissigkeit  (Wasser,  Quecksilber  oder  audi  Chlor- 
calciumlosung)  befindet.  Das  drehbare  Ausfluss- 
rohr  c  wird  so  lange  geneigt,  bis  die  Fltissig- 
keit  im  Innern  der  Flasche  und  in  dem  Trichter- 
rohre  n  gleich  hoch  steht.  Die  Luft  .  in  der 
Flasche  befindet  sich  sodann  unter  dem  Drucke 
der  ausseren  Luft  (entsprechend  dem  Barometer- 
stande).  Hat  man  hierauf  die  Wasserzersetzung 
eingeleitet,  so  fliesst  die  durch  das  entwickelte 
Knallgas  verdrangte  Sperrfliissigkeit  durch  das 
Rohr  c  aus,  welches  man  nach  Beendigung  des 
Versuches  wieder  so  lange  neigt,  bis  der  vorhin 
angegebene  Niveaustand  wieder  hergestellt  ist. 
Das  Volumen  der  ausgetretenen  Fliissigkeit, 
welches  entweder  direct  gemessen  oder  aus  dem 

Gewichte  berechnet  werden  kann,  ist  zugleich  das  entwickelte  Knallgasvolumen.  Re- 
ducirt man  dasselbe  nach  den  bekannten  Formeln  des  M  a  r  i  o  1 1  e-G  ay-L  u  s  s  a  c'schen 
Gesetzes  oder  mittelst  geeigneter  Tabellen  auf  0°  C.  und  760mm  Quecksilberdruck*) 


*)  wobei  auch  auf  den  Druck  der  Wasserdarapfe  im  Voltameter  Riieksiclit  zu  neLmen  ist. 


240 


Electrolyse. 


und  dividirt  dieses  reducirte  Volumen  durch  die  Anzahl  der  wahrend  der  Zer" 
setzung  abgelaufenen  Minuten ,  so  erhalt  man  die  Stromstarke  in  chemischem 
Masse,  insofern  man  eben  annehmen  kann,  dass  der  Strom  wahrend  dieser  Z'eit 
sich  nicht  geandert  hat. 

Oft  wiinscht  man  des  Gewicht  des  in  einer  Minute  entwiekelten  Wasserstoffes 
zu  wissen.  1st  V  das  verdrangte  Fliissigkeits-,  also  auch  das  entwickelte  Knall- 
gasvolnmen ,  b  der  Barometerstand  nnd  e  das  der  herrschenden  Temperatur  ent- 
sprechende  Druckmaximnm  des  Wasserdampfes,  folglich  b  —  e  der  eigentliche  Drnck 
des  entwiekelten  Knallgases  (in  Millimetern  Qnecksilber  ausgedriickt),  so  ist  das 
anf  0°  C.  nnd   760mm  reducirte  Volnmen 


vn  =  v 


(1  +  at)  760 

wobei  a  den  Ausdehnungscoefficienten  '/073  nnd  t  die  Beobachtungstemperatur  be- 
dentet.  Das  reducirte  Wasserstoffvolunien  ist  dann  v0  :rr  2/3  V0  nnd  das  Gewicht 
PB  desselben  in  Milligrammen 

P    _  0.08%t,     _  ,i    y    0O896  fft-e; 

•  *  —  °      y°    °  -    /a  '       (1  +  at)  760       ")} 

wenn  die  Volumina  in  Cubic-Centimetern  angegeben  sind.*)  Dieses  Gewicht  ist 
dann  noch  durch  die  Zersetzungsdauer  zu  dividiren,  urn  das  bei  constanter  Strom- 
starke in  der  Zeiteinheit  ausgeschiedene  Wasserstoffquantum  zu  erhalten. 

Aus  dem  ersten  Grundgesetze  der  Electrolyse  folgt  unmitteibar,  dass  nicht 
nur  die  Wasserzersetzung7  sondern  auch  andere  electrolytische  Processe  zur  Strom- 
messung  benutzt  werden  konnen.  In  der  That  ist  fiir  genauere  Messungen  das 
Poggendorffsche  Silber- Voltameter  (Fig.  1469)  sehr  geeignet. 

Der  Strom  tritt  an  der  Klemmschraube  c 
in  ein  messingenes  Stativ,  welches  einen  verticalen 
Silberstab  tragt,  der  in  die  in  der  Platinschale  A 
befindliche  Losung  von  salpetersaurem  Silberoxyd 
eintaucht.  Die  Platinschale  A  steht  mittelst  einer 
messingenen  Fassung  mit  der  Klemmschraube  b 
in  leitender  Verbindung,  bei  welcher  der  Strom 
austritt.  Das  Silber  scheidet  sich  auf  der  Platin- 
schale, die  als  Kathode  dient,  in  Blattchen  ab  und 
kann  nach  dem  Ausgiessen  der  Losung  mit  Wasser 
gewaschen,  getrocknet  und  sodann  mit  der  Platin- 
schale gewogen  werden.  Das  Gewicht  des  inner- 
halb  einer  bestimmten  Zeit  ausgefallten  Silbers  ist 
der  Stromstarke  proportional. 

Gleichzeitig  lost  sich  von  dem  als  Anode 
dienenden  Silberstabe  eine  dem  ausgefallten  Silber 
gleiche  Silbermenge  unter  Bildung  von  salpeter- 
saurem Silberoxyd  auf  und  der  Stab  zerfallt  all- 
malig.  Urn  dabei  das  Herunterfallen  des  gebildeten 
Pulvers  in  die  Schale  zu  vermeiden,  umgibt  man 
den  Stab  am  unteren  Ende  mit  einem  Lappchen 
von  feinem  Zeug.  **) 

Fiir  weniger  genaue  Messungen  eignet  sich 
auch  ein  Voltameter,  welches  aus  zwei  gleich  grossen  in  eine  concentrirte  Losung 
von  Kupfervitriol  eingesetzten  kupfernen  Electroden  besteht. 

An  der  Anode  wird  Kupfer  aufgelost,  an  der  Kathode  Kupfer  ausgefallt. 
Beide  Kupfermengen  konnen  beziehungsweise  aus  der  Gewichtsabnahme  der  Anode 
und    Gewichtszunahme    der   Kathode    durch    Wagung    der   zuvor    mit    destillirtem 


*)  Yergl.  "Wiedemann,  GalTanismns  Bd.  I  S.  479. 
:::::-)  Siehe  Wiedemann,  Galvanismus  Bd.  I  S.  479  u.  480. 


Electrolyse.  241 

Wasser  abgespiiltcn  und  rait  Filtrirpapier  getrockneten  Electroden  bestimmt  werden. 
Man  nimmt  (nach  P  e  r  r  o  t)  am  besten  das  Mittel  beider  Gewichtsdifferenzen  und 
dividirt  dasselbe  durch  die  Dauer  der  Electrolyse,  um  die  der  Zeiteinheit  ent- 
sprechende  Kupferfallung  zu  erhalten,  welche  dann  als  Mass  der  Stromstarke  gilt. 

Em  zweites  electrolytisch.es  Grundgesetz  ergibt  sich  aus  der  folgenden 
gleichfalls  durch  zahlreiche  und  sorgfaltige  Versuche  constatirten  Thatsache. 

Nehraen  wir  an,  die  Apparate  a,  b  u.  s.  w.  in  Fig.  1467  enthalten  ver- 
scliiedene  Electrolyte  (z.  B.  Schwefelsaure,  Lcisung  von  salpetersaurem  Silberoxyd, 
geschmolzenes  Chlorblei  u.  s.  w.),  deren  Aequivalentzahlen  wie  «,  /?,  y,  3,  s  zu  einander 
sich  verhalten,  wahrend  a,  b,  c,  d,  e  wieder  die  Gewichtsmengen  der  innerhalb 
einer  bestimmten  Zeit  in  den  einzelnen  Apparaten  zersetzten  Substanzen  bedeuten, 

so    findet   man,    dass  —  =  — ,  ferner  — r  —  ■ —  und  endlich  —  -4-  ~—  r=  — , 
as  P  7  p   ■        o  a 

also  audi  —   -4-  —  =z 1 —  r=  ~  ■=.  ■ — .  Dieses  Resultat  lasst  sich  dahin 

p  o  yd  a  s 

aussprechen,  dass  die  von  einem  und  demselben  Strome  innerhalb 
einer  bestimmten  Zeit  zerlegten  Gewichtsmengen  verschiedener 
Electrolyte  einander  chemise h  Equivalent  sind.  Geht  also  derselbe 
Strom  hinter einander  z.  B.  durch  verdtinnte  Schwefelsaure  und  gesehmolzenes 
Chlorsilber  und  zersetzt  er  innerhalb  einer  bestimmten  Zeit  49  Milligramm  Schwefel- 
saure (indem  er  dabei  9  Milligramm  Knallgas  entwickelt,  oder,  wie  man  sich  aus- 
driickt,  9  Milligramm  Wasser  zersetzt),  so  zersetzt  er  gleichzeitig  143-5  Milligramm 
Chlorsilber,  wobei  die  Zahlen  49,  9  und  143*5  eben  die  Aequivalentzahlen  von 
HSOv  HO  und  Ag  CI  sind.  Ein  Strom  also,  der  in  einem  Wasserzersetzungs- 
apparate  binnen  einer  bestimmten  Zeit  1  Milligramm  Wasser  zersetzt,  *)  wird, 
wenn  er  gleichzeitig  durch  Chlorsilber  geht,  von  diesem  x  Milligramm  zerlegen, 
wobei  x  :  1  —  143-5  :  9,  also  a?  =  15-9  Milligramm  ist.  Dies  gilt  jedoch 
nur,  wenn  beide  Zersetzungsapparate  gleichzeitig  eingeschaltet  sind,  nicht  aber 
wenn  man  zuerst  den  einen  und  dann  den  anderen  einschaltet,  weil  im  letzteren 
Falle  nicht  anzunehmen  ware,  dass  auf  beide  Substanzen  die  gleiche  Stromstarke 
wirkt. 

Man  kann  das  vorstehende  Ergebniss  audi  so  aussprechen:  fur  jedes  Milli- 
gramm Wasserstotf,  welches  im  Voltameter  innerhalb  einer  bestimmten  Zeit  ent- 
wickelt  wird  (s.  Formel  2),  scheidet  derselbe  Strom  aus  Chlorsilber  108  Milligramm 
Silber,  aus  Chlormagnesium  12  Milligramm  Magnesium,  aus  Jodkalium  39  Milli- 
gramm Kalium,  aus  Kupfervitriol  31" 7  Milligramm  Kupfer  u.  s.  w.  aus. 

Demnach  lautet  das  zweite  Faraday'sche  Grundgesetz  der  Electrolyse 
auch  so:  die  von  demselben  Strome  in  verschiedenen  Elect rolyten 
gleichzeitig  ausgeschiedenen  Jonen  sind  einander  chemisch 
Equivalent. 

Durch  die  Wechselwirkung  zwischen  den  ausgeschiedenen  Jonen  und  der 
Substanz  der  Electroden  oder  des  Electrolyten  selbst  werden  in  der  Regel  secundare 
chemische  Processe  veranlasst,  welche  die  Erkennung  des  urspriinglichen  (primaren) 
electrolytischen  Vorganges  oft  sehr  erschweren.  Uebrigens  gehen  beiderlei  Pro- 
cesse, wie  die  Erfahrung  gelehrt  hat,  ganz  unabhangig  von  einander  vor  sich. 
Auf  diesem  Verhalten  und  auf  dem  Umstande,  dass  die  Wirkungen  der  Electrolyse 
nur  an  den  Electroden  sich  aussern,  wahrend  in  alien  zwischen  denselben  liegenden 
Schichten  der  Electrolyt  keine  unmittelbare  Veranderung  durch  den  Strom  erfahrt, 
beruht  die  Moglichkeit,  die  primaren  Resultate  der  Electrolyse  von  den  secundaren 
zu  unterscheiden  und  mit  Sicherheit  zu  ermitteln.  Zu  dem  Ende  gibt  man  den 
fiir  electrolytische  Untersuchungen  bestimmten  Zersetzungsapparaten  eine  solche 
Einrichtung,  dass  sie  aus  zwei  oder  mehreren  durch  Diaphragmen  oder  Canale 
communicirenden  Abtheilungen  bestehen,  deren  Inhalt  nach  der  Electrolyse  getreunt 


*)  Wir  haben  bereits  erlautert,  in  welchem  Sinne  diese  Ausdrucksweise  gestattet  ist. 
Karmarsch  &  Heeren    Techniscbes  Wiirterbuch.     Bd.  III.  16 


242 


Electrolyse. 


(in  Bezug  auf  seine  eleraentare  Zusammensetzung)  untersucht  werden  kann.  Bei 
einer  sekr  einfachen  unci  zweckuiassigen,  von  Wiedemann  herriihrenden  Ein- 
richtung  dieser  Art  besteht  der  Zersetzungsapparat  (Fig.  1470)  aus  zwei  durcli 
einen  Canal  d,  e,  f,  e1,  d,  communicirenden  Abtheilungen  a  und  o1,  welche  die 
Fig.  1470.  Eleetroden  c  und  c,    ent- 

halten,  wobei  angenommen 
werden  kann,  dass  die  in 
Folge  der  electrolytischen 
Processe  an  den  Eleetroden 
auftretenden  secundaren 
Wirkungen  nicht  aus  einer 
Abtheilung  in  die  andere 
sich  erstrecken  konnen. 
Die  zu  den  Eleetroden 
fiihrenden  Platindrahte  I 
und  l{  gehen  durch  die 
glasernen  Deckel  b  und 
bx  der  Glasgefasse  a  und 
ax  •  eben  so  die  in  der 
Mitte  durch  einen  dreiarmi- 
gen  Kantschukschlanch 
vereinigten  glasernen  Anne 
des  Yerbindungs  -  Canals. 
Der  mittlere  Arm  des 
Schlauches  umfasst  ein  glas  ernes  Hahnstiiek  g,  welches  von  einem  Stative  h  ver- 
stellbar  festgehalten  wird  und  dazu  dient,  nach  Fiillung  der  Glaser  durcli  Saugen 
bei  geofifnetem  Hahne  aucb  den  Verbindungs- Canal  zu  fiillen,  wora'uf  der  Hahn 
geschlossen  wird.  Nach  der  Electrolyse  wird  derselbe  wieder  ge&ffnet,  urn  die 
in  den  Canal  gehobene  Fliissigkeit  in  zwei  getrennten  Partien  zuriickfallen  zu 
lassen.  Hierauf  wird  der  Inhalt  eines  jeden  der  beiden  Glaser  far  sich  untersucht 
und  das  Ergebniss  mit  der  bekannten  Zusammensetzung  der  Substanz  von  der 
Electrolyse  verglichen. 

Wir  iibergehen  die  mannigfaltigen  von  D  an  i  ell,  Miller  und  insbesondere 
von  Hittorf  construirten  electrolytischen  Apparate,  indem  wir  diesfalls  auf 
Wiedemann's  Werk  iiber Galvanismus  verweisen,  welches  audi  die  betreffenden 
Originalabhandlungen  citirt.  Auf  die  Untersuchungen  von  Hittorf  und  Wiede- 
mann werden  wir  spater  noch  zuruckkommen. 

Wir  beschaftigen  uns  vorerst  noch  mit  der  Frage,  wie  man  sich  den  Hergang 
der  Electrolyse  vorstellen  kann,  urn  zu  einer  Erklarung  der  bisher  angefiihrten 
Thatsachen  zu  gelangen. 

Nach  einer  alteren,  von  G  r  o  tthuss  (1805)  aufgestellten  Ansicht  hatte  man 
sich  z.  B.  die  Electrolyse  von  HCl  in  folgender  Weise  zu  denken. 

Jedes  i/67-Molecul  (I,  II,  III  u.  s.  w.  Fig.  1471)  besteht  aus  entgegengesetzt 
electrischen  Atomen  von  H  und  67,  indem  beim  Contacte  der  letzteren  H  positiv 
und  CI  negativ  electrisch  wird.     Zwischen  den  Eleetroden  A  und  K  richten  sich 

Fig.  1471. 


H- 


A 


\a\K\      ^k1)      V67  A7V      \aA-K 


7C 


Electrolyse.  243 

die  (in  Folge  des  flussigen  Zustandes  des  Electrolyten  leicht  beweglichen)  Molecule 
dargestellt,  dass  die  electronegativen  Atome  (CI)  der  positiv  electrischen  Anode 
A  und  die  electropositiven  Atome  (H)  der  negativ-electrischen  Kathode  K  zuge- 
wendet  sind.  Die  Anzielmng  der  Anode  auf  das  Chloratom  1  bewirkt  ein  Los- 
reissen desselben  vom  Wasserstoff-Atom  2;  dieses,  frei  geworden,  verbindet  sich 
uiit  3,  4  mit  5,  6  mit  7,  wahrend  das  Wasserstoff-Atom  8  der  Anziehung  von 
Seite  der  Kathode  K  folgt  und  an  derselben  sich  ausscheidet. 

Nach  dieser  Ansicht  wiirde  jedoch  (wie  Clausius  mit  Recht  geltend  ge- 
macht  hat)  cine  Electrolyse  erst  dann  eintreten  konnen,  wenn  die  von  den 
Electroden  ausgehenden  electrischen  Krafte  eine  gewisse  zum  Losreissen  der  an- 
grenzenclen  Atome  (1  und  #),  d.  i.  zur  Aufhebung  des  Znsammenhanges  der 
Moleciile  des  Electrolyten  erforderliche  Intcnsitat  erreichen.  Unterhalb  dieser 
Grenze  konnte  kein  Strom  durch  den  Electrolyten  gehen,  nach  Ueberschreitung 
dieser  Grenze  aber  plotzlich  ein  sehr  starker  mit  entsprechend  lebhafter  Zersetzung. 
Dagegen  lehrt  die  Erfahrung,  dass  audi  bei  den  schwiichsten  Strtimen  Electrolyse 
stattfindet. 

Diese  Schwierigkeit  wird  durch  die  von  Clausius  aufgestellte  Annahme 
behoben,  dass  die  Moleciile  des  Electrolyten  (wir  wollen  sie  mit  Clausius 
„Gesammtmoleciile"  heissen)*)  nicht  als  festverbundene  Atomencomplexe  zu  be- 
trachten  sind,  sondern  dass  die  als  Jonen  auftretenden  Bestandtheile  („Theil- 
moleciile")  der  einzelnen  Gesammtmoleciile  schon  vor  der  Einschaltnng  in  den 
Stromkreis  in  einem  fortwahrenden  mehr  oder  weniger  lebhaften  Austausche  be- 
gnffen  sind,  so  dass  z.  B.  ein  _HC7-Moleciil  nicht  immer  aus  denselben  Atomen 
H  und  CI.  besteht,  sondern  dass  bei  den  dem  flussigen  Zustande  (nach  Massgabe 
der  Temperatur)  eigenthiimlichen  Molecular-Bewegungen  ofter  ein  Zusammentretfen 
ungleichartiger  Theilmoleciile  zweier  benachbarter  Gesammtmoleciile  stattfindet, 
und  in  Folge  dessen  ein  Losreissen  und  wechselseitiger  Austausch  der  Theil- 
moleciile eintritt.  **)  Die  Jonen  sind  also  schon  vor  der  Electrolyse  in  fortge- 
setzten  Verbindungen  und  Zersetzungen  begriffen.  Beim  Durchgange  des  Stromes 
werden  diese  Bewegungen  mehr  oder  weniger  in  der  Art  geregelt,  dass  die  freien 
positiven  Jonen  vorherrschend  in  der  einen,  die  negativen  in  der  entgegengesetzten 
Richtung  sich  bewegen. 

Bei  dieser  Wanderung  der  Jonen  kommt  noch  die  weitere  Frage  in  Betracht, 
ob  man  sich,  was  das  Nachstliegende  ware,  vorzustellen  hat,  dass  Anion  und 
Kation  mit  gleichen  Geschwindigkeiten  den  betreffenden  Electroden  sich  nahern 
oder  nicht.  Beide  Annahmen  sind  mit  einer  gleich  grossen  Ausscheidung  in  einem 
gegebenen  Falle  vereinbar. 

Nehmen  wir  z.  B.  an,  es  werden  in  einer  Minute  222  Milligramm  Ca  CI 
electrolysirt,  wir  wollen  sagen:  vier  Aequivalente  (222  ■=.  4  X  55*5).  Die  Doppel- 
reihe  I  (Fig.  1472)  soil  uns  10  Aequivalente  Ca  CI  vorstellen,  indem  die  mit  A 
bezeichneten  Punkte  CI  und  die  mit  B  bezeichnetcn  kleinen  Kreise  Ca  bedeuten. 
Wir  wollen  der  Einfachheit  wegen  10  gleich  weit  von  einander  entfernte  Gesammt- 
moleciile betrachten. 

Man  kann  sich  nun  die  Ausscheidung  von  4  Aequivalenten  CI  auf  der  einen 
und  4  Aequivalenten  Ca  auf  der  anderen  Seite  entweder  in  der  Art  bewerkstelligt 
denken,  wie  bei  //  angedeutet  ist,  namlich  so,  dass  die  Theilmoleciile  A  und  B 
gleich  schnell  (um  je  2  Intervalle)  nach  entgegengesetzten  Richtungen  vorschreiten, 
oder  auch,  wie  III  andeutet,  durch  ungleich  schnelles  Vorriicken  (indem  z.  B.  die 


*)  Diese  Bezeichnungen :  „Gesaramtmolecul"  und  „Theilraoleciil"  sind  besonders  far  den 
allgemeineren  Fall  gewiihlt,  dass  die  Jonen  eiues  electrolysirten  Molecules  selbst  aus 
mehreren  Atomen  bectshen ;  so  sind  z.  B.  S04  und  II  die  Theilmoleciile  des  Gesammt- 
rnoleciiles  IISO.^.  (Siehe  Clausius  Abhandlungen  Bd.  2  S.  205.) 
**)  Eine  iihnliclie  (iibrigens  noch  weiter  gehende)  Ansicht.  iiber  das  Verhalten  zusammen- 
gesetzter  fliissiger  und  lufttormiger  Korper  hat  schon  William  son  in  einer  Abhandlung 
iiber  die  Th  orie  der  Aetherbildung  ausgesprochen. 

16* 


244 


Electrolyse. 


A  urn  3  Intervalle   nach  der  Anode,  die  B  aber    gleichzeitig    nur  urn  1  Interval! 
nach  der  Kathode  sich  bewegen). 

Fig.  1472. 
S 


BO  o  o  o  o 


B 


o  o 


^O   0   O   O 


O   O   O    O    OB 


ooooooo^' 


s 


II 


III 


o  o  o  o  o  o^ 


Wilrde  man  in  beiden  Fallen  die  Beschaffenheit  des  Electrolyten  vor  und 
nach  der  Electrolyse  zu  beiden  Seiten  eines  bestimmten  Querschnittes  S  nnter- 
suchen  (was  bei  Anwendung  eines  der  oben  erwahnten  Zersetzungs-Apparate  wohl 
geschehen  kann),  so  wiirde  man  finden,  dass  der  Gehalt  an  A  in  der  Abtkeilung 
auf  Seite  der  Anode  im  Falle  III  mehr  zugenommen  hatte  als  im  Falle  77;  oder, 
mit  anderen  Worten,  dass  in  dem  einen  Falle  eine  stark  ere  „Ueberfiihrung"  des 
Jones  A  zur  Anode  stattgefunden  hat  als  im  anderen. 

Hittorf  hat  die  in  diesem  Sinne  stattfindenden  Ueberfiihrungen  der  Jonen 
zur  Anode  und  Kathode  in  vielen  Fallen  untersucht  und  numerisch  mit  einander 
verglichen.  Er  fand,  dass  die  diesem  Verhaltnisse  entsprechenden  sogenannten 
„Ueberfiihrungszahlen"  *)  fast  nie  einander  gleich,  sondern  in  der  Regel  ganz  be- 
deutend  von  einander  verschieden  sind,  und  zwar  in  der  Art,  dass  die  Ueber- 
fohrung  zur  Anode  grosser  ausfallt.  So  sind  z.  B.  die  Ueberftihrungszahlen  von 
CI  und  Ca  0*78  und  0-22,  d.  h.  an  der  relativen  Wanderungsgeschwindigkeit 
participirt  das  Chlor  mit  78  °/0,  das  Calcium  mit  22  °/,r 

Neueste  Untersuchungen  von  F.  Kohlrausch**)  haben  es  sehr  wahr- 
scheinlich  gemacht,  dass  die  Leitungsfahigkeiten  der  Electrolyte  mit  den  Ueber- 
ftihrungszahlen ihrer  Jonen  in  einem  sehr  einfachen  Zusammenhange  stehen.  Haben 
z.  B.  zwei  Electrolyte  einen  Bestandtheil  gemeinsam  (KCl  und  NaCl)  und  untersucht 
man  dieselben  in  verdiinnten  wassrigen  Losungen,  welche  in  gleichen  Raumtheilen 
gleich  viele  Aequivalente  enthalten,  so  zeigt  sich,  dass  die  Leitungsvermogen 
verkehrt  (also  die  Leitungswiderstande  direct)  wie  die  Ueberfiihrungszahlen  des 
in  beiden  Fallen  gemeinschaftlichen  Bestandtheils  sich  verhalten. 

Da  das  Wasser  selbst  nicht  leitet,  kann  es  nur  als  Mittel  betrachtet  werden, 
in  welchem  die  electrolytischen  Verschiebungen  vor  sich  gehen ,  so,  dass  der 
Leitungswiderstand  der  Losung  als  der  Reibungswiderstand  sich  darstellt,  welchen 
die  wandernden  Elemente  an  den  Theilchen  des  Wassers  (und,  wenn  die  Losung 
nicht  verdiinnt  ist,  auch  aneinander)  finden. 

Eine  electrolytische  Ueberfiihrung  anderer  Art  —  man  nennt  sie  die  mecha- 
nische  Ueberfiihrung  oder  electrische  Endosmose  —  findet  statt,  wenn  ein  Zer- 
setzungsapparat  durch  eine  porose  Scheidewand  in  zwei  Abtheilungen  getheilt  ist. 
Es  findet  in  diesem  Falle  eine  Ueberfiihrung  der  Fliissigkeit  durch  das  Diaphragma 
nach  der  Kathode  bin  statt,  und  zwar  desto  mehr,  je  grosser  einerseits  die 
Stromstarke  und    anderseits  der  Leitungswiderstand  der  Fliissigkeit   ist.     Naheres 


*    Sind  Wj   und  v2  die    Wanderuugsgeschwindigkeiten    der    beiden    Jonen,    so    nennt    man 
v.  v2 

n.   ~  1 und  n2   ~    ; ihre  Ueberfiihrungszahlen. 

«,   -j-  v.2  vx   -f-  v.t  & 

*)  Siehe  Carl's  Repertorium  der  Experimentalphysik,  Bd.   13  Heft  1,  S.   10. 


Electrolyse.  —  Electromagnetismus.  245 

iiber    diese   von    Wiedemann    und    Quincke   genauer    erforschte    Erscheinung 
findet  man  in  Wiedemann's  mehrfach  citirtem   Werke.*) 

Die  practischen  Anwendungen  der  Electrolyse  gehoren  grosstentheils  der 
Galvanoplastik  (beziehungsweise  audi  Galvanokaustik)  an,  die  in  einem  besonderen 
Artikel  abgehandelt  wird.  Hier  wollen  wir  nur  noch  an  die  epochemachenden 
Versuche  Davy's  erinnern,  welcher  die  Zerlegung  der  Alkalien  und  Erden  auf 
electrolytischem  Wege  zuerst  bewirkt  hat  und  einige  Worte  iiber  die  electro- 
chemische  Gewinnung  gewisser  Metalle  beifiigen. 

Kalium  kann,  bei  Anwendung  einer  kraftigen  Saule,  an  einer  Platin-Electrode 
bekanntlich  direct  erhalten  werden,  wenn  man  ein  feuchtes  Stiickchen  Aetzkali 
auf  ein  Platin-Blech  als  Anode  legt  und  oben  mit  einem  als  Kathode  dienenden 
Platin-Drahte  beriihrt. 

Leichter  lasst  sich  Kalium-Amalgam  erhalten.  Um  das  Amalgam  eines 
Alkali-Metalles  electrolytisch  darzustellen,  dient  ein  Apparat  wie  Fig.  1473. 

Am  Boden  eines  Glasgefasses  befindet  sich  Queck-  Fig.  1473. 

silber,  in  welches  das  blanke  Ende  eines  mit  einem 
isolirenden  Ueberzuge  versehenen  Platin-Drahtes  taucht, 
der  mit  dem  negativen  Batteriepole  verbunden  ist.  Ueber 
dem  Quecksilber  befindet  sich  dann  die  concentrirte 
alkalische  Losung,  in  welche  man  die  als  Anode  dienende 
Platinplatte  taucht.  Das  ausgeschiedene  Metall  (z.  B. 
Kalium)  verbindet  sich  unter  Erwarmung  mit  dem  Quecksilber  und  das  entstandene 
Amalgam  erstarrt  beim  Erkalten. 

Uebrigens  konnen  (nach  Bun  sen)  selir  leicht  oxydirbare  Metalle  auch  aus 
ihren  Chlorverbindungen  electrolytisch  ausgeschieden  werden,  wenn  man  durch 
Anwendung  einer  Kathode  von  sehr  kleiner  Oberflache  (Platindraht)  eine  grosse 
Stromdichte  erzeugt. 

Die  bei  anorganischen  Verbindungen  betrachteten  electrolytischen  Gesetze 
finden  auch  bei  den  organischen  analoge  Anwendungen.  So  geben  z.  B.  die  Verbin- 
dungen organischer  Sauren  mit  den  Alkalien  an  der  Kathode  ein  Aequivalent  Metall, 
welches  sich  unter  Wasserstoffentwicklung  oxydirt  oder  nach  Umstanden  auch  re- 
ducirend  auf  das  organische  Salz  wirkt.  An  der  Anode  tritt  ein  Aequivalent 
Sauerstoif  und  ein  Aequivalent  Saure  (zunachst  als  Anhydrit)  auf,  die  sich  jedoch 
theils  mit  Wasser  verbindet,  theils  durch  den  activen  SauerstofF  oxydirt.  Es  ent- 
stehen  auf  diese  Art  secundare  Producte,  die  nach  Massgabe  der  Stromdichte, 
Concentration  und  Temperatur  sehr  verschieden  sein  konnen.**) 

Die  secundaren  Producte  der  Electrolyse  treten  in  gewissen  Fallen  (bald 
an  der  Anode,  bald  an  der  Kathode)  in  so  diinnen  Schichten  auf,  dass  sie  die 
sogenannten  Farben  diinner  Plattchen  (wie  wir  sie  z.  B.  an  den  Seifenblasen 
sehen)  zeigen.  Hieher  gehoren  z.  B.  die  Nobili'schen  Farben  von  Bleihyper- 
oxyd  an  der  Anode  und  die  gleichfalls  an  der  Anode  entstehenden  farbigen  Nieder- 
schtage  von  Manganhyperoxyd,  welche  Processe  man  zur  Verzierung  von  Metall- 
waaren  (z.  B.  Tischglocken,  Briefschwerern  u.  dgl.)  verwendet  hat.  Wir  ver- 
weisen  jedoch  die  naheren  Angaben  hieriiber  in  den  Artikel  Galvanoplastik. 

A.   v.   W. 

Electrolyte  (electrolyte  —  electrolyte),  s.  Electrolyse. 

Electromagnet  (electro-aimant  —  electro-magnet),  siehe  Electromagne- 
tismus. 

Electromagnetismus  (electro -magnetisme  —  electro -magnetism).  Die  im 
Artikel  Electricitat  (Absatz  XXXIII)  erwahnten  magnetischen  Wirkungen  eines 
electrischen  Stromes  (derselbe  mag  wie  immer  hervorgebracht  sein)  sind  von 
zweifacher  Art.     Einerseits    bewirkt    der    electrische  Strom,    indem    er    einen    des 


')  Bd.  I  S.  576. 

*)  Siehe  Wiedemann,  Bd.  I  S.  548. 


246 


Electromagnetisinus. 


Magnetismus  fahigen  Kbrper  (z.  B.  einen  Eisenstab)  umk-reiset,  eine  Magnetisirung 
des  Korpers ;  anderseits  vermag  er  bewegliche  Stahlmagnete  (z.  B.  Magnetnadeln), 
die  sich  in  seiner  Nahe  befinden,  nach  besthnmten  Gesetzen  abzulenken. 

Beide  Arten  von  inagnetiscben  Wirkimgen  sollen  bier  nur  insoweit  beriick- 
sicbtigt  Averden,  als  sie  bei  wichtigen  praktischen  Anwendungen  in  Betracht 
kommen.  Hierber  geboren  einerseits  die  Electromagnete  und  anderseits  die  Gal- 
vanometer. 

a)  Magneti siren de  Wirkung  des  Stromes.  Die  Gesetze  dersclbcn 
Averden  am  besten  aus  folgenden  Beispielen  erhellen. 

1st  ein  Eisenstab  mit  einer  recbtsgewundenen  Drabtspirale  beAvickelt,  so 
wird  das  Stabende  an  der  Eintrittsstelle  des  Stromes  stets  sudlicb  magnetisch, 
Avie  I  und  77  in  Fig.  1474  andeuten.  In  einer  linksgewundenen  Drathspirale  ent- 
stebt  an  der  Eintrittsstelle  des  Stromes  der  Nordpol.  Siebe  III  und  IV  in 
Fig.  1474.  Hieraus  ergibt  sich  folgende  allgemeine  Regel.  Man  denke  sicb  im 
Stromleiter  eine  menscblicbe  Figur*)  mit  dem  Strome  schwimmend,  das  Gesicbt 
gegen  den  Eisenstab  gewendet.  Der  Nordpol  entsteht  dann  stets  zur  Linken  dieser 
Ampere'scben  Figur.  Ein  durcb  einen  electrischen  Strom  magnetisirter  Eisenstab 
von  was  immer  fiir  einer  Form  heisst  Electromagnet. 

lig.  1474. 
1  III 


■*i  \  \  \  \  \.  \  \  raxp-y    *\iiznimm3s 


^aimiiimx!^    jqjrrrrniim-v- 


Zur  Messung  der  Grosse  des  Magnetismus  (z.  B.  eines  magnetisirten  Stabl- 
stabes)  dient  bekanntlicb  die  Beobacbtung  des  Winkels  w  —  no  n',  urn  welchen 
eine  Magnetnadel  ri  s'  (Fig.  1475)  von  dem  in  bestimmter  Lage  und  Entfernung 
angebraebten  Magnetstabe  NS  aus  ibrer  urspriinglicben  Stellung  ns  abgelenkt 
wird.  War  NS  senkrecbt  auf  ns  und  der  Abstand  Oo  (im  Vergleicbe  mit  Nadel 
und  Stab)  verhaltnissmassig  gross,  so  ist  die  Grosse  des  Magnetismus  unter 
iibrigens  gleicben  Umstanden  der  Tangente  jenes  Ablenkungswinkels  anniibernd 
proportional. 

Fig.  1476. 

/«* 

N   O      S 


Mit  Benutzung  dieses  Principes  (in  der  Fig.  1476  angedeuteten  Weise)  und 
gehoriger  Berlicksichtigung  des  durcb  die  magnetisirende  Drabtspirale  S  fiir  sicb 
ailein  (ohne  Stab)  bewirtten  Theiles  der  Nadel-Ablenkuug  an  der  Bussole  B  hat 
man  gefunden,  dass  der  durcb  einen  electrischen  Strom  erregte  Magnetismus 
(E 1  e c t  r  o m  agnetismus)    innerhalb    ziemlich    weiter  Grenzen    der    Stromstarke 


K)  Wir  wollen  sic  kiiut'tig  kurz  die  Ampere'sche  Figur  nennen. 


Electromagnetismm 


247 


Fig.  1470. 


Fig.  1477. 


/flu 

lip 

- 

/       \ 

Le                  I 

1 

.ESPT— * 

!| 

proportional  ist.  *)    Bei  starkeren  Magnetisirun- 
gen  wachst  der  Magnetismus  langsamer  als  die      HE]B 
Stromstarkc ;  man    sagt  dann :    es    trete   „S;itti-      I™! 
gung"   ein.**) 

Ein  ahnliches  Gesetz  gilt  fur  den  Zusam- 
menhang  zwischen  der  magnetisirenden  Strom- 
starke  und  der  Tragkraft  von  Electromagneten 
der  gewohnlieh  vorkommenden  Form  (Fig.  1477). 

Dabei   ist  jedocli  wobl  zu  beachten,  dass 
der  dnrcb  den  Strom  erregte  Magnetismus,  sobald 
man  den  Anker  vorlegt,  clnrcb  die  Riickwirkung  desselben 
sehr  bedeutend  gesteigert  wird,  wesslialb  eine  Vergrosse- 
rung    der  Stromstarke   bei   vorgelegtem    Anker    eine    viel 
raselier  zunebrucnde  Sattigung  bewirkt  als  ohne  Anker.***) 

Wahrend  man  die  Tragkraft  eines  guten  Stahlma- 
gneten  aus  dem  Gewiclite  desselben  annabernd  berecbnen 
kann,  f)  gibt  es  keine  allgemeine  Forrnel  fur  die  Trag- 
krlifte  der  Electromagnete ;  doch  ist  es  immer  leicht, 
dieselbe  soweit  zu  bringen,  dass  sie  ein  Vielfaches  wird 
von  der  Tragkraft  eines  gleichscbweren  Stahlmagneten. 

Eine  verhaltnissmassig  noch  grossere  Tragkraft  als 
die  Electromagnete  von  der  gewohnliehen  Hufeisenform 
baben  die  sogenannten  Glockenmagnete  (Fig.  1478,  1479 
und  1480),  welcbe  man  namentlich  bei  der  Construction 
von  electromagnetiscben  Maschinen  (Motoren,  siebe  den 
Artikel   Electromotor)    mit  Vortlieil    angewendet   hat. 

Wahrend  bei  gewohnliehen  Electromagneten  nur  im 
Inneren  der  Magnetisirungsspirale  ein  Eisenkern  sich  be- 
findet,  baben  G  u  i  1 1  e m  i  n  und  Romers h  a u  s  e n  auch 
die  aussere  Flache   der-         p{      M7^  n      U7^ 

selben  mit  einer  Eisen- 
hiille  umgeben,  wie  Fig. 
1478,  welche  den  Ro- 
me r  s  h  a  u  s  e  n'schen 
Glockenmagnet  darstellt, 
beispielsweise  zeigt.  In 
den  Raum  zwisehen  dem 
massiven  und  hohlen  Cy- 
linder kommt  die  Magnetisirungsspirale,  wie  auch  in  Fig. 
1480  ersichtlich  ist,  wo  anstatt  der  ausseren  HiUle  mehrere 

rings  urn  die  Spirale  angeordnete  Eisenstabe  angebracht  sind,  welche  mit  dem 
inneren  Eisenkern  auf  einer  gemeinsehaftliehen  eisernen  Bodenplatte  befestigt  sind 
(System  Nickles).  Eine  solche  geraeinsehaftliche  Bodenplatte  verbindet  auch  den 
massiven  und  hohlen  Cylisider  Fig.  1478.  Eine  oben  aufzulegende  eben  solche 
Platte  dient  als  Anker.  Ein  Nickles'scher  Magnet  mit  nur  zwei  ausseren  Staben 
ist  Fig.  1479  abgebildet. 


*)  Nach    meirien  Untersuchungen    ungeiahr    so  langi?,  bis  der  Stab    die  Halfte  des  Mague- 
tismus,  (lessen  er  iiberhaupt  fahig  ist,  angenommen  hat. 
**)  Corre,cter  ware    es  zu  sagen:  Der  Magnetismus    iibersteigt  die  halbe  Sattigung-.     Vergl. 
die  vorhergehende  Aumerkung. 
***)  Die  Kesulate  neuerer  Untersuchungen  liieruber  enthalt  Wii liner's  Lehrbuch  der  Physik 
(3.  Aufl.  4.  Bd.   S.  825),  wobei    die    rait  p  bezeichneten  Zahlen   die    Sattiguugsprocente 
bedeuten. 
f)  Nach   der  Jiac  eke  r'schen   Formel    T   —   103  P~\    wobei   T  die    Tragkraft    und    P  das 
Gewicht  des  Magneten  (ohne  Anker,  der  bei  T  eingerechnet  wird)  in  Grammen  bedeuten. 


248  Electromagnetismus. 

Man  begegnet  sehr  haufig  der  Behauptung,  dass  die  Tragkraft  der 
Electromagnete  bei  sckwachen  Magnetisirungen  mit  dem  Quadrate  der  Stromstarke 
wachse.  Diese  auf  falschen  Schlussfolgeruugen  beruhende  Annahme  wird  durch 
die  Erfabrung  nirgends  bestatigt.  *) 

Die  Tragkraft  wachst  bei  beginnencler  Magnetisirung  allerdings  etwas  rascher 
als  die  Stromstarke,  aber  niclit  im  quadratischen  Verhaltnisse ;  spaterhin  tritt 
innerbalb  enger  Greuzen  eine  annahernde  Proportionalitat  ein,  und  bei  noch 
weiter  fortgesetzter  Magnetisirung  wachst  die  Tragkraft  immer  langsamer  im 
Vergleiche  mit  der  Stromstarke. 

Nach  Unterbrechung  des  magnetisirenden  Stromes  verliert  das  Eisen  den 
erlangten  Magnetismus  desto  vollstandiger,  je  weicher  es  ist.  Stahl  belialt  da- 
gegen  einen  mehr  oder  weniger  betrachtlichen  magnetischen  Riickstand,  worauf 
eben  die  Herstellung  permanenter  Stahlmagnete  beruht. 

Zum    Magnetisiren   von   geraden    oder   gebogenen    Stahlstaben    mittelst    des 
electrischen  Stromes  dient  die  Elias'sche  Magnetisirungsspirale  (Fig.  1481),  welche 
Fig.  1481.  entweder    aus    sehr    dickem    (etwa   4mm)    iiber- 

sponnenen  Kupferdrahte  oder  aus  einem  isolirend 
bewickelten  oder  tibersponnen  Kupferblechstreifen 
liergestellt  wird.  Ist  die  Spirale  bis  auf  die 
Mitte  des  Stabes  aufgeschoben ,  so  wird  der 
Strom  gescblossen.  Nachdem  man  die  Polflachen 
mit  weichem  Eisen  verankert  hat,  wird  die  Spirale 
etwa  10-  bis  20mal  von  Pol  zu  Pol  und  wieder 
in  die  Mitte  zuriick  bin-  und  liergeschoben  (oder 
umgekebrt  der  Stab  in  der  Spirale)  und  sodann 
der  Strom  wieder  unterbrochen.  Je  barter  der 
Stahl  ist,  desto  schwerer,  aber  auch  desto  haltbarer,  ist  er  zu  magnetisiren,  d.  h. 
desto  weniger  M:;gnetismus  nimmt  er  bei  einer  gewissen  Stromstarke  an,  desto 
mehr  Procente  davon  behalt  er  aber  auch  zuriick. 

Aus  glashartem  Wolframstahl  hat  Referent  durch  Anwendung  entsprechend 
starker  Strome  sehr  kraftige  Magnete  erzeugt.  Ausserordentlich  kraftig  sind  die 
(gleichfalls  mit  dem  Strome  magnetisirten)  beriihmten  Haarlemer  Magnete  (na- 
mentlich  jene  von  Wetter  en).  Hire  Tragkraft  ist  ein  Mehrfaches  von  jener,  welche 
nach  Hacker  den  besten  Stahlmagneten  in  der  Regel  zukommt  und  der  Forrnel 

T  —  103  ft 
entspricht,  wobei   T  die  Tragkraft  in  Grammen  und  P  das  Gewicht  des  Magneten 
in  Grammen  bedeutet.    (Das  Gewicht  des  Ankers  wird  natiirlich  zu  T  gerechnet.) 
Noch    kraftiger    sollen    die    Jamin'schen  „Blattermagnete"   (aus   gebogenen 
magnetisirten  diinnen  Stahlfedern  zusammengesetzt**)  sein. 

Ungewdhnlich  kraftig  (d.  h.  mehr  leistend,  als  die  obige  Hacker'sche  Forrnel 
verlangt)  sind  auch  die  Magnete  von  S.  M  a  r  c  u  s  in  Wien. 

Die  Avichtigste  Anwendung  finden  kraftige  Stahlmagnete  bei  der  Herstellung 
von  magnetoelectrischen  Inductionsapparaten  fur  die  Telegraphie,  Sprengtechnik 
und  andere  Zwecke. 

Der  Electromagnetismus  kann  auch  in  der  Art  zur  Herstellung  kiinstlicher 
Magnete  dienen,  dass  man  die  zu  magnetisirenden  Stahlstabe  an  den  Polen  eines 
kraftigen  Electromagm  ten  streicht.  Man  verwendet  dazu  die  grossen  Electro- 
magnete von  der  in  Fig.  1482  dargestellten  Aufstellung,  wie  man  sie  in  physica- 
lischen  Cabineten  vornehmlich   fiir    diamagnetische  Versuche   gebraucht.***)     Eine 

*)  Siehe  die  vorletzte  Aumerkung. 
**)  Bei  cliesen  Feder-Lamellen  steht  also  die  Breite  der  Lamelle  auf  der  Biegungsebene 
senkreeht,  wahrend  bei  den  gewolmlichen  magiietischen  Mag\izinen  die  einzelnen  La- 
mellen  so  g-ebogen  sind,  dass  die  Breite  der  Lamelle  in  der  Biegungsebene  liegt. 
***)  Der  in  Fig.  1483  abgebildete  Anker  dient  zu  Tragkraftsversuchen  mit  dem  Electro- 
magnete Fig.  1482  mittelst  eines  in  die  Stiitze  a  einzulegenden  Abreisshebels,  die  Stiitze 
b  t'a'ngt  den  Hebel  behn  Losreissen. 


Eleetromagnetismus. 


249 


Fig.   148:- 


~JP 


Halfte  des  zu  magnetisirenden 
Stabes  wircl  auf  dem  Nordpol, 
die  andere  auf  dem  Sudpol 
des  Electromagneten  (von  der 
Mitte  aus  nach  dem  Ende  hin) 
mehrmals  gestrichen.  Die  auf 
dem  Nordpol  gestrichene  Halfte 
wird  sudlich,  die  andere  nord- 
lich  magnetisch.  Ein  weiteres 
Eingehen  auf  die  verschiedenen 
Magrietisirungsmethoden  (ins- 
besondere  auch  fur  Hufeisen- 
magnete)  wiirde  uns  zu  weit 
flihren  und  wir  miissen  diesfalls 
auf  Frick's  physikalische  Tech- 
nik  verweisen.  Gewohnlich  die- 
nen  Stahlmagnete  als  Streich- 
magnete. 

b)  A  b  1  e  n  k  e  n  d  e  W  i  r- 
k u n g    des   Stromes.     Be- 

findet  sicli  eine  Magnetnadel    in  der  Nahe  eines  Stromleiters,    so    wird  sie  in  der 

Weise    abgelenkt,    wie    es  Fig.  1484    fur  einige  Falle    beispielsweise    zeigt.     Wie 

man    sieht,    erfolgt    die  Ablenkung  des  Nordpoles  stets .  nach  der  Linken  der  mit 

dem    Strome   schwimmenden    und    mit   dem  Gesichte    gegen    die    Magnetnadel    ge- 

wendeten  A  m  p  e  r  e'schen  Figiir.  *)     So  lautet  die  Ampere'sche  Regel. 
Liegt  der  auf  die  Nadel  wirkende  Stromleiter 

seiner   ganzen  Ausdebnung  nacb  in   der  Ebene    des 

magnetischen  Meridians,  und  ist  die  Nadel  sebr  klein, 

selbst  im  Vergleicbe  mit  dem  Abstande  vom  nachst- 

liegenden  Theile  des  Stromleiters,  so  ist  die  Strom- 

.  starke    der    Tangente    des    Ablenkungswinkels    an- 

nahernd    proportional.     Hierauf   beruben    die    soge- 

nannten  Tangente nbussolen.  Bildet  der  Strom- 
leiter einen  kreisformigen  Ring,  in  dessen  Mitte  sicb 

der  Drehungspunkt    der  Magnetnadel    befindet  (Fig. 

1485),  so  bat  man  im  Wesentlichen  die  Anordnung 

der  W  e  b  e  r'scben   Tangentenbussole,    welcbe    wohl 

als  das  einfacbste,    gebraucblichste    und    unentbebr- 

lichste  Messinstrument    fiir    electriscbe  Strome  (oder 

„ Galvanometer")  bezeichnet  werden  kann.  Man  findet  mittelst  dieses  Instrumentes 

die  Stromstarke  S  nacb  cbemiscbem  Masse  nach  der  Formel 

H  R 
S  —  1-05  — -  -  .tq  co 

Hier    bedeutet  H  die   horizontale    Componente    der   erdmagnetischen    Kraft,    nach 


")  Man  clenkt  sicli  narulich  zur  leicliteren  Orientirnng-  im  Stromleiter  eine  menschliche 
Pigur  daigestellt,  im  electrischen  Strome  schwimmend,  dass  der  Strom  von  den  Fiissen 
nach  dem  Kopfe  der  Figur  gehf,  wa'hrend  das  Gesicht  der  Figur  der  Magnetnadel,  auf 
welche  der  Strom  wirkt,  zne-cwendet  ist. 


250 


Electroniagnetismus. 


der  iiblichen  Gauss'scben 
Einbeit   gemessen,*)    R 
den  Radius   des    strom- 
leitenden  Ringes  in  Milli 
metern,  n  das  Kreisver- 

haltniss  (3.  14 )  und 

w  den  Ablenkungswinkel. 
Bei  der  Gaugain- 
schen  Tangentenbussole 
1st  der  Drebungspunkt 
der  Magnetnadel  ausser- 
halb  derEbene  des  strom- 
leitenden  Ringes  im  Ab- 
stande  von  '/4  des  Ring- 
durchmessers.  Diese  An- 
ordnung  gewabrt  den 
Vortheil,  dass  die  Pro- 
portionalitat  zwiscben  S 
und  tg  ra  („Tangenten- 
gesetz")  genauer  zutrifft. 
Bedeutende  Abweichun- 
gen  vorn  Tangentenge- 
setze  treten  ein,  wenn 
die  Magnetnadel  zu  lang 
ist.  Auf  die  diesbeziig- 
'  licben  Correctionen  kann 
bier  nicbt  eingegangen 
werden.  Wir  besebran- 
ken  uris  darauf,  die  Regel 
zu  empfeblen,  dass  die 
Nadellange  l/10  des  Ring- 
durebmessers  nicbt  be- 
trachtlich  iibersteigen  soil.  --  Urn  ungeaehtet  der  Kiirze  der  Magnetnadel  auf 
einer  Kreistbeilung  von  grosserer  Ausdebnung  die  Ablenkungen  ablesen  zu  konnen, 
versiebt  man  die  Magnetnadel  mit  einem  (gewobnlicb  senkrecbt  zu  ibrer  Riebtung 
angebracbten)  leichtcn,  geraden  und  gut  aquilibrirten  Glasfaden  oder  Aluminium- 
drabt  als  Zeiger.  Der  Stromleiter  der  Taugentenbussole  kann  audi  aus  mebreren 
(entweder  nach  dem  Weber'scben  oder  naeb  dem  Gaugain'scben  System  ange- . 
ordneten)  Drabtkreisen  besteben,  wodurch  erzielt  wird,  dass  die  Ablenkung  bei 
gleicber  Stromstarke  grosser  ausfallt,  oder  mit  anderen  Worten:  dass  der  Re- 
ductions factor  kleiner  ausfallt.  Enter  diesem  verstebt  man  den  Coefficienten 
Jc  in  der  Forrnel 


S=ktg 


Fig.  1486\ 


welcbe  die  Proportionality  zwiscben 
Stromstarke  und  Ablenkungstangente 
ausdriickt.  **  i 

Fiir  starke  Strome,  und  wenn 
es  sicb  nur  darum  bandelt,  die  Zu- 
oder  Abnahme  derselben  zu  bcob- 
achten  ist  das  leicbt  herzustellende 
einfache  „Rheoscop"    Fig.   1486 


*)  In  unseren  Gegenden  kommt  der  Werth  von  H  der  Zahl  2  sehr  nahe. 
**)  In    ul.iger   Formel  (fur    eine  Weber'sche  Taugentenbussole  mit    einfaehem    Binge)  ist 

nlso  der  Beductionsfactor  t'iir  ehemisches  Strommass  1c  —   105  — . 


BJlectromagneti  sinus. 


251 


der  Nadel    kann    bei    derselben    das 


sckwachen    Stromen    die 
>mctern,  die  man  M  11 1 1 


erne 

i  c  a  - 


Fig.  1487. 


sehr    bequera.     (Wegen    der    grossen    La'n 
Tangentengesetz  natiirlich  nicLt  zutreffen). 

Zur   Nachweisung   und    Messung    von    sehr 
eigene  Classe  von  moglichst  empfindlichen  Galvani 
tor  en  nennt. 

Denkt  man  sich  eine  aufgehangte  Magnet- 
nadel ns  wie  die  untere  in  Fig.  1487  in  der  daselbst 
angedeuteten  Weise  von  mehreren  Drahtwindungen 
unigeben,  so  wird  ein  bei  -f-  eintretendcr  und  bei  — 
austretender  Strom  die  Nadel  mebrmals  umkreisen. 
Die  ablenkende  Wirkung  (welche  im  vorliegenden 
Falle  den  Nordpol  hinter  die  Zeiclnmngsebene 
treibt)  wird  daher  im  Verhaltnisse  der  Anzahl  der 
Drahtwindungen     verstarkt     (multiplicirt)    werclen. 

Zum  Aufwickeln  des  Drahtes  dient  ein  holzerner  Rahmen  (Fig.  1488)  inner- 


Mit    derselben    ist   oft    eine 
sich    ausserhalb    der   Draht- 
Fig.  1488. 


halb  dessen   Hohlung  die  Magnetnadel  sich    befindet. 

zweite    entgegengesetzt   gerichtete    Magnetnadel,    die 

windungen    befindet,    in   der    aus    Fig. 

1487  ersichtlichen  Weise  festverb linden. 

Diese  Einrichtung  (man  nennt  eine  solche  jjSIbI 

Doppelnadel    eine    astatische,    weil 

der  Erdmagnetismus    anf   dieselbe   nur    ^ 

ein  geringes  Drehnngsmoment  ansiiben    ^^ 

kann)  erholit  die  Empfindlichkeit,  d.  h.     ■ 

die  Ablenkarbeit  durch  schwache  Strome     "m         _  ___ 

aus    dem    bereits    angegebenen  Grunde        ^V         "     m=^^^mm^^  ; 

und  weil  zugleich  noch  das  Drehungs- 

moment  des  Strornes  auf  beide  Nadeln  in  gleichem  Sinne  wirkt. 

Die  obere  Nadel  spielt7  wie  die  Abbildung  eines  vollstandigen  Multiplicators 
Fig.  148D  zeigt,  auf  einer  oberhalb  des  Gewindrahmens  angebrachten  Kreistheilung. 
Die  Aufliangungsvorrichtung  (zum  Heben  nnd  Senken  der  Nadel  eingerichtet)  zeigt 
Fig.  1490  in  grosserem  Massstabe.  —  Zwei  Drahtklemmen  dienen  zur  Anbringung 
der  Leitungsdrahte  beim  Gebrauche  des  Instrumentes. 

Vor  dem  Gebrauche  wird  das  Instrument  natiirlich  so  eingestellt,  dass  die 
obere  Nadel  auf  dem  Nullpunkte  der  Kreistheilung  einsteht.  Die  freie  Beweg- 
lichkeit  der  Nadel  wird  dadurch  gesichert,  dass  man  sie  mittelst  der  Aufliangungs- 
vorrichtung in  solche  Hohe  bringt  und  das  ganze  Instrument  mittelst  der  Stell- 
schrauben  so  richtet,    dass   die  Nadel    innerhalb  des  Rahmens    nirgends    anstreift. 

Die  feinsten  Beobachtungen  gestatten  die  sogenannten  Spiegel  gal  van  o- 
meter.  Eines  der  einfachsten  Instrumente  clieser  Art  ist  z.  B.  das  TV  e  b  e  r'sche 
Fig.  1491.  Der  innerhalb  des  Drahtgewindes  bewegliche,  mittelst  der  Vorrichtung 
rr  aufgehangte  Magnetstab  ist  ausserhalb  des  Gewindes  mit  dem  entsprechcnd 
aquilibrirten  kleinen  Spiegel  m  fest  verbunden.  Denkt  man  sich  nun  von  einer 
Flamme  ein  Strahlenbiindel  auf  den  Spiegel  fallend,  so  wird  dasselbe  voni  Spiegel 
reflectirt  und  mittelst  eines  Schirmes  aufgefangen,  auf  demselben  ein  Lichtbild 
erzeugen,  welches  seinen  Ort  verandcrt,  so  wie  der  Magnetstab  und  mit  ihm  der 
Spiegel  eine  Drehung  erfahrt.  Hier  vertritt  das  reflectirte  Strahlenbiindel  gewisser- 
raasscn  die  Stelle  eines  langen  Zeigers,  der  die  Ablenkungen  angibt.  Auf  diese 
Art  konnen  Galvanometerablenkungen  leiclit  einem  ganzen  Auditorium  sichtbai- 
gemacht  werden. 

Handelt  es  sich  um  genaue  Messungen,  so  stellt  man  dem  Galvanometer- 
spiegel  gegeniiber  einen  horizontalen  Massstab  auf  und  betrachtet  das  Spiegelbild 
desselben  mittelst  eines  Fernrohres  mit  Fadenkrcuz. 

Beobachtet  man,  welche  Theilstriche  am  Fadenkreuze  crscheinen,  so  findet 
man  aus  der  Anzahl  der  Scalentheile,  um  welche  im  Falle  einer  Ablcnkung  das 
Spiegelbild  verschoben  wird,    und  aus   dem  Abstande  des  Spiegels    von  der  Scala 


252 


Electromagnetismus. 
Fig.  1489. 


Fig.  1490. 


durch  eine  leichte  Rechnung  die  Ablenkung  in  Bogenmass,,  worauf  wir  hier  niclit 
weiter  eingeben  wolleu. 

Man  bat  Spiegelgalvanometer  der  verschiedensten  Form  und  Construction  je 
nacb  dem  Zwecke,  welcbem  sie  dienen  sollen.  Audi  beim  transatlantischen 
Telegrapbeu  ist  ein  Spiegelgalvanometer  in  Verwendung,  welches  durch  grossere 
oder  kleinere  Ausschlage  des  reflectirten  Flammenbildes  („Lichtzeigers")  zum 
Zeichengeben  dient. 

Bei  mancben  Instrumenten  dieser  Art  vertritt  ein  magnetisirter  Stahlspiegel 
zugleich  die  Stelle  des  abzulenkenden  Magnetstabes  oder  der  abzulenkenden 
Magnetnadel. 

Oft  ist  es  sehr  storend  und  zeitraubend  bei  jeder  Ablenkung  abwarten  zu 
miissen,  bis  der  Magnet  nacb  einer  Anzahl  von  Scbwingungen  eine  neue  Gleich- 
gewichtslagc  annimmt.  Man  hat  desshalb  aucb  Vorrichtungen  erdacht,  welche 
den  Magnet  mebr  oder  weniger  rascb  zur  Ruhe  bringen  und  Damp  fun  gen  ge- 
nannt  werden.  Man  kann  zu  diesem  Zwecke  das  Princip  des  Mittelwiderstandes 
anwenden,  oder,  was  gewohnlich  gescbieht  und  vorzuziehen  ist,  die  Riickwirkung 
clectrischer  Strome,  welche  der  schwingende  Magnet  in  benachbarten  Metallmassen 
inducirt.  Dass  und  wie  eine  solche  Riickwirkung  stattfindet,  lebrt  schon  der  ein- 
fache  Yersuch,  dass  eine  Magnetnadel  viel  schneller  zur  Ruhe  kommt,  wenn  sie 
iiber  einer  Metallplatte  als  wenn  sie  z.  B.  iiber  einem  Brette  schwingt.  Nach  den 
im  Artikel  Electricitat  abgebandelten  Inductionsgesetzen  (Abscbnitt  D)  ist  namlich 
leicbt  einzuseben,    dass    die    von    den  bewegten    Magnetpolen   in   der  Metallplatte 


Electromagnetismus.    —  Electromotor. 


inducirten  Strome  stets  die  entgegengesetzten  ]>e- 
wegungen  der  Magnetpole  zu  bewirken  sucben. 

Construirt  man  daher  ein  Galvanometer  so, 
dass  der  schwingende  Magnet  von  einer  dicken 
knpfernen  Hiilse  („Dampfer")  umgeben  ist,  so  wird 
er  viel  rascber  zur  Rube  kommen,  als  wenn  er 
frei  schwingt. 

Man  bat  in  neuester  Zeit  aucb  sogenannte 
ape  r  iodise  he  Galvanometer  hergestellt,  bei 
welchen  die  Dampfung  so  stark  ist,  dass  der 
Magnet,  wenn  er  durcb  einen  in  das  Gewinde  ein- 
geleiteten  Strom  abgelenkt  wird,  schon  nach  dem 
ersten  Ausschlage  zur  Ruhe  kommt,  also  gar  keine 
Scbwingungen  mehr  macht. 

c)  Spiralanziehung.  Als  eine  dritte 
Form,  in  welcher  der  Electromagnetismus  oft  zur 
Anwendung  kommt,  mag  noch  die  sogenannte 
„ Spiralanziehung"  erwahnt  werden. 

Liegt  in  einer  Magnetisirungsspirale  Fig.  1492 
ein  Eisenstab,  so  wird  derselbe,  wenn  in  der  Spirale 
Fig.  1492. 


Fig  1491. 


ein  electrischer  Strom  circulirt,  nicht  nur  magnetiscb  geworden  sein,  sondern  auch 
nur  mit  einem  gewissen  Kraftaufwande  aus  der  Spirale  herausgezogen  werden 
konnen.  Lasst  man  ihn  wieder  aus,  so  wird  er,  bei  entsprechend  starkem  Strome, 
kraftig  in  die  Hohlung  der  Spirale  zurlickgezogen,  bis  er  eine  solche  horizontale 
Lage  angenommen  hat,  dass  die  Mitte  des  Stabes  mit  der  Mitte  der  Spirale  zu- 
sammenfallt  (insoferne  er  daran  nicht  durch  Reibung  verbindert  wird).  Wir  baben 
diese  Erscheinung,  die  wir  nicht  weiter  verfolgen  wollen,  nur  erwahnt,  weil  auf 
diesem  Principe  einige  oft  zur  Sprache  kommende  electromagnetische  Apparate 
beruhen. 

Wir  wollen  schliesslich  noch  hinzufiigen,  dass  auch  je  zwei  Magnetisirungs- 
spiralen  aufeinander  magnetische  Wirkungen  ausiiben,  wie  man  leicht  beobachten 
kann,  wenn  man  sie  entsprechend  leicht  beweglich  aufhangt.  Dasselbe  gilt  von 
einzelnen  Drahtwindungen.  Die  weitere  Verfolgung  dieser  und  ahnlicher  Erschei- 
nungen  fiihrt  zu  dem  Resultate:  dass  gleich  gerichtete  parallele  Strome  sich  an- 
zieben,  entgegengesetzt  gerichtete  aber  abstossen.  A.  v.   W. 

Electrometer  (electrometre  —  electrometer)  nennt  man  Instrumente,  welche 
zum  Messen  electrischer  Spannungen  oder  Entladungen  dienen.  Gewobnlich  wird 
der  Ausdruck  Electrometer  im  Gegensatze  zu  Electro  scop  in  dem  im 
Artikel  Electricitat  Absatz  XXIII  angegebenen  Sinne  gebraucbt. 

In  analoger  Weise  werden  die  zur  Untersuchung  electrischer  Strome  dienen- 
den  Instrumente  entweder  Rheometer  (m  Galvanometer,  siebe  den  Artikel  Electro- 
magnetismus) oder  Rheoscope  genannt.  -4.  v.    W. 

Electromotor  (moteur  electrique  —  electro -magnetic  engine).  Dieser  Aus- 
druck wird  in  verschiedenem  Sinne  gebraucht,  indem  er  bald  auf  die  Electricitats- 
erregung,  bald  auf  die  Anwendung  der  Electricitat  als  bewegende  Kraft   bezogen 


254  Electromotor. 

wirtl.  Im  ersteren  Shine  lieisst  „ Electromotor"  so  viel  als  „Electricitatserreger" 
(z.  B.  Kupfer  mid  Zink  beim  Contacte.  Dalier  audi  tier  Ausdruck,  „electromoto- 
rische  Kraft");  siehe  den  Artikel  „Electricitat"  Absatz  XXXVI  bis  XXXVII.  Im 
anderen  Shine,  und  dies  ist  der  gewShnliche  Spraehgcbrauch,  bedeutet  „ Electro- 
motor" eine  electromagnetische  Arbeitsmasehine  (einen  electrisehen  Motor),  namlich 
eine  Maschine,  durcb  deren  Vermittelung  ein  electriscber  Strom  mechanische 
Arbeit  leistet. 

Die  grosse  Tragkraf't  der  Electromagnetc  bat  bald  nacb  deren  Erfindung 
grosse  Hoffnungen  erregt,  den  Electromagnetismns  mit  Vortbeil  als  bewegende 
Kraft  nutzbar  macben  zu  konnen.  Versuche  dieser  Art  baben  zu  den  mannig- 
faltigsten,  mitunter  sebr  sinnreichen  und  eleganten  Constructionen  dieser  Art  ge- 
fiibrt.  Obgleicb  die  meisten  davon  nur  in  kleinem  Massstabe  bergestellt  und 
erprobt  worden  sind,  und  nur  Wenige  mit  wissenschaftlichem  Verstandnisse  ge- 
macbte  Aufzeicbnungen  von  Versuchsresultaten  vorliegen,  so  lasst  sicb  docb  mit 
Sicherheit  bebaupten  *),  dass  selbst  die  besten  bis  jetzt  construirten  Electromo- 
toren,  bei  den  gegenwartigen  Hilfsmitteln  zur  Erzeugung  electriscber  Stronie,  viel 
zu  grosse  Betriebskosten  erfordern ,  als  dass  fiir  jetzt  an  eine  ausgedebntere 
practiscbe  Verwendung  derselben  oder  wobl  gar  an  eine  Concurrenz  mit  Dampf- 
oder  Gasmascbinen  (obgleicb  der  Wirkungsgrad  eines  guten  Electromotors  den 
Wirkungsgrad  einer  guten  Dampfmaschine  weit  iibertrifft **)  gedacht  werden 
konnte.  —  Hierbei  kommt  nocb  ganz  besonders  in  Betracht,  dass,  wie  die  Erfabrung 
gelebrt  bat  und  aucb  axis  tbeoretischen  Griinden  begreiflicb  ist)  der  Wirkungs- 
grad eines  nacb  einem  bestimmten  System  construirten  Electromotors  bei  der 
Aus  fiih  rung  im  Gross  en  sicb  immer  kl  einer  b  erausstellt  als  bei 
den  Versucben  mit  einem  kleinen  Modell. 

Fiir  jetzt  lasst  sich  also  von  den  electromagnetiscben  Arbeitsmascbinen  nocb 
kein  practiscb  belangreicber  Gebraucb  macben,  wesbalb  eine  ausfiibrlicbere  Be- 
sprecbung  derselben  bier  fiiglicb  unterbleiben  kann.  Wir  beschraiiken  uns  darauf, 
zunacbst  die  Grundidee  der  electromagnetiscben  Mascbinen  an  einem  moglicbst 
einfacben  Modelle  dieser  Art  (von  Bitcbie)  zu  erlaatern  und  sodanu  das  Princip 
des  besten  bis  jetzt  construirten  Electromotors  (fiir  die  Pariser  Weltausstellung 
im  Jalire  18(37  vom  Mecbaniker  J  oh  ami  Kravogl  construirt  ***)  in  Kiirze 
anzudeuten. 

Um  zuvorderst  im  Allgemeinen  eine  Vorstellung  davon  zu  geben,  wie  der 
Electromagnetismns  als  bewegende  Kraft  verwendet  werden  kann,  betrachten  wir 
das  in  Fig.  1493  abgebildete  B  i  t  c  b  i  e'scbe  Mascbinchen. 

Zwischen  den  Scbenkeln  N  und  S  eines  Stablmagneten  befindet  sich  die 
verticale  Drelmngsachse  eines  mit  isolirtem  Drahte  bewickclten  Ankers  von  weichem 
Eisen,  dessen  Enden  A  und  D  etwas  nacb  abwarts  gebogen  sind,  jcdoch  so,  dass 
sie  beim  Kotiren  um  jene  Aclise  iiber  den  Magnetpolen  N  und  S  hinweggehen. 
Denkt  man  sicb  Magnet  und  Anker  in  der  augenblicklich  gezeicbneten  Stellung 
und  A  siidlicb  magnetisch  (was  dann  der  Fall  sein  wird,  wenn  ein  Strom  beim 
Drabtende  o  eintritt),  so  wird  A  gegen  N  und  B  (NordpoF  gegen  S  (Siidpol) 
gezogen  werden.     Dies    hat  eine  Kotation  des  Ankers    im  Sinne  eines  Uhrzeigers 


*)  Die  cliesbeziig-lichen  Nachweismig-en  hat  Eeferent  in  seinen  Abhandiungeu  im  183.,  188. 

mid  191.  Baride  von  Dingler's  polyteclmischem  Journale  geliefert.  Diese  Abhandlungen 

lehren  zugleich  die  Ermittlung  des  Wirknngsgrades  eines  Electromotors. 

**)  Unter  Wirkungsgrad   versteht   man    bekanutlich    den  Quotienten   des    theoretischen 

Ettectes  durch    den  Nntzeffect,  d.  h.  wenn  z.  B.  E  den  Arbeitswertb.   der  zum  Betriebe 

der  Maschine  (in   der  Feuerung  oder  in  der  Batterie)  aufgewendeten  Warmemenge  und 

E  ' 

X  die   wirkliche   Arbeitsleistung   bedeutet,    so    ist   TV  ~  — —    der  „ Wirkungsgrad"  der 

]SIascliine. 
***)  Das   ausgestellte,  jetzt    am  Wiener  Polyteciinikum    befmdlielie,    vom  Referenten    unter- 
suchte  Modell    hatte  im  Maximum  den  Wirkungsgrad  l/t,  etwa  das  Achtfache    im  Ver- 
gleiche  mit  den  besten  anderen  Mascbinen  dieser  Art,   Siehe  Dingler's  polyt.  Journal 
Bd.  183. 


Electromotor, 


zur  Folge,  bei  welclier  jetlocli 
der  Anker  niclit  plotzlich  liber 
den  darimter  befindlichen  Mag- 
netpolen  stelien  bleiben,  sondern 
diese  Lage  vermoge  der  Tra'g- 
lieit  iiberschreiten  wird. 

Die  Stromzuleitung  ist  nun 
so  eingerichtet,  dass  in  diesem 
Angenblicke  ein  Polwechsel  statt- 
findet,  in  Folge  dessen  A  nord- 
lich  und  B  siidlich  wird.  Die 
nunmebr  zwischen  A  und  N 
einerseits  und  B  und  S  ander- 
seits  herrschende  Abstossung 
veranlasst  eine  Fortsetzung  der 
bereits  beschriebenen  Rotation, 
bis  B  iiber  N  und  A  iiber  8 
zu  stelien  kommt.  Bei  Ueber 
schreitung  dieser  Lage  (in  Folge 
der  Tragheit  des  rasch  roti- 
renden  Ankers)  findet  sofort 
wieder  ein  Polwechsel  statt, 
und  so  setzt  sich  die  beschrie- 
bene  Bewegung  fort. 

Die  erwahnten  Polwechsel  werden  in  folgender  Weise  bewerkstelligt. 

An  der  Achse  des  rotirenden  Ankers  ist  eine  holzerne  Scheibe,  deren  Umfang 
niit  zwei  von  einander  getrennten  kupfernen  Halbringen  belegt  ist,  auf  welchen 
die  den  Strom  leitenden  Contactfedern  gleiten,  die  ihrerseits  wieder  mit  den  Draht- 
klemmen  -|-  und  —  (zur  Aufnahme  der  Leitungsdrahte)  verbunden  sind.  Von 
dem  Drahtgewinde  des  Ankers  ist  das  eine  Ende  o  mit  dem  Halbringe  h,  das 
andere  mit  dem  zweiten  Halbringe  i  verbunden.  Steht  der  Anker  so,  class  die 
Contactfeder  g,  bei  welcher  der  positive  Strom  eintritt,  auf  dem  Halbringe  li  schleift, 
so  wird  B  nordlich,  wenn  aber  g  auf  dem  entgegengesetzten  Halbringe  i  schleift, 
siidlich  magnetisch  sein. 

Im  ersteren  Falle  geht  der  Strom  aus  dem  Halbringe  h  durch  das  Gewinde 
des  Ankers  in  den  zweiten  Halbring  i  und  aus  diesem  in  die  Contactfeder  fj  im 
letzteren  Falle  aus  g  iiber  *  und  li  nach  /.  Der  Commutator  (die  Rolle  mit  den 
Halbringen)  ist  so  gestellt,  dass  die  beiden  Contactfedern  gerade  auf  die  schmalen 
isolirenden  Zwischenraume  zwischen  den  Halbringen  zu  stehen  kornmen,  wenn  der 
Anker  gerade  iiber  den  Magnetpolen  sich  befindet.  Es  findet  dann  der  vorhin 
beschriebene  Polwechsel  rechtzeitig  statt. 

Man  kann  sich  nun  leicht  ein  ahnliches  grosseres  Modell  mit  einem  Schwung- 
rade  versehen  denken,  welches  die  Bewegung  weiter  ubertragt. 

Electromotoren,  bei  welchen,  wie  bei  diesem  und  vielen  anderen  alteren 
electromagnetischen  Maschinen,  Polwechsel  stattfinden,  sind  mit  grossen  Kraftver- 
lusten  verbunden,  theils  weil  die  Polwechsel  bei  grosseren  Eisenmassen  nicht  rasch 
genug  erfolgen,  theils  weil  sie  Inductionsstrome  erzeugen,  welche  dem  Betriebs- 
strome  entgegenwirken.  Diese  Uebelstande  sind  beim  nach  stelien  d  beschriebenen 
Kravogl'schen  Apparate  vermieden. 

Das  im  Schema  Fig.  1494  dargestellte  hohle  eiserne  Schwungrad  enthalt 
zugleich  den  electromagnetischen  Apparat  der  Maschine.  Dieser  (litngs  eines  auf 
der  Drehungsacb.se  C  senkrechten  Schnittes  zerlegbare)  Radkranz  umschliesst  namlich 

zunachst    eine  Anzahl    von  Magnetisirungsspiralen  a,  b m,  innerhalb    deren 

Hiihlungen  der  hohle  messingene  Ring  r  r  sich  befindet.  In  diesem  messingenen 
Hohlringe  befindet  sich  endlich  der  entsprechend  gebogene  (auf  kleinen  Rollen) 
sehr  leicht  gleitende  Eisenkern  <p  p  (in  seinem  Imieren  mit  Quecksilber  beschwert). 


256 


Electromotor.  —  Electrophor. 


Fig.  1494.  Die     beiden    Dralitenden    einer    jeden 

11  Magnetisirungsspirale  laufen  radial  gegen  die 

Achse  hin ,  an  welcber  eine  eigenthtimlieh 
construirte  Contactvorricbtung  („Zuleiter"  ge- 
nannt)  angebracht  ist;  welche  den  Batterie- 
strom  immer  nnr  in  diejenigen  Magnetisirungs- 
^  spiralen  iibergehen  lasst,  welche  wahrend  der 
Drehung  des  Rades  in  einer  bestimmten  Lage 
sind.  Nehmen  wir  z.  B.  an,  die  Einrichtivng 
sei  so  getrofFen,  dass  imrner  nur  die  Spiralen, 
welche  rechts  liegen  (bei  a  und  on)  Strom 
bekommen,  so  werden  diese  stets  den  Eisen- 
kern  in  ihre  Hbhlungen  heranfziehen  (siebe 
Electromagnetismns  Abscbnitt  c).  In 
Folge  dessen  wird  das  Rad  immer  einseitig 
beschwert   sein   und    stets    in    der   Ricbtung 

a  m  I sicb  dreben  miissen.    Diese  Be- 

wegung  des  Spiralenrades,  welches    also    zugleich  Scbwungrad    ist,  kann,   wie  die 
eines  jeden  anderen  Schwungrades,  leicht  weiter  iibertragen  werden.        J.  v,   W. 

Electrophor  (electrophore  —  electrophones)  heisst  wortlicb  Elect ricitat s- 
trager.  Diese  Benennung  fiihrt  eine  einfache  Vorrichtung,  welche  dazu  dient, 
die  Electricitat  einer  (mit  Pelzwerk)  geriebenen  Harzplatte  lange  Zeit  zu  erhalten, 
urn  dieselbe  gelegentlich  zu  Funkenziindnngen  (z.  B.  bei  eudiometrischen  Ver- 
suchen  oder  bei  der  electriscben  Ziindmaschine)  verwenden  zu  konnen. 

Bottger  empfieblt  als  Electrophormasse  ein  Gemenge  aus  5  Theilen  Scbellack, 
5  Theilen  Mastix;  2  Tbeilen  venetiauiscbem  Terpentin  und  1  Theil  Marineleim 
(einer  aus  Schellack,  Steinkohlentheer  und  Kautschuk  bestehenden  Masse). 

Dieses  Harzgemenge  wird  in  eine  niedrige  cylindrische  Form  aus  Blech  ein- 
gegossen,  um  nach  dem  Erstarren  entweder  in  derselben  zn  bleiben,  oder  heraus- 
genommen  und  auf  eine  beliebige  andere  leitende  Unterlage  (z.  B.  ein  mit  Stanniol 
iiberzogenes  Brett  c,  Fig.  1495)  gelegt  zu  werden.  (Um  das  Ilerausnehmen  leicht 
zu  ermoglichen,  kann  die  Gussform  mit  Papier  ausgelegt  werden.     Die  Unterlage 

der  Harzplatte    muss    ganz  eben   sein, 
damit  sich  jene  nicht  kriiramt.) 

Die  Harzplatte  a  (Fig.  1495)  wird 
durch  Reiben  mit  Pelzwerk  (gewobnlich 
durcb  starkes  Schlagen  mit  einem  Fuchs- 
schwanz)  negativ  electrisch  gemacht. 
Man  setzt  sodann  einen  an  drei  seidenen 
Scbniiren  bangenden  metallenen  Deckel 
b  darauf.  Derselbe  ist  entweder  einHohl- 
korper  aus  Blech  von  der  in  der  Zeicb- 
nung  dargestellten  Gestalt,  oder  in  der 
c  Art  hergestellt,  dass  man  einen  holzernen 
Ring  mit  starkem  Papier  bespannt  und 
das  Ganze  mit  Stanniol  iiberzieht. 
Der  Deckel  wird  beim  Anflegen  sofort  durch  Influenz  electrisirt  (s.  Elec- 
tric i  t  at  Absatz  X).  Durch  Beriihrung  des  Deckels  wird  die  negative  Influenz- 
electricitat  abgeleitet.  Die  positive  bleibt  gebunden  zuriick*)  und  kann  auf  diese 
Art  Monate  lang  in  Bereitschaft  gehalten  werden.  Sie  wird  frei,  sobald  man  den 
Deckel  mittelst  der  isolirenden  Schniire  abbebt,  aus  welchem  sie  auf  einen  an- 
genaherten  Leiter  unter  Funkenbildung  iiberspringt.  A.  v.    W. 


Fig.  1495. 


'■'■)  Das  schlechte  Leitungsvermog-en  der  Harzplatte  verhindert,  dass  eiue  grossere  Menge 
der  negativen  Harzelectricitat  mit  positiver  Influenzelectricitat  des  Deckels  zur  Aus- 
gleichung  komme, 


Electroplate.  —  Element  galvanisches.  257 

Electroplate,  Bezeiclmung  fur  versilbertes  Neusilber7  gleichbedeutend 
mit  China-,  Peru- Silber,  Alfenicle  u.  s.  f.,  s.  Argent  an  I  S.  190. 

Electroplattiretl,  syn.  mit  galvanischer  Versilberung,  s.  Galvanoplastik. 

■     Elect roscop   (electroscope  —  electroscop),  s.  Elect  ricitat  Absatz  XXIII. 

Electrotyp,  Voltatyp,  ein  mit  anf  galvanoplastiscbem  Wege  hergestellten 
Kupferplatten  erzeugter  Druck. 

Electriim,  syn.  mit  Bernstein  s.  I  pag.  431. 

Electrum  (electre  —  electrum),  silberhaltiges  Golderz  mit  tiber  20  %  Silber- 
gehalt.  Hellgelbe  Wtirfel  oder  Octaeder  oder  hexaedrische  BMtchen.  Spec.  Gew. 
14-1 — 14*6.     Colmnbien,  Konigsberg,  Sibirien  u.  a.  0.     Gtl. 

Electrum,  Name  einer  dem  Silber  almlichen  Legirnng  aus  8  Thl.  Kupfer, 
4  Thl.  Nickel  und  372  Thl.  Zink.     Gut  polirbar.     Gtl. 

Elekta,  besonders  vorziigliche  Schafwollsorte,  s.  Schafwolle. 

Elektricitat,  s.  Electricitat. 

Elektoral,  jene  Merino-Schaf-Race,  welche  das  feinste  Wollhaar  liefert. 

Elektrographie(Electrografie),  ein  von  Devincenzi  angegebenes  Verfahren 
der   galvanischen  Aetzimg  von  Zinkplatten  fur  den  Buchdruck,  s.  Holzschnitt. 

Elektromotor,  s.  Electromotor  III  S.  253. 

Element,  chemisches  (element  —  element),  Grundstoff,  Urstoff, 
chemise h  einfacher  Stoff,  einfaches  Radical,  nennt  der  Chemiker  die 
mit  den  bisher  zu  Gebote  stehenclen  Mitteln  nicht  weiter  zerlegbaren,  also  einfachsten 
Bcstandtheile  chemischer  Verbinclungen.  Gegenwartig  sind  63  soldier  Elemente  oder 
elementarer  Stotfe  bekannt  und  isolirt.  Man  theilt  sie  je  nach  ihren  Eigenschaften 
in  metallische  Elemente  (Metalle)  und  in  nichtmetallische  Elemente  (Nicht- 
metalle).  Die  ersteren  zerfallen  wieder  in:  I.  die  Leichtmetalle,  deren 
Dichte  unter  5  ist;  und  II.  die  Schwer metalle,  deren  Dichte  iiber  5  ist.  Die 
erste  Abtheilung  (Leichtmetalle)  umfasst  die  Gruppe  der 

Alkalimetalle,  u.  zw.  Kalium7  Caesium,  Rubidium,  Natrium,  Lithium, 
dann  jene  der 

Metalle  der  alkalis  eh  en  Erden,  u.  zw.  Baryum,  Strontium,  Calcium, 
Magnesium.     Endlich  jene  der 

Erdmetalle,  u.  zw.  Aluminium,  Beryllium,  Zirkonium,  Yttrium,  Erbium, 
Terbium  (Norium),  Thorium,  Cerium,  Lanthan,  Didym. 

Die  zweite  Abtheilung  (Schwermetalle)  umfasst  die  Gruppe  der 

Unedlen  Metalle,  u.  zw.  Uran,  Kobalt,  Nickel,  Eisen,  Mangan,  Chrom, 
Zink,  Cadmium,  Blei,  Thallium,  Kupfer,  Zinn,  Titan,  Tantal,  Niobium,  Wolfram, 
Molybdaen,  Vanadin,  Wismuth,  Antimon,  Arsen,  und  die  Gruppe  der 

Edlen  Metalle,  u.  zw.  Quecksilber,  Silber,  Gold,  Platin,  Palladium, 
Ruthenium,  Rhodium,  Iridium,  Osmium. 

Die  Nichtmetalle  pflegt  man  einzutheilen  in  die  Gruppe  der 

Metal lo Yd e,  u.  zw.  WasserstofF,  Stickstoff,  Phosphor,  Boi',  Kiesel,  Kohlen- 
stoff,  und  die  Gruppe  der 

OxygenoYde,  u.  zw.  Sauerstoff,  Schwefel,  Selen,  Tellur,  Chlor,  Brom, 
Jod,  Fluor.  Ausser  dieser  Eintheilungsweise  ist  heute  audi  die  Eintheilung  der 
Elemente  nach  ihrer  Valenz  (vgl.  Atomigkeit  I  pag.  232)  iiblich,  wonach  man 
sie  in  6  Gruppen  bringen  kann. 

Eine  tabellarische  Zusammenstellung  der  Elemente,  ihrer  chemischen  Symbole, 
Atomgewichte  und  Aequivalente  s.  Atom  I  pag.  231.     Gtl. 

Element,  galvanisches  (element  galvanique  —  voltaic  cell).  So  nennt 
man  eine  Combination  von  Leitern  erster  und  zweiter  Ordnung  (z.  B.  zweier 
Metalle   und   einer  Fliissigkeit),  welche    zur  Erzeugnng    eines  continuirlichen  elec- 

Kannarsch  &  Heeren,  Technisches  Wiirtorbuch.    Bd.  III.  17 


258  Element  galvanisch.es.  —  Elfenbein. 

trischen  Stromes  geeignet  ist.  S.  Electric  it  at  III  pag.  177  und  electrischc 
Telegraphie  III  pag.  202.  Ueber  thermoelectriscb.es  Element  s.  Electricitat 
III  pag.  180.  A.  v.   W. 

Elemi  (resine  elemi —  elemi),  Elemiharz.  Unter  diesern  Nanien  kommen 
harzartige,  zu  medicinischen,  vorztiglicb  aber  zu  tecbnischen  Zwecken  verwendete 
Producte  mehrerer  Baumarten  aus  tropiscben  Gegenden  verschiedener  Welttbeile 
im  Handel  vor.  In  nnserem  Handel  findet  sieh  nur  das  von  den  Pbilippinen 
iiber  London  und  Hamburg  eingefiibrte  Manila- Elemi,  eine  Sorte,  die  man 
von  dem  Pechbaum  der  philippinischen  Inseln,  dem  Arbol  a  brea,  einer  Canarium- 
Art  (Burseraceae)  ableitet.  Ausser  dieser  Sorte  findet  sich  noch  in  den  verschie- 
denen  Preislisten  z.  B.  von  Londoner  und  Hamburger  Droguisten  ein  Veracruz- 
oder  Mexikanisches  Elemi  (von  Amyris  elemifera  Boyle)  angefiihrt. —  Das 
Manila-Elemi  bildet  frisch  eine  zahe,  fast  terpentinartige,  gelblichweisse,  triibe,  mit 
Pflanzenresten  untermischte  Masse  von  starkem  gewiirzhaftem,  an  Fenchel  und 
Macis  erinnerndem  Geruch  und  ahnlichem,  nebstbei  etwas  bitterem  Geschmack. 
Mit  der  Zeit  trocknet  die  Waare  zu  einer  blassgelblichen  undurchsichtigen,  am 
Bruche  wachsgliinzenden  Masse  ein. 

Unter  dem  Microscop  erweist  sich  das  Elemi  aus  kleinen  und  grosseren 
prismatischen  farblosen  Krystallen  zusammengesetzt,  welche  in  eine  formlose  Masse 
eingebettet  sind.  Kalter  Alkohol  lost  bios  letztere ;  in  heissem  Alkohol,  so  wie 
in  Aether  ist  Elemi  bis  auf  fremde  Beimengungen  vollkommen  loslich.  Es  besteht 
wesentlich  aus  einem  atherischen  Oele  (an  10  %)  im&  Harz,  das  zum  Theile 
amorph,  zum  Theile  krystallisirbar  ist  (Amyrin  und  Bryoidin).  A.    Yogi. 

Elephanteillaus  (anacarde  —  acajou  mit),  Merknuss,  Anakardie, 
Acajounuss,  Malaccanuss.  Nussartige  Steinfrucht  von  Anacardium  occi- 
dentale  (auf  den  Westindischen  Inseln  und  in  Sudamerika  einbeimischer  Baum), 
so  wie  von  Semecarjpus  orientalis  (in  Ostindien  einbeimisch).  Die  orientaliscben 
(Malaccaniisse)  sind  glatt,  herzformig  bis  stumpf  dreieckig,  dunkel-  bis  schwarz- 
braun ,  einen  nussartigen ,  oligen ;  woblsehmeckenden  Kern  in  der  lederartigen 
Fruchtschale  enthaltend.  Die  occidentalischen  Niisse  haben  eine  mehr  nierenformige 
Gestalt  und  sind  von  grauer  bis  graubrauner  Farbe.  Die  lederartige  Fruchtschale 
enthalt  einen ,  im  frischen  Zustande  lichtgefarbten ,  an  der  Luft  rascb  braun 
werdenden  Jitzenden  Saft,  der  bald  verharzt  und  als  wesentlichen  Bestandtheil 
Car  do  1  (s.  II  pag.  255)  enthalt.  Man  hat  diesen  Saft  sowohl  als  Arzneimittel 
(blasenziehend)  als  auch  wegen  der  Eigenscbaft;  sich  intensiv  braun  zu  farben  und 
eine  festhaftende  braune  Farbe  zu  liefern,  zum  Merken  der  Wasche,  in  Ostindien 
auch  zum  Bedrucken  von  Cattunen  verwendet.     Gtl. 

Elevator,  s.  Hebemaschinen. 

Eiexeilholz,  das  Holz  der  Traubenkirsche  oder  Elexe  (Primus  padus)  stimmt 
in  seinen  Eigenscbaften  mit  dem  Kirschbaumholz  iiberein  (s.  d.). 

Elfenbein  (ivoire  —  ivory).  Mit  clem  Namen  Elfenbein  bezeiebnet  man 
zunachst  und  hauptsachlich  die  Substanz7  woraus  die  machtigen  Stosszahne  der 
beiden,  jetzt  noch  lebenden  Elefantenarten,  des  afrikanischen  und  des  asiatischen 
(indischen)  Elefants  bestehen,  doch  werden  darunter  im  Handel  und  in  den  Ge- 
werben  haufig  auch  die  analogen  Gebilde  noch  einiger  anderer  Thiere  (Flusspferd, 
Walross ,  Narwal),  so  wie  die  unverandert  erhaltenen  Stosszahne  vorweltlicher 
Elefanten  (fossiles  Elfenbein)  verstanden. 

Die  grosste  Menge  dieses  werthvollen  Artikels  liefert  Afrika.  Der  afrikanische 
Elefant  (Elephas  Africanus  Cuv.)  ist  iiber  den  ganzen  mittleren  Theil  dieses 
Continents  verbreitet;  in  grossartigem  Massstabe  wird  bier,  des  Elfenbeins  wegen, 
von  alien  Seiten  der  Vernichtungskrieg  gegen  ihn  gefiihrt,  besonders  in  den  Ge- 
genden um  die  Nik][uellenseen. 

Der  Hauptstappelplatz  des  bier  erbeuteten  Elfenbeins  ist  Chartum,  wobin 
es    den    Bachr    el    Gliasal    und   B.    el    Gebel    herab    aus    den    weit   in's    Innere 


Elfenbein.  259 

vorgeschobenen  Niederlassungen  (Seribas)  der  Chartumer  Handler  gelangt.  Kin 
wichtiger  Elfenbeinmarkt  ist  in  neuerer  Zeit  Zanzibar  geworden  fiir.  das  im  ost- 
lichen  Afrika  (in  den  Gegenden  am  Kilimandschuro,  im  Siiden  vom  Ukereve-See, 
in  den  Gebieten  des  Nyassa-See's  etc.)  erbeutete  Elfenbein.  Von  geringerer  Be- 
deutung  ist,  was  gegenwartig  die  afrikaniscbe  Westkuste  und  das  Capland  davon 
in  den  Handel  liefern.  —  Der  asiatische  Elefant  (Elephas  Asiaticus  Cuv.)  be- 
wolint  Siid-Asien,  zumal  Hinterindien  (Cochinchina,  Siam,  Pegu  etc.),  Ceylon  und 
Sumatra.  Aus  diesen  Landern  kommt  auch  das  beste  asiatische  oder  indische 
Elfenbein  in  den  Handel. 

Die  Stosszahne  des  Elefanten  sind  gekriimmt,  gerundet,  nach  vorn  allmalig 
spitz  zulaufend;  die  des  afrikanischen  ausgewachsen  bis  arm  dick,  bis  2,/„m  und 
selbst  darliber  lang  und  20—60  Kg.  schwer;  jene  der  asiatischen  Art  sind  im 
Allgemeinen  kleiner.  Zahne  junger  Thiere  sind  bis  gegen  die  Spitze  zu  hohl, 
wahrend  sie  bei  ausgewachsenen  Thieren  bios  am  Grunde  eine  Hohlung  besitzen. 
Die  Oberflache  zeigt  eine  meist  hellbraunliche  Farbe  und  soil  moglichst  glatt,  frei 
von  Sprtingen  und  Rissen  sein.  Die  Substanz  selbst  ist  weiss  mit  einem  geringen 
Stich  in's  gelbliche;  mit  der  Zeit  nimmt  die  gelbliche  Farbe  zu,  sie  ist  sehr  hart 
und  dicht  und  zeigt  die  eigenthiimliche  Structur  des  Zahnbeins,  so  wie  die  che- 
mische  Zusammensetzung  der  Knochen  uberhaupt,  indem  sie  wesentlich  aus  Knorpel- 
substanz,  phosphorsaurem  und  kohlensaurem  Kalk  besteht. 

Die  vielseitige  Anwendung  des  Elfenbeins  in  Kiinsten  und  Gewerben  ist 
allgemein  bekannt.  —  Wie  das  recente  verarbeitet  man  auch  das  fossile  Elfen- 
bein, d.  h.  die  Stosszahne  vorweltlicher  Elefanten,  der  Mamuththiere  {Elephas 
primi genius),  wie  sie  durch  die  Kalte  wohlerhalten  im  gefrorenen  Boden  des 
nordlichen  Sibiriens  zwischen  dem  58°  n.  Br.  und  dem  Eismeere,  insbesondere 
am  unteren  Lauf  des  Ob,  Jenissei  und  der  Lena  und  an  den  Kiisten  des  Eis- 
meeres  stellenweise  in  sehr  grosser  Menge  vorkommen  und  entweder  durch  Meeres- 
fluthen  und  stromendes  Wasser  ausgewaschen  und  blosgelegt  oder  durch  Grab- 
arbeit  zu  Tage  gefordert  einen  wichtigen  Handelsartikel  jener  Gegenden  bilden, 
der  iiber  Russland  zu  mis  gelangt.  Die  Stosszahne  sind  starker  gekriimmt  und 
noch  kolossaler  (3 — 5m  und  dariiber  lang)  als  bei  den  lebenden  Elefanten. 

Ein  sehr  geschatztes,  auch  als  „Hippopotam"  bekanntes  Elfenbein  liefern 
ferner  die  bis  3  Kg.  schweren,  an  30cm  und  dariiber  langen,  halbkreisformig  ge- 
kriimmten,  stumpf-langsrippigen,  unten  hohlen,  oben  schief  abgeschnitteneu,  ausserst 
harten  Eckzahne  des  Nil-  oder  Flusspferdes  (Hippopotamus  amphibius  K.),  eines 
in  den  grosseren  Fliissen  und  Seen  Innerafrika's  lebenden  Dickhauters.  Nicht 
minder  geschatzt  sind  die  mehrere  Decim.  langen,  5 — 15  Kg.  schweren  Eckzahne 
des  Walrosses  (Trichechus  Rosmarus  L.),  eines  das  nordliche  Eismeer  bewohnenden 
Flossenfiissers,  deren  sehr  feste  und  dichte  Masse  eine  an  der  Luft  sich  nicht 
andernde,  blendend  weisse  Farbe  besitzt  und  unter  Anderem  zur  Verfertigung 
kiinstlicher  Zahne  verwendet  wurde. 

Von  geringerem  Werthe  ist  die  Elfenbeinsubstanz  des  gerade  gestreckten 
Stosszahnes  des  im  nordlichen  Eismeere  lebenden  Narvals  (Cerutodon  Monoceros 
Briss.)  aus  der  Ordnung  der  Walthiere,  der  eine  Lange  von  2V2 — 3m  und  dariiber 
erreicht,  innen  hohl  und  schraubenformig  gedreht  ist.  —  Unter  den  Namen :  vege- 
tabilisches  Elfenbein,  Elfenbeinniisse,  Stein n it sse,  Tagna-Niisse, 
Corusconiisse  (ivoire  vegetal — ivory  nut)  kennt  man  im  Handel  die  Samen 
von  Phytelephas  macrocarpa  R.  et  P.,  einer  siidamerikanischen  Pandanacee, 
welche  vor  etwa  50  Jahren  zuerst  in  Europa  als  Ersatz  des  Elfenbeins  eingefiihrt 
wnrden  und  eine  ausgedehnte  Beniitzung  zu  verschiedenen  Drechslerarbeiten, 
namentlich  zu  Stock-  und  anderen  Knopfen  etc.  iinden.  Der  locker  in  einer 
diinnen  sproden,  aussen  matt  graubraunlichen  Schale  steckende  Samenkern  von 
meist  eirunder,  etwas  plattgedriickter ,  nicht  selten  fast  gerundet-tetraedrischer 
Form  und  Hiihnereigrosse  mit  netzfurchiger,  matt-rehbrauner  Oberilache  besteht 
fast   ganz    aus  einem    beinharten,  sehr    dichtem,  in    der  Mitte   mit   einem    kleinen 

17* 


260  Elfenbein. 

Hohlraum  versehenen  Eiweisskorper  (Endosperm)  von  weisser  Farbe  mit  einem 
Stick  in's  Griinliche  oder  Blauliche.  Die  Masse  erweicht  in  heissem  Wasser  etwas. 

Das  Elfenbein  wird  bei  seiner  Verarbeitung  haufig  gebleicht  und  audi  gefarbt. 
Um  dasselbe  zn  bleichen,  legt  man  die  Stiicke  in  einen  Brei  aus  1  Thl.  frischem 
Clilorkalk  nnd  4  Till.  Wasser,  lasst  melirere  Tage  darin  liegen,  wascht  ab  und 
trocknet  bei  gewohnlicher  Temperatur  (vgl.  H.  Anger  stein,  Dingl.  pol.  Journ. 
137  pag.  155).  Die  Anwendung  eines  Saurezusatzes  zum  Clilorkalk  ist  zu  ver- 
meiden.  Zum  Farben  des  Elfenbeins  verwendet  man  die  verscluedensten  Farben, 
wie  solche  audi  fur  die  Zwecke  des  Farbens  von  Holz  und  Bein  in  Anwendung 
steben.  Man  farbt  durcb  Einlegen  in  die  etwas  angewarmte,  wohl  aucb  zum 
Sieden  erbitzte  Briibe  (vgl.  a.  Ke  Hermann,  Dingl.  pol.  Journ.  120  pag.  438 
u.  e.  d.  141  pag.  67). 

Die  wicbtigsten  Farben  erzielt  man  auf  folgende  Weise: 

1.  Schwarz.  Soil  eine  in  Elfenbein  ausgefiihrte  Arbeit  im  Ganzen 
schwarz  gefarbt  werden,  so  kocht  man  sie  einige  Zeit  in  einer  durchgeseihten 
Abkochung  von  Blaubolz,  und  legt  sie  darauf  in  eine  Auflosung  von  schwefel- 
saurem  oder  essigsaurem  Eisenoxyd. 

2.  Blau.  Durch  kurzes  Eintauclien  in  eine  verdiinnte  scbwefelsaure  Indig- 
auflosung. 

3.  Gelb  kann  auf  verschiedene  Weise  hervorgebracbt  werden.  Man  legt 
das  Stiick  einige  Minute  lang  in  Wasser,  welchem  eine  kleine  Menge  salzsaurer 
Zinnauflosung  zugesetzt  worden,  hierauf  in  beissen,  durcb  Leinwand  filtrirten  Gelb- 
holzabsud.  Setzt  man  dem  Gelbholz  etwas  Fernambukspane  zu,  so  wird  die  Farbe 
orange.  Ein  sehr  dauerliaftes  Gelb  entstebt,  wenn  das  Elfenbein  etwa  */4  Stunde 
lang  in  eine  Auflosung  von  Bleizucker,  hierauf  ebenso  lange  in  eine  Anftosung 
von  cbromsaurem  Kali  gelegt  wird. 

4.  Roth.  Zerriebene  Cochenille  wird  mit  Essig  gemischt  und  darin  das 
Elfenbein  eine  kurze  Zeit,  einige  Minuten,  gekocht.  Statt  der  Cochenille  bedienen 
sich  einige  Drechsler  auch  des  theuerern  Carmins.  Das  so  erhalte  Roth  spielt  in 
Purpur.  Ein  schemes  lebhaftes  Roth  entstebt,  wenn  man  Elfenbein  einige  Minuten 
lang  in  stark  verdiinnte  Zinnauflosung  und  sodann  in  kochend  heisses  Decoct 
von  Fernambnk  einlegt.  Durch  Zusatz  von  etwas  Gelbholz  geht  die  Farbe  in 
Scharlach  iiber.  Wird  das  auf  die  angegebene  Art  roth  gefarbte  Elfenbein  in 
eine  sehr  verdiinnte  Pottaschenlosung  gelegt,  so  geht  die  Farbe  in  Kirschroth  iiber. 

5.  Violett.  Man  farbt  zuerst  roth  und  taucht  sodann  auf  einen  Augenblick 
in  Indigauflosung ;  oder  durch  Beizen  mit  sehr  verdiinnter  Zinnlosung  und  nach- 
lieriges  Einlegen  in  eine  heisse  Blauholz-Abkochung.  Legt  man  das  so  gefarbte 
Elfenbein  in  Wasser,  dem  einige  Tropfen  Salpetersaure  zugefiigt  wurden,  so  entsteht 
Pnrpiirroth. 

6.  Griin  kann  entweder  durch  aufeinander  folgendes  Gelb-  und  Blaufarben 
entstehen,  oder  indem  man  das  Elfenbein  einige  Stimden  in  eine  ziemlich  ge- 
sattigte  Auflosung  von  cbromsaurem  Kali  legt,  und  es  dann  liingere  Zeit  dem 
Sonnenlicht  darbietet.     Dunkelblaulich  griin. 

Sollten,  wie  z.  B.  bei  Billardballen,  weisse  Streifen  auf  gefarbtem  Grund 
erscheinen,  so  legt  man  ein  mit  Wachs  getranktes  Band  um  die  Kugel,  bewickelt 
es  noch  ausserdem  mit  Bindfaden,  und  farbt  den  Ball,  wobei  die  gewachsten 
Stellen  weiss  bleiben.  Sollte  sich  die  Farbe  doch  etwas  in  den  weissen  Streif 
gezogen  haben,  was  leicht  geschieht,  so  nimmt  man  durch  vorsichtiges  Schaben 
die  Farbe  weg. 

Es  ist  noch  zu  erwahnen,  dass  alle  Farben  auf  unpolirtem  Elfenbein  weit 
besser  haften,  als  auf  polirtem,  weshalb  man  die  Politnr  erst  nach  dem  Farben 
gibt.  Es  geschieht  dies  durch  Reiben  mit  Seife  und  Wiener  Kalk  mit  der  nackten 
Hand.  Man  darf  beim  Farben  die  Kochungen  nie  zu  lange  fortsetzen,  weil  das 
Elfenbein  dabei  leicht  Spriinge  bekommt,  und  legt  die  Stiicke,  so  wie  sie  aus  der 
Fliissigkeit  kommen,  zum  raschen  Abkiihlen  in  kaltes  Wasser. 


Elfenbein.  - —  Elfenbeinsurrogate.  261 

Von  besonderen  Farbemcthoden  sei  namentlich  noch  erwahnt  die  Herstellung 
von  schwarzen  Zeichnungen  auf  Elfenbein,  die  gewohnlich  in  der  Weise  vorge- 
nommen  wird,  dass  man  das  zu  atzende  Elfenbein  mit  einem  Actzgrund  iiberzieht, 
in  denselben  die  gewiinschte  Zeichnung  radirt,  und  sodann  eine  Losung  von  salpeter- 
saurem  Silber  (1  Tbl.  in  10  Tbl.  Wasser)  auftragt.  Man  lasst  diese  etwa  '/2 
Stunde  lang  einwi-rken,  nnd  setzt  nach  dem  Entfernen  derselben  und  leichtem 
Abtrocknen  durcb  einige  Stunden  dem  directen  Sonnenlicbte  aus,  wodurch  die 
mit  der  Silberlosung  benetzten  Stellen  des  Elfenbeins  eine  schon  schwarze  Farbc 
annebmen.  Man  spiilt  nun  mit  Wasser  ab  und  entfernt  endlich  den  Aetzgrund 
durcb  ein  geeignetes  Losungsmittel.  Dass  man  zum  Farben  des  Elfenbeins  audi 
die  gcgenwartig  so  allgemein  verwendeten  Anilinfarben  verwenden  kann,  ist  selbst- 
verstandlicb.  A.   Vogl. 

Elfenbein   kiinstliches,  s.  Elfenbeinsurrogate. 

Elfenbein  vegetabilisches,  s.  Elfenbein. 

Elfenbein-Arbeiten,  s.  Knock enbearbeitung. 

Elfenbeinkamme,  s.  Kamme. 

Elfenbeinnuss,  s.  Elfenbein. 

Elfenbeinpapier  (ivory  paper)  wird  aus  mebreren  aufeinander  geleimten  auf- 
gespannten  Blattern  guten  Zeickenpapiers  dadurck  hergestellt,  dass  man  die  Ober- 
flaeke  mit  feiuem  Glaspapier  abschleift,  hierauf  einen  Anstrich  von  Gyps  (mit 
Pergamentleim  angemacbt)  gibt,  diesen  Anstrich  abermals  abschleift  und  hierauf 
nock  ein  Paar  Anstricke  diinnen  Leimwassers  auftragt.  Das  Elfenbeinpapier  wird 
bei'  der  Miniaturmalerei  verwendet.     Kk. 

Elfenbeinschwarz  (noir  d'ivoire  —  ivory  black),  Bezeicbnung  fur  feinere 
Sorten  von  Beinschwarz,  s.  d.  bei  Knocben. 

Elfenbeinsurrogate,  kiinstliches  Elfenbein.  Fiir  die  Herstellung  von 
kiinstlichem  Elfenbein  sind  verschiedene  Vorschriften  gegeben  worden.  Eine  der 
altesten  Elfenbeinimitationen  erhielt  man  durch  Einriihren  von  fein  vertkeilter 
Tkonerde  in  eine  geniigend  consistente  Leimlosung,  erstarren  lassen  und  troeknen 
der  erhaltenen  Misckung.  Weit  besser  und  dem  Elfenbein  viel  ahnlicher  ist  aber 
das  Product,  welches  man  erbalt,  wenn  man  Gelatine  oder  Folien  von  lichtem 
Leim  in  ein  Bad  von  essigsaurer  oder  scbwefelsaurer  Thonerde  einlegt,  und  langere 
Zeit  in  dem  Bade  belasst.  Der  Leim  nimmt  hiebei  reichlich  Thonerde  auf,  die 
Folien  werden  prall  und  dick,  und  liefern ,  nachdem  sie  vollstandig  von  der 
Fllissigkeit  durchdrungen  sind,  nach  dem  Troeknen  eine  Masse,  die  eine  schone 
Politur  annimmt,  und  dem  Elfenbein  sehr  ahnlich  sich  verhalt.  Eine  plastische 
Masse,  welche  die  Farbe  und  das  durchscheinende  Wesen  des  Elfenbeins  besitzt, 
dabei  aber  biegsamer  ist,  kann  erhalten  werden,  wenn  man  50  Tbl.  Kartoffel- 
starke  mit  5  Thl.  Zinkoxyd  innig  mengt  und  die  Misckung  mit  einer  Fliissigkeit 
aus  50  Tkl.  Cklorzinklosung  (von  55°  B.),  1  Thl.  Salzsaure  und  1  Thl.  Wein- 
stein  zu  einer  Masse  anruhrt.  Dieses  Product  widersteht  jedoch  nicht  der  Ein- 
wirkung  von  Feuchtigkeit,  weshalb  die  daraus  gefertigten  Gegenstande  mit  einem 
schiitzenden  Firnissiiberzuge  versehen  werden  miissen. 

Auch  Kautschuk  wird  zu  Elfenbeinimitationen  verwendet.  Nach  einem  von 
F.  Marquard  (Dingl.  pol.  Journ.  183  pag.  498)  angegebenen  Verfahren  erbalt 
man  eine  solche,  wenn  man  etwa  1  Kilo  Kautschuk  in  der  15fachen  Menge 
Chloroform  lost,  die  Losung  behufs  vollstandigen  Bleichens  mit  Ammoniakgas 
sattigt,  und  hierauf  unter  fleissigem  Rlihren  durch  Erwarmen  bis  auf  85°  C.  das 
Chloroform  verdampft.  Die  riickstandige,  locker  schaumige  Masse  wird  nun  nach 
vorherigem  Pressen  nochmals  mit  Chloroform  zu  einem  Teige  erweicht  und  diesem 
so  viel  von  feinpulverigem  phosphorsaurem  Kalk  oder  kohlensaurem  Zinkoxyd 
eingeknetet,  dass  die  Masse  das  Ansehen  von    feuchtem  Mehl  erbalt.     Die  so  er- 


262  Elfenbeinsurrogate.  —  Ellipsoid. 

haltene  innige  Mischung  wird  sodann  in  heisse  Formen  gebracht  imd  stark  gepresst, 
wodurch  sie  das  Aussehen  und  die  Politurfahigkeit  des  Elfenbeins  annimmt.     Gil. 

Eliasit,  s.  Grummierz. 

Elimination,  Ausscheidung;  in  der  Algebra  die  Ausscheidung  gewisser 
Grossen  aus  vorgelegten  Gleiehiuigen.  Fehler-eliminirende  Beobach- 
tungsmethoden,  bei  welchen  durcb  den  Vorgang  der  Beobachtung  selbst  — 
also  ohne  besondere  Rechnung  — ■  die  Einflltsse  gewisser  Fehlerursacben  un- 
schadlich  gemacht  (ausgescbieden)  werden ;  z.  B.  die  Umlegimg  des  Fernrohrs  bei 
Winkelmessinstrumenten,  urn  die  fehlerhafte  Stellung  der  optischen  Achse  gegen 
die  Drebacbse  des  Fernrohres  unsckadlich  zu  macben  5  Ablesung  der  Kreistbeilung 
an  zwei  diametralen  Nonien,  um  den  Einfluss  der  Excentricitat  der  Alhidade  zu 
bebeben  etc.  Bei  feineren  Messungen  kommen  solcbe  Methoden  durchwegs  zur 
Verwendung,  weil  an  eine  vollkonimene  Beseitigung  der  Instrurnentenfekler  nicbt 
zu  denken  ist.  Czuber. 

Elinsaure,  Name  einer  vonCbevreul  ini  Wollscbweisse  entdeckten  fliissigen 
Saure,  deren  spec.  Gew.  hoher  als  das  des  Wassers  ist.  (Vgl.  Dingl.  pol.  Journ. 
171  pag.  480.)     Gil. 

Ellagsaure  (acide  rufigallique  —  parellagic  acid),  Bezoarsaure,  Saure 
der  Formel  C14H60H,  welche  sicb  in  den  kalkigen  Magenconcretionen  der  Bezoar- 
ziege  und  anderer  Pflanzenfresser,  den  sog.  Bezoarsteinen,  dann  im  Biebergail,  der 
Torrnentillwurzel,  den  Gallapfeln  u.  a.  0.  findet.  "Wird  durch  Zersetzung  des  Tannins, 
wenn  es  in  Losung  der  Luft  ausgesetzt  ist,  oder  durcb  Kocben  der  Gerbsaure 
aus  Granatrinden  mit  verdiinnten  Sauren,  in  letzterem  Falle  neben  Zucker  er- 
halten.  Man  erhalt  sie  durcb  Gabrenlassen  von  mit  Wasser  zu  einem  Brei  an- 
geriibrtem  Gallapfelpulver,  Auspressen  des  Breies,  Kocben  des  Press-Ruckstandes 
mit  Wasser  und  Erkaltenlassen  der  abgeseibten  siedend  beissen  Fliissigkeit, 
wobei  sich  rohe  Ellagsaure  als  gelblicbweisses  Pulver  abscbeidet,  das  durch  Auf- 
losen  in  verdiinnter  Kalilauge  in  ellagsaures  Kali  iiberfuhrt  wird,  welches  durch 
Umkrystallisiren  aus  kochendem  Wasser  gereinigt  und  mit  Salzsaure  zerlegt  die 
reine  Saure  liefert.  Blassgelbes  krystallinisches  Pulver,  seltener  kleine  gelbe, 
saulenfbrmige  Krystalle  oder  hochgelbe  seidenglanzende  Nadeln.  Gesckmacklos, 
von  schwach  saurer  Reaction,  zum  Theile  sublimirbar.  In  Wasser  und  Weingeist 
nur  wenig  loslich,  gar  nicht  in  Aether.  Mit  Eisenchlorid  farbt  sie  sich  allmalig 
tief  schwarzblau.  (Vgl.  Br  aconno  t,  Annal.  de  Chim.  et  Phys.  9,  187;  Wohler, 
Annal.  der  Chem.  u.  Pharm.  67  pag.  361,  und  Merklin  u.  Wohler,  Annal. 
d.  Chem.  u.  Pharm.  55  pag.  129;  F.  Gob  el  u.  A.  Gob  el,  Annal.  d.  Chem.  u. 
Pharm.  79  pag.  83  und  83  pag.  280.)     Gil. 

Ellernholz,  s.  Erlenholz. 

Ellernrinde,  hie  und  da  gebrauchlicher  Handelsname  fiir  die  gerbstoffhaltige 
Rinde  von  Alnus  glutinosa,  syn.  mit  Erlenrinde. 

Ellipse,  s.  Cur ven  II  S.  431. 

Ellipsenzirkel,   s.  Zeichnen  (Zeichen-Instrumente). 

Ellipsoid,  zu  den  Flachen  zweiten  Grades  gehorig,  hat  einen  im  Endlichen 
gelegenen  Mittelpunkt,  durch  welchen  die  drei  zu  einander  senkrechten  Hauptachsen 
hindurchgehen.  Heissen  ihre  Langen  2  a,  2  b,  2  c,  und  verlegt  man  in  dieselben 
die  Achsen  X,  Y,  Z  eines  orthog.  Raumcoordinatensystems,  so  lautet  die  Gleichung 

des  Ellips :  —^-  -(-  —^  -\ ~  =  1   (dreiachsiges    oder    allgemeines 

El  lips.).  Alle  ebenen  Schnitte  desselben  sind  Ellipsen,  darunter  zwei  Schaaren 
von  Kreisschnitten.  —  Wird  insbesondere  2azr=.2b,  so  hat  man  das  Rotation  s- 
ellipsoid  (Spharoid),  dessen  zu  Z  senkrecht  gefuhrte  Schnitte  Kreise,  wahrend 
die  durch  Z  gelegten,  congruente  Ellipsen  von  den  Achsen  2a,  2  c  sind,  so  dass 


Ellipsoid.  —  Email.  263 

man    sich    die    ganze  Flache    durch  Umdrehung   einer    solchen  Ellipse   um  Z  ent- 

standen  denken  kann.   Je  nachdem  2  c       2  a,  spricht  man  von  einem  oblong  en 

oder   abgeplatteten  Ellipsoid.     Der  Gestalt    des  letzteren    nahert  sich    unsere 
Erde,    wobei    (nach    F.    W.    Bess  el's    Berechnungen;    a  ==  0377397-1 56m    und 

c  =  6356078*963m  betragt.     Den    Werth  -      -  nennt   man  die  Abplattung, 

1  a 

er  betragt  bier — — .     Der  Rauminhalt  des  E.  ist  4/3  n  a  b  c>  mithin  der  des 

Rotations-E.  4/3  n  a"c  (Kugel  4J3  n  a3).  Czuber. 

Elsbeerholz,  Atlasbeerholz  (alizier  —  service-tree),  von  Crataegus 
torminatis,  ist  ein  femes,  dichtes,  hartes  Holz,  von  jungen  Baumen  gelblich,  von 
alteren  rotbbraun  und  als  Drecbslerbolz  geschatzt.  Sehr  ahnlich  ist  das  vom 
weissen  Elsbeer-  oder  Mehlbeerbaume  (alizier  blanc  —  wliite-liawihorn) ,  Crataegus 
Aria,  stamniende  Holz.      Kk. 

Eisner's  Griin,  giftfreies  Kupfergriin,  durch  Fallung  einer  Kupfer- 
vitriollosung  mit  einer  Abkochung  von  Gelbholz ,  der  man  1  °/0  Leim  zugesetzt 
hat  und  die  mit  10 — 12  %  Zinnsalz  vermischt  wurde,  mit  Natronlauge  darstellbare 
griine  Farbe,  welche  je  nach  der  Quantitat  des  angewendeten  Gelbholzes  mehr 
oder  weniger  gelb  nuancirt  erhalten  werden  kann.     Gftl. 

Eisner's  Lampe,  sj^n.  mit  Sieb-Gasbrenner,  s.  Leuchtgas,  s.  Lamp  en. 

Elvan,  in  Cornwales  gebrauchte  Bezeichnung  fiir  Porphyr,  welcher  in  netz- 
formigen  Gangen  die  dortigen  Grauwackenschiefer  durchsetzt.     Lb. 

Email  (email  —  enamel),  Schmelz  oder  Schmelzglas.  Die  Emaile 
sind  Glasarten7  die  sich  vom  gewahnlichen  Glase  durch  ihre  leichtere  Schmelz- 
barkeit  und  in  den  mc-isten  Fallen  durch  ihre  geringere  Durchsichtigkeit  *)  unter- 
scheiden.  Sie  sind  entweder  farblos  (nur  die  durchsichtigen  Arten)  oder  gefarbt 
und  werden  zum  grossten  Theile  dazu  verwendet,  um  metallische  Oberflachen  vor 
der  zerstorenden  Einwirkung  verschiedener  Fliissigkeiten  (oder  Dampfe)  und  diese 
selbst  vor  der  Verunreinigung  durch  aufgelostes  Metall  zu  schiitzen,  und  dienen 
anderntheils  zur  Oberflachen  -  Verschonerung  verschiedener  Luxusartikel.  Eine 
unerlassliche  Eigenschaft  aller  Email-Arten  ist  die,  dass  sie  leichter  schmelzbar 
sein  milssen  als  die  Metalle  oder  Legirungen,  **)  zu  deren  Ueberzug  sie  verwendet 
werden  sollen.  Die  Emailirungsarbeiten  lassen  sich  in  vier  Hauptoperationen  ein- 
theilen,  namlich: 

1.  Die  Bereitung  der  Emailmassen, 

2.  die  Vorbereitung  der  zu  emailirenden  Gegenstande, 

3.  das  Auftragen  und 

4.  das  Einbrennen  der  Emaile. 

1.  Die  Emailbereitung.  Die  Erzeugung  guten  Emails  erfordert  viele  Um- 
sicht  und  genaue  Kenntniss  der  Mischungsverhaltnisse  und  Qualitat  der  Materialieu, 
des  Verhaltens  dieser  Glasfltisse  und  der  sie  farbenden  Metalloxyde  in  der  Schmelz- 
hitze,  so  wie  der  Haltbarkeit  des  Emails  an  der  Oberflacke  verschiedener  Metalle. 
Die  Quantitat  und  Qualitat  der  Email-Bestandtheile  richtet  sich: 
1.  Nach  dem  Zwecke  des  Email-Ueberzuges ;  ob  derselbe  bios  zur  Ver- 
schonerung angebracht  ist,  oder  ob  er  der  Zerstorung  der  Metalle  durch  Chemikalien 
vorbeugen  soil,  und  im  letzteren  Falle  wiederum,  ob  die  emailirten  Gegenstande 
erhohter  Temperatur  ausgesetzt  werden  oder  nicht. 


*)  Man  unterscheiclet  durchsiclitige  Emaile,  bei  cleneri  die  Gemcng'tlieile  vollig  geschiuolzen 
sind,  und  undurclisichtige  (opake),  deren  Bestandtlieile  entweder  bios  zusammeugeflo^sen 
oder,  wenn  sie  geschmolzen  sind,  triibende  Gemengtheile  enthalten,  so  dass  sie  das  Licht 
nicbt  hindurcbdringen  lassen. 

•*)  Es  soil  hier  bios  von  der  Emailirung  metallener  Gegenstande  die  Eede  seiii.  Ueber  die 
Emailen  fiir  keramische  Erzeugnisse  siebe  den  Artikel  Th'onwaaren. 


264  Email. 

2.  Nacb  dem  zu  emailirenden  Metalle  selbst.  Der  Ueberzug  muss  namlich 
der  verschieden  starken  Ausdehnung  und  Zusammenziehung  verschiedener  Metalle 
in  der  Hitze  (des  Emaileinschmelzens  und  beim  Gebrauclie)  folgen,  oline  abzu- 
blattern  oder  Risse  zu  bekommen. 

3.  Nach  der  beabsicktigten  Farbuug  der  Scbmelze.  So  darf  z.  B.  zu  farb- 
losen  Emails  kein  eisenbaltiger  Sandy  zu  gefarbten  kein  kupfer-  oder  antimon- 
haltiges  Bleiglas  (den  Fall  ausgenommen,  dass  die  Farbuug  ohnebin  mit  Kupfer- 
oder  Antimonoxyd  erfolgen  soil),  zu  purpurrotb  zu  farbenden  Emailen  iiberhaupt 
kein  blei-  oder  zinnbaltiges  Glas  genommen  werden  u.  s.  f. 

Die  Basis  des  farblosen  Emails  ist  stets  das  reine  Krystallglas,  dem  man 
zur  Erbohuug  des  Glanzes  in  einem  gewissen  Verhaltnisse  Zinnoxyd*)  und  Blei- 
oxyd  und  unter  Umstanden  aueh  Sand  hinzufugt. 

Die  Materiale  werden  jedes  fur  sich  fein  gepulvert,  dann  gesiebt  und  innig 
gemischt,  worauf  man  sie  in  einem  mittelst  eiues  Deckels  bermetiscli  verschlossenen 
feuerfesten  Tiegel  bis  zur  beginnenden  Schmelzung  erhitzt.  Die  so  erhaltene  zu- 
sammengebackene  Masse  —  die  Fritte  —  wircl  nach  dem  Erkalten  (das  man 
durch  Einwerfen  des  beissen  Tiegelinhaltes  in  kaltes  Wasser  bescbleunigt)  abermals 
gemahlen,  gesiebt,  gemiscbt  und  zum  zweitenmale  gefrittet,  urn  eine  recbt  innige, 
gleicbformige  Vertbeilung  und  Miscbung  der  Bestandtbeile  zu  erreichen. 

Erscbeint  die  Fritte  nacb  erfolgter  Sinterung  missfarbig,  so  ist  sie  desbalb 
nocb  nicht  immer  zu  verwerfen,  da  diese  Verfarbung  von  eingedrungenem  Raucb 
oder  von  Eisenoxydul  verursacht  sein  kann.  Es  ist  dann  eine  geringe  Menge 
Braunstein  (Glasmacberseife)  vor  dem  zweiten  oder  dritten  Fritten  zuzugeben. 
Der  Braunstein  entwickelt  in  der  Hitze  Sauerstoff,  der  den  etwa  eingescblossenen 
Kohlenstoff  zu  (entweichendem)  Kohlenoxyd  und  das  Eisenoxydul  zu  weniger 
farbendem  Eisenoxyd  oxydirt.  **) 

Als  Basis  farbiger  Emaile  eignet  sicb  nacb  Clouet***)  ein  Gemenge  von 
3  Tbeilen  gewaschenen  Sandes,  1  Theile  Kreide  und  3  Theilen  calcinirten  Borax 
oder  von  3  Tbeilen  guten  weissen  Krystallglases,  1  Theil  calcinirten  Borax, 
'/4  Theil  Natronsalpeter  und  einem  Tbeile  Antimonoxyd,  oder  60  Theile  (kalk- 
baltiger)  Sand,    30    Theile  Alaun,  35  Theile  Kochsalz    und    100  Tbeile  Mennige. 

Ein  schwacber  Eisengehalt  dieser  Bestandtheile  ist  weniger  scbadlicb  als 
das  Vorkommen  von  Kupfer-  oder  Antimonox}rd,  welche  die  Schonlieit  der  Farben 
selir  beeintrachtigen  wiirden. 

Die  farbenden  Metalloxyde  miissen  stets  in  moglichst  reinem  Zustande  und 
miiglichst  fein  vertbeilt  in  Anwendung  gebracht  werden. 

Im  Nachstebenden  sei  Einiges  tiber  dieselben  erwahnt. 

Zur  Erzielung  p  u  r  p  u  r  r  o  t  h  e  r  Schmelzfliisse  verwendet  man  den  C  a  s  s  i  u  s- 
G  o  1  d  p  u  r  p  u  r,  den  man  durch  Fallung  einer  Goldlosung  mittelst  Zinnsalz  erhalt 
und  durch  wiederholtes  Waschen  mit  Wasser  vollkommen  gereinigt  hat.  Minder 
gut_,  jedoch  mit  nocb  zufriedenstellendem  Erfolge,  verwendet  man  das  Gold 
chlorid.  Das  Goldpraparat  darf  nur  in  eine  ziun-  und  bleifreie  Emailmasse 
eingetragen  werden.  Als  Fritte  eignet  sich  am  besten  ein  Gemisch  von  3  Theilen 
Quarzsand,  1  Theile  Kreide  und  3  Theilen  calcinirtem  Borax.  Die  Frittung  muss 
bei  moglichst  niederer  Temperatur  vorgenommen  werden.  Die  Tiefe  des  Farben- 
tones  hangt  von  der  Menge  des  angewandten  Goldpraparates  ab. 

Zur  Rotbfarbung  verwendet  man  ein  Thonerde-Eisenpraparat, 
welches  man  erhalt,  wenn  man  zuvorderst  ein  Gemenge  von  21/„  Theilen  Eisen- 
vitriol  und  1  Theile  schwefelsaurer  Thonerde  bis  zur  volligen  Vertreibung  des 
Krystallwassers    erhitzt,  sodann    aber    die  Hitze    steigert  und  so    lange  gliiht,  bis 


*)  Die  Meugc  des  Zinnoxydes  muss  so  geriiig  sein,  dass  sie  kerne  Triibung  der  Schmelze 

hervorbringt. 
**)  Der  Braunstein    eutlnilt   3neist  selbst   eine  gewisse  Menge  Eisenoxyd,  die  der  Schmelze 
einen  -iveingelben  Ton   eitheilt,  den   man  aber  durch  einen    geringen  Smaltezusatz  und 
wiederholtes  Fritten  parallisiren  kann. 
***)  Muspratt,  chemische  Encvklopadie,  II.  Band  Seite  -131. 


Email.  265 

eine  herausgenommene  Probe  nach  demErkalten  eine  gieichmassige  braunschwarze 

Farbung  zeigt,  ein  Zeichen;  dass  sammtliches  Eisenoxydul  in  Eisenoxyd  iiberfiihrt 
worden  ist.  *) 

Die  Fritte  fur  rothes  Email  bestelit  aus  Alaun,  Mcnnige,  Koehsalz  und  talk- 
haltigem  Sande  (Fayence  Sand).  Man  nimmt  je  einen  Theil  des  farbenden  Oxyd- 
gemisches  auf  2 — 3  Tbeile  Fritte.  Das  Eisenoxyd  wird  von  der  schmelzenden 
Fritte  nicht  gelost,  sondern  bleibt  als  solches  im  Glase  schwebend  erhalten ;  denn 
wiirde  eine  wirkliche  Losung  desselben  im  Glasflusse  erfolgen,  so  wiirde  dieser 
anstatt  roth  schwarz  oder  gelb  gefarbt  werden. 

Fiir  die  Gelb  far  bung  von  Emailen  erzeugt  man  sich  die  Farbe  aus  einem 
Gemenge  von  1  Theile  Bleiweiss,  1  Tlieile  Alaun,  1  Theile  Salmiak  und  1  Tlieile 
Antimonoxyd,  welche  man  sammtlich  zerreibt  und  in  einem  Gefasse  iiber  Feuer 
so  lange  erwarnit,  bis  aller  Salmiak  sublimirt  ist  und  der  Rtickstand  eine  gelbe 
Farbe  angenommen  hat. 

Auch  eine  geringe  Menge  Eisenoxyd  ertheilt  bei  holier  Temperatur  den  Glas- 
fltissen  eine  gelbe  Farbung. 

Die  fiir  gelbes  Email  geeigneteste  Fritte  ist  die  aus  Sand,  Bleioxyd  und  Borax 
zusammengesetzte. 

Die  blauen  Schmelzen  erzeugt  man  stets  durch  Zusatz  von  Kobaltver- 
bindungen,  welche  theils  als  reines  Oxyd,  theils  als  sogenannter  Zatfer  (Kobalt- 
saflor)  im  Handel  vorkommen.  Die  Fritte  darf  kein  Blei  oder  hochstens  nur 
Spuren  desselben  enthalten,  da  eine  grbssere  Quantitat  enthaltenen  Bleioxyds  die 
Farbe  sehr  alterirt. 

Die  violette  Farbe  wird  dem  Email  durch  einen  Zusatz  von  Mangan- 
superoxyd  (Braun stein)  ertheilt.  Beim  Schmelzen  der  Fritte  ist  darauf  zu 
achten,  dass  das  Mangansuperoxyd  nicht  dazu  beansprucht  sei,  etwa  vorliandenes 
Eisenoxyd  oder  eindringenden  Rauch  oxydiren  zu  miissen,  da  es  dadurch  ver- 
hindert  wiirde,  auch  gleichzeitig  farbend  aufzutreten. 

Griine  Emails  verdanken  diese  Farbung  entweder  der  gleichzeitigen  An- 
wendung  blau-  und  gelbfa'rbender  Metalloxyde  oder  der  farbenden  Eigenschaft 
von  Kupfer-  oder  Chromoxyd,  von  denen  man  zu  je  2  Unzen  auf  4  Pfund 
gewohnlicher  Bleiglasfritte  anwendet. 

Endlich  werden  schwarze  Emails  crzielt,  wenn  man  den  Glasfliissen  grosse 
Zusatze  von  Kupfer-,  Kobalt-  und  Manganoxyd  gibt,  wodurch  eine  dunkle  Ton- 
Mischung  von  blau,  griin  und  violett  entsteht,  die  von  schwarz  nicht  zu  unter- 
scheiden  ist.  Clouet  will  durch  Zusammenschmelzen  von  leicht  schmelzbarcm 
Thon  mit  1/3  seines  Gewichtes  Eisenoxydul  ebenfalls  ein  schwarzes  Email  er- 
halten haben. 

Die  vorziiglichste  Sorgfalt  muss  auf  die  richtige  Zusammensetzung  der  Emails 
zum  Ueberzuge  von  Gefassen  (Kochgeschirren)  verwendet  werden,  da  an  diese 
Gattung  von  Schmelzen  sehr  vielfache,  zum  Theile  ganz  unerlassliche  Anforderungen 
gestellt  werden. 

Wie  bereits  oben  gesagt,  miissen  die  Emaile  der  Einwirkung  von  Wasser 
und  schwachen  Sauren  vollkommen  widerstehen,  um  dieselben  nicht  doch  endlich 
zu  clem  zu  schiitzenden  Metall  sich  hindurchfressen  zu  lassen ;  und  der  Ausdehnung 
des  Metalles  folgen,  damit  sie  keine,  ihren  Zweck  ganz  illusorisch  machende  Risse 
und  Spriinge  erhalten. 

Diesen  Anforderungen  zu  entsprechen ,  war  zu  Anfang  ziemlich  schwierig, 
weil  die  Ausdehnung  zweier  so  heterogener  Materien,  wie  es  Metalle  (gewohnlich 
Gusseisen)  und  Glasfliisse  sincl,  eine  sehr  ungleiche  ist;  doch  wurde  diese  Aufgabe 
dadurch  gliicklich  gelost,  dass  man  zwischen  das  eigentliche,  von  den  Fliissig- 
keiten  beriihrte  Email    und  das  Metall  eine  Schichte  einschaltete,  deren  Ausdehn- 


*)  Wird  die  Oxydation  zu  weit  getrieben,  so  bildet  sich  durch  theihveise  Sauerstoffabgabi 
Eisenoxyduloxyd,  welches  dera  Schmelzflusse  eine  sclnvjirzliche  oder  griinliclie  Fai'lunu 
ertheilen  wiirde. 


266 


Email. 


samkeit  in  der  Warme  zwischen  jenen  des  Metalles  und  des  Emails  steht,  so 
dass  sie  eine  Vermittlung  zwischen  ersteren  beiden  bewirkt.  Diese  Zwischen- 
schichte  besteht  aus  einem  nicht  in  den  vollkommen  glasartigen  Zustand  liberge- 
gangenen  porosen  Email,  dem  sogenannten  Grundemail  oder  der  Grundmasse. 

Nebst  den  oben  angefiibrten  unerlasslichen  Eigenschaften  ist  es  erwiinscht, 
dass  das  Gescbirremail  eine  moglichst  glatte,  von  Blasen,  Runzeln  und  Rissen 
freie  Oberflache  und  eine  reine  (ineist  weisse),  gleichniassige,  wolkenfreie  Farbung 
habe,  und  nicht  allzu  sprode  sei,  um  nicht  bei  geringen,  gegen  das  Metall  ge- 
ftihrten  Schlagen  gleich  abzuspringen. 

Die  Herstellung  der  Geschirremaile  zerfallt  also  in  die  Erzeugung  der  Grund- 
masse und  der  Deckmasse. 

Zur  Darstellung  der  Grundmasse  mischt  man  krystallisirten  Borax  mit 
Feldspath  oder  Kryolith  und  feinem  Sand  oder  statt  letzterem  mit  gepochtem 
Quarz,*)  sammtliche  im  feingemahlenen  Zustande  und  bringt  dieses  Gemenge  in 
einen  an  seinem  Boden  durchlocherten  Tiegel,  in  welchem  man  es  einschmilzt. 

Nebenstehende  Figur  1496  a  und  b  zeigt  einen  fur  diese  Operation  geeigneten 
Ofen  im  Verticalschnitte.  A  ist  der  hessische,  mit  einem  Deckel  verschliessbare 
Sehmelztiegel,  B  ein  durchlocherter  Untersatz,   der  durch  den  Rost  D  hindurchragt, 


Fig.  1496. 


E  ein  Wassergefass,  in  welches  man  die 
gehorig  geschmolzene  Fritte  durch  Oeffnung 
des  mit  einem  Thonpfropfen  verschlossenen 
Loches  im  Tiegelboden  abfliessen  lasst. 
Der  Tiegel  wird  durch  die  Oeffnung  M 
eingesetzt,  beschickt  und  bedeckt;  dann 
wird  Feuer  auf  den  Rost  gebracht,  dariiber 
Kohle  oder  Koks  geworfen  und  die  Oeff- 
nung M  verschlossen.  Nach  etwa  1 1!q 
Stunden  ist  die  Masse  geschmolzen  und 
wird  abgelassen ;  worauf  man  die  Operation 
des  BeschickenS;  Einschmelzens  etc.  mit 
anderen  Mengen  vornimmt.  Die  aus  dem 
Wasser  genommene  Masse  wird  getrocknet, 
durch  Stamp  fen  zerkleinert,  mit  Pfeifeuthon 
und  gebrannter  Magnesia  gemischt  und  das 
Ganze  auf  einer  Glasurmiihle  fein  gemahlen. 
Das  sorgsam  von  den  Potterien  (Email- 
Geschirr-Fabriken)  bewachte  Geheimniss  be- 
steht in  dem  richtigen  Mengen- Verhaltniss 
der  zur  Fritte  genommenen  Bestandtheile. 
Einige  als  bewahrt  befundene  Recepte  seien 

hier  angefiihrt. 

1.)  30  Thl.  Quarzmehl,   16V2  Thl.  Borax  und  3  Thl.  Bleiweiss  werden  im 

Tiegel  eingeschmolzen  (und   liefern  39  Gew.-Thl.  Fritte)  und   nach  dem  Erkalten 

und    Pochen    der   gewonnenen    Schmelze   mit    9    Thl.    Quarzniehl,    82/5    Thl.    ge- 

schlammtem  feuerfesten  Thon,   V2  Thl.  Magnesia  alba  und  der   nbthigen  Wasser- 

menge  zu  einer  rahmartigen  Fltissigkeit  mittelst  einer  Glasurmiihle  vermahlen. 

2.)  30  Thl.    Quarzmehl,    30  Thl.    feingemahlener  Feldspatb,  25  Thl.  Borax 

werden  eingeschmolzen  und  nach  dem  Pochen  der  Schmelze  zu  dieser  103/4  Thl. 

Thon,  6  Thl.  Feldspath   und  l3/4  Thl.  gebrannter   Magnesia   zugemischt?    worauf 

man  unter  Wasser  vermahlt. 

Die  in  diese  Massen  (Fritten)  eingefiihrten  Antheile  von  Thon  und  Thonerde 

(im  Kryolith)  bedingen,  dass  die  Masse  beim  Einbrennen  weniger  diinnfliissig  wird, 

vielmehr  eine  halbgeschmolzene,  teigige  Consistenz  annimmt. 


*)  Derselbe  wird  durch  Gliiheu  und  rasches  Absclnecken  in  kaltein  Wasser  sprode  gemacht, 
\\m  leichter  gepocht  werden  zu  konnen. 


Email.  267 

Die  Deckmasse  unterscheidet  sich  von  der  Grundmasse  in  ihrer  Zusammen- 
setzung  nur  durch  ihren  Mangel  an  Thonerde  und  durch  die  Anwesenheit  von 
Zinnoxyd  oder  phosphorsaurem  Kalke  (als  Knochenerde  verwendet;,  welche  die 
milchige  Triibung  des  Schmelzflusses  bedingen.  Mit  Uebergehung  der  als  schadlich 
erwiesenen,  bleihaltigen  Gemische  sei  hier  die  Zusammensetzung  eines  vollkommen 
unschadlichen  Deckemails*)  gehracht.  37]/2  Thl.  Quarzmehl,  27 1/,i  Thl.  Borax, 
30  Thl.  Zinnoxyd,  15  Thl.  Soda,  10  Thl.  Salpeter  und  5  Thl.  gebrannter  Mag- 
nesia werden  in  feingepulvertem  Zustande  gemengt  und,  wie  bei  der  Grundraas.se- 
Erzeugung  beschrieben,  gefrittet  (man  erhalt  dadurch  92  Thl.  Email),  und  diese 
Operation  so  oft  wiederholt,  als  die  abgelassene  Masse  noch  blasig  erscheint. 

Nach  beendeter  Frittmig,  Abkiihlung  und  Zerpochung  mischt  man  das  Email- 
pulver  mit  6V8  Thl.  Quarzmehl,  3%  Thl.  Zinnoxyd,  2/3  Thl.  Soda  (calcinirt) 
und  3/4  Thl.  gebrannter  Magnesia  und  vermahlt  das  Ganze  auf  einer  Glasurmlihle 
mit  dem  erforderlichen  Wasserquantum  zu  einer  rahmigen  Fliissigkeit. 

Eine  besonders  fur  Blechgeschirre  und  Sauregefasse  sehr  geeignete  Email - 
masse  wird  aus  12  Thl.  ungebranntem  Gyps  und  1  Thl.  Borax  gemischt.  Dieses 
Gemenge  muss  ebenfalls  gefrittet,  in  Wasser  abgelassen,  getrocknet  und  ver- 
mahlen  werden.**) 

2.  Vorbereitung  der  zu  emailirendenGegenstande.  Die  Mannig- 
faltigkeit  der  Formen  und  Verschiedenheit  der  Metalle  bedingt  verschiedene  Vor- 
arbeiten,  doch  lasst  sich  als  allgemeines  Erforderniss  aufstellen,  dass  die  mit 
Email  zu  iiberziehenden  Flachen  metallisch  rein  und  doch  rauh  gearbeitet  sein 
miissen ,  um  die  Adhasion  zwischen  dem  Email  und  dem  Metall  moglichst  zu 
steigern. 

Die  zu  Uhrzifferblattern,  Schildern  etc.  bestimmten  Kupferbleche  werden 
theils  einseitig,  theils  auf  beiden  Seiten  emailirt,  und  miissen,  nachdem  sie  in  der 
richtigen  Form  zngeschnitten,  concav  ausgehammert  oder  aber  geebnet  und  mit 
den  zur  Befestigung  bestimmten  Lochern  versehen  sind,  auf  einer  oder  beiden 
Seiten  mit  verdilnnter  Salpetersaure  blankgebeizt  und  sofort  in  Wasser  geworfen 
werden,  um  sie  vor  der  oberflachlichen  Oxydation  zu  schtltzen.  Im  Wasser  haben 
diese  Bleche  bis  zur  Auftragung  und  Einbrennung  des  Emails  zu  verbleiben. 

Sehr  grosse  Sorgfalt  und  mehr  kiinstlerische  Ausfiihrung  beanspruchen  die 
Vorarbeiten  an  zu  emailirenden  Luxusartikeln.  Auf  dieselben  wird  das  Email 
meist  in  mehreren  nebeneinander  angeordneten,  aber  scharf  getrennten  Farben 
aufgetragen,  wodurch  es  noting  ist,  die  Oberflache  soldier  Gegenstande  mitkleinen, 
zur  Aufnahme  des  Emails  bestimmten  Behaltnissen  von  entsprechender  Form  zu 
versehen.  Das  Erzeugen  dieser  Behaltnisse  geschieht  entweder  derart,  dass  man 
auf  eine  gereinigte  Platte  die  Contouren  der  im  Email  auszufiihrenden  Zeichnung 
(d.  h.  die  Grenzlinien  der  verschiedenen  Farben)  vorzeichnet,  dann  mittelst  feiner 
Zangelchen  Draht  nach  diesen  Linien  biegt  und  diesen  schliesslich  mit  einem 
nicht  zu  weichfliissigen  Lothe  an  die  richtige  Stelle  auflothet.  Diese  Manier  fiihrt 
den  Namen  Zellenschmelze  (emaile  cloisonne,  von  cloison,  d.  i.  Verschlag 
oder  Scheidewand)  und  liefert  die  am  theuersten  bezahlten  Producte.  Oder  es 
werden  die  erforderten  Griibchen  mit  dem  Gravirstichel  aus  dem  vollen  Metall 
ausgearbeitet.  Diese  Art  bezeiclmet  man  mit  dem  Namen  Grubenschmelze 
(champ  eleve). 

Am  raschesten  und  billigsten  gelangt  man  zum  Ziele,  wenn  man  die  Ver- 
tiefungen  durch  Einpragen  mittelst  starker  Schraubenpressen  erzeugt,  oder  durch 
Giessen  der  ganzen,  schon  mit  den  Zellen  versehenen  Gegenstande  aus  Metallen, 
die   strenger    fliissig    sind    als    die    zur    Anwendung    kommenden    Emaile.     Diese 


s)  Vom  Hiittenmeister  Cuchul  in  der  k.  Eisengiesserei  in  Glehvitz  erfnnden  und  eben- 
daselbst  im  Gebrauche.     S.  Dingler's  polyt.  Journcal  Bd.  202  S.  502. 

■■)  Dinglei-'s  polyt.  Journal  Bd.  203  S.  499.  Dieses  Email  verwendet  die  Fabrik  ^og-. 
„Sanitatsgeschirre"  des  Emil  Soltmann  in  Thale. 


268  Email. 

beiden  Verfahrungsarten  sind  natiirlich  nur  dann  rentabel,  wenn  es  sicb  urn  An- 
fertigung  vieler  gleicher  Stiicke  handelt,  da  die  Beschaffung  von  Pragestempeln 
und  scharfen  Gussformen  kostspielig  ist.  *) 

Gleichgiltig,  in  welcher  Weise  vorgegangen  wurde,  muss  audi  hier  ein  Ab- 
beizen  mittelst  Sauren  dem  Auftragen  des  Emails  vorangehen. 

Die  ausgedehnteste  Anwendung  erleidet  das  Email  als  Ueberzug  von  Koch- 
geschirren,  Fliissigkeits-Leitungsrohren  und  als  ausserlicher  Schutz  der  Locomotiv- 
kessel-Siederobren  gegen  die  Ablagerung  von  Kesselstein. 

Bei  alien  Arten  Rohren  ist  das  Material  von  der  Bestimmnng  des  fertigen 
Productes  abhangig,  bei  Kocbgescbirren  aber  ist  es  in  den  meisten  Fallen  Guss- 
eisen,  seltener  Eisen-  oder  Kupferblech. 

Die  Gusseisengescbirre  sollen  an  und  fur  sicb  leicht  sein  und  die  Warme 
rascb  durchdringen  lassen,  beides  Eigenschaften,  die  man  durcb  entsprecbend  diinne 
Wandungen  erzielt,  wozu  das  beim  Scbmelzen  sebr  diinnfliissige  weisse  Gusseisen 
von  Wiesenerzen  sehr  geeignet  ist.  Die  Harte  dieses  Materiales  tbut  der  Ver- 
wendung  keinerlei  Eintrag,  da  die  gegossenen  Gefasse  vor  dem  Auftragen  des 
Emails  keinerlei  Bearbeitung  mittelst  Werkzeugen  erfahren,  sondern  lediglicb 
mittelst  scbwacher  Saure  (24  Tbl.  Wasser,  1  Thl.  Scbwefelsaure)  abgebeizt,  mit 
scbarfem  Sande  und  mittelst  einer  scbarfen  Biirste  in  kaltem  Wasser  gescheuert 
und  dann  mit  beissem  Wasser  ausgespiilt  werden,  worauf  sie  sofort  trocknen. 

3.  Auftragen  des  Emails.  Diese  Operation  erfordert  einige  Uebung, 
da  der  Emailiiberzug  iiberall  moglicbst  '  gleiebmassig  sein  muss.  Zifferblatter 
it.  s.  w.  werden  mittelst  eines  Pinsels  mit  dem  im  Wasser  vertbeilten  Emailpulver 
bestricben  oder  in  die  rabmige  Fliissigkeit,  in  welcber  man  das  Emailpulver  durcb 
bestandiges  Rlibren  gleiebmassig  vertheilt  erhalt,  eingetaucbt  und  der  anhangende 
Ueberscbuss  durch  mehrmaliges  rascbes  Schwingen  oder  durcb  einige  kurze,  kraftige 
Stosse,  die  indess    den  Metallgegen stand   nicbt  deformiren   diirfen,  abgescbleudert. 

Ebenfalls  mit  einem  Pinsel  wird  das  Email  in  die  Zellen  von  Luxusgegen- 
standen  eingefiillt. 

Das  Einbriugen  des  Emails  in  Kocbgeschirre  muss  in  zwei  getrennten 
Operationen  vorgenommen  werden,  indem  man  zuerst  eine  Grundmasse  auftra'gt 
und  erst  nacbdem  diese  ehigebramit  ist;  die  Deckmasse  dariiber  bringt.  Beidemale 
wird  die  mit  Wasser  zu  einer  rabmartigen  Fliissigkeit  angeriihrte.,  fein  ge- 
pulverte  Emaile  in  die  auf  etwa  60 — 70°  in  einem  Vorwarmofen  angewarmten 
Geschirre  in  binreicbender  Menge  eingegossen ,  durcb  gescbicktes  Wenden  und 
Schwenken  gleiebmassig  vertheilt,  der  Ueberscbuss  abgegossen  und  die  Gefasse 
zum  raschen  Trocknen  in  einen  Warmofen  gebracbt.  Neuer,  wenn  audi  gewiss 
niclit  besser,  ist  das  Verfahren  des  Englanders  Paris.**)  Die  Gefasse  werden 
innerlicb  mit  einer  dlinnen  wassrigen  Losung  von  arabiscbem  Gummi  ausgestricben 
und  auf  diese  klebrige  Schichte  das  trocken  feingemablene  Emailpulver  aufgesiebt 
und  durch  scharfes  Trocknen  befestigt. 

4.  Das  Einbrennen  des  Emails  erfolgt  nie  in  offenem  Feuer,  sondern 
stets  in  Muffeln,  um  die  Verunreiniguiig  des  Emailiiberzuges  durch  Rauch  oder 
Flugasche  zu  verhuten. 

Die  Gegenstande  sind  beim  Einschmelzen  stets  so  zu  stellen,  dass  die 
moglicbst  geringste  Tendenz  des  Abfliessens  des  breiig  erweichten  Emails  vor- 
handeii  ist. 

Die  Einbrenn-Temperatur  ist  eine  wechselnde  und  richtet  sicb  nacb  der 
Scbmelzbarkeit  des  Emails,  die  jedenfalls  unter  der  des  zu  emailirenden  Metalles 
oder  an  demselben  vorkommender  Lothungen  liesren  muss. 


*)  Vergleiche  Dingler's  polyt.  Journal  Bd.  211  S.  245  und  „Verhandlnngeu  des  Vereiues 
fixr  Ge-werViefleiss1'  VI.  Beilag-e,  Vortrag  vom  Fabrikanten  Sussmann  He  11  born  am 
6.  December  1875. 

**)  Musspratt's  cliemiseli-technisclie  Encyklopadie. 


Email. 


269 


Die  Einrichtung  eines  Muffel- 
ofens,  wie  derselbe  zum  Email- 
schmelzen  fiir  kleinere  Gegenstande 
geeignet  ist,  zeigt  nebenstehende 
Figur  1497.  A  ist  die  thcinerne 
Muff  el,  die  sich  an  den  Einsclmitt  C 
des  Ofens  schliesst  und  anf  mehreren 
thonernen  Stiitzen  anfruht.  D  ist 
eine  durchlocherte  Thonplatte,  die 
den  Rost  vertritt,  E  der  Aschenfall, 
R  die  Oeffnung  zum  Einbringen 
des  Brennmateriales  und  B  der  von 
den  Flammen  erfiillte  Ofenraum. 
Wahrend  des  Email-Einschmelzens 
ist  die  Muffel  bei  C  mit  einem  tho- 
nernen Deckel  verschlossen.  Fiir 
Emailirung  von  Sehmuckgegenstan- 
den  eignet  sich  vorziiglich  P  e  r  r  o  t's 
Gas-Muffelofen  (s.  Gas 6 fen). 

Nachdem  das  Email  geschmol- 
zen  ist,  wovon  man  sich  durch  zeit- 

weiliges  Herausziehen  von  Proben  tiberzeugt,  lasst  man  den  Ofen  erkalten  und 
nimmt  die  Gegenstande  aus  der  Muffel.  Man  findet  nun,  dass  die  Emailoberflache 
mit  vielen  kleinen,  geplatzten  Blaschen  iiberdeckt  ist  (diese  Erscbeinung  tritt 
besonders  stark  auf,  wenn  das  Fritten  und  Trocknen  keine  vollkommene  Ent- 
wasserung  des  angewendeten  Borax  oder  der  Soda  bewirkt  hat).  Man  schleift 
dann  die  Oberflache  mit  Schmirgel  und  Polirroth  ab  und  bringt  die  Gegenstande 
nach  erfolgter  sorgfaltiger  Reinigung  abermals  in  die  Muffel  zur  zweiten  Schmelzung, 
dem  sogenannten  Glanzschmelzen,  wodurch  sie  eine  glasglanzende  Oberflache 
erlangen. 

Das  Einbrennen  des  Emails  in  Geschirren  erfordert  wegen  der  bedeutenderen 
Grosse  der  einzelnen  Stiicke,  und  weil  die  Procedur  mit  vielen  Gefassen  zugleich 
vorgenommen  wird,  Muffelofen  von  bedeutenderen  Dimensioned  doch  diirfen  diese 
nicht  allzugross  genommen  werden,  da  es  schwierig  ist,  dieselben  dann  gleich- 
massig  auszuheizen. 

Die  Gefasse  werden  in  diesen  Oefen  bis  zur  hellrothen  Gluth  erhitzt,  wodurch 
bei  richtiger  Zusammensetzung  der  Emailmasse  nach  15 — 20  Minuten  die  Sinterung 
der  Grundmasse  oder  Verglasung  cles  Glanzemails  vollstandig  erfolgt  ist. 

Die  Geschirre  miissen  wahrend  des  Einbrennens  mehrmals  gedreht  werden, 
damit  die  Schmelze  iiberall  gleichmassig  erweicht  werde. 

Die  Thiire  der  Muffel  wird  nur  wahrend  des  Einsetzens  und  Ausnehmens 
der  Geschirre  geoffnet;  bleibt  aber  sonst  verschlossen.  Zur  Einfiihrung  einer 
eisernen  Gabel,  mit  welcher  die  Geschirre  an  den  Henkeln  gefasst  und  gewendet 
werden,  ist  in  der  Muffelthlire  ein  langlicher,  wagrechter  Schlitz. 

Das  Einbrennen  der  Deckmasse  erfordert  natiirlich  mehr  Sorgfalt  als  jenes 
der  Grundmasse,  wird    aberim  Wesentlichen  in  beiden  Fallen    gleich  ausgefiihrt. 

Alle  emailirten  Gegenstande,  insbesondere  voluminosere,  sollen  nach  er- 
folgtem  Einbrennen  des  Emails  in  Kiihl-Oefen  gebracht  und  mit  diesen  abkuhlen 
gelassen  werden,  um  die  Bildung  von  Haarrissen  im  Email  zu  verhiiten. 

Geschirre  und  Rohren  sind  nach  dieser  letzten  Operation  fertig  und  werden 
nur  zuweilen  noch  auf  den  nicht  emailirten  Flachen  mit  Firniss  iiberstrichen. 

Zifferblatter,,  Schilder  und  viele  Luxusgegenstande  aber  erhalten  eine  Be- 
malung,  welche  man  mit  Emailfarben,  die  in  hochst  feingemaldenem  Zustande  mit 
Lavendelol  verrieben  sind,  mittelst  eines  Pinsels  auftragt  und  dann  vorsichtig  in 
Muffeln  einbrennt.  Es  ist  selbstverstandlich ,  dass  diese  Emailfarben  leichter 
schmelzen  miissen  als  der  Grund,  um  jedes  Verfliessen  hintanzuhalten. 


270  Email.  —  Emetin. 

Audi  Vergoldungen  und  Versilberungen  werden  auf  den  Sclimelz  angebracht 
und  verweisen  wir  dieserlialb  auf  Porcellamnalerei  im  Artikel  Thonwaaren. 
(Als  hervorragende  Fabriken  emailirter  Kochgeschirre  sind  zu  nennen:  Pleischl 
Ad.,  Wien,  Alserstrasse  25.  (Emailirte  Gussgeschirre.)  Bartelmus  Aug.  &  Co., 
Briinn  (Em.  Eisenblechgescbirre).  Actiengesellschaft  in  Lauchhammer,  Prov. 
Sachsen  (bis  zu  em.  Gahrbottichen).  Moritz  Kohn. 

Emailfarben;  Emailglas,  Emailgrund,  s.  Email  u.  Glas. 

Emailirofen,  s.  Email. 

Embolit,  Mineral.  Tessulare  Krystalle  von  gelber  oder  grlinlicher  Farbe, 
diamantglanzend.  Harte  1 — 1*5,  spec.  Gew.  =z5*79 — 5*81.  1st  Bromchlorsilber  von 
der  Formel  2  Ag  Br  -f-  3 Ag  CI mit  66-9%  Silber.  Findet  sich  zu  Copiapo in  Cbili.  Gtl. 

Embritllit,  Mineral.  Derb,  kuglige  oder  kornige  Massen  von  bleigrauer 
Farbe  bildend.  Harte  2-5.  1st  Schwefelantimon-Schwefelblei  mit  geringem  Kupfer- 
und  Silbergehalt.     Vorkommen  Nertscbinsk.     Gtl. 

Emerald,  s.  Smaragd. 

Emeraldin,  s.  Anilingriin  bei  Theerfarbstoffe. 

Emeraldnickel,  s.  Nickel  smaragd,  s.  Texasite. 

Emerylith,  s.  m.  Mar  gar  it. 

Emetin  (emetine  —  emetine).  Das  wirksame  Princip  der  Ipecacuanha- 
oder  Brechwurzel,  vielleicht  auch  der  Caincawurzel.  Zuerst  von  Pelletier  im 
Jahre  1816  dargestellt  und  von  demselben  im  Vereine  mit  Mag  en  die  (s.  Journ. 
Pbarm.  (2)  III  145  u.  IV  322),  dann  mit  Dumas  (Annal.  d.  Cbem.  et  Pbys. 
(2),  XXIV  pag.  180),  weiter  von  Merk  (Trmsdrf.  n.  Journ.  f.  Pbarm.  XX,  1. 
pag.  134),  von  Reich  (Arcbiv  f.  Pbarm.  (2)  CXm  pag.  193),  Lefort  (Journ. 
Pharin.  (4)  IX  pag.  167  u.  241)  u.  A.  genauer  untersucbt.  Kann  erbalten  werden 
durch  Extrahiren  der  zerkleinerten  Ipecacuanbawurzel  mit  warniem  Weingeist, 
zuerst  mit  starkerem  (86-grad.),  dann  mit  schwacherem  (56-grad.),  Verdunsten  der 
Ausziige  zur  Syrupconsistenz  und  Versetzen  des  Verdiinstungsriickstandes  mit 
etwas  Wasser  und  2  °/0  von  dem  Gewichte  der  Wnrzel  an  Kalibydrat  und  Schiitteln 
dieser  Miscbung  mit  Chloroform.  Nach  dem  Verdunsten  der  von  der  iibrigen  Masse 
getrennten  Cbloroformlosung  hinterbleibt  unreines  Emetin,  das  in  verdiinnter  Salz- 
saure  gelost  und  die  Losung  durch  eine  eben  znreichende  Menge  an  Ammoniak 
gefallt  wird.  Der  hiebei  erhaltene  Niederschlag  wird  nun  zunachst  mit  AVasser, 
dann  mit  Aether  gewaschen,  wodurch  die  letztcn  Reste  von  Verunreinigungen 
entfernt  werden  (Lefort).  Es  resultirt  nach  diesem  Verfahren  aus  brasil.  Ipeca- 
cuanbawurzel durchschnittlich   1/3 — V2  %  Emetin. 

So  dargestelltes  Emetin  bildet  ein  weisses,  geruchloses  Pulver  von  schwach 
bitter  kratzendem  Geschmack  ohne  Spur  von  Krystallisation.  Es  reagirt  alkalisch. 
Lust  sich  in  1000  Thl.  Wasser  von  50°  C,  leicht  in  Alkohol,  sehr  leicht  in 
Chloroform,  eben  so  auch  in  Benzol  und  Petroleumather,  dagegen  fast  gar  nicht 
in  Aether.  Die  angesauerte  Losung  fluorescirt  blau.  Das  Emetin  schmilzt  bei 
70°  C.  (Lefort)  (nach  Pelletier  bei  50°),  bei  starkerem  Erhitzen  verbrennt 
es  mit  russender  Flamme.  Von  Sauren  wird  es  gelost  unter  Bildung  neutraler  Salze, 
welche  nicht  krystallisirbar,  in  Wasser  meist  leicht  loslich  und  von  scharfem, 
zugleich  bitterem  Geschmacke  sind.  Das  Nitrat  ist  nach  Lefort  schwer  loslich. 
Seine  noch  nicht  mit  Sicherheit  festgestellte  Zusammensetzung  entspricht  nach 
Reich  der  Formel  CMH3uN2010,  nach  Anderen  ware  jedoch  auf  30  bis  37  Atome 
Kohlenstoff  bios  1  Stickstoffatom  enthalten  wie  in  der  Formel  6,3.-^„Tivr010.  Das 
Emetin  wird  aus  den  Losungen  seiner  Salze  sowohl  durch  Platinchlorid  als  auch 
durch  Phosphormolybdansaure,  dann  durch  Gerbsaure,  Quecksilberchlorid  gefallt. 
Schwefelcyankalium  fallt  es  gelblichweiss ,  Kaliumbichromat  gelb ,  salpetersaure 
Alkalien  weiss.  Aetzende,  so  wie  kohlensaure  und  doppelt  kohlensaure  Alkalien, 
Ammoniak  und  Magnesia  fallen  reines  Emetin.  Es  wirkt  schon  in  geringen  Gaben 


Emetiri.  —  Endosirmaschine.  271 

heftig  brechenerregend,  in  grSsseren  Dosen  tbdtlich.  Unter  dem  Namen  Emetine 
coloree  (brnne)  kommt  in  Frankreich  cin  Praparat  in  den  Handel,  das  nichts 
weiter  als  ein  durcli  Verdunsten  eines  alkoholischen  Wurzelauszuges,  Auflosung 
des  Riickstandes  in  Wasser  und  Eindampfen  der  nacli  Zusatz  von  etwas  Mag- 
nesia filtrirten  wassrigen  Losung  znr  Troekene  bereitetes  Extract  der  Ipecacuanha 
ist.     GtL 

Emmer,  s.  bei  Dink  el  II  pag.  632. 

Emmonit,  kalkhaltiger  Strontianit,  s.  d. 

Emoisin,  Bezeichnung  fur  Lexikon-Format. 

Empiectit,  rhombisches  Mineral,  welches  in  dtinnen  nadelformigen ,  stark 
langsgestreiften  Saulen  in  Quarz  eingewachsen  vorkommt.  Mild,  Harte  2,  spec. 
Gew.  —  5-137 — 5-263,  zinnweiss ,  gelb  angelaufen.  Chern.  Zusammensetzung 
Cu*S  BPS3,  19  Schwefel,  19  Knpfer  und  62  Wismuth.  Vorkommen  Schwarzenberg 
im  Erzgebirge,  Freudenstadt  in  Wiirttemberg,  Copiapo  in  Chile.     Lb. 

Empyreuma  (empyreuma  —  empyreume)  bedeutet  so  viel  als  brenzlicher 
Geruch  oder  Gescbmack,  wie  solcher  den  bei  der  trockenen  Destination  organiscber 
Substanzen  sich  bildenden  StofFen  eigenthiimlich  ist.  Vgl.  Destination  II 
pag.  613. 

Emillsin,  Synaptase,  s.  Amygdalin  I  pag.  141,  s.  Ei weisskorper 
III  pag.  142. 

Emulsion  nennt  man  die  innige  Vermengung  eines  in  einer  Fltissigkeit  nicht 
oder  nur  schwer  loslichen  Korpers  mit  derselben  durch  gleichmassige  Vertheilung 
des  feinzertheilten  Korpers  in  der  Fltissigkeit.  Namentlich  gebraucht  man  cliese 
Bezeichnung  fiir  die  durch  feine  Vertheilung  eines  Oeles  oder  Fettes,  wohl  auch 
eines  Harzes  in  einer  wassrigen  Fliissigkeit  entstandenen  Mischungen,  wie  solche 
z.  B.  in  der  thierischen  Milch,  den  Milchsaften  der  Pflanzen,  dem  Eidotter  etc 
vorliegen  und  spricht  in  diesem  Sinne  von  Oel-,  Fett-,  Harzemulsionen. 

Fiir  die  kiinstlicbe  Bereitung  von  Emulsionen  wahlt  man  scbleimige  Fliissig- 
keiten,  welche  der  Wiedervereinigung  der  fein  vertheilten  Oel-,  Fett-  oder  Harz- 
partikelchen  einen  grosseren  Widerstand  entgegensetzen.  So  kann  man  durch  An- 
riihren  von  1  Till.  Oel  mit  ]/a  Thl.  Gummi  und  allmaligen,  unter  fleissig  fort- 
gesetztem  Verreiben  erfolgenden  Zusatz  von  Wasser  (10 — 12  Thl.)  eine  Oelemulsion 
darstellen.  Gummiharze  liefern  beim  Anriihren  mit  Wasser  direct  eine  Harz- 
emulsion,  auch  durch  Zerstossen  olreicher  Samen,  Anriihren  des  Breies  mit  Wasser 
und  Abseihen  der  erhaltenen  Emulsion  von  den  festen  Samentheilen  erhalt  man 
Emulsionen  (Samenemulsion),  z.  B.  die  Mandelmilch.     Gil. 

Emydin.  StickstofFhaltige  und  phosphorhaltige  organische  Substanz,  welche 
sich  in  Gestalt  rundlicher  Kcirner,  nicht  selten  auch  krystallisirt  in  den  Schild- 
kroteneiern  findet.     GtL 

Enargit  (Name  von  ivaoyiqg  deutlich,  Anspielung  auf  die  Spaltbarkeiti, 
rhombisch-krystallisirendes  Mineral,  das  jedoch  meist  derb,,  grobkornig  oder  stenglig 
vorkommt.  Spaltbar  prismatisch,  vollk.  sprode.  Harte  3,  spec.  Gew.  =  4*36 
bis  4-47.  Eisenschwarz,  Strich  schwarz,  Metallglanz.  Chem.  Zusammensetzung 
SCu-SAs"^  mit  48-60  Kupfer,  18-28  Arsen,  32-58  Schwefel.  Zuweilen  vicariirt 
etwas  Antimon  fiir  Arsen,  etwas  Eisen  und  Zink  fiir  Kupfer.  Im  Kolben  sublimirt 
erst  Schwefel,  worauf  er  schmilzt  und  dann  Schwefelarsen  gibt.  Schmilzt  auf 
Kohle  leicht  zu  einer  Kugel,  Aetzkali  entzieht  dem  Pulver  Schwefelarsen.  Fund- 
orte  Morococha  in  Peru,  Chesterfield,  Siid-Carolina,  am  Colorado,  Coquimbo,  Chile, 
Neugranada,  Mexico.     Lb. 

Encaustik,  s.  Enkaustik. 

Endlose  Schraube,  s.  Schraube. 

Endosirmaschine  oder  Abpress-M.,  s.  Buchbinderea  II  S.   114. 


272  Endosmose.  —  Enkaustik. 

Endosmose,  s.  Diffusion  II  pag.  625. 

Engelroth,  Englischroth,  s.  Caput  movtuum  II  S.  252  u.  d.  Artikel 
Poliren,  s.  a.  Eisenoxyd  II  pag.  760. 

Engelwurzel,  Angelicawurzel  (racine  d'angelique  —  angelica  root). 
Die  Wurzel  von  Archangelica  officinal.  Hofiin.,  einer  im  nbrdlichen  Europa  und 
Asien,  seltener  in  Mitteleuropa ,  auf  feucbten  Wiesen  und  an  Bachen  vor- 
kommenden  Doldenpflanze ,  die  nicht  selten  ini  Erzgebirge  und  in  Thiiringen 
cultivirt  wird.  Die  Handelswaare  bildet  braune  Stiicke.  welcbe  aus  dem  oft  bis 
6cm  dick  en,  geringelten,  mit  den  Scheidenresten  abgestorbener  Blatter  besetzten 
Wurzelkopf  bestehen,  an  dem  zahlreiche,  bis  0*2™  lange,  3 — 4mm  dicke  Neben- 
wurzeln  sitzen,  die  haufig  unter  einander  verschlungen  sind.  Die  ziemlich  lockere 
strahlige  Wurzelsubstanz  bat  einen  angenehmen,  durchdringend  aromatischen  Geruch 
und  schwach  bitteren,  gewiirzhaften  Geschinack,  welcbe  auf  Rechnung  eines  athe- 
rischen  Oeles  (von  welchem  die  Wurzel  03 — 0*7  °/0  enthalt)  und  einer  balsara- 
artigen  Substanz  ( — 6  °/0)  zu  setzen  sind.  Bucbner  hat  daraus  das  krystallisirbare 
Angelicin  oder  Angel icabitter  erhalten,  ausserdem  findet  sich  Angelica- 
saure  (Q-#802),  etwas  Valeriansaure,  Zucker,  Starke,  Wachs,  ein  BitterstofF  und 
Spuren  von  Gerbsaure. 

Die  Angelikawurzel  dient  einerseits  als  Arzneistoff,  andererseits  wird  sie 
ihres  angenebmen  Aromas  wegen  zur  Bereitung  von  Liqueuren  und  aromatischen 
Essigen  verwendet.     Gil. 

Englischblau,  vgl.  Indigo. 

Englischgelb,  Varietat  von  Casselergelb,  s.  d.  I  pag.  621. 

Eliglischgriin ,  Mineralfarbe ,  welcbe  durch  Mischuug  vou  Chromgelb  mit 
Berlinerblau  und  Barytweiss  erbalten  wird.  Vgl.  griiner  Zinnober  bei  Blei  I 
pag.  603.     Gil. 

Englisch-Leder,  ein  dicbtes  Baumwollgewebe,  s.  Satin,  s.  Weberei. 

Engl ischpf laste r  {taffetas  anglais  —  court  -plaster),  S  c h  o  n  h  e i  t  s p  f  1  a s  t  e  r, 
Englisches  Klebepflaster  (Woodstock's),  Taffetpflaster.  Ein  durch 
Ueberstreichen  von  Taffet  mit  Hausenblase  oder  Gelatine  hergestelltes  Pflaster, 
welches  nach  folgender  Vorschrift  dargestellt  werden  kann :  100  Gr.  Blatter- 
hausenblase  in  kleine  Stiickchen  geschnitten,  werden  in  2000  Gr.  heissen  destillirten 
Wassers  gelost,  die  Losung  mit  100  Gr.  90-proc.  Weiugeist  und  10  Gr.  gereinigtem 
Honig  gemischt  und  diese  Mischung  durch  ein  Tuch  geseiht.  Diese  Menge  der 
Mischuiig  wird  durch  gelindes  Erwarmen  fliissig  erbalten  und  mit  einem  breiten 
Haarpinsel  auf  ein  1  Meter  langes  Stiick  Taffet  (von  schwarzer,  rosarother  oder  weisser 
Farbe),  welches  auf  eine  Rahme  glatt  gespannt  ist,  nach  und  nach  sehr  gleich- 
miissig  aufgetragen,  indem  nach  jedesmaligem  Anstrich  abgewartet  wird,  bis  die 
aufgetragene  Schichte  vbllig  trocken  geworden  ist.  Sobald  die  ganze  Menge  der 
Mischuug  aufgetragen  und  der  Taffet  vbllig  abgetrocknet  ist,  wird  derselbe  auf 
der  Riickseite  mit  einem  Anstrich  aus  einer  Mischung  von  4  Thin.  Benzoetinktur 
( 1  Benzoe  zu  5  Thl.  90  °/0  Alkohol)  und  1  Thl.  Perubalsam  iiberstrichen  und 
nach  dem  Abtrocknen  dieses  Anstrichs  in  Stticke  von  beliebiger  Grosse  geschnitten. 

An  Stelle  der  Hausenblase  verwendet  man  fiir  geriugere  Sorten  von  Englisch- 
pflaster  wohl  auch  weissen  Leim  (Gelatine),  dem  man  etwas  Glycerin  (1  —  2°/0) 
zusetzt.     Gtl. 

Englischl'Oth,  syn.  mit  Engelroth. 

Englischsalz,  syn.  mit    schwefelsaurer  Magnesia  oder  Bittersalz. 

Englischschwarz,  s.  Zeugfarberei. 

Enkaustik  \cncaus1ique  —   encaustic  painting),  s.  Thonwaaren. 


Enkaustiren.  —  Entfarben.  273 

Enkaustiren  nennt  man  clas  auf  Gypsabgiisse  angewendcte  Verfahren,  des 
Einlassens  (theilweisen  Impragnirens)  derselben  mit  Stearin  oder  Paraffin,  wodurch 
die  Gypsgegenstande  ein,  gewissen  Marmorarten  ahnliches,  schwa  eh  transparentes 
Anssehen  gewinnen  und  eine  weniger  leicht  schmutzende,  abwaschbare  Oberflache 
bekomnien.  Man  erreicht  dies  entweder  durch  Einlegen  der  vollkommen  trockenen 
nnd  auf  80 — 88°  C.  erwa'rmten  Gypsabgiisse  in  geschmolzene  Stearnisaure  oder 
Paraffin  (in  welch  letzterem  Falle  man  die  Gegenstande  bios  auf  63 — 65°  0.  zu 
erwarmen  braucht),  3 — 4  Minuten  langes  Belassen  in  dem  Fettbade  und  Biirsten 
der  erkalteten  Gegenstande  mit  einer  weicben  Biirste.  Auch  durch  wiederholtes 
Bestreichen  der  auf  den  Schmelzpunkt  des  Fettes  erhitzten  Gegenstande  mit  dem 
geschmolzenen  Fette  kann  man  den  gleichen  Zweck  erreichen.  Nach  Wiederhold 
kann  man  die  Erwarmung  der  Gegenstande  dadurch  umgehen,  dass  man  sie  durch 
Tranken  mit  einer  Losung  von  1 — 2  Thl.  Stearinsaure  in  10  Thl.  Petroleum- 
ather  enkaustirt.  Durch  Anwendung  einer  mit  etwas  Drachenblut  und  Gummigutt 
gefarbten  Stearinsaure  kann  man  den  enkaustirten  Gegenstanden  eine  angenehm 
rothlich-gelbe  Farbe  ertheilen.  Die  zu  enkaustirenden  Gegenstande  miissen  aus 
dem  reinsten  Gyps  hergestellt  sein,  da  sie  andernfalls  stets  ein  schmutzig  weisses 
Aussehen  bekommen.  Vgl.  Gyps  bei  Calcium  II  pag.  218,  s.  a.  Gypsguss  bei 
G  i  e  s  s  e  r  e  i.     Gtl. 

Enkrinitenkalkstein,  korniger,  mehr  oder  weniger  dichter  Kalkstein,  der 
wesentlich  aus  zusammengehauften  Gliedern  fossiler  Crinoiden  besteht,  und  in  ver- 
schiedenen  Forniationen,  namentlich  im  Kohlenkalk,  Muschelkalk  und  Jura  oft  in 
betrachtlicher  Entwicklung  vorkommt.  Da  die  Crinoidenglieder  immer  in  Kalk- 
spath  verwandelt  sind,  hat  das  Gestein  ein  mehr  oder  weniger  spatkig  korniges,  kry- 
stallinisches  Aussehen,  und  liefert  oft  vorziiglichen  Marmor  (Lumachelle,  Pietra 
stellaria  z.  Thl.).     Lb. 

Enlevage  (enlevages  —  chemical  discharge),  Aetzbeize,  s.  Beize  I 
pag.  372.     Vgl.  a.  Zeugfarberei  u.  Druckerei.     Gtl. 

Enlevagedruck,  s.  Zeug druckerei. 

Enron  lew,  Einrollapparat,  eine  Maschine  zum  faltenfreien  Aufwickeln 
von  Geweben  (s.  Appretur  I  pag.  169). 

Enstatit,  Min.  rhombisch,  in  rechtwinkligen  Saulen  krystallisirend  in  Ser- 
pentin-  oder  Olivingesteinen  eingewachsen.  Prismatisch  vollk.  spaltbar.  Harte 
5"5,  spec.  Gew.  —  3*13 — 3*29,  graulich  oder  griinlich  weiss.  Perlmutterglanz  auf 
den  Spaltungsflachen,  wenig  durchscheinend.  Chem.  Zusammensetzung  MgOSiO", 
60-6  Kieselsaure,  39*4  Magnesia.  1st  vor  dem  Lothrohr  unschmelzbar,  wird  von 
Sauren  nicht  angegriffen.  Urspriinglich  nur  vom  Zdjarberge  in  Mahren  bekannt, 
lernte  man  den  Enstatit  als  charakteristischen  Gemengtheil  des  Schillerfelsens  vom 
Harz,  so  wie  zahlreicher  Olivingesteine  kennen;  auch  ist  der  Enstatit  eines  von 
jenen  Mineralien,  welche  sich  in  Meteorsteinen  finden,  der  Meteorit  von  Bishopville 
besteht  vorwiegend  daraus.     Lb. 

Entfarben  (decolorer  —  to  decolour).  Das  Entfarben  von  Fliissigkeiten 
kann  entweder  durch  Zerstorung  oder  durch  Entfernung  des  farbenden  Bestand- 
theiles  erfolgen.  Im  ersteren  Falle  wird  man  es  wesentlich  mit  einem  Bleich- 
processe  zu  thun  haben  und  die  anzuwendenden  Mittel  werden  chemisch  wirkende 
Mittel,  Bleichmittel,  sein  miissen,  vgl.  Bleichen  I  pag.  622.  Im  zweiten  Falle 
wird  man  Mittel  anwenden  miissen,  welche  die  farbende  Substanz  aufnehmen  oder 
binden  und  sie  so  zu  entfernen  gestatten.  Von  solcher  Art  ist  die  Wirkung  der 
Mittel,  die  man  haufig  zur  Entfarbung  von  Fliissigkeiten  anwendet,  welche  die  An- 
wendung chemisch  wirkender  Agenzien  nicht  gestatten.  In  diesem  Sinne  verwendet 
man  am  haufigsten  Knochenkohle  (Thierkohle  od.  Spodium),  welche  bei  liingerer  Be- 
riihrung  mit  gefarbten  Fliissigkeiten,  soferne  dieselben  sauer  oder  neutral  reagiren, 
die  Farbstoffe  aufnimmt  und  nach  dem  Abfiltriren  der  Knochenkohle  eine  mehr 
oder  weniger  farblose  Fliissigkeit  liefert.    Auch  frisch  gefalltes  Schwefelblei,  oder 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.    Bd.  III.  18 


274  Entfarben.  —  Entlastungs-Schieber. 

noch  besser  Schwefelblei,  welches  im  Bereiche  der  zu  entfarbenden  Fllissigkeit 
selbst  entsteht,  reisst  die  meisten  Farbstoffe  mit  nieder,  wirkt  also  entfarbend, 
und  man  kann  hiebei  den  gtinstigsten  Erfolg  dadurch  erreichen,  dass  man  eine 
zu  entfarbende  Fliissigkeit,  falls  dies  angeht,  mit  etwas  Bleizuckerlosung  versetzt 
and  sodann  Sckwefelwasserstoff  so  lange  auf  die  Misclnmg  einwirken  lasst,  bis 
alles  Blei  in  Schwefelblei  verwandelt  ist.  Audi  frisck  gefalltes  Eisenoxyd  und 
frisches  Thonerdehydrat  wirken  nicht  selten  entfarbend.     Gtl. 

Entfarbungsmesser,  vgl.  Decolorimeter  bei  Colorimeter  II  pag.  385. 

Entfarblingsmittel,  s.  Bleichen  I  pag.  622,  vgl.  Enoch enkohle,  vgl. 
Zeugfarberei. 

Entfernung   (distance  —  distances),  s.  Distanzmesser  II  pag.  635. 
Entfetten,  s.  Bleichen  I  pag.  623  u.  630. 

Entfettungsmaschlne  oder  Krapp  mas  chine,  s.  Appretur  I  S.  170. 
Entfuseln,  s.  Branntweinbrennerei  I  pag.  769,  v.  a.  Alkohol. 

Entfuselungspillver  nennt  Plattner  ein  ihm  patentirtes  Gemenge  von 
2  Thl.  Starke  mit  1  Thl.  Eiweiss  und  1  Thl.  Milchzucker,  welches  in  feinpulveri- 
ger  Form  zur  Klarung  und  Entfuselung  von  Liqueren  dienen  soil.  S.  Dingl.  pol. 
Journ.  215  pag.  283.     Gtl. 

Entglasen,  s.  Glas. 

Enthaaren  und  Enthaarungsmittei,  s.  Leder. 

Enthiilsungs-Wlaschinen,  s.  Landwirthschaftliche  Mas  chin  en. 

Entkohlen ,  Decarbonisiren  (decarbonisation  —  decarbon izing)  be- 
zeichnet  das  Gliihen  von  Stahlplatten  (fur  Stahlstiche)  zwischen  Schmiedeisenfeil- 
spanen  zum  Zwecke  des  Weichermachens  der  Platten  durch  Verminderung  des 
KohlenstofFgehaltes  des  Stahles. 

Entkrauseln,  s.  Kammgarnspinner  ei. 

Entladevorrichtungen,  s.  Heb  em  as  chin  en. 

Fig.  1497.  Entlastlingsbogen    {arc    en    decharge   —  dis- 

charging  arch)  ist  ein  Mauerbogen,    um  den  Druck 


^-"-S^KlT1  H  [J  TTTrVV^;' ~~      ^es    Mauerwerkes    (oder    der   Belastung)    von    einem 

~^\\\\\\wjW  darunter  befindlichen  horizontalen  Steinbalken  (Sturz) 

^NxV \oA\-77^^Xt/J'/i         °der  einem  schwachen  Mauerbogen  abzuhalten.    Fig. 

7:^iii_'  U1>7  'u'ibt  ein  Bild  davon-      Gr- 

~'Ua  m^'  Entlastungs-Schieber,  Entlasteter  Schieber 

llT~r~      (soapape   a    bascule  —  balance  valere).     Schieber- 

entlastungen  sind,  wie  schon  das  Wort  besagt,  Con- 

structionen,  welche  bezwecken,  den  Druck,  mit  welchem  Dampf-Schieber  gegen  ihre 

Balm  gepresst  werdrn,  zu  verringern  und  dadurch  den  Reibuiigswiderstand  thunlichst 

herabzumindern.     Der   entlastete  Schieber   wird   natitrlich    complicirter   und   kost- 

spieliger   als  der   gewohnliche,  keine  der   bekannten  Anordnungen    kann  als  voll- 

kommen  entsprechend  bezeichnet  werden,    und  sie  bediirfen,  um  dauernd  wirksam 

zu  bleiben,  ofteren  Nachsehens  und  Reparatur,  so  dass  man  derlei  Constructionen, 

wo  es  nicht  unbedingt  geboten  erscheint,  lieber  umgeht. 

Das  Bediirfniss  der  Schieberentlastung  tritt  aber  ein,  wenn  man  es  mit 
grosseren  Maschinen  zu  tlmn  hat,  deren  Steuerungsapparat  von  Hand  aus  verstellt 
werden  soil,  wie  bei  Maschinen  mit  Umsteuerung  und  Handsteuerung.  Wir  sehen 
daher  bei  Schiftsmaschinen  (wegen  der  grossen  Schieberdimensionen)  fast  durchwegs 
Entlastungen  angewendet,  sehr  oft  audi  bei  Dampfhammern  (s.  II  pag.  520  etc.), 
wahrend  die  Locomotiven  und  Fordermaschinen  zumeist  noch  mit  voll  belastetem 


Entlastungs-Schieber, 


275 


Schieber  arbeiten,    da  die   hierbei  oft    versuchten  Entlastungs-Constructionen    kein 
zufriedenstellendes  Resultat  ergaben. 

Eine  der  gebrauchlichsten  Schieberentlastungen  ist  jene  mit  Schlussring,  wie 


An  dem  Muschelschieber  ist  ein  cylindrischer  Thcil 
Fig.  1498. 


eine  solche  Fig.   1498  zeigt. 

D  angegossen,  welcher  oben 

eine     Rinne    b    eingedrelit 

enthalt.     In  letztere    passt 

ein  Gussring  R,  der  durch 

Kautschuk  oder  Stahlfedern 

fortwahrend  gegen  den  be- 

arbeiteten  und  gut  gerichte- 

ten      Scbieberkastendeckel 

gepresst    wird.     Nach    der 

Grosse,    welche    man    dem 

Cylinder  D  gibt,  kann  die  Entlastung  in  mehr  oder  minder  hohem  Grade  erzielt 

werden,  auf  jeden  Fall  aber,  und  das  gilt  fur  alle  Constructionen,  muss  noch  ein 

Druck  nach  abwarts  iibrig  bleiben,  der  den  Schieber  gegen  seine  Bahn  abdichtet. 

Die  Entlastung    ist    im  vorliegenden  Falle  dadurch    erzielt,    dass    der  Dampf  vom 

Riicken  des  Schiebers  abgesperrt  wird,  und  hort  auf,  sobald  der  Ring  nicht  mehr 

dampfdicht  am  Schieberkastendeckel  schleift. 

Auf  einem  ahnlichen  Gcdanken  beruht  auch  der  Schieber  von  Holt,*)  von 
Desgrange**)  und  noch  zahlreiche  andere  Constructionen.***) 

Eine  andere  haufige  Anordnung  zeigt  Fig.  1499.    Der  Schieberkastendeckel 
bildet  einen  Cylinder  Z,  in  dem  sich  dampf-  Fig.  1499. 

dicht  der  Kolben  K  bewegt.     Schieber  und  ]<7 

Kolben  sind  durch  die  Stange  L,  die  in  1 
und  2  mit  Scharnieren  versehen  ist,  ver- 
b unden.  Indem  der  Dampf  auch  auf  den 
Kolben  K  (dessen  Oberflache  stets  etwas 
kleiner  sein  muss  als  die  Schieberoberflache) 
nach  aufwarts  driickt,  entlastet  er  zum  grossten 
Theil  den  Schieber.  Bedingung  ist,  dass  kein 
Dampf  in  den  Raum  r  gelange,  sonst  wiirde 
die  Anordnung  unwirksam.  Liesse  man  den  J 
Deckel  E  weg,  was  auch  gesshen  kann,  so 

dauert  auch  beim  Undichtwerden  des  Kolbens  K  die  Entlastung  fort,  aber  es  er- 
geben  sich  bedeutende  Dampfverluste.  Wahrend  der  Schieber  hin-  und  hergeht, 
bewegt  sich  der  Kolben  unmerklich  auf  und  ab,  und  es  iibt  die  Stange  L  in  alien 
Stellungen  des  Schiebers  ausser  der  Mittelstellung  einen  schiefen  Zug  auf  den 
Kolben  aus,  wodurch  derselbe  sehr  bald  schadhaft  wird. 

Auf  dem  Principe  der  Druck- 
ausgleichung  beruht  auch  die  Ent- 
lastung der  Kolbenschieber,  welche 
neuerer  Zeit  wieder  haufiger  in  Auf- 
nahme  gelangen. 

Fig.  1500  zeigt  einen  Kolben- 
schieber, construirt  von  Oschgers. 
In  einem  cylindrischen  Korper  H  be- 
wegt sich  der  Kolbenschieber  und  er- 
offnet  die  Dampfwege  a,  b,  c,  welche 
ihn  ringfdrmig   langs   eines  Kreisum- 


*)  Kadinger,  Motoren  der  Wiener  Weltausstellung. 
**j  Armengaud,  Publication  indnstrielle  T.  8.   1853. 
***)  Eine  grosse  Anzahl  von  entlasteten  Schiebern  ist  beschrieben  von  A.  Lindner  in  der 
Zeitschrift    d.  osterr.  Ing.-V.  Jhrg.  14.    1862.  —  Ueberdies    ist    nodi    zu    erwahnen    ein 
Artikel  in  der  Revue  universelle  von  Cuyper  T.  II  1857. 

18* 


276 


Entlastungs-Schieber.  —   Entstehimgszustand. 


fanges  umgeben.  Die  Dichtung  erfolgt  bei  grosseren  Ausfiihrungen  durch  Gussringe 
•/.  Sobald  einer  der  Dampfkanale,  z.  B.  jener  a  eroffnet  wird,  wirkt  auf  die 
aussere  Mantelflaehe  des  linksseitigen  Gussringes  allseitig  der  Dampfdruck.  Um 
diesem  entgegenzuwirken  und  so  die  Riuge  auszubalanciren ,  dienen  die  Innen- 
flaclien  g.  Diese  Construction  soil  sicli  bei  Locomotiven  vorziiglich  bewahrt  haben. 
Die  Construction  in  Fig.  1501  ist  die  von  Lindner,  und  sie  fusst  auf  dein 
Gedanken,  die  Entlastung  dadurch  berbeizufiibren,  dass  man  die  gleitende  Reibung 


Fig.  1601. 


eines  Schiebers  zum  grossten 
Tbeil  in  eine  rollende  ver- 
wandelt. 

Der  obere  Tbeil  des 
Scbiebers  ist  cylindriscb  und 
nimnit  den  Kolben  K  auf,  der 
durch  Metallringe  gegen  den 
Scbieber  abgedicbtet  ist.  K 
stiitzt  sicb  in  einem  Stahllager 
bei  m  auf  den  Sector  J,  dessen  untere  Babn  kreisformig  und  aus  m  beschrieben 
erscheint. 

Der  Druck,  den  der  Dampf  auf  den  Kolben  K  ausiibt,  iibertragt  sicb  auf 
den  Sector.  Bei  der  Schieberbewegung  bleibt  K  relativ  gegen  den  Scbieber  in 
Rube,  und  es  ist  nur  die  unbedeutende  Reibung,  welche  der  Sector  beim  Rollen 
auf  der  im  Auspuffkanal  angebracbten  Platte  i  verursacbt,  zu  iiberwinden.  Dei- 
Sector  J  wird  durch  einen  Zahn  (in  der  Figur  nicht  ersichtlich),  der  in  einen 
Ausschnitt  der  Platte  i  eingreift,  vor  zufalliger  Verriickung  geschlitzt,  Die  An- 
scblage  m'  verhindern  ein  Heraustreten  des  Kolbens  aus  deru  Scbieber.  Audi 
diese  Construction  soil  sehr  gute  Resultate  ergeben  haben. 

Diese  wenigen  Beispiele  geben  nur  typische  Formen,  Reprasentanten  ganzer 
Gruppen,  denn  die  Zahl  der  Constructionen  ist  iiberaus  gross  und  schon  seit  dem 
Bestehen  der  Dampfmaschine  cultivirt. 

Behufs  genaueren  Studiums  dieser  Frage  ist  daher  auf  die  bereits  citirten 
Quellen  zu  verweisen.  Blalia. 

Entoilage,  ein    den  Spitzen    ahnliches,  gazeformiges  Gewebe,    s.  Weberei. 

Entschalen  oder  Kochen  der  Seide   s.  d.,  s.   a.  Bleichen  I  pag.  632. 

EntSChlichteil  (maceration  —  steeping),  dem  Bleichen  vorhergehende,  die 
Schlichte  entfernende  Reinigung  der  Gewebe.     S.  Appretur  I  S.  169. 

Entschwefeln  bezeichnet  das  Auswaschen  der  Seide  nach  der  Bleiche 
(Schwefeln)  mit  schwefliger  Saure.  Entschwefeln  der  Erze  vgl.  z.  B. 
Kupfer  u.  Blei,  s.  a.  Rosten. 

Entschweissen,  jenes  Waschen  der  Wolle,  durch  welches  der  Fettschweiss 
entfernt  wird,  s.  Kammgarnspinnerei   u.  Bleichen  I  pag.  630. 

EntStehungszustand,  Moment  des  Freiwerdens  (status  nascendi).  Die  That- 
sache,  dass  einfache  Korper,  welche  auf  einen  zweiten  einwirken,  sicb  anders 
verhalten,  wenn  sie  bereits  im  freien  Zustande  sicb  fanden,  wie  sie  zur  Wirkung 
kameu,  als  wenn  sie  in  dem  Augenblicke  zur  Wirkung  gelangten,  wo  sie  eben 
aus  einer  Verbindung  ausscheiden,  hat  schon  friihzeitig  dazu  gefiihrt,  die  Korper 
in  dem  Augenblicke  ihres  Freiwerdens  in  einem  besonderen  Zustande  stehend  an- 
zusehen,  und  der  Wirkung  iin .  Entstehungszustaude  eine  besondere  Energie  bei- 
zumessen.  In  der  That  sind  Erscheinungen  soldier  Art  nicht  selten.  So  wirkt 
Sauerstoff  z.  B.  weit  weniger  energisch  oxydirend,  wenn  man  ihn  als  Gas  auf 
gewisse  oxydirbare  Substanzen  einwirken  la'sst,  als  wenn  man  solche  Substanzen 
mit  Gemengen  zusammenbringt,  aus  welchen  sicb  eben  Sauerstoff  entwickelt. 
Eben  so  reducirt  Wasserstoff  als  fertig  vorhandenes  Gas  die  verschiedensten  Sub- 
stanzen  nicht,  wahrend    er    sie    sehr    leicht   zu   reduciren  vermag,  wenn   man  die 


Entstehungszustand.  —  Eosin.  277 

Substanz  mit  einem  Gemenge  zusammenbringt,  aus  welchem  sich  Wasserstoff  ent- 
wickelt  u.  s.  w.  Diese  grossere  Energie,  die  elementare  Stoffe  in  dem  Zustande 
ihres  Freiwerdens  zeigen,  erklart  sich  gegenwartig  aus  der  Annahme,  dass  auch  die  Mo- 
lecule ehemiscli  einfacher  Korper  sich  in  der  Regel  aus  mindestens  zwei  Atomen  der 
Substanz  aufbauen,  also  gewisserniassen  als  Verbindungen  zweier  Atome  anzusehen 
sind.  die  sich  in  dem  Momente  ihres  Freiwerdens  zu  einem  Molecul  vereinigt 
haben.  Wahrend  man  es  also  in  einem  bereits  fertig  vorhandenen  Korper  immer 
mit  solchen  zu  Moleculen  verbundenen  Atomen  zu  thun  habe,  sei  in  dem  Augen- 
blieke,  wo  ein  soldier  Korper  aus  einer  bestandenen  Verbindung  ausscheidet,  also 
eben  frei  wird,  Atom  fur  Atom  in  noch  unverbundenem  Zustande  vorhanden  und 
diesem  Umstande  die  grossere  Energie  des  Korpers  zuzuschreiben.  Vgl.  Atom 
I  pag.  227.     Gil. 

Entwassern,  Trockenlegen  (drainer  — -  to  drain),  s.  Landwirth- 
schaft,  Entwassern  geistiger  Fliissigkeiten  (defiegmer  —  to  dephlegmate),  vgl. 
Alkohol  I  pag.  96. 

Entwasserung,  s.  Wasserbau,  s.  Drainage  II  pag.  676. 

Entwickler,  s.  Hervorrufung  bei  Photographic 

Entziindungstemperatur,  d.  i.  die  Temperatur,  bei  welcher  ein  brennbarer 
Korper  unter  sonst  normalen  Verhaltnissen  zur  Verbrennung  gebracht  werden  kann. 
Die  Kenntniss  dieser  Temperaturen  ist  namentlich  wichtig  fur  die  Beurtheilung 
der  Brauchbarkeit  von  Leuchtolen,  dann  von  Explosivstoffen  u.  dgl.,  s.  Ver- 
brennung, vgl.  Explosivstoff  e,  vgl.  Petroleum.  ,  Gil. 

Enveloppe-  Oder  Papiersack-Wlaschine.  Lockwood  in  Philadelphia 
hatte  auf  der  dortigen  Ausstellung  eine  E.-M.  exponirt,  welche  ans  einer  end- 
losen  Papierrolle  die  Enveloppcn  durch  Schneiden,  Formiren  und  Gummiren  herstellt 
und  in  Packete  von  je  25  Stuck,  welche  von  der  Maschine  abgezahlt  werden, 
bringt.  Der  Durchschnitt  der  taglichen  Leistung  soil  nach  G  o  1  d  y's  Bericht 
60.000  Stiick  betragen.     (Vgl.  a.  Falzkapselmaschine.)     Kk. 

Enzianbitter,  Enziansaure,  s.  Gentianawurzel. 

Enzianwurzel  (racine  de  gentiane  — fell-ioort),  s.  a.  Gen  tin  aw  urz  el. 

EoTdin,  syn.  mit  Bixin,  s.  b.  Orlean. 

Eosin  (eosine  —  eosina),  Tetrabromfluorescein-Kalium.  Ein  von  A.  Baeyer 
und  H.  C  a  r  o  entdeckter,  seit  wenigen  Jahren  im  Handel  vorkommender  stick- 
stoffft-eier  Farbstoff  von  prachtig  morgenrother  Farbe  (daher  der  Name  von  ^ag, 
die  Morgenrothe)  und  charakteristischer  Fluoreszenz.  Nach  A.  W.  Hofmann 
(Ber.  d.  d.  cheni.  Ges.  8  pag.  63)  ist  dasselbe  als  das  Kalisalz  des  Tetrabrom- 
fluorescein  (C^H^Br^O^)  anzusehen  und  kann  sonach  als  ein  Abkommling  des 
Resorcins  (CqH^OH)^  betrachtet  werden,  aus  welchem  das  Fluorescein  (C^qH^oO^) 
durch  Erhitzen  mit  Phtalsaureanhydrid  (C8H403)  entsteht,  das  weiters  durch  Ein- 
wirkung  von  8  Br  unter  Abspaltung  von  4  BrH  in  Tetrabromfluorescein  iiber- 
gehen  kann. 

Das  Eosin  stellt  im  trockenen  Zustande  ein  rothbraunes  Pulver  von  grtln- 
lichem  metallischen  Reflex  dar,  es  ist  in  Wasser  (2-2  Thl.  heissen  und  2*6  Thl. 
kalten)  sehr  leicht  zu  einer  prachtig  rosarothen,  im  auffallenden  Lichte  griin  fluo- 
rescirenden  Fliissigkeit  loslich.  In  Alkohol  ist  es  schwerer  loslich  (in  11  Thl. 
kochendem  Weingeiste),  ferner  lost  es  sich  in  Glycerin,  Seifenlosungen,  so  wie  in 
Losungen  von  atzenden  und  kohlensauren  Alkalien.  In  Aether,  Benzol,  Anilin, 
Phenylsaure,  so  wie  in  fetten  Oelen  ist  es  unloslich. 

Die  wassrige  Losung  wird  durch  Sauren  (Essigsaure  ausgenommen)  unter 
Abscheidung  eines  ziegelrothen  Niederschlages  von  Tetrabromfluorescein  zersetzt. 
Thonerde-,  Zinn-  oder  Bleisalze  erzeugen  rothe,  Silber-  und  Quecksilber-Salze  violett- 
rothe,  Zinksalze  gelbe,  Kupfersalze  braunrothe  Niederschlage.  Durch  Natrium- 
amalgam,  so  wie  andere  kraftige  Reductioiismittel  wird  die  Losung  rasch  entfiirbt. 


278  Eosin.  —  Epidosit. 

Mit  Kaliumhydroxyd  versetzt  farbt  sich  die  Anfangs  tiefrotli  gefarbte  Losung  beim 
Erhitzen  rasch  schwarz-violett  bis  schwarz-braun.  Zur  Darstellung  des  Eosins 
kann  man  yon  der  Benzoldisulphonsaure  ausgehen,  welche  man  nach  Egli  (Ber. 
d.  d.  chem.  Ges.  8  pag.  817)  leicht  durcli  fortgesetztes  Einleiten  von  Benzoldampf 
in  anf  240°  C.  erhitzte  concentrirte  Schwefelsaure  erhalt.  Wird  das  Natriumsalz 
dieser  Saure  mit  Aetznatron  geschinolzen,  so  resitltiren  reichliche  Mengen  von 
Resorcin,  die  durch  Extraction  der  mit  einer  Saure  angesauerten  Losung  der 
Schmelze  gewonnen  werden  konnen.  Durch  Erhitzen  des  Resorcins  mit  Phtal- 
saureanhydrid  auf  195 — 200°  C.  erhalt  man  zunachst  das  Fluorescein,  das,  in 
Essigsaure  gelost  und  mit  Brom  behandelt,  endlich  in  das  Tetrabromid  iibergeht. 
Es  kommt  westntlich  darauf  an,  dass  die  Bromirung  sorgfaltig  geleitet  wird.  Die 
fabriksmassige  Darstellung  ist  bisher  geheim  gehalten. 

Charakteristisch  fur  das  Eosin  ist  das  von  A.  Baeyer  (Ber.  d.  d.  chem. 
Ges.  8  pag.  146)  angegebene  Verhalten  desselben,  beim  Schiitteln  mit  Natrium- 
amalgam  und  Wasser  nach  gelindem  Er warm  en  sich  rasch  zu  entfarben,  indem 
Fluorescin  entsteht,  dessen  Losung  nach  dem  Verdiinnen  mit  Wasser  und  Zusatz 
von  einem  Tropfen  Chamaleonlosung  im  auffallenden  Lichte  sofort  undurchsichtig 
griin  erscheint. 

Das  Eosin  farbt  Wolle  und  Seide  sehr  leicht  und  liefert  schon  rosafarbene 
Nuancen  mit  schwach  gelblichem  Stich.  Eine  kalte  wassrige  Losung  von  Ol  % 
Eosingehalt  farbt  noch  lebhaft  rosa.  Auf  Baumwolle  lasst  sich  nach  Depierre 
(Bull.  d.  1.  soc.  ind.  de  Rouen  11  pag.  273)  selbst  mit  Anwendung  der  fur 
Anilinfarben  geeigneten  Fixirungsmittel  keine  echte  Farbung  erzielen.  Nach 
Durand  (Monit.  scient.  1876  Nr.  415  pag.  696)  lasst  sich  Eosin  auf  Kattun  in 
der  Art  verwenden,  dass  man  mit  der  durcli  Gummizusatz  verdickten  Eosinlosung 
druckt,  hierauf  danipft  und  endlich  durcli  eine  Bleizuckerlosung  passirt.  Derselbe 
erwahnt  auch  einer  besonderen  Sorte  von  Eosin,  die  er  Primerose  nennt,  deren 
Bereitungsweise  er  jedoch  nicht  naher  angibt  und  die  sich  namentlich  fur  Er- 
zielung  dunklerer  Tone  eignen  soil.  Binschedler  und  Busch  (pol.  Notizbltt. 
31  pag.  240)  stellen  ein  stark  in's  Blaue  ziehendes  Eosin  dar,  welches  auf  Wolle 
ein  dem  Cochenilleponceau  im  Tone  gleichkommendes,  aber  reineres  Roth  liefert. 
Nach  ihnen  farbt  es  sich  auf  Wolle  besonders  leicht  auf,  wenn  man  dem  Bade 
etwas  unterschwefligsaures  Natron  zusetzt,  vgl.  a.  Fluorescin  und  Resorcin. 
Durch  Erhitzen  des  Eosins  mit  der  15-fachen  Menge  von  Alkohol  und  der  fur 
die  Bildung  eines  neutralen  Aethers  berechneten  Menge  an  atherschwefelsaurem 
Kalium  im  zugeschmolzenen  Rohre  durch  4 — 5  Stunden  auf  150°  C.  re- 
sultirt   nach  A.  Baeyer  (Annal.    d.    Chem.  1876,    183    pag.  1 — 74)    das  Mono- 

athyltetrabromfluorescein    oder   das    Erythrin    (Ci0H6Br403    s&i 5),  welches  in 

schon  rothen  Krystallen  erhalten  werden  kann,  und  eine  Kaliuniverbindung  liefert, 
die  in  Wasser  schwer,  dagegeu  in  warmem  Weingeist  (50°/0)  leicht  zu  einer 
Anfangs  rothgelben,  beim  Verdiinnen  in  Rosa  mit  gelber  Fluorescenz  iibergehenden 
Fliissigkeit  loslich  ist.  Das  Erythrin  stellt  ausgebildete  (rhomboedrische  ?)  Kry- 
stalle  von  starkem,  metallisch  griinem  Flachenschiller  dar,  welche  beim  Zerreiben 
ein  dunkelrosafarbiges  Pulver  liefern.  Es  farbt  Wolle  und  Seide  roth  mit  deutlicher 
Nuancirung  in  Violett.     Otl. 

Ephemeriden ,  Tagebiicher  iiberhaupt,  insbesondere  aber  astrouomische, 
welche  die  Erscheinungen  am  Himmel  (Coordinaten  der  Himmelskorper  fur  be- 
stimmte  Epochen  etc.)  fur  eine  Folge  von  Zeiten  und  einen  bestimmten  Beob- 
achtungsort  im  Vorhiuein  angeben.  Insbesondere  zu  nennen  sind  der  „Nautical 
Almanac"  und  das  Berliner  „ Astrouomische  Jahrbuch".  Czuber. 

Epicykloide,  s.  Cur v en  II  S.  444. 

Epidosit,  Gestein  von  dioritartiger  Beschaflenheit,  a'pfel-  bis  pistaziengriin, 
von  bedeutender  Harte.  Besteht  wesentlich  aus  Quarz  und  Pistazit.  Tork.  in 
Mahren  (Blansko)  und  auf  der  Insel  Elba.     Vgl.  Epidot.     Gtl. 


Epidot.  —  Erbium.  279 

Epidot  (epidote  —  epidote),  Pistazit,  Bucklandit  z.  Thl. ,  Eisen- 
epidot,  Piemontit  (Akantikon,  Achmatit,  Delphinit,  Thallit, 
Tautolith),  Name  von  smdoavg,  Zugabe.  Mineral  mit  borizontalsaulenformi- 
gen,  nach  den  Orthodiagonalen  gestreckten  Krystallen,  monoklin,  meist  in  Drusen, 
auch  in  Zwillingsformen,  aber  audi  derb  mit  stengligem,  kornigem  und  dichtem 
Gefiige.  Spaltbar,  nach  der  Basis  sehr  vollkommen ,  nach  der  Ortho- 
diagonale  vollkommen.  Bruch  muschlig  bis  uneben.  Harte  6 — 7 ,  spec.  Gew. 
sr:  332 — 3'50.  Vorwiegend  griin,  gelb,  grau,  schwarz,  selten  roth.  Glasglanz, 
durchsichtig  in  alien  Graden,  meist  nur  durchscheinend  bis  kantendurchscheinend. 
Die  chemische  Zusarnmensetzung  ist  schwankend  und  nicht  auf  eine  bestimmte 
Formel  zuruckfiihrbar.  Im  wesentlichen  stellt  der  Epidot  eine  Verbindung  von 
36—40  Kieselsaure,  8-29  Thonerde,  7—17  Eisenoxyd  und  21—25  Kalkerde 
dar.  Demgemass  ist  auch  das  Verhalten  vor  dem  Lothrohr  und  zu  Sauren  ver- 
schieden.  Alle  werden  nach  heftigem  Gliihen  oder  Schmelzen  mehr  oder  weniger 
leicht  von  Salzsaure  zersetzt. 

Man  unterscheidet : 

1.  Pistazit,  Eisen  epidot  oder  Epidot  schlechthin,  pistazien- 
bis  schwarzgriin,  oder  aucb  61-  und  gelbgriin,  krystallisirt,  aber  meist  derb  mit 
stengligem,  kornigem  Gefiige,  auch  dicht  und  erdig.  Ein  baufiger  Begleiter  von 
Magneteisensteinlagern ;  im  Erzgebirge  bei  Kupferberg,  Schwarzenberg,  Breiten- 
brunn,  bei  Striegen  in  Schlesien,  in  Arendal  in  Norwegen,  in  Finnland,  Ural 
u.  a.  a.  Orten  vorkommend.  Besonders  schone  Krystalle  kommen  in  den  Alpen 
vor7  beriibmt  die  von  der  Knappenwand  bei  Sulzbach  in  Pinzgau. 

2.  Piemontit,  Manganepidot,  schwarzviolett  oder  schwarzrothlich  mit 
rothem  Stricb  und  stengligem  Gefiige.  Statt  der  Thonerde  findet  sich  Eisenoxyd 
und  14 — 24  °/0  Manganoxyd.  Schmilzt  vor  dem  Lothrohr  leicbt,  und  gibt  mit 
Borax  die  Manganreaction ;  von  St.  Marcel  in  Piemont. 

3.  Bucklandit,  welcher  in  schwarzen  Krystallen,  im  Kalkspath  einge- 
wachsen,  bei  Achmatowsk  am  Ural  vorkommt. 

Die  scbonen  durchsicbtigen  Varietaten  von  Arendal,  St.  Gotthard,  Sulzbacb 
u.  a.  0.  lassen  sich  als  Schmucksteine  verschleifen.  Sonst  wird  der  Pistazit  da, 
wo  er  in  grosserer  Menge  mit  Eisenerzen  vorkommt,  als  Zuschlag  beim  Schmelzen 
verwendet.     Lb. 

Epigenit,  ein  bei  Wittichen  in  Baden  vorkommendes  Kupfererz  von  ahnlicher 
Zusammensetzung  wie  Enargit.     Lb. 

Epihydrine ,  halogenhaltige  Abkommlinge  mehrwerthiger  Alkohole ,  vgl. 
Glycerin. 

Epistilbit,  Mineral  von  der  Zusammensetzung  des  Stilbits,  d.  i.  ein  Thon- 
erde-Kalksilicat.  Rhombisch,  farblos  oder  schwach  blau,  durchsichtig  oder  durch- 
scheinend, glasglanzend.  Harte  4 — 4*5,  spec.  Gew.  ==  2-25 — 2'36.  Vorkommen 
Island,  Neuschottland,  vgl.  Stilbit.     Gil. 

Epsomit,  Name  vom  Fundort  Epsom  in  England,  so  viel  als  Bittersalz,  s. 
Magnesium. 

Epsomsalz,    Epsomer   Salz,    syn.  mit  Bittersalz,    cl.  i.  Magnesium  sulfate 

Epurateur,  eine  bei  der  Holzzeugfabrication  verwendete  Maschine,  s.  Holz- 
zeug,  s.  Papier  fabrication. 

Erbium  {erbium  —  erbium) ,  Symbol  Er ,  Atomgew.  zz:  112*6  (?)  (169). 
Das  metallische  Ptadical  der  Erbinerde,  welche  neben  Yttererde  sich  fast  nur  im 
Gadolinit  von  Ytterby  und  Hitteroe,  im  Euxenit,  Yttrotantalit  und  Orthit  findet, 
ist  bisher  noch  nicht  isolirt  dargestellt.  Die  von  Mosander  1843  entdeckte 
Erbinerde  ist  Erbiumoxyd  ErO  (Er^O^)  und  wird  nach  Bun  sen  und  Bahr 
(Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm,  137  pag.  1)  aus  dem  Gemenge  der  Nitrate  der  Gadolinit- 
erden  erhalten,  indem    man  dasselbe    bis  zur  beginnenden  Zersetzung    erhitzt  und 


280  Erbium.  —  Erdarbeit. 

sodann  mit  Wasser  behandelt;  aus  der  erhaltenen  Losung  krystallisirt  zunachst 
basiscb-salpetersaures  Erbiumoxyd,  welches  durch  wiederholtes  Umkrystallisiren 
gereinigt  wird  und  nach  heftigem  Gliihen  Erbiumoxyd  als  rosenrothes  Pulver 
liefert.  Es  ist  unschmelzbar,  ergliibt  jedoch  in  Weissgliibliitze  mit  iulensiv  griinem 
Licbte.  In  Wasser  ist  es  unloslich,  scbwer  loslicb  in  Sauren,  mit  denen  es  saner 
reagirende,  siisslicb  zusammenziebend  scbmeckende  Salze  von  blassrotber  Farbe 
liefert.  Gut  gekannt  sind  das  Sulfat  BErSOi  +  8 Ho0,  welches  in  luftbe- 
standigen  rotblichen  Krystallen  erhalten  werden  kann,  die  in  Wasser  schwer  loslicb 
sind,  aber  mit  Kaliumsulfat  ein  leicbter  losliches  Doppelsalz  liefern.  Dann  das 
basische  Nitrat  ErO^ErN^O^  -f-  3  H^O,  welches  weisse  Krystalle  liefert,  die 
in  Wasser  gut  loslicb,.  aber  nicbt  zerfliesslich  sind;  ferner  das  Carbonat  und  das 
Oxalat,  welche  weisse,  in  Wasser  unlosliche  Niederschlage  darstellen.  Das  Oxalat 
liefert  beim  Gliihen  in  Wasserstoffstrorn  schwarzes  Koblenstofferbium  ErCv  Nach 
Delafontaine  (Arch,  de  scienc.  phys.  et  nat.  1864,  1865  u.  1866)  kommen 
die  eben  bescbriebenen  Eigenscbaften  der  Terbinerde  (?)  zu,  wahrend  Erbinerde 
ein  gelbes,  durch  Gliihen  im  Wasserstoffstrome  farblos  werdendes  Pulver  darstellen 
soil,  das  in  der  Weissgliibliitze  in  rein  weissem  Lichte  erglliht.     Gtl. 

Erbsetl  (pois  —  peas).  Sind  die  bekannten  Samen  zweier  Pisum-Arten, 
u.  zw.  von  Pisum  sativum  L.,  d.  i.  der  weissbliihenden  oder  Acker-Erbse,  und  von 
Pisum  arvense,  der  roth  oder  violett  bliihenden  Stock erbse.  Die  Samen  stehen 
in  der  Hiilse  (Schote)  in  gedrangter  Reihe,  sind  mehr  oder  weniger  rund,  im  halb- 
reifen  Zustande  griin  und  dann  sehr  siiss  schmeckend  (Zuckererbsen),  im  reifen 
Zustande  gelb  (weisse  Erbsen),  seltener  auch  griingelb  und  von  eigenthtimlichem, 
kaum  mehr  siissem  Geschmacke.  Die  Erbsen  werden  fast  nur  als  Nahruugs-,  be- 
ziehungsweise  Futtermittel  verwendet  und  zu  diesem  Zwecke  allenthalben  nocb 
gebaut,  obwobl  ihre  Cultur  seit  der  Verallgemeinerung  des  Kartoffelbaues  ziemlich 
zuriickgegangen  ist.  Sie  sind  iibrigens  eine  sehr  nahrhafte,  wenn  auch  namentlich 
im  ungeschalten  Zustande  etwas  schwerere  Speise.  Man  pflegt  sie  deshalb  wohl 
auch  auf  besonderen  Maschinen  zu  entschalen  (Erbsgraupen),  oder  im  gekochten 
Zustande  durch  Siebe  durchzureiben,  wobei  man  das  Erbsenmuss  erbalt,  wahrend 
die  Sclialen  am  Siebe  zurtickbleiben.  Nach  Pay  en  enthalten  sie  27*2  °/0  Stick- 
stoffverbindungen ,  43-1%  Starkemehl,  12-8  Zucker  und  Dextrin,  2*3  °/0  Fett, 
11-6  Zellsubstanz  und  2*9  c/0  Ascbenbestandtheile.  Nach  Peligot  betragt  der 
Wassergehalt  im  normalen  Zustande  12-7  °/0.  Der  relativ  bohe  Fettgehalt,  so  wie 
der  Reichthum  an  stickstofFhaltiger  Substanz^  endlich  aber  der  in  der  Asche  nach- 
weisliche,  nicbt  unerheblicbe  Gehalt  an  phosphorsauren  Alkalien  und  alkalischen 
Erden  bedingen  ein  sehr  giinstiges  Nahrwerthverhaltniss.    Gtl. 

Erbsenstein,  Pisolith,  s.  Ar  agon  it  I  pag.  180. 

Erdapfei,  syn.  mit  Kartoffel  s.  d. 

Erdalkalien  oder  alkalische  Erden  nennt  man  die  Oxyde  der  alkalischen 
Erdmetalle:  Baryum,  Strontium,  Calcium  und  Magnesium,  s.  d.     Gtl. 

Erdarbeit  (travaux  de  terrassement  —  earth- working).  Die  Erdarbeit  bildet 
bei  vielen  Bauunternehmuiigen  den  wesentlicbsten  Tbeil,  und  sei  nur  aufStrassen- 
und  Eisenbahnbauten  hingewiesen,  wo  oft  Abgrabungen  und  Anschiittungen  von 
bedeutenden  Massen  zur  Ausfiibrung  gelangen.  Ohne  auf  die  theoretiscben  De- 
ductionen  iiber  Erdarbeiten  (Gleicbgewichtsbedingungen  und  Bestimmung  der 
Boschung  eines  Erdkorpers ,  Theorie  vom  Auf-  und  Abtrag  und  Transport  der 
Erde)  bier  eingehen  zu  konnen,  sei  iiber  die  Ausfiibrung  der  Erdarbeiten  nur 
Einiges  erwahnt. 

Die  Erdarbeiten  zerfallen  der  Hauptsacbe  nach  in  folgende  Gruppen: 
I.  Erdgrabung  oder  Bildung    des  Abtrages.     Abtrag  oder  Deblai 
nennt  man  eine  von  dem   naturlichen  oder  gewacbsenen  Boden    entnommene  Erd- 
masse.     Geschieht  die  Abgrabung  derart,  dass  nur  einerseits  eine  Erdwand  iibrig 


Erdarbeit. 


281 


bleibt,    so  entsteht  ein  Abschnitt;    bleiben  an  zwei   gegeniiberliegenden  Seiten 
Erdwande,  so  lieisst  dies  ein  E  i  ns  c  h  n  i  1 1. 

II.  Transport  oder  Forderung  der  Erde. 

III.  Erdanschiittung  oder  Bildung  des  Auft rages.  Auf'trag  oder 
Remblai  nennt  man  die  an  irgend  einer  Stelle  des  Bodens  kiinstlich  abgelagerte 
Erdmasse. 

Die  Erdarbeiten  beim  Strassen-  und  Eisenbahnbau  sollen  so  eingerichtet 
werden,  dass  Abtrag  und  Anftrag  sich  ausgleichen ;  daher  ist  es  noting,  den  Kubik- 
inhalt  derselben  genau  festzustellen.  Man  bestimmt  zu  diesem  Zwecke  verticale 
Sclmitte  vom  Erdkorper,  die  man  Profile  nennt  und  berecbnet  den  Fliicbeninhalt 
derselben  entweder  analytisch,  graphisch  oder  mit  Hilfe  eines  Planimeters. 

Zur  Ausftihrung  der  verschiedenen  Erdarbeiten  dienen  hauptsachlich  folgende 
Werkzeuge  und  Requisiten :  die  Schaufel,  der  Spaten,  die  Krampe  (Kreuzpickel) 
Fig.  1502,  die  Breit-,  Roth-  oder-Erdhaue  (Fig.  1503),  die  Spitzhaue  oder  Ein- 
spitze  (Fig.  1504),  die  Planir-  oder  Scarpirhacke  (Fig.  1505),  die  Snmpfhaue 
(Fig.  1506),  die  Wasenscbaufel  (Fig.  1507)  zum  Rasenstechen ;  ausserdem  das 
Wasenmesser  (zum  Versetzen  und  Beschneiden  der  Rasenziegel),  die  Erdramme, 
verscbiedene  Wagen  und  Karren. 

Fig.  1502.  Fig.  1503.  Fig.  1504. 


Spitzhaue, 


Fig.  1506. 


Sumpfhacke. 


Planirhacke. 


Wasserschaufel. 

Die  Arbeit  des  Erdgrabens  ist  verscbieden  je  nacb  der  Bodenbeschaffenheit, 
und  man  theilt  dieselbe  allgemein  in  6  Kategorien. 

1.  Scbaufelarbeit,  geeignet  fiir  Sand,  Dammerde,  Moor,  lockeren  Lebm  etc. 
Der  Arbeiter  wirft  mit  der  Schaufel  oder  dem  Spaten  die  Erde  entweder  zum 
Auftrag  oder  auf  das  zur  Forderung  bestimmte  Fahrzeug.  Man  reebnet,  dass 
ein  Arbeiter  in  10  Arbeitsstnnden  I5kbm  lockere  Dammerde  oder  Sand  ansgraben 
und  auf  einen  Karren  oder  Wagen  zu  laden  im  Stande  ist.  Die  Entfernung  der 
einzelnen  Arbeiter  darf  bebufs  praktischer  Durchftihruiig  der  Arbeit  weder  zu  gross 
nocb  zu  klein  gewahlt  werden.  Als  Durcbscbnittsentfernung  hat  sich  1-5 — l*8m 
ergeben. 

2.  Krampenarbeit,  fiir  Flnss-  und  Grubenscbotter,  nicht  sebr  nassen  Torf, 
theilweise  erharteten  Lehni  etc.  Man  verwendet  hiezu  die  Krampe  und  die  Breithaue. 

3.  Arbeit  mit  Krampe  und  Spitzhaue,  fiir  Bergschutt,  Steingerolle,  erhartete 
Lehmerde,  groben  Schotter,  feuchte  Tbonerde  etc. 

4.  Arbeit  mit  Brecheisen,  Spitzbaue  und  Keilen,  fiir  Quader-,  Mergel-  und 
Tbonschiefer,  weichen  Sandstein,  verwitterten  Kalkstein  etc.  Brecharbeit  kommt 
bei  lagerhaft   gespaltenen  Felsen    vor    und    die  Abarbeitung    geschiebt  bankweise. 


282 


Erdarbeit. 


5.  Arbeit  rait  Brecheisen  unci  Sprengung  ausgeftihrt,  fur  hartere  Sandsteine, 
weiche  Kalksteine,  Feldspath,  Hornstein,  Grauwacke,  weichere  Porpbyre  etc. 

6.  Sprengavbeit  mit  Sprengpulver  oder  Dynamit,  fiir  Urkalksteine,  Granit, 
Gneis,  Quarz,  Basalt,  quarzbaltige  Sandsteine,  Urporphyre  etc. 

Sebr  wesentlich  ist  bei  Beurtheilung  der  Erdarbeit,  ob  dieselbe  im  trockenen 
oder  im  nassen  Boden  (mit  Wasseradern  durclizogen)  vor  sich  geht,  da  im  letzteren 
Falle  die  Arbeit  bedeuteud  erscbwert  wird.  Das  zustromende  Wasser  muss  entweder 
abgeleitet  oder  ausgepumpt  werden,  urn  im  Trockenen  graben  zu  konnen.  Ist  der 
Wasserzufluss  nicbt  zu  bewaltigen,  dann  muss  unter  Wasser  gegraben  (gebaggert) 
werden.     Siehe  Artikel  Baggern. 

Fiir  Ausbebung  grosser,  gleichmassiger  Erdmassen,  in  die  Kategorie  „Schaufel- 
arbeit"  gehorend,  verwendet  man  mit  Vortheil  Erdausbebungsmaschinen, 
sog.  Excavatoren.  Das  Princip  bestebt  darin,  dass  ein  eisernes  Gefass  mit  schaufel- 
formigem  oberen  Ende  (oder  aucb  ein  System  ven  Scbaufeln)  derart  regulirt  werden 
kann,  dass  es  beim  Herablassen  mit  der  Spitze  der  Schaufel,  vermbge  des  Eigen- 
gewichtes,  sicb  in  den  Erdboden  eingrabt.  Beim  Emporbeben  und  gleichzeitiger 
Drebung  des  Gefasses  (resp.  des  Schaufelsystemes)  wird  das  Erdmaterial  aufge- 
nommen,  gehoben  und  durch  den  beweglichen  Boden  des  Gefasses,-  welcben  der 
Arbeiter  mittelst  einer  Kette  lost,  finclet  die  Entleerung  statt.  Fig.  1508  zeigt  eine 

Skizze  des  Excavators,  wie  er  beim 
Erdbau  der  Central-Pacific-Babn  zur 
Verwendung  kam. 

Bei  der  Pfeilerfundirung  der 
Clydebriicke  auf  der  Glascower  Ver- 
bindungsbalm  *)  verwendete  man 
einen  von  M  i  1  r  o  y  construirten 
Excavator.  Ein  eiserner,  acbteckiger 
Rahmen  tragt  acbt,  urn  Scharniere 
drebbare  Scbaufeln  von  dreieckiger 
Gestalt,  die  in  aufgeklappter,  hori- 
zontaler  Lage  den  Boden  des  Rah- 
mens  bilden.  Das  Rabmengestell 
bangt  mittelst  mebrerer  Ketten  an 
einer  Iiauptkette  in  losbarer  Ver- 
bindung;  ausserdem  sind  an  der 
Hauptkette,  die  an  einer  Aufzugs- 
maschine  bangt,  die  Enden  der 
Schaufeln  mit  je  einer  Kette  be- 
festigt.  Beim  Herablassen  des  Ap- 
parates  stehen  die  Schaufeln  vertical  und  durch  das  Gewicht  des  Rahmen-Ge- 
stelles,  welches  ans  seiner  Verbindung  mit  der  Hauptkette  gelost  wird,  dringen 
die  Schaufeln  in  die  Erde.  Beim  Wiederanziehen  der  Hauptkette  drehen  sich  die 
Schaufeln  um  die  Scharniere  nach  aufwarts  (da  der  Apparat  jetzt  nur  an  den 
Ketten  der  Schaufel  befestigt  ist),  und  heben  das  Erdmaterial  in  die  Hohe.  Wird 
die  Verbindung  des  Rahmens  mit  der  Hauptkette  wiederhergestellt,senken  sich  die  Schau- 
feln und  der  Apparat  entleert  das  Erdmaterial  in  den  untergeschobenen  Transportwagen. 
Die  Sicherung  der  Erdwande  ist  oft  ein  wichtiger  Theil  der  Abgrabungs- 
aibeit  und  ist  besondere  Vorsicht  bei  Untergrabungen  noting,  weiche  mitunter, 
um  den  oberen  Theil  zum  Absturz  zu  bringen,  in  Anwendung  kommen.  Nicht 
selten  ist  der  Einsturz  durch  einen  Regen  oder  andauerndes  feuchtes  Wetter  friiher, 
als  beabsichtigt  wurde,  erfolgt,  zum  Unheil  der  Arbeiter. 

Ganz  besondere  Anordnungen  sind  zumeist  dort  zu  treffen,  wo  das  gegrabene 
Material  von  unten  nach  oben  geschafft  werden  muss,  z.  B.  bei  Fundament-  und 
Kelleraushebung,  Brunnengrabung  etc. 


Excavator. 


") ' Zeitschrift  des  Vereines  deutsclier  Iiiorcnieiire  1869  pag.  57 


Erdarbeii  383 

Zur  Sichenmg  der  iiber  lm  tiefen,  aus  lockerem  Material  bestehenden  Erd- 
wande  gibt  man  denselben  entweder  eine  BSschung,  d.  h.  die  Wandungen  miissen 
derartig  geneigt  angeordnet  werden,  dass  keinc  Rutschungen  entstehen,  oder  man 
lasst  verticale  Wande  stehen  mid  schlitzt  dieselben  durch  sog.  Bblznngen.  Ea 
sind  dies  Verscliahmgen  durch  entsprechend  starke  Bretter,  die  durch  ein  ilolz- 
geriist  aus  verticalen  Pfosten  und  Spreizen  oder  horizontale  Kranze  aus  Balken 
angepresst  werden.  Fig.  1509  gibt  eine  Schacht-Bolzung  mit  Anordnung  von 
Kranzen. 

Bedeutende  Arbeiten  der  Erdgrabung  kommen  vor :  Beim  Stollen-  und 
Schachtbau  (siehe  Bergbau),  beim  Tunnelbau  (s.  d.),  bei  Bohr  ling  en 
(Tiefbohrung  s.  d.)  und  bei  Baggerungen  (s.  Baggern). 

II.  Transport    des    gewonnenen    Erd-                    Fig.  1509. 
mater iales.    Die  anzuwendenden  Forderungsmittel  >_^^j~~:jzi"c^r:.ciT 
hangen    ab    von   der    Lange    und    BeschafFenheit    des                      rr.J\;  r".  TJ^f 
Weges  und  von  der  Masse  des  Abtrages.  >  -v- H  *--   

Der  Transport  kann  geschehen:  i  'llj 

1.  Durch  Werfen  mit  der  Schaufel,  vortheilhaft 

bis  6m  Entfernung.    Ein  Arbeiter  ist  im  Stande,  auf-  1;,%    J     - 

gelockerte  Erde    mit    der    Schaufel   2  — 3m  horizontal  :?lr  .^.J : 

oder  1*2 — l'8m  vertical  zu  werfen,  und  vermag  tag- 

lich  lQkbm  mit    der  Schaufel    zu  laden    oder  auf  3m 

Weite   ZU    werfen.  Schacht-Bolzung. 

2.  Mit  dem  Schubkarren ,,  vortheilhaft  bis  90m  Entfernung.  Der  Schub- 
karren  (ein  einradriges  Fahrzeug)  vermag  0-03 — O06kbm  zu  fassen. 

3.  Mit  dem  Roll-  oder  Handkarren,  vortheilhaft  bis  190m  Entfernung;  der- 
selbe  ist  ein  zweiradriges  Fahrzeug,  fasst  0*2  — 0*27kbm  und  wird  von  2  oder  3 
Arbeitern  bewegt. 

4.  Mit  dem  Wipp-  oder  Sturzkarren,  vortheilhaft  bis  200m  .  Der  Wipp- 
karren  ist  ein  zweiradriges  Fahrzeug,  fast  04 — 0-5kbm  und  wird  von  einem  Pferde 
gezogen.  Der  Kasten  ist  zum  Umkippen  eingerichtet.  Der  Transport  ist  im 
Allgemeinen  theuerer  als  der  mit  Handkarren. 

5.  Mit  -vierradrigem  Wagen,  vortheilhaft  iiber  200m  Entfernung;  das  Lad- 
vermogen  desselben  betragt  0-7 — 0-8kbm.     Vgl.  d.  Art.  Fuhrwerke. 

6.  Mit  dem  Haspel,  bei  der  verticalen  Schachtforderung  von  Erdmaterial  an- 
gewendet.  An  der  Welle  eines  Haspels  sind  durch  Seile  Kiibel  befestigt,  welche 
das  zu  transportirende  Material  aufzunehmen  haben.  (Bei  grosseren  Anlagen  sind 
statt  der  Haspel  Pferdegoppel  oder  kleine  Dampfmaschinen  noting.) 

7.  Auf  provisorischen  Pferde-  oder  Locomotivbahnen ,  sog.  Dienstbahnen, 
vortheilhaft  fur  wenigstens  1000m  Entfernung. 

Zum  Transport  des  Materials  werden  vierradrige  Kippwagen  verwendet.  Da 
die  Dienstbahn  nur  ein  Geleise  erhalt,  sind  von  Strecke  zu  Strecke  Ausweieh- 
bahnen  (der  Lange  der  Wagenziige  entsprechend)  nothwendig,  .  damit  die  Ziige 
einander  ausweichen  konnen. 

III.  Erdanschiittung,  Auf t rag.  Das  durch  Ab-  oder  Ausgrabung  ge- 
wonnene  Material  soil  zweckmassig  zu  baulichen  Anlagen  verwendet  werden ;  kann 
dies  nicht  sofort  geschehen,  so  muss  dasselbe  einstweilen  deponirt  werden.  Die 
Materialdeponirung  hangt  von  localen  Verhaltnissen  und  den  jeweiligen  Materialien 
ab ;  es  ist  die  Placirung  so  zu  wahlen ,  dass  bei  eventueller  Verwendung  die 
Kosten  ein  Minimum  werden. 

Fur  dauernde  Erdanschtittung  ist  zunachst  zu  berucksichtigen,  dass  der  von 
einem  bestimmten  Vol.  Abtrag  gewachsenen  Bodens  gewonnene  Vol.  Auftrag  be- 
deutender  als  der  erstere  ist,  und  betragt  die  Vermehrung  bei  Dammerde  selbst 
nach  der  Verdichtung  noch   y,„ — 1/9. 

Als  Hauptgrundsatz  gilt,  nur  Schichten  von  0-18 — 0-30™  Hcihe  auf  einmal 
aufzutragen,  um    ein    moglichst   gleichmassiges    und    rasches  Seizen  der  Masse  zu 


284 


Erdarbeit. 


erzielen.  Die  Sohle  ist  moglichst  horizontal  (bei  absehiissigem  Terrain  stufen- 
formig)  herzustellen. 

Die  Dichtung  des  Auftrages  geschiebt  entweder  durcb  die  dariiber  fahrenden 
Fuhrwerke,  oder    die  Erdmasse  wird    durchwassert    oder  gestampft    oder    gewalzt. 

Der  Auftrag  dient  zur  Herstellung  von 

Planirungen,  d.  s.  Ausgleichnngen  der  Terrainunebenheiten, 

Beschotterungen,  d.  s.  Belage  planirter  Flachen  mit  festen  kleinen 
Steinen  oder  Kies,  und 

Da  mm  en,  d.  s.  feste  Erdkorper,  welche  eine  Strasse  oder  Eisenbabn  tragen, 
oder  als  Schutz  gegen  andringendes  Wasser  dienen  (Teichdarom,  Flussdamm  etc.). 

Auf  nassem  Terrain  ist  die  Dammberstellung  erst  zu  bewerkstelligen,  wenn 
dasselbe  vollkommen  durch  Entwasserungsgraben ,  Ableitung  der  Quellen  etc. 
trocken  gelegt  wurde. 

Tabelle  als  Anhaltspnnkt  zur  Bestimmung  des  Bedarfes  an  Arbeitskraften 
(bez.  Kosten)  einiger  Erdarbeiten.*)  (Um  die  Kosten  zu  erhalten,  hat  man  die 
in  der  Tabelle  angegebenen  Taglohn-Bruchtheile  mit  der  Grosse  des  Taglohnes 
eines  Steinbrechers  (Stbr.),  resp.  Handlangers  (Hdlg.)  bei  taglich  10  Arbeitsstunden 
zu  multipliciren  und  den  Zuschlag  fur  R  quisiten  (Req.)  dazu  zu  addiren. 


Beze.iclmung 

der  auszufiihrendon 

Arbeit 


Bezeichnung 
des  Erdmateriales 


Bezeichnung 

der  Arbeitskr.ift 
j    u.  sonstiger  Zuschku 


Anmerkung 


Erd-Abgrabung  im 
offenen  Terrain, 

sammt  Transport 

auf  Schubkarren 

bis  60m  Entfernung, 

erfordert  pro   lkbm : 


a)  im  lockeren  Grunde,  Sand. 
Moor,  Torf,  Ackererde  etc. 


b)  im  mittelfesten  Grunde. 

Lehm,  Letten,  festgelager- 

ten  groben  Sand 


c)  im  schweren  Boden,  Thon, 
eisenschiissigen  Kiesgrund, 
verwitterten  Felsenabraum 


0-37  Hdlg,  +  0-1  Req 


0-51  Hdlg.  +  0-1  Req 


0-66  Hdlg. +  0-1  Req. 


Grundgrabung  fur 
Fundamente,  Brunnen 

etc.  mit  Boschungs- 

wanden  bis  auf  2m 
Tiefe,  sammt  Trans- 
port bis  60m  Entfer 

nung,  erfordert  pro 


a)  im  lockeren  Grunde,  Sand, 
Moor,  Torf,  Ackererde  etc. 


0-44  Hdlg.  i- 0-1  Req 


b)  im  mittelfesten  Grunde, 
Lehm,  Letten,  festgelager-  0-59  Hdlg.  +  0-1  Req 
ten  groben  Sand 


c)  im  schweren  Thon, Boden, 
eisenschiissigen  Kiesgrund,!  0*73  Hdlg.  +  0*1  Req 
verwitterten  Felsenabraum 


Bei  jeder 
um   2m 

grosseren 
Tiefe  sclilagt 

man  dem 
Arbeitslohn 
0-30  Hdlg. 


Fur  Aushebung  mit  Bolzun 
0-30  Hdlff.  hinzu. 


Felsensprengung 

bis  2m   Tiefe  unter 

dem  Horizont, 

sammt  Transport 
bis  G0m  Entfernung. 
erfordert  pro  lkbm: 


rechnet    man  zu  dem  jeweiligen  Arbeitslohn 
a)  zerkliifteter  Felsen  ohne 


Sprengmaterial 


0-30 Stbr.  -f  0-88  Hdlg.  +  0- 1  Req 


b)  zerkliiftete  Felsen,  bei    073Stbr.+  <>5&  Hdlg. ^0-1  Req. 
theilweiser  Anwendung     +  0-25  Kg.  Pulver  o.  0-11  Kg. 


von  Sprengmaterial 


c)  mittelhart,  wenig  kliifti| 
mit  Sprengmaterial 


Dvnamit 


l-17Stbr.-r-0-37Hdlg.+  0-llReq, 
+  0-37  Kg.  Pulv.  o.  0-14  Kg.  Dyn. 


d)  sehr  hart  mit  Spreng-  |  1-47  Stbr.+  O44Hdlg.+  0-12  Req. 
material  |  +  0-41  Kg.  Pulv.  o.  0-18  Kg.  Dyn. 


Bei  jeder  um 
0-07  Stbr.  +  0-15 


2m   grosseren  Tiefe 
Hdlg. 


^ebe 


tan  pro 


Kbm.  einen  Zuschlag  von 


■)  Naheres  siehe  Wach's   Bauratligeljer,  Temp  sky,  Prag,   ls74. 


+ 

0-1 

+ 

0-1 

+ 

o-i 

+ 

o-i 

+ 

0-1 

Erdarbeit.  —  Erde.  285 

Anschiittung  vom  Erdhorizont   in  die  Tiefe,  bei  Zufuhr  auf  20m   Entfernung 

imd  Stampfung  erfordert  pro  lkbm 0-40  II dig.  -4-  O'l   Req. 

Anschutten  und  Planifen  in  Schichten  und  Stampf'en    .    .  044      „       -j-  0*1      „ 

Anschiittung  liber  Sturz-  unci  Dippelboden,  Gewolben,  nebst 
Aufladen  und  Planiren,  bei  Transport  auf  60m  horizontal 

und  6m  vertical,  erfordert  pro  lkbm 0-5      „       -f-  O'l     „ 

Fiir  je  6m  mehr  Hohe  einen  Zuschlag  pro   lkbm  von    .    .0*11      „ 
lkbm  Erde   irn  Grubenmass    auf  60m  horizontal    mit  dem 
Schubkarren  verfiihren,  ohne  Aufladen,  erfordert   .  0-20— 0-22      „ 
lkbm  feuchten    Lehm    60m  weit   und   6m  hoch,    mit    dem 
Schubkarren  verfiihren,  erfordert 0-29       „ 

Fiir  je  6m  mehr  Hohe  rechnet  man  einen  Zuschlag  von    0-15  Hdlg. 
lDm  Flachrasenverkleidung,  sammt  Stechung  und  Zufuhr 
auf  60m  Weite  und  Legung,  jedoch  ohne  Pfldcke,  erfordert  Oil       „ 
lDm  Beschotterung,    16cm  hoch,    nebst   Zufuhr    auf  20  m 
Entfernung  und  Ausgleichung  der  Oberflache,  erfordert   .  0*02      „ 

lDm  Besandung,  5cm  hoch  bei  frisch  beschotterten  Strassen, 

nebst  Zufuhr  auf  20m   Entfernung,  erfordert O01       „ 

Literatur  iiber  Erdbau:  Henz  und  Plessner,  Anleitung  zum  Erdbr.n, 
Berlin  1867.  —  v.  E  tz  el,  Ausfiihrung  grosser  Erdarbeiten,  Stuttgart  1859.  — 
Bernard,  Annales  des  mines.  1862.  —  Piarron  de  Mondesir,  Annales 
des  ponts  et  chaussees  1847.  —  Hoffmann,  Transportkosten,  Zeitschrift 
des  osterr.  Ing.-  u.  Arch.-Vereines,  1861.  —  v.  Kaven,  Vortrage  iiber 
Ingenieur-Wissenschaften,  Hannover  1870.  —  Schmitt  E.,  Der  Erdkunstbau, 
Leipzig,  Felix,  1871.  —  Becker,  Allgemeine  Baukunde  des  Ingenieurs, 
Stuttgart,  Maken,  1865. —  Rziha,  Der  englische  Einschnittsbetrieb.  Tech- 
nische  Blatter  (Vierteljahrschrift  des  deutschen  polyt.  Vereines  in  Bohmen), 
1872,  1.  Heft. — 'Heine,  Der  Erdbau  in  seiner  Anwedung  auf  Eisenbahnen 
und  Strassen,  Wien,  Holder,  1876.  Grohm. 

Erdbeerather,  ein  den  Erdbeeren  ahnlich  riechendes  Gemenge  von  Essigather 
mit  Essigsaureamylather  und  Buttersaureather,  s.  d. 

Erdbirne,  s.  Top  in  am  bur,  vgl.  a.  K  art  off  el. 

Erdbdgen  (arc  de  fondation  —  retaining -arch  in  the  groundwork)  sind 
die  in  verkehrter  Lage  (Scheitel  unten  und  Bogenlinie  nach  aufwarts  gerichtet) 
im  Fundament  angebrachten  Gewolbebogen,  welche  die  Fundamentpfeiler  mitein- 
ander  verbinden,  behufs  gleichmassiger  Vertheilung  des  Druckes  und  Verhinderung 
der  Senkung  der  Pfeiler  bei  schlechtem  Baugrund.     S.  Fundi  rung. 

Erdbohrer,  s.  Tiefbohrung. 

Erde  animalische,  syn.  mit  Knochenasche. 

Erde  armenische,  syn.  mit  Erde  lemnische. 

Erde  blaue,  syn.  mit  Eisenblau,  Blaueisenerd  e,  Vivianit  s.  Eisen 
II  pag.  759,  s.  a.   Vivinit. 

Erde  braune,  syn.  m.  Umbraerde,  s.  Umbra. 

Erde  casseler  (van Dyke  brown),  s.  C  a  s  s  e  1  e  r  B  r  a u  n  II  pag.  265,  s.  U  m  b  r  a. 

Erde  cdlnische,  s.  Umbra. 


286  Erde.  —  Erdmandeln. 

Erde  engliSChe,  syn.  mit  Englischroth,  vgl.  Bolus  I  pag.  725.  Auch  ein 
geschlammter  grauer  Mergel,  der  zur  Ziminermalererei  verwendet  wird. 

Erde  gelbe  (neapolitanische),  syn.  m.  Neapelgelb,  s.  Blei  I  pag.  603. 
Auch  syn.  mit  Ockererde. 

Erde  gesiegelte,  s.  Bolus  I  pag.  724. 

Erde  griine,  s.  Gr  tin  erde. 

Erde  japanische,  s.  Catechu  II  pag.  266. 

Erde  lemnische  {terre  de  Lemnos — terra  lemma),  brauner  Bolus  von  der 
Insel  Lemnos.     S.  Bolus  I  pag.  724. 

Erde  niirenberger,  rothe  Erdfarbe,  vgl.  Bolus  I  pag.  724,  s.  Ockerde. 

Erde  persische,  rothe  Erdfarbe  vgl.,  Bolus  und  Ockererde. 

Erde  preussische,  rothe  Erdfarbe,  syn.  mit  Englischroth. 

Erde  SClimiedeberger,  syn.  mit  Polirroth,  Englischroth. 

Erde  sienische,  siener  (terra  di  Siena),  ein  brauner  Bolus,  der  sich  bei 
Siena  im  Toskanischen  findet  und  als  Malerfarben  dient.  Vgl.  Bolus  I  pag.  724. 

Erde  Striegauer,  brauner  Bolus  von  Striegau  in  Schlesien.  Vgl.  Bolus  I 
pag.  724. 

Erde  veroneser,  s.  Gr  tin  erde. 

Erden  nennt  der  Chemiker  die  Oxyde  der  sogenannten  Erdmetalle:  Alumi- 
nium, Beryllium,  Zirkonium,  Cer,  Lanthan,  Didym,  Yttrium,  Erbium,  Terbium  (?), 
Norium,  Thorium.     Gtl. 

Erdensalz,  syn.  m.  Steppensalz,  s.  Chlorn atrium  bei  Natrium. 

Erdfarbe  II,  syn.  mit  far  big  en  Erden,  Farb  erden. 

Erdfernrohr,  s.  Fernrohr. 

Erdgeschoss,  parterre  (rez-de-chaussee  —  ground-floor),  ist  das  Gebaude- 
stockwerk  zu  ebener  Erde;  gewohnlich  ist  es  um  einige  Stufen  tiber  das  natiir- 
liche  Terrain  erhoht.  1st  die  Erhohung  bedeutend,  so  nennt  man  es  erhbhtes 
Erdgeschoss  oder  Hochparterfe ;  dann  ist  gewohnlich  ein  Stockwerk  theilweise 
unter  dem  nattirlichen  Terrain  angeordnet,  welches  man  vertieftes  Erdgeschoss 
oder  Souterrain  nennt.  Bei  Souterrainwohnungen  soil  die  innere  Flache  der  Decke 
tiber  das  Strassen-Niveau  wenigstens  1.25m  erhoht  sein.  Grohm. 

Erdharz  gelbes,  s.  Bernstein  I  pag.  431,  schwarzes  syn.  mit  Asphalt 
s.  I  pag.  211.     Vgl.  a.  Elaterit  und  Ozokorit. 

Erdkobalt,  Kobaltbeschlag,  ist  arsenhaltige  Kobaltbliithe,  syn.  Ery  thrin. 

Erdkohle,  s.  Braunkohlc  bei  Brennstoffe  II  pag.  27. 

Erdmagnetismus,  s.  Magnetism  us. 

Erdmandeln  (amandes  de  te»re  —  round  cynerus  root)  sind  die  -an  den 
Enden  der  Wurzelauslaufer  von  der  in  Nordafrika  und  Siidamerika  einheimischen, 
im  Siiden  Europas  cultivirten  Riedgras-Art  {Cyperus  eseidentus)  sich  findenden  mehli- 
gen  Knollen.  Sie  sind  etwa  haselnussgross,  unregelmassig  kuglig  oder  eifbrmig, 
graubraun,  innen  weiss,  mehlig,  Aon  stissem  nussartigem  Geschmack.  Sie  kbnnen 
sowohl  roh  als  auch  gekocht  oder  gebraten  genossen  werden  und  sollen  im  f'rischen 


Erdmandeln.  —  Erganzungsflache.  287 

Zustande  — 16%  eines  haselnussahnlich  riechenden,  goldgelben  fetten  Oeles  ent- 
halten,  von  welchem  die  bei  uns  gezogenenKnollen  indesscn  nie  mehr  als  4 — 5°/„ 
liefern.  Nicht  selten  werden  die  Erdmandeln,  von  welchen  cine  einzige  Pflanze 
oft  bis  30  Stiick  liefert,  gerostet  imd  gemahlen  unter  dem  Namen  E  rdm  and  el- 
caff  ee  als  Caffeesurrogat  in  den  Handel  gebraelit.  Das  E  rdm  an  del  51  zeigi  im 
reinen  Zustande  das  spec.  Gew.  0.918  und  ist  leicht  vcrscifbar.  (Vgl.  Lesant 
Journ.  Pharm.  (2)  VIII  pag.  509.)     Gil. 

Erdmannit,  a.  Cerin  II  pag.  300. 

Erdmetalle,  vgl.  Erden. 

ErdniiSSe  (pistaches  de  terre  —  ground  nuts),  Erdeicheln.  Die  Friicbte 
von  Arachis  hypogaea  L. ,  einer  krautartigen ,  urspriinglich  wahrscheinlich 
dem  tropischen  Amerika  angehorenden  Pflanze  aus  der  Familie  der  Caesalpineen, 
welche  jetzt  fast  in  alien  heissen  und  warmeren  Gebieten  der  Erde,  zumal  in 
Siid-Amerika,  West-  und  Ost-Indien  und  an  der  Westkiiste  Afrikas  als  Oel-  und 
Nahrungspflanze  gebaut  wird.  Sie  ist  dadurch  merkwurdig,  dass  ihr  Bliithenstiel  nach 
dem  Verbliihen  sich  zu  Boden  senkt  und  der  Stempel  unterirdisch  zu  einer  etwa 
3cm  langen  walzlichen,  in  der  Mitte  meist  etwas  eingeschntirten,  nicht  aufspringen- 
den  Hiilse  sich  entwickelt,  der'en  zahes,  papierartiges,  aussen  netzig-geripptes,  matt 
hellbraunes  Gehause  1 — 3  eirunde^  schief  abgestutzte7  mit  diinner,  vertieft-langs- 
adriger  braunrother  Hiille  versehene,  sehr  olreiche,  mandelartig  schmeckende 
Samen  enthalt.  Diese  geben  durch  Auspressen  bis  50°/0  eines  gelblichen,  geruch- 
losen  fetten  Oeles  von  0.918  spec.  Gew.,  welches  wesentlich  ein  Gemenge  der 
Glycerinverbindungen  von  3  verschiedenen  krystallisirbaren  Fettsauren  (Arachin- 
saure,  Hypogaeasaure  und  Palmitinsaure)  ist  und  im  Haushalte  (als  Speiseol),  be- 
sonders  aber  zu  technischen  Zwecken,  sowie  audi  zur  Verfalschung  von  Oliven- 
und  Mandelol  Verwendung  findet.  A.   Vogl. 

Erdnussol,  s.  Erdniisse. 

Erdol,  s.  Petroleum  s.  St  ein  ol. 

Erddlather,    der  zwischen    60  und  100°  C.   destillirende  Antheil   des   Roh- 

Petroleums,  s.  Petroleum. 

Erdorseille,  s.  Orseille,  vgl.  Fl edit enfarbst off e. 

Erdpech,  s.  Asphalt  I  pag.  211.  Erdpech  elastisches,  syn. 
E 1  a  t  e  r  i  t. 

Erdpise,  s.  S tamp f ban. 

Erclsalz,  syn.  Steinsalz,  s.  Chlornatrium  bei  Natrium. 

Erdtheer,  syn.  Theer  aus  bituminos.  Schiefer,  s.  Theer. 

Erdthermometer,  Geothermometer,  vgl.  Thermometer,  s.  Warme- 
messung. 

ErdwacllS,  s.  Ozokerit. 

Eremit,  s.  Monazit. 

Erganzungsflache  eines  Kreiskegels  ist  wieder  eine  Kegelliaclie,  deren 
Erzeugende  senkrecht  stehen  auf  jener  Erzeugenden  des  ersten  Kegels,  welche  sie 
an  der  gemeinsamen  Basis  (Erganzungskontur)  schneiden.  Auf  irgend  ein  Axoid 
ausgedelmt  wird  die  Erganzungsflache  zu  der  durch  jene  Normalebenen  umhiill- 
ten  Flache,  welche  in  den  Punkten  eines  Querschnittes  auf  die  Erzeugenden  des 
Axoides  gelegt  werden  konnen.     Kk. 


288  Erganzungskontur.  —  Erker. 

ErganzungskontUI'    bezeiclmet   Reuleaux    die    Sclniittlinie    der  Oberflache 

eines  Axoides  mit  der  Erganzungsflache  desselben.  S.  Reuleaux  Kinematik  S.  86. 
(Vieweg  1875). 

Ergotin  (ergotine  ■ —  ergotine)  heisst  der  aus  dem  Mutterkorn  {Secede  cov- 
nuium)  bereitete  wassrige  oder  alkoholische  Extract;  mit  demselben  Namen  be- 
zeiclmet man  aber  audi  eines  der  Alkaloide,  die  in  demselben  entbalten  sind. 
Der  Extract  wird  auf  verschiedene  Weise  bereitet.  Nacb  Wiggers  wird  das 
gepulverte  und  mit  Aetber  entfettete  Mutterkorn  mit  Weingeist  ausgekocht,  der 
weingeistige  Auszug  abgedunstet,  und  der  Verdampfungsriickstand  mit  Wasser 
behandelt,  wobei  Ergotin  als  rothbraunes,  scharf  sebmeckendes  Pulver  zuriickbleibt, 
das  in  Weingeist  schwer,  nicbt  in  Wasser  und  Aetber  loslich  ist.  Bonjean's 
Ergotin  wird  durch  Extraction  des  eingedampften  wassrigen  Mutterkorn auszuges 
mit  Weingeist  und  Eindampfen  als  Extract  erhalten,  der  in  Wasser  und  Weingeist 
loslicb  ist. 

Letztere  Darstellungsweise  bat  unter  anderen  audi  die  osterreichische  Phar- 
macopoe  acceptirt.  Der  Mutterkornextract  enthalt  ausser  Trimethylamin  nacb 
Wenzell  noch  die  Alkolaide  Ergotin  und  Ecbolin,  Tan  ret  bat  kiirzlicb  noch 
ein  drittes,  das  Ergotinin  aufgefunden.  Die  ersteren  zwei  werden  dargestellt,  in- 
dem  der  kalt  bereitete  wassrige  Auszug  des  Mutterkorns  mit  Bleizucker  gefallt, 
das  Filtrat  entbleit,  stark  concentrirt  und  zunachst  mit  gepulvertem  Quecksilber- 
chlorid  das  Ecbolin  vollstandig  ausgefallt  wird.  Das  Filtrat  mit  Schwefelwasser- 
stoff  behandelt,  dann  mit  Phosphorniolybdansaure  versetzt,  lasst  einen  alles  Ergotin 
enthaltenden  Niederscblag  fallen,  der  mit  aufgescblammtem  koblensauren  Baryt 
digerirt  wird;  das  Filtrat  eingedunstet  binterlasst  das  Ergotin.  Das  Ecbolin  wird 
aus  seiner  Quecksilberverbindung  durch  Zersetzen  mit  Scbwefelwasserstoff,  Schiitteln 
der  Losung  mit  pbospborsaurem  Silber,  Bebandlung  der  dann  abfiltrirten  Fliissig- 
keit  mit  Aetzkalk,  endlicb  Entfernung  des  tiberscbiissigen  Kalkes  durch  Koblen- 
saure  und  Eindunsten  der  Losung  als  Rtickstand  erbalten.  Beide  Alkaloide  sind 
amorph,  firnissartig^  bitter  sebmeckend,  alkaliscb  reagirend  und  losen  sich  leicbt 
in  Wasser  und  Alkobol,  nicbt  aber  in  Aetber  und  Chloroform.  Sie  bilden  leicbt 
zerfliessliche  Salze7  mit  Kalilauge  gekocbt  entbinden  sie  Ammoniak.  Sie  unter- 
scbeiden  sicb  dadurcb,  dass  Quecksilbercblorid  das  Ergotin  nur  in  neutraler,  das 
Ecbolin  audi  in  saurer  Losung  fallt,  dass  durch  Platincblorid  Ecbolin  dunkelgelb^ 
Ergotin  erst  nacb  Zusatz  von  Aetberweingeist  gelblich,  durch  Cyankalium  nur  das 
Ecbolin  und  z war  weiss  gefallt  werden  kaun.  Manassewitz  stellt  fur  das  Ergotin 
die  noch  sehr  bypothetiscbe  Formel  C^H^N^O^  auf.  Das  Ergotinin  von  Tanret 
ist  in  Chloroform  und  Aether  loslicb,  seine  Darstdlung  sehr  complicirt.  Wenzell 
hat  in  wassrigem  Mutterkornextracte  die  Ergotsaure  nachgewiesen,  die,  mit  Wasser- 
dampfen  wenigstens,  fliichtig  ist  und  unkrystallisirbare  Salze  liefert.       Sfanup. 

Eri nit,  Min.  (Ha i dinger),  amorphe,  nierenformige  Massen  von  sniaragd- 
griiner  Farbe,  kaum  durchscbeinend,  H.rr4-5 — 5,  spec.  Gew.  z=.  4.04,  ist  wasser- 
haltiges  Kupferarsenat  =r  As„Cub010  -\-  oH„0,  Vork.  Irland,  vgl.  a.  Corn- 
wall it  II  pag.  415.  Erin  it  (Dam  our),  Kupferglimmer,  Chalkophyllit,  bildet 
rhomboeder.  Krystalle  von  smaragdgriiner  Farbe,  durchscheinend  bis  durch- 
sichtig  H.  z=  2,  spec.  Gewicht  z=z  2.4—2.66,  ist  wasserhaltiges  Kupferarsenat 
=  ^s,JC»GOn+,<,iJ20.     Gtl. 

Eriometer,  Instrument  zur  Bestimmung  der  Feinheitsnummer  der  Woll- 
liaare,  s.  Wolle. 

Eriophoronwolle,  s.  Gespinnstfasern. 

Erker  (fenetre  en  saillie  —  oriel-window,  jut-window),  ist  ein  geschlos- 
sener,  balkonartiger  Yorbau  eines  Gebauderaumes,  meist  durch  Consolen  (aus 
Holz,    Stein    oder  Eisen)  getragen,    oft   durch    mehrere  Geschosse   reichend.     Der 


Erker.  —  Erythrit.  289 

Grundrissform  nach  kann  der  Erker  polygonal  oder  rund  sein,    und  soil  stets  im 
organischen  Zusammenhang  mit  der  Architektur  des  Gebaudes  stehen.    Grohm. 

Erlangerblau,    syn.  Berlinerblau,    s.  Blutlaugensalze   I  pag.  667. 

Erlenholz  (aune,  aulne  —  alder).  Das  Holz  der  gemeinen  Erie  (Betula 
alnus)  ist  ein  weissgelbes  bis  gelbrothliches  Holz,  frisch  ist  es  orangenroth.  Das- 
selbe  ist  dicht,  von  mittelmassiger  Harte,  geringer  Elasticitat  und  Zahigkeit.  Es 
wird  seiner  grossen  Dauerbaftigkeit  unfer  Wasser  oder  in  feuchter  Erde  wegen 
zu  Wasserbauten,  sonst'  meist  als  Brennholz  beniitzt.  Uebrigens  findet  es  auch 
zuweilen  zu  Holzschuhen,  Leisten  und  Giessereimodellen  Anwendung.  Als  Bau- 
holz  ist  es  seiner  geringen  Dauer  im  Trockenen,  sowie  seiner  Sprodigkeit  wegen 
nicht  geeignet.     Kk. 

Erntemaschinen,  s.  Landwirthschaft. 

Erstarrungspunkt,  die  Teniperatur,  bei  welcber  der  Uebergang  einer  Fliis- 
sigkeit  in  den  starren  Aggregatzustand  erfolgt.  Vgl.  a.  Schmelzpunkt  und 
Schmelzen.     Gtl. 

Erubescit,  syn.  m.  Buntkupfererz,  s.  Kupfer. 

Erucasaure  (acide  erucique),  feste  Fettsaure  von  der  Formel  C2qH^O„, 
welcke  als  Glycerinverbindung  einen  Bestandtheil  des  fetten  Oeles  der  weissen 
und  scbwarzen  Senfsamen7  des  Traubenkernols  und  des  Rapsoles  (vgl.  Br  ass  in- 
saure)  bildet.  Farblose  und  geruchlose  nadelformige  Krystalle  bei  36°  C. 
schmelzend.  Im  Wasser  unldslich,  loslich  im  Alkobol  und  Aether.  Verfarbt  sich 
an  der  Luft.  Mit  schmelzen dem  Kalibydrat  zerfallt  sie  in  Aracbinsaure  und 
Essigsaure.  (Vgl.  Darby  Annal.  d.  Cbem.  u.  Pbarm.  69  pag.  1,  Otto  ebenda 
127  pag.  182.     Gtl. 

Eruptivgesteine.  Allgemeine  Bezeichnung  jener  Gesteine,  welche  aus  dem 
Innern  der  Erde  hervorgedrungen  und  erstarrt  sind7  wie  alle  Laven,  Basalte, 
Trachyte,  Porphyre  u.  s.  w.     Lb. 

Erweiterungsbohrer,  s.  I  pag.  698,  709. 

ErythHn,  Farbstoff,  s.  Eosin  III  pag.  278. 

Erythrin  (erythrine — cobalt  bloom),  Kobaltbliithe,  Kobaltbeschlag, 
Name  von  iov&Qog  roth.  Monoklines  Mineral,  die  einfachen  rechtwinkligen  saulen- 
formigen  Krystalle  selten,  meist  nadel-haarfbrmige,  in  biischel-,  biindel-  und  stern- 
formige  Gruppen  verwaschene  Individuen.  Auch  erdig  als  Ueberzug,  Anflug  oder 
Beschlag.  Die  Krystalle  klinodiagonal  sehr  vollkommen  spaltbar,  wenig  sprode. 
H.  2.5,  spec.  Gew.  =  2.9 — 3.0.  Rosenroth,  karmin-,  pfirsichbliithroth,  Strich 
rosa.  Die  krystallisirten  Aggregate  seidenglanzend,  die  erdige  Varietat  matt. 
Chem.  Zus.  3CoOAs'10^-\-8H'10,  37.8  Kobaltoxydul,  38.2.Arsensaure,  24  Wasser. 
Gibt  im  Kolben  Wasser  und  wird  blau,  griin  oder  braun,  im  Reduct.  F.  auf 
Kohle  Arsendampfe  und  schmilzt  dabei  zu  Arsenkobalt;  Borax  gibt  damit  ein 
blaues  Glas.  In  Salpetersaure  leicht  zu  einer  rothlichen  Solution  loslich.  In  Kali- 
lauge  wird  er  schwarz,  wahrend  die  Lauge  sich  blau  farbt.  Ein  Begleiter  von 
Kobalterzen,  namentlich  des  Speiskobaltes,  und  ein  Zersetzungsproduct  daraus. 
Unter  Zutritt  der  Atmosphare  bildet  sich  der  sogenannte  Kobaltbeschlag  oder  die 
erdige  Kobaltbliithe  sehr  rasch  auf  Kobalterzen,  und  ist  ein  charakteristisches 
Kennzeichen  fur  solche.  Fundorte  Joachimsthal  und  Pribram  in  Bdhmen,  Schnee- 
berg  in  Sachsen,  Richelsdorf  in  Hessen,  Saalfeld  in  Thiiringen,  Allemont  Dau- 
phine.     Wird  mit  anderen  Kobalterzen  zur  Blaufarbenbereitung  beniitzt.     Lb. 

Erythrit  (erythrite  —  ery trite) ,  E  r  y  t  h  r  o  g  1  u  c i n ,  E  r  y  t  h  r  o  m  a  n  n  i  t, 
Ery  thro  gly  ein,  E  ryglucin,  Pseud  o  or  ein,  Phycit,  ein  in  die  Classe 
der  Alkohole  gehorender  Korper,    wird    aus  verschiedenen  Flechten,    so  Eoccella 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worteibuch    Bd.  III.  19 


290  Erythrit.  —  Erythrozym. 

fuciformis,  R.  Montagnei,  in  denen  er  aber  nicht  als  solcher  vorkommt,  am  besten 
nach  dein  Verfahren  von  Stenhouse,  der  ihn  zuerst  darstellte,  gewonnen.  Hier- 
nach  wird  die  Roccella  fucciformis  kalt  durch  diinne  Kalkmilch  in  der  Art  er- 
schbpft,  dass  die  zweiten  und  dritten  Ausziige  auf  neue  Flechte  gegossen  werden, 
wahrend  der  erste  so  rascli  als  mb'glicb  durch  Spitzbeutel  filtrirt  und  mit  Salz- 
saure  zersetzt  wird.  Es  fallt  robe  Erytbrinsaure  heraus  (s.  Flechtenfarbstoffe), 
die  mil  Wasser  durch  Decantation  gewaschen,  mit  Kalkmilch  im  geringen  Ueber- 
schusse  durch  eine  halbe  Stunde  im  Kolben  gekocht  wird,  worauf  die  Lbsung  mit 
Kohlensaure  oder  Schwefelsaure  vom  iiberschiissigen  Kalk  befreit  und  fast  zur 
Trockene  verdampft  wird.  Der  Riickstand  mit  Benzol  (von  110 — 150°Siedep.)  wie- 
derholt  ausgekocht  gibt  an  dieses  Orcin  (s.  d),  dann  mit  heissem  Wasser  be-, 
handelt  an  dieses  Erythrit  ab,  der  mit  kaltem  Weingeist  gewaschen  und  noch- 
mals  aus  Wasser  krystallisirt  rein  erhalten  wird.  Die  beschriebene  Reaction  geht 
in  der  Weise  vor  sich,  dass  die  Erytbrinsaure  zunachst  in  Pikroerythrin  und 
Orsellinsaure  (resp.  Aether  der  letzteren)  zerfallt,  dann  das  Pikroerythrin  Erythrit 
und  Orsellinsaure  und  letztere  Orcin  und  Kohlensaure  geben.  Der  Erythrit,  nach 
Strecker  CiHl  0Oi,  ist  ein  vieratomiger  Alkohol,  er  krystallisirt  in  grossen  farb- 
losen  glanzenden  Krystallen  des  quadratischen  Systems ,  schmeckt  siiss,  ist  in 
Wasser  leicht,  schwieriger  in  Alkokoh,  nicht  in  Aether  lbslich,  ist  nicht  gahrungs- 
fahig  und  ohne  optisches  Drehungsvermbgen.  Er  schmilztbei  120°,  auf  300°  er- 
hitzt  tritt  unter  theilweiser  Zersetzung  Caramelgeruch  auf.  Mit  Jodwasserstoffsaure 
erhitzt  gibt  er  Butyljodiir  vom  Siedepunkt  120,  in  wassriger  Lbsung  mit  Platin- 
mohr  behandelt,  oder  vorsichtig  mit  Salpetersaure  oxydirt  auffalliger  Weise  nicht 
WeinsMure,  sondern  eine  unkrystallisirbare  Saure  der  Formel  C4Hs05.  Rauchende 
Salpetersaure  ftihrt  ihn  in  eine  Nitroverbindung,  warme  concentrirte  Schwefel- 
saure in  eine  Erythritschwefelsaure  iiber,  mit  organischen  Sauren  gibt  er  Ester, 
mit  Aetzkali  geschmolzen  unter  Wasserstoffentwickelung  Essigsaure  neben  Oxal- 
saure.  Nach  Lamy  und  Wagner  ist  Phycit  identisch  mit  Erythrit.     Skraup. 

Erythrobenzin,  ein  von  Laurent  und  Castelaz  (Repert.  of.  patent  in- 
vent. October  1862)  dargestellter,  noch  nicht  naher  untersuchter,  rother  Farbstoff 
aus  Nitrobenzol,  welcher  durch  etwa  24stiindige  Digestion  von  Nitrobenzol 
(12  Thl.),  mit  Eisenfeilspanen  (24  Thl.)  und  concntrirter  Salzsaure  (6  Thl.),  Aus- 
laugen  der  erhaltenen  Masse  mit  Wasser  und  Fallen  der  wassrigen  Lbsung  mit 
Kochsalz  dargestellt  werden  kann  und  sich  sowohl  zum  Farben  als  auch  zum 
Drucken  eignet.     Gtl. 

Erythrocentaurin,  krystallisirbarer  Bestandtheil  des  Tausendguldenkrautes 
(Erythrea  centaurium),  welcher  aus  dem  wassrigen  Extracte  des  Krautes  durch 
Ausziehen  mit  Alkohol  und  Extrahiren  des  Riickstandes  des  Alkoholauszuges  mit 
Aether  erhalten  werden  kann.  Farblose,  geschmacklose  Krystalle,  in  kaltem  Wasser 
kaum  lbslich,  leichter  in  siedendpm,  leicht  in  Alkohol  und  Aether,  bei  136°  C. 
schmelzend.  Farbt  sich  am  Sonnenlichte  rosa  bis  roth,  wird  aber  beim  Erhitzen 
wieder  farblos.  Durch  Salpetersaure  wird  es  nicht  merklich  angegriffen.  Entspricht 
der  Formel  Co.HniOs.  Vgl.  C.  Mehu  Journ.  de  Pharm.  (4)  3,  pag.  265.     Gtl. 

Erythroglucin,  s.  Erythrit  HI  pag.  289. 

ErythroleTn  und  Erythrolitmin,  s.  Lackmus. 

Erythromannit,  s.  Erythrit  IE  pag.  289. 

Erythronium,  syn.  mit  Vanadin. 

Erythrophyll,  s.  Blattfarbstoffe  I  pag.  533. 

Erythrosin,  syn.  Tyrosinroth,  durch  Einwirkung  von  Salpetersaure  auf 
Tyrosin  entstehender  rother  Farbstoff.     Gtl. 

Erythrozym,  Ferment  der  Krappwurzel,  s.  K  r  a  p  p ,  vgl.  Alizarin  I  pag.  88. 


Erzaufbereitung.  —  Esparto.  291 

Erzaufbereitung,  s.  Aufbereitung  I  pag.  234. 

Erze  (minerals  —  ores).  Der  Begriff  von  Erz  ist  etwas  schwankend.  Im 
weiteren  Sinne  versteht  man  darunter  alle  jene  Mineralkorper,  welche  als  Haupt- 
bestandtheil  eines  der  sogenannten  scbweren  Metalle  enthalten,  im  engeren,  melir 
gebrauchlichen  Sinne  aber  nur  jene  Mineralien,  aus  welchen  das  darin  enthaltene 
Metall  mit  Vortheil  gewonnen  werden  kann,  also  die  nutzbaren  metalliscben  Mi- 
nerale.  Die  Erze  enthalten  die  Metalle  entweder  im  regulinischen  Zustande,  oder 
in  chemiscber  Verbindung  mit  anderen  Substanzen,  die  oft  ihre  Eigenschaften  als 
Metalle  so  verdecken,  dass  der  Nicbtkenner  schwerlich  ein  werthvolles  Metall 
darin  vermnthen  sollte.  Die  am  haufigsten  vorkommenden  Verbindungen  der  Me- 
talle sind  die  mit  Sauerstoff,  also  ihre  Oxyde;  imd  die  mit  Schwefel,  seltener 
scbon  die  Arsenikverbindungen.  Die  Oxyde  wieder  sind  entweder  rein  oder  mit 
Wasser,  als  Hydrate,  oder  mit  Kohlensaure  in  Verbindung.  Andere  Metallsalze, 
so  wie  Phosphor-,  Selen-  und  Chlorverbindungen  sind  so  selten,  dass  sie  den  nutz- 
baren Erzen  nicht  zugezahlt  zu  werden  pflegen.  Einige  Metalle,  so  namentlich 
Gold  und  Platin,  werden  nur  im  regulinischen  Zustancle,  wiewohl  oft  mit  anderen 
Metallen  legirt,  angetrotfen. 

Ueber  das  Vorkommen  der  Erze  in  der  Erdrinde  und  iiber  ihre  Gewinnung 
enthalt  derArtikel  „Bergbau"  das  Nahere,  wahrend  die  allgemeinen  Verfahrungs- 
arten  ihrer  Aufbereitung  in  dem  Artikel  „Aufbereitung"  (s.  I  pag.  234)  nach- 
zusehen  sind.  Ausserdem  ist  bei  jedem  einzelnen  Metalle  die  Gewinnungsart  im 
Grossen  ausfiihrlich  behandelt.     K.  H. 

Erzmetalle  ist  gleichbedeutend  mit  Schwermetalle,  s.  Element  III  pag.  257, 
s.  Metalle. 

Erzstahl,  s.  Ill  pag.  41. 

Eschel,  s.  Smalte. 

Eschenholz  (frene  —  ash).  Das  Holz  der  gemeinen  Esche  (Fraxinus 
excelsior)  weiss  bis  braunlichgelb.  Es  hat  breite  Jahrringe  und  dem  Eichenholz 
ahnliche  Poren.  Es  ist  sehr  zah  und  elastisch,  spaltet  schwer7  aber  gerade  und 
ist  im  Trocknen  sehr  bestandig.  Es  wird  als  Tischlerholz,  zum  Wagenbau  und 
zu  Stielen  fur  Werkzeuge,  so  wie  zu  Turngerathen  beniitzt.     Kk. 

Esdragondl  (huile  d'estragon  — tarragon  oil),  Dragunol.  Das  Oel  der 
Blatter  von  Artemisia  dracunculus  hat  den  eigenthiimlich  erfrischenden  Geruch  des 
Dragun-  (Esdragon)-  Krautes,  ist  blassgelb,  vom  spec.  Gew.  0.935  und  siedet 
zwischen  200—206  °  C.  Es  besteht  wesentlich  aus  Anethol  und  Kohlenwasser- 
stoifen.  Vgl.  St  em  an  is.  Dient  wie  das  frische  Kraut  zum  Aromatisiren  von 
Essigen  und  Raucheressenzen.     Gil. 

Esdragonsaure,  s.  bei  Stemanis. 

Eserin,  syn.  mit  Physostigmin,  s.  Calabar  bo  line  II  pag.  195. 

Esmarkit,  Min.,  durch  Wasseraufnahme  veranderter  Dichroit.  Auch  fiihren 
diesen  Namen  Varietaten  sowohl  des  Datolits  als  auch  des  Anorthits,  s.  Datolit 
II  pag.  591.     Gil. 

Esparto  (sparte  —  esparto),  Haifa,  Espartogras.  Unter  dem  spanischen 
Namen  Esparto  und  dem  arabisclien  Haifa  versteht  man  ein  vegetabilisches  Roh- 
product,  welches  in  der  Neuzeit  als  Papiermaterial  zu  grosser  Bedeutung  gelangt, 
die  getrockneten  Blatter  von  zwei  Grasarten  darstellt,  namlich  von  Macvocliloa 
tenacissima  Kth.  (Stipa  tenacissima  Desf.)  und  Lygeum  Spartum  L.  fil.,  die  ini 
grosser  Menge  auf  diirrem  Boden  vom  41  -  32  °  n.  Br.  in  den  Kiistenprovinzers 
von  Stid-Spanien,  von  Tunis,  Marocco  und  Algerien  wachsen. 

19* 


292  Esparto.  —  Essence  d'orient. 

Die  zahen,  4-7 dcm  langen,  im  Mittel  etwa  1  % mm  im  Durchmesser  betra- 
genden  Blatter  dieser  beiden  in  sonstigen  botanischen  Mejkmalen  wesentlich 
abweicbenden  Gramineen  stimmen  darin  iiberein,  dass  sie  nicht  flacb  sind,  wie 
wir  dies  an  unseren  Grasern  sehen,  sondern  von  beiden  Randern  her  zusammen- 
gelegt,  stielrund,  binsenartig.  Nur  eine  sehr  feine  Rinne,  welche  vom  Grunde 
des  Blattes  bis  zur  Spitze  verlauft,  deutet  dieses  auffallende  Verhalten  der  Blatter 
an,  welche  sonst  an  der  Oberflache  kahl  und  glatt  oder  hochstens  feinstreifig 
(bei  Lygeum  Spartum),  etwas  glanzend  graugriinlich  oder  strohgelb  gefarbt  sind. 
Die  Innenflache  zeigt  eine  matt  graugriine  Farbe  und  mehr  weniger  tiefe  Langs- 
furchen  mit  scharf  vorspringenden  [Macrochloa)  oder  mehr  stnmpfen,  gerundeten 
[Lygeum)  Leisten  (Nerven),  welche  mit  kurzen  konischen,  an  der  Spitze  etwas 
hakig  gekriimmten  Harchen  besetzt  sind.  Histologisch  besteht  das  Espartoblatt 
unter  der  derben  Oberhaut  aus  einem  Grundgewebe,  welches  theils  parenchymatisch 
und  diinnwandig,  theils  proxenchyniatisch  und  dickwandig  ist.  Darin  sind  starkere 
und  schwachere  Gefassbiindel  vom  Gharakter  jener  der  Monocotylen  eingelagert. 
Bei  Macrochloa  sind  diese  im  Allgemeinen  schwacher,  von  sparlichem  Parencliym 
umgeben,  oder  ganz  in  das  Fasergewebe  eingebettet,  welches  die  Hauptmasse  des 
Blattgewebes  bildet,  bei  Lygeum  sind  die  Gefassbiindel  starker  und  das  Proxen- 
chym  weit  weniger,  das  Parenchym  dagegen  reichlicher  entwickelt  als  bei  Macro- 
chloa. Jenes  Proxenchym  oder  Fasergewebe,  welches  auch  die  Hauptmasse  der 
fabriksmassig  abgeschiedenen  Espartofaser  bildet,  besteht  aus  bastzellenartigen 
Elementen,  welche  sich  mit  der  Nadel  leicht  isoliren  lassen.  Sie  sind  kurz  (bei 
einem  Durchmesser  von  0.007  — 0.02mm  0.5 — 4.5mm  lang),  glatt,  beiderseits  lang 
zugespitzt,  oder  an  den  Enden  abgerundet,  seltener  abgestutzt  oder  gabelig,  dick- 
wandig, mit  sehr  engem  Lumen;  in  Kupferoxydammoniak  quellen  sie  stark  auf 
und  losen  sich  darin  schliesslich,  Jod  mit  Schwefelsaure  farbt  sie  blau. 

Esparto  dient  schon  seit  den  altesten  Zeiten  in  seinen  Heimathslandern  zur 
Verfertigung  verschiedener  Flechtwaaren  (Sparterie),  wie  zu  Korben,  Matten  etc. 
Zu  diesen  und  anderen  Zwecken,  z.  B.  als  Durchzugsstroh  fur  Virginier-Cigarren 
wird  es  auch  bei  uns  eingefiihrt.  Durch  eine  entsprechende  Behandlung  wird 
daraus  audi  eine  Rohfaser  abgeschieden,  die  zur  Fabrikation  ordinarer  Gewebe 
und  zu  Seilerarbeiten  dient.  In  grossartigstem  Massstabe  aber  wird  Esparto, 
insbesondere  in  England  in  der  Papierfabrikation  verwerthet.  1872  exportirte 
Algerien  44  Mill.  Kilo  von  diesem  Rohproducte  (Spec.  Catalog  der  Wiener  Welt- 
ausstellung  1873.  Algier).  Die  an  Haifa  (hauptsachlich  Macrochloa)  reichste 
Gegend  hier  ist  das  hohere  Plateau  von  Oran  und  die  Hauptausfuhrplatze  Sebdon, 
Daya  und  Saida. 

Mit  dem  Namen  Esparto  bezeichnet  man  in  Spanien  auch  die  Binsenpfrieme, 
Spartum  pinceum  L.,  eine  strauchige,  in  Siid-Europa  einheimische,  bei  uns  in 
Gartenanlagen  ihrer  schonen,  grossen,  goldgelben  Blatter  wegen  haufig  cultivirte 
Papilionacee,  deren  griine  zahe  Zweige  gleichfalls  zur  Anfertigung  von  Korben, 
Matten,  Netzen,  Tauen  etc.  dienen.  A.   Yogi. 

Espenholz  (tremble  —  asp),  auch  Aspenholz,  s.  I  pag.  211. 

Esse  (cheminee  —  chimney),  Schorn stein,  s.  H  549,  s.  Heizung. 

Essence  de  Mirbane,  Mirbanol,  kunstliches  Bitter mandelol,  Nitro- 
benzol,  vgl.  I  pag.  379,  s.  a.  Nitro benzol. 

Essence  d'orient,  Perlenessenz.  Unter  diesem  Namen  kommt  im  Handel 
eine  zur  Imitation  von  Perlen  verwendete  Fliissigkeit  vor,  welche  aus  wassrigem 
Ammoniak  besteht,  in  welchem  der  auf  mechanischem  Wege  von  den  Schuppen 
gewisser  silbersclnippiger  Fische  (namentlicli  des  Weissfisches)  abgeloste  silber- 
glanzende  Beschlag  vertheilt  ist.  Der  Gehalt  an  Ammoniak  dient  wesentlich  als 
Conservirungsmittel    fur    die    in    reinem   Wasser    leicht    veranderliche     Substanz. 

Gtl. 


Essenzen.  —  Essig.  293 

Essenzen  (essence  —  essence)  nennt  man  im  Allgemeinen  geistige  Ausziige 
oder  Destillate  aus  aromatischen  Pflanzentheilen  odcr  sonstigen  Substanzen,  welche 
gewissermassen  gesattigte  Lbsungen  des  riechenden  Principes  solch  aromatischer 
Stoffe  darstellen,  seltener  belegt  man  auch  atherische  Oele  mit  diesem  Namen. 
Vgl.  a.  Tincturen,  s.  Parfumerie.     Gtl. 

Essig  (vinaigre  —  vinegar).  Im  Allgemeinen  versteht  man  unter  Essig 
eine  sehr  verdtinnte  Essigsaure,  welche  je  nach  der  Art  nnd  Beschaffenheit  des 
Materiales,  aus  welchem  sie  erzeugt,  andere  Stoffe  beigemengt  enthalt,  die  ihr  den 
eigenthiiinlichen  Geruch  und  Gesclimack  ertheilen. 

Die  Kenntniss  des  Essigs  datirt  seit  den  liltesten  geschichtlichen  Zeiten; 
schon  den  meisten  alten  Volkern  war  es  bekannt,  dass  Fruchtsafte  (bes.  Trau- 
bensaft),  langere  Zeit  mit  Luft  in  Beriihrung  gebracht,  sauer  werden  und  die 
Eigenschaft  erhalten,  anf  manche  Steine  und  Metalle  losend  zu  wirken.  Die 
Alchemisten ,  welche  sich  vielfach  mit  dem  Essig  beschaftigten,  kannten  bereits 
auch  eine  concentrirtere  Essigsaure  (sog.  Kupferspiritus),  das  Wesen  der  Essig- 
bildung  aber  war  unbekannt;  wurde  auch  nicht  aufgeklart,  als  Boerhaave  in 
Leyden  um  das  Jahr  1720  eine  praktische  Anleitung  zur  Weinessigfabrikation 
veroffentlichte,  die  als  die  eigentliche  Grundlage  der  Wein-  und  Schnellessigfa- 
brikation  angesehen  werden  kann.  Nachdem  Priestley  1774  den  Sauerstoff 
entdeckt  und  Lavoisier  1788  nachwies?  dass  Alkohol  durch  Oxydation  in  Essig- 
saure iibergehe,  beschaftigte  man  sich  eingehender  mit  der  Erklarung  des  Vorganges 
der  Essigbildung ;  es  traten  verschiedene  Chemiker  mit  haufig  wiedersprechenden  An- 
sichten  auf,  die  sich  einerseits  in  der  Beliauptung,  die  Umwancllung  des  Alkohols  in 
Essig  sei  ein  reiner  Oxydationsprocess,  andererseits  in  der  Ansicht,  dieselbe  geschehe 
nur  durch  Vermittlung  eines  Gahrungserregers  (Ferment,  Essigpilz  etc.),  gipfelten. 

Die  Gewinnung  des  Essigs  im  Grossen  geschieht  : 

1.  Aus  alkoholhaltigen  Fliissigkeiten. 

2.  Aus  zucker-  und  starkmehlhaltigen  Materialien  und 

3.  Durch  trockene  Destination  des  Holzes.  Letztere  siehe  Artikel  „Holzessig." 
Zur    ersten    Gruppe    konnen    gezahlt   werden:     verdlinnter    Alkohol,     Bier, 

Wein,  gegohrener  Malzauszug  etc.  Die  zweite  Gruppe  umfasst  alle  jene  Mate- 
rialien, die  durch  iliren  Starke-  und  Zuckergehalt  befahigt  sind,  bei  der  Gahrung 
alkoholhaltige  Fliissigkeiten  zu  liefern ;  hieher  gehoren  z.  B.  Getreide,  Riiben, 
Obst,  Most  etc. 

Die  erhaltenen  Produkte  bezeichnet  man  dann  als :  Branntwein-  oder  Spiritus-, 
Wein-,  Bier  ,  Malz-,  Getreide-  u.  Riibenessig. 

Soil  iiberhanpt  eine  alkoholhaltige  Fliissigkeit  in  Essigsaure  iibergehen,  so 
miissen  gewisse  Bedingungen  erfiillt  sein  u.  z. : 

1.  Eine  bestimmte  Concentration  der  zu  sauernden  Fliissigkeit,  deren  Al- 
koholgehalt  in  den  Grenzen  von  3—12  Volumprocenten  schwanken  kann;  die  Er- 
fahrung  hat  gelehrt,  dass  Fliissigkeiten,  die  unter  3°/0  Alkohol  enthalten,  sehr 
langsam,  solche  mit  mehr  als  12°/0  gar  nicht  sauern. 

2.  Hinreichender  Luftzutritt;  da  der  Uebergang  von  Alkohol  in  Essigsaure 
durch  Aufnahme  von  Sauerstoff  aus  der  Luft,  die  Sauerung  stets  von  der  Ober- 
flache  der  alkoliolhaltigen  Fliissigkeit  aus  erfolgt,  muss  dem  Luftzutritt  eine  mog- 
lichst  grosse  Beriihrungsflache  dargeboten  werden. 

3.  Eine  zwischen  20  bis  35"  C.  liegende  Temperatur ;  obwohl  die  Essig- 
bildung auch  noch  bei  niedercr  Temperatur  vor  sich  geht,  erscheint  dieselbe  doch  we- 
sentlich  verlangsarat,  dagegen  verlauft  sie  bei  Temperaturen  iiber  35°  C.  sehr  rasch, 
jedoch  mit  bedeutenden,    durch  Verdunstung  von  Alkohol  entstehenden  Verlusten. 

4.  Die  Gegenwart  eines  stickstoffhaltigen  Korpers,  eines  Fermentes. 

Zur  Erklarung  des  Vorganges  der  Essigbildung  machen  sich  verschiedene 
Ansichten  geltend.  Liebig*)    fiihrt    die    Essigbildung    auf   einen    einfachen    Oxy- 


■■)  Liebig,  die  Es~iggahrung,  Ann.  der  Chemie    u.   Pharm.   153    p.    137;    Biichners   Repert. 
19  pag.  321,  Dinglers  polyt.  Journal  196  pag.  548. 


294  Essig. 

dationsprocess  zurlick  unci  stiitzt  seine  Erklarung  vorziiglich  auf  das  Experiment 
von  Dobereiner,  nach  welchem  Alkoholdampf  mit  Sauerstoff  oder  Luft  und 
feinvertlieiltem  Platin  (Platinmohr)  in  Beruhrung  gebracht  in  Essigsaure  iibergeht,  unter 
gleichzeitiger  Bildung  von  Aldehyd,  Acetal  und  Essigsaureathylather.  Liebig  nimmt 
also  die  Bildung  von  Aldehyd  als  Uebergangsstadium  an,  aus  welchem  sich  durch 
weitere  Aufnahme  von  Sauerstoff   Essigsaure  bildet: 

CaH60    +     0    =    C^O    +     Ho0 

Alkohol         Sauerstoff         Aldehyd  Wasscr 

C&O    +     0    =    CqH& 

Aldehyd         Sauerstoff       Essigsaure 

Aehnlich  wie  Platinmohr  wirken  nach  Liebig  viele  in  Zersetzung  und  Ver- 
wesung  begriffene  organische  Korper,  die  durch  diesen  Process,  den  Sauerstoff 
auf  den  Alkohol  iibertragen;  ebenso  nimmt  er  an,  dass  Holzkohle  oder  Hobel- 
spane,  als  Sauerstoff  verdichtend,  in  gleicher  Weise  wirken.  Pasteur  (Etude  sur  le 
vinaigre,  Paris  1868)  dagegen  vertritt  die  Ansicht,  dass  mir  der  Lebensprozess 
eines  zur  Essigbildung  unumganglich  nothigen  Pilzes  (BIyco derma  aceti)  auf 
analoge  Weise  wie  bei  der  Alkoholgahrung  die  Umwandlung  des  Alkohols  in 
Essigsaure  bewirkt,  und  beruft  sich  dabei  auf  das  stetige  Vorkommen  jener  Pflanze 
bei  jeder  Essigbildung,  die  nicht  stattfindet,  wenn  im  Essiggute  nicht  auch  die 
Lebensbedingungen  derselben  (Proteinstoffe,  phosphorsaure  Salze)  geboten  sind. 
Diese  Ansichten  sind  nach  den  Versuchen  von  W.  v.  Knieriem  und  Ad. 
Meyer  (Chem.  Centralblatt  1763  p.  666;  Jahrbuch  fiir  Pharm.  1873  40  p. 
326;  Landwirthsch.-Versuchstation  16  p.  327)  in  den  Hauptpunkten  vollslandig 
bestatigt  worden  und  bezweifeln  sie  auch  die  Moglichkeit  der  Verwandlung 
von  Alkohol  in  Essigsaure  durch  ozonhaltige  Luft.  L  em  aire  (Compt.  rend. 
57  p.  625;  Journal  fiir  praktische  Chemie  92  p.  248)  ist  der  Ansicht  dass  sich 
die  My  co  derma  arte  n  nicht  als  die  Ursache  der  Essigbildung,  sondern  viel- 
mehr  als  die  Folge  des  Vorhandenseins  von  Essigsaure  entwickeln ,  die  durch 
directe  Oxydation  des  Alkohols  entstehe. 

Man  unterscheidet  bei  der  Essigbereitung  zweierlei  Methoden: 

1.  Die  altere  oder  langsamere,  nach  welcher  die  Sauerung  des  Essiggutes 
in  theihveise  gefiillten,  in  warmen  Localen  liegenden  Fassern  vor  sich  geht;  die 
vollstandige  Umwandlung  erfordert  wochen-  bis  monatelanges  Lagern ;  gegen- 
wartig  fast  ausschliesslich  nur  zur  Bereitung  von  Wein-,  Bier-  und  Getreideessig 
verwendet. 

2.  Die  neuereMethode  oder  S chn el lessigfabrikation,nach  welcher  das  durch 
sehr  feine  Vertheilung  eine  grosse  Oberflache  darbietende  Essiggut  bei  steter 
Luftzufuhr  und  erhohter  Temperatur  sehr  rasch  in  Essig  iiberfiihrt  wird;  haupt- 
sachlich  zur  Erzeugung  von  Spiritus-  oder  Branntwein-,  seltener  des  Malzessigs 
verwendet. 

Im  Folgenden  geben  wir  eine  Darstellung  der  wichtigsten  Essigsorten  und 
ihrer  Bereitung: 

a)  Wein  essig  wird  fast  ausschliesslich  in  weinreichen  Gegenden,  besonders 
in  Frankreich  (bei  Orleans),  seltener  in  Deutschland  producirt, 

Nach  dem  altern  Vrfahren  von  Boerhaave  beniitzt  man  zwei  gleich 
grosse,  oben  offene  Fasser,  verschliesst  das  Spuudloch,  stellt  dieselben  auf  Un- 
terlagsbalken  in  ein  warmes  Local,  fiillt  nun  beide  mit  Weinkammen  oder 
Trestern,  das  eine  mit  Wein  ganz,  das  andere  halbvoll  an,  entleert  nach  24  Stunden 
das  voile  Fass  so  weit,  dass  hiemit  das  zweite,  halbvolle,  gefullt  wird,  nach  48 
Stunden  dieses  und  fahrt  so  fort,  bis  aller  Alkohol  in  Essigsaure  verwandelt  ist; 
die  Sauerung  geht  hauptsachlich  in  dem  halbvollen  Fasse  vor  sich  und  dauert 
sehr  lange  Zeit. 

Ausser  diesem  heutzutage  fast  ganzlich  verlassenen  Verfahren  ist  in  Frank- 
reich   die   sog.  „Methode  von  Orleans"  im  Gebrauch,     nach  weicher  ein  Gemisch 


Essig.  295 

von  Wein  und  Essig  in  warmen  Localen  sich  selbst  iiberlassen  wird;  Hauptetv 
forderniss  der  Lagerraume  ist  steter  Luftwechsel  und  moglichst  constante  Tem- 
peratur; die  Wande  derselben  bestehen  aus  Ziegelsteinen  und  sind  ausserdem 
mit  Brettern  und  Gyps  bekleidet;  auch  sind  niedrige  Raume  am  besten  geeignet ; 
die  Temperatur  betragt  25  bis  30°  C.  Die  Gefasse,  in  denen  die  Sauerung  vor 
sich  geht,  sind  Fasser  von  2  bis  4  Hektoliter  Inhalt;  grossere  arbeiten  zu  langsam, 
kleinere  erfordern  zu  viel  Bedienung. 

Man  fiillt  die  Fasser  zu  ca.  y3  mit  siedendem  starken  Essig,  fiigt  darauf 
10  Liter  Wein  hinzu  und  uberlasst  die  Mischung  sich  selbst ;  nach  ca.  8  Tagen 
setzt  man  abermals  10  Liter  Wein  zu,  wiederholt  diese  Operation  nach  3  bis  4 
Wochen,  und  setzt  dieselbe  so  lange  fort,  bis  die  Fasser  iiber  die  Halfte  gefullt 
sind,  zieht  sodann  1/3  des  Inhaltes,  in  manchen  Fabriken  auch  nur  40  Liter  ab, 
setzt  wieder  10  Liter  Wein  zu  und  fahrt  so  fort. 

Triiber  Wein  muss  vor  dem  Zusatze  in  die  Sauerungsfasser  durch  mehr- 
wochentliches  Lagern  in  grossen,  mit  |Buchenholzspanen  angefiillten  Bottichen 
geklart  werden  ;  triiber  Essig  wird  derselben  Operation  unterworfen. 

Von  dem  Fortschreiten  der  Gahrung  iiberzeugt  man  sich  auf  empirischem 
Wege,  indem  man  einen  weissen  gebogenen  Stab  in  die  Fliissigkeit  taucht ;  ist 
derselbe  beim  Herausziehen  mit  einem  dichten  weissen  Schaume  (Essigblume) 
bedeckt,  so  ist  die  Gahrung  beendet;  ist  der  Schaum  hingegen  roth,  so  erhoht 
man  die  Temperatur  bis  zum  Eintritte  obiger  Erscheinung. 

Die  in  Verwendung  stehenden  Fasser  bedtirfen  nach  6-  bis  Sjahrigem  Ge- 
brauche  in  Folge  des  Absatzes  von  Weinstein  und  Essigmutter  einer  Reinigung, 
nach  20  bis  25  Jahren  vollstandiger  Erneuerung. 

Nach  dem  Verfahren  von  Pasteur  (Compt.  rend.  54  p.  265,  55  p.  28; 
Bulletin  de  la  societe  d' encouragement  1862  p.  615;  Repert.  de  chim.  appl. 
1862  p.  70  und  279;  Dingl.  polyt.  Journal  165  p.  299  und  303;  Poly- 
technisches  Centralblatt  1862  p.  1439  u.  1510)  saet  man  auf  eine  Fliissigkeit, 
bestehend  aus  Wasser,  dem  2%  Alkohol,  1%  Essig  und  etwas  phosphorsaure 
Salze  zugesetzt  wurden,  den  Essigpilz  aus;  die  kleine  Pflanze  entwickelt  sich 
sehr  rasch  iiber  die  ganze  Oberflache,  gleichzeitig  sauert  der  Alkohol;  sobald 
der  Process  im  Gange  und  etwa  die  Halfte  des  zngesetzten  Alkohols 
in  Essigsaure  verwandelt  ist,  setzt  man  jeden  Tag  Alkohol,  Wein  oder  mit  Wein- 
geist  verselztes  Bier  zu,  bis  die  Fliissigkeit  so  viel  Alkohol  erhalten  hat,  class 
der    resultirende   Essig    den    erforderlichen    Grad    der    Starke    besitzt. 

Hiebei  ist  besonders  zu  beachten,  dass  es  einerseits  der  Fliissigkeit  nie  an 
Alkohol  fehlen,  audererseits  die  Entwiklung  der  Pflanze  nicht  zu  weit  gedeihen 
darf,  weil  in  beiden  Fallen  eine  weitere  Zersetzung  der  gebildeten  Essigsaure 
(in  Kohlensaure  und  Wasser)  stattfinden  wiirde.  Wird  die  Wirkung  der  Pflanze 
schwacher,  so  wartet  man  die  vollstandige  Sauerung  ab,  zieht  den  gebildeten 
Essig  ab,  wascht  die  Pflanze  und  benutzt  sie  von  Neuem. 

Dieses  Verfahren  wird  in  der  Fabrik  von  Breton-La ugier  in  Orleans 
im  Grossen  ausgefiihrt.  (Deutsche  Industrie-Zeitung  1871  pag.  234;  Dingl. 
polyt.  Journ.  201  p.  67;  Chem.  Centralblatt  1871  p.  687;  Polyteclm.  Cen- 
tralblatt 1871    p.  1326.) 

DerWeinessig  enthalt  6 — 9%  Essigsaurehydrat,  daneben .  Weinstein,  Wein- 
saure,  Citronensaure ,  Farbstoffe,  Spuren  von  Aldehyd,  Glycerin  und  Bern- 
steinsaure. 

b)  Bier-,  Malz-  oder  Getr eideessig.  Die  Erzeugung  des  Essigs  aus 
Bier,  resp.  Malz  oder  Getreide  ist  heutzutage  meist  nur  in  Landern  gebrauchlich, 
in  welchen  in  Folge  der  hohen  Spiritussteuer  solcher  zur  Erzeugung  des  Essigs 
nicht  verwendet  werden  kann,  wie  z.  B.  in  England  und  Schweden. 

Bei  der  Herstellung  des  nbthigen  Maizes  ist  es  nicht  nothig,  so  genau  und 
sorgfaltig  vorzugehen,  wie  es  bei  der  Bierbrauerei  erforderlich  ist;  die  Temperatur 
beim  Malzen  kann  etwas  hoher  gesteigert,  auch  die  Keimung  weiter  fortgesetzt 
werden;    meist  mischt   man    ungemalztes  Getreide  mit   Malz    u.  z.  am    besten  zu 


296  Essig. 

gleichen  Theilen,  wobei  man  das  erstere  sehr  fein,  das  fertige  Malz  nur  grob 
geschrotet  anwenden  kann;  zur  Mischung  mit  Malz  kann  mit  Vortheil  Hafer 
verwendet  werden;  weil  die  Treber  dadurch  aufgelockert  werden  und  die  Wiirze  leicht 
abfliessen  kann.  Die  erhaltene  ungehopfte  Maische  wird  auf  Kiihlschiffen  bis  20 
oder  25°  C  abgekiihlt,  in  die  Galirbottiche  abgelassen  und  mit  Hefe  versetzt.  Die 
Gahrung  kann  als  beendet  angesehen  werden,  wenn  das  Saccbarometer  ca.  2° 
zeigt  und  diese  Anzeige  constant  bleibt.  Die  erhaltene  vergohrene  Maische  wird 
in  grossen,  ganz  geftillten  Fassern  der  Nachgahrung  unterworfen,  welche  ebenso 
wie  die  Hauptgahrung  um  so  rascher  verlaufen  wird,  je  holier  die  Temperatur 
der  Fliissigkeit  und  der  umgebenden  Luft  ist.  Soil  das  erhaltene  Bier  nach  dem 
alteren  Verfahren  in  Essig  umgewandelt  werden,  so  kann  die  Nachgahrung  in 
ziemlich  warmen  Raumen  oder  in  der  Essigstube  selbst  vorgenommen  werden ; 
im  letztern  Falle  jedoch  resultiren  sehr  leicht  triibe,  nicht  haltbare  Producte. 
Soil  das  Bier  nach  der  Methode  der  Schnellessigfabrikation  gesauert  werden,  so 
ist  es  vortheilhaft,  den  ersten  Wiirzauszug  oder  die  ganze  Maische  zur  Abscheidung 
der  Albuminate  zum  Kochen  zu  bringen,  da  ein  zu  grosser  Gehalt  an  stickstoff- 
haltigen  Korpern  sehr  bald  eine  Verschleimung  der  Spane  im  Essigbilder  her- 
beifiihren  wiirde. 

Nach  dem  alteren  Verfahren  wird  die  Maische  oder  das  Bier,  ganz  ahnlich 
wie  bei  der  Weinessigfabrikation  beschrieben,  in  Fasser  gebracht,  die  Temperatur 
der  Essigstube  mbglichst  constant  auf  29  bis  30°  C.  erhalten  oder,  wie  in 
England  gebrauchlich,  im  Freien  auf  sogenannten  Essigfeldern  die  Sommermonate 
hindurch  sich  selbt  iiberlassen.  Durch  Filtration  iiber  Traubenkamme,  Trester, 
Hobelspane  oder  Stroh  reinigt  man  den  fertigen  Essig. 

Nach  der  neueren  Methode  mischt  man  dem  Biere  oder  der  vergohrenen 
Maische  verdiinnten  Alkohol  und  eine  entsprechcnde  Menge  Essig  zu,  lasst  aber 
die  friiher  gebrauchlichen  Zusatze  von  Brod,  Sauerteig,  Weizen-  oder  Roggenmehl- 
teig  mit  Weinstein  etc.  weg. 

Das  Essiggut  kann  z.  B.  bestehen  aus :  100  Liter  Alkohol  von  90°/0  Tr. , 
1900  Liter  Wasser,  3600  Liter  Bier  und  900  Liter  Essig,  oder  100  Liter  Al- 
kohol von  90%  Tr.,  1500  Liter  Wasser,  700  Liter  Bier,  180  Liter  Essig,  oder 
100  Liter  Alkohol  v.  90%  Tr.,  1400  Liter  Wasser,  100  Liter  Bier,  300  Liter 
Essig,  oder  100  Liter  Bier  und  15  Liter  Essig  ohne  Alkoholzusatz. 

Endlich  kann  zur  Fabrikation  von  Bieressig  eine  der  franzosischen  Wein- 
essigfabrikation nachgebildete  Methode  in  Anwendung  kommen  ;  den  regelmassigen 
Gang  der  Essigbildung  verfolgt  man  durch  Bestimmung  der  Zunahme  des  spe- 
zifischen  Gewichtes,  besser  durch  oftere  Bestimmung  des  Sauregehaltes  mittelst 
Titration.  Ist  ein  Stillstand  in  der  Essigbildung  eingetreten  und  aller  Alkohol  in 
Essigsaure  verwandelt,  so  ziebt  man  den  gebildeten  Essig  ab  und  lasst  nur  so  viel 
desselben  zuriick,  als  zur  Herstellung  des  neuen  Essiggutes  benothigt  wird,  ersetzt 
das  Feblende  durch  Znsatz  der  berechneten  Menge  verdiinnten  warmen  Alkohols 
und  Biers,  worauf  die  Essigbildung  sogleich  wieder  beginnt.  Dem  erhaltenen  Essig 
setzt  man  behufs  langerer  Haltbarkeit  eine  geringe  Menge  Alkohol  zu. 

c)  Riib  en  essig.  Die  Fabrikation  des  Essigs  aus  Zuckerriibe  ist  in  neuerer 
Zeit,  besonders  in  Frankreich,  vielfach  in  Anwendung.  Nacli  dem  Verfahren  von 
N  e  a  1  und  D  u  y  c  k  (Zeitschrift  des  Vereins  fur  Riibenzuckerindustrie 
1867  p.  205;  Polytechn.  Centralblatt  1867  p.  208;  Chemisches  Centralblatt 
1867  p.  512)  wird  durch  die  gegohrene  Fliissigkeit  mittelst  eines  Geblases  ein 
continuirlicher  Luftstrom  getrieben  und  dadurch  die  Sauerung  in  ziemlich  kurzer 
Zeit  bewirkt.  Die  griindlich  gereinigten  und  gewaschenen  Riiben  werden  zu  feinem 
Brei  zerrieben,  in  Sacke  gefiillt  und  in  hydraulischen  Pressen  ausgepresst;  das 
spezifische  Gewicht  des  Saftes  (urspriinglich  1,035—1,045)  wird  durch  Zusatz 
von  Wasser  auf  1,025  gebracht,  derselbe  kurze  Zeit  gekocht,  rasch  auf  ca. 
16°  C.  abgekiihlt,  in  Galirbottiche  gebracht,  daselbst  mit  Hefe  angestellt  und 
die  vergohrene  Fliissigkeit  in  die  Sauerungsgefasse  gepumpt.  Das  Sauerungs- 
gefass  ist  ein  starker  Bottich  von     ca.  1000  Hektoliter  Inhalt,    in  dessen  uuterm 


Essig.  297 

Theile  eine  Rose  oder  ein  umgekehrter  durchlocherter  kleiner  Kegel,  dor  mit  einem 
Blaseapparate  in  Verbindung  steht,  angebracht  ist ;  um  die  Fliissigkeit  erwarmen 
zu  konnen  geht  ein,  an  einem  Ende  offenes  Dampfrohr  bis  auf  den  Boden  des 
Bottichs.  Um  die  vergohrene  Wiirze  in  Essig  zu  verwandeln,  bringt  man  zuerst 
8000  Liter  fertigen  Essig  in  den  Bottich,  fiigt  eine  gleiche  Menge  gegohrenen 
Saft  und  etwas  Hefe  hinzu  und  setzt  den  Blaseapparat  in  Bewegung.  Wenn  die 
Temperatur  der  Fliissigkeit  unter  21°  C.  sinkt,  lasst  man  Dampf  eintreten  und 
erhalt  die  Warme  zwischen  21  und  27°  C;  der  Alkohol  wird  auf  diese  Weise  in 
wenigen  Tagen  oxydirt;  man  bringt  sodann  zum  fertigen  Essig  160  Hektoliter 
gegohrenen  Saft  und  wiederholt  diese  Behandlung,  wodurch  die  ganze  Menge 
bald  sauer  wird. 

Nach  Leplay  (Illustrirte  Gewcrbezeitung  1862  Nro.  8;  Polytechn.  Cen- 
tralblatt  1862  pag.  1167;  Polyt.  Notitzblatt  1862  pag.  183)  lasst  man  nicht  den 
Riibensaft,  sondern  die  in  Streifen  geschnittenen  Riiben  galiren,  indem  man  die- 
selben  in  bereits  in  Gahrung  befindlichen  Riibensaft  eintaucht;  ist  die  Gahrung 
voriiber,  so  zapft  man  die  Fliissigkeit  ab.  Der  Gahrbottich  ist  nun  mit  Rubenstucken 
gefiillt,  welche  mit  grosser  Begierde  SauerstofF  absorbiren ;  nach  einiger  Zeit  ist 
aller  Alkohol  im  Zellgewebe  der  Riibe  in  Essigsaure  iibergegangen,  welche  auf 
zweierlei  Weise  abgeschieden  werden  kann: 

1  Die  Riibenstiicke  werden  kerausgenommen  und  in  einem  Destillirapparat 
mit  Wasserdampf  destillirt;  man  gewinnt  destillirten  Essig  von  sehr  angenehmem 
Geruch  und  grosser  Reinheit. 

2.  Der  Essig  wird  durch  Maceration  ausgezogen.  Ausser  Zuckerriiben 
konnen  auch  andere  zuckerhaltige  Pflanzenstoffe  zur  Fabrikation  eines  mehr  oder 
weniger  reinen  Essigs  verwendet  werden,  z.  B.  gewohnliche  Riiben,  Mohren,  To- 
pinambours,  Zuckerrohr  etc. 

d)  Branntwein-  oder  Spirituses  sig.  Die  altere  oder  langsamere  Me- 
thode  der  Erzeugung  von  Essig  aus  Alkohol,  gegenwartig  wohl  schon  selten  in 
Verwendung,  bedient  sich  zur  Sauerung  entweder  eichener  Fasser  oder  Topfe 
von  Steinzeug;  kleinere  Fasser  von  ca.  60  bis  90  Liter  Inhalt  sind  grosseren 
vorzuziehen,  Steintopfe  von  12  bis  18  Liter  eignen  sich  besonders  gut  zur  Er- 
zeugung eines  starken  Essigs. 

Das  Locale  in  welchem  die  Sauerung  vorgenommen  wird,  die  sog.  Essig- 
s  t  u  b  e,  muss  eine  moglichst  sorgfaltige  Regelung  der  Temperatur,  des  Luftzutrittes, 
Luftdurchzuges  etc.  gestatten,  muss  eine  vor  Wind  und  Luftzug  geschiitzte  Lage  haben, 
gegen  Siiden  gelegen  und  niedrig  sein,Doppelthiiren, moglichst  wenig  Fenster  und  starke 
Wande  besitzen.  Die  Feuerung  geschieht  entweder  durch  ausserhalb  des  Locales 
angebrachte  thonene,  eiserne  oder  Meidinger'sche  Oefen,  vortheilhatter  durch  Ka- 
nalheizung;  der  Fussboden  kann  aus  Holz  oder  Steinplatten  mit  trockener  Un- 
terlage  hergestellt  sein.  Fiir  geniigende  Ventilation  wird  durch  mehrere  kleine 
an  der  Decke  und  am  Fussboden  angebrachte,  durch  Schieber  verschliessbare 
OefFnungen  gesorgt.  Alle  Eisentheile  werden  mit  einem  ofter  zu  erneuernden  An- 
strich  von  Asphaltfirniss  (einer  Losung  von  Asphalt  in  Terpentinbl  mit  Zusatz  von 
Leinolfirniss)  versehen. 

Dem  zu  sauernden  verdunnten  Alkohol  wird  zur  Einleitung  der  Essigbildung 
fertiger  Essig  zugesetzt;  die  zu  fiillenden  P'asser  werden  vorher  mit  warmen 
Essig  impragnirt,  indem  man  diesen  mehrere  Tage  in  denselben  stehen  lasst;  mit 
dem  bis  auf  die  Temperatur  der  Essigstube,  auch  hoher  (35—40°  C.)  vorge- 
warmten  Essiggute  werden  die  Fasser  zur  Halfte  oder  "/3  angefiillt,  die  Spund- 
lbcher  mit  Schieferplatten  lose  bedeckt  und  so  gefiillt  sich  selbst  iiberlassen;  nach 
2—3  Wochen,  je  nach  der  Temperatur  auch  noch  liinger,  ist  die  Sauerung  beendet. 
Die  Temperatur  der  Mischung,  welche  anfangs  in  Folge  des  Oxydations- 
processes  iiber  die  Temperatur  der  Essigstube  gestiegen.,  sinkt  gegen  das  Ende 
desselben  bedeutend  herab,  die  Fliissigkeit  nimmt  einen  rein  sauern  Geschmack 
und  Geruch  an;    sie  wird   nun    auf  die  Lagerfasser  abgezogen,    wenn  nicht  ganz 


298 


klar,  (lurch  Filtration  iiber  Buehenholzspane  gereinigt,  manchmal  auch  noch  mit 
etwas  Alkoliol  versetzt,  urn  den  resultirenden  Essig  starker  zu  machen. 

Die  neuere  Methode  oder  sog.  Schnellessigfabrikation,  1823  von 
Schutzenbach  eingefiihrt,  errnoglicht  es,  Alkohol  binnen  24  bis  48  Stunden  in 
Essig  iiberzufiihren,  und  kann  gegenwartig,  trotz  ihrer  Mangel,  als  die  rationellste 
bezeichnet  werden;  sie  erfordert  grosse  Umsicht  des  Betriebes,  sorgfaltige  Kegel ung 
der  Temperatur  und  grosstmogliche  Reinliclikeit  in  alien  Manipulationen  ;  Nach- 
theile  derselben  siud:  Produkte  von  geringerer  Giite  und  grdsserer  Alkoholverlust. 

Als  Vertheiler  der  Fliissigkeit  wendet  man  fast  ausschliesslicli  Rothbuchen- 
holzspane  an ,  welche  aus  ca.  30cm  langen  Stiicken  griinen ,  durch  Auslaugen 
mit  Wasser  von  den  loslichen  Stoffen  befreiten  Holzes  mittelst  eines  Stosshobels 
so  geliobelt  werden,  dass  sie  sich  zu  Spiralen  aufrollen,  sodann  nochmals  mit 
Wasser  ausgelaugt  und  sorgfaltigst  getrocknet  werden.  Nach  Miihling  soil  die 
Essigbildung  rascher  verlaufen,  wenn  man  abwechselnde  Schichten  von  Buchen- 
spanen  und  diinnen  Weinreben  anwendet.  Statt  Buchenspanen  konnen  audi 
Koks,  welche  durch  Auslaugen  mit  Salzsaure  und  nachheriges  Waschen  mit 
Wasser  von  ihrem  Eisengehalte  befreit  wurden,  oder  audi  Holzkohle,  besonders 
Lindenholzkohle,  verwendet  werden ;  letztere  arbeitet  sehr  gleichformig  und  mit 
geringem  Alkoholverlust.  Nach  Pfund  (Dingl.  polyt.  Journ.  211  pag.  280, 
367;  Polytechn.  Centralblatt  1874  p.  518)  wird  dieselbe  in  moglichst  trockenem, 
staubfreiem  Zustande  in  etwa  nussgrossen  Stiicken  verwendet,  hat  aber  den  Nach- 
theil,  dass  ilire  Sauerungsfahigkeit  zu  der  Masse  des  erforderlichen  Ansatzessiges 
in  keinem  sehr  giinstigen  Verhaltnisse  steht;  die  Kohlenfiillung  eines  mittelgrossen 
Essigbilders  verschluckt  10 — 12  Hektoliter  Essig,  liefert  aber  nicht  mehr  Fab- 
rikat  als  ein  Spanbilder  mit  3 — 4  Hektoliter  Ansauerungsessig. 

Die  bei  der  Schnellessigfabrikation  verwendeten  Sauerungsgefasse  sind  hohe 
cylindrische,  nach  unten  etwas  verjiingte  Bottiche  aus  Eichenholz,  sogenannte  E  s  s ig- 
b  i  1  d  e  r  oder  Essisrstander. 


Fig.  1510. 


(Fig.  1510.)  DieselbenhabenfolgendeEinrichtung: 
Ueber  dem  Boden  befindet  sich  ein  auf  einem  star- 
ken  Holzrande  liegender,  durchlocherter  Deckel  B. 
5em  iiber  diesem  sind  6 — 12  im  Kreise  gleich- 
massig  vertheilte,  l'5cm  weite,  nach  abwarts  ge- 
richtete  Zuglocher  C  gebohrt.  Auf  einem  Holzrande, 
vom  obern  Deckel  circa  30cm  entfernt,  befindet  sich 
ein  zweiter,  mit  zahlreichen  Lochern  (300 — 400) 
versehener,  gut  eingepasster  Senk-  oder  Siebboden 
D,  dessen  Oeffnungen  ca.  2-5cmvon  einander  entfernt 
sind;derselbe  dient  zur  Aufnahmeundgleichmassigen 
Vertheilung  des  Essiggutes  iiber  das  Fiillmateriale. 
Urn  diese  Vertheilung  langsam  und  gleichmlissig 
zu  erhalten,  befinden  sich  in  den  Lochern  starke, 
mit  einem  Knopfe  versehene  Bindfaden,  die  nur 
tropfenweise  das  Herabrinnen  des  Essiggutes  gestat- 
ten;  ausserdem  sind  noch  4—6  3cra  weite  Locher 
gebohrt,  in  die  kurze  Glasrohren  befestigt  sind, 
welche  den  Zweck  haben,  die  von  unten  durch 
die  Zuglocher  C  eingetretene  sauerstoffarmer  ge- 
wordene  Luft  oben  austreten  zu  lassen.  Den  Innenraum  des  Bottichs  zwischen  beiden 
Siebboden  nimmt  das  Fiillmateriale  ein.  Urn  die  Temperatur  im  Innern  des  Bilders 
genau  beobachten  und  hienach  den  Process  beschleunigen  oder  verzogern  zu 
konnen,  ist  in  der  halbeu  Hohe  des  Bilders  ein  Thermometer  angebracht,  dessen 
Kugel  bis  in  die  Mitte  oder  wenigstens  15cm  weit  ins  Innere  des  Bottichs  reicht. 
Den  ganzen  Bottich  schliesst  ein  Holzdeckel  C,  der  in  der  Mitte  eine  ca. 
25n°m  grosse  Oeffnung  hat,  die  lose  verschlossen  oder  offen  gehalten  werden 
kann ;  dieselbe  gestattet  das  Auffullen  des  Essiggutes  in  den  Apparat  und  zugleich 
die  Regulirung  des  Luftzus-es  in  demselben. 


ler  E 


•standcr 


Essig.  299 

Im  untern  Theile    cles  Bottichs,    etwa    5cm  liber    dem    untersten  Boden  des- 

selben  ist   eine   S-  formig   gebogene  Glasrohre     E  angebracht,    welelie    bei  einem 

gewissen  Stande  des  Essigs   denselben  in  ein  unterstehendes  Gefass  //abfliessen  lasst. 

Der  ganze  Bottich  ruht  auf  einer  45cm  hohcn  Holz-  oder  Mauerwerksunter- 

lage  del. 

Die  Dimensionen  des  Essigstanders  schwanken  in  der  Holic  zwischen 
0-8 — 6"m  ,  in  der  Brcite  von  0*8  -  2*5m  ;  in  der  Praxis  jedoch  hat  sich  eine  Holic 
von  2  —  2*5  und  eine  Breite  von  0.8 — l*5m  am  meisten  bewahrt.  Zu  grosse 
Bottiche  ergeben  einen  grossern  Abgang  von  Alkohol  durch  Verdunstung,  zu 
kleine  halten  sich  schwerer  auf  einer  gleichmassigen  Temperatur. 

Neue  Essigstander  werden  zuerst  niit  Fluss-  oder  weichem  Brunnenwasser 
ausgelaugt,  bis  dasselbe  geschmack-  und  farblos  ablauft,  hierauf  mit  den  trockenen 
Spanen  gefiillt  und  nun  mit  starkem  angewarmten  Essig  gut  durchtrankt.  Sind 
die  Bilder  so  vorbereitet,  so  erfolgt  das  Ansauern,  Einsauern  oder  Ansctzen,  indem 
man  Essig  von  der  zu  erzielenden  Starke  3 — 4mal  des  Tages  auf  den  Siebboden 
aufgiesst,  2 — 3  Tage  auf  den  Spanen  stehen  lasst  und  dies  so  lange  wiederholt, 
bis  der  ablaufende  Essig  dieselbe  Starke  wie  der  aufgegossene  hat^dies  wahrt  je 
nach  der  Grosse  der  Stander  8 — 14  Tage.  Nach  Pfund  benothigt  man  far  Bil- 
der von  lm  Durchmesser  und  2m  Fitllungshohe  bei  Anwendung  von  Buchenholz- 
spanen  3 — 6,  bei  Lindenholzkohle  8—12  Hektoliter  an  Ausauerungsessig. 

Das  Essiggut  besteht  aus  Branntwein  oder  Spiritus,  der  durch  Zusatz  von 
Wasser  auf  einen  Gehalt  von  6 — 7°/0  gebracht  wird  und  dem  man  l/i  oder  J/2 
Volum  an  Essig  zusetzen  kann.  Oefters  gewahlte  und  bewahrte  Zusammensetzungen 
sind  z.  B.  10  Liter  Branntwein  von  50%  Tr.7  60  Liter  Wasser,  20  Liter  Essig, 
oder  10  Liter  Alkohol  von  90%  Tr.,   120  Liter  Wasser,  30  Liter  Essig. 

Der  hiebei  verwendete  Essig  enthalt  6*25  —  6*5%  Essigsaurehydrat. 

Das  Auffitllen  des  Essiggutes  geschieht  alle  Stunden  mit  6—8  Liter,  die, 
am  Boden  angelangt,  zwar  schon  zum  grossten  Theile  in  Essig  verwandelt  sind, 
jedoch  noch  ein-  oder  mehreremal  aufgegossen  werden  mtissen,  um  die  vollstandige 
Oxydation  des  Alkohols  herbeizuftihren.  Man  vertheilt  diese  Arbeit  auch  auf  zwei 
oder  mehrere  Bottiche,  die  dann  zusammen  arbeiten;  der  erste  erhalt  dann  frisches 
Essiggut;  mit  10  Bottichen  kann  man  750  Liter  Essig  pr.  Tag  erzeugen. 

Statt  des  manche  Nachtheile  bietenden  periodischen  Aufgiessens  wendet  man 
haufig  automatisch  wirkende  Apparate  an,  von  denen  insbesondere  der  sog.  Schau- 
keltrog  oder  die  Wippe  gebraucblich  ist.  Derselbe  besteht  aus  einem  auf  seiner 
untern  Kante  ruhenden  dreiseitigen  Trog,  der  durch  eine  Langsscheidewand  in 
zwei  Halften  getheilt  ist;  das  Essiggut  fliesst  aus  einem  hoher  stehenden  Reser- 
voire  in  eine  der  Halften,  die,  wenn  sie  gefiillt,  den  Trog  zum  Umkippen  und 
dadurch  die  andere  Halfte  unter  das  Reservoir  bringt,  worauf  sich  das  Spiel  wie- 
derholt. Auch  kann  zur  Vertheilung  des  Essiggutes  als  feiner  Regen  iiber  das 
Fiillmateriale  die  in  den  englischen  und  schottischen  Brauereien  zum  Auslaugen  der 
Treber  verwendete  Modification  des  Segnerischen  Wasserrades  mit  Vortheil 
beniitzt  werden. 

Die  Temperatur  der  Essigstube  betragt  beim  Beginne  der  Fabrikation  38°  C, 
die  des  Essiggutes  50 — 52°  C. ;  bei  erreichtem  regelmassigen  Gang  erhalt  man 
die  Lufttemperatur  auf  21,  die  des  Essiggutes  auf  26 — 27°.  Im  Innern  des  Appa- 
rates  steigt  die  Temperatur  in  Folge  der  raschen  Oxydation  des  Aikohols  auf 
38 — 42°  C.  Zur  Erzeugung  von  starkerem  Essig  oder  Sprit  setzt  man  dem  Essig, 
nachdem  er  das  Fass  zweimal  passirt,  neuerlich  Alkohol  zu  und  wiederholt  dies 
eventuell  vier-  bis  fiinfmal  bis  zur  Erreichung  der  gewiinschten  Starke. 

Auf  die  Leistungsfahigkeit  des  Essigbilders  iiben  Einfluss:  die  Grosse 
desselben,  Art  und  Beschatfenheit  des  Fiillmaterials,  Zusammeusctzung  und  Ver- 
theilung des  Essiggutes,  die  Warme  in  der  Essigstube,  die  Ventilation  derselben 
und  wenn  auch  im  untergeordneten  Masse   Sonnenlicht  und    Ozongehalt    der  Luft. 

Statt  Hobelspanen  oder  Lindenkohle  wendet  Artus  (Dingl.  polyt. 
Journ.  186,    p.  158)    zur    schnelleren  Sauerung  und  Darstellung    eines  angenehm 


300 


Essig. 


loll. 


riechenden  Produktes  platinirte  Kolile  an,  die  er  durcli  Tranken  vou  1*5  Kilo 
Laselnussgrosser  Holzkohlenstiickchen  mit  einer  Losung  von  15  Gramm  Platin- 
cldorid  in  2*5  Liter  Alkohol  nnd  nachheriges  Gliihen  in  bedeckten  Tiegeln  darstellt. 
Der  bei  der  Schnellessigfabrikation  resultirende  Essig  ist  gewohnlich  milchig 
getriibt  nnd  lasst  sich  derart  reinigen,  dass  man  ihn  mehrere  Tage  lang  in  einem 
Bottich  mit  Holzkohle  oder  Holzspanen  anstellt,  und  nach  dem  Abziehen  wenn 
noting  durcli  Filzbeutel  filtrirt.  Nach  einem  in  England  ertheilten  Patente  wird 
Rohessig  gereinigt,  indem  man  denselben  in  Dampfform  durcli  geschmolzenes  Pa- 
raffin leitet,  welches  die  Verimreinigungen  aufnimmt.  (!) 

Der  bei  der  Schnellessigfabrikation  entstehende  Verlust  durch  Verdunsten 
von  Alkohol  kann  auf  etwa  6°/0  veranschlagt  werden. 

Singer  in  Berlin  will  durch  seinen  Essiggenerator  verschiedene 
Uebelstande  des  geschilderten  Verfahrens  beseitigt  wissen  und  hebt  als 
besondere      Vortheile      seines      Apparates      geringeren      Alkoholverlust,      Entfal- 

len  des  Fiillmaterials, 
einfache  Manipulation, 
voile  Sicherheit  des  Gan- 
ges und  Erzeugung  von 
Essig  in  jeder  Starke, 
hervor. 

Nach  Reimann 
(Dingl.  polyt.  Journ. 
190,  p.  314;  Deutsche 
Industriezeitung  1868, 
p.  513)  besteht  derselbe 
aus  einer  Anzahl  flacher 
holzerner  Gefasse,welche 
durch  holzerne  Rohren  so 
verbunden  sind,  dass  die 
Essigraischung  tropfen- 
weise  aus  einem  Gefass 
in  das  andere  rinnt  und 
dabei  die  Rohren  passirt; 
dieselben  sind  zur  Ver- 
grosserung  der  Ober- 
flache  der  durchlaufen- 
den  Fliissigkeit  im  Innern 
mit  horizontalen  Riefen 
versehen,  tragen  ausser- 
dem  in  der  Mitte  zwei 
Langsspalten,  durch  wel- 
che  die  Luft  freien  Zu- 
gang  hat;  diese  bewirkt 
in  den  Rohren  die  Oxy- 
dation  des  fein  vertheil- 
tenAlkohols  zuEssig,und 
da  das  Essiggut  eine 
grosse  Anzahl  dieser  Roh- 
ren wiederholt  durch- 
fliessen  muss,  wird  die 
Essigbildung  eine  sehr 
rasche  und  vollkommene. 
Der  Apparat  steht  in 
einem  eigens  construirten 
Gehause,  das  ihn  vor 
uud  heizbar  ist.  Fig.  1511  zeigt  den- 


Essiggenerator  von  Singer  (im  Durehschnitt). 
Abkiihlung  und  starkem  Luftzutritte   schiitzt 


Essig. 


301 


selben  im  Durchsclmitt,  Fig.  1512  die  einzelnen  Gefasse  unci  ihre  Verbindung  dtirch 
die  ROhren  in  grOsserem  Massstabe.  Der  Essiggenerator  bestebt  aus  fiinf  iiber- 
einander  befindlichen  Bottichen, 

deren  gleichmassige  Zwischen-  Fig.  1512. 

raume  durch  die  an  den  ein- 
zelnen Gefassen  angebrachten, 
verlangerten  Fassdauben  ge« 
wonnen  sind.  In  dem  Boden 
der  Gefasse  A  u.  A1  sind  37 
ROhren  axx.b  eingesetzt,  durch 
welche  dieselben  mit  den  Ge- 
fassen B  u.  Bt  in  Verbindung 
stehen;  letztere  tragen  im  Boden 
nur  32  ROhren,  welche  nach 
oben  das  Gefass  B  mit  A%  ver- 
binden,  nach  unten  aber  in  das 
Gefass  C  einmtinden.  Das 
oberste  Gefass  A  ist  mit  einem 
Deckel  geschlossen,  durch  wel- 
chen  der  Schlauch  g  aus  dem 
Reservoir  E  fur  das  Essiggut 
fiihrt ;  je  2  Gefasse  sind  aussen 
durch  zwei  KnierOhren  i,  die 
mitHahnen  verschliessbar  sind, 
verbunden.  Die  friiher  genann- 
ten  ROhren  sind  im  Innern  mit 
6  ringfOrmigen  Rillen  versehen, 
oberhalb  derselben  sind  4  Oeff- 
nungen  angebracht,  durch 
welche  das  Essiggut  einflies- 
sen  kann.  Die  ROhren  sind 
oben  geschlossen,  unten  offen  ; 
das  unterste  Gefass  C  hat  zwei 
Abflussrohre,  wovon  *7  am  Bo- 
den, k  3cm  hOher  angebracht 
ist.  Sammtliche  Gefasse  ruhen 

auf  dem  Beh alter  D,  der  zur       ^  -'-  ^  -     "   "-''■'  '  — : _ 

Aufnahme      der    Fliissigkeiten         iissiggenerator  von  Singer  (em  Theil  vergrossert). 
dient,  die  den  Apparatpassiren, 

und  eine  Oeffnung  q  besitzt,  welche  vermittelst  eines  Schlauches  vom  Rohre  J  mit 
dem  Gefasse  C  verbunden  wird.  Das  Wasserstandsglas  p  dient  zugleich  beim  Um- 
drehen  desselben  zum  Ablassen  der  Fliissigkeit  aus  D\  m  ist  eine  Klappe,  n  sind 
Schieber  zur  Regulirung  des  Luftzutrittes. 

Das  Essiggut  fliesst  aus  dem  Reservoir  E  durch  g  nach  dem  ersten  Gefasse 
A,  tritt  durch  die  TropfrOhren  der  Reihe  nach  in  alle  Bottiche,  gelangt  daselbst 
bei  grosser  Oberflache  mit  stets  neuen  Luftmengen  in  Beriihrung  und  sammelt 
sich  im  Gefasse  D  als  fertiger  Essig  an. 


zeitung  1870,  p.  276)  verOffentlicht  einige  ungiinstige  Urtheile  tiber  den  Singer'scheri 
Generator,  bezweifelt  die  rasche  Leistungsfahigkeit  und  hebt  hervor,  dass  einer 
Verdunstung  von  Alkohol  nicht  gesteuert  wird. 

Kurz  erwahnt  sei  noch  das  Verfahren  von  C.  Wiedemann    (Monit.  scientif. 

1872  Nro.  369  p.  733),  welcher  Alkohol  (Whisky)  durch  Vermittlung  von  Ozon 
in  Essigsaure    iiberfiihrt.     Mayer    und   v.  Knieriem    (Chemisches    Centralblatt 

1873  p.  666)  bestreiten  jedoch,  wie  bereits  erwahnt,  die  Fahigkeit  ozonisirter 
Luft,  Alkohol  ohne  Mitwirkung  des  Essigpilzes  in  Essigsaure  verwandeln  zu  kOnnen. 


302 

Knapp  beschreibt  ein  in  England  iibliches  Verfahren  der  Schnellessigfa- 
brikation, bei  welchem  die  Luft  mittelst  Pumpen  (doppelt  wirkendes  Baader'sches 
Glockengeblase)  durch  die  Essigbilder  gesogen  wird.  Die  aus  den  Pumpen  tretende 
Luft  passirt  ein  Gefass  mit  Wasser,  in  welchem  der  mitgefiikrte  Alkohol-  und 
Essigdampf  condensirt  wird  und  das  zum  Ansetzen  von  neuem  Essiggute  ver- 
wendet  wird.  Die  Bilder  sind  hiebei  ausnahmsweise  gross,  3"7m  hoch,  4 — 4#5m 
im  Durchmesser;  die  Flillung  derselben  geschieht  mit  gesagten  Holzklotzchen. 
Im  Verlaufe  des  Processes  tritt  eine  solche  Erwarmung  ein,  dass  die  Essig- 
stube  nicht  geheizt  werden  muss. 

Aromatische-  oder  Krauteressige  finden  vorzuglich als Tafelessige,  als 
cosmetische  Mittel,  zu  Raucherungen  etc.  Verwendimg.  Man  stellt  sie  entweder 
durch  directes  Aufgiessen  des  Essigs  und  Stehenlassen  mit  den  betreffenden 
Pflanzen  oder  Pflanzentheilen,  oder  durch  Destination  mit  denselben  unter  Zu- 
satz  von  Kochsalz  (zur  Erhohung  des  Siedepunktes),  oder  endlich  durch  Bei- 
mischung  von  alkoholischen  Losungen  atherischer  Oele  dar.  Die  am  meisten  in  Ver- 
wendung  kommenden  aromatischen  Substanzen  sind :  Esdragonkraut  und  Esdra- 
gonol  (s.  d.),  Schalotten,  Origanum,  Boretsch,  Sellerie,  Piment,  Pfeffer,  Rosen- 
blatter,  Orangenbliithen,  Serif,  Himbeeren  etc.  und  ftihren  die  erhaltenen  Pro- 
dukte  die  Namen  Esdragon-,  Himbeer-,  Senfessig  etc. 

Das  Farben  des  Essigs  hat  den  Zweck,  die  durch  die  Schnellessigfabrikation 
erhaltenen  farblosen  Produkte  dem  Wein-,  Malz-  oder  Getreideessig  ahnlich  zu 
machen  und  geschieht  dies  ausser  durch  Lagern  des  Essigs  auf  rohem  Weinstein, 
Rosinen  oder  Rosinenstielen,  durch  Farben  mit  braunem  Malz,  Zuckercouleur,  Mal- 
venblattern,  Heidelbeeren  etc. 

Im  Allgemeinen  sind  die  auf  dem  Wege  der  Schnellessigfabrikation  erzeugten 
Essige  von  wesentlich  weniger  angenehmen  Geschmack  und  Geruch  als  die 
nach  der  altern  Methode  erhaltenen,  was  wohl  daher  kommt,  dass  zu  erstern  de- 
stillirte,  zu  letztern  bloss  gegohrene  Fllissigkeiten  verwendet  werden.  Die  Ursache 
des  Geruches  und  Geschmackes  sind  verschiedene  Aetherarten  und  verwandte 
organische  Verbindungen.  Der  Gehalt  an  reiner  Essigsaure  betragt  bei  Weinessig, 
der  als  der  beste  geschatzt  wird,  6 — 8,  bei  Malz-  und  Bieressig  2 — 5,  bei  Brannt- 
weinessig  4 — 6,  bei  Sprit  12 — 14%;  das  spezische  Gewicht  varirt  von  1-01— 1*03. 
Die  sogenannten  Krankheiten  des  Essigs  entstehen  durch  Einwirkung  der  Luft 
auf  die  stickstoffhaltigen  Substanzen  desselben,  wobei  sicli  der  Essigkahm  oder 
Essigpilz  (Mycoderma  aceti),  die  Essigmutter  (Hydrocrocis  decti  oder  Ulvina  aceti) 
und  in  den  nach  der  altern  Methode  dargestellten  Essigen  die  Essigalchen  ( Vibrio 
aceti  oder  Anguilhda  aceti)  bilden,  welch  letzere  durch  Kochen  getodtet  werden 
konnen.  Ein  Essig,  der  noch  etwas  Alkohol  enthalt,  unterliegt  in  Folge  der 
langsamen  Neubildung  von  Essigsaure   nicht    so  leicht  dem  Verderben. 

Priifung  des  Essigs,  der  Essigsaure  und  der  essigsauren 
S  a  1  z  e.  Die  Bestimmung  des  Sauregehaltes  im  Essig  durch  das  Araeometer  gibt,  da 
der  Unterschied  im  spezifischen  Gewicht  bei  verschiedenem  Gehalte  an  Essig- 
saure ein  sehr  geringer  ist,  ausserdera  stets  andere  auf  das  spezifische  Gewicht 
Einrluss  nehmende  Substanzen  vorhanden  sind ,  nur  ungenaue  Resultate  und 
kann  hochstens  zur  Vergleichung  von  Essigen  derselben  Abstammung  (und  da 
nur  bei  Anwendung  sehr  genauer  Araeometer  und  Einhaltung  der  Normaltemperatur) 
verwendet  werden.  Ebenso  sind  die  in  friihern  Zeiten  gebrauchten  Methoden  heute 
vollig  unzureichend;  die  eine  derselben  bestand  darin,  dass  man  eine  gewisseMenge 
des  zu  untersuchenden  Essigs  mit  einem  gewogenen  Quantum  reinen  kohlensauren 
Kali's  neutral isirte,  den  nicht  verbrauchten  Rest  zurilckwog  und  aus  dem  Verbrauch 
die  Quantitat  reiner  Essigsaure  berechnete.  Die  andere  auf  ahnliche  Weise  und 
mit  einem  gewogenen  Stiicke  Marmor  vorgenommene  Probe  fiihrte  man  so  aus, 
dass  man  nach  dem  Aufhoren  der  Gasentwicklung  den  ungelosten  Marmor  reinigte, 
trocknete  und  aus  der  Gewichtsabnahme  [p  Thl.  kohlens.  Kalk  rr  6  Thl.  Essig- 
saurehydrat)    den  Sauregehalt  bestimmte. 

Um  den  Gehalt    eines  Essigs    moglichst   rasch   und    auch    im  Verlaufe    der 


Essig.  303 

Fabrikation  jederzeit   bestimraen  zu  konnen.    kann    man  sich  des  von    Otto  con- 
struirten  Acetometer's  (Essigprobers)  bedienen. 

Dasselbe  bestelit  aus  einer  graduirten,  unten  zugeschmolzenen,  30cm  langen, 
13mm  weiten  Glasrohre,  welche  von  unten  nach  oben  folgende  Eintheilung  besitzt : 
Die  erste  Marke  bezeichnet  den  Stand  von  lcbcm-  Wasser,  der  Abstand  bis  zurn 
zweiten  Theilstricli  fasst  10cbcm-,  der  Raura  tiber  dieser  Marke  ist  in  12  gleiche 
Theile  getheilt,  deren  jeder  2-07s,n  Ammoniakfliissigkeit  von  soldier  Starke 
(l-369°/0)  fasst,  dass  damit  gerade  0-18'm  Essigsaurehydrat  neutralisirt  wird.  Man 
bringt  nun  bis  zur  ersten  Marke  neutrale  Lakmustinktur,  bis  zur  zweiten  den  zu 
priifenden  Essig  (wodurch  die  Fliissigkeit  roth  wird),  und  setzt  vorsichtig  unter 
ofterm  Umschiitteln  so  lange  von  der  Ammoniakfliissigkeit  zu,  bis  die  blaue  Farbe 
eben  wieder  zum  Vorschein  kommt;  liest  man  nun  den  Stand  der  Fliissigkeit  ab, 
so  gibt  die  Zahl  direct  Procente,  repective  Bruchtheile  derselben  an  Essigsaure- 
hydrat an.  Bei  sehr  starkem  Essig  fiillt  man  nach  dem  Eingiessen  der  Lakmus- 
tinktur nur  bis  zur  Halfte  des  friiher  bezeichneten  Standes,  dann  mit  Wasser  bis 
zur  Marke  und  verdoppelt  nach  vollendeter  Probe  die  abgelesenen  Procente.  Man 
kann  auch  die  durch  ein  bestimmtes  Gewicht  Essig  aus  iiberschiissigem  kohlen- 
sauren  Natron  ausgetriebene  Kohlensauremenge  nach  Gewicht  oder  Volnm 
bestimmen  und  danach  die  Menge  der  Essigsaure  berechnen. 

Die  genauesten  Resultate  liefert  jedenfalls  die  Titrirmethode ;  zur  Ausfiihrung 
derselben  benothigt  man  einer  Normalsaure  und  einer  Normal  alkalilosung.  Als 
erstere  kann  am  besten  die  Oxalsaure,  welche  durch  wiederholtes  Umkrystal- 
lisiren  aus  der  kauflichen  dargestellt  wird,  verwendet  werden;  man  wagt  davon 
genau  63gm  ab,  lost  in  Wasser  und  verdiinnt  bei  gewdhnlicher  Tenperatur  (14°  R.) 
auf  1  Liter=  1000cbcm;  ferner  benothigt  man  einer  Normalalkalilb'sung  von  der 
lcbcm  genau  lcbcm  der  Normalsaure  neutralisirt.  Zur  Herstellung  derselben  ver- 
diinnt man  eine  reine  concentrirte  (von  1*04  spec.  Gew.)  Natronlauge  mit  Wasser,  um 
eine  der  Normalsaure  gleichwerthige  Natronlosung  zu  erhalten ;  man  misst  z.  B.  I0cbcm 
der  Normalsaurelosung  ab,  verdiinnt  mit  etwas  Wasser,  setzt  Lakmustinktur  zu  und  lasst 
aus  einer  Biirette  die  mit  der  noch  zu  concentrirten,  richtig  zu  stellenden  Lauge  gefiillt 
ist,  so  lange  von  dieser  zufliessen,  bis  der  Neutralisationspunkt  erreicht,  d.  h.  die  rothe 
Farbe  der  Fliissigkeit  eben  in  Blau  ilbergegangen  ist.  Gesetzt  den  Fall,  es  seien 
auf  obige  Menge  Oxalsaurelosung  nur  8cbcm  Lauge  verbraucht  worden,  so  miissen 
je  8cbcm  derselben  mit  2cbcm  Wasser  oder  800  cbcm  durch  Zusatz  von  200cbcm 
Wasser  auf  einen  Liter  verdiinnt  werden,  um  die  richtige  Concentration  der  Lauge 
zu  erhalten ;  durch  eine  neuerliche  Probe  kann  man  sich  von  der  Richtigkeit  der 
so  gestellten  Normallauge  iiberzeugen.  1  Liter  derselben  enthalt  nun  31gm  wasser 
freies  oder  4Cgm  Aetznatron  und  neutralisirt  51gm  wasserfreie  oder  60^m  wasser- 
haltige  Essigsaure. 

Zur  Priifung  eines  Essigs  oder  einer  Essigsaure  auf  ihren  Gehalt  kann  man 
entweder  ein  bestimmtes  Volum  oder  ein  bestimmtes  Gewicht  derselben  nehmen;  im 
ersteren  Falle  hat  man  das  Volumgewicht  mit  Beriicksichtigung  des  spezifischen 
Gewichtes  auf  das  absolute  Gewicht  zuriickzufiihren.  Man  titrirt  nun  nach  vor- 
herigem  Farben  mit  Lakmus  so  lange  mit  der  Normalnatronlosung,  bis  der  Ueber- 
gang  von  roth  in  blauviolett  stattfindet  und  berechnet  aus  der  Anzahl  der  verbrauch- 
ten  Cubikcentimeter  der  Natronlosung  den  Sauregehalt.  Hatte  man  z.  B.  I0ebcm 
eines  Essigs  vom  spezifischem  Gewichte  1-010  abgemessen  und  10-5cbcm  Natron- 
losung zur  Neutralisation  verbraucht,  so  ergibt  die  Rechnung:  10cbcm  vom  spez. 
Gewichte  1-010  sind  gleich  10-10§m  Essig;  da  nun  lcbcm  Normalalkali  0-051  wasser- 
freier  oder  0-06  wasserh.  Essigsaure  entspricht,  so  ergeben  die  verbrauchten 
10-5cbcm  Natronlosung  (10-5  X  0-051  oder  10-5  X  0-06)  ==  0-5355  wasserfreie 
oder  0-63  wasserhaltige  Essigsaure,  d.  h.  es  enthalten  also  10'lgm  Essig  0-5355 
resp.  0-63gm  Essigsaure,  was  in  Procenten  5-302  wasserfreier  oder  6-23  wasser- 
haltiger  Essigsaure  entspricht. 

Bezeichnet  allgemein  mit  C  die  Anzahl  der  Cubikcentimeter  Natronlauge,  die 
zur  Neutralisation  von  10cbcm  Essig  oder  Essigsaure  erforderlich  sind,  mits  das  spe- 


304  Essig. 

zifische  Gewicht    derselben,    so    wird    der    Gehalt  p    an  Essigsaurehydrat   in  Ge- 

Q 

wichtsprocenten  durch  die  allgemeine  Forniel    p  z~z  0*6  ausgedriickt. 

Wagt  man  genau  5*1,  resp.  6-0gm  Essig  oder  Essigsaure  zur  Probe  ab,  so 
gibt  die  Anzahl  der  verbraucbten  Cubikcentimeter  direct  den  Gehalt  an  Essig- 
sanre in  Procenten. 

Ein  ahnliches  acetometrisches  Verfahren  beschreibt  Pohl  (Dingl.  polyt. 
Journ.  163,  p.  365).  Man  misst  5cbcm  des  Essigs  ab,  versetzt  mit  einigen  Tropfen 
Lakmus,  titrirt  auf  bescbriebene  Weise,  bestimmt  ferner  mit  einem  genauen  Araeo- 
meter (welches  noch  Differenzen  von  0-005  anzeigt)  das  spezifische  Gewicht 
nnd  findet  dann  den  Essigsaurehalt    des  Essigs  ausgedriickt  in  Procenten  wasser  - 

freier  Essigsaure  nach  der  Forrmel:  p  —  ■■  '' '  .,*       ==   1-02  — =r—   wobei    C    die 

o  U  U 

Anzahl  der   verbraucbten    Cubikcentimeter  Natronlauge,  D  die    gefundene    Dichte 

(spez.  Gew.)  des  Essigs  bezeichnet.     Zur  raschen  Ermittlung  des  Prozentgehaltes 

hat  Pohl  Tabellen    ftir  die    verschiedenen  Dichten  des  Essigs  und    die  Zahl  der 

verbrauchten  Cubikcentimeter  Natronlosung  entworfen. 

Nach  Jaillard  (Journal  de  pharm.  et  de  chim.  (3)  46,  p.  419;  Zeitschrift 
ftir  analytische  Chemie  1865  p.  222;  Chem.  Centralblatt  1865  p.  768)  setzt  man 
zu  20cbcm  Normalnatron  oder  Kali  100cbcm  Wasser,  6  Tropfen  Lakmus  und  titrirt 
mit  Normalschwefelsaure;  andererseits  verdiinnt  man  20cbcm  Normalalkali  mit 
l90ebcm  Wasser,  farbt  mit  Lakmus  und  setzt  10cbcmdes  zu  untersuchenden  Essigs 
zu,  welche  naturlich  zur  Sattigung  des  Alkalis  nicht  hinreichen,  und  beendet  die- 
selbe  durch  Normalschwefelsaure;  die  Differenz  der  verbrauchten  Schwefelsaure- 
mengen  in  beiden  Fallen  gibt  die  gesuchte  Menge  an  Essigsaure. 

Bei  stark  gefarbten  Essigen  (Himbeeressig,  Holzessig)  verwendet  man  beim 
Titriren  zur  Erkennung  des  Neutralisationspunktes  gutes  Lakinuspapir,  auf  welches 
man  hie  und  da  einen  Tropfen  der  Fliissigkeit  bringt ;  bei  sehr  dunkel  gefarbtem 
Essig  ist  auch  diese  Methode  nicht  verlasslich,  und  kann  man  in  diesem  Falle 
eine  gewogene  Menge  desselben  mit  iiberschiissigem  reinem  kohlensauren  Baryt 
von  bekanntem  Gewicht  in  der  Warme  neutralisiren,  den  ungelosten  kohlens. 
Baryt  nach  dem  Auswaschen  mit  heissem  Wasser  und  Trocknen  entweder  zuriick- 
wagen  oder  die  Menge  desselben  durch  Titration  bestimmen,  urn  aus  der  Menge 
des  verbrauchten  kohlens.  Baryts  den  Sauregehalt  berechnen  zu  konnen. 

Auch  kann  die  Kieffer'sche  Methode,  die  sich  auf  Titration  mit  einer 
richtig  gestellten  Kupferoxydammoniaklosung  griindet,  mit  Erfolg  angewandt  werden. 

Die  Bestimmung  der  Essigsaure  in  essigsauren  Salzen  griindet  sich  auf  die 
Eigenschaft  derselben,  beim  Gliihen  in  kohlensaures  Salz  iiberzugehen  (essigsaure 
Salze  der  Alkalien  oder  alkalischen  Erden)  oder  Oxyde,  resp.  Metalle  zu  hinter- 
lassen.  Bei  erst  genannter  Gruppe  titrirt  man  das  erhaltene  kohlensaure  Salz  mit 
Normalsaure  und  beriicksichtigt  dabei,  dass  1  Moleklil  kohlensaures  Salz  aqui- 
valent  ist  2  Molekiilen  essigsauren  Salzes.  Nach  Fresenius  (Zeitschrift  fur 
analytische  Chemie  1866  p.  315)  kann  man  die  Essigsaure  in  essigsauren  Salzen 
(essigs.  Kalk)  durch  Destilliren  derselben  mit  Salzsaure  abscheiden  und  durch  Titration 
eines  Theiles  desgesammten  Destiliates  mit  Normalnatron  den  gesammten  Sauregehalt, 
durch  Titration  eines  andern  Theils  mittels  Silberlosung  die  mit  tibergegangene 
Chlorvasserstoffsaure  bestimmen,  und  durch  einfache  Rechnung  den  Essigsa'uregehalt 
finden.  Mit  Vortheil  lasst  sich  Phosphorsaure  bei  dieser  Methode  besonders  dann  anwen- 
den,wennneben  essigsaurem  Kalk  noch  Chlorcalcium  und  andere  Salze  vorhanden  sind. 

Fresenius  hat  in  neuester  Zeit  ein  einfaches  Yerfahren  zur  raschen  Analyse 
des  holzessigsauren  Kalkes  und  Bleies  veroffentlicht.  Naheres  hieriiber  s.  seine 
Originalarbeit  „ Zeitschrift  fiir  analytische  Chemie"  1874  p.  153;  1874  p.  30,  Dingl. 
polyt.  Journ.  213  p.  540;  Polytechn.  Centralblatt  1874  p.   1502. 

Der  Essig  und  die  Essigsaure  des  Handels  enthalten  oft  Verunreinigungen 
und  Beimengungen,    wie:    Schweflige  Saure,    Schwefelsaure,    schwefelsaure    Salze, 


Essig.  305 

Chlorwasserstoffsiiure,  Chlorverbindungen,  weinsaure  Salze,  Weinsaure,  Kalk-, 
Natron-  und  Metallsalze,  empyreumatische  Stoffe,  Gewurze,  Farbstoffe  etc. 

Schweflige  Saure  kann  bei  Abwesenheit  von  Schwefelsaure  nachgewiesen 
werden :  mit  Chlorbaryum,  nachdem  man  den  Essig  mit  Salpetersaure  oder  Chlor- 
wasser  erwarmt,  worauf  sich  durch  Bildnng  von  Schwefelsaure,  schwefelsaurer 
Baryt  als  weisser  in  Sauren  unloslicher  Niederschlag  abscheidet ;  oder  man  neu- 
tralisirt  bis  fast  znr  Sattigung  der  Essigsaure  mit  kohlensaurem  Natron,  f'iigt 
Zinkvitriol,  Nitroprussidnatrium  und  einige  Tropfen  Ferrocyankalium  zu,  wobei 
sich  die  Gegenwart  der  schwefligen  Saure  durch  Rothfarbung  der  Fliissigkeit  zu 
erkennen  gibt;  eine  Losung  von  Chamaeleon  (iibermangansaures  Kali)  wird  durch 
schweflige  Saure  enthaltenden  Essig  entfarbt ;  auch  tritt  bei  Anwesenheit  derselben 
die  blaue  Farbung  der  Jodstarke  nicht  auf  oder  verschwindet  bald  wieder.  1st 
neben  schwefliger  Saure  Schwefelsaure  vorhanden,  so  kann  erstere  in  dem  De- 
stillate  des  Essigs,  das  man  in  verdtinnte  Salpetersaure  leitet,  nach  dem  Erwarmen 
dieser  Fliissigkeit  durch  Chlorbaryum  nachgewiesen  werden. 

Entsteht  im  Essig  oder  der  Essigsaure  durch  Zusatz  von  Chlorbaryum  sofort 
ein  Niederschlag,  so  kann  derselbe  von  Schwefelsaure,  schwefelsauren  Salzen 
oder  von  beiden  zugleich  herriihren.  Freie  Schwefelsaure  kann  nach  Runge  er- 
kannt  werden,  wenn  man  etwas  Essig  mit  Zucker  in  einer  Porzellanschale  langsam 
zur  Trockene  eindampft,  wobei  der  Zucker  zersetzt  und  geschwarzt  wird.  Auch 
kann  man  etwas  Essig  mit  einigen  Kornchen  Starke  eine  Zeit  lang  kochen,  dann 
Jodtinktur  zusetzen ,  worauf  bei  Anwesenheit  von  Schwefelsaure  die  blaue 
Jodstarkefarbung  nicht  auftritt,  da  das  Starkemehl  in  Traubenzuker  verwandelt 
wurde. 

Salzsaure  oder  Chlormetalle  konnen  im  Destillate  des  Essigs  an  dem  weissen, 
kasigen,  in  Ammoniak  loslichen  Niederschlag  von  Chlorsilber  erkannt  werden,  wenn 
man  einige  Tropfen  salpetersaurer  Silberlosung  zusetzt. 

Weinsaure  kann  ermittelt  werden,  wenn  man  den  Riickstand  beim  Abdampfen 
des  Essigs  mit  Alkohol  auszieht  und  der  Losung  Chlorkalium  zusetzt,  wobei  bei 
Anwesenheit  von  Weinsaure  ein  weisser  krystallinischer  Niederschlag  von  saurem 
weinsaurem  Kali  entsteht. 

Dusart  (Travaux  de  la  soc.  d'emul.  pour  les  scienc.  pharm.  3 
pag.  174)  wendet  zur  AufFindung  von  Weinstein  im  Essig  ein  Verfahren 
an,  welches  sich  auf  die  Loslichkeit  von  weinsaurem  Eisenoxydkali  grlindet.  Setzt 
man  zur  Losung  des  Essigextractes  ein  wenig  Eisenchlorid  zu,  kocht,  versetzt  dann 
die  Fliissigkeit  mit  uberschussiger  Kalilauge,  filtrirt  und  leitet  SchwefelwasserstofT 
in  das  Filtrat,  so  fallt  bei  Gegenwart  von  weinsauren  Salzen  Schwefeleisen 
als  sehwarzer  Niederschlag  aus,  wahrend  bei  Abwesenheit  derselben  dies  nicht 
erfolgt,  da  alles  Eisen  durch   die  Kalilauge  ausgefallt  wurde. 

Um  das  Vorhandensein  von  Blei-  oder  Kupfersalzen  zu  erkennen,  kann  man 
den  im  Essig  durch  SchwefelwasserstofF  entstehenden  Niederschlag  von  Schwefel- 
blei,  resp.  Schwefelkupfer  benlitzen,  wahrend  die  Gegenwart  von  Eisen  an  dem 
durch  Ferrocyankalium  entstehenden  blauen  Niederschlag  von  Berlinerblau  nach- 
gewiesen werden  kann. 

Empyreumatische  Stoffe  konnen  nach  L  ightfoot(Chemic.  news.  1861  p.  290; 
Zeitschrift  fur  analytische  Chemie  1862  pag.  252 ;  Dingl.  polyt.  Journ.  165 
p.  240;  Polytechn.  Centralblatt  1862  p.  1392)  nach  geschehener  Neutralisation 
durch  Zusatz  einer  Losung  von  iibermangansaurem  Kali  erkannt  werden,  die  sich 
bei  Gegenwart  genannter  Stoffe  entfai'bt ;  Eisessig  (Acidum  aceticum  glaciale)  muss 
vorher  nach  Merk  fNeues  Jahrbuch  fur  Pharmacie  39  p.  l)  mit  seinem  gleichen 
Gewichte  Wasser  verdiinnt  werden, 

Der  Zusatz  von  Gewurzen  (Pfeffer,  Bertramwurzel,  Senf,  Seidelbast  etc.^ 
gibt  sich  nach  der  Neutralisation  einer  Partie  Essig  mit  kohlensaurem  Natron  an 
dem  auftretenden  charakteristischen  Geschmack  und  Geruch  der  betreffenden 
Pflanzenstoffe  zu  erkennen.  K.    Wet's. 

Karmarach  &  Hoeren,  Technisches  Worterbuch.  Bd.  III.  20 


306  Essigaelchen.  —  Essigsaure. 

Essigaelchen   (anguillida  aceti),  s.  Essig  III  pag.  302. 
Essigalkohol;  syn.  mit  Aceton,  s.  Essigsaure. 
Essigather,  s.  Essigsau-reather. 

Essigbilder,  Essigbildner,  Essigstander,  s.  Essig  III  pag  298. 
Essigbiume,  syn.  mit  Essigpilz,  s.  Essig  III  pag.  295. 

EssigCOllleur,  syn.  mit  Zuckercouleur,  s.  Caramel  II  pag.  253,  vgl. 

Zucker. 

Essigge'lSt,  syn.  m.  Aceton,  s.  Essigsaure. 

Essiggenerator,  syn.  m.  Essigbilder,  s.  Essig  III  pag.  300. 

Essiggut,  s.  Essig,  III  pag.  298. 

Essigkahm,  s.  Essig  III  pag.  302. 

Essigmutter,  s.  Essig  III  pag.  302. 

Essigpilz,  Essigbiume,  s.  Essig  III  pag.  294. 

Essigprober,  Ace  to  meter,  s.  Essig,  III  pag.  303. 

Essigsaure  (acide  acetique  —  acetic  acid).  CoHi0o,  Acetylsaure 
oder  Acetoxylhydrat    C,,H3O.OH;    Metbylcarbonsaure  CH3.  CO.  OH. 

Die  Essigsaure,  in  ihren  Eigenschaften  der  Ameisensaure  nabe  verwandt, 
bildet  das  kohlenstoffreicbere  zweite  Glied  der  sogenannten  Fettsaurereihe  und 
unterscbeidet  sicb  von  ersterer  durcli  einen  Mebrgebalt  von  CH„. 

In  der  Form  der  verdiinnten  Essigsaure  ist  dieselbe  scbon  seit  den  altesten 
Zeiten  bekannt;  Basilius  Valentius  (im  15.  Jabrbunderte)  lebrte  eine  concentrirte 
Siiure  (den  sog.  Kupferspiritus)  dnrch  Destination  des  Griinspans  erzeugen;  er 
war  es  audi,  der  ganz  richtig  erkannte,  dass  bei  der  Destination  des  Essigs 
die  ersten  Antheile  schwacber,  saurearmer  sind  als  die  nachfolgenden.  Jedoch 
erst  1793  gelang  es  Wertendorf  und  Lowitz,  die  krystallisirte  Essigsaure 
rein  darzustellen. 

Die  Essigsaure  findet  sicb  in  sebr  geringen  Mengen  theils  frei  (in  Hollunder- 
beeren  und  Tamarindenfritcbten),  theils  gebunden  an  Alkalien  und  alkalische 
Erden  im  Safte  vieler  Pflanzen ;  sie  bildet  einen  integrirenden  Bestandtheil  des 
Sclnveisses,  der  Fleischfliissigkeit  der  Saugethiere,  des  Magensaftes  und  anderer 
Fliissigkeiten  des  tbieriscben  Organismus;  in  der  Milch,  der  Leber,  im  Harn  und 
im  Mineralwasser  von  Briickenau  ist  sie  aufgefunden  worden. 

Sebr  mannigfacb  sind  die  Bildungsweisen  der  Essigsaure.  Eine  grosse  Reibe 
stickstofffreier  organiscber  Verbindungen  (Holz,  Torf,  Braunkolde,  Cellulose,  Starke, 
Gummi,  Zucker  etc.)  geben,  bei  Luftabscbluss  erbitzt,  unter  Abscbeidung  eines 
koblenstottVeicben  Riickstandes,  ein  Destillat,  welcbes  stets  Essigsaure  enthalt. 
Dieselbe  bildet  sicb  ferner  beim  Keimen  von  Samen  (bes.  Bobnen),  bei  der  Faulniss 
diverser  organiscber  Stofte  (Casein,  Fibrin,  Albumin),  bei  der  Einwirkung  von 
Braunstein  und  Scbwefelsaure,  Cbromsaure,  Uebermangansaure  oder  Salpetersaure 
auf  Albumin,  Casein^  Fibrin,  Oelsaure,  Terpentinol  etc.,  uberbaupt  von  Oxydations- 
mitteln  auf  allc  sog.  Fettkorper,  beim  Scbmelzen  von,  Kalibydrat  mit  Aepfelsaure, 
Weinsaure,  Citronensaure,  Milcbsaure,  Starke,  Zucker  etc. 

Wird  verdiinnter  Alkohol  oder  eine  alkoholhaltige  Fliissigkeit  (Bier,  Wein, 
vergohrener  Riibensaft  etc.)  bei  geeigneter  Temperatur  und  Anwesenbeit  stickstoff- 
baltiger    Korper  ^Fermente)    dem  Zutritte  der  Luft    ausgesetzt,    so    ilbergebt    der 


EssigsJCure.  .'10  7 

Alkohol  in  Essigsaure;  dieselbe  Umwandlung  erleidet  der  Alkoholdampf  in  Beriih- 

rung  mit  Platinschwamm  und  Sauerstoff  oder  atmospharischer  Luft  (D  6b  er  einer): 

C„HR0    +    0    =    a,H4o    -j-    H,,0 

Alkohol  Sauerstoff  Aldehyd  Wasser 

Ci&tO     +     0     =     CJijX 

Aldehyd  Sauerstoff  Es<igsaure 

Auf  synthetischem  Wege  kann  Essigsaure  gebildet  werden  durch  Einwirkung 
von  Kali-  oder  Natronlauge  auf  Methylcyaniir : 

CH:iCN    -f     HqO    +     NaOH    ==     CHs€O.ONa    -j-     NH3    ' 

Methylcyaniir  Wasser        Natriumhydroxyd  Essigs.  Natron  Ammoniiik 

Methylnatrium  geht  durch  Absorbtion  von  Kohlensaure  direct  in  essigsaures 
Natron  iiber  (Wanklyn,  Ann.  der  Chem.  und  Pliarm.  Ill  pag.  234): 
CH.,Na     -f     CO,     =     CHz.CO.OISa 

Methylnatrium        Kohlensaure  essigs.  Natron 

Kaliummethylalkoholat  durcli  Einwirkung  von  Kohlenoxyd  in  essigsaures 
Kali  (Berth elot):  CH3OK      -f       CO       =       CH:i.CO.OK 

Kaliummethylalkoholat     Kohlenoxyd  ess;gs.  Kali 

Direct  aus  Essig  lasst  sich  die  Essigsaure  nicht  mit  Vortheil  gewinnen,  da 
bei  der  Destination  desselben  in  Folge  des  ziemlich  hohen  Siedepunctes  (118°  C.) 
der  reinen  Saure  die  ersten  Antlieile  immer  wasserreicher  und  saurearmer  sind, 
als  das  Rohmateriale  selbst;  wird  die  Destination  zu  weit  getrieben,  so  findet 
sehr  leicht  eine  Zersetzung  der  fremden  Bestandtheile  des  Essigs  in  der  Destillir- 
blase  und  hiemit  eine  Verunreinigung  des  Destillates  selbst  statt.  Die  Destination 
wird  in  kupfernen  Destillirblasen  vorgenommen ;  bandelt  es  sich  hiebei  um  vollige 
Reinheit  der  zu  erzeugenden  Saure,  so  miissen  Helm  und  Kiihlrohren  aus  Silber 
oder  versilbertem  Kupfer  bestehen. 

Immer  erhalt  man  nacli  diesem  Verfahren  eine  fur  die  meisten  Zwecke  zu 
schwache  Essigsaure  und  muss  zur  Darstellung  einer  concentrirten  Saure  von  der 
Zersetzung  essigsaurer  Salze  durch  Mineralsauren  ausgegangen  werden.  Die  liiezu  am 
geeignetsten  Salze  sind  die  Acetate  des  Natriums,  Calciums,  Baryums  und  Blei's, 
von  welchen  jedoch  zur  Darstellung  im  Grossen  fast  ausschliesslich  nur  die  beiden 
ersteren  verwenclet  werden.     Das  Nahere  hierttber  siehe  Artikel  „Holzessig." 

Zur  Darstellung  des  reinen  Essigsaurehydrates  kann  der  Bleizucker  des 
Handels  verwendet  werden ;  man  befreit  denselben  durch  Schmelzen  in  einer 
flachen  Schale  von  seinem  Krystallwasser,  steigert  sodann  die  Temperatur  bis 
eine  vollkommen  trockene,  staubige  Salzmasse  erhalten  wird ;  von  diesem  Salze 
werden  in  einer  tubulirten  Retorte  320  Theile  (1  Mol.)  mit  98  Theilen  (1  Mol.) 
concentrirter  Schwefelsaure  unter  Abkiihlung  gemischt,  langere  Zeit,  bis  alles  Salz 
von  der  Schwefelsaure  durchdrungen  ist,  stehen  gelassen  und  sodann  die  gebildete 
Essigsaure  vom  Bleisulfat  durch  vorsichtige  Destination  im  Sandbade  getrennt. 
Da  sich  das  Bleisulfat  leicht  sehr  fest  an  dem  Boden  der  Retorte  ansetzt,  die  ab- 
destillirte  Saure  iiberdies  leicht  durch  schweflige  Saure  verunreinigt  wird,  ver- 
wendet man  statt  Schwefelsaure  satires  schwefelsaures  Kali  oder  Natron  und  er- 
halt dann  im  Riickstande  ein  Gemenge  von  Bleisulfat  und  neutralem  Kalium-  oder 
oder  Natrium sulfat,  welches  sich  leicht  aus  der  Retorte  entfernen  lasst. 

Statt  Bleiacetat  kann  mit  Vortheil  Natriumacetat  verwendet  werden.  Der 
hiebei  stattfindende  Vorgang  kann  durch  folgende  Gleicliung  ausgedriickt  werden: 
CvH^O.ONa     +     SO.ff^     —     C^H.^O.OH    +      NaHSO, 

Natriumacetat  Schwefelsaure  Essigsaure  Natriumbisulfat 

Zur  Zersetzung  von  1  Molek.  oder  82  Theilen  wasserfreien  essigs.  Natrons 
ist  1  Molek.  oder  98  Theile  Schwefelsaure  erforderlich ;  das  zu  verwendende 
krystallisirte  Natriumacetat  {CtlH30.  ONa  -f-  2>H„0)  wird  durch  Umkrystallisiren 
von  seinem  Chlornatriumgehalte,  durch  zweimaliges  Schmelzen  (bei  ca.  240°  C) 
von  seinem  Krystallwasser  befreit.  Man  bringt  nun  5  Theile  des  fein  gepulverten 
Salzes  in  eine  Retorte,  fiigt  6  Theile  der  concentrirten  Schwefelsaure  zu,  sorgt 
durch    kraftiges  Umschwenken    fur    sorgfaltige  Mischung  beider,  setzt  sogleich  die 

20* 


308  Essigsaure. 

Vorlage  an  und  unterstiitzt  die  sofort  beginnende  Destination  durch  schwaches 
Erwarrnen;  man  erhalt  flir  je  1  Mol.  des  verwendeten  Natronsalzes  1  Mol.  oder 
60  Gewichtstheile  Essigsaure. 

Nach  Mel  sens  kann  Essigsaure  in  der  Form  des  rein  en  Hydrates  erhalten 
werden  durch  Zerlegung  des  sog.  sauren  essigsauren  Kali's,  welches  Salz  sich  bei 
300°  C.  in  neutrales  essigsaures  Kali  einerseits  und  Essigsaurehydrat  andrerseits 
spaltet:       C^O.OKa.C^H^       —       CaH30.0Ka       +       C2#402 

saures  essigsaures  Kali  neutr.  essigsaures  Kali  Essigsaure 

Eine  reine,  aber  verdiinnte  Essigsaure,  der  sog.  concentrirte  Essig? 
Acetum  concentratum,  Acid  urn  acetic  um  dilutum  der  Pharmakopben 
(spec.  Grew.  1-040),  wird  erhalten  durch  Destination  von  krystallisirtem  essig- 
saurem  Natron  mit  wasserhaltiger  Schwefelsaure. 

In  den  meisten  Fallen  ist  jedoch  die  erhaltene  Essigsaure  nicht  ganz  rein,  sie 
enthalt  Spuren  von  schwefliger  Saure,  entstanden  durch  Einwirkung  von  Schwefel- 
saure auf  Essigsaure;  um  sie  von  diesem  Gehalte  zu  befreien,  kann  dieselbe  mit 
oxydirend  wirkenden  Substanzen,  wie  doppelt  chromsaurem  Kali,  Braunstein  oder 
Bleisuperoxyd  der  Rectification  unterworfen  werden. 

Nach  Buchholz  soil  eine,  von  schwefliger  Saure  vollkommen  freie  Essig- 
saure durch  einmalige  Destination  erhalten  werden,  wenn  man  dem  Gemisch  von 
Bleizucker  und  Schwefelsaure  gleich  von  vornherein  die  erforderliche  Menge 
Braunstein  zusetzt. 

Die  reine  Essigsaure  ist  eine  farblose  Fliissigkeit  von  scharfem,  stechendem, 
zu  Thranen  reizendem  Geruch,  saurem  Geschmack,  bei  gewbhnlicher  Temperatur 
merklich  fliichtig;  auf  die  Haut  gebracht,  wirkt  sie  atzeud  und  erzeugt  schmerz- 
hafte  Brandblasen ;  reagirt  nicht  auf  trockenes,  wohl  aber  auf  feuchtes  Lacmus- 
papier.  Ganz  concentrirte  Essigsaure  raucht  schwach  an  der  Luft,  zieht  leicht 
Feuchtigkeit  aus  derselben  an;  erstarrt  bei  -4-  17°  C. zu  durchsichtigen  glanzenden 
Tafeln,  die  iiber  17°  wieder  schmelzen.  Man  nennt  nach  dieser  Eigenschaft  die 
concentrirteste  Saure  Eisessig,  Radicalessig  (Acidum  aceticum  glaciale) ;  ein 
sehr  geringer  Wassergehalt  bewirkt  eine  betrachtliche  Erniedrigung  des  Erstarrungs- 
punktes,  so  dass  sich  nach  F.  Rudorff*)  in  concentrirter  Saure  0-1  °/0  Wasser 
mit  Sicherheit  nachweisen  lasst.  Die  Erniedrigung  des  Erstarrungspunktes  ist  dem 
Wassergehalt  keineswegs  proportional,  dieselbe  sinkt  vielmehr  langsamer,  als  der 
Wassergehalt  zunimmt.  So  z.  B.  ist  der  Erstarrungspunkt  der  reinen  cone.  Saure 
nach  Rudorff  bei  -f-  16-7°  ft,  der  eines  Gemisches  von  100  Th.  Saure  mit 
10  Th.  Wasser  bei  -j-  4-3°  C,  von  100  Th.  Saure  mit  24  Th.  Wasser  bei  — 
7-4°  C.  gelegen. 

Das  specifische  Gewicht  der  festen  Saure  ist  1*10  bei  8-5°  C.  (Persoz),  das 
der  fliissigen  1-0635  bei  16°  C  Mischt  man  Essigsaure  mit  Wasser,,  so  nimmt 
das  specifische  Gewicht  derselben  unter  Erwarmung  zu,  erreicht  bei  1-0735  (77 — 
80°/0  Saure  entsprechend)  das  Maximum  der  Dichte  und  nimmt  dann  allmalig 
wieder  ab,  so  dass  eine  Fliissigkeit,  die  54  °/0  Saure  enthalt,  dasselbe  specifische 
Gewicht  zeigt,  wie  die  reine  Saure. 

Der  Siedepunkt  liegt  bei  118°  C,  nach  Rii  do rff  bei  117-8°  C  ;  ihrDampfist 
mit  blauer  Farbe  zu  CO„  und H„0  verbrennbar;  Dampfdichte=r 2-09.  Mit  Wasser, 
Alkohol  und  Aether  ist  sie  in  jedem  Verhaltnisse  mischbar.  Sie  lost  viele 
organische  Korper,  Campfer,  Harze,  Schiessbaumwolle,  Albumin,  Fibrin,  atherische 
Oele,  von  welchen  letzteren  das  Citronenbl  am  schwersten  loslich  ist  und 
ein  Kennzeichen  fiir  die  hochste  Concentration  abgibt,  indem  es  aufhort  loslich 
zu  sein.  wenn  die  Saure  mehr  als  2°/0  Wasser  enthalt.  Die  deutsche  Phar- 
makopbe  schreibt  eine  Essigsaure  vor,  von  der  10  Theile  1  Theil  Citronenbl 
zu  Ibsen  vermbgen  (1.04  spec.  Gew.). 


f)  F.  Rudorff,  Poggend.  Annal.  140.  pag.  415;  Berichte  der  deutsch.  chem.  Gesellsch. 
1870,  pag.  390.  Dingl.  polyt.  Journ.  196,  pag.  545;  Chem.  Centralblatt  1870, 
pag.  320;  Deutsche  Industrie-Ztg    1870,  pag.  430. 


Essigsaure. 


309 


Den  Zusanimenhang    zwischen  Sauregehalt 
folgende  Tabelle  (nach  M  o  h  r)  : 


und   specifischem  Gewicht    zeigt 


Essigsaure 

c&ot 

Spec. 

Essigsaure 

Spec. 

Essigsaure 
C'2H402 

Spec. 

Essigsaure 

:   c;//4o2 

Spec. 

Proc. 

Gewicht 

Proc. 

Gewicht 

Proc. 

Gewicht 

Proc. 

Gewicht 

100 

1-0635 

74 

1-072 

48 

1-058 

22 

1-031 

99 

1-0655 

73 

1-072 

47 

1-056 

21 

1-029 

98 

1-0670 

72 

1-071 

46 

1-055 

20 

1-02  7 

97 

1-0680 

71 

1-071 

45 

1-055 

19 

1-026 

96 

1-0690 

70 

1-070 

44 

1-054 

18 

1-025 

95 

1-0700 

69 

1-070 

43 

1-053 

17 

1-024 

94 

1-0706 

68 

1-070 

42 

1-052 

16 

1-023 

93 

1-0708 

67 

1-069 

41 

1-051 

15 

1-022 

92 

1-0716 

66 

1-069 

40 

1-051 

14 

1-020 

91 

1-0721 

65 

1-068 

39 

1-050 

13 

1-018 

90 

1-0730 

64 

1-068 

38 

1-049 

12 

1-017 

89 

1-0730 

63 

1-068 

37 

1-048 

11 

1-016 

88 

1-0730 

62 

1-067 

36 

1-047 

10 

1-015 

87 

1-0730 

61 

1-067 

35 

1-046 

9 

1-013 

86 

1-0730 

60 

1-067 

34 

1-045 

8 

1-012 

85 

1-0730 

59 

1-066 

33 

1-044 

7 

1-010 

84 

1-0730 

58 

1-066 

32 

1-042 

6 

1-008 

83 

1-0730 

57 

1-065 

31 

1-041 

5 

1-007 

82 

1-0730 

56 

1-064 

30 

1-040 

4 

1-005 

81 

1-0732 

55 

1-064 

29 

1-039 

3 

1-004 

80 

1-0735 

54 

1-063 

28 

1-038 

2 

1-002 

79 

1-0735 

53 

1-063 

27 

1-036 

1 

1-001 

78 

1-0732 

52 

1-062 

26 

1-035 

77 

1-0732 

51 

1-061 

25 

1-034 

76 

1-0730 

50 

1-060 

24 

1-033 

75 

1-0720 

49 

1-059 

23 

1-032 

Die  Essigsaure  findet  vielseitige  Verwendung,  so  in  der  Farberei  zur  Dar- 
stellung  der  Beizen,  als  Losungsmittel  fiir  Farbstoffe,  Harze,  zur  Bereitung  von 
Anilinfarben,  in  grosster  Menge  zur  Darstellung  der  essigsauren  Salze;  in  der 
Medizin  als  belebendes  Wasch-  und  Riechmittel  (sog.  Riechessig,  ein  Gemisch  von 
Essigsaure  und  atherischen  Oelen),  im  concentrirten  Zustande  als  Aetzmittel;  der 
Eisessig  in  der  Photographie. 

Das  sog.  Essigsaureanhydrid  (anhydride  acetique  —  acetic  anhydride) 
C4H003  (zuerst  von  Gerhard  1852  dargestellt)  wird  erhalten  durch  Einwir- 
kung  von  Chloracetyl  oder  Phosphoroxychlorid  auf  essigsaures  Kali  als  wasser- 
helle  leicbt  bewegliche  Flussigkeit,  welche  in  Wasser  in  olartigen  Tropfen  unter- 
sinkt,  allmalig  Wasser  aufnimmt  und  sich  in  2  Mol.  Essigsaure  spaltet.  Spec. 
Gew.  rr  1-095,  Siedepuukt  138°  0. 

Die  Essigsaure  ist  sowohl  als  Hydrat,  wie  auch  im  wasserfreien  Zustande 
bekannt.  Das  Hydrat,  der  empirischen  Forniel  CoHi0gi  entsprechend,  enthalt  in 
100  Theilen:  C  =:     40-00  °/0" 

H  —       6-67  % 
O  —     53-33   % 
100-00 

Nach  der  alteren  Anschauung  als  Verbindung  der  wasserfreien  Essigsaure 
mit  Wasser  {C^H^O^.  HO)  betrachtet,  leitet  sich  dieselbe  vom  einfachen  Wassertypus 


310 

TT. 

tt\  0    durch    Vertretung    eines    Wasserstoffs    durch    das    Radical   Acetyl    C2  H3  0 
(fiir  C  —  12,  0  —  16)  ab; 

h\u  h\u 

Typus  Wasser  Essigsaure 

aus  dem  Acetyl  selbst  durch  Anlagerung  einer  Hydroxylgruppe  HO  (Wasserrest) 
an  die  freie  Affinitat  derselben  (daber  ihr  Name  Acetylsaure  oder  Acetoxylhydrat) 

C  =  H  C  =  H3 

I  I 

C  —  frei  C  —  OH 

I  I 

0  0 

Acetyl       Acetylsaure  oder  Es-igsairfe. 

In  gewisser  Hinsicht  kann  die  Essigsaure  auch  als  Abkommling  der  Kohlen- 
saure angeseben  werden  (daher  auch  Methylcarbonsaure). 

Ohne  den  Charakter  der  Essigsaure  wesentlich  zn  andern,  konnen  sammtliche 
Wasserstoffatome  der  Metbylgruppe  durch  Chlor  oder  andere  einwertige  Elemente, 
der  Wasserstoff  der  Hydroxylgruppe  durch  einwertige  Metalle,  Radicale  (Methyl, 
Aethyl,  Amyl  etc.)  oder  Chlor  vertreten  werden. 

Die  Essigsaure  ist  durch  Hitze  nur  schwierig  zersetzbar;  leitet  man  Essig- 
sauredampf  durch  ein  gliihendes  Porzellanrohr,  welches  mit  Bimsteinstiicken  gefiillt 
ist,  so  findet  theilweise  Zersetzung  derselben  statt;  unter  den  Zersetzungsproducten 
treten  neben  Kohlensaure  noch  Sumpfgas,  Aceton,  Benzol,  Naphtalin  und  Phenol 
auf  (Berthelot). 

Salpetersaure,  selbst  concentrirte,  wirkt  weder  in  der  Kalte  noch  beim 
Erhitzen  auf  Essigsaure  ein ;  ebenso  wird  sie  von  Uebermaugansaure  nur  schwer 
verandert ,  dagegen  von  Ueberjodsaure  in  Ameisensaure  und  Kohlensaure 
zerlegt. 

Wird  Essigsaure  mit  concentrirter  Schwefelsaure  erwarmt,  so  wird  erstere 
theilweise  zersetzt ;  das  Gemenge  fa'rbt  sich  braun  bis  schwarz  unter  Entwicklung 
von  Schwefligsaure-  und  Kohlensaureanhydrid.  Erwarmt  man  wasserfreie  Schwefel- 
saure mit  krystallisirbarer  Essigsaure  langere  Zeit  auf  75°  C,  so  bildet  sich  eine 
Doppelsaure,  die  Essigschwefelsaure  oder  Sulfo  essigsaure. 

Durch  Einwirkung  von  Chlorgas  auf  erwarmte  reine  Essigsaure  konnen  je 
nach  der  Dauer  der  Einwirkung  ein,  zwei  oder  drei  Wasserstoffatome  durch  Chlor 
vertreten  werden ;  es  entstehen  auf  diese  Weise  die  Mono-,  Di-  und  Trichloressig- 
saure,  von  welchen  die  beiden  letzteren  medicinische  Verwendnng  finden. 

Die  D  i  c  h  1  o  r  e  s  s  i  g  s  it  u  r  e  C^Cl^z^CHClyCO.OH,  eine  farblose  Fliissig- 
keit  von  1-52  spec.  Gew.  und  195°  Siedepunkt,  hat  sich  nach  A.  Urner*)  als 
ein  ganz  ausgezeichnetes  Aetzmittel  bewahrt. 

Die  T  r  i  c h  1  o  r  e  s  s  i  g  s  a  u  r  e**)  QC/;5  HO„=C C13C0.0H,  welche  durch  Ein- 
Avirkung  von  tiberschiissigem  Chlor  auf  concentrirte  Essigsaure  bei  gleichzeitiger 
Gegenwart  von  Licht  leicht  erhalten  werden  kann,  bildet  in  Wasser  und  Alkohol 
leicht  losliche,  an  der  Luft  zerfliessliche,  rhomboedrische  Krystalle,  deren  Schmelz- 
punkt  bei  45°  C.  liegt.  Die  Anwendung  in  der  Medizin  beruht  auf  der  Eigen- 
schaft,  durch  Einwirkung  von  Alkalien  in  gelinder  Warme  Chloroform  abzugeben 
und  kann  sie  statt  Chloralhydrat  da  angewendet  werden,  wo  man  dieWirkung  der 
Ameisensaure  vermeiden  will ;  die  Wirkur.g  der  Trichloressigsaure  als  Anastheticum 
steht  jedocli  der  des  Chloralhydrates  wesentlich  nach. 

Die  Essigsaure  ist  eine  einbasische  Saure,  d.  h.  sie  enthalt  nur  ein  durch 
Metallatome  vertretbares  Wasserstoffatom ;    die  allgemeine  Formel  der  essigsauren 


*)  A.  Urner,    Polvtechn.  Notizblatt  1868,    pag.  239.     Polytechn.  Centralblatt  1868,    pag. 

1344. 
**)  Schering,  Mittheil.  a.  d.  chem.  Fabrik  1873  Nr.  5,  pag.  4.  Cbem.  Centralblatt  1873, 
pag.  272. 


Essigsaure.  —  Essigsaureather.  311 

f1  Tf         C) 
Salze  ist  daher  (72J?3if'02  fur  einwertige,  und  n  jf  M" r~  fur    zweiwertige  Metalle. 

Ausser  den  neutralen  Salzen  bildet  die  Essigsaure  auch  basische  und  saure 
Salze.  Die  basischen  konnen  betrachtet  werden  als  Verbindungen  neutralcr 
Acetate  mit  Oxyden  oder  Oxydhydraten,  die  sauren  als  neutrale,  verbunden  init 
Essigsaurehydrat. 

Die  neutralen  essigsauren  Salze  sind  meist  krystallisirbar,  fast  immer 
farblos,  grosstentheils  in  Wasser  und  Alkobol  sehr  leicbt  loslich ;  scbwer  loslich 
sind  nur  das  Silber-  und  Quecksilberoxydulsalz.  Die  essigsauren  Salze  konnen 
theils  dureh  Auflosen  der  basisclien  Hydrate,  Oxyde  oder  Carbonate  in  Essigsaure, 
theils  durch  doppelte  Zersetzung  erbalten  werden. 

Die  wasserigen  Losungen  mancber  Acetate,  besonders  jene  des  Blei-  und 
Kupfersalzes  verlieren  beim  Kochen  etwas  Essigsaure,  das  Ammonsalz  bingegen 
Amnion.  Im  trockenen  Zustande  erhitzt  zersetzen  sie  sicb  sammtlicb,  u.  z.  unter 
Bildung  von  Essigsaure,  Sump%as,  Aceton  und  Zuriicklassung  von  Metall,  Oxyd 
oder  Carbonat,  gemengt  mit  Kohle. 

Die  essigsauren  Salze  geben,  mit  verdiinnter  Schwefelsaure  erhitzt,  freie 
Essigsaure,  die  an  ibrem  stechenden  Geruche,  mit  concentrirter  Schwefelsaure  und 
Alkobol  erwarmt,  Essigather,  der  an  seinem  angenehmen,  erfriscbenden  Geruche 
zu  erkennen  ist.  Destillirt  man  ein  essigsaures  Salz  mit  verdiinnter  Schwefel- 
saure und  digerirt  das  Destillat  mit  iiberscbiissigem  Bleioxyd,  so  erhalt  man  eine 
alkaliscb  reagirende  Losung  von  basischem  Bleiacetat  (Bleiessig).  Eisencblorid 
gibt  mit  der  Losung  eines  neutralen  essigsauren  Salzes  eine  rotbe  Farbung  von 
Eisenacetat;  freie  Essigsaure  zeigt  diese  Reaction  nicht.  Salpetersaures  Silber 
erzeugt  in  den  Losungen  der  neutralen  Acetate  einen  weissen  krystalliniscben,  in 
beissem  Wasser  loslichen  Niederschlag  von  Silberacetat.  Salpetersaures  Queck- 
silberoxydul  einen  weissen,  krystalliniscben  Niederschlag  von  Quecksilberacetat, 
der  durch  siedendes  Wasser  unter  Abscbeidung  von  metalliscbem  Quecksilber 
zersetzt  wird. 

Wird  ein  essigsaures  Salz  mit  arseniger  Saure  unter  Luftabschluss  erhitzt, 
so  bildet  sich  Kakodyloxyd  oder  Alkarsin  (As[C'H3] 40),  dessen  Gegenwart 
an  dem  durchdringenden  penetranten,  sehr  charakteristischen  Geruche  erkannt 
wird.  Dieses  Verhalten  kann  verwendet  werden,  um  die  geringsten  Spuren 
Essigsaure  nachzuweisen. 

Essigsaureather  (ether  acetique  —  acetic  ether).  Die  Essigsaure  bildet, 
analog  anderen  Sauren  mit  Alkoholen  eine  Reihe  von  Verbindungen,  sog.  zusammen- 
gesetzte  Aether  oder  Ester,  welche  angesehen  werden  konnen  als  Alkohole,  in 
welchen  der  WasserstotF  der  Hydroxylgruppe  durch  Acetyl,  oder  als  Essigsaure- 
bydrat, in  welchem  der  Wasserstoflf  der  Hydroxylgruppe  durch  ein  Alkoholradical 
vertreten  ersch§int. 

Die  wichtigsten  zusammengesetzten  Aether  der  Essigsaure  sind: 
Essigsaureathylather,  Essigather,  essigsaures  Aethyl  oder  Essignaphta 

a2H3O.O.CnH5   =   C^O^    oder    £2f3°J  0   oder   Cff3.CH„.O.CO.CH3 

findet   sich   in    geringen  Mengen    in    manchen  Weinen,    im  Weinessig   und  Franz- 
branntwein,  deren  Aroma  bedingend. 

Er  entsteht  durch  Einwirkung  von  Aetherschwefelsaure  auf  essigsaure  Salze : 
CM^O^H     +     C^H30.0.Na     =z     C^O.C^O       +         SO.NaH 

Aetherschwefelsaure  essigs.  Natron  Essigather  saures  schwefels.  Natron 

Am  leichtesten  und  in  grosster  Menge  wird  derselbe  erbalten  durch  Destit- 
ution von  10  Theilen  entwassertem,  essigsaurem  Natron  mit  einem  Gemisch  von 
15  Theilen  englischer  Schwefelsaure  und  6  Theilen  Alkobol  von  80  bis  90%; 
in  das  erkaltete  Gemisch  von  Schwefelsaure  und  Alkobol  wird  das  vorher  fein 
gepulverte  und  vollkommen  getrocknete  Natriumacetat  eingetragen,  durch  Umrlih- 
ren  gut  gemischt  und  nun  bei  langsam  steigender  Temperatur  die  Destination 
so  lange  fortgesetzt,  bis  das  zuletzt  ubergehende  Destillat  nicht  mehr  brennbar  ist. 


312  Essigsaureatker. 

Im  Grossen  wird  die  Destination  mit  Dampf  in  eisernen  Kesseln  vorge- 
nomnien,  die  mit  einem  Helm  aus  Kupfer  und  einer  im  Wasser  liegenden  Kiihl- 
scklange  verbunden  sind. 

Das  Destillat  entkalt  neben  Essigsaureather  noch  Alkokol,  freie  Essigsaure, 
Wasser  undSpuren  von  sckwefliger  Saure ;  zur  Entfernung  dieser  Verunreinigungen 
wird  dasselbe  mit  Wasser  versetzt,  die  sick  absckeidende  Aetkersckickte  zur 
Neutralisation  der  freien  Saure  mit  Sodalosung  gesckiittelt,  abermals  mit  Wasser 
gemisckt  und  nun  mit  gesckmolzenem  Chlorcalcium  so  lange  versetzt,  als  dieses  nock 
gelost  wird,  langere  Zeit  steken  gelassen  und  die  sick  oben  absckeidende,  entwasserte 
Aethersckickte  fractionirt  destillirt;  der  bei  74°  C.  iibergekende  Antkeil  stellt 
dann  reinen  Essigatker  dar. 

Handelt  es  sick  nickt  urn  absolute  Reinkeit  des  Destillates,  so  geniigt  es 
das  Rokdestillat  mit  Sodalosung  zu  neutralisiren  und  iiber  Cklorcalcium  zu  rectificiren. 

Nack  Gross  ckopff*)  eignet  sick  zur  Darstellung  des  Essigatkers  im  grossen 
Massstabe  folgendes  Verfakren :  Essigsaures  Natron  wird  in  gusseisernen  Kesseln 
iiber  freiem  Feuer  zur  Trockeue  verdampft,  gesckmolzen,  kierauf  gepulvert  und 
nock  warm  gesiebt.  Das  Salzpulver  bringt  man  in  eine  Kupferblase,  die  mit 
einer  Rukrvorricktung  und  einer  Oeffnung  zum  Nackflillen  verseken  ist  und  gibt 
auf  je  40  Kilo  Salz  ein  erkaltetes  Gemisck  von  46  Kilo  engliscker  Sckwefelsaure 
von  1-84  spec.  Gew.  und  37  Kilo  fuselfreien  Alkohol  von  S5°  T.  Nackdem  alles 
gut  gemisckt  ist,  destillirt  man  unter  fortgesetztem  Umriikren  so  lange,  als  das 
Destillat  nack  Essigsaure  rieckt.  Das  Rokdestillat,  von  dem  ca.  55  Kilo 
erkalten  werden,  vertheilt  man  in  kleine  Flascken,  die  zu  ca.  2/3  kiemit  gefiillt 
werden,  gibt  V4  Volum  Wasser  und  etwas  koklensaures  Kali  zu,  sckuttelt  einige- 
male  kraftig  durck,  lasst  sick  sckeiden,  kebt  die  wasserige  Fliissigkeit  unter  dem 
Aetker  keraus,  und  wiederkolt  diese  Operation,  indem  man  statt  koklensaurem 
Kali  Cklornatrium  nimmt.  Den  so  entsauerten  und  vom  Weingeist  befreiten 
Aetker  entwassert  man  mit  zerstossenem  Cklorcalcium,  lasst  einige  Zeit  steken 
und  rectificirt  iiber  gebrannte  Magnesia.  Man  erkalt  ca.  36  bis  37  Kilo  reinen 
Aetker,  der  frei  von  jedem  Nebengeruck  ist.  Die  ganze  Destination  dauert  ca. 
2  Stunden. 

Die  Wasckwiisser  nekmen  kiebei  nickt  unbetracktlicke  Mengen  von  Essig- 
saure auf;  sie  werden  gesammelt,  rectificirt  und  geben  ein  alkokolkaltiges  Product. 

Nack  Egkis  wird  Sckwefelsaure  in  einer  tubulirten  Retorte  auf  ca.  130°  C. 
erwarmt  und  nun  tropfenweise  ein  Gemisck  von  Essigsaure  und  Alkokol  zutreten 
gelassen ;  man  erkalt  aus  1  Kilo  Essigsaure  fast  2  !/2  Kilo  roken  Essigatker,  der, 
wie  oben  angegeben,  weiter  gereinigt  wird. 

Auck  kann  Essigatker  erkalten  werden  durck  Erkitzen  eines  essigsauren 
Salzes  mit  Jodatkyl  in  gescklossenen  Gefassen  auf  ca.  200°  C.  und  Trennung 
des  Aetkers  vom  entstandenen  Jodmetall  durck  Destination. 

Der  Essigsaureatker  stellt  eine  wasserbelle,  diinne  Fliissigkeit  von  ange- 
nekmem  erfrisckendem  Gerucke  und  brennendem  Gesckmacke  dar,  die  angeziindet 
mit  gelblick  weisser  Flamme  brennt,  sick  im  trockenen  Zustande  nicbt,  im  feuckten 
jedock  nack  einiger  Zeit  in  Essigsaure  und  Alkokol  zersetzt;  er  ist  leickter  als 
Wasser,  spec.  Gew.  — :  0-917,  Siedepunkt  74°  C,  Dampfdickte  =  3*06;  er  lost 
sick  im  7-  bis  llfacken  Gewickte  Wasser,  ist  mit  Alkokol  und  Aetker  in  jedem 
Verkaltnisse  misckbar.  Durck  Kocken  mit  atzenden  Alkalien  wird  er  in  Acetat 
und  Alkokol,  durck  concentrirte  Sckwefelsaure  beim  Erwarmen  in  Essigsaure  und 
gewoknlicken  Aether  zersetzt. 

Der  Essigsaureatker  fiudet  in  der  Parfiimerie,  zum  Aromatisiren  der  Essige, 
als  Losungsmittel  fiir  Harze,  Oele,  Sckwefel,  Pkospkor,  mancke  Salze  und  mit 
dem  zwei-  bis  dreifacken  Gewickte  Alkokol  gemisckt  in  der  Medizin  unter  dem 
Namen  Spirit  us  acetico  aetkereus  Anwendung.  Im  Verein  mit  Benzoesaure- 
athylather  bildet  er  den  sog.  Kirscbenatker. 


")  Aun.  der  Chemie  imd  Pharra.  63,  pag.  258.  Deutsche  Industrie-Zeitung'  1867,  pag.  118. 


Essigsaureather.  313 

Essigsaureamylather,  essigsaures  Amyl,  Amylessigather. 

C^O.O.C.H^    —   C-H^02   oder  ^3°j0 

Er  wird  erhalten  durch  Destination  eines  Gemenges  von  2  Theilen  essig- 
saurem  Kali,  1  Theil  Amylalkohol  (Fuselol)  und  1  Theil  concentrirter  Schwefel- 
saure, Waschen  des  Destillates  mit  Wasser,  dem  etwas  kolilensaures  Natron 
zngesetzt  ist,  Trocknen  iiber  Chlorcalcium  und  Rectification  liber  Magnesia  oder 
Bleiglatte. 

Nach  F  eh  ling  kann  derselbe  ohne  Destination  erhalten  werden,  wenn 
man  1  Theil  Eisessig  mit  1/„  Theil  Schwefelsaure  und  1  Theil  Amylalkohol 
mehrere  Stunden  auf  100°  C.  erwarmt,  den  gebildeten  Aether  durch  Wasserzusatz 
ausscheidet  und  wiederholt  mit  Wasser  zur  Entfernung  der  anhangenden  Saure 
wascht.  Sehr  rein  erhalt  man  den  Amylessigather  nach  Wurtz  durch  Erhitzen 
von  Jodamyl  mit  Silberacetat. 

Der  Essigsaureamylather  stellt  eine  farblose,  leicht  bewegliche  Fliissigkeit 
von  angenehmem  gewiirzhaftem  Geruche  dar,  in  Wasser  unloslich,  mit  Alkohol  und 
Aether  in  jedem  Verhaltnisse  mischbar.  Spec.  Gew.  =:  0-857  bei  21"  C,  Siede- 
punkt  133°  C.  (Kopp),  Dampfdichte  zzr  4*458;  wird  durch  .  alkoholische  Kali- 
losung  in  essigsaures  Kali  und  Amylalkohol  zersetzt. 

Mit  dem  sechs-  bis  achtfachen  Volumen  reinen  starken  Alkohols  gemischt, 
bildet  er  die  in  der  Parfumerie  und  Liqueurfabrikation  verwendete  Birnenessenz 
(Birnol,  Pear-Oil) ;  gemeinschaftlich  mit  Essigsaure-  und  Buttersaureathylather  den 
sogenannten  Erdbeerather. 

Die  nachfolgend  angeiuhrten  Aether  haben  eine  nur  geringere  Bedeutung, 
besitzen  aber  einen  meist  sehr  angenehmen  Geruch  und  finden  deshalb  auchAnwen- 
dung  zur  Darstellung  der  sogenannten  Fruchtessenzen. 

Essigsauremethylather,  essigsaures  Methyl,  Methylessigather  oder 
essigsaurer  Holzather 

a,Hs0.0.CH3  —  C^H^    oder   ^3°]0 

findet  sich  fertig  gebildet  im  rohen  Holzgeist  und  wird  erhalten,  wenn  man  ein 
essigsaures  Salz  mit  einem  Gemenge  von  Schwefelsaure  und  Holzgeist,  oder  1  Th. 
Essigsaurehydrat,  2  Th.  Holzgeist  und  1  Th.  Schwefelsaurehydrat,  oder  3  Th. 
Methylalkohol?  5  Th.  Schwefelsaurehydrat  und  14  Y2  Th.  Bleizucker  der  Destination 
unterwirft. 

Farblose,  angenehm  atherartig  riechende  Fliissigkeit  von  0.956  spec.  Gew. 
und  56°  C.  Siedepunkt;  in  Wasser  ziemlich  leicht  loslich,  mit  Alkohol  und  Aether 
in  jedem  Verhaltnisse  mischbar. 

Essigsaurebutylather,  essigsaures  Butyl,  Butylessigather 

a^O.O.C.H.j  =  C6HllzO„    oder   q^°\0 

eine  farblose,  angenehm  atherartig  riechende  Fliissigkeit  von  0.8845  spec.  Gew. 
und  114°  C.  Siedepunkt. 

Essigsaureoctylather,  essigsaures  Octyl,  Octylessigather 

CnH:iO.O.C8Hl7  =  C10^T21)O2    oder   %%0]O 

farblose,  angenehm  atherartig  riechende,  im  Wasser  unldsliche  Fliissigkeit  von 
190 — 193°  C.  Siedepunkt;  bildet  den  Hauptbestandtheil  des  Oeles  von  Heraclevvi 
Spondylium,  im  Verein  mit  dem  Buttersaurehexylather  den,  bei  ca.  205°  sie- 
denden  Theil  des  atherischen  Oeles  von  Heraclewn  giganteum. 

Essigsaurecetylather,  essigsaures  Cetyl,  Cetylessigather 

CoR30.0.CiGP«3  =  CiSH3C>0,2  oder    c^JQ 

wird  erhalten  durch  Sattigung  einer  Losung  von  Cetylalkohol  in  Eisessig  mit 
Ohlorwasserstoff  als  weisse  Krystallnadeln,  welche  bei  18-5°  C.  schmelzen. 

K.   Wets. 


314  Essigsauresalze.  —  Euchroit. 

Essigsauresalze ,  Acetate,  s.  Essigsaure  III  pag.  311,  s.  die  ein- 
zeln  en  Metalle. 

Essigspinell  (spinelle  vinaigre  ■ —  vinegar  spinel),  eine  Varietat  der  bra- 
silschen  Spinell  von  blassbraunlicher  Farbe,  s.  Spin  ell.     Gtl. 

Essigsprit,  s.  Essig  III  pag.  299. 

Essigstander,  Essigbilder,  s.  Essig  III  pag.  298. 

Ester,  syn.  m.  zusamniengesetzter  Aether,  s.  Aether  I  pag.  53. 

Estrich  wird  jeder  mit  einer  zusammenhangenden,  kiinstlichen  Steinmasse 
bekleidete  Fussboden  genannt.  Speciell  liber  den  venezianischen  Estrich  erschien 
eine  Schrift  von  Rodlich,  Berlin,  Trautwein,  1821.  S.  Decke  II  pag.  593,  s. 
Cement  II  273. 

Etage  (etage  —  stage),  audi  Stock werk,  Geschoss  genannt,  ist  die 
horizontale  Abtheilung  eines  Gebaudes.  Mit  b  el -etage  bezeichnet  man  das 
Hauptgeschoss,  gewohnlich  den  ersten  Stock.  Grohn. 

Etagenbruchbau,  s.  Bergbau  I  pag.  394. 
Etagenrost,  s.  bei  Treppenrost  II  pag.  534. 

Etaion  (Normalmassstab).  E.  a  bout,  Endmassstab,  welcher  die  zu  defini- 
rende  Lange  durch  die  Entfernung  seiner  Endflachen  angibt;  e.  a  trait,  Strich- 
massstab,  bei  welchem  die  Lange  durch  die  Entfernung  zweier  parallelen  Striche 
auf  einer  Seitenflache  definirt  erscheint.  Erstere  sind  letzteren  im  Allgemeinen 
vorzuziehen.  Czuber. 

Etherzilin,  syn.  mit  Schiessbaumwolle,  s.  Explosivstoffe. 

Eucalin,  Zuckerart,  Zersetzungsprodukt  der  Melitose  s.  d. 

Eucalyptol  (C^H^O),  Bestandtheil  des  ather.  Oeles  der  als  Fiebermittel 
verwendeten  Bliithen  von  Eucalyptus  globulus  Lab.  Farblose  Fliissigkeit  von  an- 
genehmem  entfernt  rosena'hnlichem  Geruche,  siedet  bei  175°  C,  spec.  Gew.  0.905. 
Wirkt  rechtspolarisirend.  Kann  aus  dem  ather.  Eucalyptusole  durch  Destination 
iiber  Kalihydrat  erhalten  werden.  Das  Eucalyptusol  ist  farblos,  diinnfliissig  und 
von  aromatischem,  campherartigem  Geruche,  es  siedet  bei  170°  C.  Durch  Destil- 
lation  liber  wasserfreie  Phosphorsaure  erhalt  man  Eucalypten  (Cia£T]9),  bei  165°C. 
siedend,  und  Eucalyptolen  (Ct^Hls),  bei  300°  C  siedend.  Das  Eucalyptusol  fin- 
det  in  grosser  Menge  Verwendung  in  der  Parfumerie.  Vgl.  Cloez,  compt.  rend. 
70  pag.  687.  Vgl.  a,  A.  Faust  u.  J.  Homeyer  Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  1874 
pag.  63  urn  1429.     Gtl. 

Eucalyptuszucker,  s.  Melitose. 

Euchlorglimmer,  syn.  mit  Kupfer glimmer,  Kupferschaum  und 
Uranglimmer  s.  d. 

Euchlorine,  Euchloringas,  s.  Chi  or  II  pag.  325. 

Eucliroit  (tvyooog:,  sehonfarbig),  rhombisches  Min.,  kurzsaulenformige,  langs- 
gestreifte  Krystalle.  Unvollkommen  spaltbar,  sprode.  H.  =  3-5—4,  spec.  Ge- 
wicht  =  3-3 — 3-4,  smaragd-  und  lauchgriin ;  Strich  spangriin7  glasglanzend, 
durchseheinend.  Chem.  Zus. :  4CuOAs"Ob-\-7H-0,  47  Kupferoxyd,  34  Arsensaure, 
19  Wasser.  Gibt  im  Kolben  Wasser  und  wird  lichter  und  locker.  Schmilzt 
vor    dem    Lothrohr    zu     einer    erkaltet     krystallinischen    Masse..     Schmilzt    auf 


Euchroit.     -   Euklas.  315 

Kohle     unter    Arsengeruch,     lost     sich     leicht     in    Salzsaure.     Von    Libethen    in 
Ungarn.  Lb. 

Euchron,  s.  Euchronsaure. 

Euchronsaure,  Abkommling  der  Mellithsaure  (Honigsteinsaure).  Bildet  farb- 
lose,  pristnatische  Krystalle,  die  in  Wasser  loslich  sind.  Entspricht  der  Form  el 
(7,„jH4iV2Os.  Durch  Wasserstoff  in  Entstelmngszustande  wird  sie  in  Encliron, 
einen  tiefblauen,  in  Wasser  unloslichen,  in  Alkalien  mit  tief  purpurrotber  Farbe 
loslichen  Korper  iibergefiihrt.     Gtl. 

Eudiometer  (eudiometre  —  eudiometer),  in  seiner  urspriingliclien  Bedeu- 
tung  so  viel  wie  „Luftgiitemesser",  d.  i.  ein  Instrument,  bestehend  aus  einer  ein- 
seitig  geschlossenen,  mit  einer  Raumtbeilung  versehenen  Glasrohre,  mit  Hilfe  deren 
man  den  Sauerstoffgehalt  der  Luft  entweder  durch  Anwendung  eines  Absorptions- 
mittels  oder  durch  Verpuffen  mit  Wasserstoffgas  bestimmen  kann  (Eudiometrie), 
zu  welch  letzterem  Ende  das  Eudiometer  nahe  an  seinem  geschlossenen  Ende 
zwei  gegeniiberstehende,  in  die  Glaswand  eingeschmolzene  Platindrahte  tragt, 
welche  bestimmt  sind  den  Entladungsfunken  einer  Leydenerflasche  oder  eines 
Funkeninductors  im  Innern  der  Glasrohre  tiberspringen  zu  lassen  und  so  das 
explosive  Gemenge  von  Luft  und  Wasserstoff  zur  Verpuffung  zu  bringen,  s.  Luft. 
Gegenwartig  bezeichnet  man  mit  diesem  Namen  allgemein  Messrohren  mit  oder 
ohne  eingeschmolzenen  Platindrahten,  deren  man  sich  fur  die  Zwecke  der  volu- 
metrischen  Gasanalyse  bediente.     S.  Messgefasse.     Gtl. 

Eudialyt  (fv&udvrog,  leicht  zu  losen),  rhomboedrisches,  pfirsichbliithrothes 
oder  braunliches  Zirconsilicat,  welches  sieh  im  Kaukendluarsukfjord  und  auf  den 
Kittisutinseln  in  Gronland  und  der  Arkansas  in  der  Magnetlove  finclet. 
H.  r=  5  —  5-5,  spec.  Gew.  —  2-9 — 3-01.  Eine  cer-  und  lanthanhaltige  Varietat 
des  Eudialyts  ist  der  Eukolit  von  Brewig  in  Norwegen.     Lb. 

Eugenglanz,  s.  Polybasit. 

Eugetlin  (eugenine  —  eugenin),  weisse  perlmutterglanzende  Krystallblattchen 
bildende  Substanz,  welche  sich  aus  dem  liber  Gewiirznelken  destillirten,  mit 
Nelkenol  beladenen  Wasser  allmalig  abscbeidet.  Ist  geschmacklos,  von  schwachem 
Nelkengeruch,  lost  sich  schwer  in  Wasser,  leicht  in  Alkohol  und  Aether,  wird  an 
der  Luft  gelb,  mit  Salpetersaure  bluthroth.  Entspricht  der  Formel  C10HlsO,r 
Vgl.  Dumas  Annal.  d.  Chem.  et  Phys.  (2)  53  pag.  168;  Liebig  Annal.  der 
Chem.  u.  Pharm.  9,  pag.   72;  Bonastre  Journ.  Pharm.  (2)  20,  pag.  565.    Gtl. 

Eugenol,  syn.  m.  Nelkensaure,   vgl.  Gewiirznelken,  vgl.  Nelken. 

Eugensaure,  syn.  mit  Nelkensaure,  vgl.  Gewiirznelken,  vgl. 
Nelken. 

Eukairit  (Selen-Silber-Kupfer).  Ein  nur  derb  mit  feinkornigem  krystalli- 
nischen  Gefiige  vorkommendes  Mineral  von  geringer  Harte  und  blaugrauer  Farbe 
mit  glanzendem  Strich.  Chem.  Zus. .  WSe+Ag^Se,  25-32  Kupfer,  43.13  Silber, 
31-55  Selen.  Sublimirt  im  Glasrohre  Selen  und  selen.  Saure,  entwickelt  auf  Kohle 
Selendampfe  und  schmilzt  zu  einer  grauen,  sproden  Metallkugel,  gibt  mit  Borax 
Kupferreaction,  mit  Blei  abgetrieben  ein  Silberkorn ;  ist  loslich  in  Salpetersaure. 
Findet  sich  zu  Skrikerum  in  Smaland,  in  Chile  und  in  der  Wiiste  Atakauen.  Den 
Namen  von  svxruoog,  zur  rechten  Zeit,  erhielt  das  Mineral  von  Berzelius,  weil 
er  es  zur  Zeit  entdeckte,  als  er  das  Selen  untersuchte.     Lb. 

Euklas  {sv  gut,  xlaa  spalte).  Monoklines  Mineral,  nach  der  Klinodiagonale 
und  dem  Hemidoma  ausgezeichnet  spaltbar,  audi  leicht  zersprengbar,  hat  eine 
Harte  von  7-5,  spec.  Gew.  —  3-0 — 3*1,  blassgriin  in  blau  und  gelb  verlaufend, 
Glasglanz,  durchsichtig  bis  halbdurchsichtig.  Chem.  Zus.:  2(GlO-SiO-)-\-Al'0:iH-0, 


316  Euklas.  —  Euphorbium. 

17-4  Glycinerde,  35-2  Thonerde,  40-3  Kieselsaure,  6-1  Wasser.  Schmilzt  vor  dem 
Lothrohr  in  dunnen  Splittern  schwer  und  schwillt  an.  Wird  mit  Kobaltsolution 
gegliiht  blau,  von  Sauren  nicht  auflosbar.  Findet  sicb  sehr  selten  am  Baikalsee  in 
Sibirien,  in  den  Goldseifen  am  siidlichen  Ural  und  in  den  Edelsteinseifen  in  Bra- 
silien  in  losen  Fragmenten  und  Krystallen.  Schongefarbte,  durchsichtige  Exem- 
plare  werden  als  Schmucksteine  verwendet,  und  der  Seltenheit  wegen  theuer  be- 
zahlt.     Lb. 

Eukolit,  s.  Eudialyt. 

Elllysit,  ein  in  Schweden  bei  Tunaberg  vorkommendes  Gestein,  bestehend 
aus  einem  Gemenge  von  einem  olivinahnlichen  Mineral,  griinem  Augit  und  brau- 
nem  Granat.     Lb. 

Eulytin  (svA.vzog,  leicht  schmelzbar),  Kieselwismut,  Wismutblende ;  ein  Mi- 
neral, welches  in  sebr  kleinen  tesseralen,  u.  z.  tetraedrischen  Krystallen,  welche 
einzeln  aufgewachsen  oder  in  kleine  Drusen  vereinigt,  auch  in  Zwillingen  vor- 
kommen.  Spaltbarkeit  unbekannt,  Bruch  muscblig,  H.  —  4-5 — 5,  spec.  Gew.  6-1, 
nelkenbraun  bis  weingelb,  Diamantglanz,  durchsichtig  bis  durchscheinend.  Chem. 
Zus.:  2Bi'OsSiO'i,  u.  z.:  80-6—82-2  Wismutoxyd  und  15-9—16-2  Kieselsaure 
nebst  etwas  phosphorsaurem  Eisen.  Schmilzt  vor  dem  Lothrohr  leicht  unter  Auf- 
wallen  zu  einer  braunen  Perle,  gibt  mit  Soda  metallisches  Wismut,  mit  Phosphor- 
salz  ein  Kieselskelett,  Salzsaure  zersetzt  ihn  unter  Abscheidung  von  Kieselgallerte. 
Fundorte:  Schneeberg  und  Freiberg  in  Sachsen.     Lb. 

EllOSmit,  fossiles  Harz  aus  dem  Lignit  von  Bayershof  im  Fichtelgebirge, 
bildet  gelbbraune  pulverige  oder  erdige  Massen,  loslich  in  Alkohol  und  in  Aether, 
bei  77°  C.  schmelzbar,  von  angenehm  aromatischem  Geruch.  Verbrennt  angeziindet 
mit  Flamme  und  enthalt  34  C,  29  H.  und  2  0.     Gtl. 

Euphorbium  (resine  d'euphorbe  —euphorbium),  Euphorbium  harz,  ist 
der  eingetrocknete  Milchsaft  von  Euphorbia  resinifera  Berg.,  einer  cactusartigen 
Wolfsmilchart,  welche  im  nordlichen  Theile  des  tropischen  Afrika  einheimisch  ist. 
Das  Euphorbium  wird  namentlich  im  marokkaniscken  Atlas  durch  Anschneiden  der 
Aeste  der  Pflanze  vor  dem  Eintritt  der  Fruchtreife  gewonnen,  indem  der  den 
Schnitten  entquellende  Milchsaft  an  den  Stengeln  eintrocknet  und  nach  dem  Er- 
harten  eingesammelt  wird.  Die  Hauptausfuhrplatze  fur  Euphorbium  sind  Sale  und 
Mogadore.  Das  Euphorbium,  welches  gewobnlich  in  mit  Bastmatten  eingehullten 
Ballen  zu  Markte  kommt,  bildet  undurchsichtige  Stiicke  von  hell-graubrauner  Farbe 
mit  unebenem,  rauhem  Bruche,  welche  sich  entweder  aus  zusammengeflossenen 
flachen  Krusten  oder  keulenformigen  Stiicken  gebildet  erweisen  und  oft  auch  kurz 
dreiastige,  innen  hohle  Formen  eingeschlossen  enthalten.  Neben  dieser  eigentliclien 
Gummiharzsubstanz  finden  sich  in  der  Handelswaare  stets  noch  Bruchtheile  der 
Aeste,  Bliitben  und  Frtichte,  so  wie  Stacheln  der  Stammpflanze.  Das  Euphorbium 
ist  in  Wasser  kaum  loslich  und  liefert  damit  auch  keine  Emulsion.  In  Alkohol 
ist  es  zum  grossen  Theile  (50 — 60°/0)  loslich.  Es  ist  fast  geruchlos,  doch  wirkt 
der  Staub  heftig  zum  Niesen  reizend.  Der  Geschmack  ist  anhaltend  scharf- 
brennend.  Beim  Erwarmen  zeigt  es  cinen  schwach  an  Weihrauch  erinnernden 
Geruch.  Das  Euphorbium  hat  schon  in  geringen  Gaben  eine  heftig  purgirende, 
zum  Theile  brechenerregende  Wirkung,  und  wird  dieser,  so  wie  seiner  reizen- 
den  Wirkung  auf  zartere  Hautpartien  wegen,  als  Arzneimittel  verwendet.  Es  ent- 
halt nach  Johnston  (Journ.  f.  pract.  Chem.  26,  pag.  145)  ein  in  kaltem  Alkohol 
losliches  Harz(3S°/0)  yon  der  Zusammensetzung  C13H„„0„,  und  eine  krystallisir- 
bare,  in  Alkohol,  Aether,  Chloroform  und  Benzin  leicht,  in  Wasser  unlosliche  Sub- 
stanz,  das  Euphorbon  (C\3H„„0),  die  geruchlos,  aber  von  scharfem  Geschmacke 
und  heftig  purgirender  Wirkung  ist,  wogegen  das  Harz  den  eigentlich  reizenden 
(^blasenziehenden)  Bestandtheil  bildet ;  uberdies  enthalt  es  Gummi  und  Aepfelsaure, 
so  wie  unorganische  Salze.    Nach  Fliickiger  (Yierteljahrschrift  f.  pract.  Pharm. 


Enphorbium.   —  Evacuiren.  317 

17,  pag.  82)  betragt  der  Enphorbongehalt  22%,  jener  an  Gummi  18%;  an  apfel- 
sauren  Salzen  12%  und  an  Mineralsalzen  10%.  Vgl.  a.  Buchner's  Repertorium 
11,  pag.   145  und  Rose  Pogg.  Annal.  33,  pag.  33,  und  53  pag.  365.     Gtl. 

Euphotide,  syn.  m.  Gabbro  s.  d. 

Euphyllit,  s.  Mar  gar  it. 

Elipion  (eupione  —  eupion).  Urspriinglicb  wurde  von  Reicbenbach  mit 
dieseru  Namen  ein  bei  der  trockenen  Destination  von  Holz,  fetten  Oelen,  Harzen, 
Kautscbuk  u.  s.  w.  resultirender  Kohlenwasserstoft  bezeichnet,  wahrend  nach  Hesse 
das  Product  der  Einwirkung  von  Schwefelsaure  auf  diese  Producte  der  trockenen 
Destination  Eupion  genannt  wurde.  Nacb  Frankland  ist  Eupion  ein  Gemenge 
mehrer  Koblenwasserstoffe,  in  welchem  sich  als  wesentlicher  Bestandtheil  Amyl- 
wasserstoff  (C5J3jjJ  findet.  Man  kann  es  durcb  trockene  Destination  des  Riibols, 
Bebandlung  des  leicbter  fliichtigen  Antheils  des  Destillates  mit  cone.  Scbwefelsaure, 
Destination  des  von  der  Scbwefelsaure  und  dem  ausgeschiedenen  Paraffin  getrenn- 
ten  und  durcb  nochmalige  Destination  abgeschiedenen  Oeles  mit  Schwefelsaure, 
Schiitteln  des  Destillationsproductes  mit  Kalilauge  und  Rectification  als  eine  farb- 
lose  Fliissigkeit  von  angenebmem  Bliithengerucbe  erhalten,  die  gescbmacklos  und 
in  Wasser  unloslicb  ist.  Das  spec.  Gew.  z=  0-655  bei  20°  C,  der  Siedepunkt 
liegt  bei  47°  C.  Es  ist  mischbar  mit  Alkohol,  Aether,  Benzin,  fetten  Oelen  und 
Schwefelkoklenstoff,  lost  Phosphor,  Schwefel  und  verschiedene  Harze  auf  und  wird 
weder  durch  cone  Sauren,  noch  durch  Alkalien  und  Chlor  angegriffen.  Auch  aus 
den  leicht  fliichtigen  Antheilen  des  durch  trockene  Destination  der  Knochen  (Thier- 
61),  so  wie  des  Kautschuks  erhaltenen  Destillates  kann  man  Eupion  darstellen. 
Es  ist  ein  fast  nie  fehlender  Bestandtheil  der  verschiedenen  Theerole.     Gtl. 

Eupyrchroit,  ein  zersetzter  Phosphorit  mit  46  Phosphorsaure,  50  Kalkerde 
und  2  Eisenoxydul,  welche  nierenformiger  faserige  Massen  von  grauer  Farbe  bildet, 
und  zu  Hammoundsville  in  Essex,  u.  a.  0.  zur  Erzeugung  von  Dungerphosphat 
gewonnen  wird.     Lb. 

Eurit,  s.  Felsit  u.  Porphyr,  vgl.  a.  Granulit. 

Euritporphyr,  syn.  m.  Felsitporphyr,  s.  Porphyr. 

Eustilbit,  Heulandit,  s.  Stilbit. 

Eusynchit,  ein  dem  Dechenit  nahe  verwandtes  vanadinsaurehaltiges  Mineral 
von  Hofgrund  bei  Freiburg  im  Breisgau.     Lb. 

Elixanthin,  Bestandtheil  des  Purree  genannten  gelben  Farbstoffes,  s.  Purree. 

Elixanthonsaure,  Zersetzungsproduct  des  Euxan  thins,  s.  Purree. 

Euxenit  (evfevog,  gastfreundlich,  Anspielung  auf  die  vielen  Bestandtheile), 
ein  gewbhnlich  derb  vorkommendes  Mineral  mit  unvollkommen  muschligem  Bruch, 
unvollkommener  Spaltbarkeit.  Harte  —  6-5,  spec.  Gew.  =  4-6 — 4-9,  braun- 
schwarzer  Farbe,  rothlichbraunem  Strich,  in  Metallglanz  geneigten  Fettglanz,  un- 
durchsichtig.  Chemische  Zusammensetzung  schwankend,  im  wesentlichen  vor- 
herrschend  Niobsaure,  dann  Titansaure,  Uranoxydul  und  Ittererde,  im  Verhalt- 
niss  zur  Niobsaure  wie  15  —  20  :  39 — 32,  ausserdem  etwas  Ceroxydul,  Eisen- 
oxydul, Kalkerde  und  Wasser.  Im  Kolben  gibt  er  Wasser  und  wird  lichter,  vor 
dem  Lothrohr  ist  er  schmelzbar,  wird  auch  von  Sauren  nicht  angegriffen.  Fund- 
orte  Jolster  und  Arenclal  in  Norwegen.     Lb. 

Euzeolyth,  s.  Stilbit. 

Evacuiren,  d.  h.  Ausleeren,  pflegt  man  gewohnlich  das  Auspumpen  der  Luft 
aus  einem  Recipienten  oder  einem  Gefasse  iiberhaupt  zu  nennen,  s.  Luftpumpe. 


318  Evaporiren.  —  Explosivstoffe  (Schiesspulver). 

Evaporiren,  syn.  m.  Ab  damp  fen  s.  I  pag.  3. 
Everninsaure,  Ev  ems  Sure,  s.  Flechtenfarbstoffe. 
Evolvente,  s.  Curven  II  pag.  447. 
Evonymit,  s.  Dulcit,  II  pag.  703. 
Excavator,  s.  Erdarbeiten  III  pag.  282. 
Excentrik,  s.  Kineniatik.  s.  bei  D  amp  f  mas  chine  II  pag.  560  etc. 

Excess,  spbarischer,  heisst  der  Ueberschuss  der  Winkelsumme  eines  sphari- 
schen  Dreiecks  ilber  18°.  Wird  derselbe,  im  Bogenmass,  in  Graden,  Minuten, 
Secunden  ausgedriickt,  beziehungsweise  mit  e,  &°,  sv,  t",  die  Flache  des  Drei- 
ecks mit  F,  der  Radius  der  Kngel  mit  r  bezeicbnet,  so  bat  man: 

F1  IP  T?  TP 

e  —  —•    b°  —    57-29578    -=■':    a'  =    3437-74677    —=:    i"  =  206264-806  -^ 

r-  v-  r2  r1 

Bei  Dreiecken,  wie  sie  bei  Triangulirungen  vorkommen,  ist  der  spbar.  E.  immer 
nur  gering ;  fiir  ein  Dreieck  von  1  geogr.  D  M.  betragt  derselbe  in  mittleren 
Breiten  ca.  0".28.  Czuber. 

Exhauster,  Saugventilator  (s.  Ventilator),  o.  Blasrohr  (s.  Eisen- 
babnfahrbetriebsmittel  III  pag.  109);  s.  ferner  Luftpumpe,  s.  In- 
jector. 

Exorateur,  Name  eines  von  Kessler  angegebenen  Apparates  znr  Alkohol- 
bestimmung  im  Weine  auf  dem  Wege  der  Destination.  S.  Wein,  vgl.  a.  Al- 
kobol  I  pag.   109.     Gtl. 

Exosmose,  s.  Diffusion  II  pag.  626. 

Expansion,  s.  Dampf  II  pag.  504  etc.,  s.  Dampfmascbinen  II  pag. 
567,  583  etc. 

Explosionen  bei  Dampfkesseln,  s.  II  pag.  551. 

Explosionsmaschine  ist  die  Benennung  der  Drake'scben  G asm  as  chine 
s.  daselbst. 

Explosivstoffe  (explosifs  —  explosives).  I.  Schiesspulver  (poudre  de 
guerre,  de  mine,  de  chasse  —  gun  powder). 

a)  Z  u  s  a  m  m  e  n  s  e  t  z  u  n  g,  p  b  y  s  i  k  a  1  i  s  c  h  e  u  n  d  c  h  e  m  i  s  c  h  e  E  i  g  e  n- 
schaften.  Inniges  mecbaiiisches,  gekdrntes  Gemenge  von  Kalisalpeter,  Scbwefel 
und  Koble. — Mittleres  Verhaltniss  der  drei  Bestandtheile :  74  Salpetef,  16  Koble, 
10  Scbwefel.  —  Bei  feinem  Jagdpulver  nimmt  der  Salpetergehalt  zu  (franzosisches 
Jagdpulver:  78  Salpeter,  12  Kohie,  10  Scbwefel),  bei  Sprengpulver  ab  (franzo- 
sisches Minenpulver:  62  Salpeter,  18  Koble,  20  Scbwefel).  Das  Miscbungsver- 
baltniss  eines  Pulvers  heisst  dessen  Dosirung.  —  Das  specifiscbe  Gewicbt  der 
einzelnen  Korner  (Massendichte)  schwankt  zwiscben  1*4  (leicbtes  Minenpulver)  und 
1-82  (Gescbtitzpulver),  das  specifiscbe  Gewicbt  des  in  einem  Gefasse  wobl  einge- 
s'chiitteten  Pulvers,  also  Kornerzwiscbenraum  beriicksichtigt  (gravimetrische  Dichte^) 
zwiscben  0*77  (franzosisches  Minenpulver)  und  0*94  (sehr  feines,  dichtes  Jagd- 
pulver). Die  Kornergrosse  wechselt  von  0-3—  0-5mm  (feinstes  Jagdpulver)  bis  zu 
18 — 30mm  (engliscbes  Cylinderpulver) ;  die  sechsseitigen  Korner  des  sogenannten 
prismatiscben  Pulvers  baben  sogar  40mm  Durchmesser. 

Gutes  Sebiesspulver  muss  folgende  Eigenscbaften  haben:  Schieferfarbe  mit 
mattem  Glanz  (blaugrauschwarz) ;  zu  dunkle  Farbe  weist  auf  zu  viel  Feuchtigkeit, 
weisse  Flecke  auf  Salpeterausscbeidung.  —  Jagdpulver,  welches  absichtlicb  mit 
Rotbkohle  erzeugt  wurde,  hat  braunlich  schwarze  Farbe.  Beim  Pteiben  der  Korner 
auf  der  flachen  Hand  mit  dem  Finger  miissen  die  Korner  ganz  bleiben,  beim  Zer- 


Explosivstoffe  (Scliiesspulver).  3 1 9 

driicken  zwischen  den  Fiugern  knirschen,  nacli  dem  Zerdriicken  muss  der  Staub 
vollkommen  gleiche  Farbe  haben  und  diirfen  in  ihm  keine  scliarfen  Theile  fiihlbar 
sein.  Giesst  man  Pulver  in  hellem  Licht  von  lm  Hohe  aus,  so  darf  kein  Staub 
sichtbar  werden,  beim  Rollen  iiber  reines  Papier  darf  es  nicht  abfarben.  Der 
Feuchtigkeitsgekalt  darf  2  °/0  nicht  iibersteigen.  Auf  weissem  Papier  entziindet 
muss  es  rasch,  ohne  Hinterlassung  von  Flecken  und  Riickstand  verbrennen.  — 
Pulver  entziindet  sich  durch  Temperaturerhohung  auf  250 — 300°,  sehr  leicht  durch 
Beriihrung  mit  gliihenden  Korperh,  schwieriger  durch  Flamme,  ausserdem  aber  audi 
durch  Stoss,  Reibung  und  Schlag  zwischen  gewissen  Kbrpern,  leicht  durch  Schlag 
von  Eisen  gegen  Eisen,  Eisen  gegeu  Messing,  Messing  auf  Messing,  weniger  leicht 
durch  Kupfer  gegen  Eisen  oder  Kupfer,  Eisen  gegen  Marmor  etc.  Der  Entladungs- 
schlag  der  Leidnerflasche  entziindet  Scliiesspulver  nicht  unmittelbar.  —  Um  Pulver- 
ladungen  durch  den  elektrischen  Funken  zu  entziinden,  miissen  daher  eigene  Ziinder 
eingeschaltet  werden.  —  Der  durch  galvanischen  Strom  gliihend  gemachte  feine 
Schliessungsdraht  bewirkt  aber  directe  Entziindung.  Die  Entziindung  des  Pulvers 
pflanzt  sich  rasch  von  einem  Punkte  durch  die  zusammenhangende  Masse  desselben 
fort.  Die  Geschwindigkeit  dieser  Fortpflanzung  wechselt  mit  der  Gattung  des 
Pulvers,  Grosse,  Form  und  Einschluss  der  Ladung  und  der  Entziindungsweise. 
In  offenem  Lauffeuer  betragt  die  Geschwindigkeit  der  Fortpflanzung  2 — 3m  ,  im 
Geschiitzrohre  iiber  20m  ,  wenn  die  Entziindung  durch  starke  Knallsatze  erfolgt 
(siehe  spater  Detonationsz  tin  dung)  noch  mit  weit  erhohter  Schnelligkeit. 
Die  Verbrennungsgeschwindigkeit  eines  Kornes  (Fortschritt  der  Verbrennung  von 
aussen  nach  innen)  betragt  in  freier  Luft  bei  gutem  Pulver  etwa  12mm  in  der 
Secunde,  nimmt  ab  mit  der  Dichte  des  Korns;  aber  rasch  zu  mit  der  Dichte  und 
Temperatur  der  umgebenden  Gase. 

Die  Verbrennungsproducte  des  Pulvers,  die  Menge,  Temperatur  und  Spannung 
der  gebildeten  Gase  wechseln  mit  der  Gattung  des  Pulvers,  der  Grosse,  und  Form, 
dem  Einschlusse  der  Ladung  und  der  Entziindungsweise.  Die  verlasslichsten  der 
vorgenommenen  Versuche  (von  A.  Noble  &  F.  A.  A  b  e  1  Compt.  rend.  78 
und  79)  ergaben  fur  den  Fall,  dass  Pulver  in  fest  verschlossenem  Gefasse 
(Bombe)  verbrennt,  folgende  Resultate,  berechnet  fur  1  Gramm  Pulver:  1.  Die 
Verbrennungsproducte  nach  der  Explosion  sind  ungefahr  43  °/0  permanente  Gase, 
57°/0  fest  werdende  Producte.  2.  Die  permanenten  Gase  wiirden  bei  0°  und 
760mm  Druck  etwa  280cc ,  d.  h.  das  280fache  Volumen  cles  Pulvers  betragen. 
3.  Die  Spannkraft  des  Pulvers  betragt,  wenn  selbes  den  Verbrennungsraum  ausfiillt  und 
dieser  fest  umschlossen  ist,  circa  6400  Atmospharen,  mit  dem  Wachsen  des  Ver- 
brennungsraumes  gegeniiber  dem  des  Pulvers  nimmt  die  Spannung  ab,  so  dass 
sie  beispielsweise  nur  mehr  circa  25  Atmospharen  betragt,  wenn  der  Verbrennungs- 
raum zehnmal  so  gross  als  clas  Pulvervolumen  ist.  4.  Die  Temperatur  der  Gase 
betragt  circa  2200°  C.  5.  Die  Zersetzung  von  1  Gr.  Pulver  entwickelt  etwa 
0-7  Calorien,  d.  h.   „1   Gr.  Pulver  hat  eine  innere  Arbeitskraft  von  circa  300km". 

Als  Zersetzungsproducte  von  1  Gr.  Pulver  wurden  bei  den  letztgenannten 
Versuchen  gewonnen: 

Kohlensaures  Kali 0-3115      Schwefelwasserstoff 0-0134 

Unterschwefligsaures  Kali  .    .    .0-1163      Kohlenoxyd 0-0519 

Schwefelsaures  Kali    ......  0-0843      Kohlensaure 0-2577 

Schwefelkalium 0-0416      Wasserstoff 0-0007 

Sulfocyankalium 0-0005      Stickstoff 0-1151 

Salpetersaures  Kali             .  0-0027  Suffiffie  der  gMffirmigOT  ^7" 

Anderthalb-kohlensaur.Ammoniak  0-0009  ducte  0-4388 

Schwefel 0*0034 

Summe  der  festen  Producte  .  0*5612 

b)  Entwicklung  des  Schiesspulvers.  Der  oder  die  Erfinder  des 
Schiesspulvers  sind  unbekannt.  Walirscheinlich  ist,  dass  die  Entdeckung  des 
Schiesspulvers  durch  die  Araber  in  den  ersten  Jahren  des  14.  Jahrhunderts  e-eschah; 


320  Explosivstoffe  (Schiesspulver). 

fast  gewiss  ist  es,  dass  die  Italiener  schon  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  14.  Jahr- 
hunderts  Schiesspulver  fabricirten,  und  nachgewiesen,  dass  wenig  spater  in  Deutsch- 
land  (1340  in  Augsburg,  1344  in  Spandau,  1360  in  Liibeck)  Schiesspulverfabriken 
bestanden.  Die  diversen  Geschicbten  ilber  die  Erflndung  des  Scbiesspulvers  in 
China,  iiber  Berthold  Schwarz  u.  s.  f.  halten  unbefangener  Priifung  nicht 
Stich.  Die  wirkliche  Verwendung  des  Scbiesspulvers  als  Triebmittel  fur  Geschosse 
und  seine  Fabrication  in  grosserem  Massstabe  kann  in  Europa  also  mit  Sicherheit 
in  die  1.  Halfte  des  14.' Jahrhunderts  verlegt  werden,  die  erste  Anwendung  als 
Sprengrnittel  fiir  Kriegszwecke  fallt  in  das  Jahr  1397,  die  altesten  verlasslichen 
Nachrichten  iiber  die  Verwendung  als  Sprengstoff  in  Bergwerken  in  das  Jahr  1613.*) 

Schon    die    altesten  Zusammensetzungen    des  Schwarzpulvers    weicben  wenig 
von  den  heute  tiblichen  ab.     Beispielsweise  zeigen  dies  folgende  Daten : 
1546  werden  angegeben  fiir  Buchsen:    83-4  Salpeter,     8-3  Kohle,     8'3  Schwefel, 
1649       „  „  „     Gewehre:  75-5         „  13-3        „        11-2  „ 

1774  in  Preussen  fiir  grobes  Pulver:     74-4        „  13-3        „        13-3  „ 

heute  meist  iibliche  Verhaltnisse :       74—75         „     15 — 16        „        10  „ 

Das  alteste  Pulver  wurde  bios  durch  Mengung  seiner  Bestandtheile  aus  freier 
Hand  hergestellt,  spater  beniizte  man.  Mablmiiblen,  die  aber  wegen  ihrer  Gefahr- 
lichkeit  rasch  verlassen  und  schon  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  durch  die  heute 
noch  zuni  Theil  im  Gebrauche  befindlichen  Stampfmiihlen  ersetzt  wurden.  Im 
16.  Jabrhunderte  findet  man  schon  Walzmiihlen,  nach  Art  der  jetzt  ublichen,  zum 
Kleinen  und  Mengen  der  Materialien.  1791  wurde  in  Frankreich  das  Kleinen  und 
Mengen  in  Trommeln  eingefiihrt,  das  in  mehr  oder  minder  begrenzter  Anwendung 
heute  in  den  meisten  besseren  Pulverfabriken  iiblich  ist. 

Anfanglich  wurde  das  Pulver  nur  in  Mehlform  verwendet.  Die  Nachtheile 
hievon  bemerkte  man  bald  und  schon  vor  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  wurde  in 
Frankreich,  dann  bald  audi  in  alien  anderen  Staaten  zur  Kornung  des  Pulvers 
iibergangen.  Mit  dem  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  hat  die  Fabrication  des 
Schwarzpulvers  in  der  Hauptsache  bereits  jene  Entwicklungsstufe  erreicht,  welche 
sie  um  die  Mitte  des  gegenwartigen  Jahrhunderts  besass.  Die  Schwarzpulver 
fabrication  blieb  also,  wenn  man  von  relativ  untergeordneten,  die  Giite  des  fertigen 
Productes  wenig  beeinflussenden  Veranderungen  absieht,  durch  fast  1 1/2  Jahrhunderte 
stabil.  Da  entstand  in  Gefolge  des  letzten  amerikanischen  Biirgerkrieges  der  Wett- 
kampf  zwischen  Geschiitz-  und  Panzerconstructionen,  der  zu  den  "Riesenkalibern 
der  Gegenwart  fiihrte.  Die  grossten  Metallstarken  konnten  nicht  mehr  den  enormen 
Ladungen  Widerstand  leisten,  es  mussten  Mittel  und  Wege  gesucht  werden,  das 
alte  Schwarzpulver  zu  verbessern  oder  zu  ersetzen. 

In  Nordamerika  wurde  1859 — 60  zuerst  durch  Major  Rodman,  dann 
durch  Professor  Dor  em  us  in  West-Point,  1858  durch  das  Geschiitzpulver-Comite 
in  England,  spater  auch  durch  die  grossen  Militarstaaten  Europa's  energisch  an  die 
Losung  der  Pulverfrage  gegangeii.  Alle  Versuche,  das  Schwarzpulver  durch  ein 
ahnliches  mechaniscbes  Gemenge  zu  ersetzen,  in  dem  der  Kalisalpeter  durch  analoge 
sauerstoffreiche  Korper  (Barytsalpeter,  chlorsaures  Kali),  Kohle  und  Schwefel  durch 
ahnlich  wirkende  Korper  (Zucker,  Holzstoff,  Blutlaugensalz  etc.)  substituirt  sind, 
haben  ungiinstige  Resultate  ergeben.  Die  alten  Rohmaterialien  haben  sich  als  die 
besten  erwiesen.  Ferner  hat  sich  gezeigt,  dass  jenes,  seit  uralter  Zeit  bestehende 
Mischungsverha'ltniss,  welches  fiir  bestes  Jagdpulver  verwendet  wird  und  welches 
die  hochste  Nutzleistung  gibt,  zugleich  das  beste  Mischungsverhaltniss  fiir 
alle  anderen  Pulversorten  ist,  seien  sie  Minen-  oder  Geschiitzpulver.  Das  Vermehren 
des  Kohlenstoffgehaltes  gegeniiber  dem  Salpetergehalte,  um  geriugeren  Druck, 
langsamere  Verbrennuug  zu  erbalten,  ist  eine  wahre  Verschlecliterung  des  Pulvers. 


*)  Zahlreu-he  Literaturnachweise  und  Notizen  iiber  die  Geschichte  des  Scbiesspulvers  findet 
man  im  Lebrbucb  der  gesammten  Tunnelbaukunst  von  F.  Eziba  I.  Band  1867.  — 
Das  Sehiesspulver,  die  Explosivkbrper  etc.  von  Dr.  J.  Upmann  u  Dr.  E.  v.  Meyer. 
—  Meyer,  Handbueb  der  Gescbicbte  der  Feuerwaffentechnik. 


Explosivstoffe  (Schiesspulver).  321 

Dagegen  haben  umfassende  Versuche  nachgewipsen,  dass  die  mechanische  Con- 
stitution des  Pulvers  von  hbchstem  Einflusse  aiif  die  Wirkungsweise  ist,  und  dass 
riclitig  combinirte  Veranderungen  in  der  Grosse,  Form,  Oberflachenbeschaffenheit, 
Dichte  und  Harte  der  Pulverkorner  vollkommen  geniigen,  auch  den  gesteigerten 
Anforderungen  an  die  Triebkraft  der  Geschiitzpulver  zu  geniigen,  ohne  die  Rohre 
iibermassigen  Spannungen  auszusetzen.  Indem  man  nur  die  starkste  Pulvermiscbung 
erzeugt,  erreicht  man  den  grossten  Effect  des  verbrennenden  Pulvers,  indem  man 
je  nach  der  Grosse  der  Ladungen  dem  Korn  entsprechende  Form,  Dichte,  Harte 
und  Grosse  gibt,  kann  man  die  Verbrennung  der  Ladung  derart  reguliren,  dass 
der  Druck  wahrend  der  ganzen  Fortbewegungszeit  der  Geschosse  im  Rohr  ziemlicli 
gleichmiissig  wirkt,  der  Maximaldruck  auf  das  Rohr  also  mogliclist  herabgesetzt  wird. 

Aus  den  hier  angedeuteten  Bestrebungen  entstand  1862  in  Amerika  das 
Mammouthpul  ver  mitKbrnern  von  1*5 — 2'5cmDruchmesser;  spater  das  prisma- 
tische  Pulver,  bestehend  aus  regelmassigen  sechsseitigen  Prismen  von  etwa  4cmDurch- 
messer  und  2'5cmHohe.  In  Amerika  aufgegeben,  wurde  das  prismatische  Pulver  in  Russ- 
land  und  Preussen  urn  so  ernsteren  Versuchen  unterzogen  und  schliesslich  fur  die 
grossten  Gescliiitze  adoptirt.  Die  Diclite  dieser  Korner  ist  1-66 — 1*76,  ihr  Gewicht 
bis  zu  40  Gr.  In  England  fiihrten  die  Versuche  ebenfalls  zur  Anwendung  stark 
verdichteter  (gepresster)  Pulversorten  fur  schwere  Geschiitze ;  insbesondere  gelang- 
ten  zu  umfassender  Anwendung  das  Kieselpulver  (pebble  poivder)  durch  die 
harte,  glatt  polirte  Oberflache,  Form  und  Grosse  der  Korner  Kieselsteinen  ahnlich; 
1867  das  Cylinder  pulver  (pellet  powder),  ein  stark  gepresstes  Pulver  in  Form 
cylinilrischer  Scheiben.  Zu  analogen  Resultaten  gelangte  man  in  den  anderen 
Staaten.  Auch  fiir  die  Sprengarbeit  wurden  in  letzter  Zeit,  besonders  in  Belgien 
und  Frankreicli,  gepresste  Pulver  in  Form  cylindrischer  Stangen  eingefiihrt. 

Der  gesammte  Fortschritt   im  Pulverwesen    resumirt  sich  so    in  Folgendem: 

1.  Anwendung  verbesserter  Mittel,  urn  eine  moglichst  homogene  und  innige 
Mischung  der  einzelnen  Bestandtheile  zu  erzielen. 

2.  Starke  Compression  des  Pulversatzes. 

3.  Bildung  grosser  Korner  mit  verschiedenen  Formen  und  verschieden  be- 
handelten  Oberflachen. 

Diesem  an  sich  geringen  Fortschritte  parallel  lauft  auch  ein  ausserst  geringer 
Fortschritt  in  den  Apparaten  der  Fabrication.  Abgesehen  von  der  Anwendung 
besserer  Verkohlungsmethoden,  der  Einfiihrung  starker  hydraulischer  Pressen  und 
besserer  Kornmaschinen  ist  man  ziemlicli  auf  demselben  Standpunkte  wie  zu  Anfang  des 
Jahrhundertes.  Und  dass  diese  Fortschritte  nicht  wesentlicher  Natur  sind,  daftir 
gibt  das  beste  Beispiel,  dass  bei  ausserst  sorgfaltig  geleiteten  Versuchen  sich  die 
Pulver  einer  kleinen  schwedischen  Fabrik,*)  welche  die  primitivste  Einrichtung 
besitzt,  aber  sehr  sorgfaltig  arbeitet,  als  die  besten  zeigten. 

'  c)  Fabrication  des  Schiesspulvers.  1.  Rohmaterialien.  Es  ist 
nothwendig  oder  doch  sehr  wtinschenswerth,  dass  Fabriken  ihre  Rohmaterialien 
selbst  erzeugen  oder  wenigstens  raffiniren. 

Salpeter.  Es  wird  nur  Kalisalpeter  verarbeitet,  meist  in  Mehlpulverform, 
wie  sie  durch  Stoning  des  Krystallisationsprocesses  bei  der  Lauterung  entsteht 
(s.  S  a  1  p  e  t  e  r).  Der  gereinigte  Salpeter  muss  ganz  frei  von  in  destillirtem  Wasser 
unlbslichen  Stoffen  sein.  frei  von  schwefel-  und  kohlensauren  Salzen  (Priifnng 
durch  Chlorbaryumlbsnng),  von  salpetersaurem  Kalk  und  Magnesia  (Priifung  durch 
oxalsaures  Kalium  und  Ammoniak),  und  darf  hbchstens  Spuren  von  Chlorver- 
bindungen  (Aequivalent  0-0004%  Kochsalz)  enthalten. 

Schwefel.  Mit  Ausnahme  Schwedens,  wo  zum  Theile  schwedische  Schwefel- 
kiese  verarbeitet  werden,  wird  nur  sicilianischer  Stangenschwefel  genommen,  der 
meist  nochmals  gelautert  und  in  eine  zum  Kleinen  passendere  (sprodere)  Modifi- 
cation tibergefiihrt  wird  (s.  Schwefel).  Der  Schwefel  muss  frei  von  Erden  uudOxyden 
(riickstandslos  verbrennen),  frei  von  Schwefelsaure*  und  schwefliger  Saure  (Priifung 


*)  Acker  in  Sodermannland. 

Karmar.sch  &  Heeren,  Technisches  Wiiitorbucb.    Bd.  III.  21 


322  Explosivstoffe  (Schiesspulver). 

mit  Lacniuspapier)  und  von  Arsen  (Kochen  von  feineni  Schwefel  mit  Salpeter- 
saure,  Neutralisirung  der  salpetersauren  Fliissigkeit  mit  kohlensaurem  Ammonium 
und  Zusatz  von  salpetersaurem  Silber,  darf  keinen  Mederschlag,  Silberarseniat, 
geben)  sein. 

Kohle.  Tauglich  ist  nur  Kohle,  die  leicht  entziindlich,  sehr  zerreiblicli  und 
rascli  verbrennlich  ist  und  sehr  wenig  Asche  gibt;  also  nur  Kohle  von  weichen, 
leichten  Holzern :  Faulbaum ,  Weiden-  und  Erlenholz  (Deutschland),  Hundsbeer 
(Oesterreich),  Haselholz  (Schweiz)  etc.  Ausserdem  werden  sehr  oft  Hanfstengel 
(Italien)7  Weinreben  (Spanien)  und  ahnliche  Vegetabilien  beniitzt.  Ueber  die  ver- 
schiedenen  Methoden  der  Verkohlung  s.  Verkohlung  u.  Holzkohle.  —  Fiir 
sehr  feines  Jagdpulver  wird  sogenannte  Rothkohle  (erzeugt  bei  etwa  270°  C.)  ge- 
nommen,  da  diese  unter  sonst  gleichen  Verhaltnissen  grossere  Triebkraft  gibt; 
die  schwarze  gewohnliche  Pulverkohle  wird  bei  340 — 350°  C.  erzeugt.  Die 
mittlere  Ausbeute   an    Schwarzkokle   betragt  25 — 30°/0  des    verwendeten    Holzes. 

Nach  eingehenden  Versuchen  in  England  hat  es  sich  gezeigt,  dass  sehr 
entziindliche  Kohle  aus  Faulbaumholz,  durch  sehr  langsame  Verkohlung  bei 
niedriger  Temperatur  erzeugt,  die  besten  Resultate  gibt,  und  dass  sich  die  Ver- 
brennlichkeit  des  daraus  erzeugten  Pulvers  durch  entsprechende  Dichte  und  Grosse 
des  Kornes  vollkommen  regeln  lasst.  Die  grossere  Feuchtigkeitsanziehung  solch 
schwach  gebrannter  Kohle  lasst  sich  ebenfalls  durch  Dichte  und  Glatte  des  Kornes 
gentigend  reduciren.  Der  Einfluss  der  Kohle  ist  besonders  wesentlich.  So  ergab 
bei  englischen  Versuchen: 

Pulver  aus  Waltham-Abbey  mit  Faulbaumholz  erzeugt  439  (437)m  |      Anfangs- 
„  „  „        mit  Erlen-u.Weidenkohle  „        374  (391)  „  |Geschwindigk. 

2.  Misckungs  verhaltniss  (Dosirung).  Eine  theoretische  Festsetzung 
des  besten  Mischungsverhaltnisses  ist  nicht  moglich,  da  hiefiir  eine  ganze  Reihe 
tbeoretischer  und  praktischer  Faktoren  fehlen.  Dagegen  ist  durch  eine  hochst 
umfassende  Reihe  von  Erfahrungen  nachgewiesen,  dass  das  praktisch  giinstigste, 
die  vollkommenste  Verbrennung  gebende  Verhaltniss  ungefahr  jenes  von  75  Salpeter, 
10  Kohle  und  15  Schwefel  ist.  Dieses  oder  ein  nur  wenig  abweichendes  Verhaltniss 
kann  heute  fiir  alle  Gewehr-  und  Geschutzpulver  beibehalten  werden. 

Zweifelhaft  ist  es  noch,  ob  dieses  Verhaltniss  audi  fiir  Sprengpulver  in  jenen 
Fallen,  wo  eine  langsam  wirkende  Kraft  wiinschenswerth  ist  (Riesenminen  in 
relativ  weichem  Stein,  wie  Kalkstein),  das  richtige,  und  ob  es  nicht  vorzuziehen 
sei_,  die  Verbrennung  soldier  Pulver  durch  bedeutende  Herabsetzung  des  Salpeter- 
gehaltes  zu  verzogern.  Es  sprechen  aber  auch  hier  sehr  viele  Griinde  dafur,  „nur 
die  beste,  d.  h.  am  vollkommensten  verbrennendePulvermischung 
zn  verwenden"  und  durch  Compression  des  Pulvers  und  andere,  speciell  der 
Sprengtechnik  angehorende  Mittel  die  gewiinschte  Modification  der  Wirkung  zu 
erreichen.  Immerhin  wird  noch  in  manchen  Landern  sogenanntes  Spreng-  (Minen-) 
pulver  mit  vermindertem  Salpetergehalt  erzeugt.  Das  franzosische  Minenpulver  hat 
beispielsweise  62  Salpeter,  18  Kohle,  20  Schwefel. 

4.  Die  Herstellung  des  Pulver satzes.  Die  Herstellung  des  Pulver- 
satzes  fordert  das  Kleinen  der  Rohmaterialien,  deren  vollkommen  innige  Mengung 
und  endlich  die  entsprechende  Dichtung  (Pressung)  des  so  entstandenen  Gemenges. 
Die  primitivsten  Methoden  sind  jene,  in  welchen  das  Kleinen^  Mengen  und  Dichten 
in  einer  Operation  geschieht.  Hiezu  gehort  in  erster  Reihe  die  Herstellung  des 
Pulversatzes  durch  Stampfmtihlen,  seit  1435  in  Anwendung  und  auch  gegen- 
wiirtig  noch  in  einigen  Landern  theilweise  im  Gebrauch  (Oesterreich,  Deutschland, 
Danemark  etc.).  In  einer  Reihe  von  morserahnlichen  Stampflochern,  in  Eichen- 
oder  Buchenholz  gehdhlt  und  etwa  0*4m  weit  und  tief  und  zur  Aufnahme  von  etwa 
8 — 10  Kilo  Satz  bestimmt,  wird  Salpeter,  Kohle  und  Schwefel  in  Form  groben 
Pulvers  eingetragen  und  durch  vertical  auf-  und  abbewegte  Stempel  aus  Holz, 
welche  unten  einen  Bronceschuh  tragen  und  17 — 40  Kg.  schwer  sind,  unter  zeit- 
weiser  Befeuchtung  des  Satzes  zerkleinert  und  zugleich  gemengt  und  gedichtet. 
Die  Anzahl  Stosse  pro  Minute  ist  55—60,  die  Dauer  der  Bearbeitung  je  nach  der 


Explosivstoffe  (Schiesspulver). 


323 


1513. 


Giite  des  Pulvers,  der  Schwere  der  Stampfen  etc.  14—60  Stunden.  Die  Fallhohe 
ist  0-3  —  0'bm  (gewohnlich  0*432).  Diese  Methode  ist  entschieden  zu  verwerfen. 
Sie  fordert  sehr  viel  Zeit,  sehr  viel  mechanische  Kraft  (15 — 16  Millionen  Kilo- 
grammmeter  pro  100  Kilo  Pulver),  viel  Arbeiter  (40  Arbeiterstunden  pro  100  Kilo), 
liefert  ein  wenig  homogenes,  nicht  sehr  festes  und  poroses  Pulver,  und  ist  so  ge- 
fahrlich,  dass  sie  in  England  ganz  verboten  ist.  Das  Gleiche  gilt  fur  eine  analoge 
Arbeitsweise,  die  noch  in  der  Schweiz  in  Verwendung  ist  und  in  der  die  Stampfen 
durch  Hammer  ersetzt  sind.  Ein  weit  besserer  Vorgang,  urn  alle  drei  Operationen 
zu  vereinen,  ist  die  Bearbeitung  durch  Walzmiihlen  (Laufer-,  Kollermiihlen).  Die 
Materialien  werden  auf  eine  Art  horizontaler  Stein-  oder  Eisenschale  geschlittet, 
auf  der  im  Kreise  sich  zwei  schwere  Cylinder  von  Stein,  Bronze  oder  Gusseisen 
an  einer  horizontalen  Achse,  ahnlich  wie  bei  Chocolademaschinen,  bewegen  und  so 
die  Materialien  zerreiben,  mischen  und  durch  ihre  Schwere  (bis  zu  5000  Kilo 
a  Laufer)  zugleich  pressen.  Die  Detailbeschreibung  einer  solchen  Construction  folgt 
spater.  Aber  auch  diese  Methode  ist  nicht  rationelL  fordert  noch  immer,  besonders 
bei  sehr  feinem  Pulver,  viel  mechanische  Arbeit  (9  — 10  Millionen  K.-M.  pro  100  Kilo 
guten  Pulvers,  feines  englisches  Pulver  fordert  sogar  iiber  40  Millionen  K.-M.) 
und  ist  ebenfalls  hochst  gefahrlich. 

Heute  wird  von  der  Vereinigung  der  Operationen  des  Kleinens,  Mengens  und 
Dichtens  in  alien  rationellen  Pulverfabriken  abgegangen.  Das  Kleinen  der  Roh- 
materialien  wird  jedenfalls  getrennt  von  der  Mengung  und  Dichtung,  in  den  meisten 
Fallen  sogar  auch  der  Process  der  Dichtung  getrennt  von  jenem  der  innigen 
Mengung  vorgenommen. 

Das  Kleinen  der  Substanzen  (pulverisation,  trituration  des  matieres 
composantes  —  pulverizing  the  ingredients).  Das  Kleinen  der  einzelnen  Bestand- 
theile  fur  sich  kann  entweder  in  Stampfmiihlen  (alteste  unrationellste  Methode), 
in  Walzmiihlen  (ahnlich  den  Chocoladereib- 
maschinen,  fiir  Schwefel  auch  oft  ahnlich 
den  Kaifeereibmiihlen),  oder  in  sogenannten 
Pulverisir-  oder  Brechtrommeln  geschehen. 
Die  Walzmiihlen  sind  den  spater  be- 
schriebenen,  zur  innigen  Mengung  der 
Materialien  bestimmten  ahnlich,  nur  haben 
sie  meist  leichtere  Laufer  als  diese.  Die 
Brechtrommeln  sind  von  sehr  verschie- 
dener  Construction  und  Dimension.  Eine 
gute  Construction  zeigt  Fig.  1513.  Die 
Trommel  besteht  aus  einem  Cylinder  von 
starkem  Eichenholz  (2*2m  Durchmesser, 
l'6m  Lange),  der  durch  drei  Eisenreifen 
zusammengehalten  und  durch  Holzboden 
beiderseits  geschlossen  ist.  Innen  hat  die 
Trommel  24  Leisten  aus  Weissbuchen- 
holz,  welche  in  gleichen  Abstanden  von 
einander  parallel  mit  der  Achse  der  Trom- 
mel laufen.  Die  ganze  innere  Flache  der 
Trommel  ist  mit  starkem  Sohlleder  be- 
kleidet.  Durch  die  Trommel  geht  eine 
eiserne,  in  Metalllagern  ruhende  Achse, 
welche  im  Innern  der  Trommel  zuerst  mit 
Holz  und  dariiber  mit  Leder  bekleidet 
ist.  Durch  entsprechende  Transmissions- 
mittel  kann  die  Trommel  in  Drehung  ver- 
setzt  werden.     Das  Ein-  und  Ausbringen 

der  Materialien  geschieht  durch  eine  Oeffnung  in  der  Mantelflache,  welche  wahrend 
des  Kleinens    durch  eine    massive  Thiire  verschlossen    wird.     Ueber  der  Trommel 

21* 


324  Explosivstoffe  (Schiessputver). 

ist  ein  concentriscb.es  Gehause  aus  Wackstaffet,  das  mit  einer  Klappe  X  geoffnet 
oder  geschlossen  werden  kann  imd  das  Verstauben  hindert.  An  dieses  Gehause 
seliliesst  sich  unten  ein  Drillichsack  L,  durck  den  die  fertige  Miscknng  in  unter- 
gestellte  Fasscken  F  fallt.  Das  Kleinen  in  solchen  Trommeln  gesckiebt  dadurck, 
dass  die  zu  pulverisirenden  Materialien  mit  kleinen  Bronzekugeln  von  4 — 15mm 
Durckmesser  eingebrackt  und  dann  eine  passende  Zeit  in  Rotation  erkalten  werden. 
Da  Sckwefel  sick  sekr  sckwer  durck  diese  Metkode  fur  sick  kleinen  lasst  (er  ballt 
unci  erkitzt  sick),  wird  er  gewoknlick  mit  einem  Theile  Salpeter  zusammengemengt. 
In  Spandau  werden  in  Trommeln  der  angegebenen  Construction  50  Kilo  Kokle 
mit  100  Kilo  Bronzekugeln  (von  etwa  14cm  Durckmesser)  durck  900  Rotationen 
(8 — 10  pro  Minute) ;  44  Kilo  Sckwefel  mit  44  Kilo  Salpeter  durck  100  Kilo 
Bronzekugeln  (von  8  — 14cm  Durchmesser)  durck  1200  Umdrekungen  gekleint. 
Ist  eine  Ckarge  pulverisirt,  so  wird  der  massive  Deckel  abgenommen,  an  seine 
Stelle  ein  Messinggitter  gesetzt,  welcbes  die  Kugeln  riickhalt,  die  feinen  Materialien 
aber  in  den  Sack  L  fallen  lasst.  Die  feme,  leickt  selbstentziindlicke  Kokle  wird 
zweckmassig  in  gescklossenen  Bleckkasten  und  feuerfesten  Localitaten  untergebrackt. 
Wo  man  Salpeter  und  Sckwefel  sckon  in  Form  feinen  Pulvers  gewinnt,  fallt 
natiirlick  eine  besondere  Kleinung  kinweg.  Es  ist  von  Vortkeil  auck  dort,  wo 
man  Trommeln  zum  Kleinen  benlitzt,  die  groben  Rokmaterialien  zuerst  mit  Hammern 
in  Stiicke  zu  zerschlagen,  dann  unter  einfacken  Mtiklen  grob  und  dann  erst  in  den 
Trommeln  fein  zu  pulvern.  Bei  solckem  Vorgang  kann  dann  das  Kleinen  in 
Trommeln  als  die  rationellste  Metkode  angeseken  werden. 

In  manchen  Fabriken  werden  nur  Miscbungen  von  je  zwei  Rokmaterialien 
zusammengemengt,  u.  zw.  Sckwefel  mit  einem  Tkeile  der  Kokle  (Sckwefelkoklen- 
satz)  uud  Salpeter  mit  dem  Rest  der  Kokle  (Salpeterkoblensatz).  Die  Verkaltnisse 
solcker  „binarer"  Miscbungen  oder  Satze  miissen  so  sein,  dass  Schwefelkohlensatz 
und  Salpeterkoklensatz.  in  passenden  Verbaltnissen  zusammengemischt  den  rick- 
tigen  Pulversatz  geben. 

Das  Mengen  der  gekleinten  Materialien  (melanger  —  mixing). 
Das  Mengen  der  fiir  sick  oder  binar  gekleinten  Substanzen  findet,  wo  man  Stampf- 
miiblen  biefiir  verwendete,  in  diesen,  sonst  aber  in  Mengtrommeln  oder  aufWalz- 
miililen  statt.  Die  Mengtrommeln  sind  ganz  ahnlich  den  friiber  beschriebenen 
Brecbtrommeln  construirt,  nur  ist  die  aussere  Holzverkleidung  meist  durck  ein 
blosses  Holzgerippe  ersetzt,  welcbes  mit  sekr  starkem  Soblenleder  iiberzogen  ist; 
ausserdem  werden  alle  Eisenbesckla'ge  durck  solcke  aus  Bronze  oder  Messing  ersetzt. 
In  Spandau  kommen  in  eine  Trommel  20  Kilo  Salpetersckwefel.  (s.  oben),  64  Kilo 
Salpeter  und  16KiloKoble  mit  150  Kilo  8cm  Bronzekugeln  zusammen  und  werden 
durck  1440  Umdrekungen  (8 — 10  a  Minute)  gemengt.  Die  vorgesckriebene  Touren- 
zabl  wird  bei  Brecb-  und  Mengtrommeln  meist  durch  Zabhverke  controllirt.  In 
mebreren  der  grossten  Pulverfabriken,  besonders  in  Frankreicb,  England  und  seinen 
Colonien  gesckiekt  das  innige  Mengen  (the  Incorporation)  oft  durck  Walzmiiblen 
(meules  pesantes  —  incorporating  mills),  meist  nacbdem  friiber  die  drei  Materialien 
oberflacblicb  in  einer  Art  Mengtrommel,  in  der  die  Wirkung  der  Kugeln  durck  je 
mekrere  an  der  Acbse  befestigter  bronzener  Arme  ersetzt  ist,  gemengt  wurden. 
Fig.  1514  zeigt  eine  Walzmiilile  der  kbn.  engliscken  Pulverfabrik  zu  Waltbam- 
Abbey.  Die  Miible  bestebt  aus  einem  Paar  grosser  scbwerer  Laufer  L  L  (meules 
verticales  —  edge-runners)  aus  Eisen  oder  Stein,  welcbe  auf  einer  horizontalen 
Lagcrscbale  «S  desselben  Stoifes  laufen.  Die  grossten  Laufer  baben  bis  zu  2-5  m 
Durcbmesser  und  5 — 6000  Kilo  Gewicbt.  Die  Laufer  sind  auf  einer  starken  Ho- 
rizontalackse  H  befestigt,  welcbe  ihrerseits  fest  mit  der  Muffe  m  verbunden  ist, 
die  derart  auf  der  Verticalwelle  V  sitzt,  dass  sie  sich  wohl  mit  dieser  drehen 
muss,  sich  aber  langs  derselben  vertical  senken  und  heben  kann,  wobei  dann 
natiirlick  die  korizontale  Ackse  und  die  Laufer  an  dieser  Bewegung  Tkeil  nehmen. 
Die  Acbse  V  wird  durch  eine  passende  Transmission  unterhalb  der  Lagei-schale 
in  Drehung  versetzt.  Die  2  Laufer  sind  in  verschiedenen  Entfernungen  von  der 
verticalen  Achse  befestigt.     Die  Muffe  m  tragt  auf  einem    abwarts  gehenden  Arm 


Explosivstoffe  (Scbiesspulver 


v,->: 


ein  pflugformiges  Streifmesser  R  aus  mit  Filz  oder  Leder  bescblagenem  Holze, 
welches  den  Zweck  hat,  die  Pulvermasse  zu  wen  den  und  unter  die  Laufer  zu 
bringen. 


Wahrend  der  Bearbeitung  muss  die  Pulvermasse  von  Zeit  zu  Zeit  mit  de- 
stillirtem  Wasser  in  dem  Masse  befeuchtet  werden,  dass  sie  am  Scblusse  der  Arbeit 
2  — 3°/n  Wasser    enthalt.     Trotz    dieser  Befeuclitung   wird    die  Masse    gegen    das 


326 


Explosivstoffe  (Schiesspulver). 


Ende  der  Arbeit  ausserst  explosiv  und  die  Arbeit  somit  sehr  gefahrlich.  In  England 
diirfen  nur  25  Kilo  auf  einmal  unter  die  Laufer  kommen  und  dauert  die  Arbeit 
bei  Gewebrpulver  5,  bei  Geschtitzpulver  3  Stunden. 

In  Form  eines  weichen  Kuchens  verlasst  das  Pulver  die  Walzmiihlen  und 
wird  in  holzernen  Fassern  zur  weiteren  Verarbeitung  aufbewabrt. 

Es  ist  beute  nocb  eiue  offene  Frage,  ob  nicbt  die  Mengung  nur  in  Trommeln, 
welcbe  weniger  Arbeitskraft  und  viel  weniger  Anlagekapital  fordern  und  weniger 
gefahrlich  ist,  ein  eben  so  gutes  Product  liefern  kann,  als  die  Bearbeitung  durch 
Laufer. 

Eine  innige  Mischung  ist  jedenfalls  von  sehr  hohem  Einflusse  auf  die  Giite 
des  Pulvers  und  bringt  eine  Verlangerung  der  Bearbeitungsdauer  unter  den  Laufern 
innerhalb  gewisser  Grenzen  eine  bedeutende  Steigerung  der  Anfangsgeschwindigkeit 
und  eine  Herabsetzung  der  Gasdrilcke  mit  sich. 

So  ergaben  Versuche  in  England: 


Mit  Faulbaumholzkohle 

erzeugtes    Pulver    von 

Hall  &  Sons 


Mit  der  Zunahme  der  Mahlzeit  sinkt  die  Dichtigkeit  des  Satzes. 

Das  Die  h  ten  oder  Pressen  des  Pulver  satzes  (compression  du 
melange  temaire  —  2')ress^n9)-  Dichte  und  Harte  des  Pulvers  sind  von  mass- 
gebendstem  Einfluss  auf  die  Wirkung,  miissen  also  genau  eingehalten  werden.  Die 
entsprechende  Dichte  wird  durch  Volumverminderung  (Pressen),  die  nothige  Harte 
durch  Anwendung  eines  bestimmten  Feuchtigkeitsgrades  wahrend  der  Pressung 
erreicht.  Die  moderne  Pulverfabrication  sucht  grosse  Dichte  und  Harte  zu  er- 
reichen  zur  Schonung  der  Rohre  und  zur  Vergrbsserung  der  Widerstandsfahigkeit 
des  Pulvers  gegen  mechanische  Erschiitterungen  und  den  Einfluss  der  Feuchtigkeit. 
Zu  grosse  Dichte  kann  aber  ebenfalls  sckadlich  sein  und  die  Wirkung  zu  stark 
herabsetzen,  so  ergaben  beim  Feuern  aus  dem  10-zolligen  Geschiitze; 
70  Pfd.  pebble  Pulver  mit  Dichte  1-84  .    1288  Fuss  Anfangsgeschwindigkeit, 

10      „  „  „         „        „       1-81   | 

60      „  ■       „         „        1-78   \ 


Korngrosse 

Anfangsge- 
schwindigkeit 

Grosster 
Gasdruck 

2  Stunden 
gemahlen 

25mm 
16mm 

450m 
441m 

2142- Atm. 
3154     „ 

8  Stunden 
gemahlen 

25mm 

16™ 

462m 
460m 

1897  Atm. 
3106     „ 

1424 


Fiir  jede  Geschiitzgattung  ist  experiinenteli  die  richtige  Pulverdichte  zu  be- 
stimmen. 

Die  Verdichtung  des  Pulvers  geschieht  durch  Schrauben-,  Walzen-  oder  hy- 
draulische  Pressen.  Wurde  der  Pulversatz  in  Trommeln  erzeugt,  so  muss  er  vor 
dem  Einbringen  in  die  Pressen  angefeuchtet  werden ;  wurde  der  Satz  unter  Laufern 
bearbeitet,  wo  er  bereits  eine  ziemliche  Consistenz  erlangt  hat,  so  muss  er  friiher 
in  Stticke  zerschlagen  werden.  Die  Construction  der  Schrauben-  und  der  hydrau- 
lischen  Pressen  ist  im  Wesentlichen  ganz  gleich  jener  gleichbenannter  Pressen  fiir 
andere  Zwecke.  Die  Grosse  der  Pressung  wird  in  beiden  Fallen  nur  durch  die 
erzielten  Volumveranderungen  gemessen,  welche  das  Pulver  wahrend  der  Pressung 
erleidet.  Man  bringt  das  Pulver  meist  in  20 — 40r  von  einander  durch  feuchte 
Leinwand  oder  Metallplatten  getrennten,  1 — 2cm  hohen  Schichten  auf  die  Press- 
platte  und  setzt  es  dann  einem  Drucke  aus,  der  bis  zu  130  Atmospharen  steigt. 
Das  Pulver  wird  hiebei  etwa  auf  V3  seines  friiheren  Volumens  comprimirt. 

Eine  eigentliiimliche  Construction  haben  die  Walzenpressen,  welche  besonders 
in  Deutschland  und  Frankreich  verbreitet  sind.  Fig.  1515  zeigt  eine  Walzenpresse 
deutscher  Construction.  Zwischen  zwei  paralellen  Wanden  a  a,  deren  jede  aus 
zwei  von  einander  getrennten  Balken  b  b  besteht,  befinden  sich  3  Walzen,  von  denen 


Explosivstoffe  (Schiesspulver). 


327 


sich  die  oberen  mit  ihren  Aclisen  in  den  durch  die  Balken  b  b  in  den  Wanden 
a  a  gebildeten  Fiihrungen  auf-  und  abbewegen  konnen.  Die  uhterste  Walze  wx 
(Triebwalze)  hat  feste  Lager  und  wird  von  der  Triebkraft  der  Fabrik  durch  eine 
passende  Transmission  in  Bewegung  gesetzt.  Die  mittlere  Walze  w?2  ist  aus  Papier, 
liegt  frei  auf  der  Triebwalze  auf  und  wird  von  dieser  durch  Friction  mitgenommen, 
die  obere  w;i  (Druckwalze)  ist  aus  Metall.  Zwischen  wq  und  w.A  geht  ein  aus 
starkein  Segeltuch  gefertigtes  Band  ohne  Ende,  welches  durch  die  kleine  Walze  iv0 
in  der  Richtung  des  Pfeiles  /  bewegt  und  so  zwischen  it\  und  w3  durcligezogen 
wird.  Ueber  dem  Bande  ohne  Ende  sitzt  ein  Aufschuttkasten  K,  in  welchen  das  ange- 
feuchtete  (10  °/0  Wasser  enthaltende)  Pulver  kommt,  durch  OefFnen  des  Schiebers  S  in 
mehr  oder  weniger  dichter  Schichte  auf  das  Band  fallt,  mit  diesem  zwischen  den  Walzen 
w„  und  iv3  durcligezogen,  durch  den  Druck  der  letzteren  comprimirt  wird  und  auf 
der  anderen  Seite  in  passende  Aufnahmsgefasse  fallt.     Auf  den  Zap  fen  der  Walze 


Fig.  1515. 


w3  sitzen  in  den  Schlitzen  der  Balken  b  b  zwei  Balken  h  h,  iiber  welche  ein 
Querbalken  g  greift,  der  als  Auflager  eines  langen,  um  den  festen  Punkt  i  dreh- 
baren  Hebels  H  H  dient.  Indem  man  durch  eine  passende,  aus  Flaschenziigen 
und  Hebeln  combinirte  Vorrichtuug  das  Ende  H  entsprechend  stark  niederzieht, 
kann  man  auf  die  Walze  w.A  und  damit  auf  den  Pulverkuchen  einen  sehr  starken 
Druck  ausiiben.  Passende  Verhaltnisse  ergeben  sich,  wenn  die  Pulverschichte  etwa 
von  30cm  auf  10cm  Hohe  niedergepresst  wird  und  die  Druckwalze  bei  10  Touren 
pro  Minute  ca.  10.000  Kg.  Druck  ausubt.  Eine  solche  Presse  kann  taglich  bis 
1000  Kilo  Pulver  pressen. 

Gut  eingerichtete  hydraulische  Pressen  sind  jedenfalls  den  Walzenpressen 
vorzuziehen. 

Explosionen  wahrend  der  Pressung  sind  haufig  und  gehoren  zu  den  zer- 
storendsten  und  heftigsten. 

Das  Pulver  verlasst  die  Pressen  in  Form  fester,  schieferartiger  Kuchen  und 
muss  durch  die  folgenden  Operationen  zunachst  in  die  entsprechende  Form  ge- 
bracht  werden. 

5.  Das  Kornen  (le  grenage  —  granulating).  Das  Kornen  hat  den  Zweck, 
den  harten  Pulverkuchen  in  Korner  bestimmter  Grosse  zu  zertheilen.  Die  meisten 
der   hiezu    verwendeten  Vorrichtungen    lassen    sich    in    2  Gruppen    theilen,  in    die 


328 


Explosivstoffe  (Schiesspulver) 


Lefebere'scben  und  in  die  C o n g r e v e'scben  Kornmaschinen.    Die  Construction 
der  Ersteren,  ineist  auf  dem  Continent  in  Gebrauch,  zeigen  die  Fig.  1516  a  u.  b. 

Dei*  Hauptbestand- 
Fiq.  1516  a.  theil  der  Mascbine 

ist  eine  Anzabl  (8 

bis  12)  symetrisch 

nm    einen    Mittel- 

punkt    auf    einem 

horizontal  en    Rah- 

men        befestigter 

Siebsysteme  S,  $2 

S3,  deren  jedes  fol- 

gende     Detailcon- 

struction  bat  (Fig. 

1516  Z>).  In  einem 

cylindrischen  Holz- 

gestelle  sind  3  Sie- 

be  eingesetzt  ax  aa 

a3.     Das     oberste 

Sieb  bat  ein  Mes- 

singgewebe       mit 

etwa     5cm   weiten 

Mascben,     ausser- 

dem      enthalt     es 

zwei  grossere  Oetf- 

nungen  o  o,     von 

welchen    aus    ge- 

krummte    Kupfer- 

scbaufeln  K  nach 

dem    2.  Siebe    a2 

berabfiihreu      und 

dieses  tangiren.     Auf  dem  Obersieb  liegt 

frei  eine  Eichenbolzscbeibe  E,  welcbe  an 

ibrer    Unterflache    sternformig   ausgenom- 

men   und  durcb '  Bleieinguss     immer     im 

Gewicbte  von  3  Kilo  erhalten  wird.    Die 

Mascbenweite     des    Mittelsiebes    a„    ent- 

spricbt  der  zu  producirenden  Kornergrosse, 

wabrend     das  Untersieb    die     zu     feinen 

Theilc  durchlasst.    Der  Rabmen,  auf  dem 

sammtliche     Siebsysteme    befestigt    sind, 

kann     durch    eine    Excenterwelle   W  W, 

welcbe    in   passender  Weise  (z.  B.  durch 

eine  Trommel  M)  ihren  Antrieb  erhalt,  in 

eine  schiittelnde,  riittelnde  Bewegung  ver- 

setzt   werden,    die    sicb    den   Sieben   mit- 

theilt.     Jedes    Sieb    ist  oben    mit    einem 

Deckel   verschlossen,     durch    den  je    ein 

Lederschlauch  Ln  L„  nach  einem  Kupfer- 

trichter  T, ,  T„  fiihrt,"  der  zum  Einschutten 

des  in  grobe  Stiicke  zerschlagenen  Pulver- 

kuchens    dient.     Der     auf    das  Obersieb 

fallende    Kuchen    wird    durch    die    Korn- 

scbeiben   zerrieben,    fallt    auf   das  Mittel- 

sieb    mid  von    bier    die  entsprecbend    grossen  Korner  Nr   in  die  Aufnahmsgefasse 

far  das  gekornie  Pulver.  Die  durch  das  Untersieb  gebenden  Theile  gelangen  eben- 


Explosivstoffe  (Schiesspnlver 


329 


falls  durcli  Schlauche  P,,  P2  in  separate  Gefasse.  Die  durch  das  Obersieb 
lenden  Theile,  welche  noch  zu  gross  sind,  urn  durch  das  Mittelsieb  zu  gehen, 
den  durch  die  Centrifugalkraft  auf  den  schiefen  Flachen  K  aufwarts  geschleu 
gelangen  so  durch 
die  Oeffnungen  0 
wieder  auf  das 
Obersieb  und  unter 
die  Kornscheiben. 
Eine  bessere 
Construction,  und 
vielleicht  mit  pas- 
senden  Verander- 
ungen  auch  fur 
die  grosskornigen 
Geschiitzpulver  an- 
wendbar,  ist  die 
"Cong  re  ve'sche 
K6rnmaschine(Fig. 
1517).Viermitent- 
sprechend  geform- 
ten  Zahnen  verse- 
hen  e  Walzenpaare 
aus  Bronze  tt\  w„ 
w3  iv 4  sind  in  ge- 
neigter  Richtung 
iiber  einander  an- 
gebracht.  Die  Wal- 
zen  jedes  Paares 
konnen  durch  Stell- 
schrauben  pas  send 
von  einander  ent- 
fernt  werden.  Von 
einem  Rollenpaar 
zum  anderen  fiih- 
ren  geneigte  kurze 
Drahtsiebe  s,  s„  s3. 
Unter  sammtlichen 
Rollenpaaren  hin- 
weg,  paralell  zu 
einander,  laufen 
zwei  grosse  Siebe 
N  N  und  M  M 
und  eine  voile  Ebe- 
ne  PP,  die  saramt- 
lich  durch  einen 
Holzrahmen  mit 
einander  verbun- 
den  sind  u.  sammt 
den  genannten  kur- 
zen  Sieben  in  eine 
rtittelnde  Bewe- 
gung  versetzt  wer- 
den konnen.    Das 

Pulver  wird    in    ein  Aufnahmsgefa'ss  A  geschiittet 
ohne  Ende  B  B  aufwarts  und   zwischen 
der  Maschine  ist  selbstverstandlich. 


fal- 

Aver- 
dert7 


und    von    hier  durch    ein  Band 
die  Walzen    gefiihrt.     Das  weitere  Spiel 


330  Explosivstoffe  (Schiesspulver). 

Will  man  sehr  grosskorniges  Pulver  (jpelletpowder)  erzeugen,  so  wird  die 
Zertheilung  des  Pulverkuchens  ebenfalls  durcli  ahnlicke,  mit  passend  geformten 
Zahnen  versehene  Walzenpaare  oder  durch  Schneidmaschinen,  welche  ahrilich  grossen 
Zuckersckeeren  sind,  vorgenommen. 

Auch  die  Kornung  ist  im  Allgemeinen  eine  gefahrliche  Operation.  Von  29 
grossen  Pulverexplosionen  in  England,  zwischen  Mai  1858  bis  Juni  1870,  ent- 
standen  eilf  wahrend  der  Kornung  und  verungliickten  dabei  45  Menschen. 

6.  Erste  Trocknung  des  Komp ul vers  (sechage  —  drying).  Das 
Pulver  komnit  aus  der  Kornmaschine  in  geraumige  Trockensale,  deren  Construction 
guten  Luftzug  gestattet  und  wird  bier  in  diinnen  Scbichten  auf  etagenformig  iiber 
einander  liegenden  holzernen,  gitterformigen,  mit  Leinwand  iiberspannten  Trocken- 
tafeln  ausgebreitet,  und  bleibt  so  lange  liegen,  bis  es  nur  noch  2V2—  3%  Wasser 
enthalt.     Dieses  Lufttrocknen  dauert  bei  feuchter  Witterung  bis  zu  14  Tagen. 

7.  Erstes  Sortiren  undAusstauben.  Die  Kornmaschienen  liefern  Kor- 
ner  sebr  verscbiedener  Grosse  und  mit  viel  Staub  gemengt.  Nach  dem  Lufttrocknen 
wird  deshalb  ein  vorlaufiges  Sortiren  und  Entstauben  vorgenommen.  Gut  ver- 
wendbar  hiezu  sind  grosse,  an  4  Riemen  hangende  borizontale  Siebkasten,  welche 
durch  verticale  Wande  in  12  Abtheilungen  getbeilt  sind,  deren  jede  ein  Obersieb 
enthalt,  welches  die  zu  grossen  Korner  riickhalt,  wahrend  die  anderen  auf  das 
darunter  liegende  Sieb  fallen,  welches  die  Geschiitzpulverkorner  zuriickhalt,  die 
kleineren,  fur  Gewehrpulver  bestimmten,  aber  auf  ein  Haarsieb  fallen  lasst,  welches 
den  Staub  allein  durchlasst.  Jede  Abtheilung  wird  von  oben  mit  etwa  4  Kilo  be- 
schickt,  das  Sieb  von  2  Arbeitern  in  schiittelnde  Bewegung  versetzt  und  nach 
IV2 — 2  Minuten  die  Abtheilungen  entleert.*) 

8.  P  0 1  i  r  e  n  d  e  r  K  0  r  n  e  r  (lissage  —  glazing).  Die  Operation  des  sogenann- 
ten  Polirens  hat  den  Zweck,  die  scharfen,  sich  leicht  abbrockelnden  Ecken  und  Kanten 
der  Korner  abzuschleifen,  die  Poren  zu  verstopfen  und  den  Kornern  eine  feste 
glatte  Oberflache  zu  geben.  Im  Allgemeinen  wendet  man  zum  Poliren  Holz- 
trommeln  an,  die  ahnlich  den  Mengtrommeln  construirt  sind,  nur  dass  die  Achsen 
meist  nicht  durch  die  Trommeln  gehen,  sondern  an  deren  Stirnflachen  direct  be- 
festigt  sind.  Das  Poliren  erfolgt  einfach  durcli  gegenseitige  Reibung  der  einge- 
brachten  Korner  aneinander  wahrend  der  Drehung  der  Trommeln.  In  Spandau 
haben  diese  Trommeln  etwa  l'8m  Durchmesser,  0-6m  Lange,  nehmen  auf  einmal 
200  Kilo  Pulver  auf  uud  fordert  deren  Politur  circa  3600  Drehungen,  wovon  10 
(bei  Geschiitzpulver),  12 — 16  (bei  Gewehrpulver)  auf  die  Minute  gehen,  Graphit- 
zusatze  werden  nur  bei  grobem  Pulver  genommen,  bei  feinem  sind  sie  schadlich. 
Starker  Glanz  des  Pulvers  ist  ohnedies  kein  Zeichen  der  Giite. 

9.  Trocknung  des  Pulvers.  Obwohl  das  Pulver  wahrend  des  Polirens 
einen  grossen  Theil  seiner  Feuchtigkeit  verliert,  hat  es  bei  Beendigung  desselben 
doch  noch  immer  1  '/„ — 2  °/0  Wasser,  von  denen  es  befreit  werden  muss.  In 
manchen  kleinen  Fabriken  geschielit  dies  noch  durch  Trocknen  an  der  Luft  oder 
in  sehr  primitiven,  bios  durch  Oefen  geheizten  Trockenstiiben.  In  alien  grosseren, 
besser  eingerichteten  Fabriken  hat  man  nur  Trockenstuben  mit  Warmwasserheizung, 
in  denen  der  Feuerherd  vollkommen  vom  Trockenraume  getrennt  ist.  Meist  ist 
die  Einrichtung  derart  getroffen,  dass  die  erwarmte  trockene  Luft  in  Trockenkasten 
tritt,  welche  oben  mit  Drahtgeflechten  und  dariiber  mit  leinenen  Decken  iiberzogen 
sind,  auf  welche  das  Pulver  in  diinnen  Scbichten  ausgebreitet  wird.  Die  warme 
Luft  stromt  so  durcli  die  Pulverschichte  und  nimmt  deren  Feuchtigkeit  leicht  mit. 
Das  Trocknen  muss  langsam  geschehen,  bei  einer  Temperatur,  welche  zwischen 
50—60°  C.  bleibt.  Das  Trocknen  bei  58°  C.  in  1— 2cm  hohen  Schichten  und 
unter  neissi°rem  Umriihren  dauert  etwa  1   Stunde. 


-)  In  manchen  Fabriken  wird  das  Ausstaubeii  in  rotirenden  Sieben  vorgenommen.  Das 
Lufttrocknen  vor  dem  Ausstauben  bleibt  weg,  wenn  durch  das  Pressen  ein  sehr  fester, 
■\venig  Feuchtigkeit  enthaltender  Pulverkuchen  gewonnen  wird. 


Explosivstoffe  (Schiesspulver).  331 

10.  DasAusstauben  des  trockenenPulvers  (epoussetage —  dusting). 
Sehr  grobkbrniges  Pulver,  z.  B.  das  engliscbe  Rifle  Large  Grain  wird  nach 
dera  Trockneu  sogleich  in  Fasser  verpackt,  feinere  Pulversorten  werden  nach  dem 
Trocknen  nochmals  entstaubt.  Man  beniitzt  hiezu  entweder  wieder  einfache  Sieb- 
vorrichtungen  oder  in  vielen  Fabriken  Leinensacke  verschiedener  Form  und  Grosse, 
in  welche  das  Pulver  kbinmt  und  in  passender  Weise  in  den  Sacken  einer 
schiitteluden  Bewegung  ausgesetzt  wird.  Das  Ausstauben  in  Sacken  dauert  circa 
1  Stunde  bei  Geschiitzpulver,  2  Stunden  bei  Gewebrpulver. 

11.  Das  Sortiren  des  Pulvers.  Die  auf  das  1.  Sortiren  folgenden  ver- 
schiedenen  Operationen  verandern  wieder  derart  die  Korngrbsse,  dass  ein  2.  Sortiren, 
in  ganz  ahnlichen  Apparaten  wie  beim  1.  Sortiren,  nothwendig  wird,  eine  Operation, 
die  fur  25  Kilo  Pulver  die  Arbeitskraft  von  2  Mann  durch  ^^inuten  fordert. 

12.  Das  Men  gen  der  erzeugten  Pulver.  Um  fur  die  Verwendung 
moglichst  gleichfbrmiges  Pulver  zu  haben,  wird  das  erzeugte  Pulver  noch  derart 
in  passender  Weise  zusammengemengt,  dass  die  zufalligen  unvermeidlichen  Diffe- 
renzen  in  Feuchtigkeitsgekalt,  Dichte,  Zusammensetzung  etc.  moglichst  ausgeglichen 
werden,  und  man  immer  Mengen  von  5000 — 10.000  Kilo  erhalt,  welche  praktisch 
genommen  durchaus  dieselbe  Zusammensetzung  haben. 

13.  Die  Methode  der  Pulvererzeugung  nach  Champ y.  Eine  fur 
die  Erzeugung  von  Minenpulver  wichtige  Abweichung  von  den  bisher  skizzirten 
Fabricationsmethoden  ist  das  Verfahren  nach  Champy.  Die  gewohnliche  Methode, 
gekbrntes  Pulver  herzustellen,  ist  zeitraubend,  kostspielig  und  gefahrlich,  leider 
aber  fur  alle  Gewehr-  und  Geschtitzpulver  nicht  zu  umgehen.  Versuche  zur  Zeit 
der  ersten  franzosischen  Revolution  ausgefiihrt  (in  Vincennes  1795)  zeigten,  dass 
eine  feuchte  Pulvermasse  schon  durch  Schiitteln  in  Tonnen  sich  in  Form  runder 
Kbrner  bringen  lasse.  Champy  griindete  hierauf  folgende  Kornungsmethode :  Der 
Apparat  der  Kornung  ist  eine  Trommel,  ganz  ahnlich  jener  zur  Erzeugung  des 
Pulversatzes,  nur  fiihrt  durch  eine  der  Stirnflachen  in  das  Innere  der  Trommel 
ein  Kupferrohrchen,  welches  mit  einer  Art  Brause  endet,  und  welches  gestattet, 
genau  abgemessene  Wassermengen  in  feinen  Strahlen  in  die  Trommel  einzuspritzen. 
In  die  Trommel  kommen  50  Kilo  Pulvermasse  in  Form  sehr  kleiner  Kbrner,  dann 
setzt  man  die  Trommel  in  Bewegung,  lasst  etwa  5  Kilo  Wasser  durch  die  Brause 
zutreten,  wodurch  die  Korner  befeuchtet  werden  und  bringt  dann  weitere  50  Kilo 
Pulver  in  Staubform  zu.  Die  feuchten  Kornchen  werden  von  diesem  umhilllt  und 
vergrbssern  sich  wahrend  der  weiteren  Drehung  der  Trommel  bis  zum  gewiinschten 
Masse.  Man  erhalt  so  rundes  Kornpulver,  welches  nur  mehr  getrocknet,  sortirt 
und  entstaubt  wird.  Die  feinsten  Kbrner  kommen  wieder  zur  nachsten  Operation. 
Fiir  Minenpulver  ist  diese  Arbeitsmethode  praktisch  noch  viel  im  Gebrauch,  und 
lasst  sich  mit  ihr  Pulver  von  einer  Dichte  bis  zu  1*5  erreichen. 

14.  Gepresstes  Pulver.  Die  sogenannten  comprimirten  Kartatschen, 
namlich  ganze  Ladungen,  direct  durch  Pressung  des  Pulversatzes  in  die  gewiinschte 
Ladungsform  erzeugt,  haben  durchaus'  ungiinstige  Resultate  ergeben  und  finden 
nur  noch  fiir  Minenpulver  Verwendung.  Dagegen  werden  heute  fiir  alle  schweren 
Geschutze  nur  Pulversorten  verwendet,  welche  aus  grossen  Kbrnern  stark  gepressten 
Pulvers  bestehen.  Diese  Kbrner  werden  entweder  direct  aus  dem  unter  starken 
Pressen  gewonnenen  Pulverkuchen  dadurch  gewonnen,  dass  man  diesen  in  Stlicke 
der  gewunschten  Grosse  zerschlagt  oder  zerschneidet,  diese  Stiicke  durch  Siebe 
mit  grober  Maschenweite  sortirt  und  dann  weiter  wie  gewbhnlich  in  Polirtrommeln 
behandelt,  oder  aber  man  presst  aus  feinem  Mehlpulver  unter  sehr  hohem  Drucke 
Kbrner  in  regelmassige  Form.  Zu  den  ersteren  Sorten  gehbren  das  amerikanische 
Mammuthpulver  (Kbrner  von  1-5 — 2'6cm  Durchmesser),  das  engliscbe  Kieselpulver 
(mit  Kbrnern  von  i-7cm  Grosse),  zu  den  letzteren  Sorten  das  engliscbe  Cylinder- 
pulver  (regelmassige  Cylinder  von  l-8cmDurchm.,  l*2cm  Hbhe),  und  das  sogenannte 
prismatische  Pulver  (sechsseitige  Prismen  von  4-0cm  Durchmesser,  2*5cm  Hbhe, 
welche  paralell  ihrer  Achse  mit  7  Durchbohrungen  von  etwa  0#45cm  Weite  ver- 
sehen  sind).     Dieses    gepresste   grobkbrnige  Pulver  hat  eine  Dichte   von  1-75  bis 


332 


Explosivstoffe  (Schiesspulver). 


1-82.  Um  diese  Dichte  zu  erreichen,  muss  das  Pulver  einem  sehr  starken  Drucke 
ausgesetzt  werden,  der  beispielsweise  bei  dem  englischeu  Cylinderpulver  etwa 
80  Atmospharen  betragt. 

Das  Princip  einer  guten  englischeu  Maschine  zur  Erzeugung  von  Pellet-Pulver 
ist  folgendes  (Fig  1518  a  b):  In  einer  starken  Metallplatte  A  sind  eine  Reihe 
Durchboliriingen  B  genau  von  dem  Durchmesser  der  zu  erzeugenden  Korner,  welche 
unten  durch  bewegliche  Stempel  C  versclilossen  sind,  die  ibrerseits  durch  eine 
diinnere  Metallplatte  D  gehen.  Das  Querhaupt  Et  tragt  eine  Reihe  daran  be- 
festigter  Stempel  T;  genau  centrisch  mit  den  Oeffnungen  B.  Querhaupt  Et  und 
daran  befestigte  Stempel  werden  durch  das  Niedergehen  des  unteren  Presskopfes 
P„  herabgezogen.  (P„  driickt  auf  E2  und  zieht  dadurch  E1  herab.)  Die  Fiihrungs- 
saulen  S S  haben  Schultern  K  K,  durch  welche  das  Spiel  der  Querhaupter  EtEq 
begrenzt  wird.  Das  Spiel  der  Maschine  ist  nun  folgendes :  Der  ganze  Theil 
A,  B,  C,  D,  welcher  200  Oeffnungen  B  enthalt,   kann   um  eine    horizontale  Achse 


Fig.  1518. 


aus  der  Presse  herausgedreht,  dann  leicht  alle  200  Oeffnungen  B  mit  Pulver 
gefiillt  und  dann  wieder  unter  die  Presse  zuriickgebracht  werden  derart,  dass  alle 
kleinen  Stempel  C  iiber  den  oberen  Presskopf  P1  zu  liegen  kommen.  Beginnt 
die  Presse  ihr  Spiel,  so  steigt  das  Querhaupt  El  herab  und  alle  Formen  werden 
(lurch  die  Stempel  T  oben  fest  versclilossen;  gleichzeitig  hebt  sich  der  Presskopf 
P,  und  presst  die  unteren  Stempel  C  mit  voller  Kraft  in  die  Formen.  Ist  das 
Pulver  so  in  die  entsprechende  Form  gepresst,  so  hebt  sich  E,,  die  Stempel  C 
bewcgen  sich  aber  noch  weiter  nach  aufwarts  und  pressen  dabei  die  fertigen 
Korner  aus  den  Formen  heraus.  Die  Korner  nahern  sich  der  kugelfdrmigen  Ge- 
stalt  und  sollen  sich  besser  bewahren  als  rein  cylindriscbe. 

II.  Surrogate  des  Schiesspul  vers.  Als  solche  soil  jenes  Pulver  be- 
zeichnet  werden,  welches  in  der  Hauptsache  ein  mechanisches  Gemenge  sauerstoff- 
und  kohlenstoffreicher  Korper  ist. 

a)  Ersatz  des  Kalisalpeters:  Natronsalpeter,  vielfach  versucht, 
gibt  ein  zu  hygroscopisches  Pulver;  Bary tsalpeter,  besonders  von  Belgien  und 


Explosivstoffe  (Schiesspulver-Surrogate).  333 

Preussen  eingehenden  Versuchen  unterzogen,  gibt  Pulver,  das  zu  heftig  wirkt, 
mehr  Fenclitigkeit  als  gewohnliches  Pulver  anzieht  und  zu  viel  Riickstand  erzeugt ; 
chlorsaures  (oder  iiberchlorsaures)  Kali  ist  viel  zu  heftig  wirkend  (zu 
brisant),  audi  im  Verhaltnisse  zur  Vermehrung  des  Nutzeffectes  zu  theuer.  Keines 
dieser  Ersatzmit'tel  hat  sich  als  lebensfahig  erwiesen.  Beztiglich  pikrinsaurem  Kali 
siehe  unten. 

h)  E  r  s  a  t  z  d"er  H  o  1  z  k  o  h  1  e.  Versucht  wurdeu  Zucker,  Blutlaugensal  z, 
feiner  HolzstofF,  Starke,  mineralische  Kohle,  Gerbsaure  etc.  Durchaus  ohne  prakti- 
schen  Erfolg.  Gute  Holzkohle  zeigte  sich  bisher  als  der  beste  kohlenstoffreiche 
Korper. 

c)  Pulver  ohne  Schwefel.  In  einer  Reihe  Pulver,  die  aber  ebenfalls 
meist  wenig  Verbreitung  erlangten,  ist  der  Schwefel'  einfach  weggelassen,  ohne  aber 
durch  einen  chemisch  analog  wirkenden  Korper  ersetzt  zu  werden. 

d)  Specielle  Zusammensetzungen  von  Surrogatpulver. 
Weisses  Pulver  von  Augendre:  Pulver  von  Sharp  &  Smith: 

Chlorsaures  Kali 40      Chlorsaures  Kali 2 

Gelbes  Blutlaugensalz 25      Kalisalpeter 2 

Weisser  Zucker 25      Rothes  Blutlaugensalz 1 

Aus  gleichen  Stoffen  besteht  audi      Weinsteinsaures  Kali 2 

Po Ill's  und  Reveley's  Pulver.  Schwefel 2 

Kraft's  Pulver:  chlors.  Kali,  humussaures  Ammoniak,  Kalisalpeter  und 
Schwefel. 

Call ou's  Pulver:  chlors.  Kali  und  Auripigment. 

Spencer's  Pulver:  chlors.  Kali,  Stein-  und  Holzkohle,  Sagespane  und 
doppelt-kohlensaures  Natron. 

Ehrhardt's  Pulver:  chlors.  Kali,  Kalisalpeter,  Catechu  und  Holzkohle. 

Kellow  &  Short's  Pulver :  chlors.  Kali,  Kali-  und  Natronsalpeter,  Schwefel, 
Lohe  und  Sagespane. 

Horsley's  Pulver:  9  Thl.  chlors.  Kali,  3  Thl.  Gallapfel. 

N  i  s  s  e  r's  Pulver :  Ueberchlorsaures  oder  chlors.  Kali,  Ferro-  oder  Ferrid- 
cyankaliurn,  Kali-  oder  Natronsalpeter,  PflanzenstofF,  Steinkohle,  Schwefel. 

H aim's  Pulver:  chlors.  Kali,  Schwefelantinion,  Kohle. 

Melland's  Schiesspapier:  Papier  getrankt  in  Losung  von  9  Thl.  chlors. 
Kali,  4%  Thl.  Kalisalpeter^  374  Thl.  gelbes  Blutlaugeusalz,  r/,6  chromsaures 
Kali  mitV/4  Thl.  Holzkohle  und   720  Starke. 

D  e  T  r  e  t's  Pulver  (Pyronone) :  Natronsalpeter,  Schwefel,  Lohe. 

Devey's  Pulver:  Natronsalpeter,  Schwefel,  Kohle  und  eine  schleimige 
Substanz  (Mehl,  Starke  etc.)  als  Teig  geformt,  gekornt  und  getrocknet. 

Das  Pulver  von  Or  land,  Eaton,  Schwarz  ist  ein  Gemenge  aus  Kali- 
und  Natronsalpeter  mit  Stein-  und  Holzkohle ;  S  c  h  a  f  f  e  r  &  B  u  d  e  n  b  e  r  g's  Spreng- 
pulver  hat  ausserdein  noch  einen  Zusatz  von  Seignettesalz. 

Oiler's  Pudrolith  besteht  aus:  Carboazotine  ist  ein  Gemenge  von: 

Kalisalpeter 68      Kali-  oder  Natronsalpeter      .    .  50 — 60 

Natronsalpeter 3      Schwefel •    .    .  13 — 14. 

Barytsalpeter      3      Kohle  oder  Sagemehl    ....  14 — 16 

Schwefel 12      Russ 9—18 

Holzkohle,  Sagemehl,  Lohe  .    .    .    .14      Eisenvitriol 5 —  6 

Der  Pyrolithe  von  Terre  und  M  e  r  c  a  d  e  r  ist  ein  Gemenge  von  Kalisalpeter, 
Sagemehl  und  Schwefel  mit  oder  ohne  Zusatz  von  Natronsalpeter  und  Steinkohle. 

Typus  eines  Pulvers  mit  Barytsalpeter  ist  Wynaud's  Saxifragine  be- 
stehend  aus  :  76  Thl.  Barytsalpeter,  2  Thl.  Kalisalpeter  und  22  Thl.  Holz- 
kohle. 

Aehnlich  ist  Newton's  und  K tip's  Pulver,  nur  enthalt  letzteres  noch 
Schwefel. 

Fehleisen's  Haloxylin  ist  ein  Gemenge  von  Kohle,  Kalisalpeter  und 
gelbem  Blutlaugensalz. 


334  Explosivstoffe  (Nitroglycerinpulver  oder  Dynamite). 

III.  Die  Nitroglycerinpulver  oder  Dynamite  (la  dynamite  — 
the  dynamite). 

a.  Geschichtliche  Notizen,  Zusammensetzung  und  Eigen- 
s  ch  af  ten.  Der  neutrale  Salpetersaureather  des  Glycerins  C3ff&(0N0Q):i,  in  der Tech- 
nik  Nitroglycerin  oder  Sprengol  genannt,  bildet  die  Grundlage  der  wichtigsten 
Sprengmittel  der  Neuzeit.  1847  von  Sobrero  entdeckt  wurde  das  Nitroglycerin 
erst  1863  durch  Nobel,  nachdem  dieser  eine  praktische,  wenig  gefahrliche  Methode 
zur  fabriksmassigen  Erzeugung  gefunden  hatte,  in  die  Technik  eingefiihrt.  Es 
zeigte  sich  aber  bald,  dass  Nitroglycerin  im  flitssigen  Zustande  ein  so  gefahrlicher 
Sprengstoff  sei,  dass  seine  praktische  Verwendung  in  diesem  Zustande  unzulassig 
wurde.  Audi  Nobels  Vorschlag,  durch  Zusatz  von  15— 20%  Methylalkohol  das 
Sprengol  wahrend  des  Transportes  unexplosiv  zu  machen  und  es  am  Gebrauchsorte 
durch  Mischen  mit  Wasser  von  dieser  Beimischung  zu  trennen,  hat  sich  als  unpraktisch 
erwiesen.  1864  machte  Nobel  die  Entdeckung,  dass  Nitroglycerin,  mit  passenden 
porosen  Korpern  in  bestimmten  Verhaltnissen  gemischt,  vorziigliche  Sprengstoffe 
gebe,  welche  die  Verwendung  der  hohen  Sprengkraft  des  Nitroglycerins,  unter 
Vermeidung  seiner  bedeutenden  Gefahrlichkeit ,  zulassen.  Diese  Sprengstoffe, 
Nitroglycerin  gemengt  mit  saugfahigen  Korpern,  haben  von  Nobel 
den  Nam  en  Dynamite  erhalten. 

Nitroglycerin,  einer  der  starksten  bekannten  Explosivstoffe,  ensteht  durch 
Einwirkung  bestimmter  Gemische  starker  Schwefel-  und  Salpetersaure  auf  Glycerin. 
Es  ist  eine  hellgelbe,  olartige  Fliissigkeit,  geruchlos,  von  siisslichem,  brennendem 
Geschmack,  loslich  in  Alkohol  und  Aether,  unloslich  in  Wasser.  Durch  Flamme 
schwer  entziindlich,  brennt  es  selbst  in  grosseren  Quantitaten  ruhig  ab,  bei  vor- 
sichtigem  Erwarmen  zwischen  100  und  150°  verdampft  es,  siedet  bei  185°,  detonirt 
bei  etwa  250°.  —  Bei  hoheren  Temperaturen  kann  wieder  Zersetzung  ohne 
Detonation  eintreten.  —  Dagegen  explodirt  es  in  beliebig  grossen  Massen  mit 
grosster  Heftigkeit,  wenn  man  in  irgend  einem  Theile  der  Fliissigkeit  eine  geringe 
Menge  bestimmter  Knallpraparate  (z.  B.  0-2—0-5  Gramm  Knallquecksilber  in 
einem  Kupferhiitchen  eingeschlossen)  zur  Detonation  bringt.  —  Diese  Methode, 
gewisse  Sprengstoffe  dadurch  zu  vollstandiger  Explosion  zu  bringen,  dass  man 
die  Detonation  kleiner  Mengen  Knallsatze  auf  sie  iibertragt,  wird  die  Ziindung 
durch  Detonation  genannt.  Sie  bildet  eine  der  fruchtbarsten  Entdeckungen 
auf  dem  Gebiete  der  Sprengtechnik,  die  dem  schwedischen  Iugenieur  Alfred  Nobel 
zu  danken  ist.  Die  Gesehwindigkeit  der  Fortpflanzung  der  auf  solche  Art  erzeugten 
Explosion  irgend  eines  Nitroglycerintheilchens  durch  die  Masse  des  Nitroglycerins 
betragt  etwa  6000  Meter  pro  Secunde.  Grosse  Massen  gelangen  also  fast  momentan 
zu  voller  Explosion.  Zwischen  +8  und  +10°  C.  erstarrt  (gefriert)  das  Nitroglycerin 
zu  farblosen,  durchsichtigen  Krystallen.  Die  Dichte  des  fliissigen  Nitroglycerins 
ist  1-6,  die  des  gefrorenen  1-735.  Nitroglycerin  ist  giftig,  verursacht  in  fliissigem 
Zustande  und  auch  schon  durch  seinen  Dampf  heftigen  Kopfschmerz,  Mattigkeit, 
Schwindel.  In  diinnen  Schichten  explodirt  es  mit  Heftigkeit,  wenn  es  starken 
Schlagen  oder  Stossen  zwischen  harten  Korpern  ausgesetzt  wird.  Reines  Nitro- 
glycerin ist  ein  sehr  stabiler  Korper,  bleibt  Jahre  lang  unter  den  praktisch  zu 
beachtenden  Temperaturverhaltnissen,  selbst  unter  dem  mehrwochentlichen  Einfluss 
von  50 — 60°  C.  vollkommen  unverandert.  Die  caustischen  Alkalien  zerlegen  das 
Sprengol  unter  Bildung  salpetersaurer  Salze  und  Glycerin.  Die  Zersetzungsproducte  bei 
der  Detonation  sind  noch  unbekannt,  wahrscheinlich  sind  es  Kohlensaure,  Wasser- 
dampf,  Stickstotf  und  Sauerstoff.  Nach  den  heutigen  tbeoretischen  Anschauungen 
ist  das  Verliiiltniss  der  Energie  des  Nitroglycerins  zu  der  des  Schwarzpulvers 
ungefahr  wie  2:1;  das  Verba'ltniss  der  grossten  Pressungeu  bei  Explosion  in 
allseitig  geschlossenem  Raume  etwa  wie  100 :  8.  Diesem  letzteren  Verhaltnisse 
ist  ungefahr  die  Sprengkraft  gegen  sehr  feste  Medien  proportional.  Da  die  Kraft 
des  Nitroglycerins  in  weit  geriugerer  Zeit  zu  voller  Entwicklung  gebracht  werden 
kann  als  die  des  Schwarzpulvers  (Nitroglycerin  weit  brisanter  als  Pulver  ist), 
kann   Nitroglycerin    zu    bestimmten    Zwecken    (Sprengungen   mit    ofFen    liegenden 


Explosivstoffe  (Nitroglycerinpulver  oder  Dynamite).  335 

Ladungen)  eine  Kraft  entwickeln,  welche  die  des  Schwarzpulvers  noch  weit  mehr 
als  in  letzt  angegebenem  Verkaltnisse  iibersteigt.  Dagegen  vermindert  sich  das 
Kraftverhaltniss  zu  Gunsten  des  Schwarzpulvers,  wenn  in  weichen  Medien  (Erde) 
gewirkt  werden  soil.  Das  praktische  Kraftverhaltniss  ist  also  von  dem  Materiale, 
in  dem  gewirkt  werden  soil,  von  der  Art  und  Umschliessung  der  Ladungen 
abhangig. 

Die  Eigenschaften  der  Dynamite  sind  bedingt  durch  jene  des  Nitroglycerins 
und  der  zu  dessen  Aufsaugung  verwendeten  Stoffe.  Im  Allgemeinen  sind  es  Pulver 
von  grobkbrniger,  fettiger,  mehr  weniger  plastischer  Beschaffenheit,  einem  zwischen 
.  1-0  und  1*6  wechselnden  specifischen  Gewichte  und  einer  durch  den  Aufsaugestoff 
bedingten  wechselnden  Farbung.  Gegen  Feuer,  gliihende  Kohlen,  verhalten  sie 
sich  im  Allgemeinen,  wenn  der  Aufsaugestoff  nicht  selbst  sehr  verbrennlicher 
Natur  ist,  wie  das  Nitroglycerin.  Gei'ingere  Quantitaten  brennen  meist  ruhig  ab, 
wahrend  bei  grosseren  Mengen  audi  durch  blosse  Entztindung  eine  Explosion 
herbeigefiihrt  werden  kann.  Gegen  mechanische  Einwirkungen,  wie  starke  Stbsse 
und  Schlage,  sind  gute  Dynamite  so  weit  unempfindlich,  dass  sie  unbedenklich 
alien  Erschiitterungen  des  Transportes  zu  Wagen  oder  per  Eisenbahn  ausgesetzt 
werden  kbnnen.  Hierin  liegt  ihr  ungeheuerer  Vortheil  gegeniiber  dem  fliissigen 
Nitroglycerin,  welches  eben  wahrend  des  Transportes  enorm  gefahrlich  ist. 

Dynamite  mit  unorganischen  Aufsaugestoffen  geben  im  Wasser  das  Nitro- 
glycerin ab  (hiezu  gehbren  das  Nobefsche  Dynamit  I,  dann  alle  sogenannten 
Salpeterdynamite,  d.  h.  Dynamite,  welche  im  Aufsaugestoff  Salpeter  enthalten). 
Dynamite  mit  bios  organischen,  passend  praparirten  Aufsaugemitteln  sind  in  Wasser 
vollkommen  unverandert.  (Cellulose-Dynamit  und  Schiesswolldynamit.) 

Gleich  dem  Nitroglycerin  bediirfen  auch  die  Dynamite,  urn  mit  Sicherheit  zu 
explodiren,  einer  besonderen  Ziindungsweise,  der  sogenannten  Detonationsziindung, 
welche  meist  darin  besteht,  dass  man  geringe  Mengen  (02 — 0-4  Gramm)  Knall- 
quecksilber,  in  einem  Kupferhiitchen  eingeschlossen,  in  passender  Weise  im  Innern 
des  Dynamits  zur  Detonation  bringt. 

Wie  das  Nitroglycerin,  so  frieren  (erharten)  auch  die  Dynamite  bei  Tempe- 
raturen  unter  8°  C.  und  miissen  dann  vor  der  Verwendung  in  passender  Weise 
aufgethaut  oder  durch  sehr  starke  Kapseln  oder  besondere  Ztindpatronen  zur 
Explosion  gebracht  werden. 

Die  Kraft  der  Dynamite  ist  abhangig  von  dem  Aufsaugstoffe  und  der  Menge 
des  im  Dynamite  befincllichen  Nitroglycerins. 

Die  verbreitetste  Dynamitsorte,  Nobel's  Kieselguhr-Dynamit,  bestehend  aus 
75%  Nitroglycerin  und  25°/0  porbser  Kieselerde,  hat  in  sehr  festem  sprbden 
Gestein  die  6 — 7fache  Kraft  des  Sprengpulvers.  Je  weicher  der  Stein,  um  so 
geringer  wird  die  Ueberlegenheit  dieser  Dynamitsorte.  Im  Allgemeinen  kann  man 
aber  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  man  durch  passende  Wahl  der  Dynamitsorte 
in  alien  Gesteinsarbeiten  gegeniiber  dem  Schwarzpulver  wenigstens  25%  an 
Kosten  gewinnen  und  um  30 — 50%  rascher  arbeiten  kann. 

b)  Fabrikation  der  Dynamite.  1.  Erzeugung  des  Nitrogly- 
cerins. Die  Rohmaterialien  der  Erzeugung  sind:  Salpetersaure  von  1*5  spec. 
Gewicht,  Schwefelsaure  von  1-84  spec.  Gewicht  und  Glycerin  von  1.24  spec. 
Gewicht.  Zur  Bereitung  von  1  Theil  Nitroglycerin  werden  1*5  Theil  Salpeter- 
saure mit  2-6  Theilen  Schwefelsaure  gemengt,  dem  abgekiihlten  Sauregemisch 
nach  und  nach  unter  bestandiger  Abkiihlung  und  Bewegung  der  Fliissigkeit  0.5 
Theile  Glycerin  zugesetzt  und  das  so  gebildete  Gemenge  in  etwa  die  lOfache 
Menge  Wasser  ausgegossen.  Es  setzt  sich  dann  das  Nitroglycerin  am  Boden  des 
Gefasses  ab,  wird  abgezogen,  mehrmals,  zuerst  mit  Wasser  und  dann  behufs 
volliger  Entsauerung  mit  Sodalbsung  gewaschen  und  endlich  durch  Filtrirung  liber 
Filzschichten  von  Wasser  und  Schlamm  befreit.  Hauptaugenmerk  ist  auf  vollige 
Neutralisirung  des  Nitroglycerins  zu  richten,  da  hievon  in  erster  Reihe  dessen 
chemische  Stabilitat  abhangt.  (Siehe  Artikel  Glycerin  und  Nitroglycerin.)  Statt 
des  Ausgiessens   in  Wasser    kann    man   auch  nach   dem   vblligen  Einbringen  des 


336  Explosivstoffe  (Nitroglycerinpulver  oder  Dynamite). 

Glycerins  in  das  Sauregeinische  die  Fllissigkeit  ruhig  stehen  lassen,  worauf  sich 
nach  '/_, — 1  Stunde  das  Nitroglycerin  von  den  Sauren  scheidet,  sich  auf 
diese  i  wie  Oel  anf  Wasser  absetzt  und  durch  Decantiren  von  den  Sauren  getrennt 
werden  kami. 

Bei  der  fabriksmassigen  Erzeugung  wird  meist  der  Process  der  Nitrirung 
in  grossen  Bleigefiissen  vollzogen,  Avelche  innen  zahlreiche  Schichten  Bleirbhren 
entbalten,  durch  welche  kaltes  Wasser  circulirt.  Die  Fliissigkeiten  in  den  Gefassen 
werden  durch  comprimirte  Luft  in  fortwahrender  Bewegung  erhalten. 

2.  Erzeugung  der  A u f s a u g e s t o f f e.  Die  Erzeugung  der  Aufsauge- 
stoffe  variirt  mit  diesen.  Der  gebrauchlichste  und  fur  viele  Zwecke  beste 
Aufsaugestoff  ist  die  sogenannte  Kieselguhr,  eine  sehr  leicbte,  mehlartige  Infuso- 
rienerde,  fast  aus  reiner  Kieselsaure  bestehend,  welche  bei  Oberlohe  in  Hannover 
in  grossen  Lagern  gefunden  wird.  Die  gegrabene  Guhr  ist  sehr  wasserhaltig 
und  enthalt  organische  Verunreinigungen.  In  grossen  Flarnmofen  gebrannt,  dann 
gewalzt  und  gesiebt  saugt  sie  bis  zu  7  6°/0  Nitroglycerin  und  bildet  mit  diesem  eine 
plastische  Masse,  welche  das  Nitroglycerin  selbst  unter  grossem  Drucke  sehr  gut 
festhalt. 

Fiir  billigere  oder  weniger  brisante  Pulver,  welche  weniger  (unter  70°/0) 
Nitroglycerin  enthalten  sollen,  werden  als  Aufsaugestoffe  Gemenge,  ahnlich  dem 
Schwarzpulver^  aus  Salpeter  und  kolilenstoffreichen  Korpern  wie  feiner  Holzstoff, 
Kohle,  Gallapfel  etc.  verwendety,  die  dann  meist  in  ahnlicher  Weise  wie  das 
Schwarzpulver  erzeugt  werden.  Gewohnlich  werden  solchen  verbrennlichen  Gemen- 
gen  dann  noch,  um  die  Saugfahigkeit  zu  vermehren,  Guhr,  Magnesia  etc.  zugesetzt. 

Bei  manchen  Dynamiten  werden  endlich  selbst  feste  Nitrokorper,  wie  Schiess- 
wolle,  zugemengt,  deren  Bereitung    dann  natiirlich    deren  Natur   entsprechend  ist. 

3.  Erzeugung  der  Dynamite.  Das  Mengen  der  Aufsaugestoffe  mit 
dem  Nitroglycerin,  geschieht  am  sichersten  und  besten  durch  die  primitivste 
Metliode,  namlich  durch  Mengen  des  Pulvers  mit  dem  Sprengole  mittelst  Handarbeit 
in  einfachen,  mit  Blei  oder  Kautschuk  geflitterten,  Holztrogen.  Ist  die  Mischung 
eine  gleichformig  innige,  so  wird  das  gebildete  Dynamit  durch  feme  Siebe 
gedrtickt,  um  fremde  Korper  zu  entfernen. 

4.  Patronirung  des  Dy  nam  its.  Des  sicherern  Transportes- und  der 
leichteren  Handhabung  wegen  wird  das  Dynamit  fiir  Bergwerkszwecke  gewohnlich 
schon  in  den  Fabriken  zu  Patronen  verarbeitet,  d.  h.  in  Pergamentpapierhiilsen 
eingepresst,  welche  den  gewolinlichen  Bohrlochsdurchmessern  entsprechen  und  wech- 
selnde  Langen  haben. 

c)  Dynamitsorten.  Die  verbreitetsten  und  erprobtesten  Dynamitsorten 
sind  gegenwartig  die  von  der  deutsch  -  osterr.  -  ungarischen  Dynamit-Actien-Gesell- 
scliaft  (vormals  Alfred  Nobel  &  Comp.)  erzeugten.     Es  sind : 

1.  Stiirkste  und  im  Wasser  unveranderliche  Sorte:  Trauzl's  Cellulose- 
Dynamit:   70—75%  Nitroglycerin,  30 — 25%  Cellulose. 

2.  Nobel's  Kieselguhr-Dynamit:   75%  Nitrogliycerin,  25%  Kieselguhr. 

3.  Salpeter-Dynamite  obiger  Gesellschaft : 

Nr.  II.      Nr.  III.    Nr.  IV. 

Nitroglycerin 50  30  20 

Kalisalpeter 34  55  67 

Cellulose  und  Paraffin 5  9  12 

Kieselguhr 10  5 

Soda 1  1  1 

Ausser  diesen  Dynamiten  existirt  nocli  eine  Unzahl  Nitroglycerinpulver, 
welche  theils  ebenfalls  den  Namen  Dynamit  tragen,  theils,  obwohl  sie  Dynamite 
sind,  unter  anderen  Namen  in  den  Handel  gebracht  wurden.  Die  bekannten 
hievon  sind: 

Nobel's  diverse  Salpeterpulver  und  zwar:  1.  69%  Natronsalpeter,  4  Paraffin, 
4  Holz-  oder  Steinkohle,  20  Nitroglycerin.  2.  Barytsalpeter  70,  Harz  10,  Nitro- 
glycerin 20. 


Explosivstoffe  (Schiesswolle).  337 

Brain's  Pulver:  40 — 50  Nitroglycerin,  GO— 40  einer  Miscliung  aus  1 
Theil  Kaliumchlovat,   1  Theil  Holzkohje,  1   Theil  Zucker. 

Lithofracteur:  Nitroglycerin  52,  Kieselguhr  30,  Steinkohle  12,  Baryt-  oder 
Natronsalpeter  4,  Schwefel  2. 

Coloniapnlver:  Eine  Art  Schwarzpulver  mit  Nitroglycerin  getrankt.  (Wird 
nicbt  melir  erzeugt.) 

Weisses  Dynamit  (nach  Analysen  von  Schwarz  in  Graz) :  57 — 67 
Nitroglycerin,  42 — 30  Kreide  und  Sagespane,  1 — 3  Feuchtigkeit. 

Rhexite:  Gemenge  von  30 — 65%  Nitroglycerin  mit  Kalisalpeter,  Kreide, 
Sagespanen  und  geringera  Zusatze  von  schlecht  nitrirtem  Holzstoffe,  also  zersetz- 
licher  Natur. 

D  u  a  1  i  n :  Im  Allgerneinen  als  Aufsaugestoff,  Gemenge  von  nitrirtem  oder  unni- 
trirtem  Sagemehl,  Nitrostarke,  Nitromannit  und  Kalisalpeter. 

Ammoniakrut  von  Norbin:  80%  Ammoniaksalpeter,  6°/0  Koble  und 
10—20%  Nitroglycerin. 

S e r a n i n e  und  Horsley's  Pulver  baben  als  Aufsaugestoff  Gemenge  von 
cblorsaurem  Kali  mit  koblenstoffreichen  Korpern,  wie  Gallapfel  etc. 

IV.  Schiesswolle  (poudre-coton  —  gun-cotton).  (S.  Artikel  Cellulose, 
Collodium  und  Schiesswolle.) 

a)  GescbichtlicheNotizen,  phisikalische  und  chemische  Eigen- 
schaften.  Branconnot  entdeckte  1832,  dass  eine  Reihe  organischer  Substanzen 
durch  Behandlung  mit  Salpetersaure  in  explosible  Korper  verwandelt  werden 
konne.  1846  entdeckte  Schonbein  ein  praktisches  Verfahren,  um  speciell  Baum- 
wolle  durch  Eintauchen  in  Gemenge  von  Salpeter-  und  Schwefelsaure  in  einen 
explosiven  Stoff,  Schiessbaumwolle  genannt,  zu  verwandeln.  Eingehende  Studien 
von  Regierungscommissionen  in  fast  alien  Staaten  Europa's  gaben  zunachst  kein 
praktisches  Resultat  und  wurden  Anfangs  1865  am  Continent  ilberall  wieder  die 
Versuche  sistirt.  Nur  in  England  fiihrte  Abel  das  von  dem  osterreichischen  Feld- 
marschalllieutenant  Baron  Lenk  mitgetheilte  Verfahren  der  Schiesswollerzeugung 
fort,  verbesserte  es  dadurch,  dass  er  die  Schiesswolle  ahnlich  wie  Papiermasse 
maischte,  sie  stark  comprimirte  undihr  endlich  dadurch  einen  grossen  Anwendungs- 
kreis  wenigstens  fiir  militarische  Zwecke  sicherte,  dass  er  zeigte,  dass  auch  auf  sie 
die  Detonationsziindung  anwendbar  sei,  und  dass  sie  mit  grossem  Wassergehalte 
noch  vollkommen  explodirbar  bleibe. 

Schiesswolle  unterscheidet  sich  im  Aeussern  fast  gar  nicht  von  gewohnlicher 
Baumwolle,  nur  ist  die  Faser  weniger  elastisch  und  briichiger,  knirscht  beim 
Zusammendrucken  und  wird  durch  Reibung  elektrisch. 

Schiesswolle  ist  geruch-  und  geschmacklos,  in  Wasser  vollkommen  unver- 
anderlich,  unloslich  in  Aether,  Alkohol  und  weingeistigem  Aether,  widersteht  den 
starksten  Sauren  und  Alkalien,  wird  aber  durch  concentrirte  Schwefelsaure  allmalig 
zersetzt.  Vollkommen  rein  ist  sie  ein  sehr  stabiler,  jahrelang  unveranderlicher 
Korper. 

Das  spec.  Gewicht  ist  abhangig  von  der  Form  und  dem  Compressionsgrade.  In 
Flockenform  hat  sie  0*2,  in  stark  comprimirtem  Zustande  0*9  — 1-0  spec.  Gewicht. 

Hire  Entziindungstemperatur  schwankt  zwischen  120  und  170°.  Sie  ist 
gegen  Reibung  ziemlich  empfindlich,  weniger  gegen  Stosse  und  Schlage. 

Angeziindet  brennt  sie  in  trockenem  Zustande  mit  4  —  5  m  Geschwindigkeit 
ab,  im  comprimirten  Zustande  ist  die  Verbrennung  weit  langsamer  und  konnen 
selbst  Mengen  von  mehreren  Centnern  ohne  Explosion  abbrennen.  Mit  Knallpra- 
paraten  zur  Explosion  gebracht,  detonirt  sie  auch  ohne  festen  Einschluss  mit 
voller  Gewalt  und  einer  5000  m  ubersteigenden  Geschwindigkeit. 

Die  Energie  der  Schiesswolle  ist  etwa  500.000  Kil.  a  1  Kg.,  ihr  grosster 
Druck  bei  Explosionen  in  eigenem  Raume  etwa  das  4fache  von  jenem  guten 
Schwarzpulvers.  Hire  Triebkraft  in  Gewehren  nngefahr  das  3  —  4fache  von  jener 
guten  Schiesspulvers.  Die  Sprengkraft  comprimirter  Wolle  ist  ungefahr  gleich 
jener  der  starken  Dynamitsorten  (mit  75%  Nitroglycerin). 

Karmarach  &  Heeren    Technisches  Worterbuch.    Bd.  III.  22 


338  Explosivstoffe  (Schiesswolle). 

h)  Fabrikation  der  Scliiesswolle  (nach  Lenk  mid  Abel).  Rob 
materialien  sind:  Abfalle  der  Bamnwollspinuereien,  die  durcb  Kocheu  mit  starken 
Alkalien  vollkommen  entfettet,  ausgewaschen  und  dann  scharf  getrocknet  werden, 
Salpetersaure  von  1*52  spec.  Gewicbt  und  Schwefelsaure  von  1-84  spec.  Ge- 
wicht. 

Die  Sauren  werden  im  Verbaltniss  von  1  Salpeter-  auf  3  Scbwefelsaure 
gemischt,  abgekiihlt  und  dann  die  Baumwolle  in  kleinen  Quantitaten  in  die  Saure 
getaucht  und  wenige  Minuten  in  der  Saure  belassen.  Beim  Herauszieben  der 
Wolle  aus  den  Sauren  haftet  ihr  etwa  das  9 — lOfache  ihres  Gewichtes 
an  Sauren  an  und  wird  die  Wolle  in  diesem  Zustande  etwa  24  Stunden  zum 
Zwecke  vollstandiger  Nitrirung  in  Steinguttopfen  belassen,  welcbe  von  kaltem 
Wasser  uruspiilt  sind.  Nach  dieser  Zeit  wird  die  anbaftende  Saure  durcb  Centri- 
fugen  von  der  nun  in  Schiesswolle  verwandelten  Baumwolle  moglichst  getrennt, 
die  ausgedriickte  Schiesswolle  in  Wasser  getaucht  und  darin  tiichtig  ausgewaschen 
und  dann  das  anhaftende  Wasser  wieder  durcb  Centrifugiren  entfernt.  Die  Schiess- 
wolle wird  nun  in  heissem  Wasser  unter  Danipfzuleitung  langere  Zeit  belassen, 
hierauf  in  einer  Art  Hollander  fein  zermahlen  und  hierauf  noch  in  diesem  fein 
vertheilten  Zustande  zur  Entfernung  der  letzten  Saurespuren  einem  neuen  Wasch- 
processe,  ahnlicb  jenem  von  Papierbrei,  unterzogen.  Zeigt  sicb  nach  24 — 36stiln- 
digem  Wascben  die  Schiesswolle  vollkommen  saurefrei,  so  wird  ihr  noch  ein 
neutralisirendes  Agens  (Soda  etc.)  zugesetzt  und  der  Scbiesswollbrei  dann  in  die 
Pressen  geleitet. 

Je  nach  dem  Zwecke  wird  namlich  die  Schiesswolle  durch  starke  hydrau- 
lische  Pressen,  welche  einen  Druck  von  etwa  1000  Kilo  a  Gcm  ausiiben  konnen, 
in  Cylinder-  oder  Scbeibenform  gepresst,  welche  ein  spec.  Gewicht  von  0*9 — 1 
haben.  Fur  Bergbauzwecke  baben  die  so  erbaltenen  Cylinder  Durchmesser, 
welche  den  gewbbnlichen  Bohrlochern  entsprechen,  fur  militarische  Zwecke  hin- 
gegen  werden  Scheiben  von  7'8cm  Durchmesser  und  5*25cm  Hohe  gepresst,  welche 
mit  einem  Wassergehalte  von  20°/0  zur  Verwendung  gelangen. 

Fur  Gewebrpatronen  werden  aus  dem  Scbiesswollbrei  Bogen,  ahnlicb  wie 
bei  der  Papierfabrikation,  geschopft.,  getrocknet,  dann  in  langliche  Streifen  zer- 
schnitten  und  mittelst  Maschinen  zu  Cylindern  geformt,  die  durch  ein  Guttapercba- 
hautchen  gegen  Feuchtigkeit  geschiitzt  werden. 

c)  Surrogate  der  Schiesswolle.  Ausser  der  moglichst  rein  en  Cellulose, 
der  Baumwolle,  konnen  eine  Reibe  verwandter  Stoffe  durch  einen  ahnlichen  Process, 
wie  bei  der  Schiesswolle  angegeben,  zu  Explosivkorpern  umgewandelt  und  fur 
sich  oder  gemengt  mit  anderen  Korpern  verwendet  werden.  Solche  Praparate 
sind : 

Scbultze's  Pulver.  (Weisses  Schiess-  und  Sprengpulver.)  Fein  gekorntes 
hartes  Holz  wird  mit  Sodalosungen  gereinigt,  ahnlicb  wie  Schiesswolle  nitrificirt, 
dann  mit  einer  Losung  von  Kalisalpeter  und  Blutlaugensalz  getraukt  und  getrocknet. 
Das  sogenannte  C  olio  din  oder  Volkmann'sche  Pulver  ist  dasselbe  Praparat. 
Aehulich  Mus champ's  Pulver. 

Statt  des  Holzes  kann  man  auch  andere  Pflanzen stoffe,  Papier  (Pyro- 
papier),  Flacbs  (Patent  von  Bicford  &  Spoonor),  Kleie  (L an noy's  Patent) 
etc/  verwenden. 

Mackie's  gekornte  Schiesswolle:  Gewohnliche ,  fein  zermahlene 
Schiesswolle  mit  Salpeter-  und  Zuckerlosung  getrankt  und  dann  granulirt. 

Hall's  Sprengmittel :  Schiesswolle  mit  Starke. 

Uchatius-Pulver  (^Nitrostarke,  Xiloidin):  Starke  verwandelt  durch  Nitri- 
ficirung  in  Nitrostarke,  einem  weissen,  sehr  hygroskopischen  und  sebr  explosiven 
Pulver.     Ohne  praktische  Bedeutung. 

Nitromannit  (Knallmannit)  entsteht  aus  einer  bekannten  Zuckerart,  dem 
Mannit,  ganz  analog  wie  die  Scbiessbaumwolle.  Stark  explosives  Praparat,  mehr- 
seitig  als  Ersatz  des  gefahrlichen  Knallquecksilbers  zur  Fiillung  von  Ziindbiitcben 
vorgeschlagen. 


Explosivstoffe  (Pikratpulver  und  Knallpraparate).  339 

Aehnlich  wie  Mannit  lassen  sich  audi  andere  Zuckerarten  in  Explosivkorper 
venvandeln  und  erhalt  man  so  Nitrorohrzucker,  Nitromilchzucker  etc. 

V.  Die  Pikratpulver.  Aus  dem  Phenol  (Carbolsaure),  so  wie  aus  einer 
Reike  organischer  Korper,  wie  Salicin,  Harz,  Indigo  etc.  erhalt  man  dutch  ent- 
sprechende  Behandlung  mit  concentrirter  Salpetersaure  die  Pikrinsaure,  die,  an 
sich  schon  explosiv,  mit  einer  Reihe  Basen  losliche,  kristallisirbare,  rothe  oder 
gelbe  Salze  bildet,  welche  zum  Theile  beim  Erhitzen  oder  durch  starke  mechanische 
Einwirkungen  heftig  explodiren.  Mehrere  dieser  Salze  wurden  zur  Bildung  von 
Explosivmitteln  verwendet. 

Designoll's  Pulver  besteht  aus  wechselnden  Mengen  von  Kalisalpeter  und 
pikrinsaurem  Kali  und  Kohle. 

Brugere's  Pulver,  so  wie  Prof.  Abel's  Pikrinpulver  aus  pikrinsaurem  Kali 
und  pikrinsaurem  Ammoniak. 

Auch  Bobeufs  und  Fontaine's  Pulver  sind  Pikratpulver. 

Solchen  Pulvern  wird  gegeniiber  dem  Schwarzpulver  nachgertihmt:  Gleich- 
massigere  Wirkung,  geringerer  Druck  im  Rohre  bei  gleicher  Triebkraft,  geringere 
Hygroscopicitat,  wenig  Rauch,  unschadlicher  Rtickstand  im  Rohre  etc. 

Trotz  all'  dieser  geriihmten  Vorziige  haben  sie  bisher,  ungeachtet  sehr  ein- 
gehender  Versuche  in  Frankreich,  keine  grossere  praktische  Bedeutung  erlangt. 

Einige  der  Pikrinsaure  und  ihren  Derivaten  analoge  Korper  wie  Knall- 
anilin  (salpetersaures  oder  chromsaures  Diazobenzol)  wurden  als  Ersatz  des 
Knallquecksilbers  vorgeschlagen. 

VI.  Knallpraparate  (Fulminate).  Zur  Ziindung  fur  Gewehre  und 
Geschiitze,,  dann  zur  Detonationsziindung  bei  gewissen  Sprengmitteln  (Dynamit, 
Schiesswolle  etc.)  bedarf  man  Praparate,  welche  durch  Schlag,  Reibung  oder 
auch  durch  blossen  Funken  in  heftiger  Weise  explodiren.  Solche  Praparate,  meist 
Mischungen  mehrerer  explodirenden  Substanzen,  heissen  je  nach  der  Anwendungs- 
weise,  Percussions-  oder  Frictionssatze  etc.  Hire  Hauptbestandtheile  sind 
Salze  der  Knallsauren. 

Am  meisten  Anwendung  findet  das  Knallquecksilber  C  (NOq)  CNHg. 
Es  wird  erzeugt  durch  Einbringen  von  1  Theil  Quecksilber  in  ein  Gemische  von 
5  Theilen  verdiinnter  Salpetersaure  (von  1'3  spec.  Gewicht)  mit  10  Theilen  Alkohol 
(von  0*85  spec.  Gewicht).  Die  nach  Beendigung  der  Reaction  abgeschiedenen 
kleinen,  schwach  grau  gefarbten,  nadelfdrmigen  Krystalle  des  Knallquecksilbers 
werden  auf  Filtern  so  lange  mit  Wasser  gewaschen,  bis  das  ablaufende  Wasser 
keine  saure  Reaction  zeigt.  Aus  100  Theilen  Quecksilber  werden  125  Knall- 
quecksilber gewonnen.  Das  Knallquecksilber  ist  hochst  explosiv  und  detonirt  schon 
durch  massigen  Schlag  und  Reibung  zwischen  harten  Korpern.  Feuer  und  der 
Induktions-Funke  bringen  es7  besonders  wenn  es  eingeschlossen  ist,  ebenfalls  zu 
voller  Detonation. 

Es  wird  nur  als  Ziindmittel  verwendet,  meist  gemischt  mit  anderen  Korpern. 
Vielverwendete  Ziindsatze  sind: 

Ziindsatz  fiir  Gewehre:  100  Theile  Knallquecksilber,  30  Theile  Wassei 
und  60  Theile  Mehlpulver  zu  Brei  vermengt,  gekornt  und  dann  getrocknet,  oder 
100  Knallquecksilber,  62'5  Salpeter,  29  Schwefel. 

Ziindsatz  fiir  osterreichische  Hinterlader:  3  Theile  Knallqueck- 
silber, 2  Theile  chlorsaures  Kali,  4  Theile  Glaspulver,  1  Theil  Leimlosung. 

Ziindsatze  fiirDynamit  undSchiesswollkapseln:  3  Theile  Knall- 
quecksilber und  1  Theil  chlorsaures  Kali. 

Dem  Knallquecksilber  analoge  Verbindungen,  wie  das  Knallsilber  und  Knall- 
gold,  sind  noch  empfindlicher  wie  das  Erstere  und  haben  keine  bedeutendere 
praktische  Anwendung  gefunden.    Ueber  farbige  Feuersatze  s.  Feuerwerker  ei. 

J.   Trauzl. 
Liter  atur.  Das  Schiesspulver,  die  Explosivkorper  etc.  von  Dr.  J.  Upmann  1874 
fenthalt    auch     zahlreiche    Literaturangaben.)    —    Ueber    explosive   Nitrilver- 

22* 


Quotient    —  ist,  so  hat  man  8   3  =:  1  •  —  •  -3-  •  -5-  —  tt §;    da  ferner  |  dutch 


340  Exponent.  —  Extincteur. 

bindungen  von  I.  Trauzl  1870.  —  Theoretische  und  praktische  Chemie 
von  Muspratt  (mit  zahlreichen  Literaturangaben).  —  Die  ExplosivstofFe  der 
Gegenwart  von  Isidor  Trauzl  1877.  Memorial  de  I'  officier  du  genie  Nr.  20 
(hochst  empfehlenswerthe  Arbeit  fiber  die  neuern  Explosivstoffe).  Guida  pra- 
tique de  la  fabrication  des  Poudres  par  Steerk.  —  Les  explosives  modernes. 
Memoires  etc.,  Paris  1876.  Handbook  of  the  Manufacture  and  Proof  of  Gun- 
powder. —  Die  wichtigen  Arbeiten  von  F.  A.  Abel  publicirt  in  den  Phil. 
Transactions  of  the  Royal  Society.  La  Dynamite  et  la  Nitroglycerine  par 
Champion  1872.  Sur  la  force  de  la  Poudre  par  Berthellot  1872.  —  Gintl 
Ausstellungsbericht  liber  Explosivstoffe,  Wien  1873. 

Exponent,  in  der  Algebra  in  der  primitivsten  Bedeutung  jene  Zahl  n,  welche 
anzeigt,  wie  oft  eine  andere  a  als  Factor  zu  setzen  ist  (Potenz-Exp.),  und  im 
Gegensatze  dazu  jene  Zahl  on,  welche  angibt,  in  wie  viele  gleiche  Factoren  eine 
andere  b  zerlegt  werden  soil  (Wurzel-Exp.).  Beide  Definitionen  gelten  ihrem 
Wesen  nach  nur  fiir  eine  positive  ganze  Zahl.  Daher  allgemeiner:  „  Der  Exponent 
n  schreibt  vor,  eine  Zahl  a  solle  zur  Einheit  so  als  Factor  gesetzt  werden,  wie 
er  selbst  aus  jener  Einheit  entstanden  ist".  Da  — 3  durch  dreimalige  Setzung 
des    Gegensatzes    der    Einheit    entsteht,    der  Gegensatz    des   Factors    8    aber    der 

— -  ist,  so  hat  man  8— 3  ==  1  •  —  •  — 

8        ?  8       8 

zweimalige     Setzung     des     dritten    Theiles     der   Einheit    entsteht,     dem     dritten 
Theil    der  Einheit   andererseits    die    dritte  Wurzel    des  Factors    entspricht,    so  ist 
1  3_      3_  3 

83  r=  1  .  V8  .  V8  —  V8'2  =  45  da  ferner  0  aus  der  Einheit  entsteht,  indem 
man  diese  gar  nicht  setzt,  so  verlangt  der  Exponent  0,  man  solle  a  zur  Einheit 
gar  nicht  als  Factor  setzen,  d.  h.  a0  zzz  1  .—  Operationsexponent,  jene 
Zahl,  welche  anzeigt,  wie  oft  an  einer  vorgelegten  Grosse  eine  gewisse  Operation 
auszuflibren  ist;  z.  B.  in  Dn  f(x),  Dnx  f{x,y)  schreibt  n  vor,  man  solle  die  Func- 
tion f(x)  nmal  nach  einander  iiberhaupt,  resp.  f(x,y)  ebenso  oft  nach  der  Varia- 
belen  x  allein  differentiren.  Brechungsexponent  (s.  Optik.)  —  Expo- 
n  e  n  t  i  a  1  g  1  e  i  c  h  u  u  n  g  e  n ,  zu  den  transcendenten  Gleichungen  gehorig,  enthalten 
die  Unbekannte  im  Exponenten  und  konnen  durch  Logarithmirung  in  algebraische 
iiberfiihrt  werden.  So  gibt  z.  B. :  a-f(x)  =  W(x)  die  algebraische  Gleichung 
f(x)  .  la  —  <p(x)  .  lb,  sofern  f(x),  q(x)  algebr.  Funct.  sind.  —  Exponential- 
grosse,  eine  Potenz  mit  variablem  Exponenten  (z.  B.  ax).  Exponential- 
grossen  mit  imaginarem  Expon.  fiihren  den  Namen  Drehungs- 0.  Richtungs- 
functionen,  weil  sie  zur  Darstellung  der  sogenannten  Richtungszahlen  (complexen 
Grossen)  in  die  Algebra  eingefiihrt  wurdeu.  So  bedeutet  ren>  eine  Strecke  von 
der  Lange  r,  welche  urn  den  Winkel  q  aus  der  Linie  der  positiv-reellen  Zahlen 
gedreht  wurde,  oder  jene  complexe  Grosse,  deren  reeller  Antheil  r  cos  q>,  deren 
imagiuarer  Bestandtheil  ir  sin  cp,  ist  (alles  auf  eine  bestimmte  Einheit  bezogen). 
—  Expon  en ti aire ihe,    d.  i.    die    der    Exponentialgrosse    ax  aquivalente    un- 

...  ,      _,  .,                    _     .    xla     .     x"(la)-     ,     xs(la)s 
endhche  Reihe:  a*  =  1  +  —  +  -^-^   +  fV%  + Czuber. 

Exsiccatoren  (exsiccateurs)  sind  Apparate  zur  Trocknung  von  Substanzen 
ohne  Anwendung  von  Warme,  s.  Abdampfen  I  pag.  5,  s.  Trocken- 
apparate.     Gtl. 

Exstirpator,  s.  Landwirthschaft. 

Extincteur  nennt  C artier  einen  Apparat,  welcher  bestimmt  ist  zu  Feuer- 
loschzwecken  zu  dienen,  und  dessen  Wirkurig  darauf  beruht,  dass  mit  Kohlen- 
sauregas  gesattigtes  und  unter  dem  Drucke  comprimirtcr  Kohlensaure  stehendes, 
in  einem    nach  Art   der  Syphonflaschen    (s.  Kohlensaure,    s.  Sodawasser), 


Extincteur.  —  Extracte.  341 

eingerichteten,  geniigend  stark  wan  digen  Gefasse  aufbewahrtes  Wasser,  durch  OefFnen 
ernes  Hahnes  durch  die  Druckwirkung  des  comprimirten  Gases  in  Gestalt  eines 
Strahles  herausgetrieben  werden  kann.  Solche  Apparate  sind  ausser  von  Cartier 
(vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  180,  199)  auch  von  Masnata  (d.  Industrie-Ztg.  1867, 
pag.  118),  dann  von  Baragwanath  (d.  Industrie-Ztg.  1867,  pag.  187)  ange- 
geben  worden,  kbnnen  aber  nur  zur  Bekampfung  kleiner  Brande  mit  Vortheil  be- 
niitzt  werden,  weil  die  verfiigbare  Wassermenge  eine  relativ  nur  geringe  sein 
kann.     Vgl.  Feuerlbschwesen.     Gtl. 

Extracte  (extraits  —  extracts).  Durch  an  und  fur  sich  indifferente 
Lbsungsmittel  kbnnen  aus  organischen  und  insbesondere  aus  pflanzlichen  Stoffen 
gewisse  lbsliche  Substanzen  gewonnen  werden,  wahrend  ein  bedeutender  unlbslicher 
Riickstand  bleibt,  welcher  die  Organisation  der  urspriinglich  angewandten  StofFe 
besitzt.  Dies  Verfahren  heisst  die  Extraction,  das  Ausziehen  (s.  Aus- 
laugen).  Die  durch  Extraction  gewonnenen  Lbsungen  fiihren  in  dem  Falle, 
als  dieselben  zur  mehr  oder  weniger  dicklicher  oder  fester  Consistenz  eingeengt 
werden,  den  Namen  Extracte  oder  Auszuge.  Das  Verfahren  ihrer  Dar- 
stellung  heisst  die  Extractbereitung.  Die  Lbsungsmittel,  deren  man  sich 
bei  der  Bereitung  der  Extracte  bedient,  und  welche  man  deshalb  Extractions- 
mitt  el  nennt,  sind:  Wasser,  Weingeist  und  Aether,  selten  kommen  andere,  wie 
Schwefelkohlenstotf,  angesauertes  Wasser  etc.  zur  Anwendung. 

Die  Extractbereitung  bezweckt  die  Concentration  aller,  als  chemisch  oder 
medicinisch  wirksam  erkannten  oder  technisch  verwendbaren  Bestandtheile  eines 
pflanzliehen  oder  thierischen  Kbrpers  behufs  bequemer  Aufbewahrung,  Versendung 
und  Verwendung. 

Nach  der  Art  der  angewandten  Lbsungsmittel  unterscheidet  man  wasse- 
rige,  weingeistige  und  atherische  Extracte.  Sa  ft  extracte  oder 
Stork' sche  Extracte  sind  aus  saftreichen  Pflanzen  oder  Pflanzentheilen 
ohne  Anwendung  eines  Lbsungsmittels  durch  Auspressen  und  Eindicken  der  Pflan- 
zensafte  erzeugt.  Ihrer  Wirkung  nach  sind  die  Extracte,  narkotisch  adstringirend, 
bitter  etc.  Hinsichtlich  ihrer  Verwendung  kbnnte  man  sie  eintheilen  in  solche, 
welche  als  Arzneimittel  Verwendung  linden,  in  solche,  welche  zum  Garben  und 
Farben  verwendet  werden,  und  in  Extracte,  welche  concentrirte  Nahrungs-  und 
Genussmittel  vorstellen. 

Man  nennt  die  Extracte  d  ii  n  n,  wenn  sie  die  Consistenz  des  Honigs  besitzen, 
dick,  wenn  man  ihnen  nach  dem  Erkalten  die  Pillenform  ertheilen  kann,  und 
trocken,  wenn  sie  entsprechend  eingedickt  nach  dem  Erkalten  zerreiblich  sind. 
Die  Trockenform  gibt  man  Extracten,  die  sich  sonst  ohne  zu  verderben  nicht 
aufbewahren  liessen,  und  welche  beim  Eintrocknen  keinen  Schaden  leiden.  Das 
vollkommene  Austrocknen  bei  gewbhnlicher  Temperatur  gelingt  nur  unter  einer 
Glasglocke  iiber  Schwefelsaure  oder  Chlorcaleium.  Da  Trockenextracte  leicht 
Feuchtigkeit  aus  der  Luft  anziehen,  mtissen  sie  besonders  sorgfaltig  aufbewahrt 
werden.  Bei  Extracten,  welche  sich  ohne  Zersetzung  nicht  vbllig  austrocknen 
lassen,  wird  das  Austrocknen  durch  Vermengen  mit  indifferenten  Stoffen  (Zucker 
etc.)  befbrdert. 

Die  Art  der  Extractbereitung  andert  sich  mit  dem  Lbsungsmittel.  In  alien 
Fallen  jedoch  fordert  man:  1.  Die  zweckmassige  Zerkleinerung  der  organischen 
Substanz,  damit  das  Lbsungsmittel  sie  vbllig  durchdringen  und  energisch  lbsend 
wirken  kbnne.  Ob  die  organische  Substanz  zerschnitten,  geraspelt,  zerquetscht, 
zerrieben,  zerstossen  etc.  werden  soil,  hangt  von  ihrer  Art  und  ihrer  Festigkeit 
ab.  2.  Die  sparsame  Anwendung  des  Extractionsmittels.  Das  Gelbste  muss  vom 
Ungelbsten  etwa  durch  Abpressen  getrennt  und  der  Riickstand  wiederholt  ausge- 
zogen  werden.  Je  weniger  Fltissigkeit  verdampft  zu  werden  braucht,  desto  eher 
kann  einer  etwaigen  Zersetzung  vorgebeugt  werden.  3.  Eine  zweckmassige  Tem- 
peratur, die  sich  zwar  nach  der  Art  des  Extractes  andern,  meist  aber  zwischen 
20°  C.  und  50°  C  bewegen  wird.     Das  Auskochen   wird  nur  bei  holzigen  Prlan- 


342  Extracte. 

zentheilen  angewendet,  wahrend  Substanzen,  welche  viel  Pectinstoffe  enthalten 
und  deshalb  schwierig  klarbare  warme  Extracte  liefern,  kalt  extrahirt  werden, 
die  Loslichkeit  der  wirksamen  Bestandtheile  in  kaltem  Wasser  vorausgesetzt. 
4.  Rascbe  Bereitung,  da  durch  eine  solche  nachtheilige  Zersetzungen  vermieden 
werden.  5.  Das  Abdunsten  und  Eindicken  des  Extracts  soil  niemals  iiber  freiem 
Feuer,  sondern  immer  auf  dem  Dampfbade  und  unter  fleissigem  Umruhren  vor- 
genommen  werden.  Jede  Hautbildung  auf  der  Oberflache  des  Extracts  ist  ebenso 
zu  vermeiden,  wie  unvorsichtiges  Erhitzen.  Zum  Abdunsten  sind  am  zweck- 
massigsten  Apparate  anzuwenden,  welche  die  Verdunstung  im  Vacuum  bei  mog- 
lichst  niederer  Temperatur  und  in  ktirzester  Zeit  gestatten  (s.  Destination). 
Zweckwiedrig  ist  es,  dem  ersten  wahrend  des  Eindampfens  die  folgenden  Ausziige 
nach  und  nach  zuzusetzen,  der  grosste  Theil  des  Extracts  bliebe  dadurch  langere 
Zeit  einer  hoheren  Temperatur  ausgesetzt  und  litte  Schaden.  Wasserige  Extracte 
bereitet  man  durch  Maceration,  Infusion,  Digestion  und  Auskochen.  Bei  den 
meisten  und  insbesondere  bei  alien  fleischigen  und  lockeren  Pflanzengeweben 
(Blattern,  Krautern,  Wurzeln)  liefert  die  heisse  Infusion  eine  grossere  Extract- 
ausbeute  als  das  Auskochen. 

Die  Extraction  mit  kaltem  Wasser  besteht  darin,  dass  man  die 
zerkleinerte  Pflanzensubstanz  etwa  24  Stunden  mit  kaltem  Wasser  macerirt,  die 
abgepresste  Fliissigkeit  durch  Stehenlassen  klart  und  zur  vorgeschriebenen  Con- 
sistenz  eindampft.  Die  kalte  Extraction  nimmt  viel  Zeit  in  Anspruch,  wodurch 
die  Giite  des  Extracts  beeintrachtigt  wird.  Mit  Beniitzung  der  Real'schen  Presse 
kann  man  dies  Verfahren  beschleunigen. 

.  Die  Real'sche  Presse  ist  eine  Vorrichtung,  bei  welcher  der  Druck  einer 
hoheren  Wassersaule  das  raschere  Extrahiren  gestattet.  Zu  gleichem  Zwecke 
bediente  man  sich  friiher  weit  mehr  denn  jetzt  der  Romershausen'schen  Luft- 
presse :  Vermittelst  einer  Handluftpumpe  wird  in  einem  sogenannten  Evacuations- 
gefasse,  welches  mit  dem  oberhalb  befindlicheu  Extractionsgefasse  luftdicht 
verbunden  ist,  ein  luftverdiinnter  Raum  erzeugt,  in  Folge  dessen  der  Druck  der 
aussern  Luft  das  Wasser  mit  grosserer  Gewalt  durch  die  zu  extrahirende  Substanz 
treibt  und  ein  inniges  Durchdringen  des  Zellgewebes  derselben  bewirkt,  wenn 
die  organische  Substanz  im  Extractionsgefasse  zusammengedriickt  wurde,  urn  das 
Wasser  nicht  wirkungslos  hindurchfliessen  zu  lassen.  In  dem  Evacuationsgefasse 
sammelt  sich  das  Extract  an. 

Die  Extractbereitung  unter  Anwendung  von  Warme  ftihrt 
rascher  zum  Ziele.  Der  erste  Auszug  kann  nach  zwei  Stunden  abgepresst  werden, 
wahrend  der  immer  wieder  etwas  aufzulockernde  Rtickstand  noch  ein  oder  zwei- 
mal  mit  heissem  Wasser  tibergossen  wird.  Die  Gesammtmenge  des  gewonnenen 
Auszugs  wird  aufgekocht,  geklart,  geseicht  und  auf  dem  Wasserbade  eingedampft. 
Zur  Bereitung  solcher  Extracte  verwendet  man  das  Extractfass,  ein  Holzgefass 
mit  doppeltem  Boden,  das  ein  bequemes  Auspressen  der  ausgelaugten  Substanz 
gestattet,  die  Romers  hausen'sche  Dampfpresse,  eine  Vorrichtung,  darauf 
beruhend,  dass  der  Druck  des  in  einem  geschlossenen  Gefasse  entwickelten 
Dampfes  beim  Oeffnen  eines  Hahnes  Wasser  durch  eine  dichte  Schichte  des  zu 
extrahirenden  Stoflfes  emportreibt,  wodurch  dieselbe  binnen  Kurzem  vollstandig 
ausgezogen  werden  kann,  und  weit  haufiger  eine  von  Rochleder  angegebene 
Vorrichtung:  ein  iiberall  siebartig  durchlocherter  Cylinder  aus  Weissblech,  auf 
drei  kurzen  Fiissen  stehend,  wird  mit  zerkleinerter  Pflanzensubstanz  angefiillt, 
mit  einem  Siebdeckel  versehen  in  eine  Destillirblase  gestellt  und  der  Einwirkung 
des  siedenden  Wassers  und  des  Dampfes  ausgesetzt;  hierauf  herausgenommen, 
die  Pflanzensubstanz  abgepresst  und  derselbe  Vorgaug  mit  neuen  Partien  Wassers 
wiederholt. 

Farbextracte  sind  meist  wassrige  Extracte.  Sie  werden  durch  Auskochen 
der  Farbhblzer  und  Eindampfen  der  erhaltenen  Losungen  erzeugt.  Farbholzextracte 
sind    im    Zeugdruck    mit    Vortheil    zu    verwenden ,    werden     fabriksmassig     dar- 


Extracte.  343 

gestellt  und  namentlieli  von  Frankreick  unci  Siidamerika  aus  in  den  Handel  ge- 
brackt. 

Die  zweckmassige  Zerkleinerung  der  Farbholzscheite  erfolgt  mittels  Masckinen. 
Das  zerkleinerte  Farbkolz  wird  in  einem  von  Aime  Bohra  angegebenen  oder 
einem  andern  aknlicken  Apparat  extrahirt.  Ein  birnformiges  Gefass  von 
Kupferblech  ist  in  Pfannen  clrekbar,  welcke  auf  Standern  ruben;  der  birn- 
formige  Kessel  ist  oben  mittels  einer  Kappe  luftdicbt  verschliessbar,  im  Innern 
bildet  eine  vielfack  diirchlocherte  Kupferplatte  einen  Boden,  oberkalb  dessen 
ein  Sieb  ans  Kupferdraht  angebrackt  ist;  iiber  dem  Siebboden  lagert  ein 
gelocbtes  Scklangenrokr,  das  durck  einen  koblen  Zapfen  eintritt,  wakrend  ein 
zweites  durck  den  entgegengesetzten  koklen  Zapfen  eintretendes  Rokr  bis  an  den  Boden 
des  Kessels  reickt,  welcker  mit  einem  kurzen,  mittels  eines  Haknes  abscbliess- 
baren  Rokre  zum  Ablassen  des  Kesselinkalts  verseken  ist.  Der  Kessel  wird  mit 
zerkleinertem  Farbkolze  besckickt  und  aus  dem  unteren  Rokre  Wasser  eintreten 
gelassen.  Wakrend  aus  dem  Rokre  oberkalb  des  Siebbodens  Dampf  stromt, 
gestattet  man  der  Luft  zu  entweicken.  Der  eintretende  Dampf  bringt  den  Kessel- 
inkalt  zum  Sieden,  welckes  etwa  eine  kalbe  Stunde  fortgesetzt  wird.  Beim 
Oeffnen  eines  Haknes  stromt  der  erkaltene  Farbauszug  in  Folge  des  Dampfdrucks 
in  einen  Bottick,  wakrend  neue  Wassermengen  bei  Wiederkolung  des  gesckilderten 
Vorgangs  die  vollstandige  Ersckopfung  des  Farbkolzes  bezwecken.  So  erzeugt 
man  drei  versckiedene  Abkockungen,  welcke  mit  einander  vermengt  entweder 
sogleick  verwendet  oder  zur  Trockene  eingedampft  werden. 

Aeknlicke  zur  Erzengung  von  Farbextracten  im  Grossen  beniitzbare  Vor- 
ricktungen  alterer  Art  sind  die  Extractionsapparate  von  Suarce,  Kramer, 
Scklumberger,  Meissonier,  Pa  yen    u.    a. 

Der  Payen'scke  Apparat  gestattet  neben  dem  Auszieken  das  sofortige 
Eindampfen  und  bestekt  aus  einem  Kessel  mit  doppeltem  Boden,  dessen  Inkalt 
durck  Dampf  erkitzt  wird.  Mit  dem  Kessel  steken  zwei  Cylinder  in  Verbindung, 
die  mit  dem  zerkleinerten  Farbkolz  beschickt  werden,  welckes  der  Dampf  durck- 
stromen  kann.  Die  Anwendung  zweier  Extractionscylinder  gestattet  continuirlicken 
Betrieb ;  denn  wakrend  der  eine  entleert  wird,  arbeitet  der  andere.  Der  aus 
dem  Cylinder  austretende  Dampf  wird  in  einem  mit  diesem  in  Verbindung  steken- 
den  Gefasse  verdicktet  und  die  dabei  abgegebene  Warme  zum  Abdampfen  des 
Extracts  verwendet,  was  insofern  gesckeken  kann,  als  der  Boden  des  Abdampf- 
gefasses  den  Deckel  des  Condensators  bildet. 

Wasserige  Extracte  sind:  das  Aloeextract,  aus  dem  eingetrockneten  und 
gepulverten  Safte  mekrerer  Aloearten ;  das  Ckinarindenextract,  aus  der  Rinde 
gewisser  Cinckonaarten ;  das  Enzianextract,  aus  kleingeschnittener  Enzianwurzel ; 
das  Bitterkleeextract,  aus  den  getrockneten  Blattern  von  Menyanthes  trifoliata  L ; 
das  Lowenzaknextract,  aus  den  getrockneten  und  zerscknittenen  Blattern  und 
Wurzeln  von  Taraxacum  officinale  Moench  ;  das  Opiumextract,  aus  dem  eingetrock- 
neten Safte  unreifer  Friickte  von  Palaver  somniferum  L. ;  das  Quassiaextract,  aus 
dem  gestossenen  Holze  von  Quassia  amara  L. ;  das  Ratankaextract,  aus  der 
Wurzel  von  Krameria  triandra  L. ;  das  Fleisckextract,  aus  dem  vom  Fettgewebe 
und  den  Knocken  befreiten,  zu  einer  grobbreiigen  Masse  zerkleinerten  Ocksen- 
fleisch ;  das  Malzextract,  aus  gesckrotetem  Gerstenmalz ;  das  Blaukolzextract,  aus 
dem  zerkleinerten  Kernkolz  von  Haematoxylon  campechianum  L. ;  das  Rotkkolz- 
extract,  aus  dem  Holze  mekrerer  stidamerikaniscker  Casalpinien;  das  Quercitron- 
rind  enextract,  aus  der  Rinde  von  Quercas  tinctoria  Willd.;  das  Gelbkolzextract, 
aus  dem  Stammkolz  von  Morns  tinctoria  L. ;  Eickenrinden-,  Knoppern-,  Gall- 
apfelextract,  Catecku  etc. 

Weingeistige  und  atkeriscke  Extracte  werden  aus  solcken  friscken 
oder  getrockneten  Pflanzen  oder  Pflanzentkeilen  erzeugt,  deren  wirksames  Princip 
sick  im  Alkokol  oder  im  Aetker  lost.  Zur  Extractbereitung  dienen  diesfalls 
Verdrangungs-    oder    Deplacirungsapparate,    gut    sckliessende    Glas- 


344  Extracte. 

oder  Blechgefasse,  welche  die  Verdunstung  des  Lbsungsmittels  verhindern,  das 
dickere  Schichten  der  zu  extrahirenden  Stoffe  durchstrbmeu  muss,  nachdem  es 
mit  diesen  langere  Zeit  in  Beriihrung  gestanden,  wodurch  ein  intensives  Aus- 
ziehen  des  Lbslichen  ermbglicht  wird.  Solche  Vorrichtungen  sind  von  Mohr, 
Scbiel,  Jakobi,  Robiquet,  Pelouze  u.  a.  angegeben  worden  und  eignen 
sich  theils  zur  kalten,  theils  zur  warmen  Extraction. 

Apparate  fiir  die  Extractbereitung  mit  Beniitzung  von 
War  me  haben  das  gemeinschaftlieh,  dass  man  Aether  und  Alkohol  sowohl  in 
Dampfform,  als  auch  im  tropfbarfltissigen  Zustande  auf  die  zu  extrahirenden 
Substauzen  einwirken  lasst.  So  besteht  der  Extractionsapparat  nach  Mohr  aus 
einer  zweihalsigen  Wulf "schen  Flasche,  in  deren  einem  Halse  das  Extractionsgefass 
eingepasst  1st,  in  welches  ein  nach  abwarts  conisch  zulaufendes,  mit  kaltem 
Wasser  gefiilltes  Gefass  hineinragt;  aus  dem  zweiten  Halse  fiihrt  eine  Rohre 
die  Aether-  oder  Alkoholdampfe  in  das  Extractionsgefass,  wo  sie  mit  den  kalten 
Wanden  des  Kiihlgefasses  in  Bertihrung  fltissig  werden  und,  die  auszuziehende 
Substanz  durchtrankend,  am  Boden  der  Flasche  sich  wieder  ansammeln.  Durch 
Erwarmen  der  Flasche  von  Aussen  mittels  eines  Wasserbades  werden  die  Losungs- 
mittel  immer  wieder  verfliichtigt  und  bewirken,  in  der  angedeuteten  Weise  circu- 
lirend,  die  Erschopfung  der  Substanz. 

Der  Deplacirungsapparat  von  Pelouze  fiir  kalte  Extraction 
verwendbar  besteht  aus  einem  spindelformigen  Glasgefass,  das  mittels  eines 
Korks  in  eine  zweilialsigc  Flasche  eingepasst  und  dessen  unteres  Ende  mit 
etwas  Baum-  oder  Glaswolle  verstopft,  oben  mittels  eines  Korks  geschlossen  ist. 
Dieses  fiillt  man  zum  Theil  mit  der  zu  extrahirenden  Substanz  und  iibergiesst 
sie  mit  Aether;  nach  langerem  Stehenlassen  verbindet  man  den  zweiten  Hals  der 
Flasche  mittels  eines  Kautschukschlauchs  mit  dem  oberen  Ende  der  Glasspindel, 
das  nun  mit  einem  durchbohrten  Korke  versehen  wurde,  worauf  der  atherische 
Auszug  langsam  nach  abwarts  fliesst,  ohne  dass  Aetherdampfe  nach  Aussen  ent- 
weichen  konnen.  Weniger  vollkommen  wird  das  Entweichen  von  Aetherdampfen 
bei  dem  folgenden  Apparat  vermieden,  welcher  dafiir  den  Vortheil  billiger  und 
leichter  Herstellung  gewahrt.  Ein  senkrecht  gestellter  Vorstoss  aus  Glas,  dessen 
untere  Oeffnung  mittels  eines  Korkes  geschlossen  ist,  wahrend  die  obere  bedeckt 
wird,  ist  das  Wesentliche  der  Vorrichtung,  das  Extractionsgefass.  In  diesem 
wird  die  organische  Substanz  ausgelaugt  und  das  Extract  durch  Liiften  des  Kor- 
kes in  ein  untergestelltes  Gefass  fliessen  gelassen.  Die  Ausztige  werden  in  hohen 
Glascylindern  gesammelt,  durch  Stehenlassen  geklart,  mittels  eines  Winkelhebels 
abgehoben,  der  Rest  durch  einen  Flanellspitzbeutel  und  wenn  nbthig  durch  Papier 
filtrirt,  und  die  klare  Lbsung  sofort  eingedampft,  was  gleichzeitig  mit  dem 
Abdestilliren  des  Lbsungsmittels  erfolgt,  welches  auf  solche  Weise  aliemal  wieder 
gewonnen  wird. 

Um  grbssere  Mengen  weingeistiger  oder  atherischer  Farb- 
extracte  zu  erzeugen,  kann  man  sich  nach  Kopp  eines  Apparats  bedienen 
welcher  aus  drei  durch  Rohren  mit  einander  verbundenen  Theilen  besteht. 
Die  zu  extrahirenden  Pflanzenstoffe  werden  in  einen  verticalen  Drahtcylinder 
gebracht,  welcher  in  einem  doppelwandigen  Metallcylinder  steckt;  man  bedeckt 
den  Drahtcylinder  mit  Werg  und  einer  durchlbcherten  Eisenplatte.  In  einem 
eisernen  Beliiilter,  der  mit  Wasserdampf  gefiillt  werden  kann,  steckt  ein  kugel- 
fbrmiges  Gefass  fiir  Weingeist  oder  Aether.  Durch  Wasserdampf  erwarmt  ver- 
fliichtigt sich  das  Lbsungsmittel  und  gelangt  in  das  mit  einem  durch  Quecksilber 
abgesperrten  Sicherheitsrohr  versehene  Kiihlrohr,  aus  welchem  es,  zur  Fliissigkeit 
condensirt,  auf  die  Siebplatte  im  Cylinder  fliesst,  um  von  hier  aus  gleichmassig 
vertheilt  das  Material  vollstandig  zu  durchdringen.  Die  Extraction  wird  dadurch 
befdrdert,  dass  zwischen  die  Doppelwand  des  Cylinders  Dampf  geleitet  werden 
kann,  vermittels  dessen  das  Lbsungsmittel  erwarmt  wird.  Das  Extract  fliesst 
nach  dem  kugelfbrmigen  Behalter  und  sammelt  sich  daselbst  an.  Das  Lbsungs- 
mittel wird  neuerdings  verfliichtigt  und  macht  den  beschriebenen  Weg  so  oft,  bis 


Extracte.  ■ —  Fackeldistel-Sprit.  345 

das  Farbmaterial  ira  Cylinder  vollkommen  ausgezogen  ist.  Die  letzten  Reste 
des  Weingeists  oder  des  Aethers  werden  durcli  Wasserdarapf  verdrangt,  und  das 
Extract  durch  Oeffnen  eines  auf  der  Unterseite  des  kugeligen  Behalters  befindli- 
cheu  Hahnes  in  ein  untergestelltes  Gefass  abfliessen  gelassen. 

Weingeistige  Extracte  sind:  das  Sturmhutextract,  aus  den  getrockneten  und 
gepulverten  Knollen  von  Aconitum  napellus  L. ;'  das  Malvenextract,  aus  den 
Blumenblattern  von  Althea  rosea  L. ;  das  Tollkirschenextract,  aus  der  getrockneten 
und  gepulverten  Belladonnawurzel ;  das  Schollkrautextract,  aus  dem  zur  Honig- 
consistenz  eingedampften  Safte  von  Chelidonium  majus  L. ;  das  Coloquinthen- 
extract,  aus  den  von  den  Samen  befreiten  Friichten  von  Cucumis  coloquinthis  L. ; 
das  Safranextract,  aus  den  getrockneten  Bliithennarben  von  Crocus  sativus  L. ; 
das  Cubebenextract,  aus  den  gepulverten  Friichten  von  Cubeba  officinalis  L. ;  das 
Bilsenkrautextract,  aus  den  Blattern  von  Hyosciamus  niger  L.;  das  Brechnuss- 
extract,  aus  den  grobgestossenen  Samen  von  Strychnos  nux  vomica  L.  etc. 
Vorwiegend  weingeistige  Extracte  sind  audi  die  neuerer  Zeit  von  einzelnen 
Erzeugern  auf  den  Markt  gebrachten  Gewiirzextracte. 

Die  Giite  und  Zusammensetzung  des  Extracts  lasst  sich  auf  chemischem 
Wege  nicht  gut  priifen,  da  die  wenigsten  genau  bekannte  und  analytisch  nach- 
weisbare  Verbindungen  enthalten.  Bei  Farbextracten  bestimmt  man  das  Farbe- 
vermogen  durch  den  Versuch. 

Die  Extractausbeute  ist  unter  sonst  ganz  gleicher  Behandlung  niemals 
dieselbe,  weil  die  Beschaffenheit  der  Pflanze  von  den  schwer  bestimmbaren  und 
sehr  veranderlichen  Vegetationsverhaltnissen  abhangt.  Man  pflegt  den  Extract- 
gehalt  in  Grammen  wirksamer  Substanz  anzugeben,  welche  aus  1000  Gramm  des 
urspriinglichen  Pflanzenstotfes  erhalten  werden. 

Von  einem  guten  Extract  fordert  man  den  Geruch  und  Geschmack  des 
PflanzenstofFs,  aus  welchem  er  bereitet  wurde,  bei  pharmaceutischen  Extracten 
hellbraune  oder  dunkelgelbe  Farbe.  Die  griine  Farbe  verrath  die  Anwesenheit 
von  viel  Chlorophyll,  die  schwarze  Farbe  eine  fehlerhafte  Bereitung.  Wassrige 
Extracte  miissen  sich  im  Wasser  fast  vollstandig  losen.  Im  Allgemeinen  nennt 
man  ein  Extract  um  so  besser,  je  grosser  die  relative  Menge  an  wirksamer 
Substanz  ist.  R — ch — r. 

Extracteur,  s.  Centrifugaltrockenmaschinen  II  pag.  293. 

Extrahiren,  s.  Ausziehen,  s.  Auslaugen  I  pag.  256. 


Fabrikgold,  Doppelgold  (or  double  —  strong  gold  leaves),  Handelssorte 
von  Blattgold,  s.  Goldschlagerei. 

Fach   (pas  —  lease),  die  Theilung  der  Kette,  s.  Weberei. 

Fachwerk,  s.  B riick en  II  pag.  86,  s.  Dach  II  pag.  475. 

Fackel   (flambeau  —  torch),  s.  Leuchtstoffe. 

Fackel  bengalische,  s.  Feuerwerkerei. 

Fackeldistel-Sprit  ist  Weingeist,  welcher  aus  den  Friichten  von  Cactus 
opuntia,  einer  in  Algier  einheimischen,  auch  im  siidlichen  Europa  wildwachsen- 
den  Pflanze,  d.  i.  der  Fackeldistel  oder  algier ischen  Feige,  durch 
Gahrung    und  Destination    der    vergohrenen  Masse   gewonnen  wird.     Diese  Wein- 


346  Fackeldistel-Sprit.  —  Fallen. 

geistsorte   ist   durch   einen    schwachen  Feigengeruch    ausgezeichnet.     Vgl.    Schu- 
barth,    preuss.  Verhndlg.  1855,  pag.  119,    s.  a.  Jahrb.  f.  Pharm.  6,   pag.  186. 

Gtl. 

Fackelglanz,  technische  Bezeichnung  fiir  vollige  Klarheit  des  Weines.  S. 
We  in. 

Facondraht,  s.  Draht  II  pag.  643. 

Faconeisen,  s.  Eisen  II  pag.  776. 

FaQOn-Rum,  syn.  Rum  kiinstlicker,  s.  Branntweinbrennerei  I  p.  741. 

Fadenbruchwachter,  s.  Spulmaschinen. 

Fadenfiihrer,  s.  Spinner  ei,  s.  a.  Dingl.  pol.  Journ.  Bd.  200. 

Fadenglas.  Filigranglas  (verve  jiligrane —  filigree  glass),  Spitzenglas, 
Petinetglas,  s.  G-las. 

Fadenlinie,  s.  Kettenlinie  b.  Cur ven,  II  pag.  451. 

Faecalsteine  nennt  Petri  in  Berlin  (s.  Dingl.  pol.  Journ.  213,  pag.  258) 
ein  durcb  Pressung  in  die  Form  von  Ziegeln  gebrachtes  Brennmateriale,  welches 
aus  Excrementen  (Faecalien)  mit  einem  desinficirenden  Zusatze  hergestellt  werden 
kann  und  eine  niitzliche  Art  der  Beseitigung  und  Verwertkung  solcher  Auswurfs- 
stoffe  bezweckt.  Das  Brennmateriale  soil  in  Bezug  auf  Brennwerth  den  Braun- 
kolilen  gleichkommen  und  eine  wegen  ihres  Phosphorsaurereichthums  als  Diing- 
mittel  trefflicb  verwendbare  Asche  liefern.     Gil. 

Fallen  (precipiter  —  to  'precipitate),  praecipitiren,  niederschlagen, 
nennt  der  Chemiker  jene  Operation,  bei  welcher  durch  Zusatz  einer  geeigneten 
Substanz  (Fallungsmittel)  zu.  einer  Losung  ein  in  derselben  vorfindlicher  Korper 
oder  ein  Bestandtheil  desselben  in  Gestalt  eines  sogenannten  Niederschlages 
(Praecipitates)  abgeschieden  wird.  Die  Fallung  erfolgt  entweder  dadurch,  dass 
durch  die  Einwirkung  des  Fallungsmittels  eine  chemische  Veranderung  des  ge- 
losten  Korpers  sich  vollzieht,  und  sohin  eine  neue,  in  dem  vorhandenen  Losungs- 
mittel  nicht  mehr  Ibsliche  Verbindung  sich  bildet,  oder  dass  das  Lbsungsmittel  in 
einer  bestimmten  Weise  verandert  und  sohin  sein  Losungsvermogen  alterirt  wird. 
Im  ersteren  Falle  wird  der  niedcrfallende  (gefallte)  Korper  offenbar  chemisch  ver- 
schieden  sein  miissen  von  jenem,  welcher  in  Losung  stand,  in  letzterem  Falle  kann 
ein  in  Losung  stehender  Korper  unverandert  gefallt  werden.  So  werden  in  Auf- 
losungen  von  Magnesia-,  Kalk-,  Baryt-,  Strontian-,  Thonerde-,  Eisen-,  Mangan-, 
Zink-  und  vielen  anderen  Metall-Salzen,  z.  B.  durch  Zusatz  einer  Losung  von 
kohlensaurem  Natron  Fa'llungen  erhalten,  indem  sich  durch  Wechselwirkung  des- 
selben mit  den  genannten  Metallsalzen  ein  kohlensaures  oder  basisch  kohlensaures 
Salz  des  betreffenden  Metalles  bildet,  das  in  der  vorhandenen  wassrigen  Fliissig- 
keit  nicht  mehr  loslich  ist.  In  gleichcr  Weise  fallt  phosphorsaures  Natron  aus 
Lbsungen  der  verschiedensten  Metallsalze,  unlbsliches  phosphorsaures  Salz, 
Scliwefelwasscrstoff  und  Schwefelammonium,  unlbsliche  Schwefelmetalle  u.  dgl.  m. 
In  alien  diesen  Fallen  ist  der  entstehende  Niederschlag  von  jenem  Korper,  welcher 
in  Losung  war,  verschieden.  Anders  verhalt  es  sich  in  jenem  Falle,  wo  durch 
das  angewendete  Fallungsmittel  das  Lbsungsmittel  beeinflusst  wird,  bier  kann  der 
in  Losung  stehende  Korper  unter  Umstanden  unverandert  abgeschieden  werden. 
So  entstehen  Fa'llungen  durch  Zusatz  von  Weingeist  zu  Auflbsungen  solcher  Korper, 
welche  in  Weingeist  vbllig  unlbslich  sind,  z.  B.  der  verschiedensten  Metallsalze. 
Beispielsweise  fallt  durch  Zusatz  von  Weingeist  zu  einer  Gypslbsung  Gyps ;  zu 
einer  Eisenvitriollbsung  Eisenvitriol,  zu  einer  Eiweisslbsung  Eiweiss  u.  dgl.  m. 
Durch  Zusatz  von  Wasser  oder  Aether  kann  man  wieder  die  verschiedensten,  in 
Alkohol  lbslichen  Korper  aus  ihrer  alkoholischen  Losung  fallen,  wenn  sie  an  sich 


Fallen.  —  Farbelappen.  347 

in  Wasser  oder  Aether  unlbslich  sind.  So  lassen  weingeistige  Harzlbsungen  auf 
Wasserzusatz  das  gelbste  Harz  fallen,  oder  alkoholische  Salzlosungen  auf  Zusatz 
von  Aether,  das  in  Aether  unlosliche  Salz.  Audi  durch  Zusatz  von  Sauren  zu 
wassrigen  Losungen  kann  man  nicht  selten  das  unveranderte  Salz  zur  Ausfallung 
bringen,  wenn  die  angewandte  Saure  wasserbindend  wirkt  und  sohin  das  Lbsungs- 
vermogen  desselben  verringert.  So  wird  z.  B.  Chlorbariura  aus  seiner  wassrigen 
Lbsung  durch  Salzsaure  als  solches  gefallt,  salpetersaurer  Baryt  durch  Salpeter- 
saure,  schwefelsaure  Salze  durch  Schwefelsaure  u.  dgl.  Die  bei  der  Fallung  ent- 
stehenden  Niederschlage  sind  entweder  feinpulverig  und  dann  entweder  amorph 
oder  rnikrokrystallinisch,  oder  sie  sind  flockig-gallertartig  und  dann  immer  amorph, 
doch  kbnnen  solche  letztere  unter  Umstanden,  nach  ktirzerer  oder  langerer  Zeit, 
krystallinisch  werden,  wobei  sie  dann  immer  das  flockig-gelatinose  Wesen  gegen 
ein  pulveriges  oder  korniges  vertauschen.  Die  Fallung  kann  entweder  vollstandig 
oder  unvollstandig  sein.  Ersteres  wird  immer  dann  der  Fall  sein,  wenn  der 
fallende  Kbrper  vollkommen  unlbslich  in  dem  vorfindlichen  Lbsungsmittel  ist,  und 
wenn  von  dem  Fallungsmittel  so  viel  verwendet  wurde,  als  nothwendig,  um  die 
Gesammtmenge  des  in  Lbsung  stehenden  Kbrpers  in  die  neue  unlosliche  Form 
iiberzufiihren  ;  letzteres  wird  entweder  bei  ungeniigender  Anwendung  von  Fallungs- 
mitteln  oder  bei  nicht  vblliger  Unlbslichkeit  des  entstandenen  Niederschlages  der 
Fall  sein,  und  wird  iibrigens  fast  stets  dann  vorkommen,  wenn  die  Fallung  durch 
Veranderung  des  Lbsungsmittels  erfolgte,  da  in  solchem  Falle  das  Lbsungsver- 
mbgen  der  Fltissigkeit  meist  nicht  vollstandig  aufgehoben,  sondern  gewbhnlich  nur 
mehr  oder  weniger  stark  vermindert  werden  kann.  Bei  unvollkommener  Unlbs- 
lichkeit der  gefallten  Verbindung  erfolgt  die  Fallung  in  der  Regel  nicht  sofort, 
sondern  gewbhnlich  erst  allmalig,  und  ist  dies  insbesondere  dann  der  Fall,  wenn 
mit  der  Umwandlung  eines  amorphen  Kbrpers  in  den  krystallinischen  Zustand 
eine  Zunahme  der  Schwerlbslichkeit  eintritt. 

Man  bedient  sich  der  Operation  der  Fallung  in  ausgedehntem  Masse  zur 
Abscheidung  von  gelbsten  Kbrpern  aus  ihren  Losungen,  namentlich  aber  zur 
Trennung  von  mehreren  nebeneinander  in  Lbsung  stehenden  Kbrpern  von  ein- 
ander,  indem  man  Fallungsmittel  anwendet,  welche  einen  oder  einzelne  der  ge- 
lbsten Kbrper  zur  Ausscheidung  bringen,  wahrend  andere  durch  dasselbe  Fallungs- 
mittel unverandert  bleiben.  Hierauf  beruhen  die  meisten  Methoden  der  qualitati- 
ven  sowie  der  quantitativen  Analyse,  sowie  die  Darstellungsmethoden  der  ver- 
schiedensten  Kbrper.  Auch  kann  man  mehrere  neben  einander  in  Lbsung  stehende 
Kbrper  auf  dem  Wege  der  Fallung  von  einander  in  der  Weise  trennen,  dass  man 
durch  ein  geeignetes  Fallungsmittel,  durch  welches  endlich  alle  vorhandenen  Kbr- 
per gefallt  werden  kbnnen^  die  Fallung  partienweise  vornimmt,  wobei  sich  ergibt, 
dass  derjenige  Kbrper,  welcher  mit  dem  Fallungsmittel  eine  schwerer  lbsliche 
Verbindung  gibt,  immer  friiher  abgeschieden  wird  als  jener,  der  eine  weniger 
schwer  lbsliche  Verbindung  liefert.  Man  nennt  diese  Art  der  Fallung  die  theil- 
weise  oder  fractionirte  Fallung,  und  wendet  dieselbe  namentlich  zur  Tren- 
nung einander  sehr  ahnlicher  Kbrper  an;  so  z.  B.  haufig  bei  organischen 
Substanzen. 

Soil  durch  die  Fallung  eine  Trennung  von  mehreren  in  einer  Lbsung  vorhandenen 
Kbrpern  erfolgen,  dann  muss  nicht  nur  der  gefallte  Kbrper  von  der  Fltissigkeit  ge- 
sondert  werden,  was  durch  Decantiren  oder  durch  Filtration  geschehen  kann, 
sondern  es  muss  stets  auch  die  den  entstandenen  Niederschlag  durch trankende 
Lbsung  durch  Auswaschen  (s.  Auslaugen  I  pag.  256)  entfernt  werden,  wobei 
selbstverstandlich  eine  Fltissigkeit  verwendet  werden  muss,  die  den  auszulaugenden 
Niederschlag  nicht  oder  doch  nur  sparlich  lost,  wahrend  sie  den  zu  entfernenden 
Kbrper  aufzulbsen  vermag.     Gtl. 

Fallung  und  Fallungsmittel,  s.  Fallen. 

Farbelappen,  s.  Bezetten  I  pag.  455. 


348  Farben  des  Goldes.  —  Farberdistel. 

Farben  des  Goldes  (mise  en  coideur  —  colouring).  Da  die  Goldarbeiten 
aus  einem  Gemische  von  Gold  mid  Kupfer  oder  —  noch  gewohnlicher  —  von 
Gold,  Silber  und  Kupfer  bestehen,  so  zeigen  sie  nacb  dem  Blankschleifen  und 
Poliren,  ja  selbst  nacb  dem  Absieden  mit  schwacher  Salpetersaure,  welebem  man 
sie  in  der  Kegel  unterwirft,  eine  von  der  reinen  Goldfarbe  sebr  verschiedene 
Farbe.  Sie  erscbeinen  namlicb  bleichrothlich  oder  bei  vorwiegendem  Silberzusatze 
blassgelb.  Will  man  den  aus  legirtem  Golde  geraachten  Artikeln  ein  hoch  gold- 
gelbes  Ansehen  ertheilen,  so  gesebiebt  dies  durch  das  Farben,  namlicb  durch 
Kochen  in  einer  Fliissigkeit,  welche  man  Farbe,  Goldfarbe  (coideur  a  bijoux 
—  gold-colour)  nennt. 

Diese  atzend  wirkende  Fliissigkeit  entfernt  von  der  Oberflache  das  Kupfer  und 
Silber,  und  setzt  durch  eine  electrolytiscbe  Wirkung  das  gleicbfalls  anfanglich  ge- 
loste  Gold  als  feine  gleichmassige  Schichte  anf  der  Oberflache  ab.  Vor  dem 
eigentlichen  Farben  wird  die  Waare  durch  Kochen  in  einer  gesattigten  Borax- 
losung  gereinigt. 

Ein  gebrauchliches  Verfahren  zu  farben  ist  folgendes:  Man  nimmt  auf  einen 
Theil  guter  Goldwaare  (s.  diesen  Artikel)  2  Gew.-Th.  liber  Feuer  abgeknistertes 
Kochsalz  und  4  Tbl.  Salpeter,  reibt  sie  trocken  gut  zusammen,  la'sst  sie  in  einem 
irdenen  Topfe  mit  ein  wenig  Wasser  kochen,  und  rtihrt  so  lange,  bis  das  Ganze 
zu  einem  trockenen  Pulver  geworden  ist;  dann  giesst  man  3  Thl.  Salzsaure  (von 
spec.  Gew.  1-165)  hinzu,  lasst  bis  zu  volliger  Aufiosung  und  sebr  merklicher  Ent- 
wicklung  von  Chlorgas  sieden ;  bringt  nun  die  Goldwaare  hinein  und  bewegt  sie 
fleissig  herum,  indem  man  sie  nur  zeitweilig  auf  einen  Augenblick  hebt,  um  das 
Hervorkommen  der  hochgelben  Farbe  zu  beobachten.  Gewohnlich  nach  5  bis  6 
Minuten,  wabrend  die  Fliissigkeit  stetig  kocht  und  Chlorgas  nebst  salpetrigsaurem 
Dampfe  ausstosst,  ist  das  Geschaft  vollendet;  man  spiilt  die  Gegenstande  so  rasch 
als  moglich  in  zwei  Gefassen  mit  kochendem  Wasser,  unmittelbar  darnach  in 
einer  grossen  Menge  kalten  Wassers,  und  taucht  sie  endlich  noch  einmal  in  reines 
kochendes  Wasser,  damit  sie  beim  Herausziehen  schnell  von  selbst  abtrocknen. 
Wasser  zuzusetzen,  wabrend  die  Waare  in  der  Farbe  verweilt,  muss  thunlichst 
vermieden  werden,  ist  aber  noting,  wenn  die  Masse  durch  das  Einkochen  zu  steif 
wird ;  das  zugefiigte  Wasser  muss  jedenfalls  kochend  sein.  Lothstellen  farben  sich 
anfangs  schwarzlich,  werden  aber  nachher  ebenfalls  gelb.  Die  gebrauchte  Farbe 
kann  nicht  ein  zweites  Mai  angewendet  werden,  wird  aber  wegen  eines  geringen 
darin  befindlichen  Goldgehaltes  zuriickgestellt,  und  nach  Ansammlung  einer  grosse- 
ren  Menge  dadurch  zu  Gute  gemacbt,  dass  man  sie  mit  ein  wenig  Konigswasser 
versetzt,  durch  zugefiigtes  reines  Wasser  ganz  fliissig  macht,  filtrirt,  und  durch 
Eisenvitriolauflosung  das  Gold  als  metallisches  Pulver  niederschlagt. 

Goldarbeiten  von  einem  geringern  Feingehalte  als  14  Karat  lassen  sich  nicht 
farben,  sondern  werden  in  der  Farbe  schwarz  und  unansehnlich,  weil  ihre  Ober- 
flache dem  auflosenden  Chlor  zu  wenig  Goldtheilchen  darbietet.  Rud.  Wagner 
(s.  Dingl.  pol.  Journ.  218  pag.  329)  empfiehlt  eine  Lbsuug  von  1  Grm.  Brom, 
30  Grm.  Bromkalium  (=  25  Grm.  Bromcalcium)  in  1000  Grm.  Wasser  als 
brauchbares  Mittel  zum  Goldfarben. 

Zur  Erzielung  bestimmter  Farbentone  stehen  mannigfache  Goldfarben  in  Ge- 
brauch,  bei  deren  Anwendung  es  oft  auf  genaues  Einhalten  der  Zeit  ankbmmt; 
dieselben  werden  meist  geheim  gehalten. 

Farberalizarill  {alizarine  tinctoriale)  nannte  Kopp  ein  fur  Farbereizwecke 
dargestelltes,  nicht  vollig  reines  Alizarin,  das  durch  Behandeln  von  Garancin  mit 
auf  200°  C.  erhitztem  Wasserdampf,  wobei  sich  Alizarin  mit  den  Wasserdampfen 
verfluchtigt,  erhalten  wurde.     Gil. 

Farberbllime,  s.  Farberginster. 

Farberdistel,  Stammpflanze  des  Safflors,  s.  d.,  s.  a.  Farberscharte. 


Farberei.  —  Farberflotte.  .  349 

Farberei  (teinture  —  dyeing)  ist  im  Allgemeinen  die  Kunst,  Kbrpern  der 
verschiedensten  Art  dauernd  die  Fahigkeit  zu  ertlieilen,  in  unserem  Gesichtsinne 
die  Empfindnng  einer  bestimmten  Farbe  hervorzurufen,  im  Besonderen  aber  ver- 
steht  man  unter  Farberei  die  Fertigkeit,  auf  Geweben,  sei  es  natiirlichen,  pflanz- 
lichen  oder  thierischen  Ursprungs,  sei  es  kiinstlichen,  wie  solchen  aus  Baumwolle, 
Leinen,  Wolle,  Seide  oder  sonstigen  Gespinnstfasern,  zum  Theile  oder  vbllig  be- 
stimmte  Farbungen  hervorzubringen,  welche  der  Einwirkung  von  Licht,  Luft, 
Wasser  oder  sonstigen  bei  der  Verwendung  soldier  Gewebe  sicb  geltend  machenden 
Einfltissen  mehr  oder  weniger  lange  widerstehen  konnen.  Das  Wesen  dieser  schon 
seit  den  altesten  Zeiten  bekannten  Fertigkeit  liegt  nicht  so  sehr  in  der  Erzielung 
einer  bestimmten  Farbe  auf  der  Gewebsfaser,  sondern  vielmehr  in  der  Herstellung 
einer  mbglichst  festen  Verbindung  zwischen  der  zu  farbenden  Faser  und  der  die  be- 
stimmte  Farbung  hervorrufenden  Substanz.  Hiedurch  unterscheidet  sich  die  Kunst 
der  Farberei  im  engeren  Sinne  des  Wortes  von  der  Malerei,  der  Anstreicberei, 
der  Farbendruckerei,  Buntpapierfarberei,  deren  Ziel  zwar  auch  die  Hervorrufung 
bestimmter  dauernder  Farbenerscheinungen  auf  der  Oberflache  der  Korper  ist,  die 
aber  dieses  Ziel  durcb  einfaches  Auftragen  eines  fertig  vorhandenen  Farbkorpers 
auf  die  zu  farbende  Flache  und  Fixirung  desselben  mit  Hilfe  eines  Klebemittels 
(Leim,  Gummi,  Starkekleister,  Firniss  oder  Lack)  oder  durch  einfache  Beimischung 
eines  feinvertheilten  Farbkorpers  zu  der  zu  farbenden  Substanz  (Farben  der 
Papiermassen)  oder  endlich  Durchtrankung  einer  porosen  Substanz  mit  einer  Farb- 
stofflbsung,  die  nach  dem  Verdunsten  des  Lbsungsmittels  den  Farbstoff  in  den 
Poren  der  gefarbten  Substanz  hinterlasst  (Farben  von  Steinen,  Gyps,  Bein, 
Holz),  zu  erreicben  suchen.  Gegeniiber  einem  solchen,  rein  mechanischen  Vor- 
gange  der  Farbung  von  Korperoberflachen  oder  Massen  verwerthet  die  Farberei 
im  engeren  Sinne  des  Wortes  die  chemisclien  Beziehungen  der  farbegebenden  zu 
den  zu  farbenden  Korpern,  indem  sie  entweder  durch  Einwirkung  von  geeigneten 
Agentien,  die  an  sich  nicht  wie  Farbstotfe  sich  verhalten,  auf  die  zu  farbende 
Gewebssubstanz  eine  solche  Veranderung  derselben  hervorruft,  dass  diese  nach- 
mals  gefarbt  erscheinen  (Reactionsfarben),  oder  dass  sie  die  Fahigkeit  der 
Faser  bentitzt,  gewisse  Farbstotfe  anzuziehen  und  zu  binden  (substantive  oder 
subjective  Farben),  oder  dass  sie  zunachst  Verbindungen  der  Faser  mit  Stoffen 
herstellt,  welche  ihrerseits  Farbstotfe  zu  fixiren  vermcigen  und  sohin  als  Bindeglied  zwi- 
schen der  Faser  und  dem  Farbstotfe  (a  d  j  e  c  t  i  v  e  F  a  r  b  e  n)  dienen  (s.  Beize  I  pag.370) 
oder  endlich,  dass  sie  die  Faser  mit  Losungen  durchtrankt,  aus  welchen  sich  durch 
nachmalige  Einwirkung  eines  dritten  Korpers  ein  unloslicher  Farbstoff  ausscheiden 
lasst  und  in  fein  vertheilter  Form  in  der  Faser  abgelagert  wird  (K  up  en  far  ben 
—  Praecipitations farben).  Seltener  findet  in  der  Farberei  die  Application 
fertiger  Farbkbrper  auf  die  Faser  und  die  Befestigung  derselben  durch  ein  eine  me- 
chanische  Bindung  bewirkendes  Fixirungsmittel  statt,  wie  das  beispielsweise  bei 
der  sogenannten  topischen  Farberei  oder  dem  topischen  Druck  der  Fall  ist,  und 
auch  hier  muss  wenigstens  das  Fixirungsmittel  auf  dem  Wege  eines  chemischen 
Processes  eine  Umwandlung  erfahren,  der  zu  Folge  es  nach  der  Fixirung  eine 
Veranderung  seiner  Lbslichkeitsverhaltnisse  erleidet.  So  beispielsweise  bei  den 
Dampffarben  und  den  Klotzfarben,  die  durch  Auftragen  von  Mischungen 
der  zu  applicirenden  Farbkbrper  mit  Albumin  oder  Caseinlbsungen  und  nachheri- 
ges  Unlbslichmachen  des  Albumins  durch  Dampfen  (Erhitzen  auf  100°  C.)  oder 
des  Caseins  durch  Einwirkung  von  Saurebadern,  befestigt  werden.  Eine  einge- 
hende  Besprechung  der  Methoden  der  Farberei  geben  wir  in  dem  Artikel  Zeu g- 
druckerei  und  Zeugfarberei,  s.  d.     Gtl. 

Farbereiche,  Stammpflanze  der  Quercitron-  oder  Farbereichenrinde,  s. 
Quercitron. 

Farberflechten,  s.  b.  Flechtenfarbstoffe. 

Farberflotte,  s.  Zeugfarberei. 


350  Farberginster.  —  Faulniss. 

Farberginster  (genet  de  teinturiers  —  dyers  broom),  Far b erbium e, 
Gelbkraut,  Geniste,  Gloesen.  Das  zur  Bltithezeit  gesammelte  und  getrock- 
nete  Kraut  von  Genista  tinctoria  L.,  einer  in  lichten  Waldern  in  Europa 
und  Mittelasien  haufig  wachsenden,  vora  Juni  bis  August  bliihenden  Papilionacee, 
einen  niedrigen  Halbstrauch  darstellend  mit  schlanken,  unbewehrten,  gestreiften 
zahnigen  Zweigen.  Die  auf  diesen  zerstreut  sitzenden  Blatter  sind  lanzettlicb 
oder  langlich,  spitz,  ganzrandig,  gewimpert,  auf  dem  unterseits  stark  vorsprin- 
genden  Mittelnerv  sparlich  behaart,  glanzend  grtin,  getrocknet  steif  brticbig.  Die 
Schuietterlingsbliithen  mit  kahler  goldgelber  Blurnenkrone,  deren  zuriickgeschlagene 
Fahne  so  lang  als  das  sichelformige  Schiffchen  ist,  stehen  in  gedrungenen,  fast 
rispenforinigen,  endstandigen  Trauben.  Das  Kraut  dient  zum  Gelbfarben  von 
Wolle  und  Leinen,  doch  ist  die  Farbe  von  geringerem  Werthe  als  Wau  und 
Farberscharte.  Der  Farbstoff  des  Farberginsters  soil  sich  dem  Luteolin  (dem 
Farbstoff  des  Waus)  ahnlich  verbalten.  In  Ungarn  und  Slavonien  sammelt  man 
zu  demselben  Zwecke  die  nahe  verwandte  Genista  ovata  W.  K.  -  und  wahr- 
scheinlich  verhalten  sich  auch  die  anderen  einheimischen  Ginsterarten  (Genista 
pilosa  und  germanica  L.)  ahnlich  wie  der  Farberginster,  nur  sind  sie  farbstoff- 
armer.  A.   Vogl. 

Fai'berknotrich  (Polygonum  tinctorium),  Stammpflanze  einer  Indigosorte, 
deren  Blatter  directe  zum  Blaufarben  verwendet  werden  konnen.  S.  Indigo.  Gtl. 

Farberlack  (lac  de  teinturiers  —  lac-dye),  s.  Lac- dye,  s.  Kermes, 
vgl.  a.  C  arm  in  II  pag.  25G. 

FarbermOOS,  s.  b.  Flechtenfarbstoffe. 

Farberrothe,  syn.  Krapp  s.  d. 

Farberscharte  (herbe  de  cerette  —  saivwort),  Farbe  rdistel.  Das 
getrocknete  bliihende  Kraut  von  Serratula  tinctoria  L.,  einer  auf  Wiesen 
sehr  verbreiteten,  ausdauernden  Composite,  hin  und  wieder  (in  Sachsen,  Bohmen) 
auch  angebaut.  Der  bis  iiber  lm  Hohe  erreichende  Stengel  ist  glatt,  gestreift,  oben 
doldentraubig-astig;  die  wechselstandigen  Blatter  sind  langlich,  spitz,  ungetheilt, 
leierformig  oder  fiederspaltig,  scharf  gesagt,  die  unteren  langgestielt,  die  oberen 
sitzend,  fast  glatt.  Die  Bltithenkorbchen  haben  dachziegelformige,  nach  oben 
violette  Hullblatter  und  rohrenformige,  mit  einem  Pappus  versehene  violette 
Blumen.  Das  Kraut  enthalt  einen  gelben  Farbstoff,  der  sich  dem  Luteolin  ahn- 
lich verhalten  soil;  es  dient  zum  Gelbfarben  und  zur  Darstellung  von  Schuttgelb. 

A.   Vogl 

Farbersumach,  s.  Sumach  (Schmack). 

Farberwau,  syn.  Wau,  Gelbkraut  s.  d. 

Faulniss  (pourriture  —  rot).  Die  Materie  der  abgestorbenen  Organismen 
ohne  Ausnahme  und  viele  der  organischen  Substanzen  als  solche,  erleiden  in 
kiirzerer  oder  langerer  Zeit  Veranderungen  weitergehender  Art,  die  man  je  nach 
den  dabei  auftretenden  Erscheinungen  als  Gahrung,  Faulniss  (faulige  Gahrung), 
Verwesung  oder  Vermoderung  bezeichnet. 

Man  weiss  jetzt  nach  eingehenderem  Studium  dieser  Zersetzungsprocesse,  dass 
zur  Einleitung  derselben  unbedingt  in  der  gewohnlichen  Atmosphare  stets 
vorhandene,  lebens-  und  fortpflanzungsfahige  Keime  gewisser  Organismen  nothig 
sind,  die  einnral  eingeleitete  Zersetzung  aber  weiters,  wenn  auch  in  modificirter 
Form,  als  Verwesung  oder  Vermoderung  durch  den  Sauerstoff  der  Luft  allein 
fortgesetzt  und  beendigt  werden  kann.  Diese  Faulnissorganismen,  die  auch  als 
organisirte Fermente  (s.  Ferm  en te)  bezeichnet  werden,  sind  nun  animalischer,  vorzugs- 
weise  aber  pflanzlicher  Natur  und  jedenfalls  die  Producenten  und  nicht,  wie  man  lange 
annahm,  die  Producte  oder  Begleiter  dieser  gewissermassen  natiirlichen  Zersetzungs- 
processe.    Bei  den  Pflanzen   gehoren  sie  ausschliesslich    der  chlorophyllosen    und 


Faulniss.  351 

hier  vorzugsweise  der  Klasse  der  Pilze  an.  Unter  diesen  gibt  es  insbesondere 
eine  Reihe  von  Gattungen,  die  erwiesenerraassen  nur  auf  sich  zersetzenden  orga- 
nischen  Snbstanzen  vegetiren  konnen  und  deshalb  audi  Faulnissbewohner  odor 
Saprophyten  genannt  werden.  Sie  umfassen  nebst  anderen  die  Hyphomyceten 
oder  Fadenpilze,  zu  welchen  die  verscliiedenen  denSchimmel  zusammensetzenden 
Schimmelpilze  gehoren,  die  Ascomyceten  oder  Scblauchpilze  (worunter  die  Alkohol- 
hefen  Saccharomyces  cerevisiae)  und  die  besonders  speciesreichen  Schyzomyceten 
oder  Schaltpilze,  worunter  die  Bacterien,  Bacteridien,  Vibrionen,  Zoogloen,  Micro- 
coceen  und  andere,  die  vornehmlich  Faulnisserreger  sind. 

Es  gibt  nun  Stoffe,  welche  direct  solcher  Zersetzungsprocesse  fahig,  wahr- 
scbeinlicb  direct  als  Nahrungssubstrat  diesen  Faulniss-  und  Gahrungsorganismen 
dienen,  wie  z.  B.  die  Eiweissstoffe,  die  Leimsubstanzen,  viele  Zuckerarten  etc., 
sodann  solche,  die  hiezu  erst  durcb  die  Einwirkung  gewisser  unorganisirter  oder 
katalytischer  Fermente  umgewandelt  werden,  wie  z.  B.  der  Rohrzucker,  der  durch 
einen  Bestandtbeil  der  Hefe  vor  der  Gabrung  in  Invertzucker  uberfiihrt  wird, 
endlicb  solche,  die  iiberbaupt  nicht  faulniss-  oder  gahrungsfahig  sind,  wie  z.  B. 
die  die  Hauptmasse  der  festen  Pflanzensubstanz  bildende  Cellulose,  welche  aber 
durcb  die  Gegenwart  der  in  Umlagerung  befindlicben  Molekiile  der  faulenden 
Stoffe  und  die  dadurch  bervorgerufene  Erregung  ibrer  eigenen  Atome  zum  mindesten 
scbliesslicb  der  Einwirkung  des  atmospharischen  SauerstofFes  zuganglicher  gemacht 
wird  und  der  Verwesung  anheimfallen  kann.  Die  Gabrung  ist  ihren  Ursacben 
nach  von  der  Faulniss  nicht  unterschieden,  doch  pflegt  man  nur  die  mit  Entwicke- 
lung  stinkender,  fliissiger  oder  gasiger  Substanzen  verbundenen  Zersetzungen 
speciell  als  Faulniss  anzusprechen. 

Die  Bedingungen  zur  Faulniss  und  Gahrung  (hier  sei  zuerst  nur  die  erstere 
in's  Auge  gefasst)  sind  demnach: 

I.  Der  Zutritt  der  atmosph  arise  hen  Luft,  welche  stets  die 
faulnisserregenden  Keime  (Sporen  von  Pilzen  etc.)  enthalt.  Hat  die  Faulniss  ein- 
mal  begonnen,  so  setzen  auch  nach  nachherigem  Abschluss  der  Luft  die  inzwischen 
durch  Fortpflanzung  entstandenen  Faulnissgebilde  die  Faulniss  fort. 

II.  Gegenwart  einer  hin  reichenden  Menge  von  Feuchtigkeit. 
Die  faulnissfahigen  Stoffe  sind  als  solche  oder  in  wenig  veranderter  Form  das 
Nahrungssubstrat  der  Faulnissorganismen  und  konnen  nur  in  wasseriger  Losung 
von  diesen  umgewandelt  und  assimilirt  werden. 

III.  Eine  bestimmte  Tempera tur.  Die  betreffenden  Faulnissorga- 
nismen bediirfen  zu  ihren  Lebensfunctionen  stets  einer  hoheren  Temperatur  als 
0°  C.  und  werden  durch  hohere  Temperaturen,  gegen  100°  C,  getodtet,  somit 
unwirksam  gemacht. 

Kommt  nun  ein  faulnissfahiger  Korper  mit  der  atmospharischen  Luft  in 
Beriihrung  und  sind  die  andern  angeftihrten  nothigen  Bedingungen  zur  Faulniss 
vorhanden,  so  beginnt  dieselbe  in  irgend  einem  Theile  des  Ersteren  und  setzt 
sich  dann  durch  die  ganze  Masse  fort.  Wird  die  Luft  nun  nach  begonnener 
Faulniss  ganz  oder  fast  ganz  abgesperrt,  so  macht  sich  unter  den  einmal  in 
Bewegung  gesetzten  Atomen  der  Molekiile  des  faulenden  Korpers  ihre  specifische 
chemische  Affinitat  geltend.  Der  vorhandene  Sauerstoff  oxydirt  einen  Theil  des 
Kohlenstoffes  zu  Kohlensaure,  einem  constanten  Producte  der  Faulniss,  einen 
Theil  des  Wasserstoffes  zu  Wasser,  wodurch  der  faulende  Korper,  wie  leicht 
ei-sichtlich,  immer  relativ  kohlenstoffreicher  und-  wasserstoff-  und  sauerstoffarmer 
wird.  Der  restirende  Wasserstoff  bindet  weiters  den  Stickstoff  zu  Ammoniak, 
meistens  vorhandenen  Schwefel  zu  Schwefelwasserstoff,  welche  vier  Verbindungen : 
Kohlensaure,  Wasser,  Ammoniak  und  Schwefelwasserstoff  fast  immer  bei  der 
Faulniss  auftreten.  Ausserdem  bilden  sich  aber  verschiedene  Kohlemvasserstoffe, 
sowie  gewisse  iibelriechende,  bis  jetzt  noch  ungeniigend  erkannte  fliissige  und 
gasige  Substanzen  in  wechselnden  Quantitaten,  welche  die  Faulniss  vieler  Sub- 
stanzen besonders  charakterisiren. 


352  Faulniss. 

1st  die  faulende  Substanz  aber  dem  ungehemmten  Luftzutritte  ausgesetzt, 
so  sind  die  Veranderungen  derselben  wesentlich  andere.  Die  faulende  Substanz 
leistet  weniger  Widerstand  dem  Angriffe  des  Sauerstoffes,  welcher  dieselbe  ver- 
haltnismassig  rasch  durch  eine  Reihe  von  ebenfalls  wenig  bekanntem  Zwischen- 
gliedern  zu  hochoxydirten  Substanzen,  Kohlensaure,  Wasser,  das  erst  gebildete 
Ammoniak  sogar  schliesslich  zu  Salpetersaure  umwandelt,  so  dass,  wahrend  bei 
der  eigentlichen  Faulniss  stets  kohlenstoffreichere  Reste  zuriickbleiben,  bei 
diesem  Vorgange  der  Verwesung  (pourriture  seche —  dry  rot)  die  organische 
Substanz,  freilich  erst  nach  langerer  Zeit,  fast  vollstandig  verschwindet. 

Da  die  Wirkung  des  Sauerstoffes  sich  natiirlich  nur  an  der  Oberflache  der 
faulenden  Substanz  geltend  machen  kann,  so  gent  neben  der  Verwesung  im 
Innern  des  Korpers  stets  zugleich  eigentliche  Faulniss  vor  sich. 

Wenn  die  Verwesung  wegen  ungeniigenden  Luftzutrittes  langsam  erfolgt,  so 
wird  sie  als  Verm o der ung  (carte  —  rot  druxy)  bezeichnet ; *)  deren  Pro- 
ducte  sind  wesentlich  dieselben  wie  bei  der  Verwesung,  nur  leistet  der  immer 
kohlenstoffreicher  und  deshalb  dunkler  werdende  Rest  der  weiteren  Einwirkung 
des  Sauerstoffes  einen  so  energischen  Widerstand,  dass  er  sich  gewohnlich  als 
solcher  durch  sehr  lange  Zeit  fast  unverandert  erhalt,  wie  z.B.  das  Vermoderungs- 
product  gewisser  Sphagnumarten,  der  Torf. 

Man  war  natiirlich  aus  vielen  Griinden  schon  seit  langer  Zeit  bemiiht, 
diese  gewissermassen  natiirlichen  Zersetzungsprocesse  der  mannigfach  verwertheten 
organischen  Substanzen  hintanzuhalten,  dieselben  davor  zu  bewahren,  zu  conser- 
viren,  und  bedient  sich  einer  Reihe  von  Mitteln,  die  man  desshalb  im  weiteren 
Sinne  als  faulnisswidrige,  antiseptische  Mittel  bezeichnet.  -Aus  den  angefiihrten 
Redingungen  der  Faulniss  ergeben  sich  von  selbst  die  Principien  der  Conservirung 
organischer  Substanzen.     Diese  kann  daher  erfolgen : 

1.  Durch  Kalte,  eines  der  kraftigsten  und  gewissermassen  des  natiirlichen 
Antiseptikums,  von  dessen  holier  faulnisswidriger  Kraft  die  Erhaltung  vieler  vor- 
weltlicher  Thiere  im  Eise  der  Polargegenden  das  eklatanteste  Beispiel  liefert. 
Die  Conservirung  durch  Kalte  hat  unbestreitbar  unter  alien  Conservirungsmitteln 
die  grbsste  Zukunft,  weil  sie  die  betreffenden  Objecte  mit  durchaus  unveranderten 
Eigenschaften  erhalt.  Die  gegenwartig  sehr  vervollkommneten  Maschinen  zur  directen 
Fabrikation  von  Eis  und  Hervorbringung  niedriger  Temperaturen  haben,  den 
verschiedenen  Bediirfnissen  gemass  construirt,  nicht  nur  in  grbsseren  Etablissements, 
wie  Brauereien,  Schlachthausern,  Conservenfabriken,  sondern  auch  in  Hotels  und 
grbsseren  Haushaltungen  Eingang  gefunden.  Neuester  Zeit  sind  mit  sehr  gtinsti- 
gem  Resultate  Versuche  zur  Ueberschiffung  grosser  Quantitaten  Fleisches  von 
Australien  nach  Frankreich,  conservirt  durch  Kalte  mittelst  einer  am  Schiffe 
befindlichen  T e  1 1  i e r'schen  Kaltemaschine  (mittelst  Methylather,  s.  Eisapparate 
II  pag.  744),  gemacht  worden;  diese  berechtigen  zu  den  Hoffnungen,  dass  ein 
grosser  Theil  der  ungeheueren,  bisher  zur  Fleischextractfabrikation  verwendeten 
Quantitaten  Fleisches  von  Siidamerika  und  Australien,  als  solches,  durch  Kalte 
conservirt,  nach  Europa  wird  gebracht  werden  kbnnen. 

2.  Durch  Wasserentziehung,  entweder  durch  directes  Austrocknen 
oder  durch  Zusainmenbringen  der  zu  conservirenden  Substanz  mit  wasserentzie- 
henden  Mitteln,  z.  B.  Kochsalz,  Salpeter,  Zucker,  Alkohol  etc.  Was  das  eigent- 
liche Austrocknen  anbelangt,  so  ist  dieses  zwar  sehr  wirksame,  leider  aber  aus 
anderen  Riicksichten  nicht  immer  empfehlenswerthe  Verfahren  nicht  selten  in 
Anwendung,  wiewohl  es  einestheils  bei  grosseren  Gegenstanden,  z.  B.  grbsseren 
Fleischstiicken,  schwierig  ist,  die  Trocknung  in  der  That  vollstandig  und  so  schnell 
zu  bewirken,  dass  nicht  schon  wahrend  derselben  eine  partielle  Faulniss  eintritt; 
anderentheils  aber,  und  hierin  liegt  ein  weiteres  Hinderniss,  die  Substanzen,  zumal 
solche,  die  im  frischen  Zustande  sehr  weich  und  saftig  waren,  so  stark  zusammen- 


*)  In  gewissein  Sinne  wird  manchmal  die  Verwesung  als  die  Veranderung  der  animalischen, 
die  Vermoderung  als  die  der  vegetabilischen  Substanzen  aufgefasst. 


Faulniss.  353 

sckrumpfen,  dass  sie  nachher  auch  durch  ankaltendes  Kochen  nicht  wieder  vollig 
zu  erweichen  sind.  Endlich  verursacht  das  Trocknen,  zumal  bei  griisseren  Quan- 
titaten,  auch  sekr  bedeutende  Miike  und  Zeitaufwand,  und  ist  daher  sckon  aus 
okonomiscken  Riicksickten  nicht  immer  vortkeilkaft. 

Fleisck,  in  diinne  Streifen  zerschnitten  und  an  der  Sonne  getrocknet,  wie 
dies  in  einigen  Gegenden  von  Amerika  gesckiekt  (Tessajo  und  Pemmikan  der 
Indianer),  wird  sekr  hart,  liefert  jedock  eine  jedenfalls  sckwer  verdaulicke  und 
wenig  sckmackkafte  Speise.  Ein  weit  besseres,  aber  auch  kostspieligeres  Ver- 
fahren  ist  folgendes: 

Man  bringt  in  einem  Kessel  Wasser  zum  Sieden  und  legt  das  in  etwa 
100  Grm.  schwere  Stticke  zerschnittene  Fleisch  auf  einige  Minuten  hinein,  nimmt 
es  dann  heraus,  bringt  es  sofort  auf  Hiirden  in  eine  geheizte  Trockenstube, 
deren  Temperatur  aber  50°  C.  nicht  iibersteigen  darf,  und  fahrt  mit  dem  Ab- 
briihen  frischer  Portionen  in  demselben  Wasser  so  lange  fort,  bis  das  letztere  zu 
einer  sehr  dicken,  concentrirten  Fleischbriihe  geworden  ist,  die  man  dann  noch 
so  weit  eindampfen  muss,  bis  ein  Probchen  auf  einen  kalten  Korper  gebracht, 
schnell  zu  einer  steifen  G-allerte  erstarrt.  Wenn  nun  nach  Verlauf  von  etwa  zwei 
Tagen  das  Fleisch  vollig  trocken  ist,  so  erweicht  man  die  Gallerte  durch  Er- 
warmen,  taucht  das  Fleisch  Stiick  fur  Stiick  in  diese  ein,  und  trocknet  es  wieder, 
worauf  es  auf  seiner  Oberflache  einen  dichten  Leimiiberzug  erhalt.  Reicht 
die  vorhandene  Gallerte  hin,  so  kann  dieser  Leimiiberzug  durch  nochmaliges 
Eintauchen  und  Trocknen  noch  verstarkt  werden.  An  einem  recht  trockenen 
Orte  aufbewahrt,  halt  sich  das  so  behandelte  Fleisch  vollig  unverandert,  und 
erlangt  beim  nachherigen  Kochen  seine  anfangliche  Weichheit,  wenn  auch  nicht 
ganz,  aber  doch  in  gentigendem  Grade  wieder.  Verdeil  dampft  das  in  Scheiben 
geschnittene  Fleisch  in  Kammern  von  Eisen-  oder  Bleiblech  mittels  Wasserdampf 
von  3 — 4  Atm.  Spannung  durch  10 — 15  Minuten  und  trocknet  das  so  abge- 
dampfte  Fleisch  bei  40—50°  C. 

Am  haufigsten  wendet  man  die  Trocknung  bei  Friichten  an,  die  entweder 
in  rohem,  ganz  unverandertem  Zustande  getrocknet  werden,  z.  B.  Weinbeeren 
zur  Bereitung  der  Rosinen  und  Korinthen,  Pflaumen,  Kirschen  u.  dgl.,  oder 
vorher  in  Scheiben  zerscknitten  werden,  wie  z.  B.  beim  Trocknen  der  Aepfel. 
Die  Trocknung  kann,  zumal  in  warmeren  Klimaten,  an  der  Sonne,  sonst  auck 
in  einem  Backofen  oder  in  einem  eigenen  Trockenzimmer  gesckeken.  Hierker  gehort 
die  freilick  nur  fur  gewisse  Gegenden  empfeklenswertke  Methode  der  Runkelruben- 
Trocknung  fiir  Zwecke  der  Zuckerfabrikation.  Die  durch  eine  Maschine  in  Scheiben 
zerschnittenen  Rtiben  werden  in  einem  Trockenhause  getrocknet,  und  konnen  so 
das  ganze  Jahr  hindurch  aufbewahrt  werden,  woraus  sich  fur  die  Riibenzucker- 
fabriken  der  ausserordentliche  Vortheil  ergibt,  dass  die  Fabrikation  ununterbrochen 
das  ganze  Jahr  hindurch  betrieben  werden  kann,  wahrend  bei  Anwendung  frischer 
Ruben  sich  die  Fabrikationszeit  auf  den  Winter  und  selbst  nur  einen  Theil 
desselben  beschrankt,  indem  die  Ruben  bei  langerer  Aufbewahrung  der  Verderb- 
niss  unterliegen;  dass  ferner  die  nutzbare  Substanz  der  Ruben  sich  auf  ein  sehr 
kleines  Volumen  reducirt,  wodurch  nicht  nur  viel  Raum  zur  Aufbewahrung 
erspart,  sondern  auch  der  Transport  in  dem  Grade  erleichtert  wird,  als  getrock- 
nete  Ruben  sich  weit  versenden  lassen,  mithin  einen  eigentlichen  Handelsartikel 
bilden  konnen,  worin  sowohl  fiir  die  Zuckerfabriken,  als  auch  fiir  den  Landbau 
ein  grosser  Vortheil  liegt.  Zwar  verursacht  das  Trocknen  der  Riibenschnitte  einen 
sehr  grossen  Aufwand  an  Brennmaterial,  dieser  aber  compensirt  sich  fast  ganz 
dadurch,  dass  bei  der  nachherigen  Verarbeitung  die  zu  feinem  Mehl  gemahlenen 
Schnitte  mit  einer  verhaltnissmassig  sehr  geringen  Menge  Wasser  extrahirt,  sofort 
einen  sehr  concentrirten  und  ziemlich  reinen  Zuckersaft  liefern,  dessen  Verdampfung 
nur  noch  wenig  Brennstoff  in  Anspruch  nimmt. 

Die  Conservirung  von  verschiedenen  Gemiisen  durch  Trocknung  hat  in 
neuerer  Zeit  durch  den  Franzosen  Masson  eine  bedeutende  Vervollkommuung 
erfahren  dadurch,  dass  er  die  getrockneten  Blatter  einer   starken  Pressung  unter- 

B^.nnarach  &  Heeren,  Techniaches  Worterbuch.    Bd.  III.  23 


354  Faulniss. 

warf  und  sie  so  in  kleine  viereckige  Tafelcken  von  etwa  10om  iin  Quadrat  und 
lcm  Dicke  verwandelte,  wodurch  wegen  des  so  sehr  verminderten  Volums  die 
Einwirkung  der  Luft  bedeutend  herabgesetzt  wurde  (Comprimes).  Es  wurden 
auf  diese  Art  von  ihm  gewbhnlicher  weisser  Kohl,  Rosenkohl,  Kerbel,  Sellerie, 
Spinat  und  die  Zuthaten  zu  der  unter  dem  Nam  en  „  Julienne"  bekannten  Suppe 
gepresst  und  in  blechernen  Biichsen  verlothet  verkauft.  Ein  Tafelchen  solcher 
Comprimes  wiegt  500  Grm.  und  liefert  20  Portionen,  deren  eine  beim  Kochen 
150—180  Grm.  Gemuse  gibt.  Ein  Blechkastchen  von  0.008cm  Inhalt  fasst  10 
solcher  Tafelchen,  welche  5  Kl.  Gemuse  —  200  Portionen  a  25  Grm.  entsprechen.  Da 
den  nach  der  Masson'schen  Methode  dargestellten  Comprimes  meist  ein  eigen- 
thtimlicher  Heugeruch  anhaftet  und  dieselben  wegen  der  unvollstandigen  Coagulation 
des  Eiweisses  leicht  bei  langerer  Aufbewahrung  einen  scharfen  Geschmack  anneh- 
ruen,  so  hat  man  das  Verfahren  dadurch  zu  verbessern  gesucht,  dass  man  die 
zu  conservirenden  Gemuse  zunachst  mit  iiberhitztem  Wasserdampf  behandelt  und 
dann  erst  trocknet  und  presst.  Dieser  Art  sind  die  Methoden  von  Morel- 
Facio,  Dolfuss  und  Verdeil,  welcher  letztere  das  Gemuse  mit  Dampf 
von  4 — 5  Atm.  Spannung  (145 — 150°  C.)  in  eigenen  Kammern  abdampft  und 
sodann  in  einem  Strome  von  auf  32 — 40°  C.  erhitzter  Luft  trocknet.  Zum  Ge- 
brauch  ist  es  nur  nothig,  die  Kuchen  etwa  7/2  bis  3/4  Stunden  in  warmes 
Wasser  zu  legen,  wodurch  die  Blatter  bis  zu  ihrem  friiheren  Volumen  anschwellen 
und  auch  vollkommen  das  friihere  Ansehen  wieder  gewinnen".  Sie  werden  dann 
auf  gewdhnliche  Art  gekocht  und  besitzen  hiernach  ganz  den  Geschmack  der 
frischen  Pflanze.  Auch  Kartoffeln  in  feine  Streifen  zerschnitten,  getrocknet  und 
in  Blechbiichsen  verlothet,  erhalten  sich  lange  unverandert.  Diese  Erfindung  ist 
besonders  zum  Verproviantiren  der  Schiffe  in  hohem  Grade  wichtig,  wejl  es  dabei 
hauptsachlich  auf  Raumersparung  ankommt. 

Getreidemehl,  wie  gewohnlich  feucht  gemahlen,  ist  besonders  bei  fester 
Verpackung  in  Fassern  der  Verderbniss  unterworfen.  Zum  Behuf  der  Weiter- 
versendung  oder  langer  Aufbewahrung  ist  es  daher  nothwendig,  das  Getreide 
nicht  nur  beim  Mahlen  nicht  zu  netzen,  sondern  es  in  moglichst  trockenem  Zu- 
stande  zu  verarbeiten.  Auch  ungemahlenes  Getreide,  so  wie  alle  anderen  Samen 
unterliegen  in  vollig  trockenem  Zustande  durchaus  keiner  Verderbniss,  wenn  auch 
freilich  ihre  Keimkraft  allmalig  schwindet. 

Auf  dem  Principe  der  Conservirung  durch  Trocknen  beruht  auch  die  Her- 
stellung  des  Fleisch zwiebacks  (meat  biscuit),  wie  sie  von  G a i  1  - B o r d e s 
in  Galveston  (Texas)  zuerst  angewendet,  spater  auch  von  Siemens  in  Hohen- 
heim  und  Calamand  in  Paris  ausgefiihrt  wurde.  Nach  Siemens  (vgl.  Dingl. 
pol.  Journ.  Bd.  123  pag.  458)  werden  12  Kilo  Rindfleisch  mit  Wasser  abgekocht  und 
4-5  Liter  Briihe  erhalten;  diese  nach  dem  Erkalten  von  dem  aufschwimmenden 
Fett  befreit  und  sodann  bis  auf  etwa  ]/4  des  Volumens  eingedampft,  sodann  noch 
heiss  mit  6  Kilo  feinem  Weizenmehl  angemacht,  zu  Kuchen  geformt  und  in 
einem  Backofen  gebacken.  Es  werden  6  Kilo  Zwieback  erhalten.  Aus  dem 
abgekochten  Fleisch  und  den  Knochen  konnen  auf  gleiche  Art  noch  2  Kilo  Zwie- 
back erhalten  werden. 

Der  Fleischzwieback  ist  zur  Bereitung  von  Suppen  bestimmt,  indem  man 
ihn  pulverisirt  und  mit  Wasser  unter  Zusatz  von  Salz  und  Pfeffer  kocht.  Er 
ist  so  nahrhaft,  dass  140  Grm.  vollkommen  zur  taglichen  Nahrung  eines  Men- 
schen  hinreichen. 

Auf  der  wasserentziehenden  Wirkung  gewisser  Salze,  wie  Kochsalz,  Sal- 
peter,  weiters  aber  auch  concentrirter  Zuckerlosungen  basirt  das  Conserviren 
z.  B.  des  Fleisches,  der  Fische  u.  s.  w.  durch  Einpockeln  und  das  Conserviren 
des  Obstes  durch  sogenanntes  Einsieden  in  Zucker.  Das  Einpockeln  des  Fleisches 
ist  sehr  einfach  und  besteht  darin,  das  Fleisch  mit  Salz  stark  einzureiben,  es 
hierauf  mit  Salz  stark  bestreut  einige  Tage  liegen  zu  lassen,  dann  unter  Gewichten 
oder  einer  Hebelpresse  auszupressen,  dieselbe  Behandlung  noch  einmal  zu  wieder- 
holen,    das  Fleisch    hierauf  in  Fasser   zu    verpacken    und    mit  der    ausgepressten 


Faulniss.  355 

Lake,  die,  wenn  es  sicli  urn  sehr  Iange  Conservation  handelt,  etwa  bis  auf  die 
Halfte  eiugedarapft  werden  kanii,  zu  iibergiessen.  Fische,  so  namentlich  Haringe, 
werden  mit  Seesalz  eingepockelt.  Man  legt  sie  nach  dem  Ausnehmen  und 
Abwaschen  etwa  24  Stunden  lang  in  Salzlake  ein  und  verpackt  sie  endlich  in 
die  Fasser.  Das  Einsalzen  von  Gemiisen,,  Friichten  u.  dgl.  ist  eine  zu  bekannte 
Sache,  als  dass  es  einer  naheren  Beschreibung  bediirfte. 

Statt  cles  Kochsalzes  konnen  audi  andere  Salze  in  Anwendung  gebracbt 
werden,  was  jedocli  mit  Ausnabme  von  Salpeter,  der  wobl  beim  Einsalzen  in 
geringer  Menge  zugesetzt  wird,  ihres  unangenebmen  Geschmackes  wegen  nicbt 
gesehiebt.  Eines  der  am  kraftigsten  wirkenden  Salze  ist  Alaun  und  schwcfel- 
saure  Tbonerde.  Eine  concentrirte  Losung  von  scbwefelsaurer  Thonerde  ist  zum 
Einlegen  der  Leicben  und  Praparate  bei  anatomischen  Arbeiten  statt  des  Brannt- 
weins  empfoblen  worden,  wird  aber  nur  selten  angewendet. 

Eine  sebr  allgemeine  Anwendung  als  Conservirungsmittel  findet  das  Ein- 
machen  in  Zucker.  So  sehr  aucb  eine  verdiinnte  Zuckerlosung  geneigt  ist; 
durcb  Vermittlung  stickstoffhaltiger  Substanzen,  besonders  der  Hefe,  in  die  Wein- 
gahrung  iiberzugehen,  ebenso  stark  widerstebt  sie  derselben  in  concentrirtem 
Zustande  und  schiitzt  so  auch  andere  damit  impragnirte  Stoife  vor  der  Verderb- 
niss.  Das  Einmacben  der  Friichte,  Wurzeln  und  anderer  Pflanzentheile  in  Zucker 
ist  im  Wesentlichen  eine  bekannte  Sache,  und  ist  dabei  stets  nur  zu  beachten, 
dass  so  viel  Zucker  angewendet  werden  muss,  dass  er  die  ganze  Menge  des  vor- 
handenen  Wassers  fiir  sicb  in  Anspruch  nimmt.  Es  ist  daher  immer  Regel  bei 
dem  Einmacben  in  Zucker,  an  diesem  letzteren  nicht  zu  sparen. 

Hierber  gehort  aucb  die  Conservation  der  Milch,  indem  man  etwa  1/3 
ihres  Gewichtes  Zucker  darin  aullost,  und  sie  dann  bis  zur  dicksyrupartigen 
Consistenz  abdampft.  Sie  nach  der  Methode  von  Fadeuil  ganz  zur  Trockne 
abzudampfen,  nm  sie  so  in  Gestalt  barter  Kuchen  aufzubewahren,  ist  nicht  zweck- 
massig,  weil  sie  sick  beim  Gebrauche  nicht  wieder  im  Wasser  zu  einer  Emulsion 
fein  zertheilt.  (vergl.  a.  Milch.) 

Endlich  gehort  zu  den  Conservirungsmethoden,  welche  durch  Wasserent- 
ziehung  wirken,  auch  das  Einlegen  in  Alkohol  (Rum  u.  dgl.).  Diese  bei 
anatomischen  Praparaten,  so  wie  beim  Einmachen  von  Friichten  tibliche  Methode 
verbindet  den  Vortheil  der  Einfachheit  und  Bequemlichkeit  mit  dem  besonders 
fiir  anatomische  Praparate  so  wichtigen  Umstande,  dass  die  Theile  in  ziemlich 
unveranderter  Gestalt  und  ihrem  natiirlichen  weichen  Zustande  verbleiben,  und 
zugleich  durch  die  vollig  klare  Fliissigkeit  vollkommen  gut  beobachtet  werden 
konnen.  Leider  gestattet  dies  so  vortreffliche  Aufbewahrungsmittel  nur  eine  sehr 
beschrankte  Anwendung  auf  die  Conservation  von  Nahrungsstoffen,  und  man 
wendet  es  ausser  zur  Conservirung  anatomischer  Praparate  wobl  nur  vereinzelt 
zur  Obstconservation  an.  (Rumobst.) 

3.  Durch  Absperrung  der  Luft,  entweder  durch  entsprechende 
Einschliessung  und  Aufbewahrung  in  hermetischen  Gefassen,  oder  durch  Ueber^ 
ziehen  der  zu  conservirenden  Objecte  mit  einer  fiir  die  Atmosphare  undurch- 
dringlichen  Hiille.  Beispiel  fiir  das  erstere  ist  die  so  vielfach  practicirte 
Appert'sche  Methode  der  Conservirung  durch  Einschliessung  und  Ver- 
lothung  in  Metallblechbiichsen,  nachdem  zuvor  durch  Erhitzen  des  Inhaltes  bis 
iiber  1(70°  C.  die  Faulnisskeime  getodtet  und  die  Luft  aus  den  Biichsen  ver- 
trieben  wurde. 

Nach  dem  Appert'schen  Verfahren  kann  man  sowohl  zubereitete  Speisen 
als  auch  Friichte,  Milch  u.  s.  w.  conserviren.  Zubereitete  Fleischspeisen  z.  B., 
die  zu  dem  Ende  moglichst  stark  eingekocht  werden  miissen,  bringt  man  in 
cylindrische  Blechbiichsen  von  angemessener  Grosse,  die  damit  grosstentbeils 
gefullt  werden,  lothet  nun  einen  mit  einer  kleinen  Oeffnung  versehenen  Deckel 
darauf,  fiillt  durch  diese  Oeffnung  den  noch  leeren  Raum  vollig  mit  Sauce,  und 
verlothet  endlich  auch  diese  Oeffnung  mit  einemStiickchenBlech.  Die  so  weit  fertigen 
Biichsen    setzt   man  je  nach    ihrer  Grosse   1/(t  bis  1  Stunde  in  einem  Wasserbade 

23* 


356  Faulniss. 

der  Siedhitze  aus,  wobei  audi  die  letzten  Spuren  von  Sauerstoff  mit  den  Bestand- 
theilen  der  Brtihe  zusammentreten,  imd  dadurch  ausser  Wirkung  konimen,  worauf 
nach  dem  Erkalten  die  Biichsen  noch  mit  einein  Firnissanstrich  versehen  werden 
konnen. 

So  conservirte  Speisen  halten  sich  in  der  Regel  lange  Zeit  vollig  unverandert. 
1st  in  einzelnen  Biichsen  ausnakmsweise  Verderbniss  eingetreten,  so  kann  man 
diese  schon  ausserlich  daran  erkennen.  dass  die  flachen  Boden  durch  entwickeltes 
Gas  bauchig  aufgetrieben  sind.  Kleinere  Gegenstande,  als  Erbsen,  Bohnen  u. 
dergl.,  werden  in  glaserne  Flaschen  gethan,  diese  mit  sehr  guten  Korken  fest 
verschlossen,  und  nun  ebenfalls  in  einem  Wasser-  oder  Dampfbade  einer  etwas 
tiber  100°  C.  gehenden  Temperatur  ausgesetzt. 

Um  das  Zerspringen  der  Flaschen  zu  verhuten,  versieht  man  den  Kessel 
mit  einem  durchlocherten  doppelten  Boden,  stellt  die  am  besten  in  leinene  Sack- 
chen  eingebundenen  Flaschen  darauf,  und  bringt  nun  das  Wasser  zum  Kochen. 
Nach  vollendeter  Kochung  bleiben  die  Bouteillen  noch  einige  Stunden  in  dem 
Kessel,  um  damit  langsam  abzukiihlen,  worauf  man  sie  herausnimmt  und  nach 
dem  volligen  Erkalten  verpicht. 

Erbsen  und  andere  Gemiise  konnen  zwar  rob  in  die  Flaschen  gegeben 
werden,  doch  ist  es  zweckmassiger,  sie  vorher  in  heissem  Wasser  abzubriihen, 
indem  sie  dadurch  auf  ein  kleineres  Volumen  reducirt  werden,  und  die  Flaschen 
mehr  davon  aufnehmen,  mithin  um  so  weniger  Luft  darin  bleibt.  Die  Erhitzung 
in  dem  Wasserbade  muss  je  nach  der  verschiedenen  Beschaffenheit  der  Gemiise 
1  bis  2  Stunden  dauern.  Auch  Milch  kann  nach  der  Appert'schen  Methode 
ziemlich  lange  conservirt  werden,  wenn  man  eine  reine  Flasche  damit  fiillt,  sie 
gut  verkorkt  und  etwa  3/4  Stunden  im  Wasserbade  erwarmt. 

Eine  neuere,  dem  Appert'schen  Verfahren  nachgebildete,  sich  aber  doch 
von  ihr  wesentlich  unterscheidende  Methode,  Fleischspeisen  u.  dergl.  zu  conser- 
viren,  ist  von  Willaumez  erfunden.  Es  konnen  dazu  glaserne  Flaschen 
gebraucht  werden.  Wesentlich  ist  hierbei  ein  kleines  Werkzeug,  der  Dilator, 
ein  ganz  schmales,  etwa  3  Linien  breites  und  2  Zoll  langes  Streifchen  von 
Weissblech,  welches  in  Gestalt  einer  flachen  Rhine  umgebogen  ist;  es  wird  beim 
Gebrauch  an  den  Kork  gelegt,  so  dass  die  Rinne  dem  Gase  zugekehrt  ist  und 
beim  Eindriicken  des  Korkes  der  in  der  Flasche  enthaltenen  Fliissigkeit  und  beim 
nachherigen  Kochen  den  Dampfen  einen  Ausweg  gestattet. 

Die  zu  conservirenden  Substanzen,  Gemiise  oder  Friichte,  werden  entweder 
roh,  im  natiirlichen  Zustande,  jedenfalls  aber  so  frisch  wie  moglich,  oder  auch 
im  gekochten  und  zubereiteten  Zustande  in  die  Flaschen  gebracht.  Letzteres  ist 
vorzuziehen.  Der  Zwischenraum  wird  entweder  mit  der  beim  Kochen  erhaltenen 
Briihe  oder  mit  gesalzenem  Wasser  gefiillt.  Man  stellt  die  Flaschen  in  einen 
hinreichend  tiefen  Kessel  auf  einen  durchlocherten  holzernen  Boden,  und  fiillt 
den  Kessel  mit  einer  Mischung  von  Wasser,  Kochsalz  und  Zuckersja-up  in  dem 
Gewichtsverhaltniss  von  12  :  2  :  2  an,  welche  bei  108°  C.  kocht. 

In  diesem  kochenden  Bade  lasst  man  die  ganz  gefiillten  Flaschen  etwa 
'/a  Stunde  lang  stehen  und  setzt  nun  die  Korke  auf.  Diese  miissen  von  sehr 
gutem,  dichten  Korkholz  angefertigt  und  durch  Eintauchen  in  geschmolzenes 
Wachs  vollig  luftdicht  gemacht  sein.  Wenn  nun  die  Substanz  in  der  Flasche 
sich  im  Kochen  befindet,  und  der  Dampf  durch  den  Dilator  in  einem  ununter- 
brochenen  Strahl  austromt,  so  nimmt  man  die  Flasche  schnell  aus  dem  Wasser- 
bad,  setzt  sie  in  ein  kleines  Kasseroll  mit  kochendem  Wasser,  tragt  das  Ganze 
unter  die  Zupfropfe-Presse,  zieht  den  Dilator  heraus  und  presst  den  Kork  mit 
Gewalt  in  die  Flasche,  worauf  man  sie  langsam  erkalten  lasst. 

Dasselbe  Verfahren  kann  auch  bei  Fleischspeisen  angewandt  werden,  nur 
sind  sodann  Flaschen  mit  weiter  Miindung  erforderlich,  und  es  entsteht  die 
Schwierigkeit,  so  grosse,  hinreichend  dicht  schliessende  Korke  zu  finden. 

Ganz  analog  ist  das  von  F a s t i e r  und  Morel-Facio  angegebene  Ver- 
fahren,   nach    welchem    man    die   Blechbiichsen    zunachst    nicht    vollig    verlothet, 


Faulniss.  —  Fahlerz.  357 

sondern  eine  kleine  Oeffhung  an  cler  Lothstelle  belasst,  durch  welche  beim  Erhitzen 
der  Bitchsen  die  letzten  Reste  von  Luft  entweichen  konnen,  worauf  man  erst 
vollig  verlothet. 

Beispiele  fur  das  zweite  Verfahren  sind  das  Ueberziehen  von  Fleisch  und  feineren 
Friichten  mit  einer  Schichte  von  Paraffin,  das  Einlegen  der  Eier  in  Kalkwasser, 
welches  in  die  Poren  der  Schale  eindringt,  sich  bier  bald  in  unloslichen  kohlen- 
sauren  Kalk  umsetzt,  wodurch  das  Eindringen  der  Luft  verhindert  wird.  Auch 
das  Verfahren,  die  frischen  Eier  auf  kurze  Zeit,  etwa  2  Minuten,  in  siedendes 
Wasser  zu  tauchen,  so  dass  das  Eiweiss  bis  zu  einer  gewissen,  wiewohl  nicht 
bedeutenden  Tiefe  hartgekocht  wird,  und  somit  eine  scbiitzende  Decke  fiir  den 
uncoagulirten  Tbeil  abgibt,  gehort  hierher.  Die  Eier  werden  dann  zwischen  Sage- 
spanen  an  einem  kiihlen  Orte  aufbewahrt.  Noch  sicherer  wiirde  es  sein,  die 
auf  die  eben  erwahnte  Art  oberflachlich  abgekochten  Eier  noch  heiss  mit  einer 
starken  Gummilosung,  der  man,  urn  das  vollige  Austrocknen  und  Rissigwerden  zu 
verhindern,  ein  wenig  Zuckersyrup  zusetzen  konnte,  zu  bestreichen  und  nun  in 
Kohlenpulver  aufzubewahren. 

4.  Durch  Anwendung  von  Substanzen,  welche  mit  den  zur  Faulniss  am 
meisten  geeigneten  Stoffen,  wie  Eiweisssubstanzen,  Leim  etc.,  gewisse,  wenn  auch 
lose  Verbindungen  eingehen,  in  welcher  Form  diese  der  Faulniss  einen  grosseren 
Widerstand  entgegensetzen,  wie  z.  B.  Gerbsaure,  Phenol  und  seine  Homologen, 
Kreosol  und  Guajacol  (im  Holzrauch  enthalten),  gewisse  Metallsalze. 

Beispiele  hiefiir  sind  die  Conservirung  der  thierischen  Haut  als  Leder  durch 
Gerbung  mit  Gerbsaure  und  Thonerdesalzen,  das  Rauchern  des  Fleisches,  wobei 
eine  Fixirung  der  Eiweisssubstanzen  durch  die  Bestandtheile  des  Kreosotes  des 
Holzrauches  und  zugleich  eine  Austrocknung  erzielt  wird,  die  Conservirung  des 
Holzes  durch  Kupfervitriol,  Chlorzink  etc.  (Letztere  ist  ubrigens  hierbei  noch 
auf  mehrere  andere  Momente  zuriickzuftihren.) 

5.  Durch  Anwendung  von  Substanzen,  welche  geradezu  Gifte  fiir  die  Faul- 
nissorganismen  sind,  dieselben  todten,  wie  z.  B.  Arsenige  Saure,  Sublimat  etc. 

6.  Durch  Anwendung  von  Substanzen,  welche  die  Faulnissorganismen  nicht 
direct  todten,  aber  die  Umwandlung  der  faulnissfahigen  Substanzen  in  eine  zur 
Ernahrung  der  ersteren  geeignete  Form  verhindern  oder  andere  physiologischen 
Functionen  dieser  beeintrachtigen. 

Hierher  gehoren  unter  anderen  die  in  neuerer  Zeit  als  vorziiglichstes  Anti- 
septicum  erkannte  Salicylsaure  und  einige  ihr  nahestehenden  Verbindungen,  deren 
ausgezeichneten  antiseptischen  Eigenschaften  wahrscheinlich  nur  auf  diesen  Wir- 
kungen  beruhen;  hierher  gehort  wohl  auch  die  conservirende  Wirkung  der 
Benzoesaure,  der  Borsaure,  endlich  des  Schwefelkohlenstoffs.  Ed.  Donath. 

Faustel,  s.  Bergbau  I  pag.  384,  s.  Bohren  I  pag.  696. 

Fagin,  fluchtiges  Alkaloid,  von  Herberger  in  den  Bucheckern  (s.  U 
pag.  161)  aufgefunden,  diirfte  mit  Trimethylamin  identisch  sein.     Gtl. 

Fahlerz,  Schwarzerz,  Graugiltigerz  (Cuivre  gris  —  Gray  copper 
ore),  Tetraedrit.  Ein  unter  die  Kiese  gehbriges  Erz,  welches  tesseral,  vor- 
ziiglich  in  tetraedrischen  Hemiedrien  (daher  der  von  Hai  dinger  gegebene  Name) 
mit  zahlreichen  Combinationen  krystallisirt,  gewohnlich  aber  derb  und  eingesprengt 
vorkommt.  Unvollkommene  Spaltbarkeit,  Bruch  muschelig,  kleinkornig,  sprode. 
Harte  =  3— 4,  spec.  Gcw.  4-36 — 5.36.  Stahlgrau  bis  eisenschwarz,  Strich  dunkel 
fast  schwarz.  In  der  chemischen  Zusammensetzung  zeigen  die  Fahlerze  verschie- 
dene  bemerkenswerthe  Abweichungen,  welche  im  Allgemeinen  nach  H.  Rose 
Bildungen  nach  der  Formel  4JR^QS;J+2(4Cw2^Q*Sa)  darstellen,  worin  R  Eisen 
und  Zink,  Q  Antimon  oder  Arsen  bedeutet.  Das  Kupfer  fiihrt  zuweilen  (bis  10%) 
Silber,  auch  wohl  Quecksilber.     Man  unterscheidet : 

1.  Arsen  fahlerze.  Sie  sind  in  der  Regel  heller  von  Farbe  und  dabei 
sprode,  sie  haben  einen  grosseren  oder  geringeren  Silbergehalt,   fiihren  aber  kein 


358  Fahlerz.  —  Falsch-Schiefer. 

Zink.  Sie  geben  iin  Kolben  ein  Sublimat  von  Schwefelarsen,  scbmelzen  v.  d.  L. 
leicht  zu  einer  Kugel,  welche  gerostet  die  Eisen-  und  Kupferreaction  gibt.  Salpeter- 
saure  zersetzt  das  gepulverte  Erz  unter  Abscheidimg  von  Arseniksaure  und 
Schwefel.  Salpetersalzsaure  gibt  eine  Losung,  welche  sich  mit  Wasser  nicht  triibt. 
Kalilauge  extrahirt  Schwefelarsen. 

2.  Antimonfahlerze.  Dunkler  von  Farbe  und  etwas  weicher,  fiihren 
niemals  Silber,,  haben  dafiir  etwas  Zink.  Geben  im  Kolben  ein  dunkelrothes  Su- 
blirnat,  v.  d.  L.  wie  Arsenfahlerz.  Salpetersalzsaure  zersetzt  das  Pulver  und  schei- 
det  dabei  Antinionoxyd  und  Schwefel  ab.  Salpetersalzsaure  scheidet  Schwefel  ab, 
die  Losung  wird  durch  Zusatz  von  Wasser  triibe.  Kalilauge  extrahirt  in  der 
Warme  Schwefelantimon. 

3.  Eine  zwischen  beiden  stehende  Gruppe  Arsen-Antimonfahlerze, 
deren  Reactionen  keinen  bestimmten  Charakter  haben,  da  sie  nach  1.  und  2. 
schwanken. 

Die  Fahlerze  sind  weit  verbreitet,  finden  sich  bei  Pribram,  Joachimsthal, 
Freiberg,  Clausthal,  Zillerfeld,  Andreasberg  im  Harz,  Schwatz  und  anderorts  in 
Tyrol,  Herrengrund,  Kremnitz,  Schemnitz  in  Ungarn,  Kapnik  in  Siebenblirgen, 
Cornwall  in  England  u.  a.  v.  a.  0. 

Die  Fahlerze  werden  theils  zur  Gewinnung  des  Kupfers,  theils  mit  zur  Er- 
zeugung  des  Silbers  verwendet.     Lb. 

Fahlleder,  syn.  Lohleder,  Schmalleder,  s.  Leder. 

Fahlrohkupfer,  s.  Kupfer. 

Fahlunit,  syn.  Dichroit  von  Fahlun,  vgl.  Dichroit  II  pag.  621. 

Fahnenhafer,  Avena  orientalis,  s.  Hafer. 

Fahrgeschwindigkeit,  III  pag.  75. 

Fahrkunst,  s.  Bergbau  I  pag.  410. 

Fahrordnung,  III  pag.  74. 

Fahrschacht,  s.  Bergbau  I  pag.  387. 

Fahrteil,  s.  Bergbau  I  pag.  409. 

Fahrtonne,  Boje,  s.  I.  pag.  724. 

Fahrimg,  s.  Bergbau  I  pag.  409. 
Faile   (cadole  —  latch),  s.  S  c  h  1  o  s  s  e  r. 

Fallen  der  Schichten,  s.  Ein  fall  en  II  pag.  739. 

Fall  hammer,   s.  Dampf  hammer  II  pag.  511,  s.  Schmieden. 

FallklotZ,  s.  Bar  I.  pag.   273. 

Fallprobe,  s.  Eisen  II  pag.   775  (Wurfprobe). 

Fallschirmrakete,  s.  Feuerwerkerei. 

Fallwerk,  s.  Blechbearbeitung  I  pag.  557. 

Falscher  Drallt  bezeichnet  eine  bios  voriibergehende  Drehung  des  Vor- 
gaxnes,  s.  Streichgarnspinnerei. 

Falsch-Schiefer,  falsche  S chief erung,  auch  secundare  oder  trans- 
versale  Schieferung  (Cleavage),  nennt  man  eine  eigentliiimliche,  vorwiegend  im 
Thonschiefer-  und  Grauwackeugebirge  wahrnehmbare  Erscheinung,  welche  darin 
besteht,  dass  sich  stellenweise^  aber  oft  auf  weite  Strecken,  eine  Schieferung  be- 


Falsch-Schiefer.  —  Farbe.  359 

merkbar  macht,  welche  nicht  mit  der  eigentlichen  Schichtung  parallel  geht,  son- 
dern  auf  deren  Richtung  mehr  weniger  senkrecht  steht.  Die  Grauwacken-  und 
Thonschiefermassen  zerfallen  an  solchen  Stellen  in  parallelopipedische  Stiicke 
(Griffelschiefer  z.  B.),  und  die  falsche  Schieferung  kann  so  ausgebildet  sein, 
dass  sie  die  achte  vollkommen  unkenntlich  macht.  Die  Ursache  dieser  Erschei- 
nnng  ist  jedenfalls  in  Stdrungen  der  Lagerung  der  Schichten  durch  seitlichen 
Druck  zu  suchen,  und  zeigt  sich  aucb  zumeist  nur  da  sehr  ausgebildet,  wo  durch 
Verwerfungen  und  Stauungen  eine  solcbe  entstanden  ist.     Lb. 

Faltung  der  Schichten  oder  des  Gebirgs  nennt  man  die  in  einem  ScHichten- 

system  oder  einem  Gebirge  mehrfach  wiederkehrenden  Biegungen  der  Glieder, 
welche  hiedurch  eine  wellenfdrmige,  zickzakformige  schleifen-  oder  facherfcirmige 
Lage  oder  Faltung  annehmen  kdnnen.     Lb. 

Falz,  s.  Holzverbindungen,  s.  Blechbearbeitung  I  pag.  545. 

Falzen,  s.  Holzverbindungen,  s.  Buchbinderei  II  pag.  110. 

Falzhobel,  s.  Holzve r bind un gen,  s.  Hobelmaschinen. 

Falzkapsel-Wlaschine  zur  Massenerzeugung  der  in  den  Apotheken  verwen- 
deten  Papierkapseln  erzeugt  W.  R.  Enzmann  in  Dresden. 

Falzmaschine,  s.  Buchbinderei  II  pag.  110,  s.  Blechbearbeitung 
pag.  I  546,  552. 

Falzzange,  s.  Blechbearbeitung  I  pag.  545. 

Fangspitze,  s.  Blitz ableiter  I  pag.  641. 

Fangvorrichtungen,  s.  Bergbau  I  pag.  407. 

Faradayin,  altere  Bezeichnung  fur  ein  fliichtiges  Product  der  trockenen  De- 
stination des  Kautschuks,  siedet  bei  33°  C,  spec.  Gew.  0*65.  Ist  ein  gutes 
Losnngsmittel  ftir  Harze,  Schwefel  und  Phosphor,  und  bei  gewohnlicher  Tempe- 
ratur  schon  ausserst  fliichtig.     Gil. 

Farbe  (couleur  —  colour)  im  Allgemeinen,  ist  die  eigenartige,  durch  den 
Sehnerven  vermittelte  Empfindung,  welche  durch  die  Einwirkung  einzelner  oder 
auch  mehrerer,  ein  and  er  aber  nicht  zu  weissem  Lichte  erganzender,  Lichtwellen 
von  bestimmter  Wellenlange  auf  die  Netzhaut  oder  durch  eine  sonstige  Reizung 
der  Netzhaut  erregt  wird.  Je  nachdem  diese  Empfindungen  ihre  Quelle  ausser- 
halb  des  die  Empfindung  vermittelnden  Organes  haben,  und  daher  flir  mehrere 
von  einander  unabhangige  Sehorgane  gleichzeitig  wahrnehmbar  sind,  oder  aber 
in  einem  einzelnen  Organe  selbststandig  zur  Geltung  kommen  und  dann  fur  nor- 
male  Sehorgane  gleichzeitig  nicht  wahrnehmbar  sind,  unterscheiden  wir  die  Farben 
in  objective  oder  physische  und  in  subjective  oder  physiologische.  Es  soil  hier 
nur  von  den  ersteren  die  Rede  sein.  Das  von  einem  leuchtenden  Korper  aus- 
strahlende  Licht,  welches  in  unserem  Sehorgane  eine  bestimmte  Farbejiempfindung 
nicht  hervorruft  und  das  wir  w  e  i  s  s  e  s  Licht  nennen,  ist,  wie  die  Erfahrung  lehrt 
(s.  Licht),  das  Ergebniss  mehrerer  neben  einander  bestehender,  wellenfdrmig  sich 
fortpflanzender  Schwingungsbewegungen  der  Lichtathermolektile.  Da  das  Zustande- 
kommen  der  Lichtempfindung  iiberhaupt  als  die  Folge  der  von  den  schwingenden 
Aethermolekiilen  gegen  die  in  der  Netzhaut  des  Auges  ausgebreiteten  Endver- 
zweigungen  des  Sehnerven  gefiihrten  Stosse  angesehen  werden  muss,  so  lasst  sich 
denken,  dass  wahrend  die  gleichzeitige  regellose  Einwirkung  der  Stosse  melu-erer 
in  verschiedener  Weise  schwingender  Aethermoleklile  auf  die  Netzhaut  die  Em- 
pfindung des  weissen  Lichtes  bedingen  kann,  die  in  einer  gewissen  Regelmassigkeit 
erfolgenden  Stosse  schwingender  Aethermolekiile  die  Empfindung  der  Farbe  be- 
dingen,   etwa  so  wie  beim  Tonen    der  Korper    die  gleichzeitige  Einwirkung  ver- 


360  Farbe. 

schiedener  Schallwellen  in  unserem  Gehororgane  die  Wahrnehmung  eines  Ge- 
rausches  hervorrufen  kann,  wahrend  Schallwellen  von  bestimniter  gleichartiger 
Natur  die  Wahrnehmung  bestimmter  Tone  bedingen.  Insoferne  die  physischen 
Farbenerscheinnngen  sonach  stets  nur  ihre  Quelle  in  der  Einwirkung  bestimmter 
Lichtwellen  auf  die  Netzhaut  des  Auges  haben,  kann  man  solche  Lichtwellen 
selbst  als  farbige  bezeichnen  und  demnach  die  Farbenempfindung  als  das  Ergeb- 
niss  der  Einwirkimg  einzelner  oder  mehrerer,  zwar  gleichzeitig  wirkender,  sich  in 
ihrer  Wirkung  aber  nicht  storender  farbiger  Lichtwellen  bezeichnen.  Die  Art  der 
Farbenempfindungen  ist,  ebenso  wie  die  Art  der  Tonempfindung  durch  die  lang- 
samere  oder  raschere  Schwingung  des  tonenden  Korpers  bedingt  wird,  abhangig 
von  der  grosseren  oder  geringeren  Raschheit  der  Schwingung  der  Aethermolekiile, 
also  von  der  Dauer  der  Schwingung  und  der  mit  dieser  im  engsten  Zusammen- 
hange  stehenden  geringeren  oder  grosseren  Lange  der  Lichtwellen,  uud  wie  jeder 
bestimmten  Schwingungszahl  eines  tonenden  Korpers  ein  bestimmter  Ton  entspricht, 
so  entspricht  jeder  bestimmten  Schwingungszahl  der  Lichtathermolekiile  eine  be- 
stimmte  Farbe.  Fresnel  hat  durch  sehr  genaue  Versuche  fiir  verschiedene  far- 
bige Lichtwellen,  welche  die  Hauptfarben  reprasentiren,  die  Wellenlangen  und  die 
Schwingungszahlen  der  Aethermolekiile  gemessen  und  wie  folgt  gefunden: 

Wellenlange  ausgedriickt  in  Schwingungen  des  Aethermolekuls 

Licht  Milliontheilen  eines  Millimeters  in  einer  Secunde 

Rothes 645 500  Billionen 

Orangefarbiges        588 532  „ 

Gelbes .551 563 

Grimes 511 607 

Lichtblaues 475 653          „ 

Dunkelblaues 449 691  „ 

Violettes 423 735 

Wie  man  aus  diesen  Zahlen  ersieht,  unterscheiden  sich  die  verschiedenen 
Lichtarten  in  Bezug  auf  ihre  Wellenlangen  und  Schwingungszahlen  sehr  erheblich 
von  einander,  und  es  ist  demnach  begreiflich,  dass  die  Empfindungen,  welche  sie 
hervorzurufen  vermogen,  um  so  verschiedener  sein  werden,  je  mehr  die  Schwin- 
gungszahlen von  einander  abweichen.  In  ihrer  gleichzeitigen  Einwirkung  auf  den 
Sehnerv  bringen  sie  den  Eindruck  des  weissen  Lichtes  hervor,  und  da  man  sohin 
im  weissen  Lichte  die  verschiedensten  Arten  farbigen  Lichtes  nachzuweisen  ver- 
mag,  kann  man  das  weisse  Licht  als  aus  den  einzelnen  farbigen  Lichtarten  zu- 
sammengesetzt  und  demnach  die  unter  dem  Einflusse  des  weissen  Lichtes  auf 
gewisse  Korper  hervortretende  Farbenerscheinung  als  das  Resultat  einer  Zersetzung 
des  weissen  Lichtes  bezeichnen.  In  der  That  nehmen  wir  Farbenerscheinungen 
nicht  bios  dann  wahr,  wenn  das  von  einem  leuchtenden  Korper  ausgestrahlte  Licht 
von  bestimmter  Farbe  direct  in  unser  Auge  gelangt  (urspriingliche  oder 
permanente  Far  ben),  sondern  weit  haufiger  werden  Farbenerscheinungen 
bedingt  durch  den  Einfluss,  welchen  die  Korper  bei  der  Einwirkung  weissen  Lichtes 
auf  die  Verhaltnisse  der  Lichtwellen  nehmen  (apparente  Far  ben).  Hierher 
gehoren  zunachst  die  Farbenerscheinungen,  die  bei  der  Brechung  des  Lichtes,  d. 
s.  Br echujigsfarben  (prismatische  Farben),  zu  Stande  kommen  konnen 
und  ihren  Grund  in  der  durch  die  Verschiedenheit  der  Wellenlangen  bedingten 
verschiedenen  Brechbarkeit  der  einzelnen  Lichtarten  haben,  weiters  die  Farben- 
erscheinungen durch  die  Einwirkung  zweier  unter  einer  schwachen  Neigung  sich 
so  treffender  Lichtwellen,  dass  bei  dem  Zusammentreffen  derselben  eine  Gang- 
verschiedenheit  um  eine  ungerade  Zahl  von  halben  Wellenlangen  besteht  (Inter- 
ferenz-Farben),  endlich  jene,  welche  durch  die  Vernichtung  einzelner  Licht- 
arten bei  dem  Dnrchgange  oder  der  Reflexion  der  Lichtstrahlen  durch  verschiel 
dene  Korper  zu  Stande  kommen,  d.  s.  Farben  der  Absorption.  Zu  de- 
ersten  Art  der  apparenten  Farbenerscheinungen  zahlen  vornehmlich  die  Spectra r- 
farben,  dann  die  Farben  bei  Linsensystemen;  die  Farbenerscheinungen  durch 
Interferenz  finden    sich  in  den  Farben    diinner  Blatter,    dann    den   irisirenden 


Farbe.  361 

oder  Perlmutterfarben,  endlich  die  Polarisations  far  ben,  wahrend  zu 
den  Farbenerscheinungen  durch  Absorption,  die  Farbenerscheinungen  an  farbigen, 
Licht  durchlassenden  Korpern,  Glasern,  Mineralien,,  Fliissigkeiten,  Gasen  (diop- 
trische  Absorptions  far  ben),  so  wie  jene  an  farbigen,  fur  Licbt  undurch- 
gangigen  oder  doch  hbchstens  durchscheinenden  Korper  von  nattirlicher  Farbe 
(katoptrische  Absorptionsfarben)  zu  zahlen  sind. 

Farbenerscheinungen,  mit  welchen  es  die  Technik  zu  thun  hat,  sind  vor- 
nehmlich  Absorptionsfarben  (nur  verhaltnissmassig  selten  kommen  Farbenerschei- 
nungen der  Interferenz  in  Betracht),  und  diese  Erscheinungen  kommen  dem  oben 
Gesagten  zu  Folge  in  der  Art  zu  Stande,  dass  das  auf  gefarbt  erscheinende  Stoffe 
auffallende  weisse  Licht  vermoge  der  absorbirenden  Wirkung  die  die  Masse  oder 
wenigstens  die  Oberflache  solcher  Stoffe  auf  einzelne  in  dem  weissen  Lichte  ent- 
haltene  farbige  Lichtwellen  ausiibt,  zum  Theile  zersetzt  wird  und  demnach  nur 
der  nicht  absorbirte  Antheil  der  das  weisse  Licht  zusammensetzenden  einzelnen 
Lichtarten  zur  Wahrnehmung  gelangt.  Der  Eindruck,  den  dieser  Antheil  auf 
unser  Auge  macht,  wird  mehr  oder  weniger  von  jenem  des  weissen  Lichtes  ab- 
weichen  miissen,  und  zwar  um  so  ausgesprochener,  je  mehr  von  den  einzelnen 
Lichtarten,  die  in  ihrer  Gesammtheit  die  Empfindung  des  Weiss  hervorbringen, 
absorbirt  worden  ist;  in  der  Regel  aber  wird  dieser  Eindruck  nicht  der  einer 
einzelnen  Lichtart,  sondern  meist  noch  der  eines  Gemenges  von  sich  zu  einer 
Farbenmischung  vereinigenden  farbigen  Lichtwellen  sein.  Hat  ein  Korper  die 
Eigenschaft,  alle  Lichtwellen  bis  auf  eine  von  bestimmter  Wellenlange  zu  absor- 
biren,  so  wird  seine  Farbe  rein  (homogen)  erscheinen,  in  alien  anderen  Fallen 
wird  sie  noch  zusammengesetzt  sein,  also  eine  von  der  reinen  Farbe  ab- 
weichende  Nuance  (Farbenton)  haben,  und  es  ist  klar,  dass  ein  solcher  Korper 
bei  der  Beleuchtung  mit  alien  Lichtarten  von  anderer  Beschaffenheit  oder  mit 
einem  Gemenge  von  solchen,  welche  die  Lichtart,  die  er  nicht  absorbirt,  nicht  ent- 
halten,  dunkel  erscheinen,  und  nur  dann  erhellt  und  wahrnehmbar  sein 
wird,  wenn  er  von  der  bestimmten  Lichtart  oder  einem  dieselbe  enthaltenden  Ge- 
menge derselben  getroffen  wird.  Es  kann  demnach  ein  Korper,  welcher  im  weissen 
Lichte  eine  bestimmte  Farbung  zeigt,  bei  der  Beleuchtung  mit  einer  bestimmten 
anderen  Lichtart,  dunkel  und  ungefarbt  erscheinen,  oder  wenn  er  wie  gewbhnlich 
keine  homogene  Farbe  zeigt,  durch  die  Beleuchtung  mit  einem  andern  als  weissem 
Lichte  eine  andere  Nuance  der  Farbung  zeigen,  wie  ja  das  die  Erfahrung,  z.  B. 
das  missfarbig  erscheinen  violetter  oder  blauer  Korper  bei  Beleuchtung  mit  dem 
nicht  rein  weissen  Kerzen-  oder  Lampenlicht,  das  ungefarbt  erscheinen  rother 
Korper  in  dem  gelben  Lichte  der  Flamme  von  mit  Kochsalz  vermengtem  Spiritus 
u.  s.  w.  sattsam  lehrt.  Die  Beurtheilung  der  Farbe  eines  Kbrpers  kann  sich  dem- 
nach im  Allgemeinen  nur  auf  die  Beleuchtung  mit  weissem  Lichte  (Sonnen-  oder 
helles  Tageslicht)  beziehen. 

Da  die  Farbe  eines  Korpers,  wie  erwahnt,  durch  die  Absorption  eines 
Theiles  farbiger  Lichtwellen  aus  dem  weissen  Lichte  zu  Stande  kommt,  so 
ist  klar,  dass  der  zur  Absorption  gebrachte  Antheil  der  farbigen  Lichtwellen,  mit 
jenem,  welcher  unabsorbirt  geblieben  ist  und  also  die  Kbrperfarbe  bedingt,  sich 
zu  Weiss  erganzen  miisste,  wenn  man  beide  wieder  zusammentreffen  lasst,  und  es 
folgt  hieraus,  class  es  fur  jede  Farbe  eine  entsprechende  zweite  geben  muss, 
welche  mit  der  ersten,  in  passendem  Verhaltnisse  zusammentreffend,  wieder  Weiss 
liefert. 

Diese  eine  bestimmte  Farbe  zu  Weiss  erganzende  Farbe  nennt  man  ihre  E  r- 
ganzungsfarbe  oder  Complementarfarbe,  und  Farben,  die  mit  ein- 
ander  gemengt  Weiss  liefern,  nennt  man  complementare  Farben.  Von  diesem 
Verhalten  der  Farben  macht  man  mannigfachen  Gebrauch ;  so  z.  B.  bentitzt  man 
die  Complementaritat  dazu,  um  schwach  gelb  gefarbten  Korpern  durch  Zusatz  von 
einem  geeigneten  Blau  ein  rein  weisses  Aussehen  zu  ertheilen;  hierher  gehbrt  das 
Blauen  der  Wasche,  des  Zuckers,  der  Starke,  das  Weissmachen  des  Glases  durch 
schwaches  Anfarben  mit  Violett.    Farblos  erscheinende  Mineralien  verdanken  ihre 


362  Farbe. 

Farblosigkeit  oft  dem  Umstande,  dass  sie  zwei  einander  complementare  Farben 
enthalten  u.  dgl.  m.  Auf  der  Cornplementaritat  der  Farben  berulit  auch  die  als 
Contrastwirkung  bezeichnete  Erscheinung,  dass  eine  Farbe  durch  eine  neben 
ihr  gestellte  zweite  Farbe  beeinflusst  und  in  ihrer  Nuance  geandert  werden  kann, 
indem  bei  der  gleichzeitigen  Einwirkung  zweier  Farben  auf  die  Netzhaut,  wenn 
dieselben  neben  einander  wirken,  das  Auge  die  beiden  Farben  nicht  nur  unver- 
iindert,  sondern  jede  einzelne  so  wahrnimrnt,  als  wenn  ihr  die  der  nebenstehenden 
Farbe  complementaire  Farbe  beigemengt  ware.  So  erscheint  ein  weisses  Feld,  das 
sich  auf  einem  hellgriinen  Grunde  befindet,  schwach  roth,  oder  umgekehrt  schwach 
griin,  wenn  es  sich  auf  rothem  Grunde  findet,  schwach  violett,  wenn  es  vorherr- 
schend  eine  gelbe  Umgebung,  und  schwach  gelb,  wenn  es  eine  violette  Umgebung 
hat,  schwach  blau,  wenn  nebenbei  vorherrschend  Orange,  und  orange,  wenn  nebenbei 
vorherrschend  Blau  vorhanden  ist  u.  s.  w.  So  wird  Griin  neben  Violett  gelblich,  das 
Violett  rothlich,  Roth  neben  Gelb  violett,  das  Gelb  griinlich  u.  s.  w.  Solche  schein- 
bare  Farben  pflegt  man  Contrast  far  ben  oder  Nebenfarben  zu  nennen,  und  ihrem 
Auftreten  muss  in  der  Farberei  und  Druckerei,  ebensowohl  wie  in  der  Malerei 
ganz  besonders  Rechnung  getragen  werden. 

Man  kann  die  Farben  nach  den  7  Hauptfarben,  welche  das  durch  prismatische  Zer- 
streuung  zerlegte  weisse  Licht  in  dem  sogenannten  Spectrum  (s.  S  p  e  c  t  r  o  s  c  o  p)  zeigt 
(vgl.  oben),  in  rothe,  orange,  gelbe,  grime,  blaue  und  violette  unterscheiden,  welchen 
7  Hauptgruppen  als  eigentliche  Grundfarben  wieder  nur  roth,  gelb  und  blau  zu 
Grunde  gelegt  werden  konnen.  Weiss  und  Schwarz  erscheinen  nicht  als  Farben, 
sondern  es  entspricht  Weiss  der  Abwesenheit  jeglicher  Farbe  und  Schwarz  dem 
Abgange  des  Lichtes  iiberhaupt.  Chevreul  hat  ein  System  der  Farben  auf- 
gestellt,  dessen  wesentlicksten  Grundsatze  bier  kurz  angedeutet  werden  sollen. 

Die  Hauptfarben:  roth,  orange,  gelb,  griin,  blau  und  violett  konnen  ver- 
andert  werden: 

a)  durch  Weiss,  welches  sie  heller  und  weniger  intensiv  macht,  wodurch  die 
helleren  Tone  einer  und  derselben  Farbe  entstehen ; 

b)  durch  Schwarz,  welches  sie  dunkler  erscheinen  lasst,  bei  gleichzeitiger 
Schwachung  der  Intensitat,  wodurch  die  dunkleren  Tone  der  Farbe  erhalten 
werden.     Die  Reihenfolge  aller  Tone  bildet  die  Farbenscala; 

c)  durch  eine  zweite  Farbe,  welche  die  Eigenthiimlichkeit  der  Farbe  andert, 
ohne  sie  zu  triiben,  wodurch  Nuancen  der  Farbe  entstehen; 

d)  durch  eine  zweite  Farbe,  welche  die  Eigenthiimlichkeit  der  Farbe  unter 
gleichzeitiger  Triibung  andert  und  sie  endlich  in  Schwarz  oder  in  das  Gemenge 
von  Schwarz  mit  Weiss,  d.  h.  in  Grau  abstumpft. 

Durch  Combination  der  in  der  Reihenfolge  stehenden  Hauptfarben  mit  ein- 
ander in  bestimmten  Verhaltnissen  stellt  Chevreul  72  Farbentypen  dar,  von 
deren  jeder  er  durch  Beimischung  von  0-1  —  0*9  Antheilen  an  Weiss  oder  Schwarz 
20  Tone  herstellt.  Er  erhalt  in  dieser  Weise  Scalen  von  je  zwanzig  Farben,  mit 
Hilfe  deren  sich  jede  einzelne  Farbe  genau  bestimmen  lasst,  indem  man  die  Namen 
der  Scala  angibt,  der  sie  angehort,  und  die  Nummer  ihres  Tones,  eventuell  die 
Beimengung  von  Schwarz,  durch  welche  sie  gedampft  erscheint.  (Vgl.  E.  C  h  e  v  r  e  u  1 
de  couleurs  et  de  leur  applications  etc.   1864.) 

Als  Erfahrungsregeln    fiir  die  Mischung  von  Farben   ergeben  sich  folgende : 

I.  a)  Mischungen  von  Farbstoffen,  deren  einer  Roth,  der  andere  Gelb  ist, 
beziehungsweise  zwischen  Roth  und  Gelb  liegenden  Nuancen  des  einen  oder  des 
andern  liefern  Orange  oder  orange  Nuancen. 

b)  Mischungen  von  Farbstoffen,  deren  einer  dem  Roth,  der  andere  dem  Blau 
angehort,  liefern  Violett  oder  violette  Nuancen. 

c)  Mischungen  von  Farbstoffen,  deren  einer  dem  Blau,  der  andere  dem  Gelb 
angehort,  liefern  Griin  oder  griine  Nuancen. 

II.  a)  Roth,  Gelb  und  Blau  liefern  in  passendem  Verhaltnisse  gemischt 
Schwarz  oder  durch  Schwarz  gedampftes  Weiss,  d.  i.  Grau. 


Farbe. 


Farbereiben. 


u-y/j 


b)  Ist  in  der  Mischung  eine  Farbe  iiberwiegend,  so  entsteht7  je  nach  dem 
Vorherrsclien  des  Roth,  Gelb  oder  Blau,  ein  rothliches,  gelbes  oder  blaues  Grau. 
Vgl.  iib.  a.  Farberei  III  pag.  349,     s.  a.  Far  b  s  to  ffe.     Gil. 

Farbendruck,  s.  Buntdruck  II  pag.  157,  s.  Kupferdruck,  s.  Lito- 
graphie.  Eine  eigenthiimliehe  Methode  des  Farbendruckes  von  J.  M.  Jobnson 
&  Son  im  London  ist  kurz  bescbrieben  in  der  Zeitscbrif't  d.  nied.-rist.  Gew.-Ver. 
1874  pag.  49.     Kk. 

FarbenmaSS,  syn.  m.  Colorimeter,  s.  II  pag.  379. 

Farbenspectrum,  s.  Spectroscop. 

Farberden7  syn.  m.  Erdfarben,  s.  bei  Erde  III  pag.  285. 

Farbereiben  (pulveriser  des  couleurs  —  to  powder  colour).  Das  Reiben 
der  Malerfarben  geschiebt  sebr  haufig  nocb  jetzt  aus  freier  Hand  mit  Farbstein 
nnd  Laufer,  ist  aber  eine  hochst  zeitraubende  und  langweilige  Arbeit.  Sie  Hesse 
sieh  ungemein  erleichtern,  wenn  die  Farben,  besonders  das  Bleiweiss,  welches  in 
so  grossen  Quantitaten  gebrancht  wird,  gleich  als  hinlanglich  fein  gemablene 
Pulver  in  den  Handel  kamen. 

Der  Farbstein  ist  eine  horizontal  gestellte,  ebene  Platte  aus  dichtem 
Marmor,  Porpbyr,  Granit  od.  dgl.  Der  Reiber  oder  Laufer  ist  ein  kegelformi- 
ger  Stein  derselben  Art  mit  glatter  Grundflache. 

Wo  es  sich  um  kleine  Quantitaten  handelt,  empfiehlt  sich  allerdings  das 
Reiben  mit  Farbstein  und  Laufer  durch  Einfachheit,  sowie  dadurch,  dass  die  ganze 
Menge  der  geriebenen  Farbe  leicht  und  vollstandig  abgenommen  werden  kann. 
Beim  Reiben  grosserer  Quantitaten  einer  und  derselben  Farbe  aber  verdienen  Reib- 
maschinen  jedenfalls  den  Vorzug. 

Eine  Farbreibmaschine,  deren 
Wirkungsart  mit  jener  der  Hand- 
arbeit  ziemlich  nahe  iibereinstimmt, 
besteht  in  einem  grossen  run  den 
Reibsteine  auf  welchem  ein  kleine- 
rer,  dessen  Durchmesser  etwa  V3 
von  dem  des  grossen  betragt,  durch 
einen  Mechanismus  im  Kreise  herum- 
gefiihrt,  und  wahrend  dem  bestandig 
um  seine  eigene  Achse  gedreht  wird. 

Recht  wirksam  und  durch  viel- 
faltige  Anwendung  erprobt  ist  die 
in  Fig.  1519  abgebildete  Farben- 
reibmaschine  von  Rum m el.  Auf 
einem  gusseisernen  Gestelle  A  B 
ist  durch  Schrauben  das  gleichfalls 
gusseiserne  Bodenstlick  C  befestigt, 
auf  welchem  sich  der  auf  der  Innen- 
seite  gefurchte  gusseiserne  Laufer  E, 

dessen  Gestalt  sich  aus  der  Zeichnung  ergibt,  dreht.  Derselbe  ist  durch  die 
Mutter  a,  den  dreiarmigen  Stern  e  und  die  Winkelstucke  c  an  der  stehenden 
Welle  D  befestigt  und  tragt  zugleich  den  Aufgebetrichter  F.  Die  Drehung  der 
Welle  wird  mittelst  der  Kurbel  G  und  der  konischen  Rader  H  und  J  bewirkt; 
ein  Schwungrad  K  dient  zur  Erzielung  gleichformigeren  Ganges.  Um  den  Druck 
des  Laufers  gegen  das  Bodenstlick  beliebig  reguliren  zu  konnen,  dienen  die  beiden 
Stellschrauben  b  und  d.  Die  in  den  Trichiter  gegebene  Farbe  geht  langsam  zwi- 
schen  Laufer  und  Bodenstlick  hindurch,  sammelt  sich  in  der  kreisformigen  Rinne 
h  nnd  fliesst  von  hier  ab.  Auf  einer  Maschine  mit  36ora  Durchmesser  des  Laufers 
kann  taglich  50  Kg.  Oelfarbe  gerieben  werden. 


Fig.  1519. 


364  Farbereiben.  —  Farbstoffe. 

Zum  eigentlichen  fabriksmassigen  Betriebe  eignen  sicb  besonders  die  Ma- 
schinen  mit  Walzen,  deren  zwei  oder  drei,  fest  an  einander  gedrtickt,  sich  mit  un- 
gleicher  Geschwin  digkeit  umdreben.  Solche  Walzmaschinen  haben 
Aehnlichkeit  mit  den  Chocolade-Reibmaschinen,  welche  Bd.  II  pag.  338  etc.  be- 
schrieben  wurden.  Diese  Maschinen  werden  namentlich  zum  Reiben  der  Buch- 
druckerfarbe  beniitzt.  Auch  excentrische  Miihlen  finden  Anwendung.  Hier- 
bei  sitzt  eine  Eisen-  oder  Steinscheibe  auf  einer  vertikalen,  von  unten  hebbaren 
Achse  und  rotirt.  Oberhalb  derselben  ist  fest  eine  zweite  Scbeibe  angebracht, 
welche  excentrisch  zu  der  ersteren  stent  und  durch  deren  Auge  (durchbohrte 
Mitte)  die  zu  reibende  Farbe  zufliesst.  (Vgl.  Art.  Pulverisiren.) 

Farbenreibmaschinen  verfertigen :  Herrmann  in  Paris,  Carl  A.  Specker 
in  Wien,  Joh.  Ph.  Klein  in  Offenbach  a.  M.,  Michaelis  &  Miiller  in  Chemnitz,  H. 
Bruckner  in  Berlin  u.  v.  A. 

Farberze  oder  Farbenerze,  im  weiteren  Sinne  alle  Erze,  welche  zur  Farben- 
bereitung  gebraucht  werden,  wie:  Brauneisenerz,  Rotheisenerz,  Chromeisenerz, 
Uranpecherz,  Kobalt-  und  Nickelerze.  Im  engeren  Sinne  werden  namentlich  letz- 
tere  drei,  im  sachsischen  Erzgebirge  wohl  auch  die  Kobalterze  allein,  weil  zur 
Blaufarbenerzeugung  gebraucht,  als  Farberze  bezeichnet.     Lb. 

Farbholzer,  s.  Blauholz,  s.  Gelbholz,  s.  Rothholz  u.  A. 

Farbholzextracte,  s.  Extra cte  III  pag.  341,  vgl.  a.  d.  einzelnen  Farb- 
holzer. 

Farbholzmiihlen,  s.  Hobelmaschinen,  s.  Frasen. 

Farbkorper,  s.  Farbstoffe. 

Farblacke  (laque  des  peintres  —  drop-lake),  Lackfarben,  Lacke, 
nennt  man  im  Allgemeinen  die  Verbindungen  von  organischen  Farbstoffen  mit 
Thonerde,  Zinnoxyd,  Bleioxyd,  Eisenoxyd  u.  s.  w.,  wie  solche  durch  Fallung  ge- 
wisser  Farbstofflosungen  mit  Thonerde-;  Blei-,  Zinn-  oder  anderen  Salzen  der 
schweren  Metalle  oft  bei  gleichzeitiger  Anwendung  eines  Alkalis  in  Gestalt  von 
in  Wasser  nicht  oder  nur  sehr  schwer  loslichen  Niederschlagen  erhalten  werden 
kbnnen.     Gil. 

Farbmalz,  s.  Bier  I  pag.  476. 

Farbmuhlen,  s.  Farbereiben. 

Farbreibmaschinen,  s.  Farbereiben. 

Farbschreiber,  Blauschreiber,  s.  Electricitat  bei  electrische  Tele- 
graphie  III  pag.  217. 

Farbstein,  s.  Farbereiben. 

Farbstoffe,  F  a  r  b  m  a  t  e  r  i  a  1  i  e  n  (matieres  colorantes  —  colouring  matters), 
Pigmente,  Farbkorper,  nennt  man  alle  jene  Korper,  welche  durch  ihre 
Gegenwart  anderen  Korpern  die  Fahigkeit  ertheilen,  eine  bestimmte  Farbe  zu 
zeigen,  wobei  sie  die  bestimmte  Farbe  entweder  schon  an  sich  haben  (Far ben), 
oder  dieselbe  erst  unter  gewissen  Umstanden  annehmen  (Chromogene).  Man 
kann  die  Farbstoffe  je  nach  ihrer  chemischen  Natur  in  unorganische  oder 
Miner  alfarb  en  und  in  organische  Farbstoffe  eintheilen,  welche  letztere 
Gruppe  alle  dem  Pflanzen-  und  Thierreiche  entstammenden  naturlichen  Farbstoffe, 
sowie  die  kiinstlichen  Farbstoffe  (z.  B.  Phenol-.,  Anilin-,,  Naphtalin-,  Anthracen-, 
Chinolin-Farben  u.  s.  w.)  umfasst.  Zwischen  beiden  stehen  jene  Farben^,  welche 
einen  organischen  Farbstoff  in  Verbindung  mit  einer  unorganischen  Substanz  ent- 
halten,  d.  s.  die  sogenannten  Lackfarben  (s.  Farblacke).  Je  nach  ihrer 
Verwendung  unterscheidet  man  die  Farbkorper  in  solche,    welche  vornehmlich  fur 


Farbstoffe.  365 

Zwecke  der  Farberei  und  Druckerei  dienen  (Zeugfarben  oder  Druckfarben)7 
dann  solche,  welche  wesentlich  zu  Zwecken  der  Malerei  verwendet  werden 
(Maler-  oder  Anstrichfarben);  endlich  solche,  die  zur  Farbung  von  Glas- 
fliissen  Verwendung  finden  (Schm  elzfarben). 

Die  Maler-  oder  Anstrichfarben  unterscheidet  man,  je  nachdem  die  durch 
Auftragen  derselben  herstellbare  Farbschichte  mehr  oder  weniger  durchsichtig  oder 
durchscheinend  oder  aber  undurchsichtig  und  demnach  den  Untergrund  verdeckend 
ist,  in  Lasur-  oder  Saftfarben  und  in  Deck  far  ben  (Korperfarben);  je  nach 
der  Natur  des  Bindemittels,  mit  welchem  sie  auf  der  Unterlage  haftend  gemacht  werden, 
in  Oel-  oder  Firnissfarben,  in  Wasserfarben  (Leimfarben,  Aquarellfarben) 
und  in  Kalkfarben  (Mauerfarben),  endlich  Pas  tell-  und  Staub farben, 
welche  ohne  besonderes  Bindemittel  aufgetragen  werden.  Eine  besondere  Art  der 
Deckfarben  bilden  die  Metall-  oder  Bronzefarben,  bei  welchen  mit  der  bestimmten 
Farbung  ein  gewisses  Mass  von  Metallglanz  erzielt  werden  kann. 

Die  Schmelzfarben  unterscheidet  man  je  nach  ihrem  jeweiligen  Zwecke  in 
Glasfarben,  Email-  oder  Glasurfarben  und  Porzellanfarben  ;  dass  man  die  einzel- 
nen  Arten  von  Farben  iiberdies  nach  ihrer  Abstammung,  beziehungsweise  nach 
ihre  wesentlichsten  Bestandtheilen  gruppirt  und  entsprechend  benennt,  erhellt 
aus  den  beziiglichen  Namen,  wie  A n i  1  i n  farben,  Anthracen farben,  Naphtalin- 
farben,  B  lei  farben,  K  up  fer  farben,  Chromfarben  u.  dgl.  m.  Je  nach  der 
Natur  der  charakteristischen  Farbungen,  die  die  einzelnen  Farbkorper  zeigen  oder 
hervorzubringen  gestatten,  unterscheidet  man  schwarze,  braune,  rothe,  orange- 
gelbe,  gelbe,  griine,  blaue,  violette,  weisse  und  graue  Farben.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  ist  endlich  die  Unterscheidung  in  giftige  (schadliche)  und  giftfreie 
(unschadliche)  Farben,  und  insoferne  diese  Unterscheidung  fiir  die  Praxis  nicht 
selten  von  hervorragender  Bedeutung  ist,  geben  wir  im  Folgenden  eine  Zusammen- 
stellung  der  gebrauchlichsten  Farben,  welche  diesen  Categorien  angehoren. 

Es  sind  giftig: 

Schwarze  Farben:  Antimonschwarz  (Eisenbronce),  Quecksilberschwarz. 

Branne  Farben:  Bleibraun,  Breslauer  Braun  (Chemisch  Brann),  Terra  siena. 

Rothe  Farben:  Zinnober  (chinesisch  Roth,  Vermilion,  Pariser  Roth,  Patent  Roth), 
Antimonzinnober,  Mennige  (Bleiroth,  Minium,  Pariser  Roth,  rothes  Bloioxyd),  Chromroth 
(Chromzinnober,  chroms.  Blei),  Mineralroth,  rother  Streuglanz,  Schonroth,  Florentinerlack 
(arsenhalt.  Cochenilleroth),  Corallinroth,  gewisse  Arten  von  Fuchsin,  Kupferroth  (Kupferoxydul). 

Orangegelbe  Farben :  Chromorange,  Goldschwefel  (Antimonorange). 

Gelbe  Farben:  Rauschgelb  (Auripigment,  Opperment,  Konigsgelb,  persisch  Gelb,  chi- 
nesisch Gelb,  spanisch  Gelb),  Cadmiumgelb,  Chromgelb  (Kaisergelb,  Neugelb,  Krongelb, 
Kolner  Gelb,  Pariser  Gelb,  Leipziger  Gelb,  Gothaer  Gelb),  Neapel-Gelb,  Casseler  Gelb  (Mi- 
neralgelb,  Turners  Gelb,  Patent  Gelb,  Montpellier-Gelb,  Veroneser  Gelb,  chemiseh  Gelb). 
Zinkgelb  (Zinkchromat),  Ultramaringelb  (Gelbin,  Barytgelb),  Antimongelb,  Steinbiihler  Gelb, 
Wismuthgelb,  Massicot  (Bleigelb),  Gummi  Guttae,  Pinkrinsaure  (Pikringelb). 

Griine  Farben :  Grunspan  (Spangriin),  Bremer  Griin,  Berggriin  (Braunsehweiger 
Kupfergrun),  Barytgriin  (Mangangriin),  Zinkgriin  (Rinmanns  Griin),  Kobaltgriin,  griiner  Zinn- 
ober (Oelgriin,  Resedagriin,  Maigriin,  Moosgriin,  Laubgriin,  Neapel-Griin),  Chromgriin  (Gri- 
gnet's  Griin,  grlines  Chromoxyd),  Seheele's  Grim  (schwedisch  Griin,  Mineralgriin),  Sclnveinfurter 
Griin  (Kaiser-Griin,  Konigs  Griin,  Kurrers  Griin,  Kirchbergers  Griin,  Schober-Griin,  Zwickauer 
Griin,  Grundir-Griin,  englisch  Griin,  Casseler  Griin,  Leipziger  Griin,  Neuwieder  Griin,  Original- 
griin,  Patentgriin,  Pickelgriin,  Mitisgriin,  Maigriin,  Moosgriin,  schweizer  Griin,  Pariser  Griin, 
Wiener  Griin,  Wiirzburger  Griin,  Papageigriin,  Basler  Griin),  Casselmanns  Griin,  Smaragd- 
griin,  Gelbholz-  und  Quercitrongriin,  Jodgriin. 

Blaue  Farben:  Bergblau  (Mineralblau,  Kalkblau,  Kupferblau,  Casseler  Blau,  Ham- 
burger Blau,  englisch  Blau,  Neuwieder  Blau),  Coeruleum,  Kobaltblau  (Thenard's  Blau),  Molyb- 
daenblau  (Mineralindigo),  Smalte  (Eschel),  Berliner  Blau  (u.  z.  speciell  Louisenblau  und  Mi- 
neralblau), blaiier  Erzglanz,  blauer  Streuglanz,  manche  Sorten  Anilinblau. 

Violette  Farben:  Alle  aus  giftigen  blauen  oder  rothen  Farben  hergestellten  violetten 
Gemenge,  ferner  manche  Sorten  Anilinviolett. 

Weisse  Farben:  Bleiweiss  und  bleiweisshaltige  Mischungen  (Schieferweiss,  Kremser 
Weiss,  Venetianer  Weiss,  Hamburger  Weiss,  Hollander  Weiss,  Tyroler  Weiss,  Thenards 
Weiss,  Clichyer  Weiss,  franzosisch  Weiss,  Silberweiss,  Perlweiss),  Zinkweiss  (Schneeweiss, 
Zinkblumen,  Zinkoxyd),  Barytweiss  (Schwerspath,  Spathweiss,  Mineralweiss,  Neuweiss,  Blei- 
weisssurrogat,  Permanentweiss,  Blanc  fixe),  Satinweiss,  Wismutweiss  (spanisch  Weiss,  Schmink- 
Weiss,  echt  Perlweiss). 


366  Farbstoffe.  —  Faserkohle. 

G  r  a  n  e  Farben.  Alle  Mischungen,  welclie  schadliche  weisse  oder  schwarze  Farben 
enthalten,  dann  Zinkgrau,  Zinkblende. 

Metall-  oder  Br  once  farben:  Schaumgold,  Schaumsilber,  imechtes  Metallgold  und 
Metallsilber,  unechtes  Malersilber,  Kupferbronce,  Broncelacke  aus  schadlichen  Anilinfarben, 
Wolframbronzeii. 

Es  sind  nicht  giftig  : 

Schwarze  Farben:  Frankfurter  Schwarz  (Rebscliwarz,  Weinschwarz,  Drusenschwarz, 
Hefenschwarz),  Russschwarz  (Kienruss,  Lampenscbwarz),  Oelschwarz,  Beinschwarz,  Kork- 
schwarz  (spanisch  Schwarz),  Neutralschwarz,  Kernschwarz. 

Branne  Farben :  Umbra  (Umbraun,  Kolnisch  Braun,  Kesselbraun,  spanisch  Braun, 
Van  Dyks  Braun,  Eisenacher  Braun,  brauner  Carmin),  Biester  (Sodbraun,  Chemischbraun), 
Manganbraun  (Mineral-Biester,  Wad),  Eothbraun,  Mumienbraun,  Sepia,  Mahagonibraun,  Mode- 
braun,  Russischbraun. 

Eothe  Farben:  Eisenroth  (rothe  Ocker,  Eouge,  Engelroth,  Berliner  Roth,  Niirnberger 
Roth,  Indischroth,  Neapel-Roth,  Steinroth,  Hausroth,  rother  Bolus,  rothe  Erde,  Rb'thel,  Polir- 
roth,  Todtenkopf,  Caput  mortuum,  Colcothar,  Blutstein),  Freienwalder  Roth,  Rothlacke  (Kugel- 
lack,  Wiener  Lack,  Rosenlack,  Karminlack,  Blauholzroth,  Rotkholzroth,  Rosenroth,  Carmin), 
Bezetten,  Sophienroth,  Safflorroth  (Tassenroth,  Safflorcarmin),  Anilinroth  (giftfreies),  Anthracen- 
roth  (Purpurin,  Alizarin),  Krapproth,  Rothsafte  (Berberitzensaft,  Alkermessaft,  Malvenroth, 
Heidelbeerroth. 

Orangegelbe  Farben:  Orlean  (Saft-Nanquin),  Gemenge  aus  unschadlichen  rothen 
und  gelben  Farben. 

G  e  lb  e  Farben:  Ockergelb  (Ockererde,  Gelberde,  Hausgelb,  Goldocker,  Satinocker, 
Chineser  Gelb,  Schongelb,  Kahlaer  Gelb,  Strigauer  Gelb,  Lemnische  Erde),  Schiittgelb,  Krapp- 
gelb,  Curcuma-Gelb,  Saftgelb,  Berberitzen-Gelb,  Saflor,  Quercitron,  Wau,  Kreuzbeergelb,  Gelb- 
beeren,  Gelbholz,  Gelbholzlack  (Gelblack),  Fustikholz,  Saffran,  Eingelbhnnengelb. 

Griine  Farben:  Saftgriin  (Kreuzbeergriin,  Pistaziengriin,  Apfelgrun),  Ultramaringriin 
(Leykaufs  Griin),  Griinerde  (Veroneser  Griin,  Seladongriiu,  Steingriin,  cyprischeErde,  bohmische 
Erde,  Kaadner  Erde,  franzosische  Erde),  Mischungen  aus  Berliner  Blau  mit  Curcumagelb  oder 
Ringelblumengelb,  obenso  aus  Indigocarmin  mit  unschadlichen  gelben  Farben. 

Blane  Farben:  reines  BerHner  Blau  (Pariser  Blau,  preussisch  Blau,  Diesbacher  Blau, 
sachsisch  Blau,  englisch  Blau,  Turnbulls  Blau,  Raymonds  Blau,  Erlanger  Blau,  Neublau, 
Waschblau,  Hortensienblau,  Miloriblau,  Wasserblau),  Indigo  (Indigocarmin,  blauer  Carmin, 
Blautinktur),  giftfreie  Smalte  (Eschel),  Ultramarin  (Lazurblau,  Azurblau),  Malveublaii,  Lakmus- 
blau,  Holzblau,  giftfreies  Anilinblau. 

Violette  Farben :  Veilchensaft,  giftfreies  Anilinviolett,  Gemenge  von  unschadlichen 
rothen  mit  unschadlichen  blauen  Farben,  z.  B.  Carmin  und  Indigo,  Alkermes  und  Lakmus 
oder  Indigocarmin. 

Weisse  Farben:  Geschlammte  Kreide  (Schlammkreide,  Marmorweiss,  Wiener  Weiss, 
Bologneser  Weiss),  weisser  Bolus  (Pfeifenthon,  Bol-  oder  Volerde),  Gyps  (Alabasterweiss), 
Talkweiss  (Federweiss,  Venetianer  Talk,  Speckstein).  Kr.ochenasche  (Beinweiss,  Hirschhorn- 
weiss),  Porzellanthon  (China  Clay). 

Metall-  und  Br  o  nze  farben:  Echtes  Gold  (Muschelgold)  und  Silber  (Muschelsilber), 
Musivgold,  Zinnstaub,  Graphit,  Eisenpulver,  giftfreie  Anilinfarben. 

Ueber  die  cinzelnen  Farbstoffe  s.  die  betreffenden  Artikel.     Gtl. 

Farbwurzel,  syn.  Krappwurzel,  dann  auch  fiiv  Alkannawurzel  ge- 
brauchlicb. 

Farina,  syn.  ni.  Me  hi. 

Farinzucker,  s.  Zucker. 

Farrenkrautwurzel-Oel,  s.  Filixol. 

Faschine  {fascine  —  fascine),  s.  Wasserbau. 

Faseralaun,  naturlich  vorkommende  Verbindung  von  sehwefelsanrer  Ma- 
gnesia und  sehwefelsanrer  Thonerde.  Enthalt  25  Mol.  Wasser.  Nicht  selten 
mangan-  nnd  eisenhaltig.  Weisse  oder  gelblichweisse  bis  graue  krystallinische 
Masse.     Vorkommen  am  Bosjemanfluss  in  Siidafrika.     Gtl. 

Fasergyps,  s.  Gyps. 

Faserkalk,   s.  Arragonit  I  pag.   179. 

Faserkohle,  eine  fasrige  Varietat  der  Stein-  oder  Braunkolile,  s.  d. 


Fasern.  —  Feculometer.  367 

Fasern,  s.  Gespinnstfasern. 

Faserquarz,  s.  Quarz. 

Faserstoff,  syn.  nl.  Fibrin,  s.  EiweisskSrper  III  pag.   140. 

Faserzeolith,  syn.  Skolezit. 

Fass,  Fassfabrikation,  s.  Bsttcherei  I  pag.  690. 

Fassait,  s.  Pyroxen. 

Fassbinderei,  s.  BOttcherei  I  pag.  677. 

Fasseschel,  s.  Smalte. 

Fassfuller,  s.  Kellerwirthschaft. 

FaSSgelager,  vgl.  Bier  und  We  in. 

Fassglasuren  nennt  man  LSsungen  von  Harzgemengen  (Colophoniurn, 
Damarharz  etc.),  in  Terpentinol  oder  Alkohol,  welche  man  zum  Wasserdicht- 
machen  von  Holzfassern  verwendet.  (Vgl.  Kanitz  Dingl.  pol.  Journ.  212 
pag.  351).     Gil. 

FaSShahll,  s.  Kellerwirthschaft. 

Fasshahnlegierung,  von  Vigoureux  empfohlene  Legierung  fur  Fasshahne, 
bestehend  aus  Antimon  (19—21  Thl.),  Zinn  (71—80  Thl.)  und  Nickel  (1-8—7 
Thl.).     Vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  178  pag.  242.     Gtl. 

Fassheber,  s.  Kellerwirthschaft. 

Fatisciren,  syn.  m.  Verwittern,  s.  d. 

Failjasit,  Min.  kalk-  und  natronhaltiges  Thonerdesilikat,  wasserhaltig.  Weisse 
bis  braune,  glasglanzende  Krystalle  (tessular),  Harte  5 — 6.  Vorkommen  bei  Giessen, 
Eisenach  und  Kaiserstuhl  in  Baden.     Gtl. 

Faulbaumkohle,  s.  Explosivstoffe  III  pag.  322,  s.  a.  Kohle. 

Faulbruch,  s.  Eisen  II  pag.  774. 

Faust,   Fausteisen,  s.  Blechbearbeitung,  I  pag.  554. 

Faustleier,  s.  I  pag.  723. 

Fayalit,  Min.  ist  kieselsaures  Eisenoxydul  (SiFeQ04)  von  Fayal  in  Irland, 
krystallinisch,  messinggelb,  griinlich  schwarz,  oft  verschlackt  und  derb,  undurch- 
sichtig,  magnetisch.     Harte  zn  6*5.     Gtl. 

Fayence,  s.  Thonwaaren. 

Fayenceblau,  s.  Indigo. 

Fayencedruck,  s.  Thonwaaren. 

Fayencefarben,  syn.  Porzellainfarben,  Emailfarben,  Schmelzfarben,  s.  Thon- 
waaren. 

Fayencethon,  s.  Thon,  s.  Thonwaaren. 

Fecule,  syn.  m.  Star  kerne  hi  s.  d. 

Feculometer  nennt  Bloch  (Polyt.  Centrlblt.  1873  pag.  1486)  em  von  ihm 
construirtes  Instrument  zur  Bestimmung  des  Wassergehaltes  eines  Starkeniehls, 
beziehungsweise  zur  Priifung  der  Starke  auf  ihre  Reinheit.     Die  Einrichtung  des- 


368  Feculometer.  —  Federn  (Vogelfedern). 

selben  basirt  auf  der  Thatsache,  dass  Starkemehl  beim  Benetzen  mit  Wasser 
eine  bestiinmte  Volumsvermehrung  erfahrt,  und  bestelit  dasselbe  wesentlich  aus  einein 
mit  einer  empirischen  Scala  versehenen  Glasrohre,  in  welch  em  die  Volumszunahme 
gemessen  werden  kann,  welche  eine  bestimmte  Menge  der  zu  untersuchenden  Starke 
unter  der  Einwirkung  des  Wassers  erfahrt.     Vgl.  a.  Starke.     Gtl. 

Federalaun,  Haarsalz,  natiirlich  vorkommender  Alaun,  s.  Alaun  I 
pag.  62. 

Federerz,  s.  Heteromorphit. 

Federglatte,  Bleiglattekrystallchen  die  sich  beim  Treiben  des  Silbers  bilden, 
s.  Silber. 

Federhiimmer,  s.  Schmieden,  u.  a.  auch  verfertigt  von  Schwabe  W.  & 
Co.  Wien  Hernalserstrasse  121. 

Federharz,  s.  Kautschuk. 

Federn.  I.  Federn  der  Vogel  (plumage  —  plume).  An  einer Vogelfeder 
unterscheidet  man  zwei  Haupttheile:  die  Fahne  und  den  Schaft;  das  Ende 
des  letzteren  ist  durch  eine  hornartige  durchscheinende  Rohre  gebildet,  die  P  o  s  e, 
Spule  oder  der  Kiel.  Die  Federpose  ist  an  ihrem  Ende  offen  und  enthalt  im 
Innern  das  Mark  (die  Seele,  eine  Zusammensetzung  von  kleinen,  hautigen  Trich- 
tern),  welches  einen  Kanal  von  der  Oeffnung  des  Kiels  nach  dem  massiven  Theile  des 
Schaftes  bildet  und  zur  Ernahrung  der  Feder  dient.  Die  grossten  Federn  befinden 
sich  an  den  Fliigem  (Sch  w  ungfedern)  und  am  Schwanze  (Steuer federn) ; 
kleinere,  mit  breiter  Fahne  und  schwachem  Kiele  bedecken  bei  den  meisten 
Vogeln  fast  den  ganzen  Korper  (Deckfedern);  die  allerkleinsten,  welche  einen 
kaum  bemerkbaren  Kiel  und  eine  ausserordentlich  feine,  wollige  Fahne  besitzen, 
stehen  unter  den  Deckfedern,  dicht  auf  der  Haut  (F 1  a  u  m  e  n,  F 1  a  u  m  e  n  f  e  d  e  r  n, 
Dunen  oder  Daunen).  Die  Beniltzung  der  Vogelfedern  ist  eine  verschiedene, 
je  nachdem  sich  dieselben  durch  grosse  Elasticitat  der  Fahnen,  oder  sehr  ela- 
stische  Kiele  oder  endlich  durch  schone  Form  und  Farbe  der  Fahne  auszeichnen. 
Man  verwendet  demnach  Vogelfedern  zum  Fiillen  von  Betten  und  Kissen  (Bett- 
federn),  zum  Schreiben  (Schreibfedern)  und  zum  Schmucke  Schmuck- 
federn). 

1.  Bett federn.  Als  solche  werden  meistens  die  Flaumen  und  Deck- 
federn der  Ganse  benutzt,  welche  sich  durch  Leichtigkeit,  Weichheit  und  Elasticitat 
vorziiglich  brauchbar  zeigen;  seltener^  weil  theurer^  verwendet  man  die  Federn 
der  Eiderente  oder  Eidergans  (Anas  mollissimaj  —  die  wegen  ihrer  ausgezeichneten 
Elasticitat  und  Weichheit  bertihmten  Eiderdunen  —  und  die  Dunen  und  Deckfedern 
des  Schwanes  und  Pelikans.  Von  weit  geringerem  Werthe  als  die  Gansefedern 
sind  dagegen  die  Federn  der  Enten  und  Hithner^  weil  sie  weniger  elastisch  und 
schwerer  sind.  Man  gewinnt  die  Gansefedern  theils  von  lebenden  Gansen,  welche 
dreimal  des  Jahres  —  im  Friihlinge,  Sommer  und  Herbst  —  gerupft  werden,  theils 
von  geschlachteten.  Im  Durchschnitte  erhalt  man  12  —  I4i>kgrm  Deckfedern  und 
3.5Dkglra  Flaumfedern  von  einer  Gans. 

Die  Federn  von  lebenden  Gansen  (Rupffedern  oder  Sommergut)  sind  dem 
Verderben  weniger  unter worfen,  besitzen  mehr  Elasticitat  und  sind  gewohnlich 
auch  reiner  als  die  von  geschlachteten  (Wintergut),  wesshalb  man  die  ersteren 
auch  mehr  schatzt;  ebenso  sind  die  Federn  von  ungemasteten  Gansen  (Futter- 
giinsen)  besser  als  die  von  gemasteten. 

Die  eingesammelten  Federn  werden  an  der  Sonne  oder  in  einem  geheizten 
Zimmer  gut  getrocknet,  dann  durch  Schlagen  mit  leichten  Stabchen  gut  aufge- 
lockert  und  durch  Sieben  von  dem  ausgeschlagenen  Schmutze  befreit.  Das 
sorgfaltigste  Trocknen  ist  unerlasslich,  weil  ohne  dasselbe  die  in  den  Kielen 
befindliche  Feuchtigkeit  in  Faulniss  ubergeht.     Federn,  welche    an    diesem  Fehler 


Fed evn  (Bettfedern) 


360 


leiden  oder  durch  den  Gebrauch  einen  moderigen  Geruch  angenomraen  haben, 
konnen  davon  befreit  werden,  indem  man  sie  3  oder  4  Tage  lang  in  Kalkwasser 
einweicht,  rnit  reinem  Wasser  auswascht,  auf  Netzen  trocknet  nnd  durch  Klopfen 
mit  Stabchen  auflockert.     Doch  stauben  solche  Federn  stets. 

Zur  Reinigung  iibelriechender  Bettfedern  wurde  vom  Hospital-  Ftp.    1520. 

verwalter  J.  Spahn  in  Miinchen  ein  Dampfapparat  construirt,  der 
in  Fig-.  1520  dargestellt  ist.*)  Derselbe  besteht  aus  einem  Ofen  A 
von  Schwarzblech  nnd  einem  in  diesen  eingehangten  kleinen 
Dampfkessel  B  von  Weissblech.  Dieser  Kessel  hat  einen  Probe- 
liahn  a,  dann  eine  Naclifiilloffnung  b,  die  nach  erfolgter  Speisung 
des  Eessels  verscbranbt  wird,  nnd  endlicli  eine  Oeffnung  c,  die 
mit  einem  verzinnten  engmaschigen  Drahtsiebe  iiberdeckt  ist.  Dieses 
Drahtsieb  bildet  den  Boden  eines  auf  den  Kessel  B  aufgesetzten 
Schwarzblechtriekters  C,  in  welchen  die  zu  reinigenden  Federn  ein- 
gebracht  werden.  Wahrend  des  Dampfens  ist  der  Trichter  oben 
mittelst  einer  iiber  einen  holzernen  Reifen  gespannten  Leinwand 
abgeschlossen. 

Wird  der  Ofen  geheitzt,  so  entwickelt  sich  im  Kessel  Dampf, 
der  aus  a  austritt;  sobald  die  Dampfentwicklung  eine  geniigend 
starke  ist,  wird  a  gescblossen  und  hiedurch  der  Dampf  gezwungen, 
durch  die  in  C  beflndlichen  Federn  hindurchzustreichen  und  die 
Miasmen  etc.  abzufiihren.  Nach  5  Minuten  laugem  Dampfen  wird 
der  Leinwanddeckel  abgenommen  und  die  Federn  mit  einem  holzer- 
nen Stockehen  umgeriihrt.  Mehr  als  handwarm  darf  man  die  Federn 
nicht  werden  lassen.  Steigt  die  Temperatur  zu  sehr,  so  werden 
die  Federn  aus  dem  Trichter  genommen  und  auf  einer  reinen  Diele 
mittelst  Besen  bis  zum  volligen  Erkalten  durch  einander  gefegt,  um 
eine  Lockerung  der  Ballen  zu  bewirken. 

Flaumenfedern  sind  nach  den  oben  beschriebenen  Reinigungsoperationen 
unmittelbar  zum  Gebrauche  geeignet;  nicht  so  die  Deckfedern.  Die  Stiele  der 
letzteren  vermindern  die  Weichheit  einer  grosseren  Partie,  indem  sie,  theilweise 
in  der  Richtung  des  etwa  wirkenden  Druckes  stehend,  einen  weniger  elastischen 
Gegendruck  aussern,  und  leiden  noch  an  dem  Uebelstande,  dass  sie  das  Bettinlett 
durchstechen  und  heraustreten.  Desshalb  miissen  die  Deckfedern  von  den  steifen 
Kielen  befreit  werden,  was  durch  Abreissen  der  Fahne  mit  den  Fingern  vorge- 
nommen  wird.  Diese  Operation  heisst  das  Reissen  oder  Schleissen.  Die 
Absonderung  der  Stiele  zieht  einen  Verlust  von  V6  bis  74  vom  Gewichte  der 
Federn  nach  sich.  Eine  Arbeiterin  kann  in  zehn  bis  zwolf  Arbeitsstunden  nicht 
leicht  mehr  als  25Dkgrm  Federn  schleissen. 

Im  Handel  werden  die  Bettfedern  ofters  verfalscht,  theils  durch  Einmengung 
schon  gebrauchter  Federn  (welche  man  an  den  abgeniitzten  Spitzen  erkennt), 
theils  durch  schlechtere  Federn  von  anderem  Gefliigel,  theils  endlicli  durch  f ein  en 
weissen  Sand,  Gyps  oder  andere  pulverige  Korper,  welche  nur  den  Zweck  haben 
das  Gewicht  zu  vermehren,  nnd  sich  durch  Schiitteln  leicht  erkennen  lassen. 

2.  Schreibfedern.  Die  Schwungfedern  aus  den  Fliigeln  der  Ganse  sind  fast  die 
einzigen,  welche  zum  Schreiben  gebraucht  werden.  (Untergeordneter  und  seltener  ist  die 
Anwendung  von  Fasanen-,  Pfau-,  Truthahn-  und  Rabenfedern.)  Die  besten  sind  diejenigen, 
welche  den  Thieren  zur  Mauserzeit  (im  Mai  oder  Juni)  von  selbst  ausfallen  oder  ausgezogen 
werden ;  weil  sie  die  vollige  Reife  erlangt  haben.  Weniger  geschatzt  sind  die  zu  anderen 
Zeiten  den  Gansen  ausgerissenen,  am  schlechtesten  die  von  geschlachteten  Gansen.  Von  den 
Schwungfedern  in  jedem  Gansefliigel  sind  bios  die  ersten  fiinf  brauchbar.  Die  erste,  welche 
Eckfeder  (Eckpose,  Ort-  oder  Endpose)  genannt  wird,  ist  kurz,  sehr  hart  und  nahezu 
kreisrund;  die  folgenden  zwei  —  die  Schlachtfedern  (Schlachtpos  en)  sind  die  aller- 
besten,  wahrend  die  Eckfeder  nur  von  mittlerer  Qualitat  ist  und  die  nun  folgenden  Breit- 
federn  (die  4.  und  5.)  der  Giite  nach  zwischen  der  Eckfeder  und  den  Schlachtfedern  die 
Mitte  lialten.  Zwischen  den  Federn  aixs  beiden  Fliigeln  findet  ein  kleiner  Unterschied  statt, 
den  man  leicht  bemerkt;  sie  sind  namlich  nach  entgegengesetzter  Seite  gekriimmt.  Wenn 
man  eine  Feder  des  rechten  Fliigels  so  auf  den  Riicken  legt,  dass  das  Kielende  dem  Beschauer 
zugfkflirt  ist,  so  befindet  sich  die  breitere  Seite  der  Fahne  links,  und  der  Schaft  der  Feder 
ist  ebenfalls  nach  der  linken  Seite  gekriimmt.     Bei    den  Federn  des  linken  Fliigels  ist  beides 


*)  Polytechn.  Centralblatt,  Jahrgang  185G,  pag.   160;    Kunst-  u.  Gewerbeblatt  fur  Bajern, 

1855,  pag.  6G7. 
Karrnarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.   Bd.   Ill  24 


370  Feclern  (Schreibfedern). 

umgekehrt,   claher   dieso  beim  Schreiben   durch   ihre    auswSrts  gerichtete  Kriimmung  manchen 
Schreibern  bequemer  in  der  Hand  liegen. 

Die  rohen  Gansekiele  miissen,  nm  zum  Schreiben  brauchbar  zu  sein,  eine  Zurichtung 
erleiden,  durch  welch e  folgende  Zwecke  erreicht  werden  sollen.  1.  Vermehrung  der  Harte; 
2.  ein  gewisser  Grad  von  Sprodigkeit,  vermoge  derer  gute  Federn  rein  und  ohne  Zahne 
spalten;  3.  Entfemung  der  diinnen  Haut,  womit  die  Kiele  im  natiirlichen  Zustande  iiberzogen 
sind,  sowie  des  an  ihnen  sitzenden  Fettes,  welches  das  Anhaften  der  Tinte  verhindern  wiirde. 
Znr  Erzielung  der  eben  angedenteten  Zwecke  unterzieht  man  die  Federn  nachstehenden 
Operationen : 

a)  Sortiren,  wobei  man  die  Federn  des  rechten  und  linken  Fliigels  von  einander 
trennt,  sie  naeh  Dicke,  Harte  und  Lange  zusammenlegt  und  besonders  die  Rangwdnung 
beriicksichtigt,  welche  die  Federn  nach  ihrer  Stellung  in  dem  Fliigel  beobachten.  In  der 
Regel  sind  die  schwersten  Federn  die  besten. 

b)  Reinigen  oder  Putzen,  wobei  der  Kiel  von  allem  Schmutze  befreit  und  von 
der  Fahne  das  Ueberfliissige,  welches  die  Feder  entstellen  oder  beim  Schreiben  hinderlich  sein 
konnte,  mittelst  eines  scharfen  Glasscherbens  oder  eines  Rasirmessers  abgeschabt  wird. 

c)  Das  Ziehen,  Ha r ten  oder  Brennen  ist  die  eigentliche  Hauptoperation  und 
besteht  darin,  dass  man  die  Kiele  bis  zu  einem  angemessenen  Grade  (62 — 85°  C.)  erhitzr, 
dann  jeden  einzeln  der  Lange  nach  mit  einer  Messerklinge  abstreift.  Durch  die  Warme  wird 
der  Kiel  zwar  erweicht,  aber  wenn  er  dann  wieder  erkaltet  ist,  besitzr  er  eine  viel  grossere 
Harte  als  im  urspriinglichen  Zustande  und  seine  ursprungliche  Zahigkeit  hat  einem  gewissen 
Grade  von  Sprodigkeit  Platz  gemacht.  Es  kommt  hier  sehr  darauf  an,  den  richtigen  Hitze- 
grad  zu  treffen  und  zu  beniitzen.  Ist  die  Hitze  zu  schwach,  so  bleiben  die  Kiele  zahe  und 
werden  nicht  hart  genug,  spalten  sehr  unrein  und  zackig ;  ist  hingegen  die  Hitze  zu  stark, 
so  erlangen  sie  eine  zu  grosse  Sprodigkeit.  Der  richtige  W'armegrad  ist  dauu  eingetreten, 
wenn  die  Kiele  gleichmassig  erweicht  sind,  und  die  sie  umkleidende  Haut  mit  Leichtigkeit 
abgestreift  werden  kann.  Das  Erwarmen  kann  iiber  freiem,  nicht  rauchendem  und  nicht 
flammendem  Kohlenfeuer,  oder  in  heisser  Asche,  auch  in  erhitztem  i'einen  Sande  oder  endlich 
in  heissem  Wasser  geschehen.  Am  gewohnlichsten  bedient  man  sich  des  heissen  Sandes. 
Indem  der  Arbeiter  die  durch  Einstecken  in  den  Sand  erwarmte  Feder  mit  der  linken  Hand 
auf  sein  Knie  legt,  driickt  er  sie  mit  demMesser,  welches  er  in  der  rechten  Hand  halt,  oben, 
wo  als  Fortsetzung  des  Schaftes  der  Kiel  anfangt  stark  zusammen  und  zieht  sie  behende 
unter  dem  Messer  durch,  so  dass  sich  die  Haut  grosstentheils  abstreift.  Dieses  Driicken 
bewirkt  ein  Abgerissenwerden  der  Seele,  welche  daun  beim  Schneiden  aus  dem  Kiele  heraus- 
fallt.  Ein  geschickter  Arbeiter  kann  in  10  Arbeitsstunden  an  3000  Stiick  Federn  ziehen.  Die 
Seiten,  wo  der  Kiel  von  dem  Messer  und  der  Unterlage  beriihrt  wurde,  machen  sich  durch 
zwei  klare  durchsichtige  Streifen  bemerkbar.  Sollen  diese  vermieden  werden,  so  muss  in  dem 
Messer  ein  halbrunder  Aussehnitt  sein,  durch  welchen  der  Kiel  einigemal  mit  der  gehorigen 
Wendung  durchgezogen  wird.  Die  resultirenden,  ganz  durchsichtigen  Kiele  fiihrten  im  Handel, 
aus  dem  sie  nun  zum  grossten  Theile  verschwunden  sind,  den  Namen  G  las  kiele.*)  Unmittelbar 
nach  dem  Ziehen  werden  die  Federn  einige  Zeit  an  einer  Stelle  in  den  Sand  gesteckt,  wo 
derselbe  etwas  kiihler  ist;  zuletzt  aber  bringt  man  sie  wieder  in  den  ganz  heissen  Sand,  um 
den  gehorigen  Grad  von  Harte  zu  erzielen.  Um  von  den  wieder  ganz  erkalteten  Kielen  die 
Reste  der  Haut  und  alien  iibrigen  Schmutz  zu  entfernen,  werden  sie  gebiirstet.  Zwei  flache, 
steife  Biirsten  sind  zu  diesem  Behufe  so  angebracht,  dass  die  eine,  die  Borsten  nach  oben 
kehrend,  auf  einem  Tische  test  liegt,  die  zweite  hingegen  iiber  jener  sich  befindet,  mittelst 
eines  Fusstrittes  niedergedriickt  und  durch  eine  eiserne  Feder  wieder  aufgehoben  wird. 
Mehrere  Kiele  werden  zugleich  zwischen  diesen  Biirsten  schnell  hin  und  her  gezogen,  und 
erlangen  auf  diese  'Weise  Glatte  und  Glanz. 

Hierauf  folgt  das  Binden  und  Yerpacken.  Es  muss  hier  noch  angef iigt  werden, 
dass  manche  Kiele  mit  sich  vielfach  durchkreuzenden  Linien  verziert  werden,  welche 
man  durch  Driicken  der  erwarmten  Federn  mit  der  stumpfen  Messerklinge  hervorbringt 
(Kreuzkiele.)  **) 

Durch  den  Gebrauch  der  Stahlfedern  (s.  d.)  ist  die  Zurichtung  der  Federkiele  nur 
mehr  in  wenigen  Fabriken  in  Anwendung. 

Bevor  wir  auf  (be  dritte  Anwendungsweise  der  Vogelfedern  iibergehen,  sei  hier  der 
Fabrik  des  Hm.  Bardin  in  Joinville  le  Pont  bei  Paris,***)  welche  friiher  ausschliesslich  fiir  die 
Zurichtung  der  Federkiele  zu  Schreibzwecken  bestimmt  war,  gedacht.  Daselbst  sind  iiber  150 
Arbeiterinen  damit  beschaftigt,  die  aus  Russland  (Nisehnei,  Moskau,  Kasan)  kommenden  Federn 
von  Ganseu,  Enten  u.  s.  w.  unter  theilweiser  Benutzung  sehr  sinnreich  construirter  Maschinen  zu 
verarbeiten.  So  z.  B.  werden  mittelst  Maschinen  die  Kiele  nach  Spiralen  in  ca.  lm  lange  Streif- 
chen  zertheilt,  diese  mit  Dampf  erweicht  und  gestreckt,  zu  Blumen  und  Haarputz  verarbeitet. 
Von  den  iibrigbleibenden  Barten  und  Stielen  werden  die  ersteren  zu  bunten  Teppichen  mit- 
verarbeitet  u.  s.  w. 


*)   Zur  Erzielung    hochster  Durchsichtigkeit  soil  man  die  Kiele  24  Stunden  lang  vor  dem 

Ziehen  in  Alaunlosung  weichen  lassen. 
**)    PrechtVs  technolog.  Encyclopadie,  Band  V. 

***)   Dingler's  polyt.  Journal  Bd.  193  S.  523  und  Bulletin  de  la  Societe  d' Encouragement, 
September  18(58. 


Federn  (Sclimuckfedern).  371 

3.  Sch  muck-    oder  Pu  tzfe  dern.*) 

I.  Die  Bearbeitung  der  Sclimuckfedern  ist  bei  alien  Sorten  so  ziem- 
lich  dieselbe;  wir  theilen  hier  als  Beispiel  die  Zubereitung  der  Straussfedern 
mit.  Es  werden  verschiedene  Arten  von  Straussfedern  unterschieden ;  im  Allge- 
meinen  sind  die  von  dem  Manncben  die  weissesten  und  schonsten.  Die  in  der 
Nahe  der  Burzeldriise  (am  hinteren  Ende  des  Riickens)  wachsenden  Biirzelfedern 
sincl  die  vorzuglicbsten ;  demnachst  folgen  die  Scbwungfedern  von  den  Fliigeln, 
die  Scbwanzfedern  bilden  die  geringste  Sorte.  Die  Straussdunen  von  dem  Baucb 
und  anderen  Theilen  des  Korpers  sind  kiirzer;  sie  sind  bei  dem  mannlichen 
Vogel  schwarz,  bei  dem  weiblichen  grau.  Die  schonsten  weissen  Federn  der  Weib- 
chen  sind  stets  nacb  den  Enden  zu  ein  wenig  graulich,  wodurch  sie  gegen  die  miinn- 
lichen  Federn,  die  vollig  rein  weiss  sind,  in  der  Qualitat,  daher  audi  im  Preise  zuriick- 
stehen.  Der  Hauptbandel  mit  Straussfedern  geht  von  Algier,  Tunis,  Alexandrien, 
Madagascar  und  der  Mlindung  des  Senegal  aus,  unter  ihnen  liefert  Algier  die 
schonsten,  Senegal  die  am  wenigsten  schonen  Federn. 

Um  die  Federn  zu  waschen,  geht  man  folgendermassen  zu  Werke:  Man 
lost  1  Theil  klein  geschnittene  weisse  Seife  in  32  Theile  warmen  Wassers,  das 
sich  in  einem  recht  geraumigen  Behalter  befindet,  und  schlagt  das  Seifenwasser 
zu  Schaum.  Man  bringt  nun  zwei  Btindel  mit  Bindfaden  zusammengebundener 
Federn  hinein,  arbeitet  sie  etvva  5  Minuten  lang  mit  den  Handen  durch,  und 
wascht  sie  darauf  in  reinem  handwarmen  Wasser. 

Die  Federn  werden  dann,  um  sie  ganz  weiss  zu  machen,  zuerst  auf  ahn- 
liche  Art  wie  die  Strohhilte  geschwefelt  (s.  den  Artikel  Schwefeln),  hierauf 
geblaut,  indem  man  sie  rasch  durch  kaltes  Wasser,  welchem  ein  wenig  Indig- 
auflosung  beigemischt,  hindurchzieht;  dann  noch  in  einem  Bade  von  Wasser  mit 
etwas  eingertihrter  feiner  Starke  oder  gescblammter  Kreide  herumgenommen ; 
endlich  in  handwarmem  Wasser  ausgespillt,  auf  Bindfaden  zum  Trocknen  aufge- 
hangt  und  dabei  von  Zeit  zu  Zeit  geschiittelt. 

Sind  die  Federn  so  weit  fertig,  so  schabt  man  die  Schafte  mit  einem 
Glasscherben,  um  sie  recht  biegsam  zu  machen.  Die  Fahne  wird  dann  mit 
der  Schneide  eines  stumpfen  Messers  gestrichen,  wodurch  sie  das  hiibsche  gekrau- 
selte  Ansehen  erhalt. 

Die  Federn,  die  eine  unangenehme,  schmutzige  Farbe  besitzen  und  daher 
in  ihrer  natiirlichen  Farbe  nicht  verkauflich  sein  wtirden,  werden  meistens  schwarz 
gefarbt.  Zu  dem  Ende  werden  auf  je  20  Kilogramm  Federn  25  K.  Blauholz 
mit  Wasser  abgekocbt,  nacb  sechsstiindigem  Kochen  das  Holz  herausgenommen 
und  3  K.  Eisenvitriol  zu  dem  Decocte  gegeben,  dann  noch  15  bis  20  Minuten 
gekocht,  und  nun  der  Kessel  vom  Feuer  genommen.  Jetzt  bringt  man  die 
Federn  in  kleinen  Portionen  hinein,  vertheilt  sie  so  gleichmassig  wie  moglich  in 
dem  Bade,  und  lasst  sie  2  bis  3  Tage  darin  liegen.  Hierauf  nimmt  man  sie 
durch  eine  ganz  schwache  alkalische  Lauge  und  wascht  sie  mehrere  Male  mit 
Seifenwasser.  Wenn  sie  durch  diese  Behandlung  die  gehorige  Weiche  und  Bieg- 
samkeit  angeuommen  haben,  spiilt  man  sie  in  kaltem  Wasser  und  trocknet  sie. 
Ganz  weisse  Federn  nehmen  selten  ein  so  schones  Schwarz  an,  als  die  von 
Natur  grauen.  Statt  des  Eisenvitriols  soil  auch  essigsaures  Eisen  und  zwar  mit 
noch  besserem  Erfolge  angewandt  werden  konnen. 

Um  andere  Farben  zu  farben,  mtissen  die  Federn  zuvor  an  der  Sonne 
und  im  Thau  gebleicht  werden,  wobei  man  sie  mit  den  Kielen  einzeln  in  den 
Rasen  einsteckt.  Nacb  14  Tagen  werden  sie  gut  mit  Seife  gewascben  und 
gefarbt.  Zum  Farben  dienen  (ausser  Anilinfarben)  gewohnlich  die  folgenden  Pig- 
mente:  zu  Hell  roth  und  Rosa  Safflor,  zu  Dunk  el  roth  Brasilienholz 
nach  vorhergegangenem  Anbeizen  mit  Alaun.  Zu  Karmoisin  werden  die 
Federn  auf  die  zuletzt  angegebene  Art  gefarbt  und  dann  noch  durch  ein  Orseille- 
bad  genommen. 


*)   Prechtl's  technolog.  Encycloptidie  Band  V  pag.  499. 

24* 


372  Federn  (Metallfedern). 

Zu  Violettbraun  behandelt  man  die  mit  Brasilienholz  gefarbten  Federn 
mit  einer  schwachen  alkalischen  Lauge. 

Blau  in  alien  Tonen  wird  in  der  Indigklipe  gefarbt. 

Gelb,  nach  dem  Beizen  mit  Alaun,  in  einem  Wau-  oder  Curcumebade. 

Zu  erwahnen  ware  noch  das  D  res  sir  en,  eine  Arbeit,  welche  die  Gerad- 
richtung  des  Federschaftes,  sowie  die  regelmassige  Ansbreitung  der  Fahne  znm 
Zwecke  hat.  Sehr  dicke  Federschafte  werden  hierbei  an  der  Unterseite  znm 
Theil  weggeschnitten  unci  mit  Glas  glattgeschabt,  urn  dieselben  diinn  und  biegsam 
zu  machen ;  endlieh  das  Fri  siren  oder  Kr  a  us  ein,  welches  der  Feder  eine 
angenehme  Kriimmung  und  der  Fahne  ein  gelocktes  Aussehen  ertheilen  soil. 
Diese  Operation  wird  dadureh  ausgefiihrt,  dass  man  die  Feder  mehreremale 
zwischen  dem  Daumen  und  einer  stumpfen  Messerklinge  hindurehzieht  oder  aber 
(was  nur  bei  schwarzen  Federn  ausfiihrbar  ist)  die  Federn  in  den  Ranch  von 
brennendeni  Zucker  bringt,  oder  vorsiehtig  mit  einem  heissen  Eisen  behandelt. 

II.  Metallfedern  (ressorts  —  springs).  Ein  Korper  „federt",  wenn  er 
vermoge  seiner  Elasticitat  sofort  in  seine  urspriingliche  Lage  zuriickkehrt,  sobald  die 
aussere  Kraft,  die  ihn  aus  der  Gleichgewichtslage  gebracht  hat,  zu  wirken  aufhort. 
Ueber  das  mechanische  Verhalten  s.  Elasticitat  und  Festigkeit  Illpag.  162. 

In  Bezug  auf  die  Verwendung  lassen  sich  die  Federn  eintheilen  in : 

1.  Trieb federn  oder  Gangfedern  zur  Hervorbringung  einer  Bewe- 
gung  von  Maschinen  und  Mechanismen. 

2.  React  ionsfed em,  um  Rtickkehr-Bewegungen  hervorzubringen,  d.  h. 
ran  Theile  von  Maschinen  und  Werkzeugen,  die  durch  ausseren  Einfluss  verschoben 
worden  sind,  wieder  an  ihren  Platz  zuriickzufiihren. 

3.  Druck federn.  Zur  Ausiibung  eines  constanten  Druckes,  also  um 
Theile  von  Werkzeugen  und  Maschinen  auf  ihrem  Platze  zu  erhalten. 

4.  Spannfedern,  um  Schniire,  Bander  oder  solche  Maschinentheile, 
welche  sich  zeitweise  locker  befinden,  anzuspannen. 

5.  Tragfedern  zur  Unterstiitzung  von  Korpern  und  Unschadliehmachung 
von  Stossen. 

6.  Dynamometrische  Federn.  Um  durch  den  Grad  ihrer  Defor- 
mation die  Grosse  der  auf  die  Feder  wirkenden  Kraft  zu  bestimmen. 

7.  Ton-  oder  S  c  h  1  a  g  f  e  d  e  r  n  ,  die  beim  Vibriren  einen  Schall 
hervorbringen. 

1.  Trieb  fed  em.  Die  Anwendung  der  Federn  zur  Hervorbringung 
andauernder  Bewegungen  beschra'nkt  sich  auf  Uhren,  Bratenwender,  Stahlspiel- 
werke,  kleine  Automaten,  Nahmaschinen  u.  s.  w.  In  alien  diesen  Fallen  dienen 
die  Federn  gewissermassen  als  Arbeitsreservoir,  indem  sie  die  zum  sogenannten 
Aufziehen  erforderliche  Arbeit  aufnehmen,  und  durch  die  so  erzielte  Spannung 
auf  gewisse  Maschinentheile  bewegend  einwirken.  Diese  Federn  bestehcn  aus 
einem  diinnen  Streifen  geharteten  und  bis  zur  blauen  oder  violetten  Farbe  nach- 
gelassenen,  elastisehen  Stahles  (Federstahr).  Dieser  Streifen  wird  in  einer 
Spiiallinie  zusamraengerollt  und  in  ein  cylindrisches  Gehause  —  das  sogenannte 
Feder hau s  —  eingelegt.  Das  Federhaus  ist  seitlich  mit  zwei  Scheiben  abge- 
schlossen,  damit  die  Feder  nicht  herausfalle  und  hat  eine  durch  die  beiden 
und  die  innerste  Windung  der  Feder  frei  hindurchgehende  Welle,  die 
sogenannte  Federwelle.  den  Feder stift  oder  Well- 
baum.  Nebenstehende  Fig.  1521  zcigt  nns  ein  Federhaus 
•>/^^^^^^v  sammt  Feder  und  Welle.  Die  Feder  ist  mit  ihren  Enden 
-?^r*  ^\  einerseits  an  die  Welle ,  andererseits  an  die  Innenwand  des 
Federhauses  eingehangt.  Die  Einhangung  geschieht,  indem 
man  die  Lochelchen,  mit  denen  die  beiden  Enden  versehen 
sind,  auf  entsprechende  Stifte  n  der  Federwelle  und  des  Feder- 
hauses aufschiebt;  oder  indem  man  die  Federenden  haken- 
fiirmig  umbiegt  und  dann  in  Rinnen,  welche  sich  auf  den  eben  genann- 
ten  Haupttheilen  betinden,  einzwitngt.    Aus  der  Betrachtung  der  Fig.   1521  ist  er- 


Federn  (Metallfedern).  373 

sichtlich,  dass  die  Feder,  vermoge  ihres  Bestrebens  sicli  aufzuwiekeln,  ihre  Win- 
dungen  moglichst  nahe  an  den  Federliausrand  drtickt.  Denken  wir  uns  das  Feder- 
liaus  H  festgehalten  (z.  B.  durch  ein  gehemmtcs  R&derwerk)  und  der  Federstift  F 
werde  in  der  Riclitung  des  Pfeiles  1  umgedreht,  oder  umgekehrt,  es  sei  F  fest- 
gehalten und  das  Federhaus  werde  in  der  Riclitung  der  Pfeiles  2  umgedreht,  so 
zielien  sicli  die  Windungen  der  Feder  gegen  die  Federwelle,  wie  dies  Fig.  1522 
zeigt.  Die  Feder  ist  in  dicsem  Zustande  aufgezogen  und 
die   ihr  innewohnende  Spannung  hat  das  Bestreben,  das  Feder-  Fig.  1522. 

bans  if  in  der  Riclitung  des  Pfeiles  1  (Fig.  1522)  umzudrehen, 
wenn  der  Federstift  i^als  nicbt  drehbar  angenoinmen  wird  Coder 
den  Federstift  nacb  dem  Pfeil  2  zu  drehen,  wenn  das  Feder- 
haus an  der  Drehung  gehindert  ist).  Eine  aufgezogene  Feder 
liiuft  sofort  ab,  d.  li.  sie  bewirkt  die  Drehung  des  drehbaren 
einenTheiles  (entvveder  i'oder  H),  wenn  diese  nicht  durch  eine  so 
genannte  H  em  m  ung  (ecJiappement —  escapement)  verhiitet  wird. 
Diese  Hemmung  hat  ein  allmaliges  Ablaufen  der  Feder  zu  bewerkstelligen,  also  die 
Wirkung  der  in  der  Feder  angehauften  Arbeit  auf  eine  langere  Zeitdauer  auszudehnen. 
SolcherEchappements  gibt  es  verschiedene,  und  ibnen,  inVerbindung  mit  den  sogenann- 
ten  Unruhefedern  fallt  die  Aufgabe  zu,  in  den  Federuhren  eine  isochrone  Bewe- 
gung  eines  Zahnraderwerkes  einzuleiten,  d.  h.  das  Ablaufen  der  Feder  so  zu 
reguliren,  dass  die  Uhrenrader  stets  gleiche  Umdrehungszahlen  in  gleichen  Zeiten 
haben.*)  Da  die  spannende  Kraft  der  Feder  nacb  und  nach  geringer  wird,  so 
sind  in  den  Uhren  Vorrichtungen  angebracht,  die  einen  Ausgleich  herstellen, 
d.  h.  den  Isochronismus  audi  dann  noch  erhalten,  wenn  audi  die  Spannung  der 
Feder  geringer  geworden  ist.  (Hieriiber  siehe  den  Artikel  Uhren.)  Zum  Auf- 
ziehen  einer  Feder  ist  eine  gewisse  Anzalil  Umdrehungen  erforderlich ;  wird  diese 
Zahl  iiberschritten,  so  lauft  man  Gefahr  die  Einhangungshakchen  oder  die  Feder 
selbst  zu  reissen  ■ —  abzusprengen.  Solclie  Zufalligkeiten  vermeidet  man  mit 
Hilfe  der  sogenannten  St  el  lung  (s.  Uhren),  welche  ein  Aufziehen  ttber  die 
zulassige  Grenze  verhindert. 

Fabrikation  der  Uhrfedern.  Da  die  Federn . fur  Werke  verschiedener 
Grosse  und  Feinheit  gebraucht  werden,  so  werden  sie  in  mannigfachen  Dimen- 
sionen  erzeugt.  Die  Nummerirungen  beziehen  sicli  besonders  auf  Abstufungen 
der  Breite.  Diese  variirt  zwischen  lmin  und  10"im.  Man  bedient  sich  znm 
Messen  des  Feder  masses.  Die  Breiten  der  Federn  nehmen  von  Zehntel  zu 
Zehntel  Millimeter  zu.  Die  Dicke  der  gewohnlichen  Taschenuhrfedern  betra'gt 
zwischen  0.16mm— -0.24uira,  endlich  die  Lange  400—  700mm.  Letzteres  Ausmass 
wird  in  der  Regel  reichlicher  genommen,  damit  dem  Uhrmacber  die  Freiheit  bleibt, 
die  Feder  beliebig  abzunehmen  unci  dem  Federhause  anzupassen.  Das  Material 
fur  Federn  fur  die  Kleinuhrmacherei  ist  Gussstahl,  fiir  die  Grossuhrmacherei 
Gerbstahl.  Die  Barren  oder  Stahlstabe  werden  zuerst**)  in  heller  Rothgluth  auf 
2  mm  Uic^e  ausgewalzt  und  dann  kalt  (ofter  ausgegliiht)  bis  zur  erforderlichen 
Dicke  gestreckt.  Die  dabei  verwendeten  Walzen  sind  von  Stahl,  von  0.25™  Lange 
und  0.15 m  Durchmesser.  Die  erzielten  Streifen  werden  sortirt.  Um  die  Oberflaehe 
blank  zu  machen,  werden  die  Federn  auf  den  Flachen  und  Kanten  mit  Sclimirgel- 
scheiben  abgeschlififen,  indem  man  sie  langsam  zwischen  den  rasch  rotirenden 
Scheiben  bindurchzieht.  Das  Harten  beansprucht  die  grosste  Sorgfalt.  Die  zu 
hartenden  Federn  einer  Sorte  werden  um  kammartig  ans  der  Flache  einer  Seheibe 
hervorragende  Zahne  gewickelt  und  mit  Draht  umbunden.  Diese  Scheiben 
werden  in  einem  Ofen  gleicbmassig  erliitzt  und  hierauf  rasch  und  raitsammt  den 
Scheiben  in  ein  Hartebad  von   Rapsijl  und  etwas  Seife    gebracht.     Nach    volligem 


*)  Londoner  Preis-Schrift  iiber  den  Isoclironisnnis  der  Spitalfedern  von  ]\Ioritz  Irani isch 

pract.  Uhrmacher.  —  Weimar  1873  Bernh.  Friedr.  Voigt. 
**)   Dingl.  pol.  Journ.  Band  196  pag'.  19.  Armengaud  Genie  industriel  Jahrji1.  1870  pag.  44. 

(Ueber  die  Ulirfederfabrik  von  Montandon  &  Sohne  in  Paris  ) 


374  Federn  (Metallfedern). 

Verkiihlen  nimmt  man  die  Federn  von  der  Scheibe  und  schleift  sie  an  einer 
Stelle  blank.  Hierauf  erhitzt  man  einige  Probefedern  zu  verscbiedenen  Anlauf- 
farben,  und  wenn  man  die  Temperatur  fur  die  Entstehung  der  gewiinschten 
Anlauffarbe  gefunden  bat,  spannt  man  etwa  %  Dutzend  Federn  mit  ihren  Enden 
zwischen  zwei  Schraubkloben,  welche  an  einer  Spannvorrichtung  befestigt  sind 
und  setzt  sie  der  ermitteltn  Nacblasstemperatur  aus.  Die  Anspannung  zwiscben 
den  Scbraubenkloben  verbindert  jedes  Krummzieben.  Zum  Nachlassen  wird  audi  die 
in  Fig.  1523 a b  dargestellte  Mascbine  beniitzt.  Von  der  Spule  JVlauft  der  Stahl- 
streifen  iiber  die  vom  Ofen  J  geheizte  Gusseisenplatte  K,  und  wird  an  diese  von 
einem  Sattel  k    mit   einer    dem  Zuge    des    Gewicbtes  r   entsprechenden   Pressung 


Fig.  1523  a. 


angedruckt.  Von  bier  lauft  das  Stahlband  unter  einer  Leitrolle  H  auf  eine 
Spule  E.  1st  diese  vollgewundeu,  so  wird  das  von  H  kommende  Stablband 
auf  eine  zweite,  neben  E  befindlicbe  Spule  Ex  gewickelt,  wahrend  E  sich  auf  die 
Spule  E3  abwindet;  ist  nun  wiedenun  Et  voll,  so  kommt  das  Band  wieder 
auf  E,  wahrend  E{  sein  Band  an  En  abgibt  u.  s.  f.  Man  bebt  dann  die  Welle  e 
aus  ihrem  Lager,  ziebt  die  mit  dem  nunmebr  vbllig  erkalteten  Band  bewickelte 
Rolle  E3  ab,  und  ersetzt  sie  durcb  eine  neue.  Die  Conuse  T  und  71,  dienen 
zur  Begulirung  der  Gescbwindigkeit,  die  Kurbel  M  zum  Betriebe  der  Mascbine 
von  Hand  aus  und  der  Tritt  p  zur  Aufhebung  des  Satteldruckes  gegen  die 
Gusseisenplatte  K.  Letzteres  wird  dann  noting,  wenn  sicb  die  Hitze  der  Platte 
iiber    das    Erforderniss    gesteigert    baben    sollte.     Die    Bestimmung    der    iibrigen 


Federn  (Metallfederia). 


375 


Theile  ist  aus  dor  Zeichnung  verst&ndlich.  Nach  dem  Anlassen  werden  die  Federn 
abermals  geschliffen.  Kleinere  Federn  passiren  zwei  Schleifmaschinen  mit  je  drei 
Paaren  Schmirgelwalzen,  grossere  12  Schleifmaschineh  mit  je  zwei  Schmirgel- 
walzenpaaren.  Die  Schmirgelbelegutig  ist  an  den  spater  zur  Wirkung  komraenden 
Walzen  immer  feiner,  als  an  den  vorhergehenden,  so  dass  nach  und  nach  ein 
Schleifen,  Glatten  und  Poliren  erfolgt. 

Interessant  ist  die  zum  Harten  gebrauchte  Maschine  von  Kugler  in  Paris*) 
Fig.  1524.  Nachdem  der  Stahldraht  bis  zur  riclitigen  Verdiinnung  geplattet  ist, 
wird  er  auf  Rollen  N  auf'gewunden.  Von  N  lauft  das  Stahlband  durch  ein 
eisernes,  aussen  mit  feuerfestem  Materiale  umgebenes  Rohr  von  rechteckigem 
Querschnitt  (etwa  100mm  breit,  12mm  hoch).  Dieses  Rohr  liegt  in  einem  Ofen 
und  wird  daselbst  mit  einem  Holzkohlenfeuer  erhitzt.  Das  Stahlband  erlangt  bei  dem 
langsamen  Durchziehen  durch  das  Rohr  die  Gliihhitze  und  wird  noch  glfihend  mittelst 
der  Druckwalze  D  in  ein  Oelbad  i^gezogen  und  gehavtet.  Da  sich  das  Oel  bald  erhitzt, 
so  wird  es  stetig  durch  einfliessendes  frisches  Oel  erneuert,  wahrend  das  warme  aufstei- 
gende  durch  ein  Ueberlaufrohr  abgeleitet  wird.  Aus  dem  Oelbade  tritt  das  Band  zwischen 


1624. 


die  Trockenballen  T,  die  mit  entsprechenden  Gewichten  belastet  sind  und  eine 
langsame  Querbewegung  ausfiihren.  Das  abgestreifte  Oel  lauft  in  das  Hartebad 
zuriick.  Von  den  Trockenballen  gelangt  das  Band  auf  eine  von  einem  Ofen 
erhitzte  Gusseisenplatte  K,  urn  nachgelassen  und  geradgerichtet  zu  werden,  und 
endlich  auf  einen  Schleifapparat,  dessen  mit  Schmirgel  belegte  Walzen  beide 
Seiten  des  Stahlbandes  abschleifen.  Zuletzt  windet  sich  das  Band  auf  die 
Spule  M. 

Sind  die  Federn  auf  die  eine  oder  andere  Art  so  weit  fertig  gemacht 
worden,  so  schreitet  man  an  ihre  Rectification.  Zuerst  bringt  man  ihre 
Dicke  durch  ein  nochmaliges  Schleifen  zwischen  verstellbaren  Schleifwalzen  auf 
das  richtige  Mass  und  polirt  sie,  worauf  man  dasselbe  Verfahren  zur  Egalisirung 
der  Breite  vornimmt.  Hierauf  zertheilt  man  die  Stahlstreifen  mittelst  eines  Pro- 
portionalmassstabes  in  entsprechend  lange  Stiicke,  erwarmt  deren  Enden  und 
lasst  sie  langsam  erkalten,  um  sie  weich  zu  machen,  und  schlagt  dann  in  die- 
selben  mittelst  eines  Durchschlages  viereckige  Locher  zum  Einhangen.  Die  so 
vorbereiteten  Stahlstreifen  miissen  nun  spiralformig  gewunden  werden.  Man  bedient 
sich  hierzu  des  in  Fig.  1525  dargestellten  Federn  winders. 

Man  hat  dieses  Werk/.eug  von  verschiedener  Grosse,  nach  der  Starke  der  Federn,  fiir 
welche  es  bestimmt  ist.     Der  Gebrauch  dieses  Instrumentes  ist  sebr  einfacli.    Zuerst  wird  das 


')   Polytechu.  Gentralblatt,  Jabrg.  I860  pag.  1304;  Genie  industriel  Juli  1S60  pag.  16. 


376 


Federn  (Metallfedern). 


Ende  der  Feder  mittelst  einer  Zange  etwas  rund  gebogen,  ura  es  auf  den  Stift  q  legen  nnd 
in  das  Hakcken  r  einliangen  zu  konnen;  dann  drekt  man  mit  der  rechten  Hand  die  Kurbel  g, 
wahrend  die  linke  Hand  den  Stahlstreifen  so  regulirt,  dass  die  Windungen  gehorig  auf  einander 
fallen.  1st  die  ganze  Feder  gerollt,  so  lasst  man  den  Hebel  u  v  herab,  und  hangt  das  freie 
Federende  auf  den  Haken  w,  danu  verschiebt  man  die  Feder  I  so  auf  dem  doppelten  Sperr- 
kegel  w  k  i,  dass  er  die  Umdrehung  des  Sperrades  h,  also  das  Aufgehen  der  gewundenen  Feder 
verbindert.  Hierauf  wird  die  Kurbel  noch  etwas  weiter  gedreht  und  die  Federspannung  um 
beilaufig  so  viel  vergrossert,  als  beim  Freilassen  der  Feder  davon  wieder  verloren  wird,  indem 
sich  die  Feder  aufzurollen  strebt  Der  Federwinder  wird  beim  Gebi'auche  mit  seinem  Ansatze  n 
in  den  Schraubstock  befestigt. 

Fig.  1525. 


2.  Reactions  fed  era  bestehen  nieistens  aus  gehartetem  und  wieder 
nachgelassenem  Stable,  zuweilen  auch  aus  Eisen  oder  Messing,  welche  durch 
Ziehen  oder  Hammern  hart  und  elastisch  geworden  sind.  Die  Federn  werden 
durch  Schmieden  aus  Stahlstangen  oder  Stahlstreifen  hergestellt  und  die  an  ihnen 
vorkommenden  Lappen  zur  Befestiguug  eutweder  angeschweisst  oder  mit  Messing 
angelothet  oder  gleich  aus  einem  Stiicke  ausgearbeitet. 

Die  Befestigung  der  Federn  geschieht  gewohnlich  mit  einer  Schraube;  um 
sicher  zu  sein;  dass  sich  die  Feder  nicht  zufallig  verdreht,  oder  um  beim  Wieder- 
befestigen  einer  etwa  abgenommenen  Feder  ihre  richtige  Lage  zu  trefFen,  bringt 
man  zwei  Schrauben  an  oder  eine  Schraube  und  einen  sogenannten  S  tell  stift 
(Fuss)  b  in  den  Figuren  1526  und  1527,  welcher  an  der  Feder  befestigt  ist  und 


Fig.  1527. 


^ 


in  ein  Loch  der  Unterlage  gesteckt  wird,  bevor  man  die  Feder  anschraubt.  Die 
in  Fig.  1527  gezeichnete  Einrichtung  ist  dann  geboten,  wenn  der  Raum  zwischen 
x  und  y  gegeben  ist  und  die  Feder  in  demselben  eine  moglichst  grosse,  frei 
spielende  Liinge  erhalten  soil,  folglich  die  Befestigungsscbraube  nicht  in  der 
geraden  Fortsetzung  derselben  angebracht  werden  kann.  Grosse  Lange  des 
bewegliclien  Theiles  der  Feder  bei  beschra'nktem  Raume  wird  auch  dadurch 
erzielt,  dass  man  dem  festgemachten  Ende  einige  Spiralwindungen  gibt,  wie  dies 
die  Fig.    1528    und  1529    zeigen.     Die  Befestigung   geschieht    dann    entweder  an 


Federn  (Metallfedern). 


377 


einem  vierkantigen  Stift  (Fig.  1528)  oder  in  dem  Querschlitze  eines  runden 
Stiftes  (Fig.  1529).  Urn  zwei  Stiicke,  die  temporal-  gegen  einander  gedriickt 
werden  (Backen-  oder  Flaschenschraubstocke),  nach  Behebung  der  zusammen- 
driickenden  Kraft  von  einander  zu  entfernen,  legt  man  zwischen  dieselben  Blatt- 
federn  wie  Fig.  1530.  Dieselben  sind  kraftiger,  wenn  man  den  Theil  zwischen 
beiden  Schenkeln  zu  einer  biigelformigen  Blattfeder  gestaltet  (Fig.  1531),  wie 
dies  bei  Schafscheren  und  Federzirkeln  gebrauchlich  ist;  oder  aber  wenn  man 
die  Feder  an  dieser  Stelle  mit  einer  vollen  Windung  versieht,  Fig.  1532  (z.  B. 
in  Drehorgeln  zum  Zusammenpressen  des  Blasebalgs).  Federn  der  ebon  vor- 
geftihrten  Formen  findet  man  in  Schlossern  und  an  vielen  anderen  Vorrichtungen.*) 
Federn,  wie  in  Fig.  1531  und  1532,  machen  den  Uebergang  zu  den 
Spiralfedern,  die  ibrer  ganzen  Lange  nacb  zu  einer  Spirale  gewunden  sind, 
und  deren  Windungen  in  einer  Ebene  liegen.  Durcb  diese  Gestalt  werden  die 
Federn,  wie  bereits  oben  erwahnt,  geeignet,  bei  drehender  Bewegung  einer  Kraft 
entgegen  zu  wirken.  1st  namlich  das  innere  Ende  o  einer  Feder  Fig.  1533  an  einer 
Achse,  das  aussere  Ende  n  an  einem  Punkte  ausserhalb  der  letzteren  befestigt,  so  wickelt 
jede  Drehung  der  Achse  oder  jeder  Umscbwung  von  n  je  nach  der  Drebungsrichtung  die 


Fig.  1528.         Fig.  1529.         Fig.  1530.         Fig.  1531.         Fig.  1532. 


Fia.  1534. 


Fig.  1533. 


=OlZ3 


Feder  enger  zusammen  oder  weiter  auseinander,  und  sobald  die  Kraft  zu  wirken 
aufhort,  leitet  die  Elasticitat  eine  Bewegung  nach  der  entgegengesetzten  Richtung 
ein.  Die  wichtigste  Beniitzung  finden  diese  Federn  bei  den  Unruhen  der  Uhren. 
Die  Unruhefedern  werden  aus  hartgewalztem  Stablblecb  —  dem  sogen.  Spiral- 
federblech  —  geschnitten,  an  den  Randern  abgegliclien,  dann  mittelst  eines 
feinen  Zangelchens  um  einen  runden  Stift  gewunden,  und  endlich  gehartet  nnd  nacb- 
gelassen.  Zu  letzterer  Operation  bedient  man  sich  der  in  Fig.  1534  dargestellten 
Zange.  Die  gewundene  Unruhefeder  wircl  zwischen  die  Scheibe  a  und  die  dureb- 
brochene  Backe  d  des  Schenkels  efg  gebraclit  und  durch  den  Druck  der  Feder  h 
festgebalten.  Nun  bringt  man  die  Zange  sammt  der  Spiralfeder  in  eine  Wein- 
geistflamme  und  erhitzt  bis  zum  Gliihen,  resp.  zu  dem  Erscheinen  der  gewiinseliten 
Anlauffarbe. 

Von    den  Spiralfedern    sind    die  scbr  aub  en  for  migen  Federn  dadurch 
unterscbieden,    dass    ihre  Windungen    nicbt    in    einer  Ebene    liegen,  sondern    eine 


;)  Band  I  dieses  Werkes:  /  in  Fig-.  125,  F  in  Fig.  147,  /■  in  Fig.  148,  b  in  Fig.  425: 
Band  II  dieses  Werkes:  e  ia  Fig.  1103  a,  e  in  Fig.  1104  a,  f3  in  Fig.  1105.  /  in  Fig. 
1107  u.  s.  w. 


378 


Federn  (Metallfedern). 


Kegel-  oder  Cylinderflache  umhiillen.  Sie  bestehen  entweder  aus  Draht  oder 
Blechstreifen.  Sie  konnen  beansprucht  sein  auf  Zug,  Druck  oder  Drehung.  Im 
ersten  Falle  liegen  die  einzelnen  Windungen  im  ungespannten  Zustande  der  Feder 
nahe  an  einander;  das  eine  Ende  der  Feder  ist  an  einem  unbeweglichen  Punkte 
befestigt,  das  zweite  an  jenem  Theile,  der  nach  einer  Verschiebung  auf  seinen 
Platz  zuriickgefiihrt  werden  soil.  Im  zweiten  Falle  ist  die  Feder  zwiscben  einen 
festen  Widerstand  und  den  zu  verscbiebenden  Tbeil  eingescboben.  Hire  Win- 
dungen sind  im  unbelasteten  Zustande  von  einander  abstehend,  und  werden  durcb 
die  Verscbiebung  gegen  einander  gepresst.  Bei  diesen  Federn  ist  eine  grossere 
Zabl  von  Windungen  leicht  mit  dem  Nachtheile  verbunden,  dass  der  mittlere 
Tbeil  derselben  seitwarts  ausweicht.  Man  verbtitet  diesen  Uebelstand  dadurch, 
dass  man  den  Windungen  den  grosstmoglichsten  Durchmesser  gibt,  dass  man  die 
Feder  auf  einen  Dorn  steckt,  oder  in  ein  Robr  einschliesst  u.  s.  w.  Die  kegel- 
formigen  Federn  sind  von  diesem  Fehler  frei.  Die  Fig.  1535,  1536  und  1537 
zeigen  uns  drei  Formen  von  schraubenformigen  Federn.*) 

Im  dritten  Falle  endlicb  sind  die  beiden  Enden  der  Scbraube  gerade 
gericbtet  und  mit  diesen  an  den  zu  verschiebenden  Gegenstand  und  anderseits  an 
einen  festen  Widerstand  gestemmt.  Die  Einscbliessung  der  Feder  in  eine  Rohre 
oder  die  Aufsteckung  auf  einen  Stift  ist  aucb  hier,  wie  bei  den  Druckfedern 
noting.  Diese  Anordnung  der  Feder  benutzt  man  bei  Springdeckeln  von  Dosen, 
als  Thiirschliesser  u.  s.  w. 

Die  Herstellung  der  scbraubenformig  gewundenen  Federn  gescbieht  in 
mannigfacber  Weise.    Am  einfaebsten  durcb  Umwindung  des  Drabtes  oder  Blech- 


Fig.  1535.     Fig.  1536 


Fig.  1538. 
A  B 


streifens  um  einen  rotirenden  cylindriscben  oder  kegelformigen  Korper.  Eine 
etwas  complicirtere  Vorrichtung  wird  zur  Herstellung  doppelt  kegelformiger  Federn 
benutzt,  die  in  Fig.  1538  dargestellt  ist.  Sie  besteht  aus  einer  Welle  a,  die 
durcb  die  Kurbel  b  gedreht  werden  kann.  Auf  a  sitzen  zwei  Holzkegel,  auf 
deren  Oberflacben  eine  Rhine,  entsprecbend  der  zu  erzeugenden,  doppelt  kegel- 
formigen Feder,  eingearbeitet  ist.  Der  zu  verarbeitende  Draht  wird  an  einem 
Ende  dieser  Rinne  befestigt,  und  wabrend  die  rechte  Hand  die  Kurbel  dreht, 
wird  der  Dralit  von  der  linken  Hand  zugeleitet.  Ist  die  Feder  gewunden,  so 
wird  der  Draht  abgezwickt,  indem  die  Welle  aus  ihren  Lagern  gehoben,  der 
Conus  .4   abgezogen  und  dann  die  Feder  vom  Conus  B  entfernt  wird. 

Interessant  ist  die  von  J.  Harrison  in  New-York**)  zura  gleichen  Zwecke 
construirte  Maschine,  welche  in  Fig.  1539  in  der  Seitenansicht  dargestellt  ist. 

Das  einem  Spindelstocke  einer  Drehbank  ahnlielie  Gestell  A  ruht  auf  den  Fiissen  B. 
Es  fcragt  die  Spindel  C,  welclie  sich  in  Lagern  SS}  dreht  und  an  dem  vorderen  Ende  in  einen 
Conus  D  auslauft.  Der  zwischen  S  und  S1  befindliche  starkere  Theil  von  C  tragt  eine 
Scbraube  J,  welche  aus  einem  reehten  und  einem  linken  Gewinde  gebildet  ist.  Die  Hiilse  Q 
umfasst    die  Scbraube    und    trag't    ein    auf  einem  Stifte  drebbares  Stuck  K. ,  welches  zwiscben 


*)    Vergleicbe    dieses  Werk  Baud  I  i   in  Fig.  298,  y  yx    in  Fig.  160,  II.  Band  F  in  Fig. 
987,  /  in  Fig.  988,  s  in  Fig.  674  und  677  u.  s.  w. 
•*)   Patentirt  fur  die  vereinigt.  Staaten  27.  Januar  1857,    fur  England  16.  September  1857, 
veroffentlicht  im     Polyt.   Centralblatt,  Jabrgang  1858,  pag.   782   und  Dingler's  Journ. 
Bd.  148,  pag.  14. 


Federn  (Metallfedernj. 


379 


die  Gewindgange  von  J  passt.  Wird  die  Spindel  0  gedreht,  so  wird  die  Hiilse  Q  wegen  des 
Stiickes  Kt  von  der  Schraube  vor-  oder  riickwarts  bewegt.  An  den  Enden  der  Schraube  •/ 
sind  in  die  Gange  kleine  Fiillungen  c  c1  eingesetzt  nnd  es  wird  das  Stuck  K,  bei  seiner  Be- 
weguug  von  links  nach  rechts  z.  B.  durch  die  Fullung  c  von  dem  rechten  Gewinde  in  das 
linke  iibergeleitet  mid  die  Hiilse  Q  dadurch  zu  einer  riickgiingigen  Bewegung  veranlasst  j 
wahrend  sich  die  Spindel  fortwahrend  in  demselben  Sinne  weiterdreht.  Dasselbe  findet  hierauf 
am  anderen  Ende  der  Schraube  J  statt,  wo  durch  die  Fullung  cl  das  Stiick  K,  vom  linken 
wieder  in  d  n  rechten  Gewindgang  gewiesen  Avird.  Die  Hiilse  Q  bewegt  sich  daher  hin  und 
her,  dm-ch  eine  Lange,  welche  durch  die  Stellung  der  Fiillungen  c  cx  regulirt  werden  kann. 
Oben  greift  die  Hiilse  Q  iiber  eine  runde  Stange  P,  welche  sich  vermoge  der  Zahnrader  m 
und  n  zugleich  mit  der  Spindel  C  dreht,  und  mittelst  zweier  auf  ihr  augebrachten  Stellringe 
r  und  i\   von  der  Hiilse  Q  der  Lange  nach  hin  und  her    geschoben   wird.     Die  Stange  P  hat 


Fig.  1539. 


ihre  Fiihrung  in  den  Lagern  d  und  c?,  und  das  Ead  m  ist  mittelst  Keil  und  Nuth  so  mit 
P  vereinigt,  dass  es  die  Stange  dreht  und  ihr  zugleich  die  Langenbewegung  erlaubt.  Auf 
dem  vorderen  Ende  der  Stange  P  ist  bei  y  die  Eolle  g2  aufgekeilt  und  zwei  Charnieie  Z Zl 
(Hooke'scher  Schlussel)  erlauben  der  Eolle  g.2  einem  Druck  von  oben  nach  unten  zu  folgen, 
ohne  der  drehenden  Bewegnnng  der  Stange  P  etwas  in  deu  Weg  zu  legen.  Am  oberen 
Pmde  des  Standers  d  sind  seitlich  zwei  Hebel  L  um  den  Zapfen  c,  leicht  drehbar,  und 
diese  Hebel  haben  an  den  unteren  Seiten  die  Bahnen  d.iy  auf  welchen  sich  ein  Schlitten  A' 
hin  und  her  schiebt,  welcher  mittelst  zweier  Lappen  iiber  die  Achse  y  der  Eolle  </.,  greift. 
Vermoge  der  vorn  an  den  Hebeln  L  wirkenden  Spiralfedern  wird  die  Eolle  g2  nach  unten 
gegen  den  Conus  B  gedriickt. 

Das  untere  Ende  der  Hiilse  Q  tragt  die  Stange  Z,  welche  sich    in  viereckigen  Lochern 
der  Stander  d  dt    fiihrt.     Das   vordere  Ende    von  I  ist   aufwarts    gebogen,  abgeflacht  und  mi 


380 


Federn  (Metallfedern). 


einem  Scblitze  versehen,  wodurch  sie  mittelst  eines  Stiftes  a  mit  dem  Wagen  F  verbunden 
werden  kann.  F  gleitet  auf  einer  Balm  E  vor-  und  riickwarts,  wie  es  die  Bewegung  der 
Stange  I  mit  sich  bringt.  Die  Bedeutung  von  M  m  und  p  ist  aus  der  Figuv  olme  Wei  teres 
zu  entnehmen.  Der  Schlitten  .Ftragt  zwei  Ansatze,  in  welchen  die  Rollen  gxmdg}  gelagert  sind. 
Beim  Winden  der  Federn  mit  dieser  Masehine  wird  der  Dralit  auf  eine  Spule  in  sorg- 
faltig  neben  einander  gelegten  Windungen  aufgewickelt,  urn  ein  Verwirren  zu  verhiiten,  und 
dann  sein  Encle  so  um  den  Conns  D  gewickelt,  dass  es  durch  die  Rollen  g  und  gx  von  unten 
und  durch  die  Rolle  g2  von  ohen  gehalten  wird.  Wird  jetzt  die  Masehine  in  Bewegung 
gesetzr,  so  zwingt  die  vor-  und  riickwarts  gehende  Bewegung  der  Rollen  g  g{  und  g2  den 
Draht  sich  auf  dem  rotirenden  Conus  in  schraubenformigen  Linien  aufzuwickelu,  und  es  bildet 
sich,  da  hierbei  die  Aufwickelung  abwechselnd  auf  engere  und  weitere  Stellen  des  Conus 
statlfindet,  eine  Reihe  von  konisch  gewundenen  Federn,  deren  Lange  durch  c  c,  regulirt 
werden  kann  und  deren  Steigung  sich  nach  dem  auf  der  Spindel  C  angebracbten  Gewinde  J 
richtet.  Durch  Einschaltung  eines  steileren  Patronengewindes  J  kann  man  auch  steilere  Win- 
dungen des  Drahtes  erzielen.  Die  an  einander  liangenden  Federn  konnen  entvveder  in  die 
halbe  Anzahl  rechts  gewundener  unci  die  halbe  Anzahl  links  gewundener,  einfach  konischer, 
Federn  oder  in  doppelt  konische  Federn  zertheilt  werden, 

3.     Druckfedern  werden  angewendet: 

a)  Statt  Gewichten  zur  Belastung  von  Maschinentheilen,  z.  B.  Ventilen, 
Walzen  (bei  Auswindemaschinen  und  Mangen;  Satinirpvessen  etc.  vergl.  Bd.  II 
pag.   170  Fig.  696  Feder  a)  etc. 

b)  Um  die  stete  Beriihrung  zweier  Korper,  welche  sich  an  einander  ver- 
scliieben    konnen,  zu  erzielen,  oft  zu    dem  Zwecke,  zufallige    nnbeabsichtigte  Ver- 

schiebungen  zu  hindern,  z.  B.  die  Schleiffedern,  welche, 
am  Schlossdeckel  angebracht,  den  Riegel  a  gegen  den 
Schlossboden  b  driicken ;  die  Schraubenfedern  in  den 
Wagenlaternen,  welche  die  Kerze  stets  bis  zum  einge- 
bogenen  Rande  ihrer  Hlilse  heben  u.  dgl. 

c)  Zum  Zwecke  der  Erhaltung  einer  „ gefalligen "  Form  eines  Kleidnngs- 
stuckes  —  Miederfedern  —  oder  bei  gewissen  Bandagen  zur  Erzielung  eines  „sanf- 
ten"  Druckes. 

In  ihrer  Form  sind  sie  haufig  mit  den  Reactionsfedern  (Fig.  1528  bis  1532) 
iibereinstimmend,  und  sind  bei  der  Auswahl  der  Form  zumeist  Rlicksichten  des 
Raumes  massgebend. 

Hatte  man  z.  B.  die  Anfgabe,  ein  lose  auf  einer  Welle  aufgestecktes  Rad  a 
gegen  eine  mit  der  Welle  fest  verbundene  Scheibe  b  zu  driicken,  so  kbnnte  man 
diese  Frictionskuppliing  sowohl  dadurch  erzielen,  dass  man  gegen  die  feste  Wand 
d  eine  Feder  c  (A,  B)  stemmt  und  auf  a  wirken  lasst,  wie  sie  Fig.  1541  zeigt, 
oder  man  konnte  zu  demselben  Zwecke  auch  Kegel-  oder  Schraubenfedern  etc.verwenden. 


1540. 


Fia.  1541. 


-^^ 


(MJa 


Fig.  1542. 


Fig.  1543. 


IT 


^a 


w^ 


In  Fig.   1542    wird    durch    die  Feder  g  hi    ein    unabsichtliches  Verschieben 
der  Ausgleichskugel  /'  auf   der  Ausgleichstange    s    verhindert.     In  Fig.   1543   ist 


Fedeni  (Metallfedern). 


381 


eine  Vomchtung  dargestellt,  welche  dazu  dient  ein  allzuleichtes  Drelien  der  Spule 
a  in  der  Weberschiitze  zu  verhindern.  Auf  dem  in  der  Schiitze  festgelagerten 
Stabe  b  ist  eine  schranbenformige  Feder  mit  einiger  Reibung  drehbar.  Das  Ende 
a  dieser  Feder  ragt  in  ein  Lochelchen  der  Spule  s.  Wickelt  sich  nun  der  Faden 
von  s  ab,  so  bewirkt  die  Dreliung  der  Spule  zunachst  eine  Spannung  der  Feder 
und  diese  beginnt  sich  erst  dann  mitzudrehen,  wenn  die  eben  erwahnte  Spannung 
die  Reibung  der  Feder  an  b  zu  iiberwinden  vermag;  es  wird  also  der  Dreliung 
der  Spule  ein  gewisser  Widerstand  entgegengesetzt. 

Spulen,  welche    sich    gar   nicht    drehen  sollen    (wie  in  den  Schnellschiitzenj 
werden,  wie  dies  in  Fig.  1544  dargestellt  ist7  entweder  auf  eine  Achse  aufgesteckt, 


Fig.  1544. 


mml 


welche    in    zwei   auseinander   klaffende  Theile    gespalten  oder  in   einen    federnden 
Haken  umgebogen  ist.  *) 

4.  Spannfedern.  Bei  den  zuletzt  angefiihrten  Constructionen  sehen  wir 
schon  die  Absicht.  durch  erschwerte  Umdrehung  der  Spulen  den  sich  abwickelnden 
Faden  gleichmassig  anzuspannen.  Es  gibt  jedoch  Falle,  z.  B.  in  Giirteln,  Hosen- 
tragern,  Handschuhen  u.  s.  w.,  wo  schranbenformige  Drahtfedern  o.  dgl.  direct 
eine  Anspannung  bewirken.  Die  Spiralfeder  Fig.  36  pag.  149  Bd.  I.  beseitigt 
den  todten  Gang.  Bei  den  Bobrbogen  spannt  der  federnde  Bogen  die  den  Bohrer 
umschlingende  Saite  etc. 

5.  Tragfedern.  Bei  der  Unterstiitzung  schwerer  Massen  durch  Federn 
verfolgt  man  zweierlei  Zwecke ;  entweder  den  Druck  auf  die  Unterlage  anders 
zu  vertheilen,  oder  die  Stosse,  welche  ein  bewegter  Korper  wahrend  seiner 
Bewegung  erleidet,  zu  brechen  und  in  unschadliche  Schwingungen  zu  ver- 
wandeln. 

In  der  erst  angedeuteten  Weise  verwendet  man  Federn,  um  z.  B.  den  Druck 
einer  schweren  aufrechtstehenden  Welle  (Konigsbaum)  auf  deren  Fusslager  zu 
vermindern. 

Zur  Unschadliclimachung  von  Stossen  wendet  man  die  Federn  an :  bei 
Fuhrwerken  und  Eisenbahnfahrzeugen ;  bei  Grubenseilen,  um  das  Reissen  zu  ver- 
hiiten ;  bei  Kanonenlaffeten,  um  den  Stoss  der  nach  dem  Schusse  zuriickfahren- 
den  Kanone  fiir  die  Laffete  unschadlich  zu  machen ;  bei  den  sogenannten  Pferde- 
schonern  u.  s.  w. 

Die  Formen  der  Federn  sind  sehr  verschie- 
den.  Wir  tretfen  da  die  in  den  Fig.  1535  bis 
1537  dargestellten  schraubenformigen  Federn,  dann 
gewellte  Scheiben-  und  Blatt-  oder  Lamellenfedern. 
Das  Material  der  Federn  ist  fast  durchwegs  Stahl, 
nur  in  einigen  vereinzelten  Fallen  mit  Kautschuk, 
comprimirter  Baumwolle**)  etc.  combinirt.  Die  ein- 
fachste,  jetzt  schon  seltener  anzutreffende,  Form 
von  Wagenfedern  ist  die  in  Fig.  1545  dargestellte. 
Wir  sehen,  dass  dieselbe  aus  dem  Hauptblatte  b  a  c 
und  5  immer  kiirzer  werdenden  Innenblattern  1,  2, 
3,  4  und  5  bestebt.  Die  sammtlichen  6  Stahlblatter 
sind  bei  a  mittelst  eines  festen  Bundrinffes  zusamraengehalten.  Damit  die  einzelnen 


1545. 


f)   Das  Bankeisen,  Yig.    117  pag.    290  I  Band,  ist    mit,   einer  Klemmfedt 

es  irn  Loche  der  Bankplatte  dort  stehen  bleibt,  wo  man  will. 
'•■)   Dingler's  polyt.  Journal  Bd.  174  pag.  419. 


versehen,  daniit 


382  Federn  (Metallfedern). 

Blatter  bei  der  Durchbiegung  nicht  von  einander  abweichen,  sind  ihre  aufwiirts  gekelir- 
ten  Enden  aufgeschlitzt  und  diese  Schlitze  gleiten  iiber  kleine  Stifte  der  benachbarten 
Blatter.  Die  Feder  ist  bei  c  und  d  an  das  Wagenuntergestelle  befestigt  und  der  Wagen- 
kasten  ist  an  dem  Haken  b  des  Hauptblattes  aufgehangt.  Diese  Form  bezeichnet 
man  mit  dem  Namen  aufrechte  oder  stehende  Feder  zum  Unterschiede 
von  den  in  den  Fig.  1546,  1547  und  1548  dargestellten  liegenden  Federn. 
Fig.  1546  zeigt  eine  gerade  liegende  Feder,  dieselbe  ist  bei  a  an  das  Wagen- 
gestelle  befestigt,  wahreud  bei  b  b  die  zu  unterstutzende  Last  (Wagenkasten) 
driickend    wirkt.     Widerstandsfahiger   wird    diese    Feder,    wenn    ihre  Enden    nach 

Fig.  1546. 


aufwarts  gekriimmt  werden,  wie  dies  Fig.  1547  zeigt,  wo  zwei  solcher  Federn 
an  ihren  Enden  mittelst  starker  Bolzen  c  c  vereinigt  sind.  Die  Befestigung  dieser 
Feder  erfolgt  bei  6  an  das  Wagengestell,  bei  a  an  den  Wagenkasten,  der  senk- 
recht  abwarts  driickt.  Fig.  1548  zeigt  eine  aus  ungleich  dicken  Blattern  beste- 
hende  Feder,  dieselbe  ist  bei  b  b  an  das  Wagengestelle  befestigt.  Der  Druck 
des  Wagenkastens  ist  auf  c  und  c,  vertheilt.  Bei  c,  wird  der  Druck  nicht 
direct  vom  Wagenkasten  ausgeiibt,  sondern  durch  eine  bei  e  an  den  Wagenkasten 
quer  zur  ersten  Feder  befestigte  zweite  Feder  iibertragen. 

Da  die  Lamellenfedern  gegenwartig  eine  ausgedehnte  Verwendung  im 
Wagen-  und  Waggonbau  finden,  sei  ihre  Fabrikation  kurz  skizzirt. 

Die  geeignetste  Stahlsorte  fiir  Waggontragfedern  ist  der  halbweiche 
Stahl  (acier  demi  tendre)  von  0.45 — 0.55  °/0 '  Kohlenstoffgehalt  und  einer  Zer- 
reissungsfestigkeit  von  56 — 59  Kilo  pr.  Gmm  (die  Ausdehnung  —  allongement  — 
vor  dem  Reissen  betragt  10 — 20"/0    der  urspriinglichen  Lange). 

Die  Grundlage  bilden  Bessemer-Rohgussstahlstiicke  von  120 — 130  Kilo 
Gewicht;  sie  werden  weissgliihend  gemacht,  unter  einem  Dampf  hammer  zu 
Prismen  mit  quadratischem  Querschnitt  (von  180mm  Seite)  ausgehammert  und  auf 
einem  Vorwalzwerk  auf  80  X  60mm  ausgereckt.  Hierauf  wird  auf  einem  Fertig- 
walzwerk  (finisseur)  nach  und  nach  ein  Band  von  13mm  Dicke  und  78mm  Breite 
erzielt.  Lamellen,  welche  nicht  allerorten  gleich  stark  sind,  wie  sie  Fig.  1548 
zeigt,  werden  auf  einem  excentrischen  Walzwerk  fertig 
gemacht.     Urn    die    seitlichen  Verschiebungen    der    Feder- 

Fig,  1549.  lamellen  zu    verhiiten,  wird  nicht  immer  die  in  Fig.  1548 

k       T5--t_-j  gegebene     Anordnung     getroffen,     sondern     man     versieht 

Sii^ilpi  gleich    die    Stahllamellen    mit  Rinnen    und  Rippen,    die   in 

einander  passen.  Fig.  1549  zeigt  den  Querschnitt  durch 
eine  solche  Feder. 

Aus  dem  auf  die  eine  oder  die  andere  Art  erhaltenen  Profileisen 
werden  nun  Stticke  von  der  entsprechenden  Lange  mittelst  einer  Maschinen- 
schere  geschnitten.  Die  la'ngsten,  zu  den  Hauptblattern  bestimmten  Stticke 
werden  hierauf  rothwarm  gemacht  und  zwischen  zwei  gusseisernen  Blocken, 
die  mit  Schrauben  zusammengepresst  werden,  in  die  entsprechende  Form  ge- 
bogen.  Zum  Erhitzen  bedient  man  sich  ernes  Flammofens.  Die  folgenden 
Blatter  werden  hierauf  immer  nach  den  ihnen  in  der  Feder  voranliegenden 
gebogen,  was  mit  Hilfe  des  in  Fig.  1549  gezeichneten  Walzwerkes  geschieht. 
Das    betreftende     Blatt     wird    warm     gemacht,     auf    sein    Nachbarblatt     gelegt, 


Federn  (Metallfedern). 


183 


und   nun    beide    zwischen    die    durch    einen    Hebeldruck    von    einander    gehobenen 

Walzen    eingebracht.      Hierauf   lasst   man    die    Oberwalze    herab    nnd    dreht    rait 

der    Kurbel    so     lange    bin    nnd    her,    bis    die    neue 

Lamelle    sich    der  vorhergehenden  vollkommen  ange- 

passt  hat.      Sind    auf   diese  Art  alle    zu  einer  Feder 

gehorigen  Lamellen    gebogen,    so    werden    sie   provi- 

sorisch    an    einandergelegt,    ihre    Enden     bezeichnet, 

dann    wieder    auseinander   genommen     nnd     an     die 

Adjustirung    der  Enden   geschritten.     Dieses  Adjusti- 

ren    besteht   zunachst    fur  alle  Gattungen    in     einem 

Zuschneiden     mit    einer     Maschinenschere,     nnd    fur 

jene    ohne  Rippen    und    Rinnen    in    der    Anbringung 

des    Schlitzes     und     des    Zapfens,     welcher     in    den 

Schlitz  der  nachsten  Lamelle  passt. 

Hierauf  werden  die  Enden  der  Blatter  (mit 
Ausnahme  jener  des  Hauptblattes)  abgeeckt  oder 
seltener  zugespitzt,  die  Enden  der  Hauptblatter 
zu  7sz^iigen  (IB111™)  Augen  umgebogen  oder  mit 
separat  geschmiedeten  Augen  durch  Schweissen  verbunden. 

Nach  diesen  Operationen  werden  die  Blatter  rothwarm  gemacht  und  in 
Wasser  von  25°  R.  (31°  C.)  gehartet,  worauf  man  sie  in  einem  eigenen  Ofen 
bis  zur  himmelblauen  Farbe  nachlasst.  Die  nun  fertigen  Blatter  werden  in 
der  richtigen  Reihenfolge  an  einander  gelegt,  durch  kaltes  Hammern  der  vollige 
Anschluss  bewirkt  und  zuletzt  mittelst  eines  durch  ihre  Mitte  gehenden  Bolzens 
oder  eines  in  der  Mitte  anzubringenden  Bundes  vereinigt.*)  Die  fertigen  Federn 
werden  auf  ihre  Tragfahigkeit  und  Elasticitat  gepriift. 

An  die  Blattfedern  reihen  sich  die  geglieder- 
ten  Federn  von  J.  B.  Jolly,  Ingenieur  in  Paris.**) 
Dieselben  sind  in  Fig.  1551  dargestellt.  Sie  haben 
den  Vorthftil,  dass  man  durch  beliebige  Aendernng 
ihrer  Gliederzahl  und  deren  Lange  und  Breite  fast 
jeden  gewiinschten  Grad  von  Elasticitat  innerhalb 
gewisser  Grenzen  erreichen  kann;  auch  ist  das  Aus- 
wechseln  einzelner  Lamellen  leicht  gemacht. 

Eine  sehr  ausgedehnte  Verwendung  finden  die 
Spiralfedern  und  schraubenformigen  Federn  theil- 
weise  zur  Aufhebung  der  Stosse  zwischen  dem  Wagen- 
untergestelle  und  dem  Wagenkasten  (Tragfedern), 
theilweise  zur  Unschadlichmachung  heftiger  Stosse 
beim  plotzlichen  Anziehen  (Zugfedern)^  und  endlich  zur  Aufhebung 
der  Stosse  beim  raschen  Aneinanderfahren  der  Eisenbahnfnhrwerke 
(Bufferfedern). 

Im  Nachfolgenclen  wollen  wir  einige  Constructionen  von  Trag-, 
Zug-  und  Bufferfedern  besprechen;  verweisen  aber  betreffs  der  ge- 
wohnlichen  Volut federn  auf  den  Artikel  Eisenbahnwesen 
III  pag.  95  und  115,  und  den  Art.  Elasticitat  III  pag.  164. 
Fig.  1552  stellt  Cochrans  combinirteStah  1-K  a  u  t  s  c  h  u  k- 
Feder***)  dar,  die  sich  zu  alien  drei  Anwendungsarten  eignet. 
a  ist  eine    cylindrisch    gewundene  Feder,    h   eine  Kautschukrohre,    beide  sind  von 


Fig.  1551. 


*)  E.  Hen  singer  von  Waldegg,  specielle  Eisenbahnfcechnik,  1875  Leipzig,  Willi.  Engel- 
mann,  4.  Band  pag.  220;  Alphons  Petzhold,  Eisenbalmmatei'ial,  1S72  Wiesbaden, 
C.  W.  Kreidl  pag.  211;  Polyt.  Centralblatt  Jahrg.  1861  pag.  924. 
**)  Dingler's  polyt.  Journal  Band  183  pag.  18G.  Arm  en  gaud  Gen.  ind.  November 
1866  pag.  262. 
***)  Dingler's  polyfechn.  Journal  Band  197  pag.  206;  Meeh.  Magazin,  Jahrg.  1870 
pag.  188. 


384 


Pedern  (Metallfedern). 


einander  durcli  teleskopartig  in  einander  verschiebbare  Blechrohren  c  und  e  getrennt, 
einestheils  urn  ein  Ausweichen  von  a,  anderntheils  aber  urn  die  schadliche  Rei- 
bung  und  die  durch  sie  bedingte  Abnutzung  des  Kautsclmks  zu  vermindern. 


Ft  a.  1553. 


aSSESEV^Y^ 


Fig.  J  553  zeigt  die  Anordnung  der  Spiralfeder  von  Vaugin  &  Chesneaux 
in  Paris  *),  u.  zw.  unter  I  als  Tragfeder,  II  Zugfeder  und  III  als  Bufferfeder. 
In  alien  dvei  Fallen  ist  das  eine  Ende  der  Feder  festgeuiacht,  wahrend  das 
zweite  Ende  der  Feder  an  eine  drehbare  Welle  o  befestigt  ist.  Die  Stosse  werden 
durcli  entsprechende  Vorrichtungen  auf  die  Welle  o  so  tibertragen,  dass  sie  eine 
theilweise  Umdrehung  ausfiihrt  und  dadurch  die  Spiralfeder  spannt. 

Fig.  1 554  stellt  die  Bufferfeder  von  R.  C  h  r  i  m  e  s  in  Rotherham  **)  vor. 
Sie  ist  eine  Combination  melirerer  verschieden  langer  schraubenformig  gewundener 
Federn,  die  in  einander  geschoben  sind,  und  wegen  ihrer  verschiedenen  Lange 
nach  und  nach  zur  Wirkung  kommen.  Die  Federn  bestehen  entweder  aus 
rundem  Drabt  oder  Stahlbleclistreifen.  Damit  sich  die  Federn  nicht  in  einander 
klemmen,  ist  imnier  eine  Feder  rechts  gewunden  und  die  in  sie  eingeschobene 
links,  dann  wieder  rechts  u.  s.  w. 


Fig.  1555. 


Interessant  ist  die  Bufferfeder  von  Th.  B.  Turston  &  J.  Root  in 
Shefield.***)  Aus  Fig.  1555  ist  ersichtlich,  dass  auf  einer  Welle  «t  zwei  cylin- 
drische  Korper  ^4  und  B  aufgeschoben  sind.  A  und  B  sind  auf  den  gegen- 
einander  gekehrten  Enden  mit  schiefen  Ebenen  versehen  (ahnlich  jenen  an  Zahn- 
kuppelungen)  die7  wenn  A  und  B  an  einander  geschoben  werden,  in  einander 
passen.  Eine  urn  A  und  B  gelegte  schraubenformige  Feder  C  ist  mit  ihrem 
einen  Ende  a  an  A,  mit  dem  anderen  b  an  B  befestigt.  Wirkt  nun  auf  diesen 
Buffer  ein  Stoss  in  der  Ricbtung  des  Pfeiles  1,  so  werden  zunachst  A  und  B 
aneinander  geriickt  und  hierdurch  die  Feder  C  zusammengepresst.  Das  Gegen- 
einanderbewegen  von  A  und  B  hat  aber  auch  zur  Folge;  dass  die  schiefen 
Ebenen  aufeinander  gleiten  und  dadurch  die  Drehung  von  A  und  B  in  den 
Richtungen    der   auf  ihnen   gezeichneten  Pfeile,    bewirken,    wodurch    die  Feder  C 


*)    Polytechn.  Centralblatt  Jahrg.  1855  Seite  257;    Genie  industriel  Jahrg.  1854  pag.  284. 
*)    Polytechn.    Centralblatt   Jafarg.     1857    pag.    564;     Pract.    Mech.    Journal    Jahrg.    1857 

pag.  317. 
*)    Polytechn.  Centralblatt  Jahrg.   1857  pag.  565;     London  Journal  Jahrg.    1856  pag.  261. 


Federn  (Metallfedern). 


385 


enger  gedreht  wird.  Beide  Elasticitatsausserungen,  namlich  jene  gegen  das 
Zusammendriicken  und  jene  gegen  das  Drelien  der  Feder  wirken  den  auf'tretenden 
Stdssen  kraftig  entgegen. 

Fig.  1556  zeigt  den  Buffer  von  Meyers  in  Rotherham.1)  In  die  ring- 
formigen  Nuthen  a  b  c  eines  am  Wagengestelle  befestigten  Gussstiickes  sind 
niedrige  schraubenformige  Federn  A  B  und  C  eingelegt.  In  dieselben  Nuthen 
ragen  nngleich  hohe  ringformige  Leisten  des  zweiten  Buffertheiles.  Die  Wirkung 
der  Federn  beginnt  nicht  zugleich,  was  einestheils  zu  ihrer  eigenen  Scheming, 
anderntheils  zur  besseren  Aufhebung  des  schadlichen  Stosses  beitragt. 

Die  Bufferfeder  von  Richard  Vose  in  New- York2)  besteht  aus  einer 
schraubenfornrgen  Stahlfeder  von  eigenthiimlicher  Querschnittsform  0=0  und  einer 
zwischen  die  Gange  der  Feder  eingelegten  Kautschukschnur.  Der  Zusammcn- 
driickung  der  Feder  durch  den  Stoss  wird  zuerst  von  ihr  selbst,  dann  aber  auch 
durch  den  Kautschuk  entgegengearbeitet. 


Fig.  1556. 


Fig.  1557. 


Fig.  1557  zeigt  eine  einfache  und  eine  vcrstarkte  Bellevile-Sckeibenfeder 
von  Alfred  Eg  an,  Ingenieur  der  ung.  Theiss-Eisenbahn.3)  Die  gewellten  Scheiben 
sind  von  bestem  Bessemerstahlblech  gemacht.  Die  Erzeugung  der  Wellenscheiben 
gesehieht  durch  Pressen  der  rothwarmen  Blechscheiben  zwischen  zwei  entsprechend 
geformten  Gusseisenstanzen.  Mehrere  soldier  Doppelscheiben,  mit  ihrem  Loclie 
auf  eine  schmiedeiserne  Stange  geschoben  und  mit  dieser  in  das  Buffergebause 
gebracht,  bilden  einen  sehr  kraftigen,  aber  auch  sehr  elastischen  Widerstand 
gegen  Stosse.  Es  wurde  auch  der  Versuch  gemacht,  die  Verbindung  der  Scheiben- 
federn  an  ihrem  Rande  luftdicht  zu  machen,  die  Locher  in  der  Mitte  nicht 
anzubringen  und  so  die  zwischen  zwei  an  einander  gefiigten  Scheiben  einge- 
schlossene  Luft  als  Luftpolster  (pneumatischer  Buffer)  zu  bentitzen. 

Black  beniitzt  anstatt  der  Wellenscheiben  wellenformige  Platten.4) 
Von     den    Kautschukbuffern    sind    besonders    hervorzuheben    die    Construc- 
tion von  Georg  Richar  dson  Fig.   1558. 5)  Die  Kautschukringe  sind  abwechselnd 


mit  Stahlringen  in  den  Bufferkorper    eingelegt: 


:-es:en  das  Zer- 


sprengen    gesichert  zu    sein,    von  G.  Spencer6)    mit  Stahlringen  armirt  worden, 


*)   Polytechn.  Centralblatt,  Jahrgang  1857  pag.  1417;  Genie  industr.  1857  pag.  6. 
J)   Dingler's   polytechn.   Journal,   Band    176   pag.   418;    Practical   Meek.   Journal    1865 
pag.  16. 

3)  Dingler's  polytechn.  Journal  Band  184  pag.  229  und  Band  204  pag.  273. 

4)  Dingler's   polyt.   Journal   Band    184   pag.    303;    Journal   of  the   Franld.   Inst.    1867 
pag.  46. 

6)   Polytechn.  Journal  Jahrgang    1857    pag.  564;    The    pr.    Mech.   Journ.    Jahrgang  1857 

pag.  317. 
*)    Dingler's  polyt.  Journal  Band  207  pag.  358;  Techn.  Blatter  1S72  IV.  Heft  pag.  254. 
Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.  Bd.  III.  25 


186 


Federn  (Metallfederri). 


wie  dies  Fig.  1559  zeigt.  Sterne*)  hat  diesen  Buffer  in  einen  pneumatischen 
umgewandelt,  indem  er  zwischen  je  zwei  Kautschukringe  eine  ebene  durchlochte 
Scheibe  und  von  drei  zu  drei  Kautschukringen  eine  voile  Scheibe  statt  der 
gelocbten  anbringt;  die  zwischen  den  Ringen  und  den  ganzen  Scheiben  einge- 
schlossene  Luft  wirkt  dann  als  Luftpolster.  Diese  letztere  Construction  eignet 
sich  vorziiglich  als  Buffer  am  Grande  von  Forderschachten,  zur  Aufhebung  des 
vom  rasch  nach  abwarts  fahrenden  Forderkorbe  ausgelibten  Stosses.  Fig.  1560 
zeigt  diese  Anordnung.  Eine  and  ere  Art  Tragfedern  sind  die  sogenannten 
Torsions  federn,  deren  Elasticitat  nicht  durch  Biegung,  sondern  mittelst 
Drehung  in  Anspruch  genommen  wird.  Fig.  1561  zeigt  eine  aus  mehreren 
geraden  Stahlblattern  bestehende  Feder,  die  in  der  Mitte  durch  einen  Band  a 
zusammengebalten  sind  und  an  den  Enden  in  den  drehbaren  Hiilsen  c  c  stecken. 
Wirkt  nun  z.  B.  bei  dl  ein  Zug  nach  einer  Richtung  und  bei  d  ein  entgegenge- 
setzter  Zug  oder  Widerstand,  so  kommt  die  Torsionselasticitat  der  Feder  zur 
Wirkung.  Solche  Torsionsfedern  eignen  sich  besonders  gut  zur  Unterstiitzung 
von  Wagen.  Sie  sind  dann  bei  a  am  Untergestelle  befestigt,  wahrend  der  Zug 
der  aufgehangten  Masse  bei  d  und  dA   nach  abwarts  wirkt.**) 


Fig.  1558. 


Von  alien  Trag-,  Zug-  und  Bufferfedern,  die  im  Wagenbau,  insbesondere 
im  Waggonbau  verwendet  werden,  wird  eine  gewisse,  von  den  Bahnverwaltungen 
normirte  Qualitat  verlangt.  Deshalb  werden  alle  Federn  vor  ibrer  Verwendung 
einer  Belastungsprobe  unterzogen,  wobei  insbesondere  die  voriibergehende  und  blei- 
bende  Deformation  der  Feder  bei  einer  gewissen  Belastung  beriicksichtigt  werden. 
Federn,  die  bei  dieser  Probe  entweder  eine  allzugrosse  bleibende  Formveranderung 
erleiden  oder  gar  brechen,  werden  nattirlich  als  unbrauchbar  verworfen. 

Die  zum  Probiren  der  Federn  verwendelen  Feder probirmaschinen 
sind  manigfacher  Construction.  Die  einfachste  derartige  Maschine  ist  die  mit 
Hebeliibersetzung  wirkende,  wie  sie  in  Fig.  1562  dargestellt  ist.  Die  Feder 
ruht  auf  einer  festen  Unterlage;  liber  sie  ist  der  Hebel  A  gelegt,  dessen  freies 
Ende  von  dem  Hebel  B  berabgezogen  wird.  Der  Hebel  B  tragt  an  seinem 
freien    Ende    eine    Schale    zur   Aufnahme    eines    Gewichtes,    welches    so    schwer 


Polytechn.  Journal  .Tahrgang  1886  pag.  553  u.   1369:   Engineering  1868  pag.  235. 
Dingler's     polyt     Journal    Band    205   pag.    487;    Zeitschrift   des   Yereines    deutscher 
Eisenbabnverwaltuno;en. 


Federn  (Metallfedern). 


Fig.  1562. 


Fig.  1563. 


gewahlt  ist,  class  es  auf  die  Feder  den  bestimraten  Druck  austibt.  Die  Schraube  s 
client  zur  Aufhebung  der  Hebel  nach  beendigter  Priifung  jeder  Feder.  Bei  der 
Probe  wird  die  Hbbe  der  unbelasteten  Feder  und  dann  der  Ilohe  wahrend  der 
Belastung  gemessen.  Die  Abnahme  darf  nur  einen  festgesetzten  Proeentantheil 
der  urspriinglichen  Federlange  betragen.  Fig.  1563  zeigt  die  Federnprobirmaschine 
von  Jolm  Dew  ranee  &  Comp.  in  London.  Dieselbe  besteht  aus  einem  gchweren 
Gnssstiick  A,  den  Saulen  B,  welcbe  einen  Wasserbebalter,  ein  Pumpwerk  und 
eine  feste  liohle  Kolbenstange  C  tragen.  Die  Kolbenstange  ragt  in  einen  beweg- 
lichen  entsprecbend  gefiihr- 
ten  Cylinder  D,  welcher 
kraftig  nacb  abwarts  ge- 
drlickt  wird ,  wenn  mit 
Hilfe  des  Hebels  a  das 
Pumpwerk  bethatigt,  also 
Wasser  in  den  Cylinder  ge- 
pumpt  wird.  Unterhalb  des 
Cylinders  wird  die  zu  prii- 
fende  Feder  F  aufgestellt 
und  nun  das  Pumpwerk  in 
Bewegung  gesetzt.  Ein  am 
Cylinder  angebrachter  Ma- 
nometer reducirt  den  Druck, 
wahrend  die  Verkiirzung 
(resp.  die  Einsenkung  der 
Federn)  an  einem  an  der 
Maschine  selbst  angebrach- 
ten  Massstabe  m  abgelesen 
werden  kann.  Hierauf  oflnet 
man  einen  Wechselbabn  li, 
welcher  das  Zuriicktreten 
des  Wassers  aus  dem  Cy- 
linder in  das  Wasserbehalt- 
niss  gestattet  und  hebt  den 
Cylinder  durch  Umdrehung 
des  Zalmrades  c,  wobei  man 
von  derElasticitat  der  Feder 
unterstiitzt  wird.  An  dem 
Massstabe  m  kann  nun  leicht 
die  bleibende  Verkiirzung 
(resp.  Einsenkung)  eben  so 
wie  vor  der  Probe  die  ur- 
spriingliche  Lange  (resp. 
Pfeilhbhe  der  gebogenen 
Federn)  abgelesen  werden. 

Gebruder  T  a  n  g  i  e  in 
Birmingham  construirten 
ebenfalls  eine  hydraulische 
Federnprobirmaschine  (hy- 
draulic spring  tester)  die 
horizontal  wirkt.  Der  Riick- 
gang  des  Presskolbens  wird 
durch  sinkende  Gewichte  be- 
schleunigt. 

VI.  Dynamometrische  Federn.  Die  Eigenschaften  der  elastischen 
Federn  machen  sie  geeignet  aus  der  Formveranderung  einen  Riickschluss  auf  die 
deformirende  Kraft  zu  machen.  Man  macht  hievon  Anwendung  bei  den  sogenann- 

25* 


388  Federn  (Metallfedern).  —  Feigen. 

ten  Dynamometern  (II.  Band  pag.  707).  Eine  ahnliche  Anwendung  finden  die 
Federn  in  den  Federwagen,  s.  Artikel  Wagen. 

VII.  Tonfedern.  Spiralfedern  aus  hartem  Stahldraht  von  run  den- o  tier 
quadratischen  Quersclinitte,  geben,  mit  einem  Hammer  angeschlagen,  einen  Schall 
von  sich,  weshalb  man  sie  zu  Uhrenschlagwerken  anwendet.  Der  Ton  andert 
sich  mit  der  Zahl  und  Grosse  der  Umwindungen  und  dem  Querschnitt  des  Feder- 
drahtes.  Die  Tonfedern  sind  an  ihrem  inneren  Ende  an  einen  Lappen  gelothet 
und  werden  mit  demselben  auf  dem  sogenannten  Stuhle  (einem  im  Uhrkasten 
aufrechtstehenden  messingenen  Kloben)  festgeschraubt  oder  in  ein  Loch  desselben 
eingeschoben.  Als  Ersatz  der  Glocken  hat  man  versucht  Stahlstabe  in  Form  einer  V, 
gegen  deren  Schenkel  geschlagen  wird,  anzuwenden.  Die  Tam-tams  der  Japanesen 
sind  ebenfalls  hieher  zu  zahlen.  In  den  Stahlspielwerken  befinden  sich 
kurze  gerade  Stahlfedern  verschiedener  Lange  und  Dicke,  wclche  durch  die  Um- 
drehung  einer  mit  Stiften  besetzten  Walze  in  tonende  Schwingungen  versetzt 
werden.  Moritz  Kohn. 

Literatur:  Ausser  den  bereits  citirten  Quellen  s.  Galloway  Anfertigung  der 

Federn  fur  Kutschen  etc.  Quedlinburg  1832  Basse. 

Federsalz,  syn.  m.  Federalaun. 

Federschmiickerei,  s.  Fedem  III  pag.  372. 

Federstock  ist  ein  Hilfswerkzeug  fur  Sammtweber,  erfunden  von  Schmitz. 
(Verh.  des  Vereins  fur  Gewerbfleiss  in  Preussen  J.  1846.) 

Federwage,  s.  Wagen,  s.  audi  III  pag.  86. 

Federweiss  (soap  stone  —  craie  de  Briancon)  nennt  man  gemeiniglich 
das  in  verschiedenen  Gewerbszweigen  als  schliipfrigmachend  verwendete  Pulver 
verschiedener  Speckstein-  oder  Talksorten.  Denselben  Namen  ftihrt  aber  auch 
der  sog.  Fasergyps    (satin  spar),    endlich    auch  der  Amianth    (s.  d.  I  pag. 

129).  an. 

Federwerk,  s.  Ill  pag.  161. 

Federzirkel  [compas  a  pompe,  compas  a  ressort  —  spring  compass), 
s.  Messwerkzeuge. 

Feigbohnen,  Wolfsbohnen,  sind  die  Samen  von  Lapinus  albus  L., 
einer  im  siidlichen  Europa  cultivirten  Hiilsenfrucht.  Wie  Bohnen  verwendbar.  Gtl. 

Feigen  (fignes  —  figs).  Die  getrockneten  Scheinfruchte  von  Ficus  Carica 
L.,  einem  ursprtinglich  in  Vorderasien  einheimischen  Baume  aus  der  Familie  der 
Moreen.  Eine  sehr  friihe  Cultur  hat  ihn  iiber  Nord-Afrika  und  Slid-Europa  ver- 
breitet  und  gegenwartig  wird  er  hier,  sowie  in  vielen  warmeren  und  gemassigten 
Landern  der  ostlichen  und  westlichen  Erdhalfte  in  zahllosen  Abarten  gezogen. 
In  der  Hohlung  des  Bltithenbodens  sitzen  auf  der  Innenflache  zahlreiche  gestielte,  griin- 
liche  oder  rothliche  Bliithen,  von  denen  nur  beim  wilden  Feigenbaum  einige  wenige  mann- 
lich,  alle  iibrigen  weiblich  sind.  Die  cultivirte  Feige  besitzt  nur  weibliche  Bliithen. 
Bei  der  Fruchtreife  wird  der  Bliithenboden  umfangreicher,  saftiger  und  fleiscliiger, 
siissschmeckend,  innen  gelblich,  rbthlich  bis  purpurn,  wahrend  seine  Aussenflache 
je  nach  der  Spielart  die  griine  Farbe  beibehalt,  oder  aber  eine  braunliche,,  vio- 
lette  bis  blauschwarze  Farbung  annimmt;  die  Fruchtknoten  verwandeln  sich  in 
etwa  2mm  grosse  Steinfriichtchen,  oder  gehen  bei  manchen  Spielarten  ganz  ein. 
Die  Friichte  des  wilden  oder  verwilderten  Feigenbaumes  (Caprijico)  werden  von 
einer  kleinen  Wespe,  Blastopliaga  Psenes  Low,  bewohnt,  welche  ihre  Eier  in  die 
Fruehthohlung  legt.  In  Griechenland  und  in  Siid-Italien  ist  allgemein  der  Glaube 
verbreitet,  dass  dieses  Insekt,  indem  es  sich  auch  auf  die  Bliithenstande  der  cul- 
tivirten Feigenbiiume  begebe,  durch  ein  gesteigertes  Zustromen  von  Saften  eine 
Vergrosserung  der  Frucht,  Beschleunigung  ihrer  Reife  bewirke,  das  zu  friihe  Ab- 
fallen    derselben  hiutanhalte,    kurz  den  Ertrag    des  Baumes  steigere.     Man  hangt 


Feigen.  —  Feilen.  389 

dessbalb  in  jenen  Landern  die  mit  Feigenwespen  besetzten  Frucbtstande  des 
wilden  Feigenbaumes  anf  die  culiivirten  Biiume  auf,  urn  die  reifenden  Feigen  des 
letzteren  desto  sicherer  dera  Angriffe  der  aussebwtirmenden  Thierclien  zuganglicb 
zu  raacben,  ein  Vorgang,  den  man  Capri fi cation  nennt  nnd  der  bereits  von 
den  alten  Romern  und  Griecben  getibt  wurde.  Nach  den  Beobaehtungen  mehrerer 
Forscher  ist  diese  Caprification  ganz  nntzlos;  in  manchen  Landern  wird  sie  gar 
nicbt  vorgenomraen  und  doch  liefern  sie  ganz  ausgezeiclmete  Feigen. 
Die  gewohnlicbsten  im  Handel  vorkommenden  Feigensorten  sind: 

1.  Smyrnaer  Feigen  (tiirkiscbe  Feigen),  die  grossten,  sehr  siiss  unci 
fleiscbig;  kommen  aus  Kleinasien  mit  Lorbeerblattern  in  Holzscbacbteln  verpackt 
iiber  Smyrna  in  den  Handel. 

2.  Kranz-Feigen  (griechische  Feigen),  ziemlich  gross,  flacbgedruckt, 
dickhaiitig,  trockener  und  minder  suss  als  die  vorbenannten.  Sie  kommen  aus 
Griecbenland  (Kalamata),  auf  Bastscbniire  oder  Cyperushalme  gereibt  und  in  grossen 
Fassern  verpackt,  meist  iiber  Triest  zu  uns.  Die  geschatzteste  Sorte  stammt  von 
Corfu  (Fraccazani). 

3.  Dalmatiner  oder  kleine  Feigen  (Istrianer  Feigen),  die  kleinsten, 
sebr  siiss,  aber  bald  austrocknend  und  wenig  baltbar;  gelangen  in  Fassern  oder 
flacben  Bastkorben  aus  Dalmatien  und  Italien  in  den  Handel. 

Ausser  diesen  hauptsacblicbsten  Sorten  unterscbeidet  man  nocb  im  Handel 
die  Malteser  (puglieser,  calabreser,  sicilianiscben)  Feigen,  die  meist  zwiscben 
Lorbeerblattern  oder  audi  in  Kastanienmebl  verpackt  vorkommen ;  dann  die  T  y- 
roler  Feigen,  die  mit  Lorbeer-  oder  Rosmarinblattern  verpackt  vorkommen 
(Laub-  oder  Rosmarin-Feigen)  ;  endlich  die  f  r  a  n  z  o  s  i  s  c  h  e  n  (Marseiller  und 
Comat-Feigen). 

Die  getrockneten  Feigen  haben  meist  eine  graugelblicbe,  mit  einem  mebr 
oder  weniger  reicbliclien,  grobkornigen,  weisslichen  Pulver  bedeckte  Oberflacbe. 
Letzteres  besteht  aus  Krystallgruppen  von  Traubenzucker,  denen  sicb  baufig  kleine 
hefenartige  Zellen  und  Milben  beigesellen.  Dem  Angriffe  der  letzteren  sind  die 
Feigen  tiberbaupt  sebr  unterworfen.  Der  wicbtigste  Bestandtbeil  der  Feigen,  die 
in  sudlicben  Gegenden  als  Nahrungsmittel  seit  den  altesten  Zeiten  eine  bervor- 
ragende  Rolle  spielen,  ist  Traubenzucker,  von  dem  sie  60 — 70°/,,  ent- 
lialten.  Bei  uns  dienen  sie  bekanntlicb  bauptsacblicb  als  Nascberei  und  in  gross- 
artigem  Massstabe    zur    Fabrikation    des  Feigenkaffees    (s.  Kaffee-Surrogate). 

A.   Vogl. 

Feilen  {limes  — files),  F  e  i  1  h  a u  m  a s  c  b  i  n  e  n  [machines  a  tattler,  les  limes  — 
file-cutting  machines).  Feilen  und  Raspeln  sind  Werkzeuge,  die  zum  Abtrennen  kleiner 
Materialtheilchen  bebufs  der  Formvollendung  der  Arbeitsstiicke  bestimrat,  demgemass 
immer  eine  grosse  Anzabl  von  eigenthiimlicb  geformten  Scbneiden  zeigen,  deren  Ge- 
sammtbeit  in  ibrer  entweder  regelmassigen  (Feilen)  oder  annahernd  gleiebmassig  ver- 
tbeilten  Anordnung  (Raspeln)  der  Hieb  (taille,  cut)  beisst.  Das  Material  zu  diesenWerk- 
zeugen  ist  grosstentheils  Stahl,  der  sicb  in  ausgezeichneter  Weise  biezu  eignet. 
es  kommen  aber  docb  auch  Feilen  aus  Gusseisen,  Eisen  mit  aufgesebweisstem 
Stabl  oder  selbst  aufgelothetem  Stabl  vor.  Der  Hieb,  der  durcb  das  Eintreiben 
eines  entsprecbend  geformten  Meisels  (s.  pag.  395)  erzeugt  wird,  bestebt,  wie 
scbon  erwabnt,  aus  einer  Reibe  von  balb  aufgeworfenen,  balb  vertieften  Scbneiden 
die  im  Querscbnitt  nebenstebendes  regelmassiges  Bild  geben.     Fig.   15G4. 

Die  Zahncben  der  Raspeln  sind  im  Quer- 
scbnitt sebr  abnlicb  geformt,  nur  laufen  sie  nicbt  pig,  1;~)64. 

iiber  die  ganze  Breite  des  Werkzeugs,  und  fol-  ' 

gen  nicbt  in  der  Weise  aufeinander,  dass  unmit-         \       (/n^/K^l'/'/i/J 
telbar  Zabn  auf  Zalm  folgt,  sondern  zwisclien  den 
einzelnen  Zabnclien  befindet  sicb  regelmassig  ein 
ebener  Theil  des  Werkzeugkurpers. 

Die  Gestalt  der  Feilen  ist  immer  eine,  im  Verbaltniss  zu  dem  sebr  mannigfaltigen 
Querscbnitt,   langgestreckte    zu    nennen,    und  cbaracteristiscb  ist   nur  der  schwach 


390 


Feilen. 


biconvexe  Langsschnitt  der  Feilen,  der,  wie  dies  auch  in  Fig.  1565  ersichtlich 
ist,  sich  gegen  das  eine  Ende  (die  Feilspitze)  a  etwas  starker  verjiingt,  wahrend 
das  andere  Ende  etwas  abgesetzt  und  zu  einer  Spitze  b  (Angel),  die  zur  Befestigung 
in  das  Heft  c  dient,  ansgezogen  ist.  Der  Grund  zn  der  schwachen  Kriimmnng 
der  wirksamen  Feilflachen  liegt  in  der  Ftihrung  der  Feile  dnrch  den  Arbeiter, 
der  sie  mit  der  rechten  Hand  am  Hefte  halt  und  mit  einigen  Fingern  oder  dem 
Ballen  der  Linken  flihrt.  Bei  dem  Hin-  und  Herschieben  der  Feile  tiber 
das  Arbeitsstiick  fallt  es  dem  Arbeiter  in  Folge  der  beim  Vorschreiten  der  Feile 
von  Stelle  zu  Stelle  fur  beide  Hande  wechselnden  Hebelverhaltnisse  ungemeiu 
scliwer?  den  Druck  auf  beide  Feilenden  so  zu  variiren,  dass  die  Bewegung  eine 
genau  geradlinig  hin-  und  hergehende  wiirde,  was  fur  den  Fall  gerader  Feilen  fur 
exacte  Arbeit  unbedingt  noting  ware.  Die  bier  den  Gliederungsverhaltnissen  der 
Arme  am  meisten  entsprecbende  und  namentlich  bei  scbwerer  Arbeit  immer 
stattfindende  Bewegung  ist  eine  oscillirende,  und  zwar  so,  dass  die  drei  Haupt- 
stellungen  die  in  Fig.  1566  mit  F'  Fu  F"'  markirten  sind.  Wie  aus  den  beiden 
Figuren  leicbt  ersichtlich,  ergeben  gerade  Feilen  convexe  Oberflachen,  wahrend 
bei  den  gekriimmten  Feilflachen  viel  leichter  eine  ebene  Oberflache  zu  erzielen  ist. 


cr~ "        ~~ 


Fig.  1565. 


Flq.  1566. 


Das  Arbeiten  mit  der  Feile  geht  immer  so  vor  sich,  dass  zuerst  die 
grbbsten  Feilen,  die  man  verwenden  will,  beniitzt  werden,  um  die  Flache  zu 
ebnen  (da  s  B  esto  ssen),  und  hierauf  in  richtiger  Stufenfolge  die  feineren  Feilen, 
deren  Anwendung  den  Zweck  hat,  den  groben  Feilstrich  durch  einen  stufenweise 
feineren  zu  ersetzen,  obne  aber  viel  zur  Formveranderung  beizutragen  (das 
S  c  h  1  i  e  h  t  e  n). 

Die  feinen  Feilen  werden  auf  Schmiedeeisen  und  Stahl  mit  Oel  gebraucht, 
welches  mit  dem  Feilicht  (den  Feilspanen)  eine  Art  Paste  bildet,  die  durch 
theilweises  Verlegen  des  Hiebes  einerseits  ein  sanfteres  Angreifen  der  Feilen 
andererseits  aber  das  Festsetzen  grbberer  Spane  verhindert. 

Sind  Feilen  durch  Feilspane  verlegt  (verstopft),  so  werden  sie  entweder 
durch  Streichen  des  Hiebes  mit  einer  Stahlspitze,  oder  bei  feineren  durch  Be- 
nutzung  von  Kratzbiirsten  (siehe  diese)  oder  durch  ein  auf  ein  Brettchen  aufge- 
nageltes  Stiiek  Baumwollkratze  gereinigt,  wobei  einige  Tropfen  Benzol,  auf 
die  Feile  gebracht,  durch  Auflosen  des  verdickten  Oeles  die  Reinigung  sehr 
erleichtern. 

Ein  richtiges  Feilen  (Hmev,  filing)  gehbrt  zu  den  schwierigsten  Arbeiten 
des  I\Ietallarbeiters.  Gut  gefeilte  Arbeiten  zeigen  ebene  glatte  Flaehen,  scharfe 
Ranten,  regelmassigen  Feilstrich^  d.  h.  lauter  kleine,  gleich  tiefe,  untereinander. 
parallele  Striclie,  die  bei  schmalen  Gegenstiinden  der  Lange  nach,  nicht  queriiber 
oder  schief  liegen  sollen. 

Als  Hilfsmittel  beniitzt  der  Arbeiter  Winkelmass,  Richtschiene  und  Richt- 
platte.  Bei  den  Rundfeilen  kleinerer  Gegenstande  werden  diese  in  Feilkloben 
v8tielklobeni    eingespannt,    in    eine    Rhine    ernes    im    Schraubstock    eingespannten 


Feilen. 


391 


Holzes  (Feilholz)  eingelegt,  unci  durch  gleichzeitiges  Drelien  in  dieser  Rinne  und 
Befeilen  gerundet. 

Bei  den  Raspeln  ist  die  gekrliramte  Oberflache  nicht  von  soldier  Bedeutung 
fur  die  Arbeit  da  diese  Werkzeuge  seltener  ziir  Erzeugung  gerader  Flachen,  sondern 
mehr  zur  Abrandung,  Schweifung  etc.  beniitzt  werden,  und  auch  der  Druck,  mit  dem 
die  Raspeln  gefiihrt  werden,  in  Folge  des  weicheren  Materiales,  fur  welches  sie 
Anwendung  finden,  em  geringerer  ist.  Daher  findet  man  meistens  nur  bei  grossen 
und  gToben  Werkzeugen  dieser  Art  die  schwach  biconvexe  Form.  Beziiglich 
der  Gestalt  der  Raspeln  ware  hier  noch  zu  erwahnen,  dass  das  eine  Ende  nur 
selten  zu  einer  Angel  ausgeschmiedet  ist,  sondern  dass  entweder  beide  Enden 
stimipf  abgescbrotet  sind,  oder  dass  wie  bei  den  Flachspitzen  das  Heftende  in 
der  Weise  geformt  erscheint,  wie  es  Fig.  1567  angibt. 

Die  Eintheilung  und  Benennung  der  Feilen  richtet  sich  zumeist  nacb  der 
Anordnung  und  Bescliaffenbeit  des  Hiebes  und  nacb  der  Grand-  oder  Quer- 
schnittsgestalt  des  Feilkorpers,  obwolil  viele  Feilen  audi  nacb  ihrer  speeiellen 
Verwendungsart  benannt  werden. 

Je  nach  der  Anordnung  des  Hiebes  unterscheidet  man  Feilen  mit  ein- 
fachem  Hiebe  (limes  a  taille  simple  —  single  cut  files)  Fig.  1568  und 
mit    Doppelhieb    (limes    a    deux    trauchants    —    double    cut  files)    Fig.    1569. 


Fiq.  1667. 


Fig.  1568. 


Bei  den  Feilen  mit  Doppelhieb  fiihrt  der  untere  die  Bezeichnung  Grand-  oder 
Unterhieb  (premiere  taille  —  first  cut),  der  obere  Kreuz-  oder  Oberhieb  (se- 
cond taille  —  s.  cut).  Durch  die  Kreuzung  dieser  Hiebe  erscheint  die  Oberflache 
der  Feilen  mit  lauter  kleinen  Zalmchen  bedeckt.  Solche  Feilen  greifen  etwas 
starker  an  als  einhiebige  rait  gleich  tiefem  Hiebe,  da  die  Zertheilung  in  einzelne 
Zalmchen  das  Eindringen  in  das  Material  besser  ermoglicht. 

Eine    selten    vorkommende  Abart    der    doppelhiebigen  Feilen    sind  die  Spie- 
gelfeilen  Fig.  1570,    bei  welchen   abwechselnd  Grand-  und  Kreuzhieb  oben  liegt. 


Fig.  1569. 


1570. 


Der  Wink  el  Fig.  1569,  unter  dem  der  einfache  Hieb  oder  bei  den  doppel- 
hiebigen Feilen  der  Oberhieb  gegen  die  Langsachse  der  Feile  gefiihrt  ist,  soil 
ungefahr  70°  betragen,  da  es  zwar  vortheilhaft  ist,  ilin  moglichst  klein  zu 
machen*),  jedoch  andererseits  ein  Hinschieben  in  der  Richtung  des  Hiebes  ver- 
mieden  werden  muss,  da  sonst  ein  Furchen  Ziehen,  Kratzen  der  Feilen  eintreten 
wiirde.  Genau  betrachtet  ist  liier  nicht  der  Winkel,  den  der  Hieb  mit  der  Langs- 
achse der  Feile,  sondern  jener,  den  der  Hieb  mit  der  Feilrichtung  einschliesst, 
von  Bedeutung.  Wie  in  Pig.  1571  veranschaulicht,  setzt  der  Arbeiter  die  Feile  F 
gewijlmlich    in    etwas    sehiefer  Lnge    auf   das  Arbeitsstiick  A  und    fiihrt  sie    beim 


•■)   Wegen    des    sogens 
nologie  Band  I. 


[•ten    Schneidwinkels    sielie  Hojer  mechanist-he  Tech- 


392 


Feilen. 


Fig.  1571 


A 


Vorschieben    so,    dass    sie    audi    etwas    seitlich    verschoben    wird,    damit    die    zu 
bearbeitende  Flache    keine    eingefeilten  Absalze    erhalt,  die  ein  richtiges  schnelles 

Arbeit  en  sehr  erschweren  wiirden.  Dann  kom- 
men  aber  die  Schneiden,  die  mit  der  Feilachse 
den  Winkel  «  einschliessen,  nicht  unter  diesem 
Winkel,  sondern  unter  dem  Winkel  /?  zur  Wir- 
kung,  und  dieser  Winkel  soil  so  beschaffen  sein, 
dass  ein  Gleiten  der  Feile  Iangs  des  Hiebes  nicht 
zu  befurchten  steht. 

Bei  den  doppelhiebigen  Feilen  ist  ausser- 
dem  noch  zu  beachten,  dass  die  Winkel,  unter 
denen  Grund-  und  Kreuzhieb  die  Feilachse  schnei- 
den, nicht  dieselben  sind,  damit  die  gebildeten 
Zahnchen  nicht  in  mit  der  Feilachse  parallelen 
Reihen  hinter  einander  stehen,  da  in  diesem 
Falle  die  Feilen  gleichfalls  leicht  Furchen  Zie- 
hen, nicht  aber  vortheilhaft  arbeiten  wiirden. 

Was  die  Beschaffenhei  t  desHiebes 
betrifft,  so  kann  dieser  entweder  grob  (grosse 
taille  —  rough),  m  i  1 1  e  1  (moyenne  tallle  —  ba- 
stard) oder  fein  (douce  taille  —  smooth)  sein. 
Zu  den  Feilen  mit  grobem  Hieb  gehoren  die 
sogenannten  Arm-  und  Stroh feilen,  welch 
letztere  den  Namen  nach  der  Art  ihrer  Ver- 
packung  tragen.  Feilen  mit  mittlerem  Hieb 
nennt  man  Vorfeilen,  audi  wohl  Bastardfeilen,  die  mit  feinem  Hieb 
S  c  h  1  i  c  h  t  f e  i  1  e  n.  Manchmal  folgt  noch  eine  Stufe,  die  sogenannten  F  e  i  n  - 
s chl ichtfeilen.  —  Feilen,  bei  denen  der  Hieb  wiederum  beiuahe  ganzlich 
abgeschliffen  ist,  oder  welche  anstatt  des  Hiebes  nur  die  leichten  Ritze  ernes 
groben  Schleifsteines  erkennen  lassen,  werden  als  Polirfeilen  verwendet. 

Die  obigen  Bezeichnungen  sind  alle  nur  relativ  zur  Grosse  der  Feile  zu 
verstehen,  so  dass  der  Hieb  einer  40cm  Schlichtfeile  gleich  dem  einer  15™  Vor- 
feile  sein  kann ;  daher  man  nur  aus  der  Zahl  der  Einschnitte  pro  Centim.  auf  die 
Feinheit  einer  Feile  bestimmt  schliessen  kann. 

Eine  beilaufige  Relation  zwischen  Hieb  und  Lange  der  Feilen  gibt  folgende, 
aus  Kar  mar  sch's  Technologie  entlehnte  Tabelle : 


Gattungen 

des 
Hiebes 

Lange    der    Feilen    in    M  i  1  i  m  e  t  e  r  n 

100           150 

200 

300 

1 
400           500 

Rough       .    .         .    . 

Bastard 

Smooth 

Superfine     .... 

56 

76 

112 

216 

52 
64 

88 
144 

44 

56 

72 

112 

40 

48 
70 

88 

28 
44 
64 
76 

! 
21 
34 
56 
64 

wobei    die    in    den  Rubriken    stehenden  Zahlen    die  Anzahl    der  Hiebe    pro  25mm 
Lange  der  Feile  angeben. 

Die  Benennung  richtet  sich  ferner,  wie  friiher  gesagt,  nach  Grund-  und 
Querschnittsgesta.lt  des  Feilkorpers.  Was  die  Grundgestalt  anbetrifft,  so  sind  es 
hauptsachlich  vier  Formen,  wie  sie  Fig.  1572  zeigt,  die  auftreten.  Diese  Figuren 
sind  als  Schnitte  parallel  zu  den  Arbeitsflachen  der  Feilen  aufzufassen,  wahrend 
die  darauf  senkrecht  gefiihrten  Langsschuitte  mit  wenig  Ausnahme  die  schon  in 
Fig.  1565  gegebene  biconvexe  Form  ergeben. 


Foil  en. 


VX) 


Ordnet    man    die   Feilen    der    verschiedenen    gangbaren    Querschnitte   nach 
ihrcn  Grundgestalten,  so  erhalt  man  somit  vier  Gruppen   (Fig.  1572). 
Die    erste    der    Hauptformcn 


n 


Fig. 

n 


1572. 


Fig.  1573  ab  c  findet  sich  bei  be- 
sonders  schweren  Feilen,  vierecki- 
gen  oder  rechteckigen  Querschnittes 
(Arm-  oder  Strohfeilen).  Sie  ist  da- 
durch  bedingt,  dass  alle  vier  Seiten 
dieser  Feilen  Arbeitsseiten  sind,  daher 
etwas  gekriimmt  sein  sollen.  DieFeil- 
spitzeiststumpfabgeschnitten,manch- 
mal  ohne  Hieb,  weil  sie  immer  als 
Handgriff  dient,  da  diese  Feilen  zur 
Fiihrung  mit  e  i  n  e  r  Hand  viel  zu 
schwer  sind.  Das  Gewicht  derselben 
variirt  von  1 — 8  Kilogr.,  ihre  Lange 
von  35 — 70™1.  Als  Mass  fur  die  Qua- 
litat  des  Hiebes  konnen  5 — 8  Ein- 
sclmitte  pro  Centim.  Lange  der  Feilen  a 
angegeben  werden. 

Die  zweite  der  Hauptformen 
Fig.  1574  ist  fur  Feilen  sehr  ver- 
schiedener  Grosse  und  mannigfachen 
Querschnittes  in  Verwendung,  da  sie 
in  Folge  der  schlanken  Verjiingung 
zur  Spitze  auch  fiir  sebwerer  zugang- 
liche  Stellen  zu  gebraucben  ist.  Fei- 
len   dieser  Grundgestalt   mit  flachrechteckigem    Querschnitt    b  nennt  man 


ir>74. 


V 


V 


spit 


flache,  die  mit  Querschnitt  c  einfach  dreieckige.  Bei  dem  Querschnitte  der 
Sagefeilen  d  sind  die  Ecken  des  Dreieckes  abgeschragt,  und  die  dadurch  an 
diesen  Feilen  sich  vorfindenden  schmalen  Flachen  haben  nur  einfachen  Hieb.  Quer- 
schnitt e  wird  mit  halbrund  bezeichnet.  Feilen  mit  Querschnitt/  fiihren  den  Namen 
Vogelzungen,  wahrend  solche,  bei  denen  die  Kriimmung  beider  Seiten  nicht  die- 
selbe  ist,  als  Karpfenzungen  g  bezeichnet  werden.  Da  diese  Feilen,  wie  schon 
erwahnt,  sehr  verschiedener  Grosse  sind,  so  sind  auch  alle  Feinheitsstufen  des 
Hiebes  vertreten;  zu  ervvahnen  ist,  dass  die  dreieckigen  und  die  Sagefeilen  haufig 
einfachen  Hieb,  die  convexen  Querschnittes  aber  einen  Hieb  zeigen,  der  aus  schmalen 
Streifen  einfachen  Hiebes  in  einer  der  Arten,  wie  sie  Fig.  1575  zeigt,  zusammen- 
gesetzt  ist. 

Fig.  1575. 


\\\\\M\\\«\\\w\\\\\\\\\^^^ 

\              \\\\\\\\WWW\V.\WW\\\\\\\\\\vW.. 
1 V,\\\\\\\WWWW\\N\\W\\\\W\V.\' 


\  iippiiiri " 


Vv,m\Ui\\\\\     ) 


Gruppe  drei  mit  der  langgestreckt  rechteckigen  Grundgestalt  zeigt  (Fig.  1576) 
untera  den  Querschnitt  der  gewohnlichen  flachen  Feilen ;  ist  eine  der  Schmalseiten  ohne 
Hieb,,  so  heissen  sie  An satz feilen.  Es  greift  die  ohne  Hieb  gelassene  Seite 
natiirlich  nicht  an,  was  das  reine  Ausarbeiten  winkelrechter  Ecken,  sogenannter 
An-  oder  Absatze  ermoglicht.  b  gibt  den  Querschnitt  der  sogenannten  Ein- 
streichfeilen,  die  zum  Einfeilen  der  Rinnen  in  Schraubenkopfen  dienen.  c  hat 
nur  an  der  geraden  Seite  Hieb,  wahrend  die  convexe  geschliften  ist.  Solehe 
Feilen  dienen  theils  als  Walz  feilen  den  Uhrmachern  zum  Abrnnden  der  Zahne 
kleiner  Rader,  theils  als  Polirfeilen,  wo  ihre  quergesehlifl'ene  convexe  Flache  wie 
eine  Feile  mit  ausserst  feinem  Hieb,  wohl  aber  auch  zugleich  in  der  Art  eines 
Polirstahls   wirkt.     Feilen,    die  •  zum    Ausfeilen    der    Gabelzinken    beniitzt    werden 


394 


Feilen. 


Fig.  1576.   Fig.  1577 


Fig.  1578.    Fig.  1 

► 


D 


O 
b 


j 


—    Gab  el  feilen    —    haben    den    Qnerschnitt   d,    besitzen   jedoch   nur    an    den 

convexen  Schmalseiten  Hleb. 

Was  endlich  die 
vierte  Hauptform  anbe- 
langt,  die  langgestreckt 
einerseils  zur  Spitze, 
andererseits  zur  Angel 
verjiingt  erscheint,  so  ist 
sie  gewohnlich  nur  fur 
Feilen  in  Anwendung,die 
zum  Einfeilen  schmaler 
Rinnen,  Ausschweifen 
oder  Ausweiten  verschie- 
den  gestalteter  Oeffnun- 
gen  bestimmt  sind.  Die 
gebrauchlichsten  Quer- 
schnitte  sind  die  in  Fig. 
1577  unter  a  und  b  ge- 
gebenen.  Kleine  Feilen 
soldier  Form  mit  rundem 
Qnerschnitt  fiihren  haufig 
die  Bezeichnung  R  at  t  en- 
schwa  n  z  e. 

Zu  erwahnen  wa- 
ren  noch  einige,  verein- 
zelt  dastehende,  fiir  spe- 
cielle  Zwecke  verwendete 
Feilensorten. 
Messer feilen  Fig.   1578,  die  Grundgestalt  messerartig,  Querschnitt  nach 

Art    einer  Klinge    diinn,  keilformig,  alle  vier  Seiten    mit  Hieb  versehen,  zur  Ver- 

fertigung  schmaler  Einschnitte,  jedoch  seiten  verwendet. 

Sch  weif feilen  mit  trapezformigem  Querschnitt,  und  nur  an  der  grosseren 

Parallelseite    mit  Hieb    versehen,    von   Schlossern    zum    Sclnveifen    von    Schliissel- 

lochern  verwendet. 

Back  en  feilen    mit    Langsfurchen    und    einem    einfachen,    querliegenden 

Hiebe,  von  den  Messerschmieden  zu  dem  Einfeilen  der    an  den  Metallbacken  der 

Messerschalen  als  Verzierung  dienenden  Querfurchen  beniitzt. 

Liegefeilen,    breite,  flache   Feilen,    ohne    Heft,    von    Gold-    und    Silber- 

arbeitern  in  der  Weise  beniitzt,  dass  sie  kleiue  Arbeitsstiicke  mit  der  Hand  iiber 

die  auf  dem  Tisch  liegende  Feile  bin  und  her  fiihren. 

Nadelfeilen.  Federfeilen  Fig.  1579  5 — 10cm  lange  ungehartete  oder  audi 

aus  Eisen    bestehende  Feilen    sehr    verschiedenen  Querschnittes,    die,    da   sie    sich 

leicht  biegen    lassen,  zur  Bearbeitung  schwer    zuganglicher  Stellen  von  Bijouterie- 

arbeiten  Anwendung  finden. 

Riff  el  feilen,  Fig.   1580,  ahnlich    den    vorigen,  aber    etwas  grosser,  zum 

Gebrauche  fiir  Silberarbeiter,  Giirtler,  Bildhauer,  haufig  aus  Eisen  und  nur  durch 

Einsetzen  (s.  Ill  pag.  36)  oberilachlich  verstahlt,    so  dass  sie  audi  mittelst  eines 

holzernen  Hammers  beliebig  gebogen  werden  konnen. 

Putzfeilen  sind  die  zum  Eigengebrauch  in  Giessereien  gegossenen  Feilen, 

deren  Zahne  schon  im  Gusse  erzeugt  werden. 

Spitz ringe    sind  Scheiben,    die    entweder   ganz    von  Stahl,  oder   nur    an 

der  Peripherie    mit  Stahl    arniirt    sind,  sie    sind    bis    zu  lOcm  diek>  bei  ungefahr 

40cm  Durchmesser.  Der  Hieb  befindet  sich  an  der  Cylinderflache  und  ist  mit  dem 

der  gewbhnlichen  Feilen    ganz    gleich.     Diese  Spitzringe    dienen,    auf    eine    rasdi 

rotirende    Welle    aufgesetzt,    zum    Zuspitzen    von   Nadelh,    kurzen    Driihten    iiber- 

haupt,  deren  einige    der  Arbeiter,    sie    zwischen    seinen  Handflachen  haltend,  dem 


Feilen  (Fabrikation).  395 

Spitzringe  wie  einem  Schleifsteine  darbietet,  wahrend  er  (lurch  Rollen  zwischen 
den  Handen  das  Angreifen  an  alien  Seiten,  also  das  Zuspitzen  erzielt.  Feilen  fur 
Uhrmacher,  Drechsler,  Kammmacher,  Schuhmacher  etc.  siehe  Prechtl's  Encyclo- 
padie  Bd.  5.     Was  scheibenformige  Feilen  anbelangt,  siehe  Frasen. 

Rasp  el  n  sind  nur  in  wenigen  Formen  gangbar.  Als  solche  sind  die  flach- 
rechteckigen,  flachrunden  und  die  ganz  runden  hervorzuheben.  Die  erster- 
en  gewohnlich  vmi  rechteckiger  Gestalt  mit  von  der  Mitte  gegen  beide  Enden 
gerichtetem  Hieb.  Die  beiden  letzteren  naliern  sich  in  der  Form  den  Feilen 
gleichen  Querschnittes. 

Gute  Feilen  sollen  richtige,  rein  geometrische  Form  zeigen,  ohne  Sprlinge, 
Flecken  und  Streifen  sein,  beim  Anschlagen  reinen  Klang  geben  (was  bei  Harte- 
rissen  nicht  der  Fall  ist),  der  Hieb  soil  die  grosstmoglichste  Regelmassigkeit  mit 
gehoriger  Tiefe  verbinden,  die  Oberflache  endlich  von  heller  Farbe  sein,  da  eine 
dunkle  Gliihspan  anzeigt,  der  der  Scharfe  der  Feile  nachtheilig  ist. 

Pro  ben.  Beim  kraftigen  Bestr  eichen  mit  der  Bruchecke  einer  guten,  gebro- 
chenen  Feile  soil  kein  Umlegen,  sondern  ein  Ausbrechen  des  Hiebes  erfolgen. 
Ein  federhartes  Stahlstiick  soil  auf  dem  Hiebe  keine  sichtbare  Spur  (weissen 
Strich)  zuriicklassen  und  mit  gleich  bleibendem  Widerstand  iiber  die  Feile  gleiten. 

Feilen  fabrikation.  Selbe  zerfallt  in  das  Schmieden  der  Feilkorper, 
deren  Ausarbeituug,  das  Hauen  und  Hart  en. 

Als  Material  wird  zumeist  Gerbstahl  oder  fur  die  mittleren  und  kleinen 
Sorten  Gussstahl  gewahlt.  Zuerst  werden  aus  den  Stahlstangen  Stiicke  von 
passendem  Gewicht  abgeschrotet  und  diese  dann  vom  Schmiede  in  zwei  Hitzen 
in  die  entsprechende  Form  umgewandelt.  In  der  ersten  Hitze  bildet  der  Schmied, 
dem  gewohnlich  zwei  Gehilfen  zum  Feuerschiiren  und  Zuschlagen  beigegeben 
sind,  den  P'eilkorper  (blanket)  meistens  mit  Zuhilfenahme  von  Gesenken  (siehe 
Schmieden),  wahrend  in  der  zweiten  Hitze  das  Ausrecken  der  Angel,  Richten 
und  Einschlagen  der  Fabriksmarken  erfolgt.  Pro  Tag  und  Feuer  konnen  auf 
diese  Weise  bis  25  Dutzend  Feilen  ausgeschmiedet  werden.  Die  so  ausge- 
schmiedeten  Feilkorper  (blankets)  besitzen  aber  nicht  jene  Reinheit  der  Form 
und  Oberflache,  dass  sie  unmittelbar  dem  Hauen  unterworfen  werden  konnten, 
sondern  sie  mussen  zu  diesem  Zwecke  noch  einer  weiteren  Ausarbeitung  unterzogen 
werden.  Diese  geschieht  gewohnlich  durch  Schleifen  auf  Steinen  von  1 — l*50m  Durch- 
messer  und  20 — 30em  Breite.  Da  diese  Steine  von  der  Transmission  etwa  100 
Touren  pro  Minute  erhalten,  so  sind  sie,  um  bei  einem  eventuellen  Zerspringen 
jeder  Gefahr  vorzubeugen,  mit  einem  starken,  aus  Bohlen  gefiigten  Gehause 
umgeben,  welches  nur  eine  circa  35cm  lange  Arbeitsoffnung  besitzt.  Die  Feil- 
korper werden  dem  Steine  zuerst  der  Quere  nach  zugefiihrt,  und  dann  der  Lange 
nach,  um  den  ersten  Schleifstrich  zu  vertilgen.  Bei  grosseren  Feilen  iibt  der 
Arbeiter  den  nothigen  Druck  auf  den  Feilkorper  nicht  durch  die  Hande  aus, 
sondern  durch  ein  etwas  ober  der  Schleifstelle  stehendes,  schwach  federndes 
Brett.  Da  der  Arbeiter  auf  diesem  Brette  gleichsam  reitet,  mit  den  Fiissen  aber 
auf  dem  Boden  aufsteht,  so  hat  er  es  ganz  in  der  Macht  den  Druck  zu  variiren 
oder  auch  beliebig  aufzuheben.  Das  Schleifen  geht  ziemlich  rasch  vor  sich,  und 
ist  namentlich  bei  runden  Feilen  kaum  durch  ein  anderes  Verfahren    zu  ersetzen. 

Eine  bessere^  d.  h.  genauere  Ausarbeitung  bietet  das  Feilen,  es  ist  jedoch 
zeitraubender  und  daher  auch  kostspieliger. 

Eine  andere  Methode  der  Herstellung  der  Feilkorper  ist  die  von  William 
Gray  in  Sheffield  patentirte,  durch  Walzen  mit  Beniitzung  unterbrocbener 
Caliber.  Diese  Caliber  (Fig.  1581)  befinden  sich  in  Scheiben,  die  auf  den  Wellen 
B  Bt  ernes  Walzwerkes  correspondirend  aufgekeilt  sind.  Zur  Fertigstellung 
eines  Feilkorpers  gehoren  gewohnlich  drei  solche  Faconcaliber,  die  je  zur  Halfte 
in  Ober-  und  Unterwalze  eingelassen  sind  (Ausnahmen  hievon  entstehen  bei  den 
dreieckigen  und  halbrunden  Feilen).  Zu  bemerken  ist,  dass  die  Scheiben  aus 
okonomischen  Griinden  aus  mehreren  Tlieilen  zusammengesetzt    sind,    den    eigent- 


39G 


Feilen  (Fabrikation). 


lichen  Calibertheilen  (Gussstahl)  C  C, ,  die  nur    mit  Schwalbenschwanznuthen  und 
Keilen  mit  den  Scheiben  G  Gt    (Gusseisen)  verbunden,  somit  auswechselbar  sind. 


Fig.  1581  a. 


Fig.  1581  b. 


Seitlich  werden  die  Caliber  durch  die  Walzenringe  D  Dl  abgeschlossen.  Gewohn- 
lich  sind  in  einem  Walzwerke  Caliber  fiir  mehrere  Feilenformen  angeordnet.  Art 
nnd  Weise  der  Arbeit  fiir  Flaclifeilen  ist  ans  den  Fig.  1581  a  nnd  b  sehr  leicht 
zn  entnehmen.  Die  passend  vorgericliteten  gliihenden  Stahllamellen  passiren  das 
erste  Caliber  nur  zuin  Zwecke  der  Bildung  der  Angel.  In  das  zweite  Caliber 
werden  sie  rait  der  Angel  voran  in  auf  die  hohe  Kante  gestellter  Lage  einge- 
ftihrt,  somit  beim  Durchwalzen  der  Breite  nach  verjiingt,  wobei  jedoch  in  der 
Caliberform  auf  die  im  dritten  Caliber  erfolgende  Verjiingung  der  Dickendimension, 
die  eine  ziemliche  Streckung  der  Feilspitze  zur  Folge  hat,  Riicksicbt  zu  nehmen 
ist.  Die  auf  diese  Weise  fabricirten  Blankets  bediirfen  nur  sehr  wenig  Nacharbeit, 
was  die  Gestehungskosten  wesentlich  verraindert. 

Anschliessend  hieran  sei  auf  die  fiir  das  Nachhauen  der  stumpf  gewor- 
denen  Feilen  nothigen  Vorarbeiten  hingewiesen,  da  das  Hauen  selbst  mit  dem  der 
neuen  Feilen  ganz  iibereinstimmt.  Diese  Vorarbeiten  zerfallen  in  das  Ausgliihen 
der  Feilen  und  das  Entfernen  des  alten  Hiebes.  Diese  letztere  Operation  geschiebt 
entweder  durch  Schleifen  oder  aber  bei  grobem  Hiebe  durch  Abfrasen  im  gliihenden 
Zustande,  oder  aber  endlich  durch  Abhobeln  mittelst  eigens  construirter  Hobel- 
maschinen  (Reinach  in  Berlin),  bei  denen  der  Schlitten  durch  Gleiten  auf  zwei 
zu  einander  geneigten  (verstellbaren)  Schienen  in  seinem  mittleren  Theil,  an 
welchem  die  Feilen  befestigt  sind,  die  hie]-  nothige,  schwach  convexe  Balm  zuriicklegt. 
Nach  diesen  Vorarbeiten  werden  die  Feilen  in  Kalkwasser  eingetaucht,  um 
durch  den  diinnen  Ueberzug  von  kohlensaurem  Kalk  das  Rosten  zu  verhindern. 
Dieser  Ueberzug  la'sst  sich,  sollen  die  Feilen  dem  nun  folgenden  Hauen  unter- 
worfen  werden,  durch  Abwischen  leicht  entfernen. 

Das  Hauen.  Die  Werkzeuge,  deren  sich  der  Feil- 
hauer  hiezu  bedient,  sind  Meissel  und  Hammer,  ferner,  als 
Unterlage  fiir  die  Feilen  dieuend,  Hauamboss,  Haublei  und 
■verschiedene  Haugesenke.  Der  Arbeiter  setzt  bei  der  Arbeit 
den  Meissel  Fig.  1582  in  der  schon  anfangs  besprochenen, 
gegen  die  Feilachse  schiefen  Richtung,  und  zwar  etwas 
gegen  die  Spitze  iiberhangend,  auf.  Da  die  Schneide  des 
Meissels,  die  immer  etwas  breiter  ist  als  die  zu  hauende 
Feile,  je  nach  Beschaffenheit  des  Hiebes  mehr  oder  weniger 
zugescharft  ist,  so  ergibt  sich  daraus,  dass,  da  wegen  des 
guten  Angreifens  die  Vorderfliichen  der  Zahnchen  bei  alien 
Feilen  ziemlich  dieselbe  Steilheit  haben  sollen,  die  Meissel- 
stellung  fiir  feine  Feilen  eine  aufrechtere  sein  wird  als  bei 
groben.  Der  Winkel,  unter  dem  die  Meissel  aufgesetzt  werden,  variirt  gewbhnlich 


Fig.  1582. 


Fcilcn  (Feilhauen).  397 

zwischen  78 — 86°.  Letzterc  Grenze  ist  fur  die  f'einsten  Feilen  giltig.  Ferner  ist 
zu  bemerken,  dass  namentlick  bei  den  Meisseln  fur  groben  Hieb,  um  die  Lage  der- 
selben  nicht  gar  zu  geneigt  zu  erhalten,  die  Zuscharfung  der  beiden  Seiten  der 
Schneide,  wie  aus  Fig.  1582  ersichtlich,  nicht  unter  gleichem  Winkel  geschieht. 

Dass  die  Meissel  auch  in  der  Lange  und  Dicke  je  nach  den  zu  hauenden 
Feilen  stark  variiren,  ist  selbstverstandlich.  Fiir  convexe  Feilflachen  beniitzt  man 
sclimale  Meissel  mit  ausgekriimmter  Schneide,  deren  Kriimmung  aber  viel  geringer 
ist  als  die  Convexitat  der  Feile. 

Die  Hammer  des  Feilhauers  sind  gedrungener  Ge-  Fiy.  1583. 

stalt  mit  schwach  convexcr  Bahn(Fig.  1583)  mit  eigenthiim-  r77 

lich  gekriimmtem,  der  Handstellung  angepasstem  Griff.  Fiir  ([J 

grobe  Feilen  steigt  ihr  Gewicht  oft  bis  zu  5  Kilogramm.  —  Ist, 
wie  obeu  angegeben,  der  Meissel  von  der  linken  Hand  des  \\ 

Arbeiters  richtig  aufgesetzt,  so  treibt  derselbe  durch  einen  V 

kraftigen   Hammerschlag    den    Meissel    ein,    was    in    Folge  I J± 

der    schiefen    Stellung   nicht    nur    ein    Eindringen    in    die 

Feile,  sondern  auch  ein  Aufwerfen  des  anliegenden  Materiales  erzielt.  Es  entsteht 
so  ein  iiber  die  urspriingliche  Flache  erhabener  Grat,  an  dessen  Riicken  der 
Arbeiter  den  Meissel  beim  folgenden  Hieb  anlegt,  und  dadurch  leicht  den  Paralle- 
lismus  aller  Hiebe  erzielt.  Die  Arbeit  gelit  somit  nach  dieser  Methode  (der 
englischen)  von  der  Spitze  zur  Angel,  wahrend  die  alte  deutsche,  welche  umgekehrt 
vorging,  langst  verlassen  ist. 

Als  Unterlage  dient,  wie  erwahnt,  ein  der  Grosse  der  Feilen  angepasster 
schmiedeiserner  Hauamboss,  der  wiederum  auf  einem  massiven  Holzblocke  aufruht. 
Fiir  halbrunde,  dreieckige  oder  anders  faconirte  Feilen  kommen  noch  zwischen 
Feile  und  Amboss  die  mit  entsprechenden  Rinnen  versehenen  Haugesenke, 
die  sich  von  den  Gesenken  der  Schmiede  nur  durch  etwas  grossere  Lange  unter- 
scheiden.  Sind  die  Auflagsflachen  schon  gehauen,  so  miissen  immer  Haubleie 
unterlegt  werden.  Diese  sind  Bleiplatten,  deren  3  Dimensionen  zwischen  1 — 6 — 
10cm  bis  3 — 8 — 15cm  schwanken,  natiirlich  haben  jene  fiir  runde  und  dreieckige 
Feilen  verwendeten  die  entsprechenden  Rinnen. 

Um  die  Feilen  auf  diesen  Unterlagen  festzuhalten,  beniitzt  der  Feilhauer 
einen  langen  Riemen,  welchen  er  so  iiber  die  Feile  legt,  dass  beiderseits  eine  Schlinge 
zu  Boden  hangt,  in  die  er  mit  den  Fiissen  tritt.  Im  Anfange  der  Arbeit,  wo 
nur  die  Spitze  auf  den  Hauunterlagen  aufliegt,  legt  er  den  gedoppelten  Riemen 
nahe  der  Spitze  iiber  die  Feile  und  unterstiitzt  die  in  ein  provisorisches  Heft 
eingeschobene  Angel  mit  der  Brust.  Reicht  das  gehauen e  Stuck  weit  genug  um 
den  Riemen  auflegen  zu  konnen,  so  legt  er  die  Riemen  beiderseits  der  Haustelle 
und  halt  die  Feile  so  in  ruhiger  Lage. 

Ist  die  Feile  mit  Grundhieb  versehen  worden  und  soil  Kreuzhieb  erhalten, 
so  muss  der  ausserste  Grat  mit  einer  Feile  etwas  abgestrichen  werden,  weil  er 
an  und  fiir  sich  nicht  iiberall  gleich  ist,  die  Zahnchen  daher  einestheils  ungleich 
ausfallen  wiirden,  andererseits  aber  durch  Einbiegen  die  Furchen  des  ersten 
Hiebes  auch  theilweise  geschlossen  wiirden. 

Zu  der  Feilhauerarbeit  ist  sehr  viel  Uebung  erforderlich,  besonders  bei  den 
feinsten  Uhrmacherfeilen,  die  bis  100  Hiebe  pro  Centim.  aufweisen. 

Es  scheint  fiir  den  ersten  Blick,  dass  keine  Fabrication  so  auf  maschinelle 
Arbeit  hinweisen  wiirde  wie  das  Feilhauen.  Demzufolge  haben  auch  viele  Con- 
structeure  sich  bestrebt  solche  Maschinen  zu  erfinden,  aber  die  wenigsten  kamen 
zu  guten  Resultaten,  und  selbst  gegenwartig  konnen  sich  diese  Maschinen  nicht 
allgemeine  Verbreitung  verschaffen.*)  Die  Schwierigkeiten,  mit  denen  man  bier  zu 
kampfen  hat,  sind  sehr  verschiedener  Natur.  Besonders  zu  beachten  sind  folgende 
Umsta'nde.     Regelmassigkeit  des  Hiebes,  Meisselfiihrung  (Vermeidung  des  Prellens 


f)  P'eilhaumaschinen  stehen  au^ser  in  England  auch  bei  Gebr.  D  i  c  kert  raa  nn  in  Biele- 
feld in  Anwendung. 


398 


Feilen  (Feilhaumaschinen). 


und  jeder  Vibration),  Aenderung  der  Schlagintensitat  je  nach  Feilbreite.  Unregel- 
massigkeit  des  Feilquerschnittes,  ungleiche  Harte  im  Material,  Vermeiden  jeder 
Beschadigung  beim  Ausheben  des  Meissels  aus  dem  gebildeten  Hieb.  Riicksicht 
auf  den  constant  sein  sollenden  Winkel,  den  der  Meissel  mit  der  convexen  Feil- 
oberflache  einschliesst,  und  noch  andere  mehr.  Alle  diese  Umstande  berticksichtigt 
der  Arbeiter  und  eliminirt  sie  durch  seine  Uebung.  Ausserdem  verlangt  man  von 
den  Maschinen,  dass  sie  einfach,  schnellarbeitend  und  keiner  starken  Abniitzurg 
unterworfen  sind.  Die  hieher  gehorigen  Constructionen  lassen  sicli  in  zwei  Qruppen 
scheiden,  und  zwar  in  solche,  die  mit  einem  an  einem  Fallgewicht  befestigten 
Meissel  arbeiten  und  solche,  die,  mehr  die  Handarbeit  imitirend,  Meissel  und 
Hammer  getrennt  anwenden. 

Von    den    vielen    Constructionen    sollen    hier   nur   zwei    als    Repras  en  tauten 
dieser  beiden  Gruppen  Erwahnung  finden. 

Eine  der  gelungensten  Maschinen  der  ersten  Categorie  ist  die  in  Fig.   1584 
dargestellte  Feilhaumaschine  von  Bernot*)  (Paris)  herrithrende. 

Die  zu  hauenden  Feilen 
Fig.  1584.  werden    bei    dieser    Maschine 

durch  Klauen  an  einen  Schlit- 
ten  B'  befestigt,  der  seine  Fuh- 
rung  in  dem  auf  Zapfen  ruhen- 
den  Theil  B  findet.  Dieser 
Theil  ist  somit  verstellbar, 
kann  aber  vermoge  eines  seit- 
lich  angebrachten  Schlitzbo- 
gens  und  Stellschraube,  je  nach- 
dem,  wie  es  die  Zuscharfung 
des  Meissels  erfbrdert,  festge- 
stellt  werden.  Der  Meissel  ist 
in  dem  vertical  gefuhrten  Theil 
K  festgeschraubt.  Von  der.  von 
dem  Motor  aus  angetriebenen 
Welle  x  wird  nun  mittelst  des 
Hebedaumens  a  der  Theil  K 
gehoben,dabei  aber  audi  gleich- 
zeitigdie  aus  mehrerenBlattern 
bestehende  Feder  s  gespannt, 
lasst  der  Daumen  a  den  Theil 
K  frei,  so  wird  vermoge  des 
Fallgewichtes  von  K  und  der 
Beschleunigung  durch  die  Feder 
ein  kraftiger  Schlag  erfolgen, 
wobei  durch  Zusammenwirken 
von  Feder  und  Fallgewicht  ein 
Prellen  verhindert  wird.  Von 
der  Welle  x  aus  erfblgt  aber 
auch  nach  jedem  Schlage  durch 
cine  excentrische  Scheibe  eine  Schwingung  des  Hebels  h,  welche  durch  die  Hebel  h',  h", 
/i'",7i4,/'V'6  (theilweise  gedeckt)  und  den  Sperrkegel  v  auf  das  Schaltrad  w  iibertragen 
wird,  was  eine  intermittirende  Rotation  der  Welle  m  und  Schnecke  S  zur  Folge 
hat.  Da  die  Schnecke  S  aber  in  eine  Zahnstange  eingreift,  die  mit  Schlitten  B' 
auf  Verschiebung  verbunden  ist,  so  erfolgt  daraus  auch  eine  Verschiebung  der 
Feile,  und  zwar  urn  ein  der  Hiebdimension  genau  entsprechendes  Stiick.  Durch 
Aenderung  der  Hebelverhaltnisse  oder  Auswechslung  des  Schaltrades  w  ist  die 
Verschiebung  leicht  zu  variiren. 


f)   Greenwood  (Patent  London). 


Feileri  ( Feilhaiimaschinen). 


Urn  die  Schlage  des  Meisscls  je  nacli  dcr  Grosse  der  zu  liauenden  Feilen 
yariiren  zu  konnen,  ist  es  moglich  das  cine  Ende  der  Blattfeder,  die  sich  in  der 
Mitte  g'ogen  ein  sofort  nalier  zu  besprccliendes  Stiick  e  stiitzt,  durch  eine  Schraube 
zu  spannen.  Das  Stiick  e,  eine  excentrische  Scheibe,  wird  je  nach  der  Feilen- 
form  gewablt,  da  cs  die  Bestimmung  hat,  den  Schlag  des  Meissels  wahrend  der 
Dauer  des  Hauens  einer  Feile  entsprecbend  dem  mit  der  Breite  wacbsenden 
Widerstand  zu  andern.  Von  dem  Theil  K  wird  namlich  durch  n  bei  jedem 
Scblage  eine  Oscillation  des  Doppelhebels  I  vermittelt,  die  durch  Sperrkegel  i 
eine  ruekweise  Drehung  von  p  und  durch  Zahnradiibertragung  audi  von  lx  erzielt. 
Dadurch  kommen  immer  grossere  Radien  dieser  Scheibe  gegen  die  Feder  zu 
stehen,  und  diese  wird,  da  das  auf  K  rubende  Ende  stets  gleich  hoch  gehoben 
wird,  immer  kraftiger  einwirken.  Um  den  Winkel,  unter  welchem  der  Hieb  die 
Feilaehse  kreuzt,  variiren  zu  konnen,  bestebt  das  Untergestell  aus  zwei  Theilen 
g  und  </,,  die  durch  die  als  Drehzapfen  fungirende  Biichse  o  verbunden  sind. 
Fiir  das  richtige  Einstellen  des  im  Querschnitt  kreisformigen  Schlittens  sorgt 
der  federnde  Taster  k,  der  die  jeweilig  in  Arbeit  befindliche  Stelle  der  Feile  in 
mit  der  Meisselkante  genau  parallelen  Lagc  erhalt.  1st  das  Hauen  bis  zur  Angel 
vorgeschritten,  so  wird  durch  den  Hebel  H  die  Stange  y  und  die  Winkel  z  zx, 
Scbnecke  S  ausgeriickt,  und  der  Schlitten  in  seine  Anfangsstellung  zuriickge- 
schoben,  um  eine  neue  Feile  aufzunehmcn. 


Fig.  1585. 


Als  Reprasentant  der  zwei- 
ten  Gruppe  (Fig.  1585),  d.  i.  jener 
Feilliaumascbinen,  die  die  Handar- 
beit  imitiren,  sei  bier  die  Maschine 
von  A.Brandon*)  beschrieben. 
Der  Grundgedanke  der  Construc- 
tion ist  der,  die  Verscbiebung  der 
Feile  durch  den  Meissei  erfolgen 
zu  lassen  und  zwar  abhangig  von 
der  Beschaffenheit  des  Hiebes. 
Stellt  Fig.  1586  I  die  Meissel- 
stellung  nach  vollfiihrtem  Hiebe 
dar,  so  folgt  dann  ganz  wie  bei 
der  Handarbeit  ein 
Heben  desMeissels  i^a 

Aufsetzen  in  Posi- 
tion II    und    Vor- 
schiebenindieStel- 
lung  III.   Da  dabei 
der  Meissei  in  seine    '■ /,/- 
Anfangslage    zuriickkehren 
muss,   so  ergibt  sich  noth- 
wendiger   Weise   eine  Ver- 
scbiebung   der  Feile.     Die 
Construction     ist     nun     in 
der     Weise     durchgefiihrt, 
dass  der  Meissei  an  einem 

Stiele  A  befestigt  ist,  der  durch  eine  Muffe  m  geht,  in  der  er  mit  Fric- 
tion durch  zwei  Seitenscheiben  gehalten  ist.  Die  MufFe  m  hat  zwei  Zapfen,  die 
in  den  Stiitzen  B  gelagert  sind.  Einer  der  Zapfen  tragt  den  Hebel  b,  der  durch 
einen  Bolzen  d  der  an  der  Welle  D  sitzenden  Scheibe  e  bethatigt  werden  kann. 
Xeben  dem  Hebel  b  ist  noch  eine  Rolle  r  an  der  Achse  B  angebracht,  und  diese 
driickt,  da  die  kraftige  Feder  v  auf  die  die  Achse  B  stiitzenden  Theile  ein- 
wirkt,    continuirlich    gegen    den  Umfang  der  Scheibe  e.     In  dem  Augenblicke,  wo 


w 


Fig.  1586, 


C 


*)    London,  Patent  Office  1872  Nr.  628. 


4:00  Feilen  (Feilhaumaschinen). 

Hebel  b  clinch  d  gehoben  wird,  kommt  erne  Ausbauchimg  der  Peripherie  der 
Scheibe  e  an  die  Rolle  r,  diiickt  somit  diese  und  den  gehobenen  Meissel  zuriick. 
Der  Stift  d  lasst  aber  den  Hebel  b  sinken,  bevor  die  Ausbauchung  die  Rolle 
ganzlieh  passirt  hat,  unci  der  Meissel  muss  in  die  Position  II  kommen.  Hat  sich 
Scheibe  e  weiter  gedreht,  so  kommt  die  Feder  v  wieder  zur  Action,  schiebt  den 
dnrch  die  Feder  t  auf  die  Oberflache  der  Feile  gehaltenen  Meissel  M  so  lauge 
vor,  bis  wiederum  die  Rolle  r  an  e  anliegt.  In  der  allerletzten  Periode  dieses 
Vorschiebens  kommt  der  Meissel  an  den  beim  vorhergehenden  Schlage  gebildeten 
Zahn,  und  schiebt  sich,  fest  an  diesen  Zahn  anlegend,  die  Feile  sammt  dem 
Schlitten  um  die  Zahndicke  vor.  Das  Verschieben  des  Schlittens  geht  ziemlich 
leicht  vor  sich,  da  die  eine  seitliche  Fiihrungsschiene  durch  eine  mittelst  einer 
Schraube  zu  spannende  Federlamelle  F  ersetzt  ist.  Hat  das  Verschieben  statt- 
gefnnden  so  steht  der  Meissel  in  der  zum  Hiebe  bereiten  Stellung  III.  Der  Schlag 
des  durch  eine  Feder  s  beschleuuigten  Hammers  H  wird  gleichfalls  von  der 
Welle  D  durch  den  Hebedaumen  c  abgeleitet.  Auf  der  Welle  C  ist  der  Hammer- 
stiel,  zugleich  aber  auch  ein  .Hebel  a  aufgekeilt,  der  die  Wirkung  des  Hebedau- 
mens  auf  den  Hammer  iibermittelt.  Auf  eine  selbstthatige  Variation  der  Schlag- 
stiirke  wahrend  des  Hauens  einer  Feile  ist  bier  nicht  Rticksicht  genommen,  selbe 
kann  jedoch  von  dem  beaufsichtigenden  Arbeiter  durch  Nachspannen  der  Feder  s 
erzielt  werden. 

Die  Arbeit  dieser  Maschine  soil  ziemlich  zufriedenstellend  sein,  ist  jedoch 
nur  fur  Flachfeden  zu  verwenden.  Dasselbe  gilt  von  den  Constructionen  von 
Alfred  Weed  und  Morgan  Brown,  London  Patent  Office  1873  Nr.  3680— 
Nro.  1218,  die  nur  Abanderungen  dieser  Maschine  sind.  Eine  Maschine  desselben 
Principes,  aber  in  ziemlich  verschiedener  Construction,  welche  selbst  das  Hauen 
der  Feilen  mit  convexen  Flachen  gestattet,  ist  die  von  Maurice  Mondon  (London 
Patent  Office  1874  Nr.  3426). 

Sind  die  Feilen  gehauen,  so  werden  sie,  um  sie  bis  zu  dem  nun  folgenden 
Hart  en  vor  dem  Rosten  zu  bewahren,  in  Kalkwasser  eingetaucht. 

Das  Hart  en  der  Feilen  verlangt,  aus  Ritcksicht  auf  den  feinen  Hieb, 
ziemlich  viel  Sorgfalt.  Die  Feilen  werden,  um  sie  vor  den  oxydirenden  Einfliissen 
des  Gliihens  und  des  Hartewassers  zu  bewahren,  mit  einem  Ueberzug  versehen, 
dessen  Zusammensetzung  in  verschiedenen  Fabriken  verschieden  ist.  Haufig  wird 
hiezu  ein  Gemisch  von  verkohltemLeder(Horn,Knochen,  Klauen),  Ofenruss,  Kochsalz 
und  Topferthon  genommen.  Dieses  Oemenge  wird  mit  Bierhefe  angemacht  und 
mit  einem  Pmsel  auf  die  Feilen  aufgetragen  und  langsam  fiber  einem  Feuer 
getrocknet.  Einfacher  ist  das  Ueberziehen  durch  Eintauchen  in  einen  Brei  von 
Roggenmehl  und  Kochsalzlosung.  (Vortheilhaft  soil  es  sein,  die  Feilen  vor  dem 
eigentlichen  Harten  in  dunkelroth  gltihendem  Zustande  in  gepulvertes  Kochsalz  zu 
stecken.)  Ist  der  Ueberzug  trocken  geworden,  so  werden  sie  entweder  in  einem 
Coaks-Feuer  oder  aber  besser  in  geschlossenen  Muffenofen  rothgliihend  gemacht 
und  vertical  in  moglichst  kaltes  und  reines  Wasser  (Regenwasser)  eingetaucht. 

Gut  ist  es  die  Angeln  ungehartet  zu  lassen,  da  sie  sonst  durch  Anfassen  mit 
einer  gliihenden  Zange  weich  gemacht  werden  miissen. 

Nach  dem  Harten  werden  die  Feilen  in  stark  verdiinnte  Schwefelsaure  gelegt, 
um  die  nachfolgende  Reinigung  zu  erleichtern. 

Das  Reinigen  geschieht  am  besten  durch  eine  mit  Biirsten  oder  Karden 
besetzte  Trommel,  die  in  Wasser  lauft.  Die  Feilen  werden  in  verschiedenen 
Lagen  gegen  diese  Trommel  gehalten,  und  wenn  sie  rein  sind,  schnell  auf  erhitz- 
ten  Eisenplatten  getrocknet.  Xoch  warm  werden  sie  in  Baumol  eingetaucht,  und 
nachdem  dieses  geniigend  abgetropft  ist,  in  Papier  verpackt. 

Ueber  das  Nachatzen  stumpf  gewordener  Feilen  siehe  Karmarsch, 
Technologie  Bd.  I  p.  295;  Dingler's  polyt.  Journ.  Bd.  192  p.  73.  F.  Polak. 

Literatur:    Prechtl's  Encyclopadie  Bd.  5;  Karmarsch  Technologie  Bd.  I; 

Hojer  Technologie  Bd.  I.     Ferner    die  schon    bei  den  Feilenhaumaschinen 

angeflihrten  Beschreibungen  des  Londoner  Patent  Office. 


Feilkloben.   —  Feldspathe.  401 

Feilkloben,  s.  Schraubstock. 
Feilkluppe,  s.  Schraubstock. 
Feilmaschine,  s.  Hob  el  mas  chine. 
Feilspane,  s.  Ill  pag.  120  (EisenfeilspSne),  und  pag.  .'590. 
Feinbrennen,  s.  Silber. 

Feineisen,  Feinmetall,  s.  Eisenerzeiigung  III  pag.  24. 
Feinen  unci  FeinproceSS,  s.  Eisenerzeiigung  III  pag.  23. 
Feingehalt,  s.  Goldarbeiten. 
Feingold,  s.  Gold. 

Feinkarde,  s.  Baumwollspinnerei  I  pag.  334,  s.  Karden, 
Feinkies,  s.  Kies. 

Feinkorneisen,  s.  Eisen  II  pag.  773. 
Feinkratze,  Feinkrempel,  s.  I  pag.  334,  s.  Karden. 
Feinofen,  Weiss  of  en,  s.  Eisenerzeiigung  III  pag.  23. 
Feinprobe,  s.  Silber,  s.  Probiren. 
Feinsilber,  s.  Silber. 

Feinspindelbank,  s.  Baumwollspinnerei  I  pag.  345. 
Feinspinnen,  s.  I  pag.  351. 

Feinspinnmaschine,  s.  Baumwollspinnerei  I  pag.  345. 
Feinzeug,  Ganzzeug,  s.  Papier  fa  brikation. 
Fel  vitri,  syn.  m.  Glasgalle,  s.  Glas. 

Felbel,  Fel  pel,  ein  langhaariges,  sammtartiges  Gewebe,  s.  Weberei. 
Feldahorn,  s.  Ahom  I  pag.  60. 
FeldbuSSOle,   s.  Compass  II  pag.  390. 

Feldkiimmel,  s.  Quendel. 

Feldschmiede,  s,  Schmieden. 

Feldspathe  („feldspath"  —  feldspar).  Name  einer  Gruppe  von  Mineralien 
welche  sich  sowohl  durch  ihre  bemerkenswerthe  morphologische  als  chemische  Ueber- 
einstimmung  auszeichnen.  Die  Feldspathe  folgen  namentlich  zwei  Typen,  dem  mono- 
klinen  und  dem  triklinen,  sind  ihrer  chemischen  Zusammensetzung  nach  Doppelsalze 
uud  bestehen  im  Wesentlichen  aus  einer  Verbindung  von  Kieselsaure,  Thonerde,  mit 
Kali-,  Natron-  oder  Kalksilicat  oder  einem  Gemenge  der  Letzteren  in  verschie- 
denem  Procentverhaltnisse.  Die  ganze  Reihe  der  Feldspathe  besitzt  nach  Tschermak 
nur  drei  selbststandige  Arten,  namlich  den  Orthoklas,  Kalifeldspath  (Al-03,tiSiO"-\- 
iT20,35i02),  den  Albit,  Natronfeldspath  (AW3,  sSiO*-\-NaH),  3SiO*)  und  den 
Anorthit,  Kalk(Natron)feldspath  (Al*03SiO--\-CaOSiO"-); '  alle  iibrigen  Feldspathe, 
wie  der  Sanidin,  Oligoklas  (Plagioklas),  Andesin,  Labradorit  sind  nichts  anderes 
als  zum  Theil  mechanische,  zum  Theil  isomorphe  Gemische  dieser  drei  Arten. 
Die  Feldspathgruppe  ist  eine  der  wichtigstcn  im  Mineralreich,  da  ihre  Glieder 
einen  wesentlichen  Antheil  an  der  Gestaltung  der  Gesteine  nehmen.  Die  einzelnen 
Arten  s.  a.  g.  0.     Lb. 

Karmarsch  &  Heeren,  Technischea  Worterbuch    Bd.  III.  26 


402  Feldspath.  —  Fenchel. 

Feldspath  gemeiner,  s.  Orthoklas. 

Feldspathgesteine  nennt  man  die  gemengten  krystallinisch-kornigen  Gesteine, 
welche  unter  ihren  Gemengtheilen  ein  Glied  der  Feldspathreihe  besitzen.  Die 
grosste  Anzahl  aller  krystallinischen  Massengesteine  gehort  hierhcr,  da  nur  wenige 
untergeordnete  Gesteinsarten  feldspathfrei  sind.     Lb. 

Feldspath  glasiger,  s.  Sanidin. 

Feldspathporphyr,  s.  Quarzporphyr. 

Feldspathporphyrit,  s.  Porphyrit. 

Feldspathporzellan,  s.  Thonwaaren. 

Feldstecher,  s.  b.  Fernrohr. 

Feldstein,  s.  v.  a.  gemeiner  Feldspath,  s.  Orthoklas. 

Feldsteinporphyr,  s.  Quarzporphyr. 

Feldulme,  s.  Ulme. 

Felge  [jante  —  jount,  felly),  s.  Fuhrwerk. 

Felle,  s.  Leder. 

Fellinsaure,  s.  Galle. 

Fellmaschilie  oder  Pelzkreinpel,  s.  Streichgarnspinnerei. 

Felpel  oder  Felbel,  s.  Weberei. 

Felsenguano,  s.  Guano. 

Felsit,  ein  dichtes  Gestein,  bestehend  ans  einem  mikro-  oder  kryptokrystal- 
linischen  Gemenge  von  Quarz  und  Feldspath.  Dasselbe  kommt  seltener  fur  sich 
allein  vor,  sondern  bildet  haufiger  die  Grundmasse  der  Felsit-  und  Quarzporphyre, 
s.  d.     Lb. 

Felsitfels,  Petroplex,  s.  Felsit. 

Felsitische  Grundmasse  nennt  man  die  mikro-  oder  kryptokrystallinische 
Grundmasse  porphyrartiger  Gesteine,  welche  zumeist  eine  dem  Felsit  (s.  d.)  ent- 
sprechende  Zusammensetzung  hat,  zuweilen  wie  bei  den  Phonolithen  auch 
quarzfrei  sein,  und  statt  der  Feldspathe  ein  loslicb.es  Silikat  aus  der  Reihe  Ne- 
phelin,  Leucit,  Nosean,  Hauyn  haben  kann.     Lb. 

Felsitpechstein,  s.  Pech stein. 

Felsitporphyr,  s.  Quarzporphyr. 

Felsobanyit,  Min.  rhombisch,  kleine  kugelige  Krystalldrusen  bildend,  meist 
auf  Schwerspath  aufsitzend.  Weiss  bis  grauweiss.  Harte  =r  1*5.  1st  bas. 
schwefels.  Thonerde,  wasserhaltig.  Vorkommen  F.elsbbanya  in  Siebenblirgen.    Otl. 

Femel7  Fimmel,  mannliche  Hanfpflanze,  s.  Hanf. 

Fenchel  (grcdries  de  fenouil  —  seed  fennel  graines),  die  getrockneten  reifen 
Friichte  von  Foeniculum  officinale  All.,  einer  ausdauernden,  an  trockenen,  steini- 
gen  Orten  in  Siid-Europa,  im  Kaukasus  und  den  siidkaspischen  Landern  wild- 
wachsenden,  im  gemassigten  Europa  viel  gebauten  und  auch  hie  und  da  ver- 
wildert  vorkommenden  Doldenpflanze.  Die  Friichte  sind  im  Umfange  cylindrisch, 
an  8mm  lang  und  3nim  breit,  von  einer  kegelformigen,  zwei  ganz  kurze  Griffel 
tragenden  Seheibe  gekront,    glatt,    biaun,    leicht   in    ihre    zwei  langlich-eiformigen 


Fenchel.  —  Fenster.  403 

planconvexeu  Theilfriichtchcn  sicb  spaltend  inid  zerfallend.  Jedes  der  letzteren  tragt 
auf  seiner  gewbibten  Riickenflache  fiinf  hervortretende  stumpf-gekielte,  griinlich- 
gelbe  Rippen,  von  denen  die  randstandigen  starker  und  von  den  ubrigen  etwas 
entfernt  sind.  In  jedem  der  breiten  braun-griinen  Thalchen  liegt  ein  dunklerer 
Oelstriemen;  zwei  Striemen  tragt  iiberdies  die  blassbraune  Bcriihrungsflache.  — 
Der  ans  Siid'Enropa  (besonders  Siid-Frankreicb)  zugefiihrte  sogenannte  Rbmische 
Fenchel  (siisser  oder  kretisclier  Fenchel),  von  Foeniculum  dulce  01.,  ist  grosser, 
mit  starkeren,  fast  fliigelartig  hervortretenden  strohgelben  Rippen  und  griinen 
Tlieilchen.  Der  Fenchel  riecht  angenehm  aromatisch  und  besitzt  einen  siisslich- 
gewlirzhaften  Geschrnack;  er  gibt  372 — 4°/0  eines  atherischen  Oeles,  und  ent- 
halt  ausserdem  Zucker  (2"/0)  un^  fettes  Oel  (12°/0).  Er  findet  eine  ausgedehnte 
Anwendung  als  Gewiirz  und  Arzneimittel.  —  Das  atherische  Fenchelol  wird  durch 
Destination  der  Sam  en  mit  Wasser  oder  Wasserdampf  gewonnen.  Es  bildet 
eine  farblose  oder  licht-gelbe  Fliissigkeit  von  dem  charakteristischen  Fenchelgeruche 
und  gewtirzhaft  siisslichem  Geschmacke.  Schon  bei  gewbhnlicher  Temperatur  etwas 
dickfliissig,  erstarrt  es  bei  -\-  10°  C.  zu  einer  krystallinischen  Masse.  Das  spec. 
Gew.  ±=  0'90 — 1*0,  es  destillirt  zum  grossten  Theile  zwischen  185  und  230°  C. 
Es  besteht  wesentlich  aus  Anethol,  und  verhalt  sich  in  Bezug  auf  seine  Loslieh- 
keitsverhaltnisse  ahnlich  dem  An i sol  (s.  I  pag.  152).  A.   Vogl. 

Fetichelholz,  syn.  m.  Sassafrasholz. 

Fenchelol,  s.  Fenchel. 

Fenian-Feuer  (fenian  fire),  fliissiges  Peuer,  eine  Losung  von  18  Thl. 
Phosphor  in  1  Thl.  Sclrwefelkohlenstoff,  hinterlasst  beim  Verdunsten  des  Schwefel- 
kohlenstoftes  Phosphor  in  so  fein  yertheilter  Form,  dass  derselbe  unter  Zutritt 
von  Luft  freiwillig  sich  entztindet.  Brennbare  Gegenstande  mit  einer  solchen 
Losung  iibergossen,  gerathen  sonach,  wegen  der  sehr  rasch  erfolgenden  Ver- 
dunstuug  des  Schwefelkohlenstoffes,  alsbald  in  Brand.  Man  hat  darum  solche 
Losungen  zur  Fiillung  von  Brandhohlgeschossen  verwendet.  Auf  gepulvertes 
chlorsaures  Kali  aufgegossen,  liefert  eine  solche  Losung  eine  nach  dem  Verdunsten 
des  Schwefelkohlenstoffes  selbstthatig  explodirende  und  heftig  detonirende  Masse, 
die  man  fiir  Petarden  beniitzt  hat.     Vgl.  lib.  Feuerwerkerei.     Gil. 

Fenster  (fenetre  —  windoiv)  sind  die  durch  eingerahmtes  Glas  abschliess- 
baren  Licht-  und  Luftbffnungen  fiir  die  Raume  der  Gebaude.  Man  hat  daher: 
1.  die  Construction  der  Fensteroffnung,  2.  den  Verschluss  der  Oeffnung  zum  Schutz 
des  Raumes  gegen  die  Witternngseinfliisse,  zu  unterscheiden. 

ad  1.  Die  Grundform  der  Fensteroffnung  ist  die  eines  hohen  Rechteckes 
(Hohe  zumeist  gleich  der  doppelten  Breite)  und  daraus  entstehen  viele  andere 
Formen,  wenn  der  Abschluss  nach  oben  durch  einen  Halbkreis,  Kreissegment, 
Spitzbogen  etc.  gebildet  wird.  Selbstversta'udlich  kommen  audi  andere  verschieden- 
artige  Fensterformen  vor,  z.  B.  kreisrunde  etc.  Im  Allgemeinen  ist  durch  die 
Stylrichtung  des  Gebaudes  und  durch  architektonische  Rucksichten  die  Form  be- 
stimmt.  Die  Grosse  und  Zahl  der  Fensteroffnungen  richtet  sich  nach  der  Grbsse 
des  zu  beleuchtenden  Raumes  und  dessen  Bestimmung ;  audi  begrenzt  die  Etagen- 
hbhe  das  Mass  der  Hbhe  der  Fenster.  Die  Begrenzung  der  Fensteroffnung  ge- 
schieht  unten  durch  die  Sohlbank,  zur  Seite  durch  das  Fenstergewa'nde 
und  oben  durch  den  Fenster  bo  gen,  welcher,  wenn  an  dessen  Stelle  ein 
horizontaler  Steinbalken  tritt,  Sturz  genannt  wird.  (S.  Entlastungsbogen 
III  pag.  274.)    Alle  drei  Stitcke  bezeichnet  man  auch  mitunter  als  Fenstergestell. 

Die  Sohlbank  hat  den  besonderen  Zweck,  das  an  das  Fenster  anschlagende 
Regenwasser  abzuleiten ;  sie  erhalt  daher  einen  Vorsprung  vor  der  Mauerflueht, 
ferner  an  der  obern  Flache  eine  geringe  Abschragung  und  an  der  Unterseite  eine 
Rinne  (sog.  Wassernase)  oder  auch  eine  etwas  ansteigende  Flache.  damit  das 
Wasser  abtropft   und   nicht  vermoge   der  Adhasion    an    der   Mauer   herabrinnt  (s. 

26* 


404  Fenster. 

Fig.  1589  bei  s).  Beim  Vorsetzen  einer  steinerner  Sohlbank  auf  der  Fenster- 
Briistungsmauer  (gewohnlich  0*45m  stark  und  O80m  vom  Fussboden  hoch,  wenn 
das  Fenster  bequemen  Ausblick  gewahren  soil)  muss  die  Vorsicht  gebraucht  werden, 
dass  zwischen  beiden  ein  schinaler  leerer  Raum  bleibt,  bis  das  Mauerwerk  sich 
vollstandig  gesetzt  hat,  da  bei  Ausseracbtlassung  ein  Bruch  der  Sohlbank  ein- 
treten  kann,  indem  die  eingemauerten  Enden  sich  mit  der  Mauer  starker  setzen, 
wahrend  der  mittlere  unbelastete  Theil  nicht  folgen  konnte. 

Das  Fenstergewande  wird  entweder  vollstandig  aus  Ziegelmauerwerk  her- 
gestellt  oder  an  der  aussern  Gebaudeseite  aus  Werkstiicken,  nach  Innen  aus 
Ziegeln.  Der  Fensterbogen  richtet  sich  ganz  nach  der  herzustell enden  Fenster- 
form ;  die  Anordnung  eines  steinernen  Sturzes  erfordert  einen  Entlastungsbogen 
(s.  d.  Ill  pag.  274).  Die  einfache  Umrahmung  des  Fensters  in  der  Facade  nennt 
man  Chambrane  (Fasche).  Oft  jedoch  wird  tiber  dem  Fenster  ein  sog.  Ver- 
dachungsgesims  angebracht,  welches  nicht  nur  architektonischen  Zwecken, 
sondern  auch  zum  Schutze  des  Fensters  gegen  Regenwasser  dienen  soil. 

ad  2.  Die  Construction  zum  Abschluss  der  Fensteroffnung  besteht:  a)  aus 
dem  Fenster  stock,  b)  aus  den  Fenster  fliigeln  (zusammengesezt  aus 
Rahmen,  Sprossen  und  Verglasung)  und  c)  aus  dem  Fensterbeschlag. 

a)  Der  Fensterstock  ist  der  in  Falze  des  Fenstergestelles  eingesetzte, 
durch  Bankeisen,  Schrauben  oder  Bander  befestigte  Holzrahinen,  welcher  die  Fenster- 
fliigel  zu  tragen  hat.  Fiir  unser  Klima  wird  zumeist  ein  doppelter  Abschluss 
(Doppelfenster)  erforderlich.  Davon  bezeichnet  man  das  aussere  als  Winterfenster, 
das  innere  als  Sommerfenster  (weil  oft  im  Sommer  das  aussere  durch  Jalousien 
ersetzt  wird).  Zwiscben  dem  Sommer-  und  Winterfenster  ist  ein  Luftraum,  welcher 
0*15 — 023m  Tiefe  besitzt;  die  dazwischen  liegende  Wandflache  heisst  Fenster- 
L  e  i  b  u  n  g. 

Tragt  ein  Stock  beide  Fenster,  dann  geht  er  nach  der  ganzen  Tiefe  der 
Leibung  und  man  bezeichnet  ihn  als  Futterstock,  Pfostenstock  (4—  5cm  stark, 
21— 23cm  breit).     Siehe  Fig.   1587,  welche  den  Grundriss  darstellt. 

Erhalt  sowohl  das  aussere  als 
auch  das  innere  Fenster  seinen  se- 
paraten  Stock  (Blindrahmen  mit  ca. 
5cm  auf  (5.5cm  starkem  Querschnitt, 
Fig.  1588),  so  wird  bei  eleganter 
Wohnungsaustattung  die  Fenster- 
leibung  durch  das  sog.  Fenster- 
f utter  oder  Stein futter  ver- 
kleidet. 
<t='0i=3»  Die  Fenster  der  Wohngebaude 

erhalten  zumeist  4  Fliigel;  zwei 
obere  kleine  und  zwei  untere  grosse. 
Die  Trennung  geschieht  durch  das  horizontale  Kampferholz  und  Loosholz. 
Mitunter  ist  auch  in  der  Mitte  ein  vertikal  stehendes  Holz  festgemacht,  welches 
mit  dem  Kampferholz  das  Kreuz  bildet.  Man  bezeicbnet  dies  als  Fensterstock 
mit  Ki-euz  oder  Kreuzstock.  Bei  eleganten  Fenstern  wird  jedoch  das  feste 
Mittelstiick  nicht  angebracht  und  durch  Schlagleisten  ersetzt  (offener  Stock  mit 
Kampferstiick),  oder  nur  an  den  oberen  Fliigeln  angewendet  (Stock  mit  oberem 
Mittelstiick).  Die  aussern  dem  Schlagregen  ausgesetzten  Fugen  zwischen  Stock 
und  Fliigeirahmen  miissen  durch  sog.  Wetterschenkel  gegen  das  Eindringen 
von  Wasser  gesehiitzt  werden ;  derselbe  ist  ein  am  Stock  oder  event.  Fenster- 
rahmen  angebrachtes  schwacbes,  horizontales  Holz,  1 — 2cmvon  den  Fensterrahmen 
vortretend,  mit  einer  Abschragung  und  Wassernase  versehen. 

b)  Die  Fensterflugel  bestehen  aus  Rahmen  (mit  ca.  4*5cm  starkem  Quer- 
schnitt) und  Sprossen  (2-5cm  breit  und  wie  die  Rahmen  stark),  zwischen  welche 
die  Verglasung  eingekittet  ist.  Bei  starkeren  Rahmholzern  wird  man  moglichst 
nach  der  Tiefe  des  Fensters  das  Holz  verstarken,  da  durch  Verbreiterung  des  Holzes 


Winter-Fenster  nach  Aussen  zu  oftnen. 


Fenster. 


405 


die  Glasflache  verringert  wird.  Das  Profil  des  Rahmens  enthalt  hauptsachlich 
zwei  constructiv  nothwendige  Falze:  den  Anschlagfalz  und  den  Kittfalz, 
ca.   lcm  tief,    welch  letzterer  immer 


Firj.  1588. 


an  der  Aussenseite  des  Fensters  an- 
zubringen  ist.  Die  Untertheilung  der 
Fensterflugel  durch  Sprossen  muss 
der  Ausstattung  des  Gebaudes  ent- 
sprechen.  Elegante  Salonfenster  er- 
halten  fiir  jeden  Fliigel  nur  eine 
Scheibe,  so  dass  das  ganze  Fenster 
nur  drei  oder  vier  Scheiben  besitzt. 

Einen  speciellen  Fall  bildet 
das  Schau fenster,  welches  zu- 
meist  nur  aus  einer  einzigen  Spiegel- 
scheibe,  bis  zu  sehr  bedeutenden 
Dimensionen,  hergestellt  wird. 

Die  innern  Fensterflugel  offnen 
sich  stets    nach  Inn  en,    die  aussern 
jedoch  nach  Aussen  (Fig.  1587)  oder 
Innen    (Fig.   1588   und   1589).     Im 
letzteren  Fall  darf  natiirlich  der  in- 
nere  Kampfer  dem  Fliigel  kein  Hin- 
derniss  zum  Oeffnen  bieten.  Im  All- 
gemeinen    wird    daher     das    innere 
Fenster    in    grosserer   Dimen- 
sion   als    das    aussere    herzu- 
stellen  sein,  und  beziiglich  der 
Kampferanbringung    sind    fol- 
gende  Anordnungen    moglich: 

1.  Man  mache  den  innern 
Kampfer  moglichst  schwach, 
den  aussern  aber  so  breit, 
dass  die  aussern  Fensterflugel 
nach  Innen  geoffnet  werden 
konnen.  Will  man  die  Breite 
des  innern  Kampfers  auf  ein 
Minimum  reduciren,  so  ge- 
schieht  dies' am  besten  durch 
eine  entsprechend  geformte 
Eisenschiene,  welche  leicht  mit 
Holz  verkleidet  werden  kann. 

2.  Man  mache  beide  Kampfer 
in  gewohnlicher  Starke,  bringe 
aber  den  aussern  um  so  viel 
tiefer  an,  dass  der  imtere 
Fensterflugel  geoffnet  werden 
kann ;  die  aussern  obern  Flii- 
gel konnen  dann  nicht  wie 
gewohnlich  in  Bandern  dreh- 
bar  sein,  sondern  werden  mit 
Feder  und  Nuth  zwischen  Stock 
und  Kampfer  eingesetzt  und 
musssen  bei  event.  Entfernung  gehoben  werden. 
welche  Grundriss  und  Hohen-schnitt  darstellen. 

Bei  den  nach  Innen    zu  aufgehenden  Fenstern    wird    der    aussere  Stock  zu- 
meist  ca.  0-15m  nach  Innen    angeordnet;    man    nennt    solche  Fenster    „zuriick- 


Siehe  die  Fig.   1588  und  1589, 


406  Fenster. 

gesetzt".  Im  Sommer  werden  oft  statt  der  Winterfenster  Jalousien  eingehangt. 
Sie  bestehen  aus  zwei  oder  vier  im  gewohnlichen  Feiisterstock  eingehangten  Fliigel- 
rahmen  (Hauptrahmen),  drehbar  wie  die  gewohnlichen  Fensterfliigel ;  dieselben 
tragen  im  untern  Theil  Nebenrahmen,  nach  aufwarts  drehbar  oder  aufklappbar 
uni  Bander,  die  am  Kampfer  befestigt  sind.  Zwischen  den  Rahmen  sind  nm  Zapfen 
bewegliche,  mit  ihrer  Unterkante  sich  iibergreifende  Brettchen  (ca.  9cm  breit,  l-5cm 
stark)  eingesetzt,  welche  mit  Hilfe  einer  Zugstange  gleiclizeitig  gedreht  werden  konnen. 

Fenster  la  den.  Man  nnterscheidet :  ordinare  Fensterladen,  welche  aus 
gestemmten  Fltigeln  bestehen  und  am  aussern  Stock  der  Parterrefenster  einge- 
hangt werden.;  zum  Schutz  gegen  Feiiergefahr  oder  Einbruch  werden  dieselben  an 
der  aussern  Seite  mit  Blech  beschlagen. 

Die  Spalettladen  haben  einen  ahnliehen  Zweck,  stelien  aber  immer 
innerhalb  vor  dem  innern  Fenster  und  werden  aus  zwei  Fltigeln,  jeder  aus  mehreren 
zusammenlegbaren  Theilen  bestehend,  hergestellt.  Beim  Zusammenlegen  werden  die- 
selben in  eine  Vertiefung  der  Fensterspalettirung  (sog.  Spalettkasten)zusammengeklappt. 

S  chub  fenster.  Dasselbe  besteht  gewolmlich  aus  zwei  Theilen;  die 
untere  Halfte  ist  immer  nach  aufwarts  verschiebbar,  wahrend  der  obere  Theil  fest 
oder  nach  abwarts  bewegt  werden  kann.  Der  verschiebbare  Rahmen  ist  durch 
eine  Schnur,  welche  iiber  eine  Rolle  fiihrt,  mit  einem  Gegengewicht  in  Verbindung, 
behufs  leichterer  Handhabung  und  damit  das  Schubfester  in  jeder  Lage  in  Ruhe  bleibt. 

Schau fenster.  Dieselben  werden  nicht  drehbar  angeordnet  und  miissen 
moglichst  freien  Einblick  gewahren;  daher  werden  zur  Verglasung  starke  Spiegel- 
scheiben  verwendet,  welche  mit  aufgeschranbten  Leisten  im  Falz  des  Stockes  be- 
festigt werden.  Bei  sehr  grossen  OefFnungen  theilt  man  die  Scheiben  durch  ver- 
tikale  Eisensprossen.  Die  Scheiben  miissen  vor  dem  Beschwitzen  und  Befrieren 
gescliiitzt  werden.  Es  ist  daher  der  eigentliche  Schauraum  nach  Innen  zu  durch 
eine  Glasthiir  abzuschliessen  und  die  aussere  Luft  mit  demselben  in  Verbindung 
zu  setzen,  was  am  besten  durch  OefFnungen  (entsprechend  verziertj  im  Fries  oder 
Sockel  der  Schaufensterconstruction  geschehen  kann. 

c)     Fensterbeschlage  bei  gewohnlichen  Fenstern. 

1.  Die  Befestigung  des  Fensterstockes  im  Anschlag  geschieht  entweder 
durch  Bankeisen.  oder  durch  Verbindung  des  ausseren  und  inneren  Stockes  durch 
Eisenbander  oder  Schraubenbolzen. 

2.  Zur  Verstarkung  der  Verbindung  der  Holzrahmen  dienen  sog.  Schein- 
haken,  eiserne  Winkel,  je  10— 12cm  lang,  1-5  — 2cm  breit  und  2mra  stark,  an  den 
Ecken  in's  Holz  eingelassen  und  mit  5  Schrauben  befestigt. 

3.  Das  Aufhangen  der  Fensterfliigel  geschieht  bei  Wohngebauden  durch 
Fisch-  oder  Aufsatzbander.  Siehe  Art.  Band  I  pag.  287.  Die  Hohe  betra'gt  12 
bis  15cm,  der  Durchmesser  der  Htilse  10— 13mm. 

4.  Fensterverschliisse:  a)  Einreiber,  Lappenreiber,  eiufach  und  doppclt ; 
ein  Eisenplattchen   vvird    in    eine   ausgestemmte  Oeffnung    des  Fensterkreuzes    ein- 

Fig.  1590. 

0=6) 
j@ 

Vorreiber  i'4  n.  Gr.). 

gedreht.  b^  Vorreiber  (Kurbelreiber),  einfach  (Fig.  1590)  und  doppelt.  je  naeh- 
dem  derselbe  einen  oder  zwei  Fltigel  festzuhalten  hat.  c)  R  u  d  e r  v  e r  s  c  h  1  u  s  s  fUeber- 
wurf).  Die  Kurbel  ist  an  einem  Fltigel,  der  Haken  am  festeu  Mittelstiick  (Fig.  1591), 
oder  wenn  dies  fchlt,  am  zweiten  Fliigelrahmen  befestigt.  d) B a s cul e-V crschluss 
\ Fig.  1592.  s.  I  pag.  304).  Beim  Drehen  des  Griffels  (Olive)  greift  ein  kleines  Zahnrad 
Triebrad)  in  zwei  Zahnstangen  ein,  wovon  die  eine  oben,  die  andere  unteu  schliesst ; 


Fig.  1591. 

^       ;!'  ^'    j  ■    L, 

;i*verschluss  (J/s  n. 

Eud 

Gr. .. 

Fenster. 


Fermenle. 


407 


gleichzeitig  bewirkt  einEinreiber  in  der  Mitte  den  dritten  Verschluss.  Der  Bascule- 
Verschluss  ist  der  am  meisten  iibliche.  Statt  durcli  Triebrad  und  Zahnstangen 
kann  man  audi  durcli  Excenter  die  Bewegung  der  Eisenstangen  erzielen  (Patent 
Peyer  in  Wien).  e)  Espagnolette-Verschluss.  Ein  Ruderverschluss  ist  an  einer 
vertikalen  drebbaren  Stange  befestigt,  welche,  bei  geschlossenem  Zustand  des  Fen- 
sjers,  oben  und  unten  mit  gekriimmten  Haken  in  festgemachte  Haken  eingreifen. 
Fig.  1593  gibt  eine  Skizze.  f)  Schubriegel,  Dieselben  werden  bei  ordinaren 
Fenstern  aussen  sichtbar  angebracht,  wahrend  bei  besserer  Ausstattung  die  Schieber 
ins  Holz   eingelassen    und  durcli  Bleche  verdeckt  werden    (verdeckte  Schubriegel;. 


1692. 


Fig.  1594. 


m 


Co 


Fensterschnapper 
(V,  n.  Gr.). 


Basculeverschluss         Espagnolettverschluss         Innere  Fensterspreitze 
(%  n.  Gr.).  (V5  n.  Gr.).  (V5  n.  Gr.), 

5.     Vorrichtungen.  um  die  geoffneten  Fenster  in  ricbtiger  Lage  zu  erhalten : 

a)  Fiir  das  nach  Aussen  zu  aufgehende  Fenster  dienen    eiserne  Aufspreizstangen. 

b)  Fiir  das  Festhalten  der  nach  Innen  zu  aufgehenden  Fenster  verwendet  man 
inwendige  Fensterspreitzen  und  Fensterschnapper.  Diese  Fensterspreitze  ist  ein 
Vorreiber,  welcher  am  vertikalen  Theil  des  Stockes  befestigt  wird.  Fig.  1594. 
Der  Fensterschnapper  (Fig.  1595)  ist  im  Fensterbrett  derart  eingelassen,  dass  die 
etwas  vorstehende  Falle  in  eine  entsprechende  Vertiefung  an  der  Unterseite  des 
Fensterrahmens  beim  Oetfnen  desselben  einspringt.  Um  das  Fenster  schliessen  zu 
konnen,  wird  durch  einen  Drnck  auf  den  Knopf  die  Feder  sammt  Falle  hinabgedriickt. 

Fiir  specielle  Einrichtungen  werden  selbstverstandlich  mannigfache  Anordnun- 
gen  bedingt,  z.  B.  fiir  horizontal  an  Charnierbandern  aufgehangte  und  verstellbare 
Fenster  (Ventilationsklappen).  Im  Allgemeinen  bringt  man  in  der  Mitte  des  Fensters 
eine  kreisbogenformige  Zahnstange  an,  welche  in  ein  Triebrad  eingreift;  durch 
Drehung  des  Triebrades  offnet  oder  schliesst  sich  das  Fenster.  Grohnann. 

Fensterblei,  s.  Glaserarbeiten. 

Fensterglas,  s.  Glas. 

Fenstersprosseneisen,  ein  durch  Walzen  erzeugtes  Fa§oneisen. 

Ferberit,  s.  Wolframit. 

Fergusonit  (brauner  Ittrotantalit),  ein  sehr  seltenes,  in  kleinen,  undeutlichen, 
tetragonalen  Krystallen  vorkommencles  Mineral,  welches  undeutlich  spaltbar, 
muschlig  im  Bruch  und  sprode  ist,  eine  Harte  rr:  5-5  —  6,  spec.  Gew.  —  4-89 
hat,  dunkel-pechschwarz  .mit  hell-braunem  Strich,  undurchsichtig  ist,  und  wesent- 
lich  aus  niobsaurer  Yttererde  besteht.  Es  findet  sich  in  kleinen  Krystallchen  zu 
Schreibershau  im  Riesengebirge,  bei  Ytterby  in  Schweden  und  am  Cap  Farewele 
in  Grbnland.     Lb. 

Fermentation,  s.  G  ah  rung. 

Fermente  (ferment  — ferment),  G  a h  r  u  n  g  s  e  r  r  e  g  e  r ,  G  a  h  r  u  u  g  s  m  i  1 1  e  1. 
Substanzen,    welche  Zersetzungen  oder  irgendwie  geartete  Veranderungen  anderer 


408  Fermente. 

Substanzen  zu  bewirken  im  Stande  sind,  ohne  selbst  dabei  eine  durch  eine  che- 
mische  Gleichung  ausdruckbare  Veranderung  zu  erfabren,  nennt  man  im  Allge- 
meinen  Fermente.  Es  gibt  nun  Fermente,  welcbe  niedere  Organistnen  repra- 
sentiren,  bei  welcben  die  durch  sie  bewirkten  Zersetzungen  gewisser  Stoffe  nur 
eine  Folge  ihrer  Lebensfunctionen  sind ;  sie  werden  als  organisirte  oder  ge- 
formte  Feraente  bezeicknet,  und  die  durch  diese  hervorgebrachten  Veranderungen 
sind  identisch  mit  den  Faulniss-  und  Gahrungsprocessen. 

Solche  organisirte  Fermente  sind  z.  B.  die  Alkoliol-Bierhefe,  Saccharomyces 
cerevisiae  M.,  die  Milchsaurehefe,  Oiclium  lactis  etc.  Es  gibt  sodann  Fermente, 
welche  bloss  chemische  Individuen,  freilich  bisher  noch  sehr  ungeniigend  gekannt, 
reprasentiren,  ohne  irgend  eine  Organisationsstructur,  die  durch  blossen  Contact 
mit  anderen  Substanzen  "bei  Gegenwart  von  Wasser  eine  Veranderung  derselben 
herbeifiihren,  derart,  dass  diese  Substanzen  entweder  direct  in  mehrere  Korper 
zerlegt  werden,  oder  aber  eine  Spaltung  erleiden  und  die  Spaltungsproducte  selbst 
durch  Addition  der  Bestandtheile  eines  oder  mehrerer  Moleklile  Wasser  neue  Sub- 
stanzen bilden. 

So  z.  B.  wird  der  Rohrzucker  (Saccharose)  durch  ein  in  der  Bierhefe  ent- 
haltenes,  ungeformtes  Ferment,  das  Invertin,  in  zwei  andere  Zuckerarten  iiberfiihrt. 
C^H^+H.O    =     Q//1206     +     CfitfI206 

Rohrzucker  Dextrose  Levulose 

Dasselbe  bewirken  auch  verdunnte  Mineralsauren,  so  dass  man  sieht,  dass 
diese  fermentosen  Eigenschaften  durchaus  nicht  an  die  organische  Natur  gekntipft 
sind.  Das  Amygdalin,  ein  Bestandtheil  der  bitteren  Mandeln  und  vieler  anderen 
Theile  gewisser  Prunusarten,  wird  durch  ein  sowohl  in  den  bitteren  als  siissen 
Mandeln  enthaltenes  Ferment,  das  Emulsin,  durch  Aufnahme  von  Wasser  ge- 
spalten  in  Bittermandelol,  Blausaure  und  Zucker. 

C,0H„NOn+K2O    =    C-HtO    +     CNH    +    2(C%HxxOJ 

Anygdalin  Bittermandelol         Blausaure  Zucker 

Das  myronsaure  Kalium,  ein  Bestandtheil  der  Samen  des  schwarzen  Senfs, 
wird  durch  ein  ebenfalls  in  diesen  Samen  enthaltenes,  dem  Emulsin  sehr  ahn- 
liches  Ferment,  das  Myrosin,  ohne  Aufnahme  von  Wasser  in  folgender  Weise 
zerlegt:    Cl0HiSKNS.,O10     =     C.H.NS    +     C6//1206     +     KHSO, 

myi'onsaures  Kalium  Sentol  Zucker         saures  schwefels.  Kalium 

Diese  Fermente,  wie  das  Emulsin,  Myrosin,  Invertin,  Pepsin  (im  Magensaft), 
Diastase  (im  Malz)  etc.,  werden  als  ungeformte  oder  unorganisirte  Fer- 
mente bezeichnet;  die  durch  sie  hervorgerufenen  Processe  wurden  friiher  als 
Zersetzungen  durch  Contact  oder  Katalyse  angesprochen  und  ihrer  Ursacblichkeit 
nach  sehr  verschiedenartig  erkla'rt. 

Man  kann  sich  heute  dariiber  folgende  urspriinglich  zum  Theil  von  Bunsen 
ausgesprochene  Ansicht  bilden.  Die  in  einer  Verbindung  befindlichen  Atome 
baben  ihre  Affinitat  vielleicht  niemals  ganz  gesattigt ;  in  Folge  desen  iiben  sie  auf 
jeden  mit  ihr  in  Beriihrung  gebrachten  Atomcomplex  eine  mehr  oder  minder 
grossere  Anziehung  aus.  Diese  Gegenwirkung  kann  entweder  zu  einer  wirklichen 
Verbindung  einzelner  oder  aller  constituirenden  Theile  der  beiden  Atomcomplexe 
oder  zum  mindesten  zu  einer  Spannung  der  Atome  fuhren.  Selbst  im  ersten  Falle 
aber  ist  die  eventuell  entstandene  Verbindung  in  Folge  der  grossen  Anzahl  der 
sie  constituirenden  Atome  von  so  labilem  Gleicligewicht,  dass  sie  sich  gewohn- 
lich  entweder  sofort  bloss  spalten,  oder  aber  die  Spaltungsproducte,  da  sie  sich 
gewissermassen  im  Entslehungszustand  befinden,  sofort  mit  anderen  Atomen,  z.  B.  in 
den  angegebenen  Beispielen  mit  den  Bestandtheilcn  des  Wassers  in  Verbindung 
treten.  Einer  der  beiden  in  Action  tretenden  Atomcomplexe  von  stabilerem  Gleich- 
gewichte,  in  unseren  Beispielen  das  Invertin.  die  Schwefelsaure,  das  Emulsin  etc., 
d.  i.  die  fermentirende  Atomgruppe  wird  keine  Veranderung  erleiden  und  kann  daher 
wieder  dieselbe  Wirkung  auf  eine  neue  Menge  der  anderen  Substanz  ausiiben. 

Ueber  den  allgemeinen  Charakter  der  ungeformten  Fermente  haben  uns  ins- 
bcsondere    die  Untersuchungen    von  Hiifner,    Zulkowsky    und  Konig    hoch- 


Fermente.  409 

wichtige  Aufschliisse  ertheilt.  Diesen  zufolge  sind  die  ungeformten  Fermente 
ihrer  Zusammensetzung  nach  wesentlich  von  den  Proteinsubstanzen  unterschieden, 
indem  sie  kohlenstoff-  und  stick stoffarmer  sind  als  letztere ;  sie  koraraen  fast  in 
alien  pl^siologisch  wichtigen  Thier-  und  Pflanzenfliissigkeiten  vor,  so  dass  sie 
jedenfalls  als  Vermittler  sehr  wichtiger  Lebensfunctionen  anzusehen  sind.  Viele 
von  ihnen  haben  die  Eigenschaft,  im  Wasser  zwar  nicht  loslich,  aber  im  hohen 
Grade  aufquellbar  zu  sein,  in  welchem  Zustande  sie  z.  B.  von  Aether  in  Form 
einer  dickgallertartigen,  an  der  Oberflache  schwimmenden  Masse  abgeschieden 
werden. 

Die  geformten  Fermente  spielen  bei  den  mannigfachsten  Vorgangen  eine 
sehr  wichtige  Rolle;  sie  sind  es,  die  den  ersten  Anstoss  zu  den  Faulniss-  und 
Verwesnngsprocessen  geben ;  sie  sind,  wie  unstreitig  festgestellt,  die  Keime  und 
Trager  vieler  epidemischer  Pflanzen-  und  Thierkrankheiten.  Die  naturhistorische 
Stellung  and  insbesondere  die  physiologischen  Eigenthtimlichkeiten  der  geformten 
Fermente  waren  bis  vor  Kurzem  sehr  ungeniigend  gekannt,  und  nur  diejenigcn, 
die  bei  der  Darstellung  der  geistigen  Fliissigkeiten,  den  am  langsten  gekannten 
imd  geiibten  Processen,  auftreten,  sind  schon  langere  Zeit  Gegenstand  eingehender 
vielseitiger  Studien  gewesen. 

Die  meisten  fur  die  Techuik  wichtigen  geformten  Fermente  kann  man 
unter  dem  Collectivnamen  Hefe  (lev lire,  lies  —  lees,  barm)  zusammenfassen,  und 
man  spricht  demnach  von  Alkoholhefe,  Milchsaurehefe,  Buttersaurehefe  etc.  Die 
wichtigste  und  bestgekannte  ist  die  Alkoholhefe,  welche  die  geistige  Gahrung 
verschiedenartiger  Fliissigkeiten  veranlasst.  Dieselbe  wurde  zuerst  als  ein  ein- 
facher,  nicht  organisirter,  aus  den  gahrenden  Fliissigkeiten  sich  abscheidender 
Niederschlag  angesehen,  1680  aber  von  Anton  van  Leeuvenhoek  zum  ersten- 
male  mikroskopisch  untersucht  und  von  ihm,  aus  lauter  kleinen  kugeligen  und 
ellipsoidischen,  verschieden  an  einander  gereihten  Korperchen  bestehend,  beschrie- 
ben.  Desmazieres  reihte  sie  1826  als  Micoclerma  cerevisiae  zu  den  Infuso- 
rien,  und  erst  1837  wurde  ihr  pflanzlicher  Charakter  gleichzeitig  von  Cagniard- 
L  a  tour  und  Kiitzing  festgestellt ;  von  dem  Ersteren  wurde  sie  als  Crypto- 
coccus  fermenti  den  Algen  eingereiht,  vom  Letzteren  wurde  ihre  Fortpflanzungs- 
weise  durch  Knospung  entdeckt;  als  eigentliche  Pilzspecies  wurde  sie  von 
Schwann  1837  aufgestellt.  Ihre  organisirte  Natur  wurde  aber  trotzdem  von 
den  hervorragendsten  Chemikern,  wie  Liebig  und  Berzelius,  entsprechend 
den  von  diesen  vertretenen  Gahrnngstheorien  bestritten,  durch  die  eigenen  Unter- 
suchungen  Mi  ts  ch  erlich's  aber  zweifellos  erwiesen.  Es  haben  sich  sodann  sehr 
viele  hervorragende  Botaniker,  wie  Bail,  DeBary,  Berkeley,  Hallier, 
Hoffmann,  Karsten  und  andere  mit  der  Naturgeschichte  der  Hefe  befasst, 
gelangten  jedoch  nicht  zu  iibereinstimmenden  Ergebnissen.  Vorwiegend  nahm  man 
an,  dass  die  Hefe  eine  besondere  Entwicklungsform  von  Sporen  vieler  ffypJw- 
myceten,  wie  Penicillium  glaucum,  Mucor  mucedo  etc.  sei,  bedingt  durch  die 
chemische  Zusammensetzung  der  gahrungsfahigen  Fliissigkeiten  als  Nahrungs- 
substrate  der  letzteren,  und  dass  unter  Umsta'nden  aus  der  Alkoholhefe  wieder  diese 
Pilzspecies  hervorgehen  konnten.  Erst  die  auf  Anregung  De  Bary's  erfolgten 
Untersuchungen  von  Re  ess  1869  in  botanischer  Richtung  und  noch  spater  von 
Fitz  in  chemischer  Richtung  haben  eine  endgiltige  Klarung  der  „Hefefrage': 
bewirkt,  und  zu  folgender,  gegenwartig  fast  nicht  bestrittener  Anschauung  gefiihrt. 

Die  Eigenschaft,  geistige  Gahrung  in  geeigneten  Fliissigkeiten  hervorzurufen, 
kommt  sehr  vielen  verschiedenartigen  Pilzen  zu.  Sporen  und  selbst  Mycelstiicke 
von  vielen  Hyphomyceten,  insbesondere  der  Mucorarten,  konnen  in  zuckerhaltigen 
Fliissigkeiten  eine  Gahrung  bewirken,  wobei  vorzugsweise  Alkohol  und  Kohlen- 
saure  ^ebildet  werden.  Allein  die  in  der  Gahrungstechnik  verwertheten  Hefen- 
pilze  gehoren  einer  anderen  Pilzfamilie,  Saccharomyces,  zu,  die  gewiss  in  gar 
keinem  entwicklungsgeschichtlichen  Zusammenhange  mit  jenen  Hyphomyceten  steht. 
Diese  specifischen  Hefepilze  Saccharomyces  pflanzen  sich  bei  Luftzutritt  und  in 
zuckerarmen  Nahrungsmedien   durch  Ascosporenbildung  (Ascuschlauch)  fort,    wall- 


410  Fermente. 

rend    miter    denselben  Umstanden   jene    anderen    ebenfalls    Gahrung    bewirkenden 
Pilze  Mycelien  and  Hyphen  bilden. 

In  zuckerreichen  Fliissigkeiten  and  bei  beschranktem  Luf'tzutritt  aber  findet 
die  Vernielirung  tier  Saccharomyces  durch  die  sehon  lange  bekannte  Knospung 
statt,  wobei  sick  an  jeder  Hef'enzelle  ein  oder  zwei  Ausstiilpungen  bilden,  die  mit 
fortsehreitendera  Wachsthum  sick  entweder  schliesslich  von  der  Mutterzelle  los- 
trennen,  oder  aber,  mit  ihr  im  Zusammenhange  bleibend,  selbst  neae  Knospen 
freiben,  wodnrch  eigenthiinilich  rosenkranzformige  oder  verzweigte  Zellcolonien 
entstehen.  Die  Gahrung  der  Bierwiirzen,  sowie  der  KartotFel-  and  Getreidemaischen 
wird  durch  Saccharomyces  cerevisiae  Meyen  bewirkt,  wahrend  bei  der  Gahrung 
der  versohiedenen  Weinmostarten  andere  Saccharomycesspecies,  wie  S.  ellipsoi- 
deus,  8.  apiculatus,  S. pastorianus  etc.  auftreten.  Wahrend  man  also  unter  Hefe 
alle  gahrimgserregenden  Pilze  begreift,  ist  unter  Hefepilz  bloss  Saccharo- 
myces zu  verstehen. 

Die  Mucorgahrung  ist  iibrigens  nach  den  Untersuchungen  von  Fitz  wesent- 
lich  verschieden  von  der  normalen,  durch  Saccharomyces  bewirkten  Alkokol- 
giihrung.  Wahrend  Saccharomyces  sehr  widerstandsfahig  ist  gegen  Alkohol,  und 
selbst  bei  einem  Gehalte  der  Fliissigkeit  von  10°/0  desselben  noch  lebhafte 
Gahrung  erfolgt,  wird  schon  bei  einem  Alkohoigehalt  von  3 — 4°/0  die  Mucor- 
gahrung sehr  trage  und  durch  einen  hbheren  Alkohoigehalt  die  Mucorhefe  sogar 
getbdtet.  Auch  soil  nach  Fitz  bei  der  Mucorgahrung  das  Verhaltniss  zwischen 
dem  gebildeteu  Alkohol  und  der  Kohlensaure  ein  anderes  wie  bei  der  Saccharo- 
mycesgahrung,  namlich  bei  Mucor  123-1:100  gegen  96*3:100  bei  letzterer  sein; 

Flir  die  Praxis  insbesondere  wichtig  ist  das  zweifache  Auftreten  der  Alkohol- 
liefe  als  Ober-  und  Uuterhefe.  Bekanntlich  zeigt  die  Hefe  der  alkoholischen 
Gahrung,  je  nachdem  diese  bei  niedrigen  Temperaturen,  4 — 10"  C,  oder  bei 
hoheren,  12  —  24°  C,  vor  sich  geht,  verschiedene  Eigenschaften.  Irn  ersteren 
Falle  scheidet  sie  sich  zumeist  am  Boden  der  Gefasse  ab  (Unterhefe,  Unter- 
gahrung)  und  bestelit  aus  einzelnen,  unzusammenhangenden  Zellen ;  im  letzteren 
Falle  scheidet  sie  sich  fast  vollstandig  an  der  Oberflache  der  gahrenden  Flitssig 
keit  ab  (Oberhefe,  Oberga'hrung).  und  besteht  aus  zusammenhangenden,  gleichsam 
mit  einander  verwachsenen  Zellcolonien.  In  Folge  dessen  und  da  die  durch  Unter- 
gahrung  entstandenen  geistigen  Fliissigkeiten  weit  weniger  spateren  nachtheiligen 
Veianderiiugen  ausgesetzt  waren,  hielt  man  Ober-  und  Unterhefe  fur  typisch  ver- 
schieden, und  nahm  insbesonders  in  Folge  der  Untersuchungen  von  Mitscher- 
lich  und  Wagner  an,  dass  die  Oberhefe  sich  durch  die  bereits  besprochene 
Knospung  oder  Sprossung,  die  Unterhefe  aber  dadurch  fortpflanze,  dass  die  Mutter- 
zellen  platzen,  einen  kornigen  Inhalt  entleeren  und  die  einzelnen  Kornchen  neue 
lose  Hefezellen  bilden.  Die  Untersuchungen  von  Re  ess  lassen  nun  alle  diese 
Erscheinungeii  in  anderer  Weise  richtig  interpretiren.  Nach  ihm  besteht  zwischen 
Ober-  und  Unterhefe  kein  typischer  Unterschied,  und  sind  ihre  Verschiedenheiten 
grossentheils  durch  die  grbssere  oder  geringere  Gahrungsiiitensitat  bei  den  sehr 
verschiedenen  Temperaturen  und  der  dieser  entsprechenden  Kohlensaureentwicklung 
bedingt.  Bei  den  niedrigen  Temperaturen  der  langsamen  Untergahrung  aber  sind 
die  Existcnzbedingungen  fur  andere  nicht  nur  Alkohol-,  sondern  audi  Milch-  und 
Essigsauregahrung  bewirkenden  Pilzformen  nicht  giinstig,  in  Folge  dessen 
diese  sich  nicht  entwickeln  und  fortpflanzen,  und  demnach  auch  spaterbin  diese 
naehtheiligen  Processe  nicht  einleiten  kbnnen.  Bei  den  hbheren  Temperaturen  der 
stiirmischen  Obergahrung  aber  entwickeln  sich  auch  diese  Pilzformen  iippig  und 
betintra'chtigen  daher  nicht  nur  das  Wachsthum  des  echten  Hefepilzes,  sondern 
geben  auch  spater  zu  den  angefiihrten  schadlichen  Gahrungen  Veranlassung. 

Rees's  bezeichnet  daher  die  Unterhefe  als  eine  aus  der  gemischten  unreinen 
Hefe  wilder  Selbstgahrungen  zumeist  mit  Hilfe  niedriger  Temperaturen  geziichtete 
reine  Race,  und  es  la'sst  sich  aus  dem  Angefiihrten  wohl  nicht  schwer  erklaren, 
warum  die  thatsachlich  gelungene  Ueberfiihrung  von  Oberhefe  in  Unterhefe  schwie- 
riger  erfolgt  als  umgekehrt.  E.  Donatli. 


Fermente.  —  Fern'rolir;  411 

Lit  era  tar:  Hiifner  Julirb.  f.  pharm.  Chcm.  1872  5.  Bd.  pag.  372;  Zul- 
kowsky  unci  Konig  Sitzber.  der  kais.  Akad.  in  Wien  Bd.  LXXl  Marz- 
heftl875;  R  e  e  s  s  Zur  Naturgeschichte  der  Bierhefe  Bot.  Ztg.  18G9pag.  105 ; 
Botanische  Untersucliungcn  iiber  die  Alkoholgahrungspilze  1870;  Fitz 
Berichte  der  deutsch.  chera.  Ges.  1873  pag.  48.  S.  a.  Brefeld,  lanclw. 
Jahrb.  1874  III  Heft  1. 

Fermentole  nennt  man  jene  fliichtigen  Principien,  ira  Allgemeinen  von  der 
Natur  sauerstoffhaltiger  ather.  Oele,  welche  ilire  Entstehung  einem  durch  Ferment- 
wirkung  eingeleiteten  Zerfalle  organisclier  (pflanzlicher)  Substanzen  verdanken. 
Solche  Fcrmontole  sind  z.  B.  das  Bittermandelol,  das  KirschlorberSl,  das  ather. 
Sen  fill,  ferner  die  eigentbiimlichen  Riechstoffc,  die  sich  bei  der  Gahrung  versehie- 
dener  Prlanzenblatter  (Eichenblatter,  Nesselblatter,  Eschenblatter,  Buehenblatter, 
Fliederblatter)  oder  Krauter  (Tausendguldenkraut),  sowie  anderer  Pflanzentheile 
(Eiekenrinde,  Fieliten-  und  Tannenrinde,  Tannennadeln  etc.)  bilden.     Gil. 

Fernambllk,  Fernanibuc,  Fernam  buk -Hoi z,  s.  Rothholz. 

Fernaildine-Process  nennt  Weil  ein  ihm  patentirtes  Verfahren  (s.  Bull, 
de  la  soe.  chim.  1874,  21.  Nr.  1  pag.  46)  der  Bef'estigung  von  Farbstoffen  auf 
Zeugen  durch  Ueberziehen  der  niit  dem  Farbstoffe  bedruckten  oder  gefarbten  Faser 
mit  einer  Schichte  von  Collodium.     Gil. 

Femrohr  (telescope  —  telescope)  heisst  ein  optischcs  Instrument,  welches 
entfernte  Gegenstande  unter  einem  grosseren  Gesichtswinkel  (oder  mit  anderen 
Worten  in  einer  geringeren  scheinbaren  Entfernung)  und  in  Folge  dessen  deutlicher 
erscheinen  la'sst. 

Die  Einrichtung  des  Auges  (insbesondere  die  anatomische  Structur  der  Netz- 
haut)  bringt  es  na'mlich  mit  sich,  dass  eine  Dimension  (z.  B.  die  Breite  eines  Striches 
oder  Punktes  u.  dgl.)  der  Wahrnehmung  sich  entziebt,  sobald  der  Gesichtswinkel 
derselben  unter  eine  gewisse  (ubrigens  auch  von  Nebenumstanden  abhangige  und 
daher  nicht  allgemein  angebbare)  Grenze  herabsinkt. 

Eine  solche  die  Wahrnembarkeit  eines  Objectes  beeintrachtigende  Kleinheit 
des  Gesichtswinkels  kann  sich  auf  zweierlei  Art  ergeben.  Es  kann  eutweder  das 
Object  an  sich  so  klein  sein,  dass  es  selbst  bei  der  aussersten  noch  zulassigen 
Annaherung  an  das  Auge  noch  immer  nicht  unter  einem  hinreichend  grossen 
Gesichtswinkel  dem  Auge  dargeboten  ist,  oder  aber  es  kann  die  Entfernung  des 
Objectes  vom  Auge  so  gross  sein, .  dass  der  Gesichtswinkel,  selbst  bei  betracht- 
licher  Grosse  des  Objectes,  zu  klein  ausfallt.  Im  ersteren  Falle  dient  uns  das 
Micro  scop  (s.  den  Artikel),  im  zweiten  das  Telescop*)  oder  Femrohr 
zur  erforderlichen  Vergrosserung  des  Sehwinkels. 

Im  Folgenden  soil  zunachst  von  den    diopt  rise  hen  Telescopen,    namlich 
von  denjenigen  Fernrohren  die  Rede  seio,    die  nur  aus  Lin  sen  (s.  den  Artikel) 
mit  Ausschluss  von  Spiegeln  zusammengesetzt  sind.     Die    catoptrischen  oder 
Spiegel-Telescope  sollen  spater  eine  kurze  Eiwahnung  finden. 
A.    Diopt rische    Telescope. 

Die  dem  betrachteten  Objecte  zugewendete  Linse  oder  vielmehr  Linsen- 
combination  heisst  das  Objectiv  des  Fernrohres.  Dasselbe  soil  stets  eine  apla- 
natische  Doppellinse  **)  (s.  den  Artikel)  sein,  deren  Crownglaslinse  nach 
aussen  (gegen  das  Object)  gekehrt  ist.  Die  tibrigen  Linsen  bilden  zusammen  das 
sogenanDte    Ocular    des    Fernrohres.      Abgesehen    vom    Galilei'schen    Fernrohre 


*)  Wortlich  von  TtAo?,  das  Ende  (ausserste  Feme),  und  axonho,  ich  spShe  (betrachte). 
**)  Bei  den  von  Lit  trow  berechneten  und  von  Plossl  ausgefiihrten  sogeuannten  dia- 
lytischen  Fernrohren  ist  das  Objectiv  eine  Sammellinse  aus  Crownglas,  welche  durch 
eine  von  derselben  durch  einen  grosseren  Zwischenraum  getr  ennte  und  desshalb  ent- 
sprechend  kleinere  (also  auch  leichter  vollkommen  herzustellende)  Zerstretiungslinse 
ausFlintglas  (oder  vielmehr  durch  eine  zusammengesetzte  Zerstretiunglinse)  achromatisirt 
wird.     Dialylisch  konnnt  von  dta,  auseinander,  und  Xvot.  ich  lose. 


412 


Fernrohr  (das  astronomische). 


/ 


(z.  B.  Feldstecher,  Theaterperspectiv),  dessen  Ocular  eine  einfache  Zerstreuungs- 
linse  ist,  sind  die  gangbarsten  Fernrohr-Oculare  Combinationen  aus  zwei  oder  vier 
Sammellinsen,  je  nachdern  das  Fernrohr  ein  sogenanntes  astronomisches  oder 
terrestrisches  (Erdfernrohr)  *)  ist.  Das  astronomische  Fernrohr  zeigt  die  Gegen- 
stande  verkehrt,  das  terrestrische,  sowie  das  Galilei'sche  aufrecht. 

I.  Das  astronomische  Fernrohr.  In  der 
urspriinglichen  einfachsten  Form  besteht  das  astronomische 
(oder  Keppler'sche)  Fernrohr  aus  zwei  Sammellinsen, 
deren  eine  (Fig.  1596)  oo  als  Objectiv,  die  andere  mit 
v  v  bezeichuet,  als  Ocular  dient. 

Das  Objectiv  einer  Linse  von  verhaltnissmassig  grosser 
Brennweite  hat  die  Aufgabe,  von  einem  entfernten  Gegen- 
stande  AB  ein  Bild  ba  zu  erzeugen,  indem  jeder  Punkt 
des  Gegenstandes,  z.  B.  A  durch  die  von  demselben  aus- 
gehenden  und  auf  das  Objectiv  fallenden  Strahlen  in  einem 
entsprechenden  Vereinigungspunkte  a  jenseits  der  Linse 
abgebildet  wird.     (S.  den  Artikel  Linse.) 

Wir  erhalten  auf  diese  Art    ein  verkehrtes  und  ver- 
kleinertes,    aber    in    unsere    unmittelbare   Nahe   geriicktes 
Bild  des  Gegenstandes.     Wiirden  wir  dieses  Bild  (falls  es 
hinreichend  lichtstark  ware)    wie  das  Bild   einer  photogra- 
phischen    camera  obscura    auf  einem  transparenten  Schirm 
auffangen  und  in  der  deutlichen  Sehweite  mit  freiem  Auge 
betrachten,    so  batten  wir  mit  dem  Objective  allein 
schon    eine  Vergrosserung  des  Gesichtswinkels  er- 
,        zielt,    weil  die  Verhaltnisszahl    der  bewirkten  Annaherung 
^      an  das  Auge  grosser  ist  als  die  Verhaltnisszabl  der  gleich- 
zeitig   bewirkten  Verkleinerung;    sobald,    was   wir  voraus- 
c^      setzen    wollen,    die  Brennweite  f0  des    Objectives    grosser 
§      ist    als    die    Sehweite  s  des  Auges.     Ist   namlich    der  Ab- 
stand    a0  des  Gegenstandes  von    der  Linse   im  Vergleicbe 
mit  f0  sehr  gross,  so  wird  das  Bild  nabezu  in  der  Brenn- 
weite   und  sonach  -^mal  verkleinert  erscheinen.  Dafiir  ist 
/o 
E 
es    aber    dem  Auge  — mal  naher   geriickt    als    der  Gegen- 

stand,  wenn  E  die  Entfernung  des  Gegenstandes  vom  Auge 
bedeutet. 

Die    Vergrosserung    des    Gesichtswinkels    wird    also 

uberwiegen,    sobald  —    ^>  -?,    und   zwar   nach  Massgabe 
s  /o 

des  Quotienten  —  :  ~    z=z    —  •  — .  wofiir  man,  insofern 
s       /0  a0       s 

aa    nicht   viel    kleiner    als    E  ist,    auch    —    setzen    kann. 


Diese  Zahl 


V  — 


/„ 


1.) 


nennt  man  die  Obj  e  cti  v  vergros  serung. 
Im  Fernrohre  wird  aber  das  Objectivbild  ba  nicht  mit  freiem  Auge  in  der 
Sehweite,    sondern    mit    dem    als  Lupe   dienenden  Ocularglase  von    kurzer  Brenn- 


Die  aus  drei  Linsen  bestehenden  Oculare    sind  in  diesem  Artikel.    um  denselben  nicht 
zu  scbr  auszudebnen,  nicht  beriicksichtigt. 


Fernrohr  (das  astronomische).  413 

weite  /,    betrachtet,  wodurch*)  abermals  eine  f  -j -  -J-  1  jmalige,  also  annahernd 
— rmalige  Vergrosserung  erzielt  wird,  welclio  Zahl 

v"  =  k *> 

die    Ocular vergrosserung   heisst.     Sie    gibt,    mit    der  Objectivvergrosserung 
multiplicirt,  die  Gesam  mtv  erg rosse rung 

v  —  if- ?>.) 

des  Fernrohres.  T\ 

Die  Wirkung  der  Ocularllinse  besteht  darin,  dass  die  nacb  der  Krenznng 
in  einem  Punkte  (z.  B.  a)  des  Objectivbildes  wieder  auseindergehenden  und  auf 
das  Ocular  fallenden  Strahlen  so  gebrocben  werden,  als  wenn  sie  von  einem  ent- 
fernteren  und  auch  weiter  von  der  Achse  abliegenden  Punkte  (z.  B.  a')  herkamen. 
Die  aus  dem  Oculare  austretenden  Strahlen  wirken  also  in  ihrer  Gesammtheit  so 
auf  das  Auge,  in  dessen  Pupille  sie  eindringen,  als  befande  sich  jenseits  des 
Objectivbildes  ba  ein  demselben  Hauptstrahlenwinkel  (bma  —  b'ma')  entspre- 
chendes,  ebenfalls  umgekehrtes  Bild  b'a'.  Dieses  scheinbare  („imaginare"  oder 
„virtuelle")  Bild  muss  in  der  deutlichen  Sehweite  s  erscheinen,  wenn  das  Fern- 
rohr deutlich  zeigen  soil.  Da  s  bei  jedem  nicht  allzu  kurzsichtigen  Auge  im 
Vergleiche  mit  fx  sehr  gross  sein  wird7  so  wird  die  Ocularlinse  meist  so  zu 
stellen  sein7  dass  der  Abstand  ax  des  Objectivbildes**)  vom  Ocular  nicht  viel 
kleiner  als  die  Brennweite  fx  desselben  ist,  indem  die  nach  einem  Punkte  des  in 
der  Regel  2 — 3  Decimeter  weit  entfernten  imaginaren  Bildes  gerichteten 
austretenden  Strahlen  nie  stark  divergiren  konnen,  und  sonach  annahernd 
parallel  sein  miissen.  Jedenfalls  aber  wird  fiir  verschiedene  Sehweiten  auch  eine 
verschiedene  Einstellung  des  Oculars  nbthig  sein;  grossere  s  erfordern  grossere  ax 
und  umgekehrt,  wesshalb  das  Ocular  fiir  den  Weitsichtigen  weiter  ausgezogen 
werden  muss  als  fiir  den  Kurzsichtigen. 

Der  Winkel,  unter  welchem  das  virtuelle  Bild  b4  a4  dem  Auge  erscheint, 
heisst  der  kiinstliche  Gesichtswinkel  des  betrachteten  Gegenstancles  AB. 
Er  ist  etwas  kleiner  als  der  Hauptstrahlenwinkel  b'ma4  —  ip',  aber  von  diesem 
so  wenig  verschieden,  dass  man  beide  Winkel  als  nahezu  gleich  anzunehmen 
pflegt.  Der  natiirliche  Gesichtswinkel  des  betrachteten  Gegenstandes  AB 
ist  derjenige,  unter  welchem  dieser  nach  Beseitigung  des  Fernrohres  dem  freien 
Auge  erscheint.  Dieser  Winkel  ist  etwas  kleiner  als  der  Hauptstrahlenwinkel 
AcB  zzz  yj,  unter  welchem  der  Gegenstand  vom  Objective  aus  gesehen  erscheinen 
wiirde ;  da  jedoch  die  Lange  des  Fernrohres  im  Vergleiche  mit  dem  Abstande  des 
Gegenstandes  von  dem  (hinter  dem  Ocular  gedachten)  Auge  kaum  in  Betracht 
kommt,  so  kann  \f>  annahernd  fiir  den  natiirlichen  Gesichtswinkel  gelten.  Der 
Quotient  des  kiinstlichen  darch  den  natiirlichen  Gesichtswinkel 

V=^ 4.) 

ist  die  Vergrosserung  des  Fernrohres,  die  nach  Formel  3.)  auch  durch  den  Quo- 
tienten  der  Brennweiten  von  Objectiv  und  Ocular  ausgedriickt  werden  kann. 

Es  ist  einleuchtend,  dass  kein  grosserer  Gegenstand  oder,  besser  gesagt, 
keine  grossere  Dimension  im  Fernrohre  erscheinen  kann,  als  eine  solche,  fiir 
welche  ip  =±  vcv  ware,  da  sonst  die  im  Objective  sich  kreuzenden  Hauptstrahlen 
das  Ocular  nicht  mehr  treffen  wiirden.  Dieses  grosste  t/>,  welches  mit  u>  bezeich- 
net   werden    mag,    bestimmt    also    die    Grosse    des    Sehfeldes,    und  wird    desshalb 


*)  Siehe  Linse,  Lupe.  r 

sf  l 

**)  Nach  den  im  Artikel  Linse  angefiihrten  Formeln   ist  a^   —   i—r —  —    ft     ,     .,  ,  also 

A  +  *       -f  -t-  i 

desto  weniger  von  fl   verscliieden,  je  grosser  s  im  Vergleiche  mit  /,    ist. 


414 


Fernrohr  (das  astronomische). 


geradezu  das  Gesichtsfeld  genannt.  Der  dem  a>  entsprechende  scheinbare 
Gesichtswinkel  ty'  heisst  das  scheinbare  Gesichtsfeld,  nnd  es  gilt  dem- 
nach  vernioge  4.)  die  Relation 

ifi'   ==   Vij) 5.) 

auf  die  wir  spater  zuriickkommen  werden. 

Hieraus  ist  ersichtlich,  das  das  Gesichtsfeld  eines  Fernrohres  nie  grosser 
sein  kann  als  der  Winkel,  unter  welchem  die  Oeftnung  (d.  i.  der  Durchraesser) 
der  dem  Objective  gegeniiberstehenden  Linse  vora  Objective  ans  erscheint. 

Ein  astronomiscb.es  Fernrohr,  dessen  Ocular,  wie  wir  bisher  angenoramen, 
aus  einer  einzigen  Sammellinse  bestande,  wiirde  sehr  nnvollkommen  sein.  Man 
gewinnt  bei  gleicher  Vergrossernng  an  Gesichtsfeld  nnd  Scharfe  der  Bilder,  wenn 
man  anstatt  einer  ein  fa  ch  en  Linse  das  von  Hnyghens  herriihrende,  haufig  nach 
C  a  m  p  a  n  i  benannte  Ocular  anwendet,  dessen  Einrichtung  und  Wirkungsweise  in 
Fig.   1597  dargestellt  ist.*) 

Bedeutet  /,     die  Brennweite    der   grosseren   und  /„ 
Fiq.  1597.  die    der    kleineren    von    den  beiden    (mit  den  Wolbungen 

nacli  dem  Objectiv  gekehrten)  Planconvexlinsen,  so  ist 
f\  rrr  3f„  und  die  Entfernung  beider  Linsen  von  ein- 
ander  d  :=  2fn.  Die  grossere  der  beiden  Linsen  wird  die 
Collectiv  linse,  die  kleinere  die  Augen linse  oder 
Ocular  linse  genannt. 

RS  stellt  das  Bild  vor,  welches  vom  Objectiv  er- 
zeugt  werden  wtirde,  wenn  das  Collectiv  dc  nicht  vorhan- 
den  ware.     Durch    dieses   Glas  werden    alle  vom  Objectiv 


R; 

bw 

p 

^^a 

_L 

r 

gebrochen  und  zngleich  starker  convergent  gemacht,  so 
dass  z.  B.  die  Spitze  des  am  Rande  bei  d  auft'allenden 
Strahlenkegels  nicht  nach  B,  sondern  nach  r  zu  liegen 
kommt. 

Auf  diese  Art  entsteht  anstatt  des  Bildes  ES  ein 
kleineres  und  dem  Collective  naheres  rs,  und  zwar,  bei 
richtiger  Einstellnng,  nahezu  in  der  Mitte  zwischen  beiden 
Linsen,  aber  jedenfalls  innerhalb  der  Brennweite  f,,  der 
Augenlinse.  Diese  empfangt  die  nach  der  Kreuzuug  in  rs 
wieder  divergirenden  Strahlen  und  bricht  sie  dergestalt, 
dass  z.  B.  der  am  Rande  bei  b  auft'allende  Strahlenkegel  in  ein  gegen  die  Achse 
zu  gebrochenes  Btindel  von  schwach  divergirenden  (nahezu  parallelen)  Strahlen 
tibergeht,  die  von  einem  in  der  Zeichnung  nicht  dargestellten,  in  der  deutlichen 
Sehweite  erscheinenden  imiiginaren  Bilde  (wie  b'a'  in  Fig.  1569)  herzukommen 
scheinen. 

Da,    wie  sich  zeigen  lasst,    rs 


=  ~  RS, 


ist  die  Vergrossernng    eiues 


mit    dem  Huy ghens'schen  Oculare  versehenen    astronomischen    Fernrohres    aus- 
gedriickt  durch  die  Formel**) 


Y -     jo 

3    fa_ 


6.) 


Die  Fassung  des  Huy  ghen  s'schen  Oculars  ist  in  Fig.  1589  dargestellt. 
Nahezu  in  der  Mitte  zwischen  beiden  Glaseru  ist  eine  sogenannte  Bl en  dung, 
deren  Weite  zum  Abstande  beider  Linsen  in  einem  bestimmten  Verhaltnisse  steht. 
Da  anderseits    dieses  Verhaltniss.    wie    leicht    einzusehen  ist,    fiir    die  Grbsse    des 


Die  Fassung-  der  Glaser  sammt  Blendung  zeigt  Fig.  1589. 

es  1 
Fonueln  2.)  nnd  3.) 


**)  Die  Yergrosservmg  des  H  u  j  g  h  e  n  s'schen  Ocnlars    ist  naraliLli   -^-   -— -  ;  vergleiche  die 

3     /a 


Fernrohr  (das  astronomische). 


-n. 


Fiii-  ein  solches  Fernrohr  ist,  wenn  die  t/<  in  Grade n  aus- 
gedriickt  werden,  ungefahr  const  ~  28,  woraus  dann  auch 
das  Gesichtsfeld  yj,  sobald  die  Vergrosserung  V  bekannt  ist, 
leicht  in  Graden  berechnet  werden  kann. 
Das  Huyghens'sche  Ocular  wird  auch  haufig  „achroma- 
tisches"  Ocular  genannt.  In  der  That  wird,  wie  im  Artikel 
Linse  gpzeigt  werden  soil,  in  dieser  Linsencombination  die 
Farbenzerstreuung    fast  vollstandig  anfgehoben.     Im  Gegen- 


1599. 


scheinbaren  Gesiclitsfeldes  t/J'  massgebend  ist,   so  ergibt  sich  vermBge  5.)  fiir  ein 
Fernrohr  mit  H  u  y g h  e n  s'schem  Oculare  die  Relation 

l'i/j  =  const*) 7.) 

d.    h.    Gesichtsfeld   und    VergriJsserung    sind    einander    verkehrt 

proportional. 

Grosseren  Telescopen   pflegt  man  cine  Auswahl  von  Fig.   1598. 

mehreren  Ocnlaren  derselben  Art  (wie,  z.  B.  Fig.  1598) 
aber  von  verschiedenen  Vergrosserungen  beizilgeben.  Wcndet 
man  diese  der  Reihe  nach  an  nnd  betrachtet  mit  dem 
Telescope  z.  B.  die  Vollmondscheibe,  so  wird  man  einen 
desto  kleineren  Theil  derselben  im  Sehfelde  erblicken,  zu 
je  starkeren  Vergrosserungen  man  iibergeht,  da  das  Ge- 
sichtsfeld nach  Massgabe  der  Formel  7.)  abnimmt.  Be- 
riicksichtigt  man,  dass  der  scheinbare  Dnrchmesser  (Ge- 
sichtswinkel)  des  Mondes  beilaufig  einen  halben  Grad  be- 
tragt,  so  kann  man  das  Gesichtsfeld  eines  auf  den  Mond 
eingestellten  Fernrohres  leicht  dem  Augenmasse  nach  ab- 
schatzen.     Wir  werden  spater  daranf  znriickkommen. 

Hinsichtlich  des  Huyghens'schen  Oculars**)  ist 
noch  zu  bemerken,  dass  das  Fadenkreuz  (s.  den  Artikel 
Messinstrumente),  wenn  ein  solches  erforderlich  ist,  in  der 
vorhin  erwahnten  Blendung  (namlich  am  Orte  des  durch 
die  Augenlinse  betrachteteu  Bildes)  angebracht  wird. 

Wird  das  Huyghens'sche  Ocular  gewechselt,  so 
wird  mit  demselben  auch  das  Fadenkreuz  gewechselt,  was 
manche  Unannehmlichkeit  mit  sich  bringt.  Dieser  Uebel- 
stand    entfallt   bei  Anwendung   des  Ramsden'schen  Ocu-  |  j 

lars.  Dasselbe  ist  im  Wesentlichen  eine  aus  zwei  getrenn- 
ten  (mit  ihren  Wolbungen  gegen  einander  gekehrten)  glei- 
chen  planconvexen  Linsen  zusammengesetzte  Lupe;  durch 
welche  man  das  vom  Objective  erzeugte  Bild  (an  dessen 
Ort  sich  das  Fadenkreuz  befindet)  direct  betrachtet***). 

Die  anssere  Einrichtung  des  astronomischen  Fern- 
rohres ist  in  Fig.   1599  anschaulich  gemaeht. 

Im  sogenannten  Objectivkopfe  k  ist  das  achroma- 
tische  Objectiv  mit  seiner  (im  Artikel  Linse  naher  be- 
sprochenen)  Fassung  eingeschraubt.  An  die  Rohrc  (Tubus), 
die  einerseits  mit  dem  soeben  erwahnten  Objectivkopfe 
endigt,  ist  anderseits  eine  engere  Rbhre  s  angeschraubt, 
in  welcher  vvieder  eine  andere  Rohre  t  mittelst  des  Trie- 
bes  r  ein-  und  ausgeschoben  werden  kann.  An  diese 
letztere  Rohre  t  wird  das  Ocular  o  angeschraubt,  dessen 
Einstellung  also  mittelst  des  Triebes  r  bewerkstellifft  wird. 


zu  dent  Ramsden'schen  Ocular,  welches  spater  erwahnt  werden  soil  und  ..posi- 
tives" Ocular  genannt  wird,  nennt  man  das  Huyghens'sche  auch  oft  das  „ negative". 
Diese  Bezeichnung  bezieht  sich  auf  den  Umstand,  dass  das  Objectivbild  bei  jenem  vor. 
bei  diesem  hingegen  (virtuell)  h  inter  das  Collectiv  fallt. 
***.)  PI os si  hat  die  beiden  einfachen  Planconvexlinsen  des  Ramsden'schen  Oculars  durch 
achromatische  Linsen  ersetzt  und  so  sein  sogenauntes  aplanatisches  Ocular  her- 
gestellt. 


416 


Fernrohr  (das  terrestrische). 


b    \ 

r^ 

> 

i' L 

1       |  T^-^s^^ 

^s^- 

r                             i 

>        t 

>>^' 

1601. 


II.  Das  terrestrische  Fernrohr.  Das  astronomische  Fernrohr,  so- 
wohl  mit  einfachem  als  auch  rait  dem  Huyghens'schen  oder  R a m s d e n'schen 
Ocnlare,    zeigt  umgekehrt.     Bei  der  Betrachturig  irdiseher  Objecte  ware  dies  sehr 

storend  nnd  mnss  da- 
Fig.  1600.  lier  durch  em  Ocular 

vermieden  werden, 
welches  aufrechte  Bil- 
der  gibt.  Die  Figur 
1600  zeigt  eine  von 
den  vielen  Linsencom- 

binationen,  welche  zu  diesem  Zwecke  construirt  worden  sind.*)  Die  Linse  r  ist 
dem  Objective  zugekekrt,  also  die  Linse  t  dem  Auge.  Das  vom  Objective  er- 
zetigte  Bild  ba  fallt  innerhalb  die  Brennweite  der  Linse  r  und  wird  durch  die 
Wirkimg  der  drei  ersten  Linsen,  zu  Folge  der  in  der 
Zeichnung  dargestellten  Brechung  der  Strahlenkegel,  um- 
gekehrt, so  dass  ein  aufrechtes  Bild  a'b4  entsteht.  Dieses 
wird  durch  die  letzte  Linse  t  als  Lupe  in  derselben  Weise 
betrachtet,  Wie  es  von  dem  Bilde  ba  in  Fig.  1596  gegen- 
iiber  der  Augenlinse  vv  erortert  worden  ist.  Man  muss 
sich  namlich  vorstellen,  dass  die  ans  der  Linse  t  aus- 
tretenden,  etwas  divergirenden  Strahlen  auf  das  (an  der 
Kreuzungsstelle  mit  der  Fernrohrachse  befindliche)  Auge  so 
em  w  irk  en,  als  kamen  sie  von  einem  in  der  Sehweite  be- 
findlichen  (imaginaren)  Bilde  (wie  b'a'  in  Fig.  1596)  her. 
Dieses  scheinbare  Bild  ist  natiirlich  ebenfalls  ein  auf- 
rechtes. 

Ein  mit  einem  solchen  („terrestrischen")  Oculare  ver 
sehenes  Fernrohr  wird  ein  terrestrisehes  oder  Erdfernrohr 
genannt. 

Die  vollstandige  Einrichtung  des  terrestrischen  Ocu- 
lars sammt  Fassung  ist  aus  Fig.  1601  ohne  weitere  Be- 
schreibung  ersiehtlich.  —  Das  Fadenkreuz,  wenn  ein  sol- 
ches  erfordert  wird,  ist  in  der  weiteren  Blendung  (ein 
wenig  innerhalb  der  Brennweite  der  Augenlinse)  anzu- 
bringen. 

Bezeichnet  man  die  Brennweite  des  achromatischen 
Objectives  auch  hier  mit/0  und  der  Ocularlinsen  der  Reihe 
nach  mit  fv,  f„,  f3  und  /4,  so  gilt  fur  die  Vergrosserung 
die  Formel 

V  —  tJf 8.) 

wobei  m  ein  von  der  Einrichtung  des  Oculars  abhangiger 
Coefficient  (Jbei  den  F  raunhof  er'sehen  Ocularen  betracht- 
lich  grosser  als  1.)  ist.**) 


*)  Bei  einem  von  Frannhofer  construirten  derartigen  Ocu- 
lare, welches  vom  Verfasser  imtersucht  wurde,  waren  die 
Brenmveiten  j\  und  /,  der  beiden  aussersten  Linsen  unter 
sich  annahernd  gleich.  also  /,  ~  f4  ~  /.  Ebenso  die 
Brennweiten  f2  und  f3    der  beiden  mittleren  Linsen,   jedoch 


grosser  als  /,  namlich  /,   —  f3  —  F 


Die  Linse  2 


hat  die  kleinste,  3  die  grosste  Oeffnung.     Zwischen  1  und  2.  sowie  zwisehen  3  und  4 
befinden    sich    Blendungen,    je  im  Abstande  von  nahezu  /  von    den  aussersten  Linsen. 

F  f 

Die  Abstande  1,  2;  2.  3;  und  3,  4  waren  beziehungsweise  /  -\-~ ;  2F  und  /  -4-  — . 

")  Vergleiche  Formel  6.). 


Fernrohr  (das  holl&ndische  oder  Galilei'sche 


41 


Das  Gesichtsfeld  winl  auch  hier  diirch  den  Winkel  bestimmt,  imter  welchem 
die  Oeffnung  der  Linse  /  (d.  i.  r  in  Fig.  1600)  void  Objective  aus  erscheiiit. 

Wenn  die  beidenlliil- 
sen,    welche    in  dem  Figur  Fig.  1602. 

1601  dargestellten  terrestri- 
schen  Oculare  je  zwei  Lin- 
sen  enthalten,gegeneinander 
verschiebbar  sind,  so  liegt 
darin  cin  Mittel,  den  Werth 
der  Constanten  m  in  Formel 

8.),  also  die  Vergrosserung  zn  verandern.  Ein  solches, 
eine  innerhalb  gewisser  Grenzen  beliebig  veranderliche  Ver- 
grosserung gewahrendes  Ocular  wird  ein  pan cratisc lies 
genannt. 

Wird  das  terrestrische  Fernrohr  als  Standfernrohr 
(aufStativ)  gebraucht,  so  gibt  man  ihm  die  beim  astrono- 
mischen  Fernrohre  beschriebene  Form  (Fig.  1599).  Soil 
es  bequem  transportabel  sein  (z.B.  als  Touristen-Fernrohr), 
so  wird  es  al s  sogenanntes  Auszugsfernrohr  oder 
Z  u  g  f  e  r  n  r  o  h  r  (Fig.   1 602)  construirt.*) 

Eine  sogenannte  B  a  u  m  s  e  h  r  a  u  b  e  dient  zur  Be- 
festigung  des  Fernrohr  es. 

Die  Ausziige  eines  Fernrohres  bilden  nach  dem 
Herausziehen  nie  ein  gerades  Rohr  und  beeintrachtigen 
daher  die  fur  die  Scharfe  der  Bilder  so  nothwendige  „Cen- 
trirung".  Aus  diesem  Grunde  werden  nur  kleinere  Per- 
spective als  Zugfernrohre  construirt. 

III.  Das  h  o  1 1  a  n  d  i  s  c  h  e  oder  G  a  1  i  1  e  i'sche 
Eernrohr.  Ein  aufrecht  zeigendes  Fernrohr  kann  man 
auch  herstellen,  wenn  man  eine  Zerstreuungslinse  auf  so- 
gleieh  naher  zu  bezeichnende  Art  als  Ocular  anwendet. 
Lasst  man  namlich  die  aus  dem  Objective  austretenden 
Strahlen,  bevor  sie  sich  zu  einem  Bilde  ba  (Fig.  1603) 
vereinigen,  so  auf  eine  Zerstreungslinse  fallen,  dass  der 
Ort  des  nicht  zu  Stande  komraenden  Bildes  ausserhalb  der 
(imagina'ren)  Brennweite  der  Zerstreungslinse  zu  liegen 
kommt,  so  wird  ein  z.  B.  dem  Punkte  A  des  betrachteten 
Gegenstandes  entsprechender  Strahlenkegel  oao  (der  in  a 
das  Bild  von  A  erzeugen  wiirde)  dergestalt  gebrochen  und 
von  der  Achse  des  Fernrohres  abgelenkt,  dass  die  aus  dem 
Ocular  austretenden  Strahlen  nicht  mehr  nach  dem  Punkte 
a  des  Hauptstrahles  ma,  sondern  nach  einem  jenseits  der 
Linse  liegenden  Punkte  a'  desselben  Hauptstrahles  conver- 
giren,  das  heisst:  die  Strahlen  treten  (gleichwohl  nur  in 
geringem  Grade)  divergent  aus  der  Linse  und  bewirken  in 
dem  dicht  hinter  dieser  Linse  angebrachten  Auge  den  Ein- 
druck,  als  kamen  sie  von  einem  aufrechten  Bilde  a'b'  jenseits 
der  Linse  her.  Die  scheinbare  Entfernung  desselben  istj 
bei  angemessener  Einstellung  des  Oculars,  die  deutliche 
Sehweite. 

Setzt  man  auch  hier  fur  den  natiirlichen  Gesichts- 
winkel  ip  den  Winkel ^.c^B  =:bca  und  fiir  den  kiinstlichen 
Gesichtswinkel  i/»'  den  Winkel  a'mb'  r=  bma,  so  erhalt 
man,    da  die  Abstande  des  (nicht  zu  Stande  komraenden)  Bildes  ba  von  Objectiv 


*)  In  Fig.   1593  sind  die  Linsen  nur  angedeutet,  aber  nicht  genau  gezeichnet. 
Karmarsph  &  Heeren,  Technisches  Wbrterbuch.     Bd.  III.  '21 


418  Fernrohr  (das  hollandische  oder  Galilei'sche). 

und  Ocular  nur  sehr  wenig  die  Brennweiten  f0  und  f1  dieser  Linsen  Ubertreffen, 
und    insofern     die    Winkel    i/>    und    ip'    als     sehr    klein     angenommen     werden, 

-iX.  z=  -%-  :  -4-  —  ty-  Setzt  man  ferner  annahernd  ^zL  -£-  _Z_  —  ]7  So  er- 
*^V  }\        Jo         /i  tyV  V 

halt  man  ftir  die  Vergrosserung  des  hollandischen  oder  G  a  1  i  1  e  i'schen  Fernrohres 
eine  Formel  von  derselben  Gestalt  wie  Formel  3.)  fllr  das  einfache  astronomische 
Fernrohr,  nSmlich 

V  —  I*. a\ 

~  A  j 

Je  schSrfere  Zerstreuungslinsen  als  Oeulare  angewendet  werden,  desto  kleiner 
wird  /,,  desto  nSher  wird  also  auch  das  Ocular  gegen  ha  (welches  nahezu  in  der 
Objectivbrennweite  liegt)  herausgezogen ;  die  Distanz  cm  zwischen  Objectiv  und 
Ocular  (Lange  des  Fernrohres),  welche  irn  Allgemeinen  f0  — /,  ist,  nimmt 
also  zu.*) 

Die  Abweichung  der  aus  dem  Ocular  austretenden  divergenten  Strahlenkegel 
von  der  Achse  bringt  es  mit  sich,  dass,  selbst  wenn  die  Pupille  des  Auges  dicht 
an  der  Linse  sich  befindet,  nicht  mehr  Licht  in  das  Auge  dringen  kann,  als 
oinem  der  Pupille  gleichen  Theile  der  Ocularoffnung  entspricht,  wahrend,  wenn 
die  Augenlinse  eine  Sammeilinse  ist,  das  im  sogenannten  Augenorte  (namlich 
an  der  Kreuzungsstelle  der  austretenden  Strahlenkegel  mit  der  Achse)  befindliche 
Auge  auch  Strahlen  aufnehmen  kann,  welche  in  der  Nahe  des  Randes  der  Augen- 
linse aus  derselben  austreten,  also  einem  viel  grosseren  Theile  der  Oeffnung  dieser 
Linse  entsprechen. 

Aus  dem  Gesagten  ist  zugleich  ersichtlich,  dass  das  Gesichtsfeld  eines  hol- 
landischen Fernrohres  immer  ein  sehr  beschranktes  sein  muss  und  ungefShr  durch 
den  Winkel  bestimmt  ist,  unter  welchem  der  Durchmesser  der  Pupille  aus  der 
Entfernung  f0 — ft  erscheinen  wtirde. 

Bewegt  man  das  Auge  am  Oeulare  hin  und  her,  so  kcinnen  immer  andere 
Strahlenkegel  von  der  Pupille  aufgenommen  werden.  Um  dies  zu  erzielen,  ist 
jedoch  ein  entsprechend  grosses  Ocular  erforderlich,  und  hangt  das  Gesichtsfeld 
auch  von  der  Oeffnung  des  Objectives  ab. 

Da  im  hollandischen  Fernrohre  kein  reelles  Bild  zu  Stande  kommt,  so  kann 
in  demselben  selbstverstandlich  auch  kein  Fadenkreuz  (welches  ja  immer  im 
Orte  eines  reellen  Bildes  sich  befinden  muss)  angebracht  werden.  Es  eignet  sich 
daher  nicht  ftir  Visir-Instrumente. 

Wegen  des  beschrankten  Gesichtsfeldes  vertragt  das  Galilei'sche  Fern- 
rohr auch  keine  starken  Yergrosserungen. 

Die  gewShnlichste  Form  dieses  Fernrohres 
Fig.  1604.  ist  das  Theaterperspectiv  (Fig.  1604)**), 

welches  gewohnlich  als  Doppelperspectiv  (Opern- 
gucker)  in  Verwendung  ist  und  in  der  Regel 
nur  eine  2-  bis  .Smalige  Vergrosserung  besitzt. 
Debrigens  hat  man  auch  Operngucker  mit  so- 
genannten R  e  v  o  1  v  e  r  -  0  c  u  1  a  r  e  n  construirt, 
bei  welchen  mittelst  einer  einfachen  Drehvor- 
richtung  drei  verschiedene  Oeulare  nach  Belie- 
ben  gewechselt  werden  konnen.  Eines  dieser 
Oeulare  gibt  die  gewohnliche  (etwa  2malige) 
Theater- Vergrosserung,  die  beiden  anderen  jedoch  starkere  Yergrosserungen, 
z.  B.  3-  und  4malige. 

Eine    andere    Form    des     G  a  1  i  1  e  i'schen    Fernrohres     ist     der    sogenannte 


*)  Beim  einfachen  astronomischen  Fernrohre  ist  diese  Distanz  annahernd  /„  -f-  /, . 
*)  Die  Zeichnnng  ist  insofern  nicht  ganz  genau.  als  das  Objectiv  oo  inWirklichkeit  keine 
einfache,  sondern  eine  achromatische  Sammeilinse  ist. 


Fernrohr  (Leistnngen).  419 

F  elds  tec  her.  Er  hat  die  Gestalt  eines  kurzen  Auszugsfernrohres  mlt  1  bis  3 
Ausziigen. 

Beim  Feldstecher  konnen  die  Vergrosserungcn  mittelst  einer  Drehscheibe 
gewechselt  werden,  welche  etwa  4  Oculare  zur  Auswahl  darbietet,  deren  Ver- 
grosserungen  je  nach  den  Diraensionen  des  Feldstechers  abgestuft  sind,  im  Allge- 
rneinen  aber  zwischen  den  Grenzen  4  und  30  liegen. 

Die  Banmschranbe  ist  am  Feldstecher  hanfig  ein  fiir  allemal  in  compen- 
dioser  Weise  befestigt. 

Soil  der  Feldstecher  (z.  B.  bei  der  Anwendung  fiir  militarische  Zwecke)  in 
freier  Hand  gehalten  werden,  so  gibt  man  den  Ocularlinsen  (wie  auch  beim 
Theaterperspective)  eine  grbssere  Oeffnung,  nm  das  Anfsuchen  der  in's  Ange  zu 
fassenden  Objecte  zu  erleichtern,  was  wegen  der^Kleinheit  des  Gesichtsfeldes  bei 
kleinen  Ocularlinsen  sehr  schwierig  ware. 

Eine  weitere  Anwendung  findet  das  Princip  des  hollandischen  Fernrohres 
bei  der  Briicke'schen  Lupe.  Sie  besteht  aus  einem  achromatischen  Doppel- 
objective  und  einer  Zerstreungslinse,  gibt  (etwa  9cm  lang)  eine  nahezu  Tmalige 
Vergrosserung,  und  gestattet  die  Betrachtung  von  Objecten,  die  ungefahr  8frn  weit 
vom  Objective  entfernt  sind. 

Der  Gedanke,  zwei  Fernrbhren  zu  einem  binocularen  Telescop  oder  Doppel- 
perspectiv  ( b  i  n  o  c  1  e )  zu  verbinden,  den  wir  an  den  bereits  erwahnten  Opern- 
guckern  realisirt  sehen,  ist  in  neuerer  Zeit  auch  auf  grossere  Perspective  (Erd- 
fernrohre)  angewendet  worden. 

IV.  A 1 1  g  e  m  e  i  n  e  Bemerkungen  ii  b  e  r  die  B  e  u  r  t  h  e  i  1  u  n  g  und 
Priifung  der  Lei  stung  en  eines  Fernrohres. 

Bei  der  Leistung  eines  Fernrohres  kommen,  abgesehen  von  der 
Vollkommenheit  des  Bildes,  drei  Momente  in  Betracht:  die  Vergrosserung , 
das  Gesichtsfeld  und  die  Helligkeit. 

Von  der  Vergrosserung  und  dem  Gesichtsfelde  ist  insofern  bereits  die  Rede 
gewesen,  als  wir  bei  Bespreclmng  der  verschiedenartigen  Fernrbhren  die  construc- 
tiven  Verhaltnisse  angegeben  haben,  von  welchen  jene  Grossen  abhangen. 

Zur  Erlauterung  des  Begriffes    der  Helligkeit    diene  folgende  Erwagung. 

Betrachten  wir  beispielsweise  den  Mond,  das  eine  Mai  mit  freiem  Auge, 
dessen  Pupillenbffnung  =  co  sein  mag,  und  das  andere  Mai  mit  einem  Fernrohre 
von  der  Objectivoffnnng  zzz  0. 

Wir  wollen  annehmen,  das  Fernrohr  sei  ein  astronomisches  oder  terrestri- 
sches,  und  es  kamen  bei  richtiger  Stellung  des  Auges  (an  der  Kreuzungsstelle  der 
aus  dem  Ocular  austretenden  Btrahlen  mit  derAchse)  alle  vom  Monde  dem  Objec- 
tive zngesendeten  Strahlen  in  die  Pupille.  Dann  verhalten  sich  die  vom  Auge 
aufgenommenen    Lichtmengen    in    beiden   Fallen    wie    w"  zu  Oa,    d.    h.    das  Ange 

empfangt  bei  der  Betrachtung  durch  das  Fernrohr — ^mal  mehr  Licht  als  bei  der 

CO1 

Betrachtung  mit  freiem  Auge.  Ware  das  Netzhautbild  des  Mondes  in  beiden 
Fallen  gleich  gross,  so  wiirde  die  auf  die  Flacheneinheit  desselben  (des  Netzhaut- 
bildes)  entfallende  Lichtmenge,  die  man  eben  Helligkeit  nennt,  bei  Anwendung 

des  Fernrohres  eben  auch  — smal  grosser  sein.  Das  Netzhautbild  ist  aber  der  Fla'che 

nach  in  diesem  Falle,  wenn  die  (lineare)  Vergrosserung  des  Fernrohres  :=.  V  ist. 
F2mal  grosser  als  bei  Anwendung  des  freien  Auges,  folglich  entspricht  der 
Helligkeit   bei  der  Betrachtung  durch  das  Fernrohr  nur  der  Werth 

H--^ •    •    •    •  10.) 

wenn  die  Helligkeit  bei  der  Betrachtung  mit  freiem  Auge  z±  1  gesetzt  wird. 
Es  lasst  sich  zeigen,  dass 

r=± id 

o 


420  Fernrohr  (Leistungen). 

wobei  o  den  Durchmesser  des  kleinsten  Querschnittes  des  aus  dem  Ocular  aus- 
tretenden  Lichtbiindels  vorstellt.     Man  erhalt  sodann 

*-S »o 

Wenn  also  die  Pupillenoffnung  (des  freien  Auges)  jenem  kleinsten  Quer- 
schnittsdurchmesser  gleichkommt,  ist  H  =  1,  d.  h.  das  Fernrohr  gewahrt,  abge- 
sehen  von  den  Liehtverlusten  beim  Durchgange  dnrch  die  Glaser,  dieselbe  Hellig- 
keit, wie  bei  der  Betrachtung  rait  freiem  Auge.  Man  nennt  diese  die  natiir- 
liche  Helligkeit. 

Diese  Helligkeit  findet  auch  statt,  wenn  co  <  o;  denn  wird  z.  B.  o  mmal 
grosser  als  vorhin  (da  es  —  go  war),  so  wird  dadurch  vermoge  11.)  die  Ver- 
grosserung des  Fernrohres  und  somit  auch  die  Flache  des  bei  Anwendung  des 
Fernrohres  entstehenden  Netzhantbildes  m2mal  kleiner,    anderseits  aber  auch  von 

der  Pupille   nur  der  Bruchtheil  — s    des    aus    dem    Oculare    austretenden    Lichtes 

m2 

aufgenommen,  wesshalb  die  Helligkeit  unverandert  bleibt.  *) 

H  ist  also  gleich  1,  so  lange  a>  :^f  0;   wird  dagegen  co  ">>  0,  so  fallt  die 

Helligkeit   im    quadratischen  Verhaltnisse  von  —  geringer  aus.  **) 

CO 

Bei  Fixsternen,  die  selbst  im  starksten  Refractor***)  nur  als  scharfe  Licht- 
punkte  ohne  merkliche  Ausdehnung  erscheinen,  entfallt  der  durch  die  Formel  10) 
ausgedriickte  Einfluss  der  Vergrosserung  (die  hier  eben  nicht  zur  Geltung  kommt) 

auf  die  Helligkeit   und  wachst    diese  demnach    im  Verhaltnisse  — h. 

CO2 

Bezeichnet  man  die  Helligkeit,  mit  der  ein  Fixstern  dem  freien  Auge  er- 
scheint,    mit    /,    so  wiirde  dieselbe,    wenn    der   Fixstern  \ih~ mal   weiter   entfernt 

ware,  nach  bekannten  Gesetzen  der  Lichtfortpflanzung  —  betragen.  Durch  An- 
wendung   eines  Fernrohres  von    der  Objectivoffnung    0  —   co  \JJT  empfangt    das 

O2 
Auge  — 7l  mal  —  h  mal    mehr  Licht,    und  wiirde    demnach    der  Fixstern    in    der 

\//7_mal  grosseren  Entfernung  ebenso  hell  erscheinen,  wie  dem  freien  Auge  in 
der  ursprtinglichen  Entfernung.    Desshalb  nennt  man  nach  Hers ch el  die  Grosse 

\h     rr:  —  die  raum  durch  dringende  Kraft  eines  Telescopes. 

Die  zulassige  Vergrosserung  F,  beziehungsweise  die  erforderliche  Helligkeit 
H  hangt  von    der  Lichtsta'rke    der  zu  betrachtenden  Objecte    ab.     Beim  terrestri- 

3 
schen  Fernrohre    pflegt  man    darauf  anzutragen,    dass  H  nicht  unter  —      herab- 

geht.    Mit  derselben  Helligkeit,  I -^— Kbegniigt  man  sich  auch  bei  dem  sogenannten 

M  a  r  i  n  e  -  F  e  r  n  r  0  h  r  e  zu  Gunsten  einer  entsprechend  starkeren  Vergrosserung. 
Bei  astronomischen  Telescopen  pflegt  man  die  Vergrosserungen,  insofern  es  Licht- 
starke  und  Gesichtsfeld  gestatten,  oft  viel  weiter  zu  treiben,f)  worauf  wir  spater 
noch  zuriickkommen. 


*)  Die  Formel  12.),  nach  welcher  fur  01  •<  o,  H  .>   1  werden  miisste,  gilt  eben  vermoge 

ihrer  Ableitung  nur  so  lange,  als  alles  ans  dem  Ocnlar  tretende  Licht  von  der  Pupille 

aufgenommen  wird. 
**)  Selbstverstandlich  immer  unter  der  stillschweigend  zu  Grunde  gelegten  Annahme,    dass 

die  Pupillenoffnung  beim  Durchsehen    durch   das  Fernrohr    dieselbe  Grosse    hatte    wie 

bei  der  Betrachtung  mit  freiem  Auge. 
***)  Man  bezeichnet  mit  dem  Ausdrucke  Refractor  ein  dioptrisches  oder  Linsen-Telescop. 

wahrend  man  ein  catoptrisches  oder  Spiegel-Telescop  einen  Reflector  nennt. 
t)  Hierbei  kommt  der  Umstand  zu  Gute.    dass    die  meisten  Himmelskorper  eigenes  Licht 

haben. 


Fernrohr  (Leistungen).  421 

Die  schwachste  Vergrosserung  wahlt  man  stets  so,  das  H  —  1  ausfallt. 
Im  Allgemeinen  dient  die  Formel 

V=-^ 13.) 

zur  Berechnung  der  zulassigen  Vergrosserung,  sobald  man  iiber  die  einzuhaltende 
Helligkeitsgrenze  im  Reinen  ist,  und  einen  bestimmten  Werth  fur  m  angenommen 
hat.  Nach  Prechtl  kann  man  co  —0.06  W.-Zoll  nehmen.  Hieraus  folgt,  wenn 
0  und  co  in  Centimetern  (to  —  0.158)  angegeben  werden,  annahernd 

v=100im "•) 

Es  entsprache  demnach  z.  B.  einem  Fernrohre  von  4om  (Objectiv-)  Oeffnung, 
falls  die  natiirliche  Helligkeit  (H  z=.  1)  nicht  beeintrachtigt  werden  soil,  eine 
25malige  Vergrosserung. 

Ebenso  leicht  kann  man  die  zur  Erzielung  einer  gewissen  Vergrosserung 
bei  gegebener  Helligkeit  erforderliche  Objectivbffnung  berechnen,  namlieh 

«  =  ^F -) 

Demnach  ware  z.  B.  zur  Erzielung  einer  lOOmaligen  Vergrosserung  bei 
—  der  natiirlichen  Helligkeit  eine  Oeffnung  von  8em  erforderlich. 

Nach  einer  von  Fraunhofer  herriihrenden  Regel  fiir  die  Dimensionirung 
der  Fernrdhren  sollen  sich  die  dritten  Potenzen  der  Ojectiv-Brenn- 
weiten  wie  die  vie r ten  Potenzen  der  Obj  ecti  v-0  effnungen  ver- 
halten,  wobei  einem  Objective  von  zwei  Fuss  Brennweite  eine  Oeffnung  von 
23-83  Linien  (Wiener  Mass)  entspricht.*) 

Es  ergibt  sich  hieraus,  dass  ein  terrestrisches  Fernrohr  bei  einer  nicht  viel 
mehr  als  40maligen  Vergrosserung  (die  natiirliche  Helligkeit  vorausgesetzt)  schon 
die  Lange  von  etwa  lm  erreicht.  Da  ein  Auszugsfernrohr  von  grosserer  Lange 
schon  nicht  mehr  gut  centrirt  bleibt,  so  erscheint  es  nicht  zweckmassig,  bedeu- 
tend  starkere  Fernrdhren  noch  mit  Ausziigen  zu  construiren,  wesshalb  denn  auch 
die  Objective  der  grdssten  Zugfernrohre  eine  Oeffnung  von  6cm  kaum  iiber- 
schreiten. 

Fiir  astronomische  Telescope  gibt  Prechtl**)  die  Regel  an,  dass  man 
als  starkste  zulassige  Vergrosserung  das  4T/2fache  der  in  Wiener  Zollen  aus- 
gedriickten  Objectiv-Brennweite  annehmen  kdnne.  Die  Helligkeit  wird  dabei  selbst- 
verstandlich  entsprechend  weit  unter  den  Betrag  der  natiirlichen  Helligkeit  herab- 
gesetzt. 

Fernrdhren  von  grosser  Helligkeit  und  grossem  Gesichtsfelde  kdnnen  natiir- 
lich  nur  eine  verhaltnissmassig  schwache  Vergrosserung  haben.  Man  braucht  solche 
Insrumente  zum  Aufsuchen  lichtschwacher  Objecte.  Sie  liaben  grosse  Objectiv- 
und  Ocular-Oeffnungen.     Hieher  gehdren  die  sogenannten  Cometensucher. 

Fernrdhren  mit  Vorrichtungen  zur  genauen  Messung  des  scheinbaren  Sonnen- 
durchmessers  heissen  Heliometer.***) 

Die  an  grossen  Telescopen  parallel  mit  denselben  angebrachten  kleinen 
Fernrdhren,  welche  zur  vorlaufigen  annahernden  Einstellung  dienlich  sind,  werden 
Sucher  genannt. 

Bei  der  Prufung  eines  Fernrohres  kommt  es  nicht  nur  auf  die  Er- 
mittlung  der  Vergrosserung  des  Gesichtsfeldes  und  der  Helligkeit  an,  sondern  auch 


*)  Uebertragt  man  diese  Zahlen  auf  Metermass,    so  kommen  auf  5cm  Oeffnuug  sehr  nahe 

60  (genauer  59-52cm)  Brennweite. 
**)  Prechtl,    Dioptrik   pag\  176.     Die    Eegel   beruht    auf  der    Annahme    einer    gewissen 
Minimal-Brennweite  des  Oculars    mit  Riicksicht    auf  Gesichtsfeld  und  Deiitlichkeit  des 
Bildes. 
***)  Bei  Beobachtungen  der  Sonne  pfiegt  man  gefarbte  Dunkelgliiser,  sogenannte  Sonnen- 
glaser  hinter  dera  Ocular  (d.  h.  zwischen  Ocular  und  Auge)  anzubringen. 


422  Fernrohr  (Leistungen). 

auf  die  Erprobung  der  Vollkommenheit  des  Bildes,  wie  sie  durch  Beeeitigung  der 
chromatischen  und  sphanschen  Abweichung,  gute  Centrirung,  Gleichfbrmigkeit  und 
passende  Wahl  der  Glassorten  und  genaue  Einhaltung  der  richtigen  dioptrischen 
Verhaltnisse  in  der  Dimensionirung  und  Anordnung  der  Linsen  und  Blendungen 
erzielt  wird. 

Es  wiirde  zu  weit  flihren,  auf  die  Methoden  zur  Aufsuchung  einzelner 
Fehlerquellen  einzugehen.  Wir  begniigen  uns,  in  Kiirze  die  Proben  anzufuhren, 
nach  welchen  sich  im  Allgemeinen  die  Qualitat  und  Leistung  eines  Fernrohres 
beurtheilen  lasst. 

Betrachtet  man  durch  das  Fernrohr  die  Kante  eines  dunklen  Gegenstandes 
auf  hellem  Hintergrunde,  so  sollen  bei  richtiger  Einstellung  des  Oculars  keine 
farbigen  Saume  an  der  betrachteten  Kante  erscheinen,  auch  dann  nicht,  wenn  die- 
selbe  aus  der  Mitte  des  Sehfeldes  gegen  den  Rand  desselben  geriickt  wird. 

Schiebt  man  das  Ocular  aus  seiner  richtigen  Stellung  nach  einwarts  oder 
auswarts,  so  treten  auch  beim  besten  Fernrohre  Farben  auf  (das  sogenannte 
secundare  Spectrum);*)  diese  sollen  jedoch  keine  grellen  Farben 
(z.  B.  feuerroth  oder  tiefblau)  sein,  sondern  z.  B.  purpurroth  beim  Hinein- 
schieben  und  weingelb  beim  Herausziehen  des  Oculars.  **) 

1st  das  Objectiv  eines  Fernrohres  zwar  von  der  chromatischen,  nicht  aber 
von  der  spharischen  Abweichung  gehorig  befreit,  so  erkennt  man  dies  an  einer 
nebelartigen  T  r  ii  b  u  n  g ,  in  welcher  es  die  Gegenstande  zeigt. 

Ein  vorziigliches  Priifungsmittel  eines  Fernrohres  in  Bezug  auf  die  Scharfe 
der  Bilder  liegt  in  der  Betrachtung  eines  Fixsternes  durch  das  Fernrohr.  Ein 
soldier  darf  nicht  wie  ein  Comma  oder  in  anderer  Weise  verzerrt  und  auch  nicht 
wie  ein  von  einer  Hiille  umgebener  heller  Kern,  sondern  muss  als  ein  scharf 
markirter  glanzender  Punkt  ohne  Ausdehnung  erscheinen.  Je  vollkomenner  ein 
Fernrohr  dieser  Probe  geniigt,  desto  leichter  wird  es  auch  sein,  mit  demselben 
Doppelsterne  als  solche  zu  erkennen,  oder,  wie  man  sagt,  „aufzulosen",  worin,  so 
wie  in  der  Auflosung  von  Sternhaufen  und  Sternnebeln,  ebenfalls  ein  scharfes 
Priifungsmittel  zur  Vergleichung  von  Telescopen  der  verschiedensten  Grossen 
besteht.  ***) 

Auch  schwarze  Flecke  von  verschiedener  Form  (kreisformig,  dreieckig  und 
quadratisch)  auf  weissem  Papier,  oder  Systeme  von  Parallelstreifen  in  Abstufun- 
gen  verschiedener  Breite  und  Distanz,  oder  endlich  ein  beliebiger  Letterndruck, 
in  angemessenen  Entfernungen  betrachtet,  sind  gut  brauchbare  Probeobjecte  zur 
Beurtheilung  der  Giite  und  Leistung  eines  Fernrohres. 

Die  Vergrosserung  eines  Fernrohres  ermittelt  man  sehr  haufig  durch 
directe  Vergleichung  des  natiirlichen  und  kiinstlichen  Gesichtswinkels  auf  foi- 
gende  Art. 

Ein  entfernter  Gegenstand,  welcher  eine  Anzahl  von  gleichen  Unterabthei- 
lungen  darbietet  (wie  z.  B.  eine  eingetheilte  Latte^  eine  Reihe  von  Dachziegeln, 
ein  Gartengelander  u.  dgl.),  wird  mit  dem  einen  Auge  durch  das  Fernrohr  und 
gleichzeitig  mit  dem  andern  Auge  unmittelbar  betrachtet.  Man  beobachtet  dabei, 
wie  viele  mit  freiem  Auge  gesehene  Abtheihmgen  auf  eine  im  Fernrohr  vergrossert 
gesehene  kommen.     Ebenso  vielmal  vergrossert  das  Fernrohr. 

Das  Gesichtsfeld  eines  Fernrohres  findet  man,  indem  man  z.  B.  er- 
mittelt, wie  oft  der  Durchmesser  der  im  Fernrohr  betrachteten  Mondscheibe  im 
Durchmesser   des  Sehfeldes   enthalten  ist,    oder,    was  fur   ein  aliquoter  Theil  des 


*)  Dasselbc  riihrt  davon  her,  class  mit-  uur  zwei  verschiedeuen  Glassorten  (Crownglas  und 
Flintglas)  ein  vollkormnener  Achromatismus  nicht  erzielt  werden  kann.  Siehe  den 
Artikel  Achromatismus. 
**)  Vgl.  K  c  1 1  n  e  r ,  das  orthoscopische  Ocular. 
***)  Die  Firma  Merz  in  Munchen  liet'ert  Telescope  mit  aplanatischen  Objectiven  bis  nahezu 
einem  halben  Meter  Oeffnuug  und  sieben  Meter  Brenmveite.  Xoch  grossere  Dimen- 
sionen  haben  die  amerikanischen  Refractoren  der  neuesten  Zeit.  Die  relative  Voll- 
kommenheit derselben  im  Vergieiche  mit  jenen  mag  hier  dahingestellt  bleibea. 


Fernrohr  (catoptrische  Telescope). 


423 


Durchmessers  der  Mondscheibe  dem  Durchmesser  des  Sehfeldes  entspricht.  Dabei 
kommt  in  Erwagung,  dass  der  Gesichtswinkel  des  Mondes  annahernd  einen  halben 
Grad  *)  ausmacht.  Das  Gesichtsfeld  eines  Fernrohres  betragt  also  etwa  1 V2  Grade, 
wenn  der  Mond,  im  Fernrohre  betrachtet,  1/3  vom  Durchmesser  des  Sehfeldes 
deckt.  Das  Gesichtsfeld  ware  dagegen  etwa  '/4  Grad,  wenn  schon  die  halbe 
Breite  der  Mondscheibe  den  ganzen  Durchmesser  des  Sehfeldes  einnehmen  wiirde. 
Auch  mittelst  der  getheilten  Latte,  wenn  man  deren  Entfernung  kennt,  lasst  sich, 
wie  leicht  einzusehen,  das  Gesichtsfeld  ermitteln. 

Andere  und  genauere  Methoden  zur  Bestimmung  der  Vergrbsserung  und  des 
Gesichtsfeldes  zu  erbrtern,  wtirde  uns  hier  zu  weit  fuhren.  Wir  verweisen  dies- 
falls  auf  Specialwerke.**) 

B.     Catoptrische  Telescope. 

Vor  der  Erfindung  aplanatischer  Linsensysteme***)  suchte  man  theils  die  Un- 
vollkommenheiten  des  Oculars  durch  sehr  starke  Objectiv-Vergrbsserungen,  also 
durch   sehr   grosse  Ob- 

jectiv-Brennweiten  (wel-  Yiq.  1605. 

che      die      Anwendung 
schwacher    Oculare    ge- 
statten)  weniger  ffihlbar 
zu  machenf),  theils  die 
Unvollkommenheiten  des 
Objectives     dadurch    zu 
umgehen,  dass  man  die 
Linse  durch  einen  Hohl- 
spiegel  ersetzte.  So  ent- 
standen      die     Spiegel- 
telescope,  die  durch  fortgesetzte  Verbesserun- 
gen  und  vergrbsserte  Ausfuhrung  auch  spSter- 
hin    neben    den    achromatischen  Refractoren 
immer   noch    eine    hervorragende    Rolle    ge- 
spielt  haben. 

Die  verschiedenen  Constructionen  der- 
selben  unterscheiden  sich  in  der  Hauptsache 
nur  hinsichtlich  der  Anordnung  und  Ein- 
richtung  des  Oculars,  d.  h.  in  der  Art,  wie 
das  vom  Objectivspiegel  erzeugte  Bild  der 
Betrachtung  durch  ein  Linsensystem  zugang- 
lich  gemacht  wird. 

In  der  That  wollen  wir  uns  im  Fol- 
genden  darauf  beschranken,  beispielsweise 
nur  eines  dieser  Instrumente  etwas  naher  zu 
beschreiben. 

Wir  wahlen  das  sehr  leicht  iibersicht- 
liche  G  r  e  g  o  r  y'sche  Telescop,  welches  Fig. 

1605  in  der  inneren  Einrichtung    und  Fig. 

1606  in  der  ausseren  Form    dargestellt  ist. 


— =hP-Ji 


*)  Er  variirt  zwischen  29'  22"  unci  33'  31". 
**)  Man  findet  Naheres  hieriiber  in  ausfiihrlicheren  Werken  iiber  Geodasie ;  ferner  in  Kohl- 
rausch,  praktische  Pbysik,  nnd  endlich  in  den  diesbeziiglicben  Abbandluugen  desVer- 
fassers  (Abhandl.  der  k.  bobm.  Gesell.  der  Wissensch.  VI.  Folge  5.  Band,    und  C  a  r  l'a 
Eepertorium  der  Experhnentalpbysik  8.  Band). 
***)  Siebe  den  Artikel  Aplamatisnius. 

f)  Daher  die  enorme  Lange  alter  Telescope,  wie  man  sie  in  Museen  noch  haufig  autrin't. 
so  wie  das  Anbringen  von  Objectiven  an  bohen  Gebauden.  —  Die  seit  Doll  on  d  con- 
struirten  Telescope  mit  achromatischen  Objectiven  werderi  auch  nAehromaten*  ge- 
nannt. 


424  Fernrohr  (catoptrische  Telescope).  —  Ferrocyan. 

In  der  Mitte  des  Objectivspiegels  ss  ist  eine  kleine  Oeffnung,  von  der  wir 
vorderhand  absehen  wollen.  Der  Spiegel  erzeugt  ein  verkehrtes  Bildchen  bei  a. 
Dieses  spiegelt  sicb  in  einem  dem  grossen  gegeniiberstehenden  kleinen  Hohlspiegel 
V,  der  mittelst  der  Triebstange  mn  so  lange  verstellt  wird,  bis  ein  verkehrtes 
Bild  b  von  a  (also  ein  aufrechtes  beziiglich  des  betrachteten  Gegenstandes)  hinter 
dem  Ausschnitte  des  Objectivspiegels  entsteht,  und  zwar  in  solcher  Entfernung 
vor  dem  Ocular  o,  dass  es  einem  durcb  dieses  Ocular  sehenden  Auge  deutlich 
erscheint.  Je  naher  die  betrachteten  Objecte  sind,  desto  weiter  muss  des  kleine 
Spiegel  vom  Objectivspiegel  entfernt  werden. 

Beim  Cassegrain'schen  Telescop  werden  die  vom  Objectivspiegel  kommen- 
den  Strahlen,  bevor  sie  sich  zu  einem  Bilde  vereinigt  haben,  von  einem  Convex- 
spiegel  reflectirt,  so  dass  sie  mit  verminderter  Divergenz  zu  einem  Bilde  sich 
vereinigen,  welches,  so  wie  beim  G r  eg ory'schen  Reflector,  durch  das  Ocular  be- 
trachtet  wird. 

Der  centrale  Ausschnitt  des  Objectivspiegels  muss  als  ein  Uebelstand  bei 
diesen  Telescopen  bezeichnet  werden,  weil  gerade  die  mittlere  Partie  des  Spiegels 
(nachst  der  Achse)  die  vollkommensten  Bilder  liefert. 

Newton  und  F.  W.  H  e  r  s  c  h  e  1  haben  dies  bei  ihren  Spiegeltelescopen 
vermieden.  Beim  ersteren  werden  die  vom  Objectivspiegel  kommenden  Strahlen, 
bevor  sie  sich  zu  einem  Bilde  vereinigt  haben,  durch  einen  Planspiegel  seitwarts 
reflectirt,  und  das  so  abgelenkte  Bild  durch  ein  seitlich  in  den  Tubus  eingesetz- 
tes  Ocular  betrachtet. 

Bei  den  Hers  chef  schen  Telescopen  ist  der  Objectivspiegel  etwas  schief 
eingesetzt,  so  dass  die  Achse  des  Spiegels  mit  der  Achse  des  Tubus  einen  Winkel 
bildet.  Ein  zweiter  Spiegel  ist'nicht  vorhandeu,  sondern  das  Objectiv-Bild  ent- 
steht  in  der  Nahe  des  Randes  der  Tubus-Oeffnung  und  wird  mit  einem  daselbst 
angebrachten  Oculare  betrachtet.  Dass  hierbei  der  Kopf  des  an  der  Tubus- 
Oeffnung  in  das  Ocular  sehenden  Beobachters  zwischen  Object  und  Spiegel 
kommt,  bringt  bei  sehr  grossem  Spiegeldurchmesser  keinen  merklichen  Nachtheil 
mit  sich. 

Die  alteren  Spiegel  bestanden  aus  einer  Legirung  von  Kupfer  und  Zinn, 
mit  einem  Zusatze  von  Arsen.  —  R  o  s  s  e  construirte  bekanntlich  einen  Reflector 
mit  einem  Objectivspiegel  von  6  Fuss  Durchmesser  und  50  Fuss  Brennweite. 

Steinheil  und  Foucault  haben  mit  Benutzung  glaserner  Hohlspiegel, 
welche  nach  einem  von  Liebig  herriihrenden  Verfahren  versilbert  wurden,  aus- 
gezeichnete  Spiegeltelescope  hergestellt.  Spiegel  dieser  Art  vertragen  wegen  der 
grossen  Scharfe  und  Lichtstarke  ihrer  Bilder  eine  starke  Ocularvergrosserung  und 
konnen  daher  im  Vergleiche  mit  den  alteren  Spiegeln  bei  gleicher  Leistungs- 
fahigkeit  kleinere  Dimensionen  haben.  A.  v.   W. 

Ferolenholz,  syn.  m.  Atlasholz,  s.  Sa'tinholz. 

Ferricum-Verbindungen,  syn.  m.  Eisenoxyd-Verbindungen,  tiberbaupt  Ver- 
bindungen  der  Atomgruppe  Fea,  welche  sechswerthig  ist;  s.  Eisen  II  pag.   760. 

Ferridcyan  und  Ferridcyanmetalle,  s.  Biutlaugensalze  I  pag.  666, 
s.  a.  Cyan  II  pag.  459. 

Ferrid-FeiTOCyanid,  syn.  m.  Ferrocyaneisen,  ist  der  bei  der  Fallung  von 
Eisenoxydsalz  durch  Ferroevanwasserstoffsaure  entstehende  tiefblaue  Niederschlag 
(2Fe„,Fe3}Cy6). 

Ferridprussianide,.  syn.  m.  Ferridcyanide,  vgl.  Cyan  II  pag.  459. 

Ferridsalze  (Ferrisalze),    syn.  m.  Eisenoxydsalzen,    s.  Eisen  II  pag.   760. 

Ferrocyan  und  Ferrocyanmetalle,  s.  Biutlaugensalze  I  pag.  662;  v. 
a.  Cyan  II  pag.  459. 


Ferro-Ferridcyanid.  —  Fette.  425 

Ferro-Ferridcyanid,  syn.  m.  Turnbullsblau  oder  Ferridcyaneiscn  (Fe3,  Feq, 
Cyl2),  s.  Blutlaugensalze  I  pag.  667. 

Ferrokalium-Ferridcyanid,  syn.  m.  Wiallmsonsblau  oder  losl.  Berlinerblatij 
s.  Blutlaugensalze  I  pag.  667. 

Ferromangan  (Feromanganese),  s.  Eisen  II  pag.  769  und   773. 

Ferropi'USSianide,  syn.  m.  Ferrocyanide,  8.  Cyan  II  pag.  459. 

Ferrosalze,  syn.  m.  Eisenoxydulsalze,  s.  Eisen  II  pag.  756. 

FerTOSUm-Verbindungen,  syn.  m.  Eisenoxydnl-Verbindungen,  uberhaupt 
Verbindungen  des  Eisenatoms  Fe\  s.  Eisen  II  pag.   756. 

FeiTlim,  syn.  m.  Eisen. 

Ferulasaure,  s.  As  ant  I  pag.  203. 

Fes,  Fez,  tiirkische  Kappe  (fez).  Diese  Kopfbedeckung  wird  durch 
Wirken  aus  Schafwollgarn,  nachfolgendes  Walken,  Farben,  Scheren,  Dampfen, 
Pressen  etc.  hergestellt.  Wesentlich  abweichend  von  den  bei  der  Tuchfabrikation 
verwendeten  Vorrichtungen  sind  nur  in  Bezug  auf  aussere  Form  und  Bewegungs- 
mechanismen  die  Sclieermascbinen  und  Rauhmaschinen.  U.  a.  liefern  Maschinen  fur 
Fesfabrikation :  Bernard  in  Karolinenthal  bei  Prag,  Ster nickel  &  Guleher 
in  Bielitz-Biela.     Vergl.  die  Artikel  Tucli  und  Wirken.     Kk. 

Fesen,  eigentlich  Vesen  oder  Dinkelvesen,  s.  Dinkel  II  pag.  632. 

Festigkeit  (^resistance  des  materiaux  —  strength  of  materials),  s.  Ela- 
sticity III.  pag.  143. 

Festigkeitsmaschilieil  sind  meclianiscbe  Apparate,  rnit  welchen  Materialien 
fur  das  Bau-  und  Maschinenwesen  auf  Hire  absolute  oder  Zerreissfestigkeit, 
ihre  riickwirkende  oder  Druckfestigkeit,  ferner  auf  Biegung  und  Torsion  etc.  in 
Anspruch  genommen  werden.  Mancbe  dieser  Mascbinen  ist  fiir  die  eine  oder 
andere  Aufgabe  speciell  construirt,  andere  sind  fiir  mebrere  Arten  der  Inansprucb- 
nabme  gebaut.  Ueber  Werder's  F.  M.  (auf  Zug,  Druck,  Biegung,  Torsion  und 
Abscheren)  s.  Kronauer's  Zeichnungen  von  Mascbinen  Bd.  4,  Lief.  7  und  8. 
Grafenstadener  F.  M.  (Biegung,  Zug,  Druck)  Dingler's  polyt.  Journ. 
Bd.  215,  pag.  306.  Gollner's  F.  M.  (Zug,  Druck,  Biegung,  Torsion,  Ab- 
scbeeren)  s.  Jahrb.  d.  Bergakad.  Oesterr.   1878  Heft  II.  Vergl.  Art.  Stoss.     Kk. 

Festungsachat,  Varietat  des  Achat,  s.  d.  I.  pag.  45. 

Festungsbau  (fortification  —  building  of  fortifications),  fallt  iiber  den 
Rabmen  dieses  Werkes  und  sei  daher  nur  verwiesen  auf:  Bles son's  „Diegrosse 
Befestigungskunst",  Berlin  1830;  Fesca's  Handbuch  der  Befestigungskunst,  Berlin 
1852 — 53;  Blumenhardt's  „Die  stehende  Befestigungskunst",  Darmstadt  1864 
bis  1866. 

Fettbol,  eine  Varietat  des  Bol,  welche  sicb  fettig  anfiihlt  und  nicbt  an  der 
Zunge  klebt.  Kommt  auf  den  Erzgangen  Freiberg's  vor.  Vergl.  Bolus  I 
pag.   724.     Lb. 

Fette  (graisse  —  fat).  Mit  diesem  Namen  bezeicbnet  man  im  Allgemeinen 
die  durch  die  allgemein  bekannten  Merkinale  charakterisirten  Glieder  einer  ganzen 
Classe  organischer  Korper,  welche  aus  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Sauerstoff  be- 
stehen,  sammtlich  stickstofffrei  sind,  und  sich  fast  ausnahiuslos  als  aus  Fett- 
sauren  oder  Oelsauren  und  Glycerin  gebildete  Ester  des  Glycerins,  d.  i.  als 
Glyceride  erweisen.  Fette  im  engeren  Sinne  des  Wortes  nennt  man  gc- 
wohnlich  nur  jene  dem  Pflanzen-  oder  Thierkorper,  u.  z.  vorherrschend  letzterem, 


426  Fette. 

entstammenden  Glyceride  oder  Gemenge  solcher,  welche  im  Gegensatze  zu  den 
fetten  Oelen  oder  fliissigen  Fetten  bei  gewbhnlicher  Temperatur  starr  oder 
doch  nur  halbweich  (in  welchem  Falle  man  wobl  aucb  die  Bezeichnung  Butter 
oder  Schmalz  gebraucbt)  sind. 

Alle  eigentlichen  Fette  sind  dadurch  ausgezeichnet,  dass  sie  specifisch  leichter 
als  Wasser  und  in  demselben  nicbt  oder  docb  nur  spurenweise  lbslicb  sind,  sie 
schmelzen  bei  hoherer  Temperatur  und  zwar  sammtlich  unter  100°  C.  In  Alkobol 
sind  sie  wenigstens  in  der  Kalte  schwer,  dagegen  beim  Erwarmen  bis  zur  Sied- 
hitze  leichter  lbslicb,  leicbt  werden  sie  von  Aether,  Schwefelkohlenstoff,  Chloro- 
form, Benzol  und  vielen  aetherischen  Oelen  aufgenommen.  Sie  sind  ferner  im 
reinen  Zustande  neutral  reagirend,  geschmacklos  und  zeigen  einen  nur  schwachen, 
aber  eigenthiihmlichen  Geruch,  der  namentlich  beim  Erwa'rmen  deutlich  wird.  Durch 
Zersetzungsproducte  veiunreinigt  nehmen  sie  indess  einen  deutlichen,  unangenehm 
kratzenden  Geschmack  und  einen  charakteristischen,  unangenehmen  (ranzigen)  Ge- 
ruch au,  der  mit  zunehmender  Zersetzung,  welcher  alle  Fette  unter  dem  Einflusse  der 
Luft  mehr  oder  weniger  ausgesetzt  sind,  immer  deutlicher  wird.  Im  reinen  Zu- 
stande sind  ferner  alle  Fette  farblos,  im  rohen  Zustande  dagegen  konnen  sie  in 
Folge  eines  Gehaltes  an  fremden,  aus  dem  Thier-  oder  Pflanzenkbrper  stammen- 
den  Beimengungen  die  verschiedensten  Farbungen  zeigen.  Im  geschmolzenen  Zu- 
stande, so  wie  in  dtinnen  Schichten  sind  sie  durchsichtig  oder  stark  durchscheinend, 
und  bringen  daher  auf  Papier,  wenn  sie  von  der  Masse  desselben  aufgesaugt 
werden,  einen  durchscheinenden  Fleck  (Fettfleck)  hervor,  der  sich  dauernd  erhalt. 
Durch  Erwarmen  geschmolzen  zeigt  jedes  bestimmte  Fett  einen  bei  einer  bestimm- 
ten  Temperatur  liegenden  Schmelzpunkt.  Durch  Abkiihlung  geht  das  geschmol- 
zene  Fett  wieder  in  den  starren  Zustand  tiber,  doch  liegt  der  Erstarrungspunkt  in 
der  Regel  bei  einer  niedrigeren  Temperatur  als  der  Schmelzpunkt.  Beim  Er- 
starren,  bei  welchem  einige  Fette  undeutlich  krystallinisck  zu  werden  vermbgen, 
wahrend  andere  ganz  allmalig,  durch  alle  zwischen  der  Fliissigkeit  und  dem 
starren  Zustande  liegenden  Grade  der  Consistenz  hindurchgehend,  in  den  starren 
Zustand  zuriickkehren,  findet  fast  ausnahmslos  eine,  wenn  audi  geringe,  so  doch 
nachweisliche  Temperatursteigerung  statt,  welche  in  einzelnen  Fallen  fast  den 
Schmelzpunkt  erreicht.  Beim  starkeren  Erhitzen,  etwa  auf  300°  C.  gerathen  sie 
in's  Kochen,  sind  jedoch  nicht  unverandert  fliichtig,  sondern  werden  hiebei  zersetzt, 
wobei  als  Hauptproducte  Acrolein,  dann  Kohlenwasserstoffe  und  fliichtige  Sauren 
neben  Kohlensaure  und  Wasser  entstehen;  gleichzeitig  findet  eine  Ausscheidung 
von  Kohlenstoff  statt  und  tritt  in  Folge  derselben  eine  mehr  weniger  deutliche 
Braun-  bis  Schwarzfarbung  der  erhitzten  Fette  ein;  da  die  beim  Erhitzen  der 
Fette  auftretenden  Zersetzungsproducte  brennbar  sind,  so  fangen  stark  erhitzte 
Fette  Feuer  und  verbrennen  mit  leuchtender  Flamme. 

Unter  Zutritt  der  Luft  erleiden  die  Fette,  wie  schon  erwahnt,  Veranderun- 
gen,  u.  z.  um  so  leichter,  je  weniger  rein  sie  sind.  Namentlich  vermag  die  Ge- 
genwart  geringer  Mengen  von  Eiweissstoffen  thierischen  Schleimes  u.  s.  w.  die 
Zersetzbarkeit  der  Fette  wesentlich  zu  begiinstigen  und  scheinen  solche  Kbrper 
audi  in  dieser  Beziehung  als  Fermente  zu  wirken.  Die  Veranderung  der  Fette 
crfolgt  in  der  Regel  unter  Aufnahme  von  Sauerstoff,  und  besteht  einerseits  in 
einer  Spaltung  der  Glj^cerinverbindungen  unter  Abscheidung  freier  Fettsauren, 
anderseits  in  einer  Oxydation  der  vorhandenen  Sauren.  Namentlich  energisch  er- 
folgt  diese  Oxydation,  wenn  Fette  im  feinvertheilten  Zustande  der  Einwirkung 
der  Luft  ausgesetzt  werden  und  die  hiebei  frei  werdende  Warme  kann  sich  so 
weit  steigern,  dass  eine  Selbstentziindung  des  fein  vertheilten  Fettes  eintritt.  Daher 
die  Selbstentziindungen  von  gefetteten  Geweben,  wenn  sie  dicht  aufeinander  lagern, 
von  fetten  Putzlappen,  Wolle  u.  dgl.  Mit  verdiinnten  Alkalilbsungen  geschiittelt 
oder  innig  gemengt  bilden  sie  Fettemulsionen,  in  welchen  sich  das  Fett,  nament- 
lich bei  schleimiger  Beschaffeiiheit  der  Fliissigkeit  in  fein  vertheiltem  Zustande 
aufgeschlammt  erhalt.  Mit  Alkalien,  alkalischen  Erden  oder  basischen  Metalloxyden, 
bei  Gegenwart  von  Wasser  in  Beriihrung,   werden  sie  namentlich  leicht  beim  Er- 


Fette.  427 

warmen  zersetzt,  indem  sie  in  Glycerin  und  Salze  der  vorhandenen  Fett-  oder 
Oelsauren  (Seifen)  zerfallen,  d.  h.  sie  werden  verseift.  Auch  beim  Erhitzen 
mit  Wasserdampf  allein  auf  ca.  310°  C,  so  wie  mit  Wasser  bei  derselben  Tem- 
peratur  tritt  Zersetzung  unter  Bildung  von  Glycerin  und  freien  Fettsauren  ein, 
und  dasselbe  ist  der  Fall  bei  der  Einwirkung  von  Schwefelsaure  oder  Chlorzink. 
Im  ersteren  Falle  bilden  sich  zunachst  Sulfo fettsauren,  die  jedoch  bei  Einwirkung 
von  Wasserdampf  unter  Abscheidung  freier  Fettsauren  zersetzt  werden. 

Als  Bestandtheile  der  eigentlichen  Fette  finden  sich  vornehmlich  die  Glyce- 
ride  der  Oelsaure,  dann  der  Palmitinsaure  und  der  Stearinsaure,  weiters  vereinzelt 
jene  der  Buttersaure,  Capronsaure,  Caprylsaure,  Caprinsaure,  Laurinsaure,  Myristin- 
saure,  Arachinsaure,  so  wie  der  Crotonsaure,  Angelicas&ure,  Moringasaure,  Hy- 
pogaeasaure,  Dbglingsaure  und  Erucasaure.  Fast  in  alien  Fetten  vorhanden  sind 
die  Glyceride  der  Oelsaure,  der  Palmitinsaure  und  Stearinsaure,  u.  z.  die  soge- 
nannten  neutralen  Glycerinather  dieser  Sauren  (s.  Glycerin),  d.  i.  das  Triolein 
oder  Olein,  das  Tripalmitin  oder  Palmitin  und  das  Tristearin  oder  Stearin,  die 
iibrigen  Fettsauren  und  Oelsauren  treten  meist  nur  in  geringen  Mengen  als  Be- 
standtheile der  Fette  aufv  Ausser  solchen  Glyceriden  finden  sich  als  Bestandtheile 
einzelner  Fette  auch  Verbindungen  von  Fettsaurealkoholen  und  Fettsauren,  so  wie 
auch  freie  Fettalkohole  vor,  wie  dies  z.  B.  bei  dem  gemeiniglich  auch  den  Fetten 
zugezahlten  festen  Antheil  des  Wallraths  (Sperma-Ceti)  der  Fall  ist,  der  aus 
Palmitinsaure- Cetylather  besteht.  Auch  die  Wachsarten  enthalten  keine  Glyceride 
und  sind  demnach  den  eigentlichen  Fetten,  von  denen  sie  auch  in  ihrem  Verhal- 
ten  nicht  unwesentlich  abweichen,  nicht  beizuzahlen. 

Was  das  Vorkommen  der  eigentlichen  Fette  anbelangt,  so  stammen  die 
meisten  festen  Fette  aus  dem  Thierkorper,  und  nur  zum  geringeren  Theile  sind 
sie  pflanzlichen  Ursprungs. 

Im  Thierkorper,  der  fast  in  alien  Theilen  die  Gegenwart  von  Fetten  nach- 
zuweisen  gestattet,  finden  sich  dieselben  stets  in  Zellgewebe  eingeschlossen  (Fett- 
gewebe),  meist  in  grosseren  Mengen  an  den  Eigenweiden,  dem  Gedarme,  den 
Nieren  eingelagert  oder  zwischen  Haut-  und  Muskelgewebe  eingebettet,  wohl  audi 
in  den  Hohlungen  der  Knochen  (Mark)  vor.  Sie  sind  Producte  des  Stoffwechsels 
im  thierischen  Organismus  und  verdanken  ihre  Entstehung  wesentlich  einer  Um- 
bildung  der  mit  der  Nahrung  dem  Korper  zugefiihrten  Kohlehydrate  (Fettbilder), 
zum  Theile  wohl  auch  jener  der  Eiweisstoffe  und  der  diesen  verwandten  Bestand- 
theile der  Nahrungsmittel.  Im  pflanzlichen  Organismus,  in  welchem  feste  Fette 
weniger  haufig,  haufiger  dagegen  fliissige  Fette  (fette  Oele  s.  d.)  vorkommen, 
finden  sich  die  grossten  Mengen  derselben  in  den  Samen  und  Fruchten  abgelagert, 
doch  sind  auch  andere  Pflanzentheile  nicht  vollig  frei  von  Fett.  Auch  im  pflanz- 
lichen Organismus  scheinen  die  Fette  wesentlich  durch  Umbildung  friiher  vorhan- 
dener  Kohlehydrate  (Starke,  Zucker)  zu  entstehen,  u.  z.  durch  Desoxydations- 
processe,  vielleicht  unter  gleichzeitiger  Bildung  von  Wasser  und  Kohlensaure. 

Die  Gewinnung  der  Fette  pflegt  im  Allgemeinen  nach  zwei  verschiedenen 
Methoden  zu  geschehen,  u.  z.  entweder  durch  das  Ausschmelzen  oder  durch  das 
Auspressen;  ausser  diesen  kann  auch  noch  eine  dritte,  erst  in  neuerer  Zeit  auch 
praktisch  angewendete  Gewinnungsmethode  verwendet  werden,  d.  i.  das  Extrahiren 
der  Fette  mit  Losungsmitteln  (Schwefelkohlenstoff). 

Aus  Theilen  thierischer  Organismen  werden  die  Fette  gemeiniglich  nur  durch 
Ausschmelzen  gewonnen,  das  entweder  olme  Zusatz  von  Wasser  oder  mit  Wasser- 
zusatz  (Auskochen)  vorgenommen  werden  kann.  Aus  Pflanzentheilen  dagegen  pflegt 
man  die  Fette  fast  stets  nur  durch  Auspressen  zu  gewinnen,  indem  man  die  vor- 
her  zerkleinerten  Pflanzentheile,  wenn  sie  fettreich  sind,  vorher  auf  den  Schmelz- 
punkt  des  Fettes  erhitzt  und  warm  presst ;  seltener  wendet  man  auch  bei  Pflanzen- 
theilen das  Ausschmelzen  mit  Wasserzusatz  an.  Naheres  iiber  die  Gewinnungs- 
weisen  der  einzelnen  Fettarten  ist  bei  den  betreffenden  Fetten  besprochen.  Im 
Folgenden  sollen  die  wesentlichsten  Eigenschaften  der  wichtigsten  Fette  erortert 
werden. 


428  Fette  (Talg).' 

A.    Thierische  Fette. 

Von  diesen  sind  die  sogenannten  Talgarten,  d.  s.  die  mehr  oder  weniger  starren  Fette 
der  verschiedensten  Thiergattungen,  weiters  die  Butter,  das  Schweineschmalz  und  das  Knoehen- 
fett  zu  nennen. 

1.  Talg  (suif  — ■  tallow,  suet),  Unschlitt,  Inselt.  Mit  dies  em  Namen  bezeichnet 
man  die  bei  gewohnlicher  Temperatur  vollig  starren  Fette  verschiedener  Saugetbiere,  nament- 
lich  der  Kinder,  der  Senate,  der  Ziegen,  der  Hirsche  und  verwandtenThiere,  vorherrschend  der 
Pflanzenfresser,  deren  Fett  im  Allgemeinen  nicht  bios  fester  und  dichter,  sondern  aueh  weniger 
leicht  zum  Ranzigwerden  geneigt  ist  als  das  weichere  Fett  der  Fleiscbfresser.  Uebrigens  hangt 
die  Beschaffenheit  eines  Fettes  bei  gleicher  Abstammung  auch  ganz  wesentlich  von  dem  Alter 
des  Thieres,  dem  Gesehlechte  und  der  Jahreszeit  ab,  in  welcher  das  Thier  getodtet  wnrde. 
Auch  das  Klima,  unter  welchem  das  Thier  lebte,  ist  von  Einfluss.  So  ist  das  Fett  junger 
Thiere  stets  weisser  und  gsruchloser,  aber  auch  weicher  als  das  alterer  Thiere,  die  in  der 
Regel  ein  gelblich  gefarbtes,  aber  auch  festeres  Fett  haben.  Das  Fett  mannlicher  Thiere  ist 
meist  fester  als  das  weiblicher  Thiere,  und  das  Fett  von  im  Winter  getbdteten  Thieren  besser 
als  das  Sommerfett,  wabrend  Thiere,  die  in  heissen  Klimaten  leben,  ein  festeres  Fett  liefern 
als  solche  aus  kalteren  Zonen.  Dass  iibrigens  auch  die  Nahrung  des  Thieres,  sowie  der 
Gesundheitszustand  desselben  die  Beschaffenheit  des  Fettes  beeinflusst,  ist  selbstverstandlich, 
ebenso  wie  es  begreiflich  ist,  dass  bei  ein  und  demselbenTbiere  an  verschiedenen  Theilen  des 
Korpers  Fette  von  verschiedener  Beschaffenheit  sich  finden.  In  letzterer  Hinsicht  lehrt  die 
Erfahfung,  dass  jedes  thierische  Fett  um  so  fester  ist,  je  weiter  von  der  Oberflache  des  Kor- 
pers entfernt  es  sich  findet. 

Fiir  Zwecke  der  Industrie  kommen  wesentlich  nur  der  Rindstalg  und  der  Schaftalg  in 
Betracht. 

Der  Rindstalg  (Ochsentalg)  ist  bei  gewohnlicher  Temperatur  hart  und  fest,  von 
schwach  gelblicher  Farbe  und  schwachem  Geruch.  Er  schmilzt  je  nach  der  Abstammung 
zwischen  37—50°  C.  und  lost  sich  in  40  Thl.  Alkohol  von  0-821  spec.  Gewicht  bei  Siedhitze 
vollstandig  auf.  Er  lasst  sich  durch  Pressen  bei  ca.  30°  C.  in  etwa  75%  vollig  starres  Fett 
(Stearin)  und  etwa  25%  fliissiges  Fett  (Talgol,  Olein)  trennen.  Das  erstere  ist  weiss,  kornig, 
krystallinisch,  schmilzt  bei  44°  C.  und  erstarrt  bei  39''  C,  in  7  Thl.  absoluten  Alkohol  ist  es 
loslich.  Das  letztere  ist  farblos,  fast  geruchlos  und  vom  spec.  Gew.  0.913.  Es  lost  sich  in 
etwas  weniger  als  dem  gleichen  Gewichte  siedenden  absoluten  Alkohols. 

Der  Schaftalg  (Hammeltalg,  Schopsentalg).  Weisser  als  Rindstalg,  hart,  briichig, 
fast  geruchlos,  schmilzt  zwischen  41 — 50°  C,  ist  in  kochendem  Alkohol  schwerer  loslich  als 
Rindstalg.  Auch  der  Schaftalg  lasst  sich  in  einen  festen  (74%)  und  einen  fltissigen  Antheil 
(26%)  trennen.  Der  erstere,  wesentlich  aus  Tristearin  und  Tripalmitin  bestehend,  ist  krystalli- 
nisch, weiss,  bei  38°  C.  erstarrend  und  in  Alkohol  schwer  loslich,  der  letztere  ist  farblos,  von 
eigenthiimlichem  Hammelgeruche  und  lost  sich  in  1*2  Thl.  kochenden  Alkohols. 

Die  genannten  beiden  Talgsorten  bilden  den  hauptsachlich  zu  Zwecken  der  verschie- 
denen Gewerbe  (Seifensiederei,  Kerzenfabrikation)  in  Verwendung  kommenden  Talg  und  stellen 
einen  wichtigen  Handelsartikel  dar. 

Man  gewinnt  den  Talg  durch  Ausscbmelzen  der  in  den  Scklachtereien  ausgelesenen 
Fettgewebe  der  Ochsen,  Ktihe,  Kalber,  Schafe  und  Hammeln,  welehe  zunachst  einer  mechani- 
schen  Zerkleinerung  unterworfen  und  sodann  ausgeschmolzen  werden.  Das  Zerkleinern  geschieht 
entweder  mittels  Handinessern  oder  es  wird  durch  besondere  Schneideinaschinen  besorgt;  in 
England  bearbeitet  man  das  Fettgewebe  auf  eisernen  Kollermiihlen,  neuerer  Zeit  wohl  aucb 
zwischen  Quetschwalzen.  Die  gehorig  zerkleinerte  Masse  wird  sodann  gewohnlich  auf  offenen 
Kupfer-Kesseln  iiber  freiem  Feuer  geschmolzen  (trockenes  Schmelzen),  wobei  das  Fett  aus 
den  theihveise  durch  die  vorherige  Bearbeitung  zerrissenen,  theils  dm-ch  den  Druck  des  bei 
der  Erhitzimg  sich  bildenden  Wasserdampfes  zum  Platzen  gebrachten  Zellen  des  Fettgewebes 
ausfliesst,  wahrend  die  Gewebssubstanz  in  dem  Masse,  als  durch  fortgesetztes  Erhitzen  die 
Gesammtmenge  des  in  dem  Fettgewebe  eingeschlossen  gewesenen  Wassers  entfernt  ist,  zusam- 
menschrumpft  und  in  Gestalt  der  sogenannten  Grief  en  (Griebeu)  sich  grosstentheils  vom  Fette 
scheidet  und  durch  Abseihen  und  endliches  Auspressen  vollig  von  dem  nun  klar  erscheinenden 
Fette  getrennt  werden  kann.  Statt  der  offenen  Kessel  kann  man  sich  geschlossener  Kessel 
bedienen,  wclche  mit  Abzugsschlliuchen  versehen  sind,  die  die  entweichenden  Diimpfe  entweder 


Fotte  (Talg).  429 

directe  in  eine  hohere  Esse  oder  in  fine  Feuerung  abfiihreri,  in  der  sie  zerstort  werden  kijnnen. 
Es  ist  dies  eine  Einriehtung,  die  wegen  der  hiebei  erreichbaren  Verlmtung  der  durch  den  beim 
Talgschmelzen  in  der  Regel  auftretenden  huchst  iiblen  Geriich  bedingten  Belastigung  der  Arbeiter 
und  Nachbarn  empfehlenswerth  ist,  docb  hat  man  biebei  darauf  Bedaelit  zu  nebmen,  dass  erne 
passende  Riihrvorrichtung  in  den  Kesseln  angebracht  werde.  da  ein  ofteres  Urariihren  der 
auszusehmelzenden  Masse  bei  dem  Ausscbmelzen  iiber  freiem  Feuer  unerlasslich  ist.  Statt  des 
trockenen  Scbmelzens  kann  man  das  Ausscbmelzen  mit  Dampf  oder  das  Auskoeben  mit  Zusatz 
von  gewissen  cbemischen  Mitteln  anwenden.  Das  Ansschmelzen  rait  Dampf  kann  entweder 
durch  einfaches  Zuleiten  von  Wasserdampf  zn  der  anszuschmelzenden  Masse  gescbeben  oder 
man  wendet  gespannte  Dampfe  an,  die  man  entweder  directe  auf  die  Fettmasse  wirken  lasst, 
oder  zur  Erhitzung  der  dann  doppelwandig  construirten  Schmelzkessel  verwendet. 

Zum  Ansschmelzen  mit  gespannten  Diimpfen,  die  directe  auf  die  Fettmasse  wirkeri, 
eignet  sich  besonders  der  von  Wilson  angegebene  Apparat,  welcber  einen  cylindriscben,  auf- 
rechtstebenden  Kessel  aus  starkem  Eisenblech  darstellt,  der  durch  eine  im  Deckel  ange- 
brachte,  dicht  verschliessbare  Fiilloffnung  beschickt  werden  kann  und  in  seinem  Untertheil 
einen  falschen  Siebboden  eingesetzt  enthalt,  auf  dem  die  eingetragene  Fettmasse  ruht.  Von  der 
Mitte  dieses  Siebbodens  aus  fiihrt  ein  weites,  mit  einem  von  Aussen  zu  handhabenden  Ventile 
verschliessbares  Rohr  nach  unten  in  ein  unter  dem  Cylinder  aufgestelltes  Gefass,  das  zur  Ent- 
leerung  der  entfetteten  Griefen  bestimmt  ist.  Unter  dem  Siebboden  liegt  der  mit  Oeffnungen 
versehene  Robrkranz,  durch  welchen  die  gespannten  Dampfe  in  den  Cylinder  eintreten,  wahrend 
eine  Reihe  von  in  verschiedencr  Hohe  iiber  dem  Siebboden  angebracbten  Hahnen  zum  Ablassen 
des  ausgeschmolzenen  Fettes  dienen.  Ein  Sicherheitsventil  und  ein  Manometer  biklen  die 
iibrige  Armatur  des  Appai'ates.  Man  fiillt  den  Cylinder  bis  etwa  zu  2, 3  seiner  Hohe  mit  dem 
zerkleinerten  Fettgewebe  an,  verschliesst  die  Fiilloffnung  und  lasst  durch  den  Robrkranz  all- 
malig  Dampf  von  4 — 5  Atmosph.  Spannung  in  den  Cylinder  eintreten,  bis  die  gleiche  Spannung 
auch  im  Schmelzcylinder  erreicht  ist,  in  welchem  man  sie  nun  durch  etwa  10  Stunden  erhiilt. 
Nach  beendigtem  Diimpfen,  wahrend  welchem  man  von  Zeit  zu  Zeit  das  sich  unter  dem  Sieb- 
boden ansaramelnde  Wasser  durch  einen  hiezu  bestimmten  Hahn  ablassen  muss,  zieht  man 
durch  Oeffnen  der  Abflusshahne  das  ausgeschmolzene  Fett  ab,  wahrend  man  das  im  Cylinder 
znriickgebliebene  Wasser  und  die  durch  die  Einwirkung  des  Dampfdruckes  fast  vollkommen 
entfetteten  Griefen  durch  Oeffnen  des  das  nach  unten  mundende  Rohr  verschliessenden  Ven- 
tils  abfliessen  lasst. 

Sehr  empfehlenswerth  ist  der  von  Fouche  construirte  Apparat  zum  Ausscbmelzen 
des  Talgs  mittels  Dampf,  bei  welchem  jedoch  der  Dampf  nicht  directe  auf  den  Talg  wirkt, 
sondern  nur  zur  Erhitzung  desselben,  vermittelst  einer  Rohrspirale,  welche  vom  Dampfe  dureh- 
stromt  wird,  verwendet  wird.  (Vgl.  Polyteehn.  Centralblatt,  1857,  pag.  130.)  Andere  Apparate 
sind  von  Buff  (Dingl.  polyt.  Journ.  176  pag.  143),  dann  von  Lock  wood  und  Everett 
(vgl.  Ott  in  Dingl.  polyt.  Journ.  213  pag.  493),  endlich  von  Vohl  (s.  Dingl.  polyt.  Journ. 
198   pag.  29)  angegeben. 

Vielfach  wendet  man  beim  Ansschmelzen,  bez.  Auskoeben  des  Talgs  Zusatze  an,  welche 
einerseits  eine  Lockerung  des  Zellgewebes  und  sohin  eine  vollkommenere  Abscheidung  des 
Fettes  von  dem  Gevvebe,  andererseits  eine  Verminderung  der  bei  der  Talgschmelzerei  auftre- 
tenden hochst  iiblen  Geriiche  bezwecken  sollen.  So  empfiehlt  Rorard  einen  Zusatz  von 
Sodalauge  tmd  zwar  1  Thl.  Soda,  200  Thl.  Wasser  auf  300  Thl.  Talg;  d'Arcet  empfiehlt 
Schwefelsaure  und  zwar  auf  100  Thl.  Talg,  1  Thl.  Schwefelsaure  von  1848  spec.  Gcwicht  und 
50  Thl.  Wasser.  Auch  Zusatze  von  chromsaurem  Kalixim  und  Schwefelsaure,  iibermangan- 
saurem  Kalium  und  Schwefelsaure  u.  a.  m.  hat  man  empfohlen.  Das  Rorard'sche  Verfahren 
ist  nach  Stein  weder  geeignet  denGeruch  des  schmelzenden  Talgs  wesentlich  zti  vermindern, 
noeh  ist  es  sonst  empfehlenswerth,  da  sich  das  Fett  nicht  rein  von  der  Lauge  trennen  lasst, 
ein  Mangel,  der  auch  dem  sonst  recht  wirksamen  Zusatze  von  chromsaurem  Kalium  und 
Schwefelsaure  anhaftet.  Empfehlenswerth  ist  dagegen  das  Verfahren  von  d'A  r  c  e  t.  insofern 
als  vollstandige  Abscheidung  des  Fetts  von  dem  Gewebe  durch  das  langer  fortgesetzte  Kochen 
mit  der  verdiinnten  Saure  herbeigefiihrt  und  dadurch  das  Auspressen  der  Griefen  vfillig  ent- 
behrlich  wird.  Dagegen  bat  dasselbe  gleicli  alien  Schmelzmetboden,  bei  welchen  chemiscbe 
Zusatze  gemacht  werden,  den  Nachtheil,  dass  die  Griefen,  die  andernfalls  als  Fnttermateriale 
fiir  Hunde,  Schweine  u.  dgl.  sehr  gut  verwerthet  werden  konnen,  nicht  mehr  verwendbar  sind. 


430  Fette  (Talg). 

Der  ausgeschmolzene  Talg  wird  gewohnlich,  namentlich  fiir  Zwecke  der  Kerzenfabrikation 
vor  seiner  weiteren  Verwendung  einer  Lauterung  unterworfen ,  welche  in  der  Regel 
durch  Umschmelzen  mit  Wasser,  mitunter  bei  gleichzeitiger  Anwendung  von  Bleichmitteln 
erreicht  wird.  Man  bringt  zu  diesem  Ende  den  ausgeschmolzenen  Talg,  entweder  noch  fliissig 
oder  nachdem  er  erstarrt  ist,  auf  einen  grosseren  Kupferkessel,  setzt  20 — 25%  Wasser  zu 
und  erhitzt  unter  fleissigem  Aufriihren  etwa  eine  Stnnde  lang  zura  Kochen,  sodann  wird  der 
Kessel  bedeckt  der  Ruhe  iiberlassen,  wobei  sich  die  dem  Fette  noch  beigemengten  Unreinig- 
keiten  zu  Boden  setzen,  so  dass  das  reine  Fett  abgeschopft  werden  kann.  Von  bleichenden 
Zusatzen  wendet  man  entweder  ehromsaures  Kalium  und  Salzsaure  (1—2%)  oder  iiberman- 
gansaures  Kalium  und  Salzsaure  (1 — 2%)  an,  audi  iibermangansaures  Kalium  und  wiissrige 
schweflige  Sa'ure  sind  sehr  wirksam.  Bei  Anwendung  dieser  Zusiitze  gilt  als  Regel,  dass  man 
das  anzuwendende  Salz  zunaehst  im  Wasser  auflost,  dann  dem  Fette  zusetzt,  und  erst  nach 
langerer  Einwirkung  desselben  in  der  Warme,  wobei  man  durch  fleissiges  Riihren  die  Wirkung 
wesentlich  begiinstigt,  die  Satire  zufiigt.  Nicht  selten  wird  der  gelauterte  Talg  durch  Zusatz 
einer  entsprechenden  Menge  eines  blauen  Farbstoffs  (Indigo  mitOel  angerieben)  geblendet,  d.  h. 
die  schwach  gelbe  Farbung  desselben  durch  Blau  gedampft.  (s.  Farbe  III  pag.  361.)  (Vgl.  a.  die 
Bleichmethoden  von  Treutlen  in  Dingl.  pol.  Journ.  207  pag.  516  und  Bourgey  &  Comp. 
in  Bull,  de  la  soc.  chim.  1875  Nr.  11  pag.  526.)  Im  Handel  kommen  Rindstalg  (gelber  Talg), 
so  wie  auch  Schopsentalg  (weisser  Talg),  theils  rein,  theils  mit  einander  gemengt  vor,  die 
harteren  Sorten  des  Talgs  bilden  den  Lichtertalg,  wahrend  die  weichen  und  stark 
gelben  Talgsorten  gewohnlich  als  Seifentalg  bezeichnet  zu  werden  pflegen.  Die  grossten 
Mengen  von  Talg  liefert  Russland,  und  zwar  Schopsentalg,  aus  dem  Siiden  meist  aus 
den  Hafen  des  schwarzen  Meeres  (Odessa,  Taganrog),  zu  Markte  gebracht,  wahrend  der 
Norden  und  das  Innere  Russlands,  meist  via  Petersburg  und  Archangel,  Rindstalg  liefert. 
Der  beste  weisse  Lichtertalg  kommt  von  Woronesch.  Ausser  Russland  liefert  auch 
Amerika  (aus  den  Laplata-Staaten)  und  Australien  erhebliche  Mengen  von  Talg,  welcher 
aber  von  geringerer  Qualitat  ist  als  der  russische.  Gute  Sorten  von  Talg  liefern  auch 
Holland,  Danemark,  Deutschland  und  Polen.  und  steht  der  Talg  dieser  Provenienz  meist  holier 
im  Preise  als  russischer. 

Von  anderen  Talgarten  sind  noch  zu  nenneu: 

Der  Ziegentalg,  welcher  dem  Rindstalg  ahnlich,  aber  von  charakteristischem,  unan- 
genelnnem  Bocksgeruche  ist,  weichen  er  dem  Gehalte  an  einer  fliichtigen  Fettsaure  (Hircin- 
saure)  verdankt.  Dieser  Talg  schmilzt  zwischen  37 — 40°  C.  und  lasst  sich  ebenfalls  in  ein 
starres  und  in  ein  fliissiges  Fett  trenuen.     Dem  Ziegentalg  sehr  ahnlich  ist 

der  Hirschtalg,  der  sich  durch Behandeln  mit  kocliendem  Alkohol  in  einen  loslichen 
und  einen  unloslichen  Antheil  trennen  lasst. 

2.  Butter  (bevrre  —  butter).  Dieses  der  Kuhmilch  entstammende  Fett  ist  halbliarti 
von  mehr  oder  weniger  gelber  Farbe,  hat  im  frischen  Zustande  einen  von  der  Fiitterungsart 
und  dem  Alter  des  Thieres  abhangigen  charakteristiscben  Geruch  und  milden  Geschmack,  es 
schmilzt  bei  29—34-5°  C.  und  erstarrt  bei  19—24°  C  beginnt  jedoch  schon  bei  17°  C.  ein 
kornig  krystallinisches  festes  Fett  abzuscheiden. 

Das  durch  Umschmelzen  der  Butter  gereinigte  Butterfett  fiihrt  gemeiniglich  den  Namen 
Butterschmalz  oder  Schmalz.  Das  Butterfett  besteht  wesentlich  aus  ca.  68%  Palmitin,  30% 
Olein  und  2%  der  Glyceride  der  Buttersaure,  der  Capron-,  Capryl-  und  Caprin-Saure  Im 
Sommer  gewonnene  Butter  ist  reicher  an  Olein.  Dem  Gehalte  an  den  Glyceriden  der  fliichtigen 
Fertsiiuren  verdankt  die  Butter  ihren  charakteristiscben  Geruch.  Ausser  den  genannten  Sauren 
und  den  im  Palmitin  und  Olein  enthaltenen,  d.  i.  der  Palmitinsa'ure  und  der  Oelsaure,  enthalt 
die  Butter  auch  Stearinsaure  und  Ai'achinsaure  (Butinsaure).  endlich  eine  Oelsaure  von  gerin- 
gerem  Kohlenstoffgehalte  als  gewohnliche  Oelsaure. 

Die  Butter  ist  sehr  leicht  dem  Verderben  unterworfen.  so  lange  sie  nicht  durch  Um- 
schmelzen von  dem  beigemengten  Wassergehalte,  sowie  den  der  Milch  entstammenden  Resten 
eiweissartigerKorper  (Casein)  vollig  befreit  ist.  Dieser  Neigung  zum  Ranzigwerden  kann  durch 
Jifteres  Auswasehen,  dann  durch  Einkneten  von  Kochsalz,  endlich  durch  Ausschmelzen  gesteuert 
werden,  in  welch'  letzterem  Falle  sich  die  dem  Butterfette  beigemengten  Milchbestandtheile 
nebst  dem  Wasser  (ca.  20%)  abscheiden  und  von  dem  nun  reinem  Fette  getrennt  werden 
konnen. 


Fettc  (Butter).  431 

Was  dieGewinnung  der  Butter  anbelangt,  so  erfolgt  diese,  wie  allgemein  bekannt,  durch 
eine  mechanische  Behandlung  des  nach  langerer  Ruhe  (36—48  Stunden)  an  der  Oberflache 
der  Milch  sich  ansammelnden  Rah  id's,  der  die  Hauptmenge  der  in  der  Milch  entlialtenen 
Butterfett-Trb'pfchen  enthalt,  die  als  specifisch  laichter  in  der  Fliissigkeit  sich  in  die  Hohe 
erheben  und  eine  etwas  consistentere  Schichte  auf  der  Oberflache  der  Milch  bilden,  Diese 
mechanische  Behandlung  der  Rahmmasse  bat  stets  nur  den  Zvvcck,  die  in  der  Fliissigkeit 
schwebenden  Fetttropfchen  in  eine  heftige  Bewegung  zu  versetzen,  durch  welcbe  sic  an  ein- 
ander  gerieben  und  so  veranlasst  werden  zu  grosseren  Klumpchen  zusammenzufliessen,  die  sich 
dann  leicht  von  der  Fliissigkeit  trennen  lassen.  Die  zu  diesem  Zwecke  in  Anwendung  stehen- 
den  Apparate,  von  denen  verschiedene  Formen  und  Constructionen  bekannt  sind,  lassen  sich 
sammtlich  in  drei  Gruppen  einreihen.  Die  1.  Gruppe  wird  gebildet  von  solchen  Apparaten, 
bei  welchen  die  Butterausscheidung  durch  Stoss  oder  Schlag  erzielt  wird.  Die  2.  Gruppe 
umfasst  jene  Vorrichtungen,  bei  welchen  durch  kraftiges  Riihren  der  Fliissigkeit.  die  Vereini- 
gung  der  Fetttropfchen  erreicht  wird,  wahrend  die  3.  Gruppe  solche  Apparate  umfasst,  bei 
welchen  die  Abscheidung  durch  Schutteln  der  Fliissigkeit  herbeigefiihrt  werden  soil. 

In  die  I.  Gruppe  fallen  das  bekannte  gewohnliche  oder  deutsche  Butte  rfass,  ein 
kegelforiniges  Fass  mit  Deckel,  in  dessen  Oeffnung  eine  Stange  auf-  und  abbewegt  wird,  die 
an  ihrem  unteren  Ende  eine  durchlocherte  Holzscheibe  tragi;,  mit  welcher  der  Rahm  geschlagen 
wird.  Hierher  gehoren  auch  das  Butter  fass  von  Gussander,  bei  dem  an  Stelle  der 
durchlocherten  Scheibe  eine  durchlocherte  Glocke  von  Weissblech  zum  Sehlagen  dient,  und 
das  amerikanische  Butterfass  (s.  Dingl.  polyt.  Journ.  131  pag.  5),  bei  welchem  die 
zum  Schlagen  dienende  durchlocherte  Glocke  von  Blech  an  einer  Rohre  von  Eisen  befestigt 
ist  die  an  ihrer  oberen  Miindung  ein  sich  nach  Innen  offnendes  Ventil  trligt,  durch  das  sich 
die  Glocke  bei  der  Aufwartsbewegung  mit  Luft  fiillt,  welche  beim  Niederdriicken  in  Form  von 
Blaschen  durch  die  Fliissigkeit  hindurchgetrieben  wird  und  so  die  Bewegung  derselben  erhoht. 
Hieher  zahlt  ferner  die  Butte rmaschine  von  Rennes  (bez.  Drummond),  bei  welcher 
zwei  mittelst  einer  Kurbel  bewegbare  abwechselnd  auf-  und  niedergehende  Stempel  auf  die 
Fliissigkeit  wirken,  die  sich  in  einem  Gefiisse  befindet,  welches  durch  eine  durchlocherte 
Zwischenwand  in  zwei  Abtheilnngen  getheilt  ist. 

In  die  2.  Gruppe  sind  zu  zahlen  die  Buttermaschine  von  Brochardt  (8.  Dingl. 
polyt.  Journ.  160  pag.  109),  dann  das  von  Stjernsvard  angegebene  Turbinen-  oder  Centri- 
fugal-Butterfass  (s.  polyt.  Centralblatt  1858  pag.  127),  bei  welchem,  wie  bei  mehreren  anderen 
auf  ahnlichen  Principien  beruhenden  Vorrichtungen  die  Fliissigkeit  durch  ein  an  einer  verticalen 
Achse  stehendes  Riihrwerk  mit  Kurbelbetrieb  ki-aftig  geriihrt  werden  kann,  wahrend  z.  B.  bei 
der  unter  dem  Namen  Kastenkarre  bekannten  Maschine,  dann  bei  der  Buttermaschine  von 
Lavoisy  (Pariser  Ausstellungsbericht  1856  pag.  179.  Berlin)  das  Riihrwerk  an  einer  hori- 
zontal liegenden  Achse  befestigt  ist.  In  die  3.  Gruppe  gehort  die  Buttermaschine  (Diagonal- 
karre)  von  Tin  d  all  (s.  Dingl.  polyt.  Journ.  131  pag.  97),  bei  welcher  durch  Drehung  eines 
schrag  gestellten  Fasses  die  Fliissigkeit  heftig  geschiittelt  wird,  dann  das  wiegenfdrmige 
Butterfass  von  Weisse  (s.  Lobe,  Encyclop.  der Landwirthschaft,  Leipzig  1851,111  pag.  569)- 
bei  welchem  durch  die  wiegenartige  Hin-  und  Herbewegung  eines  auf  Walzen  stehenden,  durch 
Facher  in  mehrere  Abtheilnngen  getheilten  Holzkastens  gleichfalls  eine  lebhaft  schiittelnde 
Bewegung  der  denselben  erfiillenden  Fliissigkeit  erreicht  wird.  UeberButtermaschinen  s.  auch 
Petit  (polyt.  Centralblatt  1858  pag.  202),  Girard  (Dingl.  polyt.  Journ.  160  pag.  110), 
Johnson  (Dingl.  polyt.  Journ.  159  pag.  263)  u.  s.  w. 

Bei  dem  Ausbringen  der  Butter  aus  der  Milch  kommt  es,  gleichgiltig-  welcher  Vorrieh. 
tung  man  sich  hiezu  bedient,  wesentlich  auf  die  Einhaltung  griisster  Reinlichkeit  und  Sorgfalt 
sowohl  in  Bezug  auf  die  Aufbewahrung  der  Milch  behufs  Abscheidung  des  Rahms,  als  auch 
in  Bezug  auf  das  eigentliche  Butterschlagen  fButtern)  an,  denn  kaum  irgend  eine  andere 
Substanz  nimmt  so  leicht  einen  fremdartigen  Geruch  oder  Geschmack  an  als  die  Butter.  Die 
wohlschmeckendste  Butter  erhalt  man  immer  aus  frischem  Rahm,  doch  ist  solche  Butter 
weniger  haltbar  als  eine  aus  vorher  gesauertem  Rahm  dargestellte.  Es  kann  ferner  als  Regel 
gelten,  dass  die  Butter  desto  wasserhaltiger  und  schaumiger  erscheineje  rascher  sie  abgeschieden 
wurde,  wahrend  sie  bei  langsamer  Abscheidung  wesentlich  wasserarmer  und  geschmei- 
diger  erhalten  wird. 


432  Fette  (Butter). 

Die  geschlagene  Butter  wircl  nun  noch  durch  Auskneten  im  Wasser  von  dem  einge- 
schlossenen  Riickhalte  an  Milchbestandtheilen  mSg'lichst  befreit,  wobei  man  das  Waschwasser 
so  langft.wechselt,  bis  dasselbe  bei  dem  Auskneten  der  Butter  sich  niclit  mehr  merklich  triibt, 
sodann  wird  sie  zu  grosseren  Klumpen  zusammengeknetet  und  in  bestimmte  Formen,  wie  sie 
eben  landesiiblich  sind,  gebracht,  urn  so  dem  Consume  zugefiihrt  zu  werden.  Gilt  es  die  Butter 
langere  Zeit  aufzubewahren,  so  legt  man  entweder  die  einzelnen  Stiieke  in  eine  starke  Salz- 
losung  ein,  und  zwar  so,  dass  dieselben  vollig  von  der  Losung  iiberdeckt  werden,  oder  man 
salzt  die  Butter  ein,  indem  man  ihr  eine  bestimmte  Menge  von  Salz  durcb  Kneten  einverleibt. 
Die  Menge  des  zugesetzten  Salzes,  die  zwischen  2-5%  zu  betragen  pflegt,  soil  fur  Butter, 
welche  langere  Zeit  aufbewahrt  werden  soil,  nicht  geringer  als  4%  sein,  wahrend  fur  Butter, 
welche  nur  auf  kurze  Zeit  conservirt  werden  soil,  270  Salzzusatz  geniigen.  Um  das  Einsalzen 
der  Butter  auszufiihren,  breitet  man  dieselbe  zu  flacben  Stiicken  aus,  bestreut  dieselben  sodann 
mit  der  bemessenen  Menge  an  fein  geriebenem  Salz,  rollt  die  Masse  mit  der  bestreuten  Fla'che 
nach  innen  zusammen  und  knetet  nun  so  lange  durch,  bis  das  Salz  vollig  gleichmassig  in  dor 
Masse  vertheilt  ist.  Empfehlenswerth  ist  es,  dieses  Einsalzen  nicht  in  einer  Operation  auszu- 
fiihren, sondern  zunachst  nur  die  Halfte  des  Salzes  einzukneten,  dann  durch  24  Stunden  liegen 
zu  lassen,  und  sodann  erst  die  zweite  Partie  des  Salzes  ■  einzukneten.  Die  Butter  wird  so 
gleiehmassiger  gesalzen  und  gewinnt  ein  wesentlich  schbneres  Ansehen,  als  wenn  man  ihr  das 
ganze  Salzquantum  auf  einmal  einverleibt. 

Was  die  erzielbare  Butterausbeute  anlaugt,  so  variirt  diese  wesentlich  mit  dem  Alter 
und  der  Ernahrungsweise,  sowie  endlich  der  Race  derThiere,  denen  die  auf  Butter  verarbeitete 
Milch  entstammt.  Die  mittlere  Butterausbeute  aus  Milch  von  guten  Kiihen  betragt  4.8  —  5.5%; 
bei  guter  Ernahrung  liefert  eine  gesunde  Kuh  pro  Tag  ca.  500  Grm.  Butter,  im  Mittel  rechnet 
man  pro  Jahr  per  Kuh  einen  Ertrag  von  150  -160  Pfund Butter  (vgl.  von  Hinniiber  Journ. 
fiir  Landwirthschaft  1858  pag.   11  und  1854  pag.  95). 

Die  Butter  wird  nicht  selten  verfalscht  oder  doch  durch  Einkneten  grosserer  Wasser- 
mengen  oder  grosserer  Mengen  von  Kochsalz  ihr  Gewicht  in  betriigerischer  Weise  vermehrt. 
Von  eigentlichen  Yerfalschungen  kommenZusatze  an  Mold,  Gyps,  Kreide,  Schwerspath,  zerriebene 
Kartoffel  u.  dgl.  vor,  deren  Vorhandensein  sich  beim  Aussehmelzen  der  Butter  mit  etwas 
Wasser  sehr  leicht  erkennen  lasst,  da  solchc  Beimischungen  sich  dann  dem  Wasser  beimengen 
und  sich  allmalig  aus  demselben  abscheiden.  Allzu  grosser  Wassergehalt  (der  normale  schwankt 
zwischen  14 — 20%)  gibt  sich  daran  zu  erkennen,  dass  solehe  Butter  an  der  Schnittflache  deut- 
liche  Wassertropfen  zeigt,  wahrend  ein  grosserer  Salzgehalt  sich  durch  den  stark  salzigen 
Geschmack  verrath.  Audi  fremde  Fette,  namentlich  Talg  und  Schweinefett  kommen,  als  Ver- 
fiilschungen  der  Butter  vor.  Erstere  ist  an  dem  hbheren  Schmelzpunkte  kenntlich,  den  ein 
irgend  grosserer  Zusatz  an  Talg  bedingt;  letzteres  verrath  sich  schon  durch  den  Geschmack. 
Haufig  wird  die  Butter,  um  ihr  eine  schon  gelbe  P'arbe  zu  geben,  gefa'rbt,  zu  welchem  Zwecke 
in  der  Kegel  Orlean  verwendet  zu  werden  pflegt. 

Kunstbutter  (Sparbuttcr).  Schon  seit  mehr  als  50  Jahrcn  wird  in  Deutschland 
unter  dem  Namen  „Kunstschmalz'<  (Oelschmalz)  ein  Surrogat  fiir  Butterfett  erzeugt,  des  aus 
tVisch  gepressten  Riibol  und  Rindstalg  hergestellt  wird.  Es  wird  zu  diesem  Ende  das  Riibbl 
zunachst  durch  starkes  Erhitzen  mit  zerschnittenen  Zwiebeln  oder  Kartoffeln  gereinigt  und 
von  dem  Gehalte  an  dem  den  Triiger  des  Geruches  im  Riibole  bildendenden  schwefelhaltigen 
titlier.  Oele  befreit  und  das  so  gereinigte  Oel  mit  frischem  Rindsfett  zusammengeschmolzen 
is.  Strenz,  Anleitung  zur  Schmalzol-  und  Oelschmalzbereitung,  Niirnberg  1855).  Dieses 
Erzeugniss  ist  jedoch  wegen  seines  Gehaltes  an  dem  unter  alien  Umstanden  zum  Ranzig- 
werden  leicht  geneigten  und  dann  eckelhaft  riechenden  Riibol  zum  Ersatze  der  Schmelzbutter 
wohl  nicht  zu  empfehlen.  Ebensowenig  waren  es  andere  Fabrikate,  welche  wie  das  nach 
einem  187 1  fiir  Amerika  patentirten  Verfahren  erzeugte  Kunstschmalz,durch  Erhitzen  einer  Mischung 
von  Talg  und  Schweinefett  in  einem  Dampfstrome,  Schlagen  und  endliches  Abschopfen  von  dem 
ausgeschiedenen  Wasser  bereitet  wurde,  oder  das  nach  dem  Patente  von  La  Perouse 
durch  Auskochen  des  Fleisches  mit.  Wasser  (unter  Zusatz  von  di^peltkohlensaurem  Natron 
und  Kochsalz)  abgeschiedene  und  von  der  Briihe  durch  Abschopfen  gewonnene  Fett,  oder 
endlich  das  durch  Zusatz  von  Orlean  gelb  gefarbte  Schweinefett,  das  seit  langerer  Zeit  von 
Amerika  aus  als  Butterfett  exportirt  wurde. 


Fette  (Kunstbutter     -   Schweinefett).  433 

Erst  wahrend  des  letzten  deutsch-franzbsischen  Krieges  gab  der  in  dem  belagerten 
Paris  fiihlbar  gewordene  Mangel  an  Butter  Veranlassung  zu  Versucben,  ein  brauchbares  Surro- 
gat  fiir Butter  herzustellen,  und  es  gelang  Mege  Mourier  in  dem  von  ihm  mit  dem  Namen 
Oleo-Margarine  belegten  Praparate  ein  Product  zu  liefern,  das  sich  alsbald  als  Butter - 
surrogat  einburgerte.  Das  von  M6ge  Mourier  gewahlte  Verfabren  (vgl.  Industriebltt.  von 
Hager  und  Jakobsen,  Berlin  1875  pag.  Ill)  ist  in  Wesenheit  folgendes :  1000  Kilo  friscbes 
Ochsenfett  werden  zunachst  entsprechend  zerkleinert,  dann  mit  300  Kilo  Wasser,  1  Kilo  kohlen- 
sauremKali  und  zwei  klein  zerschnittenen  Schaf-  oder  Schweine-Magen  in  eineni  Fasse  mittelst 
Wasserdampf  auf  45°  C.  erwarmt.  Nach  2  Stunden,  wahrend  welcher  Zeit  ofter  umgerfihrt 
werden  muss,  lSsst  man  das  vbllig  geschmolzene  Fett  nach  einiger  Ruhe  von  der  abgeschie- 
denen  wassrigen  Fliissigkeit  in  ein  zweites  Fass  ab,  das  durch  Wasserdampf  auf  30 — 40°  C. 
erwarmt  gehalten  wird,  setzt  2%  Kochsalz  zu,  riihrt  tiichtig  durch  und  lSsst  nach  erfolgter 
volliger  Klarung  abe:mals  ab.  Die  so  erhaltene  blass  gelb  gefarbte  Fettmasse  wird  nun  in 
einem  auf  20 — 25°  C.  erhaltenenRaume  abkiihlen  lassen,  wobei  sie  eine  halbfeste  Consistenz  und  ein 
kornig  crystalliniscb.es  Gefiige  a  nimmt.  Diese  Masse  wird  nun  bei  ca.  25°  C.  in  einer  hydrau- 
lischen  Presse  gepresst,  wobei  etwa  40—50%  Stearin  und  50-60%  Oleomargarin  erhalten 
werden.  Dieses  letztere  wird  nun  in  einem  Butterfasse  mit  einem  Zusatze  von  25  L.  frischer 
Kuhmilch  und  25  L.  von  mit  100  Grm.  fein  zerschnittener  Kuheuterdriise  digerirtem  Wasser 
auf  je  50  Kilo  Oleomargarine,  das  mit  etwas  Orlean  gelb  gefarbt  ist,  bearbeitet,  wobei  anfang- 
lich  ein  dicker  Rahm,  und  endlich  nach  ca.  2  Stunden  eine  der  frisch  geschlagenen  Butter 
vollig  ahnliche  Masse  resultirt,  die  in  reinem  Wasser  ausgeknetet,  fiir  den  Consum  fertig  ist. 
Der  bei  dieser  Procedur  in  Anwendung  kommende  wassrige  Auszug  der  Kuheuterdriise  soil 
ganz  wesentlich  die  Vertheilung  (Emulsion)  desFettes  in  der  wassrigen  Fliissigkeit  begiinstigen, 
wahrend  durch  den  Milchzusatz  dem  Fabrikate  ein  der  frischen  Butter  ahnlicher  Geschmack 
verliehen  wird.  So  dargestellte  Kunstbutter,  welche  von  einer  guten  Butter  weder  im 
Geschmacke,  noch  iin  Geruche  wesentlich  abweicht,  entbalt  12  — 13%  Wasser,  lost  sich  in 
Aether  unter  Hinterlassung  eines  nicht  mehr  als  l"2°i0  betragenden  Riickstandes  und  erstarrt 
nach  dem  Schmelzen  zwischen  17 — 22°  C.  Die  auf  diese  oder  ahnliche  Weise  erzeugten 
Buttersurrogate,  welche,  wenn  aus  frischem  Rindstalg  bereitet,  anstandslos  zum  Genusse  tauglich 
sind,  kommen  neuerer  Zeit  mit  einem  wyesentlich  geringeren  Wassergehalt  (6 — 7%)  in  den 
Handel  (Spar butter),  und  erscheint  demnach,  abgesehen  von  ihrem  geringeren  Preise,  die 
"Verwendung  derartiger  Erzeugnisse  in  der  Hauswirthschaft  insoftrn  mit  einer  Ersparniss 
verbunden,  als  sie  ob  des  geringeren  Wassergehaltes  ausgiebiger  sind  als  echte  Butter.  Zur 
Unterscheidung  echter  Butter  von  solcher  Kunstbutter  kann  man  nach  Moser  (s.  Dingl. 
polyt.  Journ.  216  pag.  288)  die  Verschiedenheit  der  Schmelzpunkte  beniitzen.  Nach  seinen 
Untersuchungen  schmelzen  verschiedene  Sorten  echter  Butter  zwischen  33 — 37°  C,  wahrend 
die  gepriiften  Sorten  der  Wiener  Sparbutter  bei  27°  C,  eine  Pariser  Kunstbutter  bei  31"7°  C. 
schmolzen.  Das  aus  den  einzelnen  Sorten  echter  Butter  ausgeschmolzene  Schmalz  zeigte 
Schmelzpunkte  zwischen  29  und  36°  C  (nur  bei  Karnthner  Alpenbutterschmalz  lag  derSchmelz- 
punkt  bei  24-5°  C),  wogegen  das  Schmalz  aus  Sparbutter  bei  22-5°  C,  aus  Pariser  Kunstbutter 
bei  31-5°  C.  schmolz.  Nach  Kunstmann  (s.  Dingl.  pol.  Journ.  216  pag.  288)  soil  man 
die  Gegenwart  von  Talg  durch  den  Geruch  erkennen,  den  das  mittels  eines  Dochtes  zum 
Verbrennen  gebrachte  Fett  beim  Ausblasen  der  Flamme  verbreitet. 

3.  Schweinefett  (graisse  de  pore  —  porFs  lard),  Schweineschmalz.  Das  Fett 
des  Schweines  ist  je  nach  dem  Korpertheile,  dem  es  entstammt,  verschieden  Das  in  dem 
Unterhautzellgewebe  eingelagerte  Fett,  d.  i.  der  sogenannte  Speck,  ist  weicher  und  leichter 
schmelzbar  als  das  in  der  Bauchhbhle  abgelagerte  Peritonaalfett,  d.  i.  der  sogenannte  Filz. 
Das  durch  Ausschmelzen  des  Bauchfettes  gewonnene  Fett  ist  weiss,  fast  geruchlos,  von 
schwachem  aber  charakteristischem  Geschmacke.  Es  schmilzt  zwischen  26  —  31°  C.  und  hat 
nach  Saussure  ein  spec.  Gew.  —  0938  (bei  15°  C).  Es  besteht  aus  62  pCt.  fliissigem  und 
38pCt.  festem  Fett  (Braconnot),  lost  sich  in  36  Thl.  kochendem  Alkohol  und  enthalt  neben 
Oelsaureglycerid  auch  jene  der  Palmitin-  und  Stearinsaure.  Durch  Pressen  in  gelinder  Warme 
lasst  sich  das  fliissige  voin  festen  Fette  trennen.  Das  erstere,  d.  i.  das  Speckol  oder 
Schmalzol  (lard  oil)  dient  fiir  verschiedene  Zwecke  der  Industrie,  namentlich  als  Schmierbl, 
dann  auch  zum  Einfetten  der  Wolle,  wird  aber  auch  vielfach  zur  Verfalsehung  anderer  Oele, 
namentlich  des  Olivenbls  verwendet.  Es  ist  fliisssig,  meist  klar,  farblos,  mitunter  auch  weiss 
Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.    Bd.   III.  2$ 


434  Fette  (Schweinefett  —  Pflanzenfette). 

triibe  und  besteht  vorherrschend  aus  Oelsaureglycerid  (Olei'n).  Der  feste  Theil  des  Fettes,  das 
sogenannte  Solarstearin,  ist  durchscheinend,  kornig  crystallinisch  und  schmilzt  bei  43°  C, 
dient  namentlich  als  Materiale  fur  Kerzenbereitung,  wohl  auch  zur  Verfalschung  des  Wallraths. 
Das  Schweinefett  bildet  einen  nicht  unwiehtigen  Handelsartikel,  der  namentlich  von  Amerika, 
dann  vonUngarn,  derMilitargrenze  undSerbien  exportirt  wird.  In  Amerika  ist  das  Missisippithal 
die  Hauptproductionsstatte  fiir  dieses  Fett,  fiir  welches  Cincinnati  den  wichtigsten  Handelsplatz 
bildet.  Manpflegt  daselbst  denKorper  der  geschlachteten  Schweine,  nach  Abtrennung  der  Schinken 
des  Lendenspecks  und  des  Salzfleisches,  sammt  den  Knochen  in  Dampfapparaten  mit  Dampf  von 
4  6  Atm.  Spannung  auszukochen  und  auszupressen  und  gewinnt  derart  ein  weiches,  sehr 
olei'nreichee  Fett,  das  zum  Theile  gebleicht  und  als  solches  zu  Markte  gebracht,  zum  Theile 
aufSchmalzol  und  Solarstearin  weiter  verarbeitet  wird.  Das  ungarische  und  serbische  Schweine- 
fett, welches  gewohnlich  durch  Ausschmelzen  des  Bauch-  und  Gedarmefettes  gewonnen  wird' 
ist  besser  und  gesuchter  als  das  amerikanische.  Das  Schweinefett  des  Handels  ist  nicht  selten 
verfalscht.  Namentlich  haufig  wird  demselben  eine  grossere  Menge  Wassers  (bis  20%)  einver- 
leibt,  wohl  auch  zur  Erzielung  grosserer  Weisse  und  besserer  Bindung  des  Wassers  Starke 
oder  Mehl  zugesetzt,  endlich  linden  sich  nicht  selten  Beimengungen  von  Aetzkalk  (bis  1%) 
und  Alaun  (bis  3%)j  deren  Anwendung  zum  Theile  eine  Verzbgerung  des  Verderbens  des 
Fettes  bezweckt.  Auch  weisse  Pulver,  wie  Gyps,  Schwerspath  u.  dgl.  findet  man  nicht  selten 
dem  Fette  beigemischt.  Von  solchenVerfalschungen  last  sich  zunachst  der  grossere  Wasserzusatz 
durch  Ausschmelzen  bei  gelinder  Warme,  wobei  sich  das  Fett  vom  Wasser  trennt,  erkennen. 
Mehl-  oder  Starkegehalt  erkennt  man  beim  Ausschmelzen  mit  Wasser  an  der  Blaufarbung,  die 
das  Wasser  mit  etwas  Jodlosung  annimmt,  Kalk,  Alaun,  Gyps,  Schwerspath  an  dem  Aschen- 
riickstande,  der  beim  Verbrennen  des  Fettes  hinterbleibt.  Auch  das  Schmalzol  wird  nicht 
selten  durch  Kiibol  verfalscht,  das  man  durch  Anriihren  mit  2—3%  Starke  und  mehrstiindigas 
Erhitzen  bis  zur  Verkohlung  der  Starke  bleicht. 

Dem  Schweinefett  ziemlich  nahestehend  sind:  Gansefett,  das  32%  festes  und  68% 
fliissiges  Fett  enthalt,  ferner  das  Dachsfett,  das  bei  30"  C  schmilzt,  aber  schon  bei  9°  C. 
erweicht  und  salbenartig  wird,  das  Hundefett,  das  bei  27°  C.,  und  das  Zie gen  fett,  das 
bei  25°  C.  schmilzt-.  Das  Fett  des  Menschen  hat  gleichfalls  eine  dem  Schweinefett  fast 
gleichkommerideConsistenz  und  lost  sich  in  40  Thl.  kochenden  Alkokols.  DasFett  desPferdes 
ist  gelb  und  wesentlich  barter  als  das  Schweinefett,  es  schmilzt  bei  47-5°  C.  Besonders  festund 
schwer  schmelzbar  ist  aber  das  Fett  vom  Halstheile  desPferdes,  d.  i.  dasKammfett,  das  bei 
60°  C.  schmilzt  und  aus  25%  Stearin  und  25%  Olei'n  besteht,  Fuchsfett  schmilzt  bei 
54°  C,  Hasenfett  bei  47-5°  C. 

4.  Knochenfett  (petit  suif  —  fat  of  bones),  Markfett.  Gelblich  weiss  bis  gelb, 
bei  gewbhnlicher  Temperatur  kornig  weich,  resultirt  als  Nebenproduct  beim  Anskochen  der 
Knochen  gelegentlich  der  Leim-  oder  Spodiumfabrikation.  Es  schmilzt  bei  45°  C.  und  bleibt 
selbst  an  der  Luft  ziemlich  unverandert,  weshalb  es  als  Maschinenfett  sich  empfiehlt.  Es  ist 
in  siedendem  Alkohol  nur  theilweise  loslich. 

5.  Klauenfett  (huile  de  pied  de  boeuf  —  foot  oil),  Klauenol.  Dieses  selbst  bei 
niederen  Temperatnren  fliissige,  erst  einige  Grade  unter  0°  C.  erstarrende  Fett,  eigentlich 
richtiger  Oel  zu  nennen,  ist  weiss  oder  blassgelb  und  von  ganz  vorziiglicher  Haltbarkeit. 
Man  gewinnt  es  aus  den  Fussknochen  der  Kinder,  welche  man  durch  Einlegen  in  heisses 
Wasser  von  den  anhangenden  Fleischtheilen  und  Hufen  trennt  und  sodann  die  so  praparirten 
grossen  Knochen  durch  Einwirkung  von  kochendem  Wasser  oder  gespannten  Da'mpfen  ent- 
fettet,  wobei  sich  das  Fett  auf  der  Oberflache  der  Briihe  abscheidet  und  abgeschopft  werden 
kftnn.  Das  so  gewonnene  Fett  scheidet  beim  volligen  Erkalten  einen  Theil  eines  salbenartigen 
Fettes  ab,  welches  durch  Abgiessen  von  dem  die  Hauptmasse  bildenden  fliissigen  Fette, 
geschieden  werdeii  kann.  Gutes  Klauenol  ist  fast  geruchlos  und  wird  nicht  leiclr  ranzig 
weshalb  es  sich  besonders  als  Schmiermittel  fiir  Maschinen,  Uhren  u.  s.  w.  empfiehlt. 

B.  Pflanzenfette. 

Von  den  technisch  verwendeten  starren  Pflanzenfetten  hat  die  grosste  Bedeutuug: 

1.  Das  Palmfett,  Palmbutter  oder  Palmol  (huile  de.'palme  —  palm  oil).  Dieses 

Fetl  stainmt    von    der  Frucht   der   an    der  Westkiiste  Afrikas,  dann    in  Centralamerika  einhei- 

mischen    Oelpalme     (£lais    guineensis  Jacq.,   Avoira    elais).     Die    Kiistendistricte    von    Sierra 

Leone  bis  an  die  Congokiiste  liefern  die  grossten  Mengen    dieser  Oelfrucht,  welche    im  reifen 


Fette  (Palmfett).  435 

Zustande  eiue  tief  orangegelb  gefarbte  Steinfrucht  von  der  Grbsse  einer  Pflaume  darstellt, 
deren  eine  grosse  Anzahl  in  traubenartigen  Biischeln  vereinigt  den  Fruchtstand  der  Oelpalme 
bilden.  Ein  Palmbaum  tragt  oft  Biischel  von  40 — 50  K.  im  Gewichte.  Die  einzelnen  Friiehte 
bestehen  aus  einem  den  Samen  einschliessenden  Kerne,  welcher  in  ein  fasriges  Fruchtfleisch 
eingebettet  ist.  Sowohl  das  Frucbtfleisch  als  der  Kern  sind  olhaltig.  Die  Einbeimiscben 
sammeln  die  Friiebte  und  lassen  sie  in  flachen  Gruben  oder  Trogen  durch  langere  Zeit  der 
Einwirkung  der  Sonnenhitze  ausgesetzt,  wodurch  das  Fruchtfleisch  gelockert  wird  und  sodann 
durch  Kneten  und  Schlagen  von  den  Kernen  getrennt  werden  kann.  Das  so  gesonderte 
Fruchtfleisch  wird  in  irdenen  Topfen  mit  Wasser  gekocht,  wobei  sich  das  Fett  an  der 
Oberflache  der  Fliissigkeit  abscheidet  und  in  Gestalt  eines  Breies,  der  noch  reichlich  Theile 
des  Fruchtfleisches  beigemengt  enthalt,  abgescbopft  werden  kann.  Dieses  rohe  Fett  wird  dann 
durch  Einschlagen  in  Tiicher  und  Ausringen  oder  einfaches  Ausdriicken  von  der  Hauptmasse 
der  Fruchtfleischreste  getrennt.  Die  Kerne  werden  gegenwartig  fast  ausschliesslich  nach 
Europa  gebracht,  wo.  sie  nach  dem  Zerstossen  in  hydraulischen  Pressen  warm  gepresst 
werden. 

Das  Palmfett  hat  bei  gewohnlicher  Temperatur  Butterconsistenz,  ist  von  rothlichgelber 
Farbe  und  hat  im  frischen  Zustande  einen  angenehmen  Veilchengeruch  und  einen  schwach 
siisslichen  Geschmack.  Es  schmilzt,  wenn  frisch,  bei  24—27°  C.  An  der  Luft  wird  es  leicht 
ranzig,  wird  dann  allmalig  blasser  und  schwerer  schmelzbar  (30—35°  C,  sehr  altes  schmilzt 
sogar  erst  bei  41 — 42°  C).  Im  Alkohol  ist  es  bei  Siedhitze  leicht  und  vollstandig  loslich, 
Aether  lost  es  schon  in  der  Kalte,  von  Alkalien  wird  es  leicht  verseift.  Es  besteht  wesentlich 
aus  Oelsaure-  undPalmitinsaure-Glycerid,  enthalt  aber  gleichzeitig  eine  mit  dem  Alter  zunehmende 
Menge  an  freier  Oelsaure  und  Palmitinsaure,  neben  freiem  Glycerin.  Der  Gehalt  an  freien 
Sauren  kann  bis  80%  betragen.  Die  gelbe  Farbe  riihrt  von  dem  Gehalte  an  einem  in  dem 
Fette  gelbsten  Farbstoffe  her,  der  durch  Zersetzung  eines  Bestandtheiles  des  Fruchtfleisches 
entsteht.  Es  dient  vornehmlich  fiir  Zwecke  der  Seifenfabrikation.  Das  nach  dem  Abpressen 
des  Olei'ns  resultirende  Palmitin  wird  ubrigens  auch  directe  zur  Kerzenfabrikation  verwendet. 
Uebrigens  findet  es  Verwendung  zu  den  Oelbeizen  der  Tiirkischrothfarbereien,  als  Maschinen- 
schmiere  u.  s.  w.,  im  frischen  Zustande  auch  als  Nahrungsmittel. 

Das  aus  den  Kernen  gepresste  Fett,  Palmkernbl,  ist  von  chocoladebrauner  Fai'be 
und  ubrigens  ahnlichen  Eigenschaften  wie  das  Palmol.  Es  hat  einen  an  Cacao  erinnernden 
Geruch.  Das  Palmol  wird  fiir  die  Zwecke  der  Seifen-  und  Kerzenfabrikation  haufig  gebleicht 
Nach  Pohl  kann  man  die  Zerstorung  des  Farbstoffes  durch  blosses  Erhitzen  des  rohenFettes 
erreichen.  Man  schmilzt  dasselbe  in  Kesseln  von  Gusseisen  und  erhitzt  es  moglichst  rasch 
auf  220—240°  C.,  bei  welcher  Temperatur  man  es  durch  ca.  10  Minuten  bis  '/2  Stunde  erhalt 
Bei  115°  C.  konimt  das  Fett  anscheinend  zum  Sieden  und  beginnt  zu  steigen,  weshalb  man 
die  Kessel  zur  Verhiitung  des  Ueberlaufens  nicht  fiber  2  Dritttheile  ihres  Fassungsraumes 
fiillen  darf;  ist  die  Temperatur  bis  180°  C.  gestiegen,  dann  hbrt  das  Sieden  auf  und  es 
beginnt  nun  die  Entwicklung  sehr  belastigender,  stechend  sauer  riechender  Dampfe.  Nach 
geniigend  langer  Einwirkung  der  hbheren  Temperatur  wird  das  Fett  rein  weiss  und  scheidet 
die  in  demselben  enthalten  gewesenen  Reste  der  Fruchtfleischsubstanz,  von  der  in  besseren 
Sorten  nicht  mebr  als  03 — 1%  enthalten  sein  sollen,  in  Gestalt  brauner  Flocken  ab.  Das 
frisch  gebleichte  Fett  hat  einen  brenzlichen  Geruch,  der  sich  jedoch  nach  langerem  Lagern 
wieder  vollstandig  verliert,  wahrend  der  urspriingliche  Veilchengeruch  wiederkehrt  (vgl.  Dingl. 
pol.  Journ.  135  pag.  140). 

Auch  durch  langer  fortgesetzte  Einwirkung  der  Luft  bei  100°  C.  kann  man  das  Palm- 
fett bleichen,  ebenso  durch  Erhitzen  mit  chromsaurem  Kali  und  Salzsaure  oder  SchwefelsSure 
oder  mit  Braunstein  und  Salzsaure  (s.  Dingl.  pol.  Journ.  152  pag.  80).  Auf  100  K.  Palm- 
fett rechnet  man  1 — 1-5  K.  chromsaures  Kali,  3  K.  Salzsaure  und  V,  K.  Schwefelsaure.  Das 
chromsaureKali  wird  friiher  gelost  und  dieseLbsung  mit  den  Sauren  dem  auf  50°  C.  erwarmten 
Fette  beigemengt  und  durch  fleissiges  Riihren  damit  vermischt.  Wenn  die  Gelbfarbung  ver- 
schwunden  ist,  lasst  man  kla'ren  und  zieht  das  Fett  ab,  hierauf  wascht  man  mit  heissem  Wasser 
oder  mittelst  Dampf.  Sollte  das  gewaschene  Fett  noch  eine  Griinfarbung  zeigen,  so  kocht 
man  dasselbe  wiederholt  mit  salzsaurehaltigem  und  endlich  mit  reinem  Wasser.  Am  besten 
lasst  sich  die  Lagos-Waare  bleichen,  wahrend  die  unter  dem  Namen  Liverpooler  Waare 
bekannten  Sorten  nach  dem  Bleichen  oft  eine  schwache  Graufarbung  zeigen. 

28* 


436  Fette  (Pflanzenfette).  —  Fettkorper. 

Das  Bleichen  des  Palmkembls  wird  am  vortheilhaftesten  derart  ausgefiihrt,  dass  man 
das  Fett  zunachst  bei  100°  C.  mit  Salzlauge  von  26°  B.  innig  vermengt  und  sodann  der 
Buhe  iiberlasst,  wobei  sich  die  Salzlauge,  welche  dem  Fette  schon  einen  Theil  des  Farbstoffs 
entzogen  hat,  abscheidet.  Das  abgeschopfte  Fett  wird  nun  bei  35°  C.  mit  Salzsaure  und 
chromsaurem  Kali  in  gleicher  Weise  gebleicht  wie  das  Palmfett.  Das  gebleichte  Palmkernol 
(Palmnussol)  ist  indess  fast  nie  rein  weiss,  sondern  zeigt  fast  stets  eine  blassgelbe  Farbe. 

2.  Mafurratalg.  Das  Fett  der  Mafurrakerne  (Mafutrakerne),  d.  s.  die  Samen  einer  in 
Mozambique  einheimischen,  nicht  naher  bekannten  Pflanze,  welche  eine  leichte,  beim  Driicken 
abspringende  rothe  Hiille,  in  der  Mitte  mit  einem  schwarzen  Fleck  haben,  etwa  so  gross  wie 
eine  Cacaobohne  und  durchschnittlich  0'6  Grm.  schwer  sind.  Diese  Kerne,  welche  an  der 
Innenseite  flach,  nach  Aussen  zu  convex  sind  und  sich  leicht  in  zwei  Halften  spalten  lassen, 
sind  selir  hart  und  haben  einen  stark  bitteren  Gesclimack.  Beim  Pressen  liefern  sie  nur 
geringe  Mengen  Fett,  dagegen  wesentlich  mehr  beim  Auskochen  mit  Wasser  oder  beim  Extra- 
hiren  mit  Benzin,  Aether  oder  Schwefelkohlenstoff.  Durch  solche  Extraction  kann  man  bis 
65%  eines  gelblichen  starren  Fettes  gewinnen,  das  der  Cacaobutter  ahnlich  riecht  und  etwa 
denselben  Schmelzpunkt  zeigt  wie  Rindstalg.  In  siedendem  Alkohol  ist  es  nur  unvollstanriig 
loslich,  leicht  dagegen  in  heissem  Aether,  aus  welcher  Losung  es  in  sternfdrmigen  Crystallen 
sich  ausscheidet.  Es  ist  leicht  verseifbar  und  besteht  wesentlich  aus  einem  Gemenge  von 
Ole'in  und  Palmitin.  Die  Mafurrakerne  konnen  in  grosster  Menge  von  Mozambique  und  Mada- 
gascar bezogen  werden  (s.  Journal  f.  pract.  Chem.  67  pag.  286). 

Dem  Mafurratalg  ahnlich  verhalt  sich  der  Tinkawantalg,  der  aus  Indien  in  den 
Handel  kommt  und  von  den  Friichten  eines  in  Borneo  und  Sumatra  einheimischen  Baumes 
stammt.  Er  lost  sich  nur  zum  Theile  in  kaltem,  vollstandig  in  kochendem  Alkohol  und 
besteht  wesentlich  aus  Ole'in,  Palmitin  und  Stearin  (vgl.  Ruge  Jahrbuch  der  Chemie  1862 
pag.  506.) 

3.  Die  Muscatbutter  (beurre  de  muscade  —  oil  of  mace),  Mus  catbalsam.  Muscat- 
nussbutter,  das  Fett  der  unter  dem  Namen  Muscatniisse  bekannten  Friichtevon  Myristica  moschata 
Thunb.,  das  durch  Auspressen  der  zerstossenen  und  gedampften  Friichte  bei  gelinder  Warme 
gewonnen  werden  kann.  Die  Niisse  liefern  etwa  12%  eines  rothlich  gelben,  weiss  marmorirten 
ziemlich  festen  Fettes,  das  einen  starken  Muscatnuss-Geruch  und  schwach  aromatischen 
Geschmack  hat,  welche  Eigenschaften  es  einem  Gehalte  von  atherischern  0.1  (etwa  4%,)  ver- 
dankt.  Schmilzt  bei  41  —  51°  C,  spec.  Gew.  ~  0-995.  Lost  sich  in  kaltem  Weingeist  schwer, 
leicht  in  kochendem  (4  Thl.),  Aether,  Chloroform  und  Benzin  Ibsen  theilweise.  Besteht  vor- 
nehmlich  aus  den  Glyceriden  der  Oelsaure  und  Myristinsaure  neben  etwas  Buttersaureglycerid 
(s.  Play  fair,  Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm.  37  pag.  152  u.  163;  a.  Bicker,  n.  Jahrb.  d. 
Pharm.  19  pag.  17).  Die  Muscatbutter  kommt  in  wie  Seife  geschnittenen  Stiicken,  die  in  Bast 
eingehullt  sind,  ineist  von  Java  (bessere  Qualitat)  und  von  Singapore  und  Penang  (geringere 
Qualita')  in  den  Handel.  Nicht  selten  wird  dieses  Fett  verfalscht  durch  Zusatze  von  billigeren 
Fetten  oder  durch  Kochen  von  Talg  mit  etwas  Muskatnusspulver  und  Farben  mit  Sassafras 
oder  Safran  imitirt.  Audi  die  Muscatbliithe  liefert  ein  ahnliches,  aber  dunkler  gefarbtes 
Fett  (Macisbutter). 

4.  Der  Pinieutalg,  das  Fett  der  Samen  von  Valeria  indica,  wird  durch  Auskochen 
der  Samen  mit  Wasser  und  Abschopfen  des  abgeschiedenen  Fettes  gewonnen.  Ist  fa-t  weiss, 
bei  38°  C.  schmelzend,  fast  geruchlos. 

Ueber  Cocosfett,  Cocosbutter  s.  II  pag.  371,  iiber  Cacaobutter  s. 
Cacao  II  pag.  187.  Fliissige  Pflanzenfette  d.  s.  fette  Oele  s.  b.  Oele,  iiber 
Wachsarten  s.  Wachs.     Gtl. 

Fettgarleder,  fettgares  Leder,  Samischleder,  s.  Leder. 

Fettgas,  Leuchtgass,  durch  trockene  Destination  der  Fette  gewonnen,  s.  a. 
Oelgas,  s.  Leuchtstoffe. 

Fettkorper,  allgemeine  Bezeichnung  fur  Fette  uberhaupt.  In  der  org. 
Chemie  bezeichnet  man  mit  diesem  Namen,  im  Gegensatze  zu  den  aromatischen 
Kbrpern,  jene  organisclien  Stoffe,  deren  Kohlenstoffatome  man  sich  reihenformig 
zu    sog.    offenen  Ketten  angeordnet    denkt  (=C — C—C—C=),   wahrend    man   in 


Fettkorper.  —  Fettsauren.  437 

den  aromatischen  Korpern  die  Kohlenstoffatome  in  geschlossenen  Ketten  (Ringen) 
gruppirt  denkt.  Vgl.  aromatische  Kijrper  I  pag.  192,  vgl.  a.  Benzol  I  pag. 
377.     Gil. 

Fettleder,  s.  Leder. 

Fettquarz,  s.  Quarz. 

Fettsauren.  Diesen  Namen  fiihren  die  organischen  Sauren  der  allgemeinen 
Formel  Cn  Hin  0,2,  welcke  sich  vorherrschend  als  Bestandtheile  der  natiirlichen 
Fette  finden,  in  denen  sie  theils  als  Glyceride,  theils  in  Verbindung  mit  Alkoho- 
len,  als  zusammengesetzte  Aether,  theils  auch  ijn  freien  Zustande  enthalten  sind. 
Die  wichtigsten  hierher  gehorigen  Sauren  sind: 

Ameisensaure  Cff202  Lanrinsaure  C^H^^O^ 

Essigsaure  C^H^O^  Myristinsaure  Ci^H(lsOi 

Propionsaure  C3H60^  Palmitinsaure  C,  6ff3Q02 

Buttersaure  C^HgO^  Stearinsaure  ClsFf.IG02 

Valeriansaure  C^H^O^  Arachinsaure  Ci0H4002 

Capronsaure  Cc-ff]a02  Behensaure  C'22Jff44Oa 

Oenanthylsaure  (77jS,402  Hyanasaure  C^H^O^ 

Caprylsaure  CsHi60(1  Cerotinsaure  C27iJ5402 

Pelargonsaure  C9Hl80tl  Melissinsaure  C.i0H6QOa. 

Caprinsaure  Cl0H<1()Oli 
Wie  aus  den  Zusammensetzungsverhaltnissen  der  Sauren  dieser  Reihe  zu  er- 
sehen,  unterscheiden  sich  die  hoheren  Glieder  der  Reihe  von  den  niedrigen  durch 
einen  Mehrgehalt  von  wmal  der  Gruppe  CHq  und  konnen  aus  den  niedrigeren 
Gliedern  durch  Vertretung  von  Wasserstoff  in  denselben  durch  die  einfache  oder 
selbst  schon  Substitutionen  zeigende  Gruppe  CH.A  entstanden  gedacht  werden. 
Sammtliche  Sauren  dieser  Reihe  sind  einbasisch  und  enthalten  sonach  nur  eine 
Hydroxylgruppe,  in  welcher  der  Wasserstoff  durch  Metalle  vertretbar  ist.  Man 
kann  sonach  die  Sauren  dieser  Reihe  durch  die  allgemeine  Structurformel  CHO,OH 
ausdriicken,  worin  der  Wasserstoff  der  Gruppe  CHO  durch  CH3  oder  CH„CH3, 
CH^CH^CH^  CH^CH^CH^CH^  u.  s.  w.  vertreten  sein  kann.  So  erscheint  die 
Essigsaure  als  CCH30,Off,  d.  i.  Methylameisensaure,  die  Propionsaure  als 
CCH^H^OjOH,  d.  i.  Aethylameisensaure  u.  s.  f.  Es  ist  hiebei  jedoch  nicht  be- 
dingt,  dass  diese  den  Wasserstoff  vertretenden  Gruppen  durch  successive  Ver- 
tretung von  je  einem  Wasserstoffatom  in  den  Gruppen  CH3  entstanden  sind,  son- 
dern  es  kann  auch  der  Fall  eintreten,  dass  in  ein  und  derselben  Gruppe  CH3 
mehre  oder  alle  Wasserstoffatome  durch  die  Gruppe  CH3  oder  Abkoramlinge  der- 
selben vertreten  sind,  wodurch  Sauren  von  gleicher  Zusammensetzung,  aber  ver- 
schiedenen  Eigenschaften  (isomere  Sauren)  entstehen ;  so  kann  es  zwei  Sauren  der 

Formel  C^H80,2  geben,  deren  eine  CCH2CH2CH,0,OH,  die  andere  CCH°$0,OH  ist. 
und  solche  Moglichkeiten  sind  bei  den  hoheren  Gliedern  dieser  Reihe  natiirlich 
iu  vermehrtem  Verhaltnisse  nicht  nur  denkbar,  sondern  es  bestehen  beziiglich 
aller  hoheren  Formen  auch  entsprechend  mehr  Isomeriefalle. 

Die  Fettsauren,  welche  bis  zu  dem  Gliede  Ctoisr,,002  fliissig  und  auch  fast 
vollig  unzersetzt  destillirbar  sind,  wahrend  die  hoheren  Glieder  schon  bei  gewohn- 
licher  Temperatur  starr  und  unter  gewohnlichem  Luftdruck  nicht  mehr  unzersetzt 
fluchtig  sind,  und  demnach  in  fliissige  und  fliichtige  und  in  feste  und  nicht  flueh- 
tige  unterschieden  werden,  sind  im  Allgemeinen  schwache  Sauren,  u.  z.  um  so 
schwacher,  je  hoher  ihr  Kohlenstoffgehalt  ist.  Die  fliichtigen  haben  einen  mehr 
weniger  stechend  sauerlichen  Geruch  und  brennend  saueren  Geschmack,  losen  sich 
in  Alkohol  und  Aether  und  bis  zur  Valeriansaure  auch  in  grosserer  Menge  in 
Wasser.  Die  festen  Fettsauren  sind  dagegen  fast  geruch-  und  geschmacklos,  in 
Wasser  unloslich,  dagegen  in  Alkohol  und  Aether  loslich.  Sie  zeigen  eine  in  dem 
Masse,    als   ihr  Kohlenstoffgehalt  wachst,    abnehmende    sauere   Reaction,    dagegen 


438  Fettsauren.  —  Feuerloschdosen. 

steigen  ihre  Siede-  und  Schmelzpunkte  im  Verhaltnisse  der  Zunahme  des  Kohlen- 
stoffgehaltes  u.  z.  die  Siedepunkte  im  Allgemeinen  fiir  jede  Zunahme  um  1  Kohlen- 
stoffatom  um  19°  C. 

Ueber  die  einzelnen  Fettsauren  s.  die  betreffenden  Artikel.     Gil. 

Fett wachs  (adipoczre),  Leichenwachs,  ist  ein  Umwandlungsproduct  der 
Fette,  welches  durch  langere  Einwirkung  von  Feuchtigkeit  und  Luft,  bei  gleich- 
zeitiger  Gegenwart  von  Basen  aus  Fetten  sich  bildet.  Findet  sich  nicht  selten  in 
den  Erdreiche,  in  welchem  viele  Cadaver  angehauft  waren,  also  auf  Friedhofen, 
und  besteht  wesentlich  aus  zum  Theil  freien,  zum  Theil  an  Kalk  gebundenen 
Fettsauren.     Gil. 

Feuer  fliissige  (feu  liquide  —  liquid  fire)  nennt  man  im  Allgemeinen 
fliissige  Mischungen,  welche  entweder  durch  Luftzutritt  oder  durch  Zutritt  von 
Wasser  selbst  zur  Entziindung  kommen,  und  so  directe  als  Ziindmittel  dienen 
konnen,  oder  bei  ihrer  Bertihrung  mit  entziindlichen  Substanzen  die  Entziindung 
dieser  herbeifiihren  und  so  mittelbar  als  Ziindmittel  wirken  konnen.  Ausser  dem 
bereits  besprochenen  Fenian-Feuer  (s.  Ill  pag.  403)  gehbren  hieher: 

1.  Die  Mischung  von  Niepce,  welche  durch  Vermengen  von  Benzol  oder 
Petroleum  mit  Kalium  oder  Phosphorcalcium  hergestellt  wird,  so  wie  die  Natrium- 
ziindmasse  von  Fleck  (s.  Dingl.  pol.  Journ.  190  pag.  306)  beides  Mischungen, 
welche    durch  Beriitirung  mit  Wasser  zur  Entziindung  kommen. 

2.  Die  Mischung  von  Chlorschwefel  mit  phosphorhaltigem  Sehwefelkohlen- 
stoff,  welche  unter  dem  Namen  lothringisches  Feuer  (feulorrain)  bekannt 
ist;  und  sich  sofort  entziindet,  wenn  sie  mit  Ammoniak  (Salmiakgeist)  in  Beruhrung 
kommt.  (S.  Dingl.  polyt.  Journ.  206  pag.  78.)  In  gleicher  Weise  verhalt  sich 
auch  Phosphortrichlorid  (dreifach  Chlorphosphor)  und  ebenso  Bromschwefel,  wenn 
sie  mit  Ammoniak  oder  Schfl'efelammonium  in  Beruhrung  kommen. 

3.  Die  Mischungen  von  Schwefelsaure  mit  chlorsauren  Salzen  oder  mit 
iibermangansauren  Salzen  (3  Thl.  concent.  Schwefelsaure  mit  2  Thl.  iibermangans. 
Kalium),  welche  bei  Beruhrung  mit  brennbaren  Korpera,  als :  Terpentinol,  Papier, 
Holz,  Schwefel  u.  s.  w.  die  Entziindung  derselben  herbeifiihren.  (s.  Sophro- 
nius  d.  Industr.  Ztg.   1867  pag.  36.)     Gil. 

Feuer  lothringisches,  s.  Feuer  fliissige. 

Feuerbestandig  (apyre,  fixe  —  apyrous,  fix)  nennt  man  Korper,  welche  bei 
hbherer  Temperatur  nicht  verbrennbar  und  auch  nicht  fliichtig  sind.  Unverbrenn- 
bare  Korper  bezeichnet  man  wohl  auch  als  feu  erf  est  (incombustible  — fire 
proof),  welche  Bezeichnung  indess  correct  nur  fiir  Korper  angewendet  werden 
soil,  welche  im  Feuer  fest  bleiben,  also  unschmelzbar  sind.     Gtl. 

Feuerblende,  s.  Zinkblende,  s.  a.  Rothgiltigerz. 

Feuerbriicke  (pont  —  fire  bridge),  s.  Eisenerzeugung  bei  Puddel- 
ofen  III  pag.  534. 

Feuergeschranke,  s.  II  pag.  534. 

Feuergewehre,  s.  Feuerwaffen. 

Feuergrube,  s.  Schmiedeherd  im  Artikel  Schmieden. 

Feuerhahn  oder  Hydrant,  s.  Rbhrenleitungen. 

Feuerkastetl   (botte  ci  feu  —  fire-box),  s.  b.  Locomotive  III  pag.  81. 

Feuerlauge.  s.  b.  Seife. 

Feuerloschdosen  nennt  man  die  von  Bucher  empfohlenen,  zur  Loschung 
von  Branden  in  geschlossenen  oder  gut  verschliessbaren  Raumen  bestimmten,  mit 
brennbaren  Gemeugen    gefiillten   Dosen,    welche    dadurch    loschend    wirken,     dass 


Feuerloschdosen.  —  Feuerwaffen.  439 

dnrch  Verbrennung  ihres  Inhaltes  eine  grosse  Menge  von  Gasen  ( Stickstoff,  scbweflige 
Saure,  Kohlensaure)  gebildet  wird,  welche  zur  Unterhaltung  von  Verbrennungen  imtaug- 
licb  sind  und  sobin  loschend  wirken  konnen.  Nach  verschiedenen  Analysen  besteht 
der  Inhalt  dieser  Dosen  wesentlich  aus  einera  Gemenge  von  ca.  60  Tbl.  Salpeter, 
36  Thl.  Schwefel  und  4  Thl.  Kohle,  und  entwickelt  ein  Kilogr.  dieser  Masse  durch- 
schnittlich  298  Liter  scbwefliger  Saure,  68  L.  Kohlensaure  und  84  L.  Stickstoif. 
Audi  Zeisler  hat  ein  ganz  ahnliches  Gemenge  von  60  Thl.  Salpeter, 
36  Thl.  Schwefel  und  4  Thl.  Kohle  nebst  einem  geringen  Zusatz  an  Kalk  zu 
gleichen  Zwecken  angegeben,  und  empfiehlt  '  das  aus  den  gehcirig  zerkleinerten 
Gemengtheilen  innig  gemischte  und  in  Pappendeckelhiilsen  fest  eingestampfte  Ge- 
menge in  das  in  einem  abschliessbaren  Raume  entstandene  Feuer  zu  werfen 
(u.  z.  1  Klg.  auf  15kbmRaum)  und  den  Raum  sodann  moglichst  gut  abzuschliessen. 
Selbstverstandlich  ist  bei  Anwendung  dieser  Loschmittel  zu  beriicksichtigen,  dass 
die  durch  Verbrennung  des  Gemenges  entstandenen  Gase  irrespirabel  sind,  wess- 
halb  das  Leben  von  Bewohnern  angrenzender  Raume  durch  Anwendung  eines 
solchen  Loschmittels  unter  Umstanden  gefahrdet  werden  konnte.  (Vgl.  a.  L  6  s  c  h- 
w  e  s  e  n.)     Gil. 

Feuerloschwesen,  s.  Loschwesen.*) 

Feueropal,  s.  Opal. 

Feuerrader,  s.  Feuerwerkerei. 

Feuerschwamm,  s.  Ziindschwamm,  s.  a.  Schwamm. 

Feuersetzen,  s.  Bergbau  II  pag.  385. 

Feuerspritze  (pompe  a  incendie  — fire  engine),  s.  Loschwesen.*) 

Feuerstein,  s.  Quarz. 

Feuersteitl-Bearbeitung  hat  jetzt  nur  mehr  geringe  praktische  Bedeutung, 
indem  die  Anwendung  des  Feuersteines  als  Flintenstein,  so  wie  als  Stein 
zum  Feuerschlagen  auf  wenige  Kreise  beschrankt  ist.  Der  Feuerstein  war  in  her- 
vorragender  Weise  das  Material  der  Werkzeuge  der  Alten  und  es  kommt  seiner 
Bearbeitung  ein  holies  historisches  Interesse  zu.  Vgl.  Hacquet  B.  phys.  und 
techn.  Beschr.  der  Flintensteine  Wien  1792  Beck,  s.  f.  Prechtl  Encyclop. 
Bd.  6  pag.  34  und  den  Art.  Steinbearbeitung.     Kk. 

Feuerung  (chauffage  — fewel).  Vgl.  die  Artikel:  Brennstoffe  II  pag. 
14,  Dampfkessel  II  pag.  533,  Eisenbahn-Fahrbetriebsmittel  bei  Locomo- 
tive III  pag.  81,  Gasfeuerung  und  Heizung,  so  wie  betreffend  die 
Feuerungen  fur  andere  specielle  Zwecke  die  beziiglichen  Artikel,  z.  B.  Blei,  Eisen- 
erzeugung,  Brodbackofen  etc. 

Feuerungs-Anlagen,  s.  Feuerung. 

Feuervergoldung,  s.  Vergoldung,  s.  Galvanoplastik. 

Feuerwaffen.  Unter  dieses  Schlagwort  sind  nicht  nur  die  Handfeuer- 
waffen  als  Gewehre  [fusil  —  musket)  und  Pi  stolen  (pistolet  —  pistol), 
sondern  auch  die  grossen  Geschiitze  als  Morser,  Kanonen  {canon  —  gun), 
Mitrailleusen  etc.  einzureihen.  Es  ist  nicht  moglich  in  diesem  Werke  alle  die 
Abarten  dieser  Waffen  zu  beschreiben,  wir  wollen  vielmehr  nur  eine  Uebersicht 
iiber  dieses  grosse  Gebiet  liefern. 

Nachdem  die  Wurfkraft  des  Schiesspulvers  im  14.  Jahrhundert  bekannt  wurde, 
machte  man  Versuche  grosse  Steine  aus  steinernen  und  metallnen  starken,  morser- 
artigen  Gefassen  in  die  Feme  zu  schleudern,  indem  man  in  die  Hohlung  des 
Morsers  eine   der    gewunschten  Tragweite    entsprechende  Quantitat  Schiesspulvers 


*)  Zu    dieser   Verweisung   sieht   sich    die   Redaction   durch    den   betreffenden  Herrn  Mit- 
arbeiter  gezwuDgen.     Kk. 


440  Feuerwaffen  (Geschichtliches.) 

schtittete  und  einen  kugelfdrmigen  Stein  darauf  legte.  Durch  eine  feine,  nahe  am 
Boden  des  Gefasses  angebrachte  Bohrung  (Ziindloch)  erfolgte  die  Entziindung 
(Explosion)  des  Pulvers  und  in  Folge  derselben  das  Auswerfen  der  Kugel. 

Die  parabolische  Kugelbahn  war  aber,  weil  die  Kugel  keine  sichere  Fuhrung 
im  Rohre  des  Mdrsers  erhielt,  so  unbestimmt,  dass  man  den  Einfall  des  geschleu- 
derten  Gegenstandes  nicht  einmal  so  genau  bestimmen  konnte,  als  es  bei  den 
bei  Belagerungen  seit  vielen  Jahrhunderten  gebrauchlichen  Katapulten  oder 
Wurf m aschinen  der  Fall  war.  So  unvollkommen  waren  die  ersten  Morser. 
Bald  ist  man  jedoch  zur  Ueberzeugung  gekommen,  dass  die  Flugbahn  bedeutend 
sicherer  zu  bestimmen  ist,  wenn  das  zu  ladende  Geschiitz  langer  ist,  und  das 
Geschoss  vor  dem  Austritte,  durch  eine  langere  Rohre,  in  die  gehdrige  Richtung 
gebracht  wird.  Durch  fortgesetzte  Verbesserungen  soldier  primitiver  Geschtitze 
gelang  es  in  nicht  geraumer  Zeit  die  alten  Katapulten  und  B  alii  s  ten  durch 
Morser  und  andere  mannigfach  benannte  grobe  Geschiitze  ersetzen.  Diese 
Donnerbiichsen  wurden  theils  von  Eisen  gewunden  oder  geschmiedet,  theils 
in  starke  Baumstamme  gebohrt,  oder  aus  schwachen  Eisenstaben,  die  um  eine 
blecherne  Rohre  gelegt  und  mit  Leder  umnaht  wurden,  u.  s.  w.  verfertigt.  Die 
von  minder  festem  Material,  namentlich  von  Holz  verfertigten  Feuerbuchsen 
wurden  gewohnlich  durch  starke  Eisenreifen  armirt.  Spater  wurden  dieselben 
aus  Eisen  oder  diversen  Legirungen  gegossen.  Am  besten  bewahrte  sich 
das  Kanonenmetall  (s.  Bronze  II  pag.  60),  welches  noch  vor  wenig  Jahren, 
also  beinahe  vier  Jahrhunderte  nach  seiner  ersten  Anwendung,  meist  zur  Ver- 
fertigung  der  Kanonen  benutzt  wurde. 

Zugleich  wurden  auch  Verbesserungen  an  den  Geschossen  getroffen,  so  dass 
die  steinernen  Kugeln  den  eisernen  wichen;  welche  die  Rohrseele  genau 
ausfilllen  konnten,  wodurch  die  Treff-  und  Tragfahigkeit  erheblich  gewann. 
Bald  nach  der  Einfuhrung  der  Donnerbiichsen  versuchte  man  auch  kleinere  der- 
artige  Waffen  zu  erzeugen,  und  schon  das  14.  Jahrhundert  sah  kurze  Hand- 
biichsen,  Musketen,  die  mit  der  Zeit,  wegen  leichter  Handhabung  und  ziemlich 
gutem  Erfolge,  die  alten  Bogen  und  die  Armbriiste  verdrangten. 

Wegen  besserer  Handhabung  befestigte  man  die  Handkanonen,  an  verschie- 
den  geformte  Holzschafte,  und  auch  die  schweren  Geschiitze  erhielten  holzerne 
Unterlagen  wegen  leichterem  Richten  beim  Zielen,  welche  Unterlagen  (Bid eke 
genannt)  spater  mit  Riicksicht  auf  den  Transport  wieder  durch  solid  gebaute 
Karren  (Lafetten)  ersetzt  wurden. 

Anfangs  wurden  sammtliche  Feuerwaffen,  kleine  wie  grosse,  mit  der  Hand 
mittelst  Lunte  oder  Feuerschwamm  entladen,  welcher  Uinstand  das  Zielen  mit 
Handbiichsen  sehr  beeintrachtigte ;  deshalb  wurden  ganz  einfache  bewegliche 
Lunthalter  (Drachen)  angebracht,  welche  eine  nicht  gar  starke  Feder  iiber  der 
mit  etwas  Pulver  bestreuten  Pfanne  hielt,  und  die  der  Schiitze,  nachdem  er 
gezielt,  auf  die  Pfanne  senkte.  Bald  nachher  wurde  eine  besondere  Vorrichtung 
getroffen,  die  es  ermdglichte  den  Drachen  durch  einen  einfachen  Druck  an  die 
Pulverpfanne  zu  neigen,  ebenso  wie  die  alten  Armbriiste  durch  dieselbe  Bewegung 
abgedriickt  wurden.  So  wurde  das  Luntschloss,  die  erste  mechanische  Vorrich- 
tung zur  Entladung  der  Feuerwaffen. 

In  dieser  Periode  sind,  wie  es  scheint,  die  Feuergewehre  auch  schon  fiir 
die  Jagd  beniitzt  worden. 

Die  Luntschldsser  wurden  nach  geraumer  Zeit  durch  die  sinnreich  zusammen- 
gestellten  Radschldsser  ersetzt.  An  die  Stelle  des  Drachen  trat  der  Hahn, 
in  dessen  M au  1  e  Schwefelkies  befestigt  wurde.  Hat  man  den  durch  eine  Schnappfeder 
festgehaltenen  Hahn  heruntergedriickt,  so  rieb  das,  vorher  durch  einen  Schliissel 
gespannte,  am  Umfange  mit  kleinen  Einschnitten  versehene  Rad  beim  Losdriicken 
durch  schnelle  Drehung  eine  zur  Anfeuerung  des  Zundsatzes  geniigende  Menge 
Funken  aus  dem  Schwefelkies. 

Nach  dem  J.  1543  wurde  das  Radschloss  der  Pracisionswaffen  fast  gewohnlich  mit 


Feuerwaffen.  441 

der  in  Mtinchen  erfundenen  Abzugvorrichtung,  dem  sogenannten  Steelier  ver- 
bunden,  welclien  wir  spater  naher  zu  erwahnen  Gelegenheit  finden. 

Das  Radschloss,  mit  der  Zeit  wesentlich  verbessert  und  vereinfacht,  erhielt 
sich  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Zudem  besitzen  auch  die  bei  den  meisten  Hinter- 
ladern  beniitzten  PercusionsschlosserFeder,  Stud  el,  Schnappstange 
und  N  u  s  s,  wie  diese  dem  urspriinglichen  Radschlosse  angehorten. 

Das  Radschloss  fand  bald  erfolgreiche  Concurrenz  im  Schnapphahn- 
schloss,  welches  bei  sehr  einfacher  und  wenig  kostspieliger  Construction  den 
Vortheil  hatte,  dass  die  Pulverpfanne  durch  einen  Deckel  vor  Regen  und  Aus- 
schutten  geschiitzt  war.  Der  Hahn  ist  hier  an  die  Stelle  des  Rades  getreten  und 
wird  durcb  die  Schlag-  oder  Schnappfeder  stark  gegen  die  Pfanne  gedriickt,  so 
dass  er  beim  Loslassen  (ohne  Driicker)  an  die  aufgeworfene  Seite  des  P  fa nn  en- 
deck  e  1  s  anschlagt,  wodurch  der  rasch  aufspringende  Deckel  den  durch  Ansehla- 
gen  des  Schwefelkieses  auf  Stahl  erzeugten  Feuerfunken  freien  Fall  zu  dem 
Ziindsatz  gewahrt. 

Spater  wurden  die  Vortheile  des  Schnapphahnes  mit  denen  des  Radschlosses, 
namlich  mit  den  Spannrasten  und  Abzugvorrichtung  vereint;  das 
Resultat  war  das  Batterieschloss,  welches  mehr  als  150  Jahre  das  Feld 
beherrschte.  Der  Schwefelkies  des  Radschlosses  und  Schnapphahnes  wnrde  beim 
Batterieschloss  durch  den  Feuer stein  (altgerm.  Flins)  ersetzt.  Das  Wort 
„  F 1  i  n  t  e  "  ist  von  Flins  abgeleitet. 

Mit  diesen  Schlossverbesserungen  wurde  auch  der  L auf  und  andere  Gewehr- 
theile  vervollkommt.  So  wurde  vor  Allem  die  Rohrseele  mit  parallel  laufenden 
geradlinigen  Vertiefungen  versehen,  wodurch  nicht  nur  die  Tragweite,  sondern 
auch  die  Trefffahigkeit  bedeutend  stieg,  umsomehr  als  man  die  parallelen 
Riffe  oder  Ziige  durch  schraubenformige  ersetzte.  Derartige  Ziige  sind  bisher 
in  ihrer  Wirkung  durch  keine  andere  Vorrichtung  ersetzt  worden.  Sie 
werden  mit  dem  Namen  Drall  bezeichnet.  Solche  Laufe  sind  jedoch  nur  filr  den 
Kugelschuss  geeignet. 

Ferner  wurde  wegen  sicherem  Zielen  das  vordere  Rohrende  mit  einem  kleinen 
Ansatze  versehen,  der  sich  unter  dem  Namen  Fliege,  Korn,  Mil  eke  bis  heute 
erhielt.  Die  mit  diesem  Ansatze  versehenen  Feuergewehre  bezeichnete  man  mit  dem 
Worte  „Musketen,"   welches  von  dem  ital.   „moschetta"   (Fliege)  abstammt. 

Auch  wurde  der  zu  jeder  Feuerbiichse  nothige  holzerne  Ladstock  durch 
einen  eisernen  ersetzt,  welcher  das  Aufsetzen  der  Kugel  durch  seine  Schwere  bedeutend 
erleichterte,  und  nicht  so  gebrechlich  war  wie  die  plumpen  Holzstocke. 

Bei  derartigen  Fortschritten  war  es  ganz  naturlich,  dass  die  sammtlichen 
alten  Feuerwaffen  den  neueren  Platz  raumten,  und  diese  als  schwere  wie  als  Hand- 
geschiitze  neben  den  Hau-  und  Stichwaffen  fast  allgemein  eingefiihrt  wurden. 

Fast  gleichzeitig  mit  der  Constraining  des  Batterieschlosses  haben  sich  die 
Fachleute  die  alte  Frage  zur  neuen  Aufgabe  gemacht,  ob  man  nicht  das  Kugel- 
rohr  zugleich  als  Lanze  benutzen  konnte.  Dies  war  leicht  geschehen.  Man  gab 
der  kurzen  Seitenwaffe  einen  runden  holzernen  Griff,  den  der  Kampfer  leicht  in 
die  Rohrmiindung  einstecken  und  so  die  Schusswaffe  in  eine  Lanze  verwandeln 
konnte.  Bei  derart  verstopftem  Rohre  war  es  freilich  nicht  moglich,  das  Gewehr 
zum  Feuern  gleichzeitig  zu  gebrauchen.  Die  Schweden  waren  die  ersten,  die 
den  Schuss  bei  aufgepflanztem  Bajonett  ermoglichten,  indem  sie  nicht  den 
Bajonettgriff  in  den  Lauf,  sondern  umgekehrt  den  Lauf  in  den  Griff  einschoben, 
und  die  Stichklinge  etwas  seitwarts  anbrachten.*)  (Vgl.  Bajonettver- 
schluss  I  pag.  279.) 


*)  Die  Idee,  die  Feuerwaffen  mit  einer  anderen  Waffe  zu  verbinden,  ist  Lereits  in  den 
ersten  Jabren  der  Benutzung  derselben,  als  man  noch  mit  der  Hand  abfeuern  musste, 
so  wie  auch  spater  ofters  vorgekommen;  so  war  z.  B.  die  Handwaffe  zugleich  em 
Beil,  Morgenstern  etc.,  und  in  der  Soltikoff'schen  Sammlung  bewundert  man  noch 
heute  einen  Saufanger,  an  welchem  iiber  den  Hellebardenhaken  drei  Liiufe  mit  Kad- 
schlossern  angebracht  sind. 


442  Feuerwaffen  (Fabrikation  der  Laufe). 

Ausserdem  wurden  die  fur  die  Jagd  bestiramten  Doppelwaffen  erfunden, 
und  zwar  wurden  solche  anfanglich  derart  erzeugt,  dass  jeder  Lauf  fur  sich,  unab- 
hangig  von  dem  anderen,  im  Scbafte  befestigt  war.  Erst  spater  wurden,  und 
zwar  wie  es  scheint  in  Sehweden,  die  beiden  Laufe  zusammengelothet. 

Die  Erfindung  des  explodirenden  Chiorkali  durcli  den  Chemiker 
Grafen  Bertholet  1786  und  die  des  Knallquecksilbers  durch  Howard 
1799  batte  in  der  Waffenindustrie  eine  allgemeine  Wendung  bervorgerufen.  Wie 
konnte  auch  die  Erfindung  dieser  durch  blossen  Scblag  sich  entziindenden  Stoffe 
besser  benutzt  werden,  als  fiir  die  Schusswaffen? 

Schon  im  Jahre  1807  patentirte  Forsyth  in  Birmingham  ein  Percussions- 
schloss.  Der  Halm  des  Batterieschlosses  wurde  namlich  durch  einen  Hammer 
ersetzt,  und  auch  die  Pfanne  hat  andere  Form  und  Bohrung  erhalten.  Jedoch 
wie  alle  neuen  Erfindungen  hatte  auch  diese  mit  vielem  Misstrauen  zu  kampfen. 
Man  versah  sehr  oft  einzelne  Gewehre  mit  dem  sinnreichen  Doppelschloss 
(Batterieschloss  und  Percussionsschloss  in  einem  verbunden),  wie  man  vor  einem 
Jahrhundert  das  Badschloss  ebenfalls  mit  dem  Batter ieschlosse  und 
noch  friiher  das  erst  ere  mit  dem  Luntschlosse  vereinte. 

Als  jedoch  spater  die  Z  tin  der,  Zundrohrchen,  Z  iind  hutch  en  (K  ap- 
se In)  etc.  auch  die  urspritnglichen  Ziindpillen  verdrangten,  weil  hier  der 
durch  blossen  Schlag  entziindliche  chemische  Satz  durch  eine  Metalldecke 
geschiitzt  war,  wurden  die  Percussionsschlosser,  Schlagschlosser,  fast  allge- 
mein  angewendet,  und  erhielten  solche  Gewehre  den  Namen  der  Percussions- 
gewehre.  Der  Stecher  der  Radscblossflinten  hat  sich  bei  Kugelbfichsen  gleich 
den,  noch  von  der  Armbrust  geerbten  einfachen  Abzugziingel  der  Schrot- 
flinten  bisher  erhalten. 

Zu  den  Feuerwaffen  wurde  zu  jeder  Zeit  nur  das  beste  Material  verwendet, 
namentlich  ist  dem  „Rohrmaterial"  die  grosste  Sorgfalt  zu  widmen.  Der  Lauf, 
als  Haupttheil  der  Waffe,  hat  die  Bestimmung,  die  Ladung  aufzunehmen,  und 
nach  der  Pulverexplosion  dem  Geschosse  die  Richtung  zu  geben.  Die  Rohrwande 
miissen  daher  geniigend  stark  sein,  um  den  enormen  Druck  der  Pulverexplosion  aus- 
halten  zu  konnen.  Diese  Widerstandsfahigkeit  der  Laufwande  ist  jedoch  weniger 
von  der  Wandstarke  abhangig,  als  von  der  Qualitat  des  zum  Laufe  verarbeiteten 
Eisens,  welcher  Umstand  die  bewundernswerthe  Dauerhaftigkeit  der  verhaltniss- 
massig  schwachen  und  leichten  heutigen  Laufe  erklart. 

Am  starksten  ist  der  Lauf  immer  an  der  Kammer,  weil  die  Pulver- 
kraft  eben  hier  den  bedeutendsten  Druck  auf  die  Rohrwande  ausiibt.  Gegen  die 
Mini  dung  zu  nimmt  die  Starke  des  Eisens  mehr  oder  weniger  ab,  so  wie  auch, 
freilich  nur  unbedeutcnd,  der  Durchmesser  der  Rohrseele  (Caliber). 

Die  Fabrikation  der  Laufe  geschieht  auf  mehrere  Arten. 

Friiher  verband  man  zwei  rinnenartige  Eisenschienen  von  entsprechender 
Liinge,  indem  man  die  Seiten  derselben  zuerst  in  der  Mitte  um  einen  Dorn 
zusammenschweisste,  und  von  da  zu  beiden  Enden  derart  fortschritt,  bis  aus  den 
beiden  hohlen  Schienen  eine  Rohre  entstanden  war. 

Spater,  als  man  bei  Verwendung  besseren  Materials  die  iiberfliissige  Dicke 
der  Rohrwande  vermied,  und  noch  jetzt  findet  man  es  fiir  besser,  die  Laufe  aus 
einer  einzigen  Schiene  zu  schweissen,  indem  man  dieselbe  derart  hold  streckt, 
dass  die  beiden  langen  Seiten  derselben  sich  beruhren.  Hernach  werden  die 
Rander  der  Schiene,  wie  bei  ersterem  Verfahren,  zuerst  in  der  Mitte  und  dann 
gegen  die  Enden  zu  fiber  einem  Dorn  geschweisst.  Nach  dem  Zusammenschweissen 
wird  der  Lauf  abermals  erhitzt,  und  nachdem  ein  neuer  Dorn  in  die  Hohlung 
eingebracht  wurde,  nochmals  so  lange  gehammert,  bis  er  ganzlich  kalt  geworden 
ist.  Dadurch  wird  die  Festigkeit  und  Elasticitat  des  Eisens  bedeutend  erhoht. 
Ist  auch  dies  geschehen,  so  wird  durch  die  Hohle  ein  glatter,  nach  beiden  Enden 
wenig  zugespitzter,  runder  stahlerner  Dorn  getrieben,  und  dadurch  der  Hohlung  in 
ihrer  gauzen  Liinge,  ein  ziemlich  gleicher  Durchmesser  ertheilt. 


Feuerwaffen  (Fabrikation  der  Laufe).  443 

Es  gelang  dem  Schweden  Wasstrom  Gewehrlaufe  aus  Stahldamast  zu 
erzeugen  (vgl.  Damascener- Stahl  Bd.  II  pag.  500),  was  in  kurzer  Zeit  durch  die 
Franzosen  Del  aim  ay,  Cheaumette,  Renier  und  Des  Champs  vervoll- 
kommt  wurde,  so  dass  man  seit  der  Zeit  Laufe  aus  verschiedenartigsten  Damasci- 
rungen  verfertigle.  Meistens  wurden  die  Laufe  aus  Draht  und  aus  Bandeisen 
erzeugt. 

Zu  diesem  Behufe  nimmt  man  eine  gleiche  Anzahl  eiserner  und  stahlerner 
Drahte  oder  Bander,  legt  dieselben  abwechselnd  zusammen,  schweisst  und 
streckt  sie  sodann  in  eine  einzige  Stange.  Diese  wird  in  der  Mitte  der  Lange 
gebrochen,  beide  Halften  wieder  aufeinander  gelegt,  zusammengeschweisst,  lang- 
gestreckt,  welche  Manipulation,  nachdem  man  mehr  oder  weniger  feine  Draht- 
laufe  erzeugen  will,  mehrmal  wiederholt  wird.  Befeilt  man  eine  Stelle  der 
so  zubereiteten  Stange  und  befeuchtet  diese  mittelst  einer  atzenden  Saure,  so  erscheint 
auf  der  Oberflache  des  Eisens  eine  Aderung  wie 
Fig.  1607  zeigt,  indem  die  weichen  Eisens  tell  en, 
durch  die  Satire  in  hoherem  Grade  beriihrt,  d  u  n  k  e  1, 
die  harteren  Stahlstreifchen  dagegen  minder  be- 
riihrt, 1  i  c  h  t  und  g  1  a  n  z  e  n  d  bleiben.*) 

Eine  derart  vorbereitete  Stange  wird,  nachdem  die  Streifchen  geniigend 
fein  sich  nuanciren,  in  eine  lange,  ungefahr  1  bis  l*5cin  breite  und  7s  bis  1/<iem 
starke  Schiene  gewalzt  oder  ausgeschmiedet.  Diese  Schiene  wird  dann  um  einen 
stahlernen,  dem  gewiinschten  Caliber  angemessenen  langen  Dorn  schraubenformig 
gewunden,  so  dass  die  schmalen  Seiten  der  Schiene  fest  aneinander  liegen. 
(Fig.  1608.)  Nachdem  dies  in  gewiinschter  Lange  geschehen,  wird  der  Dorn 
beseitigt  und  das  entstandene  R  o  h  r 

von    eineni    Ende    zum    anderen   in  piqm  1608. 

einem  hohlen  Gesenke  zusammen- 
geschweisst. Wahrend  der  Schweis- 
sung  wird  mit  einem  Ende  des 
schweissenden  Laufes  gegen  die 
Stirnseite  des  Ambosses  angestossen, 
wodurch  das  Rohr  nicht  nur  an  der 
ausseren    Oberflache,    sondern    auch 

der  Lange  nach  gestaucht  wird,  so  dass  die  schmalen  Seiten  der  Schiene  in  ihrer 
Schweisshitze  um  so  fester  zu  einem  Ganzen  vereint  werden. 

1st  das  Rohr  der  ganzen  Lange  nach  gut  geschweisst,  so  wird  es  nochmals 
dunkelroth  erhitzt,  und  in  einem  hohlen  Gesenke  bis  zum  ganzlichen  Erkalten 
mit  kleinen  Hammern  bearbeitet. 

Solche  Laufe  heissen  Drahtlaufe  oder  Bandlaufe  und  werden  oft 
auch  nur  von  Eisendraht,  andere  wieder  bios  von  Stahldraht  verfertigt. 
Sie  kommen  bfter  im  Handel  unter  dem  Namen  Rub  a  nl  a  life  und  D'acier- 
laufe  vor,  welche  letztere  wegen  ungewohnlicher  Sprodigkeit  nur  seiten  zu 
Gewehren  beniitzt  werden. 

Franzosische  Canonieres  (R  o  h  r  s  c  h  m  i  e  d  e)  recken  das  zu  den  Laufen  bestimmte 
Eisen  in  kleinen  Schmiedefeuern  zu  Bandern  von  nur  3mm  Dicke,  4cm  Breite  und  ungeiakr 
1  Meter  Lange  aus.  Solcher  Bander  werden  nun  25  aufeinander  und  diese  zwischen  zwei 
etwas  dickere  gelegt,  und  das  ganze,  etwa  30  Kilo  schwere  Biindel,  aus  welchem  nur  zwei 
Laufe  erfolgen,  an  zwei  Stellen  rnit  Eisendraht  zusammengebunden.  Die  beiden  dickeren 
Deckbander  haben  den  Zweck,  die  inneren  wahrend  dem  Schweissen    vor  dem  Verbi'ennen 


"_)  Es  ist  eine  unter  Chemikern  eingewurzelte  falsche  Meinung,  dass  in  diesem  Falle  nicht 
die  lichten,  sondern  die  dunkeln  Stellen  Stahl,  die  lichten  dagegen  Eisen  sind,  weil, 
wie  gesagt  wird,  durch  das  Aetzen  der  Kohlenstoff  des  Stahles  einen  schwarzen  Nieder- 
schlag  hildet.  Diese  Theorie  findet  sich  auch  in  den  Beschreibungen  des  Briinirens; 
wer  aber  ein  einzigesmal  Gelegenlieit  hatte,  einen  eisernen  und  zugleich  einen  stahlernen 
Lauf  zu  atzen,  der  wird  von  der  Richtigkeit  unserer  Angabe  iiberzeugt  sein.  (Vergl.  I 
pag.  54. ) 


444  Feuerwaffen  (Fabrikation  der  Liiufe). 

zu  schiitzen,  indem  die  vollstandige  Schweissung  des  Biindels,  so  wie  das  demnachstige  Aus- 
recken  zu  einer  2cm  breiten  und  l-5cm  dicken  Stange  nicht  anders  als  in  wiederholten  Hitzen 
ausfiihrbar  ist.  Besondere  Aufmerksamkeit  wird  bei  dem  Schweissen  und  Ausschniieden  darauf 
verwandt,  dass  die  einzelnen  Bander  ihre  anfangliche  parallele  Lage  beibehalten.  Die  so 
erhaltene  flache  Stange  wird  nun  umgebogen,  und  die  beiden  Halften  dergestalt  wieder 
zusammengeschweisst  und  ausgeschmiedet,  dass  die  Lage  der  urspriingliehen  Bander  recht- 
winklig  gegen  die  neuerzeugten  ist,  dass  also  die  Schweissnathe  der  Dicke,  nicht  derBreite 
nach  in  dem  neuerzeugten  Bande  fortlaufen.  Das  weitere  Verfahren  ist  dasselbe  wie  oben 
beschrieben. 

Besonders  gute  und  schone  Laufe  waren  die  noch  vor  wenig  Decennien,  namentlich  in 
England  massenhaft  erzeugtenHufnagellaufe,  und  es  ist  bisher  eineFrage,  welches  andere 
Material  das  Hufnageleisen  im  Stande  ist  zu  ersetzen.  Es  ist  allgemein  bekannt,  dass  das 
Eisen  um  so  besser  ist,  je  ofter  es  durch  Gliihen  und  Schmieden  bearbeitet  wurde.  Durch 
diesen  Grundsatz  geleitet,  wahlten  die  Englander  die  alten,  wenn  auch  rostigen  Hufnagel 
als  das  vortheilhafteste  Eohrmaterial.  Dies  war  freilich  noch  in  der  Zeit,  als  nur  mit  der 
Hand  geschmiedete  Hufnagel  im  Handel  vorkamen;  nachdem  jedoch  dieselben  durch 
adoucirte  u.  a.  ersetzt  wurden,  ist  das  Huf  beschlagen  der  Pferde  freilich  etwas  billiger  geworden, 
doch  die  Waffenindustrie  erlitt  hiedurch  den  betraehtlichsten  Schaden.  Wie  in  den  Huf- 
nageln  das  passendste  Eisen,  wurden  die  alten  Kut schenfedern  als  der  vortheilhafteste 
Stahl  erkannt.  Ehe  man  aus  den  Hufnageln  Eisen  darstellte,  wurden  diese  von  Weibern 
genau  sortirt  und  untersucht,  um  alle  gusseiserne  Nagel  und  andere  Unreinlichkeiten  aus- 
zuscheiden.  Dann  reinigte  man  die  Nagel  von  Rost  etc.,  indem  man  selbe  in  der  Eeinigungs- 
trommel  (ein  um  seine  Achse  sieh  drehendes  Fass)  unter  schnellen  Umdrehungen  derselben 
so  lange  beliess,  bis  sie  rein  glanzend,  wie  polirt  erschienen.  Dieselbe  Eeinigungsmethode 
wurde  auch  bei  den  Kutschenfedern  verwendet,  nachdem  selbe  friiher  durch  Scheere  und 
Meissel  klein  gekornt  wurden. 

In  einer  ahnlichen  Trommel  wurden  dann  Eisen  und  Stahl  vermengt  und  zwar 
nach  dem  Gewichtsverhaltnisse  5  :  3.  Manche  haben  freilich  mehr  Stahl  (ungefahr  5  : 5)  vor- 
geschlagen,  das  alte  Verhaltniss  hat  sich  jedoch  immer  am  besten  bewahrt.  Die  so  vermengten 
Eisen-  und  Stahlkbrner  wurden  dann  in  Schmelztiegeln  unter  bestandigem  Umriihren  mittelst 
einer  bereits  fertigen  Stange  aus  Hufnageleisen  einer  starken  Hitze  ausgesetzt.  Das  dauerte 
so  lange,  bis  die  Korner,  wie  es  schien,  zusammenschmolzen  und  einen  einzigen  Klumpen 
bildeten  (Uebergang  von  der  Schweiss-  zur  Flusshitze  bei  1300°  C),  welcher  nun  auch  an 
die  Eisenstange  angeschmolzen,  mittelst  dieser  aus  dem  Tiegel  gehoben,  auf  den  Amboss 
geworfen  und  durch  grosse  Hammer  schnell  bearbeitet  wurde.  Nach  dem  Ausstrecken  des 
Klumpens  in  eine  lange  Stange  wurde  diese  gebrochen,  wieder  geschweisst  und  von  neuem 
gestreckt,  was  ebenfalls  je  nach  der  gewiinschten  Feinheit  mehrmals  wiederholt  wurde.  Nach 
dem  Abschleifen  und  Befeuchten  durch  atzende  Saure  zeigte  sich  ungefahr  dieselbe  Zeichnung 
wie  beim  Drahteisen  (Fig.  1607). 

Aus  dem  Hufnageleisen  wurde  Huf  nag  el  dam  as  t,  ebenfalls  wie  aus  Drahteisen 
Drahtdamast,  durch  nachstehendes  Verfahren  erzeugt.  Nachdem  das  betreffende  Eisen  zu 
schwachen  viereckigen  Stab  en  gestreckt  wurde,  wurden  diese  an  beiden  Enden  befestigt  und 
in  gliihendem  Zustande  wie  ein  Strick  gedreht.  Drei  so  gedrehte  Stabe  werden  neben- 
einander  derart  zusammengeschweisst,  dass  neben  einem  zur  rechten  Seite  gedrehten  ein 
links  gedre liter  Stab  zu  liegen  kommt. 

ZT"        1RHQ  Nach    dem  Abfeilen    und  Aetzen   erscheinen  an 

der  Oberflache  des  Eisens  gefallige  Figuren  (Fig.  1609). 
Je  schwacher  die  gedrehten  Stabe  waren,  desto  feinere 
und  schonere  Figuren  zeigte  dann  die  Oberflache. 

Diese  Schienen  wurden    dann   nach  der  vdrher 
beschriebenen  Methode  zu  Laufen  verarbeitet. 

Das  Drehen  ist  freilich  kein  Vortheil  filr  das  Laufmaterial ;  die  Schiitzen 
ziehen  jedoch  haufig  die  Schonheit  der  Giite  vor,  und  zwingen  also  die 
Btichsenraacher  die  Giite  dem  gefalligeren  Aeusseren  zu  opfern.  Es  ist  namlich 
bekannt,  dass  das  Eisen  in  der  Richtung  des  ersten  Streckens  die  meiste  Dauer- 
haftigkeit  besitzt,  ebenfalls  wie  das  Holz  in  der  Richtung  seiner  Faser  um  vieles 


FeuerwafFen  (Fabrikation  der  Laufe).  445 

fester  ist  als  quer  iiber  dieselben.  Da  aber  durcb  das  Dreben  die  Fas  em 
des  gestreckten  Eisens  gekriimmt,  ja  gerissen  werden,  kann  man  unmog- 
licb  von  solchem  Material  dieselbe  Festigkeit  erwarten  wie  bei  dem  nichtgedrehten. 
Die  Festigkeit  des  Eisens  wird  durch  das  Drehen  urn  ungefabr  35%  beeintrach- 
tigt,  oder  anders  zu  sagen:  wenn  die  Kammer  eines  von  Drahteisen  verfer- 
tigten  Laufes  dem  Drucke  von  100  Atmospharen  widersteht,  wird  die  eines 
Drahtdamastlaufes  bei  gleichem  Caliber  und  Wandstarke  bios  den  Druck 
von  65  Atmospharen  aushalten  konnen.  Deswegen  sollen  die  Damastrohre 
am  Pulversacke  immer  verhaltnissmassig  starker  gemacht  werden. 

Durch  verschiedenartiges  Behandeln  des  Eisens  ist  man  mit  der  Zeit  auf 
viele  Abarten  des  Damastes  gekommen,  und  wiirde  uns  zu  weit  ftihren,  alle  hier 
zu  beschreiben.  Beschranken  wir  uns  deshalb  auf  die  blosse  Benennung  der 
wiehtigsten  und  gangbarsten : 

Eisenband  (damas  ruban),  Stahlband  (ruban  d'acler  od.  damas 
d'acier),  Englisch  damast  (damas  anglais),  Moireedamast  (damas 
moiree),  Rosen-  oder  Turkischdamas  t  (damas  turc),  Bernard  dam  as  t 
(damast  de  Bernard),  Blumendamast  (damas  fleurs). 

Andere  Damaste  sind  sammtlich  von  den  hier  verzeichneten  abhangig;  so 
ist  s.  B.  der  heutige  Hufnageldamast  eigentlich  grober  Rosendamast, 
ebenso  Garibaldidamast;  Damas  Laminet  sind  abwechselnd  liegende 
Stabe  von  Rosen-  und  D'acier damast.  Durch  nochmaliges  Str  ecken  fertiger 
Damaste  erhalt  man  damas  alonge.  Abarten  des  damas  fleurs  sind  Laub- 
damast,  Epheudamast  u.  s.  w. 

Wegen  sehr  kostspieliger  Herstellung  der  Damaste  haben  die  Rohrfabrikanten 
auch  sparen  gelernt,  leider  aber  nur  selten  zum  Vortheile  ihrer  Erzeugnisse.  Sie 
verfertigen  namlich  von  ganz  ordinarem  billigen  Eisen  ein  Rohr,  und  zwar 
nach  der  billigsten  Methode,  wie  wir  zuerst  beschrieben  haben.  Dieser  ordinare 
Korper  wird  dann  schwach  mit  Damast  bekleidet,  indem  er  mit  der 
schwachen  Damastschiene  umgewunden  und  dann  das  Ganze  zusammengeschweisst 
wird.  Diese  Idee  ist  freilich  nicht  schlecht,  im  Gegentheil  sehr  praktisch,  muss 
aber  gewissenhaft  ausgefuhrt  werden.  Es  wird  namlich  darauf  gerechnet,  dass 
der  innere  schlechte  Kern  durch  das  nachstfolgende  Bohren  beseitigt,  und  so 
der  theuere  Damast  geschont  wird.  Wie  oft  gelingt  es  jedoch,  dass  der  schlechte 
Kern  vbllig  ausgebohrt  wird?  Oft  reibt  in  einem  feinen  Damastlaufe  das 
Geschoss  auf  der  einen  Seite  am  ordinaren  ascherig  en  Eisen,  auf  der  anderen 
am  Damast.  Bei  solchen  Laufen  geschieht  es  nicht  selten,  dass  sich  das 
Schlechte  vom  Guten  ablost,  und  so  in  der  Rohrseele  ganze,  oft  centimeterlange 
Eisenfetzen  sich  abschalen. 

Ist  der  Lauf  geschweisst,  so  wird  er  regelmassig  nochmals  erhitzt,  und  bis 
zum  ganzlichen  Abkiihlen  in  einem  hohlen  Gesenke  gehammert.  Nachdem 
man  auch  einen  glatten  Dorn  durch  die  Rohrseele  getrieben,  und  dieselbe  hierdurch 
regulirt  hat,  wird  das  Rohr  zur  Bohr  bank  gegeben. 

Das  Bohren  der  Laufe  hat  den  Zweck,  das  Innere  des  Rohres  glatt,  die 
Seele  genau  rund  und  das  Caliber  durchgehends  genau  und  gleichmassig 
herzustellen,  und  bei  feinen  Laufen  auch  den  schlechten  Kern  zu    beseitigen. 

Verschieden  hievon  ist  das  Bohren  der  aus  Gussstahl  oder  Eisen  ohne 
Schweissung  verfertigten  Laufe,  welche  meistens  zu  Kugelbiichsen  verwendet  werden. 
Das  Bohren  dieser  Laufe  wird  an  einer  grossen  Drehbank  verrichtet,  und 
handelt  sich  in  diesem  Falle  nicht  urn  die  weitere  Ausarbeitung  einer  schon  vor- 
handenen  Hohlung,  sondern  um  die  Dur  ebb  oh  rung  einer  massiven  Stahl- 
oder  Eisenstange  nach  der  Richtung  ihrer  Achse. 

Der  Bohrer  zu  geschweissten  (also  vom  Schmieden  her  hohlen)  Laufen 
ist  ein  vierkantiges,,  schwach  pyramidal  sich  verjiingendes  Stlick  Stahl,  ungefabr 
in  Form  einer  Reibahle,  welches  an  das  vordere  Ende  einer  runden  eisernen 
Stange  angeschweisst  ist.  Sehr  gewohnlich  lasst  man  nicht  alle  vier  Kanten 
zugleich     zur     Wirkung    kommen,     sondern     belegt    eine     der    Seitenflachen   mit 


446  Feuerwaffen  (Fabrikation  der  Laufe). 

einem  diinnen,  an  der  Hinterseite  cylindrisch  convexen  Holze  (auch  Messing  oder 
Kupfer),  wodurch  dann  zwei  Kanten  des  Bohrers  ausser  Beriihrung  mit  dem  Laufe 
gesetzt  werden,  und  nur  die  zwei  entgegengesetzten  arbeiten.  Dieses  Verfahren 
gewahrt  den  Vortheil,  dass  ein  und  derselbe  Bohrer,  successive  mit  immer  dickeren 
Holzleisten  belegt,  zur  allmaligen  Erweiterung  des  Bohrlochs  dienen  kann,  wahrend 
bei  Anwendung  nackter  Bohrer  diese  Erweiterung  nur  durch  eine  Reihenfolge 
mehrerer,  in  genauer  Abstufung  auf  einander  folgenden  Bohrer  zu  erreichen  ist. 
Und  da  bei  dem  so  oft  nothigen  Schleifen  die  Bohrer  jedesmal  ein  wenig  diinner 
werden,  so  verlieren  sie  nach  kurzem  Gebrauch  schon  so  viel  von  ihrer  Dicke, 
dass  sie  als  unbrauchbar  bei  Seite  gelegt  werden  mtissen,  was  beim  Belegen  mit 
Holz  oder  Kupfer  nicht  so  bald  eintritt.  Zum  Einspannen  des  Laufes  beim 
Bohren  dient  die  Bohrbank,  auf  welcher  der  Lauf  horizontal,  auf  einem  zwischen 
zwei  Schienen  vor-  und  ruckwarts  verschiebbaren  Schlitten  liegend,  in  der 
Mitte  seiner  Lange  befestigt  ist. 

Wahrend  man  auf  den  ersten  Blick  zu  der  Vermuthung  verleitet  werden 
kbnnte,  dass  die  Bohrung  regelmassiger  und  vollkommener  ausfallen  und  leichter 
von  Statten  gehen  mtisse,  wenn  sich  Lauf  und  Bohrer  in  unverriickbar  fester 
Lage  befinden,  zeigt  die  Erfahrung  das  Gegentheil.  Dem  Lauf  muss  Freiheit 
gelassen  werden,  in  schlotternder  Bewegung  dem  Eingreifen  des  Bohrers  nothigen- 
falls  nachzugeben,  daher  denn  auch  dieser  letztere  ausser  seiner  Befestigung  an 
der  Triebwelle,  durch  die  er  seine  Drehung  erhalt,  seiner  ganzen  Lange  nach 
freiliegt  und  nur  am  vorderen  Ende  durch  den  Lauf,  in  welchem  er  mit  bedeutender 
Geschwindigkeit  (150  bis  180  Umlaufe  pr.  Minute)  gedreht  wird,  die  nothige 
Fiihrung  erlangt. 

Lauf  und  Bohrer  befinden  sich  bei  der  Arbeit  fast  unaufhorlich  in  stark 
vibrirender  Bewegung,  wobei  der  erstere  mittelst  eines  am  vorderen  Ende  haken- 
formig  gebogenen  Hebels,  dessen  anderes  Ende  der  Arbeiter  mit  der  linken  Hand 
fasst,  auf  hochst  einfache  Art  gegen  den  Bohrer  gedruckt  wird. 

Nachdem  der  Lauf  durch  dieses  Rauh-  oder  Schwarzbohren  bis  fast 
zur  calibermassigen  Weite  ausgearbeitet  ist,  folgt  das  Weissbohren  oder 
Poliren,  welches  sich  von  dem  Schwarzbohren  nur  darin  unterscheidet,  dass 
genauere,  sehr  scharfe  und  gei-adkantige,  stets  an  einer  oder  auch  zwei  neben 
einander  liegenden  Seiten  mit  Kupfer  oder  Holz  belegte  Bohrer  in  Anwendung 
gebracht  werden,  die,  um  eine  moglichst  glatte  Flache  zu  erzeugen,  nur  wenig 
angreifen  diirfen.  Bei  diesem  Weissbohren,  vorausgesetzt,  dass  es  mit  sehr  guten 
Bohrern  und  mit  Sorgfalt  ausgefiihrt  wird,  erlangt  die  Rohrseele  eine  vbllig 
hinreichende  Glatte;  beabsichtigt  man  jedoch  die  zarten  Bohrringe  vollig  zu 
beseitigen,  so  nimmt  man  noch  eine  nachtragliche  Bearbeitung  mit  einem  feilen- 
artig  gehauenen,  an  einer  Stange  befestigten,  stahlernen  Kolben,  der  unter 
langsamer  Drehung  durch  den  Lauf  der  ganzen  Lange  nach  hin  und  her  gezogen 
wird,  vor.  Dieses  Verfahren  nennt  man  Frischen.  Nach  dem  Frischen  tritt 
an  die  Stelle  des  Frischkolbens  ein  Bleikolben,  der  mitOel  undSchmir- 
gel  bestrichen,  ebenfalls  in  der  Rohrseele  hin  und  her  gezogen  wird,  und  dieser 
dadurch  vollige  Glatte  ertheilt.  Wahrend  des  Rauh  bohren  s  und  des  dabei  ein 
tretenden  Vibrirens  des  Laufes  kann  sich  dieser,  zumal  bei  geringer  Wandstarke, 
kruminen.  Der  Arbeiter  muss  daher  von  Zeit  zu  Zeit  den  Lauf  priifen,  in  dem 
er  eine  feine  Darmseite  hindurchzieht,  in  einen  Bogen  einspannt,  und,  indem 
er  den  Lauf  gegen  das  Licht  halt,  untersucht,  ob  die  Saite  iiberall  genau  an  die 
Rohrwande  anliegt.  Ergeben  sich  hierbei  Biegungen,  so  wird  der  Lauf  mittelst  eines 
holzernen  Hammers  oder  an  der  Richtmaschine  gerichtet. 

Es  folgt  nunmehr  die  aussere  Bearbeitung  mittelst  des  Schleifsteins. 
Man  gebraucht  sehr  grosse,  wohl  l-7m  im  Durchmesser  haltende  und  0-3m 
dicke  Steine,  welche  mit  grosser  Geschwindigkeit  (bis  120  Touren  pr.  Minute)  umge- 
trieben,  und  an  deren  Peripherie  die  Laufe  horizontal  (also  der  Achse  des  Steines 
parallel)  angelegt  und  mit  massiger  Kraft  angedriickt  werden.  Indem  nun  die 
Reibung  auch  den  Lauf,  wiewohl  mit  geringer  Geschwindigkeit,  in  Drehung  setzt, 


FeuerwafFen  (Priifung  tier  Laufe).  447 

wird  er  an  alien  Seiten  gleichma'ssig  abgeschliffen.  In  neuerer  Zeit  hat  man  mit 
grossem  Vortheil  angefangen,  die  Laufe  auf  einer  eigenen  Drehbank  abzudrehen, 
wobei  der  Drehstahl  durch  einen  Support  gefiihrt  wird. 

1st  der  Lauf  so  weit  fertig,  so  wird  das  Gewinde  fur  die  S  c  h  w  a  n  z  - 
schraube  eingeschnitten,  bei  manchen  audi  dasKorn  und  die  Schafthaften 
angelothet,  und  dem  Lauf  durch  Abzi  eh  en  mit  derFeile  ein  Langsstrich  gegeben. 

Nun  wird  der  Lauf  mit  einer  provisorischen  Schwanz schraube  versehen  und 
der  P  r  obi r bank  iibergeben. 

Die  Laufe  werden  nur  in  wenig  Orten  Europas  fabricirt,  da  sich  solche 
Etablissements  nur  bei  gesicherten  grossen  Lieferungen  rentiren  konnen,  und  nicht 
sogleich  routinirte  Rohrsclimiede  zu  finden  sind.  Die  renommirtesten  Fabriksorte 
sind  hinsichtlich  der  Rohrwerkstatten  :  Birmingham,  London,  L  ii  1 1  i  c  h , 
St.  E tie nne,  obwohl  uns  audi  Ferlach  und  andere,  namentlich  billige 
Fabricate  massenhaft  liefern.  In  solchen  Stadten  sind  gewbhnlich  behordliche 
Anstalten  zum  Probiren  der  Laufe  vorhanden.  Jeder  Rohrfabrikant  und  jeder 
Biichsenmacher  ist  in  England  und  Belgien  verpflichtet,  seine  Laufe  nach  dem 
Bohren  und  Schleifen,  sowie  audi  nach  dem  ganzlichen  Ausarbeiten 
der  completten  Watfe,  beschiessen  zu  lassen,  und  unterliegt  einer  grossen  Geld- 
strafe,  im  Falle  er  gegen  dieses  Gesetz  handelt. 

In  der  Liitticher  Probiranstalt  (die  uns  als  die  vollkommenste  der  heute 
existirenden  erseheint,  weshalb  wir  unten  meist  nach  dieser  die  Beschreibung 
richten)  werden  einfache  Laufe  nur  einmal,  Dopp  el  laufe  zu  Vorderladern 
zweimal  und  zu  Hinterladern  dreimal  probirt.  Nach  jeder  Probe  erhalt  der 
Lauf  einen  Punzen,  so  dass  es  immer  moglich  ist,  sich  zu  iiberzeugen,  wie  viel- 
mal  ein  Lauf  die  Probe  bestanden  hat. 

Bei  der  Probe  wird  jeder  Lauf  mit  einer  Pulverladung  gleich  2/.,  des  ent- 
sprechenden  Bleikugelgewichtes  geladen.  Wiegt  daher  eine  fur  das  bei  uns 
beliebteste  Jagdcaliber  16  (Durchmesser  17-6mm)  passende  Bleikngel  27  l/2  Gramm,  so 
ist  das  Pulvergewicht  der  Probeladung  auf  18  Gramm  festzustellen.  Auf  die 
Pulverladung  wird  ein  Kartonpfr opfen  und  auf  diesen  mittelst  eines  eisernen 
Ladstocks  die  Kugel  aufgesetzt.  Nach  dem  Laden  werden  alle  zu  probirenden 
Laufe  in  das  stark  gemauerte  Probirhaus,  dessen  Wande  mit  starken  Eisen- 
platten  belegt  sind,  gebracht  und  auf  eine  mit  Blei  iiberzogene  Bank  (hievon 
„banc  d'&preuves")  derart  gelegt,  dass  die  Ziindlocher  der  erwabnten  provisoi'i- 
schen  Scliwanzschrauben  nach  oben  gerichtet  sind,  in  welcher  Lage  sammtliche 
Laufe  durch  einen  ebenfalls  mit  Blei  bekleideten  Eisenhalken  befestigt  werden. 
Nachdem  man  auf  die  Bank  so  hoch  Pulver  gestreut,  dass  die  Ziindlocher  hiemit 
gedeckt  sind,  wird  das  Beschiesshaus  verschlossen,  und  das  gestreute  Pulver 
durch  eine  kleine  Oeffnung  von  aussen  angeziindet,  wodurch  fast  momentan 
die  sammtlichen  Gewehiiaufe  entladen  werden.  Die  Kugeln  schlagen  in  einen 
Sandhaufen  ein. 

Nach  der  Probe  werden  die  Laufe  sorgfaltig  untersucht,  und  wenn  keine 
Risse,  Sprunge,  Beulen  oder  sonstige  Fehler  vorbanden  sind,  mit  einer 
provisorischen  Marke  am  Pulversacke  versehen.  Diejenigen  Liiufe,  die 
kleine  Fehler  zeigen,  werden  an  der  fehlerhaften  Stelle  zersagt.  Den  Schaden 
muss  in  jedem  Falle  der  Rohrscbmied  tragen.  Wenn  der  Lauf  die  bleibende 
Schwanzschraube  erhalten,  oder  bei  Hinterladern,  wenn  er  basculirt  ist  und  aber- 
mals  die  Probe  iiberstanden  hat,  erhalt  er  erst  die  sogenannte  grosse  Marke. 
Doppelflintenla'ufe  werden  erst  nach  der  ersten  Probe  zusammengelothet,  und 
zwar  wahlt  man  immer  Laufe  fleich  feinen  Damastes,  jedoch  immer  so,  dass 
wenn  die  Damastschiene  des  rechten  Laufes  zur  rechten  Seite  gewunden  ist,  fur 
die  linke  Seite  ein  in  entgegengesetzter  Richtung  gewundenes  Rohr  gewahlt 
wird.  Das  Verbinden  der  Rohre  zu  Doppelwaffen  muss  (oder  soil  wenigsteus) 
sehr  sorgfaltig  berechnet  Mrerden,  damit  die  Schiisse  beider  Laufe  audi  auf 
grossere  Distanz  gleich  hoch  und  auf  ungefahr  den  selb en  Fleck  anschlagen 
konnen.     Nach  der  Vcrbindung  der  Doppellaufe,  wenn    selbe  audi  an  der  obcren 


448 


Feuerwaffen  (Bestandtheile  des  Gewehres). 


Seite  eine  Visirschiene  erhalten  baben,  miissen  dieselben  abermals  der 
Probirbank  vorgelegt  werden. 

Erst  nach  der  Beschiessung  diirfen  die  Laufe  in  England  und  Belgien 
weiter  verarbeitet  werden :  in  anderen  Staaten,  wo  keine  oder  nur  ungeniigende 
Probiranstalten  sicb  linden,  kiimmern  sich  die  Regierungen  wenig  darum,  ob  die 
Biicbsenmacher  solide  oder  fehlerhafte  Robre  zu  ihren  Erzeugnissen  beniitzen, 
was  freilich  den  sichtbar  zunehmenden  Verfall  der  Waffenindnstrie  solcber  Staaten 
im  bohen  Grade  unterstiitzt. 

Die  weitere  Bearbeitung  des  bereits  gestempelten  Laufes  hangt  natiirlich 
davon  ab,  zu  welchem  Systeme  derselbe  beniitzt  werden  soil. 

Fur  die  sammtlichen  Abarten  der  Vorderlader  werden  die  Laufe  mit 
Schwanzschrauben  versehen.  Die  Einrichtung  derselben  ist  sehr  verschieden, 
doch  ist  es  moglich,  dieselben  in  drei  Hauptarten  zu  theilen:  1.  Die  gewohn- 
liche  Schwanzschraube  alter  Art  Fig.  1610  besteht  in  einer  gegen  1  Zoll  langen 
eisernen  Schraube  c  mit  ebener  oder  nur  wenig  concaver  Endflache,  einem  starken 
Kopfe  d  und  bieran  befindlichen  Lappen  (Schwanz)  e,  der  zur  Befestigung  des 
Laufes  am  Schafte  dient.  Sie  reicbt  in  dem  Laufe  a  a  bis  nabe  an  das  Ztind- 
locb  b  oder  ofters  sogar  ein  wenig  dariiber  hinaus,  in  welchem  Falle  ihr  vor- 
derer  Rand  einen  Aussclinitt  enthalt,  urn  die  Communication  zwischeR  b  und 
der  Laufbohrung  herzustellen.  Solche  Schwanzschrauben  waren  meist  bei 
Militar-  und  anderen  ordinaren  Gewehren  gebrauchlicb.  2.  Die  Kammer- 
schwanzschraube  Fig.  1611  unterscheidet  sich  von  der  vorhergehenden 
dadurch,  dass  ihre  Vorderseite  cylindrisch,  conisch  oder  halbkugelformig  ausge- 
hbhlt  ist,  so  dass  ein  Theil  der  Pulverladung  von  dieser  Rammer  aufgenommen 
wird.  Auch  bier  bedeutet  a  a  die  Wandung  des  Laufes,  c  die  Schwanzschraube, 
d  deren  Kopf;  der  Ziindkanal  b  geht  mitten  von  der  Kammer  aus,  wendet 
sich  unter  rechtem  Winkel  und  setzt  sich  durch  den  in  a  und  e  eingeschraubten 
Kern  e  /  fort,  wo  er  in  eine  geraumigere  cylindrische  Hohlung  n  mlindet.  In 
letztere  wird  schief  gegen  die  Rohrachse  der  stahlerne  Ziindkegel  (auch 
Cylinder  oder  Piston  genannt)  eingeschraubt,  vor  dessen  feiner  Oeflfnung  bei 
h  die  Zlindung  stattfindet,  wonach  der  Feuerstrahl  auf  dem  zweimal  im  Winkel 
ablenkenden  und  ziemlich  langen  Wege  ins  Innere  dringt. 


Fig.  1610. 


Fig.  1611. 


Fiq.  1612. 


' 


3.  Die  Pat  en  tsch  w  anzs  chrau  b  e  (Fig.  1612)  entbalt  ebenfalls  eine 
Kammer,  diese  aber  von  solcber  Grosse,  dass  die  Pulverladung  vollstandig  hinein- 
geht;  sie  bildet  demnach  den  ganzen  Pul versa ck.  Die  Zeichnung  stellt  zugleich 


Feuerwaffen  (Bestandtheile  des  Gewehres). 


449 


eine  von  Fig.  1611  abweichende  Anordnung  des  Ziindkanals  b  dar,  welcher  seit- 
wa'rts  von  der  Kammer  ausgeht,  viel  kiirzer  ist  und  ohne  Winkelbiegung  zu  der 
(in  einer  Verstarkung  der  Schwanzsclnaube  selbst  angebracliten)  Bohrung  n 
fiihrt.  Die  Patentschwanzschrauben  haben  zugleich  den  grossen  Vortheil,  dass  sie 
das  Herausnehmen  der  Laufe  vom  Schafte  bedeutend  erleichtern,  indem  der  soge- 
nannte  Schwanz  nicbt  wie  bei  ersteren  mit  der  Schraube  vereint  ist,  sondern 
diese  durch  einen  oder  zwei  Haken  in  den  am  Schafte  fest  angeschraubten 
Schwanz,  hier  Scheibe  genannt,  ein-  und  ausgehangt  werden  kann.  (Deshalb 
wurde  audi  die  ursprttngliche  Benennung  Patent-  oder  Kammerschwanzschraube 
in  Patentschraube  und  Kammer  schraube  abgekiirzt.)  Zugleich  bietet 
diese  Vorrichtung  den  grossen  Vortheil,  dass  die  Eisentheile  des  Schaftes  sehr 
fest  zusammengeschraubt  werden  konnen,  und  so  zu  sagen  im  Holze  ein  Ganzes 
bildend,  die  Erschiitterung  beim  Schusse  eher  aushalten  konnen,  ohne  dass  ein 
zelne  Schrauben  mit  der  Zeit  locker  werden. 

Dies  halten  wir  fur  geniigend  iiber  den  Rohrverschluss  der  Vorderlader, 
der  regelmassig  in  die  Laufbohrung  eingeschraubt  wird.  Bei  den  meisten  Hinter- 
ladern  wird  im  Gegentheil  der  Lauf  in  das  Ver  schlussgehause  eingeschraubt. 
Bei  wenigen  Jagdhinterladungssystemen,  die  auch  zu  Doppellaufen  ver- 
wendbar  sind,  namentlich  bei  Lefauchex,  Lancaster,  Teschner's  Ziind- 
nadel  etc.,  wird  ein  starker  Eisenansatz  (Haken)  angelothet,  und  sodann  in 
ein  eisernes,  in  Starke  dem  Laufcaliber  angemessenes  Bascul  eingepasst.  Die 
Laufe  konnen  durch  diverse  sehr  einfache  Druckvorrichtungen  aus  dem,  am 
Bascul  im  Ch  ami  ere  beweglichen  Schiffel  herausgehoben  und  eben  so 
leicht  eingelegt  werden;  im  geladenen  Zustande  werden  die  Laufe  ganz  einfach 
niedergedriickt,  worauf  sie  durch  verschiedene  Schnappvorrichtungen  oder 
durch  Umdrehung  einer  Kurbel  (Schliissel)  in  dieser  Lage  festgehalten 
werden.  Durch  einfachen  Druck  oder  riickwartige  Umdrehung  des  Schliissels  wird 
dem  Haken  die  Haltung  entzogen,  so  dass  sich  die  Laufe  wieder  durch  eigene 
Schwere  neigen,  d.  h.  offnen  konnen. 


Fig.  1613. 


Lancasterbascul. 


Obige  Abbildung  zeigt  ein  Lancasterbascul  mit  geneigtem  Laufe. 
a  ist  das  Charnier,  d  das  bewegliche  Schiffel,  in  welchem  der  Lauf  durch 
die  Haken  b  und  c  festgehalten  wird.  e  ist  die  Stossscheib  e,  auch  Ver- 
schlussspiegel  genannt,  auf  welche  der  geschlossene  Lauf  genau  anliegen 
muss.  /  ist  der  von  der  alten  Schwanzschraube  geerbte,  zum  Befestigen  im 
Schafte  bestimmte  Schwanz. 

Es  wiirde  uns  hier  zu  weit  fiihren,  auch  die  Bearbeitung  der  iibrigen 
Verschlussarten  der  Hinterlader  zu  beschreiben  und  beschranken  uns  deshalb  nur 
auf  eine  spater  folgende,  kurzgefasste  Beschreibung  der  wichtigeren  Systeme. 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Wiirtnibucb.    Bd.  III.  29 


450 


Feuerwaffen  (das  Percussionsschloss). 


1st  der  Rohrverschluss  fertig,  so  wird  auch  das  S  c  h  1  o  s  s,  je  nach  der 
Construction,  an-  oder  eingepasst.  Die  in  der  ersten  Halfte  des  19.  Jahrhundertes 
allgemein  verbreiteten  Percussionsschlosser  haben  wir  bereits  binsichtlieb 
ihrer  Entstehung  erwahnt  und  bleibt  uns  daber  nur  die  Construction  zu  beschrei- 
ben  iibrig. 

Fig.  1614. 


Percussionsschloss. 


Figur  1614  zeigt  die  aussere  Ansicbt  eines  Percussions-  oder  Schlag- 
schlosses.  Man  bekommt  bier  keine  anderen  Theile  zu  sehen,  als  das  ini 
Schafthalse  eingelassene  Schlossblech  A  A  und  der  Hahn  Z,  welcher 
um  die  Nussachse  o  beweglich  1st,  und  in  der  Schlagflache  seines  Kopfes 
eine  Vertiefung  m  entbalt,  die  beim  Aufscblagen  den  Piston  und  das  Ziind- 
biitchen  umschliesst,  und  dadurcb  das  deni  Schiitzen  gefahrliche  Herumfliegen 
von  Triimmern  des  zerscbmetterten  Ztindhiitchens  verbindert.  c  d  bietet  die 
aussere  Ansicht  der  Patentsebraube  ohne  Lauf,  mit  eingescbraubtem  Cylin- 
der h.     B  B  ist  der  Schaft. 


Fig.  1615. 


Ruckschloss. 

Zur  Erklarung  der  inneren  Schlosseinricbtung  ist  in  Fig.  1615  als  Beispiel- 
ein  Schloss  derjenigen  Art  gezeicbnet,  welche  man  RtickschlGsser  nennt, 
weil  bier  die  Scblagfeder  vom  Laufe  riickwarts  und  nicbt  wie  bei  dem  in 
Fig.  1614  abgebildeten  Seitenschlosse  zur  Seite  der  Pulverkammer  angebracht 
ist.  Mit  anderen  Worten,  bei  einem  Seitenscblosse  ist  die  Scblagfeder  vor7  bei 
den  Ruck-  oder  Griffs chlossern  hinter  deni  Habn  befestigt.  Im  Uebrigen  bleibt 
sicb  die  Construction  ganz  gleich.  ^1  A  ist  die  S  chlossplatte,  I  der  Hahn, 
r  die  Nuss.     Letztere    bestebt    aus  einer  etwas   dicken  Platte  von  eigenthumlich 


Feuerwaffen  (Bestandtheile  des  Schlagschlosses).  451 

geschweifter  Gestalt,  mit  zwei  runden  Zap  fen  versehen.  Der  eine  dieser 
Zapfen  ist  dick,  geht  durch  ein  passendes  Loch  des  Schlossblecb.es,  und  endigt 
ausserhalb  desselben  in  ein  Viereck,  auf  welchem  der  Hahn  rait  einem  ent- 
sprechenden  viereckigen  Loche  steckt,  so  dass  Hahn  und  Nuss  nicht  anders  ale 
gemeinschaftlich  sich  drehen  konnen.  Um  das  Abgehen  des  Hahnes  von  dem 
Vierecke  zu  verhindern,  ist  eine  Schraube  mit  grossem  Kopf'e  vorgeschraubt 
(o  in  Fig.  1614).  Der  Zapfen  auf  der  inneren  Flache  der  Nuss  ist  bei  n  sicht- 
bar;  er  dreht  sich  in  einem  Loche  der  sogenannten  Studel,  welche  mittelst 
der  Schrauben  1,  2,  3  mit  dem  Schlossbleche  vereinigt  wird.  Auf  ihrem  untern 
convex  bogenformigen  Rande  hat  die  Nuss  zwei  Kerb  en  4,  5,  von  welchen  4 
die  Vorderrast  oder  Ruhr  as  t,  5  die  H  inter-  oder  Spannrast  heisst; 
letztere  ist  ganz  seicht^  erstere  bedeutend  tiefer.  Ein  Hebel  u,  welcher  um  den 
in  Schlossblech  und  Studel  eingebohrten  Stift  b  beweglich  ist,  und  Stange 
genannt  wird,  fallt  durch  den  Druck  der  Stange nfeder/  mit  seinem  vor- 
dersten  Ende  —  Schnabel  —  in  eine  oder  die  andere  der  beiden  Rasten  ein 
(je  nach  der  augenblicklichen  Stellung  der  Nuss)  und  halt  so  Nuss  und  Hahn 
unbeweglich.  Die  Stange  ist  an  ihrem  hintersten  Ende  rechtwinklig  vom 
Schlossbleche  abgebogen ;  wird  nun  wegen  Losdriicken  des  gespannten  Schlosses 
der  A b z u g  an  diesen  Stange nbalken  v  gedruckt,  so  wird  der  Schnabel  aus  der 
Spannrast  gehoben,  so  dass  die  Nuss,  resp.  Hahn,  dem  Drucke  der  Schlag- 
feder  y  x  folgend,  in  ebenso  rascher,  wie  kraftvoller  Bewegung  an  den  Piston 
h  (Fig.  1614)  schlagt.  Die  Schlagfeder  ist  durch  einen  nahe  an  x  befindlichen 
Stift  in  der  Schlossplatte  befestigt.  Das  Verfahren  beim  Spannen  und  Losdriicken 
ist  geniigend  bekannt,  als  dass  es  einer  Beschreibung  bediirfte;  und  ebenso  wird 
der  innere  Vorgang  beim  Spannen  und  Losdriicken  aus  Vorhergesagtem  leicht  zu 
verstehen  sein.  Wir  bemerken  nur,  dass  die  Ruhrast  so  eingefeilt  sein  muss, 
dass  es  nicht  moglich  ist,  den  nur  halb  gespannten  Hahn  loszudriicken. 

Eine  ganz  eigenthiimliche  Art  der  Percussionsziindung  war  in  der  oster- 
reichischen  Armee  eingefuhrt,  wir  meinen  die  Z  ii  n  d  e  r  g  e  w  e  h  r  e.  Diese  entstanden 
durch  die  Console'sche  Ziindmethode,  welche  darauf  beruht,  eine  geringe 
Menge  Knallquecksilber  in  ein  kleines  Stiickchen  diinnen  Messingblechs  einzu- 
wickeln  und  diese  Z under  in  das  Zundloch  des  Gewehrlaufes  einzuschieben. 
Durch  das  Anschlagen  des  Hahnes  explodirte  das  Knallquecksilber  und  ziindete 
die  Pulverladung  des  Laufes.  Im  Jahre  1840  verbesserte  der  damalige  Feld- 
marschall  -  Lieutenant  Baron  Aug  us  tin  diese  Methode,  indem  er  die  alten 
Batteriedeckel  durch  P  fan  n  en  deck  el  mit  den  beweglichen,  mit  grossen 
Kopfen  versehenen  Ziindschiebern,  auf  welche  hammerahnliche  Hahne  schlu- 
gen,  ersetzte. 

Um  das  gegen  die  Absicht  des  Schiitzen  erfolgende,  nur  zu  oft  die  grossten 
Ungliicksfalle  vei*anlassende  Losschlagen  des  Hahnes  zu  verhindern,  oder  wenigstens 
unschadlich  zu  machen,  hat  man  fur  Percussionsschlosser  allerlei  Sicherheitsvor- 
richtungen  erfunden.  Dem  Zwecke  ziemlich  entsprechend  war  eine  Bedeck ung 
des  Ziindkegels,  welche  das  Aufschlagen  das  Hahnes  auf  den  Cylinder  unmoglich 
macht,  so  lange  sie  nicht  beseitigt  ist.  Ausserdem  erscheinen  die  Gesperre 
bald  in  der  Form  eines  verschiebbaren  Riegels,  eines  Vorreibers,  aus  dem 
Schlossbleche  beim  Spannen  aufspringenden  Stiftes  etc.  etc. 

Die  Schlagschlosser  hat  man  auch  zu  vielen  Hinterladesystemen  verwendet, 
doch  wurden  bei  der  Mehrzahl  auch  anders  construirte  Schlosser  angebracht. 
Das  Spiralschloss  bei  der  Dreyse'schen  Ziindnadel  (Vorderlader)  1827  ange- 
wendet,  ist  obwohl  bei  diversen  Systemen  auch  verschiedenartig  ausgefiihrt,  im 
Princip  aus  Fig.  1616  leicht  erkenntlich. 

In  einer  langen,  an  beiden  Enden  nur  mit  kleinen  Oeffnungen  versehenen 
Hlilse  ist  der  Z  und  stift  i  bin  und  her  beweglich  und  mit  dem  Kragen  c, 
der  einen  der  Bohrung  der  Htilse  entsprechenden  Durchmesser  hat,  versehen. 
An    diesen    Kragen    driickt    von    der     dem    Gewehrlaufe    entgegengesetzten    Seite 

29* 


452 


Feuerwaffen  (Abzugvorrichtungen). 


eine    Spiralfeder,    mit    dem    hinteren  Ende    sich    an    die  (mit    der  Oeffnung  / 
versehene)  Hiilsenmutter  d  stiitzend.     Beim  Spannen    des  Schlosses    wird  der 

Fig.  1616. 


Spiralschloss. 

Ziind-  oder  Schlagstift  so  weit  zurtickgezogen,  bis  es  dem  St  oil  en  b  moglich 
ist,  vor  den  Kragen  c  einzuschnappen  und  so  den  Schlagstift  in  dieser  Stellung 
festzuhalten.  Durch  einen  einfachen  Druck  auf  den  Dr  ticker  oder  Abzug  E 
wird  der  Stollen  geniigend  weit  ausgezogen,  urn  den  Kragen  des  Ztindstiftes  zu 
verlassen,  so  dass  der  Stift  durch  den  Druck  der  Spiralfeder  gegen  die  Ladung 
getrieben  wird,  um  so  den  Schuss  zu  bewirken. 

Dies  ist  das  Princip  der  Spiralschlosser,  welche  mit  mehrfachen  Aenderungen 
bei  den  meisten  Hinterladern  verwendet  sind,  und  die,  wie  aus  der  Construction 
leicht  erkenntlich,  nur  in  der  Mitte  des  Schafthalses,  also  in  gerader  Linie  mit 
der  Rohrseele  angebracht  werden  konnen. 

Indem  wir  die  Beschreibung  der  Schlcisser  geliefert  haben,  sehen  wir  uns 
verpflichtet,  auch  den  mit  den  Schlossern  eng  zusammenhangenden  Abzugs- 
vorrichtungen  einige  Zeilen  zu  widmen. 

Der  Abzug  ordinarer  und  der  Garnisons-Gewehre  mit  Schlagschloss  ist 
aus  Figur  1617,  erkenntlich  und  es  gentigt  zu  bemerken,  dass  der  obere 
Rand  c  beim  Andriicken  an  das  Z  tin  gel  b  die  Schlossstange  v  aus  der  Spann- 
rast  hebt,  wodurch  das  ganze  Schloss  in  die  zum  Schusse  nothwendige  Bewegung 
gesetzt  wird. 


Fig.  1617. 


Fig.  1618. 


Abzug 


Stecher. 


Complicirter  ist  der  bereits  bei  Radschlossern  erwahnte  Stecher  (Fig.  1618), 
der  noch  heute  bei  alien  mit  Percussionsschloss  versehenen  Scheibenbtichsen 
und  auch  bei  vielen  Hinterladern  angebracht  wird  (freilich  auch  mit  verschiedenen 
Abweichungen).  In  der  Abzugplatte  a  ist  an  der  Schraube  b  ein  langer 
Hebel  c  mit  Druckztingel  c?beweglich.  Durch  Andriicken  an  das  Ztingel  neigt 
sich  der  obere  Arm  des  Hebels  c  so  weit,  dass  die  Stange  m,  durch  eine 
schwache  Feder  gedriickt,  mit  ihrer  Kerbe  tiber  das  ausserste  Ende  des  Hebel- 
armes  schnappt  und  denselben  in  dieser  Lage  festhalt.  Bei  blosser  Bertihrung 
des  nadelfdrmigen  Tbeiles  der  Stange  wird  der  Hebel  seiner  Haltung  befreit,  und 
dem  Drucke  einer  starken  Schnellfeder  folgend  ertheilt  er  der  Schlossstange 
einen  zum  Abdrlicken  des  Schlosses  geniigenden  Schlag.  Durch  die  Stell- 
schraube  i  wird    der    Stecher    regulirt,    indem    man    das    mehr    oder    weniger 


Feuerwaffen  (Gewehrschafte).  453 

weite  Uebergreifen  der  Stange  hiemit  bestimmen  kann.  Wesentlich  verbessert 
und  vereinfacht  wurde  der  Stecher  in  dem  sogenannten  Riickstecher  oder 
franz.  Stecher,  bei  welchem  es  mbglich  ist,  auch  auf  gewbhnliche  Art 
loszudriicken. 

Nachdem  der  Laufverschluss,  Schloss  und  Abzugsvorrichtung  fertig  und 
aneinander  gehbrig  angepasst  sind,  wird  das  Gewehr  geschaftet.  Die  Laien  sind 
gewohnlich  der  Meinung,  die  Aufgabe  des  Gewehrschaftes  sei,  nur  die  einzelnen 
Bestandtheile  beisammen  zu  halten,  und  dem  Schiitzen  als  Griff  zu  dienen.  Allein 
der  Schaft  spielt  bei  der  Waffe  eine  viel  wichtigere  Rolle.  Indem  der  Schiitze 
das  Gewehr  in  Anschlag  niramt  (das  Gewehr  zum  Schusse  bereit  zur  Wange 
anlegt),  will  er  die  ganze  Waffe  schon  in  gehoriger  Linie  vom  Auge  zum  Ziele 
wissen.  Es  ist  also  nicht  gleichgiltig,  wenn  der  Schaft  zu  lang  oder  zu  kurz,  zu 
krumm  oder  gerade  verfertigt  ist.  Ein  langarmiger  magerer  Schiitze  will  einen 
lang  en,  ein  kurzarmiger  dicker  einen  kurzen  Anschlag  am  Gewehr  haben. 
Ebenfalls bedarf  ein langer Hals  einen  mehr,  ein  kurzer  dicker  Hals  dagegen  einen 
weniger  krummen  Schaft.  Es  ist  also  kein  Wunder,  dass  die  Biichsenmacher 
wahrend  der  Mode,  hohe  steife  Halskragen  zu  tragen,  auch  diese  in  Betracht 
nehmen     mussten.     Fig.    1619    zeigt    dem    Leser    in     verjiingter    Zeichnung     die 

Fig.  1619. 


Gewehr-Schaft. 

gewbhnlichste  (mittelmassige)  Form  eines  Gewehrschaftes.  Die  an  dieser 
Figur  sichtbaren  punktirten  Linien  deuten  die  Art  des  Abmessens  an,  die  Buch- 
staben  die  wiehtigsten  Theile  des  Schaftes  und  des  K  o  1  b  e  n  s ,  wie  man  den 
plumperen  Hintertheil  des  Schaftes  bezeichnet. 

Die  Lange  eines  mittelmassigen  Schaftes  ist  vom  hinteren  Rohrende  a  zum 
hinteren  Schaftende  b  gemessen  41 %cm,  vom  Abdruckziingel  c  zur  Mitte  des  hinteren 
Schaftendes  d  35cm.  Die  Kriimme  des  Schaftes  wird  derart  gemessen,  dass  man 
ein  gerades  Lineal  L  L  an  den  Lauf  legt,  und  sodann  seinen  Abstand  vom  Schaft- 
kolben  bei  der  Nase  e  und  am  Kolbenende  b  genau  abmisst.  Dieser  Abstand  be- 
tragt  bei  mittlerer  Schaftkriimme  bei  e  3cm  und  bei  b  6cm.  Im  Schafthalse  ist 
der  ganze  Schlossmechanismus  und  das  hintere  Laufende  oder  bei  Riickladern  das 
Verschlussgehause  (resp.  Bascul)  genau  eingelassen  und  durch  Schrauben  befe- 
stigt.    Das  hintere  Ende  des  Kolbens  wird  mit  einer  Eisenkappe  versehen. 

Bei  den  sogenannten  deutschen  Schaft  en  macht  man  gewohnlich  eine 
zum  Anlegen  der  Wange  bestimmte  Erhohung  Backenanlage,  welche  in 
unserer  Zeichnung  mit  g  bezeichnet  ist,  und  die  um  so  voller  sein  muss,  je 
magerer  das  Gesicht  des  Bestellers  ist.  Ausserdem  haben  die  deutschen  Schafte 
noch  einen  Horngriff  oder  Hornbiigel  h,  der  das  feste  Anhalten  der  Waffe 
beim  Schusse  erleichtert.  Englische  Schafte  haben  weder  Backe  noch 
Griff  und  werden  vom  Schafter  ganz  glatt  ohne  jeden  Vorsprung  abgerundet. 

Nach  dem  Einschaften  werden  Verschluss-  und  Schlossmechanismus  nochmals 
regulirt  und  auch  die  Rohrseele  ihrer  Bestimmung  gemass  schliesslich  bearbeitet. 
Schrotlaufe  werden  nochmals  gefrischt  oder  mit  Blei  geschmirgelt,  und  zwar 
so,  dass    die  Rohrseele  bei   der  Pulverkammer   um   ein  Minimum    erweitert  wird, 


454  Feuerwaffen  (Vollendungsarbeiten). 

wodurch  der  Waffe  bedeutendei*e  Treff-  und  Tragfahigkeit  ertheilt  wird.  Die 
Kugelrohre  werden  dagegen  mit  Drall  versehen.  Der  Drall  besteht  aus  einer 
gewissen  Anzahl  rinnenfdrmiger,  in  einer  ganz  schwach  gewundenen  Schraubenlinie 
fortlaufenden  Ziige,  deren  Zweck  darin  besteht,  der  Kugel  eine  drehende  Bewe- 
gung  urn  ihre  eigene  Achse  zu  ertheilen,  wodurch  eine  etwa  unrichtige  Lage 
ihres  Schwerpunktes  ansgeglichen  und  das  Zusammenfallen  der  Kugelbahn  mit 
der  Achse  des  Laufes  gesichert,  audi  eine  vollstandigere  Ausniitzung  der  Pulver- 
kraft  erzielt  wild. 

Das  Ziehen  der  Laufe  geschieht  durch  eine  ebenso  einfache  wie  sinn- 
reiche  Voirichtung,  die  Zugbank.  Auf  dieser  wird  der  zu  ziehende  Lauf 
horizontal  befestigt,  wahrend  ein  anderer,  bereits  mit  Ziigen  (Drall)  versehener 
Lauf  (das  Leitrohr)  in  geringer  Entfernung  von  ihm  so  angebracht  ist,  dass 
die  Achsen  beider  Laufe  genau  zusamme:  fallen.  In  dem  gezogenen  Lauf  ist  ein 
genau  passender  Bleikolben  (durch  Eingiessen  von  Blei  in  ihn  gebildet)  beweglich, 
durch  dessen  Mitte  eine  mit  dem  Kolben  fest  verbundene  Stange  hindurchgeht.  Es 
ist  einleuchtend,  dass  diese  Stange  beim  Vor-  und  Zuriickziehen  durch  den  an  ihr 
festsitzenden  Kolben,  der  sich  in  den  spiralformig  gewundenen  Ziigen  des  Leit- 
rohres  fortschiebt,  eine  entsprechende  Drehung  erfahrt.  Das  vordere  Ende  der 
Stange  nun  ist  mit  einem  holzernen  Kolben  versehen,  welcher  zwei  oder  drei 
wenig  vorspringende  feilenartig  gehauene  Schneideisen  enthalt,  und  in  den  zu 
ziehenden  Lauf  gebracht  wird.  Diese  Eisen  folgen  natiirlich  ganz  genau  der 
Bewegung  des  Bleikolbens  und  arbeiten  somit  genau  iibereinstimmende  Ziige  in 
dem  Laufe  aus.  Ist  ein  solcher  Zug  bis  zu  der  erforderlichen  Tiefe  fertig,  so  wird  das 
Leitrohr  mittelst  einer  getheilten  Scheibe  um  einen,  je  nach  der  Anzahl  der 
Ziige  zu  bestimmenden  Winkel  gedreht,  wieder  befestigt,  und  mit  der  Arbeit 
fortgefahren,  bis  sammtliche  Ziige  in  genau  gleichen  Abstanden  von  einander 
vollendet  sind.  Die  Ziige  miissen  vollkommen  parallel  neben  einander  fortlaufen, 
und  nicht  tiefer  sein,  als  gerade  noting  ist,  um  der  Kugel  die  bezweckte  rotirende 
Bewegung  zu  ertheilen.  Ist  das  Rohrziehen  zu  Ende,  so  wird  die  Rohrseele 
mittelst  Blei  und  Schmirgel  polirt  und  zugleich  am  Pulversacke  derselben  wenig 
grosserer  Durchmesser  ertheilt  und  sodann  das  Gewehr  auf  die  gehorige  Distanz 
e  i  n  g  e  s  c  h  o  s  s  e  n. 

Nachher  werden  die  kleineren  Bestandtheile  gehartet,  indem  man  selbe 
in  blechernen  Kasten  mit  Lederkohle  bedeckt,  bis  zur  Rothgluth  dem  Holz- 
kolilenfeuer  aussetzt,  und  sodann  in  stillstehendem  kalten  Flusswasser  abkiihlt. 
(S.  Einsetzen  III  pag.  43.)  Die  so  bebandelten  Eisentheile,  blank  geschliffen  und 
anlaufen  gelassen,  erscheinen  in  den  scbonsten  Farben,  welche  (Einsatzfarben) 
um  so  dauerhafter  sind,  je  barter  die  Oberflache  der  Bestandtheile.  Durch 
Abwaschen  mit  Salzsaure  werden  die  Eisentheile  der  Farbung  (Moire)  beraubt, 
und  erscheinen  gleichmassig  grau. 

Die  von  aussen  sichtbaren  Bestandtheile  der  Luxuswaffen  werden 
gewobnlich  vor  dem  Verstahlen  an  der  Aussenseite  gravirt,  kiinstlich  ciselirt 
oder  mit  Gold  und  Silber  ausgelegt.  Dies  gilt  auch  von  dem  Lauf,  der  aber  nie 
gehartet  werden  darf.  Die  Draht-  und  Daniastlaufe  werden  entweder  durch 
atzende  Sauren  gebeizt  (wodurch  die  weicberen  Eisentheile  tiefer  ausgeatzt, 
dunkel,  die  harteren  dagegen  der  Saure  widerstehend  nur  wenig  beriihrt,  fast 
in  ihrer  urspriinglichen  Farbe  erbaben  erscheinen)  oder  sie  werden  gleieh  den 
Eisen-  und  Gussstahllaufen  briinirt. 

Die  Br  Sun  e  zum  Briiniren  der  Rohre  ist  verscbieden,  und  hat  beinahe  nicht 
nur  jeder  griissere  Biichsenmacher,  sondern  oft  einzelne  Arbeiter  derselben  eigene 
Recepte,  und  halt  jeder  sein  eigenes  fur  das  beste.  Die  Laufbraune  ist  um  so 
besser,  je  festere  und  diinklere  Farbenkruste  sie  am  Laufe  bilden  kann,  ohne 
jedoch  die  Stahltheile  des  Damastes  unsichtbar  zu  machen.  (S.  Braunen  I  pag.  737.) 

Bei  Verfertignng  von  Pi  stolen  wird  ganz  ahnlich  vorgegangen. 

Die  Hauptaufgabe  der  Sehusswaffen  im  Allgemeinen  ist  die  moglichst  grosste 
Tragweite    und    Treff sicherheit.     Jedenfalls    kommt    bier    neben    entspre- 


Feuerwaffen  (Kugelformen). 


455 


chender  praciser  Bearbeitung  der  Rohrseele  und  der  von  dem  bestimmten 
Pulverquantum  abhangigen  Rohrlange  auch  gutes  Schiesspulver  und  namentlich 
die  Form  der  Kugel  in  Betracht.  Am  besten  bewahren  sich  mit  Einschnitten 
versehene  Spitzkugeln.  Es  wurde  schon  vor  Langem  eingesehen,  dass  die  Schuss- 
erfolge  um  so  besser  sind,  je  strenger  das  Geschoss  die  Rohrseele  ausfiillt,  und 
sind  deshalb  bei  den  Vorderladern  alle  moglichen  Vorrichtungen  getroffen  worden, 
um  auch  bei  leichter  Einbringung  der  Kugel  in  den  Lauf  die  genaue  Ausfiillung 
derselben  zu  ermoglichen. 

Eine  diesbeziiglich  wesentliche  Verbesserung  der  Kugelbiichsen  geschah 
durch  den  franzosischen  Artilleriecapitan  Delvigne,  welcher  zur  Aufhahme  der 
Pulverladung  der  Waffe  eine  verengte  Kammer  gab,  bis  zu  deren  Rand 
das  Geschoss  im  Laufe  nur  hinabgleiten  konnte.  Das  Geschoss  (von,  der  Rohr- 
seele entsprechendem  Durchmesser)  wurde  mittelst  eines  Ladstockes,  dessen 
Knopf  mit  einer  der  Kugelspitze  entsprechenden  Aushohlung  versehen  war,  so 
auf  den  Kammerrand  aufgesetzt,  dass  es,  durch  diesen  gestaucht,  sich  in  die 
Ziige  des  Laufes  einpresste. 

Der  franz.  Art.-Oberst  Thouvenin  versah  die  Pulverkammer  mit  einem 
stahlernen,  oben  zugespitzten  D  o  r  n  e,  der  iiber  die  Pulverladung  herausstehend  die 
an  ihn  angestossene  Kugel  derart  erweiterte,  dass  die  Rohrseele  ganzlich  ausgefullt 
war.  Solche  Gewehre  nannte  man  Dorn-  oder  Stiftbtichsen.  Bei  Anwendung 
eines  3  l/g  Loth  (55?  )  schweren  Geschosses  miteiner  Pulverladung  von  7/24  Loth  (5*1*  ) 
erreichte  man  bei  diesen  Gewehren  eine  bis  auf  1000  Schritt  gesteigerte  Trag- 
weite  und  eine  TrefFsicherheit,  die  auf  die  Entfernung  von  800  Schritt  der  einer 
gewohnlichen  Biichse  auf  300  Schritt  gleich  kam,  wobei  noch  die  Leichtigkeit 
des  Ladens  ein  wesentlicher  Gewinn  ist.  Durch  hinreichende  Versuche  ist  man 
auch  zu  der  Ueberzeugung  gekommen,  dass  es  sehr  vortheilhaft  ist,  die  Geschosse 
mit  einem  in  Talg  getrankten  Leinwandpfl aster  zu  umwickeln. 

Mit  Rucksicht  darauf,  dass  die  Dornbiichsen  namentlich  beim  Militftrgebrauch 
im  Felde  sehr  schwer  zu  reinigen  sind,  construirte  im  Jahre  1849  der  Capitan 
M  i  n  i  e  ein  cylindrisches  Geschoss,  welches  vorne  abgerundet,  hinten  mit  einer 
conischen  Hohlung  versehen  war.  In  dieser  Hohlung  wurde  ein  eiserner  Treib- 
spiegel  eingesteckt,  welcher,  durch  den  Pulverdruck  in  die  Hohlung  tiefer 
eindringend,  die  Kugel  in  ihrem  Umfang  geniigend  ausbreitete,  damit  sie  die. 
Ziige  des  Rohres  ausfiillen  kann.  Nebige  Fig.  1620  zeigt  den  Durchschnitt  einer 
solchen  Kugel. 

Diese  Kugeln  vereinfachte  der  Belgier  j?iq.  1620. 
Timmerhans,  indem  er  das  eiserne  Culot 
(Treibspiegel)  beseitigte,  die  Wande  der  Hoh- 
lung schwacher  machte,  hingegen  in  der  Mitte 
derselben  einen  massiven  Kern  beliess,  der 
das  Gleichgewicht  der  Kugel  untersttitzte. 
Diese  in  Fig.  1621  abgebildete  Kugel  war 
zugleich  mit  der  des  Minie  das  Muster  fur 
die  spateren  Versuche  der  expansiven  Ge- 
schosse. 

Am  vortheilhaftesten  bewahrte  sich  fur  den  Schusserfolg  die  Kammer- 
ladung,  die  es  moglich  machte,  ein  Geschoss  von  grosserem  Durchmesser  als 
die  Rohrmundung  in  die  weiter  gebobrte  Kammer  einzufiihren  und  ausserdem  auch 
das  Laden  weniger  zeitraubend  machte. 

Obwohl  schon  seit  den  ersten  Jahren  der  Beniitzung  von  Feuerwaffen  wieder- 
holt  Versuche  gemacht  wurden,  die  kleinen  wie  grossen  Geschutze  von  hinten  zu 
laden,  ist  es  doch  erst  dem  19.  Jahrhunderte  gelungen,  diese  so  wichtige  Frage 
eigentlich  zu  losen.  Den  Alten  mangelte  es  erstens  an  den  sehr  nothwendigen 
Patronenhiilsen,  so  dass  das  Pulver  nur  lose  in  den  Lauf  geschuttet  werden 
musste,  wodurch  auch  der  beste  Verschluss  als  unvollstandig  erschien.  Ferner 
war  es  schwer,  ein  noch  so  solid  gebautes,  von  hinten  geladenes  Gewehr  mittelst 


456  Feuerwaffen  (Hinterlader  oder  Kammerladungs-Gew.). 

eines  Lunt-,  Rad-  oder  Steinschlosses  zu  feuern.  Die  Erfindung  der  durch  blossen 
Schlag  oder  Stich  ziindbaren  Stoffe  bat  erst  zur  Lbsung  dieser  wichtigen  Aufgabe 
gefiihrt. 

Der  erste  Hinterlader  unserer  Periode  war  der  im  Jahre  1809  von  P a u  1  y 
in  Paris  construirte.  Bald  nachher  erschienen  ebenfalls  in  Frankreich  die  franz. 
Wallbiicbse  und  die  Riickladesysteme  Robert  imd  Lefauckeux;  ausser 
diesen,  das  sogenannte  Kammerladungsgewehr  der  norwegiscben  Infanterie 
nach  Herzberger's  Muster,  und  endlich  das  neuere  Ziindnadelgewehr  von 
Dreyse  in  Sommerda,  welches  eine  grosse  Reform  in  der  gesammten  Waffen- 
industrie  hervorrief. 

Das  Charakteristische  der  Kammerladungsgewehre  besteht  iiberhaupt  in 
Folgendem:  Um  die  Ladung  von  hinten  in  den  Lauf  zu  bringen,  muss  dieser 
leicht  und  scbnell  geoffnet  werden  konnen.  Verschliessung  desselben  durch  eine 
Schwanzschraube  ist  also  unzulassig.  Die  Oeffnung  des  Pulversackes  kann  auf 
dreierlei  Art  geschehen;  entweder  am  oberen  Theile,  wie  es  bei  der  Amusette 
des  Marschalls  von  Sachsen  und  bei  dem  Montalembert'schen  Gewehre 
statt  gefunden;  oder  an  seinem  vorderen  Ende,  wie  bei  der  franz.  Wall biichse 
(1831)  oder  schliesslich  an  seinern  hinteren  Ende,  nach  welcher  Methode  die 
Systeme  Pauly,  Robert,  Lefaucheux,  Dreyse  und  sammtliche  heute 
gebrauchlichen  Hinterlader  construirt  sind.  Die  Bohrung  des  Pulversackes^  hier 
Kammer  genannt,  ist  etwas  weiter  als  jene  des  Laufes,  der  sich  noch  gegen 
die  Mundung  zu  unbedeutend  verengt.  Dieser  Umstand  gewahrt  bei  den  Feuer- 
waffen der  Cavallerie  einen  Vortheil  dadurch,  dass  bei  dem  geladenen  und  mit 
der  Mundung  niederwarts  hangenden  Karabiner,  selbst  bei  den  scharfsten  Gang- 
arten  des  Pferdes,  dem  Vorgleiten  und  dadurch  auch  dem  Versagen  der  Ladung 
vorgebeugt  wird.  Ueberhaupt  ist  es  wegen  der  leichten  Einbringung  der  Kugel 
von  riickwarts  und  wegen  ihres  nach  Entzlindung  des  Pulvers  folgenden  Ein- 
drangens  in  den  engeren  Vordertheil  des  Laufes  mbglicb,  aus  den  Gewehren  ein 
dicht  anliegendes  Geschoss  zu  schiessen,  ohne  ein  Pflaster  anwenden  zu  miissen. 
Hiedurch  wird  jedenfalls  die  Friction  des  Geschosses  in  der  Rohrseele  bedeutend 
gesteigert,  so  dass  solche  Geschosse  auf  die  grosste  Distanz  noch  mit  bewunderns- 
werther  Treffsicherheit  das  Ziel  erreichen.  Der  unbequeme  Gebrauch  des  Lad- 
stockes  fallt  ganzlich  weg,  wodurch  beim  Laden  Zeit  erspart  (die  Geschwindigkeit 
des  Feuerns  vervielfacht)  wird  und  die  Lange  des  Laufes  nicht  mehr  von  der 
Grosse  des  Mannes  abhangig  ist,  sondern  nach  der  Ladung  gerichtet  werden 
kann. 

Nach  verschiedenen  Versuchen,  namentlich  nach  den  mit  dem  norwegischen 
Kammerladungsgewehre,  ergaben  sich  folgende  Bedingungen  als  nothwendig  zur 
Erreichung  eines  moglichst  guten  Schusses:  Die  Ziige  im  Laufe  mit  abge- 
f  1  a c h t e n  (gebrochenen)  Kanten  zu  versehen  und  nicht  tief  zu  machen,  damit 
sich  das  Geschoss  leicht  nach  dem  Laufe  formt;  dem  Pulversacke  oder  Patro- 
nenlager  keine  grbssere  Bohrung  zu  geben,  als  gerade  der  Geschossdurch- 
messer,  resp.  der  der  Patronenhtilse  erfordert,  und  schliesslich  das  an  den  Pulver- 
sack  sich  anschliessende  Laufende  sehr  schlank  trichterartig  zu  erweitern,  damit 
der  Uebergang  der  Kugel  aus  der  weiteren  Bohrung  in  die  engere  nicht  zu 
plotzlich  stattfinde.  Die  leichte  Einbringung  der  Ladung  von  riickwarts  gestattet 
ohne  Schwierigkeit  jede  Gattung  von  Geschossen  anzuwenden. 

Die  ferneren  Vortheile  der  Riicklader  bestehen  darin,  dass  sie  in  jeder 
bewegten  oder  behiiiderten  Stellung  leicht  und  schnell  geladen  werden  konnen;*) 
dass    sich    ferner    die  Geschwindigkeit    des    Feuerns    bedeutend    vergrossert,    und 


*)  Dass  das  Laden  daher  erfolgen  kann  sowohl  bei  der  geschlossenm  Gliederung  der 
Infanterie,  als  auch  von  dem  im  Laufen  begriffenen,  amBoden  liegenden  oder  knienden 
Srhiitzen,  ferner  bei  der  dem  Reiter  so  la<tigen  Unruhe  seines  Pferdes  und  bei  der 
unbequemen  Handhabung  der  Wallbuchsen  in  den  beschrankten  Raumlichkeiten  crene- 
lirter  Mauern. 


Feuerwaffen  (Ziindnadelgewehr). 


457 


endlich  das  Entladen  und  Reinigen  viel  leichter  als  bei  Vorderladern  zu  bewerk- 
stelligen  ist. 

Eine  ganz  eigenthiimliche  Hinterladeconstruction  war  das  p  reussiscbe 
Ziindnadelgewehr,  welches  der  Gewehr-  und  Zundhutchenfabrikant  Dreyse 
in  Sommerda  1836  durch  Umarbeitung  seines  im  Jahre  1827  patentirten 
Vorderladers  mit  Ziindnaclel  und  Spiral fe der  herstellte. 

Fig.  1622  stellt 
die  a  u  s  s  e  r  e  A  n- 
s  i  c  h  t  des  zum 
Laden  geoffneten 
Ziindnadelhin- 
terladers,  Fig. 
1623  den  Durch- 
schnittdesschon 
geladenen  vor. 

Der  Verschluss 
und  Schlossmecha- 
nismus  besteht  bei 
diesem  System  e 
aus  drei  in  einan- 
der  geschobenen 
Cylindern  und  zwar 
der  S  c  h  w  a  n  z- 
htilse  a,  die  an 
den  Lauf  ange- 
schraubt  ist,  und 
inwelcherderVer- 
schlusscylin- 
der  b  mit  der 
K  u  r  b  e  1  c  in  zwei 
Richtungen  beweg- 
lich  ist.  Dieser  Cy- 
linder enthalt  den 
Schloss  cylin- 
der dmit  derSpi- 
ralfeder  und 
dem  Nadelbol- 
z  en. 

Will  man  das  ab- 
gefeuerte  Gewehr 
laden,  so  wird  vor- 
erst  der  stark  vor- 
stehende  Ansatz 
der  Sperrfeder 
f  niedergedriickt 
und    der   Schloss- 

cylinder  d  soweit  herausgezogen,  dass  der  Abzugstollen  g  iiber  den  Kr a  gen 
des  Nadelbolzens  iiberschnappen  kann.  Nun  wird  der  Verschlusscylinder  mit- 
telst  seiner  Kurbei  c  zur  linken  Seite  gedreht  und  zuriickgezogcn,  so  dass 
zwischen  dem  Cylinder  und  dem  Laufe  ein  geniigend  weiter  Raum  zum  bequemen 
Einschieben  der  Patrone  entsteht.  Nach  dem  Einstecken  der  Patrone  in  die 
Kammer  wird  der  Verschlusscylinder  wieder  zugeschoben  und  rechts 
gedreht.  In  diesem  Zustande  kann  das  Gewehr  beliebig  lange  belassen  werden. 
ohne  dass  man  besorgt  sein  miisste,  es  konnte  vielleicht  ein  tJngluck  durch 
zufallig  erfolgte  Entladung  vorkommen.  Erst  wenn  man  schiessen  will,  wird  der 
Schlosscylinder  wieder  eingedriickt,  wo    er  durch  das  Eingreifen  der  Sperrfeder  / 


458 


Feuerwaffen  (Hinterlader). 


festgehalten  wird.  Dadurch  wird  erst  das  Schloss  gespannt,  indem  der  Nadel- 
bolzen,  durch  den  Abzugstollen  gehalten,  nicht  mit  dem  Cylinder  zugleich  vor- 
geschoben  werden  kann.  und  so  die  Spiralfeder  gepresst  wird.  Durch  einfachen 
Brack  auf  den  Abzug  wird  der  Nadelbolzen  seiner  Haltung  befreit,  und,  dem 
Triebe  der  Spiralfeder  folgend,  dringt  er  durch  die  ganze  Pulverladung,  um  die 
Z  ii  n  d  p  i  1 1  e  zu  erreichen. 

Das  Drey  sesy  stem  war  das  erste,  bei  welchem  die  Einheitspatrone 
eingefiihrt  wurde,  d.  h.  eine  Patrone,  die  Ziindstoff,  Pulver  und  Geschoss  enthalt, 
so  dass  alles  zum  Schusse  Nothige  auf  einmal  in  den  Lauf  eingebracht  wer- 
den kann. 

Auch  ist  es  das  einzige  Originalsystem,  welches  Kugeln  von  kleinerem 
Caliber  als  die  Rohrseele  schoss,  und  dessen  Pulverladung  von  vorne  und  nicht 
von  hinten  entztindet  wurde.  Fig.  1623  zeigt  zugleich  den  Durchschnitt  einer 
Zlindnadelpatrone.  Die  Kugel,  hier  L a n g b  1  e i  oder  E i c h e  1  benannt, 
sitzt  in  einem  dem  Rohrcaliber  entsprechenden  Treibspiegel  von  gepresstem 
Papier,  an  dessen  von  der  Kugel  abgewendeter  Flache  die  Ziindpille  (in  der 
Zeichnung  schwarz)  in  der  Mitte  angebracht  ist.  Um  diese  Pille  erreichen 
und  durch  ihren  Stich  ziinden  zu  konnen,  muss  die  Nadel  die  ganze  Pulverladung 
durchdringen.  Kugel,  Propfen  mit  Ziindpille  und  die  entsprechende  Pulverladung 
sind  mit  Papier  umgewickelt.  Der  Treibspiegel  hat  hier  die  Aufgabe,  die  Ziind- 
pille in  dem  Centrum  zu  halten  und  beim  Abfeuern  der  Kugel  genligende 
Fiih rung  zu  ertheilen.  Nachdem  er  die  Rohrmiindung  verlassen  fa'llt  er  zur  Erde. 
Dreyse's  Gewehr  wurde,  wie  alles  Gute,  durch  verschiedene  unbedeutende 
Umanderungen  hier  verbessert,  dort  verschlechtert.  Von  den  Verbesserungen  sind 
vortheilhaft  zu  nennen  die  Ziindnadelgewehre :  Doersch  &  Baumgartner 
(Braunschweig  1861)  und  Chassepot  (Frankreich  1866),  ferner  die  Systeme 
Terry  1860,  Carle  &  Sohn  1867  (Russland),  van  der  Popenburg  1860, 
Spangenberg  &  Sauer  1860  und  Carcano   1868  (Italien). 

Ausser  diesen  diente  die  Dreyse'sche  Construction  und  Verschluss-  (Ob- 
turations) Idee  einer  grossen  Mehrzahl  verschiedener  Hinterlader  zum  Muster. 

Nach  der  Einfiihrung  von  M  e  t  a  1 1  p  a  t  r  o  n  e  n  h  ii  1  s  e  n  beniitzten  vom 
Dreyse'schen  wenig  abweichende  Verschlusscylinder:  Hiigel  1866,  Norris 
1868,  Vetterli  1870,  Berdan  II.  1871,  Beaumont  1871  und  Briider 
Mauser  1871,  welches  letztere  System  bestimmt  ist,  in  der  deutschen  Armee 
die  siegreichen  alten  Ziindnadeln  zu  ersetzen. 

Einige  dieser  Systeme 
gestatten  es,  in  4  Be- 
wegungen  schiessen 
zu  konnen,  und  zwar: 
1.  Oeffnen  des  Ver- 
schlusses,  wodurch  zu- 
gleich das  Schloss  ge- 
spannt  wird.  2.  Einle- 
g e n  neuer  Patrone. 
3.  Schliessung.  4. 
F  e  u  e  r  n.  Besonders  sind 
ihrer  Construction  und 
Leistungsfahigkeit  wegen 
die  Systeme  Vetterli 
und  Mauser  hervorzu- 
heben. 

Eine    andere   Obtura- 

tionsvorrichtung   ist  der 

Blockverschluss, 

der  bei  manchen  im  Scharnier  sich  neigend,  bei  anderen  wieder  anders  angebracht  ist. 

Als  Beispiel  dicnen  hier  die  vorztiglichen  Systeme  M a r t i n i  1871  und  Comblain 


Fig.  1624. 


Martini-Gewehr. 


Feuerwaffen  (Hinterlader). 


459 


1870,  deren  ersteres  unter  dem  Namen  Martini  -  Henry  in  England,  das 
andere  in  der  garde  civique  in  Belgien  eingefuhrt  wurde.  Fig.  1624  zeigt  den 
Durchschnitt  des  Martini-,  Fig.  1625  des  Combl  ain-Gewehres.  Der  Ver- 
schlussblock  B  des  Martinigewehrs  neigt  sich  beim  Herabziehen  des  He  be  Is 
A,  weil  er  an  der  Schraube  b  beweglich  ist ;  der  Block  halt  ein  Spirals ch loss 
in  der  Mitte.  Der  Verscblussblock  des  anderen  Gewehres  wird  ebenfalls  durch 
Herabziehen  des  Hebels  gesenkt,  indem  er  an  dem  Hebel  durch  die  Schraube  a 
befestigt  und  in  der  breiten  Oeffnung  Em  verticaler  Richtung  beweglich  ist. 
Hiebei  wird  der  Hahn  C  durch  den  Ansatz  c  des  Hebels  gespannt.  Die  punktirten 
Linien  der  Abbildung  zeigen  deutlich  die  innere  Schlosseinrichtung. 

Die  Oeffnung  und  gleich- 
zeitige  Spannung  des  Schlosses   ge-  ^l9'  1^25. 

schieht  also  bei  beiden  Systemen 
durch  dieselbe  Handbewegung,  und 
die  abgeschossenen  Hiilsen  werden 
durch  die  Extractors  f  selbst- 
thatig  ausgeworfen.  Nach  dem  Ein- 
bringen  derneuen  Patrone  wird  die 
Kammer  durch  Anziehen  des 
Hebels  A  eingeschlossen. 

Ebenfalls  wie  Martini  sei- 
nen  Verschlussblock  und  Hebel  dem 
amerikanischen  Systeme  P  e  a  b  o  d  y 
entwendete  und  nur  mit  neuer  Spiral- 
schloss-Vorrichtung  versah,  ahmte 
audi  Comb  lain  den  Verschluss 
des  Amerikaners  Sharps  nach, 
und  ersetzte  das  alte  Percussions- 
schloss  dui-ch  ein  einfacheres,  in  der 
Mitte  des  Blocks  angebrachtes 
Schlosschen,  wodurch  er  das  Ganze 
fiir  Metallhiilsen  anwendbar  machte. 
Aber  auch  dem  Amerikaner  Sharps 
gehort    nicht    die   Ehre    der    ersten 

Anwendung  dieser  Verschlussart,  da  noch  alte  Kammerlader  vom  Ende  des  16. 
Jahrhun  dertes  mit  eben  demselben  Verschlussmechanismus  vorhanden  sind. 

Peabody's  Blockverschluss    mit  Charnier    wurde  1872    wesentlich    verein- 
facht    in    der    vom    Fabrikanten    Stahl    in  Suhl    construirten  Biichse.     Dagegen 


y 


Comblain-Gewehr. 


Fig.  1626. 


Kemiugtou-Geweiu1. 


erscheint  der  ganze  Mechanismus  ziemlich    complicirt  im  bairischen,  ohne  jegliche 
Werkzeuge     zerlegbaren     Werdergewehr  e     (1869).      Ausser     diesen     fiihren 


460 


Feuerwaffen  (Hinterlader). 


wir  als  wichtigere  Blocksysteme  an:  Starr  1858,  Cochrans  1866  und 
Schmidt  1873. 

Von  den  iibrigen  verschiedenartigsten  Verschlussarten,  die  grosstentheils 
mit  gewohnlichen  Percussionsschlossern  versehen  sind,  konnen  wir 
leider  keine  langen  Beschreibungen  vorlegen,  und  halten  wir  fur  geniigend,  das 
interessante  amerik.  Doppelhahn system  Remington  (1864)  Fig.  1626  und  das 
in  der  osterreichischen  Armee  eingefiibrte  Worndelgewehr  (1868)  Fig.  1627  zur 
Ansicht  zu  bringen. 

Der  vordere  Habn  a  des  Remington gewebres  bildet  den  Verschluss, 
und  kann  niebt  eher  von  seiner  Lage  geboben  werden,  als  bis  der  zweite  eigentlicbe 
Schlaghahn  b  vollig  gespannt  ist.  Ebenfalls  kann  der  Habn  b  nicht  losgedriickt 
werden,  wenn  der  Verschlusshahn  nicht  an  dem  Laufe  genau  anliegt. 


Fig.  1627. 


Worndel-Gewehr. 


1b' 28. 


1629. 


Das  osterreichische  W  o  r  n  d  1  -  Gewehr  ist  mit  einem  gewohnlichen  Percussions- 
Riickschlosse  versehen ;  den  Rohrverschluss  bildet  hier  eine  von  einer  Seite  loffel- 

artig  ausgehohlte  Walze  a  von  fast  doppel- 
tem  Laufdurchmesser ,  die  in  dem  Ver- 
schlussgehause  h  um  ihre  Achse  drehbar 
und  mit  dem  Griff  g  versehen  ist.  Der  Schuss 
erfolgt  durch  Anschlagen  des  Hahnes  an  einen 
in  der  Walze  eingebohrten,  beweglichen  Ziind- 
stift.  — 

Fiir  die  Jagd  werden  meistens  nur  Doppet- 
waffen  nach  den  Systemen  Lefaucheux  und 
Lancaster,  freilich  mit  sehr  verschiedenen 
Abanderungen  erzeugt.  Der  Unterschied  beider 
Systeme  ist  hier  eigentlich  nur  in  den  verwend- 
baren  Patronenhiilsen  zu  suchen.  Die  Ziind- 
capsel  der  Lefaucheuxpatrone  (Fig.  1628) 
wird  beim  Anschlagen  des  Hahnes  auf  den 
Stift  b  durch  diesen  geziindet;  bei  der  Lan- 
caster patrone  (Fig.  1629)  ziindet  dagegen  das  im  Centrum  des  Hlilsenbodens 
sitzende  Ziindhiitchen  durch  unmittelbaren  Anstoss  des  im  Verschlussbascul  des 
Gewebres  beweglichen  Ztindstiftes.  (Siehe  Fig.  1613.)  Ausser  diesen  findet  auch 
das  Z ti n d n a d e  1  d o p p e  1  s y s t e m  nach  Teschner  (Frankfurt  a.  0.)  Beifall, 
welches  ausser  der  Ziindung  nichts  anderes  mit  dem  Dreyse'schen  Original 
gemeinschaftlich  hat,  und  wird  auch  diese  Ziindart  sehr  oft  mit  der  nach  Lan- 
caster verwechselt. 

Besonderer  Erwahnung  werth  sind  die  sogenaunten  Repetirgewehre, 
die  theils  im  Schafte  oder  ofters  unterhalb  dem  Laufe  mit  einer  langen  Rohre 
zum  Einnehmen  der  Patronen  versehen  sind,  welche  Patronen  sodann  nach  jedem 
Schusse    durch    besonderen  Mechanismus    einzeln   zum  Laufe   geboben  und  in  das 


Feuerwaffen  (Repetirgewehre). 


461 


Patronenlager    eingeschoben    werden ;     daher    kann    man    mit    solchen    einlaufigen 
Gewehren,  wenn  sie  einmal   gefiillt  sind,  9 — 12  bis  15mal  nach  einander  feuern. 
Wir  liefern    nebenbei 


Fig.  1630. 


Spencer's  Repetier-Gewehr. 


nur  die  Abbildungen 
zweier  R  e  p  e  t  i  r-  oder 
Magazingewehre, 
und  zwar  zeigt  Fig.  1630 
das  mit  einem  Percus- 
sionsschloss  u.  zweithei- 
ligem  Blockverschluss 
versehene  Spencers y- 
stem;  (Boston  Amer. 
1860.)  Das  Schloss  muss 
auf  gewohnliche  Art  ge- 
spannt  werden;  die  ab- 
geschossene  Hiilse  wird 
mit  einer  neuen  Patrone 
durch  einfaches  Ab-  und 
Anziehen  desunterenHe- 
bels  ersetzt. 

Die  Function  der  einzel- 
nen  Constructionstheile 
ist  aus  der  Abbildung 
leicht  ersichtlich,  indem 
dieselbe  den  Durchschnitt 
des  Gewehres  in  der 
Stellung  zeigt,  als  eben 

die  abgeschossene  Hiilse  durch  den  (hier  weiss  markirten)  am  Verschlussblock 
befestigten  Extractor  aus  dem  Laufe  beseitigt  wurde,  um  der  nachstfolgenden  ge- 
ladenen  Patrone  des  Magazins  Platz  zu  machen.  Letztere  wird  bei  der  ruckwar- 
tigen  Bewegung  des  Verschlussblockes  durch  die  hier  leicht  bemerkbare  Kante 
desselben  am  Rande  erfasst,  und  sodann  dem  Patronenlager  zugeschoben. 

Das  Henrygewehr 
Fig.  1631,    (Newhaven,  Fig.  1631. 

Conecticut,  Amer.  1854) 
ist  einfacher  beziiglich  der 
Handhabungjedoch  com- 
plizirter  in  der  Construc- 
tion. 

Durch  eine  einfache 
Bewegung  des  Biigel- 
h  e  b  e  1  s  wird  vor  allem 
die  starke  Verschluss- 
stange  vom  Laufe  zu- 
riickgezogen,  wodurch 
auch  der,  an  dem  hin- 
terem  Ende  der   Stange 

anliegende  Hahn  in  Bewegung  gesetzt  und  gespannt  wird.  Zugleich  wird  auch  die 
abgeschossene  Hiilse  aus  dem  Laufe  gezogen,  indem  sie  durch  die,  an  der  Stange 
befestigten  Krallen  erfasst,  die  Bewegung  mitmachen  muss.  Im  selben  Momente, 
als  die  abgeschossene  Hiilse  den  Lauf  verlassen  hat,  hebt  sich  ein  eigens  con- 
struirter  Theil,  der  die  nachste  Patrone  aus  der  hier  unter  dem  Laufe  ange- 
brachten  Magazinsrohre  genommen,  so  dass  die  alte  Hiilse  iiber  den  Rand  des 
Gehauses,  die  der  Magazinsrohre  entnommene  neue  Patrone  dagegen  in  gleiche 
Linie  mit  der  Rohrseele  gehoben  wird.  Bei  der  Riickbewegung  des  Hebels  wird 
wieder  zuerst  die  Verschlussstange    dem   Laufe    zugeschoben,    hiedurch  also  auch 


Henry-Gewehr. 


462 


Feuerwaffen  (Revolver). 


die  neue  Patrone  in  die  Rohrkammer  gedriickt,  und  schliesslick  auch  der  Theil 
zum  Einnehmen  einer  dritten  Vorrathspatrone  zur  weiteren  Repetirung  herabge- 
zogen.  Alles  dies  geschieht  durch  einfaches  Ab-  und  Andrticken  des  Biigelhebels 
—  im  Zeitraume  von  kaum  einer  Secunde. 

Das  System  des  Tyler  Henry  wurde  durch  Winchester  verbessert, 
indem  das  Fullen  der  Magazinrohre  vereinfacht  wurde  und  diente  so  als  Weg- 
weiser  zu  den  beiden  Vetterli'schen  Repetirsystemen  (Schweiz  1867 — 1874), 
so  wie  auch  zu  den  des  Ball  (Windsor  1863),  Gamma  &  Infanger  (Altorf 
1868),  A.  Thury  (Bern   1874)  und  And. 

Im  Jahre  1872  construirte  auch  der  Wiener  Waffenfabrikant  Fruhwirth 
ein  vorztigliches  Magazingewehr,  welches  in  der  osterr.  Gensdarmerie  eingefiihrt 
wurde.  Was  die  Einfachheit  der  Construction  anbelangt,  geziemt  dem  Herrn 
Thury  (1874)  unbedingt  der  erste  Platz. 

Die  Repetirgewehre  sind  jedenfalls  das  Vorziiglichste,  was  die  Waffentechnik 
des  neunzehnten  Jahrhundertes  dem  Kriegswesen,  sowie  auch  den  passionirten 
Schiitzen  bieten  kann.  Obwohl  die  ersten  Repetirgewehre  von  Amerika  zu  uns 
kamen,  ist  doch  der  Ursprung  derselben  in  unserem  Continent  zu  suchen,  da 
bereits  vor  mehr  als  2  Jahrhunderten  in  Europa  Versuche  mit  Repetition  gemacht 
wurden,  und  wir  konnen  nicht  umhin  zu  bemerken,  dass  auch  D  r  e  y  s  e  in  den 
ersten  Decennien  seiner  Thatigkeit  sich  mit  dieser  Idee  befasste.  Da  er  jedoch 
einsah,  eher  mit  dem  Ziindnadelgewehre  den  Zweck  erreichen  zu  konnen,  gab  er 
den  Gedanken  auf  und  erst  sein  Sohn  hat  die  Idee  wieder  erfasst. 

Es  ist  ganz  natiirlich,  dass  wahrend  der  Vervollkommnung  der  langen 
Handfeuerwatfen  auch  die  kurzen  Pistol  en  und  Terzerole  entsprechend  ver- 
bessert wurden.  Das  Bedeutendste  was  hier  geleistet  wurde,  ist  der  Revolver 
oder  die  Drehpistole.  Wie  alle  wichtigen  Erfindungen  dieses  Faches  ist 
auch  diese  vor  langer  Zeit  versucht  worden.  Hofantiquar  Pickert  in  Niirnberg 
hat  in  seiner  Sammlung  einen  Drehling,  dessen  Cylinder,  Lauf  und  Schaftstellung 
denen  des  heutigen  Revolvers  sehr  ahnlich  sind.  Diese  Watfe  ist  mit  Luntschloss 
versehen  und  wurde  in  Niirnberg  in  den  Jahren  1480 — 1500  verfertigt.  Ausserdem 
existiren  noch  mehrere  alte  Drehlinge. 

Die  erste  nachhaltige  Erfin- 
dung  im  Gebiete  der  Dreh- 
linge war  die  S  a  m  u  e  1  C  o  1  t's, 
der  sein  erstes  Modell  bereits 
als  15jahriger  Schiffsknabe 
1828  aus  Holz  schnitzte.  C  o  1  t's 
Revolver  besteht  (Fig.  1632J 
aus  einem  hinter  dem  Laufe  I 
um  seine  Achse  drehbaren  Cy- 
linder A  mit  mehreren  zum 
Aufhehmen  der  Ladung  be- 
stimmten  B  o  h  r  u  n  g  e  n,  die 
auf  der,  dem  Laufe  entge- 
gengesetzten  Seite  mit  Pistons 
versehen  sind.  Beim  Schiessen  steht  immer  die  eine  Bohrung  in  gerader  Linie 
mit  der  Rohrseele,  so  dass  die  geschossene  Kugel  aus  der  Walze  in  den 
Lauf  gedrangt  wird,  um  hier  die  bestimmte  Richtung  zu  erhalten.  Beim  Hahn- 
spannen  wird  immer  die  nachstfolgende  Bohrung  dem  Laufe  zugedreht< 
Ein  anderer  Drehling  war  der  von  Mariette  (1842),  der  die Ladewalze  oder  den 
Cylinder  nicht  vom  Laufe  separirte;  sein  Revolver  besteht  eigentiich  aus  4  und 
noch  mehr  (bis  18)  Laufen  entsprechender  Lange,  die  ebenfalls  hinten  mit  Pistons 
versehen  sind.  Der  Hahn  wird  gespannt  und  die  Laufe  der  Reihe  nach  mittelst 
starken    Drucks    an    den     ringformigen    Abzug    nach    oben    gedreht.     Mit 


Feuerwaffen  (Geschiitze).  —  Feuerwerkerei.  463 

der  Einflihrung    der  Riickladung  haben    auch    die  Drehlinge  viele  Verbesserungen 
erfahren. 

Der  beste  und  noch  heute  beliebteste  Revolver  ist  der  Lefaucheux's 
(Sohn)  1853,  der  die  drehbare  Walze  von  Colt  mit  der  iialmspannung  mittelst 
Abzng  von  Mariette  verbindet;  es  ist  hier  die  sogenannte  doppelte  Bewe- 
gung  (durch  Halm  und  Abzug)  vorhanden.  Die  Patronen  sind  den  Lefaucheux- 
Jagdpatronen  ahnlich. 

Nach  Einfiihrung  der  Centralz tin  dung  nach  Lancaster  sind  abermals 
neue  Revolversysteme  aufgetaucht.  Von  den  heute  bekannten  Drehsystemen  nennen 
wir  ausser  den  oben  angefiihrten:  Gasser  (Wien  1871,  osterr.  Armeerevolver), 
der  aber  eine  strenge  Nachahmung  des  Lefaucheux-Revolvers  und  nur  anf 
Worndlpatronen  gerichtet  ist.  Hauptmann  Kropatschek  hat  den  Gasser'schen 
Revolver  in  Mass  und  Gewicht  reducirt.  Wirkliche  Verbesserungen  des  Lefau- 
cheux  sind  die  Revolvers:  Drivon  &  Birou  (St.  Etienne  1865),  Spirlet 
(Liittich  1869),  Galand  1870,  Smith  &  Wesson  1867— 70,  Tackels  1871, 
Chamelot,  Delvigne  &  Schmidt  1873. 

Bei  dem  allgemeinen  Bestreben,  alle  Feuerwaffen  in  Riicklader  zu  ver- 
wandeln,  wurde  auch  der  groben  Geschiitze  nicht  vergessen.  Jedenfalls  war 
es  nicht  moglich  dieselben  Verschlussarten  wie  bei  Handgewehren  hier  in  Anwen 
dung  zu  bringen,  und  so  entstanden  meistens  ausGussstahl  verfertigte  Kanonen- 
systeme  mit;  Kolben  verschluss  (Wahrendorf),  Keilvers  chluss  (Krei- 
ner),  Schraubendeckelverschluss  (Whitworth),  Schraubenverschluss 
(Chay  -  Schalk),  Riegelver schluss  (Armstrong). 

Am  besten  bewahren  sich  gegenwartig  die  Krupp'schen  und  vor  Allem  die 
vor  Kurzem  in  Oesterreich-Ungarn  eingefiihrten  Uchatius-Geschiitze,  die,  aus 
der  sogenannten  Stahlbronce  verfertigt,  bei  nicht  sehr  grosser  Metallstarke 
iiberraschende  Schnssresultate  bieten. 

Der  Lafette  wurde  ebenfalls  grosse  Sorgfalt  gewidmet  und  sind  jetzt 
unzahlige  Lafettensysteme  fur  Schiff,  Land,  Festungen,  Gebirg  etc.  bekannt. 

Gleich  wie  die  von  hinten  zu  ladenden  groben  Geschiitze  des  15.  und  16. 
Jahrhundertes  bei  uns  vervollkommnet  und  adoptirt  wurden,  sind  auch  die  alten 
Orgelgeschiitze  oder  Todtenorgeln  des  15.  Jahrhundertes  in  den 
Mitrailleusen  (auch  Kugelspritzen)  wieder  zum  Vorschein  gekommen. 
Die  Mitrailleuse  besteht  aus  25  bis  36  (auch  noch  mehr)  Laufen,  ziemlich 
grossen  Calibers,  die,  mit  einemmal  geladen,  durch  Drehung  einer  Kurbel  schnell 
hinter  einander  abgefeuert  werden,  so  dass  nur  ein  kurzes  donnerahnliches  Krachen 
vernehmbar  ist.  Von  den  bisher  bekannten  Mitrailleusen  sind  zu  erwahnen 
die  franzosische  (1867)  und  die  in  Oesterreich  und  Belgien  adoptirte 
Mitrailleuse  Montigny's  (1869). 

Die  drehbare,  selbstladende  Gatling-Kanone  (1868)  steht  den 
Mitrailleusen  wiirdig  zur  Seite.  Brandeis. 

Literatur.  Betreffend  die  Gewehrfabrikation  vergleiche:  Fur  ten  bach,  Biich- 
senmeisterei,  Ulm  1627.  Prechtl,  techn.  Encyclop.  Band  6.  Alison  G. 
Chr.  der  engl.  Buchsenmacher,  Quedlinburg  Basse  1832.  Bervaldo,  Feuer- 
und  Seitengewehre,  Wien,  Gerold.  1829.  Schmidt  J.,  die  Geheimnisse 
der  engl.  Gewehrfabrikation,  Weimar  1824.  Schmidt,  Beitrage  zur  Biich- 
senmacherkunst,  Weimar  1843.  —  Betreffend  die  Waffenlehre  vergleiche: 
C.  Riistow,  die  Kriegshandfeuerwaffen,  Berlin  1857;  A.  Dub,  Handb.  ii.  d. 
K.  d.  Gewehre  etc.  Wien  1852.  Neue  Studien  iiber  die  gezogene  Feuer- 
waffe  der  Infanterie  von  W.  v.  Plonnies,  2.Bd.,  Darmstadt,  1861,  1864. 
Schott,  Waffenlehre  1868,  Darmstadt.  Ferner  zahlreiche  Abhandlungen  in 
Dingl.  polyt.  Journal  u.  a.  a.  0.     Vergleiche  Artillerie  I.  pag.  203. 

Feuerwerkerei  (pyrotechnic  —  pyrotechny),  Pyrotechnik.  Die  Ver- 
wendung  leicht  entztindlicher,  mehr  oder  weniger  explosiver  Gemenge  hat  seit 
Erfindung  des  Schiesspulvers    ausserordentlichen  Einfluss    auf  die  Gesammtverhalt- 


464  Feuerwerkerei. 

nisse  des  gewohnlichen  Lebens,  besonders  aber  auf  die  Art  der  Kriegfiihrung  gewonnen, 
und  die  Kenntniss  der  Darstellung,  Verwendung  und  Wirkungsweise  des  Schiess- 
pulvers  bildet  eine  der  wichtigsten  Grundlagen  der  modernen  Kriegskunst.  Aber 
auch  zu  anderen  wesentlich  friedlicheren  Zwecken  kann  das  Abbrennen  explosiver 
Miscbungen  dienen,  insoferne  man  die  bei  dem  Abbrennen  entsprechender  Mischun- 
gen  erzielbaren  Licbteffecte  zur  Erzengung  weithin  sichtbarer  Flammen  verwenden 
und  sohin  fur  die  Zwecke  des  optischen  Signalisirimgswesens  geeignete  Signal- 
licliter  erzeugen  kann,  als  man  auch,  sei  es  die  mit  solcben  Miscbungen  erzielbare 
Farbenpracbt  der  Feuer,  sei  es  die  mit  Zuliilfenabme  bestimmter  Kunstgriffe 
erreichbare  Vielgestaltigkeit  und  Mannigfaltigkeit  in  den  Formen  der  Feuererschei- 
nungen  zur  Hervorrufung  brillanter  Lichteffecte  oder  belustigender  Schauspiele 
iiberbaupt  verwenden  kann. 

Diese  Art  der  Verwendung  leicbt  entziindlicher  oder  explosiver  Miscbungen 
bildet  den  Gegenstand  der  Feuerwerkerei  im  engeren  Sinne  des  Wortes,  das  ist 
der  sogenannten  Lustfeuerwerkerei,  von  der  im  Folgenden  gebandelt 
werden  soil. 

Die  meisten  und  schonsten  Erfindungen  im  Gebiete  der  Feuerwerkerei 
verdankt  man  dem  beriihmten  Ruggieri  und  seinem  Sohne,  die  in  Rom,  Paris 
und  den  meisten  iibrigen  Hauptstadten  von  Europa  ibre  bis  dahin  unbekannte, 
durch  sie  eigentlich  begriindete  Kunst  der  Ausfiibrung  brillanter  Feuerwerke 
producirten,  und  deren  Erfabrungen  in  dem  1821  zu  Paris  erschienenen  Werke 
„ Elements  de  pyrotechnic  par  Ruggieri"  niedergelegt  sind. 

Die  Hauptmaterialien  zu  fast  alien  Feuerwerksmischungen  sind  die  Bestand- 
theile  des  Schiesspulvers :  Salpeter,  Kohle  und  Sckwefel;  ausser  diesen  dienen 
aber  nocb  mancberlei  Nebenruaterialien,  als  Feilspane  von  Eisen,  Stahl,  Kupfer, 
Zink,  dann  Schwefelruetalle,  ferner  die  verschiedensten  Salze,  meist  solche,  welche 
die  Fahigkeit  haben,  den  Flammen  bestimmte  Farbungen  zu  ertheilen,  endlicli 
aucb  Campher,  Harze,  Lycopodium  etc.  Schiesspulver  selbst  wird  sehr  haufig, 
und  zwar  zum  Tbeil  gekornt,  zum  Tbeil  ungekornt,  als  Mehlpulver,  angewandt; 
durch  Beimiscbung  bestimmter  anderer  Stofie  erzielt  man  besondere  Effecte.  So  liefern 
Eisenspane,  besonders  wenn  sie  rechtlang,  aber  fein  sind  (Lyoner  Faden),  spruhende 
rothe  und  weisse  Funken.  Feil-  und  Bohrspane  von  Stahl  und  Gusseisen  geben 
ein  glanzendes,  heftig  spriihendes  Feuer.  Alle  dergleichen  Spane  miissen,  wenn 
sie  die  verlangte  Wirkung  machen  sollen,  ganz  rostfrei  sein.  Ein  Zusatz  von 
Kupferspanen  bedingt  eine  griine,  von  Zinkspanen  eine  sehr  schon  griinlieh  blaue 
Farbung  des  Feuers.  Schwefelantimon  wirkt  ahnlich  wie  Zink,  das  Blau  ist  nocb 
weniger  griinlieh,  das  Feuer  sehr  stark  rauchend.  Bernstein  und  Colophonium,  so  auch 
Kochsalz  farben  die  Flamme  rothgelb  oder  gelb,  das  letztere  muss  aber,  um  die  Ver- 
brennung  nicht  zu  hindern,  sehr  trocken  angewandt  werden.  Lampen-  oder  Kienruss, 
mit  Mehlpulver  gemengt,  erzeugt  ein  dunkelrothes,  mit  Salpeter  zusammengerieben, 
ein  hellrothes  Feuer.  Man  bedient  sich  eines  solclien  Satzes  zum  Goldregen. 
Auch  gelber  Glimmer  wird  wohl  zugesetzt  und  bewirkt  recht  hiibsche  goldgelbe 
Funken.  Durch  Griinspau  entsteht  Hellgriin,  durch  Eisenvitriol  und  Salmiak  ein 
lichtes  Palmgriin.  Campher  bringt  ein  weisses  Licht  hervor,  und  wird  auch 
wohl  des  Geruches  wegen  zugesetzt.  Zu  demselben  Zweck  dienen  auch  Benzoe 
und  Storax.  Durch  Zusatz  von  Lycopodium  entsteht  eine  schon  rosenrothe 
Flamme. 

Man  kann  die  verschiedenen  Feuerwerkskorper  in  3  Hauptclassen  eintheilen : 
1.  in  solche,  die  ibre  Wirkung  auf  der  Erde  zu  machen  bestimmt  sind,  2.  solche, 
die  in  hoheren  Luftschichten  abbrennen  sollen,  und  3.  solche,  die  auf  dem  Wasser 
abgebrannt  werden  sollen. 

Fast  alle  Feuerwerkskorper  bestehen  aus  einer  papiernen  oder  pappenen 
Hiilse  von  bestimmter  Form,  in  welche  die  geeignete  brennbare  Mischung  (der 
Feuerwerkssatz)  eingefiillt  ist.  Die  Hiilsen  werden  auf  einem  cylindrischen  Stabe 
von  angemessenem  Durchmesser  aus  starkera  Papier  oder  diinner  Pappe,  in 
mehreren  Windungen    iibereinander    geleimt,    angefertigt.     Nicht    selten    wird    das 


Feuerwerkerei  (Feststehende  Feuerwerkskorper).  465 

zur  Verfertigung  solcher  Hiilsen  dienende  Papier  vorher  mit  einer  Alaunlbsung 
getrankt,  urn  es  vor  dem  Anbrennen  zu  schiitzen.  Das  eine  Ende  wird  in  der 
Regel  dadnrch  fest  verschlossen,  dass  man  es  mittelst  eines  umgewundenen  starken 
Bindfadens,  auch  wohl  mittelst  einer  besonderen  Vorriclitung  stark  zusammen- 
schniirt  (wiirgt)  und  in  die  etwa  noch  vorhandene  kleine  Oeffnung  einen  papiernen 
oder  tkbnernen  Propf  eintreibt.  Bei  Stiicken,  wo  sich  nach  dem  Ausbrennen  des 
Satzes  die  Entziindung  auf  einen  anderen  Theil  fortpflanzen  soil,  lasst  man  den 
kleinen  Pfropf  weg,  und  verbindet  das  hintere  Ende  der  einen  Hulse  mit  dem 
vorderen  der  anderen  durch  eine  Ziindschnw  oder  eine  Brandrbhre.  Auch  die 
vorderen  Enden  werden  nach  dem  Einfiillen  des  Satzes  gewohnlich  zugewtirgt 
und  die  so  entstehende  bedeutende  Verengung  nothigt  den  Feuerstrahl  mit 
grosser  Heftigkeit  hervorzuspriihen.  Nur  da,  wo  eine  ruhige,  gerauschlose  Flamme 
verlangt  wird,  lasst  man  die  Miindung  der  Hiilsen  ihrer  ganzen  Weite  nach  off  en. 

Der  Satz,  dessen  Zusammensetzung  je  nach  den  verschiedenen  Zwecken 
sehr  verschieden  sein  kann,  wird  meistentheils,  um  das  allzu  rasche  Abbrennen 
zu  mildern,  durch  vorsichtiges  Schlagen  stark  verdichtet,  was  zugleich  den  Vor- 
theil  gewahrt,  dass  eine  Hulse  von  bestimmter  Grbsse  eine  weit  grossere  Menge 
des  Satzes  aufzunehmen  vermag,  als  ohne  Verdichtung  desselben  moglich  ware. 

Im  Folgenden  geben  wir  eine  kurze  Beschreibung  der  hauptsachlichsten 
Feuerwerkskorper  und  ihrer  Herstellungsart. 

1.  Feststehende  Feuerwerkskorper.  Hierher  gehbren  zunachst  als 
einfachste  Form  die  Brander,  d.  s.  einfache,  mit  irgend  einem  Brandsatze 
gefiillte  und  an  dem  vorderen  Ende  gewiirgte  Hiilsen,  die  einen  lebhaften  Feuer- 
strahl auswerfen.  Der  gewohnlichste  Satz  fur  Brander  von  nicht  iiber  2cm  Durch- 
messer  ist:  16  Mehlpulver,  3  Kohle;  fur  grossere:  16  Mehlpulver,  4  Stahlfeil- 
spane.  Durch  Zusatz  von  Kupferfeilspanen  erhalt  man  griine,  durch  Zinkfeilspane 
blaugrune  Funken.  Das  chinesische  Feuer,  das  mit  prachtvollen  blumen- 
ahnlichen  Funken  (Jasminbliithen  genannt)  brennt,  wird  fiir  Brander  unter  2cm  aus 
16  Mehlpulver,  8  Salpeter,  3  feinem  Kohlenpulver,  3  Schwefel  und  10  feinen 
Gusseisenbohrspanen  5  fiir  grossere  Brander  aus  16  Mehlpulver,  12  Salpeter,  3 
Kohle,  3  Schwefel  und  12  groben  Gusseisenspanen  zusammengesetzt.  Durch 
Verbindung  mehrerer  Brander  entstehen  die  feststehenden  Sonnen,  indem 
eine  Anzahl  von  Brandern  in  der  Richtung  der  Radien  eines  Kreises  oder  der 
Speichen  eines  Rades  verbunden  und  zu  gleicher  Zeit  in  Brand  gesetzt  wird. 
Wenn,  wie  in  dem  vorliegenden  Falle,  mehrere,  oft  sehr  viele  Stiicke  gleichzeitig 
entziindet  werden  miissen,  so  geschieht  dies  mittelst  der  Ludelfaden  oder 
St  op  in  en  (etoupille  —  quickmatch),  d.  s.  mit  Pulver  versetzte,  in  eine  diiune 
papierne  Rbhre  eingeschlossene  baumwollene  Dochte.  Aus  solchen  Stopinen, 
deren  jede  die  Lange  eines  Papierbogens  oder  auch  mehrerer  Bogen  haben  kann, 
und  deren  Hiilsen  man  absichtlich  an  dem  einen  EncU?  ein  wenig  weiter  macht, 
als  an  dem  anderen,  um  bequem  das  dunnere  Ende  der  einen  in  das  weitere 
der  nachsten  einstecken  zu  kbnnen,  bildet  man  dann  eine  vollstandige  Leitung 
nach  alien  zu  entziindenden  Punkten.  Auch  kann  man  sich  zum  gleichen  Zwecke 
der  gegenwartig  fabriksmassig  dargestellten  Ziindschniire  oder  aus  Schiess- 
baumwolle  gefertigter  und  mit  einer  Lbsung  von  Salpeter  getrankter  Schnilre 
bedienen. 

Unter  Glorien  versteht  man  ahnliche  Zusammenstellungen,  wobei  die 
Miindungen  der  Brander  nicht  in  einem  einfachen  Kreise,  sondern  in  dreieckigen, 
sternfbrmigen  oder  anderen  Figuren  angeordnet  sind,  und  die  oft  selbst  mehrere 
Reihen  von  Brandern  enthalten. 

Der  Facher  besteht  aus  mehreren,  etwa  5  oder  7,  als  Radien  eines 
Viertel-  oder  Halbkreises  verbundenen  Brandern.  Drei  Brander  bilden  den  soge- 
nannten  Gansefuss. 

M  o  s  a  i  k  entsteht,  wenn  mehrere,  nicht  zu  weit,  etwa  3  Fuss  von  einander 
entfernte  Pfahle  auf  die  Art  mit  Brandern  besetzt  werden,  dass  sich  beim  Brennen 
allemal    vier  Feuerstrahlen   in    einem  Pnnkte    vereinigen    oder    kreuzen,    wodurch 

Kaimarscb  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.    Bd.  III.  30 


466  Feuerwerkerei  (Feststehende  Feuerwerkskorper). 

bei  einer  bedeutenden  Anzahl  solcher  sich  kreuzender  Feuerstrahlen  eine  mosaik- 
ahnliche  Erscheinung  erzielt  werden  kann. 

Cascaden  werden  durch  eine  Anzahl  horizontal  neben  einander  liegender 
Brander  nachgeahmt.  Am  besten  eignet  sich  hierzu  chinesisches  Feuer.  Auf 
gleiche  Art,  nur  dass  die  Brander  nach  abwarts  geneigt  sind,  entsteht  der 
Goldregen. 

Fixsterne.  Hierzu  dienen  Brander  von  besonderer  Einrichtung.  Zu  ihrer 
Herstellung  werden  die  Branderhitlsen  an  beiden  Enden  geschlossen,  dagegen 
aber  bohrt  man  in  der  Nahe  des  einen  Endes  und  zwar  in  einer  und  derselben 
Durchschnittsebene  ftinf  Locher  durch  die  Hiilse,  welche,  wenn  der  Brander  in 
horizontaler  Lage  in  der  Richtung  seiner  Acbse  betrachtet  wird,  beim  Brennen 
einen  aus  ftinf  divergirenden  Feuerstrahlen  bestehenden  Stern  darstellen. 

Zweckmassige  Satze  zu  solchen  Sternen  sind: 

Gewohnlicher 

Salpeter 16     .... 

Schwefel 4    .    .    .    . 

Mehlpulver      ....       4     .    .    .    . 
Schwefelantimon      .    .       2     .    .    . 


illerer 

farbiger  Satz 

12     .    . 

....     — 

6     .    . 

.    .    .    .       6 

12     .    . 

....     16 

1     .    . 

....       2 

Die  sogenannten  bengalischen  Flammen  oder  Theaterfeuer  sind 
bunte  Feuersatze,  welche  entweder  in  Papierhtilsen,  die  nicht  gewiirgt  werden, 
geschlagen  sind,  oder  in  Blechbtichsen  von  6 — 10cm  Hohe  und  3 — 6cm  Durch- 
messer,  wohl  auch  in  kleine  Thontiegel  eingestampft  und  nach  dem  vSlligen 
Trocknen  angeziindet  werden.  Zu  ihrer  Herstellung  verwendet  man  die  ver- 
schiedensten  Mischungen,  fur  welche  unten  passende  Vorschriften  angefuhrt 
werden  sollen. 

Brandchen  sind  diinne,  oft  aber  ziemlich  lange,  mit  einem  Brandsatze 
gefiillte  Hiilsen  aus  vierfachem  Papier,  von  welchem  aber  nur  die  ausserste  Lage 
geklebt  wird,  weil  die  Hiilse,  urn  das  ruhige  sanfte  Fortbrennen  des  Satzes 
nicht  in  ein  heftiges  Spriihen  zu  verwandeln,  gleichzeitig  mit  dem  Satze  verbrennen 
soil,  hieran  aber  durcli  zu  viel  Leim  oder  Kleister  gehindert  werden  wiirde.  Sie 
werden  aus  demselben  Grunde  auch  an  der  Mundung  nicht  verengt,  sondern  ganz 
offen  gelassen.  Solche  Brandchen  dienen  zur  Hervorbringung  von  Namensztigen 
und  anderen  Decorationen,  als  Tempeln  u.  dgl.,  die  gewohnlich  den  Schluss 
eines  Feuerwerkes  bilden.  Zu  diesem  Zweck  muss  ein  Rahmen  oder  Geriist  in 
der  Gestalt  der  geplanten  Decoration  vorhanden  sein,  an  welchem  die  Brandchen 
befestigt  und  durch  Stopinen  in  Verbindung  gesetzt  werden,  so  dass  sie  sich 
gleichzeitig  entziinden.  Gewohnlich  bekommen  diese  Brandchen  verschiedenfarbige 
Satze,  wobei  dann  der  Feuerwerker  die  Vorsicht  nicht  ausser  Augen  lassen  darf, 
die  mit  rasch  brennenden  Satzen  gefiillten  Brandchen  verhaltnissmassig  langer  zu 
machen,  ale  die  mit  langsam  brennenden,  weil  die  kunstgerechte  Ausfiihrung  der 
Decorationen  nicht  nur  die  gleichzeitige  Entziindung,  sondern  auch  ein  moglichst 
gleichzeitiges  Vrerloschen  sammtlicher  Lichter  erheischt.  Una  die  Brandchen  sicher 
zur  Entziindung  zu  bringen,  bohrt  man  etwa  zwei  Linien  vom  vorderen  Ende 
mit  einer  Pfrieme  ein  Loch  quer  hindurch,  ura  die  Verbindungsstopine,  die  an 
dieser  Stelle  bloss  liegen  und  den  Satz  des  Brandchens  beruhren  muss,  mit 
einem  durch  das  Loch  gesteckten  Faden  befestigen  zu  kbnnen.  Fiir  derlei 
farbige  Brandchen  empfohlene  Brandsatze  finden  sich  unten  angefuhrt. 

Hierher  gehoren  auch  die  fiir Zimmerfeuerwerke  verwendbaren  japanischen 
Stern-  oder  Blitz- A  eh  r  en,  das  sind  etwa  stricknadeldicke,  am  vorderen 
Ende  ahrenformig  verdickte  Brandchen,  welche  aus  feinem  Seidenpapier  gefertigt 
und  mit  etwa  0-04  Grin,  einer  Mischung  von  3-75  Thl.  Salpeter,  1-5  Thl.  Schwe- 
fel und  1  Thl.  Holzkohlenpulver,  oder  nach  anderen  Angaben  3  Salpeter,  6 
Schwefel  und  4  Holzkohle,  oder  15  Salpeter,  8  Schwefel  und  3  Russ,  oder  7 
Salpeter,  4  Schwefel  und  2  Lindenkohle  (vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  175  pag.  481 
und  189  pag.  87)  gefiillt  sind.  Man  schneidet  zu  ihrer  Herstellung  feines  Seiden- 


Feuerwerkerei  (Feuerwerkskorper  rait  drehender  Bewegung).  407 

papier  in  keilformige,  am  breiteren  Ende  etwa  3cr"  breite,  ira  Ganzen  9 — 10 "''■' 
lange  Streifchen  und  wickelt  die  etwa  0*04  Grm.  betragende  Menge  des  Satzes 
so  in  den  Streifen  ein,  dass  die  grosste  Menge  desselben  vom  breiten  Ende 
eingeschlossen  wird.  Beim  Anziinden  an  dem  verdickten  Ende  brennen  die.se 
Aehrchen  anfangs  mit  einer  ruhigen,  kaum  leuchtenden,  kleinen  Flainme,  bald 
aber  beginnt  sich  an  dem  brenneden  Ende  ein  rothgliihendes  Kiigelchen  zu 
bilden,  aus  welchem  bei  fortschreitender  Verbrennung  ausserst  zarte  glanzende 
Fnnken  blitzartig  hervorbrechen  und  eine  prachtige  Erscheinung  gewShren. 

Auch  die  japanischen  Ziindstabchen  liefern  eine  ahnliche  Erschei- 
nung. Man  erhalt  sie,  wenn  man  26  —  30  Thl.  Mehlpulver,  11  Schwefel  und  5 
Lampenruss  mit  Weingeist  zu  einem  steifen  Brei  anknetet,  aus  diesem  kleine, 
etwa  lcm  grosse  Wiirfel  schneidet  und  trocknen  lasst.  Zwangt  man  ein  solches 
Wiirfelchen  in  ein  gespaltenes  Holzstabchen  ein,  und  brennt  es  an  dem  nach 
unten  gehaltenen  Satbchen  ab,  so  bildet  sich  alsbald  eine  feurige  Kugel,  aus 
welcher  gleichfalls  blitzartige  Funken  hervorspriihen  (vgl.  d.  Ind.  Zeitg.  1865 
pag.  48). 

2.  Feuerwerkskorper  mit  drehender  Bewegung.  Die  Bewegung 
der  meisten  Feuerwerksstiicke  beruht  auf  dem  Riickdruck,  den  die  gasformigen 
Verbrennungsproducte  des  Feuerwerkssatzes  beim  Ausstromen  aus  einer  Oeffnung 
bedingen.  Befinden  sich  namlich  in  einem  verschlossenen  Gefasse  stark  verdichtete 
Gase,  die  also  gegen  die  Wande  des  Gefasses  einen  starken  Druck  ausiiben,  so 
bleibt  nichts  desto  weniger  Alles  im  volligen  Gleicbgewichtszustande,  weil  einem 
jeden  Theile  der  Wand,  der  einen  bestimmten  Druck  erleidet,  eine  gleich  grosse 
Flache  gegeniibersteht,  die  sich  unter  genau  demselben  Druck  befindet.  Entstande 
nun  plotzlich  eine  Oeffnung  in  dem  Gefasse,  so  wiirde  beim  Ausstromen  des 
Gases  der  Druck  in  der  Oberfiache  des  Loches  nicht  mehr  zur  Wirkung  kommen 
(weil  hier  keine  Wand  dem  Drucke  Widerstand  leistet),  wahrend  die  gegenuber- 
stehende  Wand  nach  wie  vor  dem  Druck  unterworfen  bleibt,  daher  denn  also 
nach  dieser  letzteren  Seite  hin,  d.  i.  in  der  dem  Loche  entgegengesetzten 
Richtung  ein  tiberwiegender  Druck  sich  geltend  machen  muss,  der  eine  Bewe- 
gung in  der  der  Ausstromungsrichtung  entgegengesetzten  Richtung  bedingen  kann. 
Dieses  Verhaltniss  tritt  nun  immer  ein,  wenn  Feuerwerkshiilsen,  welche  mit  Satzen 
gefiillt  sind,  die  reichliche  Mengen  von  Verbrennungsgasen  entwickeln  (Treib- 
satze),  so  angebracht  werden,  dass  sie  in  Folge  eines  solchen,  beim  Abbrennen 
zur  Geltung  kommenden  einseitigen  Druckes,  eine  Bewegung  erfahren  konnen, 
wobei  der  der  bewegten  Hiilse  entstromende  Feuerstrahl  die  Spur  der  Bahn 
kennzeichnet,  welche  von  der  Ausstromungsoffnung  zuriickgelegt  wurde  und  so 
feurige  Bewegungsfiguren  beschreibt,  welche  in  mannigfacher  Weise  combinirt  und 
zur  Erzielung  prachtiger  Effecte  benutzt  werden  konnen. 

Die  einfachste  Art  derartiger  beweglicher  Feuerwerkskorper  sind  die  Feuer- 
r  a  d  e  r ,  welche  im  Kleinen  durch  spiralformiges  Aufrollen  einer  mit  Satz 
gefullten  Papierhiilse  um  eine  kleine  holzerne  Scheibe,  die  beim  Gebrauch 
mittelst  eines  Stiftes  und  um  denselben  drehbar  an  einen  Pfahl  befestigt  werden 
kann,  hergestellt  werden.  Im  grosseren  Massstabe  werden  die  Feuerrader  fast 
stets  aus  drei  oder  auch  mehreren  einzelnen  Brandern  angefertigt,  die  an  der 
Peripherie  eines  dreieckigen  oder  polygonalen,  um  seinen  Mittelpunkt  drehbaren 
Brettchens  so  befestigt  sind,  dass  ihre  Achsen  den  Seiten  des  Polygons  parallel 
laufen,  und  auf  solche  Weise  mit  einander  in  Verbindung  gesetzt  werden,  dass 
der  erste,  nach  dem  volligen  Ausbrennen,  den  zweiten,  dieser  den  dritten  u.  s.  w. 
entziindet,  so  dass  jeder  Zeit  nur  ein  Brander  in  Thatigkeit  ist.  Der  Satz  zu  den 
Feuerradern  kann  begreifiicher  Weise  die  verschiedensten  farbigen  Feuermischungen 
enthalten,  darf  aber  nicht  zu  stark  verdichtet  werden,  um  die  nothige  Kraft  zum 
raschen  Umtreiben  des  Ganzen  zu  entwickeln;  ein  Grundsatz,  der  bei  alien 
Stiicken  Anwendung  findet,  die  in  eine  lebhafte  Bewegung  versetzt  werden  sollen. 
Gewohnlich  niramt  man  zu  Feuerradern  einen  stark  funkenspriihenden  Satz. 
So  z.  B.  fiir  einen  Durchmesser  der  Brander  unter  2cm:  16  Mehlpulver,  3  grbblieh 

30* 


468  Feuerwerkerei  (Feuerwerkskorper  mit  geradliniger  Bewegung). 

zerriebene  Kohle;  fur  grossere  Durchmesser  20  Pulver  imd  4  Kohle;  zn  stark 
spriihendem  Feuer  16  Pulver  imd  2 — 3  gelben  glimmerhaltigen  Sand;  oder  16 
Pulver,  1  gestossene  Steinkohle,  1 — 2  gelben  Sand. 

Doppelte  Feuerrader  werden  aus  zwei  sich  auf  derselben  Achse  in 
entgegengesetzter  Richtung  drehenden  Feuerradern  zusammengesetzt. 

Capricen,  ebenfalls  aus  einer  Combination  mehrerer  Brander  bestehend, 
drehen  sich  in  honzontaler  Richtung  abwechselnd  bald  rechts,  bald  links,  was 
sich  sehr  leicht  durch  entsprechende  Anordnung  der  Ausstromungsbffnungen  der 
einzelnen,  nach  einander  zur  Wirkung  kommenden  Brander  erreichen  lasst. 

Etwas  complicirter  ist  die  Herstellung  der  Spiral  en.  Diese  erfordern  ein 
aus  mehreren  Staben  construirtes,  mbglichst  leichtes,  kegelformiges  Geriist,  das 
mit  der  Spitze  auf  einen  verticalen  Pfahl  gehangt  wird  und  sich  in  horizontaler 
Richtung  um  denselben  dreht.  Die  untere  ringfdrmige  Basis  ist  mit  einer  Anzahl 
horizontaler  Brander  ausgestattet,  welche  den  Apparat  in  Drehung  setzen,  wahrend 
eine  spiralfbrmig  sich  bis  zur  Spitze  des  Kegels  hinaufschlangelnde  Reihe  nahe 
zusammenstehender  verticaler  Brandchen  sich  zu  gleicher  Zeit  entziindet.  Dass 
besonders  bei  diesem  Stiicke  verschiedenfarbige  Satze  eine  ausgezeichnet  schbne 
Wirkung  machen,  ist  leicht  zu  begreifen. 

Eines  der  eflPectvollsten  Feuerwerksstiicke  ist  die  vonRuggieri  angegebene 
Schlange,  welches  den  Eindruck  einer  feurigen  Schlange  niacht,  die  in  raschen 
Windungen  einen  vor  ihr  fliegenden  Schmetterling  verfolgt.  Zu  diesem  Stuck  ist 
eine  eigene  mechanische  Vorrichtung  erforderlich.  An  den  Ecken  eines  grossen 
achteckigen  Gerilstes  oder  Rahmens  sind  grosse  Rader  angebracht,  die  sich 
sammtlich  in  einer  Verticalebene  drehen.  Um  diese  Rader  oder  Rollen  schlingt 
sich  ein  endloses  Band  in  der  Art,  dass  es  erst  uber  die  Aussenseite  eines 
Rades,  dann  iiber  die  dem  Centrum  des  Achteckes  zugewandte  innere  Seite  des 
nachsten,  von  diesem  wieder  iiber  die  aussere  Seite  des  dritten  u.  s.  w.  fortlauft, 
mithin  eine  schlangenformige,  in  sich  zuriicklaufende  Curve  beschreibt.  Das  Band 
ist  ganz  nach  Art  einer  Uhrkette,  natiirlich  in  grossem  Massstabe,  ausgefiihrt  und 
tragt  in  einem  Theile  seiner  Lange  verticale  Plattchen  oder  Schilder,  die  sich 
dicht  an  einander  anschliessen,  und  in  ih'rer  schlangenformigen  Windung  die 
Gestalt  einer  Schlange  nachahmen.  In  einiger  Entfernung  von  denselben  tragt 
ein  Kettenglied  die  den  Schmetterling  darstellende  Platte.  Indem  nun  die  Schlange 
mit  bunten,  der  Schmetterling  mit  weissen  Brandchen  besetzt  in  Bewegung 
gebracht  wird,  wahrend  der  Zuschauer  in  der  Dunkelheit  der  Nacht  von  dem 
mit  schwarzer  Farbe  angestrichenen  Mechanismus  keine  Spur  bemerkt,  entwickelt 
sich  ein  ausserst  eflfectvolles  Schauspiel.  Ruggieri  liess  dieses  Stuck  gewohn- 
lich  ohne  menschliche  Beihilfe  durch  das  Abbrennen  anderer  Feuerwerksstiicke 
sich  entziinden,  so  dass  es  aus  einem  Flammenmeer  sich  selbst  zu  entwickeln 
schien.  Die  Drehung  des  Apparates  bewirkte  er  dadurch,  dass  eines  der  Rader 
durch  ein  vorher  aufgezogenes  Gewicht  angetrieben  wurde.  Er  nannte  dieses 
Feuerwerkssttick  auch  Salamander. 

3.    Feuerwerkskorper  mit  geradliniger  Bewegung. 

Zu  diesen  gehoren  vor  alien  anderen  die  Rake  ten  (fusee  volante,  raquette 
—  sky-rocket),  die,  so  allbekannt  und  gebrauchlich  sie  sein  mogen,  dennoch 
immer  eines  der  schonsten  und  interessantesten  Stiicke  ausmachen  und  bei  den 
kleinsten,  wie  bei  den  grbssten  Feuerwerken  nicht  fehlen  diirfen.  Besonders  in 
grbsserer  Menge  zugleich  abgebrannt,  gewahren  sie  ein  iiberraschend  schbnes 
Schauspiel,  das  haufig  als  Schlussstiick  und  Hbhepunkt  grosser  Feuerwerke  benutzt 
wird.  Man  u  terschcidet  Girandolen  und  Pfauensch weife,  erstere,  wenn 
sammtliche  Raketen  vertical,  also  im  Allgemeinen  parallel  unter  einander;  letztere, 
wenn    sie    in    divergirender  Richtung,  also    nach  oben  sich  ausbreitend  aufsteigen. 

Die  Verfertigung  der  Raketen  erfordert  viele  Sorgfalt  und  genaue  Beob- 
achtung  mehrfacher  Regeln,  die  besonders  dahin  abzielen,  eine  sehr  gleichmassige 


Feuerwerkerei  (Feuerwerkskorper  mit  geradliniger  Bewegung).  469 

Lacking  unci  Verdichtung  des  Satzes  zu  erzielen,  daher  auch  nur  bei  Beachtung 
aller  Riicksicbten  und  entsprechender  Uebung  die  Herstellung  gut  steigender 
Raketen  gelingt. 

Die  Hiilse  der  Rakete  muss  aus  sehr  festem  Material  angefertigt  werden, 
urn,  ohne  zu  grosses  Gewicht  zu  besitzen,  dem  starken  inneren  Druck  der  Feuer- 
gase  des  Treibsatzes  zu  widerstehen.  Hinsichtlich  der  Ladung  weicht  die  Rakete 
von  alien  anderen  Feuerwerkskorpern  darin  ab,  dass  in  ihrer  Mitte  der  Lange 
nach,  von  der  Miindung  bis  nahe  an  das  entgegengesetzte  Ende  eine  Hohlung 
(Seele)  gelassen  wird,  die  den  Zweck  hat,  dass  sich  der  Satz  zu  gleicher  Zeit 
der  ganzen  Lange  nacb  entziinde,  und  sohin  durch  eine  reicbliche  Entwicklung 
von  Feuergasen  die  erforderliche  Triebkraft  entwickle.  Die  Kraft  eines  gewohn- 
lichen  Branders,  dessen  Ladung  sich  vorn  entziindet  und  gleichzeitig  nur  in  der 
kleinen  kreisformigen  Durchschnittsflache  brennt,  reicht  zwar  zum  Treiben  eines 
Feuerrades  und  ahnlicher  Apparate  bin,  wiirde  aber  fur  eine  Rakete  viel  zu 
unbedeutend  sein,  wogegen  die  hohle,  sich  der  ganzen  Lange  nach  von  der 
Achse  aus  entziindende  Raketenladung  eine  sehr  grosse,  aber  auch  nur  kurze  Zeit 
andauernde  Triebkraft  entwickelt.  Die  Hohlung  kann  entweder,  wie  dies  frUher  allge- 
mein  geschah  und  auch  jetzt  noch  haufig  geschieht,  dadurch  erhalten  werden,  dass 
man  den  Satz  iiber  einem  Dorn  mittelst  hohler  Stempel  einstampft,  oder  dadurch, 
dass  man  in  eine  massive  Ladung  nachtraglich  auf  der  Drehbank  ein  Loch  ein- 
bohrt,  ein  Verfahren,  welches  jetzt  ziemlich  allgemein  in  Verwendung  ist,  da  man 
massive  Ladungen  viel  leichtergleichmassig  verdichten  kann,  als  solche,  die  iiber 
einen  Dorn  geschlagen  worden. 

Diese  Hohlung  darf  das  vordere  Ende  der  Rakete  nicht  erreichen,  sondern 
lasst  ein  massives  Stuck  der  Ladung  (die  Zehrung)  ubrig,  welche  nach  dem 
Abbrennen  die  Entziindung  auf  die  Versetzung,  d.  h.  die  zum  Auswerfen 
bestimmten  Leuchtkugeln,  Schwarmer  oder  dergleichen  iibertragt.  Die  Versetzung, 
die  oft  nur  aus  einem  einfachen  Schlage  (s.  u.)  besteht,  befindet  sich  an  dem  vor- 
deren,  beim  Steigen  also  oberen  Ende  der  Rakete  in  der  Kappe,  einem  in  eine 
Spitze  auslaufenden  kegelformigen  Aufsatze  aus  diinnem  Kartenpapier,  dessen 
Durchmesser  bei  starken  Versetzungen  den  der  Rakete  oft  bedeutend  tiber- 
treffen  kann. 

Als  zweckmassiger  Satz  zur  Raketenfiillung  (Treibsatz)  empfiehlt  sich 
folgende  Mischung: 

Mehlpulver 8 

Grobes  Kohlenpulver 3 

oder: 

Salpeter   j   fein  pul-        16 

Schwefel  i   verisirt      4 

Grobes  Kohlenpulver 9 

Der  preussische  Kriegsraketensatz  besteht  aus  32  Salpeter,  12  Schwefel, 
32  Mehlpulver  und  16  Holzkohle  (von  hartem  Holze).  In  Frankreich  hatte  man 
eine  Mischung  von  21-1  Salpeter,  4-3  Schwefel  und  12  Holzkohle  in  Ver- 
wendung. 

Beim  Laden  muss  sich  die  Hiilse  in  einer  genau  anschliessenden,  aus  zwei 
Halften  zusammengesetzten  kupfernen  Form  befinden,  weil  sie  sonst  bei  dem 
gewaltsamen  Eintreiben  des  Satzes  zerplatzen  wiirde.  Ueber  dem  Satze  wird 
eine  durchbohrte  Scheibe  (Schlagscheibe)  angebracht,  auf  welcher  die  V  e  r  s  e  tz  u  n  g, 
das  ist  der  nach  dem  Aufsteigen  der  Rakete  zum  Abbrennen  kommende  Feuer- 
werkssatz  angebracht  wird.  Ist  die  Rakete  fertig  geschlagen,  gebohrt,  mit  der 
Versetzung  versehen,  und  mit  der  den  Kopf  bildenden  Kappe,  die  wesenflich  den 
Zweck  hat,  den  Widerstand,  den  die  Luft  der  aufsteigenden  Rakete  entgegensetzt, 
leichter  uberwinden  zu  lassen,  geschlossen,  so  bringt  man  einen  Ludelfaden  der 
ganzen  Lange    nach    in    die  Seele    ein,  und    versieht    schliesslich  die  Rakete  mit 


470 


Feuerwerkerei  (Raketen). 


Fig.  1633. 


1635. 


einem  pyramidenformigen  Stabe  von  Weiden-  oder  Tannenholz,  d.  i.  dem  Raket en- 
stab  oder  der  Ruthe  (panaceau  —  rocket  stick),  welclier  den  Aufstieg  der  Rakete 
zu  regeln  bestimmt  ist.  Die  Lange  dieses  Stabes,  welcher  genau  parallel  der 
Langsachse  der  Rakete  an  dieser  befestigt  wird,  muss  fur  lpfiindige  Raketen*) 
2-66  m,  fur  ^pfiindige  2*35m  betragen.  Das  Anbinden  der  Ruthe  muss  so  vor- 
genommen  werden,  dass  der  Schwerpunkt  der  mit  dem  Stabe  armirten  Rakete 
etwa  lcm  unter  die  Raketenmiindung  fallt.  Zum  Abbrennen  der  Raketen  wird 
ein  etwa  4m  hoher  Pfahl  moglichst  fest  (mindestens  i/qm  tief)  in  die  Erde 
eingerammt,  oben  an  der  Seite  desselben  ein  langer  Nagel  eingeschlagen,  an 
welchem  die  Rakete  mit  einem  schwachen  Faden  aufgehs'ingt  wird,  wahrend 
unten  zwei  kleine  Nagel  neben  einander  eingeschlagen  werden,  zwischen  welchen 
das  Stabende  der  mit  der  Mundung  nach  abwarts  hangenden  Rakete  ruht; 
hierauf  wird  die  Stopine  mittelst  einer  langen  Ziindstange  in  Brand  gesetzt  und 
so  der  Satz  entziindet. 

Die  Versetzung  oder  G-arnitur 
der  Raketen  kann  mehrerlei  Art 
sein ;  die  gewohnlichen  sind  folgende : 
Sterne,  d.  s.  kleine  runde 
oder  wiirfelformige  Korperchen  aus 
fein  pulverisirtem  und  mit  Spiritus 
angefeuchtetem  Satz  geformt.  Zu 
weissen  Sternen  nimmt  man  16 
Salpeter,  8  Schwefel,  3  Meblpulver ; 
oder  16  Salpeter,  7  Schwefel,  4 
Pulver.  Zu  goldgelben  Sternen  16 
Salpeter,  10  Schwefel,  4  Kohle,  16 
Schiesspulver,  2  Kienruss;  oder  16 
Salpeter,  8  Schwefel,  2  Kohle,  2 
Kienruss  und  8  Schiesspulver. 

Sehr  haufig  wendet  man  auch 
Leuchtkugeln  an,  s.  u.  Oft  werden 
die  Raketen  auch  nur  mit  ein- 
fachen  Schlagen  armirt,  die  nach 
dem  Abbrennen  des  Raketensatzes 
mit  kanonenschussahnlichem  Knall 
explodiren. 

Ganz  besonders  brillante  Effecte 
geben  die  in  neuerer  Zeit  haufiger 
in  Verwendung  kommenden  Fall- 
schirmraketen,  die,  sobald  sie 
aufgestiegen  sind,  einen  Fallschirm 
mit  einem  daran  hangenden  bren- 
nenden  farbigen  Leuchtsatz  auswer- 
fen.  Da  der  sehr  langsam  sinkende 
Fallschirm  in  der  Dunkelheit  der 
Nacht  nicht  gesehen  werden  kann, 
so  macht  die  Erscheinung  den  Ein- 
druck  eines  geraume  Zeit  lang  in 
der  Hohe  schwebenden,  hellleuchten- 
den,  farbigen  Sternes.  Besonders 
schon  ist  die  Wirkung,  wenn  eine 
griissere  Zahl  soldier  Raketen  gleichzeitig  abgebrannt  wird. 


:^  Man  bezeichuet  das  Caliber  der  Raketen  nach  dem  G^wichte  einer  Eisenkugel,    welche 
den  gleicken  Durchmesser  hat  wie  die  Kakete. 


Feuerwerkerei  (Raketen).  471 

Die  Einrichtung  soldier  Fallschirmraketen  ist  aus  den  nebenstebenden  Fig. 
1633—1635  ersichtlich.  Ein  in  Fig.  1633  und  Fig.  1634  a  dargestelltes  rundes 
Brettchen  mit  einera  Ansatz,  an  welchen  eine  Hiilse  b  von  Kartenpapier  geleimt 
ist,  tragt  den  in  diese  Hiilse  festgestampften  Satz  fiir  ein  Farbenfeuer.  Der 
Fallschirm  Fig.  1634  ist  ein  rundes  Stuck  Taffet  von  0-75 — lm  Durchmesser, 
mit  einem  Loch  in  der  Mitte,  an  dessen  Rand  sechs  Faden  befestigt  sind, 
welche  durch  eben  so  viele  Locher  einer  kleinen,  zweizolligen  Pappscheibe  c 
hindurchgehen  und  mittelst  eines  einzigen  Bindfadens  die  mit  dem  Flammen- 
feuersatz  geladene  Hiilse  tragen.  Fig.  1635  zeigt  die  ganze  Rakete.  e  die 
Hiilse,  /  den  Satz,  g  die  Seele  (die  innere  Hohlung),  h  die  Zehrung,  k  eine  an 
die  Rakete  geleimte  Hiilse  von  Kartenpapier,  I  einen  holzernen  Ring,  der  um  die 
Hiilse  k,  und  um  welchen  wieder  eine  zweite,  etwas  weitere  Hiilse  m  geleimt 
ist.  In  die  Hiilse  k  wird  die  den  Flammfeuersatz  tragende  Hiilse  hineingeschoben, 
so  dass  das  Brettchen  a  auf  dem  Ring  I  aufliegt ;  die  Pappscheibe  c  kommt  dann 
dariiber  und  hierauf  der  Fallschirm  o  in  loser  Weise  zusammengefaltet.  Endlich 
wird  eine  von  Kartenpapier  gemachte  kegelformige  Kappe  n  aufgesetzt  und  durch 
einige  schmale  Papierstreifchen  leicht  befestigt.  Ist  die  Rakete  aufgestiegen  und 
die  Zehrung  zu  Ende  gebrannt,  so  theilt  sich  die  Ziindung  dem  vermittelst  etwas 
Mehlpulver  angefeuerten  Leuchtsatz  mit.  Durch  die  dabei  stattfindende  geringe 
Explosion  wird  die  Leuchthiilse  nebst  dem  Fallschirm  ausgestossen.  Letzterer 
offnet  sich  sogleich  beim  Fallen  durch  den  Widerstand  der  Luft,  besonders  wenn 
man  Sorge  getragen  hatte,  den  Fallschirm  erst  am  Tage  des  Gebrauches  in  die 
Rakete  zu  bringen,  so  dass  die  noch  ungeschwachte  Elasticitat  der  Seide  die 
Ausbreitung  befordert. 

Wahrend  die  besprochenen  Arten  von  Raketen  wesentlich  Zwecken  der 
Belustigung  zu  dienen  bestimmt  sind,  hat  man  in  neuester  Zeit  von  der  Trieb- 
kraft  der  Raketen  auch  anderweitige  Anwendung  gemacht.  So  hat  man  Raketen 
von  grosseren  Dimensionen  (5 — 8cm  Durchmesser)  dazu  angewendet  um  Rettungs- 
leinen  von  Uferstationen  aus  Schiffbriichigen  zuzufiihren  und  also  die  Verbindung 
von  Wrack  und  Strand  durch  an  derlei  Raketen  (Rettungs raketen)  befestigte 
Leinen  herzustellen.  Auch  zur  Ermbglichung  des  Abkommens  von  Rettungsboten 
vom  Strande  hat  man  die  Triebkraft  von  Raketen  (Ankerraketen)  beniitzt. 

Den  Raketen  wesentlich  nahestehend  sind  die  sog.  Leuchtkugelu  oder 
romischen  Lichter.  Bei  diesen  Feuerwerkskorpern  wird  eine  an  dem  einen  Ende 
ungewiirgte  Hiilse  abwechselnd  mit  einem  langsam  brennenden  Satze  (fauler 
Satz)  und  mit  aus  verschiedenfarbig  leuchtenden  Satzen  geformten  Cylinderchen, 
von  ahnlicher  Art  wie  die  Sterne  gefiillt  und  an  dem  ungewiirgten  Ende  entziindet. 
Man  gibt  den  Cylinderchen  an  der  Unterseite  eine  kleine  Hohlung,  die  mit  etwas 
Pulver  ausgefullt  wird,  und  setzt  sie  mit  dieser  auf  die  vorher  eingebrachte 
Schichte  faulen  Satzes  auf,  so  dass  man  zu  unterst  in  die  Hiilse  etwas  faulen  Satz 
bringt,  darauf  einen  Leuchtsatzcylinder  setzt,  der  jedoch  nur  lose  in  die  Httlse 
passt,  hierauf  clen  Zwischenraum  zwischen  Hiilse  und  Cylinder  mit  faulem  Satz 
ausfiillt  und  nun  abermals  eine  Schichte  faulen  Satz  iiber  den  C}dinder  bringt 
hierauf  abermals  einen  Cylinder  aufsetzt,  wieder  faulen  Satz  auffiillt  und  so  fort, 
bis  endlich  die  Hiilse  vollig  gefiillt  ist.  Die  oberste  Schichte  muss  fauler  Satz 
sein,  der  durch  eine  eingesetzte  Stopine  entziindet  werden  kann.  Bei  der  Entziin- 
dung  brennt  zunachst  die  oberste  Schichte  ab,  die  Ziindung  pflanzt  sich  dann 
durch  die  faule  Satzschichte  um  den  1.  Cylinder  nacli  der  unter  diesem  liegenden 
Pulverladung,  die  etwas  gedichtet  sein  muss,  fort,  und  durch  den  Druck  der  bei 
der  Verbrennung  desselben  gebildeten  Gase  wird  der  gleichzeitig  entziindete 
Cylinder  ausgeworfen,  wahrend  sich  die  Ziindung  der  unter  dem  2.  Cylinder 
liegenden  Schichte  mittheilt,  so  dass  dieser  ausgeworfen  wird  u.  s.  f.  Je  nach 
der  Wirksamkeit  der  gewahlten  Pulverladung,  der  Dicke  und  dem  Grade  der 
Dichtung  derselben  konnen  die  Cylinderchen  hoher  oder  weniger  hoch  ausgeworfen 
werden,  und  liefern,  indem  sie  im  Aufliegen  abbrennen,  die  Erscheinung  leuchtender 


472  Feuerwerkerei  (Feuerwerkssatze). 

Kugeln.  Derlei  im  grosseren  Massstabe  gefertigte  Feuerwerkskorper  liefern  die 
als  Nachtsignale  verwendeten  Bombenrohren. 

Von  anderen  theilweise  freibeweglichen  Feuerwerkskorpern  sind  zu  nennen: 
die  Serpent  os  en,  die  Schlage  und  Petarden. 

Die  Serpentosen  oder  Frosche  sind  kleine  mit  Treibsatz  gefullte Hiilsen 
aus  Kartenpapieir,  welcbe  an  beiden  Enden  zugewiirgt  und  in  der  Nahe  der 
Wiirgstellen  mit  zwei  an  entgegengesetzten  Seiten  angebrachten  Oeffnungen  ver- 
sehen  sind,  aus  welchen  die  Feuergase  entweichen,  und  so  ein  Hin-  und  Her- 
springen  der  entziindeten  Korperchen  bedingen. 

Schlage  sind  kleine  mit  Schiesspulver  gefullte  viereckige  Kastchen  aus 
Pappe,  welcbe  mit  einer  Anfeuerung  versehen,  mebrfacb  mit  Bindfaden  um- 
wunden  oder  leicht  verklebt  sind.  Sie  geben  beim  Abbrennen  je  nach  ihrer 
Grosse  einen  starken  Knall. 

Man  bringt  sie  entweder  einzeln  oder  zu  mehreren  als  Versetzung  in  Raketen 
oder  brennt  sie  auf  der  Erde  oder  zur  Erhohung  der  Scballwirkung  in  leeren 
Fassern  ab.  (Donn  er schlage.) 

Petarden  sind  kleine  mit  Schiesspulver  gefullte  Hiilsen,  die  beim  Abbrennen 
mit  einem  heftigen  Knall  zerspringen. 

Feuerwerkssatze. 

Je  nach  dem  Zwecke,  dem  ein  bestimmter  Satz  dienen  soil,  haben  die  in 
der  Feuerwerkerei  angewendeten  Mischungen  eine  wesentlich  verschiedene  Zusammen- 
setzung.  Man  unterscheidet  wesentlich  Treibsatze  (solche,  die  durch  Entwick- 
lung  von  Gasen  wirken  sollen)  und  Leuchtsatze  (die  durch  Erzeuguug  von 
hellen  Lichteffecten  wirken).  Je  nach  der  Raschheit,  mit  welch  er  die  Satze 
abbrennen,  unterscheidet  man  rasche  und  faule  Satze,  bei  Leuchtsatzen,  je 
nachdem  der  verbrennende  Satz  mehr  oder  weniger  gluhende  Theilchen  auswirft, 
oder  aber  mit  mehr  oder  weniger  ruhiger  Flamme  brennt,  Funkenfeuer-  und 
Flammfeuer satze.  Die  letzteren  beiden  werden  mitunter  vereinigt  und  liefern 
die  Z w i 1 1 e r -  oder  Doppelsatze. 

Fiir  Treibsatze  werden  vorherrschend  Schiesspulver  oder  demselben  ahnliche 
Mischungen  verwendet.  Je  nach  der  Raschheit,  mit  welcher  der  Satz  wirken 
soil,  verwendet  man  entweder,  u.  z.  fiir  rasche  Satze  gekorntes  Schiesspulver  oder 
man  bringt  das  Pulver  zur  Massigung  der  Raschheit  in  Gestalt  von  Mehlpulver 
in  Anwendung.  Durch  mehr  oder  weniger  starkes  Verdichten  des  Pulversatzes 
kann  man  die  Raschheit  der  Verbrennung  noch  weiter  reguliren  und  endlich  hat 
man  in  der  Abanderung  der  Mischungsverhaltnisse  ein  Mittel  zur  Verlangsamung 
der  Verbrennung.  Den  Mischungen,  welcbe  langsam  verbrennen  sollen,  legt  man 
gewohnlich  den  Salpeters  chwefel  zu  Grunde,  d.  i.  eine  aus  75  Thl.  Salpeter 
und  25  Thl.  Schwefel  bestehende  Mischung.  Zur  Sicherung  des  Fortbrennens 
dieser  Mischung  muss  man  jedoch  immer  wenigstens  noch  Kohle  zusetzen.  Durch 
Beimischung  von  Mehlpulver  kann  man  je  nach  der  Grosse  des  Pulverzusatzes 
eine  zunehmende  Raschheit  der  Verbrennung  erzielen.  Sehr  haufig  wird  eine 
unter  dem  Namen  grauer  Satz  bekannte  Mischung  von  93'5  Salpeterschwefel 
mit  6*5  Mehlpulver  verwendet.  Durch  Anwendung  von  Mischungen  mit  chlorsaurem 
Kali  kann  man  sehr  rasch  verbrennende  Satze  herstellen  und  dient  als  Grund- 
lage  fiir  solche  Mischungen,  der  Chlorkalisch wefel,  d.  i.  ein  Gemenge  von 
80  Thl.  chlorsaurem  Kalium  und  20  Thl.  Schwefel. 

Die  Funkenfeuersatze  bestehen  gewohnlich  aus  Gemengen  von  Mehlpulver 
mit  Kohle  oder  anderartige  Mischungen  von  Salpeter,  Schwefel  und  Kohle.  Die 
Kohle  wird  zur  Erzielung  grbsserer  Funken  zum  Theile  in  Gestalt  eines  groben 
Pulvers  augewendet.  Ausser  Kohle  wendet  man  zu  Funkenfeuersatzen  auch 
Zusatze  von  feinvertheilten  Metallen,  als  Eisenspane,  Gussstahlspane  (rostfrei) 
oder   zur  Erzielung    fa'rbiger  Funken  Kupfer-    oder  Zinkspane    an.     Kohle    liefert 


Feuerwerkerei  (Feuerwerksatze).  473 

rothliche,  Eisen  weisse,  Kupfer  grime,  Zink  blaugriine  Funken.    Satze  mit  Metall- 


zusatzen  nennt 

man    wohl 

auch 

Brillants 

it  z  e. 

Beliebte 

Funkenfeuermischu 

gen  sind : 

I 

II 

III 

IV 

V 

VI           vu 

Salpeter  .    .    . 

2     . 

16 

.    .       8     . 

.     12 

.    .     12 

.    .     12     .    .     12 

Schwefel     .    . 

.       3     . 

4 

.    .       3     . 

.       3 

.    .       1 

.    .       3     .    .       3 

Kohle  (grob)  . 

.       5     .  . 

9 

.    .       3    . 

.       3 

.    .       1 

.    .       1     .    .       1 

Mehlpulver 

.     —     . 

— 

.    .     16     . 

.     16 

.    .     — 

.    .     12     .    .     14 

Gnsseisenspane 

.     —     . 

— 

.    .     10     . 

.     12 

.    .       2 

.    .     —     .    .     — 

Kupferspane   . 

.     —     . 

— 

.    .     —     . 

.     — 

.    .     — 

.    .       6     .    .     — 

Zinkspane  .    . 

.     —     ■ 

— 

.    .     —     . 

.     — 

.    .     — 

.    .    —     .    .       5 

Fur  Flammfeuersatze  kann  entweder  der  graue  Satz  verwendet  werden,  der 
an  und  fur  sich  ein  weisses  Licbt  liefert,  oder  ein  ebenfalls  weiss  brennender 
Satz  aus  75  Salpeter,  22*5  Schwefel  und  2*5  Kohle.  Auch  das  sogenannte 
Kaltgeschmolzenzeug,  welches  aus  85-6  grauem  Satz,  29-4  Mehlpulver  und 
5  Thl.  Schwefelantimon  besteht,  liefert  einen  guten  Leuchtsatz. 

Uebrigens  wird  als  Grundlage  fur  Leuchtsatze  mit  Flammfeuer  auch  nicht 
selten  der  Chlorkalischwefel  (s.  oben)  verwendet.  Fur  farbige  Flammfeuer  ver- 
wendet man  Mischungen  von  einem  dergleichen  Leuchtsatze  mit  einem  Salze, 
welches  der  Flamme  die  gewiinschte  Farbung  zu  ertheilen  vermag,  und  variirt 
nicht  selten  die  Mischungsverhaltnisse  in  entsprechender  Weise,  wobei  jedoch  zu 
beachten  ist,  dass  ein  grosserer  Gehalt  an  Kohle  der  Flamme  stets  eine  rothliche 
Farbung  ertheilt.  Wir  geben  im  Folgenden  eine  Anzahl  bewahrter  Vorschriften 
fur  die  Herstellung  verschiedener  Feuerwerkssatze  zu  farbigen  Feuern,  welche 
namentlich  von  Web  sky  und  Char  tier,  so  wie  auchAnderen  angegeben  wurden. 

A.    Zu  Leuchtkugeln. 

Roth,  a)  Chlorsaures  Kali  12,  Salpetersaurer  Strontian  39,  Schwefel  12, 
Kienruss  2,  Schellack2;  oder  b)  Chlorsaures  Kali  10,  Salpetersaurer  Strontian  12, 
Schwefel  6,  Schwefelantimon  3 ;  oder  c)  Chlorsaures  Kali  3,  Salpetersaurer  Stron- 
tian 4,  Milchzucker  2;  oder  d)  Chlorsaures  Kali  25,  Salpetersaurer  Strontian  25, 
Milchzucker  12,  Schwefelsaures  Kupferoxyd-Ammoniak  3. 

V  i  o  1  e  1 1.  a)  Chlorsaures  Kali  9,  Salpetersaurer  Strontian  4,  Schwefel  6, 
Bergblau  1,  Calomel  1-,  Schellack  V<2 ;  oder  b)  Chlorsaures  Kali  14,  Kreide  5, 
Schwefel  6,  Calomel  4,  Schwefelkupfer  6,  Schellack   '/a- 

B  1  a  u.  a)  Chlorsaures  Kali  4,  Basisch  Chlorkupfer  1,  Milchzucker  2  ;  oder 
b)  Chlorsaures  Kali  40,  Schwefelkupfer  22,  Calomel  32,  Zucker  9,  Talg  2. 

G  e  1  b.  a)  Chlorsaures  Kali  4,  Oxalsaures  Natron  2,  Schellack  1  ;  oder 
b)  Chlorsaures  Kali  4,  Salpetersaurer  Baryt  2,  Milchzucker  2,  Doppelt  kohlens. 
Natron  1. 

Orange.  Chlorsaures  Kali  3,  Salpetersaurer  Strontian  10,  Oxalsaures 
Natron  3,  Schellack  3. 

Gr  r  ii  n.  a)  Chlorsaures  Kali  20,  Salpetersaurer  Baryt  40,  Calomel  1 3, 
Schwefel  13,  Kienruss  1,  Schellack  1  ;  oder  b)  Chlorsaurer  Baryt  24,  Calo- 
mel 9,  Schwefel  1,  Schellack  4;  oder  c)  Chlorsaurer  Baryt  3,  Milchzucker  1, 
Schellack   '/2. 

Weiss,  a)  Mehlpulver  1,  Arab.  G-ummi  '/a?  Salpeter  S,  Schwefel  3, 
Schwefelantimon  2  5  oder  b)  Salpeter  70,  Schwefel  14,  Realgar  10,  Schel- 
lack 1,  Antimonmetall  12;  oder  c)  Salpeter  9,  Schwefel  3,  Schwefelantimon  2; 
oder  d)  Chlorsaures  Kali  16,  Schwefel  8,  Schwefelantimon  1,  Salpetersaures 
Blei  16. 


474  Feuerwerkerei  (Feuerwerksatze). 

Um  aus  diesen  Satzen  Leuchtkugeln  zu  formen,  werden  sie  mit  etwas  Wein- 
geist,  der  Satz  zum  Weiss  mit  etwas  Wasser,  angefeuchtet  und  in  einer  Form  zu 
kleinen  Cylindern,  wie  oben  angegeben,  geformt. 

B.    Satze  zu  Brandern,  Lichtchen  und  Sternen. 

Roth,  a)  Chlorsaures  Kali  16,  Salpetersaurer  Strontian  24,  Lycopodium 
(Hexenmehl)  4,  Milchzucker  1;  oder  b)  Chlorsaures  Kali  15,  Salpetersaurer  Stron- 
tian 25,  Schwefel  13,  Mastix  1,  Schwefelantimon  4. 

V  i  o  1  e  1 1.  Chlorsaures  Kali  6.  Salpetersaurer  Strontian  4,  Milchzucker  3, 
Bergblau  1,  Salpeter  2,  Salmiak  1. 

B  1  a  u.  a)  Chlorsaures  Kali  8,  Bergblau  2,  Salmiak  1,  Salpeter  2,  Milch- 
zucker 4 ;  oder  b)  Chlorsaures  Kali  40,  Schwefelkupfer  22,  Calomel  32,  Zucker  9, 
Talg  2. 

Griin.  a)  Chlorsaurer  Baryt  18,  Calomel  7,  Schellack  3;  oder  b)  Chlor- 
saures Kali  3,  Salpetersaurer  Baryt  3,  Schellack  1 ;  oder  c)  Chlorsaurer  Baryt  6, 
Stearin   1. 

Weiss,  a)  Salpeter  4,  Schwefel  1,  Mehlpulver  1 ;  oder  b)  Salpeter  4, 
Schwefel  1,   Schwefelantimon  1. 

C.    Satze  zu  bengalischen  Flammen  und  Theaterfeue  r. 

Roth,  a)  Salpetersaurer  Strontian  20,  Chlorsaures  Kali  2,  Schwefel  5, 
Schwefelantimon  2,  Feine  Kohle  1 ;  oder  b)  Salpetersaurer  Strontian  24,  Chlor- 
saures   Kali    3,    Schwefel    8,    Schwefelkupfer    3,    Calomel    6,    Schellack    1 ;    oder 

c)  Salpetersaurer  Strontiau  40,    Chlorsaures  Kali  5,  Schwefel  13,   Kohle  2;    oder 

d)  Salpetersaurer  Strontian  56,  Chlorsaures  Kali  20,  Schwefel  24. 

Rosa.     Chlorsaures  Kali  61,  Schwefel  16,  Chlorcalcium  23. 
Purpurroth.     Chlorsaures  Kali  61,  Schwefel  16,  Kohlensaurer  Kalk  23. 

V  i  o  1  e  1 1.  a)  Alaun  12,  Kohlensaures  Kali  12,  Chlorsaures  Kali  60, 
Schwefel  16;  oder  b)  Alaun  16,  Kohlensaures  Kali  16,  Chlorsaures  Kali  54, 
Schwefel  14. 

B  1  a  u.  a)  Schwefelsaures  Kupferoxyd-Ammoniak  15,  Chlorsaures  Kali  28, 
Schwefel  15,  Schwefelsaures  Kali  15.  Salpeter  27;  oder  b)  Schwefelsaures  Kupfer- 
oxyd-Ammoniak 12,  Gegliihter  Alaun  12,  Chlorsaures  Kali  60,  Schwefel  16. 

G  r  ii  n.  a)  Salpetersaurer  Baryt  8,  Chlorsaures  Kali  3,  Schwefel  3 ;  oder 
b)  Salpetersaurer  Baryt  40,  Chlorsaures  Kali  4,  Calomel  10,  Schwefel  8,  Kien- 
russ  2,  Schellack  1. 

G  e  1  b.  a)  Salpetersaures  Natron  48,  Schwefel  16,  Schwefelantimon  4,  Feine 
Kohle  1;  oder  b)  Kohlensaures  Natron  23,  Schwefel  16,  Chlorsaures  Kali  61. 

Weiss,  a)  Salpeter  32,  Schwefel  10,  Schwefelantimon  3,  Ungeloschter 
Kalk  4 ;  oder  b)  Salpeter  32,  Schwefel  8,  Antimon-Metall  12,  Mennige  11. 

Bei  alien  Feuerwerkssatzen,  welche  chlorsaures  Kali  und  Schwefel  enthalten, 
darf  der  letztere  nur  im  Zustande  von  pulverisirtem  Stangenschwefel,  nie  als 
Schwefelblumen  genommen  werden,  weil  sonst  leicht  Selbstentztindung  eintritt, 
ebenso  hat  man  sich  zu  hiiten,  Mischungen  welche  chlorsaures  Kali  und  Schwefel 
oder  Schwefel metalle  enthalten,  im  trockenen  Zustande  zu  reiben  oder  zu  schlagen, 
da  sie  leicht  explodiren.  Das  Mischen  von  chlorsaurem  Kali  mit  Schwefel  und 
den  sonstigen  Gemengtheilen  sollte  immer  nur  mittels  eines  Federbartes  auf  Papier 
oder  durch  Durchschlagen  der  fur  sich  gepulverten  Gemengtheile  durch  ein  Sieb, 
vorgenommen  werden. 

Der  salpetersaure  Strontian  muss  vollstandig  entwassert,  ebenso  der  salpeter- 
saure  und  chlorsaure  Baryt  vollstandig  getrocknet  sein. 


Feuerwerkerei  (Feuerwerksatze).  475 

Dersalpetersaure  und  chlorsaure  Baryt  geben  nur  dann  ein  reines  Griin,  wenn 
sie  chemisch  rein;  namentlich  ganz  frei  von  Kalk  unci  Strontian  sind. 

Neuestens  hat  S.  Kern  (Jahrb.  fur'  chem.  Technol.  v.  R.  v.  Wagner  1876;  Vorsehriften 
fiir  Buntfeuer  angegeben,  bei  welchen  auch  auf  die  Raschheit  dee  Abbrermens  Riicksicht  ge- 
nommen  ist.  Eine  Zusammenstellung  dieser  Vorschriften  geben  wir  in  folgender  Tabelle,  wobei 
zu  bemerken  ist,  dass  die  Vorschriften  so  geordnet  sind,  dass  jeder  Satz  mit  hoherer  Numrner 
auch  langsamer  abbrennt  als  einer  mit  niedrigerer. 

Fiir  Griinfeuer. 

Numrner:     1       2       3       4       5       6       7  8  9  10  11  12  13  14 

Chlorsaures  Kali     ...     36     29     24     21     18     16     14  13  11  10       9.5       9  8.5  8 

Salpetersaurer  Baryt   .     .     40     48     53     57     60     62     64  66  67  68  69  69.5  70  70.5 

Schwefel 24     23     23     22     20     22     22  21  21  21  21  21  21  21 

Fur  Rothfeuer. 

Numrner:      12       3       4       5         6         7  8  9  10  11  12        13  14 

Chlorsauses  Kali     .     .     40     32     27     23   '20        18     16  15  13  12  11  10  10  9.25 

Salpetersaurer  Strontian  39     46     51     55     58        60     61.6  63  64  65  66  67  67.25  68 

Schwefel 18     19     20     20     20.5     21     21.2  21  22  22  22  22  22  22 

Kohle 3       2       2       2       1.5       1        1.2  1        1  1  1  1  0.75  0.75 

Fiir  Vlolettfeuer. 

Numrner:      1       2       3       4       5       6  7  8  9  10  11  12  13  14 

Chlorsaures  Kali 52     52     52     52     52     52  51  51  51  51  51  51  51  51 

Kohlensaurer  Kalk       ....     29     28     26     24     23     21  20  18  16  15  13  11  10  8 

Malachit 4       5       7       9     10     13  14  16  18  19  21  23  24  26 

Schwefel 15     15     15     15     15     15  15  15  15  15  15  15  15  15 

Von  sonstigen  Buntfeuermischungen  sind  empfohlen,  aber  wegen  grosserer 
Kostspieligkeit  wenig  angewendet: 

Weissfeuer  von  Uhden.  Griinfeuer  naeh  Crookes. 

Salpeter 20  Chlorsaures  Thallium*)    .    .       8 

Schwefel 5               Calomel .    .       2 

Kohle .    .  1              Harz 1 

Schwefelcadmium      ....  4 

Griinfeuer  nach  Designolle.  Griinfeuer  nach  Brugere. 

Pikrinsaures  Ammoniak   .    .48  Pikrinsaures  Ammoniak  .    .     25 

Salpetersaurer  Baryt    ...     52  Salpetersaurer  Baryt    ...     67 

Schwefel 8 

Rothfeuer  nach  Designolle. 

Pikrinsaures  Ammoniak    .    .     54 
Salpetersaurer  Strontian   .    .     46 

Auch  mit  Chlorlithium  lassen  sich  prachtige  Rothfeuer  herstellen,  doch 
miissen  solche  Mischungen    rasch    verwendet    werden,  da   sie  leicht  feucht  werden. 

Durch  Versetzen  der  einzelnen  Buntfeuermischungen  mit  Stearinsaure 
(fiir  Griin  und  Blau  auch  mit  Schellack)  erhalt  man  langsam  brennende  Satze. 
welche  nach  Thenius  (Dingl.  pol.  Journ.  173  pag.  411)  zur  Herstellung  der 
sogenannten  bengalischenFackeln  verwendet  werden,  indem  man  dergleichen 
Satze  in  Hiilsen  fiillt,  welche  aus  mit  Salpeter  getranktem  Papier  gefertigt  und 
im  Untertheile  mit  Sand  gefiillt  werden. 

Furienfackeln  (Theaterblitze)  erzielt  man  durch  Einblasen  von  Lyco- 
podium  in  eine  Weingeistflamme. 

Zu  bengalischen  Lichteffecten  besonders  in  geschlossenen  Raumen  eignet  sich 
ferner  vorziiglich  das  Magnesiummetall,  welches  in  der  Form    von  Bandchen  odor 


*)  Auch  Salpetersaures   Thallium   und  Chlorthallium   liefern   zu  Griinfeuersatzeu  zugeset^': 
eine  brillante  griine  Farbe. 


476  Feuerwerkerei  (Feuerwerksatze). 

diinnem  Draht  leicht  entziindet  werden  kann  und  mit  ruhiger,  glanzend  weisser 
Flamme  fortbrennt.  Fiir  Theaterbeleuchtungszwecke  hat  man  besondere  Lampen 
fiir  Magnesiumverbrennung  construirt,  s.  Magnesiumlampen.  Auch  Legirungen 
von  Magnesium  mit  anderen  Metallen  kann  man  zur  Herstellung  farbiger  Flammen 
verwenden. 

Ganz  besonders  eignet  sich  auch  fiir  bengalische  Beleuchtnng  die  Verbren- 
nung  von  chlorsauren  Salzen  in  Weingeist-  oder  in  Gasflammen.  Wenn  man 
in  eine  Flamme  von  Leuchtgas,  das  man  ohne  weitere  Brennervorrichtung  aus 
einer  Rohre  ausstromen  lasst,  auf  einem  halbrunden  Eisenblechloffelchen  (das 
genietet  sein  muss)  einige  Gramm  eines  chlorsauren  Salzes  einfiihrt,  so  tritt  eine 
ausserst  brillante  Lichterscheinung  ein,  welche  denselben  Effect  gibt  wie  ein 
bengalisches  Feuer.  Mit  chlorsaurem  Baryt  erhalt  man  in  solcher  Weise  ein 
grimes,  rait  chlorsaurem  Strontian  ein  rothes,  mit  chlorsaurem  Natron  ein  gelbes, 
mit  chlorsaurem  Kali  ein  violettes  Feuer,  das  namentlich  bei  den  erstgenannten 
drei  Salzen  ziemlich  lange  anhalt  und  den  Vorzug  hat,  dass  es  keinerlei  iiblen 
Geruch  verbreitet. 

Es  ist  hier  auch  am  Platze  von  sonstigen  Feuerwerkssatzen  jener  Erwah- 
nung  zu  thun,  die  allerdings  nicht  zu  Zwecken  der  Lustfeuerwerkerei,  sondern 
wesentlich  fiir  Kriegszwecke  Verwendung  finden,  wohl  aber  auch  in  bestimmten 
Fallen  fiir  aussergewohnliche  technische  Zwecke  dienen  konnen.  Es  sind  dies  die 
Brandsatze  und  St  a  nkkugelsatz  e. 

Die  Brandsatze  haben  wesentlich  den  Zweck,  brennbare  Objecte  auf  Distanz 
in  Brand  zu  stecken.  Dem  entsprechend  muss  ihre  Mischung  so  gewahlt  werden, 
dass  sie  mit  moglichst  grossem  Warmeeffect  und  verhaltnissmassig  langsam  ab- 
brennen.  Gewohnlich  stellt  man  solche  Brandsatze  durch  Vermischen  von  grauem 
Satz  (s.  oben)  mit  Pech,  Theer,  Werg  u.  s.  w.  So  besteht  z.  B.  der  preussische 
Satz  fiir  Brandgeschosse  aus  76  Thl.  grauem  Satz  und  24  Thl.  Colophonium, 
der  Satz  fiir  Brandbomben  in  Bayern  aus  einer  Mischung  von  Schiesspulver,  rait 
sogenanntem  Warmgeschmolzenz  eug,  d.  i.  einer  Mischung,  welche  durch 
Einriihren  von  22  Thl.  Salpeter  und  33/4  Mehlpulver  in  22  Thl.  geschmolzenen 
Schwefel  erhalten  wird. 

Stankkugelsatze,  welche  den  Zweck  haben  bei  ihrem  Abbrennen  eine  grosse 
Menge  unathembarer  Gase  zu  liefern,  werden  im  Allgemeinen  aus  schwefelreichen 
Mischungen  hergestellt,  die  sonach  beim  Verbrennen  reiche  Mengen  schwefliger 
Saure  liefern.  Am  einfachsten  ist  es  Sal  peter  schwefel  mit  so  viel  von  Kohle 
zu  mengen  als  eben  hinreicht  um  das  Fortbrennen  der  Mischung  zu  sichern. 
Insoferne  die  schweflige  Saure  ein  gutes  Desinfectionsmittel  ist  (s.  d.  II.  pag.  603) 
konnen  dergleichen  Satze  auch  zu  Desinfectionszwecken  verwendet  werden.  (Des- 
infectionsschwarmer). 

Schliesslich  sei  bemerkt,  dass  es  ein  Irrthum  ware  zu  glauben,  man  konne 
durch  Vermischung  von  mit  verschiedenfarbigem  Lichte  verbrennenden  Feuer- 
satzen  alle  Arten  von  Mischfarben  in  den  Flammen  erzielen.  Das  ist  nicht  oder 
doch  nur  in  beschranktem  Masse  moglich,  insoferne  sich  nur  durch  Mischen  von 
Roth-  und  Blaufeuer  ein  violettes  Feuer  darstellen  lasst,  wahrend  z.  B.  Griin-  und 
Rothfeuer  oder  Gelb-  und  Rothfeuer  gemengt  ein  mehr  weniger  weisses  oder 
weissgelbes,  Gelb-  und  Blaufeuer  ebenfalls  weisse  Feuer  geben.  Namentlich  das 
Griinfeuer  ist  besonders  empfindlich  gegen  Zusatze  von  andersfarbigen  Feuer- 
mischungen,  da  das  Griin  wegen  des  Zusammentreffens  complementarer  (s.  Farbe 
III  pag.  361)  Strahlen  ausgeloscht  und  in  Weiss  verwandelt  wird.  Dagegen 
lassen  sich  durch  Nebeneinanderstellung  von  verschiedenfarbigen  Feuern  in  Folge 
der  Contrastwirkung  sehr  schone  Effecte  erzielen.  So  erscbeinen  schwach  griine 
Feuer  glanzend  griin,  wenn  man  ein  starkes  Rothfeuer  neben  ihnen  abbrennt,  und 
umgekehrt  gewinnen  schwache  Rothfeuer  an  Effect  durch  Nebeneinanderstellung 
mit  starkem  Griinfeuer ;  schwach  blaue  Feuer  gewinnen  an  Intensitat  durch  Neben- 
stellung  gelber  oder  rother  Feuer  u.  dergl.  m. 


Feuerwerkerei.  —   Feuerzeug.  477 

Ueber  Feuermischungen,  welche  im  Wasser  zur  Entziindung  koramen  oder 
auf  Wasser  brennen  s.  bei  Feuer  fliissige  III  pag.  438.  Ueber  Griechisches 
Feuer  vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  10,   125,  133,  280,   135  u.   155. 

Ueber  Feuerwerkerei  vgl.  a.  A.  Loden  der  Lustfeuerwerker  1870;  M. 
Meyer  Lebrbuch  der  Pyrotecbnik  1840;  M.  Web  sky  die  Luftfeuerwerkskunst. 
Winkelblech  iiber  farbige  Feuer  im  polytechn.  Centralblatt  1850  pag.  1405 
und  1851  pag.  107  etc.  etc.     Gil. 

Feuerwerksatze  s.  Feuerwerkerei. 

Feuerzangen  s.  Schmieden. 

Feuerzeug  (briquet  —  tinder  box),  nennt  man  jede  Vorrichtung,  welche 
dazu  dient,  Feuer  anzumachen,  urn  mittels  desselben  die  Entziindung  brennbarer 
Korper  zu  ermbglichen.  Die  Feuerzeuge  lassen  sicb  in  mehrere  Classen  theilen, 
u.  z.  wesentlich  in  mechanische,  in  chemische  und  electriscbe.  Die  ersteren 
beruhen  sammtlich  auf  der  Anwendung  des  Principes,  durch  Reibung  (oder  durch 
Druck)  Warme  zu  erzeugen.  Die  einfachste  Form  der  Anwendung  dieses  Principes 
fand  sich  in  dem  Feuerzeug  der  Wilden,  welche  durch  fortgesetztes,  gentigend 
heftiges  Reiben  zweier  Holzstiicke,  Feuer  anzumachen  pflegten.  Dasselbe  Princip 
liegt  den  bis  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  ziemlich  allgemein  im  Gebrauche 
gewesenen  Schlagfeuerzeugen  zu  Grunde,  bei  welchen  man  mittels  Feuerstein  und 
Stahl  Feuer  anmachte.  Bei  dieser  Art  von  Feuerzeugen,  die  auch  heute  noch 
mehrfach  in  Verwendung  stehen,  werden  durch  heftige  Reibung  eines  Stahlstiickes 
an  der  Kante  eines  harten  Steins  (Feuerstein)  Theilchen  des  Stahls  losgerissen, 
welche  in  Folge  der  durch  die  Reibung  entwickelten  Warme  zum  Ergltihen,  ja 
selbst  zum  Verbrennen  gebracht  werden  und  im  gliihenden  Zustande  auf  ein  leicht 
feuerfangendes  Materiale  (Zunder,  Ziindschwamm)  fallend,  dasselbe  zum  Glimmen 
bringen  konnen.  An  dem  glimmenden  Zunder  lassen  sich  mit  Schwefel  getrankte 
Baumwoll-  oder  Leinenfaden  entflammen  und  mit  Hilfe  derselben  die  Ziindung  leicht 
auf  andere  brennbare  Korper  iibertragen. 

Die  Feuersteinfeuerzeuge  haben  im  Laufe  der  Zeit  mannigfache  Gestalten 
angenommen,  indem  man  sich  allenthalben  bemiihte,  durch  geeignete  mechanische 
Vorrichtung  die  Arbeit  der  Reibung  von  Stahl  und  Stein  zu  erleichtern. 

So  entstanden  die  Feuerschlosser  der  alten  Flinten  (s.  Feuer waffen),  die 
Radschlosser  und  die  diesen  verwandten  Formen  der  besonders  in  England  ver- 
wendeten  Stahlradfeuerzeuge,  bei  welchen  ein  an  einer  horizontalen  Welle 
befestigtes  Stahlrad  mittels  einer  Kurbel  oder  eines  Drehbogens  in  rasche  Um- 
drehung  versetzt  und  an  dasselbe  ein  Stuck  Feuerstein  angedriickt  wurde,  unter 
welchem  ein  Stuck  Zunder  oder  Feuerschwamm  gehalten  ward.  Auf  gleicher 
Grundlage  beruht  das  in  neuester  Zeit  von  Herrm.  Glaser  construirte  Taschen- 
feuerzeug,  bei  welchem  ein  kleines,  mit  Riefen  versehenes  Stahlradchen  mittels 
eines  kleinen  Antriebes  durch  Anwendung  mehrerer  Zahnradiibersetzungen  in  sehr 
rasche  Rotation  versetzt  wird,  und  hiebei  an  einem  in  einem  federnden  Halter 
eingesetzten  und  an  die  Radperipherie  angedriickten  Stiickchen  feinkornigen  Sand- 
steins  Funken  gibt,  welche  gegen  eine  Lunte  geschleudert  werden,  die  hiedurch 
zum  Glimmen  gebracht  wird.  Der  ganze  Apparat,  der  in  einer  Metallblichse  von 
der  Grosse  einer  gewohnlichen  Taschenuhr  eingeschlossen  ist,  ist  sehr  handlieh 
und  namentlich  zum  Anmachen  von  Glimmfeuer  im  Freien  sehr  bequem. 

Die  Eigenschaft  verschiedener  Korper,  durch  die  bei  massiger  Reibung  oder 
bei  Schlag  erzeugte  Arbeitswarme  zur  Entziindung  gebracht  zu  werden,  findet 
iibrigens  auch  ausgedehnte  Anwendung  bei  anderen  Vorrichtungen,  bei  welchen 
durch  die  Wahl  leichter  entziindlicher  Korper  schon  ein  geringer  Schlag  oder 
eine  massige  Reibung  zur  Entziindung  des  brennbaren  Stoffes  zureicht.  Soldier 
Art  sind  die  Kapselfeuerzeuge  und  die  Feuerzeuge  mit  Ziindpillen,  bei  welchen 
durch  Vermittlung  einer  durch  Schlag  zur  Explosion  gebrachten  Ziindkapsel  oder 
Ziindpille  eine  Lunte  zum  Glimmen  gebracht  wird,  dann  aber  sind  es  insbesondere 


478  Feuerzeng. 

alle  Arten  vou  Streich-  oder  Reibfeuerzeugen,  bei  welcben  die  leicht  entziindliche 
Zlindmasse  der  Streichhblzer  durch  Reibung  so  weit  erwarmt  wird,  dass  sie  zur 
Entziindung  kommt  (s.  hieriiber  bei  Ziin  dwaaren). 

In  die  Reihe  der  auf  mechanischem  Wege  wirkenden  Feuerzeuge  gehort 
auch  das  Compressions-  oder  pneumatische  Feuerzeug  (Mollet's 
Pumpe,  Luftfeuerzeug),  das  aus  einem  starkwandigen,  an  einem  Ende  geschlossenen 
Hohlcylinder  besteht,  in  welcbem  ein  Stempel  luftdicbt  auf-  und  abbewegt  werden 
kann  und  sohin  die  den  Cylinder  erftillende  Luft  zu  verdichten  gestattet.  Wird 
an  dem  in  den  Cylinder  passenden  Ende  des  Stempels,  an  einem  daselbst  ange- 
brachten  Hakchen  ein  Stiickcben  mbglichst  trockenen  Ztindschwamms  befestigt 
und  nun  der  Stempel  mbglichst  rasch  in  den  Cylinder  hineingetrieben,  was  durch 
einen  kraftigen  Schlag  auf  den  Griff  des  Stempels  geschehen  kann,  so  wird  durch 
die  rasche  Compression  der  Luft  so  viel  Warme  entwickelt,  dass  der  Ziind- 
schwamm  Feuer  fangt  und  nach  dem  Herausziehen  des  Stempels  aus  dem  Cylinder 
fortglimmt. 

Bei  den  chemischen  Feuerzeugen  ist  es  die  durch  die  Einleitung  chemi- 
scher  Processe  frei  werdende  Verbindungswarme,  welche  zur  Entziindung  brenn- 
barer  Kbrper  herangezogen  wird.  Hierher  gehbrt  die  1823  von  Dbbereiner 
erfundene  und  nach  ihm  benannte  Ziindmaschine  (Platinfeuerzeug,  Knallgas- 
feuerzeug). 

Die  Wirkung  dieses  Apparates  beruht  auf  der  von  Dbbereiner  entdeckten 
Eigenschaft  des  Platinschwamms  (sehr  porbsen  metallischen  Platins),  ein  Gemisch 
von  WasserstofFgas  und  Sauerstoffgas  zur  chemischen  Verbindung  zu  veranlassen, 
wodurch  sehr  schnell  eine  bis  zum  Gliihen  des  Platins  sich  steigernde  Hitze 
entsteht  und  die  Gasmischung  in  Flamme  ausbricht.  Eine  solche  Ziindmaschine 
einfachster  Construction  besteht  aus  einem  cylindrischen  Gefasse  von  Glas7  Steingut 
oder  dergl.,  welches  oben  durch  einen  metallenen,  nur  leicht  aufgelegten  Deckel 
geschlossen  ist.  Durch  die  Mitte  des  Deckels  geht  ein  Loch,  welches  oben  mit 
einem  Hahn  in  Verbindung  steht,  der  andererseits  mit  einer  seitlichen,  eine  feine 
Bo  lining  tragenden  Ausstrbmungsspitze  communicirt.  Nach  unten  communicirt 
dieses  Loch  mit  einer  Glasglocke,  die  an  dem  Deckel  luftdicht  befestigt  ist  und 
fast  auf  den  Boden  des  ausseren  Gefasses  herabreicht.  Auf  einen  kleinen  Drei- 
fuss  von  Blei  wird  ein  Stuck  reines  Zink  gelegt  oder  mittels  eines  Bleidrahtes 
in  der  Glocke  aufgehangt,  und  verdiinnte  reine  Schwefelsaure  in  das  Gefass  gegossen, 
worauf  man  den  Deckel  mit  der  Glocke  einsetzt.  Durch  Wechselwirkung  des  Zinks 
mit  der  Schwefelsaure  entwickelt  sich  nun  WasserstofFgas  und  sammelt  sich  in 
der  Glocke,  aus  welcher  man  es  anfanglich  durch  Oeffnung  des  Hahnchens  aus- 
strbmen  lasst,  um  alle  atmospharische  Luft  damit  zu  entfernen.  Glaubt  man 
dies  erreicht  zu  haben,  so  schliesst  man  den  Hahn,  worauf  sich  die  Glocke 
mit  Wasserstoffgas  flillt  und  die  Schwefelsaure  in  ihr  so  weit  herabgedrangt 
wird,  bis  sie  ausser  Berlihruug  mit  dem  Zink  kommt,  womit  die  Gasentwickelung 
aufhbrt.  Nun  erst  wird  ein  kleines  Stiickcben  Platinschwamm  innerhalb  eines 
kurzen  Rohres  vor  der  Oeffnung  der  Ausstrbmungsspitze  befestigt.  Lasst  man 
durch  Oeffnung  des  Hahnes  einen  feinen  Gasstrom  gegen  den  Platinschwamm 
treten,  so  entziindet  er  sich  sogleich.  Wenn  nach  mehrmaligem  Gebrauch  so 
viel  Gas  entwichen  ist,  dass  die  Schwefelsaure  wieder  mit  dem  Zink  in  Be- 
riihrung  tritt,  so  beginnt  sogleich  von  Neuem  die  Entwickelung  von  Wasser- 
stofFgas, und  der  Apparat  kann  somit  lange  Zeit  dienen,  bevor  es  nbthig  ist, 
ihn  mit  neuer  Schwefelsaure  zu  versehen.  Sollte  das  Zink  oder  die  Saure  unrein, 
namentlich  arsenikhaltig  sein,  so  verliert  der  Platinschwamm  sehr  bald  seine  Ziiud- 
kraft.  Derlei  Ziindmaschinen  sind  aber  auch  aus  anderen  Griinden  dem  Versagen 
leicht  unterworfen.  So  verliert  der  Platinschwamm  seine  Ziindkraft  leicht  durch 
Aufnahme  von  Feuchtigkeit,  sowie  durch  langere  Beriihrung  mit  ammoniakhaltiger 
Luft,  wie  sie  sich  in  Wohnraumen,  namentlich  solchen,  in  denen  geraucht  wird,  in 
Schlafstuben,  in  der  Niihe  von  Stallungen  u.  s.w.  gewbhnlichfindet.  Aufdiese  Weise 


Feuerzeug.  479 

unwirksam  gewordener  Platinschwamm  gewinnt  seine  Wirksamkeit  leicht  wieder, 
wenn  man  ihn  ausgliiht.  Unwirksam  wird  der  Platinschwamm  auch,  wenn  das 
auf  denselben  wirkende  VVasserstoffgas  mit  Schwefelwasserstoff,  schwefliger  Saure, 
salpetriger  Saure,  Phosphorwasserstoff,  Kohlenwasserstoffen  verunreinigt  ist,  was 
bei  Anwendung  von  unreiner  Saure  oder  stark  verunreinigtem  Zink  leicht  der  Fall 
sein  kann.  So  liefert  eine  mit  schwefliger  Saure  verunreinigte  Schwefelsaure  bei 
Beruhrung  mit  Zink  ein  durch  Schwefelwasserstoff,  salpetersaurehaltige  Schwefel 
s&ure  ein  mit  salpetriger  Saure  verunreinigtes  "VVasserstoffgas.  Bei  Anwendung  von 
rohem  Zink  kann  sich  leicht  eine  merkliche  Menge  von  Kohlenwasserstoffen  oder 
Phosphorwasserstoff  entwickeln.  Nach  B 6  ttg e  r  darf  man  keine  rauchende  Schwefel- 
saure anwenden,  weil  diese  bei  Beruhrung  mit  Zink  leicht  schweflige  Saure  ent- 
wickeln konnte,  wahrend  nach  Karmarsch  eine  bei  Anwendung  von  englischer 
Schwefelsaure  nicht  mehr  functionirende  Zlindmaschine  bei  Verwendung  von  Vitriolol 
sofort  wieder  wirksam  gemacht  werden  kann.  Auch  durch  Verstaubtwerden  allein, 
dann  aber  auch  durch  von  dem  Gasstrome  mitgerissenes  Zinksalz  kann  der  Pla- 
tinschwamm seine  "Wirksamkeit  verlieren.  In  der  Mehrzahl  der  Falle  lasst  sich 
ein  unwirksam  gewordener  Platinschwamm  durch  blosses  Ausgliihen  in  einer 
Weingeistflamme  wieder  wirksam  machen.  Heftiges  Ausgliihen  ist  hiebei  zu 
vermeiden,  da  der  Platinschwamm  durch  Erhitzen  auf  Weissgluhhitze  seine  Ziind- 
kraft  verliert.  Geniigt  das  einfache  Ausgliihen  nicht,  dann  kann  man  ihn  durch 
Tranken  mit  einer  Platinchloridlbsung,  nachherige  Einwirkung  einer  Salmiaklosung 
und  endliches  Ausgliihen  wieder  wirksam  machen.  Ware  Unreinheit  der  Saure 
Schuld,  dann  kann  man  in  Ermanglung  reiner  Saure,  die  Schwefelsaure  durch  Er- 
hitzen mit  Wasser  und  etwas  Zucker  reinigen,  indem  durch  diese  Operation  sowohl 
ein  Gehalt  an  schwefliger  Saure,  als  auch  ein  solcher  an  salpetriger  und  Salpeter- 
Saure  aus  der  Schwefelsaure  entfernt  zu  werden  vermag. 

Ziindmaschinen  ahnlicher  Art,  zum  Theile  bios  in  der  Form  von  jener  Dobereiner's 
abweichend,  haben  Eisenlohr  (s. Dingl.  pol.  Journ.  72,  pag.  27)  und  Schiele 
(Dingl.  pol.  Journ.  76,  pag.  236)  angegeben.  Dobereiner  hat  auch  ein  ahnlich 
wirkendes  Iridiumfeuerzeug  construirt  (s.  Schweiger's  Jahrb.  3,  pag.  467.) 

Ein  eminent  chemisches  Feuerzeug  ist  ferner  das  von  Chancel  in 
Paris  1805  erfundene  fixe  oder  S  tipp  feu  erz  eug  (Tunkfeuerzeug),  bei  welch  em 
Holzchen,  die  an  einem  Ende  mit  Schwefel  und  daran  mit  einer  kleinen  Menge 
eines  Teiges  versehen  sind,  der  aus  chlorsaurem  Kali  (30  Thl.)  und  Schwefel 
(10  Thl.),  dann  etwas  Hexenmehl,  Tragantschleim  und  einem  farbenden  Zusatze 
von  Zinnober  oder  Indigo  hergestellt  werden  kann,  dadurch  zur  Entziindung  ge- 
bracht  werden  konnen,  dass  man  das  mit  dem  Teig  belegte  Ende  derselben  mit 
concentrirter  Schwefelsaure  benetzt,  die  der  bequemeren  Handhabung  halber  in 
einem  Flaschchen,  welches  mit  Asbest  gefiillt  ist,  der  mit  concentrirter  Schwefelsaure 
getrankt  wurde,  aufbewahrt  wird.*)  Die  Entziindung  dieser  Holzchen  (Tunk- 
holzchen)  wird  dadurch  bewirkt,  dass  concentrirte  Schwefelsaure  das  chlorsaure 
Kali  unter  Bildung  von  Unterchlorsaure  zersetzt,  welche  vermoge  ihrer  energisch 
oxydirenden  Wirkung  die  dem  chlorsauren  Kali  beigemengten  oxydirbaren  Sub- 
stanzen  (Schwefel,  Hexenmehl,  Zucker  u.  d.  g.)  oxydirt,  wobei  so  viel  Wiirme 
entwickelt  wird,  dass  die  vorhandene  brennbare  Substanz  zur  Entziindung  kommt. 
Dasselbe  Princip  lag  den  spater  in  England  eingefuhrten  „Prometheans"  zu 
Grunde,  die  aus  dtinnen  Papierrollchen  bestanden,  in  welchen  eine  geringe 
Menge  einer  Mischung  von  chlorsaurem  Kali  und  Zucker  und  ein  beiderseits  zu- 
geschmolzenes,  diinnwandiges  Glasrohrchen,  das  concentrirte  Schwefelsaure  enthielt, 
eingeschlossen  war.     Beim  Quetschen  solcher  Papierrollchen  sprang  das  Bohrchen 


*)  Newton  brachte  die  Schwefelsaure  in  ein  Flaschchen,  das  ohne  Asbesttullung-  zu  2  3 
mit  concentrirter  Schwefelsaure  gefiillt  und  mit  einem  oben  becherforniig-  ausgehohlten. 
unten  convexen,  mit  mehreren  feinen  Bohrungen  versehenen  Stopsel  aus  Blei  verschlossen 
wurde.  Beim  Schiitteln  des  Flaschchens  sammelte  sich  in  der  becherfiirmigen  Aushoh- 
lung  etwas  Schwefelsaure  an,  die  zum  Tunken  verwendet  wurde. 


480  Feuerzeug. 

und  die  ausfliessende  Schwefelsaure  brachte  das  entziindliche  Gemenge  zur  Ent- 
flanimung. 

Eine  andere  Art  chemi seller  Feuerzeuge  sind  die  Phosphor feuerzeuge, 
bei  welchen  die  Selbstentziindlichkeit  gewisser  Phosphormischungen  zur  Zlindung 
beniitzt  wurde.  Solcher  Art  war  das  Feuerzeug  von  Cagniard  de  la  Tour  u.  A. 
Etwas  Phosphor  wurde  in  ein  kleines,  mit  Glasstopsel  verschliessbares  Flaschchen 
gebracht  und  darin  bis  zur  Entziindung  erhitzt,  wahrend  man  durch  ein  Rohr  etwas 
Luft  einbliess,  so  dass  der  Phosphor  einer  unvollstandigen  Verbrennung  anheini- 
fiel.  Die  Innenwandung  des  Flaschchens  iiberzieht  sich  hiebei  mit  einer  Schichte 
von  phosphoriger  Saure,  gemengt  mit  fein  vertheiltem  Phosphor,  welche  noch  vor 
dem  Erkalten  mittels  ernes  Glasstabchens  mit  dem  unverbrannten  Phosphor  gut 
durchgeriihrt  und  das  Glaschen  hierauf  verschlossen  wurde.  Wurde  etwas  von 
dieser  Masse  mit  einem  in  Schwefel  getauchten  Holzstabchen  aus  dem  Flaschchen 
genommen  und  an  die  Luft  gebracht,  so  fing  dieselbe  Feuer,  das  sich  dem 
Schwefelhblzchen  mittheilte. 

In  ahnlicher  Weise  wirkten  audi  Mischuugen  von  Phosphor  mit  anderen 
Substanzen,  welche  den  Phosphor  im  Zustande  feiner  Vertheilung  enthielten.  Eine 
solche  Mischung  war  es  z.  B.,  welche  man  durch  vorsichtiges  Zusammenschmelzen 
von  1  Thl.  gelben  Wachs,  8  Thl.  Steinol,  4  Thl.  Phosphor  und  1  Thl.  feinen 
Korkfeilspanen  darstellte.  *) 

Hierher  gehoren  endlich  auch  die  Pyrophorfeuerzeuge,  bei  welchen 
ein  Pyrophor  (z.  B.  ein  durch  Gliihen  von  schwefelsaurem  Kalium  mit  Mehl  unter 
Luftausschluss  dargestelltes  und  erkaltetes  Gemenge  von  feinzertheiltem  Schwefel- 
kalium  mit  Kohle  o.  d.  m.)  in  einem  gut  verschliessbaren  Gefasse  aufbewahrt 
wurde,  und  im  Falle  des  Bedarfes  etwas  davon  auf  etwas  Baumwolle,  Zunder  odev 
Ziindschwamm  ausgestreut  wurde,  die  hiedurch  sofort  zum  Glimmen  gebracht  wurden. 

Endlich  gehoren  hierher  auch  die  Natriumfeuerzeuge  Fleck's,  bei  welchen 
durch  Beruhrung  einer  Natrium  enthaltenden  Zitndmasse  mit  Wasser  eine  Ent- 
ziindung herbeigefiihrt  werden  kann  (vgl.  a.  Feuer  fliissige  III.  pag.  438,  s. 
a.  Ziind waaren). 

Bei  den  electrischen  Feuerzeugen  wird  die  durch  eine  electrische 
Entladung  oder  durch  einen  galvanischen  Strom  bedingte  Warmewirkung  zur  Ent- 
ziindung eines  brennbaren  Korpers  verwendet. 

Hierher  gehort  z.  B.  das  1770  von  Fiirstenberg  erfundene,  1777  von 
Brander  verbesserte  electrische  oder  electrop  neum  atische  Feuerzeug 
(Schnellfeuerzeug,  Tachypyrion,  Gasopyrion,  Brennluftlampe).  Dasselbe  bestand 
wesentlich  aus  einem  Wasserstoffentwicklungsgefasse  von  ahnlicher  Anordnung, 
wie  es  sich  bei  der  Dbbereiner'schen  Zundmaschine  findet.  In  einem  unter  dem- 
selben  angebrachten  Holzkastchen  ist  ein  Harzkuchen,  Electrophor  (s.  Electro- 
phor  III.  pag.  256)  untergebracht,  dessen  Deckel  dnrch  einen  geeigneten  Me- 
chanismus  gehoben  wird,  wenn  der  Hahn  des  Ausstromungsrohres  fur  das  Wasser- 
stoffgas  geoffnet  wird.  Die  durch  das  Abheben  des  Electrophordeckels  und  Be- 
ruhrung desselben  mit  einem  Metallcontacte  bewirkte  electrische  Entladung  erzeugt 
das  Ueberspringen  eines  electrischen  Funkens  zwischen  zwei  vor  die  Ausstro- 
mungsbffnung  fur  den  Wasserstoff  gestellten  Metallspitzen,  so  dass  der  beim  Oeffnen 
des  Hahnes  austretende  Wasserstoffstrom  von  dem  uberspringenden  Funken  ge- 
troffen  und  so  zur  Entziindung  gebracht  werden  kann. 

Bei  dem  von  Hare  erfundenen  Galvanophor  wurde  ein  mittels  einer  galvani- 
schen Batterie  erzeugter  Strom  dazu  beniitzt,  einen  diinnen  Platindraht  zum  Gliiheii 
zu  bringen,  an  welchem  ein  Ziindfaden  entziindet  werden  konnte.     Das    Ergluhen 


;:)  Die  erst  vor  Kurzem  empfolilenen,  jedoch  sehr  gefahrb'chea  Feuerzeuge,  bei  welchen 
kleine  Fliischchen  mit  einer  Lbsung  von  Phosphor  in  Schwefelkohlenstoff  gefullt  ver- 
wendet werden  solleu,  in  welche  man  Papierstreifen  eintaucht,  die  beim  Verdunsten  der 
Losung  an  der  Luft  Feuer  fangen,  gehoren  auch  hierher,  indem  die  Entziindung  eben- 
falls  durch  die  Selbstentziindlichkeit  des  beim  Verdunsten  des  Losungsmittels  in  fein 
vertheiltem  Zustande  hinterbleibenden  Phosj>hors  bedingt  wird. 


Feuerzeug.  —  Ficelliren.  481 

eines  diinnen  Platindrahtes  beim  Durchleiten  galvanischer  Strome  wurde  audi 
als  Ziindmittel  fur  Wasserstoffzlindmaschinen,  neuestens  auch  von  Klinkerfues 
zur  Entziindung  von  Leuchtgas  (galvanisch  -  hydrostat.  Ziindmaschine)  verwendet 
(vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  203  pag.  451  und  polyt.  Centralblatt  1872  pag.  1201). 
Auch  Voisin  und  Dronnier  (s.  D.  Industr.-Ztg.  1874  pag.  418  und  1875 
pag.  4)  haben  dasselbe  Princip  zur  Construction  einer  selbstziindenden  Petroleum- 
lampe  (katalytisches  Leuchtfeuerzeug)  bentitzt.  Ausfiihrlicbes  iiber  Feuerzeuge  s. 
H.  Wagner,  Licht  und  Feuer.  Weimar  1869.  Dr.  H.  Schmidt,  der  vollstan- 
dige  Feuerzeugspraktikant,  Weimar  1840  und  spat.  Auflagen.  C.  B.  A.Propst,  An- 
weisung  zur  Verfertigung  von  alien  Arten  Ztindapparaten ;  Quedlinburg  1834 
und  A.     Gil. 

Fibrilia  nennt  Vat  tern  are  ein  aus  verschiedenen  faserhaltigen  Materialien 
componirtes  Fasermateriale. 

Fibrin,  s.  Eiweisskorper  III.  pag.  140.  s.  a.  Blut  I  pag.  660. 

Fibrinogen.  Eisweissartiger  Korper,  welcher  sich  im  Zustande  der  Lbsung 
als  Bestandtheil  des  Blutes,  des  Chylus,  der  Lymphe.  sowie  anderer  thierischer 
Fliissigkeiten  findet  und  ohne  Zweifel  in  naher  Beziehung  zum  Fibrin  (s.  d.  Ill 
pag.  140)  steht.  s.  a.  Blut  I  pag.  661.     Gil. 

Fibrinoplast  s.  Blut  I  pag.  661. 

Fibroferrit,  Min.,  ist  strahlig  krystallisirtes,  bas.  schwefelsaures  Eisenoxyd. 
Vorkommen  in  Chile.     Gil. 

Fibroin  (fibro'ine  —  fibroine)  (Sericih),  wesentlicher  Bestandtheil  der 
Seidensubstanz,  sowie  Bestandtheil  der  Spinnfaden  gewisser  anderer  Spinner  (In- 
secten,  Spinnen  etc.),  z.  B.  der  sog.  Sommerfaden.  Man  erhalt  das  Fibroin  am 
bequemsten  aus  Seidenfaden,  indem  man  dieselben  anhaltend  und  zwar  am  besten 
unter  erhohtem  Druck  mit  Wasser  kocht,  den  Riickstand  mit  Alkohol  und  Aether 
und  endlich  mit  cone.  Essigsaure  erschopft  und  schliesslich  nochmals  mit  Wasser 
behandelt;  auch  durch  Behandlung  der  Seide  mit  kalter  Natronlauge  lasst  sich 
das  Fibroin  isoliren.     Man  erhalt  aus  Seide  54 — 60  Procent  reines  Fibroin. 

Im  reinen  Zustande  stellt  dasselbe  eine  farb-  und  geruchlose,  hellglanzende 
seidenahnliche  Masse  dar,  die  jedoch  von  geringerer  Festigkeit  aber  auch  geschmei- 
diger  als  Seide  ist.  In  Wasser,  Alkohol,  Aether  und  cone.  Essigsaure  ist  es  un- 
loslich,  dagegen  loslich  in  cone.  Mineralsauren,  in  Auflosungen  atzender  Alkalien, 
in  Kupferoxydammoniak,  sowie  in  Nickeloxydulammoniak,  dann  in  cone.  Chlorzink- 
losung  (60°  B.).  Aus  den  alkalischen  Losungen  wird  es  durch  Verdiinnen  mit 
Wasser,  sowie  durch  Sauren,  aus  den  Losungen  in  Sauren  nach  dem  Verdiinnen 
derselben  mit  Wasser  durch  Gallapfeltinctur  (Gerbsanre)  wieder  als  fasrige  Masse 
gefallt.  Beim  Erhitzen  blaht  es  sich  auf  und  verbrennt  mit  hellblaulicher  Flamme 
unter  Verbreitung  eines  Geruches  nach  verbranntem  Horn  und  Hinterlassung  einer 
lockeren  Kohle.  Beim  Kochen  mit  verdunnter  Schwefelsaure  wird  es  unter  Bil- 
dung  von  Glycocoll,  Leucin  und  Tyrosin  zersetzt,  Salpetersaure  verwandelt  es 
unter  anfanglicher  Gelbfarbung  endlich  in  Oxalsaure.  Die  Zusammensetzung  des 
Fibroins  entspricht  der  Formel  C^H^N^O^  (Cramer),  vgl.  Vogel  in  Buch- 
ner's  Repert.  8,  pag.  1,  Schl  ossberger  Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm.  108  pag. 
62,  Schweizer  Journ.  f.  pract.  Chem.  76  pag.  544.  Cramer,  Untersuchung' 
der  Seide,  Inaugural-Dissertation,  Zurich  1863,  a.  Dingl.  pol.  Journ.  176  pag.  53, 
s.  a.  Seide.     Gil. 

Fibrolith  syn.  Sillimanit  und  Buchholzit. 


Ficelliren   syn.  Verbinden  der  Champagnerflnschen  s.  W 


e  l  n. 


Karmarsch  &  Heeren,  Technischos  Worterbuch.     Bd.  III.  31 


482  Fichtelit.  —  Fichtenharz. 

Fichlelit  {fichtelite  —  fichtelite),  Min.  Ein  natiirlich  vorkommender,  fester 
Kohlenwasserstoff,  der  in  Gestalt  kleiner,  dem  monoklinen  Kiystallsysteme  ange- 
horigen  Krystall-Schuppen  oder  in  krystallinischen  Krusten  im  Lignit  von  Redwitz 
in  Bayern,  audi  im  Torf  von  Borkowitz  in  Bohmen,  dann  aber  auch  an  den 
lebenden  Starnmen  von  Pinus  australis  sich  findet.  1st  weiss,  perlniutterglanzend, 
geruchlos  mid  geschmacklos.  Lost  sich  schwer  in  Alkohol,  leicht  in  Aether,  schwimmt 
auf  Wasser;  schmilzt  bei  36°  C,  in  hoherer  Temperatur  unzersetzt  fliichtig.  Seine 
Zusammensetzung  entspricht  der  Formel  n(Cl0H16).     Gtl. 

Fichtenharz  (poix  resine,  pegle  —  common  resin,  firresin),  gemeines 
Harz.  Das  an  den  Fichten,  Kiefern  und  Tannen  theils  freiwillig,  theils  durch 
in  die  Rinde  gemachte  Einschnitte  und  Hiebe  ausfliessende  Harz  fiihrt  in  dem 
noch  fiiissigen  Zustande  den  Namen  Terpentin.  Lasst  man  es  so  lange  an  dem 
Baume,,  bis  der  grosste  Tlieil  des  Terpentinols  durch  Verfliichtigung  entfernt  ist,  so 
fiihrt  das  so  gewonnene,  noch  etwas  Oel  enthaltende  Harz  den  Namen  Fichten- 
harz. Galipot  (bred  sec)  oder  B arras.  Es  bildet  mehr  weniger  unregel- 
massige  Stiicke  oder  Klumpen  von  gelblich  weisser,  gelbrother  oder  brauner  Farbe, 
die  halbdurchscheinend,  von  terpentinartigem  Geruch  und  etwas  knetbar  sind. 
Wird  dasselbe  geschmolzen  und  absetzen  lassen  oder  durch  Stroh  oder  Werg 
filtrirt,  urn  Blatter,  Rinde  und  andere  Unreinigkeiten  abzuscheiden,  und  dann  in 
Fassern  erkalten  gelassen,  so  resultirt  das  weisse  Harz  (Weisspech)  oder  bei 
starkerem  Erhitzen  das  gel  be  Harz,  das  eine  mehr  oder  weniger  gelbe  oder 
braimlich  gelbe,  durchscheinende,  in  der  Kalte  sprbde  Masse  von-  muschligem 
Bruche  darstellt,  die  in  der  Warme  erweicht  und  klebrig  wird.  Beim  Erhitzen 
mit  Wasser  resultirt  das  undurchsichtige,  gelbliche  oder  gelblich  weisse  B  u  r- 
g  under  Pech  (poix  de  Bourgogne  —  Burgundy  pitch).  Dasselbe  Product 
resultirt  auch  bei  der  Destination  des  Fichtenharzes  mit  Wasser,  wie  sie  zum 
Zwecke  der  Terpen  tinblgewinnung  ausgefiihrt  zu  werden  pflegt  (s.  Terpen  tin  61), 
als  Retortenrtickstand. 

Wird  dieser  starker  erhitzt,  oder.  die  Destination  ohne  Wasserzusatz  aus- 
gefiihrt, so  resultirt  das  Colophonium  oder  Geigenharz  (colophane  — 
colophony),  das  von  braunlich  gelber  bis  dunkelbrauner  Farbe,  durchsichtig  oder 
durchscheinend,  in  der  Kalte  sprode  und  von  glanzendem  muschligem  Bruche,  in 
in  der  Warme  aber  klebrig  ist.  Es  lasst  sich  leicht  pulvern,  doch  hat  das  Pulver 
Neigung  sich  zusammenzuballen.  Das  spec.  Gewicht  des  Colophoniums  ist  1.01 
bis  1.08. 

Wird  die  Destination  des  Terpentins  mit  Wasserzusatz  nicht  so  weit  ge- 
trieben,  bis  der  Riickstand  wasserfrei  ist,  so  resultirt  der  gekochte  Ter- 
pentin (terebintina  cocta),  ein  noch  Wasser  und  Terpentinol  enthaltendes, 
schmutzig  gelbes  Harz,  das  in  der  Warme  weich,  in  der  Kalte  hart  ist,  aber  bei 
langerem  Liegen  der  Stiicke  noch  zusammenfliesst.  Auch  durch  Abtrocknen  des 
freiwillig  ausfliessenden  Terpentins  oder  der  nach  der  Terpentingewinnung  in  den 
Einschnitten  der  Stamme  zuriickbleibcnden  Terpentinreste  bilden  sich  mehr  weniger 
ahnliche  Harzmassen.  Soldier  Art  ist  der  Waldweihrauc  h,  der  in  Gestalt 
kleinerer  oder  grosserer  Stiicke  haufig  von  Thranenform  und  gelblich  weisser, 
gelber  bis  rothlich  brauner  Farbe  in  den  Handel  kommt,  zwischen  den  Fingern 
erweicht,  angenehm  aromatisch  riecht  und  terpentinahnlich  bitter  schmeckt.  Nicht 
selten  wird  soldier  Waldweihrauch  in  Ameisenhaufen  gefunden,  in  welche  die  ab- 
fallenden  Tropfen  von  Ameisen  vertragen  werden,  seltener  von  den  Baumen  selbst 
gesammelt.  Das  in  den  alten  Einschnitten  der  Baume  angesammelte  und  dort 
cingetrocknete  Harz,  sowie  jenes,  welches  sich  nicht  selten  zwischen  Rinde  und 
Holz  alter  Stamme  findet,  wird  gesammelt  und  als  gemeines  Harz  zu  Markte 
gebracht.  Es  ist  dem  Waldweihrauch  im  Ganzen  ahnlich,  doch  gewolmlich  vie! 
unreiner  als  dieser.  Ein  stark  aromatisch  riechendes  Harz  ist  auch  das  sog. 
L  ar  eh  en  ha  r  z,    welches    durch  freiwillig-es  Abtrocknen    des    aus  Pinvs  Laricio- 


Fichtenharz.  —  Fieberklee.  483 

Stammen    ausfliessenden    Balsams    entsteht    und    unregelroassig  rundliche,    aussen 
rothliche,  innen  weisse  Harzkbrner  bildet. 

Die  reichsten  Quellen  fur  die  Gewinnung  des  Fichtenharzes  und  der  mit 
diesem  allgemeinen  Namen  belegten  Harzproducte  anderer  Coniferen  sind  eioerseits 
die  osterreichischen,  deutschen  und  russischen  Waldgegenden,  dann  die  Coniferen- 
bestande  im  Siiden  von  Frankreich  (hauptsachlich  von  der  sog.  Meerstrandsfichte 
stammend),  endlich  aber  vornehmlich  die  Walder  Nordamerikas,  von  wo  jahrlich 
hunderttausende  von  Tonnen  Fichtenharz  nacli  Europa  exportirt  warden.  Alle 
Arten  von  Fichtenharz  sind  in  Alkohol  grosstentheils  lbslich,  durch  Alkalien  ver- 
seifbar,  bei  hoherer  Temperatur  leicht  schmelzbar,  bei  starkera  Erhitzen  unter 
Luftzutritt  mit  hellleuchtender,  stark  russender  Flamme  verbrennbar.  Sie  entlialten 
neben  Resten  von  atherischem  Oel  und  mehr  oder  weniger  Wasser,  mehrere  Harze 
von  der  Natur  schwacher  Sauren,  die  wesentlich  theils  das  Hydrat,  tlieils  das 
Anhydrid  einer  Saure,  der  Abietinsaure  C44^6r.04  (Maly)  sind.  Das  Fichten- 
harz findet  in  seinen  verschiedenen  Formen  die  mannigfachste  Anwendung  zu 
technischen  Zwecken,  insbesondere  zur  Herstellung  von  Lacken,  Firnissen  und 
Schmelzlacken  (Siegellacken),  dann  zur  Bereitung  des  Harzleims  fur  Papierfabri- 
kation,  zu  Kitten ;  Colophonium  namentlich  auch  als  Mittel  zur  Erzielung  grosserer 
Reibungsmomente  bei  Maschinentheilen,  Streichinstrumenten  u.  dg.  m.,  endlich 
dient  Fichtenharz  als  Rohmateriale  fiir  die  Gewinnung  der  Harzole,  sowie  auch 
zur  Erzeugung  eines  Leuchtgases  u.  s.  w.  Nach  Hunth  und  Po chin's  paten- 
tirtem  Verfahren  lasst  sich  Colophonium  durch  Destination  mit  iiberhitzten  Wasser- 
dampfen  auch  gebleicht  erhalten  und  ist  dann  weiterer  Anwendungen,  zu  welchen 
das  gewohnliche  Colophonium  seiner  Farbung  wegen  nicht  verwendbar  ist,  fahig 
s.  a.  Pech  und  Forstwirth  s  chaft.     Gil. 

Fichtennadelol  (essence  du  coton  de  pin  —  pin  needle  oil),  Kieferna- 
delol,  Waldwollol.  Das  durch  Destination  der  Fichtennadeln  mit  Wasser, 
meist  als  Nebenproduct  bei  der  Bereitung  des  Fichtennadelextractes  gewonnene 
atherische  Oel.  1st  dem  Terpentinol  nahe  verwandt,  von  ahhlichem,  aber  ange- 
nehmerem  Geruche,  farblos  bis  griinlich  gelb,  leicht  beweglich,  diinnfliissig.  Spec. 
Gew.  0.88.     Ist  mit  Alkohol  und  Aether  mischbar.     Gil. 

Fichtenholz  (sapin,  pin  — red  deal,  pine)  ist  das  Holz  der  Rothtanne 
oder  Fichte  (Pinas  abies  L.),  welches  in  Mitteleuropa  sowohl  als  „weiches" 
Brennholz,  als  auch  als  Tischler-  und  Bauholz  die  ausgedehnteste  Anwendung 
findet.  Es  ist  ein  weiches,  leicht  spaltbares,  unter  der  Axt  gerne  splitterndes 
Holz;  etwas  harzreicher  als  das  Tannenholz,  mit  welchem  es  grosse  Aehnlichkeit 
besitzt,  aber  lange  nicht  so  harzreich  wie  das  Holz  der  Fohre  und  Larche.  Die 
.Tahresringe  (das  Friihlings-  und  Herbstholz)  sind  deutlich  zu  unterscheiden :  die 
Farbe  ist  rbthlich-gelblich-weiss.  Ein  Kubikmeter  dieses  Holzes  wiegt  ca. 
475 k.     Kk. 

Fichtenzucker  s.  Pin  it. 

Ficinit,  Min.  Bildet  dunkelfarbige,  fast  schwarze,  kaum  durchscheinendeKry- 
stalle  des  monoklin.  Systems.  Zu  Bodenmais^  als  Begleiter  des  Cordierits  sioli 
findend.  Ist  Schwefelsaure  und  manganhaltiges  Eisenphosphat  vom  spec.  Gew. 
3.4—3.5  und  der  Harte  5—5.5.     Gtl. 

Fieberrinde  syn.  Chinarinde    s.  II  pag.  309. 

Fieberklee  (herbe  a,  la  fievre  —  fewer-feio),  Bitterklee.  Die  Blatter 
des  auf  sumpfigen  Wiesen  Mitteleuropashaufigvorkommenden  Bitterklee"s  Menydn-- 
thes  trifoliata  L.  zeichnen  sich  durch  einen  erheblichen  Gehalt  an  einem  intensiv 
bitterschmeckenden  Extractivstoff  M  en  y  an  thin  ails,  und  wurden  friiher  als 
Arzeneimittel,  hie  und  da  wohl  auch  als  Hopfensurrogat  zur  Bierbereitung  ver- 
wendet.  Das  von  Ludwig  und  Kromayer  (Arch.  f.  Pharm.  108  (2)  pag.  263^ 
isolirte  Menyanthin  stellt  eine  amorphe,  gelbliche,    anfangs    weiche,    allmalig    feat 

31* 


484  Fieberklee.  —  Filixwurzel. 

werdende  Masse  dar,  die  stark  und  rein  bitter  schmeckt,  schwer  in  kaltem,  leicht 
in  kochendem  Wasser  und  Alkohol,  in  Aether  aber  nicht  loslich  ist.  Beim  Er- 
hitzen  auf  110 — 115°  C.  schmilzt  es  zu  einer  leicht  beweglichen  Fllissigkeit. 
Es    ist  stickstofffrei    und    ist    der    Formel    C{1„H3(.Oll    entsprechend    zusammen- 

gesetzt.     Gtl. 

Fiedelbogen^  Bohrbogen,  s.  Bohr  en  II  pag.   710  Zeile  11. 

Fikor  syn.  mit  ostind.  Arrow- Root,  s.  Starkemehl. 

Filanda  (filature  —  silk-spinning-mill),    Seidenspinnerei,   s.  Seide. 

Filatorium  (moulin  h  soie  —  spinning  mill),  Seiden-Zwirnmaschine, 
s.  Seide. 

Filete,  s.  Buchbinder-Arbeiten  II  pag.  123. 

Filigranarbeit  (filigrane  —  filigrane)  bezeiehnet  man  jene,  namentlich  ira 
Oriente  noch  jetzt  gebrauchliche  Gold-  und  Silberarbeit,  bei  welcher  die  einzelnen 
Schmuckstiicke  aus  mannigfach  gebogenen,  durch  Lbthen  vereinigten  Gold-  oder 
Silberdrahten  hergestellt  sind.  Um  mannigfacheren  Effect  zu  erzielen,  verwendet 
man  auch  cordirten  und  dann  geplatteten  Draht,  s.  Goldarb  eiten. 

Filigranglas  s.  Glas. 

Filigranpapier  (papier  filigrane  — 'paper  filigrane)  ist  Papier  mit  zarten, 
durch  Pragedruck  (mit  oder  ohne  Zuhilfenahme  von  Durchschnitten)  hergestellten 
Zeichnungen.     Vgl.  Art.  Buntpapier  II  pag.  177. 

Filiren  (moulinage  —  throiving),  Zwirnen  der  Seide,  s.  Seide. 

Filixgerbsaure  s.  Filixwurzel. 

Filixsaure  s.  Filixwurzel. 

Filixwurzel,  Farrenkrautwurzel,  die  Wurzel  von  Aspidium  filix  mas. 
Sw.,  welche  namentlich  als  Arzeneimittel  gesohatzt  ist,  enthalt  eine  eigenthiim- 
liche  Saure,  die  Filixsaure,  dann  eine  Gerbsaure,  Filixgerbsaure  und  ein  fettes 
Oel,  das  Farrenkrautwurzelol  oder  Filixol. 

Die  Filixsaure  CtiHiS05  scheidet  sich  aus  dem  atherischen  Extracte 
der  Wurzel  in  Gestalt  krystallinischer,  gelber  Krystallkrusten  ab,  die  durch  Um- 
krystallisiren  aus  Aetherweingeist  und  endlich  aus  Aether  gereinigt  und  in  Form 
kleiner  weisser  Krystallblattchen  erhalten  werden  konnen,  die  bei  161°  G.  schmelzen, 
von  schwachem  Geruche  und  Geschmacke  und  schwach  saurer  Reaction  sind.  In 
Wasser  ist  sie  nicht  loslich,  leicht  dagegen  in  kochendem  Weingeist,  dann  in 
Aether  und  Schwefelkohlenstoff,  sowie  endlich  in  Fetten  und  ather.  Oelen.  Mit 
Alkalien  bildet  sie  losliche  Salze.  Sie  ist  ein  Derivat  des  Phloroglucins  u.  z. 
Dibutyrylphloroglucin  (vgl.  Luck,  Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm.  54,  pag.  119  und 
Grabowsky,  Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm.  143  pag.  279). 

Die  Filixgerbsaure,  aus  dem  wassrigen  Auszuge  der  Filixwurzel  durch 
Fallen  mit  Bleiessig  und  Zersetzung  des  Bleiniederschlages  mit  Schwefelwasser- 
stoff  darstellbar,  ist  der  Chinagerbsaure  ahnlich,  amorph,  in  Wasser  unter  Trii- 
bung,  leicht  in  Alkohol  loslich,  fallt  Leim  und  farbt  Eisenoxydsalze  griin.  Durch 
Kochen  mit  verdiinnten  Sauren  wird  sie  unter  Abscheidung  dunkelziegelrother 
Flocken  von  Filix  roth  (C„6HiS012)  zersetzt,  wobei  sich  auch  Zucker  bildet 
(vgl.  Mai  in,  Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm.  143  pag.  276). 

Das  Filixol  ist  ein  fettes,  schwierig  verseifbares  Oel  von  dunkel  gras- 
griiner  Farbe  und  ziemlich  dicker  Consistenz.  Es  schmeckt  Anfangs  mild,  spater 
kratzend  und  erstarrt  in  der  Kalte  nicht.  Kann  aus  dem  atherischen  Filixwurzel- 
extracte  durch  Scliiitteln  mit  ammoniakalischem  Wasser   gewonnen    werden.     Gtl. 


Fillet  —  Filtriren.  485 

Fillet,  s.  Baumwollspinnerei  I  pag.  332. 

Fillingmaschine  ist  eine  in  der  Floretseidenspinnerei  verwendete  Maschine, 
s.  Seide. 

Filter,  Filtrum,  s.  Filtriren. 

Filterapparate,  Filtrirapparate,  s.  Filtriren  s.  a.  Wasser. 

Filterkohle,  eine  porose  Kohlenmasse  zur  Herstellung  von  Filterapparaten, 
namentlich  fur  Wasserfiltration  s.  Wasser,  vgl.  Kohlenstoff.     Gil. 

Filterpapier,  Filtrirpapier  s.  Filtriren,  vgl.  Papier. 

Filterpressen.  Zur  Abscheidung  feiner,  pulveriger  Substanzen  von  Fliissig- 
keiten  werden  mit  vorzuglichem  Erfolge  Filterpressen  angewendet.  So  z.  B.  zum 
Auspressen  des  Porzellanmasse-Schlamines,  des  Stearins,  der  Hefe  etc.  S.  hieruber 
Naheres  im  Art.  Pressen,  s.  a.  Zuckerfabrikation.     Kk. 

Filtriren  (filtrage  —  filtering),  Filtern  (Durchseihen).  Eine  rein  me- 
chanische  Operation,  urn  Fliissigkeiten  von  darin  aufgeschwemmten  festen  Theilchen 
zu  sondern,  sei  es  nun,  dass  man  die  Fliissigkeit  oder  die  festen  Theilchen  oder 
auch  Beides  zu  benutzen  beabsichtigt.  Das  dazu  dienende  Mittel,  das  Filtrum 
(Jiltre  —  filter),  besteht  jederzeit  aus  irgend  einem  porosen  Korper,  wie  z.  B. 
Loschpapier,  Filz,  Zeugen,  aller  Art  porosen  Steinen  oder  thonernen  Geschirren, 
Kohlenpulver,  porosen  Kohlenmassen,  Sand,  Amianth,  Glaswolle  u.  dergl.  Zu 
chemischen  Versuchen  im  Kleinen  wird  fast  nur  feines  Loschpapier  (Filtrirpapier) 
genommen,  welches  entweder  von  vorn  herein  mit  ganz  reinem,  sorgfaltig  gewa- 
schenem  Papierzeug  und  klarem  Regenwasser  angefertigt  sein  muss,  oder  das 
man  noch  besser  dadurch  reinigt,  dass  man  es  (am  bequemsten  die  fertig  zu- 
sammen  gefalteten  Filtra)  in  verdiinnte  Salzsaure  einlegt,  um  alle  Eisenoxydtheile 
und  Kalk,  die  fast  immer  in  geringer  Menge  im  Papiere  vorkommen,  aufzuloseu, 
und  dann  wieder  so  lange  mit  destillirtem  Wasser  auswascht,  bis  das  ablaufende 
Wasser  mit  salpetersaurer  Silberauflosung  nicht  die  geringste  Triibung  gibt. 

Die  Art,  das  Papier  zusammen  zu  legen,  um  es  als  Filter  zu  verwenden, 
besteht  gewohnlich  ganz  einfach  darin,  dass  man  ein  viereckiges  Stuck  zweimal, 
namlich  in  der  Richtung  der  Diagonalen,  zusammen  faltet,  und  es  dann  an  dem 
orfenen  Rande  bogenformig  abschneidet,  so  dass  eine  kreisformige  Scheibe  resultirt, 
die  auf  einen  Viertelkreis  zusammengelegt  ist.  *)  Oder  man  legt  ein  Stuck  Papier 
einmal  zusammen,  und  bildet  nun  durch  facherformiges  Zusaoimenfalten  ein  einem 
Facher  ahnliches,  halbkreisformiges  Falten-Filter  (Stern filter)  (filtre  cl  plis), 
bei  welchem  die  einzelnen  Faltenbiige  radial  gegen  das  Centrum  der  Kreisscheibe 
zusammenlaufen.  Um  die  aus  Papier  gefertigten  Filter,  die  man  zur  Ersparniss 
an  Papier  nach  S  to  lb  a  auch  durch  Zusammenlegen  einer  halbkreisformigen  Pa- 
pierscheibe  auf  einen  Viertelkreis  und  zwei-  bis  dreimaliges  Zusammenfalten  des 
offenen  Randes  erhalten  kann,  zu  benutzen,  setzt  man  sie  entweder  in  eine  Filtrir- 
tasse  oder  in  einen  Trichter  ein.  Filtrirtassen  sind  flache  Tassen  aus  Glas,  Por- 
zellan  oder  Holz,  mit  einem  kreisrunden  Ausschnitt  in  der  Mitte,  in  welchen  man 
das  aufgerollte  gewohnliche  Filter,  das  die  Gestallt  eines  hohlen  Kegel  hat,  mit 
der  Spitze  nach  abwarts  einsetzt,  und  die  so  mit  dem  Filter  versehene  Tasse 
legt  man  dann  auf  die  Miindung  des  Gefasses  auf.  in  welchem  man  die  filtrirte 
Fliissigkeit  auffangen  will.  Um  ein  gewohnliches  Filter  aufzurollen,  dreht  man 
die  in  die  Halfte  zusammengelegte  Papierscheibe  dutenformig  zusammen,  indem 
man  den  Finger  zwischen  die  beiden  Halften  der  Kreisscheibe  dazwischen  schiebt. 


*)  Zum  Eundschneiden  der  Filter  kann  man  sich  bequem  der  von  Moir  angegebenen 
Filterchablonen  aus  Weissblech  oder  einer  Vorrichtung  bedienen,  welcbe  Stevenson 
angegeben  hat,  und  die  aus  einer  Metallscheibe  bestebt,  auf  welcher  ein  in  einer  Kreis- 
linie  beweglicher  Arm  mit  verstellbarem  Messer  angebracht  ist. 


486  .Filtriren. 

so  dass  nach  dem  Aufrollen  ein  Hohlkegel  entsteht,  der  an  der  einen  Seite  eine 
dreifache,  an  der  anderen  Seite  eine  fiinfache  Lage  von  Papier  zeigt.  Solcher 
Tassen  kann  man  sich  im  Allgemeinen  nur  fur  kleinere  Filter  bedienen,  da  bei 
Anwendung  grosser  Filter  der  Druck  der  in  das  Filtrum  eingegossenen  Fliissig- 
keit  zu  gross  ist,  als  dass  ihn  das,  namentlich  im  feuchten  Zustande  leicht  reis- 
sende  Filtrirpapier,  selbst  wenn  man  es  doppelt  oder  dreifach  genommen  hatte 
(doppelte  oder  dreifache  Filtra),  auszubalten  vermochte  *)  Zweckmassiger,  weil 
das  Reissen  des  Filtrirpapiers,  das,  um  fur  Fliissigkeiten  moglichst  gut  durch- 
gangig  zu  sein  ungeleimt  sein  soil,  besser  verraeidend,  ist  es,  die  Filtrain  Trichter 
einzusetzen.  Man  kann  sowohl  mit  gewohnlichen  (glatten)  als  auch  mit  gefalteten 
Filtern  (Sternfiltern)  in  Trichtern  filtriren.  Um  glatte  Filter  in  den  Trichter  einzusetzen, 
hebt  man  von  der  auf  einen  Viertelkreis  zusammengelegten  Kreisscheibe  nur  das 
oberste  Blatt  auf  und  formirt,  wahrend  man  die  anderen  3  iibereinander  liegenden 
Blatter  gemeinschaftlich  fasst,  einen  Hohlkegel,  den  man  nun  in  den  Trichter  ein- 
setzt,  so  dass  das  Papier  iiberall  moglichst  gut  an  der  Trichterwand  anliegt. 
Das  Filter  darf  hiebei  den  Rand  des  Trichters  nicht  uberragen.  Die  Trichter 
mtissen  so  gewahlt  werden,  dass  der  Winkel,  welchen  die  Wande  des  Trichters 
einschliessen,  nicht  wesentlieh  mehr  oder  weniger  als  60°  (fur  sehr  grosse  Trichter 
50°)  betragt,  und  der  Trichterhals  darf  sich  nicht  allmalig  erweitern,  sondern  soil 
mit  einem  moglichst  scharfen  Winkel  absetzen.  Andernfalls  legt  sich  das  Filter 
nicht  gut  an  die  Trichterwand  an  und  bleibt  dem  Reissen  leicht  unterworfen.  In 
Folge  des  Umstandes,  dass  glatte  Filter  sich  an  der  Trichterwand  fest  anlegen, 
wird  die  Filtration  bei  Anwendung  solcher  Filter  in  Trichtern  nicht  unwesentlich 
verlangsamt,  und  ist  es  daher,  wenn  rasche  Filtration  beabsichtigt  wird,  zu  em- 
pfehlen,  statt  der  glatten  Filter,  die  gefalteten  (Faiten-  oder  Sternfilter)  zu  ver- 
wenden,  die  sich  nur  theilweise  an  der  Trichterwand  anlegen,  und  zwischen  den  Faiten 
der  Fliissigkeit  den  Ablauf  gestatten,  mithin  eine  grossere  filtrirende  Flache  bieten. 
Solche  Filter  muss  man  jedoch  mit  ihrer  Spitze  ziemlich  tief  in  den  Trichterhals 
eindriicken,  da  sie  sonst  leicht  reissen. 

Den  Zweck  einer  Beschleunigung  der  Filtration  erreicht  man  auch  bei  An- 
wendung glatter  Filter,  wenn  man  zwischen  Filter  und  Trichterwand  mehrere 
Glasstabchen  einstellt,  oder  Trichter  anwendet,  welche  an  ihrer  Innenwand  gerieft 
sind.  Auch  Trichter  mit  durchlcicherter  Wandung  kann  man  an wenden,  und  Wolff 
hat  sogar  empfohlen,  an  Stelle  der  Trichter  kegelformige  Gestelle  aus  verzinntem 
Eisendraht  anzuwenden,  welche  das  Filter  geniigend  stiitzen,  ohne  die  Raschheit 
der  Filtration  zu  beeintlussen. 

Ftir  die  Filtration  von  Korpern,  die  nur  bei  hoherer  Temperatur  geniigend 
fliissig  sind,  um  durch  die  Porren  des  Filters  hindurch  zu  gehen,  bedient  man  sich 
der  sog.  Warmtr  ichter,  d.  s.  doppelwandige  Trichter,  gewohnlich  aus  Metall- 
blech,  in  die  man  entweder  directe  das  Filtrum  oder  den  dieses  tragenden  Glas- 
oder  Porzellantrichter  einsetzen  kann.  Der  Zwischenraum  zwischen  den  beiden 
Wandungen  des  Trichters  wird  entweder  mit  heissem  Wasser  gefiillt,  das  durch 
eine  an  der  Aussenwand  wirkende  Flamme  heiss  erhalten  wird,  oder  man  lasst 
hcisse  Dampfe  durchstromen  iDampftrichter). 

Filtrationen  in  etwas  grosserem  Masstabe  werden  haufig  in  Spitzbeuteln  oder 
auf  Seihetiichern  vorgenommen ;  die  ersteren  konnen  aus  Leinwand  oder  Flanell 
genaht  oder  auch  aus  Filz  gleich  in  einem  Stiick  angefertigt  werden.  Dergleichen 
Filter  befestigt  man  in  sog.  Tenakeln,  d.  s.  aus  4  zu  einem  Quadrat  zusammen- 
gelegten  Holzstaben  gebildeten  Rahmen,  die  an  den  Kreuzungsstellen  der  Stabe 
Iange  Nagel  tragen,  deren  Spitzen  so  weit  aus  dem  Holze  hervorragen,  dass  man 
den  Rand  des  Spitzbeutels  oder  Tuches    daran  befestigen  kann.     Solche    Filzfiltra 


*)  Pichot  und  Malapert  liaben  eiu  Filtrirpapier  hergestellt,  welches  in  derMitte  eines 
jeden  Bogans  eine  ruude  Seheibe  eines  t'einen  Gewebes  (Gaze)  eingelegt  enthalt,  wo- 
dureb  die  Festigkeit  des  Papiers  wesentlich  crhoht  wird. 


Filtriren. 


487 


Fig.  1636. 


finden  z.  B.  Anwendung  beim  Filtriren  des  Brennols  nach  der  Behandlung 
mit  Schwefelsaure.  Eine  andere  Filtrirvorrichtung,  eb  en  falls  bei  der  Oelraffinerie 
gebrauchlich,  besteht  in  emem  Fass  mit  vielfach  durehlochertem  Boden,  durch 
dessen  Locher  baumwollene  Dochte,  oben  mit  einem  Knoten  versehen,  hindurch- 
gezogen  werden.  Anch  Werg  sowie  Stroh  oder  Strohgefiechte,  dann  Sclieerwolle 
wendet  man  im  Grossen  als  Filtermaterial  an. 

In  einzelnen  Fallen,  so  namentlich  beim  Filtriren  concentrirter  Sauren  oder 
atzender  Laugen,  oxydirend  wirkender  oder  solcher  Fliissigkeiten,  die  bei  Beriili- 
rung  mit  organischen  Substanzen  zersetzt  werden  wiirden,  muss  das  Filtrum  aus 
einer  unorganischen  Masse  bestehen.  Man  bedient  sich  dann  einer  Lage  von 
reinem  Sand,  Glaspulver,  Asbest,  Bimsstein  oder  der  gegenwartig  allenthalljen  leicbi 
zuganglichen  Glaswolle,  welclie  jedoch  aus  einem  Glase  gefertigt  sein  muss,  welches 
von  dergleichen  Fliissigkeiten  nicht  angegriffen  wird.  In  manchen  Fallen  kann 
man  mit  Vortheil  aueh  Schiessbaumwolle  verwenden,  die  gleichfalls  der  Einwir- 
kung  gewisser  atzend  wirkender  Fliissigkeiten  nicht  unterliegt.  Auch  Bimsstein  in 
Stiicken  kann  man  als  Filtermateriale  in  der  Weise  verwenden,  dass  man  aus 
Bimsstein  auf  einer  Drehbank  kegelformige  Stiicke  formt,  die  man  innen  bis  auf 
eine  schwache  Wand  aushohlt.  Eben  solche  Filter  kann  man  auch  aus  porosem 
Thone  (Bisquit)  oder  porosem  Steinmateriale  herstellen.  Auch  aus  Asbestgewebe 
hat  man  ein  Filtermateriale  fur  atzende  Fliissigkeiten  hergestellt,  das  ahnlich  dem 
Filtrirpapier  zu  Filtern  geformt  werden  kann,  die  man  entweder  in  einem  Trichter 
oder  in  einem  anderen  geeigneten  Behalter,  dessen  Boden  durchlochert  sein 
muss,  anbringt.  Um  das  Hindurchfallen  des  Sandes  durch  die  Locher  zu  ver- 
hindern,  legt  man  iiber  jedes  ein  Steinchen.  Dergleichen  Filtrationen  kommen 
indessen  seltener  vor,  oder  lassen  sich  auf  anderen  Wegen  umgehen. 

Um  sich  die  Miihe  zu  ersparen,  sowohl 
bei  den  Filtrationen  selbst  die  zu  filtrirende 
Fliissigkeit,  als  auch  besonders  beim  nachheri- 
gen  Auswaschen  das  Wasser  aufzugeben,  bedient 
man  sich  mit  grosstem  Vortheil  selbstwirkender 
Filtrirvorrichtungen,  deren  Aufgabe  darin  be- 
steht, das  Filtrum  stets  gefullt  zu  halten.  Eine 
bei  Filtrationen  im  Kleinen  sehr  bequemc  und 
zweckmassige  Methode  besteht  darin,  die  Fliis- 
sigkeit mit  dem  Niederschlage  in  eine  Flasche 
zu  geben,  den  Hals  mit  dem  Finger  zu  ver- 
schliessen,  sic  umzukehren  und  die  Oeffnung 
in  das  Filtrum  zu  bringen.  Aus  bekannten 
Griinden  hbrt  das  Ausstromen  der  Fliissigkeit 
auf,  sobald  sie  in  dem  Filtrum  bis  zu  der  Hbhe 
gestiegen  ist,  dass  sie  die  Miindung  der  Flasche 
absperrt  und  sohin  den  Eintritt  der  Luft  in 
die  Flasche  hindert.  Die  Flasche  wird  nun  in 
dieser  umgekehrten  Stellung  mittelst  eines  Tra- 
gers  befestigt.  Wenn  aber  im  Verlauf  der 
Filtration  das  Niveau  bis  unter  die  Miindung 
der  Flasche  sinkt,  so  gelangt,  unter  gleich- 
zeitigem  Ausfluss  eines  entsprechenden  Volu- 
mens  Fliissigkeit,  Luft  in  dieselbe,  bis  aber- 
mals  die  Flaschenmiindung  durch  die  Fliissig- 
keit abgesperrt  wird.  Zum  Auswaschen  von 
Niederschlagen,  von  welchen  nichts  verloren 
gehen  soil,  wie  bei  genauen  Analysen,  ist  diese 

Vorrichtung  aus  dem  Grunde  unanwendbar,  weil  die  Luftblasen  bei  ihrem  Eintritt 
in  die  Flasche  und  dem  Aufsteigen  leicht  eine  kleine  Menge  des  Niederschlages 
mit   in    die    Hohe   reissen    und  in  die  Flasche  fiihren,    wo    sich  derselbe  'dann  an 


488  Filtriren. 

den  Wanden  festsetzen  kann.  Es  sind  daher  wohl  andere  Vorrichtungen  vor- 
zuziehen,  die  diesem  Uebelstande  begegnen,  unter  welchen  der  in  Fig.  163G  dar- 
gestellte,  von  Gay-Lussac  empfohlene  Aussiissapparat  einer  der  altesten  und 
eben  sowohl  im  Kleinen  als  auch  im  Grossen  vollkommen  anwendbar  ist.  Er 
besteht  aus  einer  geraumigen  Flasche,  deren  Miindung  mit  einem  genau  luftdicht 
schliessenden  Pfropfe  versehen  ist,  durch  welchen  zwei  Glasrohren  bis  nahe  auf 
den  Boden  der  Flasche  hindurchgehen.  Die  eine  dieser  Rdhren  ist  heberformig 
gekriimmt,  und  an  ihrem  ausseren  Sehenkel  so  lang,  dass  das  Ende,  welches  in 
das  Filtrum  b  hineinreicht,  etwa  urn  einen  Centimeter  tiefer  liegt,  als  die  untere 
Oeffnnng  a  der  zweiten  Rohre.  Soil  nun  eine  Aussiissung  vorgenommen  werden, 
so  fiillt  man  die  Flasche  mit  reinem  Wasser,  verschliesst  sie  mit  dem  Pfropfe, 
bringt  den  Heber  in  das  Filtrum,  mit  der  Vorsicht,  dass  der  Rand  dieses  letzteren 
urn  etwas  holier  liegt  als  die  Oeffnung  a  und  setzt  nun  den  Apparat  dadurch 
in  Thatigkeit,  dass  man  in  die  gerade  Rohre  Luft  einblast,  wodurch  sich  die 
Heberrohre  mit  Wasser  fiillt,  das  von  da  in  das  Filter  abfliesst,  so  lang,  bis 
die  Miindung  der  heberformigen  Rohre  etwa  ebenfalls  ein  Centimeter  tief  in  die 
Fliissigkeit  im  Filtrum  eintaucht.  Indem  das  Fliissigkeitsniveau  im  Filtrum  wahrend 
des  Ganges  der  Filtration  sinkt,  fliesst  eine  neue  Menge  Wassers  aus  dem  Heber- 
rohre nach,  bis  die  Fliissigkeit  im  Filtrum  wieder  auf  das  urspriingliche  Niveau 
gebracht  ist  u.  s.  f.  Der  Apparat  wirkt  also  selbstthatig  und  halt,  so  lange  noch 
Wasser  in  der  Flasche  ist,  das  Filtrum  stets  mit  Wasser  gefiillt.  Aus  physikali- 
schen  Griinden  namlich,  deren  Erorterung  hier  zu  weit  fiihren  wiirde,  fliesst  der 
Heber,  unter  gleichzeitigem  Eintritt  von  Luft  durch  die  andere  Rohre,  nur  so 
lange,  bis  das  Niveau  der  ihn  umgebenden  Fliissigkeit  in  dem  Filtrum  bis  zu  der 
Hohe  der  Oeffnung  a  gestiegen  ist,  wo  dann  der  Zufluss  von  Wasser  aufhort. 

Auf  demselben  Principe  beruhen  die  meisten  anderen  selbstthatigen  Nach- 
fiillapparate,  die  in  den  verschiedensten  Formen  angegeben  wurden. 

Die  Natur  des  Niederschlages  ist  von  dem  grossten  Einfluss  auf  die  Schnel- 
ligkeit  der  Filtration.  Grobkornige,  sandige  Niederschlage  filtriren  am  besten ; 
naclist  diesen  folgen  die  fasrigen  und  flockigen,  auf  diese  die  feinkornigen,  und 
am  schlimmsten  von  alien  sind  schleimig-volumindse  Niederschlage  zu  filtriren, 
daher  man  denn,  zumal  bei  Arbeiten  im  Grossen,  sich  bemiihen  muss,  den  Nie- 
derschla'gen  eine  geeigte  kornige  oder  flockige  Beschaffenheit  zu  ertheilen.,  sofern 
nicht  etwa  die  Bestimmung  derselben  eine  andere  Beschaffenheit  erheischt. 

Insoferne  die  Raschheit,  mit  welcher  eine  Fliissigkeit  die  Poren  eines  Filter- 
materiales  durchdringt,  wesentlich  abhangig  ist  von  dem  Drucke  der  auf  die  im 
Filter  befindliche  Fliissigkeit  wirkt,  ist  es  klar,  dass  man  durch  einseitige  Erhohung 
des  Druckes  eine  wesentliche  Beschleunigung  der  Filtrationsprocesse  herbeifiihren 
kann.  Ein  solcher,  und  zwar  am  bequemsten  ein  hydrostatischer  Druck,  ist  da- 
durch zu  bewirken,  dass  man  entweder  dem  Filtrum  eine  betrachtliehe  Tiefe  gibt, 
oder  dass  man  den  Raum  iiber  dem  Filtrum  nach  alien  Seiten  hin  dicht  ver- 
schliesst, mit  einer  aufsteigenden  Rohre  in  Verbindung  setzt,  und  diese  mit  Wasser 
oder  der  zu  filtrirenden  Fliissigkeit  gefiillt  erhalt. 

Eine  grosse  Unbequemlichkeit  dieses  an  sich  einfach  erscheiuenden  Ver- 
fahrens  liegt  darin,  dass  der  Niederschlag  wahrend  der  Filtration  und  der  Aus- 
waschuug  vollig  unzuganglich  bleibt,  sich  also  durchaus  nicht  nachsehen  und  auf- 
riihren  la'sst,  und  dass  auch  das  jedesmalige  Oeffnen  und  Wiederverschliessen  des 
Apparatus  zwischen  zwei  Filtrationen  gewisse  Schwierigkeiten  darbietet.  Ebenso 
unbequem  und  in  der  Praxis  undurchfiihrbar  ist  es,  durch  Erhohung  des  Luft- 
druckes  iiber  der  Fliissigkeit  im  Filtrum  die  Filtration  zu  beschleunigen.  Dagegen 
ist  es  verhaltnissma'ssig  bequem  ausfiihrbar,  den  auf  der  Fliissigkeit  im  Filtrum 
lastenden  Druck  einseitig  dadurch  zu  erhbhen,  dass  man  den  Atmospharendruck 
uuter  dem  Filtrum  erniedrigt.  Dies  lasst  sich  am  leichtesten  in  der  Art  be- 
werkstelligen,  dass  man  den  das  Filtrum  tragenden  Trichter  mittels  eines  doppelt 
durchbohrten  Pfropfens  luftdicht  auf  eine  starkwandige  Flasche  aufsetzt,  und  nach- 
dem  man  die  zu  filtrirende  Fliissigkeit  auf  das  Filter  aufgegossen  hat,  durch  Ver- 


Filtriren.  489 

mitt-lung  einer  in  die  zweite  Bohrung  des  Pfropfens  eingepassten  Rohre  die  Luft 
aus  der  Flasclie  auspumpt  oder  doch  wesentlich  verdiinnt.  Man  erreicht  dies 
mittels  einer  Luftpumpe  und  wendet  hiezu  am  vortheilhaftesten  die  neuerer  Zf.it 
ganz  Allgemein  im  Gebrauche  stehenden  Wasserluf'tpumpen  (s.  d.  bei  Luftpumpen; 
oder  Aspiratoren  anderer  Art  an.  Bei  Arbeiten  im  Grossen  kann  man  die  Luf't- 
verdiinnung  auch  wohl  durch  gewohnliche  Luftpumpen  besorgen.  Auf  demselben 
Principe  beruht  auch  die  Einrichtung  der  Schnellfilter,  welche  man  nicht  selten  bei 
Arbeiten  im  Kleinen  verwendet,  bei  welchen  an  das  Rohrende  eines  gewbhnlichen  Filtrir- 
trichters  mit  Hilfe  eines  Kautschukschlauchstiickes  eine  langere  enge  Glasrohre  ange- 
setzt  ist,  die  nahe  an  ihrer  Verbindungsstelle  mit  dem  Trichterrohre  zu  einer  kleinen 
Schlinge  gebogen  ist.  Die  aus  dem  Eilter  ablaufende  Fliissigkeit  (das  Filtratj, 
welches  durch  diese  Rohre  ihren  Weg  nehmen  muss,  bildet  in  derselben  unter  dem 
Einflusse  der  Schlinge,  die  sie  passiren  muss,  kleine  Fliissigkeitssaulen,  die  bei  ihrem 
Fallen  in  der  Rohre  eine  saugende  Wirkung  ausiiben  und  sohin  den  unter  dem 
Filter   herrschenden  Druck  in  einem,    wenn  auch  nur  geringen  Grade  vermindern. 

Bei  Arbeiten  im  Grossen  kann  man,  soferne  die  zu  filtrirende  Fliissigkeit 
die  Beriihrung  mit  heissen  Wasserdampfen  vertragt,  die  Druckerhohung  iiber  dem 
Fliissigkeitsniveau  im  Filter  auch  dadurch  bewirken,  dass  man  in  das  oben  her- 
metisch  abgeschlossene  Filter  gespannten  Dampf  eintreten  lasst. 

Dass  bei  alien  Filtrationen  mit  Druck  das  Filtrum  die  nbthige  Festigkeit 
besitzen  miisse,  urn  unter  dem  Drucke  nicht  zu  zerreissen,  bedarf  kaum  der  Er- 
wahnung.  Man  bringt  desshalb  zum  Schutze  der  Filtra  nicht  selten  kleine  sieb- 
fbrmig  durchlocherte  Hohlkegel  aus  Platinblech  oder  Pergamentpapier  unter  die 
Filterspitze  oder  wendet  wohl  auch  ein  durch  eingelegte  Gewebe  (Gaze  oder 
Battist)  verstarktes  Filtrirpapier  oder  sonstige  dem  Drucke  leichter  widerstehende 
Filtermaterialien  an.  Bei  manchen  Niederschlagen  ferner,  namentlich  bei  schlei- 
mig-flockigen,  ist  Anwendung  von  Druck  nicht  immer  zweckmassig,  indem  sich 
der  Niederschlag  gerade  durch  die  Gewalt  des  Druckes  auf  der  Oberfiache  des 
Filtrums  zu  einer  fast  undurchdringlichen  Kruste  zusammensetzen  kann,  die  den 
ferneren  Durchgang  von  Fliissigkeit  hindert. 

Zweck  der  Filtration  ist  gerade  nicht  immer,  eine  Fliissigke  it  von  einem 
darin  enthaltenen  fein  zertheilten  festen  Korper  zu  trennen;  es  kommt  auch  in 
einzelnen  Fallen  der  Zweck  in  Betracht,  die  Substanz  des  Filtrums  chemisch  auf 
die  Fliissigkeit  einwirken  zu  lassen,  so  z.  B.  bei  der  Salmiakfabrikation,  wo  man 
die  rohe  Lauge  von  kohlensaurem  Ammoniak  durch  pulverisirten  Gyps  filtrirt, 
um  eine  gegenseitige  Zersetzung  zu  kohlensaurem  Kalk  und  schwefelsaurem  Am- 
moniak zu  erzielen ;  ferner  bei  der  Filtration  gefarbter  oder  riechender  Stoffe 
durch  Kohlenpulver  oder  iiber  Spodium,  um  sie  geruchlos  zu  machen  oder  zu  entfarben. 

Hierher  gehort  das  Filtriren  iiber  Spodium,  wie  es  in  der  Zuckerfabrikation 
sowie  bei  verschiedenen  anderen  Zweigen  der  chem.  Industrie  in  Anwendung  steht ; 
das  Filtriren  des  fuseligen  Branntweins  iiber  Holzkohle,  um  ihn  zu  entfuseln,  das 
Filtriren  schlechten  Trinkwassers  durch  plastische  Kohle,  um  es  von  riechenden 
und  farbenden  oder  iiberhaupt  fremdartigen  Stoffen  zu  befreien.  Ueber  besoudere 
Arten  der  Filtration  im  Grossen  s.  bei  Wasser,  s.  b.  Zuckerfabrikation. 
Ueber  das  Filtriren  von  Metallen,  welches  schon  von  Lampadins  empfohlen 
wurde,  hat  neuestens  Curter  (vgl.  Dingl  pol.  Journ.  215  pag.  469)  neuere 
Arbeiten  geliefert,  vgl.  iib.  a.  Leichsenring  D.  Industr.-Ztg.  1875  pag.  37. 
s.  a.  b.  d.  einzelnen  Metallen.     Gtl. 

Filtrirstein  (pierre  Jiltrante  —  filtering  stone),  Filtrirsandstein.  Ein  fein- 
kbrniger  Sandstein  von  ziemlich  porbser  Masse,  der  sich  als  Filtermateriale  gut 
eignet,  insoferne  er  fiir  Fliissigkeiten  leicht  durchgangig  ist.  Er  wird  gewbhnlich 
zur  Wasserfiltration  verwendet,  u.  z.  in  der  Art,  dass  man  grbssere,  unten  ge- 
schlossene,  oben  offene,  hohle  Cylinder  aus  diesem  Steine  fertigt,  die  in  das  zu 
filtrirende  Wasser  eingestellt  werden,  das  nun  durch  die  porbse  Sandsteinmasse 
in  den  Innenraum  des  Steines    eindringt  und  hiebei  filtrirt  wird.     Gtl. 


490  Filtrirtuch.  —  Firniss. 

Filtrirtuch.  Zum  Auspressen  des  Stearins  etc.  in  den  Filterpressen  wird  ein 
dicker  Schaffwollstoff  verwendet,  dessen  Kettenfaden  aus  Sdrahtigem  und  dessen 
Schussfaden  aus  lOdrahtigem  Kammgarnzwirne  bestehen.  Die  Drehung  der  letzteren 
ist  geringer.  Diese  Faden  sind  zu  einem  dichten,  dreibtindigen  Korper  verwebt.     Kk. 

Filz  (feiitre  —  felt)  wird  ein  aus  wirr  durcheinander  liegenden  thierischen 
Haaren  bestehender  Zeug  genannt,  welcher  ohne  Weben  den  Zusammenhang  durch 
das  Verfilzen  oder  Filzen  erhalten  hat.  Nicht  alle  thierischen  Haare  besitzen  die 
Verfilzungsfahigkeit  in  dem  gleichen  Masse  und  kann  daher  nur  aus  geniigend 
verfilzungsfahigen  Haaren  ein  guter  Filz  erhalten  werden.  Je  feiner  und  elasti- 
scher  das  thierische  Haar  ist,  um  so  dichter  und  fester  lasst  sich  der  Filz  er- 
halten. Man  kann  das  Filzen  folgendermassen  vornehmen.  Eine  Schichte 
gleichmassig  gelockerter  wirrer  Haare,  z.  B.  Schafwolle,  Hasenhaare  o.  dgl., 
werde  zwischen  zwei  Leinwandstticke  gebracht,  welche  zunachst  nur  die  Aafgabe 
haben  die  Uebertragung  der  Haarschichte  zu  ermoglichen.  Man  bringt  nun  das  Ganze 
in  warraes  Wasser  oder  eine  warme  Seifenlosung  und  driickt  anfanglich  sehr  vor- 
sichtig,  spater  kraftiger.  Die  Haare  werden  sich  bald  unter  sich  derart  verbinden, 
pass  die  Leinwand  entfernt  werden  kann  und  ein  weiteres  Verfilzen  durch  kraf- 
tiges  Kneten  des  Vliesses  erzielbar  wird.  Man  erhalt  so  jene  innige  Vereinigung 
der  Haare,  welche  Jedermann  von  den  Filzhiiten  her  bekannt  ist.  S.  die  Artikel : 
Hutfabrikati  on,  Schafwolle  und  Tuch.     Kk. 

Filzmalz,  ein  stark  gewaehsenes  Malz,  bei  dem  die  langen  Malzkeime  so 
in  einander  versehlungen  sind,  dass  die  einzelnen  Malzkorner  eine  verfilzte  Masse 
bilden,  s.  Bier  I  pag.  465  bei  Malzen.     Gil. 

Filzmaschine,  s.  Tuch. 

Filztuch,  s.  Tuch. 

Fimmel,  s.  Bergbau-I  pag.  384,  s.  a.  Hanf. 

Fingei'hut  (de  —  thimble).  Fingerhute  aus  Metall  werden  gewohnlich  durch 
Stauzen  (s.  I  pag.  557),  selten  durch  Driicken,  hergestellt  und  an  der  Drehbank 
mit  Zuhilfenahinc  der  Randelradchen  etc.  vollendet.  Die  Fingerhute  aus  Elfenbein 
oder  Bein  werden  auf  der  Drehbank  durch  Ausbohren  und  Abdrehen  hergestellt 
und  erlangen  die  feinen  Grilbchen  durch  Ausbohren,  da  hier  das  Randelradchen 
nicht  anwendbar  ist.     Kk. 

Fingerhutkraut,  wirksame  Bestandtheile  s.  b.  Digital  in  II  pag.  628. 

Fitlirmaschine  (machine  a  arrondir  —  finishing  engine),  s.  Walz- 
ra  a  s  c  h  i  n  e. 

Finne,   s.  Hammer. 

Finnhammer,  s.  Blechbearbeitung  I  pag.  555. 

Finnish-Maschine,  s.  Appretur  I  pag.  177. 

Firmamentstein  s.  Opal. 

Firneis,  das  aus  dem  Hoehsehnee  iiber  der  Schneelinie  der  Hochgebirge  ge- 
bildete,  aus  rundlichen,  festen  und  harten  Kbrnern  bestehende  Eis  der  Firnfelder 
der  Gletscher.  welches  nach  oben  zu  locker  und  hold,  nach  unten  hin  zu  einer 
t'esten  compacten  Masse  sich  verbindet,  aus  welcher  nach  und  nach  das  Gletschereis 
entsteht.     Lb. 

Firniss  (verms  —  raniish).  Lackfirniss,  Lack.  Mit  dicsem  Namen  belegt 
man  im  Allgemeinen  Fliissigkeiten,  welche  die  Eigenschaft  haben,  in  diinnen 
Schichten  der  Eimvirkung  der  Luft  ausgesetzt,  mehr  oder  weniger  rasch  zu 
mehr  oder  weniger  harten,  durchsichtigen  oder  doch  durchscheinenden    und    einen 


Firniss.  191 

melir  oder  weniger  ausgesprochenen  Glanz  zeigenden  Ueberziigen  einzutrocknen. 
Man  benutzt  Firnisse  iiberall  da,  wo  es  gilt  der  Oberflache  der  verschiedensten 
Kbrper  einen  ibnen  an  sicb  nicbt  eigenthiimlichcn  Glanz  zu  ertheilen  und  ihnen 
liiedurch  ein  schdneres  Aussehen  zu  geben  (Lackfirnisse  oder  Lacke),  sowie  audi 
urn  die  verschiedensten  Korper  mit  ein  em  dem  Einflusse  von  Luft  und  Feuchtig- 
keit  widerstehenden  Ueberzuge  zu  versehen  und  sohin  vor  diesen  Einfltissen  zu 
schiitzen.  Diesen  Zwecken  entsprechend  wendet  man  zur  Herstellung  von  Firnissen 
fast  ausschliesslich  Harze  oder  diesen  verwandte,  der  Einwirkung  von  Wasser 
und  Luft  widerstehende,  Substanzen  an,  welche  in  geeigneten  fliichtigen  Losungs- 
mitteln  aufgelost  werden  oder  wenn  sie  an  s^ch  fliissig  waren,  so  zubereitet 
werden,  dass  sie  die  Fahigkeit  des  Eintrocknens  gewinnen. 

Von  Harzen  oder  Gummiharzen  kommen  am  haufigsten  Schollack,  Copal, 
Dammar,  Sandarak,  Mastix,  Fichtenharz  (Colophonium),  Bernstein,  Asphalt,  Elemi, 
Terpentin,  Acaroidharz,  seltener  Benzoe,  Gummi-Gutt,  Drachcnblut,  Kautschuk 
u.  d.  g.  in  Verwendung.  Als  Losungsmittel  werden  vornehmlich  Weingeist,  Holz- 
geist,  methylirter  Weingeist,  dann  Terpentinol  und  Harzol,  Leinol,  Ricinusbl  und 
Mohnol,  seltener  Aether,  Aceton,  gewisse  atherische  Oele,  Benzol,  Chloroform, 
verwendet.  Man  kann  die  Firnisse  einerseits  nach  dem  Harze,  welches  sie  vor- 
herrschend  enthalten,  eintheilen,  andererseits  classificirt  man  sie  nach  dem  Lo- 
sungsmittel, welches  in  Anwendung  kam.  In  letzterer  Hinsicht  unterscheidet  man 
1.  Weingeistfirnisse  (geistige  Firnisse  iiberhaupt).  2.  Terpentinolfirnisse  (Firnisse 
mit  atherischen  Oelen).  3.  Fette  Firnisse  (Leinol-,  Mohnolfirnisse).  4.  Harzolfirnisse. 

Haupterfordernisse  fiir  einen  brauchbaren  Firniss  sind,  dass  die  nach  dem 
Eintrocknen  hinterbleibende  Schichte  einen  hohen  Grad  von  Harte,  dabei  aber 
doch  noch  so  viel  Zahigkeit  habe,  dass  sie  bei  Temperaturwechsel  nicht  rissig  und 
kliiftig  wird,  dass  sie  ferner  einen  schonen,  haltbaren  Glanz  habe,  sowie  dass 
das  Eintrocknen  nicht  allzu  lange  Zeit  in  Anspruch  nimmt.  Diese  Eigenschaften 
werden  theils  durch  die  Wahl  des  Harzes  oder  der  geeigneten  Harzmischung, 
theils  aber  auch  durch  die  Wahl  des  Losungsmittels,  sowie  die  Art  der  Herstel- 
lung bedingt.  Im  Allgemeinen  sind  die  Weingeistfirnisse  zwar  durchwegs  sehr 
rasch  trocknend,  und  liefern  hochglanzende  Ueberziige,  dagegen  sind  diese  Uebcr- 
ziige  meist  nur  von  geringer  Dauerhaftigkeit,  indem  sie  zum  rissig  werden  leicht 
geneigt  sind,  insoferne  das  geloste  Harz  nach  dem  Verdunsten  des  Losungsmittels 
in  Gestalt  einer  mehr  weniger  sproden  Schichte  zuriickbleibt.  Es  kommt  desshalb 
bei  Herstellung  derartiger  Firnisse  auf  eine  entsprechende  Auswahl  geeigneter 
Harzgemenge,  bei  welchen  die  Sprddigkeit  des  einen  durch  Zusatz  eines  weicheren 
oder  zaheren  gemildert  wird,  Alles  an. 

Die  Terpentinolfirnisse,  sowie  jene,  welche  unter  Anwendung  anderer  athe- 
rischer  Oele  hergestellt  werden,  sind,  was  Raschheit  desTrocknens  anbelangt.  den 
geistigen  Firnissen  sehr  nahe  kommend,  unterscheiden  sich  aber  von  ihnen  dadurch, 
dass  sie,  wegen  der  Fahigkeit  soldier  atherischerOele  selbst  zu  verharzen  und  ein 
mehr  weiches,  erst  allmalig  sprcider  werdendes  Harz  zuriicklassen  zu  konnen, 
weniger  sprdde  Schichten  liefern.  « 

Weitaus  vorzuziehen  sind  die  fetten  Firnisse  zumal  in  Bezug  auf  Dauer- 
haftigkeit und  Widerstandsfahigkeit  der  Schichte,  die  sie  nach  dem  Trocknen 
hinterlassen.  Dagegen  trocknen  sie  im  Allgemeinen  wesentlich  langsamer  als  die 
Terpentinolfirnisse.  Den  fetten  Firnissen  an  Widerstandsfahigkeit  und  Dauer- 
haftigkeit der  Anstriche,  die  sie  liefern,  fast  gleichkommend,  dagegen  aber  weniger 
Glanz  gebend,  sind  endlich  die  Harzolfirnisse,,  die  tibrigens  auch,  was  die  Dauer 
des  Trocknungsprocesses  anbelangt,  den  fetten  Firnissen  ziemlich  gleichstehen. 

Im  Folgenden  geben  wir  eine  Reihe  bewahrter  Vorschriften  fiir  die  Her- 
stellung verschiedener  Firnisse. 

a)  Geistige  Firnisse  (Weingeist,  Holzgeist,  Aether.  Aceton,  Chloroform 
als  Losungsmittel).  Derlei  Firnisse  werden  vorherrschend  fiir  Tischler-  und  Drechsler- 
arbeiten,  dann  fiir  Papier-  und  Buchbinderarbeiten,  dann  fiir  Vergolderarbeiten 
und  endlich  fiir  Metallarbeiten  verwendet. 


492  Firniss  (Geistige  Firnisse). 

Firnisse  fur  T  i  s  c  h  1  e  r  a  r  b  e  i  t  e  n  sind : 

Die  Tischlerpolitur.  1  Thl.  Schellack  wird  in  4  Thl.  Weingeist  von  90 
Proc.  gelost.  Fiir  lichte  Polituren  wird  eine  blasse  Schellacksorte  gewahlt.  Die 
Auflosung  erfolgt  nach  langerem  Stehen  in  der  Kalte,  leichter  beim  Erwarmen 
auf  40— 50°  C.  Mody  empfiehlt  1%  Thl.  Schellack,  1 '/„  Thl.  Benzoe,  '/15 
Thl.  Drachenblut  in  88  Thl.  rectif.  Holzgeist  in  der  Warme  zu  losen. 

Ein  Firniss  fiir  Kunsttischler  wird  erhalten  durch  Auflosen  von  Gummilack 
16  %  Thl.  in  900  Thl.  Weingeist  von  90  Proc.  und  Zusatz  von  125  Thl.  Kleber. 
Nach  mehrta'gigem  Stehen  in  gelinder  Warme  und  oft  wiederholtem  Umschiitteln 
wird  filtrirt.  Audi  250  Thl.  Schellack  oder  Kornerlack  und  1  Thl.  Benzoe  in 
1000  Thl.  Weingeist  von  90  Proc.  gelost,  liefert  eine  gute  Tischlerpolitur.  Ein 
guter  Drechslerlack  fiir  Buchsbaumholz  wird  erhalten  aus  20  Thl.  Gummilack, 
4  Thl.  Elemiharz,  64  Thl.  Weingeist  (96  Proc.)  und  3  Thl.  Venetian.  Terpentin. 

Fiir  Papierarbeiten  und  Bilder : 

Sandarak  6  Thl.,  Mastix  4  Thl.  werden  gestossen  und  zur  Verhinderung 
des  Zusammenballens  bei  der  Auflosung  4  Thl.  Glaspulver  zugeraischt.  Das 
Ganze  mit  32  Thl.  Weingeist  ubergossen  und  bis  zur  vollstandigen  Losung  der 
Harze  in  der  Warme  digerirt,  schliesslich  werden  3  Thl.  geschmolz.  venetianer 
Terpentin  zugesetzt;  oder  6  Thl.  Sandarak  in  24  Thl.  Weingeist  in  gelinder 
Warme  gelost  und  4  Thl.  Elemi  zugesetzt.  Nach  Zinn  liefern  10  Thl.  San- 
darak, 4  Thl.  Mastix,  und  '/„  Thl.  Campher  in  180  Thl.  Weingeist  von  90  Proc. 
aufgelost,  ein  en  guten,  in  dtinnen  Schichten  aufgetragen,  nicht  abspringenden 
Bilderfirniss. 

Fiir  photographische  Glasbilder  (Negativ-Bilder)  empfohlen,  aber  audi  fiir 
Papierarbeiten  verwendbar  sind : 

Weisser  Schellack  (gebleicht)  8  Thl.,  Sandarak  4  Thl.,  Canadabalsam  1 
Thl,  Weingeist  von  90%  120  Thl.  Cooper's  Firniss:  2  Thl.  Benzoeharz  (ge- 
schmolzen),  a/10  Thl.  Sandarak  in  6  Till,  starkem  Methylalkohol  (Holzgeist)  gelost 
und  zu  dieser  Losung  40  Tropfen  einer  Losung  von  1  Thl.  Mastix  in  6  Thl. 
Terpentinbl  zugesetzt;  oder  2  Thl.  Benzoe  (geschmolzen)  '/10  Theil  Sandarak, 
2  Thl.  Jalappaharz,  16  Thl.  Holzgeist,  40  Tropfen Mastixfirniss.  —  Moczigay's 
Negativfirniss :  8  Thl.  Sandarak,  l1^  Thl.  Terpentinol,  1%  Thl.  Lavendelbl, 
2  !/4  Thl.  Eisessig,  40  Thl.  absolut.  Weingeist.  —  L  6  c  h  e  r  e  r's  Negativlack : 
180  Thl.  Weingeist,  11 74  gebl.  Schellack,  3%  Thl.  Benzoe.  —  Spiritusfirniss 
von  Schnauss:  20  Thl.  gebl.  Schellack,  1 '/2  Thl.  Sandarak,  160  Thl.  Wein- 
geist von  0.825  spec.  Gew.  (muss  warm  aufgetragen  werden).  Firniss  fiir  Zeich- 
nnngen:  16  Thl.  gebl.  Schellack,  8  Thl.  Campher,  2  Thl.  Canadabalsam  in  130 
Thl.   Weingeist. 

Fiir  B  u  c  h  b  i  n  d  e  r  a  r  b  e  i  t  e  n. 

1  Thl.  Kornerlack  in  7  Thl.  Weingeist  (92%)  gelost,  filtrirt  und  imWasser- 
bade  auf  die  Halfte  eingedampft,  sodann  mit  lfx6  Thl.  Lavendelol  versetzt,  liefert 
den  braunen  Buchbinderlack.  Goldgelber  Buchbinderlack  wird  erhalten  aus  2  Thl. 
Kornerlack,  2  Thl.  Mastix,  1  Thl.  Gummigutt,  14  Thl.  Weingeist  (90%)  oder: 
6  Thl.  Sandarak,  4  Thl.  Mastix,  */„  Thl.  Terpentin,  %  Thl.  Gummigutt,  30 
Thl.  Weingeist  ^90%)  oder:  2  Thl.  gebleichter  Schellack, ~l/s  Till.  Gummigutt  in 
12  Thl.  Weingeist  (90%)  gelost,  filtrirt  und  auf  die  Halfte  verdampft,  oder:  Co- 
lophonium  (blass)  2  Thl.,  Mastix  1  Thl.,  Sandarack  J/4  Thl.,  Gummigutt  V8  Thl., 
venetianer  Terpentin  7s  Thl.,  Weingeist  (90%)  18  Thl.  Ein  schnell  trocknender 
Buchbinderlack  wird  nach  Krehan  erhalten  aus  5  Thl.  Schellack,  21/,,  Thl. 
Sandarak,  2%  Thl.  Mastix,  21/,  Thl.  Benzoe  in  32  Thl.    absol.    Alkohol    gelost. 

Fiir  Holzvergoldung: 

25  Thl.  Elemi,  25  Thl.  Mastix,  250  Thl.  Sandarak  werden  in  einer  De- 
stillirblase  mit  600  Thl.  Weingeist  zwei  Stunden  lang  gekocht  und  nach  erfolgter 


Firniss  (Geistige  Firnisse).  493 

Losung  der  in  der  Vorlauge  aufgefangene  Weingeist  wieder  zuriickgegossen  and 
mit  der  Losung  vermengt.  (Dingl.  pol.  Journ.  131  pag.  238.;  Fiir  Sandarak 
and  Mastix  enthaltende  Firnisse  empfiehlt  iibrigens  Varrentrapp  (Dingl.  pol. 
Journ.  112  pag.  216)  auch  folgende  Vorschriften :  6  Thl.  Sandarak,  4  Thl.  Mastix, 
%  Thl.  Terpentin,  30  Thl.  Weingeist,  oder  12  Thl.  Sandarak,  6  Thl.  Mastix, 
74  Thl.  Venetian.  Terpentin,  30  Thl.  Weingeist.  Einen  Universalweingeistfirniss 
empfiehlt  J.  Miller  (Dingl.  pol.  Journ.  130  pag.  358),  bestehend  aus  4  Thl. 
Sandarak,  2  Thl.  Mastix,  2  Thl.  Colophonium,  1  Thl.  Campher,  alles  gepulvert, 
mit  Glaspulver  gemengt  und  mit  24  Thl.  Alkohol  von  90°/0  in  gelinder  Warme 
digerirt,  bis  Losung  der  Harze  erreicht  ist.  Durch  theilweisen  Ersatz  von  San- 
darak durch  gebleichten  Schellack  erhalt  man  einen  Firniss,  der  etwas  hartere 
Anstriche  liefert:  z.  B.  2  Thl.  gebl.  Schellack,  2  Thl.  Sandarak,  2  Thl.  Mastix, 
2  Thl.  Colophonium,  2  Thl.  Campher,  24  Thl.  Weingeist  (90%). 

Fiir  Goldleisten  firnisse  speciell  empfiehlt  R.  v.  Poppinghausen 
folgende  Vorschriften : 

1.  3  Pfd.  Schellack  (blond)  in  2%  Quart  Alkohol  gelost,  %  Pfd.  San- 
darak in  3/4  Quart  Alkohol  gelost,  74  Pfd.  Mastix  in  %  Quart  Alkohol,  l/2  Pfd. 
Gummigutt  in  '/„  Quart  Alkohol,  3  Lth.  Drachenblut  in  V8  Quart  Alkohol,  9 
Lth.  Sandelholz  (hellstes)  mit  3/4  Quart  Alkohol  angesetzt,  12  Lth.  venetianer 
Terpentin  in  '/s  Quart  Alkohol.  Jede  Losung  fiir  sich  bereitet  und  wenn  nothig 
filtrirt  und  sodann  alles  zusammengegossen  und  gut  geraischt.  Der  Firniss  ist 
sehr  hart  und  hat  sehr  viel  Feuer. 

2.  2-Va  Pfd.  Schellack  (blond),  1  Pfd.  Sandarak,  »/fl  Pfd.  Gummigutt,  11 
Lth.  hellstes  Sandelholz,  8  Lth.  Terpentin  (venetianer),  5  Quart  Alkohol. 

3.  2%  Pfd.  Schellack  (blond),  1  Pfd.  Sandarak,  V4— 72  Loth  Anilingelb, 
11  Loth  Sandelholz,  8  Loth  venetianer  Terpentin,  5  Quart  Alkohol. 

4.  %  Pfd.  Garancine,  2  y2  Pfd.  Schellack,  2  Pfd.  Sandarak,  %  Loth  Saffran, 
5  Quart  Alkohol  nach  mehrtagiger  Digestion  in  gelinder  Warme  zu  filtriren. 
Ein  Mattfirniss  fiir  matte,  unechte  Goldleisten  wird  erhalten  aus  V2  P^.  Schellack 
(blond)  in  2  Quart  Alkohol  (absolut.)  gelost.  Mit  einem  Theil  dieser  Losung 
wird  nach  dem  Filtriren  etwa  %  Pfd.  geschlammter  Kreide  fein  abgerieben  und  der 
Brei  mit  der  iibrigen  Losung  verdiinnt. 

Fiir  Metallwaaren  (Goldlackfirnisse). 

12  Thl.  Kornerlack,  4  Thl.  gelb.  Bernstein,  4  Thl.  Gummigutt,  %  Thl. 
Sandelholz,  ]/8  Thl.  Safran,  l/4  Thl.  Drachenblut,  gepulvert  und  mit  12  Thl. 
Glaspulver  gemengt  werden  in  80  Thl.  Weingeist  von  90%  in  gelinder  Warme 
gelost  und  filtrirt,  oder  es  werden  2  Thl.  Mastix,  1  Thl.  Gummigutt  und  2  Thl. 
Kornerlack  in  14  Thl.  Weingeist  von  90%  gelost;  oder  2  Thl.  Schellack,  2  Thl. 
Kornerlack,  2  Thl.  Orlean,  6  Thl.  Gummigutt,  1  Thl.  Safran  in  15  Thl.  Wein- 
geist; oder  2  Thl.  Gummigutt,  2  Thl.  Drachenblut,  2  Thl.  Kornerlack,  4  Thl. 
Elemi,  4  Thl.  Sandarak,  1  Thl.  Curcumawurzel  in  45  Thl.  Weingeist  oder  4 
Thl.  Schellack,  4  Thl.  Sandarak,  2  Thl.  Mastix,  5  Thl.  Terpentin  (venetianer), 
1  Thl.  Colophonium,  4  Thl.  Drachenblut,  4  Thl.  Gummigutt  in  70  Thl.  Weingeist, 
(90%). 

Nach  Morell  kann  man  den  Metallfirnissen  eine  besondere  Haltbarkeit 
ertheilen  und  sie  auf  dem  Metall  sehr  fest  haftend  machen,  wenn  man  einem  der 
Spiritusfirnisse  z.  B.  obiger  Vorschriften  auf  100  Thl.  V„  Thl.  reiner  krystalli- 
sirter  Borsaure  zusetzt  und  in  demselben  auflost.  Nach  R  ay  s  e  r  erhalt  man  einen 
sehr  schonen  Goldfirniss  fiir  Metallwaaren  durch  Auflosen  von  '/2  kryst.  Borsaure 
und  reiner  Pikrinsaure  in  einer  hellen  Schellacklosung.  Je  nach  der  Menge  der 
zugesetzten  Pikrinsaure  kann  man  eine  mehr  oder  weniger  gesattigt  gelbe  Farbe 
des  Firnisses  erzielen. 

Worlee  (Dingl.  pol.  Journ.  184  pag.  377)  empfiehlt  fiir  Goldlackfirnisse 
die    Verwendung   von  Acaro'i'dharz,    von    dem    namentlich    die   rothe    Gattung  eine 


494         '  Firniss  (Geistige  Firnisse). 

alkoholische  Losung  von  schon  rother  Farbe  liefert.  Man  verwendet  vortheilhaft 
das  Harz  im  Gemenge  mit  Scliellack  und  setzt  der  alkoholischen  Losung,  urn  die 
Sprbdigkeit  des  Anstriches    zu    raildern,  etwas  Copaivabalsam  und  Lavendelbl  zu. 

Durch  Zusatz  verschiedener  in  Weingeist  lbslicher  Anilinfarben  zu  licliten 
Weingeistfirnissen  kann  man  Firnisse  in  alien  Farben  darstellen ;  die  anzuwendende 
Menge  der  Anilinfarbe  richtet  sich  nach  der  Intensitat  der  Farbung,  die  man  dem 
Firnisse  ertheilen  will.  Solcbe  Firnisse  liefern  auf  blanke  Metallflachen  aufge 
strichen  brillante  Effecte,  wenn  sie  vbllig  klare  und  durchsichlige  Anstricbe  geben. 
Um  solche  zu  erzielen,  miissen  die  Firnisslbsungen  selbst  vollkommen  klar  sein, 
was  bei  Scliellack-  sowie  bei  Kbrnerlacklbsungen  meist  nicht  der  Fall  ist7  da  ein 
geringer  Gehalt  dieser  Harze  an  einer  wachsahnlichen  Substanz  nach  kiirzerer 
oder  langerer  Zeit  eine  Triibung  der  alkoholischen  Losungen  bedingt.  Um  solche 
Losungen  zu  klaren,  empfiehlt  Peltz  (Deutsch.  Industr.  Ztg.  1875  pag.  175) 
dieselben  mit  Y3  ihres  Volumens  an  Benzin  zu  schiitteln  und  nach  dem  Abheben 
der  Benzinschichte  der  nun  klar  erscheinenden  Firnisslosung  1  bis  3  Proc.  Venetian. 
Terpentin  zuzusetzen. 

Die  Auflosungen  des  Schell-  oder  Kornerlacks  sind  immer  mehr  oder  weniger 
braun,  wesslialb  man  zu  solchen  Firnissen,  die  recht  hell  erscheinen  sollen,  sich 
des  gebleichten  Schellacks  bedienen  muss.  Hierbei  trifft  man  haufigauf  dieSchwie- 
rigkeit,  dass  derselbc  der  Auflbsung  widersteht.  Die  Ursache  davon  liegt  theils  in  dem 
Alter  des  Schellacks,  theils  in  der  Art  seiner  Bleichung  und  es  bleibt  daher  nichts  iibrig,als 
den  gebleichten  Scliellack,  bevor  man  ihn  ankauft,  auf  seine  Auflbslichkeit  zu  priifen. 

Von  sonstigen  geistigen  Firnissen  sind  zu  nennen  die  mittels  Aceton  berei- 
teten  Firnisse  (vgl.  Wiederhold,  Deutsche  Industrie-Ztg.  1864  pag.  284).  So 
liefert  gepulverter  und  fast  bis  zum  Beginn  der  Schmelzung  gedbrrter  Copal  in 
dem  Verhaltnisse  von  1  Thl.  zu  24/5  Thl.  reinen  Aceton  gelost  schon  in  der 
Kalte  einen  Firniss,  der  fast  augenblicklich  trocknet  und  einen  Anstrich  von  dauer- 
haftem  glasahnlichem  Glanze  liefert.  Beliebig  mit  Aceton  verdiinnt,  erhalt  man 
aus  einer  solchen  Losung  Firnisse  von  der  verschiedensten  Consistenz,  die  na- 
mentlich  als  Mobellacke  und  flir  solche  Falle  verwendbar  sind,  wo  der  Firniss- 
iiberzug  nicht  elastisch  zu  sein  braucht.  Sehr  leicht  Ibsen  sich  audi  Mastix  und 
Sandarak  in  Aceton  und  liefern  schon  in  der  Kalte  sehr  dicke  Firnisse,  die  gleich- 
falls  mit  Aceton  zu  beliebiger  Consistenz  verdiinnt  werden  kbnnen. 

Auch  mit  Anwendung  von  Aether  werden  Firnisse  bereitet.  So  empfehlen 
namentlich  D.  und  F.  Freudenberg  fllr  die  Herstellung  von  Copaliirnissen  fol- 
gende  Vorschrift:  8  Thl.  westind.  Copal,  8  Thl.  Schwefelather,  8  Thl.  Terpentinbl, 
8  Thl.  Weingeist  (84  Proc.)  oder  ohne  Aether  8  Thl.  westind.  Copal,  8  Thl. 
Terpentinbl  und  12  Thl.  Weingeist  (98  Proc).  Nach  Karmarsch  u.  Heeren 
erhalt  man  einen  vorzliglichen  Copalfirniss,  wenn  man  6  Thl.  gepulverten  west- 
indischen  Copal  in  eine  Mischung  von  6  Thl.  Weingeist  (98  Proc),  4  Thl.  Ter- 
pentinbl und  1  Thl.  Aether  eintragt  und  in  gelinder  Warme  auflbst.  Die  Auf- 
losung erfolgt  sehr  leicht,  und  der  erhaltene  Firniss  bildet  eine  licht  gefarbte 
dickfliissige  Fltissigkeit,  die  durch  Absetzen  oder  Filtriren  vollkommen  klar  erhalten 
werden  kann.  Er  trocknet  in  langstens  2—3  Stunden.  Von  Wichtigkeit  ist  aber, 
dass  der  angewandte  Copal  westindischer  sei,  da  sich  ostindischer  Copal  in  diesem 
Lbsungsmittel  nicht  auflbst,  sondern  nur  aufquillt.  Um  sicher  zu  gehen,  ist  es 
daher  immer  angezeigt,  den  zu  verwendenden  Copal  vorher  auf  seine  Lbslichkeit 
in  der  oben  angegebenen  Mischung  in  einem  kleinen  Prbbchen  zu  priifen.  *)  Audi 
mit  Dammarharz  lassen  sich  atherische  Firnisse  herstellen,  die  weniger  sprbde 
Anstriche  liefern  als  Copal. 


Bottger  (s.  pol.  Notizblatt  1867  pag.  209)  empfiehlt  Campher  zur  Vermittlung  der 
Losung  des  Copals  in  Aether-Weingeist.  Er  lost  1  Thl.  Campher  in  12  Thl.  Aether, 
digerirt  mit  dieser  Losung  4  Thl.  feingepulverten  Copal  und  setzt  nach  erfolgter  theil- 
wt-iser  Losung  noch  4  Till,  absol.  Alkohol  und  l  ,  Thl.  Terpentinol  zu.  Auch  Yiolette 
is.  Dingl.  pol.  Journ.  ls-J  pag.  64)  hat  Mittheilnngen  iiber  die  Herstellung  iifherisclier 
Copallacke  gemacht. 


Firniss  (Terpentinolfirniss).  495 

In  einzelnen  Fallen  kann  man  audi  Chloroform  oder  Essigather  als  Losungs- 
mittel fur  die  Herstellung  von  Firnissen  verwenden,  doch  ist  die  Anwendung  der- 
selben  wegen  des  hdheren  Preises  dieser  Ldsungsmittel,  bei  ersterem  aber  anch 
wegen  der  anasthetischen  Wirkung,  die  die  Einathnunig  der  Dainpf'e  zur  Folgehat, 
fill-  die  Praxis  nicht  zu  empfehlen. 

b)  Terpentinolfirnisse  (Terpentinol  und  vcrwandte  atherische  Oele, 
dann  niedere  Kohlenwasserstoffe,  als  Benzin  etc.,  endlich  Schwefelkohlenstoff  als 
Losungsmittel). 

Terpentinol  wird  namentlich  zur  Herstellung  von  Dammarfirnissen  mit  Vor~ 
liebe  verwendet.  Urn  solclie  darzustellen,  muss  das  Dammerliarz  so  lange  mit 
Terpentinol  gekocht  werden,  bis  alle  Feuchtigkeit  ausgetrieben  ist,  was  man  daran 
erkennt,  dass  die  Masse  ruhig  ohne  heftiges  Aufwallen  siedet.  Man  bringt  zu 
diesem  Ende  4  Thl.  Harz  in  Stiicken  mit  5  Theilen  Terpentinol  in  einen  guss- 
eisernen,  emaillirten  Kessel,  und  kocht  so  lange,  bis  der  Firniss  ruhig  siedet,  seibt 
dann  durch  ein  Sieb,  lasst  absitzen  und  verdiinnt  die  dickolige  Fliissigkeit  nacb 
dem  Erkalten  mit  so  viel  Terpentinol,  bis  die  gewiinschte  Consistenz  erreicht  ist. 
Soil  der  Firniss  einen  moglichst  wenig  sproden  Anstrich  liefern,  so  setzt  man  vor 
dem  Kochen  noch  2 — 3  Proc.  Leinol  zu  (vgl.  Miinzal,  Dingl.  pol.  Journ.  131 
pag.  141).  Nach  J.  Midler  (Dingl.  pol.  Journ.  128  pag.  58)  soil  man  fur  die 
Herstellung  eines  guten  Dammarfirnisses  eine  Sortirung  des  Harzes  vornehmen, 
bei  welcher  alle  undurchsichtigen,  wachsglanzenden  Stiicke  ausgeschieden  werden. 
Man  bringt  von  dem  sortirten  Harz  1  Thl.  im  gepulv.erten  Zustande  in  einen 
Topf  aus  Weissblech,  rlihrt  dasselbe  mit  1V2  Thl.  Terpentinol  zu  einem  dlinnen 
Brei  an,  und  kocht  so  lange,  bis  die  Fliissigkeit  klar  geworden  ist,  hierauf  nimmt 
man  vom  Feuer  und  setzt  noch  1  Thl.  Terpentinol  unter  fleissigem  Umriihren 
zu.  Da  soldier  Firniss  ziemlich  weiche,  wenig  widerstandsfahige  Anstriche  liefert, 
so  kann  man  ihn  dadurch  harter  machen,  dass  man  Y2  Thl.  reinsten  Copal  schmilzt 
und  mit  V4  Thl.  lichtem  Leinolfirniss  versetzt  und  dieser  Masse  1  Thl.  des  obigen 
Dammarfirnisses  zusetzt.  Audi  durch  Auflosen  von  10  Thl.  Dammarharz  in  12 
Thl.  Teipentinol  bei  Siedhitze  und  Verdiinnen  der  erhaltenen  Losung  mit  6  Thl. 
Weingeist  (92  Proc.)  erhalt  man  einen  guten  Dammarfirniss,  der  sich  namentlich 
zum  Firnissen  von  Gemalden  eignet.  Mastix  lost  sich  gleichfalls  leicht  in  Ter- 
pentinol in  alien  Verhaltnissen  und  liefert  einen  sehr  lichten  Firniss.  Ein  mastix- 
haltiger  Firniss  mit  Sandarakzusatz  wird  als  G  ol  dlackfimiss  verwendet. 
Man  erhalt  einen  solchen,  wenn  man  4  Thl.  Mastix,  4  Thl.  Sandarak,  beide  ge- 
pulvert  in  einem  Gemenge  von  50  Thl.  Terpentinol  und  6  Thl.  Spickol  siedend 
heiss  auflost  und  wahrend  des  Siedens  noch  1  Thl.  Colophonium  und  2  Thl  Le- 
beraloe  zusetzt.  Terpentinol  wird  iibrigens  audi  zur  Herstellung  der  verschiedenen 
fetten  Copal-  und  Bernsteinfirnisse  als  Verdiinnungsmittel  verwendet  (s.  u.  fette 
Firnisse)  und  nach  Violette  (s.  Dingl.  pol.  Journ.  183  pag.  402)  lost  Ter- 
pentinol an  sich  sowohl  Copal  als  audi  Bernstein,  wenn  man  dieselben  vorher 
in  einem  geschlossenen  Gefasse  unter  Druck  geschmolzen  hat.  Von  sonstigen  Ter- 
pentinolfirnissen  sind  zu  nennen  die  Firnisse,  wclche  durch  Auflosen  von  Asphalt 
und  Steinkohlentheerpech  in  Terpentinol  erhalten  werden  konnen  (s.  Asphalt  I 
pag.  216). 

Das  Terpentinol  kann  als  Losungsmittel  fiir  Harze  zu  Zwecken  der  Firniss- 
bereitung  sowohl  durch  Spickol  als  auch  durch  Lavendelol  (beide  jedoch  kost- 
spieliger),  dann  durch  die  bei  der  Harzdestillation  resultirenden  leichten  HarzSle, 
endlich  aber  durch  leichtes  Steinkohlentheerol  ersetzt  werden.  Dieses  letztere, 
welches  im  gereinigten  Zustande  wasserhell  und  vom  spec.  Gew.  0.850  ist  (Benzin), 
ist  leichter  fliichtig  als  Terpentinol  und  liefert  daher  rascher  trocknende  Firnisse, 
die  ihren  Geruch  audi  leichter  verlieren  als  Terpentinolfirnisse.  Da.  es  tiberdies 
auch  ein  gutes  Losungsmittel  fiir  Kautschuck  und  Guttapercha  ist,  so  wird  es 
namentlich  fiir  die  Herstellung  von  derlei  Substanzen  en  thai  tend  en  Firnissen  mit 
Vortheil  verwendet. 


496  Firniss  (Fette  Firnisse). 

So  erhalt  man  einen  guten  Firniss  fur  polirte  Metalle,  wenn  man  nach 
Ryder  32  Thl.  Guttapercha,  64  Thl.  Colophonium  und  1  Thl.  Schellack  in 544 
Thl.  Steinkohlentheerbl  von  0.850  spec.  Gewicht  durch  Erwarmen  auf  60°  C.  lost. 
Bin  Kautschukfirniss  kann  nach  Bolley  (Dingl.  pol.  Journ.  156  pag.  465)  er- 
halten  werden,  indem  man  Kautschuk  mit  Schwefelkohlenstotf  iibergiesst,  und 
vbllig  aufquellen  lasst.  Die  aufgequollene  Masse  behandelt  man  sodann  mit  Stein- 
kohlentheerbl, worin  sie  sick  grostentheils  auflbst,  erwarmt  die  von  dem  Unge- 
lbsten  durch  Abseihen  getrennte  Lbsung  zur  Verfliichtigung  des  Schwefelkohlen- 
stoffs  in  einem  Destillirkolben  und  verdiinnt  die  erhaltene  Lbsung  bis  zur  ge- 
wiinschten  Consistenz  mit  Steinkohlentheerbl.  Auch  ohne  Anwendung  von  Schwefel- 
kohlenstotf lasst  sich  Kautschuk  auflbsen,  wenn  man  denselben  in  feingeschnittenem 
Zustande  langere  Zeit  mit  Steinkohlentheer  digerirt  und  das  Ungelbste  abfiltrirt. 
Solcher  Firniss  trocknet  sehr  rasch  und  liefert  an  sich  sehr  elastische,  nicht  glan- 
zende  Anstriche;  da  er  sich  mit  atherischen  Firnissen  ebensowohl  wie  mit  fetten 
in  jedem  Verhaltnisse  mischen  lasst,  so  kann  man  denselben  mit  Vortheil  als 
Zusatz  zu  solchen  Firnissen  verwenden,  die  an  sich  sehr  sprbde  Anstriche  liefern 
und  diese  hiedurch  wesentlich  verbessern. 

Eine  Vorschrift  fur  einen  eigenartigen  Firniss  hat  C.  Puscher  (Deutsche 
Indust.  Ztg.  1872  pag.  365)  gegeben.  Er  empfiehlt  eine  Auflbsung  von  Thon- 
erdeseife  in  Terpentinbl  als  Firniss  zu  verwenden.  Die  Thonerdeseife  kann  leicht 
erhalten  werden,  wenn  man  eine  dtinne  Lbsung  von  Kernseife  so  lange  mit  einer 
Auflbsung  von  Alaun  oder  schwefelsaurer  Thonerde  versetzt,  als  noch  ein  Nieder- 
schlag  entsteht.  Dieser  wird  mit  siedend  heissem  Wasser  gewaschen,  getrocknet 
und  sodann  in  warmen  Terpentinbl  gelbst.  Der  Firniss  ist  fast  farhlos  und  lasst 
sich  namentlich,  wo  Biegsamkeit  der  Anstriche  erforderlich  ist,  sehr  gut  empfehlen. 
Auch  als  Ueberzug  auf  Metalle,  welche  eine  hbhere  Temperatur  auszuhalten  haben, 
wird  er  empfohlen,  da  der  Anstrich  mit  demselben  beim  Erhitzen  keine  Blasen 
wirft. 

Auch  Wachs  lost  sich  in  Terpentinbl  sowie  in  Steinkohlentheerbl  und  liefert 
einen  Firniss,  der  namentlich  zum  Schutze  von  dem  Rosten  ausgesetzten  Metall- 
gegenstanden  sehr  empfehlenswerth  sein  soil. 

c)  Fette  Firnisse.  Die  einfachste  Art  fetter  Firnisse  bilden  die  trock- 
nenden  fetten  Oele,  wie  Leinbl  und  Mohnbl,  deren  Fahigkeit  an  der  Luft  zu 
trocknen  durch  eine  passende  Zubereitung  entsprechend  erhbht  worden  ist.  Die 
Mittel,  deren  man  sich  bedient.  um  die  Trocknungsfahigkeit  solcher  Oele  zuerhbhen, 
dieselben  also  in  Firnisse  umzuwandeln,  siud  entweder  blosses  Erhitzen  derselben 
miter  Luftzutritt  (gekochtes  Leinbl  oder  Mohnbl),  oder  Kochen  mit  Bleiglatte,  oder 
Braunstein  oder  borsaurem  Manganoxydul,  oder  endlich  das  Schutteln  derselben 
mit  bahisch  essigsaurem  Bleioxyd.  Die  gewbhnlichste  Methode  der  Bereitung  des 
L  einblfirnisses  ist  folgende  : 

Man  bringt  100  Kilo  Leinbl  in  einen  eisernen  Kessel,  der  hbchstens  bis 
zu  etwa  3/fi  damit  angefiillt  werden  darf,  erhitzt  allmalig,  steigert  die  Hitze,  bis 
das  Oel  gelinde  zu  wallen  anfangt,  und  erhalt  es  in  diesem  Zustande  zwei  Stunden 
lang,  wobei  der  grbsste  Theil  der  Feuchtigkeit  ausgetrieben  wird.  Bildet  sich 
Schaum  auf  der  Oberflache,  so  nimmt  man  ihn  mit  einer  Schaumkelle  ab,  und 
thut  ihn  bei  Seite,  um  ihn  zu  ganz  ordinaren  Aibeiten  zu  verwenden.  Man  lasst 
nun  die  Hitze  noch  etwas  steigen  und  schuttet  sehr  langsam  und  in  kleinen  Por- 
tionen  1.5  Kilo  Bleiglatte,  eben  so  viel  Mennige  und  etwas  tiirkische  Umbra 
liinzu,  welche  sammtlich  scharf  ausgetrocknet  sein  miissen,  indem  sie  sonst  das 
Oel  heftig  aufschaumen  machen  und  demselben  eine  triibe,  dicke,  zahe  Beschaffenheit 
und  die  Eigenthtimlichkeit  ertheilen  wlirden,  dass  es  nach  dem  Auftragen  gewisser- 
massen  wie  ein  Sttick  feine  Blase  auf  der  gestrichenen  Flache  aufliegt  und  sich  nach  dem 
Trocknen  leicht  davon  ablbst.  Hat  man  nun  diese  Zusatze  vollstandig  eingeriihrt,  so 
halt  man  das  Oel  in  steter  Bewegung,  damit  sich  Glatteund  Mennige  nicht  zu  Boden 
setzen,  wodurch  das  Oel  selir  leicht  anbrennen  und  braun  werden  kbnnte.  Nach  dem 


Firniss  (Bleifirniss).  497 

Zugeben  der  Glatte  lasst  man  das  Oel  noch  etwa  3  Stunden  gelinde  fortkochen. 
Wenn  es  nun  keinen  Schauin  mehr  bildet,  so  untersuclit  man  es  von  Zeit  zu  Zeit 
mit  einer  Federfahne.  Wenn  diese  sich  ganz  zusammenkriimmt  und  windet,  so 
wird  es  als  ein  Zeiclien  angesehen,  dass  die  Hitze  hinlanglich  hoch  gestiegen  ist, 
worauf  man  das  Feuer  moglichst  rasch  auslbscht,  den  Kessel  mit  dem  Firniss  aber 
wenigstens  10  bis  24  Stunden  ruhig  steben  lasst,  damit  sich  die  nicht  geloste 
Glatte  und  Umbra  moglichst  vollstandig  absetze. 

Der  so  bereitete  Firniss  kann  zwar  sofort  verwendet  werden,  aberergewinnt 
sehr  wesentlich  an  Giite,  wenn  er  vor  der  Verwendung  eine  mehrmonatliche  Ab- 
lagerung  erfahren  hat,  indem  er  hiebei  alle  beigemengten  Unreinigkeiten  absetzt 
und  vbllig  klar  erscheint,  wie  denn  iiberhaupt  langeres  Lagern  bei  alien  fetten 
Firnissen  von  ganz  besonderem  Vortheile  ist.  Die  in  friiherer  Zeit  empfohlenen 
Zusatze  zu  dem  kochenden  Leinbl,  wie  Brod,  Zwiebeln  u.  s.  w.  sind  durcbaus 
nicht  von  Einfluss  auf  die  Giite  des  resultirenden  Firnisses  und  darum  entbehrlich ; 
selbst  die  Anwendung  eines  Umbrazusatzes  kann  ohne  Nachtheil  fur  das  Product 
bei  Seite  gelassen  werden.  Ebenso  ist  es  fur  die  Erzeugung  eines  guten  Leinbl- 
firnisses  keineswegs  erforderlich,  wie  friiher  immer  empfohlen,  das  Oel  sich  ent- 
ziinden  und  eine  Zeit  lang  brennen  zu  lassen,  da  hiemit  nur  ein  Verlust  an  Oel, 
aber  kein  Vortheil  fiir  das  resultirende  Product  erwachst. 

Auf  kaltemWege  lasst  sich  durch  Schiitteln  von  Leinbl  mit  einer  Losung  von 
basischem  Bleiacetat  Firniss  bereiten.  Lost  man  1  Thl.  Bleizucker  in  4 — 5Thl.  Wasser, 
erhitzt  zum  Sieden  und  tragt  in  die  siedend  heisse  Fliissigkeit  unter  fleissigem 
Umriihren  portionenweise  1  Thl.  feinpulverige  Bleiglatte  ein,  so  erhalt  man  nach 
dem  Abfiltriren  des  Ungelosten  eine  Losung  von  basischem  Bleiacetat  (Bleiessig). 
Verdunnt  man  die  erhaltene  Losung  mit  dem  gleichen  Gewichte  Wasser  und  setzt 
sie  zu  20  Thl.  Leinbl  zu,  das  man  vorher  mit  1  Thl.  Bleiglatte  abgerieben  hat,  und 
schiittelt  nun  das  Ganze  wiederholt  heftig  durch,  so  erhalt  man  nach  mehrstiindiger 
Einwirkung  des  Bleiessigs  auf  das  Leinol,  die  man  durch  bfter  w.iederholtes  tiich- 
tiges  Schiitteln  begiinstigt,  eine  Fliissigkeit,  die  sich  nach  langerer  Ruhe  in  zwei 
Schichten  trennt,  von  welchen  die  obere  der  Firniss,  die  untere  eine  Bleizucker- 
Ibsung  ist,  die  man  neuerdings  zur  Herstellung  von  Bleiessig  verwenden  kann.  Der 
so  dargestellte  Firniss,  welcher  durch  langeres  Lagern  oder  durch  Filtration  gekla'rt 
werden  kann,  ist,  da  er  ohne  Anwendung  hoherer  Temperaturen  hergestellt  ist,  von 
lichter  Farbe  und  trocknet  innerhalb  24  Stunden  vollstandig.  Er  enthalt  4 — 5 
Proc.  an  Bleioxyd. 

Nach  Winkler  (Dingl.  pol. Journ.  151  pag.  77)  erhalt  man  einen  fast  farb- 
losen  Leinolfirniss  durch  Kochen  von  32  Thl.  gutem  alten  Leinol,  mit  1  Thl.  Blei- 
spanen  und  1  Thl.  Spanen  von  engl.  Zinn  in  einem  Kupferkessel,  unter  Zu  atz  von 
einem  Stiick  Blackfischbein,  welches  sich  nach  kurzem  Kochen  in  dem  Oele  auf Ibsen 
soil.  Die  noch  heisse  Masse  wird  sodann  mit  2  Thl.  feingepulverten,  entwasserten  Zink- 
vitriol  vermischt,  noch  eine  halbe  Stunde  gekocht,  nach  dem  Erkalten  filtrirt  und 
in  Flaschen,  deren  Boden  mit  einer  Schichte  von  Bleispannen  bedeckt  ist,  durch  4 — 6 
Wochen  aufbewahrt,  nach  welcher  Zeit  der  fertige  Firniss  abgegossen  werden 
kann.*) 

Da  die  mit  Blei  oder  Bleisalzen  bereiteten  Firnisse  ob  ihres  Bleigehaltes 
schadlich  wirken  kbnnen  und  iiberdies  die  mit  denselben  hergestellten  Ansti-iche 
zum  Gelbwerden  besonders  geneigt  sind,  hat  man  vielfach  andere  Mittel  zur  Her- 
stellung von  Leinolfirnissen  angewendet.  Solche  Mittel  sind  namentlich  die  Be- 
handlung  des  Leinbls  mit  den  Oxyden  des  Mangans  oder  mit  borsaurem  Mangan- 
oxydul.  So  erhalt  man  nach  Binks  Leinolfirniss,  wenn  man  Leinbl  in  einer  mit 
Blei  ausgekleideten  Tonne  mittels  Dampf  auf  40—66°  G  erhitzt,  auf  je  240—250 
Thl.  desselben    1    Thl.    Manganoxydulhydrat  zasetzt    und  in  das  auf  circa  40°  G. 


*)  Walton  (pol.  Centralblatt  1860  pag.  1616)  lasst  auf  mit  5—10  Proc.  Bleizucker  ver- 
mischtes  Leinol,  das  er  durch  ein  feines  Sieb  in  feine  Stralilen  vertheilt,  heisse  Lutx 
einwirkcn,  wodurch  die  Firnisshildung-  wesentlich  beschleunigt  werden  kann. 

Karmaisch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.  Bd.  III.  32 


498  Firniss  (Manganfirniss). 

erwarmt  erhaltene  Oel  durch  einige  Stunden  einen  Strom  von  Luft  einblast.  Unter 
Abscheidung  von  Manganoxyd  erhalt  man  schon  nach  5 — 6  Stunden  einen  guten 
Firniss,  der  indess  auch  ohne  das  Einblasen  von  Luft  sich  scbon  nach  2 — 3  Tagen 
brauchbar  erweist.  Man  kann  auch  directe  schwefelsaures  Manganoxydul  und  Kalk- 
hydrat  oder  Bleioxyd  dem  Oele  zusetzen,  wobei  sich  durch  Wechselzersetzung 
Manganoxydulhydrat  bildet,  wahrend  der  nebenbei  gebildete  Gyps  oder  das  schwe- 
felsaure  Bleioxyd  sich  aus  dem  Firniss  ablagert  (vergl.  Dingl.  pol.  Journ.  159 
pag.  465). 

Um  mit  borsaurem  Manganoxydul  Leinb'lfirniss  zu  bereiten,  setzt  man  auf 
1000  Thl.  Leinol  lV2  Thl.  borsaures  Manganoxydul,  das  man  mit  einem  Theil 
des  Oeles  zu  einem  zarten  Brei  angerieben  hat,  zu  und  erhitzt  durch  eine  Vier- 
telstunde  nicht  ganz  bis  zum  Sieden.  Das  borsaure  Manganoxydul  kann  man 
einfach  in  der  Weise  herstellen,  dass  man  Braunstein  so  lange  mit  cone.  Salzsaure 
erwarmt,  bis  keine  Chlorentwicklung  mehr  bemerkbar  ist.  Die  erhaltene  Lpsung 
von  Manganchloriir  wird  von  dem  ungelbsten  Antheil  abgegossen,  mit  Wasserver- 
diinnt  und  nun  vorsichtig  so  lange  eine  Losung  von  kohlensaurem  Natron  zuge- 
setzt,  als  noch  ein  rostrother  Niederschlag  (von  sich  ausscbeidendem  Eisenoxyd- 
hydrat)  sich  bildet.  Nach  dem  Abfiltriren  dieses  Niederschlags  wird  das  Filtrat 
so  lange  mit  einer  Losung  von  Borax  versetzt,  als  noch  ein  weisser  Niederschlag 
fallt.  Dieser  wird  absetzen  lassen,  mit  Wasser  wiederholt  gewaschen,  endlich 
auf  einem  Filter  gesammelt  und  getrocknet  (vgl.  Barruel  u.  Jean.  Dingl.  pol. 
Journ.  128  pag.  374  und  Schubert  Dingl.  pol.  Journ.  132  pag.  76). 

Hoffmann  (Dingl.  pol.  Jour.  145  pag  450)  reibt  ein  Loth  weisses  (in 
der  Kalte  gefalltes)  borsaures  Manganoxydul  mit  etwas  Leinol  zu  einem  gleich- 
massigen  Brei  an,  setzt  2  Mass  altes  Leinol  zu  und  erhitzt  in  einem  Kupfer-  oder 
Zinn-Kessel  zwei  bis  drei  Tage  lang  nicht  itber  100°  G.  Auch  kann  man  ein 
Theil  borsaures  Manganoxydul  mit  3  Theilen  Leinol  zu  einem  Brei  anruhren  und 
diesen  zu  260  Thl,  siedend  heissem  Leinol  zusetzen,  einmal  aufkochen  lassen  und 
nach  dem  Erkalten  in  einem  geeigneten  Gefasse  durch  14  Tage  lagern  lassen, 
wahrend  welcher  Zeit  vSllige  Klarung  erfolgt  (vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  174 
pag.   165). 

Das  borsaure  Manganoxydul  beschleunigt  iibrigens,  auch  wenn  es  in  der  Kalte 
dem  Leinol  zugesetzt  wird,  dessen  Trocknung,  und  namentlich  werden  Leinblfirnisse 
sehr  schnell  trocknend  gemacht,  wenn  man  ihnen  etwas  borsaures  Manganoxydul 
beimischt.  So  hat  de  la  Rue  empfohlen,  der  Buchdruckerschwarze,  um  sie  rascher 
trockuen  zu  machen,  einen  Zusatz  von  1  Proc.  bors.  Manganoxydul  zu  geben,  und 
die  Mischung  etwa  4  Wochen  lang  lagern  zu  lassen,  ehe  man  sie  in  Gebrauch 
zieht.  Auch  kann  man  vor  der  Fertigstellung  der  Schwarze  dem  zu  ihrer  Be- 
reitung  zu  verwendenden  Firniss,  nachdem  man  ihn  auf  etwa  350°  C.  erhitzt 
hat,  etwa  2  Proc.  bors.  Manganoxydul  beimisehen.  (Dingl.  pol.  Journ.  141  pag. 
317).  Eine  Mischung  von  Zinkweiss  (95  Thl.)  mit  borsaurem  Manganoxydul 
(5  Thl.)  kommt  als  Siccatif  zumatique  in  den  Handel,  von  dem  27^  Proc.  zu 
Leinblfirnissfarben  zugesetzt  dieselben  rascher  trocknen  niacht  (s.  Dingl.  pol. 
Journ.  141  pag.  398). 

Uebrigens  soil  nach  einzelnen  Beobachtungen  das  borsaure  Manganoxydul 
nichts  voraus  haben  vor  der  Anwendung  von  Manganoxyd  oder  Manganoxydhydrat, 
von  welchen  schon  */s  Proc,  bei  gelindem  Erwarmen  dem  Leinol  beigemengt,  einen 
sehr  guten  Firniss  liefern  soil  (Dingl.  pol.  Journ.  142  pag.  452).  Auch  nach 
Heumann  (Dingl.  pol.  Journ.  149  pag.  200)  stellt  man  einen  sehr  rasch  trock- 
nenden  Firniss  dar,  wenn  man  ein  Mass  Leinol  mit  V2  Loth  Manganoxydhydrat 
bis  zum  schwachen  Rauchen  erwarmt  und  etwa  a/a  Stunde  lang  bei  dieser  Tem- 
peratur  erhalt. 

Ausser  solchen  Mitteln  zur  Darstellung  von  Leinolfirnissen  sind  noch  andere 
Verfahrungsarten  angegeben  und  mehr  oder  weniger  empfohlen  worden.  So  kann 
man  durch  blosses  Einkochen  von  Leinol  unter  Luftzutritt  einen  Firniss  erzeugen, 
der,  wenn  auch  langsam,  so  doch  gut  trocknet.    Auch  durch    langes  Lagernlassen 


Firniss  (Leinolfirniss)  499 

von  Leinol  unter  Luftzutritt  erhalt  raan  ein  dickes,  firnissahnliches,  trocknendes 
Oel  (Standol).  Fur  Zwecke,  wo  eine  dunklc  Farbe  des  Firnisses  erwiinscht  ist, 
z.  B.  fur  den  bei  der  Lederlackirerei  verwendeten  Blaulack  empfiehlt  Wiederhold 
(Dingl.  pol.  Journ.  168  pag.  457  und  109  pag.  147j  das  Kochen  des  Leinols 
mit  Berlinerblau,  wobei  ein  tief  dunkelbrauner  dickfliissiger  Firniss  erhalten  wird. 
Uebrigens  spricht  die  Erfalirung  dafiir,  dass  Leinol  durch  blosse  Einwirkung 
von  Luft  allein  nur  sehr  allmalig  in  einen  brauchbaren  Firniss  umgewandelt 
wird,  selbst  dann  nicht  wesentlich  rascher,  wenn  gleichzeitig  hohere  Temperatur 
darauf  einwirkt,  und  es  scheint  durch  die  Beobachtungen  von  C 1  o  e  z  (pol.  Cen- 
tralis. 1866  pag.  118)  erwiesen,  dass  die  Umwandlung  des  Oeles  in  Firniss 
durch  die  Gegenwart  einer  gewissen  Menge  eines  bereits  entstandenen  Oxydations- 
productes  wesentlich  begiinstiget  werde.  Die  Bildung  eines  solchen  Oxydations- 
productes  scheint  aber  wesentlich  durch  die  Einwirkung  von  Licht  beschleunigt 
zu  werden. 

Mehrfach  hat  man  sich  bemiiht  die  Ueberfiihrung  von  Oel  in  Firniss  dadurch 
zu  bewerkstelligen,  dass  man  das  Oel  mit  Luft  unter  Verhaltnissen  zusammen- 
bringt,  welche  die  Einwirkang  der  Luft  moglichst  gunstig  sich  gestalten  lassen. 
So  wurde  cmpfohlen  das  Oel  in  feinen  Strahlen  wiederholt  durch  Kammern  durch- 
fliessen  zu  lassen,  welche  fortwahrend  von  einem  Strome  erwarmter  Luft  durch- 
zogen  werden.  Dasselbe  bezweckt  audi  Walton  (Bericht  d.  d.  chem.  Gesell- 
scliaft  1874  pag.  1374)  mit  seinem  patentirten Verfahren,  wornach  das  in  offenen 
Pfannen  zum  Kochen  erhitzte  Leinol  in  von  einem  constanten  Luftstrome  durch- 
zogene  Kammern  gehoben  wird,  in  welchen  es  mittels  Schaufelradern  zerstaubt 
wird,  um  so  in  moglichst  fein  vertheiltem  Zustande  der  Einwirkung  der  Luft  aus- 
gesetzt  zu  werden. 

Da  beim  Kochen  des  Leinols  in  der  gewohnlichen  Weise,  also  iiber  freiem 
Feuer,  eine  theilweise  Ueberhitzung  des  Oeles  nur  schwer  vermieden  werden  kann, 
der  zu  Folge  es  sich  mehr  oder  weniger  braunt,  hat  man  vorgeschlagen  das 
Kochen  des  Leinols  mittels  Dampf  vorzunehmen,  von  welchem  Verfahren  C.  W. 
Vincent  in  London  schon  seit  Jahren  mit  grossem  Vortheile  Anwendung  macht. 
Sein  Apparat  (vgl.  Dingl  pol.  Journ.  201  pag.  65)  besteht  aus  einem  halbkugel- 
formigen  Kessel  von  Kupfer,  der  aussen  mit  einem  Dampfmantel  umgeben  ist. 
Kessel  und  Mantel  mtissen  einen  Druck  von  3  V„  Atm.  aushalten  konnen.  Der 
Kessel  tragt  einen  aufgenieteten  Dom  mit  einem  Mannloch  und  einem  Abzugsrohr 
fur  die  Dampfe.  Ein  mittels  einer  Stopfbuchse  durch  den  Dom  eingefiihrtes 
doppeltes  Rtihrwerk  und  ein  Rohr,  durch  welches  Luft  in  den  Kessel  eingetrieben 
werden  kann,  vervollstandigen  die  Einrichtung.  Bei  der  Arbeit  wird  das  Leinol 
(etwa  40  Cent,  pro  Operation)  in  den  Kessel  gebracht,  dann  durch  Einlassen  von 
Dampf  in  den  Zwischenraum  zwischen  Mantel  und  Kesselwand  mit  dem  Erhitzen 
begonnen  und  das  Riihrwerk  in  Bewegung  gesetzt.  Wenn  der  Dampfdruck  im 
Kessel  35  Pfd.  erreicht  hat,  wird  Luft  eingefiihrt.  Nach  etwa  vierstundiger  Arbeit 
ist  die  Umwandlung  in  Firniss  erfolgt.  Das  so  erhaltene  Product  ist,  wenn  ohne 
Zusatz  von  Trockenmitteln  bereitet,  sehr  lichtfarbig. 

Leinolfirnisse,  namentlich  solche  von  dickerer  Consistenz,  werden  nicht  selten 
mit  Terpentinol  verdiinnt.  Nach  Varrentrapp  (Dingl.  pol.  Journ.  108  pag.  74) 
erhalt  man  audi  einen  Firniss  durch  Auflosen  von  Leinolbleiseife  in  Terpentinol. 
Zur  Herstellung  dieses,  namentlich  in  der  Tapetenfabrikation  zum  Aufkleben  des 
Goldes  oder  der  Scheerwolle  (fiir  Sammttapeten)  verwendeten  Firnisses  erhitzt 
man  Leinol  zwei  bis  drei  Stunden  auf  200°  C,  verseift  es  sodann  durch  Kochen 
mit  einem  moglichst  geringen  Ueberschusse  von  Kali  oder  Natronlauge,  verdiinnt 
den  erhaltenen  Seifenleim  mit  Wasser  und  setzt  so  lange  Bleiessig  zu  der  Seifen- 
losung,  als  noch  ein  Niederschlag  entsteht.  Dieser  wird  von  der  Flussigkeit  ge- 
trennt,  durch  Auskneten  in  Wasser  gewaschen  und  nach  dem  Abpressen  des 
Wassers  in  Terpentinol  gelost,  so  dass  eine  Flussigkeit  von  dicker  Firnissoonsi- 
stenz  erhalten  wird.  1 

32* 


500  Firniss  (Copalfirniss). 

Neben  den  einfachen  Leinolfirnissen  und  denen  aus  Mohnol,  das  ganz  so 
wie  das  Leinol  auf  Firnisse  verarbeitet  werden  kann  und  im  Allgemeinen  feinere 
Firnisse  liefert,  sind  von  fetten  Firnissen  namentlich  die  Copal-  und  Bernstein- 
Firnisse  von  hervorragender  Bedeutung. 

Im  Allgemeinen  werden  diese  dureh  Auflosen  von  vorher  geschmolzenem 
Copal  oder  Bernstein  in  kochendem  Leinol  oder  Mohnol  bereitet. 

Fur  Copalfirniss,  zu  dessen  Herstellung  sich  ostindischer  Copal  besser  eignet 
als  westindischer,  da  er  beim  Schmelzen  sich  weniger  farbt,  gibt  Heeren  fol- 
gende  Vorschrift: 

Man  bedarf  hierzu  zweier  Kessel  von  angemessener  Grosse,  deren  einer 
zum  Kochen  des  Leinoles,  der  and  ere  zum  Schmelzen  des  Copals  dient.  Man 
bringt  zuerst  den  Oelkessel  mit  z.  B.  40  K.  Leinol  auf  seinen  Ofen  und  macht 
Feuer  darunter  an.  Wahrend  sich  das  Oel  allmalig  erwarmt,  wagt  man  den  er- 
forderlichen  Copal  in  gleichen  Portionen  zu  je  4  K.  ab,  gibt  dann  eine  davon 
in  den  Copaltopf  und  macht  Feuer  darunter  an.  In  Zeit  von  3  Minuten,  wenn 
anders  das  Feuer  lebhaft  brennt,  fangt  der  Copal  zu  schmelzen  und  zu  rauchen 
an.  Man  riihrt  ihn  nun  bestandig  um  und  sucht  die  Stiicke  so  viel  wie  moglich 
zu  zerkleinern.  Zum  Schmelzen  von  4  K.  Copal  sind  durchschnittlich  etwa  15 
bis  20  Minuten  erforderlich,  wo  er  dann  wie  klares  Oel  fliesst;  doch  richtet  sich 
die  Zeit  sehr  nach  der  Lebhaftigkeit  des  Feuers  und  der  Geschicklichkeit,  mit 
welcher  der  Arbeiter  den  ganzen  Process  zu  leiten  versteht.  Wahrend  der  ersten 
12  Minuten,  nachdem  der  Copal  zu  schmelzen  angefangen  hat,  muss  ein  zur  Be- 
aufsichtigung  des  Oeles  angestellter  Gehilfe  mit  dem  Erwarmen  desselben  so  weit 
vorgeriickt  sein,  dass  es  gelinde  zu  kochen  anfangt;  denn  es  ist  zum  Gelingen 
des  Firnisses  sehr  wesentlich,  dass  Oel  und  Harz  beim  Vermischen  genau  die 
richtige  Temperatur  haben.  Zeigt  nun  das  Oel  durch  das  anfangende  Aufwallen 
die  richtige  Temperatur  an,  so  fassen  beide  Leute  den  Oelkessel  an  den  Hand- 
haben,  heben  ihn  gerade  in  die  Hohe  und  setzen  ihn  auf  eine  Schichte  Asche. 
Der  Arbeiter  wendet  sich  nun  sofort  wieder  nach  dem  Copaltopf,  wahrend  der 
Gehilfe  3  Loffel  voll  (etwa  7—8  K.)  des  gekochten  Oeles  in  ein  Giessbecken 
f ti lit  und  dieses,  um  es  warm  zu  halten,  auf  dem  Ofen  neben  dem  Copaltopf  auf- 
stellt.  Wenn  nun  der  Copal  so  weit  geschmolzen  ist,  dass  die  vollstandige 
Schmelzung  in  wenigen  Minuten  bevorsteht,  so  gibt  er  dem  Gehilfen  ein  Zeichen, 
der  alsdann  das  Giessbecken  mit  beiden  Handen,  die  eine  unter  dem  Boden,  die 
andere  an  dem  Handgriffe,  ergreift,  den  Ausguss  iiber  den  Rand  des  Copaltopfes 
legt  und  wartet,  bis  der  andere  durch  den  Ruf  „Oel!"  ihm  einzugiessen  befiehlt. 
Die  7 — 8  K.  Oel  des  Giessbeckens  werden  nun  unter  stetem  Umriikren  zu  dem 
geschmolzenen  Copal  gegeben,  der  Topf  aber  noch  auf  dem  Feuer  gelassen,  bis 
die  Mischung  ganz  vollstandig  erfolgt  ist,  und  ein  Tropfen,  auf  eine  Glasplatte 
gebracht,  ganz  klar  erscheint.  Ist  dieser  Punkt  erreicht,  so  hebt  man  den  Topf 
vom  Feuer  und  stellt  ihn  vorlaufig  auf  eine  gemauerte  Biihne,  wahrend  der  Ge- 
hilfe wieder  3  Loffel  voll  Oel  (7 — 8  K.)  aus  dem  Oelkessel  in  das  Giesbecken 
und  eben  so  viel  zu  einer  dritten  Copalschmelzung  in  ein  zweites  Becken  fiillt, 
so  dass  nach  dem  dreimaligen  Ausfiillen  von  je  7 — 8  K.  in  dem  Oelkessel  von 
den  anfanglichen  40  K.  nur  noch  17 — 18  K.  zuriickbleiben.  Der  Arbeiter  ergreift 
nun  den  Copaltopf  mit  der  Mischung  der  4  K.  Copal  und  der  ersten  7 — 8  K. 
Oel,  legt  den  Rand  desselben  iiber  den  des  Oelkessels,  und  lasst  den  Inhalt  zu 
jenen  17 — 18  K.  Oel  hinzufiiessen ;  um  den  Inhalt  vollig  ausfliessen  zu  lassen, 
wendet  er  ihn  zuletzt  vollig  um  und  halt  ihn  so  etwa  1  Minute  lang.  Wahrend 
dieser  Operation  muss  der  Gehilfe  mit  einem  starken  holzernen  Deckel  in  Bereit- 
schaft  stehen,  um,  falls  das  Oel  wahrend  des  Eingiessens  des  Copals  Feuer  fangen 
sollte,  den  Kessel  sofort  zu  bedecken.  Wenn  nur  der  Copaltopf  im  Innern  zu 
brennen  anfa*ngt,  so  hat  dies  weniger  zu  bedeuten,  weil  die  Flamme  von  selber 
wieder  verloseht,  wenn  man  den  Topf  fortwahrend  in  der  umgekehrten  Stellung 
erhalt.  Brennt  aber  das  Oel  im  Kessel,  so  kann  dies  nur  durch  festes  AuBegen 
des  Deckels  ausgeloscht  werden. 


Firniss  (Copalfirniss).  501 

Gleich  nacbdera  der  Copaltopf  entleert  ist,  gibt  der  Arbeiter  2'/a  K.  Ter- 
pentinbl hinzu,  wascht  mittelst  eines  Lappchens  die  Wande  des  Topics  so  rein 
wie  mbglich  und  giesst  das  Oel  in  eine  zinnerne  Schale,  um  es  spater  noch  zu 
benutzen ;  mit  einem  anderen  Lappchen  trocknet  er  den  Topf  voilstandig  ab,  gibt 
wieder  4  K.  Copal  binein,  um  ihn  wieder  zum  Schmelzen  zu  bringen,  ihn  dann 
mit  7 — 8  K.  Oel  zu  mischen,  die  Mischung  in  den  Oelkessel  zu  geben,  und 
endlicb  nocb  zum  drittenmale  4  K.  Copal  auf  die  namliche  Art  zuzubringen.  Man 
hat  nun  also  eine  Auflosung  von  12  K.  Copal  in  40  K.  Leinoi.  Diese  wird  in 
dem  Oelkessel  wieder  zum  Feuer  gebracht  und  so  stark  erhitzt,  dass  sich  die 
Oberflache  mit  einem  Scbaume  bedeckt,  der  plotzlich  zu  steigen  beginnt.  1st  dieser 
bis  zu  den  Nieten  der  Handgriffe  gestiegen,  so  wird  der  Kessel  rasch  vom  Ofen 
abgehoben  und  auf  die  Asche  gestellt,  und  nun  die  benothigte  Bleiglatte,  falls 
solche  angewandt  werden  soil,  langsam  und  in  kleinen  Portionen  eingeriihrt.  1st 
der  Schaum  gesunken,  so  bringt  man  den  Kessel  wieder  auf  das  Feuer,  setzt 
die  nocb  vorhandene  Bleiglatte  allmalig  hinzu,  und  hebt  jedesmal,  wenn  der 
Scbaum  bis  an  den  Rand  zu  steigen  droht,  den  Kessel  vom  Feuer.  Im  Allge- 
meinen  kann  man  annehmen,  dass,  wenn  das  Feuer  im  guten  Gange  ist,  die  zum 
Kochen  nothige  Zeit,  von  dem  dritten  und  letzten  Copalzusatz  an  gerechnet,  etwa 
3'/2  bis  4  Stunden  betragt.  Indessen  darf  sicb  zumal  ein  Anfanger  keineswegs 
nach  der  Zeit  richten,  da  diese  nach  dem  Wetter,  der  Beschaffenheit  des  Oeles, 
des  Copales  und  der  Glatte,  sowie  nach  der  grbsseren  oder  geringeren  Lebhaf- 
tigkeit  des  Feuers  sich  richten  muss.  Wenn  daher  das  Kochen  etwa  3  Stunden 
fortgesetzt  ist,  nimmt  man  eine  Probe  und  lasst  sie  auf  eine  Glasplatte  tropfen. 
Zeigt  diese  beim  Erkalten  eine  ziemlich  feste  und  fadenziehende  Consistenz,  so 
ist  die  Kochung  beendigt,  der  Kessel  wird  nun  vom  Feuer  genommen  und  der 
Inhalt  so  lange  geruhrt,  bis  er  hinlanglich  abgekiihlt  ist,  um  den  letzten  Zusatz, 
namlich  das  Terpentinbl,  zu  erhalten.  Die.zu  diesem  Abkiihlen  nothige  Zeit  richtet 
sich  gleichfalls  nach  Umstanden ;  im  Winter  reicht  eine  halbe  Stunde  hin,  im 
Sommer  oft  kaum  eine  ganze. 

Der  Zusatz  des  Terpentinols  muss  unter  stetem  Umriihren  gegeben  werden ; 
die  Menge  hangt  wieder  von  Umstanden  ab.  War  der  Copal  sehr  gut,  und  ist 
die  Schmelzung  voilstandig  und  richtig  von  Statten  gegangen,  so  vertragt  der 
Firniss  wohl  75  K.  Terpentinbl;  im  entgegengesetzten  Fall  muss  der  Zusatz  auf 
60  K.,  ja  selbst  noch  weniger  beschrankt  werden.  Es  milssen  daher  von  Zeit  zu 
Zeit  Proben  gemacht  werden,  die  darin  bestehen,  dass  man  eine  flache  Schale 
nimmt,  und  eine  Portion  Firniss  hineingiesst.  Wenn  dieser  erkaltet  ist,  so  erkennt 
man  leicht  an  seiner  Consistenz,  ob  er  eines  ferneren  Zusatzes  von  Terpentinbl 
bedarf  oder  nicht. 

Die  Mischung  von  Firniss  und  Terpentinbl  kann  begreiflicherweise  nicht  in 
dem  Siedekessel  geschehen,  indem  dieser  nicht  geraumig  genug  dazu  ist;  sondern 
es  muss  ein  besonderer  Kessel  dazu  vorhanden  sein,  in  welchen  man  zuerst  den 
Firniss  Mit  und  dann  das  Terpentinbl  hinzugibt. 

Schliesslich  wird  der  Siedekessel  zuerst  mit  dem  Terpentinbl,  welches  zum 
Ausspulen  des  Copaltopfes  diente,  sorgfaltig  ausgewischt,  hierauf  mit  einem  wol- 
lenen,  in  Bimssteinpulver  getauchten  Lappen  blank  gescheuert.  Auf  dieselbe  Art 
werden  alle  iibrigen  gebrauchten  Apparate  und  Werkzeuge  geputzt,  dann  noch 
mit  reinem  Terpentinbl  nachgespiilt  und  endlich  mit  reinen  Lappchen  voilstandig 
getrocknet. 

Das  hier  beschriebene  Verfahren  kann,  mit  Ausnahme  der  durch  Abweichungen 
in  dem  quantitativen  Verhaltnisse  der  Materialien  bedingten  Modificationen.  bei 
der  Anfertigung  von  Copallack  stets  in  Ausiibung  gebracht  werden. 

Sehr  wichtig  ist  die  Auswahl  des  Leinbles.  Am  besten  ist  das  Oel  von 
gutem  ausgewachsenen  reifen  Samen.  Dieses  muss,  in  einem  Glaskblbchen  be- 
trachtet,  vbllig  klar  und  glanzend,  dabei  von  recht  hellgelber  Farbe  sein.  Es 
muss  einen  milden,  siisslichen  Geschmack  und  wenig  Geruch  besitzen,    nach    dem 


502  Firniss  (Copalfirniss) 

Kochen  und  Klaren  schnell  und  fest  eintrocknen  und  einen  nur  wenig  gefarbten 
Firniss  liefern. 

Weit  einfacher  und  bequemer  ist  die  Bereitung  fetten  Copalfirnisses  nach 
dem  Verfahren  von  V  i  o  1  e  1 1  e.  Nach  seinen  Untersuchungen  (vgl.  Dingl.  pol. 
Journ.  167  pag.  70  und  371)  lost  sich  Copal  nur  dann  leicht  und  vollstandig, 
wenn  er  so  lange  auf  einer  Teraperatur  von  360°  C.  erhalten  worden  ist,  dass 
er  durch  Verfliichtigung  von  bei  dieser  Temperatur  destillirenden  Antheilen  circa 
25  Proc.  seines  Gewiclites  verloren  hat.  Ktihlt  man  die  hiebei  resultirenden 
Danipfe  ab,  so  erhalt  man  ein  klares,  gelbes,  fliichtiges  Oel  von  0.80  spec.  Gew. 
(Copalol),  das  die  Eigenschaft  hat,  die  weicheren  Sorten  von  Copal  zu  losen  und 
sich  gleichwohl  mit  alien  fetten  und  fliichtigen  Oelen  zu  mischen.  Zu  diesem  mit 
einer  Destination  verbundenen  Schmelzen  des  Copals,  das  vor  der  gewohnlichen 
Art  der  Copalschmelzerei  an  sich  schon  den  Vortheil  voraus  hat,  dass  die  bei 
dem  Schmelzungsprocesse  sich  verfliichtigenden  Destillationsproducte  gewonnen 
und  verwerthet  werden  konnen,  verwendet  Violette  kupferne,  innen  stark  ver- 
silberte  Trommeln  (in  Eisengefassen  schwarzt  sich  der  Copal),  welche  ahnlich  den 
Rosttrommeln  fur  Caffee  um  ihre  Achse  drehbar  sind,  oder  kupferne,  innen  versilberte 
Destillirblasen  mit  eingesetztem  Riihrwerk.  Ein  kupfernes  Verbindungsrohr,  welche 
bei  den  trommelartigen  Apparaten  in  der  Achse  liegt,  stellt  die  Verbindung  des 
Innenraums  des  Schmelzgefasses  mit  einer  Kiihlvorrichtung  her,  die  nach  Art  eines 
Liebig'schen  Kiihlers(s.  Destination  II  pag.  607 — 608)  construirt  ist  und  zur  Verdich- 
tung  der  beim  Schmelzen  sich  entwickelnden  Dampfe  dient,  deren  Condensations- 
product  (Copalol)  in  einer  Vorlage  aufgefangen  wird.  Man  tragt  die  abgewogene 
Menge  des  zu  schmelzenden  Copals  durch  eine  gut  verschliessbare  Fiilloffnung  in 
das  Schmelzgefass  ein,  das  iiber  einer  geeigneten  Heizvorrichtung  erhitzt  werden 
kann,  und  beginnt,  wahrend  man  die  drehbare  Trommel  fleissig  wendet,  oder 
in  der  Blase  das  Riihrwerk  in  Betrieb  setzt,  mit  der  allmaligen  Erhitzung,  die  man 
langsam  steigert  und  sorgfaltig  unter  Vermeidung  jeder  die  Temperatur  von  360°  C. 
iibersteigcnden  Ueberhitzung  regulirt.  Die  Erhitzung  wird  so  lange  fortgesetzt, 
bis  sich  in  der  Vorlage  eine  25  Proc.  des  angewendeten  Copalgewichtes  betragende 
Menge  an  Destillat  angesammelt  hat.  Zur  raschen  Beurtheilung  des  Eintritts 
dieses  Zeitpunktes  ist  an  der  Vorlage  ein  Fliissigkeitsstandmesser  angebracht,  an 
dem  die  den  einzelnen  Raumtheilen  entsprechenden  Gewichtsmengen  des  Copalols 
ersichtlich  gemacht  sind.  Wahrend  des  ganzen  Schmelzprocesses  muss  die  Trommel, 
bez.  das  Riihrwerk  unausgesetzt  in  Bewegung  erhalten  werden,  damit  die  Copal- 
masse  iiberall  gleichniassig  erhitzt  werde.  Ist  der  Schmelzprocess  beendet,  dann 
lasst  man  durch  ein  besonderes  Abflussrohr  die  geschmolzene  Copalmasseabfliessen 
und  sammelt  sie  in  kupfernen  Kesseln  oder  in  Steintopfen,  in  welchen  nunmehr 
die  Losung  des  Copals  in  dem  Firniss  oder  dem  Oele  vorgenommen  wird.  Als 
Heizmateriale  sowohl  bei  der  Arbeit  des  Schmelzens  als  auch  bei  dem  nachherigen 
Losen  im  kochenden  Firniss  verwendet  man  vortheilhaft  Holzkohle,  da  diese  eine 
gute  Regulirung  des  Feuers  gestattet.  Und  auf  diese  kommt  alles  an,  da  Ueber- 
hitzung nicht  allein  beim  Schmelzen,  sondern  auch  beim  nachherigen  Kochen  mit 
Firniss  eine  mehr  weniger  dunkle  Farbung  des  Firnisses  bedingt,  der  zu  Folge 
derselbe  an  Werth  verliert.  Man  zieht  desshalb  vielfach  Steintopfe  fur  die  Arbeit 
des  Firnisskochens  den  Metallkesseln  vor,  da  sie  wegen  des  geringen  Warme- 
leitungsvermogens  des  Steinzeugs  weniger  leicht  eine  Ueberhitzung  eintreten  lassen 
als  Metallgefasse.  Doch  kann  man  auch  in  den  letzteren  bei  sorgfaltiger  Arbeit 
einer  Ueberhitzung  leicht  aus  demWege  gehen,  und  hat  den  Vortheil,  dass  man  das 
bei  Steinzeugtopfen  so  haufige  Zerspringen  nicht  zu  befiirchten  braucht. 

Eine  weitere  wesentliche  Verbesserung  hat  Violette  (s.  Dingl.  pol.  Journ. 
183  pag.  402)  in  der  Darstellung  von  fetten  Firnissen  dadurch  angebahnt,  dass 
er  nachwies,  class  sowohl  Dammar  als  auch  Copal  und  selbst  Bernstein  die  Eigen- 
schaft erlangen,  sich  in  fetten  Oelen  oder  in  Terpentinol  zu  losen,  wenn  man  sie 
in  einem  geschlossenen  Raurne  unter  hbherem  Druck  geschmolzen  hat.  Es  ist 
demnach  moglich  durch  Erhitzen  von  Copal  oder  Bernstein  mit  Leinolfirniss  oder 


Firniss  (Bernsteinfirniss  —  Harzblfirniss).  503 

Terpentinol  in  einem  hermetisch  geschlossenen  Raum  diese  Harze  nicht  allein 
directe  zu  Ibsen,  sondern  zugleich  audi  jeglichen  Verlust  an  sich  verfluchtigenden 
Antheilen  zu  verraeiden.  Die  Erhitzung  muss  350 — 400°  G.  bctivngen,  und  erheischt 
insoferne  einige  Vorsicht,  als  die  hermetisch  geschlossenen  Gefasse  in  Folge  des 
bedeutenden  Druckes,  den  sie  zu  erleiden  haben  (20  Atmosph.),  dem  Reissen  leicht 
ausgesetzt  sind.  Diese  Gefahr  lasst  sich  indess  durch  Wahl  passender  Gefasse 
(Kupfercylinder  innen  versilbert)  wesentlich  verringern.  Einen  guten,  far'olosen 
Copalfirniss  bereitet  man  nach  Leisel  (s.  Dingl.  pol.  Journ.  155  pag.  237) 
auch  folgendermassen.  Man  verwandelt  ostindischen  Copal  in  ein  ziemlich  feines 
Pulver  und  lasst  dasselbe  ausgebreitet  an  einem  trockenen  Orte  durch  etwa  6 
Wochen  der  Einwirkung  der  Luft  ausgesetzt.  Von  dem  so  vorbereiteten  Copal 
mengt  man  1  Thl.  mit  1  Thl.  grobem  Glaspulver,  bringt  das  Gemenge  in  eine 
Flasche,  iibergiesst  mit  6  Thl.  Terpentinol,  bringt  nun  die  Flasche  auf  ein  Sand- 
bad  und  erhitzt,  bis  das  Oel  zum  Sieden  kommt,  wahrend  man  ofter  umriihrt. 
Sodann  setzt  man  der  Mischung  1  Thl.  Leinbifirniss  zu,  den  man  zum  Sieden 
erhitzt  hat,  schiittelt  gut  durch  und  seiht  nun  die  erhaltene  Lbsung  von  dem  Un- 
gelbsten  ab. 

Zur  Herstellung  fetter  Bernstein firnisse  kann  man  im  Allgemeinen 
in  gleicher  Weise  verfahren,  wie  dies  fur  Copalfirnisse  angegeben  wurde. 

Von  besonderen  Vorschriften  fur  Bernsteinfirnisse  ware,  zu  nennen:  18  Thl. 
Bernstein  werden  mit  2  Thl.  Terpentinol  tibergossen  und  so  lange  iiber  freiem 
Feuer  erhitzt,  bis  der  Bernstein  geschmolzen  ist.  Zu  der  etwas  abgekiihlten  Masse 
setzt  man  sodann  24  Thl.  vorher  erwarmtes  Terpentinol  zu,  erhitzt  neuerdings 
zum  Sieden  und  mengt  der  erhaltenen  Lbsung  endlich  7 — 8  Thl.  Leinbifirniss 
bei.  Dieser  Firniss  ist  namentlich  als  Mbbelfirniss  empfohlen.  Nach  einer  anderen 
Vorschrift  schmilzt  man  10  Thl.  Bernstein,  mengt  der  geschmolzenen  Masse  9 
Thl.  Leinbifirniss  zu  und  lost  die  Mischung  in  32  Thl.  Terpentinol  inderWarme 
auf.  Lander er  und  Diamond  (vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  151  pag.  78  u.  133 
pag.  313)  empfehlen  Bernstein  in  geschmolzenem  oder  rohem  Zustande  in  Chloro- 
form zu  Ibsen,  wobei  man  einen  sehr  rasch  trocknenden  Firniss  erhalt. 

Zum  Kochen  von  fetten  Firnissen  hat  ferner  G.  Feichtinger  eine  zweck- 
massige  Vorrichtung  angegeben,  die  namentlich  dafiir  berechnet  ist,  dieBelastigung 
zu  beheben,  der  der  Arbeiter  durch  die  beim  Sieden  der  Firnisse  entweichenden 
Dampfe  ausgesetzt  ist,  und  ferner  die  Gefahr  der  Entziindung  der  Firnisse,  die 
beim  Arbeiten  in  offenen  Kesseln  sehr  leicht  eintritt,  zu  beseitigen  (vgl.  Dingl. 
pol.  Journ.  204  pag.  71). 

Was  endlich  die  Harzblfirnisse  anbelangt,  so  sind  diese  wesentlich 
Lbsungen  von  Copal,  beziehungsweise  Bernstein,  oder  aber  von  Colophonium  und 
sonstigen  billigen  Harzen,  in  den  schweren  Destillationsproducten  des  Fichtenharzes. 
Die  Darstellung  dieser  Art  von  Firnissen,  die  sich  namentlich  durch  besonders 
niedrige  Preise  auszeichnen,  ist  derzeit  noch  das  Geheimniss  einzelner  Fabriken, 
von  welchen  namentlich  jene  der  Firma  Lemme  &  Co.  inStolp  dieerstewar,  die 
diese  Fabrikate  in  den  Handel  brachte. 

Um  den  Firnissanstrichen,  namentlich  solchen,  welche  mit  fetten  Firnissen 
hergestellt  werden,  die  Eigenschaft  zu  ertheilen,  mbglichst  rasch  zu  trocknen,  setzt 
man  den  Firnissen  nicht  selten  Trockenmittel  (Siccative)  zu,  von  deren  einzelnen 
bereits  oben  (s.  pag.  489)  die  Rede  war.  Ausser  solchen  Zusatzen,  die  namentlich 
den  Zweck  haben,  die  Oxydation  des  trocknungsfahigen  fetten  Oeles  zu  begiinstigen. 
hat  man  aber  als  Siccative  auch  andere  Substanzen  angewendet.  Namentlich  eignen 
sich  Lbsungen  von  Schellack  in  Borax  oder  Salmiakgeist  vorziiglich  zur  Beschleu- 
nigung  des  Trocknungsprocesses  und  C.  Puscher  (Dingl.  pol.  Journ.  191  pag. 
174)  empfiehlt  eine  Lbsung,  die  aus  3  Thl.  blondem  Schellack,  1  Thl.  Salmiakgeist 
und  6  —  8  Thl.  Wasser  und  Kochen  der  zunachst  durch  12  Stunden  kalt  digerirten 
Masse  bis  zur  erfolgten  Lbsung  des  Schellacks  bereitet  werden  kann,  als  Ersatz 
einer  weingeistigen  Schellacklbsung  ftir  die  verschiedensten  Zwecke. 


504  Firniss.  —  Firnisspapier. 

Jiinemann  (Dingl.  pol.  Journ.  178  pag.  -160)  empfiehlt  als  Siccativ  eine 
Losiing,  welche  durch  Kochen  von  4  Thl.  Borax,  12  Thl.  Schellack  und  100 
Thl.  Wasser,  in  einem  Kupferkessel,  bis  alles  gelost  ist,  bereitet  werden  kann. 
Diese  Losung,  welche,  je  nachdem  lichter  oder  dunkler  Schellack  verwendetwurde, 
blass  gelb  bis  braun  sein  kann,  liefert  an  sich  einen  rasch  trocknenden  Firniss. 
Durch  Zusatz  von  1  Thl.  desselben  auf  einen  Theil  eines  fetten  Firnisses  oder  einer 
Oelfarbe  und  inniges  Vermischen  kann  man  die  Anstriche  in  15 — 30Minutenzum 
Trocknen  bringen.  Selbstverstandlich  darf  man  nicht  mehr  von  fettem  Firniss 
oder  Oelfarbe  mit  diesem  Sicativ  vermengen,  als  eben  zum  Verbrauche  kommt. 

Eine  ganz  eigenthiimliche  Art  von  Firnissen  und  besonders  ausgezeichnet 
durch  Dauerhaftigkeit  und  Schonheit  der  Anstriche,  die  sie  liefern,  sind  die  j  apane- 
s  i  s  c  h  e  n  Firnisse  oder  Lacke.  Soviel  man  mit  Sicherheit  weiss,  werden  diese 
Firnisse  aus  dem  Safte  des  Lackbaumes  (Urushinoki)  erzeugt,  der  allenthalben  in 
Japan  gedeiht,  aber  vorherrschend  in  den  Provinzen  Oshu  und  Oswari  einheimisch 
ist.  Man  macht  im  Monate  September  Einschnitte  an  verschiedenen  Stellen  des 
Stammes  dieser  Baume  und  hangt  unter  dieselben  Gefasse,  in  denen  sich  der 
Lacksaft  sammelt.  Die  gesammelte  Fliissigkeit  wird  sodann  durch  ein  Tuch  ge- 
seiht,  urn  sie  von  beigemengten  Unreinigkeiten  zu  trennen  und  kommt  so  unter 
dem  Namen  Kidjomi  in  den  Handel.  Er  wirkt  atzend  und  bringt  auf  die  Haut 
gebracht  bosartige  Geschwiire  hervor.  Aus  diesem  Lacksafte  werden  nun  durch 
verschiedene  Zusatze  die  farbigen  Anstrichfirnisse  hergestellt.  So  wird  schwarzer 
Firniss  (Rairo)  hergestellt,  indem  man  zu  40  Thl.  von  dem  Safte  1  Thl.  eines 
Breies  zusetzt,  den  man  durch  Schleifen  eines  Stiicks  Eisen  auf  einem  weichen 
Schleifstein  unter  Wasserzusatz  bereitet.  Das  Gemenge  wird  dann  am  Sonnen- 
lichte  mit  Holzschaufelchen  so  lange  geriihrt,  bis  es  schwarz  geworden  und  auf  die 
Halfte  verdampft  ist.  Durch  Zusatz  von  15  Proc.  des  Oels  von  Sesamum  orient. 
(Yenoabura)  zu  einem  solchen  Gemenge  von  Lacksaft  mit  etwas  weniger  Schleif- 
brei  erhalt  man  den  glanzend  schwarzen  Hanaurushi-Lack.  Ein  rother  Firniss 
(Shuurushi)  besteht  aus  100  Thl.  Lacksaft,  30  Thl.  Yenoabura  und  V300  Thl. 
Gummigutt  an  der  Sonne  gut  umgertihrt  u.  d.  m.  (vgl.  hieruber  P.  Kemper- 
mann,  Industrieblatt  v.  Hager  u.  Jakobsen,  Berlin  1874).*) 

Ein  eigenartiges  Firnissmateriale  ist  auch  das  Nienfett,  eine  fettahnliche 
Ausscheidung  eines  in  Amerika  einheimischen  Insectes  (vielleicht  von  Coccus  Axin), 
welches  eine  gelbbraune  fettige  Masse  bildet,  die  an  der  Luft  verharzt  und  sich 
in  Terpentinbl,  Benzin,  Aether  und  Chloroform  auflost.  Nach  0.  Buchner  (s. 
D.  Industr.-Ztg.  1870  pag.  479)  wird  die  Losung  des  Nienfetts  in  Terpentinol 
von  den  Eingeborenen  in  Yucatan  zur  Herstellnng  glanzender  Firnissiiberziige,  die 
sehr  hart  aber  zugleich  elastisch  sind  verwendet,  (vgl.a.  Chem.  Centbl.  1870  p.  679.) 

Ueber  Firnisse  vgl.  iibg.  auch  Creuzburg,  Lehrb.  d.  Lackirkunst,  Weimar 
1865.  Musspratt-Stohmann,  Handbuch  d.  techn. Chem  . —  Gintl,  Ausstellungs- 
bericht  iiber  Appreturmittel  u.  Harzproducte,  Wien  1873. —  L.  E.  Andes,  Jahrb.iiber 
Neuerungen  etc.  auf  dem  Gebiete  der  Lack-  u.  Firnissfabrikation.  Leipzig  1877.  Gil. 

Firnisspapier.  Ein  als  Ersatz  fiir  Wachstafft  verwendetes,  mit  Firniss  ge- 
tranktes  Papier.  Ueber  Darstellung  desselben,  sowie  der  hierzu  geeigneten  Firnisse 
vgl.  E.  Thorey  (Dingl.  pol.  Journ.  214  pag.  427).     Gil. 

*)  Es  ist  daher  begreiflich,  dass  alle  Versuche,  die  chinesischen,  bez.  japanesischen  Lack- 
arbeiten  mit  deu  bei  uns  ublichen  Materialien  an  Firnissen  und  Firnissfarben  nachzu- 
ahnien,  wegen  der  Eigeiiartigkeit  des  in  jenen  Landern  vei'wendeten  Materiales  nicht 
von  Erfolg  sein  konnten  und  Avohl  auch  nicht  sein  werden,  so  lange  man  nicht 
selbst  bei  Anwenduug  desselben  Materiales  auch  die  Methode  befolgt,  die  die  japanesi- 
schen Arbeiter  bei  der  Verwerthung  ihrer  Lacke  anwenden.  Versuche,  japanesischen 
Lack  nachzuahmcn,  sind  vielfach  gemacht  worden.  Eine  der  bekanntesten  solcher 
Vorschriften  ist  wohl  die  der  Marineartillerie  der  Vereinigten  Staaten  Nord-Amerikas, 
wonach  i  Thl.  Bleiglatte.  6  Thl.  Mennige,  1  Thl.  Umbra,  8  Thl.  Schellack,  2  Thl. 
Bleizucker  und  1  Thl.  Ziukvitriol  unter  allmaligem  Zusatz  von  17  Thl.  gekochtem  Leinol 
unter  fortwahrendem  rmriihren  5  Stunden  lang  gekocht  und  die  Masce  nach  dem  Ab- 
kuhlen  mit  2  Thl.   Terpentinol  vermeugt  werden  soil. 


First.  —  Fischbein.  505 

First  (faite  —  ridge,  top),  s.  Dach  II  pag.  463  Zeile  10. 

Firstenbau,  s.  Bergbau  I  pag.  388. 

Firstengewdlbe,  Firstenkasten,  Firstenstirn,  s.  Bergbau  I  pag.  380. 

Fischalbumin,  Albumin  aus  Fischrogen,  s.  Albumin  I  pag.  80,  vgl.  a. 
Leuchs  pol.  Ccntralblatt  1861  pag.  286  und  Wagn.  Jabrbrcbt.  der  chem.  Teclm. 
1861  pag.  595. 

Fischangeln,  Angel haken  (hamecons,  haims  — fish-hooks).  In  Bezug 
auf  die  Beniitzung  der  Fischangeln  zum  Fischfange  sei  verwiesen  auf:  Boccius 
Die  Fluss-,  Bacli-  und  Teichfischerei,  a.  d.  Engl.  2.  Aufl.,  Weimar  1861;  Bier- 
mann  illustr.  Fischereibuch,  Berlin  1865;  Sturz  Der  Fischfang  auf  hoher  See, 
Berlin  1862.  Betreffs  des  Fabrikation  und  Form  der  Fischangeln  s.  Prechtl's 
Techn.  Encyclop.  Bd.  I  pag.  277—282  und  The  Engineer  Bd.  8  pag.  426. 

Fischauge  syn.  m.  Adular  muschelformiger,  Wolfsauge,  ceylon.  Opal, 
Wasseropal,  Girasol,  vgl.  Orthoklas. 

Fischband,  (fiche  a  vase  —  butt  hinge)  s.  Band  I  pag.  287. 

Fischbauchtrager,  s.  Briicken  II  pag.  89. 

Fischbein  (os  de  baleine  —  whale  bone),  d.  i.  Walfischbarten.  Die  Sub- 
stanz  der  Walfischbarten  (barbes  —  whale-pins)  d.  s.  sensenformig  gestaltete 
hornartige  Piatten,  die  in  zwei  Abtheilungen  zu  beiden  Seiten  eines  Knochens, 
der  der  Lange  nach  unter  dem  Oberkiefer  des  Rachens  der  Walfischc  (Balaena 
mysticetus  L,  B.  australis  Desm.)  und  Finnfische  (Balaenoptera  borealis  Less.)  fort- 
lauft  und  unter  diesem  Kiefer  selbst  befestigt  sind.  Die  Lange  dieser  Barten 
hangt  natiirlicher  Weise  von  der  Grosse  des  Fisches  ab,  variirt  aber  auch  sehr 
nach  der  Stelle  des  Rachens.  Die  mittleren  sind  im  Allgemeinen  die  langsten 
und  iiberhaupt  die  besten,  und  wohl  bis  zu  5  M.  Lange  vorgekommen,  indessen 
gehort  eine  Lange  von  4 — 4.5  M.  schon  zu  den  Seltenheiten.  Die  Breite  betragt 
in  der  Nahe  des  Anheftungspunktes  etwa  3  —  3.5  Decim.,  von  hier  aus  laufen  sie 
in  massig  bogenformiger  Kriimmung  in  eine  Spitze  aus.  Die  Dicke  ist  am  oberen 
Rande  etwa  9 — 10mm,  nimmt  aber  gegen  den  unteren  Rand,  an  welchem  sich  die 
Barte  in  eine  Reihe  loser  Haare  oder  Fransen  auflost,  sehr  bedeutend  ab.  Jede 
der  beiden  Reihen  zahlt  etwa  300  Barten,  unter  denen  indessen  nur  etwa  250 
brauchbar  sind,  so  dass  ein  Fisch  durchschnittlich  500  nutzbare  Barten  licfert. 
Die  Substanz  des  Fischbeins  (wesentlich  Hornsubstanz)  besteht  aus  einer  Masse 
parallel  neben  einander  liegender  dicker  Fasern,  die  seitlich  durch  eine  a'hnliche. 
jedoch  etwas  weniger  feste  Substanz  aneinander  geheftet  sind,  und  sich  ziemlich 
leicht  von  einander  trennen  lassen. 

Dem  Walfische  dienen  die  Barten  als  eine  Art  Filtrirapparat ;  indem  er 
namlich  das  eingeschliirfte  Wasser  zwischen  den  Bartenreihen  und  dem  Unter- 
kiefer  wieder  herauspresst,  bleiben  kleine  Seethiere  und  Fische  in  seinem  Rachen  zuriick. 

Die  Barten  werden,  nachdem  sie  von  dem  Oberkiefer  abgelost  und  von 
anhangendem  Speck  gereinigt  und  sortirt  sind,  in  Packete  von  etwa  10  oder  12 
Stiick  gebunden  und  so  nach  Europa  gebracht,  wo  sie  in  denFischbeinreissereien, 
die  in  den  meisten  nordeuropaischen  Hafenstadten,  so  wie  auch  in  grosseren  Fa- 
briksstadten  etablirt  sind^  in  die  handelsiiblichen  Formen  gebracht  werden. 

Die  Verarbeitung  des  Fischbeins  zu  viereckigen  oder  llachen  Staben,  das 
sog.  Fischbein reissen,  wird,  nachdem  das  Fischbein  durch  zweistundiges 
Kochen  mit  Wasser  erweicht  worden,  auf  folgende  Art  bewerkstelligt.  Man  spannt 
die  in  Stiicke  von  etwa  1 — 1V2  M.  Lange  zersagten  Barten  auf  einer  Art  Tischler- 
bank  mittels  zweier  Bretter  so  ein,  dass  sie  auf  der  hohen  Kante  stehen.  und 
spaltet  nun  mittelst  eines  eigenen  bogenformigen  Messers  oder  Hobels,  der  je 
nach  der  Dicke  der  abzureissenden  Stangen  gestellt  werden  kann,  diese  davonab. 


506  Fischbein.  —  Fischhaut. 

Nach  dem  Reissen  werden  die  Stangen  getrocknet,  wodurch  sie  ihre  natiir- 
liclie  Harte  und  Steifigkeit  wieder  erlangen,  und  nun  audi  an  den  Seitenflachen 
glatt  geschabt.  Die  hierbei  abfallenden  Fischbeinspane  eignen  sich  als  Surrogat 
der  Rosshaare  zum  Ausstopfen  der  Betten  und  Mobeln. 

Das  Fischbein  findet  seiner  Biegsamkeit,  Elasticitat,  Festigkeit  und  seines 
geringen  specifischen  Gewichtes  wegen  mannigfaltige  Anwendungen,  besonders  zu 
Schirmgestellen  (Schirmfischbein),  zu  Corsets  (Schneiderfischbein),  zu  Stocken, 
Reitpeitscken,  Galanteriewaaren,  feinen  Flechtarbeiten  etc.  Durch  Dampf  oder  im 
Sandbad  erhitzt,  erlangt  es  einen  solchen  Grad  von  Weichheit,  dass  es  sich  wie 
Horn  in  Form  en  pressen  lasst,  und  die  so  erhaltene  Gestalt,  vorausgesetzt,  dass 
es  innerhalb  der  Form  abkiihlt,  unverandert  beibehalt.  Auf  diese  Art  konnen 
mancherlei  Luxusartikel,  als:  Tabakdosen,  Messerschalen,  Stockknopfe  u.  dgl.  aus 
Fischbein  verfertigt  werden. 

Man  polirt  es  gewohnlich  mit  Bimssteinpulver,  das  mit  Wasser  auf  einen 
Filz  aufgetragen  wird,  und .  reibt  es  schliesslich  noch  mit  zerfallenem  Kalk  ab. 

Der  relativ  hohe  Preis,  den  das  Fischbein  namentlich  zu  Zeiten,  wo  die 
herrschenden  Damenmoden  einen  bedeutenden  Consum  an  diesem  Materiale  bedingten 
hatte,  hat  Veranlassung  gegeben,  die  Herstellung  von  Fischbeinsurrogaten 
zu  versuchen,  deren  einzelne  noch  zur  Zeit,  wo  die  Preise  echten  Fischbeins  nicht 
mehr  so  hoch  stehen,  Anwendung  finden.  Ein  solches  wurde  zuerst  von  Th. 
V  o  k  1  e  r  in  Kbln  bei  Meissen  uuter  dem  Namen  W  a  1 1  o  s  i  n  in  den  Handel  ge- 
bracht.  Dasselbe  wird  in  folgender  Weise  hergestellt:  Gewohnliches  spanisches 
Rohr  wird  auf  einer  besonderen  Maschine  (vgl.  Bayr.  Kunst-  u.  Gewerbe-Blatt 
1856  pag.  659)  von  seiner  glatten  Schale  befreit,  nach  dem  Entschalen  mittels  eiues 
Blauholzabsudes  und  Eisenbeize  schwarz  gefarbt  und  nach  dem  Trocknen  mit 
einer  Losung  von  Kautschuk,  Guttapercha  und  Schwefel  in  Steinkohlentheerbl 
getrankt.  Die  so  getrankten  Stabe  werden  nunmehr  in  einem  Dampfapparate 
unter  einem  Druck  von  2  Atmosph.  gedampft,  wodurch  die  das  Rohr  durchtran- 
kende  Masse  vollkommen  gehartet  (vulcanisirt)  wird^  und  endlich  werden  sie  ge- 
walztj  wodurch  sie  vollig  dicht  und  in  hohem  Grade  elastisch  werden.  Die  Im- 
pragnirungsfiussigkeit  wird  bereitet,  indem  man  einerseits  1  Thl.  Guttapercha  in 
2  Thl.  Steinkohlentheerbl,  dann  in  einem  besonderen  Gefasse  1  Till.  Kautschuk 
in  12  Thl.  Steinkohlentheerbl,  endlich  1  Thl.  Schwefel  in  12  Thl.  Steinkohlen- 
theerbl auf  lost  und  sodann  24  Thl.  der  Guttaperchalbsung  mit  je  12  Thl.  der 
Kautschuk-  und  der  Schwefellbsung  vermengt. 

Nach  Good  year's  Patent  (Hannov.  Mitthlg.  1855  pag.  294)  wird  ein 
Fischbeinsurrogat  wesentlich  aus  vulkanisirtem  Kautschuk  erhalten,  indem  Kaut- 
schuk mit  einem  Zusatz  von  geeigneten  Vulkanisirungsmittelii  durch  Erhitzen  auf 
120 — 140°  C.  gehartet  wird.  Er  schreibt  auf  1  Kilo  Kautschuk  eine  Mischung 
von  0.25  K.  Schwefel,  0.2  K.  Schellack,  0.2  K.  Magnesia  und  0.25  K.  Gold- 
schwefel  (ftinffach  Schwefelantimon)  als  Vulkanisirungsmittel  vor.  Seit  den  in 
der  neueren  Zeit  gemachten  bedeutenden  Fortschritten  auf  dem  Gebiete  derKaut- 
schukindustrie  (vgl.  Kautschuk)  wird  vulkanisirter  Kautschuk  ganz  allgemein 
als  Fischbeinsurrogat  verwendet.     Gil. 

Fischbein  weisses,  Blackfischbein  s.  Sepia. 

Fischbein-Bearbeitung  hat  grosse  Aehnlichkeit  mit  der  Bearbeitung  von 
Horn  und  wird  hierauf  verwiesen.  Ueber  die  Verwendung  des  Fischbeins  zur 
Erzeugung  kiinstlicher  Blumen  schrieb  Basse  eine  „Anleitung".  Quedlinburg  1826. 

Fischbeinsurrogate,  Fischbein  kiinstliches,  s.  Fischbein. 

Fischguano  s.  Guano. 

Fischhaut.  Die  eingetrocknete  rauhe  Haut  einiger  Haifisch-Arten,  wird  als 
Beleg  von  Brustbaumen  bei  Webstiihlen,  an  Reibzeugen  etc.  verwendet.  Vgl. 
Chagrin. 


Fischleim.  —  Flachs.  507 

Fischleim  s.  Ha  us  en  blase. 

Fischdl-Naphta.  Ein  Petroleumsurrogat,  welches  durch  trocktne  Destination 
der  Kalkseife  des  Thrans  von  einer  Haringsart  (Alosa  menhaden)  dargestellt 
wurde  (vergl.  Warren  u.  Storer,  Ausz.  in  Journ.  f.  pract.  Chem.  102  pag. 
436).     Gtl. 

Fischsalz  syn.  m.  Biihnensalz,  s.  Kaliura  bei  Chlorkalium,  s.  Natrium 
bei  Salz;  auch  Pockelsalz  zur  Fischpockelung. 

Fischschuppen  (ecaille  de  poisson  —  scale).  Die  Fischschuppcn  finden 
ausser  zur  Herstellung  der  Perlessenz  (s.  Essence  d'Orient  III  pag.  292)  audi 
anderweitige  technische  Verwendung.  Nach  einem  Patente  von  E.  u.  J.  Huebner 
in  Newark  (Ver.  Staaten)  konnen  frische  Fischschuppen  von  grosserer  Form  fur 
die  Herstellung  von  Schmucksachen,  kiinstl.  Blumen  u.  s.  w.  zubereitet  werden, 
indem  man  sie  zunachst  durch  24  Stunden  in  Salzwasser  einlegt,  sodann  wieder- 
holt  mit  reinem  Wasser  auswascht,  dann  einzeln  mit  Leinenlumpen  abreibt  und 
schwach  presst.  Sodann  werden  sie  etwa  1  Stunde  in  Spiritus  gelegt,  abgerieben 
und  wieder  gepresst,  bis  sie  trocken  sind.  So  zubereitet  haben  sie  ein  perlmutter- 
artiges  Aussehen,  sind  sehr  elastisch  und  widerstandsfahig  und  konnen  leicht  in 
den  verschiedensten  Nuancen  gefarbt  werden  (vgl.  pol.  Centralblatt  1874  pag. 
1246.)     Gtl. 

Fischschwanzbrenner,  eine  besondere  Form  der  Leuchtgasbrenner,  s.  L  eucht- 
stoffe,  vgl.  Lampen. 

Fischthran  s.  Thran. 

Fisetholz  syn.  Fustikholz  u.  Gelbholz. 

Fixage  u.  Fixiren,  so  viel  wie  Befestigung  und  bef'estigen7  namentlich  von 
Farbstotfen  auf  der  Faser,  s.  Beize  I  pag.  370,  vgl.  Zeugfarberei  und 
Druckerei.  dann  auch  das  Haltbarmachen  von  Photographien  s.  Photo- 
graph i  e. 

Fixbleiche  syn.  Chlorbleiche  s.  Bleichen  I  pag.  622. 

Fixirsalz  syn.    m.    unterschwefligsauer.    Natron,    s.  b.  Natrium. 

Fixfifen  syn.  Schneller-  Oefen,  s.  b.  Calciumoxyd  Bereitung,  II 
pag.  197. 

Fisetin  s.  Fustikholz. 


Flaak,  Flack  ('platfond  —  fiat),  der  unterste  flache  Boden  eines 
Schitfes. 

Flaake,  ein  Weidengeflecht  zum  Uferschutz. 

Flachs.  Unter  Flachs  versteht  man  die  von  den  Gefassbiindeln  der  Stengel 
verschiedener,  der  Gattung  Lein,  Linum,  angehorenden  Pflanzen  abgeschiedenen 
Bast-Fasern.  —  Nur  wenige  Arten  dieser  Pflanzen  eignen  sich  jedoch  geniigend 
zur  Gewinnung  einer  als  Spinnmaterial  brauchbaren  Faser  und  ist  fur  den  alten 
Continent  in  dieser  Hinsicht  von  allein  hervorragender  Bedeutung  die  Art:  Linum 
usitatissimum  L.,  die  sich  in  L.  sativum  oder  Schliesslein,  Dreschlein 
(Rigaer  Lein),  bei  welchem  die  reifen  Samenkapseln  geschlossen  bleiben  und  in 
L.  humile  Mill,  oder  S  p  r  i n  g  1  e  i  n  oder  K 1  a  n  g  1  e  i  n  gliedert,  dessen  Samenkapseln 
bei  ihrer  Reife  aufspringen. 


508 


Flachs. 


Fig.  1637. 


» 


SA 


Fig.  1638. 


Der  in  manchen  Gegenden  gebaute,  durch  seine  Lange  ausgezeichnete  Koniglein  ist 
ebenfalls  eine  Form  des  gewonlichen  Leins  und  heisst  L.  us.  regale. 

Im  mittleren  und  siidlichen  Europa,  sowie  im  mittleren  Asien  wird  noch  L.  perenne 
L.,  im  siidl.  Europa,  im  westl.  Frankreich  und  in  West-  und  Siid-England  L.  angustifolium 
Huds.  angebaut,  von  denen  die  erstere  eine  grobe,  harte,  die  letztere  eine  etwas  bessere 
Faser  liefert. 

In  Nordamerika  wird  neben  L.  usitatissimum  noch  L.  Levisii  Pursh.  gebaut. 

In  Europa  zeichnet  sich  durch  die  Production  eines  hervorragenden,  schonen  Gewachses 
und  Erzeugung  der  besten,  feinsten  Spinnfasern  Belgien  aus. 

Der  Lein  gedeiht  in  alien  Klimaten,  wo  Getreide  angebaut  werden  kann,  jedoch  wecb- 
selt  die  Giite  der  unter  sonst  gleichen  Umstiinden  gewonnenen  Faser  nach  Klima,  und  Lage 
und  halt  man  gebirgige  Gegenden  und  Meereskusten  mit  feuchter,  massig  warmer  Atmosphare 
als  gute  Vorbedingungen  zur  Erzeugung  eines  schonen  Productes. 

Der  Lein  ist  eine  Sommerpflanze  mit  diinnem  0.4  bis  1.2m  hohem  Stengel, 
der  mit  zarten  lanzettahnliehen,  wechselweise    stehenden  Blattern   besetzt   ist  und 

in  2  bis  3  Aestchen  endet,  welche  die 
gewbhnlich  blaue  Bliithe  tragen,  aus  der 
sich  etwa  erbsengrosse  Samenkapseln  mit 
10,  den  langlich  oval  en,  platten,  roth- 
braunen  Sam  en  enthaltenden  Fachern  ent- 
wickelt.  —  Der  Kelch  und  die  Blume 
ist  fiinfblattrig. 

Der  Lein  hat  eine  Pfahlwurzel,  die 
je  nach  der  Art  der  Saat  und  der  Acke- 
rung,  so  wie  der  Witterung  0*1 — 0*25  m 
lang  wird.  Soil  der  Lein  besonders 
der  Fasergewinnung  wegen  angebaut  wer- 
den, so  muss  man  ihn  dichter  saen,  als 
wenn  zur  Aussaat  geeigneter  Samen  ge- 
wonnen  werden  soil.  Im  ersten  Falle  zeigt 
dann  der  Stengel  keine  oder  nur  wenige 
Nebenaste  mit  geringer  Anzahl  Bliithen 
und  eine  langere  Pfahlwurzel,  im  letz- 
teren  zweigt  sich  der  Stengel  verschie- 
dentlich  ab  und  enthalt  eine  Pflanze  viel 
mehr  Bliithen  und  eine  kiirzere,  mehr  ge- 
astete  Wurzel.  Die  nebenstehenden  Holz- 
schnitte  zeigen  in  Fig.  1637  den  Bast- 
Lein  nach  der  Bliithe,  in  Fig.  1638  den 
Samen -Lein,  in  Figur  1639  in  na- 
turlicher  Grosse  die  Bliithe,  die  Samen- 
kapseln, das  Samenkorn  und  ein  Blatt 
des  Leins. 

Fester  bindiger  Boden  und  anderseits  zu 
leichter  Sand-  und  Torfboden  eignet  sich  nicht 
zum  Anbau  des  Leins,  derselbe  verlangt  viel- 
mehr  einen  miirben,  tiefgriindigen,  in  alter  Kraft 
stehenden  Boden  und  liebt  auch  gemischte  Bo- 
denarten. 

Das  Land  muss  ordentlich  draiuirt  und 
wasserfrei  sein  und  bis  0.4  Meter  tief  bearbeitet 
werden.  Auf  ein  und  demselben  Boden  darf 
der  Lein  nie  ofter  als  alle  5  Jahre  gebaut  werden, 
doch  ist  es  meist  besser,  erst  nach  Verlaufvon 
7  bis  10    Jahren   wieder    denselben    Boden   zur 

FlachsiTzeugung    zu    benutzen,  und  haben  Gewohnheit  und  Erfahrungen  eine  gewisse  Frucht- 

folge  und  geeignete  Diingung  t'estgestellt. 

Die    Zeit    der  Aussaat  ist  zwischen  April  und  Juni,  und  spricht   man  desshalb  vonFriih- 

lein,  Mitt  ell  ein  und  Spat  lein. 


Fig.  1639. 


Flachs.  509 

Der  Friihlein  wird  im  Allgemeinen  bevorzugt,  da  er  vor  Erdflolien  mehr  verschont 
bleibt  und  eine  bessere,  kraftigere  Faser  liefert,  auch  der  Zeitpunkt  der  geeigneten  Reife  vor 
der  des  Getreides  fallt,  so  dass  man  mehr  Arbeitskrafte  zum  Abernten  desselben  in  der  Land- 
wirthschaft  bereit  hat.     Die  schonen  belgischen  Flachse  riihren  meist  von  friiher  Aussaat  her. 

Je  dichter  gesaet  wird  —  und  man  kann  um  so  dichter  saen,  je  tiefer  geackert  und  je 
kraftiger  der  Boden  ist  —  desto  feiner,  gerader,  langer  und  frei  von  Nebenasten  wird  der 
Stengel  —  desto  weniger  Samen  erhalt  man  aber  anderseits.  Bei  sehr  dichter  Aussaat  und 
eingetretenem,  langer  andauernden  Regenwetter  kann  ein  Lagern  der  Pflanzen  und  Bescha- 
digung  derselben  durch  Faulen  eintreten,  deshalb  pflegt  man  in  manchen  Gegenden,  z.  B.  in 
Holland,  Belgien  und  Frankreich  —  bei  solcher  dichter  Aussaat  —  den  Flachs  dadurch  zu 
stiitzen,  dass  man  ihn  zwingt,  durch  iibergelegtes  laubloses  Reisig  zu  wachsen,  welches  auf 
seitlich  gestiitzten,  in  geeigneten  Entfernungen  angebrachten  Stangen  ruht.  Man  nennt  diesen 
Process  in  Holland  das  „Landern"  und  erhalt  durch  denselben  zarte,  hohe  Pflanzen,  die 
eine  feine  und  weiche  Faser  geben   —   in  Frankreich  unter  lin  rame  bekannt. 

Der  Lein  muss,  ehe  die  Samenreife  eingetreten  ist,  abgeerntet  (gerauft) 
werden,  weil  vor  diesem  Zeitpunkte  die  Faser  weicher  und  zarter  ist.  —  Der 
Samen  ist  alsdann  wohl  zur  Oelgewinnung,  aber  nicht  zur  Wiederaussaat  geeignet. 
Eine  gleichzeitige  Gewinnung  guten  Flachses  und  schweren,  reifen  Samens  ist 
daher  schon  aus  diesem  Grunde  nicht  moglich. 

Der  geeignetste  Zeitpunkt,  wann  der  Lein  geerntet,  d.  h.  mit  sammt  der 
Wurzel  aus  dem  Boden  gezogen  werden  soil  — weiche  Arbeit  man  das  Raufen 
der  Flachsstengel  nennt  —  hangt  von  der  Absicht  ab,  in  der  man  den  Lein 
baute.  Einige  Tage  nach  der  Bliithe  geraufte  Pflanzen  geben  einen  sehr  weichen, 
seidenahnlichen,  aber  nicht  sehr  festen  Flachs  ;  auch  wird  bei  der  Abscheidung 
der  Fasern  mehr  Abfall  gebildet.  —  Nach  der  Ausbildung  der  Samenkapseln  — 
wenn  dieselben  noch  griln  sind  —  geernteter  Lein  gibt  eine  festere,  feine,  weiche 
und  helle  Faser.  Wartetman  mit  der  Ernte,  bis  die  Pflanzen  von  der  Wurzel  an  bis  zur 
Halfte  der  Stengel  gelb  werden  und  die  Leinenkorner  in  den  Kapseln  sich  schwach 
zu  farben  beginnen  —  weichen  Zeitpunkt  man  die  „Gelbreife"  nennt  —  so 
erhalt  man  neben  einem  guten  festen  Mittelflachs  zugleich  auch  Samenkorner  zur 
Oelbereitung ;  wesshalb  man  in  den  meisten  Gegenden  in  diesem  Stadium  die 
Ernte  vornimmt.  Wenn  man  noch  langer  wartet,  u.z.bis  sich  die  Leinenstengel  beinahe 
bis  zur  Spitze  gelb  gefarbt  und  bis  die  Samenkorner  gleichformig  lichtbraun  geworden 
sind  —  also  bis  zur  sogen.  „  Samenreife"  —  so  ist  die  Faser  grober  und 
harter  geworden,  wahrend  der  jetzt  gewonnene  Samen  tauglich  zur  Wieder- 
aussaat ist. 

Dem  Raufen  folgt  das  Trocknen  der  Leinenstengel,  das  bei  trockenem 
Wetter  am  einfachsten  auf  einer  abgemahten  Wiese  oder  einem  Stoppelfelde  durch 
reihenweise  Lagerung  der  Stengel  und  ofteres  Umwenden  derselben  erreicht  wird. 

Da  aber  starker  Thau  und  eintretender  Regen  auch  eine  nicht  beabsichtigte  theilweise 
Rostung  der  Stengel  hervorbringen  kann,  so  ist  das  in  Belgien,  Westphalen  und  einigen 
anderen  Orten  ubliche  Trocknen  in  Kapellen,  bei  welchem  dieser  Umstand  nicht  leicht  ein- 
treten kann,  vorzuziehen.  Nach  dieser  Methode  werden  die  gerauften  Buschel  handvollweise 
mit  einem  diinnen  Strohseile  etwas  zusammengebunden  und  dann  mit  den  Wurzelenden  nach 
unten  in  Form  eines  Satteldaches,  bei  welchem  die  Samenkapseln  den  First  bilden,  derart 
von  Norden  nach  Siiden  aufgestellt,  dass  die  schragen  Langenseiten  desselben  von  der  Sonne 
gleich  stark  beschienen  werden  konnen. 

Sind  die  Stengel  und  deren  Kapseln  geniigend  getrocknet  —  rasseldiirr  ge- 
worden —  so  werden  sie  gesammelt  und  unter  Dach  gebracht,  nachdem  die  Seiten- 
aste,  die  Blatter,  die  Kapseln  und  die  Wurzeln  von  den  Stengeln  entfernt  worden 
sind,  was  auch  manchmal  sofort  nach  dem  Raufen  auf  dem  Felde  gesehieht. 

Das  Abstreifen  der  Aeste  und  Kapseln  gesehieht  durch  das  Riffeln  oder 
Reffeln,  das  mittels  des  Riff  el-  oder  Reffelkammes,  der  Raff  el  aus- 
gefuhrt  wird.  Es  besteht  dies  Instrument  aus  8  —  10  eisernen,  0'2  —  03m  langen 
Zinken  von  der  Form  einer  schlank  zugespitzten  Pyramide,  weiche  in  einem  Brett 
oder  einem  Flacheisen  so  nebeneinander  angeordnet  sind,  dass  die  Diagonalen  des 
Querschnittes  mit  ihrer  Aufstelluugsriehtung  zusammenfallen.  Die  Zinken  haben  an 
der  Basis  eine  Dicke  von  etwa  15Tnm  und  lassen  daselbst  einen  Zwischenraum 
von  ca.  3mm,    der  sich  nach    oben    zu  vergriissert.     Mehrere  solcher  Kiimme  sind 


510  Flachs. 

neb  en  einander  auf  einer  Bank  —  der  Riffelbank  —  befestigt.  Das  Riffeln  ge- 
schieht  in  der  Weise,  dass  der  Arbeiter  eine  Hand  voll  Stengel  an  den  Wurzel- 
enden  fasst  und  festhalt,  wahrend  er  die  etwas  ausgebreiteten  Spitzen  moglichst 
schonend  und  vorsichtig  mehrmals  durch  den  Kamm  zieht.  Nacli  Entfernung  der 
Samenkapseln  wird  die  Hand  voll  uingekehrt  und  mit  den  Wurzelenden  ebenfalls 
einigemale  durch  den  Kamm  gezogen. 

Es  ergeben  sich  aus  lufttrockenem  Lein  etwa  70 — 80°/0  reine  Stengel. 

Auf. das  Riffeln  sollte  vortheilhafterweise  stets  das  Sortiren  der  Leinen- 
stengel  —  des  Rohflachses,  wie  er  jetzt  heisst  —  nach  ihrer  Lange  und  Dicke 
erfolgen.  Das  erstere  geschieht  durch  Aufstossen  der  Handvoll  mit  den  Wurzel- 
enden auf  dem  Sortirtische  und  durch  Herausziehen  der  dann  mit  den  Spitzen 
iibcr  die  andern  herausragenden  Stengel.  Man  kann  in  dieser  Weise  bis  vier  ver- 
schiedene  Sorten  bilden,  welche  sich  besser  und  vortheilhafter  einzeln,  als  unsor- 
tirt  verwenden  lassen. 

Der  gewonnene  Rohflachs  (Flachsstroh)  —  also  die  lufttrockenen  und  ab- 
geriffelten  Leinenstengel  —  hat  eine  durchschnittliche  Lange  von  0*6m.  Man  er- 
halt  von  einer  Hektare  guten  Ackerbodens  unter  giinstigen  Umstanden  bis 
5000  Kilo  Rohflachs,  meist  aber  bedeutend  weniger. 

Abscheidung  der  spinnbaren  Faser,  die  Gewinnung  des 
Flachses. 

Um  die  zu  diesem  Zwecke  eingeleiteten  Processe  besser  beurtheilen  zu  konnen, 
moge  zunachst  eine  nahere  Betrachtung  der  Stengel  folgen. 

Die  ausseren  Scliichten  sind  sehr  schwach  und  dtinn  und  bestehen  aus  der 
Oberhaut  und  der  Rinde,  unter  welcher  die  Gefassbiindel,  der  Bast  —  die  eigent 
lichen  Flachsfasern  —  liegen.  Es  umgeben  diese  Fasern  einen  holzigen  Kern, 
den  eigentlichen  Stengel,  der  im  Centrum  von  einer  weichen  Masse,  dem  Marke, 
erfiillt  ist.  Zwischen  Fasern  und  holzigem  Kern  kann  man  noch  eine  Schicht 
unterscheiden,  die  sich  je  nach  der  Reife  der  Stengel  mehr  dem  Faser-  oder  dem 
Holzgewebe  anschliesst,  die  aber  bei  der  Fasergewinnung  selbst  von  untergeord- 
neter  Bedeutung  ist.  Die  Bastfasern  mit  den  diinnen  obern  Scliichten  betragen 
dem  Gewichte  nach  etwa  20 — 30%  des  gut  getrockneten  Rohflachses. 

Die  Gefassbiindelchen  haften  durch  eine  Intercellularsubstanz  besonders 
fest  aneinander  und  an  den  umgebenden  Geweben,  und  es  soil  der  folgende 
Process  eine  Abtrennung  derselben  von  diesen  und  ein  Zerlegen  in  feinere  einzelne 
Fasern  bewirken  und  vorbereiten.  Dies  kann  aber  nur  dadurch  geschehen,  dass 
die  im  Wasser  unlosliche  Intercellularsubstanz  theilweise  zersetzt  wird,  was  man 
unter  dem  Einflusse  einer  Fermentation  (Rotten)  zu  erreichen  strebt. 

Das  Rotten  oder  Rosten  (rouissage  —  retting,  rating,  steeping).  Die 
alteren  Methoden  des  Rottens  sind  die  Thau-,  Wasser-  und  gemischte 
Roste,  und  man  hat  sich  erst  seit  den  letzten  50  Jahren  bemiiht  diese  zeitraubenden 
und  oft  unsicheren  Verfahrungsarten  zu  verbessern  und  in  eigenen  Rostanstalten 
durch  andere  zu  ersetzen.  Die  Erfahrung  hat  jedoch  gezeigt,  dass  die  alten  Me- 
thoden des  Rostens  allein  die  besten  Resultate  ergeben,  dass  sie  also  principiell 
die  richtigsten  sind,  wesshalb  sie  auch  jetzt  noch,  mit  einigen  Verbesserungen  in 
Bezug  auf  die  Art  der  Ausfiihrungen,  fast  aussehliesslich  in  Gebrauch  sind.  *) 


f)  Flachs rostanstalten  entstanden  zunachst  in  Irland,  dann  in  Deutschland  und 
Oesterreich;  und  wenn  sie  auch  keineswegs  den  gehegten  Erwartungen  entsprachen, 
so  haben  sie  indirect  doch  den  Weg  erkennen  lassen,  auf  dem  allein  dauemde  Ver- 
besserungen in  der  Gewinnung  des  Flachses  zu  erreichen  sind.  —  Wir  kbnnen  hier 
nicht  eingehend  erortern,  warum  derartige  Unternehmuugen  nuf  selten  lebensfahig  sind, 
doch  wollen  wir  wenigstens  einige  Momente  hervorheben.  —  Es  basirt  eine  derartige 
Anstalt  vor  Allem  auf  der  Moglichkeit,  geeigneten  Rohflachs  in  genii  gender 
Menge  preiswiirdig  zu  erlangen.  Nun  hat  aber  der  Rohflachs  in  Bezug  auf  sein  Gewicht 
ein  sehr  bedeutendes  Yolumen,  weshalb  sein  Transport  auf  weitere  Entfernungen  als 
30  bis  37  Kilometer  ihn  derart  vertheuert,  dass  sein  Bezug  alsdanu  nicht  mehr  lohnend 
erscheint,  und  sind  deshalb    solche  Anstalten    auf  einen  ziemlich  beschrankten  Umkreis 


Flaclis.  511 

Die  Rostmethoden  konnen  eingetlieilt  werden  in 

A)  natiirliche  Rftsten,  die  ohne  besondere  Vorbereitung  des  Rostmittels 
durchgefiihrt  werden,  wie:  a)  die  Thauroste,  b)  die  Wasserroste  mit  ihren 
Modificationen,  c)  ge  mis  elite  Roste. 

B)  Kiinstliche  Rosten.  Sie  sind  stets  Gegenstand  besonderer  Unterneh- 
mungeiv,  welche  den  natlirlichen  Zustand  des  Rostmittels  in  der  Absicht  ver- 
andern,  den  Rostprocess  zu  beschlennigen.  H.geh.:  d)  die  Warm  wasserroste, 
e)  die  H e is s wasserroste,  f)  die  Da mpfrostc,  g)  die  Roste  mit  ver- 
diinnter  Schwefelsaure. 

Was  zunachst  den  giinstigsten  Zeitp unlet  der  Roste  betrifft,  so  wurde 
friiher  das  Rosten  der  griinen,  nicht  getrockneten,  abgeriffelten  Stengel 
(Griinroste,  noch  jetzt  in  einzelnen  Gegenden  gebrauchlich)  als  empfehlenswerth 
angeseben,  indem  man  annahm,  dass  einerseits  der  Rostprocess  alsdann  schneller 
verlaufe,  anderseits  ein  besseres  Product  ergebe;  doch  hat  sich  das  letztere  als 
ein  Irrthum  erwiesen.  Der  getrocknete  und  manchmal  bis  zum  nachsten  Jahre 
und  la'nger  aufbewahrte  Rohflachs  rostet  zwar  etwas  langsamer,  gibt  aber  eine 
bessere,  weichere  Faser.  So  pflegt  man  in  Belgien  den  in  drei  Qualitaten  sortir- 
ten  Robflachs  stets  getrocknet  und  meist  nur  die  geringsten  Sorten  noch  in  dem- 
selben  Jahre,  wo  sie  geerntet  wurden,  &u  rosten ;  Flachs  besserer  und  bester 
Qualitat  hingegen  erst  im  Friihling  des  folgenden  Jahres  und  den  Process  bei  dem 
besten  noch  vor  Beendung  zu  unterbrechen,  um  ihn  erst  im  darauf  folgenden 
Friihjahr  zu  vollenden. 

a)  die  Thauroste  (rouissage  sur  terre,  rosage  —  deiv-retting)  ist  jetzt 
noch  sehr  verbreitet  und  muss  iiberall  da  angewendet  werden,  wo  geeignetes 
Wasser  zur  Ausflihrung  der  Wasserroste  nicht  vorhanden  ist.  Sie  liefert  bei  auf- 
merksamer  Ueberwachung  und  giinstiger  Witterung  einen  glanzenden  und  weichen, 


angewiesen.  Hierzu  kommt  noch,  dass  die  Leinpflanze  nur  etwa  alle  7  Jahre  wieder 
in  demselben  Boden  gezogen  werden  darf,  so  dass  nur  ca.  \L  des  in  dem  erwahnten 
Bereiche  vorhandenen  Landes  fiir  die  Cultur  derselben  iibrig  bleibt.  Man  kann  aber 
nur  in  seltenen  Fallen  auf  eine  so  concentrirte  Flachszucht  rechnen;  —  und  auch  da, 
wo  sie  vorhanden  ist,  gelingt  es  doch  noch  seltener,  das  sammtliche  Rohmaterial  zu 
geeigneten  Preisen  fiir  die  Flachsbereitungs-Anstalt  zu  erwerben,  weil  der  Landwirth, 
wo  sich  ihm  nur  irgend  passende  Gelegenheit  dazu  bietet,  die  Zubereitung  des  Flachses 
selbst  iibernimmt,  indem  er  die  hierauf  verwendete  Miihe  und  Arbeit  nur  sehr  niedrig 
oder  gar  nicht  in  Anrechnung  bringt  und  sich  einen  hbheren  Nutzen  aus  dem  Verkaufe 
des  abgeschiedenen  Flachses  als  aus  dem  der  rohen  Stengel  verspricht.  Die  gewerbs- 
massigen  Flachsbereitungs-Anstalten,  die  eine  theure  Anlage  zu  verzinsen  haben,  konnen 
somit  nicht  in  Concurrenz  mit  dem  mit  sehr  einfachen  Mitteln  arbeitenden  Landwirthe 
treten,  besonders  da  es  ihnen  nur  ungeniigend  gelingt,  ihre  etwa  feineren  Producte 
entsprechend  hoher  zu  verwerthen,  wie  es  die  aufgewendetenKosten  verlangen.  Bedenkt 
man  ferner  noch  die  nicht  sehr  selten  eintretenden  Missernten,  wodurch  der  Bezug 
von  Rohflachs  manchmal  fiir  eine  an  einen  bestimmten  Ort  gebundene  Anstalt  fast 
unmoglich  werden  kann,  ferner  noch  den  Umstand,  dass  der  Rohflachs  je  nach  der  Art 
des  Samens,  des  Bodens,  der  Cultur  und  des  Reifestadiums,  in  dem  er  geerntet  wurde 
—  welche  Umstande  doch  unmoglich  den  Flachsbereitungs-Anstalten  geniigend  bekannt 
sein  konnen  —  verschieden  in  der  Roste  behandelt  werden  muss,  um  das  mogjichst 
beste  Product  aus  ihm  zu  erzielen,  so  lassen  sich  die  Schwierigkeiten  —  welche  einer 
fabriksmassigen  Behandlung  desselben  entgegenstehen  —  ermessen  und  die  Griinde  er- 
kennen,  warum  derartige  Unternehmungen  nur  unter  ganz  besonders  giinstigeu  Yer- 
haltnissen  und  meist  nur  in  Verbindung  mit  Spinnerei  bestehen  konnen.  —  Diese  uud 
noch  andere  hier  nicht  weiter  verfolgte  Punkte  haben  denn  erkeunen  lassen,  dass 
man  nicht  durch  solche  Anstalten,  sondern  durch  directe  Belehrung 
der  Landwirthe  iiber  beste  Cultur  und  geeignete  Verarbeitung  der  Pflanzen  —  die 
stets  eine  vortheilhafte,  zum  grossten  Theil  im  Winter  auszufiihrende  Beschaftigung 
fiir  den  Landwirth  bleiben  wird  —  eine  Verbesserung  der  Flachsproduction  und  ver- 
mehrten  Anbau  der  Pflanzen  erreichen  wird.  —  Die  Bestrebungen  in  dieser  Hinsicht. 
in  Verbindung  mit  der  Errichtung  von  Flachsmarkten,  auf  denen  es  dem  Land- 
wirth erst  moglich  ist,  sein  Product  entsprechend  zu  verwerthen,  sind  denn  auch 
bereits  von  Erfolg  begleitet  gewesen;  doch  konnen  wir  uns  noch  lange  nicht  messen 
init  dem  noch  unen-eicht  dastehenden  Belgien,  das  Flachsbereitungs-Anstalten  in  deiu 
besprochenen  Sinne  nicht  kennt. 


512  Flachs. 

meist  dunkleren  Flachs.  Die  geeignetste  Zeit  zur  Ausfiihrimg  dieser  Roste  ist 
das  Friilijahr,  imd  nur  bei  Friibflaclis,  der  etwa  im  Monat  Juli  oder  August  ge- 
rostet  werden  konnte,  kann  man  sie  allenfalls  noch  in  demselben  Jahre  in  den 
Herbstmonaten  zur  Ausfiihrung  bringen,  —  doch  sollte  man  nur  getrockneten, 
tiber  Winter  aufbewahrten  Flachs  in  dieser  Weise  behandeln.  In  manchen  Ge- 
genden  rostet  man  den  Flacbs  im  Herbst  halbfertig  und  erst  im  folgenden  Jahre 
ganz  fertig. 

Die  Thauroste  wird  auf  einer  abgemahten  Wiese  oder  einem  Stoppelfelde 
vorgenommen,  nie  auf  blosser  Erde,  weil  sonst  leicht  ein  Verderben  der  unten 
liegenden  Stengel  bei  nur  einigermassen  nasser  Witterung  eintreten  kann;  doch 
darf  der  Erdboden  nicht  eisenhaltig  sein,  weil  der  mit  demselben  in  Bertihrung 
kommende  Lein  hierdurch  dunkel  gefarbt  wird  und  sich  spater  sehr  schwer  bleichen 
lasst.  Die  Stengel  werden  in  diinnen  Schichten  derart  ausgebreitet,  dass  der 
herrschende  Wind  von  den  Wmzelenden  nach  den  Spitzen  zustreichen  kann,  und  dann 
der  Einwirkung  von  Thau,  Sonnenschein  und  Regen  mehrere  Wochen  unter  wieder- 
holtem  Wenden  der  Schichten  iiberlassen.  Wechseln  Regen  und  Sonnenschein 
hanfig,  so  kann  die  Roste  schon  nach  14  Tagen  beendet  sein,  wahrend  sie  ander- 
seits  bei  trockenem  Wetter  7 — 8  Wochen  und  langer  dauert.  Das  Wenden  des 
Flachses  ist  bei  dieser  Roste  von  grosster  Wichtigkeit,  urn  ein  iiberall  gleich- 
massiges  Product  zu  erhalten. 

Das  beste  Mittel  zur  Erprobung,  wann  die  Roste  beendet  ist,  besteht  darin, 
dass  man  eine  kleine  Partie  Leinenstengel  an  einem  warmen  Orte  trocknet  und 
die  Abscheidung  der  Fasern  mittels  der  Breche  versucht.  Findet  dabei  die  Ab- 
losung  der  Holzstengel  leicht  und  vollstandig  statt,  fiihlt  sich  die  Faser  weich  an, 
und  sieht  sie  glanzend  aus,  hat  sich  dabei  wenigAbfall  gebildet,  so  ist  die  Roste 
gut  verlaufen  und  vollendet.  Hat  sich  viel  Abfall  gebildet,  und  zeigt  die  Faser 
wenig  Festigkeit,  so  hat  der  Flachs  bereits  zu  lange  gelegen,  er  ist  iiberrottet. 
Geschieht  hingegen  die  Abscheidung  schwierig,  und  lasst  sich  die  Faser  kauni 
rein  von  Stengelresten  erhalten,  fiihlt  sich  dieselbe  hart  an  und  zeigt  eine  griin- 
liche  Farbe,  so  ist  zu  wenig  gerottet.  Andere  Methoden  erfordern  viel  mehr 
Uebung,  urn  die  richtige  Rostreife  zu  erkennen  und  bieten  nicht  die  Sicherheit 
der  vorher  erwahnten.  Es  bestehen  dieselben  gewolmlich  in  der  Priifung  des 
Ablosens  der  Fasern,  wenn  man  einige  Stengel  in  der  Mitte  zerbricht  und  die 
eine  Halfte  an  der  andern  herunterzieht,  oder  in  der  Art  des  Abspringens  des 
holzigen  Kernes  beim  Zerreiben  etlicher  Stengel  in  der  Hand  und  in  der  Be- 
schaffenheit  der  zuriickbleibenden  Faser. 

Sind  die  Stengel  rostreif,  so  miissen  sie  sobald  wie  irgend  nioglich  und  zwar  dann, 
wenn  sie  gerade  recht  trocken  sind,  zu  etwa  armdicken  Biindeln  vereinigt,  jedes  mit  einen 
Stengel  quer  umschlungen  und  mehrere  derselben  zusammengelegt  zu  grosseren  Bunden  durch 
Strohseile  vereinigt  und  nach  einem  luftigen,  trockenen  Orte  zur  Aufbewahrung  bis  zur  wei- 
teren  Behandlung  gebracht  werden.  —  Wenn  aber  anhaltend  nasses  Wetter  eintritt,  wahrend 
die  Stengel  schon  rostreif  sind,  so  ist  es  am  besten,  dieselben  im  nassen  Zustande  zu  sammeln 
und  unter  Dach  und  Fach  zum  Trocknen  aufzustellen,  um  sie  dann  erst  zu  binden  und  auf- 
zubewahren. 

b)  Die  Wasser roste  (rouissage  a  Veau —  icater-retting,  icatering  stee- 
ping) kann  nur  bei  vorhandenem  tauglichen  Wasser  und  geeigneter  Oertlichkeit 
angewendet  werden ;  sie  ist  schneller  und  sicherer  beendet  als  die  erstere  und 
liefert  im  Allgemeinen  einen  festern  und  schbnern  Flachs.  Die  Roste  wird  in  be- 
sondern  Gruben  (Rostgruben)  und  sonstigen  stehenden  Wassern  (Tiimpeln,  Teichen), 
welche  keinen  oder  nur  schwachen  Abfluss  haben,  ausgefiihrt  und  heisst  dann 
Gruben  roste  oder  Roste  in  stehendem  Wasser  (rouissage  a  Veau  stag- 
nante  —  pond-retting).  Werden  bei  dem  Einlegen  der  Stengel  in  Gruben  — 
ohne  Wasserabfluss  —  die  einzelnen  Schichten  mit  Schlamm  oder  Rasen,  dem 
wohl  audi  Erlenlaub  und  Klatschrosen  beigemengt  werden,  bedeckt,  so  erbalt 
man  die  S  c  h  lamm  roste,  in  Belgien  (Ostflandern)  auch  blaue  Roste  genannt. 
Der  auf  letztere  Art  geriistete  Flachs  hat  eine  silbergraue  oft  beliebte  Farbe  bei  t 


Flachs  (Rosten).  513 

grosser  Weichheit  und  Zartheit.  Anderscits  kann  die  Roste  in  Wassern  mit  raehr 
oder  weniger  lebhafter  Wassercirculation,  also  in  Bachen,  Fliissen,  wohl  auch  in 
Teichen  mit  schnellerem  Wasserwechsel  ausgefiihrt  werden,  und  bezeichnet  man 
dieses  Verfahren  mit  Roste  in  fliessendem  Wasser  (rouissage  a  Veau 
courante  —  river-retting),  in  Belgien  (Westflandern)  auch  weisse  Rotte  ge- 
nannt,  well  durch  sie  der  Flachs  eine  hellere  Farbe  erhalt. 

Der  Unterschied  der  beiden  Methoden  bestelit  hauptsachlieh  darin,  dass  bei 
der  einen  die  Rostproducte  gar  nicht,  oder  doch  nur  langsam,  bei  der  andern 
jedoch  schneller  aus  dem  Bereiche  der  rostenden  Stengel  liinweggefiihrt  werden. 
Hierdurch  wird  aber  im  ersten  Falle  der  Rostprocess  wesentlich,  allerdings  unter 
erhohter  Gefahr  des  Ueberrottens,  beschleunigt  und  der  Flachs  etwas  dunkler  ge- 
farbt,  —  im  andern  Falle  geht  derselbe  langsamer  zu  Ende  und  gibt  dem  Flaeh.se 
eine  hellere  Farbe,  aber  auch  etwas  geringere  Weichheit. 

Am  empfehlensvverthesten  ist  ein  Mittelweg,  ein  Rosten  mit  langsamer  Er- 
neuerung  des  Rostwassers.  Deshalb  pflegt  man  auch,  wenn  irgend  moglich,  Rost- 
gruben  so  anzulegen,  dass  das  frische  Wasser  von  unten  langsam  zu-  und  das 
gebrauchte  oben  abfliesst. 

Das  Rosten  in  Fliissen,  Bachen  oder  Teichen  ist  nicht  iiberall  gestattet  und  kann,  in 
grbsserem  Massstabe  an  einer  Stelle  ausgefiihrt,  durch  die  von  dem  Wasser  aufgenommenen 
Gahrungsproducte  ein  Aussterben  der  Fische  und  durch  die  Verengung  des  freien  Fluss- 
beetes  eine  Beeintrachtigung  der    Schifffahrt. 

Als  geeignetstes  Rbstwasser  gilt  ein  weiches,  nicht  zu  kaltes  Wasser.  Enthalt  dasselbe 
aber  Eisenverbindungen  gelbst,  so  ist  es  ganzlich  zum  Rosten  unbrauchbar,  weil  es  den  Flachs 
dunkel  farbt  und  derselbe  sich  dann  nur  schwer  bleichen  lasst.  Hartes  Wasser  kann  man  im 
Allgemeinen  dadurch  zum  Rosten  geeigneter  machen,  dass  man  es  einige  Zeit  vorher  in  dicht 
hergestellte  Rostgruben  leitet  und  sich  selbst  iiberlasst. 

Ein  Rosten  in  schnell  fliessendem  Wasser  ist  ganz  verwerflich,  da  dasselbe,  meist 
wenig  erwarrut,  die  Rostung  sehr  verzogert  und  eine  ungleiche  Beenddiung  des  Rbstprocesses 
bewirkt;  auch  verliert  der  Flachs  wesentlich  an  Geschmeidigkeit  und  Weichheit. 

Die  Rostgruben  werden,    damit    das  Wasser    in  denselben    oben  und  unten 

moglichst  gleiche  Temperatur  hat,  nicht  tief,  etwa  1-2 — l*8m  angelegt;  sie  werden 

entweder  mit  Brettern  ausgelegt  oder  ausgemauert,  wohl  auch  mit  Thon  aus- 
gestampft,  um  sie  wasserdicht  zu  machen. 

Zum  Rosten  in  Fliissen,  Bachen  oder  Teichen  wendet  man  RSstkasten  an,  etwa  3.75 
bis  5  Meter  lang  und  1.25  bis  2.5  Meter  breit  und  1.25  Meter  tief  aus  Latten,  die  unter  ein- 
ander  einen  Zwischenraum  von  10  bis  12  Cent,  lassen,  hergestellt.  —  Werden  dieselben  in 
Fliissen  oder  Bachen  gebraucht,  so  ist  es  empfehlenswerth,  gegen  die  Stromung  hin  diese 
Kasten  an  3  Seiten  zu  verschalen,  um  den  Rostprocess  moglichst  wenig  zu  storen. 

Die  Gruben  oder  die  Rostkasten  werden  nun  in  der  Weise  mit  Rohflaehs 
gefiillt,  dass  derselbe  —  wie  er  gewachsen  ist  —  mit  den  Wurzelenden  nach  unten 
—  bundelweise  eingesetzt  wird  und  soil  er  in  den  Gruben  den  Boden  nicht  be- 
rtihren.  Nach  der  Fiillung  wird  manchmal  eine  Strohschicht  iibergedeckt,  dann 
Bretter  und  Stangen  aufgelegt  und  das  Ganze  mit  Steinen  derart  beschwert,  dass 
das  Wasser  noch  ca.  20cm  iiber  den  Spitzen  steht.  Die  Kasten  werden  natiirlich 
am  Ufer  gefiillt,  dann  in's  Wasser  gelassen  und  nun  erst  mit  Steinen  beschwert, 
damit  sie  geniigend  untersinken. 

Bei  der  Schlamm roste  wird  der  von  dem  Flusse  mitgefiihrte  fette  Schlamm  oder. 
auch  in  Ermanglung  dessen  abgestochener  Rasen  (Schlamm  und  Boden  miisseu  aber  eisenfrei 
sein)  zwischen  die  einzelnen  lose  vereinigten  Bundel  und  auf  dem  Boden  der  Grube  nebst 
etwas  Erlenlaub  und  Klatschrosen  —  letzteres  geschieht  der  Farbe  wegen  —  geschichtet,  und 
das  Ganze  mit  einer  eben  solchen  Schichte  Schlamm  oder  Rasen  bedeckt.  —  Hebt  sich  im 
Verlaufe  des  Processes  der  Flachs,  so  muss  er  stets  um  so  viel  beschwert  werden,  dass  er 
immer  unter  Wasser  bleibt. 

Die  Dauer  des  Rostprocesses  richtet  sich  zuerst  nach  den  besonderen  Eigen- 
schaften  des  eingelegten  Flachses,  sodann  aber  nach  der  Temperatur  und  der 
Beschaffenheit  des  Wassers.  Je  warmer  und  je  weicher  das  Wasser  ist.  um 
so  schneller  verlauft  sie.  Bei  dem  Rosten  in  stehendem  Wasser  ist  der  Process 
bei  warmer  Witter ung  bereits  nach  2 — 4  Tagen,  bei  kalter  in  5—7  Tagen  voll- 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Wiirterbuch.   Bd.  III.  33 


514  Flachs  (Rosten). 

endet,  wahrend  ev  beim  Rosten  in  fliessendem  und  hartem  Wasser  bei  kalter 
Witterung  oft  3  Wochen  dauert. 

Der  Rostprocess  bestelit  —  wie  erwahnt  —  in  einer  Fermentation  mid 
kiindigt  sich  der  Beginn  derselben  zunitckst  durch  Farbung  und  Trubung  des 
Wassers  und  Auftreten  eines  aromatischen  Geruches  an ;  es  bilden  sicli  Essigsaure, 
Pectinsaure  u.  s.  w.,  und  aufsteigende  Blasen  deuten  auf  die  Bildung  von  Gasen, 
Kohlensaure  u.  s.  w.  Die  Trubung  des  Wassers  nimmt  zu ;  es  wird  schmutzig- 
braun,  und  es  tritt  bei  vermehrter  Gasabsonclerung  ein  starker  unangenehmer 
Geruch  auf;  hierauf  wird  die  Gasentwicklung  wieder  geringer  und  der  Rostprocess 
ist  nahezu  vollendet.  Der  Flachs  hat  sich  bei  der  starkeren  Gasentwicklung  ge- 
hoben  und  muss  aufs  Neue  beschwert  werden,  damit  er  unter  Wasser  bleibt. 

In  dem  Stadium,  wo  die  von  der  Gasentwicklung  herrtihrenden  Blasen  auf 
der  Oberflache  zu  verschwinden  beginnen  —  was  oft  schon  nach  dem  zweiten 
Tage  eintritt  —  muss  der  Flachs  fleissig  untersucht  werden,  da  jetzt  die  Inter- 
cellularsubstanz  geniigend  zersetzt  und  verandert  ist,  und  ein  zu  langes  Verweilen 
des  Flachses  im  Wasser  einen  Faulnissprocess  hervorruft,  der  die  Fasern  selbst 
angreifen,  ja  unbrauchbar  machen  wiirde.  Der  Flachs  ist  dann  „uberrottet"  oder 
„verrottet". 

Die  Untersuchung  hat  in  dem  letzten  Stadium  alle  zwei  Stunden  stattzufinden,  und 
erkennt  man  die  Rostreife  am  besten  wiederum  durcli  rasches  Trocknen  und  Abscheiden  der 
Faser  mittelst  der  Breclie. 

Doch  hat  man  hiking  hierzu  nicht  Zeit  und  Gelegenheit  und  begniigt  sich  dann  durch 
Erprobung  einiger  anderen  Kennzeichen,  wie  :  a)  Bildung  eines  Knotens  aus  mehreren  Stengeln, 
der  in's  Wasser  geworfen  ganz  langsam  bei  Rostreife  untersinken  muss ;  b)  leichtes  Losen  der 
Fasern  von  den  Stengeln,  wenn  man  einige  Stengel  an  den  Wurzelenden  fasst  und  sie  mit 
den  anderen  Enden  auf  die  Wasserflaehe  schliigt;  c)  leichtes  Brechen  und  Knicken  der  Stengel; 
d)  leichtes  Abziehen  des  Bastes  in  seiner  ganzen  Lange,  wenn  man  einen  Stengel  zwisehen 
zwei  angedriickten  Fingern  hindurch  zieht  u.  s.  w. 

Ist  der  Flachs  geniigend  gerostet,  so  entfernt  man  die  aufgelegten  Steine  und  Bretter, 
nimmt  die  Biindel  heraus,  schwenkt  sie  in  reinem  Wasser  gut  ab  und  stellt  sie  senkrecht  an 
das  Ufer  des  Flusses  oder  in  Gestalt  eines  Kegels  frei  auf,  um  sie  abtropfen  zu  lassen.  Der 
Flachs  ist  in  diesem  Augenblicke  so  schwach,  dass  er  das  Ausbreiten  auf  der  Wiese  nicht 
aushalten,  sondern  unter  den  Handen  zerbrechen  Aviirde,  als  ob  er  verfault  ware, 

In  dieser  Lage  bleibt  der  Flachs,  bis  er  geniigend  abgetrocknet  ist,  um  das  Ausbreiten 
auf  der  Wiese  aushalten  zu  konnen. 

c)  Die  gemischte  Roste  (rouissage  it  la  metJiode  mixte  —  mixed 
retting)  ist  eine  Combination  der  Thau-  und  Wasserroste.  Man  legt  den  Flachs 
zuerst  in's  Wasser,  nimmt  ihn  vor  beendeter  Rbste  heraus  und  breitet  ihn  auf 
dem  Felde  aus,  bis  er  vollstandig  fertig  gerostet  ist.  Hierbei  geht  man  der  Ge- 
fahr  des  Ueberrottens  aus  dem  Wege  und  erhalt  einen  schbnen,  weichen  und 
hellen  Flachs. 

B)  Ktinstliche  Rosten.  Dieselben  verlaufen  verhaltnissmassig  sclmell 
und  werden  fast  nur  in  Flachsbereitungsanstalten  angewendet,  weil  sie  zu  ihrer 
Ausfiihrung  besonderer  Einrichtungen  bediirfen  und  der  Process  auf  das  Sorg- 
faltigste  iiberwacht  werden  muss.  Im  Allgemeinen  —  etwa  mit  Ausnahme  der 
Warmwasserrbste  —  liefern  aber  diese  Methoden  ein  weniger  gutes  Product,  und 
pflegt  man  desshalb  in  den  erwahnten  Anstalten  —  wo  sich  irgend  passende  Ge- 
legenheit hierzu  bietet  —  stets  nur  die  Wasserroste  anzuwenden. 

d)  Die  Warmwasserrbste  {rouissage  a  Veau  chaude  —  warm-water 
retting).  Nach  dieser  Methode  wird  der  Flachs  in  durcli  Dampf  erwarmtem 
Wasser  gerostet.  Sie  wurde  von  Schenk  aus  Amerika  zuerst  nach  England  ge- 
bracht  und  heisst  desshalb  auch  die  Sch  en  k'sche  Methode.  Bei  diesem  Verfahren 
beendet  man  den  Process  in  etwa  80 — 90  Stunden,  wenn  das  Wasser  auf  einer 
gleichmassigen  Temperatur  von  20°  R.  erhalten  wird.  Eine  hbhere  Temperatur 
bewirkt  zwar  eine  Abkiirzung  der  Rbstzeit,  jedoch  leicht  auf  Kosten  der  Qualitat 
des  Flachses.  Es  wird  der  Process  in  Bottichen  oder  in  gemauerten,  dichten 
Gruben  ausgefiihrt.     In    beiden   Fallen    ist   in    etwa  15cm  Entfernung    vom  Boden 


Flachs  (Rosten).  515 

des  Behalters  ein  Lattenboden  eingelegt,  auf  welehen  der  Flachs  mit  don  Wurzel- 
enden  zu  stelien  kommt.  Unterlialb  des  Lattenbodens  liegt  in  einigen  Wiudungen 
ein  Dampfrohr,  in  welchem  Dampf  circulirt,  der  seine  Warme  an  das  Rostwasser 
abgibt.  1st  der  Behalter  gefiillt,  so  wird  ein  hiilzerner  Deckel  aufgelegt,  der  durch 
Querbalken  oder  Steine  niedergehalten  wird,  und  jetzt  lasst  man  kaltea  Wasser 
zustromen,  bis  dasselbe  einige  Cent,  liber  dem  Deckel  steht.  Durch  Oeffnung 
des  Dampfhahnes  wird  die  angegebene  Temperatur  des  Wassers  erreicht  und  bis 
zur  Beendigung  des  Processes  beibehalten.  Bei  Eintritt  der  Rostreife  werden  die 
Stengel,  ehe  man  sie  herausholt,  mit  kaltem  —  besser  jedoch  mit  warmem  — 
Wasser  gespiilt  und  dann  wie  oben  getrocknet. 

In  einigen  Flachsbereitungsanstalten  lasst  man  den  herausgenommenen  Flachs 
ein  paar  glatte  Quetschwalzen  passiren,  wodurch  ein  grosser  Theil  des  Wassers 
und  mit  ihm  zugleich  noch  eine  Menge  Schmutz  entfernt  wird.  Durch  einen  wieder- 
holten  derartigen  Quetschprocess,  bei  welchem  immer  frisch  zufliessendes  Wasser 
ein  grilndliches  Abspiilen  bewirkt,  erleichtert  man  die  schliessliche  Abscheidung 
der  Fasern  wesentlich. 

e)  Die  Heisswasserroste  wird  in  selbstthatigen  Apparaten  ausgefiihrt,  in  welchen 
der  Flachs  wiederholt  mit  kochendem  Wasser  iibergossen  wird  Es  ist  dieses  Verfahren,  das 
in  4  Stunden  beendet  ist,  von  Buchanan  angegeben  worden,  hat  aber  nicht  den  gehegten 
Erwartungen  entsprochen  (Dingl.  pol.  Journ.   133  pag.  59). 

f)  Die  Dampf roste  wurde  von  Watt  1852  angegeben  und  soil  die  Stengel  —  welche 
in  verschlossenen  eisernen  Kasten    der  directen  Einwirkung   von  Wasserdampf  ausgesetzt  sind 

—  in  10  bis  12  Stunden  vorbereiten.  —  Die  anfanglicken  giinstigen  Berichte  iiber  diese  Jle- 
thode  miissen  sich  wohl  nicht  bestatigt  haben,  wenigstens  ist  dieselbe  bereits  wiederziemlich 
in  Vergessenheit  gekommen. 

#)  Das  Rosten  mit  verdiinnter  Schwefelsaure.  Nach  diesem  von  Gaultier 
de  Claubry  in  Paris  angegebenen  Verfahren  wird  ein  Bad,  das  dem  Gewichte  nach  */,  Proc. 
concentrirte  Schwefelsaure  enthalt,  hergestellt,  in  welchem  der  Rohflachs  5  bis  7  Tage  lang 
eingeweicht  wird,  worauf  ein  sorgfaltiges  Spiilen  in  reinem  Wasser  folgen  muss,  urn  jede  Spur 
von  Saure  zu  entfernen,  die  sonst  unzweifelhaft  die  Faser  angreifen  wurde.  Das  Fehlen  jedes 
unangenehmen  Geruches  ist  wohl  der  Hauptvorzug  dieser  Methode :  die  aber,  recht  vorsichtig 
angewendet,  ganz  gute  Resultate  ergeben  kann. 

Die  gerosteten  und  getrockneten  Flachsstengel  (Rotte-  oder  Roste- 
flachs),  bei  denen  also  der  Zusammenhang  der  Bastfasern  unter  einander  und 
an  den  umliegenden  Geweben  gelockert  ist,  werden  gewohnlich  in  demselben  Jalire 

—  feinere  Sorten  auch  spater  —  verschiedenen  mechanischen  Arbeiten  unter- 
worfen;  namlich  zunachst  dem  Brech-  und  Schwingprocesse,  urn  den  hol- 
zigen  Stengel  zu  entfernen  und  die  Fasern  *zu  isoliren,  hierauf  dem  Hechel- 
processe,  um  letztere  zu  zerlegen ,  zu  trennen ,  vollstandig  zu  reinigen 
und  zu  ordnen.  Diese  Processe,  so  wie  einige  begleitende  Arbeiten  werden,  je 
nach  den  Gegenden  und  je  nachdem  Hand-  oder  Maschinenarbeit,  oder  beide 
abwechselnd  zur  Anwendung  kommen,  verschieden  ausgefiihrt. 

Vor  dem  Brechprocesse  wurde  frviher  —  und  auch  wohl  nianclimal  jetzt  noch  —  um 
denselben  mit  weniger  Miihe  ausfiihren  zu  konnen,  ein  kiinstliches  Trocknen  des  Eost- 
flachses  in  besonderen  Darrofen  oder  gar  iiber  freiem,  in  Gruben  angeziindetem  Feuer  vorge- 
nommen ;  doch  schadet  dasselbe  —  selbst  wenn  es  noch  so  vorsichtig  ausgefiihrt  wird  —  stets 
mehr  oder  weniger  der  Faser;  weshalb  dieses  verwerfliche  Verfahren  bier  nicht  naher  be- 
schrieben  werden  soil.  —  Andererseits  aber  erleichtert  ein  Auslegen  der  aus  einem  offenen 
Schuppen  kommenden  Stengel  in  der  Sonne  oder  in  geheizten  Raumei],  durch  griindlichstes 
Austrocknen  derselben,  die  folgenden  Arbeiten  nicht  unwesentlich,  ohne  der  Qualitat  der  Faser 
zu  schaden. 

Das  Brechen,  Brecheln,  Braken,  Raken  (macquer,  macquage,  broyer, 
broyage,  teiller  —  braking,  breaking)  wird  in  vielen  Gegenden  von  den  Laml- 
leuten  fast  ausschliesslich  selbst  besorgt.  Man  bedient  sich  dabei  der  Flachs- 
breche,  Breche,  auch  Brake  genannt  (troie,  macque,  tillotte  —  brake). 
Dieselbe  1st  in  umstehender  Fig.  1640  in  der  Seitenansicht  abgebildet,  wahrend 
Fig.  1641   die  arbeitenden  Theile  im  Querschnitt  nach  AB  wiedergibt. 

Die  Breche  besteht  aus  der  Lade  e,  dem  Deckel  oder  Sehlagel  /  und  dem  Gestelle  o, 
c,  d.  Die  Lade  ist  aus  3  parallelen,  an  den  oberenEnden  zugescharften,  aber  nicht  schnei- 

33* 


516 


Flachs  (Brechen  u.  Boken). 


Fig.  1640. 


dig  en  Scliienen  von  hartem  Holze  zusammengesetzt,  die  in  den  erwjihnten  Standern  horizontal 
befestigt  sind.  und  erhalten  diese  dnrch  einen  schweren  Klotz  b  die  nothige  Stabilitat.  Der 
mit  Handgriff  h  versehene  Schlagel  /  ist  um  den  dnrch  die  Lade  gesteckten  Bolzen  g  dreh- 
bar  und  besteht  aus  zwei  ebenfalls  stumpf  zugescharften  Schienen,  die  so  weit  auseinander 
stehen,  dass  sie  bei  dem  Auf-  und  Niederbewegen  des  Schlagels  in  die  Zwischenraume  der 
untern  fassen. 

Bei  Ausfiihrung  des  Brech- 
processes  wird  der  Schlagel  f  an 
dem  Handgriff  e  erfasst  und  auf 
und  nieder  bewegt,  wahrend  rait 
der  anderen  Hand  eine  Handvoll, 
eine  Riste  (poignee  —  strick) 
Stengel  quer  ilber  die  Lade  ge- 
legt  und  allmalig  weiter  bewegt 
wird,  so  dass  dieselbe  wiederholt 
in  die  Zwischenraume  der  Schienen 
gedriickt  und  der  holzige  Kern 
dabei  zerbrochen,  zerknickt  und 
von  den  zaheren  Flachsfasern  zum 
grossten  Theile  abgelost  wird. 
Diese  kleinen  abfallenden  Stengel- 
theilchen  nennt  man  Schaben, 
auch  Schewen,  Agen,  Acheln, 
Annen  (chenevotte  —  aivn,  chaff). 
Die"  Stengelristen  werden  zuerst 
von  der  Mitte  nach  den  Wurzel- 
enden  zu  bearbeitet,  dann  um- 
gewendet  und  auf  der  andern 
Seite  ebenso  behandelt.  Durch 
Ausschiitteln  entfernt  man  schliess- 
lich  die  noch  hangen  gebliebenen 
losen  Schaben,  muss  jedoch  meist 
zwei  Brechen  hinter  einander  an- 


Flachs-Breche. 


1641. 


Fiq.  1642. 


Botthammer. 
zeren  Fasern  bestehend 


mit  enger  aneinander  gesetzten, 
manchmal  aus  Eisenblech  herge- 
stellten  Schienen  ein  vollstandi- 
geres  Abstreifen  derselben  durch 
mehrmaliges  Durchziehen  der  Ri- 
sten  zwischen  Schlagel  und  Lade 
zu  erreichen.  Haufig  kommt  der 
Flachs,  nachdem  er  nur  in  dieser  Weise  behan- 
delt worden  ist,  in  den  Handel. 

In  einigen  Gegenden  (besonders  in  West- 
falen,  Sachsen  u.  s.  w.)  pflegt  man  vor  oder 
auch  nach  dem  Brechen  noch  eine  Hilfsarbeit 
—  das  Boken,  Poken  (piler  —  pilage)  — 
vorzunehmen,  d.  h.  die  Stengel  einem  Quetsch- 
oder  Stamp fprocesse  zu  unterwerfen,  wodurch 
dieselben,  wenn  das  Boken  vor  dem  Brechen 
stattfindet.,  glatt  gedriickt  werden  und  sich  dann 
auf  der  Handbreche  die  holzigen  Theilchen 
leichter  abscheiden  lassen.  Auch  soil  durch 
diese  Vorarbeit  der  bei  dem  Brechen  unver- 
meidliche  Faserabfall  —  aus  abgerissenen  kiir- 
sehr  bedeutend  vermindert  und  durch  langer  fortgesetztes 


Boken  der  Brechprocess  uberfltissig  werden.  Das  Boken  geschieht  entweder  mit  der  Hand, 


Flachs  (Schwingcn). 


517 


mittels  eines  etwa  2k  schweren  Schlagels  auf  der  Hirnflache  eines  Holzklotzes, 
oder  in  besondcrn  Bokraiihlcn  durcli  ein  mechanisch  bewegtes  Stampfwerk  auf 
Stein-  oder  Holzunterlagen.  Durch  diesen  Process  gewinnt  die  Faser  an  Weich- 
heit,  besonders  aber  dann,  wenn  derselbe  nach  vorausgegangenera  Brechprocesse 
vorgencmraen  wird.  In  Belgien  wendet  man  das  Botten  oder  Pott  en  an  und 
bedient  sich  zur  Zerkleinerung  der  holzigen  Stengel  des  Botthammers  (Pott- 
hammers),  mit  welchem  der  Flachs  gleichsam  gedroschen  wird. 

Derselbe  besteht  —  wie  Fig.  1642  angibt  —  aus  einem  schweren  Stuck  harten,  vier- 
eckigen  Holzes  mit  parallelen,  nicht  zu  stumpfen  Einkerbungen,  welches  an  einem  etwas 
gebogenen  langeu  Stiele  befestigt  ist.  Dieser  Hammer  wird  in  der  Weise  angewendet,  dase 
der  Arbeiter  seinen  Stand  an  den  Spitzenden  der  diinn  ausgebreiteten  Stengel  nimrnt  und 
zuerst  die  Wurzelenden  mit  der  gekerbten  Flache  desselben  schlagt  nnd  dann  allmalig  nach 
den  Spitzenden  vorriickt.  —  Durch  Umlegen  der  Stengel  wird  dann  die  andere  Seite  in  der- 
selben  Weise  bearbeitet. 

Bei  dieser  Behandlung  des  Flachses  soil  lediglich  ein  vollstandiges  Knicken 
der  Stengel  stattfinden,  wahrend  die  Abscheidung  der  Schaben  dem  folgenden, 
alsdann  stets  nothwendigen  Schwingprocesse  vorbehalten  bleibt.  Die  P'aser  wird 
hierbei  sehr  geschont  und  Hire  Milde  und  Weichheit  erhoht,  und  sollte  man  sich 
deshalb  entschliessen,  die  vorerwahnte  Breche  bei  Seite  zu  legen  und  zu  diesem 
Verfahren  iiberzugehen. 

Das  Schwingen  (teiller,  teillage,  espader,  espadage —  swinging,  swing- 
ling, swindling,  scutching)  (Schwingeln)  soil  die  Abscheidung  der  von  dem 
Brechen  oder  Botten  her  noch  etwas  fester  an  den  Fasern  haftenden  Holztheilchen 
bewirken  und  wird  mittelst  des  Schwingstockes  (chevalet)  und  der  S  c h  w i n g e 
(Schwingmesser)  (ecang,  dague,  espade)  ausgefuhrt.  Der  Schwingstock  ist 
—  wie  die  Figuren  1643  und  1644  zeigen  —  ein  aufrecht  stehendes,  in  der 
Bohle  b  befestigtes,  5— 6cm  starkes  und  l-25m  hohes  Brett  a,  das  20cm  von  oben 
mit  einem  18cm  tiefen  und  5  — 6cm  hohen  Ausschnitte  c  versehen  ist,  dessen 
untere  Kante  nach  der  Arbeitsseite  hin  abgerundet  ist,  wie  dies  bei  d  in  erwahnter 


Fig.  1643. 


Schwingstock. 


Fig.  1644. 


Fig.  1645. 


Schwingbeil. 


Fi^ur  angegeben  worden.  Die  Risten  werden  in  den  Ausschnitt  c  gelegt  und 
derart  gehalten,  dass  die  grossere  Halfte  auf  der  abgernndeten  Seite  desselben 
herabhangt.  Mit  der  andern  Hand  wird  die  Schwinge  —  ein  schwertformiges, 
0-5 — 0-6m  langes,  etwa  10cm  breites,  mit  einem  Handgrift'  versehenes,  an  den 
Kanten  stumpf  zugescharftes  schwaches  Holzstiick  —  gefasst  und  mit  demselben  an 


518  Flachs  (Ribben). 

dem    Schwingstock    ilber    den    herabhangenden  Flachs    der  Lange  nach    herunter- 

gesclilagen. 

Darait  sich  hierbei  der  Avbeiter  nicht  an  die  Beine  schlagt  und  die  Zuriickfiihrung  der 
Schwinge  erleichtert  wird,  ist  an  zwei  Standern  e  e  ein  Strick  /  /  —  oder  auch  ein  Riemen 
—  befestigt,  welcher  das  Schwingmesser  auffangt. 

Ein  anderes,  besonders  zweckmassig  gestaltetes  Schwingmesser,  wie  es  in  Belgieu 
angewendet  wird,  ist  in  Figur  1645  abgebildet.  —  Das  Messer  besteht  aus  einem  schwung- 
gebenden,  35  Centim.  langem  Theile  k  und  dem  eigentlichen,  25  Centim.  langen  Messer, 
das  sich  an  der  Kante  g  h  bis  zu  Messerriickenstarke  verjiingt,  mit  dem  Griffe  t,  welcher 
auf  der  Seite  des  Messers,  die  bei  der  Arbeit  vora  Schwingstock  absteht,  aufgeleimt  und 
mit  hblzernen  Stiften  befestigt  ist.  Ist  zuerst  die  Wurzel-  und  dann  die  Spitzenseite  einer 
Riste  mittels  dieses  Instrumentes  bearbeitet,  dabei  das  Innere  derselben  wiederholt  nach 
Aussen  gebracht  und  in  derselben  Weise  behandelt  worden,  so  legt  man,  wenn  durch  die 
Entfernung  der  Holztheilchen  die  Riste  so  diinn  geworden  ist,  dass  sie  mit  der  Hand  nicht 
rnehr  gut  gehalten  werden  kann,  dieselbe  bei  Seite,  bis  eine  zweite,  ebensoweit  behandelt, 
mit  der  ersten  vereinigt  und  jetzt  vollstandig  rein  geschwungen  werden  kann,  wobei  man 
sich  eines  andern,  feinern  und  mehr  zugescharften  Messers  —  des  Reinschwingmessers  — 
bedient. 

Bei    manchen    Flachssorten,    bei    denen    sich     die    Schaben     etwas     schwer 

abscheiden  lassen,  pflegt  man  nach  dem  Schwingen    noch    das    Ribben    oder    auch 

das    Risten    anzuwenden,    um  diese  fester  anhangenden  Holztheilchen  zu  entfernen. 

Das    Ribben    wird     mittels    des    Ribbmessers    (racloir    —    flax  -  dresser' s- 

knife),  Fig.  1649,  ausgefiihrt ;  einer    diinnen  Klinge  r  von  Eisenblech,  welche  in 

einem  holzernen  Griffe  s  gefasst  ist.  Der  Flachs  wird  von 

Fiq.  1646.  dem    sitzenden   Arbeiter    auf  einem  Stuck  Leder,    das    auf 

seinem    rechten  Schenkel  bis    zum  Knie  befestigt   ist7  aus- 

gebreitet  und  mit  der  linken  Hand  gehalten,    wahrend  die 

rechte    das    Messer  fiihrt  und  das    Abstreichen  der  letzten 

Schabentheilchen  bewirkt. 

Ribbmesser.  Bei    dem   Risten    wird    der   Flachs  an  beiden  Enden 

mit  den  Hitnden  gehalten  und  iiber  eine  horizontale,  dtinne, 

zugescharfte,  am  besten  aus  Eisenblech  bestehende  Kante  eines  aufrecht  stehenden 

Brettes  (Ristebockes)    bin-    und    hergezogen.     Es    ist   stets    empfehlenswerther    die 

Entfernung  der  Schaben  durch  den  Schwingprocess  zu  bewirken. 

Wenn  der  Brech-  und  Schwingprocess  in  besondern  Anstalten,  auf  grossen 
Griitern  oder  in]  Flachsspinnereien  selbst  ausgefiihrt  wird,,  dann  pflegt  man  sich 
stets  mechanisch  bewegter  Brech-  und  Schwingmaschinen  zu  bedienen,  von  denen 
eine  grosse  Anzahl  construirt  worden  ist.  Kleinere  Wirthschaften  konnen  oft  mit 
Vortheil  anstatt  der  gewbhnlichen  Handbrake  wenigstens  eine  Brechmaschine  mit 
Handbetrieb  anwenden,  und  schwingen  dann  den  Flachs  auf  oben  beschriebene 
Weise  rein.  Es  kann  nun  nicht  in  der  Absicht  dieses  Aufsatzes  liegen,  die  grosse 
Zahl  der  bis  jetzt  construirten  Brechmaschinen  bier  ausfiihrlich  vorzufiihren,  und 
es  sei  deshalb  auf  die  folgende  Literatur  verwiesen.  *) 

Die  Hauptbedingungen  guter  Brechmaschinen  sind: 
Die    arbeitenden  Organe    dtirfen   vor  Allem    niemals  scharfe  Schneiden  oder 
Kanten  haben,  weil  durch  diese  stets  die  Faser   verletzt    wird ;    auch   miissen    sie 
moglichst  nur  an  einer  Stelle  auf  die  Stengel  wirken,  welche    keinesfalls  an  meh- 


')  Ziisammeiistellung  der  jilteren  Flachsbrechmaschiuen  von  Weinling  in  Hiilsse's  allge- 
mciner  Maschinen-Eneyklopadie  Bd.  II.  Leipzig  1814,  Artikel  Breclimaschinen.  Aitikel 
Flachs  iu  Prechtl's  technologischer  Encyklopadie ,  3.  Supplementband,  Seite  95, 
Stuttgart  1861.  Dr.  H.  Grothe:  „Ueber  die  Bearbeitung  des  Flachses",  Berlin, 
Verlag  von  Trieben,  welche  Brochure  eine  weitere  reiche  Quellenangabe  enthiilt ; 
ferner  noch:  ..Berichte  iiber  die  Wiener  Weltausstellung  von  Johann  Zeman"  in 
Dinglers  pol.  Journ.  Bd.  210  pag.  85  und  ebenso  von  Prof.  Gustav  Herrmann, 
Zeitschrift  deutscher  Ingenieure  1874,  pag  204;  endlich  auch  Resultat  des  recherches 
et  Experiences  relatives  au  broyage  et  au  teillage  du  lin  a  la  Mecanique  depuis  1856 
jusqu"a  ce  jour,  par  P.  Felboen-Pecquerian.     Courtrai  1867  etc. 


Flachs  (Brechmaschinen).  519 

reren  Stellen  gleichzeitig  festgehalten  werden  diirfen,  weil  eonst  ebenfalls  Ver- 
letzungen  der  Fasern  eintreten  miissen.  Der  holzige  Stengel  darf  ferner  nicht  in 
zu  kleine  Theilchen  zerbrochen  werden,  weil  diesc  sich  nur  schwierig  durch  den 
folgenden  Schwingprocess  abscheiden  lassen,  und  es  muss,  wenn  ein  Brechen  der 
Stengel  in  alien  Tlieilen  vorgenommen  wird,  stets  ein  gleichzeitiges  Abschaben, 
Abstreifen  der  Schaben  von  den  Fasern  stattfinden,  wahrend  in  beiden  Fallen 
eine  selbstthatige,  continuirliche  Beseitigung  der  abfallenden  Schabentheilchen  und 
des  Staubes  aus  den  Arbeitsorganen  der  Maschine  eintreten  muss.  Hierzu  gesellen 
sich  noch  die  an  landwirthschaf'tliche  Maschinen  iiberhaupt  zu  stellenden  Forde- 
rungen.  —  Keine  der  vorhandenen  Brechmaschinen  erfiillt  alle  diese  Bedingungen 
vollkommen. 

Die  verschiedenen  Constructionen  lassen  sich  eintbeilen  in : 

a)  Brechmaschinen  mit  Poch-,  Stampf-  oder  Hammerwerken, 
bei  denen  die  untere  Seite  der  Stampfen  oder  Hammer,  sowie  die  Unterlage 
geriffelt  ist.  Hierher  gehort  die  Maschine  von  Payne  und  auch  die  von  F  r  i  e  d- 
lander,  obgleich  bei  letzterer  das  Pochwerk  untergeordneter  Natur  ist  und  die 
Hauptarbeit  eine  Schwingmaschine  verrichtet. 

b)  Brechmaschinen  mit  Riffelwalzen,  die  auf  geriffelten  Platten  hin  und 
her  bewegt  werden  (Terwagne,  Mc.  Pliers  on  u.  A.). 

c)  Brechmaschinen  mit  mehreren  sich  drehenden  und  gedrehten  gerif- 
felten Walzen,  die  muhlenartig  unter  einer  cannelirten  Platte  arbeiten,  und  bei 
welchen  die  Flachsstengel,  durch  Schlitze  in  den  Platten  eingehalten,  der  Wirkung 
der  Walzen  ausgesetzt  werden  (Catlinetti  und  Kesseler). 

d)  Brechmaschinen  mit  mehreren  cylindri'schen,  in  gerader  Linie  oder 
in  einem  Bogen  hinter  einander  angeordneten,  immer  feiner  in  ihren  Riffeln 
werdenden  Walzenpaaren,  oder  mit  mehreren  Riffelwalzen,  die  um  eine  grossere 
Unterwalze  herum  angeordnet  sind;  bei  welchen  Constructionen  aber  sammtliche 
Walzen  nur  eine  einfache  rotirende  oder  eine  rotirende  und  trans- 
versale  (Quer-)  Bewegung  haben.  (Greenwood,  Plummer,  Coblenz  & 
Leoni,  C.  Maier,  Lefebure,  Kuthe  —  letztere  Maschine  kann  auch  unter / 
angefiihrt  werden   —  Warnecke  u.  A.). 

e)  Brechmaschinen  mit  derselben  Anordnung  wie  unter  d,  bei  denen 
aber  die  Oberwalzen  bei  ihrer  Drehung  hin  und  her  schwingen  (C  o  1 1  y  e  r , 
Luft  u.  A.). 

/)  Brechmaschinen  mit  derselben  Anordnung  wie  unter  d,  bei  denen 
aber  Ober-  und  Unterwalzen  eine  Pilgerschrittbewegung  annehmen,  d.  h.  zusammen 
eine  grossere  Vorwarts-  und  dann  eine  geringere  Rilckwartsdrehung  erhalten. 
Hierbei  konnen  noch,  wie  bei  den  unter  d  genannten  Maschinen,  die  zusammen 
arbeitenden  Walzen  eine  Querbewegung,  (also  in  ihrer  Langenrichtung'i  ausfiihren 
(Kuthe,  siehe  oben,  Guild,  Narbuth,  Warnecke,  Felhoen  u.  A.). 

g)  Brechmaschinen,  denen  das  Princip  der  Handbreche  zu  Grunde 
liegt  und  bei  welchen  der  Flachs  entweder  mit  der  Hand  gehalten  (C.  &  Th. 
Moller)  oder  durch  ein  cannelirtes  Walzenpaar  zugefiihrt  wird  (Kaselo  wsky). 

Von  diesen  Maschinen  sind  die  unter  a  und  b  genannten  am  verwerflichsten 
(mit  Ausnahme  etwa  der  Friedlander'schen,  die  aber  mehr  den  Schwiug- 
maschinen  zuzurechnen  ist).  Die  Maschinen  unter  c  und  besonders  die  Maschinen 
Kesseler's  sind  von  recht  guter  Leistung^  jedoch  schwerfallig  und  theuer. 
Die  Maschinen,  bei  denen  vorzugsweise  cannelirte  Walzen  ziir  Verwendung  kommen. 
also  die  unter  d  bis  /  genannten^  haben  sich  in  hoherm  oder  geriugerm  Grade 
brauchbar  gezeigt  und  sind  einige  Maschinen  unter  ihnen  —  wie  z.  B.  die  unter 
/  genannten  Warnecke'schen  —  welche,  bei  geringem  Kraftverbrauch  und 
einfacher  Construction,  auch  weniger  vertrauten  Handen  ilbergeben  werden  konnen. 
Von  den  unter  g  genannten  Maschinen    sind    zwar  die  von  G.  &  Th.  Moller  in 


520 


Flachs 


Brackwede  ganz  brauchbar,  werden  jedoch  in  vieler  Hinsicht  von  den  Kaselowsky- 
sclien  iibertroffen,  welche  bei  einfacher  Construction  und  sehr  geringem  Kraft- 
verbrauch  eine  vorziigliche  Wirkuug  ergeben,  und  bei  geringem  Gewicht  einen 
sehr  niederen  Preis  haben,  so  dass  sie  sowohl  fur  den  Grossbetrieb  wie  in  der 
Landwirthschaft  gleich  gut  Verwendung  finden  konnen. 


Fig.  1648. 


Kuthe's  Flachsbrechmaschine. 


Es  mogen  jetzt  noch  einige  dieser  Maschinen  eine  etwas  nahere  Bespreclmng  finden. 
Die  Flachsbrechmaschine    von    Kuthe    empfiehlt  sich    bei  leidlich    guter  Wirkung  be- 
sonders  durch  Einfacbheit  und  Wohlfeilheit  und  vermag  die  Handbreche  recht  gut  zu  ersetzen. 


Flachs  (Brechmaschinen).  521 

Fig.  1647  stellt  dieselbe  in  der  Langenansicht  von  der  rechten  Seite  dar  und  Fig.  1648  in  der 
Seitenansicht  von  hinten  (wo  der  gebrochene  Flachs  heraustritt),  Fig.  1649  gibt  eine  Ansioht 
der  hintern  Gestellswand.  g,  i,  k  sind  3  Walzen  von  hartem  Holze  und  mit  eisernen  Zapfen 
versehen;  ihr  Umkreis  ist  mit  dreieckigen,  etwas  abgestumpften  Rippen  versehen,  s.  Fig.  1647. 
Wenn  die  grosse  Walze  g  mittels  ihrer  Kurbel  h  umgedreht  wird,  so  greift  sie  mit  ihren 
Furchen  und  Rippen  in  jene  der  beiden  andern  Cylinder  cin  und  versetzt  also  auch  diese  in 
Umdrehung.  Die  Zapfen  von  g  liegen  in  runden  Lbckern  der  Gestellswande  (s.  eines  der- 
selben  bei  g  in  Fig.  1649);  die  beiden  andern  Walzen  hingegen  haben  versckiebbare  laager 
(wie  I,  I  Fig,  1649),  namlich  i  in  den  Standern  a  und  k  in  den  Armen  e,  weil  diese  "Walzen, 
wenn  zwiscken  iknen  und  g  der  Flacks  durchgekt,  die  Fakigkeit  kaben  miissen,  sick 
zu  keben. 

Der  dabei  fortwabrend  nothige  Druck  wird  mittels t  eines  Gewicktes  p  ausgeiibt,  welckes 
an  einem  von  unten  gegen  d'  sick  stiitzenden  Hebel  o  hangt.  Letzterer  liegt  selbst  wieder 
auf  einem  Querkolze  n,  an  dessen  Enden  Stricke  angebunden  sind,  welche  iiber  die  Walzen- 
lager  I,  I  nacb  ikren  Befestigungspunkten  m  an  den  Standern  a  kinlaufen.  Eine  Art  sckra'gen 
Tisches  r  dient  zum  Vorlegen  des  Flackses,  ein  ahnlicher  Tisck  q  zum  Herausfiikren  desselben 
aus  den  Walzen.  Beide  kangen  mittelst  eiserner  Haken  in  Ringen  s,  t  an  den  Standern  a, 
und  werden  von  Stiitzen  u,  u'  getragen.     Fig.  1650  zeigt  die  Riffel  in  Naturgrosse. 

Wenn  die  Masckine  arbeiten  soil,  so  legt  man  eine  Hand  voll  Flacks  auf  den  Tisck  r, 
und  breitet  sie  gleickmassig  dergestalt  aus,  dass  die  Ricbtung  der  Stengel  recktwinkelig  gegen 

die  Walzenacksen  ist.     Indem  man  sodann  die  Kurbel 
t?'        i#~n  ^  umdrekt,    wird   der  Flacks  von  den  Walzen  hinein- 

o'  '  gezogen,  zuerst  zwiscken  g  und  i,   kierauf  zwischen  g 

und  k  gebrocken.  Man  drekt  einigemal  vor-  und 
riickwarts,  um  den  Flacks  kin  und  ker  gekenzulassen, 
und  lasst  ihn  endlick  auf  den  Tisck  q  keraustreten. 
Die  Sckabe  fallt  in  sekr  kleinen  Tkeilen  ab,  der  Bast 
wird  weniger  besckadigt,  als  es  gewbhnlich  auf  der 
Handbrecke  der  Fall  ist. 

Eine  andere  irlandische,  fiir  einen  Fabriksbetrieb  bestimmte  Breckmaschine  bestekt 
aus  ftinf  korizontalen  gusseisernen,  geriffelten  Walzenpaaren,  welcke  so  angeordnet  sind,  dass 
der  durck  das  erste  Paar  eingefiikrte  Flacks  in  einmaligem  Durckgange  von  alien  bearbeitet 
wird,  und  vollstandig  gebrocken  aus  dem  letzten  Paare  austritt.  Sammtlicke  Walzen  kaben 
0.65  Meter  Lange  und  20  Centimeter  Durchmesser;  ibre  Rippen  sind,  bessern  Eingriffs 
kalber,  nacb  Art  von  Radzaknen  abgerundet;  der  untern  Walze  eines  jeden  Paares  wird 
direct  drebende  Bewegung  (vermittels  eines  Raderwerks)  ertkeilt,  die  obere  Walze  gebt 
zufolge  des  Eingriffs  der  Rippen  oder  Riffeln  mit.  Die  Riffeln  sind  an  den  Enden  der 
Walzen  auf  etwa  1  Centimeter  Lange  etwas  starker  gelassen,  so  dass  sick  dieselben  an 
diesen  Stellen  gegenseitig  beriikren  und  nur  in  der  Mitte  —  wo  der  Flacks  kindurck 
gekt  —  ein  Zwischenraum  bleibt,  wodurch  eine  sckonendere  Einwirkung  auf  die  Fasern 
erreickt  wird.  Die  Flacksstengel  werden  wohlgeordnet  auf  einem  Tische  vorgelegt,  von  den 
ersten  Walzen  ergriffen,  geknickt  und  den  folgenden  Walzenpaaren  der  Reike  nach  iiberliefert, 
welcke  sie  in  gleicker  Weise  nock  ferner  bearbeiten.  Um  dies  successiv  auf  mbglichst  vielen 
Punkten  zu  bewerkstelligen  und  eine  stufenweise  steigende  Zerkleinerung  der  Holztkeile  zu 
erzielen,  sind  die  spater  wirkenden  Walzen  feiner  geriffelt  als  die  vorausgekenden;  es  kat 
z.  B.  jede  Walze  im  ersten  Paare  14,  im  zweiten  18,  im  dritten,  vierten  und  fiinften  25 
Rippen.  Zugleich  drekt  sick  das  erste  Paar  am  sckncllsten,  jedes  folgende  etwas  langsamer, 
weil  der  Flachs  beim  Fortsckreiten  durck  die  feiner  geriffelten  Cylinder  mekr  Knickungen 
empfangt  und  nack  Absonderung  eines  Theiles  seiner  Holzsubstanz  auch  tiefer  in  die 
Riffelung  eintreten  kann,  mitkin  eine  gewisse  Verzogerung  seiner  Fortbewegang  erfakren 
muss,  wenn  er  nickt  abgerissen  werden  soil.  Zur  Niederkaltung  der  obern  Walzen  auf 
die  untern  dienen  Gewichte,  welche  auf  zwei  Hebel  (an  jedem  Ende  der  Walzen  einer) 
gesteckt  werden. 

Die  Masckine  erfordert  zum  Betriebe  gegen  1  Pferdekraft,  zur  Bedienung  3  oder  4 
Kinder,  und  bricbt  in  12  Stunden  2000  Kilo  Stengel. 


522 


Flachs  (Brechmaschinen) 


Bei  neueren  Maschinen  dieser  Anordnung  ist  vor  den  ersten  Riffelwalzen  ein  Paar 
glatte  Walzen  angeordnet,  welches  die  Stengel  erst  breit  quetscht,  ehe  sie  zu  den  Riffelwalzen 
gelangen. 

Die  beschriebene  Maschine  ist  sehr  schwerfallig  und  theuer,  erfullt  auch  nur  einige  der 
vorher  aufgestellten  Bedingungen,  und  bleibt  es  selbst  bei  der  sorgsamsten  Construction  nicht 
aus,  dass  einzelne  Fasern  zerrissen  werden  und  in  den  Abfall  iibergehen. 

Warnecke  hat  den  Betrieb  der  sechs  Unterwalzen  seiner  nach  diesem  Systeme  ge- 
bauten  Maschine  durch  Kurbelbetrieb  bewirkt,  doch  sind  auch  bei  ihr  die  geriigten  Unvoll- 
kommenheiten  vorhanden. 

Eine  Maschine  neuerer  Construction  ist  die  von  Collyer,  die  oben  unter  e)  angefuhrt 
wurde  (s.  die  erwahnten  Wiener  Weltausstellungs-Berichte)  und  welche  in  der  folgenden  Fig. 
1651  in  der  Langenansicht  dargestellt  ist. 

Die  grossere  Riffelwalze  W,  welche  von  der  Handkurbelwelle  aus  durch  die  Rader 
a  und  b  nach  einer  Richtung  hin  bewegt  wird,  ist  oberhalb  von  zwei  kleineren  Walzen  W1  W2 
umgeben,   die    mittels    Gleitlager    zu    beiden    Seiten   in   drehbaren,    tiber   die    Achse    A    der 

Fiq.  1651. 


Collyer' s  Brechmaschine. 


untern  Walze  geschobenen  Standern  gelagert  sind  und  die  durch  Federn  auf  die  untere  auf- 
gedriickt  werden.  Von  der  erwahnten  Handkurbelwelle  o  aus  wird  noch  durch  die  Rader 
c  und  d  die  Welle  oi  bewegt,  die  mit  einer  Kropfung  k  versehen  ist,  von  der  aus  durch  die 
Lenkstange  I  an  den  Querbolzen  q  —  der  die  Verlangerung  der  erwahnten  beweglichen  Lager- 
stander  nach  unten  zu  verbindet  —  und  somit  auch  an  diese  Lagerstander  und  die  oberen 
Walzen  eine  hin  und  her  schwingende  Bewegung  iibertragen  wird. 

Bei  der  Drehung  der  Handkurbel  H  wird  das  auf  den  holzernen  Zufiihrungstisch  Tt 
ausgebreitete  Flachsstroh  von  den  Walzen  erfasst,  gleichuiassig  einwarts  gezogen  und  auf  den 
Abfiihrungstisch  T2  abgeliefert.  Da  nun  die  durch  Reibung  und  den  Eingriff  ilirer  Riffeln 
mit  gedrehten  Oberwalzen  zugleich  eine  hin  und  her  schwingende  Bewegung  haben,  so  wird 
eine  intensivere  Bearbeitung  der  Stengel,  ein  vollstandiges  Knicken  derselben  und  Ablosen 
der  Schiiben  durch  die  reibende  Wirkung  erreicht,  und  zwar  sind  die  Yerhaltnisse  bei  vorlie- 
gender  Maschine  so  gewlihlt,  dass  die  Stengel  einer  funfinaligen  Einwirkung  jeder  Brechwalze 
unterworfen  sind. 


Flachs  (Brechmaschinen).  523 

Bei  dieser  sonst  recht  gut  arbeitenden  Maschine  fehlt  besonders  das  geniigende  Aus- 
schiitteln  der  Schaben  aus  den  geknickten  Stengeln  und  miissen  dieselben  erst  durch  ein 
langer  andauerndes  Schwingen  entfernt  werden.  Anderseits  ist  die  Bearbeitung  der  Faser 
eine  viel  schonendere  und  inildere  als  bei  der  vorher  erwahnten  Maschine.  —  Bei  Handbetrieb 
soil  man  mit  dieser  Maschine  in  einer  Stunde  40  bis  50  Kilogr.  Flachsstroh  brechen  konnen, 
wahrend  bei  mechanischem  Antrieb  -  in  welchem  Falle  3  schwingende  Oberwalzen  vorhanden 
sind  —  in  derselben  Zeit  und  bei  einem  Kraftaufwande  von  '/2  Pferden  130  bis  150  Kilogr. 
Flachsstroh  verarbeitet  werden. 

Die  ebenfalls  unter  der  Eubrik  e  angefuhrte  B  rechmaschine  von  Luft  besteht  aus 
6  in  einem  Bogen  gelagerten  Walzenpaaren,  und  sind  sammtliche  obere  Walzen  (Druckwalzen) 
in  oscillirenden  Standern  gelagert.  Die  Wirkung  dieser  Maschine  ist  ahnlich  wie  die 
der  eben  beschriebenen,  doch  bietet  die  Construction  ihrer  Walzen  eine  besondere  Eigenthiim- 
lichkeit.  Es  sind  dies  namlich  Messerwalzen  nach  dem  Patente  Pini  construirt,  also  aus  radial 
stehenden,  in  der  Breite  vierrnal  gestutzten  und  seitlich  durch  Bundringe  zusammengehaltenen, 
abgerundeten  Messerschienen  bestehend,  welche  ein  leichtes  Abfallen  der  Schiibentheilchen 
durch  ihre  Zwischenraume  gestatten. 

Von  den  unter  f  erwahnten  Brechmaschinen  mit  Pilgerschrittbewegung  hat  die  Maschine 
von  Narbuth  9  Paar  Riffelwalzen,  die  von  Guild  nur  2  Paar  (letztere  Maschine  ist  von 
Prof.  Dr.  H  a  r  t  i  g  in  seinem  Werke :  Ueber  den  Kraftbedarf  der  Maschinen  in  der  Flachs- 
und  Wergspinnerei.  Leipzig,  Teubner,  pag.  51,  beschrieben  und  berechnet). 

Die  Maschine  kommt  in  ihrer  Leistung  einer  alteren  Walzenbreche  mit  etwa  10  bis  12 
Walzenpaaren  gleich  und  bricht  pro  Tag  600  bis  700  Kilogr.  Flachsstroh. 

Bei  sammtlichen  Maschinen  mit  Pilgerschrittbewegung  ist  die  plotzliche  Aenderung  der 
Bewegungsrichtung  stets  mit  bedeutenden  Schlagen  in  den  arbeitenden  und  transportirenden 
Theilen  verbunden,  so  dass  Briiche  von  Radzahnen  u.  s.  w.  nicht  zu  den  Seltenbeiten  gehoren, 
und  daher  diese  Maschinen  schon  aus  diesem  Grunde  eine  besondere  Empfehlung  nicht  ver- 
dienen. 

Warneke  hat  bei  seiner  zweiten,  nach  diesem  Princip  arbeitenden  Mascbine,  die  fur 
Handbetrieb  eingerichtet  ist,  durch  Anwendung  von  Keilradern  die  Stosse  bei  dem  Bewegungs- 
wechsel  moglichst  gemildert,  weshalb  diese  Maschine  bei  ihrer  Billigkeit  (980  Mark)  und 
verhaltnissmassig  grossen  und  guten  Leistung  (bei  Handbetrieb  tiiglich  600  Kilogr.,  bei  Kraft- 
betrieb  1000  Kilogr.)  vielfache  Verbreitung  gefunden  hat.  —  Es  hat  diese  Maschine  2  Paar 
in  grosserem  Abstande  von  einander  gelagerte  Brechwalzen,  die  durch  ein  Stirnraderpaar  (an 
der  untereu  vorderen  und  der  oberen  hinteren)  in  Verbindung  stehen.  Vor  den  Stirnradern 
sitzen  auf  den  betreffenden  Walzenachsen  zwei  Keilradersectoren  und  auf  der  oberhalb  gela- 
gerten Schwungradwelle  zwei  eben  solche  von  verschiedener  Bogenlange  neben  einander. 
Zuerst  fasst  der  langere  Keilsector  in  den  an  der  Achse  der  oberen,  hinteren  Walze  sitzenden 
Sector  ein  und  bringt  dadurch  die  Vorwartsbewegung  hervor,  hierauf  kommt  der  kiirzere 
Sector  rait  den  auf  der  unteren  vorderen  Brechwalze  sitzenden  in  Eingriff  und  bewirkt  die 
kiirzere  Zeit  dauernde  Riickdrehung  u.  s.  w. 

Brechmaschinen,  denen  das  Princip  der  Handbreche  zu  Grunde  liegt. 

Bei  der  Maschine  von  Moller  (Doppelrakmaschine)  werden  Risten  zwischen  3  Paar 
feste,  horizontal  neben  einander  liegende,  nach  den  Enden  zu  sich  maulformig  erweiternde 
Fiihrungen  gebracht,  in  deren  Zwischenraumen  von  einer  Kurbelwelle  aus  zwei  Schlagergabeln 
senkrecht  auf  und  nieder  bewegt  werden.  Die  Schlagergabeln  sind  ebenfalls  paarweise  vor- 
handen und  knicken  also  einmal  die  Stengel  von  oben  nach  unten,  dann  von  unten  nach 
oben,  bei  einer  Umdrehung  der  Kurbelwelle.  Da  diese  nun  400  Umdrehungen  in  der  Mimite 
macht,  so  werden  800  Schlage  in  derselben  Zeit  ausgefiihrt,  und  hat  man  es  in  der  Hand, 
durch  langsameres  oder  rascheres  Querdurchziehen  der  Risten  die  Schlage  dichter  oder  weniger 
dicht  auf  einander  folgen,  den  Flachs  also  verschieden  bearbeiteu  zu  lassen ;  audi  kami  durch 
Verstellung  des  Hubes  die  Kraft  des  Schlages,  je  nach  Absicht,  geandert  werden.  —  Die  Ma- 
scbine ist  fur  Kraftbetrieb  eingerichtet,  bedarf  etwa  V.2  Pferdekraft,  kostet  375  Mark  inch 
Aufstellung  und  Rieraen  und  verarbeitet  tiiglich  etwa  300  Kilogr.    Flachsstengel. 

Zu  den  besten  der  vorhandenen  Brechmaschinen  gehort  unstreitig die  Kaselowsky'sche, 
welche   bei   einfacher    Construction   und    niederem  Preise,  bei  geringem  Kraftbedarfe  fast  alle 


524 


Flachs  (Brechmaschinen) 


Fig.  1652. 


der  vorher  aufgestellten  Bedingungen  erfiillt,  jedenfalls  in  schonender  Behandlung  der  Fasern 
und  griindlieher  Ausfiihrung  des  Brechprocesses  von  keiner  anderen  iibertroffen  wird. 

Die  Arbeits-  und  Betriebsorgane  der  Kaselowsky'schen  Brechmaschine  sind  nach  einer 
neueren  Ausfiihrung  in  der  folgenden  Fig.  1652  im  Langensclmitt  dargestellt.  Die  ersteren 
bestehen  in  einem  Paar  geriffelter  Zufiihrwalzen  ot  ot ;  einer  grosseren  Walze  W  mit  einge- 
setzten  diinnen  abgerundeten  Leisten  I  und  aus  einer  Lade  L  mit  ahnlichen  Leistchen.  — 
Die  Hauptbetriebswelle  B,  welche  durch  die  Riemscheibe  R  —  oder  auch  mit  der  Hand  durch 
eine  Kurbel  . —  in  Bewegung  gesetzt  wird,  ist  im  hochsten  Punkte  der  Maschine  gelagertund 
zwischen  den  beiden  Seitengestellen  auf  einer  Lange,  welche  der  Arbeitsbreite  der  Maschine 
(der  Lange  der  Leisten)  entspricht,  gekropft.  Diese  Kropfung  ist  von  den  Lagerbackeu 
der  Lade  L  umschlossen,  weshalb  letztere  bei  der  Drehung  der  Hauptwelle  eine  auf  und  nieder 
gehende  Bewegung  annehmen  muss.  —  Die  Fiihrung  der  Lade  ist  bei  verschiedenen  Maschinen 
etwas  abweichend  construirt. 

Bei  vorliegender  Con- 
struction hat  die  Lade  an 
ihren  beiden  Enden  je  eine 
Fiihrungsstange  /,  welche 
zwischen  der  Achse  a  der 
Leistenwalze  und  einer  mit 
seitlichen  Randern  verse- 
henen,  am  Gestelle  drehbar 
befestigten  Fiihrungsrolle  r 
hindurch  geht.  —  Von  der 
Betriebswelle  B  aus  wird 
durch  die  Rader  c  und  d 
die  Leistenwalze  und  von 
deren  Achse  durch  die  Stift- 
rader  g  und  h  die  untere 
Einziehwalze  ox  bewegt.  Ist 
die  Maschine  im  Betriebe, 
so  wird  auf  den  Zufiihrungs- 
tisch  Ti  das  Flachsstroh 
ausgebreitet  und  in  den 
Bereich  der  Einziehwalzen 
°i  °i  gebracht,  welche  das- 
selbe  voiknickend  allmalig 
weiter  iiber  die  Leisten- 
walze schieben.  Bei  jeder 
Umdrehung  der  Hauptwelle  stossen  nun  die  Leisten  der  Lade  in  die  Zwischenraume  der 
dann  stets  unter  ihnen  befindlichen  Leisten  der  Walze  W  und  driicken  das  Flachsstroh  in  die- 
selben  ein,  so  (lass  ein  Kuicken  der  Stengel  an  mehreren  Stellen  —  entsprechend  der  Anzahl 
der  Walzenleisten  —  eintritt.  Gewohnlich  pflegt  man  die  Lade  mit  4  Leisten,  von  denen  die 
mittleren  etwas  kiirzer  sind,  die  Walze  in  4  Abtheilungen  mit  2  Leisten  zu  armiren,  die  aber 
dann  nicht  im  gleichem  Abstande  von  einander,  sondern  so  stehen,  dass  sie  einmal  zwischen 
die   ersten   und   dann    zwischen   die    hintern  Ladenleisten  treten. 

Die  Ladenleisten  haben  neben  ihrer  senkrechten  eine  leicht  oscillirende  Bewegung  und 
diese  bewirkt,  in  Gemeinschaft  mit  der  fortschreitenden  der  Walzenleisten,  ein  Abstreichen 
der  geknickten  Stengel,  und  fallen  die  Schaben,  wenn  nicht  direct  herunter,  in  die  Zwischen- 
raume der  Leisten,  aus  denen  sie  bei  der  Drehung  der  Walze  abgeworfen  werden.  Da  aber 
ferner  die  Umfangsgeschwindigkeit  der  Leistenwalze  viel  grosser  als  die  derZufiihrungswalzen 
ist,  so  wird  bei  dem  Emporgehen  der  Lade  und  der  weitern  Drehung  der  Leistenwalze  letztere 
noch  fernerhin  abstieichend  und  abschiittelnd  auf  die  aus  den  Zwischenrauinen  der  Leisten 
wieder  herausgetretenen  Stengel  wirken  und  d.idurch  einen  weiteren  Theil  der  Schaben  ent- 
l'ernen.  In  der  That  ist  der  auf  den  Abfiihrtisch  T2  abgelieferte  Flaclis  nur  noch  mit  wenigen 
lose   anhangenden    Schaben    behaftet,    die    sich    durch   einen   leichten    Schwingprocess    —   ein 


Kaselowsky"s  Flachsbrechmaschine. 


Flachs  (Schwingmaschinen). 


525 


sogenanntes  Reinschwingen  —  sehoh  entferncn  lassen,  wenn  tier  Flachs  richtig  vorbereitet 
war.  Eine  Vei'letzung  der  Fasern  kann  bei  clieser  Behandlung  nicht  gut  eintreten,  und  ist 
der  in  dem  Abfall  sich  findende  Faserantheil  sehr  gering. 

Die  Maschine  bedarf  niir  Y,  bis  1/a  Pferdekraft  zum  Betriebe  und  verarbeitet  bei  2 
Mann  Bedienung  in  10  Stunden  500  bis  600  Kilogr.  Flachsstroh.  Der  Preis  derselben  ist 
etwa  160  bis  180  Mark. 

Schwingmaschinen.  Es  sind  nur  zwei  verschiedene  Arten  derselben 
im  Gebrauch  :  Bei  der  ersten  Anordnung  sind  an  der,  auf  einer  horizontal  liegenden, 
rotirenden  Welle  befestigten  Nabe  entweder  direct  oder  mittels  besonderer  in 
dieselbe  eingesteckten  Arme  gewohnlich  4 — 12  holzerne,  besser  aber  eiserne, 
zugescharfte  und  an  der  Schlagkante  gut  abgerundete  Schlagscheiben  (Leisten) 
befestigt,  welche  bei  der  meist  aus  Eisen  hergestellten  Schwingoffnung  (Kante), 
ahnlich  wie  bei  dem  Schwingstock  die  Schwinge,  vorbeistreichen  und  den  iiber- 
gelegten  und  fest  gehaltenen  Flachs  unter  wiederholten,  rasch  auf  einander 
folgenden  Streichen  treffen.  Eine  altere  derartige  charakteristische  Anordnung 
zeigt  die  folgende  Fig.  1653  in  einem  Querschnitt. 

An  der  Nabe  c  sind  hierbei  5  scbmiedeiserne  Arme  b  befestigt,  welebe  die  Schwing- 
scheiben  a  tragen.  An  dem  gusseisernen  Stander  (Stocke)  e  ist  im  oberen  Theile  die  nach 
den  Schlagscheiben  zu  etwas  gebogene  und  gut  abgerundete  Leiste  bei  /  (in  unserer 
Figur  verdeckt)  eingesetzt,  an  welcher  die  Schlagscheiben  ziemlich  dicht  vorbei  schlagen. 
Die  Leiste  /  ist  durch  zwei  Federn  mit  dem  Stander  e  verbunden,  wodurch  ein  gewisses 
Nachgeben  derselben  bei  zu  stark  iibergelegter  Riste  moglich  ist  und  iiberhaupt  der  Flachs 
eine  schonendere  Behandlung  erfiihrt.  —  Das  in  folgender  Fig.  1653  angegebene  Rad  d  wird 
Ton  der  Schwingwelle  aus  durch  ein  Getriebe  bewegt  und  dient    zur  Bewegung  der  Betriebs- 

Fig.  1653. 


Schwingmaschine. 


welle  einer  dahinter  stehenden  Brechmaschine.  Sehr  haufig  fehlt  diese  Anordnung,  indem  die 
Brechmascbine  besser  direct  von  der  Transmissionswelle  aus  bewegt  wird.  —  In  einer  grosseren 
Schwingerei  hat  man  sich  nun  mehrere  der  beschriebenen  Schwingvorricbtungen  hinter  ein- 
ander auf  derselben  Welle  o  in  solchen  Zwischenriiumen  zu  denken,  dass  in  jeder  entstehenden 
Abtheilung  (einem  sogenannten  Schwingstande)  ein  Arbeiter  bequem  stehen  und  hantiren  kann. 


526  Flachs  (Schwingmaschinen). 

Damit  min  die  Arbeiter  vor  Staub  und  vor  Verletzungen  durch  die  Schlagscheiben 
mciglichst  gesichert  sind,  uingibt  man  die  Maschine  rait  einem  hblzernen  Verschlage,  aus  dem 
nur  die  Auflegeleisten  soweit  wie  nbthig  herausragen. 

Maschinen  mit  einer  grosseren  Anzahl  Schwingstanden  consti-uirt  man  doppelt,  d.  h. 
ordnet  in  geniigender  Entfernung  von  der  ersten  eine  zweite  Welle  mit  denselben  Schlag- 
vorrichtungen  derart  an,  dass  die  aussersten  Kanten  der  Schlagbretter  immer  dicht  bei  der 
andern  Welle,  und  ohne  die  auf  dieser  sitzenden  Seblagvorricbtungen  seitlicb  zu  treffen,  vor- 
beigehen.  Man  erhalt  so  die  eine  Halfte  der  Schwingstande  auf  der  einen  Seite  —  und 
benutzt  diese  zum  Vorschwingen  —  die  andere  Halfte  auf  der  andern  Seite  —  welche 
dann  zum  Eeinschwingen  dient. 

Nur  bei  intensiv  wirkenden  Brecbmaschinen  (Kaselowsky)  kann  man 
sich  mit  einmaligem  Ausschwingen  der  Risten  begniigen.  Die  Anzahl  der  Umdre 
hungen  der  Schlagwellen  scbwankt  sehr,  liegt  etwa  zwischen  80  und  150  in  der 
Minute  und  richtet  sich  nach  der  Grosse  der  Maschine  und  der  Anzahl  der 
Messer.  Bei  einer  mehrstandigen  Maschine  kaun  man  pro  Stand  etwa  0*1 — 0*2 
Pfcrde  Betriebskraft  rechnen,  und  erfordert  beispielsweise  eine  Maschine  von  8 
Standen  und  je  8  Schwingscheiben  bei  90  Umdrehungen  in  der  Minute  etwa 
1  Pferdekraft,  dabei  12  Personen  zur  Bedienung.  Vier  uni  den  gebi'ochenen  Flachs 
zurecht  zu  legen  und  den  acht  an  den  Schwingstanden  Stehenden  zuziireichen.  Es 
werden  taglich  pro  Stand  etwa  35k  gebrochener  Flachs  verarbeitet,  der  ca.  28k  rein 
geschwungenen  Flachs  liefert. 

Nach  einer  zweiten,  besonders  von  Kaselowsky  ausgebildeten  Construc- 
tion sind  die  Schlagscheiben  tangential  und  gewohnlich  an  beiden  Enden  von 
der  Welle  aus  unterstiitzt  angeordnet,  so  dass  der  iiber  eine  federnde  Auflege- 
leiste  gehaltene  Flachs  stets  in  voller  Breite  auf  einmal  —  und  nicht  wie  bei 
der  vorigen  Anordnung  erst  nach  einander  —  getroffen  wird.  Bei  diesen  Maschinen 
ist  es  unbedingt  nothwendig,  die  Auflegeleiste  federnd  und  leicht  verstellbar  zu 
construiren,  damit  man  fur  jede  Flachssorte  sofort  die  Maschine  richtig  einstellen 
kann.  Derartige  Vorrichtungen  hat  Kaselowsky  in  so  vollkommener  Weise 
angegeben,  dass  diese  Schwingmaschinen  die  vorigen  vielfach  in  schonender  und 
dabei  doch  geniigender  Bearbeitung  iibertreffen.  Diese  Maschine  gibt  in  Verbindung 
mit  der  Kaselo wsky'schen  Breehmaschine  ausserordentlich  zufriedenstellende 
Resultate. 

Man  hat  an  Arbeitskriiften  dadurch  zu  sparen  gesucht,  dass  man  Schwing- 
maschinen mit  mechanisclier  Flachszufiihrung  construirte,  jedoch  wird  dabei  stets 
so  viel  Abfall  erzeugt,  dass  bis  jetzt  das  Halten  mit  der  Hand  nicht  entbehrt 
werden  kann. 

Der  geschwungene  Flachs  ist  von  fast  alien  Holz-  und  Oberhauttheilchen 
befreit,  audi  sind  die  an  einander  hangenden  Fasern  selbst  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  getheilt.  Bei  jenen  Behandlungen  hat  sich  eine  Menge  Abfall  gebildet, 
der  nicht  allein  aus  Schaben,  sondern  auch  aus  einer  gewissen  Menge  kiirzerer 
oder  langerer,  mit  Schaben  vermengter  Fasern  in  sehr  verwirrtem  Zustande 
besteht,  die  man,  je  nachdem  sie  beim  Brechen,  beim  Vor-  oder  Reinschwingen 
abfielen,  sortirt  und  entweder  ungereinigt  oder  auf  besonderen  Schiittelmaschinen 
aufgelockert  und  gereinigt,  als  „Zopfwerg,  Schwingwerg,  Abfallwerg" 
an  Spinnereien  oder  Seilereien  verkauft.  Dieses  Werg  kann  nur  zu  den  grobsten 
Nummern  versponnen  oder  zu  Seilerarbeiten  verwendet  werden. 

Aus  I000k  frisch  ausgezogenen  und  geriffelten  Leinenstengeln  ergeben  sich 
je  nach  Qualitat  der  Stengel  und  Arbeitssorgfalt :  300—  500k  lufttrockenes  Flachs- 
stroh,  190 — 430k  gerostete,  lufttrockene  Stengel,  9O-360k  gebrochener  Flachs, 
65 — 160k  geschwungener  Flachs  und  etwa  5 — 90k   Schwingheede. 

Der  Flachs  kommt  meist  in  geschwungenem  Zustande  (Schwingflachs, 
Reinflachs)  in  den  Handel  und  muss  in  kiihlen,  der  Sonne  nicht  zuganglichen, 
nicht  nassen,  aber  auch  nicht  zu  trockenen  Lagerraumen  aufbewahrt  werden.  Er 
darf  nicht  auf  dem  blossen  Fussboden,  sondern  muss  stets  auf  einem  Lattenboden 


Flachs  (Hecheln).  527 

gelagert  werden.     Eine  massige  Feuchtigkeit   der  Luft  erhbht  die  Weichheit    und 
Milde  der  Faser  und  scliiitzt  vor  Gewichtsverlusten  durch  Austrocknung. 

Im  Handel  unterscheidet  man  den  Flachs  nach  der  Gegend,  aus  der  er 
stamrat  und  dann  nach  der  Art  der  angewendeten  Roste  in  „Rasenflachs,"  der 
durch  Thaurbste,  und  in  „  Wasserflachs, "  der  durch  Wasserroste  gewonnen  wurde. 

Das  Hecheln  (serancer,  serangage,  peigner,  peignage  —  heckling,  hackling). 
Die  meisten  Spinnereien  verarbeiten  fertig  geschwungenen  Flachs  und  es  fallen 
daher  die  weiteren  Arbeiten  in  das  Gebiet  der  Flachsspinnerei.  Da  jedoch  das 
Hecheln  lediglich  eine  vorbereitende,  die  Faser  isolirende  Arbeit  ist,  so  soil  dieser 
Process  —  so  weit  er  mittelst  der  Hand  ausgefiihrt  wird  —  an  dieser  Stelle 
besprochen  werden. 

Wir  erwahnten,  dass  durch  die  vorangegangenen  Processe  die  Fasern 
abgeschieden,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gereinigt  und  zertheilt  werden,  aber 
noch  ist  der  Flachs  nicht  zum  Verspinnen  geeignet.  Er  enthalt  Reste  von  fester 
anhangenden  Schaben  und  Oberhauttheilchen,  auch  sind  die  Bastfasern  unter 
einander  noch  verbunden,  vielfach  verworren,  langere  befinden  sich  neben  kiirzeren 
u.  s.  w.  Der  Hechelprocess  bezweckt  die  vollstandige  Abscheidung  der  Schaben, 
Zertheilung  und  Zerlegung  der  zusammenhangenden  Faserbiischel  unter  gleichzeitiger 
Absonderung  der  kiirzeren  Fasern  und  ein  Ordnen,  Parallellegen  der  iibrigen 
langen  Fasern. 

Zum  Hecheln  des  Flachses  bedient  man  sich  der  „Hechel"  (seran,  serin, 
serangoir,  peigne  —  heckle,  hackle),  eines  Werkzeuges,  das  aus  einem  System 
von  Nadeln  besteht,  die  in  runden,  concentrischen,  oder  wie  iiblicher  in  mehr- 
fachen,  einfach  versetzten,  zusammen  ein  Viereck  bildenden  Reihen  in  einem 
Brett  befcstigt  sind.  Je  nach  der  Feinheit  des  Flachses  und  dem  Grade,  bis  zu 
welchem  er  ausgehechelt  werden  soil,  stehen  die  Nadeln  mehr  oder  wenigei"  dicht 
zusammen  und  haben  eine  grbssere  oder  geringere  Feinheit  und  Lange.  Sie  sind 
aus  Eisen  oder  besser  aus  Stahl,  bilden  schlank  zugespitzte  und  polirte  Kegel, 
im  letzteren  Falle  mit  stets  rundem  Querschnitt. 

Der  fur  die  Maschinenspinnerei  (von  der  spliter  ausschliesslich  die  Rede 
sein  soil)  auszuhechelnde  Flachs  muss  viel  sorgfaltiger  behandelt  werden  als  der 
fur  Handspinnereizwecke,  weshalb  man  im  erstern  Falle  eine  grossere  Anzahl  von 
Hecheln  hintereinander  in  zunehmender  Feinheit  anwenden  muss    als  im  letzteren. 

Die  erste  Hechel,  auf  welcher  der  Schwingflachs  zunachst  behandelt  wird, 
nennt  man  die  Abzugshechel  (Ruffer),  die  folgenden  Mittelhecheln  und 
die  letzte,  fur  einen  bestimmten  Fall  beniitzte,  die  Ausmachehe  chel. 

In  den  Hecheleien  der  Fabriken  sind  die  einzelnen  Hecheln  neben  einander 
auf  niederen  Banken  entweder  so,  dass  die  Nadeln  senkrecht  oder  etwas  nach 
dem  Arbeiter  zu  geneigt  stehen,  befestigt.  Neben  der  Abzugshechel,  die  gewohn- 
lich  besonders  steht,  ist  noch  ein  3kantiger,  einige  Centim.  langer  Stift  fest 
angeordnet.  Von  den  anderen  Hecheln  stehen  stets  mehrere  neben  einander.  Zu 
beiden  Seiten  eines  Hechelsortiments  sind  weitere  Banke  zur  Lagerung  und  Sorti- 
rung  des  Flachses  angeordnet,  so  dass  sich  einzelne  durch  die  Banke  von  einander 
geschiedene  Hechelstande  bilden,  vor  denen  noch  die  Heedekasten  stehen  zur 
Aufnahme  der  ausgehechelten  kiirzeren  Fasern,  die  das  Material  zur  Werg- 
spinnerei  liefern.  Zunachst  findet  das  Spitzen  der  einzelnen  Risten  statt,  d.  h. 
die  aus  den  Risten  vorstehenden  Enden  der  nicht  richtig  liegenden  oder  zu  langen 
Fasern  werden  um  den  erwahnten  Stift  geschluugen  und  abgezogen  oder  abge- 
rissen,  so  dass  moglichst  gerade  Enden  entstehen.  Hierauf  wird  die  Riste  etwa 
in  der  Mitte  gefasst,  mit  der  andern  Hand  aus  einander  gebreitet,  und  auf  die 
Spitzen  der  Vorhechel  geworfen,  worauf  sie  vorsichtig  und  langsam  zuriickgezogen 
und  dann  dieses  Verfahren  mehrmals  wiederholt  wird,  wobei  man,  immer  tiefer 
in  die  Hechelnadeln  eindringend,  unter  haufigem  Wenden  des  Flachses,  denselben 
erst  an  den  Enden  und  schliesslich  auch  in  der  Mitte  bearbeitet.  Nachher  wird 
die  Riste  umgekehrt  und    auf  der    anderen  Halfte    in    derselben  Weise   behandelt. 


528  Flachs. 

Die  kurzen  und  verworrenen  Fasern  bleiben  zwischen  den  Nadeln  sitzen,  werden 
von  Zeit  zu  Zeit  herausgezogen  und  in  den  Handkasten  geworfen,  wobei  die 
ersten  in  der  Hechel  sich  ansammelnden  Fasern,  da  sie  langer  als  die  spater 
zuriickbleibenden  sind,  abgezogen  und  zu  einer  besonderen  Flachsriste  zusammen- 
gelegt  werden.  1st  diese  Bearbeitung  auf  der  Vorhechel  beendet,  so  gehen  diese 
Risten  gewbhnlich  in  die  Hande  des  zweitcn  Hechlers  tiber,  der  dieselben  auf  den 
Mittelhecheln  und  der  Ausmachehechel  ahnlich  behandelt,  bis  der  Flachs  geniigend 
gehechelt  ist. 

Das  zuerst  ausgehechelte  Werg  ist  das  grobste  und  unreinste  und  wird  das 
von  den  verschiedenen  Hecheln  stammende  getrennt  aufbewahrt. 

Gleichzeitig  mit  dem  Hecheln  findet  das  Sortiren  des  gehechelten  Flachses 
nach  den  weiter  unten  angegebenen  Eigenschaften  desselben  statt,  und  ist  es 
haufig  iiblich  denselben  in  folgenden  Nunimern  auslegen : 

I1/,,  2,  2%  3,  3'/2,  4,  4V„  5,  5%  6,  7  und  8, 
(hbhere  Nummern  kann  man  aus  den  in  deutschen  und  osterreichischen  Spinne- 
reien  meist  nur  verarbeiteten  Provinzial-  und  russischen  Flachsen  nicht  auslegen), 
aus  denen  gewbhnlich  die  lOmal  hbhere  Garnnummer  gesponnen  wird.  Man 
kann  also  aus  beispielsweise  Flachs  3  Garn  Nummer  30,  aus  Flachs  51/<1  Gam 
Nummer  55  spinnen  u.  s.  w.  Es  werden  jedoch  auch  einzelne  Flachssorten,  je 
nachdem    die  Garnqualitat    ausfallen    soil,  etwas   hoher    oder  niedriger  verwerthet. 

Das  Werg  wird  gewbhnlich  direct  nach  den  Nummern,  zu  denen  es  ver- 
sponnen  werden  soil,  sortirt,  so  dass  also  Werg  14  zu  Garn  Nummer  14  bestimmt 
ist  u.  s.  w. 

Eigenschaften  der  Flachsfaser,  nach  welchen  ihr  Werth  bestimmt 
wird,  sind :  die  Farbe,  der  Glanz,  die  Weichheit,  Milde,  Schmiegsamkeit,  die 
Festigkeit,  die  Feinheit,  die  Lange  und  endlich  der  Grad  der  Reinheit. 

Die  Farbe  des  Flachses  muss  vor  Allem  gleichfbrmig  sein.  Man  liebt 
die  hellere,  besonders  die  lichtblonde  Farbe  sehr,  aber  auch  die  stahlgraue  Farbe 
ist  vielfach  geschatzt.  Eine  braune,  rostige  Farbe  —  von  eisenhaltigem  Diinger, 
Wasser  oder  Erde  —  eine  griinliche,  auf  ungenligende  Rotte,  oder  eine  schwarz- 
liche  und  ungleichmassige,  auf  Ueberrottung  deutende  Farbe  gehbren  stets 
minderwerthigen  oder  ganz  unbrauchbaren,  werthlosen  Flachssorten  an. 

Der  Glanz  ist  neben  geeigneter  schbner,  reiner  Farbe  ein  sehr  gutes 
Zeichen  fitr  die  Giite  eines  Flachses.  Derselbe  steigert  sich  bei  den  besten 
kernigen  Flachsen  bis  zum  Seidenglanz. 

Die  Weichheit,  Milde,  Schmiegsamkeit  ist  meist  ein  Begleiter 
des  Glanzes  und  gute  Flachssorten  miissen  diese  Eigenschaften  im  hbchsten 
Grade  zeigen.  Geringere  und  schlecht  in  der  Rotte  behandelte  Flachse  sind 
harsch  und  rauh,  und    es    fehlt    diesen  Fasern    die  Schmiegsamkeit  fast   ganzlich. 

Die  Festigkeit  ist  das  Zeichen  eines  kernigen,  gesunden,  richtig  in  der 
Rotte  behandelten  Flachses  und  muss  guter  Flachs  neben  schbner  Farbe,  hohem 
Glanz,  neben  Weichheit,  Milde  und  Schmiegsamkeit  auch  genugende  Festigkeit 
zeigen.     Ein  Flachs,  dem  Festigkeit  fehlt,  ist  fast  werthlos. 

Die  Feinheit  des  Flachses,  d.  h.  der  Durchmesser  der  einzelnen  Fasern, 
bestimmt  bei  sonstigen  guten  Eigenschaften  den  hbheren  oder  niederen  Werth 
desselben,  weil  besonders  von  d  i  e  s  e  r  Eigenschaft  die  Verwendbarkeit  zu  feineren 
oder  weniger  feinen  Garnnummern  abhangt.  Selbst  bei  den  feinsten  belgischen 
Flachsen  finden  sich  noch  vielfach  zusammenhangende  Bastfasern  und  variirt 
die  Breite  (Durchmesser)  der  gehechelten  Fasern  zwischen  0-045    bis  0*06 2mm. 

Die  Lange  des  Flachses  wird  oft  in  Zusammenhang  mit  der  Feinheit  der 
Fasern  gebracht,  aber  meist  sind  feinere  Flachse  von  geringerer  Lange  und  nur 
bei  Flachsen  gleicher  Feinheit  und  sonstigen  gleich  guien  Eigenschaften 
geniesst  der  von  grbsserer  Lange  den  Vorzug. 


Flachs.  —  Flachsdarrhaus.  529 

Sonstige  phy  sik  ali  sclie  und  chemische  Eigensch  aft  en  des 
Flachses : 

Die  Elasticitat  des  Flachses  ist  geringer  als  jene  der  Banmwolle  und 
lasst  sich  die  Flachsfaser  hochstens  nm  4°/0  der  natiirlichen  Lange  ausdehnen, 
bis  sie  zerreisst.  Im  gewohnlichen,  lufttrockenen  Zustande  enthalt  der  Flachs 
5.7 — 7-22°/,,  Wasser,  der  in  init  Wasserdampf  gesattigtem  Raume  bis  zu  23,3G°/0 
steigt. 

Jod  und  Scbwefelsaure  farbt  die  Flachsfaser  blau ;  Kupferoxydarnmoniak 
bringt  zuerst  eine  blaue  Farbung  hervor  und  lost  alsdann  die  Faser  auf.  Schwefel- 
saures  Anilin  farbt  die  Flachsfaser  nicht.  Bei  schlecht  gerostetem  und  gehecheltem 
Flachse  wird  das  Oberhaut  -  Parenchim  und  Holzgewebe  dadurch  erkenntlich, 
dass  dieses  durch  Jod  und  Scbwefelsaure  nicht  blau,  sondern  gelb  bis  braun 
gefarbt  wird,  wahrend  Kupferoxydarnmoniak  dasselbe  nicht  lost,  das  schwefelsaure 
Anilin  dieses  jedoch  gelb  farbt,  so  dass  im  letztern  Falle  dem  unbewaffneten 
Auge  die  ganze  Faser  gelblich  gefarbt  erscheint.  Das  spec.  Gewicht  der  reinen 
(gebleichten)  Flachsfaser  ist  1-5,  fast  ebenso  wie  das  der  Baumwolle,  der  sie 
auch  in  der  chemischen  Zusammensetzung  sehr  nahe  kommt. 

Histologic  der  Flachsfaser.  Die  Bastfasern,  wie  sie  nach  dem 
Hecheln  vorliegen,  sind  noch  nicht  einfache  Pflanzenfasern,  sondern  erscheinen 
aus  einzelnen  kiirzeren  Bastzellen  (Elementarfasern)  von  2 — 4 cm  Lange  zusammen- 
gesetzt,  welche  mit  einander  durch  den  Rest  des  kleberartigen  Bindemittels 
zusammenhangen.  Nicht  gut  verarbeitete  und  schlecht  gereinigte  Flachse  zeigen 
ausserdem  noch  Reste  von  Parenchym-  und  Oberhautzellen  und  des  Holzgewebes, 
welche  aber  bei  den  besten  und  vollstandig  rein  gehechelten  Flachsen  nicht  niehr 
vorkommen. 

Die  Bastzellen  selbst,  welche  sich  durch  Kalilauge  oder  Chromsaure  — 
die  das  Bindemittel  losen  —  isoliren  lassen,  erscheinen  cylindrisch  oder  etwas 
plattgedrilckt,  aber  uie  bandformig  oder  gewunden  wie  die  Baumwolle  (I.  pag.  314) 
und  haben  stets  spitz  zulaufende  Enden.  Diese  Enden  fassen  in  der  langen 
Faser  dachziegelartig  iibereinander  und  kann  das  Bindemittel  auch  durch  heisses 
Wasser  so  weit  erweicht  werden,  dass  sich  die  einzelnen  Bastzellen  (Elementar- 
fasern), wie  dies  beim  Spinnen  mittelst  heissen  Wasser s  geschieht,  leicht 
von  einander  ziehen  lassen,  ohne  dass  ejn  eigentliches  Abreissen  der  Fasern 
eintritt,  und  wodurch  es  —  nebenbei  bemerkt  —  moglich  ist,  den  Flachs  zu 
feineren  Nummern  als  auf  anderem  Wege  zu  verspinnen.  Auch  bei  dem  der 
Wasserrotte  unterworfen  gewesenen  Flachse  zeigt  sich  diese  Erscheinung ,  so 
lange  der  Flachs  noch  nass  ist.  Es  gelingt  namlich  in  diesem  Zustande  sehr 
leicht  die  Bastfasern  in  kurze  und  ausserst  feine  Fasern  aus  einander  zu  ziehen, 
was  nicht  mehr  moglich,  sobald  der  Stengel  getrocknet  ist,  weil  alsdann  das 
Bindemittel  wieder  erhartet.  • 

Die  Elementarfasern  sind  hohl,  jedoch  ist  die  Hohlung  sehr  diinn  und 
erscheint  meist  nur  als  dunkle  Linie.  Die  Aussenseite  der  Elementarzellen  des 
gehechelten    Flachses  ist  haufig  rauh.  (s.  Art.  G-espinnstfasern).  E.  Pfuld. 

Flachs  neuseelandischer  s.  Gespinnstfasem. 

Flachsbaumwolle  (flax  cotton)  ist  eine  durch  Nachrosten  mit  Aetzlauge, 
Behandeln  mit  Saure  und  Verkiirzung  durch  Schneiden  baumwollahnlich  erhaltene 
und  wie  diese  durch  Krempeln  bearbeitete  Flachsfaser.  Es  ist  dies  eine  ent- 
schieden  verwerfliche  Manipulation,  welche  nur  auf  Werg  beschrankt  in  Zeiten 
Sinn  haben  konnte,  wo  Baumwolle  sehr  hoch  im  Preise  stand.     Kk. 

Flachsbereitungsanstalten  s.  Flachs  pag.  510  (Flachsrostanstalten  . 

Flachsbreche,  Flachsbrechmascliine  s.  Flachs  III.  pag.  516,  519. 

Flachsdarrhaus  und  Darrofen,  s.  Flachs  pag.  515  (kiinstl.  Trocknen). 

Karmnr^rh  &  Heeren,  Technisphes  Wbrtoibucb.    Bd.  III.  34 


530  Flachsdorre.  —  Flachsspinnerei  (Geschichtliches). 

Flachsdorre  s.  Flachs  III.  pag.  515. 
Flachsgarn  s.  Flachsspinnerei. 
Flachsroste  s.  Flachs  III  pag.  510  bis  515. 

Flachsrostanstalten  s.  Flachs  III  pag.  514. 
Flachsschwingmaschinen  s.  Flachs  III  pag.  525. 

Flachsspinnerei  (filature  de  lin  —  flax  spinning).  Hienmter  verstelit 
man  alle  diejenigen  Verrichtungen,  durch  welche  aus  dem  gehechelten  Flachse  ein 
Faden  von  beliebiger  Lange,  Garn;  erzeugt  wird. 

Geschichtliches.  Bis  vor  etwa  60  Jahren  wurde  Flachsgarn  lediglich  mit  der 
Hand  mit  Hilfe  der  bekannten  Spindel  oder  des  Spinnrades  erzeugt  und  war  dieser  hausliche 
Industriezweig  einer  der  altesten  und  verbreitetsten.  Ganz  besonders  auf  dem  alten  Continente 
—  in  Kussland,  Oesterreich,  Deutschland,  Holland,  Belgien  und  Frankreich  —  stand  derselbe, 
in  Verbindung  mit  einer  ausgebreiteten  Handvveberei,  in  hochster  Bliithe,  ernahrte  Millionen 
von  Menschen  und  bedingte  den  Wohlstand  ganzer  Provinzen  und  Lander. 

In  Preussen  trug  wesentlich  Friedrich  der  Grosse  zur  Hebung  der  schlesischen  Leinen- 
industrie  und  des  Flachsanbaues  bei,  und  in  gleichem  Masse  Maria  Theresia  in  Bbhmen,  wo 
besonders  Graf  Hatzfeld  sich  grosse  Verdienste  urn  die  Hebung  dieses  Industriezweiges 
erwarb.  —  Friiher  war  aber  auch  in  Irland  und  Schottland  die  hausliche  Handflachsspinnerei 
eingefiihrt  und  erhielt  durch  Errichtung  der  Linen-Hall  in  Dublin  etwa  um  1728  grosseren 
Aufschwung. 

Wahrend  nun  mit  fortschreitender  Entwickelung-  der  Maschinenindustrie  schon  um 
1767  und  1768  durch  die  Ausdauer  der  talentvollen  Manner  James  Har greaves  und 
Richard  Arkwright  Spinnmaschinen  fur  Baumwolle  und  Wolle  mit  dem  besten  Erfolge 
in  Thatigkeit  gesetzt  wurden,  gelang  es  doch  erst  viel  spater  die  weniger  fiigsame  Flachs- 
faser  auf  meehanische  Weise,  ohne  Zuhilfenahme  der  bildenden  Hand,  in  Garn  uinzuwandeln, 
und  erst  als  das  Uebergewicht  der  in  England  —  und  in  geringerem  Masse  auch  bereits  in 
Deutschland  und  Oesterreich  —  zu  hoher  Bliithe  gelangten  Baumwollenspinnerei  mittels 
Maschinen  fur  die  hausliche  Leinenindnstrie  auf  dem  Continente  fast  erdruckend  wurde, 
begann  der  Kampf  dieser  continentalen  Industrie  gegen  die  der  Insulaner.  Napoleon  I.  gebiihrt 
das  Verdienst,  die  erste  Anregung  zur  Einfiihrung  von  Maschinen  in  der  Leinenindnstrie 
gegeben  zu  haben,  indem  er  erkannte,  dass  es  nur  auf  diesem  Wege  moglich  sei,  das  einhei- 
mische  Rohproduct,  Flachs,  in  wirksame  Concurrenz  gegen  die  fremdlandische  Baumwolle 
treten  zu  lassen.  Er  erliess  am  12.  Mai  1810  ein  Decret  an  die  Erfinder  aller  Nationen  und 
setzte  einen  Preis  von  1  Million  Francs  auf  die  beste  Maschinenconstruction,  welche  die 
Verspinnung  des  Flachses  auf  mechanischem  Wege  in  der  fiir  das  Weben  geeigneten  Weise 
bewirkte. 

Philipp  de  Girard  war  der  Mann,  welcher  kaum  2  Monate  nach  dem  Erlass  dieser 
Aufforderung  die  gestellte  Aufgabe  loste,  alle  Principien  fiir  die  erfolgreiche  Lbsung  des 
Problems  der  Flachsspinnerei  in  einer  seinem  Patentgesuche  beigefiigten  Beschreibung  erklarte 
und  die  Wege  vorfiihrte,  auf  denen  das  Garn  sowohl  auf  trockenem  wie  nassem  Wege  erzeugt 
werden  kbnne.  Er  erhielt  am  8.  Juli  1810  ein  Patent  auf  seine  Erfindung,  doch  wurde  der 
ausgesetzte  Preis  weder  ihm,  noch  einem  Andern  ausgezahlt. 

Bei  Beginn  der  Maschinenspinnerei  war  jedoch  wieder  England  —  begiinstigt  durch 
eine  bereits  sehr  entwickelte  Maschinenindustrie  —  friiher  als  andere  Lander  und  selbst 
als  Frankreich  im  Besitze  von  Flachsspinnmaschinen,  obgleich  der  Erfinder  derselben  ein 
Franzose  war.  *) 

Von  der  osterreichischen  Regierung  wurde  Philipp  de  Girard  1815  von  Paris  nach 
Oesterreich    berufen     und    behufs   Anlegung    einer     mechanischen    Flachsspinnerei    bedeutend 


*)  Man    lese:    Bilder   und  Studien   zur  Geschichte    voni  Spinnen,  Weben,  Na'hen    von  Dr. 
Herrmann  G  r  o  t  h  e. 


Flachspinnerei.  531 

nnterstiitzt.  Diese  Spinnerei  bestand  in  der  Nahe  von  Wien  (zu  Hirtenberg)  rnehrere  Jahre, 
arbeitete  1819  rnit  20  Feinspinn  maschinen,  producirte  auch  schone  Game,  hat  aber  niemals 
giinstige  okonomische  Resultate  geliefert  und  ist  spater  ganz  eingegangen.  Keinen  bessern 
Erfolg  hatten  die  anderen,  sowohl  in  Frankreich  wie  in  Oesterreich  gegriindeten  Unterneh- 
mungen  dieser  Art. 

Die  Situation  fiir  die  continentale  Flachsspinnerei  wurde  jetzt  immer  bedenklicher. 
England  hatte  bereits  durch  ausserordentliclie  Verbesserungen  in  den  Constructionen  der 
Spinnmascliinen  einen  machtigen  Vorsprung  vor  alien  anderen  Landern,  und  erst  als  man  in 
diesen  ebenfalls  mit  den  verbesserten  englischenMaschinen  mechanische  Spirmereien  anzulegen 
begann,  konnte  man  der  englisehen  Concurrenz  wieder  mit  Erfolg  begegnen. 

Frankreicb  baut  jetzt  seine  Flachsspinnmaschinen  selbst  und  versorgt  auch  einen  Theil 
der  umliegenden  Lander  mit  denselben.  Die  Maschinenindustrie  Deutschlands  und  Oesterreichs 
vvagt  aber  nur  sehr  vereinzelt  gegen  die  englische,  welche  einen  weiten  Vorsprung  hat,  anzu- 
kampfen,  und  so  sehen  wir  diese  Lander  leider  fast  ausschliesslich  nur  mit  englisehen 
Maschinen  arbeiten. 

In  Oesterreich  verdankt  die  neuere,  von  Erfolg  begleitete  Flachsmaschinenspinnerei 
ihre  Einfiihrung  dem  Fabrikanten  Johann  Faltis,  welcher  im  Jahre  1837  in  der  Mitte  des 
bbhmischen  Flachsbaues  und  der  Leinenweberei  —  namlich  in  Jungbuch  bei  Trautenau 
—  die  erste  Flachsgarn  -  Maschinenspinnerei  mit  englisehen  Maschinen  errichtete.  —  In 
Deutschland  war  es  die  konigl.  preussische  Seehandlung,  welche  durch  Errichtung  mehrerer 
derartiger  Etablissements  in  Schlesien  weitere  Anregung  zur  Verbreitung  der  Maschinen- 
spinnerei gab. 

Jetzt  hat  dieser  Indus triezweig  in  alien  industriellen  Landern  weite  Verbreitung 
gefunden.  Er  nahm  inFolge  des  nordamerikanischen  Krieges  und  des  dadurch  hervorgerufenen 
zeitweiligen  Baumwollmangels  einen  ausserordentlichen  Aufschwung,  so  dass  beispielsweise 
in  Oesterreich  in  dem  kurzen  Zeitraume  von  5  Jahren  die  Zahl  der  Flachsspinnereien  in  dem 
Reichenberger  Handelskammerbezirk  von  18  im  Jahre  1860  auf  36  im  Jahre  1865  stieg,  mit 
etwas  mehr  als  200.000  Spindeln,  welche  iiber  25.000  Arbeitern  Lebensunterhalt  verschafften 
und  fiir  etwa  12  Millionen  Gulden  Garn  lieferten.  —  Doch  machte  die  F lac hs cult ur 
nicht  gleiche  Fortschritte  mit  der  Entwickelung  dieser  Indussrie,  so  dass  man  in 
Oesterreich  wie  Deutschland  meist  auf  den  Bezug  fremder  Flachse  angewiesen  war  und  in 
missliche  Abhangigkeit  von  auslandischen  Flachsmarkten  gerieth.  Die  Flachsindustrie  erlitt 
zudem  durch  die  Wiederkehr  giinstiger  Verhaltnisse  in  Amerika  einen  empfindlichen  Stoss, 
dazu  traten  wiederholte  Missernten  im  Flachsbau  und  in  Folge  dessen  enorme  Preissteigerungen 
des  Rohmaterials,  wahrend  dagegen  gleichzeitig  die  Garnpreise  sanken,  einmal  des  wieder 
erfolgten  Aufschwunges  der  Baumwollenmanufactur  wegen,  dann  aber  wegen  des  unmoglich 
gemachten  Exportes  von  Leinenfabrikaten  nach  Amerika,  welches  auf  die  Einfnhr  aller  Leinen- 
artikel  einen  Werthzoll  von  25%  legte.  Die  in  den  letzten  Jahren  wieder  eingetretenen 
billigeren  Rohflachspreise,  so  wie  die  Anfertigung  neuer,  friiher  nicht  hergestellter  Webe- 
artikel  aus  diesem  Material,  haben  die  Verhaltnisse  wieder  etwas  gebessert;  doch  kann  nur 
durch  rationelle  Flachscultur  —  indem  mehr  und  besserer  Flachs  als  bisher  in  den  eigenen 
Landern  erzeugt  wird  —  der  Wiederkehr  grosserer  Calamitaten  in  diesem  Industriezweige 
vorgebeugt  werden. 

Die  Handspinnerei  kommt  jetzt  nur  noch  sehr  vereinzelt  in  den  landlichen 
Wirthschaften  vor ;  sie  ist  fast  ganzlich  durch  die  Maschinenspinnerei,  von  der  jetzt 
ausschliesslich  die  Rede  sein  soil,  verdrangt  worden. 

Das  Hecheln  mit  der  Hand,  vgl.  pag.  527,  ist  auch  jetzt  noch  in  vielen 
Fabriken  ausschliesslich  im  Gebrauch,  in  anderen  jedoch  hat  auch  die  Maschinen- 
hechelei  Eingang  gefunden,  ohne  dass  man  deshalb  der  Handarbeit  dabei  ganzlich 
entbehren  konnte.  —  Bei  der  Anwendung  von  Hechelmaschinen  —  die  erst  in 
den  letzten  Jahrzehnten  gentigend  vervollkommt  sind  —  verfahrt  man  haufig  in 
der  Weise,  dass  die  Flachsristen  zuerst  auf  der  Abzugshechel  (Ruffer)  an  den  Enden 
gerade  abgerissen,  vorgespitzt  werden,  hierauf  den  Hechelmaschinen  iibergeben. 
und  endlich  noch  durch  eine  oder  zwei  Ausmachehecheln  gezogen  und  gleichzeitig 
sortirt    werden.    —    Geringere  Flachse    werden  nur  vorgespitzt,    gehen  dann  auf. 

34* 


532  Flachsspinnerei  (Hechelinaschinen). 

die  Hechelmaschinen  iiber  und  werden  nach  der  Bearbeitung  auf  diesen,  ohne 
nochmalige  Anwendung  von  Handhecheln,  gleich  bei  den  Hechelmaschinen  in  ver- 
schiedene  Sorten  ausgelegt. 

Die  feinsten  —  gewohnlich  belgischen  oder  hollandischen  —  Fltichse,  welche  zu  hohen 
Garnnummern  fur  Zwirn-  oder  Spitzengarne  verarbeitet  werden  sollen,  werden  in  geschwun- 
genem  Zustande  —  noeh  vor  dem  Hechelprocesse  —  auf  besonderen  Zerreissmaschinen  in 
3  Theile  zerrissen,  von  welclien  Kopf-  u.  Wurzelenden  weniger  brauchbar  sind  und  nur  der  mittlere, 
gleichmassig  starke  Tbeil,  zu  dem  besagten  Zwecke  verwendet  wird.  Friiher  wurde  fast  jeder 
nur  einigermassen  lange  Flachs  in  dieser  Weise  geselmitten,  um  gleich  lange  Theile  zu 
bekommen  und  diese  auf  Maschinen  von  bestimmten  Dimensionen  verarbeiten  zu  konnen;  jetzt 
baiit  man  die  Maschinen  der  natiirlichen  Lange  der  Faser  angemessen  und  zerlegt  daher  nur 
in  dem  zuerst  erwahnten  Falle  den  Flachs.  Man  nennt  solchen  Flachs  geschnittenen 
Flachs  (I'm  coupe  —  cut  I'm  [flax]),  im  Gegensatz  zu  dem  nicht  geschnittenen,  langen 
Flachse  (long  lin). 

Die  Zerreissmaschine  ist  ein-  oder  zweiseitig  und  hat  dem  entsprechend  vier 
oder  acht  eiserne  Einfiihruugsscheiben,  die  zu  beiden  Seiten  der  Schneidescheibe  auf  zwei 
resp.  vier  parallelen,  iiber  einander  liegenden  Achsen  paarweise  befestigt  sind.  Die  Einfuhr- 
scheiben  haben  etwa  einen  Durchmesser  von  0-3m  bei  2cm  Breite  und  es  sind  die  oberen  mit 
zwei  ringsherum  laufenden  Stabchen,  die  unteren  mit  entsprechenden  Hohlkehlen  versehen, 
um  den  Flachs  fest  zu  fassen.  Die  Schneidescheibe,  deren  Aclise  parallel  den  Achsen  der  Einzieh- 
walzen  inderMitte  zwischen  den  oberen  und  unteren,  resp.  vorderen  und  hinteren  liegt,  ist 
grosser,  verstahlt  und  mit  einem  gezackten  Rande  versehen;  sie  bewegt  sich  mit  bedeutend 
grosserer  Geschwindigkeit  als  die  Einfiihrscheiben.  Eine  starke  Riste  geschwungenen  Flachses 
wird  mit  beiden  Handen  gefasst  und  mit  den  zwischen  liegenden  Punkten  den  Einfiihrscheiben 
iibergeben.  Letztere  ziehen  den  Flachs  hinein  und  fiihren  ihn  gegen  die  gezackte  Scheibe, 
welche  ihn  schnell  entzwei  reisst.  Bei  doppelseitigen  Maschinen  wirkt  alsdann  die  Schneide- 
scheibe auf  der  einen  Seite  von  oben  nach  unten,  auf  der  andern  von  unten  nach  oben. 
Nach  einem  zweiten  Systeme  wird  die  Flachsriste  um  einen  festen  viereckigen  und  mit 
dem  anderen  Ende  um  einen  sich  drehenden  Zapfen  gewickelt,  wodurch  zwischen  beiden  das 
Zerreissen  derFasern  erfolgt.  Man  muss  diese  Methoden  und  kann  nicht  etwa  das  Abschneiden 
mit  einer  Scheere  anwenden,  weil  die  Fasern,  um  sich  leicht  und  gut  spinnen  zu  lassen,  keine 
stumpfen  Enden  haben  diirfen.  In  Oesterreieh  und  Deutschland  wird  der  Flachs  nur  sehr 
seiten  in  geschnittenem  Zustande  verarbeitet. 

Ehe  aber  der  lange  oder  der  knrze  (gesclinittene)  Flachs  versponnen  werden 
kann,  muss  er  auf  das  sorgfaltigste  gehechelt  und  sortirt  werden,  wie  dies  schon 
im  Artikel  „Flachs"  erwahnt  wurde.  Wa'hrend  eben  daselbst  die  Handhechelei 
ihre  Besprechung  gefunden  hat,  erubrigt  jetzt  noch  die  Betrachtung  der  Ma- 
schinen h  e  c  h  e  1  e  i. 

Das  Hecheln  mittelst  Maschinen*;  geschieht  durch  Nadeln,  welche 
auf  Hechelstaben,  gewohnlich  holzernen,  mit  Blech  iiberzogenen  Leisten  befestigt  sind, 
wa'hrend  die  Flachsristen  in  Kluppen  oder  Zangen  eingespannt  gehalten  und  so 
bewegt  werden,  dass  die  grossere  hervorstehende  Halfte  derselben  zuerst  an  den 
Spitzen  und  allmalig  nach  der  Mitte  zu  bearbeitet  wird.  Nach  einmaligem  der- 
artigen  Durchhecheln  kommen  andere,  feinere  und  dichter  steliende  Nadeln  zur 
Wirkuug.  Dieser  Process  wiederholt  sich  mehrmals,  worauf  die  Risten  nach  ge- 
niigendem  Aushecheln  von  beiden  Seiten  umgespannt  und  auf  der  andern  Halfte 
ebenso  behandelt  werden.  —  Es  ist  gleichzeitig  eine  Vorrichtung  thatig,  welche 
von  den  Hecheluadeln  das  ausgehechelte  Werg  (Heede)  abnimmt. 

Die  altesten  der  angewendeten  Hechelmaschinen  (machine  a peigner  le  lia,peigneusse 
—  heckling  machine)  von  Peters  bestanden  aus  einer  Walze  mit  Hechelstaben  besetzt.  Die 
in  Kluppen  eingespannten  Flachsristen,  in  horizontale  Fiihrungen  eingelegt  und  iiber  dieser 
rotirenden  Walze  entlaug  gefiihrt,  wurden  dadurch  ausgehechelt,  dass  die  herabhangenden 
Enden  derselben  sich  in  die  Walzennadeln  legten  Durch  Umlegen  der  Kluppen  und  nach- 
heriges  Umspannen  der  Risten  erreichte  man  die  Bearbeitung  von  alien  Seiten.  Diese 
Maschinen  sind  in  ihrer  Wirkung  sehr  unvollkommen. 


s)  Sulie:  Supplement  zu  Prechtl's  technologischer  Encyklopadie  3.  Bd.  pag.  108  bis  120, 
ferner  „Aufsatz  iiber  Hechelmaschinen"  von  Prof  H.  Falke  in  der  deutschen  Industrie- 
Zeituns?  1877  Nr.  47  und  48. 


Flachsspinnerei. 


533 


Eine  viel  bessere  Maschine  ist  die  von  Girard  (1810)  construirte,  bei  welcher  der 
Flachs  gleichzeitig  von  beiden  Seiten  bearbeitet  wird.  Die  Nadeln  sind  bei  dieser  Maschine 
in  mehreren  Reihen  auf  zwei  Platten  derartig  angebracht,  dass  die  Spitzen  einander  zugekehrt 
siud  und  liegen  mehrere  derartige  Plattenpaare  init  immer  feineren  Nadelgarnitnren  in  einer 
Reilie  neben  einander.  Oberhalb  derselben  sind  Bahnen  angebracht,  zwischen  denen  sich 
Ketten  fortbewegen,  in  welche  die  Kluppen  mit  den  eingespannten  Flachsristen  eingehangt 
sind,  diese  werden  soinit  langsam  horizontal  iiber  den  Hechelplatten  fortbewegt,  wodurch  die 
herabhangenden  Enden  allmalig  zwischen  sammtliche  derselben  gelangen.  Den  Platten  wird 
von  zwei  gekropften  Wellen  durch  Schubstangen  eine  derartige  Bewegung  ertheilt,  dass 
dieselben  zunachst  unter  gegenseitiger  Annakerung  niedergehen,  wodurch  die  Flachsenden 
erfasst  und  ausgehechelt  werden,  sorlann  sich  von  einander  entfernen,  aufwarts  steigen,  sich 
wieder  nahern  und  aufs  Neue  abwarts  gehen  u.  s.  w.  Obgleich  diese  Maschinen  vielfach 
verbessert  wurden,  so  von  D.ecoster  und  von  d e  W e i g h t,  und  obgleich  Val s on, L e villar  d 
&  Chardot  die  horizontale  Fiihrung  der  Kluppen  durch  eine  schrag  abwarts  gehende 
ersetzten,  so  dass  zuerst  die  Spitzen  der  Risten  und  dann  allmalig  die  Mitten  derselben 
bearbeitet  wurden,  so  ist  dieses  System  doch  ebenfalls  bereits  verlassen  und  durch  einfachere 
und  bessere  Constructionen  ersetzt  worden. 

Zu  den  neueren,  Hechelmaschinen  gehort  die  von  Taylor,  Wordsworth  &  C'omp. 
in  Leeds  gebaute  Maschine,  welche  seit  1840  in  osterreichischen  und  deutschen  Spinnereien 
vielfach  Eingang  gefunden  hat,  und  deren  Prinzip  noch  jetzt  vielen  Hechelmaschinen  zu 
Grunde  liegt. 

Die  hierbei  gebrauchte  Anwendung  von  zwei  einander  zugekehrten  verticalen,  endlosen 
Hecheltiichern,  welche  in  der  Langenrichtung  aus  mehreren  Hechelfeldern  mit  zunehmender  Feinheit 
und  Dichtigkeit  der  Nadeln  bestehen,  zwischen  welche  die  in  Kluppen  eingespannten  Flachsristen 
durch  eine  auf  und  nieder  gehende  Balm  emgefuhrt,  erst  an  den  Spitzen  und  dann  weiter 
gegen  die  Mitte  ausgehechelt,  alsdann  in  ihrer  hbehsten  Lage  ausser  dem  Bereiche  der 
Nadeln  den  folgenden  Feldern  zugeschoben  werden,  zeigen  die  neneren  Maschinen  fast 
sainmtlich  und  sind  meist  nur  Aenderungen  in  den  Bewegungsmechanismen  und  einigen 
Detailconstructionen  zu  erwahnen.  Das 
Emporheben  der  Risien  geschieht  aber 
nicht  plotzlich,  sondern  nur  etwas  rascher 
als  das  Senken. 

Von    den    neueren    Hechelmaschinen 
sind  ferner  folgende  zu  erwahnen : 

Die  Comb  e'sche  oscillirende  Hechel- 
maschine  mit  Leistenapparat  und  Kainm- 
staben  zum  Abstreifen  der  Heede  (oscil- 
lating stripper  bar  hackling  machine). 
Diese  Maschine  hat,  wie  die  Figur  1654 
in  einem  Querschnitt  zeigt,  zwei  endlose 
Hecheltiicher  a  und  a,  die  aber  auf  der 
einander  zugekehrten  Seite  oben  weiter 
als  unten  von  einander  abstehen ;  was 
einerseits  durch  die  Stellung  der  obern 
Fiihrungsrollen  o  gegen  die  untern  u, 
anderseits  durch  die  Bleche  i  i  bedingt 
'  ist.  In  der  Langenrichtung  sind  sechs 
immer  feiner  werdende  Hechelfelder  vor- 
handen.  Die  Bahn  d,  in  welche  die 
Kluppen  c  mit  den  eingespannten 
Risten  gelegt  werden,  kann  um  den 
festen  Zapfen  e,  wie  die  Pfeile  an- 
deuten,  entweder  nach  der  Richtung  von 

/  oder  nach  der  von  g  schwingen.  Die  Wirkung  ist  folgende :  die  zwischen  beiden  Hechel- 
feldern senkrecht  herabhangende  Flachsriste  wird  bei  der  Beweguug  der  Bahn  d  nach  der 
Richtung  /  zunachst  an  den  Spitzen  und  dann  nach  und  nach  mit  der  ganzen  freien  Liinge  an 


\2^Z_7 


Combe's  Hechelmaschine. 


534 


Flachsspinnerei  (Hechelinaschinen). 


Fig. 


das  Hechelfeld  {sheet)  a  angelegt  und  auf  dieser  Seite  bearbeitet.  1st  dies  geschehen,  so  dreht 
sicb  die  Bahn  zuriick  in  ihre  mittlere  Lage  und  dann  weiter  in  der  Eichtung  nach  g,  so 
dass  jetzt  in  derselben  Weise  die  Eiste  an  das  Hechelfeld  b  angelegt  und  von  diesem  auf 
der  anderenSeite  bearbeitet  wird.  Hierauf  stellt  sicb  die  Bahn  in  die  Mitte  und  nun  werden 
die  Kluppen  weiter  in  die  Maschine  hineingeschoben,  worauf  dieselbe  Manipulation  in  der 
beschriebenen  Weise  auf  dem  zweiten  Hechelfelde  begiunt  u.  s.  w. 

Eine  andere,  neuere  Hechelmaschine  von  Combe  gehbrt  unter  die  mit  vertikalen 
Hecheltiichern  versehenen  Masehinen.  Sie  ist  mit  demselben  Heedeabnehme-Apparat  m  versehen 
wie  die  vorige  (Vertical  sheet  stripper  bar  hackling  machine).  Die  folgende  Fig.  1655  stellt 
die  arbeitenden  Theile  im  Querschnitt  dar.  Wie  aus  dieser  Figur  hervorgeht,  sind  die  bei- 
den  Hecheltiicher  a  und  b  oben  einander  so  weit  genahert,  dass  die  Nadeln  des  einen  Tuches 
zwischen  denen  des  anderen  hindurch  streichen,  wahrend  dieselben  unten  etwas  weiter  von 
einander  abstehen.  Die  in  die  Bahn  d  eingelegten  Kluppen  c  mit  den  eingespannten  Flachsristen 
nehmen  eine  auf-  und  niedergehende  Bewegung  an.  Sind  sie  im  hochsten  Punkte,  so  bleiben 
sie  daselbst  einen  Moment  ruhig  stehen  und  werden  dabei  in  das  folgende  Hechelfeld,  deren 
im  Ganzen  sechs  vorhanden  sind,  hineingeschoben. 

Der  Bahnhub  ist  verstellbar,  so  dass  die  Maschine  fur  langern  und  kiirzern  Flachs  ein- 
gestellt  werden  kann.  Das  Heben  und  Senken  der  Bahn  geschieht  durch  ein  Excenter,  und 
zwar  so,  dass  7/12  einer  Umdrehung  desselben  auf  das  Heben  und  5/12  auf  das  Senken  ver- 
wendet  wird.  Die  Fortriickung  der  Zangen  erfolgt  von  demselben  Excenter  aus  durch  eine 
Eolle,    von   der   die  Bewegung  durch  Hebel,   Zugstangen   und   einen   im   oberen  Theile   ange- 

brachten  Winkelhebel  auf 
Stosstangen  iibertragenwird, 
1655.  ^e    gegen    die    Kluppen  in 

der  Bahn  wirken.  Die  Zu- 
riickfiihrung  der  Stosstan- 
gen geschieht  dm-ch  ein 
Gewicht,  wodurch  erreicht 
wird,  dass  im  Fall  eines 
Steckenbleibens  oder  irgend 
eines  anderen  Hinderuisses 
das  'erwahnte  Gewicht  sich 
nicht  senkt ,  Bescbadigun- 
gen  der  arbeitenden  Theile 
also  nicht  eintreten  konnen. 

Damit  das  Einstechen 
der  Hechelnadeln  in  die 
Eisten  moglichst  rechtwink- 
lich  geschehe,  sind  die  He- 
chelleisten  in  den  oberen 
Scheiben  eigenthiimlieh  ge- 
fiihrt,  wie  die  Fig.  1656 
angibt. 

Die  Maschine  wird  jetzt 
mit     einer    zweiten    Schub- 
stange  auf  der  Kluppenbahn 
Combe's  neuere  Hechelmascliine.  versehen, wodurch  es  mbglich 

ist    die    Kluppen    liber    die 

letzten  Hechelfelder  hinweg- 

zufiihren,  olme  dass  ein  Hecheln  statttindet,  was    die  Anwendung  ein  und  derselben  Maschine 

fiir    recht    verschiedene    Flachsgattungen,    die    mehr    oder    weniger    gehechelt   werden    sollen, 

ermoglicht. 

Das  Abnehmen  der  ausgehechelten  Heede  von  den  Hechelnadeln  bei  dieser  und  der 
vorher  erwahnten  Combe'schen  Maschine  findet  folgendermassen  statt.  Zwischen  den  Hechel- 
staben  liegen  die  Abnehmeleisten  n,    entweder  viereckige  hblzerne  Schienen  wie  in  Fig.  1654, 


Flachsspinnnerei. 


535 


Fig.  1656. 


oder   besser   gewalzte   Winkelschienen    wie   in   Figur   1655,    welche   auf  besondern,    ebenfalls 

iiber   die   Kollen   o    und   n  gehenden   Lederriemen   befestigt   sind.     In   dern  abwarts  gehenden 

Theile    der   zusammen    arbeitenden    Hechelfeliter    liegen    diesc    Ab- 

nehmeleisten    so    tief,  dass  die  Nadeln   der   Hechelsta.be    vollstandig 

iiber  dieselben   herausragen.     Sobald  diese  aber  die  untere  Rolle  u 

passirt  haben    nnd    aussen    aufwarts    gehen,    werden   sie  durch  be- 

sondere    Fiihrungsrollen  p  p   aus    den  Hechelstaben   herausgehoben, 

wodurcli   die    Heede   von    den    Nadeln    abgestrichen    wird    und   in 

darunter  befindliche  Kasten  fallt.    Diejenige  Heede  indessen,  welche 

an   den   Abnehmeleisten   etwa   hangen   bleibt,    wird  von  dem  anlie- 

genden    Kamme  m  gefasst   und    bei  jedem  Spiel  der  Maschine,    bei 

jeder  Kluppenverschiebung,  durch  eine  seitliche,  riittelnde  Bewegung 

von    denselben    abgeschiittelt.     Fiir     sehr     feineFlachse    ist    jedoch 

diese  Abnehme-Vorrichtung  nicht  vollkoramen  geeignet,  und  wendet 

man    dann   einen   Burst-    und    Kammwalzen  -  Apparat    an    (vertical 

sheet  hackling  machine  withbfush  doffer). 

Der  untergestellte  Tleedekasten  enthalt  drei  Abtheilungen  £,  k  und  I,  von  denen  die  beiden 
ausseren  11  zur  Aut'nahme  der  Heede  dienen,  der  mittlere  k  hingegen  nur  die  Schaben,  welche 
bei  dem  Hechelprocess  direct  abfallen,  auffangt.  Bei  dieser  Anordnung  bleibt  die  Heede  viel 
reiner,  als  wenn  eine  derartige  Trennung  nicht  vorgenommen  wird. 

An  beiden  Enden  der  Maschine  sind  Tische  zum  Ein-,  Urn-  und  Ausspannen  der 
Flachsristen  aus  den  Kluppen  angeordnet,  welche  Arbeit  gewohnlich  mit  Hilfe  von  Schrauben- 
schliisseln  mit  der  Hand  vorgenommen  wird,  wobei  die  Kluppen  horizontal  auf  den  Tisch  mit 
ihren  Nasen  in  entsprechende  Vertiefungen  eingelegt  und  dadurch  festgehalten  werden.  Das 
Auf-  und  Zuschrauben  der  Flachskluppen  ist  eine  sehr  ermudende  Arbeit,  und  wenn  letzteres 
nicht  sorgraltig  und  test  genug  geschieht,  so  werden  bei  dem  Hechelprocesse  audi  gute,  nicht 
geniigend  festgehaltene  Fasern  mit  aus  den  Kluppen  herausgerissen.  Dieser  Umstand  hat  die 
Firma  Combe  &  Barbour  in  Belfast  veranlasst,  einen  mechanischen  Einspanner  (Barbour's 
Patent)  bei  ihren  Maschinen  einzufiihren. 
Die  folgende  Figur  1657*)  bringt 
diesen  Apparat  zur  Anschauung.  Die 
Kluppe  wird  auf  den  Tisch  T  so  gelegt, 
class  die  Mutter,  welche  dieselbe  zusam- 
men  halt,  in  den  Schlussel  a  zu  liegen 
kommt.  Dieser  Schlussel  istvertikal  dreh- 
bar  gelagert  und  am  unternEndemiteinem 
konischen  Rade  versehen,  das  mit  zwei  an- 
deren,  auf  einer  horizontalen  Welle  c  lose 
drehbaren  Radern  in  Eingriff  ist.  Die 
Welle  c  wird  wahrend  des  Betriebes 
durch  die  Schnurscheibe  p  in  Drehung 
versetzt.  Sobald  nun  die  Zahnknpplung 
b,  die  mittels  Feder  und  Nuth  verschieb- 
bar  auf  der  Welle  c  angeordnet  ist,  nach 
links  oder  rechts  mit  den  anderenHalften 
der  Kupplungen  an  den  konischen  Radern 
in  Verbindung  gebracht  wird,  erfolgt  die 
Drehung  des  Schliissels  a  nach  der  einen 
oder  der  andern  Richtung,  also  das  Oeffnen 
oder  Schliessen  der  Kluppe.  Die  Kup- 
plung  steht  gewbhnlich  in  der  Mittellage 

und  wird  nach  der  einen  oder  der  anderen  Seite  durch  die  Tritthebel  d  d  und  den  Winkelhebel 
e  gebracht  und  dann  vermoge  der  unteren  schragen  Flachen  desselben  durch  den  Gewichtshebel/ 
in  dieser  Lage  gehalten.  Das  festere  oder  losere  Einspannen  hangt  von  der  Grosse  der  Gewichte 


Fig.  1657. 


^S7" 


Einspannvorrichtung. 


*)  Siehe  Dingl.  polyt.  Journ.  Band  210  pag. 


536 


Flachsspinnerei  (Hechelmaschinen). 


ab  und  lost  sich  bei  grosserem,  als  diesem  Gewichte  entsprechenden  Widerstande  die  Kupplung  b 
von  selbst  aus,  indem  der  Winkelhebel  e  in  die  Mittellage  zuriickgelit. 

Die  Hechelmaschinen  einer  Eeihe  anderer  Constructeure  sind  sk'mmtlich  mit  den 
verticalen  Hecheltiichern  versehen,  so  auch  die  von  Rousselle  &  Dosche,  von  Ward, 
von  Stephen,  Cotton  &  Comp.  in  Belfast  etc. 

Schliesslich  mag  noch  die  Maschine  von  Horner  in  Belfast  erwahnt  werden,  da 
dieselbe  mehrere  Eigenthiimlichkeiten  zeigt.  Die  folgende  Fig.  lo58  stellt  dieselbe  im  Quer- 
schnitt  dar.*)  Sie  ist,  wie  aus  derselben  hervorgeht,  eine  Doppelraaschine  mit  zwei  neben 
einander  angeordneten,  endlosen,  verticalen  Hecheltiicherpaaren  a,  6,  und  a2  b2  und  zwei 
Bahnpn  dx  d2  zur  Aufnahme  der  Kluppen  c.  Der  bekanntermassen  in  die  Kluppen  gespannte 
Flachs  wird  zunachst  in  die  linke  Bahn  cZ,  eingelegt,  vier-  bis  sechsmal  -  entsprechend  der 
Anzahl  der  vorhandenen  Hechelfelder  —  nieder-  und  aufgefuhrt  und  ruckweise  weitergeschoben, 
bis  er  sammtliche  Hechelfelder  passirt  hat  und  am  anderen  Ende  abgeliefert  wird.  Hier 
erfolgt  das  Umspannen  der  einmal  gehechelten  Risten,  die  dann  auf  derselben  Seite  in  die 
zweite  Bahn  d2    eingelegt   und   in    entsprechender  Weise    bearbeitet,  wieder    auf    der  vorderen 


Fig.  1658  a. 


Fig.  1658  b. 


Horner's  Hechelmasdiine. 


Seite  abgeliefert  werden.  Das  Transportiren  der  einmal  bearbeiteten  und  uingespannten  Risten 
nach  der  Eingangsseite,  behufs  nochmaligen  Einlegens  bei  einfachen  Maschinen,  fallt  also  bei 
dieser  Anordnung  weg. 

Die  beiden  Bahnen  sind  nahe  an  ihren  Enden  mit  Schienen  g  verbunden,  die  im  obern 
Theile  in  den  Gestellstandern  ihre  vertical  e  Fiihrung  erhalten,  wahrend  sie  mit  ihren  unteren 
Enden  lose  auf  den  Rollen  r,    r2  der  gleicharmigenHebel  7i  ruhen.  die  auf  einer  gemeinschaft- 


Siehe  Prof.  Hartig:     Yersuche    iiber    den  Kraftbedarf  der  Maschinen   in  der  Flachs- 
und  Werggarnspinnerei,  Leipzig  1869. 


Flachsspinnerei. 


537 


Fig.  1659. 


lichen,  entlang  der  Maschine  gehenden  Achse  fest  sitzen.  Die  hierdurch  abbatancirten  Batmen 
erbalten  ihre  auf-  und  niedergehende  Bewegung  durch  die  Hebel  h.  Der  eine  derselben  fasst 
namlich  mittels  femes  Rollzapfens  in  die  excentrische  Nuth  der  Scheibe  /,  durch  derenDrebung 
die  Oscillation  beider  durch  eine  Achse  verbundenen  Hebel  erreicht  wird.  Der  erwahntfe 
Rollzapfen  kanu  in  verschiedenen  Entfernungen  vom  DrehpUnkte  des  Hebels  festgestellt,  also 
der  Hub  f'iir  verschieden  lange  Flachse  verandert  werden. 

Datnit  aber  audi  bei  verschiedenem  Hube  die  Heehelnadem  stets  moglichst  dicht  an 
den  Kluppen  in  den  Flachs  einstechen,  sind  die  Schienen  g  aus  zwei  iiber  einander  verschieb- 
baren  Theilen  hergestellt  (Fig.  1658  b),  so  dass  man  deren  Lange  verandern  kanu.  Verscbieden* 
Wechselrader  erlauben  ferner  die  Umdrehungszahl  jener  Welle  zu  andern,  von  der  aus  der  Hub 
und  die  Kluppenverschiebung  bewirkt  wird,  so  dass  bei  gleicli  bleibender  Geschwindigkeit  der 
Hecheltiicher  dieRisten  langere  oder  kiirzereZeit  der  Einwirkung  derselben  ausge.setzt  bleiben. 
Ferner  kanu  auch  noch  die  Geschwindigkeit  der  Hecheltiicher  geandert,  also  jede  nur  irgend 
wiinschenswerth  erscheinendo  Bearbeitung  erreicht  werden. 

Das  Fortschieben  der  Kluppen  ge- 
schieht  durch  den  aufrecht  stehenden, 
oben  gabelformigen  Hebel  n,  der  im 
tiefsten  Punkte  seinen  Drehpunkt  hat  und 
etwas  dariiber  rait  einem  Rollzapfen  ver- 
sehen  ist,  welcher  in  einem  dera'rtig 
schraubengangahnlich  ausgeschnittenen 
Cylinder  lauft,  dass  durch  dessen  Dre- 
huug  der  Hebel  n  eine  hin  und  her 
schwingende  Bewegung  mit  kleinen  Ruhe- 
pausen  in  den  aussersten  Stellungen  er- 
halt.  Das  gabelfdrmige  Ende  dieses  He- 
bels ist  mit  den  Schubstangen  s1  und  s2 
und  diese  sind  wiederum  an  den  andern 
Enden  mit  den  Fuhrungsschienen  /,  f2  — 
welche  auf  denBahnen  durch  Biigelgehal- 

ten  horizontal  verschiebbar  sind  —  durch  Gelenk  verbunden.  Die  Schienen  J\  f2  sind  mit  Stoss- 
klinken  versehen,  welche  direct  auf  die  Stossknaggen  der  Kluppen  wirken,  und  diese  dadurch 
in  ihren  Bahnen  vorwarts  bewegen,  was  jedesmal  dann  erfolgt,  wenn  die  betreffende  Bahn 
sich  in  ihrer  hochsten  Lage  befindet,  der  Flachs  also  ausser  dem  Bereiche  der  Nadeln  ist. 

Die  auf  schmiedeisernen  Schienen  aufgenieteten  Hechelstabe,  an  den  Enden  und  in 
der  Mitte  auf  endlosen  Riemen  befestigt  und  dadurch  zu  einem  fortlaufenden  Hecheltuclie 
vereinigt,  gehen  iiber  grossere  untere  Scheiben  u  und  iiber  kleinere  obere  o.  Die  letztereu 
sind  eigenthiimlich  ausgezackt,  wie  Fig.  1659  erkeunen  la'sst,  und  soil  auch  hierdurch  ein 
moglichst  senkrechtes  Einstechen  der  Nadeln  in  die  Risten  erreicht  werden, 

Der  Heedeabnehmappa- 
rat  besteht  aus  Putzschienen 
und  Kammleisten.  Die  un- 
teren  auf  den  Achsen  Jc 
sitzenden  Scheiben  u  haben 
namlich  radial  stehende 
Schlitze,  in  denen  die  hol- 
zernen,  an  den  Enden  mit 
Blech  besetzten  Putzschie- 
nen liegen.  Auf  der  untern 
Halfte  der  Scheiben  u  treten 
diese    Schienen,     in    Folge 

ihres  Gewichtes,  zwischen  den  Hechelstaben  bis  iiber  die  Nadeln  heraus  und  streichen  dadurcb 
die  zwischen  sitzende  Heede  ab,  die,  so  weit  sie  nicht  direct  herab  in  die  Heedekasten  fallt. 
noch  von  den  Kammschienen  m  aufgefangeia  und  in  bestimmten  Zeitraumen  abgescbiittelt 
wird.  Es  tritt  bei  der  Senkung  der  Kamme  m  ebenfalls  eine  Schiene  iiber  die  aussersten 
Spitzen    derselben.     Die  Fig    1660  zeigt  diese  Einrichtung  in    etwas  grosserem  Massstabe.    Da 


Fig.  16t>0. 


538  Flachsspinnerei. 

aber  bei  diesen  Maschinen  das  sichere  Abstreifen  der  Heede  von  dem  geniigenden  Vor- 
treten  der  betreffenden  Schienen,  dieses  aber  lediglicli  von  dem  Eigengewichte  derselben 
abhlingig  ist,  so  kann  dasselbe  bei  grosseren  Widerstanden  oder  Klemmungen  unterbleiben, 
weshalb  das  bei  den  Combe'schen  Mascliinen  erwahnte  Herausheben  der  Streichscliienen 
zuverlassiger  ist. 

Die  Horner'schen  Maschinen  werden  iibrigens  aucli  mit  Biirsten-  nnd  Kammwalzen- 
Abnalnne  ausgefiihrt. 

Nach  Beendigung  des  Hechelprocesses  wird  der  gehechelte  Elachs  und  das 
ausgehechelte  Werg  sortirt,  in  Magazinen  als  Material  fiir  die  Spinnerei  gesammelt 
und  aufbewahrt,  welch e  in  Flachsspinnerei  im  engeren  Shine,  die  sich 
mit  der  Verarbeitung  des  ersteren,  und  in  Werg  spinnerei,  die  sich  mit  der 
Verspinnung  des  letzteren  befasst,  zerfallt. 

Die  Flachsspinnerei  im  engeren  Sinne  umfasst : 

1.  Vorbereitung.  Die  Bildurig  von  Bandern  durch  Anlegen  und  das 
erste  Verziehen  und  Doubliren  derselben  auf  der  Anlege-  oder  ersten  Zugmaschine 
auch  Anlegetisch,  Anlege,  genannt  {table  a  etaler,  etaleur  —  spreader,  first 
drawing). 

2.  Preparation.  Das  weitere  Verziehen,  Strecken  und  Doubliren  auf 
den  Zug-,  Streck-  oder  Doublirmaschinen  (Strecken,  Durchziigen)  (banc  d'etirage, 
laminoir  —  drawing-frame). 

3.  Vorspinnen.  Das  letzte  Doubliren  und  Verziehen  und  das  Zusamnien- 
drehen  der  sehr  verfeinerten  Bander  zu  Vorgarn  auf  der  Spindelbank,  der  Vor- 
spinnmaschine  {bank  a  broches  —  roving-frame,  flyer). 

4.  Das  Feinspinnen  bewirkt  die  Umwandlung  des  Vorgarns  in  Fein- 
garn  durch  erneutes  Strecken  des  ersteren  und  Ertheilen  der  bleibenden,  festen 
Drehung  an  die  zur  geniigenden  Feinheit  ausgezogenen  Faden  auf  der  Feinspinn- 
maschine  {machine  a  filer  en  fin,  metier  —  spinning  frame). 

5.  Das  Haspeln  und  Nummeriren,  das  Trocknen  des  nass  gespon- 
nenen  Feingaraes  und  das  Packen  der  Game.  —  Hierdurch  wird  das  Garn 
von  den  Feinspinnspulen  in  eine  fiir  Verkaufszwecke  geeignete  Form  gebracht.  — 
Wir  besprechen  zunachst  noch  allgemein : 

Die  Vorbereitung  des  Hechelflachs  es.  —  Bei  alien  Maschinen 
der  Vorbereitung  ist  das  Streckwerk  gleich  construirt.  Es  besteht  zunachst  aus 
den  Einziehwalzen,  auch  Speisewalzen  genannt  {cylindre  foumisseur  —  feeding 
or  back  roller),  welche  bei  der  ersten  Zugmaschine  den  auf  endlosen  Tiichern 
aufgelegten  Flachs,  bei  den  anderen  Maschinen  die  ihnen  zugefiihrten  Flachsbander 
erfassen  und  den  Streckwalzen  {cylinder  etireur  —  drawing  or  front  roller) 
iibergeben,  welche  sich  mit  wesentlich  grosserer  Umfangsgeschwindigkeit  als  die 
Speisewalzen  bewegen,  und  wodurch  die  Streckung.  der  Verzug  der  Bander  aus- 
gefiihrt  wird. 

Die  Entfernung  der  Einzieh-  von  den  Streckwalzen  —  die  Distanz 
(distance  entre  les  axes  de  deux  paires  de  cylindres  successive  —  ratch 
reach),  welche  von  der  Mitte  der  unteren  letzten  Einziehwalze  bis  zur  Mitte 
der  unteren  Streckwalze  gemessen  wird  —  ha'ngt  wesentlich  von  der  Lange 
der  Fasern  in  den  zu  streckenden  Bandern  ab,  wie  im  Artikel  Baumwollspinnerei 
(pag.  343)  bereits  naher  auseinander  gesetzt  wurde.  —  Da  nun  der  Flachs  in 
sehr  verschiedenen  La'ngen  von  30tm  bis  76cm  (12  bis  30  Zoll  engl.)  vorkommt, 
so  muss  dem  entsprechend  auch  die  Distanz  je  nach  der  zu  verarbeitenden  Flachs- 
sorte  wechseln,  und  man  hat,  da  dieselbe  sich  bei  den  Flachsvorbereitungsmaschinen 
nur  sehr  wenig  andern  lasst,  in  gut  eingerichteten  Spinnereien  deshalb  stets  mehrere 
Systeme  fiir  kurzen,  mittellangen  und  langen.  ev.  auch  fiir  gescbnittenen  Flachs. 
Da  der  kiirzere  Flachs  auch  zumeist  der  feinere  ist,  so  sind  die  Maschinen  mit 
kurzer  Distanz  fiir  feinere  Flachse,  die  zu  hbheren  Garnnummern  verarbeitet  werden 


Flachsspinnerei  (Anlegemaschine).  539 

sollen,  bestimmt.  Bei  jedem  zusammen  gehorenden  Systeme  von  Maschinen  hat 
aber  das  Streckwerk  jeder  folgenden  Maschine  stets  eine  geringere  Distanz,  da 
die  Lange  der  Fasern  mit  fortschreitender  Verarbeitung  immer  mehr  abnimmt. 

Auf  dem  Wege  zwischen  Einzieh-  und  Streckwalzen  werden  die  Bander  durcli 
einen  sich  passend  vorwarts  bewegenden  Hechelapparat  unterstiitzt,  durch  welch  en  ein 
fortgesetztes  Heclieln  (Spalten,  Zertbeilen)  und  Reinigender  Fasern,  wahrend  sie  von  den 
Streckwalzen  durch  die  Nadeln  gezogen  werden,  dadurch  stattfindct,  dass  die  Schaben- 
theilchen  und  die  bei  dem  friiheren  Hecheln  noch  nicbt  entfernten  und  bei  der 
Spaltung  neu  entstandenen  kiirzeren  Fasern  —  die  sich  zwischen  den  Nadeln  des 
Hechelapparates  und  unter  demselben  ansammeln  —  abgestrichen  und  zuriick- 
gehalten  werden.  —  Der  Hechelapparat  zeigt  je  nach  der  Feinheit  des  Flachses 
und  der  zu  erzeugenden  Garnnummer  Abweichungen  in  der  Entfernung  der 
Nadeln,  der  Feinheit  und  Lange  derselben.  —  Die  allgemeine  Anordnung  und 
Bewegung  desselben  ist  jedoch  bei  alien  Maschinen  gleich  und  geschieht  letztere 
jetzt  ausschliesslich  durch  einen  Schraubenmechanismus. 

Gleichzeitig  mit  dem  Strecken  und  auch  nach  Ausfiihrung  desselben  wird 
das  Zusamnienlegen,  Doubliren,  mehrerer  Bander  vorgenommen;  jedoch  iiber- 
wiegt  stets  der  Streck-  den  Doublirprocess,  so  dass  die  von  den  Ablieferungs- 
walzen  (reunisseurs  ou  debiteurs  —  delivering  rollers)  kommenden  Bander 
diinner  und  feiner  sind,  als  die,  welche  urspriinglich  in  die  Maschine  eingefiihrt 
wurden. 

Wir  gehen  nunmehr  zur  naheren  Besprechung  der  einzelnen  Arbeiten  und 
der  bei  denselben  angewendeten  Maschinen  tiber. 

1)  Die  Bildung  einesBandes  aufderAnlegemaschine.  Die 
folgende  Fig.  1661  zeigt  eine  Anlegemaschine  im  Langsschnitt.  Der  Flachs  wird 
derart  ristenweise  auf  4  bis  6  endlosen,  76— 203ram  breiten  Lederttichern  T,  den 
Speisetiichern  (tablier  —  feeding  cloth)  ausgebreitet,  welche  sich  horizontal  neben 
einander,  iiber  dieselbe  Treibrolle  a  und  Fiihrungs-  und  Spannrolle  b  fort- 
bewegen,  dass  eine  Auflage  von  moglichst  gleicher  Dicke  entsteht.  Auf  der- 
selben Tuchlange  muss  stets  dasselbe  Gewicht  Flachs  ausgebreitet  werden, 
zu  welchem  Zwecke  man  —  wenigstens  bei  ungeiibteren  Arbeitern  —  stets  das- 
selbe abgewogene  Flachsquantum  auf  einer  bestimmten  mar- 
kirten  Tuchlange  niederlegt.  Zugleich  wird  hier  das  Vermischen  verschie- 
dener  Flachssorten  vorgenommen,  indem  man  die  neben  einander  laufenden  Tiicher 
mit  denselben  belegt  und  die  gebildeten  Bander  zu  einem  einzigen  vereinigt. 

Die  endlosen  Tiicher  fiihren  den  aufgelegten  Flachs  zunachst  iiber  ein  Leit- 
blech  J  zwischen  Fiihrungen  lq  hindurch,  welche  die  Breite  begrenzen,  nach  den 
Einzugswalzen  pt  und  p2,  von  denen  die  untere  ein  glatter,  eiserner,  angetriebener 
Cylinder  ist,  wahrend  die  obere,  durch  Gewichte  beschwcrt,  lediglich  durch  Rei- 
bung  von  der  unteren  mitgenommen  wird.  Zwischen  diesen  Walzen  werden  die 
Risten  soweit  zusammen  gedrtickt,  verdichtet,  dass  sie  von  dem  Hechelapparate 
vollstandig  aufgenommen  werden  konnen.  Sowie  die  Einzugswalzen  den  Flachs 
abliefern,  treten  von  unten  sofort  4  bis  6,  je  nach  der  Anzahl  der  vorhandenen 
Auflegetucher,  auf  Staben  (barrettes  — fallers,  heckle-bars)  befestigte  Nadelsysteme 
(peigne  —  gill)  in  denselben  ein,  welche  sich  mit  etwas  grosserer  Geschwindig- 
keit,  als  die  Umfangsgeschwindigkeit  der  Einzugswalzen  betragt,  in  schrag  anlau- 
fencler  Richtung  entfernen.  Diese  iibergeben  den  durch  die  Fiihrungen  /3  etwas 
zusammengezogenen  Flachs  den  Streckwalzen  C0  Ci}  von  welchen  derselbe  aus- 
gezogen,  gestreckt,  wird.  Der  zwischen  den  Walzen  herrschende  bedeutende  Druck 
veranlasst  zugleich  eine  lose  Vereinigung  der  Fasern,  so  dass  ein  fortlaufendes 
Band  von  geniigender  Haltbarkeit  entsteht.  Der  erste  Hechelstab  tritt,  bei  den 
Streckwalzen  angekommen,  senkrecht  aus  den  Flachspartien  nach  unten  und  geht 
mit  grosserer  Geschwindigkeit  zurtick,  um,  wieder  bei  den  Einziehwalzen  ange- 
kommen, auf's  Neue  in  die  Hbhe  gehoben,  den  Flachs  zu  fassen.  Wahrend  sich 
der    erste   Hechelstab    von    den    Einziehwalzen    entfernt,    treten    fortwahrend  neue 


540 


Flachsspinnerei   (Anlegemaschine). 


Hecbelstabe    mit    Nadelsystemen    in    den  Flachs,    so  dass  derselbe,  wie  die  Fignr 
zeigt,  zwischen  p  und  C  unterstiitzt  und  zugleich  ausgehechelt  wird. 

Die  untere  Streckwalze   C'0  ist  ein  flatter  oder  auch  schwacli  geriffelter  Cylinder,  welcher 
zu  beiden  Seiten  der  Maschine  gelagert  ist  und  den  Antrieb  empfangt.    Durch  eine  Putzleiste 

Fig.  1661. 


'■:"*jdX"'  ~  ;^  "■/'-" 


L  wird  derselbe  von  etwa  liangeu  gebliebenen  Fa'serchen  gereinigt.  Die  oberen  Walzen, 
gewohnlicb  aus  Erlenholz  hergestellt  und  paarweise  auf  ein  und  derselben  Achse  befestigt, 
sind  Druckwalzen  (drawing-or  frontrotter  pressings}  und  werden  nur  durch  Reibung  von  den 
unteren    mitgeuommen.     Neucrdings    wendet   man    audi    eiserne  mit  Leder  iiberzogene  Druck- 


Flachsspinnerei  (Strecke).  5  1 1 

walzen  an,  wie  sie  in  der  Jute-Spinnerei  beniitzt  warden.  Je  naclidem  die  Maschine  4  oder 
6  Anflagetiicher  hat,  sind  2  oder  3  Paar  Druckwalzen  vorlianden.  Die  Achsenenden  derselben 
laufen  in  Metall-Lagcrn,  die  ihrerseits  durch  prismatische  Fiihrungen  der  Stander  «,  gehalten 
wex-den,  und  es  vvirkt  das  Belastungsgcwicht  mittels  einer  Hebelverbindung  und  eines  Lager- 
biigels  in  der  Mitte  der  Achse.  Neuerdings  wird  die  Belastung  der  Aehse  an  beiden  Enden 
dicht  neben  den  Lagern  vorgezogen,  da  hierdureh  eine  gleichintissigere  Vertheilungdes  Druckes 
erzielt  wird.  Oberhalb  der  Druckwalzen  sind  Putzer  ia  zum  Abstreifen  der  kiirzeren  Faserchen 
angeordnet. 

Die  von  den  Streckwalzen  ausgezogenen  Bander  gleiten  iiber  die  mit  4 
oder  6,  entsprechend  der  Anzahl  der  vorhandenen  Bander,  nnter  45°  geneigten, 
nbgerundeten  Einschnitten  versehene  Donblirplatte  P  kerab,  so  dass  es  moglich 
ist,  je  2  oder  audi  sammtlicke  Bander  zu  vereinigen  und  den  Ablieferungswalzen 
g0  g1  zuzufiikren  —  von  denen  entweder  2  Paare,  oder,  was  gewoknlicker,  nur 
ein  Paar  vorlianden  ist  —  welcke  das  durck  die  Leistcken  Z4  zusammengezogene 
Band  in  vorgesetzte  Bleckkannen  abliefern.  Es  findet  kierdurck  also  ein  Dou- 
bliren  von  2  bis  6  Bandern  statt.  Die  unteren  Ablieferungswalzen  g0  sitzen  auf 
einer  Ackse,  welcke  den  Antrieb  empfangt,  wahrend  die  oberen  massiven  guss- 
eisernen  Walzen  Druckwalzen  (delivering  pressing  rollers)  sind,  welcke  in  den 
Standern  atl  Ftikrung  kaben.  —  Oberkalb  dieser  Walzen  sind  wiederum  Putzer 
ib  angeordnet.  Die  Ablieferungswalzen  kaben  eine  nm  sekr  wenig  grossere  Um- 
fangsgesckwindigkeit  als  die  Streckwalzen  (1:1.09),  wodurck  die  Bander  stets 
straff  angezogen  werden;  da  aber  die  Entfernung  zwiscken  Streck-  und  Abliefe- 
rungswalzen kleiner  ist  als  die  Lange  der  Fasern,  so  miissen  die  oberen  Walzen 
gx    etwas  gleiten,  was  aber  auf  die  Vereinigung  der  Bander  nur  vortkeilhaft  wirkt. 

Um  nun  stets  eine  bestimmte,  von  der  Masckine  abgelieferte  Bandlange  zu 
erkennen  und  in  den  vorgesetzten  Bleckkannen  iinmer  gleicke  Langen  aufzufangen, 
um  aus  dem  Gewickt  derselben  die  weiteren  Dispositionen  zur  Erzeugung  einer 
bestimniten  Garnnuramer  treffen  zu  kbnnen,  ist  die  Maschine  nock  mit  einem 
Klingelapparat  verseken,  der  von  der  Ackse  der  unteren  Abzugswalze  g0  aus  in 
Bewegung  gesetzt  wird.  Bei  dem  jedesmaligen  Ertonen  der  Klingel  wird  das 
Band  abgerissen  und  eine  neue  leere  Kanne  untergesetzt. 

Die  stiindl.  Einzugslangen  betragen  etwa  37  bis  122  Yards,  die  Lieferungs- 
langen  1920  bis  3050  Yards.*) 

2)  Das  weitere  Strecken  und  "Doubliren  auf  den  Zug-?  Streck-  oder  Dou- 
blir masckine n.  Man  wendet  stets  mekrere  derselben  und  zwar  zwei  oder 
drei  nack  einander  an.  Die  Bander  der  Anlegemasckine  zeigen  nickt  iiberall 
gleicke  Starke  und  miissen  daker  durck  Doubliren  und  Strecken  (s.  Baumwoll- 
spinnerei  I.  pag.  341)  ausgeglicken  werden. 

Eine  erste  Streckmasckine  (premier  etirage  —  first  drawing  frame)  ist  in 
Fig.  1662)  im  Langsscknitt  abgebildet.  Das  Streckwerk  ist  bis  auf  die  Einzieh- 
walzen  nakezu  wie  das  der  Anlegemasckine  construirt.  Der  Heckelapparat  liegt 
jetzt  korizontal  und  es  bestekt  die  Masckine  aus  mekreren  neben  einander  liegenden 
Abtkeilungen,  Kbpfen  (tete  —  heads),  von  denen  der  eine  gleicksarn  die  Wieder- 
kolung  des  anderen  bildet.  Jeder  Kopf  kat  ein  besonderes  Heckelwerk  und  einen 
eigenen  Meckanismus  zum  Treiben  desselben,  ferner  eine  besondere  Donblirplatte 
und  iibereinstimmend  angeordnete  Abzugswalzen. 

Die  Masckinen  zur  Verarbeitung  versckieden  feiner  (langer)  Flackse  weicken 
in  der  Anzahl  der  pro  Kopf  transportirten  Bander,  in  der  Distanz,  der  Feinkeit 
des  Heckelwerkes  und  der  Anzakl  der  Abzugswalzen  von  einander  ab.  —  Die 
Fig.  1663  zeigt  den  Grnndriss  eines  Kopfes  dieser  Streckmasckine  von  den  Streck- 
walzen bis  zu  den  Abzugswalzen.    Hieraus  gekt  kervor,    dass  diese    Masckine   pro 


*)  TTeber  weitere  Details  und  Kraftbedarf  s.  Zusammeustellung  am  Ende  dieses  Absclmittes- 
Man  sehe  auch  Prof.  Hartig:  Ueber  den  Kraftbedarf  der  Mascbineu  in  der  Flachs- 
und  Werggarnspinnerei.  Leipzig. 


542 


Flachsspinnerei  (Strecken). 


Kopf  4  Bander  transportirt  mid  2  Ablieferungen  hat.  (Beispielsweise  eine  erste 
Streckmaschine  3  Kopfe  a  4  Bander  und  2  Ablieferungen.  First  drawing  S 
heads  a  4  slivers  and  2  deliverings). 

Die  Bander  aus  den  Kannen  k{  der  Anlegemaschine  gelangen  iiber  die 
Rollen  r  Fig.  1662  durch  die  Fiihrungen  lx  und  seitlich  begrenzt  durch  die  yer- 
stellbaren  Leistchen  /„  zu  den,  Einziehwalzen.  Diese  bestehen  aus  3  Cylindern, 
von  denen  die  unteren  2  durchgehende,  zwischen  jedern  Kopfe  der  Maschine  ge- 
lagerte  glatte  Cylinder  £>,  pQ  sind7  welche  durch  Raderwerk  bewegt  werden, 
wahrend    die    oberen    jp.^    aus    kiirzeren    und    zwar   fur  jeden    Kopf   aus    2  bis  4 


Fig.  1662. 


Strecke. 


Enden  bestehen,  die,  zwischen  die  ersteren  eingelegt,  von  diesen  nur  durch  Rei- 
bung  mitgenommen  werden.  Zum  Abstreifen  der  am  Cjdinder  pt  und  pa  etwa 
hangen  gebliebenen  kiirzeren  Fasern  dienen  die  Putzleisten  (dead  rubbers)  i0  ix. 
Der  Weg  der  Bander  ist  aus  der  Figur  ersichtlich,  deren  iibrigen  Theile  gleich- 
artig  denen  der  Anlegemaschine  sind,  und  die  gleichen  Buchstaben  aufweisen. 

Die  stiindlichen  Einzugslangen  pro  Band  betragen  etwa  48  bis  123  Yards, 
die  Liefernngslangen  957  bis   1720  Yards. 

Es  eriibrigt  die  nahere  Beschreibung  des  Schraubenmechanismus  zur  Be- 
wegung  der  Hechelstabe.  Fig.  1664  stellt  den  Schraubenmechanismus  eines 
Kopfes  der  beschriebenen  Streckmaschine  im  Querschnitt  dar. 

Zu    beiden     Seiten    eines  jeden    Kopfes    der    Streckmaschinen    ist  ein  Paar 


geordnet.  Je  zwei  sich  gegeniiber  liegende  Schrauben  haben  genau  gleiche  Steigung, 
doch    ist    die  der  untern  bedeutend  grosser    als    die  der    obern.     Zwischen  diesen 


Flachsspinnerei. 


543 


Fig.  1663. 


Schrauben  liegen  mittelst  platter  Kopfe,  welche  den  Gangen  der  oberen  Scbrauben 

entsprecbend    an    den    Enden    geneigt  sind,    auf  den  FUhrungen  c0  c,    die  Hechel- 

stabe  S,   und  zwar  derart,    dass    sie;     ohne    zu    klemmen,    in    der  Richtang  ilirer 

Lange  moglielist  wenig  Spielraum  baben.  Auf*  diesen  Hecbelstaben  sind  die  Nadel- 

systeme    1     bis    4    —    entsprecbend    der    Anzabl    der    Bander  —  befestigt.     Die 

Hechelstabe  werden  durch  Drebung  der  oberen  Scbranben  .s-0  s0  auf  den  Piihrungen  cfl 

c0  entlang  gefiibrt.     1st 

ein    oberer     Hecbelstab 

an    dem    Streckcylinder 

angelangt,  so  boren  die 

ihn  unterstiitzenden  Fiih- 

rungen    auf,     und    zwei 

am   Ende     der     oberen 

Scbrauben  sitzende  Dau- 

men    o0    o0   werfen    ihn 

nach   unten.     Ein    Paar 

flache     Federn     o„     o2, 

welcbe    sich   bierbei    in 

entsprecbende  Nuten  der 

Kopfe    des    Stabes    ein- 

legen,   geben  demselben 

die  nothige  Fiihrung  und 

bindern    ein    zu    friihes 

Herabgleiten.     (Bei   der 

Streckmascbine    sind   es 

2  flache  drehbare,  durch 

Gewichte    geeignet    be- 

schwerte   und    angedriickte    Schienen,    welche  diese  Fiibrung  bewirken.)  Der  Stab 

fallt    auf    die    unteren    Leisten    ct   c,     und    in    die    SchraubeDgange    der    unteren 

Schrauben    s1    st    hinein,    welche    denselben,    da    ihre    Drehrichtung    der    oberen 

entgegegensetzt  ist;    zuriickfiihren,  und  zwar  vermoge  ihrer  groberen  Theilung  — 

wodurch  an  Hechelstaben  gespart  wird  —   mit  grosserer  Geschwindigkeit. 

1st    der    Stab    am    vorderen    Ende    in    der   Nahe    der    Einfiibrwalzen    ange- 
kommen,    so  wird    er    durch    die    Daumen  ox   o,     der    unteren    Scbrauben    (Figur 


Fig.  1664. 


Scliraubcnmechanismiis. 


1664)  an  den  Fiihrungsstaben  o(,  o{1  iiber  die  obere  Kante  der  Fiibrungen 
c0  cQ  emporgehoben  und  so  lange  gehalten,  bis  die  oberen  Schrauben  Zeit 
haben,  ihn  zu  fassen  und  weiter  zu  fiihren.  —  Der  an  den  oberen  Fiibrungen 
auf  der  Seite  der  Einfiibrwalzen  sichtbare  Finger  fasst  dabei  in  die  erwahnte  Xut 


544  Flachsspinnerei  (Vorspinnen). 

der  Stabkopfe,  in  welche  vorhin  die  Federn  eingriffen,  gibt  bei  dem  Aufwarts- 
heben  eine  sichere  Fiihrung  mid  gestattet  zugleich  ein  leichtes  Einschieben  in  die 
oberen  Schraubengange. 

Die  untern  Schrauben  werden  von  der  Welle  V0  Fig.  1662  (hack  shaft)  (lurch  eonische 
Eader  I,  l0  bewegt  und  iibertragen  die  entgegengesetzte  Drehung  durch  Stirnrader  m,  m  auf 
die  obern  Schrauben.  Denkt  man  sich  jetzt  Stab  neben  Stab  in  das  Gevvinde  der  Schrauben 
eingelegt,  so  muss  bei  jeder  Umdrebung  derselben  ein  Stab  nach  unten  geworfen  werden, 
wahrend  an  dem  andern  Ende  gleiehzeitig  ein  Stab  nach  oben  gebracht  wird. 

Bei  den  Anlegemascliinen  sind,  um  das  Auffallen  der  Stabe  bei  ihrem  Austreten  aus 
den  obern  Schrauben  auf  die  untern  Fiihrungen  zu  massigen,  Empfangshebel  d0  zu  beiden 
Seiten  oder  auch  nur  einer  in  der  Mitte  angeordnet  (Figur  1661),  welche  einmal  empor 
nnd  dann  wieder  niedergehen,  wodurch  das  Inempfangnehmen  und  sanfte  Niedersetzen  der 
Stabe  erreicht  wird.  Die  geeignete  Bewegung  der  Hebel  erfolgt  von  der  Hinterwelle  V0  aus. 
Diese  treibt  mittels  zweier  Rader  cine  Achse,  welche  die  Excenterscheibe  h0  tragt,  von  der 
durch  Schubstange  h,  der  gebogene  Hebel  d3  und  durch  diesen  die  horizontale  Welle  w  ge- 
dreht  wird,  auf  der  die  Empfangshebel  d0  sitzen. 

Der  Doublir-  und  Streckprocess  wird  nun  auf  der  zweiten,  bei  feinen  Garnen 
auch  noch  auf  der  3.  Streckmaschine  (second  etirage  — -  second  drawing  frame) 
wiederholt,  das  Ausgleichen  der  Unregelmassigkeiten  in  der  Dicke  der  Bander, 
das  Verdiinnen,  Verfeinern,  das  weitere  Ausheclieln  derselben  also  hierdurch  fort- 
gesetzt.  Je  mehr  man  deshalb  innerhalb  praktiscli  zulassiger  Grenzen  den  Streck- 
nnd  Doublirprocess  ausdehnt,  um  so  gleichmassiger  und  schoner  werden  die  Bander 
um  so  besser  und  egaler  wird  .auch  das  aus  ihnen  gesponnene  Garn. 

Die  neuerdings  erhohten  Anspriiche,  welche  man  an  die  Glite  der  Game 
stellt,  yerlangen  eine  recht  sorgfaltige  Vorbereitung  und  bedingen  inFolge  dessen 
auch  sclion  zu  weniger  hohen  Nummem  (etwa  von  Nr.  50  an)  die  Anwendung 
von  drei  Streckmaschinen  hinter  einander,  auch  muss  die  Anzahl  der  Kopfe  der 
einzelnen  Maschinen  vermelirt  werden,  um  geringe  Belastung  der  Nadeln,  nicht 
zu  sclmellen  Gang  der  Streckwerke  und  starke  Doublirungen  —  Umstande,  die 
sammtlich  vortheilbaft  auf  die  Erzeugung  eines  gleichmassig  schonen  Productes 
wirken   —    anwenden  zu  konnen. 

Die  zweiten  und  dritten  Streckmaschinen  sind  im  Princip  ebenso  wie  die 
erste  construirt ;  die  Distanz  wird  bei  jeder  folgenden  Maschine  geringer,  weil  die 
Lange  der  Fasern  immer  mehr  abnimmt,  dabei  steigt  die  Feinheit  der  Hecliel- 
werke.  Die  Anzahl  der  pro  Kopf  eingefiihrten  und  abgelieferten  Bander  nimmt 
zn  und  die  untergestellten  Blechkannen  werden,  entsprechend  der  abnehmenden 
Starke  der  Bander,  von  geringerem  Durchmesser  gewahlt.  Einzngs-  und  Liefe- 
rnngslangen  stehen  ebenfalls  innerhalb  der  angegebenen  Grenzen. 

3)  Das  letzte  Doublir  en  und  Vorziehen  unci  das  Bilden  des 
Vor gar  nes  auf  der  Spindelbank,  der  Vorspinnmaschine. 

Die  Bander  von  dem  Streckwerk  der  Vorspinnmaschine  haben  eine  so  geringe 
Starke,  dass  sie  das  Verspinnen  zu  Feingam,  ohne  auseinander  zu  gehen,  nicht 
anslialten  wiirden ;  deshalb  erhalten  die  gestreckten  Bander  sofort  eine  geringe 
Drehung  und  heissen  dann  Vorgespinnst,  Vorgarn  (rove). 

Gewohnlich  werden  die  Bander  von  der  letzten  Streckmaschine  der  Spindel- 
bank einfach  vorgesetzt;  eine  Doublirung  findet  also  nicht  mehr  statt.  Nur  bei 
ganz  feinen  Nummern  lasst  man  die  Bander  doppelt  in  die  Vorspinnmascliine 
gehen.  —  Die  Zufiihrung  der  Bander  gesehieht  in  derselben  Weise  wie  bei  den 
Durchziigen ;  auch  ist  das  Streckwerk  bis  zu  den  Streckwalzen  wie  bei  diesen 
construirt,  hat  nur  geringere  Distanz  und  feineres  Hechelwerk.  Die  Streckwalzen 
liefern  aber  die  Bandchen  unmittelbar  zu  je  einer  Spindel,  mit  welcher  ein  fest 
aufgesetzter  Fliigel  sich  mit  constanter  Geschwindigkeit  umdreht.  Das  Bandchen 
umschlingt  den  Fliigel  oder  geht,  wenn  derselbe  liohl  hergestellt  ist,  durch  einen 
der  hohlen  Arme,  um  sich  alsdann  auf  die  Spule,  nach  Massgabe  des  Zuriick- 
bleibens  derselben    gegeniiber    dem  Fliigel,    aufzuwickeln.     Die  Drehung  des  Vor- 


Flachsspinnerei  (Vorspinnen).  545 

games  tlarf  nur  eine  geringe  sein,  damit  es  moglich  1st,  den  Vorgarnfaden  zwischen 
den  Streckwalzen  der  Feinspinnmaschine  noch  weiter  auszuziehen  und  schwankt 
dieselbe,  je  nach  der  Giite  des  Flachses,  ungefabr  zwischen  den  Grenzen :  Drehtrag 
pro  engl.  Zoll  —  0.3  bis  0.5  N;  wo  N  die  Nivmmer  des  Vorgarnes  ist,  ebenso 
bestimmt  wie  die  des  Feingarns. 

Es  ist  nun  wegen  dieser  schwachen  Dreliung  nicht  vortheilhaft,  das  Vorgarn 
auf  eine  durch  die  Spannung  des  Fadens  allein  bewegte  nnd  durch  Reibung 
zurtickgehaltene  Spnle  aufzuwinden,  weil  sich  dasselbe  hierbei  ungleichmassig 
strecken  wtirde  und  aucli  der  Grad  der  Drehung  nicht  constant  bleibt.  Bonders 
es  miissen  die  Spulen  wie  bei  dem  Vorspinnen  der  Baumwolle  (Ipag.  347;  durch 
einen  besonderen  Mechanismus  bewegt  werden,  welcher  bewirkt,  dass  in  dem 
Masse,  wie  sich  der  Vorgarnfaden  bildet,  derselbe  ohne  erhebliche  Spannung  in 
dicht  neben  einander  liegenden  Lagen  aufgewunden  wird. 

Die  Spindelbank  hat  demnach  aucli  hier  folgende  Functionen  zu  verrichten : 

1.  Das  Strecken  der  eingefuhrten  Bander. 

2.  Das  Drehen  der  gestreckten  Bander,  urn  denselben  die  niJthige  Festigkeit 
zu  geben. 

3.  Die  regelrechte  Aufwindung  des   Vorgarns  auf  Spulen. 

Die  in  der  Flachsspinnerei  angewendeten  Spindelbanke  haben  Spulen  niit 
Endscheiben,  so  dass  sogenannte  weiche  Spulen  entstehen  und  die  Hubhohe  der 
Spulenbank  stets  dieselbe  bleibt.  Die  Pressionsflugel  und  die  Mechanismen,  weiche 
die  Spulenbankhebung  bei  jedem  Hube  una  etwas  verkiirzen,  wie  sie  zur  Erzeugung 
von  harten  Spulen  in  der  Bauinwollspinnerei  angewendet  werden  (pag.  345  und 
347),  fallen  hier  also  weg. 

Die  sich  mit  constanter  Geschwindigkeit  bewegenden  Spindeln  haben  dieselbe 
Bewegungsrichtung,  wie  die  Spulen,  und  bewirken  das  Drehen  des  Vorgarnes,  welches 
von  den  mit  geringerer  Geschwindigkeit,  aber  nach  derselben  Richtung  bewegten 
Spulen  gleichmassig  aufgenommen  wird. 

Die  mit  zunehmender  Bewickelung  der  Spulen  nothigen  Aenclerungen  in  der 
Umdrehungs-  und  Hebungsgeschwincligkeit  derselben  werden  aucli  bei  den  Spindel- 
banken  der  Flachsspinnerei  durch  analoge  Mechanismen,  unter  geringen  Abwei- 
chungen,  bewirkt,  wie  sie  bei  der  Baumwollenspinnerei  eingehend  beschrieben 
wurden  (s.  Fig.  160  pag.  349  nebst  Beschreibung). 

Die  Flachsvorspinnmaschinen  von  Samuel  Lawson  &  Sons  in  Leeds  sind 
nach  diesem  Princip  gebaut.  Es  sind  aber  auch  vielfach  Spindelbanke  in  Ge- 
brauch,  die  mit  anderen  abweichend  hiervon  gebauten  Regulirungsmechanismen 
versehen  sind,  und  zwar  sind  dies  Maschinen  von  Combe,  Barbour  &  Combe  in 
Belfast  und  von  P.  Fairbairn  &  Co.  in  Leeds,  von  denen  wir  die  Combe'sche 
Maschine  etwas  naher  besprechen  wollen,  wahrend  die  Beschreibung  der  Fair- 
bairn'schen  im  Artikel  Jutespinnerei  nachgesehen  werden  kann. 

Die  folgende  Fig.  1665  zeigt  eine  Spindelbank  im  Querschnitt  mit  den 
Combe'schen  Aufwindemechanismen.  Fig.  1666  gibt  eine  perspectivische  Ansicht 
der  letzteren  und  Fig.  1667  stellt  einen  Tlieil  der  Spulenbank  mit  den  Stoss- 
knaggen  dar. 

Aus  Fig.  1665  erkennt  man  die  mit  den  Durchziig-en  iibereinstimmende  Construction 
des  Streckwerkes,  dessen  einzelne  Theile  rait  denselben  Bnchstaben  wie  dort  bezeiclmet  sind. 
Der  untere  Streckcylinder  C'g  wird  von  der  Hauptwelle  i?  ans,  die  durcb  die  gauze  Maselune 
geht,  bewegt  und  zwar  auf  der  (in  Figur  1665  weggeschnitten  gedachten)  Seite.  Dieser 
Antrieb  ist  auch  in  Fig.  1666  weggelassen  worden.  Vom  Streckcylinder  geht  die  Bewegung- 
riickwarts  nach  dem  Hinterschaft  V0,  welcher  die  Schraubenmechanismen  treibt,  und  von 
diesem  nach  den  Einziehwalzen. 

Der  gestreckte  Vorgarnfaden  geht  durch  die  auf  den  Spindeln  S  sitzenden  Fliigel  / 
nach  den  Spulen  e  Fig.  1665.  Die  Spindeln  werden  von  2  horizontalen,  im  unteren  soge- 
Kamiarsch  &  Heeren,  Technisches  Wortertmeb.     Bd.  III.  35 


546 


Flachsspinnerei  (Vorspinnen). 


nannten  Spindelkasten  gelagerten  Wellen  durch  die  hyperbolischen  Rader  ra  r3  und  r2  ra 
bewegt.  Die  Wellen  stehen  mit  einander  durch  gleich  grosse  Rader  rT  rT  in  Verbindung  und 
wird  das  eine  derselben  direct  von  der  Haitptwelle  H  aus  durch  die  Rader  r  und  t  bewegt. 
Keines  dieser  Rader  kann  gegen  ein  anderes  ausgewechselt  werden,  die  Umdrehungen  der 
Spindeln  sind  daher  constant. 

Fig.  1665. 


Combe's  Spindelbank. 


Bezeiclmet  man  mit  S  die  constante  Umdrehungszahl  derselben,  mit  L  die  constante 
Umfangsgeschwindigkeit  der  Streckcylinder  in  der  Minute,  d  i.  die  in  derselben  Zeit  gelieferte 

Fadenlange,  so  ist  die  Drehung  D  pro  Langeneinheit  D  ~  -y 

Die  Spulen  ruhen  sammtlich  auf  einer  durch  Gewichte  abbalancirten  Spulenbank  (oberer 
Oder  Spulen-Kasten)  i?0,  die  mit  dem  ganzen  zum  Treiben  der  Spulen  nothigen  Raderwerk 
mittels  Zahnstange  A  von  den  auf  der  "Welle  tv0  sitzenden  Radern  a0  in  Gradfiihrungen  g0 
auf  und  ab  bewegt  werden  kann,  wodurch  das  Nebeneinanderlegen  der  Fiiden  in  der  Hohen- 
richtung  der  Spulen  erreicht  wird. 

Der  Umfang  der  Spulen  bleibt  aber  nicht  constant,  sondern  wird  nach  jedem  Auf-  und 
Niedergang    der    Spulenbank   in    kleinen   Abstufungen    durch    die  Bewicklung  grosser.     Damit 


Flachsspinnerei. 


547 


nun  das  gleiclimassig  von  den  Streckcylindern  abgelieferte  und  von  don  Spindeln  aufgenom- 
mene  Vorgarn  ebenso  gleiclimassig  aufgewickelt  werde,  muss  sich  bei  constanter  Umdreliungs- 
zahl  der  Spindeln  die  Tourenzahl  der  Spulen  und  die  Geschwindigkeit  der  Hebung  nnd 
Senkung  derselben  mit  ihrem  zunehmendcn  Durchmesser  andern. 

Fig.  1666. 


Bezeichnet  man  den  veranderlichen  Spulenumfang  mit  u,  die  zugehorende  Umdrelmngs- 
zahl  der  Spulen  mit  s,  so  ist,  da  die  Aufwicklung  auf  die  Spule   stets   der  gelieferten  Faden- 

35* 


548  Flachsspinnerei  (Vorspinnen). 

liinge  gleich  sein  muss  (wie  schon  Bd.  I  Seite  347  erortert  wurde)  L  —  u  (8—s)    oder  auch 


Aus  der  ersten  Gleichung  ersieht  man  aber  sofort,  dass,  wenn  u  wachst,  die  Spule  also 

voller  wird,    die  Differenz    zwischen  Spindel   und  Spulenumdrehungen  {S — s)  abnehmen  muss, 

da   L    constant   ist.     Diese    Differenz    kann    aber    bei    constanter    Spindelnmdrehungszahl  nur 

abnehmen,    wenn  die  Touren  der  Spulen  zunehmen.     Mit  zuneh- 

Fiq.    1667.  mender    Aufwicklung    wachst    also    die    Umdrehungs- 

zahl    der    Spulen.     Damit    sich    aber    stets    gleichmassig    Faden 

neben    Faden    lege,    muss    die    Gesehwindigkeit    der    Hebung    und 

SSenkung  der  Spulen,  also  der  Spulenbank  proportional  der  Differenz 
der  Spindel-  und  Spulenumdrehungszahl  sein.  Da  diese  aber  bei 
fortschreitender  Bewicklung  abnimmt,  so  muss  auch  die  Hebungs- 
geschwindigkeit  der   Spulenbank  nacb  jedem  Auf-  und  Niedergang 


4 


AM 

\m 


Kt=l 


fei  derselben  abnehmen.     Die    Gesehwindigkeit   der  Auf-  und 

Abwartsbewegung   der   Spulen   nimmt   also   mit   wach- 
sendemDurchmesser  derselben  ab. 


Die  eigenthiimlichen  Mechanismen,  welche  diese  Bedingungen  erfiillen,  sollen  jetzt 
naher  betrachtet  werden,  und  zwar  zunachst  die  bei  der  Auf-  und  Abbewegung  der  Spulen- 
bank thatigen  Theile. 

Auf  der  linken  Seite  des  Streckcylinders  C'0  Fig.  1666  sitzt  die  Schnurscheibe  S0  und 
iibertragt  ihre  constante  Gesehwindigkeit  mittels  eines  Lederseiles  auf  die  expandible  Schnur- 
scheibe, den  Expander  G.  Die  Expanderwelle  ist  in  der  gekrbpften  Achse  i  i  gelagert  und 
diese  einerseits  in  dem  Biigel  B,  anderseits  im  Gestelle  links,  so  dass  die  Verbindungslinie 
der  Drehpunkte  mit  der  Mittellinie  der  Welle  J  zusammenfallt,  die  Expanderwelle  aber  in 
einem  Kreisbogen  um  die  Drehpunkte  der  Lagerachse  i  auf-  und  abbewegt  werden  kann. 
Bei  leeren  Spulen  nimmt  die  Expanderwelle  ihre  tiefste  Lage  em,  und  es  geschieht  die  Anf- 
wartsbewegung  sprungweise  nach  jedem  Auf-  oder  Niedergang  der  Spulenbank.  Dicht  bei 
dem  Gestelllager  ist  namlich  die  Kropfachse  mit  Hebel  h0,  der  auf  der  Spindelseite  in  einen 
Zahnbogen  iibergeht  und  auf  der  hinteren  Seite  ein  Gewicht  tragt,  fest  verbunden.  Der  Zahn- 
bogen  ist  mit  einem  Stirnradchen  s  im  Eingriff,  welches  ebenso  wie  das  daneben  angeordnete 
Klinkrad  KQ  auf  einem  drehbar  gelagerten,  mit  dem  Handrade  H0  versehenen  Zapfen  befestigt 
ist.  Das  an  dem  Hebel  ha  sitzende  Gewicht  wird  das  Bestreben  haben,  den  Hebel  um  den 
Dreiipunkt  zu  drehen,  die  Expanderwelle  also  aufwarts  zu  bewegen.  Diese  Bewegung  hindern 
zwei  Sperrklinken  &,  und  Jc2  von  denen  die  eine  stets  in  den  Zahnen  des  Sperrades  liegt, 
wahrend  alsdann  die  andere  durch  ein  besonders  geformtes  Gussstiick  M,  das  auf  demselben 
Zapfen  wie  Rad  s  und  A"0,  aber  lose  sitzt,  ausser  Eingriff  gehalten  wird.  Die  Spulenbank 
bewirkt  nun,  indem  sie  am  Ende  ihres  Auf-  oder  Niederganges  mittels  zweier  Knaggen  A,^ 
und  kA  Fig.  1667  das  Gussstiick  M  dreht,  wodurch  die  eine  der  Klinken  zunachst  auf  die 
Mitte  eines  Zahnes  gelegt  wird,  die  Auslosung  der  andern.  Das  Klinkrad  kann  sich  daher 
jetzt  um  einen  halben  Zahn  drehen,  so  dass  bei  jedem  Auf-  oder  Niedergang  der  Spulenbank 
der  Expander  um  einen  bestimmten  Bogen  gehoben  wird.  Hierdurch  wird  aber  die  verschieb- 
bare  Hlilfte  des  Expanders  durch  Gleiten  an  einem  keilformigen  Lineal  L  um  ein  bestimmtes 
Stiick  in  die  andere  Halfte  hinein  geschoben  —  der  Expander-Durchmesser  also,  nach  jedem 
Bewegungswechsel  der  Spulenbank,  vergrossert.  Mit  wachsendem  Spulendurchmesser  wird 
daher  die  Umdrehungszahl  der  Expanderwelle  eine  geringere,  und  diese  abnehmende  Gesehwin- 
digkeit wird  zunachst  dureh  die  Rader  b0  bi  nach  der  "Welle  J  und  von  dieser  durch  die 
Riider  b.2  b3  und  durch  das  Wechselrad  z0  auf  die  Welle  J,  fortgepflanzt,  von  welcher  die  Auf- 
Al)bewegung  der  Spulenbank  ausgeht. 

Hierdurch  wird  aber  die  Bedingung  erfiillt,  dass  dieGeschwindigkeit 
dieser  Bewegung  mit  wachsendem  Spulendurchmesser  abnehmen  soil.  Da 
durch  das  Wechselrad  sQ  die  Gesehwindigkeit  der  Hebung  und  Senkung  fur  jeden  bestimmten 
Fall  regulh't  werden  kann,  so  nennt  man  dasselbe  das  Hebungs wechselrad. 

Der  Wechsel  der  Bewegmng'  selbst  ffeschieht  in  folffender  Weise: 


Flachsspinnerei.  549 

Die  Welle  J,  ist  an  ihrem  linken  Ende  (Fig.  1666)  in  einer  Scheibe  gelagert  und  treibt 
durch  das  auf  ihr  sitzende  Radchen  ai  das  ebenfalls  in  der  Scheibe  gelagerte  gleich  grosse 
Radchen  a.,.  Entweder  Radchen  ai  oder  a2  ist  im  Eingriffe  mit  dem  Uebersetzungsrade  a3 
und  dieses  wiederum  durch  Rad  a4  mit  dem  Hohlrade  as,  das  am  Ende  der  durch  die  ganze 
Maschine  gehenden  Welle  w0  sitzt.  Diese  Welle  treibt  durch  die  an  verschiedenen  Stellen 
sitzenden  Radchen  a6  die  mit  der  Sjralenbank  verbundenen  Zahnstangen  A,  welche  an  den  festen 
Fiihrungen  g,  auf  und  ab  geschoben  werden  konnen  (Fig.  1665).  Je  nachdem  Radchen  a. 
oder  a2  mit  Rad  a3  im  Eingriff  ist,  wird  dasselbe  nach  der  einen  oder  der  anderen  Richtung, 
die  Spulenbank  also  auf-  oder  abwarts,  bewegt  werden.  Das  Wechseln  der  Radchen  muss 
nun  jedesmal  in  demselben  Momente  geschehen,  in  welchem  die  Spulenbank  einen  Auf-  oder 
Niedergang  vollendet,  also  gleichzeitig  mit  der  Vergrosserung  des  Expander-Durchmessers. 
Zu  diesem  Zwecke  ist  die  Scheibe,  in  welcher  die  Welle  Jz  mit  den  RaMchen  «r  und  a2  gelagcrt 
ist,  mit  einer  Zugstange  h2  versehen,  welche  den  mit  dem  Gussstiick  M  fest  verbundenen 
Hebel  Mx  mit  ihrem  schlitzformigen  Ende  fasst.  Das  obere  Ende  des  Hebels  M{  hat  ein 
bogenformig  begrenztes  Gleitstiick  gT  und  wird  dasselbe  auf  einer  Seite  durch  ein  ahnliches 
Gleitstiick^  des  Gewichtshebels  A,  beriihrt.  Gegen  Ende  des  Aufganges  der  Spulenbank  (bei  der 
in  Fig.  1666  gezeichneten  Lage  der  Theile)  wird  nun,  wie  beschrieben,  Gussstiick  ilf,  mithin 
aber  auch  Hebel  M{  bewegt,  bis  sich  die  Spitzen  der  Gleitstiicke  gx  und  g2  beriihren,  ohne 
dass  aber  die  Zugstange  h2  bewegt  wiirde,  da  sie  vermoge  ihres  Schlitzes  von  dem  Stifte  des 
Hebels  MT  stehen  gelassen  wird.  Im  nachsten  Moment  aber,  wahrend  die  Bank  in  ihrem 
hochsten  Punkte  angelangt  ist,  wird  der  Hebel  hx  durch  sein  Gewicht  das  Gleitstiick  g2  an 
der  anderen  Seite  des  Gleitstiickes  gT  herabdriicken,  den  Hebel  Mx  noch  weiter  und  mit  ihm 
nunmehr  die  Zugstange  h2  nach  der  anderen  Seite  bewegen,  wodurch  das  Rad  a2  ausgeriickt 
und  aT  in  Eingriff  kommt.  Die  Spulenbank  geht  nunmehr  nach  unten  und  findet  am  Ende 
des  Niederganges  wieder  der  entsprechende  Wechsel  statt. 

Der  Expander  wird,  wie  erwahnt,  stets  um  einen  constanten  Bogen  gehoben,  so  dass 
das  Lederseil  bei  dem  Zusammenschieben  stets  dieselbe  Spannung  behalt.  Die  Achse  der 
Expanderwelle  bewegt  sich  sonach  in  einem  Kreiscylinder,  dessen  Halbmesser  gleich  der  Ent- 
fernung  derselben  vom  Drehpunkte  der  Kropfachse  ist.  Die  verschiebbare  Expanderhalfte 
(Fig.  1666)  gleitet  mittels  eines  Stiftes  e  in  einem  durch  die  Welle  hindurch  gehenden  Schlitze. 
Gegen  diesen  Stift  stosst  in  der  Richtung  der  Mittellinie  der  Welle  eine  kleine  Stange  e0, 
welche  in  entsprechender  Bohrung  der  verlangerten  Welle  Fiihrung  hat.  Der  abgerundete 
Kopf  dieser  Stange  legt  sich  an  das  in  der  Schiene  e,  gerade  gefiihrte  Gleitstiick  e2,  welches 
in  der  Richtung  der  Achse  der  Stange  einen  geschlitzten  drehbaren  Kopf  e3  hat,  der  stets 
das  keilforrnige  Lineal  umfasst.  Bei  der  Hebung  des  Expanders  gleitet  dieser  Kopf  an  der 
schragen  Flache  des  Lineals  in  die  Hohe,  und  es  wird  dadurch  das  Gleitstiick  und  mithin 
auch  die  Stange  und  die  verschiebbare  Expanderhalfte  in  der  Richtung  der  Achse  verschoben, 
wodurch  die  successive  Vergrosserung  des  Expanderdurchmessers  erreicht  wird.  Damit  das 
Lineal  immer  von  dem  erwahnten  Kopfe  umfasst  werden  kann,  muss  es  der  Kreisbogenbewe- 
gung  desselben  folgen  konnen,  und  ist  deshalb  um  einen  Zapfen  z  normal  zur  Richtung",  in 
welcher  die  Hebung  stattfindet,  beweglich.  Das  Lineal  ist  so  gestaltet,  dass  der  Expander 
nach  jedem  Auf-  oder  Niedergang  der  Spulenbank  um  ein  gleiches  Stiick  in  einander  geschoben 
wird,    da   die    Vergrosserung   des  Durchmessers   stets  um  ein  constantes  Stiick  erfolgen  muss. 

Die  mit  jedem  Auf-  und  Niedergang  der  Spulenbank  verminderte  Geschwindigkeit  der 
Expanderwelle  wurde,  wie  beschrieben,  auf  Welle  J  iibertragen.  Von  dieser  Welle  aus  geht 
nun  die  Bewegung  durch  Q  auf  das  Rad  E  iiber,  welches  lose  auf  der  Hauptwelle  H  lauft 
und.zwischen  Kranz  und  Nabe  in  Zapfen  drehbar  gelagert,  zwei  sich  genaugegeniiber  stehende. 
gleich  grosse  konische  Rader  Bx  und  E2  tragt.  In  diese  Riider  greift  auf  der  einen  Seite 
das  fest  mit  der  Hauptwelle  verbundene,  dieselbe  Grosse  habende  Rad  K  ein,  und  auf  der 
andern  Rad  D,  welches  aber  lose  auf  der  Hauptwelle  sitzt  und  an  seiner  etwas  verlangerten 
Nabe  noch  das  Stirnrad  Dx  tragt,  durch  welches  die  BewTegung  auf  das  Zwischenrad  2"  und 
durch  das  an  dasselbe  angegossene  gleich  grosse  konische  Rad  auf  Rad  £>.,  vibertragt.  Das 
Zwischenrad  T  lauft  auf  einem  Zapfen,  der  bei  v0  und  t\  drehbar  gelagert  ist  und  eine  kugel- 
formige  Erweiterung  hat,  in  deren  Bohrung  mittels  langer  Nabe  sich  das  Rad  J>.:  bewegt. 
In  diese  Nabe  fasst,  mittels  Feder  und  Nut  verschiebbar,  eine  Welle  g  (Fig.  1665  und  1666), 
welche   nach  der  Spulenbank  fiihrt,  und  es  kann  also  diese  Welle  der  Auf-  und  Abbewegung 


550  Flachsspinnerei  (Vorspinnen). 

der  Spulenbank  folgen.     Die  Welle  y  pflanzt  (Fig.  1665)    ihre    Bewegung    durch  Rad  D3   und 

und   Tx  auf  -D4  D\   und  die  beiben  Betriebswellen   im  Spulenkasten  fort,    die  ihrerseits    durch 

Rader  DB  D's  die  Spulenradchen  D6  D'6  bewegen.     Diese  Spulenradchen  haben  lange  Naben, 

welche  iiber  die  Spulenbank  herausragen  und  sich  dort  tellerformig  ausbreiten,  um  die  Spulen 

aufnehmen  zu  konnen  und  sie  mittels  eines  Stiftes  und  entsprechenden  Loches  im  Fusse  der- 

selben  zu  kuppeln. 

Die   Radercoinbination,   welche   an   das    Rad  D  und  Dt   und  somit  auch  an  die  Spulen 

eine  von  der  Umdrehungszahl  des  Rades  R  und  des  Rades  K  abkangige  Tourenzahl  iibertragt, 

nennt   man   Differentialgetriebe,    oder    (nach  H.    Professor   Reuleaux)    Umlaufrader.     Die    eine 

durch  Rad  K  von  der  Hauptwelle  aus  an  dies  Getriebe    ubertragene   Bewegung   ist   constant, 

die    andere   von   der   Expanderwelle    aus   an   Rad  R  abgegebene  Tourenzahl   nimmt,    wie  wir 

gesehen    haben,    mit  jedem  Hube    der  Bank  ab.     Bezeichnen  wir  daher  mit  n  die  constanten 

Umdrehungen   der   Hauptwelle,    mit   m  die    nur    wahrend  eines  Hubes  constanten  des  Rades 

R,  und  beriicksichtigen  ferner,  dass    dieses  Rad   in    demselben  Sinne  wie  die  Hauptwelle  sich 

dreht,  so  wird  an  die  Rader  D  und  DT  eine  Tourenzahl  iibertragen  (vgl.  Bd.  I  pag.  348  unten) 

von  f  ~  n  —  2  m.,  welche  auf  dem  beschriebenen  Wege  nach  den  Spulen  transportirt  wird. 

Die  Umdrehungszahl  derselben  ist  demnach,  wenn  das  gesammte  constante  Uebersetzungsver- 

haltniss  vom  Rade  D  aus  mit  G  bezeichnet  wird,  s  ~  C  f  ZZ  C.  (n — 2  m).  Die  veranderliche 

Umdrehungszahl  m  des  Umlaufrades  R  ist  aber  abhangig   von    dem   veranderlichen  Expander- 

Durchmesser  g  und  ausserdem  bedingt  durch  das  Uebersetzungs-Verhaltniss  von  der  treibenden 

Scheibe  S0  an  bis  zu  diesem  Rade.  Bezeichnen  wir  den  constanten  Theil  dieses  Uebersetzungs- 

Cl                                                f             2CX\ 
Verhaltnisses  mit  CJ,  so  ist  also    m  ~  —   und  daher  auch  s  ~   C     I     n  —  1. 

Fiir   das   regelrechte    Aufwinden   des  Vorgarnes    war  aber    die  allgemeine  Bedingungs- 

L 

gleichung  fiir  die  Umdrehungszahl  der  Spulen  s  gefunden    worden :     s  ZZ  S  —    — ;  damit  nun 

der   Mechanismus   diese   Bedingung   erfullt,    miissen   beide  Werthe   stets   einander  gleich  sein, 

2  C1  C  L 

also    C  n  —  —  S  —  — .     In    der    Ausfiihrung   sind   nun  stets  die  Uebersetzungen  so 

2    Cn  C         L  r  2  C  C  >w 

gewahlt,  dass   C  n  ~  S  ist,  alsdann  tolgt  aber  :     —  —     oder  fj  ZZ    I    f 1  u, 

2  C1  C 

oder  wenn  man  die  Constanten :    j ~  A  setzt,    so  ist  stets  g  zz  A  u,  d.  h.  aber : 

Der  jeweilige  Expander-Durchmesser  ist  direct  proportional  dem  Umfange  u,  also  auch 
dem  Durchmesser  der  Spulen  und  muss  bei  jeder  vollendeten  Wickelung  um  eine  constante 
Grosse  zunehmen,  was  wiederum  bei  geraden  Expander-Arrnen  nur  dadurch  geschehen  kann, 
dass  derselbe  stets  um  dasselbe  Stuck  gleichmassig  zusammen  geschoben  wird.  Dieser  Me- 
chanismus erfullt  also  ebenso  vollstandig  die  Aufwindebedingungen,  wie  der  in  Bd.  I  pag.  350 
beschriebene,  und  ist  besonders  durch  seine  leichte  Zugangliehkeit  und  Verstellbarkeit  sehr 
beliebt.  — 

Die  Maschiue  hat  einen  sehr  geringen  Kraftbedarf.  Die  stiindlichen  Ein- 
zugslangen  schwanken  etwa  zwischen  45  bis  126  Yards,  die  Lieferungslangen 
zwiscben  950  bis  1800  Yards.  Man  baut  jetzt  die  Maschinen  bis  80  Spindeln, 
vertbeilt  in  10  Kopfen.  —  Die  weiteren  Details  ergeben  sich  aus  der  folgenden 
tabellarisehen  Zusammenstellung. 

Diese  Zusammenstellung  gibt  die  fiir  verschiedene  Garnnummern  angewendeten 
Mascbinensortimente,  deren  Hauptdimensionen,  die  Spindelgescbwindigkeiten  der 
Spindelbanke  und  die  Anzahl  der  Feinspindeln,  welche  eine  Vorspindel  zu  versorgen 
vermag. 

Der  ungefahre  Kraftbedarf  der  einzelnen  Maschinen  fiir  mittlere  Garnnum- 
mern betragt  nach  Prof.  Hartig: 

Fiir  eine  Anlegemaschine  pro  Band  0.17  Pferdekraft;  fiir  eine  erste  Streck- 
maschine  pro  Kopf  0.29  Pf.  und  pro  Band  0.026—0.096  Pf. ;  fiir  eine  zweite 
Streckmaschine  pro  Kopf  0.25  Pf.  und  pro  Band  0.022—0.069  Pf.:  fur  eine 
Spindelbank  pro  Spindel:  0.023—0.038  Pf. 


Flachsspinnerei. 


551 


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Erste  Strecke 
Zweite  Strecke 
Spindelbank 

Anlegemascbine 
Erste  Strecke 
Zweite  Strecke 
Spindelbank 
Anlegemascbine 
Erste  Strecke 
Zweite  Strecke 
Spindelbank 

Anlegemascbine 
Erste  Strecke 
Zweite  Strecke 
Spindelbank 

Anlegemascbine 
Erste  Strecke 
Zweite  Strecke 
Spindelbank 
Anlegemascbine 
Erste  Strecke 

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552  Flachsspinnerei  (Feinspinnen). 

Der  mittlere  auf  den  Umfang  der  Streckwalzen  reducirte  Widerstand  in 
Kilogr.  ist  etwa:  Bei  der  Anle^e  31.4,  bei  dem  ersten  .Flachsdurchzug  15.3,  beim 
zweiten  Flachsdurchzug  9.87,  bei  der  Spindelbank  7.81. 

Bezeichnet  man  daher  nach  Dr.  Hartig  mit  D  den  Durchmesser  der 
Streckwalzen  in  Meter;  mit  U  die  Umdrehungen  desselben  pro  Minute;  n  Anzahl 
der  Bander  der  Spindeln ;  p  obigen  Widerstand  auf  den  Umfang  der  Streckwalzen 
bezogen;  /  Coefficient  fur  die  normalen  Stillstande  der  Maschine;  N  Betriebskraft 
der  Maschine  in  Pferdestarken ;  so  ist  fur  sammtliche  Maschinen: 

4)  Das  Feinspinnen  auf  der  Feinspinnmaschine.  Das  Vorgarn  wird 
bis  zu  einer  dem  Feingarne  entsprechenden  Feinheit  ausgezogen,  der  gestreckte 
Faden,  urn  ihm  Zusammenhang,  Festigkeit,  zu  geben,  geniigend  gedreht  und 
schliesslich  auf  Spulen  aufgewunden.  Die  Feinspinnmaschinen  sind  stets 
nach  dem  Systeme  der  Water-  oder  Drossel-Maschinen,  bei  welchem  diese  drei 
Verrichtungen  in  ununterbrochener  Folge  geschehen,  gebaut  (s.  Baumwollenspinnerei 
pag.  352).  Die  Maschinen  haben  demnach  ein  Streckwerk  zum  Verziehen  des 
Vorgarnes,  dann  Spindeln  mit  Fliigeln  und  Spulen  zum  Drehen  des  gestreckten 
Fadens  und  unmittelbarem  Aufwinden  des  so  gebildeten  Feiugarnes. 

Das  Streckwerk  erhalt  aber  bei  diesen  Maschinen  eine  verschiedene  Anord- 
nung,  je  nachdem  das  Vorgarn  trocken,  oder  unter  Anfeuchtung  mittels  kalten 
Wassers  (halbnass)  oder  endlich  unter  Anwendung  von  heissem  Wasser  (nass) 
versponnen  wird,  und  kann  man  dem  entsprechend  unterscheiden :  Trocken-, 
Halbnass-  und  Nass-Feinspinnmaschinen. 

Die  Trockenspinnmaschine  {metier  a  filer  a  sec  —  dry  spinning 
frame,  long  reach  spinning  frame)  hat  eine  der  durchsclmittlichen  Faserlange 
des  Flachses  im  Vorgarn  entsprechende  Distanz  im  Streckwerk  von  18  bis  22 
Zoll  engl.  zz  0.457  bis  0.558  Meter.  Da  nun  der  Vorgarnfaden  bereits  etwas 
gedreht  ist,  so  kann  eine  Unterstiitzung  desselben  zvvischen  Einzieh-  und  Streck- 
walzen durch  ein  Hechelsystem  wie  bei  den  Vorbereitungsmaschinen  nicht  statt- 
finden,  sondern  es  geniigt,  denselben  liber  eine  glatte  Rhine  aus  Weissblech, 
oder  zwischen  einigen  Walzenpaaren  oder  um  einzelne  Walzen  herum  und  uber  eine 
verstellbare  Platte  bis  zu  den  Streckwalzen  zu  fiihren.  Es  sind  bei  diesen  Ma- 
schinen entweder  drei  Einziehwalzen  wie  bei  den  Streckmaschinen  oder,  was  ge- 
wohnlicher  ist,  nur  zwei  eiserne  stark  geriffelte  vorhanden,  von  denen  entweder 
die  vorderen  oder  hinteren  die  Druckwalzen  sind.  Die  Druckwalzen  der  Streck- 
cylinder  werden  gewohnlich  aus  Holz  hergestellt. 

Eine  Trockenspinnmaschine  zeigt  die  Fig.  1668  im  Querschnitt.  Die  Ma- 
schine ist  zweiseitig,  wahrend  die  Figur  nur  die  eine  Halfte  und  die  wichtigsten 
arbeitenden  Theile  vorfuhrt. 

Auf  einem  Rahmen,  im  pbersten  Theile  der  Maschine,  sind  neben  einander 
tiber  diinnere  Drahtstifte  die  Vo^spinnspulen  A  aufgesteckt,  von  welchen  die  Fa'den 
durch  Oeffnungen  der  Fiihrung  /t  hindurch  nach  den  Einziehwalzen  py  p„  gelangen. 
Die  Walze  pt  ist  durchgehend,  auf  ihrer  ganzen  Lange  mehrmals  gelagert  und 
empfangt  zugleich  die  Bewegung.  Die  hinteren  Walzen  sind  DruckTvalzen  und 
sitzen  zu  je  zwei  auf  einer  gemeinschaftlichen  Achse,  die,  an  den  Enden  in 
Standern  gefiihrt,  in  der  Mitte  belastet  ist.  Beide  Walzen  sind  aus  Eisen  und 
geriffelt.  Die  Lauftlachen  sind  breiter  als  der  Kern  dick ,  und  zwar  etwa 
3/4  bis  iy4  Zoll  engl.  =  19mm  bis  31.74mm.  —  Damit  nun  der  Vorgarn- 
faden nicht  stets  an  ein  und  derselben  Stelle  diese  Walzen  passirt,  ist  die  Fiih- 
rung lt  entweder  verstellbar,  oder  erhalt  mittels  Schnecke,  Schneckenrad  und  einer 
mit  letzterem  excentrisch  verbur.denen  Schubstange  eine  selbstthatige,  ganz  langsam 
in  der  Langenrichtung  bin  und  her  gehende  Bewegung,  so  dass  die  Vorgarnfaden 
alsdann  allmalig    die    gauze  Breite  der  Einzugswalzen  entlang  und  wieder  zuriick 


Flachsspinnerei   (Feinspinnen). 


>53 


gefiihrt  werden,  wodurch  eine  gleichmassige  Abnutzung  derselben    auf  der  ganzen 
Breite  erreicht  und  ein  Einlaufen  an  einer  Stelle  vermieden  wird. 

Bei    Anwendung    von    drei    Einzieliwalzen     sind    zwei    derselben    n.    z.    die 
ausseren  beiden  glatte,  durchgehende,    angetriebene  Cylinder,    wahrend    die    dritte 
zwischen  liegende  aus  kiirzeren,  nur  durcb  Reibung  mitgenommenen  Enden  besteht. 
Diese  Construction  ist  aber  veraltet  und  wird  jetzt  nicht  mehr  ausgefiihrt. 
Die    weitere  Fiihrung    des  Vor- 


Fig.  1668. 


garnfadens  nacb  den  Streckwalzen 
C0  Ox  findet  bei  vorliegender  Ma- 
schine  zunachst  tiber  den  Cylinder 
d0  und  dann  unterhalb  dx  tiber 
die  Fiibrungsplatte  g  hinweg  statt. 
Die  beiden  Cylinder  d0  und  dl  er- 
balten  ebenfalls  Drebung.  Die  Platte 
g  {guild plate)  ist  stellbar,  urn  den 
Faden  eine  grossere  oder  gerin- 
gere  Beriihrungsflache  zu  bieten, 
wodurch  das  Aufdrehen  derselben 
auf  geringere  oder  grossere  Lange 
begrenzt  und  der  hiervon  abhan- 
gende  Zusamnienhang  der  Fasern 
geandert  werden  kann. 

Die  ausseren  Streckwalzen  sind 
gusseiserne,  an  der  Oberflache  ganz 
schwach  eingerissene ,  etwa  ,;{/16 
Zoll  engl.  =  20.5mm  breite  Cylin- 
der, die  sammtlich  auf  einer  durch- 
gehenden  und  angetriebenen  Welle 
befestigt  sind.  Die  Druckwalzen 
sind  aus  hartem  Holz  bergestellt, 
und  sitzen  zu  je  zwei  auf  einer  ge- 
meinschaftlicben  Achse,  die,  an  den 
Enden  in  besonderen  Standern  ge- 
fiihrt, in  der  Mitte  entweder  durcb 
Federn  oder  mittels  Gewlcht  und 
Winkelbebel  belastet  ist.  Zwischen 
der  Platte  g  und  den  Streckwalzen 
wird  jeder  Faden  tiber  ein  seitlich 
aufgebogenes  Leitblech  gefiihrt,  wel- 
ches an  den  Druckwalzen  Ct  Fiihrung 
hat,  urn  einem  Verlaufen  des  Fadens 
vorzubeugen,  und  sicher  zu  erreichen, 
dass  derselbe  stets  vollstandig  von 
den  Streckwalzen  gefasst  wird.  Die 
Streckwalzen  liefern  dann  den  genii- 
gend  fein  ausgezogenen  Faden,  nach- 
dem  derselbe  durch  die  Augen  des 

Fithrungsbrettes  l^  gegangen  ist,  nach  den  Fliigeln  /,  die  rait  den  Spindeln  jS 
bewegt  werden,  zu  den  Spulen  e.  Durch  die  Bewegung  der  Spindeln  und  Fliigel 
erhalt  der  Faden  die  nothige  Drebung,    und    zwar    ist  dieselbe  pro  Langeneinheit 

D  z=z  —=-  wo  S  die  Umdrehungen  der  Spindeln  in  der  Minute  und  L  die  in  der- 
selben Zeit  von  den  Sireckwalzen  gelieferte  Fadenlange  bedeuten.  Die  Spindeln 
mit  Spulen  und  Fliigeln  stehen  in  der  Langenrichtung  der  Maschine  dieht  neben 
einander,  soweit  es  die  Dimensionen  der  Fliigel  gestatten,  und  nennt  man  die 
Entfernung  je  zweier  derselben  die  Theilung  (pas,  denture  —  pitch)  der  Maschine. 


Trockenspiimmaschine. 


554  Flachsspinnerei. 

Das  Aufwinden  des  gesponnenen  Games  findet  stets  nach  Massgabe  des  Zuruck- 
bleibens  der  Spule  gegen  die  Spindel  statt.  Die  Spulen  erhalten  keine  besondere 
Bewegung,  sondern  werden  durch  die  Spannung  des  Fadens  allein  mitgenommen. 
Das  Zuriickbleiben  derselben  wird  regulirt  durch  vermehrte  oder  verminderte 
Reibung,  hervorgebracht  durch  beschwerte  Bremsschniire  r,  welche  mehr  oder  weniger 
um  den  eingedrehten  Fuss  der  Spule  herumgelegt  und  durch  zahnartige  Ein- 
kerbimgen  der  Spulenbank  festgehalten  werden.  Sammtliche  Spulen  ruhen  auf 
einer  Spulenbank  b,  welche  eine  auf  und  nieder  gehende  Bewegung  annimmt  und 
dadurch  das  schichtenweise  Aufwickeln  der  Faden  auf  den  Spulen  bewirkt. 
Die  Auf-  und  Abbewegungsgeschwindigkeit  bleibt  wahrend  der  Ftillung  der  Spulen 
dieselbe  und  ist  eine  dem  mittleren  Durchmesser  derselben  angemessene ;  sie 
wird,  meist  von  einer  Herzscheibe  hervorgebracht,  durch  Hebel  und  Ketten  auf 
die  Geradfiihrung  der  Bank  itbertragen.  Die  Bewegung  der  Spindeln  geschieht 
von  der  Trommel  T  aus  durch  Schniire,  bei  schwereren  Maschinen  durch  baum- 
wollene  Bander  auf  die  Wlirtel  w  derselben. 

Von  der  Achse  0  dieser  aus  Weissblech  gefertigten  Trommel  aus,  welche 
durch  Riemscheiben  angetrieben  wird,  geht  die  Bewegung  unter  Zwischenschaltung 
eines  Uebersetzungsrades  und  Drehungsweehselrades  auf  den  Streckcylinder  C0 
iiber,  von  diesem  alsdann  —  auf  der  anderen  Seite  der  Maschine  —  aufwarts 
nach  den  Walzen  d0  dt  und  die  Einzugswalze  ■p1  unter  Einfiigung  des  Verzugs- 
wechselrades. 

Die  Maschinen  werden  je  nach  den  Garnnunimern,  welche  auf  ihnen  ge- 
sponnen  werden  sollen,  etwas  verschieden  gebaut.  *) 

Die  Halbnassfein spin n maschine  weicht  nur  wenig  von  der beschrie- 
benen  Maschine  ab.  Die  Distanz  des  Streckwerkes  ist  auch  hier,  wie  bei  der 
vorigen,  mit  der  Lange  der  Fasern  iibereiustimmend ;  es  findet  aber  auf  dem  Wege 
zwischen  Einzieh-  und  Streckwalzen  oder  zwischen  den  Streckwalzen  selbst,  ein 
Anfeuchten  cles  Vorgarnfadens  mittels  kalten  Wassers  statt,  wodurch  ein  glat- 
teres,  runderes  Garn  vor  schonerem  Aussehen  erzeugt  wird,  das  sich  besonders 
zu  solchen  Geweben  eiguet,  die  roh  bleiben  sollen.  Am  haufigsten  wird  das 
Anfeuchten  dadurch  bewirkt,  dass  man  die,  wie  in  der  letzten  Figur  1668  ange- 
ordneten  Streckdruckwalzen  Cx  in  einem  Wassertroge  sich  bewegen  lasst,  so  dass 
sie  bei  ihrer  Umdrehung  geniigend  Wasser  mit  empornehmen  und  an  den  zu 
streckenden  Faden  abgeben.  Die  Druckwalzen  sind  in  diesem  Falle  aus  Buchs- 
baumholz  hergestellt,  die  vorderen  Streckcylinder  —  des  Rostens  wegen  —  aus 
Messing. 

Die  Nassfeinspinnmaschine  (metier  a  filer  a  Vau  chaude,  ou  de 
decomposition  —  hot  water  spinning,  short  reach  spinning  frame).  Bei  diesen 
Maschinen  wird  der  Vorgarnfaden,  ehe  er  zu  den  Einzugswalzen  gelangt,  durch 
heisses  Wasser  gezogen.  Wir  erwahnten  im  Artikel  Flachs  pag.  529  einer  eigen- 
thumlichen  Beschaffenheit  und  Eigenschaft  der  Flachsfaser,  namlich  dass  dieselbe 
aus  kurzeren  Elementarzellen  besteht,  welche  unter  einander  durch  ein  klebriges 
Bindemittel  zusammengehalten  werden,  welches  durch  Chromsaure  oder  Kalilauge 
ganzlich  gelost,  durch  heisses  Wasser  aber  so  weit  erweicht  werden  kann,  dass 
ein  Auseinanderziehen  derselben  —  ohne  Abreissen  der  Fasern  —  mbglich 
ist.  Nachdem  daher  bei  dem  Spinnen  mittels  heissen  Wassers  die  Vorgarnfaden 
dasselbe  passirt  haben,  gelangen  sie  zu  einem  Streckwerk,  das  eine  nur  der  Lange 
der  Elementarzellen  entsprechende  Distanz  von  2  bis  4  Zoll  engl.  zzz  50.8  bis 
101mm  hat,  so  dass  das  Auseinanderziehen  dieser  erfolgen  muss.  Die  Prioritat 
dieser  Idee,  welche  es  erst  ermbglichte  Flachsgarn  hbherer  Nummern  (grosserer 
Feinheit)  maschinenmassig  zu  spinnen,  gebiihrt  Philipp  de  Girard,  wie  pag.  530 
erwahnt  wurde. 


*)  Die  Redaction  sail  sich  zu  ihrem  Bedauern  durch  den  besclirankten  Raum  nicht  nur 
zur  Weglassung  der  diesbezuglichen  Tabellen.  sondern  iiberhaupt  zu  ganz  bedeutenden 
Kiirzungen  dieses  sehr  eingehend  bearbeiteten  Artikels  gezwungen.     Kk. 


Flachsspinnerei  (Feinspinnen).  555 

Auf  trockenem  oder  halbnassem  Wege  vermag  man  aus  groben  Flacbsen 
Garn  Nr.  1  bis  8  zu  Sack-  und  Packleincu,  aus  feineren  Flacbsen  Garn  Nr.  1 0 
bis  30  zu  erzeugen ;  bei  Anwendung  von  heissem  Wasscr  spinnt  man  Flachsgarn 
von  Nr.  20  bis  Nr.  300,  docb  sind  die  hoheren  Numraern  nur  fiir  bestimmte 
Zwecke,  z.  B.  zur  Herstellung  von  Zwirnen  und  zu  Garnen  fur  die  Spitzenfabri- 
kation  etc.  gebrauchlich.  Auf  dem  Continente,  wenigstens  in  osterreichischen  und 
deutscben  Spinnereien,  werden  meist  nur  Game  bis  Nr.  130  gesponncn.  Die 
feinsten  Game  aus  gescbnittenem  Flachs  (cut  line)  werden  fast  ausnabmslos  in  den 
irlandiscben  Spinnereien  und  zwar  in  schonster  Vollendung  hergestellt,  und  gelingt 
es  den  deutschen  und  osterreichischen  Spinnern  nicht,  mit  Vortheil  in  diesen 
Nummern  zu  concurriren. 

Das  Trocken-  nnd  Halbnassspinnen  des  Flachses  kommt  jetzt  nur  noch  wenig 
zur  Ausfiihrung,  und  sind  die  Game  in  den  Nummern  1  bis  8  durch  die  billi- 
geren,  schoneren,  aber  schwacheren,  aus  Jute  gesponnen,  in  weiterer  Ausdehnung  bereits 
verdrangt  worden. 

Das  Nassfeinspinnen  ist  daher  tiberwiegend  im  Gebrauch.  Die  hierdurch 
mogliche  vortheilhaftere  Ausnutzung  des  Flachses  stellt  sich  etwa  so,  dass  Flachs 
trocken  zu  Garn  Nr.  25,  beim  Spinnen  mittels  heissen  Wassers  zu  Nr.  40 
verarbeitet  werden  kann. 

Eine  Nassfeinspinnmaschine  zeigt  die  folgende  Fig.  1669  im  Querschnitt. 
Die  Maschinen  werden  stets  doppelseitig,  also  mit  2  Reihen  Spindeln  gebaut  und 
geschieht  der  Antrieb  auf  eine  beiden  Seiten  gemeinsame  Riemscheibe  auf  der 
Trommelachse  0.  Durch  Ausriicken  des  Riemens  kommen  daher  beide  Seiten 
gleichzeitig  zum  Stillstande.  Die  Vorspinnspulen  A  sind  in  2  Etagen  im  Spulen- 
gestell  (2  storys  in  Creel)  angeordnet  (die  obere  ist  in  der  Figur  weggelassen) 
und  gehen  die  Vorgarnfaden  zunachst  tiber  die  Stabe  v  v  in  den  Trog  _D,  der 
zum  grossten  Theil  mit  Wasser  gefiillt  ist,  welches  durch  das  Dampfrohr  k  auf 
einer  bestimmten  Temperatur  (von  50°  bis  70°  R.)  gehalten  wird.  Durch  die 
Fiihrungen  I  l0  in  diesem  Wasser  moglichst  lange  gefiihrt,  treten  die  Faden  iiber 
die  vordere  abgerundete,  mit  Messingblech  bekleidete  Kante  des  Troges  zwischen 
die  Einschnitte  der  Fiihrungsleiste  ll}  welche  dieselbe  Hin-  und  Herbewegung  an- 
nimmt,  wie  bei  den  Trockenspinnstuhlen  erwahnt  wurde;  gelangen  dann  zu  den 
Einzugswalzen  p1  p„  und  von  diesen  direct  zwischen  die  Streckwalzen  C0  Ct. 

Es  sind  hier  stets  die  vorderen  Walzen  die  Druckwalzen,  und  es  wird  je 
ein  Einzugs-  und  Streckdruckwalzenpaar  durch  einen  gemeinschaftlichen,  in  ver- 
schiedener  Weise  construirten  Sattel  mit  Hilfe  von  Zugstange  und  Gewichtshebel, 
auf  die  unteren  Walzen  gedritckt.  Die  vorderen  und  hinteren  Einziehwalzen, 
sowie  die  hinteren  Streckwalzen  sind  stets  aus  Messing  und  zwar  um  einen 
Eisencylinder  herumgegossen.  Die  Streckdruckwalzen  werden  entweder  aus  Buchs- 
baumholz,  Gutapercha  oder  aus  verschiedenen  Compositionen  hergestellt  und  sind 
zu  je  2  auf  einer  Achse  festgeschraubt. 

Alle  Walzen  sind  stark  und  rund  geriffelt,  um  einem  Gleiten  der  Faden  zwischen  den 
Cylindern  vorzubeugen.  Zur  Berechnung  der  Umfaugsgeschwindigkeit  ist  es  aus  diesem 
Grunde  nothig,  den  Umfang  der  Walzen  durch  Probiren  zu  ermitteln,  da  man  denselben  durch 
Rechnung  auf  gewohnliche  Weise  wegen  der  Eifflung  nicht  finden  kann.  Man  lasst  deshalb 
sovvohl  zwischen  den  Einzugs-  wie  Streckwalzen  einen  geniigend  langen  Papierstreifen  hin- 
durchgehen,  nachdem  man  vorher  einen  Eiffel  der  Unterwalzen  mit  Farbe  bestrichen  hat.  Ist 
der  Papierstreifen  von  den  Walzen  abgeliefert,  so  wird  er  ausgestrichen,  gegliittet,  und  es  gibt 
dann  die  Lange  zwischen  je  zwei  Abdriicken  des  gefarbten  Eiffels  den  Umfang  der  Walzen 
an.  Zum  Messen  des  Umfanges  der  Einzugswalzen,  zwischen  denen  der  dicke  Vorgarnfaden 
hindurchgeht,  muss  man  einen  starkeren,  mehrmals  zusammengefalteten  Papierstreifen,  der 
einigermassen  mit  der  Dicke  desselben  iibereinstimmt,  anwenden,  um  die  wirklich  abgewickelte 
Lange  zu  erhalten.  Bei  den  Streckwalzen  ist  diese  Vorsicht  nicht  nothig,  da  der  Faden  durch 
die  Streckung  hier  bereits  sebr  diinn  geworden  ist.  Den  Umfang  der  Walzen,  wenn  der 
aussere  Durchmesser  derselben  (iiber  die  Eiffeln  gemessen)  gegeben  ist,  findet  man  aunahernd 


556  Flachsspinnerei. 

(lurch  Rechnung,  wenn  derselbe  mit  3 '44  multiplieirt  wird.  (Es  ergab  eine  Messung  bei  den 
Durchmessern  von  21/2,  l3/4i  lV'i  Zoll  engl.  beispielsweise  die  Umfange  8'6,  61  und  5  Zoll, 
woraus  obige  Zahl  folgt.) 

Die  Streckwalzen  liefern  den  gestreckten  Faden  durch  die  Oeffnungen  des 
Fadenfukrers  l„  nach  den  auf  Spindeln  S  sitzenden  Flilgeln  /  und  der  durch 
beschwertes  Bremsband  r  gebremsten  Spule  e  ah,  welche  Anordnung  also  mit  der 
bei  den  Trockenspinninaschinen  erwahnten  iibereinstimmt.  B0  Bt  sind  Spritzbleclie 
urn    das    bei    der   Rotation    der  Spindeln  umliergeschleuderte  Wasser  aufzufangen, 

Fig.  1669. 


en  fiY^m    mi-^ 


t^Lir 


Nassspinnmas  chine. 


in  Rinnen  u  zu  sammeln  und  seitlich  abzuleiten.  Die  Spindeln  S  werden  von  der 
Trommel  T  durch  YViirtel  w  mittels  Schnuren  (oder  Bander)  angetrieben.  Die 
hintercn  Streckcylinder  erhalten  von  der  Trommelachse  0  aus  ihre  Bewegung 
unter  Zwischenschaltung  eines  Drehungswechselrades  fiir  beide  Seiten  der  Maschine. 
Von  dem  Streckcylinder  aus  geht7  auf  der  anderen  Seite  der  Maschine,  die  Be- 
wegungsubertragung  unter  Zwischenfiigung  des  Verzugswechselrades  nach  oben  zu 


Flachsspinnerei  (Feinspinnen). 


557 


clem  hinteren  Einzugscylinder.  Die  Auf-  und  Abbewegung  der  Spulenbank  b  ist 
in  vorstehender  Figur  1669  etwas  naher  angegeben.  Die  von  der  Trommelachse 
ausgehende,  durch  mehrere  Uebersetzungsrader  gehorig  verlangsamte  Bewegung 
geht  auf  die  Achse  Q  iiber,  auf  der  das  Herz  II  befestigt  ist;  durcb  dessen 
Drehung  die  Hebel  h  h  nach  beiden  Seiten  bin  immer  in  entgegengesetzter  Rich- 
tung  bewegt  werden.  Hebel  li  pflanzt,  wie  rechts  sichtbar,  mittels  Kette  seine 
Drehung  an  eine  Scheibe  fort,  welche  auf  der  durchgehenden  Achse  7  festsitzt 
und  wodurch  diese  ihre  Drehung  bekommt.  Auf  dieser  Achse  sitzen  in  der  Lan- 
genrichtung  der  Maschine  mehrere  andere  Scheiben  i,  an  denen  Grelenkketten  be- 
festigt sind,  deren  untere  Enden  mit  den  Fiihrungsstangen  m  verbunden  sind. 
Diese  Stangen  gehen  zwischen  den  Spindeln  durcli  bis  unter  die  Spulenbank, 
die  also  mit  ihren  sammtlichen  Spulen  auf  ihnen  ruht.  Die  durch  Hebel  h  her- 
vorgebrachte  Drehung  der  Welle  q  bewirkt  ein  Emporgehen  der  Stangen  m,  eine 
Hebung  der  Bank  b,  anderseits  das  Gewicht  derselben  ein  Niedersinken  und  eine 
Rtickdrehung  der  Welle  q  und  des  Hebels  li  in  dem  Masse,  wie  es  das  Herz 
bei  seiner  zweiten  halben  Drehung  zulasst. 

Anstatt    dieser   Herzbewegung   findet  man  auch  haufig    eine    Mangelrad-Con- 
struction  angewendet. 

Hinsichtlich  weiterer  Details 
weichen  nun  diese  Maschinen  eini- 
germassen  von  einander  ab ,  na- 
mentlich  in  Bezug  auf  die  Anord- 
nung  der  Sattel,  der  Hebungsvor- 
richtung,  der  Spindel  und  Spulen 
u.  s.  w.  Wir  konnen  an  dieser 
Stelle  hierauf  nicht  naher  eingehen 
und  erwahnen  nur  noch  folgende, 
besonders  eigenthiimliche  Anord- 
nung,  indem  wir  auf  einige  weitere 
in  Prechtl's  techn.  Encyclopadie 
III  153  beschriebene  verweisen. 

Nassfeinspinnmaschine  von  John 
Wood  in  Leeds,  welche  in  der  neben- 
stehenden  Figur  1670  im  Querschnitt 
abgebildet  ist.  Die  Maschine  ist 
ebenfalls  zweiseitig,  jedoch  hat  jede 
Seite  zwei  Reihen  Spindeln,  und 
zwar  liegt  die  vordere  Reihe  der- 
selben tiefer  als  die  hintere,  um 
letztere  zuganglich  zu  machen.  Jede 
Seite  der  Maschine  hat  eine  be- 
sondere     Trommel     zum      Antrieb. 

—  Durch  diese  Anordnung  ist  der 
zur  Aufstellung  einer  bestimmten 
Spindelzahl      nothige      Raum     sehr 

Maschinen    bei    uns    gar    nicht    Eingang 


Wood's  Nassspinnmaschine. 


Trotzdem     haben     diese 


vermindert. 
gefunden. 

Es  eriibrigt  zunachst  noch  eiuige  Worte  iiber  die  Temperatur  des  "Wassers  zn  sagen, 
durcli  welches  das  Vorgarn  gezogen  wird,  ehe  es  zu  den  Einziehwalzen  gelangt.  Wir  sagten 
diese  Temperatur  liege  etwa  zwischen  50  und  70°  R.  und  ist  die  AVahl  derselben  abliangig- 
von  der  Beschaffenheit  des  Flachses  und  dem  Grade  der  Drehung  des  Vorgarnes.  Die  niederste 
Temperatur  hat  man  bei  schwachen,  wenig  haltbaren  Rasenflachsen  und  lose  gedrebtem  Vor- 
garn, die  hochste  Temperatur  bei  festen,  kernigen  Wasserflacbsen  und  scbarfer  gedrebtem 
Vorgarn  anzuwenden.  Ist  z.  B.  die  Temperatur  fur  einen  bestimmten  Fall  zu  hoch,  so  wird 
die  Erzeugung  eines  gleichmassig  dicken  Games,  wenn  auch  das  Vorgarn  gut  ist.  haufig  nicht 


5*58  Flachsspinnerei  (Wergspinnerei). 

gelingen,  da  die  zu  weit  gehende  Enveiebung  des  Bindemittels  der  Elementarzellen  die  Halt- 
barkeit  des  "V  orgarnfadens  so  weit  beeintracbtigen  kauri,  dass  derselbe  die  ReibuDgswiderstande 
von  den  Spulen  bis  zu  den  Einziebwalzen  nicht  auszuhalten  vermag,  sondern  sich  auf  diesera 
Wege  entweder  bereits  ungleich  streckt,  oder  ganz  auseinander  gebt.  1st  anderseits  die 
Wassertemperatur  fiir  ein  bestimmtes  Vorgarn  zu  niedrig,  so  iindet  die  Erweichung  des  Binde- 
mittels nicbt  geniigend  statt;  die  Streckwalzen  sind  nicbt  im  Stande  das  Auszieben  des  Vor- 
garns  ricbtig  auszufiihren;  es  tritt  ein  unegaler  Verzug  auf,  oder  das  Vorgarn  geht.  ohne 
iiberbaupt  gestreckt  zu  sein,  durch  die  Walzen.  Es  ist  desbalb  Sacbe  der  Erfabrung,  die 
ricbtige  Temperatur  fiir  ein  bestimmtes  Vorgarn  zu  treffen,  und  sind  die  angegebenen  Tem- 
peraturen  etwa  als  Grenzwerthe  anzusehen. 

Alle  Art  en  Flachsfeinspinnmaschinen  werden  je  nacli  den  Garnnumniern, 
welche  auf  ihnen  gesponnen  werden  sollen,  verschieden  in  der  Distanz  und  der 
Theilung  (reach  u.  pitch),  sowie  in  den  hiervon  abhangenden  Riffelungen  der 
Walzen,  Walzendurchmessern,  Gescbwindigkeiten  der  Spindeln  u.  s.  w.  ausgefiihrt. 

Ueberden  Kraftbedarf  der  Trockenspinnmaschinen  liegen  zuverlassige  Resultate 
nicbt  vor. 

Fiir  eine  Nassfemspinnrnasckine  zu  den  G-arnnummern  25 — 40  betragt  die 
Betriebskraft  nacb  Prof.  Hartig  pro  Spindel  0.012—0.027  Pf.  der  mittlere  auf 
den  Umfang  der  Streckwalzen  reducirte  Widerstand  in  Kilogr.  10.8,  and  es  gilt 
zur  Berecbnung  der  gesammten  Betriebskraft  einer  Mascbine  dieselbe  Formel, 
welcbe  bei  den  Vorbereitungsmaschinen  gegeben  wurde. 

Die  auf  das  Feinspinnen  folgenden  Arbeiten  stimmen  mit  denen  in  der 
Wergspinnerei  iiberein  und  finden  dort  ibre  Besprecbung. 

Die  Werg-  oder  Heede-Spinnerei  umfasst  die  Verarbeitung  der  beim 
Hecheln  des  Flacbses  ausgekamniten  kiirzeren,  verworrenen  und  vielfach  ver- 
schlungen,  durcheinander  liegenden  Leinenfasern,  die  mebr  oder  weniger  rnit  Schaben 
und  Staubtbeilen  verunreinigt  sind,  und  wird  das  aus  demselben  erzeugte  Garn 
—  im  Gegensatz  zum  Flacbsgarn  —  Werg-,  Heede-  (Tow)  Garn  genannt. 

Die  Verarbeitung  der  Leinenfaser  in  diesem  Zustande  beginnt  zunacbst  mit 
einem  Reinigungs-  und  Auflockerungs-Processe  und  der  Bildung  von  Bandera  aus 
den  losen  Fasern.  Dieser  Process  kann  je  nach  dem  Grade  der  Verunreinigung  des 
Materials  in  verscbiedener  Weise  ausgefubrt  werden. 

Bei  sehr  knotiger  und  stark  verunreinigter  Heede  wird  zunacbst  ein  Vor- 
reinigen,  ein  Ausschiitteln  und  alsdann  ein  ein-  oder  zweimaliges  Kardiren  oder 
Krempeln  vorgenommen,  wabrend  bei  besserem  Material  nur  ein  einmaliges  Kar- 
diren notbwendig  ist. 

Abweicbend  biervon  ist  die  Verarbeituug  der  Heede  durcb  einen  Kammprocess 
mittels  Heilman'scber  Kammmascbinen  (man  vergleicbe  spater  Kammgarnspinnerei), 
wodurcb  dasselbe  zu  feineren  Nummern  und  zu  einem  dem  Flacbsgarne  in  Bezug 
auf  Gleicbmassigkeit  vbllig  gleichwertbigen  Game  gesponnen  werden  kann.  Dieser 
Metbode  stebt  bis  jetzt  nocb  die  geringe  Productionsfabigkeit  der  Kammmaschinen 
entgegen,  wodurcb  eine  erbeblicbe  Vertheuerung  des  Productes  entstebt.  Desbalb 
geben  wir  auf  diese  immer  nocb  im  Versuchsstadium  befindlicbe  Verarbeitung 
nicbt  naber  ein,  sondern  besprecben  nur  die  zuerst  erwabnte  und  bis  jetzt  allge- 
mein  gebraucblicbe  Metbode. 

Die  V o r r e i n i g u n g,  der  Schiittelproeess  der  stark  verunreinigten 
Heeden.  Die  zur  Ausfiibrung  dieser  Arbeit  bestimmten  Mascbinen  sind  meist 
Scblagmascbinen  und  abnlicb  construirt  wie  die  in  der  Banmwollenspinnerei  zu 
diesem  Zwecke  angewendeten.  Die  koniscben  Scblagwolfe  (I  pag.  323)  eignen  sich 
ganz  besonders  gut  zur  Auflockerung  und  Reinigung  der  Heeden  und  finden  des- 
balb vielfach  Verwendung,  wabrend  durch  andere  Mascbinen,  wie  beispielsweise 
durch  die  mit  dem  Oefrhen  fiir  Baumwolle  von  Taylor,  Lang  &  Co.  iiberein- 
stimmend  construirte  Schlagmaschine  von  M.  Frenzel  in  Cbemnitz,  die  Heeden 
stark    angegriften    und    die    Fasern    unnbtbig   verkiirzt   werden.     Abweicbend    von 


Flachsspinnerei. 


559 


diesen  Maschinen  ist  die  Rack'sche  Patent-Sehiittel-  und  Auflockerungsmaschine 
(Victor  Rack  &  Co.  in  Zittau),  die  sich  ganz  besonders  gut  fiir  kurze  Heeden 
und  Heeden-Abfalle  eignet.  Diese  Maschine  ist  in  y24  nat.  Grosse  in  folgender  Fig. 
1671  im  Langenschnitt  abgebildet. 

Sie  bestekt  aus  einer  Eeilie  von  Nadellatten,  die  an  den  Enden  auf  je  einem  endlosen 
Riemen  befestigt  sind,  der  sich  mit  aufgenieteten  Vorspriingen  in  die  zahnartigen  Aussparungen 
der  Walzen  $,,  S2,  S3  einlegt.  Walze  ST  ist  die  Betriebswalze,  S2  und  S3  dienen  zur  Fuhrung 
und  Sa  zugleich  zur  Spannung  des  Riemens.  Auf  ihretn  Wege  von  Walze  S2  nach  St  linden 
die  Latten  durch  Fiihrungen  /  Unterstiitzung,  so  dass  ein  System  horizontal  fortschreitender 
Nadelreihen  entsteht.  Durch  die  Zwischenraume  je  zweier  Nadeln  einer  Reihe  schlagen  etwas 
starkere  in  einer  Reihe  stehende  Stabe  o,  bis  o61  die  in  holzernen,  auf  beiden  Seiten  im  Gestell 
mit  eisernen  Zapfen  drehbar  gelagerten  Achsen  befestigt  sind.  In  der  Breitenrichtung  der 
Maschine  sind  25  Nadeln  auf  jeder  Leiste  und  24  Schlagstabe  in  jeder  Reihe  vorhanden.  Die 
hin  und  her  schwingende  Bewegung  derselben  geht  von  der  Achse  der  Walze  S2  ausundwird 
durch  Kurbel  und  Schubstange  an  den  auf  der  Achse  der  Stabreihe  o,  sitzenden  Schlitzhebel 
und  von  da  durch  zwei  Kupplungsstangen   auf  die  Schlitzhebel   der  auderen  Stabreihenachsen 

Fig.  1671. 


Rack's  Schiittel-  und  Auflockeruna'smaschine. 


iibertragen.  Diese  Anordnung  erlaubt  den  Ausschlag  der  Stabe  zu  andern.  —  In  der  gezeich- 
neten  Verbindung  nimmt  der  Ausschlag  der  Stabe  von  Reihe  o6  bis  o3  hin  ab  und  von  da 
bis  o,  wieder  zu.  Die  Zufiihrung  des  Materials  geschieht  durch  Auflegen  auf  das  endlose 
Tuch  T.  Die  ausgeschiittelten  Schaben-  und  Schmutztheilchen  fallen  zwischen  den  Latten 
hindurch  in  den  Kasten  K,  wahrend  die  gereinigto  Heede  unterhalb  der  Walze  s,  aus  den 
Nadeln  herab  auf  Tuch  Tx  fallt  und  von  diesem  fortgefiihrt  wird.  Der  Antrieb  der  einzelnen 
Theile  geht  aus  der  Figur  hervor.  Die  Geschwindigkeit  des  Hecheltuches  ist  30  Meter  in 
der  Minute. 

Der  K  rem  pel-  oder  Kardi  rungs  pro  cess.  Derselbe  wird  durch 
Karden  oder  Krempel  {card  —  card)  bewirkt,  welche  ahnlich  wie  die  Bauin- 
wollenkrempel;  aber  stets  Circular-Roller  Karden,  d.  h.  auf  deni  ganzen  Unifange 
cler  Haupttrommel  mit  Rollers  umgeben  sind.  (Vergl.  Baumwollsp.  I  pag.  334.") 
Die  Aufgabe  des  Krempelprocesses  ist  zunachst  die  Entwirrung,  Aufloekerung  und 
Zertheilung  der  Fasern,  die  Abscheidung  der  Schaben-  und  Schmutztheilchen  und 
der  ganz  kurzen  Fasern,    die    das    zu    erzeugende  Garn    rauh  und  knotig  machen 


560  Flachsspinnerei. 

wiirden,  alsdann  aber  die  gleichmassige  Vertheilung  und  Ordnung  der  im  Roh- 
materiale  vollstandig  win*  und  regellos  durch  einander  liegenden  Fasern,  so  dass 
sie  in  dem  gebildeten  Bande  vorwiegend  nacli  der  Langenrichtung  desselben  zn 
angeordnet  und  ganz  quer  liegende  Fasern  nicht  vorhanden  sind.  Je  vollstandiger 
diesen  Bedingungen  genitgt  ist;  desto  bessere  Resultate  ergibt  der  folgende  Streck- 
und  Doublirprocess. 

Den  Krempelprocess  pflegte  man  friiher  meist  zweimal,  auf  der  Vorkarde 
(carde  briseuse  —  breaking  card)  und  der  Feinkarde  (card  finisseuse  —  finis- 
hing card)  vorzunehmen,  begniigt  sich  aber  neuerdings  fast  stets  mit  einem  ein- 
maligen  Kardiren,  indem  man  der  Karde  weniger  Material  in  derselben  Zeit  zur 
Verarbeitung  ubergibt. 

Die  Vorkarde  unterscheidet  sich  von  der  Feinkarde  meist  nur  durch  minder  feine  Be- 
schlage und  weitere  Stellung  der  Walzen.  Haufig  fehlt  der  Feinkarde  der  Zufuhrungstisch, 
indem  die  Bander  der  Vorkarde  auf  Holzwalzen  zu  Wickeln  {laps)  mittels  der  Wickelmaschine 
gewunden  werden,  von  denen  stets  drei  neben  einander  in  Gestellen  eingelegt  der  Karde  vor- 
gesetzt  werden.  Ebenso  haufig  aber  setzt  man  die  Kannen  der  Vorkarde,  wenn  zweimal 
kardirt  werden  soil,  der  Feinkarde  vor,  die  dann  einen  eben  solchen  Zufuhrungstisch  wie 
erstere  hat.  Die  Wickelmasckinen  sind  ubereinstimmend  mit  denen  in  der  Jute-Spinnerei 
gebrauchten  construirt  und  sollen  daselbst  naher  besprochen  werden. 

Eine  Karde  mit  Zufuhrungstisch  ist  in  der  folgenden  Figur  1672 
in  Y24  naturlicher  Grosse  dargestellt. 

Sie  besteht  aus  einer  Trommel  T  von  1.52m  (5  Fuss  engl.)  Durchmesser 
und  1.82m(6  Fuss  engl.)  Breite,  welcher  das  auf  drei  endlosen  Tuchern,  Tischen 
z  [tablier  —  feeding  cloth)  ausgebreitete  Material  in  dreiAbtheilungen  durch  die 
Speisewalzen  el  e2  {cylindre  fournisseurs  —  feeding  rollters)  zugefiihrt  wird. 
Auf  die  Speisewalzen  folgt  eine  dicht  am  Umfange  der  letzten  e2  und  der  Trommel 
sich  bewegende  Walze  W0,  Speisewendewalze  (debourreur  fournisseur — feeding 
stripper)  genannt,  alsdann  folgen  7  Paar  mit  dem  Umfange  der  Trommel  und 
unter  sich  in  naher  Beriihrung  befindliche  Walzenpaare  Wt  Ay  bis  W~  A17  jedes 
aus  einer  Wendewalze  W  (debourreur  —  stripper)  und  einer  Arbeitswalze  A 
(travailleur  ■ —  worker)  bestehend.  Auf  diese  folgen  drei  grosse  Walzen,  die 
Abnehme-  oder  Kammwalzen  Dx   Z)2  Z)3   (peigneurs  —  doffers). 

Die  Trommel  und  sammtliche  Walzen  sind  mit  Beschlagen  versehen;  die 
von  denen  bei  den  Baumwollkrempeln  benutzten  insofern  abweichen,  als  die 
Hackchen  bedeutend  starker  uud  nicht  geknickt  sind,  also  kein  Knie  haben7  son- 
dern  in  schrager  ungebrochener  Linie  aus  dem  Befestigungsmateriale,  meist  Leder 
oder  Holz,  heraustreten.  Nur  die  Nadeln  der  Speisewalzenbeschlage  sind  haufig 
bogenfdrmig  gekriimmt.  Die  Befestigung  der  Hakchen  in  den  Lederstreifen  ist 
dieselbe  wie  Bd.  I  pag.  3.30  angegeben  wurde.  Die  Trommelbeschlage  bestehen  neuer- 
dings haufig  aus  ca.  6cin  breiten  Holzleisten  mit  schrag  eingesetzten  einzelnen 
Nadeln,  die  in  3  Abtheilungen  neben  einander  auf  dem  Trommelumfange  fest 
geschraubt  werden.  Die  Holzleisten  erlauben  allerdings  keine  bedeutende  Schrag- 
stellung  der  Nadeln,  sind  aber  haltbarer  und  leichter  zu  repariren  als  die  viel 
theurern  Lederbeschlage.  Die  erwahnte  Beschaffenheit  der  Beschlage  gibt  denselben 
eine  grosse  Widerstandsfahigkeit,  sie  sind  starr  und  nicht  wie  die  Beschlage  der 
Baumwollenkrempel  nachgiebig.  Die  Wirkung  der  Beschlage  gegen  einander  ist 
aber  im  Uebrigen  ebenso,  wie  I  pag.  331  eingehend  erlautert  wurde,  also  ab- 
liangig  von  der  gegenseitigen  Lage  der  Nadeln  und  deren  Geschwindigkeiten. 

Ebenso  ist  auch  die  Wirkung  der  Arbeiter  und  Wenderwalzen  gleicli  der 
I  pag.  333  besprochenen.  Die  Walzen  _D,  Z>2  D3  entsprechen  dem  Filet  der 
Baumwollkarde. 

Damit  die  Abnahme  der  Heede  moglichst  vollstandig  geschelie,  steht  die 
erste  Abnehmewalze  Dx  am  weitesten,  nimmt  daher  die  grbbsten,  langsten,  aber 
auch  unreinsten  Fasern  von  der  Trommel  ab ;  die  zweite  steht  naher  und  die 
dritte  am  dichtesten,  empfjingt  also  die  feinsten  und  reinsten  Fasern. 


Flachsspinnerei  (Wergkrempel). 


5G1 


Aus  den  Nadeln  der  Abnehmewalzen  werden  die  Fasern  iibereinstimmr-nd 
mit  der  in  drei  Abtbcilungen  bewirkten  Auflage  des  Materials  durcli  die  rasch 
auf-  und  niedergebende  Bewegung  der  Kamme  kt  k„  k.v  audi  II acker  genannt, 
(diinne,  auf  der  Unterseite  fein  gezahnto  Stablschienen),  ausgekammt,  und  zwar 
in  Form  von  drei  fiir  sich  zusammenbangenden  Fliessen,  die  durch  Trichter  tt  t„t^ 
zu  Bandern  zusammengezogen  und  durcli  die  Abzugswalzen  g0gv  g,,'g/,  g0" '  g-," 
verdicbtet  und  weiter  geleitet  werden.  Zur  Reinbaltung  der  Nadeln  der  Abnebme- 
walzen  dienen  die  Burstwalzen   B{    B„  Ba.     Zu   jeder   Abnebmewalze   geboren    3 

Fig.  1072. 


Paar  Abzugswalzen,  die  eine  Breite  von  7.G  bis  10.0cm  baben  und  von  denen 
die  unteren  g0  auf  einer  gemeinsaraen  Acbse  sitzen,  wabrend  die  oberen  gl  Druck- 
walzen  sind.  Von  jeder  Abnebmewalze  kommen  also  drei,  im  Ganzen  daher  neun 
Bander,  die  man  in  verscbiedener  Weise  weiter  leitet.  Sollen  je  3  Bander  einer 
Abnebmewalze  fiir  sich  bleiben,  so  dienen  die  Doublirplatten  Px.Pa  P:i  mit  schrag 
eingesetzten  Zapfen  zur  seitlichen  Ableitung  derselben.  Man  erlialt  alsdann  ein 
grobes,  ein  mittelfeines  und  ein  feines  Band,  jedes  zu  verschieden  feinen  Garn- 
nummern  verwendbar.     Sebr  biiufig  aber  lasst  man,    wie  in  der  Figur  angegeben, 

Kaitnar-sch  &  Heeren,  Techniseb.es  Wbrteibucb    Bd.  111.  q{j 


562  Flachsspinnerei  (Werg-Strecke).. 

die  Bander  der  ersten  Abzngswalzen  mit  den  en  der  zweiten  und  diese  wiederum 
mit  denen  der  dritten  zusammenlaufen,  und  erhalt  so  von  den  letzteren  3  Bander 
mittlerer  Feinheit,  die  wiederum  auf  der  Platte  P3  rechtwinklich  zu  ihrerurspriing- 
lichen  Riclitung  abgeleitet  und  entweder  getrennt,  oder  zu  einem  einzi^en  Bande 
vereinigt,  durch  seitlich  stehende  (in  der  Figur  weggeschnitten  gedachte)  Abzngs- 
walzen in  Blechkanneh  abgeliefert  werden. 

Uie  Geschwindigkeiten  der  einzelnen  Walzen  sind  vom  grossten  Einfluss  auf 
die  Art  der  Arbeit  und  kcinnen,  rait  Ausnabme  der  der  Wendewalzen,  durch 
Wechselrader  innerhalb  ziemlich  weiter  Grenzen  geandert  werden. 

Trommeltouren  zwischen   140 — 180,    gewohnlich  150;    die 
Umfangsgeschwindigkeit  der  Trommel  nahe       12m 
„      Wender  2.7m 

„     Arbeiter  7.6— 44.5 mm 

„  „     Abnehmewalzen  42.3— 99mm 

„  „      Speisewalzen  4 — 12.2mm 

Soil  das  Material  mit  einmaliger  Kardirung  geniigend  bearbeitet  werden, 
so  darf  man  auf  einer  Karde  taglich  nicht  mehr  als  200  bis  250  Kilogr.  ver- 
arbeiten,    und  kann  bei  zweimaliger  Kardirung  bis  350  Kilogr.  gehen. 

Fur  Garn  Nr.  8 — 14  hat  die  Trommel  Bclag  Nr.  13  oder  14;  die  spater 
zur  Wirkung  kommenden  Arbeiter  und  Wender  sind  urn  2  bis  3  Nr.  feiner,  ebenso 
die  Abnehmewalzen  um  4—5  Nummern.  Bei  Garn  Nr.  16  —  22  sind  sammtliche 
Belege  um   1—2  Nr.,  bei  Nr.  25 — 30  um  2 — 3  Nr.  feiner. 

Der  Kraftbedarf  einer  Karde  schwankt   zwischen  1.5  bis  2.5  Pferdekraften. 

Abweichend  von  den  erwahnten  Krempeln  sind  die  von  Dockrey  constniirten.  Die 
Trommel  hat  den  geringen  Durchmesser  von  0.8  Meter  und  ist  nur  von  zwei  Paar  Wende- 
und  Arbeitswalzen,  auf  welche  3  Abnehmewalzen  folgen,  umgeben.  Die  Zufiihrung  des  auf 
dem  Anflegetische  ausgebreiteten  Materials  erfolgt  durch  eine  Muldenspeisewalze.  Zwischen 
den  Arbeitern  und  Wendern  ist  je  eine  gusseiserne,  oben  abgerundete  stellbare  Sehiene  ange- 
ordnet,  welche  bewirken  soil,  dass  das  vom  Wender  dem  Arbeiter  abgenommene  und  iiber 
diese  hinweggezogene  Material  sic-h  gleichmassiger  ablosen  und  vertheilen  soil.  Das  von  der 
ersten  Abnehmewalze  von  der  Trommel  abgenommene  und  durch  einen  auf-  und  niederschwin- 
gemlen  Kamm  von  derselben  ausgekiimmte  Material  geht  sofort  wieder  auf  eine  Muldenspeise- 
walze iiber  und  wird  von  der  Trommel  auf  s  Neue  an  der  Kante  der  Mulde  bearbeltet,  worauf 
es  durch  die  zwei  letzten  Abnehmewalzen  definitiv  abgenommen,  aus  diesen  abgekammt,  duich 
Trichter  zu  je  drei  Bandern  zusammengezogen  und  durch  Abzngswalzen  verdichtet  wird.  Die 
Bander  jeder  Abnehmewalze  werden  durch  die  Doublirplatte  vereinigt  und  durch  zweite  Ab- 
zngswalzen weggeleitet.  Bei  einer  andern  Construction  lauft  je  ein  oberes  Band  mit  dem 
untern  zusammen,  und  gelangen  die  drei  im  Ganzen  abgelieferten  Bander  noch.  durch  einen 
besondern  Streckkopf,  ehe  man  sie  in  Blechkannen  anffiingt. 

An  verschiedenen  Stellen  der  Trommel  sind  Holzschienen  angebracht,  um  den  Einfluss 
der  Luftstromung  auf  die  Fasern  zu  mildern. 

Diese  Karden  sind  bei  uns  nur  in  wenigen  Exemplaren  zur  Anwendung  gekommen  und 
stehen  in  Bezug  auf  die  Qualitat  der  geleisteten  Arbeit  den  zuerst  beschriebenen  bedeutend  nach. 

Die  Kardenbander  werden  mehrmals  doublirt  und  gestreckt  auf  zwei  oder 
drei  Streckmaschinen  und  gehen  alsdann  auf  die  Vorspinnmaschine  iiber. 

Die  Wergstreck-  und  Vorspinnmaschinen  sind  meist  ebenfalls 
mit  einem  aus  Hechelstaben  bestehenden  und  durch  Schrauben  bewegten  Hechel- 
apparat  versehen,  sind  also  im  Princip  gleich  den  Flachsmaschinen  construirt, 
von  denen  sie  nur  durch  einfachere  Bandzufiihrung,  direct  iiber  ein  Zufiihrungs- 
blech,  durch  kiirzere  Distanz  im  Streckwerk  und  leichtere  Bauart  abweichen. 

Ausser  dem  erwahnten  Hechelapparat  benutzt  man  aber  auch  in  der  Wergspinnerei 
rotirende  Hechelstabe,  die  zusammen  einen  Cylindermantel  bilden  und  durch  deren  Nadel  Aus-  und 
Eintritt  in  die  Bander  durch  excentrische  Scheiben  annahernd  geradlinig  bewirkt  wird  (cir- 
cular gills ),  oder  auch  eine  rotirende  Hechelnadelwalze    (rotary  gill),    die   zwischen    Einzieh- 


Flachsspinnerei  (Haspeln  etc.).  563 

unci  Streckwalzen  in  der  Nahe  der  letzteren  gelagcrt  1st.  Beide  Anordnungen  sind  weniger 
gut  als  die  erstere  und  werden  nur  selten  angewendet.  Die  letztere  erlaubt  einen  schnelleren 
Gang  der  Maschinen,  also  eine  grossere  Production,  und  findet  deshalb  bei  Erzeugung  solcher 
Game,  bei  denen  es  besonders  auf  moglichst  billige  Herstellung  ankommt,  Anwendung. 

Das  Fein  spin  nen  des  Wergvorgarnes  findet  ebenfalls  entweder  auf* Trocken-j 
Halbnass-  oder  Nassspinnstiihlen  statt.  Die  ersteren  haben  eine  kleinere  Distanz 
im  Streckwerk,  etwa  20  bis  25em,  es  fallen  daher  die  bei  den  Flachsfeinspinnstiiblcn 
dieser  Art  vorbandenen  besonderen  Fiibrungen  des  Vorgarnes  weg  und  sind  nur 
die  friiher  erwahnten  stellbaren  Leitplatten  und  kurze  seitlich  begrenzte  Bleche 
vorhanden,  welcbe  das  Eintreten    des  Fadens    zwiscben  den  Streckwalzen  sichern. 

Zur  Erzeugung  dicker  Game  aus  der  Scbwing-  und  Abfallheede  bedient 
man  sicb  haufig  eines  sogenannten  Abfallsystems,  bestebend  in  einer  Karde  rait 
einer  Trommel  von  1.22™  Durchmesser,  bei  1.82m  Breite  und  Streckkopf;  dann 
folgt  eine  Streckmascbine  mit  3  Kopfen  a  6  Bandern  und  hierauf  eine  H  e  c  b  e  1  s  p  i  n  n- 
maschine  (gillspinning)    oder    Spindelbankspinnmaschine    (roving-gillsp.). 

Diese  Feinspinnmascbinen  werden  in  beiden  Formen  bis  zu  den  Garn- 
nummern  3  angewendet.  Die  Hecbelspinnmascbinen  besonders  zu  den  grobsten 
Nummern  bis  Nr.  iy2  sind  bis  zu  den  Streckwalzen  ebenso  wie  eine  Vorspinn- 
mascbine  und  von  da  ab  in  Bezug  auf  die  Spindeln  wie  eine  Feinspinnmaschine 
gebaut,  haben  also  nur  eine  Reihe  Spindeln  und  gebremste  Spulen7  wahrend  der 
besondere  Bewegungsmechanismus  derselben  fehlt. 

Die  zweite  Art  der  Feinspinnmaschinen,  die  haufiger  angewendet  wird, 
ist  ebenso  wie  eine  Vorspinnmaschine,  also  audi  mit  zwei  Reihen  Spindeln  tmd 
gemeinsam  bewegten  Spulen  construirt.  Die  Geschwindigkeit  der  Spindeln  und 
die  mdglichen  Drehungen  per  Zoll  sind  nur  bedeutend  grosser  als  die  bei  den 
Vorspinnmaschinen. 

Bei  Anwendung  von  Hechelspinnmaschinen,  fehlt  also  im  System  die  Vor- 
spinnmaschine, und  es  folgt  auf  die  letzte  Streck-,  die  obige  Maschine. 

Ueber  den  Kraftbedarf*)  ist  zu  bemerken,  dass  ein  erster.  Wergdurchzug 
pro  Kopf  0.32,  ein  zweiter  pr.  K.  0.25,  ein  Wergfleier  pro  Spindel  0.028  und 
eine  Wergfeinspinnmaschine  fiir  die  Nummern  14—16  pro  Spindel  0.028  Pferde- 
krafte  braucht. 

Wird  der  mittlere  Widerstand  in  Kilogr.,  reducirt  auf  den  Umfang  der 
Streckwalzen,  mit  p  bezeichnet,  so  ist  derselbe  fiir  den  ersten  Durchzug  18. 17 
fiir  den  zweiten  12.2,  fiir  den  Wergfleier  10.2  und  fur  die  Feinspinnmaschine 
zu  Nr.  14 — 16  zu  11.9  zu  setzen,  und  alsdann  kann  dieselbe  Form  el  zur  Be- 
rechnung  der  Betriebskraft  wie  friiher  (pag.  552)  angegeben  benutzt  werden. 

5)  Das  Haspeln,  Numeriren  und  Trocknen  der  nass  gespon- 
nenen  Flachs-  und  Werggarne,  so  wie  das  Pack  en  derselben. 

Das  Haspeln  der  Game  findet  auf  dem  Garnhaspel,  der  Weife,  statt.  Die 
Feinspinnspulen  werden  direct  fiber  feste,  neben  einander  auf  einem  Brett  ange- 
ordnete  diinne  Drahtstifte,  oder  besser  (weil  leichter  drehbar)  erst  auf  Messing- 
hulsen  und  mit  diesen  dann  fiber  die  Stifte  gesteckt.  Die  Faden  verbindet  man 
mit  dem  Haspel,  bei  dessen  Drehung  sie  sich  auf  dem  Umfange  aufwinden 
(s.  Haspel). 

Der  Haspelumfang  ist  gewobnlich  2  '/2  Yards  =:  90  Zoll  engl.  —  2.286  m. 
120  Faden  heissen  ein  Gebind  (led)  —  300  Yards;  10  Gebinde  geben  einen 
Strahn  =  3000  Yards,  4  Strahn  b=  1  Stuck  ==  12.000  Yards:  5  Stfick  = 
1  Biindel  =  60.000  Yards,  12  Biindel  z=  1  Schock  =  720.000  Yards  und  ist 
ein  Schock  —  2  Pack  englisch. 

Neben  dieser  Weife  sind  jedoch  in  Deutschland  und  Oesterrcich  noch  andere 
hiervon  abweichende  im  Gebrauch. 


*)  Siehe  Dr.  Hartig  Versuche  ii.  d.  Kraftbedarf  etc.  S.  11  u.   12. 

36* 


564  Flachsspinncrei  (Spirmplan). 

Die  Grarnnumerirtmg,  also  die  Bestimmung  der  Feinheit  cles  Fadens,  fimlet, 
mit  Ansnahme  von  Frankreich,  ubereinstimmcnd  nacli  der  englischen  Metliode 
statt.  Hiernach  ist  die  Garnmtmmer  die  Zahl,  welch e  die  Anzahl  der  in  eineni 
engl.  Pfunde  enthaltenen  Gebinde  oder  leas  a  300  Yards  angibt.  Ein  Pfund 
Garn  von  der  Nummer  N  hat  demnach  eine  Lange  von  300  N  Yards.  Das 
Gewicht  G  eines  Biindels   Garn  in  engl.  Pfunden  ist  daher 

_  60.000  _  200 
~~  300~^   ~~    N 

90*72  90 

G     —     ~jj —     oder  abgerundet     G     —     '—    in  Kilogr. 

(s.  Garnnumerirung). 

Die  Aufstellimg  des  Spinnplanes  ist  jene  Anordnung  der  Vorziige  und 
Donblirungen  anf  den  einzelnen  Maschinen,  welche  aus  einer  bestimmten  Menge 
Rohmaterial  (Flachs  oder  Heede)  ein  Garn  von  gewiinschter  Nnmmer  liefert. 

Der  Spinnplan  ist  eingehend  besprochen  in  der  Spinnereirnechanik    von    C.  H.  Schmidt 

nnd  der  Flachsspinnerei  von  Dr.  Hiilse,    weshalb    wir    uns    hier   mit  einigen  Andeutungen  be- 

gniigen  konnen.     Yerfolgen    wir   die    Art   nnd  YYeise  der  Verarbeitung  des  Flachses,    So  wird 

zumichst  die  Grosse  des  Auflagegewichtes  anf  der  Anlegemaschine,    d.  li.  die  auf  die  Langen- 

einheit  des  Znfiihrungstisches  derselben  ausgebreitete  Flachsmenge,  so  gewablt,  dass  die  dnrch 

den    Klingelapparat   angezeigte    Bandliingo    k    (gewohnlich    500   Yards)    ein    durchschnittliehes 

Gewicht  g  besitzt,    dessen    Grosse    innerhalb   gewisser    erfahrnngsgemass   bestimmten    Grenzen 

schwankt.     Die  durch  ungleichmassige  Auflage    hervorgernfenen  Differenzen    im  Gewichte  der 

einzelnen    Klingellangen    Band    gleieht    man    nun     dadurch   ans,    dass    man    dt,   je    eine    voile 

Klingellange    Band    enthaltendc    Kannen   im    Gesammtgewicht    von  c/,   g  —  P  zu  sogeriannten 

..Ansiitzen"  (charges   —   sets)  zusammensetzt,    diese   vor    die    erste   Streckmaschine  bringt,    die 

Bander  i\    mal  auf  derselben  verzieht  und  sammtliche  Bander  jeden  Ansatzes  durch  die  Baud- 

platic  wieder  zu  einem  einzigen  Bande  vereinigt.     Hierauf  werden  d.2  soldier  Bander  in  ihren 

Kannen  auf  dem  zweiten  Durchzuge  vt    mal    verzogen,   wiedeium  zu  einem  Bande  zusammen- 

gefiihrt,  und  wiederliolt  man  dieses  Verfahren  auf  dem  dritten  Durchzuge  mit  di   Bandern,  die 

man   v3  mal  streckt.     Gewohnlich    werden    alsdann    der  A7orspinnmaschine  die  Bander  einfach, 

nohmon    wir   aber   allgemein    an  d^   facli  vorgesetzt,    vA   mal  verzogen,    zu  Yorgarn  zusammen- 

gedreht,  und  dieses  dann,  nachdem  es  auf  der  Feinspinnmaschine  v-   mal  gestreckt   wurde,    in 

Feinp-arn  von  der  Nummer  N  umgewandelt.     Der  aus  dt    Bandern  bestehenue  Ansatz  wird  im 

k 
engl.  Pfunde  n  eine  Lange  von  -jj  Yards  und  das  aus  demselben  erzeugte  Feingarn  von  der  Nummer 

N  eine  Lange    von  oOO  N  Yards  haben.     Der   Ansatz    muss  deshalb  eine  totale  Streckung    V 
erhalten  von : 

_     300   X    _       800  X.  P 

P 

welche  demselben  auf  den  Maschinen  zu  ertheilen  ist. 

Der  result irende  Yerzug  auf  den  Maschinen  ist  aber  gleich  dem  Producte  aus  den  ein- 
zelnen Yerziigen,  dividirt  durch  das  Product  ans  den  einzelnen  Donblirungen,  also 

V  —   — — r — r — r — "   ,  und  es  muss  daher  aus  vorigem  Grunde  sein: 

*J     "i     <*4 

.WO.  X.  P  v,    f,   v3  u4 

k  —     ~~d~di~d. 

k  v,    t\,   r.   v,    v- 


worans    sich   beispielsweise    das    Ansatzgewicht  P  berecbnet 


300  X.  d„    d,  ds 


Da  das  Garn  in  Folge  der  Contraction  durch  die  Drehung  auf  der  Feinspinnmascliine 
an  Lange  vcrliert.  d.  h.  eben  so  viel  an  Gewicht  gewinnt,  anderseits  aber  durch  den  Abgang 
an  Schaben-  und  Staubtheilchen  leichter  wird  —  die  Gewiclitszunahmc  aber  iiberwiegt,  so 
rechnet    man    von  dem  ermittelten  Gewichte  einen  crfahrungsgemiiss  festgestellten  Procentsate 


Flachsspinnerei  (Trocknen).  565 

(etwa  8  Proc.)  ab,   oder  vergrcissert  den  Verzug  auf  eftier  Maschine  —  gewbbnlicb  dor  Fein- 
spinumasebine  —  entsprechend)  damit  diese  Gewichtszunabine  ausgeglichen  wird. 

Im  Allgemeinen  gclit  hieraus  hervor,  dass  man  in  verschiedener  Weise  doubliren  und 
verziehen  kann  und  scbliesslich  dock  zu  demselbcn  Resiiltate  kommt.  Die  Ghrcnzcn,  welche 
man  bier  jedoeh  inne  zu  halten  hat,  sind  einerseits  durcb  die  Grosse  der  Maschinen  —  indem 
die  Anordnnng  so  zu  treffen  ist,  dass  jede  folgende  Maschinc  bei  fortwahrendem  Betriebe  das 
Product  der  vorhergehenden  moglichst  vollstandig  aufarbeitel  —  anderseits  durcb  dieBeschaf- 
fenheit  des  Robmaterials  bestimmt.  Gutcs  und  kraftiges  Matcriiil  vertrSgt  grossere  Verziige 
als  sebwacheres  und  kiirzeres,  und  pflegt  man  meist  auf  der  Feinspinnmaschine  fiir  Flachs 
keine  hohereu  Verziige  als  9-10,  fiir  Werg  als  6—7,  auf  den  Vorspinnmasckinen  und  Durch- 
ziigen  14 — 16  fiir  Flachs  und  6 — 8  fiir  Werg,  auf  der  Anlegemascbine  und  der  Karde  25  -  30 
zu  geben,  welche  auch  fiir  geringeres  Material  anwendbar  sind.  Die  Grosse  des  Ansatzes  bei 
500  Yards  Klingelliinge  ist  etwa  55  bis  90  Kilogr.  fiir  Flachs  und  30  bis  60  Kilogr.  fiir 
Werg    — 

Die  Auzahl  der  Drehungen,  welche  man  dem  Feingarne  gibt,  ist  1)  ~  <<   \  X,  wo 
bei  Kettengarn  aus  Flachs  «  ~  1.8—2  und  aus  Werg  a  —  2 — 2.5, 
„      Schussgarn     „  „        a  —  1.6—1.7  „        „  „      a  —   1.8—1.9  ist. 

Die  nass  gesponnenen  und  geliaspelten  Game  miissen  sofort,  wie  sie  von 
der  Weife  komraen,  getrocknet  werden,  urn  sie  vor  dem  Verderb.en  zu  bewahren. 
Man  wendet  zum  Trocknen  der  Garnstrahne  an:  a)  Tro  ckenkammern. 
b)  Tro  ekenapparate  und  c)  Trockenmaschinen. 

a)  Die  Tro  ckenkammern  werden  meist  in  den  obersten  Etagen  und 
zwar  so  angelegt,  dass  in  demselbem  Raume  zwei  durch  einen  1.25m  breiten 
Gang  von  einander  getrennte  Kammern  entstehen.  Die  eine  Kammer  ist  dann 
mit  nassein  Game  gefiillt  und  steht  unter  der  Einwirkung  erwarmter  Luft7  wahrend 
die  andere  von  dem  bereits  getrockneten  Game  entleert  und  dann  mit  neuem, 
nassen  Game  voll  gehangen  wird.  (Vgl.  Art.  Trocknen.)  Bei  guter  Anlage 
kann  man  mit  200  K.  Kohle  bis  1000  K.  Garn  trocknen. 

l>)  T-ro  eke  nap  par  ate.  Es  haben  sicli  besonders  zwei  Apparate,  die  von 
Tb.  Calow  &  Co.  in  Bielefeld  gebaut  werden7  in  verschiedenen  Spinnereien  ein- 
gefuhrt  und  bewahrt,  und  zwar :  der  Canal-Trockenapparat  und  der  Kasten-Trockeu- 
apparat.  Beide  beditrfen  zum  Trocknen  desselben  Garnquantunis  bedeutend  weniger 
Raum  als  die  Kammern.  Der  Heizapparat  besteht  in  bei  den  Fallen  aus  einem 
meist  aufrecht  stehenden ,  aus  Scbmiedeisen  hergestellten,  oben  und  unten  ge- 
schlossenen  Cylinder  (etwa  1.5  Meter  im  Durchmesser  und  3  Meter  liocli),  welcher 
im  Innern  circa  500  Stiick  durch  beide  Boden  gehende  38mm  weite  Robren 
enthalt.  In  den  Cylinder  wird  entweder  directer  Kesseldampf,  durch  ein  Reduc- 
tions -  Ventil  auf  bestimmter  Spannung  gehalten ,  oder  abgeliender  Maschinen- 
dampf  eingefuhrt,  der  die  kleineren  Rohren  umspielt  und  daher  die  in  den- 
selben  circulirende  Luft  erwarmt,  die  man  direct  zum  Trocknen  der  Game 
benutzt.  Die  Bewegung  der  erwarmten  Luft  wird  stets  durch  einen  Ventilator 
beschleunigt. 

Der  Kanaltrockeii  apparat,  welcher  in  der  folgenden  Figur  1673  im  Grundrisa 
und  Liingenscbnitt  in  '/I00  nat.  Grosse  dargestellt  ist,  besteht  aus  zwei  horizontalen  neben 
einander  angeorclnetcn,  feuerfest  gemauerten  Kanalen  A  und  Z>  und  ist  neben  Kanal  A  nocli 
eine  offene  Bahn  C  augeordnet.  Beide  Kanale  A  und  B  sind  an  den  Enden  mit  eiserueu 
Schiebern  geschlossen  und  communiciren  mit  einem  Ventilator  F,  der  die  Luft  ansaugt. 
KK  sind  zwei  lleizapparate,  wie  oben  beschrieben,  welche  mit  Kanal  B  aommuniciren.  Das 
Aufbangen  der  Game  an  Stiiben  geschieht  ausserhalb  der  Kanale  in  der  Balm  C  auf  klcine 
auf  Scbienen  beweglicbe  Garnwagen.  Die  Garnwagen  gelangen  zunachst  bei  a-  in  den  Kanal 
A  und  rollen  in  demselben  durch  das  Nacbsehieben  neuer  Wagen  in  der  Kichtung  des  Pfeiles 
weiter.  Aus  A  werden  die  Wagen  bei  b  in  den  Kauai  B  iiberfiibrt,  welcher  gehcizt  ist  und 
in  welchem  sich  die  Garnwaji'en  nacb  links  beweo'en. 


566 


Flachsspinnerei  (Trocknen). 


1st  der  Betrieb  im  Gauge,  also  beide  Kanale  gefiillt,  so  wird  ein  Wagen  mit  trockenera 
Game  aus  B  herausgenommen,  die  Garnwagen  werden  naehgescboben  und  ein  neuer  mit  nassem 
Gam  in  A  eingefiilirt.  Vor  den  Enden  der  Kanale  laufen  sogenannte  Querwagen,  welclie  die 
Ueberfiihrung  der  Garnwagen  von  deni  einen  Kanal  zum  andern  vermitteln.  Durch  die  an- 
gefiihrte  Bewegung  der  Game  erst  in  dem  ungebeizten  und  dann  in  dem  geheizten  Kanale 
wird  das  Trocknen  der  Game  nnter  geringem  Kostenaufwande  in  verhaltnissmassig  kurzer 
Zeit  erreicbt.  Die  Leistung  dieses  Apparates  ist  2500  bis  3000  Kilogr.  Garn  per  Tag.  Man 
verwendet  aucb  je  nacb  den  Umstanden  zwei    Ventilatoren    oder   auch  nur  einen  Heizapparat. 


Fig.  1673. 


Grundriss. 


Kanal  trockenapparat. 


Der  Kas  ten  trockenapparat  beansprucht  nocb  weniger  Raum  als  der  vorstebend 
bescbriebene  und  wird  deshalb  gern  bei  sehr  bescbrankter  Raumlichkeit  angewendet.  Zujedem 
Apparat  gehort  ein  Heizcylinder,  der  unter  dem  Fussboden  des  Trockenraumes  entweder 
stebend  oder  liegend  angeordnet  ist.  Oberhalb  desselben  ist  ein  ca.  1  25  Meter  breiter,  1.4 
Meter  langer  und  etwa  3  Meter  bober  bolzemer  Kasten  aufgestellt,  durcb  welcben  die  erwarmte 
Luft  von  dem  Heizcylinder  von  einem  im  bocbsten  Punkte  wirkenden  Ventilator  gefiihrt  und 
weggeleitet  wird.  Die  feucbten,  auf  Rahmen  aufge.spannten  Game  gelangen  im  bocbsten  Punkte 
von  der  Vbrderseite  in  den  Kasten  in  welchem  36  Stiick  auf  einander  zu  liegen  kommen  und 
schreitet  demnach  das  Trocknen  von  oben  nach  unten  zu  fort.  Die  Ralnnen  werden  in  dem 
Kasten  durcb  einen  besonderen  Mecbanismus  gehalten,  welcber  erlaubt,  sobald  das  Gam  des 
untersten  Rahmens  trocken  ist,  diesen  nach  der  Vorderseite  zu  berauszunebmen  und  auf  einen 
Fabrstubl  niederzulegen.     Die  Production  eines  solcben  Ajjparates  ist  taglich  1250  Kilogr. 

c)  Trocken  mas  chin  en.  Am  bekanntesten  und  in  einigen  deutsclien 
Spinnereien  (z.  B.  in  der  Flachsspinnerei    von  George    Stelling,    Graber    &  Co.  in 


Flachsspinnerei.  —  Flaehe 


»67 


Fly.  1674. 


Fig.  1675  a.     Fig.  1675  b. 


Hannover)  seit  Iangen  Jaliren  mit  bestem  Erfolgc  angewendet,  ist  die  Cylinder- 
Garntrockenmaschine  von  Mather,  Piatt  in  Manchester,  welche  auf  dem  im  Art. 
Appretnr  I  pag.   171  besprochenen  Principe  beruht. 

Das  Garn  wird  in  sechs  Strangen  neben  einander  auf 
der  Maschine  getrocknet,  und  jeder  Strang  fasst,  je  nach 
der  Starke  des  Games,  2  bis  6  Sttick,  die  mit  einander 
durch  bronzene  Verbindungsstiicke  (Fig.  1674  in  '/.io  nat- 
Grosse)  an  einander  befestigt  sind.  Ein  Madchen  hangt 
die  Strahne  mittels  dieser  Verbindungsstiicke  an  einander, 
ein    anderes    am    entgegengesetzten    Ende    der    Maschine 

hakt  die  Verbindungen  wieder  aus  und  legt  das  getrocknete  Garn  geordnet  nieder. 
Das  Garn  kommt  sehr  liiibsch  blank  und  glatt  aus  der  Maschine  und  ist,  nachdem 
es  etwa  40  bis  45  Minuten  auf  derselben  gewesen,  vollig  getrocknet  Man  kann 
leicht  150  Biindel  von  Nr.   10  bis  30  pro  Tag  auf  dieser  Maschine  trocknen. 

Das  Pack  en  der  Game  geschieht  entweder  auf  der  Packbank  oder  mittels 
Pressen  (s.  Art.  Garnpressen)  und  ist  die  Art  der  Packung,  sowie  die  Grosse  der 
gebildeten  Taeke  sehr  verschieden,  je  nach  den  Garnnummern  und  den  Produc- 
tionsgebieten. 

Die  Spinnereiabfalle,  namentlich  jene  vom  Feinspinnen,  sind  ein  werth- 
volles  Rohmaterial  der  Feinpapierfabrikation.  E.  Pfuhl. 

Flachstichel  s.  Graviren. 

Flachzangen  (pincettes,  bequettes  — 
plyevs)  sind,  wie  die  beistehende  Figur  zeigt, 
Zangen  mit  schmalem,  flachem  Maule,  welche 
sich  zum  Festhalten  diinner  Gegenstande,  zum 
Fassen  und  Biegen  von  Draht,  Blechstreifen 
u.  dgl.  eignen.     Vgl.  Art.  Zangen. 

Flachwerk  (couverture  a  claire  vote), 
Eindeckung    der  Dacher  mit  flachen  Ziegeln. 

Flackmaschine  und  Schlagm  as  chine, 
s.  Baumwollspinnerei,  I  pag.  327. 

Flader  oder  Maser,  Maserholz  (ma- 
drure  —  speckled  wood)  bezeichnet  jene  un- 
regelmassigen,  gefaserten,  oft  astreichen  Schnitt- 
hdlzer  (namentlich  der  Fournire),  welche  aus 
knorrigen,  verkriippelten  Stammen  und  Wurzeln 
erhalten  werden ,  und  ihres  hiibschen  Aus- 
sehens  wegen  fiir  Tischlerarbeiten  geschatzt 
sind.     Kk. 

Flache  (besoche  —  pickaxe  with  two  flat  feathers),  ein  Steinmetzwerkzeug 
zum  Ebnen  von  Flachen,  s.  Stein  bearb  eitung. 

Flache  {surface  —  surface)  als  Raumgebilde,  der  Ort  einer  gesetzmassig 
bewegten  Linie,  welche  Avahrend  der  Bewegung  wohl  auch  ilire  Gestalt  continuirlich 
andern  kann,  oder  auch  der  Ort  von  Punkten  im  Raume,  welche  einer  gewissen 
Forderung  Geniige  leisten.  Den  Eintheilungsgrund  fiir  die  Flachen  gibt  ilire  Ent- 
stehungsvveise,  vom  analytischen  Standpunkte  die  Natur  der  sie  darstellenden 
Gleichung. 

I.  Nach  der  Entstehung  unterscheidet  man : 

A.  Regcl  flachen ,  entstanden  durch  die  Bewegung  einer  G  era  den. 
Dieselben  zerfallen  in  zwei  Gruppen : 


_LL 


568  Flache. 

a.  Die  entwickelbaren  oder  developpablen  Regel  flachen,  bei 
welclien  benachbarte  Lagen  der  erzeugenden  Geraden  sicli  im  Endlichen  oder 
Unendlichen  schneiden  (in  einer  Ebene  liegen).  Dieselben  lassen  sich  ohne 
Anfhebung  ihfes  Zusammenhanges  in  eine  Ebene  —  die  einfachste  Flache  dieser 
Gattnrig  —  ausbreiten  (developpiren).     Es  gehoren  hieber : 

a)  Die  Kegel-  nnd  Cylinder  flachen,  bei  deren  Erzeugung  die  langs 
einer  Curve  (Leitcurve)  gleitende  generirende  Gerade  durch  einen  festen  Punkt 
im  Endlichen  — den  Scheitel,  —  bezw.  im  Unendlichen  —  die  Richtung  — 
hindurchgeht;  die  einfachsten  Flachen  dieser  Art  sind  die  Kreiskegel-  und  Kreis- 
cylinderflache. 

/?)  Die  allgemeine  developpable  Regelflache,  der  Ort  der  Tan- 
genten  oder  die  Enveloppe  der  Schmiegungsebenen  einer  Raumcurve  (s.  Curven, 
II.  Thl.  pag.  423) ;  bezeichnet  man  namlich  mit  Mt ,  M„,  M3,  M4  . . .  benachbarte  Lagen 
des  eine  Raumcurve  beschreibenden  Punktes,  so  sind- die  Verbindungslinien  von 
M,  M„,  il/„  M3,  il/jj  M4  .  .  .  oder  die  Geraden  t1}  tn,  t3  .  .  .  Tangenten  fur 
die  Elemente  il/,  M„,  M„  M3,  M3  M4  .  .  .  der  Curve,  die  durch  zwei  auf  ein- 
ander  folgende  Tangenten  tl  und  t„,  t„  und  t$  . . .  .  bestimmten  Ebenen  EtfE,,... 
Schmiegungsebenen  fiir  die  Elementenpaare  M^  M„  nnd  M„  J/37  J/2  M3  und 
J/;JJ74...;  der  Ort  der  Tangenten  tt,  t„,  t3  .  .  .  oder  die  Enveloppe  der  Ebenen 
Er  E„  . .  .  wird  die  developpable  Flache  der  Raumcurve  und  diese  selbst  die 
Riick  kehrk  a  nte  der  Flache  genannt.  Wir  nennen  als  Beispiel  die  develop- 
pable Flache  der  Sehraubenlinie  auf  dem  Kreiscylinder,  developpable  Schrau- 
b  en  flache  oder  Helicoid  genannt. 

Developpable  Flachen,  deren  einhiillende  Ebenen  El}  E»...  gegen  eine 
feste  Ebene  gleiche  Neigung  haben,  nennt  man  Flachen  von  gleichem 
Falle.     Die  Kreiskegelflache  und  das  vorgenannte  Helicoid  zahlen  hieher. 

b.  Die  winds  chief  en  Reg  el  flachen,  bei  welchen  benachbarte  Lagen 
der  erzeugenden  Geraden  sich  kreuzen  (nicht  in  einer  Ebene  liegen).  Wir 
fiihren  hievon  an : 

a)  Die  windschiefen  Regelflachen  zweiten  Grades:  das  hyperbolisclie 
Paraboloid,  welches  durch  Gleiten  einer  zu  einer  festen  Richtungsebene  pa- 
rallel bleibenden  Geraden  langs  zweier  sich  kreuzender  Geraden,  und  das  II  y- 
perboloid  mit  einem  Mantel,  welches  durch  Gleiten  einer  Geraden  langs 
dreier  sich  kreuzender  Geraden  entsteht;  beide  Flachen  enthalten  zwei  Regel- 
schaaren,  d.  h.  zwei  Systeme  von  Geraden. 

j5Q  Die  Conoid  e,  Flachen,  welche  durch  Gleiten  einer  zu  einer  festen 
Ricli  tun gs ebene  parallel  bleibenden  Geraden  langs  einer  Leitcurve  (oder 
Leitfla'che)  und  einer  Leitgeraden  entstehen ;  steht  letztere  zur  Richtungsebene 
normal,  so  spricht  man  von  einem  geraden  Conoid.  Wir  nennen  bier  die 
gerade  Schrauben-  oder  Wendel flache,  deren  Leitcurve  eine  Cylinder- 
scliraubenlinie  ist;  als  Leitgerade  dient  die  Achse  derselben  und  die  Richtungs- 
ebene ist  zu  dieser  normal.  Die  Flache  tritt  beim  Steinschnitt  schiefer  Tonnen- 
gewolbe  auf. 

v)  Die  scharfe  Schr  aubenflach  e,  welche  entsteht,  indem  eine  Gerade 
Lings  einer  cylindrischen  Sehraubenlinie  und  der  Achse  des  Schraubencylinders 
gleitet  und  letztere  unter  constautem  Winkel  schneidet. 

Fiihrt  man  durch  einen  beliebig  gewahlten  Punkt  des  Raumes  Parallele  zu 
den  Erzeugenden  einer  Regelflache,  so  haben  diese  zum  geometrischen  Orte  eine 
Kegelfla'che  mit  jeneni  Punkte  als  Scheitel,  welche  man  den  D  i  r  ect  ionskegel 
der  Regelflache  nennt;  dcrselbe  spielt  in  der  constiuctiven  Theorie  eine  wichtige 
Rolle.  — 

J  L  Rotation  s  flachen,  welche  durch  Drehung  einer  Curve  um  eine  mit 
ihr  in  fester  Verbindung  stehende  Gerade,  die  Umdrehungs-  oder  Rotations- 


Flache.  569 

achse  entstelien.  Alle  durch  die  Achse  gelegten  Ebchen,  Merkliariebeneir,  schneiden 
die  Flache  nacli  congruenten,  zur  Achse  orthogonal-symmetrischcn  Curven,  Meri- 
dian en,  wahrend.  die  zur  Rotationsachse  normalen  Ebenen  Kreise  lie  fern.  Wiv 
nenuen  hier : 

«)  Die  Rotationsflachen  zwei  ten  Grades:  die  Kugel;  das  flache 
und  oblonge  Umdrehungsellipsoid,  ersteres  durch  Drehung  einer  Ellipse 
uiii  ihre  kleine,  letzteres  durch  Rotation  um  deren  grosse  Achse  entstanden ;  das 
einraantelige  und  das  zweim  an  tel  ige  Umdr  eh  ungshy  p  e  rb  o  loid, 
das  erste  aus  der  Drehung  einer  Hyperbel  um  ihre  imaginare,  das  letztere  aus 
der  Rotation  um  die  reelle  Achse  hervorgehend ;  das  Umdreh  ungspa  r  a- 
boloid  aus  der  Parabel,  wenn  die  Achse  derselben  als  Rotationsachse  gewahlt 
wird,  hervorgehend. 

(3)  Die  W  uls  tflach  en,  durch  Drehung  eines  Kreises  um  cine  in  seiner 
Ebene  liegende,  nicht  durch  den  Mittelpunkt  gehende  Gerade  entstanden. 

C.  Einhiillende  Flachen,  welche  durch  gesetzmiissige  Bewegung  einer 
Flache  entstelien,  wobei  diese  auch  noch  ihre  Gestalt  continuirlich  verandern  kann  ; 
je  zwei  Nachbarlagen  der  erzeugenden  Flache  schneiden  sich  nach  einer  Curve, 
welche  die  Charakteristik  der  erzeugten  Flache  genannt  wird;  offenbar  kann 
letztere  Flache  audi  als  Ort  der  Charakteristik  aufgefasst  werden.  Wir  nennen 
hier  beispielsweise  die  Serpentine,  erzeugt  durch  Bewegung  einer  Kugel  von 
constantem  Halbmesser,  deren  Mittelpunkt  eine  Cylinderschraubenlinie  durchlauft ; 
ihre  Charakteristik  ist  der  Kreis. 

D.  Riickungs  flachen,  die  man  sich  durch  gesetzmassiges  Fortriicken 
einer  Curve  entstanden  denkt,  wobei  dieselbe  audi  wohi  ihre  Form  continuirlich 
abandern  kann.  Wenn  beispielsweise  der  Mittelpunkt  eines  Kreises  von  constantem 
Halbmesser  eine  Cylinderschraubenlinie  durchlauft  und  seine  Ebene  zur  Cylinder- 
achse  normal  bleibt,  so  beschreibt  er  die  Oberflache  der  sog.  gewundenen 
Sanle. 

Selbstverstandlich  kann  man  sich  jede  Flache  auf  mehrfache  Art  entstanden 
denken ;  alle  Rotationsflachen  z.  B.  entstelien  auch  durch  Rlicken  eines  Kreises 
oder  durch  Bewegung  einer  Kugel,  die  zugleich  ihren  Radius  andert  etc. 

II.  Vom  analytischen  Standpunkte  unterscheidet  man  die  Flachen 
nach  der  Natur  der  sie  darstellenden  Gleichungen  in  algeb  raise  he  und  trans- 
cendente,  erstere  wieder  nach  dem  Grade  der  Gleichungen. 

III.  A 1 1  g  e  m  e  i  n  e  E  r  k  1  a  r  u  n  g  e  n. 

1.  Die  durch  zwei  unendlich  nahe  Punkte  einer  krummen  Flache  F  be- 
stimmte  Gerade  t  wird  eine  Tangente  der  Flache  und  die  Vereinigung  ilijener 
Punkte  ihr  B eriihrungspun kt  genannt. 

2.  Die  durch  zwei  in  einem  Punkte  M  an  die  Flache  F gelegten  Tangenten 
bestimmte  Ebene  T  wird  Tangentialeb  ehe  fur  den  Punkt  M  genannt;  sie 
ist  der  Ort  aller  in  M  an  F  gezogenen  Tangenten;  von  diesen  beriihren  zwei, 
tx  und  t„,  auch  die  Schnittcurve  der  Tangentialebene  mit  der  Flache,  fur  welche 
M  ein  Dopp  el  punkt  ist,  man  nennt  sie  die  Haup  ttangenten  in  M  und 
sie  sind  reell  und  verschieden  oder  reell  und  zusammenfallend  oder  imaginar ; 
darnach  wird  M  ein  hyper  b  o  lis  cher,  parabolisch  er  oder  elliptischer 
Punkt  der  Flache  genannt. 

3.  Die  im  Beruhrungspunkte  M  zur  Tangentialebene  Z'errichtete  Senkrechte 
N  heisst  Nor  male  der  Flache  fur  den  Punkt  M.  Jede  durch  AT  gelegte  Ebene 
heisst  Normalebene  und  ihr  Schnitt  *S  mit  der  Flache  ein  Normal  schn  i  tt 
fur  M. 

4.  Jeder  Normalschnitt  des  Punktes  M  hat  im  Allgemeinen  in  diesem  Punkte 
eine  andere  Kriimmung,  mit  andcren  Worten :  die  Flache  ist  in  einem  betrachteten 


570  Flache. 

Punkte  in  Riclitung  eines  jeden  Normalschnittes  anders  gekriimmt.  Docli  gibt  es 
zwei  zu  ein an der  s  en  kre  elite  Normalschnitte  S,  und  S,2,  von  denen  der 
eine  den  kleinsten.  der  andere  den  grossten  Krummurtgshalbmesser  oder  der  eine 
die  grosste,  der  andere  die  kleinste  Kriimmung  in  M  besitzt ;  man  nennt  S{  und 
Stl  die  Hauptnormalschni tte,  ihre  Kriimmungshalbmesser  r,  und  r2  (in  M) 
die  Hauptkriimmungsradien  der  Flache  in  M.  Die  den  Schnitten  S,  und 
$2  zukommenden,  in  T  liegenden  Tangenten  rt,  r2  halbiren  die  Winkel  der 
Haupttangenten  tx,  £,.  —  Ein  Punkt  der  Flaclie,  in  welchem  dieselbe  nach  alien 
Richtungen  gleiche  Kriimmung  (wie  die  Kugelflache)  aufvveist,  heisst  Nabel- 
oder  Umbilicalpunkt.  Einfache  Beispiele  solcher  Punkte  bieten  die  Scheitel- 
punkte  der  Umdrehungsaclise  bei  Rotationsflachen. 

IV.  Von  den  einer  Flache  aufgeschriebenen  Curven. 

1.  Errichtet  maft  in  den  Punkten  einer  auf  einer  Flaclie  F  verzeichneten 
Curve  C  die  Normalen  zur  Flache,  so  wird  der  geometrische  Ort  derselben  eine 
Nor malfl ache  von  F  langs  der  Curve  C  genannt. 

2.  Die  asymptotischen  Curven  oder  Curven  der  Haupttan- 
genten sind  jene  Linien  auf  einer  Flache  F,  deren  Schmiegungsebenen  zugleich 
Tangirungsebenen  von  F  sind,  deren  developpable  Flachen  also  der  Flache  F 
umschrieben  erscheinen;  sie  beriihren  in  jedem  Punkte,  durch  welch  en  sie 
gehen,  eine  der  Haupttangenten  t[7  ttl.  Es  gibt  solcher  Curven  zwei  Schaaren, 
oder  eine  einfache  Schaar,  oder  sie  sind  imaginar,  je  nachdem  die  Flache  an  der 
betrachteten  Stelle  hyperbolische,  parabolisch  e  oder  elliptischePunkte  enthalt.  — 
Das  hyperbolische  Paraboloid  und  das  einmantelige  Hyperboloid  besitzen  zwei 
Schaaren  asympt.  Linien  (in  den  beiden  Regelschaaren) ;  bei  den  Kegel-  und  Cy- 
linderflachen  gibt  es  deren  nur  ein  System,  reprasentirt  durch  die  geraden 
Erzeugenden  ;  auf  den  sammtlichen  Flachen  zweiten  Gerades  ausser  den  beiden 
vorgenannten  sind  sie  imaginar. 

3.  Geodatische  Linien  sind  solche  der  Flache  aufgeschriebene 
Curven,  deren  Schmiegungsebenen  zu  den  Tangentialebenen  der  Flache  normal 
sind.  Es  sind  zugleich  die  Linien  des  kurzestenAbstandes  in  der 
krummen  Flache,  in  diesem  Sinne  also  Analogon  der  Geraden  in  der  Ebene.  - — 
Bei  den  developpablen  Regelflachen  erscheint  eine  geodatische  Linie  in  der  Ab- 
wicklung  als  Gerade;  daher  ist  beispielsweise  auf  einer  Kreiscylinderflache  die 
Schraubenlinie  eine  geodatische  Linie;  auf  Rotationsflachen  sind  die  Meridiane 
derlei  Linien. 

4.  K r urn m ungs linien  sind  Curven,  welche  in  den  Punkten,  durch  welche 
sie  gehen,  einen  der  Hauptnormalschnitte  S1}  StJ  oder  dessen  Tangente  r1?  ra 
beriihren,  daher  in  jedem  Punkte  die  Richtung  der  maximalen  oder  minimalen 
Kriimmung  der  Flache  angeben.  Es  gibt  deren  zwei  Schaaren,  durch  jeden 
Punkt  der  Flache  geht  je  eine  aus  jeder  Schaar,  die  eine  rt  (oder^S,),  die  andere 
t„  (oder  S„)  beriihrend.  Kriimmungslinien  derselben  Schaar  begegnen  sich 
nicht  (ausser  in  Nabelpunkten),  dagegen  wird  j  e  d  e  aus  der  einen  Schaar  von 
alien  aus  der  anderen  Schaar  rechtwinklig  geschnitten.  Durch  beide  Schaaren 
wird  die  krumme  Flaclie  in  rechtwinklig-vierseitige  Elemente  getheilt.  Die  Nor- 
malflachen  langs  der  Kriimmungslinien  sind  d  e  vel  opp  ab  el,  d.  h. 
die  in  zwei  benachbarten  Punkten  einer  Kriimmungslinie  zur  Flache  errichteten 
Normalen  schneiden  sich.  Einfache  Beispiele  von  Kriimmungslinien  bieten  die 
Meridiane  und  Parallelkreise  auf  Rotationsflachen,  die  geraden  Erzeugenden  und 
die  Normalschnitte  auf  Cylinder  flachen. 

Die  Kriimmungslinien  und  ihre  Normalflachen  sind  fur  den  Steinschnitt  der 
Gewolbe  von  Bedeutung. 

V.  Einige  analytische  Entwickelungen. 

1.  Die  auf  ein  reclitwinkliges  Raumcoordinatensystem  O  (X  Y  Z)  bezogene 
Gleichung  einer  Flache  stellt  sich  in  einer  der  Formen 


Flache.  571 

«) z  —  f  (x>y) 

§)..'.     F  (x,  y,  z)  —  o 
dar ;  fiir  manclie  Falle  (Rotations-,  Schraubenflachen)  empfiehlt  sich  die  Einftlhrung 
sog.  Cylindercoordinatcn  mit  Hilfe  der  Relationen 

x  z=z  r  cos  cp 

y  =±  r  sin  cp 

z  —  z 
wodurch  die  Flachengleichung  die  Form 

7) .z  —  ib  (r  cP) 

annimmt.  —  Setzt  man  in  «)  oder  /?)  der  Reihe  nach  x,  y,  z  der  Nulle  gleich, 
so  ergeben  sich  die  Gleichungen  der  Schnittcurven  der  Flache  mit  den  Ebenen 
Y  Z,  Z  X,  X  Y.  Fiir  x  ■=  c  erhalt  man  die  Gleichung  des  Schnittes  einer  im 
Abstande  c  zur  Y  Z  parallel  gelegten  Ebene.  Aehnlich  fiir  y  =  c  und  z  =  c. 
Wird  in  Gl.  y)  z  =  o  gesetzt,  so  erhalt  man  die  Polargleichung  der  Schnittcurve 
mit  der  X  F-Ebene,  fiir  z  z—  c  die  Gleichung  des  Schnittes  mit  einer  im  Ab- 
stande c  zur  X  Y  parallelen  Ebene.  Fiir  ein  constantes  cp  stellt  y)  die  Gleichung 
des  Schnittes  mit  einer  durch  0  Z  gehenden,  zu  X  Z  unter  dem  Winkel  cp  ge- 
neigten  Ebene  dar,  wahrend  fiir  ein  constantes  r  y)  den  Schnitt  der  Flache  mit  einer 
Kreiscylinderflache  vom  Radius  r  repriisentirt,  die  0  Z  zur  Achse  hat. 

2.  Sind  x,  y,  z  die  Coordinaten   eines    Punktes    der  Flache  «)  oder  /?),  so 
hat  die  Tangirungsebene  in  diesem  Punkte  die  Gleichung 

r  -*  =  a-x)^l  +(,_,)  *j, 


bezw.  (J  -  x)  fT_  +  (,  -j,)  -^  +  (f  -  ,) 

und  ihre  Stellungswinkel  r^  ty>  tz  sind  bestimmt  durch 

d  F 


cl 


cos  rx 

— 

d  z 
d  x 

~w 

d  z 

cos    ty 

— 

d  y 

N 

cos  rz 

— 

1 

oder 


oder 


oder 


d   x 

~w 

d  y 

N' 
d_F_ 
dz 


wobei 


Die   Normale  des  belrachteten  Punktes,   wclche    mit    den  Achsen  eben  diese 
Winkel  einschliesst,  hat  die  Gleichungen 

d  z  ,y  d  z 

t-x=-  j-x  (f—  ,)  ,  -  y  =  -  j-   (f  —  .) 


bezw. 


£  —  x  t]  —  y  k   —   z 


d_F       ~        dJF        —        d^F  * 

d  x  d  y  d   z 

3.  Die  Coexistenz  der  Gleichungen  zweier  Flachen 

Fx    (x,  y,  z)  —  o 

F2  {x,  y,  z)  —  o 

reprasentirt  die  Durch  dringungs  curve  dieser  Flachen;  die  successive  Elimi- 


572  Flache. 

nation  von  x,  y,  z  liefert  die  Gleiclinngen  der  Prujectionen  dieser  Curve  auf  die 
Ebenen  Y  Z,  Z  X,  X  Y.  Sind  Ft  und  F,,  algebraische  Flachen  von  der  Ord- 
nnng  mt,  bezw.  m„,  dann  ist  die  Durchdringungscurve  im  Allgemeinen  von  der 
Ordnung  mt    m,,. 

Die  Coexistenz  von  drei  Flachengleichungen 

F,    (x,  y,  z)  —  o 

Fl2  (x,  y,  z)  =  o 

F3  (x,  y,  z)  =  o 
fiihrt    auf    die    alien    gemeinscliaftliclien    Punkte,    deren    Zalil,    wenn  die 
Flachen  von  der  Ordnung  ml   »i„  m3  resp.  sind,  m1   m„   w3  betragt. 

4.  Bedeutet  in  der  Gleichung 

F  (*?  y,  z,  p)  —  o 

einer  Flache  p  einen  die  Lage  oder  die  Form  oder  beides  zugleich  beeinflussenden 
Parameter,  so  folgt  durch  Elimination  von  p  aus  dem  Gleichungspaare 

F  (x,    1J,    z,   p)   =   0 

d  F  (x,  y,  z,  p)  _  q 
d  p 
die    Gleichung    <1>  (x,  y,  z)    —    o    der    durch    die  continuirliche  Variation  von  p 
und  die  dieser  entsprechende  Orts-  (und  Form-)  Aenderung  der  vorgelegten  Flache 
entstandene  einhullende  Flache  oder  Enveloppe.     Die  Coexistenz  von 
F  (x,  y,  z,  p)  —  o 
*  (a>;  y,  z)  —  0 
stellt  die  Charakteristik  der  einhullenden  Flache  dar. 

5.  Complan  ation  der  Flachen.     Betraclitet  man  das  Rechteck  dx.dy 
in  XZ-Ebene  als  Projection  eines  Elementes  dO  der  krummen  Flache 

z  =  f  (x,  y) 

und  bezcichnet  mit  to  den  Neigungswinkel  der  an  das  Element  gelegten  Tangi- 
rungsebene  der  Flache  mit  der  A'F-Ebene,  so  ist 

do^^^y- 

COSIC 

und  nachdem  w  z=.  r,    und  cos  t,   n  ,    so    ist 

d  zV+   1 


und  0 


d  ° = *  *■  v(^)+ag+j 


Die  Grenzen  der  beiden  Integrationen  richten  sich  nach  der  Ausdehnung  des 
m  complanirenden  Flachentheiles  und  werden  aus  der  Projection  seiner  Umgren- 
zung  auf  die  XF-Ebene  abgeleitet. 

6.  Cubatur  durch  k  rum  me  Flachen  begrenzter  Vol  urn  en. 
Wird  der  Inhalt  des  durch  das  fnihere  Rechteck  dx.  dy  und  das  Element  d  0 
der  krummen  Flache,  von  welchem  jenes  die  Projection  ist,  bestimmten  prismati- 
schen  Raumelementes  mit  dV  bezeichnet,  so  kann 

dV  =  z.  dx.  dy  =  f  (x,  y).  dx.  dy 
gesetzt  Averden,  und  es  folgt  hieraus 

V  =  jy*z  dx.  dy  —fff  fa  y)-  ^.  dy, 

wobei  die  Integrationsgrenzen  wieder  aus  der  Begrenzung    der   in    der  XY-Ebene 
liegenden  Grundflache  des  Volumens  abzuleiten  sind. 


Flache.   —    Flachcnwirkung.  573 

Literatur.     Fiir   die   constructive    Theorie  der  FlSchen:  Monge,  „Lecona 

de  geometric  descriptive"  (Paris,  7.  And.  1847);  C.  F.  A.  Leroy  „Traite 
de  geometrie  descriptive"  (deutsch  von  Kauffmann,  3.  Aufl.  1873);  J.  A.  R. 
M.  de  la  Gonrnerie  „Traite  de  geometric  descriptive"  (Paris'  1860— 1864); 
Dr.  W.  Fiedler,  „Dic  darstellende  Geometric  in  organischer  Verbindung 
mit  der  Geometrie  der  Lage"  (Leipzig,  2  Aufl.  1875);  J.  Schlesinger  ..Die 
darstellende  Geometrie  im  Sinne  der  neueren  Geometrie"  (Wien,  1870).  — 
Fiir  die  analytische  Theorie:  Dr.  0.  Boklen,  „Am,Iytische  Geometrie 
des  Raumes"  (Stuttgart,  1861);  0.  Hesse  _ Vorlesungen  Uber  d.  analyt 
Geom.  d.  Raumes"  (Leipzig,  1861  und  1869);  G.  Salmon,  „Anal.  Geom. 
d.  Raumes"  (deutsch  von  Dr.  W.  Fiedler).-  Ueber  Complanation  und 
Cubatur  sehe  man  auch  Dr.  0.  Schlomilch's  „ Compendium  d.  hoheren 
Analysis"  (1.  Bdv  Leipzig,  4.  Aufl.).  Ueber  die  geodatische  Linie  auf 
dem  Spharoid  (flachen  Rotationsellipsoid),  welche  fiir  die  Geodasie  von  Be- 
deutung  ist,  vergl.  man  J.  J.  Baeyer  „Das  Messen  auf  der  spharoidisclien 
Oberflache"   (Berlin  1862).  Czuber. 

Flacheninhalt  (ebener)  begrenzter  Figuren  (aire  —  area);  die  Bestimmung 
desselben  geschieht  entweder  auf  rechnungsmassigem  Wege  aus  den  Masszahlen 
der  Dimensionen  oder  mechanisch  mit  Hilfe  von  Planimetern  (s.  Messinstrumente). 
Die  Flachenbestimmung  von  Grundstiicken  erfolgt  entweder  durch  directe 
Messung  der  nothigen  Dimensionen  (z.  B.  bei  der  haufig  gebrauehten  Aufnahme 
durch  rechtwinklige  Coordinaten)  oder  aus  einer  graphischen  Darstellung  (einem 
Plane)  mit  Beniitzung  des  zu  Grunde  liegenden  Massstabes.  Was  die  hiebei  er- 
forderliche  Genauigkeit  anlangt,  so  besteht  in  Oesterreich  (fiir  den  Kataster) 
die  officielle  Vorschrift,  dass  zwei  unabhangige  Flachenbestimmungen  hbchstens 
zeigen  diirfen 

bei  einer  Flache  von  eine  DifFerenz  von 

la  =  100Dm  0-5Qm 

10    =z  1000  5 

lha=  10000  50 

10    =  100000  500 

(Vergl.  Jordan,  Handbuch  der  Vermessungskunde,   1877  pag.  177.) 

Fiachennivellement,  s.  Nivelliren. 

Flachentheilung,  die  Theilung  einer  ebenen  Figur  in  mehrere  Theile,  deren 
P'lacheninhalte  in  einem  gegebenen  Verhaltnisse  stehen ;  in  der  Regel  werden  an 
die  Theilungslinien  gewisse  Forderungen  gestellt. 

Flachenverwandlung  —  die  Umwandlung  der  Begrenzung  einer  Figur  mit 
Wahrung  ihres  Flacheninhaltes ;  es  gehort  hieher  auch  die  Regulirung  von  Grenzen. 
Ueber  die  graphische  Losung  derartiger  Aufgaben,  wie  sie  namentlich  bei  den 
Constructionen  in  der  graphischen  Statik  vorkommen,  sehe  man  den  graphischen 
Calcul  von  L.   Cremona  (deutsch  von  M.  Curtze).  Cz. 

Flachetiwirkung  (Contactwirkung)  nennt  man  die  eigenartige,  auf  Flachen- 
anziehung  (Adhaesion)  zuriickfiihrbare  Wirkung,  welche  Korper  von  holier  Poro- 
sitat,  die  demnach  in  einem  verhaltnissmassig  kleinen  Raume  eine  grosse  Ober- 
flache haben,  unter  geeigneten  Verhaltnissen  zu  ausscrn  vermogen.  Hieher  gehort 
die  entfarbende  Wirkung,  welche  z.  B.  porose  Kohle  auf  gefarbte  Fliissigkeiten 
ausiibt,  und  die  in  einer  Aufnahme  des  gelosten  Farbstofts  durch  die  porose  Kohle 
besteht.  Ebenso  konnen  solche  Korper  auch  andere  Stoffe,  insbesondere  Bitter- 
stoffe,  sowie  Riechstoffe  aus  Losungen  aufnehmen,  ja  sie  vermogen  sogar  Zer- 
setzungserscheinungen  herbeizufiihren  und  sich  mit  einem  der  Zersetzungsproducte 
zu  beladen.  Hierauf  beruht  die  Anwendung  von  Blut-  oder  Knochen-Kohle  als 
Enlfarbungsmittel    (Spodium),    als   Mittel    zur   Abscheidung    von    Bitterstoften    aus 


574  Flachenwirkung.   —  Flamme. 

Pflanzenausziigen,  als  Entkalkungsmittel  z.  B.  fiir  Zuckersafte  (s.  b.  Zucker- 
fabrikation),  die  An  wenching  von  Holzkolile  als  Mittel  zur  Entfernung  von 
Riechstoffen  u.  d.  g.  m.  Eine  solclie  Flachenwirkung  liegt  auch  jenen  Erschei- 
hungen  zu  Grunde,  welche  eintreten,  wenn  hochgradig  porose  Korper  Verbindungs- 
vorgange  zwischen  Gasen  einleiten,  die  an  sich  bei  gewohnlicher  Temperatur  sich 
mit  einander  nicht  zu  verbinden  vermogen.  Hierher  gehbrt  z.  B.  die  ziindende 
Wirkung,  welche  Platinschwamra  auf  ein  Geraenge  von  Sauerstoff  und  Wasserstoff 
ausiibt?  sowie  iiberhaupt  die  Einleitung  von  Oxydationsprocessen  beim  Zusammen- 
trcffen  von  Sauerstoff  mit  oxydirbaren  Substanzen  bei  gleichzeitiger  Gegenwart 
poroser  Korper.  So  veranlasst  porose  Holzkolile  bei  Beriihrung  rait  Luft  und  oxydirbaren 
Gasen  die  Oxydation  dieser  letzteren,  und  wirkt  zum  Theil  auf  diese  Weise  des- 
inficirend  fiir  die  Luft,  so  fiihrt  die  Substanz  der  Buehenspane  ira  Essigbilder  die 
rasche  Oxydation  des  Alkohols  durcli  den  Sauerstoff  der  Luft  herbei,  so  bedingt 
die  Gegenwart  von  Bimsstein,  Platinschwamm,  platinirtem  Asbest  o.  d.  g.,  die 
Vereinigung  von  schwefligsaurera  Gas  mit  Sauerstoff  zu  Schwefelsaureanhydrid 
u.  s.  w.  Im  Allgeraeinen  kann  man  die  letztere  Art  der  Flachenwirkung  dem 
Umstande  zuschreiben,  class  die  Oberflache  starrer  Korper  durch  Adhasionswirkung 
Gase  zu  verdichten  vermag  und  dass  derlei  hochgradig  verdichtete  Gase  ener- 
gischere  chemische  Wirkungen  zu  aussern  vermogen,  als  sie  es  im  Zustande  des 
Verdtinnungsgrades  zu  thun  im  Stande  sind,  den  sie  unter  gewohnlichen  Druck- 
verhaltnissen  zeigen.     GtL 

Flamme  (flamme  —  flame)  nennt  man  die  Erscheinung,  welche  ein  in 
Verbrennung  stehendes  Gas  darbietet.  Das  Entstehen  einer  Flamme  bei  irgend 
einer  Verbrennungserscheinung  setzt  imraer  das  Vorhandensein  eines  gas-  oder 
dampfformigen  Korpers  voraus,  der  der  Verbrennung  anheimfallt.  Wenn  daher 
ein  der  Verbrennung  fahiger  Korper  bei  seinem  Verbrennungsprocesse  eine  Flam- 
menbildung  zeigt,  so  hat  dies  seinen  Grund  darin,  dass  der  Korper  entweder  an 
sich  gas-  oder  dampfformig  war,  oder  dass  er,  wenn  fliissig  oder  fest,  bei  einem 
unter  seiner  Verbrennungstemperatur  liegenden  Tempcraturgrade  sich  in  Dampf 
oder  Gas  verwandelt,  oder  aber  eine  Zersetzung  erleidet,  bei  welcher  brennbare 
Gase  entwickelt  werden  Die  Gestalt  der  Flamme  ist  wesentlich  abhangig  von 
den  Verhaltnissen,  unter  welchen  der  der  Verbrennung  anheimfallende  gas-  oder 
dampfformige  Korper  mit  der  zur  Verbrennung  erforderlichen  Luft  zusammentrifft, 
und  wird  also  wesentlich  beeinflusst  durch  den  herrschenden  Druck,  die  Hohe  der 
Verbrennungstemperatur,  die  Menge  des  verbrennungsfahigen  Gases  im  Verhalt- 
nisse  zur  vorliandenen  Luft-  (Sauerstoff)  Menge,  den  Dichtenunterschied  zwischen 
Luft  und  dem  verbrennungsfahigen  Gase,  sowie  endlich  durch  die  Art  und  Grbsse 
von  Bewegungserscheinungen  des  der  Verbrennung  anheimfallenden  Gases.  Da 
jede  Verbrennungserscheinung  ein  unter  Licht-  und  Warmeentwicklung  sich  voll- 
ziehender  chemischer  Verbindungs-Process  ist,  welcher  unmittelbare  Beriihrung  der  in 
die  chemische  Action  eintretenden  materiellen  Theilchen  voraussetzt,  so  ist  es 
klar,  dass  bei  Flammen  die  eigentliche  Verbrennung  lediglich  an  jenen  Punkten 
sich  vollziehen  wird,  bei  welchen  der  mit  dem  Sauerstoff  der  Luft  verbrennende 
gasfcirmige  Korper  der  Flamme  mit  der  Luft  in  unmittelbarer  Beriihrung  steht, 
also  an  der  Peripherie  des  Flammenkbrpers.  Demnach  erscheint  jede  Flamme 
als  ein  Gebilde,  an  dem  sich  unter  alien  Umstanden  verschiedene  Theile  unter- 
scheiden  lassen,  u.  z.  ein  dunkler,  aus  noch  unverbrenntem  Gase  bestehender, 
im  Allgemeinen  auch  eine  niederere  Temperatur  zeigender  Kern,  dann  eine  die 
Hiille  dieses  Kerns  bildende  Zone,  in  welcher  sich  der  Verbrennungsprocess  voll- 
zieht,  und  die  demnach,  als  der  eigentliche  Herd  der  Wa'rme-  und  Lichtentwicklung, 
hohe  Temperatur  zeigt  und  Licht  ausstrahlt,  d.  i.  der-  Flam  in  en  mantel,  endlich 
eine  iiussere  Hiille  von  bei  der  Verbrennung  gebildeten  gluhenden,  gasfbrmigen 
Verbrennungsproducten,  die  eine  gegeniiber  der  Leuchtkraft  des  Mantels  kaum 
wahrnehmbare  Lichtentwicklung  zeigt  und  demnach  nur  schwach  sichtbar  ist,  d.  i. 
der  Flammenschleier. 


Flamme.  —  Flammcnschutzmittcl.  575 

Die  Leuchtkraft  (lev  Flamme  ist  abhangig  von  der  Natnr,  aber  audi  von 
der  Diclite  ties  verbrennungsfahigen  Gases,  endlicli  von  dem  Verlialtnisse  des 
Zutrittes  an  Sanerst'off.  So  leuchtet  eine  Wasserstoffflamme  nnter  gewbhnlidiem 
Drucke  kanm  merklich,  wahrend  sie  bei  lioherem  Drucke  ein  intensives  Lieht  zu 
entwickeln  vermag.  Leucbtgas  verliert  wesentlich  an  Leuchtkraft,  wenn  man  dem 
ausstromendcn  Gase  gestattet  sicb  vor  dem  Austritte  in  die  Atmosphere  mit  Lnft 
zu  mengen,  so  dass  demnach  die  mit  einer  bestiramten  Leuclitgasmenge  in  Be- 
riibrung  stehende  Sauerstoffquantitat  grosser  ist  als  bei  dem  einfachen  Ausstrbrneu 
des  Leuchtgase's  (s.  Bunsens  Lampe  bei  Lampen).  Aus  gleicbem  Grunde  leuchten 
selir  kleine  Flammen  im  Verlialtnisse  zu  der  verbrennenden  Gasmenge  weit  weniger 
als  grbssere,  weil  das  Verhaltniss  der  Oberflacbe  zu  dem  Rauminbalte  des  P^lam- 
mcnkorpers  ein  relativ  grosses  und  daber  das  Verhaltniss  des  San  era  toffs  zur 
Gasquantitat  ein  erhohtes  ist,  ebenso  zcigen  flacbe  Flammen  eine  grbssere  Licht- 
entwicklung  als  kegelfbrmige.  Die  Farbung  der  Flamme  ist  abhangig  von  der 
Natur  der  verbrennenden  Korper,  kann  aber  cturch  die  Hbhe  der  Temperatur  nicbt 
unwesentlicb  beeinHusst  werden.  Ueber  Lbthrobrflammen  s.  Lbthrohr,  vgl.  aucb 
Leucbtstoffe  und  Lampen.    Flammen  farbige  s.  b.  Feu  er  worker  ei. 

Gil. 

Flammenmergel,  ein  im  nordwestlicben  Deutscbland  in  der  unteren  Kreide- 
formation  auftretender,  mit  eigentbtimlichen  flamraenartigen  Zeicbnungen  versebener 
Mergel.     Lb. 

Flammenopal  s.  Opal. 

Flammenschutzmittel  nennt  man  solche  Mittel,  welcbe  geeignet  sind  ver- 
brennbare  Stoffe,  wie  Holz,  Gewebe,  Papier  u.  d.  g.  vor,  dem  Verbrennen  mit 
Flamme  zu  scbiitzen  und  dadurch  die  Fortpflanzung  eines  begonnenen  Verbren- 
nungsprocesses  zu  bindern.  In  Wesenbeit  griindet  sich  die  Wirkung  soldier 
Mittel  darauf,  dass  sie  entweder  die  verbrennbare  Substanz  mit  einer  den  Luft- 
zutritt  absohliessenden,  selbst  nicbt  entziindlicben  Schichte  umhiillen,  oder  dass 
sie  bei  hoberer  Temperatur  eine  Einwirkung  auf  die  verbrennbare  Substanz  in 
dem  Sinne  ausiiben,  dass  Zersetzungsproducte  geliefert  werden,  die  nieht  brennbar 
sind.  Insbesondere  hat  man  die  Anwendung  soldier  Mittel  empfoblen  zum  LTn- 
verbrennbar-  (Unentflammbar-)  machen  des  Holzes  in  Gebauden,  zur  Herstellung 
unentflammbarer  Stoffe  fiir  Damenkleider,  zur  Erzeugung  unverbrennbarer  Vor- 
bange  oder  Decorationen  in  Wohngebauden,  Theatern  u.  d.  g. 

Je  nacb  dem  zu  erreicbenden  Zvvecke  konnen  verschiedene  Substanzen  in 
Anwendung  kommen.  Fiir  Holz  bat  man  mjt  Erfolg  die  Impragnirung  mit  Alaun, 
mit  Eisenvitriol,  anderen  Vitriolen,  mit  Borax  und  mit  kieselsauren  Alkalien  in 
Anwendung  gebracht  (v.  Dingl.  pol.  Journ.  199  pag.  194).  Besonders  wirksam 
erweist  sicb  das  schwefelsaure  Ammoniak,  das  pbosphorsaure  Ammoniak  und  das 
wolframsaure  Natron.  Die  letztgenannten  drei  Salze  sind  es  audi,  welcbe  fiir 
das  sog.  Unverbrennbarmachen  leichter  Kleiderstoffe,  namentlicb  gefarbter  oder 
gemusterter  beinabe  allein  geeignet  sind,  da  sie  an  sich  indifferent  die  Farbe 
und  Festigkeit  des  Gewebes  nicbt  alteriren,  worauf  es  gerade  bei  Kleiderstoffen 
ganz  wesentlich  ankommt.  Im  Allgemeinen  geniigt  es  die  zu  praparirenden  Zeuge 
durch  Lbsungen  von  1  Thl.  des  Salzes  in  10  Thl.  Wasser  hindurch  zu  nebmen 
und  sodann  zu  trocknen.  Sollen  die  Stoffe  oder  fertige  Kleider  und  Wa'sdie  mit 
beissen  Platteisen  appretirt  (gebiigelt)  werden,  was  natiirlich  erst  nach  der  Pre- 
paration mit  der  Salzlbsung  geschehen  kann,  so  ist  besondere  Riicksicht  darauf 
zu  nebmen,  dass  sowohl  schwefelsaures  als  audi  pbospborsaures  Amnion  durch 
Einwirkung  hoberer  Temperatur  unter  Verlust  von  Ammon  zersetzt  und  Saure  frei 
gemacht  werden  kann,  deren  Auftreten  nicbt  allein  die  Farben  zu  alteriren  vermag, 
sondern  audi  der  Festigkeit  des  Gewebes  abtraglich  werden  kann.  Es  ist  daher 
fiir  solche  Falle  gerathener  sich  des  wolframsauren  Natrons  zu  bedienen,  das 
selbst    bei    Anwendung    sehr   heisser  Platteisen    den  Zeugen    keine  Gefabr  bringt 


576  Flammenschutzmittel.  —  Flancll. 

unci  gleichwohl  die  Unentflammbarkeit  der  Gewebe  vollstandig  zu  erreichen  ge- 
stattet.  Man  wen  {let  dasselbe  in  wassriger  Losung  in  dem  Verhiiltnisse  von  1 : 5 
gelost  an  und  kann  der  Losung  wohl  audi  nocb  3 — 4  Proc.  phosphors.  Natron 
zusetzen.  Man  hat  nur  darauf  zu  achten,  dass  das  angewandte  Salz  ziemlich 
rein  und  namentlich  frei  von  einem  hoheren  Gehalte  an  Soda  sei  (vgl.  Vers- 
raann  und  Oppenheim  im  Auszg.  in  Dingl.  pol.  Journ.   158  pag.  66). 

Von  besonderen  Vorschlagen  fiir  das  Unentflammbarmachen  von  verbrcnn- 
barem  Baumateriale  und  Zeugen  waren  noch  zu  nennen  u.  z.  fur  Holz :  Anstreichen 
des  Holzes  mit  einer  lieiss  gesattigten  Losung  von  3  Thl.  Alaun  und  1  Thl. 
Eisenvitriol.  Nach  zweimaliger  Wiederholung  dieses  Anstriches  ein  Anstrich  mit 
verdiinnter  Eisenvitriollosung,  in  der  Topferthon  aufgeschlammt  ist,  oder  Bestreichen 
des  Holzes  mit  heissem  Leimwasser,  so  lange  dieses  noch  eingesogen  wird,"  hierauf 
ein  Anstrich  von  dickerer  Leimsuppe,  auf  welchen,  so  lange  derselbe  noch  feucht 
ist,  ein  Gemisch  von  1  Thl.  Schwefel,  1  Thl.  Ocker  oder  Thon  und  6  Thl.  Eisen- 
vitriol als  Pulver  aufgestreut  wird  (vgl.  Fr.  Sieburger  Deutsch.  Industr.-Ztg. 
1872  pag.  225).  S.  W.  Moore  (polyt.  Centralbl.  1875  pag.  446)  schlagt  vor 
das  Holz  in  einem  Cylinder  unter  starkem  Druck  mit  Kalkmilch  und  schwefliger 
Saure  zu  impragniren. 

Fiir  Gewebe:  Ein  Gemenge  von  schwefels.  Ammoniak  und  Gyps  oder  ein 
Gemenge  von  Borax  und  Bittersalz  in  Wasser  gelost  und  die  Gewebe  damit 
impragnirt  (Patera  iiber  Flammenschutzmittel,  Wien  1872,  s.  a.  Dingl.  pol. 
Journ.  203  pag.  481  im  Auszug).  Nach  Carter  on  und  Rim  m  el  (vgl.  Deutsch. 
Industr.-Ztg.  1871  pag.  328)  soil  ein  Gemenge  von  gleichen  Theilen  essigsaurem 
Kalk  und  Chlorcalcium  in  Wasser  gelost  die  mit  einer  solchen  Losung  impragnirte 
Zeugen  unentflammbar  machen.  Nach  den  Erfahrungen  des  Verfassers  lasst  sich 
audi  thioschwefelsaures  (unterschwefligsaures)  Natron  als  Flammenschutzmittel  fiir 
Zeuge  verwenden,  ebenso  Ammoniakalaun. 

Vielfach  hat  man  auch7  um  fiir  die  Zwecke  der  Hauswirthschaft  die  Vor- 
nahme  einer  besonderen  Operation,  welche  die  Impragnirung  der  Zeuge  mit  der 
Losung  eines  oder  des  auderen  als  Flammenschutzmittels  empfohlenen  Salzes 
erheischt,  zu  ersparen,  Mischungen  soldier  Salze  mit  Starke  als  Ersatz  der  ge- 
wohnlich  zu  Appreturzwecken  verwendeten  Starke  empfohlen  und  in  den  Handel 
gebracht.  F  euer  sich  erheits -Starke  (apyrous  starch).  Leider  hat  audi 
diese  bequeme  Form  eine  allgemeinere  Anwendung  von  I^lammenschutzmitteln 
in  den  Kreisen  der  modernen  Damenwclt  nicht  wesentlich  gefcirdert  (Gintl, 
Ausstellungsbericht    1873    iiber    Appreturmittel,    Wien   1874),    s.  iib.  a.  Starke. 

mi 

Flammireil,  syn.  flam  men,  chin ir en  (chimire  —  chine),  Chinafarben. 
Eine  Art  der  Garnfarberei,  bei  welcher  die  Garnstrange  mit  Knoten  versehen  und 
so  ausgefarbt  werden,  wodurch  die  das  Innere  des  Kuotens  bildenden  Garnpartien 
ungefarbt  bleiben  und  so  zweifarbige  Garnstriine  erhalten  werden  konnen;  s.  a. 
Chine  II  pag.  309.     GtL 

Flammirung,  s.  Chine  II  pag.  309. 

Fiammirte  Zange,  s.  Weberei. 

Flammofen  (fourneau  pour  les  fontes  crues  —  flaming  furnace)  im 
Allgemeinen  jede  Ofcnanlage,  bei  welcher  die  Flamme  des  Brennmateriales  iiber 
die  zu  erhitzenden  Massen  streicht  und  diese  directe  erhltzt.  Flam  mo.  Puddel- 
ofen  (fourneau  a  reverbere,  a  ■puddler  —  reverberatory  furnace,  puddling 
furnace)  s.  E i s e ner z eugun g  III  pag.  28,  123,  vgl.  a.  Blei  I  pag.  577,  s. 
Gliih  o  fen. 

Flanell  (flanelle  - — flannel)  ist  ein  leinwandartiges  oder  gekopertes  Gewebe 
aus  Streiehgam.    welches    sehr    wenie   gewalkt    ist  und  auf  der  rechten  Seite  ge- 


Flanell.   —  Flaschengriin.  577 

rauht  wird.  Die  Kette  ist  oft  Kammgarn,  zuweilen  aus  Baumwollgarn,  in  welchen 
Fallen  der  Flanell  beim  Waschen  weniger  eingeht,  als  wenn  Schuss  und  Kette 
aus  Streichgarn  besteht. 

FlantSCh,  Flantsche  (bourelet,  collet  —  flange)  nennt  man  den  scheiben- 
fdrmigen  Rand  an  Rohrenden,  welcher  die  Verbindung  mit  einem  gleichfalls  mit 
Flantsche  versehenen  zweiten  Rohr  durch  Schrauben  gestattet,  s.  Rohrenver- 
bindungen.     Kk. 

Flasche.  a)  Allgemein  gebrauchliche  Bezeiclinung  fur  Hohlgefasse  mit 
ringsum  verengter  Ausgussoffnung  (Hals),  b)  Flasche,  Form  flasche  (chassis 
—  flask)  s.  Eisengiesserei  III  pag.  124.  c)  Flasche  (poulie  —  pulley) 
bedeutet  in  der  Mechanik  die  Verbindung  zweier  Flacheisen  oder  Bleche,  zwischen 
welchen  bewegliche  Theile  gelagert  sind  (so  z.  B.  beim  Flaschenzug  die  Rollen, 
beim  Flaschenschraubstock  der  bewegliche  Backen  etc.).     Kk. 

Flasche  bolugneser  (flole  philosophique  —  Bologna  piiiol),  Spring- 
kolben,  s.  Bologneser  Flaschchen  I  pag.   724,  vgl.  a.  Glas  bei  Hartglas. 

Flasche  fiorentiner  (recipient  florentin  —  italian  receiver).  Eine  Vor- 
richtung  zur  Aufsammlung  atherischer  Oele,  welche  leichter  sind  als  Wasser.  Sie 
besteht  aus  einer  grosseren  Glasflasche  mit  weitem  Halse,  welche  nahe  am  Boden 
mit  einem  nach  aufwarts  gekriimmten  Rohre  versehen  ist,  das  etwas  unter  dem 
Rande  des  Halses  miindet.  Wird  bei  der  Destination  von  atherischen  Oelen  mit 
Wasserdampfen  das  aus  Wasser  und  den  Oeltropfchen  bestehende  Destillat  in 
einer  solchen  Flasche  aufgefangen,  so  sammelt  sich  das  specifisch  leichtere  athe- 
rische  Oel  in  der  Flasche  an,  wahrend  das  specifisch  schwerere  Wasser  durch  die 
Abflussrohre  so  lange  ablauft,  als  durch  neu  eintretende  Destillatmengen  die  Fliissig- 
keit  in  der  Flasche  ein  hoheres  Niveau  zeigt,  als  der  Lage  der  Ausflussoffnung 
des  Abflussrohres  entspricht  (vgl.  Oele  atherische).     Gtl. 

Flasche  leydener,  s.  Electricitat  III  pag.  172. 

Flasche  Woulfsche  (flacon  tubule  —  necked  bottle),  eine  mit  2  oder 
mehreren  Halsen  (Tubulaturen)  versehene  Flasche  fiir  chemische  Zwecke,  insbe- 
sondere  als  Grasentbindungs-  oder  Waschflasche  in  Verwendung.     Gtl. 

Flaschenbier,  s.  Bier  I  pag.  457. 

Flaschenfiillapparate  (appareils  d'empli  des  bouteilles  —  bottling - 
apparatus).  Das  miihsame  und  zeitraubende  Abziehen  von  Fliissigkeiten  in  Glas- 
flaschen  ist  in  neuester  Zeit  auf  recht  sinnreiche  Art  durch  Fullapparate  der  Art 
erleichtert  worden,  dass  die  Handarbeit  sich  bloss  auf  das  Anstecken  der  leeren 
Flaschen  und  das  Wegnehmen  der  bereits  gefiillten  Flaschen  beschrankt.  Der- 
artige  Fiillapparate  konnen  auch  fiir  jede  beliebige  Flaschenanzahl  eingerichtet 
sein.  Auf  dem  umstehenden  Holzschnitte  ist  deutlich  zu  ersehen,  dass  aus  der 
dem  Fasse  eingeschlagenen  Pipe  eine  Rohre  oder  ein  Gefass  g  mit  der  Fliis- 
sigkeit  gefiillt  wird.  Aus  diesem  Sammelgefasse  fiihren  die  Rohre  r',  r"  die 
Flussigkeit  jenen  drehbaren  Hebern  ht — 7«4  zu,  an  welche  die  Flaschen  gesteckt 
werden.   (S.  Fig.  1677.) 

Diese  Fullapparate  werden  gewohnlich  aus  England  bezogen  und  die  Firma 
Farrow  &  Jackson  in  London,  18.  Great  Towerstreet,  liefert  diese  Appa- 
rate  in  grosster  Auswahl  und  besonderer  Glite.  (Vergl.  polyt.  Centralblatt  185S 
pag.  66).  G.    W. 

Flaschenglas  s.  Glas. 

Flaschengriin  s.  Zeugfarberei  und  Druckerei,  s.  a.  Glas. 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.   Bd.  III.  37 


578 


Flaschenkapselri. 


Flascheilkapseln  (capsules  des  bouteitles  —  capsules  of  the  bottle)  sind 
aus  mit  Zinn  plattirten  Bleifolien  auf  Maschinen  erzeugte  Kappen  oder  Hiitcneii 
zum  luftdicliten  Verschluss  von  verkorkten  Flasclien  und  zuv  Bezeichnung  des 
Flascheninkalts.     Vor  ungefahr  40  Jahren   (Ende  des  3.  Jalirzehents  dieses  Jahr- 


Fig.  161\ 


Flascheufiiilapparat. 


hunderts)  wurde  das  BediirFniss,  die  Flaschen  der  in  Handel  gebrachten  Fliissig- 
keiten  auf  eine  fiir  den  Export  in  warrae  Zonen  dauerhaftere  Weise  luftdickt  zu 
verscliliessen  und  die  Echtheit  der  Fiillnng  zu  bezeichnen,  zuerst  in  Frankreich 
durch  Metallkappen  statt    der  Verwendung  von  Siegelwachs  oder  Pech  befriedigt. 

In  England  wurde  die  Erzengung  von  diesen  Metallkapseln  durch  sinnreiche 
Maschinen  vervollkommnet  und  der  Gebrauch  dieses  metalliscben  Flaschenver- 
schlusses  so  verallgemeinert,  dass  nun  auch  uberall  auf  dem  Continent  solche 
Flascheilkapseln  bei  der  Versendung  von  Mineralwassern,  Weinen,  Bieren,  Liqueuren 
und  Arzneimitteln  in  Verwendung  gebracht  werden.  Das  Wichtigste  fiir  die  Er- 
fiillung  des  beabsichtigten  Zweckes  ist  die  Moglichkeit,  diese  Metallkappen  so  fest 
liber  den  Kork  und  Flaschenhals  zu  Ziehen  und  anzuschmiegen,  dass  ein  unver- 
letzendes  Abnehnien  dieser  Metallkappen  und  eine  wiederholte  Verwendung  der- 
selben  Metallkappe  unmoglich  wird.  Das  feste  faltenlose  Anschmiegen  der  Fla- 
scheilkapseln wird  einerseits  durch  die  Weichheit  der  verwendeten  plattirten  Blei- 
folie,  andererseits  durch  die  sinnreiche  und  einfache  Methode,  hiezu  die  Reibung 
einer  Schlinge  eines  ledernen  Bandes  zu  verwenden,  moglich  gemacht.  Die  ausser- 
dem  empfohlene  Verwendung  von  harzigen,  diinnfliissigen  Klebemitteln  ist  dazu 
ganz  iiberfliissig,  und  kann  nur  dort  noch  zum  luftdichten  Verschluss  der  ver- 
korkten Flaschen  nothwendig  sein?  wo  zum  Einpressen  der  Korke  keine  Stoppel- 
mascliinen  verwendet  werden  oder  die  Korke  sehr  poros  und  rissig  sind. 

Die  fabriksraassige  und  gebotene  billige  Erzeugung  der  Flaschenkapseln  ist 
natiirlich  erst  durch  die  vielfache  Verwendung  und  den  gesteigerten  Absatz  moglich 
geworden.     Im    Anfange   hat   man    das  Drucken    der  Kapseln  aus  den  passenden 


Flaschenkapseln.  —  Flaschenreinigung. 


573 


Folienscheiben  auf  mehreren  von  Knaben  betriebenen  Fussdrehbanken  bewerk- 
stelligt  und  erst  Betts*)  in  England  hat  hiezu  die  complicirte  automatisehe 
Kapselstanzmaschine  eingefuhrt,  welche  durch  entsprechende  Verandernng  der 
Matrizen  und  Patrizen  auf  einer  Maschine  in  wenigen  Secunden  die  langsten  Flaschen- 
kapseln zu  erzeugen  im  Stande  ist.  Das  Princip  dieser  Mascbinen  ist  das  im 
Artikel  „Blechbearbeitung"  auf  Seite  556  im  I.  Band  erwalmte  Stanzen 
oder  Pressen  durch  ruhigen  Druck  mittels  Excentern,  und  es  ist  die  von  der 
Maschine  selbst  bewirkte  Transportirung  der  durch  ein  Stanzenpaar  vorbereiteten 
Kapsel  zum  nachsten  Stanzenpaar  durch  eine  Reihe  hochst  sinnreicher  Bewegungen 
moglich  geraacht.  Wir  miissen  auf  die  Beschreibung  dieser  Maschine  verzichten, 
und  verweisen  auf  die  Patentbeschreibung  von  Betts. 

In  Deutschland  wurden  diese  Flaschenkapseln  besonders  von  Vetter  in 
Niirnberg,  Gebriider  Pohle  in  Graupen  bei  Mariaschein  in  Bohmen  und  G. 
Winiwarter  in  Gumpoldskirchen  in  Niederosterreich  der  allgemeinen  Verwen- 
dung  zuganglich  gemacht.  Je  nach  der  Grosse  kosten  1000  Stiick  solche  Kapseln 
4  bis   11  fl. 

Eine  besondere  Art  von  Flaschenkapseln,  welche  leichten,  guten  Verschluss 
bei  Charnpagnerflaschen  gewahren  sollen,  werden  von  der  Pat.  Kork  Company 
London,   1  Great  Winchester  steel  Buildings,  in  den  Handel  gebracht.     G.    W. 

Ueber  Thompson's  luftdichten  Verschluss  fur  weithalsige  Flaschen,  s. 
Dingl.  polyt.  Journal  203  Bd.  pag.  8. 

Flaschenlack  s.  Si  eg  el  lack. 

Flaschenreinigung  (rinser  les  bouteilles,  bottle  washing,  rinsing).  Die 
Versendung  von  Getranken  in  Flaschen  bedingt  eine  grosse  Aufmerksamkeit 
fiir    die    Reinigung    der 


Fig.  1678. 


Flaschen,  deren  Fiillung 
mit  geklarten  und  zur 
Versendung  geeigneten 
Fliissigkeiten  und  end- 
lich  die  luftdichte  Ver- 
korkung  mit  neuen,  ge 
sunden  Stopseln. 

Fiir  die  Flaschenrei- 
nigung ist  nicht  nur 
reines  Sptilwasser  in  ge- 
nugender  Menge  erfor- 
derlich,  sondern  es  miis- 
sen auch  oft  mechanische 
Hilfsmittel,  reiner  gro- 
ber  Sand  oder  eigene 
Flaschenbiirsten  mit  in 
Anwendung  gebracht 
werden,  und  was  das 
Wichtigste  ist :  das  letzte 
Spiilwasser  muss  in 
einem  kraftigen    Strahle 

in  die  Flasche  geleitet  werden,  daher  dieses  aus  einem  5 — 6  Meter  hoch 
stehenden  Bottich  mittels  eines  Spritzhahns  die  Flasche  treffen  soil. 
Sind  die  Flaschen  gebraucht  gewesen,  so  muss  auch  eine  Spiilung  mit  ver- 
diinnter  Salzsaure  der  Spiilung  mit  reinem  Wasser  vorhergehen.  Die  mechanische 
Reinigung  mit  Bleischrot  muss  aber  unbedingt  als  gesundheitsgefahrlich  vermiedeu 
werden. 


Das  I.  Patent  vom  12.  Januar  1849. 


37* 


580  Flascheni'tdriigung.  —  Flans. 

Die  zweckmassigste  Form  der  Flaschenbiirsten  aus  zwei  verzinkten  eisernen, 
gabelformig  federnden  Theilen  zeigt  beistehender  Holzsclinitt  Fig.  1679. 

Solche  Biirsten  werden  aber  riicht  nur  riiit  dem  ein- 
fachen    Drahtgriffe,    sondern    audi    rait    einer  Kurbel    und 
±ig.  lot  J.  einer     einfachen    Radiibersetzung    schneller    und    kraftiger 

gedreht,  wie  der  Holzsclinitt  Fig.  1678  zeigt,  und  der 
Zweck  der  guten  Flasclienreinigung  wird  dann  urn  so  leichter 
und  schneller  erreicht.  G.    W. 

Flaschenschraubstock,  s.  Schraub  stock. 

Flaschenverkorkungsmaschinen.  Obwohl  manritg- 
fache  Maschinen  die  Aufgabe  Flaschen  zu  verkorken  losen, 
so  sei  bier  doch  nur  eines  der  angewandten  Systeme  kurz 
dargelegt,  welches  besonders  gut  die  Aufgabe  lost.  Bei 
dieser  Maschine  wird  der  Kork  durch  den  Druck  eines 
von  Hand  aus  bewegten  Hebels,  welcher  den  auf  den  Kork 
unmittelbar  driickenden  Stahlcylinder  bethatigt,  in  die 
Flasche  eingepresst. 
Damit  die  in  der  Flasche  befindliche  Luft  oder  falls  dieselbe  mit  Fliissigkeit 
ganz  gefiillt  sein  sollte,  diese,  dem  eindringenden  Korke  keinen  grossen  Widerstand 
entgegensetzt,  wird  eine  „Nadel"  (zarte  Blechrinne)  vor  dem  Korke  eingeschoben, 
neben  welcher  derselbe  eingedriickt  wird  und  durch  die  Nadel  Luft  oder  Fliissig- 
keit nach  aussen  treibt.  Das  Einfiihren  des  Korkes  geschieht  in  einen  konisch 
sich  verengenden,  in  ein  trichterartiges  Rohr  iibergehenden  Spalt.  Der  von  einem 
Hebel  bewegte  Stempel,  indem  er  den  Kork  niederdriickt,  zwingt  denselben  den 
geringen  Durchmesser  des  (sehr  dickwandigen)  Trichters  anzunehmen.  Die  auf 
einera  beweglichen,  durch  selbstthatige  Keilstellung  feststellbaren,  Untersatze  ste- 
hende  Flasche  ist  mit  ihrem  Halse  genau  an  die  OefFnnng  jenes  tricliterartigen 
Theiles  gedriickt  und  tritt  der  Kork  also  unmittelbar  aus  dem  Trichter  in  den 
Flaschenhals  ein,  wo  er  sich  entsprechend  ausdehnt  und  den  vollkommenen  Ab- 
schluss  bewirkt.  Bei  dem  Heben  des  Handhebels  wird  die  Nadel  ausgezogen 
und  die  Festklemmung  des  Flaschentisches  aufgehoben,  so  dass  die  Flasche  entfernt 
werden  kann,  welche  nun  verkorkt  ist. 

Diese  Maschinen  sind  schon  seit  lange  in  Champagnerfabriken  in  Gebrauch 
und  bewahren  sich  vorziiglich.  Als  Bezugsquelle  dieser  und  verwandter  Maschinen 
kann  die  Administration  der  W e i n  1  a ub  e  in  K 1  o  s  t  e r  n  e u b  u r g  bei  Wien 
empfohlen  werden.     (Vgl.  die  Artikel:  Kellerwirthschaft  und  Wein).     Kk. 

Flaschenverschluss,  s.  Flaschenkapseln. 

Flaschenzug,  s.  Hebemaschinen. 

Flattirfeuern  gleichbedeutend  mit  Anwarmen,  Vorheizen,  beim  Einbrennen 
der  Glasur  des  Porzellans,  s.  Tlionwaare n. 

FlatterrilSS  ist  theerarmer,  flockiger  Russ  von  brauner  oder  schwarzer 
Farbe,  je  nachdem  er  bei  der  Verbrennung  kohlenstoffarmerer  oder  kohlenstotf- 
reicherer  Brennmaterialien  sich  bildet,  vgl.  Russ,  s.  Kohlenstoff     Gil. 

Flaumhaar  oder  Grundhaar  (poll  follet  —  down,  soft  hair).  Bei  der 
Mehrzahl  der  Pelze  oder  der  Behaarung  der  im  wilden  Zustande  lebenden  Thiere 
ist  das  weiche,  feine  Grundhaar  deutlich  von  dem  langeren  groberen  Oberhaar 
zu  unterscheiden  und  werden  beide  getrennt  verarbeitet. 

Flaus,  Fries  (frise  —  coating)  ist  ein  tuchartiges  Gewebe,  welches  sich 
von  dem  gewohnlichen  Tuch  durch  grossere  Dicke  und  la'ngeres,  groberes  Haar 
unterscheidet.  Kk. 


Flaveanwasserstoff.  —  Flechtenfarbstoffe.  581 

Flaveanwasserstoff,  Cyansulfhydrat,  Sulfoxalenid,  ist  eine  Doppel- 

verbindung  von  Cyan  rait  Schwefelwasserstoff  von  der  Formel  (CN)a  -j-  SHa. 
Entstelit  bei  der  directen  Einwirkung  von  Cyan  und  feucbtem  Schwefelwasserstoff 
auf  einander  in  Gestalt  gelber  Krystallnadeln.     Gtl. 

Flavin  (quercitrine  —  fiavine),  Flavingelb.  Diesen  Naraen  fiibrt  ein 
namentlich  in  friiherer  Zeit  fur  Farbereizwecke  vielfach  angewendetes  Praparat 
(vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  140  pag.  297),  das  wesentlich  ein  aus  Quercitron  ge- 
wonnenes  Extract  darstellt,  welches  entweder  durch  Extrahiren  der  Quercitronrinde 
mit  Wasser  (vgl.  Konig  Dingl.  pol.  Journ.  145  pag.  304)  oder  durch  Auslaugen 
der  Rinde  mit  einem  kohlensauren  Alkali  und  Fallen  des  alkalischen  Auszuges 
mit  Schwefelsaure  dargestellt  werden  kann  (vgl.  Hochstattler  und  Oehler 
polyt.  Centralbl.  1857  pag.  1453).  Es  besteht  wesentlich  aus  Quercitrin  und 
Quercetin  und  stellt  ein  braungelbes  Pulver  dar,  dessen  Farbevermogen  16mal 
grosser  ist  als  das  der  Quercitronrinde  (s.  Quercitron).  Unter  demselben 
Namen  kam  iibrigens  auch  ein  blassgelbes  Farbstoffextract  in  den  Handel,  welches 
sich  wesentlich  als  ein  Gemenge  von  Morinsaure  und  Moringerbsaure  erwies  und 
otfenbar  durch  Extraction  von  Gelbholz  dargestellt  war  (vgl.  G  el  b  ho  1  z).  Uebrigens 
belegt  man  auch  das  Diamidobenzophenon  (Diphenylharnstoff)  mit  dem  Namen 
Flavin.     Gtl. 

Flavindin.  Ein  Zersetzungsproduct  des  In  din's,  sowie  des  Isatyd's  und 
der  Sulfisatyde,  welches  durch  Einwirkung  von  alkohol.  Kalilauge  auf  einen  dieser 
Korper  entstelit  und  gelbe  sternformig  gruppirte  Nadeln  bildet,  vgl.  Indigo 
und  Is  a  tin.     Gtl. 

Flavinschwefelsaure.  Sulfo  flavins  Sure,  Zersetzungsproduct  des  indig- 
blauschwefelsauren  Kali's  (vgl.  Indigo)  durch  Einwirkung  von  Kalkwasser  bei 
Luftzutritt  entstehend.     Gtl. 

Flavopurpurill  nennen  S chunk  und  Rb'mer  (s.  Ber.  d.  deutsch.  chem. 
Gesellsch.  1875  pag.  1628  und  1876  pag.  379)  ein  aus  der,  das  kiinstliche 
Alizarin  begleitenden  Anthraflavinsaure  darstellbares  Purpurin,  vgl.  Purpurin. 
Es  bildet  goldgelbe,  in  kaltem  Alkohol  leicht  losliche,  in  Wasser,  selbst  bei  Koch- 
hitze  wenig  losliche  Krystallnadeln,  welche  sich  in  Kalilauge  mit  einer  weniger 
rothen  Purpurfarbe  losen  als  gewbhnl.  Purpurin.  Ihre  Zusammensetzung  entspricht 
der  Formel  C\^HsOb.     Gtl. 

Flechtarbeiten,  Flechten  (tresser,  cordormer,  natter  —  to  twist,  to 
tveave,  to  plait).  Das  Flechten  ist  zumeist  Handarbeit  und  wird  gewohnlich  mit 
kiirzeren,  biegsamen,  band-  oder  ruthenformigen  Materialien,  wie  gespaltenem 
Stroh,  gespaltenen  oder  ganzen  Weidenruthen  etc.  ausgefuhrt.  Die  Verwendung 
der  Strohgeflechte  zu  Hliten,  sowie  die  Korbflechterarbeiten  sind  bekannt.  Sowie 
nun  Stroh  und  Bast  zu  Flechtarbeiten  verwendet  werden  kann,  so  konnen  auch 
Haare  und  endlich  auch  Gespinnste  hierzu  Verwendung  finden.  Das  Kloppeln 
der  Spitzen  ist  eine  mit  dem  Flechten  im  Wesentlichen  iibereinstimmende  Operation, 
wenn  durch  dieselbe  auch  die  mannigfachst  gemusterten  Fabrikate  (s.  Spitzen) 
erzielt  werden.  Manche  Schniire  werden  auch  durch  Flechten  hergestellt,  so 
Haarschniire,  Peitschenschniire  etc.,  doch  bedient  man  sich  hierbei  mit  Vortheil 
der  Rundschnur  oder  Kloppelmaschine,  s.  d.  vergl.  auch  Posamentier- 
arbeiten  und  Holzgewebe.     Kk. 

Flechtenblau  syn.  Lakmus. 

Flechtenfarbstoffe.  Eine  grosse  Anzahl  von  Flechtenarteii  (Lichenes)  ent- 
halten  eine  Reihe  farbloser  Verbindungen,  die  durch  die  Einwirkung  verschiedener 
Agentien  als  Resultat  ihrer  Spaltung  ein  Product,  das  Orcin  geben,  welches  als 
Chromogen  den  Ausgangspunkt  fttr  die  Bildung  der  blauen  und  violetten  Flechten- 


582  Flechtenfarbstoffe. 

farbstoffe  bildet;  letztere  sind  der  teclmisch  verwerthete  Bestandtheil  der  unter 
dem  Namen  Orseille,  Persio  und  Lacknius  im  Handel  vorkommenden  und 
zur  Farberei  von  Wolle  und  Seide  Anwendung  findenden  Farbwaaren. 

Andere  Arten  von  Flechten  enthalten  fertig  gebildete  gelbe  Farbstoffe,  welche 
jedoch,  hauptsachlich  wegen  ihrer  Schwerloslichkeit  in  Wasser,  bisher  noch  keine 
technische  Verwendung  fanden. 

Die  hier  in  Betracht  zu  ziehenden  Flechtenarten  zeigen  im  Allgemeinen 
folgende  Formen:  Aus  kleiner  festsitzender  Basis  erhebt  sich  die  baumahnlich 
verastelte  Pflanze,  deren  Zweige  bald  haarformig  spitz,  bald  mehr  oder  weniger 
dick,  oder  am  Ende  verbreitert,  auch  ganz  flacb  gebildet  sind;  die  Farbe  wechselt 
zwischen  grau  und  braunlichweiss. 

Die  wichtigsten  zur  Fabrication  der  Farbstoffe  verwendeten  Gattungen  und 
Arten  sind: 

Rocella  tinctoria  (Var.  fuciformis),  Rocella  montagnei,  Usnea  florida, 
Usnea  hirta,  Usnea  plicata,  Usnea  barbata,  Lecanora  tartarea,  Lecanora 
parella,  Variolaria  dealbata,  Variolaria  lactea,  Variolaria  orcina,  Parmelia 
furfuracea,  Evernia  prunastri,  Ramalina  calicaris,  Cladonia  rangiferina, 
Lecidia  geographica,  Cetraria  vulpina,  Gyrophora  pustidata  u.  a. 

Hauptfundorte  genannter  Flechten  sind  die  Kiisten  des  mittellandischen 
Mecres,  Spaniens,  Frankreicbs,  Hollands,  Englands,  Schwedens,  die  canarischen 
und  capverdischen  Inseln,  zu  denen  in  der  neueren  Zeit  audi  Siidamerika  (Lima, 
Valparaiso),  Afrika  (Madagaskar,  Zanzibar,  Angola)  und  Ostindien  zu  zahlen  sind. 

Obwohl  sclion  den  Griechen  und  Romern  das  Farben  mit  Flechtenstoffen 
bekannt  war  und  die  Darstellung  von  Orseille  bereits  im  14.  Jahrhunderte  be- 
trieben  wurde,  war  doch  bis  in  die  neueste  Zeit  tiber  das  Wesen  und  den  Zu- 
sammenhang  der  verschiedenen  Flechtensauren  und  der  aus  denselben  gebildeten 
Farbstoffe  nichts  Naheres  bekannt,  bis  die  miihevollen  Arbeiten  von  Heeren, 
H  e  1  d  t,  Hesse,  Kane,  Laurent  und  G  e  r  h  ar  d  t,  R  o  b  i  q  u  e  t,  R  o  c  h  1  e  d  e  r, 
Schunck,  Stenhouse,  Strecker  und  Anderen  Licht  iiber  diese  Verbindungen 
verbreiteten  und  dieselben  ibrem  natiirlichen  Zusammenhange  nach  erklarten. 

In  den  obgenannten  Flechtenarten  finden  sich  eine  Reihe  farbloser  oder  gelb 
gefarbter  Sauren,  deren  wichtigste  die  Lecanorsaure,  Erythrinsaure,  Evernsaure, 
Vulpinsaure,  Usninsaure,  Rocellsaure  und  Parellsaure  sind.  Die  meisten  dieser 
Verbindungen  liefern  durch  Kochen  mit  Wasser,  Alkohol,  wasserigen  Losungen 
von  Alkalien  und  alkalischen  Erden  ein  Endproduct,  das  Orcin,  welches  als  die 
eigentliche  Grundsubstanz  fiir  die  Bildung  des  Farbstoffes  angesehen  werden  kann, 
indem  sich  dasselbe  durch  Einwirkung  von  feuchter  Luft  und  Ammoniak  in  Or  cei'n 
verwandelt,  eine  Substanz,  die  in  alien,  Orseille,  Persio,  Cudbear  genannten 
Flechtenfarbstoffen  offenbar  das  farbende  Princip  bildet. 

Es  seien  hier  nur  kurz  die  wichtigsten  Flechtenfarben  angefuhrt  und  wird 
auf  das  Specielle  derselben  bei  den  einzelnen  Artikeln  verwiesen. 

Orseille  (orseille- orclial)  wird  aus  verschiedenen  Rocella-  und  Lecanora- 
arten  durch  Behandlung  mit  faulendem  Ham  oder  Avasserigem  Ammoniak  erzeugt 
und  kommt  im  Handel  als  brei-  oder  pastenartige  Masse  von  eigenthiimlich 
ammoniakalischem  Geruche,  alkalischem  Geschmacke  und  mehr  oder  weniger  roth- 
violetter  oder  violelter  Farbe  vor.  Man  unterscheidet  hauptsachlich  zwei  Sorten : 
Krautorseille  (Orseille  de  mer)  aus  Rocellaflechten  und  Erdorseille 
(Orseille  de  terre)  aus  Variolaria  orcina,  Variolaria  dealbata  und  Lecanora 
tartarea  gewonnen. 

Durch  Ausziehen  des  Farbstoffes  der  Orseille  und  nachheriges  Eindampfen 
der  Losung  oder  durch  Isolirung  des  farbstoffgebenden  Orcins  der  Flechten  und 
naclihcriges  Verwandeln  desselben  in  den  eigentlichen  Farbstoff,  gewinnt  man  die 
sog.  Orseilleextracte. 

Unter  d  cm  Namen  franzosischer  Pur  pur  (Pour  pre  /ran  gaise — f ranch 
purple)    kommt    ein    Orseillekalklack,    d.  i.  ein    durch    Fallung  der  durch  Einwir- 


Elecbtenfarbstaffe.  588 

kung  der  Luft  kirschrotli  gewordenen  ammoniakalischen  Losung  dor  Flechten- 
sauren  mit  Ohlorcatcium  erhaltener  Niederschlag  von  schoner  tiefgranatrother 
Farbe  im  Handel  vor.  Persio,  Cudbear  oder  rot  her  Indigo  i.-^t  in  gelinder 
Warme  getrocknete  nnd  fein  geinablenc  Orseille. 

Laekmus  wird  aus  Rocella-,  Lecanora-,  Variolaria-Artcri  durch  Faulen- 
lassen  der  zerkleinerten  Flecbten  init  Harn  oder  Ammoniak  unter  Zusatz  von 
Pottasche  oder  Kreide  bis  zur  vollstandigen  Blaufarbung  der  Masse  und  nach- 
berigen  Zusatz  von  Kreide  und  Gyps,  Formen  in  Tafelchen  und  Trocknen  der- 
selben  gewonnen.  Nach  Kane  ist  der  wesentlicbste  Bestandtbeil  des  Laekmus  das 
Azoli train  (C1H1NOi),  eine  dunkelrothbraune  Substanz,  die  aus  dem  Orcin 
durcb  Einwirkung  von  Ammoniak  und  Sauerstoff  entstanden  gedacbt  werden  kann. 

Wie  bereits  erwahnt  finden  sicb  in  den  zur  Farbstofff'abrieation  verwendeten 
Flecbten  eine  Anzahl  Sauren,  durch  deren  Zersetzung  Orcin  und  weiter  der  eigent- 
licbe  Farbstoff  Orcein  gebildet  wird;  im  Folgenden  mogen  die  wicbtigsten  Flecbten- 
sauren  kurz  charakterisirt  werden. 

L  e  can  or  s  an  re*)  (acide  lecanorique  —  lecanoric  acid)  (Orsellsaure, 
Alphaorsellsaure,     Lekanorin,    Diorsellinsaure ,     Esteranhydrit    der    Orsellinsaure; 

o16sl4o7. 

Zuerst  1842  von  Schunck  dargestellt,  findet  sich  in  Rocella-,  Lecanora- 
und  Variolaria-Arten,  nach  Hesse  (Annalen  der  Chem.  und  Pharm.  89  p.  22) 
besonders  in  Rocella  tinctoria  und  wird  nach  dem  Verfahren  von  Stenhouse 
erhalten,  indem  man  den  durch  Maceration  der  zerschnittenen  Flecbten  mit  Kalk- 
milch  erhaltenen  gelblichen  Auszug  mit  Salzsaure  fallt,  den  erhaltenen  weissen 
gallertartigen  Niederschlag  auswascht,  auf  Gypsplatten  trocknet  und  aus  warmem 
Alkohol  crystallisirt.  Nach  Hesse,  indem  man  den  durch  Extraction  der  Flecbten 
mit  Aether  erhaltenen  Auszug  verdunstet,  den  Riickstand  in  Kalkmilch  lost,  mit 
Schwefelsaure  fallt  und  den  mit  Wasser  gewascbenen  Niederschlag  wiederholt 
aus  Alkohol  krystallisirt. 

Die  Lecanorsaure  bildet  farblose,  sternformig  vereinigte  Nadeln  mit  1  Mol. 
Krystallwasser,  welche  bei  153°  scbraelzen;  die  Krystalle  rothen  Laekmus,  sind 
im  Wasser  schwer,  leichter  in  kaltem,  leicht  in  heissem  Alkohol  loslich ;  sie  bildet 
mit  Alkalien  losliebe  krystallisirbare  Salze.  Ihre  Losung  in  wasserigem  Ammoniak 
farbt  sich  an  der  Luft  roth ;  die  wasserige  oder  alkoholische  Losung  mit  Eisen- 
chlorid  purpurroth.  Bildet  beim  Erhitzen  Orcin  und  ein  brenzliches  Oel,  hinter- 
lasst  nur  wenig  Kohle.  Beim  Kochen  mit  Wasser,  Aethyl-  oder  Amylalkohol 
entsteht  Orsellinsaure,  resp.  Orsellinsaureathyl-  oder  Amylathcr 
C1G^1407     +     Ho0    ^     2(CSHS04) 

Lecanorsaure  Orsellinsaure. 

Die  Orsellinsaure  selbst  zerfallt  bei  langerem  Kochen  in  Orcin  und  K  o  b  1  e  n- 

O    Q    IT   V  p  * 

C8H80i     -=z     C7H80„     +     CO„ 

Orsellinsaure  Orcin  Kohlensaure. 

Rascher  und  vollstandiger  erfolgt  diese  Zersetzung  der  Lecanorsaure  durch 
Kochen  derselben  mit  verdiinnten  Losungen  von  Alkalien  oder  alkaliscben  Erden. 

Die  Orsellinsaure  (acide  orsellique  —  orchillic  acid) 
Cs77s04  ==  CGHq  (CH,)    (OB),  CO.OH 
krystallisirt  aus  Wasser  und  Weingeist  in  farbloscn  sternformig  gruppirten  Nadeln 
von  schwachsaurem,    zugleich    bitterem  Geschraackc,    welche    bei    176°    schmelzen 
und  hiebei  unter  Schauraen  in  Orcin  und  Kohlensaure  zerfallen. 

Die  aus  Rocella  tinctoria  vom  Cap  der  guten  Hoffnung  dargestellte  Beta- 
orsellsaure   ist    von    Schunck    und    Gerhardt    als  identiscb  mit  Lecanorsaure 


*)  Vrrgl.  hieriiber  Rochleder  und  Heldt,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm.  48  pig.  -2.  Sten- 
house, Ann.  d.  Chem.  u.  Pliarni.  GS  pag.  57.  O.  Hesse,  Ann.  d.  Chem.  u.  rhann. 
139  pag.  22.     Schunck,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm.  41   pay.   157,  54  pag-.  261, 


584  Flechtenfarbstoffe. 

erkannt  worden;    ein  Gleiches  glaubt  Gerhard t  far  die  aus  Gyrophora  postulata 
dargestellte  Gyrophorsaure  annehraen  zu  mussen. 

Ery thrinsaur e*)  (acide  erythrique  — ■  erythric  acid)  (Erythrin,  Dior- 
sellinsaure  —  Erythritester) ,  C„0H,VIOi0.  Zuerst  von  Heeren  dargestellt, 
findet  sich  in  den  vollstandiger  entwickelten  Formen  der  Valparaisoflechte  Rocella 
fuciformis.  Man  digerirt  die  zerschnittenen  Flechten  mit  Kalkmilch  und  fallt 
entweder  die  colirte  gelbe  Fliissigkeit  mit  Salzsaure,  wodurch  ein  weisser  gal- 
lertartiger  Niederschlag  erfolgt,  oder  man  leitet  in  die  Losung  Kohlensaure,  in 
welchem  Falle  kohlensaurer  Kalk  und  Erythrin  niederfallen.  Der  entstandene 
Niederschlag  wird  mit  Alkohol  erwarmt,  mit  Thierkohle  entfarbt,  filtrirt  und  mit 
so  viel  heissem  Wasser  versetzt,  dass  eine  bleibende  Triibung  entsteht;  nach 
dem  Erkalten  scheidet  sich  die  Erythrinsaure  ziemlich  volistandig  in  krystallini- 
scliem  Zustande  aus.  Sie  bildet  weisse,  kugelformig  gruppirte  feine  Nadeln  ohne 
Geruch  und  Geschmack,  schwer  in  Wasser  und  Aether,  leicht  in  kochendem 
Weingeist  loslich;  schmilzt  bei  137°  und  efsiarrt  beim  Erkalten  amorph ;  farbt 
sich  mit  Ammoniak  an  der  Luft  allmalig  dunkelroth,  mit  Eisenchlorid  in  wein- 
geistiger  Losung  purpurroth.  Sie  verliert  beim  Erhitzen  Krystallwasser  und 
zersetzt  sich  unter  schwacher  Kohlensaureentwicklung ;  lost  sich  ohne  Zersetzung 
in  concentrirter  Schwefelsaure  und  Salzsaure  und  wird  durch  Wasser  unverandert 
abgeschieden. 

Beim  Kochen  mit  Wasser,  Weingeist  oder  Amylalkohol,  wasserigen  Losungen 
der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  zerfallt  die  Erythrinsaure  in  Pikroery  thrin 
und  Orsellinsaure,  resp.  Orsellinsaureathyl-  oder  Amylather. 

Erythrinsaure  Pikroerytbrin  Orsellinsaure. 

Das  Pikroerythrin  Ci„HliiO:,  von  Heeren  als  Erythrinbitter,  von  Kane 
als  A  m  arithrin  beschrieben,  bleibt  beim  Verdunsten  der  gekochten  weingeistigen 
Losung  des  Erythrins  neben  Orsellinsaureathylather  zuriick  ;  letzterer  bleibt  beim 
Vermischen  dieses  Riickstandes  mit  Wasser  ungelost,  wahrend  aus  der  filtrirten 
Losung  Pikroerythrin  auskrystallisirt.  Es  bildet  lange  sternformig  gruppirte  Nadeln 
mit  3  Mol.  Wasser,  wenig  in  kaltem,  leichter  in  heissem  Wasser,  leicht  in  Wein- 
geist und  Aether  loslich;  schmilzt  bei  158".  Beim  Kochen  mit  Kalk-  oder 
Barytwasser  zerlegt  es  sich  in  Orsellinsaure  und  Erythrit  (Erythroglucin, 
Erythromannit  oder  Phycit),  erstere  in  Orcin  und  Kohlensaure. 

C\,Hl607       +       Ho0      =      CsH,Ox     ■+       CAHinO, 

Pikroerythrin  Orsellinsaure  Erythrit 

CsHsOi      =      C7ffnOa      +      COs 

Orsellinsaure  Orcin  Kohlensaure. 

Beim  Kochen  von  Erythrinsaure  mit  iiberschiissigem  wasserigem  Kalk  oder 
Baryt  werden  nur  die  Endproducte  der  Zersetzung,  Erythrit;  Orcin  und  Kohlen- 
saure erhalten. 

B e taery t hrinsaure**)  (acide  betaerythrique  —  betaenjthric  acid) 
(7,,#ooO|0  findet  sich  an  Stelle  \on  Erythrinsaure  in  verktimmerten  Formen 
von  Rocella  fuciformis;  bildet  ein  weisses  krystallinisches  Pulver,  welches 
bei  116°  unter  heftiger  Kohlensaureentwicklung  schmilzt.  Beim  Kochen  mit 
Wasser,  Weingeist,  wasserigen  Alkalien  und  alkalischen  Erden  entsteht  neben 
Orsellinsaure  Betapikroerythrin  C13ffi606  und  statt  Orcin  das  homologe  Beta- 
orcin    CsHinO<i,    letzteres    krystallisirt    in    grossen    glanzenden    klinorhombischen 


*)  Vgl.  Kane,    Ann.  d.   Chem.  u.  Pharm.  39  pag.  31.  Schunck,  Ann.  d.  Chetn.u.  Pharm. 

61  pag.  64.  St  en  ho  use,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm.    68  pag.  72.  O.Hesse,  Ann.  d.  Chem. 

u.  Pharm.   139- pag.   22.     Heeren,  Scliw*  igg.  Journ.  59  pag.  313. 
*)  Vgl.  Lamparter,  Ann.  d.  Chemie  u.  Pharm.   134  pag.  243.  Menschutkin,  Zeitschr. 

fur  Chem.  8  pag.   112. 


FlechtenfarbstofFe.  585 

Prismen  von  schwach  siisscra  Geschmack;  in  kaltem  Wagsev  schwerer  loslich  als 
Orcin;  farbt  sich,  wenn  vollig  rein,  durch  Einwirkung  von  Luf't  und  Aramoniak 
nur  sehr  langsam  roth. 

E  v  e  r  n  s  a  u  r  e  *)  (acide  evemique  —  evernic  acid)  C17  T/,,.0,  findet 
sich  nach  Sten house  und  Hesse  neben  Usninsaure  in  Evernia  pruiiastri; 
man  zieht  die  Flechte  mit  Kalkmilch  aus,  fallt  den  filtrirten  gelbliclien  Auszug 
mit  Salzsaure  oder  Schwefelsaure,  trocknet  den  mit  kaltem  Wasser  gewaschenen 
Niederschlag,  entzieht  demselben  die  Evernsaure  durch  schwach  erwarmten 
Alkohol  oder  Aether  und  krystallisirt  mehrmals  aus  Alkohol.  Sie  bildet  weisse 
kugelige  Krystallaggregate,  die  sauer  reagiren,  bei  164°  schmelzen,  im  Wasser 
schwer,  leichter  in  Alkohol  und  Aether  loslich  sind;  bei  der  trockenen 
Destination  entsteht  neben  Orcin  ein  brenzliches  Oel.  Die  ammoniakalische 
Losung  farbt  sich  an  der  Luft  dunkelroth.  Beim  Kochen  mit  wasserigen  Alkalien 
oder  alkalischen  Erden  zerfallt  die  Evernsaure  in  Everninsaure,  Orcin  und 
Kohlensaure. 

C^H^O,      +      Ho0      =      C9ffl00,      +      C\H80,      +      CO, 

Evernsaure  Everninsaure  Orcin  Kohlensaure 

Everninsaure  [acide  everniriique  —  eveminic  acid)  Cc,Hi004,  eine  der 
Orsellinsaure  homologe  Saure,  krystallisirt  in  farblosen  feinen  Nadeln,  in  kaltem 
Wasser  fast  unloslich,  leicht  loslich  in  heissem  Wasser,  Alkohol  und  Aether ; 
schmilzt  bei  175°,  wird  durch  Eisenchlorid  violett  gefarbt.  Beim  Schmelzen  mit 
Kali  liefert  sie  neben  Kohlensaure  Orcin. 

Vulpinsaur  e  **)  {acide  vidpinique  —  vulpinic  acid)  (Chrisopikrin) 
Cl9HliOr)  findet  sich  in  Evernia  s.  Cetraria  vuljpina,  nach  Stein  in  den 
unentwickelten  Formen  von  Parmelia  parietina;  sie  wird  der  betreffenden 
Flechte  durch  lauwarmes  Kalkwasser  entzogen  und  scheidet  sich  beim  Ansauern 
des  Filtrates  in  gelben  Krystallen  ab ;  krystallisirt  aus  Chloroform  in  dicken 
Prismen.  In  Wasser  und  kaltem  Alkohol  sehr  schwer,  leichter  in  kochen dem 
Alkohol  und  Aether,  leicht  in  Chloroform  loslich.  Schmilzt  bei  110°,  erstarrt  beim 
Erkalten  krystallinisch  und  sublimirt  bei  120°  in  glanzenden  Blattchen,  welche 
sich  in  Alkalien  mit  gelber  Farbe  losen ;  bildet  mit  Alkalien  gelbe  losliche,  mit 
Metalloxyden  unlosliche  Salze. 

Usninsaure***)  (acide  usniqw  —  usnic  acid)  CiSH1801,  von  Knop, 
Rochleder  und  Heldt  gleichzeitig  entdeckt;  gehort  zu  den  verbreitetsten 
Flechtensauren  und  findet  sich  in  alien  Arten  der  Gattung  Usnea,  ferner  in 
Cladonia-,  Parmelia-,  Ramalina-  und  Lecanora- Arten.  Besonders  geeignet  zur 
Darstellung  sind  Cladonia  rangiferina,  Usnea  florida  und  Ramalina  calicaris. 
Krystallisirt  in  hell  schwefelgelben  glanzenden  Blattchen  oder  Prismen,  in  Wasser 
unloslich,  schwer  loslich  in  Alkohol  und  Aether;  leicht  loslich  in  kochendem 
Aether,  heissen  atherischen  und  fetten  Oelen ;  schmilzt  bei  200 — 202°  zu  einer 
durchsichtigen  harzartigen,  beim  Erkalten  krystallinisch  erstarrenden  Masse.  Die 
aus  Cladonia  rangiferina  erhaltene  Saure  schmilzt  nach  Hesse  bei  175°  und 
wird  von  ihm  als  Betausninsaure  unterschieden.  Die  Usninsaure  ist  loslich  in 
Alkalien,  die  Losung  braunt  sich  unter  Sauerstotf-Absorbtion  sehr  rasch  an  der 
Luft.  Bei  der  trockenen  Destination  liefert  Usninsaure  ein  Destillat  von  Betaorcin 
CaHloOl2;  diese  dem  Orcin  homologe  Substanz,  welche  audi  aus  Betapikroerythrin 
entstelit,  bildet  grosse  glanzende  klinorhombische  Prismen,  welche  unzersetzt  in 
schonen  weissen  Nadeln  sublimiren. 


*)  Vgl.  Stenhouse,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm.  68  pag.  83.  O.  Hesse,  Ann.  d.  Chem.  und 
Pharni.  117  pag.  297. 
**)  Vgl.  Bo  1  ley  u.  Kinkelin,  Journ.  f.pract.  Chem.  (2)  93  pag.  354.  Stein,  Zeitsch.  Chem. 
7  pag.  97;  8  pag.  47.  Moller  u.  Strecker,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm.  113  pag.  56. 
***)  Vgl.  Kochleder  u.  Heldt,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm,  48  pag.  9.  Stenhouse,  Ann.  der 
Chem.  u.  Pharm.  68  pag  97.  Hesse,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm.  118  pag.  343.  Knop 
und  Schnedermann,  Journ.  f.  pract.  Chem.  39  pag.  363. 


586  Flechtenfarbstoffe. 

Chrysophansaure  (Ruraicin,  Lapatliin  oder  Rhabarbersaure)  von  Her- 
b  e  r  g  e  r,  R  o  c  h  1  e  d  e  r  und  H  e  1  d  t  in  der  Wandflechte,  Parmelia parietina  entdeckt ; 
findet  sich  anch  in  der  Rhabarberwurzel  und  in  Rumexarten;  krystallisirt  in  gold- 
gelben  metallisch  glanzenden  Nadeln,  welche  bei  162°  schmelzen,  bei  hbherer 
Temperatur  unter  theilweiser  Zersetzung  sublimiren  (vgl.  auch  II  pag.  359). 

Die  zuletzt  angeflihrten  gelben  Flechtenfarbstoffe  haben  bislang  keine  tecli- 
nische  Verwendung  gefunden.  Chrysophansaure  findet  neuestens  Anwendung  als 
Heflmittel. 

Roc  el  Is  aur  e*)  (rocelline  —  rocellic  acid)  Rocellin  C17Hi204  findet 
sich  neben  Erythrinsaure  in  Rocella  tinctoria;  bildet  weisse  silberglanzende 
Tafeln  oder  kurze  Nadeln,  in  Wasser  unloslich,  leicht  loslich  in  warmem  Alkohol 
und  Aether;  geruch-  und  geschmacklos.  Schmelzpunkt  132°.  Beim  Erhitzen 
auf  220 — '280°  C.  verwandelt  sie  sich  in  Rocellsaureanhydrit  CnH300.d. 

Parellsaure  (acide  parellique  — parellic  acid)  Parellin  ClJHi.Oi  findet 
sich  nach  Schunck  neben  Lecanorsaure  in  Lecanora  Parella]  krystallisirt  in 
feinen  stark  glanzenden  Nadeln,  welche  in  Wasser  fast  unloslich,  in  Alkohol 
und  Aether  leicht  loslich  sind. 

Orcin  {prcine  —  orcine)  (Alphaorcin,  Dihydroxyltoluol) 
C:H80o_  =  C6H3(CH3)(0H)*. 
Orcin,  das  unmittelbare  Chromogen  der  Flechtenfarbstoffe,  findet  sich  vielleicht  in 
sehr  geringer  Menge  bei'eits  fertig  gebildet  in  den  Flechten  vor  und  entsteht  durch 
Einwirkung  von  Wasser,  Alkohol,  Losungen    von  Alkalien    und  alkalischen  Erden 
auf  Lecanorsaure,  Erythrinsaure,  Orsellinsaure  etc. 

Zur  Darstellung  von  Orcin  verfahrt  Sten house  auf  folgende  Art :  Eine 
Rocellaflechte  wird  mit  Kalkmilch  macerirt,  colirt  und  die  erhaltene  Fliissigkeit 
mehrere  Stunden  gekocht;  hiebei  uhergeht  die  Lecanorsaure  in  Orcin  und  Kohlen- 
saure.  Zur  Entfernung  des  Kalkes  wird  Kohlensaure  eingeleitet,  filtrirt  und  die 
erhaltene  Losung  zur  Trockene  verdarnpft;  der  Riickstand  wird  mit  kochendera 
Alkohol  extrahirt,  aus  welchem  sich  das  Orcin  nach  einiger  Zeit  ausscheidet. 

V.  de  Luynes,  Dingl.  polyt.  Journal  169  pag.  220,  a.  Chera.  Centralblatt 
1863  pag.  1053)  verfahrt  folgenderweise :  Die  Flechten  werden  eine  Stunde 
lang  mit  Wasser  macerirt,  dann  mit  einer  kleinen  Menge  geloschten  Kalk 
iiberstreut  und  gut  durchgertihrt,  hierauf  decantirt  und  der  Riickstand  aus- 
gepresst;  die  erhaltene  Fliissigkeit  rasch  filtrirt  und  mit  Salzsaure  in  geringen 
Ueberschuss  versetzt,  wodurch  alle  Erythrinsaure  als  dicke  Gallerte  gefallt  wird. 
Diese  wird  so  lange  gewaschen,  bis  die  ablaufende  Fliissigkeit  nicht  mehr  sauer 
reagirt,  an  der  Luft  getrocknet  und  hierauf  mit  geloschtem  Kalk  in  luftdicht 
verschlossene  Kessel  gebracht  und  hier  2  Stunden  auf  150°  erhitzt.  Darauf  wird 
die  Fliissigkeit  abgelassen  und  vom  gebildeten  kohlensauren  Kalk  filtrirt.  Aus 
dem  Filtrat  scheiden  sich  beim  Erkalten  grosse  beinahe  farblose  Krystalle  von 
Orcin  ab. 

Auf  synthetischem  Wege  kann  Orcin  durch  Behandeln  von  Aloe  mit 
schmclzendem  Aetzkali  oder  durch  Schmelzen  von  chlortoluolsulfonsaurem  Kali 
mit  Aetzkali  erkalten  werden  (Vogt  und  Henninger,  Bullet,  de  la  soc.  chim. 
1874,  21.  Nro.  8  pag.  373. 

Orcin  bildet  farblose  6  seitige  monokline  Saulen,  ist  in  Wasser,  Alkohol 
und  Aether  sehr  leicht  loslich.  Beim  Verdunsten  aus  Wasser  erhalt  man  Krystalle 
mit  1  Mol.  Krystallwasser,  aus  Aether  krystallisirt  es  wasserfrei ;  bei  58°  schmilzt 
das  wasserhaltige  Orcin  und  verliert  sein  Krystallwasser,  destillirt  bei  290° 
unverandert  als  wasserhelle  Fliissigkeit.  Der  Gesehmack  des  Orcins  ist  wider lich 
siisslich,  eckelerregend.  Die  neutrale  wasserige  Losung  wird  durch  Eiscnchlorid 
dunkelroth,  durch  Bleiessig  weiss  gefallt. 


")  Schunck,  Ann.  d.  Chem.  u.  Pharm.  61  pag.  78.     Hesse,  Ann.  der  Chem.  u.  Pharm. 
117  pag    332. 


Flechtenfarbstoffe.  587 

Wird  zerriebenes  Orcin  unter  eine  Glocke  gebracht,  unter  welcher  sich  ein 
Gefass  mit  Salpetersaure  von  40°  r—  1*38  spec.  Gew.  befindet  und  so  bei 
gewbhnlicher  Temperatur  der  langsamen  Einwirkung  von  Salpetersauredampfen 
ausgesetzt,  so  werden  dieOrcinkrystalle  allmalich  gebraunt  und  endlich  vollstandig 
in  einen  rothen  Farbstoff  verwandelt,  welcher  vom  Orcein  verschieden  ist.  Derselbe 
lost  sich  nach  de  Luynes  (Compt.  rend.  57  pag.  161;  Dirgl.  polyt.  Journ. 
170  pag.  237)  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  auf,  farbt  Wolle  und  Seide 
ohne  Beize  schon  roth,  wird  von  Ammoniak  vorubcrgehend,  von  fixen  Alkalies] 
dauernd  in  einen  violetten  Farbstoff  verwandelt  durch  Sauren  aber  wieder  roth 
gefarbt;  Chlornatrium  fallt  den  Farbstoff  aus  seiner  wasserigen  Lbsung,  docli  lcJst 
er  sich  nach  dem  Auswaschen  des  Salzes  wieder  auf.  Durch  Chlorkalk  wird 
Orcin  tief  violett,  dann  braun  und  gelb,  an  der  Luft  und  im  Lichte  bald  rbthlich 
gefarbt ;  trockenes  Orcin  bleibt  in  ammoniakhaltiger  Luft  unverandert,  iin  feuchten 
Zustande  nimmt  es  Ammoniak  und  Sauerstoff  auf  und  verwandelt  sich  in  Orcein 
und  Wasser. 

C7HsO*    +    NHs    +    30   =   C\FJrN03    +    2#20 

Orcin  Orcein. 

Das  Orcein  C- H7 N03  kann  leicht  erhalten  werden,  wenn  man  zerriebenes 
feuchtes  Orcin  unter  einer  Glasglocke  neben  starker  Ammoniakfliissigkeit  stellt ; 
sobald  es  braun  geworden,  lost  man  es  in  Wasser,  dem  einige  Tropfen  Ammoniak 
zugesetzt  sind,  und  fallt  durch  Essigsaure.  Aus  Orseille  kann  es  durch  Versetzen 
mit  Salzsaure,  Abdampfen  zur  Trockene,  Auskochen  des  Riickstandes  mit  Wein- 
geist,  abermaliges  Eindampfen,  Waschen  mit  Wasser  und  Aether  erhalten  werden. 
Es  stellt  ein  dunkelrothbraunes  Pulver  dar,  in  Wasser  sehr  schwer,  in  Weingeist 
leic't  mit  scliarlachrother,  in  wasserigen  Lbsungen  der  Alkalien  mit  prachtvoll 
purpurrother  Farbe  lbslich.  Chlornatrium  fallt  aus  diesen  Lbsungen  das  Orcein 
in  Verbindung  mit  Alkali. 

Nascirender  Wasserstoff,  ebenso  Schwefelwasserstoff  entfarbt  ammoniakalische 
Orceinlbsungen,  welche  jedoch  an  der  Luft  wieder  roth  werden. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor,  Brom  und  Jod  auf  Orcin  werden  Substitutions- 
producte  desselben,  durch  Salpetersaure  Nitroorcin  erhalten. 

Das  Tri  chlor  or  ein  C.H^l.O,,  oder  CcCl3(CH3)(0H)a  krystallisirt  aus 
Wasser  in  farblosen  Nadeln  von  59°  C.  Schmelzpunkt.  Das  Tribromorcin 
C7H5Br30,,  oder  C^v./CH^OH),,  bildet  farblose  bei  103°  C.  schmelzende  seiden- 
glanzende  Nadeln.  Das  Monojod orcin  C~H~JO,,  (Chem.  News  29,  53;  Ann. 
d.  Chemie  u.  Pharm.  171,  310)  krystallisirt  aus  Wasser  und  Benzol  in  farblosen 
Prismen,  die  bei  86*5°  C.  schmelzen.  Das  Trinitro orcin  C7H5(NO„)30„  ■= 
CG(M)2)3(CHJ)(Oi/)2  bildet  gelbe  bei  162°  C.  schmelzende  Prismen. 

Nach  W  e  s  e  1  s  k  y  (Berichte  d.  deutsch.  chem.  Gesellsch.  7  pag.  442)  erhalt  man 
durch  Einwirkung  von  salpetrige  Saure  enthaltender  Salpetersaure  auf  Orcin  neben 
einem  Farbstoff  zwei  Nitroorcine,  welche  sich  durch  Destination  mit  Wasser 
trennen  lassen.  Das  Alphanitroorcin  C7H.(NO„)0,,  scheidet  sich  aus  dem 
wasserigen  Destillate  in  Krystallen  ab  und  bildet  nach  der  Sublimation  orange- 
rothe  golclglanzende  Nadeln.  Das  Betanitroorcin,  im  Destillationsriiekstande  ent- 
halten,  bildet  nach  dem  Umkrystallisiren  aus  Wasser  kurze  citronengelbe  Nadeln. 

Durch  Einwirkung  von  salpetrige  Saure  enthaltender  Salpetersaure  auf 
Orcin  erhalt  man  nach  Weselsky  (Berliner  Berichte  7,  439)  einen  Farbstoff 
in  Form  dunkelbrauner  krystallinischer  Kbrner  mit  metallisch  griinem  Reflexe, 
welche  in  Wasser,  das  eine  Spur  Alkali  entkalt,  mit  prachtvoller  Purpurfarbe 
lbslich  sind;  die  sehr  verdiinnte  Lbsung  zeigt  zinnoberrothe  Fluorcscenz;  heisse 
concentrirte  Salpetersaure  lost  den  Farbstoff  mit  dunkelrothbrauner  Farbe  auf. 
Nach  dem  Erkalten  der  Lbsung  scheiden  sich  glanzende,  fast  zinnoberrothe 
Prismen  aus.  Diese  Verbindungen  scheinen  im  Zusammenhange  mit  dem  durch 
Einwirkung    von  Luft   und  Ammoniak    auf  Orcin    entstandenen  Orcein    zu    stehen. 


588  Fleclitenfarbstoffe  —  Flechtenspiritus. 

Orseille  unci  Orseilleextracte  werden  hauptsachlich  zuin  Farben  von  Wolle 
und  Scide  verwendet,  und  da  der  Farbstoff  ein  substantiver  ist,  so  farben  sich 
diese  ohne  Beize.  Die  erhaltenen  violetten  Farben  sind  ziemlich  haltbar  und 
konnen  durch  Zusatz  von  Alaun  in  verschiedenen  Nuancen  erhalten  werden. 
Grossere  Wichtigkeit  hat  Orseille  zur  Erzeugung  von  Mischfarben  und  von  Braun- 
uud  Modefarben  auf  Wolle.  Zum  Drucken  findet  selbe  wenig  Verwendung,  wohl 
aber  franzbsischer  Purpur. 

Die  Methoden  zur  Bestimmung  des  Gehaltes  an  Farbstoff  in  Orseille  und 
Flechten  beruhen  entweder  auf  dera  Vergleiche  der  farbenden  Kraft  derselben 
oder  auf  der  Bestimmung  der  farbengebenden  Bestandtheile. 

100  Gramm  der  zu  untersuchenden  Flechten  werden  mit  alkalihaltigem 
Wasser  ausgezogen,  auf  100  Gramm  concentrirt,  mit  30  Gramm  Ammoniak  ver- 
setzt  und  mit  dieser  Lbsung  directe  Farbeversuche  auf  nicht  mordanisirter  Wolle 
angestellt,  aus  deren  Vergleichung  auf  die  Menge  des  gebildeten  Farbstoffes 
geschlossen  werden  kann  •,  die  Priifung  der  Orseille  geschieht  durch  directe  Farbe- 
versuclie auf  nicht  gebeizter  Wolle. 

Nach  Gerhardt  kann  das  Farbungsvermbgen  verschiedener  Flechten 
vergleichsweise  bestimmt  werden,  wenn  man  ein  bestimmtes  Gewicht  derselben 
mit  Kalkmilch  extrahirt,  filtrirt,  die  Fliissigkeit  mit  Salzsaure  fallt  und  die  ausge- 
schiedenen  Flechtensauren  direct  wagt. 

Stenhouse  (Annalen  der  Chem.  und  Pharm.  68  pag.  55 ;  wendet 
eine  titrirte  Auflbsung  von  unterchlorigsaurem  Kalk  an,  mit  der  er  die  durch 
mehrmalige  Maceration  der  Flechten  mit  Kalkmilch  erhaltene  Fliissigkeit  so  lange 
versetzt,  als  noch  vorubergehende  Rothfarbung  eintritt  und  aus  der  verbranchten 
Menge  der  Chlorkalklbsung  auf  die  Quantitat  des  Farbstoffs  schliesst.  Statt 
Bleichkalk  kann  auch  unterchlorigsaures  Natron  verwendet  werden. 

Nach  Rey  mann  (Ber.  d.  deutsch.  chem.  Gesellschaft  1875  pag.  790;  wircl  das 
Orcin  in  den  Farbeflechten  des  Handels  massanalytisch  bestimmt.  Durch  Zusatz  von 
Bromwasser  zu  verdiinnter  Orcinlbsung  entsteht  unter  Gelbfarbung  zuerst  Mono- 
bromorcin,  das  durch  weiteren  Zusatz  von  Bromwasser  nach  voriibergehender 
Weissfarbung  des  in  der  Fliissigkeit  suspendirten  Niederschlags  in  gelbes  Tri- 
bromorcin  iibergeht.  Man  versetzt  die  zu  priifende  Lbsung  mit  Bromwasser,  bis 
der  entstandene  Niederschlag  endlich  wieder  gelb  geworden  ist  und  nach  einigem 
Schiitteln  ein  Ueberschues  von  Brom  durch  den  Geruch  wahrnehmbar  vorhanden 
ist;  dann  setzt  man  eine  gemessene  Menge  Jodkalium  zu  und  titrirt  das  durch 
den  Ueberschuss  von  Brom  ausgeschiedene  Jod  mit  unterschwefligsaurem  Natron, 
woraus  sich  berechnen  lasst,  wie  viel  Brom  zur  Bildung  von  Tribromorcin  ver- 
wendet wurde  oder  wie  viel  Orcin  in  der  Fliissigkeit  enthalten  war. 

K.    Weis. 

Flechtengriin,  der  griine  Farbstoff  der  Flechten,  s.  Th  alloc  hi  or. 

Flechtenroth  s.  Orcein,  s.  Fleclitenfarbstoffe. 

Flechtensauren  s.  Fleclitenfarbstoffe.  Flechtensaure  nennt  man  auch 
die  Fumarsaure  s.  d. 

Flechtenspiritus  (Moos-Spiritus).  Ein  neuerer  Zeit  namentlich  in  Schweden 
und  Russland  in  grosserem  Massstabe  fabriksmassig  gewonnener  Alkohol,  zu 
dessen  Darstellung  gewisse,  an  Flechtenstarke  reichere  Flechtensorten,  zumal 
die  Rennthierflechte  durch  Kochen  mit  verdiinnter  Schwefelsaure  oder  Salz- 
saure zur  Gewinnung  einer  gahrungsfahigen  Fliissigkeit  verwendet  werden,  welche 
nach  der  Neutralisation  der  freien  Saure  mit  Kreide  oder  kohlensaurem  Natron 
zur  Gahrung  gebracht  und  nach  der  Vergahrung  entgeistet  werden  kann  (vgl. 
Stenberg  Journ.  f.  pract.  Chem.  106  pag.  416),  s.  a.  Chem.  Centralbl.  1872 
pag.  515,  vgl.  a.  Branntweinbrennerei  I  pag.  739.     Gil. 


Flechtenstarke.   —   Fleckenreinigung.  589 

Flechtenstarke  syn.  Lichen  in,  vgl.  a.  Starke. 

Fleckenmergel,  Allgauschichten,  Allgauschiefer,  dunkelgraue, 
diinnscliiefrige  Mergel  rait  von  Fucoidin  herruhrenden  Zeichnungen ,  welche  irn 
Lias  der  nordlichenAlpen  nameiitlich  im  Allgauer  Gebirge  vorkommen.     Lb. 

Fleckenporphyr  s.  Quarzpbrpbyr. 

Fleckenreinigung  {detacher  ■ —  to  take  out  spots).  Sowohl  die  Entfernung 
von  Flecken  aus  Zeugen,  besonders  Kleidungsstiicken,  als  auch  ana  Papier  und 
Holz,  bildet  den  Gegenstand  einer  besonderen  Fertigkeit,  bei  der  es  sicli  entweder 
darnm  handelt,  einen  den  Fleck  verursacbenden  fremden  Korper  aus  dem  zu  rei- 
nigenden  Stoffe  zu  entfernen  (Oel-,  Fett-,  Harz-7  Schrnutz-,  Rostflecke),  oder  darum, 
eine  durch  Einwirkung  einer  fremden  Substanz  bedingte  locale  Veranderung 
der  Eigenscbaften  des  fleckig  gewordenen  Zeugs  zu  beheben  und  die  urspiiingliche 
Farbe  wieder  berzustellen  (Laugen-,  Saure-,  Obstflecke).  In  alien  Fallen  setzt  die 
rationelle  Fleckenreinigung  die  Kenntniss  der  Natur  der  den  Fleck  verursacbenden 
Substanz,  dann  aber  auch  die  Kenntniss  der  Wirkungsweise  der  angewandten 
Reinigungsmittel  und  ihres  Einflusses  auf  den  zu  reinigenden  Stoff  voraus,  und  es 
konnen  demnacb  die  im  folgenden  gegebenen  Vorschriften  nur  als  allgemeine 
angeseben  werden. 

a)  Flecke  in  weissen  Zeugen  sind  meistens  leicht  zu  beseitigen,  weil  hier 
jede  Art  von  Waschung  und  sonstiger  cbemiscber  Behandlung  zulassig  ist.  Fett- 
flecke  sind  durch  Seife,  welcher  man  bei  hartnackigen  Flecken,  z.  B.  eingetrock- 
neter  Oelfarbe,  ein  wenig  atzender  Kalilange  zusetzen  kann,  leicht  fortzuschaffen. 
Theer,  Wagenschmiere  u.  dergl.  konnen  ebenfalls  durch  Seife,  besser  noch  durch 
vorheriges  Einreiben  mit  Butter  und  darauf  folgendes  Waschen  beseitigt  werden. 
Zwar  wiirden  sich  auch  hier  die  weiter  unten  fiir  gefarbte  Zeuge  angegebenen 
Mittel  gegen  Fettflecke  in  Anwendung  bringen  lassen,  wo  aber  eine  Waschung 
mit  Seife  irgend  zulassig  ist7  geht  sie  in  Sicherheit  und  Vollkommenheit  des  Er- 
folges  alien  anderen  Mitteln  vor. 

Tintenflecke  so  wie  Rostflecke  vertilgt  man  aus  weissen  Zeugen  am  leich- 
testen  durch  Eintauchen  oder  Betupfen  mit  massig  verdiinnter  Salzsaure,  welche 
der  Substanz  des  Zeuges  nicht  schadet,  wenn  nur  nach  der  Zerstorung  des  Fleckes 
zuerst  mit  Wasser,  darauf  mit  Seife  gehorig  gewaschen  wird,  um  die  Saure 
vollstandig  zu  entfernen.  Kleesaure  und  Sauerkleesalz  wirken  weniger  kraf'tig, 
konnen  aber  auch  dazu  gebraucht  werden.  Sehr  alte  Rostflecke  weichen  mitunter 
der  Einwirkung  einer  Zinnchloriirlosung. 

Flecke  von  Fruchtsaften,  z.  B.  Heidelbeeren,  Rothwein  und  dergleichen 
weichen  gewbhnlich  schon  einer  kraftigen  Waschung;  sollte  dies  nicht  der  Fall 
sein,  so  tauche  man  die  Stelle  in  eine  schwache  Losung  von  Chlorkalk  oder  unter- 
chlorigsaurem  Natron  (s.  Bleichen  I  pag.  622),  versaume  aber  nicht,  hinterher 
durch  sorgfaltiges  Waschen  das  Bleichmittel  vollstandig  wieder  zu  entfernen. 
Dasselbe  Mittel  zerstort  nicht  selten  die  durch  langes  Liegen  an  feuchten  Orten 
entstandenen  sogenannten  Stockflecke.  Auch  Flecke  von  blauer  Tinte  (IndiglSsung), 
Blauholztinten,  rothen  Tinten,  in  weissen  wollenen  Stoffen  werden  durch  Bleich- 
wasser  schnell  zerstort. 

b)  Flecke  in  gefarbten  Stoffen.  Fettflecke  entfernt  man  auch  hier  am 
besten  durch  Waschen  mit  Seife.  Wo  jedoch,  wie  z.  B.  bei  seidenen  Stoffen, 
eine  Waschung  nicht  zulassig  ist,  sucht  man  das  Fett  durch  Auflosung  zu  ent- 
fernen. Hierzu  eignet  sich  am  besten  reiner  Schwefelather,  Benzin,  Chloroform 
oder  Schwefelkohlenstoff  (s.  a.  Fleck  wasser).  (Dnreiner  Schwefelather  oder 
verdorbenes,  saures  Chloroform  ist  zu  vermeiden,  weil  die  in  ihm  enthalteue 
Saure  der  Farbe  schaden  konnte.)  Man  legt  die  befleckte  Stelle  auf  mehrfaches 
Loschpapier,  tropfelt  etwas  Aether  o.  d.  g.  auf  den  Fleck,  betupft  ihn  mit  einem 
weichen    Bauschchen,    und    wiederholt    dieses  bis  zum  Verschwinden  des  Fleckes. 


590  Fleckenreinigung. 

Denselben  Zweck  erfiillt  auch  Terpentinol,  vorausgesetzt,  dass  es  ganz  frisch 
rectificirt  und  dadurch  von  allem  Harz  befreit  wurde;  eine  Bedingung,  die  nicht 
so  leicht  zu  erfiillen  ist,  wesshalb  dem  Aether  oder  Benzin  der  Vorzug  gebiihrt. 
Gcwohnlich  findet  man,  nacbdem  der  Fleck  selbst  verschwunden  ist,  in  einiger 
Entfernung  urn  denselben  einen  wolkigen  Rand,  von  einem  geringen  Rest  des 
Fettes  berriihrend,  das  sich  hier  aus  der  Auflosung  abgesetzt  hat.  Um  diesen  zu 
beseitigen,  bestreicht  man  ihn  mit  in  Wasser  anfgeweichtem  Pfeifenthon  und  lasst 
diesen  trocknen.  Das  Fett  wird  von  dem  Tbon  eingesogen,  der  sich  dann  durch 
Klopfen  beseitigen  lasst.  Oder,  man  umgebe  den  Fettfleck  vor  Anwendung  des 
Aethers  mit  einem  Rand  von  aufgelostem  Gummi  arabicum,  um  die  Poren  des 
Stoffes  hier  zu  verstopfen,  lasse  ihn  trocknen  und  entferne  nun  den  Fleck  mit 
Aether.  Ist  dies  geschehen,  so  beseitigt  man  das  Gummi  mit  Wasser,  worauf, 
wenn  alles  richtig  ausgefiihrt  wurde,  kein  Fettrand  zu  bemerken  sein  wird.  Zu 
rathen  ist  jedoch,  bei  sehr  empfindlichen  Farben  auf  seidenen  Stoffen  vorerst  einen 
Probeversuch  mit  einem  absichtlich  auf  einem  Lappchen  desselben  Stoffes  ge- 
machten  Fettfleck  anzustellen. 

Bei  weniger  empfindlichen  Stoffen  leistet  ein  wiederholtes  Betupfen  mit 
zubereiteter  Ochsengalle  (m.  s.  Galle)  gate  Dienste;  so  wird  dieses  Mittel  haufig 
beim  Reinigen  tuchener  Kleidungsstiicke  in  Anwendung  gebracht,  besonders  um 
den  im  Kragen  der  Rocke  sich  ansammelnden,  aus  Fett  und  Staub  bestehenden 
Schmutz  zu  entfernen.  Audi  durch  Wascben  mit  verdiinnten  Aetzammoniak  lassen 
sich  Fettflecke,  namentlich  aus  Tuchstoffen,  gut  entfernen. 

Talgflecke  beseitigt  man  leicht  durch  dieselben  Mittel,  nachdem  durch 
gelinde  Erwarmung  das  Fett  zum  Schmelzen  gebracht  worden ;  Wachsflecke  durch 
Befeuchten  mit  Weingeist  und  darauf  folgendes  Reiben,  wobei  das  Wachs  in 
Pulverform  sich  ablost. 

Oelfarbe  muss  wo  moglich  sogleich  und  vor  dem  Eintrocknen  mit  Galle 
oder  Terpentinol  weggenommen  werden,  wobei  es  jedoch  nicht  immer  gelingt, 
die  letzten  Reste  des  in  die  Poren  des  Gewebes  eingedrungenen  Farbstoffes  ganz 
zu  entfernen.  Ist  Oelfarbe  ein  Mai  erhartet,  so  lost  sie  sich  sehr  schwer  auf; 
am  besten  ist  es  denn,  sie  mit  Butter  zu  bestreichen,  diese  mehrere  Tage  lang 
darauf  zu  lassen  und  nun  Terpentinol  in  Anwendung  zu  bringen,  audi  mit  Schwefel- 
kohlenstoff  lassen  sie  sich  mitunter  ausbringen.  Ein  besonderes  Reinigungsmittel 
sind  die  Fleckkugeln.  Diese  werden  folgendermassen  verfertigt:  Man  nimmt 
durch  Schlammen  von  allem  Sande  vollstandig  gereinigten  Walkthon  oder  Pfeifen- 
thon und  mischt  1  Kilo  davon  mit  1  Kilo  Soda,  1  Kilo  Seife  und  einer  durch 
anhaltendes  Schlagen  bewirkten  Mischung  von  1  Kilo  Ochsengalle  mit  dem  Gelben 
von  32  Eiern.  Das  Ganze  wird  auf  einem  Reibstein  sorgfaltig  gerieben  und  zu 
kleinen  Kugeln  geformt.  Beim  Gebrauch  schabt  man  ein  wenig  davon  mit  einem 
Messer  ab,  macht  es  mit  etwas  Wasser  zu  einem  Teig  und  reibt  damit  den  Fleck. 
Auf  sehr  zarten  Farben  sind  diese  Fleckkugeln  ihres  Alkali  und  Seifengehaltes 
wegen  nicht  anwendbar. 

Tinte-  und  Rostflecke  konnen  aus  gefarbten  Zeugen  nur  dann  entfernt 
werden,  wenn  die  Farbe  durch  die  nothwendig  anzuwendende  Saure  (Kleesaure) 
nicht  dauernd  leidet ;  bei  heiklen,  durch  Saure  sich  dauernd  verandernden  Farben 
ist  die  Vertilgnng  eines  Tinten-  oder  Rostfleckes  geradezu  eine  Unmbglichkeit. 

Ist  auf  schwarz  oder  dunkel  gefarbten  Zeugen  durch  eine  sta'rkere  Saure, 
z.  B.  Schwefel-  oder  Salzsaure  ein  rother  Fleck  entstanden,  so  verschwindet  er 
beim  Betupfen  mit  Ammoniak  (Salmiakgeist)  augenblicklich ;  ist  aber  ein  solcher 
Fleck  sehr  alt,  so  kann  es  sein,  dass  er  nur  unvollkommen  oder  gar  nicht  ver- 
schwindet. Flecken  von  Salpetersaure  lassen  sich  durch  dieses  Mittel  tiberhaupt 
nur  beseitigen,  so  lange  sie  ganz  frisch  sind. 

Ist  bereits  wirkliche  Zerstorung  des  Farbstoffes  eingetreten,  wie  dies  bei 
Einwirkung  von  Salpetersaure  oder  durch  Aufbewahrung  von  gefarbten  Stoffen 
in  feuchtem  Zustande  (Stockflecke)  geschehen  kann,    so  bleibt   kein    anderes  Aus- 


Fleckenreinigung.  —  Fleckwasser.  591 

kunftsmittel,    als    die  Stelle  neu  zu  farben,    wozu    allerdings  praktische  Keimtniss 
der  Fa'rberei  unerlasslicbe  Bedingung  ist. 

Flecke  auf  Papier.  (Jm  Fettflecke  von  Papier  zu  vertilgen,  bedient 
man  sich  am  besten  des  Aethers.  Man  legt  die  Stelle  auf  eine  Unterlage  von 
Loschpapier,  giesst  einige  Tropfen  Aether  auf  den  Fleck,  bedeckt,  ohne  dem 
Aether  zum  Trocknen  Zelt  zu  lassen,  die  Stelle  mit  mehrfach  zusammengelegtem 
Loschpapier  und  bringt  das  Ganze  sogleich  unter  eine  kraftige  Presse.  Dieselbe 
Procedur  wird  so  lange  wiederholt,  bis  der  Fleck  verschwunden  ist.  Gleich  dem 
Aether  liisst  sich  auch  Benzol  oder  Schwefelkohlenstotf  verwenden. 

Tintenflecke,  wenn  sie  von  Gallapfel-  oder  Alizarin-Tinte  herriihren,  zerstort 
man  am  besten  mit  einer  concentrirten  Auflosung  von  Kleesaure.  Ist  die  schwarze 
Farbe  verschwunden,  so  legt  man  das  Papier  zwischen  Loschpapier  und  presst  es, 
worauf  man  die  Stelle  mit  reinem  Wasser  befeuchtet,  dann  abermals  zwischen 
Loschpapier  presst  und  dieses  bis  zur  ganzlichen  Entfernung  sichtbarer  Spuren 
der  Operation  wiederholt.  Flecke  von  Blauholz-Indigo-  oder  Carmintinten  lassen 
sich  auf  diese  Weise  jedoch  nicht  entfernen,  zu  ihrer  Beseitigung  ist  in  der  Regel 
die  Anwendung  von  Bleichkalklosung  nothwendig. 

Flecke  auf  Holz.  Fur  Fettflecke  gibt  es  kein  besseres  als  das 
allgemein  bekannte  Mittel  zu  empfehlen ,  den  Fleck  mit  in  Wasser  oder 
Branntwein  aufgeweichtem  Pfeifenthon  zu  bestreichen,  und  denselben  bis  zur 
volligen  Trocknung  auf  der  Stelle  zu  lassen.  Zeigt  sich  nach  dem  Ahnehmen  des 
Thons  der  Fleck  noch,  so  wiederholt  man  dieselbe  Behandlung.  Biirsten  der 
Stelle  mit  heisser  Sodalauge  ist  ebenfalls  sehr  wirksam ;  nur  wird  das  Holz  dadurch 
gelblich,  welche  Farbe  sich  freilich  hinterher  durch  verdiinnte  Schwefelsaure  be- 
seitigen  lasst. 

Zur  Zerstorung  von  Tintenflecken  auf  weissem  Holz  bedient  man  sich  am 
besten  der  verdiinnten  Salzsaure,  oder  bei  Blauholztinten  etc.,  einer  schwachen 
Bleichlauge.  Ist  der  Fleck  verschwunden,  so  suche  man  durch  kraftiges  Scheuern 
der  Stelle  mit  Regenwasser  (nicht  Brunnenwasser  oder  gar  Seife)  die  Riickstande 
der  Operation  zu  entfernen,  s.  a.  Fleckwasser. 

Fleckkugelil   (savonnette   —  scouring  ball)  s.  Fleckenreinigung  III.  pag.  590. 

Fleckschiefer,  Frucht-,  Garb  en-,  Knotenschiefer.  Sowohl  sedimen- 
tare  als  auch  krystallinische  Thonschiefer  und  selbst  Glimmerschiefer,  in  welchen 
sieh  eigenthiimliche  Concretionen  auf  den  Schieferflachen  zeigen,  welche  oft  nur 
einen  mehr  oder  weniger  scharfumschriebenen  dunkelgefarbten  Fleck  bilden 
(Fleckschiefer)  oder  bei  welchen  dunkle  Knotchen  von  unbestimmter  Form  (Kno- 
tenschiefer) auf  den  Flachen  liegen,  oder  aber  bei  denen  diese  Flecken  nach 
einer  oder  zwei  Seiten  hin  sich  ahren-  oder  garbenartig  ausdehnen  (Frucht-  oder 
Garbenschiefer).  Die  knotenbildende  Substanz  hat  keinen  bestimmten  mineralogi- 
schen  Charakter,  sie  gemahnt  zuweilen  an  Staurolith,  u.  a.  a.  Mineralien,  ohne  jedoch 
dasselbe  zu  erreichen.  Nach  Allem  scheinen  diese  Knotchen  oder  Flecken  die 
Fplge  der  Einwirkung  eines  emporgedrungenen  Eruptivgesteines  zu  sein,  durch 
welches  die  umliegenden  Schiefer  bestimmt  wurden  eine  Umkrystallisirung  ihrer 
Gemengtheile  einzuleiten,  da  man  nur  in  unmittelbarer  Nahe,  an  der  Griiuze 
solcher  Gesteine  gegen  die  Schiefer,  dergleichen  Fleck-  und  Knotenschiefer 
findet.     Lb. 

Fleckwasser  (eau  a  detacher  —  scouring  water).  Von  Mitteln  zur  Ent- 
fernung von  Flecken  aus  Zeugen,  namentlich  von  Harz-,  Wachs-,  Fett-  oder  Theer- 
flecken,  wohl  auch  von  Saureflecken  hat  man  die  verschiedensten  Mischungen 
empfohlen,  wohl  auch  als  Geheimmittel  in  den  Handel  gebracht.  Von  solchen 
sind  zu  nennen: 

Bronners  Fleckwasser  ist  wesentlich  mehr  oder  weniger  reines  Benzin, 
wie  es  als  leicht  fliichtiger  Antheil  bei  der  Rectification  der  leicht  siedenden  Theer- 


592  Fleckwasser.  —   Fleisch. 

ole  gewonnen  wird,  eignet  sich  nur  fur  die  Entfernung  von  Wachs-,  Fett-  oder 
Theerflecken. 

Buchner's  Fleckwasser  ist  eine  Misclmng  von  3  Thl.  Schwefelather,  3  Thl. 
absol.  Alkohol  und  1  Thl.  Salmiakgeist  (auch  fiir  Saureflecke  verwendbar). 

Englisehes  Fleckwasser,  6  Thl.  95%  Alkohol,  2  Thl.  Salmiak, '/10  Thl. 
Benzol. 

Le  Francois's  Mischungen:  1  Thl.  Seife,  x\^  Thl.  Ochsengalle,  l/i0  Thl. 
Terpentin. 

1  Thl.  venet.  Seife,  7a  Tnl-  Ochsengalle,  15/,0„  Honig,  '/,0  Zucker  und 
ein  wenig  Terpetin;  endlich 

64  Thl.  Seifenwurzel  und  Seifenkraut,  45  Thl.  geklart.  Citronensaft,  185 
Thl.  Weingeist,   1700  Thl.  Flusswasser,  als  Waschmittel. 

Winkler's  Fleckwasser:  1  Thl.  Pinolin,  1  Thl.  Aether,  1  Thl.  absol. 
Alkohol  (das  Ganze  mit  etwas  Citronenol  und  Bergamottol  parfumirt). 

Aehnlich  diesem  ist  die  Mischung  von  4  Thl.  Terpentinol  (rectificirt),  1  Thl. 
Weingeist,  1  Thl.  Aether. 

Liqueur  Bernhard  ist  eine  Losung^  von  100  Thl.  Ochsengalle  und  50 
Thl.  Potasche  in  1000  Thl.  Wasser.     Gil. 

Fledermausbrenner,  s.  Leuchtstoffe,  s.  Lampen. 

Fleisch  (viande  —  meat).  Unter  diesem  Namen  begreift  man  die  aus 
Muskelfasern,  Bindegewebe  und  elastischem  Gewebe  bestehenden  Antheile  des 
Thierkorpers,  in  denen  neben  Gefassen  und  Nervenasten,  stets  Fettzellen  und 
freies  Fett  eingelagert  sind  und  die  mehr  oder  weniger  mit  Blut  und  Blutfliissig- 
keit  erfiillt  sind.  Im  engsten  Sinne  des  Wortes  versteht  man  unter  Fleisch  auch 
nur  die  Bilndel  der  Muskelfasern  allein,  welche  sich  aus  mikroskopisch  kleinen, 
meist  quergestreiften  Faserchen  aufbauen,  die  von  einer  aus  Bindegewebe  beste- 
henden Scheide  umschlossen  werden.  Der  Inhalt  der  einzelnen  Muskelfasern 
(Primitivbtindel)  besteht  wahrscheinlich  im  Wesentlichen  aus  Syntonin  einer  d em 
Eiweiss  ahnlich  zusammengesetzten  Substanz ,  wahrend  die  das  Muskelgewebe 
erfiillende  Ernahrungsfliissigkeit  wesentlich  eine  Losung  von  Eiweissstoffen  und 
Myosin  nebst  Salzen  ist.  Der  fiir  das  Fleisch  der  hbheren  Thiere  charakteristische 
rothe  Farbstoff  ist  identisch  mit  dem  BlutfarbstoiT  (s.  Blut  I  pag.  659),  die  die 
Scheiden  der  einzelnen  Muskelfaserchen  bildende  Substanz,  (Sarcolemma)  besteht 
wahrscheinlich  aus  Keratin  und  Elastin.  Von  sonstigen  charakteristischen  Bestand- 
theilen  findet  sich  im  Fleische  das  Kreatin  (C^HgN^O^),  das  Kreatinin 
{C4H~N30),  die  Inosinsaure  (C10^Tl4ivr4O11)  und  Milchsaure  (s.  d.),  ferner 
S  a  r  k  i  n  (auch  Hj^poxanthin  C'5i/4A740),  X  a  n  t  h  i  n  (6'4Zf4iV402),  T  a  u  r  i  n  (s. 
Galle),  Harnsaure  (s.  d.),  Inosit  (Muskelzucker),  gahrungsfahiger  Zucker, 
Dextrin,  leimgebende  Substanz,  Fettsauren  und  Salze  nebst  sonstigen  Bestand- 
theilen  des  Blutes  und  der  Nervensubstanz. 

Wird  Fleisch  kalt  extrahirt,  so  finden  sich  in  dem  Auszuge  :  Eiweiss  (Al- 
bumin) Myosin,  Kreatin,  Kreatinin,  Xanthin,  Sarkin,  dann  Milchsaure,  Inosin- 
sSure,  Harnsaure,  Zucker,  Dextrin,  Inosit,  Farbstoff  endlich  Salze  u.  z.  z.  Th. 
Salze  der  fliichtigen  Fettsauren,  z.  Th.  Chloride  und  Phosphate  der  Alkalien. 
Ein  heiss  bereiteter  Fleischauszug  enthalt  nur  wenig  von  Eiweisstoffen  gelost,  da 
diese  fast  sammtlich  beim  Kochen  coagulirt  und  unloslich  werden,  dagegen  ent- 
halt er  durch  Umwandlung  des  leimgebenden  Gewebes  gebildete  Leimsubstanz. 
Fein  zerkleinertes  Ochsenfleisch  gibt  an  kaltes  Wasser  6  Proc.  Lbsliches  ab,  wo- 
von  2.9  Proc.  coagulirbares  Eiweiss  sind,  das  beim  Kochen  des  wassrigen  Aus- 
zuges  sich  abscheidet.  Hiihnerfleisch  gibt  8  Proc.  Lbsliches  ab,  wovon  4.7  Proc. 
gerinnungsfahiges  Eiweiss.  Mit  schwach  salzsaurehaltigem  Wasser  mazerirt  lasst 
das  Fleisch  eine  erheblich  grbssere  Menge  an  Substanz  in  Losung  Ubergehen, 
indem  durch  Einwirkung  schwacher  Salzsaure  eine  mehr  oder  weniger  grosse 
Menge    von    Faserstoff   lbslich    wird.     Eine    kochend    bereitete  Fleischbriihe,    aus 


Fleisch  593 

1  K.  reinem  Muskelfleisch  durch  fiinfstiindiges  Kochen  mit  3  K.  Wasser  erhalten, 
enthalt  duTchschnittlich  1.56  Proc.  losl.  Stoffe,  wovon  etwa  1.27  Proc.  organische 
Substanzen  und  0.29  Proc.  mineralische  Stoffe.  Diese  letzterenj  welche  im  Mittel 
82  Proc.  der  gesammten  Menge  an  unorganischen  Bestandtheilen  des  Fleisches 
reprasentiren,  bestehen  wesentlich  aus  31.8  Proc.  Phosphorsaure,  42.9  Proc.  Kali, 
3.8  Proc.  Kalk,  Magnesia  und  Eisen,  3.5  Proc.  Schwefelsaure  und  17.9  Proc. 
Chlorkalium.  Die  Menge  von  Leim,  welche  beim  Kochen  des  Fleisches  gebikk-t 
wird,  schwankt  je  nach  der  Dauer  des  Kochprocesses  nnd  der  Natur  des  Fleisches. 
So  liefert  ausgelaugtes  Ochsenfleisch  nur  0.6  Proc,   Kalbfleisch  4.75  Proc.  Leim. 

Insoferne  der  Nahrungswerth  des  Fleisches  einerseits  durch  den  Gehalt 
desselben  an  stickstoffhaltiger  organischer  Substanz,  andererseits  aber  durch  die 
vorhandenen  zur  Blutbildung  erforderlichen  Salze  bedingt  ist,  wird  es  klar  sein, 
dass  das  Fleisch  seinen  wahren  Nahrungswerth  nur  dann  behalt,  wenn  ihm  bei 
der  Zubereitung  zur  Speise  keine  fiir  die  Ernahrung  werthvollen  Stoffe  entzogen 
werden.  Dies  wird  erreicht,  wenn  man  eiu  compactes  Fleischsttick  entweder  in 
siedendes  Wasser  bringt  und  durch  langere  Zeit  fiir  die  Erhaltung  der  Siedetem- 
peratur  sorgt,  oder  es  rasch  iiber  lebhaftem  Feuer  schmort ;  hiebei  werden  die 
coagulirbaren  Eiweisskorper  zum  Gerinnen  gebracht,  noch  ehe  sie  in  Losung  iiber- 
zugehen  vermogen  und  durch  die*  Ablagerung  der  geronnenen  Eiweisssubstanz  in 
dem  Muskelgewebe  bildet  sich  eine  fiir  Wasser  nicht  mehr  durehgangige  Schichte, 
welche  auch  der  Auslaugung  der  Salze  und  sonstiger  loslicher  Fleischbestandtheile 
eine  Grenze  setzt.  Umgekehrt  muss  Fleisch,  wenn  man  moglichst  viel  von  den 
loslichen  Bestandtheilen  desselben  extrahiren  will,  zerkleinert,  der  Einwirkung  von 
kaltem  Wasser  ausgesetzt  werden,  und  der  erhaltene  Auszug  darf  nicht  iiber  60°  C. 
erhitzt  werden,  wenn  man  nicht  durch  Gerinnung  den  grossten  Theil  der  werth- 
vollen Eiweisssubstanz,  die  sich  dann  in  Gestalt  eines  braunen  Schaumes  (Suppen- 
schaum)  ausscheidet,  verlieren  will.  Zusatz  von  etwas  Salzsaure  (0.05 — 0.1  Proc.) 
zu  dem  zur  Mazeration  zu  verwendenden  Wasser  erhoht  die  Menge  der  bei  der 
kalten  Mazeration  in  Losung  gehenden  Antheile  an  stickstoffhaltiger  org.  Substanz 
ganz  wesentlich  und  liefert  relativ  sehr  kraf'tige  Fleischbriihen.  Das  giinstigste 
Verhaltniss  fiir  die  Herstellung  solcher  Fleischbriihe  ist:  1  Kilo  fein  gehacktes 
Ochsen-  oder  Hiihnerfleisch  (Kalbfleisch  ist  nicht  empfehlenswerth)  mit  2V4  Kilo 
kaltem  Wasser  zu  mazeriren,  dem  16  Tropfen  reine  cone.  Salzsaure  und  12  Grm. 
Kochsalz  zugesetzt  sind.  Die  .mit  dieser  Fliissigkeit  ausgelaugte  Fleischmasse 
wird   endlich  noch  mit  1  Kilo  Wasser  ausgewaschen  und  abgepresst. 

Schon  seit  langerer  Zeit  stellt  man  Fleischextracte  im  grossen  Mass- 
stabe  her,  deren  Werth  je  nach  ihrer  Gewinnungsart  ein  wesentlich  verschiedener 
ist.  Die  alteste  Form  solcher  Fleischextracte  sind  die  sog.  Fleis  chgallerten, 
Bouillontafeln  {bouillon  en  tablettes  —  soupstock),  welche  durch  Eindampfen  einer 
Abkochung  von  Fleisch  und  leimgebenden  Knochen  bis  zu  einer  Concentration, 
bei  welcher  die  Briihe  in  Folge  ihres  Leimgehaltes  gelatinirte,  erhalten  wurden. 
Haufig  wurde  auch  Fleischbriihe  geradezu  mit  Leim  versetzt  und  verdampft.  Der 
Werth  dieser  Extracte  ist  in  Bezug  auf  den  Nahrnngseffect  ein  relativ  geringer. 
insoferne  sie  vorherrschend  Leim  und  nur  relativ  wenig  der  Fleischsalze  ent- 
halten.  Von  wesentlich  anderer  Art  sind  die  eigentlichen  Fleischextrate,  wie  sie 
gegenwartig  in  Gestalt  einer  braunen,  salbenartigen  Masse  in  den  Handel  gebracht 
werden.  Diese  Extracte  reprasentiren  allerdings  auch  nicht  den  vollen  Nahrwerth 
des  Fleisches,  aus  dem  sie  erhalten  wurden,  aber  insoferne  sie  den  grossten  Theil 
der  Fleischsalze  enthalten,  die  zur  Blutbereitung  erforderlich  sind,  liefern  sie.  mit 
entsprechenden  vegetabilischen  Nahrungsstoffen  gemeinschaftlich  genossen,  eine 
Nahrung.  welche  insoferne  dem  Nahrungswerthe  des  Fleisches  selu'  nahe  kommt. 
als  die  Gegenwart  der  zur  Blutbereitung  erforderlichen  Salze  den  vegetabilischen 
Nahrungsstoffen  nahezu  den  Werth  thierischer  Nahrstoffe  verleiht.  Die  erste 
Fabrik  solchen  Fleischextractes  ist  eine  Schopfung  des  deutschen  Ingenieurs 
Giebert,  welcher  unter  Mitwirkung  und  unter  dem  Protectorate  Liebig's  den 
Gedanken,  den  Reichthum  an  Rindvieh  in  den  Siidstaaten  Amerikas  dem  Continente 

Karmarech  &  Heeren,  Teehnisches  Worterbuch.  Bd.  III.  3g 


594  Fleisch. 

nutzbar  zu  machen,  in  der  Art  realisirte,  dass  er  zu  Fray  Bentos  in  Uruguay 
eine  erste  Fleischextractfabrik  in  grossem  Massstabe  ins  Leben  rief.  Die  Fabri- 
kation  wird  dort  in  der  Art  betrieben,  dass  das  Fleisch  der  friiher  fast  nur  der 
Haute  wegen  geziichteten  Rinder,  nachdem  es  von  Fett,  Hauten  und  Sehnen 
befreit  ist;  kleingehackt  und  mit  dem  gleiclien  Volumen  Wasser  bei  einer  Tem- 
peratur  von  75 — 80°  C.  mazerirt  wird.  Die  von  dem  Ungelosten  gescliiedene 
Fleischbriihe  wird  nun  im  Wasserbade  moglichst  rasch  bis  zu  einer  bestimmten 
Concentration  verdampft,  hierauf  erkalten  lassen  und  von  den  sick  beim  Erkalten 
ausscheidenden  Fett  und.  Resten  an  Eiweissubstanz  durch  Filtration  getrennt.  Das 
Filtrat  wird  sodann  bei  massiger  Hitze  bis  zur  Salbenconsistenz  verdunstet, 
sofort  in  Blecbbiicbsen  von  20 — 25  K.  Inhalt  gefiillt  und  verlothet,  in  welcher 
Form  es  nach  Europa  gebracht  und  in  dem  Hauptdepot  in  Antwerpen,  nach  vor- 
heriger  Controlle  beziiglich  seiner  Giite,  in  glasirte  Thontiegel  von  V2,  74  >  7s 
Kilo  Inhalt  abgefiillt  und  so  in  den  Verkehr  gebracht  wird.  Von  solchem  Fleisch- 
extract, das  also  wesentlich  eine  concentrirte  Fleischbriihe  darstellt,  entspricht  1  K. 
einer  Quantitat  von  34  Kilo  reinen,  fett-  und  sehnenfreien  Muskelfleisches,  oder 
45  K.  des  Fleisches  sammt  Fett,  Sehnen,  Haut  und  Knochen,  wie  es  von  den 
Metzgern  verabreicht  wird.  Gutes  Fleischextract  soil  sich  zu  mindestens  60  Proc. 
in  Alkohol  von  80  Proc.  auflosen,  in  Wasser  s611  es  vollig  klar  loslich  sein.  Es 
enthalt  durchschnittlich  18—22  Proc.  Asche,  10  Proc.  Stickstoff  und  16  Proc. 
Wasser,  und  soil  frei  von  Fett  und  Eiweissstoffen  sein  und  auch  keinen  Leim 
enthalten. 

Der  allgemeine  Anklang,  den  dieses  Fleischextract  trotz  des  immerhin  etwas 
hohen  Preises  beim  Publicum  gefunden,  hat  alsbald  eine  Concurrenz  in  der  Fa- 
brication dieses  Productes  wacbgerufen  und  gegenwartig  sind  nebst  jener  zu 
Fray-Bentos  sowohl  in  Amerika  als  auch  in  Australien  und  selbst  in  Europa 
(namentlich  Russland)  Fleischextractfabriken  im  Betriebe,  die  grosstentheils  das 
Liebig'sche  Verfahren  einhalten,  wie  es  in  Fray-Bentos  im  Grange  ist.  Die  be- 
deutendsten  dieser  Fabriken  sind  nachst  jener  zu  Fray  Bentos  die  von  R.  Tooth 
zu  Sydney  in  Australien,  welche  pro  Monat  4 — 5000  Kilo  eines  vorztiglichen 
Extractes  liefert,  u.  z.  gesondert  Hammelfleisch-  und  Rindfleisch-Extract,  und  jene 
zu  Buenos  Ayres,  welche  gleichfalls  in  grossem  Massstabe  arbeitet.  Von  anderen 
Fabriken  sind  zu  nennen  jene  der  Firma  Lucas  Her r era  y  Obes  y  Co.  zu 
Trinidad  im  Departem.  San  John  (genannt  Buschenthal),  jene  der  San  An- 
tonio Meat  Extract  Company  zu  San  Antonio  in  Texas,  jene  der  Ge- 
brtider  Robertson  zu  Baff  le  Creek  in  Queensland,  Australien,  des  E.  M. 
M.  Bagot  zu  Adelaide  in  Siid-Australien,  jene  von  Pedras  Brancas  zu 
Rio  grande  do  Sul  in  Brasilien  u.  A.  Eine  besondere  Art  von  Fleischextract 
liefert  Georges  in  Montevideo,  indem  er  das  zur  Conservation  nicht  geeignete 
Fleiscb  unter  Druck  mit  Dampf  kocht,  den  Brei  abpresst  und  das  so  erhaltene 
Extract  in  Biichsen  fiillt.  Der  Pressriickstand  wird  als  Brennmaterial  verwendet 
und  liefert  eine  Asche,  die  ein  treftliches  Diingmittel  abgibt.  Die  schoneren  Stiicke 
des  Fleisches  werden  in  Stiicke  von  2 — 60  K.  zerschnitten  und  in  einer  Losung 
von  doppelt  schwefligsaurem  Natron,  Glycerin  und  Salzsaure  in  Wasser  (etwa 
85  Procent  Wassergehalt)  mazerirt,  sodann  aus  der  Losung  genommen,  mit 
doppelt  schwefligsaurem  Natron  bestreut,  in  Blechbiichsen  verpackt  und  ver- 
lothet. Neuester  Zeit  ist  auch  Russland  beziiglich  der  Fleischextractfabrication 
in  Concurrenz  getreten  und  liefert  ein  Fleischextract  in  Form  von  Tafelbouillon, 
aber  von  besonders  guter  Qualitat.  Dieses  Extract  soil  aus  dem  Siiden  von  Russ- 
land stammen  und  theils  von  gewohnlichem  Schlachtvieh,  theils  von  Wild  ge- 
wonnen  sein.  Auch  in  der  Schweiz  und  in  Frankreich,  selbst  in  England  sind 
Fleischextractfabriken  entstanden.  (Naheres  iiber  Fleischextract  s.  J.  v.  Liebig, 
Journ.  f.  pract.  Chem.  63,  pag.  312  und  94  pag.  293;  W.  Horn,  pol.  Central- 
blatt  1865  pag.  874;  Wagner  Jahrb.  1866  pag.  482;  J.  v.  Liebig,  Dingl.  pol. 
Journ.  189  pag.  259;  s.  a.  pol.  Centralbl.  1869  pag.  622;  E.  Reich ardt, 
Dingl.  pol.  Journ.  194  pag.  505  und  193  pag.  311   (iiber  russische  Bouillontafeln) ; 


Fleisch.  —  Fliegenholz.  595 

Georges,  polyt.  Centralbl.  1870  pag.  719;  Pettenkofer  ira  Ausz.  Dingl.  pol. 
Journ.  209  pag.  378;  0.  Leube,  Dingl.  pol.  Journ.  210  pag.  319;  E.  Rei- 
ch ardt,  Dingl.  pol.  Journ.  210  pag.  389  (iiber  Priifung  unci  Zusamraensetzung) ; 
Chandler  und  Cairns,  Wag.  Jahrber.  1874  pag.  802  (Zusammensetzung  :  E. 
Thiel,  Amtl.  Bericht  liber  die  W.  Ausstellung,  Wien  1873;  Braunschweig  1874 
Bd.  I  pag.  317  u.  a.  a.  0.) 

Die  Riickstande  von  der  Fleischextractfabrikation  nach  dem  Liebig'schen 
Verfahren  sind  keineswegs  werthlos,  sondern  lassen  sich  mit  Vortheil  noch  als 
Futter  verwenden;  sowie  sie  selbstverstandlich  auch  ein  werthvolles  Diingmittel 
darstellen.     Gil. 

Fleischbearbeitungs-Maschinen,  s.  Wurstfabrikation. 

Fleischcacao  syn.  Fleischchocolade. 

Fleischchocolade  eine  mit  Zusatz  von  nach  dem  Verfahren  von  Hassal 
(s.  Dingl.  pol.  Journ.  184  pag.  448)   bereitetem  Fleischmehl  hergestellte  Chocolade  s.  d 

Fleischconserveil  syn.  conservirtes  Fleisch  s.  b.  Faulniss,  III  pag.  355. 
Fleischextract  s.  Fleisch,  III.  pag.  593. 
FleiSChfibrin  s.  Fibrin,  s.  Eiweisskbrper  III  pag.  140. 

Fleischhack-  und  Schneidemaschinen,  s.  Wurstfabrikation. 

Fleischmilchsaure  (Propylglycolsaure,  Paramilchsaure,  Aethylenmilchsaure), 
s.  Milchsaure. 

Fleischzucker,  s.  Inosit. 

Fleischzwieback  {biscuit  de  viande  —  meat  biscuit)  nennt  man  im  All- 
gemeinen  Gebacke,  welche  aus  Mehl  unter  Zusatz  von  Fleischbriihe  oder  Fleisch- 
extract bereitet  und  demnach  wesentlich  nahrhafter  als  reine  Mehlgebacke  sind. 

Solcher  Art  sind  Gail  Borden's  Fleischzwieback  (s.  amtl.  Ber.  der  Lon- 
doner Ausstellung,  Bd.  I  pag.  306,  vgl.  a.  Siemens  Versucke,  Dingl.  pol.  Journ. 
123  pag.  248  u.  458),  dann  Callamand's  Fleischzwieback  (s.  Boussingault  in 
pol.  Centralbl.  1855  pag.  813,  vgl.  a.  C.  Thiel  in  Dingl.  pol.  Journ.  184  pag. 
443),  endlich  das  Fleischextract-Brod  von  Jacobsen,  auch  deutscher  Fleisch- 
zwieback (s.  Deutsch.  Industr.-Ztg.  1870  pag.  409).  Ein  Kilo  dieses  letzteren 
Praparates  entspricht  an  Nahrungswerth  4  Kilo  Rindfleisch  (vgl.  a.  Faulniss  III 
pag.  354).     Gil. 

Fleur  de  garance,  s.  Garancine,  s.  Krapp. 

Flexometer,  ein  Instrument  zur  Messung  der  Biegung  der  Briicken  bei 
Probebelastungen  von  Amyot  und  Mallet.     S.  Wiener  Bauzeitung  1865  pag.  205. 

Flickklipfer,  Rollkupfer,  ist  Kupferblech  von  nur  0.5mm  Dicke,  in  Rollen. 

Fliederholz  (lilas  —  lilac)  ist  das  Holz  des  spanischen  Hollunders 
(Syringa  vidgaris),  es  ist  gelblich-  oder  grauweiss,  sehr  hart  und  dicht  und  wird 
zu  Drechslerarbeiten  verwendet.  Aehnlich  ist  das  Hollunderholz  (s.  d.)  von 
Sambucus  nigra. 

Fliegen,  s.  Luftschifffahrt. 

Fliegen  spanische,  s.  Canthariden  II  pag.  246. 

Fliegende  Angriffe,  s.  Schlosser. 

Fliegenholz,  s.  m.  Quassiaholz. 

38* 


596  Fliegenstein.  —  Flintenschrot. 

Fliegenstein  syn.  m.  gediegen  Arsen,  s.  Arseu  I  pag.  193. 

Fliegenpapier  (mort  aux  mouches  —  fly  paper)  Fliegentod.  Die  unter 
diesem  Naroen  in  den  Handel  kommenden,  zur  Vertilgung  der  lastigen  Zimmef- 
fliege  bestimmten  Giftpapiere  werden  allgemein  durch  Trauken  von  weissem  oder 
gefarbtem  Fliesspapier  mit  einer  fiir  Insecten  giftigen  Substanz  liergestellt.  Von 
solcben  sind  im  Allgemeinen  nur  jene  verwendbar,  welclie  erfahrungsgemass  mit 
etwas  Zucker  gestisst  von  den  Fliegen  genommen  werden,  als  avsenige  Saure, 
arsensaure  Salze;  Quecksilber-Sublimat,  dann  Abkochungen  von  Quassiaholz  oder 
von  Kockelskornern,  sowie  endlich  von  Brechntissen  (mix  vomica).  Fiir  den 
Gebrauch  des  grossen  Publicums  sind  jedoch  wohl  nur  solclie  Papiere  zulassig, 
welclie  keine  allzn  heftigen  Gifte  enthalten,  mid  sollten  daher  Papiere,  welehe  rait 
Arsenpraparaten  oder  Quecksilberpraparaten  vergiftet  sind,  nie  verwendet  werden. 
Am  zweckmassigsten  und  ungefahrlichslen  sind  die  Quassiapapiere,  velche  bequem 
in  jeder  Hauswirthscliaft  liergestellt  werden  konnen,  indem  man  Quassiaholz  mit 
etwa  der  doppelten  Menge  von  Wasser  durch  eine  Viertelstunde  kocht  mit 
diesem  Absude  Kartchen  von  Fliesspapier  trankt,  und  diese  mit  etwas  Zucker 
bestreut,  auf  Aachen  Schalchen  auflegt  und  von  Zeit  zu  Zeit  befeuchtet.     Gtl. 

Fliehkraft,  s.  Centrifugalkraft  II.  pag.  290. 

Fliese  icarreau  —  floor-stone)  F  1  u  r  z  i  e  g  e  1,  E  s  t  r  i  c  li  p  1  a  1 1  e,  sind 
Platten  zuni  Belegen  der  Fussboden.  Man  verwendet  sowohl  naturliche  Steine 
(Marmor,  Thonschiefer,  Plattenkalk  etc.)  als  audi  kiinstlich  hergestellte  Platten 
aus  gebranntem  Tlion  (z.  B.  Mettlacher  PI.),  Cement  etc.  oft  mit  verschieden 
farbigen  Mustem  versehen.     Siehe  auch  d.  Art.  Fussboden  u.  Thonwaaren. 

Grohm. 

Fliess,  Vliess  (toison  — fleece)  s.  Schafwolle. 
Fliessofen,  Ofen  fiir  das  Rosten  von  Kiesen,  s.  b.  Schwefel. 

Fliesspapier  ungeleimtes,  lockeres  (nicht  sehr  stark  gepresstes)  Papier  aus 
Baumwolle  oder  Leinen  und  Baumwollhadern. 

Flint  s.  v.  a.  Feuerstein  s.  Quarz. 

Flinte,  Gewehr,  s.  FeuerwafFen  III  pag.  439. 

Flintenbohrmaschine,  s.  Feuerwaffen  III  pag.  445. 

Flintenschrot  (plomb  de  chasse,  dragee  —  shot).  Schrot,  B 1  e  i- 
s  c  h  r  o  t  werden  Bleikiigelchen  im  Durchmesser  von  1  bis  6mm  genannt. 
Die  Verfertigung  des  Schrotes  geschah  frliher  allgemein  auf  die  Art,  dass  man 
das  gehorig  legirte  Blei  geschmolzen  durcli  ein  Sieb  herabtropfeln  und  in  kaltes 
Wasser  fallen  liess,  in  welchem  die  Tropfen  erstarrten;  eine  Methode,  die 
nur  sehr  unvollkommenes  Fabrikat  liefern  konnte.  Wenn  namlich  ein  Tropfen 
fliissiges  Blei  plotzlich  durcli  kaltes  Wasser  abgekiihlt  wird,  so  erstarrt  im 
ersten  Moment  die  aussere  Oberflache,  wahrend  das  innere  Blei  noch  fliissig 
ist.  Wenn  dieses  demnachst  ebenfalls  erstarrt  und  sich  dabei  zusammenzieht,  so 
muss  entweder  im  Innern  eine  Hbhlung  entstehen,  oder  aber  es  bildet  sich  an 
irgend  einer  Stelle  der  Oberflache  eine  Yertiefung  aus ,  wie  man  diese  bei 
Untersuchung  der  nach  dem  alten  Verfahren  fabricirten  Schrotkorner  so  haufig 
bemerkt. 

Gegenwartig  ist  allgemein  ein  weit  rationelleres  Verfahren  angenommen. 
Man  la'sst  namlich  das  Blei  von  einem  hohen  thurmartigen  Gebaude  herabfallen, 
so  dass  die  Tropfen  bereits  in  der  Luft  fest  werden,  und  fangt  sie  nun,  nur  um 
sie  vollends  abznkiihlen,  in  einem  Gefass  mit  Wasser  auf.  Der  hocliste  Schrot- 
thurm  ist  wohl  der  zu  Villach  in  Karnthen,  dessen  Hohe  240  Wiener  Fuss  betragt. 


Flintenschrot.  597 

In  Ennangelung  hinlanglich  holier  Giessthurme  bedient  man  sich  dazu  eines  Gru- 
benschachtes.  Das  Schrotmetall  ist  eine  Legirung  von  Blei  mit  wenig  Arsenik. 
Das  quantitative  Verhaltniss  beider  Theile  richtet  sich  nach  der  Beschaffenheit 
des  Bleies;  je  weicher  und  reiner  das  Blei,  um  so  mehr  Arsenik  muss  ihm  zuge- 
setzt  werden.  Auf  1000  Pfund  Blei  rechnet  man  hiernach  3  bis  8  Pfund  weissen 
Arsenik  oder  Operment. 

Meistens  wendet  man  hartes  Blei  an,  weil  es  wohlfeiler  ist  und  dem  Zwecke 
hinlanglich  gut  entspricht.  Um  die  Legirung  darzustellen,  setzt  man  entweder  bei 
jedem  Schmelzen  das  nothige  Arsenik  hinzu,  oder  man  bereitet  eine  grossere 
Quantitat  einer  stark  arsenikhaltigen  Legirung,  und  setzt  nachher  von  dieser  beim 
Bleischmelzen  die  nothige  Menge  zu. 

Als  Kennzeichen  der  richtigen  Zusammensetzung  der  Legirung  kann  die 
Form  der  Schrotkorner  dienen.  Sind  diese  namlich  linsenformig,  so  enthalten  sie 
zu  viel  Arsenik ;  sind  sie  dagegen  an  einer  Seite  flach  oder  gar  mit  einer  Ver- 
tiefung,  so  haben  sie  zu  wenig  Arsenik. 

Die  Erfinder  des  neuen  Verfahrens,  Acker  man  und  Martin,  beschreiben 
dasselbe  folgendermassen :  Man  schmelzt  1000  Kilo  weiches  Blei  in  einem  grossen 
eisernen  Topfe,  und  bedeckt  es  in  der  Nahe  des  Randes  mit  etwa  zwei  Schaufeln 
voll  Holzasche,  lasst  aber  die  Mitte  davon  ganz  frei,  und  tragt  nun  in  der  Mitte 
etwa  20  Kilo  Arsenik  ein.  Man  bedeckt  dann  den  Topf  mit  einem  eisernen 
Deckel  und  verstreicht  die  Fugen  schnell  mit  Lehm  oder  Mortel,  um  die  arseni- 
kalischen  Dampfe  am  Entweichen  zu  verhindern.  So  lasst  man  das  Ganze  unter 
massigem  Feuern  etwa  4  Stunden  lang  stehen ;  nimmt  dann  den  Deckel  ab,  reinigt 
die  Oberflache  sorgfaltig,  und  giesst  das  Metall  in  Blocke  von  75  Kilo.  Beim 
Gebrauch  wird  von  dieser  Legirung  ein  Block  mit  500  Kilo  ordinarem  Blei 
zusammengeschmolzen.  Um  zu  untersuchen,  ob  das  Metall  von  richtiger  Beschaf- 
fenheit ist,  nimmt  man  ein  wenig  davon  in  einen  mit  kleinen  Lochern  versehenen 
Schaumlbffel  und  lasst  das  durchtropfelnde  Blei  aus  einiger  Hohe  in  einen  Be- 
halter  mit  Wasser  fallen.  Je  nachdem  sie  nun  m  hr  linsenformig,  oder  an  der 
einen  Seite  abgeplattet  sind,  muss  entweder  noch  mehr  Legirung  oder  reines  Blei 
zugesetzt  werden. 

Zinnhaltiges  Blei  ist  nicht  zu  brauchen,  weil  es  Tropfen  von  langlich 
eirunder  oder  selbst  nadelformiger  Gestalt  liefert. 

Das  Giessen  geschieht  mittelst  der  Schrotform,  einer  etwa  260mm  im 
Durchmesser  haltenden  hohlen  Halbkugel  von  Eisenblech,  die  mit  sehr  genau 
runden,  gleich  grossen  Lochern  durchbolirt  ist.  Zu  den  verschiedenen  groberen 
und  feineren  Schrotsorten  miissen  begreiflicher  Weise  verschiedene  Formen  mit 
grbsseren  und  kleineren  Lochern  vorrathig  sein. 

Der  Durchmesser  der  Locher  muss  betragen  fur  Nr.  0   1/!i0  Zoll  engl. 

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Von  Nr.  5  bis  Nr.  9  nimmt  der  Durchmesser  in  gleiclimassigen  Abstufungen 
ab,  bis  er  bei  der  letzteren  nur  noch   Y3i;o  Zoll  betragt. 

Gewohnlich  wird  mit  3  Formen  zu  gleicher  Zeit  gegossen,  die  in  geringer 
Entfernung  von  einander  sich  in  einem  dreieckigen  Kohlenbecken  befinden.  Wah- 
rend  sich  dieser  Apparat  an  dem  obersten  Punkte  des  Giessthurms  befindet,  ist 
genau  vertikal  unter  ihm  der  Wasserkasten  aufgestellt,  der  bei  der  Arbeit  zur 
Halfte  mit  Wasser  gefullt  wird.  Durch  umgelegte  Kohlen  wird  das  Blei  in  den 
Formen  fliissig  erhalten,  wobei  die  angemessene  Temperatur  genau  zu  bertick- 
sichtigen  ist.  Fiir  grobe  Nummern  muss  das  Bleibad  kaum  so  heiss  sein,  dass 
ein  wenig  Stroh,  in  dasselbe  eingetaucht,  sich  schwach  braunt;  fur  feinere  Num- 
mern darf  sie  schon  heisser  sein. 


598  Elintenschrot. 

Feinere  Schrote  erfordern  nattirlich,  da  sie  weit  leichter  erstarren,  eine 
weniger  grosse  Fallhohe,  als  grobere ;  so  reicht  fur  Nr.  4  bis  9  eine  Fallhohe 
von  32  Meter  hin,  wahrend  grobere  Sorten  45  bis  60  Meter  erfordern.  Soil 
nun  das  Giessen  beginnen,  so  wird  in  grosseren  Schrotfabriken  gewohnlich  eine 
Quantitat  von  2000  bis  3000  Kilo  Blei  eingescbmolzen.  Die  Oberflache  desselben 
iiberzieht  sich  dabei  mit  einer  weissen  schwammigen  Oxydkruste,  welche  bei  dem 
Giessen  eine  wichtige  Anwendung  findet.  Mit  diesem  Oxyd  namlich  bedeckt  man 
die  Formen  auf  der  Innenseite,  um  so  die  Locher  theilweise  zu  verstopfen ;  denn 
liesse  man  die  Foimen  ganz  rein,  die  Locher  ganz  frei,  so  wiirde  das  Blei  so 
schnell  hindurcbfliessen,  dass  die  Tropfen  eine  langliche  Gestalt  erhielten.  Gerade 
das  langsame  Hindurchsickern  des  Bleies  durch  die  mit  Bleiasche  bedeckten  Locher 
ist  eine  der  wesentlichsten  Bedingungen  zum  Gelingen  der  Arbeit. 

1st  nun  Alles  in  Bereitschaft,  so  tragt  der  Arbeiter  die  Bleiasche  in  die 
Formen,  und  driickt  sie  uberall  in  einer  dlinnen  Lage  an,  giesst  nur  etwas 
Blei  hinein  und  ersetzt  dieses  in  dem  Masse,  wie  es  durchtropfelt,  stets  durch 
neues. 

Die  Schrotkorner  werden  nachher  aus  dem  Wasserkasten  herausgenommen 
und  durch  Siebe  sortirt;  denn  selbst  wenn  die  Locher  der  Formen  von  ganz 
gleicher  Grosse  sind,  fallen  doch  die  Schrote  nicht  von  einerlei  Grosse  aus.  Der 
mittlere  Theil  dieser  Formen  namlich,  der  von  den  Kohlen  weniger  stark  erhitzt 
wird,  liefert  jederzeit  grobere  Schrote  als  die  in  der  Nahe  der  Peripherie  lie- 
genden,  starker  erhitzten  Theile.  Ausserdem  wird  auch  oft  mit  mehreren  Formen, 
von  verschiedener  Grosse  der  Locher,  zu  gleicber  Zeit  gearbeitet. 

Die  zum  Sortiren  dienenden  Siebe  bestehen  aus  Eisenblech,  und  werden 
gewohnlich  zu  je  zwei  Stuck,  deren  Locher  der  Grosse  nach  aufeinander  folgen, 
aufeinander  befestigt. 

Nachdem  nun  die  Schrote  der  Grosse  nach  sortirt  sind,  ist  es  noch  nothig, 
sie  auch  der  Form  nach  zu  sortiren,  urn  namlich  alle  nicht  genau  runden  Korner 
zu  beseitigen.  Diese  auf  den  ersten  Blick  vielleicht  schwierig  scheinende  Aufgabe 
wird  durch  ein  eben  so  einfaches,  wie  unfehlbares  Mittel  gelost.  Man  hat  namlich 
ebene,  mit  einem  vorspringenden  Rande  versehene  Platten  von  etwa  700mi" 
Lange  und  400mm  Breite  (geschliffene  und  polirte  Spiegeltafeln  eiguen  sich  hierzu 
am  allerbesten),  welche  genau  horizontal  gerichtet  werden,  und  auf  deren  eines 
Ende  man  eine  kleine  Portion,  etwa  eine  Hand  voll,  Schrot  auflegt.  Hieraufwird 
die  Tafel  sehr  wenig  geneigt,  und  sanft  bin-  und  hergeschiittelt,  wobei  denn  die 
vollkommen  runden  Korner  herabrollen,  wahrend  alle  iibrigen  zuriickbleiben,  die 
man  dann  wieder  einschmilzt.  Gegenwartig  verwendet  man  Sortirapparate,  welche 
auf  demselben  Principe  beruhen  aber  ganz  selbstthatig  arbeiten. 

Endlich  folgt  noch  eine  letzte  Bearbeitung,  wodurch  die  Schrote  die  nothige 
Glatte  und  Politur  erhalten.  Sie  werden  zu  dem  Ende  nebst  einer  Portion  Graphit 
in  ein  kleines,  horizontal  liegendes,  achteckiges  Fass  gegeben,  das  mittelst  einer 
durchgehenden  eisernen  Achse  gedreht  wird.  Indem  sich  hierbei  die  Korner  an 
einander  reiben,  runden  sie  sich  noch  vollstandiger  ab  und  erhalten  zugleich  den 
feinen  Graphitiiberzug,  der  theils  des  Ansehens  wegen,  theils  aber  auch  zu  dem 
Ende  gegeben  wird,  um  das  Blei  bei  langerer  Aufbewahrung  vor  der  Oxydation 
zu  schiitzen. 

Um  die  Anlage  eines  thurmartigen  Gebaudes  zu  ersparren,  ist  der  Vor- 
schlag  gemacht  worden^  zum  Giessen  einen  niedrigen,  vielleicht  13  bis  16  Meter 
hohen  Cylinder  zu  benutzen,  durch  welchen  von  unten  mittelst  eines  Ventilators 
ein  so  kraftiger  Luftstrom  getrieben  wird,  dass  er  das  Blei,  trotz  der  geringen 
Hbhe,  zum  Erstarren  bringt.  Es  ist  aber  kaum  zu  bezweifeb,  dass  die  Betriebs- 
kosten  eines  solchen  Ventilators  die  Zinsen  der  Anlagekosten  eines  hinlanglich 
hohen  Gebaudes  bei  weitem  ubersteigen  werden. 

Ziemlich  gut  bewahrt  sich  jedoch  das  Princip  der  Centrifugalschrotfabri- 
kation.  —   Eine  runde,  ringsherum  mit  einer  siebartig  durchlocherten  Scheidewand 


Flintenschrot.  —  Flotzleerer  Sandstein.  599 

von  Messingblech  versehene  Metallscheibe  wird  mittelst  Dampf-  oder  anderer 
Triebkraft  mit  einer  Umfangsgeschwindigkeit  von  6  bis  10  Meter  pr.  Secunde  in 
Drelmng  gesetzt.  Wird  nun  in  die  Mitte  der  drehenden  Scheibe  fliissige  Blei 
legirung  gegossen,  so  wird  es  in  Folge  der  Centrifugalkraf't  in  Form  (den  Lochern 
der  Scheidewand  entsprecbender)  runder  Korner  zu  alien  Seiten  geschleudert,  wo 
diese  durch  einen  festen  Leinwandschirm  oder  gepolsterte  Bretterwand  aufge- 
fangen  werden,  und  in  unten  befindliche  Wasserkasten  fallen  mtissen.  Die  durch 
Drelmng  der  Scheibe  ebenfalls  in  kreisende  Bewegung  gesetzte  Luftmasse  bringt 
die  Bleitropfen  zum  Erstarren,  noch  ehe  sie  die  Bretterwand  erreichen.  Zur  Er- 
zeugung  groberen  Schrotes  ist  ebenfalls  grdssere  Entfernung  des  Leinwandschirraes 
sowie  geringere  Hitze  des  Metalles  erforderlich.  Sonst  ist  die  ganze  Manipulation 
dieselbe,  wie  vorher  beschrieben  wurde. 

Der  Bleiverlust  betragt  bei  der  Schrotfabrikation  ohne  Riicksicht  auf  die 
Methode  l3/4  bis  27/s  Proc. ;  bei  unregelmassiger  Hitze  und  anderem  schlechten 
Behandeln  des  Materials  auch  bis  4  Proc. 

Flintglas,  s.  Glas. 

Flintshirestein  syn.  Dinasstein,  Quarzziegel,  s.  Dinassteine  II  pag. 
631,  s.  Thonwaaren. 

Flinz  syn.  Spatheisenstein. 

Flittergold,  Rauschgold,  Knitter  go  Id  (oripeau,  clinquant  —  dutch 
gold),  ist  dtinnstes  Messingblech,  s.  Messing. 

Flittern  (petitions  et  paillettes  —  spangles).  Die  Folie-Flittern  (petit- 
ions) sind  rundliche  verschieden  geformte  Plattchen  aus  echter  oder  unechter 
Gold-  und  Silberfolie  und  Zinnfolie  durch  Ausschlageisen  gefertigt,  indem  man 
auf  einer  bleiernen  Unterlage  Sttickchen  von  runder,  sternfdrmiger,  rosenformiger, 
blumenblattahnlicher  etc.  Gestalt  aushaut. 

Die  Draht-Flittern  (paillettes)  sind  flachgesehlagene  Drahtringelchen, 
daher  Scheibchen  mit  centrischem  Loch.  Die  Draht flittern,  welche  am 
meisten  gebrauchlich  sind,  werden  aus  Ringelchen  von  echtem  oder  unechtem 
Gold-  und  Silberdrahte  gebildet,  indem  man  diese  auf  einem  fein  polirten 
Ambosse  mit  einem  ebensolchen  Hammer  flachschla'gt;  sie  behalten  dabei  eine 
Oefmung  im  Mittelpunkte,  welche  zum  Aufnahen  dient.  Man  lasst  sie  entweder 
glatt,  wie  sie  sind,  oder  schlagt  sie  nachtraglich  auf  einer  Bleiunterlage  mittelst 
eines  stahlernen  Stempels,  durch  den  sie  entweder  eine  stark  vertiefte  Gestalt 
Hohlflittern)  oder  Verzierungen  von  Strichen,  Punkten  etc.  bekommen  (Kraus- 
flittern).     Vgl.  Leonische  Arbeit. 

Flocken,   gleichbedeutend  mit  dem  Fullen  oder  Fiittern  der  Kratzen,  s.  d. 

Flockseide  (frisons  —  flock  silk)  beim  Einsarameln  der  Cocons  an  den 
Brettchen  oder  Reisig  hangen  bleibende  und  spater  eingesammelte  Seide,  welche 
zu  den  Abfallen  gegeben  und  zu  Florettseide  versponnen  wird. 

Fldtz  nennt  man  jenes  Glied  eines  Schichtensystemes,  welches  aus  einem 
nutzbaren  Minerale  besteht,  daher  z.  B.  Steinkohlen-,  Braunkohlen-,  Eisenstein-, 
Kalkstein-Flotz.     Lb. 

Fldtzgriinstein  so  viel  als  Dolerit,  s.  d. 
Fldtzhund,  s.  Bergbau  I  pag.  403. 

Flotzleerer  Sandstein,  ein  in  der  pelagischen  Steinkohlenformation  an  der 
Grenze  iiber  den  marinen  und  unter  den  productiven  Steinkoblengliedern  liegender, 
sehr  charakteristischer  Sandstein,    welcher   keine   oder    nur  unbedeutende  Kohlen- 


600  Flotzleerer  Sandstein.  —  Fluchtlinie. 

flotze  fiihrt.  Er  wird  in  England,  wo  er  stellenweise  aus  hartem  sogen.  krystall. 
Sandstein  besteht,  vielfaeh  zur  Erzeugung  von  Miihlsteinen  verwendet  (millestone 
grit),  so  in  Yorkshire,  Lancashire  and  Derbyshire,  anch  liefert  er  gute  Gestell- 
steine.  In  Westphalen  besteht  er  aus  wechselnden  Lagen  von  Sandsteinen  und 
Schieferthonen,  denen  bauwiirdige  Kohlenflotze  fehlen.     Lb. 

Flohsamen  (graines  de  psillium  —  fly  seed),  sind  die  Samen  von  Plantago 
Psyllium  und  Plantago  arenaria  Wld.  im  siidlichen  Europa  einheiraischer,  an 
sandigen  Kiisten  wachsender  Wegerich-Arten,  von  welchen  naraentlich  die  letztere 
im  Siiden  von  Frankreich  behufs  Gewinnung  der  Samen  cultivirt  wird.  Der  Same 
ist  etwa  2 — 3mm  lang,  gestreckt,  einseitig  gewolbt,  anderseits  flach  und  mit  einer 
Langsfurche  versehen,  in  deren  Mitte  ein  punktformiger  Nabel  sich  findet.  Sie 
sind  von  dunkel  rothbrauner  Farbe  (Flohfarbe)  und  mehr  oder  weniger  stark 
glauzend.  Der  Flohsamen,  von  welchem  die  geschatzteste  Sorte  von  Frankreich 
aus  auf  den  Markt  koinnit,  wahrend  Italien  eine  zwar  weniger  schon  aussehende, 
aber  nicht  minder  brauchbare  Sorte  liefert,  fand  ehemals  seines  Gehaltes  an  Pflan- 
zenschleim  (etwa  15  Proc.)  wegen,  demzufolge  er  mit  heissem  Wasser  eine  con- 
sistente  Gallerte  liefert,  als  schleimiges  Mittel  Anwendung  in  der  Medizin.  Gegen- 
wartig  wird  er  zur  Herstellung  von  schleimigen  Fliissigkeiten,  namentlich  fill- 
die  Zwecke  der  Buntpapierfabrikation,  dann  wohl  auch  ftir  die  Zwecke  der 
Zeugappretur  und  der  Kattundruckerei  in  Verwendung  gezogen.     Gil. 

Flor,  Trauerflor,  ist  jenes  unter  dem  Namen  Krepp  oder  Krepon  be- 
kannte  Gcwebe.  S.  Krepp.  Auch  bedeutet  dieses  Wort  die  Pole  {poll  — 
pile,  nap),  d.  i.  die  haarige  Decke  der  sammtartigen  Gewebe.  S.  Weberei. 

Florentinerlack,  Carminlack,  Wiener  Lack,  Pariser  Lack,  s.  Carmin  II 
pag.  257  und  pag.  259. 

FloreS  Antimonii,  Antimonblumen,  syn.  m.  Antimonoxyd,  s.  Antimon  I 
pag.   167. 

Flores  Benzoes,  Benzoeblumen,  syn.  m.  Benzoesaure  I  pag.  376. 

Flores  salis  ammoniaci  martiales,  Eisenblumen,  syn.  m.  Eisen- 
chlorid,  s.  Eisen  II  pag.  765. 

Flores  Sulfliris,  Schwefelblumcn,  s.  Scliwefel. 

Flores  Viridcs  aeris  syn.  mit  Griinspan  s.  b'.  Kupfer. 

Flores  Zinci,  Zinkblumen,  syn.  m.  Zinkoxyd  s.  Zink. 

Florettseide  (fleuret,  filoselle  —  floret  silk,  floss  silk)  aus  den  Seiden- 
abfa'llen  erzeugtes  Seidengarn  (s.  S  e  i  d  e). 

Floss  (radeau,  train  de  bois  —  float,  raft)  neben  einander  gebundene 
Sta'mme  von  Holz  zur  Flussschifffahrt. 

Flossen   tJRoheisen-Handelsfonn),  vgl.  Eisenerzeugung  III  pag.   11. 

Flottensalz  syn.  m.  Borax,  insoferne  dieses  Salz  als  Auflosungsmittel  ftir 
Pigmente  in  Farbflotten  dient,  vgl.  Borax  bei  Bor  I  pag.  728. 

Flliavile,  Bestaudtheil  der  Guttapercha  s.  d. 

Fluchtlinie.  das  Bild  der  unendlich  fernen  Geraden  einer  Ebene  oder  einer 
Stellung.  daher  den  perspectivischen  Darstellungen  eines  Systems  paralleler 
Ebenen  gemeinsam. 


Fluchtpunkt.   —  Fluor.  601 

Fluchtpunkt,  das  Bild  des  unendlich  fernen  Punktes  einer  Geraden  oder 
einer  Richtung,  daher  der  Vereinigungspunkt  der  Bilder  eines  Systemes  paral- 
leler  Geraden.     Cz. 

Fluder,   Fluter,  Vorriclitung  zum  Ablassen  des  Wassers  aus  Teichen. 
Fliigel   oder  Schaft  (lame  —  kftf),  s.  Weberei. 

FlUgelbremsen,  s.  Regulator. 

FlUgelort,  s.  Bergbau  I  pag.  387. 

Flugmaschine,  s.  Luftschifff  ahrt. 

Flugstaub  der  Hutten  syn.  Hutten  rauch,  s.  Arsenige  Saure  I  pag.  195. 
Flugstaub  der  Bleikammern  s.  Schwefelsaure  b.  Schwefel.     Gtl. 

Fluid  Ozon,  Name  eines  als  Geheimmittel  in  den  Handel  gebracliten  Des- 
infectionsmittels,  bez.  Heilinittels,  welches  wesentlich  eine  5  procentige  Losung 
von  ubermangansaurem  Kali  in  Wasser  ist.     Gtl. 

Fluocerit,  hexagonales  Mineral,  kommt  tafelfbrmig  oder  derb  eingewaschen 
in  Granit  vor,  hat  einen  unebenen  Bruch,  H  — :  4 — 5,  sp.  Gew.  4.7,  rbthlich 
oder  gelblich,  wenig  glanzend,  undurchsichtig  oder  kantendurchscheinend.  Chem. 
Zus.  CeFl„  -\-  Ce2Fl6.'  Entwickelt  beim  starken  Gliihen  im  Kolben  oder 
Glasrohr  Flusssaure,  ist  auf  Kohle  uuschmelzbar,  gibt  mit  Borax  und  Phos- 
phorsalz  die  Reaction  von  Cerium.  Fundorte  Finbo  und  Broddbo  bei  Falun  in 
Schweden.     Lb. 

Fluor  (fluor  —  fiuor).  Symbol  Fl.  Atomgew.  =  19.  Das  Fluor  bildet 
in  Gemeinschaft  mit  Chlor ,  Brom  und  Jod  die  Gruppe  der  Haloide  oder 
Halogene,  monovalente  Elemente,  deren  Wasserstoflf-  und  Sauerstoffsauren  ein- 
basisch ,  im  Molekiil  nur  ein  durch  Metall  vertretbares  WasserstoflFatom  be- 
sitzen  und  nur  eine  Reihe,  ncutrale  Salze,  bilden.  Von  den  Haloiden  ist 
das  Fluor  das  am  wenigsten  gekannte;  es  ist  im  freien  Zustand  nur  unvoll- 
standig  bekannt,  da  es  sich  im  Momente  seiner  Abscheidung  in  Folge  seiner 
grossen  Verwandtschaft  zu  andern  Elementen  sogleich  mit  den  Bestandtheilen 
der  Gefass-Substanzen  verbindet;  einigermassen  grbssere  Mengen  von  Fluor 
im  gasfbrmigen  Zustande  konnten  bisher  nur  in  Gefassen  von  Flussspath 
isolirt  werden. 

Durch  Zersetzung  von  Fluorsilber  (Davy)  oder  Fluorquecksilber  (Knox) 
mit  Chlorgas,  durch  Einwirkung  von  Jod  (bei  70 — 8t'°)  auf  Fluorsilber  in  luftleer 
gemachten  zugeschmolzenen  Rohren  (Kammerer),  durch  vorsichtiges  Erhitzen 
eines  Gemisches  von  Flussspath,  ubermangansaurem  Kali  und  Schwefelsaure 
(P  hip  son),  durch  Elektrolyse  von  Fluorkalium  etc.  ist  das  Fluor  als  farbloses. 
in  seinem  chemischen  Verhalten  dem  Chlor  sehr  ahnliches  Gas  von  eigenthiim- 
lichem  Geruche  erhalten  werden,  welches  Wasser  unter  Bildung  von  Fluorwasser- 
stoff  und  Entbindung  von  Sauerstoff  sehr  energisch  ze*rsetzt;  die  Versuche,  es  in 
grossern  Quantitaten  zu  erhalten,  scheitern  eben  an  der  grossen  Verwandtschaft 
die  das  frei  gewordene  Fluor  gegen  fast  alle  Elemente  aussert. 

In  Verbindung  mit  andern  Elementen  findet  sich  das  Fluor  in  grbsster 
Menge  im  Flussspath  (CaFl„)  und  im  Kryolith  (GNaFl  -|-  ALFlt.) ;  in  geringerer 
Menge  im  Apatit,  Topas,  Amphibol,  in  den  meisten  natiirlichen  pliosphorsauren 
Salzen,  in  den  Knochen,  im  Email  der  Zahne,  in  sehr  geringer  Menge  in  der 
Milch/  im  Meerwasser  etc. 

Die  Sauerstoffverbindungen  des  Fluors  sind  unbekannt;  mit  Wasserstoff 
bildet  es  die  der  Chlorwasserstoffsiiure  analoge  Fluorwasserstoftsaure ,  welche 
den    Ausgangspunkt   fur    die    Darstellung    der   Fluormetalle    und    anderer    Fluor- 


602  Fluor. 

verbindungen  bildet.  Die  Fluorverbindungen  der  Alkalien  sind  im  Wasser  leicht 
loslich,  die  der  meisten  iibrigen  Metalle  schwer  loslich  oder  unloslich ;  Fluorsilber 
jedoch  (im  Gegensatz  zu  Chlor-,  Brom-  und  Jodsilber)  leicht  loslich,  Fluor - 
calcium  (im  Gegensatz  zu  Chlorcalcium)  unloslich.  Sammfliche  Fluorverbindungen 
oder  Fluoride  zersetzen  sich  mit  Schwefelsaure  unter  Entwicklung  von  Fluor- 
wasserstoff. 

Naheres  iiber  Flussspath  (Fluorit)  und  Kryolith  siehe  die  betreffenden 
Artikel;  iiber  Fluorverbindungen  bei  den  betreffenden  Metallen. 

Fl uorw ass ers toff  (acide  fluorhydrique  —  hydrofluoric  acid),  (Fluor- 
wasserstoffsaure,  Flusssaure),  Symbol  FIH,  wird  erhalten  durch  Zersetzung  von 
Flussspath  mit  Schwefelsaure: 

CaFL         +         S04Ht,         =         CaSOt         +         2HFI 

Flussspath  Schwefelsaure  Calciurasulfat  Fluorwasserstoff. 

Fluorwasserstoff  ist  ein  farbloses  atzendes  Gas  von  stechend  saurem  Geruche, 
welches  an  der  Luft  weisse  Nebel  bildet,  leicht  verdichtbar  ist,  eingeathmet  hochst 
nachtheilig  wirkt,  von  Wasser  in  grossen  Mengen  absorbirt  wird.  Da  das  Gas 
Gefasse  von  Glas,  Porzellan,  sowie  die  meisten  Metalle  angreift,  so  kann  die 
Zersetzung  des  Flussspathes  mit  Schwefelsaure  nicht  in  Glasgefassen  oder  beliebigen 
Metallgefassen  bewerkstelligt,  sondern  es  mlissen  hiezu  Gefasse  von  Blei  oder 
Platin  verwendet  werden. 

Zur  Darstellung  der  wasserigen  Flusssaure  in  grossern  Mengen  kann  der 
von  Briegleb  empfohlene  Apparat  verwendet  werden.  Die  aus  Blei  gefertigte 
Destillirblase  besteht  aus  zwei  Theilen,  deren  unterer,  zur  Aufnahme  der 
Beschickung  mit  Flussspath  und  Schwefelsaure  bestimmt,  mit  dem  obern  Theile 
(Helm)  gut  verkittet  wird.  Die  gleichfalls  aus  Blei  gefertigte  Vorlage  hat  seitlich 
einen  Tubus  zur  Aufnahme  des  Helmhalses,  ferner  einen  konischen  ubergreifenden 
Deckel,  von  dem  ein  Ableitungsrohr  abzweigt.  In  der  Vorlage  selbst  befindet 
sich  eine  mit  dem  Absorbtionswasser  gefiillte,  auf  einem  Ringe  von  Blei  stehende 
Platinschale.  Sobald  alle  Fugen  des  Apparates  verstrichen  sind,  beginnt  man 
mit  der  Entwicklung  des  Fluorwasserstoffgases  durch  Erwarmen  der  in  einem 
eisernen  Sandbade  stehenden  Blase;  man  erhalt  so  eine  mehr  oder  weniger 
concentrirte,  fast  bleifreie  Saure. 

Zur  Darstellung  von  wasserhaltiger  Flusssaure  in  kleinen  Mengen  kann  ein 
einfacher  Apparat,  bestehend  in  einer  aus  zwei  Theilen  gebildeten  bleienen 
Destillirblase  mit  einem  Abzugsrohr  von  Platin,  verwendet  werden.  In  den  untern 
Theil  der  Blase  bringt  man  concentrirte  Schwefelsaure  und  riihrt  in  diese  so  viel 
fein  gepulverten  Flussspath,  dass  die  Masse  noch  vollstandig  fllissig  bleibt,  setzt 
sodann  den  obern  Theil  auf,  verkittet  und  erhitzt  nun  den  Boden  der  Blase  mit 
einer  kleinen  Flamme.  Das  aus  dem  Platinrohr  austretende  Fluorwasserstoffgas 
lasst   man    in    einen    mit  Wasser   gefiillten  und  gekuklten  Platintiegel  eintreten. 

Soil  die  erhaltene  Flusssaure  vollstandig  bleifrei  sein,  so  miissen  zur  Dar- 
stellung derselben  Gefasse  von  Platin  verwendet  werden,  da  die  in  den  meisten 
Bleiapparaten  dargestellte  Flusssaure  geringe  Mengen  von  Blei  enthalt. 

Lasst  man  das  aus  Flussspath  und  Schwefelsaure  entwickelte  Fluorwasser- 
stoffgas in  kleine,  mit  einer  Kaltemischung  umgebene  Gefasse  von  Platin,  Blei 
oder  Gold  treten  oder  leitet  man  dasselbe  durch  eine  U-fdrmige,  gleichfalls 
gekiihlte  Rohre  von  Blei,  so  erhalt  man  die  Flusssaure  im  wasserfreien  Zustande. 

Die  wasserige  Flusssaure  ist  eine  farblose,  sehr  saure,  bei  starker  Concen- 
tration an  der  Luft  rauchende  Fliissigkeit,  welche  die  meisten  Metalle  unter 
Entwicklung  von  Wasserstoff  auflost,  mit  Metalloxyden  Wasser  und  Fluor- 
metalle  bildet. 

Die  wasserfreie  Flusssaure  ist  eine  farblose,  sehr  fluchtige,  rauchende,  sehr 
saure,  atzende,  bei  ca.  15°  C.  siedende  Fliissigkeit  von  1061  spec.  Gewicht; 
auf    die  Haut  gebracht,    bewirkt    sie    lebhafte  Entziindung    derselben,  und  eizeugt 


Fluor.  603 

schwer  heilende  Wunden.  Durch  Zusatz  von  wenig  Wasser  erhoht  sich  ihr  spec. 
Gewicht  auf  1*25  unter  bedeutender  Erhitzung. 

Die  Aufbewahrung  der  wasserigen  Flusssaure  geschieht  in  Gefassen  von 
Blei  oder  Platin,  wohl  auch  in  Glasgefassen,  deren  Innenwande  mit  einer  Schichte 
von  Wachs  oder  Asphalt  uberzogen  sind. 

Von  grosster  Wichtigkeit  ist  die  Einwirkung  des  Fluorwasserstoffgases 
sowohl  als  auch  der  wasserigen  Fliisssaure  auf  Kieselsaure  und  Silikate. 

Flusssaure  setzt  sich  namlich  mit  Kieselsaure  um  in  gasfbrmiges  Silicium- 
fluorid  und  Wasser, 

SiOz         +         ±FIH        =         SiFl4         +         2#20 

Kieselsaureanhydrid     Fluorwasserstoff  Siliciumfluorid  Wasser 

mit  Silicaten  in  Siliciumfluorid.  Fluormetall  und  Wasser.  Wirkt  daher  Fluor- 
wasserstoffgas  oder  Flusssaure  auf  Glas,  so  wird  demselben  ein  Theil  der  Kiesel- 
saure in  Form  von  gasformigem  Siliciumfluorid  entzogen  und  je  nach  der  Dauer 
der  Einwirkung  an  der  betreffenden  Stelle  eine  mehr  oder  weniger  starke  Ver- 
tiefung  erzeugt. 

Diese  zerstorende  Wirkung  der  Flusssaure  aufGlas  wird  beniitzt,  um  Zeich- 
nungen,  Schriftziige,  Theilungen,  Photographien  etc.  auf  Glas  zu  atzen. 

Bereits  1670  kannte  H.  Schwankhardt  in  Niirnberg  ein  Verfahren, 
mittelst  Flussspath  und  Schwefelsaure  Glas  zu  atzen;  1771  wies  Scheele  die 
Existenz  einer  eigenthiimlichen,  der  Chlorwasserstoffsaure  ahnlichen  Saure  nach, 
welche  sich  aus  dem  Gemische  von  Schwefelsaure  und  Flussspath  entwickelt  und 
%welcher  Saure  die  atzende  Wirkung  zukomme.  Durch  Hann,  Bottger  und 
Bromeis,  Kessler,  Siegwart,  Tessie"  du  Mothay,  Auer  u.  A.  erhielt 
das  Verfahren  der  Aetzung  des  Glases,  namentlich  in  der  Methode  des  sogenannten 
Glasdruckes,  der  Hyalographie  etc.  die  grosste  Wichtigkeit. 

Man  atzt  entweder  mit  Fluorwasserstoffgas,  aus  einem  Gemisch  von  Fluss- 
spath und  Schwefelsaure  entwickelt  oder  mit  wasseriger  Flusssaure,  wohl  auch 
unmittelbar  mit  dem  Gemisch  von  Flussspath  und  Schwefelsaure  oder  mit  einer 
mit  Salzsaure  angesauerten  Losung  von  Fluorwasserstoff-Fluorkalium  oder  endlich 
mit  Fluorammonium.  Je  nach  Wahl  der  einen  oder  andern  Methode  ist  das 
Aussehen  des  geatzten  Glases  von  verschiedener  Art;  Fluorwasserstoffgas  und 
Fluorammonium  erzeugen  matte  Aetzung,  ebenso  das  Gemisch  von  Schwefelsaure 
und  Flussspath,  wenn  es  unmittelbar  auf  die  zu  atzende  Stelle  aufgetragen  wird ; 
eine  wasserige  Losung  von  Flusssaure  hingegen  hinterlasst  die  geatzte  Stelle 
nicht  matt,  sondern  hell  und  fast  durchsichtig.  Durch  Abwechslung  von  matt 
und  hell  geatztenS  tellen,  durch  verschiedene  Tiefatzung,  Wegatzen  von  Ueber- 
fang  etc.  konnen  die  verschiedensten  Arten  geatzter  Glaser  von  trefflicher  Wirkung 
hergestellt  werden. 

Obzwar  sammtliche  Glasarten  von  Fluorwasserstoff  angegriffen  Averden,  so 
eignen  sich  am  besten  weiche  Bleikrystallglaser,  indem  die  Aetzung  der  harten 
Kali-  oder  Kalikalkglaser  nur  sehr  langsam  von  statten  geht. 

Um  Zeichnungen  auf  Glasplatten,  Scalen  auf  Thermometern.,  Eudiometern  etc. 
zu  atzen,  verwendet  man  die  Methode  der  Aetzung  mit  gasformigem  Fluor- 
wasserstoff. In  die,  mit  einem  Aetzgrunde  von  geschmolzenem  Wachs  und  Ter- 
pentin  oder  Kupferstecherfirniss  moglichst  gleichmassig  iiberzogene  Oberflache  der 
Glasplatte  oder  Rohre  wird  die  Zeichnung  mittelst  eines  feinen  Griffels,  die 
Theilung  fur  Thermometer  und  Eudiometer  mittelst  Theilmaschine  eingeschnitten. 
um  so  die  betreffenden  Glasstellen  der  Einwirkung  der  Fluorwasserstoffsaure 
blosszulegen,  hierauf  durch  langere  oder  ktirzere  Zeit  je  nach  der  gewiinschten 
Tiefe  der  Aetzung  den  Dampfen  der  Fluor-  wasserstoffsaure  ausgesetzt  —  wobei 
nur  Sorge  getragen  werden  muss,  dass  die  Temperatur  nicht  zu  hoeh  steigt,  um 
nicht  Stellen,  welche  nicht  geatzt  werden  sollen,  durch  das  Schmelzen  des  Aetz- 
grundes  blosszulegen  —  und  schliesslich  durch  gelindes  Erwarmen  und  Abwischen 
der  Aetzgrund  entfernt. 


604  Fluor. 

Da  die  Herstellung  von  Zeichnungen  im  Aetzgruude  viel  Zeit  und  Miihe 
erfordert,  fiir  jeden  einzelnen  Gegenstand  wiederholt  werden  muss,  so  wurde  schon 
von  Hann  (1829),  Bbttger  u.  Bromeis  (1844),  Kessler  (1855),  Siegwart, 
Tessie  du  Mothay  und  Marechal  etc.  ein  Druckverfahren*)  eingefiihrt, 
nach  welchem  die  betreffenden  Zeichnungen  auf  dem  lithographischen  Stein 
entworfen,  der  Aetzgrund  auf  Papier  gedruckt  und  von  diesem  auf  das  Glas  iiber- 
tragen  wird. 

Nach  Kessler  wird  zunachst  die  betreffende  Zeichnung  auf  einem  ebenen, 
polirten  lithographischen  Stein  mittelst  einer  Tinte  (Losung  von  Asphalt  in  Ter- 
pentinol)  entworfen,  nach  dem  Trocknen  derselben  der  Stein  mit  stark  verdiinntev 
Salzsaure  ca.  !/amm  ^ief  geatzt,  mit  Aetzgrund,  bestehend  aus  3  Th.  Asphalt, 
2  Th.  Stearinsaure  und  3  Th.  Terpentinol,  iiberzogen  und  mittelst  einer  gerad- 
linigen  Metallschiene  die  erhabenen  Stellen  blossgelegt.  Man  bedeckt  nun  den 
Stein  mit  einem  Blatte  Halbseidenpapier  und  bringt  ihn  in  die  lithographische 
Presse  behufs  Uebertragung  des  Aetzgrundes  auf  Papier;  auf  diese  Weise  konnen 
von  dem  Steine  eine  beliebige  Anzahl  Abdriicke  hergestellt  werden.  Hierauf 
erfolgt  die  Uebertragung  des  Abdruckes  von  Papier  auf  Glas;  man  legt  das 
Papier  mit  der  nicht  bedruckten  Seite  auf  ganz  verdunnte  Salzsaure,  bis  das 
Papier  durchdruDgen  ist,  breitet  es  hierauf  mit  der  bedruckten  Seite  auf  der 
Glasplatte  vollkommen  eben  aus  und  entfernt  das  Papier  durch  vorsichtiges 
Abziehen,  wodurch  der  Aetzgrund  in  Folge  seiner  klebenden  Beschatfenheit  auf 
dem  Glase  haften  bleibt  und  die  betreffenden  Stellen  vor  der  Einwirkung  der 
Fluorwasserstoffsaure  schiitzt. 

Tessie  du  Mothay  und  Marechal  verwenden  als  Aetzbad  eine  Losung" 
von  250  Grarnm  Fluorwasserstoff-Fluorkaliuni  und  250  Gramm  kaufl.  Salzsaure 
in  1  Liter  Wasser,  Siegwart  eine  Losung  von  8  Thl.  Fluorkalium,  1  Thl. 
Schwefelsaure  in  100  Thl.  Wasser. 

Handelt  es  sich  urn  die  Herstellung  grbsserer  matter  Flachen,  so  wendet 
man  haufig  die  directe  Aetzung  mittelst  eines  breifbrmigen  Gemisches  von  Fluss- 
spath  und  Schwefelsaure  an ;  man  erhalt  so  mattirte  Flachen,  welche  viel  zarter 
und  gleichformiger  sind,  als  dieselben  durch  Schleifen  hergestellt  werden  konnen ; 
besonders  geeignet  ist  diese  Methode  zur  Herstellung  der  matten  Scheiben  fiir 
die  Camera  obscura. 

Urn  ganze  Flachen  zu  mattiren  werden  diese  nach  P.  Weiskopf**)  ca.  5mm 
hoch  mit  einem  diinnen  Teige  von  feingepulvertem  Flussspath  und  concentrirter 
Schwefelsaure  bestrichen,  kleinere  oder  runde  Gegenstande  ganz  eingehiillt,  in 
einem  eisernen  Topf,  dessen  Boden  mit  Gyps  oder  Kreide  belegt  ist,  durch  zwei 
Stunden  gelinde  erhitzt,  damit  alle  iiberschiissige  Flusssaure  abzieht.  Das  Ende 
der  Operation  erkennt  man  daran^  dass  sich  die  Dccke  der  Platte  vollstaudig  in 
harten  Gyps  verwandelt  hat  und  sich  nach  dem  Abkiihlen  leicht  und  vollstandig 
ablbsn.  Die  Platten  werden  sodann  in  verdiinnter  Aetzkalilauge  und  darauf  in 
Wasster  einigemal  gewaschen,  worauf  die  geatzten  Stellen  rein  und  intensiv  matt 
erscheinen. 

Will  man  Glasflacheu  nicht  ganz  matt,  sondern  nur  eisartig  glanzend  (bes. 
fiir  Fenster)  herstellen  so  legt  man  die  Glasscheibe  vollstandig  horizontal,  bedeckt 
dieselbe  mit  einer  Lage  sehr  feiner  Schrottkbrner  und  atzt  nun  mit  stark  ver- 
diinnter Flusssaure;  die  Schrottkbrner  wirken  als  Deckgrund  und  bringen  so  auf 
dem  Glase  erhabene  Punkte  hervor. 

Photographien  lassen  sich  nach  E.  Siegwart  (Dingl.  polyt.  Journal  190 
pag.  426,  220    pag.  479;    auf  Glas    atzen,    wenn    die    mit  einer  Chrom-Gelatine- 


*)  Vergl.  Kessler,    Dingl.    polyt.    Journ.    170  pag.  217  und  185  pag.  222.     Tessie    du 
Mothay    und    Marechal,    Dingl.    pol.    Journ.    181  pag.  213.     E.    Siegwart,  Dingl. 
pol.  Journ.   199  pag.   222.     M.  Hock,  Dingl.  pol.  Journ.  215  pag.   129 
**)  S.  Dingl.  polyt.  Journ.  206  pag.  469. 


Fluor.  —  Fluorescein.  605 

schichte  praparirte  Platte  dem  Lichte  exponirt,  nach  cter  Belichtung  mit  feinera 
Flussspathpulver  bestreut  (welches  nur  an  den  vor  dem  Lichte  geschiitzten  Stellen 
haftet),  rait  Rohcollodium  uberzogen  und  hierauf  in  verdiinnte  Schwefelsaure 
gebracht  wird. 

Zum  Mattatzen  und  Mattschreiben  mit  der  gewohnlichen  Feder  empfiehlt 
Kessler  eine  Losung  von  Fluoraramonium. 

Si  liciumfl  uor  id  (Fluorkiesel,  Fluorsilicium)  SiFlA  wird  erhalten,  wenn 
man  ein  Gemenge  aus  gleichen  Theilen  Flussspath  und  gepulvertem  Quarz  oder 
Sand  mit  8  Thl.  concentrirter  Schwefelsaure  erwarmt: 

SiO,,       +       2CaFl?    +    2£04#2  =:  2C'aS04  +  2H./J    +     SiFlA 

Kieselsaureanhydrid      Fluorcalcium     Schwefelsaure    Calciumsulfat       Wasser        Siliciumfluorid. 

Das  schon  bei  gelinder  Erwarmung  sich  reichlich  entwickelnde  Gas  muss 
iiber  Quecksilber  aufgefangen  werden,  da  es  von  Wasser  augenblicklich  zersetzt 
wird.  Es  ist  ein  farbloses  Gas  von  stechend  saurem  Geruche  und  Geschmacke, 
das  an  feuchter  Luft  starke  Nebel  bildet.  Das  spec.  Gewicht  des  Gases  nach 
Davy  rr  3'574;  bei  einer  Temperatur  von  —  106°  C.  und  einem  Drucke  von 
9  Atmospha'ren  zu  einer  farblosen  leicht  beweglichen  Fliissigkeit  verdichtbar. 

Wird  das  Gas  in  Wasser  geleitet,  so  findet  Zersetzung  desselben  unter 
Abseheidung  von  gallertartiger  Kieselsaure  und  Bildung  von  Kieselfluorwasser- 
stoffsaure  statt. 

SSiFl^       +      4H,,0      =      8iOiHi       -f       2SiFl6H^ 

Siliciumfluorid  Wasser  Kieselsaure        Kieselfluorwasserstoffsiiure. 

Die  Kieselfluorwasserst offsaure  oder  Kieselflusssaure  bildet  eine 
farb-  und  geruchlose  sehr  saure  Fliissigkeit,  welche  bei  gewdhnlicher  Temperatur 
nicht  auf  Glas  wirkt,  dasselbe  jedoch  bei  hoherer  Temperatur,  unter  Riickbildung 
von  Siliciumfluorid,  angreift. 

Die  Kieselfluorwasserstoffsaure  kann  betrachtet  werden  als  Kieselsaure  von 
der  Formel  SiO:iHa,  in  welcher  die  drei  zweiwerthigen  Sauerstoffatome  durch 
sechs  einwerthige  Fluoratome  vertreten  sind  oder  audi  als  Verbindung  von  Silicium- 
fluorid mit  Fluorwasserstoff  SiFl^  -\-  2B.Fl. 

Die  Kieselfluormetalle,  durch  Vertretung  von  Wasserstoff  durch  Metallatome 
entstanden,  sind,  mit  Ausnahme  des  Kalium-  und  Baryumsalzes,  in  Wasser  niehr 
oder  weniger  leicht  loslich,  einige  auch  krystallisirbar. 

Ausser  in  der  analytischen  Chemie,  in  welcher  die  Kieselfluorwasserstoff- 
saure zur  Erkennung  der  Kalisalze,  Trennung  der  Baryum-  und  Strontiumsalze 
dient,  ist  dieselbe  auch  zur  Entfernung  der  Alkalisalze  aus  Riibenmelasse  empfohlen 
worden. 

Naheres  iiber  Fluor,  Fluorwasserstoff,  Siliciumfluorid  und  Kieselfluorwasser- 
stoffsaure siehe:  Graham-Otto's  ausfiihrliches  Lehrbuch  der  Chemie  2.  Band  1.  Ab- 
theilung  pag.  798—809  und  pag.  991—996.  K.   Weis. 

Fluorborsaure.     Bor  fluorwasserstoff  saure,     s.    Bor    I     pag.    731 

Fluoren,  Name  eines  von  Berthelot  in  dem  zwischen  300  und  340°  C. 
sied.  Antheile  des  Steinkohlentheeres  entdeckten,  stark  fluorescirenden  Kohlen- 
wasserstoffs,  der  nach  Bar  bier  (Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  1873  pag.  1264)  bei 
113°  C.  schmilzt  und  der  Formel  Cri;JJff]8  entspricht.     Gtl. 

Fluorescein  (fiuoresceine)  d.  i.  Resorcin-Phtalein.  Durch  Einwirkung 
von  wasserfreier  Phtalsaure  auf  Resorcin  beim  Erhitzen  auf  195°  C  entstehend, 
lasst  es  sich  mittels  Alkohol  aus  der  Masse  ausziehen  und  krystallisirt  aus  der 
Alkohol-Losung,  in  Gestalt  kleiner,  zu  Krusten  vereinigter  Krystallchen  von  dun- 
kelbrauner  Farbe.  In  Kalilauge  Ibsen  sich  die  Krystalle  auf  und  aus  der  Losung 
fallt  durch  Saurezusatz  das  Fluorescein  in  Gestalt  eines  ziegelrothen  Pulvers.  Die 
Zusammensetzung  entspricht  der  Formel  C^H^J)^  oder  C<20H1>1Ob.  Mit  Schwefel- 


606  Fluorescein.  —  Fluorit. 

saure  stark  erhitzt  liefert  es  bei  Zusatz  von  Wasser  einen  rothen  pulverigen 
Niederschlag,  der  sich  in  Alkalien  mit  blauer  Farbe  lost.  Die  Losung  liefert  mit 
Zinkstaub  eine  Kiipe  mit  der  sich  wie  mit  einer  Indigoktipe  blaufarben  lasst. 
Doch  sind  die  erzielbaren  Farbentone  weder  schon  noch  echt,  (vgl.  a.  Eo  sin  III 
pag.  277,  s.  Baeyer,  Ber.  d.  d.  chem.  Gesellsch.  1871  pag.  558  u.  622,  s.  d. 
Ann.  d.  Chem.  1876,  183  pag.  1  —  74,  s.  a.  Resorcinfarben).  Kr tiger  hat  das 
Fluorescein  neuestens  als  Indicatorsubstanz  ftir  Maassanalyse  vorgeschlagen,  (vgl. 
Ber.  d.  d.  chem.  Gesellsch.  1876  pag.  1572).     Gtl. 

Fluorescin  ist  das  Reductionsproduct  des  Fluoresceins,  welches  aus  diesem 
durch  Behandlung  mit  Zinkstaub  in  alkalischer  Losung  erhalten  werden  kann. 

Fluorescenz  s.  Licht. 

FlllOrid  syn.  m.  Fluormetall. 

Fluorit,  Flussspath,  Fluss,  F I o  s s  der  alten  Bergleute,  (chaux  jinatee  — 
jluor  spar,  fluorite),  krystallirt  tesseral  zumeist  im  Hexaeder  oder  Octaeder,  aber 
auch  im  Rhombendodekaeder,  Tetrakontaoctaeder,  sowie  in  mancherlei  Combina- 
tionen.  Die  in  der  Regel  schon  ausgebildeten,  grossen  Krystalle  finden  sich 
einzeln  oder  in  Gruppen  und  Drusen,  auch  oft  in  sehr  regelmassiger  paralleler 
Verwachsung  (Treppenoctaeder).  Zwillinge  nach  einer  Octaederflache  sind  haufig. 
Auch  derb ,  in  grobkornigen  oder  stangligen  Massen ,  sowie  dichte  und  erdige 
Varietaten  finden  sich.  Spaltb.  octaedrisch  vollk.  Bruch  muschlig  selten  sichtbar, 
sprode.  H  =  4,  spec.  Gew.  3.1 — 3.2,  im  reinsten  Zustand  wasserhell,  gewohnlich 
gefarbt  in  alien  nur  denkbaren  Farben  und  Nuancen,  auch  nicht  selten  zwei-  und 
mehrfach  verschieden  gefarbte  Krystalle,  daher  auch  von  den  Bergleuten  „Erz- 
blume  oder  Erzbltithe"  genannt.  Die  Farbe  soil  von  einer  Beimengung  von 
KohlenwasserstofF  herrtihren,  da  sie  beim  Gliihen  verschwind  et.  Pulverisirt  oder 
schon  in  groberen  Stiicken  auf  Platinblech  erhitzt  phosphoresciren  die  Flussspathe 
lebhaft.  Chem.  Zus.  CaFlq  =  51.3  Calcium  und  48.7  Fluor.  Zerknistert  v.  d.  L. 
phosphorescirt  und  schmilzt  nur  in  dtinnen  Splittern  zu  einem  unklaren  Email, 
wobei  sich  die  Flamme  rothet.  Mit  Gyps  schmilzt  er  zu  einer  klaren  Perle, 
welche  erkaltet  trtib  wird.  Von  cone.  Schwefelsaure  wird  er  unter  Entwicklung 
von  Flusssaure  vollstandig  zersetzt,  in  Salzsaure  und  Salpetersaure  lost  er  sich 
schwer.  Ist  ein  haufiger  Begleiter  von  Erzen,  z.  B.  von  Zinnerzen  zu  Schlaggen- 
wald,  Zinnwald,  Ehrenfriedendorf  in  Cornwall,  auf  Silbererzgangen  in  Weipert,  Anna- 
berg,  Freiberg,  Rongsberg,  auf  Bleigangen  an  vielen  Orten  in  England,  auch  mit 
Rotheisenstein  und  Spatheisenstein  findet  er  sich,  bildet  auch  ftir  sich  oft  ziemlich 
machtige  Gange  wie  zu  Wolsendorf  im  Bairischen  Wald,  Rothleberode  am  Harz 
u.  a.  a.  0.  Eine  eigenthumliche  Varietat  des  Flussspathes  ist  der  zu  Wolsendorf 
in  Baiern  vorkommende  „Stink flussspath  oder  Antozonit."  Er  ist  derb, 
dunkelblau  bei  schwarzblau,  oft  stanglig,  und  entwickelt  beim  Stossen  oder  Schlagen, 
noch  mehr  beim  Zerreiben  einen  eigenthtimlichen  Geruch,  welchen  Schonbein 
als  von  Antozon  herriihrend  erklart,  wahrend  nach  anderer  Ansicht  dieser  Geruch 
von  einem  Kohlenwasserstoff-Gehalt  herrtihren  soil. 

Der  im  Granit  von  Kararfoedt  und  Broddbo  bei  Falun  sowie  bei  Amity  in 
New- York,  N.-A.,  vorkommende  Yttrocerit,  welcher  violetblaue  Ueberziige  und 
Krusten  im  Gestein  bildet,  besteht  aus  Fluorcalcium  mit  einem  Gehalt  von  Fluor- 
cerium  und  Fluoryttrium. 

Der  Flussspath  findet  mancherlei  Verwendung  in  der  Technik.  Yon  Alters 
her  findet  er  Anwendung  als  Zuschlag  zum  Schmelzen  strengfltissiger  Erze,  sowie 
beim  Probiren  der  Erze.  Er  dient  zur  Erzeugung  der  Flusssaure,  als  Zusatz  bei 
der  Bereitung  von  Glasuren  und  Emailen.  Die  schongefarbten  englischen  Fluss- 
spathe werden  zu  Platten  geschnitten,  womit  allerlei  Luxusgegenstande  belegt 
werden,  auch  werden  ganze  Ornamente  und  verschiedene  Gerathe  daraus  gefertigt 


Fluorit  —  Fluss.  607 

(Sparstone  -  Ornaments).  Als  Ringstein  wird  er  seiner  geringen  Harte  wegen 
nur  selten  verschliffen,  und  muss  im  letzteren  Falle  mit  einer  Glas-  oder  Krystall- 
doublette  versehen  werden.  Einige  Archaeologen  vermuthen,  dass  die  von  den 
Alten  hochgeschatzten  murrhinischen  Gefasse  (Vasa  murrhina)  aus  Flussspath 
gemacht  waren.  Lb. 

Fluormetalle,  Fluoride  vgl.  Fluor  s.  b.  d.  einz.  Metallen. 

Fluorwasserstoff  s.  Fluor  ill  pag.  602. 

FluSS  syn.  m.  Fluorit. 

FIlISS,  Flussmittel  (fondant  —flux),  nennt  man  bei  metallurgischen 
Processen  im  Allgemeinen  Korper,  welche  man  bei  Schmelzoperationen  den  zu 
schmelzenden  Stoffen  zusetzt,  um  leicht  schmelzbare  Schlacken  zu  erzielen.  In 
diesem  Sinne  dienen  Flussspath,  Borax,  Glas  oder  sonstige  Silicate  als  FUisse. 
Den  Namen  Fluss  speciell  fiihren  aber  auch  besondere  Flussmittel,  die  neben 
dem  Zwecke  als  Verfliissigungsmittel  zu  dienen  noch  die  besondere  Aufgabe  haben 
Reductions-  oder  Oxydationswirkungen  auszuiiben. 

Solche  Flussmittel  sind: 

a)  Der  schwa rze  Fluss  (flux  noir  —  black  flux),  d.  i.  ein  Product, 
welches  durch  Verpuffen  eines  innigen  Gemenges  von  circa  2 — 3  Thl.  Rohwein- 
stein  mit  1  Thl.  Salpeter  erhalten  wird  und  eine  schwarze  Masse  darstellt,  welche 
wesentlich  aus  kohlensaurem  Kali,  fein  vertheilter  Kohle,  etwas  Cyankalium  nebst 
geringen  Mengen  von  kohlens.  Kalk  (aus  dem  Kalkgehalte  des  Rohweinsteins), 
Chlormetallen  und  schwefelsauren  Salzen,  oft  auch  brenzlichen  Zersetzungspro- 
ducten  der  Weinsteinsaure  besteht.  Derselbe  wirkt  als  reducirendes  Flussmittel, 
und  kann,  je  nachdem  eine  kraftigere  oder  weniger  kraftige  Reduction  gewtinscht 
wird,  durch  Aenderung  des  Mischungsverhaltnisses  von  Weinstein  und  Salpeter 
variirt  werden.  So  erhalt  man  bei  Anwendung  von  2  Weinstein  auf  1  Salpeter 
eine  Masse  von  etwa  5  Proc.  Kohlenstoffgehalt,  von  2  '/„  Weinstein  auf  1  Salpeter, 
von  etwa  8  Proc.  Kohlenstoffgehalt,  von  3  Weinstein  auf  1  Salpeter  von  etwa 
12  Proc.  Kohlenstoffgehalt  und  im  Verhaltnisse  der  Zunahme  des  Kohlenstoff- 
gehaltes  auch  kraftiger  reducirende  Wirkung. 

b)  Grauer  Fluss  (flux  gris  —  grey  flux)  ist  ein  Product  der  Verpuffung 
von  3  Thl.  Weinstein  mit  2  Thl.  Salpeter,  ist  wesentlich  armer  an  Kohlenstoff 
als  der  schwarze  Fluss. 

c)  Weisser  Fluss  (flux  blanc  —  ivhite  flux)  wird  erhalten  durch  Ver- 
puffen eines  Gemenges  von  1  Thl.  rohem  Weinstein  mit  1  bis  2  Thl.  Salpeter. 
Er  enthalt  vornehmlich  kohlensaures  Kali  neben  salpetrigsaurem  und  salpetersaurem 
Kali,  dann  geringen  Mengen  von  kohlens.  Kalk  (aus  dem  Kalkgehalte  des  Roh- 
weinsteins) etwas  an  Chlormetallen  und  schwefels.  Salzen.  Er  dient  wegen  seines 
Gehaltes  an  salpetrigsauren  und  salpetersauren  Salzen  als  oxydirendes  Fluss- 
mittel. 

Diese  Gemenge  sind  um  so  wirksamer,  je  vollkommenerer  die  Mischuug 
von  Weinstein  und  Salpeter  war.  Sie  miissen,  da  sie  grosse  Neigung  haben 
Feuchtigkeit  anzuziehen,  in  gut  verschlossenen  Gefassen  auf  bewahrt  werden. 

Mit  dem  Namen  Schnell  fluss  bezeichnet  man  eine  von  Bail  me  ange- 
gebene  Mischung  aus  3  Thl.  Salpeter,  1  Thl.  Schwefel  und  1  Thl.  Sagespiineii 
(von  einem  harzigen  Holze),  welche  Metalle,  die  leicht  in  Schwefelmetalle  verwan- 
delt  werden  konnen  (Kupfer,  Silber  etc.),  rasch  zum  Schmelzen  bringt,  indem  sie 
dieselben  in  leicht  flussige  Schwefelungstufen  iiberfiihrt. 

Fluss  nennt  man  ubrigens  auch  den  Zustand  der  Verfliissigung  fester  Korper 
und  unterscheidet  in  dieser  Beziehung  wohl  auch  zwischen  wiissrigem  Fluss, 


£08  Flussbau.  —  Forlenholz. 

d.  i.  das  Schmelzen  z.  B.  eines  wasserhaltigen  Krystalls  in  seinera  Krystall- 
wasser,  und  feurigem  Fluss,  d.  i.  die  Verfliissigung  eines  starren  Kbrpers 
im  Feuer,  z.  B.  eines  wasserfreien  Salzes,  eines  Metalls  u.  s.  v?.,  vergl.  auch 
Schmelzen.     Gtl. 

Flussbau,  s.  Wasserbau. 

Flusseisen,  s.  Eisen  II  pag.   771  und  777. 

FIUSS  Mainzer  syn.  mit  Strass,  s.  Glas. 

Flussmittel  s.  Fluss. 

Flusssaure  syn.  Fluorwasserstoff,  s.  Fluor  III  pag.  602. 

Flussschifffahrt,  s.  Schifffahrt. 

Flussspath  s.  Fluorit. 

FluSSStahl  s.  Eisen  II  pag.  778. 

FluSSStein  s.  Fluorit. 

Fluxion  ist  der  Grenzwerth,  welchem  sich  das  Verhaltniss  der  Aenderung 
einer  Function,  zu  der  sie  herbeifiihrenden  Aenderung  der  unabhiingigen  Variablen, 
nahert,  wenn  letztgenannte  Aenderung  ohne  Ende  der  Nulle  zustrebt,  also  der 
sog.  erste  Differ  en  tialquotient  oder  die  derivirte  Function,  welche 
ein  Mass  fiir  die  Aenderungsgeschwindigkeit  der  Function  abgibt.    Cz. 

Flyer,  s.  Baumwollspinnerei  I  pag.  345. 

Flysch  s.  Wiener  Sandstein. 

FOCUS  syn.  m.  Brennpunkt,  s.  b.  Linsen,  vgl.  Licht. 

Fbhrenholz,  Kiefernholz  (pin  — fir),  das  Holz  der  Kiefer  oder  Fohre 
(Pinus  silvestris) ;  es  ist  raeist  rothlich  gelb,  an  den  Randern  der  Jahrringe  roth- 
braun,  im  Splinte  weiss.  Es  gehort  zu  den  weichen  Holzern,  zeichnet  sich  jedoch 
durch  seinen  Harzreichthum  aus,  daher  es  auch  in  der  Nasse  dauerhaft  ist  und 
besonders  gerne  als  Materiale  zu  Fensterrahmen,  ferner  auch  zu  Brunnenrbhren 
beniitzt  wird.  Das  K  i  e  n  h  o  1  z  ist  das  besonders  harzreiche  Holz  der  Wurzeln 
der  Fohre.  Das  Holz  der  Weymouthskiefer  (Pinus  sti-obus)  ist  sehr  brlichig 
und  minder  harzreich,  daher  nicht  so  verwendbar.     Kk. 

Forderschacht,  s.  Bergbau  I  387. 

Fdrderung,  s.  Bergbau  I  pag.  402,   407. 

Folie  (paillon,  feuille  —  foil),  diinnstes  Blech,  u.  z.  Silber-  oder  plattirtes 
Kupferblech,  bei  dem  Fassen  der  Edelsteine  in  Gebrauch,  und  die  Zinnfolie  zur 
Belegung  der  Spiegel.     Vgl.  Goldarbeiten  u.  Spiegel.     Kk. 

Foncjrmaschine,  Grundirmaschine  U  pag.  166. 

Fontaine,  s.  Springbrunnen. 

Fontaine-Pulver,  s.  Explosirstoffe  III  pag.  339. 

Forcherit,  s.  Opal. 

Forellenstein,  Forelleuschiefer,  s.  Granulit. 

Forlenholz,    svn.  m.  Fbhrenholz. 


Form.  ■ —  Formsand.  609 

Form   (tuyere  —  tivyer)  s.  Eisenerzeugung  III  pag.  8  und  17. 

Form  (moule  —  mould),  s.  Eisengiesserei  III  pag.  123,  s.  f.  den 
Artikel  Galvanoplastik,  s.  Glas. 

Formaldehyd,  Me  thy  laid  eh  yd  ist  der  Aldehyd  der  Ameisensaure, 
der  im  reinen  Zustande  ein  Gas  darstellt,  von  der  Formel  CH20.  Er  liefert 
leicht  Condensationsproducte.  Zunachst  entsteht  der  Paraformaldehyd  C3H603, 
welcher  erne  krystallinische  weisse  Masse  liefert,  die  unter  100°  C.  sublimirt  und 
bei  starkerem  Erhitzen  sich  in  drei  Molekiile  Formaldehyd  spaltet.  F.  reducirt 
in  einer  schwach  ammoniakal.  Silbernitratlosung  das  Silber  als  metallglanzenden 
Spiegel  und  ist  iiberhaupt  ein  energisch  wirkendes  Reductionsmittel,  vgl.  Aldehyd 
I  pag.  84,  s.  a.  Methylalkohol.     Gil. 

Formamid,  d.  i.  das  Amid  der  Ameisensaure  (CHNH^O),  vgl.  Amide 
I  pag.  130. 

Formanilid,  d.  i.  das  Anilid  der  Ameisensaure  (COH  NHC6H6),  vgl. 
Anilide  I  pag.  151. 

Formatsalz,  s.  m.  Blocksalz  („Balwani")7  s.  Natrium  b.  Steinsalz. 

Formen,  s.  m.  Methyl  en  s.  d. 

Formen,  s.  Eisengiesserei  III  pag.  123. 

Formflasche,  Formkasten,  s.  Eisengiesserei  III  pag.  124. 

Formiate  syn.  m.    ameisensaure    Salze,    s.    Ameisensaure  I  pag.   128. 

Formmaschinen.  Jene  Vorrichtungen,  welche  man  unter  diesem  Namen 
begreift,  haben  die  Aufgabe  das  Formen  zu  erleichtern,  und  sind  meist  auch  nichts 
weiter,  als  mechanische  Vorrichtuugen,  welche  das  Herausziehen  der  Modelle  aus 
dem  im  Formkasten  befindlichen  Formsande  ausfiihren,  wahrend  das  Einstampfen 
des  Sandes  nach  wie  vor  Handarbeit  ist.  Fur  diesen  Zweck  geniigt  aber  meist 
die  im  Artikel  Eisengiesserei  besprochene  Anwendung  der  Modellplatten,  so 
dass  nur  bei  Massenfabrikation  die  Anwendung  dieser  Maschinen  zu  empfehlen  ist. 
Naheres  hieriiber  s.  Dingl.  polyt.  Journ.  Bd.  167,  pag.  1 — 9;  vergl.  ferner  Art. 
Rohrengiesserei.     Kk. 

Formonitril  syn.  m.  Cyanwasserstoff,  s.  Cyan  II  pag.  458,  tibrig.  auch 
syn.  mit  Carbylamin,  s.  II  pag.  255,  vgl.  Cyan  II  pag.  460. 

Formplatten,  s.  B  aum  w  o lisp  inn  erei  I.  pag.  360. 

Formsand  (sable  de  moulage  —  moulding -sand),  ist  bei  Eisengiesserei 
III  pag.  123  etc.  in  Bezug  auf  seine  Anwendung  besprochcn.  Hier  sind  noch 
dessen  wesentliche  Merkmale  anzugeben.  Guter  Formsand  soil  sowohl  den  Druek 
des  geschmolzenen  Metalles,  als  die  bedeutende  Erhitzung  aushalten  konnen.  und 
den  beim  Gusse  entstehenden  Gasen  und  Dampfen  den  Durchgang  gestatten.  Die 
Merkmale  guten  Formsandes  sind:  Er  soil  dem  Auge  in  der  Komgrosse  ziemlich 
gleichfbrmig  erscheinen,  auf  80 — 90  Theile  groberen  Kornes  nur  10  bis  20  Theile 
feinen  Kornes  enthalten ;  er  soil  sich  wenig  scharf  anfiihlen ;  er  soil  im  trockenen 
Zustande  nur  sehr  wenig  staubige  Theile  enthalten;  er  soil  mit  10 — 20  Proc. 
Wasser  angemacht  sich  ballen  lassen;  die  Ballen,  welche  man  durch  Drucken  in 
der  Hand  bildet,  sollen  beim  Fallen  aus  geringer  Hohe  auf  Sand  nicht  zerfallen, 
aber  sie  sollen  sich  doch  leicht  brechen  und  zerdriicken  lassen ;  endlich  soil  er 
sich  wiederholt  verwenden  lassen. 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.    Bd.  III.  39 


610  Formsand.  —  Forstwirthscliaft. 

In  letzterer  Beziehung  ist  Quarzsand  fiir  die  Eisengiesserei,  Tuff  fur  Bronze- 
guss  vorziiglich.  Feldspathsand  zerspringt  nach  dem  ersten  Gusse  in  feine 
Theilchen  und  ist  nicht  verwendbar.  (Verbrannter  Sand.)  Man  findet  selten  in 
der  Natur  vollkommen  verwendbaren  Formsand.  Meist  muss  man  durch  Sieben 
den  gegrabenen  Sand  von  den  zu  groben  Steinchen  befreien,  oft  auch  muss  durch 
Anwendung  von  Kollergangen  (s.  d.)  eine  entsprechende  Verkleinerung  der- 
selben  erzielt  werden.  Keiner  Quarzsand  hat,  wenn  auch  gefeuchtet,  zu  wenig 
Bindekraft  und  muss  in  diesem  Falle  fiir  Eisenguss  mit  ca.  2  Proc.  Tlion  oder 
4  Proc.  Lehm  gut  gemischt  werden,  wahrend  Roth-,  G-elb-  und  Bronzeguss  eines 
grosseren  Lehmzusatzes  bediirfen. 

Fiir  Eisenguss  findet  zum  Formsande  ein  Zusatz  Kohlenpulver  (Holz  oder 
Steinkohle)  statt,  welcher  die  Eigenschaft  hat,  fetten  Sand  magerer  und  mageren 
Sand  fetter  zu  machen.     Vgl.  die  Artikel  Masse  und  Sand.     Kk. 

Formschneiden,   Formstechen,    s.  Mo  dels  tech  en,    s.  Holzschnitzen. 

Formyl,  Radikal  der  Ameisensaure,  die  demnach  auch  den  Namen  F  o  r- 
mylsaure  fiihrt.     Entspricht  der  Formel  CHO. 

Formylchlorid  syn.  Chloroform  II  pag.  330. 

Formyl  hydriir  syn.  mit  For  maid  eh  yd. 

Formylsaure,  s.  Ameisensaure  I  pag.   127. 

Formyltrichlorid  (Formylsuperchlorid),  syn.  Chloroform,  s.  d.  II pag.  330. 

ForsteHte,  Min.-Varietat  des  Olivins  aus  alten  Vesuvlaven  vom  Monte  Somma, 
ist  Eisenoxydul  haltiges  Magnesiumsilicat  (Mg„Si04).     Oil. 

Forstwirthschaft  und  Forstwissenschaft. 

I.  Forstwirthschaft: 

Der  Wald  soil  einerseits  bestimmte  Producte  —  Holz  (Hauptnutzung)  und 
Rinde,  Baumsafte,  Streu,  Gras,  Wild  etc.  (Nebennutzungen)  —  liefern,  andererseits 
gewisse  Einfliisse  in  klimatischer  Hinsicht  (Temperatur,  Wind,  Feuehtigkeit,  Was- 
serstand  der  Quellen  und  Fliisse  etc.)  ausiiben.  Moglichst  vollkommene  und  dabei 
mit  moglichst  geringem  Aufwand  verbundene  Erreichung  dieser  Ziele  ist  die  Auf- 
gabe  der  Forstwirthschaft. 

In  der  Productenerzeugung  ist  das  eigentlich  privatwirthschaftliche  Element 
der  Waldwirthschaft  gegeben,  wahrend  hinsichtlich  der  Wirkung  des  Waldes  auf 
Boden  und  Klima  nicht  der  einzelne  Besitzer  (Staat,  Gemeinde,  Private  etc.)  allein 
und  nur  nach  den  eigenen  Interessen  entscheiden  kann,  sondern  die  Gesammtheit 
massgebend  wird.  Hieraus  resultirt  das  Recht  wie  die  Pflicht  des  Staates,  durch 
die  Gesetzgebung  jene  klimatischen  Einfliisse  des  Waldes  sicher  zu  stellen,  even- 
tuell  zu  schaffen  —  Staatsforstwirthschaft,  (Waldsclmtzgesetze,  Bildung  von  Wald- 
genossenschaften  etc.).  Eine,  wenn  auch  innerhalb  moglichst  enger  Grenzen  zu 
haltende  Beschrankung  der  freien  Verfiigung  des  Waldbesitzers  iiber  sein  Eigen- 
thum  ist  unvermeidlich. 

Die  Productenernte  setzt  das  Vorhandensein  von  Holzbestanden,  bez.  deren 
BegriindiiDg,  Erziehung,  Pflege  und  Beschiitzung  voraus. 

Der  zur  Productenerzeugung  erforderliche  Productionsfonds,  welcher,  wie 
in  jeder  Wirthschaft,  auf  eine  relativ  geringste  Grosse  reducirt  werden  soil, 
besteht  hauptsachlich  in  dem  Bodencapital ,  sowie  einem  Capital,  aus  dessen 
Zinsen  die  Culturkosten  und  die  jahrlichen  Ausgaben  fiir  Verwaltung,  Steuern  etc. 
bestritten  werden ;  handelt  es  sich  urn  Waldungen,  welche  im  sog.  Nachhaltbetriebe 
bewirthschaftet  werden,  d.  h.  um  solche,  von  denen  man  jahrlich  eine  Nutzung 
verlangt,  so  tritt  als  wesentlicher,  dem  absoluten  Betrag  nach  oft  bedeutendster 
Factor  ein  bestimmtes  Holzvorrathscapital  hihzu.    dessen  Zins,    neben    den  Zinsen 


Forstwirthsehaff.  Gil 

der  iibrigen  Productionscapitalien,  in  der  jahrlichen  Nutzungsgrcisse  enthalten  sein 
muss.    — 

Die  Thiitigkeit  des  For_stwirtb.es  hat  liiernach  zunachst  zu  bestehen  in  der 
Sorge  fur  moglichste  Steigernng  des  Waldertrags  nach  Masse  und  Werth  der 
Producte  bei  gleichzeitiger  Beschrankung  cles  Productionsaufwande.s,  so  dags  die 
Rentabilitat  des  ganzen  Betriebs  die  grosstmogliche  wird.  Dabei  ist  Sicherheit 
und  Zuverlassigkeit  des  Ertragsanfalles,  eiue  gewisse  Stabilitat  und  Nachhaltigkeit 
der  Nutzungen  zu  erzielen. 

Wie  sicb  diese  Thatigkeit  im  Einzelnen  aussert,  erhellt  aus  einer  Ueber- 
sicbt  iiber  die  verscbiedenen  Disciplinen  der  Forstwissenschaft,  welch'  letztere, 
ganz  allgeinein,  die  systeraatiscb  geordneten  Regeln  der  Forstwirthschaft  begreift. 

II.  Forstwissenschaft: 

Wahrend  man  in  frlihester  Zeit  (conf.  z.  B.  des  Tacitus  Germania)  in 
Mitteleuropa7  speciell  in  dem  jetzigen  Deutschland  und  Oesterreich,  Wald  in 
Ueberfluss  hatte,  so  dass  ausser  der  den  jeweiligen  Bedarf  befriedigenden  Nutzung 
vorhandener  Vorrathe  kaum  eine  Verrichtung  in  den  Forsten  vorzunehtnen  war, 
gesellte  sich  bald  —  als  Folge  der  Verminderung  dieser  Vorrathe  und  gleich- 
zeitiger Vermehrung  des  Aekergelandes  —  die  Sorge  fur  Begriindung  neuer  Bestiinde 
an  Stelle  der  abgetriebenen,  hinzu ;  die  Vorstellung  von  der  Unerschopfliehkeit 
der  iiberkommenen  Holzmassen  musste  sich  mit  der  Zeit  verlieren,  die  Pflege 
und  Beschiitzung  des  Waldes,  eine  mehr  und  mehr  ausgepragte  Regelmassigkeit 
der  „Wirthschaft"  gewann  als  Ersatz  planloser  Angriffe  auf  die  Substanz  der 
Forste  allmalig  Boden,  und  in  stetem  Fortschreiten  bildeten  sich  diejenigen  Wirth- 
schaftsgrundsatze  heraus,  welche  heute  massgebend  sind : 

Conf.  Bernhardt:  Geschichte  des  Waldeigenthums,  der  Waldwirthschaft 
und  Forstwissenschaft  in  Deutschland.     3  Bde.  Berlin  1872  —  1875. 

Das  Erstehen  einer  Forstwissenschaft  fallt  zusammen  mit  der  Be- 
griindung einer  eigentlichen  Forstliteratur ;  energische  Anfange  beider  datiren  erst 
aus  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts. 

Seit  dem  Beginne  des  19.  Jahrhunderts  ist  die  forstliche  Literatur  stattlich 
angeschwollen.  Ein  standiger  Meinungsaustausch  wird  durch  zahlreiche  Fachzeit- 
schriften  vermittelt;  wie  u.  a. : 

Die  allgemeine  Forst-  und  Jagdzeitung  (red.  Heyer  in  Miinden), 
die  Monatschrift  fur  Forst-  und  Jagdwesen  (Baur  in  Hohenheim),  die  Zeitsehrift 
fur  Forst-  und  Jagdwesen  (Dankelmann  in  Eberswalcle),  das  Tharander  Jahrbuch 
(Judeich  in  Tharand),  das  Centralblatt  fiir  das  gesammte  Forst-  unci  Jagdwesen 
Hempel  in  Wien). 

Zur  Orientirung  der  Leser  bringen  alle  diese  Zeitschriften  periodische  Zu- 
sammenstellungen  der  literarischen  Erscheinungen. 

Eine  gedrangte  Uebersicht  iiber  das  gesammte  Gebiet  der  Forstwissenschaft 
gibt  der  Grundriss  zu  Vorlesungen  iiber  Encyklopadie  der  Forstwissenschaft  von 
Dr.  R.  Hess,  Giessen  18737  dessen  einzelnen  Abschnitten  Literaturnachweise  bei- 
gefiigt  sind;  die  wichtigsten  forstlichen  Werke  finden  sich  sammtlich  darin  ver- 
zeichnet. 

Man  theilt  die  Forstwissenschaft  sachgemass  in  P  r  o  duction  si  ehr  e  und 
Ge  werb  el  ehr  e.  Erstere  umfasst  als  Disciplinen  den  Waldbau  (Forstproducten- 
zucht),  den  Forstschutz  (Sicherung  der  Waldungen  gegen  Gefahren),  die  Forst- 
benutzung  (Nutzbarmachung  der  Forstproducte) ;  die  Gewerbelehre  setzt  sich  zu- 
sammen aus  der  Ertragsregelung?  Waklwerthrechnung  und  Statik,  sowie  der  forst- 
lichen Haushaltungskunde. 

1.  Der  Waldbau  befasst  sich  im  Wesentlichen  mit  der  Begriindung  und 
Erziehung  der  Bestande,  wobei  in  den  weitaus  meisten  Fallen  das  Holz  als  das 
Hauptproduct  massgebend  ist. 

39* 


61 2  Forstwirthschaft. 

Conf.  in  Betreff  des  Gesammtgebietes  dieser  Disciplin  Heyer  Dr.  Carl: 
Der  Waldbau  oder  die  Forstproductenzucht.  3.  Aufl.  ed.  Gustav  Heyer7  Leipzig 
1877. 

Der  Wald  setzt  sich  aus  Boden  und  Holzbestand  zusammen.  Zwischen 
beiden  bestehen  mannigfachc  Wechselbeziehungen,  aus  denen  sich  die  wichtigsten 
Regeln  des  Waldbaues  ergeben. 

Nachst  dem  Boden  sind  fur  das  Gedeihen  der  Bestande  die  Lage  (Meeres- 
hohe,  Exposition,  geographische  Breite  etc.)  und  das  Klima  entscheidend. 

Als  Grundlage  fur  eine  wissenschaftliche  Behandlung  des  Waldbaues  muss 
hiernach  erstlich  specielle  Kenntniss  der  Bodenkunde  und  Klimatologie,  dann  der 
Forstbotanik  (der  einzelnen  Waldgewachse  und  ihres  Verhaltens  unter  einander), 
sowie  endlich  des  gegenseitigen  Einflusses  von  Standort  und  Gewachsen  voraus- 
gesetzt  werden. 

Conf.  Heyer  Dr.  Gustav:  Lehrbuch  der  forstl.  Bodenkunde  und  Klima 
tologie,  Erlangen  1856;  Lorenz  und  Rothe:  Lehrbuch  der  Klimatologie,  Wien 
1874;  Dobner:  Lehrbuch  der  Botanik  fur  Forstmanner,  Aschatfenburg  1865. 

A.  Anzucht  der  Hauptnutzung,  des  Holzes  : 

Die  Holzbestande  werden  zunachst  begriindet  und  zwar  natiirlich  (durch 
Besamung  seitens  des  vorhandenen  Bcstandes  oder  durch  Ausschlag,  z.  B.  Stock- 
lohden  etc.)  oder  kiinstlich  (mittelst  Saat  oder  Pflanzung) ;  dann  sind  die  Bestande 
geeignet  zu  erziehen,  zu  welchem  Ende  insbes.  Ausjatungen  und  Liiuterungs- 
hiebe,  Durchforstungen,  Aufastungen,   Dnterpflanzungen  etc.  zu  erfolgen  haben. 

Conf.  Burckhardt:  Saen  und  Pflanzen  nach  forstlicher  Praxis,  Hannover 
bei  Riimpler. 

B.  Die  Anzucht  der  Nebennutzungen  erfolgt  meist  gleichzeitig  mit  der 
Holzzucht;  nur  in  besonderen  Fallen  ist  sie  Hauptzweck  der  Wirthschaft,  wie  die 
Anzucht  der  Lohrinde  im  Eichenschalwald,  des  Wildes  in  Thiergarten.  Nachst 
diesen  sind  Gras,  Samen,  Futterlaub,  Baumsafte  (z.  B.  Harz),  landwirthschaftliche 
Gewachse  (Waldfeldbau),  Torf  etc.  zu  beachten. 

Der  Anzucht  der  Forstproducte  coordinirt  steht  im  Waldbau: 

C.  Die  Lehre  von  den  forstlichen  Betriebsarten,  welche  fiir  Technik  und 
Gewerbe  insofern  von  Bedeutung  werden,  als  durch  die  Wahl  der  Betriebsart 
(Hochwald,  Mittelwald,  Niederwald  in  ihren  verschiedenen  Formen)  hauptsachlich 
die  Gewahrung  der  verschiedenen  Nutzholzsortimente  bedingt  ist. 

2.  Der  Forstschutz  itbernimmt  die  Aufgabe,  drohende  Gefahren  aller 
Art  vom  Walde  fern  zu  halten  und  hereingebrochene  auf  ein  Minimum  zu  reduciren. 

Nach  der  Art  dieser  Gefahren  gliedert  sich  das  gauze  Gebiet  in  den  Schutz 
gegen  die  organische  und  den  Schutz  gegen  die  anorganische  Natur.  In  ersterer 
Hinsicht  hat  man  den  Wald  zu  vertheidigen  gegen  Menschen  (Servituten,  Forst- 
frevel),  Thiere  (Saugethiere,  Vbgel  und  insbes.  Insecten)  und  Pflanzen  (Forst- 
unkrauter,  Pilze) ;  in  letzterer  kommen  u.  a.  Frost,  Hitze,  Wind,  Schnee,  Eis, 
Ueberschwemmungen,  Feuer  etc.  zur  Sprache. 

Aus  der  genauesten  Kenntniss  des  Uebels  sind  in  jedem  Falle  die  Vorbeu- 
guugsmittel  und  die  Massregeln  zur  Bekampfung  abzuleiten. 

Conf.  Grebe  Dr.  C. :  Waldschutz  und  Waldpflege  als  3.  Aufl.  von  Kbnigs 
^raldpflege,  Gotha  1875;  Hess  Dr.  R.  Der  Forstschutz  3  Lieferungen  1876 
bis  1878;  Altum:  Forstzoologie  3  Bde.  Berlin  1872—1875;  Ha r tig  Robert: 
Die  durch  Pilze  erzeugten  Krankheiten  der  Waldbaume. 

3.  Die  Forstbenutzung  umfasst  im  weitesten  Sinne  (einschliesslich  der 
Forsttechnologie)  die  systematisch  geordneten  Regeln  fur  die  Ernte,  Aufbewah- 
rung,  Verwendung,  Verwerthnng,  Veredelung  und  den  Transport  aller  Forst- 
producte. 

Conf.  Gayer  Carl:  Die  Forstbenutzung  4.  Aufl.  Berlin  1876  (das  ganze 
Gebiet  begreifend).  Zahlreiche  Literaturnachweise  enthalt  Hess  Dr.  R.  Grundriss 
zu  Vorlesungen  iiber  Forstbenutzung  1876. 


Forstwirthschaft.  613 

In  diese  Disciplin  gehoren  also  die  in  gewerblich-technischer  Hinsicbt  jeden- 
falls  wichtigsten  Theile  der  Forstwirthschaftslehre.  Bekanntschaft  mit  den  Anfor- 
derungen  der  holzverbrauchenden  Gewerbe  ist  ebenso  unerlassliche  Vorbedingung 
eines  rationellen  Ausnutzungsbetriebes,  wie  die  Kenntniss  der  Eigenscbaften  des 
Holzes  ;  letztere  sind  fiir  dessen  technische  Verwendung  ausscblaggebend  (Farbe, 
Harte,  Schwere,  Dichte,  Festigkeit,  Elasticitat  etc.  je  nach  Holzart,  Alter,  Zu- 
stand  etc.) 

Conf.  Nordlinger:  Die  tecbnischen  Eigenschaften  der  Holzer,  Suttgart  1860. 

Die  Forstbenutzung  im  engeren  Sinne  behandelt 

A.  Die  Ernte  der  Forstproducte,  zunachst  des  Holzes  (Holzhauereibetrieb), 
dann  der  Nebennutzungen,  wie  insbesondere  der  Lobrinde  (conf.  Neubrand: 
Die  Gerbrinde,  Frankfurt  a.  M.  1869;  Hartig  Theodor:  iiber  den  Gerbstoff 
der  Eiche  und  Wohmann,  Neubauer  und  Lotichius:  Die  Schalung  der 
Eichenrinde  mittelst  Dampf),  des  Harzes  (conf.  Grebe:  Die  neuere  Harznutzung 
im  Thiiringer  Walde,  und  Burckbardts  „Aus  dem  Walde",  Heft  1,  1865),  des 
Futterlaubes,  der  Banmfriichte,  des  Waldgrases,  der  Waldstreu  (conf.  Eber- 
mayer:  Die  gesammte  Lebre  von  der  Waldstreu,  Berlin  1875),  des  Torfs,  von 
Steinen  und  Erde,  Seegras,  Grassamen,  Beeren  etc. 

Es  gehort  bierher  auch  der  Betrieb  der  Jagd  und  Fiscberei. 

B.  Der  Transport  der  Forstproducte  kann  entweder  zu  Land  oder  zu 
Wasser  stattfinden.  Es  handelt  sicb  urn  das  Verbringen  derselben  von  dem  Orte 
ihrer  Gewinnung  an  den  Ort  ihrer  Consumtion,  zumeist  nur,  soweit  dieser  Trans- 
port innerhalb  der  Waldgrenzen  erfolgt. 

In    die    Lehre    vom    Landtransport    ordnet   sich   naturgemass  der  gesammte 

Waldwegbau  ein. 

Conf.  S  chub  erg:  Der  Waldwegbau,  2.  Bde.  1873  und  1875 
Ausserdem  kommen  die  cbarakteristischen  Bringungsanstalten    der    Gebirgs- 

forstwirtbschaft  (Holzriesen,  Flosserei  etc.)  in  diesem  Abschnitte  zur  Besprecbung. 

C.  Die  Aufbewahrung  und  Verwerthung  der  Forstproducte. 

Zur  Forstbenutzung  im  weiteren  Sinne  gehoren  die  Verwendung 
und  Veredelung  der  gewonnenen  Producte  —  Forsttechnologie. 

Dieselbe  umfasst  die  Veredelung  des  Holzes  und  der  Nebenproducte.  Zu 
ersterer  gehort  das 

Impragniren  (conf.  Buresch:  Preisschrift  iiber  verschiedene  Verfabrungs- 
arten  und  Apparate,  Dresden  1860;  Nepomucky:  Mittheilungen  iiber  Holzim- 
pragnirung  auf  der  Kaiser  Ferdinand-Nordbahn,  Wien  1874;  v.  Berg:  iiber  das 
Verfahren  von  Boucherie,  allgem.  Forst-  und  Jagdzeitung  von  1858  und  1861), 
der  Betrieb  der  Waldsagemlihlen  und  Dampfsagen,  die  Anwendung  sonstiger  Holz- 
bearbeitungsmascbinen,  die  Koblerei  (conf.  v.  Berg:  Anleitung  zum  Verkoblen 
des  Holzes,  2.  Aufl.  Darmstadt  1860),  die  Pottaschesiederei. 

Als  Verwendung  und  Veredelung  von  Nebenproducten  sind  zu  nennen  u.  a. : 

Die  Theerschwelerei,  Pechsiederei,  Kienrussbrennerei,  der  Samenklengbetrieb 
(conf.  Walla:  Die  Samendarren  und  Klenganstalten,  Berlin  1874). 

Gayer's  „ Forstbenutzung"  enthalt  die  Schilderung  aller  betreffenden  Vor- 
gange,  der  Gerathe,  Apparate,  Baulichkeiten  etc. 

Der  forstlichen  Gewerbelehre  fallt  die  Aufgabe  zu,  die  wirtbscbaft- 
licben  Momente  des  Betriebs  klar  zu  stellen,  insbesondere  die  Nachbaltigkeit  der 
Nutzungen  zu  sichern,  sowie  einen  regelrechten  Gang  und  moglicbste  Rentabilitat 
der  Wirtbschaft  zu  garantiren. 

In  diesem  Sinne  bezweckt: 

4.  Die  Waldertragsregelung  (Forsteinriclitung,  Betriebsregulirung^)  die 
vortheilhafteste  zeitliche  und  raumlicbe  Regelung  des  Ertrags  der  Wa'lder,  indem 
sie  zunachst  die  Bedingungen  eines  idealen  (Normal-)  Zustandes  derselben  anf- 
stellt  und  untersucht,  auf  welcbe  Weise  die  concreten  Waldverbaltnisse  sich  am 
scbicklicbsten  in  normale  uberfuhren  lassen. 


614  Forstwirthschaft.  —  Fournirte  Arbeit. 

Die  Losung  der  Aufgabe  fordert  als  Grundlage  die  Untersuchung  des  im 
Walde  vorhandenen  Thatbestandes,  insbesondere  der  Standortsgiite  (Bonitirung), 
Aufnahme  der  Bestande  nach  Masse,    Alter  und  Zuwachs,  Gtite,  Wiichsigkeit  etc. 

Conf.  Heyer  Carl:  Die  Waldertragsregelung,  3.  Aufl.  von  Gustav  Heye 
(im  Druck);  Judeich:  Die  Forsteinrichtung,  2.  Aufl.  1874;  Baur  Franz: 
Holzmesskunst,  2.  Aufl.  1875. 

5.  Die  Waldwerthrechnung  lehrt  die  Berechnung  der  in  der  Wald- 
wirthschaft  arbeitenden  Capitalien  (Boden,  Holzvorrath  etc.  etc.). 

Conf.  Heyer  Dr.  Gustav:  Anleitung  zur  Waldwerthrechnung.  2.  Aufl.  1876. 

6.  Die  Statik  zeigt  als  „ Rentabilitatsr echnung  der  forstlichen  Wirth- 
schaftsverfahren, "  wie  man  in  jedem  Falle  den  Effect  mit  dem  Productionsauf- 
wand  vergleicht  und  hiernach  unter  concurrirenden  Betriebsoperationen  stets  die 
vortheilhafteste  auswahlt.  (Bestimmung  der  Umtriebszeit,  Holzart,  Betriebsart,  Bestau- 
desdichte  etc.  mit  Riicksicht  auf  hochste  Rentabilitat.) 

Conf.:  Heyer  Dr.  Gustav:  Handbuch  der  forstlichen  Statik.  I.  Abth.  1871. 

7.  Die  Forsthaushaltungskunde  endlich  bespricht  die  Organisation 
des  Geschaftsbetriebs. 

Conf.:  Micklitz  Robert:  Forstliche  Haushaltungskunde  1859. 

Alle  bisher  skizzirten  Theile  der  Forstwirthschaft  betreffen  das  Verhaltniss 
des  Waldbesitzers  als  solchen  zu  seinem  Walde ;  sie  geben  die  Mas  sregeln  an, 
welche  der  Waldeigenthiimer  ergreift,  am  seine  Wirthschaft  in  moglichst  voll- 
kommenen  Zustand  zu  versetzen. 

Die  Beziehungen,  in  welchen  der  Staat  zur  Forstwirthschaft  stent  (conf. 
oben),  findeu  in  diesem  System  keine  Stelle,  sondern  sind  durch  eine  besondere 
Disciplin  vertreten,  welche  als  Staatsf  o  rst  wir  th  s  chaft  si  e  lire  oder  als 
Forstpolizei  neben  den  iibrigen  Fachzweigen  herlauft  und  mit  ihren  Vor- 
schriften  iiberall  mehr  oder  minder  modificirend  eingreift^  wo-  das  Interesse  der 
Gesammtheit  dies  erheischt.  Dr.   Taisko  Lorey. 

Forte-Piano,  s.  Musikinstrumente. 

Fortification,  s.  Festungsbau  III  pag.  425. 

Fossil  (fossils  —  fossil),  allgemeine  Bezeichnung  fiir  durch  Umwandlung 
organischer  Substanzen  entstandene  Mineralien,  als  Mineralkohlen,  Versteinerungen , 
Bernstein  etc.  Uebrigens  gebraucht  man  den  Namen  Fossil  (d.  i.  so  viel  wie  Aus- 
gegrabenes)  audi  von  Mineralien  schlechtweg.     Gtl. 

Foulard  ist  ein  glattes  seidenes  Gewebe  zu  Kleideru  und  Taschentiicherii, 
dessen  Kette  aus  ungezwirnter  Rohseide  in  einfachen  Fiiden  und  dessen  Schuss 
entweder  aus  demselben  Materiale  oder  gewohnlicher  aus  feinem  Florettseidengarn 
besteht.     Die  Bindung  des  Gewebes  ist  taffetartig.     Kk. 

Fourcroye,  s.  Gespinnstfasern. 

Fournire.  Fournir blatter,  Fournier,  Furnlire  (plaques,  feuillets, 
feuilles  de  placage  —  venurs),  sind  diinne  Holzblatter,  meist  aus  edleren,  gefla- 
derten  Hblzern  mit  der  Fournirsage  oder  der  Fournirhobelmaschine 
geschnitten.  Betreff  der  ersteren  s.  den  Artikel  Sag  en  bei  Sagemlihlen  und 
beziiglich  der  letzteren  vergl.  den  Artikel  Hob  elm  as  chin  en.  Die  Fournire 
werden  von  Tischlern  und  Kartonagearbeitern  zu  fournirten  Arbeiten  (s.  d.)  ver- 
wendet.     Kk. 

Fournirte  Arbeit,  Fournirung  (plaquer,  placage  —  rendering).  Der 
Zweck  der  Fournirung  holzerner  Gegenstande,  durch  Bekleidung  derselben  mit 
diinnen  Blattern  von  feineren  und  theuereren  Holzsorten.  ist  ein  mannigfaltiger. 
1.  Die  Arbeiten  konnen  billiger  hergestellt  werden  und  fallen  im  Gewiclite  kleiner 
aus    als    aus    massivem    Holze    (bois  pleiri),    weil    ibr   Hauptkorper    aus  weichen, 


Fournirte  Arbeit.  615 

leichten  unci  billigeren  Holzarten  verfertigt  werden  kann.  2.  Das  anssero  Ansehen 
kann  (lurch  entsprechende  Anordnung  der  Fournire  schemer  erhalten  werden  als 
bei  niassiven  Arbeiten,  weil  grossere  Holzstiicke  selten  eine  gleichformigc  Zeichnung 
zeigen,  und  3.  Die  Nntzbarmachuug  schon  gezeichneter,  zu  anderen  Arbeiten 
unbrauehbarer  kleincrer  Holzstiicke,  indem  man  dieselben  auf  Fournire  ver- 
sehneidet. 

Als  Hauptgrundsatz  beim  Fourniren  gilt:  die  einzelnen  Blatter  so  neben- 
einander  anzuordnen,  dass  die  Adern  und  Flammen  derselben  eine  geschrnackvolle, 
symmetrische  und  sich  womoglich  wiederholende  Zeichnung  ergeben.  Natiirlicli 
erfordern  die  beiden  letzteren  Eigenschaften  das  Vorhandensein  mehrerer  moglichst 
gleichgezeichneter  Blatter,  wie  sie  zu  je  zweien  durch  jeden  Schnitt  der  Fournir- 
sagemaschinen  (s.  d.)  erhalten  werden. 

Die  Erzielung  der  Symmetrie  geschieht  auf  mehrfache  Art:  Entweder  man 
bringt  zwei  gleiche  Blatter  parallel  so  neben  einander  an,  dass  ihre  Figuren 
symmetrisch  in  Bezug  zu  der  durch  die  Fuge  bezeichneten  Mittellinie  stehen.  (Wo 
eine  Flache  mehr  als  zwei  Blatter  benothigt,  muss  man  fur  jecle  Fuge  die  eben 
angegebene  Riicksicht  auf  Symmetrie  nehmen.) 

Oder  man  bildet  den  Fournirbelag  so  aus  vier  Blattern,  dass  sich  die  Fugen 
im  Mittelpunkte  der  Flache  kreuzen,  u.  z.  konnen  hierbei  die  Fugen  in  diagonaler 
Richtung  laufen  oder  den  Seiten  (viereckiger  Flachen)  parallel  sein.  Endlich 
werden  ovale,  runde  oder  polygonale  Flachen  s  tern  for  mig,  auf  Spitz  e  (en 
coeur,  en  rosace)  fournirt,  indem  man  die  Blatter  keilformig  zuschneidet  und 
sammtliche  (8  —  16)  Fugen  im  Mittelpunkte  der  Flache  zusammentreffen  lasst. 

Bevor  wir  an  die  Beschreibung  der  eigentlichen  Fournirarbeiten  schreiten, 
sei  Folgendes  vorausgeschickt : 

Zur  Anfertigung  des  Grundkorpers  —  Blindholz  (hdtis,  ground)  —  ist 
solches  Holz  am  besten  geeignet,  welches  sich  nach  erfolgter  Trocknung  moglichst 
wenig  verzieht,  also  Linden-,  Pappel-,  Tannenholz  u.  s.  w. ;  das  vorziiglichste 
aber  ist  astfreies  schlichtes  Eichenholz,  welches  nebst  seiner  Festigkeit  noch  die 
schatzbare  Eigenschaft  besitzt,  den  Leim  sehr  gut  anzunehmen. 

Die  Verbindungen  der  Theile  des  Grundkorpers  miissen  solid  und  unver- 
riickbar  sein.  Nirgend  diirfen  hblzerne  Nagel  oder  unbedeckte  Zinken  mit  ihrer 
Hirnseite  in  der  Oberfiache  des  Blindholzes  liegen,  weil  bei  der  Schwindung  der 
umliegenden  Partien  das  weniger  schwindende  Hirnholz  stets  die  Veranlassung 
der  Bildung  von  Buckeln  ist.  Endlich  ist  es  erforderlich,  dass  das  Blindholz 
eine  etwas  rauhe  Oberfiache  habe,  um  den  Leim  besser  aufzunehmen. 

Man  erreicht  dies  durch  Ueberfahren  mittelst  eines  Zahnhobels  in  verschie- 
denen  Richtungen,  oder,  wo  Schweifungen  etc.  die  Anwendung  des  Hobels  nicht 
zulassen,  mittelst  einer  Raspel. 

Die  Fournirblatter  sollen  moglichst  egale  Dicke  haben  und  frei  sein  von 
Rissen  oder  Lochern.  Ihre  Innenflache  (diejenige,  die  an  das  Blindholz  zu  liegen 
kommt)  wird  wie  das  Blindholz  mittelst  des  Zahnhobels  gerauht. 

Die  Holzfournire  werden  mittelst  Maschinen  erzeugt  (s.  d.).  Das  Fourniren 
erfolgt  zuweilen  mit  im  Voraus  zusammengefiigten  Blattern,  die  in  verschiedener 
Weise  erzeugt  werden :  Aus  verschiedenfarbigen  Fournirblattern  werden  Stiicke 
mannigfaltiger  Gestalt  ausgeschnitten  (mit  dem  Schnitzer,  mit  einer  scharfen  Reiss- 
ahle,  mit  dem  Stemmeisen,  mit  einer  kleinen  Sage,  mit  dem  Schneidmodell,  oder 
bei  kreisformigen  Stiicken  mit  einem  Stangenzirkel,  der  eine  zugescharfte  Spitze 
hat),  und  diese  auf  einem  mit  Leim  bestrichenen  Papierbogen  zu  einem  Muster 
zusammengestellt.  Oder  man  vereinigt  mehrere  schmale  Fournirstreifen  mit  ihrer 
breiteren  Flache  zu  einem  Stabe,  den  man  mittels  quer  zu  den  Stossfugeu  ge- 
fiihrter  Langenschnitte  in  mehrere,  der  Lange  nach  gestreifte  Fournierbander 
zertheilt.  Werden  Fournirplattchen  zu  einer  Saule  zusammengefiigt  und  diese 
dann  'durch  Langenschnitte  zertheilt,  so  erhalt  man  quer  gestreifte  Fournirbander. 

Die  unter  dem  Namen  Holz-Mosaik  vorkommenden  grosseren  gemu- 
sterten  Belegfournire  werden  in  einer,    der    eben   beschriebenen  Manier   ahnlichen, 


616  Fournirte  Arbeit. 

Weise  hergestellt.  Es  werden  namlich  quadratische,  dreieckige  oder  rautenformige, 
beliebig  lange  Stabe  aus  verschieden  farbigen  Holzern  so  durch  Hobeln  hergestellt, 
dass  die  Faserrichtung  quer  zur  Lange  der  Stabe  liegt.  Diese  Stabe  werden 
entsprechend  dem  Muster  zu  einem  Klotze  an  einander  geleimt  und  dieser  nach 
erfolgter  Austrocknung  durcb  quer  zur  Lange  (also  in  der  Richtung  der  Fasern) 
geftihrte  Schnitte  in  Blatter  (von  2 — 3mm   Dicke)  zersagt.*) 

Das  Verfahren  ist  bei  Massenerzeugung  billig,  bietet  aber  weniger  Freiheit 
in  der  Zusammenstellung  der  Zeichnung.  Trockene  Birkenreiser  (ungeschalt)  auf 
dieselbe  Weise  zu  einem  Klotze  an  einander  geleimt,  wobei  man  die  Zwischen- 
raume  durcb  den  mit  feinen  Sagespanen  vermengteu  Leim  ausfiillt,  liefern  eben- 
falls  htibsche  Mosaikfournire,  die  indess  den  Uebelstand  kaben,  dass  sie  bei  nach- 
traglicher  Glatthobelung  leicht  ausbrockeln,  weil  die  Fasern  quer  gegen  ihre  Langs- 
richtung  zerscbnitten  wurden. 

Kiinstlicher  und  schwieriger  auszufiihren  ist  folgendes  Verfahren:  Auf  ein 
Fournir  wird  ein  Papier  aufgeklebt  und  darauf  die  Zeichnung  (aus  in  sich  selbst 
zuriickkehrenden  Linien  und  Contouren)  vorgezeichnet.  Nun  legt  man  unter  dieses 
Fournir  ein  zweites  von  anders  gefarbtem  Holze  und  schneidet  beide  Blatter 
zugleich  mit  der  Laubsage  aus  freier  Hand  oder  mittelst  einer  Decoupirsage- 
maschine  nach  den  Umrissen  der  Zeichnung  aus.  Die  aus  dem  unteren  Fournire 
fallenden  Stiickchen  werden  in  die  Durchbrechungen  des  oberen  eingelegt,  und 
umgekehrt,  so  dass  man  zwei  brauchbare  vollstandige  Exemplare  und,  ausser  den 
Sagespanen,  keinen  Abfall  erhalt  (travail  en  contre  partie,  country part —  sawing). 
Wenngleich  die  herausgeschnittenen  Theile  um  die  Breite  des  Sageschnittes  ringsum 
kleiner  sind  als  die  fur  sie  bestimmten  Oeffnungen  der  Fournire,  so  hebt  sich 
doch  dieser  Fehler  ganz,  weil  man  die  Vorsicht  gebraucht,  die  beiden  Fournire 
zum  Ausschneiden  so  auf  einander  zu  befestigen,  dass  ihre  Fasern  rechtwinklig 
gegen  einander  laufen.  Beim  Einleimen  der  Figuren  in  die  Oeffnungen  quillt 
jedes  Holz  quer  gegen  die  Fasern  ein  wenig  an,  und  dem  zu  Folge  schliesst  sich 
die  Fuge  sehr  gut,  wenn  der  Sageschnitt  moglichst  fein  war.  Manche  Niirnberger 
Fabriken,  die  dieses  Verfahren  anwenden,  gebrauchen  auch  folgenden  Kunstgriff: 
Die  Sage  schneidet  etwas  schrag  zur  Flache  der  Fournir  (anstatt  senkrecht  darauf), 
wodurch  die  eine  Figur  bei  entsprechender  Schragstellung  der  Sage  um  die 
Breite  des  Schnittes  grosser  ausfallt  als  die  andere  und  dann  sehr  genau  in  die 
betreffende  Oeffnung  passt.  Das  zweite  Stiick  liefert  dann  natiirHch  ein  minder 
genaues,   aber  immerhin  noch  brauchbares  Produkt. 

Die  hochst  selten  angewendeten  Steinfournire  oder  Massefournire 
werden  aus  einem  Teig  aus  Kreide,  gebranntem  Kalk  und  Leimwasser  erzeugt, 
den  man  mit  Mineralfarben  farbt.  Die  Steinfurnire  miissen  stets  vor  der  Anwen- 
dung  mit  Wasser  erweicht  werden. 

Das  Fournir  en  ebener  Flachen  erfolgt  durch  Auflegen  der  Blatter  auf 
das  gerauhte,  mit  moglichst  heissem,  nicht  zu  dickfliissigem  Leim  bestrichene  Blind- 
holz  und  nachheriges  Pressen.  Man  legt  zu  diesem  Zwecke  iiber  das  Fournirblatt 
ein  etwas  angewarmtes  tannenholzenes  Brett  —  die  Zulage  (cole,  caul)  —  und 
passt  es  mit  Schraubenzwingen  fest.  Sind  zwei  gleiche  Stiicke  zu  fourniren,  so 
erspart  man  die  Zulage,  indem  man  beide  Stiicke  rasch  nach  einander  belegt, 
sie  dann  mit  den  Fourniren  auf  einanderlegt  und  mit  Zwingen  an  einanderpresst. 
Erhalt  ein  Stiick  auf  beiden  Seiten  Fournire,  so  legt  man  letztere  ebenfalls  rasch 
nach  einander  auf,  dann  auf  jede  Seite  eine  Zulage  und  presst  ein,  wodurch  man 
bedeutend  an  Zeit  und  Arbeit  erspart.  Bei  dieser  beiderseitigen  Fournirung  (Ge- 
genfournirung  conire  plaquer)  legt  man  auf  die  nicht  ins  Auge  fallende  Seite 
gewohnlich  ein  Eichenholzfournir. 

Bei  besseren  Arbeiten  erfolgt  zuweilen  eine  doppelte  Belegung,  wodurch 
dem  Rissigwerden  besonders  gut   vorgebeugt  ist.     Man    belegt   zuerst   mit    einem 


*)  Polyt.  Centralbl.  Jahrg.  1848  pag.  1212. 


Fournirte  Arbeit.  617 

Eichenholzfournir  und  nach  dessen  Antrocknung  mit  dem  werthvolleren  Aussen- 
fournir. 

An  schmale  Flachen  pflegt  man  die  Fournire  nicht  durch  Einpressen  zu 
befestigen,  sondern  man  reibt  den  Fournirstreifen  mit  dem  etwas  angewarmten, 
glattbahnigen  Fournirhammer  (marteau  a  placage)  auf  das  mit  Leim  bestrichene 
Blindbolz,  d.  h.  man  iiberfahrt  das  Fournir  unter  entsprechendem  Drueke  so  lange 
mit  dem  Hammer,  bis  es.  test  haftet. 

Das  Fourniren  der  Kanten  muss  so  vorgenommen  werden,  dass  keine 
Fuge  bemerkbar  ist.  Man  verfahrt  dabei  in  folgender  Weise:  Das  Fournirblatt 
wird  so  gross  vorgeschnitten,  dass  es  fur  beide  an  einanderstossende  Flachen 
ausreicht.  Dann  beklebt  man  es  auf  der  Aussenseite  mit  einem  starken  Papier- 
bogen  und  befestigt  es  durch  Leimen  und  Anpressen  zuerst  auf  der  einen  Flache. 
Nach  dem  Trocknen  schneidet  man  in  die  gegen  das  Blindholz  gekehrte  Seite 
gerade  an  der  Stelle,  wo  das  Fournir  die  zu  belegende  Kante  iiberragt  mit  der 
sogenannten  Kip p sage  oder  dem  Kippeisen  eine  in  der  Tiefe  winkelig  zu- 
sammenlaufende,  fast  bis  an  das  Papier  dringende  Furche  in  das  Founder,  bestreicht 
die  Flache  des  Blindholzes  mit  Leim  und  befestigt  das  Fournir,  nachdem  man  es 
um  die  Kante  gekippt  hat,  auch  auf  der  zweiten  Flache.  Die  so  belegten  Kanten 
fallen  sehr  rein  aus  und  sind  auch  nicht  aufgesplittert,  da  dies  der  Papierbelag 
verhiitet. 

Das  Belegen  geschweifter  und  krummer  Flachen  unterscheidet 
sich  von  jenem  ebener  Flachen  dadurch,  dass  man  erst  die  Fournire,  um  sie  bieg- 
samer  zu  machen,  verdiinnen  muss.  Man  klebt  sie  zu.  diesem  Zwecke  mittelst 
Leim  auf  ein  mit  Seife  (gegen  das  Anleimen)  bestrichenes  Brett  und  hobelt  bis 
zur  erforderlichen  Verdunnung,  dann  erwarmt  man  mittelst  eines  heissen  Eisens 
den  Leim,  lost  das  Blatt  los  und  reinigt  es  durch  Abwaschen  von  Leim. 

Wesentliche  Abweichungen  zeigen  die  Zusammenpressungsvorrichtungen.  Man 
beniitzt  entweder  Zulagen,  die  genau  nach  der  Krlimmung  der  Flache  ausgearbeitet 
sind,  oder  bei  complicirten  Formen  Sacke,  die  mit  feinem  erwarmten  Sand  gefullt 
sind,  und  mittelst  holzerner  Zulagen  und  Schraubenzwingen  angepresst  werden 
oder  endlich  eiserne  hohle,  durch  eingeleiteten  Dampf  erwarmte  Zulagen  *),  letztere 
indess  selten,  wegen  ihrer  nur  von  Fall  zu  Fall  zulassigen  Anwendbarkeit. 

Die  grosste  Aufmerksamkeit  erfordert  das  Fourniren  runder  Stticke  (z.  B. 
Saulen,  Walzen  etc.)  Die  Fournire  miissen  hierzu  ebenfalls  verdiinnt  werden. 
Hierauf  schneidet  man  sie  etwas  grosser  zu,  als  der  zu  belegende  Umfang  erfordert, 
und  halt  sie  mit  der  unrechten  Seite  tiber  ein  Eeuer  von  Hobelspanen,  wodurch 
sie  schon  eine  Krlimmung  annehmen.  Das  Anpressen  an  das  mit  Leim  bestrichene 
Blindholz  kann  nun  entweder  miitelst  passend  ausgehohlter  Zulagen  geschehen, 
die  freilich  nur  hochstens  ein  Drittel  des  Umfanges  umfassen  konnen  oder  durch 
spiralformiges  Umwinden  mittelst  eines  straff  angespannten  Leinenbandes.  Im 
letzteren  Falle  beniitzt  man  die  Fournirmaschine  [machine  a,  plaquer).  Dieselbe 
besteht  in  einem  Gestelle,  welches  einerseits  eine  verstellbare  Dornspitze  (Ivorner), 
andererseits  ein  ebenfalls  verstellbares,  an  einer  kurzen  Welle  sitzendes  Spitzen- 
futter  (s.  Drehbankfutter)  enthalt.  Zwischen  den  Korner  und  das  Flitter  wird 
das  zu  belegende  Blindholz  eingespannt.  Parallel  und  oberhalb  der  eingespannten 
Saule  etc.  dreht  sich  mit  grosser  Reibung  eine  Holzwalze,  die  mit  einer  Leinen- 
gurt  spiralformig  umwunden  ist.  Ist  das  in  der  Warme  vorgebogene  Fournirblatt 
auf  das  Blindholz  gebracht,  so  wird  es  vorlaufig  befestigt  und  dann  das  Gurtende 
an  das  eine  Ende  der  Saule.  Bei  der  nachfolgenden  Drehung  wickelt  sich  die 
Gurte  iiber  das  Fournir  und  bleibt  daselbst  bis  zur  volligen  Trocknung.  Hierauf 
wird  der  Leim  mittelst  eines  erwarmten  Eisens  an  der  Stelle,  wo  die  Rander  des 
Fournirs  etwas  iibereinander  greifen,  erweicht,  die  Fournirkanten  sorgfaltig  zuge- 
schnitten  und  durch  wiederholtes  Umwinden  der  Gurte  festgehalten. 


*)  Polyt.  Centralbl.    Jahrg.  1850  pag.  775.     Die   mehrfach   genanute  Erwarmung    hat  den 
Zweck,  den  Leim  vor  dem  allzu  raschen  Erstarren  zu  bewahren. 


618  Fournirte  Arbeit.  —  Frase. 

Zuweilen  treten  kleine  Fehler  ein,  welch  e  vor  der  Ausfiihrung  der  Vollend- 
arbeiten  zu  verbessern  sind.  Klebt  z.  B.  das  Fournir  an  einer  Stelle  des  Randes 
nicht  vollstandjg  gut,  oder  ist  es  abgehoben,  so  fiihrt  man  in  die  Spalte  mittelst 
einer  sehmalen  Messerklinge  etwas  Leim  ein,  und  presst  mittelst  einer  Leimzwinge 
und  einer  kleinen  Zulage  das  Fournir  gegen  das  Blindholz.  Hat  sich  aber  das 
Fournir  in  Form  einer  Blase  abgehoben,  so  kann  diese,  wofern  sie  nicht  von  einer 
Unebenheit  des  Blindholzes  herriihrt,  leicht  beseitigt  werden.  Ist  die  Ursache 
ihrer  Entstehung  eine  locale  Mehranhaufung  von  Leim,  so  erweicht  man  diesen 
mittelst  eines  auf  die  Blase  gehaltenen  warmen  Eisens  und  verstreicht  die  Un- 
ebenheit mit  dem  Fournirhammer ;  ist  sie  aber  die  Folge  von  zu  wenig  Leim 
(also  eine  wirkliche  Blase),  so  muss  man  dieselbe  durch  einen  feinen  Schnitt  mit 
einem  Federmesser  offnen,  dann  etwas  fltissigen  Leim  darein  bringen  nnd  eben- 
falls  durch  anhaltendes  Reiben  mit  dem  Hammer  beseitigen. 

Ein  anderer  Fehler  sind  Grlibehen,  Spalten  und  Locher.  Dieselben  muss 
man  mit  einer  Paste  ausstreichen  {cement  stopping),  wozu  sich  am  besten  sehr 
fein  geschabte  Spanchen  derselben  Holzgattung  mit  Leim  vermengt  eignen. 

Zeigt  eine  Fournirbelegung  zu  viele  Mangel  nach  dem  Trocknen,  so  muss 
man  sie  wieder  abheben  (deplaquer).  Zu  diesem  Ende  iiberfahrt  man  nach  und 
nach  die  ganze  Flache  rait  einem  erwarmten  Eisen  und  hebt  das  Fournir  in  dem 
Masse  allmalig  ab,  als  dies  der  erweichende  Leim  gestattet.  Moriz  Kohn. 

Fowlerit  Min.  ist  zinkhaltiges  Kieselmangan  (Rhodonit)  von  Franklin 
in  New-Yersey.     Gtl. 

Fowler's  Ldsung  (solutio  arsehicalis  Foideri)  eine  Lbsung  von  arsenig- 
sauerem  Kali  in  Wasser,  wird  bereitet  durch  Auflosen  von  1  Grarnm  gepulv. 
arseniger  Saure  und  1  Gramm  kohlensaurem  Kalium  in  soviel  Wasser  als  nbthig, 
um  im  Ganzen  90  Gramm  Losung  zu  erhalten.  Die  Auflosung  wird  durch  Kochen 
der  Mischung  begiinstigt.     Als  Fieberraittel  geschatzt.     Gtl. 

Fradeln  (Katten),  Benennung  der  Ballen,  in  welchen  Java-Indigo  in  den 
Handel  kommt,  s.  Indigo. 

Frase  (Fraise,  Cutter).  —  Unter  Frase  soil  hier  ganz  allgemein  ein  Werk- 
zeug  verstanden  werden,  das  gewohnlich  aus  Stahl,  selten  aus  Eisen  angefertigt, 
auf  der  Oberflache  mit  einer  rnehr  oder  weniger  grossen  Anzahl  von  Schneiden 
ausgestattet  ist  und  durch  eine  drehende  Bewegung  zur  Wirkung  gebracht  wird. 
Da  die  Frase  in  einer  grossen  Zahl  von  Fallen  im  Stande  ist,  nicht  nur  die 
theure  und  langwierige  Arbeit  des  Feilens,  sondern  audi  mit  grossem  Erfolg  die- 
jenige  des  Grabstichels,  des  Bankmeissels,  so  wie  namentlich  auch  des  Profil- 
hobels  zu  ersetzen,  so  ist  sie  in  neuerer  Zeit  zu  einem  der  wichtigsten  Werkzeuge 
sowohl  fiir  Metall-  und  Holzarbeiter,  als  auch  fur  Elfenbein-,  Horn-,  Hartgummi- 
u.  s.  w.  Arbeiter  geworden. 

Je  nachdem  die  Frase  auf  Metall  oder  auf  Holz  und  event,  auf  Materialien 
in  Verwendung  kommen  soil,  die  in  ihrer  Harte  dem  harten  Metall  oder  dem 
Holze  nahe  stehen,  sind  die  Schneiden  in  Bezug  auf  ihre  Zuseharfung  und  Grbsse 
u.  s.  w.  ziemlich  verschieden,  weshalb  zweckmassig  die  Metall-Frasen  von  den 
Holz-Frasen  getrennt  behandelt  werden. 

a)  Metallfrasen.  Diese  werden  mit  wenig  Ausnahmen  in  der  Art  an- 
gefertigt. dass  man  die  stahlernen  Korper  (die  der  Leichtigkeit  halber  oft  hohl 
oder  ausgehbhlt  sind)  auf  der  Oberflache  einkerbt,  wie  bereits  bei  den  einhiebigen 
Feilen  III  pag.  366  angegeben,  nnd  zwar  entweder  durch  Hauen  und  Feilen  oder 
gewohnlich  wieder  mit  Frasen  oder  mit  Stossmaschinen.  In  der  Regel  sind  die 
Kerben  dreieckig  und  je  nach  der  Grbsse  der  Frasen  sehr  verschieden  gross,  von 
sehr  verschiedener  Theilung.  Die  Theilung  richtet  sich  im  Allgemeinen  nach  dem 
Durchmesser  der  Frase  und  nach  der  Feiuheit  der  Arbeit.  Frasen  unter  6mm 
Durchmesser  kommen  selten  vor,  eben  so  solche  iiber  l00mm,  weil  noch  grbssere 


Fra'se. 


619 


sehr    schwer    zu    harteri    sind,    ohne    dass    sie    sich  werfen  oder  Risse  bekoramen. 
Als  bewahrte  Theilung  ist  etwa  anzunehmen  bei  Frasen 

von    G — 15uim  Durclimesser  eine  Theilung'  von  0-6 — 0.8""" 

bei  15—45   „  „  „  „  „     0.8—2.5   „ 

„   45—75    „  „  „  „  „      2.5—3.0   „ 

„    75  —  100,,  „  „  „  „      3.0—4.0   „ 

Mitunter  macht  man  die  Theilung  so  grob,  dass  sie  an  Frasen  von   75rnm  Duicli- 

messer  wohl  10mm  betragt. 

Je  nach  der  Gestalt  und  der  Verwendung  erhalten  die  Frasen  verschiedene 
Narnen. 

Die  gewohnlichsten  Frasen  haben,  wie  Fig.  1679  A  zeigt,  eine  cylindrische 
Gestalt  und  sowohl  auf  der  Mantelflache  a  als  auf  der  Stirnflache  b  Schneiden 
und  heissen  dann  Stirnfrasen.  Sie  dienen  zur  Bearbeitung  ebener  Flachen, 
indem  das  Arbeitsstiick  tangential  an  der  Peripherie  a  oder  vor  der  Stirn  b  ber- 
gefiihrt  wird,  und  zur  Ausarbeitung  rechtwinkliger  Ansatze;  wie  sie  oft  an  Rahm- 
werk,  als  Fiihrungsprismeri  u.  s.  w.  vorkommen.  —  Wenn  die  Frasen  die  Be- 
stimmung  haben,  cylindrische  Locher  zu  erweitern  (zu  versenken),  so  nennt 
man  sie  demgemass  Senker  (Versenker,  Senkkolben,  Ausraumer  oder 
Ausreiber,  auch  F raiser^  Fraise,  Countersink).     Je  nach  der  Form    der  Ver- 

Flq.  1679. 


senkung  andert  sich  auch  die  Gestalt  der  Senker.  Zu  kegelformigen  Versenkungen 
dienen  konische  Frasen  Fig.  B ;  zu  cylindrischen  Versenkungen  gebraucht  man 
cylindrische  Senker  oder  Stirnfrasen,  welche  sich  von  denen  in  Fig.  1679  ^i 
dargestellten  dadurch  unterscheiden,  dass  die  Schneiden  auf  der  Mantelflache  a 
fehlen,  und  dass  auf  der  Mitte  der  Stirnflache  b  sich  in  der  Regel  Gin  Zapfen 
befindet,  der  zur  Fiihrung  in  das  zu  erweiternde  Loch  eintritt,  wie  beim  Bohrer 
Fig.  504  pag.  709.  —  Hier  schliessen  sich  die  Frasen  an,  welche  die  Gestalt 
einer  Kugel  besitzen,  und  zum  Ausfrasen  halbkugeliger  Vertiefungen  an  Kugel- 
zapfenschalen,  der  sog.  Nuss  an  Thiirschlossern,  an  den  Kugel-  und  Hagelgiess- 
zangen^  so  wie  der  oft  vorkommenden  halbkreisformigen  Rinnen  dienen  (Kugel- 
frase  Kugelknopf,  Cherry).  Ferner  gehoren  hierher  die  Frasen  mit  profi- 
lirter  Oberflache,  welche  als  Rotationskorper  zu  betrachten  sind,  deren  Ober- 
flachen  mit  Schneiden  besetzt  sind,  welche  rechtwinklig  zur  Drehrichtung  stehen, 
und  zum  Ausarbeiten  profilirter  Vertiefungen  an  Nahmaschinentheilen,  Gewehr- 
theilen,  an  Spitzkugelgiesszangen  u.  s.  w.  oft  vorkommen. 

Mitunter  sollen  freistehende  Erhohungen,  z.  B.  Zapfen  oder  ringformige 
Vertiefungen  oder  audi  nur  Rander  vermittelst  Frasen  gebildet  werden ;  dann 
muss  die  Stirnfrase  in  der  Achse  mit  einer  entsprechenden  Bohrung  C  versehen 
sein  Fig.  A,  in  welche  die  Erhohung  eintritt.  In  diesem  Falle  liegen  die  Schneiden 


620  Frase. 

oft   nach   innen    zu  schrag  gegen  die  Achse,    also    in    dem   inDeren   Mantel   eines 
Hohlkegels,    z.    B.  zum  Anfrasen   der  Kegelflache  an  versenkten  Schraubenkopfen. 

Wenn  die  Frasen  sehr  gross  oder  in  der  Achsenrichtung  gemessen  sehr 
diinn  werden,  so  ist  es  gerathener,  sie  als  Scheiben  zu  construiren  und  mit  einem 
centrischen  Loch  auf  die  Welle  zu  schieben,  welche  sie  in  Unidrehung  setzt,  statt 
wie  Fig.  1679  A  und  B  zeigen,  mit  Zapfen  T  in  eine  achsiale  Oeffnung  dieser 
Welle  zu  stecken.  —  Solche  scheibenformige  Frasen  (Schneidscheiben, 
S  c  h  n  e  i  d  r  a  d  e  r)  nahern  sich,  wenn  sie  diinn  und  auf  der  Peripherie  gekerbt 
sind,  den  Kreissagen  und  finden  vorztiglich  Verwendung  zur  Herstellung  von 
Nuthen  aller  Art.  Hat  die  Frase  dann  die  Gestalt  eines  abgestumpften  Kegels, 
so  eignet  sie  sich  zur  Hervorbringung  schrager  Einschnitte,  z.  B.  an  Scheiben- 
randern,  um  Sperrader  zu  erzeugen  5  zur  Fabrikation  der  Frasen  selbst ;  zur  An 
fertigung  von  Schraubenbohrern,  gekerbten  Reibahien  u.  s.  w.  Ist  die  Kante 
der  Schneidscheibe  abgerundet,  so  wird  die  Nuth  also  auch  halbrund.  Da  solche 
Nuthen  an  vielen  Werkzeugen  vorkommen,  z.  B.  den  amerikanischen  Spiralboh- 
rern  Fig.  501  pag.  709,  an  Gewindbohrern  etc.,  so  wird  die  Frase  zur  Anfer- 
tigung  solcher  Werkzeuge  vielfach  gebraucht. 

In  hervorragender  Weise  dienen  die  Schneidscheiben  zum  Einschneiden  oder 
zum  Egalisiren  der  Zahnliicken  an  Stirnzahnradern,  in  welchem  Falle  die  Scheiben 
an  der  Peripherie  des  Zahnliickenprofils  und  auf  der  ganzen  dies  Profil  bildenden 
Umflache  Schneiden  besitzen  und  einen  wichtigen  Theil  der  Raderschneid- 
maschinen  bilden.  Fig.  1679  C  zeigt  in  zwei  Ansichten  die  Beschaffenheit 
einer  solchen  Rader frase  geniigend  deutlich. 

Die  Frasen  mit  feiner  Theilung  lassen  sich  nicht  nachschleifen  (nur  von 
5mm  Theilung  aufwarts  sollen  Schmirgelscheiben  anwendbar  sein),  sondern  mtissen, 
wenn  sie  stumpf  geworden  sind,  weich  gemacht,  nachgeschnitten  und  neu  gehartet 
werden.  Um  dieser  miihsamen  und  durch  das  haufige  Zerspringen  der  Frasen 
beim  Harten  verlustdrohenden  Arbeit  iiberhoben  zu  sein,  wird  in  vielen  Fallen 
die  Theilung  so  gross  genommen,  dass  ein  Nachschleifen  moglich  wird.  Fiir 
Zahnschneidrader  z.  B.  empfiehlt  es  sich  dann,  die  Frasschneiden  so  auszubilden, 
dass  wirkliche  Meissel  von  dem  Zahnltickenpronl  entstehen.  Mit  Hilfe  von  Fig. 
1679  D  mag  diese  Art  von  Frasen  erklart  werden.  Jeder  Schneidzahn  steht  mit 
der  Brust  a  b  fast  radial,  so  dass  der  Winkel  b  a  e  beinahe  ein  rechter  ist. 
Die  Linie  a  e  ist  aber  kein  concentrisches  Kreisstiick,  sondern  der  Punkt  e  liegt 
dem  Mittelpunkt  M  naher  als  der  Punkt  a,  so  dass  dadurch  der  Anstellungs- 
winkel  gebildet  wird.  Das  Zahnprofil  abed  ist  an  alien  Stellen  des  Schheid- 
zahnes  kongruent,  weil  b  n  mit  a  e  a'quidistant  ist,  weshalb  der  Zahn  bis  zur 
Linie  e  f  abgenutzt,  d.  h.  weggeschliffen  werden  kann,  ohne  dass  sich  die  Zahn- 
form  andert.  Das  Anschleifen  der  Brust  findet  aber  wegen  der  grossen  Zahnliicke 
a  m  kein  Hinderniss. 

Bei  sehr  grossen  Frasen  geht  man  noch  weiter,  indem  man  die  Zahne  als 
besondere  Stiicke  also  als  wirkliche  Meissel  oder  Messer  anfertigt  und  in  ein 
anderes  Stuck  (K  0  p  f,  F  r  a  s  k  0  p  f)  einsetzt,  entweder  dauernd  fest  oder  ausnehmbar 
und  auswechselbar.  Eine  dauernde  Vereinigung  wird  unter  Anderem  dadurch 
erreicht,  dass  man  die  Meissel  in  radialer  Lage  in  einer  cylindrischen  Lehmform 
einformt  und  dann  die  Form  mit  Gusseisen  ausgiesst,  welches  nach  dem  Erstarren 
die  Meissel  fest  zusammenhalt.  Auch  ist  vorgeschlagen,  die  keilformig  ausge- 
schmiedeten,  zu  einem  Cylinder  zusammengesetzten  Meissel  durch  eiserne  Ringe 
zu  vereinigen,  die  gluhend  herumgelegt  werden  und  dann  durch  Abkuhlen  sich 
verengend,  eine  starke  Zusammenpressung  hervorbringen.  Am  einfachsten  und 
zweckmassigsten  erscheint  die  Einriehtung,  bei  welcher  die  Meissel  in  den  Fra's 
kopf  eingesteckt  und  durch  Klemmschrauben  oder  Keile  befestigt  werden.  Stehen 
dabei  die  Meissel  aus  der  Peripherie  des  Kopfes  heraus,  so  gewinnt  die  Frase 
grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  Bohrkopf  Fig.  518  pag.  719.  Sollen  sie  aber  auf 
der  Stirnflache  sitzen,  so  erklart  Fig.  1679  E  die  Anbringung.  Die  Meissel  m 
werden  quer  durch  den  Kopf  K  gesteckt  und  durch  die  Schrauben  s  festgeklemmt. 


Fras 


621 


1680. 


Bei  dieser  Anordnung  ist  es  besonders  leicht,  die  einzelnen  Meissel  zura  Anscharfen 
aus  der  Frasscheibe  herauszunehmen  und  sammtliche  Schneiden  in  eine  Ebene 
zu  bringen. 

b)  Holzfrasen.  Bei  den  Holz- 
frasen ist  die  Zahl  der  Schneiden 
in  der  Regel  kleiner  als  bei  den 
Metallfrasen,  da  die  Schneiden  mit 
ihren  kleineren  Schneidewinkeln  tief 
eindringen,  dickere  Spane  wegneh- 
men  und  desshalb  eine  grossere 
Theilung  verlangen.  Die  Zahl  be- 
tragt  gewohnlich  zwei  bis  sechs. 
Entweder  werden  die  Holzfrasen 
aus  einem  Stiicke  hergestellt  oder 
sie  bestehen  aus  einem  scheiben- 
oder  cylinderartigen  Kopfe.  in  wel- 
chen  Messer  eingesetzt  oder  auf 
welchem  Messer  befestigt  werden. 
In  beiden  Fallen  ist  es  oft  geboten, 
die  Schneiden  so  auszubilden,  dass 
sie  in  beiden  Drehrichtungen  ar- 
beiten,  damit  man  durch  Umsetzung 
der  Bewegung  im  Stande  ist,  aucn 
an  krummen  Holzflachen  die  Frasen 

so  zur  Wirkung  zu  bringen,  dass  zur  Vermeidung  des  Ausreissens  die  Arbeits- 
bewegungsrichtung  mit  deni  Faserlauf  zusammenfallt. 

Wird  auf  diese  letzte  Anordnung  Bedacht  genommen,  so  erzeugt  man  die 
Frasen  in  einem  Stuck  aus  stahlernen  Rotationskorpern  von  entsprechender  Ach- 
senlange  und  Profilirung  in  der  Art,  dass  man  Fig.  1680  A  Einschnitte  a  macht, 
deren  Seiten  sich  in  der  Achse  m  schneiden.  Je  nach  der  Grosse  des  sich  in 
der  Achse  bildenden  Centriwinkels  b  m  c  ■=.  (p  ist  auch  der  Zuscharfungswinkel 
m  c  b  —2  a  verschieden,  indem  ja  dieser  durch  die  geometrische  Beziehung 

a  =   90»  -  \ 

bestimmt  wird,  wenn  man  die  Frase  als  Polygon  ansieht.  Sind  demnach  3,  4,  6 
Einschnitte  vorhanden,  so  ist  bei  gleicher  Theilung  und  6  Messern 

360 
12 

also      a  z=i  75°. 
Ist    die    Zahl    der   Messer   dahingegen  4  und  haben  die  Einschnitte  einen  Winkel 


(V 


=  30° 


<]P 


360 


4.  15 


—  lb 


und     a  —  90°  —  37.5  ==  52.5. 

Da  beim  Harten  dieser  Frasen  aus  Stahl  leicht  Bruch  entsteht,  so  fertigt 
man  sie  oft  aus  Schmiedeisen  an  und  hartet  durch  Einsetzen.  Hierbei  verdient 
auch  folgende  Art  der  Anfertigung  Beachtung.  Man  nimmt  runde  Scheiben  von  Eisen- 
blech  und  treibt  sie  in  Gesenken  unter  dem  Fallwerk  pag.  557  u.  s.  w.  zu  einem 
Rotationskorper  oder  einer  Pyramide  von  verlangtem  Profil  aus.  Sodann  kerbt 
man  sie  vom  Rande  her  so  ein,  dass  in  der  Mitte  eine  Kuppe  stehen  bleibt,  die 
eine  centrische  Durchbohrung  zum  Aufstecken  auf  die  Friisspindel  erhalt  und  hartet 
die  Frase  dann  durch  Einsetzen. 

Stehen  die  Frasen  nur  in  einer  Richtung  auf  den  Schnitt,  so  werden  sie  in 
der  Weise  ausgebildet,  wie  Fig.  1680  B  ohne  weitere  Erklarung  zu  erkennen  gibt. 


622 


Frase. 


Fur  grosse  Frasen  ist  wie  bei  Metallfrasen  die  Construction  mit  besonderen 
Messern  aus  denselben  Griinden  raehr  tiblich.  Die  beliebig  profilirten  Messer  m 
werden  dann  entweder  quer  ciureli  den  Fraskopf  gesteckt,  Fig.  1680  E  und  F, 
durch  Kletnschrauben  r  oder  Keile  befestigt,  oder  auf  einen  prismatischen  Korper  von  drei- 
oder  viereckigem  Querschnitt  gelegt  Fig.  1680  C  und  D  und  durch  Schrauben  r 
gehorig  fest  gehalten.  Durch  Vertheilung  einer  Anzahl  schmaler  Messer  m  liber 
die  Seiten  des  Prisma  ist  man,  wie  Fig.  1680  E  zeigt,  im  Stande,  verschiedene 
Profile  zu  einem  einzigen  c  d  zusammenzusetzen.  Man  sieht  hierbei  leicht  ein, 
wie  man  hierdurch  in  der  Walil  der  Profile  lediglich  nur  durch  Unterschneidungen 
beschrankt  ist. 

Frasmaschinen.  {Machine  a  fraiser,  Machine  a  sheper  —  Moiling  ma- 
chine, Cutting  machine,  Shaping  machine.)  Die  Wirkungsweise  der  Frase  ver- 
langt,  wenn  sie  vortheilhaft  zur  Verwendung  kommen  soil,  eine  ziemlich  bedeu- 
tende  Arbeitsgeschwindigkeit.  Die  Frasscheiben  haben  auf  Schmiedeisen  150  bis 
I80mm;  auf  Gusseisen  180  bis  200mm;  die  Messerkopffrasen  auf  Guss-  und 
Schmiedeisen  200  bis  250mm;  die  Radersckneidfrasen  300  bis  400mm  Geschwin- 
digkeit  pro  Secunde.  Bei  den  Holzfrasen  kann  man  sogar  eine  Peripheriege- 
schwindigkeit  von  15  bis  20m  pro  Secunde  annehmen,  was  einer  Umdrehzahl  von 
3000  bis  4000  pro  Minute  fiir  100mm  Frasedurchmesser  entspricht.  Aus  diesem 
Grunde  erklart  sich  audi  namentlich  die  Unzweckmassigkeit,  die  Frasen  mit  freier 
Hand  oder  einem  einfachen  Gerath,  das  nur  geringe  Geschwindigkeit  zulasst, 
(Brustleier,  Ratsche  etc.  pag.  712)  zur  Wirkung  zu  bringen,  wenn  zwar  z.  B.  die 
Senker  oft  in  der  Brustleier  gebraucht  werden.  Man  bedarf  vielmelir  einer  maschi- 
nellen  Vorrichtung  zur  Erzeugung  der  gehorigen  Geschwindigkeit,  und  so  entstehen 
die  Frasmaschinen,  die  zunachst  in  zwei  Kategorien :  Metall frasmaschinen 
und  Holz frasmaschinen  zerfallen. 

a)     Metallfrasm  aschin  en. 
Dieselbe  besteht  in  der  Hauptsache 
Fig.  1681.  aus  einer  gewohnlich  horizontal  lie- 

genden  Fraswelle,  welche  die  Frase 
aufnimmt  und  in  Bewegung  setzt 
(Arbeitsbewegung) ;  sodann  aus  einer 
Einrichtung  fiir  die  Aufnahme  des 
Arbeitsstiickes  (Einspannvor- 
richtung);  und  endlich  aus  dem 
Mechanismus  der  Relativbewegung 
zwischen  Werkzeug  und  Arbeitsstiick 
(S  c  h  a  1 1  b  e  w  e  g  u  n  g) ,  urn  dem 
ersteren  stets  neue  Arbeitsflachen 
darzubieten,  wobei  bemerkt  werden 
mag,    dass  die  Schaltbewegung  fast 


ausschliesslich  dem  Arbeitsstiick  err 
theilt  wird  und  zwar  entweder  durch 
die  Hand  eines  Arbeiters  oder  selbst- 
thatig  von  der  Maschine  aus. 

Zur  naheren  Erklarung  mag  die 
in  Fig.  1681  dargestellte,  sehr  viel 
gebaute  Frasmaschine  mit  selbst- 
thatigem  Vorschub  dienen.  Das 
Werkzeug  a  sitzt  auf  dem  vorderen 
Ende  der  Fraswelle  a  b  und  be- 
kommt  mit  dieser  die  Arbeitsbewe- 
gung direct  durch  die  Stufenscheiben 
S.  Das  Arbeitsstiick  wird  auf  dem 
Aufspanntisch  T  durch  Aufspannkloben  etc.  befestigt  und  mit  demselben  zunachst 
vertical  auf-  und  niederwarts  bewegt,  um    in    die    passende  Lage  zu  der  Frase  a 


Frase.  623 

zu  gelangen.  Zu  diesem  Zwecke  wircl  der  Tisch  T  von  einor  Console  getragen, 
die  an  der  Vorderseite  des  Gestells  G  bei  /  /  Prismenfiihrungen  besitzt  und 
unterwarts  durch  die  starke  Schraubenspindel  p  gestiitzt  wircl.  Diese  Schraube 
besitzt  ibre  Mutter  in  q  und  ausserdem  am  oberen  Ende  einen  Zapfen,  der  in  ein 
umgekehrtes  Spurlager  an  der  Console  eintritt.  Die  Bewegung  der  8chrau.be 
erfolgt  durch  ein  Schraubenrad,  das  am  unteren  Ende  des  Zapfens  sitzt  und  durch 
eine  Schnecke  gedreht  wird,  die  auf  einer  kurzen  Schneckenwellc  W  sich  befindet. 
Die  letztere  wird  an  der  vorderen  Seite  der  Console  durch  eine  anfgesteckte 
Handkurbel  so  lange  nach  links  oder  rechts  in  Umdrehung  versetzt,  bis  das 
Arbeitssttick  die  richtige  Hohenlage  erhalten  hat.  Zur  Verschiebung  in  der  Ho- 
rizontalebene  ist  der  Tisch  wie  am  Kreuzsupport  construirt. 

Die  Annaherung  oder  Entfemung  an  das  Gestell  G  wird  mit  Hilfe  der 
horizontalen  Schraube  bewirkt,  die  bei  V  durch  eine  Handkurbel  bewegt  wird, 
und  die  Bewegung  vor  dem  Gestell  entlang  durch  die  Leitspindel  o,  welche  fiir 
die  erste  Einstellung  von  einer  aufgesteckten  Handkurbel,  zur  continuirlichen 
Schaltbewegung  aber  von  der  Maschine  aus  gedreht  wird.  Fiir  den  letzten  Zweck 
treten  die  Zahnrader  n  und  i  in  Function,  indem  das  Rad  i  von  der  Schnecke  u 
gedreht  wird,  welche  durch  die  Kegelrader  4,  3,  2,  1  von  den  Schnurscheiben 
c  den  Antrieb  erhalt,  die  ihrerseits  vermitteist  der  Schnur  C  von  den  auf  der 
Fraswelle  sitzenden  Schnurrollen  b  in  Umdrehung  versetzt  werden.  Hierbei  sind 
die  Uebersetzungsverhaltnisse  so  zu  wahlen,  dass  das  Arbeitssttick  etwa  0.5  bis 
2mm  Vorschub  pro  Secunde  erhalten  kanu.  Damit  bei  den  verschiedenen  Ver- 
schiebungen  des  Tisches  und  der  Console  die  thatigen  Organe  nicht  ausser  Ein- 
griff  kommen,  werden  diese  von  den  sich  verschiebenden  Theilen  mitgenommen 
und  auf  den  Wellen  in  langen  Nuthen  verschoben.  So  hangt  an  dem  unteren 
Tischschlitten  das  Lager  m  zur  Aufnahme  des  Rades  i  und  der  Schnecke  u,  die 
zwischen  den  Armen  r  liegt  und  auf  der  Welle  t  verschoben  wird.  Desgleichen 
tragt  die  Console  den  Arm  g,  an  dem  das  Zahnrad  5  hangt,  durch  welches  die 
vertikale  Welle  h  sich  verschieben  kann. 

Fiir  bestimmte  Zwecke  und  namentlich  auch  fur  grossere  Arbeiten  werden 
Frasmaschinen  gebaut,  welche  in  mancher  Beziehung  von  dem  eben  beschriebenen 
Typus  abweichen.  So  erfolgt  der  Antrieb  bei  Anwendung  des  Fraskopfes  Figur 
1679  E  mit  eingesetzten  Messern,  oft  durch  Radervorgelege  oder  Schraubenrad 
mit  Schnecke  von  Stufenscheiben  aus,  so  dass  ein  Fraskopf  von  200mm  Durch- 
messer  etwa  95  bis  260mm  Peripherie- Geschwindigkeit  pro  Secunde  erhalt.  Mit- 
unter  kann  es  bequem  sein  die  Frasspindel  vertical  aufwarls  mit  der  Frase  am 
unteren  Ende  iiber  dem  Arbeitstisch  anzuordnen,  wodurch  die  Maschine  Aehnlichkeit 
mit  einer  Bohrmaschine  erhalt.  Bei  manchen  Maschinen  sind  zwei  und  mehr 
Frasen  auf  einer  Welle  vorhanden,  die  dann  entweder  in  der  Mitte  oder  an  beiden 
Enden  gelagert  wird,  jenachdem  die  Frasen  an  oder  zwischen  den  Enden  angebracht 
sind.  Hierzu  sind  unter  anderen  die  M utter fr asmaschinen  zu  rechnen, 
welche  mit  zwei  Fraisscheiben  versehen  sind,  die  ihre  Arbeitsflachen  einander  zu- 
kehren  und  zwischen  denen  die  Muttern  oder  die  Kopfe  von  Bolzen  etc.  so  hin- 
durchgefiihrt  werden,  dass  zwei  einander  gegeniiber  liegende  parallele  Seitenflachen 
gleichzeitig  bearbeitet  werden.  Auch  gehoren  hierher  die  Frasmaschinen  zur 
Bearbeitung  _|_  formiger  Theile,  wie  sie  vielfach  fiir  Artillerie-Ausriistungsgegen- 
stande  (Munitionswagen)  nothwendig  sind.  Eine  besondere  Bedeutung  haben  die 
Frasmaschinen  zur  Herstellung  unregelmassiger  Korper,  Nuthen,  Vertiefungen  etc. 
fiir  Nithmaschinen,  Gewehrtheile  und  dgl.  erhalten.  Das  wichtigste  Stiick  bildet 
bei  diesen  Curvenfr asmaschinen  der  Fiihrungsapparat ,  welcher  in  den 
meisten  Fallen  so  eingerichtet  ist,  dass  das  Arbeitssttick  mit  einem  Schlitten.  der 
zu  seinem  Festhalten  oder  Einspannen  dient,  vermitteist  Schablonen  vor  der  Frase 
bin-  und  her-  und  an-  und  abbewegt  wird.  Zur  Forderung  der  Arbeit  werden 
dann  zweckmassig  gleichzeitig  mehrere  Frasen  angebracht  und  in  Thatigkeit  gesetzt. 
Ueber  die  bei  den  Frasmaschinen  .  anzubringenden  Vorrichtungen  zum  Eintheilen 
wird  das  Nahere  bei  den  Raderschneidmaschinen  angegeben. 


624 


Fri 


Fig.  1682. 


Sammtliche  Metallfrasmaschinen,  besouders  aber  die  Specialfrasmaschinen 
werden  in  vorziiglicher  Ausfiibrung  von  der  Werkzeugmaschinen-Fabrik  G.  Justus 
in  Hamburg  gebaut. 

b)  Holzfrasmaschinen.  Die  oben  bescbriebenen  Holzfrasen  erfordern, 
wie  dort  bereits  beinerkt,  eine  solche  grosse  Geschwindigkeit,  dass  sie  nur  niit 
Hilfe  mascbineller  Einrichtungen  zur  Wirkung  gebracbt  werden  konnen.  Sie  stecken 
zu  dem  Zwecke  auf  Wellen  o  p  Fig.  1680,  die  entweder  borizontal  odei*  vei'tical 
gelagert  und  durch  rasche  Rotation  denselben  die  Arbeitsbewegung  ertheilen, 
wahrend  das  Arbeitsstiick  die  Schaltbewegung  erhalt,  die  entweder  durcb  die 
Arbeiterhand  oder  selbstthatig  von  der  Mascbine  erzeugt  wied. 

Nicbt  nur  durcb  die  verschiedenen  Stellungen  der  '  Triebwelle  (vertical  und 
horizontal),  sondern  aucb  durch  Combinirung  von  Frasen  auf  horizontalen  Wellen 
mit  solchen  auf  verticalen  Wellen,  so  wie  durch  Anwendung  mehrerer  Fraswellen 
neben  einander  oder  tiber  einander  u.  s.  w.  erhalt  man  eine  grosse  Verschiedenheit 
in  der  Construction  dieser  wichtigen  Holzbearbeitungsmaschine,  die  jedoch  in  der 
Praxis  wesentlich  unterschieden  werden  als  eigentliche  Frasmaschine  und 
Holzhobelmaschine.  Man  versteht  dann  gewohnlich  unter  Holzfrasmaschine 
eine  Maschine  mit  Fraskopf  zur  Erzeugung  profilirter  Oberflacken  und  unter  Holz- 
hobelmaschine eine  solche  zur  Hervorbringung  ebener  Flachen.  Letzterer  wird, 
der  Anlage  dieses  Buches  entsprechend,  ein  besonderer  Artikel  gewidmet. 

Die  Holzfrasmaschine  hat  durchgangig  einen 
Fraskopf  zwischen  30 — l00mm  Durchmesser  von 
der  Art  Fig.  1680  A  oder  in  einer  Richtung 
schneidend  nach  dem  Princip  Fig.  1680  E,  der 
in  der  Regel  unmittelbar  iiber  einem  Tische 
auf  einer  durch  den  Tisch  vertical  abwaits  ge- 
richteten  Welle  sitzt,  die  deshalb  audi  unter 
dem  Tisch  den  Antrieb  erhalt,  wahrend  das 
auf  dem  Tische  liegende  Holzstiick  tangential 
gradlinig  oder  in  Bogen  etc.  an  dem  Fraskopf 
voriiber  gefiihrt  wird.  Der  Antrieb  der  Welle 
*^iiw     J  ffiLiU  erfolgt  entweder  durch  Riemscheiben  direct  oder 

^mp™*!  KpJ  indirect,  indem  noch  Reibungsrader  eingeschaltet 

I        iHPfilff  werden.  Da  die  letztere  Anordnung  bedeutende 

Vorziige  voraus  hat,  so  mag  bier  zur  weiteren 
Erlauterung  mit  Hilfe  der  Fig.  1682  die  Be- 
schreibung  einer  Holzfrasmaschine  mit  Reibungs- 
rader-Betrieb  Platz  finden.  Der  Fraskopf  A, 
der  nach  beiden  Drehrichtungen  schneidend 
gedacht  werden  mag,  sitzt  auf  der  verticalen 
Welle  B,  welche  wegen  eines  ruhigen  Ganges 
und  Vermeidung  von  storenden  Erschlitterungen 
in  zwei  langen  Lagern  lauft  und  bei  c  einen  Kegel  aufnimmt,  der  durch  die 
kegelformigen  Scbeiben  a  oder  b  gefasst  und  angetrieben  wird  und  zwar  nach 
links  oder  rechts  herum,  je  nachdem  b  oder  a  zur  Wirkung  gebracbt  wird.  Wie 
die  Zeichnung  ergibt,  bilden  die  Reibungsscheiben  a  und  b  ein  Sttick,  das  auf  der 
Welle  i)  q  festgekeilt  ist  und  durch  die  Riemscheibe  /  vermittelst  eines  von  der 
Haupttransmission  abgeleiteten  Riemens  nach  einer  Richtung  in  Rotation  versetzt 
wird.  Wenn  daher  eine  der  beiden  Scbeiben  a  oder  b  an  den  Kegel  c  ange- 
presst  wird,  so  erfolgt  die  Bewegung  des  Eraskopfes.  Dies  Anpressen  vermittelt 
der  in  o  drehbare  Hebel  o  r  s,  welcher  mit  dem  gabelformigen  Ende  s  urn  die 
mit  dem  Handrad  H  verbundene  Schraubenmutter  fasst  und  sich  daher  je  nach 
der  Drehung  und  Verschiebung  der  letzteren  auf  der  Schraube  nach  links  oder 
rechts  bewegt  und  die  Welle  p  q  mitnimmt,  indem  eine  auf  p  q  befestigte  Nuth- 
scheibe  r  von  einem  Stift  des  Hebels  mitgenommen  wird.  Ausser  der  Moglichkeit, 
die  Bewegungsanderung  des  Fraskopfes  fast  plotzlich  eintreten  zu  lassen,  gewabrt 


Frase.  —  Franzbranntwein.  G25 

der  Hebel  o  r  s  audi  noch  eine  Druckregulirung  zwischen  den  Reibungsradern. 
Da  in  der  Mittellage  von  a  b  keine  Beriihrung  mit  c  eintritt,  so  ist  aucb  ein 
schnelles  Stillstellen  leicht.  Der  Arbeitstisch  T  rulit  um  den  oberen  Theil  des 
Bockes  auf  der  Nabe  des  Handrades  N,  welche  zugleicb  als  Mutter  fiir  die  in 
der  Zeichnung  leicht  erkennbare  Schraube  ausgebildet,  die  Hbhenlage  des  Tisches 
festlegt.  Eine  Klemraschraube  t  schiitzt  den  Tisch  gegen  das  nicht  gewlinschte 
Mitnehmen  desselben  durch  das  Arbeitsstiick.  Naeh  Lbsung  dieser  Klemmschraube 
kann  sich  aber  der  Tisch  drehen,  was  fiir  manche  Arbeiten  erwiinscht  ist.  Ausser- 
dem  lasst  sich  der  Tisch  leicht  gegen  Auflagen  auswechseln,  die  z.  B.  bei  Frasen 
doppelter  Kriininiungen  eine  sicherere  Fiihrung  des  Arbeitsstiicks  verbiirgen. 

Von  dieser  neueren  Construction  sind  die  alteren  wesentlich  durch  den 
Antrieb  und  das  Gestell  verschieden,  indem  der  erstere  fast  ausschliesslich  direct 
durch  Riemen  erfolgt,  und  zwar  um  die  beiden  Drehrichtungen  hervorbringen  zu 
kbnnen,  oft  durch  einen  offenen  und  einen  gekreuzten  Riemen,  die  abwechselnd 
angespannt  werden,  und  indem  das  Gestell  viereckig  tischformig  ist.  Diese  Gestell- 
form  ist  wegen  der  grosseren  Stabilitat  namentlicb  fiir  grossere  Maschinen  vor- 
zuziehen.  E.  Hoyer. 

Frasbohrer  ist  ein  dem  Schneidzirkel  (s.  d.)  ahnlich  gebautes  Werk- 
zeug  zum  Einschneiden  kreisfbrmiger,  schmaler  Furchen.  (Prechtl,  Encyclop.  II 
pag.  548.) 

Frasen   (fraiser  —  shape,  cut),  s.  Frase. 

Fraisen,  Fraismaschine,  s.  Frase. 

Frame  ist  ein  aus  dem  Englischen  entnommenes  Wort,  welches  nicht  selten 
auch  vom  Maschinenbauer  zur  Bezeichnung  eines  Rahmens?  einer  Einfassung  oder 
eines  Rahmengestells  gebraucht  wird.  Es  lasst  sich  dieses  Wort  meist  deutsch 
eben  so  gut  durch  die  Worte  Rahmen?  Gestell  u.  dgl.  ersetzen.     Kk. 

Frangipani  (Plumeriabliithen-Essenz),  Name  einer  hb'chst  angenehm  riechenden, 
auch  himmlischer  Geruch  genannten  Essenz,  welche  einer  auf  den  westindischen 
Inseln  einheimischen  Plum eria- Art  entstammen  soil.     Gtl. 

Frangulasaure7  s.  m.  Cathartin,  s.  Kreuzbeeren. 

Frangulin,  Avornin,  Rhamnoxanthin,  Glucosid  aus  der  Wurzel  und, 
Stammrinde7  sowie  den  Beeren  des  Faulbaums  (Rhamnus  frangula  L.),  sowie  des 
Kreuzdorns  (Rh.  cathartica)  C„QH9(tOXQ,  s.  b.  Kreuzbeeren7  s.  a.  Lo-Kao. 

Frankfurter  Schwarz,  Rebschwarz,  Hefenschwarz  etc.  Durch  Verkohlung 
von  Weinhefe,  Weintrestern  oder  Weinreben  dargestellte  schon  schwarze  Farbe, 
wesentlich  feinvertheilter  Kohlenstoff  s.  d.     Gtl. 

Franklinit,  ein  tesseral  gewohnlich  in  Octaedern  oder  Rhombendodekaedern 
krystallisirendes  Mineral,  dessen  Krystalle  aufgewachsen  oder  eingewachsen  oder 
in  Drusen  vorkommen,  das  sich  auch  kornig  derb  und  eingesprengt  findet.  Sehr 
unvollk.  spaltb.,  Bruch  muschlig,  H  ■=.  5.5 — 6.5,  spec.  Gew.  —  5.0— 5.069,  eisen- 
schwarz  mit  braunem  Strich  und  unvollk.  Metallglanz,  undurchsichtig.  Chem.  Zus. 
RO.R-03,  worin  RO  21  Zinkoxyd  mit  etwas  (7)  Eisen- und  (0-7)  Manganoxydul, 
R'203  59  Proc.  Eisen-  und  8  Proc  Mangonoxyd  vorstellt.  v.  d.  L.  unschmelzbar, 
gibt  auf  Kohle  Zinkbeschlag,  mit  Soda  auf  Platinblech  geschmolzen  Manganreaction, 
mit  Borax  ein  heiss  rothes,  kalt  braunes  Glas,  lost  sich  in  erwarmter  Salzsiiure 
unter  Chlorentwicklung.  Fundorte  Franklin  und  Stirling  Hill  in  New-Yersey. 
Nord-Amerika.  Lb. 

Fransen  (franges  — fringes),  s.  Posamentierarbeiten. 

Franzbranntwein,  s.  Cognac  II  pag.  373. 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.    Bd.  III.  ^.Q 


626  Franzgold.  —  Freieslebenit. 

Franzgold ,  Pariser  Gold,  ist  blassgelbes  Blattgold ,  s.  Gold- 
s  c  h  1  a  g  e  r  e  i. 

Franzleinen  ist  ungebleichte,  stark  appretirte  Futterleinwand. 

Franzdsischgriin,  syn.  mit  Steingrlin  oder  Griinerde. 

Franzofen,  Schliechofen  fiir  das  Zugutemachen  von  Quecksilbererzen,  s. 
Quecksilber. 

Franzosenholz,  Pockholz,  s.  Guajakholz. 

FraueneiS,  Frauenglas,  s.  Gyps. 

Fraxetin,  s.  F  rax  in. 

Fraxin  (fraxine  —  fraxine),  Paviin.  Glucosid  aus  der  Rinde  von  Fra- 
xinus-  (Esche)  und  Aesculus-  (Rosskastanie)  Baumen.  Kann  durch  Auskochen 
der  zur  Bliithezeit  gesammelten  Eschenrinde  mit  Wasser  und  Fallen  der  Ab- 
kochung  mit  Bleizucker  aus  dem  Filtrate  vom  BLeiniederschlage  erhalten  werden, 
indem  man  dasselbe  mit  bas.  essigs.  Blei  fracti  :  Irt  fallt  und  die  letzten  Antheile 
dieses  Niederschlags  mit  Schwefelwasserstotf  unter  Wasser  zersetzt.  Die  vom 
Schwefelblei  abfiltrirte  Losung  liefert  beim  Verdunsten  Krystalle,  welclie  aus  Wein- 
geist  umkrystallisirt  werden.  (Vgl.  Salm-Horstmar,  Pogg.  Ann.  97  pag.  637, 
100  pag.  607,  107  pag.  327).  Aus  Rosskastanienrinde  erhalt  man  es  nach  Roch- 
leder  (vgl.  Pogg.  Ann.  107  pag.  331,  Ber.  d.  k.  Akad.  d.  Wiss.  zu  Wien  40 
pag.  37)  durch  Extrahiren  derselben  mit  Weingeist  von  35°  B.,  Fallen  des  Aus- 
zuges  mit  weingeistiger  Bleizuckerlosung  und  Zersetzen  des  Niederschlags  mit 
Schwefelwasserstotf  unter  Wasser. 

Das  reine  Fraxin  bildet  farblose,  dem  Zinkvitriol  ahnliche  Krystalle,  lost 
sich  in  1000  Thl.  Wasser  in  der  Kalte,  leichter  in  heissem  Wasser  und  in  Wein- 
geist, welcher  es  namentlich  bei  Kochhitze  reichlich  aufnimmt.  In  Aether  ist  es 
unloslich.  Es  schmeckt  pchwach  bitterlich  herbe.  Seine  Zusammensetzung  ent- 
spricht  der  Formel  Co7H3001~.  Beim  Erhitzen  auf  320°  C.  schmilzt  es  unter 
Wasserabgabe  zu  einer  rotblichen  Masse  und  weiter  erhitzt  tiitt  Verkohlung  ein. 
Mit  verdunnten  Sauren  erhitzt  spaltet  es  sich  in  Fraxetin  {Ci^)HloOs)  und  2 
Molekule  krystallisirbaren  Zucker  (CGi/j„06). 

Das  Fraxin  ist  besonders  ausgezeichnet  durch  die  prachtig  blaulich-griine 
Fiuorescenz,  welche  die  wassrigen  und  weingeistigen  Losungen  desselben,  namentlich 
bei  Gegenwart  von  geringen  Mengen  von  Ammoniak  oder  Alkalien  zeigen.  Saure- 
zusatz  hebt  die  Fluoressenz  auf  (vgl.  auch  Stokes  Chem.  Soc.  Q.  J.  11  pag. 
17  und  12  pag.  126).     Gtl. 

Fraxinin  wurde  von  Keller  ein  als  Mannit  erkannter  Bestandtheil  der 
Eschenrinde  genannt,  s.  Mannit. 

Freie  Achse  (bvayer  d'une  balance  —  axe  of  a  balance).  Rotirt  ein 
Korper  um  erne  Achse  und  heben  sich  die  Fliehkrafte  der  einzeluen  Molekule 
derartig  gegenseitig  auf,  dass  diese  Krafte  keine  Einwirkung  auf  diese  Achse  aus- 
iiben,  also  die  Richtung  der  Rotations-Achse  nicht  zu  verandern  streben,  dann 
nennt  man  dieselbe  freie  Achse. 

Siehe  z.  B.  Redtenbacher  Principien  der  Mechanik  pag.  117  und  betreffs 
der  Anwendung  auf  Miihlsteine  Kick  Mehlfabrikation  II.  Aufl.  pag.  159. 
Vergl.  f.  d.  Artikel  Rotation.     Kk. 

Freie  Hemmung,  s.  Uhren. 

Freieslebenit,  Schilfglaserz.  Ein  seltenes  Silbererz,  dessen  monoklin-pris- 
matischen,  stark  langsgestreiften    Krystalle    an  Gras    oder  Schilf  erinnern,    daher 


Freieslebenit.   —  Frischschlacke.  627 

der  deutsche  Name  Schilfglaserz.  Auch  derb  und  eingesprengt  kommt  es  vor. 
1st  nach  der  Saule  und  der  Basis  spaltbar,  hat  muschligen  Brucli,  ist  wenig  sprode, 
hat  H  =  2 — 2.5,  spec.  Gewicht  =  6.19- 6.3ft,  dunkelbleigrau.  Chem.  Zus. 
2Ag2S.Sb'1S3-Jr3PbS.Sb0-S3  mit  22.5  Silber,  32.4  Blei,  26.8  Antimon  und  18.3 
Schwefel.  Schmilzt  im  Glasrohr  unter  Entwicklung  von  schwefliger  Saure  und 
Antimonsublimat.  v.  d.  L.  schmilzt  er  schnell  und  gibt  unter  Bildung  von  Blei- 
und  Antimonbeschlag  ein  Silberkorn.  Findet  sicli  zu  Pribram ,  Ratiborschitz, 
Felsobanya,  Hiendelencina  in  Spanien.  Ein  in  Pribram  von  dem  Freieslebenit  in 
der  Krystallform  etwas  abweichendes  Schilfglaserz  wurde  von  v.  Zepharovich 
D  i  a  p  h  o  r  i  t  genannt.  Lb. 

Freitreppe  (perron  —  open  stairs)  ist  ein  Stufengang,  welcher  ausserhalb 
des  Gebaudes  sich  befindet.  Die  Auftrittsflachen  erhalten  eine  ganz  geringe 
Neigung  nach  vorn  zum  Wasserabfluss.  Grohm. 

Friction,  s.  Reibung. 

Frictionshammer,  s.  Hammer. 

Frictionsholzer,    s.    Ztindwaaren. 

Frictionskalander,  s.  Appretur  I  pag.  179. 

Frictionsrader,  s.  Kin  em  at  ik. 

Frictionsrollen,  s.  Reibung. 

Frictionssatze,  s.  Explosivstoffe. 

Friedrichsalz,  s.  m.  Bitter salz,  s.  b.  Magnesium. 

Fries,  Flaus  (frise  —  coating),  s.  Flaus. 

Fries  (fries  : —  plate-bande).  Darunter  versteht  man  im  Allgemeinen 
Rahmen  oder  Streifen,  welche  eine  Construction  in  Unterabtheilungen  trennen,  z.  B. 
Friese  bei  Fussboden.  In  archetektonischer  Hinsicht  wird  damit  die  Flache  im 
Gebalk  der  Saulenordnungen  bezeichnet,  welche  zwischen  Architrav  und  Kranz- 
gesims  liegt.  .  Grohm. 

Frigoriferen,  s.  Eismaschinen  II  pag.  743. 

Frischblei,  Weichblei,  Kaufblei,  Glattblei  (plomb  raffine  —  refined  lead), 
s.  Blei  I  pag.  569. 

Fr'lSChen,  s.  Eisenerzeugung  III  pag.  22. 

Frischen  (affinage  —  refining),  hiittenmannische  Bezeichnung,  so  viel  wie 
Lautern,  Garen,  Reinigen,  speciell  im  Blei-  und  Eisenhtittenbetrieb.  Hierauf  be- 
ztigliche  Ausdriicke,  wie  F  r i  s  c h  a r b  e i t,  Frischfeuer,  Frisehherd,  Frisch- 
metall,  Frischofen,  F ris chpr o cess  etc.,  s.  b.  Blei  I  pag.  569  und  bei 
Eisen  HI  pag.  22. 

Frischfeuer,  Frischherd  (forge  d'affinerie  —  refining-fire),  s.  Eisen- 
erzeugung III  pag.  22. 

Frischglatte  {litharge  conglomeree  —   hard  litharge),   s.  Blei  I  pag.   569. 

Frischluppe  (loupe  —  bloom),  s.  Frischen. 

Frischschlacke,  s.  b.  Eisen  III  pag.   22  u.  /.,  vgl.  a.  Schlacke. 

40* 


628  Frischstahl.  —  Fruchtole. 

FHschstahl  (acier  brut  —  rough  steel),  s.  Eisen  II  pag.  776  und  Eisen 
erzeugung  III  pag.  27. 

FriscllVOgel,  hiittenm.  Benennung  des  beim  Stahlfrischen  die  Gare  anzei- 
genden  Ansatzes  am  Schlackenspiesse. 

Frise,  Krausgespinnst,  s.  Leonische  Arbeit. 

Frisirmiihle,  Eatinirmaschine  (friseuse,  ratineuse),    ist  eine  Appretur- 

maschine  fur  den  Ratin,    ein  tuchartiges    Gewebe,    dessen    vorstehende   Harchen 

zu  kleinen  Knoten    mittelst    der  Ratinirmaschine  geballt  werden,   indem  das  Tuch 

-  einer  eigenthiimlichen  Reibung    ausgesetzt  wird.     Armengand   publ.    ind.    X.  366. 

FHsoletbander  sind  gekoperte  Seidenbander  ziemlich  schilechter  Qualitat, 
der  Schuss  ist  meist  Florettseide,  die  Kette  dasselbe  Materiale  oder  auch  nur 
Baumwolle. 

Frisoir,  eine  Punze  mit  ovaler  ebener  Flache  mit  regelmassigen  kleinen, 
halbkugeligen  Vertiefungen,  s.  Goldarbeiten,  s.  Graviren. 

Ff itte  (feretto  —  frit),  allgem.  Benennung  fur  Glassatz  oder  Schmelzsatz, 
s.  Glas,  vgl.  Email  III  pag.  264. 

Fritten  (fritter  —  to  frit),  in  der  Glasmacherkunst  das  Vorgliihen  der 
Glasmasse  bis  zur  beginnenden  Sinterung.  Im  Allgemeinen  das  Erhitzen  einer 
pulverformigen  Mischung  bis  zur  beginnenden  Erweichung  und  zum  oberflacblichen 
Aneinanderbaften  der  erweichten  Partikelchen.     Gil. 

Frittenporzellan,  s.  Thonwaaren  bei  Porzellan. 

Fr0SCh7  s.  Bottcberei  I  pag.  685. 

Frosche,  Hebedaumen,  Daumlinge  (cames,  poucets  —  arms,  knobs), 
vergl.  I  pag.  564,  Fig.  360. 

Frdsche,  s.  Feuerwerkerei  III  pag.  472. 

FrOStmaschinen,  s.  Eismascbinen  II  pag.   743. 

Frostmischungen,  s.  Kaltemischungen. 

Frottirapparat ,  Wiirgelapparat,  s.  Streicbgarnspinnerei  bei 
Vorspinnkrempel. 

Frottirstoff,  s.  Bade bandtiic her  I  pag.  271. 

Fmchtather,  Frucbtessenzen,  Fruchtole  (ether  de  fruit  —  essence  of 
fruits),  nennt  man  allgemein  gewisse,  meist  zusammengesetzte  Aether  (Ester), 
s.  Aether  I  pag.  50  oder  Gemenge  solcher  darstellende  Kunstprodukte,  welche 
einen  dem  Aroma  gewisser  Obstarten  ahnlichen  Geruch  zeigen,  oder  durch  Zusatze 
von  atherischen  Oelen  anzunehmen  vermogen.  Die  wichtigsten  dieser  Fruchtather 
sind  unter  dem  Namen  der  Fruchte7  deren  Geruch  sie  zeigen,  angefiihrt.     Gil. 

FruchtbranntweJn,  s.  Branntweinbrennerei  I  pag.   741. 

Fruchtessenzen,  s.  Fruchtather. 

Fruchtessige,  s.  Essig  III  pag.  293. 

Fruchtgneis,  Feldspathkorner  fuhrender  Fruchtschiefer,  s.  Fl  eckschiefer. 

Fruchtole,  s.  Fruchtather. 


Fruchtsaure.  —  Fuhrwerk.  629 

Fruchtsaure,  s.  m.  Aepfelsaure  I  pag.  49. 

FruchtSChiefer  is.  Flecks chiefer. 

Fruchtwein,  s.  Wein. 

Fruchtzucker,  Links  fruchtzu  eke  r,  Levulose,  s.  Zucker. 

Fuchsschwanz,   Fuchsschweif  (scie  a  madia  —  liand  saw),  s.  Sagen. 

FliChsiacin,  alt.  Benennung  fur  Fuchsin. 

Fuchsin,  s.  Theerfarbstoffe. 

Fuchsinsaure,  veralt.  Bezeichnung  fur  Fuchsin.  . 

Fuchsit,  ein  in  Tirol  vorkom mender,  durch  einen  geringen  Chromoxydgehalt 
(bis  4  Proc.)  schon  gras-  oder  smaragdgriin  gefarbter  Kaliglimmer.  Lb. 

Fuchsweizen,  s.  Wei z en. 

FllCOidensandstein,  ein  in  der  Kreide  im  Flysch  vorkommender  Sandstein 
mit  Resten  von  Meeresalgen  (Fucoiden). 

Fucusol,  Produkt  der  Destination  gewisser  Fucus-Arten  mit  verd.  Schwefel- 
saure,  ahnlich  dem  Furfur ol,  s.  d. 

Fllder  (fudcler),  Bezeichnung  fur  jene  Wagenladung  (Belastung),  welche 
zwei  Pferde  ziehen  kbnnen,   s.  Fuhrwerk e. 

Fiigen  (joindre  — -  jointing)  nennt  der  Tischler  das  Abhobeln  der  laugen 
Kanten  der  Bretter  (Dielen),  welche  Operation  mit  der  Fugbank  oder  des 
Fughobels  (s.  Hobel)  und  unter  Beihilfe  einfacher,  die  Bretter  hochkantig 
haltender  Gestelle,  der  Fiigebocke,  ausgefiihrt  wird.     Kk. 

Fiihlhebel,  s.  Messwerkzeuge. 

Fuhrung  (guide  —  guide),  die  Bezeichnung  eines  ruhenden  Maschinentheiles, 
welcher  einen  bewegten  zwingt,  eine  bestimmte  Bahn  zu  durchlaufen?  s.  Kine- 
m  a  t  i  k. 

FUllapparat,  s.  Flaschenfullapparat. 

Fullmasse,  s.  Zuckerfabrikation. 

Fiillofen,  s.  Oefen. 

Fullort  (recette  d'accrochage  —  pit-eye),  jener  erweiterte  Raum  in  Schachten 
und  Stollen,  wo  die  Fordergefasse  gefiillt  werden. 

Fiillung  (panneau  —  panel),  die  im  Material  schwacher  gehaltene  Aus- 
fiillung  eines  Rahmens,  s.  Thiiren,  ferner  bezeichnet  das  Wort  Fiillung 
(remplage  —  backing)  auch  die  Ausschiittnng  oder  Anfiillung  von  Hoblraumen, 
haufig  mit  solchem  Materiale,  welches  die  Warme  schlecht  leiten  soil. 

Fugbank,  s.  Bbttcherei  I  pag.  680. 

Fugenleiste,  Deckleiste,  ist  eine  schmale  Leiste  zur  Ueberdeckung  der  Fuge 
zwischen  Holzer,  oder  Holz  und  Stein.  Grohm. 

Fughobel  (houvet  —   long-plane),  s.  Hobel. 

Fuhrwerk  (voiture  —  carriage).  Allgemeine  Grundsatze.  Da  der 
Name  Fuhrwerk  bekanntlich  von  den  verschiedensten  Vorrichtungen  gebraucht 
wird,  so  ist  ausdriicklich  zu  bemerken,  dass  hier  darunter  nur  Karren  und  Wagen 
oder  zweiradrige  und  mehrradrige  Transportmittel  verstanden  werden  sollen.  Um 
von  der  zweckmassigen  Einrichtung  dieser  so  hbchst  wichtigen  Apparate  deutliche 


630  Fuhrwerke. 

Ansichten  zu  erwerben,  ist  es  erfordeiiich,  einige  Satze  voranznschicken,  welche  die 
Physik  und  Mechanik  bei  der  Lehre  von  der  Reibung  naher  entwickeln  und  beweisen. 

Zwei  feste  Korper,  welche  mit  ihren  Oberflachen  und  einem  gegenseitigen  Drucke  an 
eiuander  herbewegt  werden,  zeigen  —  unabhangig  von  alien  sonstigen  Verhaltnissen  —  einen 
Widerstand  gegen  die  Bewegung,  welcher  mit  dem  Namen  Reibung  oder  Friction  belegt 
wird.  Wenn  die  Theile  der  Flache  in  Bewegung  gerathen,  so  hat  jeder  Punkt  eine  augen- 
blickliche  Richtung,  die  normal  gegen  das  Perpendikel  der  gemeinschaftlichen  Beriihrungs- 
Ebene  gerichtet  ist,  und  die  Richtung  der  Kraft,  welche  irgend  einen  Punkt  wirklich  forttreibt, 
muss  ebenfalls  rechtwinklig  gegen  die  Richtung  des  gegenseitigen  Druckes  gestellt  sein.  Die 
Reibung  als  Widerstand  gegen  die  Bewegung  ist  langs  der  Oberflache  der  Richtung  der  Be- 
wegung stets  gerad^inig  entgegengesetzt,  und  also  auch  rechtwinklig  auf  die  Richtung  des 
Druckes.  Neben  der  Reibung  ist  nun  in  manchen  Fallen  die  Anhaftung  oder  Adhasion  der 
bewegten  Flachen  wesentlich  mit  zu  beriicksichtigen ;  zunachst  soil  indessen  davon  abge- 
sehen  werden. 

Man  unterscheidet  zwei  Arten  von  Reibung,  namlich:  gleitende  und  walzende.  Gleitende 
Reibung  findet  statt,  wenn  verschiedene  Theile  des  einen  Korpers  mit  demselben  Theile  des 
andern  allmalig  in  Bertihrung  kommen.  Man  pflegt  dabei  noch  schiebende  und  drehende 
Reibung  zu  unterscheiden ;  erstere  zeigt  sich  bei  dem  eiufachen  Fortschieben  eines  Korpers 
auf  einer  Unterlage ;  letztere  bei  dem  Bewegen  eines  Zapfens  in  seiner  Pfanne.  Bei  der  wal- 
zenden  Reibung,  wie  sie  sich  z.  B.  bei  dem  Fortrollen  einer  Walze  zeigt,  treten  allmalig  von 
beiden  Flachen  verschiedene  Theile  mit  einander  in  Beriihnmg. 

Als  Ursache  der  Reibung  erkennt  man  die  natiirliche  Rauhigkeit  der  korperlichen  Ober- 
fiachen, welche  durch  Poliren  und  andere  Mittel  zwar  bis  zu  einem  gewissen  Grade  vermindert, 
jedoch  nie  ganz  beseitigt  werden  kann.  Es  gibt  fiir  diese  Rauhigkeit  keinen  Massstab,  sondern 
sie  lasst  sich  nur  in  ihrer  Wirkung  durch  Yergleichung  mit  anderen  Zustanden  derselben  Art 
auffassen.  Im  Allgemeinen  zeigen  gleichartige  Korper  starkere  Reibungen  gegen  einander  als 
verschiedenartige,  und  es  erklart  sich  diese  Thatsache  sehr  einfach  daraus,  dass  bei  der  ersteren 
die  gegenseitigen  kleinsten  Erhabenheiten  und  Vertiefungen  mehr  und  gleichmassiger  in  ein- 
ander greifen  und  passen,  als  dies  bei  verschiedenartigen  Korpern  der  Fall  sein  kann.  Eine 
kohere  Temperatur,  wie  sie  besonders  durch  Reibung  selbst  eintreten  kann,  vermehrt  den 
Widerstand  oft  sehr  bedeutend. 

Als  wesentlich e  Satze,  welche  die  Erfolge  der  Reibung  darlegen,  kann  man  die  nach- 
stehenden  ansehen : 

a)  Die  Grosse  der  Reibung  ist,  unter  sonst  gleichen  Umstanden,  dem  Drucke  propor- 
tional, mit  welchem  die  Flachen  an  einander  herbewegt  werden. 

b)  Bei  gleichem  Drucke  ist  die  Grosse  der  Reibung  unabhangig  von  der  Ausdebnung 
der  sich  reibenden  Flachen,  vorausgesetzt  jedocli,  dass  diese  nicht  bis  zu  einer  einschneidenden 
Kante  oder  Spitze  verkleinert  sind.  Diese  sehr  wichtige  Thatsache  findet  ihre  Erklarung 
darin,  dass  bei  Vergrosserung  der  Flache  der  Druck  in  entsprechendem  Masse  an  jeder  Stelle 
abninnnt,  daher  die  gegenseitigen  Rauhigkeiten  nicht  mehr  so  stark  wie  friiher  in  einander 
greifen  konnen;  und  dass  bei  Korpern,  deren  Theile  in  starrer  Verbindung  stehen,  das  Auf- 
heben  und  Bewegen  einer  Stelle  das  gleichzeitige  Loslassen  aller  anderen  herbeifiihrt  und 
bedingt. 

c)  Die  Reibung,  um  aus  der  Ruhe  in  Bewegung  iiberzugehen,  ist  grosser  als  diejenige, 
welche  wa'krend  der  Bewegung  wahrgenommen  wird.  Die  Zeiten,  welche  bei  ruhenden  Korpern 
verfliessen,  ehe  sich  der  grosste  Werth  des  Reibungswiderstandes  zeigen  kann,  sind  ubrigens 
so  verschieden,  dass  eine  allgemeine  Angabe  nicht  moglich  ist. 

d)  Gleitende  Reibung  zeigt  einen  ungleich  grosseren  Widerstand  als  walzende,  welches 
sich  leicht  daraus  erklart,  dass  bei  letzterer  ein  hebelartiges  Losheben  der  sich  beriihrenden 
Theile  stattfindet,  welches  bei  ersterer  offenbar  nicht  eintreten  kann;  vielmehr  erfordert  diese, 
um  die  Bewegung  eintreten  zu  lassen,  haufig  ein  gewaltsames  Abbrechen  und  Umbiegen  der 
widerstehenden  Theile. 

e)  Die  verschiedenen  Geschwindigkeiten  wahrend  der  Bewegung  zeigen  nur  einen  un- 
merklichen  Einfluss  auf  die  Grosse  der  Reibung. 

Man  ist  iibereingekommen,  den  Werth  oder  den  Widerstand  der  Reibung  durch  einen 
Bruch  auszudrueken,  dessen  Nenner   den  jedesmaligen   Druck   angibt,   womit   die   Flachen  an 


Fuhrwerke. 


631 


einander  gepresst  sind,  und  dessen  Zahler  denjenigen  verhaltnissmassigen  Theil  dieses  Druckes 
darlegt,  welcher  als  bewegende  Kraft  angewendet  werden  musste,  um  die  Bewegung  eintreten 
zu  lassen  oder  zu  erhalten.  Diese  Zahlen,  welche  durch  umfassende  Erfahrungen  ia  jedera 
besonderen  Falle  festgestellt  worden  sind,  werden  Reibungs-Coefficienten  oder  Rei- 
bungsfactoren  genannt.  So  wiirde  z.  B.  der  Reibungs-Coefficient  '/,  andeuten,  dass  bei 
zwei  reibenden  Korpern,  denen  diese  Zahl  angehort,  jedesmal  der  vierte  Theil  des  stattfin- 
denden  Druckes  als  Kraft  verwendet  werden  miisse,  um  die  Reibung  zu  iiberwinden.  Natiirlich 
sind  jedoch  alle  Werthe,  die  auf  diese  Weise  gefunden  und  in  Tabellen  niedergelegt  sind, 
nur  Mittelzahlen,  welche  innerhalb  gewisser  Grenzen  "einen  geniigenden  Grad  von  Zuverlassig- 
keit  fiir  die  Ausiibung  darbieten,  ohne  auf  absolute  Genauigkeit  Anspruch  zu  machen,  wie 
sich  dies  wegen  der  grossen  Abweichung  in  der  natiirlichen  Beschaffenheit  von  solchen  Sub- 
stanzen  derselben  Art,  wie  sie  hier  vorkommen,  zum  Voraus  denken  lasst. 

Ohne  in  Einzelheiten  iiber  die  Auffindung  der  Reibungs-Coefficienten  einzugehen,  kann 
man  folgende  als  die  wichtigsten  Mittelzahlen  bemerken: 

I.  Gleitende  Reibung  der  Ruhe. 

1.  Schiebende  Reibung,  zunachst  in  trockenem  Zustande. 

Eichen  auf  Eichen  3/7 ;  Kiefer  auf  Kiefer  7/|4;  Ulmen  auf  Ulmen  6/(3 !  Eichen  auf  Kiefer 
V3 ;  Eichen  auf  Guajak  Vl0;  Eisen  auf  Eisen  2/7 ;  Kupfer  auf  Eisen  3/7 ;  Eisen  auf  Eichen  l/s ; 
Kupfer  auf  Eichen  2/rr  >  Messing  auf  Eisen  4/t6. 

Mit  Talg  geschmiert  ergaben  sich  folgende  Zahlen: 

Eichen  auf  Eichen  V5 ;  Kupfer  auf  Eisen   i/10 ;  Eisen  auf  Eichen  J/l2. 

2.  Drehende  Reibung. 

Kupfer  auf  Eisen  (trockenj  2/u  ;  mit  Talg  geschmiert  \/tl ;  Eisen  auf  Guajak  (trocken)  VIS  ; 
mit  Talg  geschmiert  1/.l0. 

II.  Gleitende  Reibung  der  Bewegung. 

1    Schiebende  Reibung,  trocken. 

Eichen  auf  Eichen  %  ;  Kiefer  auf  Kiefer  l/6 ;  Ulmen  auf  Ulmen  V]  o  !  Eisen  auf  Eisen  a/7 ; 
Kupfer  auf  Eisen   J/6 ;  Eisen  auf  Eichen    '/6 ;  Kupfer  auf  Eichen    V,  2. 

Mit  Talg  geschmiert: 

Eichen  auf  Eichen  7,7 ;  Eisen  auf  Eisen  V,  0  ;  Kupfer  auf  Eisen  Vn  ;  Eisen  auf  Eichen  '/25 ; 
Kupfer  auf  Eichen   V,,. 

2.  Drehende  oder  Zapfen-Reibung  nach  Morin. 


A  n  g  a  b  e 

der 

sich  reibenden  Korper 

Zustand  der  Reibungsflachen  und 

Gattung 

der  Schmieren 

'£ 

6 

a 
J  .SP 

2  -| 

J* 

CD 

•i 

•43    a 
Em 

Oel,  Talg  oder 
Schweinefett 

Sj  5 

'M  -2  S3 

•  s  J 

<U    «    <r. 

02 

1  it 
.a  0 

■S  "a 

CO 

_bp 

0 

a 

8>.g 
< 

?    g 
'od  Is 

Bronze  auf  Bronze  .     .     . 

_ 

_ 

0.097 

__ 



Gusseisen  auf  Bronze    . 

—  • 

— 

— 

0.049 

— 

— 

— 

Schmiedeisen  auf  Bronze  . 

0.251 

0.189 

0.075 

0.054 

0.090 

0.111 

- 

Schmiedeisen  auf  Gusseisen 

— 

— 

0.075 

0.054 

— 

— 

Gusseisen  auf  Gusseisen  . 

— 

0.137 

0.075 

0.054 

— 

— 

0.137 

Gusseisen  auf  Bronze  . 

0.194 

0.161 

0.075 

0.054 

0.065 

— 

0.10(3 

Desgleichen  auf  Guajakholz 

0185 

— 

0.100 

0.092 

— 

0.109 

0.140 

Guajakholz  auf  Guajakholz 

1 

— 

— 

— 

0.070 

— 

" 

~ 

Hieraus  folgt  insbesondere  fiir  die  Praxis,  dass  es  ganz  gleichgiltig  ist.  sobald  man 
nur  sorgfaltig  schmiert,  ob  Zapfen  aus  Schmiede-  oder  Gusseisen  auf  Lagern  (Pfaunen)  aus 
Gusseisen  oder  Bronze  laufen,  natiirlich  ubrigens  dieselben  Umstande,  namentlich  gute  Bear- 
tung  der  Zapfen,  vorausgesetzt. 


632  Fuhrwerke. 

Der  Widerstand  der  Adhasion,  welcher  haufig  ausser  der  Reibung  stattfmdet,  wachst 
im  geraden  Verhaltnisse  mit  den  anhaftenden  Flachen  und  scheint  vom  Drucke  unabhangig 
zu  sein;  er  ist  im  Allgemeinen  und  vergleichungsweise  so  gering,  dass  er  bei  bedeutenden 
Eeibungen,  mit  denen  derselbe  verbunden  erscheint,  vernachlassigt  werden  kann.  Es  ist  zu 
bemerken,  dass  die  benutzten  Oberflachen  der  Korper  bei  alien  Versuchen  moglichst  polirt 
waren,  und  dass  bei  der  Verwendung  von  fettigen  Substanzen,  wie  Talg  oder  Oel,  unter  dem 
Naraen  von  Schmiere,  die  dadurch  eintretende,  oft  sehr  bedeutende  Abnahme  der  Reibung  ganz 
einfach  dessbalb  erfolgt,  weil  durch  dies  Zwischenmittel  ein  mehr  oder  weniger  vollstandiges 
Ausfiillen  der  natiirlichen  Unebenheiten  zu  Wege  gebracbt  wird.  Aucb  der  Erfolg  dieses 
Mittels  ist  nach  Beschaffenheit  derjenigen  Substanzen,  wobei  es  benutzt  wird,  schr  verschieden, 
und  es  muss  von  ihm  nie  mehr  verwendet  werden,  als  durchaus  noting  ist. . 

Es  zeigt  sich  ferner  aus  Obigem,  dass  zwar  einige  harte  Holzer  noch  geringere  Reibung 
geben  als  manche  Metalle;  allein  wegen  der  ungleich  grosseren  Festigkeit  und  Dauer  der 
Letzteren  werden  sie  dennoch  zu  Maschinentheilen  und  auderen  Apparaten  meistens  vor- 
gezogen. 

Die  walzende  Reibung  zeigt  sich  stets  ungleich  geringer  als  die  gleitende,  sie  steht  bei 
den  namlichen  Korpern  im  geraden  Verhaltnisse  des  Druckes  und  im  umgekehrten  Verhalt- 
nisse mit  den  Halbmessern  oder  Durchmessern  der  Walzen,  so  dass  mithin  eine  ganz  so  ein- 
fache  Bestimmung  durch  Coefficienten  wie  bei  der  gleitenden  Reibung  nicht  thunlich  ist.  Eine 
Walze  von  l50mm  Durchmesser  von  Guajak  auf  eichener  Unterlage  erfordert  bei  100  Kilo 
Belastung  nur  0.3  Kilo  zur  Bewegung;  eine  von  50mm,  also  dreimal  so  viel,  u.  s.  w.  Eine 
Walze  von  150mm  Durchmesser  von  Ulmen  auf  Eichen  bei  1000  Kilo  Belastung  wurde  durch 
5  Kilo  Kraft  in  Bewegung  gesetzt;  und  aus  diesen  Angaben  litsst  sich  durch  einfache  Rech- 
nung  die  entsprechende  Fortsetzung  finden,  wobei  natiirlich  Alles  auf  dieselben  Einheiten 
bezogen  werden  muss.  Bezeichnet  man  die  Belastungen  durch  Qund  9S  die  Halbmesser  durch 
R  und  r  und  die  Widerstande  durch  W  und  w,  so  muss  dem  Vorigen  zufolge  nachstehendes 
Gesetz  iiber  die  walzende  Reibung  stattfinden: 

w         -    Q         q 
w  .  w  -  _  .  __ 

wr 

Setzt  man  hier  w,  a  und  r  als  durch  Versuche  bekannt  voraus  und  bezeichnet    mit  q,  so 

q 

wird  (p  der  Coefficient  der  wiilzendeii  Reibung  genannt,  und  die  Kraft    W  zur  Ueberwindung 

der  walzenden  Reibung  kann  durch  die  Formel  bestimmt  werden: 

Q 

Wird  E  in  preussischen  Zollen  und  Q  in  preussischen  Pfunden  ausgedriickt,  so  ist  nach 

sorgfaltigen  Versuchen : 

q  —  0.0184  for  Walzen  aus  Pockholz       i 

a  A.m  ,t,        i.  i      }  nach  Coulomb. 

q  ~  0.0311     „  „  „     Ulmenholz    t 

Fiir  gusseiserne  Rader  von  520mui  Durchmesser,  welche   auf  eisernen  Schienen  laufen: 

q  —  0.0178  nach  Weisbach  in  Freiberg. 

q<  ~  0.0187  nach  Rittinger  in  Schemnitz. 

Endlich    fand    Pambour   fiir    Eisenriider    von    circa     lm    Hohe    auf    schmiedeisernen 

Schienen: 

q   —  0.019  bis  0.021. 

Q 

Bei  der  Formel    W  ~  q     -pr  wird  vorausgesetzt,    dass    die  Kraft   W  zum  Ueberwinden 

des  Reibungswiderstandes  mit  einem  dem  Walzenhalbmesser  gleichen  Hebelarm  wirke .  und 
daher  mit  der  Walze  einerlei  Weg  zuriicklege;  wirkt  sonach  diese  Kraft  an  einem  Hebelarme 
2  B,  so  ist  auch  der  zuruckgelegte  Weg  doppelt  so  gross  und  die  Reibung  unter  sonst  gleichen 
Umstanden  nur  halb  so  gross:  d.  h. 

_^ 
2E 

Die  liauptsachlichste  und  entscheidende  Bestrebung  bei  der  Einricbtung  aller 
Transportmittel  ist  bekahntlich  dabin  gerichtet,  die  Widerstande  gegen  die  Bewe- 
gung so  unbedeutend  wie  moglich  zu  macben,  und  abgeseben  von  der.  Beschaffen- 


W'  —  q  - 


Fuhrwerke.  633 

heit  der  Wege  und  sonstigen  Hindernisse,  besteht  das  vorziiglichste  Mittel,  jenen 
Zweck  zu  erreichen,  in  der  Verminderung  der  Reibung.  Weil  nun  die  walzende 
Reibung  so  ausserst  viel  geringer  ist  als  die  gleitende,  so  liegt  die  Idee  selir 
nahe,  wo  moglich  durcb  eine  Umanderung  der  letzteren  in  die  erstere  sicb  dem 
vorgesteckten  Ziele  zu  nahern,  und  es  bat  nicht  an  vielfacben  Vorschlagen  gefehlt, 
wie  man  geradezu  jene  Umanderung  bevvirken  konnte.  Allein  die  bis  jetzt  bekannt 
gewordenen  Erfindungen  dieser  Art  waren  entweder  ganz  unpraktisch,  oder  ihre 
Anwendungsfakigkeit  ist  auf  einzelne  so  seltene  Falle  beschrankt,  dass  eine  Be- 
nutzung  im  Grossen  davon  nie  zu  erwarten  steht.  Untergelegte  Walzen  unter  den 
fortzuscbaffenden  Lasten  sind  ein  allbekanntes  Mittel,  welcbes  nur  fur  kleine 
Strecken  braucbbar  ist.  Raderwerke,  cleren  Zapfen  selbst  wieder  auf  dem  Umfange 
anderer  Rader  liegen,  sogenannte  Frictionsrollen,  eignen  sich  nur  fur  geringe 
Belastungen  und  sind  leicht  zerbrechlicb  u.  s.  w.  Es  bleibt  daher  fiir  jetzt  nichts 
iibrig,  als  denjenigen  Mechanisrnus  kennen  zu  lernen  und  darzulegen,  der  seit 
Jahrtausenden  schon  zu  diesem  Zwecke  benutzt  ist,  namlich  die  Fortscbaffung  der 
Lasten  durcb  Achse  und  Rad.  Er  iibertragt  die  schiebende  Reibung  in  eine  dre- 
hende  am  Umfange  der  Achse,  und  in  eine  walzende  am  Umfange  des  Rades. 
Dabei  ist  es  zunachst  gleichgiltig,  ob  die  Achse  mit  dem  Rade  sich  in  einer 
Unterlage  dreht  oder,  wie  es  gewohnlicher  ist,  urn  die  unbewegliche  feste  Achse 
sich  das  Rad  allein  dreht. 

Gelegentlich  mag  hier  angefiihrt  werden,  dass  die  grossartigste  Vermin- 
derung  der  Reibung,  welche  bekannt  geworden  ist,  diejenige  sein  diirfte,  wodurch 
der  Granitblock  transportirt  wurde,  auf  welchem  die  Bildsaule  Peters  des  Grossen 
in  Petersburg  steht.  Der  Block  wog  liber  iy2  Mill.  Kilogramm  und  wurde  auf 
metallenen  Kugeln  fortgeschafft,  so  dass  mit  Anwendung  anderer  mechanischer 
Vorrichtungen  die  gewohnliche  Kraft  zum  Bewegen  einer  so  ausserordentlichen 
Last  dennoch  kaum  1000  Kilo  zu  betragen  brauchte. 

Wenn  man  sich  eine  Schleife  mit  ihrer  Belastung  auf  Walzen  gelegt  denkt, 
und  diese  Walzen  durcb  die  Ausfuhrung  als  Rader  bleibend  macht,  so  hat  man 
hierin  die  erste  und  allgemeine  Vorstellung  des  Wagengestelles.  Zweiradrige 
Fuhrwerke  heissen  bekanntlich  Karren,  vierradrige  Wag  en;  Gestelle  mit  mehr 
als  vier  Radern  kommen  nur  ausnahmsweise  vor  und  verdienen  hier  keine  besondere 
Beriicksicktigung. 

Als  Grundlage  der  ganzen  Betrachtung  sind  natiirlich  die  Verhaltnisse  an 
ein  em  Rad  anzusehen,  und  ts  dienen  zu  ihrer  Bestimmung,  so  weit  dies  ohne 
tieferes  mathematisch.es  Eingehen  thunlich  ist,  die  nachstehenden  Satze. 

Eine  oberflachliche  Kenntniss  der  Theile  eines  Rades  und  ihrer  Namen  darf 
dabei  als  gelaufig  vorausgesetzt  werden. 

Man  denke  oder  zeichne  sich  als  Darstellnng  des  Rades  einen  Kreis  auf 
horizontaler  Grundlinie,  und  urn  seinen  Mittelpunkt  einen  zweiten  verhaltnissmassig 
kleinen  Kreis  als  Angabe  des  Achsschenkels  oder  der  OefFnung  der  Nabe.  Im 
ruhenden  Zustande  pflanzt  sich  der  Druck  der  Belastung,  die  auf  der  Achse  liegt, 
in  senkreehter  Richtung  von  der  Achse  gegen  die  Nabe  und  am  Umfange  des 
Rades  gegen  den  Erdboden  oder  die  sonstige  Unterlage  fort.  Es  werde  eine 
horizontale  Zugkraft  angenommen,  deren  Angriffspunkt  die  Mitte  der  Achse  ist, 
und  man  fragt  zunachst  nach  den  Bedingungen  des  Gleichgewichtes  zwischen 
Kraft  und  Widerstand.  Nun  leuchtet  ein,  dass  der  Widerstand  am  Umfange  des 
Rades  als  eine  nach  riickwarts  gestellte  Kraft  anzusehen  ist,  deren  Ueberwindung 
nothwendig  mit  einem  gleichzeitigen  Vorriicken  der  Achse  oder  einer  eben  solchen 
Riickwartsdrehung  des  Rades  verbunden  sein  muss.  Denn  wenn  auf  glatten 
Bahnen  dieser  Widerstand  am  Umfange  fehlt,  so  dreht  sich  bekanntlich  das  Rad 
nicht,  sondern  es  entsteht  so  lange  eine  bloss  fortschleifende  Bewegung.  Alle 
Verhaltnisse  also,  welche  sich  der  Umdrehung  des  Rades  widersetzen,  sind  in 
demselben  Sinne  Hindernisse  des  Fortriickens,  und  umgekehrt.  Als  erster  Wider- 
stand  gegen  die  Drehung  des  Rades  erscheint  nun  nothwendig  diejenige  Reibung 
am  Umfange  der  Achse,  welche  als  drehende  Reibung  nicht  allein  einen  bestimmten 


634  Fuhrwerke. 

Zahlenausdruck  zum  Reibungs-Coefficienten  hat,  sondern  auch  an  einem  H eb el- 
arm  e  wirksam  ist,  welcher  mit  dem  Halbmesser  der  Achse  iibereinstimmt.  Bei 
einem  und  dem  namlichen  Werthe  der  unmittelbaren  Reibung  steht  also,  nach 
bekannten  Satzen,  der  Erfolg  derselben,  d.  h.  hier  der  Widerstand  gegen  die 
drehende  Bewegung,  in  geradem  Verhaltnisse  mit  dem  Halbmesser  oder  Durch- 
messer  der  Achse.  Es  wird  daher,  wenn  alles  Uebrige  unverandert  bleibt,  der 
Widerstand  in  demselben  Masse  wachsen,  wie  die  Achse  dicker  wird.  Sodann 
ist  als  Folge  des  iibertragenen  Druckes,  wie  schon  erwaknt,  ein  riickwarts  ge- 
stellter  Widerstand  am  Umfange  des  Rades  zu  beriicksichtigen.  Zu  seiner  Ueber- 
windung,  nm  die  Drehung  zu  bewirken,  hat  die  Zugkraft,  wie  leicht  zu  ersehen, 
einen  Hebelarm,  welcher  dem  Halbmesser  des  Rades  entspricht,  und  die  Bewalti- 
gung  muss  daher  um  so  leichter  erfolgen,  je  grosser  dieser  Halbmesser  ange- 
nommen  war. 

Es  sind  also  fur  jetzt  die  beiden  Momente  des  Widerstandes,  welche  hier 
in  Betracht  kommen,  um  so  leichter  zu  uberwinden,  je  kleiner  der  Hebelarm  der 
drehenden  Reibung  an  der  Achse,  d.  h.  je  diinner  der  Schenkel  ist,  und  auf  der 
anderen  Seite  je  grosser  der  Hebelarm  der  Zugkraft,  d.  h.  der  Halbmesser  oder 
auch  die  Hbhe  des  Rades  ausgefiihrt  wurde.  In  diesen  hbchst  einfachen  Begriffen 
liegt  die  theoretische  Entwicklung  ausgesprochen,  wenn  man  eine  vollstandige 
mathematische  Darlegung  vermeiden  will,  und  es  darf  dies  um  so  melir  geschehen, 
als  es  sich  bald  zeigen  wird,  dass  die  mathematisch  nachzuweisenden  Verhaltnisse 
des  Widerstandes  und  die  Gesetze  des  Gleichgewichts  keineswegs  diejenigen  sind, 
welche  im  wirklichen  Gebrauche  entscheiden.  Wenn  also  auch  die  vorstehende 
Erorterung  nicht  auf  strenge  Begrundung  Anspruch  machen  kann,  so  behalt  sie 
dennoch  als  Resultat  die  namliche  Wichtigkeit,  welche  einer  weit  ausgedehnteren 
Untersuchung  zukommen  konnte.  Dabei  ist  auch  noch  der  Einfluss  der  walzenden 
Reibung  am  Umfange  des  Rades  vernachlassigt,  welches  um  so  eher  zu  rechtfer- 
tigen  ist,  da  derselbe  vergleichungsweise  zu  den  weit  grosseren  Widerstanden, 
die  sich  noch  nachweisen  lassen,  in  der  That  als  unbedeutend  erscheint.  Be- 
zeichnet  man  den  Halbmesser  des  Rades  mit  R,  den  der  Achse  mit  r,  die  Bela- 
stung  mit  Q  und  den  unmitielbaren  ReibungscoefFicienten  am  Umfange  der  Achse 
oder    des    Schenkels    mit  /,    so    findet    sich  fiir  den  Fall  des  Gleichgewichtes  die 

Zugkraft    K  —  f  — .     Q,    worin    die    vorhin    entwickelten    Beziehungen    einfach 

ausgesprochen  sind.  Es  sei  z.  B.  die  Belastung  2500  Kilo  =  Q;  Halbmesser 
des  Rades  R  =:  lm  ;  Halbmesser  der  Achse  r  —  50mm  und  der  Reibungs- 
coefficient  /  m  '/s;  so  fande  sich  auf  diesem  Wege  eine  Zugkraft  K  —  7s 
50/1000  .  2500  z=z  30  Kilo,  und  so  in  alien  ahnlichen  Fallen. 

Eine  vollstandige  Theorie  muss  mit  einer  genauen  Erfahrung  nothwendig 
und  von  selbst  ubereinstimmen.  Nur  freilich  ist  die  Gewinnung  der  letzteren 
haufig  ebenso  schwierig,  wie  die  Entwickelung  der  ersteren,  und  wenn  einseitige 
Empirie  mit  gelehrter  Einseitigkeit  in  Zusammenstoss  gerath,  so  ist  eine  ver- 
standige  Ausgleichung  nicht  fiiglich  zu  erwarten.  Diese  Bemerkung  gilt  in  beson- 
derem  Grade  von  manchen  Einrichtungen  der  Fuhrwerke,  bei  denen  fast  niemals 
eine  erwagende  Theorie  dem  arbeitenden  Handwerker  zu  Hiilfe  gekommen  ist. 
Wer  z.  B.  die  eben  vorstehenden  Zahlen  naher  betrachtet,  wird  leicht  erkennen, 
dass  kein  Rad  mit  soldier  Belastung  durch  eine  so  winzige  Kraft  bewegt  oder 
auch  nur  in  den  Zustand  des  Gleichgewichts  versetzt  werden  konnte.  Und  in 
der  That  sind  in  den  friiheren  Herleitungen  sehr  wesentliche  Umstande  ausser 
Acht  gelassen,  welche  fur  die  Anwendung  den  entschiedensten  Einfluss  geltend 
machen.  Hierher  gehbrt  zuerst  die  Vertheilung  der  Last  auf  wenigstens  zwei 
Rader,  wodurch  zwar  rein  theoretisch  Xichts  geandert  wird,  desto  mehr  aber  in 
einzelnen  Fallen  des  wirklichen  Gebrauches. 

Sodann  aber  bewirkt  die  Beschaffenheit  der  gewohnlichen  Wege  und  die 
Construction  der  Achse  (wovon  spater  die  Rede  sein  wird),  dass  fast  ununter- 
brochen  Reibungen  an  der  Seite  der  Radfelgen,    so    wie   an    der  Mittelachse  oder 


Fuhrwerke.  635 

am  Liinz  stattfinden,  welche  unfehlbar  viel  grossere  Widerstande  gegen  die  Be- 
wegung  hervorrufen,  als  es  die  bisher  erorterten  Beziehungen  thun  konnten,  und 
in  diesen  stets  einwirkenden,  aber  audi  stets  veranderlichen  Hindernissen  liegt 
bei  Weitem  der  Hauptgrund  fiir  die  wirkliche  Grosse  der  Zugkrafte,  wie  die  Er- 
fahrung  sie  fordert. 

Ferner  sollte  die  Zugkraft,  wie  sie  durch  die  Reibung  bedingt  wird,  sich 
verhalten  wie  die  Quotienten,  welche  erscheinen,  wenn  man  die  Halbmesser  der 
Schenkel  (Achsenzapfen)  durch  die  Halbmesser  der  Rader  dividirt.  Aber  diese 
Behauptung  ist  nur  rein  mathematisch,  nicht  physikalisch  richtig.  Denn  bei  zu 
diinnen  Schenkeln  entstehen  nothwendig  Biegungen  und  dadurch  Klemmungen  von 
dem  nachtheiligsten  Einflusse,  und  bei  zu  hohen  Radern  wiirde  die  Anbringung 
der  Zugkrafte  durch  die  Lage  der  Strange  nur  unvortheilhaft  geschehen  konnen. 
Endlich  aber  ist  wohl  zu  beriicksichtigen,  dass  ein  moglichst  hoher  Grad  von 
Beweglichkeit  geradezu  nur  auf  horizontalem  festen  Boden  von  unbedingtem  Xutzen 
sein  kann;  dass  aber  bei  solchen  Verhaltnissen  des  Bodens  und  der  Wege,  wo 
ein  Streben  des  Fuhrwerkes  sich  riickwarts  zu  bewegen  eintritt,  der  hochste 
Grad  von  leichter  Beweglichkeit  schon  dadurch  zum  Theil  aufgehoben  und  nutzlos 
gemacht  wird.  Nun  aber  bieten  alle  gewohnlichen  Wege  eine  zusammenhangende 
Kette  von  Erhabenheiten  und  Vertiefungen  dar,  jeder  tiefsandige  oder  weiche 
Weg  bildet  vor  dem  Rade  eine  augenblicklich  entstehende  und  wieder  nieder- 
zudriickende  Erhohung,  wodurch  es  dann  sehr  begreiflich  wird,  dass  die  moglichst 
diinnen  Schenkel  im  wirklichen  Gebrauche  keineswegs  sich  so  giinstig  zeigen,  wie 
es  theoretisch  der  Fall  sein  sollte. 

Fur  eine  zweckmassige  Anordnung  der  Theile  des  Gestelles  der  Fuhrwerke 
miissen  nun  noch  verschiedene  einzelne  Umstande  naher  erortert  werden,  durch 
deren  Auffassung  demnachst  das  Urtheil  geleitet  und  bestimmt  werden  muss. 

1.  Verhaltnisse  beim  Aufwartsfahren. 

So  lange  die  Bewegungen  auf  einer  horizontalen  Ebene  erfolgen,  hat  die  Zugkraft  keine 
anderen  "Widerstande  zu  iiberwinden,  als  die  bisber  verhandelt  wurden.  Wenn  aber  das  Fuhr- 
werk  bergan  fahren  soil,  so  tritt  die  Schwerkraft  als  neues  Hinderniss,  das  mit  iiberwunden 
werden  muss,  hinzu.  Dieser  Einfluss  wird  gefunden,  wenn  man  das  ganze  Gewicht  der  Be- 
lastung  und  des  Gestells  mit  der  Sinuszahl  des  Neigungswinkels  multiplieirt.  Bei  einem 
Ansteigen  um  10  Grad  ist  jene  Zahl  0.1736;  und  wenn  also  das  Gesammtgewicht  5800  Kilo 
betragt,  so  entsteht  dadurch  ein  neuer  Widerstand,  welcher  die  erhebliche  Grosse  von 
0.1736  X  5800  Kilo  —  1006  Kilo  besitzen  wird.  Man  kann  hieraus  leicht  ermessen,  welchen 
bedeutenden  Einfluss  aucb  die  geringern  Steigungsverhaltnisse  der  Wege  auf  die  Vermehrung 
der  Zugkrafte  haben.  Etwas  ganz  Aehnliches,  nur  nicht  so  leicht  darzulegen,  findet  in  san- 
digen  und  tiefen  Wegen  statt,  wo  die  Reibung  an  der  Seite  der  Radfelgen  noch  binzukommt. 
Daraus  folgt  sehr  deutlich,  wie  ganz  ausserordentlich  die  Krafte  der  Zugthiere  und  diese  selbst 
geschont  werden,  wenn  die  Beschaffenheit  der  Wege  in  dieser  Hinsicht  zweckmassig  ange- 
ordnet  und  erhalten  wird.  Fiir  das  Bergabfahren  miisste  eine  ebenso  grosse  Kraft  als  Hem- 
mung  entgegen  treten,  wenn  nicht  die  Grosse  der  Eeibung  als  vortbeilhaft  hier  einwirkte  und 
eine  Verminderung  zuliesse.  Bei  zweiradrigem  Fuhrwerke  zeigt  sich  beim  Bergabfahren  noch 
ein  anderer  Uebelstand,  der  spater  naher  erortert  werden  muss. 

2.  Uebersteigen  von  Hindernissen  auf  dem  Wege. 

Ein  festes  Hinderniss,  welches  sich  auf  dem  Wege  des  Rades  vorfindet,  verlangt  ein 
wirkliches  Drehen  und  theilweises  Heben  der  Last  um  die  zunachst  getroffene  Kante  desselben. 
Wenn  man  von  dem  Mittelpunkte  des  Rades  nach  dieser  Kante  einen  Halbmesser  zieht  \m& 
den  Winkel  angibt,  den  derselbe  mit  der  senkrechten  Richtung  einschliesst,  so  zeigt  eine 
leichte  Betrachtung,  dass  der  so  entspringende  Widerstand  gefunden  wird,  iudem  man  das 
Gesammtgewicht  mit  der  Tangentenzahl  dieses  Winkels  multiplieirt.  Ist  z.  B.  der  Halbmesser 
des  Rades  lm  Und  die  Hohe  eines  Hindernisses  '/6m  ,  so  betragt  jener  Winkel  33  Grad,  und 
seine  Tangente  0.6494;  bei  einem  Gesammtgewichte  von  5S00  Kilo  ergibt  also  dieser  Wider- 
stand  den  sehr  bedeutenden  Werth  von  5800  X  0.6494  —  3766  Kilo.  Ware  der  Winkel 
45  Grad,  so  wiirde  bereits  die  Zugkraft  der  ganzen  Last  gleich  sein  miissen.  Man  erkennt 
sofort,    dass   bohere   Rader  jenen   Winkel   bei   sonst   gleichen   Hindernissen   vermindern,    also 


636  Fuhrwerke. 

einen  viel  leichteren  Gang  geben;  auch  ersieht  man  eben  so  leicht,  dass  selbst  unbedeutend 
scheinende  Hindernisse  vom  nachtheiligsten  Einflusse  sein  miissen.  Obgleich  die  angefiihrten 
Zahlen  allerdings  sehr  grosse  Widerstande  ausdriicken,  so  muss  man  dabei  erwagen,  dass  fur 
den  ernstlichen  Fall  einige  Beziebungen  eintreten,  welche  die  Ueberwindung  moglich  macben 
und  erleicbtern.  Zuerst  befindet  sich  das  Hinderniss  regelmassig  doch  nur  vor  einem  Rade, 
und  auf  diesem  ruht  nur  ein  Theil  der  Last,  entweder  die  Halfte  oder  der  vierte  Theil ;  dabei 
bieten  die  anderen  Rader  Stiitzpunkte  dar,  so  dass  die  zu  hebende  Last  auf  eine  viel  giinstigere 
Weise  in  die  nothwendige  Drehung  versetzt  wird.  Sodann  kommt  das  Fubrwerk  nicht  im 
Zustande  der  Rube  vor  das  Hinderniss,  sondern  die  Bewegung,  die  oft  absicbtlicb  vorher 
bescbleunigt  wird,  bietet  ein  Moment  dar,  wodurch  mit  einer  schwungartigen  Bewegung  die 
Drebung  uud  Uebersteigung  sehr  befordert  wird.  Endlich  ist  die  Anstrengung  der  Pferde  nur 
augenblicklich  nothig,  und  konnen  daher  oft  ganz  unverhaltnissmassig  grosse  Kraftausserungen 
von  ibnen  geleistet  werden. 

3.  Fester  Stand  des  Gestelles. 

Nach  bekannten  Satzen  der  Statik  fallt  ein  Korper  um,  sobald  die  Senkrechte,  welche 
von  seinem  Schwerpunkte  herabgelassen  wird,  aus  der  Unterstiitzungs-Ebene  hinausfallt.  Wenn 
nun  ein  Korper  um  eine  bestimmte  Seite  seiner  Grundflache  gekippt  oder  umgelegt  werden 
soil,  so  bangt  der  Widerstand,  welcher  sich  dem  entgegenstellt  (die  sogenannte  Stabilitat), 
zunachst  von  dem  Gewichte  des  Korpers  ab,  und  zwar  so,  dass  ein  grosseres  Gewicht  eine 
vermehrte  Gewalt  zum  Umlegen  erfordert;  sodann  von  der  Hohe  des  Scliwerpunktes  iiber  der 
Unterstiitzungs-Ebene,  indem  mit  zunehmender  Hohe  die  Stabilitat  gleichmassig  verringert 
wird;  endlicb  von  dem  Abstande,  welchen  die  Senkrechte  aus  dem  Schwerpunkte  von  der- 
jenigen  Seite  der  Grundflache  hat,  um  welche  das  Kippen  oder  Umlegen  erfolgen  soil.  Je 
grosser  dieser  Abstand  ist,  um  so  fester  steht  der  Korper,  weil  alsdann  eine  starkere  Neigung 
eintreten  muss,  damit  jene  Senkrechte  aus  dem  Bereiche  der  unterstutzenden  Flache  hinaus- 
fallen  kann. 

Wendet  man  diese  einfachen  Verhaltnisse  auf  das  Gestell  eines  Fuhrwerkes  an,  so 
ergibt  sich  sogleich,  dass  der  Raum  zwischen  den  Radern  hier  als  die  Unterstiitzungsebene 
zu  betrachten  ist;  dass  die  Gesammtlast  den  halben  Abstand  der  Rader  zu  ihrem  Hebelarme 
hat,  um  den  festen  Stand  zu  sichern,  dass  aber  eine  durch  Umstande  herbeigefiihrte  um- 
reissende  Gewalt  die  Hohe  des  Scliwerpunktes  (welche  iiber  der  Mitte  der  Achse  liegend 
angenominen  werden  kann)  vom  Erdboden  zu  ihrem  Hebelarme  hat.  Sobald  nun  das  Fuhrwerk 
an  eine  seitwarts  geueigte  Ebene  gestellt  wird,  so  lasst  sich  sehr  leicht  der  Winkel  der  Seiten- 
neigung  angeben,  bis  zu  welchem  bin  das  Fuhrwerk  schrag  gestellt  werden  kann  und  dennoch 
nicht  umfallen  wird,  weil  die  Senkrechte  aus  dem  Schwerpunkte  bis  zu  dieser  Grenze  noch 
innerhalb  des  durch  die  Rader  bestimmten  Raumes  bleiben  muss.  Bei  einrr  halben  Spurweite 
von  (J50mm  und  einer  Hohe  des  Schwerpunktes  von  780mm  wird  der  Winkel,  bis  zu  welchem  die 
Seiten-Neigung  vergrossert  werden  kann,  ohne  dass  das  Umwerfen  erfolgt,  zwischen  39  und 
40  Grad  betragen.  Das  Niimliche  wird  offenbar  eintreten,  wenn  ein  Rad  uberhaupt  niedriger 
steht  als  das  andere,  gleichgiltig,  ob  dies  durch  eine  seitwarts  abhangende  Bahn  oder  durch 
Schlaglocher,  einseitige  Hindernisse  u.  dgl.  herbeigefiihrt  ist. 

Allein  in  soldier  Auszeichnung  wird  in  den  Fallen  der  Anwendung  der  feste  Stand 
nicht  gesichert  sein.  Das  Fuhrwerk  kommt  in  die  betrachtete  schrage  Stellung  nicht  durch 
ruhiges  Hinstelleu,  sondern  es  ist  im  Zustande  der  Bewegung  und  oft  der  rasehen  Bewegung 
begriffen.  Dadurch  aber  entsteht  eine  schwungartige  Seitenbewegung.  sobald  das  eine  Rad 
plotzlich  tiefer  zu  stehen  kommt  als  das  andere,  und  hierdurch  wird  die  Gefahr  des  Umwerfens 
bei  weitem  grosser,  als  jene  Rechnung  sie  ergab.  Uebrigens  bleibt  es  richtig,  dass  niedrige 
Riider  oder  tiefe  Lage  des  Schwerpunktes  uberhaupt,  so  wie  eine  breitere  Spurweite  den  festen 
Stand  wesentlich  erhohen.  Es  folgt  ferner,  wie  sehr  es  gerathen  ist,  auf  schlechten  Wegen, 
wo  Schlaglocher  und  einzelne  Hindernisse  vorkommen,  langsam  zu  fahren,  da  jede  rasche 
Bewegung  den  Seitenschwung  und  damit  die  Moglichkeit  des  Umwerfens  vergrossert.  Endblch 
iibersieht  man  schon  jetzt,  dass  der  Wagen  in  dieser  Beziehung  in  uberwiegendem  Vortheile 
gegen  den  Karren  steht. 

4.  Richtung  der  Zugstrange. 

Ohne  an  dieser  Stelle  die  Art  und  Weise  zu  berucksichtigen,  wie  die  Zugthiere  und 
namentlich   die   Pferde   ihre   Kraft    aussern,    wurde    bisher   angenommen,    dass   die  bewegende 


Fuhrwerke.  637 

Kraft  parallel  zur  Unterlage  gerichtet  sein  miissp.  Die  Richtung  der  Zugstrange  ist  nun  gleich- 
bedeutend  mit  der  Richtung  der  Kraft,  und  es  entsteht  die  Frage :  was  fur  Aenderungen  die 
eigentlicli  thatige  Kraft  erleidet,  wenn  die  Zugstrange  die  parallele  Richtung  gegen  die  Unter- 
lage  nicht  haben?  Der  Verlust  an  Kraft  ist  wenig  bedeutend;  allein  wenn  der  Angriffspunkt 
der  Kraft  hoher  liegt  als  die  Brusthohe  des  Pferdes,  so  wird  der  Verlust  an  Kraft  unmittelbar 
dazu  verwendet,  um  das  Fuhrwerk  noch  fester  gegen  die  Erde  zu  driicken,  so  dass  dann  die 
Pferde  ihrer  eigenen  Thatigkeit  entgegen  arbeiten.  Zudem  lehnt  sich  das  gut  abgerichtete 
Thier  im  Augenblicke  des  ersten  Anziehens,  wo  der  Widerstand  der  ruhenden  Reibung  zu 
iiberwinden  ist,  mit  der  Brust  stets  etwas  uber  seine  Vorderbeine  hinaus,  wodurch  die  Brust- 
hohe geringer  wird;  waren  also  die  Strange  eigentlicli  parallel  zur  Unterlage,  so  werden  sie 
nun  auf  eine  hochst  ungiinstige  Weise  sich  etwas  senken.  Daher  legt  man  den  Angriffspunkt 
der  Strange  an  der  Mittelachse  gern  um  einige  Zoll  niedriger  als  die  Brusthohe  der  Pferde; 
dadurch  sind  die  Strange  dann  im  gewohnlichen  Zuge  etwas  gehoben,  was  indess  keinUebel- 
stand  ist,  und  man  vermeidet  die  nach  unten  geneigte  Richtung  im  Augenblicke  des  ersten 
Anziehens.  Durch  diese  Umstande  wird  wesentlich  mit  die  zweckmassige  Hcihe  der  Rader 
bestimmt,  wie  sich  demnachst  zeigen  lasst. 

Wenn  man  es  versuchen  wollte,  eine  voUstandige  mathematische  Theorie  auf 
diese  hochst  verschiedenartigen,  einander  gegenseitig  bedingenden  und  stets  ver- 
anderlichen  Umstande  der  wirklichen  Bewegung  bei  Fuhrwerken  auf  gewohnlichen 
Wegen  anzuwenden,  so  wiirde  sich  unfehlbar  das  Resultat  ergeben,  dass  auch  bei 
Zuziehung  des  hoheren  Kalkiils  keine  Uebereinstimmung  mit  der  Erfahrung  zu 
erreichen  sein  kann.  Man  denke  sich  nur  die  unendlichen  und  stets  wechselnden 
Verschiedenheiten  eines  gewohnlichen  gepflasterten  Weges,  wo  zahllose  kleine 
Hindernisse  nach  vorn  zu  iiberwinden  sind,  daneben  ein  bestandiges  Abgleiten  der 
Rader  zur  Seite  und  damit  ein  voriibergehendes  Andriicken  des  Rades  gegen  die 
Mittelachse  oder  gegen  den  Liinz  eintritt,  so  dass  die  Widerstaude  fast  ununter- 
brochen  wechseln;  so  wird  man  sich  leicht  iiberzeugen,  wie  undenkbar  es  ist, 
auf  solche  Thatsachen  eine  erschopfende  Theorie  anzuwenden.  Eben  so  schwierige 
Beziehungen  bieten  tief  sandige  und  kothige  Wege  dar,  besonders  wenn  ein  Zu- 
sammenschlagen  des  Erdreichs  iiber  die  Felgen  hinzukommt,  oder  wenn  man,  wie 
es  hier  doch  erforderlich  sein  wiirde,  den  Widerstand  der  Adhasion  mit  hinzu  zu 
ziehen  versuchte. 

Die  bestandige  und  grosse  Verschiedenheit,  welche  in  alien  solchen  Verhalt- 
nissen  stattfindet,  zeigt  sich  am  deutlichsten  bei  Anwendung  eines  Kraftmessers, 
um  die  Zugkrafte  in  bestimmten  Zahlen  darzulegen.  Selbst  auf  ganz  ebenen  und 
festen  Wegen,  bei  dem  vorsichtigsten  Fahren  schwanken  die  beobachteten  Zahlen- 
werthe  auf  eine  kaum  glaubliche  Weise.  Auf  Steinpflaster  und  in  tiefen  Wegen 
sind  diese  Schwankungen  so  gross,  dass  nur  eine  lange  fortgesetzte  Wiederholung 
der  Beobachtungen  dazu  ftihren  kann,  iiberhaupt  eine  Gesetzmassigkeit  in  der 
ganzen  Erscheinung  zu  entdecken. 

Die  ausgezeichnetsten  und  umfangreichsten  (dynamometrischen)  Versuche 
sind  jene,  welche  der  Artillerie-Offizier  Morin  auf  Anordnung  und  Kosten  der 
franzosischen  Regierung  angestellt  hat.  Wir  theilen  im  Nachstehenden  die  wesent- 
lichsten  Ergebnisse  dieser  Versuche  mit,  und  verweisen  iibrigens  auf  unsere 
Quelle.  *) 

Wir  beginnen  in  tabellarischer  Uebersicht  mit  dem  Verhaltniss  des  hori- 
zontalen  Zuges  auf  horizontaler  Bahn  zur  fortzuschaffenden  Totallast. 

(Dabei  bezeichnet  I  die  Felgenbreite  der  Rader,  q  den  Zapfenradius,  ?*j  den 
Radius  der  Vorderrader,  r(J  den  Radius  der  Hinterrader.  Sammtliche  Masse  sind 
Metermass.) 


*)  Experiences  sur  le  tirage  des  voitures    et    sur   les    effets    destructeurs    qu'elles    exercent 
sur  les  routes,  par  M.  Morin,  Paris  1842. 


638 


Fuhrwerke. 


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640  Fuhrwerke. 

Die  Zusammenstellung  aller  Morin'schen  Resultate  liefert  mit  Bezug  auf 
vorstehende  Tabelle  Folgendes: 

1.  Bei  alien  Fuhrwerken  ist  der  auf  die  Radachse  reducirte,  mit  der  Fahr- 
bahn  parallele  Widerstand  an  der  Letzteren  proportional  dem  Drucke  und  um- 
gekehrt  proportional  dem  Radius  des  Rades. 

2.  Die    Strassen    werden    desto  mehr  verdorben,   je  kleiner  die  Rader  sind. 

3.  Auf  dem  Steinpflaster  oder  den  Scbotterstrassen  ist  der  Widerstand 
nabezu  von  der  Breite  der  Radfelgen  unabhangig,  sobald  diese  mindestens  0m.08 
bis  0m.10  betragt. 

4.  Auf  zusammendriickbarem  Boden,  wie  Erde,  Sand,  Kies,  Ueberscbiittungen 
von  beweglichem  Material  und  neuen  Scbotterstrassen  nimmt  der  Widerstand  in 
demselben  Verhaltnisse  ab,  wie  die  Breite  der  Felgen  zunimmt. 

5.  Auf  weicbem  Boden,  wie  Erde,  Sand  etc.,  die  Bahn  mag  in  gutem  Zu- 
stande  sein  oder  Gleise  haben,  in  den  tiefen  Kieslagen  auf  festem  Boden,  oder  den 
0m.04  bis  0m.06  tiefen  Aufscbuttungen  auf  den  Steinbabnen  der  Strassen  ist  der 
Widerstand  bei  aufgehangten  und  nicbt  aufgebangten  Fuhrwerken  von  der  Ge- 
schwindigkeit  unabhangig. 

6.  Fur  den  Schritt  ist  der  Widerstand  auf  alien  Strassen  und  selbst  auf 
gutem    Pilaster    der   namliche   fur    aufgehangte  und  nicbt  aufgehangte  Fuhrwerke. 

7.  Auf  Scbotterstrassen  und  auf  dem  Steinpflaster  nimmt  der  Widerstand 
mit  der  Gescbwindigkeit  zu,  so  dass  die  Aenderungen  desselben  den  Aenderungen 
der  Geschwindigkeit  proportional  sind,  wobei  von  der  Gescbwindigkeit  von  einem 
Meter  ausgegangen  wird. 

Die  Vergrosserung  des  Widerstandes  ist  desto  geringer,  je  weniger  starr 
und  je  besser  aufgebangt  das  Fubrwerk  ist;  ferner  je  glatter  die  Strasse  ist.  Sie 
ist  bei  gut  aufgebangten  Eilwagen  auf  sehr  guten  Scbotterstrassen,  deren  Ober- 
flache  keine  bervorragenden  Steine  darbietet,  zwischen  den  Geschwindigkeiten  des 
Scbrittes  und  des  starken  Trabes  ziemlicb  gering. 

8.  Auf  einem  guten  Sandsteinpflaster,  welches  recbt  dicht  und  eben  ist, 
wie  das  Metzer,  ist  der  Widerstand  bei  der  Geschwindigkeit  des  Schrittes  nur 
ungefahr  3/4  von  demjenigen,  welcher  bei  den  besten  Scbotterstrassen  stattfindet; 
und  fiir  gut  aufgehangte  Fuhrwerke  ist  der  Widerstand  auf  einem  guten  Pflaster 
bei  der  Geschwindigkeit  des  starken  Trabes  der  namliche  wie  auf  einer  guten 
Schotterstrasse,  welche  bier  und  da  an  der  Oberflache  hervorragende  Steine  dar- 
bietet. Wenn  das  Pflaster  dagegen  nicbt  sehr  gut  unterhalten  ist,  so  ist  der 
Widerstand  bei  der  Geschwindigkeit  des  Trabes  grosser  als  auf  guten  Scbotter- 
strassen, selbst  bei  Fuhrwerken,  welche  moglichst  gut  aufgebangt  sind. 

9.  Die  nicbt  aufgebangten  Fuhrwerke,  welche  im  Schritt  fahren,  verderben 
die  Strasse  mehr  als  die  aufgebangten  Fuhrwerke  bei  der  Geschwindigkeit  des 
Trabes,  und  noch  viel  mehr  werden  die  nicht  aufgebangten  Fuhrwerke  bei  der 
Geschwindigkeit  des  Trabes  auf  das  Verderben  der  Strasse  wirken. 

10.  Die  Neigung  der  Zugricbtung,  welche  dem  Maximum  des  Nutzeffectes 
correspondirt,  soil  im  Allgemeinen  mit  dem  Widerstande  des  Bodens  zunehmen, 
und  desto  grosser  sein,  je  kleiner  die  Vorderrader  sind. 

Ein  G  e  s  t  e  1 1  bei  Fuhrwerken  besteht  aus  der  Achse  mit  ihren  beiden 
Schenkeln  und  zwei  Radern;  jedes  Rad  bekanntlich  wieder  aus  der  Nabe, 
den  Speichen  und  den  Felgen,  welche  letzteren  vereinigt  den  Kranz  bilden, 
wozu  dann  noch  die  verschiedenen  Beschlage  kommen. 

An  der  Achse  unterscheidet  man  den  mittleren  Theil  unter  dem  Namen  der 
Mittelachse;  sie  hat  eutweder  gleiche  Hohe  und  Breite,  oder  die  Hdhe  ist 
grosser  als  die  Breite;  erstere  Einrichtung  kommt  mehr  bei  eisernen  Achsen  vor, 
letztere  bei  holzernen.  Die  Schenkel  sind  meistentheils  abgekiirzt  kegelformig, 
also  vorn  am  Liinz  diinner  als  an  der  Mittelachse,  und  man  nennt  diesen  Unter- 
schied  ihre  Verjiingung ;  am  hinteren  Ende  stimmt  ihr  Durchmesser  mit  der  Breite 
der  Mittelachse  uberein.     Wenn    der    Querschnitt    der   letzteren  kein  Quadrat  ist, 


Fuhrwerke.  641 

so  uberragt  sie  mit  ihrer  Hohe  den  Durchmesser  des  Schenkels,  und  dieser 
obere  Theil  heisst  der  Stoss.  Auch  bei  eisernen  Achsen  koramt  diese  Stelle 
vor,  weil  zur  Verbindung  rait  den  iibrigen  Theilen  die  Achse  in  ein  starkercs 
holzernes  Achsfutter  eingelassen  werden  muss. 

Die  Schenkel  miissen  immer  so  gestellt  sein,  dass  ihre  untere  Begrenzung 
mit  der  nnteren  Flache  der  Mittelachse  eine  einzige  gerade  Linie  bildet  und  also 
die  vorhandene  Verjiingung  ganz  auf  der  oberen  Seite  des  Schenkels  erscheint. 
Nur  bei  dieser  Anordnung  kann  das  Rad  bei  dem  Drucke,  welcher  auf  ihra  liegt, 
eine  ruhige  und  gleichmassige  Stellung  und  Bewegung  annehmen.  Wollte  man 
dagegen  den  kegelformigen  Sclienkel  so  gegen  die  Mittelachse  stellen,  dass  die 
Mittellinie  desselben  horizontal  zu  stehen  kame,  so  wiirde  der  Schenkel  veranlasst. 
sich  bestandig  durch  die  Nabe  zuriickzuziehen,  so  dass  das  Rad  fortwahrend 
gegen  den  Liinz  geschoben  wtirde  und  daselbst  die  nachtheiligsten  Seitenreibungen 
entstehen  miissten.  Von  anderen  Mangeln,  die  sich  dabei  noch  zeigen  wtirden, 
wird  weiterhin  die  Rede  sein. 

Die  Verjiingung  der  Schenkel  soil  dazu  dienen,  durch  den  etwas  gerin- 
geren  mittleren  Durchmesser  den  Erfolg  der  Reibung  herabzusetzen,  und  an 
der  Mittelachse  grossere  Sicherheit  gegen  das  Zerbrechen  zu  gewahren.  Bei  sehr 
starken  holzernen  Schenkeln  muss  man  diesen  Grund  anerkennen,  jedoch  nicht 
bei  eisernen,  wo  die  Verjiingung  viel  zu  unbedeutend  ist,  um  irgend  wesentlich 
einzuwirken.  Nicht  allein  von  dem  rein  mechanischen  Standpunkte  wiirden  cylin- 
drische  Schenkel  wegen  des  gleichmassigeren  Ganges  den  Vorzug  vordienen,  sondern 
auch  weil  sie  durch  metallene  Ringe,  die  an  die  Mittelachse  hinter  das  Rad,  oder 
zwischen  dem  Rade  und  Liinz  auf  den  Schenkel  gesteckt  werden,  eine  Veran- 
derung  der  Spurweite  zulassen,  die  man  bei  kegelformigen  Schenkeln  nicht  erreichen 
kann,  ohne  einen  unsichern,  schlottrigen  Gang  des  Rades  herbeizufiihren.  Fur 
manche  Fuhrwerke  aber,  die  nicht  bios  auf  Kunststrassen  gehen,  ist  eine  solche 
Anschliessung  an  die  abweichenden  Spurweiten  in  verschiedenen  Provinzen  eine 
wichtige  Sache. 

Die  Lange  der  Schenkel  hangt  iibrigens  mit  anderen  Einrichtungen  des 
Rades  so  genau  zusammen,  dass  davon  erst  spater  gesprochen  werden  kann :  sie 
betragt  von  37— 63cra. 

Die  wirklichen  Abmessungen  von  Achse  und  Schenkel  sind  natiirlich  durch 
das  Material  bedingt,  woraus  sie  verfertigt  werden.  Zu  holzernen  Achsen  wird 
vorzugsweise  Eichenholz  genommen,  und  nach  Massgabe  der  Belastungen,  wofiir 
das  Fuhrwerk  bestimmt  ist,  macht  man  die  Mittelachse  79 — 132mm  breitund  132 
bis  184mm  hoch ;  eiserne  Achsen  sind  bedeutend  diinner  und  verhaltnissmassig  eben 
so  breit  wie  hoch,  im  Allgemeinen  wohl  50 — 100mm.  Es  ist  schon  erwahnt,  dass 
der  hintere  Durchmesser  des  Schenkels  mit  der  Breite  der  Mittelachse  iiberein- 
stimmt,  und  bei  gewohnlicher  Verjiingung  ist  der  vordere  Durchmesser  ctwa  halb 
so  gross.  Am  vorderen  Theile  des  Schenkels  befindet  sich  das  Liinzloch  oder 
sonst  diejenige  Vorrichtung,  wodurch  das  Rad  auf  dem  Schenkel  festgehalten  wird. 

Eine  holzerne  Achse  muss  immer  stark  und  sorgfaltig  mit  Eisen  beschlagen 
werden.  Dazu  gehort  das  untere  Achseisen  oder  Achsblech,  welches  den 
Schenkel  bis  zur  Halfte  seines  Umfanges  und  oft  noch  mehr  umschliesst,  und 
dann,  in  eine  Stange  ausgehend,  unter  die  Mittelachse,  ja  selbst  bei  grossen  Lasten 
ganz  unter  dieser  hergeht,  so  class  der  Beschlag  fiir  beide  Schenkel  aus  einem 
einzigen  Stiicke  besteht.  Die  Befestigung  geschieht  durch  Nagel,  Schrauben  und 
Bander.  Sodann  ist  noch  ein  oberes  Schenkelblech  noting,  welches  mit  einem 
Bande  das  Liinzloch  umschliesst  und  einfasst;  an  der  Mittelachse  befindet  sich 
das  Stosseisen ,  welches  oft  pyramidal  etwas  vorspringt.  Diese  sammtlichen 
Beschlage  werden  haufig  verstahlt. 

Die  eiserne  Mittelachse  wird  durch  Bander  in  einem  holzernen  Futter  be- 
festigt,  um  sie  dauerhafter  mit  dem  Gestelle  verbinden  zu  kbnuen.  Eiserne 
Schenkel  werden  mitunter  verstahlt,  oder  es  wird  ihnen  —  so  gut  es  gehen  will 
—    eine    Stahlplatte    angeschweisst.     Eine    eigenthiiraliche    und    sehr    vorziigliche 

Karmarsch  &  Heeren,  Teehnisohes  Worterbuch.     Bel.  III.  41 


642  Fuhnverke. 

Einriehtung  Tbesteht  bei  den  Fuhrwerken  der  englischen  Armee.  Die  Schenkel 
sind  von  Eisen  und  endigen  in  eine  starke  eiserne  Stange,  welche  unter  der 
holzernen  Mittelacbse  entweder  ganz  hergeht,  oder  die  Stan  gen  stossen  von  beiden 
Seiten  unter  der  Mitte  vor  einander  und  werden  durch  starke  Selirauben  und 
Bander  befestigt.  Durch  Priifung  in  den  spanischen  Feldziigen  hat  sich  diese 
Einriehtung,  die  von  belgischen  Frachtkarren  entlehnt  ist,  als  vortrefflich  bewahrt, 
indem  die  mechanischen  Beziehungen  wie  bei  ganz  eisernen  Achsen  sich  ergeben, 
und  doch  die  Widerherstellung  einer  zerbrochenen  Aclise  eben  so  leicht  und  noch 
leichter  als  bei  holzernen  geschehen  kann. 

Zur  Vergleichung  der  holzernen  und  eisernen  Achsen  wird  man  folgende 
Verbaltnisse  zu  beriicksichtigen  baben : 

a)  Das  geringere  Reibungsmoment,  welches  der  diinne  eiserne  Schenkel 
zeigt,  ist  jedenfalls  ein  nur  zweifelhafter  Vorzug,  indem  Beweglichkeit  vorwarts 
und  Beweglichkeit  rilckwarts  in  gewissem  Sinne  dasselbe  ist  und  einander  ent- 
gegen  treten  kann.  Wenn  daher  auf  ganz  ebeuem  festen  Boden  der  eiserne 
Schenkel  einen  bestimmten  Vorzug  in  den  Zahlenwerthen  der  Zugkraft  ergibt,  so 
andert  sich  dies  sofort  auf  unebenem  oder  in  tiefem  Boden. 

b)  Ebenfalls  zeigen  diinne  eiserne  Schenkel  bei  geringen  oder  mittleren 
Belastungen  vergleichungsweise  oft  grosse  Vorziige,  welche  ganzlich  verschwinden, 
sobald  die  Lasten  bedeutend  steigen.  Diese  wichtige  Thatsache  erklart  sich  dadurch 
dass  die  diinne  und  mehr  elastische  eiserne  Achse  fiir  grosse  Belastungen  eine 
Biegung  annimmt,  was  die  hblzerne  an  sich  und  wegen  ihrer  Beschlage  nicht 
thun  kann. 

Sobald  aber  die  geometrische  Mittellinie  einer  drehenden  Bewegung  mit  der 
physikalisehen  Achse  derselben  nicht  mehr  zusammenfallt,  zeigen  sich  Klemmungen, 
wobei  an  einzelnen  Stellen  heftige  Pressungeu  und  vergrbsserte  Hebelarme  ftir  die 
Reibung  zu  Stande  kommen. 

c)  Die  hblzerne  Achse  hat  wegen  ihrer  Beschlage  und  wegen  der  Art,  wie 
diese  angelegt  werden  miissen,  seiten  eine  vollkomuien  regelmassige  Form,  und 
dieser  Umstand  ist,  zumal  bei  stark  verjiingten  Schenkeln,  ein  wichtiger  Nachtheil. 

d)  Es  lasst  sich  die  eiserne  Achse  bei  der  Uebernahme  besser  priifen,  aber 
sie  ist  auch  schwieriger  wieder  herzustellen,  wenn  sie  zerbrochen  ist.  Gerade 
in  dieser  Hinsicht  erfiillt  die  vorhin  erwahnte  englische  Einriehtung  moglichst  viele 
Bedingungen. 

e)  Bei  strenger  Kalte  brechen  die  eisernen  Achsen  ungewbhulich  leicht ;  man 
schiitzt  sie  dagegen,  «enn  man  vor  dem  Gebrauche  mit  einem  schweren  Hammer 
oder  einer  Axt  gegen  die  vordere  Flache  des  Schenkels  einige  kraftige  Schlage 
fiihrt. 

f)  Der  wichtigste  Vorzug  der  eisernen  Achsen  ist  ihre  ungleich  grossere 
Dauer.  Es  ist  sehr  wohl  mbglich,  und  die  Erfahrung  bestatigt  es  auf  das  Be- 
stimmteste,  dass  eine  gute  holzerne  Achse  im  neuen  Zustande  vollig  so  stark 
sein  kann  wie  eine  eiserne.  Allein  nach  wenigen  Jahren,  sowohl  des  Gebrauches, 
als  des  Nichtgebrauchcs,  wird  eine  neue  Probe  ergeben,  dass  sich  schon  merk- 
bare  Unterschiede  zeigen  5  und  wenn  beide  Einrichtungen  —  wie  es  doch  oft 
gefordert  wird  —  20  bis  30  Jahre  in  Vorrath  gehalten  werden  miissen,  so  ist 
nach  dieser  Zeit  die  eiserne  Achse  noch  eben  so  diensttiichtig  wie  vorher,  wahrend 
die  hblzerne  durch  die  unabanderlichen  Einwirkungen  der  Luft  und  sonstiger 
organischer  Zersetzungen  kaum  noch  brauchbar  sein  wird.  Bei  Fuhrwerken, 
welche  sofort  in  steten  Gebrauch  genommen  werden  sollen,  ist  also  dieser  Umstand 
von  geringerem  Gewichte,  allein  ein  anderer  nachtheiliger  Einfluss,  der  gleieh 
crwahnt  werden  soil,  findet  dennoch  audi  dann  statt. 

y)  Es  bedarf  namlich  der  eiserne  Schenkel  uberhaupt  etwa  nur  den  dritten 
Theil  der  Schmiere,  welche  ein  hblzerner  verlangt^  theils  weil  ietzterer  an  sich 
einen  grosseren  Umfang  hat,  theils  urn  r.achtheilige  Erhitzungen  beim  schnellen 
Fahren  und  Sclbstentziindungen  zu  veihiiten.  Nun  aber  dringt  diese  Schmiere 
unabwendlich    in    das    Holz    selbst  ein,    und  dadurch  wird  der  Schenkel  allmalig 


Fuhrwerke. 


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unci  frither  zerstort,  als  es  ausserdem  geschehen  wiirtle.  Audi  hiervon  abgesehen 
ist  tier  viel  geringere  Bedarf  an  Schmiere  und  die  grtissere  Unabhangigkeit  von 
diesera  Stoffe  ein  recht  wesentlicher  Vortheil  tier  eisernen  Schenkel. 

Als  Resultat  aller  dieser  Bemerkungen  kann  es  niclit  zweifelliaft  sein,  dass 
im  Allgemeinen  eiserne  Schenkel,  ungeachtet  tier  grosseren  Kosten,  stets  vorzn- 
ziehen  sind,  unbedingt  aber  dann,  wenn  die  Fuhrwerke  langere  Zeit  unbenutzt 
hingestellt  oder  in  Vorrath  verfertigt  wertlen,  wie  es  zum  Beispiel  mit  dem 
grossten  Theile  militarischer  Fuhrwerke  tier  Fall  ist. 

An  der  Nabe  des  Ratles  A  Fig.  1683  unterscheidet  man  den  mittleren  und 
dickeren  cylindrischen  Theil,  in  welchen  die  Speichen  eingelassen  sind,  er  heisst 
tier  Busch  oder  Haufen  c  Fig.  1684;  dann  den  abgekiirzt  kegelforraigen  Theil, 
tier  an  die  Mittelachse  trifft  und  hier  Stoss  genannt  wird  a  Fig.  1684,  endlicli 
den  vorderen  langeren  Theil,  welcher  die  Roll  re  heisst  b  Fig.  1684. 

Die  Lange  der  Nabe  ist  von  der  Belastung  nicht  abhangig,  wenn  sie  nur 
so  lang  ist,  dass  die  Richtung  ties  Druckes  in  ihr  vollig  unterstiitzt  wird.  Au.s 
wichtigen,  spater  zu  besprechenden  Griinden  haben  die  Speichen  f  keine  senk- 
rechte  Stellung,  sondern  sind  gegen  aussen  geueigt,  und  desshalb  muss  die  Nabe 
eine  solche  Lange  bekommen,   dass  das  Perpentlikel   von  dem  oberen  Theile  ties 


Fig.  1683. 


Ratles  auch  bei  Seiteiibewegtmgen  noch  stets  durchsie  hindurchgelit.  Eine  grossere 
Lange  ist  iiberfliissig,  und  obgleich  die  Schmiere  dadarch  mehr  erhalten  wird,  so 
ist  sie  doch  unbequem  und  storend  wegen  des  Anneinantlerfahrens  mit  anderen 
Fuhrwerken  oder  in  engen  Wegen.  Dann  macht  man  die  Nabe  wohl  65 — 75mm 
kiirzer  als  den  Schenkel,  urn  die  Stossscheiben  zur  Vera'nderung  tier  Spurweito 
anbringen  zu  konnen ;  ahnliche  Scheiben ,  auch  ohne  Beriicksichtigung  dieses 
Zweckes,  sind  iiberhaupt  zur  Verininderung  der  Seitenreibungen  sehr  angemessen. 
Die  Lange  tier  Nabe  wird  ctwa  zwischen  34  — 63om  betragen.  Die  Dicke  im 
Haufen  oder  Busch  muss  eine  geniigentle  Befestigung  tier  Speichen  an  dieser 
Stelle  zulassen,  und  daher  verlangen  hohe  Ratler  oder  grosse  Belaslungen  — 
weil  bei  ihnen  die  Krafte  zum  Losbiegen  tier  Speichen  grosser  sind  —  starkere 
Naben.  Im  Allgemeinen  verdienen  kurze  und  dicke  Naben  den  Vorzug,  und  eine 
Starke  tlerselben    von    32 — 37cm  ware    in    vielen    Fallen    weit  praktischer  als  die 

41* 


644 


Fuhrwerke. 


langen  und  dtinnen  Naben,  die  vorkommen.  Urn  die  Nabe  werden  gewohnlich 
eiserne  Bander  d1  d"  d3  Fig.  1684  gelegt,  eins  vorn  an  der  Rohre  und  eins 
hinten  am  Stoss,  und  haufig  audi  noch  an  der  vorderen  und  hinteren  Seite  des 
Haufens. 

Wiclitiger  als  jene  Bander  ist  die  Art,  wie  die  Bohrung  dieses  Theiles 
durch  einen  Beschlag  ausgefiittert  und  gesichert  ist.  Man  nennt  ihn  die  Biichse 
und  er  bestelit  entweder  nur  aus  zwei  breiten  Ringen,  die  vorn  und  hinten  in 
die  Bohrung  eingelassen  werden,  oder  besser  lasst  man  die  Biichse  in  Form  einer 
Rohre  B  Fig.  1684  ganz  durchgehen.  Dann  hat  sie  in  der  Gegend  der  Mitte 
eine    geringe    Erweiterung    (die    sogenannte  Kammer),    urn    die  Schmiere  besser 


Fig.  1684. 


*  mm      aa       c         -n 


zu  halten.  Stets  muss  die  Substanz  der  Biichse  weicher  sein  als  der  Schenkel 
oder  dessen  Beschlag,  damit  bei  den  unvermeidlichen  Abnutzungen  der  Schenkel 
so  viel  wie  moglich  geschont  werde,  indem  Ausschleifungen  der  Biichse  an  sich 
weniger   nachtheilisr    sind,    und    auch    leichter    verbessert  werden    konnen    als  Be- 


Fuhrwerke.  645 

schadigungen  des  Schenkels.  Bei  hblzernen  Schenkeln  mit  geharteten  oder  stah- 
lernen  Achseisen  kann  man  zu  der  Btichse  Schmiedeisen  nehmen,  bei  eisernen 
Schenkeln  wahlt  man  dazu  Messing  oder  Bronze. 

Bei  neuen  Radern  soil  zwischen  der  Oeffnung  der  Biicbse  and  der  Dicke 
des  Schenkels  kein  merkbarer  Unterschied  stattfinden,  oder  das  Rad  soil  ohne 
Spielraum  auf  den  Schenkeln  stecken.  Nach  einiger  Zeit  des  Gebrauches  tritt 
ein  solcber  Spielraum  unvermeidlich  ein,  und  er  tragt  spaterhin  besonders  zum 
Ruin  der  Fubrwerke  bei,  weil  derselbe  den  Druck,  den  Achse  und  Rad  eigentlicb 
erleiden  sollten,  in  stossartige  Bewegungen  verwandelt,  und  dadurch  die  ergriff'enen 
Theile  ungleich  mehr  zu  leiden  haben. 

Der  nachste  wichtige  Bestandtheil  des  Rades  sind  die  Speichen  /;  bei 
gewohnlichen  Radern  sind  deren  12,  bei  ganz  hohen  wohl  16  Stuck.  An  der 
Speiche  unterscheidet  man  das  Blatt  h,  welches  in  die  Nabe  eingelassen  wird, 
das  Mittelstuck/  und  den  Zap  fen  a,  der  in  die  Felgen  i  tritt.  Das  Blatt 
ist  entweder  vierkantig  pyramidal  geformt  oder  sckwalbenschwanzformig. 

Die  Oeffnungen  im  Busch  heissen  Stemmungen  c,  c,  sie  gehen  ganz 
hindurch,  und  zum  Einlassen  der  Speichen  wird  die  Nabe  mitunter  in  einer  Lauge 
mehrere  Stunden  lang  gekocht,  in  diesem  erweichten  Zustande  kann  selbst  ein 
starkeres  Blatt  eingetrieben  werden.  Die  Befestigung  in  der  Felge  geschieht 
durch  den  Zapfen,  in  welchen  nach  dem  Einsetzen  ein  Spalt  gehauen  wird,  um 
einen  Keil  d  Fig.  1683  von  weichem  Holze  nachzuschlagen.  Das  Mittelstuck  ist 
in  der  Regel  nicht  voliig  rund  gebildet,  sondern  mit  einem  langlich  runden  Quer- 
schnitte,  dessen  grosserer  Durchmesser  die  Stellung  nach  der  Breite  des  Fuhr- 
werkes  bekommt.  Man  wahlt  diese  Form,  weil  die  zerbrechenden  Gewalten  durch 
die  Seitenbewegungen  meistens  nach  der  Richtung  der  Breite  wirken,  und  also 
der  Widerstand  dann  grosser  ist  als  bei  kreisformigem  Querschnitte.  Das  Mittel- 
stuck ist  ferner  haufig  nicht  ganz  gerade,  sondern  so  geformt,  dass  das  aussere 
Ende  etwas  nach  einwarts  gebogen  ist,  damit  diejenigen  Speichen,  welche  eben 
unten  stehen,  mehr  in  ibrer  eigenen  Richtung  in  Anspruch  genommen  werden. 
Alsdann  ist  der  Widerstand  ihrer  riickwirkendeu  Festigkeit  weit  grosser  als  der- 
jenige  gegen  das  Zerbrechen,  wenn  der  etwas  vor  der  senkrechten  Stellung  sich 
befindende  Korper  voliig  gerade  geformt  ware.  Bisweilen  werden  die  Speichen, 
einzeln  abwechselnd,  im  Busch  um  etwa  einen  Zoll  weiter  vorwarts  oder  riickwarts 
eingelassen,  welches  man  die  Versetzung  derselben  nennt. 

Endlich  stehen  mitunter  je  zwei  Speichen  einander  etwas  naher  als  den 
ihnen  benachbarten,  welches  mit  dem  Namen  gekuppolte  Speichen  bezeichnet 
wird.  Man  thut  dies,  um  da,  wo  zwei  Felgen  zusammentreffen,  die  Speichen 
dieser  Fuge  naher  zu  bringen  und  so  eine  festere  Verbindung  zu  erhalten. 

Am  wichtigsten  fur  die  Construction  des  Rades  ist  nun  die  Abweichung  der 
Speichen  von  der  senkrechten  Stellung  gegen  Achse  und  Nabe.  Man  setzt  sie 
namlich  so  ein,  dass  —  wie  schon  angefiihrt  ist  —  sie  sich  vor  der  senkrechten 
Richtung  befinden,  und  nennt  diese  Abweichung  die  Sttirzung  oder  denSturz 
derselben.  Sie  betragt  1/12  bis  Ys  c^es  Radhalbmessers  und  wird  bei  lange  ge- 
brauchten  Radern  allmalig  schwacher.  Diese  Sttirzung,  wodurch  also  das  Rad 
nicht  mehr  eine  scheibenformige,  sondern  im  Allgemeinen  eine  kegelformige  Gestalt 
annimmt,  hat  wesentliche  Vortheile  gegen  eine  senkrechte  Stellung.  Ein  Rad  von  dieser 
Form,  auf  einen  verjtingten  Schenkel  gesteckt,  stellt  sich  nothwendig  so,  dass  die  unteren 
Speichen  fast  senkrecht  stehen,  also  im  Sinne  ihrer  ritckwirkenden  Festigkeit  angegriffen 
werden,  und  ein  Einbiegen  der  Speichen  nach  der  Breite  des  Fuhrwerkes  kiinnte  nicht 
anders  eintreten,  als  wenn  gleichzeitig  der  Kranz  des  Rades  aus  einander  gerissen 
wiirde.  Nun  ist  aber  dieser  Kranz  jetzt  von  einem  geringeren  Umfange,  als  er 
es  bei  der  namlichen  Lage  der  Speiclien  in  senkrechtor  Stellung  sein  wiirde.  und 
mithin  widersteht  aus  diesen  beiden  Griinden  die  ganze  Vorrichtung  weit  sicherer, 
als  es  ohne  Sttirzung  moglich  ware.  Rader,  die  mit  starken  Belastungen  auf 
unebenen  Bahnen  gebraucht  werden  sollen,    sind  ohne  Sttirzung  voliig  untauglich 


046  Fuhrwerke. 

weil  die  stossartigen  Krafte,  welche  seitwarts  gegen  die  Speichen  wirken,  ein 
Einbiegen  and  Losbrechen  derselben  sehr  bald  zur  Folge  haben  mussten.  Ausser- 
dem  bewirkt  die  Stiirzung,  dass  der  obere  Theil  des  Rades  weiter  auswarls  zu 
stehen  kommt,  wodurch  der  Raum  zwischen  den  Radern  erweitert  wird,  was  oft 
wiclitig  ist.  Ura  bei  Kutseli-  und  Reisewagen,  zumal  von  geringer  Spurweite 
oder  bei  meist  cylindrischen  Schenkeln,  diese  Annehmlichkeit  noch  mehr  herbei- 
zufiihren,  pflegt  man  sogar  die  untere  Seite  des  Schenkels  nicht  in  horizontaler 
Stellung  zu  bclassen,  sondern  man  biegt  sie  etwas  abwarts,  wodurch  die  unteren 
Theile  der  Rader  auf  dem  Boden  einander  naher  gebracht  und  die  oberen  Theile 
zur  Aufnalime  des  Kutschkastens  noch  weiter  von  einander  entfernt  werden ; 
dadurch  wird  jedoch  der  gleichmassige  Gang  des  Rades  gestort. 

Eine  zu  grosse  Stiirzung  hat  den  Nachtheil,  dass  die  Nabe  langer  werden 
muss  und  dass  die  zu  schrag  gestellten  Speichen  in  tiefem  Boden  seitwarts  ge- 
sclieuert  werden  und  die  Geleise  aufreissen. 

Es  ergibt  sich  hieraus  noch  schliesslich,  dass  :  Stellung  des  Schenkels  gegen 
die  Mittelachse,  Lange  der  Nabe  und  Stiirzung  Anordnungen  sind,  die  einander 
gegenseitig  bedingen. 

Der  Kranz  des  Rades  besteht  bekanntlich  aus  den  holzernen  Felgen  i  Fig. 
1683,  deren  Anzahl  gewbhnlich  sechs  betragt,  welche  unter  einander  bei  K  ver- 
zapft  sind,  ilire  cigentliche  sichere  Verbindung  aber  erst  durch  die  Speichen  und 
den  Beschlag  (Reifen  -p)  erhalten.  Urn  das  Spalten  der  Felgen  zu  verhindern, 
sind  die  Felgenniete  /  angebracht.  Die  Hohe  der  Felgen  in  der  Rich  tun  g  des 
Halbmessers  betragt  etwa  75  — 100""",  und  sie  braucht  bei  hoheren  Radern  nicht 
gerade  grosser  zu  sein,  weil  sie  nur  dazu  dient,  die  Speichen  lialtbar  zu  binden. 
Lasst  man  den  Kranz  aus  mehr  als  sechs  Felgen  bestehen,  so  wird  jedes  einzelne 
Stiick  zwar  giinstiger  gewachsen  sein  und  weniger  iiberspanige  Stellen  besitzen, 
allein  die  dauerhafte  Verbindung  ist  alsdann  auch  sclnvieriger  zu  bewerkstelligen. 
Vortheilhaft  sind  die  Felgen  aus  gebogenem  Ilolze. 

Fur  alle  Fuhrwerke,  noch  mehr  aber  fur  die  von  ilinen  befahrenen  Wege, 
ist  die  Breite  der  Felgen  ein  liochst  wichtiger  Gegenstand.  Die  breitere 
Felge  vertheilt  natiirlich  den  Dr.ick  der  Belastung  auf  eine  grossere  Fliiche  des 
Erdbodens,  und  wirkt  dalier  weniger  einschneidend  und  weniger  ungiinstig  fur  die 
Balm.  Dies  gilt  audi  noch  von  eigentlichen  Kunststrassen,  die  bei  manchen 
Witterungsverhaltnissen  einem  ahnlichen  Verderben  ausgesetzt  sind.  Auf  unebenen 
oder  auf  gepflasterten  Strassen  deckt  die  breite  Felge  die  Unebenheit  mehr  zu, 
verhindert  daher  in  etwas  das  bestandige  llin-  und  Ilerschleudern  des  Fuhrwerkes, 
wodurch  dieses  selbst  und  die  fortzuschaffenden  Gegenstande  wesentlich  geschont 
werden.  Je  mehr  nun  der  Staat  filr  gute  Kunststrassen  sorgt,  desto  grosser,  ja 
selbst  ganz  unverhaltnissmassig.  werden  die  Lasteu,  die  der  Fuhrmann  auf  jedes 
Pferd  ladet,  und  urn  so  sorgfaltiger  sollten  die  verderblichen  schmalen  Felgen 
beseitigt  werden.  Eine  geringere  Breite  als  100""a  (wie  sie  noch  so  haufig  an 
Frachtkarren  vorkomint)  sollte  giinzlich  von  den  Kunststrassen  ausgeschlossen 
sein,  und  es  sollte  durch  Herabsetzung  des  Weggeldes  bei  zunehmender  Breite 
die  Einfiihrung  dieser  letztern  audi  fur  Land  fuhrwerke  befdrdert  werden.  Ausser- 
dem  wird  der  Beschlag  des  Rades  bei  breiteiem  Krauze  weit  mehr  geschont  als 
bei  schmalem :  endlich  ist  auch  eine  nicht  ganz  unerhebliche  Verminderung  der 
Zugkraft  die  Folge  des  gleichmiissigeren  Ganges  der  breitfelgigen  Fuhrwerke. 

Gegen  die  breiten  Felgen  hat  man  das  grossere  Gewicht  der  Rader  ange- 
ftihrt;  allein  dieser  Einwurf  zerfallt  in  sich  selbst.  Als  Nachtheil  ist  wohl  zu 
nennen,  dass  auf  Land-  und  Feldwegen  bis  jetzt  die  breiten  Felgen  nicht  Spur 
halten  und  dass  auf  stark  gewolbten  Kunststrassen  ein  damit  versehener  Wagen 
bei  glatter  Balm  im  Winter  mit  dem  Hintergestell  leicht  seitwarts  abgleitet, 
welches  allerdings  fiir  die  Pferde  eine  ziemliche  Belastigung  ist,  oder  Avenigstens 
zur  Vermeidung  einen  aufmerksamen  Fuhrmann  fordert.  Da  man  aber  aus  anderen 


Fuhrwerke.  647 

Griinden  von  den  friihcren  starken  Wolbungen  dcr  Strassen  mehr  zuriickkomrnt, 
so  wird  auch  dieser  letzte  Einwurf  wenig  Bedeutung  behalten. 

Es  wiirde  wegen  aller  dieser  Verhaltnisse  eine  gesetzliche  Vorschrift,  welclie 
fiir  eigentliche  Frachtfuhrwerke  die  Breite  der  Felgcn  festsetzte,  in  jeder  Hinsiclit 
gerecht  und  lobenswertli  sein. 

Der  eiserne  Beschlag  des  Rades  besteht  entweder  aus  einem  Reif  p  (bei 
breiten  Felgen  aus  zwei  neben  einander  liegenden)  oder  aus  einzelnen  Eisenstlicken, 
welcbe  Schienen  genannt  werden.  In  beiden  Fallen  geschieht  die  Befestignng 
auf  den  Felgen  durch  Nagel  oder  Schraubenbolzen  m,  deren  Kopfe  versenkt  sein 
miissen.  Der  zusamraenhangende  Reif  gibt  —  bei  sonst  richtiger  Arbeit  —  dem 
Rade  unfehlbar  mehr  Festigkeit,  und  besonders  erhalt  er  sicherer  die  so  hbclist 
wichtige,  vbllig  runde  Gestalt  des  Rades ;  rait  Schienen  beschlagt  man  meist  nur 
solche  Rader,  die  gewaltsamen  Beschadigungen  ansgesetzt  sind,  wie  z.  B.  bei 
manchen  Militar-Fuhrwerken,  weil  sie  hierbei  eine  einfachere  Ausbesserung  zu- 
lassen  als  der  Reif.  Die  Schienen  miissen  so  gelegt  werden,  dass  sie  auf  der 
Mitte  einer  Felge  zusammentreffen,  damit  die  Fugen  zwischen  den  Felgen  destb 
mehr  verdeckt  und  geschiitzt  werden. 

Geleitet  durch  die  eisernen  Rader  der  auf  den  Eisenbahnen  gehenden  Wagen 
hat  man  neuerdings  versucht,  die  Rader  auch  anderer  Fuhrwerke  ganz  von  Eisen 
zu  verfertigen.  Abgesehen  von  den  grosseren  Kosten  leidet  es  keinen  Zweifel, 
dass  eiserne  Naben  und  Speichen  sehr  vorziiglich  sein  wiirden.  Der  Kranz  von 
Schmiedeisen  ist  jedoch  zu  nachgebend,  gestattet  fortwahrende  Aenderungen  in 
der  Gestalt  des  Rades,  und  von  Gusseisen  wiirde  er  fur  gewbhnliche  Wege  wohl 
zerbrechlicher  sein    als  gute  hblzerne  Felgen  mit  tiichtigem  Beschlage. 

Unter  Spurweite  versteht  man  bekanntlich  den  Abstand,  den  die  Rader 
auf  dem  Boden  stehend  von  einander  haben,  und  zwar  ist  man  nicht  allgemein 
dariiber  einverstanden,  ob  es  der  innere  Abstand  oder  der  von  der  Mitte  zu  Mitte 
sein  soil.  Wenn  man  von  der  verschiedenen  Breite  der  Felgen  unabhangig  bleibeu 
will,  so  ist  es  am  besten,  den  innern  Abstand  zu  nehmen,  obgleich  meistens  der 
von  Mitte  zu  Mitte  gerechnet  wird.  Die  Weite  der  Spur  liegt  in  Mitteleuropa  so 
ziemlich  allgeraein  zwischen  134 — 158tm,  und  die  aus  dieser  verdriesslichen  Ver- 
schiedenheit  entspringenden  Uebelstande  in  der  Weite  der  Geleise  auf  Feldwegen 
und  dergleichen  sind  leider  hinlanglich  bekannt. 

Eine  weite  Spur  hat  grosse  Vorztige  vor  einer  engen.  Sie  gestattet  hbhere 
Rader,  ohne  dass  das  Fuhrwerk  an  festem  Stande  verliert,  und  bei  gleieher  Hbhe 
wird  die  Stabilitat  grosser;  sie  gewahrt  einen  breiteren  Raum  fiir  die  Bepackung, 
so  dass  der  Schwerpunkt  derselben  niedriger  zu  liegen  kommt,  welches  von 
Neuem  den  festen  Stand  erhbht.  Aus  den  pag.  636  angegebenen  Griinden  findet 
zwischen  der  Spurweite  und  der  Hbhe  der  Rader  ein  sich  gegenseitig  bedingendes 
Verhaltniss  statt,  indem  die  Einfiihrung  hbherer  Rader  nothwendig  eine  weitere 
Spur  fordert,  wenn  nicht  die  Stabilitat  bedeutend  gefa'hrdet  werden  soil.  Eine 
ungewbhnlich  weite  Spur  kann  nur  in  Gebirgspassen,  wo  regelmassig  Fuhrwerke 
mit  enger  Spur  gehen,  ein  grosses  und  vielleicht  nicht  zu  besiegendes  Hinderniss 
abgeben ;  in  alien  iibrigen  Fallen,  namentlich  auf  Kunststrassen,  wo  die  landes- 
iibliche  Spurweite  wenig  in  Betracht  kommt,  gewahrt  sie  einleuchtende  Vorziige. 
Bereits  pag.  641  ist  gesagt,  wie  man  bei  cylindrischen  oder  wenig  verjiingten 
Schenkeln  durch  aufgesteckte  Ringe  die  Weite  der  Spur  andern  kbnne,  und  wenn 
eine  solche  Anschliessung  auch  nur  die  Grenzen  von  50 — 63mm  betragt,  so  ist 
das  unter  Umstanden  schon  ein  wichtiger  Gewinn. 

In  Beziehung  auf  die  Hbhe  der  Rader  ist  friiher  (pag.  632  und  634x 
angefiihrt,  dass  clas  hbhere  Rad  fiir  die  Zugkraft  einen  grosseren  Erfolg.  d.  h. 
einen  leichteren  Gang  herbeifiihrt.  Hier  ist  noch  zu  bemerken,  dass  ein  holies  Rad 
Unebenheiten,  Vertiefungen,  Graben  u.  dgl.  mehr  zudeckt,  Hindernisse  leichter 
iiberwindet  und,  weil  es  weniger  keilartig  wirkt,  auch  in  tiefem  und  sandigem 
Boden  weniger  einschneidet,  als  ein  niedriges,  und  dies  sind  in  dieser  Hinsicht 
wichtige    Vorziige.     Hbhere    Rader   machen    beim    Zuriicklegen    desselben    Weges 


648  Fuhrwerke. 

eine  geringere  Anzahl  von  Umlaufen,  sie  ruiniren  also  die  Beschlage  weniger, 
erhitzen  sich  nicht  so  stark  wie  niedrigere,  verbrauchen  weniger  Schmiere,  endlich 
werden    Achse   und    Schenkel    in  tiefen  Wegen  nicht  so  leiclit  beschmutzt  u.   dgl. 

Der  einzige  Einwurf  von  Belang  gegen  die  hoheren  Rader  ist  in  der  That 
ihr  leichteres  Umwerfen ;  man  wirkt  ihm  aber  durch  eine  entsprechende  Spurweite 
und  zweckmassige  Bepackung  entgegen ;  dass  sie  etwas  zerbrechlicher  sein  mogen, 
ist  allerdings  richtig,  jedoch  wird  dieser  Unterschied  in  den  gewohnlichen  Grenzen 
wenig  bedeuten.  Wenn  der  Halbmesser  des  Rades  die  Brusthohe  der  Pferde 
iibersteigt,  so  lasst  man  sehr  zweckmassig  die  Zugstrange  unter  der  Deichsel 
angreifen.  Obgleich  nun  die  Beschaffenheit  ganzer  Landstreeken,  so  wie  die  Grosse 
des  Mittelschlages  der  zu  verwendenden  Pferde  fur  diese  wie  fiir  manche  Einrich- 
tung  an  Fuhrwerken  mitsprechen,  so  leidet  es  doch  keinen  Zweifel,  dass  fur 
Deutschland  und  einen  grossen  Theil  des  mittleren  Europas  uberhaupt  eine  Hohe 
der  Rader  von  5  Fuss  keineswegs  zu  bedeutend  ist,  wobei  nur  beriicksichtigt 
werden  muss,  dass  aus  Griinden,  die  sich  bei  der  Zusammensetzung  des  Gestelles 
ergeben  werden,  die  Vorderrader  in  der  Regel  etwas  niedriger  als  die  Hinter- 
rader  sein  miissen. 

Man  kann  noch  hinzufiigen,  weil  bei  Radern  mit  breiten  Felgen  eine  ver- 
mehrte  Hohe  in  der  einen  Beziehung  nachtheiliger  einwirkt,  dass  das  grossere 
Gewiclit  derselben  beim  Aufwartsfahren  (pag.  635)  einen  merkbaren  Einfluss 
aussern  wird,  weil  in  diesem  Falle  jedes  gesteigerte  Gewicht  eine  nicht  unerheb- 
liche  Vermelirung  der  Zugkriifte  erfordert. 

Zum  Schlusse  dieser  einzelnen  Betrachtungen  muss  noch  eine  kurze  Er- 
wahnung  der  Methoden  folgen,  wie  man  das  Rad  auf  dem  Schenkel  E  Fig.  1684 
befestigt. 

Die  einfachste  Vorrichtung  dieser  Art  ist  der  Vorstecker  oder  Liinz  G 
ohne  andere  kiinstliche  Mittel  als  allenfalls  einen  kleinen  Riemen,  der  durch  ein 
Oehr  in  dem  unteren  Theile  desselben  gezogen  wird,  urn  das  Herausfliegen  aus 
dem  Liinzloche  doch  einigermassen  zu  verhuten. 

Nun  folgt  der  Liinz  oder  Splint,  welcher  unten  mit  einer  abstehenden  Feder 
versehen  ist,  ohne  deren  Zerbrechen  das  Abfliegen  nicht  moglich  ist ;  allein  bei 
raschem  Fahren  auf  liartem  unebenem  Boden  zerbriclit  diese  Feder  auch  ziemlich 
leicht.  Von  dieser  Einrichtung  des  Liinzes  gibt  cs  iibrigens  eine  Menge  Abarten, 
theils  mit,  tlieils  ohne  Federn ;  ihre  Anftihrung  hat  keine  besondere  Wichtigkeit. 
Sodann  hat  man  dem  Schenkel  an  seinem  vorderen  Ende  einen  Schraubengang 
gegeben,  auf  welehen  eine  Mutter  festgeschraubt  wird,  und  vor  dieser  pflegt  man 
noch  einen  kleinen  Liinz  anzubringen.  Ware  diese  Schraube  an  der  linken  Seite 
des  Fuhrwerkes  eine  solche  mit  rechtem  Gewinde,  eine  rechts  eingeschnittene, 
so  wiirde  durch  den  Druck  und  die  Seitenreibung  der  Vorderflache  der  Nabe 
gegen  die  aufgeschraubte  Mutter  diese  nothwendig  und  sehr  bald  gelost  werden. 
Man  schneidet  daher  an  der  genaunten  Seite  die  Schraubengewinde  links  ein, 
wodurch  die  bezeichnete  Reibung  die  Losung  derselben  nicht  bewirken  kann. 

Eine  sinnreiche  und  wichtige  Verbesserung  aller  dieser  Bemiihungen  bieten 
endlich  die  sogenannten  Patentbiichsen  dar,  und  sie  haben  die  Aufgabe  vbllig 
aufgelost.  Der  Schenkel  ist  urn  etwas  kiirzer  als  gewohnlich,  und  wiirde  durch 
die  Nabe  nicht  vollig  hindurchtreten ;  an  der  Stelle  desselben,  wo  der  Stoss  der 
Nabe  anfangt  (also  ungefahr  auf  a/4  seiner  Liinge  von  vorn)  ist  er  mit  einer 
cylindrischen  oder  linsenformigen  Verstarkung  versehen,  welche  etwa  50 — 75mm 
mehr  im  Durchmesser  hat  als  der  Schenkel  an  dieser  Stelle,  und  diese  wulst- 
artige  Verstarkung  mag  eine  Dicke  von  beilaufig  25 — 40mm  haben.  Die  Nabe 
besteht  aus  zwei  Theilen,  namlich  dem  Stosse  fiir  sich  und  dem  Haufen  oder 
Busch  mit  der  Rohre  fiir  sich. 

Der  Stoss  kann  gleich  bei  der  Zusammensetzung  des  Gestelles  auf  die 
Aehse  gebracht  werden :  jene  cylindrische  Verstarkung  des  Schenkels  wird  von 
einer  entsprechenden  Erweiterung  der  Biichse  aufgenommen,  welche  sich  am  hin- 
teren  Ende  des  Haufens  befindet.     Vorn  ist  die  Nabe    durch    eine    starke    Metall- 


Fuhrwerke.  649 

platte  geschlossen.  Sind  nun  beide  Theile  der  Nabe  auf  den  Schenkel  geschoben, 
so  stossen  sie  hinter  jener  Verstarkung  gegen  einander  und  der  Stoss  bildet  den 
Stiitzpunkt  fur  die  Verstarkung  des  Schenkels  nach  hinten-,  er  kann  daber  ein- 
facher  in  Form  einer  starken  Platte  gebildet  sein.  Zur  Vereinigung  beider  Theile 
gehen  nun  drei  Schraubenbolzen  von  hinten  nach  vorn  der  Lange  nacli  durch  die 
Nabe,  und  werden  vor  der  vorderen  Metallplatte  durch  aufgeschraubte  Muttern 
gehalten.  Man  erkennt  leicht,  dass  das  Ablaufen  eines  so  befestigten  Rades 
ohne  ganzliches  Zerbrechen  der  Nabe  unmoglich  ist,  und  die  Beweglichkeit  bleibt 
eben  so  frei  wie  vorhin,  ja  der  Gang  wird  eigentlich  noch  gleichmassiger  als 
sonst  ausfallen.  Da  ausserdem  die  Nabe  ganz  geschlossen  ist7  so  wird  ein  Ab- 
laufen der  Schmiere  verhindert,  und  man  bedient  sich  nun  mit  vielem  Erfolge 
dazu  des  Oeles ;  die  Biichse  hat  eine  etwas  grossere  Kammer  als  gewohnlich, 
zwischen  den  Stemmungen  zweier  Speichen  fiihrt  ein  Loch,  welches  durch  eine 
Schraube  geschlossen  werden  kann,  in  die  Kammer,  und  durch  dieses  giesst  man 
das  Oel  ein.  Der  Verbrauch  und  die  Kosten  sind  ungleich  geringer  als  bei  jeder 
andem  Art  zu  schmieren,  da  die  Erneuerung  begreiflicher  Weise  weit  seltener 
nothig  wird.  Weil  diese  Patentbiiclisen  indess  den  Preis  eines  Fuhrwerkes  ziemlich 
betrachtlich  erhdhen,  so  werden  sie  fur  jetzt  nur  bei  iiberhaupt  kostbaren  Ein- 
richtungen  angewendet.     (Naheres  siehe  unten.) 

Auf  dem  gewohnlichen  Liinz,  so  wie  an  den  Enden  der  Mittelachse  bringt 
man  gebogene  starke  Metallplatten  zum  Schutze  des  Schenkels  gegen  den  vom 
oberen  Theile  des  Rades  herabfallenclen  Schmutz  an ;  besser  noch  umgibt  man 
zu  eben  diesem  Zwecke  die  Nabe,  sowohl  vor  der  Rohre  wie  hinter  dem  Stoss, 
mit  einem  ganz  umhergehenden  metallenen  Ringe  von  einigen  Zoll  Breite,  man 
nennt  ihn  die  Kappe  der  Nabe. 

Von  den  eben  erwahnten  Patentbiiclisen  seien  zwei  Arten  naher  beschrieben, 
welche  unter  dem  Namen  C  o  1 1  i  n  g  e  und  Mail  bekannt  sind,  und  sich  beide 
ganz  vorziiglich  bewahrt  haben.  In  nachstehenden  Abbildungen  stellen  Fig.  1685 
bis  1693  die  Collinge- Achse  und  Fig.  1694  bis  1699  die  Mail-Achse 
im  4.  Theile  wahrer  Grosse  dar. 

Bei  beiden  Achsen  und  Biichsen  sind  gleiche  Theile  mit  gleichen  Bueh- 
staben  bezeichnet.  So  bedeutet  in  sammtlichen  Figuren  A  die  Achse  (im  engeren 
Sinne  genommen),  d.  h.  den  Theil  des  ganzen  schmiedeisernen  Korpers,  welcher 
frei  zwischen  den  beiden  Radern  zu  liegen  kommt,  wahrend  B  der  sogenannte 
Achsschenkel  ist,  um  welchen  sich  die  Biichse  (Nab  en  biichse)  D  dreht,  die  dem 
Schenkel  B  zur  Pfanne  client,  in  der  Radnabe  festgekeilt  wird,  und  mit  dem  Rade 
zugleich  um  B  herumlauft.  E  ist  eine  cylindrische  Verstarkung  der  Achse,  der 
sogenannte  Stoss,  wogegen  sich,  wie  aus  den  Durchschnitten  Fig.  1686  und  1695 
erhellt,  bei  beiden  Achsgattnngen  der  hintere  (weitere)  Theil  der  gusseisernen 
Biichse  D  lehnt.  Zwischen  beiden  ist  (Fig.  1686)  eine  ringformige  Lederscheibe  v 
gelegt,  die  sowohl  zur  Dichtung  als  auch  dazu  dienen  soil,  etwaige  Seitenstosse 
minder  schadlich  zu  machen.  Die  ebenfalls  cylindrische  Erweiterung  F  der  Biichse 
D  bildet  in  ihrem  hohlen  Raume  die  Kammer  zur  Aufnahme  der  Schmiere,  zu 
welchem  Raume  man  jedoch  nur  gelangen  kann,  wenn  alle  Theile  der  ganzen 
Patentbiichse  auseinander  genommen  werden.*)  Wie  verhaltnissmassig  selten  bei 
den  Collinge-  Patentbiiclisen  das  Erneuern  der  Schmiere  nothwendig  wird,  davon 
ist  Referenten  ein  Beispiel  bekannt,  wo  ein  Wagen  mit  derartigen  Achsen  ver- 
sehen    iiber    1/q    Jahr    (fast  taglich)    im  Gebrauche  war,    ohne  dass  die  Schmiere 


f)  Auf  der  Londoner  Industrie-Ausstellung  1851  batten  die  Birminglianier  Patentachsen- 
Fabrikanten  Eykyn  &  Millichap  Co  Hinge -Achsen  und  Biichsen  ausgestellt,  wo 
durch  den  Stoss  E  fur  das  Einbringen  von  Oel  ein  Loch  gebohrt  und  durch  eine 
Schraube  verschlossen  war.  Ausserdem  hatte  man  das  hintere  (starkere)  Ende  des 
Schenkels  B  mit  zwei  flachgangigen  Schraubengewinden  versehen,  die  beim  Einbringen 
des  Schenkels  durch  eine  betreffende  Mutter  in  die  Biichse  geschoben  werden  mussten, 
nachher  aber  frei  in  die  Oelkammer  F  zu  liegen  kanien.  Beim  Yorwartsfahren  des 
Wagens  boten  diese  Gewinde  ein  neues  Sicherheitsmittel  gegen  das  Ablaufen  dar. 


650 


Fuhrwerke. 
Fig.  1685. 


Fig.  1686. 


°S1A^ ;-    "  ■  '-^mmmmmmJf 


— 


J  . , 


Fig.  1687.  Fig.  1688.     Fig.  1689,  1690.  Fig.  1696.         Fig.  1698. 

iH  Hi 


Fig.  1691,  1692,  1693, 


Fig.  1694. 


Fig.  1695. 


Fig.  1697.  Fig.  1699. 


Fuhrwcrke.  651 

ganzlich  verzehrt  worden  ware.  Der  Hauptunterschied  genamiter  beiden  Patent- 
achsen  liegt  in  der  Art  tind  Weise,  wie  das  Ablaufen  der  Achsbtichse  D,  respective 
des  ganzen  Rades,  vermieden  wird. 

Bei  Collinge  ist  der  betreffende  Haupttheil  der  sogenannte  Kragen  x  (Fig. 
1691  bis  1693  in  drei  verschiedenen  Ansichten  gezeichnet),  gegen  dessen  schiefe 
Flache  a  [3  sich  der  vordere  dunnere  Theil  der  Biichse  D  lehnt,  wie  Fig.  16S6 
hinlanglich  erkennen  lasst.  Innerhalb  ist  dieser  Ring  nicht  ganz  kreisformig, 
sondern  an  einer  Stelle  3  abgeplattet,  welche  Abplattung  rait  dem  ebenso  gestal- 
teten  Theil  w  des  Achsschenkels  iibereinstimmt,wovo,n  Fig.  1689  den  Durch- 
schnitt  nach  der  Linie  3.4  von  Fig.  1685  zeigt.  Man  wird  leicht  erkennen,  dass 
der  Zweck  dieser  Anordnung  einfach  der  ist,  das  Drehen  des  Kragen s  zn  ver- 
hindern,  wenn  derselbe  auf  der  gehorigen  Stelle  aufgebraclit  wnrde.  Der  Kragen 
x  wird  wieder  mittelst  der  beiden  Schraubenmuttern  y  und  z  an  dem  Herunter- 
schieben  in  der  Achsenrichtung  verhindert,  wozu  nnter  Umstanden  die  Achsbiichse 
D  ein  nicht  geringes  Bestreben  hervorbringt.  Dabei  ist  die  eine  Schranbe  y  eine 
rechts-,  dagegen  z  eine  linksgangige,  damit  sowohl  beim  Vor-  wie  Riickwarts- 
fahren  ein  Losgehen  niclit  zu  befiirchten  steht ;  endlich  wird  noch  vor  die  Mutter 
z  ein  Vorsteckstift  u  eingebracht.  Das  ganze  vordere  Ende  der  Biichse  D  wird 
iiberdies  von  einer  Staubkapsel  G  verschlossen. 

Jede  der  Biichsen  D  ist  an  ihrer  Aussentiache  am  starkeren  Theile  mit 
zwei  Nasen  k  versehen,  die  zum  Festkeilen  der  Biichse  in  der  holzernen  Radnabe, 
und  also  dazu  dienen,  ein  Umdrehen  der  Biichse  in  der  Nabe  zu  verliindern. 
Schliesslich  werde  bemerkt,  dass  q  eine  Schmierrille  und  C  der  Lappen  ist,  auf 
welchem  die  Federn  zum  Tragen  des  Wagenkastens  befestigt  werden. 

Bei  der  M  a  i  1  -  Patentachse  wird  das  Ablaufen  der  Biichse  D  nebst  Rad 
vom  Schenkel  B  mittelst  zweier  schmiedeiserner  Scheiben  8  und  T,  Fig.  1694, 
vermieden,  welche  durch  drei  Schraubenbolzen  a  mit  einander  vereinigt  sind  und 
die  Biichse  D  zwischen  sich  fassen.  Dabei  ist  b  wieder  eine  Lederscheibe,  gegen 
welche  sich  der  ausserste,  besonders  abgedrehte  Rand  m  (Fig.  1695)  am  weiten 
Ende  der  Biichse  lehnt  und  beim  Umdrehen  der  Biichse  reibt.  Von  den  in  Fig. 
1695  weggelassenen  Scheiben  T  und  S  hat  letztere  ihren  Platz  in  dem  ringfor- 
migen  Raume  n  n  zwischen  der  Kapsel  G  und  der  Biichse  D. 

Ueber  die  Vorziige  der  einen  oder  anderen  der  beschriebenen  Achsen  ist 
man  selbst  in  ihrem  Vaterlande  England  nocli  nicht  ganz  einig. 

Einleuchten  diirfte  jedoch  die  grcissere  Sicherheit  der  Mail-Biichse,  weil  hier 
ein  Losgehen  der  drei  Schraubenmuttern  c  gewiss  weit  weniger  zu  erwarten  ist, 
als  dies  bei  den  Schrauben  y  u.  z  der  Collinge  der  Fall  ist,  welche  den  ganzen 
Seitendruck  der  Biichse  D  auszuhalten  haben,  der  bei  Mail  von  dem  Ansatze  E 
gegen  welchen  sich  im  schlimmsten  Falle  die  Lederscheibe  b  lehnt,  aufgenommen 
wird.  Dagegen  haben  die  Collinge-Biichsen  den  Vorzug  des  grosseren  Dichthaltens  gegen 
Schmutz  und  Staub,  was  sofort  aus  der  Vergleichung  der  Durchschnittsfiguren 
Fig.  1686  und  1695  klar  werden  wird,  wo  bei  der  Mail  der  Achsschenkel  B 
vollig  offen  liegt,  sobald  die  Staubbiichse  G  entfernt  wird,  bei  der  Collinge  da- 
gegen der  Kragen  x  ein  neues  Mittel  der  Absperrung  fur  Unreinigkeiten  bildet. 
welche  bereits  in  die  Biichse  G  gelangt  sein  mochten.  Dass  Mail  eine  starkere 
Nabe  (unter  sonst  gleichen  Umstanden)  als  Collinge  erfordert,  diirfte  namentlich 
fiir  elegante  Stadtwagen  gegen  jene  sprechen,  so  wie  andererseits  der  jedenfalls 
hohere  Preis  der  Collinge  nicht  ganz  zu  iibersehen  sein  wird. 

Nachdem  im  Vorstehenden  die  Anfangsgriinde  fiir  die  Einrichtung  aller 
Fuhrwerke  und  ihrer  allgemeinen  Verhaltnisse  dargelegt  waren,  folgte  eine  Be- 
schi-eibung  der  einzelnen  Theile  des  Gestelles ;  und  es  ist  nun  die  Verbindung 
dieser  Theile  zu  dem  Fuhrwerke  selbst  naher  zu  betrachten. 

Dabei  wird  vorzugsweise  der  gewohnliche  und  wichtigste  Zweck.  zum  Trans- 
pose grosserer  Lasten  zu  dienen,  hier  beriicksichtigt. 

Man  unterscheidet  zunachst  an  jedem  Fuhrwerke  das  Untergestell  oder 
den    Unter  wage  n    und    das    Obergestell    oder     den    Oberwagen.     Von 


652  Fuhrwerke. 

Wichtigkeit  ist  vorziiglich  nur  die  Kenntniss  des  Untergestelles,  weil  dieses  die 
Leistimgen  des  Fuhrwerkes  hauptsachlich  bedingt;  der  Oberwagen  ist  einer  all- 
gemein  zu  bestimmenden  Einrichtung  gar  nicbt  fahig,  indem  die  verschiedenen 
Zwecke  bald  diese,  bald  jene  Anordnung  erfordern,  welche  haufig  selbst  auf  dem 
namlichen  Untergestell  ausgefiihrt  werden  kann. 

Das  Gestell  eines  Karrens  ist  hochst  einfach;  die  Achse  mit  ihren 
beiden  Radern  wird  in  zwei  Trag-  oder  Schwungbaume  eingelassen,  und 
durch  Achsbiigel,  Bander  und  Bolzen  damit  in  feste  Verbindung  gesetzt.  Diese 
Tragbaume  bilden  mit  ihrem  hinteren  Theile  den  oberen  Raum  fur  die  Bepaeknng 
und  sind  durch  Querholzer  verbunden;  ihre  vorderen  Theile  kommen  naher  zu- 
sammen  und  geben  die  Gabeldeichsel,  Kluftdeichsel  oder  Scheere 
zum  Eispannen  eines  Pferdes.  Sind  mehrere  Pferde  noting,  so  mtissen  sie  daher 
einzeln  vor  einander  gespannt  werden,  und  diese  Anordnung,  so  wie  besonders 
die  Lage  des  Pferdes  in  der  Gabel  ist  fur  schnelle  Bewegungen  sehr  hinderlich. 
Denn  es  leuchtet  ein,  dass  dieses  Pferd  nicht  allein  den  Theil  der  Last  tragen 
muss,  der  die  Baume  nach  vorwarts  niederdriickt,  sondern  beim  raschen  Fahren 
wird  das  Thier,  besonders  auf  unebenem  Boden,  durch  das  Hin-  und  Herschlagen 
der  Tragbaume  auf  eine  gewaltsame  Weise  angestrengt  und  gequalt. 

Die  Bepackung  des  Karrens  sollte  eigentlich  so  geschehen,  dass  der  Schwer- 
punkt  der  Last  genau  iiber  die  Achse  zu  liegen  kame,  alsdann  wurde  keine  nach 
vorn  niederdriickende  Gewalt  auf  die  Baume  wirken,  und  das  Gabelpferd  hatte 
in  dieser  Hinsicht  nichts  zu  leiden.  Allein  bei  einer  solchen  Bepackung  wurde 
beim  Aufwartsfahren  die  Scnkrechte  aus  dem  Schwerpunkte  hinter  die  Achse 
fallen,  dadurch  eine  Drehung  des  Gestelles  nach  oben  entstehen,  und  das  Pferd 
in  der  Gabel  ware  wohl  kaum  immer  im  Stande,  diesen  Gewalten  Widerstand  zu 
leisten.  Man  muss  daher  von  Haus  aus  die  Belastung  so  packen,  dass  ihr  Schwer- 
punkt  vor  die  Achse  zu  liegen  kommt,  dadurch  ist  die  eben  angefuhrte  Drehung, 
die  man  nicht  gestatten  darf,  zu  vermeiden ;  aber  es  wird  nun  auch  dem  Pferde 
fiir  den  gewohnlichen  Zug  auf  ebenem  Boden  stets  ein  Theil  der  Last  zum  Tragen 
aufgebitrdet. 

Wie  iibrigens  die  Lage  des  Schwerpunktes  in  dieser  Hinsicht  regulirt  werden 
soil,  hangt  von  der  Beschaffenheit  der  Wege  ab,  die  man  der  Wahrscheinlichkeit 
nach  passiren  muss,  und  Gebirgsgegenden  erfordern  desshalb  andere  Massregeln 
als  ein  im  Allgemeinen  flaches  Land. 

Ein  besonders  ungiinstiges  Verhaltuiss  tritt  fiir  den  Karren  dann  ein,  wenn 
derselbe  —  wie  z.  B.  bei  dem  Durchschreiten  von  Graben  oder  Vertiefungen  — 
eine  Drehung  der  Last  bewirken  muss ;  das  Gabelpferd  befindet  sich  bereits  auf 
der  neuen  Richtung  des  Zuges,  der  Karren  aber  noch  nicht,  und  es  ist  klar,  wie 
schwierig  dieser  Uebergang  werden  kann. 

Endlich  bietet  das  Karrengestell  im  Allgemeinen  Aveniger  Raum  dar  als 
das  Wagengestell ;  bei  Belastungen  mancher  Art,  die  viel  Platz  erfordern,  rtickt 
daher  der  Schwerpunkt  holier;  hierdurch,  und  durch  den  Umstand,  dass  die  Last 
nur  auf  ein  em  Gestelle  liegt,  ist  der  feste  Stand  des  Karrens  ungleich  geringer 
als  der  eines  Wagens  unter  sonst  gleichen  Verhaltnissen.  Andere  Vergleichungs- 
Momente  werden  sich  spaterhin  ergeben. 

Das  Untergestell  eines  Wagens  besteht  aus  dem  Hinter  gestell,  dem 
Vor  der  gestell  und  der  D  e  i  c  h  s  e  1. 

Zum  Hintergestell  gehort  die  Achse  a,  und  der  Achsstock  bt  Fig.  1700,  mit 
den  beiden  Radern  r,  )\  5  auf  bt  wird  noch  eine  75 — 100mm  hohe  Verstarkung 
angebracht  unter  dem  Namen  des  Achsschemels,  und  mit  ihm  durch  Bander 
vereinigt.  Von  ihm  geht  der  Langbaum  /  mit  seinen  beiden  Streben  oder 
Armen  aus,  und  dient  zur  Verbindung  des  Hintergestelles  mit  dem  Vordergestell ; 
er  gibt  die  Lenkung  fiir  das  Hintergestell  gerade  so  ab,  wie  die  Deichsel  dies 
fiir  das  Vordergestell  thut. 

Das  Vordergestell  besteht  wieder  aus  der  Achse  a  mit  den  Radern  ;•  und 
einem    Achsschemel    auf    dem    Achsstocke    b]    durch    letzteren    gehen  die  beiden 


Fuhrwerkc. 


653 


Deichselarme  d'  d"  hindurch,  welche  vor  der  Achse  die  Deichselscheere  zur 
Aufnahme  der  Deichsel  d  bilden ;  hinter  der  Achse  gehen  sie  beinahe  bis  zur 
Liinge  der  Mittelachse  auseinander,  und  sind  an  ihrem  Ende  —  auf  etwa  1  m 
Abstand  von  der  Achse  —  durch  einen  Querarm,  Reibscheit  oder  L  e  n  k- 
scheit  t  verbunden.  Eben  weil  von  der  Hinterachse  der  Langbaum,  und  von 
der  Vorderachse  die  Deichselarme  ausgehen,  muss  beiden  jene  angebrachte  Ver- 
starkung  gegeben  werden,  um  die  Achse  selbst  nicht  zu  schwachen. 

Der  Langbaum  des  Hintergestelles  geht  itber  das  Reibscheit  weg,  und  tritt 
sodann  in  eine  vierkantige  weite  Oeffnung  in  dem  Vorder-Achsschemel,  wo  er 
durch  den  von  oben  durchgehenden  Rei.b-  oder  Spann-Nagel  n  gehalten  wird. 
Das  Reibscheit  ist  oben  mit  einer  eisernen  Schiene  belegt,  der  vordere  Theil  des 
Langbaumes  endigt  in  eine  eiserne  Kappe,  und  in  dieser  Verbindung  muss  das 
Vordergestell,  d.  h.  die  Deichselarme  und  die  Deichselscheere,  nothwendig  eine 
wagerechte  Stellung  annehmen.  Mit  der  Deichsel  ist  der  Schwengel  s  und  an 
diesem  sind  die  Zugscheite  (Trittel)  z  befestigt. 

Zum  Oberwagen  gehort  sodann  der  Wend-  oder  Lenkschemel,  welcher 
in  der  Regel  convex  gekriimmt  auf  dem  Vorder-Achsschemel  drehbar  ruht,  und  durch 
welchen  der  Spann-Nagel  von  oben  hindurch  geht.  Dieser  Wendschemel  steht 
mit  dem  Kasten  oder  den  sonstigen  Theilen  des  Oberwagens  in  fester  Verbindung, 
und  auf  der  Hinterachse  wird  der  Oberwagen  ebenfalls  durch  entsprechende  Vor- 
richtungen,  Rungen,  Stemmleisten  (audi  wohl  Niisse  genannt)  festgehalten. 
Es  kann  daher  die  Vorderachse    unter    dem    Wendescherael    und    Oberwagen  ihre 

Fig.  1700. 


Stellung  verandern,  ohne  dass  dieser  und  die  Hinterachse  daran  auf  irgend  eine 
Weise  Theil  zu  nehmen  brauchen.  Soil  daher  der  Oberwagen  im  Ganzen  eine 
horizontale  Stellung  einnehmen,  so  muss  der  Halbmesser  der  Vorderrader  um  die 
Hohe  des  Wendeschemels  kleiner  sein  als  der  der  Hinterrader.  Dies  ist  der  ge- 
wohnliche  Grund  der  kleinen  Vorderrader;  eine  andere  Veranlassung,  sie  noch 
niedriger  zu  machen,  findet  statt,  wenn  man  unterlaufende  Rader  haben  will. 

Von  der  hier  beschriebenen  Einrichtung  des  Vordergestelles  ist  das  eigent- 
liche  K u t  s c h-  oder  Bockgestell  vollig  verschieden.  Bei  ihm  muss  ein  grosser 
freier  Raum  liber  der  Vorderachse  zur  Anbringung  des  Bockes  u.  s.  w.  gewonnen 
werden,  in  der  Regel  werden  auch  unterlaufende  Rader  angebracht,  und  darnach 
muss  sich  die  iibrigens  hochst  abweichende  Construction  sowohl  des  Unterwagens 
wie  des  Oberwagens  in  diesen  Theilen  richten.  Der  Unterwagen  weisst  z.  B.  in 
den  Figuren  1701  u.  1702  keinen  Langbaum  auf,  indem  die  betreffenden  Ver- 
bindungsstilcke  in  den  Oberwagen  gelegt  sind.  Es  liegt  nicht  in  dem  Plane  dieses 
Artikels  hiervon  naher  zu  sprechen. 

Als  Material  zum  Unterwagen  wird  regelmassig  Eichenholz  genommen,  weil 
dessen  grossere  Festigkeit  und  Dauer  doch  ein  iiberwiegender  Vorzug  trotz  des 
vermehrten  Gewichtes  ist.     Bei    leichteren    Fuhrwerken    benutzt    man  jedoch  auch 


654 


Fuhrwerke. 


B uclien  und  Ulmen.  Ueberhaupt  liangt  die  Festigkeit  des  Gestelles  keineswegs 
von  der  Masse  und  Dicke  des  verwendeten  Materiales  ab,  sondern  mehr  noch 
von  der  zweckmassigcn  Form,  Gegeneinanderstellung  und  Verbindung  der  Theile. 
Es  dient  die  Deichsel  und  zunachst  die  einfache  Deichsel  dazu,  um  durcli 
eine  bestimmte  Stellung  derselben  der  Vorderachse  eine  veranderte  Lage  unter 
deni  Wendeschemel  und  Oberwagen  zu  ertheilen.  Wird  nun  der  Wagen  in  Be- 
wegung  gesetzt,  so  muss  der  veranderte  Zug  der  Pferde  gegen  die  Achse  und  die 
hierdurch  bedingte  seitliche  Pressung  des  Langbaumes  das  Hintergestelle  veran- 
lassen  in  die  neue  Richtung  iiberzugehen.  Natiirlich  dient  bei  gleichmassiger 
Fiihrung  der  Pferde  die  Deichsel  dazu,  die  Richtung  der  Bewegung  iiberhaupt  zu 
erhalten,  wie  zu  lenken. 


Fig.  1701. 


Auf  oder  unter  der  Deichsel,  nach  Massgabe  der  Hohe  der  Rader,  liegt  zur 
Verbindung  der  Zugstrange  niit  der  Achse  und  dem  Fuhrwerke  die  Wage  (der 
grosse  Schwengel),  woran  die  kleinen  Schwengel  oder  Zugscheite  (Trittel) 
befestigt  sind,  an  welche  die  Strange  angeschlungen  werden. 

Fig.  1702. 


Bei  alien  Fuhrwerken  ist  ihre  L  e  n  k  b  a  r  k.e  i  t,  d.  i.  die  Fahigkeit  der 
Riclitiingsiinderung,  von  besonderer  Bedeutung.  Indem  die  Richtungsanderuug  des 
ganzen  Wagens  keine  plbtzliche  sein  kann,  sondern  in  einem  Bogen  stattfinden 
muss,  welchen  die  Rader  des  Hintergestelles  durchlaufen,  so  ist  die  Lenkbarkeit 
um  so  grosser,  je  scharfer  gekriimmt  dieser  Bogen  sein  kann. 

Wenn  man  das  in  Figur  1700  gezeichnete  Untergestelle  betrachtet  und 
sich  das  Vordergestelle  um  den  Reibnagel  n  gedreht  denkt,  so  ersieht  man 
leieht,  dass  diese  Drehung  alsbald  begrenzt  ist;  wenn  eines  der  Vorderrader  gegen 


Fuhrwerke.  —   Fumarin.  655 

den  Langbaum  stb'sst.  Es  bezeichnet  dies  die  Grenze  der  Abweichung;  und 
indem  man  die  Vorderachse  und  Hinterachse  so  weit  verlangert  denkt,  bis  sie  sich 
schneiden,  so  erhalt  man  den  Drehungsmittelpunkt,  also  auch  den  Radius  des 
kleinsten  Kreises,  in  welchem  sich  das  Fuhrwerk  bewegen  kann.  Es  ist  nun 
leieht  ersichtlich,  dass  jener  Radius  grosser  werden  muss  —  also  die  Lenkbarkeit 
abnimmt  - —  wenn  der  Langbaum  bedeutende  Lange  hat,  ferner  wenn  die  Spur- 
weite  der  Rader  eine  geringere  ist. 

In  den  wenigsten  Fallen  ist  jedoch  das  Vordergestelle  so  weit  beweglieh, 
dass  eines  der  Rader  den  Langbaum  beriiliren  kann,  sondern  meist  wird  die  Be- 
wegung  durch  den  Oberwagen  friiher  begrenzt.  Daher  ist  auch  die  Breite  des 
Oberwagens  und  die  Orosse  der  Vorderrader  von  wesentlichem  Einflusse  auf  die 
Lenkbarkeit;  und  trachtet  man  namentlich  durch  entsprechende  Form  des  Ober- 
wagens, z.  B.  Einschnitte  am  Wagenkasten,  die  Hindernisse  zu  vermindern. 

Mit  den  Anforderungen,  welche  im  Sinne  der  Lenkbarkeit  an  ein  Fuhrwerk 
gestellt  werden  miissen,  kreuzen  sich  die  Forderungen,  welche  man  betreffs  der 
Stabilitat  stellen  muss.  Der  Schwerpunkt  der  Last  soil  thunlichst  tief  liegen, 
es  bedingt  dies  breite,  niedere  Oberwagen.  Dieser  Collision  begegnet  man  durch 
solche  Wahl  der  Dimensionen,  wie  sie  die  Erfahrung  festgesetzt  hat. 

Beim  Abwartsfahren  werden  haufig  Hemmungsvorrichtungen  erfor- 
derlicli,  wohin  die  Hemmkette,  der  Hemm-  oder  Radschuh,  die  H  emm- 
schraube  oder  Bremse  zu  zahlen  sind.  Vgl.denArt.  Bremse  II  pag.  7  bis  10. 

Beziiglich  der  Zugkraft  der  Fferde  und  ihrer  Ermittlung  vergleiche  die 
Artikel:  Arbeit  Ipag.  188,  Dynamometer  II  pag.  706  und  Pferdekraft; 
hier  sei  nur  bemerkt,  dass  man  auf  guten  Strassen  pr.  1  Pferd  eine  Belastung 
von  30 — 50  Zoll  Cent,  bei  einer  Geschwindigkeit  (Schritt)  von  1.1  bis  1.3m  und 
von  5  Zoll-Cent.  bei  3m  Geschwindigkeit  (Trab)  rechnen  kann,  in  welcher  Bela- 
stung das  Gewicht  des  Wagens  nicht  einbezogen  ist.  R. 

Literatur.  Riihlmann:  Allgem.  Maschinenlehre  3.  Band.  Braunschweig  1868. 
Bickes:  Anleitung  z.  Kenntniss  aller  Arten  von  Equipagen  oder  Darstellung 
der  Kutschenfabrikation.  Freiburg  i.  Br.  1829.  L  e  b  r  u  n :  Manuel  du  Charron 
et  du  Carrossier,  Paris  1833,  ubersetzt:  Theor.  pract.  Handbuch  des  Wagners, 
Weimar  1835.  Beckmann  Handbuch  der  Wagenfabrikation,  4.  Aufl.  von 
Rausch,  Weimar  1865.  Zeitschriften  fur  Wagenbau:  Meitinger  Wagenbau- 
Zeitung  Mitnchen ;  Brice-Thomas  le  Guide  du  Carrossier.  Paris  etc. 

Fllligo,  s.  m.  Kienruss,  s.  b.  Kohlenstoff. 

FulmicotOtl,  s.  Schiessbaumwolle,  s.  Explosivstoffe  III  pag.  337. 

Fulminate,  s.  Knallsaure-Salze,  s.  d.,  vgl.  Explosivstoffe  III  pag.  339. 

Fulminatin,  syn.  Fuchs'sches  Sprengpulver,  ist  Scheerwolle  (moglicher  Weise 
auch  nitrirter  Baumwollabfall),  mit  Nitroglycerin  getrankt,  s  Berg-  und  Hiittenm. 
Ztg.  1872  pag.  55,  vgl,  E.  Kopp,  Monit.  scientif.  1874  Nr.  390,  pag.  499, 
s.  a.  Gintl,  Ausstellungsber.  ii.  Zundwaaren  u.  Explosivstotf,    Wien   1874.     Gil. 

Fulminatin,  s.  Bergbau  I  pag.  385. 

Fulminsaure  u.  Fulminursaure,  s.  m.  Knallsaure  und  Isocyanur- 
saure,  s.  Cyan  II  pag.  460,  s.  a.  Knallsaure. 

Fumarolen  (soffioni),  d.  s.  die  in  den  Provinzen  Pisa  und  Grosseto  des 
ehemaligen  Grossherzogthums  Toscana  der  Erde  entstrb'menden  borsaurehaltigen 
Wasserdampfe,  welche  zur  Gewinnung  von  Borsaure  dienen,  s.  Bor  I  pag.  726, 
vgl.  a.  C.  M.  Kurtz,  Dingl.  pol.  Journ.  212  pag.  493.     Gtl. 

Fumarin  (fumarine  —  fumarine)  das  Alkaloid  des  Erdrauchs  (Fumaria 
offic  L.),  kann  aus  dem  frischen  Kraute    des  Erdrauchs    durch  Zerstampfen,    An- 


656  Fumarin.  —  Fumarsaure. 

sauern  des  Breis  mit  Essigsaure  und  mehrstiindige  Digestion  in  der  Warme,  Ab- 
pressen  des  Saftes  nnd  Extrahiren  des  im  Wasserbade  verdunsteten  Saftes  mit 
kochendem  Alkohol  zunachst  in  weingeistiger  Lbsung  erhalten  werdcn,  aus  welcher 
sich  nach  dem  Entfarben  mit  Thierkohle  beim  Verdunsten  farblose  Krystallnadeln 
von  essigs.  Fumarin  ausscheiden  (vgl.  Hannon,  Journ.  Chim.  med.  (3)  8  pag.  705). 
Audi  dureh  Auskochen  des  trockenen  Krautes  mit  Essigsaure  entbaltendem  Wasser, 
Fallen  des  Decoctes  mit  Bleiessig  und  Fallen  des  vom  Blei  befreiten  Filtrates 
nach  starkem  Ansauren  mittels  Schwefelsaure  mit  metawolframsauren  Natron  erhalt 
man  einen  Niederschlag  der  mit  frischem  Bleioxydhydrat  vermengt  und  getrocknet 
an  kochenden  Alkohol  Fumarin  abgibt,  welches  durch  Verdunsten  des  Alkohols, 
Losen  des  Riickstandes  in  essigsaurehaltigem  Wasser,  Fallen  der  Lbsung  mit  Blei- 
essig und  Sattigen  des  vom  Blei  befreiten  Filtrates  mit  Kalihydrat  zunachst  in 
Gestalt  eines  Niederschlags  erhalten  werden  kann,  der  nach  dem  Waschen  und 
Trocknen  in  warmen  Schwefelkohlenstoff  gelbst  und  nach  dem  Abfiltriren  des 
Ungelbsten  aus  dieser  Lbsung  durch  Schiitteln  mit  salzsaurehaltigem  Wasser  die 
Base  in  Gestalt  eines  salzsauren  Salzes  liefert,  aus  welchem  sich  durch  Ver- 
mengen  mit  kohlens.  Baryt  und  Extrahiren  des  trockenen  Gemenges  mit  absol. 
Alkohol  das  reine  Alkaloid  gewinnen  lasst  (vgl.  Preuss,  Zeitschr.  f.  Chem.  1866 
pag.  414).  Das  Fumarin  bildet  farblose  Krystalle  (Prismen  des  klinorhb. 
Systems),  lost  sich  wenig  in  Wasser,  leicht  in  Weingeist,  Amylalkohol,  Schwefel- 
kohlenstofF,  Chloroform  und  Benzol,  in  Aether  ist  es  unlbslich.  Es  schmeckt  bitter 
und  seine  Losungen  reagiren  alkalisch.  Mit  cone.  Schwefelsaure  farbt  es  sich 
dunkelviolett.  Seine  Zusammensetzung  ist  noch  nicht  festgestellt.  Vergl.  a. 
Peschier  in  Trommsdrtf.  n.  Journ.  Pharm.  17(2)  pag.  80.     Gtl. 

Fumarsaure  (acide  fumarique  — fumaric  acid),  Flechtensaure,  Bo- 
letsaure,  Par  am  ale  ins  a  lire.  Knstallisirbare  Saure,  findet  sich  als  Bestand- 
theil  des  Erdrauches  (Fumaria  off.  L.),  des  Krautes  von  Corydalis  bidb.  De  C. 
und  Glaucium  hit.  L.,  dann  im  island.  Moos  (Cetraria  islandica  Ach.),  sowie  in 
verschiedenen  Schwammen,  insbesondere  Agaricus  und  Boletits-Avten.  Kiinstlich 
entsteht  sie  bei  der  trock.  Destination  der  Aepfelsaure,  sowie  beim  Erhitzen  dieser 
Saure  mit  Salzsaure  oder  BromwasserstofF. 

Aus  Erdrauchkraut  erhalt  man  die  Fumarsaure,  wenn  man  durch  Fallen  der 
siedend  heissen  wassrigen  Abkochung  desselben  mit  Bleizuckerlbsung  zunachst 
Gerbstoffe  und  Farbstoffe  entfernt  und  die  noch  siedend  heisse  Fliissigkeit  vom 
Niederschlage  abfiltrit.  Aus  dem  Filtrate  scheidet  sich  beim  Erkalten  fumarsaures 
Blei  in  Gestalt  kleiner  kbrniger  Krystalle  aus,  die  gesammelt  und  mit  Salpeter- 
saure  zerlegt  werden,  wonach  aus  dem  Zersetzungproduct  durch  kochenden  Alkohol 
die  Fumarsaure  ausgezogen  werden  kann.  Durch  Ueberfuhrung  in  das  Ammo- 
niumsalz,  Umkrystallisiren  und  abermaliges  Zersetzen  desselben  mit  Salzsaure 
lasst  sich  die  Saure  rein  erhalten.  Reine  Fumarsaure  bildet  farblose  prysmatische 
Krystalle,  welche  in  390  Thcile  Wasser  von  10°  C,  reichlich  in  heissem 
Wasser,  dann  in  21  Theile  76  Proc.  Alkohol,  sehr  leicht  in  Aether  auf- 
lbslich  sind.  Sie  ist  geruchlos,  schmeckt  und  reagirt  stark  sauer.  Beim  Erhitzen 
iiber  100°  C.  schmilzt  sie  und  sublimirt  iiber  200°  C.  in  langen  nadelfdrmigen 
Krystallen,  wahrend  ein  Theil  sich  unter  Wasserabgabe  in  Fumarsaureanhydrid 
(Cj^jO.,)  verwandelt.  Ihre  Zusammensetzung  entspricht  der  Formel  CJi^O^  sie 
ist  mit  Maleinsaure  isomer,  in  die  sie  z.  Th.  audi  beim  Erhitzen  iiberzugehen 
vermag.  Die  Fumarsaure  ist  eine  zweibasische  Saure  und  liefert  z.  Th.  krystal- 
lisirbare  Salze.  Das  Silbersalz  ist  leicht  zersetzbar  und  explodirt  beim  Erhitzen 
heftig.  Beim  Erhitzen  eiuer  mit  Salzsauregas  gesattigten  Lbsung  von  Fumarsaure 
in  Alkohol  destillirt  bei  225°  C.  siedender  Fumarsaure  Aethylather  als  eine  farblose 
angenehm  obstartig  riechende  Fliissigkeit  (C^H^O^  »(C,,Hh). 

Mit  Jodwasscrstoff  erhitzt  oder  mit  Natriumamalgam  behandelt,  geht  die 
Fumarsaure  unter  Aufnahme  von  Wasserstoff  in  Bernsteinsaure  iiber  (vergl.  a. 
Winckler,    Rep.    Pharm.    39    pag.    48    und  368,    dann    48    pag.  39    und  363, 


Fumarsaure.   —  Function.  657 

Pasteur  Annal.  Chim.  Phys.  (3)  31  pag.  92,  Pelouze  Annal.  Chim.  Phys. 
(2)  56  pag.  72,  Kekule  Annal.  der  Chem.  und  Pharm.  130  pag.  21,  131  pag. 
85.  Supplem.  I  pag.  129  und  II  pag.   108).     Gil. 

Function.  Hangt  eine  Grosse  u  von  einer  oder  mehreren  anderen  unbe- 
schrankt  und  stetig  veranderlichen  Grossen  x,  y .  . .  ab;  so  zwar,  dass  mit  diesen 
auch  u  seinen  Werth  andert,  so  wird  u  eine  Function  jener  Grossen  genannt  und 
man  schreibt  u  z=z  f  (x),  u  —  F  (x,  y) .  .  .  .  Die  Grossen  x,  y  .  .  .,  denen  das 
Merkmal  der  unbeschrankten  continuirlichen  Veranderlickkeit  als  wesentlich  an- 
haftet,  werden  die  unabhangigen  Variablen  genannt;  dagegen  pflegt  man  u 
auch  die  abhangige  Veranderliche  zu  nennen.  Der  geometrische  Repra- 
sentant  einer  Function  von  einer  Variablen  ist  eine  ( 
yon  zwei  unabhangigen  Veranderlichen  eine  Elache. 

1.  Dem  Wesen  nach  theilt  man  die  Functionen  in  algebraische  und 
transcendente;  in  den  ersten  werden  mit  den  Veranderlichen  bios  die  sog. 
algebraischen  Operationen  —  Addiren  und  Subtrahiren,  Multipliciren  und  Dividiren, 
Potenciren  und  Radiciren  mit  constantem  Exponenten  —  vorgenommen ;  in  den 
zweiten  sind  die  Variablen  mit  anderweitigen,  sog.  transcendenten  Operationen 
behaftet. 

2.  Die  algebraischen  Functionen  theilt  man  weiter  ein  in  rationale 
und  irrational  e,  je  nachdem  sie  —  nach  Ausfuhrung  etwa  angedeuteter  Ope- 
rationen —  die  Variablen  nur  mit  ganzen  oder  auch  mit  gebrochenen  Exponenten 
(unter  einem  Wurzelzeichen)  enthalten;  in  ganze  und  gebrochene,  je  nachdem 
die  Variablen  nur  im  Z Shier  (mit  positiven  Exponenten)  oder  auch  im  Nenner 
(mit  negativen  Exponenten)  erscheinen. 

3.  Eine  Function  /  (x)  der  unabhangigen  Variablen  x  —  gleichgiltig  ob 
algebraisch  oder  transcendent  —  heisst  ein-  oder  mehrdeutig,  je  nachdem 
einem  bestimmten  Werthe  von  x  ein  oder  mehrere  Werthe  von  f  (x)  entsprechen ; 
gerad  oder  ungerad,  je  nachdem  sie  fur  entgegengesetzt-gleiche  Werthe  von 
x  gleiche  oder  entgegengesetzte  Werthe  annimmt,  je  nachdem  also/(as)  =z/( — x) 
oder  f  (x)  •=.  —  /  ( — x) ;  sie  ist  innerhalb  eines  Intervalls  der  unabhangigen 
Variablen  x  ■=.  a  bis  x  =  b  continuirlich  oder  discontinuirlich,  je 
nachdem  fur  alle  zwischen  a  und  b  gelegene  Werthe  von  x  einer  unendlich 
kleinen  Aenderung  dieser  Grosse  auch  sie  eine  solche  Aenderung  erfahrt.  Perio- 
disch  heisst  eine  Function  /  (x) ,  wenn  sie  nach  gleichen  Intervallen  der 
Variablen  immer  wieder  denselben  Werth  annimmt,  so  dass,  wenn  mit  a  jenes 
Intervall  bezeichnet  wird,  /  (x)  =  /  (a  -\-  x)  rzz  /  (2a  -\-  x) .  =  .  .  v  .  5  man 
nennt  a  den  Index  der  Periodicitat. 

4.  Zu    den    einfachen    algebraischen    Functionen    rechnet   man  nebst 

den  einfachsten  a  -±z  x,  bx,  — ,  in    welchen    die    Variable    mit    den    Constanten 
c 

a,  b,  c  durch  die  vier  Species  verkniipft  ist,  die  Potenz,  d.  i.  die  zu  einem 
(ganzen  oder  gebrochenen,  positiven  oder  negativen)  constanten  Exponenten  er- 
hobene  Variable;  zu  den  transcendenten  die  Exponential  grosse  as, 
ihre  Umkehrung,  den  Logarithmus  Hog  x;  die  goniometrischen  Func- 
tionen sin  x,  cos  x,  tg  x,  cot  x,  sec  x,  cosec  x,  ihre  Umkehrungen,  die  cyclo- 
metrischen  Functionen  arc  sin  x,  arc  cos  x,  arc  tg  x,  arc  cot  x  ...  Liisst 
man  fur  die  unabhangige  Variable  auch  complexe  Werthe  zu,  so  konnen  die  gonio- 
metrischen Functionen  aus  der  Exponentialgrosse,  die  cyclometrischen  aus  dem 
Logarithmus  hergeleitet  werden. 

Liter atur.  Ausser  dem  hervorragenden  Werke  tiber  die  Theorie  der  Functionen, 
Lagrange's  „ Theorie  des  fonctions  analytique"  (3.  Aufl.  v.  Serret,  Paris 
1847)  und  dessen  „Lecons  sur  le  calcul  des  fonctions"  ist  auf  die  verschie- 
denen  Curse  der  hoheren  Mathematik  zu  verweisen,  von  denen  wir  hier  nur 
Navier's  „Legons  d'analyse"  (deutsch  v.  Wittstein),  Schlomilch's  „ Com- 
pendium   der    hoheren    Analysis"    (4.  Aufl.  Leipzig),    Herr's   Lehrbuch    der 

Karmarach  &  Heeren,  Technisches  Wbrterbuch    Bd.  Ill  42 


658  Function.   —   Fuscin. 

hoheren    Mathetnatik"    (3.  Aufl.  Wien,    1877)    und    Lipschitz's    eben    im 
Erscheinen  begriffenes  „Lehrbuch  der  Analysis"  (Bonn  1877)  anfiihren. 

Czuber. 

Fundament,  s.  Bergbau  I  pag.  400,  s.  Fundirung. 

Fundamentalpunkte  nennt  man  die  durch  directe  Bestimmung  festgestellten 
Siede-  und  Eispunkte  an  Thermometern,  s.   d.  vergl.  Warraeniessung.     Gil. 

Fundirung  (foundation  —  foundation).  Die  Gesammtheit  jener  Arbeiten, 
welche  bei  Herstellung  des  Fundamentes  oder  der  Grundmauern  eines  Bauwerkes 
auszufiihren  sind.  Besondere  Wichtigkeit  im  Briickenbau  bat  die  pneumatische 
Fundirung  erlangt  (s.  bieriiber  d.  Art.  Wasserbau). 

Fungin,  syn.  Cellulose,  s.  d.  II  pag.  269. 

Funkenfanger,  werden  bei  Schornsteinen  angebracht  und  sollen  durch 
Kriimmung  des  Weges,  welchen  der  Rauch  bei  der  Ausstromung  zurlickzulegen 
hat,  die  Ablagerung  der  mitgefiihrten  gliihenden  Stiickchen  (Funken)  bewirken. 
Vergl.  Ill  pag.  105,    Fig.    1333  b  bei   T  u.   X,    vergl.  ferner  d.  Art.  Heizung. 

Furfurin,  s.  Furfurol. 

Furfurol  (furfurole),  A  m  e  i  s  e  n  6 1 ,  Pyroschleimsaure-Aldehyd.  Name  (von 
furfur,  die  Kleie  und  oleum,  Oel,  d.  i.  Oel  aus  Kleie)  eines  Zersetzungsproductes, 
das  bei  der  Destination  von  Kleie,  Mehl,  Gummi,  Zucker,  Holzspanen  etc.  mit 
verdunnter  Schwefelsaure,  sowie  bei  der  trockenen  Destination  dieser  Korper  ent- 
steht.  Man  stellt  es  dar  durch  Destination  eines  Gemenges  von  6  Thl.  Kleie, 
5  Thl.  Schwefelsaure  und  12  Thl.  Wasser,  oder  durch  Erhitzen  eines  Breies 
aus  15  Thl.  Kleie  und  5 — 6  Thl.  Zinkchlorid  mit  so  viel  Wasser,  als  nothig,  um 
eine  geniigend  fliissige  Masse  zu  erhalten,  Neutralisiren  des  Destillates  mit  Kali 
und  nochmalige  Destination,  wobei  ein  wassriges  Destillat  erhalten  wird,  aus  dem 
sich  das  Furfurol  in  Gestalt  oliger  Tropfen  ausscheidet,  die  gesammelt  und  iiber 
Chlorcalcium  getrocknet  werden. 

Das  Furfurol  stellt  eine  Anfangs  farblose,  am  Licht  sich  bald  gelb  und  braun 
farbende  olige  Fliissigkeit  dar,  ist  von  eigenthiimlich  gewiirzhaftem  Geruche  und 
brennendem  Geschmacke.  Es  hat  das  spec.  Gew.  1.165  und  siedet  bei  163°  C. 
In  Wasser,  Alkohol  und  Aether  ist  es  leicht  loslich,  farbt  die  Haut  deutlich  gelb 
und  reducirt  Silberoxyd  zu  metallischem  Siiber.  Seine  Zusammensetzung  entspricht 
der  Formel  Cr)#40„.  —  Mit  Ammoniak  vereinigt  es  sich  zu  Fur  fur  amid 
CirtHliN„03,  das'  beim  Kochen  mit  Kalilauge  in  die  isomere  Base  Furfurin 
iibergeht,  ebenso  beim  Erhitzen  auf  120°  C.  Diese  Base  bildet  seidenglanzende 
farblose  Nadeln,  die  geruch-  und  geschmacklos  sind  und  sich  schwer  im  kalten 
Wasser,  leicht  in  Alkohol  und  Aether  losen.  Die  Losungen  reagiren  alkalisch  und 
liefern  mit  Sauren  leicht  krystallisirbare  Salze.  Bei  100°  C.  schmelzen  die  Kiy- 
stalle,  dartiber  hinaus  erhitzt  werden  sie  zersetzt.     Das  Furfurin  ist  giftig. 

Mit  Schwefelammonium  liefert  das  Furfurol  T hi o furfurol  (C^H^OS),  in 
Gestalt  eines  weissen  krystallinischen  Niederschlags.  Mit  Anilin  gibt  es  einen 
schon  i  othen,  jedoch  nicht  bestandigen  Farbstoff,  mit  Pjn-ogallussaure  oder  Resorcin, 
audi  mit  Phenol  unter  Benetzung  mil  etwas  Salzsaure  gemengt,  liefert  es  einen 
indigblauen  Korper.     Naheres  s.  in  chem.  Handbiichern.    Gtl. 

Furienfackeln,   s.  Feuerwerkerei  III  pag.  475. 

Furniren,  s.  Fournirte  Arbeit  en. 

Furnure,  s.  Fournire. 

Fuscin,  organische  Base  aus  dem  Dippel'schen  Oele,  die  sich  an  der  Luft 
roth  farbt,  s.  Thierol,  vgl.  Knochenole. 


Fuscokobaltsalze.  —  Fuselol.  G59 

Fuscokobaltsalze  sind  Ammoniakkobaltsalze,  s.  Kobalt. 

Fuselcampher,  der  erstarrende  Antheil  des  Fuselols  aus  Getreidebrannt- 
wein. 

Fuselol  (fusel  oil),  Fusel  nennt  man  im  Allgemeinen  die  bei  der  Gahrung 
der  verschiedensten,  einer  Alkoholgahrung  fahigen  Substanzen  neben  dem  Alkohol 
in  geringer  Menge  auftretenden  anderweitigen  Substanzen,  welche  dem  Roh-Alkohol 
einen  melir  oder  weniger  charakteristischen  Geschmack  und  Geruch  ertheilen  und 
bei  der  Rectification  desselben,  als  schwerer  fliichtig,  zuriickbleiben.  Die  bei  der 
Gahrung  der  verschiedenen  zur  Alkobolgewinnung  verwendeten  Materialien  resul- 
tirenden  Fuselole  sind  in  der  Regel  entweder  Alkoliole  von  hoherem  Kohlenstoff- 
gehalt  oder  Aether  soldier  Alkoliole,  oder  Ester  (s.  Aether  I  pag.  50),  enthalten 
jedoch  audi  Sauren,  mitunter  Aldehyde  und  endlich  sog.  Fermentole.  So  besteht 
das  Fuselol  des  Kartoffelspiritus  wesentlich  aus  Amylalkohol  neben  etwas  Propyl- 
und  Butyl-Alkohol,  wohl  auch  Spuren  anderer  kohlenstoffreicherer  Alkoliole  und 
Fettsauren.  Das  Getreide-Fuselol  enthalt  wesentlich  Oenanthather,  Amyl- 
alkohol, Caprinsaure  und  Caprylsaure,  sowie  Ester  dieser  Sauren,  endlich  ein 
Fermentol  von  eigenthtimlichem,  je  nach  der  Getreideart  verschiedenem  Geruche 
(Kornol).  Das  Fuselol  des  Rtiben-Melassen-Spiritus  enthalt  Capron-,  Capryl- 
und  Caprin-Saure ,  sowie  Pelargonsaure  neben  verschiedenen  Alkoholen.  Das 
W  e  i  n  f  u  s  e  1  o  1  (Drusenol)  ist  wesentlich  Oenanthather  (Pelargonsaure-Aethylather), 
des  Rum  fusel  61  wesentlich  Buttersaureather  etc. 

Mit  dem  Namen  Fuselol  schlechtweg  bezeichnet  man  nicht  selten  auch  den 
Amylalkohol,  der  wie  erwahnt  den  Hauptbestandtheil  des  Kartoffelfuselols  aus- 
macht  und  aus  diesem  durch  Rectification  gewonnen  werden  kann.  Dieser  der 
Formel  C^lf^OH  entsprechend  zusammengesetzte  Alkohol  (Amyloxydhydrat)  be- 
steht in  fiinf  verschiedenen  Formen,  von  denen  zwei  im  Fuselol  (Galirungsamyl- 
alkohol)  enthalten  sind,  u.  z.  der  optisch  inactive  Amylalkohol,  der  als  Isobutyl- 
carbinol  aufgefasst  werden  muss,  und  der  optisch  active  Amylalkohol,  der  vielleicht 
als  Amylenhydrat  anzusehen  ist.  Der  durch  wiederholte  Rectification  des  Kar- 
toffelfuselols gereinigte  Amylalkohol  stellt  eine  farblose  olartige  Fliissigkeit  von 
eigenthiimlichem  Geruche  und  scharfem  Geschmacke  dar,  die  in  Wasser  nur  wenig 
loslich  ist,  sich  aber  mit  Alkohol  in  alien  Verhaltnissen  mischt.  Bei  —  21°  C. 
erstarrt  er,  der  Siedepunkt  liegt  bei  131°  C,  das  spec.  Gew.  =  0.818.  Er 
erzeugt  auf  Papier  einen  erst  nach  einiger  Zeit  verschwindenden  Fettfleck  und 
brennt  mit  blauer  Flamme.  Die  beiden  durch  ihr  V'erhalten  gcgen  das  polarisirte 
Licht  sich  unterscheidenden  Modifikationen  kann  man  nach  Pasteur  durch  Um- 
wandlung  in  amylschwefelsauren  Baryt  und  Trennung  der  Barytsalze  durch  Kry- 
stallisation  von  einander  trennen.  Das  Salz  des  optisch  wirksamen  Alkohols,  der 
links  dreht  (bei  50cm  langem  Rohre  um  20°),  ist  schwerer  loslich  als  das  des 
Anderen.  Dem  Amylalkohol  entspricht  wie  anderen  Alkoholen  der  Fettreihe  auch 
ein  Aether  (C10H„q0),  Aldehyd  C5Hl()0,  (Amylaldehyd,  Valeral)  und  eine  Saure, 
die  Valeriansaure  (CbHlQ0^),  die  durch  Oxydation  des  Alkohols  leicht  erhalten 
werden  konnen.  Mit  Sauren  liefert  er  Ester  von  meist  angenehmen  Obstgeruche 
(s.  d.  bei  den  einzelnen  Sauren).  Mit  wasserentziehenden  Mitteln  (Chlorzink, 
Schwefelsaure)  destillirt  liefert  der  Amylalkohol  Amy  1  en  (C-Hxo),  d.  i.  eine 
farblose.  nach  faulem  Kohl  riechende,  kiihlend  schmeckende  Fliissigkeit  vom  spec. 
Gew.  0.659  und  dem  Siedpunkte  35°  C,  welche  man  ahnlich  dem  Chloroform 
als  Anastheticum  beniitzt  hat.  Die  librigen  isomeren  Formen  des  Amylalkohols 
sind  der  sog.  normale  Amylalkohol  (Pentylalkohol),  der  Normalbutyl- Carbinol 
(vgl.  Buttersaure  II  pag.  181)  ist  und  bei  137°  C.  siedet;  der  Isoamylalkohol, 
d.  i.  Methylpropylcarbinol,  ein  secundarer  Alkohol,  der  bei  120°  C.  siedet,  der 
Pseudoamylalkohol  (Methylisopropyl-Carbinol)  oder  Amylenhydrat,  ein  secundar. 
Alkohol,  der  bei  105°  C.  siedet,  und  der  tertiare  Amylalkohol,  Pseudoamylalkohol 
(Dimethylathyl-Carbinol),  der  bei  98.5—102°  C.  siedet. 

42* 


660  Fuselol.  —  Fussboden. 

Das  Fuselol  findet  ausser  zur  Herstellung  verschiedener  Fruchtather  anch 
als  Beleuchtungsmateriale  (Apollool),  dann  als  Losungsmittel  fiir  Alkaloi'de  prak- 
tische  Verwendung,  dient  ferner  zur  Darstellung  der  Valeriansaure  (s.  d.)  etc. 
Ueber  Entfuseln  des  Alkohols  s.  Branntweinbrenn  erei.     Gil. 

FllSSarbeit,  die  Herstellung  von  Geweben,  bei  welchen  die  Schafte  durch 
Treten  bewegt  werden,  Trittweberei  (etoffes  fagonnees  a  la  marche). 

FUSS  kunstlicher,  s.  Gliedmassen  kiinstliche. 

FllSSband,  s.  Band  I  pag.  285. 

FuSSbekleidung,  s.  Schuhmacherei. 

Fussboden  (aire  —  flooring),  ist  der  Belag  der  Bodenflache  der  Raume 
der  Gebaude.  Die  Belegung  erfolgt  mit  natiirlichen  oder  kiinstlichen  Steinen 
(Pflasterung),  oder  mit  einer  weichen,  breiartigen  Masse,  welche  nach  dem  Er- 
harten  ein  testes  Ganze  ohne  Fugen  bildet  (Aestrich,  Estrich),  oder  endlich  durch 
Holzconstructionen. 

1.  Pflasterung.  a)  Das  gewohnliche  Steinpfl aster  ist  entweder 
ein  unregelmassiges,  wenn  wenig  bearbeitete  Bruchsteine  verwendet  werden  oder 
ein  Reihenpflaster  (Wiirfelpflaster),  wenn  die  Steine  nach  der  prismatischen  Form 
vorbereitet  werden.  Die  Befestigung  der  Unterlage  ist  sehr  wichtig  und  dient  fur 
Einfahrten,  Stallungen  etc.  eine  8 — 15cm  starke  comprimirte  Sandschilttung.  Die 
Steine  (ca.  10— 15cm  hoch)  werden,,  nachdcm  sie  mit  unausgefiillten  Fugen  ver- 
legt  sind,  mit  einer  Ramme  (ca.  12  K.  schwer)  gestampft.  Nach  dem  ersten 
Stampfen  sind  die  Fugen  mit  feinem  Sand  auszufiillen  und  erst  dann  ist  das 
Stampfen  fortzusetzen.  Soil  die  Pflasterung  Fliissigkeiten  ableiten,  so  ist  bei 
glatten  Steinen  ein  Gefalle  von  mindestens   t/i°/0  nothwendig. 

b)  Plattenpfl aster  zu  Gangen,  Vorplatzen,  Kiichen,  Aborten,  Trottoirs 
etc.  Von  natiirlichen  Steinen  kommen  besonders  Sandsteine,  Thonschiefer  und 
Kalksteine,  von  kiinstlichen  Steinen  gebrannte  Thonplatten  (z.  B.  Mettlacher 
Platten),  Cement-  und  Asphaltplatten  zur  Anwendung.  (S.  Asphalt,  bautcchn. 
Anwendung  I.  216,  1.  e.)  Die  Cementplatten  werden  aus  einem  Gemisch  von 
Cement  und  Sand  hergestellt  und  konnen  leicht  verschieden  gefarbte  Zeichnungen 
oder  Marmorincrustationen  (Terrazoplatten)  erhalten,  welche  den  Platten  eine  hohe 
Elegauz  verleihen.  Die  Unterflache  der  Platten  bleibt  rauh;  die  iibrigen  Flachen 
werden  mehr  oder  weniger  glatt  hergestellt,  selbst  geschliffen  und  polirt.  Als 
Untergrund  nimmt  man  gestampften  Schutt,  Ziegelpflaster  oder  Beton.  Die  Platten 
werden  zumeist  in  ein  Mortelbett  gelegt  und  die  Fugen  mit  diinnfliissigem  Mortel 
ausgegossen. 

c)  Ziegelpflaster.  Hierzu  verwendet  man  entweder  gewohnliche  Mauer- 
ziegel  oder  eigene  Pflasterziegel,  Klinkerziegel  (bloss  3 — 5em  stark).  Bei  An- 
wendung gewohnlicher  Mauerziegel  unterscheidet  man  flaches  oder  liegendes  Ziegel- 
pflaster (Hohe  des  Pflasters  gleich  der  Ziegeldicke)  und  hochkantiges  oder  ste- 
hendes  Ziegelpflaster  (Hohe  des  Pflasters  gleich  der  Ziegelbreite).  Letzteres  wird 
bei  grosser  Belastung  oder  starker  Abniitzung  verwendet;  mitunter  ist  demselben 
jedoch  ein  doppeltes  flaches  Ziegelpflaster,  mit  dazwischen  liegender  Sandschichte, 
vorzuziehen  wegen  leichterer  Reparaturfahigkeit  und  geringerer  Anzahl  Fugen. 

2.  A  es  trie  he.  Je  nach  dem  Hauptbestandtheil  der  Masse  unter- 
scheidet man  : 

a)  L  e  h  m  a  s  t  r  i  c  h.  Lehm  wird  in  feuchtem  Zustande  in  diinnen  Lagen 
aufgetragen  und  mit  holzernen  Pracken  geschlagen ;  ist  der  Lehm  zu  mager, 
bestreicht  man  ihn  mit  Rindsblut.     Beim    Schlagen    werden    Pauseu    von    ca.    24 


Fussboden.  661 

Stunden    gemacht    und    beobachtet,    ob    sich  Risse  bilden.     Man  hat  so  lange  zu 
schlagen,  bis  sich  keine  Risse  mehr  zeigen. 

b)  Gypsastrich.  Auf  einer  Sandunterlage  wird  der  Gypsmortel  2  —  o'm 
stark  aufgetragen.  Zur  Erzielung  gleichmassiger  Dicke  legt  man  genau  horizontal 
Latten,  mit  Seifenwasser  benetzt,  in  ca.  lra  Entfernungen,  fiillt  den  Zwischenraum 
je  zweier  Latten  und  streicht  mit  einem  Richtscheit  die  Oberflache  gleich.  Man 
entfernt  dann  die  Latten  und  nach  etwa  24  Stunden  kann  der  Aestrich  mit  hol- 
zernen  Pracken  geschlagen  werden.  Die  von  den  Latten  herriihrenden  Streifen 
werden  mit  Gypsmortel  ausgefullt. 

c)  Venetianischer  Aestrich,  Battuta,  auch  terrazzo  marmorino,  ist 
ein  aus  drei  Lagen  bestehender  Kalkanstrich.  Die  erste,  ca.  8cm  hoch,  besteht 
aus  gewohnlichem  guten  Mortel  mit  kleinen  Ziegel-  oder  Steinstiicken  und  wird 
mit  eisernen  Pracken  gestampft;  die  zweite  Lage,  4 — 5cm  stark,  wird  ahnlich 
hergestellt,  enthalt  aber  nur  Steinchen  von  ca.  lcm  Durchmesser.  Als  letzte  Schicht, 
ca.  lcm  stark,  wird  ein  Mortel  aus  Kalk,  Ziegel-  und  Marmorstaub  aufgetragen, 
UDd  so  lange  derselbe  noch  weich  ist,  Marmorstucke  nach  verschiedenem  Muster, 
als  Mosaik,  eingedriickt  und  die  Flache  mit  einer  Walze  geebnet.  Nach  ganz- 
licher  Austrocknung  wird  der  Aestrich  mit  Sandstein,  dann  mit  Bimsstein  ge- 
schliffen.  Soil  die  Flache  Glanz  erhalten  so  wird  dieselbe  mit  einer  stahlernen 
Kelle  bearbeitet  und  mit  heissem  Leinbl  getrankt. 

cl)  Betonastrich  und  Cementastrich.  Eine  Masse  aus  hydraulischen 
Mortel  (oder  Cementmortel)  mit  erbsengrossem  Kies  wird  auf  eine  gemauerte  oder 
gut  gerammte  Unterlage  8 — 10cm  hoch  aufgetragen  und  gestampft.  Der  Beton- 
astrich eignet  sich  zur  Herstellung  von  wasserdichtem  Bodenbelag,  z.  B.  fur  Klichen, 
Keller,  Stallungen  etc. 

e)  Asphalt  as  trich,  siehe  Asph.,  bautechn.  Anwendung  I.  216,   1. 

3.  Fussboden  aus  Holz.  Die  allgemeinen  Anforderungen  sind  Eben- 
heit  und  Dichtheit,  besonders  gegen  Staub.  Fiir  gewohnliche  Fussboden  verwendet 
man  Weiss-  und  Rothtanne;  fur  stark  der  Abniitzung  ausgesetzte  Fussboden  sind 
Eiche  und  Buche  zu  empfehlen.  Die  Lagerholzer  (Polsterholzer),  auf  welchen  der 
Fussboden  befestigt  wird,  miissen  genau  horizontal  liegen ;  das  Fiillmaterial  (Schutt) 
muss  trocken  und  frei  von  Gegenstanden  sein,  welche  zur  Erzeugung  des  Haus- 
schwammes  Veranlassung  geben,  besonders  vegetabilischen  Stotfen.  Es  eignen  sich 
hierzu  trockener  Sand,  Bauschutt,  Schmiedeschlacke,  Kohlengrus.  Bei  Anwendung 
von  Bauschutt  miissen  besonders  Holztheile  sorgfaltig  entfernt  werden  wegen 
Gefahr  der  Uebertragung  von  Ungeziefer.  Zu  gewohnlichen  Fussboden  geniigt 
lufttrockenes  Holz;  zu  kostbaren  Fussboden  soil  man  gut  in  Trockenkammern 
vorbereitetes  Holz  verwenden. 

a)  Gewohnlicher  Bretter fussboden  (Dielen).  Die  ca.  3cm  starken  Bretter 
werden  mit  glatt  gehobelten  Seitenflachen  stumpf  aneinander  gestossen  (gefugt). 
Die  durch  das  eintretende  Schwinden  der  Bretter  entstehenden  Fugen  werden  nach 
1 — 2  Jahren  ausgespant,  d.  h.  durch  eingeleimte  Spane  beseitigt.  Die  Verbin- 
dung  der  einzelnen  Bretter  durch  Spundung  (Feder  und  Nuth),  Federung  und 
Falzung  bietet  wohl  anfangs  grossere  Dichtheit  gegen  Staub ;  da  das  Ausspanen 
nicht  gut  ausfiihrbar  ist,  werden  die  Fugen  spater  verkittet.  Will  man  mbglichst 
wenig  Fugen  erhalten,  so  leimt  man  mehrere  Bretter  zu  Tafeln,  so  dass  das 
Stammende  des  einen  Brettes  mit  dem  Wipfelende  des  anderen  zusarurnentriffr : 
die  Fugen  werden  in  diesem  Falle  verhaltnissmassig  breiter  werden.  Um  das 
Werfen  der  Bretter  auf  ein  Minimum  zu  bringen,  mache  man  dieselben  moglichst 
schmal.  Die  Bretter  werden  durch  Beniitzung  von  Klammern  und  Keilen  fest  an- 
einander getrieben  und  auf  jedem  Polsterholz  mit  zwei  Nageln  befestigt. 

b)  Friesboden,  eingefasster  Fussboden.  Fig.  1703.  Die  Boden- 
flache  wird  durch  Friese  (Rahmen  aus  hartem  Holz)    in   mehrere  Felder  getheilt. 


662 


Fussboden. 


welche  nach  Art  eines  gewohnlichen  Fussbodens  ausgefiihrt  werden.  Es  miissen 
daher  diejenigen  Polsterholzer,  welche  unter  Friesen  zu  liegen  kommen,  um  ca. 
4 — 5em  breiter  sein  als  letztere. 

c)  Stabfussboden,  Wiener  Fussboden,  Sckiffboden,  audi  mitunter  Fries  - 
boden  genannt. 

Eichene  Brettel,  ca.  lm  lang,  10— 15cm  breit  und  2  Va — 3cm  stark,  werden 
in  verschiedener  Weise  in  Verband  gebracht  und  befestigt. 

1.  Die  Brettel  werden  untereinander  durch  Falz  verbunden  und  durch  zwei 
Nagel  an  jedem  Ende  (u.  z.  der  eine  in  der  Mitte,  der  andere  im  Falz)  an  die 
Polsterholzer  befestigt.     Fig.  1704. 

2.  Die  Brettel  haben  an  alien  Seiten  Nuthen  und  die  Verbindung  geschieht 
durch  Federn ;  die  Nagelung,  auf  einem  Blindboden  als  Unterlage,  findet  innerhalb 
der  Nuthen  statt,  ist  daher  vollstandig  verdeckt.     Fig.   1705. 


Fig.  1703. 


Fig.  1704. 


Fig.  1705. 


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Stabfussboden    '|,00  n.  Gr. 


Friesfussboden    '/,  00   n.   Gi 


Stabfussboden 
rait  verdeckter  Nagelung. 


3.  Der  Verband  wird  ohne  Unterlagsholzer  und  ohne  Nagelung  erzielt.  Die 
Brettel,  nur  ca.  50cm  lang  und  8cra  breit,  werden  auf  einer  Asphaltunterlage  mit 
Feder  und  Nuth  verbunden  und  an  den  Stirnen  der  Brettel  geschieht  die  Befe- 
stigung  durch  eiserne  Plattchen,  welche  als  Keile  in  eingesagte  Nuthen  getrieben 
werden. 

d)  Parketirte  Fussboden.  Dieselben  erhalten  als  Unterlage  einen 
gewohnlichen  Bretterfussboden  (sog.  Blindboden),    auf    welchen    die    Parketen    ge- 

nagelt  und  untereinander  durch  ein- 


Fig.  1706. 
V2B  n.  Gr. 


geleimte  Federn  verbunden  werden. 
Die  Nagelung  geschieht  innerhalb 
der  an  den  Stossflachen  der  Par- 
keten angebrachten  Nuthen  u.  z. 
immer  an  zwei  Seiten,  wahrend  die 
anderen  zwei  Seiten  nur  durch 
die  eingesetzten  Federn  befestigt 
sind.  Jede  Parkete  besteht  aus 
dem  Rahmen,  den  Friesen  und  den 
Fiillungen  (sog.  Steine),  siehe  Fig. 
1706.  Rahmen  und  Friese  werden 
immer  aus  hartem  Holz  hergestellt 
und  ersterer  erhalt  die  halbe  Breite 
der  letzteren.  Sind  die  Steine  aus 
weichem  Holz,  so  nennt  man  die  Par- 
keten weiche;  sind  dieselben  jedoch  aus  hartem  Holz,  so  harte  Parketen.  Die 
ersteren  sind  nicht    zu  empfehlen,    da  das  weiche  Holz  sich  bald  abnutzt.     Das 


Fussboden.   —  Fustikholz.  603 

Verlegen  der  Parketen  gesehieht  entweder  von  der  Mitte  des  Raumes  aus  oder 
am  haufigsten  aus  der  Ecke.  Nach  der  vollstandigen  Legung  wird  der  Fussboden 
glatt  gehobelt. 

e)  Foumirte  Fussboden  sind  die  reichsten  und  elegantesten  und 
kommen-  wohl  nur  bei  Reprasentationsraumen  zur  Anwendung.  Als  Unterlage 
gibt  man  Tafeln  aus  Kiefernholz,  die  wie  Parketen  miteinander  verbunden  sind. 
Jede  Tafel,  ca.  0.50m  breit,  4cm  stark,  besteht  aus  zwei  Rahmen  mit  dazwischen 
eingeschobenen  Brettchen.  Auf  diese  Unterlage  werden  die  3 —  4'""'  starken 
Fournirholzer,  zu  verschiedenen  Mustern  zusammengesetzt,  geleimt. 

f)  Holzpfl aster,  Sto  ckelpfl aster.  Auf  dem  geniigend  festgerammten 
Untergrund  werden  Holzwiirfel  oder  Klotzchen  von  polygonaler  Form  durch  Diibel 
(Holzstifte)  (2cm  stark,  ca.  8cm  lang)  verbunden.  Soil  das  Holzpflaster  wasser- 
dicbt  sein,  so  wird  dasselbe  in  Asphalt  verlegt.  Auf  eine  Betonschicht  kommt 
eine  Asphaltlage  und  die  durcbgehenden  Stossfugen  der  Holzklotzcben  werden  in 
der  unteren  Halfte  mit  Asphalt  gefiillt;  die  Fugen  im  oberen  Theil  erhalten  Sand- 
und  Kiesfiillung.  Grohmann. 

Fussboden wachs,  Fussbodenwichse,  s.  Bohnwachs  I  pag.  695. 

Fussbiige,  s.  Band  I  pag.  285. 

Fusspfund,  s.  Arbeit  I  pag.  188. 

FllSSpunktencurve  ist  der  geometrische  Ort  der  Fusspunkte  der  Senkrechten, 
welche  man  von  einem  als  eine  Art  Pol  gewahlten  Punkte  auf  die  Tangenten 
einer  Curve  fallt.  So  ist  beispielsweise  die  Cardioide  die  Fusspunktencurve  eines 
Kreises,  wenn  ein  Punkt  seines  Umfanges  als  Pol  gewahlt  wird;  die  Lemniscate, 
die  Fusspunktencurve  einer  gleichseitigen  Hyperbel,  wenn  deren  Mittelpunkt  zum 
Pole  gemacht  wird;  die  Cissoide,  die  Fusspunktencurve  der  Parabel,  wenn  ihr 
Scheitel  als  Pol  gilt.  —  „Ueber  Fusspunktencurven  der  Linien  zweiten  Grades" 
von  Dr.  R.  Wolf  vergl.  Crelle's  Journal  XX.,  iiber  die  hier  genanuten  Curven 
den  Artikel  „ Curven"  (II  pag.  423.).  Cz. 

Fussteppiche,  s.  Teppiche. 

FllStet,  syn.  Fisetholz,  s.  Fustikholz. 

Fustik  alter,  s.  Gelbholz. 

Fustikholz,  F  i  s  e  t  h  o  1  z  (bois  defustet  — fleet  ivood,  fustic  young),  Zante- 
Gelbholz,  T  i  r  o  1  e  r-,  Ungarisches  Gelbholz,  Periickensumach, 
Schmackholz,  Visetholz,  junger  Fustik.  Das  von  Rinde  und  Splint 
befreite  Kernholz  des  Peruckensumachs  (Rhus  cotinus  L.)  eines  in  Ungarn,  Tirol, 
Dalmatien,  Italien,  Spanien,  der  Levante,  den  Antillen,  Jamaika  etc.  wachsenden 
Strauches  aus  der  Familie    der  Therebinthaceen. 

Es  kommt  in  Spane  geschnitten  oder  in  Gestalt  von  Kniippeln  und  Aesten, 
von  aussen  braunlicher,  innen  gelbgriiner  Farbe,  meist  von  Illyrien,  Dalmatien 
und  Ungarn,  dann  aber  auch  von  Amerika  aus  in  den  Handel.  Das  amerikanische 
Holz  ist  geschatzter  als  das  europaische.  Es  dient  sowohl  als  Farbholz,  sowie 
auch  zum  Gerben  des  Leders.  Es  enthalt  neben  Gerbstoff  und  einer  braunen 
Substanz  namentlich  einen  gelben  und  einen  rothen  Farbstoff.  Der  zuerst  von 
Chevreul  untersuchte  gelbe  Farbstotf,  das  Fisetin  (Fustin)  kann  nach  Boll  ey 
(s.  schweiz.  polyt.  Zeitschrift  9  pag.  22)  durch  Verdampfen  der  wassrigen  Ab- 
kochung  des  Holzes  zur  Trockene,  Auslaugen  des  Trockenriickstandes  mit  Alkohol 
und  Verdiinnen  der  concentr.  alkohol.  Losung  mit  Wasser  in  Gestalt  eines  kry- 
stallinischen  Sedimentes  erhalten  werden,  das  durch  Abpressen,  Autlosen  in  Alkohol 
und  wiederholtes  Fallen  mit  Wasser  in  reinem  Zustande  resultirt.  Es  bildet  kleine 
gelbe,  nadelformige  Krystalle,  die  im  kalten  Wasser  schwer,  leichter  im  kochenden, 
leicht   in   Alkohol   loslich    sind,    und    der   Formel   C15-ffJ0Ofi  (?)  entsprechend  zu- 


664  Fustikholz.  —  Gabbromasse. 

sammengesetzt  sein  sollen,  aber  nacb  Bolley  obne  Zweifel  identisch  mit  Quer- 
cetin  (s.  d.)  sind,  da  die  Verschiedenheiten,  welche  dieser  Farbstoff  gegenuber 
dem  Quercetin  zeigt,  wobl  auf  einen  geringen  Gehalt  desselben  an  dem  noch  nicht 
naher  untersuchten  rothen  Farbstoffe  des  Holzes  zurtickzufiihren  sein  diirften.  Die 
Auflosung  des  Fisetins  in  Alkalien  farbt  sicb  rasch  roth  und  wird  durcb  Zinn- 
cbloriir  nicht  gelb  (wie  bei  Quercetin),  sondern  orangeroth  gefallt.  Die  Thonerde- 
verbindung  ist  ebenfalls  orangeroth.     Vgl.  a.  Gelbholz      Gil. 

FllStin,  s.  Fustikholz. 

Flitter,  s.  Drehen  II  pag.  679,  682. 

Futterbarchent,  s.  Barchent  I  pag.  291. 

Fllttermauer  {contre-mur  —  retaining-wall)  ist  die  Bezeichnung  fur  eine 
Mauer,  welche  den  Schub  des  auf  der  Riickseite  derselben  befindlichen  Erdreiches 
aufnehmen,  und  Abrutschungen  verhindern  soil.  S.  Rebhann:  Theorie  des  Erd- 
druckes  und  der  Futtermauern,  Wien,  Gerold  1871,  ferner  Eytelwein  und 
Gylly,  Wasserbaukunst,  3.  Heft,  2  Aufl.  1830,  Berlin,  Reimer. 

Futterpresse,  Futterschneidmaschine,  s.  Landwirthschaft. 

Futtertafft,  s.  Tafft. 


Gabanholz,  Camholz,  s.  Cambaholz  II  pag.  235. 

Gabbro  (gabbro — diallage-rock), \Jrgrimstem,ZobtenMs,Schi\lerfe\s,Eu])hot[de, 
Ophiolithe,  Granitone,  Granito  di  Gabbro,  Verde  di  Corsica.  Gabbro  ist  ein  granitartig 
korniges,  gemeugtes,  krystallinisches  Massengestein,  bestehend  aus  Labrador  und  Diallag 
oder  Smaragdit.  Der  Labrador  ist  frisch  glanzend,  weisslichgrauinsblaulichegeneigt, 
zeigtauf  den  grosseren  Kornern  deutlich  die  charakteristischeZwillingsstreifung,  schmilzt 
vor  dem  Lothrohr,  und  wird  von  Sauren  zersetzt.  Statt  desselben  ist  zuweilen 
ein  anderes  feldspathahnliches  Mineral,  Saussurit,  vorhanden,  welches  matt  grtin- 
lich  oder  graulich  weiss  ist,  vor  dem  Lothrohr  schwer  schmilzt,  und  von  Sauren 
nicht  angegriffen  wird.  Der  Diallag  ist  eine  Varietat  des  Augites,  er  bildet 
blattrige  graue,  tombackbraune,  tafelartige  Krystalle,  auf  den  Spaltungsflachen  zeigt 
sich  ein  metallartiger  Perlmutterglanz.  Der  Smaragdit  erscheint  in  grasgriinen 
perlmutterglauzenden  Kornern.  Je  nach  dem  unterscheidet  man  Diallag-  oder 
Smaragdit-Gabbro.  Die  Textur  des  Gesteines  ist  regellos  kornig,  bei  Anwesen- 
heit  von  Labrador  ist  das  Gefiige  gross-  und  grobkbrnig.  Bei  der  von  Saussurit 
kleinkbrnig  oder  porphyrartig.  Seltener  ist  der  Gabbro  faserig  oder  schieferig. 
Serpentin  ist  haufig  vorhanden,  weitere  Uebergemengtheile  sind  Hornblende, 
Glimmer,  Sphen,  Titaneisen,  Granat,  Magnet-  und  Eisenkies  u.  s.  w.  Das  Gabbro 
braust  zuweilen  mit  erwarmten  Sauren.  Das  kornige  Gabbrogestein  sondert  un- 
regelmassig  polyedriscb  ab  und  bildet  oft  machtige  Stbcke  und  Gangstocke.  Dem 
Alter  nach  scheinen  die  hierher  gehbrigen  Gesteine  sehr  verschieden  zu  sein, 
da  man  solche  an  krystallinischen  Schiefern,  in  Grauwacken,  im  Lias  und  selbst 
eocaenen  Nebengesteinen  kennt.  Gabbrogesteine  sind  sehr  verbreitet  in  Bbhmen 
bei  Komorau,  Ronsperg,  Kupferberg,  in  Sachsen,  in  den  Vogesen,  in  Norwegen, 
in  den  Alpen,  auf  Corsica  u.  s.  w.  Das  Gestein  (Gabbro,  Euphodite,  Verde  di 
Corsica)  wird  in  Italien  wegen  seiner  Harte  und  schbnen  Farbe  zu  Ornamenten, 
kleinen  Saulen,  Tischplatten  u.  s.  w.  verarbeitet.     Lb. 

Gabbromasse  nennt  J.  v.  Schwarz  eine  aus  den  Abfallen  von  der  Fa- 
brikation  der  Speckstein-Brenner  gewonnene  plastische  Masse  zur  Herstellung  von 


Gabbromasse.  —  Gahrung.  665 

Gefassen,  Luxusgerathen,  Statuetten  u.  d.  g.  Zur  Darstellung  dieser  Masse  werden 
die  gemahlenen  Specksteinabfalle  mit  geeigneten  Zusatzen  (geschlammtem  Thon 
u.  dgl.)  vermengt  und  mit  Wasser  zu  einem  Brei  angestossen  der  ausserst  plastisch 
ist  und  nach  dem  Brennen  einen  hohen  Grad  von  Festigkeit  und  Harte  gewinnt. 
Vgl.  Bergan  in  Kunst  und  Gewerbe  10  pag.  177.     Gil. 

Gabel.  wird  auch  zuweilen  statt  dem  Worte  Flttgel  (epinglier,  trechoir 
—  heck,  fly)  gebraucht,  s.  Spinnrad. 

Gabelband,  s.  Band  I  pag.  287. 

Gabelfeilen,  s.  Feilen  III  pag.  394. 

Gabelgei'Ste,  Blischelgerste  (horcleum  vulgare  trifnrcatum) ,  s.  b. 
G  e  r  s  t  e. 

Gadolinit  (Name  nacb  dem  Chemiker  G  a  d  o  1  i n),  rhombisches,  nach  Anderen 
monoklines  Mineral,  kommt  selten  und  nur  in  undeutlichen  Krystallen  vor,  findet 
sich  zumeist  derb  und  eingesprengt.  Hochst  unvollk.  spaltb.  Bruch,  muscblig 
oder  splittrig.  H.  =  6.5  —  7.  Sp.  Gew.  —  4.0 — 4.3.  Pechsehwarz,  Strich  grau. 
Fettiger  Glasglanz,  gewohnlich  undurchsichtig.  Cliem.  Zus.  schwankend,  die  einen 
enthalten  wenig  oder  keine  Glycinerde,  dafiir  Ceroxydul  und  waren  halbkiesel- 
saure  Salze,  fiir  welche  Berzelius  die  Formel  2(2  YOSiO*)  -4-  ^ROSiO*  aufstellte, 
sie  enthalten  etwa  27.1  Kieselsaure,  46.6  Yttererde,  15.7  Ceroxydul  und  10.6Eisen- 
oxydul.  Die  anderen  enthalten  statt  Ceroxydul  Glycinerde,  sind  drittelkieselsaure 
Salze  und  entsprechen  ungefahr  der  Formel 

SROSiO'',  worin  SRO  =  %Y0  +  »/a  FeO  +  GIO  -f  y6LaO 
mit  25.2  Kieselsaure,  48.8  Yttererde,  10.3  Glycinerde,  9.8  Eisenoxydulund5.9  Lan- 
thanoxyd.  Gadolinite,  z.  B.  die  von  Ytterby,  glimmen  vor  dem  Lothrohr  lebhaft 
ohne  zu  schmelzen  und  schwellen  dabei  ein  wenig  an ;  andere,  wie  das  von  Hitteroe, 
zeigen  dies  Verhalten  nicht.  Salzsaure  zersetzt  ihn  unter  Abscheidung  von  gallert- 
artiger  Kieselsaure.  Ytterby,  Finbo,  Broddbo  in  Schweden,  Hitteroe  in  Norwegen, 
im  Riesengebirge  bei  Schreibershau.     Lb. 

Gaebeleshafer,  Doppelhafer,  Klumphafer,  dreikorniger  Haber 
(avena  sativa  alba  trisperma),  s.  Hafer. 

Gadoliniterde-Metalle  nennt  man  die  Metalle  Yttrium,  Erbium  und 
(Terbium?),  deren  Oxyde  in  Verbindung  mit  Kieselsaure  sich  im  Gadolinit 
finden,  s.  Erbium  III  pag.  279,  s.  Yttrium.     Gil. 

Gahrbottich,  Gahrfass,  s.  Bier  I  pag.  496. 

Gahrspund  nennt  V  o  s  s  e  1  e  r  einen  besonders  construirten  Spund.  der  wahrend 
der  Nachgahrung  zum  Verschliessen  der  Fasser  verwendet  werden  soil  und  so 
eingerichtet  ist,  dass  er  zwar  das  Entweichen  der  Kohlensaure  gestattet,  dagegen 
aber  die  Verfltichtigung  des  Aromas  und  des  Alkohols,  sowie  das  Eindringen 
von  Luft  in  die  Gefasse  hindert  und  so  zur  besseren  Conservirung  gegohrener 
Getranke  beitragen  soil,  vgl.  Deutsche  Ind.-Ztg.   1868  pag.  428.     Gtl. 

Gahrung  (fermentation — fermenting).  Die  Gahrungsprocesse  unterscheiden 
sich  ihrer  letzten  Ursachlichkeitnach  nicht  von  den  Faulnissprocessen,  deren  Wesen  und 
Bedingungen  schon  friiher  (s.  Faulniss  III  p.  350)  erortert  wurden.  Man  kbnnte 
hochstens  reichliche  Gasentwickelung  bei  Abwesenheit  tibelriechender  Producte  als 
unterscheidende  Kriterien  derselben  ansehen.  In  Folgendem  mogen  die  Bedingungen 
und  Erscheinungen  der    technisch    wichtigsten    Gahrungsprocesse    erortert    werden. 

Die  Alkoholgahrung  besteht  in  der  Zerlegung  gewisser  Zuckerarten  in 
eine  Anzahl  von  Producten,  unter  denen  Alkohol  und  Kohlensaure  constant  und 
als  Hauptproducte  auftreten.     Es  gibt  nun  eigentlich  mehrere  Arten  der  Alkohol- 


666  Gahrung. 

gahrung,  die  durch  die  Sporen  der  verschiedeusten  Pilzgattungen,  z.  B.  der  Mucor- 
arten  und  anderer  Hyphomyceten  eingeleitet  werden ;  die  technisch  wichtige 
Alkoholgahrung  aber,  wie  sie  in  den  Gahrungsgewerben  auftritt,  wird  nur 
hervorgerufen  durch  einen  zu  den  Ascomyceten  (Scblauchpilzen)  gehorigen  Pilz, 
Saccliaromyces,  von  dem  eine  Species,  z.  B.  Saccharomyces  cerevisiae,  bei  der 
Gahrung  der  Bierwiirze,  verschiedene  andere  bei  der  Weinmostgahrung  auftreten. 
Die  Zuckerarten  sind  nicht  alle  direct  gahrungsfahig.  Der  Rohrzucker  z.  B.  muss 
vorher  durch  ein  in  der  Hefe  enthaltenes  Ferment  in  Invertzucker  tibeiftihrt 
werden ;  der  eine  Bestandtheil  desselben,  die  Dextrose  (Traubenzucker),  ist  viel 
leichter  vergahrungsfahig  als  der  andere,  die  Levulose  (Schleimzucker),  in  Folge 
dessen  die  Rechtsdrehung  einer  Rohrzuckerlosung  im  Verlaufe  der  Gahrung  all- 
malig  in  eine  Linksdrehung  iibergeht.  Zum  Eintritte  der  Alkoholgahrung  sind 
ausser  dem  Zucker  noch  andere  Substanzen  unbedingt  noting,  und  zwar  einerseits 
gewisse  organische  stickstoffhaltige  Substanzen,  wie  sie  stets  in  der  Bierwiirze 
und  im  Weinmoste  etc.  enthalten  sind;  nach  den  Untersuchungen  von  A.  Mayer 
sind  vorzugsweise  diejenigen  stickstoifhaltigen  Substanzen  der  Gahrung  forderlich, 
die  mit  sogenannten  katalytischen  Eigenschaften  begabt  sind,  wie  Diastase,  Pepsin, 
Ptyalin,  wahrend  die  eigentlichen  Eiweissstoffe  wenig  dazu  geeignet  sind.  Ausser- 
dem  miissen  aber  noch  gewisse  Mineralsubstanzen,  darunter  vornehmlich  Kali, 
Kalk  und  Phosphorsauren,  die  ebenfalls  in  den  in  der  Praxis  zur  Gahrung  ge- 
langenden  Fliissigkeiten  enthalten  sind,  vorhanden  sein. 

Die  organischen  stickstoffhaltigen  Substanzen  konnen  aber  nach  Pasteur 
durch  Ammoniaksalze,  am  besten  mit  organischen  Sauren  ersetzt  werden,  und 
eine  Rohrzuckerlosung,  die  demnach  noch  ein  Ammonsalz  z.  B.,  weinsaueres 
Ammon,  und  die  angefiihrten  Mineralsubstanzen  in  Form  von  Hefenasche  enthalt, 
wird  durch  Hefe  sofort  in  Alkoholgahrung  versetzt. 

Die  constanten  Producte  der  Alkoholgahrung  stammen  nun  jedenfalls  ganz 
oder  grosstentheils  vom  Zucker  selbst  ab ;  es  sind  dies :  Alkohol,  Kohlensaure, 
Glycerin,  Bernsteinsaure,  Cellulose  und  Fett.  Ob  das  von  Oser*)  in  mit  Press- 
here  vergohrenen  Zuckerlosungen  gefundene  Alkaloid  (C13H,J,0N4)  und  das  von 
Ludwig  in  mehreren  Weinen  gefundene  Trimethylamin  constante  Producte 
der  Alkoholgahrung  sind,  ist  noch  nicht  erwiesen. 

Der  Vorgang  der  Alkoholgahrung  lasst  sich  nattirlich  nicht  durch  eine  ein- 
fache  chemische  Gleichung  ausdriicken,  um  jedoch  die  quantitativen  Beziehungen 
zwischen  den  Gahrungsproducten  ersichtlich  zu  machen,  kann  man  nach  Pasteur 
annehmen,  dass  sich  der  grosste  Theil  des  Zuckers  (94 — 95°/0)  spaltet  nach  der 
sehon  friiher  angenommenen  Formel : 

C,2J?220u     +     EJJ    —    ±C„H60    +     4CO„ 

Rolirzucker  Wasser  Alkohol  Kohlensaure, 

ein  anderer  kleiner  Theil  aber  4.5 — 6°/0  nach  einem  eomplicirten  Schema,  namlich 
49  C12F22On   +  109  HtlO  =  24  (C'4i?604)  +  14A(C3Ha03)  +  60  CO„ 

Rohrzucker  Wasser  Bernsteinsaure  Glycerin  Kohlensaure. 

Nach  den  Untersuchungen  Pasteurs  entstehen  namlich  aus  100  Gewichts- 
theilen  Rohrzucker,  welche  105.23  Gew.-Thl.  Invertzucker  entsprechen,  bei  der 
Alkoholgahrung 

51.10  Gewichtstheile  Alkohol 
49.20  „  Kohlensaure 

3.40  „  Glycerin 

0.65  .  Bernsteinsaure 

1.30  .,  Cellulose    und    andere    in    die    Zusammensetzung    der  Hefe 

eingehenden  Substanzen 
105.65. 


<)  Sitzb.  der  W.  Ak.  Bel.  56. 


Gahrung.  667 

Ueber  die  Wirkung  der  Hefe  in  Bezug  auf  die  Alkoholgahrung  war  h»is  vor 
Kurzeni,  vornehmlich  begriindet  und  gestiitzt  durcb  die  Untersuchimgen  und  die 
Autoritat  Pasteurs,  fast  allgemein  die  Ansicht  geltend,  die  Alkoholgahrung  sei  ein 
normaler  pbysiologiseher  Process.  Die  Hefe  bedlirfe  namlich,  wie  alle  Pflanzen, 
zur  Vollziebung  ibrer  Lebensfunctionen,  des  atmospharischen  Sauerstoffes  und 
werde  dieser  durcb  Abscbliessung  der  Luft  ibr  entzogen,  so  sei  sie  ira  Stande. 
denselben  durcb  eine  Zerlegung  gewisser  anderer  Substanzen,  also  bier  des  Zuckers, 
sicb  anzueignen,  wobei  sie,  Gahrung  hervorrufend,  zugleich  ganz  normal  wachst 
und  sich  fortpflanzt.  Nach  den  Untersuchungen  von  0.  Bref  eld  1st  jedoch  die 
Auffassung  der  Gahrung  eine  wesentlich  andere;  nach  Brefeld  ist  die  Gahrung 
ein  abnorrnaler  oder  mindestens  unvollkommener  Lebensprocess ;  die  durcb  Ab- 
scbliessung der  Luft  des  freien  Sauerstoffs  entbehrende  Hefe  bewirkt  die  Gah- 
rung in  Zuckerlbsungen,  die  ausserdem  die  vorher  angefiihrten  andern  Bestandtheile  ent- 
halten,  aber  sie  kann  den  ihr  nbthigen  freien  Sauerstoff  nicbt  dem  Zucker  ent- 
lebnen  und  desshalb  aucb  nicht  normal  wachsen  und  sich  fortpflanzen. 

Bei  einer  jeden  Gahrung,  wie  sie  in  der  Praxis  erfolgt,  findet  daher  an 
verschiedenen  Stellen  Wachsthum  und  Gahrung  statt;  das  Wachstbum  an  der 
Oberflache,  wo  freier  Sauerstoff  zutreten  kann,  Gahrung  im  Innern,  wenn  der 
absorbirte  Sauerstoff  dort  verzehrt  ist. 

Doch  ist  gegenwartig  die  Gahrungsfrage  noch  immer  als  eine  strittige  anzusehen. 

Die  Milchsauregahrung.  Dieselbe  bewirkt  die  Umwandlung  mehrerer 
Kohlehydrate,  wie  Traubenzucker,  Milchzucker,  Dextrin  in  Milchsaure.  Das  Ferment 
derselben,  ein  Pilz  Oidium  lactis  entwickelt  sich  vornehmlich  gerne  auf  sich  zersetzenden 
eiweissreichen  Substanzen  wie  z.  B.  faulendem  Kase.  Die  Milchsauregahrung  ist 
die  Ursache  der  Gerinnung  der  Milch  und  des  Sauerwerdens  bei  der  Sauerkraut- 
erzeugung.  Sie  tritt  namentlich  bei  etwas  hbheren  Temperaturen  gerne  neben  der 
Alkoholgahrung  auf,  so  dass  viele  gegohrene  Fliissigkeiten  stets  geringe  Mengen 
von  Milchsaure  enthalten.  Als  Fortsetzung  der  Milchsauregahrung  tritt,  wenn 
bei  sonstigen  Bedingungen  die  Temperatur  tiber  35°  C.  gesteigert  und  erhalten 
wird,  die  Buttersauregah  rung  ein,  wobei  die  Milchsaure  in  Buttersaure  umgewan- 
delt  und  Kohlensaure  und  Wasserstoff  entwickelt  wird.  Die  Buttersauregahrung 
ist  insoferne  auch  technisch  wichtig,  als  die  zur  Erzeugung  von  buttersauren 
Aetbern  (behufs  Fabrikation  von  Rumessenz)  dienende  Buttersaure  haufig  durcb 
Gahrung  dargestellt  wird. 

Bei  der  schleimigen  Gahrung  wird  Traubenzucker  in  Milchsaure,  Mannit 
und  eine  Gummiart  umgewandelt.  Die  Bedingungen  und  das  Ferment  derselben 
sincl  noch  ungeniigend  gekannt. 

Bei  der  Essigbildung  wird  die  Aufnahme  des  Sauerstoffes  durch  den  Alkohol, 
durcb  Micoderma  aceti  vermittelt. 

Die  Verhinderung  der  Gahrungsprocesse,  also  die  Conservirung  vor  Gahrung, 
ist  im  Allgemeinen  auf  die  bereits  bei  Faulniss  (s.  o.)  besprochenen  allgemeinen 
Principien  der  Conservirung  zuriickzufuhren.  Doch^sind  niedrige  Temperaturen,  wie 
sie  schon  zur  Conservirung  vor  Faulniss  hinreichen,  hier  nicbt  anwendbar,  weil  die 
Gahrungsfunctionen  der  betreffenden  Organismen  noch  bei  3—4°  C.  gar  nicbt 
beeintrachtigt  werden.  Hbhere  Temperaturen  sind  desshalb  ein  besseres  und  auch 
haufig  angewendetes  Mittel  zur  Verhinderung  vieler  Gahrungsprocesse  und  hat 
z.  B.  die  darauf  beruhende  Conservirungsmethode  fiir  Weine,  das  Pasteurisiren 
(nach  Pasteur)  grosse  Verbreitung  bereits  gefunden  und  wird  gegenwartig  aucb 
bei  Exportflaschenbieren  angewendet. 

Eine  diesbeziiglich  wichtige  Verwendung  hat  gegenwartig  die  Salicylsaure 
und  besitzt  in  dieser  Richtung  jedenfalls  noch  eine  grosse  Zukunft.  Schon  in 
geringen   Dosen*)    (z.  B.   100  Gramm  per  1000  Liter  Most)    ist    sie    im    Stande. 


*)  Einschlagige  Literatur  iiber  Salicylsaure.  C.  Neubauer,  Joum.  f.  pract.  Chem.  11. 
pag.  2  und  354..  E.  v.  Meyer  und  H.  Kolbe,  Dingi.  Journ.  217  pag.  402.  H. 
Wcidenbusch,  Polyt.  Centralb.  1875  pag.  582. 


668  Gahrung.  —  Gahnit. 

die  meisten  Gahrungsprocesse  zu  verhindern,  ohne  dabei  einigermasseu  den 
Geschmack  der  betreffenden  Fliissigkeiten  zu  modificiren  oder  gesundheitsschad- 
liche  Wirkungen  auszuiiben.  Ueber  Gahrung  der  Bierwiirzen,  der  Branntwein- 
maischen ,  des  Weinmostes  siehe  bei  Bier,  Branntweinbrennerei  und 
Wein. 

Literatur.  Pasteur:  Memoire  sur  la  fermentation  alcoolique,  deutsch  iibertragen  von 
V.  Griessmayer.  J.  v.  Liebig:  Ueber  die  Gahrung  und  Quelle  der  Muskelkraft.  Journ. 
f.  pr.  Ch.  Bd.  109  pag.  35.  Dr.  Adolf  Mayer:  Untersuchungen  iiber  die  Alkohol- 
gahrung  etc.,  bei  C.  Winter  in  Heidelberg.  Dr.  Adolf  Mayer:  Lehrbuch  der  Gah- 
rungschemie.  O.  Brefeld:  Wagners  Jahresberichte  f.  1874  pag.  700.  Ed.  Donath: 
Monographie  der  Alkoholgahrung  etc.,  bei  C.  Winkler  in  Briinn. 

Ed.  Donath. 

Gahrungsalkohole  nennt  man  im  Allgemeinen  die  bei  Gahrungsprocessen 
sich  bildenden  Alkohole,  als  Aethyl-,  Propyl-,  Butyl-  und  Amyl-Alkohole,  von  letz- 
teren  dreien  selbstverstandlich  nur  jene  Formen,  welche  ihre  Bildung  eben  dem 
Gahrungsprocesse  verdanken.     Gil. 

Gahrungserreger,  s.  Fermente  III  pag.  407. 

Gahrungsgummi  nennt  C.  Scheibler  eine  besondere  Art  von  Gummi, 
welche  unter  dem  Einflusse  einer  eigenartigen  Gahrung  des  Runkelriibensaftes  auf 
Kosten  des  Zuckers  entsteht  (vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  210  pag.  302).     Gil. 

Gahrungskupe,  s.  Indigo,  s.  Zeugfarberei. 

Gansekotigerz,  Ganomatit,  ein  zu  Joachimsthal,  Andreasberg,  Schemnitz 
vorkommendes  Mineral,  welches  gelbgriine  oder  braunliche  glanzende  Ueberziige 
auf  anderen  Arsen-  und  Silbererzen  bildet,  ist  ein  ahnliches  Gebilde  wie  Arsen- 
eisensinter,  ein  Zersetungsproduct  anderer  Arsen-Eisenerze.     Lb. 

Gatize  (gueuses  — pigs),  Barren,  s.  Eisenerzeugung  III  pag.   11. 

Garben  (raffiner,  corroyer  — ■  rifining),  s.  Eisenerzeugung  III  pag.  49. 

Garbstahl  (acier  covroye  —  refined  steel),  s.  Eisenerzeugung,  III  pag. 
48,  s.  Stahl. 

Gagat  (jayet,  jais — jet),  schwarzer  Bernstein.  Eine  dichte,  schwarze,  von 
Erdpech  getrankte  Brauukohle,  die  fest  und  wenig  sprode  ist,  H.  :=  1.3 — 1.4, 
Spec.  Gew.  3 — 4,  hat  den  Bruch  und  den  Glanz  der  Pechkohle,  brennt  lebhaft 
wie  Asphalt  und  hinterlasst  eine  kohlige  porose  Masse.  Findet  sich  im  unteren 
Jura  zu  Witby  (Jet)  in  England,  audi  bei  Reutlingen  und  anderwarts  im 
schwabischen  Jura.  In  Frankreich  findet  er  sich  im  Griinsand  von  St.  Colombe, 
Dep.  Aude,  auch  in  Aragonien  und  Asturien  in  Spanien  kommt  er  vor. 

Das  Mineral  wird  seit  langer  Zeit  zu  Dourbon  und  Segur  in  Languedoc 
fabriksmassig  zu  Trauerschmuck  verarbeitet,  indem  man  es  auf  der  Drehbank  be- 
arbeitet  oder  ahnlich  wie  Bernstein  auf  Sandsteinen  schleift  und  mit  Tripel,  Oel 
und  Calcothar  auf  Leder  polirt.  Auch  in  England  wird  ahnlicher  Trauerschmuck 
erzeugt,  doch  dient  dort  statt  des  achten  Gagat  zumeist  Cannelkohle  als 
Materiale.      Lb. 

Gahnit,  Auto  mo  lit  Min.,  dunkelgriine  oder  blaue,  fettglanzende  Krystalle 
des  tesseral.  Systems,  meist  eingewachsen  ist  Eisen-,  Magnesia-  und  Kieselerde- 
haltiges  Zinkaluminat  ALOAZn.  H.  8,  spec.  Gew.  4.33 — 4.35.  Vorkommen  im 
Talkschiefer  von  Fahlun,  Franklin  in  New-Jersey,  Haddam  in  Connecticut,  Quer- 
bach  in  Schlesien  u.  a.  0.  Dem  Gahnit  sehr  verwandt  ist  der  Dj^sluit 
von  Sterling  in  New-Jersey,  ein  dunkelbraunes    Mineral,    das  neben   Zinkaluminat 


Gahnit.  —  Galbanum.  669 

reichlich  Eisenoxyd,  Eisenoxydul  und  Manganoxydul    enthalt,    8.  a.  Aluminium 
I  pag.  124.  Gil. 

Gahtlitbeize  nennt  Bolley  (Dingl.  pol.  Journ.  149  pag.  142;  eine  zink- 
haltige  Thonerdebeize  fur  Baumwollfarberei,  vgl.  a.  Spinellbeize.     Gtl. 

Gaidinsaure,  s.  m.  Hypogaeasaure. 

Gaize.  In  den  Ardennen  unter  der  Kreide  vorkommendes  Gestein,  das 
wesentlich  aus  Kieselerde  (80  Proc),  etwas  Thon,  Eisenoxyd,  Kalk  und  Magnesia 
besteht  und  sicli  durch  hocbgradige  Porositat  und  leichte  Bearbeitbarkeit  Ces  lasst 
sick  mit  dem  Messer  scbneiden)  auszeichnet.  Es  eignet  sick  mit  Vortkeil  zur 
Herstellung  von  Sckmelztiegeln  und  liefert  nack  dem  Gliiken  sekr  widerstands- 
fahige  Ziegel  fur  Sckmelzofen.  Da  ein  grosser  Tkeil  des  Kieselsauregehaltes  der 
Gaize  in  Alkalien  loslich  ist,  so  kat  man  das  Gestein  auck  fur  die  Fabrikation 
von  Wasserglas  empfoklen.  Vgl.  H.  Deville  und  J.  Desnoyers  Compt.rend. 
70  pag.  581,  auck  ckem.  Centralbl.  1870  pag.  244).     Gtl. 

Galacticum  s.  m.  Milckzucker. 

Galactinsaure,  Galactin,  nack  Morin  (Journ.  de  Pkarm.  (3)  25  pag. 
423)  eine  in  der  Milck  vorkommende  eigentkumlicke  sckleimige  Substanz.      Gtl. 

Galactometer,  Milchprtifer  in  Gestalt  einer  besonders  construirten  Senkwage 
von  Silber  oder  verzinntem  Eisenblecb,  s.  Milck,  vgl.  Scklienkamp,  Arck. 
d.  Pkarm.  (2)  103  pag.  15.     Gtl. 

Galactose,  Umwandlungsproduct  des  Milckzuckers,  aus  diesem  durck  Kocken 
mit  sekr  verdiinnter  Schwefelsaure  sick  bildend.  Kleine  warzenformige  Krystalle, 
leickt  loslick  in  Wasser,  gakrungsfakig.  Entsprickt  der  Formel  C6Hl(l06,  starker 
recktsdrehend  als  Traubenzucker  und  wie  dieser  alkaliscke  Kupferoxydlosungen 
reducirend.  Mit  Salpetersaure  oxydirt  liefert  sie  Sckleimsaure,  vgl.  Milchzucker, 
s.  Milch.     Gtl. 

GalactOSCOp,  Milchprttfer,  s.  Milch. 

Galambutter,  s.  B  as  si  abutter  I  pag.  305. 

Galangawurzel,  s.  Galgantwurzel. 

Galanteriewaaren :  Alle  zum  Putz  und  Schmuck  gehorigen  Artikel,  mit 
Ausnakme  der  Ellenwaaren,  gleichviel  ob  sie  Theile  der  Kleidung  oder  andere 
auch  oft  dem  gewohnlichen  Gebrauche  unterworfene  Luxusartikel  oder  Theile  davon 
sind  (Spitzen,  Facher,  Stockknopfe,  Dosen  etc.),  vergl.  Kurzwaaren. 

Galazyme  syn.  fur  gegohrene  Eselsmilch,  vgl.  a.  Arsa  I  pag.  193. 

Galbanum  (galbanum  — galbanum).  Mutterharz.  Ein  durch  Eintrocknen 
des  Milchsaftes  einer  im  nordl.  und  mittleren  Persien,  sowie  auch  in  Mittelafrika 
vorkommenden  Umbelliferen-Art,  wahrscheinlich  Ferula  erubenscens  Boiss.,  erhaltenes 
Gummiharz.  Bildet  rundliche,  erbsen-  bis  haselnussgrosse,  weissgelbe,  gelbgriine 
oder  braungelbe,  wachsglanzende  Korner,  welche  am  Rande  durchscheinend.  am 
Brucke  sckmutzig  weiss  oder  gelblick  sind  (Korner galbanum  oder  Galbanum 
in  Grams')  oder  aus  einzelnen  Kornern  zusammengeflossene,  unregelmassige  Stiicke 
von  kellerer  oder  dunklerer  grUnlick-brauner  Farbe,  welcke  kaufig  fremdartige 
Gemengtkeile  (Pflanzentheile,  Sandetc  .)  enthalten  (K  u  c  h  e  n  g  a  1  b  a  n  u  m,  Galb.  in 
massis).  Es  ist  kalt  ziemlick  sprode,  erweickt  jedock  sckon  in  der  Handwarme 
und  wird  klebrig.     Der    Gesckmack    ist    eigentkiimlick  sckarf  bitter,    der  Geruck 


670  Galbanum.  —  Galgantwurzel. 

aromatisch.  Mit  Wasser  angerieben  gibt  es  eine  weisse  Emulsion,  Alkohol  lost 
es  zum  Theile  etwa  3/4,  auf.  Das  Galbauum  gelangt  theils  aus  Syrien,  Avabien 
und  Persien,  tbeils  von  Ostindien  zu  Markte,  Haupthandelsplatze  sind  Triest  und 
Marseille. 

Es  bestebt  wesentlich  aus  Harz  67°/0,  Gummi  19%?  ather.  Oel  6%  neben 
8  Proc.  fremden  Beimengungen  (vgl.  Pelletier  Bull.  Pharm.  4,  pag.  97).  Das 
atherische  Oel  ist  farblos,  deni  Terpentinol  isomer,  rechtsdrebend,  es  siedet  bei 
160°  C.  und  hat  das  spec.  Grew.  0.884.  Das  durcb  Auflosen  des  Destillations- 
riickstandes  in  Kalkmilch  und  Zerlegen  des  Kalkresinates  mit  Salzsaure  isolirbare 
Harz  bildet  weissgelbe  Flocken,  die  in  Weingeist  leicht  loslich  sind.  Nach  Mo  ss- 
mer  u.  Hlasiwetz  (vgl.  Annal.  d.  Cbem.  u.  Pharm.  119  pag.  257  und  Wien. 
Akad.  Bericbt  49  pag.  203)  entspricbt  es  der  Formel  C,1VxH3SOro.  Bei  der  trock. 
Destination  liefert  es  neben  Wasser  ein  blaues  dickes  Oel,  das  bei  298°  C. 
siedet  und  der  Formel  C„QH.M)0  entspricbt,  und  Umbel  lifer  on  (C6Jff402)  in 
seidenglanzenden,  geschmack-  und  gerucblosen  Nadeln.  Beim  Scbmelzen  mit  Kali- 
hydrat  liefert  es  Re  so  re  in  neben  Oxalsa'ure  und  fliicht.  Fettsauren.  Das  Galba- 
numharz,  ehemals  ein  geschatztes  Arzeneimittel,  wird  gegenwartig  nur  selten  als 
Zusatz  zu  Pflastern  verwendet,  audi  bildet  es  einen  Bestandtbeil  mancber  Kitte 
z.  B.  des  Diamantkittes.     Gtl. 

Galeerenofetl  (galere  —  galley  furnace),  nennt  man  im  Allgemeinen  jene 
Art  von  Robren-  oder  Retortenofen,  bei  welchen  eine  Reihe  r.ebeneinander  einge- 
setzter,  oft  in  Doppelreiben  angeordneter  Rohren  oder  Retorten,  von  einer  ge- 
meinschaftlicben  Feuerung  erbitzt  werden  konnen.     Gtl. 

Galena  s.  m.  Bleiglanz  I  pag.  570,  allgemein  auch  synom.  mit  „Glanz", 
daber  Galena  inanis  d.  i.  Zinkblende,  Galena    Wismathi,  Wismuthglanz. 

Galenit,  s.  m.  Bleiglanz  I  pag.  570.  Galenit  nennt  E.  David  in 
Paris  auch  das  Product,  welcbes  beim  andauernden  Rosten  von  Bleiglanz  bei 
massiger  Temperatnr  erhalten  werden  kann  (wesentlich  Bleioxyd  und  schwefel- 
saures  Bleioxyd),  und  das  er  als  Ersatz  des  Miniums  fur  Metallanstriche  oder 
des  Bleiweisses  zur  Grundfai'be  fur  Oelanstriche  empfiehlt.  Es  deckt  gut  und  ist 
ein  kraftiges  Siccativ,  vgl.  Deutsche  Industr.-Ztg.  1875  pag.  3G8.     Gtl. 

Galenoide,  s.  m.  Glanze. 

Galettam,   Gallet  (fantaisie),  Chappe,  Florettseiden  Gespinnst,  s.  Seide. 

Galette,  s.  m.  Cocon,  s.  Seide. 

Galganiwurzel  (galanga  —  galangal),  kl einer  Galgant,  Galanga- 
wurzel.  Der  Wurzelstock  von  einer  in  China  einheimischen  Scitaminee  (Alpinia 
chinensis  Rose),  bildet  cylindrische  1 — 1.5cm  dicke  und  5  -6cm  lange,  gebogene 
oder  knieformige,  meist  einzelne  Reste  abgeschnittener  Stengel  und  Wurzelaste 
tragende  Stiicke  von  runzlichem  Aussehen  und  aussen  rothbrauner,  innen  zimmt- 
brauner  Farbe.  Die  Wurzelsubstanz  ist  von  holzig  zaher  Beschaffenheit  und  hat 
einen  aromatischen,  pfefferartig  scharfen  Geschmack  und  einen  eigenartig  aroma- 
tischen,  entfernt  an  Ingwer  erinnernden  Geruch.  Sie  enthalt  Starkemehl,  ein  scliarfes 
Harz,  Gummi,  Bassorin,  Gerbstoif  und  ein  atber.  Oel  (etwa  0.5  Proc.),  das  durch 
Destination  mit  Wasser  gewonnen  werden  kann.  Es  ist  gelb  bis  braungelb,  von 
brennend  anisartigem  Geschmack  und  dem  Cajaputol  ahnlichem  Geruche  (vergl. 
A.  Vogel,  Rep.  Pharm.  83  pag.  22).  Die  als  grosser  Galgant  im  Handel 
nur  mebr  selten  vorkommende  Galgant-Sorte,  welche  dem  kleinen  Galgant  voll- 
kommen  ahnliche  aber  starkere,  zugleich  aber  auch  leichtere  und  weniger  aroma- 
tische  WurzelstScke  darstellt,  stammt  nach  einigen  Angaben  von  Alpinia  Galanga 
Swrtz.,    nach  anderen  sind  es  lediglich    ausgewahlte  grossere  Stiicke  der  gewobn- 


Galgantwnrzel.  —  Galle.  07 1 

liclien  Galgantwnrzel.  Der  Galgant,  ehemals  als  Arzneimittel  geschatzt,  wird 
gegenwartig  nur  selten  als  Zusatz  zu  aromatischen  Tincturen,  Liqueuren  u.  d.  g. 
hie  und  da  auch  als  Gewiirz,  ahnlich  dera  Ingwer  verwendet.     Gtl. 

Galipot,  s.  Fichtenharz,  III  pag.  482. 

Galitzenstein  blauer,  s.  m.  Kupf&r  vitriol,  s.  Kupfer. 

Galitzenstein  weisser,  s.  m.  Z  ink  vitriol,  s.  Zink. 

Gallapfel,  s.  Gall  en. 

Gallapfelgerbstoff,  s.  Gerbsauren. 

Gallapfeltinte,  s.  Tinte. 

Gallamid,  Gallussaureainid.  Tannigenamsaure,  d.  i.  das  Amid  der  Gallus- 
saure  (C7H.N04),  welches  durch  Einwirknng  von  Ammoniak  und  saurem  schweflig- 
saurem  Ammoniak  auf  Gerbsaure  erhalten  werden  kann  und  grosse  blattrige 
Krystalle  liefert,  die  in  Wasser  und  Salzsaure  loslich  sind.     Gtl. 

Galle  (bile  —  gall),  die  in  der  Gallenblase  holier  entwickelter  Thiere 
enthaltene  griinlich  gelbe  Fliissigkeit.  Sie  ist  schleimig-zahe,  von  salzig  bitterem 
Geschmack,  frisch  nur  schwach  riechend,  aber  sehr  leicht  dem  Verderben  unterworfen 
und  dann  iibelriechend. 

Die  Galle  findet  mehrfach  technische  Verwendung  und  pflegt  zu  diesem 
Zwecke  gereinigt  zu  werden.  Namentlich  fur  die  Zwecke  der  Aquarellmalerei, 
dann  wohl  auch  als  Reinigungsmittel  fiir  Zeuge  muss  sie  vollig    entfarbt  werden. 

Eine  Reinigungsmethode  ist  folgende :  Man  nimmt  ganz  frische  Ochsengalle, 
lasst  sie  etwa  12  bis  15  Stunden  ruhig  stehen ,  giesst  nun  die  iiber  dem 
Absatze  stehende  klare  Fliissigkeit  in  eine  porzellanene  Abdampfschale,  und  lasst 
im  Wasserbade  bis  zu  dem  Punkte  abdampfen,  wo  die  Galle  anfangt  eine  dickliche 
Consistenz  anzunehmen.  Jetzt  lasst  man  sie  bei  gelinder  Warme  fast  bis  zur 
Trockne  eindampfen,  in  welchem  Zustande  man  sie  in  irdenen  Kruken,  die  nur 
mit  Papier  bedeckt  werden,  unverandert  jahrelang  aufbewahren  kann.  Beim  Ge- 
brauch  nimmt  man  ein  Stiickchen  von  der  Grosse  einer  Erbse  und  lost  es  in  einem 
Essloffel  voll  Wasser  auf. 

Eine  andere,  weniger  einfache,  aber  ein  noch  besseres  Produkt  liefernde 
Methode  ist  folgende.  In  1  Liter  gekochter  und  abgeschaumter  Ochsengalle 
werden  40 — 50  Gr.  fein  pulverisirter  Alaun  anfgelost,  die  Losung  in  eine  Flasche 
gegeben  und  diese,  leicht  verkorkt,  bei  Seite  gestellt.  In  einem  zweiten  Liter 
Galle  lost  man  40— 50  Gr.  Kochsalz  auf,  und  bewahrt  auch  diese  in  einer  Flasche 
auf.  In  Verlauf  von  etwa  3  Monaten  setzt  sich  in  beiden  Flaschen  ein  Bodensatz 
ab^  wahrend  sich  die  iiberstehende  Galle  klart.  Man  zieht  diese  von  dem  Sedi- 
mente  ab,  und  mischt  nun  beide  Portionen,  wodurch  der  gelbe  Farbstoff  gefallt 
wird,  nach  dessen  Abscheidung  durch  Filtration  die  Galle  klar  und  farblos  erscheint. 
Die  so  gereinigte  Galle  verbessert  sich  noch  mit  zunehmendem  Alter,  und  ist  der 
Yerderbniss  nicht  unterworfen. 

Die  so  geklarte  Ochsengalle  mischt  sich  sehr  gut  mit  Wasserfarben,  und 
ist  namentlich  zum  Anmachen  von  Ultramarin,  Carmin,  Griin  und  anderen  empfind- 
lichen  Farben  sehr  niitzlich,  indem  sie  sie  nicht  nur  eben  so  gut  wie  Gummi  auf 
dem  Papier  befestigt,  sondern  ihnen  auch  die  Eigenschaft  ertheilt,  sich  vorziiglicli 
gut  und  gleichmassig  auszubreiten^  ohne  einen  so  starken  storenden  Glanz  zu 
bewirken  wie  Gummi.  Mit  Galle  aufgetragene  Farben  trocknen  schnell  und  so 
fest  ein,  dass  man  sie  ohne  Gefahr  des  Wiederauflosens  mit  anderen  Farben 
iibergehen  kann. 


672  Galle. 

Gegliihtes  Lampenschwarz,  mit  Gummi  und  Galle  angemacht.  liefert  eine 
sehr  brauchbare  Nacbahmung  des  chinesischen  Tusch.  Sebr  anwendbar  ist  sie 
auch,  urn  Bleistift-  und  Kreidezeichnungen  zu  iiberziehen,  um  dem  Verwischen 
derselben  vorzubeugen. 

Besonders  fur  Miniaturmalerei  ist  die  gereinigte  Galle  ein  sehr  wichtiges 
Hilfsmaterial.  Auf  Elfenbein  namlich  haften  die  Farben  nicht  gut,  indem  es  mit 
einer  Fettsubstanz  durchzogen  ist.  Dieser  Mangel  lasst  sich  durch  Abreiben  des  Stiickes 
mit  Galle  vollstandig  beseitigen,  so  dass  sich  die  Farben  auf  dem  Elfenbein  eben 
so  gut  wie  auf  Papier  auftragen  lassen  und  befestigen. 

Auch  zu  Transparenten  kann  Galle  mit  Vortheil  angewandt  werden.  Wenn 
namlich  geoltes  oder  gefirnisstes  Papier  mit  Galle  bestrichen  wird,  so  kann  man 
so  gut  darauf  malen  wie  auf  ungeoltem. 

Eine  besondere  Verwendung  findet  Galle  auch  in  der  Buntpapierfabrikation 
(s.  d.)  und  als  Fleckreinigungsmittel.  Haufig  wird  Galle  durch  Zusatz  von  Essig- 
ather  conservirt  (auf  1000  Thl.  Galle  7—8  Thl.  Essigather)  und  halt  sich  mit 
diesem  Zusatze,  der  auch  den  unangenehmen  Geruch  der  Galle  deckt,  lange  Zeit, 
ohne  etwas  an  ihren  Eigenschaften  zu  verlieren.  Nach  A.  Vogel  lasst  sich  die 
Galle  auch  durch  Vermischen  mit  Torfkohle  conserviren  (vgl.  Deutsch.  Industr. 
Ztg.  1866  pag.  245). 

Durch  Kochen  von  frischer  oder  conservirter  Galle  mit  caustischem  Alkali 
oder  durch  Verkochen  von  2  Thl.  Talg  oder  Harzseife  mit  1  Thl.  Galle  erhalt 
man  die  Gallenseife,  welche  als  Fleckreinigungsmittel  verwendet  wird  (vgl.  Gaul- 
tier  de  Claubry  in  Dingl.  pol.  Jour.  159  pag.  159).  Aime  Fichemot  (dtsch. 
Industr.  Ztg.  1870  pag.  26)  empfiehlt  zum  Waschen  feiner  seidener  Zeuge, 
Bander  etc.  eine  Gallen-Seife,  die  man  nach  folgender  Vorschrift  erhalt:  1  K. 
Cocosnussol  wird  in  einem  Kupferkessel  erwarmt  und  mit  Y2  K.  atzender  Sodalauge 
von  30°  B.  und  '/2  K.  weissen  venetianer  Terpentin  vermengt,  die  Mischung 
durch  4  Stunden  erwarmt  gehalten  und  nun  1  K.  Ochsengalle  eingeruhrt.  Der  so 
erhaltenen  Masse  wird  endlich  so  viel  gepulverte  Kernseife  beigemischt,  bis  sie 
vollig  fest  wird  (etwa  1 — 2  K.  Kernseife). 

Die  Galle  enthalt  anorganische  und  organische  Substanzen ;  von  ersteren 
Alkalimetalle,  Kalk,  Magnesia,  etwas  Eisen,  Mangan  und  Kieselsaure.  Die  orga- 
nischen  Bestandtheile,  die  zum  Theil  auch  in  anderen  Organen  aufgefunden  wurden, 
sind  nicht  bei  alien  Thiergattungen  gleich,  stehen  aber  unstreitig  in  uahen  Bezie- 
hungen.  Ein  grosser  Theil  derselben  ist  saurer  Natur.  Von  ihnen  sind  an  besten 
bekannt  die  Glycocholsa^reCog-ff^iVO,;  und  die  Taurocholsaure  C,16HA^)NS01, 
beide  krystallisirte  Sauren,  die  von  Strecker  (Ann.  Chem.Pharm.  62,205)  in  der 
Ochsengalle  nachgewiesen  wurden.  Beide  liefern  mit  wassrigen  Alkalien  erhitzt 
Cholalsaure  CO4H400b,  die  ersteren  neben  Glycocol  (Amidoessigsaure) 
CH2(NHa)COOH,  'die  zweiten  neben  Taurin  C^H^NH^SO^H).  Die  Glycochol- 
saure  diirfte  auch  in  der  menschlichen  Galle  vorkommen,  von  der  Taurocholsaure 
ist  es  noch  zweifelhaft.  Bei  anderen  Thieren  wurden  besondere  Gallensauren  ge- 
funden,  so  dieHyoglycocholsaure  und  Hyotaurocholsaure  der Schweine- 
galle,  die  ganz  analog  den  obigen  in  Hyocholsaure  und  Glycocoll,  respective  Taurin 
zerfallen,  die  Chenotaurocholsaure  der  Gansegalle  u.  a. 

Das  C  h  o  1  e  s  t  e  r  i  n  ist  in  alien  Gallen  hoherer  Thiere  aufgefunden  worden,  es 
ist  aber  auch  sonst  im  thierischen  Korper  und  in  pflanzlichen  Produkten  sehr 
verbreitet. 

Es  besitzt  die  Zusamensetzung  Cq6H43OH  -\-  H,20,  krystallisirt  aus  Alkohol 
in  charakteristischen  Blattern,  ist  seinem    chemischen  Verhalten  nach  ein  Alkohol. 

Von  Gallenfarbstoffen,  die  auch  in  den  Gallensteinen  vorkommen,  sind  die 
relativ  best  untersuchten  das  Bilirubin,  auch  Gallenroth,  ein  rothes  krystallinisches 
Pulver,  dann  das  B  i  1  i  v  e  r  d  i  n,  Gallengriin,  ein  dunkelgriiner  amorpher  Korper,  der 
auch  aus  dem  Bilirubin  erhalten  werden  kann.  Diese  und  andere  Gallenfarbstoffe 
werden  am  besten  aus  Gallensteinen  dargestellt,  die  vorherrschend  aus  Cholesterin, 
Bilifuscin,  Biliprasin,  Bilihumin,  Fett,  Schleim,  endlich  cholsauren  und  choloidinsauren 


Galle.  —  Gallen.  673 

Salze  des  Kalks,  neben  kohlensaurem  und  phosphorsaurem  Kalk,   Magnesia,  nicht 
selten  Eisen,  Kieselerde  und  Spuren  von  Kupfer  etc.  bestehen. 

K.  II.  und  Dr.  Skraup. 

GalleTn  (galleine  —  galleine)  nannte  A.  Baeyer  (Ber.  d.  d.  chem.  Ges. 
1871  pag.  457,  pag.  555  und  658)  das  durch  Erhitzen  von  Phtalsaureanhydrid 
mit  Pyrogallussaure  darstellbare  Phtalein  der  Pyrogallussaure  (CaoH1(/J7).  Erhitzt 
man  2  Thl.  Pyrogallussaure  mit  1  Thl.  Phtalsaureanhydrid  durch  einige  .Stunden 
auf  190 — 200°  C.  bis  zum  Dickwerden  der  Masse,  lost  die  Schmelze  in  heissem 
Alkohol,  filtrirt  und  verdiinnt  mit  Wasser,  so  erhalt  man  einen  reichlichen  Nieder- 
schlag  von  Gallei'n,  der  nochmals  in  Alkohol  gelost  und  umkrystallisirt,  reines 
Gallei'n  liefert.  Es  bildet  entweder  ein  braunrothes  Pulver  oder  kleine  metallisch 
griin  glanzende  Krysta'llchen,  lost  sich  in  kaltem  Wasser  kaum, .  in  heissem  mit 
rother  Farbe  jedoch  schwer,  leicht  in  Alkohol  mit  dunkelrother  Farbe.  Kalilauge 
lost  es  zu  einer  prachtig  blauen,  Ammoniak  zu  einer  violetten  Fliissigkeit.  Erhitzt 
verkohlt  es.  Mit  sehr  verdiinnter  Schwefelsaure  und  Zink  erhitzt  liefert  das  Gallei'n 
eine  hellrothgelbe  Losung,  aus  welcher  sich  grosse  braunrothe  Krystalle  ausscheiden, 
die  aus  trockenem  Aether  umkrystallisirt,  grosse  farblose  Krystalle  von  Gallin 
(CU0i/1807)  liefern,  welche  jedoch  an  der  Luft  rasch  undurchsichtig  werden  und 
zu  einem  rothlichen  Pulver  zerfallen.  Das  Gallin,  welches  auch  in  einer  wassrigen 
Losung  von  Pyrogallussaure  leicht  loslich  ist  und  aus  einer  solchen  gut  umkry- 
stallisirt  werden  kann,  lost  sich  in  kaltem  Wasser  schwer,  leichter  in  heissem, 
sehr  leicht  in  Alkohol  auf.  Seine  wassrigen  Losungen  farben  sich  sehr  leicht  roth. 
Durch  Erhitzen  mit  20  Thl.  cone.  Schwefelsaure  auf  200°  C.  geht  das  Gallei'n 
unter  Veranderung  der  Anfangs  rothbraunen  Farbe  der  Losung  in  eine  griinbraune, 
in  Coerulei'n  iiber,  das  sich  durch  Verdiinnen  der  Saurelosung  mit  viel  Wasser 
in  Gestalt  eines  voluminosen  fast  schwarzen  Niederschlags  ausscheidet,  der  nach 
dem  Waschen  mit  Wasser  zu  einer  blaulich  schwarzen,  gerieben  metallglanzend 
werdenden  Masse  von  reinem  Coerulei'n  eintrocknet.  Das  Coerulei'n  ist  in  Wasser, 
Alkohol  und  Aether  kaum,  leichter  u.  z.  mit  schmutzig  griiner  Farbe  in  Essig- 
saure,  mit  olivenbrauner  Farbe  in  heisser  cone.  Schwefelsaure  und  mit  prachtvoll 
indigoblauer  Farbe  in  heissem  Anilin  loslich ;  Alkalien  losen  es  mit  schon  griiner 
Farbe.  Seine  Zusammensetzung  entspricht  der  Formel  CwHl0O1.  Durch  Reductions- 
mittel  geht  es  in  Coerulin  ilber,  das  sich  in  Aether  zu  einer  gelben,  schon  griin 
fluorescirenden  Fliissigkeit  lost.  Sowohl  Gallei'n,  als  auch  Coerulei'n  sind  Farb- 
stoffe  und  farben  mit  Thonerde-,  EiseiiT  oder  Chrom-Salzen  gebeizte  Zeuge  schon 
und  echt.  Nach  Versuchen  von  Kochlin  (Dingl.  pol.  Journ.  224  pag.  463)  gibt 
Gallein  sowohl  auf  dem  Wege  des  Druckes  als  auch  der  Fa'rberei  rosa  und 
violette  Tone,  welche  Seife  gut  vertragen.  Mit  Chrombeizen  liefert  es  dunklere, 
mit  Bleioxyd  graue  Nuancen.  Coerulei'n  liefert  mit  Thonerde-  und  Eisenbeizen 
olivengriine  Tone,  die  seifen-  und  lichtecht  sind.  Zur  Herstellung  einer  fiir  Farberei- 
zwecke  geeigneten  Coeruleinlosung  setzt  man  dem  Wasser  eine  der  Farbstoffmenge 
gleiche  Quantitat  von  doppeltschwefligsaurem  Natron  zu,  worin  sich  das  Coerulei'n 
vollkommen  lost.  Vgl.  a.  Phenolfarbstoffe  bei  Phenol,  s.  Theer.     Gil. 

Gallen,  Gallapfel  (galles,  noix  de  galle  —  nut  galls),  Gallus,  sind  gerb- 
stoffreiche  Auswiichse  in  kraftiger  Vegetation  stehender,  jugendlicher  oder  bereits 
vollkommen  entwickelter  Pflanzentheile,  welche  in  Folge  des  Einflusses  von  im 
Innern  ihres  Gewebes  oder  an  ihrer  Oberflache  lebender  Thiere  sich  entwickeln. 
Fiir  uns  hier  haben  nur  jene  eine  Bedeutung,  welche  ihre  Entstehung  gewissen 
Gallwespen  (Cynips-Arten)  und  Blattlausen  (Aphis-Arten)  verdanken  und  durch- 
aus  dicotylen  Gewachsen  angehoren. 

Die  im  Handel  vorkommenden  technisch  und  niedicinisch  verwendeten  Gallen 
(namentlich  in  der  Farberei  und  Gerberei)  lassen  sich  demnach  als  Cy nips- und 
Aphis -Gall  en  und  nach  den  Pflanzen,  von  denen  sie  gesammelt  werden,  als 
Eichen-,    Sumach-,    Pistacien-    und  Tama risken -Gallen  unterseheiden. 

Karmarsch  &  Heeren,  Technischea  Worterbuch.  Bd.  III.  43 


674  Gallen. 

A.  Eichen  gallen,  durch  Gallwespen  auf  verschiedenen  Eichenarten  in 
Asien  und  Europa  erzeugte  Gallen.  Das  eierlegende  Weibchen  dieser  Haut- 
fltigler  bohrt  mit  seinem  Legestachel  in  die  Rinde  jiinger  Zweige,  in  die  Knospen 
odev  in  andere  Theile  und  deponirt  in  der  entstandenen  Hohlung  das  Ei. 

Dadurch,  sowie  durch  den  Reiz,  den  die  spater  auskriecliende  Larve  ausiibt, 
wird  eine  Vermehrung  des  Saftezuflusses,  Neubildung  und  Wucherung  von  Ge- 
websmassenin  Formeines  geschlossenen,  am  haufigsten  mehroder  weniger  kugligen 
Auswuchses  hervorgerufen,  der  in  seinem  Innern  eine  im  Verhaltniss  zur  Dicke 
der  Wandung  nur  kleine  Hohlung  birgt,  worin  das  Thier  seine  Metamorphose 
dnrchmacht  und  schliesslich  als  ausgebildete  Gallwespe  sich  herausbohrt  oder 
darin  zu  Grunde  geht.  In  vielen  Gallen  findet  sich  im  Innern  ein  aus  sehr  dichtem 
Gewebe  bestehender,  das  Thier  zunachst  umschliessender,  rundlicher  Hohlkorper, 
die  sogenannte  Innengalle. 

Nach  ihrer  Herkunft  werden  die  Eichengallen  des  Handels  als  asiatische 
und  europaische  unterschieden. 

1.  Asiatische.  Die  werthvollsten,  weil  gerbstofFreichsten  unter  den  Eichen- 
gallen sind  die  sogenannten  Levantiner  oder  tiirkischen  Gallen  (Gallae 
levanticae,  Galle  du  Levant,  Levant  Galls).  Sie  entstchen  durch  Cynips  Gallae 
tinctoriae  Oliv.  auf  jungen  Zweigen  von  Quercus  Lusitanica  Webb.  Var. 
infectoria  DC.  (Q.  infectoria  Oliv.),  einer  immergriinen  strauchigen  Eichenart, 
die  durch  Kleinasien  und  Syrien  bis  Persien  verbreitet  ist  und  auch  auf  Cypern 
und  in  Thracien  wachst.  Der  wichtigste  Stappelplatz  fur  diese  Gallen  ist  Aleppo, 
und  zwar  werden  sie  theils  im  Elajet  Aleppo  selbst  gesammelt,  namentlich  in  der 
Gegend  von  Killis,  Aintab  und  Marasch,  nordlich  von  Aleppo,  theils  gelangen  sie 
aus  Kurdistan,  wo  sie  sowohl  ostlich  in  den  Bergen  von  Mosul ,  am  Tigris,  bei 
Zachu  bis  an  die  persische  Grenze,  bei  Revandoz  und  Suleimania,  als  auch  westlich 
bei  Mardui  und  bei  Diarbeker  gesammelt  werden,  auf  den  Markt  von  Aleppo. 
Nach  v.  Zwiedinek  kommen  durchschnittlich  jahrlich  von  Mosul  900 — 1000 
Kantar  (a  200  Okken),  von  Mardui  500—600  und  von  Diarbeker  400—500  K., 
wahrend  die  Jahresernte  im  Aleppischen  Gebiet  selbst  ca.  200 — 250  K.  betragt. 
Der  grosste  Theil  der  auf  den  Markt  von  Aleppo  gelangenden  Waaren  wird  iiber 
Alexandrette  nach  Marseille  und  Liverpool,  ein  Theil  nach  Triest,  Genua  und 
Livorno  verschifft.  In  neuerer  Zeit  geht  ein  Theil  des  im  ostlichen  Gebiet  Ge- 
sammelten  liber  Bagdad  nach  Indien  und  von  hier  aus  wahrscheinlich  in  Ver- 
bindung  mit  Zufuhren  aus  Persien  nach  England  (Bombay-  oder  ostindische 
Gallen).  Weniger  belangreich  ist  die  Production  Kleinasiens  an  Gallen,  die 
iiber  Smyrna  ausgefiihrt  werden. 

Die  levantinischen  Gallen  sind  kuglig,  nach  abwarts  in  einen  kurzen  Stiel 
verschmalert,  mit  einem  Durchmesser  von  1.5  — 2.5em,  an  der  Oberflache,  zumal 
in  der  oberen  Halfte  mit  zerstreuten  stumpfen  oder  ziemlich  spitzen  Hdckern  und 
leistenartigen  Vorspriingen  besetzt,  bald  heller,  bald  dunkler  olivengriin,  grau- 
griin,  braungelb,  gelblichroth  oder  strohgelb,  haufig,  zumal  die  lichter  gefarbten 
mit  einem  seitlichen,  2 — 3mm  weiten  Flugloch  versehen,  schwer,  hart,  sprode,  am 
Bruche  bald  dicht,  fast  hornartig,  bald  locker  kornig-brockelig,  zuweilen  strahlig 
oder  zerkliiftet.  Der  Durchschnitt  zeigt  eine  von  den  Resten  des  Insectes  und 
von  Gewebsdetritus  locker  ausgefiillte  oder  eine  ganz  leere  Hohlung,  je  nachdem 
die  Galle  geschlossen  oder  durchbohrt  ist,  selten  findet  sich  darin  die  mehr  oder 
weniger  gut  erhaltene  entwickelte  Gallwespe.  Der  Hohlraum  ist  zunachst  von 
einem  meist  dunkleren  und  dichteren  Kern  (Innengalle)  umgeben,  wiihrend  die 
iibrige  Masse  eine  heller  braune  oder  gelblich-weisse  Farbe  besitzt.  Sie  sind 
geruchlos  und  schmecken  sehr  zusammenziehend.  Ihr  wichtigster  Bestandtheil  ist 
die  Gallapfelgerbsaure  (Tannin),  von  der  die  besten  60—70  Proc.  enthalten, 
neben  etwas  Gallussaure,  Ellagsaure,  Gummi,  Zucker,  Harz,  einem  pectinartigen 
Korper  etc. 


Gallen.  675 

Nach  ihrer  Provenienz,  .Grosse,  Schwere,  Oberflachenfarbe  unterscheidet  man 
im  Handel  zahlreiche,  im  Preise  ungleiche  Sorten.  Die  werthvollsten  im  Allge- 
meinen  sind  die  von  Aleppo  exportirten,  aleppischen  Gallen.  Auf  dem  Markte 
von  Aleppo  werden  die  im  Gebiete  des  Villajets  gesammelten  am  hochsten 
geschatzt,  ihnen  reihen  sicb  die  von  Mardui  kommenden  an,  wahrend  die 
Mosul -Gallen  in  der  Qualitat  nacbstehen  und  als  die  schlechteste  Sorte  die 
von  Diarbeker  gelten.  Weiter  werden  die  aleppischen  Gallen  sowohl  wie  die 
aus  Smyrna  ausgefiihrten  kleinasiatischen  oder  Smyrna- Gallen  (G.  de 
VAsie  mineure  on  G.  de  Smyrna)  als  schwarze  (G.  noires,  die  dunkleren), 
g  r  ii  n  e  oder  grlinliche  (G.  vertes)  und  w  e  i  s  s  e  (G.  blanches,  die  heller  gefarbten) 
unterschieden.  Letztere  bezahlt  man  durchschnittlich  mit  %- — 3/4  des  Preises  der 
schwarzen. 

Die  kleinsten  (hochstens  lcm  im  Durchmesser),  aus  der  naturellen  Waare 
ausgelesenen  aleppischen  Gallen,  in  Farbe  den  schwarzen  gleichend,  zum  Theil 
mit  spitzen  verlangerten,  oft  verbogen«n  Hockern,  hart,  meist  ohne  Flugloch, 
pflegt  man  als  Sorian-Gallen  zu  bezeichnen. 

Eine  durch  Form  und  Grosse  sehr  auffallende  Sorte  stellen  die  sog.  Bas 
sora-Gallen  dar.  Sie  sind  vorwaltend  eirund  oder  etwas  niedergedriickt  kuglig, 
fast  kreiselformig ,  5 — 5.5cm  lang,  oben  kurz  gespitzt,  unten  in  einen  kurzen 
dicken  Stiel  verschmalert,  an  der  Oberflache  rothlich-braun  oder  braunroth,  glan- 
zend,  oft  wie  lackirt,  in  der  Mitte  des  Umfanges  oder  in  der  oberen  Halfte  mit 
einem  einfachen,  meist  aber  mehrfachen  Kreise  ziemlich  spitzer,  gerade  abste- 
hender  kurzer,  heller  gefarbter,  von  einander  getrennter,  selten  zusammenflies- 
sender  Hocker  und  mit  einem  kreisrunden,  relativ  engen  Flugloch  versehen,  sehr 
leicht,  weich,  innen  schwammig,  hell-lederbraun,  in  der  Mitte  aueh  einer  eirunden 
glatten  Hohlung.  Ihre  Abstammung  ist  nicht  sicher  erschlossen.  Vielleicht  werden 
sie  von  einer  und  derselben  Cynips-Art  auf  verschiedenen  Eichenarten  erzeugt. 

•  2.  Europaische  Eichengallen.  Auf  verschiedenen  Eichenarten 
(Quercus  jpedunculata  Ehrli.,  sessiliflora  Sm.,  pubescens  Willd.,  Cerris  L.,  Ilex 
L.  etc.)  durch  verschiedene  Cynips-Arten  entstandene  Gallen  von  mannigfaltiger 
Gestalt,  Grosse  und  Oberflachenbeschaffenheit,  leichter  und  armer  an  Gerbstoff  als 
die  asiatischen.     Hieher  gehoren: 

Die  Morea-Gallen  (angeblich  von  der  Zerreiche  Quercus  Cerris  L.), 
klein  (hochstens  1.2cm  lang),  kreisel-  oder  urnenformig,  in  einen  kurzen  Stiel 
verschmalert  oder  fast  zusammengezogen,  an  der  Oberflache  etwas  glanzend  roth- 
braun  oder  graulich  gefleckt,  laugs-  oder  unregelmassig  netzrunzlig,  im  obersten 
Theile  mit  einem  Kreise  von  spitzen  oder  ziemlich  spitzen,  seitlich  verbundenen 
Hockern  (ahnlich  einem  Fruchtkelche),  am  Scheitel  flach  gewolbt,  seitlich  mit 
einem  auffallend  grossen  kreisrunden Flugloch.  —  Istrianer  Gallen  (wohl  von 
Quercus  Ilex  L.),  klein  (hochstens  1.5cm  lang),  kuglig,  oben  ohne  Spitze  oder  kurz 
stumpf-gespitzt,  nach  abwarts  in  einen  kurzen  dicken  Stiel  verschmalert,  an  der 
Oberflache  matt  rothbraun  oder  mehr  gelblichbraun ,  grob  unregelmassig,  fast 
netzig-runzlig,  gegen  den  Stiel  zu  langsrunzlig,  ohne  Hocker,  h5chstens  mit  An- 
deutungen  von  stumpfen  Leisten  am  Scheitel  oder  in  der  oberen  Halfte.  Sollen 
41.2  Proc.  Gerbstoff  enthalten. 

Was  als  Abruzzo-Gallen  im  Handel  vorkommt,  stimmt  im  Wesentlichen 
mit  den  Istrianer  Gallen  iiberein.  (Auch  im  Gehalte  an  Gerbstoff).  —  Die  sog. 
Marmoregne-  oder  apulischen  Gallen  (G.  Marmorigae,  Marmonigae* 
apulicae),  angeblich  aus  der  Gegend  von  Puglia  in  Neapel,  sind  kuglig,  kurz 
gestielt,  von  der  Grosse  der  levantinischen,  an  der  Oberflache  vorwiegend  matt- 
rothlich,  grau-braun,  mehr  oder  weniger  runzlig,  ohne  Hocker  oder  hochstens  mit  ein- 
zelnen  stumpfen  Hockern  versehen.  Vielleicht  werden  sie  von  einer  anderen 
Abart  der  Q.  Lusitanica  gesammelt. 

Ungarische  Gallen,  von  denen  man  kleine  und  grosse  (Landgallus) 
unterscheidet.     Die    klein  en,     durch    Cynips  lignicola  Hart,    auf   der  Stieleiche 

43* 


676  Gallen. 

(Quercus  pedunculate/,)  und  auf  der  Steineiche  (Q.  sessiliflora)  entstanden,  haben 
die  Grosse  etwa  der  Istrianer  Gallen,  sind  kuglig,  ungestielt,  sehr  grobrunzelig 
auf  der  etwas  glanzenden,  dunkel-rothbraunen,  von  weisslichen  Schilfern  fleckigen 
hockerlosen  Oberflache.  Die  gross  en  ungarischen  Gallapfel,  durch  Cynips  Hun- 
garica  Hart,  auf  Q.  peducnidata  erzeugt,  sind  kuglig,  oder  nach  abwarts  etwas 
verschin  alert,  von  der  Grosse  eines  kleinen  Apfels,  an  der  Oberflache  matt  oder 
schwach  glanzend,  hellbraunlich  oder  aschgrau,  allenthalben  mit  Ausnahme  des 
untersten  flach-langs-furchigen  Theils  rait  stumpfen  3 — 4  kantigen,  mit  den  ver- 
langert  herablaufenden  Kanten  zum  Theil  zusammenfliessenden  Hockern  besetzt, 
dadurch  unregelmassig  kantig,  hockerig,  sebr  leicht,  im  Innern  mit  lederbrauner 
korkartiger  Wand,  welche  einen  unregelmassigen  Hohlraum  umschliesst,  in  welchem 
sich,  von  einem  kurzen  Stiele  getragen,  eine  sehr  regelmassige  ellipsoidische 
Innengalle  findet.  Ihnen  verwandt,  noch  mehr  aber  den  Bassora-Gallen  sind  die 
von  Cynips  argentea  Hart,  auf  jungen  Aesten  von  Quercus  pubescens,  sel- 
tener  von  Q.  sessiliflora  und  peduncidata  producirten  Gallapfel.  Sie  haben  etwa 
die  Grosse  der  grossen  ungarischen  Gallus,  sind  kuglig  oder  urnenformig  mit 
einer  ganz  geringen  Verjtingung  nach  abwarts,  am  Gipfel  kurz  stumpfgespitzt, 
im  oberen  Drittheil  mit  einem  Kreise  von  wenigen  (6 — 8)  scharf  ausgepragten 
dreieckigen,  etwas  nach  aufwarts  gebogenen,  seitlich  durch  einen  schmalen  Saum 
verbundenen  Hockern  versehen  und  dadurch  an  manche  vom  Kelche  gekronte 
Frnchtformen  erinnernd,  unter  einem  feinen  aschgrauen  Ueberzuge  rehbraun,  mit 
einem  kreisrunden  Flugloch,    sehr  leicht,  im  Innern  ganz  wie  die  Bassora-Gallen. 

Deutsche  Gallen.  Die  durch  Cynips  Kollari  Hart,  auf  Quercus  sessili- 
flora, pubescens  und  wohl  auch  auf  anderen  Eichenarten  hervorgerufenen  Gallen 
sind  regelmassig  kuglig  mit  einem  Durchmesser  von  2 — 2.5om,  aussen  glanzend, 
hellrothlich  oder  gelbbraun  und  meist  vollkommen  glatt,  selten  etwas  runzelig, 
sehr  leicht,  mit  hellbrauner,  nach  innen  zu  radial  gestreifter  sehr  weicher  Wand- 
substanz,  die  einen  elliptischen  Hohlraum  einschliesst.  Enthalten  25 — 30  Proc. 
Gerbsaure. 

Eine  besondere  Art  von  Gallen  bilden  die  als  Gerbematerial  bei  uns  viel 
beniitzten  Knoppern,  ungarische  oder  eigentliche  Knoppern,  {Gallons,  Galles  a 
bonnet  — Acorn-Galls)  (niclit  zu  verwechseln  mit  den  sogenannten  orientalischen 
Knoppern  oder  Valonen).  Sie  verdanken  ihre  Entstehung  der  Cynips  Quercus 
Calycis  Burgsdf.,  die  ihr  Ei  in  die  junge  Frucht  von  Quercus  sessiliflora  (und 
pedunculata)  legt  und  kommen  vorziiglich  vor  und  werden  gesammelt  in  Ungarn, 
Slavonien  und  in  der  Bukovina  (in  den  Monaten  September  und  October). 

In  giinstigen  (warmen  trockenen)  Jahren  erhalt  man  bis  iiber  100  K.  von 
einem  Baume.  Fiinfkirchen,  Temesvar,  Pest,  Oedenburg  sind  die  Hauptmarkte 
ftir  dieses  Rohproduct,  welches  statt  der  Gallapfel  in  der  Farberei  und  zum 
Gerben  (besonders  von  Sohlenleder)  verwendet  wird.  Die  Knoppern  stellen  sehr 
verschieden,  zum  Theil  ganz  unregelmassig  gestaltete  etwa  1.5 — 2.5cm  lange 
stumpfliockerige,  furchige,  kantig-gefliigelte,  leichte  holzige  Korper  dar,  von  matt- 
rothbrauner  oder  gelblichbrauner  Farbe,  die  mehr  weniger  verktimmerte  Frucht 
(Bechevhiille  und  Eichel)  ganz  einschliessend  oder  (bei  einseitiger  Entwickelung) 
der  Frucht  seitlich  aufsitzend.  Im  Innern  findet  man  zwei  durch  eine  Querscheide- 
wand  getrennte  Hohlraume,  von  denen  der  untere  die  eiformige,  an  einem  Ende 
offene  Innengalle  einschliesst;  am  oberen  Ende  der  Knopper  findet  sich  eine 
natiirliche  Oefihung  zum  AusschliipfLii  des  Insects.  Je  weniger  Friichte  die 
Knoppern  enthalten,  desto  geschatzter  sind  sie.  Sie  kommen  auch  gemahlen  als 
Knoppernmehl  im  Handel  vor.  Auch  ein  Knoppernextract  ist  Gegenstand  des 
Handels. 

Im  Anschlusse  sei  liier  noch  einer  Sorte  von  Gallen  erwahnt,  die  in  jiingster 
Zeit  angeblich  aus  Griechenland  unter  dem  Namen  „Rove"  eingefiihrt  wurden. 
Sie  haben  eine  sehr  mannigfaltige,  zum  Theil  sehr  abenteuerliche  Gestalt;  am 
haufigsten    sind    kreiselforraige    oder   fast   becherfbrmige  Stiicke,    manche  erinnern 


Gallen.  677 

einigermassen  an  Morea-Gallen,  sind  kelcliformig,  pben  am  breitesten  mit  ver- 
tiefter,  im  Urnkreise  unregelmassig  gelappter  Scheitelflache,  aus  deren  Mittc  sich 
ein  kurzer  spitzer  Zapfen  erhebt,  nach  abwarts  in  einen  kurzen  Stiel  versclimalert, 
an  der  Oberflache  dicht  gelblich  graufilzig.  Die  harte,  hornartige,  gl&nzend  schwarz- 
lich  braune  Wand  umgibt  eine  ziemlich  weite,  innen  glatte  Hohlung,  in  welcher 
lose  eine  eirunde  odor  langliche,  sehr  zcrbrechliclie  Innengalle  liegt.  Meist  sitzen 
diese  Gallen  zu  mehreren  endstandig  an  den  jungen  Aesten.  Hire  Abstammung 
ist  nicht  bekannt.  Einigermassen  erinnern  sie  in  ihren  Gestalten  und  der  Be- 
schaffenheit  ihres  Innern  an  die  Gallen  von  Cijnips  polycera  Gir.  (s.Mayr,  mittel- 
europ.  Eichengallen  Taf.  Ill  F.  23.) 

B.  Sumach-  (Rhus-)  Gallen.  Durch  Blattlause  auf  verscluedenen 
Sumach-  (Rhus-)  Arten  erzeugte  Gallen.  Hieher  gehoren  als  die  wichtigsten  die 
schon  1724  in  Europa  eingefuhrten,  aber  erst  seit  etwa  40  Jahren  als  regel- 
massiger  Handelsartikel  aus  China  und  Japan  auf  dem  europaischen,  zumal  dem 
englischen  Markte  vorkommenden  chinesischen  und  japanischen  Gallen 
(Gales  de  Chine  ou  du  Japan  —  Chinese  Galls.),  blasige  Auswiichse,  welche  durch 
Aphis  chinens is  Dubled.  an  den  Blattstielen,  angeblich  von  Rhus  semialata  Murray 
einer  in  China  und  Nord-Indien,  beziehungsweise  in  Japan  einheimischen  baum- 
artigen  Anacardiacee  entstehen.  Sie  stellen  hohle,  blasenformige,  leichte,  2 — 8"m 
lange,  bis  4cm  breite  Gebilde  dar  von  sehr  mannigfaltiger,  zum  Theil  sehr  son- 
derbarer,  schwer  zu  beschreibender  Gestalt.  Im  Allgemeinen  sind  sie  langlich 
oder  verkehrt  eiformig  ohne  (Japanische  G.)  oder  mit  einzelnen  bis  zahlreichen 
kiirzeren  und  langeren7  geraden  oder  etwas  gekriimmten,  kugelformigen,  hohlen 
Fortsatzen  und  Hockern  besetzt,  aussen  meist  fein  gestreift  und  von  einem  dichten, 
kurzen,  grauen  Filz  aus  einfachen7  dickwandigen,  steifen  Haaren  iiberzogen, 
darunter  gelblich-  oder  rothlichbraun,  mit  1 — 2mm  dicker,  hornartiger,  eben- 
briichiger,  durchscheinender,  von  Milchsaftgangen  durchsetzter  Wand.  Die  weite 
Hohlung  en  thai  t  die  Reste  der  in  grosser  Zahl  vorhandenen  schwarzlichen  Blatt- 
lause neben  einer  weisslichen,  klumpig  zusammengeballten,  von  den  Insecten  ab- 
gesonderten  fadigen  Masse. 

Der  Gerbstofigehalt  dieser  Gallen,  welche  im  Preise  etwa  V3  billiger  sich 
stellen  als  die  besten  tiirkischen  und  von  denen  auf  dem  Londoner  Marktjahrlich 
an  6000 — 8000  Kisten  verkauft  werden,  ist  mindestens  ebenso  bedeutend,  wie 
jener  der  besten  tiirkischen,  namlich  65 — -77  Proc.  Neben  Gerbstotf  enthalten 
sie  auch  Starke  (im  verkleisterten  Zustande)  als  Zellinhalt,  etwas  Gallussaure, 
Fett,  Harz  etc. 

Hieher  gehoren  auch  die  auf  einer  Sumach-Art  (nach  D  y  m  o  o  k  in  Ph.  d.  a. 
Transact.  1876  Juni  p.  1003  wohl  nicht  richtig  auf  Rh.  succedanea)  in 
Indien  vorkommenden,  im  GerbstofFgehalt  den  chinesischen  kaum  nachstehenden 
Kakrasingheer  Gallen  von  flacher,  scheibenrunder,  eiformiger,  langlicher, 
haufig  lappiger  und  verbogener  Gestalt  und  1  — 3cm  Durchmesser,  bei  4 — 6mm 
Dicke,  an  der  hell  braunlich-gelben,  gelbbraunen  bis  gelbgritnen  Oberflache  kahl, 
langsrunzlig,  mit  etwa  lmm  dicker,  hornartiger,  griinlich-gelber  bis  brauner  Wand 
und  weiter  Hohlung.  Sie  gelangen  aus  dem  nbrdlichen  Indien  auf  den  Markt  von 
Bombay. 

C.  Pis  tazien  -Gallen.  Auf  Pistazia  -  Arten  durch  Blattlause  erzeugte 
Auswiichse.  Hieher  gehoren  die  Terpentin- Gallen,  Judenschoten,  (Carobe 
de  Giudea)  Sie  entstehen  durch  Aphis  Pistaziae  L.,  auf  verscluedenen  Theilen 
von  Pistazia  Terebinthus  L.  einer  strauchartigen,  im  Gebiete  des  Mittel- 
meeres  (in  Oesterreich  z.  B.  sehr  haufig  in  der  Siidspitze  Istriens  und  auf  den 
benachbarten  Inselu)  wachsenden  Anacardiacee.  Die  meisten  und  grbssten  Aus- 
wiichse kommen  auf  der  Spitze  der  Aeste  vor,  sind  im  Allgemeinen  hiilsentormig, 
nicht  selten  bis  1.5  —  2.0dm  lang,  nach  abwarts  etwas  versclimalert,  nach  aufwiirts 
zugespitzt,  cylindrisch  oder  zusammengedriickt,  die  einjahrigen  hellgelb-griin,  meist 
purpura  iiberlaufen,  langs-adrig-gestreift,  frisch  klebrig  von  ausgetretenem  Balsam 


678  Gallen.  —  Gallerte. 

und  nach  cyprischem  Terpentin  riechend,  getrocknet  hart,  sprode.  Die  kaum 
lmm  dicke  Wand  enthalt  mit  hellem  Balsam  gefiillte  Kanale,  die  weite  Hohlung 
die  Brut  und  eine  weisse  fadige  Masse.  Die  vorjahrigen  Gallen  sind  schwarz- 
braun  oder  fast  schwarz,  meist  klaffend,  runzlig,  sehr  hart  und  sprode.  Die  Ter- 
pentingallen  entkalten  an  60  Proc.  Gerbstoff,  15  Proc.  Gallussaure,  etwas  Harz 
und  atherisches  Oel.  Die  auf  den  Blattern  und  Blattstielen  der  genannten  Pista- 
ziaart  vorkommenden  Gallen  stimmen  mit  den  gleichartigen  Gallen  von  Pistazia 
atlantica  Desf.  und  P.  Lentiscus  L.,  Arten,  die  gleichfalls  in  Sud-Europa, 
Nord-Afrika  und  im  Oriente  und  zumal  letztere  haufig  vorkominen,  uberein,  welche 
gewohnlich  als  Busgundsch  (in  Marokko  als  Igh)  bezeichnet  werden,  und  auf 
den  letzten  Weltausstellungen  aus  dem  Oriente  sowohl  wie  aus  Marokko  reichlich 
vertreten  waren,  in  welchen  Landern  sie  gleich  wie  die  Terpentin-Gallen  zum 
Farben  der  Seide  und  zum  Gerben  dienen.  Sie  sind  knollig,  an  kleine  Kartoffeln 
erinnernd,  erbsen-  bis  wallnussgross,  nacb  abwarts  in  einen  kurzen,  stielartigen 
Theilverschmalert,  an  der  Oberflachemehroder  weniger  runzelig,  mit  seichteren  und 
tieferen  Langsfurchen,  etwas  glanzend,  braunrbthlich  oder  gelblich-braun,  nach 
abwarts  purpura,  sonst  mit  den  Eigenschaften  der  oben  beschriebenen  Terpentin- 
Gallen.  Hielier  gehoren  auch  die  von  Pistazia  vera  L.  stammenden  echten 
Bokhara-Gallen  (Gule-Pistah  auf  dem  Bombay-Markt,  wohin  sie  von  Persien, 
wohl  auch  aus  Centralasien  gelangen).  Sie  sind  rundlicb,  eiformig  oder  langlich, 
stumpf  oder  zugespitzt,  6 — 20mm  lang,  an  der  Oberflache  glatt,  langsaderig,  etwas 
glanzend,  hellbraun-rbthlich  oder  gelblich  mit  rothlichem  Anflug,  mit  relativ  dtinner, 
hornartiger,  braunvioletter,  durchscheinender,  einen  weiten  Hohlraum  umgebender 
Wand,  welche  im  Baue  mit  jener  der  Terpentin-Gallen  iibereinstimmt.  Ihr  Gerb- 
stoffgehalt  soil  32  Proc.  betragen. 

D.  Tamarisken-Gallen.  In  neuerer  Zeit  hat  ein  aus  Marokko  unter 
dem  Namen  Takout  eingefiihrter  Rohstoff  die  Aufmerksamkeit  der  europaischen 
Industrie  auf  sich  gezogen.  Aber  nicht  bloss  Marokko,  sondern  auch  Algier,  Indien 
und  Centralasien  liefern  (unter  verschiedenen  anderen  Bezeichnungen)  diesen  Artikel 
in  den  Handel,  und  zwar  wird  diese  Sorte  von  Gallen,  wie  es  scheint,  in  den  ver- 
schiedenen, eben  bezeichneten  Gebieten  von  einer  und  derselben  weit  verbreiteten 
Pflanze,  der  Tamarix  articulata  Vahl.  (T.  orientalis  Torsk.),  gesammelt.  Der 
Takout  besteht  aus  pfefferkorn-  bis  haselnuss-  oder  etwas  dariiber  grossen 
sehr  verschieden  geformten  Stticken.  Die  meisten  sind  unregelmassig  knollig, 
rundlich,  annahernd  eiformig,  langlich  mit  Einschniirungen  etc.,  an  der  Ober- 
flache grob-warzig-runzlig,  matt  graubraun,  gewaschen  hell  gelbbraun,  purpurroth 
oder  brauuroth,  hart,  einzelne,  namentlich  die  grosseren  Stiicke  mtirbe,  zerreiblioh, 
leicht,  die  kleinen  ohne,  die  grosseren  meist  mit  einem  kreisrunden,  glattrandigen 
Flugloche  versehen.  Die  Innenmasse  ist  schwammig-zellig,  gelblichbraun  oder 
griin-braunlich,  an  den  grosseren  mit  einer  unregelmassig  begrenzten  Hohlung 
oder  mit  mehreren  derartigen  Hohlraumen,  in  denen  weisse  Flocken,  sowie  Insecten- 
reste,  reichlich  auch  Pilzfaden  sich  finden.  Ihr  Gerbstoffgehalt  betragt  iiber 
43  Proc.  A.   Vogl. 

Gallenfarbstoffe,  s.  Galle  HI  pag.  672. 
Gallenfett,  s.  Choi  ester  in,  s.  Galle  HI  pag.  672. 
Gallensauren,  s.  Galle  III  pag.  672. 
Gallensteine,  s.  Galle  HI  pag.  672. 

Gallerte  (gelee  — jetty),  nennt  man  im  Allgemeinen  jene  eigenthiimlich 
halbfesten,  zitternden  (sulzigen)  Massen,  welche  sich  beim  Erkalten  der  Losungen 
sog.  Gallertki3rper  bilden.  Solche  Losungen  sind  in  der  Hitze  fast  ausnahmslos 
schleimig  zahe,  mehr  weniger  klebrig  und  gestehen  beim  vollstandigen  Erkalten 
zu  Gallerten  (Sulzen).  Korper,  welche  die  Eigenscbaft  haben,  Gallerten  zu  bilden, 


Gallerte.  —  Gallussaurearnid.  679 

sind  in  erster  Linie  der  thierische  Leim  und  das  Ieimgebende  Gewebe  (Hausen- 
blase),  s.  d.  Von  Pflanzenstoffen  haben  naroentlich  gewisse  Algen  (s.  Agar-Agar 
I  pag.  59,  Caragaheen  s.  II  pag.  252),  dann  Flechten  (island.  Moosj,  endlich 
auch  Samen  (Flohsamen,  s.  Ill  pag.  600,  Quittensamen  etc.),  sowie  andere  reich- 
liche  Mengen  von  Pflanzenschleim  enthaltende  Pflanzentheile  die  Eigenscliaft  mit 
Wasser  Gallerten  zu  liefern.     Gtl. 

Gallertfolien,  s.  Leimfolien  bei  Leim. 

Gallertkapseln,  s.  Leim. 

Gallertsaure,  s.  m.  Pectinsaure. 

Gallette  (cocon  —  cocoon),  das  Co  con  genannte  Gespinnst  der  Seidenraupe. 

Gallhuminsaure,  Metagallussaure,  Melangallussaure,  s.  Gerbsauren. 

Gallin,  s.  b.  Gallein  III  pag.  673. 

Gallirbret  (planche  d 'arcades  —  compass  board),  das  Harnischbret 
an  Zug-  und  Jaqnardstiihlen,  s.  W  e  b  e  r  e  i. 

Galliretl  (empoutage  —  becting),  das  Vorrichten  des  Harnisches,  Harnisch- 
stechen  genannt,  s.  Weberei. 

Galliren,  s.  Beize  I  pag.  373. 

Gallisiren,  s.  Wein. 

Gallseife,  Gallenseife,  s.  Galle  III  pag.  672. 

Gallium  (gallium  —  gallium).  Von  Lecoq  de  Boisbaudran  im  Jabre 
1875  (27.  Aug.)  entdecktes  neues  Metall.  Findet  sich  in  der  Zinkblende  von 
Pierrefitte  (Pyrenaen),  in  der  scbwarzen  Blende  von  Bensberg,  im  Zinkstaube  von 
Vielle  Montagne  und  im  Flugstaub  der  Rostofen  von  Corpbalie  (Belgien),  endlich 
auch  im  kauflichen  Zink,  spurenweise  (16mg  in  10k  Zinkblende)  vor.  1st  grau- 
weiss,  vom  spec.  Gew.  5.93  und  dem  Atomgew.  69.9-  Es  schmilzt  bei  29.5  bis 
30.1°  C.  (Handwarme)  und  kann  wochenlang  fllissig  bleiben,  bei  langsamen  Er- 
kalten  bildet  es  kleine  Octaeder.  Beim  Erhitzen  in  reinem  Sauerstoff  auf  260°  C. 
oxydirt  es  nur  wenig  (D  u  p  r  e),  in  dunkler  Rothgluth  starker,  wird  blaulich  grau 
und  verliert  seinen  Glanz.  Salpetersaure  greift  es  in  der  Kalte  nicht,  wohl  aber 
in  der  Warme  an.  Salzsaure  lost  es  unter  Wasserstoffentwicklung,  ebenso  Aetzkali. 
Cbarakteristisch  fur  das  Gallium  ist  sein  Spectrum,  welches  zwei  schone  violette 
Linien  zeigt.  Es  steht  in  Hinsicht  der  Eigenschaften  seiner  Salze  einerseits  dem 
Aluminium,  andererseits  dem  Zink  nahe.  Schwefelwasserstoff  fallt  es  nicht,  ebenso 
werden  reine  Galliumsalzlosungen  durch  Schwefelammonium  nicht  gefallt.  Zink 
fallt  aus  Galliumsalzlosungen  Galliumoxyd,  Ammoniak  fallt  unvollstandig,  Aetzkali 
und  Aetznatron  fallen ,  doch  lost  sich  der  Niederschlag  im  Ueberschusse  des 
Fallungsmittels  wieder  auf.  Aus  den  Losungen  von  Galliumoxyd  in  atzenden 
Alkalien  kann  durch  Electrolyse  das  Metall  gefallt  werden.  Naheres  ttber  Dar- 
stellung  und  Eigenschaften  dieses  Metalls,  s.  Lecoq  de  Boisbaudran,  Compt. 
rend.  81  pag.  493,  82  pag.  1036  und  1098,  83  pag.  636.  Derselbe  und  Jung- 
fleiscb,  Bull.  d.  1.  soc.  chim.  1877,  27,  Nr.  3  pag.  144.  Delachanel  und 
Mermet,  Bull.  d.  1.  soc.  chim.  1876,  25,  Nr.  5  pag.  197,  im  Auszug  a.  chem. 
Centralbl.  1875  pag.  658,  818;  1876  pag.  393,  451,  452,  705,  721;  1877 
pag.  51.     Gtl. 

GalluS,  s.  m.  Gallapfel,  s.  Gall  en  III  pag.  673. 

Gallussaure,  s.  b.  Gerbsauren. 

Gallussaureamid,  s.  m.  Gallamid  III  pag.  671. 


680  Gallustinte.  —  Galvanoplastik. 

Gallustinte^,  s.  Gallapfeltinte,  s.  Tinte. 

Galmei  (calaminec  —  diamine),  kieselsaures  Galmei,  Zinksilicat,  Kieselzinkerz, 
Hemimorphit,  krystallisirt  rhombisch  in  eigenthiimlichen  hemimorphen  Krystallen,  welche 
wie  sie  auch  oben  begrenzt  sein  mogen,  unten  eine  Brachypyramide  zeigen,  wo- 
durch  sie  einerseits  zugespitzt,  keil-  oder  spatenformig  werden.  Die  Krystalle 
sind  meist  klein,  aufgewachsen  und  zu  Drusen  verbunden,  haufig  auch  in  kugel-, 
keil-,  fackerfbrmigen  Gruppen  vereinigt,  aucb  fein  stenglig,  faserig,  kbrnig, 
dicht  und  erdig  findet  er  sich. 

Nach  dem  Prisma  und  dem  Orthopinokoid  vollk.  spaltbar,  H  zzz  5,  spec. 
Gew.  3.35 — 3.50,  weiss,  zumeist  grau,  gelb,  griin,  roth,  brann  gefarbt ;  Glasglanz, 
durchscheinehd  bis  undurchsichtig.  Chem.  Zus.  2ZnOSiO'1  -\-  HaO,  67  Zinkoxyd, 
28.5  Kieselsaure,  7.5  Wasser.  Im  Kolben  gibt  er  Wasser,  v.  d.  L.  schmilzt  er 
nicht,  farbt  sich  mit  Kobaltsolution  gegliiht  stellenweis  griin.  Sauren  Ibsen  ihn 
auf  unter  Abscheidung  von  Kieselsaure.  Fundorte  Raibl  und  Bleiberg  in  Karnthen, 
Altenburg  bei  Aachen,  Iserlohn,  Tarnowitz  in  Schlesien,  in  England  und  Nord- 
amerika  an  vielen  Orten.  1st  neben  dem  Zinkspath  das  wichtigste  Erz  zur  Ge- 
winnung  des  metallischen  Zinks.     Lb. 

Galmei  edler,  s.  m.  Zinkspath. 

Galmei  kohlensaurer,  s.  Zinkspath. 

Galvanische  AetZling  ist  die  wenig  angewandte  Methode  der  Aetzung  durch 
den  galvanischen  Strom,  wobei  das  zu  atzende  Stiick  als  Anode  in  die  Zersetzungs- 
zelle  kommt  (s.  Galvanoplastik).  Von  dieser  Aetzmethode  wird  meist  nur  zu  dem 
Zwecke  Gebrauch  gemacht,  urn  zu  vergoldende  oder  zu  versilbernde  Metall-Gegen- 
stande  rauher  zu  machen,  wodurch  die  Vergoldung ,  Versilberung  etc.  dann 
wesentlich  fester  anhaftet  (s.  pag.  684  und  686).     Kk. 

Galvanische  Bronzirung,  s.  Galvanoplastik. 

Galvanische  Metallfarbung,  s.  Galvanoplastik. 

Galvanischer  Anstrich  (peinture  galvanique),  wird  ein  Anstrich  auf  Eisen- 
waare  genannt,  bei  welchem  die  Anstrichfarbe  aus  feinstem  Zinkpulver,  mit 
Leinolfirniss  angerieben,  besteht.  Dieser  Anstrich  schiitzt  durch  den  Firniss  wie 
jeder  Oelfarbenanstrich.     Kk. 

Galvanismus,  Be  run  rungs-,  Contact-Electricitat,  Voltaismus 
(galvanisme  —  galvanism),  s.  Electricitat  III  pag.  175. 

Galvanisirtes  Eisen  (fer  galvanise,  —  galvanized  iron)  gleichbedeutend 
mit  verzinktem  Eisen,  d.  h.  durch  Eintauchen  in  geschmolzenes  Zink  mit 
einer  Schichte  diesen  Metalles  iiberzogenes  Eisen.  Diese  Benennung  verfiihrt  manchmal 
zu  dem  Glauben,  dass  man  es  mit  einem  auf  galvanoplastischem  Wege  herge- 
stellten  Ueberzuge  zu  thun  hat,  was  nicht  der  Fall  ist.  Hiermit  ist  auch  eine 
diesbeziigliche  Irrung  Bd.  II  pag.  495  letzte  Zeile  richtig  gestellt.  Kk. 

Galvanisiren  (galvaniser  —  galvanizing),  s.  V  erz  in  ken. 

Galvanoglyphik,  s.  Galvanoplastik  pag.  686,  s.  Holzschnitt. 

Galvanographie,  s.  Galvanoplastik  pag.  686. 

Galvanometer,  s.  Electromagnetismus  HI  pag.  249. 

Galvanokaustik,  galvanische  Aetzung,  s.  oben  und  pag.  686. 

Galvanophor,  s.  Feuerzeug  EI  pag.  480. 

Galvanoplastik  (galvanoplastie,  hydroplastie  —  galvanoplastic,  electrome- 
tallurgy) nennt  man  jenes  Verfahren, .  durch  welches  mit  Hiilfe  des  galvanischen 
Stromes  aus  Metall-Losungen  coharente  Metallniederschlage  gebildet  werden.  Die- 
selben  sind  entweder  bestimmt  als  Ueberzuge  zu  dienen  (Verkupfern,    Versilbern, 


Galvanoplastik.  681 

Vergolden  etc.)  oder  es  werden  diese  Metallniederschlage  von  der  Unterlage, 
Matrize,  abgelbst  und  liefern  negative  Copien  der  Matrize  von  einer  Genauigkeit, 
wie  sie  auf  anderem  Wege  nicht  erhalten  werden  kbnnen. 

In  beiden  Fallen  ist  die  Hauptforderung,  welche  an  den  Niederschlag  gestellt 
wird,  Homogenitat  und  Coharenz.  Sollen  Ueberzuge  gebildet  werden, 
so  wird  festes  Anhaften  an  der  Unterlage,  an  dem  zu  vergoldenden,  versil- 
bernden  etc.  Gegenstande  verlangt;  soil  der  Niederschlag  von  der  Matrize  abge- 
nommen  werden,  so  muss  die  Wegnahme  ohne  Beschadigung  durchfiihrbar  sein; 
auch  wiinscht  man  den  Niederschlag  in  einer  dem  Metalle  entsprechenden,  gefalligen 
Far  be.  Sowohl  das  Ablosen,  als  die  bei  galvanischen  Metalliiberziigen  oft  ver- 
langte  Politurfahigkeit  des  Niederschlages  erheischt  endlich  noch  eine  gewisse 
Zakigkeit  des  Niederschlages.  Es  handelt  sich  also  um  die  Erzielung  eines  gleich- 
fbrmigen,  dichten,  zahen  und  gut  gefarbten  Metallniederschlages. 

Um  einen  Metall-Niederschlag  zu  erhalten,  braucht  man  eine  galvanische 
Batterie  (oder  statt  derselben  eine  Thermosaule  oder  eine  dynamoelectrische 
Maschine)  welche  als  Stromquelle  betrachtet  werden kann,  ferner  eine  Zersetzungs- 
z  e  1 1  e  d.  i.  ein  Gefass,  in  welchem  sich  die  zu  zerlegende  Metalllosung,  das  Elec- 
trolyt, befindet  und  in  dieser  die  Electro  den  d.  i.  die  mit  der  Batterie  leitend 
verbundenen,  den  Strom  selbst  auch  leitenden  Korper,  von  welchen  der  eine,  die 
Kathode,  als  Unterlage  fur  den  Metallniederschlag  dient,  wahrend  der  zweite, 
die  Anode,  gewohnlich  aus  demselben  Metalle,  welches  gefallt  werden  soil, 
bestehend,  zur  moglichsten  Erhaltung  der  Concentration  des  Electrolytes  dient. 
Die  Kathode  ist  leitend  mit  dem  negativen  Pole  (Zinkpol)  der 
Batterie,  die  Anode  mit  dem  positivenPole  (Kupferpol)  verbunden. 

Die  Principien,  auf  welchen  die  Galvanoplastik  beruht,  sind  bereits  in  dem 
Artikel  Electrolyse  (s.  III.  pag.  236)  dargelegt  worden,  und  sei  hier  nur  an 
das  elektroly tische  u.  Ohm'sche  Gesetz  erinnert,  welche  beide  dem  Galva- 
noplastiker  als  Fiihrer  bei  Beurtheilung  des  Vorganges  dienen  kbnnen.  *) 

Wir  haben  hier  den  praktischen  Vorgang  zu  besprechen,  welcher  zum  Zwecke 
der  Erzielung  guter  galvanischer  Niederschlage  eingehalten  werden  muss.  Als 
Regel  ist  zu  beobachten,  dass  die  Kathode,  auf  welcher  der  Metallniederschlag 
erhalten  werden  soil,  meist  Matrize  genannt,  aus  einem  Materiale  bestehe, 
welches  durch  die  angewandte  Metalllosung,  also  durch  das  Electrolyt,  nicht  an- 
geg  riff  en  werde  und  von  dieser  Lbsung  auch  nichts  einsauge.  Die  Matrize 
muss  entweder  an  sich  leitend  sein,  oder  durch  einen  Ueberzug  mit  einer  leitenden 
Schichte  in  einen  Leiter  verwandelt  werden. 

Ferner  ist  die  richtige  Wahl  des  Electrolytes  von  besonderer  Wesenheit 
und  wenn  sich  auch  diesbeziiglich  der  Zeit  keine  allgemeine  Regel  angeben  lasst, 
so  kann  doch  bemerkt.  werden,  dass  in  der  richtigen  Wahl  der  Zersetzungs- 
fliissigkeit  das  Schwergewicht  des  ganzen  Verfahrens  liegt.  Die  Stromstarke 
ist  bei  vielen  Electrolyten  von  sehr  untergeordnetem  Einflusse  auf  die  Qualitat 
der  Niederschlage  **)  und  wenn  sie  bei  manchen  doch  von  Einfluss  zu  sein  scheint, 
so  riihrt  dies  von  secundaren  Vorgangen  her,  oder  daher,  dass  die  Metallabschei- 
dung  indirekt  stattfindet.  Die  diesbeziiglichen  Vorgange  sind  noch  nicht  geniigend 
erkannt  und  hieraus  erklaren  sich  die  mannigfachen,  oft  abentheuerlichen  Anschau- 
ungen  einerseits,  die  Geheimnisskramerei  andererseits. 

Die  Zersetzungszelle  muss  aus  einem  Materiale  bestehen,  welches 
durch  das  Electrolyt  nicht  angegriffen  wh4d,  also  aus  Glas,  Porzellan,  Gutta- 
percha u.  dgl. 

*)  Das  electrolytische  Gesetz  lautet:  Durch  denselben  galvanischen  Strom  werden 
aquivalente  Mengen  der  Electrolyte  (der  durch  den  Strom  zerlegten  Substanzen) 
zersetzt  und  die  Quantitaten  der  au  beiden  Electroden  abgescliiedenen  Stoffe  stehen 
gleichfalls  im  Verhaltnisse  ibrer  Aequivalente.  —  Das  Ohm'sche  Gesetz  lautet: 
Die  Stromstarke  ist  gleich  der  electromotorischen  Kraft  getheilt  durch  die  Summe  aller 
Leitungswiderstande. 
**)  Studien  iiber  Galvanoplastik  von  Fr.  Kick,  technische  Blatter  Jg.  1S74,  pag.  145. 
Dinglers  polyt.  Journ.  Bd.  218  pag.  1;  ferner  465  und  Bd.  219  pag.  61,  141  und  313. 


682  Galvanoplastik. 

Die  Verbindungen  zwischen  der  Batterie  u.  den  Electroden,  die  Leitungs- 
drahte  sind  aus  Kupfer  herzustellen,  die  Contactstellen  sind  blank  zu  halten- 
und  soil  die  Drahtstarke  nicht  unter  lmm  betragen. 

Als  Anode  wird  haufig  eine  Platte  desselben  Metalles  eingehangt,  welclies 
aus  der  Losung  gefallt  wird,  und  dient  dies  zur  Erhaltung  der  Constanz  der 
Zersetzungsflussigkeit.  Dock  wird  dieser  Zweck  bei  langer  fortgesetzter  Arbeit 
nur  dann  ziemlicb  vollkommen  erreicht,  wenn  die  Oberflache  der  Anode  bedeutend 
grosser,  wie  die  der  Kathode  ist,  und  auch  nur  dann,  wenn  die  Anode  rein  ist, 
weil  sonst  entweder  andere  Metalle  in  Losung  kommen  oder  die  Fltissigkeit  ver- 
unreinigende  Bodensatze  entstehen. 

Gleiche  Dicke  des  Niederschlages  lasst  sich  erzielen,  wenn  Ka- 
thode u.  Anode  horizontal  in  die  Zersetzungsfliissigkeit  eingehangt  sind.  Ist 
die  Anode  iiber  der  Kathode  angebracht,  dann  soil  zwischen  beide  ein  Diaphragma 
(z.  B.  mit  Pergament  iiberzogener  Rahmen)  eingehangt  sein,  damit  die  von  der 
Anode  sich  ablosenden  pulverigen  Verunreinigungen  nicht  auf  die  Kathode  fallen. 
Meistens  sind  Kathode  und  Anode  vertical  in  die  Zersetzungszelle  eingehangt,  da 
dies  fiir  die  Manipulation  bequemer  ist. 

Wir  haben  bereits  im  Eingange  erwahnt,  dass  die  Galvanoplastik  entweder 
zur  Herstellung  galvanischer  Ueberziige  oder  zur  Herstellung  von  Gegenstanden, 
welche  von  der  Matrize  abgelost  werden,  verwendet  wird,  und  wir  wollen  in  dieser 
Richtung  die  weitere  Besprechung  sondern. 

Die  Herstellung  galvanoplastischer  Gegenstande.  Soweit  man 
durch  Pragen,  Stanzen  u.  drgl.  Fabrikate  herzustellen  vermag,  welche  dem  Zwecke 
entsprechen,  kann  die  Galvanoplastik  nicht  concurriren.  Auf  galvanoplastischem 
Wege  hergestellte  Metallknopfe  (durch  Niederschlagung  von  Kupfer  auf  Gutta- 
percha- oder  Kautschuck-Matrizen)  konnten  z.  B.  trotz  ihrer  Schonheit  und  der 
Moglichkeit  unterschnittener  Partien  (welche  die  elastischen  Formen  zuliessen)  den 
Markt  nicht  erhalten,  weil  sie  weit  theurer  als  die  gestanzten  Blechknopfe  waren. 

Hingegen  fiir  die  Herstellung  von  Kupferdruckplatten,  galvanischen 
Cliches  u.  drgl.  ist  die  Galvanoplastik  von  hohem  und  bleibenden  Werthe,  des- 
gleichen  auch  fiir  die  Reproduction  von  Kunstwerken  in  getriebener  Arbeit. 

Meist  handelt  es  sich  hier  urn  die  Darstellung  eines  galvanopl.  Gegenstandes 
aus  Kupfer  und  hierbei  beniitze  man  Kupfervitriollosung  mit  einem 
Zusatze  von  Schwefelsaure.*) 

Als  Zersetzungszelle  lasst  sich  mit  Vortheil  ein  mit  Guttapercha  ge- 
futterter  Holzkasten  verwenden,  an  welchem  Metallstabe  einerseits  zum  Anhangen 
der  Anoden,  auf  der  Gegenseite  zum  Anhangen  der  Kathoden  angebracht  sein 
konnen.  Die  Guttaperchafiitterung  ist  zwar  sehr  theuer,  aber  weit  haltbarer  als 
eine  Pechfiitterung  oder  die  Anwendung  von  Glaswannem 

Man  kann  auch  die  Zersetzungszelle  mit  der  Batterie  vereinen,  indem  man 
z.  B.  auf  den  Boden  der  Zelle  die  Matrize  legt,  **)  von  welcher  ein  mit  Lack 
iiberzogener  Metallstab  nach  aufwarts  bis  oberhalb  der  Fliissigkeit  reicht ;  in  diese 
Zelle  die  oberwahnte  Kupfervitriollosung  giesst  und  dann  einen  Rahmen  bis  etwa 
2/3  der  Hohe  desselben  eintaucht,  welcher  unten  mit  Pergament  bespannt  ist  und 
in  welchem  eine  Zinkplatte  in  sehr  verdiinnte  Schwefelsaure ***)  gelegt  ist.  Diese 
Zinkplatte  wird  mit  der  Kathode  (Matrize)  leitend  verbunden.    Durch  die  Fallung 


*)  Der  Concentrationsgrad  und  der  Zusatz  an  Schwefelsaure  ist  durchaus  nicht  an  enge 
Granzen  gebunden.  Man  erhalt  geeignete  Bader,  wenn  man  einer  Kupfervitriollosung 
von  15— "20°  B.  so  viel  Schwefelsaure  zusetzt,  dass  das  Areometer  urn  1  bis  2°  B. 
hohere  Diehte  zeigt.  Der  Schwefelsaurezusatz  ist  aber  wesentlich,  denn  eine  Kupfer- 
vitriollosung, welche  keine  freie  Saure  enthalt,  liefert  schlechte,  sprode,  oft  missfarbige 
Niederschlage. 
**)  Diese  Anordnung  slammt  von  Becquerel  und  ist  u.  a.  in  der  k.  k.  Staatsdruckerei 
in  "Wien  in  Yerwendung. 
**ft)  Einige  Tropfen  Saure  in  destillirtes  Wasser  geniigen. 


Galvanoplastik.  683 

des  Kupfers  wird  die  Fliissigkeit  armer  an  Kupfervitriol,  und  man  thut  daher  gut, 
in  dieselbe  Leinwandbeutel  gefullt  mit  Kupfervitriol  einzuhangen,  welcher  allmalig 
in  Losung  kommt  und  die  Fliissigkeit  ziemlich  constant  halt. 

Werden  als  Matrizen  Kupferplatten  (z.  B.  Original-Kupferstiche)  verwendet, 
so  reibt  man  die  zu  copirende  Seite  mit  etwas  Oel  oder  Wachs  (in  letzterem 
Falle  auf  erwarmter  Platte)  ein  und  wischt  mittelst  eines  Baumwollbauschchens 
scheinbar  alles  Oel  oder  Wachs  wieder  ab.  Es  bleibt  doch  so  viel  hangen,  dass 
der  erhaltene  Niederschlag  nach  Erlaugung  der  geniigenden  Starke  leicht  abge- 
zogen  werden  kann.  Um  dies  zu  erleichtern  ist  die  Platte  an  der  Ruckseite  und 
den  Randern  mit  Ausnahme  der  Contactstellen  mit  Pech  oder  Wachs  oder  Deck- 
grund*)  iiberstrichen,  wodurch  der  Niederschlag  nur  auf  der  zu  copirenden  Seite 
anfallen  kann.  Natiirlich  ist  die  erste  Copie  einer  gravirten  Kupferplatte  eine 
sogenannte  Hochplatte,  d.  h.  dieselbe  zeigt  die  am  Originale  vertieften  Linien 
erhaben.  Von  dieser  Hochplatte  wird  eine  neuerliche  Copie  gemacht  und  diese 
Tiefplatte  ist  dann  eine  getreue  Wiedergabe  des  Originals. 

Die  Matrizen  konnen  aber  auch  aus  den  verschiedensten  anderen  Substanzen, 
z.  B.  aus  Guttapercha,  Wachs,  Stearin,  Gyps  (mit  Stearin  getrankt), 
G 1  a  s  etc.  etc.  bestehen,  es  ist  aber  in  diesem  Falle  erforderlich,  diese  Materialien 
leitend  zu  machen. 

Die  Erstgenannten  werden  durch  Einreiben  oder  Einpinseln  mit  gutem 
englischen  Graphit**)  (Dix's  Blacklead)  oder  Silberpulver  (s.  d.)  leitend 
gemacht,  Glas  hingegen  muss  entweder  mit  Flusssaure  matt  geatzt  und  hierauf 
mit  Graphit  leitend  gemacht  werden,  oder  man  gibt,  wenn  dies  zulassig  ist,  einen 
diinnen  Anstrich  von  Copalfirniss,  und  reibt  diesen,  wenn  fast  trocken,  mit  Graphit  ein. 

Fur  Gegenstande  mit  unterschnittenen  Theilen  oder  einspringenden  Winkeln 
werden  auch  elastische  Formmassen  angewendet,  alswelchesichdieBd.il. 
S.  137  erwahnte  Walzenmasse  sehr  gut  eignet.  Durch  Aufpinseln  von  Graphit 
werden  sie  leitend  gemacht. 

Die  Wahl  der  Batterie  ist  durch  aus  nicht  so  wesentlich,  als  man  meist 
annimmt.  Man  kann  Elemente  von  Bunsen,  Daniell,  Smee,  Meidinger  etc.  be- 
nlitzen  (vergl.  Bd.  Ill  p.  179  u.  202),  und  wird  gleich  gute  Niederschlage  er- 
zieleu.  Da  man  fur  die  Galvanoplastik  so  constante  Strome,  wie  sie  fur  die 
electrische  Telegrafie  gebraucht  werden,  nicht  nothig  hat,  so  sind  hier  besonders 
die  Elemente  von  Smee  und  Daniell  zn  empfehlen,  welche  einen  hinlanglich 
kraftigen  Strom  ohne  Entwicklung  schadlicher  Dampfe  liefern. 

Vortheilhaft  ist  auch  die  Anwendung  der  in  neuerer  Zeit  fiir  langeren  Ge- 
brauch  sehr  vervollkommten  Noe'schen  Therm  o  saule***).  Fiir  grossere  gal- 
vanoplastische  Anstalten  sind  die  dynamoelec.trischen  Maschinenf)  zu 
empfehlen. 

Allen,  welche  sich  mit  Galvanoplastik  beschaftigen,  ist  der  Gebrauch  eines 
Stromstarkemessers  (Galvanometers,  Galvanoskops,  Rheometers  oder  der 
Bussole)  auf  das  Angelegentlichste  zu  empfehlen,  weil  nur  mit  Zuhilfenahme  dieses 
Instrumentes  ff )  erkannt  werden  kann,  mit  welchem  Strome  man  arbeitet  und  wo 
etwaige  Storungen  oder  Fehler  ihren  Grund  haben.  Was  der  Indicator  bei  der 
Dampfmaschine  ist,  das  ist  der  Rheometer  in  der  Galvanoplastik. 

Es  ist  haufig  wiinschenswerth  zu  wissen,  welche  Quantitaten  Metalles 
man  mittelst  verschiedener  Stromquellen  galvanisch  zu  fallen  vermag.  Ist  in  den 
Stromkreis  des  galvanoplastischen  Apparates  der  Rheometer  eingeschaltet,  so  kann 


*)  Zwei  Theile  Asphalt,  ein  Theil  Mastix. 
**)  Guter  Graphit  darf  gar  keine  Sandtheilchen    enthalten  und    muss  an  den  Fingern  oder 

auf  Papier  gerieben  eine  glanzende,  glatte,  bleigraue  Flache  liefern. 
***)  Dingler's  polytechn.  Journal  Bd.  200  pag.  10  und  Bd.  224  pag.  267. 
f)   Siehe  hieruber  Naheres  ira  Art.  Electricitat  III  pag.  182—189. 

ff)  Unter  anderem    zu  beziehen   beim    Mechaniker  Grund  in  Prag  zum  Preise  von  12  fl. 
ost.  Wahr. 


684  Galvanoplastik. 

man  aus  dem  Grade  der  Ablenkung  der  Magnetnadel  unmittelbar  die  Nieder- 
schlagsmenge  jedes  beliebigen  Metalles  nach  dem  electrolytischen  Gesetze  durch 
Auflosung  einer  einfachen  Proportion  leicht  finden,  wenn  die  den  einzelnen  Aus- 
schlagswinkeln  der  Nadel  entsprechende  Wasserzersetzung  oder  Kupferfallung  in 
einer  Tabelle  dem  Apparate  beigegeben  ist.*)  Natiirlich  ist  bei  Einschaltung  des 
Rheometers  in  den  Schliessungskreis  darauf  zu  sehen,  dass  die  Nadel  auf  Null 
zeigt,  so  lange  der  Strom  nicht  geschlossen  ist,  oder  mit  anderen  Worten,  der 
Leitungsbogen  des  Rheometers  muss  im  magnetischen  Meridian  liegen. 

Ohne  Anwendung  des  Rheometers  ist  eine  bestimmte  Angabe  der  Nieder- 
schlagsmenge  nicht  moglich;  wohl  aber  lassen  sich  zu  annahernder  Orientirung 
nachstehende  Zahlen  geben. 

Es  ist  in  1  Stunde  bei  OlQm  Electrodengrosse  eine  Kupferfallung  aus 
angesauertem  Kupfervitriolbade 

durch  ein  Dani  ell -Element  von 1.2  gr.  zu  erhalten 

»    Smee  „  „  1.0    „  „ 

„        „    Bun  sen  „  „  2.0    „  „  „ 

„        „    Noe'sche  Thermosaule  (mit  128  Elementen)  von  3.4    „  „  „ 

Es  lasst  sich  die  stiindliche  Niederschlagsmenge  annahernd  nach  der  von 
Prof.  Dr.  von  Waltenhofen  angegebenen  Formel**) 

p  —  0.003565 .M 

i  d 

U-\-Q 7 

n    f 

berechnen. 

Hierbei  wird  p  in  Grammen  gefunden,  wenn  die  electromotorische  Kraft  e, 
fiir  ein  Daniell'sches  Element  mit  12,  fur  ein  Smee'sches  Element  mit  6,  fur  ein 
Bunsen  -Element  mit  20,  fiir  ein  Noe'sches  Thermoelement  mit  1  in  Rechnung 
gebracht  wird.  Ferner  bedeutet  M  das  Aequivalentgewicht  des  gefallten  Metalles 
(fiir  Kupfer  31.7,  fiir  Gold  196  etc.);  u  ist  der  vorher  zu  ermittelnde  Widerstand 
in  einem  Element  und  q  der  Leitungswiderstand  der  Fliissigkeit,  bezogen  auf 
lDcm  der  Electroden  im  Abstande  von  lcm  und  betragt  bei  concentr.  Kupfervitriol- 
losung  21,  bei  mit  3  Proc.  Schwefelsaure  angesauerter,  auf  35°  B.  verdiinnter 
Kupfervitriollosung  12.3  u.  s.  w. 

d  ist  der  Plattenabstand  in  Centimetern,  n  die  Zahl  der  Elemente  der 
Batterie,  /  die  Plattengrosse  (Electrodengrosse)  in  Quad.-Centm. 

Galvanoplastische  Ucberziige  (Galvanostegie).  Die  Herstel- 
lung  galvanoplastischer  Ueberziige,  auch  Galvanostegie  genannt,  dient  meistens  zur 
Verschbnerung  der  Metallwaaren  und  hierbei  wird  vorzuglich  ein  festes  Haften 
des  Ueberzuges  verlangt.  Dieses  findet  aber  nur  dann  statt,  wenn  der  zu  iiber- 
ziehende  (zu  vergoldende,  versilbernde,  vernickelnde  etc.)  Gegenstand  vollkommen 
frei  von  jeder  Spur  von  Fett,  Oxyd  etc.  und  wenn  er  matt  rauh  ist.  Dies  wird 
durch  Ausgliihen  und  Abbeizen  am  besten  erreicht. 

Noch  inniger  findet  das  Anhaften  statt,  wenn  man  den  zu  uberziehenden 
Gegenstand  zuerst  durch  kurze  Zeit  als  Anode  einhangt  und  hierauf  erst  als 
Kathode.  Durch  diesen  Vorgang  werden  die  Bader  jedoch  verunreinigt,  und 
wendet  man  daher  dies  Verfahren  nur  ungern  oder  in  besonderen,  bereits  mangel- 
haften  Badern  an. 


*)  1st  dies  nicht  der  Fall  und  kann  man  sich  die  erforderlichen  Bestimmungen  nicht  durch 
einen  Physiker  durchfiihren  lassen,  so  moge  man  selbst,  bei  Fallung  von  Kupfer  aus 
den  obenvahnten  Losungen,  die  Bestimmung  der  in  gewissen  kurzen  Zeiten  (wiihrend 
Avelchen  die  Stromstiirke  ziemlich  unveranderlich  ist)  gefallten  Kupfermengenvornehmen. 
Die  Stromstiirke  kann  durch  Einschaltung  von  Widerstanden  fiir  jede  Probe  geandert 
werden;  auch  durch  Aenderung  der  Stromquelle. 

**)  Dingl.  p.  J.  Bd.  224  pag.  274. 


Galvanoplastik.  685 

Ueber  die  Zusammensetzung  der  Bader  zur  Herstellung  verschiedener  Metall- 
iiberziige  linden  sich  Angaben  vor,  von  welcben  wir  einige  folgen  lassen,  wobei 
aber  bemerkt  sei,  dass  z.  B.  die  Zusammensetzung  der  Vergoldungsbader,  welche 
Goldniederschlage  in  bestimmten,  beliebten  Farbentonen  liefern,  noch  als  Fabriks- 
geheimniss*)  betrachtet  werden. 

Vergoldungs-Bader  sind  gewohnlich  Losungen  von  Goldcyanur-,  Kalium- 
cyaniir  oder  Cyan- Gold,  Cyan-Kalium,  entweder  bereitet  durcb  Auflosen  von  Gold- 
chlorid  oder  von  Knallgold**)  in  einera  Ueberschusse  von  Cyankaliumlosung 
(wasserige  Losung)  oder  auf  electrolytischem  Wege  hergestellt,  indem  man  als 
Kathode  und  Anode  Goldblech  anwendet,  die  Zersetzungszelle  rait  Cyankalium- 
losung fiillt  und  den  galvanischen  Strom  durch  ein,  zwei  Tage  wirken  lasst,  bis 
hinlanglich  Gold  aufgelost  wurde.  Beim  Vergolden  dient  auch  ferner  reines  Gold 
in  Blechform  als  Anode.  Es  sollen  200 — 300g  Gold  auf  1  Kilo  Cyankalium  und 
20  Liter  Wasser  kommen.     Ein  Zusatz  von  Aetzkali  wird  empfohlen. 

Versilberungsbader  werden  durch  Auflosen  von  Chlorsilber  in  Cyan- 
kalium oder  von  salpetersaurem  Silberoxyde  in  Cyankaliumlosung  hergestellt, 
wobei  ca.  2(,0  Gramm  Silber  auf  1  Kilo  Cyankalium  und  10  bis  14  Liter  Wasser 
genommen  werden.***) 

Verkupferungsbader  fiir  Stahl  und  Eisen.  Diese  Metalle,  welche 
in  Kupfervitriollbsung  direct  angegritfen  werden,  erfordern  ein  Verkupferungsbad, 
welches  aus  einer  Losung  von  Cyankupfer-Cyankalium  besteht  und  durch  Auflosen 
von  Kupferoxyd  in  Cyankaliumlosung,  oder  durch  Auflosen  von  Kupfervitriol  in 
jener  Losung  oder  endlich  wie  Gold-  und  Silberlosungen  auch  auf  electrolytischem 
Wege  bereitet  sein  kann. 

Galvanische  Platinirung.  Obwohl  das  Ueberziehen  von  Metall-Ge- 
fassen  mit  Platin  fiir  chemischeZwecke  von  hoher  Wichtigkeit  ware,  hat  man  der 
Zeit  noch  keine  geeigneten  Bader  zum  Verplatiniren  aufgefunden. 

Verstahlen  (Ueberziehen  mit  Eisen).  Kupferdruckplatten  werden  mit 
einer  diinnen  Schichte  Eisen  iiberzogen,  „verstahlt",  um  mehr  Abdrlicke  zuzulassen, 
indem  einerseits  die  Eisenschichte  widerstandsfahiger  ist  und  andererseits  leicht 
erneuert  werden  kann,  sobald  sie  schadhaft  geworden  ist.  Durch  Einlegen  der 
Platten  in  verdunnte  Schwefelsaure  wird  der  schadhafte  Ueberzug  von  Eisen  in 
wenigen  Secunden  entfernt  und  dann  frisch  angebracht.  Zum  Verstahlen  kann 
man  sich  eines  Bades  bedienen,  welches  aus  Eisen  -  Chloriir ,  Chlorammonium 
besteht  und  dadurch  bereitet  wird,  dass  man  in  eine  ziemlich  concentrirte  Chlor- 
ammoniumlosung  als  Kathode  und  Anode  Eisenplatten  einhangt  und  den  Strfm 
so  lange  einwirken  lasst  (ca.  24  Stunden),  bis  die  Flussigkeit  griinlich  (an  der 
Oberflache  rothlich  von  Eienoxyd)  geworden  ist.  Diese  Flussigkeit  wird  durch 
die  Einwirkung  des  Lichtes  zersetzt,  daher  keine  Glasgefasse  verwendet  werden 
diirfen. 

Verm  ess  in  gen.  Nach  Heeren  kann  ein  Bad  zum  Vermessingen  be- 
reitet werden,  wenn  1  Theil  Kupfervitriol  in  4  Theile  Wasser,  8  Theile  Zink- 
vitriol  in  16  Th.  Wasser  und  18  Th.  Cyankalium  in  36  Thl.  Wasser  gelost  und 
diese  Losungen  gemischt  werden.  Der  entstehende  Niederschlag  wird  durch  Zusatz 


'*)  Ein  Zusatz  von  Cyankupfer  in  das  Cyangold-Cyankaliumbacl  soil  den  Golduiedersclilag 
rothlich,  ein  Zusatz  von  Cyansilber  soil  ihn  lichter  (hellgelb)  machen;  doch  fehlen 
genaue,  verlassliche  Daten. 
**)  Gold  in  Konigswasser  gelost  und  die  Losung  eingedampft,  um  die  uberschussige  Siiure 
zu  entfernen ,  liefert  Goldchlorid  AuCl3.  Goldchloridlosung  mit  Ammoniak  gefallt 
liefert  als  Niederschlag  Goldoxyd-Ammoniak  oder  Knallgold. 
***)  Bei  der  Versilberung  von  Alpaka  oder  Argentan  wird  empfohlen,  die  zu  versilbernden 
Gegenstande  unmittelbar  vor  dem  Einhiingen  in  die  Zersetzungszelle  in  eine  sehr  verdiinute 
Losung  von  salpetersaurem  Quecksilberoxyd  zu  tanclien. 


686  Galvanoplastik. 

von  Cyankalium  gelost  und  liierauf  noch  250  Th.  Wasser  zugesetzt.  Die  Losung 
wird  auf  ca.  80°  C.  erhitzt  verwendet. 

Zum  B  r  o  n  z  i  r  e  n  von  Eisenwaaren  soil  man  eine  ahnliche  Losung  an- 
wenden,  doch  statt  des  Zink    ein  Zinnsalz  (Zinnchlorid)  verwenden. 

Vergleiche  ferner  dieArtikel:  V  erg  old  en,  Versilbern,  Verkupfern, 
Ve  mi  eke  In  etc. 

Anwendungen  der  Galvanoplastik. 

Es  wurde  schon  oben  erwahnt,  dass  die  Galvanoplastik  zur  Reproduction 
von  Holzschnitten  (s.  d.)  und  Kupferstichen  (s.  Kupferdruck)  Anwendung  findet. 
Eigenthiihmliche,  nur  durch  Anwendung  der  Galvanoplastik  herstellbare  Druck- 
platten  erhalt  man  bei  der  Galvanographie,  Stilographie  und  dem 
Naturselbstdruck. 

Bei  der  Galvanograpbie  wird  auf  einer  versilberten  Kupferplatte  mit 
dem  Pinsel  eine  Farbe  von  Ocker  und  Leinol  iu  Tuschmanier  aufgetragen,  und 
hat  der  Kunstler  die  Farbe  urn  so  rauher  und  dicker  aufzutragen,  je  schwarzer 
im  Druck  die  Stelle  erscheinen  soil.  Nach  dem  Trocknen  wird  diese  Platte  durch 
Graphit  leitend  gemacht  und  im  galvanoplastischen  Apparat  unmittelbar  die  Tief- 
platte  erzeugt. 

Die  Stilographie  beniitzt  eine  aus  1  Th.  Stearin  und  2  Theilen  Schellack 
hergestellte,  durch  geniigenden  Kienrusszusatz  in  der  Masse  schwarz  gefarbte 
Platte.  Diese  Platte  wird  mit  Firniss  bestrichen  und  mit  Silberpulver  eingerieben. 
Hierauf  wird  mit  dem  Griffel  die  Zeichnung  in  die  Platte  radirt.  Alle  Theile, 
welche  im  Druck  seiner  Zeit  schwarz  erscheinen  sollen,  sind  vertieft  und  daher 
die  weisse  Silber-Schichte  an  diesen  Stellen  entfernt.  Nach  vollendeter  Radirung 
wird  die  Platte  durch  Graphit  leitend  gemacht,  im  gal  van.  Apparate  zuerst  eine 
Hochplatte  und  von  dieser  hierauf  die  Tiefplatte  erzeugt.  Wahrend  die  Galvano- 
graphie  Abdriicke  in  Tuschmanier  liefert,  gibt  die  Stilographie  Drucke,  welche 
ahnlich  Radirungen  sind. 

Der  Naturselbstdruck  liefert  Platten  filr  den  Buch-  und  den  Kupfer- 
druck, welche  Pflanzen,  Gewebe  u.  dgl.  darstellen,  zu  welchen  diese  selbst  die 
Originale  bildeten,  indem  von  ihnen  der  Abdruck  entweder  in  Guttapercha  oder 
Blei  genommen  und  galvanoplastisch  in  eine  Druckplatte  umgewandelt  wird.  Soil 
z.  B.  eine  Naturselbstdruckplatte  von  Spitzen  gebildet  werden,  so  klebt  man  diese 
mit  dunnem  Gummiwasser  auf  eine  Stahlplatte  und  legt  nach  dem  Trocknen  auf 
diese  eine  Bleiplatte.  Beide  Platten  fiihrt  man  durch  ein  Walzwerk  unter  massigem 
Druck.  Die  Spitzen  drlicken  sich  in  die  Bleiplatte,  welche  als  Matrize  zur  Her- 
stSllung  einer  Hoch-  und  hierauf  einer  Tiefplatte  verwendet  wird.  Montirt  man 
nun  die  Tiefplatte  auf  Holz  filr  den  Buchdruck,  so  empfangt  die  Platte  die  Farbe 
auf  der  Flache  und  man  erhalt  das  Muster  weiss  auf  farbigen  Grunde.  Fur  den 
Kupferdruck  kommt  die  Farbe  nattirlich  in  die  Tiefen. 

In  derselben  Weise  kann  man  Platten  fur  kiinstliche  Narben  (Leder- 
imitation)  herstellen,  indem  man  von  dem  genarbten  Leder  in  Blei  oder  Gutta- 
percha einen  Abdruck  macht.  Auf  diesem  Wege  bekommt  man  ein  besseres  Re- 
sultat,  als  wenn  das  Leder  mit  Firniss  bestrichen  und  durch  Graphit  leitend 
gemacht,  hierauf  auf  ein  lackirtes  Brett  befestigt  und  mit  Wachsrand  ver- 
sehen  wird. 

Hangt  man  eine  mit  Aetzgrund  Uberzogene,  hierauf  radirte  Kupferplatte 
als  Anode  in  den  galvanischen  Apparat  ein,  so  findet  eine  Vertiefung  der 
blankgelegten  Stellen  statt,  welches  Verfahren  man  galvanische  Aetzung 
oder  Galvanokaustik  nennt. 

Ueber  den  mit  Hilfe  der  Galvanoplastik  moglichen  Ersatz  des  Holzschnittes 
durch  die  sog.  Glyph ographie  und  Galvanoglyphik  sprechen  wir  im 
Art.  Holzschnitt. 

Die  Galvanoplastik  wird  ferner  zur  Herstellung  sehr  dichter  Kupfer- 
platten,  zur  Verbesserung  von  Fehlern  an  Kupferstichen  etc.  angewendet. 


Galvanoplastik.   —  Gambir.  687 

Die  Galvanochromie  oder  galvanische  Farbung  wird  besonders 
zur  Farbung  von  Messingwaaren  angewendet.  Hierbei  wird  die  Waare  als  Anode 
in  ein  Bad  eingehangt,  welches  bereitet  wird,  indem  man  1  Kilo  Aetzkali  in 
4  Kilo  Wasser  lost  und  in  diese  kochende  Fllissigkeit  einige  Loffel  Bleioxyd 
(Massicot  oder  gemahlene  Bleiglatte)  eintragt,  und  durch  einige  Zeit  absetzen 
lasst.  Es  entsteht  bei  der  galvanischen  Zerlegung  auf  der  als  Anode  eingehangten 
Waare  ein  dlinner  Ueberzug  von  Bleihyperoxyd,  welcher  je  nach  seiner  Dicke 
verschiedene  Farben  (roth,  blauroth,  griin,  grau)  liefert.  Man  muss  den  Gegen- 
stand  herausnehmen,  wenn  der  richtige  Farbenton  erhalten  ist.  Da  es  schwierig 
ist  bei  starkem  Strome  gleichmassige  Farbentone  zu  erhalten,  aibeitet  man  mit 
massigen  Stromen.  Als  Kathode  wird  Platinblech  angewendet,  und  damit  der 
Abstand  der  verschiedenen  Oberflachenpartien  des  Gegenstandes  von  der  Kathode 
nicht  zu  ungleich  ist,  biegt  man  selbe  entweder  zu  einem  den  Gegenstand  urn- 
fassenden  Rohre  oder  hangt  denselben  5fter  um. 

Nach  Puscher  bekommt  man  auf  Messing  schone  Farbungen,  wenn  man 
die  Messingwaare  in  einer  Fllissigkeit,  bestehend  aus  50  Gr.  unterschwefligsaurem 
Natron  in  V2  Liter  Wasser  und  gemischt  mit  16%  Gr.  Bleizucker  gleichfalls  in 
]/2  Liter  Wasser  gelost,  auf  85 — 100°  C.  erhitzt;  nur  muss  die  Erwarmung 
gleichmassig  erfolgen,  was  dadurch  geschieht,  dass  man  das  Gefass,  in  welchem 
die  Fliissigkeit  zum  Kochen  gebracht  wurde,  in  eine  Filzumhullung  setzt  und  die 
fur  sich  in  kochendes  Wasser  getauchten  Gegenstande  rasch  eintragt,  und  nun 
das  Gefass  mit  einem  Doppeldeckel  oder  Filzscheibe  bedeckt.  (Vergleiche  den 
Art.  Br  aim  en  (Briiniren)  I  pag.  737).     Kk. 

Literatur:  Jacobi:  Galvanoplastik,  Petersburg  1840.  (Jacobi  ist  der  Ent- 
decker  der  Electrolyse  und  sein  Werkchen  von  geschichtlichem  Interesse.) 
Werner:  die  Galvanopl.  in  ihrer  techn.  Anwendung.  Petersburg  1844. 
Martin:  Repertorium  der  Galvanoplastik.  Wien  1856.  (Fine  sehr  reich- 
haltige  Sammlung  von  Recepten,  leider  meist  ungepriift,  wie  sie  in  der 
Literatur  zerstreut  vorkamen).  Smee:  Elements  of  electrometallurgy,  neue 
Aufl.  London  1851,  deutsch  Leipzig  1851.  Roseleur:  Manipulations  hydro- 
plastiques,  Paris  1855,  deutsch  von  Willich  und  Kasalowsky,  Stuttgart  1862. 
v.  Kress:  die  Galv.  ftir  industr.  und  kiinstl.  Zwecke,  Frankfurt  1867. 

GalvariOSCOp,  s.  Electricitat  III  pag.  171. 
Gambeer,  s.  m.  Gambir. 

Gambetta-Ballons  sind  Enveloppen  aus  diinnem,  mit  einer  schwachen  Losung 
von  Kaliumbichromat  oder  einer  verdiinnten  Losung  von  Berlinerblau  in  Okal- 
saure  getranktem  Papier,  welche  an  ihrem  oberen  Ende  angezitndet,  ein  Aschen- 
netz  hinterlassen,  das  nach  dem  Abbrennen  gleich  einem  Ballon  einige  Fuss  hoch 
aufsteigt  (so  lange  die  Erwarmung  der  Luft  im  Innern  des  Aschenballonchens 
nachhalt),  vgl.  Dingl.  pol.  Journ.  200  pag.  158.     Gtl. 

Gambiensergummi,  s.  m.  Kinogummi. 

Gambir  (gambir  —  gambir),  Gam  beer,  Gambir -Catechu,  gelbes, 
kubisches  Catechu.  Eine  Catechu-Sorte  (vgl.  II  pag.  266),  welche  in  wiirfel- 
formigen  Stiicken  von  3 — 4cm  Seitenlange,  von  aussen  dunkelbrauner,  innen 
hellgelber  bis  graugelber  Farbe,  in  den  Handel  kommt.  Die  meist  ziemlich 
regelmassig  geformten  Wiirfel  sind  poros,  leicht  zerbrechlich ,  an  der  Zunge 
klebend  und  haben  einen  zusammenziehend  bitteren,  nachtriiglich  susslichen  Ge- 
schmack.  Das  Gambir-Catecjiu,  das  in  seiner  Zusammensetzung  dem  Catechu 
bis  auf  einen  geringeren  Gerbsauregehalt  (36 — 40  Proc.)  ziemlich  nahe  kommt, 
wird  aus  den  jiingeren  Blattern  von  Uncaria  {Nauclea)  Gambir,  einer  in  Ostindien 
(Sumatra,  Malakka,  Singapore  und  molukkische  Inseln)  einheimischen,  straUchigen 
Rubiacee,  durch  Auskochen  mit  Wasser  und  Eindampfen  der  Abkochung  gewonnen 
und  kommt  von  Singapore  und  Penang  tiber  London  zu  Markte.     Gtl. 


688  Gambogiasaure.  —  Gram. 

Gambogiasaure,  Bestandtheil  des  Gummigutt,  s.  d. 

Gangspill,  s.  Anker winde  I  pag.  155. 

Ganister,  feuerfestes  Materiale  zum  Auskleiden  von  Frischbirnen,  s.  T  h  o  n. 

Ganomatit;  s.  Gansekbthigerz. 

Ganz,  Gans,  s.  Barren  I  pag.  298  und  III  pag.  9. 

Ganz-Hollander,  s.  Papierfabrikation. 

Ganzholz  (bois  de  brin).  Holz  in  unbeschlagenen,  also  runden  StSmmen 
oder  kiirzeren  Stucken,  Blbcken,  ferner  sogen.  Stangenholz. 

Ganzzeug   (pate  raffinee  —  stuff),  s.  Papierfabrikation. 

Ganzzeug  Hollander,  s.  Papierfabrikation. 

Garbstahl,  Gerbstahl,  s.  Eisenerzeugung  III  pag.  48. 

Garbe,  s.  Eisenerzeugung  III  pag.  49. 

Garanceux,  s.  Krapp. 

Garancin,  s.  Krapp. 

Gardeniazucker,  Zuckerart,  welche  bei  der  Spaltung  des  Polycliroits  ent- 
steht,  s.  Safran. 

Gardenin  s.  m.  Crocin  u.  Polychroit,  s.  Safran. 

Gargang,  s.  Eisenerzeugung  (Hochofenprocess)  III  pag.   10. 

Gargouletten.  Bezeichnung  einer  Form  von  Wasserktihlgefassen,  welche  nach 
dem  Princip  der  Alkarazzas  (s.  I  pag.  22)  wirken.     Gtl. 

Garkupfer,  s.  Kupfer. 

Gam  (fil  —  yarn).  Unter  Garn  versteht  man  die  durch  Spinnen  zu  einem 
Faden  vereinigten  Gespinnstfasern,  also  eine  durch  Drehung  erzielte  Vereinigung 
vom  Fasern  zu  einem  Faden  moglichst  gleichmassiger  Dicke.  Je  nach  der  zur 
Garnbildung  verwendeten  Faser  unterscheidet  man  Baumwoll-,  Schafwoll-, 
Flachs-,  Jute-,  Hanf-,  Seiden-  etc.  Garn.  In  Bezug  auf  die  Herstellungsmethode 
werden  die  Schafwollgarne  in  Streich-  und  Kammgarne  unterschieden  und 
sind  fiir  dieses  Materiale  nur  diese  Benennungen  gebrauchlich. 

Der  von  Cocons  abgehaspelte  Faden,  Rohseide,  ist  kein  Garu,  sondern 
man  hat  unter  Seidengarn  das  Gespinnst  aus  Seidenabfallen  (die  Florettseide) 
zu  verstehen. 

Der  ziftermassige  Ausdruck  des  Verhaltnisses  zwischen  der  Lange  und  dem 
Gewichte  des  Games  liefert  eine  Zahl,  welche  das  Garnnummer  genannt  wird. 
Ueber  die  zumeist  in  der  Gegenwart  noch  gebrauchliche  Numerirung  siehe  die 
Artikel  Baumwollspinnerei,  Flachsspinnerei,  Kammgarnspinnerei  etc.  etc.  Hier 
wollen  wir  nur  die  Vorschlage  des  zweiten  internal  Congresses  fiir  einheitliche 
Garn -Numerirung  zu  Briissel  1874  kurz  erwahnen,  wenn  auch  dieselben 
noch  der  Einfiihrung  harren.     Es  wurde  dort  beschlossen : 

1.  Fiir  Game  (Gespinnste)  aus  kurzfaserigem  Materiale,  Baumwolle,  Schaf- 
wolle,  Leinen,  Chape,  ist  die  Feinheits-Nummer  die  Zahl  von  Metern,  welche  zur 
Erfiillung  der  Gewichtseinheit  von  einem  Gramm  erforderlich  ist. 


Gara.  —  Gas.  689 

Hiermit  ist  die  Nummer  der  reciproke  Werth  der  Gewichtszahl  von  1000" 
Garn  Lange  in  Kilogrammen. 

2.  Fiir  rohe  und  filirte  Seide:  Die  Feinheitsnummer  ist  gleich  dem  absoluten 
Gewichte  eines  Fadensttickes  von  1000m  in  Decigrammen  (x/10  Gr.)  ausgedriickt. 
Oder  die  Nummer  ist  der  lOfache  Werth  der  Gewiclitszahl  von  1000™  Seiden- 
faden  in  Grammen  gewogen.  (Siehe  diesbeziiglich  Naheres:  Civilingenieur  Bd.  21 
Heft  1,  Zeitsch.  d.  nied.-ost.  Gewerbe-Vereines  1876  Nr.  30.) 

Die  Game,  welche  vom  Spinner  entweder  in  Form  von  Strahnen  (Schneller) 
oder  als  Kotzer  oder  auch  auf  Spulen  in  den  Handel  gebracht  werden,  werden 
nicht  selten  einer  Appretur  unterworfen,  welche  entweder  ein  Bleichen,  Sengen 
(Gasiren)  oder  Knotenabstreifen  oder  Einreiben  von  Appreturmitteln  (Liistriren)  ist. 
Die  Manipulationen  sind  je  nach  der  Art  der  Game,  ob  Baumwoll-,  Flachs-,  Sei- 
den-  etc.  Game,  ziemlich  abweichend.  Das  Bleichen  der  Baumwollgarne, 
selbst  in  Kotzerform,  kann  mit  Vortheil  in  Kesseln  ausgefiihrt  werden,  aus  welchen 
zuerst  durch  eine  Luftpumpe  die  Luft  ausgepumpt  und  nachher  durch  den  ausseren 
Luftdruck  die  Bleichfliissigkeiten  eingetrieben  werden.  Es  findet  dies  meist  nur 
bei  den  fiir  Strickzwirn  (Baumwoll-Strickzwirn)  verwendeten  Garnen  Anwen- 
dung  (s.  Zwirn).  Das  Bleichen  der  Flachsgarne  findet  theils  auf  chem.  Wege 
in  ofFenen  Gefassen  mit  Chlorkalk  und  schwefelsaurem  Natron,  theils  als  Rasen- 
bleiche  statt;  das  Bleichen  von  Schafwoll-  und  Seidengarn  findet  in  Bleichkasten 
statt,  wo  die  feuchten  Strahne  den  Dampfen  von  schwefliger  Siiure  ausgesetzt 
sind.    (Vergl.  Bleichen.) 

Zum  Sengen  der  Game  dienen  Sengemaschinen.  Die  einzelnen  Faden 
streichen  durch  Gasflarnmen,  bei  welchen  durch  entsprechende  Mengung  des  Gases 
mit  Luft  darauf  zu  sehen  ist,  dass  die  Flammen  nicht  russen.  Diese  Operation 
wird  namentlich  haufig  auf  Florettseide  (Chape)  mit  ausgezeichnetem  Erfolge  an- 
gewendet.    (Dingl.  polyt.  Journ.  Bd.  153  S.  21.) 

Zum  Abstreifen  der  Knoten  zieht  man  das  Garn  durch  einen  Spalt 
feiner  Metallblattchen,  welclie  Operation  meist  mit  der  Weife  verbunden  ist. 

Beim  Liistriren,  namentlich  der  Baumwollgarne  und  Zwirne,  wird  auf  die 
iiber  rotirende  Walzen  gelegten  Strahne  das  Appreturmittel  aufgetragen,  und  durch 
rotirende,  der  Bewegungsrichtung  des  Games  entgegenarbeitende  Biirstenwalzen 
bis  fast  zur  Trockene  gebiirstet  und  so  glanzend  gemacht.  Als  Appreturmittel 
verwendet  man  diinnes  Starkewasser  mit  Flohsamenabguss  oder  Seife  u.  d.  gl. 
(Dingl.  polyt.  Journ.  Bd.  122  S.  417,  Bd.  123  S.  432,  Bd.  158  S.  255,  Bd.  161 
S.  20  etc.)  Kk. 

Garnerit  Min.  Im  Serpentin  von  Neu-Caledonien  vorkommendes  Nickelerz, 
wesentlich  aus  wasserhaltigem  Nickel-  und  Magnesiuni-Silfcat  bestehend,  mit  18 
Nickeloxydul,  15  Magnesia,  7  Eisenoxyd,  38  Kieselerde  und  22  Wasser,  vgl. 
Gamier  Monit.  scientif.  1876,  Nr.  416  pag.  857,  s.  a.  Nickel.     Gtl. 

Garnitur,  s.  Eisenbahn  bei  Locomotive,  III  pag.  84 — 89. 

Garschaum,  Eisenschaum,  hiittenmannische  Bezeichnung  fiir  den  beim  Auf- 
losen  von  Roheisen  in  Sauren  sich  ausscheidenden  Graphitkohlenstoff,  siehe 
Kohl  enst off. 

Garschlacke,  s.  Eisenerzeugung  III  pag.  26. 

Gas  der  hollandischen   Chemiker,   Elailgas,  s.  b.  Kohlenwasser- 

sto  ff,  s.  L  euchtgas. 

Gas  olbiltlendes.  Elailgas,  s.b.  Kohlenwasserstoff,  s.  Leuchtgas. 
Gas  (gaz  —  gas)}  allgeraeiner  BegrifF,  s.  Gase. 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.   Bd.   Ill,  44 


690  Gasather.  —  Gase. 

Gasather  nennt  man  Mischungen  von  rectificirtem  Terpentinol  (s.  C  a  m  p  h  i  n 
II  pag.  239)  mit  Alkohol  und  Aether,  welche  als  Leuchtmateriale  empfohlen 
wurden.     Gil. 

Gasbeleuchtung,  s.  Leuchtstoffe  b.  Leuchtgas. 

Gasbehalter,  s.  Gasometer. 

Gasbeleuchtling,  s.  Leuchtstoffe. 

Gasbereitung  und  Gasbereitungs-Apparate,  siehe  Leuchtstoffe  bei 
Leuchtgas. 

Gasbrenner  (bruleur  a  gaze  —  gas  burner),  s.  Leuchtstoffe  bei 
Leuchtgas. 

Gasdruckregulatoren,  s.  Leuchtstoffe  bei  Leuchtgas. 

Gase  nennt  man,  im  Gegensatze  zu  den  tropfbar-fliissigen  und  nur  inner- 
halb  ausserst  enger  Grenzen  elastischen  Korpern,  die  ausdehnsam  (elastisch) 
fliissigen  Korper. 

In  dem  Gaszustande  haben  die  Molekille  der  Korper  das  Bestreben  sich 
nach  alien  Seiten  hin  von  einander  zu  entfernen,  es  besteht  zwischen  ihnen  keine 
Anziehung  mehr,  wie  sie  bei  den  Molekiilen  im  festen  oder  im  fliissigen  Aggregat- 
zustande  noch  besteht;  desshalb  Mien  Gase  jeden  ihnen  gebotenen  Raum  voll- 
standig  aus  (Ausdehnsamkeit)  und  vertheilen  sich  in  demselbem  vollstandig  gleich- 
massig.  Da  jedes  einzelne  Molekiil  eines  Gases  sich  in  einer  geradlinig  fort- 
schreitenden  Bewegung  befindet,  die  so  lange  wahrt,  bis  es  auf  ein  zweites  Molekiil 
oder  an  die  feste,  den  Raum  abgrenzende  Wand  stosst,  wo  dann  die  Bewegung 
entweder  auf  das  zweite  Molekiil  iibertragen  wird  oder  einen  Riickprall  von  der 
festen  Wand  bedingt,  so  ist  begreiflich,  dass  ein  in  eine  Gasatmosphare  eingefiihrter 
Korper  (sowie  natiirlich  audi  die  einen  mit  Gas  erfiillten  Raum  abschliessende 
feste  Wand)  fortwahrend  wiederkehrenden  Stossen  der  bewegten  Gasmolekiile 
ausgesetzt  sein  muss  und  das  urn  so  mehr,  als  die  Geschwindigkeit  der  bewegten 
Gasmolekiile  wachst,  oder  die  Anzahl  der  in  einem  abgeschlossenen  Raume  vor- 
findlichen  und  sich  in  demselben  bewegenden  Molekiile  zunimmt;  denn  in  dem 
einen  Falle  wird  ein  und  dasselbe  Molekiil  in  gleicher  Zeit  ofter  zum  Anpralle 
kommen,  in  dem  anderen  Falle  wird  in  gleicher  Zeit  eine  grossere  Anzahl  von 
Molekiilen  zum  Stosse  koramen. 

Die  Summe  aller  Stosse,  welche  von  den  Molekiilen  eines  Gases  in  der 
Zeiteinheit  auf  eine  feste  Wand  ausgeiibt  werden,  gibt  sich  als  Druck  des 
Gases  (Spanming,  Tension)  zu  erkennen  und  dieser  wird,  wie  aus  dem  oben 
Gesagten  erhellt,  zunehmen  mit  der  Verringerung  des  Raumes,  der  dem  Gase  zur 
Erfiillung  geboten  ist,  und  abnehmen  mit  der  Vergrosserung  desselben.  Nennt 
man  den  von  einem  Gase  erfiillten  Raum  das  Volumen  des  Gases,  so  wird  sich 
sagen  lassen,  dass  der  Druck  und  das  Volumen  eines  Gases  einander  verkehrt 
proportional  sind,  d.  h.  dass  der  eine  in  demselben  Verhaltnisse  wachst  als 
das  andere  abnimmt  und  umgekehrt.  Die  Spannung  der  Gase,  die  selbst  von 
dem  auf  das  Gasvolumen  ausgeiibten,  von  aussen  wirkenden  Drucke  abhangig  ist, 
steht  also  im  umgekehrten  Verhaltnisse  zu  dem  Volumen  desselben  (Boyle'sches 
Gesetz,  Mariotte'sches  Gesetz). 

Andererseits  wird  durch  Warmezufuhr  die  Grosse  der  lebendigen  Kraft  der 
in  Bewegung  stehenden  Molekiile  und  mithin  ihre  Geschwindigkeit  erhoht,  und 
sohin  auf  dem  Wege  der  Vergrcisserung  der  Molekiilgeschwindigkeiten  in  dem 
Falle,  wo  dem  Gase  die  Mciglichkeit  der  freien  Ausdehnung  benommen  ist,  also 
ein  abgeschlossenes  Gasvolumen  in  Betraeht  kommt,  gleichfalls  eine  Erhohung 
der  Tension,  bez.  des  Druckes  herbeigefiihrt,  oder  diese  im  Falle  der  Warme- 
abnahme  vermindert.  Temperatur  und  Druck  eines  Gases  sind  einander  demnach 
gerade  proportional  (vgl.  Ausdehnung  I  pag.  250  und  251.) 


Gase.  —   Gasfeuerung.  691 

Der  Mangel  einer  gegenseitigen  Anziehung  zwischen  den  einzelnen  Mole- 
kiilen,  der  den  Gascharakter  wesentlich  bedingt,  besteht  nur  innerhalb  gewisser 
Druck-  und  Temperaturverhaltnisse;  und  insof'erne  dureh  fortgesetzte  Druck - 
erhohungen  oder  aber  Temperaturerniedrigungen  eine  stetig  zunehmende  Anna- 
lierung  der  Molektile  herbeigefiihrtwird,  kann  diese  endlicli  soweit  gedeihen,  dass 
die  einzelnen  Molekiilc  eine  Anziehung  auf  einander  auszuiiben  vermSgen 
und  der  Korper  sonach  aufhort  gasformig  zu  sein,  d.  i.  den  flussigen  oder  festen 
Aggregatzustand  annimmt.  Es  liangt  wesentlich  von  der  Natur  der  Korper  ab, 
unter  welchen  Druck-  und  Temperaturverhaltnissen  diese  Aenderung  des  Aggregat- 
zustandes  eintritt  und  insoferne  dieselbe  bei  einzelnen  Korpern  schon  bei  gewShn- 
licher  Temperatur  und  gewohnlichem  Drucke  (Druck  einer  Atmosphare)  erfolgtj 
untersclieidet  man  zwischen  eigentlichen  Gas  en,  d.  h.  solclien  Korpern, 
welche  unter  gewohnlichen  Verhaltnissen  noch  gasformig  sind  und  Damp  fen, 
d.  s.  Gase,  die  nur  bei  hoheren  Temperaturen  oder  niedrigen  Drucken  bestelien. 
Die  eigentlicben  Gase  selbst  unterschied  man  bis  vor  Kurzem  noch  in  solehe, 
welche  sich  durch  starke  Abkiihlung  und  erhebliche  Druckvermehrung  verfliissigen 
(verdichten,  condensiren)  lassen,  welche  man  con  d  ensirbare  (coercible) 
Gase  nannte,  und  solche,  bei  welchen  mit  Hilfe  der  verfiigbaren  Mittel  eine  Ver- 
dichtung  nicht  erreichbar  war,  die  man  in  coercible  oder  permanente  Gase 
nannte.  Die  neuesten  Arbeiten  von  R.  Pictet  (Compt.  rend.  85  pag.  1214  nnd 
1220  und  L.  Cailletet,  Compt.  rend.  85  pag.  1016  u.  1213)  haben  aber  gezeigt, 
dass  auch  die  bisher  fiir  permanente  erklarten  Gase,  Sauerstoff,  Wasserstoff, 
Stickstoff  etc.,  bei  geeigneten  Druck-  und  Temperaturverhaltnissen  condensirt 
werden  konnen,  so  dass  demnach  diese  Unterscheidung  hinfallig  ist.  Ueber  Aus- 
dehnungscoefficienten  der  Gase  s.  Ausdehnung  I  pag.  250,  iiber  Absorption 
der  Gase  s.  Absorption  I  pag.  35.     Gtl. 

Gasentbindungs-,  Gasentwicklungs-Apparate,  im  Allgemeinen  Vorrichtungen 

zur  Darstellung  und  Isolirung  gasformiger  Korper,  deren  Einrichtung  je  nach  der 
Natur  des  Processes  und  der  Art  des  Gases  verschieden  sein  kann.  Ueber  die 
einzelnen  Apparate  s.  bei  den  betreffenden  Gasen.     Gtl. 

Gasfang,  s.  Eisenhiittenkunde  III  pag.   16. 

Gasfeuerung  (fourneau  a  gaz  —  gas  furnace).  Bei  Beniitzung  fester 
Brennstoffe  zu  industriellen  Zwecken  kommen  im  Allgemeinen  drei  Feuernngs- 
systeme    zur  Anwendung: 

1.  Der  Brennstoff  wird  nur  massig  hoch  auf  den  Rost  geschichtet.  Die 
Verbrennung  findet  thunlichst  vollstandig  bei  Ueberschuss  von  Luft  statt,  welclie 
jedoch  theilweise  unzersetzt  mit  den  Verbrennungsproducten  abzieht  und  sonach 
nutzlos  erwarmt  werden  muss.  Beispiele  dieser  Art  sind  z.-B.  die  meisten  Dampf- 
kesselfeuerungen. 

2.  Der  Brennstoff  wird  hoch  auf  den  Rost  geschichtet,  die  zutretende  Luft 
bleibt  so  langer  mit  dem  Brennmateriale  in  Beriihrung  und  zieht  nicht  unzersetzt 
mit  den  Verbrennungsproducten  ab.  Diese  enthalten  jedoch  in  Folge  der  hier 
herrschenden,  absichtlich  hervorgerufenen  unvollstandigen  Verbrennung  vielleicht 
ebenso  viel  Kohlenoxyd  als  Kohlensaure.  Trotzdem  erzielt  man  hohe  Tempera- 
turen, weil  sich  die  erzeugte  Warmemenge  auf  eine  geringere  Menge  von  Ver- 
brennungsproducten vertheilt.  Dieses  Verfahren  kommt  bei  metallnrgischen  Ope- 
rationen  nicht  selten  zur  Verwendung  (s.  Brennstoffe  II  pag.  21  f). 

3.  Das  Brennmateriale  wird  so  hoch  geschichtet,  dass  die  das  Brennmateriale 
durchstreichende  Luft  zunachst  nur  Kohlenoxyd  bildet.  Diesem  wird  eine  weitere 
Quantitat  Luft  zugefuhrt,  gerade  hinreichend  um  vollstandige  Verbrennung  zu 
Kohlensaure  zu  bewirken.  Diese  Art  der  Feuerung  ist  die  Gasfeuerung.  Der 
principielle  Unterschied  zwischen  Gasfeuerung  und  gewohnlicher  directer  Feuerung 
besteht  also  darin,  dass  bei  jener  die  Bildung  von  Kohlenoxyd    und    dessen    Ver- 

44* 


692  Gasfeuerung. 

brennung  zu  Kohlensaure  nach  ei nan  der,  bei  dieser  aber  zugleich  stattfindet. 
(Vgl.  Brennstoffe  II  pag.  32). 

Jede  Gasfeuerung  erfordert  im  AUgemeinen  als  wesentliche  Theile  den  Gas- 
erzeuger  oder  Generator  (generateur  de  gaz —  generator  furnace)  und  eine 
Verbrennungsvorrichtung,  den  Brenner  {bee  —  burner). 

Zwischen  beiden  konnen  noch  eingeschaltet  sein :  Vorrichtungcn  zum  Zuriick- 
halten  mit  fortgerissenen  Flugstaubes  (Rauchsammler,  Gasrein  iger),  zur  Con- 
densation von  Wasser-  und  Theerdampfen  (Condensatoren),  zur  Vorerhitzung 
der  Verbrennungsluft  allein  oder  zugleich  audi  der  brennbaren  Gase  (Regene- 
rator en)  u.   ahnl.  m. 

Die  Zufiihrung  der  zur  Gaserzeugung  und  zur  Gasverbrennung  nothwendigen 
Luft  geschieht  entweder  durch  natiirlichen  Zug  oder  durcli  Ventilatoren  u.  dgl. 

Im  AUgemeinen  ist  der  Gasgenerator  ein  Schacht,  in  dessen  Basis  ein  Rost 
eingebaut,  doch  variiren  die  Details  entsprechend  der  vorliegenden  Situation  und 
insbesondere  nach  dem  Brennmateriale  und  dessen  Qualitat.  Als  solches  kommt 
Stein  und  Braunkohle,  Torf,  Holz  und  Sagespane  in  Betracht.  Den  Eigenschaften 
genannter  Brennstoffe  nach  wird  die  Schiitthohe,  dem  Agregatszustand  ent- 
sprehend,  gewahlt ;  die  Form  und  Grosse  des  Rostes  —  der  ubrigens  nicht  von 
so  wesentlichem  Einfluss  wie  bei  directer  Feuerung  —  bestimmt  man  mit 
Beriicksichtigung  der  Reinheit  des  Brennmateriales  derart,  urn  die  Rostreini- 
gung  mit  Leichtigkeit  handhaben  und  die  nothwendige  Luftmenge  zufiihren  zu 
konnen  u.  s.  w. 

Anzustreben  ist,  dass  alle  durch  die  anfangliche  Verbrennung  erzeugte  Koli- 
lensaure wieder  zu  Kohlenoxyd  reducirt  wird  und  dass  die  Gaserzeugung  mbg- 
lichst  regelmassig  und  ungestort  stattfinde. 

Zweckentsprechende  Bedienung  ist  eine  wesentliche  Bedingung  guter  Function. 
Bei  aschenreichem  Brennstoffe  und  insbesondere  bei  stark  backender,  schlackender 
Kohle  ist  das  Schiiren  und  Abschlacken  des  Feuers  eine  wichtige,  schwierige 
Arbeit,  welche  vollste  Sorgsamkeit  verlangt.  Unregelmassige  oder  ungeschickte 
Bedienung  ist  haufige  Ursache  von  Storungen  in  der  Gasentwickelung;  ein  unzeitig 
gestorter  Generator  kann  aber  oft  mehrere  Stunden  brauchen,  um  wieder  in  regel- 
massigen  Betrieb  zu  gelangen. 

Der  Generator  muss  ubrigens  so  eingerichtet  sein,  dass  er  stets  hermetisch 
geschlossen  sei  und  Luft  nur  durch  den  Rost  Eintritt  finde.  Desshalb  ist 
besondere  Vorsicht  darauf  verwendet,  bei  Beschickung  des  Schachtes  mit  frischem 
Brennmateriale,  als  audi  bei  Fortleitung  der  Gase  nach  dem  Verbrennungsraume  den 
Eintritt  der  Luft  und  dadurch  schadliche  Verdiinnung  der  Heizgase  zu  vermeiden.  Die 
Gaskanale  sind  audi  vor  Feuclitigkeit  bestens  zu  schiitzen  und  ist  Eindringen 
von  Feuchte  in  den  Generator  oder  die  Gasleitung  fiir  den  Heizeffect  hochst  nach- 
tlieilig.  Die  Herstellung  der  Mauerung  fiir  Gasfeuerungen  hat  darum  sehr  sorg- 
faltig  zu  geschehen. 

Die  Gasleitungen  sollen  mbglichst  kurz  sein.  Sind  lange,  bald  ansteigende 
bald  fallende  Leitungen  geboten,  so  sollen  an  geeigneten  (tiefsten)  Punkten 
bequem  zugangliche ,  luftdicht  verschliessbare  Wasser-  und  Theerfange  ange- 
bracht  sein.  Die  Ziige  mtissen  sich  gut  reinigen  lassen  und  empfiehlt  sich  An- 
bringung  von  Schaulochern  und  Sicherheitsklappen. 

Als  Beispiel  sei  ein  (Ferrini's  Technologie  der  Warme  entnommener)  Stein- 
kohlengenerator  von  Siemens  besclirieben,  den  Fig.  1707  zeigt. 

Derselbe  bestcht  aus  einer  etwa  2.5m  hohen  iiberwolbten  Kammer  gebildet  durch  eine 
liintere  Wand,  zwei  darauf  senkrechte  Seitenwande  von  1.5m  bis  2m  DJstanz  und  einer  unter 
50  —  60°  geneigten  Vorderwand,  welche  in  ihrem  oberen  Theile  aus  feuerfesten  Ziegeln  besteht 
und  weiter  ca.  800""ii  (jber  der  Sohle  einen  Eost  enthalt,  welcher  sich  in  gleieher  Neigung 
mit  der  Wand  dieser  anschliesst,  bis  er  etwa  400mm  iiber  der  Sohle  mit  einem  zweiten  hori- 
zontalen  Roste  zusammentrifft.  Zwischen  beiden  Rosten  lasst  man  um  die  Reinigung  zu 
erleichtern,    eine    Oeftnung   von    100  — 150mm.     Eine    Brennmaterialschiclite    von    der   richtigen 


Gasfeuerung. 


693 


Dicke  liegt  auf  der  scliiefen  Ebene  und  den  Rosten.  Im  Gewolbe  Bind  Oeffnungen  angebracht, 
iiber  denen  sich  Fiilltrichter  zum  Einbringen  des  Brennmateriales  befinden.  Damit  beim  Be- 
achicken  keine  Communication  mit  dem  iiusseren  Raume  cntsteht,  habeii  die  Trichter  Deckel, 
deren  Rander  in  eine  mit  Wasser  oder  Sand  gefiillte  ringformige  Rinne  tauchen  und  der 
Boden  des  Trichters,  der  die  Brennstoffcharge  enthalt,  kann  von  Aussen  mittelst  eines  Hebela 
vertical  gestellt  werden.  Weitere  Oeffnungen  dienen  aks  Schaulocber  und  sind  so  angeordnet, 
dass  man  durch  dieselben  aucb  mittelst  eines  Schiirliakens  die  zusammenger-ackenen  Stiicke 
trennen  und  auflockern,  so  wie  das  Nachsinken  des  Brennmateriales  und  dessen  gleichmassige 
Vertheilung  reguliren  kann. 

Die  Ausstromung  der  Gase  wird  durch  einen  Schieber  oder  ein  Ventil  regulirt.  Wenn 
das  Gewolbe  des  Generators  nicht  mindestens  um  3m  tiefer  liegt,  als  die  Sohle  des  Verbren- 
nungsraumes,  so  lasst  Siemens  die  Gase  erst  in  einen  gemauerten  oben  gescblossenen  Kamin 
emporsteigen.     Etwas    unterhalb   der   hochsten   Stelle    zweigt    ein    horizontales   Blecbrohr   ab, 


1707. 


welches  eine  ziemliche  Strecke  weit  boch  iiber  den  Boden  geht,  sich  dann  vertical  abwarts 
bis  zum  Terrain  des  Ofens  biegt.  Dieses  Kuhlrohr  (cooling  tube)  —  wie  Siemens  es  nennt 
—  bewirkt  durch  die  Spannungsdifferenz  zwischen  den  heissen,  vom  Generator  kommenden 
und  den  durch  das  Rohr  abgekiihlten  Gasen  constante  Stromung  zum  Ofen  bin,  nnabhangig 
vom  Schornstein  des  letztern. 

Ein  sol'cher  Generator  soil  je  nach  Grosse  1300  bis  1800  K.  Kohle  in  24  Stunden 
destilliren.     Geniigt  dies  nicht,  so  ordnet  man  mehrere  Generatoren  an. 

Die  Generatoren  stehen  isolirt  oder  unmittelbar  beim  Ofen.  Letztere  Anord- 
nung  findet  sich  zumeist  dort,  wo  ein  Generator  dem  Betriebe  geniigt,  erstere 
empfiehlt  sich  fur  grossere  Anlagen,  sie  lasst  vollstandige  Trennung  der  Feuerungs- 
von  der  eigentlichen  Ofenmanipulation  zu. 


694  Gasfeuerung. 

Die  vom  Generator  kommenden  Gase  mischen  sich  ira  Brenner  mit  Luft 
nnd  ziehen  durch  den  Generator-Fuchs,  wo  die  Flamme  sich  noch  vollstandig 
entwickelt,  zum  eigentlichen  Herd  oder  Ofen. 

Die  moglichste  Mischung  von  Gas  nnd  Luft  wird  durch  sehr  von  einander 
abweichende,  wohl  noch  wesentlicher  Verbesserung  fahiger,  Constructionen  ange- 
strebt.  Entweder  bestehen  diese  aus  einer  Anzahl  von  paarweise  und  concentrisch 
in  einander  gesteckten  Diisen,  von  denen  die  eine  Gas,  die  andere  Luft  ausstromen 
lasst,  oder  man  lasst  gegen  die  aus  einem  Schlitze  oder  concentrischen  Ringe  aus- 
tretenden  Gase  Luft  unter  einem  gewissen  Winkel  aus  einer  Anzahl  feiner  Diisen 
oder  schmaler  Schlitze  stossen  und  ahnl.  m.  Als  bester  Mischungsapparat  diirfte 
in  den  meisten  Fallen  sich  jener  erweisen,  bei  Avelchem  Gas  und  Luft  nicht  in 
paralleler  Richtung,  sondern  unter  einem  Winkel  auf  einander  treffen,  weil  die 
Mischung  so  schneller  und  inniger  erfolgt.  Wie  selbstverstandlich,  muss  Brenner  und 
Fuchs  aus  allerbestem  Materiale  solidest  hergestellt  werden. 

Die  Art  und  Weise  wie,  und  die  Menge,  in  welcher  dem  Gase  Luft  zuge- 
fiihrt  wird,  beeinflusst  wesentlich  die  Beschaffenheit  der  Flamme  und  den  Nutz- 
effect  der  Anlage.  Durch  diesbeziigliche  Regelungkann  man  je  nach  Bedarf  kurze  oder 
langgestreckte  Flamme  erzeugen,  ferner  derselben  mehr  reducirenden  oder  oxydi- 
renden  Charakter  ertheilen,  je  nach  dem  industriellen  Zwecke,  dem  der  Ofen  zu 
dienen  hat. 

Wird  dem  Gase  mehr  Luft  als  nothig  zugefiihrt,  so  wird  hiedurch  Warme- 
verlust  hervorgerufen  ;  wird  nicht  hinreichend  Luft  gegeben,  so  entsteht  Rauch  und 
ein  Theil  der  Gase  geht  unbeniitzt  verloren. 

Nun  ist  gerade  die  Leichtigkeit,  mit  der  man  das  Verhaltniss  zwischen  Gas 
und  Luft  reguliren  kann,  ein  wesentlicher  Vortheil  der  Gasfeuerung.  Es  kann 
die  beste  Gasfeuerung  mangelhaft  arbeiten,  wenn  zur  Vergasung  oder  zur  Ver- 
brennung  nicht  die  angemessene  Menge  SauerstotF  zugefiihrt  wird.  Fiir  die  prak- 
tische  Erkennung  der  Giite  des  Processes  dient  der  durch  Uebung  gescharfte 
Geruchsnerv  und  die  Beurtheilung  der  Art  und  der  Farbe  der  Flamme,  beste 
Controlle  jedoch  bietet  die  Untersuchung  der  Producte  der  Verbrennung,  respective 
der  Vergasung.  Zu  solchen  Untersuchungen  eignen  sich  die  Gasanatysen-Apparate 
von  Or  sat  (D.  P.  J.  Bd.  217,  S.  220,  Bd.  221  S.  468),  Winkler  (D.  P.  J. 
Bd.  219  S.  413,  Journal  fiir  prak.  Chemie  1873  Bd.  6  S.  301),  Schwack- 
h  o  f  e  r  (veibesserter  Orsat-Apparat,  s.  Wochenschrift  der  ost.  J.  u.  A.  V.  II.  Jahrg. 
Nr.  48  S.  299)  u.  a. 

Zur  Steigerung  des  Heizeffectes  tragt  die  Erhitzung  der  Verbrennungsluft 
wesentlich  bei.  Selbe  geschieht  durch  die  ausstrahlende  Warme  des  Feuerungs- 
raumes  (in  Kanalen  der  Seitenwande,  in  Rohren  unter  dem  Rost  u.  ahnl.)  oder 
des  Ofens  selbst  u.  z.  beim  Durchleiten  durch  die  hohle  Feuerbriicke,  oder  unter 
dem  Ofenherd,  oder  in  den  Kanalen  der  Seitenwande,  oder  zwischen  gitterformig 
aufgestellten  Steinen,  welche  von  den  abgehenden  Feuergasen  und  in  besonderen 
Kanalen  dazwischen  von  der  Luft  durchstromt  werden.  Letzteres  ist  bei  den  Vor- 
richtungen  von  Pon sard  (D.  P.  J.  Bd.  219,  S.  125),  Xehse  (D.  P.  J.  Bd.  220, 
S.  427)  u.  a.  der  Fall. 

Fig.  1708  und  1709  geben  als  Beispiel  einen  completten  Gasofen  mit  Einzelnfeuerung 
(zur  Verdampfung  von  Langen  u.  dgl.),  wo  die  Verbrennungsluft  in  dem  durch  eiserne  Flatten 
gebildeten  Eauin  g  erhitzt  wird.  a  ist  der  Gasgenerator,  d  der  mit  dem  Schieber  c  versehene 
Fiilltrichter,  durch  welchen  die  Braunkohle  auf  den  Rost  b  gelangt.  Die  Gase  treten  iiber 
die  Feuerbriicke  e  und  mischen  sich  oberhalb  derselben  mit  Luft,  welche  bei /'in  den  Generator 
eintritt  und  erhitzt  bei  /(  austritt.  Die  Flamme  verbreitet  sich  gleichmassig  iiber  die  gc-mauerte 
Pfamie  /,  indem  sie  aus  dem  Brenner  k  austritt.  Behufs  Entziindung  der  Gase  bei  Verwen- 
dung  von  feuchten  Kohlen  dient  der  kleiue  Xebenrost  h.  Die  abziehenden  Verbrennungs- 
producte  miinden  durch  den  Kanal  o  in  den  gut  ziehenden  Schornstein  p.  Bei  n  wird  die 
concentrirte  Lauge  abgelasseu,  wahrend  des  Ablassens  werden  die  Feuergase  durch  die  Neben- 
esse  <±  abgeleitet.     Dieser  Gasofen  functionh-t   im  Alaunwerk   bei   Bonn   (s.  Alaun  I  pag.  67). 


Gasfeuerung. 


GO/ 


Die  hoclisten  Temperaturen  erzielt  man  mit  den  Regenerate  re  n,  wie 
sie  C.  W.  u.  F.  Siemens  eingefiilirt  haben.  Diese  sind  aus  vielen  engen  Kanalen 
bestehende,  aus  f'euerf'esten  Ziegeln  hergestellte  Kammern,  welche  abwechselnd  von 
den  Verbrennungsproducten  (kurz  ehe  sie  in  den  Schornstein  entweichen)  und  von 
den  zum  Brenner  stromenden  Generatorgasen  und  der  Luft  durclizogen  werden. 
In  der  ersten  Periode  werden  also  die  Regeneratoren  durch  die  Feuergase  erwarmt, 
in  der  zweiten  geben  sie  die  aufgenomraene  Warme  an  das  Gas  und  die  zur 
Gasverbrennung  dienende  Luft  ab. 

Fiir  gewbhnlich  sind  die  Regeneratoren  paarweise  gruppirt:  die  zwei  Kam- 
mern    eines    Paares    communiciren    in   ihrem  oberen  Theile  fortwahrend    mit  den 


Verticalschnitt. 


Fig.  1709. 


Horizontalschnitt  eines  Verdampfungsofens  mit  Gasfeuerung. 


Oeffnungen  in  der  Ofensohle  oder  Wand  Und  nach  unten  mit  dem  Schornstein ;  die  zwei 
Kammern  des  zweiten  Paares  communiciren  gleichfalls  mit  dem  Ofen  und  zugleich  die  eine 
mit  dem  Generator,  die  andere  mit  der  Atmosphare.  Mit  Beziehung  darauf  sei  bei  jeder 
Gruppe  die  erstere  die  Gaskammer,  die  zweite  die  Luft k a m m  e r  genannt.  Eiuen 
Umstellungsapparat,  durch  welch  en  man  die  Communication  eines  Paares  mit  dem 
Schornstein  herstellen,  resp.  unterbrechen  und  dafiir  die  Verbindung  mit  dem  Generator 
und  der  Atmosphare  herstellen  kann,  zeigt  z.  B.  Fig.  1710.  Zumeist  hat  man 
zwei  solche,  einen  fiir  die  beiden  Gaskammern  und  einen  andern  fiir  die  beiden 
Luftkammern.  Die  Saugwirkung  des  Schornsteines  zwingt  die  Flamme,  die  im 
Ofen  gewirkt  hat;  durch  die  zum  ersten  Paar  fiihrenden  Oeffnungen  denselben  zu 
verlassen  und  die  in  den  Kammern  angehitufte  Ziegelmasse  von  oben  nach  unten 
zu  durchstromen.     Auf  diesem    Wege    wird    den    Verbrennungsproducten    allmalig 


696 


Gasfeuerung. 


Fig.  1710. 


ihre  Warme  entzogen,  wahrend  sich  die  Ziegel  erhitzen.    Inzwischen  erhitzen  sich 
in  den  Kammern  des  anderen  Paares  das  eintretende  Gas  und  die  Luft  durch  die 

Beriihrung  mit  den  Ziegeln ,  die 
kurz  zuvor  die  Flamme  umspiilte, 
irnmer  mehr  und  mehr.  Naturlich 
ktihlen  sich  die  Ziegel  in  den  vom 
Gas  und  der  Luft  durchstromten 
Kammern  durch  die  Warmeentzie- 
hivng  ab;  allein  unterdessen  erhitzen 
sich  die  Ziegel  des  zweiten  Paares 
und  man  hat  nur  dafiir  zu  sorgen, 
dass  zur  rechten  Zeit  —  etwa 
halbstiindig  —  die  Umschaltungs- 
klappen  umgeschaltet  werden.  Je 
haufiger  die  Umschaltung  geschieht, 
um  so  geringer  werden  die  Tem- 
peraturschwankungen  im  Ofen;  allein 
um  so  hoher  ist  auch  die  Tem- 
peratur  der  abziehenden  Verbren- 
nungsproducte  im  Schornstein. 


Fig.  1711  und  Fig.  1712  veranschaulichen  einen  Simens-Regenerativ-Schmelzgasofen 
(siehe  Eisenerzeugung,  Gussstahl,  3.  Bd.  S.  46).  Die  zur  Verbrennung  gelangenden  Gase 
koramen  von  einem  Generator  durch  </,  g%  in  der  Richtung  der  Pfeile,  gelangen  in  die 
Gaskammer  g3  und  durch  &2  in  den  Ofen.  Die  Luft  tritt  durch  lt  l.x  in  die  Luftkammer  l3  und 

Fig.  1711. 


Siemen's  Regenerativofen  (Horizoutalschnitt). 


gelangt  durch  &,'  in  den  Ofen.  Die  Mengung  beiderfindetbeio  stattundes  erfulgt  die  Verbrennung 
im  Schmelzraume  a.  Die  Verbrennungsproducte  ziehen  darch  fc,  kt'  ab,  und  gehen  durch  yz  y2  ;'r 
und  /3  A,  ?.x  zur  Esse.  Verstellt  man  die  Klappen  j\  "nd  p2  um  90°,  so  gehen  die  Generator- 
gase  durch  j-,  y2  y3  nach  A',,  Luft  durch  ).l  A2  ).a  nach  kx\  in  y3  und  /.3  findet  Abgabe  der 
"Warme  an  Gas  resp.  Luft  statt,  beide  treten  auf  etwa  800°  erhitzt  in  den  Ofen,  die  Verbren- 


Gasfeuerung. 


v.n 


nungstemperatur  kann  Iiiedurch  auf  1500  bis  2000"  C.  und  mehr  gebraeht  werden.  JJi'j  Ver- 
brennungsproduete  ziehen  nun  durch  k2  g:i  g.t  gt  und  durch  /<:._,'  l3  l%  /,  ab  und  erhitzen  wieder 
das  Fachwerk  der  Kammcr  g3  und  1.6. 

Was  nun  die  Erfolge  der  Gasfeuerug  anbelangt,  so  sind  diese  unbestritten 
vorerst  da  bedeutend,  wo  die  Aufgabe  gestellt  ist,  thunlichst  hochste  Ilitzegerade 
zu  entwickeln.  Die  Regeneratoren  ermoglichen  die  Erzielung  selir  holier  Tempe- 
raturen,  deren  Gfanze  wohl  in  erster  Linie  nur  durch  die  Widerstandsf&hfgkeit 
des  Ofens  normirt  ist.  Diese  hohen  Hitzegrade  kann  man  mit  Ililfe  der  Grasfeuerung 
selbst  aus  bloss  geringwerthigera  Brennmateriale  —  Torf,  Braunkohle  u.  s.  w.  — 
stiickr  e  icher  Beschaffenheit  entwickeln. 


Fig.  1712. 


3000(5900 


p^^p^^iSS 


Siemen's  Regenerativofen  (Vertikalschnitt). 


Nicht  minder  sind  die  Erfolge  der  Gasfeuerung  dort  fraglos,  wo  es  gilt  die 
Unreinigkeit  des  urspriinglichen  Brennmateriales  (Schwefel,  Aschenbestaudtheile 
u.  dgl.)  vom  Arbeitsobject  feme  zu  halten,  wie  z.  B.  fur  keramische  Zsvecke.  Fern 
zu  .halten  dadurch,  dass  man  eben  aus  dem  unreinen  natiirlichen  Brennmateriale 
moglichst  reines  kiinstliches  schuf.  Audi  ist  es  fiir  gewisse  Industriezwecke  ein 
wesentlicher  Vortheil  der  Gasfeuerung,  dass  sie  vollstandige  Regelung  der  Flamme 
gestattet.     Man  kann  die  Lange  derselben    von  600 — 700mm  bis  9m  variiren. 

Wo  diese  Bedingungen  jedoch  nicht  zu  erfiillen  sind,  hat  bis  jetzt  die  Gas- 
feuerung dauernd  sich  nicht  behaupten  konnen,  namentlich  hat  sie  bisher  wenig 
Anwendung  gefunden  zur  Erzeugung  massiger  Temperaturen  durch  gutes  Brenn- 
materiale. Grund  hiefiir  ist,  dass  die  Verbrennung  guten  Brennmateriales  in  unseren 
gewohnlichen  Feuerungsanlagen  fast  ebenso  rationell  bewirkt  werden  kann,  als 
mit  Gasfeuerungen,  wahrend  diese  ungleich  mehr  Anlagekosten,  Reparaturen  und 
Intelligenz  der  Bedienung  als  jene  verlangen.  Desto  mehr  ist  man  bemiiht 
gewesen,  das  allergeringste  Brennmateriale,  also  namentlich  Kohlenlosche  (Kohlen- 
gruss)  u.  Aehnl.  durch  Gasfeuerungen  zu  verwerthen.  Man  hat  hiebei  die  Erfah- 
rung  gemacht,  dass  der  nattirliche,  durch  einen  Schornstein  herstellbare  Zug  nicht 
ausreicht,  um  die  Gase  durch  eine  aus  Losche  bestehende  Kohlenschiclite  von 
soldier  Machtigkeit  zu  ziehen,  wie  sie  zur  Bildung  von  Kohlenoxydgas  nothwendig. 
desshalb  hat  man  den  Zug  auf  kunstliche  Weise  verstarkt  (Geblase  oder  Pres- 
sungsgeneratoren).  Der  kiinstliche  Zug  macht  Anlage  und  Betrieb  theuerer,  und 
droht  mit  Reparatursgefahr. 


698  Gasfeuerung. 

Als  Vortheil  des  kiinstlichen  Zuges  wird  iibrigens  die  Unabhangigkeit  von 
Witterungsverhaltnissen  und  in  Folge  dessen  gleichmassigerer  Betrieb  hervor- 
gehoben. 

Wenn,  wie  im  Vorstehenden  enthalten,  auch  die  Principien  ziemlich  unab- 
anderlich  feststehen,  welche  bei  Errichtungen  von  Gasfeuerungen  zu  befolgen  sind, 
so  gibt  es  trotzdem  zahlreiche  Detailverschiedenheiten  der  Ausfiihrung,  welche  theils 
durch  die  in  jedem  einzelnen  Falle  vorliegenden  besonderen  Verhaltnissen  geboten 
sind,  theils  nach  den  Anschauungen  der  einzelnen  Constructeure  variiren.  So 
nennen  wir  beispielsweise  die  Anordnung  von  Benrath  (fur  Holzgas,  s.  Ramdohr 
II),  B  i  c  h  e  r  o  u  x  (mit  gusseisernem  Lufterwarmungs-Apparat  am  Generator  selbst, 
s.  D.P.J.  Bd.  219  S.  220),  Bjorklund  (mit  besonderer  Condensatorconstruction, 
s.  Oest.  Z.  f.  B.  u.  Httws.  1875,  S.  77),  Boetius  (s.  Ramdohr  II),  Grobe- 
L  u  r  m  a  n  n  (bringt  die  festen  Brennstoffe  vor  deren  Vergasung  auf  hohe  Tempe- 
ratur,  s.  Oest.  Z.  f.  B.  u.  Httws.  1878  S.  125),  Lebedoff  (s.  D.P.J.  Bd.  189 
S.  378),  Liegel  (bringt  Schlacke  zum  Schmelzen  und  Selbstabfliessen,  s.  Ramdohr 
II.,  D.  P.  J.  Bd.  223  S.  482  —  A.  Friedmann  strebt  das  Gleiche  an,  s.  D. 
P.  J.  Bd.  214  S.  355),  Lund  in  (mit  eigenthiimlicher  Condensator-Construction, 
angewendet  fur  Gaserzeugung  aus  Sagespanen,  s.  D.  P.  J.  Bd.  183  S.  369, 
Ramdohr  II  S.  56,  aus  Torf,  s.  Oest.  Z.  f.  B.  u.  Httws.  1877  S.  497),  Moller 
u.  Mendheim  (s.  Ramdohr  II),  "Miiller  u.  Fichet  (s.  Rahmdor  I),  Nehse 
(s.  D.  P.  J.  Bd.  220  S.  427,  Ramdohr  II  S.  68  u.  123),  Ponsard  (s.  D.  P.  J. 
Bd.  219  S.  125,  Ferrini  S.  298  —  in  An  wen  dung 'fur  Dampfkessel  s.  D.  P.  J. 
Bd.  216  S.  199),  H.  Schafer,  Siemens  (s.  Fig.  1707,  1711  und  1712), 
Thum  (s.  D.  P.  J.  Bd.  213  S.  121),  Wilson,  Wittenstrom  (ordnet  Regene- 
ratoren  iiber  den  Ofen  an,  s.  Oest.  Z.  f.  B.  u.  Httws.  1875  S.  75),  R.  Ziebart  u. 
Putsch  (s.  deren  s„verbesserte  Gasfeuerung  mit  Regeneratoren",  Berlin  1865)  u.a.m. 

Oft  werden  die  zu  benutzenden  gasformigen  Brennmateriale  nicht  erst  in 
besonderen  Generatoren  erzeugt,  sondern  sind  entweder  als  Nebenproduct  in  ge- 
wissen  metallurgischen  Apparaten  gewonnen  (Gichtgase)  oder  kommen  in  der 
Natur  vor.  Die  Gichtgase  werden  mittelst  der  Gas  fang e  (cloche  a  gaz  — 
gas  bell),  s.  Eisenerzeugung  Bd.  Ill  S.  7  und  16,  abgefangen  und  an  den  Ort 
ihrer  Verbrennung  geleitet. 

Betreffs  der  Beniitzung  der  von  der  Natur  gebotenen  Gase  verweisen  wir 
nur  auf  die  in  amerikanischen  Eisenhiitten  in  neuester  Zeit  gemachten  Fortschritte 
der  directen  Verwendung  der  mittelst  Bohrrohreu  aus  dem  Innern  der  Erde  abge- 
leiteten  brennbaren  Gase.  Wir  erwahnen  als  Beispiel,  dass  das  Gas  fiir  den 
Betrieb  der  rotirenden  Puddelbfen  von  Graff,  B e n  e  1 1  &  Co.  in  Pittsburg  aus  ca. 
550m  Teufe  20  engl.  Meilen  (ca.  32km)  Distanz  geliefert  wird  und  verweisen 
auf  verschiedene  diesbezugliche  Mittheilungen  (s.  Oest.  Z.  f.  B.  u.  Httws.  1875 
S.  512,  Z.  d.  ost.  I.  u.  A.  V.   1877  S.   79  u.  s.  w.)*)    Vgl.  a.  Brennstoffe  II p.  32. 

Die  Erfindung  selbststandiger  Gasfeuerungen  ist  deutschen  und  speciell  osterreichi- 
schen  Technikeru  zuzusckreiben.  Die  Grundlage  jedoch  fiir  die  Idee  der  Construction  selbst- 
standiger Gasfeuerungen  hat  die  Verwendung  der  Hochofengase  fiir  hiittenmannische  Zwecke 
abgegeben,  welche  zuersl  der  Franzose  Aubertot—  1809  etwa  —  einfiihrte,  indem  er  Gieht- 
flammen  zurn  Schweiss-  und  Puddelprocess  beniitzte.  In  Deutschland  gingen  die  ersten  dies- 
beziiglichen  Versuche  1837  von  dem  wurttembergischen  Bergrath  Fab  re  du  Faur  in  Wasser- 
alringen  aus.  Die  Seitens  der  osterreichischen  Regierung  nach  Wasseralfingen  abgesandten 
Hiittentechniker  erkannten  jedoch  in  der   durch  das  System  bedingten  Abhangigkeit  zweier  so 


*)  In  „Das  Eisenhiittenwesen  der  vereiuigten  Staaten  von  Nordamerika"  beurtheilt  von 
P.  Fatter  v.  Tunner  heisst  es  S.  23:  In  Pittsburg  traf  ichzwei  Eisenhiitten,  wo  das  in 
und  nachst  der  Oelregion  vorkommende,  durch  Bohrlocher  mit  einer  pro  Quadratzoll 
100  bis  120  Pfund  betragenden  Spannung  zu  Tage  tretende  brennbare  Gas  zum 
Betrieb  von  Puddlings-  und  Schweissofen  beniitzt  wird.  Die  Verwendung  dieses  natiir- 
lichen  Gases  zu  dem  Endzwecke  ist  eine  sehr  einfache,  sehr  bequeme  und  wiirde  auch 
eine  sehr  billigo  sein,  wenu  die  Nachhaltigkeit  des  Gases  aus  dieser  Quelle  sich  be- 
wahren  mbchte. 


Gasfeuerung.  —  Gasmaschinen.  699 

vviohtigeu  Hiittenproces.se  nicht  unwesentliche  Mangel  unci  es  erfolgten  hierauf  die  Versuche 
mit  selbststandigen  Gasfeuerungen  bei  der  k.  k.  Einsenhiitte  zu  Senbach  in  Tirol  1830  bis 
1840.  Wegen  der  nicht  zu  bewiiltigcnden  Explosionen  sistirte  man  diese  Versuche,  bis  sie 
1842  auf  dem  k.  k.  Gusswerk  zu  St.  Stephan  in  Steiermark  wieder  aufgenommen  vvurden  und 
zwar  mit  besserem  Erfolge.  Sectionschef  Carl  v.  Scheuchen  stub  1  hat  am  die  Entwickelung 
der  Gasfeuerung  grosse  Verdienste.  Zu  gleicher  Zeit  errangen  Bischof,  welcher  bereits  1839 
den  ersten  Gasofen  entworfen,  sowie  spater  Thoma,  dann  Schinz  und  besonders  Siemens 
wichtige  Erfolge  ;mf  diesem  Gebiete. 

Literatu r.  Bischof,  die  indirecte,  aber  hochste  Nutzung  des  roben  Brenn- 
materiales,  Quedlinburg  1856;  Ferrini  R.,  Technologie  der  Warme,  deutsch 
v.  Schroter  Jena,  Costenoble  (S.  128,  175,  291);  Neumann  Fr.,  die  Ver- 
gasung  erdiger  Braunkoble — Halle  Knapp;  Ramdohr  L.,  die  Gasfeuerung  I 
nach  dem  Franzosischen  von  Fichet  (behandelt  auch  Gasfeuerungen  fur  Dampf- 
kessel) ;  Ramdohr  L.,  die  Gasfeuerung  II  —  Halle,  Knapp ;  H.  S  t  e  g- 
niann  die  Bedeutung  der  Gasfeuerung  und  Gasofen  filr  das  Brennen  von 
Porzellan,  Thonwaaren  etc.;  Reiche,  Anlage  und  Betrieb  der  Dampfkessel, 
2.  Aufl.  S.  85;  Steinmann  F.,  Compendium  der  Gasfeuerung,  Freiberg, 
Engelhardt;  Zerrener  Carl  Dr.,  Einfiihrung,  Fortschritt  und  Jetztstand  der 
metallurgischen  Gasfeuerung  im  Kaiserthum  Oesterreich,  Wien,  k.  k.  Staats- 
druckerei  1856  (mit  ausfiihrlicher  Literaturangabe  iiber  Gasfeuerung  von  1841 
bis  1855).  C.  Ludioik. 

Gasgenerator  (generateur  de  gaz  —  gas  generator),  s.  Gasfeuerung 
pag.  692. 

Gasheizung,  s.  Heizung. 

Gaskalk  (chaux  gaziere  —  gas  lime),  das  aus  den  Reinigungsapparaten 
der  Leuchtgasfabriken,  welche  Aetzkalk  zur  Gasreinigung  verwenden,  fallende 
Nebenproduct,  enthalt  neben  Kalkhydrat,  Schwefelcalcium ,  Calciumsulfhydrat, 
Schwefelcyancalcium,  Cyancalcium,  kohlens.  Kalk,  unterschwefligs.  Kalk,  schweflig- 
sauren  Kalk,  schwefelsauren  Kalk,  Ammoniak,  Theerproducte  etc.  Wird  vielfach 
verwerthet  entweder  an  sich  als  Dlingemittel,  oder  als  Baumateriale  (far  Weg- 
bauten),  als  Enthaarungsmittel  fur  Felle  (wobei  clcr  Gehalt  an  Calciumsulfhydrat 
und  Schwefelcalcium  wirkt),  endlich  als  Rohmateriale  fur  die  Gewinnung  von 
Schwefelcyanverbindungen  und  Cyanverbindungen  (Berlinerblau),  sowie  von  unter- 
schwefligsauren  Salzen,  vgl.  Leuchtstoffe  bei  Leuchtgas.     Gtl. 

Gaskohle  nennt  man  einerseits  solche  Sorten  fossiler  Kohlen,  welche  be- 
sonders reiche  Gasausbeuten  liefern,  andererseits  bezeichnet  man  mit  diesem 
Namen  auch  die  in  den  Gasretorten  sich  ansetzende,  ausserst  dichte  (spec.  Gew. 
2,356)  und  harte  Kohle  (Retortenkohle,  Retortengraphit),  welche  namentlich  zur 
Herstellung  der  Kohlenelemente  fur  galvanische  Batterien,  vom  Kohlenspitzen  fur 
electrische  Lampen  sich  besonders  eignet,  aber  auch  fur  die  Herstellung  von 
Schmelztiegeln  dienen  kann,  vgl.  Kohl  ens  toff.      Gtl. 

Gaskoks,  s.  Koks,  s.  Brennstoffe  II  pag.  29. 

Gaskrug,  Apparat  zur  Bereitung  von  mit  Kohlensauregas  gesattigtem  Wasser 
(Sodawasser),  s.  Wasse r. 

Gasmaschinen  oder  Gaskraftmaschinen  (moieuragaz — gas  power  engine). 

Eine  der  baroksten  Ideen,  welche  auf  dem  Gebiete  des  Maschinenwesens  zur 
Durchfiihrung  gelangten ,  ist  wohl  die ,  explosive  Gasgemenge  als  motorische 
Substanz,  beziehungsweise  als  treibende  Kraft  zu  verwenden. 

Das  Verdienst,  diese  Idee  gefasst  und  sofort  in  gelungener  Weise  realisirt 
zu  haben,  gebiihrt  Herrn  Lenoir  in  Paris,  iiber  dessen  Erfindung  in  den  tech- 
nischen  Journalen  vom  Jahre  1860  zuerst  referirt  wird,    nachdem    die    von  Herrn 


700  Gasraaschinen. 

Chr.  Reithmann  in  Mlinchen  unci  von  Hevrn  C.  Hugon  in  Paris  erhobenen 
Prioritatsanspriiche  nicht  aufrecht  erhalten  wurden. 

Die  erste  ausgefuhrte  Lenoir'sche  Maschine  hatte  den  Typus  einer  gewohn- 
liclien  liegenden  doppeltwirkenden  Darnpfniaschine.  Der  Cylinder  war  mit  Wasser- 
klihlung  versehen  und  hatte  oben  einen  Doppelschieber,  vvelcher  an  ein  oder  dem 
andern  Cylinderende  den  Eintritt  des  Gemenges  von  2  bis  8  Proc.  Gas  mit  98 
bis  92  Volumprocenten  atmospharischer  Luft  vermittelte,  und  unten  einen  Doppel- 
schieber, welcher  an  dem  entgegengesetzten  Ende  den  Austritt  des  verbrauchten 
Gases  in  die  Atmosphare  ermoglichte.  Die  Entziindung  des  in  gefahrloser  Weise 
explodirenden  Gemenges  erfolgte  mittelst  eines  Ruhmkorff-Apparates  derart,  dass 
die  beiden  freien  Enden  desjenigen  Drahtes,  welcher  den  inducirten  Strom  leitete, 
sich  nach  den  beiden  Cylinderenden  gabelten,  und*  dort  so  nahe  an  einander 
gestellt  waren,  dass  in  dem  Momente,  als  der  inducirende  Strom  durch  Vermitt- 
lung  des  hin,  und  hergehenden  Kreuzkopfes  unterbrochen  wurde,  an  der  Innen- 
seite  der  beiden  Cylinderenden  ein  Inductions-Funken  auftrat,  welcher  auf  der- 
jenigen  Seite,  wo  eben  das  explosible  Gemenge  vorhanden  war,  die  Entziindung 
bewirkte. 

Diese  Maschine  war  auch  in  der  2.  Auflage  von  H.  Boetius  „die  Erics- 
son'sche  calorische  Maschine"  1861  beschrieben  und  wurde  daselbst  die  franzo- 
sische  Angabe  von  nur  '/„  Kubm.  Gasverbrauch  per  Pferd  und  Stunde  als  un- 
moglich  bestritten. 

Die  Firma  Lenoir  setzte  sich  sofort  mit  dem  renommirten  Maschinenfabri- 
kanten  Hypolite  Marin  oni  in  Paris  in  Yerbindung,  welcher  die  Gasmaschine  con- 
structiv  verbcsserte  und  fabriksniassig  erzeugte.  Die  Marinoni'sche  Maschine  hat 
die  beiden  Schieber  seitwarts  liegend  und  ist  so  eingericktet,  dass  die  Mengung 
von  Luft  und  Gas  erst  im  Cylinder  erfolgt,  somit  jede  Explosionsgefahr  ausge- 
schlossen  ist. 

Nach  einer  Mittheilung  von  Ingenieur  Eyth  im  „Civilingenieur"  1861  ver- 
suchte  der  deutsche  Maschinenfabrikant  G.  Kuhn  die  Marinoni'sche  Maschine  nach- 
zubauen,  erreichte  aber  keine  giinstigen  Resultate.  Bei  7.1  Proc.  Gasgehalt  betrug 
die  Leistung  bei  100  Touren  in  der  Minute  235  Fusspfund  badisch  z=  35.25mk 
pro  Secunde  r=  0.47  Pferdestarken  mit  einem  Gasverbrauch  von  45  Kubikfuss 
=  1.215  Kubikm.  in  37  Minuten,  also  pro  Stunde  1.97  Kubikm.  und  pro  Pferd 
und  Stunde  4.19  Kubikm.,  ja  bei  dem  Mischungsverhaltniss  von  5.6  Proc.  sogar 
5.45  Kbm.,  also  circa  doppelt  so  viel,  als  nach  den  durch  Professor  C.  H.  S  c  h  m  i  d  t 
in  Stuttgart  bekannt  gewordenen  ersten  Yersuchen  des  Herrn  T  r  e  s  c  a,  Subdirector 
am  conservatoire  imperial  des  arts  et  metiers,  abgefiihrt  im  Marz  1861,  die  fran- 
zosische  Originalmaschine  verbrauchte,  bei  welcher  der  durchschnittliche  Verbrauch 
an  Gas  pro  Stunde  und  Pferdestarke  nur  2.74  Kbm.  betrug. 

Allein  Herr  Tresca  setzte  seine  Beobachtungen  an  anderen  derartigen  Ma- 
schinen  fort,  und  verofFentlichte  im  October  1861  einen  ausfiihrlichen  interessanten 
Bericht  im  Bulletin  de  la  Societe  d'Encouragement,  welchen  das  polytechnische 
Journal  B.   163  vollstaudig  brachte. 

Nach  diesen  Versuchen  betrug  der  Gasverbrauch  bei  einer  Leistung  von 
1.02  bis  1.S5  Pferdestarken  zwischen  2.7  bis  3.4  Kbm.  pro  Pferd  und  Stunde, 
und  ergab  sich  insbesondere  bei  einer  Maschine  mit  81  Touren  1.02  Pferdestarken 
und  2.8 78  Kbm.  Gasverbrauch  pro  Pferd  und  Stunde,  der  Kiihl-Wasserverbrauch 
mit  800  Liter  pro  Pferd  und  Stunde,  wobei  dasselbe  von  18  auf  40°  C.  erwarmt 
wurde,  also  pro  Stunde  17600  Calorien  oder  pro  Secunde  4.89  Calorien,  d.  i. 
27mal  so  viel  wegfuhrte,  als  die  der  Nutzleistung  aquivalente  Warmemenge  be- 
tra'gt.  Ausserdem  entwichen  die  Gase  aus  der  Maschine  mit  280°  C.  Rechnet 
man  beim  giinstigsten,  nicht  zu  schnellem  Gang  den  Gasverbrauch  nur  mit  26 
Kbm.  pro  Pferd  und  Stunde,  so  kommt  man  auf  die  Tresca'sche  Angabe,  dass 
ein  Liter  Gas  6  Calorien  und  eine  Calorie  16.6mk  Arbeit  liefert. 

Trotz  dieser  im  Vergleich  zu  den  Unterhaltungskosten  einer  kleinen  Dampf- 
maschine,  welche  etwa  pro  Pferd   und  Stunde  5  K.  Kohle    beuothiget,    allerdings 


Gasmaschinen.  701 

sehr  ungiinstigen  Resultate,  bcsitzt  die  Gasmaschine  fiir  den  Gewerbetreibenden, 
der  in  seiner  Werkstatt  keine  Dampfmaschine,  wohl  aber  eine  Gasmaschine  auf- 
stellen  darf,  einen  grossen  Werth,  insbesondere  dann,  wenn  er  die  Kraft  nicht 
continnirlicb  benothiget,  sondern  nur  mit  liaufigen  Unterbrecliungen,  denn  sie 
consumirt  wahrend  des  Stillstandes  keinerlei  Betriebsmaterial,  und  kann  fast  mit 
derselben  Bequemlichkeit  in  Gang  gebracbt  werden,  mit  welcher  man  die  Gas- 
flammen  anziindet.  Die  Maschine  erfordert  wenig  Raum,  die  entweichenden  Gase 
werden  zum  Heizen  der  Werkstatt  und  das  erwarmte  Kiildwasser  in  der  Haus- 
baltung  verwendet.  Die  Maschine  kann  auch  gefahrlos  dort  zur  Anwendung 
gelangen,  wo  in  der  Werkstatt  feuergefahrliche  Materialien  herumliegen,  also  eine 
calorische  Maschine  ansgeschlossen  ist.  Der  einzige  bedeutende  Uebelstand  ist, 
dass  die  Maschine  einer  sorgfaltigen  und  reichhaltigen  Schmierung  bedarf';  daher 
der  hiemit  beschaftigte  Arbeiter  in  seiner  sonstigen  Arbeit  sehr  gestort  ist. 

Die  seither  noch  mehrfach  verbesserte  Lenoir-Marinoni'sche  Maschine  wird 
bis  heute  fabriksmassig  erzeugt,  obwohl  bei  derselben  der  Gasverbrauch  noch 
immer  etwa  doppelt  so  gross  sein  mag  als  bei  der  atmospharischen  Gaskraft- 
maschine  System  Langen  und  Otto,  wo  er  nur  3/4  bis  1  Kbm.  pro  Pferd  und 
Stunde  betragt,  und  man  zieht  mit  Recht  die  Lenoir-Marinoni'sche  der  Langen- 
Otto'sclien  Mascliine  in  alien  den  Fallen  vor,  wo  nicht  die  geringere  Hohe  der 
Betriebskosten,  sondern  der  ruhige  Gang  fiir  die  Wahl  des  Systems  entscheidend 
ist.  Wo  man  sich  aber  eine  Maschine  gefallen  lassen  darf,  welche  einen  Larm 
wie  etwa  eine  kraftig  auspuffende  Locomotive  macht,  da  ist  die  der  Wesenheit 
nach  von  dem  deutschen  Ingenieur  N.  A.  Otto  construirte  „atmospharische 
Gaskra  ft  maschine"  am  Platz. 

Dieselbe,  schon  in  der  ersten  Ausfiihrung  geistreich  durchgeftihrt,  gehort  in 
ihrer  jetzigen  Form  zu  den  vorziiglichst  durchdachten  Constructionen,  welche  der 
Maschinenbau  aufzuweisen  hat. 

Die  ersten  Mittheilungen  iiber  diese  Maschine  finden  sich  im  Journal  fiir 
Gasbeleuchtung  1867  und  hiernach  in  den  anderen  technischen  Journalen.  Eine 
vorziigliche  Beschreibung  mit  guten  Zeichnungen  derselben  hat  Prof  Reuleaux  in 
den  Verhandlungen  des  Vereins  fiir  Gewerbfleiss  in  Preussen  1868  geliefert.  In 
diesem  Aufsatz  wird  die  Idee,  die  Gasmaschine  mit  einer  Wasser-Einspritzpumpe 
zu  versehen,  urn  einen  Theil  der  Gaswarme  zur  Dampfbildung  zu  verwenden, 
Herrn  Hugon  zugeschrieben,  wahrend  sie  in  Wieck's  illustr.  Gewerbezeitung  1861 
(Polyt.  Centralblatt  1861)  schon  als  von  Lenoir  beabsichtiget  angefiihrt  wird. 
Desgleichen  fiihrt  Reuleaux  Herrn  Hugon  als  Erfinder  der  Gasflammenentziindung 
an,  welche  jedoch  erst  bei  der  Otto  und  Langen'schen  Maschine  zur  allgemeinen 
Anwendung  gelangte. 

Diese  ist  nicht  horizontal  liegend  und  mit  Kurbelbewegung  versehen  wie 
die  Lenoir'sche,  sondern  besitzt  einen  hohen  verticalen,  oben  olfenen  Cylinder,  der 
nur  in  seinem  unteren  Drittel  mit  Wasserkiihlung  versehen  ist  und  nicht  einmal 
steter  Erneuerung  des  Kiihlwassers  bedarf,  sondern  mit  der  in  passender  Weise 
erzielten  Wassercirculation  ausreicht.  Dieser  wichtige  Umstand  wird  dadurch 
erreicht,  dass  die  nach  eingetretener  Explosion  momentan  entstandene  hohe  Span- 
nung  des  sehr  heissen  Gases  in  moglichst  vollstandiger  Weise  ausgeniitzt  werden 
kann,  indem  der  schwere  Kolben  sammt  der  daran  befindlichen  verticalen  langen 
also  schweren  Kolbenstange  durch  den  starken  Gasdruck,  ohne  hiebei  in  Ver- 
bindung  mit  der  Arbeitswelle  zu  sein,  also  ohne  Widerstand,  mit  grosser  Be- 
schleunigung  in  die  Hohe  geschleudert  wird,  und  hiebei  vermoge  der  erlangten 
lebendigen  Kraft  und  zufolge  des  nach  oben  nicht  begrenzten  Hubes  sich  sehr 
bedeutend  iiber  jene  Hohe  erhebt,  bei  welcher  diese  Masse  von  dem  darunter 
befindlichen  Gase  im  Ruhezustande  getragen  werden  konnte,  derart,  dass  die  End- 
spannung  der  Verbrennungsgase  bei  der  hochsten  Kolbenstellung  sogar  wesentlich 
geringer  ist  als  die  atmospharische  Spannung,  was  nur  dadurch  moglich  wird. 
dass    die    expandirenden    Gase   Warme    an    die  durch  Wasser  und  Luft  bestandig 


702 


Gasmaschinen. 


gekiihlten  Cylinderwandungen  abgeben,    wobei  auch  die  bei  der  Verbrennung  ent- 
standenen  Wasserdampfe  theilweise  condensiren. 

Bei  Beginn  des  Kolbenniederganges  ist  daher  nicht  nur  das  bedeutende 
Gewicht  des  Kolbens  sammt  Zugehor  wirksam,  sondern  iiberdies  der  Ueberdruck 
der  atmospharischen  Luft  iiber  die  Spannung  der  Gase  im  Cylinder,  worauf  der 
Name  „atmospharische  Gaskraftmaschine"  basirt.  Nur  der  Kolbenniedergang  ist 
wirksam,  indeni  hiebei  die  Zahnstange  des  Kolbens  in  ein  auf  der  Welle  loses 
Stirnrad    eingreift,    welches    innen    mit    einem   ganz    eigenthiimlich    und    sinnreicli 

construirten  Schaltwerk  derart  ver- 


Fig.  1713. 


sehen  ist,  dass  bei  dem  langsamen 
Kolbenniedergang  der  Zahndruck 
treibend  auf  die  Arbeitswelle  wirkt, 
wahrend  bei  dem  raschen  Kolben- 
aufgang  sich  das  Stirnrad  entge- 
gengesetzt  der  ziemlich  gleichmassig 
fort  rotirenden  Schwungradwelle  be- 
wegt. 

Die  Abbildung  dieses  Schalt- 
werks  findet  man  sowohl  in  der 
Reuleaux'schen  Beschreibung  der 
alteren  Masehine,  welche  zur  Be- 
thatigung  des  Schiebers  eine  Vor- 
gelegwelle  hatte,  wie  auch  in  den 
Beschreibungen  der  neueren  atmo- 
spharischen Masehine  ohne  Vor- 
gelegwelle  und  mit  verbesserter 
Regulatoreinrichtung ,  welche  Be- 
schreibung in  Alfred  Musil  „die 
Motoren  fiir  Kleingewerbe" ,  Kla- 
genfurt  1875,  und  in  M  tiller - 
M  e  1  c  h  i  o  r's  vortrefflichem  Bericht 
iiber  die  Weltausstellung  in  Phila 
delphia  1876  im  polyt.  Journal, 
Band  223,  Heft  6,  Seite  557  zu 
finden  ist. 

In  letzterer  Quelle  sind  auch 
alle  anderen  ingeniosen  Details  der 
neueren  Masehine ,  welche  ohne 
Detail  des  Schiebers  auch  in  Ried- 
ler's  schatzbaren  „Excursions-Be- 
riclit",  Blatt  14,  enthalten  ist, 
devitlich  beschrieben,  und  beschran- 
ken  wir  uns  bei  dem  Umstande, 
als  die  atmospharisclie  Gaskraft- 
maschine seit  Juli  1877  nur  mehr 
auf  Vonnd  1  Pferdekraft  gebaut  wird, 
wahrend  die  -grosseren  Maschinen 
von  2  bis  8  Pferdestarken  bereits 
nach  dem  neuesten  System :  „ Otto's 
neuer  Motor"  ausgefiihrt  werden,  darauf,  die  neuere  atmosphari  sche  Gas- 
kraftmaschine Fig.    1713  nur  mit  einigen  Schlagworten  zu  charakterisiren. 

Da  die  Sehwungradwelle  mit  dem  Stirnrad  seit  warts  von  der  Mittellinie 
der  Kolbenzahnstange  liegt,  so  erhiilt  natiirlich  die  Excenterstange  und  der 
Schieberkasten  in  der  zweiten  hier  nicht  dargestellten  Projection  eine  schrage 
Stellunsr, 


WWW/, 

Atmospharische  Gaskraftmaschine. 


Gasmaschinen. 


703 


Fig.  1711 


Der  Schieberspiegcl  ist  in  Pignr  1714  dargestellt. 

Der  Schieber,'  Fig.  1715  enthalt  drei  Muscheln.  Bei  Mittelstellung  des 
Schiebers  nimmt  die  mittlere  Muschel  II  die  durch  eine  Oeffnung  zutrelende  Luft 
auf.  Die  rechts  gelegene  Muschel  I  ermciglicht  den  Austritt  der  gegen  Ende  des 
Kolbenniederganges  comprimirten  Gase  durch  ein  RUckschlagventil  Fig.  1714, 
welches  bei  der  darauf  folgenden  Periode  des  Kolbenaufganges  und  Ansaugens 
des  Gasgemenges  sich  selbstthatig  schliesst.  Die  links  gelegene  Muschel  III  f Li  1 1 1 
sich  bei  der  Schiebermittelstellung  mit  der  Gasmenge  fur  den  nachsten  Hub.  Der 
Schieber  geht  nach  abwarts,  das  in  III  beflndliche  Gas  gelangt  durch  mehrere 
feine  Locher  im  Schieberspiegel  in  den  mit  Luft  erfiillten  Raum  II,  mengt  sich 
mit  derselben  dort  sehr  vollkommen  und  tritt  wahrend  der  durch  einen  Hebel- 
mechanismus  erfolgenden  langsamen  Erhebung  der  Kolbenstange  und  wahrend  der 
Schieber  aus  der  tiefsten  in  die  Mittellage  zuriickgeht,  in  den  Cylinder  ein. 

Eine    tiefer    liegende    Durch- 
brechung  IV    des  Schiebers    ist  be- 

standig     von    dem    Schieberkasten-  Fig.  1714. 

deckel  bedeckt,  ausser  in  einer 
Stellung  oberhalb  der  tiefsten  Schie- 
berstellung,  wo  sie  zusarnmtrifft  mit 
einer  Oeffnung  im  Deckel,  vor 
welcher  bestandig  eine  kleine  Gas- 
flamme  brennt.  In  der  tiefsten 
Stellung  des  Schiebers  wird  der 
Raum  IV  mit  Gas  und  Luft  gefiillt. 
Bei  Hebung  des  Schiebers  ist  er 
ringsum  abgeschlossen,  gelangt  clann 
zu  dem  Fenster  im  Deckel  V  Fig. 
1713,  wodurch  sich  das  abgeschlos- 
sene  Gemenge  entziindet,  brennend 
sofort  wieder  abgeschlossen  wird,  und  bei  der 
zu  dem  Kanal  gelangt,  der  mit  dem  Cylinder 
bindung  mit  II  war. 

Hiedurch  erfolgt  etwa  nach  ein  Fiinftheil  des  Kolbenweges  die  Explosion, 
die  Spannung  der  Gase  steigt  plotzlich  auf  circa  4  Atmospharen  Ueberdruck  und 
der  Kolben,  welcher  wahrend  der  Fiillungsperiode  durch  den  Druck  eines  Hebels 
auf  eine  mit  dem  Hebel  nicht  verbundene  Druckstange  langsam  gehoben  wurde, 
wird  nach  der  Explosion  rasch  hinauf  geschleudert,  und  beginnt  hierauf  seinen 
wirksamen  Niedergang.  Auffallend  ist  die  Erscheinung,  sagt  Reuleaux,  dass  die 
bedeutend  unter  dem  atmospharischen  Druck  liegende  Spannung  der  Gase  beim 
Niedergang  des  Kolbens  so  gleichformig  bleibt,  ja  sogar  in  der  Regel  noch  sinkt, 
wahrend  und  obgleich  der  Kolben  die  Verbrennungsgase  zusammendriickt. 

Man  hat  wohl  eine  rasche  Ableitung  der  Warme  durch  die  gekuhlten  Cy- 
linderwande  und  Condensation  der  Wasserdampfe  als  Ursache  dieser  Erscheinung 
anzunehmen. 

Im  Durchschnitt  betrug  das  Vacuum  in  der  ersten  Halfte  des  Kolbennieder- 
ganges 3/4  Atmospharen,  so  dass  also  eine  absolute  Spannung  von  !/4  Atmosphare 
als  Gegendruck  blieb.  Die  Hublange  schwankte  bei  der  Vopferdigen  Maschine 
dor  Pariser  Weltausstellung  1867  (alterer  Construction)  zwischen  0.88  und  0.95 
Meter,  je  nach  der  etwas  variablen  Maximalspannung  der  Gase.  Bei  der  alteren 
Maschine  wurde  jedesmal  ein  neuer  Kolbenflug  eingeleitet,  sobald  der  Kolben  an 
dem  Boden  des  Cylinders  ankam ;  die  Regulirung  der  Anzahl  Kolbenhube  per 
Minute  konnte  also  nur  dadurch  erfolgen,  dass  der  Regulator  auf  das  Riickschlag- 
ventil  wirkte  und  die  Ausflussoffnung  der  Explosionsproducte  regulirte,  beziehungs- 
weise  einen  Verengungswiderstand  einschaltete.  Bei  der  neueren  Maschine  ist 
jedoch  der  Gasaustritt  immer  ganz  ungehiudert   und    der    Kolben    bleibt  in  seiner 


hochsten    Stellung    des  Schiebers 
communicirt,    und  friiher  in  Ver- 


704  Gasmaschinen. 

tiefsten  Lage  ruhig  stehen,  wahrend  die  Schwungradwelle  fortlauft,  bis  sich  deren 
Geschwindigkeit  so  weit  ermassigt,  dass  durch  das  Sinken  der  Regulatorkugcln 
auf  eine  Sperrklinke  gewirkt  wird,  welche  in  ein  auf  der  Welle  befindliches 
Sperrad  eingreift,  wodurch  erst  diejenige  Kurbel  bethatiget  wird,  von  welcher 
statt  der  sonst  iiblichen  Excenter  der  Scbieber  bewegt  nnd  der  Kolben  behufs 
des  Ansangens  angeboben  wird.  Daher  wird  der  Schieber  nur  wahrend  der  Be- 
scbleunignngsperiode  der  Welle  bei  Beginn  des  Kolbenniederganges  von  der  Schie- 
berkurbel  mitgenoromen  nnd  in  die  Mittelstellnng  gebracht,  bleibt  bei  der  ferneren 
Bescbleunigung  und  darauf  folgenden  Verzogerung  bei  ausgeloster  Sperrklinke 
unverandert  in  der  Mittellage  und  wird  erst,  lange  nacbdem  der  Kolben  schon 
nnten  angekommen  ist,  in  Folge  der  nnter  das  Normale  sinkenden  Geschwindig- 
keit des  Schwungkugelregulators  und  des  dadurch  bewirkten  Einklinkens  des 
Sperrades  weiter  abwarts  in  die  tiefste  Lage  gescboben  und  wieder  aufwarts  bis 
in  die  Mittellage  zuriick  bewegt,  wahrend  gleichzeitig  der  Kolben  angeboben  wird. 
Dieser  sinnreichen  Einrichtung  verdankt  man  es,  dass  die  Maschine  je  nach  dem 
kleineren  oder  grosseren  Widerstand  an  der  Schwungradwelle  nur  2  oder  aber  bis 
30  Kolbenfllige  pro  Minute  macbt,  wahrend  in  beiden  Fallen  die  Schwungrad- 
welle eine  gleiche  in  nur  massigen  Grenzen  schwankende  Geschwindigkeit  besitzt, 
und  dass  daher  der  Verbrauch  an  raotorischer  Substanz  fast  genau  dem  Wider- 
stande  bei  unveranderter  Geschwindigkeit  proportional  ist,  ohne  dass  sich  der 
Maschinenwartcr  darum  zu  kiimmern  braucht,  eine  Eigenschaft,  die  in  so  weiter 
Grenzen  bei  gar  keiner  anderen  Kraftmaschine  erzielt  werden  kann.  In  Folge 
dessen  und  wegen  des  ungehinderten  Gasaustrittes  beim  Kolbenniedergang  ist 
auch  der  Gasverbraucb  weit  geringer  als  bei  der  Lenoir-Marinoni'schen  Maschine 
und  betragt  nur  3/4  Kbm.  pro  Pferdestarke  und  Stunde.  Die  Betriebskosten 
stellen  sich  daher  bei  den  gewohnlichen  Preisverhaltnissen  des  Gases  und  der 
Koks  bei  dieser  Gasmaschine  nur  wenig  oder  gar  nicht  holier  als  bei  einer  calo- 
rischen  Maschine,  abgeseben  davon,  dass  letztere  auch  noch  einen  Heizerlobn 
erfordert,  der  bei  ersterer  wegfallt,  und  dass  sich  der  Gasverbraucb  immer  der 
hochst  verschiedenen  Arbeitsleistung  anpasst. 

So  ausserordentlich  sinnreich  auch  diese  atmospharische  Gaskraftmaschine 
in  alien  ihren  Details  construirt  ist,  und  obwobl  die  Gasmotorenfabrik  zu  Deutz 
bei  Coin  im  Vereine  mit  ihren  Zweigfabriken  in  verschiedenen  Landern  bis  Ende 
1876  schon  4500  Exemplare  dieses  Motors  verkauft  hat,  so  leidet  die  Maschine 
docb  an  mehreren  bedeutenden  Uebelstanden. 

Vor  Allem  ist  das  unangenehme  Geriiusch  beim  Betriebe  so  storend,  dass 
deswegen  allein  die  Aufstellung  in  -sielen  Localitaten  unzulassig  ist.  Dann  lasst 
sie  sich  nur  als  vertical  stehende  Maschine  ausfiihren  und  gibt  in  Folge  der  com- 
plicirten  Construction  leicbt  zu  Storungen  und  Reparaturen  Anlass. 

Diese  Uebelstande  sind  durch  die  „Otto's  neuer  Motor"  benannte  Con- 
struction vollstandig  beseitiget.  Dieser  neu  patentirte  Gasmotor  mit  horizontalem 
Cylinder  arbeitet  so  wie  der  Lenoir'sche  Motor  ahnlicli  wie  eine  kleine  Dampf- 
maschine  mit  Pleuelstange,  Kurbel  und  Schwungradwelle  ganz  gerauschlos  und 
verbraucht  bei  voller  Arbeitsleistung  1  Kbm.  Gas  pro  Pferd  und  Stunde,  wohl 
melir  als  die  atmosphariscbe  Maschine,  Avas  jedoch  durch  die  sonstigen  Vorztige  voll 
aufgcwogen  wird. 

Diese  Maschine  ist  in  Dingler's  polyt.  Journ.  Bd.  228  S.  201  unter  dem 
Titel:  „Otto's  geraus  chlose  Gasmaschine"  beschrieben. 

Der  Cylinder  ist  auf  der  Schwungsradseite  oifen,  auf  der  anderen  Seite  wird 
der  Cylinderdeckel  durch  starke  Spiralfedern  nebst  zwei  kleinen  Sicherheits-Stell- 
schrauben  an  den  zwischen  Cylinder  und  Deckel  sich  in  horizontalem  Sinne  senk- 
recht  auf  die  Cylinderachse  bewegenden  Schieber  angedriickt.  Die  Maschine  ist 
nur  halb  wirkend,  indem  auf  zwei  Schwungradumlaufe  nur  eine  Cylinderfiillung 
stattfindet.  Bei  dem  ersten  Hingang  des  Kolbens  erfolgt  das  Ansaugen  des  <ias- 
und    Luftgemenges,    beim    ersten    Riickgang    die    Compression    dieses    Gemenges, 


Gasmaschinen.  —  Gasmuffelofen.  705 

beim  zweiten  Hingang  die  Explosion  und  Expansion  und  beim  zweiten  Ruckgang 
die  Gasausstromung.  Desbalb  wird  der  Schieber  von  einer  Zwischenwelle  ange- 
trieben,  die  nur  halb  so  viele  Umdrehungen  macht  als  die  Schwungradwelle,  der 
Zutritt  des  Gases  wird  ausserdem  selbstthatig  durch  ein  Ventil  regulirt.  Die  Ent- 
ziindung  also  Explosion  des  Gasgemenges  im  Cylinder  wird  wie  bei  der  atmo- 
spharischen  Maschine  durch  eine  Gasflamme  veranlasst.  Zur  Kulilung  des  Cy- 
linders ist  eine  geringe  Menge  kalten  Wasser  erforderlicb.  Die  Mascliine  ist  im 
Vergleicb  mit  calorischen  oder  anderen  Gasmaschinen  auffallend  klein,  was  wohl 
dem  Umstande  zugeschrieben  werden  darf;  dass  sie  mit  170  Touren  per  Minute, 
also  so  wie  eine  sehr  schnell  gehende  Locomobile  arbeitet.  Sie  wurde  bisher  bis 
zu  8  Pferdestarken  ausgefuhrt. 

Die    Dimensionen    und    Preise    von    Otto's   gerauschloser  Gasmaschine  sind 
folgende : 

Pferdestarke %  1  2  4  6  8 

Tourenzahl  pro  Minute 180  180  160  160  150  150 

Lange  in  Metern 1.80  2.10  2.46  2.94  3.18  3.42 

Breite  in  Metern 0.85  0.90  1.02  1.18  1.30  1.44 

Hohe  in  Metern 1.40  1.51  1.62  1.71  1.80  1.85 

Preis  in  Mark 1000  1500  2100  3000  3800  4500 

Preis  in  fl.  o.  W.  ab  Langen  &  Wolf 

in  Wien  complett 750  1000  1500  2000  2500  3000 

G.  Schmidt. 


GaSltiesser    (compteur    au  .  gaz    —    gas    counteur) 
uhren  und  Leuchtst  offe. 


Gaszahler,   s.    Gas- 


Gasmilffelofen    (fourneau  d'emailleur  a  gas).     P  e  r  r  o  t    hat    einen    Gas- 
muffelofen construirt,  welcher  namentlich  zur  Emailirung  von  Schmuckgegenstanden 

in    Verwendung    steht.     Der   ganze 


Fig.  1716. 


Ofen  ist  eine  viereckige,  aufkurzen 
Fiissen  stehende  eiserne  Kiste  von 
33cm  Hohe  und  Tiefe  und  44cm 
Breite.  An  der  Riickwand  ist  eine 
Oeffnung,  zu  welcher  die  Miindungen 
der  6  Gasrohre  des  Brenners  ge- 
bracht  werden.  Durch  einen  gemein- 
schaftlichen  Schieber  kann  die  Luft- 
einstrijmung  in  sammtlichen  Gas- 
rohren  des  Brenners  regulirt  wer- 
den, der  Gaszufluss  hingegen  durch 
Stellung  eines  Hahnes  am  Gaszu- 
leitungsrohre.  Die  Muffel,  deren 
Oetfnung  auf  der  Vorderseite  durch 
eiserne  Thurchen  verschlossen  wer- 
den kann,  steht  von  der  Riickwand 
urn  ca.  6em  ab.  Sammtliche  Ofen- 
wande  sind  mit  einer  Fiitterung 
von  feuerfestem  Materiale  bekleidet 
und  tiber  die  Muffe  ist  von  der 
Riickwand  gegen  vor  gehend  ein 
Rohr  aus  feuerfester  Masse  gesteckt, 
welches  zwischen  sich  und  der  Muffel 
einen  ringfdrmigen  Raum  von  ca. 
14mm  lichter  Weite  frei  lasst.  Durch  diesen  Raum  streicht  das  Gas  von  riick- 
warts    gegen    vor,    und    kehrt    dann    zwischen    dem    Rohr  und  der  Fiitterung  der 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  WBrtorbuch.    Bd.  HI.  45 


706  Gasmuffelofen.  —  Gasometer. 

Ofenwand  zurtick,    um  endlich   in  das  Rauchrohr  zu  gelangen,   wie  dies    die    vor- 
stehende  Skizze  versinnlicht. 

Beim  Gebrauche  dieser  Oefen  hat  man  darauf  bedacht  zu  sein,  dass  die 
Erwarmung  des  Ofens  eine  langsame  ist,  auch  muss  vermieden  werden  Gas  in  den 
Ofen  strbmen  zu  lassen,  bevor  dasselbe  entztindet  ist,  da  sonst  eine  Explosion 
eintreten  kann.     Kk. 

Gasofen,  s.  Heizung,  s.  Gasschmelzofen,  s.  Gasmuffelofen. 
Gasbl,  ein  als  Schrnierbl  verwendbares  Destillationsproduct  der  Braunkohle. 

Gasoletl,    Handelsname  der  fliichtigen  Destillationsproducte   des  Petroleums, 

s.  Steinol,  s.  a.  Gasoline. 

Gasoline,  in  Amerika  gebrauchliche  Bezeichnung  fur  den  bei  77°  C.  destil- 
lirenden  Antheil  der  leichtfliichtigen  Destillationsproducte  des  Rohpetroleums  vom 
spec.  Gew.  0.61—0.63,  s.  Steinol. 

Gasometer  (reservoir  a  air  —  gas  holder),  Gasbehalter.  Mit  dem 
Namen  Gasometer  (d.  i.  Gasmesser)  bezeichnet  man  im  Deutschen  unrichtiger 
Weise  jene  Vorrichtungen,  die  zur  Aufsammlung  und  Aufbewahrung  von  Gasen 
verwendet  werden  und  also  streng  genommen  als  Gasbehalter  zu  bezeichnen  sind. 
Man  unterscheidet  zwei  verschiedene  Arten  von  Gasometern  und  zwar  sogenannte 
Glockengasometer  und  Gefassgasometer.  Beiden  liegt  das  Princip  zu 
Grunde,  dass  ein  in  einem  Raume  eiDgescblossenes  Gas,  wenn  auf  dasselbe  ein 
Druck  ausgeitbt  wird,  der  grosser  ist  als  der  Druck  in  einem  zweiten  durch  eine 
Rohrenverbindung  mit  dem  ersten  communicirenden  Raume,  in  diesen  iiberstromt, 
so  lange  bis  Druckgleichheit  in  beiden  Raumen  berrscbt. 

Die  Gefassgasometer,  wie  sie  zuerst  von  Pepys  angegeben  wurden  und 
in  gleicher  oder  wenig  abweichender  Form  noch  gegenwartig  allgemein  in  Ver- 
wendung  stehen,  bestehen  aus  einen  grosseren  30 — 40cm  boben  und  15 — 20cm 
weiten  Cylinder  aus  Kupfer-  oder  Zinkblech  (das  mitunter  auch  angewendete  Eisen- 
blech  ist  nicbt  empfeblenswertb),  der  allseitig  geschlossen,  in  der  Nahe  seines 
Bodens  eine  kurze,  etwas  nacb  Aufwarts  stebende,  mit  Stbpsel  oder  Verscbraubung 
verscbliessbare,  etwa  3cm  weite  Abflussrobre,  und  nabe  am  obersten  Rande  eine 
fur  die  Ausstrbniung  des  Gases  bestimmte  Habnrohre  mit  enger  Bohrung  tragt 
und  den  eigentlicben  Gasrecipienten  bildet.  Ueber  demselben  stebt  ein  oben  offenes 
Gefass,  gewohnlicb  von  gleicbem  Durcbmesser,  aber  nur  etwa  l/3  der  Hohe  des 
unteren  Cylinders,  auf  dessen  etwas  gewolbtem  Deckel  es  mittels  3  bis  4  Trag- 
saulchen  anfgesetzt  und  befestigt  ist.  Dieses  zur  Aufnabme  des  Wassers  oder 
der  geeigneten  Druckfliissigkeit  bestimmte  Gefass  communicirt  durch  zwei  mit 
Hahnen  verscbliessbare  Rohren  mit  dem  unteren  Cylinder  und  zwar  durch  eine 
in  der  Acbse  der  beiden  Gefasse  stehende  kurze  Rbbre,  welche  vom  Boden  des 
Ober-Gefasses  ausgebend  unmittelbar  unter  dem  Deckel  des  unteren  Cylinders 
mtindet,  und  eine  zweite,  seitlich  gestellte,  welche  von  dem  Boden  des  Obergefasses 
ausgebend,  bis  nabe  an  den  Boden  des  unteren  Cylinders  fiihrt.  Ueberdies  tragt 
bei  Gasometern  aus  Metallblech  der  als  Gasrecipient  dienende  Cylinder  noch  eine 
am  Boden  und  nabe  am  Deckel  eingekittete  Glasrohre  zur  Beobachtung  des 
jeweiligen  Fliissigkeitsstandes  im  Gasometer.  Haufig,  namentlich  zum  Gebrauche  in 
chemiscben  Laboratorien,  stellt  man  dergleichen  Gasometer  zum  Theil  aus  Glas 
her  (Eckling'sche  Gasometer),  indem  man  sowohl  den  unteren  Cylinder  als 
audi  das  Obergefiiss  durch  Gefasse  aus  Glas  ersetzt,  die  mit  gut  aufgekitteten 
Messingfassungen  armirt  sind,  und  bringt  bei  solchen  Gasometern  die  Gasaus- 
strbmuugsrohre  meist  nicbt  an  dem  unteren  Glasgefasse  selbst  an,  sondern  an  der 
kurzen  Verbindungsrbhre  zwischeu  dem  oberen  und  unteren  Gefasse,  die  man  dann 
zwecknm'ssig  mit  einem  Dreiweghahne  versieht,  um  die  Anwendung  zweier  beson- 
derer   Habne   zu   ersparen.     Endlich   stellt   man   nach   demselben  Principe   einge- 


Gasometer.  707 

richtete  Gasometer  fur  die  Zwecke  der  Aufbewahrung  von  Gasen,  welche,  wie 
z.  B.  Chlorgas,  Metalle  heftig  angreifen,  auch  ganz  aus  Glas  her,  indem  man 
eine  grossere  zweihalsige  Glasflasche,  die  nahe  am  Boden  eine  Tubulatur  tragt, 
einerseits  mit  einer  in  die  eine  Halsoffnung  gut  eingeschliffenen,  bis  auf  den  Boden 
der  Flasche  herabreichenden  Trichterrohre  mit  Glashahn  (mit  entsprechend  grossem 
Trichtergefass)  versieht,  wahrend  in  die  zweite  Halsoffnung  eine  kurze,  recht- 
winklig  gebogene  und  gleichfalls  mit  Glashahn  versehene  Glasrohre  eingeschliffen 
ist,  die  unmittelbar  unter  dem  Halse  der  Flasche  miindet.  Um  solche  Gasometer 
zu  beniitzen,  fiillt  man  sie  zunachst  mit  Wasser  oder  einer  geeigneten  anderen 
Fliissigkeit  (fur  Chlorgasometer  z.  B.  gesattigten  Chlorcalciumlosung),  indem  man 
die  Fliissigkeit  auf  das  obere  Gefass  aufgibt,  wahrend  die  Tubulatur  am  Boden 
des  unteren  Gefasses  und  der  Hahn  der  kurzen  Communicationsrohre  geschlossen, 
die  Hahne  der  Rbhre  fur  die  Gasausstromung  aber  sowie  der  Hahn  der  bis  an 
den  Boden  des  Untergefasses  fiihrenden  Communicationsrohre  (Druckrohre)  aber 
geoffnet  sind.  Wahrend  die  den  Gasrecipienten  erfullende  Luft  aus  der  seitlichen 
Ausstromungsrohre  entweicht,  fiillt  sich  derselbe  allmalig  vollkommen  mit  Fliissig- 
keit an.  1st  derselbe  vbilig  gefiillt,  dann  schliesst  man  die  Hahne  der  Druckrohre 
sowohl  als  auch  der  Ausstromungsrohre  und  offnet  hierauf  allmalig  die  Tubulatur 
nachst  dem  Boden  des  Gasrecipienten,  aus  welchem  nun,  wenn  alle  Hahne  gut 
schliessen  und  der  ganze  Apparat  vollkommen  dicht  ist,  bei  sonst  geeignet  schrager 
Stellung  des  Tubulus,  weder  Fliissigkeit  aus  dem  Gefasse  ausfliessen,  noch  Luft 
in  dasselbe  eindringen  darf.  Fiihrt  man  nun  durch  die  Tubulusoffnung  ein  Bohr 
in  das  Innerne  des  Gasrecipienten  ein,  durch  welches  das  in  den  Gasometer  zu 
fiillende  Gas  unter  geniigendem  Drucke  ausstrbmt,  so  fiillt  sich,  wenn  gleichzeitig 
die  Fliissigkeit  neben  dem  eingefiihrten  Gasleitungsrohre  frei  abfliessen  kann,  der 
Gasrecipient  mit  dem  Gase  allmalig  an.  Man  setzt  die  Fiillung  so  lange  fort,  bis 
eben  nur  mehr  so  viel  Fliissigkeit  im  Gasrecipienten  enthalten  ist,  dass  die  Tu- 
bulatur nachst  dem  Boden  durch  dieselbe  abgesperrt  erscheint,  zieht  sodann  die 
Gasleitungsrohre  heraus,  und  verschliesst  die  Tubulatur  mit  dem  zugehorigen 
Stbpsel  Oder  der  Verschraubung.  Man  hat  nun  das  Gas  in  dem  Recipienten  vollig 
abgeschlossen  und  kann  dasselbe,  wenn  der  Apparat  vollig  dicht  ist,  und  das  Gas 
selbst  nicht  etwa  in  Folge  der  Beruhrung  mit  der  Fliissigkeit  eine  Veranderung 
erleidet,  beliebig  lange  aufbewahren.  Will  man  dasselbe  in  Verwendung  ziehen, 
so  fiillt  man  zunachst  das  Obergefass  mit  Wasser  oder  einer  sonst  geeigneten 
Fliissigkeit  und  kann  nun  entweder  nach  dem  Oeffnen  des  Hahnes  der  Druckrohre 
das  Gas  unter  dem  Drucke  der  Fliissigkeitssaule  aus  der  seitlich  angebrachten 
Ausstromungsrohre  austreten  und  mittels  geeigneter  Rohrenleitungen  in  den  Raum 
eintreten  lassen,  den  man  mit  dem  Gase  fiillen  will,  oder  man  kann  dasselbe  in 
andere  Gefasse  dadurch  iiberfiillen,  dass  man  dieselben  mit  Wasser  oder  der 
geeigneten  Fliissigkeit  vollig  gefiillt,  mit  ihrer  Miindung  nach  abwarts  gekehrt 
iiber  die  Oeffnung  der  kurzen  Communicationsrohre  am  Boden  des  oberen  Gefasses 
bringt,  und  wahrend  der  Hahn  der  Druckrohre  geoffnet  ist,  nun  auch  den  Hahn 
der  kurzen  Verbindungsrohre  offnet,  worauf  das  Gas  aus  dieser  entweicht  und  in 
Blasen,  durch  die  das  Obergefass  fiillende  Fliissigkeit  aufsteigend,  in  dem  gewiinschten 
Gefasse  aufgefangen  werden  kann. 

Anstatt  auf  den  Gasrecipienten  directe  das  Wassergefass  aufzusetzen,  kann 
man,  wenn  eine  Wasserleitung  mit  geniigendem  Wasserdrucke  zur  Verfugung  steht, 
auch  einfach  hermetisch  geschlossene  und  mit  einem  Ablasshahne,  ferner  einer 
Gasableitungsrohre  und  einer  fur  die  Zuleitung  von  Wasser  bestimmten  Druck- 
rohre versehene  Reservoirs  als  Gasometer  beniitzen,  die  man  nur  mit  der  Wasser- 
leitung in  Verbindung  zu  setzen  braucht,  um  sie  in  gleicher  Weise  zu  verwenden 
wie  Gasometer  von  der  oben  beschriebenen  Construction.  Von  solcher  Art  sind 
die  in  Laboratorien  rnitunter  in  Verwendung  stehenden  grbsseren  Gasometer  fur 
Sauerstoff  oder  Wasserstoff  und  die  neuerer  Zeit  von  R.  Muencke  (Dingl.  pol. 
Journ.  218  pag.  40)  beschriebenen  verbesserten  Gasometer  haben  wesentlich  die- 
selbe Einrichtung. 

45* 


708  Gasmesser. 

Was  die  sog.  Glockengasometer  betrifft,  so  ist  die  Einrichtung  dieser 
verhaltnissmassig  alteren  Vorrichtungen  eine  ziemlich  einfache.  Eine  oben  ge- 
schlossene,  nach  unten  zu  offene  Glocke  aus  Metall  oder  Glas  taucht  mit  ihrer 
Miiiidung  unter  die  Oberflache  der  in  einem  weiteren  Gefasse  befindlichen  Sperr- 
fliissigkeit;  itber  welche  die  Miindung  eines  in  das  weitere  Gefass  eingesetzten  und 
mittels  einer  Hahnrohre  nacb  Aussen  miindenden  Gasleitungsrobres  einige  Milli- 
meter hervorragt.  Wird  die  Glocke  aufgesetzt,  so  sinkt  sie,  wahrend  die  in  der- 
selben  abgesclilossene  Luft  durch  die  HahnofFnung  der  Gasleitungsrohre  entweicht, 
vermoge  ihrer  Schwere  in  die  Fliissigkeit  ein  und  erscheint  endlich  selbst  vbllig 
mit  Wasser  gefiillt.  Lasst  man  nun  durch  die  Gasleitungsrohre  einen  Gasstrom 
unter  geniigendem  Drucke  unter  die  Glocke  eintreten,  so  fiillt  sich  dieselbe  indem 
sie  sich  zugleich  dem  eingetretenen  Gasvolumen  entsprechend  aus  der  Fliissigkeit 
hebt,  mit  dem  Gase  an,  welches  nach  Abschluss  des  Zuleitungshahnes  durch  die 
die  Glockenmiindung  absperrende  Fliissigkeit  abgeschlossen  erscheint.  Will  man 
das  Gas  wieder  austreten  lassen,  dann  hat  man  nur  nothig,  den  Hahn  der  Gas- 
leitungsrohre zu  oftnen  und  sofort  stromt  das  Gas  unter  dem  durch  das  Gewicht 
der  Glocke  (das  man  durch  aufgelegte  Belastungsgewichte  beliebig  vermehren 
kann)  bedingten  Drucke  aus.  Haufig  sind  solche  Gasometer,  die  man  wie  be- 
greiflich  auch  mit  2  Rohren,  d.  i.  einer  besonderen  Zuleitungs-  und  einer  beson- 
deren  Ableitungsrohre  versehen  kann,  mit  einem  das  gleichmassige  Niedersinken 
und  Aufsteigen  bewirkenden  Fiihrungsgestelle  versehen.  Solche  Gasometer  die 
man  wokl  auch  in  kleineren  Dimensionen  ausgefiihrt  in  Laboratorien  (meist  als 
Luftgasometer  verwendet)  antrifft,  werden  gewohnlich  zur  Gasaufsammlung  im 
Grossen,  z.  B.  in  Leuchtgasfabriken  verwendet.  Ueber  die  Einrichtung  solcher 
grosser  Gasbehalter,  s.  Leuchtstoffe  bei  Leuchtgas. 

Dass  man  jede  der  beschriebenen  Arten  von  Gasometern  auch  als  Gas- 
sauger  (Aspirator)  beniitzen  und  mit  Hilfe  derselben  Gase  aus  einem  zweiten 
Gefasse  in  den  Gasrecipienten  einsaugen  kann,  ist  begreiflich,  wenn  man  erwagt, 
bei  den  Gefassgasometern  der  Abfluss  der  denselben  erfullenden  Fliissigkeit  nur 
in  dem  Masse  erfolgen  kann,  als  Luft  oder  ein  anderes  Gas  die  Fliissigkeit 
ersetzend  eindringt,  und  dass  ebenso  ein  gewaltsames  Aufziehen  der  Glocke  eines 
Glockengasometers  bei  geoffnetern  Halm  der  Gasleitungsrohre,  ein  Einsaugen  von 
Luft  oder  Gas  in  die  Glocke,  u.  z.  in  dem  Masse  statthaben  miisse,  als  die  die- 
selbe fiillende  Fliissigkeit  herabsinkt.  In  der  That  verwendet  man  denn  auch 
Gasometer  fur  die  Zwecke  der  Gasaspiration.  Eine  fur  solche  Zwecke  geeignete 
Construction  hat  der  Reversions-Gasometer  von  A  r  e  n  d  t.  Derselbe  besteht  aus 
zwei  gleich  grossen  cylindrischen  Blechgefassen,  deren  jedes  gleich  dem  Recipienten 
eines  Gefassgasometers  hermetisch  geschlossen  ist,  und  die  in  der  Richtung  ihrer 
Langsachsen  in  einem  Abstande  von  20 — 30cm  iibereinander  gestellt  und  durch 
entsprechend  augebrachte  Tragsaulchen  fix  miteinander  verbunden  sind.  Durch 
zwei  Rohren,  deren  jede  mit  einem  Hahne  versehen  ist,  communiciren  die  beiden 
Gefasse  so  mit  einander,  dass  die  eine  Rohre  vom  Boden  des  oberen  Gefasses 
ausgehend  bis  nahe  zum  Boden  des  unteren  Gefasses  fiihrt,  wahrend  von  der 
Decke  dieses,  eine  Rohre  in  das  obere  Gefass,  u.  z.  bis  nahe  an  die  Decke  des- 
selben  reicht.  Ausserdem  tragt  jeder  der  Cylinder,  u.  z.  der  obere,  nahe  seinem 
Boden,  der  untere  nahe  seiner  Decke,  ein  mit  einem  besonderen  Hahne  verschliess- 
bares  Gasausstromungsrohrchen,  deren  Miindungen  zweckmassig  in  ein  gemein- 
schaftliches  Ausstromungsrohr  vereinigt  werden  konnen,  wahrend  andererseits  an 
jedem  der  Cylinder,  u.  z.  an  dem  oberen  beim  oberen  Rande,  an  dem  unteren, 
nachst  dem  unteren  Rande,  je  ein  mit  einem  Hahn  verschliessbares  Rohr  einge- 
passt  ist,  welche  als  Saugrohren  dienen  und  zweckmassig  gleichfalls  in  eine 
gemeinschaftliche  Saugrohre  miinden.  Der  ganze  Apparat  ist  in  einem  geeigneten 
Gestelle  so  befestigt,  dass  er  im  Mittelpunkt  des  Abstandes  der  beiden  Gefasse 
urn  eine  auf  die  Langsackse  senkrechte  Linie  gedreht  werden  kann,  so  dass  man 
bequem  bald  das  eine,  bald  das  andere  der  Gefasse  nach  oben,  beziehungsweise 
unten   stellen   kann.     Wird   nun   z.  B.  das   obere  Gefass  mit  Wasser  gefiillt,  der 


Gasometer.  —  Gasuhren.  709 

Hahn  der  Saugrohre  an  demselben  geoffnet,  zugleich  aber  auch  der  Hahn  der  bis 
auf  den  Boden  des  unteren  Gefasses  fiihrenden  Communicationsrohre  und  endlich 
der  Halm  des  Gasausstrcimungsrohrchens  an  dem  unteren  Gefasse  geoffnet,  wahrend 
alle  iibrigen  Hahne  geschlossen  bleiben,  so  wird  das  Wasser  aus  dem  Obergefa.sse 
in  das  untere  abfliessen  und  in  dem  Masse  als  es  abfliesst,  in  das  Obergefgss 
Luft  oder  ein  anderes  Gas  eingesaugt  werden,  wahrend  das  das  untere  Gefass 
erftillende  Gas  entweicht.  1st  das  Wasser  abgeflossen,  so  bat  man  lediglich  die 
geoffneten  Hahne  zu  schliessen,  den  Apparat  zu  wenden,  so  dass  das  mit  Wasser 
gefiillte  Gefass  nach  Oben  zu  stehen  kommt,  und  kann  nun  durch  Oeffnen  der 
drei  anderen  Habne  den  Process  der  Aspiration  einerseits  und  der  Gasausleitung 
anderseits  in  gleicher  Weise  vor  sich.  gehen  lassen  wie  friiber.  Dass  solchen 
Apparaten  auch  die  Einrichtung  gegeben  werden  kann,  dass  der  bei  jedesmaliger 
Wendung  erforderliche  Wechsel  der  Hahnstellung  durch  die  Wendung  selbst  be- 
sorgt  wird,  ist  keinem  Zweifel  unterworfen  (vgl.  a.  Aspirator  I  pag.  219). 

Gtl. 

Gasopyrion.  s.  m.  electriscbes  Feuerzeug,  s.  Feuerzeug  III  pag.  480. 
Gaspriifer,  s.  Leuchtstoffe  bei  Leuchtgas. 
Gassengmaschine,  s.  Appretur  I  pag.  175. 

Gasschmelzofen  (fourneau  de  fusion  a  gaz  —  gas  smelting -furnace). 
Es  sind  in  neuerer  Zeit  mehrere  Constructionen  von  Gasschmelzofen  in  die  Indu- 
strie eingefilhrt  worden.  Die  bekannteste  Construction  ist  die  von  Per  rot*), 
welche  sich  namentlich  fur  die  Gold-  und  Silberscbmelzung  vorziiglich  eignet  und 
von  Goldarbeitern,  Goldschlagern  u.  dgl.  mit  vorziiglichem  Erfolge  angewendet 
wird.  Zeichnung  und  Beschreibung  dieses  Ofens  findet  sich  im  Artikel  Gold- 
schlagerei.     Kk. 

Gasuhren,  Gasmesser  (compteur  au  gaz  —  gas-meter)  sind  Apparate, 
mittels  welcher  das  von  einer  Gasfabrik  producirte  und  das  an  einen  jeden 
Consumenten  abgegebene  Gasquantum  nach  Kubikmetern   gemessen  werden  kann. 

Die  Gasuhren  lassen  sich  zur  Zeit  in  zwei  Abtheilungen  bringen,  indem 
man  trockene  von  nassen  Gasuhren  unterscheidet. 

Im  Nordamerika  und  England  sind  vorwiegend  die  trockenen,  in  Oesterreich, 
Deutschland  und  Frankreich  die  nassen  Gasuhren  in  Gebrauch. 

Die  trockene  Gasuhr  ist  eine  Erfindung  des  Jobann  Maclani,  dem 
darauf  im  Jahre  1820  ein  Patent  ertheilt  wurde.  Madam's  Construction  fand  wohl 
viele  Verbesserer,  z.  B.  Edge,  Defries,  Croll,  Glover  und  Andere,  aber  alle  ver- 
folgten  dasselbe  Princip,  welches  darin  besteht,  dass  dass  durchgehende  Gas 
durch  blasebalgartige  Kammern,  die  sich  abwechselnd  fiillen  und  entleeren,  mittels 
eines    durch    die  Bewegungen  der  Balge    getriebenen    Zablwerks    gemessen    wird. 

Die  Kammern  der  alten  Uhr  waren  aus  Leder  gebildet,  das  mit  Fett,  sparer 
mit  Glycerin  praparirt  wurde. 

Lange  Zeit  waren  die  trockenen  Uhren  ausser  Gebrauch  gesetzt,  weil  die 
elastischen  ledernen  Wandungen  leicbt  sprode  und  brlichig  wurden  und  deren 
Scharniere  leicht  die  nbthige  Beweglicbkeit  verloren,  wodurch  dann  durch  Druck- 
widerstand  oder  Durchlassen  ungemessenen  Gases  Verluste  fiir  die  Gasfabrik 
entstanden. 

In  neuerer  Zeit,  seit  1867,  traten  Verbesserungen  in  der  Herstellung  trockener 
Uhren  auf,  die  ihnen  den  Eingang  in  einige  franzosische  und  deutsche  Stadte 
verschafften. 

Zu  diesen  Verbesserungen  gehort  die  Erfindung  des  Ingenieurs  Schtilke, 
die  darin  besteht,  dass  er  ein  Gewebe,  das  man  statt  des  Leders  zur  Herstellung 


f)  In  Oesterreich  zu  beziehen  diirch  Scheeier  &  Wolff  in  "Wien. 


710 


Gasuhren. 


der  Balge  anwenden  kann,  durch  Niederschlag  gerbsauren  Leimes  gasdicht  machte. 
Dieses  Gewebe  besitzt  bei  grosser  Elasticity  die  nothige  Festigkeit,  wird  durch 
die  losenden  Bestandtheile  des  Gases  nicht  klebrig  und  verliert  nicht  seine 
Dichtigkeit  und  Elasticitat,  wie  dies  bei  den  ledernen  Balgen  der  Fall  war. 

Die     nebenstehende 


Fig.  1717. 


hm 


Glover's  Gasuhr. 


Figur  1717  zeigt  die 
Einricbtung  der  trocke- 
nen  Gasubr,  wie  sie  von 
Glover  construirt  wurde. 
Die  Gasmenge  wird 
in  vier  von  einander  ge- 
trennten  Kammern  A, 
B,  C  und  D,  je  eine 
aussere  und  eine  innere, 
vertheilt.  Durch  die  3 
Kanale  a  b  c  wird 
immer  von  jedem  der 
4  gedacbten  Raume  der 
eine  gefullt,  der  andere 
geleert.  Die  Bewegung 
der  beiden  Schieber  d 
d  geschieht  durch  die 
recbtwinkelig  auf  ein- 
ander stehenden  Stangen 
e  e,  die  mit  einem  kleinen  Krumnizapfen  /  verbunden  sind,  auf  dessen  Welle 
noch  die  Kurbel  g  aufgesteckt  ist. 

Das  durch    das  Robr  h  kommende   Gas    tritt    durch    die  Oeffnung  i  in  den 
abgescblossenen  Raum  klm  und  durch  einen  der  gebffneten  Kanale  a  oder  c  in  das 

Innere   eines    der  Balge 
Fiq.  1718.  ■&■  oc*er  -^  un^  zugleich 

in  den  entgegengesetzten 
Aussenraum  C  oder  D. 
Durch  den  Druck  des 
Gases  wird  ein  Druck 
gegen  die  Metallscheibe 
x  beim  Fiillen  des  Bal- 
ges  A  ausgeiibt  und  da- 
durch  die  Scheibe  nach 
auswartsgedriickt.  Durch 
diese  Bewegung  wird  der 
Winkelhebel  n  n  in 
Scbwingung  versetzt  und 
diese  Scbwingungen  mit- 
tels  der  Stangen  o  und 
p  auf  die  Kurbel  g  und 
den  Krummzapfen/iiber- 
tragen ,  wodurcb  sich 
dann  die  Bewegung  den 
Vertbeilungsschiebern  d 
mittheilt. 
Je  nach  der  Stellung  dieser  Schieber  stromt  das  Gas  durch  den  Kanal  a, 
in  den  beziiglichen  Rbhren  1  oder  2  fortgehend,  in  das  Innere  der  Balge  A  und 
JB  oder  durch  den  Kanal  c  direct  abwarts  in  die  Raume  zwischen  den  beweglichen 
Scheiben  A  und  B  und  den  festen  Wanden  des  Gasmessers  U  U  und  V  V. 
Das  Abfliessen  des  Gases  von  da  nach  den  Rbhren  r  r  erfolgt  mittels  der  mitt- 
leren    Schieberbffnungen   b.     Der  Abfluss   des   Gases    zu   den  Brennern   geschieht 


Gasuhren. 


711 


dann  durch  die  Rohre  s.  Von  der  Krummzapfenwelle  /  wird  die  Uebertragung 
der  Bewegung  durch  das  Schraubenradchen  t  und  die  Welle  w  auf  das  Zahlwerk 
in  dem  Gehause  z  bewirkt. 

Was  die  nassen  Gasuhren  betrifft,  so  unterscheidet  man  solche,  bei 
welcher  der  Messapparat  (wie  bei  der  ersten,  im  Jahre  1815  von  CI  egg  con- 
struirten  Uhr  und  dem  im  Jahre  1861  von  Hansen  beschriebenen  Gasmessapparat) 
aus  abwechselnd  vertical  auf-  und  absteigenden  Glocken  besteht  5  und  solche,  deren 
Haupttheil  aus  einer  mit  Abtheilungen  versehenen  cylindrischen  Blechtrommel  be- 
steht, die  sich  in  einem  grossern  metallenen  Gehause  um  eine  horizontale  Achse 
dreht  (System  der  rotirenden  Trommel).  Die  nassen  Gasuhren  mit  Glocken 
sind  weniger  in  Gebrauch,  obwohl  in  neuester  Zeit  Friedr.  Klingmiiller  eine 
solche  Gasuhr  construirt  hat,  deren  Vertheilungsmechanismus  sehr  an  den  Figur 
1717  dargestellten  Apparat  erinnert,  und  welche  sehr  gut  functioniren  soil. 

Die  nasse  Gasuhr  mit  rotirender  Trommel  ist  1817  von  Clegg 
erfunden  und  spater  von  Crosley  sehr  verbessert  worden.  In  den  Figuren  1718 
bis  1720  wird  eine  solche  nasse  Gasuhr,  welche  baufig  Anwendung  findet,  dargestellt. 

In  Fig.  1718  ist  T  die  Messtrommel;  dieselbe  bildet  einen  kurzen  Cylinder, 
der  an  der  rechten  Seite  offen    und   links   eine    ausgebauchte  Endflache  hat.    Bis 


Fig.  1719. 


Fig.  1720. 


Gasuhr  von  Crosley. 

zur  Hohe  L,  also  noch  iiber  die  Halfte  taucht  diese  Trommel  in  Wasser  oder 
eine  andere  Sperrfliissigkeit.  Nach  Hinwegnahme  des  Blechmantels  M  sieht  man, 
dass  sich  um  eine  im  Centrum  laufende  Achse  Figur  1709  der  4fache  Gang  einer 
archimedischen  Schraube  aus  Blech  ohne  Unterbrechung  durch  den  Druck  des 
durchstromenden  Gases  bewegt.  Die  verschiedenen  Fliigelstiicke  liegen  nicht  fest 
an  einander,  sondern  lassen  spaltformige  Zwischenraume  iibrig,  wodurch  das  Gas 
ein  und  austreten  kann.  So  tritt  bei  s  das  Gas  in  die  Kammer  K  und  unter  x 
wieder  hinaus,  ferner  in    B  durch  c    ein  und  von  da  heraus    durch  den  Spalt  d. 

Das  zu  messende  Gas  tritt  durch  das  Rohr  0  in  die  Messtrommel  und  geht 
durch  das  Rohr  _p  ab  Fig.  1718. Das  kastenformige  Gehause  A  Fig.  17l8u.  1720  enthalt 
die  Sperrmechanismen  und  die  Rader,  die  zur  Bewegung  des  Zahlwerks  in  E  dienen. 

Das  Gas  wird  durch  das  Rohr  i  zugeftihrt  und  kann  durch  r  in  0  kommen, 
wenn  das  Ventil  v  geniigend  weit  geoffnet  ist.  Da  das  Ventil  durch  den  Schwimmer 
In  geoffnet  wird,  ist  es  fur  den  Consumenten  erforderlich,  um  Gas  zu  erhalten,  dass 
stets  so  viel  Wasser  resp.  Sperrfliissigkeit  in  dem  Apparat  sei,  dass  v  offen  bleibe. 
Zu  viel  eingeschiittetes    Wasser    fliesst   durch   r   in  das  tiefer  liegende    Gefass  n, 


712  Gasuhren.  —  Gaultheriabl. 

von  wo  es  durch  g  zu  Zeiten  abgelassen  wird.  Durch  die  Constanterhaltung  der 
Fliissigkeitshohe  sind  Producent  und  Consument  vor  Schaden  gesichert.  Bei  zu 
niedrigem  Wasserstand  wiirde  mehr  und  bei  zu  hohem  Wasserstande  weniger  Gas 
durchgehen,  als  das  Zahlwerk  anzeigt.  Durch  die  sinnreiche  Sperrvorrichtung  ist 
der  Consument  gezwungen  den  Producenten  vor  Schaden  zu  schiitzen. 

Die  Trommel  rotirt  natiirlich  nur  dann,  wenn  z.  B.  der  Haupthahn  einer 
Privatleitung  geoffnet  wird  und  der  Brennerhahn  geoffnet  ist ;  sobald  letzterer  ge- 
schlossen  ist,  bleibt  die  Trommel  der  Uhr  stehen. 

Zur  Controlle  der  Gasproduction  hat  jede  Gasfabrik  fur  sich  einen  Station  s- 
gaszahler,  der  in  jedem  Momente  die  producirte  Gasmenge  angibt.  Diese  Gas- 
uhr  liegt  zwischen  dem  Reiniger,  aus  dem  das  Gas  fertig  fur  den  Consum  heraus- 
kommt,  und  den  Gasbehaltern.  Die  Uhr  ist  ebenso  eingerichtet  wie  die  beschriebene 
Privatgasuhr.  Sie  soil  so  gross  gemacht  werden,  dass  die  Trommel  pro  Stunde 
nicht  mehr  als  100  Umdrehungen  mache,  und  man  hat  solche  in  Gebrauch,  die 
in  der  Stunde  3000  Kbm.  Gas  durchlassen.  Auf  je  1000  Kbm.  Maximalproduction 
in  24  Stunden  soil  die  Fabriksgasuhr  eine  Capacitat  von  je  50  Kbm.  per 
Stunde  haben. 

Die  Sorge  um  die  Constanterhaltung  der  Sperrfltissigkeitshohe  hat  dem 
Consumenten  nicht  abgenommen  werden  konnen,  so  lange  Wasser  als  Fiillfliissigkeit 
verwendet  wurde.  Diesem  Uebelstande  kann  man  leicht  abhelfen,  wenn  man  statt 
Wasser  reines  saurefreies  Glycerin  nimmt.  Dieses  schiitzt  die  Uhren  auch  vor 
dem  Einfrieren,  wenn  es  anderweitig  unmoglich  ist,  die  Gasuhr  vor  Frost  zu 
schiitzen. 

Bei  Aufstellung  der  Uhr  ist  zu  beachten,  dass  man  sie  horizontal 
hinstelle,  denn  eine  Neigung  nach  riickwarts  hebt  das  C/rormige  Rohr  r  o  holier 
iiber  den  Fliissigkeitsspiegel,  erlaubt  eine  starkere  Wasserfullung  und  schadigt 
den  Consumenten,  eine  Neigung  nach  vorne  schadigt  den  Fabrikanten.  Vergl.  a. 
Leuchtstoffe  bei  Leuchtgas. 

Literatur:  Dr.  M.  Riihlmann:  Allgem.  Maschinenlehre.  R.  v.  Wagner:  Hand- 
buch  der  chemischen  Technologic  J.  Quaglio :  Katechismus  der  Gasindustrie. 
Dingier:  Polytechn.  Journal.  Band  218.  Heft  1.     Patentschriften. 

G.  Oldenburger. 

Gaswasser,  die  bei  der  fabriksmassigen  Erzeugung  des  Leuchtgases  sich 
condensirende  wassrige  Fliissigkeit,  welche  wesentlich  aus  einer  Losung  von  koh- 
lensaurem  Ammoniak,  Schwefelammonium,  Cyanammonium^  Schwefelcyanammonium, 
fliichtigen  organ.  Basen  etc.  in  Wasser  besteht  und  als  Rohmateriale  fur  die  Ge- 
winnung  von  Ammoniak  und  Ammoniaksalzen  verwendet  wird,  vgl.  Ammoniak 
I  pag.   134,  s.  Leuchtstoffe  bei  Leuchtgas.     Gtl. 

Gatinois,  Handelssorte  des  franzosischen  Safrans  (aus  den  Depm.  Loiret, 
Pithivers  und  Orleans  stammend),  s.  Safran. 

Gatter,  s.  Sag  en. 

Gattiren  (assortir  —  to  mix),  hlittenmannische  Bezeichnung  fur  das  Mengen 
der  Erze  vor  dem  Ausschmelzen  behufs  Erzielung  eines  bestimmten  Mittelgehaltes, 
bei  welchem  erfahrungsgemass  sich  das  Ausbringen  des  Metalls  am  giinstigsten 
stellt,  s.  Blei,  s.  Eisenerzeugung,  DII  pag.   11. 

Gaufriren  (gaitfrer,  gaufrage  —  embossing),  s.  Moiriren,  s.  Blum  en 
kiinstl.  I,  651. 

Gault.  s.  m.  blauer  Merge  1,  Flammenmergel. 

Gaultheriadl  (huilegmdtherique  —  wintergreen  oil),  Wintergriinol,  das 
atherische  Oel  von  Ganltheria  procumbens  L.  einer  nordamerikaniscben  Ericinee, 
findet  sich  in  den  Bliithen  sowohl  wie  auch  den  iibrigen  Theilen  der  Pflanze,  aus 
der  es  theils  durch  Destination  mit  Wasser,    theils    durch  Extraction  mit  Alkohol 


Gaultheriabl.  —  Geblase.  713 

und  Trennung  durch  fractionirte  Destination  gewonnen  wird.  Es  ist  frisch  farblos, 
an  der  Luft  indess  bald  rothlich  werdend,  riecht  angenehm  aromatiscb  und  schmeckt 
gewiirzhaft,  schwach  siisslich.  Fs  siedet  zwischen  200  und  220°  C.  und  zeigt 
ein  spec.  Gew.  — :  1.17.  Es  besteht  wesentlich  (9/10)  aus  der  Salicylsaureverbin- 
dung  des  Metbylathers,  ist  also  Salicylsaure-Methylatber  und  entbalt  '/10  eines 
farblosen  diinnfliissigen  Camphens,  das  Gaultherilen,  das  bei  160°  0.  siedet 
und  nach  Pfefferol  riecht  (vgl.  C  ah  ours  Ann.  Chem.  u.  Phys.  (3)  10  pag.  358). 
Es  findet  Verwendung  zur  Darstellung  von  Fruchtathern  und  Parfumerien,  in 
Amerika  und  England  haufig  auch  als  Geschraack  verbessernder  Zusatz.     Gil. 

Gaultheriatinte,  Name  einer  aus  den  ver.  Staaten  Nordamerikas  eingefuhrten 
Tinte,  welche,  wie  es  scheint,  eine  Salicylsaure-Tinte  ist. 

Gailtschen   (coucher  la  feuille),  s.  Papier,  s.  Kautschen. 

Gayerde,  Name  einer  in  Ungarn  vorkommenden,  namentlich  aus  den  Woh- 
nungen  der  armeren  Menschenclasse  stammenden  salpeterhaltigen  Erde,  welche  zur 
Gewinnung  von  Salpeter  (Gaysalpeter)  verwendet  werden  kann.  s.  Kalium  bei 
Salpeter.     Gil. 

Gay  Lussac  Thurm,  s.  Schwefelsaure  bei  Schwefel. 

Gayliissit  (Gay-Lussit  —  Natrocalcit)  monoklines,  in  saulenformigen,  rauhen, 
einzeln  in  Thon  eingewachsenen  Krystallen  vorkommendes  Mineral.  Unvollk.  Spaltb. 
Bruch  muschlig,  H.  2.5 — 3.  Spec.  Gew.  -=.  1.90 — 1.99,  farblos  durchsichtig  oder 
weiss,  Chem.  Zus.  NaOCO'1  -j-  CaOCO9'  +  5H"0.  Ist  langsam  und  nur  theil- 
weise  in  Wasser  loslich,  im  Kolben  verknistert  er  und  schmilzt  unter  Abgabe- 
von  Wasser,  reagirt  sodann  alkalisch ;  schmilzt  v.  d.  L.  leicht  zu  einer  triiben 
Perle  und  farbt  die  Flamme  rothlichgelb.  Fundorte  Lagunilla  bei  Merida  in  Neu- 
Granada,  Salzsee  bei  Ragtawn  in  Nevada,  N.-A.  Lb. 

Gaysalpeter,  s.  Salpeter  bei  Kalium,  s.  Gayerde. 

Gaze,  s.  Weber  ei. 

Gebalk  (empoutrerie  —  timbemvork  of  a  story),  in  constructiver  Hinsicht 
die  Gesammtheit  aller  zu  einem  Bautheil  gehorigen  Balken  z.  B.  Dachgebalk, 
Deckengebalk.  In  architektonischer  Hinsicht  bezeichnet  man  bei  den  Saulenord- 
nungen  den  von  den  Stiitzen  (Saulen,  Pfeiler)  getragenen  Theil,  bestehend  aus 
Architrav,  Fries  und  Kranzgesims  mit  diesem  Namen.     Grohm. 

Gebinde,  Bind,  Wiel,  Wiedel,  Fitze,,  Untertheil  eines  Strahns,  s. 
Haspeln. 

Geblase  (soufflets  —  blast-engine)  gehoren  in  die  allgemeine  Gruppe  der 
Luftbewegungsmaschinen,  welche  bei  der  Ventilation  von  Bergbauen  und 
anderen  Raumen,  ferner  zur  Erzeugung  von  comprimirter,  als  Transmissionsmittel 
dienender  Luft  (vergl.  die  Artikel  „Bergbau",  „Compressoren",  „Ventilatoren") 
u.  s  w.,  dann  insbesondere  im  Hiittenwesen  verwendet  werden,  um  den 
Feuerungen  die  zur  Verbrennung  erforderliche  Luft  (den  Wind)  zuzuftihren. 

Die  Geblase  der  Hiittenwerke  saugen  atmospharische  Luft  an  und  driicken 
dieselbe  in  einen  Rohrenstrang,  die  Windleitung.  Zur  Verbrennung  einer  ge- 
gebenen  Menge  Brennstoff  in  gegebener  Zeit  ist  ein  bestimmtes  Luftquantum 
erforderlich ;  durch  grosse  Ausflussgeschwindigkeit  desselben  wird  erfahrungsmassig 
der  Effect  der  Verbrennung  erhoht,  daher  man  die  Luft  aus  der  Windleitung 
durch  verengte  Mundungen,  D  lis  en,  iu  den  Feuerraum  treten  la'sst.  Dieser  Aus- 
flussgeschwindigkeit entspricht  aber  eine  die  atmospharische  tibersteigende  Spannung 
oder  Pressung  in  der  Windleitung,  welche  noch  durch  den  Umstand  erhoht 
wird,  dass  schon  im  Feuerraum  die  Spannung  grosser  ist  als  die  aussere.  Die 
Aufgabe  eines  Geblases  besteht  daher  in  der  Verdichtung  einer  gegebenen  Wind- 


714  Geblase. 

menge  auf  die  erforderliche  Pressung    und  in  der  Fortsehiebung  derselben  in 
die  Windleitung. 

Die  von  einem  Geblase  in  bestimmter  Zeit  gelieferte  Windmenge  wird  in 
der  Regel  dem  Volum  nach  angegeben  und  letzteres  auf  0°  Temperatur  und  den 
mittleren  Meeresbarometerstand  von  0-76  Meter  Quecksilber  reducirt  gedacht.  Sei 
M0  die  von  1  Diise  pr.  Minute  gelieferte  reducirte  Windmenge,  also  das  Volum, 
welches  die  in  1  Minute  ausgeblasene  Luftmenge  bei  0°  Temperatur  und  076  m 
Barometerstand  einnebmen  wiirde,  so  hat  man  M0  =  f  31,  worin  M  ein  Nahe 
rungswerth  und  /  ein  Correctionsfactor  ist,  welche  Grossen  die  Werthe 

/— 1-»127\/  b+  h* 

Temperatur   reducirte   Volum    Ms  , 
Eintritt    in    das     Geblase    wirklich 

_„  l  4-  «  ts 


M  =  18740  d°- 

V  \-h> 

und( 

besitzen.     Das    auf   aussere 
d.    h.    das    Volum,    welches 
besass,  ist 

Spannung 
M0    vor 

und 

dem 

Ms  =  /, 

M0,  worin 

A  - 

b 

Bei  Bessemergeblasen,  wo  die  Spannung  der  Luft  verhaltnissmassig  gross 
ist,  sind  die  erhaltenen  Werthe  von  M0  und  Ms  noch  zu  multipliciren  mit  dem 
Factor 

f  __  i  _  0.03  K  -  K 

In  diesen  Formeln  ist  a  der  AusdehnungscoefFicient  der  Luft  =  0*003665, 
die  anderen  Grossen  haben  folgende  Bedeutung:  d  der  Diisendurchmesser;  ht  u.A2 
die  Quecksilber-Manometerhohen,  welche  der  Spannung  der  Luft  in  der  Windleitung 
und  ausserhalb  der  Diise,  also  im  Feuerraum  entsprechen  (fur  die  Manometerhohe 
selbst  wird  kurzweg  auch  der  Ausdruck  „ Spannung"  oder  „Pressung"gebraucht); 
b  der  Quecksilber-Barometerstand ;  tx  und  £,  die  Temperaturen  der  Luft  in  der 
WindleituDg  und  der  angesaugten  Luft  in  Graden  0.;  bei  Geblasen  mit  Lufter- 
hitzungsapparat  ist  tx  die  Temperatur,  welche  die  erhitzte  Luft  in  der  Nahe  der 
Diise  besitzt.  Die  Langendimensionen  sind  dabei  in  Metern  verstanden.  Die 
angegebenen  Werthe  sind  bei  einem  bestehenden  Geblase  durch  Beobachtung  zu 
ermitteln.  Die  Grosse  A2  ist  bei  Hochofen  zugleich  die  Spannung  im  unteren 
Theil,  im  Gestelle,  des  Ofens  und  wird  dadurch  bestimmt,  dass  man  durch  eine 
der  vorhandenen  Oeflfnungen,  z.  B.  durch  den  Schlackenabstick  ein  eisernes  Rohr 
einfiihrt  und  am  ausseren  Ende  desselben  mittelst  Kautschukschlauch  ein  Mano- 
meter anscbliesst.  Oder  man  notirt  die  Pressung  hv  in  der  Windleitung  und  die 
Zahl  der  Umgange  n  des  Gebliises,  zieht  dann  die  Diise  soweit  von  der  Ofenwand 
zuriick,  dass  die  Luft  in's  Freie  ausgeblasen  wird,  regulirt  den  Gang  des  Geblases 
derart,  dass  dasselbe  wieder  n  Umgange  beschreibt  und  beobachtet  die  nun  sich 
einstellende  Pressung  7>x  in  der  Windleitung  ;  hiemit  ergibt  sich  h„  =.  ht  — As  . 
Die  Menge  Ms  muss  dann  berechnet  werden,  wenn  man  den  Wind  effect  des 
Geblases,  d.  i.  das  Verhaltniss  der  theoretischen,  aus  den  Dimensionen  und  der 
Geschwindigkeit  des  Geblases  sich  ergebenden  und  der  von  den  Diisen  ausge- 
blasenen  Luftmenge  ermitteln  will,  zu  welchem  Zwecke  das  letztere  Volum  auf 
den  Zustand  zu  reduciren  ist,  welchen  das  erstere  besitzt. 

Die  Bestimmung  der  Windmengen,  ein  beim  Hochofenbetrieb  sich  oft  wie- 
derholendes  Geschaft,  wird  durch  Tabellen  erleichtert  (die  detaillirtesten  Tabellen 
dieser  Art  sind  die  von  J.  v.  Hauer,  Wien  1876,  Verlag  v.  A.  Holder). 

Unter  den  einzelnen  Arten  von  Geblasen  spielen  im  Hiittenwesen  weitaus 
die  wichtigste  Rolle  die  Cylindergeblase,  welche  grosse  Pressungen  (bei 
Eisenhochbfen  bis  zu  '/„,  bei  Bessemergeblasen  bis  3  Atm.  Ueberdruck)  zu  er- 
zielen  gestatten.  Sie  bestehen  nach  Fig.  1721  aus  einem  glatt  ausgebohrten,  beider- 
seits  mit  Deckeln  versehenen  Cylinder,  in  welchem  ein  mit  Liederung  versehener 
Kolben  sich  bin-  und  herbewegt.    An  jedeni  Deckel  sind  Saug-  und  Druckventile 


Geblase. 


715 


angebracht;  erstere  offnen  sich  gegen  das  Innere  des  Cylinders,  letztere  gegen 
Aussen.  Von  den  Druckventilen  sind  Kanale  zura  Windsammler  M  geftihrt, 
an  welchen  sich  die  Windleitung  W  schliesst.  Bei  Bewegung  des  Kolbens  wird 
daher  stets  gleichzeitig  auf  einer  Seite  desselben  Luft  in  den  Cylinder  gesaugt, 
auf  der  anderen  zuerst  verdichtet  und  dann  in  die  Windleitung  ausgeblasen. 
Cylindergeblase     werden     aus 


denselben  Griinden  wie  Dampfma- 
schinen  fast  durchgehends  dop- 
peltwirkend  hergestellt;  nur  in 
Schweden  war  en  und  sind  noch 
einfachwirkende  Geblase  aus 
dem  Grunde  in  Anwendung,  weil 
bei  diesen  der  Cylinder  an  einer  Seite 
offen  bleiben  kann,  daher  der  Kolben 
behufs  Nachziehens  der  Liederung 
leicht  zuganglich  ist. 

Der  schadliche  Raumist 
der  zu  Ende  des  Hubes  zwischen 
dem  Kolben  und  dem  nachstgele- 
genen  Cylinderdeckel  befindliche, 
mit  verdichteter  Luft  gefiillte  Raum. 
Derselbe  vermindert  nicht,  wie  man 
glauben  konnte,  den  Wirkungsgrad, 


Fig.  1721. 


m 


J  •?• 


_0^-*J 


M 


Cylinder-  Geblas  e . 


indem  die  vom  Kolben  zur  Verdichtung  der  Luft  des  schadlichen  Raumes  aufge- 
wendete  Arbeit  beim  Rtickgange  des  Kolbens  durch  Expansion  dieser  Luft  wieder 
abgegeben  wird,  wohl  aber  den  Windeffect,  weil  das  Ansaugen  neuer  Luft  erst 
beginnt,  wenn  durch  das  Fortschreiten  des  Kolbens  die  Luft  des  schadlichen 
Raumes  bis  unter  die  atmospharische  Spannung  verdiinnt  ist,  so  dass  das  Saug- 
ventil  sich  offnen  kann.  Das  Ansaugen  beginnt  daher  erst  nach  einem  Theil  des 
Kolbenlaufes,  der  urn  so  grosser  ist,  eine  je  hohere  Spannung  die  verdichtete  Luft 
besitzt. 

Ist  M0  die  von  einem  Geblase  zu  liefernde  reducirte  Windmenge,  <p  der 
Windeffect,  v  die  mittlere  Kolbengeschwindigkeit,  s  der  Kolbenhub,  so  ergibt  sich 
die  Kolbenflache  0  und  die  Zahl  n  einfacher  Kolbenlaufe  pr.  Minute 


0  = 


id  w: 


60  " 


60  cp  v 

wobei  der  Factor  ft  den  fruheren  Werth  besitzt  und  bei  Berechnung  desselben 
fur  b  und  £s  voraussichtliche  mittlere  Werthe  zu  setzen  sind.  Der  Windeffect  <p 
kann  fur  Geblase  mit  geringerer  Pressung  gleich  0.7,  fiir  Bessemergeblase  mit 
2  bis  3  Atmospharen  Ueberdruck  gleich  0.6  bis  0.5  gesetzt  werden.  Die  Kolben- 
geschwindigkeit v  ist  fiir  einen  Hub  s  von  1  bis  3m  gleich  0.8m  bis  1.2m  zu 
nehmen ;  bei  zu  grosser  Geschwindigkeit  schlagen  die  Ventile  zu  heftig.  Der 
Hub  s  selbst  wird  in  der  Regel  nahe  gleich  dem  Cylinderdurchmesser  gewahlt; 
bei  grossem  Hub  wird  die  Langenausdebnung  des  Geblases  grosser,  im  entgegen- 
gesetzten  Falle  ist  der  Einfluss  des  schadlichen  Raumes  um  so  fuhlbarer.  Ergibt 
sich  0  zu  gross,  so  nimmt  man  zwei  oder  mehrere  Cylinder  an^  wobei  audi  der 
Gang  und  die  Luftausstromung  aus  den  Diisen  gleichformiger  werden.  Die  grossten 
ausgefiihrten  Cylinder  besitzen  Durchmesserbis3.7m  ;  gegenwartig  geht  man  damit 
nicht  iiber  2.5  bis  3m. 

Der  Wirkungsgrad  eines  Cylindergeblases  betragt  bei  guter  Con- 
struction 0.7. 

Der  Kolben  besteht  meist  aus  Gusseisen,  zur  Vermindenmg  seines  bei 
liegenden  Geblasen  nachtheiligen  Gewichtes  auch  oft  ganz  oder  theilweise  aus 
Schmiedeisen.  Wichtig  ist  eine  dichtschliessende  und  doch  wenigReibungverursachende 
Liederung.  Die  altere  Hanf-  und  die  Liederung  mit  Lederstulp  sind  wegen  geringer 


716 


Geblase. 


Dauer  fast  ganz  ausser  Gebrauch  gekommen.  Leinwand  ist  dagegen  viel  in 
Verwendung  und  erweist  sich  bei  Pressungen  bis  zu  12 — 15  Cent.  Quecksilber 
als  dauerhaft.  Man  schneidet  aus  Leinwand,  welcbe  in  einer  Mischung  von  Leim- 
wasser  und  Grafitpulver  getrankt  wurde,  diagonal  zu  den  Fasern  Segmente  aus, 
und  legt  diese  zu  einem  Ring  von  einigen  Centimetern  Hohe  zusammen,  welcber 
zusammengenaht,  gepresst,  aussen  abgefeilt  wird,  und  dann  wieder  in  Stiicke  zer- 

scbnitten  auf  den  Kolbenrand  zu 
liegen  kommt.  Durch  einen  geeig- 
neten  Mechanismus,  z.  B.  durch 
Stellschrauben  lassen  sich  die  Seg- 
mente im  Masse  ihrer  Abniitzung 
nach  aussen  riicken.  Ein  Beispiel 
fur  eine  solche  Liederung  zeigt 
Fig.  1722  im  Verticalschnitt  und  im 
Grundriss  ohne  Kolbendeckel.  Der 
Kolben  besteht  aus  einer  Bodenplatte 
mit  Nabe  fiir  die  Kolbenstange, 
radialen  Rippen  und  einer  am 
Umfang  angegossenen  cylindrischen 
Wand.  Auf  dem  Rande  der  Boden- 
platte liegen  die  Segmente  des 
Leinwandringes  und  innerhalb  des 
letzteren  ein  an  einer  Stelle  ge- 
theilter  Schmiedeisenring ,  gegen 
welchen  Stellschrauben  driicken. 
Diese  sind  in  Gewinde  der  cylin- 
drischen Wand  eingedreht  und  mit 
Gegenmuttern  versehen.  Der  Kol- 
ben ist  durch  einen  Deckel  geschlossen,  bestehend  aus  einer  Blechplatte  mit 
einem  Gusseisenring  am  Umfang,  wodurch  verhindert  wird,  dass  die  Hohlung 
des  Kolbens  als  schadlicher  Raum  fungire.  Schaltet  man  zwischen  den  Stell- 
schrauben und  dem  schmiedeisernen  Ring  Federn  ein ,  so  wird  die  Liede- 
rung  bestandig    nach    Aussen    gedriickt.     Bei    Volckner's    Kolben    sind    die 


Kolben  mit  LeinwandliederuD£. 


Fig.  1723. 


Kolben  mit  Lederliederung. 


Stellschrauben  durch  Excenter  ersetzt,  deren  Achsen  parallel  zur  Cylinderaehse 
liegen  und  ausserhalb  des  Kolbens  mit  Sperradern  versehen  sind,  urn  eine  selbst- 
thittige  Rlickdrehung  zu  hindern.  —  Als  Schmiere  fur  die  Leinwandliederung  dient 
Grafitpulver. 

Figur  1723  stellt  den  Kolben  der  Georgs-Marienhutte  bei  Osnabriick  dar. 
Der  Kolbenkorper  besteht  aus  einer  Nabe,  welche  an  der  hohlen  Kolbenstange 
aufgeschoben  und  an  einer  Flantsche  derselben  festgeschraubt  ist,  aus  Armen  von 


Geblase.  717 

I  formigem  Querschnitt  mit  durchbrochener  Mittelrippe  und  einem  Kranz.  Der 
Raum  zwischen  den  Armen  ist  durch  beiderseits  aufgelegte  Blecbplatten,  die  Hohlung 
des  Kranzes  durch  einen  (in  Fig.  1723  unten  erscheinendenj  Gusseisenring  gegen 
Aussen  abgeschlossen.  Die  Liederung  besteht  aus  drei  Stulpen  aus  Filz  mit 
untergelegtem  Leder;  binter  denselben  befinden  sich  drei  Ringe  aus  Lindenholz- 
segmenten  und  dann  ein  Blechring;  die  Liederung  wird  durch  Stellschrauben, 
welche  auf  Lamellenfedern  wirken,  gegen  Aussen  gedriickt.  —  Bei  einem  Geblase 
in  Kladno  wurde  mit  gutem  Erfolg  eine  Liederung  angewendet,  bestehend  aus 
zwei  am  Kolbendeckel  und  Boden  anliegenden  Lederstulpen  und  einem  dazwiscben 
befindlichen  Ring  aus  Segmenten  von  Weissbuchenholz,  welcbe  ahnlich  wie  im 
vorigen  Falle  gegen  die  Cylinderwand  gedriickt  werden. 

Fur  hohe  Pressungen,  also  besonders  auch  fur  Bessemergeblase  geeignet 
erweist  sich  die  Me  tall  liederung.  Sie  besteht  aus  2  bis  3  an  einer  Stelle 
getheilten  Ringen  aus  Stahl,  Schmiedeisen  oder  Messing,  die  durch  Stellschrauben 
und  Federn  oder  nur  durch  ihre  eigene  Elasticitat  nach  aussen  gedriickt  werden. 
Sehr  gebrauchlich  ist  die  Ramsbottom'sche  Liederung,  bei  welcher  4  bis  8 
federnde  Ringe  von  quadratischem  Querschnitt  mit  nur  1  Cent.  Seite  in  Nuthen 
der  hier  am  aussersten  Umfang  des  Kolbens  befindlichen  cylindrischen  Wand 
gelegt  sind ;  die  Innenwand  des  Cylinders  wird  dabei  weniger  ausgerieben  als 
durch  starke  Ringe.  Auch  verwendet  man  einen  einzigen  schraubenformig  ge- 
wundenen  Ring  mit  mehreren  Umgangen,  der  ebenfalls  in  einer  entsprechend 
geformten  Nuth  liegt. 

Autoclave,  d.  h.  solche  Liederungen,  welche  durch  die  Spannung  der 
Geblaseluft  selbst  nach  Aussen  gedriickt  werden,  sind  nicht  besonders  zu  empfehlen, 
weil  sie  zu  Anfang  des  Hubes,  wo  die  Luft  noch  wenig  verdichtet  ist,  nicht  gut 
schliessen,  dann  aber,  wenigstens  bei  hoherer  Pressung,  eine  zu  grosse  Reibung 
verursachen. 

Die  Kolbenstange  erhalt  einen  circa  doppelt  so  grossen  Querschnitt  als 
bei  Dampfkolben,  welche  dem  gleichen  Druck  ausgesetzt  sind,  weil  der  Durch- 
messer  des  Geblasekolbens  bei  gleichem  Gesammtdruck  bedeutend  grosser  ist. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  fur  den  guten  Gang  des  Geblases  sind  die 
V entile.  Um  das  Durchstrbmen  der  Luft  zu  erleichtern,  soil  deren  Gesammt- 
querschnitt  moglichst  gross  sein;  so  erhalten  die  Saugventile  an  jedem  Cylinder- 
ende  zusammen  '/8  bis  x\^  die  Druckventile  */,  0  bis  V6  des  Cylinderquerschnittes, 
erstere  mehr,  um  das  Ansaugen  moglichst  zu  erleichtern  und  dadurch  den  Wind- 
effect  zu  erhohen.  Bei  grosser  Kolbengeschwindigkeit  wird  die  ganze  Deckelflache 
zur  Anbringung  von  Ventilen  beniitzt,  und  %  davon  fur  die  Saug-,  V3  fur  die 
Druckventile  genommen,  wodurch  sich  die  obigen  Verhaltnisszahlen  noch  bedeutend 
steigern.  Ferner  soil  der  Hub  der  Ventile  gering  sein,  damit  dieselben  sich  rasch 
schliessen  und  nicht  schlagen;  bei  Tellerventilen  wird  dies  dadurch  erreicht,  dass 
man  dieselben  mit  kleinem  Durchmesser  und  in  grosserer  Zahl  verwendet;  bei 
Klappen  durch  Verminderung  der  senkrecht  zur  Drehungsachse  gemessenen  Breite, 
mit  welcher  Dimension  man  bis  auf  5  oder  6  Centimeter  herabgehen  kann,  wahrend 
die  Lange  das  4  bis  6fache  betragt.  Endlich  sollen  die  Ventile  sich  leicht  bffnen, 
daher  geringes  Gewicht  besitzen,  und  wenn  sie  Klappen  sind,  nahe  vertical  gestellt 
werden.  Zur  Erleichterung  der  Appretur  verwendet  man  haufig  besondere  Ven- 
tilsitze. 

Die  gewohnlichen  Ventile  bestehen  nach  Fig.  1724,  welche  ein  Klappen- 
v  en  til  darstellt,  aus  einer  durch  Nieten  zwischen  zwei  Blechtafeln  eingeschlossenen 
Lederplatte.  An  einer  der  Langseiten  ist  die  Lederplatte  durch  einen  aufgelegten 
Blechstreif  und  Schrauben  am  Sitz  befestigt;  das  Ventil  offnet  sich  bis  in  die 
punktirte  Stellung,  das  Leder  bewirkt  dichten  Schluss.  Fig.  1725  zeigt  eine 
Anordnung  von  Saugventilen,  deren  zwei  an  einem  gemeinschaftlichen  Sitz  an- 
gebracht  sind,  fur  einen  liegenden  Cylinder;  ahnlich  werden  die  Druckventile 
gestellt,  doch  miissen  dieselben  mit  einem  Ventilkasten  umgeben  sein  (vergl. 
Fig.  1721).  Den  Uebergang  zu  den  Tellerventilen  bildet  die  Construction  Fig.  1726, 


718 


Geblase. 


Fig.  1724. 


bei  welcber  am  Ventil  v  eine  horizontale  Schiene  unveranderlich  befestigt  und  mit 
zwei  parallelen  Hangschienen  drebbar  verbunden  ist ;  das  Ventil  bewegt  sich  daher 
parallel   zu    seiner    Stellung   und   lasst   an    seinem    ganzen    Umfange    Luft   durch- 

stromen.  Der  Hub  ist  dadurcb  begrenzt,  dass 
ein  Ansatz  der  einen  Hangschiene  gegen  einen 
in  den  Ventilsitz  eingeschraubten  Bolzen  schlagt. 
Bei  verticalen  Cylindern  kommen  Tel- 
lerventile  Fig.  1727  vor,  deren  Gewicht 
durch  eine  Feder  oder  ein  Gegengewicbt  aus- 
geglichen  sein  muss;  das  Ventil  wird  durcb 
einen  iiber  seine  Oeffnung  gelegten  Steg  gerad  gefiihrt.  Urn  die  Gewichts- 
ausgleichuug  zu  vermeiden,  ist  es  zweckmassiger,  auch  bier  nabe  vertical  ge- 
stellte    Klappen    zu    verwenden,    wie  Figur    1728    ftir    das    obere    Druckventil 


Fig.  1725. 


Fig.  1726. 


Fig.  1727. 


darstellt;  an  den  Cylinderdeckel  ist  dabei  ein  Kasten  angegossen,  an  dessen  in 
den  Windsarninler  eingetaucbter  Mundung  das  Ventil  befestigt  ist.  Oft  werden 
die  Ventile,  um  ibre  Dimensionen  vermindern  zu  konnen,  am  ganzen  Umfang  des 
Cylinders  vertbeilt.     Eine  solcbe  Einricbtung  zeigt  Fig.  1729.  Zwiscben  der  oberen 


Fig.  1728. 


Fig.  1729. 


Fig.  1730. 


Cylinderflantscbe  und  dem  Deckel  ist  ein  ringformiges,  gegen  den  Cylinder  offenes 
Gebause  angebracht,  das  am  ganzen  Umfang  vertheilt  die  borizontalen  Druck-  und 
die  geneigten  Saugklappen  entbalt,   welcbe   sammtlich  mit  besonderen  Sitzen  ver- 


Geblase.  719 

sehen  sind.  Von  den  Druckventilen  stromt  die  Luft  in  einen  ringformigen  Blech- 
kasten  und  aus  diesem  in  die  Windleitung. 

Ventile  aus  biegsamen  Materialien,  wie  Kautschuk,  Leder  gefertigt,  zeigen 
den  Vortkeil  geringen  Gewichtes,  miissen  aber  sehr  klein  gemacht  werden  oder 
auf  einem  in  der  Oeffnnng  befestigten  Glitter  ruhen,  um  von  der  verdichteten  Luft 
nicht  durchgedriickt  zu  werden.  In  Fig.  1730  ist  in  1/3  Naturgrosse  ein  Ventil 
skizzirt,  aus  einer  kreisformigen  Kautschukplatte  bestehend,  welche  durch  einen 
Schraubenbolzen  niedergehalten  wird,  dessen  Kopf  die  Form  einer  Schiissel  besitzt, 
und  den  Hub  des  ringsum  aufsteigenden  Ventilrandes  begrenzt.  In  der  Oeffnung 
befinden  sich  4  radiale  Stege. 

Fin*  Bessemergeblase  hat  man  noch  keine  ganz  befriedigende  Ventil- 
construction.  Bei  der  altesten,  noch  gegenwartig  viel  verwendeten  Einrichtung 
sind  an  jedem  Ende  des  Cylinders  in  dessen  Wandung  2  bis  3  Reihen  Oeffnungen 
von  2.5  bis  3cm  Durchmesser  angebracht  und  mit  einem  Hohlcylinder  aus  Kaut- 
schuk  umgeben,  welcher  sich  in  einem  an  den  Cylinder  angegossenen  ringfdrmigen 
Kanal  befindet,  der  mit  der  Windleitung  communicirt;  durch  die  verdichtete  Luft 
wird  der  Kautschukring  ausgedehnt  und  lasst  daher  die  Luft  austreten.  Der 
Deckel  ist  mit  grosserem  Spielraum  in  den  Cylinder  eingelassen,  der  eingelassene 
Theil  ebenfalls  mit  Oeffnungen  am  Umfang  und  einem  diese  umgebenden  Kaut- 
schukring versehen,  welcher  als  Saugventil  fungirt.  Der  Nachtheil  dieser  Con- 
struction ist,  dass  die  kostspieligen  Ringe  sich  bald  abntitzen  oder  sprode  werden 
und  zerbrechen.  Lederventile  taugen  ebenfalls  nicht  gut;  Tellerventile  mit  einer 
ringformigen  Kupf erscheibe  als  Auflage  sollen  sich  bewahren. 

Bei  neueren  Geblasen  werden  offers  die  Saugventile  in  Kasten  eingeschlossen 
und  diese  mit  einem  Rohr  in  Verbindung  gesetzt,  durch  welches  die  Luft  von 
einem  staubfreien  Orte  angesaugt  werden  kann. 

Um  die  Uebelstande  der  Ventile  zu  vermeiden,  hat  man  bei  den  Schieber- 
geblasen  Schieber  statt  der  Ventile  in  Anwendung,  welche  durch  den  Mecha- 
nismus  der  Geblasemaschine  bewegt  werden.  Dieselben  besitzen  meist  die  Form 
der  Muschelschieber  von  Dampfmaschinen  und  werden  durch  Excenter  bewegt; 
am  Geblasecylinder  befindet  sich  der  Schieberspiegel  mit  drei,  wie  bei  einem 
Dampfcylinder  angeordneten  Kanalen.  Der  Schieber  liegt  entweder  frei  am  Sitz 
und  die  verdichtete  Luft  wird  in  dessen  Hohlung  geblasen,  welche  durch  den 
mittleren  Kanal  mit  der  Windleitung  communicirt,  oder  es  wird  durch  den  mitt- 
leren  Kanal  angesaugt,  und  die  verdichtete  Luft  gelangt  durch  die  beiden  ausseren 
Kanale  in  einen  Schieberkasten,  in  welchen  dann  die  Windleitung  miindet.  Fur 
einen  guten  Gang  ist  es  nothwendig,  dass  der  Schieber  die  Ausstromung  erst 
offnet,  wenn  die  Luft  bis  auf  die  in  der  Windleitung  vorhandene  Spannung  ver- 
dichtet  ist,  weil  sonst  Riickstromung  aus  der  Windleitung  in  den  Cylinder  statt- 
findet;  ferner,  dass  das  Ansaugen  erst  beginnt,  wenn  die  Luft  des  schadlichen 
Raumes  bis  auf  aussere  Spannung  verdunnt  ist.  Construirt  man  das  Geblase 
diesen  Forderungen  entsprechend,  so  ergeben  sich  entweder  sehr  grosse  Schieber 
dimensionen  oder  sehr  kleine  Durchstromungsquerschnitte  fur  die  Luft,  audi  arbeitet 
die  Maschine  nur  bei  derjenigen  Pressung  richtig,  welche  dem  Entwurfe  zu  Grunde 
gelegt  wurde.  Nun  ist  gerade  beim  Bessemcrbetrieb,  fur  welchen  diese  Geblase 
vorzugsweise  bestimmt  sind,  die  hervorzurufende  Pressung  sehr  veranderlich ;  aus 
diesem  Grunde  hat  sich  die  anfangliche  starke  Verbreitung  der  Schiebergeblase 
wieder  bedeutend  reducirt. 

Das  Schwungrad  erfordert  verhaltnissmassig  geringe  Dimensionen,  da 
weniger  eine  gleichformige  Drehung  der  Wellen  als  eine  gleichfdrmige  Bewegung 
der  Geblasekolben  wiinschenswerth  ist,  damit  auch  die  Ausstromung  der  Luft 
aus  den  Diisen  moglichst  ungeandert  stattfinde.  Man  kann  bei  Berechnung  des 
Schwungradgewichtes  den  Gleichformigkeitsgrad  gleich  12  bis  15  setzen. 

Zum  Betrieb  der  Geblase  dienen  Wasserrader,  Turbinen  und  vorwaltend 
Dampfmaschinen.  Letztere  werden  oft  mit  Expansion,  dagegen  namentlich 
bei  Hochofengeblasen  nur  selten  mit  Condensation  versehen,  weil  diese  Einrichtung 


720 


Geblase. 


die  Maschine  complicirter  macht  und  zu  Betriebsstorungen  Anlass  gibt,  welche  bei 
Hochofen  besonders  nachtheilig  sind.  Expansions  mas  chinen  werden  haufig  nach 
dem  Woolf'schen  Princip  ausgefiihrt. 

Die  Anordnung  ist  eine  stehende  oder  liegende,  je  nachdem  die  Achse 
des  Geblasecylinders  vertical  oder  horizontal  ist.  Letztere  zeigt  den  Vortheil 
leichterer  Fundirung,  besserer  Uebersichtlichkeit  ftlr  den  Warter  und  geringerer 
Anlagskosten ;  bei  grosserem  Durchraesser  wird  jedoch  der  Kolben  so  schwer, 
dass  wegen  Biegung  der  Kolbenstange  die  Liederung  an  der  Unterseite  des 
Kolbens  und  die  Stopfbilchsen  sich  mehr  ausreiben,  wenn  man  auch  die  Kolben- 
stange durch  beide  Cylinderdeckel  fuhrt  und  durch  stellbare  Gleitstucke  unter- 
stiitzt.  Fiir  mehr  als  1.8m  Cylinderdurchmesser  empfiehlt  sich  daher  die  stehende 
Anordnung. 

Ferner  sind  zu  unterscheiden  Balancier-,  directwirkende  und  Geblase  mit 
Kurbelbewegung.     Fig.  1731  zeigt  die  gewohnliche  Anordnung  eines  st  eh  en  den 

Balanciergeblases;  die  Stange 


Fig.  1731. 


des  Geblasekolbens  ist  durch  ein 
Parallelogramm ,  die  des  Dampf- 
kolbens  durch  einen  Gegenlenker 
geradgefiihrt ;  eine  mit  dem  Balan- 
cier verbundene  Schubstange  setzt 
mittelst  Kurbel  die  Schwungradwelle 
in  Bewegung.  Der  Nachtheil  dieser 
Anordnung  ist,  dass  die  Kurbel  eine 
geringe  Lange  erhalt,  ihr  Zapfen 
und  die  Schubstange  einem  starken 
Druck  ausgesetzt  sind.  Gegenwartig 
construirt  man  daher  die  Balancier- 
geblasemeist  nach  Erg.  1732  (in  dieser 
Figur  ist  eine  Woolf  sche  Maschine 
und  Anordnung  der  Geblaseventile 
nach  Fig.  1729  angenommen) ;  die  Schwungradwelle  ist  dabei  ausserhalb  der 
Dampfcylinder  verlegt.  Bei  der  Mittelstellung  des  Balancier  mtissen  die  Linien, 
welche  den  oberen  Endpunkt  der  Schubstange  mit  den  Achsen  des  Balancier  und 
der  Schwungradwelle  verbinden,  senkrecht  auf  einander  stehen,  wodurch  sich  der 
hornartige  Ansatz  des  Balancier  ergibt. 


Fig.  1732. 


Bei  directwirkenden  Geblasen  sind  die  Kolbenstangen  des  Geblase- 
und  des  Dampfcylinders  direct  verbunden.  Die  gewohnliche  Anordnung  eines 
stehendeu  directwirkenden  Geblases  zeigt  Fig.   1733.     Ganz    oben    ist    dabei    der 


j 


Geblase. 


721 


Fig.  1733. 


ra 


Geblasecylinder  auf  einen  Rahraen  gestellt,    welch er    von  4  Saulen  gestiitzt  wird! 

Letztere,    sowie    der    Dampfcylinder   ruhen    auf   einem    mit   seitlichen    Oeffnungen 

versehenen  Untersatz,  mid  dieser  ist  mit  dem  Fundament  verankert.    Die  Kolben- 

stangen  beider  Cylinder  vereinigen  sich  in  einer  Traverse,    welche    zwischen    den 

Geriistsaulen  vertical  gefiihrt  ist  und  an  beiden  Enden  Zapfen  besitzt,  von  welchen 

Schnbstangen  abwarts  zu  zwei   anderen  Zapfen 

laufen,  welche  in    den  Armen  zweier  Schwung- 

rader  befestigt  sind.     Die  Schwungradwelle  ist 

durch  den  Untersatz  gelegt  und  bewegt  mittest 

Excenter  und  einer  Hebelumsetzung  den  Dampf- 

schieber.     Diese  Einrichtung  ist  zweckmassiger 

als    die  uingekehrte,    bei    welcher  der  Geblase- 

cylinder  unten,    der  Dampfcylinder    oben  steht, 

weil  letzterer   dann  eine  hangende  Stopfbiichse 

erhalt,    an    der    sich    stets  condensirtes  Wasser 

und    Schmiere     herabziehen    und    die    unteren 

Theile    verunreinigen.     Gegenliber    der    Anord- 

nung  mit  Balancier  zeigt  die  eben  beschriebene 

den  Vortheil  geringeren  Raumerfordernisses  und 

Anschaffungspreises,  dagegen  ist  der  Bau  wegen 

grosser  Hohe  weniger  solid ;   am  grossten  wird 

die    Hohe ,    wenn    man,    wie    es    bei    einigen 

neueren  Geblasen  vorkommt,    die  Kolbenstange 

des  oberen  Cylinders  auf-  oder  die  des  unteren 

abwarts  verlangert  und  durch  Schubsxange  und 

Kurbel  mit  der  Schwungradwelle  verbindet. 

Dagegen  ist  fur  1  i  e  g  e  n  d  e,  directwirkende 
Geblase  meistens  die  Einrichtnng  Fig.  1734, 
welche  der  zuletzt  besprochenen  analog  ist,  in 
Verwendung,  weil  dabei  das  Geblase  am  ein- 
fachsten  ausfiillt,  und  eine  etwas  grossere  Lan- 
genausdehnung  keinen  wesentlichen  Uebelstand 
bildet.  Neben  dem  Schwungrad  ist  in  Figur 
1734  das  zur  Bewegung  des  Dampfschiebers 
dienende  'Excenter  angedeutet. 

Gekuppelte  Geblase  besitzen  eine  ge- 
meinschaftliche  Schwungradwelle  mit  unter  90 
Grad  verstcllten  Kurbeln    zur   Verbindung   mit 

den  beiden  Balanciers,  Dampf-  oder  Geblasekolbenstangen.  Znr  Kupplung  eignen 
sich  die  Anordnungen  mit  Balancier,  dann  das  der  Fig.  1734  analoge,  stehende 
Geblase. 


Fig.  1734. 


r 


Bei  Geblasen  mit  Kurbelbewegung  reicht  nach  Fig.  1735  eiu  einziger 
Dampfcylinder  aus,  um  zwei  beiderseits  aufgestellte  Geblasecylinder  mittelst  euier 
Kurbelwelle  zu  betreiben,  an  welcher  zwei  Schwungrader  zur  gleichformigen  Yei'- 
theilung   der   Belastung    angebracht   sind.     Die    Cylinder    sind  zweckinassig   obeiij 

Karmarach  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.    Bd.  III.  46 


722 


Geblase. 


die  Welle  unten  zu  legen,  weil  letztere  die  solideste  Befestigung  erfordert.  Fassl 
man  die  Fig.  1735  als  Grundriss  auf,  so  stellt  sie  ein  liegendes  Geblase  mit 
Kurbelbewegung  dar.  Da  jedocb  eine  Welle  mit  Doppelkurbel  oder  zwei  abge- 
sonderte  durcb  eine  Schleppkurbel  verbundene  Wellen  notbwendig  sind,  wird  die 
Anordnung  nicbt  oft  beniitzt. 

Endlich  batte  man  friiber  Geblase  ohne  rotirende  Welle,  mit  Knaggen- 
oder  wie  Wasserhebmaschinen  mit  Kataraktsteuerung  fur  die  Dampfmaschine. 
Obgleich  durch  Weglassung  des  Schwungrades  und  seiner  Welle  die  Construction 
sehr  vereinfacht  erscheint,  ist  man  doch  von  solcben  Geblasen  wieder  abgekommen, 
weil  bei  denselben  der  Hub  nicbt  genau  begrenzt  ist,  daber  entweder  das  Geblase 
mit  grossem  schadlichen  Raum  arbeiten  muss  oder  Buffer  zur  Verhinderung  der 
Ueberschreitung  des  normalen  Hubes  erfordert  werden,  welche,  wenn  auch  aus 
elastischem  Material  hergestellt,  doch  Stosse  verursacben. 

Turbinengeblase  erfordern  bei  der  grossen  Umgangszahl  der  Turbinen 
eine  Umsetzung  in's  Langsame,  Was serr ad  geblase  umgekehrt  eine  Umsetzung 
in's  Schnelle.  Beide  werden  liegend 
auch  mit  Balancier  ausgeflibrt. 


Fig.  1735. 


njw 


oder    stehend,    Wasserradgeblase  zuweilen 

Die  hiittenmannischen  Processe 
erfordern  eine  gleichformige  Aus- 
stromung  der  Luft  aus  den  Diisen, 
daher  eine  eben  solche  Einstromung 
vom  Geblase  her  in  die  Windleitung. 
Urn  diesen  Zweek  zu  erreiche,n, 
werden  bei  zwei  gekuppelten  Cylin- 
|  dern  deren  Kurbeln  um  90°,  bei 
dreien  um  120  Grade  gegen  ein- 
ander  verstellt,  damit  die  Perioden, 
in  welchen  der  Kolben  die  Luft 
verdichtet,  daher  die  Ausstromung 
unterbrochen  ist,  ferner  die  Mo- 
mente  der  grossten  und  kleinsten 
Kolbengeschwindigkeit  bei  den  ein- 
zelnen  Cylindern  mit  einander  ab- 
wechseln.  Bei  zweicylindrigen  und 
um  so  mehr  bei  eincylindrigen  Ge- 
blasen ist  indessen  die  Luftausstro- 
mung  noch  so  ungleichformig,  dass 
man  in  die  Windleitung  einen  Re- 
gulator einschaltet,  d.  i.  einen 
Bebaiter,  in  welchem  moglichst  con- 
st ante  Spannung  herrschen  soil,  damit  die  von  dieser  Spannung  abhangige 
Gescbwindigkeit  des  Ausflusses  der  Luft  gegen  die  Dusen  hin  ebenfalls  tbunlichst 
ungeandert  bleibe. 

Dieser  Zweck  wird  auf  zweifaehe  Art  erreicht:  entweder  indem  man  den 
Behalter  mit  beweglichen  Wanden  versieht,  so  dass  dessen  Volum  sich  bei  starkerer 
Zustrbmung  vom  Geblase  her  vergrbssert,  im  umgekehrten  Falle  verkleinert ;  oder 
indem  man  dem  Behalter  feste  Wande,  doch  ein  so  grosses  Volum  gibt,  dass  die 
Pressung  darin  ungeachtet  des  veranderlichen  Zuflusses  nahe  constant  bleibt.  Es 
sind  daher  Regulatoren  mit  veranderlichem  und  solche  mit  unverander- 
lichem  Volum  zu  unterscheiden. 

Zu  ersteren  gehbren  der  Kolben  regulator,  aus  einem  verticalen  Cy- 
linder bestehend,  in  dessen  Boden  das  vom  Geblase  kommende  und  das  weiter 
zu  den  Diisen  fortgesetzte  Windleitungsrohr  miinden.  Im  Cylinder  befindet  sich 
ein  Kolben,  welcher  derart  belastet  ist,  dass  sein  Gewicht  dem  mittleren  Druck 
der  Geblitseluft  gleichkommt.  Strbmt  daher  mehr  als  die  normale  Windmenge 
zu,  so  hebt  sich  der  Kolben:  strbmt  weniger  zu,  so  senkt  er  sich.  Doch  ist  diese 


Geblase. 


723 


Fig.  1736. 


"] 


Z      1 


Reguliruiig  unvollstandig  und  der  Kolben  verursacht  durch  undicht  schliessende 
Liederung  Luftverluste.  Der  Wasser regulator  1st  ein  unten  offener,  unver- 
anderlich  befestigter  Kasten;  der  in  ein  Wasserrcservoir  taucht.  In  denselben 
miinden  oben  das  Zu-  und  Ableitungsrohr  f'iir  die  Luft.  Das  Wasser  steht  im 
Kasten  niedriger  als  aussen,  weil  die  innere  Spannung  grosser  ist  als  die  atmo- 
spkarische.  Bei  vermehrter  Einstrcimung  wird  das  Wasser  theilweise  nach  aussen 
gedrangt;  die  Regulirung  ist  jedoch  die  unvollkommenste,  weil  bei  Verdrangung 
des  Wassers  auch  der  Hbhenunterschied  des  ausseren  und  inneren  Wasserspiegels 
sich  andert,  was  nur  durch  eine  Pressungsanderung  der  Luft  moglich  ist.  Daher 
haben  auch  diese  Apparate  wenig  Verbreitung.  Sehr  empfindlich  fiir  Spannungs- 
anderungcn  ist  der  Wasser  ton  n  en  regulator  Fig.  1736,  der  dem  Principe 
nach  mit  den  in  Gasanstalten  gebrauchten  Regulatoren  iibereinstimmt  und  aus 
einem  vertical  beweglichen  und  gefiihrten,  unten  offenen  Blecheylinder  besteht, 
welcher  in  den  mit  Wasser  gefiillten  Zwischenraum  zweier  schmiedeiserner  oder 
holzerner  Cylinder  taucht.  In  den  Boden  der 
letzteren  miinden  Zu-  und  Ableitungsrohr  fiir 
die  Luft.  Bei  verstarktem  Zufluss  steigt  der 
bewegliche  Cylinder  empor  und  es  ist  dazu  nur 
eine  sehr  geringe  Spannungsanderung  erforder- 
lich,  da  dieser  Bewegung  nur  die  Reibung  gegen 
die  Fiihrungen  und  gegen  das  Wasser  ent- 
gegenwirkt.  Die  Belastung  des  Regulators 
muss  wieder  der  mittleren  Spannung  der  Luft 
entsprechen.  Der  Grund?  warum  auch  dieser 
sonst  sehr  zweckmassige  Apparat  verhaltniss- 
massig  selten  vorkommt,  ist  in  der  zu  grossen 
Empfindlichkeit  zu  suchen,  welche  bei  jedem 
Kolbenschub  des  Geblases  heftige  Schwankungen 
auf-  und  abwarts  zur  Folge  hat.  Beide  zuletzt 
beschriebenen  Regulatoren  sind  iibrigens  nur 
fiir  massige  Pressungen  anwendbar,  da  sonst 
der  Unterschied  des  ausseren  und  inneren  Was- 
serspiegels und  mithin  die  Hohe  des  Ganzen 
zu  gross  wird. 

Bei  alien  neueren  und  grosseren  Geblasen  kommen  Regulatoren  mit  unver- 
anderlichem  Volum  zur  Anwendung,  welche^  analog  den  Dampfkesseln  aus  zu- 
sammengenieteten  Blechtafeln  bestehen  und  keinen  anderen  beweglichen  Theil  als 
ein  Sicherheitsventil  enthalten.  Die  Grosse  des  Volums  muss  hier  die  Beweg- 
lichkeit  der  Wande  ersetzen.  Bei  Hochofengeblasen  nimmt  man  fiir  zwei  gekup- 
pelte  Cylinder  das  Regulatorvolum  gleich  dem  lOfachen,  und  wenn  zeitweise  nur 
ein  Cylinder  in  Betrieb  ist,  oder  bei  Vorhandensein  nur  eines  Cylinders  gleich 
dem  20fachen  Cylindervolum,  in  welche  Grosse  jedoch  auch  das  Volum  der 
Windleitung  einbezogen  werden  kann,  daher  bei  grosser  Lange  der  letzteren  der 
Regulator  entbehrlich  wird,  namentlich  wenn  man  der  Windleitung  absichtlich 
eine  grossere  Weite  gibt. 

Diese  Regulatoren  sind  meist  cylindrisch  geformt  und  werden  liegend,  wegen 
Raumverhaltnissen  zuweilen  stehend  angeordnet  und  im  letzteren  Falle  auf  einer 
Gusseisenplatte  fundirt.  Auch  kommen  kugelformige  Regulatoren  vor,  welche 
bei  gegebenem  Volum  die  kleinste  Oberflache  besitzen,  was  jedoch  nicht  eben  auf 
den  geringsten  Materialaufwand  fiihrt,  weil  die  Wandstarke  grosser  sein  und  gegen 
unten  zunehmen  muss,  um  eine  Einsenkung  durch  das  Eigengewicht  zu  verhiiten ; 
dieser  wirken  iibrigens  auch  holzerne,  im  Innern  aufgestellte  Streben  entgegen. 

Endlich  hat  man  gemauerte  Regulatoren,  unterirdisch  angelegt,  mit  in 
Cement  gelegten  Steinen  ausgefiittert  oder  aus  Beton  mit  einem  bei  der  Auffiihrung 
als    Stiitze    dienenden    schwachen    Ziegelgewolbe.     Die    InnenwSnde    werden    mit 

46* 


Wassertrommel-Regulator. 


724  Geblase. 

Cement  beworfen  und  sodann  mit  mehrnialigein  Theeranstrich  versehen.  Dessen 
ungeachtet  sind  solche  Regulatoren  nur  schwer  luftdicht  herzustellen  und  daher 
niclit  besonders  zu  empfehlen. 

Der  Durclimesser  der  Windleitung  soil  so  gross  sein,  dass  sicli  die  Luft 
darin  mit  nicht  mehr  als  10  Meter  Geschwindigkeit  bewegt.  Sie  wird  mit 
Flantschenverbindung  aus  Gusseisen  und  bei  grosserem  Durchmesser  jetzt  meistens 
aus  Blech  hergestellt.  Zur  Dichtung  der  Flantschen  dienen  Kupferdraht  oder 
Eisenkitt,  bei  kalter  Geblaseluft  aucb  Blei,  Kautschuk,  mit  Fett  getrankter  Flanell 
oder  Filz.  Bei  langeren  geraden  Rbhrenleitungen  sind,  besonders  wenn  sie  ab- 
wechselnd  von  kalter  und  heisser  Luft  durchstromt  werden,  Compensationen 
erforderlich.  Rohren  aus  Aspbaltpapier  eignen  sicb  nur  fur  kalte  Luft. 
Gemauerte  Leitungen  sind  aus  demselben  Grunde  wie  gemauerte  Regulatoren 
nicbt  vortheilhaft. 

In  der  Nahe  der  Dusen  ist  eine  Regulirungsvorrichtung,  meist  ein  Schieber, 
eingeschaltet,  urn  die  ausstromende  Luftmenge  abzuandern.  Der  Durcbmesser  der 
Diisen  ergibt  sich  nach  den  Formeln  ftir  die  Windmengen  aus  den  Gleicbungen 


=  ^,<*  =  V: 


/    '  V    18740  V  K  —  K  ' 

worin  die  Grossen  die  friiher  angegebene  Bedeutung  besitzen,  insbesondere  M0 
die  von  einer  Diise  zu  liefernde  reducirte  Windmenge  ist,  und  im  Werthe  von 
f  fur  b,  A2  und  tl  voraussichtliche  Mittelwertbe  zu  nehmen  sind.  In  der  Praxis 
wird  ubrigens  meist  eine  Abanderung  des  bereebneten  Werthes  von  d  notbwendig. 
Die  Diise  selbst  ist  ein  Rohr  aus  Scbmied-  oder  Gusseisen  von  scbwach  conischer 
Form  (mit  circa  6  Grad  Seitenconvergenz). 

Neben  den  Cylindergeblasen  kommen  beim  Hiittenwesen  noch  zahlreiche 
andere  Arten  vor,  welcbe  jedoch  grosstentbeils  von  geringerer  Bedeutung  sind. 
Ziemlicb  verbreitet  waren  in  den  Alpenlandern  oscillirende  Cylinderge- 
blase,  bei  welchen  wie  bei  oscillirenden  Dampfmascbinen  der  verticale  Cylinder 
um  zwei  borizontale  Drehzapfen  schwingt.  Dadurcb  sind  Schubstange,  Gleitstuck 
und  dessen  Fiibrung  erspart,  dock  lassen  solcbe  Geblase  nur  eine  geringe  Kolben- 
gescbwindigkeit  zu  und  erfordern  daher  grosse  Dimensionen.  Die  Ableitung  der 
verdicbteten  Luft  erfolgt  abnlicb  wie  bei  den  spater  betrachteten  Wassertonnen- 
geblasen. 

Bei  Kastengeblasen  Fig.  1737  erfolgt  die  Verdichtung  der  Luft  in 
einem  bolzernen  quadratiscben  oder  recbteckigen,  unten  offenen  Kasten,  in  welchem 
sicb  ein  gleicbfalls  holzerner,  mit  Liederung  versehen er  Kolben  auf-  und  nieder- 
bewegt.  Die  Saugventile  befinden  sich  am  Kolben  und  offnen  sich  beim  Nieder- 
gang,  die  Druckventile  sind  am  Kasten  selbst  angebracht  und  offnen  sich  beim 
Aufgang,  das  Geblase  ist  daher  einfachwirkend.  Da  dasselbe  grosstentbeils  aus 
Holz  besteht,  sind  seine  Herstellungskosten  geriug.  Dagegen  eignet  es  sich  aus 
diesem  Grunde  nur  fur  Pressungen  bis  zu  5  Cent.  Quecksilber  und  unterliegt  der 
Kasten  einer  baldigen  Ausreibung. 

Lederbalge  (Spitzbalge)  Fig.  1738  bestehen  in  der  gewbhnlichen  Con- 
struction aus  drei  bolzernen  trapezformigen  Tafeln,  deren  Zwischenraum  durch 
einen  Ledermantel  umschlossen  ist.  Die  mittlere  Tafel  ist  fix,  enthalt  das  Druck- 
ventil,  und  ist  an  der  schmaleren  von  beiden  Trapezseiten  mit  einem  Holzblock, 
dem  Balgkopf,  verbunden,  welcher  durchbohrt  und  mit  einer  Diise  versehen  ist. 
Die  beiden  anderen  Tafeln  sind  durch  Charniere  an  dem  Balgkopf  befestigt;  die 
untere  enthalt  das  Saugventil  und  wird  auf-  und  niederbewegt,  die  obere  ist  mit 
Gewichten  bescbwert.  Das  Innere  des  Balges  ist  daher  durch  die  fixe  mittlere 
Wand  in  zwei  Theile  B  und  R  geschieden,  von  welchen  der  untere  B  zum  Auf- 
saugen  und  Verdichten  der  Luft,  der  obere  R  als  Regulator  dient,  um  ein 
bestandiges  Ausstromen  der  Luft  aus  der  Diise  zu  bewirken,  obgleich  der  Balg 
selbst  einfachwirkend  ist.  Hat  man  namlich  die  Belastung  des  Regulatordeckels 
entsprechend   regulirt,    so  wird    beim  Aufgaug    der   unteren    Platte    mehr  Luft   in 


Geblase. 


725 


den  Regulator  R  gedriickt,  als  gleichzeitig  durch  die  Diise  austritt,  daher  auch 
der  Regulatordeckel  aufsteigt.  Beim  folgenden  Niedergang  tritt  f'rische  Luft  durch 
das  Saugventil  in  den  unteren  Balgraum  B,  das  Druckventil  ist  geschlossen,  der 
Regulatordeckel  aber  wird  durch  die  Gewichte  abwarts  bewegt,  daher  die  Luf't- 
ausstromung  fortgesetzt. 

Die  Trapezform  ergibt  sich  aus  der  Forderung,  dass  die  Charniere,  bei 
welchen  die  Dichtung  am  schwersten  herzustellen  ist,  thunlichst  kurz  sein  sol  leu. 
Die  Hebung  der  nnteren  beweglichen  Tafel  erfolgt  durch  Daumen  an  einer  Wasser- 
radwelle  oder  durch  Menschenkraft,  mittelst  eines  zweiarmigen  Hebels  und  einer 
Zugstange  Z\  der  Niedergang  tritt  selbstthatig  ein  und  wird  erforderlichen  Pallea 
durch  ein  anhangendes  Gewicht  beschleunigt.  Das  Leder  soil  vor  Erhitzung  und 
Dnrchnassung  bewahrt  und  durch  ein  fettes  Schmiermittel  geschmeidig  erhalten 
werden.  Damit  dasselbe  sich  stets  in  die  gleichen  Falten  legt,  werden  an  den 
Kanten  der  letzteren  Holzleisten  befestigt. 

Die  Leistung  der  Balge  ist  gering,  ftir  bedeutendere  Windmengen  fallen 
ihre  Dimensionen  wegen  der  eigenthiimlichen  Form  zu  gross  aus,  die  Pressung 
kann  wegen  Luftverlust  nicht  liber  1*2  bis  2  Cent.  Quecksilber  gesteigert  werden. 
Diese  Geblase  sind  daher  nur  bei  Schmiedefeuern,  dort  aber  allerdings  wegen 
ihrer  einfachen  Einrichtung  in  ausgedehntester  Weise  in  Anwendung;  hie  und  da 
findet  man  sie  auch  bei  Hammerwerken. 


Fig.  1737. 


Fia.  1738. 


Kastengeblase. 


Balggeblase. 


Bei  Holzbalgen  ist  der  Ledermantel  durch  ein  holzernes  Gehause  mit 
gekriimmter  Riickwand  ersetzt.  In  vervollkommneter  Form  standen  solche  Apparate 
unter  dem  Namen  Widholmsgeblase  in  Schweden  in  Gebrauch. 

Bei  Cylinder balgen  sind  die  drei  Holztafeln  kreisfdrmig,  der  Leder- 
mantel cylindrisch,  die  obere  und  untere  Tafel  bewegen  sich  parallel  zu  ihrer 
Stellung;  am  Rande  der  mittleren  fixen  Tafel  ist  eine  cylindrische  Holzwand 
aufgesetzt,  in  welche  die  Windleitung  mtindet.  Die  horizontale  Ausdehnung  eines 
Cylinderbalges  ist  kleiner  als  die  eines  Spitzbalges.  Ein  compendioser  Apparat 
dieser  Art  ist  von  Enfer  fiir  Schmiedefeuer  construirt  CArmengaud's  genie  in- 
dustriel,  12.  Bd.). 

Von  rotirenden  Kolbenmaschinen  (bei  welchen  der  Kolben  eine  drehende 
statt  der  bin-  und  hergehenden  Bewegung  erhalt)  haben  in  neuerer  Zeit  die  Roots- 
schen  Ventilatoren  (Roots-Blower),  zu  der  Gruppe  der  von  Reuleaux  so  beuannten 
Kapselrader  gehorig,  einige  Verbreitung  gefunden.  Die  beiden  Kolben  K 
Fig.  1739  sind  ineinandergreifenden  Zahnradern  vergleichbar,  deren  jedes  nur 
zwei  Zahne  enthalt.     Dieselben    rotiren    in  einem  Gehause    dicht  anschliesseud  in 


726 


Geblase. 


der  Richtung  der  Pfeile  mit  gleicher  Geschwindigkeit.  Bei  jeder  Umdrehung 
werden  von  jedem  Kolben  zwei  Volumen  Luft  von  dem  in  der  Figur  sehraffirten 
Querschnitte  aus  der  oberen  Saugoffnung  entnommen  und  in  die  unten  sich  an- 
schliessende  Windleitung  fortgefiihrt.  Die  ausseren  Enden  der  Kolben  werden 
nach  einem  Kreisbogen  gekriimmt,  die  Form  des  mittleren  Theiles  ist  nach  den 
Regeln  der  allgemeinen  Verzahnung  zu  bestimmen.  Um  Klemmungen  zu  ver- 
meiden,  muss  zwischen  beiden  Kolben  etvvas  Spielraum  belassen  werden;  der 
dichte  Schluss  wird   durch  eine  consistente  Schmiere  aus  6  Gewichtstheilen  Talg, 

6  Th.  Gips,  3  Th.  Wacbs  und  1  Th. 
Grafit  erzielt.  Die  Achsender  Kolben 
Fig.  1739.  ragen  aus  dem  Gehause  vor  und  es 

sind  gewohnlich  an  beiden  Enden 
derselben  Zahnraderpaare,  dann  an 
jeder  Achse  eine  treibende  Riemen- 
scheibe,  an  entgegengesetzten  Seiten 
des  Apparates,  befestigt,  um  eine 
moglichst  gleichformige  Drehung  zu 
bewirken.  Nach  Fig.  1739  kann 
an  der  Saugoffnung  ein  Kasten  aus 
gelocbtem  Blech  befestigt  werden, 
welcber  das  Eintreten  fremder  Korper 
verhiitet.  Die  Kolben  bestehen  ent- 
weder  ganz  aus  Holz  oder  aus 
eisernen  Rahmen  mit  einer  Holz- 
hiille. 

Die  Vortheile  solcher  Apparate 
sind  das  Wegfallen  der  Ventile, 
einfache  Construction  und  Unab- 
hangigkeit  der  Pressung  von  der 
Umgangszahl;  dagegen  steigt  mit 
der  Pressung  die  Schwierigkeit 
der  Dichtung,  und  es  tritt  Effects- 
verlust  durch  Riickstromung  der  Luft  ein,  da  die  angesaugte  Luft  bei  atmospha- 
rischer  Pressung  mit  der  verdichteten  in  der  Windleitung  in  Beruhrung  kommt. 
Die  Spannung  kann  bei  Kolben  mit  Holziiberzug  nnd  Anwendung  consistenter 
Schmiere  bis  5  Cent.  Quecksilber  steigen,  die  Ventilatoren  werden  fur  Windmengen 

von    1*5    bis    200  Kubikmeter  pr.  Minute   her- 
Fiq.  1740.  gestellt   und    erhalten  dabei    500  bis  200  Um- 

gange  pr.  Minute;  der  Wiudeffect  wurde  vom 
Ingenieur  Geiser  in  Mariazell  zu  0'50  be- 
stinimt.  Man  verwendet  die  Roots-Blower  bei 
Kupolofen,  Schmiedfeuern  u.  s.  w. 

Bei    einer    Reihe   von    Geblasen   ist    der 
Raum,    in  welchem    die   Verdichtung    der    Luft 
stattfindet,    durch   Wasser   gegen  Aussen  ab- 
Wassertrommelgeblase.  geschlossen.  Diese  Arten  bieten  vorziiglich  nur  ein 

historisches  Interesse ;  sie  eignen  sich  sammtlich 
bloss  fur  geringe  Pressungen,  da  sonst  der  Hbhenunterschied  der  beiden  Wasserspiegel, 
von  welchen  einer  den  atmospharischen,  der  andere  dem  Drucke  der  Geblaseluft 
ausgesetzt  ist,  zu  gross  wird,  die  Dimensionen  der  Apparate  zu  sehr  anwachsen. 
Zu  denselben  gehbren  das  Baader'sche  Geblase,  welches  im  Princip  mit  dem 
bei  Ventilation  der  Bergbaue  verwendeten  Harzer  Wettersatz  iibereinstimmt,  ferner 
das  Wassertonnen-,  das  Schbpfradgeblase  und  die  Cagniardelle. 

Das  Wassertonnengeblase  Fig.  1740  ist  ein  hblzerner  hohler  Cy- 
lynder  T,  welcher  um  zwei  in  seiner  Achse  liegende  und  an  seinen  Stirnwanden 
befestigte  Zapfen  schwingt  und  durch  zwei  Kurbeln  und  Schubstangen  eine  oscil- 


Roots  Ventilator. 


Geblase. 


727 


lirende  Bewegung  erhalt.  Vom  Scheitel  der  halb  mit  Wasser  gefullten  Tonne  T. 
ist  bis  nahe  zum  Boden  eine  Scheidewand  herabgefiihrt,  und  beiderseits  von  dieser 
befinden  sich  an  der  einen  Stirnwand  die  Druck-,  an  der  anderen  die  Saugventile 
Bei  Drehung  der  Tonne  verbleibt  das  Wasser  in  deren  unterer  Halfte,  daher  sich 
der  freie  Raum  auf  einer  Seite  der  Scheidewand  vergrossert,  auf  der  anderen  ver- 
kleinert;  in  dem  ersteren  findet  daher  Ansaugen,  im  letzteren  Ausblasen  der  Luft 
statt.  Diese  Functionen  wechseln  in  den  beiden  genannten  Raumen  mit  einander 
ab.  Der  Wasserspiegel  stellt  sich  beiderseits  der  Scheidewand  verschieden  hoch, 
weil  sich  auf  einer  Seite  stets  angesaugte,  auf  der  anderen  verdichtete  Luft 
befindet.  Von  den  Druckventilen  ist  ein  Rohr  herabgefuhrt,  dessen  Endstiick  in 
die  verlangerte  Achse  der  Tonne  fallt,  daher  ebenfalls  nur  urn  diese  Achse  oscil- 
lirt  und  durch  einen  Lederschlauch  oder  eine  Stopfbuchse  mit  der  fixen  Wind- 
leitung  verbunden  werden  kann.  Johnston's  Luftcorapressionsmaschine  (Revue 
universelle  1874,  36.  Bd.  p.  343)  ist  eine  Combination  dreier  auf  einander  fol- 
gender  Wassertonnen,  in  welchen  die  Pressung  der  Luft  successive  gesteigert 
wird ;  der  ganz  aus  Eisen  bestehende  Apparat  ist  ziemlich  complicirt. 


Fig.  1741. 


Fig.  1742. 


Scbneckengeblase. 


Cagniardelle. 


Das  Schopfrad-  oder  Schneckengeblase,  nach  dem  Erfinder,  einem 
siebenblirgischen  Bergbeamten,  auch  Debreczen  y'sches  Geblase  genannt,  be- 
steht  nach  Fig.  1741  aus  kreisformigen  Holztafeln,  welche  mit  einer  centrischen 
Achse  verbunden  sind,  und  zwischen  denen  eiserne  oder  gleichfalls  holzerne,  nach 
einer  Spirale  gekriimmte  Wande  eingesetzt  sind.  Der  Apparat  taucht  in  ein 
Wasserbassin ;  eine  der  runden  Tafeln  ist  mit  einer  centrischen  Oeffnung  und 
einem  Ansatzrohr  versehen,  welches  in  einen  Behalter  miindet,  an  den  sich  die 
Windleitung  anschliesst.  Rotirt  der  Apparat  in  der  Richtung  des  Pfeiles,  so  tritt 
in  die  Kanale  zwischen  den  Spiralwanden  abwechselnd  Luft  und  Wasser  ein,  das 
Wasser  verbleibt  stets  in  der  unteren  Halfte  der  Windung,  die  Luft  in  der  oberen, 
und  schliesslich  gelangen  beide  in  den  mittleren  Raum  und  von  dort  durch  das 
Ansatzrohr  in  den  erwahnten Behalter.  Dieser  communicirt  unten  durch  eine  Oeffnung 
mit  dem  gezeichneten  Bassin,  daher  das  Wasser  wieder  in  letzteres  zuriickfliesst. 
Das  Schneckengeblase  stand  in  mehreren  Provinzen  Oesterreichs,  besonders  in 
Siebenbiirgen,  in  Bentitzung;  der  Wirkungsgrad  desselben  betragt  nur  0-2  bis  03, 
was  dadurch  zu  erklaren  ist,  dass  stets  ein  Quantum  Wasser  von  den  Spiral- 
wanden bis  in  die  Hohe  der  Achse  gehoben  werden  muss  und  dann  vom  Aus- 
trittsrohre  wieder  frei  herabfallt. 

Die  Cagniardelle  Fig.  1742  (nach  dem  Erfinder  Cagniard-La- 
t  o  u  r  so  benannt)  oder  Schraubengeblase  ist  in  gewisser  Beziehung  dem  vor- 
beschriebenen    ahnlich.     Sie    besteht   aus  einer   schraubenformigen  Platte,    welche 


728 


Geblase. 


Fig.  1743. 


an  einer  schragliegenden  Welle  befestigt  und  mit  einem  cylindrischen  Mantel  um- 
geben  ist,  der  unten  in  einen  schwach  ansteigenden  Conus  endigt.  Das  Ganze 
rotirt  in  einem  mit  Wasser  gefiillten  Behalter;  das  feststehende  Windleitungsrohr 
taucht  in  eine  Oeffnung  des  Conus.  Durch  die  gekriimmte  Platte  ist  ein  schrauben- 
fbrmiger  Kanal  gebildet,  dessen  obere  Miindung  sich  bei  der  Drebung  abwechselnd 
in  der  Luft  und  im  Wasser  bewegt,  daher  abwecbselnd  von  beiden  ein  gewisses 
Quantum  aufnimmt  und  allmalig  nacb  unten  fiihrt,  da  in  jeder  Windung  des 
Kanales  das  Wasser  den  unteren,  die  Luft  den  oberen  Raum  einnimmt.  Schliess- 
licb  stromt  die  Luft  in  das  Windleitungsrohr,  das  Wasser  durch  die  Oeffnung  des 
Conus  in  den  ausseren  Behalter  zurtick.  Der  Hbhenunterschied  zwischen  dem 
ausseren  und  dem  Wasserspiegel  im  untersten  Tbeil  des  Cylinders  entspricht  der 
Spannung  der  verdichteten  Luft.  —  Die  Leistungen  der  Cagniardelle  sollen  sebr 
befriedigend  sein,  docb  hat  die  schwierige  Herstellung  derselben  ihrer  weiteren 
Anwendung  eine  Grenze  gesetzt. 

Bei  einer  anderen  Gruppe,  die  man  Wasser  geblase  nennen  kann, 
wird  die  Verdicbtung  und  Fortschiebung  des  Wassers  durch  unmittelbare  Wirkung 
des  unter  entsprechender  Gefallsbohe  zustromenden  Wassers  erzielt.  Es  gehbren 
dazu  das  H  e  n  s  c  b  e  l'scbe  Ketten-  oder  Paternoster  geblase,  das 
von  demselben  Erfinder  stammende  Wasser  saulengeblase  und  das  A  1 1- 
h  a  n  s'sche  Wasserstopfengeblase,    \on  welchen  nur  je   ein   Exemplar 

ausgefiihrt  wurde,  und  die  beiden  ersteren 
wegen  zu  complicirter  Construction,  das  letztere 
wahrscheinlich  wegen  geringen  Effectes  keine 
weitere  Verbreitung  fanden,  daher  deren  Be- 
schreibung  hier  fiiglich  iibergangen  werden  kann. 
Ferner  sind  zu  erwahnen  die  Wasser- 
und  D  a  m  p  f  s  t  r  a  h  1  g  e  b  1  a  s  e,  bei  welchen 
Wasser  oder  Dampf  mit  so  grosser  Geschwin- 
digkeit  durch  eine  Rohre  stromt,  dass  die 
Spannung  in  der  letzteren  unter  die  atmospha- 
rische  sinkt,  daher  durch  seitliche  Oeffnungen 
in  der  Rohre  Luft  eintritt,  welche  vom 
Wasser  oder  Dampf  mechanisch  mitgerissen 
und  schliesslich  durch  Abgabe  der  lebendigen 
Kraft  verdichtet  wird.  Hieher  sind  zu  rechnen 
das  Wassertrommel-  und  das  Dampfstrahl- 
geblase. 

Die  Wasser  trommelgeblase  sind 
nacb  Fig.  1743  gewbhnlich  paarweise  aufgestellt. 
An  den  Boden  des  oben  befindlichen  Gerinnes 
fiir  das  Kraftwasser  schliessen  sich  die  E  i  n- 
f  a  1 1  r  o  h  r  e  n ,  von  welchen  in  Figur  1743 
die    eine    durchscbnitten ,    die     andere    in    der 


beweglichen  Holzkegel  kann  die  einstrbmende 
Wassermenge  regulirt  werden.  Am  Obertheil 
der  Rbbren  befinden  sich  Oeffnungen  fur  den  Eintritt  der  Luft,  die  soge- 
nannten  Schlucklbcher.  Jede  Einfallrbhre  mundet  unten  in  eine  umge 
stiirzte  Tonne,  die  Trommel,  welche  in  einem  mit  einer  Abflusslutte  ver- 
sehenen  Behiilter  steht,  und  an  deren  Deckel  sich  die  Windleitung  anschliesst. 
Indem  das  Wasser  die  Einfallrbhre  durchstrbmt,  nimmt  es  eine  gewisse  Ge- 
schwindigkeit  an,  daher  diePressung  im  Obertheil  der  Rohre  entsprecliend  kleiner 
wird  als  die  atmospharische.  Die  durch  die  Schlucklbcher  eingetretene  Luft  ge- 
langt  mit  dem  Wasser  in  die  Tonne  und  entweicht  in  die  Windleitung,  wahrend 
das  Wasser  unter  dem  Rand  der  Tonne  durch  in  den  ausseren  Behalter  tritt  und 
von  dort  continuirlicb  zum  Abfiusse  gelangt.    Urn  Wasser  und  Luft  thunlichst  von 


Geblase.  729 

einander  zu  scheiden,  ist  in  der  Trommel  ein  Tisch  mit  flach  kegelformiger  Platte, 
die  sogenannte  Brechbank  aufgestellt.  Die  Verengung  am  oberen  Ende  der 
Einfallrohre  hat  den  Zweck,  die  Geschwindigkeit  des  Wassers  zu  steigern  und 
dadurch  die  Pressung  um  so  mehr  herabzusetzen.  Die  Wassertrommel  ist  das 
einfachste  Geblase,  weil  sie  keine  bewegten  Theile  enthiilt  und  ganz  aus  Holz 
hergestellt  werden  kann.  Das  Gefalle  betragt  3  bis  9m,  der  Durchmesser  der 
Einfallrohren  0-2  bis  0*26m,  die  erreichbare  Pressung  ist  nach  dem  Gefalle  ver- 
schieden  und  steigt  bis  4*5  Cent.  Quecksilber,  die  gelieferte  Windmenge  betragt 
0*04  bis  0*07  Cubikmeter  per  Secunde.  Der  wesentliche  Nachtheil  ist  der  geringe 
Wirkungsgrad,  der  nicht  hoher  als  auf  005  bis  0"06  zu  veranschlagen  ist.  Die 
Anwendung  dieses  Apparates  gehort  daher  auch  mehr  der  Vergangenheit  an. 

Das  D  a  m  p  f  s  t  r  a  h  1  g  e  b  1  a  s  e  ist  dagegen  eine  Erfindung  der  neueren 
Zeit;  und  ist  der  G  i  f  f  ar  d'schen  Dampfstrahlpumpe  ahnlich,  nur  dass  dasselbe 
Luft  statt  des  Wassers  saugt.  Da  die  Luft  mit  dem  Wasserdampf  austritt, 
ist  dieses  Geblase  nur  dort  verwendbar,  wo  der  Gehalt  an  Dampf  dem  betreffenden 
Hiittenprozess  keinen  Nachtheil  bringt.  Dasselbe  kommt  bei  Gasgeneratoren,  wo 
ein  solcher  Gehalt  sogar  vortheilhaft  ist,  zum  Einblasen  von  Luft  in  den  ge- 
schlossenen  Raum  unter  dem  Rost  (Erzeugung  von  Unterwind)  in  Beniitzung. 
Bei  dem  K  o  r  t  i  n  g'schen  Geblase  wird  zuerst  durch  einen  Dampfstrahlapparat 
das  Gemenge  von  Luft  und  Dampf  in  einen  Behalter  geblasen,  worin  der  Dampf 
sich  theilweise  niederschlagt,  sodann  in  einen  zweiten  grosseren  Apparat,  um  hier 
als  Motor  von  Neuem  Luft  anzusaugen  und  mit  dieser  vereint  in  die  Windleitung 
zu  stromen.  Im  Allgemeinen  lasst  sich  von  den  Dampfstrahlgeblasen  analog  den 
Giffard'schen  Injectoren  nur  ein  geringer  Wirkungsgrad  erwarten,  und  wird  sich 
daher  deren  Anwendung  nur  auf  specielle  Falle  beschranken.     (S.  Injectoren.) 

Auch  die  Centrifugalventilatoren  spielen  im  Hiittenwesen  eine 
verhaltnissmassig  untergeordnete  Rolle.  Der  Grund  davon  ist,  dass  diese  Ma- 
schinen  sich  zur  Erzeugung  hbherer  Pressungen  nicht  eignen.  Die  erreichbare 
Pressung  hangt  von  der  Umfangsgeschwindigkeit  des  Ventilatorrades  ab,  und  je 
grosser  erstere  sein  soil,  desto  grosser  mtissen  Durchmesser  und  Umgangszahl 
sein.  Bei  grossem  Durchmesser  wird  der  Ventilator  schwer  und  kostspielig,  bei 
grosser  Umgangszahl  wachsen  der  Verbrauch  an  Schmiere  und  die  Reparaturen. 
So  kann  eine  Pressung  von  circa  3  Centimeter  Quecksilber  als  die  Grenze  dessen 
betrachtet  werden,  was  praktisch  ohne  grosse  Uebelstande  erreichbar  ist.  Ein 
Rittinger'scher  Ventilator  z.  B.  erfordert  dabei  schon  l'6m  Durchmesser  und 
900  Umgange  pr.  Minute  oder  l*2m  Durchmesser  und  1200  Umgange.  Dagegen 
fiihrt  erst  ein  sehr  grosses  zu  bewegendes  Luftvolum  auf  Schwierigkeiten  der 
Ausfilhrung,  weil  dieses  nur  eine  Vergrosserung  der  Breite  des  Ventilatorrades 
und  des  Durchmessers  der  Saugoffnungen,  nicht  aber  eine  Vermehrung  der  Um- 
fangsgeschwindigkeit erfordert.  Die  sonstigen  wesentlichen  Vorziige  sind  Ein- 
fachheit  der  Construction,  bei  welcher  insbesondere  die  Ventile  wegfallen,  und 
gleichformige  Luftstromung.  Centrifugalventilatoren  werden  dort  angewendet,  wo 
eine  geringe  Pressung  geniigt,  wie  bei  Kupolofen,  Frisch-  und  namentlich  bei 
Schmiedefeuern. 

Der  Wirkungsgrad  der  gewohnlichen  Ventilatoren  betragt  0*25  bis  0*35,  die 
Construction  ist  sehr  verschieden  und  basirt  nicht  stets  auf  bestimmten  Principien. 
In  der  Regel  bestehen  dieselben  aus  einem  mit  gekriimmten  Flitgeln  versehenen 
Rade,  welches  in  einem  Gehause  eingeschlossen  ist,  an  das  sich  tangential  die 
Windleitung  anschliesst.  Im  Gehause  befindet  sich  auf  einer  oder  auf  beideu 
Seiten  eine  kreisformige  Saugoffnung,  deren  Mittelpunkt  in  die  Achse  des  Rades 
fallt.  Indem  clas  letztere  rotirt,  erhalt  die  zwischen  den  Fliigeln  eingeschlossene 
Luft  ebenfalls  eine  drehende  Bewegung  und  gelangt  zufolge  der  Fliehkraft  in  das 
Gehause  und  von  dort  in  die  Windleitung.  Durch  den  Austritt  der  Luft  aus  dem 
Fliigelraum  wird  in  diesem  die  Spannung  kleiner  als  die  atmosparische,  und  es 
findet  daher  ein  stetes  Nachstromen  itusserer  Luft  durch  die  Saugoffnung  statt. 


730 


Geblase. 


Bei  Rittinger's  Ventilator  Fig.  1744  besteht  das  Rad  aus  einer  massiven 
und  einer  mit  einer  Oeffnung  in  der  Mitte  versehenen  Scheibe;  zwischen  diesen 
beiden  parallelen  Scheiben  befinden  sich  die  gekriimmten  Fliigel,  welche  an  der 
Innenseite  eine  derartige  Richtung  besitzen,  dass  der  Eintritt  der  Luft  ohne  Stoss 
stattfindet,  aussen  jedoch  radial  auslaufen,  da  nach  Rittinger's  Theorie  der  Ven- 
tilatoren  bei  dieser  Form  die  zur  Erzielung  einer  gegebenen  Pressung  nothwendige 
Umfangsgeschwindigkeit  am  kleinsten  wird.  Die  Oeffnung  in  der  einen  Ventilator- 
scheibe  correspondirt  mit  der  Saugoffnung  in  einer  von  den  beiden  ebenen  paral- 
lelen Wanden  des  Gehauses.  Das  letztere  ist  unter  Beriicksichtigung  des  Umstandes, 
dass  von  gleichen  Theilen  des  Radumfanges  gleich  viel  Luft  ausstromt,  spiral- 
formig  erweitert.  Nach  der  genannten  Theorie  ergibt  sich  bei  geringen  Wind- 
mengen  das  Rad,  parallel  zur  Achse  gemessen,  sehr  schmal,  wodurch  der  Neben- 
widerstand  gegen  die  Bewegung  der  Luft  verhaltnissmassig  gross  wird. 


Fig.  1744. 


Kittins 


Ziemlich  verbreitet  ist  die  Ventilatorform,  welche  Fig.  1745  im  Horizontal- 
schnitte  zeigt,  und  welche  von  Colt,  spater  von  Schiele  ausgefiihrt  wurde.  An 
die  Achse  schliesst  sich  das  aus  Nabe,  Armen  und  dreieckigen  Fliigeln  bestehende 
Rad;  das  Gehause  ist  zweitheilig  und  besteht  aus  einem  mittleren,  beiderseits 
conisch  zulaufenden  und  einem  ausseren  Theil  in  Form  eines  Ringes  von  kreis- 
formigem  Querschnitt,  an  welchen  sich  tangential  die  Windleitung  an  schliesst.  Die 
Verengung  des  Fliigelraumes  gegen  Aussen  hat  den  Vortheil  einer  allmaligeren  Ab- 
leukung  und  geringeren  Contraction  des  Luftstromes,  welcher  parallel  zur  Achse 
eintritt  und  sodann  eine  radiale  Richtung  annehmen  muss.  Auch  arbeitet  dieser 
Ventilator  ohne  das  Gerausch,  welches  nicht  nur  lastig  ist,  sondern  auch  auf 
weniger  gnten  Gang  und  Effect  schliessen  lasst. 

Bei  Lloyd's  Ventilator  Fig.  1746  sind  die  Fliigel  etwas  zuruckgekrummt, 
fur  welche    auch    sonst  vorkommende  Einrichtung  verschiedene,    nicht   ganz  stich- 


Geblase.  —  Gefrierpunkt. 


731 


haltige  Erklarungen  gegeben  werden.  Die  Austrittsgeschwindigkeit  der  Luffc  vom 
Rade  wird  durch  diese  Construction  herabgesetzt,  was  zur  Verminderung  der 
Nebenhindernisse  beitragen  mag.  Das  Gehause  besteht  aus  4  in  einer  Horizontal- 
und  einer  Verticalebene  zusammenstossenden  Theilen.  Auch  hier  ist  der  Fliigel- 
raum  stark  gegen  Aussen  verengt.  Bei  einigen  anderen  Arten  sind  die  Fliigel 
eben,  jedoch  ebenfalls  nicht  radial  gestellt,  sondern  zuriickgeneigt. 

Eigenthiiralich  ist  der  F  a  11  ize'sche  Ventilator,  dessen  Rad  statt  der  Fltigel 
bloss  eine  Anzahl  ringformiger,  in  geringem  Abstand  von  einander  senkrecht  zur 
Achse  befestigter  Scbeiben  enthalt,  von  welchen  die  Luft  nur  durch  Reibung 
mitgenommen  und  in  Rotation  versetzt  wird,  dann  aber  in  Folge  der  Tragheit 
wieder  in  das  umgebende  Gehause  entweicht. 


Fig.  1746. 


Flo.  1745. 


Colt's  Ventilator. 
(Horizontalschnitt.) 


Lloyd's  Ventilator. 

Um  die  Umfangsgeschwindigkeit  der  Ventilatoren  herabzusetzen,  ist  man 
auf  die  Idee  verfallen,  deren  zwei  oder  mehrere  derart  zu  combiniren,  dass  jeder 
die  vom  vorhergehenden  gelieferte  Luft  ansaugt  und  dem  folgenden  wieder  zublast. 
Sind  n  Ventilatoren  vorhanden,  so  hat  jeder  die  Pressung  nur  um  den  wten  Theil 
der  gewiinschten  Gesammt-Erhohung  zu  steigern.  Sehr  compendios  ist  dieses 
Princip  durchgefiihrt  beim  Hochdruckventilator  von  Clark  (Polytechnisches  Central- 
blatt  1870,  S.  736),  bei  welchem  sammtliche  Rader  auf  einer  gemeinschaftlichen 
Achse  angebracht  sind. 

Die  ausgedehnteste  Bearbeitung  des  Capitels  iiber  Geblase  entbalten  Jul.  v. 
Hauer's  „Huttenwesensmaschinen,u  II.  Aufl.,  Leipzig  1876;  ferner  befassen  sich  mit 
dem  Gegenstand,  vorzugsweise  beschreibend  und  vom  Standpunkte  des  Hiittenmannes 


mannischen,  sowie  die  sonstigen  technischen  Zeitschriften  eine  ausgedehnte  Literatur 
iiber  diese  Maschinen.  J.   v.  Hauer. 

Gpblaselampe,  s.  Glasblaserei. 

Gebrochene  Passage  oder  satzweiser  Einzug  (remettage  interrompu) 
s.  Web  erei. 

Gedge's  Wletall.     Legirung  aus  60  Thl.  Kupfer,    38 Vs  Thl.  Zink,   1.5  Thl. 
Eisen,  dient  zu  Schiffbeschlagen,  lasst  sich  hammern  und  walzen.     GtL 

Geflechte,  s.  Flechtarbeiten  III  pag.  581. 

Gefrierpunkt,   Eispunkt,  Nullpunkt  der  Celsius'schen  und  Reanmur'schen 
Thermometer,  s.  Warmemessung. 


732  Gegen-Email.  —  Gekrosestein. 

Geg  en  -Email  (contre-email)  ist  Email,  welches  auf  der  Gegenseite  diinner 
Metallbleche,  z.  B.  ZifFerblatter,  aufgetragen  werden  muss,  um  das  Verziehen  zu 
hindern  und  das  Object  zu  verstarken,  s.  Email  III  pag.  267. 

Gegenmuttern,  Contremuttern,  s.  Schraubenversicherungen. 

Gegen-Punzen  (contre-poincons  —   counter -punches),  s.  Pun  z  en. 

Gegenwinder,  s.  Baumwollspinnerei  I  pag.  353. 

Gehange,  ofter  gebrauchte  Bezeichnung  fur  Constructionstheile,  an  welche 
andere  Theile  angehangt  sind  oder  hiedurch  von  oben  oder  der  Seite  her  getragen 
werden,  z.  B.  bezeichnet  man  so  die  Zwischenrahmen  der  Fofmkasten  (Hangeisen), 
Theile  am  Webstuhl,  welche  Schafte  tragen  (Rollen,  Gehange)  etc. 

Gehreisen,  s.  Geisfuss. 

Gehrmass,  s.  Gehrung. 

Gehrung  {onglet,  anglet,  biaisement,  mitre  —  mitre).  Der  Tischler,  Zim- 
mermann  und  audi  einige  Metallarbeiter  bezeichnen  unter  Gehrung  den  Winkel 
von  45°.  In  der  Gehrung  zusammengefiigte  Theile  sind  dann  solche,  welche  je 
unter  45°  zugearbeitet  und  dann  zusammengefiigt  eine  rechtwinklige  Ecke  bilden. 
Namentlich  fur  Holzarbeiten  hat  diese  Verbindungsweise  grosse  Verbreitung  und 
bedient  man  sich  verschiedener  Hilfswerkzeuge,  welche  die  Herstellung  der  Gehrung 
erleichtern.  Hierher  gehort  das  Gehrmass  (equerre-onglet  —  mitre  square), 
welches  ein  Winkelmass  mit  Anschlag  ist,  bei  welchem  beide  Schenkel  mit  ein- 
ander  den  Winkel  von  135°    (90°  -j-  45°)    einschliessen,    s.  Messwerkzeuge. 

Die  Gehrungsschneidlade  und  die  Gehrungsstosslade  sind 
Hilfswerkzeuge,  bei  welchen  eine  Sage,  respective  ein  Hobel,  unter  45°  gegen  die 
Langskante  des  Arbeitsstuckes  gefiihrt  wird  und  so  die  Herstellung,  resp.  Zu- 
arbeitung  der  Gehrung  erleichtert  wird.  Die  erstere  wird  als  Hilfsweikzeug  bei 
Schneiden  mit  der  Sage  im  Artikel  Sage,  letztere  im  Artikel  Hobel  besprochen. 

Kk. 

Geigenharz,  s.  m.  Colophonium,  s.  Fichtenharz  III  pag.  482. 

Geinsaure,  Acker-,  Torf-Saure,  Bestandtheil  der  Moorerde,  verhalt  sich 
ahnlich  der  Huminsaure  s.  d.,  vgl.  Humus. 

Geisfuss.  Diese  Benennung  kommt  verschiedenen  Werkzeugeh  zu.  So 
heisst  Geisfuss  eine  zum  Bewegen  von  Lasten  verwendete  Eisenstange  (Brech- 
stange,  Beisser),  deren  Ende  etwas  diinner  und  in  zwei,  einen  kurzen  Spalt  zwischen 
sich  lassenden  Zinken  ausgeschmiedet  ist.  Dieses  gabelformige  Ende  kann  auch 
zum  Ausziehen  von  Nageln  verwendet  werden. 

Geisfuss  (carrelet,  burin  —  corner  chisel,  parting  tool)  wird  ferner  ein 
schneidendes  Werkzeug  genannt,  welches  aus  zwei  geradlinigen,  unter  45,  60  oder 
90°  zusammenstossenden  Schneiden  besteht  und  in  Form  und  Anwendungsweise 
zu  den  Stemm-  und  Stechzeugen  (s.  d.)  gehort.  Unter  demselben  Namen 
kommt  ein  in  den  Schneiden  ahnliches  Werkzeug  (b  V),  aber  mit  noch  spitzerem 
Winkel,  beim  Schneidzeug  fitr  holzerne  Schrauben  (s.  d.)  in  Anwendung.  Kk. 

Geistuhren,  Controllapparate,  s.  m.  Spiritusmessapparate. 

GekratZ,  Arco  (arcot  —  dross),  s.  Kupfer. 

GekratZ,  Kratze,  Goldkratze  (lavure,  cendres  —  dross,  sweepings)  werden 
verschiedene  Abfalle  beim  Goldschmelzen  und  der  Goldbearbeitung  genannt,  z.  B. 
Feilspiine  etc.,  s.  Goldarbeiten. 

Gekrosestein,  s.  Anhydrit. 


Gelander.  —  Gelbbeereri.  733 

Gelander  (barriere,  garde-corps  —  railing),  die  Einfassung  eines  Kaumes 
an  den  Seiten,  iiber  welche  man  nicht  hinaustreten  soil ;  zuraeist  angewewkt  bei 
Stiegen,  offenen  Corridoren,  Balkonen,  Briicken  etc.  Die  Einfassung,  ea.  0.90  r" 
hoch,  wird  entweder  durch  Holzstabe  (gedrecbselt,  Traillen  genannt)  oder  durch- 
brochen  geschnitzte  Bretter,  guss-  oder  schmiedeiserne  Stabe  und  Gitter,  Stein-, 
Terracotta-  und  Cement-Briistungen  in  mannigfachster  Weise  hergestellt.  Siehe 
auch  Balustrade  I,  285.  Grohn. 

Gelager,  Kiihlge lager  d.  i.  Absatz  auf  den  Kiihlstocken  der  Brauereien, 
s.  Bier  I  pag  495.  Fassgelager,  Absatz  in  den  Lagerfassern,  vgl.  Bier,  vgl. 
Weiri. 

Gelatine,  s.  Leim,  vgl.  a.  Gallerte. 

Gelatine  chinesische,  vgl.  Agar -Agar  I  pag.  59. 

Gelatine  japanische,  vgl.  Agar-Agar  I  pag.  59. 

Gelatinefolien,  s.  m.  Leimfolie,  s.  Leim. 

Gelatinpapier  (papier  glace,  papier  gelatine)  ist  Hausenblasenfolie,  erhalten 
durch  Aufgiessen  einer  warmen  Losung  von  Hausenblasenleim,  welche  man  auf 
eine  schwach  geolte  Spiegelglastafel  giesst,  eine  zweite  eingeolte  Tafel  darauflegt 
und  nach  dem  Erkalten  beide  auseinander  nimmt. 

Gelbbeeren,  Gelbkorner  (graines  de  Perse  —  yellow  berries),  Avig- 
nonkorner,  Kreuzbeeren,  Persische  Beeren.  Unter  diesem  Namen  kommen  die 
getrockneten  unreifen  Beeren  mehrerer  in  Italien,  Spanien,  der  Ttirkei,  Klein- 
Asien,  Persien  einheimischer,  im  siidlichen  Frankreich  haufig  cultivirter  Rhamnus- 
(Kreuzdorn-)  Arten  in  den  Handel  und  werden  als  Farbmaterialien  verwendet. 
Die  Beeren  sind  etwa  erbsengross,  rundlich  mit  drei  oder  vier  halbkreisformigen 
Einschniirungen,  welche  vom  Stiel  nach  der  Spitze  zulaufen  und  den  Zwischen- 
raumen  der  in  dem  Fruchtfleische  eingebetteten  Samenkorner  entsprechen.  Die 
Farbe  ist  gelbgriin,  braunlich  bis  schwarz,  sie  haben  einen  eckelhaften  Geruch 
und  einen  bitteren  unangenehmen  Geschmack. 

Man  unterscheidet  namentlich  folgende  Handelssorten : 

a)  Persische  Beeren,  sind  an  Grosse  etwa  grossen  Erbsen  gleich, 
laufen  gegen  den  Stiel  spitz  zu  und  zeigen  eine  schon  griine  Farbe.  Sie  sind 
vierfachrig  und  enthalten  in  den  Fachern  fast  dreieck'ige  Samen.  Der  Geschmack 
ist  stark  bitter.  Sie  kommen  meist  von  Aleppo  und  Smyrna,  wohl  auch  Triest 
aus  in  den  Handel  und  stammen  von  Tihamnus  amygdalinus,  oleo'ides  und 
saxatilis. 

b)  Levantische  oder  turkische  Gelbbeeren  (Grenetten) ,  sind 
etwa  pfefferkorngross  und  nur  dreifachrig.  Sie  kommen  aus  der  Tiirkei  und 
Natolien  iiber  Konstantinopel  und  Smyrna  zu  Markte.  Man  unterscheidet  sie  ihrer 
Abstammung  nach  in  Adrianopel-,  bessarabische  und  wallachische  Beeren,  von 
denen  die  letzteren  die  geschatzteste  Sorte  sind. 

c)  Morea- Beeren,  die  grosste  Sorte  der  Gelbbeeren  von  lichtgelber 
Farbe  mit  bios  zwei  Samenfachern. 

d)  Franzosische  oder  Avignon-Beer  en  {graines  d' Avignon  — 
french  berries),  sind  pfetferkorngross,  plattgedriickt,  unten  spitzig,  zweifachrig, 
von  dunkelgriiner  Farbe.  Sie  stammen  von  Rhamnns  infectoria  und  alaternut, 
und  sind  von  geringerem  Werthe  als  die  persischen. 

e)  Spanische  Beeren  sind  den  franzosischen  ganz  ahnlich,  aber von gelber 
Farbe  und  werthvoller  als  jene.     Stammen  von  Bhamnus  saxatilis. 

f)  Itali^iiische  Beeren  gleichen  ebenfalls  den  franzosischen  Beeren 
und  stammen  von  Rhamnus  infectoria. 


734  Gelbbeeren.  —  Gelbeisenstein. 

g)  Ungarische  Beeren,  stammen  von  Rhamnus  cathavtica  und  saxatilis, 
sind  etwa  erbsengross  und  vierfachrig,  zieralich  geschatzt. 

h)  Deutsche  Beeren,  welcbe  von  Rhamnus  cathavtica  stammen,  sind 
die  geringwerthigsten  (vgl.  a.  Kreuz  beeren). 

Die  Gelbbeeren  liefern  mit  Wasser  gekocht  einen  schmutzig  gelben  Absud, 
welcher  sicb  an  der  Luft  leicht  verandert  mid  mit  verschiedenen  Beizmitteln 
Nuancen  liefert,  welche  den  mit  Quercitron  eizielbaren  ahnlich  sind.  Mit  Quer- 
citron und  Gelbholzabsud  gemengt  und  mit  Alaun  und  Kreide  gefallt  liefert  der 
Gelbbeeren-Absud  einen  gelben  Farblack7  das  Schittgelb  {stil  de  grain).  Die 
Gelbbeeren  werden  hauptsachlich  zur  Herstellung  von  Dampf-  und  Tafelfarben 
beniitzt,  meist  gemeinscbaftlich  mit  Gelbholz  und  Quercitron,  audi  fur  die  Zwecke 
der  Buntpapierfarberei  u.  d.  m. 

Lasst  man  den  Absud  von  Gelbbeeren  mit  Wasser,  der  mit  etwas  Schwefel- 
saure  angesauert  ist,  einige  Zeit  steben,  so  tritt  alsbald  alkoholiscbe  Gahrung  ein, 
bei  der  sich  eine  schwer  losliche  krystallinische  Substanz  abscheidet.  Die  Gelb- 
beeren enthalten  neben  sonstigen  allgemeincr  verbreiteten  Pflanzenstoffen  nament- 
lich  Rhamnin  (Rhamnegin,  Xanthorhamnin)  undRhamnetin  (Chrysorhamnin), 
von  welchen  das  erstere  ein  Glukosid  (Mannid),  das  letztere,  das  auch  als  Spal- 
tungsproduct  des  Rhamnins  entsteht,  das  eigentliche  farbende  Princip  ist,  das  sich 
durchaus  wie  Quercetin  verhalt  (s.  Rhamnin  und  Rhamnetin).  In  den  Beeren 
von  Rhamnus  cathavtica  findet  sich  das  auch  als  Frangulin  (s.  Ill  pag.  625) 
bezeichnete  Chromogen,  Rhamno-Xan thin,  dann  ein  unkrystallisirbarer  Bitter- 
stoff  das  Rhamnocathartin  und  die  Rhamnogerbsaure.  Vgl.  a.  Kreuz- 
beeren  und  Kreuzd  ornfarbstoffe,  vgl.  Kane,  Journ.  f.  pract.  Chem.  29 
pag.  481.  Fleury,  ebenda  26  pag.  226.  Winkler,  Jahrb.  Pharm.  24  pag.  1. 
Binswanger,  Repert.  Pharm.  104  pag.  54.  Gellatly  chem.  Centralbl.  1858 
pag.  477.  Ortlieb,  Bull.  soc.  de  Mulhouse  30  pag.  16.  .Bolley,  polyt.  Cen- 
tralbl. 1860  pag.  1125.  Lefort,  Compt.  rend.  63  pag.  840  u.  1081.  Schtitzen- 
berger,  chem.  Centralbl.  1868  pag.  806.  Stein,  polyt.  Centralbl.  1868  pag. 
1176  und  1869  pag.  41.  Cass  elm  aim,  Annal.  Chem.  u.  Pharm.  104  pag.  77. 
P  hip  son,  Compt.  rend.  47  pag.  153.  Enz,  Viertelj.  f.  pract.  Pharm.  16  pag. 
106.     Faust,  Arch.  Pharm.   187  pag.  8.     Gtl. 

Gelbbeeren  chinesische.  Unter  diesem  Namen  kommen  seit  einigen  Jahren 
die  getrockneten  Bltithenknospen  von  Sophova  japonica  als  Farbmateriale  in  den 
Handel.     Gtl. 

Gelbbleierz,  s.  Wulfenit. 

Gelbbrennen,  s.  Abbeizen  I  pag.  l. 

Gelbcomposition.  Beize  zum  Gelbfarben  mit  Quercitron  auf  Zeugen,  ist 
eine  Losung  von  Zinn  in  3  Thl.  Salzsaure  und  1  Thl.  Schwefelsaure,  s.  Zeug- 
farberei.     Gtl. 

Gelbeisenerz  (fer  oxyde  jaune  —  iron  ochre),  Gelbeisenstein,  gelber 
Eisenocker,  gelber  Glaskopf,  Xanthosiderit,  Min.,  ahnliche  Formen 
zeigend  wie  Brauneisenstein,  goldgelb-braun  bis  braunroth,  ist  Eisenoxydhydrat 
Fe„03  -4-  2HaO.  Findet  sich  neben  Brauneisenstein,  bildet  aber  in  jiingeren 
Formationen  auch  selbststandige  Lager  (Ilmenau).  Mit  Thon  gemengt  bildet  es 
das  thonige  Gelbeisenerz  (im  Steinkohlengebirge  und  Jura),  findet  als  Eisenerz 
Verwendung.  Den  gleichen  Namen  fiihrt  auch  das  bei  Kolosoruk  und  Tschermig 
in  Bbhmen,  dann  bei  Modum  in  Norwegen  vorfindliche  Kalium-Eisen-Sulfat  (das 
von  Modum  ist  Natrium-Eisensulfat)  4^,03503  +  Ka^SO^  +  9HqO,  welches 
in  nierenformigen  Knollen  oder  Platten  auch  derb  sich  findet,  schon  ockergelb, 
mattglanzend  und  wenig  sprode  ist.  Harte  =z  2.5 — 3,  spec.  Gew.  2.7 — 2.9.    Gtl. 

Gelbeisenstein,  s.  Gelbeisenerz. 


Gelberde.  —  Gelbholz.  735 

Gelberde,  ein  lichter  Brauneisenocker,  welcher  sich  hie  und  da  in  Braun- 
eisenstein-  oder  Bohnerzgruben,  auch  als  Absatz  eisenhaltiger  Sauerlinge  findet, 
dann  auch  ein  ockergelber,  feinerdiger  Thon,  der  bei  Wehrau  in  der  Lausitz  und 
zu  Amberg  in  Franken  vorkommt.  Sie  brennen  sich  sammtlich  roth,  sind  in 
Saure  theilweise  loslich.  Die  Gelberde  koramt  geschlemrat  in  den  Handel  und 
dient  als  Anstrichfarbe.  Lb. 

Gelbgiesserei  (fonderie  de  cuivre  jaune  —  brass-foundry),  Messing- 
giesserei  (s.  Giesserei). 

Gelbgummi,  s.  Acaroidharz  I  pag.  45. 

Gelbharz,  s.  Acaroidharz  I  pag.  45. 

Gelbholz  (murier  des  teinturiers  —  yellow  wood),  alter  Fustik.  Das 
rindenfreie  Stammholz  des  Farbermaulbeerbaumes,  Morus  tinctoria  L.  {Madura 
tinctoria  Nutt.,  Broussonetia  tinctoria  Kunth.),  einer  in  Ostindien,  Siidamerika, 
dann  einzelnen  Theilen  Nordamerikas,  Jamaika,  Cuba,  Tabago  einheimischen  Urticee, 
welche  oft  die  Hohe  von  50 — 60  Fuss  erreicht.  Das  Holz  ist  blass  citronen- 
gelb,  fest  und  hart,  fast  sprode,  zienilich  leicht,  zuweilen  von  rothlichen  Adern 
durchsetzt.  Es  kommt  in  Scheiben  bis  zu  50  K.  schwer  in  den  Handel,  welche 
beiderseits  abgeschnitten  sind.  Auch  gemahlen  und  geraspelt  wird  es  zu  Markte 
gebracht.     Die  beste  Handelssorte  ist: 

a)  Das  Cuba-Gelbholz,  das  von  Cuba  stammend  in  kleinen,  runden, 
ziemlich  dicken  Stiicken  von  ausserlich  brauner,  innen  schon  gelber  Farbe  vor- 
korumt  und  in  der  Regel  roth  geadert  ist. 

b)  Das  Tampico-Gelbholz  ist  lichter  gelb  als  das  Cubaholz,  mit  deni 
es  zumeist  in  den  Handel  kommt.     Eine  seltenere  Handelssorte  ist 

c)  das  Brasili en- Gelbholz  (gelbes  Brasilienholz),  das  sehr  hellfarbig, 
matt,  meist  wurmstichig  und  eine  geringwerthige  Sorte  ist.     Besser  als  dieses  ist 

d)  das  Jamaika-Gelbholz  (Tuspanholz ,  ostindisches  Gelbholz)  von 
lebhaft  gelber  Farbe,  am  Schnitte  deutlich  glanzend,  das  in  einzelnen  Stiicken 
dem  Cubaholze  an  Werth  fast  gleichkommt,  aber  schwerer  ist  als  jenes,  und 

e)  das  Porto rico-Gelbholz  (Carthagena-7  Marakaibo-,  San  Domingo- 
Gelbholz),  das  ziemlich  licht  gefarbte,  ungleich  grosse,  schwere  Stiicke  bildet. 
Sehr  geschatzte  Sorten  bilden  endlich 

f)  das  Siam-Gelbholz  oder  K a  1  e b  (Kardarang  der  Malayen),  das  von 
Siam  zu  Markte  kommt,  und 

g)  das  Madagora-  oder  Jungfernholz,  das  aus  Indien  stammmt. 

Das  Gelbholz  enthalt  wesentlich  zwei  bei  der  technischen  Verwendung  des- 
selben  in  Betracht  kommende  Stoffe,  namlich  das  Morin  (Morinsaure)  und  das 
Maclurin  (Moringerbsaure).  Das  Morin,  zuerst  von  Chevreul  entdeckt,  kann 
erhalten  werden,  wenn  man  den  wassrigen  Absud  des  Gelbholzes  stark  (etwa  bis 
zur  Halfte  des  Gewichtes  des  verwendeten  Holzes)  eindampft  und  mehrere  Tage 
stehen  lasst.  Es  scheidet  sich  ein  Bodensatz  ab,  der  neben  Morin  auch  die  Haupt- 
masse  des  Maclurins  enthalt.  Derselbe  wird  abfiltrirt,  gepresst,  zweimal  mit  Wasser 
ausgekocht  und  siedend  heiss  filtrirt.  Der  hiebei  ungelost  bleibende  Antheil  ist 
rohes  Morin  mit  etwas  Morinkalk.  Man  erhitzt  dasselbe  mit  Wasser  und  etwas 
Salzsaure,  wascht  gut  aus,  lost  den  Riickstand  in  kochendem  Weingeist,  vermengt 
die  Losung  mit  2/3  des  Volumens  an  heissem  Wasser  und  lasst  erkalten,  wobei 
sich  fast  alles  Morin  in  gelben  Nadeln  ausscheidet,  das  durch  wiederholtes  Um- 
krystallisiren  aus  Weingeist  und  endliches  Entfarben  mit  Schwefelblei  voilig  ge- 
reinigt  werden  kann. 

Es  bildet  glanzende,  fast  voilig  farblose,  1 — 3  Linien  lange  Krystallnadeln, 
die    haufig    zu    Biischeln    gruppirt    sind,    von    schwach    bitterem  Geschmacke  und 


736  Gelbholz. —  Gelbholz  ungarisches. 

schwach  sauerer  Reaction.  Es  lost  sich  in  4000  Thl.  kaltem  und  1060  Thl. 
siedend.  Wasser,  leiclit  in  Weingeist,  schwer  in  Aether,  nicht  in  Schwefelkohlen- 
stoff.  Alkalien  losen  es  leicht  mit  tiefgelber  Farbe,  wassrige  Sauren  losen  ebenfalls 
etwas  leichter  als  reines  Wasser.  Die  ZusammensetzungderKrystalleentspricht  der 
Formel  C1(1HsOb  -f-  H^O;  sie  verlieren  ihren  Wassergehalt  erst  bei  250°  C. 
vollstandig.  Behn  Erhitzen  iiber  300°  C.  subliniirt  ein  Theil  des  Morins,  wahrend 
sich  ein  Theil  in  Kohlensaure,  Phenol  und  Brenzcatechin  zersetzt.  Mit  Eisen- 
chlorid  farbt  sich  die  Losung  dunkelgriin.  Mit  Kali,  Natron,  Kalk  etc.  bildet 
sie  salzartige  Verbindmigen,  von  denen  das  Morinkali  (C\uHgK06)  sich  in  Gestalt 
weissgelber,  nach  dem  Trocknen  braungrun  werdender  Krystallnadeln  aus  einer 
heiss  bereiteten  Losung  des  Morins  in  kohlensaurem  Kali  abscheidet.  Morinkalk 
(Ca4^risCa012)  bildet  einen  gelben  Niederschlag,  der  durch  Fallung  von  Morinkali 
mit  Chlorcalcium  erhalten  werden  kann.  Mit  Salpetersaure  liefert  es  eine  rothe 
Losung  die  beim  Verdampfen  tafelfonnige,  gelbweisse  Krystalle  von  Styphnin- 
saure  hinterlasst  (vgl.  Chevreul,  Journ.  chim.  med.  6  pag.  158.  R.  Wagner, 
Journ.  f.  pract.  Cheni.  51  pag.  82,  52  pag.  449.  Hlasiwetz  u.  Pfaundler, 
Journ.  f.  pract.  Chem.  90  pag.  445  und  94  pag.  65). 

Das  Maclurin  oder  die  Moringerbsaure  kann  aus  dem  durch  wieder- 
holtes  Auskochen  des,  rohes  Morin  und  Maclurin  enthaltenden  ersten  Absatzes 
aus  dem  Gelbholzabsude  (siehe  oben),  gewonnenen  Filtrate  durch  starkes  Ein- 
dampfen  und  Zusatz  von  etwas  Salzsaure  abgeschieden  und  durch  wiederholtes 
Umkrystallisiren  aus  schwach  angesauertem  Wasser  gereinigt  werden.  Es  bildet, 
wenn  vollig  rein,  farblose  Krystallchen  von  siisslich  zusammenziehendem  Geschmacke, 
wenn  noch  unrein,  hellgelbe  mikroskopische  Nadeln,  die  bei  140°  C.  ihr  Wasser 
verlieren  und  bei  200°  C.  schmelzen,  bei  weiterem  Erhitzen  tritt  Zersetzung  ein. 
Lost  sich  in  6.4  Thl.  Wasser  von  20°  C.  und  2.1  Thl.  kochendem  Wasser  mit 
gelber  Farbe ;  leicht  in  Weingeist,  Holzgeist,  Aether.  In  wassrigen  Alkalilpsungen 
ist  es  leicht  loslich,  kohleusaure  Alkalien  werden  unter  Kohlensaure-Abscheidung 
zersetzt.  Die  Zusammensetzung  entspricht  der  Formel  C13Ht006.  Die  Losungen 
reduciren  leicht  alkalische  Kupferoxydsalze,  sowie  Gold-  und  Silbersalze.  Die  alka- 
lischen  Losungen  farben  sich  an  der  Luft  dunkelbraun,  die  wassrige  Losung  liefert 
mit  Eisenoxydsalzen  einen  griinschwarzen  Niederschlag.  Mit  Kalihydrat  geschmolzen 
zerfallt  es  in  Phloroglucin  und  Protocatechusaure.  Mit  Zink  und  Schwefelsaure 
erhitzt  liefert  es  eine  Anfangs  hochrothe,  dann  gelbe  Losung,  in  welcher  neben 
Phloroglucin  Machromin  {C\iHl0O^)  enthalten  ist,  das  sich  durch  Ausschiitteln 
der  Losung  mit  Aether-Weingeist  ausziehen  und  durch  Fallen  der  wassrigen 
Losung  des  Verdunstungsriickstandes  mit  Bleizucker,  Zersetzen  des  Niederschlages 
mit  Schwefelwasserstoff  und  Verdunsten  des  Filtrates  nach  dem  Umkrystallisiren 
aus  heissem  wassrigen  Weingeist  in  farblosen  Krystallchen  erhalten  lasst,  die 
sich  unter  Einwirkung  vou  Luft  und  Licht  bald  dunkelblau  farben ;  eine  Er- 
scheinung,  welche  auch  die  heiss  bereitete  wassrige  Losung  sowohl  an  der.  Luft 
als  auch  nach  Zusatz  von  Ammoniak  oder  atzenden  Alkalien  zeigt  (vergl.  R. 
Wagner,  Journ.  f.  pract.  Chem.  51  pag.  82,  52  pag.  449.  Delffs,  n.  Jahrb. 
f.  Pharm.  14  pag.  166.  Hlasiwetz  und  Pfaundler,  Ann.  d.  Chem.  und 
Pharm.   127  pag.  357). 

Das  Gelbholz  in  Spanen  oder  gemahlen  wird  in  der  Farberei  zur  Her- 
stellung  von  Farben  verwendet,  welche  den  mit  Quercitron  darstellbaren  sehr  nahe 
kommen.  Seine  Abkochungen  liefern  mit  Alaun  einen  hellgelben,  mit  Zinnchloriir 
einen  gelben,  mit  Bleizucker  einen  orangegelben,  mit  essigs.  Kupfer  einen  braun- 
gelben  Niederschlag.  Mit  Eisenoxydsalzen  liefern  sie  eine  braune  Farbung  und 
einen  griinlich  schwarzen  Niederschlag.  Die  Blei-,  Zinn-  und  Thonerdenieder- 
schlage  finden  als  Korperfarben  Verwendung.     Gil. 

Gelbholz  tyroler,  s.  Fustikholz  III  pag.  663. 

Gelbholz  ungarisches,  Zante-Gelbholz,  s.  Fustikholz  III  pag.  663. 


Gelbin.  —  Gelose.  737 

Gelbin,  s.  m.  chromsaurer  B'aryt,  gelbes  [Jltramarin,  s.  Baryt- 
gelb;  I  pag.  299. 

Gelbkraut,  s.  Wau. 

Gelbmenakerz,  s.  Titan  it. 

Gelbmetall,  Miinz's  Verkleidungs-Metall,  hammerbares  Messing,  s.  Messing, 
s.  Kupfer. 

Gelbschoten  chinesische  (gousses  de  Chine  —  ivongshy),  Wongsky  (Hoany- 

Ischy),  d.  s.  die  Friichte  von  Gardenia  grand/flora  Lour,  einer  in  Ostindien 
einheimiscben  Gentianee.  Die  Schoten  sind  2 — 3cm  lang,  bis  lcm  dick,  ungleich- 
massig  rothlichgelb  gefarbt  mid  scldiessen  in  der  harten  briichigen  Schale  ein 
vertrocknetes  Fruchtfleisch  ein,  in  welcbem  zahlreiche  barte  Satnen  eingebettet  sind. 
Sie  riechen  ausgesprochen  safranahnlich,  quellen  im  Wasser  bedeutend  auf,  werden 
scbleimig  und  farben  die  Fliissigkeit  deutlich  gelb.  Das  Fruchtfleisch  schmeckt 
bitter,  die  Samen  scharf-sttsslich-sauer.  Sie  kommen  vornehmlich  von  Batavia  aus 
in  den  Handel.  Die  Gelbschoten  entbalten  neben  Pectin,  Zucker,  Fett  und 
Aschenbestandtheilen  wesentlich  einen  gelben  Farbstoff,  dann  Rubichlorsaure  und 
zwei  Gerbsauren,  die  sich  mit  Eisensalzen  griin  farben  und  deren  einc  der  Forrael 
Cg,nH3t.Ol7,  die  andere  der  Formel  C^H^O^  entsprecbend  zusammengesetzt  sein 
soil  (vgl.  v.  Orth,  Journ.  f.  prac.  Cbem.  64  pag.  10).  Der  Farbstoff,  welchen 
man  nach  Rochleder  und  Mayer  (Journ.  f.  pract.  Cbem.  74  pag.  1)  durch 
Extrahiren  der  Gelbschoten  mit  kochendem  Weingeist,  Verjagen  des  Alkohols  und 
Entfernung  der  Gerbsauren  aus  dem  Extracte  mittels  Thonerdehydrat,  Fallen  des 
Filtrates  mit  Bleiessig,  Zerlegen  des  Niederschlages  mit  Schwefelwasserstoff  und 
Auskochen  des  Schwefelbleies  mit  Alkohol  in  weingeistiger  Losung  erhalten  kann, 
die  nach  dem  Abdampfen  iiber  Schwefelsaure  im  Vacuum  den  Farbstoff  als  ein 
lebbaft  rubinrothes  Pulver  hinterlasst,  das  von  Wasser  mit  rothgelber,  von  Alkalien 
mit  gelber  Farbe  gelbst  wird,  ist  nach  Rochleder  und  Mayer  identisch  mit  Crocin, 
dem  Farbstoffe  des  Safrans  (s.  d.).  Die  Gelbschoten  finden  Verwendung  zum 
Gelbfarben  gebeizter  Zeuge.  Der  mit  warmeni  Wasser  bereitete  Auszug  farbt 
Wolle  sowohl  ungebeizt  als  auch  mit  Thonerdesalzen  gebeizt  schon  orange,  mit 
Kalkwasser  gebeizt  schon  rothlichgelb.  Seide  farbt  sich  im  wassrigen  Auszuge 
schon  goldgelb,  Baumwolle  mit  Zinnsalz  gebeizt,  orange.  Die  Farben  sind  seifen- 
echt,  werden  aber  am  Lichte  gebleicht.  Sauren  und  Zinnsalz  nuanciren  sie  rothlicb, 
Alkalien  gelblich  (vgl.  a.  Stein,  cbem.  pharm.  Ceiitralbl.  9  pag.  140).     Gtl: 

Gelbwurzel,  s.  Curcuma  II  pag.  422. 

Geleisanlagen,  s.  Eisenbahn  III  pag.  62  etc.  bei  Oberbau. 

Geienkbewegung,  s.  Kinematik. 
Gelenkketten,  s.  Ketten. 

Gelenkquarz,  s.  Itacolumit,  vgl.  a.  Diamant  II  pag.  617. 

Gelese,  Fadenkreuz  (encroix,  enverjure  —  lease),  s.  Weberei. 

Gelf  kupfer,  Rob  kupfer  (cuivre  brut  —  coase  copper),  s.  Kupfer. 

GellertS  Griin,  altere  Bezeichnung  fur  Rin man's  Griin,  d.  i.  Kobaltgrun, 
Zinkgriin,  s.  K  o  b  a  1 1,  s.  Z  i  n  k. 

Gelose  (Hai'-Thao),  Name  eines  fur  Appreturzwecke  verwendbaren.  der 
Gelatine  sich  ahnlicb  verhaltenden  Pflanzenstoffs,  der  aus  einer  in  Cochin  china 
und  auf  Mauritius  einheimischen  Alge  gewonnen  wird.  Kommt  in  groben,  platten 
Fasern  von  etwa  30em  Lange  in  den  Handel,  welche  aus  einer  harten  und  zitlien, 
farblosen,,  durchscheinenden,    von  einem  Netz  undurchsicbtiger  Aedercben  (Falten) 

Karmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch    Bd.  III.  47 


738  Gelose.  —  Gentianawurzel. 

durchzogenen  Masse  bestehen,  die  gesclimacklos  nnd  geruchlos  ist,  in  kaltem 
Wasser  stark  aufquillt,  in  Wasser  von  75°  C.  theilweise,  vollstandig  in  kochendem 
Wasser  bei  la'ngerer  Einwirkung  (etwa  10  Minuten)  loslich  ist.  Die  Losung  stellt 
eine  dunne.  schmutzig-weisse,  nicht  klebrige  Fliissigkeit  dar,  die  nach  dem  Ab- 
kiihlen  zu  einer  Gallerte  erstarrt,  welche  keine  Neigung  zur  Faulniss  oder  Gahrung 
zeigt.  Eignet  sich  insbesondere  zur  Appretur  feiner  Gewebe,  welchen  man  einen 
geschmeidigen,  dabei  aber  kornigen  Griff  ertheilen  will,  nicht  aber  zur  Erzielung 
eines  steifen,  schweren  Apprets,  s.  J.  J.  Heilmann  Bull.  d.  1.  soc.  industr.  d. 
Rouen  1875  pag.  263,  auch  Dingl.  pol.  Journ.   218  pag.   522.     Gtl. 

Gemiiseconserven,  s.  b.  Faulniss,  III  pag.  353  und  354. 

Genadelte  Arbeit,  s.  Stickerei. 

Genauigkeit  (exactitude  —  accuracy).  Als  Mass  der  Genauigkeit 
einer  Messungs  operation  betrachtet  man  den  bei  einer  Messung  zu  fiirch- 
tenden  mittleren  oder  wahrscheinliclien  Fehler,  und  zwar  ist  die  Genauigkeit  diesem 
Feliler  umgekehrt  proportional.  Ebenso  versteht  man  unter  der  Genauigkeit 
eines  Instrumentes  den  mittleren  oder  wahrscheinliclien  Fehler,  den  man  bei 
einer  Messung  mit  demselben  zu  befurchten  hat.  Zum  Zwecke  leichter  und 
rascher  Vergleichung  rechnet  man  die  relative  Genauigkeit  entweder  als 
auf  den  Zahler  1  reducirtes  Verhaltniss  des  mittleren  (oder  wahrsch.)  Fehlers  zur 
gemessenen  Grosse,  oder  als  mittleren  auf  die  Einheit  (z.  B.  bei  Langenmessungen) 
entfallenden  Fehler,  oder  man  driickt  den  Fehler  in  Procenten  der  gemessenen 
Grosse  aus.     Cz. 

Generator,  s.  Gas feue rung  III  pag.  692. 

Generator,  Gaserzeuger,  s.  b.  Leuchtgas,  s.  Gasfeuerung. 

Generatorgas,  s.  Gasfeuerung,  s.  a.  Brennstoffe  II  pag.  32. 

Genever  (genievre  —  gin),  Wachholder-Branntwein  (Steinhager)  ist  ein 
namentlich  in  Holland  (Schiedam)  bereiteter,  aus  Gerste  oder  Roggen  unter  Zu- 
satz  von  Wachholderbeeren  zur  Maische  erzeugter  Branntwein,  der  auch  wohl 
durch  Rectificiren  gewohnlichen  Branntweines  iiber  Wachholderbeeren  und  etwas 
Hopfen  dargestellt  wird,  seine  Eigenthiimlichkeit  aber  wesentlich  dem  Umstande 
verdankt,  dass  die  Maischen  mit  verhaltnissmaesig  wenig  Wasser  und  wenig  Hefe 
vergohren  werden.  Er  wird  nicht  selten  auch  dadurch  imitirt,  dass  man  gewohn- 
lichen Branntwein  mit  Wachholderol  parfumirt.  Soldier  Branntwein  trtibt  sich  rait 
Wasser,  was  Genever  nicht  thut.     Vgl.  Branntweinbrennerei.     Gtl. 

Genipkraut,  Alpenwermuth,  das  Kraut  mehrerer  alpiner  Artemisia  Arten, 
namentlich  A.  Mutellina  VilL,  A.  glacialis  L.,  A.  spicata  Wulf.,  ist  sehr  aro- 
matisch,  dem  gewohnlichen  Wermuthkraut  ahnlich  riechend,  aber  weniger  bitter 
schraeckend  als  dieses,  wesshalb  es  mit  Vorliebe  zur  Bereitung  des  Absynth- 
Liqueurs  [extrait  d'absynihe)  verweudet  wird.     Gtl. 

Gentele's  Griin,  ein  durch  Fallung  einer  Kupfervitriollosung  mit  Zinnoxyd- 
Natron  darstellbares  Griin,  das  wesentlich  aus  Zinnoxyd-Kupferoxyd  (zinnsaures 
Kupferoxyd)  besteht.     Gtl. 

Gentiana-Violet.  Xame  eines  von  Topke  und  Leidloff  in  den  Handel 
gebrachten  ^Anilinviolets  das,  billiger  als  Methyl violett,  sich  in  kochend  heissem 
Wasser  leicht  lost  und  ebenso  brillante  Nuancen  gibt  wie  Methylviolett,  vergl. 
Pharm.  Centralhalle  v.  Hager,   16  pag.   157,  s.  a.  Theerfarben.     Gtl. 

Gentianawurzel  (racine  de  gentiane  —  gentian  root),  Enzian  wurz  el, 
heissen  die  hauptsachlich  zu  Tincturen  und  Extracten  verwendeten  Wurzeln  meh- 
rerer Gentianaarten,  so  der  G.  lutea,    G.  purpurea,    G.  punctata    und    G.  pan- 


Gentianawurzel.  —  Geodasie.  739 

nonica,  unter  denen  jene  der  G.  lutea  am  langsten  und  starksten  sirid.  Die 
Wurzeln  sind  je  nach  ihrer  Abstammung  aussen  rothbraun  bis  rothgelb,  innen 
braungelb  bis  gelblich-weiss  gefarbt,  und  zeichrien  sicli  durch  ihren  intensiv  bitteren 
Geschmack  und  slisslichen  Geruch  aus.  Die  mitunter  im  Handel  vorkommeude 
Wurzel  der  G.  asclepiadea  zeichnet  sicli  durch  grossere  Verholzung  aus,  die 
vollkommen  verholzten  Wurzelstlicke  dieser  Species  sind  ganz  wertlilos. 

Die  Enzianwurzel  ist  reich  an  Zucker,  so  dass  sie  in  den  Alpen  und  Jura- 
gegenden  zu  Branntwein  vergohren  wird. 

Der  wichtigste  Bestandtbeil  derselben  ist  das  Gentiopi  kri  n,  ein  von 
Kromayer  (Arch.  Pharm.  (2)110,27)  isolirtes  Glucocid,  das  gewohnlich  zu  den 
Bitterstoffen  gerechnet  wird.  Es  hat  die  Formel  C^ff^O,  2,  krystallisirt  in  farb- 
losen,  zu  Kornern  oder  strahlig  gruppirten  farblosen  Nadeln,  welche  leicht  in 
Wasser  und  wassrigem,  schwer  in  absolutem  Weingeist,  nicht  in  Aether  loslich 
sind.  Es  schmeckt  rein  bitter.  Mit  verdtinnten  Sauren  gekoclit  spaltet  es  sich 
in  gahrungsfahigen  Zucker  und  in  amorphes  Gentiogenin  CliHl606.  Frische 
Wurzeln  der  G.  lutea  geben  eine  Ausbeute  von  nicht  ganz  0.2  Proc,  trockene 
liefern  fast  gar  nichts.  Das  gleichzeitig  in  der  Enzianwurzel  in  hochst  geringer 
Menge  vorkommende  Gentisin,  auch  Gentianin,  Gentiansaure  genannt,  bildet 
gelbe,  lange,  geschmacklose  Nadeln,  besitzt  die  Formel  Ci4Hu)0:i  und  spaltet  sich 
nach  HI  a  si  we  tz  und  Habermaiin  (Wien,  Acad.  Ber.  70,  211)  in  Essigsaure, 
Phloroglucin  und  G  entisin  s  aure,  die  wahrscheinlich  mit  der  Oxysalicylsaure 
identisch,  in  hoherer  Temperatur  unter  Kohlensaureabspaltung  Plydrochinon  liefert. 

Skraup. 

Gentianin,  Gentiansaure,  s.  Gentianawurzel. 

Gentiogenin,  Gentiopikrin,  s.  Gentianawurzel. 

Gentisin,   Gentisinsaure,  s.  Gentianawurzel. 

Geocerain,  Name  eines  wachsartigen  Korpers  der  sich  zugleich  mit  dem  eben- 
falls  wachsahnlichen  Geomyricin  und  der  G  e  o  c  e  r  a  T  n  s  a  u  r  e  durch  Behandeln 
mit  kochend  heissem  Alkohol  aus  sachsischen  Steinkohlen  extrahiren  liisst.  Aus 
dem  alkohol.  Auszuge  scheidet  sich  beim  Erkalten  das  Gemenge  der  drei  Korper 
als  eine  Gallerte  ab,  die  abgepresst  und  geschmolzen  einen  dem  Bienenwachse 
sehr  ahnlichen  Korper  darstellt,  Schmilzt  bei  82°  C.,  ist  brennbar.  Das  GeoceraTn 
entspricht  der  Formel  C„3H^60„,  demselben  isomer  ist  die  Geocerai'nsaure,  wahrend 
das  Geomyricin  der  Formel  C3iH6sO,i  entspricht.     Gtl. 


Geodasie  {geodesie  — 
oder  praktische  Geometrie  genannt,  hat  die  Messung  kleinerer  oder  grosserer 
Theile  der  Erdoberflache  und  in  letzter  Linie  die  Messung  der  Erde  selbst  zum 
Gegenstande. 

Durch  die  bei  den  Messungen  verwendeten  Instrumente  einerseits  und  die 
Rechnungsmethoden  anderseits,  tritt  die  Geodasie  mit  der  Physik,  beziehungsweise 
Mathematik  in  enge  Beziehung,  und  es  haben  die  genannten  Disciplinen  in  ihrer 
Wechselwirkung  einander  wesentlich  gefordert.  Namentlich  war  es  die  reine 
Geometrie,  welche  in  den  einfachsten  Aufgaben  der  Geodasie>  die  Feldmessung  be- 
treffend,  ihren  Ursprung  nahm.  Die  hoheren  Gebiete  der  Geodasie  treten  auch 
mit  der  Astronomie  in  enge  Beriihrung. 

Die  iibliche  altere  Eintheilung  unserer  Wissenschaft  ist  die  in  die  niedere 
und  h  oh  ere  Geodasie.  Erstere  beschaftigt  sich  mit  solchen  Aufnahmen,  bei 
denen  von  der  Kriimmung  der  Erdoberflache  abgesehen  werden  kann  ;  bei  den 
Arbeiten  der  letzteren  dagegen  muss  die  Erdkriimmung  in  Rechnung  gezogen 
werden.  Diese  Eintheilung  entspricht  mehr  dem  praktischen  Standpunkte.  wahrend 
vom  wissenschaftlichen  Standpunkte  eine  ebene,  spharische,  spharoidi- 
sche  und  geoidische  Geodasie  zu  unterscheiden  ware.  In  der  e  ben  en  G. 
wird    dem    Vermessungsgebiete    mit  Riicksicht  auf  seine  geringe  Ausdehnung  eine 

47* 


740  Geodasie. 

Ebene  substituirt;  in  der  spharischen  G.  denkt  man  sich  im  Vermessungs- 
gebiete  an  die  Erdoberflaehe  eine  ihrer  Kriimmung  moglichst  angepasste  berlihrende 
Kugelflache  gelegt;  die  sparoidische  G.  betraclitet  die  Erdoberflaehe  als  Ro- 
tationsellipsoid  (Spharoid);  die  geoidische  G.  endlich  fiihrt  Messungen  zur 
Bestimmung  der  Dimensionen  dieses  Spharoids  und  der  Abweiehungen  der  that- 
sachlichen  Erdoberflaehe  von  dieser  idealen  Flache  aus,  hat  also  die  Feststellung 
des  sogenannten  G  e  o  i  d's  zur  Aufgabe ;  derlei  Arbeiten  fasst  man  unter  dem 
Namen  „Gradmessungen"  znsammen  und  hat  in  ihnen  die  hoehste  Aufgabe 
der  Geodasie  zu  erblicken. 

Bei  den  geodatisehen  Messungen  handelt  es  sich  entweder  urn  die  Aus2 
dehnung  einzelner  Theile  der  Erdoberflaehe  in  Richtung  des  Horizonts  oder  in 
verticalem  Sinne  und  man  unterseheidet  darnach  Horizontal-  und  Vertical- 
oder  Hohenmessungen.  Bei  alien  kommt  es  der  Hauptsache  nach  auf 
Lang  en-  und  Wink  el  messungen  an. 

Nach  dem  Zwecke  der  Arbeit  richtet  sich  die  erforderliche  Genauigkeit  und 
nach  dieser  wieder  das  zu  wahlende  Instrument  und  Messverfahren.  Es  ist  daher 
fur  den  Geometer  von  wesentlicher  Bedeutung,  den  mit  jedem  Instrument  erreich- 
baren  Grad  der  Genauigkeit  zu  kennen,,  sowie  auch  iiber  die  Fehlergrenzen  der 
erlangten  Resultate  im  Klaren  zu  sein.  Die  Theorie  der  Beobachtungs- 
fehler  und  ihrer  Ausgleichung  bildet  sonach  eine  der  Grundlagen  der  prak- 
tischen  Geometric.  Viele  der  neueren  Werke  iiber  Geodasie  widmen  diesem 
Gegenstande  die  gebiihrende  Aufmerksamkeit,  so  Hartner's  Lehrbuch,  Bauernfeind's 
Elemente  u.  A.,  vor  alien  aber  Jordan's  Tasehenbuch  und  Handbuch  der  Ver- 
messungskunde ;  ausserdem  sind  als  Specialwerke  zu  nennen : 

Chr.  A.  Gerling,  die  Ausgleichungsrechnungen  der  praktischen  Geometrie, 
Hamburg  und  Gotha  1843.  Dr.  A.  Sawitsch,  die  Anwendung  der  Wahrschein- 
lichkeitstheorie  auf  die  Berechnung  der  Beobachtungen  und  geodatisehen  Messungen; 
deutsch  v.  C.  G.  Lais,  Mitau  und  Leipzig  1863.  F.  R.  Helmert,  die  Aus- 
gleichnngsreehnung  nach  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate  mit  Anwendungen 
auf  die  Geodasie  und  die  Theorie  der  Messinstrumente.     Leipzig,  1872. 

Betrachtet  man  die  Geodasie  als  Gegenstand  des  Studiums,  so  hat  man  drei 
Stufen  des  Lehrganges  zu  unterscheiden.  1.  Die  Theorie  der  Messinstrumente, 
ihre  Handhabung,  Priifung  und  Berichtigung ;  die  genaue  Kenntniss  der  Instrumente 
ist  erste  Bedingung  einer  erfolgreichen  Arbeit.  2.  Die  eigentlichen  Messoperationen. 
3.  Die  Rechnungsmethoden,  durch  welche  aus'  den  unmittelbaren  Ergebnissen  der 
Messung  die  angestrebten  Resultate  abgeleitet  werden.  An  Stelle  der  Rechnungs- 
methoden  oder  auch  zu  denselben  treten  hanfig  Constructionsmethoden,  welche  die 
bildliche  Darstellung  der  aufgenommenen  Objecte  bezwecken  ;  ubrigens  geht  letztere 
zuweilen  mit  dem  Messverfahren  Hand  in  Hand  (Messtischaufnahmen). 

Die  spater  anzufiihrenden  Werke  tiber  Geodasie  behandeln  in  der  Regel  alle 
erwahnten  Stufen  mehr  weniger  gleichmassig.  Doch  mogen  als  Specialwerke  iiber 
die  Messinstrnmente  genannt  werden : 

Dr.  E.  F.  Schneitler,  die  Instrumente  und  Werkzeuge  der  hoheren  und 
niederen  Messkunde  etc.  Leipzig  1848  (2.  Aufl.  1852).  K.  Engelbreit,  In- 
strumente der  niederen  und  hoheren  Geodasie  und  der  Hydrographie.  Niirnberg 
1852.  Dr.  G.  Chr.  K.  Hun  aus,  die  geometrischen  Instrumente  der  gesammten 
praktischen  Geometrie,  deren  Theorie,  Beh.hreibung  und  Gebrauch.  Hannover, 
1864.  (Niiheres  s.  Messinstrumente.) 

I.  Die  niedere  Geodasie  beschaftigt  sich  mit  Aufnahmen,  welche  vor- 
zngsweise  fiir  die  Zwecke  der  Technik,  der  Land-  und  Forstwirthschaft,  des 
Oatasters  u.  dgl.  bestimmt  sind.  Man  konnte  auch  die  Markscheidekunst  hieher 
zahlen,  welche  sich  mit  der  Vermessung  von  Grubenraumen  mit  den  mit  denselben 
zusammenhangeiulen  Taggegenden  (Abziehen)  und  mit  der  bildlichen  Darstellung 
des  Aufgenommenen  ^Zulegen)  befasst;  doch  wird  diese,  wegen  ihrer  Beschrankung 
auf  ein  einziges  praktisches  Gebiet,  gewbhnlich  als  selbststandige  Disciplin  be- 
handelt. 


Geodasie.  741 

Allgemeine  Liferatnr:  J.  Lemoch,  Lehrbuch  der  praktischen  Geometrie 
Wien,  1849.  2  Bde.,  2.  Aufl.  1857.  Fr.  Hartner,  Handbuch  der  niederen 
Geodasie.  Wien,  I.  Aufl.  1852,  II.  1856,  III.  1864,  IV.  1872,  V.  von  Prof.  J. 
Wastler  bearbeitet,  1876.  C.  M.  Bauern  fei  nd,  Elemente  der  Vermessungs- 
kunde.  I.  Aufl.  1856—58,  II.  1862,  III.  1869,  IV.  1873,  V.  1876.  Fr.  Baur, 
Lehrbuch  der  niederen  Geodasie.  Wien,  1858.  J.  Reb  stein,  Lehrbuch  der 
praktischen  Geometrie,  mit  besonderer  Berucksichtigung  der  Theodolithmessungea. 
Frauenfeld,  1868.  W.  Jordan,  Taschenbuch  der  praktischen  Geometrie.  Stuttgart, 
1873.  K.  J.  Schmarda,  Lehrbuch  der  praktischen  Messkunst,  Wien,  1874. 
Dr.  W.  Jordan,  Handbuch  der  Vermessungskunde.  2  Bde.  Stuttgart,  1877 — 78 
u.  s.  w.  A.  Li  eb  en  am,  Lehrbuch  der  Markscheidekunst  und  praktischen  Geo- 
metrie, Leipzig,  1876.  B  o r  ch  e rs,  Die  praktische  Markscheidekunst.  Hannover,  1870. 

Die  bildliche  Darstellung  der  aufgenommenen  Theile  der  Erdoberflache  und 
der  mit  ihr  verbundenen  Gegenstande,  die  Verkleinerung,  Vergrosserung  und  Ver- 
vielfaltigung  von  Planen  sincl  Gegenstand  des  Situationszeic linens.  J.  G. 
Lehmann,  Das  Situationszeichnen.  Dresden  1843.  Scheda,  Situationszeichen- 
schliissel.  Wien  1854.  Muszynski  und  Prihoda,  Terrainlehre  in  Verbindung 
mit  der  Darstellung,  Beurtheilung  und  Beschreibung  des  Terrains.  Wien  1872. 
J.  Zaffauk,  Populare  Anleitung  fiir  die  graphische  Darstellung  des  Terrains  in 
Planen  und  Karlen,  Wien  1875.  V.  R.  v.  Streffleur,  Allgemeine  Terrainlehre. 
Wien  1876.  (Herausgeg.  von  GM.  A.  Neuber.) 

Die  Zeitverhaltnisse  brachten  es  mit  sich,  dass  in  den  letzten  Decennien 
namentlich  die  fur  das  Ingenieurwesen  wichtigen  Partien  des  Vermessungswesens 
eifrige  Pflege  fanden  und  zahlreiche  literarische  Producte  zu  Tage  fbrderten.  Dies 
betrifft  insbesondere  das  Nivelliren,  namentlich  das  barometrische  (a),  das  Abstecken 
von  Linien  (b)  und  die  Tachymetrie  (Schnellmessverfahren)  (c). 

Ad  a)  C.  M.  Bauernfeind,  Beobachtungen  und  Untersuchungen  iiber  die 
Genauigkeit  barometrischer  Hbhenmessungen.  Miinchen  1862.  A.  Elschnig, 
Kurzgefasste  Anleitung  zu  barometrischen  Nivellirungen  mit  Quecksilber-  und 
Metallbarometern.  Salzburg  1869.  Riihlmann,  Die  barometrischen  Hohenmes- 
sungen.  Leipzig  1870.  E.  Herzog,  Prakt.  Anleitung  zum  Hohenmessen  mittelst 
Dosenbarometer.  Pest  1870.  H.  Schoder,  Hilfstafeln  zu  barometrischen  Hohen- 
bestimmungen  nebst  einer  Anleitung  zur  Untersuchung  und  zum  Gebrauche  der 
Aneroidbarometer.  Stuttgart  1872.  J.  Holtschl,  Die  Aneroide  von  Naudet  und 
Goldschmid,   1872  n.  s.  w. 

Ad  b)  W.  Heyne,  Das  Traciren  von  Eisenbahnen  in  vier  Beispieleu  und 
einem  Anhange.  Wien  1865.  F.  R.  Helm  ert,  Die  Uebergangscurven  fiir  Bahngeleise. 
Aachen  1872.  K.  K  n  o  1 1,  Taschenbuch  zum  Abstecken  der  Curven  an  Eisenbahnen  und 
Strassen.  Stuttgart  1873.  L.  Winckel,  Handbuch  zum  Abstecken  von  Curven. 
Berliu,  1873.  Absteckung  des  Mont-Cenis-  und  des  Gotthard-Tunnels.  Koppe, 
Pestalozzi,  Zeitschr.  f.  Vermessungsw.   1875 — 76.  Die  Eisenbahn,  1877  u.s.  w. 

Ad  c)  C.  Werner,  Die  Tacheometrie  und  deren  Anwendung  bei  Trace- 
studien.  Wien  1873.  R.  Jahns,  Der  Vielmesser.  ein  neues  Feldmessinstrument. 
Deutsche  Bauzeitung  1875.  F.  Kreuter,  Das  neue  Tacheometer.  Briinn  1876. 
Dr.  W.  Tinter,  Das  Tachygraphometer  von  Wagner,  Zeitschr.  d.  cist.  A.-  und 
I.-V.  1876.  J.  Szcepaniak,  Universal -Nivellir- Instrument  als  Tacheometer. 
Wien  1878  u.  s.  w. 

In  neuerer  Zeit  sind  Nivellements  mit  sehr  genauen  Instrumenten  und  unter 
Anwendung  besonderer  Vorkehrungen  zur  Ausfiihrung  gekommen.  Es  sind  dies 
die  sogenannten  Pracision  sniv  ellements,  welch  e  namentlich  fiir  die  Zweeke 
der  Europaischen  Gradmessung  in  sehr  grosser  Ausdehnung  vorgenommen  werden. 
Sie  haben  sich  fiir  verlasslicher  und  genauer  erwiesen  als  die  friiher  bevorzugten 
trigonometrischen  Hohenmessungen. 

Hirsch  &  PI  an  tarn  our,  Nivellement  de  precision  de  la  Suisse.  Genf 
und  Basel  1867 — 74.  C.  M.  Bauernfeind,  Das  baierische  Pracisionsuivellement. 


742  Geodasie.  —  Geokronit. 

1870—72.  Dr.  Chr.  A.  Vogler,  Ueber  Ziele  und  Hilfsmittel  geometriseher  Pra- 
cisionsnivellements.     Mtincben  1873  u.  s.  w. 

II.  Die  hob  ere  Geodasie  besehaftigt  sich  mit  jenen  Operationen  und 
Rechnungen,  welcbe  bei  Vermessung  grosserer  Theile  der  Erdoberflache  zur  An- 
wendung  kommen  und  in  letzter  Linie  zur  Kenntniss  der  Grosse  der  Erde  und 
ihrer  wahren  Form  fiihren;  wenn  letzterer  Zweck  zu  Grunde  liegt,  so  spricbt  man 
von  einer  G  r  a  d  m  e  s  s  u  n  g.  (Piir  die  gescbicbtlicbe  Entwickelung  der  Grad- 
messungen  sehe  man:  J.  J.  Baeyer,  Ueber  die  Figur  und  Grosse  der  Erde. 
Berlin  1861;  diese  Schrift  hat  insoferne  eine  hervorragende  Bedeutnng,  als  durch 
sie  die  jetzt  im  Zuge  befindlicbe  Europaische  Gradmessung  angeregt  wurde.) 

L i t e r a t u r.  B e s s e  1  und  Baeyer,  Gradmessung  in  Ostpreussen  und 
ihre  Verbindung  mit  russischen  Dreiecksketten.  Berlin  1838.  Gauss,  Untersuchungen 
iiber  Gegenstande  der  hoheren  Geodasie.  Gottingen  1844 — 47.  Ph.  Fischer, 
Lebrbucb  der  hoheren  Geodasie.  Darmstadt  1845 — 46,  2  Bde.  J.J.  Baeyer,  Das 
Messen  auf  der  spharoidischen  Erdoberflache.  Berlin  1862.  Hansen,  Geodatische 
Untersuchungen.  Leipzig  1865.  Bremiker,  Studien  iiber  hohere  Geodasie.  Berlin 
1869.  Dr.  W.  Jordan,  Handbuch  der  Vermessungskunde.  Stuttgart  1877—78. 
(Dieses  Werk  gibt  eine  vollstandige  Darstellung  des  gegenwartigen  Standes  des 
gesammten  Vermessungswesens)  u.  s.  w. 

Die  wissenschaftlichen  Grundsatze  fur  die  bildliche  Darstellung  grosserer 
Theile  oder  der  ganzen  gekriimmten  Erdoberflache  in  einer  Ebene  bilden 
den  Gegenstand  der  Kartenprojection  oder    Chorographie. 

C.  F.  Gauss,  Allgemeine  Auflosung  der  Aufgabe;  die  Theile  einer  gege- 
benen  Flache  so  abzubilden,  dass  die  Abbildung  dem  Abgebildeten  in  den  kleinsten 
Tbeilen  ahnlich  wird.  Schumacher's  Astron.  Abhandl.  1825.  Witt  stein,  iiber 
conforme  Kartenprojection,  Astr.  Nachr.  1868.  Gretschel,  Lehrbuch  der  Karten- 
projection. Weimar  1873  u.  s.  w. 

In  Betreff  der  periodischen  Literatur  fiir  Geodasie  ist  besonders  die  seit 
1872  (Stuttgart)  erscheinende  „Zeitsehrift  fiir  Vermessungswesen,  im  Auftrage  und 
als  Organ  des  Deutschen  Geometervereins  herausgegeben  von  Dr.  W.  Jordan", 
zu  nennen,  welcbe  Abhandlungen  aus  alien  Gebieten  des  Vermessungswesens 
bringt.  Zahlreiche  Abhandlungen  geodatischen  Inhaltes  enthalten  ferner  die  seit 
1823  erscheinenden  „Astronomischen  Nachrichten",  die  „Zeitschrift  fiir  Mathematik 
und  Physik",  Grunert's  Archiv,  die  zahlreichen  technischen  Zeitschriften  u.  s.  w. 
Seit  1864  erscheinen  alljahrlich  „Generalberichte  der  Europaischen  Gradmessung" 
(Berlin). 

Auch  ein  speciell  den  Geodaten  gewidmeter  Kalender  (anfangs  „Deutscher 
Geometer-Kalender,"  seit  seinem  3.  Jahrgange  „ Kalender  fiir  Vermessungskunde" 
betitelt)  wird  seit  1874  durch  W.  Jordan  herausgegeben;  derselbe  brachte  in 
einigen  Jahrgangcn  dankenswerthe  Zusammenstelhmgen  der  einschlagigen  Literatur. 

Czuber. 

Geoghegan's  Salz  ist  Quecksilberjodid-Cyankalium  HgJ„  -\-  aKCy. 

Geoid.  Denkt  man  sieh  die  gesammte  Oberflache  des  Meeres  im  volligen 
Gleichgewichte  und  erweitert  selbe  unter  den  Continenten  durch  unter  einander 
und  mit  dem  freien  Meere  eommunicirende  Canal e,  so  heisst  diese  dem  hydro- 
statisehen  Gesetze  der  rubenden  Fliissigkeit  entsprechende  Flache,  welcbe  das 
Loth  uberall  rechtwinklig  durehschneidet,  das  Geoid.  Dasselbe  bildet  den  Gegen- 
satz  zur  idealen  Form  der  Erdoberflache,  dem  Rotationsellipsoid.  (Vgl.  Geodasie.) 

Cz. 

Geokronit,  Min.,  meist  derb,  dicht  mit  undeutlich  streifiger  Structur,  selten 
rhomb.  Krystalle,  Harte  2 — 3,  spec.  Gew.  6.45—6.54,  licht  bleigrau,  schwarz 
angelaufen.  Ist  wesentlieh  Schwefelblei  -  Sehwefelantimon  bPbS  -\-  Sb9Ss  mit 
65  Blei,  1.6   Kupfer,  16  Antimon,   16.9  Schwefel.  Vorkommen  Sala  in  Schweden, 


Geokronit.  —  Geometric  743 

Merodo  in  Spanien,  Pietro  santo  in  Toskana.  Die  Varietaten  von  Sala  und  Pietro 
santo  enthalten  auch  Schwefelarsen.     Gil. 

Geometrie  (geometrie  —  geometry).  Die  Geometric  beschaftigt  sich  mit 
den  Raumgebilden  und  betrachtet  dieselben  nach  ihrer  Entstehung,  organischen 
Beschaffenheit  und  Verwandtschaft.  Ihren  Anfang  nahm  sie  in  den  durch  das 
praktische  Bediirfniss  gebotenen  Aufgaben  der  Feldmessung,  ihre  Elemente  wurden 
zum  ersten  Male  durch  Euklid  zu  einem  wissenschaftlichen  System  geordnet. 

1.  Die  Elemente  der  alteren  Geometric,  welche  die  Grundlage  jedes 
geometrischen  Studiums  bilden,  sind  in  einer  grossen  Reihe  von  Werken  behandelt, 
die  besonders  anzufiihren  wir  fiir  iiberfliissig  erachten. 

2.  Die  Trigonometric  (und  Polygonometrie),  welche  sich  mit  der  fiir 
die  Praxis  wichtigen  Auflbsung  von  Dreiecken  (und  Polygonen)  in  der  Ebene,  auf 
der  Kugelflache  und  dem  Spharoid  (ebene,  spharische  und  spliaroidische  Trigon.) 
befasst,  iibertragt  ihre  Aufgabe  durch  Einfuhrung  der  sogenannten  Winkelfunctionen 
auf  das  Gebiet  der  Arithmetik. 

J.  A.  Grunert,  Elemente  der  ebenen,  spharischen  und  spharoidischen 
Geometrie.  Leipzig  1837.  J.  Dienger,  Hanclbuch  der  ebenen  und  spharischen 
Trigonometrie  mit  Anwendungen.  Stuttgart  1855.  W.  Brennecke,  Trigono- 
metric fiir  das  Bediirfniss  hoherer  Lehranstalten.  Berlin  1856  u.  s.  w. 

3.  Die  analytische  Geometric,  durch  Descartes  im  XVII.  Jahrhundert 
begriindet,  unterwirft  die  geometrischen  Gebilde  durch  Einfuhrung  der  sogenannten 
Coordinaten  und  Hinzuziehung  des  Begritfes  stetig  veranderlicher  Grossen  einer 
algebraischen  Behandlung;  die  auf  diesem  Wege  erzielten  Resultate  werden  wieder 
auf  geometrisches  Gebiet  iibertragen.  Je  nachdem  man  es  nur  mit  ebenen  oder 
mit  Gebilden  dreifacher  Dimension  zu  thun  hat,  unterscheidet  man  eine  analytische 
Geometrie  der  Ebene  und  des  Raumes. 

J.  Pliicker,  System  der  analytischen  Geometrie  auf  neue  Betraehtungs- 
weisen  gegriindet.  Berlin  1835.  0.  Fort  und  0.  Sch  lb  milch,  Lehrbuch  der 
analytischen  Geometrie.  2  Bde.  Leipzig,  I.  Aufl.  1855,  II.  1863.  L.  0.  Hesse, 
Vorlesungen  aus  der  analytischen  Geometrie  der  geraden  Linie,  des  Punktes  und 
des  Kreises  in  der  Ebene.  Leipzig  1865.  G.  Salmon,  Kegelschnittslinien. 
Deutsch  von  Dr.  W.  Fiedler.  Leipzig  1860.  J.  Pliicker,  System  der  Geometrie 
des  Raumes  in  neuer  anahytischer  Behandluogsweise.  Diisseldorf  1846.  L.  0. 
Hesse,  Vorlesungen  iiber  die  analytische  Geometrie  des  Raumes.  Stuttgart, 
I.  Aufl.  1861,-11.  Aufl.  bes.  v.  Gundelfinger.  0.  Bbklen,  Analytische  Geometrie 
des  Raumes.  Stuttgart  1861.  G.  Salmon,  Grundriss  der  analytischen  Geometrie 
des  Raumes.  Deutsch  von  Dr.   W.  Fiedler.  Leipzig  1863  u.  s.  w. 

4.  Die  darstellende  oder  beschreibende  Geometrie  (geometrie  de- 
scriptive) eigentlich  erst  durch  Monge's  im  Jahre  1794  erschienenes  TVerk 
„Lecons  de  geometrie  descriptive"  begriindet,  lehrt  die  Darstellung  raumlicher 
Gebilde  in  der  Ebene,  wozu  sie  sich  der  sogenannten  Projectionsmethoden  bedient, 
und  die  Ableitung  der  aus  der  Gestalt  und  Lage  der  Raumgebilde  entspringenden 
geometrischen  Beziehungen  aus  diesen  Darstellungen.  —  Fiir  die  Teclmik  hat  die 
darstellende  Geometrie  als  Theorie  des  constructiven  Zeichnens  Iiervorragende 
Bedeutung;  vom  wissenschaftlichen  Standpunkte  bedeutet  sie  einen  wesentlichen 
Fortscliritt  in  der  Entwickelung  der  Geometrie  und  bildet  ein  Seitenstiick  des 
analytischen  Verfahrens. 

J.  de  la  Gournerie,  Traite  des  geometrie  descriptive.  Paris  1860 — 64. 
C.  F.  A.  Leroy,  Traite  des  geometrie  descriptive.  Deutsch  von  Kauffmann. 
I.  Aufl.  1838,  II.  1853,  III.  1873.  K.  Pohlke,  Darstellende  Geometric  Berlin. 
1860,  II.  Aufl.  1866.  J.  Schlesinger,  Die  darstellende  Geometrie  im  Sinne 
der  neueren  Geometrie.  Wien  1870.  Dr.  W.  Fiedler,  Die  darstellende  Geometrie 
in  organischer  Verbindung  mit  der  neueren  Geometrie.  Leipzig,  1871,  II.  Aufl. 
1875  u.  s.  w. 


744  Geometrie.   —  Geraderichten. 

5.  Die  nenere  Geometrie,  aueh  wohl  projectivische,  synthetische,  con- 
structive Geometrie  oder  Geometrie  der  Lage  genannt,  ist  erne  der  neuesten 
mathematischen  Disciplinen  and  hat  seit  ihrer  durch  Poncelet's  „Traite  des 
proprietes  projectives  des  figures"  (Paris  1822,  II.  Aufl.  1865—66)  erfolgten  Be- 
griindung  einen  sehr  bedeutenden  Aufschwung  erfahren.  Ihr  Ursprung  ist  in  der 
ihr  immittelbar  vorangegangenen  darstellenden  Geometrie  zu  suchen.  Die  Be- 
zeichnung  ., projectivische  Geom."  hat  ihren  Grand  darin,  dass  sich  diese  Disciplin 
mit  solchen  Eigenschaften  der  Raumgebilde  befasst-,  die  bei  der  Projection  erhalten 
bleiben;  die  Bezeichnung  „ synthetische  Geom."  ist  so  anfzufassen,  dass  im  Gegen- 
satze  zur  rechnenden  analytischen  die  neuere  Geometrie  ihre  Gebilde  constrairt 
oder  entstehen  lasst.  „ Geometrie  der  Lage"  wird  sie  wegen  der  vorherrschenden 
Rficksichtnahme  auf  die  Lagenverhaltnisse,  den  Grossenverhaltnissen  gegentiber, 
genannt. 

Ueber  die  historische  Entwickelung  der  neueren  Geometrie  lese  man  die 
vortreffliche  Einleitung  zu  H.  Hank  el's  „Die  Elemente  der  projectivischen  Geo- 
metrie in  synthetischer  Behandlung"   (Leipzig  1875). 

A.  F.  Mob ius,  Der  barycentrische  Calcul.  Leipzig  1827.  J.  Pliicker, 
Analytisch-geometrische  Untersuchungen.  Essen  1828—31.  J.  Stein  er,  Syste- 
matische  Entwickelung  der  Abhangigkeit  geometrischer  Gestalten  von  einander. 
Berlin  1832.  K.  G.  Chr.  v.  Staudt,  Geometrie  der  Lage.  Niirnberg  1847. 
Th.  Reye,  Die  Geometrie  der  Lage.  Hannover  1866—68.  J.  Stein er's  Vor- 
lesungen  liber  synthetische  Geometrie.  Herausgegeben  von  K.  F.  Geiser  und 
H.  E.  Schroter.  Leipzig,  1866— 1867,  II.  1875—76.  H.  Gretschel,  Lehr- 
buch  zur  Einftihraug  in  die  organische  Geometrie.  Leipzig  1868  u.  s.  w. 

6.  In  neuester  Zeit  wurde  die  Geometrie  in  umfassender  Weise  zur  Aus- 
fiihrung  algebraischer  Operationen  und  fur  Zwecke  der  Mechanik  (s.  d.)  hier  im 
Gegensatze  zu  der  im  XVIII.  jahrhundcrte  auf  diesem  Gebiete  beliebten  rein 
analytischen  Richtung  —  verwendet;  so  entstanden  die  unter  den  Namen  „gra- 
phisches  Rec linen"  (Arithmographie)  und  „graphische  Statik"  (Grapho- 
statik)  und  „Dynamik"   bekannten  Disciplinen. 

H.  Eggers,  Grundziige  einer  graphischen  Arithmetik.  Schaffhausen  1865. 
K.  Culmann,  Die  graphische  Statik.  Zurich  1866.  K.  v.  Ott,  Grundziige  des 
graphischen  Reclmens  und  der  grapliischen  Statik.  Prag  1871 ;  IV.  A.  1878.  L. 
Cremona,  Der  graphische  Calcul.  Deutsch  von  M.  Curtze.  Leipzig  u.  s.  w. 

7.  Praktische  Geometrie,  s.  Geodasie.  Czuber. 

Geomyricin  s.  Geocerain. 

Georgine.  nennt  Max  Singer  in  Tournai  ein  aus  den  Riickstanden  der 
Fuchsinfabrikation  dargestelltes  Gelb,  das  sicli  auf  Seide  und  Wolle  ohne  Beize, 
auf  Baumwolle  mit  Anwendung  einer  Thonerdebeize  oder  einer  Sumachpassage 
auffarben  lasst  und  die  Farbennuancen  von  Curcuma,  Gelbholz  oder  Pikrinsaure 
zu  erzielen  gestattet  (vgl.  Max  Singer,  Deutsch.  Industrie-Ztg.  1872  pag.  478, 
vgl.  a.  K  o  p  p,  Wiener  Ausstellungsber.  fiber  Gruppe  III,  Baader's  Verlag,  Schaff- 
hausen pag.    138  und  144),  s.  Th  e  er  far  b  en.     Gtl. 

Georginenol.  das  ather.  Oel  aus  den  Knollen  der  Georginen  (Dahlia  va- 
riabilis), kann  durch  Destination  derselben  rait  Wasser  gewonnen  werden,  hat 
einen  starken,  eigenthfimlicken  Geruch,  sfisslichen  Geschmack,  ist  schwerer  als 
Wasser,  butterartig,  krystallinisch  (vgl.  Pay  en,  Journ.  Pharm.  (2),  9  pag.  384 
und   10  pag.  239).     Gtl. 

Geprage   (coinage  —   stamp,  coinage),  s.  Miinzen. 

Geradeisen.  ein  Reifmesser  mit  gerader  Schneide  (draving  knife). 

Geraderichten  [dressage,  redressage  —  straightening),  geschieht  bei  Stangen 
and  Blech  liaufig  mit  dem  Hammer  im  kalten  Zustande,  falls  die  Biegungen  nicht 


Geraderichten.  —  Geraniumol.  745 

zu  bedeutende  sind  (vgl.  Schmieden).  Urn  Draht  gerade  zu  richten,  bedient 
man  sicli  der  sog.  Draht-Dressur,  eines  aus  5  Rollen  bestehenden  Werkzeug.s. 
Fig.  1747.  Die  drei  Rollen  rl  i\  r3  sind  in  einer  geraden  Linie  auf  fixen 
Achsen  aufgesteckt,  die  beiden  anderen  Rollen  r4  r:%  sind  gegen  die  ersten  stellbar, 
also  senkrecht  anf  die  Durclizugsrichtung  zu  verstellen,  je  nachdem  die  Drahtdicke 
dies  erfordert.  Sammtliche  Rollen  sind  am  Umfange  eingedreht.  Sole-he  Draht 
dressuren  stehen  in  Verwendung  bei  den  Drahtstiften-Maschinen,  den  Kratzen- 
und  Drahtspiralwinde-Maschinen  u.  dgl. 

Fig.  1747.  Fig.  1748. 

ol  (2 


o       o        o 


Das  Geraderichten  der  Drahte  fur  die  Nahnadelfabrikation  findet  in  der  Weise 
statt,  class  eine  grosse  Zahl  der  auf  die  Doppellange  der  Nadeln  geschnittenen 
Drahte  zwischen  zwei  eisernen  Ringen-r  so  eingelegt  wird,  wie  es  die  Fig.  1748  zeigt. 
Man  macht  das  Ganze  dunkelroth  gliihend  und  rollt  den  Pack,  indem  man  mit 
den  Schenkeln  einer  eisernen  Gabel  bei  a  a  niederdriickt,  auf  einem  Eisentiseho. 
bin  und  her.  Hierauf  schiebt  man  die  Ringe  etwas  weiter  auseinander  und  legt 
bei  b  eine  Flachschiene  auf,  mit  welcher  man  den  Pack  wieder  rollt.  Hierdurch 
werden  ein  paar  hundert  Stifte  in  2 — 3  Minuten  genau  gerade.  Vergl.  Artikel 
Drehen  II  681  u.   Art.  Walzen  (Geraderichtwalzen).  Kk.  ■ 

Geradfiihrungen,  s.  Kin  em  at ik. 

Geradhang  Wlaschine  (machine  a  planter  — pitching  tool),  eine  Uhr- 
macherei-Maschine. 

Geraniol,  s.  Geraniumol. 

Geraniumol  (huile  de  geranium  —  geranium  oil).  Unter  diesem  Namen 
kommen  mehrere  von  Andopogron  und  Pelargoniumarten  stammende  atherische 
Oele  in  den  Handel,  welche  wegen  ihres  rosenahnlichen  Geruches  vielfach  als 
billigeres  Surrogat  ftir  Rosenol,  sowie  auch  zur  Verfalschnng  desselben  verwendet 
werden. 

Das  echte  Geranium-  oder  Rosenblattgeraniumol,  auch  franzosi- 
sches  Geranium-  oder  Palmae-Rosae-Oel  stammt  von  Pelargonium  Badula,  aus 
dessen  Blattern  und  Bliithen  es  durch  Destination  mit  Wasser  gewonnen  wird. 
Es  ist  farblos,  mitunter  audi  griinlich  oder  gelblich,  selbst  braunlich  gefarbt  und 
ist  namentlich  das  letztere  das  am  meisten  geschatzte.  Es  siedet  bei  216  bis 
220°  C.  und  erstarrt  bei  16°  C.  Sein  Geruch  ist  angenehm,  dem  Rosenol  almlieh. 
Es  polarisirt  rechts.  Dieses  sowie  das  als  algierisches  Geraniumol  be- 
zeichnete,  aus  den  Blattern  und  Bliithen  von  Pelargonium  roseum  Willd.  und 
P.  odoratissiimim,  ursprlinglich  ira  Oriente  einheimischen,  gegenwartig  aber  mehr- 
fach  auch  in  Frankreich  u.  a.  a.  0.  cultivirten  Pflanzen,  gewonnene  Oel,  welches 
dem  franzosischen  sehr  ahnlich  ist,  aber  links  polarisirt,  werden  besonders  haufig 
zur  Verfalschnng  des  Rosenols  verwendet,  selbst  aber  auch  mit  dem  Oele  von 
Andropogon-Arten  (Grasol)  verfalscht,  vgl.  Citronellaol  II  pag.  364. 

Das  tiirkische  Geraniumol  (rose  —  roshe  oil,  oil  of  rosegeranium. 
ginger ■grassoil)  ist  das  ather.  Oel  von  Andropogon  Pachnodes  Iv'in.,  einer  in  Ost- 
indien,  Persien  und  Arabien  einheimischen  Graminee,  ist  gelblich  duunniissig,  von 


746  Geraniumol.  —  Gerbematerialien. 

angenehm  gewiirzhaftem  Geruche,  nicht  leicht  erstarrend  und  kommt  vorziiglich 
iiber  Smyrna  und  Bombay  in  den  Handel.  Es  wird  angeblich  in  Mekka  ge- 
wonnen. 

Das  Palmae-Rosae-Oel  enthalt  Pelargonsaure  C9i?l804,  eine  farblose 
olige  Fliissigkeit,  die  bei  niederer  Temperatur  erstarrt,  bei  10°  C.  schmilzt,  bei 
260°  siedet.  1st  eine  Saure  aus  der  Reibe  der  Fettsauren.  Von  weiteren  Be- 
standtheilen  des  Geraniumols  sind  zu  nennen  das  Geraniol,  das  dem  Borneo! 
(s.  d.)  isomer  C10HxsO  ist  und  eine  farblose,  angenehm  rosenartig  riechende, 
bei  232°  C.  siedende  Fliissigkeit  darstellt,  die  beim  Erhitzen  mit  Zinkchlorid 
Geranien  Cl0Hie  als  farblose,  nach  Mohren  riechende  Fliissigkeit  liefert,  welche 
bei  163°  C.  siedet.     Gtl 

Geranosin  nannte  Th.  L  nth  ringer  einen  ponceaurothen  Farbstoff,  der 
durch  Einwirkung  von  Wasserstoffsuperoxyd  oder  von  Baryumsuperoxyd  und 
Schwefelsaure  auf  schwefelsaures  Rosanilin  erhalten  werden  kann,  s.  Monit.  scient. 
1868  pag.  39,  auch  d.  Industrie-Ztg.  1868  pag.   75,  vgl.  a.  The  erfarb  en. 

Gtl. 

Gerbematerialien  (tannins  —  tanning-materials).  An  Gerbstoff  reiche, 
hauptsacblich  in  der  Gerberei,  zum  Theil  aber  auch  zu  anderen  technischen 
Zwecken,  wie  namentlich  in  der  Farberei  verweudete  Rohproducte  vegetabilisehen 
Ursprungs.  Die  Zahl  der  Gewachse,  welche  in  dieser  Art  beniitzte  Stoffe  liefern, 
ist  eine  betrachtliche  und  dieselbe  nimmt  naturlich  mit  den  sich  erweiternden 
Kenntnissen  Jahr  fiir  Jahr  zu. 

Gerbstoffe  treten,  und  zwar  in  der  lebenden  Pflauze  hauptsacblich  als  fliis- 
siger  Zellinhalt,  in  ober-  und  unterirdischen  Theilen  der  meisten  hoheren  Pflanzen 
auf.  Sie  konnen  in  den  verschiedenartigsten  Geweben  vorkommen:  in  der  Ober- 
haut,  im  Kork,  im  Parenchym  und  Prosenchym ;  am  reichlichsten  linden  sie  sich 
im  Parenchym  der  Rinde  dicotyler  PHanzen,  wie  deun  iiberhaupt  das  Parenchym 
ihre  vorziiglichste  Ablagerungsstatte  ist.  Bald  sind  sie  in  alien  parenchymatischen 
Zellen  eines  Pflanzentheils,  meist  neben  anderen  Inhaltsstoffen,  nicht  selten  selbst 
zwei  verschiedene  Gerbstoffe  in  einer  Zelle  vorhanden,  bald  ist  ihr  reichlicheres 
Vorkommen  auf  bestimmte,  im  Gewebe  zerstreute  oder  zu  netzformigen  Complexen 
zusammengestellte  Zellen  oder  auf  Schliiuche  beschriinkt,  welche  die  Gefassbiindel 
begleiten,  bald  auf  Zellschichten.  Haufig  fmden  sich  Gerbstoffe  auch  im  Holze, 
im  Gewebe  der  Blatter,  Bliithen  und  Friichte,  seltener  der  Samen.  Eine  Ueber- 
sicht  der  Gerbematerialien  zeigt  uns,  dass  es  auch  in  der  That  Rinden  dicotyler 
Holzgewachse  sind,  welche  in  grbsster  Menge  Verwendung  linden,  wahrend  die 
Zahl  der  in  dieser  Richtung  beniitzten  Friichte,  Blatter,  Hblzer  und  unterirdischen 
Theile  eine  weit  geringere  ist.  Ausserdem  gehoren  hieher  gewisse  durch  Insecten 
hervorgerufene,  durch  grosscn  Gerbstoffgehalt  ausgezeichnete  Auswiichse  (siehe 
den  Artikel:  Gallen)  und  eine  Anzahl  extractartiger  Substanzen,  wie  Catechu, 
Grambir,  Kino  u.  a.,  welche  an  den  betreffenden  Stellen  eine  besondere  Besprechung 
linden  Als  die  wichtigsten,  Gerbematerialien  liefernden  Pflanzenfamilien  sind 
anzufiihren :  die  Coniferen,  Cupuliferen ,  Betulaceen,  Uhnaceen,  Saliciueen,  Arto- 
carpeen,  Casuarineen,  Proteaceen ,  Ericaceen,  Bignoniaceen,  Rubiaceen,  Rhizo- 
phoreen.  Saxifragaceen,  Malpighiaceen,  Hippocastaneen,  Rhamneen,  Anacardiaceen, 
Combretaceen,  Tamariscineen,  Myrtaceen,  Rosaceen,  Amygdaleen  und  Leguminosen. 
Unter  den  Rinden  spielen  die  wichtigste  Rolle  jene  verschiedener  Cupuliferen 
und  bier  vor  Allem  die  Rinden  zahlreicher  Eichenarten  (Quercus).  Ausser  der 
Rinde  der  bei  uns  waehsenden  (siehe:  Eichenrin  de)  kommt  auch  jene  ver- 
schiedener im  Oebiete  des  Mittelmeeres  einheimischen  Arten,  so  von  Quercus 
Suber  L. ,  Q.  Mirbeckii  Dur.,  Q.  castaneaefolia  Bor.,  Q.  Pseudo-Suber  Dasf., 
Q  Ilex  L..  Q.  Ballota  Desf.,  Q.  coccifera.  L.  in  Betracht;  fiir  Noid-Amerika 
wichtige  Gerberinden  liefern  die  dort  einheimischen  Quercus-Arten,  insbesondere 
Q.  Pritius  L.    Var.    3.  acuminata  DC.  (Q.    Castanea  Muhl.)    „Wliite-Cliestnut- 


Grerberuaterialien.  747 

Oak",  deren  Rinde  iiber  16  Proc.  Gerbstoff  enthalt  und  gleich  dem  daraus  be- 
reiteten  fliissigen  Extract  (mit  c.  28  Proc.  Gerbstoffgehalt)  das  wichtigste  Grerbe- 
material  fur  die  westlichen  Unionsstaaten  ist  (W.  Eitner  in :  Bericht  iiber  die 
Weltausstellung  in  Philadelphia  1876,  Heft  18),  ferner  Qu&rcus  Prinus  L.  Var. 
y.  monticola  (Q.  montana  Willd.)  „Rook-Chestnut-Oak" ,  Qu&rcus  alba  L. 
„  White-Oak",  Q.  falcata  Michx.  „  Spanish- Oak",  Q.  coccinea  Wangenh.  >. 
nigricans  DC.  (Q.  tinctoria  Michx.)  „Black  Oak",  Q.  aquatica  Walt,  und  Q. 
cinerea  Michx.  Von  geringerer  Bedeutung  ist  die  Rinde  anderer  Cupulifeien, 
wichtiger  dagegen  die  Wei  den  rinde,  welche  ira  Frlihling  von  2 — 4jahrigen 
Trieben  von  verschiedenen  Weidenarten  gesammelt  und  nach  sorgfaltiger  Trock- 
nung  in  bandartigen  Stticken  in  den  Handel  gebracht  wird.  Ihr  Gerbstoff- 
gehalt, zwischen  3 — 16  Proc.  schwankend,  ist  nach  der  Weidenart  vcrschieden. 
Die  gerbstoffreichsten  Rinden  liefern  die  sogenannten  Bruchweiden  (Salix  fragilis 
L.,  S.  alba  L.,  S.  pentandra  L.) ,  die  Korbweiden  (Salix  viminalis  L.J 
und  Saalweiden  (S.  caprea  L.,  S.  cinerea  L.).  Die  Weidenrinde  (zumal  jene 
von  S.  pentandra  und  caprea)  dient  schon  seit  Langem  in  Russland  zur  Be- 
reitung  des  Juchtenleders  und  wird  auch  in  neuerer  Zeit  in  Deutschland  zur  Her- 
stellung  feinerer  Ledersorten  beniitzt.  Besonders  in  den  nordischen  Landern 
Europas,  zum  Theil  auch  in  Deutschland  spielt  auch  die  Birkenrinde  (von 
Betula  alba  L.),  welche  5.5  Gerbsaure  enthalten  soil,  eine  Rolle.  Weniger 
bedeutend  ist  die  Erlenrinde  (von  Alnus-Arten)  und  die  Ulm  en  rinde  (von 
Ulmus  campestris  L.),  dagegen  ist  die  Rinde  von  verschiedenen  Nadelbaumen 
(Coniferen)  fur  manche  Gebirgsgegenden  Europas  (Bohmen,  Oesterreich,  Deutsch- 
land) Gegenstand  eines  nicht  unbedeutenden  Handels.  Hauptsachlich  wird  die 
Rinde  der  Fichte  {Pinus  Picea  Dur.),  seltener  jene  der  Weisstanne  (Pinus 
Abies  Dur.),  der  Schwarzfohre  (Pinus  Laricio  Poir.)  und  der  Larche  (Pinus  Larix 
L.)  gesammelt.  Nach  Hartig  liefern  60  —  80  Jahre  alte  Pichten  die  beste  Rinde,  deren 
Gerbstoffgehalt  8  Proc.  betragt.  In  Neapel  und  Sicilien,  wohl  auch  in  anderen 
Mediterranlandern  beniitzt  man  die  Rinde  von  Pinus  Halepensis  Mill,  und  gewiss 
auch  von  anderen  dort  wachsenden  Eohrenarten,  so  namentlich  von  Pinus  Pi- 
naster Sol.,  deren  Rinde  auf  der  Wiener  Weltausstellung  aus  Marokko  vorlag. 
In  Nord-Amerika  dienen  gleichfalls  die  Rinden  dort  einheimischer  Nadelbaume 
zum  Gerben,  namentlich  jene  von  Pinus  Canadensis  L.  „Hemlock",  welche 
7 — 8  Proc.  Gerbstoff  enthalt'  und  aus  der  man  auch  das  in  ausgedehnter  Anwen- 
dung  stehende,  18  —  30  Proc.  Gerbstoff  enthaltende  Hemlo  ck- Extract  bereitet 
(Ausfiihrliches  im  Bericht  iiber  die  Weltausstellung  in  Philadelphia,  18.  H.  Leder- 
industrie  von  W.  Eitner,  Wien  1877)  und  jene  von  Pinus  alba  Ait.  v  White 
Spruce". 

Als  Gerberinden  von  beschrankter ,  localer  Anwendung  sind  noch  anzn- 
fiihren :  die  Rinde  des  Rosskastanienbaumes,  Aesculus  Hippocastanum  L.  (in 
Italien),  die  Rinde  des  Myrtenstrauchs,  Myrtus  communis  L ,  die  Rinde  von 
Pistacia  Lentiscus  L.,  von  Rhus  pentaphylla  Desf.,  von  Tamarix  Gallica  L. 
und  Africana  Poir ,  jene  des  Granatbaumes,,  Punica  Granatum  L.  (in  Algier, 
letztere  auch  im  Oriente),  die  Rinde  von  Bignonia  longissima  Jacq.  und  Mal- 
pighia  spicata  Can.  in  Westindien,  jene  von  Tectona  grandis  L.  f.  in  Indien 
und  viele  andere. 

In  den  letzten  Jahren  hat  man  zahlreiche  neue  gerbstoffreiche  Rinden  aus 
verschiedenen  aussereuropaischen  Gebieten  naher  kennen  gelernt  und  der  euro- 
paischen  Industrie  zugefiihrt.  So  um  einige  der  wichtigsten  zu  nennen,  die  Rinde 
von  Casuarina-  und  Terminalia-Arten,  von  Aleurites  triloba  Forst.,  Acacia  Leb- 
beck  W.  aus  Reunion,  von  verschiedenen  Acacia-Arten  wie  A.  dealbata  Lk. 
(„ Silver  Wattle"),  A.  decurrens  Willd.  („BIack  Wattle"),  A.  molissima  Willd. 
u.  a.  aus  Australien,  die  Rinde  einer  Balloghia-Art  aus  Neu-Caledonien.  die  Rinde 
von  Phyllocladus  trichomanoides  Don.  (23.2  Proc.  Gerbst.),  von  Weinmannia 
racemosa  Forst.  (12.7  Proc.  G.),  von  Coriaria  ruscifolia  L.  (16.8  Proc.  G.), 
von  Elaeocarpus  dentatus   Vahl.  (21.8   Proc.  G.),  von  Eugenia  Maire  A.  ('»>?.. 


748  Gerbematerialien. 

von  Rhabdothamnus  scabrosus  Steud.  u.  a.  aus  Neuseeland  (der  Gerbstoffgehalt 
nach  Angaben  im  Catal.  der  neuseel.  Abth.  der  Wiener  Weltausst.  1873),  die 
Rinde  verschiedener  Legurninosen,  namentlich  jene  der  Cebil-Acacie,  Acacia  Cebil 
Gr.  und  anderer  Acacia-Arten  mit  einem  Gerbstoffgehalt  von  9  —  14.4Proc.  (nach 
M.  Siewert),  die  Quebracho-Rinde  (siehe  weiter  unten  das  Quebracho-Holz),  die 
Cedro  Rinde  von  Cedrela  brasilleasis  S.  Hill.  etc.  aus  der  siidamerikanischen 
Republik  Argentina,  die  Mango -Rinde  von  Mangifera  Indica  L.,  die  Mangle- 
Rinde  (Mangle  Colorado)  von  Rhizophora  Mangle  L.,  die  Rinde  von  Coccoloba 
uvifera  L.  (Uva  de  Playa)  und  Weinmannia  glabra  L.  (Curtidor)  aus  Vene- 
zuela, die  Rinden  verschiedener  Proteaceen  vom  Cap  der  guten  Hoffnung,  so  von 
Proted  mellifera  Thbg.  (Sugarbosh),  Pr.  grandifiora  Thuabg.  (Waagenboom), 
Leucospermum  conocarpum,  R.  Br.  (Kreupelboom) ,  Leucadendron  argenteum  R. 
Br.  (Silverboom)  etc.  etc.  Einige  dieser  Rinden  haben  bereits  auch  bei  uns  Ein- 
gang  gefunden. 

Von  Friichten  und  Fruchttheilen  sind  als  Gerbemittel  von  grosser  Wichtigkeit 
die  Fruchtbecher  (Cupulae)  verschiedener  Eichenarten  des  Orients,  welche  unter  dem 
Namen  Vailonea  (orientalische  Knoppern)  in  den  Handel  gelangen  (siehe  den 
Art.  Vailonea),  ferner  die  sogen.  Myrobalanen,  die  Friichte  namentlich  ver- 
schiedener Terminalia-Arten  Indiens  (siehe  d.  Art.  Myrobalanen),  die  Httlsen  ver- 
schiedener Legurninosen,  so  die  als  Dividivi  (Libidibi)  bekannten  von  Caesal- 
pinia  Coriaria  W.  (siehe  den  Art.  Dividivi)  und  jene  von  diversen  Acacia-Arten, 
im  Handel  als  Bablah  bekannt  (siehe  den  Art.  Bablah).  An  sie  schliessen  sich 
die  aus  dem  siidlichen  Amerika  in  den  Handel  gelangenden  Hiilsen  von  Acacia 
Paraguariensis  Parody  und  wohl  audi  anderer  Arten  an,  welche  unter  dem  ein- 
heimischen  Namen  Algarobillo  bekannt  sind  sowie  die  Hiilsen  der  in  Argentina  als 
„Espinillo"  bezeichneten  Acacia  Cavenia  Hook.  et.  Am.,  welche  in  ihrem  Frucht- 
gehause  liber  32  Proc.  Gerbstoff  beherbergen.  Eine  ausgedehnte  Auwendung 
finden  im  Oriente  die  bis  28  Proc.  Gerbstoff  enthaltenden  Fruchtschalen  des  Granat- 
baumes  (Punica  Granatum  L.).  Unter  den  Krautern,  Blattern,  resp.  jungen 
Zweigen  baum-  und  strauchartiger  Gewachse,  welche  hieher  gehoreu,  nimmt  der 
Sumach  (s.  d.  Art.),  die  zerkleinerten  beblatterten  Zweige  verschiedener  Rhus- 
Arten,  den  ersten  Rang  ein.  Der  Aufmerksamkeit  werth  sind  die  Blatter  ver- 
schiedener anderer  Anacardiaceen,  wie  namentlich  jene  der  in  Siidamerika  wach- 
senden,  in  Argentina  (wo  man  sie  zum  Gerben  und  Farben  verwendet)  als  „Molle" 
bezeichneten  Litliraea  Gilliesii  (mit  8.5  Proc.  Gerbst.)  und  Duvaua  dependens 
DC.  (mit  19 — 20  Proc.  Gerbst.),  ferner  die  Blatter  des  Quajacan  (Caesalpinia 
mefanocarpa  Gr.  mit  iiber  21  Proc.  Gerbstoffgehalt),  die  Blatter  des  als  weisser 
Quebracho  von  Salta  bezeichneten  Bauines  (Aspidospermat),  welche  27.5  Proc. 
Gerbstotf  enthalteu  sollen  (Siewert,  Tanning  materiales  of  South  America.  Pharm. 
J.  a.  Transact.  1878  Janner  p.  548).  Auch  die  Blatter  von  Pistacia  Arten, 
namentlich  von  P.  Lentiscus  L ,  jene  von  Rhizophora  Mangle  und  von  Terminalia- 
Arten  sind  in  neuerer  Zeit  niehr  beriicksichtigt  worden.  In  Sicilien  und  Nordafrika 
spielen  auch  die  jungen  Aeste  von  Tamarix  eine  Rolle.  Kaum  nennenswerth 
sind  verschiedene  Ericaceen,  wie  der  Sumpfporsch,  Ledum  palustre  L.,  die  ge- 
meine  Heide,  Erica  vulgaris  Salisb.,  die  Barentraube,  Arctostaphyllos  offici- 
nalis Wimm.,  die  Heidel-  und  Preisselbeere,  Vaccinium  Myrtillus  L.  und 
V.  }^itis  Idaea  L.  etc.,  dereu  Kraut  resp.  Blatter  hie  und  da  zum  Gerben  dienen. 
Dasselbe  gilt  auch  fur  verschiedene  unter irdische  Theile,  so  die  Wasser- 
Sehwertlilienwurzel  (Iris  Pseudoacorus  L.),  die  Natternwurzel  (Polygonum  Bi- 
storta  L.)}  die  Ruhrwurzel  (Potentilla  Tormentilla  Nestl.),  die  Wurzel  von 
Statioe-Arten  (so  z.  B.  St.  coriaria  Hoffm.  in  Russland),  von  Eupatorium  chilense 
Mol.  in  Chile  etc. 

Von  H  biz  em  ist  durch  eineu  namhaften  Gerbstoffgehalt  (8  Proc.)  aus- 
gezeichnet  und  zumal  in  Frankreich  gleich  dem  daraus  dargestellten  flussigen 
Extract  in  der  Gerberei  verwerthet  das  Holz  der  Kastauie  Castanea  vulgaris 
Lam.  und  von  in  der  argentinischen  Republik  einheimischen,    naher    uutersuchten 


Gerbematerialien.  —  Gerbsauren.  749 

Pflanzen  (vgl.  Siewert  1.  c.),  das  Holz  der  Cectrela  Brasiliensis  S.  Hill  (5.61  Pi-), 
des  Waluussbaumes,  Juglans  nigra  L.  Var.  Boliviano,  DC.  (5  Proe.)>  des 
Cochucliu  oder  Coco,  Zanthxoylon  Coco  Gill.  (6.13  Proc),  besonders  aber  das 
Quebrach  o -Holz,  das  bereits  gleich  dem  daraus  bereiteten  festen  Extract 
Gegenstand  des  europaischen  Handels  geworden  ist  und  vor  Kurzem  viel  be 
sproehen  wurde.  (W.  Eitner  in  „der  Gerber",  Org.  der  chem.  technischen  Ver- 
sucbsstation  fur  Lederindustrie  etc.  1878,  Nr.  83.)  Mit  dem  Namen  Quebracho 
bezeichnet  man  in  der  argentinischen  Republik  verschiedene  Baume  und  unter- 
sclieidet  insbesondere  einen  Quebracho  bianco  und  einen  Q.  Colorado  oder rosado. 
Ein  Theil  des  Quebracho  bianco  betrifft  das  Holz  wahrscheinlich  einer  oder 
mehrerer  Pr  osopi  s- A  rten.  Nach  M.  Siewert  (1.  c),  der  als  Stammpflanze 
einer  Sorte  des  Q.  bianco  Aspidosperma  Quebracho  Schl.  (?)  neurit,  eine  Pflanze 
aus  der  Familie  der  Apocynacee  (diese  Ableitung  ist  indess  durcbaus  unsicher. 
Vergl.  A.  Grisebacb,  die  Vegetation  der  Erde.  II.  Band,  Leipzig  1872,  p.  619, 
19),  ist  der  weisse  Quebracho  von  Salta  verschieden  von  jenem  aus  der  Provinz 
Cordoba.  Als  Stammpflanze  des  Quebracho  Colorado  —  es  ist  dies  die  auch 
bei  uns  schon  eingefiihrte  Sorte  —  fiihrt  der  Catalogue  of  the  Arg.  Republ.  Intern. 
Exhib.  Philadelphia  1876  Loxopterygium  Lorentzii  Gr.  an.  Es  ist  ein  hartes 
Holz  von  1.193  sp.  G.,  aus  kleinen  Spanen  bestehend  von  fast  gleichmassig  hell 
braun-rothlicher  Farbe,  auf  der  radialen  Spaltungsflache  fast  seidenglanzend, 
geruchlos,  von  herbem  Geschmack.  Der  geglattete  Querschnitt  lasst  ein  diehtes 
rothlich  braunes  Grundgewebe  erkennen,  durchschnitten  von  feinen,  scharf  gezeich- 
neten  genaiierten  Markstrahlen  von  hellerer  Farbe  und  dazwischen  mit  zer- 
streuten  helleren  Gefasspunkten.  Es  zeigt  den  Bau  eines  Leguminosenholzes  und 
enthalt  (nach  Eitner)   neben  einem  rothen  Farbstoff  16-17  Proc.  Gerbstoff. 

A.   Yogi. 

Gerbetl  des  Stahles,  s.  Eisenerz  eug  ung  III  pag.  49. 

Gerberei  u.  z.  Lohgerberei  (tannage  —  tanning),  Weissgerberei  (megisserie 
—  tawing),  Samisch-  oder  Fettgerberei  (chamoisage  ■ —  chamoising),  d.  i.  das 
Verfahren  der  Lederbereitung,  s.  Leder. 

Gerberfett,  syn.  Degras,  s.  Leder. 

Gerberlohe,  s.  Leder,  vgl.  a.  Gerbematerialien. 

Gerbei'SUmach,  s.  Gerbematerialien. 

Gerbgang,  Schlilgang,  Spitzgang,  s.  Mehlfabrikation. 

Gerbsauren,  Gerbstoffe  sind  im  pflanzlichen  Organismus  sehr  verbreitete 
Korper,  die  vermuthlich  in  keiner  hoheren  Pflanze  fehlen  diirften,  und  sowohl  in 
ausdauernden  als  ein-  und  zweijahrigen  Pflanzen  nachgewiesen  wurden.  Trotz 
ihrer  ausgebreiteten  Verwendung  und  ihrer  wichtigen  pflanzenphysiologischen  Rolle 
sind  sie  aber  nur  sehr.  unvollstandig  gekannt.  So  ist  es  noch  ziemlich  unent- 
schieden,  ob  in  einer  Pflanze,  ja  in  einem  Pflanzentheil  stets  nur  eine  Gerbsaure 
oder  aber  verschiedene  gemeinschaftlich  vorkommen.  Dafiir  steht  es  fest,  Jass 
die  Gerbsaure  einer  Pflanze  mit  jener  der  auf  ihr  wie  immer  hervorgebrachten 
Auswtichse  nicht  identisch  sein  muss.  (So  Eichenrindengerbsaure  und  Gallusgerb- 
saure.)  Andererseits  haben  insbesondere  die  zahlreichen  Versuche  Rochleder's 
dargetlian,  dass  innerhalb  einer  Pflanzenfamilie  die  gleichen  oder  doch  hbchst 
ahnliche  Gerbsauren  auftreten. 

Das  allgemeine  Kennzeichen  der  Gerbsauren  ist,  dass  sie  amorph,  farblos 
bis  braun  gefarbt,  saurerNatur  sind,  einen  adstringirenden  Geschmack  besitzen.  in 
wassriger  Losung  von  Eisensalzen  charakteristisch  gefarbt  werden  ^in  der  Regel 
griin  oder  blauschwarz,  mitunter,  so  manche  Gerbsauren  der  Pinusarten  aber  auch 
braun).     In    alkalischer  Losung    der   Luft   ausgesetzt  werden  sie  unter  Sauerstoff- 


750  Gerbsauren. 

absorption  braun  gefarbt  und  zersetzt,  in  wassriger  Losung,  rascher  noch  beim 
Kochen  mit  verdunnten  Sauren  spalten  sie  sich,  liefern  biebei  sebr  haufig,  doch 
nicht  immer,  Glucose  und  andererseits  Korper,  die  mitunter  krystallisirt  sind,  wie 
Gallussaure  und  Ellagsaure,  in  der  Regel  aber  roth  bis  braunroth  gefarbte  amorphe 
Substanzen  darstellen,  welch  letztere  den  der  betreffenden  Pflanze  angehorigen 
Phlobaphenen  oder  Rindenfarbstoffen  sehr  nahe  stehen,  wenn  nicht  mit  ihnen 
identisch  sind. 

Alle  Gerbstoffe  reduciren  Gold-  und  Silbersalze.  Der  weitaus  grossten 
Zahl  der  Gerbstoffe  kornmt  die  Eigenthiiinlichkeit  zu,  durch  Leim-  und  Brechwein- 
steinlosung  gefallt  zu  werden  und  in  Wasser  und  Alkohol  leicht,  schwer  dagegen 
in  Alkohol  und  wasserfreiem  Aether  loslich  zu  sein.  Die  allermeisten  sind  glu- 
cosidischer  Natur  (siehe  oben),  doch  ist  es  noch  zweifelhaft,  ob  der  Paarling 
wirklich  Glucose  oder  nicht  etwa  Gummi  sei,  das  erst  bei  der  Spaltung  in  Zucker 
iibergefiihrt  werde. 

Mit  Ausnahme  der  Gallusgerb-  und  Granatgerbsaure ,  die  Gallussaure 
Ct.yH,,(OH)3(COOH)  liefern,  werden  sammtliche  in  dieser  Richtung  untersuchte 
Gerbstoffe,  respective  deren  beim  Kochen  mit  Sauren  erhaltenen  rothen  Spaltungs- 
producte  (China-,  Chinova-  etc.  Roth  benannt)  beim  Schmelzen  mit  Aetzkali  in 
Protocatechusaure  CGH:i(OH)t2COOH  iibergefiihrt,  einige  von  ihnen,  wie  die  Kaffee-, 
China-  und  Chinovagerbsaure  liefern  ausser  jener  noch  Essigsaure,  andere,  so  die 
Filix-,  Ratanhia-,  Tormentill-  und  Kastaniengerbsaure  geben  als  zweites  Spal- 
tungsproduct  Phloroglucin  C6H3(OH)3. 

Als  nicht  glucosidischer  Natur  wurden  mit  Bestimmtheit  die  Tormentill-, 
die  Kastanien-  und  die  Gerbsaure  der  Rinde  der  Sauerkirsche  erkannt,  ebenso 
in  neuester  Zeit  die  Gallusgerbsiiure  oder  das  Tannin  und  die  Ellagengerbsaure 
der  Dividivischoten ;  die  Zahl  der  nicht  glucosidischen  Gerbsauren  diirfte  aber 
damit  noch  lange  nicht  erschbpft  sein. 

Aus  all  dem  geht  hervor,  dass  die  unter  dem  Namen  Gerbsauren  zu- 
sammengefassten  Korper  wohl  gewisse  Eigenthiinilichkeiten  gemein  haben,  aber  sehr 
verschieden  constituirt  sind. 

Ueber  die  umfassende  Verwendung  der  Gerbstoffe,  die  allerdings  nur  beim 
Tannin  auch  in  Form  der  reinen  Saure,  sonst  aber  durch  die  betreffenden 
Rohmaterialien  oder  deren  wassrige  Extracte  erfolgt,  in  der  Medicin  und  Phar- 
macie,  dann  der  Farberei,  Gerberei,  Tintenfabrikation,  zum  Schonen  des  Weines, 
zum  Beschweren  der  Seide  etc.,  siehe  die  betreffenden  Artikel. 

Der  bestgekannte  Reprasentant  der  Gruppe  der  Gerbsauren  ist  das  Tannin, 
oder  die  Gallapfel-,  Gallusgerb-,  Eichengerbsaure  (acid  tannique  —  tannin),  das 
den  Gerbstoff  der  verschiedenen  Gallapfel,  sowie  der  Knoppern  ausmacht,  dann 
aber  auch  im  Sumach  und  in  den  Myrobalanen  (siehe  nnten  Ellagengerbsaure) 
nachgewiesen  wurde,  stets  aber  von  Gallussaure  u.  a.  den  Gerbstoffen  sehr  nahe 
stehenden  Substanzen  (im  Sumach  auch  von  der  eigenthiimlichen  Catechugerb- 
saure,  dann  dem  Catechin)  begleitet  wird. 

Es  kann  aus  tiirkischen  Gallapfeln  am  besten  nach  einem  von  Schmidt 
(Arch.  Pharm.  (2)  134,  213)  empfohlenen  Verfahren  gewonnen  werden.  Hiezu 
werden  jene  mit  einem  Gemisch  von  12  Thl.  Aether  und  3  Thl.  90 — 91  proc. 
Woingeist  kalt  extrahirt,  das  dann  wiederholt  mit  einem  Dritttheil  Wasser  ge- 
schiittelt  wird,  welches  die  Gerbsaure  endlich  vollstandig  aufnimmt.  Durch  Ein- 
dampfen  der  wassrigen  Losung  wird  em  ziemlich  reines  Praparat  erhalten,  die 
Ausbeute  betriigt  biebei  50 — 77  Proc.  der  angewandten  Gallapfel. 

Zur  Darstellung  des  Tannins  aus  chinesischen  Gallapfeln  hat  Schmidt  ein 
ctwas  modificirtes  Verfahren  angegeben,  beziiglich  dessen  auf  oben  citirte  Original- 
abhandlung  verwiesen  sei. 

Urn  kaufliches  unreines  Tannin  zu  reinigen,  soil  dieses  nach  Heinz  (Pharm. 
Zeitschr.  f.  Rnss.  18G7,  VI,  4G9)  in  dem  doppelten  Gewicht  warmen  Wassers 
gelSst  und  dann  mit  '/6 — '/,„  des  Volums  Aether  anhalteud  geschtittelt  werden, 
der  die  Verunreinigungen  als  coagulirte  Massen  fallt;  durch  Filtration   von  diesen 


Gerbsauren.  751 

nnd  Eindampfen  der  Losung  wird  ein  sehr  reines  Product  gewonnen.  Unter  vielen 
anderen  Reinigungsverfahren  sei  auf  jcnes  von  Luboldt  (Mourn,  f.  pract.  Chem. 
77,  357),  sowie  auf  die  Arbeit  von  Li)  we  (Zeitsch.  f.  analyt.  Chem.  1872,  365) 
aufmerksam  gemacht. 

Die  reine  Gallusgerbsaure  ist  nahezu  farblos,  am  Licht  gelb  werdend, 
amorph,  leicht  zerreiblich,  wenig  hygroskopisch,  sie  ist  geruchlos,  zusammenziehend, 
aber  nicht  bitter  schmeckend,  besitzt  deutlich  saure  Reaction,  kein  optischea  Dre? 
hungsvermogen.  Sie  gibt  im  Wasser,  das  sie  reichlich  aufniramt,  eine  scbaumende 
Losung,  aus  der  Salze  und  Mineralsauren  sie  wieder  fallen.  Wassriger  Wemgeisf 
lost  das  Tannin  reichlicher  als  absoluter,  wasserfreier  Aethfr  lost  es  nur  wenig, 
wassriger  weit  besser,  indem  sich  eine  schwere,  wassrige,  viel  Gerbsaure  und  etwas 
Aether  und  eine  atherische,  nur  wenig  Gerbsaure  haltende  Schichte  bildet.  Die 
Zusammensetzung  der  Gallusgerbsaure  wurde  bis  in  die  neueste  Zeit  mit  6'„7I/or,017 
angenoInmen  (Strecker,  Ann.  Chem.  Pharm.  81,  248  u.  90,  328)  und  sie  als 
Glucosid  betrachtet;  als  Frucht  zahlreicher  Untersucbungen  von  Knop  (Chem. 
Centralbl.  1852— 1860),  von  Rochleder  u.  Kavalier  (Wien.  Acad.  Ber.  22,558, 
29  28,  30  159),  Hlasiwetz  (Ann.  Chem.  Pharm.  143,  295),  dann  Lowe  (Journ. 
f.  pract.  Chem.  102,  211)  und  Sch iff  (Ann.  Chem.  Pharm.  170,  43)  hat  sich  aber 
herausgestellt,  dass  sie  kein  Glucosid,  sondern  der  Formel  Cy±Hxa09  entsprechend  zu- 
sammengesetzt  sei  und  als  eine  Digallussaure  C(}HQ(OH).i.C'O.0.C'l.H,,{OH)l,COOH 
aufgefasst  werden  miisse.  Schiff  gelang  es  auch  das  Tannin  durch  Einwirkung 
von  wasserentziehenden  Mitteln,  wie  Phosphoroxychlorid  und  Arsensaure  (nicht 
aber  von  concentr.  Schwefelsaure),  auf  Gallussaure  synthetisch  darzustellen,  was 
schon  durch  Lowe  als  sehr  wahrscheinlich  hingestellt  wurde.  Schiff  halt  es  fiir 
wahrscheinlich,  dass  die  in  der  Pflanze  enthaltene  Gallusgerbsaure  doch  ein  Glu- 
cosid u.  z.  der  Formel  C34i?,iS022  sei,  das  sich  aber  schon  wahrend  der  Extraction 
ja  in  der  Pflanze  selbst,  unter  Aufnahme  von  2  Mol.  Wasser  in  1  Mol.  Glucose 
und  2  Mol.  Digallussaure  spalte. 

Das  Tannin  liefert  kein  haltbares  Leder,  wird  aber  als  adstringirendes 
Mittel  medicinisch,  dann  zur  Tintenfabrication,  in  der  Farberei,  besonders  als 
Beize,  zur  Darstellung  von  Gallus-  und  Pyrogallussaure,  als  Reagenz  auf  Leira, 
Eiweissstoffe,  Alkaloide,  zum  Entfarben  von  Polarisationszuckerlosungen  etc.  an- 
gewandt. 

Die  Gallussaure,  das  Product  der  Einwirkung  von  verdiinnten  Sauren 
auf  Tannin,  wird  gewohnlich  aus  dem  Gallapfelextract  dargestellt,  indem  dieses  mit 
Natronlauge  oder  verdiinnter  Schwefelsaure  gekocht,  oder  einer  Art  Gahrung 
tiberlassen  wird.  Um  auf  letztere  Weise  Gallussaure  zu  bereiten,  werden  gewohnliche 
Gallapfel  zerstossen  und  mit  Wasser  befeuchtet  mehrere  Wochen  lang  der  Luft 
ausgesetzt  bei  einer  Temperatur  von  20 — 28°  C.  belassen,  hierauf  mit  Wasser  aus- 
gekocht  und  die  Losung  krystallisiren  gelassen.  Durch  wiederholtes  Umkrystalli- 
siren  aus  Wasser  wird  die  Gallussaure  gereinigt.  Bei  alien  Operationen  sind 
eisenhaltiger  Staub  etc.  moglichst  abzuhalten.  Bei  Anwendung  chinesischer  Gall- 
apfel miissen  gewohnliche  Gallapfel  oder  Fermente  (Bierhefe)  zugesetzt  werden, 
da  sonst  die  Ausbeute  eine  sehr  schlechte  ist.  Vorschriften  wurden  von  Bra  conn  ot 
(Ann.  chim.  phys.  IX,  181),  Wittstein  (Vierteljahrsch.  pract.  Pharm.  II.  72),  Steer 
(Wien.  Akad.  Ber.  22,  249)  und  Liebig  (Ann.  Chem.  Pharm.  53,  180)  gegeben. 

Die  Darstellung  der  Gallussaure  unter  Mitwirkung  von  verdttnuten  Sauren 
geschieht  nach  Wetherill  (Journ.  f.  pract.  Chem.  92,  247)  am  besten  derart.  dass 
1  Thl.  Gerbsaure  mit  10  Vol.  verdiinnter  Schwefelsaure  (1  :  4)  so  lange  gekocht 
wird,  bis  die  Fliissigkeit  nach  dem  Erkalten  krystallisirt.  Die  Ausbeute  betra'gt 
dann  gegen  87  Proc.  Nach  Liebig  wird  dasselbe  durch  Kochen  mit  Natronlauge 
erreicht,  Knop  (siehe  oben)  erhielt  beim  Kochen  von  gleichen  Theilen  Gerbsaure 
und  neutralen  schwefligsauren  Alkalien  mit  12  Thl.  Wasser  gegen  80  Proc.  Gallus- 
saure. Die  Gallussaure  CCiHll(OH)3.COOH  krystallisirt  mit  1  Mol.  H,20,  das  sie 
bei  120°  verliert,  bildet  feine,  weisse,  seidenglanzende  Nadeln  des  triklinischen 
Systems,  die  in  kaltem  Wasser  schwer  (1 :  100),  leicht  in  heissem  Wasser  ^1 :  3), 


752  Gerbsauren.  —  Gerbsaurebestimmung. 

leicht  auch  in  Weingeist,  schwer  in  Aether  ldslich  sind.  Leim  und  Pflanzenbasen 
fallt  sie  nicht,  Eisensalze  farbt  sie  schwarzblau.  Vorsichtig  erhitzt  zerfallt  sie  in 
Kohlensaure  nnd  Pyrogallussaure  Cf.H:i(0H)3  /siehe  diese),  rasch  erhitzt  liefert 
sie  Wasser  und  die  kohlen iihnliche  M  e  1  a  n-  oder  M  e  t  a  g  a  1 1  u  s  s  a  u  r  e.  Sie  reducirt 
mit  Leichtigkeit  Silbersalze,  findet  desshalb  auch  Anwendung  in  der  Photographie, 
ist  jedoch  fast  ganzlich  hierbei  durch  die  Pyrogallussaure  verdrangt,  zu  deren 
Darstellung  sie  hauptsachlich  bereitet  wird. 

Die  Eichenrindengerbsaure  ist  weit  weniger  und  seltener  untersucht  worden 
als  das  Tannin,  mit  dem  sie  nicht  identisch  ist,  und  von  welchem  sie  sich  ausser 
dem  verschiedenen  Verhalten  gegen  Sauren  dadurch  noch  unterscheidet,  dass  sie, 
trocken  destillirt,  Brenzcatechin  C6H4(0H)q,  jenes  aber  Pyrogallussaure  liefert. 
Nach  Grabowski  (Ann.  Chera.  Pharm.  145.1)  bildet  sie  eine  gelbbraune  Masse, 
die  sich  gegen  Leim-,  Brechweinstein-  und  Eisensalzlosungen  wie  das  Tannin  ver- 
halt,  die  aber  durch  kochende  verdtinnte  Mineralsauren  in  Zucker  und  Eichenroth 
zerlegt  wird,  das  dem  Eichenphlobaphen  sehr  nahe  steht.  J.  Oser  (Wien,  Acad. 
Ber.  1875,  72)  zeigte  in  neuester  Zeit,  dass  sie  nach  ClloH„QOxl  zusammen- 
gesetzt  ist  und  oben  erwahnte  Spaltung  nach  der  Gleichung 

Q„^0?,t  +  HnO  =  G,Hlop6  +  C^H1006 

Eichenrindengerbsaure  Zucker  Eichenroth 

vor  sich  gehe.  Zahlreiche  Bestimmungen  zeigten  ihm  ferner,  dass  die  Eichen- 
bliitter  eben  so  viel  GerbstofF  enthalten  wie  Spiegelrinde. 

Die  Eichenriudengerbsaure  spielt  in  der  Lohgerberei  eine  hervorragende 
Rolle,  da  ihre  auf  die  thierische  Haut  niedergeschlagenen  Verbindungen  mit  dem 
Coriin  u.  a.  stickstoffhaltigen  Faserbestandtheilen  sehr  widerstandslahige  Korper 
sind,  was  bei  den  analogen  Substanzen   des  Tannins  nicht  der  Fall  ist. 

Ob  die  gleichfalls  in  der  Lohgerberei  mit  Vortheil  angewendeten  Gerbsauren 
des  Sumachs,  der  Valonia,  verschiedener  Rinden  etc.  mit  der  Eichenrindengerb- 
saure identisch  sind,   steht  noch  immer  in  Frage. 

Nach  Lowe  (Z.  analyt.  Chem.  1875,  35  u.  44)  ist  die  Gerbsaure  der  Divi- 
divischoten  und  der  Myrobalanen  Ellagengerbsaure  der  Formel  C}iHl0Oxn, 
die  unter  erhohtem  Druck  in  wassriger  Ldsung  erhitzt  Ellagsaure,  Cl4H6Os,  bei 
der  trockenen  Destination,  wie  es  scheint  kein  Brenzcatechin,  sondern  Pyrogallus- 
saure liefert,  gegen  Reagentien  ein  der  Gallusgerbsaure  sehr  ahnliches  Verhalten 
zeigt,  letzterer  also  im  Ganzen  sehr  nahe  steht. 

Auch  die  Gerbsaure  des  Thees  dtirfte  nach  Hlasiwetz  (Ann.  Chem.  Pharm. 
142,  233)  dem  Tannin  naher  stehen  als  der  Eichenrindengerbsaure. 

Eine  ziemlich  vollstandige  Beschreibung  der  Gerbsauren  und  beziigliche 
Quellenangabe  enthalt  A.  •  und  Th.  H  u  s  e  m  a  n  n's  „Pflanzenstoffe" ,  Berlin, 
Springer   1871. 

Gerbsaurebestimmung.  Alle  bisher  vorgeschlagenen  Methoden  der  Bestim- 
mung  von  Gerbsauren  kranken  daran,  dass  dieselben  der  verschiedenen  Zusam- 
mensetzung  der  jeweilig  zu  bestimmenden  Gerbsaure  nicht  Rechnung  trag«n,  und  sich 
darauf  beschranken,  ein  bestimmtes  ehemisches  Verhalten  der  zu  priifenden  Gerb- 
stofflbsung,  welches  natiirlich  bei  jedcr  verschiedenen  Methode  anders  gewahlt  ist, 
mit  dem  einer  Tanninldsung  von  bekanntem  Gehalte  zu  vergleichen. 

Derartige  Methoden  haben,  wenn  auch  keine  wissenschaftlicheScharfe,  doch  fur 
bloss  vergleichende  Untersuchung  genligenden  Werth,  vorausgesetzt,  dass  die  dem 
Verfahren  zu  Grunde  liegendc  Normallbsung  einen  bestimmten  Titre  hat.  Dies 
trifft  nun  bei  den  bisherigen  Methoden  desshalb  nicht  zu,  weil  sie  zum  Vergleich 
Tannin  des  Handels  nehmen,  welches  stets  von  wechselnder  Zusammensetzung  ist. 
(Siehe  Gerbsauren.)  Es  diirfte  sich  wohl  empfehlen,  der  Analyse  von  Gerbmate- 
rialien  reine  Digallussaure  zu  Grunde  zu  legen,  die  nach  dem  Schiff'schen  Ver- 
fahren,  wahrscheinlich  aber  einfacher  und  wohlfeiler  durch  wiederholte  Anwendung 
der  von  Rochleder  vorgeschlagenen  fractionirten  Fallung  mit  Bleiacetat  und  Zer- 
legung  mit   Schwefelwasserstoff  dargestellt  werden  kann. 


Gerbsaurebestimmung.  —  Gerinnen.  753 

Von  den  vielen  bekannt  gewordenen  Methoden  seien  nur  f'olgende  erwalmt: 
Nach  Hammer  (J.  f.  pr.  Ch.  I860,  3,  159)  wird  der  w&ssrige  Oerbstoffauszug 
bis  zu  einem  bestimmten  Volumen  eingedampft  und  sodann  dessen  spec.  Gewicht 
ermittelt.  Durch  Eintragen  von  getrockneter,  geraspelter  thierischer  Haut  (4 — 5 
Tld.  auf  1  Th.  vermutheten  Gerbstoff)  werden  die  Gerbsanren  niedergesehlagen. 
Wird  hierauf  die  Flitssigkeit  auf  das  urspriingliche  Volumen  gebracht,  abermals 
das  jetzt  geringere  spec.  Gewicht  bestimmt,  so  erhalt  man  eine  Differenz,  die  dem 
Eigengewicht  einer  reinen  Gerbsaurelosung  der  vorliegenden  Concentration  ent- 
spricht.  Aus  von  Hammer  entworfenen  Tabellen  kann  sodann  der  Procentgehalt 
direct  abgelesen  werden. 

Lb'wenthal  (J.  f.  pr.  Ch.  1860,  3,  150)  titrirt  die  Gerbsaure  mit  ziemlich 
verdiinnter  Chamaleonlosimg,  die  auf  eine  V1000  Losung  reiner,  bei  100°  C.  ge- 
trockneter  Gerbsaure,  und  auch  auf  eine  etwa  3/,00  Losung  von  teigigem  Indig- 
carmin  gestellt  wurde.  Das  Verfahren  beruht  darauf,  dass  Gerbsaure  und  Indig- 
carmin  gleichzeitig  oxydirt  werden,  also  die  blaue  Farbe  einer  mit  Indigo  gefarbten 
Gerbsaurelosung  erst  dann  verschwindet,  wenn  eben  auch  die  erstere  vollstandig 
oxydirt  ist.  Die  Stellung  der  Ueberinangansaurelosung  erfolgt  zuerst  auf  reine 
Indiglosung,  dann  auf  ein  Gemisch  dieser  mit  Gerbsaurelosung.  Wird  nun  bei 
der  Ausfiihrung  ein  wassriges  Gerbstoffdecoct  mit  einem  gemessenen  Volumen 
der  Indiglosung  versetzt  und  Chamaleonlosung  bis  zur  Entfarbung  zugesetzt,  so 
weiss  man  die  Menge  letzterer,  die  zur  Oxydation  des  Indigo's  notbwendig  war, 
und  der  Rest  gibt  auf  Grund  des  Vergleiches  mit  der  '/I01)0  Gerbstofflosung  die 
Menge  des  in  der  Probe  vorhandenen  Gerbstoffes,  ausgedritckt  in  Gewichtstheilen 
Tannin. 

Bei  beiden  und  alien  alteren  Methoden  wirkt  die  Anwesenheit  von  Pectin- 
stoffen,  die  in  wassrigen  Gerbstoffausztigen  nie  fehlen,  storend.  Selbe  konnen 
entfernt  werden,  wenn  man  nach  Lowe  (Zeitsch.  analyt.  Chem.  4,  366)  die  was- 
srige  Losung  eindampft,  den  Riickstand  mit  Alkohol  aufnimmt,  den  von  Pectin- 
korpern  freien  Auszug   wieder  eindampft,   in  Wasser  aufnimmt  und  dann  erst  titrirt. 

Speciell  fur  die  Lowenthal'sche  Methode  empfiehlt  Neubauer  (Zeitsch.  fiir 
analyt.  Chem.  10,  1)  den  Fehler  derart  zu  umgehen,  dass  der  Gerbstoffauszug  einmal 
direct,  das  anderemal  erst  dann  titrit  wird,  nachdem  ihm  durch  Behandlung  mit 
Thierkohle  die  Gerbsaure  entzogen  wurde. 

Nach  Carpene  und  B  a  r  b  i  e  r  i  erhalt  man  die  sichersten  Resultate,  wenn  mit 
iiberschttssiger  ammoniakalischer  Zinkacetatlosung  die  Gerbsaure  heiss  gefallt, 
die  Fliissigkeit  auf  1/3  eingedampft,  der  von  Gallnssaure  u.  a.  Stoffen  freieNieder- 
schlag  nach  dem  Erkalten  abfiltrit,  mit  heissem  Wasser  gewaschen,  in  verdiinnter 
Schwefelsaure  gelost  und  sodann  mit  auf  V,oon  Tanninlosung  gestelltem  Chamaleon 
titrirt  wird. 

Ausfiihrlichere  Anleitung  gibt  u.  a.  „Bolley's  technisch-chemische  Unter- 
suchungen",  Leipzig,  Arthur  Felix,   1874.  Skraup. 

Gerbstahl,  s.  Stahl  bei  Eisen-Erzeugung  III  pag.  48. 

Gerbstoffe,  s.  Gerbsauren,  vgl.  a.  Gerbemateriali  en. 

Gerbstoffe  kutlStliche  nannte  man  die  durch  Einwirkung  von  Schwefel- 
saure und  Salpetersaure  auf  verschiedene  organische  Substanzen  entstehenden 
Zersetzungsproducte,  deren  Natur  bisher  nicht  vollig  sichergestellt  ist,  die  sich 
jedoch  dadurch  auszeichnen,  dass  ihre  wassrige  Losung  Leim  fallt.     Gtl. 

Gerinne  (chanee  —  trough),  kiinstlicher  Wasserlauf  (Kanal)  oder  eine 
durch  Rinnen  bewirkte  Wasserleitung. 

Gerinnen,  coaguliren,  gestehen  (coagulation  —  curdling),  sagt  man  von 
Eiweisskorpern,  wenn  sich  dieselben  aus  ihren  Losungen  durch  einen  geeigneten 
Einfluss  (Erhitzen,  Saurezusatz  etc.)    in    unloslicher  Form  ausscheiden.     Das  Aus- 

Karmarseh  &  Heeren,  Technisches  Worterbuch.     Bd.  III.  48 


754  Gerinnen.  —  Gerste. 

geschiedene  bezeichnet  man  als  Gerinnsel  (precipite  caillebotte — curded  pre- 
cipitate), vgl.  Albumin,  vgl.  Casein.     Gtl. 

Germansilber,  s.  m.  Neusilber,  s.  Argentan  I  pag.  190. 

Gersdorffit,  Nickelarsenkies,  Nickelglanz.  Krystallisirt  tesseral  ahnlich 
wie  Pyrit,  kommt  gewohnlich  derb  in  kornigen  Massen  vor.  1st  nach  dem  Wiirfel 
ziemlich  vollk.  spaltb.,  Bruch  uneben,  Harte-  z=  5.5,  sp.  Gew.  rr:  5.95 — 6.9, 
grauweiss,  grau,  dunkler  angelaufen,  Stricb  dunkel.  Chem.  Zus.  NiAs"  -\-  NiS^ 
mit  35.1  Nickel,  45.5  Arsen  und  19.4  Schwefel,  die  Zusammensetznng  ist  jedoch 
nicht  vollkommen  constant,  da  ein  Theil  des  Nickels  durch  etwas  Eisen  und 
Kobalt  ersetzt  sein  kann  (bis  14  Proc),  daher  wird  aucb  die  Formel 

2NiAs  +  NiS  +  FeS* 
aufgestellt,  welche  28.1  Nickel,  8.9  Eisen,  47.7  Arsen  und  15.3  Schwefel  bedingt. 
Im  Kolben  decrepitirt  er,  sublimirt  in  starkerer  Hitze  Schwefelarsen,  der  Riick- 
stand  ist  Rotbnickelkies.  Im  Glasrobr  gibt  er  arsenige  und  scbweflige  Saure. 
Auf  Koble  schmilzt  er  unter  Abgabe  von  Arsendampfen  zu  einer  Kugel,  welche 
mit  Borax  und  Phosphorsalz  die  Reaction  auf  Nickel  und  Eisen  gibt.  Salpeter- 
saure  lost  ihn  theilweise  unter  Abscbeidung  von  Schwefel  und  arseniger  Saure. 
Fundort  Schladming  in  Steiermark,  Lobenstein  in  Reuss,  Harzgerode  im  Harz, 
Miisen  in  Westphalen,  Loos  in  Schwedem  Wird  zur  Darstellung  der  Nickel- 
metall  benutzt.     Lb. 

Gerste  (orge  —  barley).  Eine  scbon  in  den  friihesten  Zeiten  cultivirte 
Kornerfrucht,  die,  wie  man  glaubt,  sich  von  Aegypten  aus  iiber  Europa  verbreitet 
hat.  Sie  hat  die  grosste  Verbreitung  und  gedeiht  noch  in  verhaltnissmassig  hohen 
Lagen.  In  Schottland  baut  man  noch  bis  zu  500m  Hobe  Gerste,  in  den  Alpen 
bis  zu  1000™  ,  in  der  Provence  bis  zu  2000m  ,  auf  der  asiatischen  Hochebene 
bis  zu  5000m  Hbhe.  Sie  verlangt  aber  zum  Gedeihen  einen  kraftigen,  nicht  zu 
nassen  und  schweren  Boden,  der  ziemlich  rein  sein  muss  und  kein  entschiedener 
Sandboden  sein  darf.  Es  werden  hauptsachlich  vier  verschiedene  Gerstenspecies 
gebaut,  u.  z.  zwei  secbszeilige  und  zwei  zweizeilige.  Bei  alien  Gerstensorten  stehen 
immer  je  zwei  aus  drei  Bltithen  bestehende  Biindel  einander  gegeniiber,  bei  den 
sechszeiligen  sind  alle  drei  Bliitben  jedes  Biindels  frucbtbar,  wahrend  bei  den 
zweizeiligen  nur  die  mittlere  Bliithe  jedes  Biindels  befruchtet  wird.  Man  kann 
folgende  Gerstenarten  untersebeiden  : 

1.  Die  secbszeilige  Ger^ste  (Hordeum  hexastichon)  hat  sechs  regel- 
massige  Zeilen,  gedeiht  nur  in  warmen  Lagen  und  gutem  Boden,  gibt  sowohl  als 
Sommergerste,  als  audi  als  Wintergerste  einen  reichen  Ertrag.  In  Deutschland 
weniger  cultivirt,  nur  als  Sommergerste.     Sie  ist  in  zwei  Varietaten  bekannt. 

2.  Die  kleine  oder  vierzeilige  Gerste  (Hordeum  vidgare),  gemeine 
Gerste.  Ist  unregelmassig  sechszeilig,  d.  h.  es  liegt  nur  in  zwei  einander  gegen- 
iiberliegenden  Zeilen  Korn  auf  Korn,  wahrend  in  den  vier  anderen  Zeilen  die 
Korner  dachziegelformig  liegeu  ,  und  durch  die  fast  parallel  anliegenden 
Grannen,  der  brcitgedriickt  viereckigen  Aehre  das  Ansehen  einer  vierzeiligen 
Aebre  geben.  Sie  wird  haufig  u.  z.  sowohl  als  Sommer-,  wie  audi  als  Winter- 
gerste gebaut.  Winter-  und  Sommergerste  untersebeiden  sich  iibrigens  durch 
Grosse  und  Farbe  der  Korner,  die  bei  der  ersteren  klein  und  blaulich  bei  der 
letzteren  grosser  und  weisslich  sind.  Ausser  der  Sommergerste  (Hordeum  vidgare 
aestinim)  und  der  Wintergerste  (Hordeum  vidgare  hybernum),  die  beide  beschalte 
Korner  baben,  uuterscbeidet  man  noch  zwei  Varietaten  mit  nackten  Kornern,  u.  z. 
die  namentlich  im  Orient,  wohl  aber  audi  bei  uns  als  Sommerfrucbt  gebaute 
Himm els- Gerste  (Hordeum  vidgare  nudum),  Himalaja-Gerste,  bei  welcber 
die  reifen  Korner  aus  den  Spelzen  ausfallen,  und  die  B  ii  s  c  h  e  1-  oder  G  a  b  e  1- 
Gerste  (Hordeum  vulgare  trifurcatum),  welche  der  Himmelsgerste  sehr  ahnlich 
ist  aber  statt  der  Grannen  tragen  die  Spelzen  drei  kleine  Spitzen,  die  wie  Gabel- 
zinken  aussehen. 


Gerste.  —  Geriiste.  755 

3.  Die  gross  e  oder  zweizeilige  Gerste  (Hordeum  distich  on)  hateine 
flachgedriickte  Aehre  mit  zwei  gegeniiberstehenden  KSrnerreihen  und  weit  gestellten, 
aufrecht  gerichteten  Kornern.  Die  langen  Grannen  sind  fast  parallel  aufgcrichtet. 
Die  Korner  sind  grosser  als  bei  den  iibrigen  Arten.  Man  untcrscheidet  die  gross e 
zweizeilige  Gerste  (Hordeum  disticlion  nudum),  auch  Kaffeegerste  oder 
agyptischer  Weizen  genannt,  mit  nackten  ausfallenden  Kornern,  die  gemeine 
zweizeilige  Gerste  (Hordeum  disticlion  nutans)  mit  beschalten  Kornern, 
die  als  Sommerfmcht  in  Deutschland  am  haufigsten  gebaut  wird,  und  die  Spiegel- 
gerste  (Hordeum  disticlion  erectum)  mit  beschalten  und  dichter  stehenden 
Kornern. 

4.  Die  Reisgerste  (Hordeum  Zeocriton),  Pfauen-  oder  Bart-Gerste,  hat 
sehr  gedrungene,  zweizeilige  Aehren,  mit  abstehenden  Kornern  und  halbkreis- 
formig  gestellten  Grannen,  ist  der  Spiegelgerste  und  der  gemeinen  Gerste  sehr 
verwandt  und  wird  namentlich  in  England  viel  gebaut.  Hirer  grossen  mehlreichen 
Korner  wegen  ist  sie  namentlich  zur  Bierbereitung  sehr  geschatzt. 

Die  Gerste  enthalt  10—17.7  Proc.  Kleber  undEiweiss,  38 —52  Proc.  Starke, 
40 — 46  Proc.  Holzfaser,  Gummi  und  Zucker  (nach  Poison  4.2  Proc.  Gummi 
und  Zucker),  1.5—2.6  Proc.  Fett,  12—16  Proc.  Wasser,  2.1  —  5.5  Proc.  Asche. 
Der  mittlere  Stickstoffgebalt  betragt  1.8 — 2.7  Proc,  der  Phosphorsauregehalt  0.8 
bis  1.13  Proc.  Die  Asche  enthalt  3  —  29  Proc.  Kali,  1  —  16  Proc.  Natron,  1.04 
bis  4.9  Proc.  Kalk,  28.5 — 52  Proc.  Phosphorsaure,  0.1 — 5  Proc.  Schwefelsaure, 
1.3  —  33.3  Proc.  Kieselsaure,  0.4 — 3  8  Eisenoxyd,  je  nach  der  Beschaffenheit  des 
Bodens.  Besonders  charakteristisch  ist  fur  die  Gerstenasche  ihr  holier  Gehalt  an 
Kieselsaure,  der  in  der  Regel  zwischen  20 — 30  Proc.  zu  schwanken  pfJegt.  Die 
Gerste  findet  ausser  zur  Herstellung  von  Graupen,  besonders  ftir  die  Zwecke  der 
Malzbereitung  Verwendung,    s.  d.  Bier.     Gtl. 

Gerstenzucker,  s.  Stangenzucker  b.  Canditen  II  pag.  243. 

Geriiste,  Baugeriiste  (echafaud  —  scaffold)  sind  diejenigen  provisorischen 
Constructionen,  welche  nur  als  Mittel  zum  Zwecke  dienen,  namlich  zur  Ausfiihrung 
gewisser  Bauarbeiten  erforderlich  sind.  Die  Geriiste  werden  im  Allgemeinen  aus 
Holz  construirt  und  man  unterscheidet  beim  Hochbau  hauptsachlich  folgende: 

1.  Haupt-  oder  Lantennengeriist,  2.  Bock-  oder  Schragengeriist,  3.  Ausschuss- 
oder  fliegendes  Geriist,  4.  Leitergeriist,  5.  Hangegeriist,  6.  Laufgeriist,  7.  Versetz- 
geriist,  8.  Lehrgeriist. 

1 .    H a  n p  t-    oder  Lantennengeriist.     Fig.   1 749.    Hohe  Baurnstamme 
a,  welche  bis  zum  Hauptgesims  des  zu  errichtenden  Gebaudes  reichen,  werden  in 
ca.    3m  Entfernungen    von    einander  (gewohnlich    gegeniiber  den  Fensteroffhungen) 
und  in  2.50m  Entfernung  vom  Gebaude  fest  eingegraben ; 
daneben  werden  Stander  b,  von  der  Hohe  eines  Geschosses,  ^l9-  1*49. 

aufgestellt,  welche  die  Querriegel  c,  die  einerseits  auf  der 
Mauer  aufruhen,  stiitzen.  Die  Querriegel  nehmen  Pol- 
sterholzer,  Streuholzer  (8/10 — 10/i2Cm  st0  auf  un^  d^ese 
tragen  einen  doppelten  Pfosten-  oder  Bretterbelag.  Die 
Verbindungen  werden    sammtlich  durch  Geriistklammern 


geschieht  durch  Sturmlatten,  (sog.  Schwerter).  Fiir  das 
obere  Geschoss  wiederholt  sich  die  Anordnung.  Mitunter 
vereinfacht  man  die  Anordnung,  indem  der  Stander  b 
entfallt  und  ein  Pfosten  durch  gute  Verklammerung    an  Lanteuneu-Geriist. 

den    Lantennen   befestigt    wird ;    dieser   nimmt    zunachst 

die  Riegel  auf.  Auch  verwendet  man  eiserne  Tragklammern,  die  an  den  Lantennen 
befestigt  werden  (und  verriickbar  sind) ;  dieselben  nehmen  Schweller  auf,  welche 
die  weitere  Geriistconstruction  tragen.  Das  Geriist  kann  gehoben  werden.  Bei  leichten 

48* 


756 


Geriiste. 


Geriisten  kann  man  mitunter  dureh  Anbinden  der  Schweller  an  die  Lantennen  und 
der  Riegel  an  den  Schweller  mittelst  Stricken  auskommen ;  es  ist  jedoch  vorsichtige 
Untersuchung  der  Stricke  bezuglich  ihrer  Giite  nicht  ausser  Acht  zu  lassen. 

Fiir  bedentend  hohe  Bauten  und  bei  langer  Bauzeit  bilden  die  Geriiste 
zusammengesetzte  Constructionen  mit  festen  Holzverbindungen,  welche  nacb  Art 
der  dauernden  Holzconstructionen  abgebunden  werden. 

2.  Bock-  oder  Schragengeriiste  sind  transportable  Nebengeriiste, 
welche  auf  dem  Hauptgeriiste  aufgestellt  werden  und  bestehen  aus  den  sogen. 
Bocken,  tiber  welche  die  Belagpfosten  kommen  Fig.  1750.  Gegen  das  Umsturzen 
werden  die  Bocke  durch  Strebeholzer  und  Klammern  gesichert.  Man  verwendet 
gewohnlich  Bocke  von  zwei  verschiedenen  Hohen,  u.  z.  ea.   lm  und  2m  hoch. 


Fig.  1750. 


Fig.  1751. 


Ausschnss-Gerust. 

3.  Ausschuss-  oder  fliegendes  Geriist,  Fig.  1751,  kommt  zumeist 
bei  Restaurirungsarbeiten  zur  Anwendung.  Durch  Fensteroffnungen  werden  lange, 
starke  Holzer  (Ausschussbaume)  so  weit  hinausgeschoben,  als  die  Geriistbreite  es 
erfordert  und  durch  Streben  gegen  die  Mauer  gestiitzt.  Im  Innern  miissen  die 
Balken  gut  durch  Verspreizung  und  VerstrebuDg  niedergehalten  werden. 

4.  Leitergeriiste  werden  bei  geringen  Reparaturen,  Farbelung  der 
Facade  etc.  angewendet.  Hohe  Leitern  mit  eisernen  Fussspitzen  werden  in  2  bis 
2.50w  Entfernungen    von    einander    (die    Sprossen    senkrecht  zur  Mauertlache)    an 

Fig.  1752. 


Fig.  1753. 


Lauf-Geriist. 


110U 
Hange-Geriist 


gut    verspreizte    (z.  B.  durch  die  Dachfenster   herausgeschobene)    Ausschussbaume 
mittelst  neuer   Stricke    angebunden.     In    den    erforderlichen    Hohen    werden    dann 


Geruste. 


757 


wmmm 


4 — 5cm  starke  Bretter  liber  die  Sprossen  gelegt.  Die  Leitern  roiissen  durch 
Sturmlatten  kreuzweise  verbunden  werden.  An  den  Seiten  bilden  Schutzbretter 
(mit  Stricken  angebunden)  das  Gelander. 

5.  Hangegerust,  Verwendung  wie  das  Leitergerftst.  An  Ausschuss- 
baumen  wird  mittelst  Rollen  und  Seile  ein  Kasten,  filr  1  oder  2  Arbeiter  and 
das  notbwendige  Material,  aufgehangt  und  derselbe  kann  nach  Bedarf  gehoben 
oder  gesenkt  werden.  Wird  ein  kleiner  Flaschenzug  und  ein  kleiner  Anfzugskrahn 
angebracht,  so  konnen  die  Arbeiter  den  Apparat  selbst  reguliren.  Fig.  1752  gibt 
ein  Bild  davon. 

6.  Laufgeriist,  Fig.  1753,  ist  der  schrage  Aufgang  zum  Materialtransport 
in  die  Hohe,  und  wird  dann  verwendet,  wenn  keine  besonderen  Hebevorriehtangen 
(als  Aufziige,  Paternosterwerke  etc.)  zur  Disposition  sind.  Die  oberste  Bretterlage 
erhalt  nach  der  Breite  in  Schrittentfernung  Leisten  wegen  sicherem  Gang.  An 
regnerischen  Tagen  ist  die  Aufgangsflache  mit  Sand  zu  bestreuen. 

7.  Versetzgeriist,  dient  dazu,  die  Bausteine  zu  heben  und  genau  bis 
zur  Versetzstelle  zu  schaffen.  Die  Constructionen  sind  mannigfacb  nach  den 
Objecten.  Im  Allgemeinen  ist  auf  einem  f'esten  Geriist  ein  auf  Rollen  und  Schienen 
beweglicher  Wagen,  der  wieder  Laufschienen  tragt,  deren  Richtung  senkrecht  zur 
Hauptbahn  ist.  Auf  dieser  zweiten  Balm  bewegt  sich  ein  Aufzugskrahn,  der  die 
zu  versetzenden  Steine  auf- 

nimmt.  Durch  die  zwei  Be-  Fig.  1754.  Fig.  1755. 

wegungsrichtungen  kann  der 

Stein  innerhalb    der  Lange 

und    Breite    der    Bahn    auf 

jeden   beliebigen  Punkt 

leicht  und  sicher  transportirt 

werden. 

8.  Lehr geruste  oder 
Einriistung  behufs  Ausfiih- 
rung     der    Gewolbe.      Bei  Lehr-Geriiste. 

Mauerbogen    von    geringer 

Spannweite,    z.  B.  Thiir-  und  Fensteriiberwblbungen    sind    die  Constructionen  sehr 
einfach.     Fig.   1754  zeigt  die  Einriistung  fur  einen    halbkreisformigen  Mauerbogen 
von  geringer  Tiefe.    In  diesem  Falle  ist  keine  Verschalung  nothwendig,   da  Lehr- 
bbgen,  in  ca.  0.30m  Entfernungen  auf- 
gestellt,    geniigen.     Bei    Fig.   1755, 
welche  die  scheitrechte  Ueberwolbung 
einer  Fensteroffnung  angibt,   geniigt 
ein  Brettchen,  welches  auf  den  Wi- 
derlagsrnauern    aufsitzt    und    in   der 
Mitte  gestiitzt  ist. 

Fiir  grossere  Gewolbe  werden 
nach  der  Gewolbform  L  e  h  r  b  o  g  e  n 
hergestellt,  indem  Pfostenstiicke  in 
2 — 3facher  Lage  mit  abwechselndem 
Stoss  mit  einander  verbunden  werden. 
Diese  Lehrbogen  werden  in  ca.  1  — 2m 
Entfernungen  von  einander  aufgestellt 
(von  einem  Bogengeriist  unterstiitzt) 
und  durch  aufgenagelte  Latten  wird 
die  Form  des  Gewolbes  genau  fixirt. 
Fig.  1756  gibt  ein  Bild  fiir  die  Aus- 
fiihrung  eines  Tonnengewolbes  (s. 
Ai-t.  Gewolbe).  Die  Lehrbogen 
werden  durch  Stander,  Durchziige  und 
und    Durchzugen    befinden    sich    Keile 


1.50 


Fig.  1756. 


wmmm 


Lehr-Geriist. 

Streben  unterstiitzt  und  zwischen  Lehvbog-en 
welche    bei    der   Ausriistung    des  fertigen 


758  G-eriiste.  —  Geschwindigkeit. 

Gewolbes  erst  allmalig  (vom  Gewolbscheitel  an)  gelockert  werden;  erst  wenn 
keine  Setzung  mehr  bemerkbar  wird,  kanu  das  ganze  Lehrgeritst  entfernt  werden. 
Die  Art  der  Unterstiitzung  der  Lehrbogen  hangt  nicht  allein  von  der  Spann- 
weite  und  dem  Gewichte  des  Gewolbes  ab,  sondern  auch,  ob  die  Lehrbogen 
direct  durch  Stander  unterstiitzt  werden  konnen  oder  nicht;  im  letzteren  Falle 
beniitzt  man  Hang-  imd  Sprengwerke.  Grohm. 

Geschirr  {equipage,  harnais  —  mounting),  das  Werk,  Zeug  d.  i.,  die 
Schafte  sammt  ihrem  Bewegungsapparate  an  den  Webstiihlen  (s.  Weberei). 

Geschlagene  Arbeit  (ouvrage  martele  —  hammered  work),  Treiben, 
s.  Blechbearbeitnng  I  pag.  554. 

Geschoss  {etage  —  story),  Stockwerk;  Geschoss  (projectile  —  shot)-, 
Wurfgeschoss. 

Geschiitze,  s.  Feuerwaffen  III  pag.  463. 

Geschutzmetall,  s.  Bronze  II  pag.  60. 

Geschutzpulver,  s.  Explosivstoffe  III  pag.  321. 

Geschur,  s.  m.  Gekratz,  s.  Blei  I  pag.   595. 

Geschwindigkeit  (vitesse  —  velocity).  Unter  Geschwindigkeit  versteht  man 
das  Verhaltniss  des  Weges,  welchen  ein  bewegter  Korper  in  einem  Zeittheilchen 
zuriicklegt,  zur  Dauer  dieser  kurzen  Zeit.  Bewegt  sich  der  Korper  mit  gleicher 
Geschwindigkeit,  dann  ist  dieses  Verhaltniss  natiirlich  ganz  unabhangig  von  der 
Grosse  des  obigen  Zeitfheilchens,  weil  in  der  doppelten,  dreifachen,  ?ifachen  Zeit 
auch  der  doppelte,  dreifache,  nfache  Weg  zurtickgelegt  wird.  Bewegt  sich  aber 
der  Korper  mit  variabler  Geschwindigkeit,  dann  muss  man  den  in  einer  unendlich 
kurzen  Zeit  zurlickgelegten  Weg,  der  natiirlich  auch  eine  sehr  kleine  Grosse  sein 
wird,  in's  Verhaltniss  zum  Zeittheilchen  setzen  und  dies  wird  mathematisch  durch 
die  Gleichung 

ds 
V  ~  ~dT 
ausgedriickt,    welche    besagt,    die    Geschwindigkeit    des   Korpers  in  einem  Punkte 
seiner  Balm  ist  gleich  dem  Differentiale  des  Weges  getheilt  durch  das  Differentiale 
der  Zeit.  (Vergleiche  Art.  Bewegung  Bd.  I  pag.  443.) 

Mittlere  Geschwindigkeit  ist  jener  Werth,  welcher  durch  Division 
des  Gesammtweges  durch  die  Gesammtbewegungszeit  erhalten  wird.  Es  ist  jene 
Geschwindigkeit,  welche  ein  gleichforinig  bewegter  Korper  besitzen  miisste,  wenn 
er  in  derselben  Zeit  denselben  Weg  zuriicklegeu  wiirde. 

Indem  der  Mechaniker  oft  in  die  Lage  kommt,  Geschwindigkeiten,  welche 
die  Erfahrung  fiir  gewisse  Bewegungen  festsetzt,  kennen  zu  miissen,  so  soil  die 
nachfolgende  Tabelle  beigefiigt  sein.*) 

a)  A  r  b  e  i  t  s  -  G  e  s  c  h  w  i  n  d  i  g  k  e  i  t  e  n  in  Metern  pr.  Secunde. 

0.015  Schnittgeschwindigkeit  beim*  Abdrehen  von  Hartgusswalzen. 

0.015  Umfangsgeschw.  der  Walzen  an  Blech-  und  Schienenbiegemaschinen. 

0.018  Geschw.    des    bewegl.    Scherblattes    bei    Parallelscheren,    des  Stempels  bei 

Lochmaschinen. 
0.030  Umfangsgeschw.  an  Gewindbohrern  und  den  Backen  von  Schraubenschneid- 

maschinen. 


")  Entnoramen  eiuer  Zysammenstellung  H a r tig's,  s.  tecbn.  Blatter  1874  pag.   192 


Geschwindigkeit.  759 

0.050  mittlere  Schnittgeschwindigkcit  beim  Drehen,  Hobcln,  Ansbohren  stahlemer 

Arbeitsstiicke. 

0.080  mittlere    Schnittgeschwindigkcit    beim    Abdrehen,    Hobeln,    Auebohren  guss- 

eiserner  Arbeitsstiicke. 

0.15  mittlere  Sclmittgeschwindigkeit  beim  Abdrehen  etc.  von  Bronze. 

0.20  Geschw.  beim  Ziehen  starken  Eisendrahtes. 

0.24  Geschw.  der  Eimerketten  bei  Flussbaggern. 

0.25  Umfangsgeschw.  holzerner  Arbeitsstiicke  beim  Abdrehen  rnit  (bm  Handstahl. 

0.35  Umfangsgeschw.  von  Frasen  bei  Bearbeitung  von  Guss-  nnd  Schmiedeeisen- 

Zahnradern. 

0.44  Arbeitsgeschw.  der  Stemmeisen  bei  Holzstemmmaschinen. 

0.47  Umfangsgeschw.  der  Walzen  von  Erzquetschen. 

0.70  mittlere  Umfangsgeschw.  der  Qnetschwalzen  fur  Oelfriichte. 

*0.75  vorth.  Geschwindigkeit  der  Hechelstabe  bei  Hechelmaschinen. 

0.80  vorth.  Geschw.  der  Schneidwalzen  und  Kreisscheren. 

1.30  Arbeitsgeschw.  beim  Ziehen  feinen  Eisendrahtes. 

1.50  vortheilhafteste  Geschwindigkeit    der  Schienenwalzen    und    Grobeisenwalzfii. 

1.70  mittl.  Arbeitsgeschw.  der  Walzwerke  fur  Eisenblech. 

2.08  „                  „                „     Mahlwalzen  bei  Walzenstuhlungen. 

2.20  vortheilh.  Geschw.  der  Schermesser  an  Getreidemahmascbinen. 

2.30  „                „           „    Walzenwalken  fiir  Stoffe. 

2.50  mittl.                 „            „     Gattersagen. 

2.50  vorth.               „           „    Feineisenwalzen. 

3.00  grosste             „            w     Dralitwalzen. 

4.50  mittl.  Umfangsgeschw.  des  Scbneidzahnes  beim  Frasen  von  Holzzahnen. 

5.00  „                    „                 der  Schleifsteine  zum  Schl.  von  Arbeitsstablen. 

5.00  Umfangsgeschw.    holzerner    Arbeitsstiicke    beim    Abdrehen  auf  Supportdreh- 

banken. 

7.00  mittl.   Umfangsgeschw.  der  Hollander  walzen. 

7.43  vorth.  Umfangsgeschw.  der  Messer  bei  Haderschneidern. 

10.0  „                  „                der  feinkornigen  Schleifsteine  in  Schleifmaschinen. 

10.0  „        Geschw.  des  Blattes  bei  Bandsagen. 

10.0  grosste  rathsame  Umfangsgeschw.  der  Miihlsteine. 

10.0  „        Umfangsgeschw.  der  grossen  Schleifsteine  in  Fabriken. 

15.0  „                     „                  „     Schmirgelscheiben  zum  Feinschleifen. 

18.0  ■„                    „                  „     Schneidkopfe  bei  Holz-Frasmaschinen. 

25.0  „        zulassige  Geschw.  grosser  Schleifsteine  sehr  guten  Materiales. 

27.0  vorth.  Umfangsgeschw.  der  Schmirgelsch.  an  Sagescharfmaschinen. 

40.0  .,                   „                   „    Kreissagen  fiir  Holz. 

60.0  „                   „                   „    Schlagscheiben  bei  Carr's  Desintegrator. 

b)     D  u r c h g a n g s g e s  c h  w i n d i g k e i t e n    von     Material ien    d  u r  c  h 
Arbeitsmaschinen.     (Meter  pr.  Secunde.) 

0.025  Geschw.  der  Schlagmaschinen  fiir  Baumwolle  a.  d.  Zufiihrwalzen. 

0.04  „  „      Zwirnmaschinen  fiir  Streichgarn  (Zwirnlange  p.  S.). 

0.064  „  „                   „                 „    Seide                       „            „      „ 

0.08  „  des  Tuches  bei  Tuchrauhmaschinen. 

0.10  zweckm.  Geschw.  bei  Blechspann-  oder  Bordelmaschinen. 

0.10  mittl.  Geschw.  bei  Tuchtrockenmaschinen  mit  endl.  Spannketton. 

0.13  „  „            „     Tuchbiirstmaschinen. 

0.14  „  „           „     Ketten-Scheermaschinen  fiir  Streichgarn. 

0.21  n  n          des  Papiers  bei  Glattkalandern. 

0.33  „  „          bei  Dampftrockenmaschinen  fiir  baumwollene  Gewebe. 

0.35  „  „          der   Papiermaschine    bei  Ilerstellung   diinnen  Schreibpapiers, 

0.75  „  ,,          des  Stoffes  beim  Durchgang  durch  Kalander. 

1.00  vorth.  „          bei  Gassengmaschinen. 


760  Geschwindigkeit. 

1.10     vorth.    Geschw.  bei  Tuchwaschmaschinen    unci    Walzenwalken    (Pressprich- 

Wiede). 
2.30     vorth.  Geschw.  der  Walzenwalken. 

c)  Umfangsgeschwindigkeiten,    welche    nicht    unter    a   mid    b    er- 
walmt  sind. 

0.07     grosste  zulass.  Umfangsg.  der  Messtrommel  nasser  Gasuhren. 

0.06     Umfangsgeschw.  der  Lumpenkocher. 

0.60     zweckm.  Umfangsg.  der  Wasserschopfrader. 

5— 6m   Geschw.  der  Trommeln  hei  Streichgarnkrempeln. 

8  „  „  „  „    Baumwollkrempeln. 

8.5  „  der  Schleifsteine  fur  Holzstoff  (Volter). 

13 — 14       „  der  Trommeln  bei  Wergkarden. 

30     grosste  zulassige  Geschw.  an  Schwungradern. 

35     Umfangsgeschw.  der  Schlagfliigel  fur  Baumwolle. 

50  „  „     Centrifugen  fiir  Tuch. 

d)  Geschwindigkeit  en  bei  0  rts  ver  an  derungen  im  gewohnlichen 
Sinne  und  bei  der  Wirkung  lebender  Motoren. 

m/Sec. 

0.10  mittl.  Fahrgeschw.  der  Bergleute  beini  Ausfahren  auf  gew.  Fahrten. 

0.14  „      .         „              „            „             „      Einfahren     „        „             , 

0.20  zweckmassige  Fahrgeschw.  bei  Aufziigen  in  Fabriken. 

0.60  vorth.  Geschw.  der  im   Gopel  g  henden  Ochsen. 

0.67  „             „           .,    Paternosterwerke  oder  Elevatoren  fiir  Mahlgut. 

0.75  „             „           .,     von  Menschen  gedrehten  Kurbelgriffe. 

0.80  „             „           „    im  Gopel  gehenden  Esel. 

0.90  „             „           „      „          „              „          Pferde. 

0.95  mittl.  Geschw.  der  bei  Fahrkiinsten  angewendeten  Fahrten. 

1.32  reglementmassige  Marsckgeschwindigkeit  der  Fusssoldaten  mit  vollem  Gepack. 

1.50  mittl.  Geschw.  eines  Fussgangers  ohne  Belastung  auf  horiz.  Bahn. 

1.80  vorth.  Fahrgeschw.  der  Kettendampfer  in  todtem  Wasser. 

2.08  mittl.            „              des  Pariser  Omnibus. 

2.43  „  „                „    Londoner  Omnibus. 

2.44  hbchste  zulassige  Geschw.  der  Transporrgurten  fiir  Hafer,  Kleie,  Melil. 
2.54  „  „        Einfahrgeschw.  der  Fahrgestelle  in  Schachten  zur  Menschen- 

Beforderung. 
2.68     vorth.  Geschw.  des  Transportseiles  bei  der  Hoogson'schen  Seilbahn. 
2.75     hochste    zulassige    Geschw.    der    Transporrgurten  fiir  Weizen,    Korn  u.  dgl. 
3.10     mittl.  Fahrgeschw.  auf  den  Londoner  Tramways  eingereehuet  der  normalen 

Unterbrechungen. 
3.68     hochste  zulassige  Ausfahrgeschwindigk.  der  Fahrgestelle    in  Schachten  (zur 

Mensehen-Bef.) 
4.00     mittl.  Fahrgeschw.  der  Flussdampfer  in  todtem  Wasser. 
5.00         „  „  „    Seedampfsehiffe. 

12.5     grosste  zulassige  Fahrgeschw.  der  Giiterziige. 
18.5     mittl.  Fluggeschwindigkeit  der  Brieftauben. 
20.8     grosste  zulassige  Fahrgeschw.  der  Personenziige. 
25.0          „  „  „  „     Schnellziige. 

25.0     vortheilhafteste  Geschw.  des  Treibseils  bei  Laufkrahnen  m.  Seilbetrieb. 
Vergl.  Bd.  Ill  pag.   75  bctreffs  Zuggeschwiudigkeit. 

e)  Wasser-  und  Lu  ft  geschwindigkeit  en. 

0.07     grosste  Wassergeschw.,  bei  welcher  abgel.  feiner  Schlamm    und  Sand    noch 


Geschwindigkeit.  —   Geschwindigkeitsincsser.  701 

0.10     Geschw.  des  aufsteig.  Wasserstromes,  bei  welchem  Qaarzkdrner  von  1"""  D. 

in  f'allender  Schwebe  gehalten  werdcn. 
0.14     Geschw.  des  aufsteig.  Wasserstromes,  bei  welchem  QuarzkiJrner  von  1.4n"n  D. 

in  fallender  Schwebe  gehalten  werden. 
0.15     grosste    Wassergeschw.    in    Fliissen,    b.    w.    abgelagerter  fetter  Thou    nicht 

weggefiihrt  wird. 
0.19     Geschw.  des  aufsteig.  Wasserstromes,  bei  welchem  QuarzkSrner  von  4mrn  D. 

in  fallender  Schwebe  erhalten  werden. 
0.40     mittlere  Wassergeschw.  in  Ober-  und  Unterwassergraben  hydr.  Motoren. 
0.63     grosste  Wassergeschw.  in  Fliissen,  bei  welcher  Gerollc  von    10"""   D.  noch 

liegen  bleibt. 
0.92     grosste  Wassergeschw.  in  Fliissen,    bei  welcher  Gerolle  von  20"""  D.  noch 

liegen  bleibt. 
1.00     Lu  ft  geschw.  bei  kaum  merkbarem  Winde. 
1.00     vorth.  Geschw.  des  Wassers  in  Sang- und  Druckrohren  einfach  wirkender 

Kolben-Pumpen. 
1.60     vorth.  Geschw.  des  Wassers  in  Saug- und  Druckrohren  doppelt  wirkender 

Kolben-Pumpen. 
2.00     Luftgeschw.  bei  massigem  Winde. 
4.00  „  „     frischem  „ 

9.00  „  „     gutem  Seewind. 

15.00  „  „     starkem  Wind. 

Geschwindigkeitsmesser,  Trocho  meter  (trochometer  —  tachymetre). 
Die  Schwierigkeiten,  einen  Apparat  zum  Messen  der  Geschwindigkeit  zu  schaffen, 
sind  clarum  grosse,  weil  die  Geschwindigkeit  ein  Zustand  ist,  welcher  nicht  nur 
innerhalb  sehr  weiter  Grenzen  der  Grosse  nach  verschieden  ist,  sondern  sich  inner- 
halb  kurzer  Zeiten  oder  auch  continuirlich  andern  kann.  Wahrend  man  Langen 
mit  Langen,  Flachen  mit  Flachen  etc.  verhaltnissmassig  leicht  messen  kann,  da 
wahrend  der  Operation  des  Messens  die  zu  messende  Grosse  sich  nicht  oder  ver- 
schwindend  wenig  andert,  ist  beim  Messen  von  Geschwindigkeiten  das  zu  Messende 
variabel,  und  man  hat  die  Aufgabe,  den  in  einer  gewissen  Zeit  vorhandenen  Werth 
zu  messen.  Hierzu  gesellt  sich  eine  zweite  Schwierigkeit,  welche  clarin  liegt,  dass 
man  noch  keinen  Apparat  aufgefunden  hat,  welcher  die  sehr  verschiedenen  Ge- 
schwindigkeiten der  verschiedenen  bewegten  Korper,  wie  solche  in  der  Technik, 
dem  Eisenbahnwesen,  der  Ballistik  etc.  vorkoramen,  unroittelbar  mit  Geschwindig- 
keiten, deren  Grosse  durch  den  Apparat  feststellbar  waren,  vergleichcn  liesse. 

Man  misst  daher  die  Geschwindigkeiten  je  nach  ihrer  Grosse  und  je  nach 
der  Art  des  bewegten  Korpers  und  der  Gattung  der  Bewegung  durch  mannigfache 
Apparate.  Im  Artikel  Anemometer  I  pag.  146  wurden  Apparate  zur  Bestim- 
mung  der  Wind -Geschwindigkeit  besprochen,  im  Art.  Hydrometrie  werden 
jene  fur  die  Bestimmung  der  Wassergeschwindigkeit  angegeben.  Zur  Be- 
stimmung  der  meist  gleichformigen  Umfangsgeschwindigkeit  rotirender  Korper 
bedient  sich  der  Mechaniker  der  To urenz abler  (s.  d.)  und  findet  die  Geschwin- 
digkeit aus  der  minutlichen  Tourenzahl    n  und    dem    Radius    r    durch    Rechnuug, 

denn  es  ist  v  m -^— .     Um  die  Geschwindigkeit  eines  Ei  senb  ahnzuges 

zu  bestimmen,  sind  Apparate  construirt  (Hearson's  Strophometer),  bei  welchen  ein 
Centrifugalpendel  mit  einer  Laufachse  derart  in  Verbindung  gesetzt  ist,  dass  jenes 
ax  Touren  macht,  wenn  diese  x  Touren  ausfiihrt.  Die  versehiebbare  Hiilse  des 
Centrifugalpendels  (ahnlich  construirt  wie  bei  Watt's  Regulator,  s.  d.)  bewegt 
einen  Hebel,  dieser  wirkt  auf  ein  Zahnsegment,  welches  in  ein  kleines  Zahnrad 
eingreift,  an  dessen  Achse  ein  Zeiger  sich  findet,  welcher  an  einem  empirisch 
getheilten  Zifferblatte  unmittelbar  die  Fahrgeschwindigkeit  anzeigt.  Die  richtige 
Anzeige  dieses  Apparates  hangt  von  der  exacten  Transmission  der  Bewegung-,  von 
der  Empfindlichkeit    des  Centrifugalpendels    und    der    Richtigkeit    der    empirischen 


762  Geschwindigkeitsniesser.  —  Gesinishobel. 

Theilung  ab.  In  seinen  Angaben  wird  dieser  Apparat  iiberdies  durch  die  Vibra- 
tionen  des  Waggons,  in  welcliem  er  angebracht  ist,  beeinflusst.  Die  Geschwin- 
digkeit  eines  Eisenbahnzuges  kann  auch  in  folgender  Weise  leicbt  bestimmt  werden. 
Sei  u  der  Umfang  des  Triebrades  der  Locomotive  und  bewege  sicb  der  Zug  mit 
K  Kilometer   pr.    Stunde,    so    werden  K  Touren    des    Triebrades  in  irgend  einer 

u  K 

Zeit  t  gemacht   werden.    — —  ist  dann  die  Geschwindigkeit  pr.  Secunde.   Dieselbe 

;.'.■  ,      .  ..    K.IOOO         10  .        .      .  '■    u  K        10  ' 

ist    aber    auch    gleicb       .,_    „_   — :  -—-   K\    hiernach  wird  =z  -p—  K  oder 

bO.bO  So  t  36 

t  =  3.6  u.  Fur  u  =  3m  wird  t  =:  10.8see  und  man  hat    mithin    nur  die  leicht 

zahlbare  Tourenzahl  des  Triebrades   innerhalb    der  Zeit  von  10.8  Sec.  zu.zahlen, 

urn  in  dieser  Zahl  unmittelbar  die  Anzahl    der  Kilometer   pr.  Stunde  zu  erhalten, 

mit  welcher  sich  der  Zug  bewegt. 

Die  Geschwindigkeit  einer  Gewehr-  oder  Geschtitzkugel  (zwischen  300  bis 
500m  )  kann  in  folgender  Weise  bestimmt  werden.  Mit  einer  horizontalen,  sehr 
rasch  (z.  B.  300  Touren)  und  gleichformig  rotirenden  Welle  sind  im  Abstande 
von  2  oder  mehr  Metern  zwei  Papierscheiben  entsprechend  verbunden.  Das  Gewehr 
wird  parallel  zur  Achse  und  tiber  derselben  gelagert,  nahe  vor  der  ersten  Scheibe, 
und  der  Kugelschuss  abgefeuert.  Beide  Papierscheiben  werden  Locher  aufweisen, 
aber  die  Lage  derselben  wird  versetzt  erscheinen,  entsprechend  der  Zeit,  welch e 
die  Kugel  zum  Durchfliegen  des  kurzen  Wegstiickes  zwischen  beiden  Scheiben 
brauchte  und  entsprechend  der  Tourenzahl  derselben. 

Statt  dieser  Vorrichtung  kann  man  (bei  Geschtitzen)  zwei  Massen  in  einem 
gewissen  Abstande  von  einander  aufhangen  und  durch  die  Kugel  die  Faden  durch- 
schiessen  lassen.  Die  fallenden  Stticke  schliessen  oder  unterbrechen  einen  elec- 
trischen  Strom  und  aus  der  Zeit  zwischen  den  Strom  -  Schliissen  oder  Unter- 
breclmngen  in  Verbinduug  mit  dem  bekannten  Abstand  der  Aufhangepunkte  ist 
die  Geschwindigkeitsbestimmung  leicht. 

Die  beiden  letztgenannten  Mittel  geben  genauere  Bestimmungen  als  das 
ballistische  P  e  n  d  e  1,  welches  darauf  beruht,  dass  die  Kugel  gegen  eine 
schwere  anfgehangte  Masse    geschossen    wird,    deren    Pendelschwingung   gemessen 

und  so  die  iibertragene  lebendige  Kraft   — —   bestimmt  wird,  woraus  sichvergibt 

(vgl.  Art.  S  t  o  s  s),  aber  sie  sind  umstandlicher,  so  dass  z.  B.  zur  Bestimmung  der 
Pulverkraft  dock  die  altere  Methode  vorzuziehen  ist.  Vergl.  auch  Chronoskop 
II  pag.  355.  Kk. 

Gesenk  (etampe,  estampe  —  swage,  bosse,  shaper,)  s.  Schmieden. 

GesenkklotZ,   Gesenkstock  (swage  block),  s.  Schmieden. 

Gesenkschacht,  s.  B.ergbau  I  pag.  387. 

Gesims  (moulure  —  moulding),  aus  einzeluen  Profilgliedern  zusammen- 
gesetzte  architektonische  Verzierung,  welche  die  Wechselwirkung  einzelner  Bau- 
theile  zum  Ausdruck  bringen  soil,  z.  B.  das  Fuss-  oder  Sockelgesims  soil  den 
Abschluss  des  Baues  (oder  eines  Bautheiles)  nach  Unten  ausdriicken,  das  Haupt- 
gesims  den  Abschluss  ^Krouung)  nach  Oben ;  das  Gurtgesims  bezeichnet  eine 
Trennung  (Giirtung)  der  Holie  nach  etc.  In  constructiver  Hinsicht  haben  die 
Gesimse  iin  Freien  den  Zweck,  das  Herabfliessen  des  Wassers  an  der  Wand 
wenigstens  theilweise  zu  verhindern,  daher  im  Profil  die  vortretende  Hangeplatte 
mit  einer  Unterschneidung  (Wassernase)  wesentlich  ist.  In  der  Architektur  bilden 
die  Gesimse  eines  der  wichtigsten  Capitel:  ein  naheres  Eingehen  hierauf  istjedoch 
bier  ausgeschlossen.  Grohmann. 

Gesimshobel,  s.  Hob  el. 


Gespann.  —  Gespinnstfasern.  763 

Gespann  (trousse,  fourrure,  paquet  —  tongs),  bei  der  Hammerarbeit  ver- 
einigte,  gleichzeitig  der  Bearbeitung  (dem  Treiben)  unterworfene  Bleche. 

Gesparre  (chevrons  —  couple-close),  die  Gesammtheit  aller  in  einem  Dacli- 
profil  befindlichen  Balken.  Siehe  liber  Bund-  und  Leergesparre  Artikel  Dach 
II  pag.  466.  Grohm. 

Gesperr  (encliquetage  —  click  and  spring- work)  ein  Sperrad  mit  Sper- 
kegel.     Uhrenbestandtheil,  s.  Uhren. 

Gespinnstfasern.  Die  zu  Geweben  verarbeiteten  Rohproducte  entstammen 
theils  dem  Thierreiche,  wie  Wolle  und  Seide,  tbeils  dem  Pflanzenreiehe.  Die 
vegetabilischen  Gespinnstfasern  sind  entweder  Haarbil  dungen  und  als  Bolche 
einfache  langgestreckte  Zellen,  wie  die  B  a  u  m  w  o  1 1  e ,  die  Wolle  d  e  r  W  o  1 1- 
baume,  oder  vielzellige  Gebilde,  sogenannte  Zotten,  wie  die  Eriophorum- 
Wolle;  —  oder  aber  sie  stellen  Gefassbiindel  oder  Bestandtbeile  von  Gefass- 
biindeln  meist  krantartiger,  seltener  baumartiger  Gewaehse  dar,  durch  einen  mebr 
weniger  umstandlichen  Process  theils  aus  der  Innenrinde  (Bast)  dicotyler  Pflanzen 
rein  dargestellt,  wie  Flachs,  Hanf,  Chinagras,  Sunn  und  Jute,  theils  aus 
den  Blattern,  Neuseelandflachs,  Agavefaser  u.  a.,  aus  Stangeln,  Ma- 
nillahanf,  oder  aus  der  Fruchthlille,  Cocosfaser,  monocotyler  Gewaehse. 
Die  angefuhrten  Beispiele  von  Gespinnstfasern  sind  zugleich  solche,  welche  fur 
die  europaische  Industrie  eine  grossere  Bedeutung  haben,  und  sollen  bloss  diese 
hier,  mit  Ausschluss  der  Baumwolle,  welche  bereits  Band  I.  p.  308  dieses  Worter- 
bucbes  abgehandelt  wurde,  mit  Ritcksicht  auf  ihre  histologischen  Verhaltnisse  be- 
sprochen  werden.  Verschiedene  andere  FaserstofFe  finden  eine  Erorterung  unter 
Papiei--,  Polstermaterial  und  Seilerei.  Beziiglich  einer  eingehenderen  Unterweisung 
verweisen  wir  auf  folgende  Schriften :  H.  Schacht,  die  Priifung  der  im  Handel 
vorkommenden  Gewebe  etc.  Berlin  1853.  —  J.  Wiesner,  Einleitung  in  die 
technische  Mikroskopie.  Wien  1867.  J  Wiesner,  die  Rohstoffe  des  Pflanzen- 
reichs,  Abschnitt:  Fasern.  Leipzig  1873.  —  R.  Schlesinger,  mikroskopische 
Untersuchungen  der  Gespinnstfasern  etc.  Zurich  1873.  —  Ve till  art,  Etudes  sur 
les  fibres  vegetales  textiles  employes  dans  l'industrie.  Paris  1876. 

Bei  der  Untersuchung  der  Gespinnstfasern  mit  mikrochemischen  Reagentien 
empfiehlt  sich  ausser  den  sonst  iiblichen:  Jodsolution  (am  besten  Jodglycerin)  mit 
Schwefelsaure,  Kupferoxyd-Ammoniak  und  einer  Losung  von  schwefelsaurem  Anilin, 
welche  letztere  durch  Gelbfarbung  die  Anwesenheit  von  Holzstoff  anzeigt,  —  audi 
Chlorzinkjodlosung,  welche  viel  brauchbarer  ist  als  Jod  mit  Schwefelsaure,  und 
ferner  eine  Losung  von  Phloroglucin,  die  in  Verbindung  mit  einer  Mineralsaure 
(am  besten  Salzsaure)  in  neuester  Zeit  als  ein  sehr  empfindliches  Reagens  auf 
verholzte  Zellmembranen  erkannt  wurde.  Es  ist  wo  moglicii  empfindlicher  noeh 
als  das  schwefelsaure  Anilin,  allerdings  weniger  bequem  anzuwenden,  iusofern 
man  das  betreffende  Object  mit  zwei  Mitteln  zu  behandeln  hat.  Ava'hrend  bei 
letzterem  nur  eines  in  Betracht  kommt.  Wir  tranken  bei  der  Anwendung  des 
Phloroglucins  das  Untersuchungsobjcct  mit  der  vorbereiteten  wassrigen  Losung 
dieses  Mittels,  tupfen  die  iiberschiissige  Fliissigkeit  ab  und  setzen  sodann  einen 
Tropfen  Salzsaure  zu.  Verholzte  Membranen  farben  sich  nach  dieser  Behandiung 
blass  bis  mebr  weniger  intensiv  violett  oder  violettroth,  je  nach  der  Intensitat 
der  Verholzung,  resp.  der  Dicke  der  verholzten  Membranschieht.  Bei  den  zahl- 
reichen  Untersuchungen,  die  an  den  im  Nachfolge#den  angefuhrten  Fasern  an- 
gestellt  wurden,  haben  wir  uns  iiberzeugt,  dass  nirgends  die  Bastfaserwandung 
in  ihrer  Totalitat  verholzt  ist,  sondern  die  Verholzung  stets  nur  die  ausseren 
mehr  weniger  dicken  Partien  der  Zellwand  betrifft.  Dieser  Umstand  ist  bei  der 
Deutung  der  Erscheinungen,  die  man  bei  Anwendung  der  obeu  aufgezahlten  Rea- 
gentien beobachtet,  wohl  zu  beriicksichtigen. 

Sehr  rein  gehechelte  Sorten  des  Flaehses  —  aus  den  Stangeln  von 
Linum    usitatissimum    L.    (Lineae)    gewonnen     —     bestehen     bloss     aus    Bast- 


764 


Gespinnstfasern  (Flachs). 


fasern   (Fig.  1757);  in  weniger  reinen  Sorten  sind  diese   begleitet  von  Resten  des 
Rindenparenehyms   und    der   Oberhaut  (Epidermis),    zuweilen  auch  von  Resten  des 

Holz^ewebes.  Noch  reichlicher  zei- 


Fig.  1757. 


h 


J 


gen  sick  diese  Beimengungen  im 
Rohflachse,  gewolmlich  neb  en  Pilz- 
faden,  Pilzsporen  u.  dgl.  Im  un- 
veranderten  Zustande,  wie  sie  im 
sog.  Flacbsstroh  vorkommen,  stellen 
die  Bastfasern  2— 4cm  lange,  0-015 
—0.020— 0.030mm  dicke  cylindri- 
scbe  oder  fast  cylindrische,  nacb 
den  Enden  zu  beiderseits  allmalig 
und  meist  sehr  stark  verjiingte, 
nicht  selten  in  eine  sehr  lange, 
fast  unmessbar  diinne  Spitze  aus- 
gezogene  glatte  farblose  Faserzellen 
(Prosenchymzellen)  dar  mit  sehr 
dicker,  von  einzelnen  Porenkanalen 
durchsetzter  Wand  und  meist  sehr 
engem,  oft  nur  als  dunkle  Linie 
sick  darstellendem  Zellenraume.  Auf 
dem  Querschnitte  erscheinen  sie 
gerundet:  kreisrund,  eirund  oder 
mehr  ellipsoidisch,  oder  gerundet 
polygonal  mit  engem  kreisrunden, 
elliptischem  oder  spaltenformigem 
Lumen  und  farbloser  dicker  ge- 
schichteter  Wand.  Das  gleiche  Ver- 
halten  zeigt  die  Bastfaser  aus  dem 
bios  gerbsteten  Flachs.  Die  Fasern 
des  gehechelten,  also  mechanisch 
bearbeiteten  Flachses  bieten  da- 
gegen  zum  Theil  ein  verandertes 
Aussehen  dar;  einmal  findet  man 
neben  (der  Lange  nach)  vollig  erhaltenen,  zahlreiche  abgerissene  Bastfasern,  ferner 
an  vielcn  derselben  die  Verdickungsschichten  der  Zellwand  auseinandergebrochen, 
die  Zellwand  in  Folge  dessen  von  langsverlaufenden  parallelen  dunklen  Linien 
durchsetzt.  (2)  Hautig  zeigt  sich  diese  Erscheinung  nur  an  einzelnen  aufgetriebenen 
Stellen.  An  der  Obertlaehe  der  Bastfasern  des  gehechelten  Flachses  sieht  man 
uberdies  nicht  selten  Linien,  welche  senkrecht  oder  fast  senkrecht  zum  Langs- 
durchmesser  der  Faser  verlaufen,  veranlasst  zum  Theil  durch  Bruchlinien,  welche 
die  Zellwand  quer  durchsetzen,  zum  Theil  aber  durch  anhaftende  Reste  der  Bast- 
parenchymzellen  (1).  Kalilauge  macht  die  Zellwand  aufquellen  ohne  Farbeniinde- 
mng;  Chlorzinkjod  larbt  sie  sofort  violett,  Jod  mit  Schwefelsaure  schon  blau, 
wahreiul  die  beigemengten  Residuen  der  Rinde  und  des  Holzkorpers  eine  gelbbraune 
Parbe  annehmen.  Sehwefelsaures  Analin  farbt  die  Bastfaser  selbst  nicht,  ebenso- 
wenig  wie  Phloroglucin,  dagegen  werden  die  etwa  vorhandenen  Reste  des  Holz- 
gewebes  durch  ersteresReagens  gelb,  durch  letzteres  roth  gefarbt.  Kupferoxyd- 
ammoniak  macht  unter  Auftreten  von  Langs-  und  feiner  spiraliger  Streifung  und 
unter  BlaufSrhung  die  Wand  zuerst  stark  aufquellen  und  lost  sie  schliesslich  bis 
auf  die  Innenauskleidung,  welche  langere  Zeit  in  Gestalt  eines  dunnen  glatten, 
stellen weise  schraubenformig  gewundenen  Scblauchs  zuriickbleibt  (3),  um  endlich 
auch   aufgelost  zu  werden. 

Der  Hanf,  —  aus  den  Stangeln  von  Cannabis  sativa  L.  (Cannabineae) 
erhalten  — ,  besteht  liauptsaehlich  aus  Bastfasern  (Fig.  1758);  daneben  trifft  man 
selbst  in  fein  gehechelten  Sorten  noch  in  kleiner  Menge  Bastparenchymzellen.  Ge- 


Flachs  (Linmii  usitatissimum). 


Gespinnstfasern  (Hanf). 


76  J 


brochener  oder  unvollkoromcn  gehechelter  Hanf  ehth&U  iiberdies  Reste  dor  Oberhaut, 
des  Rindenparencbyms  und  selbst  des  Holzgewebes.     Die  Bastfasera  besitzen  eine 


'■'■!/• 


1758. 


v 


Hanf  (Canabis  sativa). 


Lange  von  1 — 5cm  und  dartiber  bei  einem  Querdurchinesser  von  0-015 — 0.028mm; 
sie  sind  fast  stielrund  oder  etwas  flachgedriickt  mit  meist  stumpfen,  seltener  mit 
spitzen  oder  selbst  in  eine  lange  Spitze  vorgezogenen  Enden  [A),  zuweilen  an  einem 
Ende  oder  an  beiden  Enden  mehr  weniger  knorrig  mit  einzelnen  entfernten  stumpfen 
Zahnen  oder  gerundeten  Hockern,  dabei  leicht  verbogen,  selten  kurzgabelig  ver- 
zweigt.  Die  ziemlich  stark  verdickte  Zellwand  zeigt  bin  und  wieder  einen  sebief 
verlaufenden  Porenkanal  und  an  der  Faser  des  gebrocbenen  Hants  stets  grobe 
parallele  Streifnng  (B)  5  der  Zellenraum  ist  meist  leicbt  zu  erkennen.  Auf  dem  Quer- 
schnitte  erscheint  die  Hanfbastfaser  gerundet,  oder  gerundet-polygonal  mit  farbloser 
gescbichteter,  ziemlich  dicker  Wand  und  engem  spaltenformigem  einfacbem  oder 
strahligem,  oder  aber  mit  ziemlich  weitem  spitz-elliptiseliem  Lumen.  In  Kalilange 
quillt  die  Wand  farblos  auf,  Cblorzinkjod  farbt  sie  violett,  Jod  mit  Schwefelsaure 
die  vollkommen  gebleicbte  scbon  blau,  sonst  selten  rein  blau,  sondern  mehr 
weniger  griinlich.  Schwefelsaures  Anilin  farbt  die  unveranderte  Bastfaser  blassgelb, 
Phloroglucin  viele  schon  violettroth,  einzelne  nicht.  In  Kupferoxydammoniak  quillt 
die  Wand  zuerst  unter  Hervortreten  grober  Langs-  und  zarter  querer  oder  schrager 
Streifnng  und  blangriiner  bis  blauer  Farbe  machtig  auf;  hiebei  erscheint  die  innere 
Anskleidung  als  breiter,    dicht  ring-  oder  schraubenformig  gefalteter  Schlauch  (G) 


766 


Gespinnstfasern. 


und  auch  eine  aussert  zarte  Schicht  der  Wand  widersteht  langere  Zeit  in  Gestalt 
krausfaltiger  Fetzen  sich  darstellend,  wahrend  die  eigentliche  Zellwand  bereits 
unter  der  Einwirkung  des  Reagens  sich  gelost  hat.  Haufig  sieht  man  bei  dieser  die 
Hanfbastfaser  gleich  der  Leinenfaser  nnd  der  Baumwollenhaare  in  Folge  stellen- 
weiser  Einscbniirimgen  ein  rosenkranzformiges  Aussehen  annehmen. 

Das  sogenannte  Chinagras,  aus  dem  Stangel  von  Boehmeria  nivea 
Gaud.  {Urtica  nivea  L.),  und  die  Ramie  fa  ser,  aus  dem  Stangel  von  Boeh- 
meria tenacissima  Gaud.  (Urticaceae)  gewonnen ,  enthalten  ausser  Bastfasern 
(Fig.  1759  A)  Reste  der  Stangelrinde :  sehr  feine  Siebrohren  mit  stark  scbrage  ge- 


'w 


1759. 


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M 


Chinagras   (Boehmeria  nivea). 


stellten  Siebplatten  und  Parencbym,  und  zwar  sowohl  cbloropbyll-fiibrende  Zellen, 
als  aucb  solcbe,  welche  kleine  Krystalldrusen  von  Kalkoxalat  einscbliessen.  Die 
Bastfasern  des  unveranderten  Cbinagrases  sind  zunacbst  durch  ibre  ausserordentlicbe 
Lange  ausgezeicbnet ;  dieselbe  betragt  6  — 20cm  und  selbst  dariiber  bei  einem 
Querdurcbmesser  von  0  04 — 0.08  tam.  Sonst  sind  sie  ziemlicb  cylindrisch,  beider- 
seits  kegelforinig  verscbmalert  mit  abgerundeter,  stumpier,  zuweilen  lanzen-  oder 
spatelformiger,  selten  gabelig  getbeilter  Spitze,  im  Allgemeinen  massig  verdickt 
mit  weitem  Zellenraum  (A),  farblos,  glatt,  litngsgestreift,  nach  Bebandlung  mit  Kali- 
lauge  zwei  sich  fast  recbtwinklicb  kreuzende  feine,  schief  zur  Langsacbse  der 
Faser  verlaufende  Liniensysteme  in  der  Wandflache  zeigend  (B),  einzelne  einen 
feinkornigen  gelbliohen  Inhalt  einscbliessend.  Der  Querscbnitt  erscboint  gerundet: 
kreisrund,  eirunfl,  eiformig  oder  elliptiscb,  meist  mit  bucbtig  eingebogenem  Umriss, 
mit  deutliolier  Wandscbicbtung  und  weitem  rundlicbem  oder  spitz-elliptischem 
Lumen.  Cblorzinkjod  farbt  die  Wand  sofort  scbmutzigviolett,  Jod  und  Scbwefel- 
sSure  kupferrotb,  violett  oder  scbon  blau;  schwefelsaures  Anilin  farbt  sie  nicbt, 
ebensowenig  wie  Pbloroglucin ;  in  Kupferoxydammoniak  quillt  sie  unter  Blau- 
farbung  und  Hervortreten  eines  breiten  faltigen  Innenscblaucbs  maclitig  auf  und 
lost  sich  schliesslich.  Einzelne  Bastfasern  sind  ganz  oder  theilweise  von  Langs- 
Reihen  kleiner  zartwandiger.  nahezu  kubischer  Zellen  umsponnen,  von  denen  jede 
eine  Krystalldruse  von  oxalsaurem  Kalk  enthalt  (C). 

Die  Bastfasern  der  Boehmeria  tenacissima  ^Ramie)  unterscheiden  sich  haupt- 


Gespinnstfascrn. 


707 


sachlich  nur  durch  ilire  Diraensionen.  Nacli  Wiesner  bfetr3gt  ihre.Lange  hochsteus 
80mm  bei  einem  Querdurchmesser  von  0-016 — 0-01 20""". 

Die  Faser  des  Sunns  (braunen  Hanfs;  Madras-Hanfs),  ana  der. StSngelrinde 
der  einjahrigen  Papilionacee  Crotalaria  jimcea  L-  gewonnen,  besteht  gleich- 
falls  der  Hanptsache  nach  aus  Bastfaserbiindeln,  begleitet  von  mehr  weniger 
reichlichen  diinnwandigen  Zellen  des  Rindenparenchyms,  von  Siebr8hren,  Stttcken 
der  Oberhant  mit  einzelligen  kegelformigen,  nicht  dickwandigen  Haaren  und  Ele- 
menten  des  Holzkorpers.  Die  Bastfasern  (Fig.  1760  A)  zeigen  eine  Lange  von    J   his 


Fig.  1761. 


Fig.  1760. 


Sunn  (Crotalaria  juncea) 


Jute  (Corchorus  capsuLiris). 


12mm  bei  einern  Durclnnesser  von  0-02—  0-05mm;  sie  sind  cylindrisch  oder  fast 
prismatisch  mit  allmalig  verschmalerten  meist  stumpfen  oder  genmdeten,  zuweilen 
fast  spatelformigen  Enden,  glatt,  farblos;  auf  dern  Querschnitt  eirund  oder  gerundet- 
polygonal  mit  ziemlich  dicker  geschichteter  Wand.  Kalilauge  farbt  diese  unter 
Quellung  voriibergehend  gelblich,  Chlorzinkjod  sofort  schmutzig-violett,  Jod  mit 
Schwefelsaure  blau,  scbwefelsaures  Anilin  gelblich,  Phloroglucin  blass-violett,  Knp- 
feroxydammoniak  blau  unter  Hervortreten  einer  deutlichen  spiraligen  Streifung. 
weiterhin  folgt  starke  Quellung,  wobei  ein  zarter  krausfaltiger  Innensehlauch  be- 
merkbar    wird  (B)  und  schliesslicb  Losung. 

Die  Jute,  aus  dem  Stangel  mehrerer  C  or  chorus -Aiten,  namentlich  von 
C  capsularis  L.  (Tiliaceae)  dargestellt ,  besteht  aus  Biindeln  sehr  innig  mit 
einander   verbundener  Bastfasern  (Fig.  1761)  von  nur  0-8 — 5mm  (am  haufigsten  2mm) 


768 


Gespinnstfaserri. 


Fig.  1762. 


Lange  und  O'Ol  —  0-03mm  Dicke.  Auf  dem  Quersclm.itte  erscheinen  diese  polygonal, 
5 — 6-seitig  mit  auffallend  ungleichem,  bald  weitem,  bald  engem  eirundem  leerem 
Lumen  und  daher  sehr  ungleicher  Wanddicke.  Sie  sind  demnach  in  ihrem  Korper 
prismatisch  mit  rasch  zugespitzten,  meist  abgerundeten  Enden,  an  den  Seiten  haufig 
knorrig,  ausgeschweift  oder  gezahnelt,  zumal  gegen  die  Enden  zu.  Sehr  auffallend 
ist  die  ungleiche  Wanddicke  im  Verlaufe  der  Faser:  an  manclien  Stellen  1-st  sie 
nicht  starker  wie  bei  der  Baumwolle  und  dann  der  Zellenraum  sehr  weit,  an 
anderen  Stellen  dagegen  steht  sie  der  Leinenfaser  nicht  nach.  An  einer  und 
derselben  Bastfaser  sieht  man  sehr  haufig  den  bis  auf  einen  linienfortnigen  Kanal 
reducirten  Zellenraum  von  Strecke  zu  Strecke  plbtzlich  oder  allmalig  in  eine 
Erweiterung  iibergehen;  auch  eine  ungleiche  Wandstarke  in  derselben  Hohe  einer 
Faser  kommt  vor.  Chlorzinkjod  farbt  die  Wand  braungelb,  Jod  mit  Schwefel- 
siiure  griinlich-blau,  schwefelsaures  Anilin  schon  gelb,  Phloroglucin  sofort  purpura, 
Kupferoxydammoniak  unter  massiger  Quellung  blaulich. 

Der  aus  den  Blattern  von  Phormium  tenax  Forst.  (Liliaceae)  abgeschie- 
dene  Neuseeland-Flachs  besteht  der  Hauptmasse  nach  aus  Strangen  bast- 
faserartiger    Elemente  (Fig.  1762)  begleitet  (wenigstens  in  der  Rohwaare)  von  senk- 

rechten  Reilien  kurzprismatischer  derbwandiger 
getiipfelter  Parenchymzellen  (pp),  von  Bundeln 
sehr  f einer  Siebrohren  (Cambiform)  und  mehr  we- 
niger  reichlichen  Resten  von  Holzgefassen :  meist 
abrollbaren  Spiralgefassen  mit  einfachem  oder 
doppeltem  Spiralbande,  welche  den  im  Manilla- 
hanf  angetroffenen  gegeniiber  nicht  sehr  weit 
sind  (0-05— 0-07mm  mit  etwa  0-007mm  breitem 
Spiralbande).  Hin  und  wieder  trifft  man  Ober- 
hautstiicke  aus  kleinen  tafelformigen  Zellen  mit 
einzelnen  Spaltbffnungen.  Die  Bastfasern  selbst 
sind  8—  10ulm  lang  (Wiesner)  mit  einem  Quer- 
durchmesser  von  0-008 — 0*01 6mm,  fast  prisma-' 
tisch,  gleichmassig  und  eben  nicht  stark  verdickt 
(jedenfalls  aber  relativ  dickwandiger  als  jene  des 
Manillahanfs)  mit  deutlichem,  meist  weitem  Zel- 
lenraum, allmalig  nach  den  Enden  verschmalert 
und  hier  meist  spitz  oder  zugespitzt,  seltener 
stumpf  oder  in  eiue  kurze  Spitze  vorgezogeu, 
glatt,  farblos ;  auf  dem  Querschnitte  gerundet- 
polygonal  mit  meist  kreisrundem  Lumen.  In 
Kalilauge  quillt  die  Zellwand  unter  voriiber- 
gehender  gelblicher  Farbung  auf,  Chlorzinkjod 
farbt  sie  goldgelb,  Jod  mit  Schwefelsaure  grtin- 
lichblau  bis  blau,  schwefelsaures  Anilin  kaum 
wahrnehmbar  gelblich  (dagegen  die  Spiralbander 
der  Gefasse  schbn  gelb ;  bei  reichlicherer  An- 
wesenheit  dieser  letzteren  nimmt  daher  die  Roh- 
faser  eine  gelbe  Farbe  an),  Phloroglucin  blass- 
violett,  Kupferoxydammoniak  unter  massiger 
Quellung  blaulich. 

Der  sog.  M  a  n  i  1 1  a  h  a  n  f  (Abaca),  die  Faser 
aus  dem  Stangel  von  Musa  textilis  Nees 
auf  den  Philippine)!  (auch  wohl  von  andern  Musa-Arten)  darstellend,  besteht  gleich- 
lalls  vorwiegend  aus  bastzellenartigen  Elementen  (Fig.  1763)  und  daneben  aus 
den  wohlerhaltenen  oder  in  Resten  vorhandenen  Gewebselementen,  welche  das 
Gefassbiindel  jener  Pflanzen  zusammensetzen,  namentlich  aus  sehr  weiten  Ge- 
l'assen  (Netz-,  Ring-  und  abrollbaren  Spiralgefassen  sp)  und  Langsreihen  kurzcy- 
lindrischer    diinnwandiger  Parenchymzellen    [pp).     Die    Bastfasern    selbst    sind  bei 


(^ 


J 


Neuseeland-Flachs  (Phormium  tenax) 


Gespinnstfasern. 


769 


einem  mittleren  Querdurchraesser  von  0:024mm  3  —  12mm  lang,  fast  cylindriscb 
oder  gerundet-prismatisch  mit  wenig  und  gleichmassig  verdickter  Wand  mid  wei- 
tem  Zellenraum,  nach  den  Enden  allmalig  verjttngt  und  hier  spitz  oder  gtumpHich, 
nicht  selten  gegen  das  Ende  zu  mit  etwas  wellenformigcm  Umriss,  son.st  voll- 
kommen   glatt.     Der   Querschnitt   erscheint   gerundet-polygonal    oder  rundlich    mit 

Fig.  1764. 


Fig.  1763. 


Manillahanf  (Musa  textilis). 


Cocosfaser. 


weitem  Lumen.  Gleich  den  Bastfasern  des  neuseelandischen  Flachses  lassen  sie 
sich  durch  Kalilauge  leicht  isoliren.  Chlorzinkjod  farbt  ihre  Wand  braun  gelb 
bis  schmutzig-violett,  Jod  mit  Schwefelsaure  goldgelb ,  dann  von  innen  nacb 
aussen  schon  blau,  Kalilauge  voriibergebend  unter  Quellung  gelb,  Kupferoxyd- 
ammoniak  unter  schwachem  Aufquellen  blaulichgriin.  Weder  schwefelsaures  Anilin 
noch  Phloroglucin  bringt  Farbung  bervor. 

Ganz  ahnlich  verbalten  sich  die  Fasern  anderer  Musa-Arten.  Musa  para- 
disiaca  soil  etwas  dickere  Bastfasern  besitzen. 

Die  Cocosfaser  (Coir),  aus  der  Fruchtscbale  der  Cocosnuss  gewonnen 
(siehe  denArtikel:  Cocos),  bestebt  vorwaltend  aus  Bastfasern  (Fig.  1 704) ;  daneben 
finden  sich  diinnwandige  prosenckymatische  Elemente  (Cambiform),  engr&umige 
Holzgefasse  (gettipfelte  und  Spiralgefasse),  so  wie  in  Langsreihen  geordnete  sehr 
kleine,  mit  der  Wand  der  Bastfasern  an  der  Oberflache  innigst  verbundene  Zellen, 

Karmarsch  &  Heeren,  Techuisches  Worterbuch.   Bd.   Ill  4  9 


770 


Gespinnstfasern. 


Fig.  1765. 


welche  ungleich  starker  an  der  Innenwand  verdickt  und  hier  stark  verkieselt  sind. 
Durch  diese  convex  nach  aussen  vorspringenden,  als  Deckplattchen  (Stegmata) 
bezeichneten  Gebilde  erhalt  die  Bastfaser  ein  ganz  eigenthiimliches  hockeriges 
oder  warziges  Aussehen  (st  st).  Die  Bastfasern  selbst  sind  nur  0*4 — 08mm  lang  bei  einem 
Querdurchmesser  von  etwa  0*02mm,  stielrund  mit  stumpfen  oder  abgerundeten  Spitzen 
und  haufig  mit  ausgeschweiften  oder  gezahnelten  ausseren  Grenzlinien ;  auf  dem  Quer- 
schnitte  rundlicb  mit  ziemlich  dicker,  hin  und  wieder  von  Porenkanalen  durchbrocbener 
Wand  und  weitem  rundlicbem  Lumen.  Die  mit  Kalilauge  isolirten  Bastfasern 
zeigen  die  aufgequollene  Wand  innen  mit  einem  Spiralbande  zierlicb  ausgekleidet. 
Cblorzinkjod  fSrbt  die  Wand  braungelb,  Jod  und  Scbwefelsaure  grim,  schwefel- 
saures  Anilin  scbon  gelb,  Phloroglucin  blass  purpura,  Kupferoxydammoniak  unter 
schwachem  Aufquellen  gelbgriin. 

Die  Agavefaser,  Pita,  Chan- 
vre  Pita,  Aloefaser,  betrifft  zunachst 
die  aus  den  Blattern  der  Agave 
Americana  L.  (Pita)  und  anderen 
Agave-Arten  (Famil.  der  Agaveen), 
wie  namentlich  aus  Agave  Mexi- 
cana  Lam.  (Maguey),  Agave filif era 
Salm.,  A.  vivipara  L.,  A.  (Four- 
croya)  foetida  L.,  Agave  Sisalana 
Mill.  (Sisalbanf)  etc.  dargestellte 
Faser.  Mit  dem  Namen  Aloefaser 
oder  Pita  werden  aber  auch  haufig 
im  Handel  die  Blattfasern  verschie- 
dener  Bromeliaceen,  wie  jene  von 
Ananassa  sativa  Lindl.  (Bromelia 
Ananas  L.),  Bromelia  Karatash.  etc. 
und  Liliaceen,  wie  jene  von  Aloe- 
Arten  (A.  perfoliata  Lour.,  A.  litto- 
ralisw.dL.),  von  Yucca-  und  San- 
s  e  v  i  e  r  a  -  Arten  (  Yucca  Jilamentosa 
L.,  Y.  aloefolia  L. ;  Sanseviera 
Zeylanica  Willd.)  bezeicbnet. 

Die  ecbte  Agavefaser  (Fig. 
1765)  besteht  vorwaltendaus  starken 
Bastfaserbiindeln,  begleitet  von  senk- 
recbten  Reihen  langerer  und  kiirzerer 
derbwandiger  getiipfelter  Parencbym- 
zellen  (p),  Cambiform,  Biindeln  enger 
treppen-,  netz-  und  abrollbarer  Spi- 
ralgefasse  (sp),  abgerollten  Spiralban- 
dern,  Resten  eines  spharoidalen  diinn- 
wandigen  grosszelligen  Parencbyms  und  haufig  von  grossen  prismatiscben  Kalkoxalat- 
krystallen.  Die  Bastfasern  (b)  sind  prismatiscb,  meist  einfacb  zugespitzt,  mit  haufig 
stumpfer  oder  schiefer,  seltener  kurzgabeliggetheilter  Spitze  0'6 — 4*0mm  lang  bei 
einem  Durchmesser  von  0-025  —  0*036mm,  derbwandig  bis  ziemlich  dickwandig, 
mit  nicht  selten  an  einer  und  derselben  Faser  etwas  veranderlicher  Wanddicke, 
sehr  deutlich  spaltentiipfelig,  mit  deutlichem  weitem  Zellenraume,  ganz  glatt  oder 
einzelne  mit  ausgeschweift-gezahnelter  Begrenzung,  auf  dem  Querschnitte  polygonal 
mit  rundlich-polygonalem  Lumen.  Cblorzinkjod  farbt  die  Wand  gold-  bis  braun- 
gelb, Jod  mit  Scbwefelsaure  gelb,  dann  griin  und  scbliesslich  von  innen  nach 
aussen  blau,  Kupferoxydammoniak  unter  starker  oder  ziemlich  starker  Quellung 
und  unter  Hervortreten  einer  deutlichen  spiraligen  Streifung  blaulich.  Anilin  und 
Phloroglucin  farben  die  Wand  entweder  gar  nicht  oder  ganz  schwach  gelblich, 
respect,  violett-rbthlich ;   die  Spiralgefasse  werden  dagegen  meist  deutlich  gefarbt, 


Agavefaser  (Agave  Americana 


Gespinnstfasern.  771 

daher  bei  reichicherer  Anwesenheit  derselben  die  Kohfaser  selbst  durch  die  beiden 
Mittel  eine  gelbe  resp.  rothliche  Farbe  antiimmt. 

Die  Bastfasern  der  anderen  oben  angefiihrten  Agave-Arten  weichen  zurn 
Theil  in  Form,  Grosse,  Wanddicke,  Verhalten  gcgcn  Reagentien  etc.  von  den 
beschriebenen  der  Ag.  Americana  ab.  Die  ecbte  Aloefaser,  von  Aloe-Arten 
(zumal  A.  perfoliata),  besteht  nach  Wiesner  bloss  aus  Bastfasern  von  1*3 — 3,72mm 
Lange  und  0-015 — O024mm  Dicke.  Dieselben  sind  regelmassig  cylindrisch 
mit  koniscber  Zuspitzung,  einzelne  gabeltheilig,  sehr  stark  verdickt  mit  spar- 
lichen  Spaltentiipfeln,  bei  Quetschung  oder  Behandlung  mit  Kalilauge  spiral  ige 
Streifung  zeigend;  mit  Kupferoxydammoniak  farben  sie  sich  unter  starker  Quellung 
blau,  mit  Jod  und  Schwefelsaure  die  meisten  rothbraun,  einzelne  grlinlich  oder 
gelb,  stellenweise  blau. 

Die  Yuccafaser,  „Silkgrass"  der  Englander,  von  Yucca  aloefolia  L., 
jilamentosa  L.  etc.  gewonnen,  aus  Amerika  in  den  europaischen  Handel  gelangend, 
ist  nach  Ve  till  art  von  der  Agavefaser  sehr  schwer  zu  unterscheiden.  Ihre 
Bastfasern  sind  am  Querschnitte  polygonal  mit  engem  gerundetem  Lumen,  dick- 
wan  dig  mit  regelmassig  verschmalerten  Enden,  bei  0*01 — 0'02mm  Durchmesser 
0-5— 6-0mm  lang. 

Die  Sanseviera-Faser,  „Moorva",  Bowstring-Hemp,  von  S.  Zeylanica 
Willd.,  besteht  nach  demselben  Gewahrsmann  aus  1-5— 6'0mm  langen,  0-015 
— 0*026mm  dicken,  am  Querschnitt  polygonalen  weitmiindigen,  nicht  sehr  dick- 
wandigen,  an  den  Enden  lang  ausgezogenen  spitzen  Fasern. 

Die-  echte  Ananas  fa  ser  (Piiia),  von  Ananassa  sativa  Lindl.  {Bromelia 
Ananas  L.)  besitzt  nach  Ve  till  art  sehr  gleichmassig,  aber  verschieden  dicke, 
glatte,  am  Querschnitte  rundliche  oder  polygonale  Bastfasern  mit  verlangerten 
spitzen  Enden,  sehr  dicker  Wand  und  engem  Lumen,  von  3 — 9mm  Lange  und 
0*004 — 0'008mm  Durchmesser ;  die  Faser  der  Bromelia Karatas  L.  nach  Wiesner 
dlinnwandige,  1-4 — 6'7mm  lange,  0.027 — 0,042mm ■*)  dicke,  cylindrische,  an  den 
Enden  zugespitzte,  spaltentupfelige,  nicht  spiralig  gestreifte  Bastfasern,  die  mit 
Jod  und  Schwefelsaure  rostroth,  mit  Kupferoxydammoniak  blaulich,  unter  schwacher 
Quellung,  gefarbt  werden. 

Die  Wolle  der  Wollbaume,  verschiedener  Arten  der  Gattung  B  o  m  b  a  x,  ins- 
besondere  von  B.  Malabaricum  DC.  und  Bombax  heptaphyllum  L. ,  sowie 
anderer  verwandter  Bombaceen  stellt  gleich  der  Baumwolle  Samenhaare  dar.  Die- 
selben sind  im  Allgemeinen  cylindrisch,  nach  der  Spitze  zu  allmalig  kegelformig 
verschmalert,  manche  flachgedriickt  oder  ausserdem  um  die  Achse  gedreht,  am 
Grunde  etwas  gekriimmt  und  kolbig  ausgebaucht,  farblos  (wenigstens  bei  B.  Ma- 
labaricum), einzellig  (ausnahmsweise  zweizellig),  diinnwandig,  am  Grunde  zuweilen 
mit  netzformiger  Wandverdickung,  1 — 3cm  lang  bei  einem  grossten  Querdurchmesser 
von  0-02 — 0*04mm,  luftfiihrend.  Jod  mit  Schwefelsaure  farbt  die  scharf  hervor- 
tretende  Cuticula  goldgelb,  die  eigentliche  Zellwand,  nachdem  unter  ihrer  Quellung 
die  Cuticula  gesprengt  ist,  schon  blau;  Chlorzinkjod  farbt  die  Haare  gelb,  Anilin 
blassgeblich,  Phloroglucin  schwach,  aber  deutlich  rdthlich,  Kupferoxydammoniak 
bewirkt  bloss  eine  schwache  Quellung. 

Die  Wolle  der  Wollgrasarten  (Eriophorum  august i 'folium  Roth,  E.  lati- 
folium  Hopp.,  E.vaginatum  L.,  E.  gracile  Koch,  E.  Sclieuchzerl  Hopp.,  E.  aljn- 
num  L. ;  —  insbesondere  kommt  jene  der  beiden  erstgenannten  Arten,  die  bei 
uns  haufig  wachsen,  in  Betracht)  stellt  die  Frucht  begleitende  flache  vielzellige, 
aus  breitem,  meist  abgerundetem  oder  verwachsenem  Grunde  allmalig  nach  der 
Spitze  verjiingte  Zotten  dar(Fig.l766).  Das  sie  zusammensetzende,  aussen  von  einer  Cu- 
ticula iiberzogene  Gewebe  besteht  aus  axial  gestreckten,  im  Ganzen  parallel- 
epipedischen  farblosen,  meist  lufterfiillten  Zellen  (5) ;  ihre  Wand  ist  diinn,  nur  der 
Grund  eines  jeden  Haares  wird  aus  derbwandigen,  von  Porenkanalen  durch- 
brochenen    Zellen    gebildet    und    haufig    sind    auch    die    aussersten    Spitzenzellen 

*)  Nach  Vetillart  Liinge  —  3-5  — 10mm;  Durchm.  —  0'020  -003'»™, 

49* 


772 


Gespinnstfasern. 


starker  verdickt.  Die  Lange  der  Zotten  schwankt  nach  den  Arten  zwischen  2 — 4cm 
(die  kiirzesten  [2 — 2'/2cm]  hat  E.  alpinum,  vaginatum,  gracile,  Scheuchzeri,  die 
langsten  [3 — 4cm]  E.  angustifolium  und  latifelium)  •  die  grosste  Breite  (iiber 
dem  Grunde)  liegt  zwischen  0.0288 — 0-1620mm  (die  breitesten  hat  E.  vaginatum 
und  E.  alpinum  —  0-108  —  0'162Dmm  die  schmalsten  E.  gracile  —  0-0288 
— 0-O54mm,  in  der  Mitte  stehen  die  Zotten  von  E  angustifolium,  latifolium  und 
Scheuchzeri  mit  0*072 — 0-108mm).  —  Die  Zottenspitze  ist  meist  einfach,  aus 
1  oder  2  neben  einander  liegenden  Zellen  gebildet,  so  bei  E.  angustifolium, 
latifolium,  Scheuchzeri  und  gracile  (1 — 3) ;  eine  2 — 3gabelige(in  2 — 3  vorspringende 
Zellen  endende)  Spitze  zeichnet  die  Zotten  des  E.  vaginatum  aus  (4),  wahrendjene 
des  E.  alpinum  sehr  auffallend  charakterisirt  sind  durch  zerstreute  gerade  vor- 
gestreckte  oder  spitzenwarts  gebogene  Zahnchen    und    durch   eine    mit    derartigen 

Fiq.  1766. 


5  1  2  3  4 

Haare  der  Wollgraser. 

Zahnchen  diclit  besetzte  und  mit  solchen  endende  Spitze.  Jod  mit  Schwefelsaure 
farbt  die  Cuticula  gelbbraun,  die  eigentlichen  Zellwande  schon  blau,  Chlorzinkjod 
farbt  die  Zotten  geblich,  Kupferoxydammoniak  blass-blaulich-griin  unter  geringer 
Quellung  der  Zellwande.  Weder  Anilin  noch  Phloroglucin  bewirken  eine  Farbung. 
T hi er haare.  Selten  ohne  Weiteres,  meistens  nach  Behandlung  mit  ge- 
wissen  Mitteln,  wie  Sauren  und  Alkalien  oder  am  besten  mit  Kupferoxydammo- 
niak, tritt  an  den  Gespinnstfasern,  welche  Thierhaare  darstellen,  die  denselben 
cigenthiimliche  Structur  hervor:  zu  ausserst  eine  dilnne  Hillle,  das  Oberhaut- 
chen  (oder  die  Cuticula),  welche  aus  sehr  zarten  glashellen,  dachziegelformig 
sich  deckenden  Epith  elplattchen  zusammengesetzt  ist.  Darunter  folgt  die 
Rind  en-  oder  Faserschicht,  die  Hauptmasse  des  Haares  bildend,  von  streifig- 
faserigem  Aussehen ,  aus  feinen,  etwas  flachgedriickten  Faserzellen  bestehend ; 
endlicli  in  vielen  Fallen  ein  centraler  Strang  eines  Gewebes  von  parenchymati- 
schem  Aussehen,  aus  kleinen  gerundet-polyedrischen  Zellen  gebildet,  das  Mark 
(Marksubstanz).  Die  natiirliche  Farbe  der  Haare  hangt  meist  ab  von  einer  Far- 
bung  der  Rindenschicht,  welche  entweder  gleichmassig  oder  fleckig  ist,  seltener 
von  einem  in  den  Zellen  des  Markes  vorhandenen  Pigment.  Die  weisse  Farbe 
der  Haare  wird  zumeist  bedingt  durch  die  mit  Luft  erfiillten  Markzellen  oder 
durch  die  an  und  ftir  sich  farblosen  Elemente,  welche  das  Haar  zusammensetzen. 


Gespinnstfasern.  773 

Die  wichtigsten  Anhaltspunkte  zur  Erkennung  inul  Unterscheidung  der  ver- 
schiedenen  Haare  gewahren  ilire  Grbsse,  die  relative  Starke  der  einzelnen 
Schichten,  sowie  Grbsse  und  Form  der  sie  zusammensetzenden  Elemente,  das 
Vorhandensein  oder  Fehlen  des  Marker  etc.  Die  gewbhnliche  Schafwolle 
besteht  aus  weissen  oder  gelbgefarbten,  4 — 32cm  langen,  0*014 — Q'06mm  dickeo 
Haaren,  an  denen  man  unter  Wasser  gesehen  in  der  Kegel  nur  die  Bcharf- 
gezeichneten  Epithelplattchen,  zuweilen  auch  die  Rindenschicht  und  ein  Mark 
erkennt.  Bei  Behandlung  mit  Schwefelsaure  tritt  an  vielen  Haaren  letzteres  her- 
vor;  wo  dies  nicht  der  Fall  ist7  sind  die  Haare  urspriinglich  marklos.  Concentrirte 
Schwefelsaure  mit  Salzsaure  Ibsen  nach  Wiesner  die  Haare  unter  Rothfarbung, 
Kupferoxydammoniak  bewirkt  eine  schwache  Quellung  unter  Blaufarbung. 

Das  weisse  Haar  der  Angoraziege  (Hircus  Angorensis),  woraus  die  Angora- 
(Mohair)  Wolle  besteht,  hat  nach  Schlesinger  eine  Lange  von  16cm  bei  einem 
Durchmesser  von  0'02  — 0-03,nm.  Es  lasst  ohne  Weiteres  grosse  scharfeckige 
Epithelplattchen  und  meist  leicht  die  Rindenscliieht  erkennen,  dagegen  ist  ein 
Mark  weder  unter  Wasser  noch  nach  Behandlung  mit  Schwefelsaure  sichtbar. 
Nur  sehr  selten  treten  kleine  Inseln  von  Markzellen  hervor. 

Das  weisse  Alpacahaar  (Alpacca-  oder  Pacos-Wolle)  von  Auchenia Paco 
Illig.  zeigt  jederzeit  alle  Schichten ;  das  Mark  erscheint  graulich  und  durchzieht 
nur  selten  continuirlich,  meist  nur  mit  Unterbrechungen  das  Innere  des  Haares. 
Das  braune  und  schwarze  Alpacahaar  lasst  unter  Wasser  keinerlei  Structur  er- 
kennen, nur  am  Rande  lassen  sich  bei  genauer  Untersuchung  die  Epithelplattchen 
wahrnehmen.  Nach  Schlesinger  hat  das  Haar  eine  Lange  von  15cm  bei  einem 
Durchmesser  von  0  02— 0-034mm. 

Die  Sei  deist  bekanntlich  das  erstarrte  Secret  zweier  langer  schlauchfbrmiger 
Driisen  (Spinndrilsen)  des  „Seidenwurms,"  der  Raupe  des  wahrscheinlich  aus  China 
stammenden  Maulbeer-  oder  Seidenspinners  (Bombyx  Mori),  welches  in  Gestalt 
eines  sofort  nach  dem  Hervortreten  aus  dem  Korper  der  Raupe  sich  bildenden 
Doppelfadens  ausgeschieden,  in  ununterbrochenem  Zusammenhange  zum  Bau 
des  Cocons  verwendet  wird.  Durch  das  sogenannte  Entschalen  oder  Degumiren 
wird  der  Kitt  (Seidenleim),  der  die  beiden  zum  Doppelfaden  verbundenen  Fitden 
vereinigt  und  iiberzieht,  in  Lbsung  gebracht,  wesshalb  die  degumirte  Seide  aus 
einzelnen  Faden  besteht.  Diese  sind  stets  solid  (innen  nicht  hold)  und  voll- 
kommen  structurlos.  cylindrisch,  0-009 —  0-02 lmm  dick;  manchmal  zeigt  sich  eine 
zur  Langenachse  parallele^Zerkliiftung.  In  Sauren  und  besonders  in  Alkalien  quillt  der 
Seidenfaden  auf;  concentrirte  Schwefelsaure ,  Aetzkali  und  Kupferoxydammoniak 
losen  ihn  nach  einiger  Zeit  auf.  Bruchflachen  des  Seidenfadens  sind  meist  aus 
zwei  bis  mehreren  treppenformig  liber  einander  stehenden  Flachenstiicken  gebildet 
(Wiesner).  Der  Faden  jede>3  Cocons  bildet  an  diesem  drei  Schichten,  aus  wel- 
chen  drei  dem  Werthe  nach  sehr  verschiedene  Seidensorten  gewonnen  werden. 
Die  ausserste  liefert  die  Florett-  oder  Flockseide,  die  mittlere  die  feine  Seide,  die 
innerste  die  Wattseide.  Die  Faden  dieser  drei  Sorten  sind  in  Form  und  Grosse 
des  Querschnittes  nach  Wiesner  veranderlich.  Florettseide  andert  ihre  Quer- 
schnittsform  innerhalb  langerer,  Wattseide  innerhalb  klirzerer  Strecken,  so  dass 
an  dieser  die  Begrenzungslinien  starkere  Kriimmungen  zeigen.  Der  Querschnitt 
beider  schwankt  zwischen  0*009 — 0'014mm;  feine  Seide  ist  dicker  als  Florett- 
und  Wattseide  und  sehr  constant  in  der  Grbsse  des  Querschnitts,  der  meist 
0-018mm  betragt.  —  Die  Seide  des  Ailanthuss  pinner  s  {Saturnia  Cynthia) 
lasst  sich  nach  Wiesner  mikroskopisch  leicht  von  echter  Seide  unterseheiden. 
Der  Durchmesser  des  Fadens  liegt  zwischen  0-011  — 0-025mm,  und  zwar  an  den 
ausseren,  mittleren  und  inneren  Theilen  des  Cocons,  ja  selbst  an  einer  und 
derselben  Stelle  des  Doppelfadens  besitzen  dessen  Theiltaden  oft  einen  verschie- 
denen  Querschnitt;  ferner  besteht  die  Ueberkleidung  des  Doppelfadens  aus  einer 
kbrnigen  Haut,  der.  Faden  selbst  zeigt  eine  zarte  parallele  Faserung  und  beiin 
Zerreissen  entstehen  btischelige  Faserenden.  Aug.   VogL 


774 


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Gestange.   —  Geviere.  775 

Gestange  ('perches  —  poles).  Mehrere  zu  einem  Ganzen  verbundene  Stangen 
oder  Balken,  welche  zur  Uebertragung  oder  zur  Leitung  einer  Bewegung  dienen. 
In  ersterem  Sinne  gebraucht  man  dieses  Wort  bei  der  Bezeichnnng  B  e  h  r-  and 
Puinpen  -Gestange,  im  letzteren  bei  Fahrgestange;  bezeicbnend  die 
Summe  jener  parallel  liegenden  Balken,  in  deren  Spur  die  Forderschale  lauft.   Kk. 

Gestangebewegung,  Gestangbewegung,   Hin-   und  Her  bewegung 

(mouvement  de  va-et-vient  —  see- saio -motion). 

Gesteiliarbeit;  Steinarbeit  (damboard),  wird  in  der  Weberei  jene  Art 
Muster  genannt,  welcbe  aus  quadratischen  und  rechteckigen  Felclern  bestehen, 
und  namentlich  bei  ordinaren  Leinendamasten  haufig  vorkomraen. 

Gesteinbohrmaschinen,  s.  Bobren  I  pag.  699.  Seit  der  Zeit,  als  jener 
Artikel,  auf  welcben  wir  hier  verweisen,  gescbrieben  wurde,  ist  durch  Ingenieur 
Brandt  in  Zurich  ein  neues  System  in  die  Praxis  eingefiihrt  worden.  Hierbei 
wird  ein  Stahlkronenbohrer  verwendet,  welcher  durch  hydrauliscben  Druck  —  an 
100  Atmospharen  —  einerseits  sehr  kraftig  gegen  den  Stein  gepresst,  andererseits 
langsam  gedreht  wird.  Diese  Maschine  arbeitet  sowobl  auf  harte  als  weiche 
Steine  (Granit,  Kalk)  vorziiglich  und  ist  in  einer  ausgezeichneten  Monographic 
durch  den  Constructeur  Riedler  (Wien.  Lehmaun  &  Wenzel,  1878)  be- 
schrieben.     Kk. 

Gestell  (bdti  —  stock),  rahmenartige  Geriiste;  ferner  in  der  Metallurgie 
(ouvrage  —  hearth)  der  untere,  verengte  Theil  eines  Schachtofens,  s.  Ill  pag.  8 

Gestemm,  die  von  den  Hirnrandern  der  Dauben  gebildeten  Fassrander. 

Gesundheitsgeschirr,  Sanitatsgeschirr,  im  Allgemeinen  Thonwaaren  mit  blei- 
freier  Glasur,  fur  den  Kiichengebrauch ;  auch  Porzellan  fiihrt  diesen  Namen.    Gtl. 

Gesundheitshdlzchen,  d.  s.  giftfreie,  auch  schwedische  Ziindbolzchen,  siehe 
Ziindwaaren. 

GesundheitSStein,  s.  m.  Schwefe Ikies  o.  Pyrit. 

Getah  Karet,  s.  Kautschuk. 

Getall   Lahoe,  s.  Sumatrawachs. 

Getee,  Faser  von  Marsdenia  tenacissima,  dient  als  Flachssurrogat.     Gtl. 

Getretene  Arbeit,  Fussarbeit  {etoffes  faconnees  a  la  marche),  durch 
Bethatigung  von  Tritten  hergestellte,  gemusterte  Stoffe. 

Getreide-Reinigungsmaschinen,    siehe  Landwirthschaft    und    Mehl 

fabrikat  ion. 

Getreidestein,  s.  Bier  stein  I  pag.  520. 

Getriebe  (pignons  —  pinions)  sind  die  in  den  Uhren  vorkommenden,  aus 
Triebstahl  hergestellten  Zahnradchen  mit  grosser  Breite  der  Zahne;  audi  wird 
ein  ganzer  Satz  zusammenwirkender  Rader  Getriebe  genannt. 

Getriebene  Arbeit,  Treibarbeit  (repousse),  siehe  Blechb  ea  rb  ei  t  ung 
I  pag.  554  und  Ciseliren  II  pag.  362. 

Gettaniagummi,  s.  m.  Gutta-Percha. 

Geviere,  s.  Bergbau  I  pag.  399. 


77G  Gevierte.  —  Gewicht. 

Gevierte,  s.  Buchdruckerei  II  pag.  129;  ferner  Tafelglas  von  etwas 
grosserer  Lange  als  Breite. 

Gewande  (jambage  —  jamb),  Begrenzung  einer  MauerofFnung  zur  Seite ; 
je  nach  dem  Material  der  Construction  bezeichnet  man  dasselbe  als  Stein-,  Ziegel-, 
Holzgewande  und  je  nach  der  Art  der  Oeffnung  als  Fenster-,  Thiir-  oder  Thorgewande. 
Siehe  auch  Fenster  III  pag.  403.  Grolvni. 

Gewebe  (tissu  —  web)  ist  im  weitesten  Sinne  jedes  flachenartig  ausgedehnte 
Fabrikat,  das  durch  regelmassige  Kreuzung  oder  Verschlingung  von  Faden  oder 
fadenahnlichen  Korpern  mittelst  einer  maschinellen  Vorricbtung  hervorgebracht 
worden  ist,  s.  Weberei,  Wirkerei,  Netzen  und  Bobbinnet  (I  pag.  667). 

Gewehre,  s.  Feuerwaffen  III  439. 
Gewehrpulver7  s.  Explosivstoffe  III  pag.  322. 
Gewehrfabrikation,  s.  Feuerwaffen  III  pag.  442  etc. 
Gewehrlaufe,  s.  Feuerwaffen  III  pag.  442. 
Gewehrschafte,  s.  Feuerwaffen  III  pag.  453. 
Gewehrschltisser,  s.  Feuerwaffen  III  pag.  450. 

Gewicht  (pesanteur  —  gravity).  Gewicht,  als  tbeoretischer  Begriff,  ist  die 
Grosse  des  Druckes,  den  ein  Korper  auf  seine  Unterlage  ausitbt.  Dieser  Druck 
ist  eine  Folge  der  Anziehung,  welobe  die  Erde  auf  die  Korper  ausiibt,  und  deren 
Starke  im  geraden  Verhaltnisse  des  Productes  der  Massen  des  anziehenden  (also  des 
Erdkorpers)  und  des  angezogenen  Korpers  und  im  umgekehrten  Verhaltnisse  des  Qua- 
drates der  Entfernung  der  Massen  sich  aussert.  Die  Grosse  des  Druckes  auf  seine 
Unterlage,  welche  ein  bestimmter  Korper  auf  der  Erde  zeigt,  ist  einerseits  abkangig 
von  der  Grosse  seiner  Masse,  andererseits  aber  von  der  Entfernung  des  Korpers 
vom  Erdmittelpunkte,  da  die  im  Gefolge  der  Acbsendrehung  der  Erde  stehende 
Fliebkraft,  deren  Grosse  mit  der  Entfernung  vom  Erdmittelpunkte  wachst,  der 
Anziehung  entgegenwirkt.  Es  folgt  bieraus,  dass  die  Grosse  des  Druckes,  den  ein 
und  derselbe  Korper  auf  seine  Unterlage  ausiibt,  an  verschiedenen  Punkten  der 
Erdoberflache  verscbieden  sein  muss.  Genaue  Bestimmungen  haben  ergeben,  dass 
fiir  ein  und  denselben  Korper  die  Grosse  dieses  Druckes  an  den  Polen  etwa 
7I00  mehr  betragt  als  am  Aequator.  Mit  Hilfe  der  Wage,  welcber  man  sich 
allgemein  zur  Bestimmung  des  Gewichtes  der  Korper  bedient,  lassen  sich  nun 
diese  Differenzen  nicht  ermitteln,  insoferne  an  der  Wage  der  zu  wagende 
Korper  sich  unter  denselben  Verhaltnissen  befindet  wie  die  Masse  jenes,  dessen 
man  sich  zur  Herstellung  des  Gleichgewichtes  bei  der  Wage  bedient.  Das,  was 
man  also  im  gewohnlichen  Leben  Gewicht,  absolutes  Gewicht  (poids  absolu  — 
absolute  weight)  nennt,  ist  kein  Ausdruck  fur  die  wahre  Grosse  des  Druckes,  den 
ein  Korper  auf  seine  Unterlage  ausijbt,  sondern  vielmehr  nur  ein  Mass  der  Masse, 
welche  den  Druck  ausiibt.  Als  Einheit  dieses  Masses  gilt  fiir  wissenschaftliche 
Zwecke  allgemein,  fiir  praktische  Zwecke  auch  in  vielen  cultivirten  Landern 
Enropas  das  Gramm,  d.  i.  das  Gewicht  eines  Cub. -Cent,  vollig  reinen  Wassers 
von  4°  C.  Mehrfach  sind  jedoch  auch  noch  andere  Gewichtseinheiten  im  Gebrauche, 
deren  Eintheilung  und  Verhaltniss  zum  Gramm  sich  im  Artikel  Masse  ange- 
geben  findet. 

Zu  der  praktischen  Ermittlung  der  Korpergewichte,  wie  sie  mit  Hilfe  der 
Wage  (s.  d.)  bestimmt  werden,  bedient  man  sich  ganz  allgemein  abgemessener 
Massen  von  bestimmter  Grosse,  d.  i.  der  Gewichtsstiicke  oder  Gewichte  (poids  — 
weight),  welcbe  entweder  aus  Metall  (Eisen,  Messing,  Platin)  oder  aus  anderem 
geniigend  scbweren  Materiale  (Stein),  fiir  feinere  Gewichte  namentlich  auch  Berg- 
krystall  bergestellt  sind.    Sie  sollen  so  geformt  sein,  dass  sie  sich  bequem  fassen 


Gewicht.  —  Gewicht  specifisches.  777 

lassen,  unci  ihre  Oberflache  soil  so  beschaffen  sein,  class  sich  nicht  leicht  Schmutz 
und  Staub  an  clenselben  festsetzt,  so  wie  audi  das  Materiale  moglichst  wider- 
standsfahig  gegen  Abniitzung  beim  Gebrauche  sein  muss,  damit  sich  beira  fort- 
gesetzten  Gebrauche  nicht  allzugrosse  Abweichungen  vom  Normalrnasse  heraus- 
stellen.  Ueberdies  mlissen  sie  in  gut  erkennbarer  Weise  die  Werthbezeiehnung 
tragen.  In  Oesterreich,  sowie  in  den  meisten  iibrigen  Staaten  sind  iibrigens  die 
fur  den  Handelsverkehr  bestimmten  Gewicbtsstitcke  mit  einer  ihre  Vollwichtigkeit 
bezeugenden  Marke  (Punze  oder  Aichsterapel)  versehen.  Die  gebrauchlioh.ste 
Form  fiir  Gewichtsstiicke  ist  die  von  abgestumpften  Kegeln  oder  abgestumpften 
4 — 6seitigen  Pyrarniden,  seltener  von  Kugelsegmenten.  Kleinere  Gewichtsstiicke 
verfertigt  man  nicht  selten  in  der  Form  von  abgestumpften  Kegeln,  die  innen  hohl 
und  in  ihrer  Grosse  so  bemessen  sind,  dass  immer  das  nachst  kleinere  Gewichts- 
stiick  in  die  Hohlung  des  nachst  grosseren  passt  (Schalgewichte  oder  Einsatz- 
gewichte).  Sehr  kleine  Gewichte,  Gran-,  Decigramm-  oder  Centigramm- Gewichte 
stellt  man  meist  in  Gestalt  kleiner  Bleche  mit  umgestiilpter  Ecke  (zum  Anfassen), 
seltener  aus  diinnem  Drahte  (vergold.  Messing,  Platin  oder  Aluminium)  her,  wel- 
cher  schneckenformig  aufgewunden  und  dessen  Liinge  so  bemessen  ist,  dass  die 
Anzahl  der  Windungen  die  Anzahl  der  Decigramme,  Centigramme  oder  Grane 
angibt,  welche  durch  das  betreffende  Gewichtsstiick  reprasentirt  werden.  Eine 
besondere  Art  von  Gewichten  sind  endlich  die  Laufgewichte,  deren  man  sich 
zu  Wagungen  an  ungleicharmigen  Wagen  (Schnellwagen)  oder  zur  Bestimmung 
sehr  kleiner  Gewichtsmengen  auf  sehr  empfindlichen  Wagen  bedient.  Grossere 
Laufgewichte  haben  meist  die  Form  von  Kugeln  und  sind  mit  einem  an  seiner 
Innenseite  zu  einer  Schneide  zugescharften  Haken  versehen,  mit  welchem  sie  auf 
dem  Wagebalken  aufgehangt  und  an  demselben  verschoben  werden  konnen ; 
kleinere  Laufgewichte,  z.  B.  Milligrammhaken,  sind  meist  aus  diinnem  Metall- 
drahte  gefertigte  Reiterchen  (Reitergewichte),  welche  mittels  einer  Pincette  oder 
einer  eigenen  Vorrichtung  (Reiterverschiebung)  am  Wagebalken  hin  und  her  ge- 
schoben  werden  konnen  (vgl.  lib.  a.  Wage).  Gil. 

Gewicht  specifisches  (poids  specijiqne  —  specific  gravity).  Durch  Wa- 
gung  erfahrt  man  die  Grosse  der  Masse  eines  Korpers  ohne  Riicksicht  auf  sein  Volu- 
men,  d.  i.  sein  absolutes  Gewicht.  Vergleicht  man  die  absoluten  Gewichte  gleicher 
Volumen  verschiedener  Korper  mit  einander,  so  gelangt  man  zur  Kenntniss  der 
in  gleichen  Raumtheilen  enthaltenen  Massen  verschiedener  Korper,  d.  i.  indirectc 
zur  Kenntniss  der  Dichte  der  Korper  (vgl.  Dichte  II  pag.  622).  Vergleicht 
man  die  Gewichte  gleicher  Raumtheile  verschiedener  Korper  mit  einander,  iudem 
man  eines  derselben  zur  Einheit  wahlt  und  darauf  alle  iibrigen  Gewichte  bezieht. 
so  erhalt  man  Verhaltnisszahlen ,  welche  man  im  Allgemeinen  specifische 
Gewichte  nennt.  Als  Einheit  der  spec.  Gewichte  fester  und  fliissiger  Korper 
hat  man  das  Gewicht  der  Volumseinheit  des  reinen  Wassers  gewahlt,  wahrend 
man  als  Einheit  der  spec.  Gewichte  der  Gase  und  Dampfe  das  Gewicht  der 
Volumseinheit  der  atmosphar.  Luft  angenommen  hat.  Das  spec.  Gewicht  eines 
fliissigen  oder  festen  Korpers  ist  demnach  die  Zahl,  welche  angibt,  wie  vielmal 
der  bestimmte  Korper  schwerer  oder  leichter  ist  als  ein  gleich  grosses  Volumen 
Wasser,  das  spec.  Gew.  eines  Gases  die  Zahl,  welche  angibt,  wie  vielmal  das 
bestimmte  Gas  leichter  oder  schwerer  ist  als  ein  gleich  grosses  Volumen  atmo- 
spharischer  Luft.  Allgemein  findet  man  demnach  das  specifische  Gewicht  eines 
Korpers,  wenn  man  sein  absolutes  Gewicht  durch  das  absolute  Gewicht  des 
gleichen  Volumens  Wasser  (fiir  fliissige  oder  feste  Korper)  oder  des  gleichen 
Volumens    atmosphar.    Luft    (fiir    gasformige   Korper)    dividirt,     oder    durch    eine 

p 
allgemeine  Formel  ausgeclriickt    S  —  — ,    worin    S  das    spec.    Gewicht,    P   das 

absolute  Gewicht  des  Korpers  und  p  das  absolute  Gewicht  des  gleichen  Volumens 
Wasser  (bez.  Luft)  ausdriickt.  Weiss  man  z.  B. ,  dass  ein  Cub.-Zoll  Eisen 
210-6  Gramm,,    ein  Cub.-Zoll  Gold  520  Grin,  wiegt,    wahrend    das  Gewicht  eines 


778  Gewicht  specifisches. 

Cub.-Zolles    Wasser    27    Grm.    betragt,    so    erhalt    man    das    spec.    Gewicht   des 

Eisens  ==  — — —  —  7-8,  das  des  Goldes  ==  — —  ==  19-26. 

Insoferne  die  Verschiedenheit  der  spec.  Gewichte  ihren  Grund  in  der  Ver- 
schiedenheit  der  Raumerfullung  einerseits  und  der  Verschiedenheit  der  Molecular- 
gewichtsgrosse  andererseits  hat,  ist  das  spec.  Gewicht  bei  festen  und  fliissigen 
Korpern,  z.  Th.  ein  Mass  der  Dichte;  bei  gasforniigen  Korpern,  bei  welchen  die 
Raurnerfiillung  unter  gleichen  Druck-  und  Ternperaturverhaltnissen  als  eine  gleich- 
artige  angesehen  werden  muss,  ein  Mass  der  Moleculargewichtsgrosse  und  seine 
Kenntniss  als  eines  wesentlichen  Factors  ftir  die  Charakteristik  der  Materie  daher 
von  besonderer  Wichtigkeit.  Zur  Ermittlung  des  spec.  Gewichtes  eines  Korpers 
bedarf  man  dem  oben  Gesagten  zufolge  einerseits  der  Kenntniss  des  absoluten 
Gewichtes  des  betreffenden  Korpers,  andererseits  der  Kenntniss  des  absoluten 
Gewichtes  des  gleich  grossen  Volumens  Wasser  oder  atmosph.  Luft.  Am  ein- 
fachsten  ist  die  Bestimmung  dieser  Daten  bei  fliissigen  oder  gasformigen  Korpern, 
indem  man  nur  noting  hat,  ein  bestimmtes  Gefass,  am  besten  ein  solches, 
welches  mit  einem  engen  Halse  versehen  ist,  an  welchem  eine  Massmarke  an- 
gebracht  ist,  zunachst  zu  wagen,  sodann  mit  der  zu  untersuchenden  Fliissigkeit 
bis  genau  zur  Marke  zu  fiillen  und  zu  wagen,  wodurch  man  nach  Abzug  des 
Gewichtes  des  leeren  Gefasses  das  absolute  Gewicht  des  das  Gefass  bis  zur 
Marke  erfiillenden  Fliissigkeitsvolumens  erfahrt,  um  sodann  dasselbe  Gefass  mit 
reinem  Wasser  ebenfalls  genau  bis  zur  Marke  zu  fiillen  und  abermals  zu  wa- 
gen, wobei  man  nach  Abzug  des  Gewichtes  des  leeren  Gefasses  das  Gewicht 
des  gleich  grossen  Wasservolumens  erfahrt.  Da  es  bei  solchen  Bestimmungen 
auf  moglichst  genaue  Ermittlung  der  absoluten  Gewichte  ankommt  und  oft  nur 
geringe  Mengen  der  zu  untersuchenden  Korper  zur  Verfiigung  stehen,  so  pflegt 
man  solche  Gefasse  meist  nur  in  kleinen  Dimensionen  (5 — 10oc  Fassungsraum) 
herzustellen  und  pflegt  ihnen  dann  eine  Einrichtung  zu  geben,  welche  moglichst 
sichere  Erzielung  der  Volumgleichheit  gestattet,  was  man  erreicht,  wenn  man  die 
Gefasse  so  einrichtet,  dass  sie  vollstandig  mit  Fliissigkeit  gefiillt  werden.  Zu 
diesem  Ende  pflegt  man  die  meist  aus  moglichst  schwachem  Glase  hergestellten, 
meist  ballonformigen  oder  cylindrischen  Gefasse  entweder  mit  einem  in  der 
Liingsachse  mit  einer  capillaren  Bohrung  versehenen,  gut  eingeschliffenen  Glas- 
stopsel  verschliessbar  zu  machen,  oder  mit  einer  auf  den  Rand  des  Halses  gut 
aufgeschliffenen  Deckplatte,  die  selbst  eine  feine  Bohrung  tragen  kann,  zu  ver- 
sehen. Der  Rand  des  Halses  muss  dann  moglichst  glatt  abgeschliffen  sein  und 
keinerlei  Vorspriinge  oder  Vertiefiingen  zeigen,  in  denen  sich  Fliissigkeit  anzu- 
sammeln  vermag.  Solche  Gefasse,  welche  man  Pyknometer*)  nennt,  fiillt 
man,  nachdem  man  vorher  ihr  Gewicht  genau  bestimmt  hat,  beim  Gebrauche 
mit  der  zu  untersuchenden  Fliissigkeit  vollstandig  an,  driickt  dann  den  durch- 
bohrten  Pfropf  langsam  in  die  Halsoffnung  ein,  wobei  das  Uebermass  der  Fliis- 
sigkeit theils  seitlich,  theils  durch  die  capillare  Bohrung  austritt,  oder  schiebt 
die  aufgeschliftene  Glasplatte  von  der  Seite  her  auf  den  Rand  auf,  und  entfernt 
sodann  die  an  den  Aussenwandungen  adharirende  Fliissigkeit  durch  sorgfaltiges 
Abtrocknen  mit  einem  Tuche,  wobei  man  sich  jedoch  davor  zu  hiiten  hat,  das 
Gefass  selbst  mit  der  blossen  Hand  zu  fassen,  damit  eine  Erwarmung  und  hie- 
durch  bedingte  Ausdehnung  der  Fliissigkeit  im  Pyknometer,  welches  vollstandig 
und  ohne  eine  Luftblase  einzuschliessen  mit  der  Fliissigkeit  gefiillt  sein  muss, 
nicht  eintrete.  Das  so  gefiillte  Pyknometer  wird  sodann  gewogen  und  nun  nach 
der  Entleerung  der  zu  untersuchenden  Fliissigkeit  und  entsprechender  Reinigung 
in  gleicher  Weise  mit  destillirtem  Wasser  gefiillt  und  abermals  gewogen.  Da 
bei  scharfen  Bestimmungen  iibrigens  alles  darauf  ankommt,  dass  die  verwendeten 
Volumina  bei  gleicher  Temperatur  gemessen  sind,  da  ja  jede  Temperaturverande- 


i:)  Eine  sehr  bequeme  Form  hat  Gintl  (Drngl.  pol.  Journ.   194  pag.  42)  angegeben. 


Gewicht  specifisches.  779 

rung-  eine  dem  Ausdehnungsvermogen  des  betreflfenden  Korpers  entsprechende 
Volumsveranderung  bedingt,  hat  man  auch  Pyknometer  mit  Thermometer)!  in  Ver- 
wendung  (Geissler's  Pyknometer),  bei  welchen  cin  genaues  Thermometer  zura 
Verschlusse  des  Pyknometerhalses  verwendet  ist,  wahrend  eine  seitlich  angebraehte 
enge  Rdhre  mit  aufgeschliffener  Kappe  die  Moglichkeit  eincr  vollstandigen  Fiillung 
sichert.  Da  die  Korper  undurchdringlich  sind,  und  mithin  ein  in  eine  Fltissigkeit 
gebrachter  Korper  so  viel  von  der  Fltissigkeit  verdrangt,  als  seinem  Volumen 
entspricht,  so  lasst  sicli  mit  Hilfe  des  Pyknometers  auch  das  spec.  Gewicht  fester 
Korper  bestimmen.  Man  bringt  zu  diesem  Ende  ein  oder  mehrere  Stiicke  des 
betreflfenden  Korpers,  deren  Grosse  so  bemessen  sein  muss,  dass  sie  bequem  in 
das  Pyknometer  gebracht  werden  konnen,  und  deren  Gewicht  vorher  genau  be- 
stimmt  wurde,  in  das  Pyknometer,  dessen  Gewicht  gleichfalls  bekannt  sein  muss, 
und  fiillt  dasselbe,  wenn  der  betrefifende  Korper  von  Wasser  nicht  angegriflfen, 
bez.  gelost  wird,  vollstandig  mit  Wasser  an,  sorgt  dann  mit  Hilfe  eines  Feder- 
bartes  oder  eines  feinen  Pinsels  (falls  der  feste  Korper  sehr  poros  ware,  durch  wie- 
derholtes  Auskochen)  daftir,  dass  alle  an  dem  festen  Korper  haftenden  Luftblaschen, 
bez.  die  die  Poren  desselben  erfiillende  Luft  vollstandig  verdrangt  und  entfernt 
werden,  und  verschliesst  das  vollig  mit  Wasser  gefiillte  und,  wenn  ausgekocht 
wurde,  wieder  vollig  erkaltete  Pyknometei",  wie  oben  angegeben,  so  dass  es  vollig 
mit  Wasser  erfullt  erscheint.  Nach  vollzogener  sorgfaltiger  Reinigung  der  Aussen- 
seite  wagt  man  und  erfahrt  hiedurch  das  Gewicht  des  Pyknometers  mehr  des 
festen  Korpers  und  des  den  tibrigen  Raum  erfiillenden  Wassers.  Entfernt  man 
nun  den  festen  Korper  aus  dem  Gefasse,  fiillt  dasselbe  vollstandig  mit  Wasser 
und  wagt  nach  vorgenommener  Reinigung  wieder,  so  hat  man  das  Gewicht  des 
Pyknometers  mehr  jenem  des  den  gesammten  Innenraum  erfiillenden  Wassers. 
Zieht  man  von  beiden  gefundenen  Gewichten  nun  zunachst  das  Pyknometergewicht 
ab  und  von  dem  Reste  des  fiir  das  den  festen  Korper  nebst  Wasser  enthaltende  Pykno- 
meter gefundenen  Gewichtes  das  bekannte  Gewicht  des  festen  Korpers,  so  erhalt 
man  einen  Rest,  der,  von  dem  Reste  des  fiir  das  bios  mit  Wasser  gefiillte  Pyk- 
nometer gefundenen  Gewichtes  abgezogen,  das  Gewicht  des  Wassers  angibt, 
welches  denselben  Raum  erfullt  wie  der  feste  Korper,  und  man  findet  sonach 
das  spec.  Gewicht  dieses  letzteren,  wenn  man  das  bekannte  absolute  Gewicht 
desselben  durch  das  Gewicht  des  gleichen  Wasservolumens  dividirt. 

1st  der  auf  sein  spec.  Gewicht  zu  untersuchende  feste  Korper  in  Wasser 
loslich  oder  wird  er  iiberhaupt  von  demselben  angegriflfen,  dann  muss  man  zur 
Bestimmung  eine  andere  geeignete  Fltissigkeit  (Alkohol,  Aether,  Chloroform,  Ter- 
pentinol,  Oel  o.  dgl.)  wahlen,  hat  jedoch,  falls  das  spec.  Gewicht  derselben  nicht 
an  sich  genau  bekannt  ist,  die  Bestimmung  desselben  nach  dem  oben  angefuhrten 
Verfahren  vorzunehmen,  und  hat,  urn  das  auf  die  Einheit  Wasser  beziigliche 
specifische  Gewicht  zu  finden,  das  Ergebniss  der  tibrigens  genau  so  wie  bei  An- 
wendung  von  Wasser  zu  fiihrenden  Rechnung  mit  dem  spec.  Gewichte  der 
verwendeten  Fltissigkeit  zu  multipliciren. 

Fiir  die  Bestimmung  des  spec.  Gewichtes  von  Gasen  und  Dampfen  kann 
man  sich  eines  gewohnlichen  Pyknometers  nicht  bedienen,  sondern  muss,  wenn 
man  Bestimmungen  der  spec.  Gewichte  soldier  Korper  nach  demselben  Principe 
vornehmen  will,  grossere  mindestens  50 — 100cc  fassende  Glasballons  verwenden, 
die,  wenn  sie  mit  dem  betreflfenden  Gase  oder  Dampfe  gefullt  sind,  zur  Hintan- 
haltnng  einer  Aenderung  in  der  Beschaflfenheit  des  Gases  (durch  Diffusion)  zuge- 
schmolzen  werden  und  sodann  erst  zur  Wagung  kommen.  Man  hat  hiebei  auf 
die  Temperatur  und  den  Druck,  unter  welchen  das  zu  untersuchende  Gas  im 
Zeitpunkte  des  Zuschmelzens  des  Ballons  stand ,  genau  Riicksicht  zu  nehmen. 
Ermittelt  man  sodann  genau,  etwa  durch  Ausmessung  mit  Q.uecksilber,  den  Raum- 
inhalt  des  betreflfenden  Ballons,  so  kann  man,  da  man  das  Gewicht  eines  0.  C. 
atmospharischer  Luft  fiir  O0  C.  und  760ram  Barometerstand  und  den  Ausdehnungs- 
coefficienten  der  Gase  nach  der  Temperatur,  sowie  die  durch  die  Druckverschic- 
denheit  bedingte  Volumsveranderung  der  Gase  genau  kennt  (vgl.  Ausdehnungl. 


780  Gewicht  specifisches. 

pag.  251),  leicht  das  Gewicht  des  gleichen  Volumens  atmospharischer  Luft  und 
sonach  das  spec.  Gewicht  des  fraglichen  Gases  bezogen  auf  die  Einheit  Luft  =  1 
berechnen,  wenn  man  von  dem  Gewichte  des  mit  dem  Gase  gefiillten  Ballons 
das  Gewicht  des  leeren  Ballons  weniger  dem  Gewichte  des  denselben,  bei  dem 
wahrend  der  Wagung  beobachteten  Temperatur-  und  Barometerstand,  erfiillenden 
Luftgewichtes  (d.  i.  das  Gewicht  des  luftleeren  Ballons)  abzieht  und  den  Rest 
durch  das  Luftgewicht  dividirt. 

Ausser  dieser  Methode  der  Bestimmung  spec.  Gewichte  kann  man  zu  dem- 
selben  Zwecke  auch  Anwendung  von  zwei  Satzen  der  Hydrostatik  machen,  deren 
erster,  d.  i.  der  archimedische  Fundamentalsatz,  dahin  lautet,  dass 
jeder  in  einer  Flussigkeit  untergetauchte  Korper  so  viel  an  seinem  Gewichte 
verliert,  als  das  Gewicht  der  durch  ihn  verdrangten  Flussigkeit  betragt,  wahrend 
der  zweite  lehrt,  dass  jeder  in  einer  Flussigkeit  schwimmende  Korper  so  tief 
in  die  Flussigkeit  eintaucht,  bis  das  Gewicht  des  durch  denselben  verdrangten 
Flussigkeitsvolumens  so  viel  betragt  wie  das  Gesammtgewicht  des  schwimmenden 
Korpers. 

Von  dem  archimedischen  Fundamentalsatze  macht  man  Gebrauch  bei  der 
sogenannten  directen  oder  hydrostatisch  en  Methode  der  Bestimmung  spec. 
Gewichte,  zu  deren  Ausfuhrung  man  sich  einer  eigens  hierzu  adjustirten,  genauen 
Wage  bedient,  die  so  eingerichtet  ist,  dass  an  dem  einen  Ende  des  Wagebalkens, 
statt  der  am  anderen  Ende  vorfindlichen  gewohnlichen  Wagschale,  eine  an  nur 
sehr  kurzen  Schniiren  oder  Drabten  aufgehangte,  an  der  Unterseite  u.  z.  in  der 
Mitte  mit  einem  Hakchen  versehene  Schale  sich  findet,  deren  Gesammtgewicht  so 
bemessen  ist,  dass  sie  der  anderen  Wagschale  genau  das  Gleichgewicht  halt. 

Will  man  mit  Hilfe  einer  solchen  Wage  das  spec.  Gewicht  z.  B.  einer  Flussigkeit 
bestimraen,  so  befestiget  man  mittels  eines  feinen  Fadens  oder  Drahtes  ein  Stiick 
eines  festen  Korpers,  am  besten  ein  cylindrisches  Glasstuck  von  mbglichst  glatter 
Oberflache  an  dem  Hakchen  der  kiirzeren  Wagschale,  bringt  die  Wage  durch 
Auflegen  von  Gewichten  auf  die  zweite  Wagschale  in  vblliges  Gleichgewicht  und 
bringt  nun  die  zu  untersuchende  Flussigkeit,  in  einem  geeigneten  Gefasse  mit 
weiter  Miindung,  so  unter  die  kiirzere  Wagschale,  dass  das  an  derselben  auf- 
gehangte Glasstiick,  ohne  die  Gefasswand  zu  beruhren,  frei  und  vollstandig  in 
die  Flussigkeit  eintaucht.  Sofort  wird  sich  die  Abnahme  des  Gewichtes  des 
Glaskbrpers  durch  Stoning  des  Gleichgewichts  an  der  Wage  bemerkbar  machen. 
Urn  dasselbe  wieder  herzustellen,  wird  man  auf  die  kiirzere  Wagschale  genau  so  viel 
an  Gewicht  zulegen  miissen,  als  der  Gewichtsverlust  des  cintauchenden  Glaskbrpers 
betrug;  da  dieser  gleich  ist  dem  Gewichte  des  von  dem  Glaskorper  verdrangten 
Flussigkeitsvolumens,  so  erfahrt  man  in  dem  zur  Wiederherstellung  des  Gleich  - 
gewichtes  erforderlichen  Zulegegewichte  das  Gewicht  des  dem  Volumen  des  Glas- 
korpers gleichen  Flussigkeitsvolumens.  Fiihrt  man  nun  mit  demselben  Glaskorper, 
nachdem  man  ihn  entsprechend  gereinigt  hat,  in  gleicher  Weise  eine  Bestimmung 
des  Gewichtsverlustes  aus,  den  er  in  reinem  Wasser  erleidet,  so  erfahrt  man  das 
Gewicht  des  gleichen  Volumens  Wasser  und  hat  sonach  die  zur  Berechnung  des 
spec.  Gewichtes  der  zu  untersuchenden  Flussigkeit  erforderlichen  Daten. 

Dasselbe  Verfahren  ist  anwendbar  zur  Bestimmung  des  spec.  Gewichtes 
fester  Korper,  soferne  man  dieselben  in  Stuckchen  verwenden  kann,  welche  sich 
entweder  directe  mittels  eines  Fadens  an  dem  Hakchen  der  kiirzeren  Wagschale 
befestigen  oder  in  einem  an  demselben  aufgehangten  Tauchschalchen  (aus  feinem 
Platindrahtnetz  o.  dgl.)  in  die  Fliissigkeit  eintauchen  lassen.  Man  bestimmt 
zunachst  mbglichst  genau  das  absolute  Gewicht  des  betretfenden  festen  Korpers 
und  sodann  die  Grosse  des  Gewichtsverlustes,  welches  er  beim  Eintauchen  in 
reines  Wasser  (oder,  falls  er  von  demselben  gelbst  oder  angegriffen  wiirde,  eine 
andere  Flussigkeit)  erleidet,  und  hat,  da  der  gefundene  Gewichtsverlust  (Wasser 
als  Tauchriiissigkeit  vorausgesetzt)  dem  Gewichte  des  gleichen  Volumens  Wasser 
entsprieht,    ebenfalls    wieder    alle   zur    Berechnung    des  spec.  Gewichtes  erforder- 


Gewiclit  specifisches.  78 1 

lichen  Daten.  Dass  man  bci  Ausf'iihrung  derartiger  Versuche  sehr  sorgfaltig 
darauf  zu  acliten  hat,  dass  der  feste  Korper  vollstandig  in  die  Fliissigkeit  taucht 
und  keinerlei  Luftblaschen  an  demselben  haften,  bedarf  wolil  keiner  Erftrterung, 
ebenso  wie  es  begreiflich  ist,  dass  die  so  ermittelten  spec.  Grewichte  nur  dann 
richtig  sein  konnen,  wenn  das  Volumen  des  zur  Aufhangung  benlitzten  Padens 
oder  Drahtes  im  Verhaltnisse  zum  Volumen  des  festen  Korpers  verschwindend 
klein  und  also  zu  vernachlassigen  ist,  was  nur  dann  der  Fall  sein  wird,  wenn 
man  sehr  feine  Faden  (oder  liaardiinnen  Draht)  verwendet.  Fiir  Korper,  welche 
leichter  sind  als  Wasser  und  die  demnach  im  Wasser  nicht  untertauchen,  muss 
man  entweder  Fliissigkeiten  von  entsprechend  geringerer  Dichte  verwenden  oder 
man  muss  sie  gemeinschaftlich  mit  einem  zweiten  schwereren  Korper,  dessen 
Grewichtsverlust  fiir  sich  allein  man  vorher  bestimmt  hat,  in  die  Fliissigkeit 
eintauchen. 

An  Stelle  einer  gewohnlichen  hydrostatischen  Wage  kann  man  sich  audi  besonders 
eingerichteter  Wagen  bedienen,  wie  solche  z.  B.  von  Mohr,  von  Zenger  in  Prag  u.  A.  an- 
gegeben  worden  sind.  Die  erstere  ist  eine  ungleicharmige  Wage,  welche  am  Ende  des 
langeren  Armes  ein  an  einem  diinnen  Platindrahte  aufgehangtes  cylindrisches  Glaskorperchen 
tragt  (das  gewohnlich  gleichzeitig  als  Thermometer  dient),  wahrend  an  dem  kiirzeren  Arme 
ein  fixes  Ausgleichsgewicht  die  Gleichgewichtslage  herstellt.  Der  Abstand  des  Aufha'ngepunktes 
des  Glaskorpers  von  dem  Drehungspunkte  des  Wagbalkens  ist  durch  eine  auf  dem  langeren 
Arme  angebrachte  Scala  in  10  gleiche  Theile  getheilt,  und  die  9  Theilstriche  sind  von  dem 
Drehungspunkte  gegen  das  Ende  des  Armes  zu  mit  den  Ziffern  1 — 9  bezeichnet.  Die  zur 
Ausfiihrung  der  Bestimmungen  erforderlichen  Gewichte,  von  denen  4  Stuck  vorhanden  sind, 
sind  Reitergewichte  und  so  bemessen,  dass  zwei  derselben  genau  das  Gewicht  des  durch  den 
Glaskorper  verdrangten  Wassers  reprasentiren,  wahrend  das  Gewicht  des  3ten  J/J0,  des  4ten 
Vr00  dieses  Gewichtes  betriigt.  Wird  man  nun  den  Glaskorper  in  eine  Fliissigkeit  tauchen, 
welche  schwerer  ist  als  Wasser,  und  hangt  das  eine  der  schwersten  Gewichte  unmittelbar  am 
Aufhangepunkte  des  Glaskorpers  auf,  so  wird  sich  zunachst  als  erste  Ziffer  des  zu  ermittelndeu 
spec.  Gewichtes  —  1  ergeben,  wahrend  die  Wage  noch  nicht  im  Gleichgewichte  steht.  Um  nun 
das  Gleichgewicht  herzustellen,  bringt  man  zunachst  das  zweite  der  schwersten  Gewichte  auf 
den  langeren  Arm  nnd  verschiebt  dasselbe  so  lange  auf  demselben,  bis  Gleichgewicht  herrscht. 
Fallt  der  Aufhangepunkt  des  Eeitergewichtes  hiebei  genau  mit  einem  Theilstriche  der  Scala 
zusammen,  so  gibt  die  Ziffer  desselben  genau  die  Zehntel  des  zu  ermittelnden  spec.  Gewichtes 
an.  Fallt  der  Aufhangepunkt  jedoch  zwischen  zwei  Theilstriche,  so  schiebt  man  das  Reiter- 
gewicht  auf  den  Theilstrich  von  niedrigerer  Nummer,  die  man  nun  als  Zehntel  des  spec. 
Gewichtes  ansetzt,  zuriick,  setzt  das  dritte  Gewicht  auf  und  verschiebt  dasselbe  ebenfalls 
wieder  so  lange,  bis  Gleichgewicht  herrscht,  wobei  die  Nummer  des  Tkeilstricb.es,  mit  welchem 
der  Aufhangepunkt  zusammenfallt,  genau  die  Hundertstel  des  spec.  Gewichtes  angibt,  wahrend 
man  endlich  fiir  den  Fall,  als  der  Aufhangepunkt  dieses  Gewichtes  in  der  Gleichgewichtslage 
der  Wage  zwischen  zwei  Theilstriche  fiele,  durch  Anwendung  des  4ten  und  kleinsten  Ge- 
wichtes die  Ziffer  der  Tausendstel  des  spec.  Gewichtes  ermittelt.  Wiirde  z.  B.  in  einem  ge- 
gebenen  Falle  das  grosste  Gewicht  auf  dem  Theilstriche  7,  das  kleinere  auf  dem  Theilstriche  4 
und  das  kleinste  auf  dem  Theilstriche  3  hangen  miissen,  damit  Gleichgewicht  herrscht,  wahrend 
das  zweite  der  grossten  Gewichte  an  dem  Aufhangepunkte  des  Glaskorpers  aufgehangt  ist, 
so  entsprache  das  einem  spec.  Gew.  =  1-743.  Bei  der  Priifung  von  Fliissigkeiten,  welche 
von  geringerem  spec.  Gewichte  sind  als  Wasser,  bleibt  das  Verhiiltniss  dasselbe,  nur  entfallt 
die  Belastung  des  Aufhangepunktes  des  Glaskorpers,  so  dass  sich  dann  als  erste  Stelle  der 
zu  ermittelnden  spec.  Gewichtszahl  0  ergibt,  wahrend  der  Werth  der  drei  iibrigen,  nun  allein 
in  Verwendung  kommenden  Reitergewichte  derselbe  bleibt  wie  friiher.  Ware  z.  B.  bei  der 
Priifung  eines  Alkohols  zur  Herstellung  des  Gleichgewichtes  noting  gewesen,  das  grosse  Ge- 
wicht auf  den  Theilstrich  9,  das  nachst  kleinere  auf  den  Theilstrich  6,  das  kleinste  auf  den 
Theilstrich  5  zu  setzen,  so  entsprache  das  einem  spec.  Gewichte  =  0*965.  Wie  man  einsieht, 
gewahrt  diese  Einrichtung  der  Wage  den  Vortheil,  dass  bei  Bestimmung  des  spec.  Gewichtes 
nicht  nur  alle  Rechnung  erspart  bleibt,  sondern  dass  man  audi  verkaltnissniassig  rasch  ein 
bei  Beriicksichtigung    der    erforderlichen  Vorsichten    bis  in    die    dritte  Decimalstelle    richtiges 


782  Gewicht  specifisches. 

Eesultat  erhalt.  Wagen  soldier  Art,  welche  in  besonders  ernpfehlenswerther  Ausfiihrung 
Mechaniker  Westphal  in  Celle  (Hannover)  herstellt,  haben  iibrigeus  auch  den  Vortheil,  dass 
verhaltnissmassig  wenig  Fliissigkeit  (4 — 5cc)  zu  einer  Bestimmung  geniigt. 

Die  Einrichtnng  der  Zenger'schen  Wage  (Tangenten-  Wage),  welche  vom  Mechaniker  F. 
Boschek  in  Frag  in  sehr  exacter  Ausfiihrung  geliefert  wird,  nahert  sich  im  Allgemeinen  der 
einer  gewbhnlichen  hydrostatischen  Wage,  doch  wird  die  Grosse  des  Gewichtsverlustes  nicht  durch 
Aufgeben  von  Gewichten,  sondern  nach  der  Grosse  des  AnsschlagSAvinkels  bemessen,  den  der 
aus  seiner  Gleichgewichtslage  gebrachte  Wagbalken  beschreibt.  Mit  Hilfe  von  Tabellen  lasst 
sich  sodann  das  dem  jeweiligen  Ausschlagswinkel  entsprechende  spec.  Gew.  angeben  (vgl. 
Phil.  Mag.  (4),  41  pag.  443).     Ueber  andere  besondere  Constructionen  s.  a.  d.  Art.  Wage. 

Von  dem  zweiten  oben  angefiihrten  hydrostatischen  Lehrsatze  —  „das  Ge- 
wicht des  von  einem  schwimmenden  Kbrper  verdrangten  Fliissigkeitsvolumens  ist 
gleich  dem  Gesammtgewichte  des  schwimmenden  Korpers"  —  macht  man  An- 
wendung  bei  der  Bestimmung  des  spec.  Gewichtes  mit  Hilfe  der  Araometer, 
von  welchen  man  bekanntlich  (s.  d.  I  pag.  180),  je  nachdem  sie  zur  Bestimmung 
des  Volumens,  bis  zu  welcliem  sie  einsinken,  eingerichtet  und  dann  mit  einer 
Scala  versehen  sind,  oder  aber  durch  Zulegen  von  Gewichten  jeweilig  bis  zu 
einer  bestimmten  Marke  eingesenkt  werden  miissen,  Volum-  (oder  Scalen-)  Arao- 
meter  und  Gewichtsaraometer  unterscheidet.  Eine  andere  Anwendung  von  dem- 
selben  Lehrsatze  macht  man  bei  der  Bestimmung  der  spec.  Gewichte  von  Fliis- 
sigkeiten  in  solchen  Fallen,  wo  man,  wie  in  schmelzenden  Korpern,  erhitzten 
Fliissigkeiten  u.  dgl.  in.,  nicht  ohne  Weiteres  von  einer  der  anderen  Methoden 
Anwendung  machen  kann.  Man  verwendet  dann  kugelformige  Korperchen  von 
verschiedener  Grosse  aus  Glas  oder  Metall,  deren  Grosse  im  Verhaltnisse  zu 
ihrem  Gewichte  so  bemessen  ist,  dass  jedes  derselben  einem  bestimmten  spec. 
Gewichte  entspricht,  beziehungsweise  nur  in  einer  Fliissigkeit  schwimmt,  von 
welcher  ein  dem  Korperchen  gleiches  Volumen  dasselbe  Gewicht  hat  wie  das 
Korperchen  selbst.  Bringt  man  mehrere  solclie  Korperchen,  auf  welchen  die 
ihnen  entsprechenden  spec.  Gewichte  eingezeichnet  sind,  in  eine  zu  untersuchende 
Fliissigkeit,  und  sieht  zu,  welches  derselben  sich  in  der  Fliissigkeit  eben  schwim- 
mend  erhalt,  so  gibt  das  Korperchen  directe  das  spec.  Gewicht  der  Fliissigkeit  an. 
Fiir  die  Bestimmung  spec.  Gewichte  von  Gasen  und  Dampfen,  fur  welche  sich 
allerdings  auch  die  erwahnten  hydrostatischen  Principe  mit  entsprechenden  Modifi- 
cationen  anwenden  lassen,  hat  man  ausser  der  oben  angegebenen  Methode  ebenfalls 
andere  Verfahrungsarten  in  Anwendung  gebracht.  So  lasst  sich  aus  der  Ge- 
schwindigkeit,  mit  welcher  zwei  Gase  unter  gleichen  Druck-  und  Temperatur- 
verhaltnissen  aus  einer  Oeffnung  von  bestimmter  Grosse  ausstromen,  das  Ver- 
haltniss  ihrer  spec.  Gewichte  ermitteln,  ebenso  ist  hierzu  die  Bestimmung  der 
Diffusionsgeschwindigkeit  zweier  Gase  geeignet  (vgl.  II.  pag.  626).  Mach  und 
Gintl  haben  ubrigens  auch  versucht,  aus  der  Tonhohe,  welche  besonders  con- 
struirte  Pfeifen  beim  Anblasen  mit  verschiedenen  Gasen  und  Dampfen  geben,  die 
spec.  Gewichte  der  Gase  und  Dampfe,  namentlich  auch  gesattigter  Dampfe  auf 
eine  beip-ieme  Art  zu  bestimmen,  doch  sind  die  Versuche  bisher  noch  nicht  zum 
Abschlusse  gebracht.  ^Ausfiihrliches  iiber  spec.  Gewichtsbestimmung  s.  in  physi- 
kalischen  Handbiichern.) 

Da  das  spec.  Gewicht  eines  Korpers  das  Verhaltniss  seines  absol.  Gewichtes 
zu  seinem  Volumen  angibt,  so  ist  klar,  dass  sich  alle  Angaben  uber  spec.  Ge- 
wichte auf  bestimmte  Temperaturen  beziehen  miissen,  wenn  sie  einen  Werth  haben 
sollen,  da  ja  jede  Aenderung  der  Temperatur  eine  Aenderung  des  Volumens  be- 
dingt.  Kami  man  bei  festen  Korpern,  wenn  man  nicht  ausserhalb  der  Grenzen 
gewbhnlicher  Temperaturverhaltnisse  die  Bestimmung  ihrer  spec.  Gew.  vorgenom- 
men  hat,  die  Temperaturangabe  wegen  der  innerhalb  enger  Temperaturgrenzen 
nur  unbedeutenden  Volumsanderung  auch  vernachlassigen,  so  muss  man  dagegen 
bei  Fliissigkeiten  und  insbesondere  bei  Gasen  stets  genau  die  Temperatur,  bei 
Gasen  uberdies  auch  den  Druck  (Barometerstand)  angeben,    auf  welche    sich  das 


Gewicht  speciiisches.  —  Gewolbe.  783 

spec.  Gewiclit  bezielit.  Gewohnlich  pflegt  man  iibrigens  die  .spec.  Oewiclite  vou 
Gasen  auf  0°  C.  und  760rara  Barometerhohe  zu  beziehen  (vgl.  iibrg.  a.  bi  elite  II 
pag.  622).  -  Gtl. 

Gewichte,  s.  Masse. 

Gewinde  (filet  —  -worm),  Schraubengewinde,  s.  Schrauben. 

Gewindebohror,  s.  Schrauben-Erzeugung. 

Gewindestahl,  s.  Schrauben-Erzeugung. 

Gewolbe  (voute  —  vault)  ist  die  Ueberdeckung  ernes  Raumcs  entweder 
durch  keilformig  gestaltete  Steine,  welche  so  zusammengesctzt  werden,  dass  jeder 
einzelne  vermoge  seiner  Form  und  Lage  von  den  benaebbarten  Steinen  an  einer 
Bewegung  gehindert  wird,  oder  durch  eine  auf  einem  eingeschalten  Formgerfist 
aufgegossene  breiartige  Masse,  welche  bald  erhartet  und  ein  festes  Gauzes  bildet 
(Gussgewolbe.) 

Die  Ueberdeckung  von  Oeffnungen .  in  Mauern  durch  Gewolbe  nennt  man 
Mauerbogen. 

I.  Benennungen  der  wichtigsten  Theile  eines  Gewolbes.  — 
Fig.  1767.  W  Widerlager,  sind  die  Begrenzungsmauern,  welche  dem  Gewolbe 
als  Stiitze  dienen;  S  Gew 61b stir n,  ist  der  dem  Beschauer  sichtbare  Querschnitt 
des  Gewolbes,  J  Gewolbleibung  (Intrados),  ist  die  innere  Flache  des  Ge- 
wSlbes,  E  Gewolbriicken  (Extrados)  heisst  die  aussere  Flache  des  Gewolbes. 
x  Gewolbachse  (in  der  Figur  die  Achse  des  halben  Cylinders)  ist  die  Linie, 
welche  bei  der  Erzeugung  der  G.  Leibung  vom  Mittelpunkt  des  Bogens  durch- 
laufen  wird,  as  b  Bogenlinie,  s  Scheitelpunkt,  als  hochster  Punkt  der 
Bogenlinie;  Scheit  el  linie,  die  vom  Scheitelpunkt  bei  Erzeugung  der  Leibungs- 
flache  beschriebene  Linie  ;  Gewolbfuss,  G.  Anfang,  Kampfer,  heisst  der  unterste 
auf  clem  Widerlager  ruhende  Theil  des  Gewolbes.  Die  Durcbschnittslinien  der 
Leibung    mit    der  Widerlagsflache  heissen  An- 

laufs-    oder  Kampferlinien.     Anfangs-  u. 

Endpunkt    der    Bogenlinie    heissen    Anlaufs-  jp-      jjqj 

punkt e.  Gewolbweite,  Spannweite  ai 
ist  die  Entfernung  der  zu  einander  gehorigeii 
Anlaufspunkte.  Gewolbhohe,  Pfeilhohe 
x  s  ist  die  grosste  rechtwinklige  Ordinate  von 
der  Spannweite  bis  zur  Bogenlinie.  Gewolb- 
scbenkel  sind  die  Theile,  in  welche  eine 
lothrechte  Ebene,  durch  die  Scheitellinie,  das 
Gewolbe  zerlegt.  Fallt  eine  Kampferlinie  mit 
der  Scheitellinie  zusammen,  so  entsteht  ein  e  i  n- 
schenkliges  Gewolbe.  Der  in  einem  Quer- 
schnitt im  Scheitel  befindliche  Gewolbstein  ist 
der  S  chlussste  in,  die  am  Anlauf  liegenden 
heissen  die  Anfanger  oder  Kampfer  steine. 

Die  Gewolbstarke  wird  durch  die  Lange  der  Gewolbfugen  an  der  Stirnflache 
gemessen.  Diese  Fugen  stehen  normal  auf  den  zugehorigen  Bogenelementen  and 
ihre  Verlangerungen  fiihren  zu  dem  Mittelpunkte  des  Bogens. 

Hintermauer ung  ist  das  Mauerwerk  zur  Ausfiillung  des  Zwickels 
zwischen  dem  Gewolbriicken  und  Widerlager. 

II.  Art  en  der  Gewolbe.  Man  bezeichnet  dieselben 
A)  N  a  c  h  der  Form  der  Bogenlinie. 

1.  Halbkreisformiges,  voiles  oder  Rundbogengewolbe. 


784  Gewolbe. 

2.  Elliptisches  Gewolbe,  gedriickt  und  iiberhbht.  Ein  Gewolbe  heisst  im 
Allgemeinen  gedriickt,  wenn  die  Pfeilhohe  kleiner  ist  als  die  halbe  Spannweite. 
An  Stelle  der  Ellipse  wird  gewbhnlich  ein  sog.  Korbbogen,  ein  der  Ellipse 
ahnlicher,  aus  Kreisbogen  zusammengesetzter  Bogen,  angewendet. 

3.  Parabolisches  Gewolbe,  wenn  der  Bogen  eine  Parabel  ist. 

4.  Segmentfbrmiges,  Stichbogen-  oder  flaches  Gewolbe,  wenn  die  Bogen 
linie  ein  Kreisseginent  ist. 

5.  Spitzbogiges  oder  gothisches  Gewolbe,  aus  zwei  Segmenten. 

6.  Scheitrechtes  Gewolbe,  wenn  die  Gewolblinie  eine  Gerade  ist. 

B)  Nach  der  Form  der  Gewolbflachen.  Diese  Unterscbeidung  ist  die 
wesentlicbste. 

1.  Tonnengewolbe,  Fig.  1767.  Dasselbe  entsteht  durcb  Fortbewegung 
einer  Bogenlinie  nach  der  Richtung  einer  andern  Linie,  der  Achse.  Ist  die  Achse 
gerade,  horizontal  und  senkrecht  auf  der  Ebene  der  Bogenlinie,  so  entstebt  das 
gerade  Tonnengewolbe;  ist  die  Achse  geneigt  zur  Ebene  der  Bogenlinie,  so  ent- 
steht das  schiefe  Tonnengewolbe. 

Bei  kreisformiger  Achse  entsteht  das  ringfbrmige  Tonnengewolbe,  bei 
gerader  und  ansteigender  Achse,  —  die  steigende  Tonne,  und  ist  die  Achse 
schraubenformig  —  das  Schneck  en  gewolbe  oder  die  schraubenformige  Tonne. 
Denkt  man  sich  ein  Tonnengewolbe  Tiber  einem  rechteckigen  Raum  durch  zwei 
diagonal  gestellte  lothrechte  Ebenen  geschnitten,  so  entstehen  vier  Theile;  die, 
welche  Anlaufspunkte  und  Scheitellinien  haben,  heissen  Kappen  (k),  die  mit  An- 
laufslinien  und  Scheitelpunkt  heissen  Wangen  (w).  Aus  diesen  Elementen  lassen 
sich  noch  andere  weiter  unten  erbrterte  Gewblbformen  zusammenstellen.  Die  Be- 
zeichnung  des  Tonnengewblbes  geschieht  im  Grundriss  durch  Einzeichnung  der 
umgeklappten  Bogenlinie  des  Gewblbes.  Durchdringt  eine  kleine  Tonne  ein  zweites 
Tonnengewolbe,  so  nennt  man  die  erstere  Stichkappe  Fig.  1767.  Kurze kraftige 
Tonnen,  welche  entweder  zur  Verstarkung  eines  Gewblbes  oder  zum  Tragen  von 
Mauern  oder  als  Widerlager  dienen,  nennt  man  Gurten  und  bezeichnet  sie 
demnach  als  Verstarkungsgurte,    Traggurte,  Widerlagsgurte. 

Ausfiihrung  der  Tonnen -Gewolbe.  Um  iiberhaupt  ein  Gewolbe  aus- 
zufuhren,  sind  mit  wenig  Ausnahmen  Lehrgeriiste  nothwendig,  d.  s.  provisorisch  aufge- 
stellte  Holzconstructionen,  welche  die  Form  der  Leibungsflache  des  Gewblbes  entweder 
ganz  oder  theilweise  bilden.  Man  unterscheidet  ferner  die  Ausfiihrung  nach  dem 
Material  1.  aus  Werksteinen,  2.  aus  Ziegeln,  3.  aus  Cement  oder  Betonmbrtel 
(sog.  Gussgewblbe). 

Bei  der  Ausfiihrung  des  Tonnengewblbes  mit  Werkstiicken  werden 
die  Steinschichten  parallel  zur  Achse  in  Verband  gesetzt;  die  Herstellung  erfordert 
ein  Lelirgeriist  mit  vollstandiger  Einschalung.  Die  Verstarkung  des  Gewblbes 
gegen  das  Widerlager  findet  im  Allgemeinen  nach  einer  krummen  Linie  statt. 
Siehe  audi  weiter  unten  :  Starke  des  Gewblbes. 

Bei  der  Herstellung  aus  Ziegeln  unterscheidet  man  drei  verschiedene 
Einwblbungsarten : 

Erstens  Anordnung  der  Schaaren,  wie  mit  Werkstiicken  Fig.  1767  die  vordere 
Kappe.  Zweitens  die  Moller'sehe  Einwblbungsait.  Die  Schaaren  werden  senkrecht  zur 
Achse  in  Verband  gelegt.  Man  benbthigt  in  diesem  Falle  nur  verscbiebbare  Lehr- 
bogen  und  keine  vollstandige  Verschalung,  da  jeder  ausgefiihrte  Bogen  sich  selbst  erhalt. 
Drittens  die  Schwalbenschwanzfbrmige  Einwblbung.  Man  beginnt  aus  den  Ecken  und 
legt  die  Schaaren  unter  45°  gegen  die  Achse  gerichtet :  die  Schichten  treffen  in 
der  Scheitellinie  zusammen  und  greifen  schwalbenschwanzfbrmig  in  einander. 
Fig.  1767  die  hintere  Kappe.  Hier  wirken  sammtliche  Umfassungsmauern  als 
Widerlager  und  man  benbthigt  ebenfalls  keine  vollstandige  Einschalung.  Die  Ver- 
starkung der  Ziegelgewblbe  gegen  das  Widerlager  geschieht  absatzweise,  zu  15cm 
(V2  Ziegellange).  Als  Widerlager  fiir  Tonnengewolbe  dienen  entweder  voile  Mauern, 
oder  Widerlagsgurten  oder  eiserne  Trager.     Das  Widerlager  muss  zur  Aufnalime 


Gewolbe 


1768. 


Fig.  1769. 


des  Gewolbes  entsprccliend  vorbereitet  werden.  Man  unterscheidet  e  i  n  g  p  r  i  n  g  e  n  d  e 
Widerlagev,  wenn  in  der  Mauer  entsprechende  Rinnen  hergestellt  werden,  und  ane- 
springende  Widerlager,    wenn  durch  Vorragen    der  Mauersteine,    das  Anflager 
fur  den  Gewolbfuss    vor  die   Mauerflucht    heryortritt.     Bei 
starken    Gewolben   werden    em-   und  ausspringende  Wider- 
lager   combinirt,    Fig.   1768    rechts  ;    oder  die  Widerlager 
absatzweise  angeordnet,  Fig.   17G8  links.     Lange    Tonnen- 
gewolbe  erhalten  in  gewissen  Abstanden  Verstiirkungsgurten  ; 
dieselben  sind  entweder  an  der  Leibungsflache  sichtbar  oder 
sog.  versteckte  Gurten,  wenn  die  Verstarkung  riur  im  Riicken 
des  Gewolbes  stattfindet.  Die  Anordnung,    wenn  ein  Eaum 
durch    Quergurten    (oder    eiserne    Trager)    in    kleine  recht- 
eckige  Felder  eingetlieilt  wird,  welche  mit  flachen  Tonnen 
gewolbt    werden,    bezeichnet    man  mitunter  als  preussische 
Kappengewolbe. 

Herstellung  aus  Cement-Beton.  Die  Aus- 
fiihrung  dieser  Gewolbe  erfordert  selbstverstandlich  eine 
vollstandige  Eingeriistimg  nach  der  Gewolbform.  Um  den 
Seitenscbub  auf  die  Widerlager  aufzubeben,  empfiehlt  Lie- 
bold*)  ein  horizontales  Auflager  clem  Gewolbe  zu  geben, 
Fig.  1769,  d.  h.  das  Gewolbe  als  Platte  aufzufassen,  was 
keinen  Schwierigkeiten  unterliegt,  da  nach  dem  Erharten 
das  Gewolbe  ein  vollstandiges  Ganze  bildet.  Bei  der  Aus- 
fiihrung  ist  nur  so  viel  Material  herzustellen,  als  conti- 
nuirlich  verarbeitet  werden  kann;    die  gleichmassig  ausge- 

breitete  Masse  wird  mit  leichten  Handrammen  gestampft  und  comprimirt.  Man 
hat  auf  die  dadurch  entstehende  Schwindung  Riicksicht  zu  nehmen  und  beim  Auf- 
tragen  die  Masse  entsprechend  zu  vermehren.  Ein  gewohnlicher  Cementbeton  lasst 
sich  circa  um  V4 —  '/3  der  Hohe  comprimiren.  Die  Ausriistung  kann  nach  circa 
4  Wochen  geschehen. 

2.  Kreuzgewolbe.  Fig.  1770,  welche 
ein  spitzbogiges  Kreuzgewolbe  darstellt,  entsteht 
durch  die  Zusammensetzung  so  vieler  Kappen 
von  gleicher  Pfeilhohe,  als  der  zu  uberwolbende 
Raum  Umfangsseiten  hat.  Bei  einem  recht- 
eckigen  Grundriss  kann  man  audi  sagen,  dass 
das  Kreuzgewolbe  aus  der  Durchdringung  zweier 
Tonnengewolbe  von  gleicher  Pfeilhohe  entsteht. 
Die  Duchschnittslinien  der  Kappen  heissen  Grate 
und  die  Flachen  an  demselben  bilden  einen 
einspringenden  Winkel.  Werden  die  Grate  aus 
der  Gewolbflache  vortretend  ausgefiihrt  und  pro- 
filirt,  so  nennt  man  sie  Rippen.  Ist  der  Grund- 
riss unregelmassig,  so  wird  der  Scheitel  vertical 
iiber  dem  Schwerpunkt  der  Grundrissfigur  an- 
genommen. 

Sind  die  Scheitellinien  der  einzelnen  Kappen  gerade  und  horizontal,  so 
entsteht  das  gerade  Kreuzgewolbe,  —  bei  gerader  aber  ansteigender  Scheitel- 
linie,  Kreuzgewolbe  mit  gerader  S  tec  hung,  —  bei  krummliniger  Schoirellinie. 
Kreuzgewolbe  mit  bogenformiger  Stechung.  Haben  im  letzteren  Fall  die 
Scheitellinien  der  Kappen  im  Scheitel  des  Gewolbes  eine  gemeinschaftliche.  hori- 
zontale  Tangente,  so  entsteht  das  sog.  spharische  Kreuzgewolbe  Fig.  1770. 
Werden  die  Gewolbfelder  eines  einfacheii  Kreuzgewolbes    durch  Rippen   abermals 


1770. 


*)  Liebold.     Der  Cement  in  seiner  Verwendun 
K.irmarsch  &  Heeren,  Technisches  Worterbueh.  Bel.  III. 


im  Hochbau  etc. 


Halle.  Knapp.  1875. 
50 


786 


Gewolbe. 


gegliedert 
des  Ster 
sternformi 


Fia.  1771. 


and  diese  neu  entstandenen  Felder  selbststandig  ausgefiihrt,  so  entsteht 
ngewolbe  (Liernen-Gewolbe).  Die  Rippen  bildeii  ini  Grundriss  zurneist 
ge  Figuren,  daher  der  Name  fiir  das  Gewolbe,  siehe  Fig.  1771. 

Die  Au sfiih rung  geschieht:  a)  Aus 
Werkstiicken  auf  zweierlei  Art.  1 .  Die 
einzelnen  Kappen  werden  wie  beim  Tonnen- 
gewolbe  hergestellt  mid  es  ergeben  sich  auf 
diese  Weise  besondere  Gratsteine,  welehe 
in  beide  zugehorigen  Kappen  eingreifen.  Der 
Schlussstein  muss  seibstverstandlich  mit  alien 
Kappen  in  Verband  gesetzt  werden.  2.  Die 
Grate  werden  selbstandig  als  Rippen  con- 
struct und  die  zwischen  denselben  befindlichen 
Gewolbfelder  separat  mit  Werksteinen  oder 
Ziegeln  eingewolbt.  Es  treten  die  Rippen  als 
Widerlager  auf  und  muss  daher  das  Profil  der 
Rippeusteine  darnach  gewahlt  werden.  Beim 
Sterngewolbe  unterscheidet  man  Hauptrippen 
und  Zwisclienrippen  (Nebenrippen) ,  welehe 
die  Hauptgewolbfelder  in  Unterabtheilungen 
theilen. 

b)    Herstellung     aus    Ziegeln.     Hier    unterscheidet    man    auch    zwei 

Arten.     1.    Einwolbung   auf  den  Kuf.     Die  Ziegelschaaren    werden    parallel 

zur    Achse    der    Kappen    gelegt.     An  den  Graten    iibergreifen    die    Ziegel    in  die 

anstossende  Kappe  und  miissen  daher  entsprechend  zugehauen  werden    Fig.  1772 

bei  a.     2.    Einwolbung    auf    den  Schwalbenschwanz, 

welehe  zurneist  angewendet  wird.     Fig.    1772    bei  b.     Die 

Ziegelschaaren    werden    senkrecht   zur  Gratlinie  gelegt  und 

nach     derselben    erhalt     das    Gewolbe    Verstarkungsgurten 

(Kreuzgurten,    Diagonalgurten).     Gewolbe  und  Kreuzgurten 

werden  in  Verband  hergestellt.  In  den  Scheitellinien  greifen 

die  Schaaren  schwalbenschwanzartig  in  eiiiander ;  diese  Her- 

stellungsart  erfordert  nur  Aufstellung  von  Lebrbogen. 

3.  Kloster gewolbe  kaun  man  sich  entstanden 
denken  durch  die  Zusammensetzung  so  vieler  Gewolb- 
wangen;  als  der  zu  iiberwolbende  Raum  Umfangseiten  hat. 

4.  M  u  1  d  e  n  g  e  w  o  1  b  e,  wegen  der  Aehnlichkeit  mit 
einer  Mulde  so  genannt.  Der  rechteckige  Grundriss  wird 
in  der  Richtung  der  Langseiten  mit  einer  Tonne  iiber- 
spannt,  welehe  an  den  Schmalseiten  durch  Gewblbwangen 
begrenzt  wird.  Die  Ausfiihruug  des  Kloster-  und  Mulden- 
gewolbes  erfordert  Lehrbogen  und  vollstandige  Verschalung. 

Die  Anordnnng    der   Ziegelschaaren   ist    entsprechend    der  Ricbtung  der   einzelnen 
Wangen. 

5.  Spiegelge wolbe.  Nach  alien  Umfassungswanden  zu  Gewolbwangen, 
in  der  Mitte  jedoch  ein  scheitrechtes  Gewolbe  (der  Spiegel).  Bei  der  Fugen- 
anordnung  des  scheitrechten  Gewolbes  wird  immer  ein  Segmentbogen  zu  Grunde 
gelegt,  welcher  eine  Pfeilhuhe  von  ca.  '/Ifi  der  Spannweite  erhalt.  Das  Gewolbe 
selbst  wird  nach  Art  eines  sehr  flacheu  Platzel-  oder  Klostergewolbes  ausgefiihrt. 
Der  mit  eiuem  scheitrechten  Gewolbe  zu  iiberdeckende  freie  Raum  darf  hochstens 
3m  Spannweite  besitzen.  Durch  Anwendung  von  Eisentragern  als  Widerlager  ist 
die  Ausfiihruug  iiber  grcissere  Riiume  sehr  erleichtert. 

G.  Konisches  Gewolbe,  hat  die  Form  eines  abgestutzten  halben  Kegels, 
nach   dessen  Spitze  die  Ziegelschaaren  gerichtet  sind. 


Fig.  1772 


t>  .--•     •' 


GeWolb 


7.-7 


7.  Kxtp.p elgewolb e.  Die  Grrundrissform  1st  eine  geschlossene  Curve, 
gewohnlich  ein  Kreis.  Dariiber  wird  entweder  eine  Halbkugel  gespannt  (rolle 
Kuppel),  ein  Rotations-Ellipsoid  oder  Paraboloid.  Letztere  geben  ttberbiJhte 
Kuppeln.  Besteht  die  Ueberwolbung  nur  aus  einem  Theil  einer  volleu  Kuppel 
(Kugelkappe),  so  heisst  es  flache  Knppel.  Bei  der  Herstellung  werden  die 
Steine  in  horizontalen  Ringen  zusammengesetzt  rait  central  gerichteten  GrewJJlb- 
fngen.  Jeder  geschlossene  Ring  halt  sich  selbst,  daher  kdnnen  die  Gewdlbe  ira 
Scheitel  offen  sein;  man  nennt  dann  den  obersten  Steinring  Nab  el.  Wird  die 
Oeffnung  zum  Zwecke  der  Belenchtnng  gelassen,  so  kommt  noch  ein  thurrnartiger 
Aufbau  dariiber,  die  sog.  L  at  erne. 

Zur  Benrtheilung  der  imposanten  Dimensionen  zur  Ausftihrung  gelangter 
Kuppeln  seien  einige  Beispiele  erwahnt: 

Pantheon  in  Rom  43m  Durchmesser  im  Lichten,  vollendet  25  Jahre  naeh  Christi, 
Sophienkirche  in  Constantinopel  31.4mDurchm.  im  Lichten,  vollend.  537  n.  Chr., 
Santa  Maria  del  Fiore  in  Florenz  43™  „ 
Peterskirche  in  Rom  41. 4m  Durchmesser 
Set.  Paulskirche  in  London  30. 5m  Dnrchm. 


im   Lichten,    vollendet 


1434 
1563 
1710 


1774. 


8.  Platzelgewolbe.  a)  Bohmisches 
Platzelgewolbe.  Fig.  1773.  Dasselbe  kann 

man  sich  aus  einer  Kuppel  entstanden  denken,  Fig.  1773. 

welche  durch  verticale  Ebenen  nach  den  Seiten 
der  Grundrissfigur  gesclmitten  wird ;  der  inner- 
halb  der  Ebenen  liegende  Theil  des  Gewolbes 
bildet  das  bohm.  Platzel.  Die  Ausfuhrung 
geschieht  mit  Hilfe  von  Lehrbogen  fur  die  An- 
laufs-  und  Diagonallinien,  ohne  Verschalung. 
Man  beginnt  gleichzeitig  aus  den  Ecken  zu 
wolben,  in  Schaaren  senkrecht  zu  den  Diago- 
nallinien.  Die  Gewolbzwickel  im  Rilcken  des 
Gewolbes  werden  gleich  nach  Schluss  des   Ge-  ^l9- 

wblbes  nachgemauert. 

b)  Preussisches,  flaches,  walsches 
Platzel,  welches  sich  besonders  zur  Einwcil- 
bung  schmaler  rechteckiger  Raume  eignet.  Fig. 
1774  gibt  ein  annaherndes  Bild.  Wir  konnen 
das  Gewolbe  gebildet  denken  durch  Bewegung 
eines  Kreissegmentes  liings  eines  zweiten.  Die 
Ausfuhrung  erfordert  nur  Lehrbogen  und  ge- 
schieht entweder  von  den  Ecken  aus,  wie  beim 

bohm.  Platzel,  oder  man  legt  an  den  Schmalseiten  die  Schaaren  senkrecht  zur 
Langsachse,  die  Schaaren  des  raittleren  Theiles  senkrecht  zu  den  ausseren  Schaaren. 
wodurch  diese  verspannt  werden. 

9.  Kuppel  mit  P  e  n  d  e  n  t i  f  ist  eine  Combination  der  Kuppel  mit  dem 
bohm.  Platzelgewolbe  iiber  einem  regelmassigen  polygonalen  Raume.  Der  Ueber- 
gang  in  den  Grundkreis  der  Kuppel  wird  durch  Gewolbzwickel,  Pendentifs  (welche 
dem  bohm.  Platzel  entnommen  sind)  gebildet.  Zwischen  Pendentifs  und  der  eigenr- 
lichen  Kuppel  wird  gewohnlich  eine  ringformige  Aufmauerung  (mit  Gesimsen  ge- 
ziert  oder  mit Fensteroffnungen  versehen)  eingeschaltet,  welche  Trommel,  Ring, 
T  ambour  heisst. 

10.  Chorgewolbe  nennt  man  ein  halbes  Kuppel-  oder  Klosrergewolbe. 
nach  einer  Seite  durch  eine  verticale  Ebene  begrenzt.  Kleine  Chorgewolbe  inner- 
halb  einer  Mauerdicke  heissen  Nisch  eng  ewolbe. 

11.  Trichter-  oder  Fach  erge  wo  lb  e.  Fig.  1775.  Denken  wir  uns 
bei  einem  quadratformigen  Raum  die  halbe  Bogenlinie    um    den  zugehorigen  Eek- 

50* 


788 


Gewolbe. 


punkt  gedreht  imd  den  mittleren    durch    vier  horizontale  Viertelkreise  begrenzten 
Raum  durch  eine  flache  Kuppel   oder   nach    Art    eines  bohm.  Platzels  eingewolbt, 

so  bat  man  die  .Grundform  eines  Fachergewol- 
bes.    Die  vollstandige  Trichterform  kommt  erst 
Fig.  1775.  Zur  Geltung,    wenn  mehrere    Gewolbfelder    an- 

einander  stossen.     Der  Schlussstein  wird  durch 
eine  herabhangende  Rosette  (Zapfen)  verziert. 

III.  Starke  der  Gewolbe  undderen 
Widerlager.  Es  kann  hier  nicht  der  Ort 
sein,  die  vollstandigen  Theorien  iiber  die  Ge- 
wolbe zu  entwickeln  und  muss  auf  die  zahl- 
reiche  Literatur  in  Lehrbuchern  und  Abhand- 
lungen  verwiesen  werden.  Es  sollen  hier  nur 
im  Allgemeinen  die  Wege  angegeben  werden, 
um  fur  die  Praxis  anwendbare  Werthe  zu  er- 
halten. 

a) Die  Bestimmung  der  Scheitelstarke  geschieht  nach  empirischen  Formeln. 
Man  kann  sicli  der  Naherungsforrneln  nach  Schwarz  bedienen : 

Fur  Bogen  und  Gewolbe,  Pfeilhohe  kleiner  als   1/3  der  Spannweite,  ist 

d  =  A  -\ — -   — — y—   in  Meter. 

6o25      k  .  h 

Fiir  Bogen  und  Gewolbe,  Pfeilhohe  grosser  als  1/3  der  Spannweite,  bis 
halbkreisformige  Bogen  ist  d  r=  N  -\-  -rT-=rr  ~r-  in  Meter. 

In  den  Formeln  bedeuten:  d  Gewolbstarke 
im  Scheitel  in  Metern,  Q  Gewicht  der  Gewolb- 
halfte  sammt  Belastung  fiir  lm  Gewolbtiefe  in 
Kg.  to  Spannweite  und  h  Pfeilhohe  in  Met., 
k  die  in  der  Praxis  zulassige  Inansprucbnahme 
des  Gewolbmateriales  in  Kg.  pro  rjcm.  iVeine 
Constante  u.  z.  0.24m  fiir  stark  belastete, 
0.1 6m  fiir  mittelstark  belastete  und  0.08m  fiir 
wenig  belastete  Gewolbe. 

Fiir  halbkreisformige  Briickengewolbe,  die 

Ausfuhrung  in  Werksteinen  vorausgesetzt,  dient 

\M  die  Formel:    d  —  0.20  +  0.03  I  +  0.02  r. 

Dabei    bedeutet:    I  lichte  Weite,    r  Radius,    d 

Scheitelstarke,  alles  in  Met.  ausgedriickt. 

Unter  Voraussetzung  schon  bestimmter  Scheitelstarke    wird  die  allmalige 

Verstarkung  des  Gewblbes  gegen  die  Widerlager  a  b  nach  der  Gleichung 

7  d 

dn  r=z  

cos  q> 
bestimmt,    siehe  Fig.  1776.     Es    bedeutet    dn  die    Gewolbstarke  in  irgend  einem 
Punkt,    q   den  Winkel  der  beziiglichen  Gewolbfuge  mit  der  Lothrechten. 

b)  Nach  einfachen,  den  Resultaten  der  Ausfiihrung  annahernd  entsprechenden 
graphischen  Constructionen.  Z.  B.  nach  Rondelet  fiir  ein  segmentformiges  Ge- 
wolbe aus  Werksteinen  nach  Fig.   1776.  C  ist  der  Mittelpunkt  des  inneren  Bogens 

v 
vom  Radius  r,  M  der  des  ausseren  Bogens  und  CM  =z  —  . 


Fiq.  1776. 


Fiir   halbkreisformige    Bcigen    nimmt   man    CM  ■=. 


cj  Man  nimmt    die    Gewolbstarke   nach    Erfahrungsdaten    an  und  untersucht 
das  Gewolbe  auf  Stabilitat.     Dies    kann   geschehen:    1.  Man  nimmt  vorlaufig  an, 


Gewolbe 


789 


dass  die  Drucklinie  (Mittellinie  des  Druckes)    in    der  Mittellinie    dea  Gewdlbquer- 

schnittes  liege  Fig.  1777  und  geht  von  dem  Satze  aus,  dass  das  Moment  der 
Horizontalkraft  Q  im  Scheitel  in  Bezug  auf  den  tiefsten  Punkt  der  Drucklinie 
gleich  sein  soil  dem  Moment  der  Kraft  P  (Resultirende  der  Gesammtlast  der 
Bogenhalfte  fur  lm  Tiefe)  in  Bezug  auf  denselben  Punkt,  also  Q.  h  rr  P.  a. 

P  ist  genau  bekannt,  h  und  e  annahernd. 

Man  erhalt  einen  angenaherten  Werth  von  Q.  Durcli  Zusammensetzung  von 
Q  mit  den  Theilbelastungen  (als  Componenten)  lasst  sich  eine  angen&herte  Druck- 
linie construiren,    welche   neue   Werthe  h'  und  e'  liefert,   folglich    anch    einen  ge- 

naueren  Werth  Q'  z=z  P  —      Fiir  den  Zustand  des  Gleicbgewichtea  muss  die  so 

annaherungsweise  bestimmte  Drucklinie  innerhalb  des  Gewolbes  bleiben. 

2.  Man  untersucht  das  Gewolbe  in  Bezug  auf  Sta- 
bility durcli  Construction  der  Stiitzlinie  mit  Hilfe  der  gra- 
phischen  Statik.  *) 

Die  Stiitzlinie  eines  Gewolbes  ist  diejenige  Linie, 
welche  fur  jeden  Normalschnitt  (J_  zur  Achse)  desselben 
die  Lage  und  Richtung  derjenigen  Mittelkraft  gibt7  die 
man  erhalt,  wenn  man  die  ausserhalb  jenes  Schnittes  auf 
den  Bogen  (auf  einer  Seite)  wirkenden  Krafte  (Eigen- 
gewicht,  zufallige  Belastungen  undAuflagerreactionen)  zu- 
sammensetzt.  Beim  Gewolbe  darf  die  Stiitzlinie  nicht  aus 
dem  inneren  Drittel  des  Normalschnittes  heraustreten. 


Fig.   1777 


Fia.  1778 


76     0/ 


In  der  Praxis  haben  wir  es    mit    denjenigen    Fallen    zu  fliun,  wo    die  Bela- 

stungsverhaltnisse  und    die    Gewolbform    gegeben  sind   und  man    die  Stabilitat  un- 
tersuchen    soil  durch    Einzeichnen    der  Stiitzlinie.     Es  ist  jedoeh  nicht  nothwendig 


Sielie  Ilarlaclier:  Die  Stiitzlinie  im  Gewolbe.     Technische  Blatter  1870, 


790  Gewdlbe. 

durch  Probiren  die  mittelste  Stiitzlinie  zu  finden  (ein  directes  Verfahren  gibt  es 
nielit),  sondern  es  geniigt  zu  untersuchen,  ob  es  mdglich  ist,  eine 
Stiitzlinie  einzuzeichnen,  die  das  innere  Drittel  nielit  iiber- 
s  c  h  r  e  i  t  e  t. 

Ohne  auf  die  theoretische  Begrtinclung  der  Construction  hier  eingehen 
zu  kdnnen,  sei  die  Untersuchung  an  einem  Beispiel  erlautert.  Figur  1778 
A  und  B. 

Es  sei  in  Fig.  A  (Massstab  1  :  100)  die  Halfte  eines  kalbkreisforrnigen 
Gewolbes  C  D  E  F  mit  einer  Nachmauerung  bis  zur  Hohe  M  N  angenommen. 
Das  Auffiillungsinaterial  zwischen  C  N  M  und  der  Fahrbahn  J  K  sei  urn  1/^ 
specifisch  leichter  als  das  Gewolbrnaterial.  Reducirt  man  die  Hohen  in  demselben 
Verhaltniss,  so  erbalt  man  die  Abgleicbungslinie  (Linie  der  reducirten  Belastung) 
G  L.  Theilt  man  die  Querscbnittsflacbe  von  der  Mitte  bis  zur  innern  Wider- 
lagslinie  in  Lamellen  von  gleicber  Breite,  so '  sind  die  Gewicbte  der  Prismen  von 
lm  Tiefe  proportional  den  Flachenlamellen ;  da  diese  annahernd  (fiir  die  Praxis 
genau  genng)  Trapeze  von  gleicber  Breite  darstellen,"  so  sind  die  Flacben  wieder 
proportional  der  Lange  der  Mittellinien.  Wir  konnen  also  annahernd  annehmen, 
dass  die  Langen  der  Linien  in  der  Mitte  der  Lamellen  proportional  sind  den 
Kraft  en  1,  2,  3  die  eigentlich  wieder  in  den  Schwerpunkten  der  Lamellen,  statt 
in  der  Mitte,  angreifend  gedaeht  werden  sollten ;  doch  ist  diese  Abweichung  fur 
die  Praxis  ohne  Belang.  Der  Einfluss  der  weggedachten  anderen  Gewolbhalfte 
wird  ersetzt  durch  die  Horizontalkraft  H  im  Scheitel,  welche  wir  im  oberen 
Drittel  angreifen  lassen  und  bis  zur  Kraft  1  verlangern ,  dieselbe  ist  vorlaufig 
noch  unbekannt.  Die  zunachst  willkiirlich  angenommene  Horizontalkraft  H}  im 
Kraftepl.an  Fig.  1778  B  mit  dem  Pol  0,  wird  mit  den  Kraften  1,  2,  3  zusam- 
mengesetzt  u.  z.  gibt  der  Krafteplan  die  Mittelkrafte  in  Lage  und  Richtung. 
(Um  den  Linienzug  nicht  zu  laug  werden  zu  lassen,  wird  im  Krafteplan  oft  ein 
aliquoter  Theil  der  Krafte  aufgetragen,  in  vorliegender  Figur  die  Halfte.)  Parallel 
zu  den  Mittelkraften  im  Krafteplan  werden  nun  in  Fig.  1778  A  die  Seiten 
des  Seilpolygones  (welches  nur  die  Lage  der  einzelnen  Krafte  und  ihre  Mittelkraft, 
angibt  und  hier  als  Stiitzlinie  aufzufassen  ist)  gezogen  u.  z.  von  der  Kraft  1  bis  2, 
von  2—3,  von  3—4. 

Die  angenommene  Horizontalkraft  H,  liefert  eine  Stiitzlinie,  welche  iiber  das 
mittlere  Drittel  hinausgeht  und  in  der  Zeichnuug  punktirt  wurde.  Um  zu  untersuchen, 
ob  eine  Stiitzlinie  muglich  ist,  welche  das  innere  Drittel  oben  und  unten  beriihrt 
zeichnet  man  eine  zweite  Stiitzlinie ;  da  diese  von  der  ersten  nur  dadurch  sich 
unterscheidet,  dass  die  Horizontalkrafte  verschieden  sind,  so  gilt  der  Satz :  die 
gleichnamigen  Seilpolygonseiten  der  beiden  Polygone  treffen  sich  auf  der  verlan- 
gerten  Anfangskraft  (Horizontalkraft).  Auf  diese  Weise  ergibt  sich  die  aus- 
gezogene  Polygonseite  zwischen  den  Kraften  3  und  4  als  Tangente  an  die  innere 
Linie  des  mittleren  Drittels  und  im  Krafteplan  hierzu  eine  Parallele  gezogen, 
erbalt  man  die  Horizontalkraft  H  mit  dem  Pol  0,  wodurch  man  wie  friiher  mit 
H,  die  Stiitzlinie  erganzt;  dieselbe  bleibt  innerhalb  des  mittleren  Drittels,  daher 
ist  das  Gewolbe  stabil. 

3.  Man  beniitzt  zur  Bestimmung  der  Starke  und  Fugenstellung 
des  Widerlagers  am  zweckmassigsten  die  Stiitzlinie  des  Gewolbes,  iudem 
man  dieselbe  ins  Widerlager  fortfiihrt.  Siehe  die  Figur  1778  A  und  B.  Man 
nimmt  fiir  das  Widerlager  doppelte  Sicherheit  an,  d.  h.  zur  Fortsetzung  der 
Zeichnung  der  Stiitzlinie  nimmt  man  die  doppelte  Horizontalkraft,  oder,  was  das- 
selbe  Resultat  liefert,  man  tragt  nur  die  halben  Krafte  auf;  da  dieselben  im 
Krafteplan  ohnehin  schon  zur  Halfte  angenommen  wurden,  so  sind  die  Krafte 
4  und  5  nur  zum  vierten  Theil  aus  Fig.  A  nach  B  zu  iibertragen.  Die  in  Fig. 
A  gezeichneten  Polygonseiten  treffen  die  Basis  des  Widerlagers  (welche  gegeben 
ist)  in  W}  welcher  Punkt  die  Starke  des  Widerlagers  fixirt.  Zur  Bestimmung 
der  Fugenrichtung  im  Widerlager  beniitze  man  die  Stiitzlinie  mit  einfachem  Hori- 


Gewolbe. 


Ghittaiemou. 


791 


trig. 


1779. 


zontalschnb ;    dieselbe    darf   mit    den    Fugenfiachen    keinen    kleineren   Winkel    als 
90°  minus  dem  Reibungswinkel  bilden.     Ein  anderes  Verfahren  ist: 

Die  Bestimmung  der  Widerlagsstarke  durch einfache  Construction  uach  Ron- 
delet,    welche  Fig.  1779  fiir    ein  halbkreisforrniges  Gewdlbe    angibt.     Man  ziehe 

co  senkrecht  zur  inneren  Gewijlblinie,  durch  d 
eine  Horizontale  ef,  niache  dg  —  ed,  ah  ==  gf 
und  at  rz  2  kd,  schlage  tiber  hi  einen  Halb- 
kreis;  der  Schnittpunkt  m  der  Horizontalen 
durch  a  mit  dem  Halbkreis  liefert  die  Wider- 
lagsstarke. 

d)  Fiir  Ziegelmaterial  und  die  gevvohnlichen 
Dimensionen  und  Belastungen  beim  Hochbau 
haben  sich  annahernde  Normen  tiber  Scheitel- 
starke,  Verstarkung  des  Gewolbes  gegen  die 
Widerlager  und  Widerlagsstarke  herausgebildet, 
auf  deren  Angabe  bier  verzichtet  und  auf  die 
Hilfsbiicher  liber  Baukunde  verwiesen  wird. 

e)  Starke  der  Cement-Betongewolbe.  Bei  einer 
Spannweite  bis  3.60m  geniigt    nach  den  Resul- 

taten  ausgeftihrter  Bauten  eine  Gewolbstarke  im  Scheitel  von  0.12    bis  0.15™   bei 
einer  Pfeilhohe  von   V10 — V12  ^er  Spannweite. 

Zur  Bestimmung  des  Kubikinhaltes  des  Gewolbmauerwerkes  bedient 
man  sich  annahernder  Formeln.  Ist  in  Fig.  1776  U  der  Umfang  des  mittleren 
Bogens  ab  (im  Umfang  breit)7  so  nimmt  man  an : 


Fiir  Tonnengewolbe   U  —  S  -\-  p  -j-  3/2   (  — — I; 


fiir  Platzelgewolbe 


Es    bedeutet    S    die    Spannweite,   p    die    Pfeilhohe,    d  Starke    im  Scheitel, 
d'  Starke  am  Widerlager.     Die  mittlere   Dicke    D  =  — ~~ —  .     Die  Lauge  des 


Gewolbes  L,  dann  ist  der  Kubikinhalt  K  =r:   U.  D.  L. 


Groh 


Literatur.  Scheffler,  Theorie  der  Gewolbe,  Futtermauern  und  eiserne 
Briicken.  v.  Ott,  Vortrage  tiber  Baumechanik.  Prag,  Dominicus.  Cul- 
mann,  Graphische  Statik.  Ortmann,  Statik  der  Gewolbe  mit  Riicksieht 
auf  ihre  Anwendung.  Halle,  Knapp.  H ein zer ling,  Analyt.  graph.  Con- 
struction der  Briickengewolbe.     Zeitschrift  fiir  Bauwesen  1872. 

Gewiirzextracte  und  Gewiirzsalze  werden  neuester  Zeit  namentlich  von 
L.  Naumann  in  Plauen  (Sachsen)  und  von  H.  Ha  ens  el  in  Pirna  (Sachsen)  for 
Zwecke  des  Haushaltes,  sowie  fiir  Conditoreien  und  Nahrungsmittelfabriken  erzeugt 
und  theils  in  fester,  theils  in  fliissiger  Form  in  den  Handel  gebracht.  Auch  be- 
stimmte  Gewtirzmischungen,  z.  B.  Fleischgewiirze,  Braten-  und  Fischgewiirze.  Wnrst- 
salze  u.  cl.  g.  werden  von  diesen  Fabrikanten  erzeugt.  Naneres  hieriiber  s.  deutsche 
Industr.  Ztg.  1874  pag.  218,  Industrie.  Bit.  1876,  13  Nr.  22,  23  u.  l54.  vgl.  a. 
die  chem.  Industrie  Deutschlands  auf  der  Weltausstellung  Philadelphia  1876, 
Berlin   1876.  A.  Hirschwald  —  pag.  65.     Gtl. 

Gewiirznelken  s.  Nelken. 

Gewurznelkenol  s.  Nelken oi. 

Gezogene  Arbeit,  specielle  Art  der  Muster- Weberei.  s.  W  r  b  e  r  e  i. 

GhittaiemOU,  alter  Name  fiir  Gummigutt  s.  Gutti. 


792  Gibbsit.  —   Giesserei. 

Gibbsit,  Hy  drargillit,  Min.  in  kleinen  korriig.  Krystallen  des  hexagonal  en 
Systems,  oder  kugligen  theils  fasrigen,  theils  kornigen  oder  sclnippigen  Aggregates 
oft  ganz  Wawellit-alinlick ;  farblos  bis  rbthlich  weiss,  Perlroutterglanz,  theils  Glas- 
glanz,  durchscheinend.  Harte  2.5 — 3,  spec.  Gew.  2.34 — 2.39.  1st  Thonerde-Hydrat 
Alq03,  3H„0  mit  65.5  Thonerde  und  34.5  Wasser.  Vork.  Slatoust  am  Ural, 
Villa-rica  in  Brasilien,  Richmond  in  Virginien.     Gtl. 

Gicht  (guenlard,  dame  —  furnace  top,  throat),  Gichtgase  (gaz  perdu  — 
waste  gas),  Gichtfang  (gueidard  —  top  of  a  furnace)  s.  Eisenerzeugung 
III  pag.   6  bis  16.     . 

Gichten,  s.  Eisenerzeugung  III  pag.  6. 

Gichtrauch,  Gicht  sand,  Gichtstaub,  syn.  Hiittenrauch  s.  Eisen, 
s.  Z  i  n  k,  vgl.  a.  Arse  n. 

Gichtschwamm  (tutie  —  tutia),  zinkischer  Ofenbruck,  d.i.  auf  der  Rast  und  im 
Schacht  der  Zinkhohofen  sich  absetzende,  in  gelben  oder  griinen  Saulen  krystal- 
lisirte  oder  gelbgriine  bis  schwarze  dichte  Masse.  1st  wesentlich  Zinkoxyd  meist 
mit  Eisenoxyd  und  erdigen  Massen  verunreinigt,  oft  auch  Chlorblei  und  Chlor- 
kupfer  enthaltend,  s.  Z  i  n  k.     Gtl. 

Giessen  (fondre,  coider  —  found,  cast). 

Giesserei,  Giesskunst  (fonderie  — foundry).  Alle  jenen  Operationen, 
welche  erforderlich  sind  Metalle  oder  andere  feste  Korper  in  fliissigen  Zustand 
zu  bringen,  in  Formen  zu  giessen,  in  denselben  erstarren  oder  erharten  zu  lassen 
und  hierauf  in  der  so  erlangten  Gestalt  (als  Gussstiick)  aus  der  Form  zu  nehmen, 
bilden  zusammen  die  Giesserei.  Oft  wird  dieses  Woi't  auch  dem  Locale  bei- 
gelegt,  in  welchem  Giesserei  getrieben  wird. 

In  Bezug  auf  das  Material,  welches  zum  Gusse  verwendet  wird,  unterscheidet 
man  die  Eisengiesserei  (s.  d.  Ill  pag.  121),"  die  Bronze-,  Messing-,  Blei-, 
Zinn-,  Gyps-,  Cement-Giesserei  etc. 

Die  To.mbak- Giesserei  wird  auch  als  Rothgiesserei,  die  Messinggiesserei 
als  Gelbgiesserei  bezeichnet. 

Die  zum  Guss  beniitzten  Metalle  konnen  in  verschiedenen  Oefen  eingeschmolzen 
werden  und  in  dieser  Beziehung  wird  Tiegelguss,  Flammofenguss,  Cupol- 
ofengnss  unterschieden. 

Die  Form,  in  welche  gegossen  wird,  und  deren  Hohlraum  durch  das  ge- 
schmolzene  Materiale  ausgefiillt  wird  und  dadurch  die  Gestalt  des  Gussstiickes 
bedingt,  kann  gleichfalls  aus  sehr  verschiedenen  Materialien  besteben,  a!s:  Sand, 
Masse  (Gemenge  aus  Sand  und  Lehm),  Lehm,  Eisen,  Messing,  Stein,  Holz  etc.  etc. 

Diesbeziiglich  unterscheidet  man,  namentlich  als  Arten  des  Eisengusses,  den 
Sand-,  Masse-  und  Lelimguss.  Sand  und  Masse  wird  meist  in  Rahmen,  „Kasten" 
oder  .,Flaschen"  als  Formmateriale  angewendet  und  daher  riihrt  die  Benennung 
Kasten-  oder  F laschengnss.  Eiserne  und  uberhaupt  metallene  Formen,  Schalen 
genannt.  geben  Veranlassung  zur  Benennung  Schalenguss. 

In  Bezug  auf  die  Form  oder  die  Art  des  Gussstiickes  sind  die  Beziehungen: 
Kugel-,  Ra'der-,  Topf-,  Lettern-  oder  Schrift-,  Kerzen-Giesserei  u.  d.  gl. 
im  Gebrauch.  Unter  Kunstguss  versteht  man  die  Herstellung  von  Figuren 
durch   den  Guss. 

Zur  Orientirung  sei  nachstehende  Tabelle  beigefiigt. 

So  mannigfach  hiernach  auch  die  Arten  der  Giesserei  sind,  so  lassen  sich 
dock  gewisse  Grundsatze  angeben,  welche  das  Verstaudniss  des  Vorganges  er- 
leichtern. 


Giesserei. 


793 


Guss-Materiale : 

Eingeschmolzen  in : 

Die  Form  besteht  aus : 

E  i  s  e  n 

Cupol-Oefen 

Sand   f!"  der  Herdsohle,  Herdg 

(Gusseisen) 

Flamrn-Oefen 

U            in  Kasten  od.  Flaschen 

Tiegel-Oefen 

Lehm. 

Es  wird  in  feuchten    (griinen 

Sand,  in  getrocknete  Masse  und  ; 

Lehm  gegossen. 

Eisen  (Schalenguss,  Hartgu.s-  . 

S  t  a  h  1 

Flamm-Oefen  od. 

Sand,  Masse,  Lehm  (trocken). 

Tiegel-Oefen 

Schalen,  Coquillen. 

Messing  u.Tombak 

Tiegel-Oefen 

Fetter  Sand  getrocknet  oder 
Lehm  getrocknet. 

Bronze 

Flamm-Oefen  od. 

Fetter    Sand     getrocknet     oder 

Tiegel-Oefen 

Lehm  getrocknet. 

A rg en  tan 

Tiegel-Oefen 

Fetter  Sand  getrocknet,  Eisen- 
Schalen.  Feiner,  feuchter  Sand. 

Zink 

Tiegel-Oefen 
oder    Einschmelzen    in 
einem  eisernen  Kessel. 

Messing-,  Eisen  -  Schalenformen. 

Blei 

Tiegel  -  Oefen  od. 

Trockener  Sand  ;  Eisen  oder  Mes- 

Hartblei 

(Pfannen,  Kessel) 

sing  etc.  Formen. 

Schriftmetall 

Z  i  n  n 

In  Gussloffel  und  Guss- 

Sandstein-,  Schiefer-,  Serpentin-, 

n.  Zinnlegirungen,  auch 

pfanne 

Messing-,  Schalenformen ;  Holz-, 

Schriftmetall 

Papierformen. 

Gold;  Silber 

Tiegel-Oefen  (Gasofen) 

Eiserne  Schalenformen. 

a)  Gusseisen,  unter  alien  das  wichtigste,  in  der  grbssten  Ausdehnung  augewendete 
(s.  Eisengiesserei).  Es  ist  zwar  strengfliissig  (bei  starker  Weissgliihhitze  sckmelzend), 
aber  doch  nicht  in  solchem  Grade,  dass  die  nbthigen  Anstalten  zum  Sehrnelzen  grosser  Massen 
desselben  besonderen  Schwierigkeiten  unterlagen;  dabei  fiillt  es  die  Formen  selir  gut,  eiguet 
sich  demnach  auch  zu  feinen  Giissen  und  besitzt  nebenher  grosse  Festigkeit.  wodurch  es  zu 
starken  Gegenstanden  liochst  anwendbar  wird. 

b)  Die  Mischungeu  des  Kupfers  mit  Zink,  welche  unter  den  Namen  Messing  und 
Tombak  (oder  Rothguss)  vorkommen.  Bei  RothgKihhitze  schmelzbar,  diehten  und  festen 
Guss  liefernd,  gehbren  dieselben  zu  den  schatzbafsten  Materialien  der  Giesserei,  wiewohl  sie 
sich  weit  weniger  fein  ausgiessen  als  das  Eisen  und  auch  durch  den  hoheren  Preis  ihre  An- 
wendung  beschrankt  wird. 

c)  Die  Zusammensetzungen  aus  Kupfer  und  Zinn,  oder  Kupfer,  Zink  and  Zinu.  welche 
unter  der  Gesammtbenennung  Bronze  bekannt  sind  (s.  Bronze),  und  nadi  Verschiedenheit 
ihrer  Zusammensetzung  bald  durch  besonders  grosse  Harte  und  Zahigkeit,  bald  durch  vor- 
ziigliche  Tauglichkeit  zu  fein  ausgebildeten  Giissen  sich  hervorthun. 

d)  Das  Argent  an  oder  Neusilber,  eine  Legirung  aus  Kupfer,  Zink  und  Nickel, 
von  angenehmer  weisser  Farbe,  von  grbsserer  Harte  und  Zahigkeit  als  Messing,  aber  bedeutend 
thturer  als  dieses,  weshalb  seine  Benutzung  zu  Gusswaaren  auf  Kleinigkeiteu  eingeschrankt  ist. 

e)  Zink,  ist  im  gegossenen  Zustande  ausserst  sprodc,  also  zu  Gussartikolu  niir  in  so 
fern  tauglich,  als  diese  keinen  Einwirkungen  stossender  oder  brechender  Gowalt  unterliegen ; 
Zinkguss  findet  desshalb  nur  Anwendung  auf  Gegenstande  der  Ornamentirnng.  als  Reliefs, 
Vasen,  Biisten,  Bildsa'ulen  u.  dgl.  Die  Schmelzung  des  Metalls  ist  sehr  leicht,  da  sie  nicht 
einmal  vbllige  Gliihhitze  erfordert;  die  Giisse  konimen  mit  eben  so  grosser  Scharfe  und  Sau- 
berkeit  aus  den  Formen,  wie  jene  von  Gusseisen. 

f)  Zinn,  im  reinen  Zustande,  fiillt  die  Formen  weit  weniger  leicht  und  gut.  als  eine 
Mischung  ans  Zinn  und  Blei,  welche  schon  deswegen  (abgesehen  von  ihrer  grbsseren  Wohl- 
feilheit)  fast  allgemein   angewendet  wird.     Das    Britannia- Me  tall    i^siehe   diesen   Artikel\ 


794  Giesserei. 

welches  hier  anzureihen  ist,  da  es  zum  allergrbssten  Theile  aus  Zinn  besteht,  liefert  wohl- 
ausgebildete  Giisse,  die  an  Harte  und  Festigkeit  das  reine,  nock  mehr  das  bleiiialtige  Zinn 
iibertreffen.  Aus  Zinn  und  Antimon,  mit  oder  ohne  Kupfersatz,  giesst  man  vortreffliche 
Zapfenlager  fiir  Maschinen.  Alle  Zinnmiscbungen,  sofern  darin  die  fremden  Zusatze  den  ge- 
ringeren  Antbeil  ausmacben,  bieten  fiir  die  Giesserei  den  Vortbeil  dar,  dass  sie  zum  Scbmelzen 
eine  sehr  geringe  Hitze  erfordern. 

g)  Blei,  dessen  grosse  Weicbheit  und  geringe  Festigkeit  der  Anwendung  zu  vielerlei 
Gegenstanden  im  Wege  steben,  bedarf  zum  Schmelzen  einer  wenig  grosseren  Hitze  als  Zinn, 
wiirde  also  aus  diesem  Gesichtspunkte  zur  Giesserei  sehr  geeignet  sein.  Flatten,  Rohren, 
Gewehrkugeln,  Flintenschrot,  Gefasse  zu  cbemischen  Zwecken  und  Plomben  (Bleisiegel)  fiir 
Zollamter  sind  jedoch  die  einzigen  regelmassig  vorkommenden  Gusswaaren  aus  Blei.  Durch 
Versetzung  mit  Antinion  erlangt  dieses  Metall  grossere  Harte  und  Steifheit,  ancb  in  weit 
hoherem  Grade  die  Fahigkeit,  durch  vollkommene  Ausfiillung  der  Formen  sehr  scharfe  Abgiisse 
zu  liefern;  hiervon  wird  ein  wesentlicher  praktischer  Nutzen  gezogen,  indem  man  allerlei 
kleinere  Ornamente  und  Gerathe  aus  Hartblei  (einem  etwas  antimonhaltigen  Blei)  giesst, 
uud  zum  Giisse  der  Buchdruckerschriften  eine  Legirung  von  Blei  mit  grosserem  Antheile 
Antimon  (das  Schriftzeug)  zusammensetzt.  Hierher  gehort  auch  das  Zapfenlager-Metall 
aus  Blei  und  Antimon,  oder  Blei,  Zinn  und  Antimon. 

h)  Silber  und  Gold  werden  ihrer  Kostspieligkeit  halber  wenig  durch  Guss  verarbeitet, 
da  man  gerade  bier  am  meisten  auf  geringe  Dicke  der  Gegenstiinde  angewiesen  ist,  mithin 
fast  alle  Artikel  von  grosserem  Umfange  kohl  aus  Blech  anzufertigen  pflegt. 

Zu  feinen,  verzierten  Gusswaaren  eignet  sich  im  Allgemeinen  ein  Metall  desto  besser, 
je  fahiger  es  ist,  in  alle  Vertiefungen  der  Form,  auch  die  zartesten,  einzudringen.  Diese 
Fahigkeit  aber  beruht  auf  natiirlicher  Diinnfliissigkeit  und  auf  dem  Verhalten  beim  Evstarren 
und  Abkiiblen  in  der  Form.-  In  Ansehung  ihrer  Diinnfliissigkeit  bieten  die  Metalle  auffallende 
Verschiedenheiten  dar;  so  z.  B.  ist  das  meiste  weisse  Roheisen  auffallend  dickfliissig  im  Ver- 
gleich  mit  dem  giauen,  ebenso  das  reine  Zinn  gegeniiber  dem  mit  Blei  versetzten. 

Das  zum  Giessen  taugliche  Metall  muss  ohne  zu  grosse  Kosten  schmelzbar 
sein,  beim  Erstarren  d  i  c  h  t  e  Gussstiicke  liefern  und  die  Form  vollstandig  aus- 
fiillen. 

Der  ersten  Bedingung  widerstebt  von  den  techniscb  venvendeten  Metallen 
nur  das  Schiniedeeisen,  indem  die  Kosten  der  Scbmelzung  durch  den  Werth  des 
Productes  nicht  aufgewogen  wiirden.  Die  Scbmelzung  selbst  unterlage  keinen 
grossen  Schwierigkeiten,  kann  man  ja  sogar  Platin  in  ausgehohlten  Aetzkalk- 
stticken  mittelst  Knallgas  schmelzen ;  aber  sie  ist  aus  okonomischen  Griinden  doch 
ausgeschlossen.  Der  zweiten  Bedingung  -widerstebt  das  Kupfer  und  es  ist  nur 
schwierig  moglich  aus  Stahl  und  Aluminium  dichte  Gussstiicke  herzustellen.  Die 
Erlangung  dicbter  Giisse  erheiscbt  ubrigens  bei  alien  Metallen  die  Beobacbtung 
gewisser  V'orsichten.  Der  Grad  der  Erhitzung  des  geschmolzenen  Metalles  muss 
der  richtige  sein.  Ist  das  flussige  Metall  bedeutend  iiber  seinen  Schmelzpunkt 
erhitzt,  so  entsteht  meist  blasiger  Guss.  Nur  bei  leichtrliissigen  Metallen,  wenn 
selbe  in  Formen  gegossen  werden,  welcbe  die  Warme  gut  leiten,  wiirde  das  Metall, 
ehe  es  die  Form  vollstandig  ausfiillt.  erstarren,  wenn  es  nicht  stark  tiberbitzt  ware. 
Es  richtet  sich  die  erforderliche  Temperatur  des  fliissigen  Metalles  daher  nicht 
nur  nach  diesem,  sondern  auch  nach  dem  Materiale  und  der  Gestalt  der  Form. 
Die  Form  muss  der  Luft  den  Abzug  gestatten,  zu  welchem  Zwecke  dieselbe  ent- 
weder  aus  einem  liiftdurclditssigen  Materiale  (magerer  Sand)  bestehen  oder  mit 
Lul'tabziigen  ^Wimlpfeifen)  versehen  sein  muss.  Unnotige  Ueberhitzung  ist  auch 
der  meist  eintretenden  Oxydation  wegen  zu  meiden.  Zink  und  Zinklegirungen 
(Messing,  Tombak)  bilden  iiberbitzt  Zinkoxyd.  Das  Zink  verbrennt  theilweise, 
einen  Ranch  aus  weissen,  leicbten  Flocken  ausstossend.  Zinklegirungen  werden 
daher  iiberbitzt  armer  an  Zink,  und  dies  urn  so  mebr,  je  langer  die  Ueberhitzung 
dauert. 

Das  vollkommene  Ausfiillen  der  Form  bangt  von  der  Diinnfliissigkeit 
des  Metalles  ab.  In  dieser  Beziehung  zeichnet  sich  graues  Roheisen  (Gusseisen) 
und  Zink  besonders  aus  und  liefern  diese  Metalle  daher  besonders  reine  Giisse. 
Denselben  kbmmt  noch  die  besondere  Eigenschaft  zu,  dass  sie  sich  unmittelbar 
vor  oder  bei  dem  Erstarren  ausdebnen  (que  11  en)  und  hierdurch  die  Formen  urn 
so  vorziiglicher  ausfiillen. 

Im  Allgemeinen  folgen  die  Metalle  dem  Gesetze.  sicb  beim  Erwarmen  aus- 
zudebnen,  beim  Erkalten  zusammenzuziehen.  Aus  diesem  Grunde  ist  das  erkaltete 


Giesserei.  795 

Gussstiick  kleiner  afs  der  Hohlraum  der  Form,  welchen  das  geschmolzene  Metall 
ausfiillte,  und  hieran  wird  auch  dureh  das  oberwaimte  Quellen  nichts  geitadert, 
weil  die  Ausdehnung  beim  Erstarren  weit  geringer  ist,  als  die  nachfolgende  Zu- 
sammenziehung beim  Erkalten.  Diese  Volumsverminderung  nennt  man  Schwinden 
und  die  Grosse  derselben,  ausgedriickt  in  Bruchtheilen  der  LUngendimensioneii 
(lineare  Zusammenziehung),  heisst  S  c  h  win  d  m  as  s.  Dassel be  betragf  nach 
Ka-rmar-sch: 

bei  Gusseisen _ bis    -—  durchschnittlich    ,  _ 

125  63  'Jt 

(bei    dunkelgrauem    weniger    als    bei 
lichtgrauem) 

Messing — ■  —  ■ 

"     "    80       "        50  "  64 

Glockenbronze      .    .        ...  ■ — 

63 

Statuenbronze —  — 

"     '  170      "        72  "  120 

Kanonenbronze — 

130 

Zink _L  ±  1_ 

'     '    97       "       65  "  80 

Blei -1-  ±  J_ 

"     '     '104      "       86  "  9S 

rr-  111 

Zmn —  —  — 

'     '     '  173     "      1-20  "  147 

Una  die  Gussstiicke  genau  in  verlangter  Grosse  zu  erhalten,  muss  das 
Schwindmass  fur  das  anzuwendende  Metall  ermittelt  und  hiernach  die  Form  ent- 
sprechend  grosser  hergestellt  werden.  Man  verwendet  bierzu  in  den  Giessereien 
eigene  Schwiudmas  sstab  e,  deren  Theilung  urn  den  Betrag  des  Schwindmasses 
grosser  ist. 

.  Durch  das  Schwinden  vermindert  sich  die  Grosse  des  Gusssttickes  im  All- 
gemeinen.  Es  kann  aber  das  ungleichzeitige  Erstarren  das  Nachfliessen  nock 
geschmolzenen  Materiales  zu  Stellen,  wo  bereits  die  Volumsverminderung  einge- 
treten  ist,  zur  Folge  haben  und  hierdurch  konnen  je  nach  der  Form  des  Gruss- 
stiickes  an  gewissen  Stellen  Locher  oder  Vertiefungen  entstehen.  Diese  Erschei- 
nung  bezeichnet  man  durch  den  Ausdruck  S  a  u  g  e  n  (tassement)  und  Mis  dasselbe 
nur  darin  besteht,  dass  aus  dem  Anguss  oder  Gusszapfen  Material  nachgesogen 
wird;  so  benennt  man  es  mit  Nach  sack  en.  Findet  die  Zusammenziehung 
derart  statt,  dass  ebene  Platten  krumm,  oder  Theile,  welche  eine  bestimmte 
Kritmmung  haben  sollen,  eine  andere  annehmen,  so  heisst  dies  W  erf  en. 

Durch  die  richtige  Wahl  des  Me.talles,  d.  h.  z.  B.  eines  solchen  Gusseisens. 
welches  die  tible  Eigenschaft  des  Werfens  nicht  besitzt;  durch  entsprechende 
Elrhitzung  desselben;  bei  Schalenformen  durch  geeignetes  Vorwarmen  dieser :  ferner 
durch  Anwendung  holier  Angiisse  (Gusszapfen);  trachtet  man  correcte  Gussstiicke 
zu  erzielen. 

Das  Schwinden  kann  bei  grossen?  nicht  geniigend  nachgiebigen  Form  en 
(z.  B.  Lehmformen)  auch  ein  Reissen  des  Gusssttickes  zur  Folge  haben.  welches 
bei  grossen  Stiicken  durch  Ausziehen  von  Keilen  nach  dem  Erstarren.  welchfi 
Keile  Theile  der  Form  bildeten,  verhindert  wird.  Bei  manchen  kleinen  Stiieken 
offnet  man  die  Form  nach  dem  Erstarren  und  vor  der  weiteren  Abktihiung. 

Beim  Schmelzen  der  meisten  Metalle  und  Legirungen  bildet  sich.  dureh 
Oxydation  oder  durch  Verschlackung  beigemengter  Theile,  eine  Schlacke  bei  Zinn 
„Asche",  bei  Gold  „Kratze"),  welche  sich  auf  der  Oberflaehe  der  Gusspfanne 
oder  des  Tiegels  sammelt  und  deren  Eintreten  in  die  Form  beim  CJusse  durch 
Abstreifen  oder  durch  Vorsetzen  eiserner  Schienen  u.  dgl.  verhindert  werden 
muss.      Das    Eingiessen    des    geschmolzenen    Metalles     muss    in    gleiehmassigem. 


796 


Giesserei. 


Fig.  1780. 


ununterbrochenem     Strome    geschehen,    weil    bei    Unterbrechungen    leicht    kalt- 
giissige  (unganze)  Stucke  entstehen. 

Die  Form  (moule  —  mould),  in  welche  gegossen  wird,  soil  dauerhaft und 
scharf  sein;  d.  h.  mindestens  einen  reinen  Guss  liefern.  Im  Allgemeinen  ist  es 
wiinschenswerth,  wenn  das  Materiale  der  Form  ein  schlechter  Warmeleiter  ist, 
weil  dadurch  das  Erstarren  allmaliger  und  gleichinassiger  geschieht.  Aus  diesem 
Grunde  und  aus  okonomischen  Kiicksichten  wendet  man  fiir  Eisen,  Bronze  und 
Messingguss  meistens  Sand-,  Masse-  und  Lehmformen  an.  Das  Materiale  der 
Form  muss  das  Herausheben  des  Gussstiickes  gestatten,  es  darf  sich  nicht  an 
dasselbe  anhangen  oder  anschmelzen. 

Die  Form  ist  entweder  eine  bleibende  oder  verlorene. 
Bleibende  Form  en  gestatten  wiederholte  Giisse  und  bestehen  aus  Gusseisen, 
Schmiedeisen,  Messing,  Sandstein,  Schiefer  etc.,  je  nach  dem  Schmelzpunkt  des 
Metalles,  welches  gegossen  wird ;  sie  sind  zwei-  oder  mehrtheilig.  Verlorene  Formen 
dienen  nur  einem  Gusse  und  werden  aus  Sand,  Masse  und  Lehm  hergestellt,  ent- 
weder mit    zu  Hilfenahme  eines  Modelles  oder  einer  Schablone. 

Das  Modell  kann  aus  Holz  oder  Metall  bestehen  und  ist  entweder  ein- 
oder  zwei-,  seltener  m  e  h  r  theilig. 

Das  Formen  mit  einem  ein- 
t  h  e  i  1  i  g  e  n  Modell  erfolgt  in  Sand  *) 
in  folgender  Weise.  In  den  auf  das 
Modellbrett  a  gesetzten  Formkasten 
b  wird  Sand  eingestampft  und  das 
Modell  m  (beispielsweise  eine  Kugel) 
nach  Bestauben  des  Sandes  mit  Koh- 
lenpulver  bis  zum  Mittelschnitte 
eingedrlickt,  der  Sand  abgeglichen 
und  das  Ganze  neuerlich  eingestaubt. 
Hierauf  wird  der  zweite  Form- 
kasten (Flasche)  aufgesetzt,  welcher 
auf  den  ersten  mittelst  des  soge- 
nannten  Schlosses  d  genau  aufge- 
passt  und  nicht  verschoben  werden 
kann.  In  den  Kasten  c  wird  nun 
gleichfalls  Sand  eingestampft,  wel- 
cher sich  jedoch  mit  dem  Sande 
in  b  nicht  verbindet,  weil  zwischen 
Kohlenpulver  gestreut  ist.  Nachdem 
das  Einstampfen  des  oberen  Kastens 
vollendet  und  die  Oberflache  abge- 
glichen ist,  wird  mittelst  einfacher 
Werkzeuge  (Formspateln,  Formloffel) 
der  Einguss  e  gebildet.  Hierauf  vor- 
sichtig  der  obere  Kasten  abgehoben, 
c  wieder  aufgesetzt  und  nun    ist  die  Form  zum 


c 

b 

Ak' 

ir/ 

Xj 

Formen  mit  eintheilio'em  Modell 


Fig.  1781. 

Y^\     •      : 

i 

CL[ 

Fig.  1782. 

i     ^ 

% 

b 

f 

a\  ■ 

! 

Formen  mit  zweitlieilia'em  Modell 


der  Kasten 


das  Modell  entfernt 
Gusse  fertig. 

Das  Abheben  des  oberen  Kastens, 
nur  dann  ohne  Beschadigung  der  Form 
zum  Mittelschnitte  in  b  eingedriickt  oder 
schnitte    der    Ku^el    abgeglichen    wurde. 


sowie  das  Ausheben  des  Modells  kann 

erfolgen,    wenn    die  Kugel  genau  bis 

der    Sand    in  b  genau  bei  dem  Mittel- 

Erfordert    dies    schon    bei    so    einfachen 


Formen,  wie  eine  Kugel  ist,    einige    Miihe,    so    wird  die  Sache  bei  complicirteren 
Formen  noch  schwieriger. 

Aus    diesem    Grunde    theilt    man    die    Modelle    durch    einen  Mittelschnitt  in 
zwei  Theile  und  formt  dann  in  der  Weise  ein,    dass    die  Modellhafte  mx   auf  das 


*)  SieLe  Formsand  III  pag.  609. 


Giesserei.  70  7 

Formbrett  a  gelegt,  darauf  der  Kasten  b  gestellt,  mit  Kohienptalver  bestaubt  and 

Sand  eingestampft  und  endlich  abgeglichen  wird.     Pig.   1781.     Man  legt  nun  ein 

zweites    Formbrett    auf,    kehrt    den    Formkasten    sarnrnt    den   beiden   Formbrettern 

nra,    hebt    das    erste,   jetzt  oberc  Formbrett  ab,  setzt  die  zweite  Modellbalfte   «> , 

und    bierauf  den   zweiten  Kasten  c 

auf,    bestaubt    mit    Kohlen,  stampft 

Sand  ein,    schneidet  den  Einguss  e 

aus    Fig.    1782,    nimmt    dann    die 

beiden  Kasten  auseinander  und  ent- 

fernt    aus  jedem    die    Modellhalfte. 

Weitere    Beispiele    sind    im  Artikel 

Eisengiesserei  Bd.  Ill  pag.  124 

nachzusehen. 

Bei  complicirteren  Gussstiicken 
ist  man  nicht  selten  gezwungen 
ein  mehrtheiliges  M  o  d  e  1 1 
und  mehrere  Formflascben  oder 
Kasten  anzuwenden.  Die  beiste- 
hende  Figur  soil  uns  die  Herstellung 
der  Form  eines  Maschinentheiles  dar- 

stellen,  dessen  Modell  aus  den  Theilen  ml  m„  m3  besteht,  und  zu  dessen  Ein- 
formung  vier  Formkasten  1,  2,  3,  4  beniitzt  werden.  Scbon  aus  der  Numerirung 
ist  ersichtlich,  in  welcber  Keihenfolge  das  Formen  durcbgefiihrt  wird  oder  werden 
kann.  Der  Kasten  4  dient  als  Boden  oder  je  nach  der  Lage  der  Form  beim 
Gusse,  auch  als  Seitenwand  oder  Decke. 

Ueber  die  Anfertigung  und  den  Gebrauch  der  Kerne  bei  Herstellung  hohler 
Gussstucke  ist  im  Artikel  Eisengiesserei  das  Erforderliche  mitgetheilt  worden. 

Das  Formen  in  Lehm  mit  der  Schablone  statt  des  Modells. 

Die  Formerei  in  Lehm,  welcbe  sehr  langsam  von  Statten  gebt  und  dadureb 
aucb  kostspielig  wird,  findet  zu  massiven  Gegenstanden  fast  niemals  Anwendung. 
Man  greift  zu  ibr  gewohnlich  nur,  wenn  grosse  Gefasse  oder  gefassahnliehe  Stiieke 
(Kessel,  Thurmglocken,  Dampfmaschinen-Cylinder  etc.)  zu  giessen  sind,  zu  welchen 
man  keine  hinlanglich  bohen  und  weiten  Formkasten  hat,  oder  bei  denen  —  weil 
sie  nur  in  einem  oder  wenigen  Exemplaren  gegossen  werden  sollen  —  die  An- 
schatfung  eines  holzernen  oder  metallenen  Modells  zu  viel  Kosten  verursachen 
wilrde.  Denn  die  Lehmformerei  bedarf  (da  der  Lehm  fur  sieh  Standfestigkeit 
genug  hat)  keines  Formkastens  und  das  Modell  wird  durch  die  weit  billigere 
Schablone  ersetzt  oder,  namentlich  bei  Kunstguss,  durch  ein  Modell  aus  Lehm. 

Der  Form  lehm  muss  nicht  zu  sandig,  geniigend  bildsam  und  bindend. 
aber  auch  nicht  zu  fett  sein;  denn  gerade  durch  das  richtige  Mittel  zwischen 
diesen  entgegengesetzten  Beschaffenheiten  erlangt  er  einerseits  die  nothige  Stand- 
festigkeit, andererseits  die  Eigenschaft,  beim  Trocknen  und  Brennen  wenig  zu 
schwinden,  keine  oder  nur  unbedeutende  Risse  zu  bekommen.  Nachdem  man  ihn 
von  Steinen,  Wurzeln  u.  dgl.  gereinigt  hat,  wird  er  mit  Wasser  angefeuchtet. 
fleissig  durchgearbeitet,  mit  gehacktem  Stroh,  Kuhhaar  oder  trockenem  Pferdemist 
innig  gemengt,  und  in  der  Consistenz  eines   weichen  Brodteiges  angeknetet. 

Zu  jeder  Lehmform  fiir  einen  hohlen  Gegenstand  miissen  drei  Hanpttheile 
gebildet  werden:  der  Kern,  ein  an  Gestalt  dem  Innern  des  Gus?stiieks  entspre- 
chender  Korper;  das  Hemd  oder  Modell  (die  Dicke),  cine  den  Kern  dicht 
anliegend  umkleidende  Lehmschicht,  welche  ausserlich  nach  der  verlangten  aussern 
Gestalt  des  Gussstiicks  gestaltet  ist;  endlich  der  Mantel,  eine  starke  Lehmmasse, 
mit  welcher  das  Hemd  ganzlich  umhtillt  und  in  der  zugleich  das  Gussloch  nebst 
den  nbthigen  Windpfeifen  (Luftausgangen)  angelegt  wird.  Den  Kern  macfat 
man  hohl,  um  Material  und  Arbeit  zu  sparen ;  ist  er  von  betraehtlieher  Grosse. 
so    ftihrt    man    ihn    von    lufttrockenen    Lehmsteinen    auf  und    bekleidet    ihn    nur 


798  Giesserei. 

schliesslich  zur  Berichtigung  und  Vollendung  seiner  Gestalt  mit  Formlehm ;  Eisen- 
verstarkungen  im  Inuern  desselben  sind  oftmals  nothig.  Den  Mantel  pflegt  man 
ausserlich  mit  eisernen  Reifen  und  Schienen  zu  armiren.  Zu  alien  drei  Bestand- 
theilen  muss  der  Lehm  in  Schichten  nach  und  nacli  aufgetragen  und  jede 
Schicht  vor  dem  Auftragen  der  nachsten  an  der  Luft  getrocknet  werden ; 
zuletzt  wird  ein  scharfes  Austrocknen  oder  vielmehr  ein  gelindes  Brennen  an 
allmalig  verstai-ktem  Feuer  vorgenominen,  urn  alle  Feucktigkeit  zu  entfernen  und 
der  Form  die  gehorige  Festigkeit  zu  geben.  Mit  der  Anfertigung  des  Kerns  wird 
der  Anfang  gemacbt;  die  Oberflache  desselben  bepinselt  man  dann  mit  in  Wasser 
zerriihrter  Holz-  oder  Torfascbe,  mancbmal  statt  dessen  mit  einer  geschmolzenen 
Mischung  aus  Talg  und  etwas  Wacbs ;  ebenso  verfahrt  man  mit  dem  Hemde7 
wenn  dieses  auf  dem  Kerne  vollendet  ist.  Dadurcb  wird  erreicht;  dass  die  Be- 
standtbeile  sicb  leicbt  von  einander  losen  lassen.  Ist  namlich  der  Mantel  fertig 
geworden,  so  bebt  man  ibn  entweder  im  Ganzen,  oder  in  zwei,  auch  mebrere 
Stiicke  zerschnitten,  von  dem  Modelle  ab,  schneidet  und  bricbt  Letzteres  voll- 
standig  vom  Kerne  los,  setzt  endlich  den  Mantel  wieder  liber  den  Kern,  und 
erbalt  so  den  bisher  vom  Modelle  ausgefullten  Raum  bohl.  Vor  dem  Gusse  muss 
der  Kern  ausserlich  und  der  Mantel  innerlich  mit  einer  Briihe  von  Leimwasser 
unci  Kohlenstaub  bestricben  oder  iiber  einem  Kienholzfeuer  angerauchcrt  werden, 
um  das  Anbangen  von  Lebmtbeilcben    an    das  eingegossene  Metall  zu  verhindern. 

Ist  das  Gussstiick  von  runder  Gestalt,  so  wird  der  Kern,  das  Hemd  und 
meist  (wiewohl  nicht  streng  notbig)  aucb  der  Mantel  durch  Abdreben  gebildet, 
wozu  man  sich  verschiedener,  nacb  den  geforderten  Profilgestalten  ausgeschweifter 
Bretter  (Schablonen,  Drehbretter)  bedient.  Das  Verfahren  bierbei  ist  nach 
den  Umstanden  verschieden.  Kleine  Formen  dreht  man  auf  einer  Drehbank 
(Dreblade),  indem  man  sie  auf  einer  eisernen,  horizontal  in  Lagern  liegenden, 
mittelst  einer  Kui'bel  umzudrebenden  Spindel  bildet  und  bierbei  das  Drebbrett 
ruhig  gegen  den  in  langsame  Drehung  versetzten  Lehmkorper  anlegt.  Die  Hoblung 
des  Kerns  entsteht  bierbei  durch  Bewickelung  der  Spindel  mit  Strohseilen. 
Formen,  deren  Transport  zu  schwierig  und  wegen  zu  fiirchtender  Beschadigung 
gefabrlich  sein  wiirde,  erbaut  man  an  der  Gussstelle  selbst,  und  dann  steht  die 
Form  unbeweglich  und  das  Drebbrett  wird  im  Kreise  um  dieselbe  herumgefiibrt ; 
hier  findet  dann  die  schon  oben  erwabnte  Herstellung  des  Kerns  aus  Lehmsteinen 
seine  Anwendung.  Lehmformen  von  betrachtlicber  Grosse  (so  wie  auch  mit  Sand 
geformte  sehr  b  o  h  e  Formkasten)  miissen  wegen  bequemer  Zuleitung  des  Metalls 
aus  dem  Sticblocbe  des  Schmelzofens  in  einer  Erdgrube  versenkt  gegossen  werden, 
und  man  hlillt  sie  bierin  ganzlich  mit  trockenem  Sand,  trockener  Erde  oder  zer- 
pochter  Steinkoblenscblacke  ein,  indem  man  diese  Fiillung  der  Grube  recht  fest 
zusammenstampft,  um  einem  Platzen  der  Lebmformen  unter  dem  oft  sehr  bedeu- 
tenden  Metalldrucke  vorzubeugen. 

Die  Ausfiihrung  der  Lehmformerei  fur  grosse  runde  Gegenstande  soil  an 
einem  Beispiele  naher  erlautcrt  werden,  wozu  als  etwas  complicirtes  Gussstiick 
eine  Thurmglocke  gewahlt  wird.  Fig.  1784  zeigt  im  senkrechten  Durchschnitte 
die  zum  Formen  der  Glocke  erforderliche  Veranstaltung.  a  a  ist  der  mit  Ziegeln 
fundamentirte  Boden  der  Formgrube;  bb  ein  Ziegelmauerwerk  mit  Canalen  c,c,c, 
durch  welche  Luft  in's  Innere  des  Kerns  treten  kann,  wenn  man  diesen  durch 
darin  angemacbtes  Feuer  brennt ;  d  e,  d  e  der  von  Lehmsteinen  mit  Lebmverband 
aufgefubrte  Hauptkorper  des  Kerns;  f  f  dessen  Hoblung ;  g  g  die  Lehmbekleidung, 
durcb  welche  der  Kern  ausserlich  seine  Vollendung  erbalt :  h  ein  Pfahl  im  Mittel- 
punkte  des  Kerns,  auf  welchem  das  zugleich  in  dem  Kern  vermauerte  Eisen  i  i 
ruht;  k  I  die  eiserne  Spindel  als  Drehacbse  fur  die  Scbablone,  welche  mittelst 
eines  Eisenbeschlages  n  n,  o  o  daran  befestigt  wird.  Die  Spindel  k  I  hat  an 
beiden  Enden  Zapfen,  von  welchen  der  untere  in  einem  Loche  des  Eisens  i,  der 
obere  in  dem  quer  iiber  die  Formgrube  gelegten  Balken  m  steckt.  Die  Schablone 
oder  das  Drebbrett  p  q  ist  auf  verscbiedene  Weise  fiir  die  drei  Bestandtbeile  der 
Form  ausgesclmitten.     Die  Schweifung  der  Kern-Sehablone  ergibt  sich  sofort  durch 


Giesserei.  799 

die  aussere  Grenzlinie  der  Lehmschicht  <j  g\  die  Hemd-Schablone  ist  nach  der 
punktirten  Linie  r  s  ausgeschnitten,  um  dem  Hemde  oder  Modelle  die  verlangte 
Gestalt  v  v  zu  ertheilen ;  endlich  gibt  die  punktirte  Linie  t  u  die  Sohweifung  der 
Mantel-Schablone  an.  Der  Hohlraum  des  Kerns  wird  naeli  dem  Brennen  mit 
Erde,  Sand,  Schlacken  u.  dgl.  ausgefiillt,  das  Hemde  v  v  oben  durch  die  Lehm- 
platte  w  w  gehorig  geschlossen;  aber  ira  Mantel  bringt  die  Schablone  oben  eine 
regelmassige  trichterartige  Oeffnung  hervor,  in  welclie  die  aus  Lehm  liber  einem 
Holz-  oder  Waelis-Modelle  aus  freier  Hand  angefertigtc  Kronen-  oder  Henkel-Form 
eingesetzt  wird.  Aufschriften  und  Verzierungen  der  Glocke  wurden  frtther  von  Wachfl 
geformt  oder  bossirt  und  auf  dem  fertigen  Hemde  angeklebt,  bevor  man  zur 
Anfertigung  des  Mantels  schritt.  Da  diese  Waclisreliefs  beim  nachherigen  Feuern 
(welches  stattfmdet7  um  den  Mantel  zu  brennen)  ausschmelzen,  so  hindern  sie  die 
Ablbsung  des  Mantels  nicht,  wenn  dieser  mittelst  eines  Krahns  in  die  Hbhe  ge- 
zogen  wird,  damit  man  an  das  Hemd  gelangen  und  dasselbe  beseitigen  kann. 

Jetzt    werden    diese    Vertiefungen    meist    durch  Handarbeit  im  abgehobenen 
Mantel  hergestellt  und  beniitzt  man  namentlich  zu  den  erhabenen  (im  Mantel  ver- 


Fig.  1784. 


tieften)  Buchstaben  kleine  Holz-  oder  Messingmodelle,    welche    in    die    InnenflScbe 
des  Mantels  entsprechend  eingeformt  werden. 

Figur  1785  ist  die  obere  Ansicht  und  Figur  1786  die  Seiten-Ansicht  des 
Grlocken-Mantels ;  A  der  Korper  der  Glocke  selbst7  B  die  Henkelform,  x}  x  der 
Eisenbeschlag  mit  Haken  y,  y  fur  die  Ketten  oder  Seile  zum  Aufheben  des 
Mantels,  z  der  Zuflusskanal  filr  das  Metall,  a'  das  Gussloch,  h\  h'  Miindungen 
der  Windpfeifen  der  Henkelform.  Vergl.  Art.  Eisengiesser ei  III  pag.  132. 

Schalen-  oder  Metallform  en.  Unter  alien  Arten  von  Qiessformen 
sind  diese  die  dauerhaftesten,  aber  gewohnlich  audi  die  kostspieligsten.  Man 
gebraucht  dergleichen  zum  Giessen  des  Eisens,  Zinks,  Zinns  und  Britannia-Metalls, 
Bleies,  Hartbleies  und  Schriftzeuges.  In  der  Eisengiesserei  sind.  wegen  der  dabei 
einwirkenden  hohen  Hitze;  nur  eiserne  (gusseiserne)  Formen  anwendbar,  welche 
man  sehr  dickwandig  macht  und  mit  Graphit  oder  Steinkohlentheer  ausstreicht. 
Man  nennt  sie    Schalen    oder    Schalen  form  en    und    bedient  sieh  ihrer  aus- 


800 


Giesserei. 


schliesslich  in  denjenigen  Fallen,  wo  die  durch  das  sclmelle  Abkiiklen  entstehende 
Hartung  des  Gusses  ein  Erforderniss  ist.  Sandguss  aus  Eisen  kann  durch  das- 
selbe  Mittel  theilweise  gebartet  werden,  wenn  man  in  die  Sandform  an  der  be- 
treffenden  Stelle  ein  Stuck  Gusseisen  einlegt,  durch.  dessen  Beriihrung  gerade  hier 
die  rasche  Abklihlung  (das  Abschrecken)  erreicht  wird. 

Aus  Zink,  mehr  noch  aus  Hartblei  werden  ofters  kleine  Ornamente,  Lani- 
penfiisse,  Leuchter  etc.  in  gusseisernen  oder  messingenen  Formen  gegossen ;  aus 
Blei  in  guss-  oder  schraiedeisernen  Formen  die  Plomben  der  Zollamter,  die  Gewehr- 
kugeln,  auch  Rohren ;  das  sogenannte  Giessinstrument  der  Schriftgiesser  ist  die 
von  Eisen,  Messing  und  Kupfer  zusammengesetzte  Form  fur  Buchdruckerschriften 
(s.  S  chriftgiesser  ei).  Am  wicbtigsten  aber  sind  Metallformen  beim  Giessen 
des  Zinns  und  des  Britannia-Metalls.  Man  gebraucht  hier  sowohl  Gusseisen-  als 
Messingformen,  und  macht  die  Kerne  zu  hohlen  Gegenstanden  mancbmal  aus 
Stahl;  der  Woblfeilheit  halber  werden  aber  nicht  selten  auch  Formen  von  Blei 
oder  Zinn  angewendet,  welche  freilich  weit  weniger  dauerhaft  sind.     Die    inneren 


Flachen  aller  seiner  metallenen  Formen  bestreicht  der  Zinngiesser  mit  in  Wasser 
zerriibrtem  Bolus,  Tbpfertbon,  Lebm,  Eisenocher,  oder  mit  einer  Mischung  aus 
Kienruss,  Eiweiss  und  Essig ;  oder  er  berauchert  sie  tiber  einem  Feuer  von  Kien- 
holz,  wenn  sie  sehr  klein  sind  iiber  einer  epialmenden  Licht-  oder  Lampenflamme. 
Diese  Formen  bestehen  wenigstens  aus  zwei,  oft  aber  aus  drei,  vier  und  noch 
viel  mebr  Theilen.  Am  kiinstlicbsten  sind  diejenigen  zu  bauchigen  verzierten 
Gefassen,  an  welchen  Ausgussrohr,  Henkel,  Fiisse  und  ahnliche  Nebentbeile  vor- 
kommen.  Da  man  aus  einem  baucbigen  (innerlich  sicb  erweiternden)  Gefasse  den 
Kern  nicht  als  Gauzes  fortnehmen  konnte,  so  muss  derselbe  hier  aus  Stucken 
zusammengesetzt  werden,  welcbe  man  einzeln  nach  einander  herausholt.  Um  die 
mit  Anschaffung  solcher  vieltheiliger  Formen  verbundenen  grossen  Kosten  zu 
ersparen,  giesst  man  sebr  gewbhnlich  die  Gefasse  inmehreren  Stucken,  deren  jedes  fiir 
sich  eine  weit  einfachere  Form,  erfordert,  und  welclie  nachber  durch  Lothung  zu 
einem  Ganzen  vereinigt  werden.  Wenn  bei  kleinen  hohlen  Gegenstanden  das 
Innere  nicht  ins  Auge  fallt  oder  man  aus  anderen  Griinden  keinen  Wertb  auf 
ein  schones  glattes  Ansehen  der  Iunenseite  legt  (wie  bei  Deckelknbpfen,  Biisten, 
kurzen  Rohren,  Kinderspielzeug  etc.),  sowahlt   man  die  Metbode  des    Stiirzens, 


Giesserei. 


801 


wobei  ohne  Kern  hohl  gegossen  wird.  Dann  ist  die  Form  von  der  Besehaffen- 
heit,  dass  sie  vollgegossen  ein  Stiick  ohne  Hohlung  liefern  wlirde:  man  f'iillt  sie 
auch  in  der  That  ganzlich  mit  geschmolzenem  Zinn7  sttirzt  sic  aber  nach   wenigen 

Augenblicken    am  and  litest  den 
Fig.  1787.  n<>ch    Hiissigen    Theil    auslaufen, 

wobei  cine  bereits  erstarrte,  den 
Hohlraum  der  Form  auskleidende 
Kruste  zartickbleibt. 

Als  Beispiel  einer  messingenen 
Zinngiesserform  diene  die  zu  einer 
Suppenterrine  bestimmte,  von 
welcher  Figur  1787  die  Seiten- 
ansicht,  Figur  1788  die  Ober- 
ansicht,  Figur  1789  den  Bent 
rechten  Dnrchschnitt  darstellt; 
Sie  besteht  au.s  zwei  Aussen- 
theilen  A,  B  und  zwei  Kernen 
.  C,  D.  Die  dicke  schwarze  Linic 
in  Fig.  1779  gibt  den  Raum  zu 
erkennen,  welcher  von  dem  Zinn 
auszufiillen  ist;  zugleich  erkennt 
man  hier,  wie  die  oberen  und 
unteren    Rander    der  Seitentlieile 

A,  B  in  Rinnen  oder  Furclien 
der  Kerne  C,  D  eingreifen,  urn 
die  richtige  gegenseitige  Stellung 
aller  Theile  zu  sicliern.  a  b  e 
sind  holzerne  Hefte,  woran  die 
drei   grosseren    Bestandtheile  .4. 

B,  C  in  ihrem  erhitzten  Zu- 
stande  bequem  angefasst  und 
gehandhabt  werde*h  konnen.  Die 
Eingussoffnung  befindet  sich  am 
obern  Rande  des  Gefasses  und 
wird  durch  zwei  aneinander  pas- 
sende  Schnabel  e,  e  der  Seiten- 
tlieile A,  B  gebildet  (s.  Figur 
1787,   1788). 

Stein  form  en  komnien  inZinn- 
giesser-YVerkstiitten  nicht  selten  vor 
nnd  bestehen  aus  einem  feinkornigen 
festen  Sandstein,  cans  dickspalti- 
gem  T  h  o  n  s  c  h  i  e  f  e  r,  oder  aus  S  e  r- 
pentin.  Die  Sandsteinforraen  sind  wohlfeil,  aber  schwerfallig  und  wie  alle  steinernen  Formen 
empfindlich  gegen  unvorsichtige  Erhitzung,  welche  sie  zersprengt ;  sie  erhalten  innerlich  einen 
Anstrich  von  in  Wasser  angeriihrter  Kreide,  damit  der  Guss  sich  nicht  an  der  rauhkornigen 
Oberflache  festsetzt.  Thonschiefer  ist  fein  von  Flache,  sehr  weich  und  daher  leielit  zu  gra- 
viren;  die  kleinen  Soldaten-  und  Thierfiguren  etc.  aus  stark  bleihaltigem  Zinn.  welche  als 
allgenvein  bekanntes  Spielzeug  vorkommen,  pflegt  man  in  Schieferformeu  zu  giessen.  Serpen- 
tinformen  sind  ihres  ziemlich  hohen  Preises  wegen  weniger  gebrauchlich,  liefern  aber  —  da 
sie  eine  gute  Politur  annehmen  —  sehr  glatte  Giisse. 

Holz-    und   Papier  formen    eignen    sich   zu  manchen  Zhm-Gegenstanden  ganz  ein- 

facher  Gestalt,  welche  in  wenigen  Exemplaren   zu   giessen   sind,   also   keine    sehr  dauerhaften 

Formen  verlangen.     Im    Allgemeinen    gehoren    sie  zur  Classe    der    Surrogate    oder  Nothmittel. 

Man  kann  z.  B.  Platten  aus  Zinn  zwischen   zwei    mit   glatten    Pappblattern    belegten  Brettein 

Karmarseh  &  Heeren,  Technisches  Woitorbuch.    Bd.  III.  51 


Fig.  1789. 


802  Giesserei. 

giessen;  kurze  weite  Rohren  in  einer  Papierrolle,  der  man  als  Kern  einen  mit  Kreide  be- 
strichenen  Holzzylinder  g-ibt,  u.  dgl.  m. 

Gyp  sf  or  men.  Gussformen  aus  Gyps  eignen  sich  nur  fill-  sehr  leicht 
schmelzbares  Metall,  da  sie  keine  hohe  Hitze  aushalten  konnen,  olme  zu  zerspringen 
oder  miirbe  zu  werden  und  abzubrockeln.  Man  gebraucht  sie  daher  kaurn  anders 
als  in  der  Zinngiesserei,  selbst  bier  aber  ihrer  Verganglichkeit  wegen  ziemlich 
selten  und  ausscbliesslich  in  solclien  Fallen,    wo    man    zufrieden  ist,    ^;  '  ■je 

AnzabI  Abgiisse  aus  einer  und  derselben  Form  zu  gewinnen.  Sie  gewa  •••  .  .jch 
in  einer  Beziebung  einen  grossen  Vortheil,  namlich  dass  sie  sehr  lei  .  und  mit 
geringen  Kosten  herzustellen  sind,  wenn  man  ein  Modell  des  aus  Metall  zu 
giessenden  Gegenstandes  hat.  Dieses  Modell  wird  in  einem  leichten  holzernen 
Formkasten  (statt  dessen  oft  ein  Schachtelrand,  eine  Einfassung  von  Pappe  etc. 
geniigt)  eben  so  eingeformt  wie  mit  Sand,  nur  dass  man  an  des  letzteren  Stelle 
den  Brei  aus  Gyps  und  Wasser  eingiesst,  welcher  schnell  erhartet.  —  Durch 
einen  Zusatz  von  feinem  Ziegelmehl  wird  der  Gyps  fahig,  etwas  hohere  Hitzegrade 
zu  ertragen,  aber  zugleich  auch  miirber;  man  beniitzt  eine  solche  Zusaramensetzung 
nicht  selten,  nm  Kerne  fur  Sandformen  zu  giessen,  kann  aber  einen  derartigen 
Kern  nur  einmal  gebrauchen. 

Die  Gussstiicke  bediirfen  einer  sehr  verschiedenen  Nacharbeit  — Appretur 
—  weil  sie  aus  den  Formen  mit  unreiner  Oberflache,  mit  Angiissen  und  Guss- 
nahten  kommen.  Die  erste  Arbeit  is!  daher  die  Beseitigung  des  anhangenden 
Formsandes  und  Lebms,  wenn  die  Form  aus  diesen  Materialien  bestand,  das  Aus- 
schlagen  der  Kerne,  das  Abschlagen  unn  Wegmeisseln  der  Gusszapfen  und  Nahte. 

Zur  Richtigstellung  der  Form  wird  nicht  selten  von  Feilen  und  Schleif- 
steinen  Gebrauch  gemacht  und  bei  Fein-  und  Kunstguss  wird  die  Oberflache  durch 
Ciseliren  (s.  II  pag.  362)  mit  dem  Stichel  und  Schaber  nachgearbeitet. 

Feinerer  Eisenguss  wird  geschwarzt,  durch  Anrauchern  iiber  Feuer  aus 
Kienholz  und  nachfolgendes  Biirsten,  oder  durch  Bestreichen  mit  Leinol  und 
Erhitzen  der  bestrichenen  Stiicke  bis  zum  Verschwinden  der  Flamme,  worauf  man 
gleichfalls  btirstet. 

Den  Standern  der  Maschinen  und  manchen  Maschinentheilen  gibt  man  einen 
Oelfarbenanstrich ;  andere  Gussstiicke  werden  durch  Verzinnen,  Verkupfern,  Ver- 
messingen,  durch  Braunen  etc.  verschonert  (s.  die  betreffenden  Artikel). 

Das  Adouciren  oder  Tempern  wird  ofter  audi  zu  den  Appreturoperationen 
des  Eisengusses  gerechnet,  wir  haben  es  im  Artikel  Eisenerzeugung  III  pag.  41 
besprochen. 

Auf  den  Artikel  Eisen giesserei  wurde  bereits  wiederholt  verwiesen , 
bier  sei  noch  bemerkt,  dass  in  den  Artikeln:  Gy psgiesserei,  Kunstguss 
und  Schriftgiesser ei  Einschlagiges  zu  finden  ist. 

Literatur.  C.  Hartmann:  Handbuch  der  Metallgiesserei  4.  Aufl.  2  Bd.^ 
Weimar  1863.  Guettier:  De  la  fonderie  telle  quelle  existe  aujourd'hui  en 
France  et  de  ses  nombreuses  applications  a  l'industrie,  Paris  1844.  Over- 
mann:  The  moulders  and  founders  pocket  guide.  Philadelphia  1851. 
London   1852,  Kk. 


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