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TECHNISCHES LEXIKON
far
Gewerbe und Industrie,
Herausgegeben von
Friedrich Kick, Dr. Wilhelm Gintl,
k. k. Reg.-Rath u. ord. Prof, der mech. Technologic, ordentl. Professor der Chemie,
am k. k. deutschen polytechnischen Institute in Prag
unter Mitwirkung von :
Alter C., Bremierei-Ingenieur ;
Arehleb J.. Fabriksdireetor ;
Balling C, Professor ;
Bellani Fr., Gussmeister;
Benade C. Fabriksleiter ;
Benedikt F., Ingenieur;
Bock Rupert, Professor;
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Hausner J.. Major;
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Lambl Dr., Professor ;
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Seckendorf Frh. v., Reg. -R., Professor;
Serlo Dr. Alb., Bergliauptmann ;
Skraup Dr. Zd., Assistent ;
Specht C, Fabriksdirektur;
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Vorbach Emil. Huttencbemiker ;
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Wersiu Karl v.. kais. Rath, Professor;
Willigk Dr. E., Professor ;
Winiwarter G. R. v., Fabrikant ;
Wunder Dr. G., Geiverbschuldirector ;
Zeller Jos., Ingenieur.
"3. Auflage von Karmarsch und Heeren's
technischem W orterbuc h..
III. Band.
Eisenerzeugung. — Giesserei.
Prag 1878.
V e r 1 a g der Bohemia.
Aotieu-Gesellschaft fur Papier- und Druck-Iudustrie.
Karmarsch und Heeren's
TECHNISCHES WORTERBUCH
Dritte Auflage
erganzt und bearbeitet von
Friedrich Kick, Dr. Wilhelm Gintl,
k. k. Reg.-Eath u. ord. Prof, der mech. Technologic, ordentl. Professor der Chemie,
am k. k. dentschen polytechnischen Institute in Prag.
Mit liber 2000 in den Text gedruckfen Abbildungen.
III. Band.
Eisenerzeugung. — Giesserei.
Prag 1878.
Verlag tier Bohemia.
Actien-Gesellschaft fiir Papier- und Druck-Industrie.
Druck der Bohemia
Actien-Gesellschaft fur Papier- und Druck-Iadustrie.
Prag.
Eisen-Erzeugung oiler Eisen-Hiittenkunde. Von der Eisenerzeugung
im Allgem ein en. Die zur Erzeugnng von Eisen verwendeten Eisenerze sind
durchwegs Oxyde des Eisens, nnd handelt es sich bei der Eisenerzeugung urn eine
Reduction der Erze, um ein reducirendes Schmelzen, bei welchem Holzkohle
oder Koks (Coaks), selten andere Brennmaterialien als Reductionsmittel dienen.
Je holier die Teraperatur des Processes 1st, um so melir nimmt das reducirte
Erz KohlenstofF auf, und wahrend wenig gekohltes Eisen teigig bleibt, wird melir
gekohltes fliissig. Die Erze sind aber ausserst selten reine Eisenoxyde, sondern
enthalten sehr versehiedene Beimengungen, als Kalk, Magnesia, Thonerde, Kiesel-
saure, Schwefeleisen, phospliorsaure Thonerde, Schwefelkupfer, Manganoxyde etc. etc.
Diese Beimengungen verhalten sich ausserordentlich verschieden ; einige verwandeln
sich beini Schraelzprocesse in eine fliissige, glasige Masse, Sell la eke (scorie —
slag)) andere (z. B. Schwefel, Arsen, Zink) verdampfen ganz oder theilweise;
wieder andere mengen sich zum Theil dem erzeugten Eisen bei (so Mangan,
Phosphor, Schwefel, Silicium) und wirken verandernd auf die Beschaffenheit des-
selben ein. Audi diese Beimengungen andern ihr Verhalten mit der beim Processe
herrschenden Temperatur.
Der Hiittenmann trachtet diese Beimengungen (das Mangan ausgenommen)
moglichst zu beseitigen und wendet Zusatze, Zuschlage (fondant — flux) an,
welche deren moglichst vollstandige Ueb erf lib rung in die Schlacke bewirken sollen,
und welche der Schlacke audi den geeigneten Grad der Diinnfltissigkeit zu geben
bestimmt sind. In friiherer Zeit verstand man nuf wenig gekohltes Eisen (Schmied-
eisen und Stahl) herzustellen, denn die Eisengewinnung wurde in kleinen Herden
oder Oefen bei verhaltnissmassig niedriger Temperatur durchgeftihrt. Dies Ver-
fahren nennt man Rennarbeit, audi unmittelbare Eisenerzeugung, weil das
Product unmittelbar Schmiedeisen oder Stahl war. Ein geringes Ausbringen aus
den Erzen, eine kleine Productionsmenge und verhaltnissmassig holier Kohlen-
aufwand dieser Methode haben die spatere der mittelbar en Eisenerzeugung zur
fast allein gebrauchlichen gemacht. Bei dieser Methode reducirt, kohlt und schmilzt
man das Eisenerz in grossen Oefen (Hochofen) bei hoherer Temperatur. Das so
erhaltene Eisen^ welches einen weit hoheren Kohlenstoffgehalt besitzt, wird fliissig
aus dem Ofen abgelassen, es heisst Roll eisen (fer fondu — fig iron). Der
Betrieb kann nun ein eon tinuir richer sein, die Productionsmengen sind gross,
desgleichen das Ausbringen, der Aufwand an Brennmaterial verhaltnissmassig klein.
Gewisse Roheisensorten gestatten eine Verwendung zum Gusse und werden
Giesserei-Roh eisen, Guss eisen genannt, wahrend andere Roheisensorten
sich vorzugsweise zur Herstellung von Schmiedeisen eignen und F r i s c h- oder
Puddel-Roh eisen heissen.
Dif; Herstellung des Schmie dels ens aus dem Roheisen ist vorziiglich
ein Entkohlnngsprocess, aber bei der durch Oxydation bewirkten Entkohlung —
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 1
Eisen-Erzeiigunsf.
Frischpro cess — werden audi nianche im Roheisen euthaltene Beimengimgen,
namentlich Silicium und Scliwefel entfernt. Diese Reinigung erfolgt im Allgemeinen
urn so vollkommener, je welter die Entkohlung vorschreitot ; daherwird das durcli
Frischen gewoimene Schmiedeisen im Allgemeinen reiner als Stahl sein. Dies ist
der Grand, warum man sich zur Herstellung rein en Stables gerne des Schmied-
eisens bedient, mid z war durcli Kolilnng desselben Stahl erzeugt, welchen man
audi ■ — aber niclit so rein — erhalten hatte, wcnn der Frischprocess friiher unter-
broclien worden ware.
Die Pro ces se der Eiscnerzen gun;
sollen dnrch die nachsteliende Zusammenstellung
sie zerfallen in:
sind dalier mannigfaltig, und
iibersichtliclier gemacht werden
I. Erzeugung von
E i s e n direct a u s
den Erzen.
A) R o li e i s e n - E r z e u g u n g. Rediicirendes Schmelzen
der Eisenerze bei sehr holier Temperatnr in grossen
Schachtbfen (H o c h b f e n).
■p, t , 13 t . I Gnsseisen,
Product : Koheisen n -n i ™ i •
| Puddel Roheisen.
B) Rennarbeit. Rediicirendes Schmelzen der Eisen-
erze bei niedrigerer Temperatnr in kleinen Oefen,
Herden etc.
Product: Schmiedeisen oder Stahl.
II. E r z e u g u n g
s c h m i e d b a r e n
li s en s an s Roh
e i s e 11 .
A) Ft i sch arbcit. Die Oxydation des im Roheisen
enthaltenen Kohlenstoft'es (und gewisser Verunrcini-
gungen) erfolgt durcli den Sauerstoff der Luft
mit zuhiire- ( a) in Herden. II e r d f r i s c li e n; F r i s c li e n,
":1|',1,''nn"u > ^) m Plammenbfen. F 1 a m m o i'e n f r is ch.e n.
materiale [ P 11 d del 11.
Product: S'clnvei ss eiscn od. Schweiss-
stahl.
(^Diesen Operationen geht hiiufig das Pei-
ne 11 des Roheisens voraus.)
c) Durcli Einpressen von Luft in gesehmol-
zenes Roheisen: Bess em em.
Product : F 1 u s s e i s c n und F 1 u s s s t a h 1.
Z>) Dureh Gliihen von Roheisen in oxytiirenden Pulvern.
a) Adouciren, Temp em oder Herstellung von
sclimiedbarem Eisenguss.
b) G L u h s t all 1 - B c r e it u n g.
C) Durcli Zusammenschmelzen von Roheisen mit Eisen-
erz oder Eisenoxyden (Breant- u. Uchatzius-Stahl).
III. Erze
St a
S c h m i
u g i
hi g
ede
n g v o n
us
i s c n.
A) Kohlung des Schniiedeeisens durcli Gliihen mit Kohle
in verschlossenen Gcfassen:
«) C e m e n t s t a h 1 b e r e i t u n g.
b) Einsetzen (Cementiren eines fertigen Gegen-
standes aus Schmiedeisen an der Oberflache).
B) Kohlung des Schmiedeisens durcli Zusammenschmelzen
mit gutem Roheisen.
Martin -Stahl-Bereituiig (in Siemens Regenerativ-Oefen).
(Hierlier gehbrt audi der Spiegeleisenzusatz iim Ende
des Bessemer-Processes.)
IV. Raffi-nir.iiii._g
des Sclnniedeisens
unci St ahles.
Eisen-Ei'zeugung (Ilochofenproecss). 3
A) Durch Schweissen und Strecken odor Gerbcn des
Schweisseiseiis und Schweissstahles :
a) Raffinirtes Eisen,
6) Gerbstahl.
B) Durch Uraschmelzen des Stahles G u s s s t a h 1 (Fliiss-
Stahl).
I. A) Die Roh eisenerz'e u g ung , der Hochofcnpro cess. Die
wenigsten- Erze sind von soldier Bcscliaffenheit; dass sie unmittelbar zur Ver-
scliraelzung in den Ilocliofen gelangen; sie' werden vielmehr gewohnlich einigen
vorbereitenden Operational unterworfen., welehe einerseits den Zweck haben, die
Erze in Stiicke von tauglicher Grosse zu verwandeln, mechanischc Aufbe-
rcitungj*) andererseits aber eine A uf locker ung und Reinigung der Erze
bewirken, und sie so zur Gewinnung eines guten Roheisens tauglicher machen.
In dieser Richtung sind als wi.ch'tige Vorbereitungs-Operationen das Rosten,
Verwittern und Auslaugen zu bezeichnen.
Beim Rosten (methode de grillage — roasting process) findet eine Er-
hitzung, ein Gliilien der Erze statt. Hierdurch werden sie gelockert, das liygro-
skopisclie Wasser verdanipft, das Hydratwasser des Spath-, Thon- und Kohlen-
eisensteines, so wie jenes enthaltener Beimengungen (Gyps) wird ausgetrieben und
auch. die Kohlensaure der beigemengten kohlensauren Erden (des Kalks etc.) entfernt.
Besonders wiclitig ist, dass die, vielen Erzen beigemengten Kiese (Eisenkies, Kupfer-
kies) durch das Gliilien einen grossen Theil ihres Schwef'els verlieren, welcher als
sehweflige Siiure entweicht, wahrend die zuriickbleibende niedrige Schweflungsstufe
durch das dem Rosten folgende Verwittern und Auslaugen grossteiitheils entfernt
wird. Bei dem Rosten geht Brauneisenstein in Eisenoxyd, Spatheisenstein in
Eisenoxyduloxyd iiber. Es kommen iibrigens auch theilweise Reductionen und in
anderen Fallen Oxydationen vor7 je nachdem die Gase in den Rostofen Kohlen-
oxyd oder Sauerstoff im Ueberschuss aufweisen.
Durch das Rosten also entweichen Kohlensaure und Wasser nebst dem grossten
Theil des Schwefels (letzterer als sehweflige Saure) und das Cyanoxydul (bei
Sideriten, Chamoisiten, Magneteisensteinen) verwandelt sich in Eisenoxyd. Durch
diesen Gewichtsverlust (Rostverlust, Rostabgang) werden die Erze specifisch leichter,
also auch poroser; eine Eigenschaft, welche fiir den Hochofenprocess von liochsrer
Wichtigkeit ist.
Bei Thonerde-, Magnesia- oder kalkreichen Erzen ist die Entfernung des
Schwefels, wie sie durch das Rosten derselben erreiclit werden kann, nicht voll-
stiindig genug. Es nehmen die genannten Basen die entweichende sehweflige Siiure
auf und bilden Sulfate, Avelche bei der Rosthitze nicht wieder zersetzt werden.
In solchen Fallen miissen die Erze nach dem Rosten noch gelaugt werden.
') Die mechanische Aufbereitung bezweckt eine Trennung der g-ehaltreichen von
den unhaltigen (tanben) Erzpartien nnd eine Zerkleinerung zu grosser Stiicke, selten
ein Zusammenbaeken zu kleiner; sie erfolgt fast innner auf der Grnbe. Sollen die Eize
gerostet werden-, so liisst man sie faust- bis kopfgross; gelangen sie direct zum Ver-
schmelzen, so zerkleinert man sie bis zur Nuss- oder Eigrosse.
Bei der gewohnlichen Hands cheidung findet die Zerkleinernug gleichzeitig
mit der Trennung der unbaltigen Tbeile statt. Diese Sclieidung erreicht den Zweck
bei den meisten Erzen am besten, wenn sie auch theuer ist; dnrcli sie findet nicht so
sehr ein Zerreiben in feine Theilchen statt wie bei der mechanischen Zerkleinermig
durch Pochwerke, Walzen, Quetschen oder Steinbr echer. (Vergleiche die
diesbeziiglichen Artikel.) Gewisse Erze, z. B. die Bohnerze, haben jedoch unhaltige
Partien in so feiner Vertheiiung, dass die Handstheidung nicht ausreichr, und in diesem
Ealle muss zum W a s c h e n gegriffen werden, welches am besten in rotirenden W a s c h-
trommeln stattfindet. Nach Mengung des Erzes mit Wasser in Riihrbottichen liisst
man Erz und Wasser in die mit schraubenformigen Kippen versehene Vorwasch-
trommel gelangen, wo der Sehlamm sich vom Erz ablost und in der FertigAvasc li-
tre mm el durch einen entseK'eno-efiihrten Strom klaren AVassers gescliieden wird.
Eisen-Erzeugung (Rosten).
das Rosten in H an fen, gewohnlich von 1 — 3m Hohe, statt, so ist die Aus-
niitzung der Warme des Brenmnateriales eine schlechte, daher ist diese Rost-
methode nnr bei Kohleneis enst eiD, welcher in sicli das Brennmateriale besitzt,
angezeigt. Man halt die II auf en urn so niedriger, je reicher dieses Erz an Kohle ist.
Die Ro stung in Stadeln gewahrt schon eine bessere Warmeausntitziing.
Man versteht unter Stadel einen dnrch vier Manern umschlossenen, viereckigen,
gepflasterten Rauin, haufig ohne Bedachnng. In den bis 4m hohen Manern sind
in regelmassiger Vertlieilung Lnftziige (16cm liocli und breit, 60cm von einander)
angebracht, ofter auch solche in der Stadelsohle. Die eine Seitenwand hat znm
beqnemeren Einfahren des Erzes ein Thor, welches successive mit dera Anwachsen
der Beschickinig zngelegt wird. Die Beschickung besteht aus dem zn rostenden
Erze and dem Brennmateriale, welche in horizontalen Schichten eingetragen werden.
Man rechnet pr. Cubikmeter Erz 50 Kg. Kohle. Die Stadel bilden den Uebergang
zn den Oefen, von welchen sie sich im- Principe nicht uuterscheidcn.
Rostnng in Oefen. Hierbei wird das Brennmateriale entweder ebenfalls
in Schichten zwischen das zn rostende Erz gegeben, oder es werden heisse
brennbare Gase, z. B. die Giehtgase des Hochofens vcrwendet, oder endlich die
Flamme eines ansserhalb des Rostofens znm Zwecke des Rostens verbrannten
Brennmateriales in den Ofen geleitet.
Indem die dritte Art der Heizung der Rostijfen (meist liegende Flammofen)
eine minder gate Ansniitznng des Brennmateriales gestattet nnd mehr Arbeit bean-
sprucht, sei hier nur auf die beiden ersten Rostofensysteme etwas naher eingegangen.
Sie sind fast immer Schachtofen mit meist kreisformigem Querschnitte. Ge-
wbhnlich vermindert man nnten die Weite des Schachtes, wenn das Brennmateriale
in Schichten znr Anwendnng kommt, weil die dnrch die Verbrennnng des Brenn-
materiales eintretende Voliimsvermindernng diese Form erwiinsehlich macht; es
erweist sich aber die cylindrische Form auch fiir diesen Fall (bei Gasheizung
ist sie fast ansschliesslich in Gebraucli) dann als geniigend, wenn dem Ofen ein
conischer Kern gegeben wird, weil
dann dieser die Verengnng bewirkt.
Unsere Figur zeigt nns einen
cylindrisehen Rostofen, wie derselbe
in Kladno*) in Anwendnng steht. Im
Betriebe wird taglieh nnten gerostetes
Erz so lange abgezogen, bis man auf
heisse Schichten stosst. Hierbei findet
ein Niedersinken der Schichten statt.
Oben wird nach crfolgtem Sinken eine
Schichte Brennmaterial (Kohlcnklein)
nnd hieranf eine Schichte Erz aufge-
geben. Fiir den erforderlichen Lnft-
zntritt ist durch die Kana'le i, i nnd 0,0
gcsorgt. Der dnrchbrochene Kern-
schacht A', welcher in abweichender
Form auch bei dem ' oblongen Ofen
(Fig. 1213) sich findet, gestattet eine
vorziiglich gute Ziifiihrnng von.Luft
nnd empfiehlt sich besonders bei kies-
reichen Erzen.
Znr naheren Erlanternng nnserer
^Fignren sei noch Folgendes gesagt.
Die gleichen Theile sind mit den-
selben Buchstaben bezeiclmet. M dor Mantel
oder das Sqhachtmauerwerk, K der Kern
odor Kernscliaelit (Fig. 1212) uder Ab-
Fig.
1212
s
1
5"
s
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fr
A/
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-
i
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i....
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1 K
I
A
IT'
•*■ — ^
Cylindrischer Rostofen.
i Technische Blatter 1870 S. 149 (Notizen aus der Adalbertshiitte in Kladno von J. Z e m a n).
Eisen-Erzeiigung (Rostenj.
Fig. 12 13 a. (J
DaaDQDQQaaDQoaaQ □QapaaaaDGaQ
?v\
/-J
^m
□ qqqqqqqaqaaqqqpqaqqp:qqpqqqQ
3 D □ b"a babadaabdoaDDtibbdaaboaa'^
— ^-^5—
I
Oblouger Rostofen.
1213 h.
rutsclikege] (Fig-. 1213),
i die Luftkaniile, I die
Hauptluftzufuhi'ungSr
rohre. Das ScKacht-
niauerwerk ist aus feuer-
festen Steinen oder Zie-
geln, 0'32ni stark, herge-
stellt; durcli horizontale
gusseiserne Platten und
verticale Sehienen s ar-
mirt und ruht unten auf
einer ringformigen, von
einigen gusseisernen
Fiissen getragenen Platte
(beim oblongen Ofen auf
einer Platte oblonger
Forrn). Das Auszieben
des gerosteten Erzes ist
daher rings inn den Ofen
ermoglicht. ; :
Die Luftzufiibrung ' : : :: j : :.-;.•: ~~1 —
erfolgt tbeilweise durcli ~J - ' ■— , ' —
ausgesparte Oefl'nungen
o im Schachtmauijrwerk,
tlieils durch die Ziige ;° im Kernseliaeht. Der
unten enveiterte Durchmesser des Kernes K
Fig. 1212, so wie die conisclie Form von K
in Fig. 1213 und die Einziehung des Mauer-
werkes des Scbacbtes bei e verengt den Quer-
schnitt des Ofens in seinen unteren Theilen
zum Zwecke gleichformigerefa Niederganges.
Der Ofen Fig. 1212 fasst 42000 Kg. Erz und
rostet taglich 8400 Kg.; der oblonge Rostofen
fasst und rostet viermal so viel Erz, kostet
aber nur die doppelten Anlagekosten.
Es sei liier bemerkt, dass Rost-
ofen olme Kernschacht meist nach unten
verjiingt hergestellt werden. Die Sohle
des Ofens ist dann entweder eine feste
oder aus einem Roste (Plan- oder Treppen-
roste) gebildete. Im ersteren Falle milssen
geeignete Ztige angebracht sein und stets
muss durcli Ziehoffnungen oder Beweg- j
licbkeit des Rostes die Moglichkeit des '
bequemen Entfernens (Ziehen s) des
Erzes an der Ofensolile geboten sein.
Bei Rostofen mit Beniitzung von Gichtgasen leitet man die fur die Ver-
brennung erforderlicbe Luft moglicbst nahe an der Ofensolile ein? wahrend die
Gichtgase in einem etwas hoheren Niveau zugefiihrt werden. Hierdurcb wird die
Luft, indem sie eine etwa '/„ — lm liobe, heisse Erzschiclite passirt, vorgewarmt
und die Verbrennung der Essengase findet intensiver statt. Eine genaue Regu-
lirung der zugefiihrteii Luftmenge gestattet die Anwendung von Geblaseluft; wie
selbe beim W e s t m a n n'schen Ofen*) stattnndet.
Am leiclitesten rosten sicb Brauneisensteine und Siderite, am schwersten
Magneteisensteine.
. Das Verwittern (tomher en efflorescence — to effloresce) und Aus-
laugen (laver — to wash) folgt dem Rosten. Durch das Verwittern oder
Aussetzen der gerosteten Erze der Einwirkung der Atmosphiirilien, daher audi
dem Pr 0 s te, findet eine weitere Lockerung der Masse und Oxydiren der Schwefel-
metalle zu Vitriolen statt.
:) Siehe Wedding's Eisenhiittenkunde., in welther sich cine grosse Zahl verscliiedener
Rostofenconstructionen beschrieben linden.
Eiserr-Erzeugung (Auslaugen).
Durch das Auslaugen cntfernt man die losbaren Vitriole durch die Ehr
wirkung von Wasser.
Beide Operationen konnen in Halden, auf welehen die Erze 1 — 2m hocli
aufgeschiittct werden, oder in Bassins vorgenommen werden. In lctztereni Falle
hat man den Process mehr in der Gewalt, namentlich dann, wenn die Wasser-
zufiihrung in die etwa l1/.-111 tiefen Bassins in der durch Fig. 1214 dargestelltcn
Art erfolgt.*) Hierbei tritt das Wasser von nnten ein, verdrangt die Luft, durch-
Fig. 1214 a. Fig. 1214 b. Fig. 1214 c. weicht die Erze niid lost die beim Rosten
gebildeten schwefelsauren Verbindungen;
beim Ablassen hingegen findet ein Saugen
der Luft statt, welche alle Zwischen-
raume fullt und oxydirend auf die Schwefel-
metalle wirkt. Nach Analysen bringt das
Rosten den Schwefelgehalt von circa 1*4 °/0
I auf 0*6 °/0 im(3 das folgende Auslaugen
auf 0-1%.
Das Auslaugen durch schweflige
Sau re zum Zwecke der Entfernung der Phosphorsaure aus den Erzen ist
mit gutem Erfolge durch Director J. Jacobi in Kladno seit circa 3 Jahren ein-
gefiihrt.
Das durch Rosten und Auslaugen, manclimal audi durch Rosten allein, vor-
bereitete Erz wird auf Nussgrosse gebracht und gelangt nun zum Zwecke der
Herstellung von R o h e i s e n in den H o c h o f e n [liaut fourneau — high furnace).
Fig. 1215. Der Hochofen (audi Hob of en) ist ein Schachtofen von
bedeutenden Dimensionen, seine Hohe schwankt zwischen 8m (bei
kleinen Holzkohlen-Hockofen) bis 25m (bei grossen Kokshochofen).
Der Betrieb ist ein continuirli ch er, d. h. es wird, so lange der
Ofen intact bleibt, oben Erz sammt Zuschlag und Brennmateriale
in kurzen Zwisclienzeiten aufgegeben, und unten Schlacke und
fliissiges Roheisen abgelassen. Die Mengen des je in diesen Perioden
aufgegebcnen Erzes, Zuschlags und Brennmaterials begreift man unter
dem Namea Gicht en (charges — charges), abgesehen von dem
Gewichte, wird die Bezeichnung Beschickung gebraucht.**) Das
Brennmateriale, ferntr Erz und Zuschlag werden hinter einander
aufgegeben,***) so dass in dem Ofen schichtenweise Erz und Brenn-
materiale sich befindet. In dem obersten Theile (1) des Hochofens
der Vorwarmezonc findet ein Trocknen der Erze (Rosten") statt; im
zweiten nachst tieferem Abschnitte wirkt das Kohlenoxydgas red u-
cirend auf die Erze, daher dieser Theil Reductions-Zone
genannt wird : in der 3. Zone — K o h 1 u n g s z o n e — nimmt der aus der Reductions-
zone niedersinkende Eisensehwamru Kohlenstoff auf, und erlangt dadurch einen
*) In unserer Figur ist w die Wasserzufuhrrinne, aus welcher bei aufgezogerier Schiitze s
das Wasser durch a in das Reservoir dringt. Hat man genligend "Wasser, so wird
durch 6 — 8 Woehen das Auslaugen in der Weise vorgenommen, dass man circa jcden
•J. Tag das Laugewasser durch am Boden des Bassins befindliche Oettnungen ablasst
und nach kurzer Zwischenpause wieder frisches Wasser zufiilirt. Die Abnussoffnungen
sind durch einen conischen Pfropf, dessen Stiel iiber das Erz hervorragt, verschlosSen;
damit beim Heben des Pfropfes nieht Erz in die Abflussoflimng fallt, ist an der Oeft'nung
um den Pfropf Ireruin ein unten durchlocherter Blechcylinder aiigebracht. Hat, man
wenig Wasser zur Disposition, so ist es zweckmassig, die Laugebassins, z. B. je vicr,
derart anzuordnen und unter einander zu verbindeu, dass das Laugewasser aus dem
ersten in das zweite etc. gebracbt ■werden kann. Man Iasst das frische Wasser dann in
jenes Bassin treteu. welches das bereits am meisten gelaugte Erz entbalt. Das friscn
mit Erz beschickte Bassin erhalt das Laugewasser aus jenem, welches naclist friiher
beschickt Avar.
**) Hautig wird unter Beschickung nur Erz und Zuschlag verstanden.
***) Bei freier Gicht zuerst das Brennmaterial. dann Erz und Zuscblag. bei geschlossener
Gicht umgekehrt.
Eisen-Erzeugung (Hoehofen).
niedrigeren Schmelzpunkt, wodurch das Schmelzen des gekohlten Eisens in der
Schmelzzone 4 ermoglicht ist. Das abtropfcnde Roheisen sammelt sieh bei
5, dem Eisenkasten, an.*)
Der Hochofenproeess ist mitliin ein r e d u c i r c n d c s S c li m c I z e n inVe r-
b in dung mit Kohlung.
Es ist leicht einzusehen, dass der natiirliche Zug nicht ausreichen kann, dass
dnrch ihn nicht die genligende Luftraenge zutreten wiirde; man ist daher ge-
zwungen, dnrch Geblase atmospharische Luft (Wind) unter hoherem Druck in
den Ofen zn treiben. Fiihrt man der Lnft beim Einblasen keine Warme zu, so
blast man mit .k alt em Wind; erhitzt man die Lnft in sogenannten Winder-
hitzungs- Appar at en, dann blast man mit heissem Win de.
Die Hohe des Hochofens, mithin auch die Hohe der Schichten, deren Wider-
stand fiir das Dnrchstreifen des Windes iiberwunden werden muss, bestimmt die
Windpressung. Sehr leichtes Brennmateriale (Holzkohle) wiirde dnrch zu hohe
Pressung vertragen ; auch hielte die verhaltnissmassig zartere Holzkohle den be-
deutenden Materialdruck in hohen Hoehofen nicht aus, es ist daher begreiflich,
dass jene Hoehofen, in welchen die Eisenerzeugung mit Holzkohle stattfindet —
die Hoi z kohl enh o chofe n — relativ klein sind, wahrend die sogenannten
K o k s- oder Coakshochofen, deren Brennmateriale die weit widerstandsfahigeren
Koks sind, viel grosser
gebaut werden konnen,
wenn sie auch in den
wesentlichen Theilen,
welche wir zunachst be-
sprechen wollen , iiber-
einstimmen.
Fig. 1216 a stellt
den Verticalschnitt eines
Kokshochofens moderner
Construction dar. Die
obere Oeffnung des Hoch-
ofens, die Gicht (gueulard
— month) ist hier, der
spater naher zu bespre-
chendenNutzbarmachung
der entweichenden Gase
(G i c h t g a s e) wegen ,
durch den Gasfang C, E
geschlossen. Das Mauer-
werk K, welches , aus
feuerfestem Materiale
hergestellt , den Innen-
ranm einschliesst, heisst
Kernschacht, wel-
che Bezeiclmung auch
dem Innenraum selbst
(cheminee — fife room)
zukommt. DieTheiledcs
Kern sell achtes (Innen-
raum wie Mauerwerk)
heissen der S c h a c h t a,
Kohlensack (ventre
— belly) b, die Rast
Fig. 1216 a.
') J. L. Bell: Ueber die Entwicklung unci Verwcndiuig- der Warme in Eisenhoehofen von
verscliiedenen Dimensionen. Dentscl: von P. T miner, Leipzig 1870. Troska, Hoeh-
ofen-Dimensionen, "Weimar 1867. Schinz, Docnmente fiir den Hoehofen, Berlin 1868.
Eisen-Erzeugurig (HocLofen).
1216 b. (etalages — boshes) c unci das G e-
s telle (puvrage — hearth) d.
Von der Giclit bis zum Ge-
stelle ist das Kernschachtmauerwerk
ununterbrochen. Iin Gestelle wird
dasselbe von den Oeffnungen —
F o r m e n {tuyeres — twyers) e —
durchbrochen, welche zur Einfiihrung
des Windes mittelst der Dtisen
{tuyeres — blast-pipe) f dienen.
Gewohnlich sind alle Formen in dem
gleichen Niveau (der Formenebene),
ibre Zabl ist verscbieden ; bei dem
dargestellten Ofen sind 6 Formen
(vgl. Fig. 1216 b) verwendet.
Der unterste Tbeil des Ge-
stelles beisst Eisenkasten (creuset
— crucible) G und in ibm sammelt
sich das gescbmolzene Roheisen an.
Der ober den Formen liegende Tbeil
des Gestelles heisst auch Oberge-
8 tell, der unterbalb liegende Untergestell. Die vordere Seite des Gestelles
bei B (Fig. 1216 b) beisst B rust (poitrine — breast), und man unterscheidet die
Hocbofen, je nacbdem die Brnst off en oder gescblossen ist, in Hocbofen mit
offener Brust (Sumpf ofen) und Oefen mit ges cblossener Brust (B la u-,
aucb Blaseofen).
Die Skizze Fig. 1217 a zeigt das Gestelle eines Ofens der ersten Art,
Fig. 1217 b der zweiten.*) Der in Fig. 1217 a mit t bezeicbnete Tbeil der Brust
heisst Tiimpel, u Wall- oder D am m stein {dame — dame). Beim Ofen mit
offener Brust fliesst die Scblaeke liber u ab, das Eisen bingegen dureb s aus,
Fig. 1217 a.
umbiillende Mauerwerk heisst Raulisc h
ausserste Rauhgemauer**) 12 (manteau
wolbe iiber den Formen, Formgewolbe {encorbellement des soufflets
falls der das Stichloch (Stich)
s verscbliessende Tbonpfropf ein-
gestossen wird; beim Ofen Fig.
1217 b ist o der Kanal, durcb
weleben die Scblaeke abgelassen
wird, bingegen s das Sticblocb.
Ist der Wallstein bei den Oefen
mit offener Brust weiter binaus-
geriickt, so nennt man die dadurcb
bedingte Erweiterung v des Eisen-
kastens Vorberd {avant creuset —
breastjpan). Das den Kernsebacbt
cbt (chemise- — rough-icalling) und das
mantle). In demselben sind die Ge-
ticyer
■) Percy- Wedding: Lehrbueh der Eisenhuttenkimde, Braunschweig 1S68 2. Abtli S. 701-
Ueber die Liirmaun'sche Stichlocbkiihlung s. Dgl. p. J. Bd. 217 S. 460, von demselben
eine Abhandlung iiber Hocliofen mit geschlosseuer Brust. Dgl. p. J. 194 Bd. S. 106 u.
•175, ferner findet. sich eine selir interessante polemiscbe Abhandlung dieses heryoiv
ragenden Eisenbuttenmannes iiber die gescblossene Brust und Kuhlung im 221. Bd.
S. 28 d. J.
Zu erwahnen ware bier, dass Dusanek in Althiitten einen Hocbofen baute, bei
welcbem das Gestelle aus Blechkasten (Steine genannt) mit Wassercirculation herge-
stellt ist, die Scbmelzung also bier unmittelbar vor der mit Wasser gekiihlten eisernen
Iuneinvand erfolgt
*) Beide Bezeichmmgen, Raubscbacbt und Rauhgemauer werden oft :\h gleichbedeutend
gebraucht. In Fig. 1216 ist K der Kernschaclit, S der Rauhschacht, R das Rauhgemauer,
Eisen-Erzeugimg (Hoeliofen).
arch) und das Gewolbe auf der Seite der Ofenbrust, das Arbeitsgewolbe
(encorb. de la tympe — working arch) angebracbt. Zwisclien Kernschacht und Rauh-
schachtj cifter audi zwiscben Raubschacbt und Rauhgemauer ist die sogenannte
Fiil lung, d. h. eine Scbichte von Ascbe oder Schlackenklcin etc. angebracbt,
welehe als schlechte Warmeleiter wirken. Aus Fig. 1216 a und b ist ersichtlich,
dass beim Ofengestelle das Rauhgemauer vom Kernscbacbt zuriicktritt. Eiserne
Saulen tragen dann die entsprechenden Theile des Rauhges auers, und es ist Raum
gewonnen fiir eine spater zu besehreibende Wasserkiiblnng des freistehenden
Gestelles. Bei mancben Hochofen ist das ganze Rauhgemauer unten durch Saulen
getragen, ja man stellt statt des Rauhgemauers einen eisernen Mantel her, welcber
den Kernschacht mit den Fiillungen umgibt und zusammenhalt, und welcher dann
stets auf eisernen Saulen ruht,
Wir betrachten nun zunachst den Hoch of en-Pro cess wahrend des Betriebes,
mit Uebergehung des ziemlich lange dauernden Anheizens des Ofens, welches nur
einmal stattfindet, da der Ofen, so lange Absatz fiir die Producte vorhanden ist, fort-
gesetzt 1m Betriebe ist und erst „ausgeblasen" wird, wenn er der Reparatur bedarf.
Ist die Gicht wie in Fig. 1216 a mit einem Abschlusse versehen, so muss
beim Chargiren oder Aufgeben der Beschickung der Verschluss beseitigt werden,
was beim Hochofen Fig. 1216 durch Heben oder Senken des Conus C geschehen
kann.*)
TJni Erz und Zuschlag aufzugeben, fahrt man mit dem in" Fig. 1218 dar-
gestellten Erzhund auf die iiber die Gicht gelegten Schienen (vgl. Fig. 1220) und
lasst durch Heben des Mantels m das Erz ringsum in den Trichter E fallen ; fahrt
hierauf mit dem den Zuschlag
(meist Kalk) enthaltenden
ilunde, welcher dieselbe Ein-
richtung besitzt, iiber die Gicht
und entleert ihn ebenfalls in
den Trichter. Hierbei findet
schon ein Mengen von Erz
und Zuschlag (M o 1 1 e r u n g)
statt. welches aber erst da-
durch vollstandig erreicht
wird, dass man den Conus
C senkt. Erz und Zuschlag
kollert hierbei iiber den Kegel
gegen die Ofenwand.
Nun fiilltman den Trich-
ter mittelst der Kokshunde
(Fig. 1219) mit Koks, indem
man mit diesen Hunden an
4 Stellen den Trichter an-
fahrt, und, wie aus der Figur
ersiebtlich, selbe entleert.
Wird nun der Conus abermals
gesenkt, so kollern die Koks,
namentlich die grosseren
Stiicke, iiber die an der Ofen-
wand anliegende Bescbickung
1218 b.
Kokslmnd
Wird der Conns gelioben, so fallt das im Trichter liegende Materiale gegen die Mitte
des Ofens ; wird er gesenkt, so fallt es gegen die Ofenwand. Da nun das Erz als sjie-
eiflsch schweret stets rascher, also gegen die Mitte des Ofens sinkt, so sorgte man fiir
einen gleielnna'ssig-eivn Nicdergang elien dadnrch, dass man das Erz gegen die Wand,
die Kolile gegen die Mitte aufgab, wodurt-h in den tieferen Schichten eine giinslige Ver-
theiluug stattfindet. Uassellje kann durch geeignete Folge der Beschickung erzielt werden.
10 Eisen-Erzeugung (Hocbofen).
gegen die Mitte. Beim Nicdergange des Materiales im Ofen erlangen die specifisch
schwereren Erze die Tendenz, gegen die Mitte des Ofens zu sinken, und es findet
dann eine giinstigere Vertheilnng des Materiales statt.
Bei dem allmaligen Niedersinken findet successive ein Erhitzen, ein .Rbsten
und eine Reduction der Erze statt. Ira sogenannten Kohlensack (Fig. 1216) b
ist das Erz reducirt, zu Eisenscbwamrn geworden, und nimmt nun Koblenstoff auf.
Das gekoblte Eisen gelangt in die Schmelzzone und bier nun haben die Z u-
schlage ibre Aufgabe zu erfiillen.
Man darf sicb allerdings die erwahnten Zonen nicbt scharf von einander
gescbieden denken, aber zum Zwecke der ubersichflicheren Darstellung des Vor-
ganges ist ibre Annahme durcbaus zulassig.
Die Reduction der Eisenerze beginnt scbon bei verbiiltnissmassig niedriger
Temperatur, wird aber erst vollendet, wenn Erze und Zuschlage keine Koblensaure
mebr gebunden enthalten, also bereits voile Glutb erlangt baben 5 und wenn die
umgebenden Gase reich an Koblenoxyd sind. So wie die Reduction beendet ist,
beginnt die Koblung, iiber deren Vorgang leider noch keine geuiigende Erklarung
gcgeben ist (vgl. II S. 769) ; man weiss nur, dass Eisen mit Koblenstoff in Beriihrung
scbon bei sebwacbem Gliihen sicb koblt, daher die Koblung nicbt erst in den
tiefen Tbeilen des Ofens erfolgt, sondern sogleicb nacli beendeter Reduction.
Das binreicbend gekoblte Eisen scbmilzt bei der in der Nabe des Gestelles
berrscbenden hoben Temperatur und koblt sieb bierbei holier durcb unmittelbare
Beriilirung rait glidiendem Koblenstoffe.
Je holier die Temperatur im Gestelle, einen um so bbberen Kohlungsgrad
erlangt das Eisen, und um so geneigter wird das Eisen, den Koblenstoff nacb dem
Erstarren tbcilweise als Grapbit auszusdieiden , d. b. graues Rob eisen zu
liefern. Bei relativ niedrigerer Temperatur bildet sicb lieber weiss es Rob eisen.
Wenn die Koblung des reduerrten Erzes im Ofen beginnt, muss aucb der
Zuscblag auf die Gangarten der Erze einwirken, mit denselben eine scbraelzbarc
Verbindung — Scblacke — eingeben und ziemlieb gleiebzeitig mit dem gekoblten
Eisen niederscbmelzen. Fiir dieses ricbtige Verbalten in der Scbmelzung wird die
Bezeicbnung garer Gang oder Gar gang gebraucbt. Das Robeisen und die
Scblacke sind diinnniissig, letztere erstarrt, von licbter Farbe. Das beim Gargang
erhaltene Robeisen kann grau oder weiss sein ; das Wescn des garen Ganges liegt
in der Art des Scbmelzens von Erzen und Scblacke.
Ist bingegen der Zuscblag scblecbt gewablt oder die Brennmaterialmenge zu
gering, so dass die Scblacke vor der vollstandigen Reduction der Erze scbmilzt,
wobei sie Eisenoxyde aufnimmt, so wirkt sie oxydirend (entkoblend) auf das Rob-
eisen durcb die in ibr gelbsten Eisenoxyde. Das Resultat ist dann stets ein
weisses Eisen von wenig Koblenstoffgebalt, daher bobem Scbmelzpunkt. Dieser
Gang fiibrt die Bezeicbnung Robgang, audi k alter oder iib ersetzt er Gang.
Die Scblacke ist dunkel bis sebwarz.
Nacb Wedding ist es notbwendig, wenn in einem Ofen graues Eisen
erzeugt wird und man zu weiss em iibergeben will, den Gargang durcb Herab-
rainderung der Brennstoffmenge zuerst in Rohgang zu verwandeln und bierauf
durcb Aenderung oder Vermebrung des Zuscblages zu dem abgeanderten Gargang
(auf weisses Eisen) zu gelangen.
Arbeitete ein Hocbofen unter garem Gauge auf weisses Eisen und vermebrt
man in der Bescbickung das Brennmateriale, so erbalt man graues Eisen ; arbeitete
ein Hocbofen unter Gargang auf graues Robeisen und vermebrt man das Brenn-
materiale, so erbalt man ein sebr koblenstoff- und siliciumreicbes Eisen — ii b e r-
gares Robeisen — welches namentlicb fiir den Bessemerprocess absicbtlicb
erzeugt wird. Das Kriterium des liber gar en Ganges ist daher die Verwendung
von mebr Brennraaterial, als zum Gargang noting ist. Interessant ist es, dass ein
iibergarer Gang stattfinden kann bei gleichzeifiger Gewinnung weissen Eisens. Es
riibrt dies \o\\ den Erzen nicbt angepassten oder zu schwer schmelzigen Zuschlagen
her, wodurch eine Scblacke entstebt, die zu streng fliissig ist, und nicbt die Fabigkeit
Eisen-Erzeugung (Zuschlage). 11
hat, die Eisentropfen bei ilircm Vorbeigange vor clem Winde durch Umhiillung
vor der Entkohlung zu schiitzen. Es ist moglich, dass sich hierbei an den Ofen-
wanden Ansatze von gefrischtem Eisen bilden (E is en sane), die Schlacke selbst
kann durch Aufnahme von, vor den Formen oxydirten Eisens eisenhaltig werden
wie beim Robgang. Dieser Fall zeigt ganz besonders die hohe Wiclitigkeit der
riohtigen Wabl der Zuschlage (s. u.) und der richtigen Mengenverhaltnisse der
Beschickung.
Das Roheisen sammelt sich im Eisenkasten, iiber demselben die Schlacke.
Da mm der Ei senab s tick periodisch (etwa alle 4 Stunden) geschieht, das
Niveau der Schlacke aber nie die Formen erreichen darf, so ist die Nothwendigkeit
gesonderten Schlackenabstiches gegeben und sind bei den Oefen mit ge-
sclilossener Brust stets besondere Schlackenabstichkanale vorhanden, durch welche
man die Schlacke am besten in Schlackenwagen laufen lasst, weil so der Transport
zur Halde vereinfacht ist.
Der Abstich des Roheisens erfolgt nach Herstellung eines im Boden der
Hiitte (Sand) gemachten schmalen Grabens, des Mass el grab ens, durch welchen
das Roheisen entweder in eine vor dem Ofen befindliche grosse, sehr flache Mulde
oder in ofFene, meist in Sand, seltener und niir fur weisses Eisen aus Gusseisen
liergestellte Formen, Rinnen von U-formigem Profil, geleitet wird.
Lasst man das Eisen in der Mulde erstarren und zerschlagt die dicke Platte
in Stiicke, so erhalt man die F 1 o s s e n, M a s s e 1 n (saumons — pigs), erstarrt
das Eisen. in den Formen, so erhalt man Stiicke von Stangenform, Barren,
Ganze (gueuses — pigs), giesst man auf das fliissige, in der Mulde (Sumpf)
stehende Eisen Wasser, und reisst die erstarrte Platte ab — Scheibenreissen
— so erhalt man Blatteln (bleltes).
Ueber die Zuschlage. Aus der vorstehenden kurzen Bcsprechung des
Hochofenprocesses konnte schon entnommen werden, dass die rechtzeitige Bildung
einer Schlacke von geeignetem Grade der Diinnfliissigkeit eines der wichtigsten
Erfordernisse des Garganges ist. Da nur wenige Erze (selbstgehen de) ein
solches Verhaltniss der Gangarten aufw eisen, welches zur Bildung einer ge-
eigneten Schlacke erforderlich ist, so muss entweder durch entsprechende Mischung
verschiedener Erze (Gattirung*) oder viel haufiger durch Zugabe soldier Ma-
terialien (Zuschlage), welche mit den Gangarten der Erze zusammen eine Schlacke
von richtiger Beschaffenheit liefern, der gute, gare Gang erzielt werden.
Die Analyse der in dem Hochofen zur Verschmelzung kommenden Erze, in
Verbindung mit der Kenntniss des Fliissigkeitsgrades und Schmelzpunktes der zu
bildenden Silicate, lasst die Bestimmung der geeigneten Zuschlage zu und begreift
man die hierher gehorigen Kenntnisse unter der Bezeichnung Eisenprobir-
kunst. **) Hire Aufgabe ist, aus den durch die Analyse bekannten Bestandtheilen
der Gangarten der Erze solche billige Materialien — Zuschlage — zu bestimmen,
welche eine Schlacke liefern, die beim Schmelzpunkt des herzustellenden Eisens
*) Gattiren der Erze. Unter diesem Ausdruck versteht man die zweckmassige Mischnng
verschiedener Eisenerze, wenn solche aus verschiedenen Gruben zu haben sind. Der
Zweck hierbei kann ein mehrfacher sein. Einestheils ist es besser, gutartige, d. h.
leicht zu verschme]zende Erze mit strengfliissigen zu mischen, um so einen stets gleieii-
artigen Gang des Schmelzprocesses zu befordern, als bald die einen, bald die andern
getrennt zu verschmelzen ; sodann ist es sehr wichtig, durch Mischung armerer mit
reicheren Erzen ein moglichst gleichbleibendes Verhaltniss zwischen Eisen und erdigen
Beimengungen zu erzielen; entllich ist es zuweilen moglich, solche Erze zu mischen,
deren erdige Nebenbestandtheile ihrer chemischen Zusammensetzung nach gceiguet sind,
sich zu einer leichtfliissigen Schlacke zu vereinigen, so dass sich die verschiedenen Erze
geg'enseitig als Flussmittel dienen. Die zweckmassige Gattirung setzt nicht nur grosse
Erfalirung, sondern genaue Kenntniss der verschiedenen disponibeln Erze und des che-
mrschen Processes der Schlackenbildung voraus.
**) Ueber hierlier Gehoriges kann in .Sehr otter's Chemie Bd. I, ferner in Bruno Karl's
Kisenprobirkunst als Anhang zu dessen Handb. d. Eisenhiittenkunde nachgesehen werden,
12 Eisen-Erzeugung (Zuschlage).
gleichfalls diinnfliissig ist. Zugleich darf aber aus okonomischen Griinden die
Menge der Schkicke hoc listens fiinfm.nl jene dcr Eiscnmenge sein ; andererseits
muss sie aber mindestens a/5 jener des Eisens betragen, weil miter dieseni Ver-
haltniss kein geniigender Schutz vor Oxydation stattfindet.
Da die Kohlung des Roheisens aufhort, wenn dasselbe mit einer Schlacken-
schiclite bedeckt ist, so wird fur das melir zu ko blende graue Roh-
eisen die Sc hi a eke sebwerer scbraelzig sein mils sen, wie fur das
weniger zu kohlende weisse Eisen.
■ Die gewohnlichsten und wicbtigsten Bestandtheile der Gangarten sowohl, als
der Hochofenschlacke sind : Kieselsaure, K a 1 k- und T li o ncrde. Fcrner
finden sicb Magnesia, Baryt, Mangan und Alkalien. (Eisen als Oxydul kommt nur
bei fehlerhaftem Processe in grosserer Menge in die Scblacke.) Alkalien finden
sicb meist inur beim Holzkoblenbetrieb ; manganhaltige Zuschlage werden oft ab-
sicbtlicb begegeben; Baryt, namentlich Schwerspath, wird geniieden ; Magnesia
wird oft statt des Kalkes im Zuscblag beigegeben und wirkt dieseni ahnlicb, doch
maclit es die Scblacke sebwerer scbmelzig.
Das Verbaltuiss der Kieselsaure zu den Basen der Scblacke schwankt zwiscben
den Grenzen eines einfacben und eines Doppelsilicates, wie dies durch die Formeln
HfiiO^ (nacb der friiberen Scbreibweise 2 HO, SiO„ und I^SiO^ (HO, SiO,,)
ausgedriickt ist. Hierin konnen zwei Wasserstoffatome durch ein Calcium-, Mag-
nesium-, Mangan- oder Eisenatom. oder drei Wasserstoftatome durch ein Atom
Aluminium vertreten werden.*) Die Thonerdesilicate sind sebwerer schmelzbar als
die gleichartigen Kalk-, Magnesia- oder Mangansilicate, und liegt in dcr Moglichkeit
der Regulirung dieses Miscliungsverhaltnisses die Moglichkeit, den Schmelzpunkt
der Schlacke in geeigneter Weise zu bestimmen. D«r Gehalt an Calcium zu
jenem von Aluminium wechselt zwiscben 4 : 1 und 3 : 2, dariiber hinaus
wiirde die Schlacke zu leicht, resp. zu schwer scbmelzig.
Als Zuchlage finden Anwendung:
M a r m or, g c w. K a 1 k s t e i n, Kreide, Kalkstoff.
Dolomit (Kalk mit bis fast der Ilalfte kohlensaurer Magnesia).
Kalks tcinm ergel, Dolomitmergel (thonhaltig).
F lu ss spa th (Fluorealcium), bei Vorhandensein von schwefelsauren Verbin-
dungen und Ofenansatzen besonders wirksam, doch meist zu theuer.
Bauxit mit 35 — 70 "/„ Thonerde wird dort, wo er zu haben ist, dann als
Zuscblag gegeben, wenn derselbe zumeist aus Thonerde bestehen soil.
Th ons chief er, Sehieferthon, Mergel werden als Zuschlage verwendet, wenn
die Erze einen Tlion- und Kieselsaurezuschlag fordern.
Quarz oder Sandstein allein wird selten verwendet, hiiufig hingegen Schweiss-,
Friseh- und Puddel-Sehlacken, um ihren Gehalt an Eisen zu gewinnen. (Diese
Schlacken werden haufig vorher gerostet.)
Hocho fen sch lack en, wenn es sicb um blose Vermehrung der Schlacken -
menge handelt.
Manganoxy dul und Alkalien werden selten, dann aber zum Zweek.'
der Ernicdrigung des Schmelzpunktes der Schlacke beigegeben (Manganoxydul wird
meist durch Gattirung manganhaltiger Eisenerze zugesetzt, um manganhaltiges Roh-
eisen zu erhalten) ; dies macht auch erklarlieh, dass es schwierig ist, aus mangan-
haltigen Erzen graues Roheisen herzustellen, welches cine sebwerer schmelzige
Schlacke (s. oben) erheischt.
Es ist fast selhstvcrstandlieh, dass es bei sehr reichen Erzen durch Zu-
schlage, welche die okonomisch zuliissige Menge nicht uberschreiten, moglich ist,
Schlacken von sehr verauderlichcm Schmelzpunkte zu erzeugen, d. h. auch ver-
schiedene Roheisensorten zu erzeugen; wiihrend dies bei arm en Erzen, deren
Gangarten an sicb sehon eine Schlacke ausgesprochenerer Qualitat liefern, nicht so
') Die betreffenden Verhaltnisse iindeu sich eingeliendcr im Artikcl Kieselsaure at)
gehandelt.
Eisen-Erzeugung (Brennmaterialc, Wind). 13
leicht moglich ist, daher fiir arme Erze ganz besonders der Erfahrungssatz gilt,
(lass sie nnr fiir eine Roheisenart mit dem okonomisch besten Erfolge zu ver-
schraelzen sind.
Wir haben im Yorstehenden den wesentlichen Einfluss der Zuschlage
anf die Schlacke cliarakterisirt. Da die Schlacke von Einfinss anf die Roh-
eisenbildung ist, so ist hierdurch allerdings den Zuschlagen ein indirecter Ein-
finss anf das Product des Hocliofens znerkannt; sie besitzen aber atich theilweise
einen directen, nnd hiervon soil zunachst die Rede sein.
Hang an, sei es dnrcli manganhaltende Erze, oder als Znschlag (Brannstein)
in den Hochofen gelangt, bewirkt niclit nnr eine leichter schmelzbare Schlacke,
sondern bewirkt, indem es einen Bestandtheil des Rolieisens bildet, dass dieses
den Kohlenstoff nnr chemisch gebnnden anfnimmt, gibt also znr Bildung Aveissen
E is ens, resp. bei hoherem Procentsatz znr Spiegele is en bildung Anlass.
Silicium, aus der Kieselsaure reducirt, gelangt in das Rolieisen namentlich
bei holier Temperatur. Die Bedingungen, welche die Ofentemperatur erhohen, be-
fordern audi die Aufnahme von 'Silicium in das Rolieisen, und wird die Kiesel-
saure um so eher reducirt, je weniger basisch die Schlacke ausfallt. Koksroheisen
ist daher siliciumreieher als Holzkohlenroheisen.
Der die Qualitat des Rolieisens wesentlich verschlechternde Schwefel und
Phosphor wird durch Rosten der Erze, Auslaugen etc. von der Beschickung
des Hocliofens nach Thunlichkeit fern gehalten. Zwar gelingt es, (lurch starken
Kalkzuschlag (audi durch Mangan enthaltende Zuschlage), so wie durch Flussspath
den Schwefel grossentheils zu entfernen ; doch gelang es bisher nicht, den noch
schadlicheren Phosphor im Hochofenprocess zu beseitigen ; er geht in das Roli-
eisen fiber.
Brennmaterial, Wind und Hochofengase in ihrem wesentlichsten
Einfluss auf den Hochofenprocess. (Vergl. d. Artikel : Brennstoffe, Geblase,
K o k s etc.)
Das im Hochofen znr Verbrennung gelangende B r en n mater i ale muss
drei Bedingungen erfiillen. 1. Es muss die hinreichende Widerstandskraft haben,
den grossen Drnck der Materialien auszuhalteu, ohne zerdriickt zu werden; 2. es
darf bei seiner Verbrennung die Temperatur des Ofens nicht zu selir herabmindern,
wie dies bei nassem und solchem Brenrimateriale geschehen wiirde, welches vor
dem Gliihen einen grossen Theil seiner Bestandtheile durcli trockene Destination
(naaientlicli Kohlenwasserstoffe) vergast; und 3. es darf niclit zu viele und na-
mentlich keine schadlichen Aschenbestandtlieilo besitzen.
Der ersten Bedingung entsprechen Braunkohlen- und Torfkoks nicht (oder
selten) ; der zweiten entspriclit weder Holz noch gasreiche Steinkohlen ; und um
der dritten Bedingung Greniige zu thun, miissen viele aschenreiche (namentlich
schwefelkiesreiche) Steinko'.len vor dem Verkoken einer nassen Aufbereitung unter-
worfen werden (s. Koks).
Wedding sagt: Ob eine Steinkohle im rohen oder verkokten Zustande an-
zuwenden ist, dariiber entscheiden vor Allem die Eigenschaften derselben beim
Verkoken (geniigende Reinlieit vorausgesetzt). Lasst sich eine Steinkohle als Klein-
kohle verkoken, so [ist es der Regel nach vortheilhafter, die grosseren Stiicke zur
Flanimofenfeuerung zu verwerthen ; lasst sich die Kleinkohle dagegen nicht verkoken,
so ist es zweckmassiger, die rohen Stuckkohlen audi fiir den Hochofen zu beniitzen.
Stark backende Kohlen lassen sich im rohen Zustande im Hochofen nicht ver-
wenden, weil sie den Niedergang ungleichmassig machen.
Der Wind, d. i. die unter erhohtem Drucke in den Hocliofen getriebene
atmospharische Luft, verbrennt den Kohlenstoff vor den Formen zu Ko hi en-
ox ydg as und Kohlensaure, welche letztere aber, da gliihender Kohlenstoff ge-
niigend vorhanden ist, sich gleichfalls in Kohlenoxyd umsetzt.
Der Wind wird entweder kalt oder heiss angewendet. Im ersteren Falle
fiihrt der gare Gang die Bezeichnung Kaltgar, im zweiten Heiss gar. Bei
14
Eisen-Erzeugnng (Wind).
Anwendung von heissem Winde wird weit mehr Brennmateriale im Hochofen
erspart, als zur Erwarmung des Windes erforderlioh war.*) Diese Thatsache,
filr wclche viele Erklarungsversuche vorliegen, scheint ihre Begriindimg darin zu
linden, dass durcli die Winderhitzung, abnlicb wie dies bei der Verbrennung in
Siemen's Regenerativofen der Fall ist, die Verbrennungstemperatur im Gestelle
wesentlicb erbobt and dadurch der Scbmelzprocess so sebr gefordert wird.
Die Menge des Windes kann als proportional dem zu verbrennenden
KoblenstofFe genommen und biernacb bestiinmt werden; die P res sung soil derart
gewablt werden, dass noch freier Sauerstoff bis gegen die Acbse des Ofens gelangt,
aber nicbt dartiber binaus. Soil die Production des Ofens vermelirt werden, so
darf niclit die Windpressung, sondern.es soil der Diisenquerschnitt, resp. die Zabl
der Diisen, eine Vermebrung finden, weil nur bierdnrcb giinstig gearbeitet wird.
Die im Winde enthaltenen Wasserdampfe werden zerlegt, wobei freier Wasser-
stoff und Koblenoxydgas sicb bilden; diese Zerlegung ist mit Warmeverbraucb
verkniipft, weil kein freier Sauerstoff vorhanden ist, welcber den freien Wasser-
stoff oxydiren konnte. Daber finden wir unter den Hochofen gas en**) ausser
*) Eine sebr interessante Zusammenstellung der dureh heisse Geblaseluft erzeugten Ke-
sultate ist selion vor 40 Jahren von Dufrenoy gegeben, der sammtliehe englische
Eisenvverke, auf welchen das damals neue Verfahren eingefiihrt war, besucht liat.
beriehtet dariiber Folgendes:
Auf den Clyde-Eisemverken bei Glasgow wurden im Jahre 1829 bei kalte:
bliiseluft pr. Ton Eisen verbraueht:
Znm Schmelzen 3 Tons Koks, entsprechend 7 Tons 13 Ztr. '0 Pfd. Steinkoble
Zuin Betrieb des Geblases 1 „ 0 „ 7 ,, „
Ge-
0 „
!° C. und Anwendnno- von Kol
Summa 8 „ 13
Ferner Kalkstein 0 „ 10'
Im Jahre 1831 mit heisser Geblaseluft von
war der Verbraueh:
Zum Schmelzen 1 Tons 18 Ztr. Koke entsprechend
4 Tons G Ztr. 0 Pfd. Steinkoh
Zum Erhitzen der Luft 0 „ b „ 0 „ „
Zum Betrieb des Geblases 0 „ 7 „ 4 „
4 „ IS „ 4 „
Kalkstein 0 „ 9 „ 0 „ „
Im Jahre 1833 beim 8climelzen mit heisser Luft von 3'22° C. und rohcr, iinvir
kokter Steinkphle ergaben sich :
Zum Schmelzen 2 Tons 0 Ztr. 0 Pfd. Steinkoble ■
Zum Erhitzen der Luft 0 „ 8 „ 0 „ „
Zum Betrieb des Geblases 0 „11„2„ „
Summa . . 2 „ 19 „ 2 „ „
Kalkstein . . 0 „ 7 r 0 „ „
Die tagliche Production derOefen hatte dabei um mehr als J/.. zugenommen und
also eine bedeutende Erspamng an Arbeitslohn gestattet, dabei war in der Menge der
nothigen GeblSseluft cine merkliche Yermiuderung eingetreten, denn ein Darnpfgehiase
von 17 Pferdekraften, das bei kalter Geblaseluft nur 3 Hochofen versab, reiclite jetzt
zu 4 Oefen bin.
Auf den Eisenwerken von Calder hat sich der Kohlenverbrauch in dem Yer-
haltniss von 157 Ztr. zu 42 Ztr., der Kalksteinverbrauch von 13 Ztr. auf 5 '/2 Ztr. ver-
mindert. Das erforderliche Luftvolumen ist von 3500 auf 2627 Kub.-F. pr. Minute ge-
smjcen, selbst die Pressung dieser geringeren Luftmenge kanu in dem Verbaltniss von
23/4 gegeu S-Vj Pfd. auf den Quadratzoll sehwacher genommen werden.
<:*) Buns en fand das Gas aus einem Holzkohlenofen folgendeimassen zusammeugesetzt :
Bcstandtheile
H
j h e ii b e
r der Fo
r m
l-9m
4-0m
5-l>n
6-2>"
Stic-kstotfgas
64-58
26 51
63-89
29-27
3-60
2-17
1-07
66-29
25-77
3-32
0-58
404
62-34
24-20
8-77
1-33
3'36
Koblensaures Gas
5-97
1-06
1-88
Brennbare Gase
10000
29-45
10000
32 54
10000
30-39
100 00
28--80
Eisen-Er&eugung.
15
Kohlenoxyd and Stickstoff audi Wass erst off. Der Stickstoff diirfte
keinen wesentliehen Antheil an den Vorgangen im Hochofen nehmen, wenigstens
beseitigen die Arbeiten R am in els berg's diesbezligliclie friihere Vermnthungen
und sind Cyanbildiirigen mehr Ausnahme als Regel. Audi der Wasserstoff gelangt
grosstentheils in die Giclitgase nnd fallt mitliin die Hauptaufgabe dem Kolilen-
oxydgase zu, welches die Erze in den oberen Regionen reducirt und hierbei zuin
Tlieile zu Kohlensaure oxydirt wird. Die Giclitgase bestelien daher aus Stickstoff,
Wasserstoff, Kohlenoxyd (circa 30°/,,), Kohlensaure (theilweise auch von den Zu-
schla'gen und Erzen herriihrend), Wasserdampf (aus der Beschickung) und Kohlen-
wasserstoffen (aus manchen Brennmaterialien), wozu noch scliweflige Saure, Zink
dainpf u. dgl. sich gesellen.
Die Gase haben vor den Formen eine Temperatur von circa 1600 — 1700° C.
und ninimt diese Temperatur in den hoheren Schichten rasch ab, so dass sie in
der Mitte der Ofenhohe nur circa 600 — 800° C. betragt. Die im Hochofen cr-
forderliche Warmemenge wird vor den Diisen durch Verbrennen des Kohlenstoffes
zu Kohlenoxydgas gewonnen.
Die Form des Hoc ho fens ist durch nachstehende Momente bedingt.
Das cylindrische und geschlossene Gestelle ist vortheilhaft, weil durch diese Form
so wie durch die geschlossene Brust die Wiirmestrahlung verniindert, daher die
Temperatur im Gestelle erhoht wird. Die Wandstarke des Gestelles soil nicht
iiber 0-6 — 0'71U betragen, weil sonst die Wandungen innen abschmelzen, was stets
ungleichmassig geschieht und zu nachtbeiligen Aenderungen der Herdform Ver-
anlassung gibt, wahrend bei der obgenannten Dimensionirung eine das Gestelle
conservirende Wasserktibluug ermoglicht wird. Der lichte Durchmesser des Ge-
stelles wird selten grosser als 2*5m gemacht. Von diesem hangt gewissermassen
die Productionsmenge ab, indem weiteres Gestelle mit rascherem Niedergang7 engeres
Gestelle mit langsamerem Niedergang (also geringerer Production) zusammenhangt.
Von dem Gestelle erweitert sich der Ofen7 wodurch den Gasen ein geringerer
Widerstand entgegensteht, weil im grosseren Querschnitt die Bewegung derselben,
Avie der Beschickiing langsamer stattfindet7 wodurch die Einwirkung der Gase eine
vollkommenere wird. An der Gicht wird der Schacht wieder verengt, um die noch
vorhandene Warme der Gase moglichst gleichformig vorbereitend auf die Be-
schickung wirken zu lassen ; doch soil die Spannung der Gase dadurch nicht erhoht
werden, daher darf diese Verengung um so weniger betragen, je mehr Gase die
Beschickung selbst entwickelt. Fiir rohe Brennmaterialien wird daher eine weitere,
fur Holzkohlc und Koks, so wie fiir gut gerostete Erze und gebrannte Zuschlage
eine engere Gicht angewendet.
Erze, die schwer reducirbar sind, also langer der Einwirkung der Gase aus-
gesetzt sein miissen, erfordcrn einen weiteren Kohlensack, leicht reducirbare einen
engeren.
Wedding charakterisirt die Hauptfalle nachstehend: '
1. Die Erze sind leicht reducirbar, die Schlacke ist leicht scbmelzbar (z. B.
manganhaltigc Spateisensteine), der Ofen erhalt wenig Erweiternng in der Mitte,
eine weite Gicht und weites Gestelle.
Niicli E h el me n ist das Otis eines Koksofens zusammengcsetzt aus:
Bestandtheile
Tiefe unter der Gicht
Qm lm
4-36»i
Stirkstoffgas . .
Kohlenoxydgas .
Kohlensaures Gas
"Wasserstoffg-as .
Brennbare Gase
6070
2524
11-58
2-48
10000
27-72
63-59
31-83
2-77
1-81
100-00
33-64
64-66
335i>
0-57
1-38
10000
34 97
16
Eisen-Erzeugung.
2. Die Erze sind schwer reducirbar und die Schlacke ist schwer schmelzbar
(kieselsaurehaltige Rotheisensteine), der Ofen ist stark auszubauchen, mit enger
Gicht und engem Gestelle.
3. Die Erze sind leicbt reducirbar und die Schlacke schwer schmelzbar (ge-
wisse Brauneisensteine), die Gicht ist weit, das Gestelle eng zu halten.
4. Die Erze sind schwer reducirbar und die Schlacke leicht schmelzbar (viele
Magneteisensteine), die Gicht ist enge und das Gestelle weit zu halten.
Ueber Details der Hochofen.
Die Gasfange (cloche a gaz — gas-bell) haben den Zweck, die Gicht-
gase aufzufangen und einer nutzbaren Verwendung zuzufiihreu. Es kann dieser
Zweck auch bei offener Gicht erreicht werden , wenn man in die Gicht ein
Rohr derart einlasst, dass zwischen ihni und dem Mauerwerk ein ringformiger
Raum bleibt, welcher oben abgeschlossen wird und seitlich mit Gasabzugs-Rohren
communicirt. Das Innere des Rohres ist mit der Beschickung gefiillt, setzt daher
den abziehenden Gasen mehr Widerstand entgegen, als sie auf ihrem Wege in den
ringformigen Zwischenraum und der weiteren Gasleitung finden ; und da die Ver-
brennungsgase jenen Weg nehmen werden, welcher die kleinsten Widerstande
bietet, so ist ilire Ableitung (allerdings mit Verlusten) moglich, auch ohne eigent-
lichcn Abschluss der Gicht. Gichtglocken oder Trichterapparate, wie der neben-
stehende, erfiillen die Aufgabe allerdings vorziiglicher ; nicht nur der geringeren
Verluste wegen, sondern hauptsachlich darum7 weil die naturliche Bewegung der
Gase im Ofen nicht gestort wird, wenn die Ableitung oberhalb der Oberflache der
Beschickung erfolgt.
Der hier gezeichnete Gasfang*) ist naeh dem frUher Gesagten verstandlich.
Bei to ist die Winde, durch welche der Conus C gehoben oder gesenkt wird. G
ist das Gasrohr, welches die Gase zu dem Winderhitzungsapparate (oder einer
Fig. 1220. (y6, „at. Gr.)
sonstigen Bcniitzung) leitet. Conus und Trichter bieten an sicli schon einen ziemlich
guten Abschluss, welcher durch in den Trichter geworfenes Erz vervollstandifft wird.
■■') Technisohe Blatter 1870 S. li
Eisen-Erzeuguns
17
Die For men und Dusen. In das Mauerwerk des Gestelles sind die
Formen e (vgl. Fig. 1221) eingesetzt, in welch en die den Wind zufiihrenden Diisen
/ zienilich geschiitzt liegen. Urn das Verbrennen der Formen zu verhindern, 1st
eine Wasserkuhlung vortheilhaft. Diese kann dann der Art angewendet werden,
dass die Formen, wie aus unsererFigur ersichtlich ist, hohl sind; das Kuhlwasser
tritt am tiefsten Punkte ein, am hdchsten aus.*) Zu den 6 Diisen unseres Hoch-
ofens gelangt der, vom Winderhitzungsapparate auf circa 350° C. vorgehitzte
Wind unter dem Drucke von i/3 Atmosphare aus dem Rohre R durch die
Zweigrohren z. Bei i ist ein kleines Guckloch , durch welches man den
Process im Ofen beobachten kann. Hat sich das Auge durch langeres Hinein-
sehen an den Glanz der verbrennenden und schmelzenden Massen gewolmt, so
nimmt man den Vorgang vor den Diisen nicht nur wahr, sondern ein geiibtes
Auge vermag den Gargang, Rohgang und iibergaren Gang aus der klaren und
hellen, rothen und relativ dunkeln oder stark leuchtenden Verbrennung zu erkennen.
Die Lage der Formen und Dusen ist nicht radial, d. h. die Achse der Formen
schliesst mit dem vom Ofen- zum Formen-Mittel gezogenen Radius einen kleinen
Winkel ein, wodurch eine bessere Vertheilung des Windes im Ofen erfolgt. Je
nachdem das Ende der Diise dicht an die Form sich anschliesst oder nicht, unter-
scheidet man geschlossene oder oflfene Formeu. In unserer Figur 1221 ist die Form
eine geschlossene.
Fig. 1221. (V48 nat. Gr.)
Die Kiihlung der Gestellwande bezweckt die langere Erhaltung der-
selben und wird durch Ueberrieslung der Aussenwande des Gestellmauerwerkes
erzielt Bei manchen Oefen wird auch das Schlackenabflussloch und das Stichloch
durch directe Berieselung gekiihlt, muss aber dann vor dem Abstich der Schlacke
und des Eisens sorgfaltig getrocknet werden. Dass die Kiihlung des Gestell-
Kernschachtes durch Ueberrieselung der Aussenwand das Abschmelzen der Innenseite
*) Eine der besten Diisenkiihhingen bestelit darin, aus einem spiralforrnig gewundenen
Kupferrohre, welches mit feinen Oeffnungen versehen ist, Wasser gegen die Innenseite
der Diisenwiinde zu spritzen. Die Diise l)esteht aus zwei an der Vorderseite mit einander
verbundenen, in einander gesteckten Hohlkegeln, zwiscben welchen das Kupferrobr ge-
lagert ist. Eine eintretende Undichtheit ist bier leicht zu bemerken, da die Diise riick-
warts often ist.
Karmai'srh & Heeren, Technisches Woi-terbuch. Bd. III. 2
18 ' Eisen Erzeugung (Rennarbeit).
nur dann verhindern kann, wenn die Gestellwand keine zu grosse Dicke hat (circa
60cm soil nicht iiberschritten werden), ist leiclit begreiflich. Fig. 1221 la'sst er-
kennen, dass rings um den Ofen aclit horizontale Wasserrinnen herumgefiihrt sind.
Der obersten Rinne lauft Wasser aus dem Rohre W zu, welches nach Fullung
derselben in die nachst tiefere iiberlauft u. s. f., bis das Wasser, aus der untersten
Rinne abfliessend, sich im Kanal W sanmielt. Die Aussenseite des Gestelles ist
hierbei mit Cement verkleidet, mit welchem audi die Fngen der Bleche, welche
die Rinnen bilden, gedichtet sind.
Nebenerforderniss e des Hochofens sind die Geblase, Wind-
er hitzungsappa rate und Gichtaufziige. Erstere liefern den Wind von
erforderlicher Pressung (s. Geblase), die Winderhitzungsapparate (s. d.) haben
die Aufgabe, den Wind zu erhitzen, und die Gichtaufziige (s. H e b e m e c h a n i s m e n),
die Materialien (Koks, Erz und Zuschlag) zur Gicht zu befordern.
Hochofen-Betriebsresultate. Kraftbedarf. Fiir einen Hochofen
grosserer Dimension, welcher 800 Z.-Ztr. Koks pr. 24 Stunden verbraucht, ist
eine Geblasemasckine von 120 — 150 Pferdekraften erforderlich. Der Gichtaufzug
beansprucht 5 — 10 Pferdekrafte.
Production. Bei circa 350° C. Windtemperatur, basischer Schlacke und
einem auf Puddelroheisen gerichteten Betriebe erhalt man bei einem Koksverbrauch
von 800 Z.-Ztr. pr. 24 Stunden, bei mittelmassigem Eiz 500 Z.-Ztr., bei sehr gutem
bis 900 Z.-Ztr. Roheisen.
Pro 125 Z.-Ztr. Koks oder 80 Z.-Ztr. Holzkohle kann man als Durchsclmitt
100 Ztr. weisses Roheisen, pro 180 Z.-Ztr. Koks oder 115 Z.-Ztr. Holzkohle
kann man als Durchsclmitt 100 Ztr. graues Roheisen reclmen.
I. B) Die Rennarbeit oder das Ren n en ist jene unmittelbare Dar-
stellung schmiedbaren Eisens aus den Eisenerzen, auf welcher in friiherer Zeit die
gesammte Eisengewinnung beruhte (altere Rennarbeit) und welche in neuester Zeit
den Gegenstand mannigfacher Versuche bildet (neuere Rennarbeit), die aber bisher
noch zu keiner durclischlagenden Bedeutung gekommen sind.*)
Bei der Rennarbeit findet eine Reduction der Erze zu Eisenschwamm und
eine Kohlung dieses letzteren bei verhaltnissmassig niedriger Temperatur statt,
daher die Kohlung nicht bis zur Roheisenbildung vorschreitet, das Product teigig
bleibt (nicht diinnfliissig), und die Gangarten zu einer leichtfliissigen, sehr eisen-
reichen Schlacke verschmelzen, wodurcli sich das geringe „Ausbringen" erklart.
Die it Iter en Rennarbeit en wnrden theils in Herden, theils in Schacht-
ofen vorgenommen, und nannte man das Rennen in Herden Luppenfrisch er ei,
und zwar die Fraiizosische oder Catalonische, Corsikanische und Deutsche, je
naehdern das Erz von einer Seite des Herdes, oder mit Kohle gemischt rings um
da.s l'ingformig geschichtetc Brennmateriale oder endlich in Scliichten Erz und Kohle
abwechselnd iiber die ganze Herdflache aufgegeben wird. Uebrigens wurde die
deutsche Luppenfrischerei auch ofter in kleinen Schaclitofen (Stiickofen) und hierauf
in Herden betrieben.
") Eine interessaute Abhandlung iiber die directe Darstellung des Eisens aus seinen Erzen
und namentlich auch iiber die neueren Methoden von Blair und Dr. G; W. Siemens
findet sich in T u n ner : „das Eisenhiittenwesen der vereinigten Staaten von Nordamerika,"
Wien 1877 S. 58 bis 74.
Betreli'end die in Xordamerika noch hiiufig in Herden durchgefiihrte Rennarbeit,
welche der alten deutschen Methode entspricht, gibt Tunner S. 60 an, dass pr. 1 Ztr.
Luppeneisen nur 2 Ztr. Holzkohle verbraucht tmd aus 68 — 70 % Erzen 57 % Eisen ge-
wonnen werden, daher der Verlust nur 17 °0 betriigt. Betretfs der S i e m e n s'schen
Methode wird angegeben, dass selbe derzeit noch ziemlich im Versuchsstadium stecke,
pr. Ztr. Eisen 3 — 4 Ztr. Kohle erfordert werde, die Yerschlackung noch 25 % betrage,
aber die Entphosphorung eine fast vollstandige sei, daher angenommen werden konne,
dass bei weiterer Entwickluug dieser Pi-ocess sich fiir die Yerarbeitung phosphor-
reichen Erzes eignen werde. Findet diese Erwartung ihre Bestatigung, so kommen wir
unter Rennarbeit neuere nochmals auf diesen Process zu sprechen.
Eisen-Erzeugung. 19
Die franzosische Luppenfrischarbeit findet noch gegenwartig hie und da in
den Pyrenaen statt. Die kleineren Feuer, welche nur 3 bis 4 Ztr. Erze fassen, werden kata-
lonische, die grosseren, in welchen 7 bis 8 Ztr. Erze gefrisclit werden, biskayische ge-
nannt. Das kataloniscKe Feuer (denn hier sowohl wie bei alien itbrigen zum Eisenfrischen
dienenden Apparaten nennt man *den Apparat selbst ein Feuer) besteht aus einem flach vier-
eckigen Herds von 05 — 3m Lange und Breite und 23 — 70cm Tiefe. Die Form liegt liber der
Herdsohle in schrag geneigter Richtung. Doch ist sie beweglich, damit ihre Neigung je nacli
dem Fortgange der Arbeit und der Menge des in dem Herde angesammelten Eisens geandert
werden konne. Sie wird durch untergelegte Thonklumpehen oft selbst nach einem graduirten
Instrumente regulirt, eine Sache, die von den Arbeitern als ein grosses Geheimniss bewahrt
wird. Gewolmlich liegen die Diisen zweier Blasebalge neben einander in derselben Form. Die
untere Herdplatte wird mit einer Schicht von Lehm und Kohlenstaub bedeckt.
Das gerostete Erz wird zerstampft, und der feinste Staub davon abgesiebt, urn spater
im Verlauf der Schmelzung zugesetzt zu werden; die Hauptmasse des Groberen aber an der
dem Geblase gegeniiber liegenden Seite zu einem sattelformigen Haufen aufgehauft, und der
iibrige Raum des Herdes zwischen dem Erzhaufen und der Form mit Holzkohlen gefiillt. Urn
dem Erzhaufen mehr Festigkeit zu geben, beschlagt man ihn mit Thon und Kohlenklein. '
Wahrend der ersten zwei Stunden lasst man das Feuer nur langsam angehen, wobei der Arbeiter
die Kohlen, so wie sie verbrennen, stets durch neue ersetzt, die er fest in den Herd eindriickt,
damit der Erzhaufen nicht zusammenfalle. Bei dieser massigen Hitze tritt schon eine theil-
weise Reduction des Erzes, aber noch keine Schmelzung ein.
Etwa nach Verlauf von zwei Stunden aber lasst man die Balge mit ihrer vollen Gewalt
angehen, um das Erz zum Schmelzen zu bringen. Der Punkt, wo das Erz die zum Ein-
schmelzen geeignete Beschaffenheit erlangt hat, lasst sich theils an der Flamme, theils auch
an dem porosen Ansehen des Erzes leicht genug erkennen. ■
Um alle Theile gehorig zum „Fluss" zu bringen, sucht der Arbeiter die unteren Partien
des Erzes von der Herdsohle abzulosen und sie der Form gegeniiber zu bringen. Nach Ver-
lauf einiger Zeit wird auch das abgesiebte Erzmehl, jedoch, um nicht zu verstauben, feucht
hinzugegeben und iiber die ganze Oberflache der Kohlen ausgebreitet. Dieses Mehl soil,
ausserdem, dass es die Eisenausbeute vermehrt, noch den Zweck haben, den Schlacken den
angemessenen Grad von Schmelzbarkeit zu geben. Ist die Schlacke zu leicht- und dunnfliissig,
so wird dieser Fehler durch den Zusatz des Erzmehles verbessert; hat sie dagegen eine sehr
zahe Consistenz, so darf nur wenig Erzmehl aufgegeben werden. Die Schlacke selbst wird
zum Theil durch einen Schlackenabzug abgela^sen. Der ganze Process dauert 5 oder 6 Stunden,
worauf der teigige Eisenklumpen aus dem Herde gehoben und unter den Hammer gebracht
wird. Das Eisen, auf diese Art erhalten, ist als eine Mischung von Eisen und Stahl zu be-
trachten, doch kann man das relative Verhaltniss beider nach Belieben abandern; denn wenn
sehr reichlich Erzmehl, das offenbar mit zur Entkohlung des Eisens beitragt, angeAvandt und
die Form stark geneigt wird, so dass der Wind unter einem grosseren Winkel auf die Ober-
flache des Eisens trifft, so bildet sich vorzugsweise reines Stabeisen; wird dagegen umgekehrt,
bei sparsaraem Erzmehlzusatz,' die Form mehr horizontal gerichtet, und der ganze Process in
die Lange gezogeu, so entsteht ein stahlartiges Stabeisen. Das Gewicht der bei einmaligem
Schmelzen erfolgenden Luppe betragt etwa 2 bis 4 Ztr. Der Kohlenverbrauch ist aber sehr
gross und betragt mindestens das Dreifache von dem gewonnenen Eisen, daher die Luppen-
frischarbeit, sowohl die jetzt bescbriebene franzosische, als auch die italienische, nur allein in
Gegenden betrieben werden kann, wo auf Kolenersparung nicht Bedacht genommen werden muss.
Die Ausbeute an Eisen belauft sich auf etwa 33 Procent der rohen Erze (Spatheisen-
stein), so dass mithin, da der Spatheisenstein 54 bis 56 Procent Eisen halt, ein betrachtlicher
Verlust eintritt.
Figur 1222 zei'gt ein catalonisches Feuer7 welches zuerst bis e f mit Holz-
kohle gefiillt wird, reclits bei A ist die Erzschicht, links bei B die Kohlen-
Bchieht, b d ist die ^rait Losche bekleidete Trennungsflache beider, b c die natiirliche
Bosclmng des Erzes. In nnserer Figur stellt D die Schlacke, C die Luppe vor.
Italienische oder korsische Luppenfrischarbeit. Die Feuer oder Herde
haben bei dieser, besonders auf Korsika heimischen Methode die Gestalt halbkreisformiger,
16cm tiefer, 47«n im Durchmesser haltender Vertiefungen, die sich in einem niedrigen, 2-5 bis
3-lm langen, l-6m breiten Mauerwerk befinden, und mit einer Esse uberdeckt sind. Die. Form
ist oberhalb des Herdes angebracht, und ein wenig abwarts geneigt.
Auf Korsika sowohl, wie in den Kiistendistrikten Italiens wird am meisten Elbaner Eisen-
glanz verschmolzen, der nur sehr wenig Wasser, geringe Beimengungen von Spatheisenstein
und efAvas Schwefelkies enthalt; Wasser und Schwefel miissen vor der Reduction durch eine
Rostung ausgetrieben werden, wozu jedoch keine besonderen Oefen A'orhanden sind, da diese
auch in dem Schmelzherd bewirkt wird; nur dass die ganze Arbeit in zwei getrennte Ab-
theilungen zerfjillt. In der ersten namlich findet die Rostung einer Portion rohen Erzes und
zugleich die theilweise Reduction einer zweiten, bereits friiher gerosteten statt, in der zweiten
Abtlieilung dagegen die Verschmelzung so zwar, dass allemal zu gleicher Zeit sich ein Theil
rohes Erz zum Rosten und das von dem vorhergehenden Processe erhaltene gerostete Erz zum
Reduciren auf dem Herde befindet, nur dass das Letztere der starksten, das Erstere einer
20
Eisen-Erzeugung (Rennarbeit).
schwacheren Hitze ausgesetzt
Avird, Avorauf dann in einer be-
sonderen zweiten Operation das
reducirte Erz verschmolzen und
• gefrischt wird.
Man fangt damit an, die
Herdsohle und die Umfassungs-
mauer um den Herd mit einer
8cm dicken Schicht von Lehm
und Kohlenstaub zu bekleiden,
und rund um den Herd eine
ringfornrige, 12cm hohe Erhohung
aus derselben Masse zu bilden.
Nunmehr formirt man in dem
Herde zunachst vor der Miin-
dung der Blasform einen balb-
kreisformigen hoben Kohlen-
baufen etwa von 16cm Radius,
und umgibt diesen mit einer
Lage gerosteten Erzes in etwa
uussgrossen Stiicken, lasst anf
diese wieder eine Lage Kohlen
folgen, umgibt diese endlicb mit
dem zu rostenden rohen Erz,
und bedeckt das Ganze mit einer
starken Lage Kohlenklein. Die
heiden Erzlagen erbalten eine
Dicke von etwa 18cm, so dass
die Gesammtbeschickung mit den
Kohlen einen etwa 63cm im
Radius haltenden HaUfen bildet,
der den Herd um ein Bedeu-
tendes iiberragt. Das robe un-
gerostete Erz kommt daker
xsssss^Vv. ^-ast ganz ausserhalb des Her-
Catalomsches leuer. deS) auf desgen Umgebung zu
ruben, und wird in der Art angeordnet, dass die grosseren Stiicke zu unterst, die kleineren
zu oberst liegen. 1st so weit Alles fertig, so ziindet man den mittleren Kohlenbaufen an,
und lasst das Geblase (fast allgemein ein Wassertrommelgeblase) angeben. So wie die
Koble in der Mitte des Haufens verbrennt, wird stets neue Kohle aufgegeben, die zu Anfang
der Arbeit mit kurzen holzernen, spater mit wachsender Hitze, wo die Arbeiter dem Feuer
nicbt mehr nahe treten konnen, mit langen eisernen Stangen moglichst test niedergedriickt
werden muss, damit die Erzlagen so lange wie moglich in ibrer concentrisch cylindriscben
Lagerung verbarren. Nach drei Stunden pflegt diese erste Arbeit, bei welcher das innere
Erz grosstentheils reducirt, dass aussere aber gerostet Averden soil, beendigt zu sein, was
man daran erkennt, dass das Letztere aufhort zu rauchen, das Erstere aber in mebr oder
weniger zusammenhangende Klumpen zusammensintert. Das Geblase wird nun abgestellt, die
aussere, jetzt gerostete Erzscbiebte abgebrochen, behufs der Zerkleinerung fur die demnacbstige
Reduction vor den Herd geworfen, und nunmehr auch das reducirte Erz nebst den riick-
standigen Kohlen und Seklaeken aus dem Herde entfernt.
Dieser Avird hierauf Avieder mit Kohlenstaub uud Lehm ausgeschlagen und an der rechten
und linken Seite zwei Haufen Kohlenklein und zwischen diese zwei oder drei Korbe Kohlen
anfgeschiittet. Oben auf diese Kohlen werden einige Klumpen von reducirtem Erz gelegt, und
nunmehr das Geblase angelassen. Sobald das Erz in Gluth kommt, tritt iEAA-ischen den erdigen
Beiniongungen und dem stets in Menge noch vorhandenen Eisenoxydul eine WechselAvirkung
ein, in deren Folge sie sicb zu einer ziemlich diinnfliissigen Schlacke vereinigen, die man in
Menge herabfliessen sieht. Bald fangt auch das reducirte Eisen an, in Fluss zu gerathen, und
sicb dureh die Kohlen awi den Grund des Herdes herabzubegeben. Man fahrt nun mit dem
Aufgeben A-on Erzstiicken fort, und lasst die Schlacke, Avenn sie sicb. iiber dem Eisen in einer
starken Schicht angesammelt hat, durch Oeffnung des Schlackenabzuges ablaufen, unterhalt
aber das Feuer, bis das Eisen durch EinAvirkung des Geblases eine gleichformige zahteigige
Consistenz angenommen hat, aa*o es dann in Gestalt eines Klumpens mit starken eisernen Haken
aus dem Herde gehoben und unter den Hammer gebracht Avird. Ein solcher Schmelzprocess
dauert durchschnittlich 3 J !'i Stunden. Das geAA*onnene Stabeisen ist geAvohnlich von sehr guter
Qualitat ; es ist weich, sehr dehnbar und Avenig stahlartig. Vier Arbeiter sind geAvohnlich bei
einem Plerde beschaftigt. Die Ausbeute ist ziemlich gering, und belauft sich auf etAA'a 4 "Ztr.
Eisen gegen 10 Ztr. Erz und 20 Ztr. Kohle, mit Buchen- und Kastanienholz gemengt.
Es werden also nur 40 Procent Eisen von dem rohen Erz ausgebracht, so dass mithin,
bei dem mittleren Eisengehalt von 65 Procent, etAA-a 25 Procent, d. i. reichlich ein Drittel des
Eisens in Schlacke iibergeht.
Eisen-Erzeugung. 21
Der Unterschied zwischen der katalonischen und der italienischen Luppenfrischarbeit
besteht also ausser der geanderten Anordnung noch darin, dass bei der Ersteren das in Rb'st-
haufen gerostete Erz in einer Operation reducirt, geschmolzen und gefrischt wird, wahrend bei
der letzteren ein jedes Stiickchen Erz zu drei Malen anf den Herd kommt, einmal urn geroatetj
das zweite Mai urn reducirt und das dritte Mai um eingeschmolzen und gefrischt zu werden.
Die in St tick- oder Wolfs 6 fen und hierauf in Herden ausgefiihrte Luppen-
frischerei bildet den Uebergang zum Hochofenprocess und dem auf dasselbe fol-
genden Frischen.
Diese Rennarbeit liefert schon grossere Quantitaten (iiber 500 K.) auf einmal,
wahrend die in kleinen Schachtofen (1 — 2*5m hoch und 25 — 60cm weit) noch jetzt
ausgefiihrte Rennarbeit mancher Volker Afrika's und Asien's nur ca. 70 — 90, ja
auch oft selbst weniger als 10 K. pr. Charge ergibt. Die kleineren Schachtofen
fiihrten ehemals die Benennung Bauern- oder Osmundofen.
Die Eisengewinnung in Stiickofen stimmt anit der Luppenfrischarbeit im
Wesentlichen iiberein, insofern auch bei ihr das Frischen des Eisens gleich unmittelbar im
Schmelzofen vorgenommen und das Eisen in einem zusammenhangenden Stiick aus dem Ofen
genommen wird, daher der Name Stiickofen.
Es sind dies niedrige Schachtofen von 3 bis 5m Hbhe und etwa lm innerem Durch-
messer. Die Form des Schachtes hat zwar Aehnlichkeit mit jener der friiher besclu'iebenen
Hochofen, doch ist der Herd verhaltnissmassig weiter, der Kohlensack dagegen enger, die
Unterschiede in der Schachtweite in verschiedehen Hohen sind daher nicht so gross als bei
dem Hochofen. Der Querschnitt des Schachtes ist gewbhnlich quadratisch, die Blasform etwas
geneigt, um den Wind behufs der Entkohlung auf die Oberflache des Eisens zu treiben. Auch
ist der Herd, d. h. der Eaum unter der Blasform, weniger tief, dagegen aber, wie erwahnt,
weiter, um das Eisen in einer mehr flachen, ausgedehnten Schichte dem Winde darzubieten,
was beim Hochofen, dessen Bestimmung darin besteht, unentkohltes Eoheisen zu liefern, zweck-
widrig sein wiirde.
Da das Eisen nicht fliissig abgestochen, sondern in einem Stiick aus dem Herd gehoben
werden muss, so erwachst hieraus eine der wesentlichsten Unvollkommenheiten des Stiickofen-
betriebes : die Nothwendigkeit, um den Eisenklumpen (Guss) herauszubringen, bei dieser schon
an und fiir sich beschwerlichen Arbeit die Ofenbrust jedesmal zu offnen und nach ausgehobenem
Guss wieder zu vermauern. Die Arbeit selbst ist folgende: Hat man die Brust mit Mauer-
steinen und fettem Thon geschlossen, so fiillt man den Ofen mit Kohlen, setzt diese von unten
in Brand und lasst das Geblase an. Hat sich nach einiger Zeit die Kohle bis zur Gicht hinauf
entziindet, so fangt man an, das vorher gerostete Erz schichtweise abwechselnd mit Kohle auf-
zugeben, und fahrt, so wie diese Gichten herabgehen, mit dem Aufgeben von Erz und Kohlen
fort, bis das zu einmaligem Schmelzen bestimmte Erzquantum eingetragen ist. Sobald man
bemerkt, dass die ersten Gichten zur Schmelzung gekommen sind, lasst man die iiber dem
Eisen schwimmende Schlacke durch den in der beweglichen Ofenbrust angebrachten
Schlackenabzug ab, um das Eisen von der schiitzenden Schlackendecke zu befreien, und
es der Einwirknng der Geblaseluft vollstandiger darzubieten. Hat sich das Eisen bis fast
zum Niveau der Form angesammelt, die in geringer Hbhe iiber der Herdsohle in die
neu gemauerte Ofenbrust eingesetzt wurde, so nimmt man sie heraus, und setzt sie etwas
hoher wieder ein, bringt auch einen neuen Schlackenabzug in entsprechender Hbhe an,
und riickt so in dem Masse, wie sich mehr und mehr Eisen im Herde ansammelt, mit der
Form und dem Schlackenabzug weiter aufwarts, bis die letzte Erzgicht zur Schmelzung gelangt
ist. Die Balge werden n'un ausgehangt, die Schlacke mbglichst abgezogen, die Brustmauer
aufgerissen, der Guss mit Haken und Zangen herausgeholt, unter den Hammer gebracht, zu
einem 8 — 11cm dicken Kuchen ausgereckt, in mehrere Stiicke zerschrotet, und diese einzeln
noch einem nachtraglichen Frischprocess unterworfen. Man bringt sie namlich auf einem eigenen
Herde bei fast horizontal liegender Form zum Schmelzen, indem man sie mit einer grossen
Zange gerade gegen den Wind in das Feuer einschiebt, und allmalig abschmelzen lasst. Das
abgeschmolzene, hiebei dem Winde dargebotene und grbsstentheils entkohlte Eisen sammelt
sich auf dem Herdboden, wird hier durch Beriihrung mit dem Eisenoxydul der Schlacken noch
weiter entkohlt und kommt nun abermals unter den Hammer, um zu Stabeisen ausgereckt zu
werden. Der bei diesem Einschmelzen in der Zange verbleibende, also nicht weiter entkohlte
Theil wird ebenfalls unter den Hammer gebracht, und als Stahl in Stangen ausgeschmiedet.
Der in einem Stiickofen von mittlerer Grbsse entstehende Klumpen (Wolf) oder Guss wird
gewbhnlich alle 24 Stunden ausgenommen, und wiegt 15 bis 20 Zentner. Um ibn herauszuhebeu
und unter den Hammer zu bringen, sind mindestens 8 Mann erforderlich. Er wird hier in etwa
zentnerschwere Stiicke zerschrotet, die dann in der beschriebenen Art weiter verfrischt werden.
Die Eisengewinnung in Stiickofen war friiher besonders in Steiermark und
Karnthen in Gebrauch, ist aber gegenwartig des grossen Kolilenverbrauches, des
grossen Eisenverlustes und Arbeitsaufwandes wegen ganz abgekonimen. Der Vor-
theil des Processes bestand in einem reinen, namentlich Phosphor und Silicium
freien Producte^ bedingt durch die niedrige Reductionstemperatur.
22 Eisen-Erzeugung (Frischen).
II. Die Erzeugung schmiedbaren Eisens aus Koheisen.
A) Durch die Frischarbeit im weitesten Sinne. Es ist Aufgabe
der Frischarbeit, den Koblenstoff des Roheisens grossentheils durch die Einwirkung
des Sauerstoffes der atmospharischen Luft zu entfemen ; gleichzeitig aber audi die
moglichste Abscheidimg der im Roheisen entbaltenen nachtheiligen Substanzen zu
bewirken. Bei der Frischarbeit befindet sich das Roheiseu im geschmolzenen Zu-
stande und kann der Process vorgenommen werdeu :
in Herd en — Herdfrisehen, Frischen im engeren Sinne (affinage — refining),
in Flammofen — Flanirnofenfrischen, Puddeln (puddler — puddling),
in Convertern — Windfrischen, Bess em em.
Beim Herd frischen fallen die Tropfen des niederschinelzenden Roheisens
durch den von der Diise kommenden Windstrom in den Herd, welcher mit Holz-
kohle beschickt ist. Die Holzkohle liefert die zum Einschmelzen erforderliche
Wa'rme und kommt in unmittelbare Beriihrung mit dem Eisen.
Beim Puddeln wird das Roheisen durch die Flamme des von ihm ge-
trennten Brennmateriales (meist Steinkohle) in einer Mulde des Ofens eingeschmolzen
und die Einwirkung des in der Flamme entbaltenen freien Sauerstoffes und der
Kohlensaure wird durch Riihren des Eisenbades befordert.
Beim Bessemer n wird in die Retorte (Converter, Birne) fliissiges tibergares
Roheisen eingefiillt und Luft in moglichster Vertheilung durehgetrieben, welche
durch Verbrennung des im Roheisen entbaltenen Siliciums und Kohlenstoffs jene
Warmemenge liefert, welche erforderlich ist, das gebildete schmiedbare Eisen in
diinnfliissigem Zustande zu erhalten.
Zum Vergleiche dieser Methoden dienen nachstehende Durchschnittszahlen :
100 Ztr. Roheisen werden in einem Herde in lOTagen, in einem Puddelofen
in l1/,, Tagen, im Converter in 30 Minuten in schmiedbares Eisen verwahdelt.
An Brenn materia le brauehen 100 Ztr. Roheisen beim Herdfrischen
circa 60 Ztr. Holzkohle^ beim Puddeln 100 Ztr. Steinkohle, beim Bessemer n
fur die Geblasemaschine, das Einschmelzen und den Mehrbedarf beim vorhergehenden
Hochofenprocess, welcher iibergares Roheisen liefern muss, circa 110 Ztr. St. K.
Aus 100 Ztr. Roheisen gewinnt man ca. 74 Ztr. gefrischtes Stabeisen, 75 Ztr.
gepuddeltes Stabeisen und 80 Ztr. Bessemereisen.
Die chemischen Vorgange beim Frischen. Beim Einschmelzen
des Roheisens lost sich der in demselben als Graphit enthaltene Koblenstoff im
geschmolzenen Eisen und ist nun chemisch gebimden. Findet das Einschmelzen
langsam und unter reichlichem Luftzutritte statt, wie dies im Frisehherde und
Puddelofen der Fall ist, so findet eine Oxydation des grossten Theiles des im
Eisen entbaltenen Siliciums statt, welches mit dem gebildeten Eisenoxydule
eine Schlacke bildet. (Rohschlacke, Bisilicat FeoSi606 oder nach der alten Schreib-
weise FeO, SiO„.) Beim Bessemern findet die Oxydation des Siliciums im Converter
selbst statt. Diese Periode heisst die 1. oder Feinperiode auch-Periode der
Schlackenbildung. Im weiteren Verlaufe des Processes nimmt die Schlacke mehr
und mehr Eisenoxydul auf und geht in die Gar schlacke (Singulosilicat Fe,1SiOi
oder 2 FeO, SO,,) iiber. Diese Schlacke lost das weiter sich bildende Eisenoxydul-
oxyd auf, und dieses wirkt, da die Schlacke in Beriihrung mit dem geschmolzenen
Eisen ist, entkohlend auf dasselbe ein, wobei sich Kohlenoxyd bildet. Ist das
Roheisen manganhaltig, so enthalt schon die Rohschlacke einen grossen Theil des-
selben, und die Garschlacke hat dann weniger die Fahigkeit Eisenoxyduloxyd zu
Ibsen, die Schlacke verzbgert daun die Entkohlung. Diese Periode heisst die 2.
oder Periode des Rohfrischens.
Die 3. Periode ist das Garfrischen. In ihr nimmt die Schlacke noch
weiter Eisenoxyduloxyd auf, wirkt durch dasselbe weiter entkohlend und bedingt
dadurch die Bildung von Schmiedeis en, welches beim Frischen in Herden und
Puddelofen in teigiger Beschaffenheit, beim Bessemern' fliissig erhalten wird.
Wiihrend des Roll- und Gartrischens oxydirt sich der im Roheisen enthaltene
P h o s p h o r und geht in die Schlacke, und zwar besonders dann, wenn die Tempe-
Eisen-Erzeugung (Braten, Feinen).
23
ratur n i c h t zu hocli ist. Bei der hohen Temperatur des Bessemerprocesses findet
entweder diese Oxydation nicht statt, oder sie wird durch nachfolgende Reduction
aufgehoben. Audi der Schwefel oxydirt und entweicht als schweflige Saure,
und zwar um so vollkominener, je danger der Process dauert. Die ubrigen Ver-
unreinigungen, Kupfer ausgenommen, werden durch den Frischprocess leicht oxydirt
und getien in die Sclilacke.
Graues und siliciumreiches Roheisen wird, — wenn es im Frischherde ver-
arbeitet werden soil (was hochst selten geschielit) immer, wenn es verpuddelt werden
sollhaufig, — dadurch vorbereitet, dass man es unter lebhaftem Winde in besonderen
Oefen einschmilzt, welche Operation das Feinen, Weiss en, Raffiniren oder
Lantern (finage — fining) heisst und weisses Roheisen liefert.
Die Entkohlung des Roheisens geht um so rascher vor sich; je holier die
Temperatur und je reichlicher die Luftmenge ist; sie kann — namentlich beim
Puddeln — auch dadurch beschleunigt werden, dass man dem Eisenbade Hammer-
schlag oder Garsehlacke oder reine gerostete Erze zusetzt.
Das weisse Roheisen schmilzt langsam ein (gar), das graue und das Spiegel-
eisen plotzlich (roh) ; daher eignet sich das weisse Roheisen zum Herdfrischen und
Puddeln weit besser, wahrend fur den Bessemerprocess nur graues und s i 1 i c i u m-
reiches Eisen, welches durch Verbrennung dieser Beimengungen die geniigende
Temperatur liefert, verwcndet werden kann.
D i e V o r b e r e i t u n g d e s R o h e i s e n s z u m F r i s c h e n oder Puddeln.
Sehr lichtgraues oder halbirtes Roheisen kann in weisses Eisen von brauchbarer
Beschaffenheit durch rasche Abkiihlung (A b s c h r e c k e n) des geschmolzenen Eisens
iibergeftilirt werden; man erreicht dies entweder dadurch, dass man das ge-
schmolzene Roheisen in eisernen Formen erstarren lasst, oder durch das Scheiben-
reissen oderBlattelheben s.III S. 11 oder endlich durch Einleiten in Wasser, Granuliren.
Wirksamer als das Abschrecken ist das Braten oder Gllihen. Gliiht
man graues Roheisen langere Zeit unter Zutritt der Luft, so oxydirt sich nicht
nur die Oberflache desselben, sondern es oxydirt sich das Silicium, und das Eisen
geht aus der grauen in die weisse Modification iiber.
Rascher und vollkommener wirksam ist das Umschmelzen des grauen Roh-
eisens unter kraftigem Winde. Bedient man sich hierzu des gewohnlichen Frisch-
herdes, so heisst die Operation auch Har tzerrenn en ; beniitzt man besondere
mit Koks geheizte Feuer — - Feinfeuer — so heisst der Process Feinen, Raffi-
niren, auch Affiniren.
Fig. 1223 und 1224 stellen ein Feinfeuer im verticalen und horizontalen Durchschnitt
dar. Der Herd desselben a besteht in einem langlich viereckigen Kasten, der an 3 Seilen
durch kastenformige, hohle, gusseiserne Wiinde b, die mittelst durchfliessenden Wassers kiihl
gehalten werden , einge-
schlossen ist. Die vierte
Seitenvvand c, durch wel-
che das Eisen abgestochen
wird , besteht aus einer
einfachen Eisenplatte. Der
Boden des Herdes wird
aus fettera Sand gebildet.
An jeder der langeren Sei-
ten liegen 3 Formen, so
jedoch, dass sie einander
nicht gerade gegeniiber
sind , und in ihnen die
Diisen der aus der Figur
deutlich ersichtlichen
AVindleitung. Die Formen
sind hohl gegossen, so dass
sie dutch einen Strom hin-
durchfliessenden Wassers
bestandig kiihl gehalten
werden konnen. Zwei
Einnen e e ffibren de)n
Apparate das ncithige kalte
Afnmr- oder lemteuer.
24
Eisen- Erzeugung (Herdfriscken).
Wasser zu, welches theils dnrch die Rohren
d d zu den Formen und aus diesen durch
die Rohren i i in die Abflussbehalter k k,
theils durch andere in der Figur nicht
sichtbare Rohren in die hohlen Wande ge-
langt, urn auch aus diesen in die Behalier
k k zu treten. Das ganze Affinirfeuer be-
findet sich unter einer 5 — 6m hohen Esse,
deren unterer Rauchmantel etwa l'3m von
dem Herde absteht.
Man fiillt bei der Arbeit zuerst den
ganzen Herd mit Koks an, und legt 6
Flossen (pigs) dergestalt auf sie auf, dass
vier den vier Seiten des Herdes parallel
und zwei in der Mitte quer iiber jene zu
liegen kommen, worauf man sie mit einem
Haufen Koks bedeckt. Das Feuer wird
nun in Gang gebracht und nach Verlauf
einer Viertelstunde das Geblase an£
worauf das Eisen allmalig zum Fluss komrat und sich auf dem Sandbette des Herdes ansammelt.
Hierbei werden die Koks in dem Masse, wie sie verbrennen, stets durch neue ersetzt und
auch von Zeit zu Zeit neues Eisen aufgegeben, bis zur Gesammtmenge von 2 bis 2 1/4 Tonnen.
Das herabgeschmolzene Eisen darf aber nicht aufgebrochen oder geriihrt werden, wie
dies bei der eigentlichen Frischarbeit geschieht, sondern man hat nur darauf zu sehen, die
Temperatur stets auf dem richtigen Punkte und das geschmolzene Eisen fliissig zu erlialten.
Man bemerkt hierbei eine eigenthiimliche, gleichsam wallende Bewegung der Koks, die zum
Theil von dem heftigen Luftstrom des Geblases, zum Theil wohl auch von einer in dem Metalle
vor sich gehenden Entwicklung von Kohlenoxydgas herriihrt. Wenn nach Verlauf von etwa
2 oder 2J/2 Stunden alles Eisen eingeschmolzen ist, wird es abgestochen und fliesst nun nebst
den Schlacken in eine vor dem Stich bemidliche, von unten durch kaltes Wasser abgekiihlte
und mit Lehmbrei bestrichene flache eiserne Form von 2m Lange, lm Breite und 5 — 8cm Eisen-
starke.
Der Zweck dieser ganzen Operation ist ein doppelter: 1. das Roheisen durch das Um-
schmelzen unter Einwirkung der Geblaseluft theilweise zu entkohlen, und 2. keine Grapb.it-
abscheidung zuzulassen, zu welchem Ende man sogleich nach Ausfliessen die Platte durch Be-
giessen mit kalten Wasser auch oben kiihlt. Das hierdurch erhaltene Feinmetall ist sehr weiss
und von fasrig strahligem Gefiige, zuweilen zellig, mit vielen kleinen runden Blasenraumen.
Bei schwefelhaltigem Roheisen setzt man beim Afh'niren wohl etwas Kalkstein zu.
DerAbbrand beim Feinmachen betriigt etwa 12 bis 17 Procent, der Verbrauch an Koks
auf die Tonne (20 Ztr.) Eisen etwa 4 bis 5 Ztr.
Das Feinmetall wird nun zerschlagen, gewogen und dem Puddelofen iibergeben. In
einem gewohnlichen Affinirfeuer kbnnen taglich 10 Tons Eisen fertig gemacht werden.
An manchen Orten wendet man auch Feinofen mit Gasfeuerung an. S. Percy
Wedding Eisenhiittenkunde
Die Her dfri sch erei findet iu den Frischherden oder Frischfeuern (forge
d'afjinerie — refining -fire) Hire Durchftiliruiig.
Die beistelienden Figuren zeigen ein oflfenes Frischfeuer im Verticalschnitt
und Gmndriss. a und b sind Mauern, welehe das Feuer gegen die Formseite
und die Rlickseite begrenzen. c ist die Untermauerung. a, b und die Saule d
tragen den Rauchmantel, welclier die Verbrennungsproducte zur Esse fiihrt. Der
eigentliche Herd ist ein vertiefter Kasten e, welclier durch dicke Gussplatten be-
grenzt ist. Diese Platten fiiliren besondere Bezeichnungen, u. zw. heisst / der
Fig. 1225 a. Fig. 1225 b.
Formzacken, </ der Gichtzacken, h der
Hinterzacken, auf welchen zuweilen ein
Zacken i (Aschenzacken) aufruht, k heisst
Bodenzacken und m Vorder- od. Schlaken-
Eisen-Erzeugung.
25
zacken, weil sich in ihm eine Oeffhung zum Ablassen der Schlacke befindet. Anf
dem Vorderzacken ruht die breitere Arbeitsplatte m. Die durcbschnittlichen Di-
mensionen sind 63— 93cm Lange und Breite und 19 — 25cm Tiefe unter der Form.
Der Bodenzaeken ist durch Wasser, welches in dem unter clem Bodenzacken
(Fig. 1225) befindlichen Hohlraum circulirt, gekithlt.
Um die abgehende Warme in etwas auszuniitzen, iiberdeckt man den Herd
— bedecktes Frischfeuer (Fig. 1226) — und gewinnt so einerseits einen
Raum (Vorherd) n zum Vorhitzen (Braten) des zu verfrischenden Roheisens, tbeils
einen Raum v zum Erbitzeri der Geblaseluft. In unserer Figur bat /, h, Jc die
obige Bedeutung, I ist der Schlackenzacken, m die Arbeitsplatte und p die Esse.
Fig. 1226-
Je robschmelziger ein Eisen ist, um so langsamer verlauft im Allgemeinen
der Process. Bei rein em robschmelzigen Eisen trachtet man denselben durch Ver-
minderung der Herdtiefe, starkere Neigung der Form, Neigung des Bodenzackeus
zur Form und durch kalten, schwacber gepressten AYind zu kiirzen. Man nennt
diesen Gang Gargang. Derselbe wird audi durch Zusatz oxydirender Mittel,
namentlich Garschlacke von einem friiheren Processe, befordert.
Bei garschmelzigem, aber dabei unreinem Eisen verlangsamt man den Process
durch die umgekehrten, die Herdform beeinflussenden Mittel.
Will man im Frischherde graues Roheisen auf Schmiedeisen verarbeiten, so
bat ein erstes Niederschmelzen die Aufgabe des Feinens, ein zweites die des Roh-
frischens und ein drittes die des Garfrischens. Man nennt dann deses Verfabren
Dreimalschmelzer ei oder deutsches Frischen.
Der bei der Dreimalschmeljzerei beobachtete Vorgang ist folgender.
Wenn der Herd mit Holzkohlen gefiillt, das Geblase angelassen und das Feuer in
Gang gekommen ist, so bringt man das in Gauze von 2 — 2-6m Lange, 5 — 8cm
Dicke und 23 — 26cm Breite gegossene Roheisen der Form gegeniiber auf den
Gichtzacken und schiebt es so weit in das Feuer, dass sein vorderes Ende etwa
18rm von der Form entfernt ist. Das Eisen kommt nun bald zum Schmelzen und
fliesst in den Herd, worauf man die Ganz weiter vorschiebt,bis sie ganzlich nieder-
geschmolzen ist. Auf diese Weise wird das zu einem Frischsttick bestimmte Roh-
eisen, 2 Vo bis 3 Zentner, niedergeschmolzen und schon hierbei durch die oxy-
dirende Einwirkung des auf das schmelzende und herabtraufelnde Eisen einwirkenden
Luftstromes einer anfangenden Entkohlung unterworfen, und dadureh zur dick-
26 Eisen-Erzeugung (Herdfriscben).
fliissigen Consistenz gebracht. Der Arbeiter untersucht das im Herde befindliche
Eisen mit einem Spiess; zeigt es sich sebr 'fliissig (roh), so dass er den Spiess
leicht bindurch bis auf die Bodenplatte bringen kann, so sucbt er dadurch nach-
zuhelfen, dass er eiue gewisse Menge Garschlacke in den Herd bringt und mit
dem Eisen durchzuarbeiten sucht. . Zeigt sicb das Eisen im Herd von teigiger
Consistenz, so dass der Spiess nur mit Miihe bis auf die Bodenplatte hindurch-
gestossen werden kann, so ist dies ein' Zeicben von einem guten garen Gauge.
Sollte dagegen das Eisen sich hart anfiihlen, so ist der Gang zu gar, die Ent-
koblung fur dieses Stadium des Processes schon zu weit vorgeschritten, und der
Arbeiter muss durcb Zufiigung von etwas Roheisen nachzuhelfen suchen. Bei diesem
ersten Einschmelzen bildet sich eine sehr fliissige Scblacke, Roh scblacke,
welche, da sie ibrer zu diinnfltissigen Bescbaffenheit wegen sich mit dem Eisen
nicht vermengt, daher nur wenig zur Entkoblung beitragt, durch das Schlacken-
loch abgelassen wird.
Man schreitet nun zum Rohaufbr echen oder Durchbrecben, indem man
die Kohlen abraumt und bei ununterbrocbenem Gauge des Geblases mittelst schwerer
Brechstangen den im Herde befind lichen weichen Eisenldumpen in die Hohe hebt
und auf frische Kohlen iiber den Windstrom in umgekehrter Lage bringt, so dass
die obere Seite jetzt zu unterst und die der Form vorber zugekehrte Seite an
den Gichtzacken kommt. Das Eisen beginnt nun wieder zu schmelzen und fliesst
nach und nach wieder in den Herd , wobei eine weitere Entkoblung und
Schlackenbildung eintritt. Der im Herde entstehende Eisenklumpen zeigt nun schon
grossere Consistenz, so dass der Spiess nicht mehr bindurch gebracht werden kann,
und man nimmt ein abermaliges Auf brcchen, Garaufbreclien, vor, wobei also jedesmal
die aufgebrochene Eisenmasse iiber die Form gebracht und wieder niedergeschmolzen
wird. Geht der Frischprocess gut von statten, so reicht ein zweimaliges Auf-
brechen und Wiedereinscbmelzen , Rohaufbr echen und Garaufbreclien,
bin,- doch kann, wenn das Eisen nach dem ersten Aufbrechen noch zu roh ge-
blieben ist, ein zweites, ja selbst ein drittes Rohaufbreeheii erforderlich sein.
Das Einschmelzen nach dem Garaufbreclien erfordert eine sehr starke Hitze, weil
durch die vorgeschrittene Entkoblung sich das Eisen in einem fast stabeisenartigen
Zustande befindet. Die in diesem Stadium des Processes sich bildende, verhaltniss-
massig mehr Eisenoxydul und weniger Kieselerde enthaltende, daher weniger diinn-
fliissige Scblacke fiihrt den Namen Garschlacke; sie ist es, welche, wie schon
crwalmt, bei der Entkoblung des Roheisens eine so wichtige Rolle spielt.
Bei dem letzten Niederscbmelzen wird in einigen Eisenhiitten das sogenannte
Anlaufenlassen vorgenommen. Man halt namlich einen geschmiedeten Eisen-
stab unter das herabfliessende Eisen und dreht ihn von Zeit zu Zeit, bis sich das
auf seiner Oberflache erstarrende Eisen zu einem Klumpen, Anla uf kolben, von
16 bis 20 Pfd. vereinigt hat, der sodann ausgescbmiedet ein Eisen von vorziiglicher
Giite liefert.
Nachdem sich alles iibrige Eisen iui Herde zu einem zusammenhangenden
weissgliihenden Klumpen, Deul oder Luppe, vereinigt hat, wird dieser ausge-
brochen und nach dem Abklopfen der ibm ausserlich anbangenden Scblacke
(Schwahl) sofort unter den Hammer gebracht, dessen Aufgabe darin bestebt, die
im Innern des Eisens noch befindliche fliissige Scblacke herauszupressen, und zugleich
die Theile des Eisens durch Schweissung zu einer auch im Inneren vollstandig
zusammenhangenden Masse zu vereinigen, eine Aufgabe, die freilich bei diesem
ersten Zangen nie vollstandig erreicht wird. Das so durch angemessenes Wenden
auf dem Ambos gebildete prismatische Stuck wird hierauf mittelst des Setzeisens
in 4 oder 6 Stiicke, Scbirbel, zerschrotet, diese eutweder in dem Friscbfeuer
oder einem besonderen Schweissofen wieder angewarmt, d. b. zum Weissgliiiien
gebracht, und unter dem Hammer zu Staben von der verlangten Dicke mid Gestalt
ausgescbmiedet.
Der Frischprocess bezweckt den Kohlen- und Kieselgehalt des Roheisens
durch Oxydation aus dem Eisen zu entfernen, wobei a*ber die vollstandige
Eisen-Erzeugung (Puddeln). 27
Abseheidung des Kohlenstoffes keineswegs beabsichtigt wird, ja sorgfaltig zu ver-
rueiden ist, weil sie ein schlechtes, verbranntes Eisen liefern wiirde. Aber nicht nur
der Kohlenstoff, soudern audi Kiesel und Mangan nnterliegen derselben Oxydation,
schnielzen rait dem im Ueberschuss vorliandenen Eisenoxydul zu einer schwarzen
Scblacke zusarmnen, die sicb zum Tbeil bei der Friscbarbeit selbst, zum Tbeil beim
nachherigen Zangen von dem reinen Eisen trennt. Soil jedocb diese Einwirkung des
Eisenoxyduls auf die inneren Tbeile des Kobleneisens rascb erfolgen, so miissen
beide Tbeile zur innigen Berlihrung und Mengung kommen, und bierin liegt der
Grund, weshalb der Friscbprocess bei allzngrosser Hitze weniger gut von statten
geht. Bei sebr starker Hitze namlicb geben Eisen und oxydulhaltige Schlacke
(das Entkohlungsmittel) in diinnfliissigen Zustand fiber, trennen sicb in Folge des
verscbiedenen specifisehen Gewichtes von einander, indem die Scblacke auf dem
Eisen schwinirnt, und kommen dabei nur in oberflachliche Beriihrung,' wahrend sie
bei niedriger Temperatur und geringerer Fliissigkeit sicb besonders bei einigem
Durcbrtibren innig mit einander mengen.
Im Anfange der Periode des Rohfrischens scbeidet sich eine besonders phos-
pborreicbe Scblacke ab, welche abgelassen werden muss. Das Product des Roh-
frischens ist ein stablartiges Eisen, jenes des Garfrischens Schmiedeisen.
Verarbeitet man bereits gefeintes oder sehr siliciumarmes, weisses Roh-
eisen, dann fallt das erste Sebmelzen (Feinen oder Ganzeschmelzen) weg; es ge-
niigen zur Herstellung von Scbmiedeeisen zwei Scbmelzungen, und dieses Friscb-
verfahren wird dann Zweimalscbmelzerei oder Wallonen f r i schen genannt.
Es wird bierbei beisser Wind beniitzt und der Process durch Zusatz von Gar-
schlacken bescbleunigt.
Ist das verwendete Robeisen sehr arm an Koblenstoff, manganbaltig und
rein, so kann ein einmaliges Einschmelzen geniigen. Einmalschmelzerei. Es
wird die Entkoblung bierbei bescbleunigt durch Herstellung eines Garschlacken-
bodens im Herde, so wie durch Zusatz von Garschlacke beim Einschmelzen. Ist
durch die Einschmelzung die Entkoblung noch nicht geniigend, so findet allerdings
auch hier ein theilweises Aufbrechen — Nachrennen — statt.
Die richtige Fiibrung des Frischprocesses — der in zahlreicben Abanderungen,
woriiber Tunner's „Stabeisen und Stablbereitung" nachgesehen werden kann;
durch gefiihrt wird — erfordert viele praktische Erfahrung ; denn derFrischer muss
aus dem "Widerstancl, den die Stange im Eisen findet, aus der Helligkeit der Funken
und des Feuers, so wie aus der Beschaffenheit der Schlacke den Process be-
urtheilen.
Soil der Process nur bis zur Stahlbildung durchgefuhrt werden^ so ist
derselbe nicht cinfach friiher (am Ende des Rohfrischens) zu unterbrechen ; weil
man so ein Product erhielte, welches meist nicht rein genug ware. Man sucht
vielmehr den Process durch die oben erwahnten Mittel, welche den Rohgang be-
dingen, namentlich aber durch Anwendung manganhaltigen Roheisens zu verlangern,
d. h. die Entkoblung zu verzogern. In dieser Richtung wirkt auch ein, die Ab-
kiihlung verzogernder, Sandsteinboden des Herdes. Durch dieses Hinausziehen des
Processes, das Garen unter der manganhaltigen Schlacke, steigt der Brennmaterial-
verbrauch iiber jenen zur Schmiedeisenerzeugung erforderlichen.
Bei dem Fri schen auf Stahl sind die Benennungen Zweimalschmelzerei,
Einmalschmelzerei nicht mehr so bezeichnend wie bei Schmiedeisenbildung; denn
selbst dann, wenn rohschmelziges Eisen verarbeitet wird, findet nach dem
Einschmelzen kein Aufbrechen statt, sondern es wird das gefeinte Eisen auf dem
Boden des Herdes gar gemacht und zwar entweder durch Einriihren von Gar-
schlacke, oder durch den auf das Eisenbad (resp. die Schlackendecke)gerichtetenWind.
Die gebildete Luppe (hier Schrei genannt) wird eben so gezangt7wie dies
beim Schmiedeisen der Fall ist, und wie es spater besprochen wird.
Das Puddeln. Dieser Process wird im Flammofen durchgefuhrt, in welchem
das zu verpuddelnde Robeisen auf einer aus schwerschmelziger Schlacke gebildeten
28
Eisen-Erzeugung (Flarnmofenfrischen o. Puddeln).
Mulde eingeschmolzen und durch die Einwirkung des, in der dariiber ziehenden
Flanime enthaltenen, freien Sauerstoffs gefrischt wird. Die Einwirkung der Flamrae
wird durch Riihren des Eisenbades (to pucldel, riihren*) befordert.
Wir seben beisteliend einen P u d d e 1 o f e n in Ansicht, Vertical- und Horizontal-
scbnitt. Das einzuscbmelzende Roheisen wird auf den Schlackenkerd a gegeben,
welcber auf den Herd- oder Bodenplatte'n aufgestampft ist. Bei b ist die Arbeits-
thiire, in derselben ist ein kleines Loch c (Fig. 1227 a) ausgespart, durch welches
der Puddler wahrend des Processes mit den Riihrstangen (Kriicken) in das Innere
des Ofens gelangen kann; beim Einschmelzen ist c zugelegt. Das Brennmateriale
wird auf den Rost / in den Verbrennungsraum g durch die Heizthiire i gebracht
und die Flamnien scblagen iiber die Feuerbriicke I nach a.
Fig. 1227 a.
Einfacher Pnddelofen;
Die Form des Ofengewolbes h driickt bierbei die Flamme auf den Schlacken-
herd nieder. Gegen den Fuclis o ist der Herd durch die Fuchsbriickera
begrenzt. Die Fucbsbriicke m liegt etwas niederer als die Feuerbriicke und kann
die auf dern Eisenbade scbwimmende Schlacke iiber m nach o abfliessen. Uebrigens
ist zum Ablassen der Schlacke bei d (Fig. 1227 a) oder an anderer geeigneter Stelle
ein Schlackenstichloch angebracbt. Die Ascbe fallt durch den Rost in den Aschen-
fall h. Die Feuer- und die Fucbsbriicke bestehen aus einem hohlen Eisenkasten,
*) Die Benennuug dieses Processes stammt wie dieser selbst aus England. Das Verfrischen
des Roheisens wurde friiher audi in England mit Holzkoblen nach dem deutschen Ver-
fahren ausgefiilirt ; als aber das Holz in England seltener und theurer wurde, fing man
an, Holzkoblen mit Koks gemeugt anzuwenden. Allein das Stabeisen tiel gewohnlich
von barter, schlechter Bescliaiienbeit aus und der Process ging so langsam von Statten,
dass eine Eisenhiitte, die vocbentlich 20 Tons Stabeisen zu liefern im Stande war,
scbon zu den bedeutenden gezahlt wurde.
Es gelang (1787) den unausgesetzten Bemiibungen Cort's, Eoheisen dadurch
zu Stabeisen zu verfrischen, dass er es auf dein Herde eines Flammofens einer lebbaften
Steinkohlenrlamme- exponirte, wodurch er den doppelten Vortheil erreicbte, einestheils
mit Steinkohlen als Brennmaterial auszureichen, und zweitens, keines kiinstlichen Ge-
blases zu bediirfen. Aber dieses Verfahren allein fiihrte noch keineswegs zu dem ge-
wiinschten Resultat ; es war sekr unsicher, gab mitunter einen sehr unbedeutenden, ein
andermal wieder einen sebr grossen Verlust; das Eisen fiel sehr verschieden aus, und
eben so grosse Differenzen zeigten sich in der Menge des Steinkoblenverbrauchs. Indessen
gelang es Co r t , audi diese Schwierigkeit dadurch zu iiberwinden , dass er v o r dem
eigentlichen Puddeln im Flammofen ein Feinen mit Koks vornahm. Das so vorbereitete
Eisen nannte er rinery metal oder tine metal (Feinmetall, Feineisen).
Statt der bis dahin gebrauchlichen Behandlung des gefrischten Eisens unter dem
Hammer fiihrte Cort das Walzwerk ein, wodurch die Stabeisenfabrication wieder eine
ausserordentliche Erleichterung, wenn auch nicht Yerbesserung erfubr. Aber auch durch
alle diese Mittel wurde ein briichiges Stabeisen von sehr geringer Giite erzielt, das
wenigstens unmittelbar keiuer Anwendung fahig war. Um auch diesen Febler zu ver-
bessern und ilim die nothige Consistenz zu geben, unterwarf er das gepuddelte Eisen
einer nachtraglichen sehr heftigen Schweisshitze in einem besonderen Flammofen, wodurch
es dann gelang, ein gutes verkaufliekes Stabeisen herzustellen.
Cort ist nach den bier angedeuteten ausserordentlichen Leistungen nicht minder
epochemachend in der Eisenindustrie aufgetreten als in der jiingsten Vergangenheit
Bessemer.
29
Fig. 1227 b.
welcher durch feuerfestes Materiale aussen verkleidet und inneu durch circulirendes
Wasser gekiihlt ist. Das Mauerwerk des Ofens ist aus feuerfesten Ziegeln hergestellt
und aussen durch Eisenplatten und Schliessen armirt. Die Lange des Schlaeken-
herdes betragt durchschnittlich l.*6m , die Breite l-5m und die Tiefe 15— 20cm
bei einera Einsatz von 3 — 4 Ztr. Roheisen und bei der nur fur die Bearbeitung
von einer Seite (einfache Oefen) eingerichteten Anordnung. Oefen, welche
eine Bearbeitung von beiden Seiten gestatten, heissen Doppelofen. An den
Fucks schliesst sich der Schornstein an, dessen innerer lickter Querschnitt ge-
wohnlich quadratisck ist und die Verbrennungsproducte abfiihrt. Die obere Oeffnung
des Schornsteines ist mit einer Klappe (Deckel) versehen, welcher die Regulirung
des Zuges gestattet.
Zum Zwecke der Ausniitzung der in den Verbrennung'sprodueten abg'ehenden Warme
werden manche Puddelofen so constrnirt, dass sich an die anf den Schlackenherd anscliliessende
Vertiefung- far den Abfluss der Schlacke ein zweiter ebeiier Herd anschliesst zum Vorwarmen
des Eisens (vgl. Fig. 1226 S. 25). Oder man beniitzt die Verbrennungsgase zur Kesselheizung,
wobei besonders die verticale Aufstellung, wie eine solche durch umstehende Skizze (Fig. 1228)
dargestellt ist, haufig angetroffen wird.
Was die Puddelofenfeuerung anbelangt, so kann dieselbe — abgesehen von der Form der
Roste, in welcher Hinsicht zumeist Plan- und Treppenroste angetroffen werden — auch ganz
vom Puddelofen getrennt werden und ist dann stets eine Gas feue rung (s. d.). In dem
sogenannten Generator wird aus Torf, Siig'espanen u. dgl. sonst schlechter verwerthbarem
Brennmateriale durch unvollkommene Verbrennung Kohlenoxydgas erzeugt, und dieses in dem
Schlackenherde des Pnddelofens mitLuft gemengt verbrannt. Hierbei kann der Siemens'sche
Regenerativofen, welchen wir bei der Gussstahlbereitung besprechen werden, zur Anwendung
komrnen.
Es sei nun zunachst die Manipulation beira Puddeln anf Schmiedeeisen be-
sprochen und hierauf jene Unterschiede ira Gauge dieses Processes, welcke beim
30
Eisen-Erzeugung (Puddeln).
Fig. 1228.
Puddeln sehnigen (Puddeln auf
Sehne) oder kornigen (Puddeln
auf Korn) Schmiedeeisens , so
wie beim Stahlpuddeln beob-
achtet werden miissen.
Die Operation des Puddelns
selbst erfordert viel Geschick-
lichkeit nnd Sorgfalt von Seiten
des Arbeiters. Er bringt nanilich
das Feinruetall oder Puddel-Roh-
eisen mit einer Schaufel in den
Ofen ein, nnd thiirmt die Stiicke
pfeilerformig an den Seiten des
Herdes bis fast unter die Wol-
bung des Ofens aufeinander,
wobei die Mitte des Herdes frei
bleibt. Die einzelnen Pfeiler oder
Stapel miissen so viel wie nioglich
von einander getrennt bleiben,
damit das Eisen von alien Seiten
dem Zutritt der Luft und der
Flamme dargeboten werde. Das
Arbeitsloch wird nun mit seiner
Fallthiir verschlossen, Steinkoblc
auf den Eost gegeben, und das
Schiirloch damit zugelegt, dagegen aber die zum Oetfnen und Verschliessen auf
der oberen Miindung des Schornsteins angebraehte Klappe geoffnet, so dass der
Ofen in voile Gluth kommt. Nach etwa 20 Minuten wird das Eisen hellgliihend
und fangt an den hervorragenden Ecken und Kanten zu schmelzen und auf den
Herd herabzutropfen an ; so wie dieser Punkt eingetreten ist, offnet der Arbeiter
die kleine, in der Fallthiir eigens zu diesem Zwecke ausgesparte Oeffnung und
sucht nun mit einem hakenformigen Instrumente die Eisenstiicke so zu wenden,
und je nach dem grosseren oder geringeren Hitzgrade so anzuordnen, dass das
Eisen nicht zu rasch einschmilzt. Nunmehr beginnt das eigentliehe Puddeln. Der
Arbeiter sucht namlich das geschmolzene Eisen mit zugesetzter Schlacke und der
beim Einschmelzen gebildeten zu mengen, und arbeitet es bestandig durch, urn
stets neue Oberfla'ehen mit der Luft in Beriihrung zu bringen. Das Eisen schwillt
hierbei durch Entwicklung von Kohlenoxydgas auf, das seinerseits, sobald es das
Eisen durchbricht, in Gestalt kleiner Flammchen abbrennt. In dem Masse, wie
das Eisen seinen Kohlengehalt hierbei verliert, nimmt es an Strengfliissigkeit zu,
es wird in der Sprache der Eisenarbeiter trockner, allmalig A'ermindert sich
die Entwicklung von Kohlenoxj^dgas und hort endlich ganz auf. Walirend dem
wird das Eisen bestandig durchgearbeitet und umgewandt, bis es kornig-teigig
(steif) ist. "Wenn dieser Punkt erreicht ist, wird das Feuer wieder verstarkt
nnd die Klappe auf dem Schornstein geoffnet. Bei steigender Temperatur nimmt
das Eisen jetzt wieder eine zahe BeschafFenheit an und backt oder schweisst sich
zu einer kliimprigen Masse zusammen, wo dann der Process beendigt ist.
Es handelt sich jetzt nur noch darum, das Eisen in grossere Klumpen,
Ballen, zu vereinigen. Zu d«m Ende wird ein Kliimpchen, das hierbei gleichsam
als Kern dient, auf der weichen Masse bin- und hergerollt, so dass es sich durch
Anhaufung von Eisen mehr und mehr vergrossert, bis ein Ballen von 30 bis
50 Kg. cntstanden ist. Dieser wird mit einer vorher heissgemachten Stange nach
der heissesten Stelle des Herdes in der Nahe der Feuerbrucke gebracht, um
bier noch weicher zu werden, mit Gewalt zusammengedriickt, damit sich die Schlacke
muglichst herausquetsche. Wenn nach ungefahr 20 Minuten alles Eisen in Ballen
formirt ist, wird auch das Arbeitsloch geschlossen, damit die Hitze ihren hochsten
Eisen-Erzeugung. 31
Grad erreiche, und die Theile des Eisens sich noch inniger und vollstandiger
verbinden. Die Ballen werden nnn einzeln mittelst einer grossen Zange aus dem
Ofen 'gezogen und so schnell wie moglich unter dem Hammer oder der Presse,
zuweilen auch direct zwischen Walzen, gezangt.
Der ganze Process des Puddelns dauert 1 '/» bis 2I/!j Stun'den, namlich
V4 Stunde zum ersten Erhitzen des Feinmetalls, bis es anfangt zu schmelzen, 1
bis 1 7o Stimde zum Puddeln bis zur kornigen Zertheilung, in welcliem Zustande
das Eisen 1/Q Stunde erlialten wird, endlich 20 Minuten zum Formiren der Ballen.
Etwa 3 '/„ bis 4 '/„ Ztr. Feineisen kommen zur Zeit in den Puddelofen. Der Abbrand
oder vielmelir Verlust an Eisen ist je nach der Geschicklichkeit des Arbeiters und
der Beschaffenheit des Robeisens sehr- verschieden und schwankt zwischen 8 und 15 °/0.
Der Sand- oder Schlackenherd muss schon 12 Stunden vor Anfang der Arbeit
am Montag Morgen angewarmt, am Sonnabend aber nach dem letzten Puddeln
durch ein lebhaftes Feuer ganz eingeschmolzen und als fliissige Schlacke durch
den Abzug abgelassen werden.
Das Puddeln auf Sehne ist in dem Vorstehenden, ein garschmelziges
nicht manganhaltiges Roheisen, wie es verwendet werden soil, vorausgesetzt, bereits
beschrieben. Die frtiher erwahnten Perioden des Feinens, Roh- und Garfrischens
sind beim Puddeln, weil kein Aufbrechen erfolgt, nicht so deutlich unterschieden.
Die Periode des Feinens ist die Zeit des Einschmelzens, die des Rohfrischens folgt
unmittelbar auf das Einschmelzen und zeichnet sich durch die Bildung der Roh-
schlacke aus, welche allmalig in Garschlacke iibergeht. Die Periode des Roh-
frischens soil urn so mehr verlangert werden, je unreiner das Eisen ist; denn bei
verhaltnissmassig niedriger Temperatur gelingt die Abscheidung des Phosphors
am besten, derselbe geht in die Schlacke, welche abgestochen wird.*) Ein Zusatz
von Hammerschlag. und Garschlacke befordert das Entkohlen. Ganz wesentlich
ist das Ruhren mit der Kriicke (dem • Haken oder der Kratze), weil dadurch stets
neue Theilchen dem oxydirenden Einflusse der Flamme ausgesetzt werden, die
Rohschlacke rascher in Garschlacke iibergeht und diese dann lebhaft entkoldend
auf das Eisenbad einwirkt.
Da nach 5 — 7 Minuten die Kriicke weissgluhend wird, aus dem Ofen ge-
nommen, in Wasser abgeldscht und durch eine frische ersetzt werden muss, so
bezeichnet man an manchen Orten auch die Dauer des Rohfrischens durch die
Anzahl der Auswechslungen der Kriicken und sagt „mit drei, fiinf, zehn Kriicken
gar". Man kann nun allerdings durch langes Hinausziehen der Rohfrischperiode
auch sehr verunreinigtes Roheisen in taugliches, selbst gutes sehniges Eisen ver-
wandeln, aber da hierdurch auch der Consum an Brennmaterial wachst, so ist es
eine hauptsachlich okonomische Frage, ob der Process bis zur Erzielung guten
Produktes erstreckt werden kann. Steigt der Steinkohlenverbrauch pr. 100 Kg.
Lnppen gegen 160 Kg., so wird die Rentabilitat meist schon fraglich. '
Die Rohfrischperiode ist beendet, wenn das Eisen „steif" geworden, und nun
schliesst sich die rascher verlaufende Garfrischperiode an. Das Eisen wird mit
einer spitzen Brechstange zusammengebracht, der nun gesteigerten Erhitzung aus-
gesetzt und endlich zu Luppen geballt.
Die sich in reichlicher Menge bildende oder absichtlich zugesetzte Schlacke
bedingt durch die oben beschriebene Wechselwirkung (S. 22) die Entkohlung. '
Dieses Puddeln, jetzt allgemein, fuhrt auch die Bezeichnung Schlacken- oder
Koch puddeln, zur Unter schei dung, der von' Cort urspriinglich eingefuhrten Me-
thode des Tr o ckenp uddeln s, bei welchem sehr kohlenstofFarmes Roheisen
teigig eingeschmolzen bei sehr geringer Schlackenmenge — trocken — verpuddelt
wurde.
Puddeln auf Korn und Stahlpuddeln. Wie bei dem Stahlfrischen
so ist auch beim Puddeln auf Feinkorneisen und Stahl ein manganhaltiges
^ Weil die Periode des Rohfrischens bei grauem Eoheisen langer wie bei weissem dauert,
so verwendet man auch bei unreinem Roheisen lieher graues als weisses.
32
Eisen-Erzeugung (Puddeln).
Roheisen wesentlich, weil, wie oben erwahnt, der Mangangehalt der Schlacke die
Auflosung des Eisenoxydoxyduls erschwert und so verzogernd auf die Entkohlung
wirkt. Beim Puddeln aufKorn schmilzt man rasch ein, um eine zu bedeutende
Oxydation der ausseren Partien der Roheisenstiickc zu hindern; man lasst ferner
von der Rohschlacke so viel im Ofen, dass das. Eisenbad bedeckt ist und ein
Gar en unter der Schlacke moglich wird und endlich wird die Oxydation
der Luppen dadurcli yerhindert, dass man die Brennmaterialschiclit erhoht, wodurch
die Behandlung der Luppen in rauchender (redoucirender) Flamme ermoglicbt ist.
Statt der garenden Zuschlage, welche beim Sehnepuddeln wahrend des Einschmelzens
gegeben werden, setzt man Rohschlacke, Sand, manganhaltige Zuschlage und selbst
Alkalien zu, um eine wenig oxydirende Schlacke zu erlangen.
Je kohlenstoffhaltiger das Product sein soil, um so langsamer muss gegart
werden, soil ein gleichformiges Product hervorgehen. Daher ist die Chargedauer
beim Stahlpuddeln langer als beim Puddeln .auf Feinkorneisen.
Das mechanische Puddeln und die -rotirenden Pud del ofen.
Die mechanischen Puddle r sind Riihrapparate, welche die Bestimmung haben,
das iiberaus anstrengende Handhaben der Krucken dem Arbeiter abzunehmen und
von einem Mechanismus besorgen zu lassen, welcher, von dem Puddler beaufsichtigt,
die Arbeit des Riihrens vollbringen soil.
Wedding sagt, dass der Ersatz der menschlichen Arbeit nur dann Erfolg
gewahrt, wenn die Riilirperiode in Folge der Anwendung eines sich stets gleich-
bleibenden, ziemlich reinen, dabei rohschmelzigen Materiales bei geringer Aufmerk-
samkeit eine lange Dauer beansprucht. Zu den verbreiteteren Constructionen
gehbren die von Dumeny und Lemut, von Eastwood und fur Doppelbfen
von Whitham.*)
Weit entsprechender als diese Riihrapparate sind die rotirenden Pu ddel-
6 fen, von welchen die Constructionen von Menelaus und Danks**) wohl
die bekanntesten sind. Die wesentlichste Schwierigkeit macht das feuerfeste
Materiale zur inneren Bekleidung, indem dasselbe den chemischen und mechanischen
Einwirkungen der Schlacke und des Eisens bei dieser hohen Temperatur schwierig
Stand halt und daher eine kostspielige und bftere Erneuerung erforderlich macht.
Die beistehende Skizze zeigt den Rotator von Siemens,***) welcher allerdings zur
directen Eisenerzeugung verwendet wird, aber das Princip eines rotirenden Puddel-
ofens ganz wohl darstellen kann.
R ist der rotirende Herd (Rotator),
welcher aus einem eisernen Mantel, einer
aus feuerfesten Ziegeln und Steinen ge-
mauerten Schichte und endlich aus einer
13 — 16cm dicken angeschmolzenen Schlak-
^ kenschichte besteht. Am ausseren Mantel
^^T^ ^ desselben sind die auf den Rollen n n
laufenden Radkranze r r angebracht, wel-
chen die Be n'egung mitgetheilt wird und
die den Rotator sehr langsam, pr. Stunde
'20- bis 40-inal, um seine Achse drehen.
Der D an k'sche Rotator macht pr. Minute
2 Touren.
a ist der Zustromungskanal fiir die
den Ofen heizenden, von einem Generator
Vergleiche Zeitsclirift d. deutsch. Ingcnieure Bd. XI. u. Zeitschrift fiir Berg1-, Hiitten-
ii. Salinemvestn in Pieussen Bd. XYIII. Beziiglicli P on sard's Apparat s. Dingl. pol.
Jdurn. Bd. 198 S. 302, betreffs jenem von Dormoy s. Dgl. p. J. Bd. 204 S. 287.
**) Dingl. p. Joun. Bd. 203 S. 277—286, Bd. 204 S. 216 u. 282.
t**) S. Dingler's p. J. Bd. 209 S. 1; ferner Tunner's Berielit rDas Eisenhiittenwesen
der vereinigteu Staaten von Nordamerika".
Eisen-Erzeugung (Bessemern). 33
kommenden Gase, hinter demselben befindet sicli der Zustromungskanal fiir die
Luft. Gas mid Luft, beide durch den Siemen'sclien Regenerativofen (s. S. 46, 47j
vorgehitzt, gelangen im Rotator zur Verbrennung und die Verbrennungsproducte
gehen durch zwei hinter einander liegende Kanale b ab. Beim Dank'sehen
Rotator ist eine Rostfeuerung vor demselben angebracht, und die Verbrennungs-
gase ziehen am Ende derselben durch einen (beweglichen) Fuchs ab.
Das den rotirenden Puddelofen zu Grande liegende Princip scheint uns vor-
ziiglicher, wie die Ersetzung der Handarbeit durch Riihrapparate, aber ebenfalls
an dem Uebelstande zu leiden, dass sich das Puddeln mit diesen Apparaten schwer
dem Materiale anpassen lasst, daher auch ein gleichbleibendes Roheisen voraussetzt.
Das Bessemern (nach dem Erfinder H ein rich Bessemer, welcher im
October 1855 das engl. Patent erwarb, so benannt) oder die Erzeugung von Fluss-
schmiedeisen und von Flussstahl mittelst Windfrischen findet dadurch statt,, dass
geschmolzenes tibergares Roheisen in ein birnformiges Gefass, Birne, C onverter,
gebracht wird, in welches atmospharische Luft unter so hohem Drucke gepresst
wird, dass sie die Eisenmasse durchstromt. Hierdurch findet eine kraftige Ein-
wirkung der Luft auf das Eisenbad, ein rasches Frischen, statt. (Die stabilen
schwedischen Bessemerofen sind veraltet.*)
Die beistehenden Figuren 1230 a und b zeigen den Converter in zwei
Ansichten und im Verticalschnitt.**) Es ist aus denselben ersichtlich, dass der
Converter eine aussen mit Kesselblech armirte Retorte ist, welche im Inneren eine
etwa 18cm dicke Verkleidung aus feuerfestem Materiale (1 Thl. feuerfester Thou,
6 — 7 Thl. Quarz) besitzt, welche sehr sorgfaltig
eingestampft werden muss. In dem Boden des
Converters befinden sich etwa 10 Cylinder (Diisen)
aus feuerfestem, gut umstampftem Thone, deren
jeder etwa 12 Langskanalchen von 7mm Durch-
messer besitzt, durch welche der Wind in das
Innere des Converters aus dem am Converterboden
angebrachten Windkasten w stromt. Der Wind
wird durch b dem Windkasten zugefiihrt.
Die Drehachse des Converters a gestattet
diesem Gefasse je nach Beclarf eine verschiedene
Lage zu geben. An manchen Orten ist hierzu eine
kleine Dampfmaschine m vorhanden , welche die
Welle des Schwungrades s bethatigt. An dieser
Welle sitzt eine Schraube ohne Ende, welche in
das an a sitzende Schraubenrad r eingreift. Das
mit Coulissensteuerung versehene Dampfmaschinchen
gestattet eine Drehung der Schwungradwelle und
dadurch auch des Converters nach beiden Drehungs-
richtungen. Will man den Converter beim Fallen
oder Entleeren neigen, benutzt man die eine Be-
wegungsrichtung ; will man ilin heben, die andere.
Der erforderliche Wind von 80 bis 135cm
Quecksilbersaule-Pressung wird von einer kraftigen
Geblasemaschinegeliefert(200 — 250Pferdestarken);
und zum Zwecke der Uebernahme des im Converter erzeugten fliissigen Productes
ist am hydraulischen Krahne K die Pfanne (und ein Gegenwicht) angebracht.
Converter.
*) Uie erste grossere Specialschrift ist Boman: Das Bessemern in Schweden, Leipzig 1864,
Felix.
**) Eingehende Beschreibungen von Besseineranlagen finden sich in Bittinger's Erfah-
rungen Jg. 1805 S. 37, Taf. 7 — 14; ferner im 5. Bd. „Oesterr. Eisenbalmen vonEtzel,
Wien 1867, Holder u. zw. Taf. 16—37 das Schienenwalzwerk in Graz, beschr. von
Paul us u. a. a. O.
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch Bd. III. 3
34
Eisen-Erzeugung.
Fig, 1230 b.
Bessemer-Anlage.
Der beistehende Holzsehnitt zeigt den oberen Tbeil des Krabnes im Scbnitt.
a ist die Kolbenstange des Brahma- oder bydrauliscben Kolbens, sie tvagt an
ibrem oberen Ende die drehbare Hiilse b, an welch er die Krahnarme befestigt
sind. G ist die Giesspfanne, deren Pfropf von d aus bewegt werden kann. R ist
das Gegengewicbt, welches in Fiihriingen verschiebbar mit dem Krahnarm ver-
bnnden ist. Die Verschiebung kann von der Kurbel n aus durch die Schraube,
das Schraubenrad imd ein an der Achse des letzteren sitzendes Stirnrad erfolgen,
welches in eine mit dem Arm verbundene Zahnstange eingreift.
Fig. 1231.
\{ n „
1 : a
■n i\ n
Obertlieil des hydraulischen Krahnes
Die Drehung des Krahnes erfolgt von c aus durch die Bethatigung einer
Kurbel oder durch einen bydrauliscben Kolben.
Eisen-Erzeugung (Bessemern). 35
Beschreibung des B es s em erpro cesses. 1st die Bessemerhiitte mit
einer Hochofenanlage verbunden, so kann das libergare Roheisen unmittelbar aus
dem Hochofen in den Converter geleitet werden. 1st diese Verbindung nicht vor-
handen, so kommt das fliissige Roheisen von den Umschmelzofen (Flamm- oder
Cupolofen). Der Converter muss gut durch Koks vorgewarmt und hierauf
entleert sein. Er wird dureh Ingangsetzung des seine Achse bewegenden Me-
chanismus so geneigt, dass die Convertermiindung in der Horizontalebene der
Achsen steht, das Zuleitungsgerinne wird angeschoben, der Abstich erfolgt7 das Roh-
eisen fliesst in den Converter. Nach Zuriickziehen des Rohres hebt sich der Con-
verter langsam, nnd gleichzeitig wird Wind gegeben, damit kein Verstopfen der
Diisen stattfinden kann. Der Process ist im Beginne.
Sausend durchdringt der hochgepresste Wind das fliissige Roheisen und die
gliihenden Case entstromen der Converteroffnung untermischt mit Funken, aber
ohne eigentliche Flamme. Diese tritt erst nach 2 bis 6 Minuten ein. Man nennt
diese Periode jene des Feinens oder der Schlackenbildung. Sie geht
mit Eintritt der Flamme in die Rohfrisch- (Koch- oder Eruptions-) Periode
iiber, das aus dem Eisen entweichende Kohlenoxyd bedingt ein noch vermehrtes
Wallen der Masse, der Funken- und Schlackenauswurf wird lebhafter, die Flamme
allmalig lichter und langer, auch das Gerausch des durchstromenden Windes starker.
Das Spectrum entwickelt die griinen Streifen. Diese Periode hat meist die langste
Dauer, circa 15 Minuten. (Soil direct Stahl erblasen werden, so kippt man den
Converter im gehorigen Zeitpunkte, andernfalls fahrt man mit dem Blasen bis zur
vollstandigen Entkohlung fort.)
Das Rohfrischen geht in die Garfrischperiode iiber, die Flamme wird
blaulich-weiss und viel kiirzer. (Bei Beginn dieser Periode schleudert ein kraftiger
Arbeiter Abfalle von Bessemereisen in den Converter, welche in wenigen Secunden
dem weissfliissigen Metalle beigemengt sind.) Die kurze, fast durchsichtig werdende
Flamme und noch sicherer die Beobachtung durch das Spectroscop verrath dem
dirigirenden Ingenieur, wann die Entkohlung beendet ist.
Der Converter macht wieder die Drehung, eine herrliche Garbe weisser Eisen-
fnnken ausschleudernd, das Geblase ruht einige Secunden, die Rinne wird in die
Miindung eingeriickt und bringt die zur Kohlung und Veredlung des Productes
erforderliche Menge geschmolzenen Spiegeleisens, der Converter nimmt sie auf,
erhebt sich unter gleichzeitiger Zufiihrung des Windes wieder, um nach einigen
Secunden abermals zu sinken, denn nun ist der Process beendet.
Im Converter befinden sich jetzt statt der 100 Ztr. Roheisen circa 90 Ztr.
geschmolzenen Stahles oder Flusseisens.
Der hydraulische Krahn bringt die Pfanne, gleichfalls gut vorgewarmt, zum
Converter, derselbe wird weiter gedreht und entleert den weissheissen, wasser-
fliissigen Inhalt in die Pfanne. Die Masse erscheint wie kochend, sie wirft Blasen
auf und man lasst sie etwas zur Ruhe kommen.
Hierauf lasst man den Krahn sich heben und fiihrt die Pfanne iiber die
erste der im Halbkreis aufgestellten eisernen Formen, Coquillen. Durch Heben
des conischen Pfropfes fliesst der Stahl in die Coquille. Man fiillt die Coquillen
nun der Reihe nach, bis man sieht, dass die Schlacke, welche eine mehr rothgelbe
Farbe hat, auszufliessen beginnt. Diese lasst man dann in die Grube ausfliessen.
Wahrend des Processes beobachtet der Dirigent den Verlauf durch ein Spectro-
scop, und neben ihm steht der Arbeiter, welcher je nach Bedarf durch Drehen
eines Handrades die Windmenge regulirt, durch Drehen eines zweiten den Krahn
bethatigt, ja selbst auch das Neigen des Converters veranlassen kann, wenn diese
Drehbewegung gleichfalls durch hydraulischen Druck bewirkt wird. So erfolgt
dieser gigantische Process ohne u n mittelbares Eingreifen des Menschen mit einer
den Beschauer zur Bewunderung zwingenden Regelmassigkeit und Gewalt. Zur
Zeit ist der Bessemerprocess unstreitig das schonste Beispiel der Beherrschung
der Naturkrafte von Seite des Menschen.
36 Eisen-Erzeugung.
Der Bessemer-Process erfordert zu seinem richtigen Verlaufe ein iiber-
gares, siliciumreiches Roheisen,*) weil dieses durch Verbrennung des enthaltenen
Kohlenstoffes imd namentlich des Siliciums jene Warmemenge zu liefern vermag,
welche auch in der Periode des Roh- und Garfrischens das bereits kohlenstoff-
armere und schwerer schmelzige Product in diinnfliissigem Zustande erhalten kann.
Das Geblase driickt 30 — 31cbm Luft (auf normale Dichte bezogen) pro 100 Kg.
Roheisen in den Converter. In dieser Luftmenge, welche 38-8 Kg. wiegt, sind
29-8 Kg. Stickstoff, welche mitgefuhrt werden, ohne direct am Processe betheiligt
zu sein. Diese 29*8 Kg. Stickstoff werden den Converter auf circa 1000° C.
erhitzt verlassen und absorbiren circa 8000 Warmeeinheiten. Durch Warmeleitung
und Strahlung geht gleichfalls eine grossere Warmemenge verloren, es ist daher
wohl einleuchtend, dass nur dann die Masse im Converter in dunnflussigem Zustande
rerharren kann, wenn die durch die Verbrennung des Siliciums und Kohlenstoffes
freiwerdende Warmemenge diese Warmeverluste nicht nur zu decken, sondern auch
jenen Ueberschuss an Warme zu liefern vermag, welcher erforderlich ist, urn das
schwer schmelzbare Endproduct in diinnfliissigem Zustande zu erhalten. Wiirde ein
silicium- und kohlenstoffarmes Eisen angewendet, so wiirde im Converter bald eine
teigige, klumpige, theilweise verbrannte Masse entstehen, das Product ware schlecht.
Durch den fliissigen Zustand, in welchem bei gutem Gange die Masse im
Converter sich stets befinden muss, und durch die vielfache Vertheilung des ein-
gepressten Windes findet der friiher im Allgemeinen besprochene Frischprocess in
sehr kurzer Zeit statt. Das Feinen (Schlackenbilden), das Rohfrischen (Aufkochen)
und das Garfrischen (weitere Entkohlen) nehmen zusammen einen Zeitraum von
nur 20 — 35 Minuten inAnspruch; ersteres circa die Halfte, letzteres ein Sechstheil
dieser Zeit. Die Windpressung wird wahrend der ersten Periode allmalig gesteigert,
in der zweiten Periode ermassigt und gegen Schluss der dritten bis zu ibrem
Maximum gebracht.
Anfanglich beurtheilte man den Verlauf des Processes nur nach der Be-
schaffenheit der Flamme, der Funken und der Qualitat der ausgeschleuderten
Schlacke und Eisens, es gehorte eine ausserordentliche Uebung und Beobachtungs-
gabe dazu, den Process gerade dann zu unterbrechen, wenn ein Product von der
gewiinschten Beschaffenheit, ein Stahl von bestimmtem Kohlenstoffgehalte, ge-
bildet war.
Leichter liess sich jenes Stadium des Processes, welches der Bildung von
Flusssehmiedeisen , also der fast vollstandigen Entkohlung entsprach, aus den
ausseren Erscheinungen erniitteln. Man kam daher auf die Idee, das Flussschmied-
eisen durch Zusatz von Spiegeleisen wieder zu kohlen und hatte durch
die Menge dieses Zusatzes den Grad der Kohlung in der Hand. Der Spiegel-
eisen- oder Ferromangan - Zusatz wirkt auch giinstig durch den Mangangehalt,
und wird gegenwartig meist beibehalten, obwohl es durch die Anwendung des
Spectroscopes (zuerst durch den osterreichischen Chemiker Prof. Andreas
Liel egg**) in der Bessemerhiitte in Graz 1866 mit Erfolg angewendet) gelang,
ein einfaches, wenn auch nicht immer sicheres Mittel fiir die Erkennung des
Verlaufes dieses Processes zu erhalten.
*) Dasselbe darf weder schwefel- noch phosphorhaltig sein.
**) Unsere Angabe ist richtig, obwohl Roscoe bereits im Beginn des Jahres 1863 in „the
Proceedings of the Literary and Philos. Society of Manchester u V. Ill pag. 57 in wenigen
Zeilen die Vermuthung aussprach, dass die Spectralanalyse berufen sein konne, beim
Bessemern eine Rolle zn spielen. Die nachste (indirect) von Roscoe stammende Pu-
blication in dieser Sache, datirt vom December 1867 im Philosoph. Magazin, wahrend
Li el egg bereits im Juni 1867 in den Sitzungberichten der k. k. Akademie der AVissen-
schaften es aussprach und begriindete, dass „Anfang und Ende der Entkohlung des
Eisens mit dem Spectroscope durch das Erscheinen und Verschwinden gewisser Linien
des Spectrums sicher erkannt werden konne." Die Verdienste Lieleggs wurden im
Engeneer 28. Febr. 186S, und in Wedding's Arbeit „Das Spectrum der Bessemer-
flammen" Berlin 1869 (u. im 17. Bande der Zeitschr. f. d. Berg-, Hiitten- u. Salinen-
wesen im pr. St.), durch A. Habets in der Revue universelle d. M. T. 13 & 14 p. 388
u. a. a. 0. anerkannt.
Eisen-Erzeugung (Bessemern). 37
Die gegenwartig angewendeten Spectroscope*) (sog. Westentaschenspectroscope)
sind so einfach construirt, dass sie leicht (als etwa 18cm langes Rohrchen) in der
Hand gehalten werden, die Beobachtung daher stehend stattfinden kann.
Im Nachstehenden sollen die Erscheinungen, wie man sie bei Beobachtung
der Flammen durch ein Spectroscop empfangt, angegeben und spater naher er-
ortert werden. Indem Referent noch nicht Gelegenheit hatte, diese Beobachtungen
selbst zu machen, folgen selbe nach einer schriftlichen Mittheilung des Herrn
Vorbach, Huttenchemikers in Kladno.
Beim Aufgang des Converters, bei Eintritt der Flamme, bemerkt man nur
ein mattes continuirliches Spectrum, in dem die gelbe Natriumlinie zeitweise auf-
leuchtet ; sie nimmt aber mit Fortgang des Processes an Helligkeit zu und bleibt
mit Eintritt der Flamme bestandig.
Zugleich siebt man links von derselben (im Roth) eine oder auch zwei rothe
Linien aufblitzen, die dem Kalium und Lithium angehoren. Auch diese werden
mit Anfang der zweiten Periode (Rohfrischperiode) stabil.
Die nachste Aenderung zeigt sich jetzt im griinen Felde. Hier erscheint
zunachst am 59. Theilstrich der Millimeterscala (die Linie D auf 50 gestellt) ein
matter, griiner Streifen, der sich aber bald in eine Gruppe von Linien auflost,
die immer scharfer hervortreten. Kurze Zeit darauf tauchen rechts von dieser
Gruppe eine grosse Anzahl neuer Streifen auf und entwickeln sich von links nach
rechts. Bei Spectroscopen mit kleinem Gesichtsfelde unterscheidet man am Ende
der zweiten und bei Beginn der dritten Periode vier Gruppen von griinen Linien,
die sammtlich rechts von der Natriumlinie liegen; ihre linke Seite ist mehr gelb-
griin, die rechte blaugriin gefarbt. Sie sind der wesentlichste Theil des
Bessemerspectrums, denn mit ihrem Verschwinden ist auch die v o li-
st a n d i g e Entkohlung des Bades erreicht. Das Verschwinden erfolgt
aber bei verschiedenen Roheisengattungen auf ungleiche Weise. In manchen Fallen
verlieren sie sich sehr rapid, wohingegen sie anderwarts nur langsam verschwinden.
Im letzteren Falle werden immer die am rechts gelegensten matt und unsichthar,
bis sich auch die der Natriumlinie am nachsten gelegene anfangt zu verdunkeln.
Die Entkohlung ist dann erreicht und der Converter wird gewendet.
Manche Bessemerwerke halten sich an das Verschwinden nur einer b e-
stimmten Linie und verfinstern dann den iibrigen Theil des Spectrums durch
einen Schirm in den Apparaten.
Wie vorhin angedeutet, ist beim Verschwinden der griinen Linien das Stahl-
bad entkohlt. Es ergibt sich hieraus, dass der Gebrauch des Spectralapparates
in der angedeuteten Weise nur dort zutreffcnd sein wird, wo man mit Spiegel-
eisen riickkohlt. Blast man direct, so sind die Massgaben anders und jedenfalls
schwieriger zu tretFen.
Eben so verschieden ist das Blasen auf Werkzeugstahl, wo das erhaltene
Product noch 06— 0-7% Kohlenstoff halten soil.
Wie man jetzt schon einsehen diirfte, ist also der Gebraueh des Spectral-
apparates kein gleichartiger und auch kein unbedingter.
Hiezu kommt noch ein Umstand, wodurch sein Werth auf vielen Werken
sehr herabgedruckt wird. Arbeitet man namlich mit manganreichem Roheisen, so
entwickelt sich am Ende der zweiten Periode so viel Rauch, dass die Flamme
ganz eingehiillt erscheint und das Spectroscop lasst den Beobachter vollig im
Stich. Es verschwinden die griinen Linien schon weit vor dem Ende des Processes
und das Spectrum ist entwedei* continuirlich oder enthalt nur die Natriumlinie.
Oft verschwinden die griinen Linien vorzeitig, kommen aber spater, wenn
das Bad durch geworfcne Abfalle etwas gekiihlt ist, wieder zum Vorschein ; allein
dies ist keineswegs immer der Fall.
*) Von Starke & Kammerer in Wien, Hofmann in Paris, Herrmann & Pfister
in Bern, Brauning in London, Liittich in Berlin. (S. Art. Spectroscop.)
38 Eisen-Erzeugung (Zangen).
Daher kommt es, dass wahrend sich das Spectroscop beim Umschmelzbetrieb
in den bei weiteni meisten Fallen bewahrte, es auf solchen Werken, die mit Koks
arbeiten und ihr Roheisen direct dem Hochofen entnehmen, nur als ein Mithilfs-
mittel gebraucht wird. So auf der Konigshiitte in Schlesien, in Kladno in Bohmen
u. a. a. 0.
Ueber den Ursprung der einzelnen Linien ist man noch tbeilweise im Unklaren.
Dass die gelbe Linie vom Natrium, die zwei Linien links vom Kalium und
Lithium stammen, ist sicher. Anders aber bei den Linien im griinen Felde. Diese
hielt man langere Zeit fiir Kohlenstofflinien, und zwar fur das Spectrum des Kohlen-
oxyds. Als es aber nicht gelingen wollte, mit dem letzteren Korper ein auch
nur annahernd ahnliches Spectrum hervorzubringen, wurde diese Annahme zweifelhaft,
und B runner wies zuerst darauf bin (Oesterr. Zeitschr. f. Berg- u. Hitttenwesen
1868 pag. 226), dass die bellen, griinen Streifen moglicherweise dem Mangan zu-
zuschreiben waren. Er stiitzte seine Aussage auf die Beobachtung, dass jene
Flamme, welche beim Anwarmen eines scbon gebrauchten Converters aus der
Schnauze stromt, ein Spectrum mit griinen Linien gibt, wahrend diese bei neuer
Einmauerung ausbleiben. Der directe Vergleich des Bessemer-Spectrums mit dem
Manganspectrum ergab , dass die griinen Streifen zum grossen Theil Mangan-
linien sind.
Manche Werke wendeten nach Erlangung dieses Hilfsmittels die Kohlung
durch Spiegeleisen nicht mehr an, sondern brachen den Process im geeigneten
Momente ab. In der Mehrzahl der Falle ist man jedoch bei dem Spiegeleisen-
zusatz (oder seinem Stellvertreter Ferromangan) geblieben oder wieder zu demselben
zuriickgekehrt, weil der Mangangehalt dieses Zusatzes zweifelsohne vortheilhaft
auf die Qualitat des Productes einwirkt. Das Spiegeleisen wird zu 5 — 12 °/0 der
verarbeiteten Eisenmenge gewohnlich fliissig, selten nur gliihend, zugesetzt. Der
Zusatz anderer reiner kohlenstoffreicher Eisensorten, welche aber einen geringen
Mangangehalt besitzen, bewahrte sich nicht. Das Mangan scheint einerseits jeder
zu weit gegangenen Oxydation entgegenzuwirken, gebildetes Eisenoxydul zu re-
duciren, andererseits zu bewirken, dass der Kohleustoflf nur chemisch gebunden
im Producte auftreten kann. So wie manganhaltiges Roheisen zur Entwicklung
eines braunen Rauches besonders in der letzten Periode Veranlassung gibt, welcher
aus Manganoxyd und Eisenoxydul besteht, so bewirkt auch der Mangangehalt des
Spiegeleisens diese Rauchbildung nach dem Zusatze desselben und deutet so auf
eine reducirende Wirkung.
Der Spiegeleisen- resp. Manganzusatz macht das Product weniger blasig, was
gleichfalls von Wichtigkeit ist. Ohne diesen Zusatz ist das Product nach voll-
standiger Entkohlung — Flussschmiedeisen — grobkrystallinisch, enthalt oft etwas
Eisenoxyde und erlangt technische Brauchbarkeit erst durch Zusammenschmelzen
mit holier gekohltem Eisen oder durch Gliihen mit Holzkohle. Der ohne Spiegel-
eisenzusatz erhaltene Bessemerstahl ist nach dem Gusse, besonders wenn die Guss-
formen ohne einiges Ruhenlassen der Masse gefiillt wurden, stark blasig und er-
fordert eine kraftige Dichtung mittelst des Dampf hammers. Hierbei geben oxydirte
oder angelaufene Blascn unganze Stellen.
Von der Umwandlung der Luppen und Ingots in Stabeisen.
Die vom Frischherde oder dem Puddelofen kommenden Luppen werden gezangt,
d. h. durch verschiedene mechanische Mittel derart verdichtet, dass sich die
loekere Eisenmasse, deren Zwischenraume mit fliissiger Schlacke gefiillt sind, unter
Auspressen der Schlacke zu einer dichten, compacten Masse verschweisst. Das
Auspressen der Schlacke hat urn so vollkommener zu geschehen, ein je vorziig-
licheres Product man anstrebt. Die kleineren Luppen des Frischherdes erfordern
eine schwachere Bearbeitung als die grosseren der Puddelofen, dafiir soil die Arbeit
um so rascher beendet sein, je kleiner die Luppe ist, weil selbe dann auch schneller
die Schweisshitze verliert.
Der Eisenhammer fiir gepuddeltes Eisen unterscheidet sich von dem fiir
die kleineren Luppen aus den Frischherden durch viel grosseres Gewicht und daher
Eisen-Erzeugung.
39
auch . durch niassivere Construction aller Theile, daher wandte man hier haufiger
Stirn- und Aufwerfhammer als Schwanzhammer (vgl. I S. 564) an.
Fig. 1232 zeigt einen Stirnhammer, bei welchem der Angriffspunkt zum
Heben vor dem Hammerkopfe liegt. a der Helm, in welchem vorn der Hammer
b eingesetzt ist. Beide Theile zusammen haben gewohnlich ein Gewicht von 60
bis 80 Ztr. c c die Daumen oder Frosche, welche an der starkcn Welle d
sitzen, die mit einem Schwungrade / verselien ist, und durch Wasserkraf't oder
haufiger durch erne Dampfmaschine geclreht wird. e der Ambos, g der auf einem
durch Federn unterstiitzten Lager ruhende Drehpunkt des Helmes.
Fig. 1232.
Stirnhammer.
Fig. 1233 ist eine Abbildung eines Aufwerf hammers. Er unterscheidet
sich von dem vorhergehenden dadurch, dass der Angriffspunkt zwischen Hammer-
kopf und Drehpunkt, obwohl dem ersteren naher als dem letzteren, liegt. Die
Hebung wird durch drei auf der Welle befindliche, in der Figur zum Theil durch
Punktirung angegebeue Excentriks h bewirkt, welche den Fuss i des Hammers
heben. Man ersieht leicht, dass hier eine sanftere allmalige Hebung des Hammers
erfolgt, wahrend bei dem vorhin beschriebenen Stirnhammer eine stossweise Hebung
stattfindet, die bei dem grossen Gewicht des Hammers eine nachtheilige Er-
schiitterung bedingt.
Statt der Hammer wendet man auch Quetschen an7 welche nicht schlagend,
sondern driickend wirken. Eine solche durch Fig. 1234 dargestellte Maschine wirkt
wie eine Zange, zwischen deren grosses Maul die Luppe gebracht wird. Die Be-
wegungsweise ist ohne weitere Beschreibung aus der Figur ersichtlich. Die Zahl
der Hiibe betragt durchschnittlich 40 — 50 pr. Minute und geniigt eine Luppen-
quetsche fiir circa 15 Puddelofen. Kraftbedarf circa 8 Pferdekraffce.
Die Luppe erlangt hier nicht eine ausgepragt parallelopipadische Form wie
unter dem Hammer, sondern nur eine sehr rohe Form, hinreichend, urn von den
weiten Kalibern einer Luppenwalze erfasst und ausgewalzt werden zu konnen.
Zu dem gleichen Zwecke verwendet man auch Luppenmiihlen, welche
aus einem gerippten gusseisernen Mantel a Fig. 1235 und dem gerippten Cylinder
40
Eisen-Erzeugung.
Fig. 1233.
Anfwerf hammer.
(Walze) b besteben. Die Luppe wird bei c eingefiihrt, von der rotirenden Walze
b weiter bewegt imd dadurch, dass sie den stets enger werdenden Raum c d zwischen
Walze und excentriscbem Mantel passiren muss, verdicbtet. Der Raum c d ist
mit einer Eisenplatte bedeckt, welche der Luppe nicht gestattet, nach oben aus-
zuweichen. Die Arbeit der Luppen-Quetscben und Mtiblen ist in Bezug auf die
Qualitat des Productes nicht von derselben Giite wie die Hammerarbeit, auch lasst
es sich nicht so leicbt wie beim Hammer beurtheilen, ob die Verdicbtung eine
geniigende war; und die ausgepresste Schlacke wirkt leicbt storend auf die Me-
cbanismen ein .*) Kraftbedarf bei gleicher Leistungsf'aliigkeit circa 11 Pf.
Fig. 1234. .txiN^^ay
Lupp
Presshammer, obwohl von vorztiglicher Wirkung, werden zum Zangen
doch selten verwendet, sie stimmen im Wesentlichen mit den hydrauliscben Schmiede-
pressen (s. P r e s s s c h m i e d e n) iiberein. Ein seiir vollkommenes Zangen kann
auch untcr dera Dampfhammer (s. d.) stattfinden.
*) Ueber Dunk's Luppenquetsche s. Dingl. p. J. Bd. 204 S. 281.
Eisen-Erzeugung (Adouciren, Tempera'
41
Die Ingots von Bessemer-
stahl miissen, wenn sie grbsserer Di-
mension sind, unter kraftigen Dampf-
hammern verdichtet werden. Kleine
Ingots konnen unmittelbar zum Walzen
gelangen.
II. B) D a r s t e 1 1 u n g s c h m i e d-
b a r e n E i s e n s d u r c h G 1 ii h e n von
Roheisen in oxydirenden P u 1-
v e r n.
Hierher gehort die Herstellung
schmiedbarenEisengusses, auch
A d o u c i r e n oder Tempem genannt,
nnd die Bereitung von Glti I: stall 1.
Das zu beiden Zwecken zu ver-
vvendende Roheisen soil rein, lichtgrau
nnd feinkornig sein. Grapl.ithaltiges oder
graues Eisen liefert schlechte Waare, nppenmu
Mangaugehalt verzogert die Entkohlnng. Weisses Roheisen ist verwendbar, docli
wird es schwieriger so dlinnflussig, als reine Giisse erheischen und daher wahlt
man meist lichtgraues Holzkohlenroheisen.
Indem die Gliihstahlbereitung aufgelassen ist, konnen wir nns hier darauf
beschriinken, vom Adouciren (vgl. I S. 48) zu sprechen. Man schmilzt das Materiale
in geschlossenen Tiegeln in Windbfen, oder falls es sich urn ordinarere Waare
handelt, auch in Cupolofen (s. Eisengiessere i) ein. Das Einschmelzen in
Tiegeln liat den Vortlieil, dass das Materiale seine Qualitat besser belialt. Das
Formen und Giessen erfolgt wie gewolmlich. Die Gussgegenstande werden hierauf
in Tiegel, Gusseisenkasten oder Blechbiichsen mit Adoucirpulver so eingeschichtet,
dass sie rings von demselben umgeben sind. Als Adoucirpulver wahlt man ver-
kleinerten Rotheisenstein oder Eisenglanz, von minderer Giite ist gerosteter Spath-
oder Brauneisenstein.
Wedding sagt, es seien diese Materialien in Kornform von etwa lmm Durch-
messer anzuwenden, doch scheint auch feineres Pulver in Anwendung zu stehen.
Auch finden andere oxydirende Substanzen, z. B. Braunstein, Zinkoxyd, Anwendung.
Wesentlich ist langsames Anheizen bis zur Rothgluth, genligend langes, gleich-
massiges Gliihen, so wie langsames Abkiihlen. Die Gliihzeit betragt circa 5 Tage,
unter Umstanden jedoch mehr. Die Angaben hieriiber weichen sehr von einander
ab (vgl. Tunner's Eisenhiittenwesen der verein. Staaten, Wien 1877, S. 116, u.
Wedding's Grundriss d. Eisenhiittenkunde, Berlin 1871, S. 237). Die Oefen,
in weichen das Gluhen erfolgt, sind verschiedener Construction, meist Flammbfen.
Auch hier sind bereits continuirliche Oefen in Gebrauch gekommen, auf dem Principe
der fur Ziegeleien verwendeten Ringofen basirend.*)
Der getemperte Eisenguss lasst sich kalt sehr gut bearbeiten, bei schwacher
Gliihhitze Schmieden und nimmt beim „Einsetzen" (s. u.) leichter als gewohnliches
Schmiedeisen Kohlenstoff auf. Der schmiedbare Eisenguss ist zwar minder zah
und fest als Schmiedeisen, auch rostet derselbe leichter, daftir aber kann er leicht
verzinnt, vernickelt etc. werden, und stellen sich die Herstellungskosten kleiner
Stiicke namentlich bei complicirter Form weit billiger als durch Schmieden.
II. C) Darstellung von F 1 u s s s t a h 1 — E r z s t a h 1 — durch Z u-
sammenschmelzen von Roheisen mit Eisenerz oder Eisen ox yd.
Schmilzt man reines weisses, granulirtes Roheisen in Tiegeln mit gerostetem
reinem Eisenerze zusammtn, so erhalt man bei richtig gewahltera Verhaltnisse
*) VergL Dingl. p. J. Bd. 199 S. 364.
42
Eisen-Erzeugung (Cementstahl).
einen Stahl, welch er in seiner Beschaffenheit vom Tiegelgussstahl kanni zu untef-
scheiden ist.
Uchatzius sckniolz 100 Thl. Roheisen, 24 Thl. gerosteten Spatheisen-
stein nnd llj„ Thl. Braunstein zusammen. Weichere Stahlvarietaten wurden bei
Anwendung dieses Gemenges durch Beigabe von 12 — 20 Thl. Schmiedeisen er-
halten. (Siehe iiber den Uchatziusstahl Dingl. p. J. Bd. 142 S. 34 u. 146
S. 313.)
Statt des Erzes verwendete B re ant durch Gliihen oxydirte Schniiedeisen-
spane (Breantstahl). Hierdurch weicht man der Schwierigkeit der Beschaffung reiner
Erze aus, es bleibt aber die kaum geringere, so reines Roheisen zu erhalten, wie
es hierzu Bedingung ist.
Dies ist wohl audi die Ursache, dass die Erzeugung des sogenannten Erz-
stahles, obwohl sie schon von Reaumur ausgefiihrt wurde, eine auf wenige Orte
beschrankte ist.
Hierher gehort auch der sogenannte Lando re-Process, welchen wir als
Varietat des Siemens-Martin-Processes bei diesem S. 45 bes"chreiben.
III. Erzeugung von Stahl aus Schmiedeisen. .
A) Durch Gliihen in Pulvern, welche dem Schmiedeisen Kohlenstoff abgeben.
Hierher gehort die Erzeugung von Cementstahl und das Einsetzen.
Der Cementstahl (acier a cementation — steel of cementation) wird
durch Gliihen schmiedeisener Flachstabe (reines Feinkorneisen) in Holzkohle ker-
gestellt. Die Dauer des Gliihens betragt 9 — 10 Tage bei einer Dimension der
Stabe von circa 20mm Dicke und 78mm Breite.
Die beistehende Figur zeigt einen Cementir-Ofen (fourneau a cementer
— cementing furnace) im Schnitte. Die Kasten oder Kisten k, aus feuerfestem
Materiale gemauert, werden zuerst mit einer etwa 60mm hohen Lage von dichter
Holzkohle — von Erbsen- bis Haselnussgrosse — besetzt (haufig mit Zusatz von
Fig. 1236.
einem Alkali und thierischer Kohle), hierauf
kommen die Schmiedeisenstabe hochkantig
im Abstande von beilaufig 15mm, hierauf
eine Kohlenschichtc von 10 bis 15mm
Hohe, dann wieder eine Lage Stabe
u. s. f. Oben wird eine dickere Kohlen-
schichte und zum Abschluss Sand gegeben.
fF> Diese Besetzung muss so erfolgen, dass
jeder Stab ringsum von Kohle umgeben
ist. Durchaus frische Kohle wiirde zu
kraftig wirken, man mengt daher ein
Viertel bis die Halfte bereits gebrauchter
Kohle bei. Der Kohlenaufwand betragt circa 27°/0 vom Eisengewichte. Am Roste
r wird nun mit Holz, Steinkohle oder Trockentorf Feuer gemacht, welches binnen
24 Stunden so gesteigert wird, dass die Kisten rothgliihend werden, in welcher
Temperatur sie nun durch die gauze Dauer des Processes zu erhalten sind. Die
Verbrennungsproducte gehen, nachdem sie durch entsprechend gefiihrte Ziige die
Kisten umspielt haben, zur Esse s. Die Vorderwand eines der Kasten, so wie
des Ofens ist an correspondirender Stelle mit einer Oeffnuug, welche wahrend des
Processes wohl zugelegt ist, versehen; es kann durch dieselbe eine Probestange
herausgenommen und durch Abbrechen auf den Grad der Kohlung untersucht
werden. Die Kolilung muss bis in den Kern der Stabe vorgeschritten sein, darf
aber andererseits niclit zu weit getrieben sein. Die Gewichtszunahme der einge-
setzten Stabe soil 0*5 — 0-75 °/0 betragen. Im Bruch erscheiut das Product grob-
kbrnig bis grobbliittrig, die Oberflache zeigt Blasen, daher der rohe Cementstahl
auch die Benennung Bias ens tahl fiihrt; und diirfte sich die Entstehung der
Blasen dadurch erklaren, dass im Ei.sen enthaltene Schlackentheilchen durch Re-
duction zur Bildung von Kohlenoxydgas Veranlassung geben.
Eisen-Erzeugung (Einsetzen). 43
Das Einsetzen ist *im Wesen niclits anderes als ein Cementiren fertiger
Schmiedeisenstucke auf eine gewisse Tiefe. Feinkorneisen und besonders adoucirter
Guss cementirt bierbei leichter als sebniges Schmiedeisen. Man bettet die Stiicke,
welche man durcb Einsetzen oberflachlich in Stahl verwandeln will, am besten in
gutes Spodium von Hanfkorngrdsse in Eisenblechbiichsen, welche nicbt zu rascb
erbitzt und hierauf ein Paar Stunden in Rothgluth erhalten werden sollen. Die
Biicbsen sollen bierbei dnrcb einen Lehmbrei verscblossen sein. Statt des Spooliums
bedient man sicb aucb gerdsteter Knochenspahne oder eines Gemenges von Holz-
koble mit Koble von Horn , Klauen u. dgl. Ein Zusatz von Cyankalium oder
Blutlaugensalz bescbleunigt den Vorgang; so wie man eine ganz diinne Stahl-
scbichte dadurch erhalten kann, dass man die gliihenden Schmiedeisenstiicke in
die Pulver dieser Salze eintaucht oder damit bestreut. Man kann ferner gliihendes
Scbmiedeisen durcb Eintauchen in geschmolzenes Roheisen,, ja selbst nur durch
Reiben mit einem Stiicke Guss- eisens oder durcb Eintauchen in Gusseisenfeilspane
scbwacb verstablen.
Wenn man nacb diesen Operationen die Stiicke noch gliihend in kaltes Wasser
wirft oder taucht, so nebmen sie an der Oberflache Harte an ; und da zum Zwecke
dieser Hartung das Einsetzen oft vorgenommen wird, so bezeichnet man aucb den
ganzen Vorgang durcb die Benennung Einsatz- oder Oberflachenbartung
(trempe en coquille ou en paquet — case-hardening). Das Einsetzen ist von
grosser Wicbtigkeit fur manche Maschinenbestandtheile, z. B. Gleitstiicke, Kreuz-
kdpfe etc., welcbe bierdurcb viel langere Dauer erlangen ; fur Frasen, Walzen etc.,
weil man der Gefabr des Springens beim Harten entgebt ; endlich auch fur kleine
Schmuekgegenstande, sogenannten Stahlscbmuck, weil durcb die Einsatzhartung die
Politurfahigkeit wesentlicb erbdht wird.
Es ist leicbt mdglicb, die eingesetzten Stiicke nur partiell zu verstablen und
zu harten, man braucht dieselben nur beim Einsetzen theilweise in Sand, theil-
weise in Cementirpulver zu betten. So z. B. werden „ Stahlstiftchen " mit polirten
und facettirten Kdpfchen, aber weichem Stifte dadurch erhalten, dass man die Draht-
stifte mit ihren Schaften in eine Sandschichte einsteckt und die vorstehenden
Kopfe mit Cementirpulver bestreut. Man kann in der Blecbbiichse eine grossere
Zabl solcher Schichten anordnen und nacb Verschluss der Biichse, wenn selbe ge-
niigend lange gliihend gemacht wurde, den ganzen Inhalt durch Wegschlagen des
Deckels in Wasser werfen. Es harten sicb die Kdpfchen, die Schafte bleiben
weich; erstere lassen sich schleifen und poliren, letztere kalt vernieten.
B) Stahlbildung a us Schmiedeisen durch Verschmelzen mit
Koble oder mit Roheisen.
a) Durch Schmelzen von Schmiedeisen mit Kohle. Es wird in Indien
aus dem durch Rennarbeit gewonnenen Schmiedeisen mit Beigabe von Holzspanen
und Blattern in kleinen Tiegeln ein Stabl erzeugt, welcher unter dem Namen
Wootz beriihmt ist. Da die Schmelzung eine unvollkommene ist und nach der-
selben noch ein anhaltendes Gliihen des Stahles stattfindet, so zeigt sich das Product
als ein Gemenge verschieden stark gekohlten Eisens, welches, zu Messern etc. aus-
geschmiedet und geatzt, oft sehr hiibsche Zeichnungen aufweist (Damast). Seine
Giite ist der Reinheit zuzuschreiben, welche einerseits durch die Qualitat der Erze,
andererseits durch die Rennarbeit bedingt ist. — Der Parry -Stahl wird durch
Schmelzen von Schmiedeisenabfallen im Cupolofen und hierauf folgendes Bessemern
erhalten. Man erhalt ein reines, aber theueres Product.
h) Schmilzt man Schmiedeisen mit r einem Roheisen im entspre-
chenden Mengenverhaltnisse zusammen, so erhalt man Stahl. Nicbt selten werden
hierbei zum Zwecke der Erlangung des richtigen Kohlungsgrades oxydirende Zu-
satze, als : Hammerschlag, gerdstete Erze u. dgl. mit verwendet und der Process ist
dann der Erzstahlbereitung ahnlich.
Hierher gehdrt das von Mushet eingefiihrte Kohlen des Bessemer flusseisens
durch Spiegeleisenzusatz (s. S. 35, 36). Erfolgt das Zusammenschmelzen von Rob-
44 Eisen-Erzeugung (Siemens-Martin-Stahl).
und Schmiedeisen in Tiegeln, so erhalt man Tiegel-Flussstahl ; erfolgt dasselbe in
Flammofen, wobei man sich der S i e m e n s'schen Regenerativofen bedienen muss,
um die ausreichende Temperatur zu erhalten, so erhalt man den Flammofen-Fluss-
stahl oder Martinstahl.
Martin gebuhrt das Verdienst, den S i e m e n s'schen Regenerativofen zum
Zwecke des Zusammenschmelzens von Roh- und Schmiedeisen beniitzt und dadurch
diese Art Stahlerzeugung im Flammofen moglich gemacht zu haben, welche
friiher stets misslang. Die Anwendung des Siemens-Ofens ist daher wesentlich,
und so fuhrt diese Stahlerzeugung auch mit Recht den Namen des Siemens-
Martin-Processes (open-hearth process).
Der Siemens'sche Regenerativofen gestattet, wie erwahnt, die Hervorbringung
eines besonders hohen Hitzegrades im Schmelzraume, weil die zur Verbrennung
gelangenden, von einem Generator kommenden Gase,*) so wie die atmospharische
Luft bereits auf circa 800° vorgehitzt in den Schmelz- und Verbrennungsraum
treten. Dadurch muss die Verbrennungstemperatur der Generatorgase, welche sich
unmittelbar beim Eintritt in den Ofen mit der Luft mengen, eine ungewohnlich
hohe, 2000° C. nahekommende werden. Wir unterlassen die Besprechung des
zum Siemens-Martin-Processe angewendeten Ofens, weil derselbe im Wesentlichen
mit dem S. 46 dargestellten Tiegel-Gussstahl-Ofen tibereinstimmt. Die Lange des
Herdes betragt zwischen 4 — 5m , die Breite 2 — 3m , die lichte Hohe 0-8— lm .
Beim Siemens-Martins-Processe arbeiten gewohnlich zwei soldier Oefen zu-
sammen. In dem ersten schmilzt man circa 500 Kg. Roheisen ein; in dem zweiten
wird das Schmiedeisen nahe zur Weissgluth gebracht und dann partienweise bis
zu 200 Kg. in den ersten ubertragen, etwa in Intervallen von 30 Minuten, bis der
Gesammtzusatz an Schmiedeisen (bis 2400 Kg.) im Roheisenbade gelost ist. Ueber
dem Roheisen bildet sich beim Einschmelzen eine Schlackendecke , welche bei
Beginn des Schmiedeisenzusatzes abgelassen wird. Statt des Schmiedeisenzusatzes
kann auch Stalil genommen werden, in welchem Falle die Menge des einzuschmel-
zenden Roheisens eine kleinere wird. Ist das Bad nach circa 6 Stunden gleich-
formig, so zieht man eine Probe (Schopfprobe). Man fuhrt den Process gewohnlich
so, dass durch den Schmiedeisenzusatz, so wie durch die oxydirenden Einfliisse
der Flamme ein kohlenstoffarmeres Product entstanden ist, als man herstellen will,
und kohlt dasselbe durch Spiegeleisen oder Ferromanganzusatz ent-
sprechend auf, worauf abgestochen wird. Nach den einzelnen Eisenzusatzen wird
mittelst der Kriicke untersucht, ob die Auflbsung im Bade vollstandig erfolgt ist,
und erst dann ein neuer Zusatz gegeben, wenn dies der Fall. Dass der Schluss-
zusatz von Spiegeleisen wie beim Bessemerprocess auch durch seinen Mangangehalt
auf das Product gtinstig einwirkt, ist begreiflich.
Der Siemens-Martin-Process gewahrt bei billiger Anlage **) den grossen Vor-
theil, mit ihm bedeutende Quantitaten alten Materiales, z. B. Altschienen (mogen
sie Schmiedeisen-, Stahlkopf- oder Stahlschienen sein) aufarbeiten zu konnen ; sein
Product ist dabei wenig theuerer als das Bessemereisen und kann leichter von
bestimmter Qualitat erhalten werden. Auch gestattet dieser Process die Bentitzung
mannigfacheren Materiales.
Es bedarf kaum der Erwahnung, dass der Process mannigfach abgeandert
werden kann, ja je nach den verwendeten Materialien abgeandert werden muss.
") Siehe den Artikel Gas feue rung- en.
*) Kupelwieser hat im berg- u. hiittm. Jahrbuch (hieraus Dingl. pol. Journ. Bd. 190
S. 104) eine interessante ATergleichung des Bessemerprocesses mit jenem von Siemens-
Martin gegeben. woraus hervorgeht, dass fur den Bessemerprocess, falls derselbe nicht
mit dem Hochofen derart verbunden ist, dass ein neuerliches Schmelzen des Roheisens
entfallt, ein eben so grosser Aufwand an Brennmaterial erforderlich ist. Vgl. auch
Dingl. pol. Journ. Bd. 188 S. 46. Diese Betrachtung stellt sich jedoch fur den Martin-
Process etwas zu giinstig, weil seither die Erfahrung gezeigt hat, dass man graues Roh-
eisen wahlen muss.
Eisen-Erzeugung (Raffiniren). 45
Auch wird bei geeigneter Ofengrosse bis 250 Ztr. pr. Charge verarbeitet. Martin
hat schon im Anfange seiner Versuche garende Zuschlage, gerostetes reines Erz,
Hammerschlag etc. beigegeben. W. Siemens hat in Landore einen Betrieb ein-
gefiihrt, den Landore-Process, welcher im Nachstehenden aus Tunner's
wiederholt erwahnten Bericht (S. 105) in Kiirze besprochen werden soil. Es
werden 106 Ztr. Bessemerroheisen und bis 53 Ztr. Abfalleisen in einem Ofen
eingesehmolzen, wozn 4 — 5 Stunden erforderlich sind. Die Schlaeke bleibt iiber
dem Eisenbade, welchem allmalig wahrend weiterer 4 — 5 Stunden circa 27 Ztr.
Erz (Magneteisenstein von Mokta 60 — 62-procentig) in ziemlich grossen Stiicken
durch Einwerfen zugesetzt wird. 1st die Entkohlung durch den Erzzusatz nun
erfolgt, so nimmt man die Schopfprobe; klihlt die Probe unter Wasser, bricht sie
und beurtheilt die Qualitat. Hierauf erfolgt der Spiegeleisen- oder Ferromangan-
zusatz; ersterer, wenn das Product noch eine Kohlung erhalten, letzterer, wenn
es weich bleiben soil. Die Menge dieses Zusatzes wird so bestimmt, dass das
Product 0-3 °/0 Mangan enthalt. Dieser Mangangehalt soil den Stahl vor Roth-
briichigkeit schiitzen. Die ganze Chargedauer betragt 10 Stunden. Pro 100 Kg.
Ingots werden beim Siemens-Martin-Process 70 Kg., beim Landore-Process 75 Kg.
Steinkohle gebraucht. Bei ersterem Processe, wo die Schlaeke abgelassen wird,
betragt der Abbrand circa 6 %•
Die beim Siemens-Martin -Processe verwendete hohe Temperatur so wie geringe
Oxydation des Eisenbades bedingt, dass dieser Process n u r bei Anwendung reinen
Roheisens und reiner Stahl- oder Schmiedeisenabfalle angezeigt ist, weil eine Ab-
scheidung des Phosphors und Schwefels nicht stattfindet; daher der Puddelprocess
durch ihn auch nicht verdrangt werden kann.
IV. Das Raffiniren oder Veredeln und die Formgebung.
Schweisseisen in jenem Zustande, wie es durch das Hammern der Luppen
erhalten ist, bedarf fiir viele Verwendungen allerdings nur eincs nochmaligen Er-
hitzens und Auswalzens, um unmittelbar als Stabeisen in den Handel gebracht
werden zu konnen; eben so geniigt hiiufig dieselbe Operation bei den durch
Hammern verdichteten Ingots von Rohstahl; fur andere Zwecke aber miissen die
Ungleichfdrmigkeiten und Unganzen durch die Schweissarbeit oder das U m-
schmelzen behoben werden; und zwar wendet man erstere bei kohlenstoff-
armeren Eisensorten, letztere bei kohlenstofFreicheren an.
Werden Frisch- oder Puddel Luppen nach dem Zangen unmittelbar durch
Walzen in die Form von Flachstaben gebracht, so zeigen diese, Rohschienen
(mille bars) genannt, ein so rauhes, schuppiges, unegales Aussehen, sind noch so
unganz , dass sie keine unmittelbare Verwendung zulassen. Man bricht diese
Schienen in gleich lange Stiicke, bildet daraus ein Packet, welches im Schweissofen
zur Weissgliihhitze gebracht, hierauf unter dem Dampfhammer verschweisst und
unmittelbar hiernach in Walzwerken weiter verstreckt wird. Oder man lasst diese
schweissheissen Packete auch sogleich durch Walzen gehen. Hierbei wird nocli
viel Schlaeke ausgepresst, die Masse dichter und gleichformiger ; das Product ist
raffinirtes Eisen. Die Bildung des Packets ermoglicht auch verschiedene
Eisensorten zu packetiren, wovon spater beim Walzen ausfiihrlicher gesprochen
werden soil. Hier ist die Veredlung des Productes mit der Formgebung unmittelbar
verbunden.
Schmilzt man hingegen Stahl um, und giesst die umgeschmolzene, dadurch
auch verbesserte Masse in einfache Gussformen, wodurch man Ingots erhalt, so
haben wir hier eine Veredlung des Productes ohne wesentliche Veranderung der
Form. Diese Veredlung findet bei der Gussstahl-Erzeugung statt und wir wollen
daher zunachst von dieser sprechen.
A) G u s s s t a h 1-E r z e u g u n g. Gussstahlwird durch Umschmelzen
fertig gebildeten Rohstahls in Tiegeln erhalten. Dem durch den
Bessemer- oder den Siemens-Martin-Process erhaltenen Stable wird irriger Weise
4G
Eisen-Erzeugung (Gussstahl).
wohl auch zuweilen die Bezeiclinung Gussstahl beigelegt, er ist jedoch ein Roh-
stahl, welcher erst durch Umschmelzen in Tiegeln*) zum Gussstahl wird.
Das Materiale zur Fabrication von Gussstahl kann jeder nicht allzu kohlen-
stoffarme Rohstahl sein. Fiir die Fabrication von Werkzeugstahl wird vorwiegend
Cementstahl; fiir Achsen, Radreifen (Tyers) etc. Pud del stahl, fiir Kanonen
u. d. Bessemer stahl genomnien.
Der eutsprechend ausgewahlte, in Stiicke gebrochene Stahl wird in die Tiegel
gegeben, entweder vor deren Anwarmung in einem Gliihofen, oder auch nach der-
selben. Nach dem Einsetzen des Stables in die Tiegel werden dieselben durch
einen Deckel geschlossen.
Hie unci da wendet man Zuchlage an. Holzkohlenstiickchen, welche kohlend wirken ;
Schmiedeisenstiicke, welche weicheren Stahl liefern; metallisches Mangan, Wolfram, Titan etc.,
welche die Aufgabe haben, einen feinkornigeren, harteren Stahl zu liefern. Dm die Schlacke
recht dunnfliissig zu machen, setzt man manchmal Braunstein zu.
Die Schmelzung des Stables erfolgt theils in kleinen Schachtofen
verschiedenster Bauart, wie selbe auch theilweise fiir den Tiegelguss und zu anderen
Zwecken Anwendung fin den und beztiglich deren auf den Artikel Schmelzofen
verwiesen wird; theils in Flam mo fen, von welchen sich nur die Siemens-Oefen
vortheilhaft bewahrten und jetzt auch in den meisten grosseren Gussstahlfabriken
in Gebrauch stehen, und deren Princip bereits S. 44 besprochen wurde.
Die Figuren 1237 a und b zeigen uns einen solchen Ofen im Vertical- und
Horizontalschnitt. Die Tiegel b stehen in dem kanalartigen Raume a a aufUnter-
lagen, den Kasen. Das den Raum a deckende Gewolbe ist aus einzelnen ab-
hebbaren Segmenten c bestehend, durch deren Entfernung das Ein- und Ausheben
der Tiegel ermoglicht ist.
Fig. 1237 a.
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I ;*y,y^^^^f
Die in a zur Verbreunung gelangenden Gase kommen von einem Generator
(s. Art. Gasfeuerungen), durchziehen den Kanal g^g* in der Richtung der
Pfeile, gelangen in den mit einem Fachwerk feuerfester Ziegel versehenen verticalen
Kanal g.A und durch kt in den Ofen. Die zur Verbreunung erforderliche Luft ist
gezwungen, den Weg /17 l„, 13 zuriickzulegen und gelangt durch hv' in den Ofen.
Die Mengung beider findet bei o statt und es erfolgt die Verbrennung. Die
Verbrennungsproducte ziehen durch 7c„,k„' ab und nehmen ihren Weg zum Theile
durch 73/2}'!, zum Theile durch ).3 l„ Xx zur Esse. Diese abziehenden Gase er-
hitzen nun das Ziegelfachwerk in y3 und ).3 bis zum Gliihen. Stellt man nun die
Klappen px und p„ um, d. h. verdreht man sie urn 90°. so gehen die Generator-
gase durch yx y„ ys nach k„, die Luft durch ).x l„ X3 nach &,/, in y:i, beziehungs-
weise P.3 findet eine Abgabe der aufgespeicherten Warme an Gas, resp. Luft statt,
*) Ueber die erforderlichen Eigenschaften der Tiegel und deren Fabrication s. den Art.
Schmelztieerel.
Eisen-Erzeugung (Gussstahl).
Fig. 1237 b.
I
47
Siemens Regenerativofen.
beide treten daher nun auf etwa 800° erhitzt in den Ofen ; die Verbrennungs-
temperatur wircl hierdurch auf 1500 — 2000° C. gebracht. Die Verbrennungspro-
ducte ziehen nun durch kl g.v g„, gt und durch lcx4 l3Jl^lx ab und erhitzen wiecler
das Fachwerk in g3 und l3. Nach einiger Zeit — circa 30 Minuten — verstellt
man die Klappen wieder in ihre Anfangsposition und dann nelimen Gas und Luft
ihre Vorhitzung aus den Fachwerken g3 und l3. Vor den Vertheilungsklappen
_p, Pq sind nock Klappen angebracht, durch welche man iiberhaupt die Generator-
gase und die Luft absperren oder ihren Zutritt auch regeln kann. Der Name
Regenerativofen stammt von dem Zurtickgewinnen (regenere) der im Fach-
werke gleichsam deponirten Warme. Hieraus darf aber nicht geschlossen werden,
dass diese Feuerung iiberhaupt okononomisch vortheilhaft ist.*) Sie empfiehlt sich
nur dort; wo man hoher Hitzegrade benothigt; in dieser Richtung aber ist ihre
Leistung uniibertrofFen.
Die Schmelzung dauert 3 — 4Stunden; und man untersucht, ob der Stahl in
den Tiegeln zum vollen Flusse gelangt ist, oft auch dadurch, dass man einen
Eisendraht durch ein im Deckel des Tiegels angebrachtes Loch einfiihrt oder be-
stimmt durch die Erfahrung allein den richtigen Zeitpunkt. Nach dem Ausheben
der Tiegel, welche circa 15, selten bis 25 Kg. Stahl enthalten, findet das Giessen
in Gusseisenformen statt, deren im Querschnitt achteckiger, prismatischer Hohl-
raum sich mit Stahl fiillt und daher achteckige Ingots liefert.
Zuweilen werden die Tiegel in Faconformen entleert und dadurch Gussstiicke
bestimmter Gestalt erhalten. Giesst man grosse Stiicke, so sammelt man sich die
erforderliche Stahlmenge in einer Gusspfanne durch Entleeren einer entsprechenden
Zahl Tiegel in dieselbe. Hierbei kann die Schwierigkeit eintreten, gleichzeitig die
erforderliche Tiegelzahl mit fliissigem Stahle in Bereitschaft zu haben, welche sich
nur durch entsprechende Grosse der Anlage und Leitung des Schmelprocesses
beheben lasst.
Beim Gusse selbst findet eine geringe Sauerstoflfaufnahme statt, welche sich
nicht verhindern lasst, da der Strahl des fliissigen Metalles mit der Luft in Be-
riihrung kommt. Diese Sauerstoffaufnahme gibt zur Bildung von Kohlenoxydgas
Anlass, welche bewirkt, dass der die Form fiillende noch fliissige Stahl sein Volumen
') Dingl. polyt. Journ. Bd. 166 S. 270 u. 167 S. 439.
48
Eisen-Erzeugung (Schweissarbeit).
vermehrt — steigt — wodurch blasige Giisse entstehen, wenn dieses Steigen
nicht durch einen kraftigen Gegendruck gehindert wird. Am einfachsten lasst sich
dieser Gegendruck dadurch herstellen, dass die Form niclit ganz gefiillt, sondern
rasch auf die Stahloberflache im Einguss eine Sandschichte gegeben wird, welche
man mit einer eisernen, liinreichend beschwerten oder sonst fixirten Platte nieder-
gedriickt. Meist wird durch Steigrohren gegossen (s. Eisengiesserei).
Die Gussstahlingots werden, um sie in Form von Stahlstaben zu bringen, in
Herden oder Flammofen zunachst hellrothgliihend gemacht, wobei in den Herden
es zu vermeiden ist, den Stahl vor den Wind zu bringen, und in Flammofen die
Feuerung so geleitet sein muss, dass die Flamme etwas rauchig ist.
Die gliihenden Ingots werden liierauf entweder unter Hammern *) oder Walzen
ausgereckt. Findet das Ausrecken unter Hammern statt, so wird (bier ist die
Erhitzung in Herden angewendet) zuerst die eine Halfte unter dem sehr rasch
gehenden Hammer gestreckt, dann abgehauen, hierauf gelangt die zweite Halfte
zur Erhitzung in den Herd zuriick und wird dann gleichfalls ausgeschmiedet. Die
so erhaltenen Stabe werden in Stiicke halber Lange geschnitten, neuerlich gliihend
gemacht und hierauf zur verlangten Endform — von circa 1 Y„Dcm im Querschnitt
— ausgeschmiedet.
Findet das Ausrecken unter Walzen statt, dann muss der gauze Ingot zur
gleichformigen Gluhhitze in den Gliihofen gebracht sein, und passirt dann rasch
hintereinander die Walzen (Kali b er), bis der gewiinschte Endquerschnitt erhalten ist.
B) Die Schweissarbeit. Jene Veredlung des Schmiedeisens oder Stahles,
welche durch die Schweissarbeit stattfindet, setzt die gute Schweissbarkeit des zu
veredelnden Materiales voraus; kohlenstoffreicher Stahl ist daher bier ausgeschlossen.
Das Wesen der Schweissarbeit ist gekennzeichnet durch die Worte: Packe-
tiren, Schweissen und Strecken. Ist es Aufgabe, aus Schmiedeisen-Roh-
schienen (millebars) durch die Schweissarbeit ein verbessertes Product, sog. dou-
blirtes oder raffinirtes Eisen (corroye) herzustellen, so werden die langen
Rohschienenstangen, wie sie durch das Walzen erhalten werden, auf der Schere in
circa lm lange Stiicke geschnitten und diese in ein Packet {jjaquet — bundle of
iron bars) zusarnmengelegt, wie es durch beistehende Figur dargestellt sein mag.
Des besseren Zusammenhaltens wegen wird dasselbe gewohnlich durch Binddraht
umbunden. Diese Arbeit nennt man Packe-
tiren. Das Packet kommt nun in den
Schweissofen und wird zur Schweisshitze ge-
bracht; dann aus dem Ofen genommen und
auf einem kleinen eisernen Wagelchen dem
Walzwerke (friiher auch zuweilen dem Dampf-
hammer) zugefiihrt und verstreckt. Indem
das schweissheisse Packet das erste Kaliber
(s. u.) der Walzen passirt oder einigen Schlagen
des Dampfhammers ausgesetzt wird, findet die
Verschweissung der Lamellen statt. Die weiteren Durchgange durch die
Walzen haben die Aufgabe desStreckens bis zur gewiinschten Endform des Quer-
schnittes. Statt der Walzen konnen audi Hammer zum Strecken verwendet werden.
Ganz ahnlich ist die Anwendung der Schweissarbeit auf weiche Stahlsorten,
nur werden bier gegenwartig haufiger, als dies beim Schmiedeisen der Fall ist,
statt der Schweissofen theils offene, tbeils bedeckte Feuer, Schweissfeuer, in
Anwendung gebracht. Der durch Packetiren, Schweissen und Strecken veredelte
Stahl fiihrt die Bezeichnung Gerb stahl und heisst l-; 2-, 3mal gegerbt, wenn
diese Operation nur einmal, zwei- oder dreimal durcbgefiihrt ist. Der zweiraal
gegerbte Stahl wird daher durch Packetirung, Schweissung und Streckung des bereits
einmal gegerbten Stables erhalten, der dreimal gegerbte Stahl durch dieselbe
Bearbeitung des zweimal gegerbten. Es heisst die Schweissarbeit auf Stahl an-
Paeket.
») Vergl. Prechtl, techn. Encyelop. Bd. 15 S. 538.
Eisen-Erzeugung (Schweissarbeit).
49
gewendet G e r b e n (ancli Garben), das Stahlpacket beisst G a r b e ; bei Sclimiedeisen
wird die Bezeicbnung Gerben nie gebraucht, es beisst diese Arbeit dann Raffiniren.
Die Bildung desPacketes, der Garb e, muss beim Stable, welcher schwieriger
schweisst, vorsichtiger erfolgen. Die Stahlstabe werden nach dem Aushammern
(Platten) gerade gerichtet (geschient), damit sie sich dicht aneinander legen und
keine Luftraume bleiben.
Die vollkouimene Vereinigung, das gute Schweissen, erfordert reine Flachen.
Da die zu verscbweissenden Stabe aber an ihrer Oberflache gewohnlich schon eine
diinne Oxyduloxydschichte besitzen, selbe iibrigens in den Schweissfeuern und Oefen
auch allsogleicb erhielten ; so muss man durch Zugabe von Kieselsaure, S ch w e i a s-
sand; bei Sclimiedeisen oder durcb Zugabe von Schweisssand, Lehm, gestossenein
Glase, Flussspath, ja selbst Borax und Alkalien bei Stahl dafiir Sorge tragen, dass
sicb eine leichtfliissige Schlacke bildet. Dieser fallt die Aufgabe zu, das gebildete
Eisenoxydoxydul von der .Oberflache der zu verschweissenden Stabe aufzunehmen.,
so dass bei dem folgenden Hammern oder Walzen die Stabe, indem die Scblacke
ausgedruckt wird, sich metallisch rein bertihren und verschweissen. Meist werden
diese Scbweisspulver trocken auf die Packete oder Garben gestreut, zuweilen (bei
Stabl) riihrt man das Scbweisspulver mit Wasser an und bestreicht damit die
Stabe. Urn die Oxydation bei der Erhitzung zu hindern, setzt man in diesem Falle
wohl auch kohlende Substanzen, als Blutlaugensalz, Kolophonium dem Schweiss-
pulver bei. (S. hieriiber Naheres bei Sen sen.)
Fig. 1239 a.
Zur Erhitzung
derSchweisspackete,
so wie der Ingots
aus Bessemerstahl
werden gewohnlich
Flammofen , sogen.
Schweiss - Ofen
verwendet, wie einen
solchen Fig. 1239
a und b im Ver-
tical- und Horizon -
talscbnitt darstellt.
k ist der Herd, b
die Feuerbrticke, / der
Verbrennungsraum, r der
Rost, a der Aschenfall,
t die Feuerthiire, s der
Schlackenkanal und u
der Fuchs.
Bei Bildung der
Packete wird fur ge-
wisse Zwecke auch ver-
schiedenes Materiale an-
gewendet. So z. B. werden die Packete fur Schmiedeisen-E i
bahnschienen gewohnlich so packetirt, wie Fig. 1240 zeigt;
oben eine Platte aus Feinkorneisen , die Kopfplatte Jc, hierauf
folgen die Rohschienen r aus ordinarem Eisen und unten kommt
die Fussplatte / aus sehnigem Eisen. Kopf- und Fussplatte be-
stehen aus bereits einmal raffinirtem Eisen. Soil eine Stahl-
kopfschiene hergestellt werden, so besteht die Kopfplatte
aus Stahl. Indem jedoch die Verschweissung von Stahl und Sclimiedeisen sehwierig
erfolgt, so sind gewisse Vorsichten zu beobachten.*)
ycliwei.ssiii'f)
en- Fig. 1240.
m
*) Das Packet wird z. B. mit der Kopfplatte nach unten in den Schweissofen gelegt \md
in Sand eingebetet, damit die Erhitzung derselben nicht zu bedeutend wird. Siehe iiber
Karraarseh & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 4
50
Eisen-Erzeugung (Walzen).
Werden Eisenabfiille und Alteisen packetirt, so ist eine so regelmjissige Anordnung,
wie sie Fig 1240 darstellt, natiirlich nicht moglich und lassen sich grossere Hohlraume im
Innern des Packets nicht vermeiden. Dock schadet dies dem Endproducle dann nickt, wenn
Fiq. 1241. man recnt „saftige Schweisshitze" gibt und durch Schweisssand fiir ge-
Diigende Schlackenbildung sorgt. Das aus Abfiillen guter Qualitat her-
gestellte, sogenannte Ramasseisen ist sogar als vorziigliches, zahes
Eisen beliebt. Sollen alte Eisenbahn-Schienen zur Packetirung verwendet
wei-den, so lassen sich unliebsame, grossere Zwischenraume gleichfalls
nicht vermeiden; falls man nicht zu dem etwas kostspieligen Umwalzen
der Schienen, d. h. Verwandlung derselben in Flacheisen, greifen will.
Fiir die Herstellung von Facon-Eisen, z. B. fiir H-Eisen, werden
zuweilen Packete gebildet, welche nicht die rechteckige Querschnittsform
— Tl haben, sondern eine solche, welche der angestrebten End form nliher
, kommt und dadurch die Zahl der erforderlichen Caliber vermindert. Fig. 1241.
Packete fiir Nasenplatten, so wie solche fiir besonders zahes Kesselblech werden aus
querliegenden Schienenstiicken zwischen einer Fuss- und Kopfplatte zusammengestellt.
Die Grosse des Packetquerschnittes steht zur Dimension des Schlnssproductes in keinem
bestimmten Verhaltnisse, so ist z. B. der Querschnitt eincs ausgesehmiedeten Massels (Zackels)
100-mal grosser als jener des daraus hergestellten Walzdrahtes, wahrend eine Eisenbahnschiene
etwa den 5. oder 6. Theil des Querschuitts ihres Packetes besitzt.
C) Die Form.gebung durch Walzen. Obwohl audi der Hammer und
die Presse*) zur Formgebung der Schweisspackete verwendet werden kann, so soil
bier docb nur die zur Zeit fiir die Herstellung von Eisenstaben verbreitetste und
wiehtigste Methode, das Walzen (cylindrer — rolling), besprochen werden.
Die Maschine, welcber die Aufgabe des Walzens zufallt, lieisst Walzwerk
(cylindve — roll). Hat dasselbe die Aufgabe, die Luppen zu zangen oder die
bereits unter dem Hammer gezangten Luppen zu Robscbienen auszuwalzen^ so fiihrt
es den Namen Praparir-, Luppen-, Zang- oder Robscbienen - Walz-
werk {cylindres a cinglev — blooming-rolls) ; ist seine Aufgabe, aus den Paeketen
Stabeisen berzustellen, so beisst es Stabei sen walzwerk (cylindres a etireurs
— merchant -rolls).
Gewobnlieb sind mchrere Walzenpaare, wie die beistebende Skizze zeigt,
derart verbunden, dass sie gemeinsamen Antrieb von der Scbwnngradacbse a er-
balten. Eine solcbe Anonlnnng lieisst W alz en s trass e oder W.-Strecke. In
unserer Figur bedeuten s die Stander des Schwungrades, h ist die ausriiekbare
Kupplung zwischen s und s', bierauf folgen die zwischen den Standern s" liegenden
Getriebe (Krauseln) und zwischen s'" sind die Walzen gclagert. a b ist die untere,
c d die obere Welle, diese Wellen laufen jedoch nicht durch, sondern sind dnrch
die Brechkiipfe v und Zwischenstticke o verbunden, worauf wir soglcich zuriick-
konimen.
Fig. 1242.
I
A\ al/.enstrasse.
Die Walzen bestehen aus dem mittleren Tlieile, dem sog. Walzenbunde
a (Fig. 1243), den Lagerzapfen b und den Kupplungszapfen c. Der Walzenbund
a ist bei Blechwalzen und Universalwalzen glatt, bei den Robscbienen- und Stab-
eisenwalzwerken aber mit Einschnitten oder Calibern (Kalibern) verselien. Die
Lanjrc des Bundcs ist 2xja — 3'/0-mal dem Walzendiirchmesser gleich. Der Quer-
schnitt der Kuppelzapfen oder audi Kreuzzapfen ist aus Fig. 1243 b und Fig. 1243 a
zu entnehmen. Den gleichen Querschnitt hat auch die kurze Kupplungswelle
hierher Gehoriges: Petzholdt, Fabrication, Priifung und Uebcrnahme von Eismbahn-
Material Wiesbaden, Kreidel, 1872.
]f) Vergleiche die Artikel Dampfha in mer, Pressschmieden und Schmieden.
Eisen-Erzeugung.
Fig. 1248 a.
51
Fig. 1243 b.
Walze mit glattem Walzenbunde
(o Fig. 1244 u. d Fig. 1244 b), der Muff / (Fig. 1244 b) ist dazu passend ge-
raacbt und liber c und d so aufgeschoben, dass er die Verbindung beider herstellt.
Uni die Verschiebung der Muffen zu hindern, sind an die Kupplungswelle d Stabe
e angelegt und mit Riemen oder Reifen g g' festgelialten. Der Muff oder Brech-
kopf wird gewobnlich scliwacber gebalten, damit bei einem vorkomraenden Stoss
— Klemmen des Walzstiickes — kein Brecben der Walzen, sondern ein solches
des billigen Brecbkopfes erfolge.
Fig. 1244 a.
Fig. 1244 b.
Walzenkupphmg (f Brechkopf).
Zwei zusammengehorige Caliberwalzen sind in Fig. 1245 dargestellt. 7c1}%
sind die Caliber, also jene Nuthen, durcb welche das Walzstiick durclizugehen
liat^ r r sind die Walzenringe. rr. /o^^
Caliberwalzen.
Es sei zunacbst die fur verschiedene Zwecke erforderliche Mannigfaltigkeit
der Form der Caliber ausser Betrachtung gelassen, und nur ira Allgemeinen die
Wirkungs weise betrachtet.
Indem die Walzen im Sinne der Pfeile
(Fig. 1246) rotiren, fassen sie das Walzstiick
und zwangen dasselbe durcb den geringeren
Caliberquerscbnitt. Dieses Fassen findet aber
nur dann statt, wenn das Walzstiick nicbt
breiter ist, als das Caliber, und auch nur
dann, wenn die Zugkraft der Walzen grosser
ist, als der vom Walzstiick gegen die Form-
veranderung in der Durcbzugsricbtung geleistete
Widerstand. In seiner Hbhendimension wird das
Fig. 1246.
52 Eisen-Erzeugung (Calibrirung).
Walzsttick von ht auf /?.„ gebracht, es findet also eine Hohenabnahme statt.
Der Lange nach erfolgt ein S tree ken, eine Langenverniehrung ; der Breite naeh
aber ist die Einwirkung, Breitung, gering, mid zwar um so geringer, je leichter
das Materiale sicb strecken lasst.*) Indem der Zug der Walzen, d. i. die Reibung
derselben am Walzstiick, dieses zwisclien den Walzenoberflachen durchdrangt,
wirken die Walzen driickend auf das Walzstiick, und man kann daher ganz
wohl von einem Drucke in der Richtung der Hohe, vom sogenannten Hohen-
drucke reden.
Will man von einem bestimmten Anfangsquerschnitt (des Packets) zu einem
gleichfalls bestimmten Endquerscbnitt gelangen, z. B. von A B C D zu a b c d,
so ist die Anwendung einer Reilie von Calibern noting, welche das Walzstiick
abwechselnd in gewendeter Lage, d. h. die Breite als Hohe gesetzt passiren muss,
Es wird dies sogleich klar werden. Wollte man A B C D den Walzen zufiihren,
Fia 1247 so kann man dies, je nachdem die Caliber gewahlt sind,
* n entweder so machen, dass AC (oder AB) oder auch die
Diagonale A D als Hobe erscheint. Betracliten wir zunachst
den ersten Fall, A C sei als Hobe, A B als Breite genommen.
Dann muss das gewahlte Caliber, damit es das Walzstiick
rein fassen kann, mindestens die Breite A B besitzen ; die
Hobe des Calibers mag um '/8 A C niedriger oder gleich
F 7/s A C sein. Wir sagten, das Caliber miisse mindestens
J) die Breite A B baben ; denn sonst wirken die Walzenringe
ein, sebneiden vom Walzstiick Material ab, welches zu diinnen
Lamellen ausgewalzt mit dent Walz-stiicke recbts und links zusammenhangen und
die ricbtige Form beeiiitraclitigen wiirde. Audi dann, wenn das Walzstiick genau
einpasst, driickt sicb durch die Breitung etwas Materiale zwisclien die Walzenringe
und bildet die Walznahte. Aus diesem Grunde macht man das Caliber stets
etwas weniges breiter. Durch den Durchgang erhalt man nun ein Walzstiick von
geringerer Hobe, aber derselben oder etwas grosserer Breite und durch analoge
Wiederholung des Walzens durch mehrere Caliber konnte man endlich zur Form
CD E F des Querschnittes kommen. Man sieht aber wohl, dass auf diesem
Wege die verlangte Endform abed nicht zu erzielen ist. Denkt man sich
jedoch nach jedem Durchgang das Walzstiick gewendet, so dass, was Hohe war,
zur Breite gemacht wird, so hat die Breite jedes nachsten Calibers stets um ge-
ringes die Hohe des vorhergehendeh zu iibersteigen, und man gelangt so zu einer
Abnahme der Breiten- und Hohendimensionen, kann also die Schlussform abed
erzielen.
Wird die Diagonale AD zur Hohe, CB zur Breite gemacht, beim nachsten
Durchgang C B zur Hohe, das reducirte A D zur Breite, so kann man durch ge-
eignete Fortsetzung audi zum Schlussprotil gelangen.
Es sieht nach dem Gesagten die Aufgabe, die richtigen Caliber in den Walzen
anzubringen, die Calibrirung, sehr einfach aus; aber doch bietet sie grosse
Schwierigkeiten, welche einerseits darin liegen, dass man in einer Hitze vom
Packet bis zum Endproduct zu gelangen strebt, daher die Zahl der Caliber nioglichst
herabzumindern hat, und mit rnogliehst wenig AValzeu moglichst viele Endformen
herstellen soil; andererseits aber bei Herstellung von Fagoneisen die dann ungleich
streckende Wirkung ein«-und desselben Calibers mit der Beschaffenheit des Materiales
in Einklang bringen muss.
Die Caliber sind sowohl beziiglich ihrer Aufgabe, Form und Lage in den
Walzen sehr verschieden. In ersterer Hinsicht, also beziiglich des Z w e c k e s
oder der Aufgabe, lassen sicb die Caliber eintheilen in:
"_) Dit-s erklart die autaiiglich iiberraschende Erscheinung-, dass weieheres (oder heisseres)
Materiale eine geriugere Breitung aufweist als harteres. Daher bei gleicher Gliilihitze
Schmiedeisen weniger in die Breite zunirarat als Stahl. Die theoretische Beti-achtung
des Walzproeesses bringen wir im Artikel W a 1 z e n.
Eisen-Erzeugung.
53
1. Sch weiss caliber. Sie haben die Aufgabe, die Verschweissung der
einzelnen Schienen des Packetes zu bewirken.
2. Streck- oder Vorb er ei tun gs calib er, welclie thunlichste Streckung
des Walzstuckes bewirken sollen.
3. Entwick lungs-Caliber, welche die Endform allmalig bilden.
4. Vollend- oder Fertigcalib er, welclie die Endform namentlich mit
Riicksicht auf das Schwindmass ausbilden.
Eine specielle Art der Entwicklungs-Caliber sind :
5. Die Breitungs- oder St auch -Caliber, durch
welche gewisse Theile des Walzstuckes (z. B. der Scbienenfuss
bei Eisenbahnschienen) ausgebildet werden.
Zu den Vollend-Calibern gehoren:
6. Die A/djustir- Caliber, bestiramt zur Ausbildung
der Kanten o. dgl.
Der Form nach unterscheidet man:
1. Die Spitzbogencalib er. Figur 1248
zeigt seine Construction. Gegeben ist a b und c d,
die Bogenmittelpunkte m bestimmen sich, indem
man von b und c (eben so von je zwei anderen
Eckpunkten) Kreisbogen vom Radius a b be-
2. Quadratcaliber. (Fig. 1249 a u. b.)
Die erste Figur zeigt ein Quadratcaliber als Streck-
caliber, die zweite als Vollendcaliber.
3. Flack caliber. (Fig. 1250 a u. b.) Die
erste Figur zeigt ein offenes, die zweite ein ge-
schlossenes Flachcaliber.
4. Oval caliber. (Fig. 1251 a u. b.) Es be-
steht dasselbe aus den beiden Kreisbogensegmenten
a b c und d ef, welche,' wie die zweite Figur dar-
stellt, dadurch erhalten werden, dass man durch
die Punkte m und n des verticalen Durchmesser
Sehnen zieht; wobei bm =z mn rr ne ist.
5. R u n d- oder Kreiscaliber (Fig. 1252)
ist stets nur als Vollendcaliber zu verwenden.
6. Polygoncaliber. (Fig. 1253 a u. b.)
Die erste Figur zeigt ein Vorbereitungs-, die zweite ^V 1253 a
ein Vollendcaliber.
Fig. 1253 b.
7. Fa 90 n caliber.
In Bezug auf die Lage der Caliber in den
Walzen unterscheidet man:
1. Offene oder getheilte Caliber.
2. Geschlossene oder versenkte Caliber.
3. Theils geschlossene, theils offene Caliber.
4. Excentrische Caliber, zu welchen auch die unterbrochenen und periodischen
gehoren.
Die off en en oder getheilten Caliber konnen betreffs der Form alien
diesbeziiglich angegebenen 7 Hauptformen angehoren ; beztiglich ihrer Aufgabe sind
es sowohl Schweiss- als Streck-Caliber, ofter auch Entwicklungs und Vollend-
caliber, seltener Adjustircaliber. Die in Fig. 1245 gezeichneten Caliber sind durch-
gehends offene.
54
Eisen-Erzeugung (Calibrirung).
^~\
Die geschlossenen oder versenkten Caliber sind durch beistehende
Skizze dargestellt. Der Form nach konnen es Flach- und Faconcaliber sein.
Fig. 1254. Eine specielle Art der geschlossenen Caliber sind die Brei-
tungs- oder Stauchcaliber nnd stellt ein solches unsere Figur
bei b dar. Es bat dieses speciell den Z week der Ausbildung,
Breitung, des Schienenfusses. Die geschlossenen Caliber sind
! \ meist Entwicklungs- oder Vollend-Caliber.
jL_^-— £_U= J Fig. 1255. Als Beispiel eines theils geschlosse-
nen und theils of fen en Calibers mag
Fig. 1255 dienen, es ist dies ein Adjustircaliber
zur Abrundung des Schienenkopfes.
Alle diese Caliber laufen centrisch zur
Walzenachse und sind nach Schablonen in den
Walzenbund eingedreht. Ist jeder einzelne
Querschnitt durch die Walze zwar ein Kreis,
liegt derselbe aber excentrisch zur Walzen-
achse, so nennt man ein solches Caliber ein
excentrisch es. (Hierher gehoren die Caliber
fur die Fischbauchschienen.) Horen die Querschnitte auf7 Kreise zu sein, so
werden die Caliber unterbrochene, und falls die Unterbrechung im Walzen-
umfang sich 2-, 3-...n-raal wiederholt, periodische Caliber genannt. (Unter-
brochene und periodische Caliber finden bei Feilenwalzen, Zuspitzen von Draht etc.
Anwendung.)
Das A b n a h m s v e r h a 1 1 n i s s ist das Verhaltniss eines Caliber-Quersehnittes
zum nachstfolgenden oder das Verhaltniss des Querschnittes des eintretenden Walz-
stiickes zu jenem des austretenden. Es ist dieses Verhaltniss von der Beschaffenheit
des Walzstuckes, von der Dimension und Form abhangig; es kann fur grossere
Stiicke bei Flachcalibern 5 : 4, bei sehr heissem und weichem Materiale selbst
4:3 bis 3:2 betragen, ja fiir kleine Querschnitte selbst auf 2 : 1 steigen, wenn
die Formen einfache sind, die Streckung daher gleichmassig erfolgt. Die Abnahme
des Querschnittes findet hingegen bei Faconeisen viel laugsamer statt, weil das
Caliber dann insbesondere die Aufgabe der Formgebung zu erfullen hat, der
Hohendruck, resp. die Streckung des Walzstuckes eine ungleiche ist und das
Materiale dieser ungleichen Anspruchnahme ohne Reissen Folge leisten muss.
Bei Spitzbogen-Calibern findet fiir Schmiedeisen die Abnahme durch nach-
stehende , in Millim. ausgedriickte Werthe des Constructionskreisdurchmessers
(a, b Fig. 1248) seinen Ausdruck: 158, 132, 112, 98, 86, 75,72,66,59,53,46.
Durch die beistehende Figur ist in */„ n. Gr. die Aufeinanderfolge der Caliber
fiir die Herstellung einer Grubenschiene dargestellt, und sind hierbei die Caliber
in jener Lage gezeichnet, in welcher sie in den Walzen liegen. I ist das Schweiss-
caliber, // bis V sind Entwicklungscaliber (hierbei ist TV das Stauchcaliber), VI
ist das Vollend- und VII das Adjustircaliber zum Zwecke der Abrundung der
Kante bei k.
Fig. 1256 a.
Fig. 1256 c.
Was die Vertheilung des Caliber querschnittes in den Walzen
betrifft, so ware es zwar scheinbar am natiirlichsten, beide Walzen gleichviel ein-
Eisen-Erzeug'ung.
zudrehen und so vom Caliberquersclmitt je die Halfte in jeder Walze anzubringen ;
aber in diesem Falle konnte das austretende Stuck gleich leicht sich gegen die
obere oder untere Walze ausbiegen, ja selbst wickeln. In den Schweisscalibern
konnte ein Spalten des Packetes eintreten, ein Wickeln des einen Theiles um die
obere, des anderen nm die nntere Walze, wodurch ein Bruch fast unvermeidlich
wiirde. Man miisste an beiden Walzen Abstreicbvorrichtungen anbringen, was
flir die Arbeit unbequern ware. Dies wird vermieden, und die Abstreichvorrichtungen
(Walzenbank, Abstreifnieissel) konnen auf die untere Walze beschrankt bleiben,
wenn man das Caliber mellr in die untere Walze einlasst, weil dadurch das Walz-
sttick die Tendenz erhalt, sick gegen die untere Walze auszubiegcn, um diese zu
wickeln, woran es eben durch die Abstreichbank gehindert ist. Indem man die
Mittellinie des Walzstiiekes mehr in die untere Walze einlasst, wird der Caliber-
durchmesser der oberen Walze grosser. Bei getheilten Calibern erhalt die obere
Walze um 2 — 3mm grosseren Durchmesser, bei versenkten Flachcalibern wird
der Durchmesser der Matrize um 2 — 8mm kleiner als der Durchmesser der Patrize
gemacht, bei Faconcalibern legt man hingegen ofter iiber 2/3 des Calibers in die
untere Walze, besonders dann, wenn die Form ein leicliteres Hangen an der Ober-
walze gestattet.
Einspringende Winkel, welche das Freilassen des Walzstiiekes verhindern,
diirfen nie vorkomrnen, und bei der Herstellung von Walzstiicken, welcbe dies
scheinbar unvermeidlich machen, wie z. B. die Nasenplatte (Fig. 1257), walzt
man das Stiick so aus, wie Fig. 1258 zeigt, und biegt die Nase
dann um, wobei der Raum unter der Nase frei bleibt, die Caliber-
grenze entspricht der punktirten Linie in Fig. 1257.
Wir haben hier noch jene Mittel zu besprechen, durch
welche eine wesentliche Ersparniss an Calibern, namentlich bei
der Herstellung der verschiedenen Flacheisensorten, erzielbar ist.
In dieser Beziehung sind die Stufen- oder Staff el walzen
und die U n i v e r s a 1 w a 1 z w e r k e zu nennen.
Die Stufen wal-
zen, deren zwei von **l9' 1259-
gleicher Gestalt, wie selbe
durch die beistehende
Figur gekennzeichnet ist,
zusammenwirken, werden
ausschliesslich als Vor-
walzen fur Flacheisen beniitzt. Stufenwalze.
Indem die Stufenwalzen keine seitlich begrenzten Caliber aufweisen, so ist
ihre Wirkung eine weniger vollkommene. Die Seitenflachen des Walzstiiekes nehmen
keine gezwungene Gestalt an, sondern bilden sich (durch das sogenannte Fliessen
des Metalles) unrein aus. Als Vollendcaliber muss daher mindestens ein versenktes
Caliber angewendet werden. Fig. 1260.
Die Universalwalzwerke be-
sitzen ausser den gewohnlichen zwei
horizontalen Walzen noch zwei verticale.
Das Walzstiick passirt zuerst die hori-
zontalen Walzen und hierauf die verti-
calen. In diesen Walzen sind keine
Caliber angebracht, sondern die Walzen- Y
biinde sind flach. Hiervon machen die >-
verticalen Walzen nur dann eine Aus-
nahme, wenn das Universal walzwerk
als Vorwalzwerk fur Doppelt- T-Eisen
dient. Die Walzen a und c sind ge-
wohnlich fix gelagert, die Walzen b
und d (hinter c liegend, daher in der
° ; Umversalwalzwerfc.
56 Eisen-Erzeugung. — Eisenamianth.
Figur nicht sichtbar) sind parallel zu sich selbst gegen a resp. c verstellbar. Die
Wirkungsweise ist vollkouimener wie jene der Stufenwalzen, weil alle vier Seiten-
flachen gepresst werden, kann aber doch keine so reinen Formen liefern als die
Calibrirung, weil die Pressungen nicht in derselben Verticalebene ihr Maximum
erreichen, sondern die verticale Pressung in a, b, die korizontsle in c c. Hierdurch
ist die Bildung reiner Seitenflachen und namentlich reiner Kanten nicht moglich.
Das Universalwalzwerk kann daher nur als Vorwalzwerk gebraucht werden.
Der Losung der Aufgabe, vom Packet bis zur Schlussform in einer Hitze
zu gelangen, ist bei der Anwendung nur zweier, nach der gleichen Richtung
laufender Walzen, dem Zweiwalzensystem, der Zeitverlust hinderlich, welcher
durch das Zuriickbringen des Walzsttickes zur Einlassseite entsteht. Nach dem
Durchgang des Walzstiickes wird derselbe auf die obere Walze gehoben und
dadurch auf die Einlassseite zurtickgefuhrt, es erfolgt dies zwar eben so rasch
wie der Durchgang, aber doch findet wahrend dieser Zeit eine Abkiihlung statt.
Diesem Uebelstande begegnet man durch Umkehrung der Walzenbe-
w e g u n g *) oder, noch besser, durch das Dreiwalzensystem, beim Draht-
walzen aber durch die im Art. Draht H S. 649 beschriebene Anordnung.
Das Dreiwalzensystem ist durch drei liber
einander gelagerte Caliber- Walzen charakterisirt. D^s
Walzstiick tritt in der Richtung 1 durch das erste
Caliber, welches in den Walzen a und b angebracht
ist, und gelangt dann in der Richtung zwei in das
2. Caliber, daher durch b und c wieder auf die
friihere Seite zuriick. Das 3., 5., 7. Caliber liegt
wieder in a b, das 4., 6., 8. in c b, es findet das
Walzen daher nach beiden Richtungen statt. Die
Schwierigkeiten dieses Systems liegen in der Stellung
der Walzen und in der Vertheilung der Caliber, sie
sind aber uberwunden und das Dreiwalzensystem
gewinnt immer inehr Verbreitung.
Zum Schlusse seien noch einige Specialitaten
erwahnt.
Walzen, deren wirksame Theile iiber das Walzengeriiste vorstehen (ahnlich
den Bd. I S. 550 etc. beschriebenen), und das Auswalzen eines Ringes oder Reifens
gestatten, heissen Kopfwalzen (s. d.). Sie finden z. B. Anwendung bei der
Fabrication der Tyres.
Co liar walzen werden zum Walzen der Glieder fur Kettenbriicken ver-
wendet (s. Berg- u. hiittenmannisches Jahrbuch neue Folge XII. Bd. S. 144).
Ueber R 6 h r e n walzen s. den Artikel R 6 h r e n f a b r i c a t i o n, auch obgen.
Jnhrbuch IX. Bd. S. 176.
Literatur der Eisenhuttenkunde. Die Wiederholung der bereits im Ver-
laufe dieses Artikels genannten Werke kann vermieden werden, auch sollen
hier nur einige die Eisenhiittenkiinde im Allgemeinen behandelnde hervor-
lvigende Werke genannt sein. — Kars ten's Eisenhiittenkiinde, Berlin 1827.
Percy -Wed ding", Eisenhiittenkiinde, Braunschweig 1864 bis 1876. —
Wedding, Darstellung d. schm. Eisens, Braunschweig Vieweg 1875. —
T u n n e r, Stabeisen- und Stahlbereitung auf Frischherden, Freiberg 1858. Kk.
Eisenalaun, s. Alaun I pag. 77.
Eisenamianth, Eisenasbest nennt man die in den Fugen der Sohlsteine
und des Gestelles bei Hochofen sich nicht selten findende Kieselsaure, welche
schneeweisse faserige Massen bildet, die dem Amianth ahnlich sehen. Gtl.
*) Vorric-htungcn zum Yor- u. Eiickwartswalzen sind u. a, beschriebeu in Dingl. p. J.
Bd. 200 S. 3 u. Bd. 203 S. 338.— Booth's Schnellwalzwerk fur Draht Bd. 197 S. 9.
Eisenapatit. — Eisenbahn. 57
Eisenapatit, s. Zwieselit.
Eisenasbest, s. E is en ami an th.
Eisenbahn (chemin de fer — rail-way). Eisenbahnen sind kiinstliclie
Strassen von einer derartigen Einrichtung, dass die den Fulirwerken sich entgegen-
stellenden Widerstande auf ein geringes Mass herabgedriickt werden. Beinahe
ausschliesslich besteht diese Einrichtung aus 2 parallelen, neben einander liegenden
Schienen, auf welchen die Fabrzeuge mit einem Spurkranze, der ihnen zur Fiihrung
dient, laufen.
Die Geschichte der Eisenbahnen datirt zuriick bis in das alte Grieclien- und
Romerthum, in welcher Zeit wir bereits Spurbahnen vorfinden ; diese verschwinden
dann durch voile 1 '/„ Jahrtausende aus der Geschichte des Verkehrs, bis die Spur-
strassen als Holzbahnen in den alten Gruben im Harze und in England wieder
erschienen ; eine Krise in den Eisenpreisen v. J. 1767 gab Veranlassung zur Her-
stellung eines gusseisernen Bahnstranges und Benjamin Curr legte im J. 1776
die erste Balin mit gusseisernen Schienen. Der letzte grosse Schritt in der Ent-
wicklung geschah durch die Erfindung des Schienenwalzens durch John Berkin-
shaw im J. 1828; Robert Stephenson verwendete Schienen mit parallelen
Ober- und Unterflachen und Charles Vignoles gab den Schienen endlich jene
Gestalt, in welcher sie gegenwartig auf circa 40°/0 der europaischen Bahnen im
Gebrauche sind. Eine ungleich schnellere Ausbildung erlitten die Fabrzeuge selbst
(s. E i s e n b a h n - F a h r b e t r i e b s m i 1 1 e 1).
Ausbreitung der Eisenbahnen. Mit der Einfiihrung der Locomotiv-
bahnen erbffnete England den Reigen. in welchem Lande 1830 die erste Locomotiv-
Eisenbahn in Europa zwischen Liverpool und Manchester dem offentlichen Ver-
kehre iibergeben wurde ; in demselben Jahre folgten die Vereinigten Staaten Nord-
amerikas; 1835 folgte Belgien und Deutschland, 1837 Frankreich und Oesterreiehj
1838 Russland, 1839 Holland und Italien, 1844 die Schweiz und Danemark,
1848 Spanien7 1850 Mexico, 1851 Schweden und Peru, 1853 Ostindien und Nor-
wegen, 1.854 Portugal und Brasilien, 1855 Australien, 1856 Aegypten, 1860 Ru-
manien, 1864 Kleinasien, 1867 Java, 1875 die europaische Tiirkei.
Nach den neuesten, mit Ende 1871 abgeschlossenen Nacbweisen von Sturmer
zahlen wir:
in Europa 142.807 Kilometer Eisenbahnen,
in Asien 12.302 „
in Amerika 133.914 „ „
in Afrika 2.279
in Australien 2.820 „ „
Zusammen . . 294.122 Kilometer.
Spurweite (largeur de la vote — oa^9e)- Hierunter versteht man die
Entfernung der beiden Schienenstrange gemessen zwischen den beiden Innenseiten
der Schienenkopfe (Fig. 1262). Ueber die Grosse dieser Spurweite entspaun
sich besonders in England ein langer Kampf, aus dem die Spurweite Stepbensons
(4' 8y2" engl. — 143 6m ) siegreich hervorging. Dieselbe ist die verbreitetste
und wird daher Normal -Spur genannt. Kleinere Fig. 1262.
Spurweiten kommen nur in Landern mit wenig ent- *<...,... Spymeite
wickeltem Verkehr oder isolirt von Hauptbahnen |Sf^^F^^§^^^^fe^
vor. In Europa sind 4 Lander, welche eine grossere
Spurweite haben : Spanien und Portugal (l-68m ), Russland (l*525m ) und Irland
(l-60m ). Die aussereuropaischen Lander zeigen in Betreff der Spurweiten er-
hebliche Verschiedenheiten: In den Vereinigten Staaten Nordamerikas ist das Mass
l*436m vorwaltend, es kommen aber daselbst noch andere Weiten bis l*83mvor;
in Ostindien und in Chili findet man Spurweiten von l-68m , in Brasilien solche
von l'60m .
58 Eisenbahn.
Eintheilung der Eisenbahnen. Dieselbe kann nach verschiedenen
Richtungen geschehen, und zwar:
1. Nach der Grosse des Verkekrs in Hauptbahnen (lignes principales —
main lines) mit grossem und in Secundarbahnen (lignes secondaires , lignes
d'embranchements — secondary lines) mit kleinerem, untergeordnetem Verkehr.
2. Nach der Spurweite in normalspurige [chemin de fer a, voie normale —
normal gauge railways) und in schnial- (eng-) spurige (chemin de fer a voie
etroite — narrow gange railways) (letztere werden audi irrig Secundarbahnen
genannt).
3. Nach der Art der die Fuhrwerke bewegenden Kraft in solche mit arii-
malischer Zngkraft und in solche mit Wasser-, Luft- oder Dampfkraft.
4. Nach den Anforderungen, die der Verkehr stellt, in Bahnen fur den ge-
samraten Verkehr, in solche fur ausschliesslich Personen- oder Frachtentransport, ferner
in Materialtransport-, Arbeits-, Interims-, Strassen-, Pferde- und Locomotivbahnen.
5. Nach der Beschaffenheit der Erdoberflache, langs welcher sich die Bahn
hinzieht, in Bahnen in der Ebene (mit regelmassigeni Grundriss und unregelmassigem
Profil), Bahnen im offenen Thai (unregelmassigem Grundriss und regelmassigem
Profil), Bahnen im Hiigellande (Utnwege, scharfere Curven und starkere Steigungen),
in Gebirgsbahnen (grosse Umwege, noch scharfere Curven und Steigungen).
6. Nach der Construction des Oberbaues in Bahnen mit 2 parallelen Sehienen-
strangen, mit einem Schienenstrang, System Fell, Riggenbach, Wetli, Zschokke,
K o s 1 1 i n & L e b r e t, L a r m a n j a t etc. (siehe weiter unten).
Bei naclifolgenden Auseinandersetzungen sind stets normalspurige Bahnen
mit dem gewohnlichen Locomotivbetriebe in's Auge genommen und werden am
Schlusse derselben die aussergewohnlichen Bahnsysteme einer Besprechung unter-
zogen. Die Cotirung der Figuren bezieht sich auf das Metermass.
Alignement- und Neigungs verhaltnisse (alignement et disposition
des pentes et rampes — gradients) der Eisenbahnen. Diese beziehen sich auf
die Richtnng der Bahn und auf die in derselben vorkommenden Steigungen und
Gefalle; die Wechselwirkung zwischen Bahn und Fuhrwerk tritt bei Bestimmung
dieser Verhiiltnisse in beinerkenswerther Weise hervor, eben so wollen auch hiebei
die Verkehrsverhaltnisse, der Bahnbetrieb und die Beschaffenheit des Terrains be-
riicksichtigt seiu.
Nach den „Grundziigen fur die Gestaltung der Eisenbahnen Deutschlands"
(herausgegeben vom Vereine deutscher Eisenbahnvervvaltungen) soil das Langen-
gefalle nicht iiberschreiten : im flachen Lande 1:200. d. i. 5 %o (^- n- au^ ^00
Langeneinheiten Lange 1 Langeneinheit Steigung), im Hiigellande 1 : 100, d. i.
10°/00, im Gebirge 1:40, d. i. 25°/00.
Die Kriimmungshalbmesser der Curven sollen wo moglich im flachen Lande
nicht unter 1100™ , im Hiigellande nicht unter 600m , bei Gebirgsbahnen nicht
unter 300'" , ausnahmsweise mindestens 180m betragen. Durch die Steigungen
wird eine Vermehrung der Zngkraft noting. Walirend durchschnittlich pro Tonne
(1000 Kilogr.) Zugsgewicht 4 Kgr. Zugskraft benothigt wird, steigert sich letztere
auf Steigungen urn 1 Kgr. fur je ein pro mille; es ist daher auf Steigungen von
1:100 (10° on) der Mehrbedarf an Zugskraft 10 Kgr. pro. Tonne, also im Ganzen
11 Kgr. pro Tonne Zugsgewicht.
Beim Befahren von Curven werden die Fahrzeuge durch die Centrifugalkraft
an die ausseren Schienen angepresst, wodurch einestheils Widersta'nde entstehen,
anderseits eine Abniitzung der Schienen und Fahrbetriebsmittcl herbeigefiihrt wird.
Weiters bedingt das Befahren in Curven, dass das aussere Rad in derselben Zeit
einen grosseren Weg zuriieklegt als das innere. Man begegnet diesen schadlichen
Eintlusseii, indem man in Curven den ausseren Schienenstrang gegen den inneren
erhoht (je nach dem llalbmesser des Bogens und der Gesehwindigkeit, mit welcher
die Bahn befahren wird, bis 150mm), die Geleiseweite vergrossert (bis 25mm) und
den Radkranzen eine conische Flache mit der Neigung 1/7 bis yiG gibt.
Eisenbahn.
59
In Betreff der Aliguements- und Hohenverhaltnisse der Statioiien Fig. 1268.
bcstimmen oben erwahnte „Grundziigc" : „die Bahnhofe sollen eiue
horizontale Strecke erhalten, welche im flaclien Lande wenigstens
550m, im Gebirge wenigstens 180m lang ist. Im flaclien nnd Hiigel-
Lande muss wenigstens ein Theil dieser Strecke eine gerade Linie
von 180™ Liinge erhaltenr Grossere Steiguugen als 1 : 400 sollen auf Stationen
nicbt vorkommen."
Normalprofil des lie b ten Raumes. Die Wecbselwirkung zwischen
Balm, Fuhrwerk und den neben den Geleisen befindlichen Baulichkeiten bedingt
eine Grenzregulirung, welche, bildlich dargestellt, unter dem Namen „ Normalprofil
des lichten Raumes" bekannt ist, welches auf der freien Balm und auf jenen Ge-
leisen, auf denen Ziige verkehren.
mindestens einzubalten ist. (Fig. 1264.)
Fig. 1264.
DlTibev ^~up-
T raci rung (trace, — survey, tracing) nennt man die Ermittlung der Eisen-
bahnlinie und deren Absteckung auf dem Felde; als Grundlage dienen Hohen-
60
Eisenbahn.
and Langenmessungen in jenem Terrain, welches von der Babn durchschnitten
werden soil; mit Hilfe derselben wird die Babntrace ermittelt und abgesteckt. Die
hiezu nbthigen Behelfe sind Situationsplane, Nivellir - Instrumente , Nivellirlatten,
Messketten oder Messbarider. (Hieriiber Werke von Heyne, Stummer u.Kaven.)
Die Ergebnisse der Tracirung werden durch Einzeicbnen der Linie in die
Situationsplane, so wie durch ein sogenanntes Langenprofil, welches die Ge-
staltung des durchschnittenen natiirlichen Terrains, so wie die Steigungs- und
Richtungsverhaltnisse der Bahntrace darstellt, ersichtlich gemacht.
Fig. 1265.
:■?!>§ ft »§b 5 '• c! .? § § t n qo •? So cv, ^ S o~os £ <o
Fig. 1265 stellt ein Stlick eines Laugenprofils dar; das natiirliche Terrain
soil mit schwacheren Strichen, die Bahntrace, d. i. die sogenannte Nivellette mit
starkeren Strichen ausgezogen sein ; die auf das natiirliche Terrain sich beziehenden
Coten sollen durch liegende Schrift, hingegen die Nivellettecoten durch eine stehende
kraftige Schrift, eben so auch die Richtungs- und Steigungsverhaltnisse und die
Kunstbauten gekennzeichnet sein. ^Vom Xylographen in unserer Figur zu wenig
hervorgehoben.)
Auf Grundlage dieser Aufnahmen werden die Plane und Kostenvoranschlage
fur den gesammten Babnbau verfasst. Letzterer lasst sich eintheilen: 1. in Unter-
bau, 2. Oberbau, 3. Hocbbau, 4. Ausriistung der Babn, 5. diverse Arbeiten.
Unterbau (terrassement et travavx d'art — way and works). Hierunter
versteht man denjenigen Theil der Babn, welcher die Schienen mit ihren Lagern
nebst deren Unterbettung tra'gt. Es gehort sonach hieher die Construction des
Erdkbrpers (^Damnie, Einschnitte), der Durchlasse, Briicken, Viaducie, Tuunels.
Die Form des Erdkorpers, d. i. sein Querprofil bestimmt sich 1. durch die
Kronenbreite, 2. durch die Bbschungen, 3. durch die Anlagen zum Schutz und
zur Erhaltung des Erdkorpers.
Die Kronenbreite soil nach den Beschliissen des Vereins deutscher Eisen-
bahnverwaltungen in einer durch die Unterkante der Schienen gelegten Linie vom
Durchschnittspunkte der Bbschungslinie bis zur Mitte des nachsten Geleises nicht
unter 2m betragen (Fig. 1267); die Doppelgeleise in der freien Babn sollen von
Mitte zu Mitte nicht weniger als 3om von einander entfernt sein. In der Regel
sind die Kronenbreiten grosser als obiges Mass, wie umstehende Figur nachweist.
Eisenbahn.
61
Bei Einschnitten wird die Breite des Erdkorpers urn den Raum fur die auf beiden
Seiten des Bahnkorpers herzustellenden Graben grosser als bei Dammen. Die Tiefe
dieser Graben ist 0*64 — 094m , deren Breite richtet sich nach dem abzufiihrenden
Wasserqnantura und betragt durchschnittlich O30m . Die zulassigeNeigung der Bo-
schungen ist bedingt dnrch die Art des Materials urid durcli das Verhalten desselben
gegen die Einwirkungen der Atmosphare nnd des Wassers. Bei vielen Bahnen gilt als
Kegel, die Damme 1 y2-ftissig (d. h. das Verhaltniss der Hohe h zur Breite b = 1 : 1 V2),
die Einschnitte einfiissig zu boschen (s. Fig. 1266 u. 1267). Die Boschungen werden
zuweilen durcli sog. Bermen (b Fig. 1266), d. i. durch horizontale Absatze unter-
Fig. 1266. (y15 nat. Gr.)
inSric
7,85
Koln-Giessener Bahn.
Fig. 1267.
SlTuuiuaB eK/*mdmite
(V25 nat. Gr.)
brochen, tiber deren Zweckmassigkeit die Ansicbten getbeilt sind. Sollen die Bo-
schungen, um mit dem Material oder mit dem znm Bahnbau nothigen Grund zu sparen,
steiler angelegt werden, so geschieht es durch Bekleidung mit Rasen (Fig. 1267),
durch Abpflasterungen, Stiitz- und Futtermauern (Fig. 1268 u. 1269). Die Mittel,
urn Storungen in der Form der Einschnitte vorzubeugen, oder sie zu beseitigen,
bestehen in der Entfernung des Bodens, welcher durch den Einschnitt seine Stittze
verloren hat (Entlastung) oder in dem Ersatz dieser verloren gegangenen Stiitze
durch Stiitz- und Futtermauern, Strebepfeiler u. s. f. Weiter sind Mittel gegen
die schadlichen Einfliisse des Wassers, der Atmosphare, des Windes anzuwenden;
diese bestehen in Herstellung der Einschnittsgraben, von Graben oberhalb der
Einschnitte, von Rigolen , Abteufen von jp-q^ 1269.
Brunnen , Drainirungen, in dem Berasen,
Fig. 1268.
62 Eisenbahn.
Bepflanzen und Abpflastern der Boschungen, Herstellen von Stiitzmauern. Letztere
Mittel werden audi zur Erbaltung der Damrnboschungen angewendet. (Werke
Uber den Erdbau: Becker, Baukunde des Ingenieurs, Winkler und Rziha
Unterbau, Hensinger von Waldegg Eisenbahnbau, H enz, S c limit t, Erdbau.)
Die von der Bahnlinie zu iibersetzenden Wege und Strassen werden, insoferne
sie nicbt ira gleichen Niveau liegen, mit Briicken (Durchfahrten, wenn die Strasse
unter, Ueberfahrten, wenn die Strasse iiber die Balm gefiibrt wird) iibersetzt, deren
Spannweite von der Breite des Weges oder der Strasse abhangt; Wasserlaufe,
Qjiellen , Bache werden mit Kanalen, Durchlassen, Fltisse und Scblucbten mit
Briicken und Viaducten iibersetzt ; unterirdische Tbeile der Balm werden als Tunnel-
bauten bergestellt. Wege, Strassen etc., welche von der Balm im Niveau gekreuzt
werden, werden mit sogenanuten Rampen iibersetzt ; die Herstellung eines solcben
Niveau-Ueberganges umfasst gewohnlich: die Ausfiibrung der Rampe, die Her-
stellung der Rampenkanale fur den Abfluss des Wassers in den beiden Seiten-
graben der Balm, die Abanderung des Oberbaues in der Breite der Fahrbahn,
die Abpflasterung des Ueberganges, die Versclilussvorrichtungen , welche den
Passanten den Uebergang nur zu Zeiten, wo kein Zugsverkehr stattfindet, erlaubt.
Oberbau {superstructure — -permanent toay) . Dies ist die eigentliche
Schienenbalm ; er bestebt aus 3 Haupttheilen : 1. aus der Bettung, 2. aus den Unter-
lagen, 3. aus den Schienen sammt deren Befestigungs- und Verbindungsmitteln.
DieBettung {chaussee, lit en dessous des traverses — ballast) {B Fig. 1266
u. 1267) bestebt entweder aus einer Steinpflasterung von circa 25cm Starke und
einer dariiber befindlichen Scbotterscbicbte von 15 — 20cm Starke oder bios aus
einer Schotterscbicbte von. 0-4 — 05m Hohe.
Die Unterlagen sind grosstentbeils Schwellen, und zwar heissen sie
Langscbwellen (longrines — ■ longitudinal timbers), wenn sie den Schienen
in Hirer ganzen Lange zur Unterstiitzung dienen, und Quersch well en (traverses
Fia 1270 — sleepers), wenn sie senkrecht zur Ricbtung
I — i /\ /\ /\ /\ i — i ^es Schienenstrangs unter demselben gelegt
~\7 \y~\ \y n^Hzj~^ werden; weiter gibt es noch Einzeln - Unter-
lagen von Holz, Stein oder Eisen, welche die
Schienen nur in einzelnen Punkten unterstiitzen
, und keine Querverbindungen zwischen den
^ ^ v '— J Schienen herstellen (Fig. 1270).
Auf diesen Unterlagen liegen die Schienen (rails — rails), welche unter
einander mit Lapp en (eclisses — fishplates) (Laschen) und Polzen (boidons —
nuts and bolts) und mit den ersteren mittelst Unterlagsplatten (Stoss-, Mittcl-
und Zwisehenplatten) und Nageln {attaches — spikes) befestigt sind. Die Schwellen
sind beinahe ausschliesslieh aus Holz, und zwar aus hartem oder weichem ; erst
in neuerer Zeit wendet man solche aus Eisen an. Um die holzernen Schwellen
vor Faulniss zu bewahren, werden sie zuweilen conservirt, und zwar geschieht
dies durch Austroeknen des Holzes an der Luft oder in hoherer Temperatur (Diirr-
ofen), durch Entziehung des Saftes durch Auslangen im Wasser oder durch Dampfen
und schliesslich durch Impragnirung, d. i. Durchdringung der Schwellen mit Faulniss
verhindemden Stoffen. Die Impragnirung geschieht nach mehreren Methoden, von
denen hervorzubeben sind jene nach Ky an mit Chlorquecksilber, nach B o uch erie
mit Kupfervitriol, nach Burnett mit Zinkehlorid, nach Beth ell mit Kreosot.
(Ueber Conservirung des Holzes : Scheden, Organ fur Foitschritte des Eisenbahn-
wesens 1866 u. 1868, Heu singer v. W. Eisenbahnbau V. Kap.)
Die Schienen sind entweder Eisenschienen oder solche mit Puddelstahlkopfen,
Puddelstahlschienen, Eisenschienen mit Bessemerstahlkopf, Bessemerstahl-, Martin -
und Gussstahlschienen. (Ueber Fabrication der Schienen im Organ 1850, 1851,
1864, 1866, 1867, Hensinger v. W. Eisenbahnbau VI. Kap.)
Die bis jetzt angewendeten Schienenformen sind: Flachschienen (Fig. 1271
u. 1272) auf Langscbwellen, Briickenschienen auf Lang- und Querschwellen
Eisenbahn.
63
Fig. 1271
1272.
Fig. 1274
Schweizer Siid-Ost E.-B.
Brunei's Schiene der Great-Western E.-B.
(Fig. 1273 u. 1274), Sattelschienen auf Langschwellen (Fig. 1275), Stuhlschienen,
und zwar mit einem Kopf (Fig. 1276) unci mit 2 Kopfen (Fig. 1277), breitbasige
(Vignoles) Schienen anf Lang- und Quersehwellen (Fig. 1278 u. 1279), zusammen-
gesetzte Schienen, die ans mebreren Theilen bestehen (Fig. 1280).
Fig. 1275.
Seaton's Sattelschiene.
Fig. 1278.
Kaiser Ferdinand- Nordbahn.
Fig. 1277.
Orleans Central-E.-B.
Amerikanische E.-B.
Die Hohe der Schienen soil fiir Hauptbahnen nicht unter 114mm betragen
(in Amerika betragt sie bis 90mm), deren Lange betragt gewohnlich zwischen 6
und 7 Meter fin Amerika selbst iiber 9m ). Bei den breitbasigen Schienen soil
der Kopf, d. i. jener Theil der Schienen, auf welchem die Rader der Fahrzeuge
laufen, aus hartem Material sein, wahrend der Fuss derselben, mit welchem sie auf
die Unterlagen aufruhen, eine sehnige Structur haben soil. Das Gewicht eines
cur. Meters Schienen fiir Locomotivbetrieb variirt zwischen 26 — 36 Kgr. (in Amerika
abwarts bis 20 Kgr.).
Bei der Anwendung des Querschwellensystems unterscheidet man 2 ver-
schiedene Lagen der Schienenflache: 1. ruhende (feste) Stosse, wenn der Stoss
zweier Schienen auf eine Schwelle komrat; 2. schwebende Stosse, wenn derselbe
zwischen 2 Schwellen kommt. Die letztere Art des Stosses wird nach iiberein-
stimmenden Urtheilen als die bessere bezeichnet.
In neuerer Zeit fing man an, statt der holzernen Unterlagen eiserne zu geben ;
es geschieht dies mit Riicksicht auf das verhaltnissmassig schnelle Schadhaftwerden
64
Eisenbahn.
der hblzernen Schwellen, auf die hieraus entstehenden Storungen im Betrieb bei
Fig. 1282.
System Vautheriu.
Fig. 1281. Auswechslimgen , auf die un-
vollkommene Unterstiitzung und
Verbindung der Schienen. So
entstand das eiserne Quer-
schwellen- und L a n g -
schwellen-System. Quer-
schwellen wurden nach verschie-
System Oosyns. denen Qnerschnitten angewendet ;
es sind hieher gehorig zu bezeichnen jene nach
Cosyns (Fig. 1281), Vautherin (Fig. 1282),
Le Crenier (Fig. 1283), Lazar mit "["-formigen
Querscbnitt, Breite 200mm, Hohe 65mm. Die Con-
Fig. 1283. (y10 nat. Gr.)
Stoss und Quersehnitt der Schwellen nach Crenier.
structionen des eisernen Langschwellensystems lassen sich eintlieilen: 1.) in e i li-
the ilige; hieher gehort die B a r 1 o w - Schiene (Fig. 1284), a die Laschenbleclie
bei den Schienenstossen,, b Querverbindung an den Stossen, die Hartwich-Schiene
(Fig. 1285), a Laschen an den Stossen, d und c Querverbindungen, b Unterlags-
platten an den Stossen, ferner das System W i n k 1 e r ahnlich der Hartwich-Schiene;
bei diesen Con structionen sind Schiene und Unterlage zu einem einzigen Stuck ver-
Fiq. 1284. 0&§^^ bunden. 2.) in z w e i t h e i 1 i g e,
wohin das System Mac Don-
nel (Fig. 1286), a Schiene,
b Langschwellen mit 2 Lei-
sten cc und Rippe d,f\Jnter-
0lj^s''j4y' "^llll^s^fll^ lagsplatte mit Rippe am "
g QuerverbindiiDg, e Holzunter-
Fig. 1285.
Sytsem Mac Donell. System Hartwich. Rhein-E.-B.
• lage ; das System H i 1 f (Fig. 1287) und System H o h e n e g g e r (die Langschwellen
Fig. 1287.
System Hilf.
Eisenbahn.
65
vom Querscbnitte der Vautherin-Schwelle)
einzureihen sind. 3.) in dr eith eilige,
hieher sind zu verzeichnen die Systeme von
S chef fler (Fig. 1288),Kostlin&Battig
(Fig. 1289), Paulus, Atzinger, Daelen
etc. ; b die beiden Unterschienen, e die Ober-
schiene, c Querverbindungen, d Unterlags-
platten an den Stossen.
Die Erfahrnngen iiber das Verhalten
des eisernen Oberbaues sind jedocli noch
nicht geeignet, dem einen Systeme vor dem
anderen entschieden einen Vovzug zu geben.
Der Preis eines cur. Meters gewohnli-
chen Oberbaues (mit holzernen Schwellen)
stellt sicli auf circa 13 bis 15 fl.,
und jener eines cur. M. eisernen
Oberbaues auf 15 bis 22 fl.
A u s w e i c h e n , D r e h-
s chef ben und Schiebebiih-
nen. Ausweichen, Weichen
(cliangements de vote — swit-
ches). Behufs Ausweichen von
Ziigen undUebergehen derselben
von einem Geleise auf ein anderes
sind eigeneVorkehrungen noting,
welche man Ausweichen nennt.
Jenes Geleise H} welches seine
Richtung beibehalt, wird Haupt-
geleise (la voie principal —
main line) genannt, und jenes, das aus
demselben abzweigt, N, Nebengeleise (la voie secondaire — siding), Fig. 1290.
Je nachdem dieses Nebengeleise nach rechts oder links abzweigt, entsteht
eine rechts- oder linksseitige Ausweiche. Die Construction dieser Ausweiche ist
fur Eisenbahnen von grosser Wichtigkeit ; eine solche besteht aus 3 Haupttheilen,
und zwar: 1. aus clem Wechsel, 2. aus dem Herzstuck, 3. aus der Weichencurve.
Der Wechsel a, a, d, d ist jener Theil, welcher den Uebergang der Fahrzeuge
Fig. 1290.
System Kostlin & Battig.
Ausweiche.
von dem Haupt- auf das Nebengeleise vermittelt. In Fig. 1291 (S. 66) ist er in
Details dargestellt. Seine Hauptbestandtheile sind : 2 Stockschienen a (stock-
rail) und 2 um ihren Endpunkt c bewegliche Spitz- oder Zungenschienen Z
(aiguille — sioitch-rail). Je nachdem letztere die Lage c b oder c &' annehmen,
ist der Wechsel fur das Haupt- oder Nebengeleise gestellt, d. h. konnen die Fahr-
zeuge auf das Haupt- oder Nebengeleise ubergehen. Die Bewegung der Zungen
geschieht mittelst eines Hebels, welcher einen Theil des sogenannten Standers A
bildet und mit welchem ein Gewicht in solcher Weise in Verbindung gesetzt wird,
dass dessen Wirkung die eine Zunge in einer bestimmten Richtung gegen die
Stockschiene presst und hiedurch die Stellung beider, mit Querstangen V mit
Karmarsch & Heeren, Teclini8ches Wortorbuch. Bd. III. 5
66
Eisenbahn.
Fig. 1291.
Pj&uttjk
einander verbundenen Zungen sicher fixirt. Die Lange der Zungen betrii'gt in
der Regel 4-5 — 5m , dev Stocksehienen 5*5 — 6m ; die Zungen bewegen sicli auf
zum Schmieren vorgericbtete Unterlager C, welche man Chairs, Weichenstiihlej nennt.
Das Herzstiick (pointe de coeur — crossing) liegt an der Durchkreuzung
der beiden Geleise; dasselbe ist entweder aus gewobnlichen Scbienen con-
struirt, in welcJiem Falle die 2 Scbienen li die Herzscbienen nnd die beiden Scbienen
k die Knie- oder Fliigel- oder Hornsebienen heissen, odcr aber das ganze Herz-
stiick ist als Gussstiick (aus Gussstabl oder Hartguss) erzeugt. Gegeniiber dem
Herzstiick liegen die 2 sogenannten Leit- oder Zwangschienen I, welche dem einen
Rade des Fahrzeuges wahrend des Passirens iiber das Herzstiick die-Fiihrung
gcben. Zwisehen dem Weehsel und dem Herzstiick liegt die Weichencurve, deren
Radius nicht unter 180m sein soil. Sowohl Wecbsel als Herzstiick sollen stets
in der Geraden liegen. Die ganze Ausweiche liegt nicht auf gewobnlichen Schwellen,
sondern auf sogenannten Extraholzern von stiirkeren Dimensionen und besser her-
gerichteten Formen. Soil eine Anzahl paralleler Geleise mit Weichen verbunden
werden, so gescbiebt es mittelst eines schrag liegenden Geleises, in welches jedes
der parallelen Geleise mit einer Ausweiche einmiindet; dieses schrag liegende Ge-
leise heisst Mutter- oder Stammgeleise, die ganze Anlage eine Weichenstrasse
(Fig. 1292). Ausweicben bebandeln die Werke von Baugut, Schille, Ernst
& Gottsleben, Werner, Pinzger.
Den Uebergang von einem Geleise auf ein zweites vermitteln ausser den
Ausweicben nocb Drehscheib en und Scb.iebebiib.nen.
Fig. 1292
h
Drehscheib en {plaqiie tournante — turn table) bestehen aus einem
Gestell mit kraftigen Tragern, welche ein Stiick Schienengeleise tragen und das-
selbe in seiner ganzen Lange unterstiitzen, ferner aus Verbindungsrippen am tJm-
Fange und einem starken Zapfen, um den sich die ganze Drehscbeibe dreht.
Eisenbahn.
07
Drehscheiben.
Soil ein Fahrzeug vom Geleise a (Fig. 1293) auf jenes b iibergehen , so
wird es auf die Drehscheibe 1 geschoben, dieselbe gedreht, wodurch das Fahrzeug
in die Richtung c d gelangt nnd in die Lage kommt, auf dera Geleise c d weiter
geschoben zu werden; durch ein Drehen der Scheibe Fig. 1293.
II kann das Fahrzeug auf das Geleise b iibergehen. <i
Drehscheiben finden auch Anwendung zum Umdrehen fW\
der Maschinen und Wag en beiin Rangiren der Ziige. Die
Grosse der Drehscheiben ist verschieden, je nachdem
sie zum Umdrehen bios von Raderpaaren oder von
Wagen oder von Locomotiven dient; sie wechselt von ,
3 — 12m und selbst bis 15m . Das Material der Dreh-
scheiben ist Holz, Guss-, in der Regel aber Schmied-
eisen. Beziiglich der Unterstiitzungsweise des Scheiben-
korpers gibt es solche, welche im Zustande der Ruhe oder der Bewegung am
Umfange von Rollen getragen werden, solche, welche theils am Centrum, theils am
Umfang gestiitzt sind, solche, deren Belastung in der Mitte von einer Saule (Zapfen)
getragen wird, solche, welche im Zustand der Ruhe am Umfang, bei der Bewegung
im Mittelpunkte die Stiitze finden.
Die Drehscheiben liegen mit ihren Schienen im Niveau der Geleise und ist
deren Construction somit in einer Grube versenkt; ihre Bewegung geschieht in
der Regel mittelst eines Vorgeleges, das von Arbeitern bewegt wird.
Schiebebiihnen (pont roidant, chariot roulant — platforms) sind Vor-
richtungen, welche ein Stiick gewohnliches Geleise tragen, parallel zu sich selbst
und senkrecht zu den zu verbindenden Geleisen I, II, III, IV . . . bewegt und
der Reihe nach in jedes der letzteren eingeschaltet werden kann (Fig. 1294). Die
Schiebebiihne tragt das Geleise a b, und indem selbe in der Richtung g h bewegt
wird, erhalt dieses Geleisestiick Anschluss an die Geleise II, III, IV... Ein
Fig. 1294.
i n m iv v
auf die Schiebebiihne geschobener Wagen kann auf diese
Weise schnell auf eines der bezeichneten Geleise iibergehen.
Man unterscheidet zweierlei Constructionen : 1. die altere,
d. sind Schiebebiihnen mit versenktem Geleise, 2. die neuere
ohne versenktes Geleise; bei der ersteren Construction
werden sammtliche parallele Geleise durch eine Grube g h, g
in welcher sich die Schiebebiihne bewegt, unterbrochen ; bei *
bei der zweiten werden die zu verschiebenden Wagen iiber
das Schienen-Niveau gehoben und sodann erst die Schiebe-
biihne fortbewegt. Schiebebiihne.
Bahnhofsanlagen und Hochbau (gares et construction au dessu's du
sol — stations). Bahnhofe (Stationen) sind Anlagen zum Befordern von Personen
und Frachten oder zur Vermehrung oder Erneuerung der zur Bewegung erforder
lichen Kraft der Maschinen. Demnach unterscheidet man auch: 1. Personenbahn
hofe fiir den Personenverkehr, 2. Frachtenbahnhofe fur den Frachtenverkehr"
3. Bahnhofe gemeinschaftlich fur den Personen- und Frachtenverkehr, 4. Rangir-?
(Manipulations-) Bahnhofe, wo die Zusammenstellung, bezieh. Theilung der Ziige
stattfindet; 5. Betriebsstationen, wo die Kraft der Maschine (durch Wasserspeisen
und Ausriisten mit Brennmaterial) vermehrt oder die Maschinen gewechselt oder
sonstige Verkehrsmanipulationen vorgenommen werden; 6. Werkstattenbahnhofe
mit Anlagen fiir Reparatur oder Bau von Fahrbetriebsmitteln.
Nach der Lage der Bahnhofe zur Hauptrichtung der Bahnlinie werden erstere
eingetheilt: l.Anfangs- oder Endstationen, welche an den Enden der betreffenden
Bahnlinie liegen, 2. Zwischenstationen, 3. Durchgangsstationen D, wo die Richtung
des Zugs bei der Ein- und Ausfahrt dieselbe
bleibt ; 4. Kopfstationen K, wo der einfahrende
Zug die entgegengesetzte Richtung des aus-
fahrenden hat (Fig. 1295). Aus Sicherheits-
riicksichten legt man die Bahnhofe in der Regel
68
Eisenbahn.
horizontal und in einer Geraden an; muss jedoch, wo es die Umstande erheischen
(bei Gebirgsbahnen besonders), von dieservRegel abweichen. (Die diesbeziiglichen
Bestimmungen des V. D. E. V. wie oben.)
Nacli der Grosse des zu erwartenden Verkehrs und nach der Art desselben richtet
sich die Einrichtung der Stationen, welche aus den Geleiseanlagen und in den Ge-
baulichkeiten bestehen. Die auf Bahnkofen nach Bedarf vorkommenden Gebaude sind :
1. Aufnahms- (Ein pf an gs - Stations-) Gebaude (bdtiment de depart
et d'arrivee — station buildings), welche die fur den Betriebsdienst nothigen
Raumlichkeiten und grosstentheils auch noch Beanitenwohnungen enthalten. Diese
Raumlichkeiten sind: Vestibule welches die Zugange zu alien Localen vermitteln
soil, Billet- und Gepackscassa, Wartesale, Restaurationen , Corridore, Betriebs-
bureaux, Bureaux fur Zoll-, Polizei- und Postbekorden.
2. Perronsiiberdachungen und Personenhallen (abris). Zwischen
den fur den Person enverkekr bestimmten Geleisen oder auch nur neben dem ersten
dem Aufnahmsgebaude zugekehrten Geleise werden aus Erde oder auch gemauerte
erhohte Wege — Perrons — hergestellt, welche ein leichteres Ein- und Aus-
steigen der Passagiere erlauben. Diese Perrons oder auch nur die Vorplatze der
Aufnahmsgebaude werden zum Schutz gegen Witterung durch sogenannte Perrons-
dacher liberdeckt ; werden sammtliche fiir den Personenverkehr bestimmten Geleise
iiberdacht, so entstehen die Personenhallen.
3. Frachtenmagazine (magasin des marchandises — goods-shed, goods-
warehouse), (Giiterschupfen). Diese enthalten Lagerraume fiir die Giiter, ferner
Bureaux fiir die Frachtenexpedition. Gewohnlich sind an beiden Langenseiten
des Magazins Perrons von 2 — 2'5m Breite hergestellt, urn ein Bewegen der Collis
ausserhalb der Lagerraume zu gestatten; der Fussboden derselben7 so wie jener
des Magazins ist im Niveau der Boden der beladenen Wagen, urn ein leichtes Ein-
und Ausladen zu ermoglichen. Zuweilen sind gesonderte Zollmagazine erforderlich.
4. Locomotiv-Remisen [remise de locomotives — locomotiv shed) sind
Gebaude zum Unterbringen der Locomotiven, wo dieselben angeheizt und in Be-
triebsfahigkeit gesetzt und kleinere Reparaturen vorgenommen werden. Sie ent-
halten Geleiseanlagen fiir die Maschinen und zwischen den Schienen sogenannte
Putzkanale P, welche vertieft sind, um ein leichteres Untersuchen der Maschinen zu
gestatten. Ausserhalb der Locomotiv-Remise, in der Nahe des Ausfahrtsthores ist
stets noch ein Putzkanal, um nach zuriickgelegter Fahrt der Maschine das im
Feuerraum befindliche Feuer und die Asche entfernen zu konnen. Die Form der
Remisen ist rechteckig mit parallelen oder kreisformig mit radialen Maschinen-
stiinden (Fig. 1296 u. 1297). ,
Fig. 1296.
5. W a gen re in is en [remise de wagons — carriages-shed) zur Unter-
bringung von Wagen, und zwar gewohnlich solcher7 die kleinerer Reparaturen be-
diirfen, welche auch dort vorgenommen werden.
Eisenbakn. 69
6. Wasserstationen {station a eau — pumping station) dienen zur
Versorgung der Locomotiven mit Wasser; sie bilden entweder einen Anbau an
die Locoruotiv-Reinise oder befinden sich in deren Nake. Sie enthalten einen
Raimi fur den Bnmnen und die Pumpe, welche das Wasser einem im obersten
Stockwerke des Gebaudes befindlicken Reservoir zufiibrt; dasselbe stekt durch Rokr-
leitungen mit den Wasser kraknen der Station in Verbindung, aus welcben
durck OeflFnen eines Haknes das Wasser in clen Tender abgelassen werden kann;
eben so wird durck eine Rokrleitung das Wasser in die Locomotiv-Remise gefiikrt,
damit auck dort gespeist werden kann. Vor einem jeden Wasserkrakn sind zwiscken
den Geleisen stets gemauerte Putzkanale angelegt, um das Reinigen der Masckine
vornekmen zu konnen, wakrend dieselbe Wasser nimmt.
7. Koklensckupfen zum Aufbewakren eines geniigenden Vorratks an
Brennmaterial.
8. Werkstiitten (ateliers — workshops), das sind Anlagen zumBaue und
zur Reparatur der Fakrbetriebsmittek
Deren Grosse ricktet sick nack der Lange der Baknlinie und der Anzakl
der der Baknanstalt gekorigen Masckinen und Wagen. Mit solcken Werkstatten
sind gewoknlick auck nock Magazinsraume zum Lagern der Materialien und Werk-
zeuge vorkanden.
9. Wackterkauser (maisons de garde, guerites de garde — guard-
houses) zur Unterbringung der Baknwackter, wovon gewoknlick je eines an den
Enden des Baknkofes, nack Bedarf auck mekrere situirt sind.
Die Geleisanlagen der Baknkofe rickten sick nack der Grosse und Be-
deutung des Baknkofes ; stets sind ein oder mekrere durckgekenden Geleise fur die
verkekrenden Ziige, dann Seiterjgeleise fur die Aufstellung von Ztigen bei Kreuzungen,
fur Versckiebungen, fur Aufstellung von ein- und auszuladenden Wagen, von Re-
serve- und reparatursbediirftigen Wagen; ferner Nebengeleise, wie z. B. Geleise
zu den Locomotiv- und Wagenreniisen, zu den Dreksckeiben u. s- f. Dem Zwecke
entspreckend gibt es daker Hauptgeleise, Geleise fiir den Personen- und Frackten-
verkekr, Rangirgeleise, Locomotiv-Remisengeleise, Werkstattengeleise etc.
(Ueber Baknkofs-Anlagen und Eisenbakn-Hockbau von Prof. Ed. Sckmitt,
Erbkam's Zeitsckrift fur Bauwesen, Heusinger von Waldegg „Specielle
Eisenbakntecknik " .)
Aus rli stung der Eisenbaknen und diverse Arbeiten. Die Aus-
riistung bestekt, abgeseken von der Ausrlistung mit den erforderlicken Fakr-
betriebsmitteln (s. weiter unten), aus den zum Eisenbaknbetriebsdienste und zur
Sickening und Regelmassigkeit desselben notkwendigen Einricktungen, als:
1. Inventar in den Aufnakms- und Wacktergebauden , soweit es der
offentlicke Dienst erfordert.
2. Telegrafenapparatein den Stationen zur gegenseitigen Verstandigung
(s. unten Telegrafenwesen).
3. Signalisirungsmittel (signal de chemin de fer — railway-signal),
welcke den Zweck kaben, den Verkekr der Ziige sicker zu stelleh, zur Mittkeilung
versckieclener Kundgebungen und zur Verstandigung der Baknbediensteten unter
einander dienen. Es gibt 2 Hauptgattungen : 1. optiscke(7e signal optique —
the optical signal), sicktbare, 2. acustiscke ile signal acoustiaue — the
acustic signal), kb'rbare.
Die optiscken sind: a) rotke Handsignalfaknen und Handsignalsckeiben (bei
Tag) und die Handsignallaternen (bei Nacbt) von den Baknwacktern gekandkabt
zum Signalisiren, ob der Zug ungekindert oder langsam oder gar nicbt die Strecke
befakren kann. h) Die feststekende Signalsckeibe (Stationsdeckungssignal) in einer
Entfernung von 200 — 500m vor und kinter einer jeden Station, um dem Zugs-
personale anzuzeigen, dass Ein- und Ausfakrt in die beziek. aus der Station erlaubt
ist oder nickt. c) Weckselsignalsckeiben und Laternen, um anzuzeigen, fiir welckes
Geleise die Ausweicke gestellt ist. d) Quittirungssignale , feststekende Signal-
70 Eisenbabn.
maste bei den Wachterhausern, woniit dem Zugspersonale dieselben Signale wie
mit den sub a) angefiihrten Mitteln, jedocb auf grossere Distanz gegeben werden
konnen. e) Die Zugssignallaternen vorn an der Locomotive und hinten an der
Riickseite des letzten Wagens im Zuge, mit welchen Mitteln auch ein vorherge-
bender Zug einen nachfolgenden oder einen entgegengesetzt fabrenden Zug signalisirt.
Die acustiscb en Signale sind: a) Knallkapseln, welcbe von den Wachtern
oder dem Zngspersonale auf die Schienenkopfe befestigt werden, und durch den
Druck dariiber gebender Rader explodiren; sie baben den Zweck, einem heran-
nabenden Zug (bei Nacbt oder triibem Wetter) das Signal zum Anhalten zu geben.
b) Dampfpfeife der Maschine, von dem Maschin- oder Zugsfitbrer gehandhabt, um
das Streckenpersonale zu warnen und dem Zngspersonale Mittheilungen zu macben
(Achtung, Bremsen anzieben, Bremsen los, Hilferuf). c) Handsignalpfeife fiir Signale
beim Verscbieben angewendet, aucb vom Zugsfiibrer zum Zeicben der Abfabrt.
d) Stationsglocke, um das Publikum zum Einsteigen in die Waggons aufzufordern
und das Zeicben zur Abfahrt zu geben. e) Elektriscbe Lautewerke und elektrische
Controlle Ivlingelapparate in den Stationen und Wachterhausern zur Signalisirung
der Ziige und zu sonstigen Kundgebungen fiir das Streckenpersonale (s. unten
Eisenb aim- Sign ale).
4. Wasserstationseinricbtungen (bereits oben bescbrieben).
5. Stossvorricbtungen an den Enden von Geleisen, um Wagen von
dem Entrollen zu schiitzen.
6. Grenzmarken (Polizeistock) bei Kreuzungen und Ausweichen in Form
weiss angestricbener Pfosten a b (Fig. 1292), welcbe jene Punkte bezeichnen, bis
zu denen Fabrbetriebsmittel obne Hemmung der Bewegung der Ziige auf den neben-
liegenden Geleisen aufgestellt werden konnen; die Entfernung der beiden Geleise
an diesen Stellen von Mitte zu Mitte betragt 3-5m .
7. Laderampen (rampe de chargement — platform for loading goods)
zur leicbteren Verladung von Fracbten in die Waggons und umgekebrt.
8. B r ii c k e n w a g e n (bascide a pont — waghing apparatus) zur Ermittlung
des Gewichtes von Strassenfubrwerken, Waggons und Locomotiven.
9. Ladeprofile, welcbe die geringsten inneren Weiten und Hohen der
auf der Strecke und auf den Babnbofen sicb befindlicben Objecte angibt,
10. Profilp flocke (Kilometersteine), in Entfernungen von 100m langs der
Balm gesetzt, und dieselbe sonacb in '/,„ Kilometer eintbeilen (Stationirung).
11. Niveautafeln (indicateur de niveau — gradient board), welche bei
Gefallsbriicben auf der Strecke stehen und das Gefalls- (Steigungs-) Verbaltniss
unter Angabe der Lange ersicbtlicb machen.
12. Warnungstafeln {tableau d'avis) bei Strassen- und Wegiiber-
setzungen, welcbe dem Publikum das Verbot des Betretens der Bahn kundgeben.
13. Weg- und Absperrscbranken {barrieres et clotures — gates and
femes) ebendaselbst, welcbe vor dem Eintreffen eines jeden Zugs geschlossen werden.
14. Einfriedung der Strecke, um von derselben Menscben und Vreb ab-
zubalten.
Aus serge wobnlicbe Eisenbabnsy steme. Dieselben haben den
Zweck, entweder die Anlage- und Betriebskosten der Bahn zu verringern oder
aussergewolmlicben Scbwierigkeiten und besonders starken Steigungen zu begegnen
oder an der e Motoren als Zugskraft zu. beniitzen. Von den vielen Systemen, die
zum Tbeil nur als Versuche gelten konnen, seien bier angefiibrt: 1. die normal-
spurigen Balinen mit langsamer Fabrbewegung; 2. die scbmalspurigen Eisenbahnen ;
3. die FelTscbe Eisenbabn: 4. das System Riggenbacb nnd Zschokke;
5. das System Wet li; 6. System Larmanjat; 7. System Kostlin & Lebret
(Superficial-Eisenbahnen) ; 8. die Seilbabnen; 9. die atmospbariscben und pneuma-
tiscben Eiscnbabnen.
Die beiden ersten Systeme, welcbe dann angewendet werden, wenn der an-
zuhoftende Yerkebr ein scbwacberer ist, die Balm iiberbaupt nur lokalen Bediirf-
Eisenbahn.
71
nissen zu entspreclien hat, waren unci sind noch imracr gegen'seitig Rival on (siehe
W. N o r d 1 i n g Stimmen iiber schmalspurige Eisenbahnen, M. M. Weber Secundar-
balinen und neue Pfade der Volltswirthschaft), und wird bald dem einen, bald
dem anderen Systeme der Vorzug gegeben. So viel kann jedoch mit Bestimmtheit
angefuhrt werden, dass die Sehmalspur-Bahneri, welche den Uebergang ihrerFalir-
betriebsmittel auf die normalspurigen und umgekehrt niclit erlauben, nur zu ganz
localen Zwecken, fur einen schwacheren Verkehr, welcher voraussichllich keine
Steigerung erfahrt, und bei Frachten; die keinen Schaden durch Ueberladungen er-
leiden, angewendet werden sollen. Die schmalspurigen Bahnen werden auch
falschlich Secundar- oder Vicinalbahnen genannt, obwohl auch weniger frequentc
normalspurige diese Benennung verdienen. Bei beiden Systemen werden in der
Anlage der Bahn durch scharfere Krlimmungen und Steigungen, und daher auch
durch kleinere Grundeinlbsuhg, Erdbewegung und durch geringere Kunstbauten,
ferner durch einen leichteren Oberbau, durch kleine Hochbauten und geringe Aus-
riistung bedeutende Ersparnisse gemacht. Das Anlagekapital wird hiedurch bis
Als eine Specialitat erscheinen die schmalspurigen Bahnen mit F a i r 1 i e'schem
Maschinen-Betrieb, Doppelmaschinen mit beweglichem Untergestell, welche starke
Kriimmungen und Steigungen (bis Bogen von 20m Radius und Steigungen 1 : 20)
iiberwindet und eine erhohte Zugskraft hervorbringen kann. Ausgefuhrte schmal-
spurige Eisenbahnen inEuropa: in Schweden; Norwegen, in Belgien die Antwerpen-
Genter Balm, in England die Festining-Bahn; in Oesterreich die Lambach-Gmundncr
und in Preussen die Brohlthalbahn.
Die sub 3 bis inch
gungen auf Bahnen zu
grossen Steigungen reicht die gewohnliche
Adhasion der Locomotive auf den Schienen,
welche 1/i bis V10 des auf den Triebradern
der Maschine ruhenden Gewichtes betragt
und fur die Zugkraft massgebend ist^ nicht
mehr hin und ging das Bestreben dahin,
diese Adhasion zu vermehren, und zwar bei
dem System Fell (Mont - Cenis - Balm,
77 Kilom. lang mit Steigungen von 8 °/0,
d. i. 1 : 12*5) sind ausser den gewohnlichen
Triebradern der Maschine noch 2 Paar unter
sich gekuppelte horizontale Triebrader, die
mittelst Federn an eine 3., etwas holier
als die Hauptschienen gelegene Mittelschiene
(Fig. 1298) gepresst werden; durch diese
Einrichtung wird die Adhasion der Maschine
und daher auch die Zugkraft derselben ver-
grossert, und die Mbglichkeit geboten, grosse
Steigungen zu befahren.
Bei dem System Riggenbach und
Zschokke (Rigibahn in cler Schweiz, Kahlen-
bergbahn bei Wien mit Steigungen von 1 : 4,
d. i. 25 °/0) geschieht die Uebertragung der
Zugkraft nicht durch die 4 Rader der Loco-
motive, welche auf einem Geleise gewohnlicher
Spurweite rollen, sondern durch ein Zahnrad,
auf das die Bewegung der Kolbenstangen
iibertragen wird und welches in eine zwiscben
den 2 Schienen des Geleises liegende Zahn-
stange eingreift (Fig. 1299).
angefiihrten Systeme haben den Zweck, grosse Stei-
Fig. 1208.
72
Eisenbahn.
Fid. 1299
Bel dem System We tli (Schweiz, Waden-
zweil-Einsiedeln) hat die Maschine zwischen ihren
gewohnliclien Triebradern xmd mit denselben
gekuppelt ein Sckraubenrad, d. b. eine Walze
rnit schraubenformigen Felgen, welche auf den
ziwscbeu den Hauptscbienen liegenden Leit-
schienen rollen (Fig. 1300).
(Ueber die 3 letzt angefiibrten Systeme:
Prof. Harlacher, das W e 1 1 i'scbe Eisenbahn-
system, Dr. Z w i c k neuere Tunnelbauten etc.)
Bei dem System Larmanjat (in
Frankreicb ausgefiibrt) laufen die Triebrader
der Locomotive auf einer Holz- oder Stcin-
bahn, wabrend die Laufrader auf einer Scbie-
nenbahn, die bios aus einem Strang besteht,
rollen. Die Reibung auf Holz oder Stein
ist circa lOmaL grosser als auf Eisen und in
demselben Verhaltniss wachst die Adhasion.
Durcb einen Mechauismus kann das Gewicht
der Maschine bald auf den Trieb-, bald auf
den Laufradern ruhend gemacht werden, je
nachdem man starke oder schwache Steigungen
zu tiberwinden hat.
Im ersten Fall erhalt man das Maximum,
im zweiten das Minimum der Adhasion. Die
Wagen rollen ebenfalls mit 1 Raderpaar auf
die Schienenbahn7 mit dem 2. auf der Holz-
oder Steiubabn ; jedoch ruht die ganze Last auf
erst erwahnten Radern, urn die Widerstande so
klein als moglich zu machen.
Das System Kostlin & Lebret
verfolgt ein ahnliches Princip wie das vorher-
gehende System ; und zwar durcb eine neben der
gewohnliclien Balm erhbht gelegte Stein- oder
Fig. 1301.
Holzbabn, auf welcher die Locomotive nicht mit ihren Triebradern, sondern mit an
der Achse derselben sitzenden Rollen (Walzen) rollt (Fig. 1301). An Stellen,
wo die Balm kerne so grosse Steigung hat, dass eine erhohte Adhasion nothwendig
wird, hat die Bahn die gewohnliehe Einrichtung (ohne Steinbahn) und lauft die
Locomotive mit ihren Triebradern auf den Schienen, wabrend die angegossenen
Walzen ausser Thatigkeit kommen. Das System eignet sich besonders fiir Bahnen,
welche bald geringere, bald starkere Steigungen haben, also fiir solche, welche
sich dem natiirlichen Terrain so viel als moglich anschliessen ; deshalb werden sie
* audi Superficial-Eisenbahnen genannt. Eine solche Balm hat daher 2 Typen,
und zwar: 1. auf horizontalen und wenig geneigten Strecken die gewohnliehe Ein-
Eisenbalm. 73
richtung, 2. in den starken Steigungen nebst der Schienen- noch die Stein- (oder
Holz-) Bahn ; auf ersterer rollen die Wagen, auf der letzteren die Locomotive.
Dieses System ist bisher nicht ausgefiihrt (s. Allgemeine Bauzeitung, Wien 1872).
Seilbabnen sind Eisenbahnen, wo die Ziige durch feststehende Maschinen
mittelst Seilen betrieben werden; derartige Anlagen besteben unter anderem in
Lyon (500m lang), zwischen Liittich und Ans in Belgien (3S60m ), zwischen Diissel-
dorf und Elberfeld (2450m ). Sie lassen sich in 3 Gruppen eintheilen: 1. selbst-
thatige, wo die bergauffabrenden Wagen durch den absteigenden Zug bewegt werden ;
2. in solcbe mit feststebenden Maschinen und endlosem Seil; beide dieser Arten
sind zweigleisige Eisenbahnen; 3. System A gu dio, bios eingleisig; das Treibseil
bewegt nicbt direct den Zug, sondern einen Rollwagen, auf welchem um ein paar
Rollen ein sogenanntes Schleppseil gewunden ist.
Indem diese Rollen durch das Treibseil gedreht werden, steigt der Roll-
wagen und mit ihm der vor bezieh. hinter ihm angehangte Zug auf- oder abwarts,
indem sieh ersterer langs des in der Mitte des Geleises liegenden Scbleppseiles
(welches mit der Zahnstange des Riggenbach'schen Systems verglichen werden
kann) fortbewegt. (Ueber Seilbabnen Organ furFortsch. d. Eisenb. 1849, Forster's
Bauzeitung 1842, Eg en Betrieb stark geneigter Eisenbahnen, Heusinger von
W aid egg Eisenbahnbau.) Vergl. d. Art. Drahtseilbahnen.
Die atmospbarischen und pneumatischen Eisenbahnen unter-
scheiden sich von alien iibrigen Eisenbahnen durch die Verschiedenheit derMotoren;
bei ihnen wird die atmospharische Luft als Uebertragungsmittel der auf einem
feststebenden Punkt entwickelten Kraft auf den in seiner Stellung veranderlichen
Wagenzug benutzt. Bei den atmospbarischen Eisenbahnen befindet sich die in einer
langs der ganzen Bahn sich hinziehenden Rohre (Treibrohre) eingeschlossene Luft
ausserhalb des Wagenzuges. Von alien den verschiedenen Systemen ist wohl nur
jenes lebensfahig, wo die verdiinnte oder verdichtete Luft in dieser Treibrohre
einen Kolben treibt, welcher durch einen aus der Rohre hervorragenden Arm den
Zug bewegt (System Medhurst, Pinkus, Clegg, Samuda). Hiernach aus-
gefiihite Bahnen von Klingstown nach Dalkey (Irland), von London nach Croydon
und Epsom, von Exeter nach Plymouth, von Narterre nach St. Germain (Frankreich).
Bei den pneumatischen Bahnen ist die Treibrohre (tunnelartig) so gross.
dass sie den zu bewegenden Zug aufnimmt. Der Kolben bangt hier mit dem
Wagenzug unmittelbar zusammen und wird ebenfalls von der verdichteten oder
verdiinnten Luft getrieben, deren Spannung jedoch von der atmospbarischen Luft
nur wenig abweicht, da die grosse Kolbenflache den erforderlichen Druck schon
bei geringer Differenz der Spannungen erzeugt.
(Ueber beide Bahnsysteme Eisenbahnzeitung 1846, Forster Bauzeitung
Wien 1847, Heusinger von Wald egg Eisenbahnbau.)
E is enbahn betrieb (Verkehrsdienst [exploitation des cliemins de fer —
traffic]). Hierunter werden alle jene Vorkehrungen unci Anstalten verstanden,
welche zum Verkehr der gewohnlichen und aussergewohnlichen Ziige nothig sind,
als Beistellung der Fahrbetriebsmittel , Commandirung des erforderlichen Zugs-
personales, Aufstellung, Rangirung und Ausriistung der Ziige, Verstandigung und
Avisirung des Maschinen-, Bahnaufsichts- und Streckenpersonales, Signalisirung
und Beforderung der Ziige, Ueberwachung, Hilfeleistung bei Storungen, Hand-
habung der gesetzlichen Bestimmungen. Letztere sind in den betreffenden behord-
lichen Urkunden (Eisenbahnbetriebsordnung, Betriebsreglement, Strafgesetz) und
in den besonderen Instructionen enthalten.
Sammtliche Ziige verkehren nach einer sogenannten Fahrordnung (Fahr-
plan [marche des trains — timetable]), welche die Ankunfts- und Abfahrtszeiten,
so wie den Aufenthalt eines jeden Zugs in den einzelnen Stationen festsetzt. Die
in Verkehr zu setzenden Ziige sind : 1. regelmassige, welche nach der allgemeincn
Fahrordnung entweder taglich oder an bestimmten Tagen verkehren. 2. Ziige
nach Erforderniss, welche wohl in der allgemeinen Fahrordnung enthalten sind,
74 Eisenbahn.
die aber bios dann in Verkehr gesetzt werden, wenn es die Masse des Transportes
erheischt. 3. Separatziige bei aussergewohnlichen Anlassen oder im Nothfalle
(bei Hilfs- und Schneepflugsfahrten). Nach der Bestimmung und nach der Fahr-
geschwindigkeil lassen sich die Ziige eintheilen : 1. in Eilziige {trains a grande
vitesse — express trains), 2. in Personen- (trains de voyageurs — passenger
trains), 3. in gemischte (trains mixtes), 4. in Lastziige (trains de marchandises
— goods trains). Um den Verkehr zu regeln, sind die Ziige in den Beziehungen
zu einander derart gestellt, dass die einen Ziige den anderen untergeordnet sind.
Dies nennt man dieRangordnung der Ziige, welche in der Fahrordnung ersichtlich
gemacht ist. In der Regel nimmt ein Hofzug den 1. Rang ein und im Allgemeinen
geht der Eilzug dem Personen-, dieser dem gemischten und letzterer dem Last-Zuge
vor. Weiters haben die Z;ige in der einen Richtung stets den Vorrang vor den
gleichnamigen Ziigen der entgegengesetzten Richtung.
Die Zusammenstellung der Ziige (disposition des trains — making
up trains) geschieht in der Abfahrtsstation ; die Zugsmaschine muss sich in der
Regel an der Spitze des Zugs befinden,, hierauf folgt der Tender und sodann der
Wagen, worauf der Zugsfiihrer seinen Platz zu nehmen hat ; in einem Zuge mtissen
zwischen dem Tender und dem ersten mit Passagieren besetzten Personenwagen
wenigstens eben so viele mit Passagieren nicht besetzte Wagen (Sicherheitswagen)
eingereiht werden, als geheizte Maschinen vorgespannt sind; in gemischten Ziigen
sind die Personenwagen grundsatzlich gegen das Ende einzureihen, jedoch ist ge-
stattet, dass der 3. Theil der Lastwagen hinter denselben gestellt werden kann.
Bei Anwendung der Personenzngsgeschwindigkeit diirfen mit Ausschluss der ge-
heizten Maschinen und ihrer Tender nicht mehr als 100 Achsen, bei Anwendung von
Lastzugsgeschwindigkeit nicht mehr als 200 Achsen in einem Zuge gehen. Ausser
der Tenderbremse der geheizten Maschinen, welche durch die Heizer gehandhabt
werden, miissen in jedem Zuge eine gewisse Anzahl mit Bremsen versehener Wagen
sein, die sich nach der Steigung der Bahnstrecke richtet ; dieselbe betragt bei
Personenziigen den ]/3 bis */g Theil, bei Lastziigen den */5 bis Y,2 Theil der
gesammten Wagenzahl. Jeder Zug muss iibrigens mit dem Inventar (Einrichtungs-
gegenstande, Signalmittel), jeder Personen befdrdernde Zug mit einem Rettungs-
kasten (zur ersten Hilfeleistung bei Ungliicksfallen, enthaltend Arzneien und In-
strumente) ausgeriistet sein.
Stundenpassfiihrung. Jeder Zug und jede leer oder mit Schneepflug
verkehrende Maschine muss mit einem Stundenpasse versehen sein, welcher folgende
Angaben enthalt: Gattung des Zuges, dessen Nummer und Rang, die Ausgangs-
und Bestimmungsstation, das Datum, Namen des zur Ueberwachung und Bedienung
des Zugs beigegebenen Personales und Nummern jener Wagen, die ihnen zuge-
wiesen sind, Nummer oder Name der Maschinen und Tender, Namen der Stationen,
Fahr-, Ankunfts-, Aufenthalts- und Abfahrtszeiten, Zahl der Personen- und Last-
wagen, der Reisenden, Nummern der Ziige, mit denen gekreuzt wurde, Belastung
des Zuges, Temperaturs- und Witterungsverhaltnisse, Ursachen der Verspatungen,
Unterschrift der expedirenden Beamten, Anmerkungen.
Diese Stundenpasse sind nur vom Zugsfiihrer zu fiihren. Dem Stundenpass
ist gleichzeitig ein Wagenbelastungsausweis beigegeben, welcher die Nummern
eines jeden Wagens, so wie dessen Brutto- und Nettogewicht, A*usgangs- und
Bestimmungs-Station angibt. Beide Documente werden in der Endstation an den
diensthabenden Beamten abgegeben.
Vor der fahrordnungsmassigen Abfahrtszeit darf kein Zug eine Station ver-
lassen ; sind Verspatungen vorgekommen, so ist die Rangordnung der Ziige die
Grundlage der Verkehrsdisposition und muss festgehalten werden, dass ein Nach-
rangszug den Verkehr eines Vorrangszuges nicht beeintrachtigt. Die gegenseitige
Verstandigung iiber den Verkehr der Ziige und die diesbeziiglichen Anfragen ge-
schehen mittelst des Telegrafeg; ist die telegrafische Correspondenz unterbrochen,
so richtet sich das Ablassen der Ziige nach der spatesten (bei Nachrangs-), resp.
der fruhesten (bei Vorrangsziigen) Abfahrtszeit.
Eisenbahn (Locomotive). 75
Die Fahrgeschwindigkeit(£a vitesse de marclie — velocity of tra ins)
der Ziige ist durch die Fahrordnung bestimrat; die hbchst gesetzlich erlaubte ist
fiir Personenziige uiit 10 Meilen, fur Lastziige mit 5 Meilen pr. Stunde festgesetzt.
Die Sicherheit macht es nothwendig, dass Ztige, welche in derselben Richtung
verkekren, nur in bestimmten Zeitintervallen auf einander folgen diirfen, und zwar
darf in der Regel ein Personen- oder gemischter Zug einem Lnstzug erst nach
15 Minuten, ein Lastzug einem Personen- oder gemischten Zug erst nach 5 Minuten,
Ziige von gleicher Eigenschaft einander erst nach 10 Minuten folgen.
(Ueber Eisenbahnbetrieb : Hen singer von Waldegg „Die Technik des
Eisenbahnbetriebs".) F. Benedikt.
Eisenbahn -Fahrbetriebsmittel. Zu diesen gehoren zunachst die Motor en,
welche zur Fortschaffung der Zlige dienen : die Dampfwagen — Locomotiven
— sodann die Munitions wagen — Tender — welche den Brennstoff und das
zur Erzeugung des Dampfes nothige Wasser mitfiihren, und endlich die Wagen,
welche zur Aufnahme der Reisenden und der Frachtguter dienen, schliesslich noch
die Schneepfliige und D raisin en.
A) Dampfwagen oder Locomotiven (machine locomotive — locomotive
engine). Diese grossartige Erfindung und mit derselben die Eisenbahnen haben
in dem kurzen Zeitraume eines halben Jahrhunderts Verbreitung ilber den ganzen
Erdball gefunden und das Culturleben der Volker vbllig umgestaltet.
Ganze, machtige Industriezweige, wie z. B. der Kohlenbergbau, die Eisen-
und Stahlindustrie, basiren in ihrer riesigen Entwicklung allein auf den Eisen-
bahnen, und es gibt wohl keine Industrie, welche nicht durch die Eisenbahnen
einen starken Impuls zu ihrem Fortschreiten erhalten hatte.
Eine Hungersnoth ist, Dank den unermiidlichen, auf den Eisenbahnen dahin
schnaubenden Dampfrossen und den durch sie allein zu bewaltigenden Massentrans-
porten, heute nicht mehr denkbar, und die noch im Mittelalter durch Jahrzehende
wiithende Kriegsfurie wird, wenn entfesselt, in wenigen Monaten durch die alle
Culturlander durchkreuzenden Schienenstrange in stahlerne Bande geschlagen.
Diese Erfindung verdient es wahrlich, dass ihre Geschichte, trotz des be-
sckrankten Raumes, mit wenigen Strichen skizzirt, und dass dabei jener Manner
anerkennend gedacht werde, welchen sie ihren Ursprung und ihre Fortbildung
verdankt.
Geschichtliches: England ist die Heimath der Locomotive; der Erfinder derselben
ist Robert Stephenson und der Geburtstag der Locomotive ist der 8. October 1829.
Die Vorgeschichte dieser Erfindung ist dunkel. Beinahe zwei Jahrhunderte vorher
kam 1637 Salomon deCaus aus der Normandie nach Paris, um dem Konig und dem
allmachtigen Cardinal Richelieu auseinander zu setzen; wie die Dampfe des siedenden
Wassers zur Bewegung von Schiffen und Wagen beniitzt werden konnten. Er wurde als
wahnsinnig im Bicetre eingesperrt und starb dort. Auch Dionys Papin sprach um das Jahr
1690 die Ansicht aus, dass sich die Dampfkraft als Betorderungsmittel fiir Schiffe beniitzen
lasse, und S a very wollte sie im Jabre 1708 fiir Wagen und Schiffe beniitzen. Cugnot
baute 1763 das Modell eines Dampfwagens, sodann 1778 auf Kosten des Marschalls von
Sachsen einen wirklichen Dampfwagen, welcher bei der Probe eine Mauer durchstiess und in
Folge dessen fiir zu gefahrlich gehalten wurde. Derselbe befindet sich noch heute im Con-
servatoire des arts et de metiers in Paris aufbewahrt. Im Jahre 1759 scheint Dr. Eobinson
in Glasgow die Idee gefasst zu haben, Fuhrwerke mittelst Dampfkraft in Bewegung zu setzen.
Ein Jahrzehent spater, 1769, verfolgte der geniale Erfinder der Dampfmaschine, James Watt,
in Verbindung mit Murdoch diese Idee; wenige Jahre nachher beschaftigte sich 1772
Oliver Evans in Amerika erfolglos mit dem Baue eines Dampfwagens und 1784 nahmen
Watt und Murdoch ein Patent auf eine Dampfmaschine zur Bewegung von Fuhrwerken
auf gewohnlichen Strassen.
Es war eine Niederdruckmaschine mit Condensation, welche nicht zur Ausfiihrung kam,
da die Erfinder bei der Construction auf uniiberwindliche Schwierigkeiten gestossen sein
mochten.
76 Eisenbahn (Locomotive).
Oliver Evans erfand inzwischen die Hochdruckdampfmaschine ohne Condensation
uud wendete dieses Princip 1799 bei dem Baue eines Dampfwagens an, welcher 5 Jahre Zeit
in Anspruch nabm und 1804 mit dem Namen Oructor Amphibolos in Philadelphia im
Beisein von mehreren Tausend Zuschauern auf der gewohnlichen Strasse in Bewegung gesetzt
wurde. Oliver Evans fehlten die Mittel, seine Versuche fortzusetzen, so wie das Verstandniss
seiner Zeitgenossen und deren Anerkennung. Er starb 1819.
Gleichzeitig erbauten die Ingenieure Trevethick und Vivian in England einen Dampf-
wagen, welcher 1804 auf einer Eisenbahn in Slid- Wales in Gang kam.
Dieser hatte nur Einen horizontalen, im Dampfkessel liegenden, Cylinder von 200
Millimetern Durchmesser und 1370 Millimeter Hub. Die Bewegung des Kolbens wurde durch
eine Kurbelstange und zwei Zahnrader auf die Triebrader vermittelt. Der gebrauchte Dampf
wurde in den Schornstein geleitet, ohne die ausgesprochene Absicht, zur Zugerzeugung beniitzt
zu werden. Diese Locomotive zog 10 Tonnen (ungefahr 10.000 Kilogramm oder 200 Zoll-
Zentner) mit 7J/2 Kilometer (nahezu 5 englische oder 1 deutsche Meile) Geschwindigkeit. Eine
regelmassige Verwendung derselben trat jedoch nicht ein, indem man bis 1813 der Ansicht
war, die Reibung zwischen Radern und Schienen sei so gering, dass die Rader sich auf dem-
selben Punkte, ohne fortschreitende Bewegung, drehen wiirden. Dieser Irrthum wirkte lahmend
auf die Verbesserung der Locomotive.
Urn eine grossere Reibung zu erzielen, wollten Trevethick und Vivian die Rad-
reifen rauh machen. Blenkinshop dagegen legte 1811 neben die Schienen einer Eisenbahn
bei Leeds eine gezahnte Stange, in welche ein gezahntes Rad des Dampfwagens eingriff.
Dieser Zahnrad-Dampfwagen wurde der erste als brauchbar erkannt und soil nahezu
23 Jahre Dienste geleistet haben. *)
Ein Jahr spater, 1812, nahmen William und Edward Chapman eine Kette zu
Hilfe, welche zwischen den Schienen lag und um ein Triebrad der Maschine geschlungen war.
Wegen der ungemeinen Reibung der Kette und ihrer schnellen Abniitzung gaben die Erfinder
diese Idee bald auf, um so mehr, als auch der Dampfwagen oft aus der Balm gerieth.
Dasselbe Schicksal hatte B run ton's Locomotive, welche 1813 erbaut wurde. Sie ruhte
auf vier Radern und war mit Ein em Cylinder versehen. Die Kolbenstange bewegte sich in
horizontaler Richtung nach hinten und war mit zwei Kriicken in Verbindung, welche sich auf
den Boden stiitzen und abwechselnd die Locomotive fortschoben, somit als mechanische Beine
wirkten. In demselben Jahre machte zuerst B 1 a c k e 1 1 Versuche, die Locomotive ohne Zahn-
rader, ohne Kette, ohne mechanische Beine u. dgl. laufen zu lassen, um festzustellen, ob die
Rader gleiten werden, was, wie gesagt, bis dahin als feststehend angenommen worden war.
Black ett's Bemiihungen waren von Erfolg gekrbnt; es ergab sich, dass die Reibung zwischen
Radern und Schienen nicht nur so gross sei, um die Locomotive selbst eine fortschreitende
Bewegung annehmen zu lassen, sondern dass auch noch ein Ueberschuss vorhanden war, um
auf horizontaler oder gering ansteigender Strecke mehrere Wagen fortziehen zu konnen.
Die erste Maschine, bei welcher nur die Reibung der Rader auf den Schienen (die
Adhasion) wirkte, hatte auch nur Einen Cylinder und ein Schwungrad, um die unregel-
rnassige Wirkung auszugleichen.
Wenn beim Stillstehen die Kurbel auf dem todten Punkte stand, musste der Dampf-
wagen mit Hebeln in Bewegung gesetzt werden. In dem folgenden Jahre 1814 baute George
Stephenson den ersten auf vorstehendes Princip sich stiitzenden Dampfwagen fur die
Stockton-Darlington Eisenbahn mit zwei vertical stehenden Cylindern von 200 Millimetern
Durchmesser und 610 Millimetern Hub, wobei Zahnrader die Uebersetzung auf die Triebachse
bewirkten. Durch den Kessel ging ein Feuerrohr. Diese Locomotive zog 30 Tonnen (ungefahr
30.000 Kilogramm) mit etwa 6 Kilometern (etwa % deutsche Meilen) Geschwindigkeit in der Stunde.
George Stephenson baute nun in Verbindung mit Dodds und wieder allein noch
mehrere Locomotiven, 1820 eine, wo der gebrauchte Dampf zur Erzielung eines besseren Zuges
in den Schornstein geleitet wurde. **)
6) In unserem Jahrzehent ist dieses Princip (freilich nur fur Steigungen, welche friiher als un-
uberwindlich fur eine Eisenbahn galten) zu Ehren gekommen ; in Europa zuerst bei der Rigi-
bahn mit Steigungen von 250 Millimeter auf einen Meter Lange.
*) In demselben Jahre baute Gryffiths nach dem Plane Prof. Arzbergers die erste
Strassenlocomotive.
Eisenbahn. 77
Der Franzose Pellet an streitet rait George Stephenson und Hackworth urn
die Prioritat der Erfindung, don gebrauchten Dampf als Zugerzeugungsmittel zuerst beniitzt
zu haben.
Tim. Hackworth liess 1825 die zwei verticalen Cylinder seines neuen Dampfwagens
zuerst zu beiden Seiten des Kessels auf Eine Triebachse wirken.
George Stephenson hatte nun schon in seiner Fabrik in New-Castle 16 Locomotiven
gebaut, welehe auf der Stockton-Darlington Bahn verkehrten, der ersten Bahn, auf welcher
regelmassig und andauernd Personen befordert wurden.
Bis 1826 verwendete man Gusseisen fiir alle Locomotiv-Rader, welehe sich auf der
Laufflache schnell abniitzten, auch ofters sprangen und Unfalle veranlassten.
Nic. Wood versah zuerst auf der Killingworth-Eisenbahn die Rader mit Bandagen
von Schmiedeisen, und es entstand 1827 in der Bedlington- Hiitte das erste Walzwerk fiir
Fabrication der schmiedeisemen Radreifen (hande-tyre).
Bis zurn Jahre 1827 waren durchschlagend gunstige Resultate mit den Dampfwagen
nicht zu erzielen gewesen, indem die beschrankte Kesselanlage den verbrauchten Dampf nicht
schnell genug ersetzen konnte. In diesem Jahre stellte der Franzose Marc Seguin auf der
Bahn von Etienne nach Lyon Versuche mit einer englischen Locomotive an und kam zu der
Ueberzeugung, dass nur durch Vergrosserung der Heizflache bessere Resultate zu erzielen seien.
Er machte den Vorschlag, eine grosse Anzahl Rohren von geringer Wandstarke im Kessel
einzubringen und liess sich den „Rohrenkessel" 1827 in Frankreich patentiren, jedoch kam
derselbe erst mehrere Jahre nachher auf der Lyoner Babn in Betrieb.
Im Jahre 1828 baute Robert Stephenson, der Sohn des George Stephenson,
eine Locomotive mit 2 Cylindern, welehe, unter einem Winkel von 45 Grad geneigt, am Kessel
befestigt waren.
Die Kolbenstangen wurden mittelst eines Kreuzkopfes zwischen zwei Parallelschienen
gerade gefiihrt und die Kurbelstangen griffen an den beiden um 90 Grad versetzten Kurbeln
der Triebachse an; die Zapfen der zweiten Triebachse waren durch Stangen mit diesen ver-
bunden; der Kessel hatte zwei Feuerrohren.
Dies war die erste Maschine mit vier gekuppelten Radern. Das Kuppeln der Rader ist
als ein wesentlicher Fortschritt zu bezeichnen, indem dadurch die Adhasion verdoppelt
werden kann.
Aber alle Locomotiven hatten einen so langsamen Gang, dass die Reisenden mit der
Post doppelt so schnell vorwarts kamen.
Als nun 1829 die Manchester-Liverpooler Bahn beinahe fertig war, schrieb die Gesell-
schaft, welehe lange geschwankt hatte, ob feststehende Motoren oder Pferde oder aber Loco-
motiven zur Zugforderung beniitzt werden sollten, auf den Rath ihres Oberingenieurs George
Stephenson einen Preis auf die beste Locomotive aus. Man forderte Locomotiven, welehe
fahig waren, bei einem Gewichte von 10 x/2 Tonnen, inclusive Tender, einen Zug von 19 %
Tonnen Gewicht mit 10 englischen Meilen Geschwindigkeit in der Stunde zu befordern, d. h.
circa 20.000 Kilogramm mit 15 Kilometern Geschwindigkeit.
Am 8. October 1829 concurrirten 4 Bewerber um den Preis von 5000 Gulden.
1. Burstall mit der Maschine Perseverance (die Beharrlichkeit). Diese Maschine kam
defect an, entsprach mehreren Bedingungen nicht und wurde zu den Probefahrten nicht zu-
gelassen.
2. Tim. Hackworth von Shildon mit der Maschine Sanspareil (die Unvergleichliche).
Diese Maschine entsprach gleichfalls nicht alien Bedingungen ; sie war zu schwer und es fehlten
die vorgeschriebenen Tragfedern. Sonst hatte der Kessel eine doppelte Feuerrohre, welehe
von hinten nach vorn und wieder zuriick ging, so dass Kamin und Rost an deraselben Ende
lagen. Die Cylinder standen vertical iiber der Triebachse, welehe mit der zweiten Achse ge-
kuppelt war. Der gebrauchte Dampf wirkte in dem Schornstein saugend auf das Feuer.
3. Braithwaith und Erics on von London mit der Maschine Novelty (die Neuigkeit).
Diese Maschine fiihrte Wasser und Kohle selbst mit, war also eine Tendermaschine. Ein durch
die Maschine getriebenes Geblase fiihrte die Luft unter den Rost. Der Kessel bestand aus
Steh- und Langkessel. Vom Rost ging ein Flammrohr durch den Langkessel nacb vorn,
dann zuriick, und endlich wieder nach vorn zutn Schornstein. Von dem Feuerraum ging ein
Rohr durch den Stehkessel nach oben, durch welches das Brennmaterial eingeschiittet wurde.
78
Eisenbalm (Locomotive).
Die Maschine hatte vorn auf dem Kessel nrir Einen Cylinder. Die Triebrader wurden
mittelst Kurbelstangen und Winkelhebeln gedreht und konnten mit den Radern der zweiten
Achse gekuppelt werden.
4. Robert Stephenson von New-Castle mit der Maschine Rocket (Rackete). Diese
allein entsprach alien Bedingungen, iibertraf in ilirer Leistungen die gestellten Anfordernngen
und erhielt den Preis.
Figur 1302 a und b zeigt diese Locomotive in Langenansicht und Querschnitt. Der
Kessel a war cylindrisch mit flachen Enden, 2 Meter lang und etwa 1 Meter im Durcbmesser.
Fig. 1302 a
Fig. 1302 b.
Mit dem einen Ende des Kessels war ein viereckiger Kasten oder Ofen b verbunden,
etwa 1 Meter breit und hoch, 0-7 Meter lang. Am Boden dieses Kastens waren die Roststabe
c Fig. 1302 a angebracht, und er war ganzlich von einem Gebause umgeben, ausgenommen
am Boden und an der Seite des Kessels. Zwischen dem Gehause und dem Feuerkasten blieb
nur ein Raum von circa 75 Millimetern, welcher mit Wasser gefiillt war. Eine Rohre d versah
ihn mit Wasser aus dem Kessel und ein Rohr e fiihrte den Dampf in den Obertheil des Kessels,
welcher oben mit Dampf, unten mit Wasser gefiillt war. Durch den Untertheil des Kessels
gingen 25 kupferne Rohren von circa 75 Millimetern Weite von einem Ende bis zum anderen.
Die 2 Cylinder wirkten, schief stehend, jeder auf nur einRad; sie batten 200 Millimeter
Durcbmesser und 420 Millimeter Hub.
Der gebrauchte Dampf ging mittelst der Rohre g in den Schornstein und erzeugte stoss-
weise den Zug des Feuers. Die Triebrader hatten circa 1-250 Meter, die Laufrader 1 Meter
Durchtnesser. Die Rostflache betrug 0-6D Meter, die gesammte Heizflache 13D Meter. Das
Gewicht der Locomotive war circa 4200 Kilogramm, jenes des Tenders 3000 Kilogramm.
Die Maschine Rackete zog ausser dem Tender 2 beladene_Wagen von 9y2 Tonnen Ge-
wicht und erreichte eine Maximalgeschwindigkeit von 20 englischen Meilen (circa 30 Kilometer
oder 4 deutsche Meilen) in der Stunde, die mittlere Geschwindigkeit war 14 englische Meilen
circa 21 Kilometer in der Stunde. Es war die gliickliche Combination des Rbhrenkessels von
S e g u i n mit dem Exhaustor von Pelletan oder Haekworth oder Geo rgeStephenson
welche die Maschine Rackete den Preis gewinnen liess.
Schon im Jahre 1830 baute man Maschinen mit 90 bis 130 Siederohren von 40 bis
50 Millimetern Durcbmesser und zwischen den Radern liegenden Cylindern mit gekropften
Achsen. Die Rader waren von Holz mit schmiedeisernen Bandagen.
Edmund Bury war 1830 der erste, welcher die Cylinder ganz horizontal legte; in
demselben Jahre erfaud W. Losh die schmiedeisernen Speichenriider. Nun wurden auch die
Schienen tragfahiger gemacht und so konnte das Gewicht und die Leistungsfahigkeit der Lo-
comotive gesteigert werden.
Robert Stephenson construirte 1833 die erste Dampf bremse. In demselben Jahre
wandte Dixon zuerst Messingrohren statt der kupfernen an.
B a 1 d u i n in Philadelphia und Forrester in Liverpool vereinfachten und verbesserten
1834 die Steuerung behufs des Yor- und Ruckwartsganges.
Auch wandte man nun schon Triebra:er an von mehr als 2 Meter (7 Fuss englisch)
Durcbmesser und Geschwindigkeiten von 40 bis 50 Kilometer per Stunde.
Eisenbalin. 79
Im Jalire 1835 erfand John Melling die Kugelventile der Speisepumpen statt der
sich haufig festsetzenden conischen. Gleichzeitig baute Robert Stephenson Locomotiven
mit aussen- nnd innenliegenden Cylindern mit drehbarem Vordergestelle.
Dieses letztere wurde namentlich dnrch William N orris nnd Balduin in Phila-
delphia ansgebildet und fast alle amerikanischen Locomotiven fiir Personenziige haben noch
hente ein drehbares Vordergestell (truck).
R. und W. Hawthorn construirte damals zuerst metallene Wasserleitungen zwischen
Maschine und Tender mit Kugelgelenken, wie sie auch jetzt noch vorkommen.
Derselbe Ingenieur verbesserte auch die Steuerung durch Anwendung von 4 festen Ex-
centrics, 2 fiir jeden Cylinder und je eines davon fiir den Vorwarts- und fiir den Riickwartst
gang, und wandten Triebrader von mehr als 3 Meter Durchmesser (10 englische Fuss) an,
von welchen jedoch bald wieder, wegen der hohen Lage des Schwerpunktes, abgegangen wurde.
Gillingham und Winaus in Baltimore bauten die ersten Dampfwagen mit ver-
anderlichen Expansion; jeder Cylinder hatte 3 Excenter, eines fiir voile Fiillung und 2 fur
eben so viele verschiedene Expansionsgrade.
Man hatte nun gern Maschinen von grosserer Leistungsfahigkeit gebaut, aber man kam
nicht liber 50D Meter Heizflache, und glaubte, bei der nun einmal feststehenden Spurweite
von 1*435 Meter nicht mehr erreichen zu konnen, und es entstanden nun Bahnen in England
von 2*135 Meter Spurweite. In anderen Staaten und auch in England wandte man ein
mittleres Mass von 1*500 bis 1-840 Meter an, ohne dass es gelang, kraftigere oder schnellere
Locomotiven zu bauen.
Alle diese Verschiedenheiten sind verlassen worden und hat man derzeit in der ganzen
Welt mit Aiisnahme von Russland und Spanien alle Normalbahnen mit der Spurweite von
1*435, wahrend die Secundarbahnen mit Spurweiten von 0300 bis 1*200 Meter ausgefiihrt wurden.
East wick tmd Harrison bauten im Jahre 1839 eine Locomotive mit 8 Radern,
wovori 4 gekuppelt und 4 in dem, um Ein en Punkt drehbaren Gestelle mit einer Feder-
hangung so vereinigt waren, dass die ganze Maschine auf nur drei Punkten ruhte.
Gleichzeitig erzielte Clapeyron eine fixe Expansion, indem er den Excentern Vor-
eilung und den Schiebern eine Ueberlappung gab.
Pauwels in Lille legte die Gleitflachen der Schieber zuerst vertical, was die Steuerung
wesentlich vereinfachte.
Dr. Ridder erfand 1840 in Belgien die Warmrohren, um den uberschiissigen Dampf
in den Tender zu leiten. G o o c h nahm in demselben Jahre ein Patent auf verstahlte Rad-
bandagen.
Lud. Klein in Wien erfand 1841 die Funkenfanger, um die Feuersbriinste zu be-
seitigen, welche nicht selten durch Losomotiven veranlasst worden waren.
Rob. Stephenson baute im Jahre 1842 eine Locomotive mit nahezu 4 Meter langen
Siederohren aus Schmiedeisen und mit Coulissensteuerung behufs variabler Expan-
sion, welche bis jetzt, trotz der sehr grossen Anzahl seitdem erdachter Steuerungen mit
variabler Expansion, mit einem oder zwei Schiebern, nicht iibertroffen worden ist. Die Speise-
pumpen wurden durch das Riickwarts- Excenter getrieben.
Die 3 Achsen (die mittlere Triebachse) lagen alle vor der Feuerkiste, die Maschine
hatte somit einen kurzen Radstand und konnte scharfe Kriimmungen durchfahren.
In Deutschland wurde die erste Locomotive (Saxonia) 1837 zu Uebigau fiir die Leipzig-
Dresdner Bahn gebaut; dieselbe Anstalt lieferte auch die zweite Maschine (Phonix). In dem-
selben Jahre erbaute Dr. Kiifeld in Berlin eine Maschine fiir die Berlin-Potsdamer Eisen-
bahn mit verticalen Kesseln und Cylindern.
Dobbs und Pons gen in Aachen bauten 1840 und Jacobi Haniel und Huysten
in Sterkrade 1841 je eine Locomotive.
A. Borsig in Berlin stellte 1841 die erste Locomotive fiir die Berlin-Anhalter Bahn,
Eg els in Berlin folgte 1842.
Nun treten die Wien-Gloggnitzer Eisenbahn in Wien, Giinther in Wiener-Neustadt,
Maffei in Hirschau bei Miinchen, Kessler in Carlsruhe als Locomotivfabrikanten auf.
Die Eisenbahnen (und mit ihnen der Locomotivbau) breiteten sich nun immehr mehr
aus. Natiirlich waren es Bahnen mit horizontalen oder wenig geneigten Strecken, welche
man der leichten und billigeren Herstellungs- und Transports-Kosten wegen zunachst aus-
80
Eisenbahn (Locomotive).
fiihrte: Tkalbaknen, Flaclilandsbaliuen; allmiilig ging man weiter imd stieg aus den
Thalern auf die Hitgel und iiberscbritt Wasserscheiden mit Steigungen von 10 Millimetern
auf 1 Meter (Yl00), bis sick endlich zu Ende der vierziger Jabre das Bediirfniss zn einer Ueber-
schreitung der Alpen berausstellte, una die italieniscben Provinzen Oesterreichs mit der Haupt-
stadt zu verbinden.
Die osterreickiscke Eegierung scbrieb 1850 einen Preis von 20.000 Dukaten fiir die
beste Locomotive aus, welcke im Stande sei, die Bakn iiber den Semmering mit Steigungen
von 25 Millimetern per 1 Meter (J/,o) nn<l m^ sear scharfen Kriimmungen mit einer Zugs-
last von 125.000 Kilogramm (2500 Zoll-Ztr. — 125 Tonnen) exclusive Tender zu befakren.
Es wurden 4 Masckinen zur Concurrenz zugelassen, und zwar je eine von Maffei in
Miincken, von Giintker in Wiener-Neustadt, von Jokn Cocke rill in Seraing und von
der Masckinen-Fabrik der "Wien-Gloggnitzer Eisenbabn.
Die Bavaria von Muff ei in Miincken erhielt den ersten Preis und auck die drei anderen
wurden preisgekront, jedock wurde keine als dauernd geniigend fur den Betrieb auf dem
Semmering anerkannt.
Unter Zubilfenakme der bis dabin gemaekten Erfakrungen und der besten Constructionen
projectirte Engertk in Wien seine Tenderlocomotive mit 3 gekuppelten Acksen, von welcker
Fig. 1303 eine Ansickt zeigt. Die Masckine kat nock 2 Tenderacksen, von welcken eine voi-
der Feuerkiste und die zweite kinter der Feuerkiste sick befindet.
Der weit nacb ruckwarts iiberbaute Kessel stiitzt sich mittelst der Stiitzen p, welcke
kugelforraige Zapfen kaben und sick in Gussstakllagern dreken, auf den Tender.
Fig. 1303.
rB,
g^^EF
Wahrend man friiker bei starken Steigungen die Eisenbabn mit feststekenden Dampf-
masckinen betrieb, wie z. B. die scbiefe Ebene bei Liittick, erklimmen jetzt Locomotiven mit
ihren Trains Steigungen von 35 Millimeter per Meter (V2S) mit glatten Bandagen nur ver-
mittelst der Adkasion.
Im Jakre 1850 erfand Giffard in Franlu-eich die Dampfstraklpumpe (injecteur — in-
jector), welcke nunmehr in den versckiedensten Constructionen bei fast alien neueren Loco-
motiven angewendet wird, da die friikeren Speisepumpen allzukaufig den Dienst versagten.
Es wiirde zu weit fiikren, alle moglichen Locomotiv-Constructionen zai bescbreiben, und wir
begniigen uns mit der Angabe, dass mit Sekluss des Jakres 1874 nack autkentiscken Angaben
auf den Eisenbaknen, welcke zum Verbande des „Vereines deutscber Eisenbaknverwaltung"
gekoren, der die deutscken, osterreickiscken, ungariscken, so wie mekrere Baknen in Belgien,
in den Niederlanden, Euinanien und Russisck-Polen umfasst, 13.237 Locomotiven im Betrieb
waren. Die Anzabl der Locomotiven in alien Erdtkeilen kann mit rund 50.000 Stuck ange-
nommen werden. Nimmt man den Preis einer Locomotive mit Tender mit 30.000 Gulden
osterr. Wabr. an, so sind dafiir Fiinfzekn Hundert Millionen Gulden angelegt worden.
Organe der Locomotiven. Alle Locomotiven, mogen sie nun zur Be-
forderung von Courier-, ge^blmlichen Personenziigen oder zur Fortschaffuiig von
Frachten dienen, hub en gewisse Haupttheile mit einander gemein, und unterscbeiden
sich nur in jenen Einzelnbeiten von einander, welcbe ibre verscbiedene Bestimmung
erfordert.
Die alien Locomotiven gemeinscbaftlicben Hauptorgane sind : der D a m p f-
kessel (generateur — steamboiler), der AY ag en, welcher den erzeugten Dampf
Eisenbahn (Locomotiv-Kessel).
81
unmittelbar fur Eisenbahnzwecke verfiigbar macht, und der Mechanismus, welcher
Kessel und Wagen verbindet, die Mas chine.
Diese 3 Elemente sind nach bestimmten Principien anzuordnen, und sollen
zunachst getrennt aufgefasst und beschrieben werden.
I. Kessel. Jeder Locomotivkessel besteht aus der Feuerkiste (boite a feu
— fire-box), in welcher sich der Rost befindet und der Brennstoff zur Verwendung
gelangt, dann aus dem Langkessel von cylindrischer Form, welcher die Siederohren
enthalt, endlich dem Rauchkasten mit dem Schornslein.
Die Feuerkiste oder der Feuerkasten hat meistens eine im Grundrisse oblonge
Form mit abgerundeten Ecken ; er ist auf alien 4 Seiten durch kraftige, mit einander
vernietete Kupferplatten von 15 — 20mm Dicke gebildet und hat eine Decke aus
Kupfer. In Amerika pflegt man haufig Stahl- oder Eisenplatten dazu zu nehmen,
und man hat dies auch in Europa mehrfach, jedoch mit ungiinstigem Erfolge
versucht.
Bei dem hohen Dampfdrucke, welchen man bei Locomotiven aus okonomischen
Gr iinden zur Anwendung bringt, 8 bis 15 Atmospharen effectiv, miissen diese
ebenen Fliichen versteift werden, was durch die sogenannten Stehbolzen (enfretoise
— stay) geschieht, d. h. Schrauben aus Eisen, Stahl oder Kupfer, deren Gewinde
in der Platte des Feuerkastens und des Stehkessels ihre Muttern und beiderseits
noch runde Nietenkopfe haben.
Fig. 1304 zeigt einen S tehbolzen im Schnitt.
In der Mitte sind die Gewinde weggedreht, von der
Seite ist der Bolzen angebohrt. Dies hat den Zweck,
ein Abreissen des Bolzens durch das sodann heraus-
spritzende Wasser bemerkbar zu machen. Dieser
Uebelstand kommt haufig genug vor und bedingt na-
turlich den Ersatz des Stehbolzens.
Der Stehkessel hat in der Entfernung von 80
bis 100mm mit dem Feuerkasten parallele Wande
und Decke, und besteht aus Eisen- oder Stahlblech.
Der Zwischenraum ist mit Wasser ausgefiillt, welches
noch die Feuerkastendecke mindestens 100mm hoch
bedecken muss.
Fig. 1304.
Stehbolzen.
Die Decke des Stehkessels ist entweder flach und muss dann gleichfalls mit
Stehbolzen verankert sein wie die Seitenwande, oder halbcylindrisch.
In dem zweiten Falle muss die flache Decke, der Box, mit Ueberlegeisen
und Schrauben versteift sein.
In den letzteren Jahren hat man Feuerkasten construirt, wo die Decke ge-
wolbt ist und iiberdies aus ge well tern Kupferblech besteht, um die Decken-
anker zu ersparen. Dies hat den grossen Vortheil, dass der bei den Locomotiven
besonders lastige Kesselstein leicht entfernt werden kann, und diirfte auch die
Dampfproduction eine bessere sein.
Im Jahre 1875 construirte Kaselowski in Berlin eine Feuerbiichse ohne
alle Stehbolzen, Deckbarren und Deckanker. Wenn sich diese Construction, wie
nicht zu bezweifeln, bewahrt, so wird die Erhaltung der Locomotivkessel wesentlich
billiger zu stehen kommen.
Auf der riickwartigen Seite des Stehkessels befindet sich die Feuerthiir,
durch welche das Brennmaterial auf den Rost gebracht wird. Die Oeflrmng ist
von einem schmiecleisernen Ringe umgeben, welcher den Raum zwischen Box und
Stehkessel ausfiillt und mit beiden Wanden vernietet ist.
Um das untere Ende der Feuerkiste geht ein starker, schmiedeiserner Rahmen,
welcher mit den Platten der Feuerbiichse und des Stehkessels gleichfalls ver-
nietet wird.
In der Nahe befindet sich der Rost (grille — ■ grate). Er wird aus geraden,
parallelen Staben (barres du foyer — fire-bars), aus Schmied- oder Gusseisen
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. g
82 Eisenbahn (Locomotiv-Kessel).
gebildet, welche Luftspalten zwischen sich lassen, deren Breite von der Beschaffenheit
des Brennmateriales abhangig ist und von etwa 10 — 50mm variirt.
Koks, Stuck-, backende oder scblackende Kohle erfordert weite, Kleinkolile
oder sinternde, im Feuer zerfallende Kohle, braucbt enge Spalten.
Unter dem Roste befindet sicb der Aschenkasten, welcher vorn und riickwarts
nait Klappthiiren verseben sein muss, durch welche die Luft unter den Rost treten
kann. Dieser Kasten besteht aus Eisenblech, ist leicbt abnehmbar und bat zur
Verbiitung von Scbadenfeuern zu dienen, welche durch die noch gliihenden Kohlen-
stiicke leicbt entstehen konnten, welohe durch die Rostplatten fallen. Den
Vordertheil der Feuerkiste bildet die Rohrwand. Sie nirnmt das hintere Ende der
Siederohren auf (bouilleurs, tuyaux — holler tubes, heating-tubes), deren Anzahl
in den kraftigen Maschinen der Neuzeit tiber 200 steigt und deren lichte Weite
40 — 55mm betragt.' Die Siederohren bestehen meist aus Messing, und dort, wo
es die chemische Beschaffenheit des Wassers und des Brennstoffes gestattet, aus
Schmiedeisen. Die Wandstarke betragt 2 — 3mm. Auch aus Stahl werden sie
erzeugt, um ihnen ein geringeres Gewicht geben zu konnen; jedoch sind Stahl-
rohren zur allgemeineren Anwendung noch nicht gelangt.
Die Verbindung der Siederohren mit der Rohrwand geschieht dadurch, dass
durch eigene Werkzenge die Wandung der Rohren an die Rohrwand angepresst
wird. Die frtiher allgemein angewendeten Brandringe sind ganz ausser Gebrauch
gekommen.
Haufig werden die eisernen und messingenen Siederohren bei der Feuer-
kasten-Rohrwand mit Kupferstutzen verseben, um das bei schlechtem Speisewasser
und nicht vorsichtiger Manipulation haufig vorkommende Rohrrinnen zu ver:
meiden. Diese Erscheinung tritt leicht ein, wenn wahrend der Fahrt die Feuer-
tbiir aus irgend einem Grunde offen bleibt und kalte Luft in den Feuerkasten
treten kann. Der in der Rohrwand befindliche Theil der Siederohren zieht sicb
zusammen, die Dichtung wird aufgehoben und Wasser in den Feuerkasten gepresst.
Rinnende Rohren mlissen frisch gedichtet werden.
Der Holzschnitt Fig. 1305 zeigt ein Siederohr in Verbindung mit den
Rohrwanden. Da die Rohren vom Rauchkasten aus in den Kessel gebracht werden,
Fig. 1305. so miissen die Locher in der vorderen Rohr-
wand grosser sein als die Rohren selbst,
welche dann beim Eindicbten an dieser
Stelle etwas erweitert werden. Die Rohr-
wand muss dicker im Fleische sein als
alle ubrigen Kesselplatten, weil zwischen
den Rbhrenlochern wenig Material stehen
bleibt.
Der Lang- oder cylindrische Kessel ist mit den Stehkesselwanden
durch Nietung verbimden, er besteht aus Eisen- oder Stahlplatten, welche nicht
dicker als 15mm sein sollten und am vorderen Ende die Rauchkasten-Rohrwand
aus Eisen, Stahl, seltener Kupfer, aufnehmen, mit welcher die Siederohren eben so
verbimden sind, wie mit der anderen. Der Durchmesser dieses Theiles betragt
selten liber T300m , die Lange bis 4m und dariiber.
Eigentlich nicht mehr zum Kessel gehorig, aber mit demselben durch Nieten
verbimden, ist die Rauchkammer, der Rauchkasten (boite a fumee — smoke box),
durch welche die Verbrennungsproducte aus dem Feuerkasten und den Siederohren
zum Rauchfang (cheminee — chimney) gelangen. Er muss luftdicht geschlossen
sein, damit in denselben keine kalte Luft eindriuge. Die vorderste Wand des
Rauchkastens wird fast ganz durch eine grosse Thiir emgenommen, welche dazu
dient, die Siederohren und den Rauchkasten von Russ und mitgerissenen Kohlen-
theilchen zu reinigen, die Reparaturen zu erleichtern u. s. w.
Behufs Vergrosserung des meist beschrankten Dampfraumes haben viele
Kessel noch einen Dom [dome — dome), d. i. einen verticalen Cylinder aus
Eisenplatten von verschiedener Grosse, in dessen oberem Theile der Dampf fur
Eisenbahn.
83
die Cylinder entnommen wird. Dies tliut man gern, urn moglichst trockenen Dampf
zu erhalten nnd nicht unniitz Wasser und Kohle zu vergeuden.
Bisweilen finden sich noch kleinere Aufsatze auf den Locomotivkesseln, um
die Sicherheitsventile, Dampfpfeife u. dgl. aufzunehmen.
Der Schornstein ist gleichfalls ein cylinderformiger oder wenig conischer
Aufsatz, welcher die Verbrennungsgase und den Rauch, so wie den gebrauchten
Dampf moglichst hoch in die Luft leiten soil, um die Belastigung der in der Nahe
befindlichen Menscben u. dgl. zu verhuten.
Die Function des Scbornsteines bei Locomotiven ist also nicht die, Zug zu
erzeugen zu einer vollkommenen Verbrennung der Kohlen oder des Holzes, wie
bei den Schornsteinen der stabilen Dampfkessel und sonstigen Feuerungsanlagen,
indem der scharfe Zug durch den Strahl des ausgeblasenen Dampfes hervor-
gebracht wird.
Oft sind in demselben Funkenfanger angebracht, welche abweichende Formen
bedingen, wie z. B. bei den Mantelrauchfangen. Alle diese Aufs&tze sind mittelst
Flanschen an den Kessel und an den Rauchkasten genietet oder geschraubt.
Obwohl nun der cylindrische Theil des Locomotivkessels in Folge seiner Form
an sich widerstandsfahig genug gemacht werden kann, um Verankerungen zu ent-
behren, obwohl ferner die Wandungen des Feuerkastens und des Stehkessels,
so wie die Rohrwande durch die Stehbolzen und die Siederohren hinreichend ver-
steift sind, so bleibt doch noch der Obertheil der Feuerthiirwand und der Rauch-
kasten Rohrwand iibrig, welche flach sind und fur sich allein den hohen Dampf-
spannungen nicht widerstehen konnten.
Man pflegte sie friiher mit einander durch Anker zu verbinden. Diese dehnten
sich aber in Folge der hohen Temperatur mit der Zeit so aus, dass sie nicht
gespannt blieben und absolut unwirksam wurden. Man ersetzte sie durch Winkel-
eisen, welche correspondirend am Cylinderkessel und Stehkessel und den friiher
erwahnten Wanden angenietet und durch starke Blechstiicke verbunden sind und
erzielt auf diese Art eine ganz solide Versteifung.
Die Figuren 1306 und 1307, welche den Langenschnitt und zwei Quer-
schnitte einer Locomotive zeigen, machen alle Theile des Kessels ersichtlich.
Fia. 1306.
Langsschnitt einer Locomotive.
Die Buchstaben o, o bezeichnen den Feuerkasten mit dem Roste und dem
Aschenkasten z; m die Deckelbarren, Z, I die Siederohren, u die Feuerthiir, r
und e die Dampfrohren, e, r, h Rauchkasten, g den Schornstein, n den Dampfdom,
/ den Aufsatz fiir die Sicherheitsventile.
Reinigung der Kessel. Die Reinigung der Locomotivkessel ist von
ungemeiner Wichtigkeit. Die Vernachlassigung derselben wird bei den stabilen
6*
84
Eisenbatm (Kessel-Garnitur).
Fig. 1307.
Kesseln nicht mit so bedeutenden Reparaturen und so
hohem Brennstoffverbrauch bezahlt als bei diesen.
Zugleich ist sie nirgend so schwierig durchzufiihren
als gerade hier, wo die Stehbolzen, die Siederohren, die
Wande von Fenerkasten und Stehkessel so kleine Zwi-
schenraume bieten, dass die menschliche Hand keinen
Raum findet.
Es muss also von vornherein beim Baue des Kessels
auf Vorkehruugen gedaclit werden, um das Innere moglichst
zuganglich zu machen, und zwar vorzugsweise jene Stellen,
an denen die Bilduug von Incrustationen am meisten be-
giinstigt wird, in den Kanten und untersten Ecken des
Feuerkastens, so wie im Langkessel, auf dem Boden und
zwischen den Siederohren.
Man bringt deshalb Reinigungsloeher an dem unteren
Rande des Feuerkastens, auf dem Boden, unter den Rbhren,
in den beiden Rohrwanden und in den Seitenwanden des
Stehkessels oberhalb der Feuerbiichsdecke an. Diese
Verticalschnitte Locher werden mittelst Metallscbrauben oder mittelst
links durch reehts durch Deckel und Biigel gescblossen.
den Cylinder. dieFeuerbuchse. ° °
Der Kesselstein wird sodann abgekratzt und durch einen kraftigen Wasser-
strahl, welchen man nach alien Ricbtungen in die Lucken einfiihrt, abgespiilt.
Je scblechter das Speisewasser, um so haufiger ist das Auswaschen des
Kessels vorzunehmen. Ausserdem soil man recht oft den Scblamm durch Ablassen
des Wassers mittelst der Ablasshahne entfernen.
Ist das verfiigbare Speisewasser chemisch sehr unrein, hat es namlich einen
grossen Gehalt an Gyps, kohlensaurem Kalk oder gar Sauren, so ist es trotz grosser
Kosten vortheilbaft und nothwendig, eine chemiscbe Reinigung in den Wasser-
stationen vorzunehmen, ehe das Wasser in den Kessel kommt. Die wegfallenden
Reparaturen an Stehbolzen, Nieten, Siederohren, so wie der geringere Kohlen-
verbrauch bringen die daftir aufgewendeten Kosten wieder herein.
Bewahrt hat sich das Reinigungsverfahren des Dr. Haen in Hannover
mittelst Chlorbaryum und Kalkmilch auf verschiedenen Eisenbahnen.
Verb tit ung von Explosionen. Trotz der gesetzlich vorgeschriebenen
Vorrichtungen, um den Wasserstand im Kessel zu controlliren, kann es bei un-
aufmerksamer Wartung doch vorkommen, dass der Wasserspiegel in dem Kessel
bis zum Entblossen der Feuerbiichsdecke sinkt. Es bedarf dUn nur weniger
Minuten bis zum Augenblicke der hochsten Gefahr.
Ftir einen solchen Fall ist eine kleine Schraube von circa 20 — 26mm Durch-
messer aus Blei oder einer leicht schmelzbaren Metalllegirung in der Decke des
Feuerkastens die Rettung vor di'ingender Explosionsgefahr.
Ist namlich die Decke von Wasser frei, so schmilzt der Pfropf durch die
Hitze, der Dampf tritt in den Feuerraum und erstickt das Feuer.
Garnitur oder Armatur der Kessel. Gesetzliclie Vorschriften in
den verschiedenen Staaten, so wie die „Technischen Vereinbarungen des Vereines
Deutscher Eisenbahnverwaltungen" bestimmen die Apparate und Vorrichtungen,
welche zur Verhiitung von Gefahren an jedem Dampfkessel und somit auch bei
den Kesseln der Locomotive vorhanden sein miissen. Diese sind:
Das Manometer zur bestandigen Controlle der Dampfspannung im Kessel,
zwei verschiedene Vorrichtungen zur Beurtheilung der Hohe des Wasserstandes
im Kessel, zwei Sicherheitsvcntile, welche selbstthatig Dampf aus dem Kessel
treten lassen, sobald die normirte Dampfspannung uberschritten ist, und endlich
zwei Speisevorrichtungen, jede gross genug, um fur sich allein den Kessel beim
grossten Dampfverbrauche hinreichend mit Wasser versehen zu konnen. Ausserdem
ist ein Ventil oder ein Hahn zum Ablassen des Wassers aus dem Kessel noth-
Eisenbahn.
85
Fig. 1308.
wendig; Dampfventile fttr die Speisepumpen, dann fur das Vorwarmen des Wassers
im Tender, das Speiseventil und eine kraftige Dampfpfeife.
Das Manometer {^nanometre — manometer) bei Locomotiven unterscheidet
sich nicht von jenem bei stationaren Dampfkesseln. Es wird daher nicht wetter
behandelt; doch sei erwahnt, dass man, um Uebersclireitung der Dampfspannung
durcli leichtsinnige Locomotivfiihrer zu verhiiten, ausser dem gewohnlichen Mano-
meter noch sogenannte Maximalmanometer zur Controlle anwendet. Bei diesen
bleibt der Zeiger stets auf der hoc listen angewendeten Dampfspannung stehen,
auch wenn diese ganz nachgelassen hat. Der Controllbeamte kann somit eine
Uebersclireitung der erlaubten Dampfspannung noch nachtraglich constatiren.
Zur Erkennung des Wasserstandes im Kessel dienen dieWasserstands-
glaser (niveau d'eau — glass gauge), sodann die Probirhahne oder Probir-
ventile (robinet d'epreuve, soupape d'epreuve — gauge cock, gauge valve). Auch
diese unterscheiden sich nicht wesentlich von denen bei gewohnlichen Dampf-
kesseln und ermoglichen die directe Beobachtung des Wasserstandes. Beistehende
Figur 1308 verdeutlicht ihre Einrichtung. Die beiden Hahne h, h', wovon der
untere in der Hohe des tiefsten, der obere in
der Hbhe des hochsten Wasserstandes zur Seite
des Fuhrers in die Riickwand des Stehkessels
eingeschraubt, sind mittelst Stopfbiichse, Grund-
biichse und Gummipackung durch die Glas-
rohren r, r dampf- und wasserdicht verbunden.
Sind beide Hahne geotFnet, so steht das Wasser
im Glase gerade so hoch wie im Kessel, wenn
die Kanale gleich gross und nicht verstopft sind.
Unter dem Apparate befindet sich noch
ein dritter Hahn /i2, welcher dazu dient, Ver-
stopfungen der beiden Kanale erkennen und
beheben zu lassen. Das abfliessende Wasser
wird durch das Rohrchen k unter den Ftihrer-
stand geleitet. Die Schraubchen i, i dienen
dazu, um hartnackige Verstopfungen der Kanale
zu beheben.
Um bei dem nicht selten vorkommenden
Springen eines Glases Verletzungen des Ma-
schinenpersonals durch Glassplitter 7M verhiiten,
umgibt man das Glas mit einem Gitter ; um Ver-
briihungen durch das Wasser zu vermeiden, hat
man einen selbstthatigen Ab-
schluss durch ein Kugelventil ^ _,_
construirt, welcher im Augen-
blick des Sprengens der Rohren
einen sicheren Verschluss des
unteren mit dem Wasserraume
correspondirenden Hahnes bil-
det. Auch verbindet man die
beiden Griffe der Hahne durch
eine Zugstange und bringt einen
Hebel so an, dass der Fiihrer
von seinem Platze aus mit
m
A\ asserstandsfflas.
Einem Griffe beide Hahne schliessen kann.
Die Glasrbhren sollen recht dtinn im Glase sein und uberall gleiche Wand-
starken haben. Auch sollen sie sehr langsam gekiihlt sein, indem sie andernfalls
Bchnell, meistens schon beim Einziehen zu Grunde gehen. Es kommt vor, dass
10, selbst 20 Glaser mangelhafter Beschaffenheit hinter einander beim Einbriiigen
ferechen, ohne dass dem Personal ein Verschulden zur Last gelegt werden kann.
86
Eisenbahn (Kessel-Garnitur).
Probirkahne und V en tile hat man in verschiedenen Constructionen.
Mindestens 2 Stiick sind so am Stehkessel anzubringen, dass sie der Fiihrer oder
Heizer leicht zur Hand hat. Eines muss in der Hohe des zulassigen niedersten
Wasserstandes und eines 100 — 200mm holier angebracht sein. Der untere Hahn
muss stets Wasser geben, geschieht dies nicht, so ist die Gefahr vorhanden.
Eine bequeme Construction zeigt Fig. 1309. Das Ventil a wird durch den
Dampfdruck im Kessel stets geschlossen gehalten. Das Oeffnen geschieht durch
Fig. 1309. den holzernen GrifF c am Gabelhebel.
Ausserdem dient ein am Ende des Ventil-
bolzens befindlicher, holzerner Knopf b
zum Hin- und Herdrehen des Ventils, um
wabrend der Fahrt etwaige Unreinigkeiten
des Ventilsitzes zu beseitigen.
Eine leichte Spiralfeder aus Messing-
draht halt das Ventil geschlossen, wenn
kein Dampfdruck im Kessel ist. Um die
ganze Vorrichtung leicht abnehmen und
reinigen zu konnen, ist dieselbe mittelst
Conus und Verschraubungsmutter an einem
besonderen Kesselstutzen befestigt. Das
Rohrchen e dient zum Ablasen des Dampfes
oder Wassers, / ist die Verschalung des
Stehkessels.
Probir- Ventil. S i c h e r h e i t s v e n t i 1 e. Auch die
Sicherheitsventile der Locomotiven (soupape cle surete — safety valve) sind jenen
bei den stabilen Dampfkesseln gleich und nur durch die Art der Zuhaltung ver-
schieden.
Ein Sicherheitsventil ist eine runde OefFnung im Kessel, auf die von aussen
eine metallene Scheibe aufgeschlifFen und so belastet ist, dass die Oeffnung ge-
schlosssn bleibt, so lange der zulassige Dampfdruck nicht erreicht ist, welches
sich aber hebt und Dampf austreten la'sst, wenn er die erlaubte Spannung iiber-
schreitet. Bei Locomotiven wurden die Sicherheitsventile niemals direct mit Ge-
wichten belastet, sondern meist mittelst einer Hebellibersetzung und Federn.
Die gebrauchlichste Art ist in Fig. 1310 dargestellt, Ventile mit indirecter
F e d e r b e 1 a s t u n g.
Die Vorrichtung hiezu heisst die
Fe der wage {balance a, ressort ■ —
spring -balance). Sie besteht aus einer
Messingbiichse mit einer liegenden Spi-
ralfeder. Wird die iiber dem entfern-
teren Ende des Hebels liegende Mutter
m angezogen, so wird die Feder, wenn
das Stiick s unten festgebalten wird,
auseinander gezogen und dadurch ge-
spannt. Diese Spannung lasst sich
natiirlich in Kilogrammen ausdriicken,
und auf dem Stiicke s befindet sich
eine Scala, welche den Druck bei einer
gewissen Spannung anzeigt. Dieser
Druck ist im Verhaltniss der ange-
Fig. 1310,
Sicherheitsventil mit Federbelastnng-.
wendeten Hebeliibersetzung geringer, als er bei directer Belastung sein musste.
Eine wesentliche Verbesserung durch eine sinnreiche Hebelcombination hat an
der Federwage Meggenhofer angebracht, um zu vermeiden, dass bei geofFnetem
Sicherheitsventil die Spannung der Feder zunimmt und somit das Ventil ge-
schlossen werde, bevor der Dampfdruck unter das gestattete Maximum gesunken.
Eisenbahn.
87
Ramsbottom und Kit son haben ganz abweichende Constructionen er-
dacht, welche auch sclion Eingang gefunden haben.
Bei Revision der Sicherheitsventile ist Acht zu haben7 dass es durch den
leichtsinnigen Maschinisten nieht auf irgend eine Art nnbeweglich gemacht sei,
was leider haufig genug vorkommt.
Speis evorrichtungen. Die altesten Locomotiven fiibrten eine Hand-
pumpe mit und miTsste das Personal stets dieselbe in Gang setzen, wenn der
Wasserstand im Kessel gesnnken war. Spater wurden Saug- und Druckpumpen
durch die Locomotive selbst, meistens von einem Excenter der Steuerung aus
getrieben. Stand die Locomotive still, so konnte natiirlich nicht gespeist werden,
man gab deshalb spater noch eine dritte Pumpe bei, welche durch eine eigene
kleine Dampfmaschine in Thatigkeit gesetzt wurde. In den letzten Jahren haben
sich die Dampfstrahlpumpen immer mehr Eingang verschafft, welche bei still-
stehender und bei in Bewegung befindlicher Maschine arbeiten.
Eine vom Excenter getriebene Speisepumpe (pompe alimentaire — feed
pump) stellt Fig. 1311 a und b dar. Wenige Worte werden zur Erklarung ge-
niigen. Das Excenter E zieht mittelst der Stange s den Kolben k in den Pumpen-
Fig. 1311 a.
Fig. 1311 b
stiefel P bin und her. Die Stopfbiichse b dichtet den Kolben
S Flansche des Saugrohres, IFWindkessel, v Saugventil7 d Druck-
ventil, D Speiserohr. Der Pumpenkorper P ist am Kessel oder am
Rahmen gut angeschraubt. Wenn die Pumpe nicht gebraucht wird7
so wird sie nicht ausgeschaltet, sondern man setzt sie dadurch
ausser Thatigkeit, dass das Wasser des Tenders durch einen im Saugrohr liegenden
Hahn abgesperrt wird.
Injector. Die moderne Locomotivspeisevorrichtung ist die schon er-
wahnte, von dem Franzosen Giffard im Jahre 1858 erfundene Dampfstrahl-
pumpe (injecteur — injector). Sie hat vor den gewohnlichen Pumpen viele Vor-
theile, namentlich Einfachheit, Billigkeit in der Anschaffung und Erhaltung, sie
functionirt beim Stillstand und beim Gang der Maschine, ist betriebssicherer, bedarf
wenig Aufsicht und liefert endlich nur heisses Wasser in den Kessel.
Diese Vortheile haben ihr auch in einem Decennium allgemeine Verbreitung
verschafft und derzeit diirften alle neuen Locomotiven ohne Ausnahme mindestens
mit Einer Dampfstrahlpumpe versehen werden.
88 Eisenbahn (Kessel-Garnitur).
Die Speisung findet einfach durch die directe Wirkung des im Kessel er-
zeugten Dainpfes statt; indem derselbe in den Apparat geleitet wird, reisst er die
darin befindliche Luft mit sich fort und die dadurch erzeugte Luftverdiinnung
bewirkt mittelst des den Apparat mit dem Tender verbundenen Rohres den Zntritt
In ausreichender Menge hinzutretend, condensirt dasseibe einen Theil des
Dampfes, der aber demselben zugleich einen Theil seiner lebendigen Kraft mit-
theilt, wodurch sich eine Stosswirkung des Wasserstrahles ergibt, die bei ent-
sprechender Construction der Diise kraftiger ist, als nothig ware, urn den Eintritt
in den Kessel zu ermoglichen. So einfach wie die eben beschriebene Wirkungs-
weise ist auch der Apparat selbst, welcher in Fig. 1312 dem Leser in der Con-
struction von Schau speciell fiir Locomotiven vor Augen gefiihrt wird.
Fla. 1312.
m
Injector.
Mittelst der Platte h ist er an der Locomotive befestigt; der vom Kessel
hergeleitete Dampf tritt durch den Stutzen /, der seitlich einmiindet und das
Wasser vom Tender seitlich hereinleitet. Bei g ist ein Ventil oder ein Hahn an-
geschraubt, wo mittelst der Schlitze b Dampf entweicht, wenn der Apparat nicht
speist. Dieses Ventil dient also dem Fiihrer als Kennzeichen der guten oder
mangelhaften Function des Apparates. Bei guter Function wird horbar Luft ein-
gesaugt, bei schlechter Dampf ausgestossen, beides in auffallender Weise. Es
lasst sich denken, dass diese Erfindung bei ihrem ersten Auftreten Aufsehen erregte.
Trotzdem stiess die Einfiihrung auf nicht geringe Hindernisse, welche theils durch
die mangelhafte Uebung des Personals beim Anlassen, theils durch die sich allem
Neuen entgegenstellenden Vorurtheile und theils endlich durch mangelhafte Con-
struction entstanden. Alle diese Schwierigkeiten sind vollkommen iiberwunden
und leben kaum in der Erinnerung; es gibt heute schon eine ganz betrachtliche
Anzahl Locomotivfiihrer, welche die alten Saug- und Druckpumpen nur vom Horen-
sagen oder aus Blichern kennen.
Alle civilisirten Nationen bemachtigten sich der Erfindung Giffard's, um
sie zu verandern, zu vereinfachen und zu verbessern. Namentlich waren es :
Sharp, Stewart und Comp., Th. Hunt, C T. Bo nsfi eld, Andrew Barclay,
Sellers, S chaffer und Budenb erg, welche die saugenden Injectoren ver-
besserten; Flechter und Bower, Krauss, Schau, Friedmann, Korting,
Fink, Has well und Webb und Andere, welche die nicht saugenden Dampf-
strahlpumpen erfanden und verbesserten.
Der Wasserablasshahn oder das Wasserablassventil ist mit einer Flantsche
an einem tief gelegenen Punkte des Stehkessels angebracht und sollte zum Ab-
blassen von Schlamm und zum Ablassen des schmutzigen Wassers recht oft ge-
braucht werden. Auch die weiteren Armaturstlicke, als Dampfpfeife, Dampfventile
fiir die Speisepumpe und das Vorwarmen des Tenderwassers konnen nicht wohl
mit Stillschweigen iibergangen werden, da sie sich von anderen Dampfventilen
unterscheiden. Auch sei erwahnt, dass man bei Anwendung von Dampfstrahl-
pumpen nicht eigene Ventile und Rbhreu fiir das Anwa'rmen des Tenderwassers
braucht, sondern den Dampf auch durch den Injector in den Tender leiten kann,
was ein weiterer Vortheil dieser genialen Erfindung ist.
Die Figuren 1314 und 1315 zeigen die sehr empfehlenswerthe Form eines
Dampfventils fiir Dampfstrahlpumpen von Rayl in Mahrisch - Ostrau. Mittelst
Eisenbahn.
89
Fig 1314.
Fig. 1315.
ernes stark iibersetzten Hebels wird zuerst ein kleines Hilfsventil geoffnet, und es
stromt Dampf durch die nun frei gewordenen, kleinen Oeffnungen iiber das
eigentliche Hauptventil, so dass die Oeffnung desselben nunmehr eine geringe An-
strengung erfordert. Da der von unten auf die grosste Oberflache des Ventils
stets wirkende Dampf jedoch das Ventil wieder schliessen wiirde, so wird dasselbe
dann durch eine Art Sperrklinke nicdergehalten.
Ein als kraftiges, akustisches Signalmittel unentbehrliches Armaturstiick ist
die Dampfpfeife (sifflet a vapeur — ivhislle), deren bald schrillen, ohren-
zerreissenden, bald tieferen und hoheren Ton wohl jeder Leser kennt. (Beschrei-
bung siehe Dampfpfeife.) Manche Locomotiven haben 2 Dampfpfeifen mit
verschiedenem Ton fur bestimmte Signale.
II. Der Wag en. Durch ihre Eigenschaft als Wagen wird die Locomotive
unmittelbar fur Eisenbahnzwecke dienstbar gemacht.
Sie muss schwer genug sein, um durch ihr Gewicht eine hinreichende, der
Zugkraft angemessene, Adhasion auf den Schienen zu sichern, und dieses Gewicht
muss so auf alle Rader vertheilt sein, dass bei der grossten Geschwindigkeit der
grosstmoglichste Grad von S.abilitat erreicht wird. Ausserdem ist das Arrangement
des Wagens so zu treffen, dass die vom Bewegungsmechanismus der Maschine
und von der Bahn selbst herriihrenden, storenden Bewegungen mdglichst ausge-
schlossen werden.
Gewichts-Vertheilung. Das Gewicht der Locomotiven ist gegeben
durch die fur eine bestimmte Dampfentwicklung erforderliche Grosse der Heiz-
und Rostflache, somit durch das Gewicht des Kessels, durch das Gewicht der
Cylinder nebst Mechanismus, und endlich durch jenes der Raderpaare nebst Zugehor.
Unter Belastungsgewicht einer Achse oder eines Raderpaares versteht man
die mittelst der Federn darauf ruhende Belastung, inclusive des Eigengewichtes
dieser Achse, also den Druck, welchen die Rader auf die Schienen
ausiiben.
Rah men. Der Wagen der Locomotiven wird gebildet zunachst durch
zwei sehr kraftige, parallele Rahmen aus Schmiedeisen, welche vor dem Rauch-
kasten die Brust und die Buffer nebst Zugapparaten tragen und bis hinter den
Stehkessel reichen, wo sie die Auflage des Platteaus fur das Personal bilden.
Diese Rahmen (chassis cadre ■ — frame) liegen entweder innerhalb der
Rader (chassis interieur — inside frame) oder ausserhalb derselben (chassis
exterieur — outside frame), und mtissen durch starke Querverbindungen unver-
rfickbar mit einander verbunden sein, da die Rahmen zwischen dem Mechanismus
und dem Kessel das Verbindnngsglied bilden. Mit dem Kessel muss die Ver-
90
Eisenbahn.
bindung gleickfalls sehr stark sein, aber sie muss gleickzeitig gestatten, dass der
Kessel sick entspreckend den Temperatursgraden des Dampfes migehindert aus-
dehnen konne. Dies wird bewerkstelligt, indem man den Rakmen an dem Rauck-
kasten gut ansckraubt, dass jedock die am Stekkessel befindlicken Kesseltrager
die beiden Rakmen so umfassen, dass sie parallel bleiben und den Kesseltragern
sammt dem Kessel jedock eine Versckiebung gestatten.
Auck unter dem cylindriscken oder Langkessel befindet sick eine oder
mekrere Querverbindungen, welcbe einerseits zur Versteifung der Rakmen dienen,
anderseits dem Langkessel Unterstiitzungen bieten, und endlicb, so wie die Rakmen
selbst, beniitzt werden, um gewisse Steuerungstkeile daran aufzukangen.
Auck diese Querverbindungen besteken aus kraftigen Sckmiedeisenplatten
und sind mit dem Rakmen versckraubt ; auck ruken sie bisweilen bekufs Ent-
lastung der Bolzen mit einer Nase auf dem Rakmen. Von unten ist der Rakmen
mit mekrfacken Aussparungen verseken, welcke parallele Begrenzungen kaben und
die Lager fur die A ck sen aufneknien, auf welcken letzteren die Rader festsitzen.
Die Rakmen sitzen nickt unmittelbar auf den Ackslagern, sondern die Ver-
bindung ist mittelst elastiscker Staklfedern kergestellt, so dass die von der Baku
auf das Fakrzeug ausgeiibten Stosse durck die Federn gemildert auf die Rakmen,
den Meckanismus und den Kessel iibertragen werden.
Vor der Brust des Rakmens sind die B a k n r a u m e r aus Eisen kraftig ker-
gestellt, welcke wenige Centimeter von den Sckienen entfernt sind und'kleinere
Hindernisse, wie Steine etc. von den Sckienen wegdrangen und verkiiten, dass
die Rader aus der Baku geratken. Die amerikaniscken Locomotiven kaben vor
der Brust die sogenannten Kukfanger (cow — catches), welcke so stark sind,
dass sie die auf dem Baknkorper befindlicken Biiffel zur Seite sckleudern. Am
rtickwartigen Ende befindet sick zwiscken den Rakmen der Kuppelkasten, wo die
Verbindungsglieder mit dem Tender oder bei den Tenderlocomotiven mit den zu
ziekenden Wagen befestigt werden.
Tenderlocomotiven mussen auck am kinteren Ende des Rakmens mit Buffern
und Zugapparaten verseken sein, so wie vorn an der Brust. Die beistekenden
Holzscknitte (Fig. 1316 a und 6) zeigen das ganze Rakmengestell mit Brust,
Bahnraumer, Radern, Acksen, Lagern, Federn und Zugapparaten in Langenansickt
und Dratifsickt.
Fig. 1316 a.
Eisenbabn (Rader).
91
F deutet die Lage des Feuerkastens an. Die Lage der Rahmen ist, wie
man sieht, innerlialb der Rader. Die Federn der 1. und 2. Achse sind durch
einen zweiarmigen Hebel (balancier — engine beam) verbunden, um eine gleiche
Belastnng beider Achsen zu erzielen.
Betreffend die als Kesseltrager beniitzten Rahmenverbindungen unter dem
Langkessel sei noch erwahnt, dass eine nachtheilige Wirkung dieser auf die Kessel-
platten constatirt wurde, was Veranlassung gab, dass in den letzten Jahren der
Cylinderkessel, welclier selbst ein steifer Trager ist, gar niclit mehr direct unter-
stiitzt wird, sondern dass nur der Rauchkasten und der Stehkessel die Verbindung
mit dem Rahmengestell bilden. Da gewisse Theile aller Eisenbahnfahrzeuge mit
einander iibereinstimmen, so sollen dieselben gleich hier abgehandelt werden, und
konnen wir uns dann bei den Tendern und Waggons schon darauf bezieben.
Diese Tbeile sind : Die Rader, die Achsen und die Federn, sodann die Zugs-
imd Stossapparate.
Rader. Die Rader {roue — wheel) bestehen ans dem Radgestell (dem
Radstern) und dem Radreifen. Nur bei Scheibenradern, welche aus Schmiedeisen,
Tiegel- oder Bessemergussstabl oder audi G-usseisen (Schalengussracler) bestehen,
fertigt man Rad und Radreif aus Einem Stuck an.
Die Anforderungen, welche an die Rader aller Eisenbahnfahrzeuge gestellt
werden miissen, sind zu gross, als dass bei lose auf den Achsen sitzenden Radern
eine geniigende Sicherheit erreicht werden konnte. Sie miissen demnach,
weichend von dem Ge-
brauche bei Strassenwa- bm jr{g, 1317.
gen, auf denAchsen
festsitzen und es ma-
chen somit die beiden
Rader einer Achse in
derselben Zeit dieselbe
Anzahl Umdrehungen.
Die Figuren 1317
und 1318 stellen die
Triebachseund die Trieb-
rader einer Personen-
zugslocomotive fur aussen
liegenden Rahmen dar. h
bezeichnet den im Lager
sich drehenden Kurbelhals.
Eben so zeigen die Figuren
die aufgesetzte Kurbel K
und die Kurbelwarze, das
Gegengewicht g, von wel-
chem weiter unteu die Rede
sein wird, die Speichen, die
Radfelge , die Radreifen,
Bandagen (bande-tyre) und
die Schrauben zur Verbin-
dung von Radgestell und
Radreif.
Fig. 1319.
92 Eisenbalin (Aclisen).
Alle Radreifen haben an der Innenseite eine Flansche, den sog. Spurkranz,
um sie auf den Schienen zu erhalten nnd eine gewisse Neigung der Laufflache,
so dass der ausserste Rand der Bandage den geringsten Durclimesser bat.
In Bogen ist namlich der aussere Schienenstrang etwas langer als der innere,
und die Schienen liegen um ein gewisses Mass weiter auseinander. Da nun das
aussere Rad einen grosseren Weg mit derselben Anzahl Umdrehungen zuriickzulegen
hat, so ist durch obige Einricbtung die Moglichkeit dazu gegeben, indem der
Spurkranz des ausseren Rades sich in Folge der Centrifugalkraft an die aussere
Scbiene anlegt und sich auf einem grosseren Kreise umdreht als das innere Rad.
Bezeichnet R den Radius einer zu befahrenden Bahncurve, d den mittleren
Durclimesser der Rader, b die Geleisbreite (l-453m ), a die Geleiserweiterung in
der Curve, n der Radreife, so "findet allgemein die Relation statt : n . b . d — 2 . a . R.
woraus sich sowohl die erforderlicbe Geleiserweiterung, als auch in gegebenen
Fallen der Conus berechnen lasst, welchen die Rader erhalten sollen.
Ist 72 =: 500m, d — l-000m , ar=0-026m, so ist der Conus n = 17Sm .
Die technischen Vereinbarungen des „Vereines Deutscher Eisenbahn-
Verwaltungen" empfehlen, den Conus mindestens 1/20 , hochstens Via zu
machen.
Die Speichenrader werden derzeit ausnahmslos aus Schmiedeisen hergestellt,
entweder unter dem Dampfhammer geschmiedet oder mit der Schmiedepresse (von
Ha swell in Wien) gepresst. Die Radreifen, Bandagen, werden in eigenen Walz-
werken nunmehr grosstentheils aus Einem Stiick (Ingot) Gussstahl erzeugt.
Denken wir uns von der dargestellten Triebachse die Gegengewichte und
die Kurbeln weg, so haben wir das Bild einer Laufachse von Locomotiven, Tendern
oder Waggons vor uns. Bei Locomotiven werden die Rader auf den Achsen mit
Keilen befestigt, bei den Tendern und Wageu werden sie ohne Keile mit einer
Kraft von 30.000 — 50.000 Kg. mittelst hydraulischer Pressen aufgepresst.
Achsen. Die Achsen (axe — axis, axletree) besteben gleichfalls aus
Schmiedeisen oder Stahl, sie werden gewalzt und unter Dainpfbanmiern bebufs
Erlangung grbsserer Festigkeit bearbeitet. Von ihrer Festigkeit ist die ganze
Sicherheit der Fahrzeuge abhangig. Sie mtissen haufig revidirt, und bei dem ge-
ringsten Anbrucbe, der kanm mit einer guten Loupe zu entdecken ist, ausrangirt
werden. Viele Eisenbabngesellschaften bezahlen fur die Entdeckung von Anbriichen
und Defecten bei Achsen, Radreifen, Radern u. dgl. bestimmte Pramien. Ein
Achsenbruch in einem Zuge gehort nunmehr, Dank den verschiedenen Vorsichts-
massregeln bei der Construction, Erzeugung, Ueberwachung und der Revision zu
den Seltenheiten.
Eine sorgfaltige Oelung der im Lager laufenden Achshalse ist von besonderer
Wichtigkeit. Wird sie vernachlassigt, oder verlegen sich die Oelzuftihrungskanale,
oder verharzen die Dochte, welche den Schmierstoff zu den reibenden Flacben
fiihren, so tritt zunacbst eine Erwarmung ein, welche, wenn nicht sofort Abhilfe
geschieht, schnell zunimmt, bis die Achse und das Lager gliibend wird, Oel und
Docht verbrennt und die gleitenden Flacben sich verreiben, d. h. Riffe und Furchen
bekommen. Durch den penetranten Gerucb, der sich nun entwickelt, wird das
Personal aufmerksam gemacht und das Fabrzeug wird vorsichtig und langsam bis
zur nachsten Station gebracht und bier zuruckgelassen. 1st es eine Locomotive
oder ein Tender, so muss eine Hilfslocomotive requirirt werden, um den Zug
weiter zu befordern.
Da in vielen Fallen eine Nachlassigkeit des betreffenden Personals vorliegt,
so wird dasselbe zur Verantwortung gezogen. Oft aber kann eine heisslaufende
Acbse ohne Verschuldung der Eisenbabnbediensteten eintreten, indem der aufge-
wirbelte Staub oder Sand in ein Lager geratb, oder sich vom Lager kleine
Stiickchen loslosen in Folge von Materialfeblern, welcbe so versteckt siud, dass
sie bei der besten Revision nicht entdeckt werden konnen.
Eisenbahn (Lager).
93
Achslager. Fiir den guten Gang .tier Fahrzeuge sind die Lager gleichfalls
sehr wichtig. Sie besteben aus der eigentlichen Lagerschale (aucb Flitter genannt),
dem Lagerkasten und Unterkasten.
In den Holzschnitten (Fig. 1320 a, b und c) ist b das Futter, a der
Lagerkasten, c der Unterkasten, e des Oelbehalteiv, s der Federstift, punktirt an-
gedeutet, i, i Federn,
Fig. 1320
welebe das Scbmier-
brettcben h und den
Schmierpolster an die
Acbse driicken, und g,g
Bolzen, welebe den Un-
terkasten mit dem La-
gergehause verbinden,
n, ii Rohrchen aus Ku-
pfer, welebe die Dochte
fiir die Oelzufiibr auf-
nehmen.
Der Lagerkasten
oder das Gehause be-
stebt bei Locomotiven
aus Schniiedeisen oder
GussstahL der Unter-
kasten auch wobl aus
Gusseisen, die Lagerschalen aus Kanonen-
metall, Bronce, Pbospborbronce, baufig nocb
mit einem Einguss d, d von verscbiedenen
harteren Metalllegirungen versehen. Die vier
Ansatze an dem Lagergehause, welebe im
Grnndrisse sichtbar sind, dienen zur Fiibrung
des Lagers in den Ausscbnitten der Rahmen.
Die Gleitflacben (sebwarz) sind Beilagen von
Messing oder Bronce. Die Lager miissen in
ihren Fiihrungen auf- und niedergleiten konnen.
Empfangt namlicb das Rad einen Stoss auf
der Babn, so wird das Lager und von diesem
Lager die Acbse und die Rader durcb die
Feder und Federbangung. Ma
sein, beim Befahren derselben werden
dort ein, wo zwei Scbienen
ganz vollkommen ^elagert
Fig. 1320 b.
K
Ach slager.
die Feder gehoben, worauf das
Feder wieder hinabgedriickt werden.
. Mag die Babn noch so gut unterbalten
immer Stosse vorkommen. Dieselben treten
zusammen stossen, und dort, wo die Schwellen nicht
sind. Unter sonst gleichen Umstanden nebmen die
Stosse mit der Geschwindigkeit des Fahrzeuges zu, und wirken urn so zerstorender
auf die Bahn und auf das Fahrzeug. Um diese Stosse zu mildern, bringt man
nun zwiscben Achslager und Rahmen elastische Verbindungen an, die Federn (ressorts
— springs), welche um so vollkommener sein miissen, je schneller das betreffende
Fahrzeug verkehrt.
Schlagt Jemand z. B. mit einem Hammer auf eine Schiene, so wird sie bald
zerstort werden, wahrend ein ruhig auf ihr liegendes Gewicht von hundertfacher
Grosse ihr nichts anhaben wird.
Die Rader mit den Achsen und Achsenlagern scblagen ahnlicb wie ein
Hammer auf die Schienen, wahrend die iibrigen Maschinentheile vermittelst der
Federn nur driicken. Aus diesem Grunde sollte man die Gewiebte der Rader-
paare und Achslager recht klein machen und also nur Material von ausgezeiebneter
Giite dazu verwenden.
Die Federn sollen stets moglichst lang gemacht werden, da die Durchbiegung
mit dem Cubus der Lange zunimmt, d. b. eine Feder von 2m Lange biegt sicb
unter sonst gleichen Umstanden achtmal so stark als eine Feder von lm Lange.
94
Eisenbahn (Federn).
Man ist jedoch durch constructive imd audere Rucksickten in der Feder-
lange eingesckrankt imd kann iiber gewisse Masse nicht kinausgeken.
Bei Locomotiven und Tendern ist die Lange der Federn ungefahr lm , des-
gleichen bei Giiterwagen, wakrend sie bei Post- und Personenwagen bis zu 2m steigt.
Man nimmt zu den Federn Stakl oder vulcanisirten Kautschuk (gummi ela-
sticum) ; da bei dem letzten Material allzuviele Schwindeleien vorkommen kbnnen,
so hat die Verwendung von Stakl inimer mekr zugenormnen, nur in Amerika, dem
Vaterlande des Gummi, wird dasselbe nock in grosseren Quantitaten verwendet
Die Figur 1321 a und 1321 b zeigt eine sehr gebraucklicke Form von Eisenbakn-
federn. Sie bestekt aus einer Anzahl Stakllamellen gleicker Dicke und Breite,
jedock versckiedener Lange, deren Ende spitzig zugeschnitten sind. a sind solche
Fig. 1321 a.
Eiseubalm-Federu.
Lagen von Stakl, b ist der Federbund, g sind die Spannsckrauben, welcke zur
Verbindung mit dem Raknien und zur Regulirung der Federspannung dienen, 8
ist der Stab oder die Stlitze, welcke auf dem Lager ruht. Folgende praktisck
erprobte Formeln zur Berechnung der Feder lassen erkennen, welcke Functionen
auf die Wirkung der Feder von Einfluss sind. Ist P das Belastungsgewickt, resp.
die Tragkraft der Feder bei voller Sicherkeit in Tonnen a 1000 Kg., / die
Biegung (Pfeilhbhe) per 1 Tonne Last, I die Lange der Feder in Centimeter,
b die Breite der Feder in Centimeter, e die Blattdicke der Feder in Centimeter,
n die Anzakl der Blatter (Lagen), so ist fur guten Tiegelgussstakl
0-0016 > ■ l.P
* - be*.n imd n = 3-56. b. e°- '
Diese Formeln zeigen, dass die Anzakl der Blatter mit der Belastung und
der Lange zunimmt, jedock abnimmt mit der Breite und sogar im quadra-
tiscken Verhaltniss mit der Dicke der einzelnen Lagen. Die Biegung nimmt zu
mit dem Cubus der Lange, dagegen ab mit der Breite und der Anzakl der Blatter
in einfackem, dagegen mit der Blattdicke im cubiscken Verhaltniss.
Da jede Eisenbakn sucken muss, so wenig als moglick Versckiedenkeiten in
ihrem Fahrparke zu kaben, so pflegt man dieselbe Lamellenbreite und Dicke fili-
al le Federn zu verwenden. Gebraucklick ist die Breite von 60 — 90mm und eine
Dicke von 10— 14mm.
F e d e r h a n g u n g. Am kaufigsten sind die Federn so am Rahmen ange-
bracht, wie Figur 1321 a und 1321 b zeigt; oftbefinden sie sich aber unt erkalb des
Lagers und miissen dann durck Bolzen mit dem Lager verbunden sein. Bei kleinen
Radern und inneliegenden Rahmen ist man genbthigt, zu dieser Construction zu
greifen ; bei sehr vielen Locomotiven wendet man noch Balanciers an, welche auf
Eisenbahn (Buffer).
95
sehr verschiedene Art angcbracht sein konnen. Eine gewbhnliche Anordnung
zeigt Fig. 1315 und 1316.
Auch Querbalanciers wendet man oft an, d. b. solche, welche zwei Lager
einer und derselben Acbse verbinden, dann Balanciers mit ungleicb langen Armen,
urn z. B. bei Achsen, welche vermoge ihrer Lage vom Schwerpunkte sehr ver-
scbieden belastet wtirden, eine gleichformige Gewichtsvertheilung zu erzielen.
Stoss apparate, Buffer. An jedem Ende eines Eisenbahnfahrzeuges
(Maschine und Tender werden als Ein Fahrzeug betrachtet, da sie stets mit
einander verkehren miissen) miissen sich elastiscbe Apparate befinden, welche die
die Stosse, die sie bei der Fahrt oder selbst beim Stillstande durch andere an-
fahrende Wagen empfangen,, zu mildern und die Fahrzeuge zu schiitzen haben.
Diese Apparate nennt man Buffer. Sie bestehen im Wesentlichen aus der Buffer-
hlilse a aus Gusseisen oder Schmiedeisen oder auch Stahl, der Bufferstange b
und der Volutfeder (auch Spiralfeder genannt) g, r ist die Bufferscheibe, welche
den Stoss auffangt, c ist ein Ansatz, welclier auf die Bufferhiilse zu sitzen kommt,
wenn die Feder die grosste gestattete Pressung erfahrt, urn sie vor Zerstorung
zu schiitzen, cl ist eine ringformige Scheibe zur Uebertragung des Stosses auf die
Feder, e ist eine Schraubenrnutter, welche dazu dient, urn die Feder zu spannen
Fig. 1322 a. | Fig. 1322 b.
Buffer,
und alle Theile des Buffers zusammen zu halten. Sie ruht auf der Schlussscheibe
/, die sich wieder in einer Nuth der Bufferflansche befindet. Bie Bufferhiilse ist
mit mehreren Schrauben h an der Brust der Fahrzeuge befestigt.
Zugvorrichtung. Jedes Eisenbahnfahrzeug muss an beiden Enden ferner
mit Apparaten versehen sein, um mit anderen Fahrzeugen verbunden werden zu
konnen. Dies sind die Zughaken und die Kuppeln. Im Gebiete des Vereines
deutscher Eisenbahn- Verwaltungen sind die Form und Dimensionen der Zughaken
und Kupplungen, so wie der Stossapparate einheitlich vorgeschrieben , eben so
gewisse Maximal- und Minimalgrenzen gesteckt, damit sowohl jeder Wagen einer
Eisenbahngesellschaft mit jedem Wagen aller anderen Gesellschaften des Vereines
zusammengekuppelt werden kann, als auch alle Fahrzeuge einer Bahn auf sammt-
lichen iibrigen Vereinsbahnen ungehindert passiren konnen.
Am vorderen Ende der Maschine und am rlickwartigen Ende des Tenders
befindet sich nun in der Mitte zwischen den Buffern der Zughaken und daran die
Kupplung, bei den Waggons an beiden Enden.
Die Kupplung besteht in einer kraftigen, schmiedeisernen Schraubenspindel
von 33I,im Durchmesser im Kern, mit rechtem und linkem Gewinde, in der Mitte
mit einem Hebel zum Umdrehen. Die beiden Enden der Spindel greifen in Muttern,
welche Zapfen haben und sich nicht drehen konnen, sodann einerseits in einem
Loche des Zughakens aufgehangt sind, anderseits mittelst eines Biigels in den
Zughaken des zweiten Fahrzeuges eingehangt werden.
Sollen die Fahrzeuge einander genahert werden, so dreht man die Spindel,
noch Einhangen des Kuppelbiigels, mittelst des Hebels so lange herum, bis die
Scheiben der Buffer sich beriihren, oder bei Personenziigen noch fester. Will
man auskuppeln, so schraubt man so lange zuruck, bis man den Biigel leicht
iiber die Spitze des Zughakens heben kann.
96
Eisenbahn (Radbelastung).
Zwischen der Maschine und dem Tender befiuden sich bisweilen auch
Schraubenkuppeln, haufig jedoch auch steife Kupplungen oder solcbe mit Gelenken.
Stets wird die Verbindimg mit starken, verticalen Bolzen (den Reibnageln) hergestellt,
durch deren leicbt zu bewerkstelligende Entfernung die Verbindimg gelost wird.
Ferner sind zwischen Maschine und Tender noch Vorrichtimgen angebracht,
um die Schwankungen zu verringern, indem durch Federn z. B. kleine Buffer vom
Tender an der Brust der Maschine gedriickt werden, oder indem ein Zahn vom
Tender in eine entsprechende Liicke der Maschine greift u. s. w.
Radstand. Die Entfernung der aussersten Achsen eines Fahrzeuges nennt
man den Radstand. Je grosser der Radstand, desto ruhiger geht der Wagen.
Allein bei den Eisenbahnen ist die Grosse durch die Krtimmungen gegeben. Je
kleiner der Halbmesser einer Kriimmung ist, um so kleiner muss der feste Rad-
stand der passirenden Fahrzeuge sein. Bei Flachlandbahnen mit wenigen und
sanften Bogen hat man anstandslos den grossten Radstand, auf Gebirgsbahnen
mit scharfen und haufigen Bogen muss man den Radstand auf das Aeusserste
verkiirzen, da andernfalls der Zugswiderstand allzusehr wachsen, die Fahrzeuge
und die Bahn selbst allzusehr leiden miissten.
Es ist zu empfehlen, fur Bahnen, welche haufig Curven von 250m Radius
haben, den festen Radstand bei Locomotiven nicht tiber 3-5m , bei 400m Radius
nicht iiber 4*7m und bei 600m Radius und dariiber nicht iiber 6'0m zu machen.
Radbelastung und Gewichts-Vertheilung. Im Zusammeuhange
mit dem Radstande steht auch die Belastung der Schienen durch einzelne Rader.
Hier gelten folgende Grundsatze: Zur Verhiitung eines zu grossen Verschleisses
von Radreifen und Schienen sollte kein Rad die Schiene holier belasten als mit
7000 Kg. Gekuppelte Rader sollen moglichst gleich belastet sein. Die Vorder-
achse soil bei dreiachsigen Personenzugsmaschinen mindestens l/4 des Locomotiv-
gewichtes tragen ; ist die Hinterachse Laufachse, so ist derselben nicht unter V5
des Locomotivgewichtes zuzutheilen. Setzt man fur eine Maschine 3 feste Achsen
voraus, so ergibt sich die Lastvertheilung nach Andeutung der Figur 1323 wie
Fiq. 1323. folgt: Bezeichnet a, b, c das auf
die einzelnen Achsen entfallende Be-
lastungsgewicht, d die Summe dieser
Gewichte, m, n die Entfernung der
Achsen von einander, also m -(- n
den Radstand, x die Entfernung des
Schwerpunktes von der Mittelachse,
so ist a x -\- c (m -\- x) z=z b
(n — x), woraus sich wegen d ■=.
cm — dx b n — d x
-\- b -\- c findet : x =
b =
d m m
a =: d — b — c. Sind bestimmte Belastungsgewiehte gegeben, so kann man die
Entfernung m und n bestimmen. Durch den Einfluss der Feder kann die Mittel-
achse auf Kosten der beiden anderen Achsen be- oder entlastet werden, weil ihre
Lage mit der des Schwerpunktes ziemlich nahe zusammenfallt.
Arrangement des Wa-
gens. Nachdem wir die Haupt-
theile des Wagens besprochen,
konnen wir nun zu dem allgemeinen
Arrangement desselben iibergehen,
welches sich je nach der Bestimmung
der Locomotive und nach den Bahn-
verhaltnissen richtet.
Fig. 1324 zeigt eineEilzugs-
locomotive von Crampton, welche
die Triebrader hinter dem Feuer-
Eisenbahn (Allgem. Anordnung).
hasten und die Laufrader vor demselbea hat, die Cylinder liegen in der Mitte dee
Cylinderkessels. Dieses System ist verlassen, indem nach und nach die Eilziige
schwerer wurden und das Adhasionsgewicht der Triebachse in Folge ilirer grossen
Entf'ernung vom Schwerpunkte selir gering ist.
Audi hat es nocli vcrschiedene andere Uebelstande, z. B. einen unruhigen
Gang trotz des grossen Radstandes. Die gebrauchlichste Form der Eilzugsmaschine ist
auf dem europaischen Festlande derzeit auf Bahnen mit Aachen Bogen (Fig. 3 325)
mit der Triebachse vor dem Feuerkasten, eine Laufachse vor und hinter dem
Feuerkasten. Figur 1326 fur Bahnen mit starken Kriimmungen ; beide Laufachsen
vor der Box.
Fig. 1325. TJ £3 Fig. 1326.
Fig. 1327 zeigt eine Schnellzugsmaschine fur amerikanische Bahnen, Trieb-
achse vor der Box und ein drehbares Vordergestell mit vier Radern.
Einen guten Typus fur kraftige Gebirgsmaschinen zum Frachtentransport
zeigt Fig. 1328 mit acht geknppelten Radern, alle vor der Box, die letzte Achse
verschiebbar. ^ iS2S.
<3 Fig. 1327.
Alle diese Maschinen haben aussen liegende Cylinder.
In England haben die meisten Schnellzugslocomotiven innere Cylinder und
die Triebachsen vor dem Feuerkasten ; sie zeichnen sich durch den ruhigen Gang
aus, haben jedoch mehrfach gekropfte Achsen, welche haufiger brechen als gerade.
Fig. 1329 zeigt eine Engerth-
sche Tenderlocomotive mit 2 ge-
kuppelten Achsen und ein em Cy-
linder, welche auf der osterreichi-
schen Staatsbahn for Eilziige und
Personenzlige und selbst Lastziige _ „r
beniitzt werden. ^tJ_j:
Beliebte Typen fiir schwere i >*~/. — i*-=2.
Fig. 1329.
^
r
m
im
Personenziige oder leichte Lastziige sind in den Figuren 1330 und 1331 dargestellt.
Fig. 1330. <U Fi9- 1S3L
Kanoaisch & Heeren, Tec-hnisches Worteibuch Bd. III.
98 Eisenbahn (Bremsen).
Beide Typen liaben vier gekuppelte und zwei Laufrader, und nnterscheiden sich
nur daduch, dass Fig. 1330 alle drei Achsen vor dem Feuerkasten und einen
p. ,090 ^y kurzen Radstand bat, und Fig. 1331 eine Kuppel-
"' ' ' H achse hinter dem Feuerkasten und einen langen
Radstand. Die Cylinder liegen aussen und ho-
/- x ^ rizontal.
\ \~\ ^ ttr gewShnliche Lastziige auf Hiigelland-
f babnen wendet man den Typus Fig. 1336 an.
| yk^^^^^^^z — J_, Sechs Rader gekuppelt, alle vor der Box,
\ ' ':©" A (f) )( f/1 f klemer Radstand, Cylinder aussenliegend, letzte
. V. jy V y VlLV . Acbse borizontal verscbiebbar.
Br em sen der Locomotiven. Die gesteigerten Anforderungen an die
Eisenbahnen in Beziehung auf die Gescbwindigkeit und das Gewicbt der Ziige
bedingten aucb wieder wirksamere Hemmvorrichtungen, und so wurden denn, na-
mentlich in dem letzten Decennium, aucb an den Locomotiven die verscbiedensten
Bremsen angebracht, um dem Fuhrer, weleher die Zugsgescbwindigkeit zu regeln
hat, und der an der Spitze des Zuges eine berannahende Gefahr in den meisten
Fallen zuerst erkennt, ein kraftiges, scbnellwirkendes Mittel an die Hand zu geben,
und dabei das grosse Gewicbt der Locomotive nicht nur fur die Fortscbaffung,
sondern aucb fur die Hemmung des Zuges zu beniltzen.
Nacb der Natur ihrer Wirkung kann man die Bremsen zunacbst eintheilen
in Reibungs- und Compressions-Bremsen. (Vergl. Art. Bremsen H S. 1 bis 13.)
Reibungsbr em sen. Die Reibungsbremsen wirken theils auf den Umfang
der Rader (Radbremsen), tbeils auf die Schienen (Scblittenbremsen), sie werden
theils durch Menschenkraft, theils durch Danrpf in Thatigkeit gesetzt, und haben
durch mechanisehe Einrichtung Reibung zu erzeugen, hiedurch das Bewegungs-
moment der Locomotive zu absorbiren und dasselbe tbeils in Erwarmung der
reibenden Tlieile, theils in mechanisehe Arbeit umzusetzen, durch welche die Zer-
stbrung der reibenden Theile bedingt wird.
Die Radbremsen unterscheiden sich im Principe nicht von den AVagenbremsen
und werden dort behandelt. Man wandte sie zumeist bei Tendermascbinen an,
um einen Ersatz fur die entfallende Tenderbremse zu schaffen. Die Scblitten-
bremsen werden audi durch ein Hebelwerk mittelst Hand oder Dampf auf die
.Schienen gedriickt. Eine recht gute derlei Bremse ist in Fig. 1306 ersichtlich.
P bezeichnet einen kleinen horizontalen Dampfcylinder, welcher mitten unter dem
Langkessel sich befindet. Der Kolben driickt beim Niedergange den Schlitten
</ auf die Schienen, und hebt ihn von den Schienen, wenn er hinaufgeht. Der
Locomotivfiilirer hat nur einen Dampfhahn zu ofthen, um die Bremse wirksam zu
machen.
Compressionsbrems en. Das einfachste und effectvollste Mittel, die
Schnelligkeit einer Locomotive zu massigen, ist die Anwendung des Contradampfes.
Es besteht darin, dass man beim Vorwartsgange der Mascbine die Steuerung auf
den Riiekwartsgang stellt (u. umgekehrt) und Dampf in die Cylinder stromen lasst.
Dies hat aber den Nachtheil, dass die Locomotive in der kiirzesten Zeit
dienstunfahig wird, die Packungen verbrennen und der Kolben nebst Cylinder
durch die aus dem Schornstein und dem Rauchkasten eingesaugten Gase ver-
dorben werden.
Le Ch atelier's Bremsen. Dies hat Le Cb atelier auf den Gedanken
gebracht, vom Kessel aus Wasser und Dampf in den Schornstein stromen zu lassen
und in der That werden durch dieses hochst einfache Mittel die nachtheiligen
Wirkungen des Contradampfes aufgehoben.
Nach den angestellten Versuchen und aufgenommenen Diagrammen ist schon
die Riiekwarsstellung der Steuerung allein ein sehr effectvolles Mittel der Hemmung,
welches durch den Contradampf noch betrachtlich gesteigert wird.
Eisenbahn. 99
Le Chatelier's Brerase hat in Folge dessen audi eine sehr ausgedelmte
Anwendung gefunden.
Repressionsbremsen. Bei den Repressionsbremsen wird die ganze
lebendige Kraft, welche sie absorbiren, in Compression des Dampfes im Kessel
und in Warme umgesetzt. Dies wird dadurch erreicht, dass der Ausgangsregulator
ganz gesclilossen nnd der vor den Kolben gefiihrte Dampf wieder vollstandig in
den Kessel zuriickgefiihrt wird.
Die ausgefiihrten Bremsen dieses Systems sind die von L a n d s e e und Krauss.
Die Repressionsbremse von Landsee ist bei Locomotiven der franzosischen West-
bahn zur Ausfiibrimg gekommen, jene von Krauss bei verschiedenen von ihm ge-
bauten Locomotiven.
Die Zeh'sche Klappe. Diese besteht aus einem im Ausgangsrohre ange-
brachten Drosselventil. Beim Gebrauche dieser Bremse wird die Steuerung auf
einen sehr hohen Expansionsgrad gestellt und die Klappe gesclilossen, so dass
nur ein sehr geringer Querschnitt fur die Ausstromung des Dampfes ertibrigt.
Der Effect derselben ist nicht bedeutend.
Luftdruckbremse von Bergue. Diese Bremse ist an einer Maschine
angebracht, welche die schiefe Ebene von Pecq nach St. Germain befahrt.
Wenn der Regulatorschieber gesclilossen ist/ sind die Cylinder in Verbindung
mit einem Recipienten auf dem Kessel. Der Luftrecipient ist mit einem Sicherheits-
ventil, welches sich bei einem bestimmten Drucke offnet, und mit einem Absperr-
hahn versehen, welcher vom Fiihrerstande aus geoffnet werden kann. Das Dampf-
ausstromungsrohr hat einen Absperrschieber und wird durch den Abschluss desselben
gleichzeitig eine Communication des Schieberkastens mit der atmospharischen Luft
hergestellt. Schliesst man den Regulator und den Schieber im Blasrohre, so werden
die Cylinder von dem Kolben mit dem Recipienten und hinter demselben mit der
atmospharischen Luft in Verbindung gesetzt und die Dampfmaschine in eine Luft-
pumpe verwandelt, welche die angesaugte Luft in den Recipienten driickt und
durch die lebendige Kraft des Zuges in Bewegung gesetzt wird. Die Bremsarbeit
wird durch die Belastung des Ventils regulirt, um ein Gleiten der Rader zu ver-
meiden.
Audi kann der Fiihrer durch den erwahnten Hahn und durch verschiedenes
Auslegen der Steuerung die Bremswirkung variiren.
Alle Umstande erwogen, so kann mit den Repressionsbremsen,, welche iiberdies
complicirt sind, und mit der gleichfalls complicirten Luftdruckbremse von Bergue
ein wirksamerer Bremseffect nicht erzielt werden als mit den so viel einfacheren
Contradampfbremsen und ist eine allgemeine Anwendung derselben in der Zukunft
nicht anzunehmen.
Schnellbremsen. Unter Schnellbremsen sind solche Bremsen verstanden,
bei welchen die Bremskraft von der Locomotive auf den Tender und die Wagen
des Zuges ubertragen werden kann, so dass gleichzeitig alle Fahrzeuge eines
Zuges durch den Locomotiv fiihrer gebremst werden konnen.
Bremse vonRaux. Schon vor mehr als 20 Jahren hat A. Raux eine
solche Bremse construirt; unter der Locomotive, dem Tender und den Wagen
waren kleine Cylinder mit doppelten Kolben angebracht, welche direct mit den
gegen die Rader wirkenden Bremsklotzen in Verbindung standen. Nach diesen
Cylindern fiihrte vom Locomotivkessel aus eine flexible Rokre, und wenn durch
dieselbe der Kesseldampf in die Cylinder, und zwar zwischen die Kolben trat, so
gingen letztere aus einander und bewirkten das Anpressen der Klotze gegen die
Rader.
Bremse von Barker. Im Jahre 1871 fiihrte Barker auf der Great-
Eastern-Bahn in England einen Bremsapparat aus, bei dem Wasser zur Druck-
iibertragung verwendet wird. An der Locomotive ist ein Accumulator angebracht,
welcher voll Wasser gepumpt wird, und von dem aus jeden Moment die hydrau-
100 Eisenbahn (Bremsen).
lischen Presseu in Thatigkeit gesetzt werden konnen, welche die Bremsen des
Zuges anziehen. Dieser Bremsapparat soil nocb im Gebrauch sein.
Brenise von Heberlein. In demselben Jahre fiihrte nacb langeren
Versuchen Heberlein eine Sclmellbreinse auf der bayerischen Staatsbabn aus,
bei welch er das Bewegnngsmoment des Fahrzeuges selbst zur Bremsung beniitzt
wird, nnd die so eingerichtet ist, dass sie, wenn ausgelost, automatisch wirkt.
Sie kann sowohl vom Loconiotivfiilirer, als auch von den anderen Zngsbe-
gleitern in Thatigkeit gesetzt werden, und werden sodann die Rader der Loco-
motive, des Tenders und der Wagen gleichzeitig gebrerast. Die Bremse des Tenders
kann ausserdeni, wie gewohnlich, vom Heizer bedient werden.
Soil der ganze Zug gebremst werden, so wird mittelst einer Leine eine
Knagge zuruckgedriickt, worauf eine Frictionsscheibe auf eine Rolle fallt, die sich
auf einer Locomotivachse befindet. Die Frictionsscheibe dreht sich um und auf
ihr wickeln sich Ketten auf, welche die Bremsstangen so in Bewegung setzen,
dass die Klotze an die Rader gedriickt werden. Die Bremse wirkt momentan
und energisch. Tritt eine Zugstorung ein, so werden in Folge des Reissens der Zug-
leine die Bremsen in Thatigkeit gesetzt und verhindern so einen erheblichen Unfall.
Westingho use's Bremse. Eine pneumatische Schnellbremse ist die in
Nordamerika sehr verbreitete und auch in England eingefiihrte W e s t i n g h o u s e-
Bremse. Auf der Locomotive befindet sich eine separate kleine Dampfmaschine,
welche eine Luft-Compressionspumpe betreibt, von der ein unter dem Fuhrerstande
liegendes Reservoir von circa V3 Cub. -Met. Inhalt mit comprimirter Luft gefiillt wird.
Unter dem Tender und den Wagen des Zuges befinden sich 2 Luftrohren,
welche mit diesem Reservoir communiciren. Zwischen diesen Rohren und dem
Reservoir ist ein Dreiwegehahn eingeschaltet, durch welchen die Luftrohren mit
der Atmosphare oder mit dem Reservoir verbunden werden konnen. Zwischen
den Fahrzeugen sind die Luftrohren mittelst elastischer Scklauche und einer Metall-
kupplung nach Art des Bajonnetverschlusses (s. I S. 279) in Verbindung gebracht.
In jeder Kupplungshalfte befindet sich ein Ventil und die Fiihrungsspindeln
beider Ventile einer Kupplung stossen bei geschlossener Kupplung zusammen und
halten die Ventile geoflhet.
Ist die Kupplung getrennt oder reisst der Zug, so schliessen sich sofort die
Ventile und die comprimirte Luft kann nicht entweichen.
Aus den Luftrohren gelangt comprimirte Luft durch Zweigrohren und einen
Ventilkorper zu den Bremscylindern. In dem Ventilkorper ist ein nach beiden
Richtungen schliessendes Doppelventil, welches gewohnlich in der mittleren Lage
sich befindet, so dass beide Luftrohren geoffnet sind und sich in ihnen die gleiche
Spannung befindet. Wird das Gleichgewicht gestort, so schliesst das Ventil ein
Rohr und es tritt nur aus dem anderen Rohr Luft in den Bremscylinder ein. Die
comprimirte Luft treibt den Kolben vorwarts, und da die Kolbenstange direct auf
den Bremshebel wirkt, so tritt die Bremse sofort in Thatigkeit. Jede vorhandene
Bremse lasst sich als Luftbremse einrichten, und kann dabei noch separat durch
den gewohnlichen Bremser bedient werden.
Die pneumatische Bremse ist ganz in die Hand des Locomotivfuhrers gelegt,
der einen Manometer bei sich hat, welcher ihm stets den Druck im Reservoir
anzeigt und nach dem er den Gang der Compressionspumpe regulirt.
Die Erfolge dieser Construction sind giinstig und die grosse Verbreitung
spricht auch fiir die Westinghouse'sche Bremse trotz des ziemlich complicirten
Mechanismus.
Smith's Vacuumbremse. Diese Bremse beruht auf der ansaugenden
Wirkung des Dampfstrahls, der mittelst eines sehr einfachen sogenannten Ejectors
die Luft aus elastischen Cylindern heraussaugt, die sich nur nach der Langs-
richtung zusammenziehen konnen.
Der aussere Luftdruck bewirkt ein Zusammenklappen der Cylinder, und diese
Bewegung wird mittelst an den Cylinderdeckeln vorhandenen Stangen und Hebeln
auf die Bremsklotze tibertragen.
Eisenbahn (Besonclere Locom.-Syst.). 101
Die Lasting der Bremsen bewirkt der Locomotivflihrer durch Oeffnung eines
hiezu bestiinmten Lufteintrittventils. Der Locomotiv-Superintendent H. Stirling
von der Great-Northern Bahn hat, wie auch andere Ingenieure, das System
Smith zu vervollkommnen gesucht, da dasselbe fur den Fall einer Zugstrennung
nicht vorsorgt. Die Einfachheit desselben lassen ihm nnr den besten Erfolg
wiinschen.
Die osterreichische Siidbahn hat es im Winter 1876 — 1877 probeweise ein-
gefiihrt.
Sandstreuapparat. Bei nebelfeuchten oder bethauten Schienen, oder
bei nassem Schneewetter, oder auch dann, wenn die Schienen durch Fett, Letten
u. dgl. verunreinigt sind, wird die Adhasion sehr gering und es tritt das sogenannte
Gleiten, Schleifen, Umhauen oder Trommeln der Rader ein. Dies besteht darin,
dass sich die Rader der Maschine sehr schnell umdrehen, ohne ihren Platz zu
verlassen.
Diese Erscheinung ist gleich nachtheilig fur die Schienen, wie fur die Ban-
dagen und den ganzen Mechanismus, abgesehen von der storenden Wirkung auf
den Zugsverkehr durch starke VerspStungen. Um dieses Gleiten nioglichst hint-
anzuhalten, muss die Reibung kiinstlich vergrossert werden, und dieses geschieht
durch den Locomotivfiihrer, indem er einen stets auf der Maschine befindlichen
Kasten voll Sand offnet und einen Sandstrahl auf die Schienen fallen lasst.
Fiir Gebirgsbahnen und im Winter ist das Sandstreuen ein nothwendiges
Uebel, denn die Schienen und Bandagen werden dadurch sehr angegriffen.
Reinigen der Schienen durch heisses Wasser. Man hat ver-
sucht, um diese Nachtheile zu beseitigen, die Schienen durch Bespritzen mit
heissem Wasser aus dem Kessel zu trocknen und zu reinigen, und die Versuche
versprechen einen guten Erfolg.
Doch sind dabei noch manche praktische Schwierigkeiten zu tiberwinden,
ehe dieses Verfahren allgemein werden kann.
Besondere Systenie der Maschinen. Um zur Erzielung eines ruhigen Ganges
einen langen Radstand niachen und doch scharfe Curven anstandslos durchfahren zu konnen,
geben die Anierikaner ihren Locornotiven ein drehbares Vordergestell, wie bereits wiederholt
envahnt. Wenn aber alle Achsen gekuppelt sind, so ist die Anwendung desselben nicht moglich.
System Krauss. Dieses besteht in der Anwendung vierradriger oder sechsradriger
T endermaschinen einfachster Construction, alle Rader gekuppelt. Aussen Cylinder, der Rahmeu,
welcher zwischeri den Radern liegt, wird durch den Wassei-kasten gebildet, die Steuerung liegt
aussen. Diese Maschinen haben ein gutes Aussehen und sind fiir gewisse Zwecke sehr
empfehlenswerth.
System Fair lie. Fair lie hat zu diesem Behufe bei seiner Gebirgsrnas chine einen
sehr grossen Kessel angewendet, namlich in der Mitte des Kessels den Feuerkasten, dann
zwei cylindrische Kessel, zwei Rauchkasten und zwei Schornsteine angewendet, und unter
diesem Einen Doppelkessel und zwei drehbare Gestelle, jedes mit separaten zwei Cylindern
und separater Steuerung angeordnet. Jedes Gestell hat nun nach Bedarf zwei oder drei ge-
kuppelte Achsen.
Wir haben es somit eigentlich mit zwei Locornotiven zu thun, welche nur einen ge-
meinsamen Kessel haben. Mit zwei getrennten Tenderlocomotiven kann man dasselbe erreicheu,
und hat dies noch den Vortheil, dass eine Locomotive Dienst machen kann, wenn die andere
in Reparatur steht.
Solche Zwillingstendermaschinen mit je zwei gekuppelten Achsen werden seit zwei De-
cennien auf der schiefen Ebene von Giovi mit sehr gutem Erfolge beniitzt, diese Maschinen
wurden in Seraing erbaut und haben Schlittenbremsen.
System Nowotny. Nowotny in Dresden hat eine Eilzugsmaschine fiir starke
Steigung construirt, bei welcher zwei Achsen gekuppelt sind ; die vordere Achse ist Laufachse
und drehbar, zugleich so eingerichtet, dass sie sich in den Geraden normal stellt, in Bogen
der Kriimmung anschmiegt.
Dieses System hat den Vortheil v'or Drehgestellen mit zwei Achsen, dass die vordere
Achse besser belastet ist und das Fahrzeug eine grossere Stabilitat besitzt.
102 Eisenbahn.
System Sturrock. Der Ingenieur Archibald Sturrock hatte die Idee, den
Schlepptender mit Cylindern zu versehen und die Rader zu kuppeln, urn die Leistungsfahigkeit
der Locomotive zu erhohen. Der Dampf fiir die Tendercylinder wird vom Locomotivkessel
entnommen und warmt das Tenderwasser vor. Auf flachen Strecken wird ohne Zuliilfenahme
der motorischen Kraft des Tenders gefahren.
Der Director der Grande central beige, Maurice Urban inLSwen, fuhrte neue solche
Locomotiven aus, und auf einigen englischen Bahnen wurden a'ltere Locomotiven mit Motor-
tendern versehen. Man soil damit zufrieden sein.
System Petiet. Auch die Locomotive von Petiet ist eine Zwillingstenderlocomotive
mit zwei drehbaren Gestellen, jedes mit sechs gekuppelten Radern und jedes mit zwei Cy-
lindern. Die Eigenthiimlichkeit liegt in dem Roste, welcher iiber dem Rahmen liegt, wodurch
es moglich war, ihm eine lichte Breite von l-8m und eine Flache von 3-33D™ zu geben. Die
grosse Breite der Feuerkiste gestattete die Anwendung eines sehr weiten Cylinderkessels
und sehr vieler Rbhren; ferner hat Petiet ebenfalls an seinem Kessel noch ein separates,
sehr grosses Dampfreservoir (circa 30 Cylinderfullungen) angebracht, durch welches die heissen
Verbrennungsgase in Rohren streichen und den Dampf trocknen. Die Leistungsfahigkeit dieser
Maschine ist uniibertroffen, der asthetische Eindruck derselben ist jedoch kein giinstiger, sie
hat ein gar zu mammuthartiges Aussehen.
System Fran9ois. Den Gegensatz zu diesem Colosse bildet die Rangirmaschine
mit verticalem Kessel, welche vom Ingenieur Nicolas Francois in Seraing fur den Dienst
in dem ausgedehnten Etablissement mit sehr gutem Erfolge angewendet und von da aus ver-
breitet wurde. Zugsleistung 90 Tonnen Brutto auf der Horizontalen bei einem Dienstgewieht
von 7-5 Tonnen.
System Fell. Alle anderen Locomotivsysteme mit gewohnlicher Adhasion fallen mit
den crwalmten zusammen. Es gibt jedoch noch einige interessante Systeme, welche bei Se-
cundar- oder Bergbahnen mit Erfolg angewendet wurden oder noch werden, welche sich von
den vorigen dadurch unterscheiden, dass bei ihnen ausser der naturlichen noch eine kiinstliche
Adhasion zur Anwendung kam.
Das erste war das System Fell, es kam bei der Durchtunnelung des Mont-Cenis auf
der gewohnlichen Strasse mit Steigungen von 1 : 13 in Anwendung.
Das Wesen dieses Systems beruht auf der Anwendung einer erhohten Mittelschiene
(untcr Beibehaltung der gewohnlichen Aussenschienen), welche beiderseits zwei Horizontal-
rollen angreift, welche durch die Maschine gleichzeitig mit den Triebradern in Rotation ver-
setzt und an die Mittelschiene angepresst werden konnen. *)
System Rig gen bach. Das System Riggenbach, welches zuerst auf der weltbe-
riihmten Rigibahn zur Ausfiihrung gelangte, hat zwischen den Schienen eine Zahnstange, in
welche ein auf der Triebachse festsitzendes, gewohnlicb.es Zahnrad eingreift. Es eignet sich
nur fiir geringe Gesclnvindigkeiten, hat sich aber fiir diese seit Jahren bewa'krt, indem die Rigi-
baltn Steigungen von 1:4 zu iiberwinden hat.
System Wetli. Dieses besteht in der Anwendung eines Schraubenrades bei der
Locomotive, dessen Gewinde sich an, zwischen den Langs-Schienen liegende, gegen das
Bahnmittel entsprcchend geneigte Schienen stiitzen und durch dessen Rotationen dann die
Maschine nnd der Train bergan bewegt werden. Dieses System ist sehr complicirt und in
der Ausfiihrung kostspielig. Eben so diix-fte sich auch der Betrieb in Folge der theueren
Bahnerhaltung kostspielig gestalten.
Im Herbste 1876 wurde die Streeke Wadenswyl-Einsiedeln bei Zurich zur Probe be-
fahren, bei der Thalfahrt der zweiten Probe war die Locomotive nicht zu halten und es er-
folgte eine schreckliche Katastrophe, bei welcher mehrere angesehene Personen das Leben
verloren.
III. Maschine. Der dritte Haupttheil jeder Locomotive ist die Maschine,
d. i. jener Theil, welcher den Dampf zur Umdrehung der Rader nutzbar macht.
Wenn auch schon Stephenson eine Locomotive mit drei Cylindern, Ha swell
* ) Sielie E i s e n b a h n S. 71
Eisenbahn (Locomotive, Mascbine). 103
eine Schnellzugslocomotive mit vier Cylindern gebaut hat, wenn audi in neuester
Zeit eine Locomotive mit vier Cylindern nach Woolfschem Dampfmaschinen-
system construirt wurde, so sind dies doch nur vereinzelnte Falle, und man kann
sagen, dass derzeit jede Locomotivmaschine eine Dampfmaschine mit Hochdruck,
mit variabler Expansion und mit Vor-und Riickwartsgang ist, mit 2 Cylindern,
welche auf die Triebacbse unter 90 Grad wirken, d. b. steht die Kurbel der einen
Mascbine auf einem todten Punkte, so ist die Kurbel tier anderen Maschine um
90 Grad voraus und stebt senkrecht.
Derzeit baut man alle Locomotiven mit horizontalen Cylindern, ob dieselben
nun innerhalb oder ausserbalb der Rader liegen, und ist das Bestreben aller Con-
structionen dabin gericbtet, alle Tbeile so einfacb, als nur moglich, anzuwenden
und Reparaturen moglicbst zu vermeiden oder dieselben wenigstens zu erleicbtern.
Man bat alle, nur einigermassen complicirten Constructionen, z. B. Kirch-
weger'sche Condensation, die Steuerungen mit 2 Schiebern, die Pumpen mit
Kolben u. s. w. verlassen, um einfacbe Mecbanismen zu erhalten, und was man dabei
allenfalls an Brennstoff zusetzen sollte, wird wieder eingebracht, indem man
Dampf von bober Spannung verwendet. 10 Atmospbaren Kesseldruck ist jetzt
scbon etwas Gewohnliches, in Amerika, in England und in der Schweiz Avendet
man jetzt (1877) seit mehreren Jahren scbon Dampf von 13 und selbst 15 Atmo-
spbaren Spannung an, und bei dem Fortschritte der Industrie ist man wobl nocb
nicht an der Grenze angelangt. Die Amerikaner spannen selbst bei ibren stabilen
Dampfmascbinen die Kessel bis 10 — 12 Atmospbaren und die Rohrenkessel fitr
stabile Dampfmascbinen von Belleville, Root, Howard u. dgl. werden auf
20 Atmospbaren Dampfdruck geprlift, und wer wollte bebaupten, dass wir nun
plotzlick stehen bleiben und nicht mebr fortscbreiten werden*?
Geben wir jedoch zur Beschreibung der Mascbine iiber.
Wie gesagt, ist die Locomotivmaschine eine horizontale rlochdruck-Zwillings-
dampfmaschine mit variabler Expansion ohne Condensation, wobei die Triebachse
mit den Triebradern an die Stelle der Scbwungradachse tritt.
Die Figuren 1333 a und b stellen einen sehr verbreiteten Typus fitr eine
Schnellzugslocomotive dar. Diese hat alle drei Achsen vor dem Feuerkasten, die erste
Achse ist Laufachse, die zweite ist Triebachse und die dritte Achse ist gekuppelt.
Der Rabmen A liegt ausserbalb der Rader, die Federn der letzteren zwei Achsen
sind durch einen Balancier verbunden.
Aucb die S tephenson'sche Steuerung liegt hier ausserhalb der Rader und
des Rahmens, und ist somit leicbt zuganglich. Wir wollen zunachst den Dampf
auf seinem Wege begleiten. Der Dampf befindet sich, wie bekannt, im Obertbeile
des Kessels. Vom Dome D stromt derselbe in der Richtung des Pfeiles in das
offene Rohr zum Regulator B, von da bei geoffnetem Regulatorscbieber durch die
Einstromungsrohren in die Schieberkasten der Cylinder bei w. Der Vertbeilungs-
schieber v lasst ihn nun bald durch den Kanal y in den Vordertheil des Cylinders C
treten, bald durch den Kanal x in den riickwartigen Theil, und von da tritt er
nach vollzogener Arbeit durch die Kanale und die Hohlung des Scbiebers in den
Ausstromungskanal u, von da durch das im Rauchkasten L befindliche Aus-
stromungsrohr nach der Richtung des Pfeiles in den Rauchfang L' und durch den
Funkenfanger, recte Funkenloscher T in's Freie. Der Theil X des Rauchfanges
heisst der Mantel. Der Raum zwischen Mantel nnd cylindrischem Rauchfang fiillt
sich mit kleinen Kohlentheilchen und soil ofter gereinigt werden.
Die Mascbine ist im Vorwartsgange dargestellt. In dem durcbschnittenen
Cylinder C driickt nun der Dampf (im Momente der Darstellung nur mittelst der
Expansion) auf den Kolben, schiebt denselben zuritck. Die Kolbenstange d schiebt
den Kreuzkopf zwischen seiner Parallelfiibrung gleichfalls zuriick und diese gerad-
linige Bewegung wird durch die Pleuelstange b (audi Leit- und Fltigelstange ge-
nannt) und die Kurbel k in eine rotirende verwandelt und das Triebrad R, so wie
vermittetst der Kuppelstange c das Kuppelrad R% resp. die beiden Achsen a der-
selben, gedreht.
104
Eisenbahn (Steuerung).
Auf der zweiten
Seite der Maschine geht
dasselbe vor; nur sind
die Kurbeln um 90 Grad
versetzt und stehen jetzt
auf dem rtickwartigen,
todten Punkte, d. b. ho-
rizontal uach riickwarts,
wahrend auf der sicht-
baren Seite die Kurbeln
vertical nach ab warts
stehen. Hinter demKol-
ben auf der sichtbaren
Seite ist im Cylinder
Compression; derSchie-
ber bat den Kanal x
bereits geschlossen und
die Ausstrornung unter-
brochen, in der nachsten
Periode offnet er wieder
^ den Kanal x, bevor der
^ Kolben ganz auf dem
£g todten Punkte steht,
°° undlasstfrischenDampf
® aus dem Schieberkasten
hinter den Kolben tre-
ten , denselben weiter
nach vorwarts treibend,
der nun auf die Kurbel
ziehend wirkt.
Steuerung. Die
Steuerung ist der wich-
tigste Theil, so zu sa-
gen, die Seele der Ma-
schine. Durch sie wird
der Schieber so bewegt,
dass er den Dampf nach
Bedarf vor und hinter
den Kolben treten lasst;
ferner ihm gestattet, zur
richtigen Zeit aus dem
Cylinder zu treten. Wir
wollen mit Hilfe der
Figuren 1333 a und b
mit kurzen Worten dem Leser ein Bild geben, auf welche Art diese Wirkung
hervorgebracht wird.
Es befinden sich auf der Triebachse fur jede Seite der Maschine zwei Kreis-
Scheiben E, E} deren Mittel jedoch nicht mit dem Mittel der Achse zusammen
fallt, sondern welche excentrisch aufgekeilt sind. Um diese Excenter E,E herum
geht je ein Ring, welcher sich auf einer Seite in eine Stange fortsetzt, die Ex-
centerstangen E', E\ welche wieder direct oder mittelst eines Hebels auf die
Schieberstange 0 wirken, welche mit dem Schieber v verbunden ist.
Dreht sich die Triebachse, so werden die Excenterstangen und mit ihr die
Schieberstange und der Schieber hin- und hergezogen. Je grosser der Abstand
des Mittels der Triebachse von dem Mittel der excentrischen Scheiben, also ndie
Eisenbahn.
105
Excentricitat" ist, desto
grosser ist der Weg,
welchen der Scbieber zu-
riicklegt. Soil die Trieb-
achse oder bei einer
stabilenDampfmaschine
die Schwungradwelle
sicb stets nur nach einer
Richtung umdreken, so
geniigt ein einziges Ex-
ceiiter, 11m den Scbieber
so zu bewegeu, dass
ein regelmassiger Gang
der Mascbine eintritt.*)
Die Excentricitat
muss in diesem Falle
bei einem Scbieber ohne
Ueberlappung der Kur-
bel . um 90° vorausge-
hen, bei den Schiebern
mit Ueberlappung, wel-
che fast ausnahrnslos
im Gebraucb sind, aber
um 10—30° mehr, d. b.
um 100—120°.
Diese Differenz
der angewendeten Win-
kel gegen den recbten
Winkel heisst die Vor-
eilung unci der entspre-
chende Winkel der Vor-
eilungswinkel.
Soil die Maschine
aber aucb in entgegen-
gesetztem Sinne arbei-
ten? so ist, wie bei den
Locomotiven, noch ein
zweites Excenter notbig,
welches wieder beim
Riickwartsgange derMa-
schine zu arbeiten hat
und welches gleichfalls
um ein en gewissen Win-
kel (100-120°) der Kur-
bel vorausgehen muss,
wenn diese in entgegengesetzter Richtung bewegt wird.
Das erst erwahnte nennt man das Vorwarts-, das letztere das Riick-
warts- Excenter. In der Figur 1333 a und b ist das Excenter, dessen Stange
nach oben geneigt zu m geht, das Vorwarts- und das ein wenig nach abwarts ge-
neigte, zu n gehende, das Riickwarts-Excenter.
Wahrend man bei den altesten Locomotiven die Excenterstangen direct mit den
Schieberstangen in e:ne durch den Locomotivflihrer jederzeit leicbt auslosbare und
wieder herznstellende Verbindung brachte (Gabelsteuerung), sind seit 1843 die
Enden m und n der Excenterstaneren mit den Enclen der soffenannten Coulisse
f) Vergl. Art. Dampfmaschine II S. 560 etc.
106 Eisenbahn (Steuerung).
gleiten oder des Schleifbogens verbunden, in welchem ein Backen auf- und
niederkann, an dem die Schieberstange befestigt ist (Coulissensteuerung). Je mehr
der Coulissenbacken sich dem AngrifFspunkte der beiden Excenter nahert, desto
grosser wird der Weg des Scbiebers.
Aucb wenn der Backen in der Mitte der Coulisse sicb befindet, macbt der
Schieber noch eine, aber so kleine Bewegnng, dass die Maschine dabei nicbt aus
der Rube kommt.
Bei der Gabelsteuerung tritt immer gleichviel Dampf in die Cylinder, man
hat dabei constante Expansion; bei der Coulissensteuerung bat man eine in
weiten Grenzen variable Expansion; je naher der Backen der Mitte der Coulisse
ist, desto grosser ist die Expansion.
Geleitet wird die Steuerung vom Locomotivfiihrer, welcher am Feuerkasten
seinen Standort bat, indem er die Steuerungsvvelle dreht. Diese liegt vor dem
Triebrade ziemlicb tief, neben q. Mehrere Hebel sitzen auf ihr und werden mit
ihr gedreht. Legt nun der Fiihrer den aufrecbt stehenden Hebel am Steuerungs-
bogen (Reversirbebel) nach vom, so senkt sich der Hebel q, durch Ver-
mittlung der langen Zugstange, desgleichen das mit q verbundene Hangeisen und
die Coulisse, und der Backen kommt dem oberen Ende der Coulisse so nahe, als
moglich, der Schieber macht den grossten Weg, der Cylinder bekommt die grosste
Quantitat Dampf und die Maschine kann die grosste Kraft im Vorwartsgange ent-
wickeln.
Zieht der Fiihrer den Reversirbebel in seine ausserste Stellung nach hinten,
so wird die Coulisse gehoben, der Backen kommt dem unteren Ende der Coulisse
zunachst zu stehen, die Maschine arbeitet mit Riickwartsgang, mit grosster Dampf-
fiillung und geringster Expansion. Zwischen diesen beiden Extremen liegen sehr
viele Variationen.
Steht der Reversirbebel auf der Mitte, so bleibt die Maschine in Rube.
Es ist eine grosse Anzahl den sinnreichsten Constructionen fur die Steuerung
der Locomotive erdacht; die bekanntesten sind die von Stephenson, Gooch,
Allan, Heu singer von W aid egg mit Ein em Schieber, dann die von Gon-
z en bach, Meyer, Polonceau mit 2 Schiebern, welche letzteren man wohl
nicht mehr anwendet, da man die moglichste Einfachheit in Allem und Jedem
anstrebt.
Es ist theoretisch nachgewiesen , dass man mit der Stephenson'schen
Steuerung bei richtiger Ausmittlung aller Dimensionen alle jene Vortheile erreichen
kann, welche von cLen anderen geriihmt werden.*)
Man hat aucb. Steuerungen mit nur Ein em Excenter fiir den Vor- und
Riickwartsgang construirt, z. B. Fink, Watzka, Hack worth u. a., allein die-
selben sind wohl iuteressant, aber haben versehiedene Nachtheile, welche ihrer
Verbreitung hindernd in den Weg treten. Der Schieber ist in der Regel ein ge-
wbhnlicher Muschelschieber, welcher bei seinem mittleren Stande die beiden Ein-
stromungskanale so iiberdeckt, dass sowohl aussen als audi innen ein Uebergreifen
stattfindet. Man kann im Allgemeinen sagen, dass je grosser die aussere Ueber-
lappung ist, eine desto grossere Expansion mit dem Schieber erreicht werden kann.
Die innere Ueberlappung ist weniger wesentlich, sie hat nur eine grossere
oder eine geringere Compression des Dampfes im Cylinder zu Folge, welche er-
wiesener Massen auf den Dampf-, resp. Kohlenverbrauch von wenig merkbarem
Einflusse ist.
Vergleichen wir die verschiedenen Stellungen des Kolbens und des Scbiebers
und die Fnnctionen des Dampfes mit Zuhilfenahme der Figuren 1334 a und b,
welche in acht Stellungen einen Vertheilungsscldeber zeigen, der bei 3/4 des Kolben-
hubes absperrt. Ueber jeder einzelnen Schieberstellung ist der Stand des
Kolbens im Cylinder, unter jeder der Stand des Scbiebers auf seinem Wege
bezeiclmet.
f;) Vergleiobe: Zeuuer, die Schieliersteuerungeii, 3. Auflage, Freiberg 1862.
Eisenbahn.
107
und der Dampfwege sind etwa die folgenden:
Fig. 1334 a.
Die Verhaltnisse des Schiebers
1st 0 die Lange der Ein-
strbmungskanale, so ist die
Lange der Stege zwischen
Einstrbmungs- nnd Ausstrb-
mungskanal b=.3/i0 (o u. b
in der Richtung der Schie-
berbewegung geniessen).
Lange des Ausstrb-
niungskanals zzz 2 '/4 0, Lan-
ge der ausseren Ueberdek-
kung = 0, Liinge des Schie-
bers im Lichten — 33/40,
Lange des Schieberhubes
== 4 . 0. Eine innere Ueber-
lappung ist nicht vorhanden.
Fig. 1334 a zeigt fol-
gende vier Stellnngen von
Kolben und Scliieber.
1. Kolben oben ; Schie-
ber im Begriff, die obere
Einstrbmiing zu bffnen, un-
tere Einstromung mit der
Ausstrbmung in Verbindung.
2. Kolben bat 1/i seines
Hubes nach unten durch-
laufen, obere Einstromung
ganz bffnen, untere Einstro-
mung mit der Ausstrbmung
inVerbindung7 Schieber nach
unten ganz ausgeschoben.
3. Der Kolben hat 3/4
seines Weges zuriickgelegt.
sen, Beginn der Expansion,
untere Einstromung noch mit
der Ausstrbmung in Verbin-
dung.
4. Der Kolben hat 1?/16 seines Weges durchlaufen, die Expansion hat bis
jetzt gedauert, beim Fortriicken des Kolbens und des Schiebers, und beginnt die
Ausstrbmung — die untere Einstromung ist ausser Verbindnug mit der Ausstrb-
mung getreten. Beginn der Compression.
Fig. 1334 b zeigt die den vorigen Punkten entsprechenden Schieberstellungen
beim Aufsteigen des Kolbens.
5. Der Kolben ist unten angelangt und beginnt aufzusteigen, der Schieber
ist im Begriffe, die untere Einstromung zu bflhen und der Compression ein Ende
zu machen, die obere Einstromung mit der Ausstrbmung in Verbindung.
6. Unten Einstromung, oben Ausstrbmung, der Kolben hat ]/4 seines Weges
gemacht, der Scliieber am Ende seines Hubes.
7. Unten Beginn der Expansion, oben Ausstrbmung, Kolben hat 3/4 des
Weges gemacht.
8. Unten Expansion und Beginn der Ausstrbmung, oben Beginn der Com-
pression, der Kolben hat 15/,0 seines Schubes vollendet.
Wiirde der Schieber einc innere Ueberdeckung hciben, so musste die Compression frifher
beginnen, und da an der ausseren Ueberdeckung sich nichts andert, so miisste die Compression
langer dauern.
st-f
1'
II
108 Eisenbalm (Steuerungstheile).
Man hat Locomotiven mit innerer Ueberdeckung von mehr als 2/. 0 gemacht, ohne im
Gange der Maschine oder im Koblenverbrauche eine Aenderung zu merken.
Dies komnit einerseits daher, weil auch die Dauer der Expansion mit der inneren Ueber-
deckung zunimmt nnd Compression und Expansion sick gegenseitig coinpensiren mogen ; ferner
die Einstromungskanale nnd die kleinen Zwischenraume zwischen Kolben nnd Cylinderdeckel,
welche nothig sind, nm das Zertriimmerh der Cylinderdeckel zu verhindern , mussen von
vornberein mit Dampf gefiillt werden, was immer eine gewisse, wenn aucb noch so kleine Zeit
erfordert; sie bilden die schadlichen Raume, der dort befindliche Dampf wird nnr bei der
Expansion ausgeniitzt. Compression fiillt diese Raume mit Dampf, kann daher Dampf ersparen.
Wird der Weg des Schiebers verkleinert, so endet die Einstromung friiher und die Ex-
pansion beginnt friiher. Je nacb der Witterung und den Steigungsverhaltnissen der Bahu wird
der Locomotivfiibrer die Steuerung so stellen, dass er den Dampf durch die Expansion moglichst
ausniitzt.
Bei boben Expansionsgraden wird dann der Einstromungskanal zu wenig gebffhet, und
es kann zu wenig Dampf ausstromen, resp. derselbe wird zu sebr gedrosselt. Um die davon
berriibrenden Nachtheile aufzuheben, wendet man Schieber an, welche um die •Muschel berum
einen Kanal haben, so dass aucb durch den Kanal des Schiebers Dampf aus dem Schieber-
kasten in den Einstromungskanal gelangen kanu. (Trick's Kanalschieber.)
Diese Schieber haben aber den Naehtneil. dass sie bei einiger Abniitzung leicht brechen
und dass die Brucbstiicke in den Cylinder gelangen und eine Zertriimmerung der Cylinder-
deckel herbeifiihren konnen.
Schieber gesicbt. Der Theil des Cylinders im Schieberkasten, auf welchem der
Schieber gleitet, heisst das Schiebergesicht, es muss wegen seiner unausbleiblicben Abniitzung
etwas hervorragen und so eingerichtet sein, dass man mit leichter Miihe bei fortgescbrittener
Abniitzung ein neues Schiebergesicht einsetzen kann. Dies pflegt man dann aus Stahl zu
macben. Die Cylinder werden derzeit ausnahmslos aus Gusseisen gemacht. Die Schieber in
der Regel aus Bronce, baufig auf den Gleitflachen mit einer Legirung von Zinn und Kupfer
(80 % Zinn, 20 % Kupfer) gefiittert.
Alle anderen Tbeile der Steuerung, Welle, Excenterstange, Zugstange, Hangeeisen,
Reversirhebel, Coulisse, Backer], Schieberstange, Bolzen macbt man von Stahl oder Schmied-
eisen, welches letztere man sodann aber auf der Oberflache durch Cementiren anstahlt und
hartet. Nur die Excenterringe werden von Bronce gemacht oder mit Bronce oder einer Le-
girung ausgefiittert.
Zu alien Tbeilen der Locomotive ist das beste Material zu wahlen, es erweist sich
dieses mit der Zeit immer als das billigste.
In dem Bessemerstahl bat man ein Material gefunden, welches mit trefflicher Be-
schaffenheit den Yorzug eines niedrigen Preises vereinigt.
Reversirhebel. Der Reversirhebel, von welchem die Rede war, ist ein
langer Hebel, welcher sich um eiuen Punkt in einem gewissen Winkel dreht, seine
Bewegung erfolgt von Hand aus. Er muss an verschiedenen Punkten fixirt werden
konnen. Dies geschieht durch Eingreifen eines bewcglichen Zahnes in die ent-
prechenden Liicken eines Kreisbogens an seinem Stander, dem sogenanten Steuerungs-
bock, welcher bei dem Fiihrerstande am Locomotivrahmen verschraubt ist. Die
Zugstange, welche die Steueruugswelle drehen kann, greift so am Reversirhebel
an, dass eine zwei- bis dreifache Uebersetzung vorhanden ist.
Bei den jetzt tiblicheu grossen Maschinen und dem hohen Dampfdrucke er-
leichtert man dem Fiilirer die Arbeit dadurch, dass der Hebel durch eine Schraube
oder durch eine Combination von Hebel und Schraube ersetzt wird.
R e g u 1 a t o r. Der Locomotivfiihrer muss von seinem Stande aus natiirlich
die Maschine in und ausser Tha'tigkeit bringen konnen,- und es ist eine Forde-
rung der Sicherheit, dass dies so schnell als moglich geschehe. Das Ventil,
welches dem Dampfe den Weg zu den Cylindern bffnet, heisst das Regulatorventil,
die Dampfschleusse, auch Regulator kurzweg. Es ist in verschiedener Construc-
tion ausgefukrt. Die gebrauchlichste besteht in einem flachen Schieber, welcher
iiber eine entsprechende Oeffnung im Kopf des Dampfrohres geschoben wird.
Eisenbahn (Zugswiderstand). 109
Diese Verschiebung bewirkt der Locomotivfuhrer durch einen Hebel oder eine Zug-
stange. Em leicbter Gang des Regulators ist aus Sicberheitsriicksichten und aus
Griinden der langeren Dienstfahigkeit des Personals wichtig. Ein Hilfsschieber
und eine rationelle Scliraierung der Gleitflache machen dieses moglich.
Bias rob r (Exhaust or). Ein wesentliclier Theil der Locomotive ist das
Blasrolir. Dasselbe hat den Zweck, den gebrauchten Dampf aus den Cylindern
in den Scliornstein zu fiihren, und dadurch die im Schornstein und der Rauch-
kammer befindliclien Gase mit fortzureissen, wodurch dann in der Rauchkammer
eine Lnftverdiinnung entsteht, welche die Luft durch die Rostspalten zum Feuer
und durch die Siederohren in die Rauchkammer reisst, und endlich durch den
Kamin ins Freie fiihrt. Diese Saugwirkung ist um so grosser, je schnellcr der
Dampf ausstromt, somit abhangig von der Schnelligkeit der Maschine, der Grosse
der Fiillung der Cylinder und dem Querschnitte des Blasrohres. Geht die Ma-
schine rascher, so verbraucht sie mehr Dampf, es stromt mehr aus und die An-
fachung des Feuers ist eine lebhaftere; desgleichen, wenn die Maschine einen
schweren Zug zu Ziehen hat und mit starker Fiillung arbeiten muss. Soil mehr
Dampf producirt werden als unter normalem Verhaltnisse, so verengt der Locomotiv-
fiihrer das Blasrohr, und es hat nach Zeuner*) eine Verengung des Blasrohres
um 30 7o? eme Verrnehrung der angesaugten Luftquantitat um etwa 22 °/0 zur
Folge und umgekehrt.
Diese Verengung ist aber in so fern nachtheilig, als die Pressung des aus-
stromenden Dampfes einen Riickdruck auf den Kolben ausiibt, und in Folge dessen
die Comsumtion des Brennstoffes in grosserem Masse zunimmt, als die Leistung
eigentlich erfordern wiirde.
Die iibrigen Theile der Locomotive sind denen der Dampfmaschinen gleich
und werden deshalb hier nicht besonders behandelt.
Bestimmung der Dimensionen und der Leistung der Loco-
motive.**) Es mogen hier noch einige praktisch erprobte Ziffern fur die Be-
stimmung der Verdampfung und Leisiung der Locomotiven Platz finden.
Erfahrungsr esultate beziiglich der Verdampfung. Die Loco-
motivkessel verdampfen bei voller Leistung und guter Fiihrung per lQm Heiz-
flache in der Stunde 27 — 33 Kg. Wasser und verbrauchen 3*5 — 4 Kg. Koks, so
das 1 Kg. Koks im Mittel 8 Kg. Wasser verdampft. Die grosseren Werthe gelten
fiir ein Verhaltniss der Rostflache zur Heizflache von 1 : 70 und 1 : 80, die kleineren
fur ein Verhaltniss von 1 : 90 bis 1 : 100.
Eine weitere Erfahrung zeigt, class die Locomotiven bei guter Erhaltung und
bei okonomischem Betriebe per Stunde und Pferdekraft 14 — 16 Kg. Dampf und
1*7 — 2 Kg. Koks verbrauchen, was wieder 8 Kilo Dampf per 1 Kilo Koks gibt.
Der Dampfverbrauch per Pferdekraft hangt bei gleicher, voller Leistung der Lo-
comotiven hauptsachlich von der Dampfspannung im Kessel ab, und wird um so
giinstiger, je hoher diese Spannung ist; der kleinere Verbrauch entspricht etwa
10 Atmospharen und der grossere etwa 8 Atmospharen absoluter Kesselspannung.
Zugs wider stand. Erfahrungsresultate beziiglich des Zugwiderstandes.
Ueber den Zugswiderstand wurden vielseitig Versuche angestellt und verschiedene
Formeln zur Berechnung desselben ausgemittelt , welche meist von der durch-
schnittlichen, groben Annahme eines Widerstands-Coefficienten Y„go bis 7300 fiir
die gerade, horizontale Balm bei der mittleren Geschwindigkeit von 34 Kilom.
per Stunde #enig abweichende Werthe liefern.
Auf Steigungen nimmt der Zugswiderstand zu, u. zw. per Tonne bei -5-
Steigung um circa n Kilogramm.
*) Zeuner, das Locomotivblasrohr, Zurich 1863.
*) Vergleiche Pius Fink's Artikel hieriiber in der Zeitschrift des osterreichisclien Ingenieur-
und Architekten-Vereines 1870.
110 Eisenbahn (Leistung).
Alle Versuche zeigen jedoch, class der Widerstand von del- Witterung, von dem Zustande
der Balm, den Kriimmungen, von der Construction, Schmierung und Erhaltung der Wagen,
und endlich vorziiglich von der Geschwindigkeit des Zuges abbangig ist.
Diese Factoren sind jedoch nach Zeit und Ort so verschieden, dass es sehr erklarlich
ist, wenn die Resultate der verschiedenen alteren und neueren Versuche wenig ubereins.timmen
und sogar ganz betrachtliche Abweichungen zeigen. Aus diesem Grunde wurde auch keine
Formel aufgestellt, welche allgemein als zufriedenstellend betrachtet wiirde, und ein Abscbatzen
der Umstande ist unvermeidlich.
Von besonderer Bedeutung ist derEinfluss der Geschwindigkeit ; und lasst sich derselbe,
wie Clark gezeigt hat, geniigend in der Formel z — a -\- c v'1 ausdriicken.
Zieht man den Widerstand eines Zuges ohne Maschine und Tender auf horizontaler
Bahn in Betracht, so kann man nach den heutigen Erfahrungen und far die derzeitigen Bahn-
und Betriebs-Verhaltnisse per T.onne Zugslast setzen:
1. Bei mittleren guten Verhliltnissen (d. i. wenige Curven, und diese liber 450 Meter
Radius, scharfer Wind, Temperatur iiber 5°, Oel-Lager, gut belastete Ziige mit mehr als 100
Tonnen Brutto) z ~ 2-5 -(- 0001 1>2, z in Kilogrammen, v in Kilometern pro Stunde geraessen.
2. Bei mittleren schlechten Verhaltnissen (haufige Curven nnter 450 Meter Radius,
starker Wind, Temperatur unter 5°, Lager mit fester Schmierung, schlecht belastete Ziige mit
weniger als 100 Tonnen Brutto) z, — 1'5 z — 3-75 + 0-0015 v'\
Diese Formeln liefern unter den gemachten Voraussetzungen mit den Erfalirungen gut
iibereinstimmende Eesultate, doch wird nochmals bemerkt, dass man bei einzelnen Beobachtungen
noch giinstigere und auch noeh ungiinstigere Werthe erhalten kann, es kann namentlich beim
Sturm und dem Zusammentreften mehrerer, der erwahnten, ungiinstigen Umstande zx ~ 2 z
werden.
Leistung der Locomotive, Gross e der K ess el. Die Leistung der
Locomotive wird fast ausschliesslich durch die Grosse der Heizflache bedhigt und
spielen die ubrigen Verhaltnisse der Kessel und der Maschine bei gleicher
guter Fiihrung eine melir untergeordnete Rolle.
Nach den obigen Resultaten folgt unter gitnstigen Umstanden per Pferde-
kraft der Locomotive 0*4?m und unter weniger giinstigen Umstanden O^S0111.
Im Mitt el kann man daher bei Locomotiven 0.5Dm Heizflac he per
P f e r d e k r a ft anne h m e n.
Daher auch, wenn H die Heizflache bedeutet und N die Anzahl der Pferde-
krafte, N z= 2 H gesetzt werden kann.
Driickt man die Leistung, wie es die Rechnung unmittelbar ergibt, durch
die Gewichts- und Wegeinheit in Kilo meter -Tonnen per Stunde aus (eine
Kilometer-Tonne per Stunde ist gleich 3*7 Pferdekraft), und 'bezeichnet diese Ein-
heiten zum Unterschiede von den transportirten gleichen Einheiten als effective,
so ist die ncithige Heizflache per effective Kilometer-Tonne annahernd l-8Dm und die
Leistung, d. i. das Product aus der Zugkraft Z in Tonnen in die Geschwindigkeit
Zv
v in Kilometer berechnet sich aus N z=. ^ =r 2 H oder aus Zv -=z 0*54 H.
Betreffs der Beziehungen zwischen dem Zugwider stand der Geschwin-
digkeit und den Dimensionen der Maschine muss auf die am Schlusse
angegebene Literatur verwiesen werden, und sei hier nur bemerkt, dass die Ge-
schwindigkeit von 13 Kilometer fur Lastzugs-Maschin en, 19 Kilometer fiir
G e m i s c h t e z u g s - M a s c h i n e, 40 Kilometer fiir E i 1 z u g s - M a s c h i n e n als
Maximalgeschwindigkeiten gelten konnen.
Verbrauch an Brennstoff und Wasser. Wie schon Eingangs er-
wahnt, ist der Verbrauch an Koks per Stunde und Pferdekraft durchschnittlich
circa 1-7 Kg., und die Menge des verdampften Wassers das Achtfache des Koks-
verbrauchs ; der Verbrauch des Wassers im Tender aber ist verschiedener Ver-
lustc wegen ungefahr das Zehnfache des Koksverbrauches.
Fiir eine Stunde Verschubdienst (Rangiren der Ziige) erhalt man den Koks-
TT
verbrauch annahernd genau, wenn man die Heizflache durch 1*7 dividirt =z— - Kg.
Eisenbahn (Tender).
Ill
Fiir eine Stunde Danipfhalten kann man 10 Kg. per lQm Rostflache rechnen.
B) Tender. All gem eines. Der Tender bildet als Munitionswagen der
Locomotive die nothwendige Erganzung derselben ; er hat den Brennstoff, das
Wasser mid noch ausser dem verschiedene Utensilien und Werkzeuge anfzunehmen.
Manche Locomotiven fiihren jedoch unter, neben oder auf dem Kessel das
nothige Wasser neben dem Kessel oder hinter dem Fiihrerstande den Brennstoff
mit sicb, es sind dies die sogenannten Tenderlocomotiven. Wir sprechen hier
ausschliesslich von den Schlepptendern.
Jeder Tender muss ausser den fiir jedes Eisenbahnfuhrwerk unentbelirlicben
Achsen, Radern, Lagern und Federn nebst Stoss- und Zugapparaten, den Behalter
fiir Wasser und Brennstoff noch mit einer Bremse , der Vorrichtung zum Er-
warmen, zur Abgabe und zum Empfange des Wassers, endlich den Bebaltern fiir
die auf der Fahrt nothigen Werkzeuge und das kleine Material und einer Platt-
form fiir das mitfabrende Personal verseben sein.
Die Gro'sse des Fassungsraumes fiir das Wasser und die Koblen oder anderen
Brennstoff ricbtet sicb ganz nach localen und Betriebsverhaltnissen. Im Durcb-
sebnitt haben die in Deutscbland und Oesterreicb-Ungarn gebrauchlichen Tender
einen Wasserraum von 5 bis 7, ausnabmsweise bis 10cubm und geniigend Platz
fiir 2000 bis 5000 Kg. Koble. Das Eigengewicht eines mittleren Tenders betragt
beilaufig 10.000 Kg. Je nach dem Fassungsraume und der Belastung ist der
Tender mit 2 bis 3 Achsen versehen.
Das friihere Vorurtheil gegen zweiachsige Locomotiven und Tender wegen
angeblicber Unsicherheit bei eintretenden Achsenbriichen hat man fallen gelassen.
In Amerika baut man audi 4-achsige Tender, jedoch in 2 Drehgestellen,
um die scharfen Bogen leichter zu befahren.
Beschreibung. Die beistehende Figur 1335 zeigt den recht guten Typus
eines modernen Schlepptenders, wie er in Oesterreicb-Ungarn beinahe als Normale
betrachtet werden kann. Der Tender bildet einen Blechkasten, der zwischen den
Radern bis nahe an die Achsen reicht und durch die punktirte Linie a, b, c in
zwei Theile getheilt ist. Der obere Theil A nimmt das Brennniaterial, der untere
Theil B das Wasser auf, welches durch das Saugrobr S der Locomotive zugefiihrt
werden kann.
Durch dasselbe Saugrobr kann auch Dampf aus dem Kessel in das Tender-
wasser gefiihrt werden, um dasselbe zu erwarmen. C ist ein verschliessbarer
Raum fiir die Hebewinden und Utensilien, D die Kurbel fiir die Bremse, welche
gleichzeitig auf alle sechs Rader wirkt.
Was von den Achsen, Radern, Lagern, Federn, Buffern u. dgl. bei den
Locomotiven gesagt ist, gilt auch fiir die gleichnamigen Bestandtheile des Tenders.
F iil 1 vorrichtung'. Der Wassei-vorrath des Tenders ist von Zeit zu Zeit zu er-
gsinzen; dies geschielit durch die sogenannten Wasserkralme (vgl. Art. Pump en).
112
Eisenbalm.
Fur die Nachfullung des Tenders sind nach Umstanden 5 bis 15 Minuten Zeit er-
forderlich. Man beschrankt sich dalier thunlichst auf solclie Stationen, wo aus Verkehrsriick-
sichten ohnehin ein langerer Aufenthalt geboten erscheint.
Bei den sick steigernden Anforderungen an die Schnelligke it, insbesonders der Courier-
und Express-Ziige, hat man auf Mittel gesonnen, jene Aufenthalte zu vermeiden. Der Eng-
lander Ramsbottom loste diese Aufgabe auf geniale Weise, so dass die Tender wahrend
der Fahrt ihr Wasser nehmen konnen. Das Princip ist folgendes: Voni Boden des Tenders,
etwa in der Mitte geht ein schlank nach vorn gebogenes Rohr, das sich nach unten zu ver-
jiingt, bis zuni Niveau der Schianen. Der unterste Theil ist beweglich und kann vom Fiihrer
beliebig gehoben und gesenkt werden.
Im Innern des Kastens ist das Kohr senkrecht nach Oben fortgesetzt und endet in einen
halbkreisformig mngebogenen Ausguss, welcher die zehnfache Weite der unteren Miindung
besitzt, um die Geschwindigkeit des in den Tender eintretenden Wasserstrahles zu vermmdern.
An jenen Bahnstrecken, welche fur die Fiillitng des Tenders bestimmt sind, befindet
sich zwischen den Schienen ein Kanal aus Gusseisen, welcher oben often und mit Wasser
gefiillt ist. Der Kanal ist circa 400m lang.
Der Fiihrer lasst nun das untere Ende in das Wasser tauchen, und es steigt in Folge
der Geschwindigkeit des Tenders das Wasser im Rohre in die Hohe und ergiesst sich in die
Cisterne.
Die erste Einrichtung wurde 1861 mit bestem Erfolge gemacht, so dass die Express-
ziige von London nach Liverpool erst nach circa 180 Kilometern Fahrt in Rugby anhalten.
In 20 Secunden gelangen 5cul>-m Wasser in den Tender.
Es ist bedauerlich, dass die harten Winter des mitteleuropaischen Continentes eine
ahnliche Anlage aussichtslos machen.
Hauptdimensionen einiger Locomotiven.
Eisenbalm
§*1
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Bb%
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b< •- rj
g a
H.5
<£
Cylinder
Buschtghrader Eiscnbalin *
Hannoverische Staatsb. **
Oberschlesische Eisenb. **
Koln-Mindener Eisenb. **
Breslau-Freiburger Eis. :;;i:
Hannoversehe Staatsb. **
Bbhmische Nordbabn *
Pilsen-Prieseu-Eisenbahn j i
Braunschweig'sche Eisenb.**
Elsass-Lothringsche Eis. *
Main- Weser Eisenbalm **
Altona-Kieler Eisenbalm **
Eilzugs-
Locomot.
Pers.-Z.-Loc
Lastz.-Loc.
Tender Luc.
1-693
128-5
1-920
97-8
1-330
90 9
1-550
971
1 800
90-9
1-710
96-6
1-650
139-5
1-900
159-0
2-090
89-0
1-450
126-5
L-090
62-6
0-910
65-5
2570
1956
181-7
194-1
181-8
193-2
279-0
318-0
178-0
253-0
125-3
131-0
10
1-750
10
1-850
10
1-890
9
1-696
10
1-575
10
1-523
10
1-186
9-5
1-191
9
1-464
9
1-301
10
1-200
8
1-196
0-410
0-420
0-420
0-406
0-420
0-420
0-475
0-510
0-432
0-471
0-350
0-355
0-632
0-560
0-610
0-508
0-523
0-558
0-632
0-550
0-610
0-600
0-550
0-560
3G-7
360
44-0
C) Eisenbahnwagen (voiture, icaggon — carriage, waggon). Je nach
clem Zweeke, welchem die Wagen dienen sollen, imterscheidet man 2 Hauptab-
theilungen, u. zw.: Personenwagen und Lastwagen. Jede dieser Abthei-
lungen lasst sieb je nach der speciellen Verwendung in Unterabtheilungen scbeiden.
Wir fiihren im Xaebstehenden die allgemein iiblichen Benennnngen der Eisen-
balmwagen an: Personenwagen, Postwagen, Gepacks wagen, Pferde-
wagen, Bo rstenvieh wagen, Horn vieh wagen, gedeckteGiiter wagen,
offene Giiterwagen, a) mit festen hohen Wanden (Kohlenwagen), b) mit ab-
nehmbaren niedrigen Wanden fur den Transport von schweren und voluminosen
Gegenstanden, Equipagen, Sebotter etc., c) ohne Wande mit Drebscbemmel zum
Langholztransport.
:i System der Steuernnor nach Stephenson.
**) „ - „ .. Allan,
f) .- .. „ Gooch.
Eisenbahn.
] 1
Ausserdem gibt es noch Wagen fiir besondere Transportzwecke, u. z\v. :
Fleisck-, Bier-, Kalk-, Theerwagen etc.
Diese Wagen sind jedoch bios fiir den bestimmten Zweck adaptirte gedeckte
oder offene Giiterwagen.
Allgemeine Construction. Das Haupt- oder Untergestell aller Wagen
besteht aus einem rectangularen Rahmenwerke, in Fig. 1336 punktirt angedeutet,
von Haupttragern , Kopfschwellen (Brustbaumen), Querstreben, Diagonalstreben
und Mittelstiicken, welche mit Winkeln und Schrauben unter einander so verbunden
sind, dass eine Verschiebung in irgend einer Richtung nicht mciglich ist (s. S. 118).
Fig. 1336.
M
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i o) i
'fm
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:._i__7::::!C.|
^
S»Ht
Die Untergestelle wurden friiher ganz aus Holz hergestellt; jetzt verwendet
man dazu Holz und Eisen oder Eisen allein, u. zw. U-, Doppel-7- und T-Eisen.
Die Verbindung des Untergestelles mit den Radern und Achsen vermitteln
die an die Haupttrager genieteten Achsbalter (Lagergabeln, Chairs), seiche zwischen
sich die Achsbiichsen aufnehmen. Auf den Obertheilen der Achsbiichsen ruheri
in einer Aussparung mit einem Zapfen oder sind mit denselben fest verbunden
die Tragfedern (ressorts — - springs), welche mittelst Gehangen mit den am Haupt-
trager befestigten Federstiitzen verbunden sind (Fig. 1337). Hiedurch werden
Rader und Untergestell zu einem Ganzen vereinigt, auf welches die bei der Be-
wegung der Rader auf den Schienen eintretenden Stosse keine nachtheiligen Wir-
kungen ausiiben konneh. Die Achsen (essieii — axle-tree) sind aus Schmiedeisen
oder Stahl angefertigt.
Die friiher iib-
liche Befestigung der
Rader auf den Achsen
mittelst Keilen ist
als ungenligend und
nachtheilig fast ganz
ausser Gebrauch.
Jetzt werden die Ach-
sen am Radnaben-
sitze schwach conisch
gedreht und die Ra-
der mit hydrauli-
schen Pressen bei
einem Druck von 30
bis 40 Tons aufge-
presst.
Die wichtig-
sten Gattungen der
in allgemeinerer Ver-
wendung befindlichen Rader {roue — wheel) sind :
Speichen rader, Schalenguss rader und G u s s s t a h 1 s c h e i b e n r a d e r.
Die Speichenrader sind entweder ganz aus Schmiedeisen oder liaben eine gusseiserne
Nabe (moyeu — nave), in welche die schmiedeisernen Speichen (rais — spokes) eingegossen
sind, und schmiedeisernen Radkranz (jante — rim, segment). Auf den Eadkranz wird der
stahlerne Radreifen (baude — tyre) warm aufgezogen und mit Schrauben, Nieten oder Seiten-
klammern befestigt. Bei den Sclialengussradern und Gussstahlscheibenradern (erstere aus Guss-
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. g
im Schenkel
mit
65mm
3800 Kg.
75 „
5500 „
85 „
8000 „
95 „
10000 _
114 Eisenbahn (Fahrbetriebsinittel).
eisen mit geharteter Laufflache) besteht das ganze Bad bios aus Einem Stiicke. Holzscheiben-
rader, bei welchen die Speichen durch testes Holz ersetzt sind, sind seltener in Verwendung.
In neuester Zeit wird in Amerika imd England der Baurn zwiscben Nabe und Eadreif mit
Papierscbeiben ausgeftillt.
Fiir die Constructionsverhaltnis.se der Achsen und Eader sind in den tecbnischen Ver-
einbarungen des deutseben Eisenbahnvereins nacbfolgende Bedingungen festgesetzt.
Achsen von besteni Eisen kounen im Verhaltnisse folgender Scala bei
einem Durchmesser von an der Nabe
100mm
115 „
139 „
140 „
Bruttolast im Maximum belastet werden.
Bei Anwendung von Gussstabl konnen diese Belastungen um 20 °/0 erhoht werden, fiir
Achsen der Personenwagen sind der Sicherheit wegen die Belastungen um 20 n/0 geringer zu
nehmen. Die Achsschenkeldurekniesser beziehen sich auf Schenkellangen bis zum 2V3-fachen
des Durchmessers.
Bei den Achsen sind alle scliarfen Ansatze zu vermeiden, und ist jeder Uebergang durch
eine sanfte Curve zu vermitteln.
Die Eadreifen miissen eine conische Form von mindestens '/20 Neigung haben. Die
Breite derselbeu soil 130 — 145mm betragen. Sammtliche Eader miissen mit Spurkranzen ver-
sehen sein.
Die geringste noch zulassige Starke der Spurkranze soil an der Beriihrungsstelle der
Scliiene gemessen 19mm betragen. Der lichte Abstand der Spurkranze betra'gt normal 1360mm.
Eine Abweichung bis zu 3mm iiber und unter diesem Masse ist zulassig. Die Eader miissen
in unverriickbarer Lage auf der Achse festgestellt sein.
Der Ead stand (die Entfernung der Eader von einander) soil bei Balmen, welche auf
freier Strecke vieltacb Curven haben, nicht grosser sein als 4-om bei Curven von 250m Eadius,
5-0m bei Curven von 300m Eadius, 5'6m bei Curven von 400m Eadius, 6'2m bei Curven von
oOOm Eadius, 6-8m bei Curven von 600m Eadius, 7-Qm b6i Curven iiber 600m Eadius.
Bei Wagen mit 3 Achsen muss die Mittelachse eine entsprechende Vei-schiebbarkeit be-
sitzen. Bei Wagen mit 4 Achsen werden immer je 2 in ein fiir sich drehbares Untergestell
vereinigt.
Die fast allgemein verwendeten B latt-Tragfedern bestehen aus mehreren Lagen
von Stahlblattern gleieher Breite, jedoch verschiedener Lange, welche durch einen Stift oder
einen Bund zusammengehalten werden.
Die Enden des obersten und langsten (Haupt-) Blattes sind umgerollt oder mit einem
angeschweissten Auge versehen, um die Verbindung mit dem Federgehiinge mit Hilfe eines
Bolzens herstellen zu konnen. Die Liinge der Federn soil bei Personenwagen nicht unter
l-5m5 ljei Lastwagen nicht unter lm betragen. Die Blattstarke kann im Maximum 13mm
betragen.
Seltener als Blattfedern sind Yolut- und Spiraltragfedern in Verwendung.
Um die Wagen anstandslos sowohl ziehen als auch scbieben zu konnen, sind selbe mit
Zug- und Stossvorrichtungen versehen.
An jedem Brustbaum beriuden sich zu diesem Behufe 2 elastische Buffer, welche
1040mm iiber den Schienen in einer horizontalen Entfernung von 1750mm befestigt sind. Jeder
Stossapparat besteht wie bei Locomotiven und Tendern aus der Bufferhiilse, der Bufferstange
sammt Stossplatte iind der elastiscben Stossfeder, Gummi- oder Sph-alfeder (ressort a boudin
— spiral-spring). Der in der Hohenlinie der Buffer liegende Zughaken befindet sich in der
Mine des Brustbaumes. Zu beiden Seiten desselben befinden sich die beiden Nothketten.
Die Zughaken finden ihre Fortsetzung in den Zugstangen, welclie innerhalb des Ge-
stelles mit dem elastischen Zugapparate (Fig. 1338) in Yerbindung sind.
Zur Verbindung der einzelnen Wagen dienen die mittelst Bolzen am Zughaken be-
festigten Kuppeln (Schraubenkuppeln und Ketten). Die Wagenkasten bestehen aus einem,
durch Winkel und Sjehrauben solid verbundenem Eahmengestell (Saulen, Eck- und Thiirsaulen,
ObeiTahmen, Streben, BodenschweUen etc.) aus Eicbenholz oder Faconeisen, und sind mit
Eisenbahn.
Hi
dem Untergestell durch Consolen
uud Sehrauben verbunden.
Das Kastenrahmengestelle
wird bei den Lastwagen zunieist
mit Holzverscbaliingen, bei Per-
sonenwagen innen mit Holz, aussen
mit Blecb (seltener Papiermache)
verkleidet.
Lastwagen mit eisernen Ka-
stenrahmen und Blecbwiinden sind
stark verbreitet.
Das Dach der gedeckten
Wagen ist nacb einem flachen
Bogen ausgefiibrt. Dasselbe besteht
aus einer Holzverschalung, welcbe Elastiscber Zugapparat.
auf die Dacbrippen (Bogen aus Holz orler Eisen) befestigt wird, und einer dariiber gespannten
Decke aus Blech (Eisen-, Zink- oder Kupferblech), Segeltuch, Dacbpappe etc.
Beziiglich der im Eisenbahndienste so ausserordentlich wiehtigen Bremsvorrichtnngen
verweisen wir auf das oben Gesagte und den Artikel Bremse, II. Bd. S. 1, und bemerken bier
nur noch, dass ausser Holz und Schmiedeisen auch Gusseisen und Bessemerstabl zur Er-
zeugung von Bremsklotzen verwendet wird.
Die Handbremsen werden durch das Zugspersonal bedient, zu welcbem Behufe an
jedem Bremswagen ein offener oder gedeckter erhohter Bremsersitz oder eine mit Gelander
versebene Plattform angebracbt ist. Da die Bremswagen auch zur Anbringung der Zugssignale
verwendet werden, so miissen an jedem derselben die hiezu nothigen Vorrichtungen (Latern-
stiitzen, Kloben) vorhanden sein.
Wir lassen nun eine kurze Beschreibung der einzelnen Wagengattungen
folgen.
Von Personenwagen unterscheidet man -2 Systeme, u. zw. : ct) Coupe-
wag en (engl. System), b) Inter communicationswagen (amerik. System).
Erstere haben7 da der innere Kastenraum durch Querwande in mehrere
Coupes getheilt ist, die Thiiren an den Langswanden, welclie nach unten einwarts
gescliweift sind7 um ein besseres Einsteigen zu ermogliclien. Diese Wagen haben
Laufbretter und Fusstritte.
Die Inter communicationswagen haben gerade Wande, einen Durch-
gang durch den ganzen Wagen, u. zw. in der Mitte oder seitlich. Die Thiiren
filhren von den Stirnwanden auf gedeckte Plattformen , welche durch bequeme
Treppen bestiegen werden konnen.
Je nach der Ausstattung nnterscheidet man : a) Wagen L, II., III. und IV.
Classe. b) Combinirte Personenwagen (mehrere Classen vereinigt). c) Salonwagen
(mit grosseren Raumen) fiir Gesellschaften. d) Hofwagen (fur fiirstliche Reisende
mit mehreren in Verbindung stehenden Appartements).
Fiir den Localverkehr sind auch Wagen mit 2 Etagen in Verwendimg.
Fig. 1339 zeigt den Grundriss eines Coupewagens III. CI.; Fig. 1340 eines
combinirten Coupewagens I. und II. CI.; Fig. 1341 eines Intercommunications-
wagens IV. 61. mit Mittelgang; Fig. 1342 eines solchen mit Seitengang.
Fig. 1339.
pH
PH
Coupewagen III. CI.
8*
116
Eisenbahn (Fahrbetriebsmittel).
Fig. 1340.
Coupewagen I. und II. Classe.
Fig. 1341.
Intercommunicationswagen mit Mittelganj;
Fig. 1342.
Ksl
<Ns|
Intercommunicationswagen mit Seitengang.
Die Wagen verschiedener Classen unterscheiden sicli hauptsachlich durch
die innere Einriehtung und Ausstattung.
Die Anzahl Platze per Coupe ist in Oesterreich und Deutschland in der
I. CI. G SitzplStze, II. CI. 8 Sitzplatze, III. CI. 10 Siztplatze, IV. CI. 20—25
Stehplatze.
Bei einzelnen Wagen I. CI. werden in neuerer Zeit die Sitze so hergestellt, dass aus
denselben eine bequeme Seblat'stelle hergerichtet werden kann. Einige Bahnen besitzen eigene
Hotel- und Schlafwagen. Die Bleeliverkleidung der Personenwagenkasten ist lackirt.
Die Beleucktung der Wagen vermitteln bei Tag die in und neben den Thiiren ange-
brachten Fcnster, bei Nacht aber Deckenlampen. Als Beleuehtungsmaterial dient zumeist
Riibol, seltener Kerzen etc. Die Einfiihrung der Gasbeleucbtung auf verscluedenen Eisen-
bahnen gibt die besten Resultate.
Die Bebeizung der Personemvagen im Winter geschieht auf mannigfaclie Weise, u. zw.
mittelst Warmflaschen, Fiillofen, Dampfheizung, Luftheizung und Heizung mit comprimirter
Holzkoble. Die billigste Heizung ist jene mit Fiillofen, die theuerste jene mit comprimirter Kohle.
Die Postwagen werden durch eine Scheidewand in 2 Raume getheilt.
Einer derselben dient zur Dienstmanipulation , der andere zur Unterbringung
grosserer Gepacksstiicke.
Die Beleuchtung geschieht durch Fenster und durch Deckenlampen, im Manipulations-
mum ausserdem noch durch Wandhangelampen.
Fig. 1343 zeigt die Eintheilung eines auf deutschen Bahnen verwendeten Postwagens.
Auf den Hauptlinien der osterreichischen Bahnen bestehen die Postwagen aus 2 mit Drehnagel
eng an einander gekuppelten 2-achsigen Wagen, von welchen der eine als Gepacks-, der andere
als Manipulationsraum dient. Den Uebergang von cinem in den anderen Wagen vermitteln
Eisenbahh.
Fig. 1343.
117
Postwaggon.
2 Thliren, der Zwischenraum zwischen beiden Wagen ist durch fibergreifende Trittbleclie gedeckt.
Die beiden ThiirofTnungen sind mittelst eines wasserdichten, in Falten liegenden Gummistoffes
verbunden, wodurch der Uebergang gegen Unwetter vollig geschiitzt wird.
Die Gepackswagen sind durchwegs mit Bremse versehen; sie dienen zum Transport
von Reisegepack und Eilgut. Der Kasten wird durch 2 Scheidewande in den Manipulations-,
den Gepacksraum und den zur Unterbringung von 1 oder 2 Aborten nothigen Raum geschieden.
Die Pferdewagen dienen hauptsachlich zum Transport von Luxuspferden,
da die iibrigen Pferde in gedeckten Lastwagen transportirt werden.
Die Kasten dieser Wagen sind gewohnlich kiirzer als die der anderen Wagen und er-
halten 2 durch eine Thiir verbundene Abtheilungen, deren eine fiir 3 Pferde, die andere lin-
den Pferdewarter bestimmt ist. In ersterer Abtheilung sind Seitenwande und Plafond mit Stroh
gepolstert. Zwischen den 3 Standen werden 2 ebenfalls mit Stroh gepolsterte Zwischenwande
eingehangt. Fiir jeden Stand ist eine Krippe, welche vom Warter bedient werden kann, an-
gebracht. Die 2. Abtheilung enthalt eine mit einem Deckel versehene, auch als Sitzbank
dienende Futtertruhe und einen Wasserbehalter. Thiiren sind in den Stirnwanden, seltener
auch noch in den Langswanden angebracht.
Der Eingang in die Warterabtheilung geschieht fiber eine Plattform, zu welcher Fuss-
tritte oder Stiegen fiihren.
Bei den Bo rstenvieh wagen erhalt der Kasten keine vollen, sondern
durclibrochene Wande, und ist in 2 tiber einander liegende Abtheilungen getrennt.
Da das Holz durch den Unrath des Borstenviehs rasch zerstort wird, sind die Boden
geneigt und so eingerichtet, dass eine Auswechslung derselben leicht moglich ist. Die Ver-
schalungen sind uberdies mit Blech beschlagen. Beide Abtheilungen erhalten besondere Schub-
thiiren an beiden Langseiten und von Aussen zugangliche Wasserbehalter. Zwischen den
Achsen ist am Untergestell oft noch ein Kasten angehangt, welcher zur Unterbringung von
Jungvieh dient.
Die Hornviehwagen werden sowohl mit als auch ohne Dacher gebaut.
Das circa 2m hohe Kastengerippe wird jedoch nur auf circa 1 4m Hohe verschalt.
An beiden Langseiten befindet sich je eine Schubthiire.
Die gedeckten Lastwagen erhalten meist eine doppelte Verschalung^ von
welcher die innere jedoch nur bis zu einer Hohe von l*5m reicht und als Schutz
gegen die Beschadigung durch Transportstiicke dient. An den Langsseiten be-
findet sich je eine Schubthiire, an den Stirnwanden wohl auch je eine Fliigelthure.
Da diese Wagen auch zum Militar-, Pferde- und Hornviehtransporte verwendet werden,
erhalten sie an den Langsseiten 2 oder 4 Fensteroffnungen, welche entweder vergittert sind
oder durch Klappen geschlossen werden konnen. Fiir den Thiertransport sind im Inneren
Ringe und Kloben zum Anbinden angebracht. Durch Einstellen einfacher Sitzbanke werden
diese Wagen zum Militartransport eingerichtet.
Die Kohlenwagen erhalten je nach der Lange eine Hohe von 0 870 bis
l'25m, in den Langswanden-Thuren, welche entweder einfliiglig nach oben auf-
klappbar sind oder zweifliiglig sich nach beiden Seiten otrhen lassen.
Der bequemeren Entladung wegen sind oft auch Stirnthiiren vorhanden. Die
Oberrahmen dieser Wagen sind sehr stark ausgefiihrt und gewohnlich in der Mitte
durch ein Holz, Kette oder Stange abgesteift.
Die Lowries haben zum Abnehmen eingerichtete Wande von circa 0*450m
Hiihe. Die Stirnwande sind durch Einfallhaken mit den Langswanden verbunden.
118
Eisenbahn (Fahrbetriebsmittel).
Haben diese Wagen gar kerne Wande, so nennt man sie Plateauwagen.
Tragen diese Wagen in der Mitte einen Drebscbemrnel, so dienen sie zum
L a n g b o 1 z t r a n s p o r t.
Die Drebscbemrnel aus Holz oder Eisen sind durcb einen starken Drehnagel
mit dern Wagengestell in sicberer und drebbarer Weise verbunden, tragen an beiden
En den zum Herauszieben eingericbtete eiserne Rungen, deren obere Enden durcb
Spannketten verbunden werden konnen. Auf die Drebscbemrnel und zwiscben die
Rungen zweier Wagen, welche entsprecbend der Lange der zu verladenden Hblzer auf-
gestellt werden, wird das Holz aufgelegt. Dasselbe erbalt eine feste Lagerung durcb
die am Scbemmel befindlicben eisernen Scbneiden, welcbe sicb in das Holz eindriicken.
Eine Kupplung zweier mit Langholz beladener Wagen ist nicht erforderlich ;
steife lange Kuppelstangen K (Fig. 1336) werden hur nocb von einzelnen Bahnen
verwendet. Von Wagen, welcbe zu besonderen Transportzwecken dienen, sind
erwabnungswertb :
B i e r- u n d F 1 e i s c h w a g e n. Es sind dies gedeckte Lastwagen mit doppelten
Wanden, Fussboden und Decke.
Der Raum zwiscben den 2 Verscbalurigen wird mit scblecbten Warmeleitern,
Stroh, Hacksel etc. ausgefiillt. Die Fliigeltbiiren miissen sebr genau scbliessen.
An der Wagendecke sind 2 flacbe Eisreservoirs auf eisernen Quertragern gelagert.
Die Reservoirs fassen 1 — 2 '/<> Tons Eis, welcbes vom Wagendacb durcb gut ver-
scbliessbare Klappen eingefiillt wird. Jedes Reservoir ist mit 2 Abflussrobrcben
fur das Tbauwasser verseben. Die Fleiscbwagen baben ausserdem nocb an der
Decke starke, eiserne Haken, damit das Fleiscb frei aufgebangt werden kann.
Wande und Dach erbalten einen licbten Anstrich.
Ein Bier wag en fasst circa 50 Hectoliter Bier, ein Fleischwagen circa
8 Tons Fleiscb.
Die Bierwagen leisten den Brauereien audi im Winter gute Dienste, indem
sie, was sonst ofter vorkam, das Einfrieren und somit Verderben des Bieres bei
bbberen Kaltegraden verbindern.
Wagen zum Transport von Kalk, Cement, Tbon, Gyps werden aus
Kohlenwagen durcb Anbringung fester, nach oben aufklappbarer Deckel bergestellt.
Wagen zum Transport von Theer, 0 e 1 etc. sind ganz eiserne, oben gc-
scblossene Lastwagen von den Dimensionen der Koblenwagen. Der Boden ist
gegen die Mitte zu geneigt, fiir den Abfluss resp. Entladung dient ein unterbalb
des Wagenbodens angebracbtes Kreuzrobr mit Ventilen und Habnen. Der Wagen
erbalt eine flacb gewolbte, durcb f-Eisen versteifte Decke, in welcber 2 gut
scbliessbare, zum Einfiillen der Flussigkeit dienende Mannlocber angebracht sind.
Zum Transport von Fliissigkeiten werden audi Plateauwagen verwendet, auf
welchen die Gefasse entsprecbend befestigt werden. Auf diese Art wird in Amerika
Petroleum in grossen Holzbotticben, in Oesterreicb Scbwefelsaure (aus der Aussiger
chem. Fabrik) iu bleiernen Kesseln transportirt.
Im Nacbstebenden lassen wir eine Tabelle der Eigengewicbte, Tragfa'bigkeit
und des Fassuugsraumes neuerer Lastwagen folgen.
W
a g e n
Eig'eug-ewielit
mit Bremse 1 0bne Brem:
Trag-
fahiarkeit
Fassungsvermbgen
Gepackswagen . . .
Pferdewagen . . . .
Borstenviebwagen . .
Hornviebwagen . . ,
G edeckte Lastwagen
Kohlenwagen . . ,
Lowries
Langbolzwagen . .
6-5
—
5-5
5-2
6-9
6-1
5-9
5-1
6-0
5*5
5-2
1-5
5-2
4-8
II —
5-7
10
10
10
10
11-3
10-1P3
11-3
3 Pferde
6 Stiick
40 Mann od. 6 Pferde
Eisenbahn. — Eisenbahn-Krahn. 119
Schneepfliige. Die zur Entfernung des Schnees dienenden Schnee-
pfliige miissen so construirt sein, dass zuerst der Schnee gehoben und dann
ahnlich wie mit einer Pflugschaar seitwarts gelegt wird. Um diese Wirkung zu
erzielen, wird der vordere Theil des Schneepflugs nach eigenen Curven geformt.
Die Schneepfliige bestehen aus einem kraftigen, holzernen Rahmenwerk, welches
mit Blecli verkleidet wird; sie sind vorn mit einer steifen Kuppelstange, riickwarts
mit einer gewolmlichen Kuppel, Nothketten und Buffern verselien.
Da das Eigengewicbt der Scbneepfltige fur die nothwendige Stabilitat und
Wider stand skr aft nicbt ausreicht, werden dieselben durch Steine, Drehspahe,
Scbienenstlicke etc., welche in entsprechende, im Rahmenwerk befindliche Kasten
gelegt werden, derart belastet, dass das Gesammtgewicbt etwa 10 — 20 Tonnen
betragt. Beim Gebraucbe werden die auf 2 oder 3 Achsen laufenden Schnee-
pflitge vor eine Maschine gestellt, mit welcher dann gegen die zu entfernenden
Schneemassen gefabren wird.
Zum Scblusse wollen wir noch der zu Babnzwecken dienenden kleinen Wagen
gedenken, welche nicht in Ziige eingestellt werden konnen. Es sind dies die
Bahnwagen und D raisin en.
Erstere bestehen aus einem holzernen, mit Brettern bedeckten Rabraen,
welcher obne Federn mittelst der Lager auf 2 schwachen Achsen ruht. Dieselben
haben meist Schalengussrader von circa 0*5m Durchmesser.
Die Bahnwagen dienen zum Transport von Schwellen, Schienen etc., welche
auf der Strecke ausgewechselt werden sollen.
Die Draisinen sind sehr leichte vierradrige Fahrzeuge mit einem Mecba-
nismus zur Fortbewegung. Zumeist ist die eine Achse mit einem Krummzapfen
versehen, welcher mit Lenkstangen, mit Hebeln oder Kurbeln in Verbindung stebt.
Die auf der Draisine postirten Arbeiter setzen selbe durch Hin- und Her-
bewegung der Hebel oder Drehen der Kurbeln in Bewegung. Die Draisinen dienen
als Beforderungsmittel bei Bahnrevisionen, sind daher audi mit 2 Sitzbanken fill-
die controllirenden Beamten und einer Bremse versehen.
Wegen des geringen Gewichtes und der bedeutenden Fahrgeschwindigkeit,
welche mit den Draisinen erreicht werden kann, sind Entgleisungen derselben
ausserst haufige Erscheinungen. Die Beniitzung derselben erfordert daher besondere
Vorsicht und ist moglichst zu beschranken.
D) K o s t e n der E r h a 1 1 u n g der F a h r b e t r i e b s m i 1 1 e 1. Zu einer
annabernden Beurtheiluug mcige die Angabe dienen, dass die Erhaltungskosten
der Locomotiven und Tender per Jahr 3'5 — 7-2 °/0, im Mittel 5 °/0 der Anschaffungs-
kosten beanspruchen , jene der Personenwagen 4*1 — 5-3%? im Mittel 4'70/0j
und endlich jene der Giiterwagen 2*7 — 4*7 °/0, im Mittel 3-8 %•
Literatur: Hensinger von Waldegg: Die Locoraotivmaschine. — Heusinger von
Waldegg: Handbuch fiir specielle Eisenbahntechnik. — Heusinger von Waldegg:
Organ f. d. Fortschritte des Eisenbahnwesens. — Kedtenbacher: Die Gesetze des
Locomotivbaues. — Welkner: Die Locomotive. — Weber: Die Schule des Eisen-
bahnwesens. — Brosuis & Koch: Die Schule des Locoinotivfiihrers. — Paul us:
Ban und Ausriistung der Eisenbahnen. - Zeuner: Die Schiebersteuernng'en. —
Zeuner: Das Locomotivblasrohr. — Scholl: Der Fiihrer des Maschinisten. —
Hellfeld: Georg Stephenson. — Clark: Railway Machinery. — Col burn:
Locomotive engineering. — Lechatelier, Etudes sur la stabilite des machines loco-
motives en mouvement. — Armengaud aine, Traite theoretique et practique des
moteur a vapeur. Otto Gebauer.
Eisenbahn-Alarmsignal, s. electrische Signale, Anhang zum Art. elektr.
Telegraph.
Eisenbahnbewegung, s. II S. 144 (bei der Bewegung der Schriftform).
Eisenbahnbillet-Druckmaschine, s. I S. 522.
Eisenbahn-Briicken, s. Briicken II S. 77.
Eisenbahn-Krahn, s. Hebemaschinen.
120 Eisenbahnschienen. — Eisengiesserei.
Eisenbahnschienen, s. Eisen III S. 54.
Eisenbahn-Signale, s. Anhang d. Art. Electr. Telegraph.
Eisenbahn-Telegraphen, s. Electrischer Telegraph.
Eisenbahnwagen, s. Ill S. 112.
Eisenbahn-Zuggeschwindigkeit, s. Geschwindigkeit.
Eisenband, s. Band I s. 286.
Eisenbeize, Eisenbriihe (Schwarzbeize, Eisenrostwasser), syn. mit holz-
essigsaurem und essigsaurem Eisen, s. Eisen II pag. 760 nnd 763, vgl. a.
Beize I pag. 372.
Eisenblau, natiirl. Eisenphosphat, s. Vivian it.
Eisenblausaure und eisenblausaure Salze, s. Blutlaugensalze I pag.
662, vgl. Cyan II pag. 459.
Eisenblech, s. Blech I S. 537.
Eisenbliithe, s. A r ago nit I pag. 179.
Eisenblumeil , syn. mit wasserfreiem Eisenchlorid, s. Eisen II
pag. 765.
Eisenbromid und Eisenbromiir, s. Eisen II pag. 766.
Eisencarburet, syn. rnit Koblenstoffeisen, s. Eisen II pag. 769.
Eisenchamaeleon nannte man ein durch Vermischen von mangansaurem
Natron mit schwefelsaurem Eisenoxyd hergestelltes Desinfectionsmittel (s. d. II
pag. 604). Audi das eisensaure Kalium fiihrt diesen Namen. Gtl.
Eisenchlorid nnd Eisenchloriir, s. Eisen II pag. 765.
Eisencyanid und Eisencyaniir, vgl. Blutlaugensalze I pag. 662.
Eisendraht, s. Draht II S. 643.
Eisenepidot, s. Epidot.
Eisenerde (griine), s. Hypochlorit.
Eisenerz oolithisches, s. Eisen oolith.
Eisenerze gibt es nur vier Hauptarten, u. zw. : 1. Magneteisenerze, 2. Rotheisen-
erze, 3. Spatheisenstein, 4. Brauneisenerze. Siehe d. f. die betreffenden Artikel. Lb.
Eisenfeilspane. Eine Maschine zur Trennung der Eisenfeilspane von Messing-
spanen hat V a v i n construirt. Magnete in geeigneter Weise angebracht, bewirken
die Scheidung. S. Dingier pol. Journ. Bd. 197.
Eisenfels. Itabirit, dicbtkorniges oder schiefriges Gestein aus Quarz, Magnet-
eisen. Eisenglimmer und Eisenglanz bestehend. Vorkommen in Brasilien (pic de
Itabira). Gtl.
Eisenferridcyailid, syn. mit Turnbulls-Blau, s. Blutlaugensalze I
pag. 667.
Eisenferi'OCyanid, syn. mit Berlin erblau I pag. 667.
Eisengam ist stark gedrelites und mit Starke appretirtes Baumwollgarn oder
Zwirn . s. G a r n - A p p r e t u r.
Eisengiesserei (fonderie en fer — iron-foundiy). Zur Geniige kennzeiclinet
das Wort ..Eisengiesserei", dass es sich hier darum handelt, fliissig gemacbtes
Eisengiesserei.
121
Eiscn in friiher hergestellte Formen derart zu leiten, class nach dem Erstarren
des Metalles der verlangte Gusseisen-Gegenstand (Gussstiick) erhalten wird.
Da die Eisengiesserei mit ihren Erzeugnissen beinahe jedes industrielle Wirken
mehr oder weniger beriihrt, musste dieselbe darauf bedaclit sein, den raannigfachsten
Anforderungen gerecbt zu werden, und vermag sie dies aucb in Folge ihrer neueren
Entwicklung in den meisten Fallen.
In dem Nacbfolgenden soil nur dasjenige besprocben werden, was speciell
fitr die Eisengiesserei gilt oder des Zusammenhanges wegen nicht feblen darf,
im Uebrigen sei auf den Artikel Giesserei verwiesen.
Das Rob-Material fur die Gussstiicke der Eisengiesserei ist Roheisen, dessen
Herstellung im Artikel Eisen II S. 771 geniigend besprochen wurde.
Nach der Farbe des Giesserei-Roheisens unterscheidet man weisses und
graues, das Gemiscb beider Farbungen findet sich bei dem balbirten Eisen. Hier
unterscheidet man wieder schwach und stark halbirtes.
Schwach halbirt ist jenes Giesserei-Roheisen, welches vorwiegend eine
gran e Farbung aufzuweisen hat, stark halbirtes Eisen jenes mit vorwiegend
weisser Farbe.
Je dunkler, das ist also, je mehr grau das Roheisen im frischen Bruche sich
zeigt, desto besser verwendbar ist es im Allgemeinen zum Giessereibetrieb, aus
dem Grunde, weil eben dieses Eisen nicht nur in. die schwacbsten Theile der
Form gleichmassig ausfliesst, sondern aucb nach dem Erstarren weich, also leicht
bearbeitbar bleibt. Doch nicht zu alien den verschiedenen Gegenstanden, welche
die Eisengiesserei herzustellen beauftragt wird, verlangt man absolut weich s
graues Eisen. Beim Gusse eines Dampfcylinders z. B. wird man bei der Gattirung
des Eisens wobl darauf bedacht sein miissen, ein schwach halbirtes, in seinem
Gusse sich dicht zeigendes Eisen zu erhalten, denn ein solches Eisen bat nicht
nur den Vortheil, dass beim Ausbohren des in Rede stehenden Stuckes die Innen-
flache moglichst frei von Grapbitausscheidung sich zeigt, sondern es liefert diese
auch etwas barter, also mehr der Abnutzung widerstehend. Das in seinem Bruche
sich vollkommen weissstrahlig zeigende Eisen ist zum Giessereibetrieb im Allge-
meinen nicht anwendbar.
Das Schmelzen des Roheisens geschieht in eigens hiezu hergerichteten Ofen
(Cupol-, Flamm- und Tiegelofen). Der Cupolofen ((forneau a manche — cupolo
furnace), welcher beim Giessereibetrieb zum Schmel- Fig. 1344.
zen des Roheisens die meiste Verwendung findet,
ist der Hauptsache nach ein Schacbtofen und als
solcher dem Hochofen (s. Ill S. 7) ahnlich.
Auf einem wohlfundirten, gemauerten Unter-
gestell ist eine kraftige Gussplatte aufgelegt und
mit derselben ein verticaler Cylinder aus Kessel-
blech verbunden , welc? er der feuerfesten Aus-
mauerung als Armatur client. Die Gicbt des Ofens
ist offen und die Ofenwande haben geeignete Durch-
brechungen fur die Formen und das Eisen- und
Schlackenstichloch. Eine der einfachsten und zweck-
entsprecliendsten Constructionen ist in Fig. 1814 r-^—~" J\^
dargestellt. a ist die Boclenplatte, b der Mantel Cupolofen.
oder Blecbcylinder, c die Ausmauerung, e die Form, / die Diise, g das Windrohr,
h das Schlackenioch, i die Ofenbrust^ in welcher sich das Stichloch fur das Eisen
befindet.
Die zur Ausmauerung des Cupolofens in Verwendung kommenden feuer-
festen (Chamotte-) Ziegeln werden je nach dem Durchmesser des Ofens in
Keilform hergestellt und auf die Hochkante voll auf Fug gemauert. Als Binde-
mittel der Ziegel wendet man im Ofen schon gebrauchte zermablene Cbamotte-
Ziegelstiicke mit Wasser zu einem ziemlich fliissig gemacbten Brei an. Die Fugen
zwischen den einzelnen Ziegeln miissen moglichst dicht an einander scbliessen.
122
Eisengiesserei (Oefen).
Zwischen der Mauerung des Ofens imd dem Bleclimantel wird ein schleehter
Warmeleiter (Asche) aufgestainpft, um das Warmwerden der Blechhiille zu ver-
hindern. Bei einem inneren Durchmesser des Cupolofens von 90cm wird man die
Einstromungs-OefFnung des Windes in eine Hohe von 40 — 45cm von der Sohle des
Ofens legen.
Es genligt fiir diese Dimension eine Windpressung von 13 — 16cm Queck-
silber, um mit guten Koks pr. Stunde 60 Ctr. Eisen fllissig zu machen. Ohne
dass die Mauerung des Ofens stark leidet, ist es bei diesen Dimensionen des
Cupol-Ofens leicht moglick, 110 — 120 Ctr. Roheisen niederzusclimelzen. Die Be-
schickung des Ofens vor dem Anblasen geschieht auf folgende Weise.
Vorerst hat man die von der vorhergegangenen Schmelzung schadhaften
Stellen des inneren Gemauers thunlickst in guten Stand zu setzen, so wie den
Herd von anhangenden Schlackentheilen zu befreien. Nachdem diese Ausbesserung
mit feucht angemaclitem feuerfesten Thon besorgt wurde, trocknet man den Ofen
mit angemacbtem Feuer langsam aus. So dies gescheben, beginnt man den Ofen
bis an 25cm iiber der Windeinstromungs-Oeffnung mit Koks zu fullen, bierauf
setzt man 10 Ctr. (500 Kg.) Eisen moglichst gut vertheilt auf die' so entstandene
erste Scbiittung Koks, schichtet dann 35 — 40 Kg. Koks auf, dann wieder weitere
10 Ctr. Eisen u. s. w., bis scbliesslicb der Ofen, auf seine ganze Hohe gefiillt,
fiinf Gichten enthalt. Zwischen die einzeluen Gichten setzt man etwas Flussspatb,
um einen leicbteren Fluss der Seblacke zu erzielen. Sodann wird bei offener
Brust die erste Fiillung des Ofens in Brand gesteckt und abgewartet, bis das
Feuer sich iiber der Winddiise gezeigt, dann die Brust gescklossen, das Wind-
register geoffnet. Nun ist der Schmelzprocess im Gange.
Ausser der oben dargestellten Form eines Cupolofens gibt es viele andere
Constructionen, an welchen namentlieb Abanderungen in der Anordnung der Wind-
einstromung getrofFen sind.
So wird der Wind in einen ausserbalb an den Ofen an-
gebrachten, sogenannten Windmantel w geleitet (Fig. 1345
u. 1346), anderntheils wieder befindet sich der Mantel
im Innern des Ofens und bedingt dann eine nach Fig. 1347
angedeutete Ausmauerung. Aus diesem Mantel theilt
sich der zugefiihrte Wind durch angebracbte Diisen in
den inneren Ofenraum. Die Diisen haben in diesem
Falle einen elliptiscben Querschnitt, deren grosse Achse
10'5cm und die kleine Achse 8tm betragt und sind in
Fig. 1346 u. 1347 derart in dem Ofen angeordnet, dass
37cm vom Herde die erste und weitere 37cm iiber selbem
die zweite Partie ihren Platz finden. Diese Windzu-
fiihrung bietet den Vortheil einer gleichmassigeren, inten-
siveren Erzeugung des Hitzegrades in der Scbmelzzone
Ft
g. 1346.
■
i
s
1
/
1347.
des Ofens. Um das Ausscharren des
Ofens nach geschehener Scbmelzung des
Eisens nicht nach gewbhnlicher Art be-
werkstelligen zu miissen, halt man Cupol-
ofen in Verwendung, deren Boden durch
eine Thiir, welche sich nach abwarts
bffnen lasst, ersetzt ist. Fig. 1348.
Selbstverstandlich ruht dann solch
ein Ofen nicht auf einem gemauerten
Sockel, sondern wird von vier Fiissen
getragen. Der Uebelstand bei dieser
Construction des Ofens ist wesentlich der,
dass bei jeder stattzufindenden Scbmel-
zung der Boden des Ofens neu bergestellt
werden muss, in Folare dessen es auch
Eisengiesserei (Formen).
12:
1348.
nothwendig ist, unnothig mehr Breimmaterial zum Austrocknen ties Ofens in An-
wendung zu bringen, als es bei anderen Oefen ohne dieser Vorrichtung noth-
wendig ist.
Flammofen (fovneau a reverbere — reverberatory
furnace) werden zum Einschmelzen des Giesserei-Robeisens
verwendet, wenn statt der Koks ein minder werthiges, billig
zu beschaffendes Brennmateriale verwendet werden muss,
oder wenn das Eisen langer im Fluss erbalten werden soil mid
auf bestimmte Gattirung ein besonderer Wertb zu legen ist.
Das im Flammofen zu verscbmelzende Roheisen wird
direct am Herde durch die Flamme zum Scbmelzen gebracbt,
sammelt sich dort in geboriger Menge mid wird endlich
durch die Stichoffnung, welche am tiefsten Punkte des
Herdes angebracbt ist, abgelassen. Die Bd. Ill S. 28 und 29 dargestellten Flamm-
ofen stimmen in den Hauptmerkmalen mit jenen zum Umschmelzen verwendeten
iiberein und kann bier auf Beiftigung einer Figur verzichtet werden. .
Um Roheisen in kleineren Quantitaten zum Schmelzen zu bringen, wird der
Tiegelofen in Anwendung gebracbt; hier kommt das zu verscbmelzende Eisen
nickt direct mit dem Breimmaterial in Beriihrung, sondern, wie scbon der Name
andeutet, in einen Tiegel, welcher, aus feuerfestem Thon oder Graphitmasse her-
gestellt, in das Feuer eingesetzt , Fig. 1349 a. Fig. 1349 b.
wird.*) Um das Feuer in dem
Tiegelofen lebhafter zu erbal-
ten, bringt man selben audi
mit einem Geblase (Fig. 1349
a und b) in Verbindung und
erzielt dabei ein rascberes
Schmelzen des Eisens im Tie-
gel, als dies bei gewohnlichem '
Zug (Fig. 1350 a und b) moglich ware.
Fiq. 1350
Das in einer dieser drei angefiihrten Oefen
fliissig gemachte Eisen muss in entsprechende
Formen geleitet werden, um dort zu erstarren.
Von dem Formen (moulage — moulding)
oder der Herstel-lung der Form.
Die Form (moide — moidd) fur den Eisen-
guss wird gewbhnlich aus Sand, Lehm oder
einem Gemiscb beider Substanzen der Masse
hergestellt; seltener ganz oder zum Theile aus
Eisen. Diesbeziiglich unterscheidet man den
Sand-, Lehm-, Masse- und Schalengiiss.
Selten kann der Sand, wie selben die Natur
bietet, zum Formen verwendet werden, mid
wird beinahe jede Giesserei ihr Hauptaugenmerk
darauf zu richten haben, verschiedene Sandsorten
mit ihren bekannten Eigenschaften derart zu mischen, dass das Product eine homogene,
unschmelzbare, die sich beim Guss bildenden Gase leicht durchlassige Masse bildet. Im
Allgemeinen wird von zwei sonst verwendbaren Sandsorten diejenigen zum Formen
geeigneter sein, welche beim Betraufeln das meiste Wasser einsaugt (s. F 0 r m s a n d).
Bei den Sandformen unterscheidet man solche, in welche ohne vorheriges
Trocknen das Eisen gegossen (griine Form) wird, und solche, welche vor dem
Gusse getrocknet werden. Um das Anschmelzen des Sandes moglichst zu ver-
hindern, wird bei den griinen Formen die Oberflache derselben mit genifihlenem
Fig. 1350 b.
') S. SchmelztiegeL Vergl. audi die Artikel Gas-S chmelzof en. Beziigiioli der
fiir das Schmelzen des Staliles beniitzten. Tiegelofen s. Art. Eisenerzengnng III S. 46.
124 Eisengiesserei (Herstellung der Formen).
Graphit oder Kohle, welcher in einen Leinwandbeutel gebracht wird, bestaubt;
bei den getrockneten Formen aber vor dem Trocknen die Oberflache mit im
Wasser angernachten Graphit bestrichen (geschwarzt).
Gegenstande, welche besonders dicht im Gusse sein sollen, dabei stark im
Eisen sind (Walzen, Presskopfe u. s. w.), werden in Masse geformt. Dieses
durch Mischung hergestellte Formmaterial besteht aus Lehm, Flnsssand mid Pferde-
mist zu gleicben Theilen. Pferdemist wird aus dem Grunde beigegeben, um den
beim Abgiessen der Form sich bildenden Gasen leicbteren Abzug zu gestatten.
Selbstverstandlich wird die Masseform vor dem Gusse gut getrocknet.
Die Lehmf orm erei findet beim Eisenguss dann ihre Anwendung, wenn Ab-
gitsse grosserer Dimensionen meist ohne Modell in Ausfiihrung zu bringen sind. Der
Lehm wird auch liier mit Pferdemist gemengt und mit Wasser teigartig angemacht.
Mit Vortheil mengt man in den Lehm auch Kuhhaare, um das Zerreissen der
Form beim. scharfen Trocknen moglichst zu verhindern.
Der Schalenguss wird iiberall dort augewendet, wo es sich darum handelt,
eine oder mehrere Flachen des Abgusses gleichmassig hart zu erhalten (Schalen-
gussrader, Hartwalzen u. s. w.). Das Giesserei-Roheisen besitzt namlich mehr
oder weniger die Eigenschaft, sich im fliissigen Zustande an eisernen Wandungen
(Schalen) abzuschrecken und dadurch weiss (hart) zu werden.
Die Herstellung guter Formen ist die wichtigste Arbeit des Giessers und
sei „das Formen" daher an mehreren Beispielen besprochen.
Das Formen eines Roll res in griinem Sande geschieht mittelst eines
Modelles in eigens hiezu hergerichteten gusseisernen Rahmen (Formkasten), welche
zuweilen, durch sogenannte Vorhange in Facher abgetheilt, den aufzustampfenden
Sand aufnehmen. Das Rohr-Modell wild behufs leichteren Abformens seiner Lange
nach aus zwei Theilen hergestellt, welche durch das sogenannte Schloss verbunden
sind, damit ein Verschieben der beiden Modellhalften nicht vorkommen kann. Man
bringt zu diesem Zwecke an der einen Halfte Ftihrungsstifte an s (Fig. 1351),
wahrend die andere entsprechende Vertiefungen enthalt. Die Halfte mit den Ver-
Fi(j. 1351. tiefungen wird auf das Formbrett gelcgt,
der Formkasten darauf gesttirzt und
der leere Raum zwischen Modell und
Rahmen (nach Bestauben mit Graphit)
mit Sand aufgestampft, sodann wendet
5
Modell man den Formkasten sammt dem Modell
n sog. Kernmarkeu. um? glattet die Oberflache der Form
mittelst des Polireisens, bestaubt selbe mit pulverisirter Holzkohle, legt die zweite
Halfte des Modells auf die erste, setzt die zweite Formkastenhalfte darauf, welche
wieder durch Stifte s (Fig. 1352) einerseits und Locher andererseits eine Fiihrung
Fig. 1362. erhalt, und stampft wie friiher
den Formkasten auf. Die Ka-
nale zumEingiessen desEisens,
so wie die nothigen Steigtrichter
werden im Sande ausgespart.
Nun schreitet man zum
"$/-" H^ Abheben des Oberkastens vom
j unteren, wendet selben um,
Oberkasten, u Qnterkasten, z Zapfen, an welche bei zieht> nachdem man friiher noch
grrosseu Formkasten die Hebehaken eingeha'ngt werden. die BeriihrilllgSStellen des Mo-
delles mit dem Sand befeuchtet
und das Modell losgeklopft hat, dieses aus dem Formmaterial. Die schadhaften
Stellen der Form, welche bei noch so vorsichtigem Herausziehen des Modells zu
Tage treten, werden wieder mit Hilfe der diversen Former Werkzeuge reparirt und
die Form mit Graphit bestaubt. Ganz dasselbe Verfahren wiederholt sich bei
der unteren Formkastenhalfte. Beide zusammen geben den Mantel der Form.
Eisengiesserei.
m
Fig. 1353.
2
-s
1
Kernkasten
Fig. 1354.
Herstellung eines Lelmikernes.
Je nacb dem licliten Durchmesser und der Lange des Rolires werden Sand-
oder Lehmkerne in Anwendung gebracht. Erstere gelangen in sogenannten K e rn-
b ii c b s e n oder Kernkasten zur Ausfiihrung, wo der Kern auf ein entsprechendes
gusseisernes Gerippe aufgestampft wird. Da diese Kernkasten zwei- oder mehr-
tbeilig sind, so lasst sich der Kern leicht aus denselben nebmen. Fig. 1353.
Zur Anfertigung eines Lehmkernes bedient man sicb eines, nacb seiner
Lange mit kleinen Lochern \ersehenen Gasrohres, welches mit einem dem
Durchmesser des Kernes entsprechend
starken Strohseil umwunden wird. Auf
diese so bergerichtete Spindel wird Lehm
aufgetragen, dieser getrocknet, die Kern-
spindel sodann in entsprechende Lager
gelegt, und wieder weiter so viel Lehm
aufgetragen, als nach einem vorgelegten
Schablonen-Brett nothwendig ist, um den
Kern auf den verlangten Durchmesser zu
bringen. Fig. 1354.
Der Sand-, so wie der Lehmkern
wird mit Graphitschwarze iiberzogen und
in der Trockenkammer vor dem Einlegen
in die Form gut getrocknet.
Um das Rohr, wie es in den meisten
Fallen verlangt wird, stehend zu giessen,
muss auch die Form geschwarzt und getrocknet werden. Nach dem Einsetzen
des Kernes in die Form ist selbe zum Guss fertig. Fig. 1355.
Nicht immer geniigt zum
Abformen diverser Gegenstande
ein zweitheiliger Formkasten,
bei einer Seilrolle z. B. wird,
wie beistehende Figur 1356
a und h zeigt, ein dreitheiliger
Formkasten noting sein oder
doch das Formen wesentlich
erleichtern.
A Ober-, B Mittel-, C
Unterkasten. Das zum Abformen in Ver-
wendung zu bringende Modell muss selbst-
verstandlich nach a b getheilt sein.
Beim Formen legt man das Modell auf
ein Modellbrett c, gibt dartiber den Mittel -
kasten B und stampft den Sand zwischen
Modell und Rahmen auf. Hernach glattet
man mittelst des Polireisens die Sand-
flache bei d, f} bestaubt selbe mit Holz-
koblenstaub und setzt den Untertheil C
auf, stampft auch diesen mit Sand voll
und wendet diese beiden Formkasten nebst
dem Modellbrett um. Nachdem das Modell-
brett abgehoben, die Fla'che bei g, h
glatt gestrichen und bestaubt wurde, stampft
man den Obertheil A ein, in welchem auch
der Gusskanal ausgespart wurde. Nach
Abheben desselben zieht man die Modell-
balfte 1 aus dem mittleren Formkastentheil
B, setzt dann den Kasten A wieder auf B, wendet die drei Formkastentheile,
bebt dann den Theil C von B ab, und ziebt die Halfte 2 des Modells aus dem
Fig. 1355.
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k der Kern ist mit seinen Enden m in die Kernmarken
der Form eingelegt.
Fig. 1356 a.
126
Eisengiesserei (Formen mit Modell).
Kastentheile B. Nachdem cler Kasten C wieder aufgesetzt wurde, wendet man
die drei Theile noehmals und der Guss kann vor sich gehen. 1st der Durchmesser
der Rolle ein kleiner und die Stiickzahl der Abgiisse eine mindere, dann lohnt es
sich der Giesserei nicht, erst eigens hiezu passende Formkasten anfertigen zu
lassen. Das Abformen soldier Rollen kann audi in zweitheiligen Formkasten vor-
genommen werden.
1st 1, 2 in Fig. 1357 das abzuformende Modell (wie friiher getlieilt), so
legt man selbes vorerst auf das Modellbrett c, beschwert leicht das Modell, und
1357. drtickt den Sand, wie nach Fig. 1357 ange-
deutet ist, rings in die Nuth des Modelles
ein. Glattet und bestaubt die so erhaltene
Oberflache des Sandes, setzt den Formkasten
(A) dariiber und stampft selben voll Sand,
wendet den Kasten sammt dem Modellbrett,
stampft den zweiten Theil (B) des Formkastens voll ; hebt, so selbes geschehen,
diesen wieder ab und zieht die Halfte 2 des Modelles aus dem Sande, setzt den
Formkastentheil B wieder darauf, wendet die beiden Theile, hebt den Kasten A,
welcher jetzt nach oben gekommen, ab, und zieht die Halfte 1 des Modelles aus
dem Sandkorper 3, welcher bei dieser Art von Formerei die Stelle des mittleren
Rahmens beim clreitheiligen Formkasten vertritt, setzt das Obertheil wieder darauf
und die Form ist zum Abgiessen bereit.
Nach dem Gesagten ist das Einformen eines Topfes Fig. 1358 a, b, c, einer
Stufenscheibe Fig. 1359 a u. b, und der in Fig. 1360 a u. b dargestellten kleinen
Gegenstande ohne weitere Erklarung verstandlich.
Fig. 1358 a. Fig. 1358 b. Fig. 1358
e
Fig. 1359
Fig. 1361 a.
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Ig^pfygi
JtL.
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i®
=0
Urn einenDampf-
cy Under mit ange-
gossenen Pratzen, welche
zum Befestigen an die
Fundamentplatte dienen,
nicht in einem dreithei-
ligen, ja je nach seiner
Art in einem viertheiligen
Formkasten form en zu
miissen , werden soge-
nannte f a 1 s c li e T h e i 1 e
der Form (Keilstiicke)
in Anwendung gebracht.
Fig. 1361 a zeigt die
Halfte des Modelles in
dem Untertheil des Form-
kastens eingestampft und
Fig. 1361 b den Quer-
schnitt nach a @. Nach-
dem bei c der Sand ent-
Eisengiesscrei.
127
Fig. 1361 b.
sprechend der Form der Pfatzen heraus-
gehoben, die seitlichen Wandungen des
stehen gebliebenen Sandes geglattet imd
bestaubt sind, setzt man ein schon friiher
abgegossenes Kerneisen in den so ent-
standenen freien Ranm und stampft
dieses bis zur Halfte des Modelles e,f
des Modelles iiber die bereits einge-
stanipfte, stampft den Oberkasten ein,
hebt diesen vom Unterkasten ab, und
zieht die Halfte des Modelles aus dem
Formkasten. Das gleiche Verfahren wiederholt sich beim Untertheil, nur dass in
diesem Falle die Pratzen g, h, k, I vorerst vom Modell losgeschraubt werden
miissen, urn die falschen Tlieile sammt den Kerneisen aus dem Sand heben zu
konnen. Schliesslich zieht man die so zu Tage getretenen Pratzen-Modelle aus
der Form, reparirt diese so wie die falschen Tlieile, iiberstreicht selbe mit Graphit-
schwarze und trocknet die Form in der Kammer gut durch. Die weiter in die
Form einzulegenden Kerne B7 C, D werden in Kernbtichsen hergestellt, der cy-
lindrische Kern A wird nacli Art des oben beschriebenen Rohrkernes angefertigt.
Der Lehm flir die Kanal-Kerne muss besonders gut durchgearbeitet und
poros sein (mit Vortheil mengt man den dritten Theil Kuhmist zu, damit die sich
wahrend des Gusses bildenden Gase durch die sorgfaltig. im Kern ausgesparten
Abzugskanale leichten Abgang finden. 1st die so nothwendige, fleissige Herstellung
dieser Sandkerne ausser Acht gelassen, so wird es vorkommen, dass die Gase,
welche dann nicht regelrecht entweichen konnen, sich durch das noch in der Form
fliissige Eisen Balm brechen und das Gussstiick bei der weiteren Bearbeitung sich
in seinen Wandungen als blasiges zeigen wird. Zur Versteifung der Sandkerne
selbst legt man je nach der Starke des Kernes in die entsprechende Kernbuchse
vorerst etwas Lehm und dritckt in diesen ein der Form des Kernes ahnliches
Draht-Gitter ein, so dass, nachdem der Lehm bis auf die verlangte Starke des
Kernes aufgetragen wurde, dieses das Gerippe des Dampfkanal-Kernes bildet.
Die Abzugskanale der Gase aus dem Kerne werden am sichersten ausgespart
durch eingelegte Wachsdrahte, welche beim gelinden Trocknen des Kernes aus-
fliessen. Der zuriickbleibende Draht (Docht) kann dann leicht herausgezogen werden.
Das Einlegen der Kerne bei gut getrockneter Form des Cylinders beginnt
mit dem Hauptkern A in Fig. 1361, hierauf legt man in die Form den Kern B,
welcher nach Abguss des Stiickes den inneren Raum des Schieberkastens bildet
und reiht an selben und den Kern A die beiden Sandkerne C, C. Diese werden
zu ihrer Befestigung einerseits in den Kern B bei o, p in die ausgesparten
Marken eingelegt, anderseits stumpf an den Kern A angeschoben und mittelst
eingesteckter Kernnadeln (Stipper) an selben festgehalten. Schliesslich wird der
Kern D des zu bildenden Dampfausstromungs-Kanales eingelegt und ebenfalls
durch Marken und Stipper in der Form fixirt. Bei ' der Versteifung der Kerne
unter einander wird man nur an jenen Stellen Kernnadeln (Stipper) in Anwenduug
bringen, deren Flachen durch Ausbohren oder Behobeln einer Appretur nicht unter-
liegen. Sind die Kerne, wie erwahnt, eingelegt, der Staub, der sich wahrend
des Einsetzens in die Formvertiefungen abgesetzt, sorgfaltig herausgeblasen, dann
setzt man den Obertheil des Kastens auf den Unterkasten, schraubt die beiden
Theile zusammen, und stellt dann diese mit dem Aufguss E (verlorenen Kopf)
nach oben in der Dammgrube auf. Nachdem der Kasten sorgfaltig in der Grube
mit Sand eingedammt wurde und die Gase aus der Form durch Kanale urn den
Formkasten ihren Abzng erhalten haben, kann zum Gusse des Stiickes geschritten
werden. Rasches Abgiessen bei sonst sorgfaltig hergestellter Form, so wie ein
reines, nicht zu sehr uberhitztes Eisen, wird einen dichten, porenfreien, gut be-
arbeitbaren Dampfcylinder liefern.
128
Eisengiesserei (Schablonenformerei).
Das Form en von Zahnradern erfordert darum einer grosseren Auf-
merksamkeit, weil meist die Zahne des gegossenen Rades ohne weitere Bearbeitung
in die eines zweiten so eingreifen sollen, dass ein ruhiger Gang sicb bemerkbar
macht. Ein genaues Modell, ein vorsichtiges Einstampfen des Zahnkranzes bei
gut zubereitetem Formsand, so wie ein gleichmassiges Losklopfen des Modells
aus dem Sande, mid scliliesslich eine ruliige Hand beim Ausheben sind die Haupt-
factoren, urn einen gelungenen Abguss zu Stande zu bringen.
Da es bier zu weit fiihren wlirde, die Formerei der divers en Arten von
Zahnradern in's Detail zu beschreiben, so sei nur die Formerei eines Holzkamm-
rades nach einem Modell und eines grossen Zabnrades mittelst Scbablone besprochen.
In Fig. 1362 a und b ist das Modell in dem Unterkasten eingestampft. Nachdem
der Obertlieil abgehoben wurde, wurden im Untertheil die Beriihrungsflachen des
Sandes mit dem Modell vorsiclitig mittelst
eines Pinsels befeuchtet, das Modell gleich-
zeitig losgeklopft und aus dem Sande ge-
hoben. Nachdem die Kernmarken so wie
die iibrigen Theile der Form reparirt
wurden, schreitet man zum Einsetzen der
Kerne , welche nach dem Abgusse die
Kammlocher bilden. Diese Kerne werden
in Kernkasten mit den nothigen Gas-Ab-
zugskanalen hergestellt , getrocknet und
in die im Sande ausgesparten Kernmarken
1, 2, 3 u. s. w. nach einander zum Mittel-
punkt des Rades bin eingelegt. Die ober-
halb der Kerne an der Peripherie der
Form offen stehenden Liicken werden
mittelst eines vorgehaltenen, entsprechend
dem Halbmesser des Rades convex ge-
schnittenen Brettchens b Fig. 1363 mit
Sand bis zur Gleiche der Form zugedammt.
Sind Zahnrader von grosserem Durch-
messer, bis 10' und dariiber, herzustellen,
dann ist es die S c h a b 1 o n e n f o r m e r e i ; welche bei
praciser Handhabung ganz gelungene Abgusse erzielt.
Sie ist in manchen Fallen den Radform-Maschinen vor-
zuziehen, weil der Durchmesser des zu formenden Rades
hier kein beschrankter ist; und die Anschaffimgskosten
gegeniiber denen einer Formmaschine viel geringer sind.
Bei dem Formen eines grosseren Zabnrades ohne Modell
sind es die nach Zeichnung geschnittenen Schablonen,
welche durch Dj-ehung um eine verticale Achse die verlangte Form in dem auf-
gestampften Sand herstellen helfen.
In Fig. 1364 ist a die in ihren Lagern c c' senkrecht stehende abgedrehte
Spindel und b der Arm, welche auf derselben leicht auf- und abgeschoben werden
kann und notbigenfalls wahrend des Formens bei d mittelst einer Schraube fest-
gestellt wird. So genugen weiter noch zwei Flugspindeln, eine kleine Schablone
zum Ausziehen der Arme7 so wie deren obere Rippen und eine Kernbiichse zur
Herstellnng der Zahnlucken , um mit der Formerei des Zabnrades beginnen zu
konnen.
Die Grosse des in Rede stehenden auszufiihrenden Gussstiickes bedingt,
dass selbes direct in der Herdsohle der Giesserei geformt wird.
Nachdem vorerst die Grube hiezu ausgehoben wurde, die Spindel a nebst Arm
b auf ihr unteres Lager c gestellt ist, wird der Arm e, wie in Fig. 1364 a u. b
deutlich ersichtlich ist, in das Lager c' der Spindel niedergelassen. e ist durch
die beiden Streben f, f gespreizt. So vorbereitet schraubt man das mit Blech-
Fig. 1362 b.
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1363.
Eisengiesserei (Schablonenformerei).
Fig. 1364 a.
129
Fig. 1364 b.
streifeu beschlagene
Schablonenbrett S an
den Arm b der Spin-
del , vorausgesetzt ,
dass die Schablone auf
das richtige , innere
Mass des zn formen-
den Rades gestellt
wurde. Starapft die
Grnbe mit fein ge-
siebten Sand beilaufig
der zu erbaltenden
Form an, senkt den
Arm sammt Schablone
und dreht die Form
nach Fig. 1364 rein
aus. Glattet die so
erhaltene Flache mit
dem Polireisen , be-
streut selbe mit ma-
geren trockenen Sand
nnd reisst mittelst
eines spitzigen Griffels
die Arme ihrer Figur nach auf das durch Ausdrehen so erhaltene Untertheil der
Form. Nachdem die oberen Rippen (-Modelle) auf das Mittel der vorgerissenen Arme
mittelst Drahtstiften fixirt wurden, setzt man den Formkasten dartiber und stampft
auf die frtiher eingelegten Kerneisen, die Felder zwischen den Armen, so wie
weiter den Kasten mit Sand voll. Die in die Kerneisen eingeschraubten Oesen
werden jetzt an die im Formkasten befindlichen Traversen festgekeilt; urn den
Kasten in die Herdsohle die Fiihrungsstiften geschlagen und dann der Obertheil
der Form abgehobeu.
Fig. 1365.
Die Spindel, welche wahrend des Einstampfens des Obertheiles herausgehoben
wurde, wird jetzt wieder in ihre Lager gebracht und an den Arm das zweite
Schablonenbreft B angeschraubt (Fig. 1365). Nach einmaliger Umdrehung der
Schablone wird die Schraube bei d geliiftet und der Arm sammt Brett um circa
4mrn tiefer gesenkt, dies wiederholt sich bei stetem Ausheben des Sandes so lange,
bis die Schablone B die schon frtiher nach Schablone S in Fig. 1364 gebildete
Flache bei g g' g" g4" trifft, wie dies unsere Fig. 1365 zeigt.
Die Eintheilung der Zahne geschieht auf einem gusseisernen Ringe E, dessen
Durchmesser grosser ist als der des zu formenden Rades. Man giesst auf ihn eine
beilaufig 4mm starke Schichte Gyps, schabt diese nach dem Erstarren mittelst eines
Karmarsch & Heeren, Tcchnisches Worterbuch. Bd. HI. 9
130
Eisengiesserei.
Fig'. 1368.
Messers ab unci schwarzt
den Gyps mit Holzkoh-
lenstaub, urn scharfer
markirte Tlieilstriche
zu erbalten. In die Form
wirdbeiaFig. 1366 auf
den verlangerten Arm
derSpindel eingehobel-
tes Lineal vertical aufge-
schraubt, und an dieses
die im Kernkasten aus
fettem Sand angefertig-
ten Zahnlucken, nach-
dem der Zeiger bei b
immer um einen Theil-
stricb weiter gegangen,
nach einander von links
nacb rechts angelegt
und durch die fiiiher
ausgesparten Oeffnungen an die ausgedrehte aussere Wandung der Form angestiftet.
Fig. 1367 stellt die Kernbikhse der berzustellenden Zahn-
liicken in der Draufsicht vor.
Die Rad-Arme werden, wie in Fig. 1366 und 1368
ersichtlich ist, mittelst eines Scbablonbrettcbens n zwiscben
zwei Linealen m durch Herausbeben des Sandes bergestellt.
Wurde die Form im Unter- und Obertheil reparirt,
so iiberziebt man diese mit Grapbitscbwarze und troeknet
sie gut durch. Mit dieser Art von Formerei ist man
in den Stand gesetzt, alle Arten von Zalmradern, Schwung-
radern, Turbin- oder Riemscheiben u. s. w. mit geringen
Abanderungen in Ausfuhrung zu bringen.
Unter den verschiedenen Arten von mecbanischer Formerei*) sei bier das
Formen auf Modellplatten (welcbe gleichsam aus einer Vereinigung der
Modellbalften mit je einem Formbrett bestehen) bervorgeboben, weil man mittelst
derselben in den Stand gesetzt ist, die diversesten Gegenstande rascb, gut und
billig berzustellen. Soil z. B. selbes zum Formen von massiven Kugeln in An-
wendung gebracbt werden, so miissen die biezu nothwendigen Formkasten an ibren
Beriibrungsflacben gebobelt sein, und deren Fiibrungsstifte, so wie die entspre-
cbenden Locber derart genau in einander passen, dass das Obertheil eines Kastens
auf sa'mmtliche Untertheile der anderen Kasten und umgekehrt ohne im geriugsten
zu scblottern, gesetzt werden kann.
Der Ober-, so wie der Unterkasten wird jeder fur sicb auf seiner ibm zu-
geborigen Modell-Platte eingestampft, welcbe durch ein Schloss (vergl. s S. 124)
derart mit dem Kasten verbunden ist, dass eine gegenseitige Verscbiebung nicht
stattfinden kann.
Es kommt mitbin der Unterkasten auf die genau gehobelte erste Modellplatte,
z. B. jene, welche nebst den vier Halbkugeln auch die Erhbhungen fiir die Ein-
giisse aufgenietet tragt, der Oberkasten auf die eben so genau zugerichtete zweite
0 S. den Artikel Kohren.
Eisengiesserei (Lehmformerei). 131
Modellplatte, welche mit den zur Erganzung erforderlichen Modellbalften armirt
ist; so class, wenn beide Kastentheile rait Sand angestampft, von den Flatten ab-
gehoben und aufeinander gesetzt, niclit die geringste Versehiebung der ausgesparten
Formtlieile bemerkbar ist. Zu bemerken ware hiebei noch, dass die Eingusskanale
des raschen Form ens halber auf der Formplatte des Unterkastens ein fur allemal
lest angemacht sind. Nach diesem angefiilirten Beispiel der Plattenforrnerei ist
es ersichtlich , dass die verschiedenartigsten Gussgegenstande durcb Austausch
anderer Modellplatten mit denselben Kasten zur Ausfiihrung gebracht werden kbnnen.
Bei der Lehmformerei ist das die Form bildende Materiale Lehm.
Die Lehmformerei wird durch das rationellere Herstellen der Formen in
Sand und Masse immer mehr in den Hintergrund gedrangt. Das langsame Arbeiten
der Formen in Lehm; so wie die kostspielige Herstellung haben die Eisengiessereien
aufmerksam gemackt, dass man im fetten Formsand (Masse) schneller und eben so
gelungene, verhaltnissmassig billigere Abgiisse schaffen kann. Die Lehmformerei
wird heute dort Anwendung linden, wo es sich handelt, Abgiisse anzufertigen,
deren Modelle nicht nur wegen ihres grosseren Volumens sehr kostspielig kommen,
sondern wobei auch die hiezu in Verwenclung kommenden Formkasten ausserge-
wbhnlich grosse Dimensionen annehmen miissten (z. B. Geblasecylinder) ; und dort,
wo schwere, massig in Eisen gehaltene Gussstiicke herzustellen sind, weil eben
dieses Formmaterial dem fliissigen Eisen mehr Widerstand, in Folge dessen grossere
Sicherheit wahrend des Gusses bietet. Die zum Formen in Sand nothwendigen
Formkasten fallen bei dieser Art von Formerei ganzlich weg und an deren Stelle
treten Backsteine, und je nach der Figur des herzustellenden Gusses verschieden-
artig gekriimmte Eisenschienen.
Der Lehm, wie er an seinen Fundorten gegraben wird, muss immer vor
Verwendung zum Formen eigens zugerichtet werden. Das Ausscheiden der im
Lehm eingeniengten Steinchen geschieht mittelst des Siebes. In den so gereinigten
Lehm mischt man Flusssand, damit er poroser wird und die beim Guss sich
bildenden Gase leichter entweichen lasst. Aus eben demselben Grunde gibt man,
je nachdem der Lehm mehr oder weniger fett ist, Pferdemist bis ein Drittel
hinzu. Um das Zerreissen des Lehms wahrend des Trocknens bestmoglichst zu
vermindern, mengt man Kuhhaare binein. Nachdem die angefiilirten Theile im
richtigen Verhaltniss dem Lehm beigegeben wurden, feuchtet man das Gemisch
mit Wasser an und knetet die Masse am besten mit den Fiissen so lange durch-
einander, bis selbe eine teigartige Consistenz angenommen hat.
Um an einem Beispiel die Formerei in Lehm zu veranschaulichen, sei die
Herstellung der Form einer Kiihlpfannschale naher besprochen.
In F.ig. 1369 a und b ist a, a ein gusseiserner Ring, dessen Durchmesser
grosser ist als die abzugiessende Schale, b, b sind Fiisse, auf welche der Ring
bestmoglichst horizontal gelegt wird, c ist eine vertical stehende Spindel in ihren
Lagern d, d laufend. An den Arm e wird die Schablone /, welche den Kern der
Form abzugleiclien hat, angeschraubt. Das Aufmauern des Kernes geschieht mittelst
halbgebrannten Backsteinen , als deren Bindemittel breiartig angemachter Sand
verwendet wird. Auf den so hergestellten rohen Kern wird Lehm 1 — 2CIU stark
aufgetragen, hierauf trocknet man den Kern schwach, gibt dann eine weitere Lehm-
schichte von 2cm, und gleicht diese darin mittelst des mit dem Blechstreifeu g
beschlagenen Schablonenbrettes / ab (Ausdrehen). Der so weit hergestellte Kern
wird nun getrocknet und nachher mit einem Gemisch von fein gesiebter Asche
und Wasser bestrichen. Nun schreitet man zur Biklung des sog. Hemd es h, d. b.
man tragt eine Lehmschichte auf, deren Dicke der nach dem Abguss verlangten
Eisenstarke entspricht. Eine zweite Schablone dient zum Ausdrehen des Hemdes.
Nachdem die Form (Kern und Hemd) abermals getrocknet wurde, setzt man nach
Angabe der Werk-Zeichnung die eventuell am Guss verlangten Pratzen, Flanschen
u. s. w. (aus Holz hergestellt) auf und bestreicht, um eine Trennungsnache zu erhalten,
die Oberflache der neu hergestellten Lehmschichte wieder mit angemachter Asche.
Nun beginnt das sogenannte M a n t e 1 n derForm, die Herstellung des Mantel s.
132
Eisengiesserei (Lehmguss).
Fig. 1369 a.
d
Fig. 1369 b.
Olme weitere Benutzung der Schablonenbretter tra'gt der Former eine 1 — 2cm
starke Scbichte Lebm bestmoglichst gleiehformig auf die so bergestellte Eisen-
starke oder das Herud und trockuet sie abermals.
Die nach der Form gebogenen Schienen s werden jede einzeln wieder mit
Lebm auf der der Form zugekehrten Seite auf 1 V2cm bocb bestricben und auf
eine Entfernung von 10 zu 10cm auf die so weit bergestellte Lebmform gut aufge-
rieben. Die entstandenen Felder zwischen den Eisenscbienen werden nun wieder mit
Lebm ausgefiillt und weiter dann der gauze Corpus mit einer 1/ncm starken Schicbte
Lebm tiberzogen. Nacbdem die Form so weit vorgescbritten und" wieder getrocknet
wurde, setzt man, wie nach Fig. 1369 ersichtlich ist, einen gusseisernen Ring g
liber das Eisengerippe und verbindet selben wieder innig mittelst Lebm mit der
zuletzt aufgetragenen Lehmschichte. Der jetzt neu auf die Form gebracbte Lebm
muss gut getrocknet werden, weil man widrigen falls leicbt Gefabr laufen konnte,
dass beim Abbeben des Mantels m der Ring iiber die Form abglitte.
Bei vorausgesetzt vorsicb tiger Manipulation kann dies nicht so leicbt vor-
kommen, und ohne Anstand la'sst sicb der Mantel der Form von der mit Ascbe
bestricbenen Trennungsflacbe des friiber aufgetragenen Hemdes (Eisenstarke) ab-
beben. Nun scbreitet man zum Ablosen der Eisenstarke und iiberziebt bierauf,
nacbdem man friiber den Kern von den anhangenden Ascbentheileu befreit und
die vorgekommenen Risse ausgebessert hat, mit Graphitschwarze und trocknet den
Kern gut durch. Audi der Mantel wird jetzt ausgebessert, die etwa vorkommenden
Modelltheile, Lappen, Sttitzen u. s. w. aus selben berausgezogen, und scbliesslicb
so wie der Kern mit in Wasser angemachtem Graphit bestricben und gut ge-
trocknet. Beim Zusammensetzen der Form wird vorerst der Kern in die Damm-
grube gebracbt, der innere bohle Raum mit Sand angefiillt, die zuriiekgebliebene
Oeffnung nach der Form des Kernes mittelst Lehm geschlossen, und der Mantel
nach den, vor dem Abbeben angedeuteten Zeichen dariiber gesetzt.
Eisengiesserei (Schalenguss). 133
Friiher unter den Ring a in die Dattimgrube gelegte drei Eisenschienen werden
gegeniiber den sechs angegossenen Lappen I des Mantelringes g gebracht und
dnrch Schrauben verbunden. Anf diese Weise wird der Mantel der Form mit
dem Kern fest zusammengezogen. Weiter wird die Form vorsichtig eingedammt
mid iiberdies nocb mit Bescbwereisen belastet. Durcli ausgesparte Kanale in dem
Sand wird Sorge getragen, dass die wabrend des Gusses sich bildenden Gase leicbten
Abzng aus dem Kern, so wie ans dem Mantel der Form erbalten. Die an der
hocbsten Stelle der Form angebracbten Gusskanale sollen nicbt zu stark sein, urn
dem Aussprengen beim weiteren Putzen des Gusssttickes vorzubeugen. Dieser
scbwacben Gusskanale bringt man 4 an, deren Durcbmesser 19mm nicbt iiber-
steigen soil, vereinigt selbe ausserbalb der Form in eine Mulde und der Guss
kann vor sich gehen.*)
Der Schalenguss wird in der Eisengiesserei, wie friiher scbon erwahnt,
bei solcben Gegenstanden in Verwendung kommen, von denen beansprucht wird,
dass selbe Harte, also in Folge dessen weniger leicht sich abniitzende Flacben
besitzen. Diejenigen Flacben des Gussstiickes, welche bearbeitet werden sollen
oder iiberhaupt das ursprtinglich graue Eisen aufzuweisen haben, werden in Sand
abgeformt, jene Tbeile, welche hart werden sollen, erhalten als Begrenzung die
gusseiserne Schale. Sandform und Schale miissen genau zusammengepasst sein.
Als Beispiel eines Schalengusses sei bier die Form einer Hartwalze
naher in's Auge gefasst. Die ganze Form bestebt der Hauptsache nach aus
dem Unterkasten a (Fig. 1370), der Schale b und dem Oberkasten c. Vorerst
wird der Unterkasten a g , welcher tangential einmundet , aufgestampft , der
Eingusskanal mit Zubilfenahme des entsprechenden Modelltheiles ausgespart und
die Form gut getrocknet, am Boden der Dammgrube hingesetzt. Wie in der
Figur ersichtlich, passt die Schale b in den ausgedrehten Theil des Kastens a,
wie auch in den analogen Theil des Kastens c. Mittelst angebrachter Schrauben
werden diese drei Theile fest zusammengezogen und der Eingusskanal circa 6 bis
7cm stark an den Unterkasten angepasst. Um das Reissen der Schale moglichst
zu verhindern, wird selbe vor dem Giessen der Walze gut vorgewarmt. Wabrend
des Eindammens der Walzenform in die Dammgrube wird mit Vortbeil rings um
die Schale ein 2cm starker Ring im Sande ausgespart, indem mit der Schale die
spater zu entfernenden Holzbrettchen i eingestampft werden. In dicsen Raum
wird knapp vor dem Guss Eisen gegossen. Dies hat lediglich den Zweck, best-
moglichst von Aussen die Schale zit erwarmen und das Springen der Schale zu
verhindern. d und / sind Formkasten fur den Gusskanal, bier Steigrohr genannt.
Mit dem Schalenguss verwandt ist der Scbwenkguss.**) In die mehr-
theilige, wobl zusammengefiigte, gut vorgewarmte eiserne Form wird geschmolzenes
Eisen gegossen, einige Secunden rnben gelassen, und durcb Umstiirzen der Form
der noch grossentheils fltissige Inhalt entleert. Man erhalt bierdurch einen sehr
diinnwandigen Guss, entsprecbend der an den Wandungen der Form erstarrten
Kruste.
Beim Centrifugal guss wird das gescbmolzene Eisen in eine rotirende
eiserne Form, deren Innenflache eine Rotationsflac.be sein muss, gegossen. Durcli
die Rotation legt sich das fltissige Eisen an die Form wandungen an und erstarrt
*) In ganz almlicher Weise findet die Herstellung der Form fiir Geblasecylinder, grosse
Saulen etc. statt. Bei sehr grossen Gussstiicken muss jedocli anf die beim Erkalten
eintretende Zusammenziehung des Metalles Riieksicht genommen werden. Bei der Anf-
manernng des Kernes z. B. einer grossen Saule, wie solehe bei Balancirmaschinen
vorkommen, werden eiserne, oben in einen Ring endigende Flachsehienen eingemauert
und nach eingetretener Erstarrung mittelst des Krahnes aus dem Kern gezogen, damit
sich derselbe zusammenziehen kann. Eben so werden unter den IMantel t'iir das Kapital
der Saule segmentformige Eisenplatten gelegt, welche man gleichfalls naeli eingetretenem
Erstarren seitlich entfernt, und bierdurch ein Abreissen des Kapitals von dem Sa'ulen-
schafte verhindert.
**) Derselbe findet in der Hiitte in Badisch-Wiesenthal zum Gusse von Christus-Biisten
ii. dgl. Anwendung, Dingl. polyt. Journ. 167. Bd. S. 121.
134
Eisengiesserei. — Eisenguss.
Fig. 1370.
mi
si
an denselben. Man hat durch Centrifugalguss Rohren und paraboloidische Hohl-
gefasse hergestellt. (Dingl. pol. Journ. Bd. 114 S. 326.)
Die beim Eisengusse selbst zu beobachtenden Vorsichten sind der Haupt-
sache nach die gleichen, welche auch beim Giessen anderer Metalle eingehalten
werden miissen ; desgleichen bietet die Nacharbeitung oder Appretur der Guss-
stiicke nielits Eigenthiimliches , so dass beziiglich dessen anf den Artikel
Giesserei verwiesen wird.
Li teratnr: Kars ten's Eisenhiittenkunde Bd. III. — Technol. Encycl. von
Prechtl, Bd. V S. 70 — 121, Bd. 22 S. 613. — D iirre, Eisengiesserei
2. Bd. Leipzig, Felix 1870 — 1875. — Ueber Formraascliinen siehe
Kerpeli J. B. ii. Fortscli. in Eisenhiittenwesen. ferner Dingler's polyt.
Journ. u. A. Anton Belani.
Eisenglanz, s. Rotheisenerz.
Eisenglimmer, schuppige Form von Eisenglanz, s. Rotheisenerz.
Eiseiiglimmersclliefer, em schiefriges Gemenge von mehr oder weniger
Quarz mit schuppigem Eisenglanz, wodurch das Gestein glimmersehieferartig wird.
Lst in Schweden ein sehr verbreitetes Erz, kommt namentlicli in der Gegend von
Nonberg reiehlich vor, und ist liauptsaeldich jenes, welches von den Schweden als
„diirres Erz" (torr Malm) bezeiehnet wird (wegen des Bedarfes von Zuschlagen
zur Schmelzung). In Brasilien und Siidcarolina bildet der Eisenglimmerschiefer
zwischen Tbonschiefer und Stakalemit machtige Schichtensysteme. Sonst ist er
sehr untergeordnet verbreitet. Lh,
Eisengliihspan, Eisenhammerschlag, Schmiedesin ter (ecailles —
scale), s. Eisen bei Eiseno xy dul oxy d II pag. 764.
Eisengranat, s. Granat, s. Pyrop.
Eisenguss hammerbarer oder schmiedbarer (fonts malleable — annealde
cast iron), adoucirter Eisenguss, s. Bd. I S. 48 u. Bd. Ill S. 41.
Eisengyps. — Eisenoolith. 135
Eisengyps, s. Vivian it.
Eisenhammerschlag, s. Eisengliihspan.
Eisenhammer, s. Ill S. 39.
Eisenhochofen, s. Ill S. 6 bis 18.
Eisenholz (bois de fer), Eisengrenadill, wird besonders hartes Grenadill-
holz genannt (s. d.), iibrigens fiihren auch andere Holzer den Namen Eisenholz,
s. z. B. das Holz von Mesna ferrea7 M. speciosa, Metrosideros vera, Cupania >Si-
deroxyton, Siderodendron triflorum u. a.
Eisenjodid und Eisenjodiir, s. Eisen II pag. 766.
Eisenkali blausaures, s. Blutlaugensalze I pag. 662.
Eisenkalkstein, oolithischer Kalk stein, s. Eisenoolith.
Eisenkies. Man unterscheidet den hexaedrischen Eisenkies oder Pyrit>
dann den prismatischen Eisenkies, d. i. Markasit oder Was serkies, und den
rhomboedrischen, d. i. Magnetkies, s. bei Pyrit, bei Markasit und bei
Magnetkies, vgl. a. Eisen II pag. 767. Gtl.
Eisenkiesel, s. Quarz.
Eisenkitt, s. Kitte.
Eisetllack, gewohnlick eine Auflosung von Asphalt in Terpentinol oder Benzin.
Vgl. Asphalt I pag. 216, s. a. La eke. Gtl.
Eisenlegirungen, s. Eisen II pag. 769.
Eisenmangan, Ferromangan, s. Eisen bei Eisenlegirungen II
pag. 769.
Eisenmennige, s. Eisen bei Eisenoxyd II pag. 760.
Eisenmohr (aefliiops marticdis), Eisenoxyduloxy dhy drat, s. Eisen
II pag. 764.
Eisenmulm, syn. mit erdigem Rotheisenerz oder Magneteisen-
erz, s. d.
Eisennickelkies. Ein tesseral krystallisirendes, auch derb und in kornigen
Aggregaten vorkommender Kies von der Zusanimensetzung 2FeS -f- NiS rnit
36 Schwefel, 22 Nickel und 42 Eisen nach Scheerer. Harte 3-5 — 4, spec. Gew.
z= 4-6, Farbe licht tonibackbraun, Strich dunkel, nicht magnetisch. Findet sich
zu Lillehaniiner in Norwegen. Lb.
Eisenniere, knollige nierenformige Massen von Thoneisenstein, s. Braun-
eisenerz.
Eisenocher, Eisenocker, s. Ocher.
Eisenol, s. Eisen II pag. 766.
Eisenoolith, Eisenrogenstein, oolithisches Eisenerz. Eine Varietat
des Rotheisenerzes oder auch Brauneisenerzes, bestehend aus kleinen gerundeten
rothen oder braunen Kornern von Rotheisenstein und Brauneisenstein oder nur
von einem derselben, namentlich des ersteren. Die Korner sind meist flach, linsen-
formig, entweder selbststandig verwachsen, oder sie werden durch thonige oder
kalkige Bindemittel zusammengehalten. Die Eisenoolithe bilden selbststiindige
Lager in Sedimentarformationen von der silurischen bis in die Kreideformation.
Hierher gehoren die Eisensteinlager des mittleren Bohmens bei Zdic, Zbirow,
Neu-Joachimsthal n. s. w., die in Herkimes und Oveida Counti im Staate New-
York in N.-A. auftretenden aus deni Silur, die Eifler von Lissingen bei Gerol-
136 Eisenoolith. — Eisenschlacken.
stein, Dollendorf u. s. w. aus dem Devon. Von betrachtlicher Machtigkeit sind
auch die bei Aalen in Wiirttemberg im unteren Dogger auftretenden Eisenoolith-
flotze, welche gleiclifalls bergmannisch gewonnen werden. Lb.
Eisenopal, so viel als Jaspopal, s. Opal.
Eisenoxyd und Eisenoxydsalze, s. Eisen II pag. 760.
Eisenoxydul und Eisenoxydulsalze, s. Eisen II pag. 756.
Eisenoxyduloxyd, s. Eisen II pag. 764.
Eisenpecherz, s. Triplit und Stilpnosiderit.
Eisenphosphorete, syn. mit Phosphor eisen, s. Eisen II pag. 768.
Eisenplatin, Platin mit einem Gehalt von 11 — 19°/0 Eisen, welches sich
meist nur in kleinen Kornern von dunkelstahlgrauer Farbe, Harte 6, spec. Gew.
=r 14 — 15, starkeni Magnetismus in den Platingruben von Nischne Tapinsk am
Ural findet. Lb.
Eisenrahm, s. Rotheisenerz.
Eisenresin, Humboldtin, Oxalit, Mineral, ist natiirlich vorkommendes
Eisenoxalat, s. Eisen II pag. 760.
Eisenrogenstein, syn. mit Eisenoolith, s. d.
El'senrose, eigenthiimliche rosen- oder rosettenformige Krystallgruppen und
polysynthetische Krystalle von Eisenglanz oder Titaneisenerz, welche durch regel-
massige und parallele Verwachsung sehr flacher lamellarer Individuen entstehen,
kommen besonders schon am St. Gotthard in der Schweiz vor. Lb.
Eisenrost, s. Eisen bei Eisenhydroxyd II pag. 761.
EisenrOStwasser, Eisen bei ze, s. Eisen II pag. 763.
Eisen roth , syn. mit Polirroth, En gel roth, Englischroth etc., s.
Eisen II pag. 761.
Eisensaccharat, Eisenzucker, s. Eisen II pag. 764.
EisensaueHinge, Eisen wasser, Stall lwasser, s. Wasser, vgl. a.
Eisen II pag. 760.
Eisensaure, s. Eisen II pag. 765.
Eisensafran, syn. mit Eisenoxyd und Eisenoxy dhy drat, s. Eisen
II pag. 760.
Eisensalmiak (fiores mils martialis), s. Eisen II pag. 766.
Eisensau (renard — bear, horse), Of en sail (Wolf, Hartling, Biine). Htitten-
mannischer Ausdruck fur die in dem Boden des Hochofengestelles eingeschmolzenen
Eisenmassen, welche vorherrschend aus Eisen, oft neben Zink, Nikel, Kobalt,
Mangan, Kupfer, selbst Silber und Gold, dann Schwefel, Phosphor, Arsen, Antimon,
Kiesel, endlich Titan, gewohnlich in der Form von Cyantitan-StickstofFtitan. Gtl.
EiseilSChaum, Garschaum, hiittenmannische Bezeichnung fur den im Roh-
eisen enthaltenen, mechanisch beigemengten Kohlenstoff (Graphit)^ welcher beim
Auflbsen des Eisens in Siiuren ungelost zurlickbleibt. Gtl.
Eisenschlacken (laitier, scorie — slag, iron-dross cinders), s. Eisen-
huttenkunde III pag. 12 und 22. Sie sind zumeist entweder Hochofen-
schlacken {scorie cinders) oder Frischschlacken (rifining cinders). Erstere werden
als Beschotterungs- und Bauinateriale und zur Erzeugung von Schlackenwolle,
s. d., letztere selbst wieder zur Eisengewinnung verwendet
Eisenschwamm. — Eisenverband.
137
Eisenschwamm, s. Eisen II pag. 756.
Eisenschwarze (gris de fer — iron liquor), Gemenge von loslichen Eisen-
salzcn (Eisenbeizen) mit gerbstoffhaltigen Materialien, welcbe zum Schwarzfarben,
namentlicb in der Lederfarberei, verwendet werden, vgl. Zeugfarberei. Den-
selben Namen fiilirt librigens auch der Graphit, welcher bekanntlich zum Ein-
schwarzen von Eisenwaaren verwendet wird. Otl.
Eisenschwarz (coideur de bronze — bronze paint) ist fein vertheiltes, durch
Fallung von Antimonchloridlosungen mit Zink dargestelltes Antimon, welches als
Farbe dient. Otl.
Eisensiilter, syn. mit Arseneisensinter oder Pittizit.
Eisenspaltwerk, s. bei Scheren.
Eisenspath, s. Spatheisen stein, vgl. a. Eisen II pag. 759.
Eisensteiiimai'k, sachsischc Wundererde, Teratolith, derbe, bolusartige Erde
von blaulicber oder graulicher Farbe7 worm lichte Flecken und Adern sichtbar
sind. Stricb gleichfarbig. Findet sich bei Planitz in Sacbsen, und wurde ehedem
wie die Terra sigillata in der Apotheke gebraucht, vgl. Bolus I pag. 724. Lb.
Eisensublimat, syn. mit Eisenchlorid, s. Eisen II pag. 765.
Eisensulfate, s. Eisen II pag. 756 und 759.
Eisensulfurete, s. Eisen II pag. 767.
Eisensyrup nennt man eine wassrige Losung von Eisensaccharat.
Eisenverband (assemblage en fer — iron-bond). Die Verbindung zweier
Eisenconstructionstbeile mit einander kann je nach den speciellen Fallen haupt-
sacblich durch folgende Mittel geschehen:
1. Nietverbindung, besonders fiir Blecbe geeignet. Dieselben werden
in bestimmten Abstanden durcblocht oder durchbobrt^ behufs Aufnahme des Niet-
bolzens. Die Verbindung der beiden Blecbe gescbieht entweder direct (einfache
Nietnng) Fig. 1371? oder indirect, mit Zuhilfenahme von
Blecbstreifen (Lascbennietung) oder Winkeleisen.
Fig. 1372 gibt ein Beispiel der Anwendung von Winkel-
eisen, wenn die Bleche recbtwinklig aneinander stossen.
2. S chraub en verbindung, zumeist dort anzu-
wenden, wo die Construction losbar oder regulirbar
sein soil, z. B. wenn Rohren (Dampfleitungs-, Wasserlei-
tungsrohren) mit einander verbunden werden, so gescbieht
dies an den Flantschen (d. s. scheibenformige Ansiitze am
Ende des Rohres) mittelst Schrauben und zwischen die
Flantschen kommt eine Dichtung aus Kautschuk oder Bind-
faden.
Bei Verbindung von Zugstangen u. dgl. kann ent-
weder der eine Theil die Schraubenspindel, der zweite die
Mutter erhalten, oder beide haben Schraubenspindeln (event.
Mnttern) und durch eine Kupplungsschraubenmutter (event. Spindel) wird die Ver
bindung hergestellt. Fig. 1373 gibt die regulirbare Schraubenkupplung eines Zug
stange fiir eine Dachconstruction. jr[(, 1373.
3. Keil verbindung. In ent-
sprechende Oeffnungen der beiden zuj
verbindenden Eisenbestandtheile wird
ein Keil (oder auch zwei Keile, namlich
Keil mit Gegenkeil) eingetrieben. Das Ineinandergreifen der Eisentlieile kann
verschieden stattfinden. Fig. 1374 zeigt eine Stangenverbindung , wo der eine
Theil den zweiten gabelformig umfasst.
138
Eisenverband. — Eisschranke.
4. Muff en verbindung, nur bei
Rohren (z. B. Wasser- und Gasleitungs-
rohren) angewendet. Das eine Rohr hat
an einem Ende eine Erweiterung (Muffe),
in welche das zweite Rohr einpasst. Die
Fuge wird durch Kitt, Wergtau oder einen
Bleiring gedichtet.
5. Falzverbindung, zumeist bei Dacheindeckung mit Blech verwendet;
siehe Dachdeckung Bd. II S. 494 und Bd. I S. 545.
6. Z ap f en verb in dung, bei schwachen Eisenconstructionen , z. B. bei
Gelandern, Fenstern etc. angewendet.
a) Der einfache gerade Zapfen des einen Eisens wird durch eine entsprechende
Oeffnung des zweiten durchgesteckt und entweder auf der entgegengesetzten Seite
umgenietet oder im Loche festgestenirat oder verschraubt.
b) 1st der Zapfen schwalbenschwanzformig (trapezformig), so muss er von
der Seite eingeschoben werden; in vielen Fallen wird die Verbindung noch durch
Vernietung oder Verschraubung gesichert.
c) Umfasst das eine Eisen das zweite theilweise oder vollstandig, so heisst
die Verbindung Gabelzapfen und muss verschraubt oder vernietet werden.
Fiq. 1375 ?■ Verb and durch Ueberblattung. Beide
Eisen erhalten an der Kreuzungsstelle nach der halben
Dicke Ausschnitte, so dass der iibrig bleibende Korper
des einen Theils in den Ausschnitt des zweiten einpasst.
Fig. 1375 zeigt eine hochkantige Ueberblattung.
8. Verbindung durch Schweissung.
9.. Verbindung durch Lot hung.
10. Verbindung durch Verkittung.
Siehe dariiber die speciellen Artikel. Grolim.
Eisenverbindungen, s. Eisenverband, s. a. Eisen II pag. 755.
Eisenvitriol, griiner Vitriol, s. Eisen II pag. 75G.
Eisenwalzen, s. Ill S. 50; liber Theorie und Literatur s. Walzen.
Eisenzillkspath. Zinkspath von einem grosseren Gelialt an kohlensaurem
Eisenoxydul, s. S m i t h s o n i t. Lb.
EisetlZUCker, Eisensaccharat, s. Eisen II pag. 764.
Eisessig, s. Essigsaure.
Eisglas (verve cragnele — crackle glass). Eine Glassorte, meist farblos,
seltener gefarbt, welche an der Oberflache durch zahlreiche, zum Tbeile wieder
verflossene Spriinge zerklliftet ist und dadurch ein eiskrustenahnliches Aussehen
gewinnt, s. Glas. Gtl.
EiskartOll, Alabaster- oder Perlmutterpapier (papier nacre), s. I
S. 171.
Eiskeller, s. Eis -Keller II S. 749.
Eislebner Griin, syn. mit Schweinfurter Griin, s. Kupfer.
Eismaschine, s. II S. 743.
Eispunkt, G e f r i e r p u n k t, Thau p u n k t (point de congelation freezing
point), Fundaraentalpunkt der Therinometerscalen (Celsius und Reaumur), welcher
jener Teniperatur entspricht, bei welcher das Eis unter gewohnlichen Verbaltnissen
eben schrailzt, s. Warm em essung. Gtl.
Eisschranke, s. II S. 753.
Eisspath. — Eiweisskorper.
139
Eisspath, syn. initAdular, s. Feldspath und syn. mit Sanidin (s. d.).
Eiweiss (blanc d'oeuf, albumine — ivhite of eggs, albumen), s. Albumin
I. png. 78, s. Eiweisskorper.
Eiweisskitt, s. Kitt.
Eiweisskorper {albumine — albumen), Proteinkorper. Mit diesera
Nam en bezeichnet man eine Gruppe von organischen Verbindungen, die sowohl
im Thier- als auch im Pflanzenreiche vorkommen. Diese Verbindungen besitzen eine
nahezu gleiche Zusammensetzung und haben viele Eigenscliaften gemein. Ge-
wShnlich kennt man zwei Modificationen dieser Stoffe, eine losliche und eine
unlosliche; in ersterer Form finden sicli die Eiweisskorper im Blut, in der
Fleischfliissigkeit, Milch etc. gelost.
Die Eiweissstoffe sind vielfach untersucht worden, doch ist die chemische
Natur derselben nocb wenig klar. Friiher wurden diese Stoffe Proteinstoffe ge-
nannt, weil man von der Ansicht ausging, dass dieselben ein gemeinschaftliches
Radical, das von Mulder „Protein" genannt wurde, enthalten. Man hat aber,
nachdem die Existenz des Proteins durch Liebig widerlegt wurde, den Namen
Eiweissstoffe wieder aufgenommen.
Wie oben erwahnt, treten diese Kdrper in zwei Foi'men auf ; man kann die
losliche Form meist leicht in die unlosliche Form durch Erwarmen, durch Ein-
wirkung von Alkohol, Aether, Sauren etc. iiberfiihren. Alle loslichen Eiweissstoffe
liefern nach dem Verdunsten amorphe gummose Massen, nur das Hamatoglobulin
kann unter geeigneten Umstanden krystallisirt erhalten werden.
Von den im Thierkorper vorkommenden loslichen Eiweissstoffen unterscheidet
man hauptsachlich drei Gruppen, die Fibrin-, die Albumin- und die Caseingruppe,
wobei aber bemerkt werden muss, dass diese Eintheilung sich nur auf aussere
Eigenscliaften bezieht. Zur ersten Gruppe zahlen wir diejenigen Stoffe, welche
ohne besondere Reagentien, also scheinbar freiwillig in den unloslichen Zustand
iibergehen oder gerinnen (wie das Blutfibrin). Die zweite Gruppe umfasst
Stoffe, die erst bei Einfluss der Warme (bei 60 — 70° C.) gerinnen, die letzte
Gruppe endlich enthalt jene Stoffe , welche durch die Schleimhaut des Kalber-
magens (Lab) abgeschieden werden konnen.
Die loslichen Eiweisskorper geben mit verschiedenen Metallsalzen, wie Kupfer-,
Quecksilber-, Blei-Salzen, ferner mit Gerbsaure, Phosphorsaure etc. Niederschlage
(s. Albumin), auch mit anderen Substanzen gehen sie feste Verbindungen ein.
Die wiissrige Losung hat einen faden Geschmack, reagirt neutral und dreht die
Polarisationsebene nach links. Die Eiweisskorper verhalten sich wie indifferente
Verbindungen, ihr Atomgewicht, das noch nicht festgestellt werden konnte, scheint,
wie der geringe Schwefelgehalt 0*8 — 2 °/0 schliessen lasst, jedenfalls ein holier
zu sein.
Im Folgenden sind die Analysen der hauptsachlichsten Eiweissstoffe angefiihrt,
alle enthalten ohne Ausnahme Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und
Schwefel. Andere Bestandtheile, wenn solche vorkommen, sind nur als Verun-
reinigungen zu betrachten.
Kohlen-
stoff
Wasser-
stoff
Stickstoff
Sauer-
stoff
Schwefel
Fleischfibrin
Blutalbumin
Eialbiimin
Pflanzenalbumin
Legumin
52-6
53-0
53-4
53-4
51:5
42-9
53-6
7-0
7-1
7-0
7-1
7-0
7-1
7-1
17-4
15-6
15-7
15-6
16-8
11-5
15-7
21-8
23-1
22-4
23-0
24-3
37-3
22-6
1-2
1-2
1-6
0-9
0-4
1-2
1-0
Emulsin
Casein
140 Eiweisskorper.
Die unloslichen Eiweissstoffe zeigen im Allgemeinen ein gleicliartiges Ver-
halten ; Essigsaure mid dreibasische Phosphorsaure, Alkalien und Alkalisalze Ibsen sie
auf, audi durch Behandeln mit Wasser bei 160 — 170° C. tibergehen sie in Lbsung,
von Sauren, Alkohol, Aether werden dieselben aus ihren Lbsungen abgeschieden.
Die lbslichen und unloslichen Eiweissstoffe zeigen noch folgendes Verhalten.
Oxydationsmittel (chromsaures Kalium und Schwefelsaure, Mangansuperoxyd
und Schwefelsaure) verwandeln dieselben in Fett sauren (Ameisen-, Essig-,
Propion-, Butter-, Valerian-, Capronsaure), Aldehyde der Fettsauren und Benzoe-
saure nebst anderen nicht naher untersuchten Producten.
Salpetersaure (verdiinnt) liefert Xanthoprotei'nsaure (C36i?"54iV8Oi a(M)a),
die als unlbsliche gelbe Masse sich abscheidet, Zuckersaure und Oxalsaure bleiben
gelost. Chlorsaures Kalium und Salzsaure liefern gechlorte Verbindungen.
Schwefelsaure lost die Eiweissstoffe, mit Wasser wird eine weisse
schwefelsaurehaltende Verbindung abgeschieden. Mit Zuckerlosung und Schwefel-
saure werden sie roth-violett gefarbt. Jod farbt dieselben gelb, salpetersaures
Quecksilber mit salpetriger Saure roth.
Durch Alkalien werden alle Eiweisstoffe unverandert gelost, insofern die
Temperatur von 30° C. nicht iiberschritten wurde, bei 40 — 50° C. entwickeln sie
SchwefelwasserstofF und erleiden eine tiefer gehende Zersetzung, bei langerem
Kochen mit Alkalien liefern sie Ammoniak, beim Schmelzen mit Kaliumhydroxyd
fliichtige Ammoniakbasen und als Riickstand valeriansaures und buttersaures Kalium
neben Tyro sin und Leucin (s. d.).
Durch den Pankreassaft und Magensaft werden die unloslichen wie die los-
lichen Eiweissstoffe in losliche Stoffe, sog. Peptone verwandelt.*)
Beim Erhitzen schmelzen die Eiweissstoffe, blahen sich auf und verkohlen,
bei der trockenen Destination liefern sie Aminbasen und schwefelhaltige Oele.
Es sollen hier in Kiirze die wichtigsten Eiweisskorper betrachtet werden.
I. Fibrin e ■ (fibrine — fibrin). B 1 u t f i b r in, T h i e r f i b r i n, B 1 u t f a s e r-
stoff genannt, findet sich im Blute der lebenden Thiere im gelosten Zustande.
Sobald das Blut aus dem Korper austritt (oder aber nach dem Tode des Thieres),
geht das losliche Blutfibrin in die unlosliche Modification fiber. Das Blut gerinnt,
die geronnene, aus Fibrin und alien im Blute vorkommendcn festen Substanzen
(Blutzellen, Lymphkbrpern etc.) bestehencle Masse wird Blutkuchen (cruor)
genannt, die dariiber stehende Fliissigkeit bildet das Blutserum. Das Fibrin
kann am besten durch Sclilagen (Peitschen) des Blutes gewonnen werden, es
sclieidet sich in Form von Faden ob, die mit Wasser gewasclien vollkommen weiss
sind. Das unlosliche Fibrin ist in Alkalien, ferner in salpetersanrem Kalium lijslich,
audi von Wasser wird es bei 150° C. unter erbohtem Druck aufgenommen. Mit
Wasser gekocht (bei 100° C.) entwickelt es Ammoniak und liefert leimartige Sub-
stanzen. :i::i:)
M u s k e 1 f i b r i n (Musculin, Syntonin) en thai t Kohlenstoff 54-9, Wasserstoff
7-3, Stickstoff 16-2, Sauerstoif 20-5, Schwefel l'l "/0. Findet sich im ungelosten
Zustande in den Muskeln der holier organisirten Thiere in Form von feinen ela-
stischen Fasern ; durch Auslangen des Fleisches mit Wasser (wobei Kreatin, Xanthin,
Fleischmilchsa'ure etc. entfernt werden) erhalt man einen hauptsachlich aus Syntonin
bestehenden Riickstand. Wird derselbe mit sehr verdfinnter Salzsaure behandelt,
so lost sich Syntonin auf, welches durch kohlensaures Natrium gefallt werden kann.
Die meisfen Eiweissstoffe liefern mit Salzsaure behandelt ebenfalls Syntonin. Die
Lbsungen des Syntonins in Salzsaure besitzen ein bedeutendes optisches Drehungs-
vei-mbgen ( — 72°).
Neben Syntonin kommt im Fleische noch Mj^osin aber in lbslicher Form
vor, nach dem Tode findet es sich im geronnenen Zustande.
') Chem. Centralbl, 1SG7 pag. 411.
!'*) Das Nahere dariiber wie iilier das von Denis Plasmin genaunte s. Jahresb. der
Chemie 1861 pag. 795, audi Chem. Centralbl. 18G5 pag-. 7s9.
Eiweisskorper. 141
Pflanz en fibrin konimt hauptsachlich in den Samen der Pflanzen vor,
man gewinnt es aus dem K 1 e b e r; einem Korper, der beim Kneten von Mehl
in einem Leinwandsackchen unter Wasser als gelbgraue elastische Masse zuriick-
bleibt. Der Kleber enthalt hauptsachlich Pflanzenfibrin nebst Glyadin, Mucin
und Legumin. Man kann das Pflanzenfibrin durch Auskochen des Klebers mit
Alkohol in unloslicher Modification gewinnen. Dasselbe lost sich in Ammoniak,
Alkalien, Pkosphorsaure, Essigsaure auf.
II. Alb limine (albumine — albumen). Thier albumin, Eiweiss, Al-
bumin. Das Albumin kommt in loslicher Form in vielen thierischen Fliissigkeiten
vor, hauptsachlich im Blutserum, im Weissen der Vogeleier, im Cbylus, in der Lymphe,
der Milch u. s. w. Abnormal finclet sich dasselbe audi im Harn. Ueber die Eigen-
schaften und Gewinnung des Albumins siehe Albumin I pag. 78. In unloslicher
Form kann dasselbe durch Kochen oder durch Einwirkung von Mineralsauren dar-
gestellt werden. Die Losungen des Albumins werden mit Bleiessig (bas.-essigs.
Blei), Quecksilbercklorid, etc. gefallt, Eisenchlorid und neutrales Bleiacetat fallen
die Losung nicht (Dreliungsvermogen 35°). Mit Alkalien liefert das Albumin Ver-
bindungen, welche frisch bereitet loslich sind. Eine zweite Modification des Al-
bumins ist das Paralbumin, welches sich in den Ovarialcysten vorfindet. Das-
selbe zeichnet sich durch ein ausserordentliches Dreliungsvermogen = ( — 70°) aus.
Vitellin. Albumin aus dem Eigelb. Ein wesentlicher Bestandtheil des
Eidotters, die Losung desselben coagulirt bei 70° C. und hat dasselbe im coagulirten
Zustande dieselben Eigenschaften wie das gewohnliche Albumin und Myosin.*)
B hit album in (Serin, Serosiu, Serumalbumin) kommt neben gewohnlichem
Albumin im Blutserum vor, dasselbe ist dem Albumin ahnlich, besitzt aber ein
grosseres Drehungsvermogen = — 56°. S. Albumin I pag. 78.
Globulin (Krystallin, Blutcasein) ist ein in der Krystalllinse enthaltenes
Albumin, welches sich vom gewohnlichen durch ein grosseres Lichtbrechimgsver-
mogen unterscheidet, auch gerinnt dasselbe erst bei 93° C.
Hamoglobin (Hamoglobulin), der wesentlichste Bestandtheil der Blut-
korperchen des Blutes der Saugethiere ; man kann diesen Korper aus Blut ge-
winnen, aus welchem man das Fibrin (durch Peitschen) entfernt hat, versetzt man
so ein Blut mit Alkohol und Wasser, so scheiden sich rothe Krystalle von Hamo-
globulin ab. Die Krystalle sind prismatisch oder tafelformig, dichroitisch, u. zw.
scharlachroth und blaulich. Die wassrige Losung desselben zeigt 2 breite Ab-
sorptionsstreifen im Spectrum, u. zw. in gelb und griin. Diese Reaction ist sehr
empfiudlich und verlasslich. Mit Sauren und Alkalien spaltet sich das Hamoglobin
in Hamatin und Globulin.
Das Hamatin (Blutfarbstoff) kann durch Zersetzung des Hamoglobins mit
Kochsalz und Essigsaure gewonnen werden. Dadurch entsteht eine Salzsaurever-
bindung des Hamatins, die mit Ammoniak zersetzt reines Hamatin liefert. Dasselbe
ist blauschwarz, in Alkalien leicht loslich, unloslich in Wasser, Alkohol, Aether.
Das Hamatin verbindet sich mit Mineralsauren, die Verbindungen sind meist kry-
stallisirt.
Pflanz en album in. Sitosin, Pflanzeneiweiss ist in den meisten Pflanzen
enthalten, hauptsachlich in den Samen der Getreidearten, der Papilionacecn und
in den Blattern der Cruciferen. Man kann es durch Auswaschen des Weizenmehls
erhalten. Der Kleber bleibt zuriick, das Albumin lost sich auf, durch Erhitzen
coagulirt das Pflanzenalbumin. Es ist dem Thieralbumin ahnlich.
Der Kleber enthalt, wie oben bemerkt, Pflanzenfibrin neben Mucin und
Glyadin, diese letzteren eiweissartigen Korper konnen durch schwachen Wein-
geist ausgezogen werden. Setzt man starken Alkohol zu der so bereiteten Losung,
so scheidet sich Mucin oder Mucedin aus, das Mucin liefert unter geeigneten
Umstanden mit Schwefelsaure erhitzt Glutaminsaure.**)
s) Chem. Centralbl. 1867 pag. 852.
'"■) Journ. f. prakt. Chemie Bel. 99 pag. 454, Bd. 103 pag.
142 Eiweisskorper. — Elaeometer.
Casein {caserne — casein), Thiercasein, Kasestoff, ist in der Milch der
Saugethiere in loslicher und unloslicher Form enthalten. Rein kann dasselbe durch
Behandeln der Milch mit Salzsaure, Losen des Rlickstandes in lauem Wasser,
Ausfallen mit kohlensaurem Natrium und Auswaschen mit Alkohol und Aether
dargestellt werden. Auch durch Fallung der Milch mit Essigsaure, Abpressen,
Auswaschen mit Aether erhalt man ein reines Product. Das coagulirte Casein ist
nur bei Zusatz von Saure und Alkali im Wasser loslich (s. Casein II pag. 427).
Mit Alkalien und alkalischen Erden geht es Verbindungen ein. Mit Alkalien
geschmolzen liefert es Leucin und Tyrosin.
Pflanzencasein (Legumin) ist in den Samen der Hulsenfriickte ent-
halten. Durch Behandeln der zerkleinerten Friichte mit Wasser geht dasselbe in
Losung iiber, mit Essigsaure scheidet sich das Legumin vollkommen ab, dasselbe
ist in Aether und Alkohol unloslick, Alkalien losen es auf. Ueberhaupt verhalt
sich das Legumin dem Casein ahnlich. Das aus den Mandeln u. a. Friichten
dargestellte Casein ftihrt den Namen Conglutin. An diesen Korper schliesst
sich die Synapt ase, auch Emul sin genannt, ein in den Mandeln vorkommender
Stoff, an ; derselbe wird wie das Legumin gewonnen. Er wirkt auf Amygdalin
und ahnliche Stoffe als Ferment. In Wasser ist er loslich, kann mit Sauren aus-
geschieden werden. Aehnlich dem Emulsin ist die Diastase, ein Zersetzungs-
product des Klebers, welche ebenfalls als Ferment wirkt und Starke in Zucker
umwandelt (s. B i e r). J. V. J.
Eiweissleim (colle gluten, colle albumino'ide — gluten decomposed by
putrefaction). Ueberlasst man den Kleber im ausgewaschenen Zustande bei einer
Temperatur von 15 — 25° C. sich selbst, so tritt alsbald Zersctzung ein, bei
welcher sich zunachst ein Antheil von Milchsaure bildet. In Folge des Auf-
tretens dieser Saure wird die Klebermasse fliissig und lost sich nach geraumer
Zeit vollstandig in Wasser. So veranderter Kleber wird gewbhnlich auf flachen
Tassen getrocknet und bildet nach dem Trocknen (bei einer 30° C. nicht tiber-
steigenden Temperatur) Tafeln von Eigenschaften, welche ihn dem Leim ahnlich
erscheinen lassen (Kleberleim). Er wird in 2 Thl. Wasser gelost gleich dem
Leim verwendet, dient wie dieser znr Bereitung von Schlichten, so wie fur Zwecke
der Appretur in der Farberei und Druckerei, endlich als Klarmittel fur Fliissig-
keiten u. s. w. Gil.
Eiweisspapier, s. Albuminpapier I. pag. 84.
Ejector, s. Injecto r.
Eklogit, Omphacitfels, S mar agdi t f el s, ein Gestein bestehend aus
einem kbrnigen Gemenge von griinem oder grauem Smaragdit und rothem Granat.
Hat nur eine geringe Verbreitung und bildet stockartige Einlagerungen in kry-
stalliuischen Schiefern. Z. B. an der Saualpe in Karnthen, Bacheralpe in Steier-
mark, Eppenreuth bei Hof im Fichtelgebirge u. a. a. 0. Lb.
Ektypographie, Blindendruck, s. I S. 641, feruer Aetzen „erhabene
Manier" I S. 55.
Elaeolith, syn. mit Nephelin.
Elaeometer (eleometre — oleometer). Ein von Berjot (Repert. de chim.
appl. II pag. 160) zur Bestimmung des Oelgehaltes der Oelsameu angegebener
xVpparat zur erschopfenden Extraction gewogener kleiner Mengen von Oelsameu
mittelst Schwefelkohlenstoff. Die Oelgehaltsbestimmung erfolgt durch Wagung des
nach Verjagung des Schwefelkohlenstotfs hinterbleibeuden Oeles.
Den Namen Elaeometer ftihrt iibrigens auch ein von A. Vogel (Dingl. pol.
Journ. 168 pag. 267) construirter Apparat zur Bestimmung des Fliissigkeitsgrades
eines fetten Oeles, der bekanntlich fiir die Beurtheilung der Eignung eines Oeles
zu Beleuchtungszwecken insoferne in Betracht gezogen werden muss, als von dem
Elaeometer. — Elasticitat. 143
Fliissigkeitsgrade die Quantitat des in der Zeifeinheit in einem Dochte von be-
sfimmter Qualitat durch Capillaritat aufsteigendcn Oeles und also indirect der
Beleuchtungseffect abh an ist. Der Apparat bestelit wesentlich aus einem mit
einer Cub.-Centim.-Theilung versehenen Glasrohre von 4cin Weite und 34cm Hbhe,
dessen untere Oeffnung bis auf 3.5mm verengt und mit einem eingeschliffenen Glas-
stabe verschliessbar ist, so dass man durch Heben des Glasstabes eine in dem
aufrecht stehenden Rohre befindliche Fltissigkeit plbtzlich zum gleichmassigen Ab-
fliessen bringen kann. DicBestimmung des Fliissigkeitgrades, die selbstveistandlich
nur eine vergleiehende sein kann, wird nun in der Weise vorgenommen, dass man
genaa die Zeit niisst, inngrhalb welcher eine bestimmte Menge der zu priifenden
Fliissigkeit aus dem Rohre abfliesst, wozu man sich bequem einer kleinen Sand-
uhr bedient. Als Basis fur die Vergleichung wahlt V o g e 1 die Menge des in der
Zeiteinheit ablaufenden destillirten Wassers (z=z 100 gesetzt). Laufen z. B. bei
mittlerer Temperatur aus dem Messrohre in der Zeit von ]/,2 Minute 272°° ab,
wahrend von raffinirtem Rapsol 144rc und von rohem Rapsole 122fC in der
gleichen Zeit abliefen, so ware das Verhaltniss der Fliissigkeitsgrade, wenn
Wasser ~ 100 gesetzt wird, fiir raff. Rapsol — z 52 und fiir rohes Rapsol — 44.
(Vgl. a. Wagner, Jahr.-Bericht 1863 pag. 565.) Gtl.
Elaeopten (elaeoptene — elaoptene), Hygrusin, nennt man im Gegensatze
zu Stearopten (d. i. dem bei der Abkiihlung sich aus gewissen atherischen
Oelen abscheidendcn festen Antheile) den bei der Abkiihlung fliissig bleibenden
Antheil gewisser atherischer Oele. Gtl.
Elaerin (e'laeerine — oleine in icool grease), nach Chevreul (vgl. Dingl.
pol. Journ. 85 pag. 222) eine unverseifbare Fettsubstanz aus dem Wollschweisse.
Schmilzt bei 15° C. und sieht dem Terpentin ahnlich. Gtl.
Elaiditl (elaidine — elaidlne). Ein durch Einwirkung von salpetriger Saure
auf Olein entstehendes starres Umwandlungsproduct, das bei 32° C. schmilzt und
in Alkohol schwer, dagegen in Aether leicht loslich ist. Wurde seinerzeit als
Materiale fiir Zwecke der Kerzenfabrication empfohlen (s. Olein). Gtl.
ElaTdinsaure, s. bei 0 el saure.
ElaTn, s. Olein.
Elain saure, s. 0 el saure.
Elasticitat und Festigkeit {elasticiU et compacite — elasticity and fastness).
Die Elasticitat (von £/.«co, icli treibe), Spannkraft oder Federkraft ist jene Kraft,
mit welcher die Korper einer vorubergehenden Formanderung widerstelien, oder jene
Kraft, welche die Formanderung wieder aufzulieben sue' t, wenn die ausseren
Krafte, welche diese veranlassten, zu wirken aufhoren. Man nennt den Iubegriff
der auf einen Korper wirkenden ausseren Krafte, die Belastung desselben und
den Korper selbst den Trager dieser Belastung. Wird nach der Beseitigung
der Belastung die ursp.iingliehe Form des Tragers durch die Elasticitat genau
wieder hergestellt, so sagt man, der Trager verhalte sich vollkommen elastisch ;
ist dies aber nicht der Fall, d. h. verschwindet die Formanderung nach der Weg-
nahme der Belastung nicht ganzlich, so sagt man, der Trager verhalte sich un-
vollkommen elastisch. Die grbsste Formanderung, welche ein Trager durch die
allmalige Belastung erleiden kann und welche bei Beseitigung der Last ver-
schwindet, heisst die Elasticitat sgr en ze, und die Belastung, durch welche
diese Grenze erreicht wird, die E 1 a s t i c i t a t s s: r 6 s s e oder Grenzbelastun £?.*)
*=) Uebrigens wird die Bezeiclinung Elastici tats grenze gewohnlich auch fiir ElasticitJitj-
grcisse angewendet und folgen wir diesem Gebrauclie auch im Folgenden; weil stets
leicht erkennbar ist, in welchem Sinne dieses Wort gebraucht wird.
144 Elasticity (u. Festigkeit).
Es versteht sich von selbst, dass beide sowohl von der materiellen Beschaffenheit
als auch von der Form und Grosse des Tragers abhangen.
Wird durch die Belastung die Electricitatsgrenze iiberschritten, so erfaliren
die einzelnen materiellen Punkte desselben eine bleibende Verriickung , durch
welch e meist auch eine Aenderung der urspriinglichen Cohasion bedingt ist. Jener
Theil der Formanderung, welcher alsdann nach der Beseitigung der Belastung
wieder verschwindet, heisst die elastische, wahrend der zuriickgebliebene Theil
die bleibende oder permanente Formanderung genannt wird.
Erfolgt endlich bei stetiger Zunahme der Belastung und der hiermit fort-
schreitenden Formanderung eine Trennung der materiellen Theilchen, d. h. tritt ein
Bruch des Tragers ein, so wird die ganze Cohasion des Materiales an der Bruch-
stelle iiberwunden und im Augenblicke des Bruches das Mass der sogenannten
Festigkeit erreicht.
Festigkeit ist also der durch die Belastung eines Tragers in demselben
hervorgerufene maximale Widerstand gegen die Trennung seiner Theile.
Je nach der Art der Belastung und der durch dieselbe erzielten Form-
anderung unterscheidet man mehrere Arten der Elasticitat und Festigkeit, wie
z. B. die Zug-, Druck-, Schub-, Biegungs- und Drehungs- Elasticitat, resp.
Festigkeit.
Sollen die Trager die Belastung fur die Dauer mit hinreichender Sicherheit
tragen, so darf durch die Belastung die Elasticitatsgrenze nicht iiberschritten, ja
in den meisten Fallen nicht einmal erreicht werden ; denn die Trager sind ausser
der Belastung mehr oder weniger momentanen Erschiitterungen oder Stossen aus-
gesetzt, die sich haufig eben so wenig wie die schadlichen Einfliisse der Atmo-
spharilien in Rechnung bringen lassen und doch beriicksichtigt werden miissen.
Es gilt daher bei definitiven Bauten als Kegel, dass durch die grosstmogliche
Belastung die Elasticitatsgrenze der einzelnen Constructioustheile des Tragers nicht
erreicht werde.
Die zulassige Belastung darf also nur einen aliquoten Theil der betreffenden
Elasticitatsgrenze betragen. Bezieht man die Elasticitatsgrenze auf die Flachen-
einheit, so heisst ilire Grosse der Grenzmodul (oder Elasticitatsgrenze), und
dieser ist wieder ein aliquoter Theil des Festigkeitsmoduls, d. i. des Bruch-
widerstandes pro Flacheneinheit.
Nach zahlreichen Versuchen liegt fur die verschiedenen Eisen- und Stahl-
sorten das Verhaltniss des Grenz- und Festigkeitsmoduls zwischen 0*7 und 0*4,
betragt also iui Mittel circa 0*5. Fiir Holz betragt dieses Verhaltniss circa 0'3.
Da jedoch die Elasticitatsgrenze, resp. der Grenzmodul, fur alle Baumaterialien
noch nicht ermittelt wurde, so pflegt man die zulassige Beanspruchung des Mate-
riales (pro Flacheneinheit) gewolmlicli durch einen aliquoten Theil des Bruch-
oder Festigkeitsmoduls anzugeben, und nennt die Zahl, mit der man den Festig-
keitsmodul dividiren muss, urn die zulassige Beanspruchung pro Flacheneinheit
zu erhalten, den Sicherheitscoefficienten. Er betragt bei Tragern aus Metall 3
bis G, aus Holz 6 — 12, aus Stein 20 — 30. Der Sicherheitscoefficient wird urn
so grosser gewahlt, je mehr die Belastung des Triigers variirt, je grosseren Er-
schiitterungen derselbe ausgesetzt ist und je mehr der Festigkeitsmodul des Ma-
teriales, aus welchem der Trager besteht, schwankt. Die folgende Tabelle gibt
die iiblichen Werthe des Sicherheitscoefficienten fiir die gangbarsten Baumaterialien
und Belastungsweisen.*)
') In neuesterZeit warden vou nichreren liervtirragenden Ingenieurcn andere Bestimmnngs-
weisen der zulassigen Inansprucbnahme der Baumaterialien fiir veranderliche Belastungen
in Yorsehlag gebraclit, die wir iiu Anhange in dem Kajntcd Arbeitsfestigkeit cr-
Avalmcn werden.
Elasticitat (u. Festigkeit).
145
Noth-
Hoclibau-
oder
Construe-
provisor.
tionen
Bauten
(Gebaude)
Briicken-
Construc-
tionen
Stark er-
schiitterte
Construc-
tionen
Stein 15 20 30 35
Holz 6 10 12 15
Gusseisen ! 6
Sckmiedeeisen
Eisenblech .
Eisendraht .
Gussstahl . .
Die nachstehende Tabelle gibt die Werthe des Festigkeitsmoduls und der Elasti
citatsgrenze oder des Grenzmoduls fur mittelgute Materialien in Kilogramm per Ucm
} 5—6
\ 7—8
Festigkeitsmodul fur
Elasticitatsgrenze fur
Speci-
fische
Zug | Druck
Schub
Zug
Druck
Schub
Dichte
In Kilogi
•ammen
pr. 1 □Centimeter
Aluminium ....
2000
—
—
1000
—
—
2-5
Blei
130
500
100
100
—
—
11-4
Bronze
2300
. —
1840
440
—
—
8-8
Eisen gegossen . . .
1300
7000
1040
500
1400
400
7-25
„ geschmiedet .
4000
4000
3200
1400
1400
1100
7-7
„ Blech ....
3000
—
2400
1400
1400
1100
7-8
„ Draht ....
6000
—
—
2200
—
—
7-8
Gold-Draht ....
2700
—
—
1300
—
—
19-26
Holz-Faserrichtung .
800
600
70
200
180
20
0-8
„ radial ....
120
270
100
—
—
—
—
Kupfer gehammert .
2380
4100
1900
270
—
200
8-94
Blech . . .
2100
—
1680
300
—
240
8-94
Draht . . .
4200
—
—
1200
—
—
8-95
Messing gegossen . .
1240
1100
990
500
—
400
8-6
Draht . . .
3650
—
—
1300
—
—
8-6
Platin-Draht ....
3400
—
2700
2660
—
—
22-7
Silber gegossen . .
2900
—
—
1100
—
—
10-47
„ Draht ....
2975
. —
—
—
—
—
10-51
Stahl ungehartet . .
5000
5000
4000
2500
2500
2000
7'6
„ gehartet . . .
7500
7500
6000
2700
2700
2160
7-8
„ Gussstahl . .
8000
10000
6400
6660
6660
3200
7-87
„ Draht (Gussstahl)
11000
—
—
6500
—
—
7-9
Zink gegossen . . .
526
—
—
230
—
—
6-8
„ gewalzt . . .
480
—
—
230
—
—
7-0
Zinn gegossen . . .
800
—
—
440
—
—
7-29
„ Draht ....
850
—
—
440
—
—
7-3
Basalt
_
1200
—
—
—
—
2-8
Gneis, Granit . . .
30
800
100
—
—
—
2-8
Kalkstein dichter . .
27
300
70
—
—
—
2-45
Quarz
—
1200
—
—
—
—
2-62
Sandstein dichter . .
17
200
80
—
.
—
2-35
Ziegelstein ....
12
100
40
—
—
—
1-6
Mortel gewbhnlicher .
—
40
5
—
—
—
1-8
Kalksteinmauer . . .
—
500
—
_
—
—
2-4
Sandsteinmauer . . .
200
—
2-1
Ziegelmauer ....
-*)
40
—
—
—
—
1-7
") Wo die Bubriken nicht ausgefiillt sind, dort sind die betreffenden Moduls uoch unbestimnit.
Kanuarsch & Heeren, Technischea Worterbuch. Bd. III. 10
146
Elasticitat (u. Festigkeit).
Die Elasticitatslelire hat demnach im Allgemeinen die Aufgabe : zu ermitteln,
welclie Belastung die Trager mit hinveichender Sicherlieit fur die Dauer tragen
konnen, oder welclie Dimensionen sie erhalten miissen, urn einer gegebenen Be-
lastung fur die Dauer zu widerstehen. Eine secundare Aufgabe der Elasticitats-
lelire ist die Bestimmung der Formanderung, welclie die Trager durch die ge-
gebene Belastung erleiden.
Da sich alle Arten der Elasticitat auf die Zug- und Druck-Elasticitat zuriick-
fiilireu lassen, so wird in der Elasticitatslelire zum Grundsatze das Gesetz der
Formanderung gewahlt, welches sich ergibt, wenn auf ein homogenes Prisma in
Richtung seiner Langenachse eine Zug- oder Druckkraft einwirkt. Dieses Gesetz
lautct: Die Verl anger img oder Verktirzung eines. Prism as steht
innerhalb der Elasticitatsgr enze in geradem Verhaltnisse zu
seiner axialen Belastung P und seiner Lange Z, dagegen im u m-
gekehrtenVerhaltnisse zurQuerschnittsflache .Fund ein em von
der materiellen Beschaff enheit des Prismas abhangigen Co effi-
cient en, dem sogenannten Elasticitatsmodul E. Bezeichnen wir diese
P . I
Langenanderung mit /\ /; so ist demnach A I =z ' (1).
Fur P — 1, F — 1 wird \l — -— oder E = —^r (2);
E A^
d. h. der Elasticitatsmodul ist der reciproke Werth der red at iv en
Langenanderung, w e 1 c h e von der a 1 s Zug oder Druck w i r k e n d e n
Krafteinheit in einem Prisma vom Querschnitt e Eins bewerk-
stelligt wird.
Mit der Langenanderung der Kanten des Prismas in axialer oder der Kraft-
Richtung ist aber audi eine Aenderung des Querschnittes und somit der Quer-
schnittskanten verbunden. Bei axialer Zugbelastung werden namlich die Quer-
scbnittskanten verkiirzt, dagegen bei axialer Druckbelastung verlangert. Das Gesetz
dieser transversalen Langenanderung lautet analog wie jenes der longitudinalen,
doch ist der Elasticitatsmodul der transversalen Elasticitat circa 3mal grosser als
jener der longitudhialen, so dass die transversale Langenanderung bei gleichen
Umstanden circa 3mal geringer ist als die longitudinale.
Gewohnlich ist nur vom Elasticitatsmodul der longitudinalen Elasticitat die
Rede7 dessen numeri scher Werth nicht nur vom Materiale, sondern selbst-
verstandlich audi von der Wahl der Kraft- und Flacheneinheit abhangt.
In der folgenden Tabelle (s. S. 147) sind die Mittelwerthe des Elasticitats-
moduls E verschiedener Materialien pro Kilogramm und Quadratcentimeter, so wie
Ai
l
die relativen Langenanderiingen
Fig. 1376.
fur die Elasticitiitsgrenze zusammengestellt.
.'••
iP
A) Zug- und Druck-Elasticitat resp. Festig-
keit gerader Stabe (ehemals absolute, beziehentlich
ruckwirkende Festigkeit genannt). Wir untersclieiden
dabei zwei Falle; entweder ist der Querschnitt des achsial
belasteten Stabes constant oder veranderlich.
1. Ist der Stab prism atisch (Fig. 1376) und
bezeichnet F den Querschnitt, I die Lange, y das Gewicht
der Volumseinheitj lc die zulassige Anspruchnahme pro
Flacheneinheit uud P die axiale Belastung des Stabes, so
wirkt auf denselben bei lothrechter Lage seiner Achse
ausser P auch sein Gewicht G :rr yFl, so dass ftir den
Endquerschnitt B die Gleichung bestehen muss : P -\- y F I
=z k F, woraus die Belastung P — F (k — y I) . . (3),
p
oder der Querschnitt F = — = j- (4).
Elasticitat (u. Festigkeit).
117
Material
E in Kg.
pro (J1'"1
A'
l.<l.El;i st.-On-.uy.'
Aluminium
Blei
Bleidraht
Bronce
Eichenholz, Faserriclitung
„ radial
„ tangential . . .
Eisen, Gusseisen J- ,-. & , ' '■
„ geschmiedet in Staben
„ gewalzt
Draht
Fichte, Kiefer, Faserriclitung
„ „ radial . . .
„ „ tangential . .
Glas
Gold
Kupfer gehammert . . . .
„ Blech
Draht
Lederriemen
Messing
Draht
Platin
Stahl ungehartet
„ gehartet
„ Guss ungehartet . . .
„ gehartet . . . .
Silber
Zink
Zinn
6 75000
50000
70000
690000
117000
1300
800
1000000
990000
2000000
1800000
2190000
100000
1100
650
700000
800000
1100000
1100000
1200000
730
640000
987000
1600000
2046780
2250000
2500000
3000000
730000
950000
400000
0-002100
0-000667
0-000629
0-001667
0-000760
0-001330
0-000690
0-000800
0-001000
0-002000
0-001667
0 000250
0-000274
0-001000
0-000758
0-001350
0-001667
0-000857
0-001208
0-001500
0-002222
0-001515
0-000241
0-001111
Die totale Verlangerung, resp.
Verkiirzung betragt in diesem Falle
(5)-
seiner Belastung P,
lJ — kF
(8).
EF
1st der Stab so kurz, dass sein, im Verlialtniss zu
geringes Gewicht G vernachlassigt werden kann, so wird
(6), F = -|- (7) und A I = -|4
2. 1st derQuerschnitt desStabes veranderlichj und zwar derart,
dass alle Querschnitte desselben gleiche Zug- oder Druck-Spannung pro Flachen-
einheit erleiden? so heisst der Stab ein Trager von constanter Zug- resp. Druck-
Festigkeit, und ist durch den geringsten Materialbedarf ausgezeichnet.
Bezeiclmet F0 den Querschnitt bei A (Fig. 1377), so ergibt sich nach der
Elasticitatslelire*) fiir einen beliebigen Querschnitt F, in der Entfernung x von
A, die Formel F zzz F0 e'F (9),
wobei e die Grundzahl 2-71828... der natiirlichen Logarithmen und y das speci-
P
fische Gewicht des Materials bedeutet und Fn durch Fn =
bestimmt ist.
^ >S. Naheres z. B. in Ott's Baumechanik, 11. Theil Seite 14.
10*
148 Elasticitat (u. Festigkeit).
Die Langenanderung ist in diesem Falle /\ I ~
l.k
~FT
. . . .(10).
Da jedoch die stetige Aenderung des Querschnittes in der Praxis schwer
ausfiilirbar ist, so pflegt man Stabe von gleichem Widerstande annahernd dadurch
zu erzielen, das# man, nach Fig. 1378, den Trager aus einzelnen prismatischen
Staben so formt, dass in den Endquerschnitten dieser Stabe dieselbe Spannung
k pro Flacheneinheit herrscbt.
Fig. 1377. Fig. 1378.
A s p
i r
^ "1 A
Sind llf l„, l3... die Langen der einzelnen Prismen, Fi} Fq, F3... ihre
Querscbnitte mid P die axiale Belastung des Tragers, so ist:
P P k P ,k-
F* = T=jT? F°- = (k-yl^ik-yl,)' F* = {k-yl^ik-yQik-yl,)
P.k"-1
s. w., daher allgemein : F„ z=
..(k-yl„) • • •
. z=z ln) wird allgemein
(11).
{k-ylx)(k-y\),
Fiir den besonderen Fall, dass lt ■=. L=. l3 .
Anmerkung. Es verstebt sicb wohl von selbst, dass sicb die sammtlichen
Langen- mid Querschnittsdimensionen auf dieselbe Langeneinbeit und die Krafte
oder Lasten auf dieselbe Gewichtseinheit bezieben miissen. Ist z. B. 1 Centimeter
als Langen- und 1 Kilogramm als Krafteinbeit gewahlt, so ist I in cm., F in
□cm, A; in Kg. pr. Dcm, y in Kg. pr. Cub. cm. und P in Kg. auszudiiicken.
Beispiele. 1. Welcben Durcbmesser muss eine cylindrische Zugstange
aus Scbmiedeeisen erbalten, wenn sie mit 5facber Bruchsicherheit eine Last von
1000 Kg. (1 Tonne) tragen soil?
P
Nacb Gleichung (7) ist F = —j—. Darin ist P = 1000 und bei 5facher
4000 n'-k „. ., „ 1000
Bruclisicherbeit k =
=. 800 pro Qcm, somit F =
800
l-25ncm.
Bezeiehnet d den Durcbmesser der Stange, so ist F =: — — d" =: 1*25,
woraus d = \/iXl!5 — Vl-5915 = l-26cm.
V 3-1416 V
2. Mit wie vielfacber Bruchsicherheit widersteht die unterste Ziegelschaar
dem Gewichte einer 30m hohen, unbelasteten Ziegelmauer, wenn lcbm der Mauer
1800 Kg. wiegt und die Druckfestigkeit der Ziegel pr. Dcm 200 Kg., also pr.
Jm 2000000 Kg. betriigt?
Das Mauergewicht pro Um der Grundflache ist P = 30 X 1800 = 54000 Kg. 5
dagegen die Druckfestigkeit pro Qm Kzrz 2000000 Kg., daher die Bruchsicberheit
K 2000000 . „„
n = -p-= 54000 = 37'
Elasticitat (u. Festigkeit). 149
3. Welche Querschnitte wird ein 20m hoher Bruckenpfeiler von Granit er-
halten, der ausser seineni Gewichte noch einen Auflagerdruck von 100 Tonnen
(a 1000 Kg.) zu tragen und aus vier gleich langen prismatischen Stiicken zu be-
stehen hat7 wenn lcbm Granit 2*4 Tonnen und der zulassigc Druck (bei 30-facher
Bruclisicberheit) 27 Kg. pro Qcm oder 270 Tonnen pro Qm betragt?
Wahlt man den Quadratmeter als Flachen- und die Tonne als Kraft-Einheit,
so ist P = 100, k = 270, y = 2*4, I = 5, daher nach Pormel (12) die
einzelnen Querschnitte :
405GUrn
F' = 4 ferr) = °-3876Dm • F° = -f (4xT = °
?• = 4- (ftt)3 = °-4244Qm' *• = T (i^t)4 = °'444ia" •
Das' Gewicht des Pfeilers bei dieser Anordnung ist G =z 19*9404 Tonnen.
Hatte man aber unter denselben Bedingungen einen Pfeiler von constantem
P
Widerstande cdnstruirt, so ware7 nach Formel (9) fiir x = 30m und F0 = -=- c=z
0.3703Dm , an der Sohle die grosste Querschnittsflache F = 0'442 lDm .
Aus P + G ■= k . F ergibt sich dann das Gewicht des Pfeilers G m
19-367 Tonnen, welches gegen jenes im vorigen Falle um 0*5734 Tonnen oder.
573-4 Kg. geringer ist.
B) Schub- oder Absche rungs festigkeit, resp. Elasticitat. Ein
Trager wird in einem Querschnitte auf Schub- oder Abscherungsfestigkeit (die
auch Gleitungs- oder Scherfestigkeit genannt wird) in Anspruch genommen, wenn
die Resultirende aller ausseren Krafte in der Ebene des Querschnittes selbst wirkt
und in dessen Schwerpunkte angreift. In der Baupraxis kommt die Scherfestigkeit,
resp. Scherelasticitat, nur dann ganz allein zur Geltung, wenn auf einen Stab
zwei Krafte auf beiden Seiten einer Querschnittsebene knapp neben dieser Ebene
und parallel zu derselben nach entgegengesetzten Richtungen wirken. Diese Krafte
suchen dann den Stab in dem bezeichneten Querschnitte zu trennen oder, wie man
sagt, abzuscheeren.
Der Widerstand gegen das Abscheren ist — wie jener gegen das Zerreissen
— der Grosse der Trennungsflache direct proportional.
Bezeichnet daher P die Kraft, welche das Abscheren bewirken soil, F die
Grosse des Querschnittes und S den Modul der Scherfestigkeit pro Flacheneinheit,
so ist offenbar P rr: F . 8 . ... (13).
Diese Gleichung gilt also fiir jene Falle, in welch en die Trennung der be-
anspruchten Flache bezweckt wird, also fiir das Abschneiden, Abstossen und
Durchlochen der Materialien, welche Arbeiten mit den sogenannten Durchbruch-
maschinen bewerkstelligt werden. Soil aber das Abscheren, z. B. der Dobeln,
Nieten, Schrauben und dergleichen auf Scherfestigkeit in Anspruch genommenen
Verbindungsmittel, nicht erfolgen, so wablt man als z u 1 a s s i g e Anspruch-
nahme s pr. Flacheneinheit vom Moclul S bei Metallen den 5., bei Holzern den
10. und bei Steinen den 20. Theil. Die Gleichung P = F.s (14)
gilt demnach fiir jene Falle, in welchen kein Abscheren erfolgen darf.
Bei Metallen betragt der Abscherungsmodul 8 etwa 3/s bis 4/5 von jenem
K gegen das Zerreissen. Beim Holze ist der Widerstand gegen das Abscheren,
wegen der Faserbildung, nach den verschiedenen Richtungen verschieden : wahrend
er z. B. in Richtung der Fasern sehr gering ist, ist er in radialer Richtiing der
Jahresringe verhaltnissmassig gross.
Der Elasticitatsmodul E' fiir Schub betragt circa 2/3 von jenem fiir Zug.
C) Biegungs-Elasticitat, resp. Festigkeit, homogener T r a g e r
mit gerader Achse.*) Allgemeine Begriff e. Ein Trager A, B (Fig. 1379}
*) Friiher durch die Benennung relative Festigkeit bezeichnet.
150
Elasticity (u. Festigkeit).
wird auf Biegung-Elasticitat, resp. Festigkeit, allein nur dann in Anspruch ge-
nommen, wenn die angreifenden oder ausseren Krafte senkrecht stehen zur Langen-
achseA,B des Tragers und sammtlich
in einer Ebene — der sogenannten
Fig.
1379.
0
Kraftebene — liegen, die dureh A, B
gent. Zu (Jen ausseren Kraften ge-
horen auch die Reactionen der Stiiz-
zen, auf welchen der Trager auf
ruht, d. i. die sogenannten Stiitzen-
drticke D, , D,r Durch die Einwir-
kung dieser Krafte erfahrt der Tra-
ger, den wir uns als ein Biindel von
parallel zu seiner Langenachse lie-
D„ genden, unter einander fest verbun-
denen Fasern denken, eine Biegung.
Die urspriinglich parallelen, einander
sehr nahen Querschnitte C, (7, wer-
den nach eingetretener Biegung nicht
mehr parallel sein, sondern sie stehen
dann, wenn die Durchbiegnng inner-
halb der Elasticitatsgrenze bleibt,
auf den gekriimmten Langenfasern
nahezu senkrecht und schneiden sich
in einer Geraden 0.
Aus dem Urastande, dass die beiden Querschnitte C, C\ bei eingetretener
Biegung des Tragers eine convergirende Lage annehmen, folgt nun unmittelbar,
dass die zwisclien denselbcn befindlichen Fasern in den verschiedenen Faser-
schichten eine verschiedene Lange haben miissen. Es werden daher, nach Fig. 1379,
die auf der unteren oder convexen Seite liegenden Fasern ausgedehnt, somit ge-
zogen, dagegen die auf der oberen oder concaven Seite liegenden verkiirzt, daher
gedriickt. Demnach wird man beim Uebergange von den gezogenen Fasern zu
den gedriickten auf eine Faserschichte gelangen, deren Fasern weder gezogcn
noch gedriickt sind, die also trotz der Biegung ihre urspriingliche Lange bei-
behielten; man nennt deshalb diese Faserschichte die neutrale Schi elite,
ferner die Schnittlinie derselben mit einer Querschnittsebene die neutrale
Achse, und endlich die Schnittlinie der neutralen Faserschichte mit der Kraft-
ebene die elastische Linie. Von der neutralen Faserschichte aus nimmt die
Faserspannung gcgen die Sussersten Fasern allmiilig zu und erreicht somit in den
iiussersten Fasern ihren grossten Werth. Soil nun durch die Biegung die Ela-
sticitatsgrenze nicht iiberschritten werden, so diirfen die grossten Zug- und Druck-
spannungen k und hv der aussersten Fasern den zuliissigen Tragmodul fur Zug
und Druck nicht erreichen.
Widerstandsmoment. Betrachten wir nun ein bcliebiges Fragment AC
des durch die ausseren Krafte innerhalb der Elasticitatsgrenze gebogenen Tragers,
und ist R die Resultante der auf dieses Fragment wirkenden Krafte (Z>, , — P, , — 1\)
und a der Abstand dieser rtesultanten von der durch C gehenden neutralen Achse
dt's Querschnittes, so muss fur den Gleichgewichtszustand gegen Drehung des
Fragmentes A C, beziiglich der neutralen Achse C, das Drehungsmoment R a,
das wir allgemein mit 31 bezeiclmen, gleich sein der Summe der Drehungsmomente
aller Faserspannungen des Querschnittes C beziiglich derselben Drehachse C.
Aus dieser Gleichsetzung des Drehungs- und Widerstands-Momentes ergibt
sich die fiir Baupraxis wichtige Formel:
31 r= A T )
oder M
h
(15).
Elasticitat (u. Festigkeit). 1 51
Hicrin ist k resp. kx die pro Flacheneinlieit zulassigc Zug- oder Druck-
spannuhg, e resp. e, die Entfernung del' aussersten gezogenen oder gedriickten
Fascrn von der neutralen Aclise, mid T das sogenannte Tr%heitsmoment des
Quersclinittes beziiglich der neutralen Aclise, die liier zugleieh Schwerpunktachse
des Quersclinittes ist. Dieses Tragheitsmoment stellt die Summe aller Producte
aus den einzelnen Flachenelementen des Quersclinittes in die Quadrate ihrer Ab-
stiinde von der neutralen Aclise vor.
Qu erschni ttsform. Durch die Gleichstellung der beiden Wertlie von
M aus (15), erhalt man : — — oder k : k} r= e : ■ e1} d. h. bei jedem ra-
e e,
tionell construirten Trager ist die Quersclinittsform so anzuordnen, dass die grosste
zuliissige Zug- und Druckspannung in den aussersten Fasern zu beiden Seiten der
neutralen Faserschiclite gleiclizeitig erreicht wird. Da nun beim Stable, Schmiede-
eisen und Holze innerbalb der Elasticitatsgrenze nahezu k = kt ist, so sullen
die aus einem dieser Materialien construirten Trager so geformt werden, dass die
Querschnittsfiache durch die neutrale Aclise halbirt werde. Beim Gusseisen ist
dagegen die Druckfestigkeit wenigstens zweimal so gross als die Zugfestlgkeit,
wesbalb bei gusseisernen Tragern der Querschnitt so anzuordnen ist, dass die
aussersten gedriickten Fasern von der neutralen Aclise wenigstens zweimal weiter
abstehen als die aussersten gezogenen.
Da iibrigens das Materiale zunaebst der neutralen Scliichte am wenigsten,
dagegen in den von ihr am weitesten abstelienden Fasern am meisten in Ansprucli
genommen wird, so soil man das Materiale, um es ordentlicb auszuniitzen, mogliclist
weit von der neutralen Scliichte anordnen, wie dies bei den Blech- und Gitter-
triigern der Fall ist, deren Querschnitte aus zwei parallelen Garten bestehen, die
durch eine Blechwand oder durch Stabe zweckmassig verbunden sind.
Querschnitts - Berech nung. In der Gleichung 1 z: T oder
k e
M z=z — — T kommen vier verschiedene Grossen vor; soil daher eine derselben
ei
bestimmt werden, so miissen die drei anderen gegeben sein. Gewobnlich ist die
Lange I des Tragers, die zulassige Spannung des Materiales k pro Flacheneinlieit
und die Belastung des Tragers gegeben.
Aus der Lange I und der Belastung lasst sich clann leicht das jedem Quer-
schnitte zukommende Biegungsmoment M bestimmen, und da auch die Hohe h
des Quersclinittes und somit auch e von der Lange des Tragers abhangig gemacht
wird, so ist gewohnlich nur das Tragheitsmoment T des Quersclinittes zu be-
stimmen, wobei im Allgemeinen die Form des Quersclinittes und alle Dimensionen
desselben bis auf cine gegeben sein miissen, die eben aus der Gleichung M —
k
T berechnet werden soil.
e
Kurze Trager erhaltcn gewohnlich wegen der leichteren Herstellung einen
constanten Querschnitt, dessen Dimensionen aber fur jene Stelle des Tragers zu
bereclmen sind, fur welche das Biegungsmoment fll der ausseren Kriifte den
grossten Werth erreicht. Man nennt desbalb den Querschnitt an dieser Stelle
den gefahrlichen oder Bruch -Querschnitt. Die Hohe h des Quersclinittes
wird, aus praktischen Griinden , bei Briickentragern mit '/s bis '/i2 cIei* h'cxon
Tragerlange I, dagegen bei Hochbautra'gern mit 1/16 bis yj^n von I bemessen.
Trager von constantem Biegungswiderstande. Bei Ian gen
Tragern wiirde man durch die Wahl eines constanten Quersclinittes niclit nur
unnothigerweise Materiale verschwenden, sondern auch die Tragfa'liigkeit verringern,
wesbalb man sie am rationellsten als Trager von c o n s t a n t e m W id er s tan d e
construirt, deren Querschnitte den beziiglichen Biegungsmomenten der ausseren
Krafte proportional gemacbt werden. Hicrbei ist jedoch zu beriicksichtigen, dass
die Querschnitte, fur welche M r= 0 ist, so gross gemacht werden miissen. dass
sie den in diescn Querschnitten auftretenden Schubkraften hinrcichenden Wider-
152 Elasticitat (u. Festigkeit).
stand gegen Abscheren entgegensetzen. Die Schubkraft in einem Querschnitte C
(Fig. 1379) ist aber gleich der Resultirenden R aller von einem Tragerende bis zu
diesem Querschnitte auftretenden ausseren Krafte, den Stiitzendruck mit eingerechnet.
Vertheilung der S chub spannungen. Waren die durch die Trans-
versal- oder Schubkraft V im Querschnitte C (Fig. 1379) hervorgerufenen Schub-
spannungen iiber den ganzen Querschnitt gleichinassig vertheilt, so wtirde sich —
wenn s die zulassige Schubspannung des Materiales pro Flacheneinheit bezeichnet
— die Querschnittsgrosse F fur jene Stelle 7 an welc' er das Biegungsmoment
M m 0 ist, aus der Gleichung V == s . F berechnen lassen.
Eine gleichmassige Vertheilung der durch die Biegung hervorgerufenenSchub-
spannungen kann jedoch deshalb nicht stattfinden, weil die zur neutralen Faser-
schichte parallelen Fasern zu beiden Seiten derselben entgegengesetzte und mit
der Entfernung von der neutralen Achse zunehmende Spannungen erleiden. In
Folge dieser entgegengesetzten Spannungen tritt offenbar in der neutralen Faser-
schichte die grosste Schubkraft auf, und es muss daher, damit die zu beiden
Seiten der neutralen Faserschichte liegenden Tragerhalften nicht iibereinander ver-
schoben werden, der Trager in der neutralen Schichte eine gewisse Breite z erhalten.
Sind .F, und F^ die Inhalte der zu beiden Seiten der neutralen Achse liegenden
Querschnittstheile, ferner at und a2 die Abstande der Schwerpunkte der beiden
Querschnittshalften Ft und F„ von der neutralen Achse, so ist die Schubspannung
s0 pro Flacheneinheit in der neutralen Faserschichte bestimmt durch su =
— - — " ' 2 , wobei im Allgemeinen fiir Metalle s0 zzz
z0,T
3/4 Jc und
V.Fx.ax
k
fiir Holzer s0 ■=. — — " Es wird nun aus den obigen Gleichungen z0 __
oder zn -— — '- — " ' g .
Von der neutralen Faserschichte aus nimmt die Schubspannung mit der Ent-
fernung y von der neutralen Achse ab und ist stets in der Langenrichtung eben
so gross, wie in der Querrichtung. Bezeichnet z die Querschnittsbreite in der
Entfernung y von der neutralen Achse, so ist die in dieser Entfernung pro Flachen-
einheit in horizontaler und verticaler Richtnng auftretende Schubspannung s be-
stimmt durch s — — — ^r / y.z.dy, wobei / y.z.dy oder / y . d F die
Summe aller innerhalb der Grenzen y und e liegenden Flachenelemente z.dy
oder d F beziiglich der neutralen Achse bezeichnet.
Gleichung der elastischen Linie. Es wurde bereits erwahnt, dass
man unter der elastischen Linie die durch die Biegung deformirte Langenachse
A, B (Fig. 1379) des Tragers versteht. Bezieht man dieselbe auf ein recht-
wiukliges Achsenkreuz, dessen Ursprung z. B. im Punkte A liegt, dessen X-Achse
A, B ist und dessen F-Achse darauf senkrecht steht, so ist fiir einen beliebigen
Punkt C der elastischen Linie, mit den Coordinaten x und y, die Grosse der
Durchbiegung, namlich y aus der Differentialgleichung . ^ = ~F~T ^llrcn
zweimalige Integration zu bestimmen.
Hierbei bedeutet M das Biegungsmoment V.x fiir den Punkt C, E den
Elasticitiitsmodul des Materiales und T, wie friiher, das Tragheitsmoment des
Querschnittes.
Der Kriimmungshalbmesser CO = : fur den Punkt C der elastischen Linie
., , . . 1 M 1 k
ergibt sich aus = -= — ^ oder
E.T 4 ~~ e . E '
Tragheitsmomente. In der folgenden Tabelle sind die Tragheitsmomente
T der iiblichsten Querschnittsformen beziiglich der Schwerpunktsachse, so wie die
Abstande e, resp. e,, der entferntesten Fasern von derselben zusammengestellt.
Elasticitat (u. Festigkoit).
lbl
For m
des Querschnittes
T uiuT e
F p r in
dcs Querschnittes
7' and e
J^_
& :^
12" 5 ¥
-A
"IT
A
e — —
2
1
e — M.
2
A4
r =
e — H
2~
7'= il
12
e — —
T —
7?
36
2ll
B* + 4:Bb + b'
36 (B + 6)
& + 2£ 7*
B + b 3
T =: 0-5413 r4
e = 0-866 r
JL-
-fy^t-h-n
^.mWA
~.w~
T — 0-5413 r*
T — 0-638 r*
e = 0-924 r
T—7^-— 0-0491^
04
64 V
A64 0-0491 6 /i3
2~
Tr:^ [B H3 -
T=
w[B(H3-h*) +
Tz=1^(BH3-\-bh3)
e — —
b(]i3—d3) + b3(h-d)]
e — A
T = A.[<dh3+QHh
■ _ h {H-m
T — I [(B—b)e,3 + B^ll—e,)3 — b(h—e.Y]
&1 — 2{BH—bh)
T— I [BiH—e^-iB—b,) (H-re1—hy + be,3 —
(6— &J (e,— V3]
Bh(2H-h)-\- blh°-+bi{H+ lh—h) (H—h-h, )
2[Bh -f bh, + b^/l-h—h,)]
T=l [BttH—e^—iH-e.-hyi + b^Y-^—h,)3}]
— Bll^H— h) + 5y
6l ~" 2(13/i + 6/i.)-
154
Elasticitat (u. Festigkeit).
BcsondereBelastungsfJille. In der folgenden Tabelle sincl fiir eine
Reilie von Belastungs- und Befestigungs-Arten eines prismatisclien Tragers die
Werthe der Tragkraft P und der grossten Durclibiegung F zusammengestellt.
Hierbei bedeutet: T das Tragheitsnioment des Quersclmittes zu seiner neutralen
oder Scbwerpunktssaclise, e den Abstand der von der neutralen Aclise am weitesten
entferuten Fasern und k die grosste zulassige Spannung derselben pro Fliiclien-
einheit.
An gr i ffsweis e
Tragkraft P
Durclibiegung f
-2srr
'^A
rs-
m
ITT.
f
-
:■■'.'
->--i--f r
"%
1380.
fc
P = 2
kT
el
Jc T
p
—
4
kT
el
p
=
8
kT
el
p -
"V.
kT
P — 8
P = 8
kT
el
kT
12
kT_
el
f =
f =
f =
PI3
SET
PI*
Yet
pi*
f =
48E T
PI*
11ET
pi*
107 E T
0447 /
1 — 1921? T
a — :i/8 I
PP
J ~~ 192E11
f =
PI*
:^-iET
Specielle Bereclmung
eines a u f B i e g u n g s - E 1 a s t i-
citat beansprucbten Tra-
gers. Wir wollen schliesslich die
allgeraeine Bestimmungsweise der
Biegungs- und Widerstandsmomente
eines auf zwei Stiitzen aufruhenden
j* Tragers A, B (Fig. 1380) durch-
! fiihren, welclier dureh mehrcre Ein-
zellasteu P^P,,, Ps and durch
1 eine iiber seine ganze Liinge I
Elasticitat (u. Festigkeit). 155
gleicbmassig vertheilte Last beanspruclit wird, die gewolinlicb vom Eigengewicbte
des Tragers lierriibrt. Bezeiclinet man die Abstande der Einzellasten P, , P„, P., -t . .
von A mit a_, a,_, as *. . and von B mit b,, b_, b3, so ergeben sioli mit Riicksieht
auf die gleicbfbrmig vertlieilte Belastung, welclie q pro Langeneinbeit des Tragers
betragen soil, bei A und />' die Stiitzendriicke
Die Biegungsmomente ergeben sieb am grossten in den Belastungspunkten
C,, C_, C,....; bezeiclinet man dieselben fiir die betreffenden Quersclinitte mit
M_, M„, M_ . . . ., so wird
My - Dx ax - ?f-; M_ = D_ a, - P, («,-«,) - l|l! ;
M3 — Dt a3 - Px (aa-a_) — P2 (a3 — a2) — -^-~- u. s. w.
Bezeiclinet man die Tragheitsmomente der Quersclinitte innerlialb der Fragmente
AC1} C, Co, C_G_.... mit Tu T„, P, . . . ., so wiirden die betreffenden Quer-
sclinitte zu bestimmen sein aus : Mx ' — — Tt ; M„ — — P„ ; Mj — — T3 . . . .,
wobei Ml} M_, M3 die obigen Werthe and e_, e_, es die Entfernungen der von
der neutralen Acbse am weitesten abstebenden Fasern der beziiglichen Quersclinitte
bezeiebnen.
Sollte der Trager durch seine ganze Lange einen constanten Querschnitt er-
halten, so ware selbstverstiindlicb die Querscbnittsgrosse aus maximum M — — T
zu erniitteln, wobei sicb maximum Mm einem der Belastungspiinkte C_, C_,, C:)
ergibt.
Beispiel. Es sei nacb Fig. 1380 die freie Spannweite I — : 12 Meter,
P, — P„ — P3 — 200 Kg., a_ — -L, a_ = -i-j a3 = M und die gleicli-
massig iiber die Lange des prismatiscben, bblzernen Tragers vertlieilte Belastung
pro laufenden Meter, d. i. q — 150 Kg. Welche Dimensionen muss der recbt-
eckige Querscbnitt dieses Tragers erbalten, wenn sicb die Breite b zur Hobe 7*
des Querscbnittes wie 1 zu \/2*) verbalten, und bei 10-facher Brucbsicberlieit
k, d. i. die grosste Ansprucbnalime des Holzes pro Qcm 60 Kg. betragen soil?
Wegen der symmetriscben Anordnung der Belastung beziiglicb der Auflager
sind die Stiitzendriicke gleicb, also
D. — D„ = ^A + — P + — P„ + — P, = 1200 Kg.
Der grosste Biegungsmoment ergibt sicb bier in der Mitte des Tragers,
namlicli : M — D, . P . -^ .
1 2 t 6 8
Sollen nun die Qiierschnittsdimcnsionen in Centimetern bestimmt werden, so
mtissen audi bei der Ermittlung von M die Langendimensionen in Centimetern
ausgedriickt werden ; eben so ist der Wertb von q, der sicb auf einen Meter beziebt,
_______ Fig. 1381.
*) Ist aus einem Baumstamm vom kreisrunden Quersclinitte (Fig. 1381)
ein Balken rait rechteckigem Quersclinitte von grosster Tragfahig-
keit zu zimmern, so theilt man den Durchmesser A, B in drei
gleiche Theile und errichtet in den Tlicilpunkten auf A, B die
Senki'echten 1 C und 2 D. Die Punkte A, C, B, D sind alsdann
die Eckpunkte des gcsucliten Eecliteckes, in welcliem sich die Breite
A, C zur Ilohe C, B wie 1 zu V - verliiilt.
156
Elasticitat (u. Festigkeit).
Hiernach wird M= 1200 X
auf einen Centimeter zu reduciren, also statt q nur — ^— in Rechnung zu nebmen.
1200 onn v 1200 150 12002
~2 200X— -7oo-X^- = 410000-
— T ist nun M = 410000, k = 60, T== %„ b . h3
60 Z^3
VaA ' 12
In der Form el M =
und e i= -— einzufiihren
bh" — 41000.
Da aber b : h =r 1
also 410000
=z 10 b /t2, woraus
V 2, also 6 rr: z— =, so wird r^=
V 2 3 V 2
= 41000 oder
57982-2 , woraus endlicb h = V 57982-2 = 39cm und
A3 — 41000 V 2
& = r-L — 28cm.
V2
D) Drehungs- oder Torsions-Elasticitat resp. Festigkeit. Ein
fester Korper wird auf Drebungs-Elasticitat, resp. Festigkeit in Anspruch ge-
nommen, wenn ihn aussere Krafte um seine geometrische Acbse zu dreben sucben.
Der einfacbste Fall tritt dann ein; wenn der Korper (Fig. 1382) an ein em
Ende B festgebalten und am anderen Ende A von einer Kraft P, die in der
Ebene des Querscbnittes A liegt, derart angegritfen wird, dass sie ihn um seine
Fig. 1382. Langenachse zu dreben strebt. Ist a der
Abstand der drebenden Kraft vom Mittel-
punkte des Querscbnittes, so bildet das
Product P . a das sogenannte Drehungs-
moment, welcbes die zur Langenacbse
¥P des Stabes parallel gedacbten Fasern zu
verdreben sucbt. Da nun der Stab bei
B befestigt ist, so wird die Verdrebung
der Fasern von B gegen A zu nebmen und
es werden die Fasern nacb der Drebung
die Lage von Schraubenlinien annebmen. Diese Deformirung der Fasern, resp.
die Drehung der einzelnen Querschnitte des Stabes um seine Langenacbse wird
um so grosser, je weiter die Querschnitte von der Befestigungsstelle B entfernt
sind, so dass der Querscbnitt A die grosste Drebung erleidet.
Zugleicb wird die Verscbiebung der einzelnen Querscbnittselemente mit der
Entfernung vom Querscbnitts - Mittelpunkte zunebmen, so dass in Folge dessen
auch die Verdrebung der Fasern mit der Entfernung von der Acbse wacbst, wabrend
die Acbse selbst neutral bleibt.
Da also das zunacbst der Acbse liegende Materiale am wenigsten in Anspruch
genommen wird, so folgt daraus, dass boble Cylinder bei gleicber Querscbnitts-
grtisse eine grossere Torsionsfestigkeit baben als massive. Der Verdrebung
der Fasern oder der Verscbiebung ibrer Quersclmitte widersteben die einzelnen
Querscbnittselemente mit ibrer Schub- oder Gleitungsfestigkeit, so dass die Torsions-
festigkeit von der Scbubfestigkeit auf ahnliche Weise abbangig ist wie die Biegungs-
festigkeit von der Zug- und Druckfestigkeit.
Demzufolge ist auch der Elasticitatsmodul fur Torsion gleich jenem El fiir
fiir Schub, welcber mit 2/5 E bemessen wurde, wenn E den Elasticitatsmodul fur
Zug bedeutet.
Aus der Gleicbgewicbtsbedingung zwiscben dem Drebungsmomente P . a und
dem Widerstandsmomente der einzelnen Querscbnittselemente beziiglicb der Acbse
lSsst sicb die Formel ableiten: P. a ~ 7", (16).
Hierin bedeutet t die zulassige Torsionsspannung der aussersten Faserquer-
schnitte pro Flacbeneinbeit, r den grossten Abstand der Fasern von der Acbse
Elasticitat (u. Festigkeit). 157
und Tx das polare oder Torsions-Tragheitsmoment des Querschnittes, d. i. die
Summe der Producte aus sammtlichen Querschnittselementen f in die Quadrate
ihrer Entfennmgen e vom Querschnittsmittelpunkte, alse rJ\ ±= & (f.ea).
Fiir einen quadratischen Querschnitt von der Seitenlange b 1st
T b3 t 63
— l- = 7^-=, also Pa = -r-= oder Pa =. 0-236 £ 53 (17 ).
r 3 V 2 3V 2
2' «r3
Fiir einen kreisformigen Querschnitt ist — — z= — - — = 1*57 r*
somit Pa= 1-571 *r3, oder fur r = — , Pa — 0-1963 -Jd? .... (18;.
Fiir einen ringformigen Querschnitt ist, wenn r den ausseren und
r. den inneren Halbmesser bezeichnet, — - =■= — - — — — ■ - —
i r 2 r r
also P a ■=. L- ^- , oder fur r == — - und r-j = — ±- , Pa —
0-1963 f(d«-d,*)
s ( Jj-
Zu bemerken ist noch, dass £ circa 4/5 von der zulassigen Zugsspannung
betragt, also t — 'Q-8 &.
Die fiir das Torsionsmoment entwickelten Formeln gelten insbesondere zur
Berechnung von Wellen und Achsen.
Bezieht sich t auf den \Jem, so ist selbstverstandlich auch a in Centim.
auszudriicken.
Bei Wellen ist aber das Drehungsmoment gewblmlich durch die Arbeits-
grosse in Pferdekraften und durch die Anzahl der Umdrehungen der Welle pr.
Minute ausgedriickt. Bedeutet also JY die Anzahl der Pferdekrafte, welche durch
die Welle iibertragen werden soil und 11 die Anzahl der Umdrehungen pr. Minute,
so ist, wenn eine Pferdekraft mit 75mk bemessen und a in Centim. gegeben
ist, P 2Too7rn = 75 N, woraus Pa— 6Q0° X 75 N = 71620 — Met.-Kg. (20).
■ gQ 2 it n n
Fiihren wir diesen Werth des in Meter-Kg. ausgedriickten Kraftmomentes
in die obigen Gleichungen ein, so ergibt sich fiir den quadratischen Querschnitt:
N
71620 ■ — = 0-236 -f V (17 a);
N
fiir den kreisformigen Querschnitt: 71620 — = 0-1963 tcP (18 a),
n
und fiir den ringformigen Querschnitt: 71620 — = \ — (19 a).
11 a
Zur naheren Erlauterung der aufgestellten Formeln mogen die folgenden
Beispiele dienen.
1. Wie gross muss der Durchmesser d einer schmiedeisernen Welle werden,
wenn durch ein auf der Welle aufgekeiltes Zahnrad von lm Durchmesser eine
Kraft von 2000 Kg. mit 8-facher Sicherheit iibertragen werden soil?
Nach Gleichung (18) ist das Drehungsmoment Pa = 0*1963 tds. Hieraus
ergibt sich : d = \ /
■19(33 t
Es ist Pz= 2000 Kg., a — 100cm, t = 0-8 k, und weil fiir 8-fache Bruch-
sicherheit beim Schmiedeeisen pro Dcm k = 500 Kg., so ist t = 400 Kg.
Fur diese Werthe wird d — \7 20QQ X 10° == V 2547,11 = 13-65cm.
V 0-1963 X 400
2. Welche Wandstarke muss eine solche gusseiserne Welle erhalten, wenn
sie bei einem Durchmesser von 20cm eine Arbeitsgrbsse von 24 Pferdekraften
158
Elasticitat (u. Festigkeit).
iibertragen und 36 Umdrehungen in der Minute bei 8-facher Bruchsicherheit
machen soil?
71620 Nd
wobei d ■==. 20c
Aus Gleichung (19 a) wird d, — \/cZ4
& v ; l V 0 19(53 1 n
N = 24, n =z 36 und t — 0*8 &; da nun fur 8-fache Bruchsicherheit A; =:
163 Kg. per Dcm ist, so wird t = 130 Kg., daher fur diese Werthe
*.
= \:
/ 160000 —
und die gesuchte Wandstarke n
71620 X 24 X 20
0-1963 X 130 X 36
i=^L ^ 0-65-
18-71c
E) Zusamniengesetzte Elasticitat resp. Festigkeit. a) Knick-
oder Stau chungs-Elasticitat. 1. Fall. Der einfachste Fall des Wider-
standes gegen Zerknicken eines prismatischen oder cylindrischen Stabes tritt bei
axialer Belastung ein, wenn derselbe an beiden Enden frei beweglich oder um
Seharniere drehbar ist und seine Lange I (Fig. 1383), die kleinste Querschnitts-
dimension mindestens um das 3-fache iiberschreitet.
Die Curve A, C, B sei die elastische Linie, d. i.
die durch die Belastung P deformirte Langenachse des
prismatischen Stabes, dessen Durchbiegung im Allgemeinen
in Richtung der kleinsten Querschnittsdicke derart erfolgt,
dass die Durchbiegungsebene zugleich durch die Kraft-
richtung geht. Der Stab erfahrt durch die axiale Belastung
eine Druckspannung, welche durch die Bieguug auf der
concaven Seite vergrossert, dagegen auf der convexen Seite
durch die Zugspannung vermindert wird.
Bezeichnet Z die Lange des Stabes, F dessen Quer-
schnitt, T das kleinste Tragheitsmoment des Querschnittes
in Bezug auf eine Schwerpunktsachse und a einen von
der materiellen Beschaffenheit des Stabes abhangigen Coeffi-
cienten, so ergibt sich die durch die achsiale Belastung P
pro Flacheneinheit hervorgerufene grosste Druckspannung aus
* = 40 + -J£)
ferner die auf der convexen Seite entstehende grosste Zugspannung aus
Fig.
1383.
I JT
lilj urn i1 ii mill
1
fri
i I
L liuft
\
!i
A
;
\ 1
1 \
p
i
< i
Ac
a
\ j
%
>
i
p
i
fiB
■ B
(20),
(21).
Fur Schmiedeeisen ist a
Eine Zugspannung
handen, wo sich k > 0,
der
al*F
, fiir Gusseisen und Holz a z=. ■ •
10000 ' 5000
convexen Seite ist nur in solchen Fallen vor-
1 ergibt. Da iibrigens Jct stets grosser
als k, so ist die Ermittlung von k nur bei Gusseisen erforderlich und fiir die
Widerstandsfahigkeit erst dann massgebend, sobald k ~> 'D/t4 kt wird.
In der folgenden Tabelle (S. 159) sind die fur verschiedene Querschnittformen
el- F <>l-F
berechncten Werthe von 1 -\ t^— und — 1 -\ ^— zusammengestellt, also
ausgedriickt. Es bedeutet dabei
1
P
k. und k als Vielfache von — ^
r
haltniss der Stablange I zur kleinsten Querschnittsdimtnsion d.
Hierbei ist bei 5-facher Bruchsicherheit pro Gcm fiir Gusseisen k
und k ■=. 500 Kg., fiir Schmiedeeisen ki =r bOO und fiir Holz bei
Bruchsicherheit kt ■= 60 Kg.
das Ver-
= 1400
10-facher
Elasticity (u. Festigkeit).
150
co -r-t
o
9 f5
CO CO
b- CO CO iH r-H
^JH G5 b- CO t-H
CO CO
CM 6
<N
CM
CO
CO
CO
GO
CO
CM
CO
CM
CM
OS
CO
O
CO
CO
o
o
CM
CO
CO
o
GO
to
^
CO
1-1
GO
to
CM
CO
CM
CM
-*
CO
o
-#
CO
X
GO
GO
C5
G2
O
o
o
GO
O
<*
o
t^
CO
CO
o
o
CO
co
^
CM
o
o
CO
CM
CM
1-1
1-1
CO
CM
CO
CO
CO CO
CO CM
CM ©
r-l GO
CO -<#
6 iH
i z: i
O tH CO CO O
CM rH I CO © iH
i 'J -2' I t I
,M* ,|
X
xxxxxxx X X X X X X
i^a^-ft^fe, f^|^ a^ fin^ as|t*H Cs|^ f^l^ R*|fei
^k
U9SJ9SSnJC)
uoswdpouuipg
zioH
160
Elasticitat (u. F
eit).
Bei spiel. Wie gross ist bei 5-facber Bruchsicherbeit die zulassige achsiale
Belastung P einer an beiden End en drebbaren, schmiedeisernen Strebe, deren recht-
eckiger Querschnitt die Breite 4cm und die Hbhe lcm bat, wenn die Lange I der
Strebe 40cm betragt? Hier ist —r- = 40, daber nacb der obigen Tabelle fur
P l
diesen Wertb \ = -=- 2*92, woraus fur kx == 800 Kg. und F = 4cm,
P —
800 X 4
2-92
i3S4. Fig
Ax gebogen
man daher in den beid(
*=£{
P r
und A; rz — =- I
P
= 1092 Kg.
1385. 2. Fall. Der prismatische Stab A, C (Fig.
1384) ist an einem Ende eingespannt und am anderen
freien Ende acbsial belastet.
Dieser Fall ist offenbar auf den vorigen zurtick-
zufiihren, wenn in den dortinge Formeln statt der
Lange I jene 2 Z, eingefiihrt wird; es wird dann
3. Fall. Der prismatiscbe Stab ist an beiden
Enden eingespannt oder befestigt (Fig. 1385), so
wird er durcb die acbsiale BelastuDg nach einer
Curve C A C\ A, C2 mit zwei Wendepunkten A und
und biedurcb der vorige Fall viermal wiederbolt. Setzt
beiden letzten Formeln statt /, nur — -, so erbalt man
(23).
1 +
die
4 T
al°-F
4 T '
haufisrste Anwendung bei der Be-
Dieser Fall findet
recbnung der Saulen.
4. Fall. Der Stab ist an einem Ende eingespannt, am
anderen Ende gegen seitlicbe Ausbiegung gesichert und mit P
acbsial belastet. Fig. 1386.
Dieser Fall geht aus dem zweiten Falle hervor, wenn dort
statt I. nur
gesetzt wird
und k ^ -^- I —
1 4-
1 +
man erbalt also :
±al°-F
9 T
4al°-F
)
(24).
9 T J
b) E x c e n t r i s c b e Z u g- oder D r u c k b e 1 a s t u n g. Ist
die Durcbbiegung der Langenacbse A B der prismatiscben Stabe
(Fig. 1387) im Verhaltniss zur Excentricitat c der belastenden
Kraft P sebr klein, so ist, wenn F die ganze Querscbnittsflache,
T deren Tragbeitsmoment in Bezug auf die Scbwerpunktsachse
normal zur Bildebene und e, resp. e^ die Entfernung der aussersten
gezogenen, resp. gedruckten Fasern von der Scbwerpunktsaclise
bezeichnen, die pro Flacbeneinheit auftretende grosste Zugspannung
l = T(I + 1r) (2S)'
P C\ c.etF-\
und die grosste Druckspannung A'x
1 +
(26).
Elasticitat (u. Fcstigkeit).
161
Die Werthe von T sind fiir verschiedene Querschnittsformen aus der Tabelle
pag. 153 zu entnehmen.
c) Achsiale und transversale Belastung. 1. Fall. 1st der Stab
A B (Fig. 1388) an einem Ende befestigt und am anderen Ende durch erne zm
geraden Stabachse A B schrag gerichtete Kraft R belastet, Fig. 1388.
so lasst sich R in die beiden Componenten H und V zer-
legen, und es wird die durch beide Componenten hervor-
gerufene grosste Zugspannung k pro Flacheneinheit an-
nahernd erbalten aus k = — =- 4- ^ — , . . (27),
U 1
wobei wieder F den Querschnitt, T dessen Tragheitsmoment
fiir die Schwerpunktsachse, I die Stablange und e die Entfernung der aussersten
gezogenen Fasern von der Schwerpunktsachse bedeutet. Es wird hierbei jedocb
vorausgesetzt , dass die durch V eingeleitete Biegimg des Stabes sehr gering,
also der Biegungspfeil / verschwindend klein sei.
2. Fall. Der prismatische Stab
liegt mit beiden Enden auf Stiitzen A, B
(Fig. 1389), ist gleichmassig mit g pro
Langeneinheit und achsial durch die
Kraft H in Anspruch genommen.
Ist die Durchbiegung des Stabes
sehr gering, also H im Verhaltniss zu g I gross, so ergibt sich die grosste pro
Flacheneinheit auftretende Zugspannung k annahernd aus
* = 4 + ^! w
Die Grossen e, I, F und T haben hierbei dieselbe Bedeutung wie im vorher-
gehenden Falle. Der vorliegende Fall findet bei der Berechnung langer Zug-
stangen, deren Gewicht berucksicht werden muss, haufige Anwendung.
Fig. 1389.
d) Biegungs- und Torsionsbelastung.
Ist Mb das Biegungs- und Mt das Torsionsmoment
einer Welle (Fig. 1390), so ergibt sich die grosste
Anspruchnahme k dieser Welle pro Flacheneinheit
k = " (21/, + Mt) . . . (29).
Fig. 1390.
Hier ist Mh —
Q(l—a)
I
a und M — Pi
d der Durchmesser der Wellc^
I deren zwischen den Lagern liegende Lange und n =^ 3-14.
F) Elasticitat, resp. Festigkeit der Gefass wande und Platten.*)
Bezeichnet p den auf die Gefasswand wirkenden Druck pro Flacheneinheit (nach
Abzug des gegenseitigen), k die in der Gefasswand zulassige Maximalspannung
und Wanddicke, so ist fur geringe
und
(pro Flacheneinheit),
Wandstarken :
1. beim cylindrischen Gefasse
(Fig. 1391)
S Gefasshalbmesser
Fig.
1391.
Fig. 1392.
1 +
■i<)
— - -2- (l + -2-
r - k V ^ 2k
2. bei der Hohlkugel (Fig. 1392)
p = 2k — und — = JL. . (3i)
r r 2k
3. bei der kreisformigen, lose aufgelegten Platte (Fi
1393)
*) Vergleiche: Grashof, Festigkeitslehre.
Kanaar3ch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III.
11
162
Elasticitat (u. Festigkeit).
Fig. 1S93.
Fig. 1394.
k
c-fy-^-v?
........... (32),
4. bei der kreisformigen, am
Rande fest eingekleramten Platte
d (Fig. 1394)
P = ^k {—) Und T" =
v-
.f 1 (33).
Anmerkung. Bei Gefassen und Rohren, welche sehr hohen Pressungen
ausgesetzt werden nnd demnach grosse Wandstarken erhalten miissen (z. B. bei
Cylindern der hydraulischen Pressen), ist der Umstand zu beriicksichtigen, dass das
Material der Gefasswand in radialer Richtung in sehr ungleicher Weise (an der
inneren Wand am starksten) beansprucht wird. Hit Riicksicht auf diesen Umstand
(r _j_ #)2 r2
ian nach Lame fiir cylindrische Gefasse p —=. k
\
— i
(r + ^)2+^fi
k — p
ferner fiir kugelformige Gefasse
(r + sy
p — 2 k
{r + 8)*+i
2^3
und
VI
2[k + p)
- und
(34);
(35).
Bei spiel. Wie gross muss die Wanddicke d des gusseisernen Cylinders
von 30cm lichter Weite einer hydraulischen Presse werden, wenn der Druck 100
Atmospharen oder nahezu 100 Kg. pro Ucm betragt und die zulassige Material-
spannung k = 250 Kg. pro Qcm betragen soil?
Ilier ist r = 15em, k z=z 250 und p = 100 Kg., also nach obiger Formel (34)
= 15A/250 -<- 1Q0 - A = 7
V V 250 — 100 J
G) Elastische Fed em.*) Die elastischen Federn gleicher Construction
oder desselben Systems haben, wenn sie bei gleichem Material und gleicher Be-
lastung (innerhalb der Elasticitatsgrenze) dieselbe Formanderung erfahren, auch
gleiches Gewicht. — Man unterscheidet im Allgemeinen: Blatt-, Spiral- und
Schraubenfedern. Die ersteren werden auf Biegungs-, die letzteren auf
Druck- oder Torsionsfestigkeit, resp. Elasticitat beansprucht.
a) Einfache Blatt fed em. Es bezeichnet P die zulassige Belastung
der Feder, b, h und I die aus den Figuren (s. nachste Seite) ersichtlichen Dimen-
sionen, k die zulassige Beanspruchung des Materiales pro Flacheneinheit, E den
Elasticitatsmodul und d die grosste zulassige Durchbiegung.
b) Zusammengesetzte Blattfedem. Legt man mehrere der vorge-
fiihrten einfachen Blattfedern aufeinander, so erhalt man ein Blattfederwerk.
Die Hauptbedingungen fiir ein gutes Feder we rk sind:
1. dass es moglichst einen Trager von gleichem Biegungswiderstande bilde;
2. dass es bei der Biegung nicht klaflfe, d. h. dass sich die einzelnen Blatter
nicht von einander entfernen.
Diesen beiden Bedingungen entspricht nur das erste der folgenden Feder-
werke vollstandig, wahrend die anderen nur die letztere Bedingung erfullen.
Das Trapezfederwerk. Denkt man sich die Dreieckfeder Fig. 1398,
I, in eine gerade Anzahl gleich breiter Streifen zerschnitten und die mit gleichen
Ziffern bezeichneten Stiicke so zusammengefugt, dass hiedurch das Blattwerk II
gebildet wird, so erhalt man das sogenannte Trapezfederwerk, welches offenbar
dieselbe Tragfahigkeit hat wie die Dreieckfeder /.
Vergleiche : Eelaux, Theorie der Federn.
Elasticity (u. Festigkcit). 1G3
Tabelle der zur Berechnung der Blattfedern nothigen For me In.
Nr.
Benennung und Form
der Feder
Tragkraft
P =
Federung
Jiegnamkeit
Volum
iin Vergl,
zu Nr. i
Fig. 1395.
Rechteckfeder
Fig. 1396.
4&
v?
Dreieckfeder *)
Fig. 1397.
Ill
k_ bW
6 I
k_ bh*_
T l
Jc b ¥
1T~T
Pi3
Ebh:i
kl
Eh
PI3
Ebh3
kl
~Eh
PI3
Ebh1
kl
Eh
Reckteckfeder nach der cubischen
Parabel zugescharft *)
Statt die Enden der einzelnen Federn dreieckig zu machen, scbarft man sie
nach der cubischen Parabel zu (Fig. 1399); wobei sie dann tiberall gleiche Breite
haben, oder man macht sie, nach Fig. 1400, trapezisch. In diesem Falle muss
ausserdem noch eine Zuscharfung der Enden eintreten, die sich aus der folgenden
Formel ergibt
Fig. 1398.
b x
b x -f- bt (c
x)
Fig. 1399.
') Die elastischen Linien der beiden letztgenannten Federformen bilden bei eintretender
Biegung Kreisbogen, wesbalb sich diese beiden Federn vorziigiich fur die znsammen-
gesetzten Federn eignen.
II*
164 Elasticitat (u. Festigkeit).
In derRegel sind zwei Federwerke, nack Fig. 1-101, mit einander verbunden
Fig. 1401. und erhalten eine geringe Kriimmung, die man bei
der Berechnung tier Tragfahigkeit vernacklassigt.
c) Schrauben- und Spiralfedern.
Hierbei bezeicbne: P die zulassige Belastung, k
die zulassige Ansprucbnahme des Materials pro
Flacheneinheit, Ex den Elasticitatsmodul fur Schub
oder Torsion, der bekanntlich gleich ist 2/5 von
jenem fiir Zug (S. 147), n die Anzabl der Win-
dungen, r den grossten Radius der Scbraubenfeder bis zur Mitte des Drahtes,
d die durck P kervorgerufene Langenanderung (Federung), den Wertk ftir
das Feuerungsverhaltniss, w die Grosse des Verdrekungswinkels und I die Lange
der gestreckt gedacbten Federn (Fig. 1402 bis 1407).
Tabelle der zur Berechnung der Schrauben- und Spiralfedern nothigen Formeln.
Nr.
Benennung und Form der Feder
Trag-
Fede-
kraft
rung
P —
i —
Fi'.derungs-
Verhaltniss
Vergl
zu Nr. I
III
Fig. 1402.
+
+
+
^
Kl
7.
Elasticitat (u. Festigkeit).
105
Nr.
Benennung unci Form der Feder
Tragkraft
P ==
Federung
Drehungswinkel
Volum
im Vergl,
zu Nr. I
IV
VI
Fig. 1405.
Spiralfedef niit reekteck. Querschnitte
Fig. 1406.
Drehschraubenfeder mit rechteckigem
Querschnitte
1407.
kbh*
6r
12PZr2
Eb¥
kbh*
6r
12PI
Eblv
lend1
32 r
64PZ?-2
TtEd*
2kl
~ET
2kl
Eh
2kl
~Ed
Drehschraubenfeder mit ruudem
Querschnitte
H) Arbeitsfestigkeit. Man ver stent darunter, nach Launhardt, die
Maximalspannung A pro Flacheneinheit eines Tragers, bei welcher erst nach einer
grossen Anzahl von Belastungswiederholungen der Bruch des Tragers erfolgt.
Nach den Versuchen von Wohler ist die Arbeitsfestigkeit A kleiner als der
Bruch- oder Festigkeitsmodul K, bei dessen einmaliger Wirkung bereits der Bruch
erfolgt.
Die von Wohler mit Eisen und Stahl angestellten und von Prof. Spangenberg
fortgesetzten Versuche iiber den Einfluss wiederholter Beanspruchung der Trager fiihrten zu
den folgenden W o h 1 e r'schen Gesetzen:
1. Der Bruch erfolgt bereits bei einer kleineren Spannung als bei ruhender Belastung,
wenn man die Beanspruchung haufig wieederholt.
2. Die Anzahl der zam Bruche erforderlichen Beanspruchungen ist urn so grosser, je
kleiner hierbei — bei constant bleibender Minimalspannung — die Maximalspannung ist, oder
je grosser — bei gleich bleibender Maximalspannung — die Minimalspannung ist.
3. Wenn die Maximalspannung kleiner ist als eine von der Minimalspannung abhangige
Grenze. so tritt nie ein Bruch ein.
4. Die Arbeitsfestigkeit ist um so grosser, je grosser die Minimalspannung ist.
Auf Grundlage der Wohler'schen Gesetze wurden von den Ingenieuren und
Professoren Backer, Gerber, Launhardt, Miiller, Schaffer, Weyrauch
und E. Winkler in neuester Zeit Formeln zur Berechnung der Arbeitsfestigkeit
166 Elasticity (u. Festigkeit).
und der zulassigen Inanspruclmahme der Eisen- und Stahl construction en aufgestellt.
Wir wollen hier jedoch nur die von Weyrauch*) in Vorschlag gebrachten
Formeln vorfiihren.
Bezeichnet min. B die Minimal- und max. B die Maximal-Belastung eines
Tragers, so ist fiir TVager, die nur auf Zug oder nur auf Drnck bean-
sp rue lit werden, die Arbeitsfestigkeit in Kg. pro Qcm: fiir Schmiedeeisen
A = 2100 (l + % ^-f), fiir Gussstahl A = 3300 ( 1 + 7,, ^^T) ;
V '-* max. BJ V max. BJ
ferner fiir Trager, die abwechselnd auf Zug und Druck beansprucht
sind, wenn max. B das absolute Maximum der vorkommenden Beanspruchungen
und max. B' die relativ grosste Beansprucbung im entgegengesetzten Sinne be-
zeichnet: fiir Schmiedeeisen A rr 2100 ( 1 — 1L — jr I, fur Gussstahl
V lz max. BJ
A = 3300 (l - ./„ 5^|).
V 1T max. BJ
Uebrigens miissen die auf Druck beanspruchten Stabe gegen seitliche Durch-
biegung gesichert sein.
Schliesslich mag noch erwahnt werden, dass die zulassige Inanspruclmahme
k pro Flacheneinheit aller Constructionstheile, die wechselnden Belastungen hin-
reichenden Widerstand zu leisten haben, aus der Arbeitsfestigkeit A bestimmt
werden soil. Wahlt man also nach Weyrauch die 3fache Sicherheit gegen
den Bruch; so ist k zz — — .
Hiernach ergibt sich also die zulassige I n a n s p r u c h n a h m e & pro dcm
in Kg. bei Constructionstheilen, die nur Zug oder nur Druck zu erleiden haben:
fur Schmiedeeisen k = 700 ( 1 + % """' „ ))
V. '" max. BJ\
fiir Gussstahl k = 1100 fl + 7,, mm' S\\
V /u max. BJ)
dagegen fiir Constructionstheile mit entgegengesetzten Belastungen,
also fiir Zug und Druck:
fiir Schmiedeeisen k = 700 ( 1 — V„ — „ )\
> " *£ &Y (")•
fiir Gussstahl k — 1100 ( 1 — 5/n '—^ I
V 1T max. BJ)
Bei Dach- und Briickenconstructionen wird gewohnlich min. B durch das
Eigengewieht allein und max. B durch die totale Belastung (Eigengewicht und
zeitweilige oder mobile Belastung) hervorgerufen.
Zur Erlauterung mogen noch die beiden folgenden Beispiele dienen.
1. Bei spiel. Wie gross ist die zulassige Inanspruclmahme k und der
Querschnitt i^einer schmiedeisernen Zugstange eines Fachwerktragers, deren Minimal-
belastung z= 1000 und deren Maximalbelastung r= 6000 Kg. betragt?
Nach (36) ist fiir min. B = 1000 und max. B = 6000
k = 700 (l + % i^-) = 760 Kg. pro □-,
daher der Querschnitt F = -5^ — — — - = 7-9Qcm.
A; 760
2. Bei spiel. Wie gross ist die zulassige Inanspruchnahme k und der
Querschnitt F einer schmiedeisernen Diagonalstange eines Fachwerktragers, deren
durch die mobile Belastung bedingten entgegengesetzten Maximalbelastungen -\- 7080
und — 1770 Kg. betragen?
B\\ (36)?
•:) Dr. J. Weyrauch's Festigkeit- und Dimensionenbereclmung der Eisen- und Stahlcon-
structionen, Leipzig, Teubner 1876.
Elasticitat (u. Festigkeit). — Elaterium. 107
Hier ist max. B z=z 7080 und max. B' — 1110, also nach (37)
(1770 "\
1 ~ V* "7080" J = 61° Kg- pr° D"
max. B 7080 _
Elasticitatsgrenze und Elasticitatsgrbsse, s. Elasticitat III S. 143.
Elasticitatsmodul, s. Elasticitat III S. 146.
Elastische Linie, s. Elasticitat III S. 152.
Elaterin (elaterine — elaterine), E latin. Bitterstoff aus dem Fruchtsafte
der Eselsgurke oder Springgurke (Momordica Elaterium L.), welcher im ein-
gedickten Zustande unter dem Namen Elaterium als Arzneimittel in Verwendung
steht. Man unterscheidet im Handel zwei Sorten des Elateriums, u. zw. ein
weisses und ein schwarzes Elaterium. Das erstere wird durch Verdunstung des
aus noch nicht vollig reifen Frtichten durch Pressen gewonnenen und filtrirten
Saftes bei gewohnlicher Temperatur, das letztere durch Eindampfen des von vollig
reifen Frtichten gewonnenen Saftes in der Warme dargestellt. Das Elaterin stellt
weissgraue bis grtinliche (weisses oder englisches), oder aber dunkel griinlich-
braune (schwarzes oder deutsches), brockliche, am Bruche oft mattglanzende
Massen von bitterem scharfem, bis brennendem Geschmacke dar, welche im
Wasser so wie in Alkohol loslich sind und sich durch die heftig purgirende und
brechenerregende Wirkung auszeichnen, die sie schon in geringer Dosis hervor-
rufen konnen.
Das Elaterin darzustellen, erschopft man weisses Elaterium mit kochendem
Weingeist und fallt aus dem durch Abdampfen concentrirten Auszuge mit Wasser
das rohe Elaterin^ das durch Waschen mit Aether und durch Umkrystallisiren
mit Weingeist gereinigt werden kann (vgl. Zwenger, Ann. d. Chem. u. Pharm.
43 pag. 359). Bildet farblose, glanzende sechsseitige Tafeln7 geruchlos, von
scharfem und stark bitterem Geschmacke und neutraler Reaction. In Wasser un-
loslicb, schwer in kaltem Weingeist und Aether7 leicht in kochendem Weingeist,
Schwefelkohlenstoff, Amylalkohol und Chloroform. Aetzende Alkalien7 so wie Aetz-
ammoniak losen es leicht, durch Sauren wird es aus diesen Losungen wieder
gefallt. In kohlensauren Alkalien unloslich. Beim Erhitzen auf 200° C. schmilzt
es unter Gelbfarbung und erstarrt nach dem Erkalten zu einer gelblichen amorphen
Masse. Concentrirte Schwefelsaure farbt es dunkelroth ; wird es mit Salzsaure
eingedampft und der Riickstand mit concentrirter Schwefelsaure befeuchtet, so
farbt es sich amaranthroth (vgl. Kohler, Neu. Repert. f. Pharm. 18 pag. 578).
Wirkt schon in geringen Gaben ausserst heftig purgirend. Seine Zusammen-
setzung entspricht der Formel C20-S28O5. Im weissen Elaterium sind nach Walz
(N. Jahrb. f. Pharm. 11 pag. 21 u. 178) bis 50% Elaterin enthalten.
Neben dem Elaterin soil die Momordicapflanze nach Walz (s. oben) noch
Elaterinsaure oder Ecbalin C20H3iO^ (?), eine harzartige bitterscharfe
Substanz, dann Elaterid, Hydroelaterin und Prophetin enthalten, welcher
letztere Korper sich nach Winckler auch im Safte der Friichte von Cucumis
Prophetarim findet. Gil.
Elaterit. Elastisches Erdpech, bildet derbe eingesprengte oder knollige
Massen, auch Ueberziige, ist elastisch; sehr weich, klebt zuweilen etwas, spec. Gew.
■=. 0-8 — 1-23, schwarzlichbraun, rothlich- bis gelblichbraun. Hat Fettglanz, ist
kantendurchscheinend bis undurchsichtig, riecht stark bituminos. Chemische Zu-
sammensetzung CH2. Findet sich auf Erzgangen zu Castleton in Derbyshire,
so wie zu Nuahaven in Connecticut N.-A. S. Asphalt S. 213. Lb.
Elaterium, s. b. Elaterin.
168 Elatin. — Electricitat (Reibungselectricitat).
Elatin, s. El at er in.
Elaylgas (gaz olefiant — oil gas), blbildendes Gas, Aethylengas,
s c h w e r e s ' K o h 1 e n w a s s e r s t o f f g a s. Ein Kohlenwasserstoff von der Formel
Colli, welcher ganz allgemein imter den Producten der trockenen Destination
organisclier Substanzen (Holz-, Stein- und Braunkohle etc.) angetroffen wird, s.
Kohlenwasser stoffe. Gil.
Elaylverbindungen, syn. mit A ethyl en verb in dun gen, s. b. Kolilen-
wasser stoffe.
Elbeufschwarz, Sedanschwarz, ein Schwarz aufWolle oder Seide, durch
Ausfarben der in einer Indigktipe grundirten Zeuge in einem kocbendem Bade
von Campecheholz, Sumach und Eisenvitriol dargestellt. Gil.
Electricitat (electricite — electricity). So nennt man die ihrem Wesen
nach noch nicht bekannte Ursache eines zuerst am Bernstein (tjIsxtqov, spr.
Electron) beobachteten Zustandes, der sich durch gewisse sowohl von der
Gravitation als auch vom Magnetismus (s. d.) verschiedene anziehende und ab-
stossende Krafte zu erkennen gibt. Korper, welche sich in diesem sogleich naber
zu erorternden Zustande befinden, nennt man electrisch.
A) Reibungselectricitat. In sebr hohem Grade lasst sich der elec-
trische Zustand an festen Harzen (z. B. Bernstein, Sckellack, Schiffspech, Siegel-
lack) durch Reiben mit Pelzwerk oder Flanell u. dgl. hervorrufen. Die genannten
Korper erlangen auf diese Art voriibergehend die Eigenschaft, leichte Korperchen
(z. B. Stiickchen von Hollundermark, Papierschnitzel) anzuziehen und nach er-
folgter Beriihrung wieder abzustossen.
Je zwei durch Beriihrung mit einer geriebenen Harzstange electrisirte Korper
stossen einander ab.
Auch Glas wird durch Reiben (vornehmlich mit feinem Papiere, Tuch, amal-
gamirtem Leder) electrisch und bewirkt dieselben Erscheinungen, jedoch mit dem
Unterschiede, dass zwei Korper, deren einer mit geriebenem Harze, der andere
mit geriebenem Glase electrisirt worclen ist, einander nicht abstossen, sondern an-
zielien.
Wir schliessen aus diesen und vielen ahnlichen Erscheinungen , dass es
zweierlei Electricitaten gibt, die man als H a r z - E 1 e c t r i c i t a t und G 1 a s - E 1 e c-
tricitat unterscheidet. Insofern dieselben wie entgegengesetzte Grossen sich
verhalten,, pflegt man sie beziehungsweise als negative und positive Electricitaten
( — E und -f- E) zu bezeichnen, wobei also die willkiirliche Annahme zu Grunde
liegt, class man die Glas-Electricitat als die positive gelten lasst I.)
Weiterbin folgt aus den angefiihrten Tbatsachen noch der bekannte Satz,
dass gleichnamige Electricitaten einander abstossen, ungleichnamige einander an-
ziehen . II.)
Niihere Untersuchungen iiber die Electricitats-Entwickelung durch Reibung
baben gelehrt^ dass dabei stets beide Electricitaten gleichzeitig und
in gleicher Menge auftreten, so dass von den beiden aneinander geriebenen
Korp.ern der eine positiv und der andere negativ electrisch wird III.)
Ferner hat sich herausgestellt, dass ein und derselbe Korper, je nachdem
er mit diesem oder jenem anderen Korper („Reibzeug") gerieben wird, bald
positiv, bald negativ electrisch wird. So kann z. B. Glas, welches in den meisten
Fallen positiv electrisch wird, durch Reiben mit Katzenfell auch negativ electrisch
gemacht werden. Es lasst sich iiberhaupt eine Reihe von Korpern so ordnen,
dass bci der Reibung je zweier der in der Reihe vorhergehende stets positiv,
der nachfolgende negativ electrisch wird. Eine solche Reihe ware z. B. folgende:
Katzenfell, Flanell. Glas, Baumwolle, Seide, Holz, Schellack, Metalle, Schwefel,
Guttapercha*) . .' IV.)
i:) Vergl. B alf o ni - S t c w a r t, kurzes Lehrlmcli der Physilc.
Electricitat (Reibungselectricitat). 109
Der electrische Zustancl eines Korpers kann, wie schon die angefiihrten Ver-
suche erkennen lassen, audi anderen Korpern durch Beriihrung oder auch durch
blosse Annaherung mitgetheilt werden. Dabei bestehen hinsichtlich der Leichtigkeit,
mit welcher die Korper Electricitat annehmen oder abgeben, grosse Unterschiede.
So nehmen z. B. die Harze, Glas, &eide, wenn sie mit electrischen Korpern in
Beriihrung kommen, die Electricitat nur schwer und eben nur an der Beriihrungs-
stelle an, wahrend dagegen ein Stiick Metall, mit einem electrischen Korper in
Beriihrung gebracht, sogleich und auf seiner ganzen Oberflache electrisch wird.
Man schreibt deshalb den Korpern ein verschiedenes Leitungsvermogen fur
Electricitat zu und bezeichnet insbesondere die Harze, das Glas, die Seide u. s. w.
als schlechte, die Metalle aber als gute Leiter. Es mag bei dieser Gelegenheit
schon jetzt bemerkt werden,, dass gute oder schlechte Warmeleiter (s. den Artikel
Warm ernes sung) im Allgemeinen auch gute oder schlechte Electricitatsleiter
sind V.)
Schlechte Leiter nennt man auch Isolator en, und einen Korper, der mit
keinem guten Leiter in Beriihrung ist, isolirt. Der leere Raum ist als absolut
nicht leitend zu betrachten ; trockene Luft als schlecht leitend. Feuchtigkeit erhoht
ihr Leitungsvermogen sehr auffallend VI.)
Deshalb ist auch leicht einzusehen, dass electrische Versuche, bei welchen
es darauf ankommt, die Electricitat auf isolirten Korpern zu erhalten, nur in
trockener Luft gut gelingen konnen. Eine hohere Temperatur ist dabei
insofern vortheilhaft, als dieselbe bei gleichem absolutem Wassergehalte der Luft
einen geringeren Feuchtigkeitsgrad (s. den Artikel Hygrometer) bedingt . VII.)
Von den Fliissigkeiten konnen die Sauren und Salzlosungen im Allgemeinen
als ziemlich gute Leiter, Alkohol, Aether, fette Oele als sehr schlechte Leiter
bezeichnet werden. Letzteres gilt auch vom chemisch reinen Wasser und vom
Eise. Aeusserst geringe Beimischungen (Verunreinigungen) von Sauren oder Salzen
erhbhen das Leitungsvermogen des Wassers schon sehr bedeutend*) . . . VIII.)
Uebrigens hangt das Leitungsvermogen der Korper auch von der Temperatur
ab. Metalle werden durch Erwarmung schlechter, chemisch zusammengesetzte
Fliissigkeiten besser leitend IX.)
Auch Glas wird in der Rothgliihhitze leitend.
Um die electrischen Erscheinungen iibersichtlicher zu machen, bedient man
sich der Vorstellung, als wenn es zwei ausserst feine Fliissigkeiten (Fluida) gabe,
-|-_EJund — E genannt, welche das im Satze II ausgesprochene Verhalten aussern.
Im unelectrischen Korper denkt man sich dieselben gleichformig und in gleicher
Menge vereinigt und einander neutralisirend. Beim Electrisiren , z. B. durch
Reibung, findet eine Scheidung der beiden Fluida statt, und zwar in einer dem
Satze III entsprechenden Weise.
Wird ein mit -j- E geladener Korper K (z. B. eine geriebene Glasstange)
einem isolirten Leiter L (z. B. einer metallenen Kugel auf glasernem Fusse oder
einer Hollundermarkkugel an einem seidenen Faden) genahert, so wird die in L
enthaltene negative Electricitat angezogen, die positive abgestossen und auf diese
Art eine electrische Trennung, d. i. eine Electricitats-Entwickelung bedingt, wobei
eine Electricitatsmenge — E' auf der dem Korper K zugewendeten und eine gleich-
grosse entgegengesetzte Electricitatsmenge -\- E" auf der von K abgewendeten
Seite des Leiters L sich ansammelt. Ware K mit negativer Electricitat geladen,
so wiirden auf L beziehungsweise die Electricitaten -\- E' und — E" in der bc-
schriebenen Anordnung auftreten. Man nennt diesen Vorgang der Electrisirung
durch Fernwirkung electrische Influenz und bezeichnet die von der E des
influencirenden Korpers angezogene E' des influencirten Leiters L als Influenz-
electricitat der erst en Art, die abgestossene E" als Influen z elect ri-
citat der zw eiten Art X.)
~':) Siehe audi den Artikel Electrolyse.
170 Electricitat (Reibungelecti-icitat).
Theorie unci Erfahnmg lehren iibereinstimmend, class das Innere eines durchaus
gleichartigen electrisirten Leiters stets unelectrisch ist. Elect rische Ladungen
kcinncn sich also immer ntir auf der Oberflache eines Leiters
befinden XL)
Es ist immer rfc E' — =p E", d. h. die beiden Influenzelectricitaten sind
immer von gleiclier Menge aber entgegengesetzter Bescliaffenheit . . . . XII.)
Die Electricitatsmenge E' (oder E") ist nur dann der influencirenden Elec-
tricitatsmenge E gleich, wenn der influenzirende Korper K vom influenzirten Leiter
L ringsum (wie z. B. von einer metallenen Scbale) eingeschlossen ist. In alien
anderen Fallen ist E' (oder E") kleiner als E XIII.)
Im ersten Falle des Satzes XIII iiben die beiden eingeschlossenen Electri-
citaten E imd E' nach aussen gar keine anziehende oder abstossende Wir-
kung aus und es ersclieint demnach L, wenn man E" abgeleitet hat, ganz un-
electrisch XIV.)
Annahernd gilt XIV audi von der abgeleiteten ausseren Belegung einer ge-
ladenen Leydener Flasche, wobei die innere Belegung den Korper K, die aussere
den (theilweise) einschliessenden Leiter L vertritt; so wie auch von einer zur
Erde abgeleiteten Metallplatte L, hinter welcher sich der electriscbe Korper K
befindet, jedoch nur innerhalb des Raumes, welchen man den „electrischen Scbatten"
des Scbirmes L nennt XV.)
Bei dem Versuche X wird, weil die Entfernung zwiscben E und E kleiner
ist als zwiscben E und E", die Anziebung zwiscben K und L audi dann iiber-
wiegen, wenn E" niclit abgeleitet worden ist. Ist L beweglich, wie z. B. ein
electriscbes Pendel, und kommt es in Folge dessen mit K in Beriihrung, so wird
E einen Tbeil von E neutralisiren, und L, welches iiberdies noch einen Theil
von E aufnimmt, als gleichnamig electrisch abgestossen werden XVI.)
Ist der influenzirte Leiter L auf Seite des electrischen Korpers K mit einer
oder mehreren Spitzen (scharfen Kanten u. dgl.) verseheu, so tritt die im Artikel
Blitzableiter I pag. 641 und 642 beschriebene Ladung mit gleichnamiger In-
fluenzelectricitat durch Spitzenwirkung ein XVII.)
Nach demselben Principe ist leicht einzusehen, wie durch Spitzenwirkung
auch der Electricitatsverlust eines Leiters an die Luft befdrdert wird, weshalb an
isolirten Leitern, anf welchen man electriscbe Ladungen erhalten will (wie z. B.
bei den leitenden Bestandtheilen von Electrisirmaschinen, Leydener Flaschen u. s. w.),
scharfe Kanten, Spitzen u. dgl. sorgfaltig vermieden sein rnussen, mit Ausnahme
der zur Vermittlung von Ladungen bestimmten Spitzen, die man wegen ihrer
scheinbar (XVII) saugenden Wirkung „Saugspitzen" nennt XVIII.)
Der electriscbe Korper K kann (besonders wenn er selbst ein Leiter ist)
bei hinreichend starker Ladung einen Theil seiner Electricitat an einen ange-
n aber ten Leiter L in der Form einer sogenannten Funkenentladung abgeben.
Diese Erscheinung beruht darauf, dass die zwiscben K unci L befindliche Luft-
schichte, wegen ihres schlechten Leitungsvermogens, durch die iibergeheude Elec-
tricitat bis zum Gliihen erhitzt wird XIX.)
Im leeren Raume ist aus dem bereits in VI angegebenen Grunde eine elec-
triscbe Entladung unmoglich, so wie wir iiberhaupt die Electricitat immer nur an
den Korpern (an denselben haftend oder von denselben geleitet), niemals aber
von den Korpern getrennt beobachten konnen ...... ... .XX.)
Die Strecke der Funkenentladung nennt man Schlagweite, wobei voraus-
gesetzt wird, dass L mit der Erde leitend verbunden ist. Nahert man L ver-
schicdenen Stellen von K, so erhalt man unter iibrigens gleichen Umstanden ver-
schiedene Schlagweiten, nach Massgabe der sogenannten Dichte der Electricitat
an derjenigen Stelle der Oberflache des Leiters R, von welcher der Funke aus-
geht. Starker g e k r ii m m t e n Stellen entspricht eine grossere elec-
triscbe Dichte (und Schlagweite) als schwacher gekriimmten .... XXI.)
Deshalb ist z. B. an der Funkenstelle des Conductors der Winter'schen
Electrisirmaschine ein hervorragender, abgerundeter Leiter angebracht.
Electricitat (Electroscope).
171
Ueber den Einfluss der Gestalt des Leitcrs L, welcher die Funkenentladung
aufnimmt, ist im Artikel Blitzablciter pag. 642 (unten) und 643 das Nothige
gesngt worden.
Von der Dichte der Electricitat, welche anf der Oberflache eines Leiters
stellenweise verschieden ist, hat man die sogenannte Spannung der Electricitat
wohl zu nnterscheiden. Diese ist, wenn Gleichgewicht besteht, anf der ganzen
Oberflache eines Leiters oder auch mehrerer mit einander leitend verbundener
Leiter dieselbe. Man konnte sie durch die Electricitatsmenge messen, welche in
eine kleine metallene Kugel iiberginge, die man mittelst eines langen diinnen
Drahtes mit der nntersuchten Stelle des Leiters in Verbindung brachte . XXII.)
Znr genaueren Untersuchnng des electrischen Zustandes der Korper dienen
eigere Instrnmente, die man Electroscope oder Electrometer nennt. Vom
Electroscope wird nur verlangt, dass es das Vorhandensein von Electricitat nnd
deren Qualitat (-J- E oder — E) erkennen lasse, ohne jedoch genaue quali-
tative Bestimmungen zu gestatten. Ein Instrument, welches auch der letzteren
Anforderung geniigt und zur Messung von Electricitatsmengen geeignet ist, heisst
Electrometer XXIII.)
Ein alteres, sehr einfaches, fur viele Zwecke ausreichendes Electroscop ist
das in Fig. 1408 abgebildete.
Durch den Deckel eines Glasgefasses geht, durch
ein Glasrohr isolirt, ein dicker Draht, der oben eine
metallene Kugel tragt, wahrend an seinem unteren Ende
entweder zwei feine Reisstrohhalme an feinen Hackchen
angehangt oder zwei Streifen Blattgold angeklebt sind.
Nahert man der Kugel einen electrischen Korper,
so wird bei starker z. B. positiver Ladung desselben die
Influenzelectricitat -\- E" (siehe Satz X) in die Gold-
blattchen getrieben ' werden und durch gegenseitige Afo-
stossung ein Auseinandergehen derselben, eine sogenannte
„Divergenz" bewirken. Die Grosse der letzteren, zu
deren Vergleichung in verschiedenen Fallen ein in der
Zeichnung angedeuteter Gradbogen dienen mag, gestattet
zugleich ein Urtheil tiber die Intensitat der Ladung.
Wird die Divergenz der Goldblattchen durch Annaherung
einer geriebenen Siegellackstange an die Kugel des
Electroscopes vermindert, so ist E" positiv und somit
auch die untersuchte Ladung E positiv, wie im obigen Beispiele. Eine Divergenz,
die durch Annaherung einer geriebenen Siegellackstange vermehrt wird, riihrt
von negativer Electricitat her. Schwach electrische Korper miissen mit der
Kugel des Electroscopes in Beriihrung gebracht werden, um eine Divergenz zu
bewirken XXIV.")
Una den electrischen Zustand von Korpern nachzuweisen, deren Ladung auch
bei Beriihrung des Electroscopes nicht ersichtlich wird, dient ein Hilfs-Apparat,
der alsbald unter dem Namen Condensator beschrieben werden soil.
Auf die Beschreibung von Electrometern (siehe XXIII.) kann hier nicht ein-
gegangen werden. Den meisten liegt das Princip der C o u 1 o m b'schen Drehwage
zu Grunde, mittelst welcher das Gesetz der electrischen Anziehung und Abstossung
nachgewiesen worden ist. Dieselbe ist, wie Coulomb gefunden hat, dem Producte
der auf einander wirkenden (in zwei Punkten concentrirt gedachten) electrischen
Quantitaten (m und m1) direct und dem Quadrate ihrer Entfernung (r) verkehrt
proportional, entsprechend der Formel (Coulomb'sches Gesetz)
P = =t k ~—^- XXV.)
Der Abstossung entspricht das positive, der Anziehung negative Vorzeichen.
Der Coefficient k bedeutet die Wirkung zweier Quantitatseinheiten im Abstande
der Langeneinheit (m rr: m' — 1; r = 1).
Fig.
1409.
/
S^l 2^
Lt(
V*
K
K%
172 Electricitat (Electrisirmaschinen).
Zur Erzeugung grosserer Mengen von Reibungselectricitat dienen die Elec-
trisirmaschinen, welcbe dem Principe nach von zweierlei Art sind.
Die gewohnliehen Reibungsmaschinen baben bekanntlicb eine solcbe Ein-
richtung, dass in der Nahe eines Leiters (Conductors) von grosser Oberflache
eine Glasscheibe an ainalgamirten belederten Reibkissen gerieben wird. Der in
der Regel mit Saugspitzen versehene Conductor wird dabei in Folge des im Ab-
satze XVII angegebenen Vorganges mit positiver Influenzeleetricitat geladen. Die
negative Reibungselectricitat des Reibzeuges wird gewobnlich zur Erde abgeleitet,
kann aber audi auf einem zweiten Conductor angesarnmelt werden, wenn man
dafiir den ersten Conductor mit der Erdleitung verbindet XXVI.)
Die neuere und fur manche Zwecke geeignetere Gattung von Electrisirma-
scbinen ist unter dem Namen Influenzmaschinen*) (Poggendorff nannte
sie Electromascbinen) bekannt. Sie beruhen auf dem von Riess sogenannten
Principe der Doppelinfluenz und zwar in folgender Weise.
Befindet sicb zwiscben einem negativ electriscben Korper Kt (Fig. 1409)
und einem mit Saugspitzen versebenen Leiter Lj, den wir uns zunachst mit der
Erde verbunden denken, eine Glasscheibe a b, so
wird dieselbe beiderseits positiv electriscb ; diesseits
durch unmittelbare Influenz (X), und auf der
anderen Seite dadurch, dass zugleicb aucb der
Leiter Lt influenzirt wird und seine positive In-
l fluenzelectricitat aus den Saugspitzen auf die Glas-
scheibe (durch die dazwischen befindliche Luft-
scbichte) iibergehen lasst, wodurch die daselbst
zuerst erregte negative Influenzeleetricitat mehr
als neutralisirt wird. Dieser Vorgang heisst Doppelinfluenz und ist natiirlich
von einem Abstromen negativer Influenzeleetricitat aus Z, in die Erde begleitet.
Der Vorgang erneuert' sicb, wenn die Glasscheibe zwiscben K± und Lx be-
wegt wird.
Denkt man sicb nun bei K,, einen positiv electriscben Korper und auf der
anderen Seite der Glasscheibe einen eben solchen Leiter L„ wie Lx angebracht,
so ist leicht einzusehen, dass von L„ ein Strom positiver Electricitat in die Erde
abgehen wird, wahrend man die Glasscheibe a b uni eine Achse c dreht. Sind
die Leiter i, und L,x nicht zur Erde abgeleitet, sondern mit metallenen Biigeln
verbunden^ deren Enden 1 und 2 nicht zu weit von einander abstehen, so wird
zwiscben 1 und 2 eine Funkenentladung stattfinden, welcbe von den Influenz-
electricitaten der Leiter Lx und L,2 gebildet wird.
Bei der Influenzmaschine sind Kx und K^ mit Spitzen versehene Halbleiter
und erhalt K{ seine negative Ladung durch einmalige Beriihrung mit einer ge-
riebenen Hartgummiplatte, K^ seine positive Ladung durch die zwischen Kt und
L, positiv geladene Scheibe, die dann zwischen A', und L„ negativ electriscb
wird und Kx neuerdings mit negativer Electricitat versieht7 dann wieder K„ mit
positiver u. s. w., so dass zwischen 1 und 2 ein fast continuirlicher, bis zu einem
gewissen Maximum anwachsender Funkenstrom iibergeht XXVII.)
Um die von einer Electrisirmascbine gelieferte Electricitat in grosserer Menge
auf einem auderen Leiter anhaufen zu konnen, bedient man sicb der sogenannten
A n s a m m lungs a p p a rate. In diese Kategorie gehoren vornelimlich die Leydener
Flaschen und die aus solchen zusammengestellten Batterien, deren Einrichtung
wir wohl als bekannt voraussetzen diirfen, ferner die Condensatoren, von welchen
schon ira Artikel Condensator im Allgemeinen die Rede war.
Die im Obigen besprochenen Fundamentalgesetze gestatten, wenn audi nicht
eine strenge Nachweisung, doch eine leichtere Beurtheilung der Verbaltnisse, von
welchen die Leistungsfahigkeit eines Condensator s abhangt, weshalb wir die
*) Die Bezeiehaung ist insafern niclit treflfend, weil ja auch die Wirkung der alten Elec-
trisirmaschinen auf Influenz beruht. „Doppelinflaenzmascbinen" ware passender.
Electricitat (Condensatoren).
173
v<
Fig. 1411.
fur praktische Anwendungen nothigen Andeutungen hieruber diesem Artikel ein-
gefiigt haben.
Man denke sich einen Streifen A B (Fig. 1410 und 1411) von gut ge-
firnisstem Wachstaffet beiderseits mit Stanniolstreifen C\ und C,, belegt, die etwas
kiirzer und sckmaler sind, so dass Fig. 1410.
vom Wachstaffet ringsum ein un-
belegter Rand bleibt. Das Stanniol
kann mit Schellackfirniss aufgeklebt
werden. Um diese Vorrichtung, wel-
cbe im wesentlichen nichts anderes
als eine biegsame Franklin'sche
Tafel istj in eine compendiosere
Gestalt zu bringen, legt man sie nach
dem Schema Fig. 1412 zusammen
und trennt die einzelnen Lagen
durch diinne Brettchen oder Glas-
tafeln oder sonst geeignete isoli-
rende Substanzen.
Wird nun eine der beiden Be-
legungen, z. B. Ct durch leitende
Verbindung mit dem Conductor einer
Electrisirmaschine oder einer anderen
Electricitatsquelle positiv geladen,
wahrend C,2 zur Erde abgeleitet ist,
so wird die von der Ladung -\- E
der Belegung Ct herriihrende Iu-
fluenzelectricitat — E' der Belegung
Cn bewirken, dass der grcisste Theil
von E auf der inneren Flache der
Belegung C\ sich ansammelt und mit — E' zusammen (da sich beide Electrici-
taten gegenseitig anziehen) keine merkliche Wii'kung in die Feme ausiibt, oder,
wie man sagt, „gebunden" wird. In Folge dessen kann Cx noch weiter Electri-
citat von der Maschine aufnehmen, wobei sich der beschriebene Vorgang mit eiuem
Theile der neu aufgenommenen Electricitat wiederholt, bis endlich die Ladung
eine gewisse Grenze erreicht hat, bei welcher der Leiter C, viel mehr Electricitat
aufgenommen hat_, als er ohne die Riickwirkung von C2 fur sich allein hatte auf-
nehmen konnen. Die Spannung der Electricitat aber auf C, kann (vermoge XXII)
in beiden Fallen nie grosser werden als auf dem Conductor der Maschine . XXVIII.)
Nennt man F die Flache der Belegung Cx (wir wollen C„ als gleich gross
voraussetzen), P die Spannung der Electricitat auf dem Conductor der Electrisir-
maschine oder der sonst angewendeten Electricitatsquelle, mit welcher der Con-
densator geladen wird, und D die Dicke der isolirenden Zwischenschichte, so ist
die Electricitatsmenge M (Ladung), welche der Condensator aufzunehmen
FP
vermag, annahernd proportional dem Quotienten — ^r — , also
FP D
M—k -^- XXIX.),
wobei k eine constante Zahl ist, welche mit F und D die sogenannte Verstar-
k F
kungszahl — =— des Condensators bildet.
Um also einen Condensator herzustellen, der moglichst viel Electricitat auf-
nimmt, miissen die Belegungen sehr gross und das isolirende Diaphragma (so
weit es mit der Widerstandsfahigkeit gegen durchbrechende Selbstentladungen ver-
einbar ist) sehr diinn gemacht werden.
Soil der Condensator die nach XXIX berechnete Ladung aufnehmen, so ist
ausser der besagten Widerstandsfahigkeit des Diaphragma audi ein hinreichend
174 Electricitat (Fortpflanzungsgeschwindigkeit).
breiter unbelegter Rand desselben erforderlieh, damit nicht eine Selbstentladung
einer Belegung zur anderen um den Rand des Diaphragmas herum stattfinde . XXX.)
Dieselben Satze gelten inehr oder weniger annahernd fiir alle electrischen
Ansammlungsapparate , mogen diese nun Condensatoren , Leydener Flaschen,
Franklin'sche Tafeln oder wie immer genannt werden.
Werden die beiden Belegungen des geladenen Ansamrnlungsapparates leitend
mit einander verbunden, so findet jene Ausgleichung entgegengesetzter Electricitaten
statt, die man Entladung nennt.
Die einer solchen Entladung entsprechende Arbeitsleistung A ist dem
Producte der Ladung M und ihrer Spannung P proportional XXXI.)
und kann mit Riicksiclit auf die Formel XXIX auch durch die Gleichung
A = c Dp' xxxn.)
ausgedriickt werden, wobei c einen constanten Factor vorstellt, und die ilbrigen
Buchstaben die bereits angegebenen Bedeutungen baben. Man kann also aucb
sagen : die Wirkung der Entladung ist bei einem und demselben Condensator dem
Quadrate der Ladung proportional.
Die Wirkung der Entladung bestebt entweder bios in einer Erwarmung des
Verbinduugsleiters, oder, wenn derselbe unterbrochen ist, auch in der Bildung
electrischer Funken (XIX) an den Unterbrecbungsstellen, in welchen Fallen zugleich
mechanische Wirkungen (Losreissen von metallischen Theilchen, Erschiitterung der
Luff, Durcbbreclien eingeschalteter schlechter Leiter u. dgl.) auftreten.
Auf die chemischen Wirkungen , welcbe electriscbe Entladungen mit sich
bringen konnen (z. B. Ozonbildung bei der Funkenentladung), wollen wir bier nicht
weiter eingeben. (Vergl. den Artikel Electrolyse.) Eben so mogen die physio-
logischen Wirkungen iibergegangen werden. Auf die magnetischen Wirkungen
kommen wir im Artikel Elect romagnetismus zuriick. ,
Bei jeder Entladung findet in dem Verbindungsleiter („Schliessungsbogen"),
in welchem die entgegengesetzten Electricitaten zur Ausgleichung kommen, eine
Bewegung derselben statt (beziehungsweise eine durch electriscbe Krafte bewirkte
Molecularbewegung), welche wir einen electrischen Strom nennen . XXXIII.)
Von besonderer Wichtigkeit sind die electrischen Strome von langerer Dauer
(continuirliche Strome), insbesondere die constanten (oder stationaren) Strome, von
welchen spa'ter die Rede sein soil. Die Reibungselectricitat liefert uns in der
Regel nur Strome von sehr kurzer Dauer und rasch veranderlicher Intensitat.
Ueber die Dauer electrischer Entladungsfuuken hat Wheatstone Ver-
suche angestellt ; er fand dieselbe kleiner als ein Millionstel einer Secunde . XXXIV.)
Fiir die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Electricitat in Leitern
hatte Wheatstone 61000 Meilen pro Secunde gefunden. Kirch hoff be-
rechnete auf Grundlage des Weber'schen Fundamentalgesetzes eine Geschwin-
digkeit von 41000 Meilen. Nach den in neuester Zeit auf Telegraphenlinien aus-
geftihrten Werner Siemens'schen Messungen ergaben sich Geschwindigkeiten
von durchschnittlich 30000 Meilen. Dieses letztere Resultat verdient am meisten
Vertrauen und widerlegt zugleich die jedenfalls viel zu kleinen Geschwindigkeiten,
welche von Walker, Mitchell und Gould auf amerikanischen Telegraphen-
linien gefunden worden sind. — Nach Kirchhoff ware aus theoretischen Griinden
anzunehmen, dass die Geschwindigkeit der Electricitat in alien Leitern gleich
gross sei XXXV.)
B) Beriihrungs electricitat. Wir haben bisher vorausgesetzt, dass
der electriscbe Zustand durch Reibung hervorgerufen worden sei.
Zur Erzeugung der so erregten Electricitat, welche man Reibungselec-
tricitat nennt, eignen sich, wie wir gesehen haben, schlechte Leiter. Bei guten
Leitern geniigt eine blose Berlihruug des einen mit einem anderen zur Electri-
citats-Erregung, vorausgesetzt, dass beide nicht von gleicher Art sind, sondern
entNveder chemisch verschieden oder doch wenigstens von ungleicher Temperatur
Electricitat (Beriihrungselectricitat). 175
oder ungleicher Beschaffenheit der Oberflache (z. B. der eine polirt, der andere
matt). Man nennt die unter solchen Umstanden durch Beriihrung erregte Elec-
tricitat: Beriihrungselectricitat oder Contact-Elect ricitat, oder auch
galvanise he oder volta'sche Electricitat, endlich auch Galvanismus oder
■ V o 1 1 a i s m u s.
Die beiden letzteren Bezeichnungen riihren bekanntlich davon her, dass
Galvani zuerst gewisse physiologische Erscheinungen (Zuckungen von Frosch-
scbenkeln bei metallischen Beriihrungen) beobachtete, von welchen Volta spater
nachwies, dass dieselben von der Contact-Electricitat der dabei angewendeten un-
gleichartigen Metalle verursacht worden sind*) XXXVI.)
Zur Erzeugung von Contact-Electricitat eignen sich vornehmlich die Metalle,
unter welchen am haufigsten Kupfer und Zink zu dicsem Zwecke benutzt werden,
bei deren Beriihrung jenes negativ, dieses positiv electrisch wird.
Ganz analog dem fur die Reibungselectricitat geltenden Satze III treten
namlich auch bei der Electricitatsentwicklung durch Contact stets beide Electri-
citaten gleichzeitig und in gleicher Menge auf, indem jedesmal der eine von den
beiden miteinander in Beriihrung gebrachten Leitern (z. B. Metallen) positiv, der
andere negativ electrisch wird.
Alle einfachen und auch mehrere zusammengesetzte Korper lassen sich
dergestalt in eine Reihe stellen, dass bei der Beriihrung von je zwei beliebigen
Gliedern dieser Reihe das vorhergehende positiv," das nachfolgende negativ elec-
trisch wird. Diese Reihe nennt man S p an nun gs reihe.
Einige Glieder derselben, die besonders haufig in Betracht kommen, sind
z. B. folgende: Zink, Zinn, Blei, Eisen, Kupfer, Silber, Gold, P latin,
Kohle; oder mit chemischen Zeichen geschrieben: Zn, Sn, Pb, Fe, Cu, Ag,
Au, Pt, C. Das vorhin ausgesprochene Verhalten ist noch dahin naher zu pra-
cisiren, dass die bei der Beriihrung zweier Glieder der Spannimgsreihe erregte
Contactelectricitat mit desto grosserer Spannungsdifferenz**) auftritt, je weiter
die beiden Glieder in der Reihe von einander entfernt sind. Es wird also z. B.
Kupfer im Contacte mit Blei starker als mit Eisen, noch starker mit Zinn oder
endlich mit Zink negativ electrisch, es wird hingegen positiv electrisch mit Silber,
noch mehr mit Gold, starker noch mit Platin oder endlich mit Kohle. Dieses
Gesetz wird das erste Gesetz der Spannungsreihe genannt.
Ein zweites Gesetz der Spannungsreihe sagt, dass die DifFerenz
der auf zwei Gliedern derselben auftretenden contactelectrischen Spannungen ganz
dieselbe ist, man mag jene beiden Glieder unmittelbar mit einander in Beriihrung
bringen oder durch andere Glieder der Spannungsreihe in beliebiger Auswahl und
Anordnung ,mit einander leitend verbinden. Wenn also z. B. das eine Mai auf
eine Kupferplatte unmittelbar eine Zinkplatte gelegt wird, das andere Mai hingegen
auf die Kupferplatte zunachst etwa eine Platinplatte, auf diese eine Bleiplatte,
dann vielleicht eine eiserne Platte und endlich die Zinkplatte, so werden die
Contactelectricitaten auf den beiden Endplatten in beiden Fallen dieselbe Be-
schaffenheit und Spannungsdifferenz haben.
Die bei dem Contacte zweier Korper auf denselben auftretenden entgegen-
gesetzten Electricitaten treten mit bestimmten Spannungen auf, deren Differenz
nur von der materiellen Beschaffenheit, nicht aber von der Form oder Beriihrungs-
flache der beiden Korper abhangt. Man nennt diese Differenz die electrische
Differenz, welche den betreffenden Gliedern der Spannungsreihe entsprieht.
Wird einer der beiden Korper leitend mit der Erde verbunden, so wird die
Spannung auf demselben gleich Null, steigt aber gleichzeitig auf dem anderen
h) Zum Theile kommt bei den von Galvani beobachteten Erscheinungen allerdings aucb
die spater von Matte ucci und Du Bois Reymond beobachtete Muskel- und Nerven-
Electricitat („thierische Electricitat"') in Betracht.
") Sei die Spannimg auf dem einen Metalle -J- p, auf dem anderen — p', so ist die
Spannungsdifferenz d — ~\-p — (— p') ~ p -\- p'.
176 Electricitat (Berlihrungselectricitat).
Korper um so viel, class die electrisclie Differenz constant bleibt, also die Spannung
auf dem nicht abgeleiteten Korper der urspriingliclien electrischen Differenz gleich wird.
Dagegen hangt die Electricitats-Menge, welche sicb. beim Contacte entwickelt,
von der Oberflache und Bertihrungsflache der im Contacte befindlichen Leiter ab.
Es entwickelt sicb eben auf beiden Korpern gleichviel Electricitat in solcher
Menge und Anordnung, dass die der Natur der Korper entsprechende electriscbe
Differenz erreicbt wird. Die Electricitaten verbreiten sicb in Gemassheit des
Satzes XI auf den Oberflacben beider Leiter, wobei die an den mit einander in
Bertibrung stebenden Tbeilen der Oberflacben befindlichen Electricitaten eine
ahnliche Wecbselwirkung („Bindung") auf einander ausiiben wie die Ladungen
eines Condensators (XXVIII). Die Kraft, welche die Vereinigung der beiden Con-
tactelectricitaten verhindert und also gewissermassen die Widerstandsfahigkeit eines
Diaphragmas ersetzt, nennt man elect romotorische Kraft und wird der
electrischen Differenz proportional angenoninien.
Aus dem zweiten Gesetze cler Spannungsreihe lasst sich der Schluss ab-
leiten, dass die electriscbe Differenz je zweier Glieder stets gleich ist der alge-
braischen Summe der electrischen Differenzen der Zwischenglieder.
Diejenigen Electricitatsleiter, deren Verhalten beiden Gesetzen der Spannungs-
reihe entspricht, werden Leiter erster Ordnung, alle tibrigen Electricitats-
leiter hingegen Leiter zweiter Ordnung genannt XXXVII.)
Einen Leiter erster Ordnung, der im Contacte mit einem anderen Leiter
erster Ordnung positiv electrisch wird, nennt man beziiglich des letzteren electro-
positiv, hingegen den letzteren gegeniiber dem ersteren electronegativ. So
heisst z. B. Silber electropositiv gegeniiber dem Platin, aber electronegativ gegen-
iiber dem Zinn. In cliesem Sinne bezeichnet man unter diesen drei Metallen Zinn
als den electropositivsten und Platin als den electronegativsten Korper und nennt
die Zwischenglieder desto positiver, je naher sie in der Spannungsreihe dem
ersteren, oder, was dasselbe ist, desto negativer, je naher sie dem letzteren stehen.
Die Erfahrung lehrt, dass die chemische Affinitat des Sauerstoffes zu den
Korpern, welche der Spannungsreihe angehoren, desto energischer ist, je positiver
die letzteren sind. Diese und viele andere analoge Thatsachen haben zu dem
Schlusse gefiihrt, dass die chemische Affinitat der Korper mit der electrischen
Differenz beim Contacte derselben wesentlich zusammenhangt.
Auf dieser Grundlage ist es moglich geworden, alien Grundstoffen eine be-
stimmte Stellung in der Spannungsreihe mit mehr oder weniger Sicherheit anzu-
weisen. Die so erweiterte Spannungsreihe wird auch die elect rochemische
Reihe genannt.
In derselben erscheint das Casiuni als der positivste, der Sauerstoff
als der negativste Korper. Im Uebrigen verweisen wir jedoch hinsichtlich der
electrochemischen Reihe auf die Lehrbucher der Chemie, da in diesem Artikel
nicht weiter darauf eingegangen werden soil XXXVIII.)
Aus dem zweiten Gesetze der Spannungsreihe lasst
sich auch der Satz ableiten, dass in einem Cyclus von
beliebig vielen einander beriihrenden Leitern erster
Ordnung, wie immer dieselben angeordnet sein mogen
(z. B. wie in Fig. 1413, wobei il/ein beliebiges zwischen
Zink und Kupfer eingeschaltetes Metall bedeutet), immer
nur electriscbe Spannungen, die im Gleichgewichte stehen,
aber niemals ein electrischer Strom (XXXIII) auftreten
kann, so lange in der Leiter-Combination iiberall dieselbe
Temperatur herrscht XXXLX.)
Durch Einschaltung eines Leiters zweiter Ordnung,
z. B. einer die Electricitat leitenden (chemisch zusammen-
gesetzten) Fliissigkeit kann das electriscbe Gleichgewicht
aufgehoben und ein electrischer Strom hervorgebracht
werden, der durch die fortdauernde Contactwirkung der
Electricitat (galvanische Elemente).
177
Fig. 1414.
Za A Cu,
Leiter erster Ordnung unter sicli mul rait dem Leiter zweiter Ordnung unterhalten
wird.*)
Eine zur Stromerzeiigung geeignete Combination von Leitern erster und
zweiter Ordnung wird eine galvanise he (volt a'sche oder h y d r o e 1 e ct.fi s c h e)
Kette genanut, oder auch ein gal van is eh es Element.
Man erhalt eine solche Kette in einfachster Form,
wenn man z. B. je ein Stuck Kupfer und Zink (Fig. 1414),
welche einander einerseits beruhren, anderseits in ver-
diinnte Schwefelsaure taucht. Es geht in diesem Falle
ein electrischer Strom vom electropositiven Zink durch
die Fliissigkeit zum electronegativen Kupfer und von
diesem durch die Beriihrungsstelle zum Zink.
Um von diesem Strome Gebrauch machen zu konnen,
ist es zweckmassig, die Beriihrung der beiden Metalle
durch einen Draht (Fig. 1415) zu vermitteln, welcher
die Metalle leitend verbindet und Schliessungsdraht
genannt wird. Vermoge des zweiten Gesetzes der Spannungs-
reihe ist es flir die Contactwirkung zwischen Kupfer und Zink
gleiehgiltig, aus welchem Materiale der Schliessungsdraht be-
steht. Zu dieser Contact- Wirkung gesellt sich in der Kette
noch diejenige, welche durch die Beriihrung der Metalle mit
der Fliissigkeit — wir wollen sie Ladungsfliissigkeit nennen
— verursacht wird. So werden z. B. Zink und Kupfer durch
Beriihrung mit verdiinnter Schwefelsaure negativ electrisch,
jedoch ersteres starker als das letztere, weshalb die gleich-
zeitig auftretende positive Erregung der Fliissigkeit von der
Art ist, dass sie eine Verstarkung des Stromes in derselben
bedingt.
Diese und ahnliche Contact- Wirkungen zwischen Metallen
und Fliissigkeiten beruhen entweder darauf, class ein Me tall von einer Fliissigkeit
angegrifFen und in Folge dessen mit einer Gas- oder Oxyd-Schichte bedeckt wird,
die im Contacte mit dem Metalle electromotorisch wirksara ist; oder aber darauf,
dass, wenn kein directer Angriff stattfindet, eine der chemischen Affinitat zwischen
dem Metalle und dem electronegativen Bestandtheile der Fliissigkeit entsprechende
electrische Differenz auftritt, wie z. B. beim Eintauchen von Platin und Gold in
starke Sauren, wobei die genannten Metalle positiv electrisch werden.
Ein fiir practische Anwendungen wich tiger Vorgang ahnlicher Art ist das
Passivwerden des Eisens beim Eintauchen in coneentrirte Salpetersaure. Das
Zn
Cu
— 5^
Verhalten, wie man annimrnt, einer diinnen Oxydulscliichte, mit der es sich im
ersten Momente iiberzieht. Diese Oxydulscliichte verhalt sich stark electronegativ
und schiitzt in Folge dessen das Eisen gegen weitere Angriife. Man nennt das
in diesen Zustand versetzte Eisen passiv; es verhalt sich gegeniiber dem gewohn-
lichen Eisen electronegativ, ahnlich wie Platin, an dessen Stelle es auch bei der
haufig vorkommenden Zinkeisenkette, von welcher spater die Rede sein soil, an-
gewendet wird.
Fiigt man mehrere Zinkkupferketten der vorhin beschriebenen Art nach dem
Schema der Fig. 1416 aneinander, so erhalt man cine zusammengesetzte Kette
oder eine gal van i sch e (vol t a'sche oder hy dro electrisch e) Batterie.
Es ist sofort ersichtlich, class die positive Electricitat der letzten Zinkplatte
durch die Fliissigkeit in die letzte Kupferplatte iibergeht, welche man deshalb
den p o sit i ven Pol (Kupferpol) der Batterie nennt.. Aus analogem Grundo
heisst die erste Zinkplatte, welche die negative Electricitat der ersten Kupferplatte
*) Aut' die nahere
Karmarsch & Heeren,
•wag dieses Voi'gang-es
ches Wortoibuch. B.l. III.
commen wir spater (LXVII) zuriiek.
12
178
Electricitat (galvanische Elcmente).
Fig. 1416.
Z/>
\
aufnimmt, tier negative Pol (Zinkpol). Verbindct man beide Pole dtircb einen
Schliessungsdraht, so verlauft in demselben der Strom vom Knpferpole zum Zinkpole.
Auch bei einer einfachen Kette, wie Fig. 1415, wird die (obgleicli im Con-
tacte mit Zink negative) Kupferplatte als der positive und die Zinkplatte als der
negative Pol bezeichnet, weil der Strom im Schliessungsdrahte von der ersteren
zur letzteren geht. Es ist also zwischen dem positiven Pole und
dem positiven Met a lie einer Kette wo hi zu unterscheiden.
Eine Kette oder Batterie, deren Pole nieht leitend verbunden sind, heisst
of fen, im entgegengesetzten Falle geschlossen.
Kette (oder Batterie) und Schliessungsbogen zusammengenommen, also die
ganze Strombahn einer Kette, nennt man den S ch 1 i.e s s u n g s k r e i s derselben . XL.)
In alien Fallen bewirkt der electrische Strom eine Warm e -En twicke-
lung in alien Theilen des Schliessungskreises ; ausserdem ist derselbe mit
einer Zersetzung der im Schliessungskreis e befindlichen Leiter
zweiter Ordnung verbunden. Cbemisch zusammengesetzte Fliissigkeiten leiten
den Strom eben nur, insofern sie dabei zerlegt werden, wodureh, wie es scheint,
die Stromleitung eigentlicb vermittelt wird. Man nennt den Vorgang einer solcben
Zerlegung dnrch den Strom Electrolyse*) und die dieser Zerlegung unter-
liegenden Korper Electrolyten.
Bei der Electrolyse der verdtinnten Schwefebiiure, welche in der vorhin er-
wahnten Zinkkupferkette als Leiter zweiter Ordnung dient, wird das Hydrat S04H„
in der Art zerlegt, dass H„ an der Knpferplatte sich ausscheidet, an der Zink-
platte bingegen aS'O, mit einer aquivalenten Menge dieses Metalles zu Zinkvitriol
sich vereinigt.
Hieraus wird ersiebtlich, dass einerseits eine gewisse Zinkconsumtion mit
der Unterbaltmig des Stromes unzertrennbar verbunden ist und anderseits eine
Ablagerung von Wasserstotf an der Knpferplatte.
Der letztere Vorgang, bei welehem der Wasserstotf positive Contaetelectrieitat
annimmt, ist der Wirknng der Kette offenbar abtraglich, da die Wasserstotf-Sehicbte
auf der Kupferplatte mit dem Zinke gewissermassen aueh eine Kette bildet, welche
jedoeh eine dem Strome der Zinkkupferkette entgegengesetzte Stromrichtung her-
zustellen strebt.
Diese Ges-enwirkung, Polarisation genannt, tritt noch starker auf, wen n
saure geschiitzt ist.
Bei fortgesetzter Tbatigkeit der Kette wird der dabei gebildete und in Losung
gegangene Zinkvitriol ebenfalls zerlegt und in Folge dessen Zink an der Kupfer-
platte ausgeschieden.
Diese Ablagerungen an der Kupferplatte, insbesondere die Polarisation, be-
wirken eine rasch eintretende Stromabnalime, weshalb man Ketten dieser Art in-
constante Ketten nennt.
Das Wesen der sogenannten constanten Ketten, welcbe mit diesen Uebel-
standen nicbt behaftet sind, besteht also in Einriehtungen, welche electro-positive
Ablagerungen, insbesondere des Wasserstoffes, an der Kupferplatte verhindern.
Zu diesem Zwecke dienen oxydirende oder „depolarisirende"
Fliissigkeiten, welche man neben der verdiinnten Schwefelsaure, von dieser
*) Siehe d. Artikel.
Electrieitat (constantc Ketten). 179
durch ein poroses Diaphragma getrennt, in der Art anwendet, dass die Zinkplatte
in die Zelle mit verdunnter Schwefelsaure taucht, wj'ihrend die mit der depolari-
sirenden Fliissigkeit gefiillte Zelle zur Aufnahme der Kupferplatte oder iiberhaupt
derjenigen Platte dient, welehe mit der Zinkplatte als electronegativer Bestandtheil
der Kette verbnnden wird XLI.)
Zu den gebranchlichsten constanten Ketten gehort vor Allem die D aniell'sche,
bei welcher eine concentrirte Losung von Kupfervitriol als depolarisircnde Fliissigkeit
die Kupferplatte utngibt. Die beiden Fliissigkeiten durchdringen das Diaphragma
und der electrolytisch ansgescliiedene Wasserstoff der Schwefelsaure tritt im Kupfer-
vitriole an. die Stelle des Kupfers, von welchem eine aquivalente Menge an der
Kupferplatte ausgefallt wird.
Die gewohuliche Form des Daniell'schen Elementes (vergl. d. Artikel
Telegraphie) ist folgende: Ein cylindrisches Glasgefass wird zunacbst mit
verdunnter Schwefelsaure (etwa 1 : 15 bis 1 : 8 dem Volumen nach) etwa zu
einem Drittel angefiillt. In dieses Glasgefass stellt man einen mit geringem
Spielraum hineinpassenden Hohlcylinder aus dickem gewalzten Zinkbleck, welcher
durch Rundbiegen eines entsprechend grossen rechteckigen Stiickes Zinkblech er-
halten worden ist. In den Hohlraum dieses Zinkcylinders kommt ein mit wenig
Spielraum hineinpassendes cylindrisches Gefass aus nicht glasirtem feinem porosem
Thon, welches das vorhin besagte Diaphragma bildet und mit der concentrirten
Losung von Kupfervitriol gefiillt ist. In diesen mit Kupfervitriollosung gefiillten
Thoncylinder stellt man schliesslich ein cylindrisch zusammengebogenes Stiick
Kupferbleeh, den Kupfercylinder. Dieser sowohl, wie der Zinkcylinder sind mit
angenieteten Streifen aus Kupferblech oder dicken Kupferdrahten versehen, welehe
znr Anbringung des aus weiteren Drahtverbindungen bestehenden Schliessungs-
bogens oder zur Vereinigung mehrerer Elemente zu einer Batterie dienen, wobei
passende Schraubklemmen von verschiedener Form in Anwendung kommen.
Gibt man in die Tbonzelle Salpetersaure, indem man gleichzeitig anstatt
des Kupfers Platin anwendet, so erhalt man die Grove'sche Kette.
Das Platinblech lasst sich, wie es zuerst der Englander Cooper gethan
hat, durch ein (cylindrisches oder prismatisches) Stiick Gaskohle (Retortenriickstand
bei der Leuchtgasbereitung aus Steinkohle) ersetzen. Man erhalt auf diese Art
die viel weniger kostspielige und in dieser Form sehr haufig angewendete Zink-
kohlenkette von mindestens gleicher electromotorischer Kraft. Diese Kette wird
gewohnlich die Bunse n'sche genannt, obgleich diese Bezeichnung eigentlich auf
eine andere Art der Zinkkohlenkette sich bezieht, in welcher statt der Gaskohle
eine nach Bun sen's Angabe hergestellte ktinstliche Kohlenmasse die Stelle des
Platins vertrat. Diese Kohlenmasse ist wegen ihrer grossen Porositat weniger
empfehlenswerth als die Gaskohle, doch hat sie zur allgemeinen Verbreitung der
Zinkkohlenketten sehr viel beigetragen, weshalb man eben diese Art von Ketten
kurzweg B u n s e n'sche nennt.*)
Die Salpetersaure wird in der Bunsen'sche Kette audi biiufig durch eine
Mischung von Schwefelsaure mit einer Losung von doppeltchromsaurem Kali (12
Tbeile doppelt-chromsaures Kali, 25 Tbeile engl. Schwefelsaure und 100 Theile
Wasser**) ersetzt. Man vermeidet auf diese Art ganzlich die Dampfe von Unter-
salpetersaure, deren Auftreten sich tibrigens schon durch reichliche Anmlgamirung
der Zinkcylinder (in deren Zellen man am besten etwas Quecksilber eingicsst,
damit sich die Amalgamirung fortwahrend selbst erneuert) sehr beschranken und
fiir einige Stunden fast unmcrklich machen lasst.
Die Ketten von D an i ell und Bun sen sind die gebranchlichsten constanten
Ketten. Von den inconstanten haben wir die einfaclie Zinkkupferkette bereits er-
w-ilint. Ersetzt man in dieser das Kupfer durch platinirtes Silber (mit Platin-
*) Bei der urspriingliehen B tin sen'scfoen Kette w;ir ein hohl'er, mit Salpetei'satire gefullter
Kohlencylinder in Anworidung, dor also zugleich die Stelle des Diaphragmas verti-at;
eine Einriehtung, von der man spater wioder abgekommen ist.
**) Nach Wohler und linn'; Poggendorff empfiehlt das Verhaltniss 3 • -^- 4 ; 18.
12*'
180 Electricitat (Thermoelectricitat).
moor beiderseits galvanoplastisch bekleidetcs Silberblech), so erhalt man die sehr
haufig angewendete S m e e'sche Kette, welclie also audi zu den inconstanten Ketten
gehort, aber wirksamer ist als die Zinkkupferkette. Man verbindet gewohnlich
eine grossere Zabl von Smee'schen Elementen (6 bis 24) zu Tauchbatterien,
welclie ihrer bequemen Handhabnng wegen selir beliebt und verbreitet sind.
Handelt es sich urn eine Kette, welclie selbst bei haufigem Gebrauclie
monatelang aushalten soil, olme erneuert zu werden, so bedient man sich einer
der Modificationen, welclie die Daniel l'sche Kette nanientlich durch Mei dinger
u. A. erfahren hat. Insbesondere sind die sogenannten Me id in ger'schen Ballon-
Elemente sehr verbreitet. Wir verweisen diesfalls auf den Artikel Telegraphic.
Selbstverstandlieh ist (mit Riicksicht auf den Materialverbrauch) eine so lange
Stromdauer nur bei verhaltnissmassig geringen Stromstarken zu erzielen.
Wo es nur auf weniger ausdauernde Strome ankommt, wie z. B. bei Haus-
telegraphen, leisten die Le cl au ch e'schen Elemente durch lange Zeitraume gute
Dienste. Die neueste Construction dieser Elemente besitzt kein Diaphragma und
hat folgende Einrichtung.
Ein massiver Cylinder aus einem Gemenge von 40 Theilen gepulvertem
Braunstein, 55 Theilen Gaskohle und 5 Theilen Scliellack, bei einer Temperatur
von 100° C. durch einen Druck von 300 Atmospharen in einer stalilernen Form
hergestellt, befindet sich nebst einem amalgamirtem Zinkstabe in einem mit Salmiak-
losung gefiillten Glasgefiisse. Der Cylinder und der Zinkstab sind, durch eine
holzerne Zwischenlage von einander isolirt, mittelst zweier Kautschiikbander zu-
sammengebunden und mit Fassungen versehen, welclie die zur Aufnahme der Lei-
tungsdrahte dienenden Schraubklemnien tragen.
Die Cylinder der oben beschriebenen Zusammensetzung erhalten noch einen
3- bis 4-procentigen Zusatz von zweifach schwefelsaurem Kali, welcher sie besser
leiteud macht und als Losungsmittel fur die sich bildenden Oxychloriire client.*)
Als ein constantcs Element mit einer einzigen Fliissigkeit und ohne Diaphragma
verdient noch das Element von Pin ens erwahnt zu werden. Auf dem Boden
einer mit verdiinnter Schwefelsaure gefiillten gliisernen Eprouvette befindet sich
eine silberne Kapsel, die etwas Chlorsilber enthalt, und in einiger Entfernung
iiber derselben ein amalgamates Zinkklotzchen. Beide Metalle sind mit isolirten
Zuleitungsdrahten versehen, welclie durch einen die Eprouvette verschliessenden
Kork austreten.
Bei diesem sehr compendicisen Elemente is*t die zweite Fliissigkeit durch
Chlorsilber ersetzt, welches als depolarisirender Korper wirkt, indem es durch
den electrolytisch ausgeschiedenen "SYasserstoif reducirt wird. Die feste Form des
Chlorsilbers macht ein Diaphragma iiberfliissig XLII.)
C) Thermoelectricitat und Pyro electricitat. Der Satz XXXIX
gilt, wie ausdriicklich bemerkt worden ist, nur unter der Voraussetzung einer
durchaus gleichen Temperatur. Das electrische Gleichgewicht in einem Cyclus
von Leitern erster Ordnung kann also nicht nur durch Einsclmltung eines Leiters
zweiter Ordnung, wodurch eine galvanische Kette (XL) entsteht, aufgehoben werden,
sondern audi durch ungleiche Erwarmung. Der im letzteren Falle auftretende
Strom wird ein therm o e 1 ec tris ch er genannt und die Leitercombination, welclie
ihn liefert, heisst eine T h e r m o k e 1 1 e.
Man erhalt eine solche z. B., wenn man die Beriihrungsstelle a (Fig. 1417)
eines Wisniuthstabchens a l> und eines Aiitimonstabehens a c erwarmt oder ab-
kiihlt. Der Strom geht im ersten Falle in der Richtung a c d b a, im zweiten
Falle entgegengesetzt. Dabei mag b d c einen Schliessungsdraht vorstellen. —
Dasjenige Metall, zu welch em der Strom durch die er warm t e Con tact-
stelle geht, wird das thermoelectriseh positivere genannt; im vorliegenden
Beispiele also Antimon.
*i Pogg. Aim. Beiblatter 1^1
Electricitat (Thermoelcmente).
181
1418.
Man kann die Metalle nacli diesem Verhalten in eine Reihe
stellen, welche der Spannungsreihe (XXXVII) nachgebildet
ist und die thermoelectrische Reihe heisst. Einige
Glieder derselben, vom positivsten angefangen, sind z. 13.
Tellur, Antimon, Arsen, Eisen, Z i n k , Kupfer,
N i c k e 1, W ismut h. Uebrigens gilt eine gewisse thermo-
electrische Reihenfolge immcr nur innerhalb bestimmter Tem-
peratursgrenzen . XL1II.)
Legirungen fallen in der thermoelectrischen Reihe nicht
immer zwischen ilire Bestandtheile ; so z. B. ist eine der
empirischen Formel Sb Zn3 entspreehende Legirnng viel po-
sitiver als Antimon. Audi konnen sehr geringe Zusatze oder
Vernnreinigiingen die thermoelectrische Stellnng eines Metalles
bedeutend verandern XLVI.)
Durch eine Aneinanderreihung von thermoelectrischen
Elementen in ahnlicher Weise wie bei einer hydroelectrisclien
Batterie (XL) erhalt man eine sogenannte Therm osaule,
wobei entweder nur eine Erwarmnng der nngeraden (a, c, e, g, i) oder auch zugleich
eine Abkiihlimg der geraden (b, d, f, h, k) Contactstellen stattfindet. Siehe das
Schema Fig. 1418, wobei la, be, de,fg, hi die Stitbe des einen und ab, cd, ef, git, ik
die Stabe des anderen Metalles be- Fig.
deuten und kl einen Schliessungsdraht
vorstellt.
Die ungleichartigen Metallstabe
sind; wo sie sich beriihren sollen, ge-
wohnlich zusammengelothet , weshalb
man die Contactstellen auch Lbth-
stellen nennt.
Die electromotorische Kraft
eines Therraoelementes lab c
(Fig. 1419) und in sofern auch die Starke
des von demselben gelieferten Stromes
ist innerhalb gewissen Grenzen stets
der Differ en z der T em per at li-
re n7 welciie man den Contactstellen a und b ertheilt
Wir konnen in diesem Artikel nur die gebrauchlichsten
Thermoelemente und Thermosaulen beritcksiclitigen.
Hierher gehoren zunachst die ftir verschiedene Zwecke
in den verschiedensten Grossen und Formen ausgefiihrten
Wismuth-Antimon-Saulen. Die aus moglichst diinnen Stab-
chen zusammengefiigten Saulclien dieser Art sind bei Unter-
suchungen iiber Warmestrahlung unentbehrlich.
Grossere Thermosaulen zum Ersatze fiir hydroelec-
trische Ketten hat zuerst S.Marcus in Wien (1864) con-
struirt, dessen Elemente eine nahezu sechsfache electro-
motorische Kraft im Vergleiche mit einem Wismuth-Antimon- V
Elemente besitzen. Noch zweimal kraftigere Elemente X^
lieferte F. Noe in Wien (1871), dessen Thermosaulen
auch die ersten sind, die selbst fiir industrielle Zwecke (z. B. in galvanoplastischen
Anstalten) bereits Anwendung gefunden haben.*)
Die chemische Zusammensetzung der N o e'schen Legirungen
stellung ist privilegirt und noch nicht veroffentlicht.
Beziiglich der neuesten Construction der No e'schen Thermosaulen. welche
auf Gasheizuug eingerichtet sind, keine nasse Kiihlung erfordern und in ver-
proportional . XLV.)
d dt
Her-
iiehe den offieiellen Bericht der Wiener Weltausstellung 1873, Heft LX, Seite 101.
182
Electricitat (Inductionselectricitat).
schiedenen Formen und beliebigen Grossen geliefert werden, verweisen wir auf
den Jahrgang 1877 des Dingler'schen polytechnischen Journals.
Wahlt man Metalle von sehr holien Schmelzpuhkten, wie z. B. Eisen und
Platin, so vertragt ein aus denselben gebildetes Thermoelement eine sehr starkc
einseitige Erhitzung. Der dabei entsteliende Strom gestattet dann mit Ililfe des
Satzes XLV eine annahernde Beurtheiluug der Temperatur, welcher die erhitzte
Contactstelle ausgesetzt war. Man hat hierauf ein p y r o m e t r i s c h e s V e r f a h r e n
gegriindet, von welchem im Artikel War m em e ssung die Rede sein soil . XL VI.)
Eine der TLermoelectricitat nahe verwandte Erscheinung ist die Pyroelec-
tricitat. Dieselbe soil jedoch, da sie keine technische Anwendung tindet, hier
nicht naher besprochen, sondern nur an einem Beispiele kurz erwahnt werden.
Bringt man ein en Turmalin-Krystall aus einem kalteren in einen warmeren
Raum, so zeigt er sich mit zwei electrischen Polen behaftet. Das Ende P des
Krystalles, an welchem bei der Erwarmung der positive Pol auftritt, nennt man
das analoge, das andere, gleichzeitig negativ electrisch gewordene Ende iV das
antiloge. Wird sodann der Krystall abgekiiklt, so wechseln die Pole ; B wird
negativ und N positiv. Dieses Verhalten zeigt sich auch an Bruchstiicken des
Krystalles und kann mittelst eines cmpfindlichen Electroscopes leicht nachgewiesen
XLVIU
werdc
D) Inductionselectricitat. a) Wir denken uns, es liegen zwei ge-
schlossene Drahtleituugen I und II Fig. 1420 so nebeneinander, dass sie ganz
Fig. 1420. oder theilweise in geringer Entfernung von
C cinander parallel laufen, wie z. B. die Draht-
stiicke A B und a b. Erzengt man nun in
der Leitnng 1, welche die prim ii r e genannt
werden soil, auf was immer fur eine Art
(z. B. durch Einschaltung einer Batterie)
einen electrischen Strom, so ist leicht er-
klarbar, dass in diesem Augenblicke auch
im benachbarten Leiter II, welcher der s e-
e u ndare heissen mag, eine Stoning des bisher
bestandenen (neutralen) electrischen Gleich-
gewichtszustarides eintreten muss; miisste ja
doch z. B., wenn / electrisirt wird, nach dem
Satze X auch der Leiter II durch Ihflueriz
electrisch werden. Die besagte Gleichge-
wichtsstorung in II gibt sich in der Form eines electrischen Stromes zu erkennen,
der, wenn der Strom in / die Richtung 1 hat, in der entgegengesetzten Richtung
'J verlauft. — Dauert sodann der in I erzeugte Strom 1 unverandert fort, so ist
keine Veranlassung zu einer weiteren Stoning des electrischen (Heichgewichtes in
//, also auch keine Veranlassung zu einer Fortdauer des daselbst voihin erregten
Stromes 2 gegeben. Dieser Strom 2, welchen man einen vom Strome 1 indu-
cirten Strom nennt. ist also ein augenblicklich voriibergehender sogenanntcr
momentaner Strom, der nach ausserst kurzer Dauer sofort wieder verschwindet.
Eine neue electrische Grleichgewichtsstbrung in II muss aber eintreten, sobald
der primare Strom (d. h. der Strom 1 im primaren Leiter 2) wieder verschwindet.
In der That ti'itt in diesem Augenblicke ein zweiter Inductionsstrom o* im se-
cundaren Leiter II auf, dessen Richtung jeuer des zuerst inducirten entgegen-
gesetzt; somit jerier des primaren Stromes gleiehgerichtct. aber ebenfalls nur von
momentaner Dauer ist.
Insofern der Inductionsstrom 2 die lierstellung des Stromes 1 durch Schliessung
einer in / eingeschalteten Batterie begleitet, nennt man ihn auch Schli ess ungs-
strom, wahrend der das Aufhoren des Stromes 1 (bei Oeffnung der Batterie)
begleitende Inductionsstrom 3 der Oeffnun gsstrom heisst.
/;) Inductionsstrome von der Richtung 2 oder o erhalt man auch, wenn
mail den Leiter 7 des Stromes 1 dem Leiter II rasch nahert, oder von demselben
Electricitat (Inductionselcctricitat). 183
rasch entfernt, oder vielmehr die parallelen Stiicke A B und a b beider Loiter
rasch einander nahert oder von einander entfernt.
c) Endlich bewirkt auch ein plotzliches Anwaclisen oder Abnehmen des
Stroines 1 einen gleichzeitig auftretenden Inductionsstrom , welcher beziehungs-
weise die Riehtung 2 oder 3 hat.
Die indncirten Strome sind desto starker, je starker der in a) und b) an-
geweudete indueirende Strom ist, ferner je rascher die im Falle b) stattfindende
Bewegnng vor sich geht und je grosser und rascher die im Falle c) in Betracht
kommenden Aenderungen (Schwankungen) des indueirenden Stromes sind. Man
nennt die uuter a bis c aufgezahlten indncirten Strome el ectrodynami sch-
inducirte XLVIII.)
d) Denken wir uns den Draht ABC entfernt und durch die Drahtschleife
a b c einen Magnetstab rasch bewegt, etwa mit dem Nordpol voraus die Zeichnungs-
ebene durchdringend, so entsteht ebenfalls ein inducirter Strom und zwar in der
Riehtung 3; dagegen entsteht bei der ruckgangigen Bewegung des besagtcn Magnct-
stabes ein inducirter Strom von der Riehtung 2.
e) Denkt man sich den Draht ab c ganz oder zum Theile urn einen Eisen-
stab hernmgewickelt und den Eisenstab plotzlich magnetisirt oder entmagnetisirt,
so treten ebenfalls Inductionsstrome auf, deren Richtungen in der in d ange-
deuteten Weise von der Lage der entstehenden oder verschwindenden Magnet-
pole abha'ngen.
f) Auch eine plotzliche Zu- oder Abnahme des Magnetismus im Falle e
wiirde das Auftreten inducirter Strome von den bereits angedeuteten Richtungen
zur Folge habeu.
Die unter d) bis f) aufgezahlten Strome heissen magnetisch inducirte;
ihre Starke hangt von der Starke der indueirenden Magnete und beziehungsweise
von der Schnelligkeit ab7 mit welcher diese beAvegt oder deren Magnetismus ver-
•tndert wird XLIX.)
Eine besondere Art von inducirten Stromen, welche wir noch zu besprechen
haben, sind die sogenannten Extrastrome. Sie gehciren in die Kategorie der
electro dynaniisch inducirten Strome, erheischen jedoch mit Riicksicht auf die eigen-
thiimlichen Verhaltnisse, unter welchen sie zu Stande kommen, eine besondere
Betrachtung.
Wenn in einer Drahtrolle der Strom einer beliebigen Electricitatsquelle her-
gestellt oder unterbrochen wird, so findet nicht nur eine indueirende Fernwirkung
auf eine etwa vorhandene benachbarte Drahtrolle statt (in ahnlicher Weise wie
bei dem in Fig. 1419 dargestellten Versuche), sondern es wirkt auch jede einzelne
Dralrtwindung auf alle iibrigen Windungen derselben Drahtrolle inducirend ein,
wodorch in der Leitung des primaren Stromes selbst sowohl ein Schliessungsstrom
als auch ein Oeffnungsstrom entsteht. Diese von einem entstehenden oder ver-
schwindenden Strome in seiner eigen en Leitung inducirten Strome nennt
man Extrastrome.
Der Unterbrechungs-Extrastrom ist es, welcher den glanzenden und gerausch-
vollen Funken erzeugt, der bei der Unterbrechung eines in einer grossen Draht-
rolle circulirenden kraftigen Stromes auftritt. Er hat mit dem unterbrochenen
Strome gleiche Riehtung und macht sich insofern gewissermassen als eine Fort-
setznng desselben geltend. Dieser Umstand kann in gewissen Fallen sehr storend
sein, namlich dann, wenn es auf ein plotzliches und vollstandiges Aufhoren des
primaren Stromes ankommt, wie es z. B. zur Erzeugung eines moglichst kraftigen
inductionsstromes in einer benachbarten (secundaren) Drahtrolle erforderlich ist,
wie spater gezeigt werden wird.
In solchen Fallen muss der den primaren Strom gewissermassen fortsetzenden
Pnnkenentladung des Extrastromes vorgebeugt werden, was durch alsbald zu be-
sprechende Hilfsmittel erzielt werden kann L.)
Die inducirten Strome finden vielseitige Anwendungen im Gebiete der Physik,
der Heilkunst und der Technik und man hat daher zur zweckentsprechenden Er-
184
Electricitat (Inductionsapparate).
zeugung inducirter Strome die mannjgfaltigsten Inductions-Apparate con
struirt. Sie lassen sich, den vorausgeschickten Principien (XLVIII und XLIX)
entsprechend in zwei grosse Gruppen theilen, namlich in electrodynamische und
magnetoelectrische, wobei wir jedoeh sogleich benierken wollen, dass bei den
sogenannten electrodynamiseheu Inductionsapparaten nebenbei auch das Princip der
magnetoelectrischen Induction zur Verstarkung der Wirkung Anwendung findet.
Bei alien Inductions - Apparaten werden in rascher Aufeinanderfolge a b-
wechselnd entgegengesetzte Strome indueirt, namlich bei den Apparaten
der einen Art Schliessungs- und Oeffnuugsstrom, bei jenen der zweiten Art die
entgegengesetzten Strome, welche durch eine periodische (z. B. Lin- und her-
gehende oder rotirende) relative Bewegung zwisclien Magnet und Stromleiter zu
Stande kommen.
In vielen Fallen (z. B. bei den meisten therapeutischen Anwendungen) ist
dieser Richtungswechsel nicht storend ; in manchen anderen Fallen, z. B. bei der
Erzeugung von Inductions-Funken, kommt er bei der Wirkung des Apparates
insofern weniger zur Geltung, als Oeffnungs- und Schliessungsstrom, obschon sie
gleiche Electricitatsmengen mit sich fiihren, doch selir ungleiche Spannungser-
scheinungen zeigen, so dass der erstere vorherrscht. Haufig aber kommt es auf
gleichgericlitete Strome an. In solchen Fallen wird entweder (wie bei den alteren
magnetoelectrischen Inductionsapparaten) jeder zweite Inductionsstrom ausgeschaltet,
oder aber mittelst eines Stromwechslers, „ Commutator" genannt, in die ent-
gegengesetzte Riehtung iibergefuhrt.
Wir beschreiben zuna'chst einen electrodynamiseheu Inductions Apparat ein-
fachster Art.
In Fig. 1 421 stellt i" eine mit iibersponnenem Drahte bewickelte Holzspule
vor. Durch diesen Draht gelit der Strom einer Batterie B (oder nach Umstanden
eines einzelnen Ele-
mentes) auf dem Wege
B Jin I ocpdef g B,
vorausgesetzt, dass der
hamraerartige, bei o
drehbare Hebel o c
auf der leitendenUn-
terlage („Ambos") p
aufliegt und auf diese
Art die vorhin be-
schriebene Leitung
schliesst. In der Spi-
rale 1 befindet sich
ein Eisendraht-Biindel
a b. Dieses wird, urn-
kreist vom Strome in
der Spirale /, sofort
magnetisch. In Folge
dessenwird dereiserne
Kopf c des Hammers
o c vom Ende b des
■^ JT ^ besagten Eiseukernes
angezogen und dadurch von p abgehoben. Auf diese Art wird die Stromleitung
unterbrochen, das Eisen a b also wieder unniagnetisch und der Hammer o c fallt
auf den Ambus zuriick. Dadurch ist aber der Strom wieder bergestellt, der sofort
auf die bescliriebene AYeise seine Selbstunterbrechung ncuerdings veranlasst.
Dieses Spiel des Apparates, welches so lange dauert, als die Kette B ein-
geschaltet ist, hat zur Folge, dass in einer weiteren Drahtrolle 17, welche die
friiher erwahnte umgibt, ein Oeffnungs- oder Scliliessungsstrom entsteht, je nachdem
der Hammer <> c abgehoben wird oder niederfallt.
Electricitat (inductionsapparate).
185
Die so erzeugten in rascher Aufeinanderfolge alternirenden entgegengesetzten
Strome konnen dann durcli eine an den Drahtenden der zweiten Spirale ange-
brachte Leitung iklm ihrer Verwendurig zugefiilirt werden, indem man in diese
Leitung, z. B. bei F, den Korper einschaltet, welcber der Einwirkung der In-
ductionsstrpme ausgesetzt werden soil.
Die Drahtrolle / wird die prim are, die weitere II, die s ecu n dare ge-
nannt. Die beschriebene selbstthatige Unterbrechungs-Vorrichtung ist miter dem
Namen des Wag.ner'schen (oder audi Neef'schen) Hammers bekannt. Er
kommt in den mannigfaltigsten Formen zur Anwenclung.
Bei den sebr zweekmassigen Du Bois R e y m o n d'scben Apparaten fiir
Aerzte ist die secundare Spirale iiber der primaren verschiebbar, wodurcb die
Wirkung nach Bedarf verstarkt oder gescbwacbt werden kann. Solche Apparate
(mit verscbiebbarer Inductions -Spirale) heissen S cb lit ten -Apparate. Man hat
iibrigens aueb andere Vorrichtungen zur Regulirung des Wirkungsgrades, auf die
wir jedoch, so wie auf die Hilfsgerathschaften fiir medicinische Zwecke, nicht ein-
geben. Auch unsere Zeichnung soil nur im Principe, nicht aber in den Details
(welche in den mannigfaltigsten Moclificationen vorkommen) die Einrichtung der
electrodynamischen Inductions- Apparate veranschaulichen.
Die Apparate fur Heilzwecke befinden sicb in verschliessbaren Kastclien,
welche zugleich 'die nothigsten Hilfsgerathschaften und bei kleineren Apparaten
auch das galvanische Element enthalten LI.)
Man hat in neuerer Zeit Mittel gefunden, Inductions-Apparate von ausserst
intensiver Wirksamkeit herzustellen und damit Effecte zu erzielen, welche man
friiher wohl fiir unerreichbar gebalten hatte. In diese Kategorie gehoren zunacbst
die auch in technischer Hinsicbt wiclitig gewordenen Ru h mko rffschen Induc-
tions-Apparate. Mau nennt dieselben baufig auch Funken-Inductoren, weil sie In-
ductions-Strome von so holier Spannung liefern, dass man mit denselben mehr
oder weniger kraftige Funken-Entladungen hervorrufen kann. Apparate dieser
Art finden nicht nur in physikalischen p- 1499
und chemischen Laboratorien vielfache "' ^, ~''
Anwendung; sie konnen auch zum f [
Minenziinden dienen ; man verwendet
sie ferner zur Entziindung explosiver
Gasgemenge bei manchen Gasma-
schinen^, und sie sind endlich bei den
neueren Chronographen (s. d.) in vielen
Fallen unentbehrlich.
Die Fig. 1422 gibt das Schema
eines solchen Apparates. Von der
primaren (7) und secundaren (II)
Spirale gilt das bereits bei Fig. 1421
Gesagte; docb sehen wir bier auf
dem Wege Bgh Uc Sn defB
des von der Batterie B kommenden
Stromes einen Unterbrecher („Interrup-
tbr") U eingescbaltet, der sicb vom
Wagner'schen Hammer zwar nicht
im Principe, wohl aber (lurch seine be-
sondereEinriclitung unterscheidet. Der
strundeitende Draht h taucht namlich *n
bei U in ein mit Quecksilber gcfulltes
Glasgefass. In dieses Quecksilber
taucht anderseits auch eine Platindralitspitze, die von einer an einem Saulchen *S
festgemachtcn Feder gehalten wird. Auf dieser Feder ist das eiserne Klotzchen
e befestigt, welches vom Ende b des P^isenkernes a b angezogen wird, sobald der
Strom der Kette B (lurch die primare Spirale gebt. So wie dies geschieht, wird
18G Electricitat (Inductionsapparate).
die Feder emporgezo'gen und dadurch die mit ihr verbundene Platinspitze aus
dem Quecksilber ausgehoben. Auf diese Art wird der Batteriestrom unterbroehen,
a b wieder unnmgnetisch, c fSllt zunick, und darait auch die Feder, welche die
Platinspitze wieder in's Quecksilber taucht und in Folge dessen neuerdings Strom-
schluss bewirkt u. s. w.
Diese von F o u c a u 1 1 berriihrende Modification des W a g n e r'sclien Hammers
hat vor der urspriingliclien Form desselben den Yorzug, dass beim Auslieben der
Platinspitze aus dem Quecksilber, w e n n sick auf derselben e i n e S c h i c h t e
von Alkohol befindet, eine geringere Funkenbildung durch den Extrastrom
stattfiudet, was aus den im Absatze L erorterten Griiiiden zur Verstarkung des
von der secundaren Spirale II durch die Leitung i k I m gehenden Inductions-
stromes wesentlich beitragt.
Ein anderer Kimstgriff, der Funken-Entladung des Extrastromes moglickst
vorzubeugen und dadurcb die Intensitat des Stromes in der Nebenspirale (II) zu
begtinstigen, besteht in der Anbringung eines Condensators als Nebenschliessung
des Unterbrecbers, d. h. in der Art, dass zu beiden Seiten des letzteren, z. B.
bei 1 und 2, Drahtleitungen angebracht werden, w7elche zu den beiden Belegungen
(C\ und C„) eines Condensators (siebe die Beschreibung im Absatze XXVIII)
fiihren. Durcli diese Einriclitung wird Folgendes bewirkt.
Man kann sicb den Extrastrom, so wie jeden electrischen Strom, in der Art
gebildet denken, dass im Stromleitcr gleiche Mengen positiver und negativer Elec-
tricitat gleichzeitig in entgegengesetzter Ricbtung sich bewegen. Denkt man sich
also im vorliegenden Falle z. B. die positive Electricitat (-j- E) des Extrastromes
in der Ricbtung BghUcSn u. s. w., die negative ( — E)h\ der Richtmig Bfedn
Sc U u. s. w. verlaufend, so 1st klar, dass ein Tbeil der gegen U binstromenden
-)- E bei 1 in die Belegung C, und eben so ein Tlieil der von der anderen Seite
her nacli U zustromenden — E bei 2 in die Belegung C, des Condensators ab-
geleitet werden wird. Diese abgeleiteten Electricitaten werden also der im Unter-
brecber stattiindenden Entladuug des Extrastromes entzogen und kcinnen zu der
(fill* den Oefthungsstrom in // nacbtheiligen) Funkenbildung daselbst nichts bei-
tragen ; sie binden sicb im Condensator, bis im nacbsten Augenblicke der Platin-
stift des Unterbrecbers wieder in das Quecksilber taucht, wobei sie sich dann
auf dem Wege L\ 1 Uc 2 C2 wieder ausgleicben.
Der Condensator i s t das w i r k s a m s t e M i 1 1 e 1 zur Absch wachung
des Unterbrecbungsfunkens und somit auch z u r V e r s t ii r k u n g des 0 e f f n u n g s-
stromes in der Inductionsspirale (II).
Durcli den Condensator (seine Anwendung in diesem Falle riihrt vonFizeau
her) und den F o u c a u 1 t'scben Quccksilber-Unterbreclier wird die Spannung des
Oeffnungsstromes so erhoht, dass eine sehr vollkommene Isolirung des Inductions-
drahtes erforderlich ist, um zu verbindern, dass der Oeffnungsstrom in der In-
ductionsspirale (11) von einer Drahtwiudung zur anderen iibergehe. Die sehr
zahlreichen Windungen des sehr diinnen Inductionsdrahtes werden also nicht nur
durcb sehr sorgfaltige Ueberspinnung mit Scide , sondcrn auch durch starkes
Firnissen und die einzelncn Drahtlagen selbst durch Scbicbten von Schellack
isolirt.*)
In dicser vollkommencn Isolirung des Inductionsdrahtes besteht das dritte
llaupterforderniss l'iir die Erzielung von Inductionssfcromen von sehr hoher Spannung.
Apparate dicser Art geben an einer Unterbrechungsstelle F einer die Drabt-
enden der Inductionsspiralen verbindenden Leitung mehr oder weniger lange
Funken, von wenigen Millimetern bis zu mehr als GO Centim., je nach der Grosse
und constructive*] Vorziiglichkeit der Apparate.
|;) I?i-i den nenei-en Stohrer'scben Apparaten wird die Inductionsspirale nicht, wie ge-
wohnlichj aus iibereinander gewickelten cylindrischen, sondern aus sogenannten „teller-
formigen" Drahtlagen aufgebaut. Diese Drahtlagen sind ebene Scheiben aus (^Jformig
.uvwiuideneiu Drahte,
Electricitat (G r a m m e'sche Mascbine)
187
Auf die verscbiedenen Formen der Ausftihrung dieser zuerst von R ii li m k o iff
in Paris zu Stande gebracbten Funken-Inductoren, so wie iiberbaupt auf constructive
Details einzugehen, wiirde zu wcit fuhren. Die gegebenen prineipielleu Erlaute-
rungen geniigen zur Orientirung an jedem Apparate dieser Art
LII.
Sebr gute, dauerbafte und preiswtirdige Fun-
ken-Inductoren hat Referent vora Herin Dr. E.
St 8 brer, Mecbaniker in Dresden, erbalten.
Von magnetoeiectrisehen Inductions-Apparaten
mogen bier nur zwei der neuesten Maschinen dieser
Art erwahnt werden.
a) Die Gramme'scbe Maschine. Hire Ein-
ricbtung ist durcb das Schema Fig. i423 an-
scbaulicb gemacht.
Man denke sich einen Ring aus weichem
Eisen*) mit gut isolirtem Kupferdrahte bewickeit,
so dass der eiserne Ring den Kern einer gleichfalls
ringforraigen Drabtrolle bildet, wie am Apparate
Fig. 1424 ersicbtlicb ist. Diese in sich zuriick-
kebrende Drabtrolle besteht aus mehreren Abthei-
lungen, die im Schema Fig. 1423 nur durch je
eine einzelne Windnng vorgestellt sind. Der be-
schriebene, mit Drabt bewiekelte eiserne Ring (I n-
d u e t o r) ist mittelst eines Zalmradgetriebes urn
eine horizontale (auf der Ringebene senkre'ehte)
Acbse drebbar. Er lauft zwiscben den Polen N
und >S eines kraftigen Stablmagneten. In Folge
dessen wird der eiserne Ring in der Art magnetisirt
werden, dass er dem Nordpol -iVgegeniiber (bei s) \ j
faune? siidlicb und dem Stidpol S'gegeniiber (bei n) \ !
immer nordlicb magnetiscb wird. Weil die so er-
regten Pole s und n ihre Stellung gegeniiber N V\^ r y
und 8 stets unverandert beibebalten, wahrend die "~~ ''"
Drahtrollen sammt dem Eisen-Ring von rechts nach links umlaufen, so muss die
Fig, 1424.
•) Man macht ilm aus Eisendraht.
188 Electricitat (dynamoelectrisehe Mascliinen).
Wirkung dieses Vorganges dieselbe sein, als wenn die Dralitrollen stille standen und
im Innern derselben die Magnetpole s und n einen Kreislauf von links nach rechts
machten. Eine solche Bewegung der Magnetpole s und n muss aber nach den unter
Nr. XLIX angefiihrten Satzen inducirte Strome erzeugen, welche in den Drahtwin-
dungen so verlaufen, wie es die im Schema Fig. 1423 angefiihrten Pfeile auzeigen,
riamlich sowohl in der oberen als aueh in der untereri Halfte des Inductors von b
gegen a bin. Denkt man sich bei a und h an den auf den eisernen Ring aufgewiekelten
Dralit Kupferstifte 1 und 2 angelothet, welche bei der Drehung an zwei punktirt
angedeuteten Federn (Contactfedern, Schleifern) anstreifen, so wefden die
bei a zusammenlaufenden Strome bei 1 in die daselbst aufliegende Contactfeder
iibergehen und durch die zwischen beiden Contactfedern eingeschaltete Leitung L
iiber 2 nach b zuriickkehren. Denkt man sich nun zwischen je zwei Abtheilungen
des Inductorgewindes solche Ableitungsstifte angebracht, deren Enden 3, 4 ; 5, 6
u. s. w. bei fortgesetzter Drehung der Reihe nach paarweise mit den Contact-
federn in Beriihrung treten, so wird eine bei rascher Drehung fast ununterbrochene
Folge von inducirten Stromen durch den Schliessungsbogen (L) gehen.
In Fig. 1424 sind die Schleifer als aufrechtstehende federnde Drahtbiindel
dargestellt, welche auf einem die Achse des Inductors umgebenden Krauze gleiten,
der aus eben so vielen von einander isolirten kupfernen Klotzchen (Contactstiickeri)
zusammengefiigt ist, als das Inductorgewinde Abtheilungen (Dralitrollen) hat. Je
zwei benachbarte Drahtenden von zwei neb en einander liegenden Abtheilungen
sind (entsprechend den in Fig. 1423 durch 1 bis 6 angedeuteten Ableitungsstiften)
mit je einem Contactstucke auf der Achse leitend verbunden, so wie anderseits
die Schleifer mit je einer Drahtklemme zur Aufnahme der Poldrahte.
Die Pole N und S des inducirenden Stahlmagneten sind mit starken eisernen
Armaturen belegt, die so gestaltet sind, class sie eine zur Aufnahme des Inductors
dienende Hohlung ttmschliessen, wie audi aus Fig. 1424 ersichtlich ist . LIII.)
Die Gr am nie'sehen Mascliinen sind entweder, wie eben beschrieben worden
ist, mit Stahlmagneten versehen (z. B. mit den seit der Wiener Weltausstellung
bekannt gewordenen Jamin'schen BJattermagneten *) oder sie sind nach dem
spater zu besprechcnden dynamoelectrischen Principe eingerichtet. Die grosseren
Mascliinen der letzteren Art (wie sie z. B. zur electrischen Beleuchtung dienen)
konnen nicht mehr mit der Hand bewegt werden, sondern erfordern zu ihrem
Betriebe eine Dampfmascliine oder Gasmasehine.
Die fiir den Handbetrieb eingerichteten G r a m m e'schen Mascliinen sind in
Laboratorien als Ersatz fiir hydroelectrische Batterien sehr bequem.
b) Die Siemens & II a 1 s k e'sclie magnetoelectrisclie Maschine. Dieselbe
ist noch viel wirksamer als eine Grammesche Maschine von gleichem Preise.
Zwischen den in zwei horizontalen Reihen angeordneten Polen von 50 Stahl-
magneten, deren Wolbungen abwechsclnd nach aufwarts und nach abwarts gekehrt
sind, rotirt ein der Lange nach mit mehreren Drahtlagen bewickelter eiserner
Cylinder. Dieser Inductor**) hat im Wesentlichen aieselbe (v. Hefner-
Alt en e c k'sche) Einrichtung wie bei den grossen dynamoelectrischen Mascliinen
von Siemens & Plalske, von welchen weiter unten die Rede sein wird. Die
Anordnung der einzelnen Theile ist nicht so leicht ubersichtlich wie bei der
Gramm e'schen Maschine. weshalb wir ohne allzugrosse Weitlaufigkeit bier nicht
auf cine nahere Beschreibung eingehen konnen***) LIV.)
c ) Die d y n a m o e 1 e c t r i s c h e n Mascliinen. So liennt man eine besondere
Art von hochst leistungsfahiffen und audi bereits technisch wichtiff gewordenen
i si, 1). deo offieiellen Ausstellungsbericht Gruppe XIV, Heft LX, Seite 99.
';) Er ist eine Modification des von Werner Siemens erdachten, 1 * < i den Inductions-
Telegraphen schon liingst mit Vortheil angewendeten Inductors.
*) Wir verweisen diesfalls auf das zweite Heft des Jahrganges 1^75 der „technischen
Blatter" (Prag, Calve), indein wir nur noch beifiigen, dass die Leistungen des dort l>e-
schriebenen Apparates, wie neuere Versuche gelehrt lxaben, um eine nambafte Ditt'erenz
zu eeriiiLT an^euvlieu sind.
Electricitat (allgemeine Gesetze). 189
inagnetoelectrischen Ihductionsmaschinen, deren eigenthiimliches (vor etwa 10 Jahr< n
von Dr. Werner Siemens erdachtes) Princip kurz in folgender Weise aus-
gesprochen werdcn knnn.
Vorerst ist klar, dass als inducirender Magnet anstatt eines Stahlmagneten
auch ein Electromagnet verwendet werden kann. Urn einen solchen in Thatigkeit
zu erhalten, wiirde (nach der gewohnlichen Einrichtung) eine galvanische Batterie
erforderlich sein, die den magnetisirenden Strom lief'ert. Bei den dynamoelectrischen
Mascliinen hat der Eisenkern des Electromagneten sclion von vornherein (als Ruck-
stand von einer friiheren Magnetisirnng her) eine Spur von Magnetismus, die au
sich schon (auch wenn kein magnetisirender Batteriestrom in Anwendung koramt)
vermogend ist, bei der Drehung des Inductors einen, wenngleich sehr scliwachen,
Inductionsstrom liervorzurufen. Man denke sich nun diesen Inductionsstrom
(anstatt eines Batteriestrom es) durch die Drahtwindungen des Electromagneten
geleitet, so ist klar, dass derselbe den Magnetismus des Eisenk ernes verstarken
wird. Dies hat unmittelbar zur Folge, dass die bei fortgesetzter Drehung des
Inductors nunmehr inducirten Strome schon starker sind. Wenn nun diese in-
ducirten Strome stets in gleicher Richtuug durch die Drahtwindungen des Electro-
magneten geleitet werden, so wird eine succesive Verstarkung desselben, und somit
auch der inducirten Strome selbst, eintreten miissen, bis ein gewisses der Be-
schaffenheit des Apparates angemessenes Maximum erreicht ist.
Das Princip der dynamoelectrischen Mascliinen besteht also,
kurz gesagt, in der succesiven Verstarkung magnetoelectrisch inducirter Strome,
iridem diese selbst zur Verstarkung des inducirenden, urspriinglich nur mit einem
magnetisehen Riiekstande behaf'teten Electromagneten verwendet werden.
Hat der dynamoelectrisch inducirte Strom die erforderliche Starke, so kann
durch eine einfache Vorrichtung leicht die Leitung, in welcher der Strom zur Wirk-
samkeit kommen soil, in den Schliessungskreis des Apparates eingeschaltet werden.
Man hat auch d op p el twirken d e, d. h. dynamoelectrische Mascliinen mit
zwei Inductoren construirt (einem grosseren und einem kleineren), die zwischen
je zwei Magnetpolen so angeordnet sind, dass der kleinere Inductor zur Ver-
starkung des Magnetismus, der grossere hingegen zur Erzeugung des nutzbaren
Stromes dient.
Eine ahnliche Einrichtung hatte die bekannte Wild'sche Maschine, jedoeh
mit dem wesentlichen Unterschiede, dass der kleinere Inductor zwischen den Polen
eines Stahlmagneten rotirte und seine Strome in die Windungen eines grossen
Electromagneten entsendete, zwischen dessen Polen der grossere Inductor rotirte
und den Nutz-Strom lieferte. Die Wild'sche Maschine ist also auch eine doppelt-
wirkende (mit Anwendung des S i e m e n s'schen Inductors), aber keine „ dynamo-
electrische" in dem gangbaren Sinne dieses Wortes.*)
E) Allgemeine Gesetze des , elect ri schen Stromes. Die Wir-
kungen, welche ein electrischer Strom hervorzubringen vermag, bestehen entweder
unmittelbar in einer Erwarmung des Loiters, in welchem sich der Strom bewegt,
oder sie lassen sich (wenn sie chemischer oder mechanischer Natur sind, wie
z. B. bei der Electrolyse oder bei dem Betriebe einer electromagnetischen Arbeits-
maschine) auf die Entwickelung einer aquivalenten Warmemenge zuriickfiihren.
Zerlegt z. B. ein Strom 1 Gramm = 0*001 Kilo Schwefelsaurehydrat , also
— — — Aequivalente (auf Kilo bezogen) von dieser Substanz,**) so wird dabei eine
*) Wichtige Bemerkungen fiber das Wesen und die Vovzuge dieser Maschinen im Ver-
gleiche mit jenen mit Stahlmagneten enthalt die Abhandlung von Dr. AY erner Siemens
im Monatsberiehte der Berliner Akademie vom Jaimer 1867.
**) SOiR — 49. Aus Griinden, welche im Artikel „Electrolyse" angefiihrt sind. bedienen
wir uns bei der Ijesprechnng electrochemischer Fragen der alteren Verbindungsgewichte
(0 —8 statt 0=16) und sehreiben demgemass SO AH statt SO^H^ fur Seli-wefelsaure-
Hydrat. Dabei lassen wir die betreffende Aequivalentzahl (z. B. SOAH — 49J stets
Kilo bedenten.
100 Electricitat (Obm'scbes Gesetz).
vom Strome gelieferte Warmerneiige im Betrage von — — — .46462 Calorien ge-
buiiden. *) Oder leistet ein Strom z. B. bei clem Betriebe einer electromagne-
tischen Maschine eine Brutto-Arbeit von a Meterkilo, so ist die zur Bestreitung
dieser Arbeit erforderlicbe aquivalente Warmemenge r= — — Calorien , weil
424
424 bekanntlich das meebanische Aequivalent der Warme ist.
Joule n. A. haben (auf verscbiedenen experimentellen und tbeoretiscben
Wegen**) nacbgewiesen, dass die durcb einen electriscben Strom in der Zeiteinbeit
bewirkte Warine-Eiitwickelung dem Quadrate der Stronistiirke und zngleicb
einer von der Bescbaffenbeit des Leiters abha'ngigen Grosse, welcbe man Lei-
t ungs wider stand nennt, direct proportional ist.
Mit Beibebaltung der Jacobi'scben Stromeinbeit (l Cubic-Centimeter Knall-
gas-Entwickelung pro Minute) und der Siemens'schen Widerstandseinheit (d. i.
der Leitungswiderstand eines Queeksilberprisma's von 1 Meter Lange und 1 Quadrat-
millimeter Quersclinitt bei 0° C.) findet man die Warme-Entwiekeliing q in der
Zeiteinbeit (Secunde) mittelst der Formel
q — 0.00000207 s-iv ~ cs-w LV)
in Calorien.
Die aquivalente Arbeit a (S tr omar b eit) in der Zeiteinbeit ist demnacb
gegeben durcli
a =r 424 q = 0.00Q878 s*w == ks*w***) .... LVI),
indem wir fiir die Zablencoefficienten 0.00000207 und 0.000878 der Kiirze wegen
beziebungsweise die Bezeicbnungen c und k ein fiir alle Mai einfiihren. Der
Satz LV wird das Joule'scbe Gesetz genannt.
Verstebt man unter w den Gesamintwiderstand des Scbliessungskreises einer
beliebigen Stromquelle (z. B. Batterie oder Inductions-Apparat), namlicb die Summe
aller Widerstande innerbalb der Batterie und ausserbalb derselben in der einge-
scbalteten Leitung, so findet man (so lange an der Stromquelle nicbts geandert
wird, also z. B. die Zabl und Bescbaftenbcit der Batterie-Elemente dieselbe bleibt,
oder ein Inductions -Apparat mit constanter Gescbwindigkeit in Gang erbalten
wird), dass s in demselben Yerbaltnisse abnimmt, als man w vergrossert und um-
gekehrt, dass also das Product bcider Grossen constant bleibt. Man nennt dieses
Product e = sio LVII)
die electro root oris die Kraft der Stromquelle und das so eben t'ormulirte
Gesetz das Obm'scbe. f) Es wird gewobnlieb in der Form
s = — LVIII)
gescbrieben und ausgesprocben.
Befinden sicb im Scbliessungskreise mebrere Stromquellen oder denkt man
sicb die vorbandene in mebrercn zerlegt (man kann z. B. jedes Batterie-Element
fiir sicb oder jede Induetor-Windung fiir sicb als eine Stromquelle betracbten),
welchen einzeln genommen die electromotorischen Kriifte e., e„, o zu-
*J Siehe die Bestimmungen calorischer Aequivalente von F a v r c, P o g g e n d o r ff's Anhalefl,
Bd. 135.
**) Siehe Wiedemann, die Lehre vom Galvanisnius und Electromagnetismus, lid. 3,
Schlusscapitel.
***) Kino Berechnung dieses Coefficienten k habe ich gegeben in meiner Abhandlung fiber
den Kravogl'sehen Electromotor im 188. Bdo. dos Dingler'schen polyt. Journals.
f) Man kann unter w auch den Widerstand eines Stfickes des Scbliessungskreises (z. B.
eines eingeschalteten Drabtes) versteben; dann bedeutet p die Differenz der electriscben
Spannungen am Anfange und am Ende des betrachteten Leiterstfickes. In dieser allge-
rueineren Auffassung ist jenes Gesetz (auf theoretischem Wege) von Ohm zuerst er-
griindet worden. Zahlreicbe experimentelle Untersuchnngen (Po uillet, 1». K o li 1 ra n s c h
u. A.) haben es bestStigt. Die eigentlicbe Bedeutung dor sogenanntcn „Spannunga hat
Kirchhoff durch Einfuhrung der Potentialfunction naher pracisirt. Sic-he Clausius1
Abhandlungen fiber die meebanische Warmetheorie (l.Aufl.) Bd. 2, S. l'U u. folgende,
(Die zweite Anflage ist noch nicht so weit erscbienen.)
Electricitat (specifischer Widerstand). 191
kamen,*) unci denkt man sich aucb den Schliessungskreis in Theile von den
Widcrstanden w1 , w^ w3 zerlegt, so wiirdo das Ohm'sche Gesetz die Form
t = .-* + «. + »+■•••■, =A!L IJX,
u\ -{- wa -(- w3 -(-•••• 2 to
annehmen.
Wirken nicht alle e iibereinstimmend, so sind die entgegengesetzt wirkendeii
rait den Vorzeichen -4- und — in die algebraischc Siimme 2e einzufiihrcn.
Fiir Loiter von prismatischer oder cylindrischer Gestalt (z. B. fiir Dralite)
ist der Widerstand to der Lange I direct und dem Querschnitte / verkehrt pro-
portional, so dass die Formel w z=z q -^- LX)
Anwendung findet, wenn man unter dem Coefficienten n den Widerstand versteht,
welchen ein Stuck des Leiters von der Lange 1 und von dem Querschnitte 1 haben
wiirde. Diese Grosse q ist von der materiellen Beschaffenheit des Leiters ab-
hangig und lieisst sein specifischer Widerstand.
Werden die Langen (I) in Metern und die Querschnitte (f) in Quadrat-
millimetern geniessen, so ist der specifiscbe Widerstand des Quecksilbers gleicb
einer Siemens'scben Widerstandseinbeit (gewohnlich mit S. E. kurz bczeichnet).
Dagegen ware der specifiscbe Widerstand des Quecksilbers — O-OOOOOl 8. E.,
wenn man die Quersclmitte (f) in Quadratmeiern ausdriicken wiirde.
Wir geben im Nacbstebenden die Verhaltnisszahlen der specifiscben Wider-
stande fiir einige Metalle und Legirungen bei 0° C. :
Quecksilber 1-0000 Messing; gegliiht 0-0723
Reincs Silber; ausgegliibt . . .00161 Stahl; gegliiht 0-1149
Reines Kupfer; ausgegliibt . . 0-0179 Reines Zinn . . , 0-1211
Silber (750/1000); ausgegliibt . . 0-0201 Eisen; gegliiht 0-1272
Reines Gold ; gegliiht . . . .0-0227 Platin ; gegliiht 0-1647
Aluminium ; gegliiht ..... 0*0324 Reines Blei 0-2075
Reines Zink ; gehammert . . . 0*0621 Neusilber; gegliiht 0-2775
Reines Cadmium; gehammert . 0*0716
G e r i n g e Beimengungen v e r a n d e r n die specifiscben Wider-
stande sebr bedeutend. Die Kupferdrabtsorten des Handels haben sammtlich
viel grossere Widerstande als reines Kupfer. Referent fand Widerstande von 0-0266
bis 0-0577. Aehnlicbc Verschiedenheiten jand man audi bei Neusilberdrahtsorten.
Der Leitungswiderstand der Korper hangt ubrigens von der Temperatur
ab und wachst bei den Me tall en mit z un ehm en d er Erwarm ung. Man
findet den Widerstand wt bei t{) C. aus dem Widerstande wa bei 0° C. annahernd
durch eine Gleichung von der Form wt —. ?t*0 (1 -\- a t ~\- ft t"). Dabei ist
z. B. fur Platin a = 0.002454 und ($ = — 0.000000594. Uebrigens lasst sich
der Zusammenhang zwischen Widerstand und Temperatur aucb durch andere
empirische Formeln darstellen; so gibt z. B. Siemens fiir Platin aucb die
Formel wt — to0 (a T1'* -\- ft T -J- /). Dabei bedeutet T die sogenannte ab-
solute Temperatur (so, dass T— 273 -\- 1 zu setzen ist), wahrend a = 0.039369,
ft = 0.00216407 und y= —0.24127. Wir erwahnen diese Relation, weil sie
dem in technischer Hinsicbt sehr wichtigen Widerstands-Pyrometer zu Grande
liegt, von welchem im Artikel Warm ernes sung die Rede sein soil**) . LXI.)
Die Widerstande der Leiter zweiter Ordnung (z. B. Salzlosungen, fliissige
Sauren) sind verhaltnissmassig sehr gross. So ist z. B. der Leitungswiderstand
einer concentrirten Kupfervitriollosung etwa 210000mal grosser als der des Queck-
silbers. Uebrigens wird der Leitungswiderstand der fliissigen Leiter
zweiter Ordnu n g d u r c h E r warm u n g v e r m in d e r t.
*) Nach LVII ware also unter der electromotorischen Kraft einer Stromquelle die Strom-
intensitat zu verstehen, welcbe die nntersuchte Stromquelle bei eine in Gesammtwider-
stande ~ 1 (iv ~ 1, e ~ s) hervorbringen wiirde.
**) Jahrbuch der Erfindung-en von Hirzel und Gnetschel, Bd. 10, S. 189 u. Bd. 9;
S. 109.
192 'Electricitat (electroruotorische Kraft).
Fiir moglichst rein dargestelltes Wasser fand F. Kohlrausch den Leitungs-
widerstand 14000000000mal grosser als den des Quecksilbers. Man betrachtet
da her jetzt das chemisch reine Wasser nicht m e h r als einen
Loiter, sondern als einen Isolator. Aehnliehes gilt vonAlkohol nnd Aether.
Der Widerstand des ersteren betragt etwa das Doppelte von dem des oben er-
wahnten Wassers; der Widerstand des letzteren verhalt sich zn dem des Queck-
silbers etwa wie eine Billion zu Ems. In diese Kategorie der fliissigen Isolatoren
gehoren auch noch viele andere Substanzen, z. B. Essigsaure (Eis-Essig), fliissige
sehweflige Saure, Kohleri saure, Schwefelkohlenstoff u. s. w., fette nnd atherische
Oele. Dnrch Mischung zweier nichtleit en d er Fliis sigk ei t en kann
eine leitende entstehen; so z. B. geben Essigsaure und Wasser beim
specifischen Gewiehte 1-022 Essig, der 38000mal, beziehungsweise 2000mal besser
leitet, als seine Bestandtheile. — Geringe Beimengungen and em den
L eit ungs wider s tan d auch der Fliissigkeiten sehr bedeutend.
Em Tropfen Schwefelsaure in GO Liter Wasser gebracht, vermindert den Wider-
stand etwa auf den zehnten Theil.*) Die fliissigen Leiter der zweiten Ordnung
werden, indem sie den Strom leiten, durch denselben zngleich zersetzt. Man
nennt sie deshalb auch Electrolyten (vgl. den Artikel Electrolyse). . LXII)
Eliminirt man to aus den Gleichungen LV und LVII, so ergibt sich fur die
calorische Wirkung des Stromes in der Zeiteinheit (Secunde) der Ausdruck
q — cse LXIII,)
und fiir die Stromarbeit a = Jcse LXIV.)
Bezeichnet man den Warme-Eftect der Stromeinheit (s — 1) in der Zeit-
einheit mit q1} so erhalt man q{ — ce und somit e = -^— . Eben so ergibt
sich, wenn man die Arbeit der Stromeinheit a1 nennt, der Ausdruck e =: —r—-
Die im Schliessungskreise einer Stromquelle thatige electrornotorische Kraft ist
also eine dem calorischen, somit auch dem mechanischen Effecte der Stromeinheit
proportion ale Griisse. In der That muss ja die Warme, welche bei der Erwar-
mung der Stromleiter durch den Strom in jeder Zeiteinheit abgegeben wird, durch
die electrornotorische Thatigkeit der Stromquelle in jeder Zeiteinheit geliefert
werden. Man kann sich namlich vorstellen, dass in der Secunde die Warme-
menge qx in der Stromquelle (z. B. einem galvanisclien oder tbermoelectrischen
Elemente**) in Electricitat umgesetzt wird, welche dann, indem sie den Schliessungs-
kreis durchstrbmt, dieselbe Warmcmenge qx wieder abgibt LXV.)
Bei einer hydroelectrischen Kette ist die in der Zeiteinheit fiir jede Strom-
einheit entwickelte Warmemenge qx leicht zu find en, sobald man die in der Kette
vor sich gehenden chemischen Processe genau kennt.
Wir wollen die bei der chemischen Verbindung zweier Stoffe A und B frei
werdende Warmemenge durch das Symbol -)- (A, B) und die bei der Zerlegung
einer Verbindung A, B in die Bestandtheile A und B gebundene Warmemenge
durch das Symbol — (A, B) bezeichnen. Wir verstehen also z. B. unter -|- (Zn,SO±)
die bei der Bildung eines Aequivalentes (d. i. 32*5 -4- 48 zn 80-5 Kilo) Zink-
vitriol freiwerdende Warmemenge von 6629b* Calorien; und eben so unter
— (Cu, S04), die bei der Ausfallung von 31-7 Kilo Kupfer aus Kupfervitriol
gebundene Warmemenge von 38950 Calorien.
Betrachten wir nun beispielsweise die Processe in einer Daniell'schen
Kette und erwagen wir, dass dabci fiir jedes (unter Bildung von Zinkvitriol) con-
*) Sielie F. Kohlrausch, iiber das electrische Leitimgsvermogen des Wassers und der
Sauren. Sitznngsberichte der Munchener Akademie ls?5.
**) Bei der Bewegung eines Inductionsapparates ist die inechanisclie Wechselwirknng zwischen
hiducirenden Magneten und den zu iudueirenden Stroinen zu iiberwinden; es muss also
bei der Stromerzeugung fiir jede Stromeinheit und Zeiteinheit eine gewisse Ai'beit «,
geleistet werden, die in Electricitat umge«etzt und vom Strome sodann in Form einer
aquivalenteu Warmemenge. (}1 wieder abgegeben wird.
Electricitat (electromotorische Kraft). 193
surairte Aequivalent Zink ein Aequivalent Schwefelsiiurehydrat zerlegt wird, dessen
freiwerdender Wasserstoff (unter Wiederbildung von Schwefelsaurebydrat) aus dem
Kupfervitriol ein Aequivalent Kupfer ausfallt. Demnach entspricht einer Zink-
consumtion von 32*5 Kilo die Warmeentwickelung
+ (Zn, S04) — (SO,, H) + (H, S04) - (S04, Gu) . . . LXVI.)
Dieselbe reducirt sich mit Rlicksicht auf die sich aufhebenden Glieder auf
-f (Zn, S04) — (,S'04, Cu) — 66296—38950 = 27346 Calorien.
Wir wollen die so gefimdene algebraische Snmme der in der Kette ent-
wickelten Warmemengen kurz mit 2& bezeiclinen (indem wir uns die einzelnen
Glieder von LXVI der Reilie nach mit -4- #, — 0„ -\- &3 . . . . bezeichnet denkenj.
Von diesem 2Q — 27346 wird jedoch durch die Jacob i'sclie Stromeinheit ($ r~
1) in der Zeiteinlieit (1 Secunde) nur ein kleiner Bruchtheil entwickelt werden. Diese
Stromeinheit entwickelt namlich in jcder Minute ein Cub.-Centim. Knallgas, zerlegt also
in der Minute ■ „■ Gramm Wasser*) also in der Secunde — — — — —
1870 ' ; 1870 X 1000 X 60
1 32-5
Kilo Wasser. Dem entspricht erne Zink- Con sumtion von Q7n innf af • —^—
Kilo, also von = 0.0000000009903 Aequivalenten.
1870 X 1000 X 60 X 9
Bezeichnet man diesen Coefncienten mit «, so findet man also die zur Unterhaltung
dieser Stromeinheit in der Zeiteinheit erforderliche Warmemenge qx — a 2 -0,
somit die electromotorische Kraft der Dan iell'schen Kette (vermoge LXV und LVj
a. a '„ 0.0000000009903 „
6 = -c- = — ** = 0.00000207 **> alS°
e == 0.000478 2& LXVII),
d. i. e = 0.000478 X 27346 = 13, was mit der durch Versuche ermittelten
Zahl, welche etwas grosser als 12 ist, nahe iibereinstimmt. **)
In ahnlicher Weise lasst sich fur jede hydroelectrische Kette, deren chemische
Processe man genau kennt, die electromotorische Kraft durch Rechnung mittelst
der Formel LXVII finden.
Aus dem Joule'schen Gesetze und der claraus abgeleiteten Formel LXIV
ist ersichtlich ? dass die Arbeitsleistung eines electrischen Stromes (z. B.
beim Betriebe einer electromagnetischen Mascliine) nicht bios von der Strom-
star k e a b h a n g t, sondem audi von der e 1 e c t r o m o t o r i s c h e n K r a f t
der Stromquelle, so wie z. B. die Arbeitsleistung einer sinkenden Masse nicht
nur vom Gewichte derselben abhangt, sondern auch von der Hubhohe. In der
That bestimmt die Stromstarke wohl die Material-Consumtion , z. B. Zinkcon-
sumtion in einer hydroelectrischen Kette, aber die Consumtion eines und desselben
Zinkquantums kann von sehr ungleichen Warme-Entwickelungen begleitet sein, je
nach der Einrichtung der Kette und dem dadurch bedingten Verlaufe der darin
stattfindenden chemischen Processe. Je grosser die diesen Processen entsprechende
Warme-Entwickelung qt = a2i> (per Stromeinheit und Zeiteinheit) ist, desto
grosser wird bei gleicher Stromstarke die Stromarbeit ausfallen .... LXVIII.)
Es ist gut zu bemerken, dass die in einem Stromleiter nach dem Joule'schen
Gesetze stattfindende Warmeentwickelung nicht verwechselt werden darf mit der
im Stromleiter bewirkten Temperaturs-Erhohung. Fiir den Grad der Erhitzung
eines in den Stromkreis eingeschaltefen Dralitstiickes fand J. Miiller gewisse
empirische Gesetze, deren Zuriickfiihrung auf das Joule'sche Erwarmungsgesetz
bisher noeh nicht vollstandig gelungen ist. So gelten z. B. fiir das Dralitgliiheri
folgende Erfahrungssatze.
*) Da das Wasser, wie wir oben (LXII) gesagt haben, den Strom nicht leitet, somit durch
denselben auch nicht zerlegt wird, so ist diese Ausdrucksweise so zu verstehen. dass
in der Minute ein Quantum Schwefelsaure zerlegt wird, welches "lv-0 Gramm Wasser
aquivalent ist.
**) Die so berechneten electromotorischen Kriifte fallen stets etwas grosser aus als die
experimentell ermiltelten, aus Griinden, deren Erorferuttg bier iibergangen werden muss.
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 13
194
Electricitat (Batterie- Combination en).
Bezeichnet man mit d die Drahtdicke in Millimetern and mit s die Strom-
starke, wahrend y eine vorn Materiale des Drahtes und vora Grade des Gliiliens
abhangige Constante („Gliihwerth" genannt) bedeutet, so gilt die einfaelie Relation
LXIX.)
so ware dazn (wegen
dicker Platindraht rothgliihend gemach't werden,
= 172) eine Stromstarke vora Betrage s = 0'5X 172
Dabei ist y fiir rothgliihenden Platindraht — 172, fiir weissgliihenden Platin-
dralit — 220, fiir rothgliihenden Kupferdraht — 430, fiir rothgliihenden Eisen-
draht z= 135 n. s. w.
Sollte also z. B. ein 0-51
s
~d
m 86 nach chemischem Masse erforderlich.*)
Der Widerstand w ini Schliessungskreise einer Stromquelle kann als ans
zwei Theilen bestehend betrachtet werden, die wir als inner en und ausseren
Widerstand unterscheiden wollen. Unter jenem verstehen wir den Widerstand u
in der Stromquelle selbst, unter diesem den Widerstand / im Schliessungsbogen,
so, dass man hat: w ■= ii -j- I. Das Ohm'sche Gesetz (LVIII) nimmt in Folge
e
dessen die Gestalt an
LXX).
u + I ....
Wir wollen dabei voraussetzen, die Stromquelle sei ein Batterie-Element
von der electromotorischen Kraft e und vom Widerstande u. — ■ Wie nun, wenn
mehrere Elemente, z. B. n an der Zahl, miteinander zur Batterie verbunden
werden? Stellt man die n Elemente in der tiblicben Weise (wie Fig. 1425 an-
deutet) hintereinander, so erhalt man eine Batterie von der electromotorischen
ende Stromstarke wiirde dann
Aus Fig. 1426 bis
Fig. 1428 ist nun aber er-
sichtlich, dass eine An-
zahl von Elementen in
sehr verschiedener Weise
znr Batterie angeordnet
werden kann, so z. B. 8
einer 8-ele-
atterie (Fig.
zu zwei pa-
rallel geschalteten Halb-
Batterien von je 4 Ele-
menten (Fig. 1 426), ferner
zu vier parallel geschal-
teten Viertel - Batterien
von je 2 Elementen (Fig.
1427) und endlich zu
acht parallel geschalteten
Elementen (Fig. 1428).
Sind die Elemente, wie
wir annehmen wollen,
einander gleich, so wir-
ken die drei dargestellten
Parallelschaltungen (Fig.
1426 bis 1428) so, als
;i) Naberes iibcr diesen Gegenstand findet man in des Verfassers Abbandlung: „Ueber die
Gesetze des durch eleetrische Strome bewirkten Drahtgliihenstt. Sitzmigsberiebte der
kgl. bohm. Gesellschaft der Wissenscbaften Jahrgang 1874.
^^- Elemente zu
^^\_J mentigen B;
^^T^f 1425), dann
ft*
Electricit&t (Batterie-Combinationen). 195
lu'itte man beziehungsweise 4 Doppel-Elemente (4 Elemente von doppelter Platten-
grosse), 2 vierfache Elemente und endlich 1 achtfaches Element genommen.
Es entsteht nun die,Frage, welche von den aufgezahlten Combinationen in
einera gegebenen Falle die vortheilhafteste ist.
Es lasst sich zeigen, dass man die gross te 8 tr o m s t a . r k e erzielt,
wenn man j en e Batter ie- Combination wahlt, dor en Widerstand
dem Widerstande im S cbliessungsb ogcn am nac'hsten kommt.
Die Widerstande der aufgezahlten vier Combinationen (den Widerstand fines
Elementes ■=. u) gesetzt) wiirden sein :
U ' 2 U ' 4 2 ' 8 ' ' 8 "
Hiitte man, urn allgemein zu sprechen, n Elemente in m Batterien von je
r Elementen abgetheilt (wobei also n zrz m'r angenommen wird) und jene rn r-
elementigen Batterien parallel geschaltet, so wiirde diese Combination den Wider-
stand r rr ^ haben. Die Stromstarke
m m -
LXXI)
r \- I n -4- m L
•m ' m '
erreicht den grossten nioglichen Werth, wenn
nU = I, also m — \IJ^L LXXII)
m" V 1
gemacbt werden kann. In den meisten Fallen wird V/_™^_ keine ganze Zahl
sein, welche in n als Factor enthalten ist; man wahlt dann von alien moglichen
Parallelschaltungen diejenige, fur welche m der Grosse \/-^- am nachsten kommt.
Bei spiel. Es seien zum Betriebe einer electrischen Uhr von 8 S. E.
Widerstand 6 Meidinger-Elemente von je 10. S. E. Widerstand zur Verfugung.
Welche Combination wird den starksten Strom geben? Man findet m =
\l — ^ — m 2-7; die nachstliegende in 6 als Factor enthaltene Zahl ist 3.
Man wird also bei der Parallelschaltung von drei Drittel-Batterien zu je zwei
Elementen, oder, was auf dasselbe hinauskommt, bei der Combination der 6 Elemente
zu 2 3-fachen Elementen einen starkeren Strom erhalten als bei jeder anderen
Combination. Es ist sogar moglich, dass eben nur die bereclmete vortheilhafteste
Combination iiberhaupt geeignet ist, die Uhr in Gang zu erhalten, jede andere aber
nicht LXXIII.)
Die Formel LXXII zeigt, dass m abnimmt, wenn I waclist; es liegt aber
in der Natur der Sache, dass m nicht kleiner werden kann als 1. Bei sehr
grossen Schliessungs-Widerstanden (I) (z. B. beim Telegraphiren) wird man also
keine Parallelschaltungen der Batterie-Elemente mit Vortheil anwenden konnen,
sondern dieselben einfach hintereinander ' zur Saule anordnen. Wohl aber wird
die Parallelschaltung bei ldeinen Schliessungs-Widerslanden angezeigt sein, wobei
zu bemerken ist, dass m nicht grosser als n gemacht werden kann. Dies ist der
Fall des kleinsten moglichen Batterie-Widerstandes. Er entspricht der Parallel-
schaltung aller w-Elemente, d. i. ihrer Combination zu einem einzigen ra-fachen
Elemente.
Um die Verbindung der Batterie-Elemente, ohne die letzteren verstellen zu
mtissen, nach Belieben in der Art abandern zu konnen, wie es den verschiedenen
Combinationen (Parallelschaltungen) entspricht, hat man eigene Apparate con-
struirt, die man P achy trope (Quersehnittswechsel) nennt LXXIV.^
Bei der Beurtheilung des Material- Verb rauches (z. B. der Zinkconsumtion)
kommt immer nur die Anzahl der hintereinander gestellten Batterie-Elemente in
13*
196
Electricitat (Stroniverzweigung).
in jeder Minute, im Ganzen also die Zinkmenge 2
Graramen in
Betraclit, nicht aber die Zahl der parallel geschalteten Partialketten. Liefert z. B.
die in LXXIII erwahnte Combination einen Strom von der Intensitat s, so wird
s 32-5
in jedcm der beiden 3-fachen Elemente die Zinkmenge . — — Grammen*)
s 32-5
1870 ' 9
der Minute consumirt, gerade so, als wenn 2 einfache Elemente hintereinander
gestellt denselben Strom liefern wiirden LXXV.)
Findet ausserhalb der Batterie eine Stromverzweigung statt, so lassen
sich die entstelienden Zweigstrome selbst in den complicirtesten Fallen dieser Art
mit Hilfe der Kirchhof f'schen Gesetze**) bereclmen. Wir konnen hier nur
den am haufigsten in Betraclit kommenden speciellen Fall einer Stromtbeilung in
zwei parallel gescbaltete Zweige beriicksicbtigen.
Fig. 1429. Wir denken tins
einen von einer beliebi-
gen Stromquelle B (Fig.
1429), welche die electro-
motorische Kraft e baben
mag, ausgebenden Strom
S, der bei C in die
Zweigstrome s, und s,2
sicb tbeilt.
Es ist leicbt ein-
zusehen, dass die Summe
dieser Zweigstrome dem
ungetheilten Strome
gleicb sein muss,namlicb
Sl -f s„— S LXXVI),
die beiden Zweigstrome s, und s„ sicb v e r k e b r t
z u einander v e r b a 1 1 e n m ii s s e n , w i e die W i d e r s t a n d e u^ u n d <r„
der beiden Z weigl eitun gen / und II, welche zwischen den beiden Knoten-
punkten C und D parallel gescbaltet sind, also
1 1
so wie aucb, dai
LXXVIL)
Aus diesen beiden Relationen folgen (wenn man -
offenbar noch die weiteren
somit
S
S z=
1
'r1
1
: ~w
1
1
tvn
w
sw (
So
SW
w„
setzt)
LXXVIIIO
Bezeichnet man den Widerstand des punktirt angedeuteten ungetheilten Tlieiles
des Scbliessungskreises mit u und beriicksichtigt, dass
w. w„
W
«-, + ws
LXXIX)
*) s Cubic-Centimeter Knallgas entsprechen uamlieh
Graunuen Wasser, folglich
Gran, m mi Zink.
1870 9
**) Siehe "W iedema n n, Galvanisnius, Bd. I S.
iOo.
Electricitat. — Electrische Telegrafie. 197
den Widerstand der parallel geschalteten Zweige zwischen den beiden Knoten-
punkten C und I) vor'stellt, dass also nach dem Ohm'schen Gesetzc
sein muss, so gelangt man durch Einsetzung dieses Ausdruckes in LXXVIII und
Substitution des Werthes fiir W aus LXXIX leicht zu den Formeln
ew„
-\- uw,2 -j- wxwtl \
-f- uws -\- wtwq )
} LXXX),
welehe die Berechnung eines jeden der beiden Zweigstrome in zwei parallel ge-
schalteten Stromzweigen sofort gestatten. wenn die electroinotorische Kraft der
Stromquelle und alle Widerstande (u, u\ und iv^) bekannt sind.
Jeder der beiden Zweigstrome ist also proportional dem Producte der electro-
motorischen Kraft der Stromquelle mit dem Widerstande der Nebenseliliessung.
Dieser Satz findet sebr wichtige Anwendungen in der Galvanometrie und
in der Telegraphen-Tecbnik.
Sielie auch die Artikel: Electrolyse und Elect romagnetism us.
A. v. W.
Electrische Telegrafie (telegraphs electrique — electric telegraph). Unter
eiectrisehen Telegrafen sind jene Ferosehreib-Vorriehtungen (s. Telegrafie) ver-
standen, bei welchen die Zeicbengebung mittelst Electricitat bewerkstelligt wird.
Das der Anlage eines eiectrisehen Telegrafen Wesentliche
ist ein isolirter, continuirlicher Schliessungsdraht, so weit gezogen, dass er durch
zwei von einander entfernte Orte (Stationen) lauft7 in welchen eine galvanische
Batterie oder eine sonstige Electricitatsquelle entweder dauernd oder zeitweilig ein-
geschaltet werden kann. An einem dieser Orte ist ein Apparat aufgestellt, welcher
eine Unterbrechung oder Schliessung dei' Kette, beziehungsweise die Ein- oder Aus-
schaltung der Electricitatsquelle oder uberhaupt eine Aenderung des Schliessungs-
kreises beliebig bewerkstelligen lasst, wahrend am zweiten Orte ein anderer
Apparat sich befindet, welcher diese, durch den ersteren Apparat verursachte
Aenderung irgendwie wahrnehmbar macht. — Hiermit werden die Bedingungen
fiir die Mbglichkeit einer telegrafischen Correspondenz mittelst Electricitat erfiillt
sein. Die Signale konnen nun nach der Kiirze und Lange und Anzahl der
Schliessungen oder Unterbrechungen7 Aenderung der Stromrichtung oder Strom-
starke u. s. w. dargestellt. werden, je nachdem die Einricbtung des Zeichenapparates
getroffen sein wird. Ein unbedingtes Erforderniss fiir jede, wie immer geartete,
electrische Telegrafenanlage ist sonach die L e i t u n g; die Electricitatsquelle
(Batterie, Inductor u. s. w.), die T a s t e r v o r r i c h t u n g (Drucker, Taster, Scbliissel,
Manipulator; Commutator) und der Zeichengeber (Indicator, Schreibapparat,
Receptor u. s. w.).
Die Electricitatsquellen, Tastervorrichtungen und Zeichengeber konnen nicht
nur an einem, sondern an jedem beliebigen Punkte der Leitung zur Beobaehtung
und zum Gebrauche eingeschaltet werden. Bei hinlanglich kraftiger Electricitats-
quelle wird die mittelst des Tasters ausgeiibte Action an alien Stellen des
Schliessungskreises fast gleichzeitig erfolgen und also die eingeschalteten Zeichen-
geber in gleicher Weise ebenfalls gleichzeitig in Thatigkeit setzen. Eine
Pteihenfolge solcher mit Electricitatsquellen, Taster und Zeichengeber ausgeriisteter
Stationen auf einer gemeinscbaftlichen Leitung heisst schlechtweg Linie oder
Section.
Sch altungssy s tem. Wird bei einem Telegrafensysteme der electrische
Strom in der Art verwendet, dass er in bestimmten Intervalkn in die Linie ge-
bracht wird, urn bier die einzelnen Signale zu erzeugen, he'sst diese Anordnung
eine Sclialtung auf Arbeits- oder Sprechstrom {courant en travail —
working -courrent); werden hingegen die Signale dadurch hervorgerufen, dass ein
198 Electrische Telegrafie (Leitung).
bei norinalern Zustande des Schliessuugskreises gleicbmassig und dauernd circuli-
render Strom unterbrocben wird, nennt man dies eine Scbaltung auf cons tan ten
oder Ruhestrom (courant constant — constant courreni).
Gescbiebt das Hervorrufen der telegnifiscben Zeicben dureh Vermebrung
oder Verminderung eines vorbandenen Rubestromes, beisst dies eine Scbaltung auf
Differenz str om (courant differentielle — differ ence-courrent). Sind einauder
entgegengesetzte Strome angewendet, welcbe sicb im normalen Zustande aufbeben,
bei Action des Scbltissels aber einzeln thatig werden, heisst die Scbaltung auf
Gegenstrome.
Telegrafen- und Erdleitung. Die wiebtigsten Bedingungen fur eine
Telegra fen leitung sind : gute Leitungsfahigkeit, Continuitat und Isolirung. Den
beiden ersten Erfordernissen nacb mitsste also eine Telegrafenleitung aus einer iso-
lirten Metall-Drabtleitung bestehen, die von der Anfangsstation bis zur Endstation
und von der Endstation wieder zuriick zur Anfangsstation gezogen ist. Seit der
Entdeckung der Erdleitung jedocb wird kein eigener Rttckleitungsdrabt gezogen,
sondern statt eines solcben die Erde verwendet. Es werden namlicb die Enden
der einen Drabtleitung vor der Anfangs- und binter der Endstation unter die Erde
auslaufen gelassen, und zwar, entweder an grosse Kupfer- oder Zinkplatten ge-
nietetj in Gruben, womoglicb unter dem Niveau des Grundwassers, vergraben,
oder an Eisenbabnscbienen, Eisenrobren etc. befestigt, welcbe in den.Bodeii ein-
getrieben sind. Als vorziiglicbe Erdleitungen konnen die Metallrobren der Gas-
und Wasserleitungen verwendet werden. Eine Erdleitung ist nur dann gut; wenn
die Enden der Luftleitung, also die Erdplatten oder Erdscbienen etc. in eine
permanent feucbte Erdscbicbte zu liegen kommen. Wheatstone*) bat im
Uebrigen nacbgewiesen, dass die Erde nicbt als leitende Verbindung der beiden
Electroden einer galvaniscben Batterie, sondern als Reservoir angeseben werden
muss, in welebes die galvaniscbe Electricitat abfliesst.
Je nachdem die Hinleitung auf Saulen oder Trager oberirdiscb gezogen,
oder unter der Erde, oder am Meeresboden gelegt wird, gibt es oberirdiscbe,
unterirdische und unterseeiscbe Leitungen.
Oberirdiscbe Leitungen (conducter d'electricite — conducting -wire).
Fur oberirdiscbe Leitungen wurde urspriinglicb das Kupfer als Leiter angewendet ;
aus okonomiscben Griinden sowobl, als audi desbalb, weil das Eisen eine grossere
Festigkeit und geringere Debnbarkeit besitzt, also weniger Stiitzpunkte bedarf,
bat man bei oberirdiscb en Leitungen nunmebr seit langerem scbon von der An-
wendung anderer Metalle, ausser Eisen und Stahl, Abgang genommen. Derzeit
wendet man 3 — 5mm (in Ostindien und Bengalen sogar 8mm) dicken Eisendraht,
so wie aucb Stabldrabt an. Die laufende Leitung ist aus contiiiuirlich verbundenen
Drahten (sog Drabtadern) bergestellt; die Lange einer Drabtader betragt 80 bis
100m. *) Die Enden je zweier zusammenstossender Adern mtissen selbverstandlicb
so verbunden sein, dass sie nicbt nur entsprecbend fest an einauder balten, sondern
aucb soliden metalliscben Contact baben. In der Praxis des Leitungsbaues kommen
die mannigfacbsten Bundformen vor; die baufigste Anwendung finden: der in
Fig. 1430 dargestellte Kropfbund, der in Fig. 1431 und 1432 dargestellte Binde-
drabt-Bund und endlicb der Klemmenbund (Fig. 1433). Die zwei ersteren
Fig. 1430. Fig. 1431.
Fig. 1433.
Bundformen.
Bother's Telegrafenbau, pag. "21; Ludewig, Bau v. Telegrf.-Linien, pag. 254.
Electrische Tel'egrafie. 199
Bundformen sind jedenfalls die besseren, uur miissen sic gehiJrig hergestellt und
die Bimdstellen durch solides Verlothen oder Ueberziehen von Blei- oder Gutita-
perckamuffen vor der Oxydation geschiitzt werden. Nach den Messungen des
Telegrafendirectors Ludwig*) belauft sich in einer gewftbnlicben eisernen
Telegrafenleitung die jahrliche Abnabme der Drahtdicke zufolge der Oxydation
nahezu auf 2/ioomm- ^u Frankreich, Belgien, Deutschland und Amerika wurde
deshalb versucht, einen Ueberzug von Zink als Schutzmittel gegen das Oxydiren
des Drab tes anzuwenden. In Deutscbland bat man aucb den Draht mit Oelfarben
oder Tbeer iiberzogen, allein gleicbfalls mit mebr Kosten als Erfolg. Ein giinsti-
geres Resultat erzielte man in Norddeutschland und in Oesterreich mit der Methode,
den Drabt in Oel scbwarz zu sieden oder in sebr beissem Zustande in Leinbl
einzutaueben.
Eine ueuere, in Eugland und Amerika jedoch scbon vielfach angewendete
Erfindung ist der Kupfers tabid ralit**) {compound telegraph wire). Derselbe
entbalt als Seele einen verzinnten Stabldrabt von vorztiglichstem Material, lira
welche zwei auf beiden Seiten verzinnte Kupferstreifen mittelst Zieheisen auf-
gepresst werden. Durcb die bei der Pressung entstebende Hitze werden die
Kupferstreifen gleichzeitig aucb an den Stabldrabt angelothet. Das Gewiebt eines
solcben Dralites betragt nur 1/3 des gewobnlicb verwendeten Telegrafen-Eisen-
drahtes fur gleicbe Langen und Widerstande. Der von M. G. Farmer und
G. Milliken in Boston erfundene Kupferstabldrabt wird in der Fabrik der
New-Yorker Telegrapb - Wire - Oompagnie und in Woolwicb von der Fabrik der
Londoner Firma Gebrtider Siemens erzeugt und zeicbnet sicb durch seine grosse
Festigkeit und Dauerbaftigkeit aus.
Die in der Luft ausgespannte Telegrafen-Drabtleitung (fit conducteur —
telegraph-ivire) muss selbstverstandlicb in gewissen Abstanden unterstutzt oder
aufgebangt sein 5 biefiir stehen bolzerne, eiserne oder steinerne Saulen oder an
Gebauden guss- und scbmiedeiserne Triiger der mannigfacbsten Construction in
Anwendung. Am baufigsten sind fiir laufende Leitungen Holzsaulen, weniger baufig
eiserne,***) seiten steinerne Saulen im Gebrauche, dock ist vorauszuseben, dass mit
der Abnabme des Holzes die Anwendung und Vervollkommnung der letzteren
Systeme stetig zunebmen muss.
Die bolzernen Telegrafensaulen, Telegrafenstangen (poteau telegraphique —
telegraph pole), die derzeit zumeist nach irgend einer der flir Holz bestehenden
Conservirungsmetboden behandelt (impragnirt) werden, sind in Entfernungen von
circa 30 — 60m von einander aufgestellt. Diese Entfernung ist naher bedingt durcb
die Anzabl und Schwere der aufgebangten Drabtleitungen, durcb die Starke der
verwendeten Telegrafenstangen und durch den Krtimmungsradius der Linientrace.
Die aufgebangte Drahtleitung darf nie unmittelbar mit den Stiitzen in Beruhrung
kommen, weil sonst durch die Saulen, aucb wenn sie nicht von Eisen, sondern
von Holz oder von Stein sind, Nebenschliessungen entstehen, indem sie bei
feuchtem Wetter dem Strome das Abgeben zur Erde ermoglichen.
An den Stiitzpimkten also sind solche Stoffe (Isolatoren) zwischen Trager
und Draht zu bringen , welche letzteren vollstandig isoliren. Diese Isolatoren
werden aus Porcellan, Glas, Guttapercha u. s. w. hergestellt und haben die
mannigfachste Gestalt; fiir alle gilt jedoch die Grundbedingung, dass ihre Form
das Abrinnen der feucbten Niederscblage bestens erleichtert. Fast immer sind
die Isolatoren glockenformig (Fig. 1434 bis 1437) und auf eisernen Tragern,
Fig. 1436 (Rundeisen), Fig. 1437 (Winkeleisen) aufgegypst oder mittelst iirniss-
getranktem Werg aufgekittet und aufgeschraubt etc. Die Befestigung des Drahtes
am Isolator geschieht, indem jener entweder urn den Hals des Isolators umge-
*) Brix, Journ., Jhrg. IX, pag. 187.
'**) Journal telegraphique Rd. 2, pag. 296; Polyt. Journal, Bd. 217, pag. 384; Organ
Prt. d. Eisenbahnwesens 1S76— II, pag. 75.
■:*) Uingler's polyt. Journal Bd. 21 4, pag. 199.
200
Fig. 1434.
Electrische Telegrafie (Leitmig).
Fig. 1436. Fig. 1437.
wunden (Fig. 1434) oder auf den Kopf aufgelegt (Fig. 1435) oder seitlich an-
gelegt und mit einem zahen Bindedraht festgebunden wird. Bei Uebersetzungen
von Fliissen oder an solchen Punkten iiberhaupt, wo die Unterstiitzungen der
Leitung nur in besonders grosser Entfernung von einander angebracht werden
konnen, ebenso an Gebauden oder an den Vereinigungsstellen vieler Telegrafen-
linien kommt mit Vortheil Stahldrabt zur Anwendung. An den Stelien, wo die
Leitnngen durcli die Mauern in die Station eiugefiibrt werden miissen, sowie im
Bureau selbst, wird jedocb kein blanker Metalldralit verwendet, sondern Gutta-
percha-, Kautschuk- oder Gummi-Drabt u. s. w., d. h. mit Guttapercha, Kautscbuk
oder Gumraielastikum etc. tiberzogener Kupferdraht. Fiir die Verbindungen der
Apparate und Batterien untereinander innerbalb des Bureaus dient gewohnlich
diinner Kupferdraht, der mit Baumwolle tibersponnen und mit Wachs eingelassen
ist; die Multi plicationen in den Apparaten sind aus Kupfer- oder Neusilberdraht,
welch er durch eine Umspinnung von Seide isolirt ist, hergestellt.
Unterirdische Leitung en (conducteur d'electricite sonterrain ■ —
underground-cable). Einer noch sorgfaltigeren Isolirung, als die oberirdischen
Leitungen, bediirfen die unterirdisclien. Solche werden aus einem oder mehreren
Kupferdrahten hergestellt, die vorerst eine gleicbmassige Guttapercha- oder
Kaiitscliukiimhiillung erbalten. Guttapercha und Kautschuk eignen sich desbalb
besonders #ls isolirende Umbtillungen fiir unterirdische Leitungen, weil sie von
kaltem Wasser, Weingeist oder schwachen Sauren, selbst von der Salzsaure nicht
und von der Schwefelsaure nur wenig angegrift'en werden. Zum Sclmtze gegen
Nagethiere und mechanische Einwirkungen wird der mit Kautscbuk oder Gutta-
percba iiberzogene Leitungsdraht noch mit dicht aneinander liegenden Eisen- oder
Stahldrahten spiralformig umwunden, so class er das Aussehen und die Gestalt
eines Drabtseiles (Kabel) erhalt.
Fig. 1438 gibt den Quersclmitt der Wiener-, Fig. 1439 einer Pariser Stadt-
Fig. 1438. Fig. 1439. leitung fiir den Feuertelegrafen, wobei immer die Kupfer-
ader a den eigentlichen Leitungsdraht, b die Gutta-
percha-Umbullung und c den urn die Peripherie d s Gutla-
percbadrahtes gewundenen Eisendraht darstellt. Es
wurden iibrigens unterirdische Telegrafenleitungen in
mannigfach anderen Weisen herzustellen versucht; man
mit gutcm Erfolge gewiibnliche, mit Kautschuk iiberzogene Drahte in
ic eingelegt, welcbe dann mit Cement oder Asphalt ausgegossen
wurden, so dass der Leitungsdraht ringsum von der betreffenden isolirenden und
schutzenden Masse umgeben war.
Die submarinen Telegrafenleitungen (cable sout-marin — suh~
marine cable). In ganz verwandter Weise, wie die unterirdisclien, sind die unter-
seeischen oder submarinen Telegrafenleitungen hergestellt, nur dass sie ent-
sprechend ilirer grijsseren Abniitzung und Inansprucbnabme viel haltbarer construirt
bat z. B.
gemauerte Gei
Electrische Tele'grafie.
201
sein miissen. Sie hangen haufig auf weite Distanzen ohne Stutzpunkte frei, oder
werclen durcli die Stiirme am Meeresboden hin- und hergeworfen ; es miissen
sonach ihre schiitzenden Umwindungen aus starkerem Eisen- oder Stahldraht her-
gestellt werden, und zwar besonders an den beiden nachst dem Ufer liegenden
Enden des Kabels. Fig. 1440 zeigt Querschnitt und Ansiclit eines Stuckes dee
letzten atlantischen Kabels, wie es im offenen Meere liegt; Fig. 1441 den Quer-
schnitt eines Stiickes am Ende dieses Kabels (Strand- odor Ktistenkabel) in
natiirlicher Grosse; in der Mitte befindet sich der eigentliebe Leiter, ein 7faeher
Kupferdraht, denselben umgeben vier Lagen Guttapercha, E ist mit Manillahanf
Fin. 1440.
Fig. 1441.
Submarine Kabel.
umsponnener, sorgfaltig verzinkter Eisendraht, H mit Cateehu-Losung gegerbtes
Jutegarn und A Schmiermasse aus Asphalt. Die Kupferadern erhalten vor der
ersten GuttaperehaUmhtillung einen isolirenden Ueberzug von Chaterton's Mischung,
d. i. ein Gemenge von 3 Theilen Guttapercha, 1 Theil Harz und einem Theil Holz-
nachste Lage dariiber kommt, zu dem Zwe*cke7 die Verbindung der Guttapercha-
lagen urn so dichter und undurchlassiger zu machen. Per Seemeilc wiegt die
siebenfache Kupferader 150 Kg., die Umhullungen 1500 Kg., zusammen 1650 Kg.,
imWasser 728*5 Kg. ; die absolute Festigkeit des Kabels ist llmal so gross, als
das Gewicht per Seemeile im Wasser.
Tragb are oder ambulante Lei tun gen (conducteuv d'electricite
transportable — ■portative-contuctor). Wenri es sich darum handelt, provisorische
Stationspunkte in telegrafische Verbindung zu bringen^ u. zw. mittelst Leitungen.
welche eventuell in kiirzester Zeit vvieder fiir andere Tragen verweudet werden
sollen, so miissen diese Anlagen einer raschen Herstellung und ebeuso raschen
Abtragnng entsprechen. Solche Telegrafen sind hauptsachlich in neuerer Zeit i'iir
militarischc Zwecke in Aufschwung gekommen, fast in alien grosseren Armeen
bestehen eigene Truppenkorper, denen im Kriegsfalle die Herstellungen von Feld-
telegrafen-Leitimgen und Stationen obliegen. Das fiir Feldtelegrafenleitungen an-
gewendete Materiale besteht aus dem Leitungsdralit und den Telegrafenstangen.
Als Leitungsdralit wird entweder blanker Knpferdraht oder audi Kautschukdraht
verwendet, der auf Trommelrolleu, die sich auf Karren befiuden, aufgewunden ist
und nach Bedarf abgewickelt wird. Die Telegrafenstangen sind 3-5 bis 5 Meter
hohe, mit einem eisernen Schuh versehene Piquirstangen, an deren oberem Ende
ein Kautschukisolator angebraclit ist. In Distanzen von 50 — 70 Metern werden
202
Electrische Telegrafie (Elemente).
diese Stangen moglichst tief in die Erde eingepresst und der Draht urn den
Kantschukisolator umgewiirgt.
Electrici tats quell eh. Bei der Wichtigkeit, welclie die Electiieitatsquelle
fiir den Betrieb einer Telegrafenanlage besitzt, wird es jederzeit eine Hauptaufgabe
seiri, eine moglichst entsprecliende zu wahlen und fiir deren vorziigliche Erhaltung
Sorge zu tragen. Unter den feuchten Batterien verdient jene den Vorzug, welche
bei langer Dauer kraftige und moglichst constante Strome zu erzeugen vermag,
gleiehzeitig billig anzuschafFen und zu erhalten ist und clabei der moglichst ge-
ringen Pflege bedarf. Bei alien Schaltungssystemen oder Telegrafenanlagen iiber-
haupt, bei welchcn langandauernde Stromschliisse verlangt werden, werden nur
solclie Batterien anwendbar sein; welche sich durch besondere Constanz auszeichuen ;
in Leitungen hingegen, wo nur momentane Schliessungen vorkommen, sind selbst-
verstandlich Elemente vorzuziehen, welche einen energischeren Strom liefern, wenn
sie auch nicht vollkomrnen constant sind, da ihnen die Intervalle zwischen den
Stromschliissen Zeit zur Erholung bieten.
Die Batterie muss gehorig znsammengesetzt, sowie richtig orientirt, d. h.
mit den richtigen Polen eingeschaltet sein ; ferner muss sie rechtzeitig durch neue
ersetzt7 respective wahrend Hirer Inanspruchnahme in entspreclienden Zeitraumen
mit jenen Stoffen wieder versehen werden, welche sie fiir ihre Thatigkeit noting hat.
Die Anwendung der Inductoren (vgl. S. 184) empfiehlt sich besonders bei solchen
Telegrafenanlagen, wo vom electrischen Strome grossere, mechanische Leistungen
bei bedeutender Sicherheit gefordert werden, jedoch mit der Beschrankung, dass der
Leitungswiderstand kein zu grosser und hauptsachlich nicht zu viel Multiplicationen
eingeschaltet seien. Inductoren sind sonach fiir den Betrieb kurzer Telegrafen-
und Signalleitungen, z. B. bei Eisenbahnen, Feuertelegrafen u. s. f. von ganz aus-
gezeiclmeter Eignung und unbedingt jeder feuchten Batterie vorzuziehen. Die
Nachtheile der letzteren gegeniiber den Inductoren bestehen vorerst in dem Erfor-
derniss einer sorgfaltigen Pflege und den deshalb auch noch auflaufenden, bedeu-
tenden Erhaltungskosten, sodann in den vielen Unterbrechungspunkten der Batterie
selbst und den cladurch leicht mogliclien Betriebsstorungen.
Dagegen ist wieder der Anschaffungspreis von Inductoren sehr hoch und die
Moglichkeit der Verwendung eben eine beschninktere. Die beim Telegrafenbetriebe
am haufigsten verwendeten, feuchten Batterien (batterie galvanique — galvanic
battery) sind:
Das Smeesche Element. Dasselbe ist dorr, wo es sich bios urn kurz
dauernde und ziemlich intensive Stromentwicklung handelt, vortrefflich zu vcr-
Es besteht in der nach Straub und Schweizer*) verbesserten Form aus
zwei amalgamirten Zinkplatten, zwischen welchen sich
isolirt eine platinirte Silberplatte befindet ; diese Platten
werden in ein prismatisches Glasgefass eingehangt nnd
sind die zwei Zinkplatten immer mit einauder (und mit
der Silberplatte des nachsten Elementes) in metallischer
Verbindung. Die verwendete Fliissigkeit besteht aus 10
Theilen Schwefelsaure und 90 Theilen Wasser.
Das Daniell'sche Element Fig. 1442. In
einem cylindrischeu Glasgefasse a steht ein kleinerer,
oben offener Cylinder aus gebranntem, unglasirtem Thone
c zwischen dem ersteren und letzteren befindet sich ein
der Gefassform angepasster Cylinder aus Zinkblech b, im
Thongefasse ist ein kleinerer Cylinder aus Kupfer-
blech d; der letztgenannte ist immer mit dem Zinkpole
des nachsten Elementes durch einen angenieteten Kupfer-
blechstreifen in Verbinduner.
wenden.
f) Dingler's polyt. Juurual Bd. 16:2 pag. 418.
Electrische Telegrafie,
203
Weitcrs wird der Ruum zwiscben Glas- un<
Kande des Zinkcylinders mit Wasscr, welchem zu\
gesetzt 1st, gefiillt, und in das Thongefass Kupfervj
Kette geschlossen werden, so wird der Zinkpol des
Thongefass bis zum oberen
ilcn etwas Sehwefelsaure zu*
iollSsung gebracht. Soil die
letztcn Elementes durcli den
Schliesungsdraht mit dem Kupfer des ersten verbunden. Der im Elemente statt-
findende Vorgang ist Seite 192 letzte Alinea besprochen. Dieses Element erfullt
alle Bedingungen einer constanten Batterie und wird aucb in der That als solche
angewendet. Ein Uebelstand bei den DanieH'schen Elemeriten ist die grosse Pflegc,
weleher sie bediirfen. Der verbrauchte Kupf'ervitriol muss dureh regelmassiges
Nachfiillen sorgfaltig ersetzt und die Fliissigkeit zwiscben Thonzelle und Glasgefass
recbtzeitig mit reinem Wasser verdiinnt werden, damit die Losung immer wieder
den neuerzeugten Zinkvitriol aufzunebmen vermag.
Ein nacbtheiliger Umstand ist noch der, dass die Poren der Thonzelle leieht
durch das metailisch niedergescblagene Kupfer verstopft werden, woclurch'die
Verbindung zwiscben den beiden Fltissigkeiten und folglicb die Stromentwicklung
gebemmt wird. Das Daniell'scbe Element bat durch Sechi*) eine zweckmassige
Abanderung erfabren.
Das M e i d i n g e r 's c h e Element **) unterscheidet sich von clem friiher
angefiihrten durch clen Mangel eines Diaphragmas. Es besteht (Fig. 1443) aus
einem Glasgefasse, dem Standglase, auf dessen Boden concentrisch ein kleineres
Glasgefass eingekittet ist. In dem Standglase ist der Zinkcylinder so angebracbt7
dass er auf einem durch Verengerung des Standglases entstandenem Wulste fest-
steht. In das innere kleinere Gefass wird ein Kupferblechcylinder eingesetzt, an
dem ein mit Kautschuk iiberzogener Kupferdraht angenietet ist, weleher als Pol-
anschluss dient, und einige Zoll iiber den Rand des Standglases hinausragt. Das
ganze Element ist mit einem Holzdeckel verschlossen, in welchem sich Ausschnitte
fur die zwei Polanschliisse befinden ; weiters ist in der Mitte des Deckels aucb
noch ein kreisrunder Ausschnitt, weleher dazu dient, einen Trichter aus Glas,
weleher zum Festhalten den oberen Rand libergebogen hat7 in das Element hinein
zu hangen. Der Glastrichter, dessen unteres Ende mit
einer ca. 2mm weiten , kreisrunden Ausflussoffnung
versehen ist, reicht fast bis in die halbe Hohe des
kleinen Glases, in welchem sich der Kupferpol be-
findet, hinab. Das ganze Element wird bis zum
oberen Rande des Zinkcylinders mit einer Losung
von Bittersalz (1 : 50) der Glastrichter jedoch mit
Kupfervitriolkrystallen, gefiillt. Die sich daselbst bil-
dende Kupfervitriollosung dringt ziemlich cpneentrirt
durch die Ausflussoffnung in das Gefass des Kupfer-
poles und sammelt sich als die specifisch schwerere
Fliissigkeit dort so an, dass der ganze Kupferpol
damit umgeben wird. Wenn diese Elemente ruhig
stehen, so arbeiten sie sehr constant und ca. 12 Monate
lang , ohne dass der Zinkcylinder ersetzt werden
mtisste ; werden sie aber geriittelt, so dass die Kupfer-
vitriollosung mit clem Zink in Beriihrung kommt, so
wird die Stromentwicklung becleutend geschwacht, in
dem sich an dem Zinkpol metallisches Kupfer nieder-
schlagt. Eine Modification dieses Elementes ist das
sogenannte offene Meidinger-Element (Fig. 1444).
Bei diesem client anstatt des friiheren Glastrichters zur
Aufnahme des Kupfervitrioles
s) Ding-ler's polyt. Journ. Bd. 156 pag. 28. -
r) Fogg. Ann. CVIII, pag. 602; Brix's Journ. Jlirg. VII, pag. 5; Dingle
Journ. Bd. 155, pag. 109.
polyt.
204
Electrische Telegrafie (Elemente).
ein Glascylinder, cler durch Vermittlung des
Kupferpoles feststehend erhalten wird. Der
Kupferpol ist namlich aus Blech cylindrisch ge-
forint, unten mit ausgeschnittenen Fiissen undhat
in seiner halben Hohe Einkerbungen, welch e den
Glascylinder, der in den Knpfercylinder genau
hineinpasst, festhalten. Das zweite kleine Glas
der frliher beschriebenen Meidinger-Elemente
wird hier also erspart. 'Die Kupfervitriollosung
bleibt vermoge ihrer speeifischen Sehwere am
Boden des Standglases. Der Zinkcylinder ist
ein wenig holier angebracht, damit er nicht in
die Kupfervitriollosung hinreiche. Diese Gattung
von Elementen findet bei dem Betriebe von
Eisenbahn-Telegrafen sehr verbreitete Anwen-
dung, da es sich durch seine Einfachheit aus-
zeichnet und gegeniiber dem Trichterelemente
den Vortheil bietet, dass das Auflosen des
Kupfervitrioles gleichmassiger vor sich geht als
bei Anwendung der Glastrichter, bei welchen
die Verstopfung der kleinen Austin ssdffnung
haufig eintritt, was selbstverstandlich die ganze
Stromentwicklung gefahrdet.
Eine weitere Abart des Meidinger-Ele-
mentes ist das Ball on element*) (Fig. 1445).
Die Eiurichtung desselben ist fast ganz die
gleiche, wie die des urspriiugliclien Meidinger-
elementes, nur dass statt des Glastrichtcrs eine
Ballonflasche angeweudet wird, deren Hals bis in die Mitte des kleinen Gefasses
hinabreicht. Die Ballonflasche ist tiberdiess so geblasen, dass sie cine, der Weite
des Standglases entsprechende Einkerbung hat, vermoge welcher sie unverriickbar
am Glasrande aufsitzt und so gleichsam als Deckel, be-
zielmugsweise Verschluss des Elementes dient ; ausserdem
sind zwei Einkerbungen da, welche die Polanschliisse
durchlassen. Zum Gebrauehe wird die Ballonflasche mit
Kupfef vitriol und Wasser angefiillt, und dann mit einem
Korkstopsel, durch welchen ein Glasrbhrchen oder ein
Federkiel durchgesteckt ist, verschlossen. Das Standglas
wird liingegen bis zur entsprechenden Hobe mit Bitter-
salzlosung gefullt, sodann erst die gefiillte Ballonflasche,
mit dem Halse nach unten, eingesetzt. Die Kupfervitriol-
losung, geht durch das Glasrbhrchen oder den Federkiel in
das kleine Gefass des Kupferpoles. Die ziemlich voluminose
Ballonflasche bildet ein Reservoir fur die Kupfervitriol-
losung wodurch das lastige Nachfiillen uberfliissig gemacht
wird. Ausserdem haben diese Elemente noch den Vortheil,
dass bei ihnen der Consum des Kupfervitrioles auf ein
Minimum beschrankt ist; dabei muss ihnen jedoch, gleich
den Trichterelementen zur Last gelegt werden, dass sie sehr leicht durch Un-
reinigkeiten des Kupfervitrioles sich im Ausflussrohrchen verstopfen.
Das L eel a nc he Element**). Seit Jahren beim Telegrafenbetriebe
in Frankreich in Anwendung, besteht aus einer Tlionzelle, in der sich eine Kohlen-
platte befindet, die ringsum mit grobkornigem Braunstein und Kohlenstiickchen
:) R. Hondin, Mondes XI, pag. 184.
*) Brix's Journ. Jahrg. XIV, pag. 1-tT; Jahrbuch d. Erfindg. 187."). pag.
Electrische Telegrafie (Inductoren). 205
umgeben ist. Ausserlialb der Thonzelle befindet sich im Batterieglase ein massiver,
amalgamirter Zinkcylinder. Das Batterieglas wird mit wasscriger Salmiaklosung
gefiillt. Der chemisclie Vorgang in der Batterie ist nachstehender : Der Salraiak
wird durcb den galvanischen Strom in seine Bestandtheilc, Chlor und Ammonium,
zerlegt, das freie Chlor geht an den Zinkpol und bildet Chlorzink, das in Wasser
loslich ist; andererseits zerfallt auch der Braunstein in Manganoxydul und Sauer-
stoff, ein Theil des Sauerstoffes oxydirt das Ammonium zu Ammoniak, der andere
Theil des Sauerstoffes verbindet sich mit dem Wasscrstoffe des ebenfalls zerlegten
Wassers der Salmiaklosung wieder zu Wasser, indem sich das gebildete Ammoniak
theihveise auflost. Der Ueberschuss des Wassers wird ebenfalls noch in seine
Bestandtheile, Wasserstoff und Sauerstoff, zerlegt, der freie Wasserstoff zersetzt
das gebildete Chlorzink in Salzsaure und metallisches Zink, wahrend der Sauer-
stotf das Manganoxydul wieder zu Braunstein oxydirt. Die gebildete Salzsaure
gibt mit der Ammoniaklosung wieder Chlorammonium (Salmiak) und Wasser. Diese
Kette hat bei dem Vortheil eines geringen Materialverbrauches und einer bedeu-
tenden electromotorischen Kraft hingegen wieder den Nachtheil, dass sic durch
die entweichenden Ammoniakdampfe sehr belastigt und einer ziemlichen Polarisation
wegen keine langdauernden Schliessungen vertragt , jedoch ist in Boumans *)
neuester Abanderung des Leclanche-Elementes in Betreff des ersteren Uebelstandes
Abhilfe geschaffen.
Verwendet werden weiters noch beim Telegrafenbetriebe : Elemente von
Kramer, Minoto, Satory, Callot, Grove, Bunseu, Doit, Siemens, Halske **), ferner
neuerer Zeit sehr haufig Alaunelemente d. s. Zinkkohlen oder Kupferzinkelemente,
bei welchen der feuchte Leiter aus einer Alaunlosung (6 Pfund Alaun in 12 Mass
Wasser) besteht und Chromsaure-Elemente***), d. s. Zinkkohlenelemente mit einer
Losung von 3 Gewichtstheilen doppeltchromsaurem Kali, 4 Gewichtstheilen Schwefel-
saure und 18 Gewichtstheilen V/asser als feuchter Leiter, endlich Victor Doat's
J odiire Batterie etc. f)
Inductoren {inducteur — inductor). Sowohl electrische als magneto-
electrische Inductoren sind fill" die Telegrafie zu verwenden versucht worden. Unter
alien diesen von Gauss, Saxton, Clarke, Faraday, Ettingshausen, Petfina, Siemens,
Wheatstone etc. construirten Apparaten haben nur die letzten zwei, aber in urn
so ausgezeichneter Weise Anwendung gefunden.
Der Inductor von Siemens besteht ft) aus einem in Fig. 1446 im Quer-
schnitte dargestellten Eisencylinder E, wel- Fig. 1446.
cher der Lange nach mit zvei einander
gegeniiberstehenden, 7/i6 ^es Durchmessers
tiefen, etwa a/3 des Durchmessers breiten
Einschnitten versehen ist. Die dadurch
entstandene Nut ist mit seidebesponnenem
Kupferdrahte umwunden und ganz ausge-
fiillt. An den Enden des auf diese Weise
erzeugten Cylinders werden die Metallhiilsen F F1 befestigt, welche seine Lager-
zapfen bilden. Die. Enden der Umwindungsdrahte sind in F\ Fig. 1447 mit der
kommenden und gehenden Linie oder mit der kommenden Linie und der Erde in
Verbindung. Der beschnebene Cylinder d relit sich zwischen den Polen mehrerer
(10, 12, 14 u. s. w.) in geringer Entfernung von einander aufgelegter Stahl-
magnete G G. Die Lamellen dieser Stahlmagnete haben eiucn kreissegment-
formigen Ausschnitt m m (Fig. 1446), welcher vom Cylinder E fast ausgefiillt
wird. E dient als gcmeinschaftlicher Schliessungsanker ; bei jeder halben Uin-
*) Jahrbuch der Erfindungen 1874.
*i;j Brix's JoTirn., Jhrg. VI, pag. 53.
***) Wiedemann, Galvans., Cap. V; Dub, Anwendung d. Electromagtism.
f) Brix's Journ., Jhrg. IV, pag. 10; Moigne Cosmos, Jhrg. 3, 8, pag. 174.
tf) Schellen's „EJectronrcagnetischer Telegrat", pag. 3S-2.
206
Eleetrische Telegrafie (Nebcnnpparate).
Fig. 1447.
Inductor von Siemen s.
drebung desselben wird
seine Polaritat gewechselt
und also dabei jedesmai
in dem Drahtgewinde ein
Inductionsstrom entstehen.
Das Umdreben des Cy-
linders geschieht mittelst
einer Kurbel D und der
Rader L und T, wie Fig.
1447 zeigt. Uni die wech-
selnden Strome in eine
Riehtung zu bringen, ist im
Bedarfsfall bei Fl ein Com-
mutator (Stromwecbsler)
angebracbt.
Neb en ap par a to.
Ausser den vorbesproche-
nenApparaten, dem Schliis-
sel, Zeicbengeber und der
Electricitatsquelle mllssen
aucb mebrfache andere an-
gewendet werden, welcbe
den Zweck haben, die Sicherheit, Leicbtigkeit und Schnelligkeit der telegrafiscben
Zeiebengebung und der Manipulation zu erhohen. Hierber geboren : die An schluss-
Fig. 14u0 a. kl em men (Fig. 1448), diezur leich-
teren Yerbindung der Dra'hte unter
einander dienen, dann die B a 1 1 e r i e-
und Linien w ecbse 1 (Fig. 1449
u. 1450 a u. &), welcbe es er-
mogliehen, durcb Einstecken von Me-
tallstiften gewisse Leitungen mit ein-
ander beliebig und bequem zu verbin-
den, oder mehr oder weniger Batterie-
Elemente einzuscbalten (Ausschal-
tungs- und Einfiihrungsklemmen),
welter das G a 1 v a n o s c o p oder die
Bo us sole Fig. 1451 a u. b und
Fig. 1452, welcher Apparat dazu ein-
gescbaltet wird, urn iiber die Strom-
starke und den Zustand der Linie
sofortigen Aufsebluss zu geben, ferner
die Wecker, welcbe ertonen, sobald
der Zustand des Scbliessungskreises
eine Aenderung erleidet, welcbe dem
Telegrafisten zu wissen notbwendig
ist, und endlich die Blitzableiter (s. Seite 208).
Storungen im Telegrafenbetriebe. Unterbre-
cbungsstellen im Stromkreise, Nebenscbliessungen oder Einwir-
kungen von atmospbariscber Electricitat konnen bei sonst voll-
kommen gutem Apparatstande die Ursacbe von Storungen im Tele-
grafenbetriebe abgegeben. Unterbrechungen entstehen durcb
' Zerreissen der Leitungsdrabte, oder durcb mangelhafte Anscbliisse an den Wechsel-
lamellen, Apparaten, Batteriepolen etc. Eine Unterbrecbung anssert sicb durcb
ganzlicbes Versagen der Spreebapparate ; die eingescbaltete Boussole bleibt unter
jedem Umstande auf 0. Unterbrecliungen sind zumeist im Bureau und ist ihr
Vorbandensein leicbt zu constatiren, indem man den bereinkommenden Drabt mit
Fig. 1448.
4"'
a Y9 W Is E 1 * s t"
Electrische Telegrafie (Storungen). 207
dem hinausgehenden (bei der Endstation der Erdleitung) verbiridet, also einen
kurzen Schhiss herstellt. Bl'eiben die Fehlererscheinungen, so ist der Fehler im
Bureau mid muss durch successives Ausschalten der einzelnen Bureaubestandtheile
aufgesucht werden; horen die Fehlererscheinungen nach der gemachten, kurzeii
Verbindung auf, so liegt der Fehler ansser dem Bureau mid wird daim die
Richtung des Fehlerortes durch Erdeeinlegen*) leicht zu constatiren sein. Neben-
schliessungen entstehen, wenn die Leitungen, Apparate oder Batterien mit
fremden Telegrafenleitungen oder Baumen, Mauern u. s. w., uherhaupt mit Gegeh-
standen in Beriihrung kommen, welche dem Strome eine Abzweigung in einen fremden
Leiter oder den Weg zur Erde gestatten. Bei einer solchen Stoning arbeiten
die eigenen Zeichenapparate sclileeht oder gar nicht, sobald eine Station spricht,
welche fiber die Fehlerstelle hinausliegt; die Nadel zeigt einen anormalen Aus-
schlag. Entsteht die Nebenschliessung durch Beriihrung der Leitung mit einer
anderen Telegrafenleitung, so kommen von der fremden Linie Zweigstrome heruber,
welche je nach Richtung und Starke den eigenen Strom verstarken, aufheben oder
verminderu, was das Galvanoscop deutlich anzeigt. Durch Erdeeinlegen kann
sofort constatirt werden, nach welcher Richtung von der Station der Fehler liegt.
Ableitungen kommen selten im Bureau, meist nur auf der Strecke vor.
Im ersten Falle sind es immer nur feuchtstehende Batterien oder mangelhaft isolirte
Zufiihrungsdrahte, die den Fehler hervorrufen. Die Ableitungen in der laufenden
Leitung kann man eingrenzen, indem man die Linie in bestimmten Punkten unter-
brechen lasst, und dann den Schliissel oder Taster so stellt, dass der Strom in
der Linie sein sollte, wenn die angewendete Unterbrechung nicht vorhanden ware.
Zeigt die Nadel genau 0, so ist die Ableitung, beziehungsweise Beriihrung iiber
die Unterbrechungsstelle hinaus; zeigt sie einen Ausschlag, so ist eine Ableitung
zwischen der Beobachtungsstation und der Unterbrechungsstelle unci eine fortgesetzte
Priifung in diesem Sinne lasst also die Fehlerstelle genau bestimmen.
Durch Gewitterwolken, welche iiber die Leitung hinziehen, oder durch den
ungleichen electrischen Zustand der Atmosphare der von der Telegrafenleitung
durchlaufenen Gegend wird der Leitungsdraht mit Spannungselectricitat geladen,
welche dann plotzlich durch die Leitung in die Erde abstromt, sobald eine Ent-
ladung der Wolke stattgefunden oder der Spannungszustand der die Leitungs-
drahte umgebenden Atmosphare sich geandert hat. Die durch solche Strome
hervorgerufenen Storungen sind vorziiglich bei Arbeitsstromsystemen hochst nach-
theilig, weniger bei Ruhestromsystemen, so lange die Entladungsstrome nicht gleich
und entgegengesetzt clem vprhandenen Betriebsstrome sind. Die letztere Eventualitat
ist besonders bei elect, auf Ruhestrom geschalteten Eisenbahnsignalen von grossem
Nachtheile, da die Apparate unter dieser Voraussetzung arbeiten, als wie wenn
sie absichtlich in Thatigkeit gesetzt wiirden. Zumeist sind jedoch derlei Ent-
ladungs-Strome viel starker als der in Anwendung stehende Betriebsstrom und
statischer Natur. Noch weit kraftigere Strome entstehen natiirlich bei directen
Entladungen der Luftelectricitat durch die Leitung, d. i. wenn der Blitz in den
Leitungsdraht schlagt. In diesem Falle wird die im Drahte gebundene, ungleich-
namige Electricitat zwar parallisirt werden, allein immer noch ein enormer Ueber-
schuss von Electricitat den Draht passiren, welcher auf die eingeschalteten Apparate
verderbend oder zerstorend einwirkt. Es zerstoren solche Strome gewohnlich den
Magnetismus der im Systeme etwa vorhandenen Magnetnadeln; haufig schmelzen
sie audi die feinen Multiplicationsdrahte der Electromagnete zusammen und machen
letztere dadurch unbrauchbar, oder ricliten unter Umstanden endlich alle jene
ZerstiJrungen an, welche Blitzschlage eben hervorzubringen -Vermogen. Bei G-e-
*) Erdeeinlegen heisst: die Telegrafenlinie an irgend einer Stclle zwischen Anfangs- und
Endstation mit dem Erdboden in leitende Verbindung bringen. Jede Mittelstation ist
mit einem zum Linienwechse] zugefubr.ten Erdleitungsdrabt yerseben, also in der Lage,
sich durch das „Erdeeinlegen" im Bedarfsfalte nach beiden Richtungen liin zur End-
station %n machen
208
Electrisclie Telegrafie • (Blitz vorrichtungen).
wittern muss es strenge vermieden wcrden, rait den blanken Bestandtlieilen der
Apparatc und Leitungen in Beriihrnng zu kommen, weil leiclit eine gefahrliche
Entladung dtirch den Korper stattfinden kann.
Als Schutz fur das Bureau gegen die heftigen Entladungen der Luftelec-
tricitat sind eigene B 1 i t z f a n g e r oder Blitzableiter (paratonnevr — contuctbr of
lightning) eingeschaltet. Alle diese Vorrichtungen sind daranf begriindet, dass
die atmospharische Electricitat ahn-
lich der Reibungselectricitat grosse
Neigung besitzt, iiberznspringcn und
den kiirzesten Weg zur Erde zu
wahlen , wahrend die galvanische
Electricitat niclit die geringste Un-
terbrechungsstelle im Leiter zu
iiberspringen vermag. Sclion der
erste von Steinheil*) 1846 con-
struirte Blitzschutzapparat war nach
diesem Princip eingericlitet. Die am
haufigsten angewendeten Blitzvor-
richtungen fur Telegrafenbureaux
sind derzeit die M e i s n e r'schen
Platten, die Si em ens-Hal ske-
sehen Blitzplatten (Fig. 1453), die
B r e g u e t'seh en **): Spitzenableiter
(Fig. 1454), K e r.khof s Saugspitzen-
ableiter, E. Wenkebac h's ***) und
M a s s o n's f) Blitzschutzvon-ielitung
etc. Bei alien ist die Luftlinie vor
und nach ilirem Eintritte in's eigent-
liche Bureau an isplirte Metallplatten,
Sehneiden oder Spitzen angefiihrt,
welche je einer ahnlichen, mit der
Erde in Vcrbindung stehenden Platte,
Selmeide oder Spitze, nahe gegen-
iiberstehen und dadnrch dem atmo-
Blitzvomclitimgen. spharischen Strom einen Weg zuni
Uebersprmgcn und zur Erde gestatten. In Fig. 1453 bezeichnet L, die von der
Aufangsstation kommende, L., die zur Endstation weitergehende Luftlinie, bei ax
schliesst die zu den Bureauapparaten gehende Leitung an, welche wieder bei a„
zuriickkehrt. fl,, H„ srnd Handhaben aus isolirendem Material, urn die sogenannten
von der Erdlamelle E ungefahrdet abheben zu konnen. Die unten mit Kautschuk-
plattchen versehenen Kldbchens aus Hartgummi oder Horn haben den Zweck, die
Platten At, A,2 und E von einander zu isoliren. In Fig. 1454 sind wieder L
und Lx die Linienanschliisse, e und e, die Apparatanschliisse, bei e schliesst die
Erdleitung an. Die drei messingenen Lamellen P. P' und E sind auf einer Unter-
lagsplatte aus isolirtem Material befestigt. Bei den Kerkhofschen Saugspitzen
sind iiberdies in der Blitzvorrichtung Spiralen von ganz diinnem Neu - Silber-
draht dazwischen geschaltet, welche der Entladungsstrom passiren muss und ab-
schmilzt , wodurch seine zerstorende Wirkung aufgehoben oder wenigstens be-
deutend abgeschwacht wird. Eine der neueren Blitzvorrichtungen, welche Digney
in Paris ft) erzcugt, besteht aus einer U-fonuigen, mit Alkohol gefidlten Glasrohre,
■'■') Dingler's polyt. Journal Bel. 109 pag. 35-2.
**) G am ret, Telegrph. electrqu. 1859 pag. 83.
***) Brix's Journ., Jhrg Y pag. 187.
f) Cosmos XII, Livr. 16, pag. 425, Brix's Journ., Jhrg. Y pag. 102.
ft) Dr. Leander Ditscheiner, Ausstelluns'sljericht, Wien 1^74.
Electrische Telegrafie (Apparatsysteme). 209
duveh welche der kommende und gehende Liniendraht hindurcligezogen ist. Eine
Drahtleitiuig . zur Erde reicht jedoch gleichfalls in den Alkohol hinein. S&mmtliche
Drahte sind durch zwei die Rohre verschliessende Kautschuk-Pfropfen durch -
gefiikrt und auf diese Weise vor der gegenseitigen Beriihrung geschiitzt. Da der
Alkohol sekr schlecht leitet, nimmt der Linienstrom ohne merkbare Ableitung
seinen Weg iiber den Liniendraht, eine atmospharische Entladung aber schlagt
durch den Alkohol in den Erddraht und geht unbeschadet der Bureauapparate
zur Erde. Alle diese Blitzschutzvorrichtungen haben die Schwache, nur jene Ent-
ladungsstrome unschadlich zu machen, welche kraftig genug sind, die Distanz von
Linienlanielle zur Erdlamelle zu iiberspringen. Durch einen die Telegrafenleitung
passirenden Blitzschlag wird jedoch noch eine dritte Gattung Strome erzeugt. Der
durchlaufende Eisendraht wird namlich magnetisirt wie ein Electromagnet und
kehrt nach der Entladung in den normalen Zustand zuriick. Die Entmagnetisirung
der Leitung rnft einen Induction sstrom hervor, welcher der atmospharischen Ent-
ladung unter Umstanden nach einem, sogar merkbaren Intervalle folgt und nicht
mehr kraftig genug ist, gleich dem Entladungsstrome iiberzuspringen ; jedoch ist
er stark genug, una auf die im Leitungskreise befindlichen Boussolen und Multipli-
cationen nachtheilig einzuwirken. Zur Unschadlichmachung dieses ,,Nachschlages"
hat man Blitzvorrichtungen construirt, bei welchen durch den Entladungsfunken
die Linienlamellen auf einige Momente leitend mit der Erde verbunden werden.
Varley*) bringt zu diesem Zwecke zwischen die Luft- und Erdlamellen einer
gewohnlichen Blitzvorrichtung pulverisirte Holzkohle, K o h 1 f ii r s t 50 °/0 Holz-
kohle und 50 °/0 Magnesia. Der von der Luftlamelle zur Erdlamelle iiberspringende
Entladungsfunke bringt die dazwischen befindliche, im kalten Zustande gar nicht
oder wenigstens so schlecht leitende Masse, dass dadurch ein nennenswei'ther oder
storender Verlust des Betriebsstromes nicht herbeigefiihrt wird, zum Gliihen und
macht sie dadurch so leitungsfiihig, dass der hinter der Entladung folgende Magnet-
Inductionsstrom einen bequemen Weg zur Erde findet, ehe er in die Apparate
dringen kann. Die fast momentan erkaltende Masse ist wieder so nichtleitend
wie friiher. Eine ahnlich wirkende, dabei hochst einfache und billige Blitzschutz-
vorrichtung wurde vom Telegrafensekretar Schaak**) angegeben.
Apparatsysteme. Alle electrischen Telegrafensysteme beruhen auf der
Ausniitzung nachstehender eigenthiimlichen Wirkungen des electrischen Stromes :
a) Bringt man die Polenden einer Schliessungskette zusammen oder trennt
man sie, so bemerkt man hiebei einen Funken, der in seiner Intensitat abhangt
von der Art und Grosse der verwendeten Electricitatsquelle. Die Systeme von
Lesage***) und Reissner sind die Reprasentanten fur Telegrafen, welche
diese Eigenschaft ausniitzen.
b) Fasst man die Poldrahte einer Schliessungskette mit feuchten Han den
an, so ftihlt man ein hochst sonderbares Zucken in denselben und in den Armen,
das mit der Stromstarke bis zur Unertraglichkeit gesteigert werden kann. Diese
Eigenschaft bentitzte Vosselman de Heer zur Grundlage fiir seinen electro-
phy siologischen Telegrafen.
c) Viele Stoffe erleiden im Schliessungskreise einer electrischen Batterie
chemische Veranderungen, die dem Auge durch auffallige Erscheinungen bemerkbar
werden. Hierauf basirt seit Sb'mmering'sf) Telegrafen eine reiche Serie der
hauptsachlich von Gintl, Davay, Stohrer u. s. w. gepflegten electro-
chemischen Telegrafen.
d) Eine Magnetnadel wird, wenn man in der Nahe derselben einen elec-
trischen Strom voriiberleitet, aus ihrer normalen Lage abgelenkt, u. zw. urn so
mehr, je starker der Strom ist und je naher und ofter er an derselben vorbeigeht.
*) Ingeneur, October 1870.
**) Dingler's polyt. Journ. Bel. 217 pag 109.
***) Moigne Telegrph. eMectrqu. pag. 59.
f) Dingler's polyt. Jonrn. Bd. 67 pag. 388.
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. ^4
210
Electrische Telegrafie (Nadeltelegraf).
Von der Richtung des Stromes ist auch die Richtung der Nadelablenkung ab-
hangig. Hierauf basiren die Nadeltelegraf en.
e) Ein Stiick weiches Eisen, nm welches ein galvaniscber Strom in einer
spiralformigen, mit einer isolirenden Hiille unigebenen Drabtleitung (Fig. 1455)
geleitet wird, wird zum temporaren Magnet (Electromagnet); die Pole eines solcben
Fig. 1455. Electromagneten andern sicb mit der Rich-
tung des iiber die Schenkel geleiteten
Stroines, d. h. der Nordpol wird zum Sud-
pol unci umgekehrt, wenn man den Strom
in entgegengesetzter Ricbtung durcb die
Multiplication sendet. Wird ein Magnetstab
mit einer Multiplicatlonsrolle umgeben, durcb.
welche ein Strom geht, so wird der Magne-
tismus des Stabes entweder verstarkt oder auch gesckwacht, ja bis zum ganzlichen
Verscbwinden parallisirt oder umgekehrt werden, je nach Ricbtung und Starke
des iiber die Multiplication geleiteten Stromes. Dicse Eigenschaft findet Anwendung
bei den Zeiger-, Druck-, Typo- etc. Telegrafen; kurz bei den meisten,
derzeit im Gebraucbe stehenden Systemen. Wohl auch ist bei den jetzigen
Telegrafen die eine oder andere der angefiihrten Eigenschaften combinirt ange-
wendet und unter Zubilfenahme scharfsinniger, mechanischer Apparate ausgeniitzt.
Die' wichtigsten der noch beute in Anwendung und Entwicklung stehenden Systerae
(Apparat- und Scbaltungssysteme) sind nachfolgend erlautert, so weit? als es der
Platz bier gestattet.
Die Nadeltelegrafen (telegraphs a aiguille — needle telegraph).
Dieselben beniitzen , wie erwahnt, die Ablenkung der Magnetnadel durch den
electriscben Strom als telegiafiscbe Zeichen. Ein noch in Anwendung stehender
Fiq 1456 Nadeltelegraf ist der von Prof.
Thomson in Glasgow (1858
fur die transatlantiscbe Linie
nach den Principien des von
Gauss und Weber 1833
construirten Spiegelgalvano-
meters) eingericbtete Marine-
galvanometer (Fig. 1456).
Dieser Apparat stebt auf einem
solid erbauten Steinsockel in
einem vor der bewegten Luft
1 thunlicbst gescbtitzten und
dunklen Raume. Es befindet
sich in dem auf einem Drei-
fuss angebracbten Gehause
k k das mit zablreichen, sehr
diinnen Multiplicationswindun-
gen versehene Galvanometer
S. Die Enden der Multipli-
cation x und y sind in die
Leitung eingeschaltet. Die
12mm lange, 2mm dicke und
2mm breite Nadel des Galvano-
meters hangt auf einem Coconfaden in der Aufhangrohre p, wo auch der Richt-
magnet N, S angebracht ist. An den Magnetstabchen ist im Aufbangepunkt ein
kleines Spiegelchen aufgeklebt7 dessen Spiegelebene mit der Veracalebene des
Stabchens zusammenfallt. Vor diesem Spiegelchen, welches bei normalem Stande
mit der Nadel im magnetischen Meridian liegt, befindet sich auch eine kleine
Sammellinse. Das Licht einer Lampe F wird durch einen Schirm R U vom
Galvanometer abgehalten ; nur durch einen bei T gelassenen Spalt kann ein
Thomson's Nadel
Electrische Telegrafie (Zeigertelegraf). 211
Lichtstreifen bis zum Spiegel des Galvanoscopes gelangen unci von diesem nach
den Gesetzen der Reflexion auf die graduirte Elfenbeinplatte M E zuriickge-
geworfen werden. Da das ganze Instrument so gestellt ist, dass die Nadel bei
stroniloser Linie im magnetischen Meridian liegt, so ist das Einstellen des Spiegel-
bildes auf die Marke des Elfenbeinplattchens, welche normal auf die Nadel steht,
durcli Verdreben des Ricbtmagnetes leicht moglich. Vor Bentitzung des Instrumentes
muss diese Einstellung immer erfolgt sein. Kommt nun ein Strom in die Leitung,
d. b. in die Multiplication des Galvanometers, so wird die Nadel und mit der-
selben das Spiegeleben abgelenkt; das Spiegelbild des Lampenstrables wird von der
Marke der Elfenbeinplatte seitlich abweichen, und zwar nach recbts oder nach links,
je nachdem die Ricbtung des Stromes sein wird ; und mehr oder weniger, je nachdem
der Strom, also auch die Nadelablenkung stark oder schwach war. Diese Ab-
weichungen sind die telegrafischen Zeichenelemente. Die Schliissel fur solclie
Apparate geben fur je einen Impuls der Nadel mehrere ungleich gericbtete Strome
von verschiedener Zeitdauer ab, damit Ladungen des Kabels vermieden werden.
Der Taster von Thomson und V a r 1 e y gibt z. B. + 100—1 56 -\- 80—32 5 + 26
und damit einen Ausschlag nach recbts, die gleichen Strome entgegengesetzter
Ricbtung bringen den Ausschlag nach links. Diese Taster bestehen aus 2 Gleit-
rollen mit den entsprechenden Contactsegmenten, welche mittelst zweier Taster
beliebig eingeschaltet werden konnen und pr. Umdrehung ein Zeicben (die Ab-
lenkung nach recbts oder links) hervorbringen. Zur rascheren Abtelegrafirung
hat man eigene Signalcodexe eingefilhrt, welche es gestatten, haufig gebraucbte
Phrasen und Namen, statt sie erst durch Buchstaben langwierig abzutelegrafiren,
mit einer einzigen bestimmten Zeichencombination kurz auszudriicken. Bei dem
ersten atlantischen Telegrafen ist der Signalcodex des Capitan F. J. Bolton im
Gebrauche.
Ausser dem T h o m s o n'schen stehen noch die Einnadel- *) unci Doppelnadel-
Telegrafen2) von Wheatstone und Cooke, so wie der Bain'sche3) Nadel-
telegraf, u. zw. ersterer bei den englischen Eisenbahnen und dem japanischen
Staatstelegrafen, letztere bei einer osterreichischen Balm in Anwendung, wahrend
die Nadeltelegrafen 4) von S 1 6 h r e r, Brett und Little, Henley und F o r s t e r,
Bright, Siemens, Mapple und Brown, High ton, Varley, Glosener,
Allan u. s. w. nirgends mehr praktisch verwendet werden.
Die Zeigertelegrafen. Dieselben sind leicht zu handhaben und empfehlen
sich deshalb dort, wo weniger geschulte und routinirte Individuen als Telegrafisten
verwendet werden miissen, also bei Eisenbahn-, Haus-, Fabriks- und Feuertelegrafen
oder als Notbtelegrafen ftlr Bahnwachter etc. Sie haben den Nachtheil, dass sie
zu ihrem Betriebe sehr kraftige Strome, also einen kostspieligen Batterieaufwand
nothig haben und wie die Nadeltelegrafen keine fixirbaren Zeicben geben. Ihre
Einrichtung besteht darin, dass sich ein Zeiger schrittweise tiber einer kreis-
runden Scbeibe dreht, auf welcher die Buchstaben und Ziffern oder sonstigen
Schriftzeicben wie auf einer Uhrplatte angeschrieben sind. Das zu telegrafireude
Zeichen markirt der Zeiger, indem er vor demselben einige Zeit stehen bleibt.
Es geschieht dies, indem dieser Zeiger durch einen oder mehrere in die Leitung
geschaltete Electromagnete, deren Anker und damit verbundene Hebel schrittweise
in Umdrehung versetzt wird, oder indem die Electromagnete bios ein mecbanisches
Uhrwerk, das den Zeiger dreht, aus- unci einlosen, je nachdem der Stromkreis
geschlosse-n oder geoffnet wird. Der Erfincler des Zeigertelegrafen ist Ronulds
und nach ihm haben denselben Cooke, Wheatstone,5) Drescher,6)
') Glosener, Traite I pag. 93; Dingier 89 pag. 317; Zetzsche, Handb., Bd. I pag. 172.
2J Preece, Telegraphy, pag. 49; Zetzsche, Handb., Bd. I pag. 178; Sc heller, 5. Aufl.
pag. 352.
3) Dingler's Journal 110, pag. 8; Zetzsche Handb., Bd. I pag. 1S3.
4) Zetzsche, Handb., Bd. I pag. 191 — 202.
5) Gavarret, TIgrph. electrqu. pag. 161; Brix's Journ., Jhrg. XI pag. 64.
") Zetzsche, Handb., Bd. I pag. 222—290.
14*
212
Electrische Telegrafie (Zeigertelegraf).
Leonhardt, F a r d e 1 y , G e i g e r , Poole, L i p p e n s , D i d i e , Wilde,1)
Kramer,2) Stohrer,'1) Breguet unci Digney,4) Regnard,5) Schellen,6)
High ton, Glosener, Braun, fi) From en t,7) Map pie, Paul Gamier, 8)
Bain, Barlow, Henley,9) Nott, Yeates,10) Siemens") etc. ver-
bessert , und war es
besonders der Letztge-
nannte, welcher dieses
System durch die inge-
nieuse Anordnung seines
vervollkommten Zeiger-
apparates, u) zu dessen
Betrieb er Magnetinduc-
tionsstrome verwendet,
lebensfahig gemacbt und
dieser Gattung Telegra-
fen hauptsachlich bei den
deutschen Eisenbahnen
eine grosse Verbreitung
verschafft hat. Fig. 1457
stellt das Aeussere eines
S i e m e n s'schen Zeiger-
apparates dar, welcher
der Hauptsache nach be-
steht aus dem Kasten
1, in welchem sich der
Inductor (s. Fig. 1446
u. 1447) befindet, dessen
Antrieb-Kurbel H ist,
ferner aus dem Buch-
stabenblatt 2 mit dem
rotirenden Zeiger, d. i.
der eigentliche Zeichen-
geber; endlich aus dem
Wecker 3 und dem Um-
schalter W Z. Auf der
Zeigerplattesind imKrei-
se die Buchstaben und
Ziffern vertheilt. Jeder
Stromimpuls, der in die
Linie gelangt, bewegt
den Zeiger um ein Feld
von links nach rechts weiter. Die Stromenlsendung geschieht durch Drehung
der Kurbel H. Der aufnehmende Telegrafist hat den rotirenden Zeiger des Re-
ceptors (2) genau zu beobachten und jene Schriftzeichen, bei welchen der Zeiger
Pausen macht, niederzuschreiben. Die Intervalle zwischen je zwei Worten werden
Siemens Zeigerteloo-raf.
Zetzsche, Handb., Bd. I pag. 223 290.
Schellen, der electr. Telegr. 5. Aufl. pag. 390; Dub, die Amvendung des Elect.
Magnetismns, Y. Abschnitt §. 10.
Brix's Journ. II pag. 193.
Gavarret, Tlgrpli. electrqu. pag. 114; Dub, Amvendg. d. Elect, mgt., V. Abschn. §.9
Zetzsche, Handb., BJ. I pag. 222 290.
Bulletin d. 1. Societe d'enconragement 1851 pag. 319: Dingier, CXXII, pag. 37.
Zetsche. Handb.. Bd. I pag. 222 — 290.
Brix's Journal, Jhrg. IX pag. 253.
Dinglers pol. Jor.rn. Bd. 214 pag. 291.
Practical Mechanics Journ., Mai 1852; Dinglers Journ. CXXVII pag. 255.
Yerhandlungen d. Yereines f. Eisenbahnkunde, Ma'rz 1857 pag. 121.
Electrische Telegrafie (Schreibtelegrafj. 213
durch grossere Pausen markirt. Auch der Telegrafirende muss sein Zeigerblatt
des Stromsenders J genau im Auge behalten, damit er mit dem Drelien der Kurbel
im richtigen Momente einhalt. So lange die Station aufnimmt oder abtelegrafirt,
ist der Umschalter auf Z gestellt, d. h. dem Strome der Weg durch den eigent-
lichen Zeigerapparat gestattet, sonst steht der Umschalter auf W, d. h. der Strom-
weg ist nicht durch den Zeigerapparat, dagegen durch den Wecker hindurch ge-
offnet. Die in die Linie entsendeten Strome werden bei dieser Stellung des Um-
schalters nicht den Zeiger des Buchstabenblattes, dagegen den Klopel Z des Weckers
in Bewegung bringen und an die daneben angebrachte Glocke anschlagen machen.
Die S chr eibtelegrafen sind solche, bei welchen auf mechanischem oder
chemischem Wege auf Papierstreifen bleibende Zeichen erzeugt werden, die zwar
nicht den in der Schrift gebrauchlichen Charakteren gleich sind, jedoch dauernde
Aufschreibungen und Nachweise fur die gefiihrte telegrafische Correspondenz dar-
bieten. Fast zu-gleicher Zeit wurden in Mtinchen von Steinheil*) und von
Morse**) in Philadelphia Schreibtelegrafen erfunden. Ersteres System, welches
auch unter die Nadeltelegrafen rangirt werden kann, ist langst ausser Gebrauche,
letzteres jedoch derzeit das verbreitetste und hat durch Robinson, Siemens,
Stohrer, Steinheil, Digney, Matzenauer, Gintl etc. die mannigfachsten
Modificationen und Vervollkommnungen erfahren.
Beim Mors e'schen Systeme erhalt der Zeichengeber — Schreibapparat —
(Fig. 1458) einen temporaren Electromagnet E, dessen Anker o auf dem Hebel
n, h, n befestigt, von ihm abwechselnd angezogen und durch die Feder / wiecler
abgerissen werden kann. Am anderen Ende dieses Hebels befindet sich ein stahlerner
Stilt S eingeschraubt, der beim jedesmaligen Anziehen des Ankers gegen einen
Papierstreifen gepresst wird, den ein mittelst Federkraft oder durch ein Gewicht
getriebenes Uhrwerk in gleichformiger Geschwindigkeit voriiberftihrt. Der Papier-
streifen lauft zwischen 2 Rollen durch, wovon die eine W eine Furche hat, auf
welche der Schreibstift S genau passt. Wird ein momentaner Strom durch die
Multiplication des Electromagnetes gesendet, so erfolgt eine kurzdauernde An-
ziehung des Ankers und der Stift S driickt einen Punkt in das Papier. Dauert
der Strom, also auch die Anziehung des Ankers langer, so presst sich der Stift
in das ganze Stlick des Papierstreifens, welches wahrend dieser Zeit passirt und
erzeugt so einen Strich. Punkt und Strich geben die Grundzeichen der Mors e'schen
telegrafischen Schrift.
Der Taster oder Schliissel (Fig. 1459) ist ein metallener, zweiarmiger
Hebel, der auf einer Achse in Lagern B beweglich ist. In der normalen
Lage zieht ihn die Feder / so nieder, dass die an einem Ende des Hebelarmes
angebrachte Contact-Schraube s auf den unterhalb im Tasterbrette eingelassenen
Metallambos c angepresst ist. Dieser Ambos ist mit der Anschlussklemme 2 und
das Lager B mit der Anschlussklemme 1 mittelst isolirten Kupferdrahtes innerhalb
des Fussbrettchens A verbunden. Ein zweiter Ambos a steht mit der Anschluss-
klemme 3 eben so durch Draht in Verbindung. Am langeren Arme des Hebels
sitzt das Klobchen a' mit einem eingesetzten Platinkegel (Contact), dem Ambos a
genau gegenliber, ohne diesen jedocli wahrend der Ruhelage des Tasterhebels zu
beriihren. Zu der Anschlussklemme 1 fiihrt die Leitung, welche zum Schreib-
apparate durch die Multiplication desselben und dann weiter zur nachsten Station
oder (in einer Endstation) zur Erde geht. Zu 2 schliesst die von der vorher-
gehenden Station kommende Leitung (in der Anfangsstation die Erde) an und
ausserdem noch ein Draht, welcher zu einem Pole der Batterie geht; bei 3 endlich
ist der zum anderen Batteriepole ftihrende Draht angeschlossen. So lange in einer
so geschalteten Morseleitung alle Taster in der Ruhelage sich befinden, wird
also die Linie zwar continuirlich geschlossen, aber kein Strom in ihr vorhanden
sein. Der vorliandene, jedoch nicht beniitzte Stromweg wiirde folgender sein :
*) Bericht der b. Akademie, Miinchen 1838.
**) Schaeffner, Electr. Telegrph. pag. 423; Brix's Journ. I pag. 196.
214
Electrische Telegrafie (Schreibapparat u. Taster).
Fig. 1458.
Mors e's Schreibapparat.
Von der Erde oder der vorhergehendeii Nachbarstation zur Klemme 2, durch den
Drahtanschluss zum Ambos c in die Contactschraiibe S, durch den vorderen Arm
Fig. 1459.
Taster (Schliissel).
des Tasterhebels und die Drebachse in das Lager B, durch den Kupferdraht
innerhalb des Tasterbrettchens zur Anscblussklemme 1, Aron da weiter zur Multi-
plication des Schreibapparates, durch diese weiter zur nacbsten Station oder (bei
Elect'rische Telegrafie (Relais).
215
der Endstation) in die Erde. Uebt man bei einem Taster auf den am langeren
Arme seines Hebels befindlichen beinernen oder holzernen Knopf g einen Druck
nach unten aus, so wird die Kraft der Feder iiberwunden, der Contact zwischen
c nnd s aufgehoben und dafiir der zwischen a nnd a' hergestellt, Jetzt ist in
der Station, wo sich der niedergedrtickte Taster befindet, der fruhere Weg von
2 iiber s nnd B nach 1 aufgehoben, dagegen von 2 zu einem Batteriepole durch
die Batterie nnd vom 2. Pol zur Anschlnssklemme 3, von da weiter iiber a, a',
B und 1 die Linie continuirlich hergestellt, wobei die Batterie eingescbaltet und
wirksam gemacht ist. In alien Schreibapparaten der Linie sind dann die Multipli-
cationen so lange vom Strom durchflossen, und in Folge dessen die Anker an-
gezogen, als der Taster niedergedriickt bleibt. Ist die Telegrafenleitung lang
oder sind viele Stationen auf eine Linie gemeinschaftlich geschaltet, iiberhaupt
der Widerstand in der Leitung gross, so wiirde ein enormer Stromaufwand noting
werden, urn die Schreibapparate so zu betreiben, dass sie scheme, deutliche Zeichen
geben. Man hat deshalb die Schreibapparate bei langen Linien nicht direct in
dieselben eingeschaltet, sondern fur dieselben einen viel empfindlicheren und selbst
durch ganz schwache Strome leicht beweglichen Apparat substituirt, der seine
Bewegungen erst wieder durch Vermittlung eines anderweitigen, kleinen Strom-
kreises (Locallinie) auf den Schreibapparat iibertragt. Dieser Uebertragungsapparat,
das Relais (Fig. 1460) wurde zuerst von Cooke und Wheats tone 1837 fur
denWecker ihres Nadeltelegrafen, von Morse 1844 bei seinem Schreibtelegrafen
B Fig. 1460.
Relais.
in Anwendung gebracht. Ein Hauptbestandtheil desselben ist wieder ein Electro-
magnet A/, dessen Multiplicationsenden einerseits mit der kommenden Telegrafen-
leitung m, andererseits mit der gehenden oder bei Endstationen, wie es die Zeichnung
zeigt, zur Erde m' metallisch verbunden sind. Ueber den Kernen des Electromagneten
ist ein eiserner Anker A auf einem im Lagerstander C drehbaren, messingenen
Hebel B, B' aufgehangt. Die Bewegung dieses Hebels ist begrenzt durch die
beiden Schrauben D und D', wovon die obere mit einer Elfenbeinspitze, die untere
mit einer Platinspitze (Contact) verse'nen ist. Der Arm B' des Relaishebels wird
durch die Feder /, welche mit der Schraube h starker gespannt oder nachgelassen
werden kann, niedergezogen , so dass der Arm B normal gegen die isolirte
216
Electrische Telegrafie.
Schraube D driickt. An den messingenen Federstander S und an den Schwanen-
halsstander E schliessen die Enden der Locallinie an. Letztere ist ein besonderer
Schliessungskreis, in welcheni die sogenannte Local- oder Scbreibbatterie und die
Multiplication des Scbreibapparates eingeschaltet ist. Die Stander E und S sind von
einander vollkonimen isolirt, der Schraubenstander S ist (lurch die messingene
oder neusilberne Feder / mit dem Relaishebel in Verbindung. Denkt man sich
eine Morse-Telegrafen-Anlage, wie die vorhergeschilclerte , nur mit dem Unter-
schiede, dass jetzt statt der Schreibapparate Relais eingeschaltet sind, u. zw.
derart, dass in jeder Station eine so eben besprochene Locallinie sammt Local-
batterie vorhanden ist, so werden, so lange kein Strom in die Linie kommt, be-
ziehungsweise kein Taster niedergedriickt ist, alle Relaishebel „abg.erissen" und die
Schreibapparate in Ruhe bleiben. Wird hingegen ein Taster niedergedrtickt, d. h.
Strom in die Linie gebracht, so erfahrt der Relaisanker eine Anziehung, da der
Electromagnet durch den seine Multiplication passirenden Linienstrom magnetisch
wird; die Kraft der Spiralfeder / wird iiberwunden und der Relaishebel B auf
die Schraube D' niedergezogen. Die bis jetzt durch die nichtleitende Elfenbein-
spitze D unterbrochen gewesene Locallinie wird hierdurch geschlossen, denn von S
zu E ist dem Strome der Localbatterie nun anstandslos der Weg iiber den Relais-
hebel zur Schraube D' gestattet; der Localstrom passirt die Multiplication des
Scbreibapparates und bringt demnach eben so oft und so lange die Anziehung des
Sch: eibhebels hervor, als das Relais angezogen wird. Der Schreibapparat arbeitet also
in rythmischer Beziehung gerade so, als wenn er direct in die Linie geschaltet ware.
Die hier besprochene Morseanlage ware eine solche mit Arbeitsstrom.
Einfacher ist die Anlage fiir Ruhestrom. Die Linienbatterien sind dann
direct in die Leitung geschaltet. Der Schliissel hat bios die Klemmen 1 und 2,
zu welchen einerseits der zum Relais gehende Draht m (Fig. 1460), anderseits
die von der Nachbarstation kommende Luftlinie anschliesst. Beim Relais fur
Ruhestrom ist die Schraube D' mit Elfenbein und dagegen die obere D mit
dem Contacte versehen. Bei normalem Zustande des Schliessungskreises sind
nunmehr alle Relais angezogen und die Locallinien unterbrochen, durch das Nieder-
driicken des Tasterhebels wird der Linienstrom unterbrochen, die Relaishebel
durch die Spiralfedern abgerissen und die Locallinien geschlossen, also die Schreib-
hebeln angezogen. Fig. 1461 stellt das Leitungsschema einer Morse-Telegrafen-
anlage fiir Ruhestrom dar. A,B,CD sind die Stationen, a die Relais,*) b die
Taster, c die Batterien, d die Erdeleitung. Fiir das Morse'sche System sind iibrigens
Fig. 1461.
A- B C B
Leitungsschema.
die mannigfachsten Schaltungssysteme in Anwendung, eben so auch der Betrieb
mit Inductionsstromen. Die letztere Art, welche hauptsachlich von Siemens,**)
*) Es g-ibt audi Ruhestromsysteme, bei welchen keine Relais angewendet, sondern statt
denselben die Schreibapparate, deren Schreibvorrichtung entsprechend constrnirt sein
muss, direct in die Linie geschaltet werden.
**) Schellen, Dub und Zetzschke.
Electrische Telegrafie (Translation). 217
Varley und Wheatstone ihfe Ausbildung erfahren hat, erfordert eigens con-
struirte Taster, welche gleichzeitig als In duct or en thatig sind, und besonders
eingeriehtete (Inductions-) Relais oder Schreibapparate. Eine haufig angewendete
Modification der Schreibapparate sind die Schwarz-, Blau- oder Farb-Schreiber,
welche das Zeichen. statt in Relief, rait Farbe auf dem Streifen markiren.
Wernicke und Siemens &Halske*) in Berlin, D i g n e y in Paris, G. H a s 1 e r,
Wiehl, Brabender, Mark us, Gebriider Digney und Andere haben solche
Apparate in mannigfachen Varianten construirt oder ausgefiihrt.
Zuerst Stohrer und Gintl und nach ihnen Andere haben weiters die
Morsezeichen auf electrochemischem Wege hervorgerufen, indem sie den Papier -
streifen mit diversen chemischen Stoffen, als Jodkalium mit Starkekleister, Cyan-
kalium mit Salzsaure und einer gesattigten Kochsalzlosung, salpetersaures Am-
moniak mit Kaliumeisencyaniir etc. impragnirten. Ein Strom, welcher Tiber den
Schreibstift durch das Papier gesendet wird, zersetzt den Stoff, mit welchem das
Papier getrankt wurde und bringt farbige Zeichen hervor.
Eine vorziigliche Entwicklung haben die Relais erfahren. Es sind ausser
dem geschilderten Schwanenhalsrelais aus der reichen Reihe dieser Apparate
besonders zu erwahnen : das Dosenrelais von Siemens*), die polarisirten Relais
von Siemens fur Inductionsstrome**), das Relais mit schwingendem Magnete
von Frischen und Siemens,***) das Relais von Nottebohm,*) von
Borggrev e,**) von Dr. M i I i t z e r, ***) Edison*), das polarisirte Relais mit zwei
Hufeisen-Electromagneten, zwei Stalilmagneten und zwei Ankern von Siemens*),
das Relais von Boivin, *) v. Fro men t, *) von d'Arlincourtf) etc.
Anschliessend an die Relais kommen die Translations apparate zu er-
wahnen, welche den ersteren sowohl in Construction als Zweck ziemlich ahnlich sind
und sich in letzterer Beziehung von jenen nur insoferne charakteristisch unterscheiden,
als sie die Bestimmung haben, die auf einer Telegrafeulinie erfolgenden Strom-
impulse, beziehungsweise Unterbrechungen nicht auf eine Locallinie, sondern auf eine
zweite oder auf mehrere andere Telegrafensprechlinien zu iibertragen. Bei langen
Linien (etwa iiber 50 Meilen) erscheint es namlich unter Umstanden empfehlens-
werth, wohl auch nothwendig, die Weiterbeforderung von Depeschen, welche fur
eine in der benachbarten Partiallinie eingeschaltete Station bestimmt sind, in der
Weise zu bewerkstelligen, dass man die aneinanderstossenden oder sich kreuzen-
den Linien nicht direct verbindet, d. i. gleichsam zu einer einzigen macht, sondern
dass zur Zeicheniibertragung derlei Translationsapparate in Anwendung gebracht
werden. Es wird damit den Schwierigkeiten, welche dem directen Functioniren
der Telegrafenapparate durch die directe Verbindung zweier langer Leitungen,
beziehungsweise die damit verbundene bedeutende Vermehrung des Widerstandes
und der Fehlcrquellen bereitet wiirden, ausgewichen. Soil von einer Linie I auf
eine anstossende Linie II eine Depescheniibertragung stattfinden, so werden in der
gemeinschaftlichen End- oder Mittelstation fur jede Linie ein Translator, fiir den
gedachten Fall also zusammen zwei Uebertragungsapparate aufgestellt sein miissen.
Stellt man sich das friiher beschriebene Relais (Fig. 1460) als Translator vor,
so miisste unter der Annahme einer Ruhestromschaltung zu den Linienanschltissen
des Translators / die Sprechlinie /, zu Translator // die Sprechlinie II zuge-
fiihrt^ die Fortsetzung der Linie / jedoch zum Localanschlusse des Translator 77,
jene der Sprechlinie II, zum Localanschlusse des Translator I angeschlossen sei.
Die Contacte im Schwanenhalsstander miissten selbstredend so angeordnet
sein, dass der Stromweg iiber den Relais — beziehungsweise — Translatorhebel
walirend der Ruhelage des Translators hergestellt ist. Bei dieser Stellung des
Translators I wird also die Linie II ihren continuirlichen Weg finden, erfolgt
jedoch in der Linie I durch Niederdrucken eines Schliissels die Stromunterbrechung,
*) Schellen, Dub und Zetzsche.
**) Brix's Journal, Jahrg. VIII pag. 220.
***) Dingler's polyt. Journ. Bel. 214 pag. 290
f) Ditsch einer, Ausstellungsbericht.
218 * Electrische Telegrafie (Translation).
also das Abreissen des Trauslatorhebels 2, so wird damit audi die Linie II unter-
brochen, u. zw. theoretiscb genau so lange, als der Hebel des Translator I ab-
gerissen, bezielmngsvveise die Linie I unterbrochen bleibt. Dieselbe Riickwirkung
hat umgekehrt die Unterbrechung der Linie II auf die Linie I, da sie Avie oben
dnrch den Translator II fortgepflanzt werden wird. In der Praxis ist jedoch
damit die Frage der Translation nocb nicht gelost, weil bei der geschilderten
Anordnung durch die Zeiten , welche die Translationsbebel brauchen , urn den
Weg von der Contactstellung in die Unterbrechungsstelliing nnd umgekehrt zuriick-
zulegen, wechselweise Verzogerungen und in Folge dessen dauernde Unterbrechungen
herbeigefiihrt werden. Es muss also das Translationssystem dahin erganzt werden,
dass der Translator I immer, sobald er aus der Ruhelage kommt, die Folge-
Unterbrechung des Translators II verhindert und der Translator II wieder die-
selbe Einwirkung auf den Localschluss des Translators I ausiibt. Der Translator
muss also aus zwei Relais oder einem Doppelrelais bestehen. Natiirlich muss in
das Schema der Translationsstation stets ein entsprechender Linienumsehalter
eingeschaltet sein, der die willkiirliche Ein- und Ausschaltung der Translatoren
ermoglicht. Nach diesen hier angedeuteten Principien sind so ziemlich alle be-
stehenden Translatoren construirt und schematisirt. Fur das Morse-System wird
sehr haufig die Translationsvorrichtung direct am Schreibapparat angebracht,
namlich der Schreibhebel gleich als Translatorhebel ausgentitzt. Unter der reichen
Anzahl der im Clebrauche stehenden diversen Translations-Anordnungen waren hervor-
zuheben : das System von S t e i n h e i 1 * ), Clark2), Bonggreve3), F r i s c h e n 4),
Siemens-Halske 4), Leopo Id er, Miglitzer, Jaite5) u. s. w. Auch die Tast-
formen sind zahlreich; Morse und Siemens haben z. B. statt Hebeltaster der ge-
schilderten Art auch Tasttafeln angewendet, d. h. Tafeln aus Hartgummi, Horn oder
trockenem Holze, in welche den Punkten und Strichen entsprechende Metallstttcke
eingesetzt sind, die alle mit dem einen Pole der Batterie in Verbindung stehen, und
iiber welche man nur einen mit der Leitung verbundenen Metallgritfel gleitend hinzu-
fiihren braucht, um die Batterie ebenso zu schliessen wie durch das Mederdriicken
des Tasterhebels. Siemens a) construirte ferner ein Lineal, in welches die Typen
fur Punkte und Striche eingesetzt werden, und welches durch eine den Contact
vermittelnde Rolle und Feder gleiten gelassen wird, und auf diese Weise die
sonst mit der Hand am Schlussel bewerkstelligten Oeftnungen und Schliessungen
des Stromkreises automatisch besorgt. Um die in unterseeischen und unterirdischen
Leitungen vorkommenden — von K r a m e r c), G u i 1 1 e m i n 7), Siemens**), F a r a-
dey9), Wheatstone ,0), Varley11) beobachteten und erforschten — Ladungs-
erscheinungen, durch welche die telegrafische Zeichengebung bei gewohnlicher An-
ordnung des Tasters gestort werden wtirde, zu parallisiren sind fiir derlei Linien
eigens construirte Schltissel in Anweudung: darunter der Submarinschliissel von
Siemens-Halske12) und der von Varley l3).
Mechaniker Stohrer in Leipzig hat weiters einen Schreibtelegrafen con-
struirt, der in seiner Wesenheit dem Morse'schen ahnlich ist; sein Schreibapparat
hat jedoch zwei Hebel und schreibt also in zwei Linien. Der Taster ist ein
zweiarmiger Commutator, der es zulasst, beim Niederdriicken des einen oder
') Schellen, V. Abschn. C. 4.
2) Brix's Jouru., Jhrg. II pag. 145.
3) Brix's Journ., Jhrg. V pag. 216.
4) Dub, Anwendung d. Electrs. Mgnt. VII. Abschnitt §. 1, 13.
s) Brix's Journ., Jhrg. XI pag. 271.
6) Brix's Journ., Jhrg. I pag. 137.
7) Pogg. Annl. 79 pag. 333.
8) Pogg. Annl. 79 pag. 108 und 698.
9) Philos. Mag. (4) VIII pag. 117; Brix's Journ. I pag. 126.
10) Philos. Mag. (4) X pag. 56 Brix's Journ., Jhrg. II pag. 152.
n) Brix's Journ., Jhrg. I pag. 188 u. 287; Engineer. 22. Februar 1867 pag. 169;
Chemie al News. l. Marz 1867 pag. 102; Dingler's polyt. Journ. 185 pag. 1.
12) Schellen, V. Abschn. C. 5 § 209; Dub, Anwend. d. Electsch. Vi §. 4—2.
13) Schellen, V. Abschn. C. 5 §. 210; Dub, Anwendg. d. Electr. Mag. VI §. 4-3.
Electrische Telegrafie (Mayer's Multiplex). 219
anderen Tasterhebels den Strom in einer bestimmten oder entgegengesetzten
Richtung durcli ein eigenthiimlich construirtes Relais zu senden und dadurch den
einen oder anderen Schreibliebel in Bewegung zu setzen. Die Grundzeichen sind
wieder der Punkt und der Strich, jedoch in zwei Zeilen ; die Schriftzeichen dieses
Systems konnen also doppelt so kurz sein wie die gewohnlichen Morsezeichen.
Dieses System war in Sachsen und Bayern beim Staatstelegrafen in Anwendung,
wurde jedoch wieder aufgelassen, als des Durchspielens wegen, im deutsch-oster-
reiehischen Telegrafenverein der Einstiftapparat allgemein eingefiihrt wurde. Die
Schreibtelegrafen von Hipp*) (1851), V a r i n *), F r i b o u r g *), Bournes **), B o-
nelli**) u. A. sind electrocliemische und bestehen der Hauptsache nach in beiden
Stationen (in der gebenden und nehmenden) aus einem oder mehreren Metallstiften,
welche, durch ein Uhrwerk bewegt, bestandig bestimmte Ztige auf einer mit
cliemisch-praparirtem Papier belegten Metallplatte beschreiben ; durch Vermittlung
des in entsprechenden Zwisehenraumen hergestellten und unterbrochenen galvanischen
Stromes schreibt der Stift oder schreiben die Stifte nur die Theile des Zuges auf
das Papier, welche den beziiglichen Buchstaben liefern sollen, der iibrige Theil
wird in die Luft beschrieben. Im praktischen Gebrauche stehen diese Systeme
ihrer subtilen und heiklichen Construction wegen nirgends. Eine weit giinstigere
Zukunft diirften indessen M ay e r's Multiplexapparat***) und Bauer's Illimit-Telegraf
zu gewartigen haben. Beide diese Systeme bezwecken eine erhohte Ausntitzung
der Telegrafenlinie dadurch, dass sie die Pausen, welche in einef Leitung mit
nur einer Abgabe- oder Aufnahmsstation wegen der verhaltnissmassig langen Vor-
bereitung zur Stromsendung zwischen je zwei auf einander folgende Stromimpulse
eintreten, zum Betriebe mehrerer auf derselben Stelle angeordneten Aufnahms- und
Abgabsapparate ausniitzen. Der Mayer'sche Multiplexapparat, mit welchem seit
1874 bei der osterr. Staatstelegrafenanstalt Versuche gemacht werden, ist auf
4 Auf- und ebenso viele Abgabsstationen eingerichtet, d. h. auf ein und derselben
Linie depeschiren- 8 Beamte (4 gebende , 4 aufnehmende) gleichzeitig. Die
Empfangsapparate des Mayer'schen Multiplex schreiben die Zeichen, welche gleich-
falls aus Punkten und Stricken bestehen, nicht wie beim Morse in einer Zeile
der Lange des Papierstreifens nach, sondern es stehen die Buchstaben unterein-
ander und bildet jeder fiir sich eine Zeile. Die 4 Papierstreifen werden von
einem durch ein Uhrwerk bewegten Walzenpaar fest bewegt. Die Schreibvor-
richtung besteht aus einer rotirenden Welle, welche iiber die Streifen lauft und
gleiclifalls von demselben Uhrwerke wie die Zugwalzen bewegt wird. Auf dieser
Welle sitzen genau den Papierstreifen gegeniiber die 4 Schreibwalzen, von welchen
jede eine Schneide tragi Die vier Schneiden bilden zusammen eine Schrauben-
linie, deren Hohe gleicii dem Wellenumfange ist, so dass auf eine Schreibwalze
ein Viertelschraubengang entfallt.
Diese schraubenformigen Schneiden werden durch darttberliegende Farbwalzen
fortwahrend mit Druckfarbe befeuchtet und verrichten dieselbe Leistung wie die
Schreibvorrichtung der Morse-Farbschreiber.
Unter den Papierstreifen liegt ein Rahmen, der so lange gehoben bleibt,
und das Papier an die Schreibwalze driickt, als sich Strom in der Linie befindet.
Wird dieser Rahmen kurze Zeit angedriickt, so entsteht offenbar auf jenem
Streifen, iiber welchem sich die Schneide der Schreibwalze soeben befindet, ein
Punkt, bei langerem Andriicken ein Strich. Die vier Tastervorrichtungen bestehen
jede aus je 4 weissen und je 4 schwarzen Klaviertasten, von denen die ersteren
Striche, die letzteren Punkte geben.
Der wichtigste Bestandtheil endlich ist der Stromvertheiler. Dieser ist eine
aus 48 von einander isolirten Theilen zusammengesetzte, ringformige Contact-
Scheibe, auf welcher ein auf der Schreibwelle befestigter und mit der Linie ver-
*) Zetzsche, Katechismus.
**) Dub, Anwendg. d. Electr.-Mgt. VII. Abschnitt, §. 6, 6.
***) Dr. Leander Ditscheiner, Ausstelhwgsbcr, pag. 36 ; Zetzsche, Abriss d. Geschichte
d. Tlgphie. pag. 59.
220
Electrische Telegrafie (Typendrucktelegraf).
bundener Metallarm contactirend kinweggleitet. Die Taster der einzelnen Zeichen-
geber sind rait den Contacten je eines Quadranten des Stromvertheilers in bestimmter
Weise verbunden und der Gleitcontact so eingestellt, dass die durch das Nieder-
drucken der Taster eines Sckliissels entstehenden Strome gerade nur dann in die
Linie gesendet werden, wenn die Schreibwelle iiber jenen Papierstreifen weglauft,
welcher dem gebrauchten Taster entspricht. Es konnen sonacb hintereinander
die Tastervorrichtungen in Gebrauch genommen werden mid wird jede nun auf
ibre correspondirenden Selireiber die Zeichen hervorrufen.
Bauer's Illimit-Telegraf*) ist wie der soeben erwahnte Multiplex-
apparat gleicbfalls nach den Principien der Arbeitsvertbeilung construirt, unter
Anwendung von Strorovertheilem, narnlicb synchronistiseh rotirende Contactscheiben,
Ein bestimmtes Segment der Contactscheibe entspricht je einer Apparatgarnitur.
Die Typendrucktelegrafen (typotelegrcuph — typotelegrapli). Diese
aueh Lettern- oder Buchstaben-Drucktelegrafen genannt, bringen das Telegramm
auf der Empfangsstation in Farben und Lettern auf Papier gedruckt fertig. Der
erste solcbe Telegraf wurde von Alfred Vail 1837 in Nordamerika und gleichzeitig
von Wheats ton e erfunden, dann haben sicb Fardely in Mannheim, Siemens
in Berlin, M ay er in Miihlhausen (jetzt Paris), H u g h e s in Philadelphia; S eh warzl er
in Bregenz, Greay in New- York**) etc. mit der Construction und Vervollkommnung
solcher Telegrafen abgegeben und diese Aufgabe zumeist in wahi'haft iDgenieuser
Weise gelost. Allein die Einrichtung solcher Apparate ist zu kiinstlich, die Be-
handlungsweise und Erbaltung meist zu schwierig und die Zuverlassigkeit zu
gering, als dass sie in der Praxis eine grosse Verbreitung hatten finden konnen. Nur
der von Hughes ***) hat in den letzteren Jabren, seiner grossen Scbnelligkeit wegen,
fur lange Linien in Europa, wie Asien und Amerika grosse Verbreitung gefunden und
1462.
Hughes Typeudrucktel
das Morse'sche System
theilweise verdrangt.
Die Haupttheile
des Hughe s'schen Tele-
grafen - Apparates (Fig.
1462 bis 1464) sind
der Schlitten S und die
Klaviatur, das Laufwerk
{T, M, iX, b, R, nj, die
Druckachse und das
Druckwerk (b, o), der
Electromagnet E, die
'PAuslosung n des Druck-
m werkes und der Regu-
| lator G. Das Abgeben
| der Depeschen geschieht
mittelst Niederdriicken
der Taster derKlaviatur,
welche je einem Schrift-
zeichen oder einer be-
stimmten Schriftpause
entsprechen. Jeder dieser
Taster ist ein zweiarmi-
ger Hebel, der in einen
Stift endigt. Jeder dieser
Stifte lauft in einem 4>e-
") Dr. Leander Ditscheiner, Ausstellungsbericht, Wieu 1874 ; D ingle r's polyt. Journ.
Bd. 213 pag. 17.
*) Dingler's polyt. Journal 1S66, Bd. CLXXXII pag. 1.
") Dingler's polyt, Journ. Bd. 217 pag. 468; Journal of the Telegraph, Bd. 8 pag. 193.
Electrisehe T.elegrafie (Hughes).
221
stimraten Spalt eines ringformigen Geliauses A. Im normalen Zustande werden die
Tasterliebel durch Federn derart gehalten, dass die Stifte nicht tiber die Gehaus-
fla'ehe A hcrvorragen; driickt man aber eine Taste nieder, so hebt sich das
andere Hebelende und der entsprechende Stift tritt aus seiner OefFnung ein
Stiickchen hervor. In der Mitte des Geliauses A befindet sich eine verticale Aehse
Q (Fig. 1463 u. 1464), welche einerseits mit der Linie, welche durch die Multi-
plication des Electromagneten E und dann weiter zur Fig. 14V3.
nachsten Station geht, andererseits mit der Erdleitung
in Verbindung steht; von der besproehenen Biichse A
aber vollkommen isolirt ist. An der Achse Q ist der
Schlitten S befestigt, welclier wahrend der Rotation
dicht tiber die Deckplatte des Geliauses A weglauft.
Wird eine Taste niedergedriickt und dadurch der ent-
sprechende Stift liber die Deckplatte emporgehoben,
so beriihrt ihn der Schlitten, sobald er auf seiner
Drehung diesen Punkt passirt und stellt zwischen der
Achse Q und der Taste eine metallische Verbindung
her; gleichzeitig wird aber auch beim Aufsteigen des
Schlittens die bestandene Verbindung der Achse Q zur
Erde unterbrochen.
Sammtliche Taster sind mit einem Pole der
Linienbatterie verbunden, deren zweiter Pol zur Erdleitung anschliesst. So lange
also in keiner Station eine Taste niedergedriickt wird, ist zwar; wie dies das in
Fig. 1464 dargestellte Schema naher versinnlicht ; die Linie continuirlich ge-
schlossen; aber kein Strom in derselben vorhanden; wird jedoch eine Taste nieder
gedriickt, so ist die Batterie in dem Momente eingeschaltet und wirksam , in
welchem der Schlitten Fig. 1464.
den " emporgehobenen
Tasterstift im Vor-
beigehen streift. Die
Schlittenachse Q wird
von einem durch Ge-
wicht getriebenenUhr-
werke in Rotation ge-
setzt und macht circa
110 Umdrehungen pr.
Minute ; gleichzeitig
mit derselben wird l.b.-^~
das Typenrad a be-
wegt. Dieses Rad-
chen hat am Rande
in derselben Reihen-
folge, wie die Buch-
stabenstifte in der
Biichse A nebenein-
ander liegen, die entsprechenden Typen eingeschnitten, und bewegt sich in der
Weise, dass genau immer die Type jenes Buchstabens zu unterst sich befindet,
welche dem Schlitze, beziehungsweise jenem Taster-Contactstift entspricht, iiber
den im gleichen Momente der Contactschlitten hinstreift. Unter dem Typen-
radchen, welches an seinem Rande durch ein darneben angebrachtes Farbradchen
immer mit der nothigen Druckerschwarze befeuchtet wird, lauft in einem Schiffchen
der Papierstreifen p. Kommt Strom in die Multiplication, so wird. eine am Electro-
magnet angebrachte Armatur n in Folge der plotzlich eingetretenen Aenderung
im magnetischen Zustande des Electromagneten abgerissen und dadurch das
Schiffchen mit dem Papier gegen den Rand des Typenrades gedriickt und dann
um eine Buchstabenbreite weiter geriickt. Denkt man sich nun in der gebenden
222 Electrische Telegrafie (Automat-T.).
wie nehmenden Station Typenrad und Schlittenacb.se ganz iibereinstirnmend bewegt,
was durch eine genaue Regulirung der Laufwerke beider Stationen erzielt werden
kann, so wird, wenn die depeschirende Station A z. B. die Taste x niederdriickt,
in der aufnehmenden Station B in dem Momente ein Strom die Multiplication
passiren; als der Schlitten in A den Schlitz x passirt. Nach dem Vorhergesagten
muss aber bei richtiger Einstellung der Typenrader in beiden Stationen in dem
Momente der Stromerregung gerade der Buchstabe x zu unterst liegen; in B
wird also das durc'i die Stromerregung emporgeschnellte Papier den Buchstaben
x abdrucken und dann um ein Buchstabenintervall vorwarts gezogen. Sollen am
Streifen Pausen markirt werden, so driickt der Telegrafist eine besondere Taste
nieder, fiir welche am Typenrad keine Type eingeschnitten ist; der Streifen wird
bei dieser Taste also keinen Abdruck erzeugen, sondern nur vorwarts riicken.
Die hier nur im Principe gekennzeichneten Bestandtheile des Hughes'schen
Apparates sind sehr complicirt, aber audi hochst genial ausgeftihrt und ermogliehen
die staunenswerthe Leistung von 150 Buchstaben oder 25 Wortern in der Minute.
Die Copir-, Auto- und Pan-Telegrafen ') telegrafireu Handschriften,
Zeichnungen u. s. w. Sie beruhen im Allgemeinen darauf, class auf eine leitende
Platte mit einem nicht leitenden Materiale das Telegramm oder die zu telegraiirende
Zeichnung geschrieben, beziehungsweise anfgezeichnet wird. Ist diese Platte mit
einem Pole einer Batterie verbunden und wird mit einem Metallgriffel, welch er
mit dem anderen Pol dieser Batterie in leitender Verbindung steht, iiber die Platte
hin- und hergefahren, so wird der Stromkreis offenbar abwechselnd geschlossen
oder unterbrochen, je nachdem der Griffel tiber die isolirende Sclirift oder iiber
die leitende Platte gleitet. Denkt man sich in den Schliessungskreis den Empfangs-
apparat einer zweiten Station eingeschaltet und diesen so eingerichtet, dass bei
ihm ein Schreibstift die ganz gleichen Bewegungen macht wie der Griffel in der
Aufgabsstation und dabei jedesmal ein Zeiehen auf ein Papierblatt hervorbriugt,
sobald Strom in die Linie kommt oder umgekehrt, so muss das Ensemble der
erzeugten Zeiehen endlich eine complette Nachbildung der Originaldepesche geben.
Die Hauptbedingung fiir solche Apparate, aber auch ihre Hauptsehwache, ist also
der Synchronismus der Apparate in der Abgabs- und Ankunftsstation. Das Hervor-
rufen der Zeiehen wird zumeist auf electrochemischem Wege erzielt, wie bei den
Copirtelegrafen des Bain,2) B a eke well,3) Charles,4) Cros, 4) Caselli5)
u. s. w., oder auf electromagnetisch-mechanischem Wege, wie bei jenen von
Hipp,4) Lenoir,4) Mayer,'1) d'Arlin court7) etc. So interessant und ingenios
diese Telegrafen sind, haben sie keine oder doch nur ephemere Anwendung in
der Praxis gefunden. Im Jahre 1865 war Casellis System auf der Route Paris-
Marseille und Paris-Lyon in Anwendung, indessen wurde dasselbe 1866 durch
Mayer's Pantelegraf, der auf der Strecke Marseille-Bordeaux Eingang fand, vor-
iibergehend verdriingt.
Autom at-Telegr af en sind solche, bei welchen die zeichengebenden Strom-
impulse nicht direct mit der Hand rhytmisch abgegeben, sondern die Depeschen
erst auf einem Vermittlungsapparate vorbereitet werden. Sie theilen sich ein in
solche, bei welchen die Depeschenabgabe im Sendapparate mittelst Typen, welche
in langen Schienen eingesetzt sind, geschieht, dann in solche, bei welchen dies
mittelst durchlocherten Papierstreifen bewerkstelligt wird, und endlich in solche,
bei welchen das Vorbereiten der Depesche und das automatische Abtelegrafiren
ein einziger Apparat in Ausfiihrung bringt. Die erstere Art ist schon bei dem
Morse'schen Apparatsysteme erwahnt worden und findet ihre wichtigsten Ver-
treter in dem magnetoelectrischen Typenschnellschreiber von Siemens-Hals ke
l) Dr. Zetzsche, Die Copir- u. Typendrucktelegrafen, Leipzig 1865.
a) Mech. Mag. 1850, pag. 83; Dingier' polyt. Journ. 117, pag 40.
3) Mech. Mag. V., 50, pag. 544; Diugler's polyt. Journ. 119, pag 75.
*) Zetzsche, Katechismus.
s) Schellen, V Absch., II, §. 217.
ti) Bulletin d. 1. Societe de Mulhouse XL, pag. 197; Dingler's polyt. Journ. 124, pag. 488.
') Dingler's polyt. Journ., Bd. 212, pag. 295.
Electrische Telegrafie. 223
und in deren Typenschnellschreiber fur Batteriestrom. ') 1846 machte Bain
seine ersten Versuche, die Morse-Punkte und Striche in einen Papierstreifen zu
stanzen, der dann zwischen einer Walze und Feder durcligefiihrt wurde. Die
Rolle war mit dera Batteriepol, die Feder mit der Linie verbunden, und sobald
ein Loch des Papierstreifens die Rolle passirte, konnte die Feder in Contact treten
und Stromirapulse erzeugen. Nach diesem Principe sind auch die Automattelegrafen
von Siemens,2) Schneider, Lacca, G a s p o r i , 3) Little,4) 3 a i t e 5)
und Wheatstone6) construirt, unter welchen wieder hauptsachlich der letzt-
genannte beim Staatstelegrafen in England eine vorziigliche Anwendung findet.
Sowohl der Si em ens'sche als Wheats ton e'sche Automattelegraf liaben nach-
stehende Hauptapparate : Der Mittellochschreiber, ein Stanzapparat, welcher
den Streifen mit einer Reihe in gleichen Intervallen von einander stehenden und
in der Mittellinie des Papieres laufenden Lochern versieht. Diese Locher haben
den Zweck, den Papierstreifen zum Bearbeiten auf dem zweiten Apparate, dem
Han dsch rift locher geeigneter zu machen. Der Handschriftlocher ist ein
Stanzapparat, mit dem nun die Schriftzeichenlocher erzeugt werden, u. zw. beim
Siemens'schen in einer Reihe, beim Wheatstone'schen in zwei Reihen. Die
auf diese Weise vorbereiteten Streifen kommen nun in den eigentlichen Greber,
das sind Walzwerke, welche wieder so eingericktet sind, dass Strome in die Linie
entsendet werden, sobald ein Schriftloch passirt, und diese Strome bringen in der
Aufnahmsstation am Schreibapparate, der ein hochst leicht beweglicher, polarisirter
Farbschreiber (Morse) ist, die entsprechenden Schriftzeichen hervor. Durch die
colossale Geschwindigkeit, die mit solchen Apparatsystemen erzielt werden kann,
ist der Aufwand von Vorarbeiten leicht hereingebracht. Eine Abart dieses Sy-
stemes ist das von Dumoulin-Froment, 7) bei welchem statt Papierstreifen
Staniolstreifen und statt der gestanzten Locher mit Lack gemalte Zeichen, jedoch
mit wenig Erfolg verwendet wurden. Der neueste automatische Telcgraf ist
der Si em ens'sche Dosen - Schnellschriftgeber. 8) Er erfilllt beide Functioned
namlichdas Vorarbeiten und Abtelegrafiren der Schriftzeichen mittelst eines einzigen
Apparates. Die Idee zu diesem Apparate gab v. Hefner- Alt en eck, die Aus-
fiihrung ist von Siemens. Der Dosenschnellschriftgeber hat seinen Namen von
einer dosenartigen , sich sprungweise auf einer horizontalen Achse drehenden
Trommel, die an ihrem ganzen Umfange mit dicht neben einander liegenden Stiften
besetzt ist, welche die zur automatischen Beforderung nothigen Typen dadurch
bilden, dass eine bestimmte Anzahl derselben durch das Niederdriicken je einer
einzigen Taste verschoben wird. Solche Taster, knopfformige Drucker sind zu-
sammen 49 vorhanden und treppenartig in 7 Reihen auf einer pultartigen Tastertur
untergebracht. Jede Taste entspricht einem Schriftzeichen ; ihre Reihenfolge ist
so getroffen, dass die am haufigsten vorkommenden sich besonders leicht und
bequem greifen lassen. Das Niederdriicken eines jeden Driickers bringt am
Empfangsapparat den entsprechenden Buchstaben in Morse-Schrift hervor. Der
Empfangsapparat kann ein leicht beweglicher Farbschreiber ^sein. Es kann auf
diesem Apparate ein routinirter Telegrafist ohne Schwierigkeit 5 Tasten hinter
einander in 1 Secunde greifen ; ist der Mechanismus dem entsprechend eingestellt,
so sind das 300 Schriftzeichen in der Minute. Nimmt man den mittleren Bedarf
per Depesche mit 200 Schriftzeichen, so entsprache das einer Leistung von 90
Depeschen, das Doppelte der mittleren Hughesleistung. Die praktischen Versuche
') Dub, Anwendung1 d. E.-Magt. 2. Aufl. pag. 524 ; Z e t z s c h e's Gescliiehte d. Telegrf.
pag. 46.
2) Anwendung d. E.-Mgt. pag. 572; Zetzsche's Geschiclite der Telegrf. pag. 44; Brix's
Journ. XIV pag. 139.
3) Dub, pag. 579.
f) Dr. Lean der Ditscheiner, Ausstellungsbeiicht, pag. 36.
5) D ingle r's polyt. Journ. Bd. 214 pag. 446.
6) Dingler's polyt. Journ. Bd. 216 pag. 219.
7) Dingler's polyt. Journ. Jahrg. 1867.
%) Ditscheiner, Ausstellungsbericht pag. 32; Zetzsche's Gescliiehte pag. 48.
224
Eleetrische Telegrafie (Gegensprechen).
rait diesem Apparate auf cler Linie Berlin -Breslan haben jedoch gezeigt, dass die
oben berechnete Leistung nicht zu erzielen ist, sondern eben nur eine solche,
welche liinter der des Hughes'schen Apparates nicht zuruckbleibt. Ein anderer
von Siemens constrnirter Autoraattelegraf ist der Kettenschnellschriftgeber, ')
welcher die Steinli eil'schen Schriftzeichen (Pnnkte in zwei Reihen) schreibt,
nnd der Sclmelldrucker. ") Letzterer ist ganz ahnlich dem Dosenschnellschrift-
geber, niir dass bei ihm die Zeichen in Typenschrift hervorgerufen werden.
Die Doppel- und Gegensprech - Telegrafen.3) Darunter sind
jene Systeme verstanden, welche die gleichzeitige Beforderung zweier Depeschen
auf einem und demselben Draht entweder in gleicher (D o p p e 1 s p r e c h e r) oder in
entgegengesetzter (Gegensprech er) oder auch in gleicher und entgegengesetzter
Richtung gleichzeitig gestatten. Das erste dieser Telegrafensysteme wurde von
Dr. Willi elm Gintl, 4) osterr. Telcgrafendirector, im Juni 1853 erfunden, nach
ihm haben Kramer,5) Dr. Nedden, Rystor, Schreder,") F risen en,7)
Siemens, Dr. Stark, Edland, Kohl,8) Mar on, 3) Schaak.10) und andere
Doppel- und Gegensprechtelegrafen construirt. Das von Gin tl zuerst angewendete
Schema fiir Gegensprechtelegrafen ist das in Fig. 1465 dargestellte. Der Taster,
welcher spater in einen einhebeligen mit 5 Contacten umgeandert wurde, hatte
urspriinglich zwei Hebelsarine, die durch Vermittlung eines isolirenden Querstiickes
steif verbunden waren nrd mittelst einem auf diesem Querstiicke festsitzenden
Knopfe ganz gleichzeitig niedergedriickt werden konnten. Das Relais hat eine
doppelte Multiplication, wovon die Enden der inneren aus diinnerem Draht her-
gestellten zur Leitung und zum Tasterlager V} die Enden der ausseren aus
Fig. 146o.
Gintl's Schema zum Gegensprechen.
starkerem Draht bestehenden zum Tasterlager I und zu einem Pol der Ausgleichs-
batterie anschliessen. Die iibrigen Verbindungen sind in der Zeichnung ersichtlich
und zeigen, dass, so lange der Taster in der Ruhelage ist, die Linie direct iiber
die innere Multiplication weg und durch den vorderen rechtseitigen Tasterhebel
in die Erde gelangt. Wird der Doppeltaster niedergedriickt, so ist erstens die
Linienbatterie eingeschaltet und ein Strom wird in die Leitung entsendet. Dieser
Strom kann jedoch nur das Relais der Station B und nie auch das der Station A
J) Zetzsche's Geschichte der Telegrf pag. 53.
'-') Zetzsche, Geschichte d. Telegrf. pag. 54; D i t s c h e i n e r, Ausstellungsbericht pag. 35.
3) Dr. Zetzsche, Zeitschrift f. Math. u. Physik, 10. Jhrg., Heft 3 bis 5.
*) Brix's Journ. II pag. 25.
s) Brix's Journ III pag. 4.
6) Brix's Journ. VII pag. 85 u. 258: Zetzsche, die Cop.- u. Typ.-Tlgrf., Lpzg. 1865.
7) Brix's Journ. IX pag. 241.
8) Brix's Journ. IX pag. 76.
9 1 Brix's Journ. X pag. 1 u. 125.
10) Brix's Journ. X pag. 5 u. 240.
Electrische Telegrafie. 225
magnetisiren, weil in letztei-er durch das gleichzeitige Niederdriicken der beiden
Tasterhebel audi die Ausgleiclisbatterie geschlossen wird', deren Strom iiber die
aussere Relaisraultiplication lauft. Die Starke der Ausgleiclisbatterie und die
Multiplicationswindungen sind aber so bemessen, dass die magnetiscbe Wirkung
des Ausgleichsstromes eben so stark wie die des Linienstromes, jedoch entgegen-
gesetzt polarisirt ist. Wenn also audi in beiden Stationen die Taster zur selben
Zeit niedergedriickt wiirden, so kann dock immer nur das Relais vom f'remden
Strom e afficirt werden, niemals vom eigenen, und das gleicbzeitige Hin- und Zuriick-
telegrafiren ist biedurch also errnoglicht, gleichgiltig, ob die Linienbatterien gleicb
oder entgegengesetzt orientirt sind. Dieses System hat durch Grintl selbst nnd
seine Nachfolger mannigfache Abanderungen und Verbesserungen erfahren.
Die Doppelsprecher basiren darauf, dass in der Sprechstation mit zwei
Tastern Strome ungleicher Starke entsendet werden, und dass die Relaie in den
Aufhahmsstationen so eingerichtet sind, dass das eine nur durch den schwacheren,
das zweite nur durch den starkeren Strom thatig gemacht werden kann. Systeme,
wo das Doppelsprechen mit dem Gegenspreclien vereinigt ist, haben zuerst Dr.
Stark, dann Dr. Bosocha, Telegrafeninspector Mar on etc. construirt. In der
Praxis haben alle diese Doppel- und Gegensprechtelegrafen trotz ihrer eben so
richtigen als ingenieusen Conception bisher wenig Ausniitzung gefunden, weil das
denselben characteristisch anhaftende Bediirfniss der steten Stromausgleichung,
besonders bei schlecht gebauten Linien, die Vortheile des Systems arg beein-
trachtigt. Erst in neuerer Zeit fanden sie wieder Anwendung, u. zw. besonders
in England und Amerika. Die jiingeren Gegensprechsysteme J) sind von Vans,
Steares, Pracce, Winter etc., allein selbe dlirften kaum vollkommener sein
als die alteren, und wenn die Versuche damit sich gitnstiger herausstellten, so ist
dies wohl nur darauf zuriickzufiihren, dass jetzt der Linienbau bedeutend besser
und das Personale geschulter und getibter i&t, als dies vor 20 Jahren der Fall war.
Entwicklung. Die electrische Telegrafie ist erst spat in die Reihe der Weltver-
kehrsmittel eiugetreten, ran so rascher liat sie jedoch ihren Entwicklungsgang dnrchgemacht,
und um so grosser miissen die Erfolge genannt werden, welche in verhaltnissmassig kurzer
Zeit auf diesem Felde errungen wurden.
Die friiheste literarische Notiz iiber die Idee einer electrischen Telegrafie findet sich
1753 in Scot's Magazin, 2) 15. Band, pag. 73, obwohl schon 1727 Stephen Gray,3) 1735
bis 1737 Du Fay,4) 1746 Benjamin Franklin5) in Philadelphia und Professor
Winkler6) in Leipzig Versuche gemacht hatten, die Electricitat in Bezug auf ihre Fort-
pflanzungsfahigkeit zu priifen und zur Versendung einzelner Signale auf grossere Distanzen
auszuniitzen.
Im Jahre 1774 hatte Lessaye7) in Genf bereits einen electrischen Apparat zusammen-
gestellt, welcher auf 24 Drahten, wovon jeder einem Buchstaben des Alphabetes entsprach,
durch das Einschalten einer Leidnerflasche die Entladungsfunken erzeugte und dadurch den
gewiinschten Buchstaben signalisirte.
Eeusser8) suchte diese Idee 1794 weiter zu entwickeln. Ausserdem hatten Cavallo,
Salva, Betancour9) iihnliche Versuche gemacht. Allein alle diese, so wie spateren auf
Ausniitzung der Reibungselectricitat basirenden Systeme erwiesen sich far die Praxis als un-
anwendbar, und erst seitdem die Hoi ta'sche Saule durch Dr. SSmmering 10) (1S08) und der
') Zetzsche, Kritik der neuen tlgri. Gegensprecher ; D i n g 1 e r's poly t. Joiirn. CCXI pag. 111.
2) The Common Wealth. 1854; Zeitschrift des deutsch-osterr. Telegr.-Vereines 1. Jhrg.
pag. 93; Zetzs die's Handbuch I pag. 21.
3) Robert Sabine, the hystory and progress of the elect, tlgrph. 2. Aufl. 1869 pag. 3.
4) Robert Sabine pag. 4; E. Higthon, London 1869 pag. 3.
"') Zetzsche, Handbuch d. electr. Telegrf. Band I pag. 15.
") Zetsche, Handbuch I pag. 15.
') Moigno, Telegrph. electrique pag. 59.
8) Lichtenb erg's Magazin, Bd. 9 pag. 183; Kohn, Electricitatslehre pag. 825.
9) Gauss u. Weber, Resultate aus den Beobachtungen des magn'etischen Vereines 1837
pag. 14.
,0) Dingle r's polyt. Journ. 67 pag. 388.
Karmarscli & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 15
226 Electrische Telegrafie (Geschichtliches).
Magnetinductor durcli Ronald (1816) als Electricitatsquelle in Gebrauch kam, konnte das
Problem der electrischen Telegrafie als gelost betrachtet werden.
Von da arbeiteten S c h i 1 1 i g, J) Beckmann, L i c h t e n b e r g, Cooke,2) O e r s t e d t
(1832) etc. an der Weiterentwicklung. 1832 wurde von Gauss und Weber3) die erste
im Freien angelegte Telegrafenleitung erbaut und ein electrisches Sprachsystem, bei welchem
die Nadelablenkung als Signalzeicben beniitzt, wurde, zwischen dem physikalischen Cabinet
der Gottinger Universitat und der Sternwarte eingerichtet. Damit \^ar die Serie der Nadel-
telegrafen, welche spiiter durch Steinheil,'') Wheatstone, 5) Bain, Matzenauer,
Eekling, Schefcik u. s. w. verbessert wurden, eroffnet und alle ersten Eisenbahn- und
Staatstelegrafen in Europa waren urspriinglich mit diesem Systeme oder mit Zeigertelegrafen
verseben. Letztere wurden 1816 — 1823 von Francis Ronulds aus Hammersmith erl'unden,
durch Wheatstone, u) Fardely, D reseller, Leonhard, Krome, Breguet, 7) Map pie,
Froment, 8) Stohrer, 9) Siemens und Halske10) etc. verbessert und sind beute noch
in Anwendung.
Alle diese Systeme wurden durch den von Morse11) 1837 in Amerika erfundenen
Schreibtelegrafen in den Hintergrund gedrangt. Die Einfiihrung des electrischen Telegrafen
begann nun in England mit der 1840 von Cooke und Wheatstone erbauten 39 engl.
Meilen langen Sprechlinie langs der Great- Westernbahn, in Amerika 1844 mit der 8 deutsche
Meilen langen, von Morse erbauten Linie Washington-Baltimore, in Deutschland 1843 mit
der von der Direction der rheinischen Eisenbahn bei Aachen errichteten Bahntelegrafenlinie,
in Russland 1844 mit der Linie Petersburg-Zansko-Selo, in Frankreich 1845 mit der Linie
Paris-Rouen, in Oesterreich mit der Linie Wien-Briinn. Bayern, Wiirttemberg tind Belgien
folgten 1846, Baden und Holland 1847, Sachsen 1850, Ostindien 1851, Italien und die Schweiz
1852, Schweden 1853, Spanien 1854, Norwegen, der Kirchenstaat 1855, Portugal 1857, Persien
1859, Japan 1864 u. s. w. Fur den offentlichen Verkehr, d. h. fiir die Beforderung von Privat-
depeschen, wurden die electrischen Telegrafen zuerst 1843 in Amerika, 1845 in Holland, 1847
in Deutschland (Linie Bremen-Vogesack), 1848 in England, 1849 in Preussen und Oesterreich,
1851 in Frankreich und 1854 in Danemark etc. in Beniitzung genommen. In Bezug auf die
allgemeine Gestaltung des Telegrafenwesens waren nachstehende Phasen als besonders weit-
tragend zu bezeichnen: Die Entdeckung der Erdleitung durch Steinheil 1838, die Ent-
deckung Director Gintl's, class es moglich ist, auf einem Drahte gleichzeitig nach beiden
Richtungen zu telegrafiren (1853) ; die Anwendung von Magnetinductionsstromen zum Telegrafen-
betrieb, wieder eingefiihrt durch Siemens, nachdem schon Gauss und Weber 1832 und
Steinheil 1837 ihre Telegrafen damit betrieben batten; endlich die Einfiihrung der submarinen
Telegrafenleitungen, wovon die ersten nennenswerthen Versuche von O'Schangkessy im
Huglistrome (Indien) aus dem Jahre 1839 datiren.
Die Apparat- und Schaltungssysteme haben eine rasehe und glanzende Entwicklung
erfahren und der bier gebotene Raum gestattet nicht alle auf diesem Gebiete stattgehabten
Wandlungen nominell zu registriren. Als letzte Glieder miissen nur noch erwahnt werden die
Typotelegrafen, Copir-, Auto- und Pantelegrafen, die Gegen- und Doppelsprechtelegrafen,
endlich die Automattelegrafen, die Multiplextelegrafen und die Ilimit-Telegrafen. Im Grossen
und Ganzen hat unter den obigen Systemen wohl nur der Hughes'sche Typotelegraf eine
bedeutende Verbreitung gefunden und im Laufe des letzten Decenniums fiir das Sprechen auf
') Allgemeine Bauzeitung 1837 Nr. 52 pag. 410.
a) Schafner: The Telegraph manual, pag. 199
3) Pogg. Ann. 3i pag. 568; Gottg. glsrt. Anzeiger 1834, 128 Stiick.
4) Dingler's polyt. Journ. 70 pag. 292.
5) Mechanics Magazine 1839; Dingler's polyt. Journ. 74 pag. 394.
b) Gavarret Telegraph electqu. pag. 1.61.
T) Telegraphie electqu. p. Gavarret pag. 114.
8) Bulletin d. 1. Societe d'encouragement 1851 pag. 319; Dingler's polyt. Journ. 122
pag. 37.
9) Brix's Journ. II pag. 193.
J0) Verhandlung fiir Eisenbahnkunde 10. Marz 1857.
1J) Moigno, Telegr. elect. 1852 pag. 75 ; Brix's Journ. I pag. 193; Schossner, Eleefcr.
Tlgrf. pag. 423.
Electrische Telegrafie.
227
hinge Linien den Morse fast verdrangt, aber auch ihm ist ein iiborlegener Rival entstanuen
in dem Wheatston e'schen Automattelegrafen.
Die Thatsache, dass derzeit Europa mit Asien durch 3 Telegrafenlinien, mit Amerika
durch 3 Kabel, mit Afrika durch 4, bez. 5 Kabel, ferner Asien mit Australien durch 1 Kabel
in Verbindung steht, dass bereits ein Liniennetz von 623.742 Kilometer oberirdische Telegrafen-
linien mit 1.375596-3 Klmt. Drahtleiluiigen und circa 100000 Klmt. unterseeische Leitungen
die Welt umspinnt, obwohl die erste Anwendung der Telegrafen fur den offentlichen Verkebr
aus dem Jahre 1843 datirt, liisst am deutlichsten ersehen, mit welch1 wunderbaren Raschheit
und in welcher colossalen Ausdehnung die electrische Telegrafie sich als Weltverkehrsmittel
entwickelt hat.
Telegrafen der aus s creuropaischen Staaten.
S t a a t e n
Leitungren
Kilometer
Flacheninhalt
in
D Kilometer
Einwolmer
Entfallen an Lei-
tungen Kilometer
auf 100Q auf 1000
Kilometer Einwolmer
Egypten
Brasilien
Chili .......
Algier
Canada .
Cap und Natal . . .
Ostindien
Engl.-Australien . . .
Marocco
Niederl. Ostindien . .
Persien
Cuba
Tunis
Verein. St. v. Amerika
6488
1600
1648
4000
8800
1080
20000
14736
360
4184
864
1272
560
149200
559.350
8,347.515
343.090
389.510
975.260
548.900
671.550
1,454.750
118.600
118.250
9,167.565
5,000.000
11,780.000
2,085.000
2,921.000
3,753.000
760.000
3,750.000
4,400.000
2,000.000
1-160
0-019
0-474
1-052
0-909
0-197
0-053
0-059
1-072
0-473
1-628
1-299
0-135
0-781
1-711
2-344
1-421
0-092
0-191
0-928
0-280
3-860
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15*
228
Electrisclie Telegrafie (Eisenbahnsignale).
Stand des Tele gr a feu in den Staaten
S t
Jahr
Flachen-
Inhalt
in
Quadrat-
Kilometer
Gesammt-
Bevolke-
rung
(letzte
Ziihlung o.
Bereckng.)
Staats-Telegrafen-
Netz
Linien
Drahte
Kilometer
Anstalten
Staats- Eisenb
Privat
Stationen
Grossbritannien u. Irland
Dannemark
Norwegen
Sehwe'ien
Kussland (Gesammt) . .
Oesterreicli-Ungarn . . .
Gebiet d. Reichsrathes
„ d. ung. Krone
Sekweiz
Deut-( Eeicks-Tlg.-Gebiet
sckes ] Bayern
Reich ( Wiirttemberg . .
Niederlande
Luxemburg
Belgien - . .
Frankreick
Portugal
Spanien
Italien
Grieckenland
Tiirkei
Komanien
Serbien
1875
1875
1875
1875
1874
1875
1875
1875
1875
1875
1875
1875
1875
1874
1875
1875
1874
1873
1875
1875
1875
1875
1874 II
314.950
38.237
316.694
444.846
21,750.943
624.045
300.191
323.854
41.418
449.536
75.863
19.508
32.875
2.587
29.455
528.577
92.753
507.036
296.305
50.212
369.257
121.154
43.555
31,845.379
1,784.741
1,795.000
4,383.291
86,722.000
35,904.435
20,394.980
15.509.455
2,669.147
35,850.817
5,024.832
1,881.505
3.767.263
197.528
5,253.821
36,102.921
4,367.882
16,798.925
26.801.154
1,457.894
9,791.582
4,800.000
1,338.505
38.850-0
2780
7175
7959-4
62.35H
36 262-4
21.926-0
14.336-4
6334
35.708-4
7598-5
2480-6
3440-4
290
4959
51.615-0
3317
11.754
20.756
2565
25.232
3820-6
1.461-3
176.352-7
3.741
7.653
114
12.405
110
19.377-4
170
120.522
715
108.147-6
1.341
59.977-9
979
48.169-7
362
15.442-6
892
132.009-7
1.945
19.665-9
734
6.236-8
328
12.332-5
159
445
16
21.094
503
135.944-5
2.767
7.450
126
26.728
196
62.224
1.128
3.165
60
48.650
397
6.842-4
83
2.145-5
37
1866
351
900
1758
1233
525
110
2393
140
10
171
22
83
1499
10
26
825
Summa . . ||372.979 1 1,052.981 ||16.903 1 12204
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(Siehe : Haus-Telegraf en, Tele g-rafie.)
Anhang. Electrisclie Eisenbahnsignale (les signeaux electriques de chemins
de fer — the electric railway signed) shut jene mittelst Electricitat betriebenen Vorrichtungen,
welche dem Zwecke dienen, bei Eisenbahnen den Verkehr der Ziige zu sickern, indem sie
durch leieht verstandliche, die Aufmerksamkeit lebkaft erregende, in die Sinne fallende Zeicken
eine rascke und klare Verstiindigung der Baknbediensteten gestatten.
Das vornehmste, weil fernwirkendste und ausgebildetste electrisclie Eisenbaknsignal-
mittel ist der electrisclie Sprechtelegraf (s. Electr. Telegrafie). Eine Reihe von Apparat-
systemeu waren mid sind diesfalls in Anwendung. Derzeit dominiren in England noch i7nmer
Electrische Telegrafie.
Euro pa's*) mit Anfang des Jahres 1876.
229
Per-
sonale
Appa-
rate
Auzabl
Correspondenz-Verkehr
inter- Gebiihren
national i freie Dienst-
Zusammen
Depesclien
Ein-
nahmen
Ausgaben
ordentliche
ordentliche
Gulden osterr. Wahr.
11.605
11.988
299
233
637
297
714
475
6.159
1.754
4.689
2.956
3.354
1.653
1.335
1.303
1.557
1.349
4.610
4.477
362
1.414
154
538
1.082
379
34
26
1.769
1.088
5.410
5.069
687
244
1.826
385
4.302
3.200
333
120
2.894
1.240
988
212
255
52
18,433.092
385.282
486.779
743.060
2,900330
4,473.445
2,762.311
1,711.134
1,846.898
7,114.095
792.121
312.706
1,601.711
19.512
1,929.945
6.988.832
244.031
1.124.239
4,460.924
191.523
491.898
615.812
95.002
2,331.486
501.635
248.456
359.285
669.276
1,717.035
1,398.429
318.606
834.486
3,566.118
967.845
472.259
755.444
41.498
941.945
2,633.031
167.107
108.165
904.978
52.391
230.338
196.212
56.800
298.400
25.393
46.247
285.372
207.935
613.069
387.090
225.979
68.079
515.414
31.807
123.660
17.771
1.799
1,245.547
1,360.000
70.010
51.503
205.944
5759
448.520
165.245
13.374
21,062.978
912.310
781.482
1,387.717
3,777.541
6,803.549
4,547.830
2,255.719
2,749.463
11,195.627
1,791.773
908.625
2,374.926
62.809
4,117.437
10,981.863
481.148
1,283.907
5,571.846
249.673
1,210.756
977.269
165.256
12,766.620
328.412
495.451
782.838
7,820.924
3,799.256
2,755.090
1,044.166
823.284
5,129.265
525.746
220.500
632.486
14.194
839.245
6,402.855
184.593
1,037.813
2,868.610
145.027
2,440.279
292.453
59.617
10,414.780
328.031
540.516
739.453
6,393.394
5,065.790
3,571.306
1,494.484
728.932
6,749.214
504.960
229.350
957.651
18.887
964.700
5,445.000
337.189
1,567.430
2,330.364
171.997
1,960.264
1,276.229
134.595
91,635.250
66.412
354.634
119.733
605.120
229.511
229.511
90.137
1,230.057
75.138
66.525
11.839
32.071
428.000
46.269
256.000
15.890
19.434
30.461
11.136
55.055 1 40.452 j|
die Nadeltelegrafen, am europaischen Continent und in Amerika ist jedoch fast durchwegs
der Morse'scbe Schreibtelegrafirn Gebrauche. Nur die franzosischen, belgischen und
einige wenige deutscbe Bahnen haben audi noch Zeigertelegrafen der Systeme Br eguet
D i g n e y, K r a m e r, Far del y, Siemens und H a 1 s k e etc. in Anwendung.
Von besonderem Werthe fur die Eisenbahnzwecke sind die portativen Telegrafen,
welcbe von den Ziigen mitgefiihrt werden. Es ist dies eine compendios angeordnete Apparat-
gamitur derselben Schaltung wie die betreffende Sprechlinie. Im Falle der Zug auf der Strecke
anhalten muss und die Nothwendigkeit eintritt, sich mit der nachsten Station zu verstandigen,
bringt der Zngfiihrer den ambulanten Apparat in die nacbste Bahnwarterbude, wo er die
notbigen Anscblussklemmen vorfindet. Durch die entsprecbende Verbindung dieser Klemmen mit
seinem Apparat schaltet er letzteren in die Sprechlinie ein und kann nun seine Correspondenzen
absetzen, eventuell auch solche empfangen. Statt einer completen Apparatgarnitur wird aucb
haufig nur ein Automattaster angewendet. Dieser Taster enthalt eine Eeihe von Depesclien,
die sicb von selber abspielen, wenn ein bestimmter Knopf niedergedriickt, oder ein Zeiger
eingestellt, endlich nebstbei eine Kurbel gedreht oder eine Scbnur angezogen wird. Bei Be-
niitzung solcber Apparate braucht also der Zugfiihrer nicht erst telegrafiren zu konnen, kann
aber auch keine Antwort empfangen.
Die elect rise hen Lautewerke (cloche lelegraphique — electric-signal-hell) dienen
dazu, von einer Station aus auf_ einen gewissen Punkt der Strecke oder an alle Baknwarter
bis zur nachsten Station und vice versa Signale zu ertheilen. Es sind Glockensclilagwerke,
die durch Vermittlung von Electromagneten zum Auslosen gebracht werden, wohl auch nur
einfache Klingel auf einzelne Scblage, ein Electromagnet, dessen Anker gleich den Kloppel
tragt, Klingel mit Selbstunterbrechung oder Selbstausschaltung, Klingel mit Relais, endlich
kleine und grosse Glocken mit Uhrwcrken. Bei letzterer Gattung lassen sich noch solche
unterscheiden, bei welchen das Uhrwerk durch die Ankerbewegung bios ausgelost wird, die
Riickstellung aber durch eine Person bewerkstelligt werden muss; die also so lange lauten,
als dies letztere nicht geschiekt und die Kraft des Uhrwerkes ausreicht; ferner solcbe, bei
*) Nachrichten iiber Industrie, Handel u. Verkehr des osterr. k. k. Handelsministeriums
230 Electrische Telegrafie (Eisenbahnsignale).
welchen nach der einmaligen Auslosung eine Anzahl von Schlagen abgegeben werden, nacli
welchem wieder eine Selbsteinlosung, die Arretiruhg des Uhrwerkes eintritt, nnd endlich solche,
bei welchen die Einlosung (Selbstarretinmg) nach jedem Glockenschlage erfolgt.
Die ersterwahnten Lautewerke findeh eine wichtige Anwendung" als Controlapparate
fiir Distanzsignale aller Art, Drehbriicken- nnd Tunnelsignale, zur Controle der Stellung von
Zugsschranken, Weichen etc. Sie werden an jenen Punkten angebraeht, wo man iiber die
richtige Stellung einer der vorgedachten S:gnalmittel oder Bahnrichtungen Gewissheit braucht,
ohne dies der Entfernung wegen durch den Augenschein erreichen zu konnen. An den zu
controlirenden Signalapparaten sind Contactvorrichtungen angebracht1, welche entweder bei
der „Sicherheits-Stellung" oder bei der „Gefahr" -Stellung den Stromkreis, in welchem die
beziigliclie Klingel eingeschaltet ist, schliessen, im entgegengesetzten Fall unterbrechen. Das
Lauten oder Schweigen des Controlklingelwerkes wild sonach die eine oder andere Stellung
signalisiren. Zum Abgeben durchlaufender Streckensignale werden nur Lautewerke mit Schlag-
uhrwerk und Selbsteinlosung beniitzt. Nachdem nur ein Grundzeichen, der einfache Glocken-
schlag vorhanden ist, so ist die Zahl der ermoglichten Signalbegriffe eine ziemlich beschrankte,
uud steht dieselbe im umgekehrten Verhaltniss zur Deutlichkeit, beziehungsweise Sicherheit
der Signale.
In Deutschland werden mit den Lautewerken nur 4 Signale gegeben*: Ein Zug geht
ab in diese oder entgegengesetzte Richtung — eine Gruppe, resp. zwei Gruppen von 5 oder
6 Glocken-chlagen, „Feierabend", drei solche Gruppen und „Alarm" mehrere wiederholte solche
Gruppen.
In Oesterreich-Ungarn hingegen werden 9 bis 16 Signalbegriffe zum Ausdrucke gebracht.
Die in Deutschland angewendeten Apparate losen sich immer erst nach einer Gruppe
von 5 oder 6 Schlagen wieder ein, konnen mit Arbeitsstrom , z. B. mit Siemens'schen
Magnetinductoren betrieben werden und bieten schon deshalb und der geringen Anzahl der
Signalbegriffe wegen ein ausserst werthvolles, weil sicheres Signalmittel.
In Oesterreich-Ungarn ist durch die Anzahl der Signale und die verschiedene Gruppirung
der Glockenschlage, sowie durch den Umstand, dass eine Reihe der Glockensignale vom Bahn-
warter aus gegeben werden muss, die Schaltung auf Ruhestrom sozusagen bedingt, wenn auch (wie
z. B. bei der Graz-Koflacher Balm) die Anwendnng des Inductors nicht absolut ausgeschlossen ist.
Von den in Beniitzung stehenden Lautewerkssystemen waren anzufiihren: Kramer,*)
Siemens-Halske**) in mehrfachen Varianten , Scholz, Leopolder ,***) Holub,
Wensch u. s. w.
Auf einigen schleswig'schen uud holsteinischen Bahnen sind electrische Klingeln auch
in Verbindung mit electrisck-optischen Signalen als durchlaufende Streckensignale in An-
wendung. Bei jedem Streckenwachterhause befindet sich eine eigene Signalbude, in der der
Apparat aufgestellt ist. Diese bei Nacht immer durch eine Lampe beleuchtete Signalbude hat
an zwei entgegengesetzten "Wanden viereckige Fenster ausgeschnitten, die verglast sind; die
Glasscheiben haben riickwarts einen weissen Oelanstrich, so dass sie wie Milchglas erscheinen.
In der Mitte jeder Scheibe befindet sich eine Oeffnung fiir eine Achse, die vom Apparat heraus-
reicht und auf welchen ein schwarz angestrichener Zeiger aus Blech anfgesteckt ist.
Durch die Erregung des Electromagneten im Apparate kann das Ukrwerk desselben
ausgelost und der Zeiger von der Station aus, wo ein Inductor als Stromerzeuger angewendet
wird, von rechts nach links gedreht werden, u. zw. bei jedem Stromimpulse urn 90°. Die
vier moglichen Stellungen des Zeigers geben eben so viele Signale und erliiutern erstens das
mit der Klingel gekommene allgemeine Achtungssignal, und bedeuten den Bahnwarter noch
nachtraglich, dass ein und wofiir ein Signal gegeben wurde, wenn or auch das Lautewerk
iiberhort haben sollte.
Solche electrische Zugsanzeiger sind iibrigens auch ohne Verbindung mit electrischen
Klingeln oder Lautewerken in Anwendung.
Ein wichtiges Glied in derReihe der electrischen Eisenbahnsignale bilden die Distanz-
signale (le signal proteeteiir). Wenn es gilt, einen bestimmten Punkt der Balm aus er-
f) S c h e 1 1 e n, Eleetromagnetiseher Telegi'af, 4. Aufl. pag. 650 ; Dub, Die Anwendung des
Electr. Magnetisnms pag. 654.
*) Schelleu, Electromagnet. Telegraf, 4. Aufl. pag. 654; Dub, pag. 655.
*) Oesterr. Bericht iiber die Weltausstellung zu Paris 1867, Heft V pag. 127.
Electrische Telegrafie. 231
heblicher Feme zu decken, stehen drehbare Scheiben oder Maste mit beweglicben Armen in
Anwendung. Eine mit ihrer Flache zum Geleise parallel stehende Scheibe oder der 45° schrag
kufwSrts stenendeArm des Mastsignales bedeutet „frei", die Flache der Scheibe senkrecht auf
die Richtung des Bahngeleises oder der wagrechte Arm des Semaphors bedeutet „halt".
Diese zwei Signale A und B sollen von dem zu deckenden Punkte aus gegeben werden
und wird hiezu die Electricitafr mit Vortheil als Motor in Verwendung gebracht. Der Apparat
ist wieder ein Laufwerk mit Uhrwerk oder Echappement mid Selbsteinlosung, das durch den
Anker eines temporaren Electromagnetes ausgeldst und wieder arretirt wird. Jede Auslosung,
die je nach der Schaltung durch Stromgeben oder Stromunterbrechen bewerkstelligt wird,
andert die Stellung d>js Signales von A auf B, beziehungsweise umgekehrt von B auf A.
Bei den electrischen Distanzsignalscheiben, welche fur die Stations-Deckung beniiizt
werden, lassen sich zwei wesentlich von eiuander abweichende Systeme unterscheiden.
Wenn die Scheibe bei Nacht bios zweierlei Liclit, namlich nur weiss oder roth zu zeigen
hat, geniigt eine stetige Bewegung urn 90° im gleichen Turnus; soil aber die Scheibe mehr-
faches, namlich rothes, weisses und grimes Licht zeigen, wie dies z. B. in Oesterreich-Ungarn
vorgeschrieben ist, so wird eine Steuerung nothwendig, da sich die Scheibe alternirend bewegen
muss, oder es wird bei Drehung nach einer Eichtung abwechselnd eine Wendung um 90, dann
wieder um 270° nothwendig sein.
Unter den in Anwendung stehenden Systemen waren anzufiihren: Hipp,1) Le op older,2)
Hohenegger,3) Langie,1) Kficik,5) Kleeblatt, Schonbach, Weyrich, Schaffler,6)
Rikli, 7) Teirich, Rommel u. s. w.
Electrische Distanzsignale sind fast stets in der bereits obengedachten Weise mit Control-
lautewerken in Verbindung gebracht; ausserdem sind in die Controllautewerkslinie auch noch
haufig electrisch-optische Control - Appnrate eingeschaltet. Ein soldier Apparat besteht aus
einer Magnetnadel mit einer entsprechend reichlichen Drahtmultiplication, die in einem Gehause
untergebracht ist. Das Gehause hat eine verglaste Oeffnung, hinter der jedesmal ein rothes,
an der Magnetnadel befestigtes Scheibchen in Vorschein kommt, sobald das Distanzsignal die
Contactstellung eingenommen hat, also in der Controlleitung Strom vorhanden und die Nadel
abgelenkt ist. Fur electrische Deckungssignale , welche, wie z. B. bei Bahnkreuzungen,
in der Weise von einander in Abhangigkeit stehen sollen, dass eines nie auf „frei" gestellt
werden kann, Avenn nicht alle iibrigen auf „halt" zeigen, sind die Bifurcations- Vorrichtungen
von hochster Wichtigkeit. Es sind dies bei Ruhestromsystemen eigens angeordnete Taster oder
Schliissel, welche vermoge ihrer Schaltung nur solche Schliisselbewegungen zulassen, durch
welche immer bios eine einzige Signallinie fur die Freistellung unterbrochen werden kann,
wahrend die Linie einer etwa friiher frei gestandenen Scheibe gleichzeitig mit unterbrochen
und dadmch das Signal auf „halt" umgestellt wird. Es ist nur noch eine zweite Schliissel-
bewegung moglich, namlich jene, durch welche alle Signalscheiben auf „halt" gestellt werden.
Bei Arbeitsstromschaltiing muss fur die Bifurcation zu jedem Signale eine zweite Leitung
vorhanden sein. Die Bifurcationsvorrichtung ist in diesem Falle nach Art eines Relais oder
Translators angeordnet.
Eine weitere Unterabtheilung der Distanzsignale sind die Tunnel sign ale, welche
den Zweck haben, die gleichzeitige Einfahrt zweier Ziige in einen Tunnel zu verhiiten Die
electrischen Tunnelsignale sind entweder aut'Wecker, Glockensignale oder Distanzsche be ein-
gerichtet, welche eventuell durch den an der einen oder anderen Tunnelmiindung postirten
Halmwarter in Thatigkeit gebracht werden oder auch selbst thatig wirken.
Apparate letzterer Gattung hat z. B die franzosische Nordbahn 8) in Anwendung.
') Teclmische Mittheilungen, Or ell Fiissli & Comp., Zurich 1877.
2) Oesterr. Bericht iiber die Weltausstellung zu Paris 1867, Heft V pag. 119.
J) Zeitschrift des osterr. Ingenieur- u. Architekten-Vereins, Bd. XXII pag. 103 ; Organ f.
d. Fortschritt d. Eisenbahnwesens, Bd. VIII pag. 176.
4) Technische Blatter, Jahrg. 1873 pag. 228.
s) Dingle r's polyt. Journal 1876, Bd. 222 pag. 59.
6> Organ f. Eisenbahnwesen 1875 Heft VI; Die Eisenbahn-Stations-Deckungssignale von
Schaffler, Selbstverlag, Wien 1876.
7) Zeitschrift des osterr. Ingenieur- u. Architekten-V(;reins, Jahrg. XXIV pag. 307.
s) Oesterr. Bericht iiber die Weltausstellung in Paris 1867, Heft V pag. 121.
232 Electrische Telegrafie (Eisenbalmsignale).
Sobald der Zug in den Tunnel einfahrt, wird durch ein am inneren Kand der Schiene ange-
brachtes Pedal, auf welches das Rad der Zugsmascliine beim Voriiberfahren driickt, der Strom-
kreis geschlossen, welcher ein Glockenschlagwerk am Tunneleingang, sowie ein zweites bei
der zweiten Tunnelmiindung in Thatigkeit versetzt. So lange das Lauten der gedachten
Glockenapparate ankalt, ist jedem Zuge die Einfahrt in den Tunnel verboten. Dieses Lauten
halt aber so lange an, als ein Zug im Tunnel ist, und hbrt erst dann auf, wenn durch das
vorderste Ead der Maschine ein zweites Pedal niedergedriickt und der Strom wieder unter-
brochen wurde. Die dabei angewendeten Pedalschlussel sind Blasbalg-Contactunterbrecher
(comutateur h soufflet).
In ahnlicher Weise kommen fiir die Deckung besonders wichtiger Bahnpunkte oder
fur die Zugsdeckung auch selbstthatige Scheibensignale in Anwendung, sowohl fiir die Deckung
auf Zeit als auf Eaumintervalle.
Die ersteren sind in der Weise eingerichtet, dass der voriiberfahrende Zug den Strom
schliesst oder unterbricht und dadurch die Armatur des Electromagneten der Scheibe auslost,
in Folge dessen sich letztere auf „ halt" stellt. Eine in den Stromkreis geschaltete Uhr scliliesst
oder unterbricht nach dem gegebenen Zeitintervall (5, 10 oder s Minuten) den Stromkreis
neuerlich, worauf der Electromagnet wieder ausgelost und die Scheibe auf „frei" zuriick-
gestellt wird.
Selbstthatige Deckungssignale auf Eaumintervalle werden in gleicher Weise auf „halt"
gestellt, wahrend die Freistellung auch wieder durch den Zug selber erfolgt, indem das Ma-
schinenrad desselben an einer entsprechend weit entfernten Gleisstelle wieder einen zweiten
Pedalcontact niederdriickt, wodurch die zweite Auslbsung des Electromagneten der Scheibe,
also deren Eiickstellung auf „frei" erfolgt.
Ein in der Schweiz mehrfach in Verwendung stehendes solches Signalniittel ist das
von Dr. Hipp1) construirte, welches aus einem auf einer Saule ruhenden quadratformigen
Eisenrahmen besteht, in welchem sich zwischen zwei Glasspiegeln jalousienformige Blechstreifen
offnen oder schliessen und dadurch die Signale geben. Die Bewegung der Jalousien geschieht
durch ein Uhrvverk mit Selbsteinlosung, das durch den electrischen Strom, beziehungsweise
den Electromagneten ausgelost wird.
Anzufiihren sind ferner die selbstthatig wirkenden electrischen Deckungssignal-Systeme :
Lenoir, Brequet, Guillaume (franzosische Ostbahn), Verite (franzosische Nordbahn),
F r a g n e a u, d e F o r e s t a 2) etc.
Wenn Deckungssignale an der ganzen Balmstrecke in bestimmten Distanzen von einander
aufgestellt und so von einander in Abhangigkeit gesetzt sind, dass sie irnmer nur erst dann
dem Zuge die Einfahrt in die betreffende Theilstrecke gestatten konnen, wenn kein zweiter
Zug sich mehr in derselben befindet, so heisst diese Anordnung ein Blocksignalsystem.
Die ersten solcher Signale hat 1843 Cooks3) angegeben und bei der Eastern-Coutics-
London-Chatham- und Dover-Balm zur Anwendung gebracht. Er beniitzte fiir seine Systeme
einen einfachen' Nadeltelegrafen. Die nach rechts axisschlagende Nadel bedeutete „Strecke
besetzt", die nach links ausschlagende „Strecke frei".
Regnault'1) fiihrte 1847 auf der franzosischen Westbahn Blocksignal-Apparate ein,
die im Wesentlichen nach den Principien des Wheat stone'schen Nadeltelegrafen construirt
waren. Cook's System wiu-de durch Clark5) wesentlich verbessert und auf der London-
und North-AYestem-Balm eingefiilirt, wo es durch 15 Jahre in Anwendung blieb.
Weitere solche Systeme sind von Walker 6) (alt und neucres), von T y e r d c D a 1 1 o n, 7)
J) Oesterr. Bericht iiber die Weltausstellung in Paris 1867, Heft V pag. 120 ; Dr. Schmitt
Signalwesen pag. 353.
J) Organ f. d. Fortschritt d. Eisenbahnwesens, Bd. V pag. 173.
3) Dr. Schmitt, Signalwesen pag. 317.
*) DuMoncel, App. deL'Elct. Ilpag. 155; Gavarret, Teleg. elect, pag. 221 ; Glasener,
App. de L'Elct. I pag. 291; Dub, Electromagnetisnms pag. 662.
r') Dr. Sell mitt, Signalwesen pag. 319.
") Kosraos, 1857 pag. 420; Brix's Journal IX pag. 5; Dub, Electr. Mgnts. 661.
7) Dingler's polyt. Journ. Bd. 217 pag. 468; Dr. Schmitt, Signalwesen pag. 322.
Electrische Tclcgrafie. 233
Bartolomew,1) Highton unci Spagndletti, 2) MLargfoy,3) Preece,1) Siemens-
Hals ke,5) Wiesenthal, Kricik u. s. w.
Am verbreitetsten darunter ist das Preece'sche System. Jede Preece'sche Block-
station enthalt :
«) einen kleinen electrischen Semaphor, dcr nur von der Nacbbarstation gestellt und
dessen Stellung in der Station selbst nicbt geitndert werden kann;
b) eine Tastervorriehtung zum Stellen des Nachbarsemaphors ;
c) einen optiscben Controlapparat, der die gleicbe Stellung zeigt wie der Nachbarsemaphor ;
d) ein Lautewerk, das von der Nacbbarstation in Tbatigkcit versetzt werden kann, endlicb
e) einen Taster, welcber dazu dient, das Lautewerk der Nacbbarstation thiitig zu machert.
Zum Betriebe dieser Apparate sind drei Leitungen vorhanden, zwei dienen zur Ver-
biudung des Semaphore unci dazu gehorigen Tastervorriebtungen, unci in der dritten sind die
Controlapparate, sowie die Lautewerke und dazu gehorigen Taster eingeschaltet. Die Hand-
babung des Signales ist folgende:
Passirt ein Zug die Signalstelle A, so driickt der Signalist den Taster e, wodurcb das Laute-
werk der Nacbbarstation in Thatigkeit gebracht wird, was als Aufforderung gilt, den Semaphor
A auf „Gesperrt" zu bringen. In der Station B wird dies mittelst des Tasters (b) bewerk-
stelligt und gleicbzeitig markirt daselbst der Controlapparat (c) die erfolgte „Halt"-Stellung.
Der Zug bleibt nun solange durcb das Haltsignal an der Signalstelle bei A gedeckt, als der
Signalist bei B die Ruckstellung des Semapbors nicht wieder vornimmt, was eben erst dann
geschehen darf, bis der Zug die Signalstelle B passirt bat. Die im Inneren der Stations-
kanzleien oder Wachterhauser erfolgenden electrischen Signale werden aussen auf den Stations-
platzen oder vor den Wachterhausern mittelst optischen Telegrafen, welche dem Zugs- oder
Maschinenpersonale auffallig sichtbar und deutlicb erkennbar sind, wiederholt.
Im Falle von Linienstorungen stellen sich die electrischen Semaphore von selbst auf
„Halt". Auf der London- und South- Western-Bahn hat das P r e e c e'sche System in einer
noch verbesserten Form Anwendung erfahren. Es ist da, um mogliche Irrungen fern zu halten,
das Zuriickstellen des Semaphors dem Signalisten nicht frei gegeben, sondern kann erst dann
das einmal ertheilte Signal „Bahn blockirt" aufgehoben werden, wenn der Zug die Partial-
strecke thatsachlich passii-t und dabei durch den Druck derEader eine mechanisch-electrische
Sperrvorrichtung ausgelost hat.
Die in Detitschland angewendeten Blocksignaleinrichtungen sind meist nach dem Sy-
steme Siemens-Halske durchgefiihrt. An jeder Signalstelle befindet sich ein gusseisernes
Kiistchen, in welchem der ganze electzische Apparat untergebracht ist, welters ein gewohnliches
Armsignal (Semaphor) mit zwei Flugeln (fiir jede Richtung der Fahrt einen), welche letztere
mittelst Ketten, die mit den Constructionstheilen des electrischen Apparates gekuppelt sind,
dirigirt werden. Am Apparatkasten sind oben an der vorderen Wand zwei kreisrunde ver-
glaste Oeffnungen, hinter welchen sich conform der Signalstellung eine weisse (Bahn frei)
oder rothe (Bahn gesperrt) Scheibe zeigt Jede der Scheiben gilt fiir eine andere Fahrrichtung,
was am Apparate durch Pfeile besonders angedeutet ist.
Am Deckel des Apparatkastens befindet sich iiber jeder der bezeichneten Scheibenoffnuagen
ein Tasterknopf, im Kasten selbst ein Magnetinductor, zu dem von Aussen eine Kurbel an-
gesteckt ist. Unter der Inductorkurbel sincl noch zwei weitere Kurbeln im Kasten vorhanden
eine reclits, die andere links, auf welchen die zu den Semaphorflugeln fiihrenden Zugsketten
befestigt sincl. Dicse Kurbeln dienen zum Stellen der Semaphorarme unci stehen mit " dem
Apparate derart in mechanischer Abhangigkeit, dass die Armstellung „Strecke frei"' nicht ge-
geben werden kann, wenn nicht friiher von der Nachbarsignalstelle deblockirt (Sperrvorrichtung
durch den Strom gelost) wurde, ndu dass umgekehrt der Signalist die Nacbbarstation auch nicht
friiher zu deblockiren vermag, ehe er nicht seinen Semaphor auf „Strecke gesperrt" gestellt hat.
J) Dr. Schmitt, Signalwesen pag. 324.
-) Engineering, 20. Janner 1871.
3) Dr. Schmitt, Signalwesen pag. o26.
4) Oesterr. Bericht iiber die Weltausstellung zu Paris 1867, Heft V pag. 128; Schmitt,
Signalwesen pag. 328.
s) Dub, Electromagnt. pag. 681; Schmitt, Signalwesen pag. 330; Dingler's polyt.
Journal, Bd. 213 pag. 89.
234 Electrisehe Tele-nine.
Wareu die Blockstatlonen -4, B, C, D vorhanden, und sei ein Zug von A ab, so drtickt
der Beamte den entsprechenden Knopf nieder und dreht die Kurbel des Inductors, wodureh
die bisher auf „weiss" gestaudene Seheibe auf „roth" gestellt wird. Hiedurch ist die Strecke
von A Ids B fur einen nachfolgenden Zug gesperrt, da A so lange keinen Zng folgen lassen
darf, bis nicht von B aus die Seheibe auf „weiss" zuriickgestellt wurde. Dies geschieht vom
Signalisten bei B, sobald der Zng semen Posten passirt, indem vorerst der betreffende
Semaphorarm mittelst der Kettenkurbel horizontal fauf gesperrt) gestellt, sodann der betreffende
Knopf am Apparatkasten niedergedriickt wird. In Folge dessen stellt sich nun die Seheibe
in A, sowie die nacli A gerichtete Seheibe in B auf „\veiss", wahrend sich die in B be-
nndliclie, gegen C gerichtete and die in C befindliche, gegen B gerichtete Seheibe auf „rotha
stellt. In B ist der Semaphor mm so lange in der Haltstellung arretirt, als die Seheibe
von C her nicht auf „weiss" gestellt ist; erst dann kann der Bahnwarter den Arm auf die
Freistellung zuriickbringen.
Dieses System wurde von Frischen noch in der Weise vervollkommnet, dass durch
Anbringung von zwei Weckern und ?.Wei Contactvorri'cktungen auf jeder Bloekstation besondere
Glockensignale zwischen denselben gewechselt werden konnen.
Fur alle diese Zwecke reicht ein Draht aus, nur iu den letzten Streckensegmenten vor
jedem Balmhofe werden zw-ei Leitungen nothwendig. Fine Reihe von electrischen Vorrichtungen
sind construirt und theilweise audi angewendet, welche den Zweck haben, die Fahrt eines
Zuges zu controlliren. Den ersten Vorschlag far solche automatische Controllapparate machte
Wouss 1845 und 1847 stellte Brequet J) einen solchen her. Er brachte von 20 zu 20 Meter
am Bahngeleise Pedalcontacte an, welche yon den Radern des vorbeifahrenden Zuges ge-
schlossen warden. Die eine Lamelle dieser Contacte war zur Erde, die zweite zur Linie ver-
bunden, welche in der Controlstation durch einen Chronographen ztu- Batterie und dann zur
Erde geleitet wird. Bei jedem Xiederdrucken eines Pedalcontactes wird der Strom geschlossen
und dieser Stromschluss am Chronographen mai Ivirt.
Diese Vorrichtung wurde durch Ma.iyrot2J dahin abgeandert, dass in der Control-
station bei einer Zahlscheibe zwei verschieden gefarbte Nadeln angebracht sind, die sich in
entgegengesetzter Richtung drehen, und woven eine den Gang der sich nahernden, die andere
der sich eutfernenden Ziige registriren. A'hnlich eingerichtet ist der electrisch-automatische
Zugsanzeiger von Bellemare. s) Steinlieil1) hatte auf der Bahnstrecke Miinchen-Nanliofen
ein almliches Signalsystem eingefiihrt, welches ausser der Controle der Fahrt des Zuges auch
die Controle derWachter verband, da diese die Unterbreclnmg der Controllinie nacli Passirung
des Zuges selbst bewerkstelligen nmssten und sich jede solche Uuterbrechung am Papierstreifen
des in der Station aufgestellten Chronogi-aphen markirt. Auch Hipp5) hat mit seinem friiher
erwalmten Ja'ousie-Signal einen electrisch-automatischen Zugsanzeiger verbunden und auf
einigen Strecken der schweizerischen Nordostbalm in Anwendung ; ausserdem hat Hipp")
auch einen, dem Brequet'schen ahnlichen Zugsanzeiger, der nur die Besonderheit besitzt,
dass auch jede Achse des Zuges an den von 1000 zu 1000 Metern aufgestellten Tastervor-
richtungen eine Stromuuterbrechung erzeugt, wodureh am Chronograph nicht nur ersichtlich
gemacht wird, an welcher Stelle sich der Zug befindet und mit welcher Schnelligkeit er ver-
kehrt, sondern auch mit wie viel Achsen er fahrt, anf der Bahnlime Basel-Olten eingerichtet.
Die gleichfalls zahlreichen Versuche, Anordnungen zu treffen, wodureh der fahrende
Zug direct init den zwei nachsten Stationen in telegrafische Verbindung gebracht wird, z. B.
von Tyer de Dal ton,7) Bonelli, Du M one el, SJ Manuel Fernandez de Castro,9)
J) Du Moncel, Appl. de l'Ect. II pag. 181 ; Dub, Anwendung des Elect.-Mgnts. pag. 686.
■) D n b, Anwdg. des Electromagnetismus pag. 686
3) Glbsener, Appl. de l'Ectr. I pag. 303; Dub, Anwdg. d. Electromagnetismus pag. 687.
■*) Diib, Anwendung d. Electromagnetismus pag. 666.
5) Polyt Cont. Blatt 33 pag. 608; Dub, Anwendung des Electr. Magnet, pag. 690.
l) Schweizerische polytechnische Zeitschrift 1870; Zeitschrift des osterr. Ingenieui- und
Architekten-Vereins Jhrg. XXIII pag. 167.
7) Du Moncel, App.de l'Ect 2. Aufl. II pag. 164; Glosener, App. de l'Ect. I pag. 306 ;
Dub, Anwendung des Electr.-Masnetismus pag. 688.
s) Du Moncel, App. d'Elct. 2. Aufl II pag. 185.
;') Du Moncel, App. d'Elct. 2. Aufl II pag. 198; Glosener, App. d'Elct, I pag. 320;
Dub, Anwendung de l'Elect. pag. 693.
Electrische Telegrafie. — Electrisirmascliinen. 235
v. Konneburg1) etc. haben zu keinem cigentlich praktfschen Erfolg gefiihrt. Werthvoller
sind die Telegrafen am Zuge selbst zum Zwecke der Verstandigung der Zugsbfiamten unter
einander und des Publikums mit dem Zugsbeamten, und wird besonders den letzteren, den
sogenannten Intercommunicatiohsignalen neuerer Zeit eine erhohte Aufmerksamkeit zugewendet.
Bei solcben Einrichtungeri wird der Hauptsache nacb eine isolirte Drahtleitung nothwendig
sein, welcbe vom Signalwagen aus iiber den ganzen Zng lauft, ferner in jedem Coupe ein
Taster und ini Signalwagen endlicb, wo sieh der Zngsfiihrer aufhalt, ein Alarmapparat und
eine Batterie. Wird die Tastervorrichtung in einem Coupe in Anwendung gebracht, muss der
Alarmapparat thatig werden.
Es waren als bieher gehorig anzufiihren die Systeme von Brequet,') Hermann,3)
Gluckmann, Mir and,') Prudbomme,5) David Lloyd Trice, Preece, Tyer, Ha sin,
Spagnoletti, Binney u. s. w.
InVerbindung mit Distanzsignalen findet in England eine electrisch-automatische Dampf-
pfeife Anwendung. Der Hahn einer Dampfpfeife 6) auf eirier Locomotive ist in Verbindung
mit einem Electromagneten, der in einem Stromkreise eingeschaltet ist. Die Leitung ist zu
einer unten an der Locomotive angebracbten Feder contact gefiibrt. So lange dieser Contact
geschlossen, eventuell offeii (je nacbdem auf Ruhe oder Arbeitsstrom gescbaltet ist), bleibt
aiicb. der Electromagnet in Rube, sobald aber die normale Lage der Contactvorricbtung ge-
andert wird, erfolgt das Abreissen des Electromagnetankers, wodurch gleichzeitig auch der
Habn der Dampfpfeife" geoffriet wird. Diese ertont und zwar so lange, bis der Mascbinenfiihrer
die Riickstellung des Hahnes mit der Hand bewerkstelligt.
Das Oeffnen oder Scliliessen der Contactvorricbtung wird durch daumenartige Pflocke
bewirkt, w^elcbe an ricbtiger Stelle in der Balm festgemacht sind. Beim Dariiberfabren des
Zuges streift der Federcontact an den Daumen. Diese Daumen sind entweder stabil und dann
hat das Pfeifen-Signal den Zweck, den Mascbinenfiihrer zu erinnern, dass er sich einer Stelle
naht, wo die Signale besonders zu beacbten sind, oder auch werden die Daumen erst durch
die Haltstellung eines Deckungssignales auf mechanischem Wege in jene Lage gebracht, wo
sie die dariiber weggehende Controlvorrichtung erfassen und in diesem Falle gilt das Ertonen
der Pfeife nicht nur als Avertirungs-, sondern selbst schon als Haltsignal.
So bedeutend der Fortschritt in der Anwendung der Electricitiit fiir den Betrieb von
Bahnsignalen genannt werden muss, so darf doch nicht verkannt werden, dass diese fiir den
lieutigen Bahnverkebr ganz unentbeluiich gewordenen Signalmitteln in Bezug auf die wichtigste
und nothwendigste Eigenschaft eines Eisenbahnsignales „die Sicherheit" Manches zu wiinschen
iibrig lassen. Electrische Apparate konnen dem Einflusse atmospharischer und tellurischer Ein-
wirkungen nie ganz entzogen werden, ferner sind solche Apparate zart und subtil construirt
und konnen sonach leicht schadbaft oder selbst auch durch Rost, Frost u. s. w. unbrauchbar
gemacht werden. Endlicb erfordern sie bei eingetretenen Fehlern die Hilfe eines Sachver-
standigen. Durch moglichst solide, separirte Leitungen, eventuell von ganz isolirten Drahten,
durch die thunlichste Eliminirung feuchter Batterien und durch die moglichste einfache und
kraftige Construction der Apparate durfte aber auch in Bezug auf die Funktions-Sicherheit der
electrischen Signalmittel noch hochst Erhebliches und Werthvolles zu erreichen sein.
Literatur: M. M. Frh. v. Weber, Das Telegrafen- u, Signalwesen der Eisenbabnen,
Weimar 1867. — Heusinger u. Wald egg, Handbch. f. specll. Eisenbahntechnik,
IV. Theil, Wiesbaden 1873. — Weber's Schule d. Eisenbahnwesens, 3. Aufl., Leipzig
1873. — Winkler, Vortrage iiber Eisenbahnbau IX, Signalwesen von Dr. Ed. S chmitt,
1-4 Heft 1874. L. Koilfurst.
Electrisirmaschinen (machine electrique — electrical machine) , s. im
Artikel Elect ricitat die Absatze XXVI unci XXVII.
x) Dinglcr's polyt. Journal Bd. 217 pag. 109.
2) Du Moncel, App. d'Elct 2 Aufl. II pag. 215; Dub, Anwendung des Elect. -Magnt.
pag. 672.
3) Dub, Anwendung des Electromagnetismus pag 672; Dingler's polyt. Journal Bd. 128
pag. 247.
*) Dub, Anwendung des Electromgt. pag. 673.
s) Organ f. d. Fortschritt d. Eisenbahnwesens Bd. V pag. 61, 173.
b) Dingler's polyt. Journal Bd. 213 pag. 356.
236 Electrode. — Electrolyse.
Electrode (electrode — electrode), Ein- oder Austrittsstelle eines electrischen
Stromes, s. Electrolyse.
Electrograph (electrogrcvplie — electrographe). Diese Bezeichnung wird
manchmal den electrochemischen Copir-Telegraphen (s. d. Art. Telegraphie)
beigelegt und im weiteren Sinne iiberhaupt alien Apparaten, mittelst welchen auf
electrischem Wege bleibende Zeichen, seien es mm Zeitinarken, Schriftziige oder
Zeichnungen, hervorgebracht werden konnen. (S. a. d. Art. Chronograph.) —
Den Namen Elect rographie fiihren gewisse galvanoplastische Metkoden,
insbesondere das von D e v i n c e n z i herriihrende Verfahren, auf galvanokaustischem
Wege erhaben geatzte Zinkplatten fiir die Buclidruckerpresse herzustellen. Hierher
gehort auch die von F. v. K o b e 1 1 erfundene Methode zur Erzeugung galvano-
plastischer Druckplatteu fiir Zeiclinungen in Tuschmanier, welches Verfahren jedoch
gewohnlich Galvanographie genannt wird. (Siehe den Artikel Galvano-
plastik.) A. v. W.
Electrolyse (electrolyse ou electrolysation — electrolysis). So nennt man
jede chemische Zerlegung durch einen electrischen Strom.
Jede chemisch zusammengesetzte Fliissigkeit, welche den electrischen Strom
leitet, wird durch denselben zerlegt oder electrolysirt, und heisst insofern audi
ein Electrolyt. Die Stellen des Ein- und Austrittes des Stromes am Electro-
lyten heissen Electroden, und zwar Anode die Eintritts- und Kathode die
Austrittsstelle. Die Electrolyse geschieht stets in der Weise, dass die Ausschei-
dung der Bestandtheile, das ist der sogenannten Joneu, des Electrolyten nur an
den beiden Electroden stattfindet. Ein an der Anode ausgeschiedenes Jon nennt
man Anion, ein an der Kathode ausgeschiedenes Kation.
Ein sehr bekanntes Beispiel von Electrolyse, welches zugleich die erste naher
beobachtete Erscheinung dieser Art darbietet, zeigt sich beim Dnrchgange des
electrischen Stromes durch verdiinnte Schwefelsaure. Taucht man in diese Fliissigkeit
zwei Platinplattchen, deren eines (als Anode) mit dem positiven, das andere (als
Kathode) mit dem negativen Pole einer electrischen Stromquelle (z. B. einer hydro-
electrischen Batterie) leitend verbunden ist, so beobachtet man an beiden Electroden
eine nach Massgabe der Stromstiirke mehr oder weniger lebhafte Gasentwicklung,
und zwar in der Art, dass an der Anode Sauerstoff, an der Kathode Wasserstoff
ausgeschieden wird.
Da beide Gase in dem Verhaltnisse auftreten, in welchem sie Wasser bilden,
so hat man den beschriebenen Vorgang als eine Zersetzung des mit der ver-
diinnten Schwefelsaure gemischten und dadurch besser leitend gemachten Wassers
aufgefasst. Neuere Untersuchungen haben dagegen immer mehr zur Ueberzeugung
gefiihrt, dass das Wasser fiir sich allein (in vollkommen reinem Zustande) den
electrischen Strom fast gar nicht leitet, so dass von einer directen Zersetzung
desselben durch den electrischen Strom kaum die Rede sein kann. Man muss
demnach den in einer wassrigen Losung stattfindenden electrolytischen Vorgang
lediglich als eine Electrolyse des gelosten Korpers betrachten, dessen Theilchen
die Stromleitung vermitteln und durch das Wasser als Losungsmittel eben nur
den zur Electrolyse, wie wir bald sehen werden, erforderlichen Grad von Beweg-
lichkeit erlangen.
Demnach wird das vorhin betrachtete Beispiel einer sogenannten Wasser-
zersetzung vielmehr als eine Zersetzung des Schwefelsaure-Hydrates HS04*) an-
zusehen sein, welche in der Art vor sich geht, dass H an der Kathode sich aus-
scheidet, wahrend von dem an der Anode austretenden $04, welches als solches
nicht bestehen kann, 0 frei wird und S03 neuerdings ein HO aus dem Losungs-
mittel aufnimmt.
') Wir bedieneu xius in diesem Artikel, aus Griindeu, welche alsliald zur Spraclie kommen
werden, durchwegs der Aequivaleutformeln, nicht aber der neueren Atomgewichtsformeln.
Wir schreiben also HO ~ 9 und nicht H20 ~ 18 fiir Wasser u. s. av.
Electrolyse.
237
Bei der electrolytisclien Sauerstoff-Ausscheidimg findet besondiefs in weniger
verdiinnter Schwefelsaurc und bei grosser Stromdichte (kleiner Anode) Ozon-
bildung start. Die dadurch bewirkte Volumsverkleinerung (s. d. Art. Ozon) und
die im Vergleiche mit Wasserstotf viel grossere Absorption des Sauerstoffes im
Wasser bringen es mit sich, dass das an der Anode entwickelte Sauerstoff-Volum
oft weit unter dem halben Wasserstoff-Volum an der Kathode zurttckbleibt. Dieses
Missverhaltniss kann auch nocli durch eine an der Anode etaftfindende [durch
niedrige Temperatur grosse Stromdichte und eine der Diclite 1*4 sich nahernde
Concentration der Satire begiinstigte) WasserstofFhyperoxyd - Bildung gesteigert
werden.
Gar kein SauerstofFgas wird entwickelt, vvenn die Anode aus einem leicht
oxydirbaren Metalle, z. B. Kupfer besteht. Der electrolytisch ansgeschiedene Sauer-
stoff verbindet sich in einem solchen Falle unmittelbar mit dem Materiale der
Anode.
In Recipienten, welche mit der electrolysirten Fliissigkeit gefiillt und in
passender Weise tiber den Electroden angebracht sind, lassen sich beide Gase
getrennt oder zu Knallgas vereinigt aufsammeln. Aus dem Wasserstoff-Volurnen
oder, insofern eine erhebliche Verminderung des Sauerstoff-Volumens vermieden
ist, aus dem Knallgas-Volum lasst sich das electrolysirte Quantum von Schwefel-
saure-Hydrat leicht berechnen, so wie auch die dem entwickelten Knallgase ent-
sprechende Wassermenge HO, welche man gewohnlich kurzweg (obwohl uneigentlich)
als die durch den Strom zersetzte Wassermenge bezeichnet. Ausdiesem Grunde
wollen wir denn auch7 dem herrschenden Sprachgebrauche folgend, die Electrolyse
der verdtinnten Schwefelsaure kurz als Wasserzersetzung bezeichnen und jeden
zur Ausfiihrung dieses Experimentes dienlichen Apparat einen Wasserzer-
setzungsapparat nennen.
Geht ein (von einer Batterie ab herriihrender) electrischer Strom gleichzeitig
durch einen Wasser-Zersetzungsapparat A und durch andere (aus U-formig ge-
bogenen Bohren hergestellte) Zersetzungsapparate B, Q, D, E (Fig. 1466), welche
z. B. geschmolzenes Blei-
oxyd, Chlorblei, Jodblei
und Chlorsilber enthal-
ten und hintereinander
(mittelst eingetauchter
Platindrahte) in den
Stromkreis eingeschaltet
sind, so treten an den
Anoden in A und B
SauerstofF, *) in C Chlor;
in D Jod7 in E Chlor
und an den Kathoden
in A Wasserstotf, in B,
C und D Blei und in E
Silber auf; kurz: es werden die electronegativen **) Bestandtheile an den Anoden,
die electropositiven an den Kathoden ausgeschieden. Wendet man z. B. anstatt
geschmolzenem Chlorblei gelostes Chlorblei ***) an, so wird es in ganz gleicher
Weise zerlegt. Salpetersaures Silberoxyd (s. unten bei Silber- Voltameter)
zerfallt bei der Electrolyse in Ag7 welches an der Kathode sich ausscheidet,
wahrend der Rest (N05 -j- 0) an der Anode frei wird und sich, nach Beschaffenheit
derselben, mit einer aquivalenten Menge ihres Metalles wieder zu einem salpeter-
saurem Salze verbindet. Bei der Electrolyse des Kupfervitriols wird in analoger
Weise Kupfer an der Kathode ausgeschieden, wahrend an der Anode S03 -j- 0
*) In A eigentlicli S04, welches in der bereits angedeuteten Weise in £03 imd 0 zerfallt.
*) Siehe den Artikel Electricitat, Absatz XXXVIII.
*) In kaltem Wasser 1st es schwer loslieh ; in vielem heissen Wasser lost es sich leicliter.
238 Electrolyse.
frei werden, deren weiteres Verhalten eben aueh wieder von der materiellen Be-
schaffenlieit der Anode abhangt. Salzsaure gibt bei der Electrolyse CI an der
Anode und H an der Kathode.
Diese und viele ahnliche Thatsachen haben zu der Anschaimng gefiihrt, das
Schwefelsaurehydrat , das salpetersaure Silberoxyd, den Kupfervitriol, kttrz die
sogenannten Sauerstoff-Sauren und Salze im Gegensatze zur Berzelius'schen
Schreibweise S03 HO, NO^AgO, S03CuO nach Daniell in der Form HS04,
AgNOG, CuSO± auf den Typus der anderen vorhin erwahnten binaren Verbin-
dungen, namentlich der sogenannten Wasserstoff - Sauren und Haloidsalze HCl,
PbCl, PbJ, Ag CI u. s. w. zuriickfiihren, und die (gleichwolil nicht isolirt dar-
stellbaren) Atomencomplexe SO^ N06 u. dgl. als dem Chlor, .Tod u. s. w. analoge
electronegative Jonen anzuseben. Daniell bat dafiir sogar die besonderen Be-
nennungen Oxysulphion fiir SOi} Oxynitrion fur N06, Oxyborion fur BoO^ u. s. w.
vorgeschlagen.
Indem wir von dieser DanieH'schen Schreibweise weiterhin Gebrauch
machen, wollen wir die derselben zu Gran.de liegende Auffassung nicht als eine
allgeraein massgebende Typentheorie, sondern vorlaufig nur als eine fiir die TJeber-
sicht der electrolytischen Processe jedenfalls sehr bequeme Hypothese in Anspruch
n eh men.
Im Sinne dieser Auffassung erscheint die Electrolyse als die electrische Zer-
legnng fliissiger (geschmolzener oder geloster) binarer Verbindungen^ welche aus
gleichen Aequivalenten zweier G-rundstoffe (z. B. HCl, AgCl) oder eines Grund-
stoftes mit einem der vorhin erwahnten Atomencomplexe (z. B. HSOi} CuS04)
zusammengesetzt sind. *)
Alle Verbindungen, welche nicht electrolysirt werden (mit Ausnahme der in
die Spannungsreihe gehorigen Legirungen, Hyperoxyde und Schwefelmetalle) sind
audi keine Stromleiter, **) wie dies namentlich vom chemisch reinen Wasser bereits
gesagt worden ist. Die Beobaclitimgen von Carlisle, Nicholson u. A.,
welche eine Wasserzersetznng zu constatiren schienen, sind eben nicht mit chemisch
reinem Wasser ausgefiilirt worden. Vielmehr haben die neuesten Untersnchungen
von F. Kohlrausch einen so grossen Leistungswiderstand fiir das Wasser
(14.0007OOO.OOOinal grosser als fiir Quecksilber) ergeben, dass wir mit Riicksicht
auf die Schwierigkeit, dasselbe beim Versuche in. absoluter Reinheit anzuwenden
und zu erhalten, wobl berechligt sind; es als nicht lei tend zu betracliten.
Hierher gelioren auch noch fliissige schweflige Saure 6'02 und Kohlensaure CO,,,
geschmolzene wasserfreie Schwefelsaure SOv Borsaure Bo0.6, Chlorphosphor PCl^,
Chlorschwefel SCl3, Zinnchlorid SnCl2***) u. v. A.
Ausser der bereits angefiihrten allgemeinen Regel, dass der electronegative
Bestandtheil des Electrolyten an der Anode (als Anion), der electropositive an
der Kathode (als Kation) auftritt, haben sich noch andere Gesetzinassigkeiten er-
geben, von welchen sofort die Rede sein soil.
Man denke sich in den Stromkreis einer Batterie B (Fig. 1467) funfWasser-
zersetzungsapparate a, b, c, d und e nach dem beigeftigten Schema eingeschaltet,
so dass der Strom, nachdem er durch a gegangen ist, sich in zwei Zweige theilt,
deren einer durch b und c, der andere durch d geht, worauf beide Zweige wieder
zum urspriinglichen Strome sich vereinigen, der endlich noch e durchsetzt. Be-
zeichnet man mit a, b, c, d und e zugleich die Wassermengen, welche den innerhalb
einer bestimmten Zeit, z. B. 1/i Stunde in den gleichnamigen Apparaten entwickelten
*) Eisen-Chloriir FeCl gibt CI an der Anode und Fe an der Kathode Urn Eisen-Chlorid
Fe.x CV.j derselben Regel unterzuordnen, muss es als Fe.z CI betrachtet werden, indem es
'3
CI an der Anode und \Fe an der Kathode gibt. (Wiedemann, Galvanismus, Bd. I
S. 460.)
**) Selbst bei dem durch Erhitzung leitend gemachten Glase hat Beetz Electrolyse nach-
gewiesen.
***) Siehe Wiedemann. Galvanismus Bd. I S. 461 u. Art. Electricitat Absatz LXII.
Electrolyse.
239
g e eines Elec-
proportional.
Knallgasmengen entsprechen, so zeigt I- 1467.
sich , class a = e, ferner 6 — c
und endlich 6 -}- tZ = a, also audi
| _|_ cZ m c --|- (2 = a- == e. Da
nun die Summe tier Zweigstrome,
wie immer dieselben zu einander
sich verhalten mogen, stets dem nr-
spriinglichen Strorne gleich sein muss,
so folgt hieraus, dass die innerhalb
einer bestimmten Zeit zersetzte Menge
des Schwefelsaurehydrates stets der
Starke des die Zersetzung bewir-
kenden Stromes proportional ist.
Dasselbe gilt, wie Versuche gelelirt
haben, audi fiir andere Electrolyte,
so dass man allgemein sagen kann :
die innerhalb einer bestimmten Zeit z e r 1 e g t e Men
t r o 1 y t e n ist der elect rolysir en den S t r o m. s t a r k e
Dies ist das erste Faraday'sche Grundgesetz der Electrolyse.
Die so eben angefiihrte Beziehung zwischen Electrolyse und Stromstarke
lasst erkennen, dass man die erstere zum Messen der letzteren benutzen kann.
In der That dient der Wasserzersetzungsapparat (in verschiedencn Formen) schon
langst als ein Instrument zur Messung electrischer Strome^ und wird deshalb alien
haufig Voltameter genannt. Jacobi hat vorgeschlagen, jenen Strom als Ein-
heitsstrom zu betrachten^ der im Voltameter ein C u b i c - C e n t i m e t e r K n a 1 1-
gas, reducirt auf 0° C. und 760™™ Druck, in der Minute entwickelt. Wir
wollen diese „chemische Stromeinheit" beibehalten; es entspricht diesem Knall-
gasquantum eine Wassermenge von nahezu Visto Grammen.
Ein zu Strommessungen geeignetes Voltameter, welches vonMohr herriihrt,
zeigt Fig. 1468. Der eigentliche Zersetzungsapparat besteht aus dem Glasrohre
a, welches zwei Platinplatten (als Electroden) Fig. 1468.
in verdiinnter Schwefelsaure en thai t , welche
mittelst zweier unten angefiigten Drahtklemmen
in den Stromkreis der Batterie eingeschaltet
werden konnen. Das entwickelte Knallgas tritt
in die Flasche b, in welcher sich die Sperr-
fliissigkeit (Wasser, Quecksilber oder audi Chlor-
calciumlosung) befindet. Das drehbare Ausfluss-
rohr c wird so lange geneigt, bis die Fltissig-
keit im Innern der Flasche und in dem Trichter-
rohre n gleich hoch steht. Die Luft . in der
Flasche befindet sich sodann unter dem Drucke
der ausseren Luft (entsprechend dem Barometer-
stande). Hat man hierauf die Wasserzersetzung
eingeleitet, so fliesst die durch das entwickelte
Knallgas verdrangte Sperrfliissigkeit durch das
Rohr c aus, welches man nach Beendigung des
Versuches wieder so lange neigt, bis der vorhin
angegebene Niveaustand wieder hergestellt ist.
Das Volumen der ausgetretenen Fliissigkeit,
welches entweder direct gemessen oder aus dem
Gewichte berechnet werden kann, ist zugleich das entwickelte Knallgasvolumen. Re-
ducirt man dasselbe nach den bekannten Formeln des M a r i o 1 1 e-G ay-L u s s a c'schen
Gesetzes oder mittelst geeigneter Tabellen auf 0° C. und 760mm Quecksilberdruck*)
*) wobei auch auf den Druck der Wasserdarapfe im Voltameter Riieksiclit zu neLmen ist.
240
Electrolyse.
und dividirt dieses reducirte Volumen durch die Anzahl der wahrend der Zer"
setzung abgelaufenen Minuten , so erhalt man die Stromstarke in chemischem
Masse, insofern man eben annehmen kann, dass der Strom wahrend dieser Z'eit
sich nicht geandert hat.
Oft wiinscht man des Gewicht des in einer Minute entwiekelten Wasserstoffes
zu wissen. 1st V das verdrangte Fliissigkeits-, also auch das entwickelte Knall-
gasvolnmen , b der Barometerstand nnd e das der herrschenden Temperatur ent-
sprechende Druckmaximnm des Wasserdampfes, folglich b — e der eigentliche Drnck
des entwiekelten Knallgases (in Millimetern Qnecksilber ausgedriickt), so ist das
anf 0° C. nnd 760mm reducirte Volnmen
vn = v
(1 + at) 760
wobei a den Ausdehnungscoefficienten '/073 nnd t die Beobachtungstemperatur be-
dentet. Das reducirte Wasserstoffvolunien ist dann v0 :rr 2/3 V0 nnd das Gewicht
PB desselben in Milligrammen
P _ 0.08%t, _ ,i y 0O896 fft-e;
• * — ° y° ° - /a ' (1 + at) 760 ")}
wenn die Volumina in Cubic-Centimetern angegeben sind.*) Dieses Gewicht ist
dann noch durch die Zersetzungsdauer zu dividiren, urn das bei constanter Strom-
starke in der Zeiteinheit ausgeschiedene Wasserstoffquantum zu erhalten.
Aus dem ersten Grundgesetze der Electrolyse folgt unmitteibar, dass nicht
nur die Wasserzersetzung7 sondern auch andere electrolytische Processe zur Strom-
messung benutzt werden konnen. In der That ist fiir genauere Messungen das
Poggendorffsche Silber- Voltameter (Fig. 1469) sehr geeignet.
Der Strom tritt an der Klemmschraube c
in ein messingenes Stativ, welches einen verticalen
Silberstab tragt, der in die in der Platinschale A
befindliche Losung von salpetersaurem Silberoxyd
eintaucht. Die Platinschale A steht mittelst einer
messingenen Fassung mit der Klemmschraube b
in leitender Verbindung, bei welcher der Strom
austritt. Das Silber scheidet sich auf der Platin-
schale, die als Kathode dient, in Blattchen ab und
kann nach dem Ausgiessen der Losung mit Wasser
gewaschen, getrocknet und sodann mit der Platin-
schale gewogen werden. Das Gewicht des inner-
halb einer bestimmten Zeit ausgefallten Silbers ist
der Stromstarke proportional.
Gleichzeitig lost sich von dem als Anode
dienenden Silberstabe eine dem ausgefallten Silber
gleiche Silbermenge unter Bildung von salpeter-
saurem Silberoxyd auf und der Stab zerfallt all-
malig. Urn dabei das Herunterfallen des gebildeten
Pulvers in die Schale zu vermeiden, umgibt man
den Stab am unteren Ende mit einem Lappchen
von feinem Zeug. **)
Fiir weniger genaue Messungen eignet sich
auch ein Voltameter, welches aus zwei gleich grossen in eine concentrirte Losung
von Kupfervitriol eingesetzten kupfernen Electroden besteht.
An der Anode wird Kupfer aufgelost, an der Kathode Kupfer ausgefallt.
Beide Kupfermengen konnen beziehungsweise aus der Gewichtsabnahme der Anode
und Gewichtszunahme der Kathode durch Wagung der zuvor mit destillirtem
*) Yergl. "Wiedemann, GalTanismns Bd. I S. 479.
:::::-) Siehe Wiedemann, Galvanismus Bd. I S. 479 u. 480.
Electrolyse. 241
Wasser abgespiiltcn und rait Filtrirpapier getrockneten Electroden bestimmt werden.
Man nimmt (nach P e r r o t) am besten das Mittel beider Gewichtsdifferenzen und
dividirt dasselbe durch die Dauer der Electrolyse, um die der Zeiteinheit ent-
sprechende Kupferfallung zu erhalten, welche dann als Mass der Stromstarke gilt.
Em zweites electrolytisch.es Grundgesetz ergibt sich aus der folgenden
gleichfalls durch zahlreiche und sorgfaltige Versuche constatirten Thatsache.
Nehraen wir an, die Apparate a, b u. s. w. in Fig. 1467 enthalten ver-
scliiedene Electrolyte (z. B. Schwefelsaure, Lcisung von salpetersaurem Silberoxyd,
geschmolzenes Chlorblei u. s. w.), deren Aequivalentzahlen wie «, /?, y, 3, s zu einander
sich verhalten, wahrend a, b, c, d, e wieder die Gewichtsmengen der innerhalb
einer bestimmten Zeit in den einzelnen Apparaten zersetzten Substanzen bedeuten,
so findet man, dass — = — , ferner — r — ■ — und endlich — -4- ~— r= — ,
as P 7 p ■ o a
also audi — -4- — =z 1 — r= ~ ■=. ■ — . Dieses Resultat lasst sich dahin
p o yd a s
aussprechen, dass die von einem und demselben Strome innerhalb
einer bestimmten Zeit zerlegten Gewichtsmengen verschiedener
Electrolyte einander chemise h Equivalent sind. Geht also derselbe
Strom hinter einander z. B. durch verdtinnte Schwefelsaure und gesehmolzenes
Chlorsilber und zersetzt er innerhalb einer bestimmten Zeit 49 Milligramm Schwefel-
saure (indem er dabei 9 Milligramm Knallgas entwickelt, oder, wie man sich aus-
driickt, 9 Milligramm Wasser zersetzt), so zersetzt er gleichzeitig 143-5 Milligramm
Chlorsilber, wobei die Zahlen 49, 9 und 143*5 eben die Aequivalentzahlen von
HSOv HO und Ag CI sind. Ein Strom also, der in einem Wasserzersetzungs-
apparate binnen einer bestimmten Zeit 1 Milligramm Wasser zersetzt, *) wird,
wenn er gleichzeitig durch Chlorsilber geht, von diesem x Milligramm zerlegen,
wobei x : 1 — 143-5 : 9, also a? = 15-9 Milligramm ist. Dies gilt jedoch
nur, wenn beide Zersetzungsapparate gleichzeitig eingeschaltet sind, nicht aber
wenn man zuerst den einen und dann den anderen einschaltet, weil im letzteren
Falle nicht anzunehmen ware, dass auf beide Substanzen die gleiche Stromstarke
wirkt.
Man kann das vorstehende Ergebniss audi so aussprechen: fur jedes Milli-
gramm Wasserstotf, welches im Voltameter innerhalb einer bestimmten Zeit ent-
wickelt wird (s. Formel 2), scheidet derselbe Strom aus Chlorsilber 108 Milligramm
Silber, aus Chlormagnesium 12 Milligramm Magnesium, aus Jodkalium 39 Milli-
gramm Kalium, aus Kupfervitriol 31" 7 Milligramm Kupfer u. s. w. aus.
Demnach lautet das zweite Faraday'sche Grundgesetz der Electrolyse
auch so: die von demselben Strome in verschiedenen Elect rolyten
gleichzeitig ausgeschiedenen Jonen sind einander chemisch
Equivalent.
Durch die Wechselwirkung zwischen den ausgeschiedenen Jonen und der
Substanz der Electroden oder des Electrolyten selbst werden in der Regel secundare
chemische Processe veranlasst, welche die Erkennung des urspriinglichen (primaren)
electrolytischen Vorganges oft sehr erschweren. Uebrigens gehen beiderlei Pro-
cesse, wie die Erfahrung gelehrt hat, ganz unabhangig von einander vor sich.
Auf diesem Verhalten und auf dem Umstande, dass die Wirkungen der Electrolyse
nur an den Electroden sich aussern, wahrend in alien zwischen denselben liegenden
Schichten der Electrolyt keine unmittelbare Veranderung durch den Strom erfahrt,
beruht die Moglichkeit, die primaren Resultate der Electrolyse von den secundaren
zu unterscheiden und mit Sicherheit zu ermitteln. Zu dem Ende gibt man den
fiir electrolytische Untersuchungen bestimmten Zersetzungsapparaten eine solche
Einrichtung, dass sie aus zwei oder mehreren durch Diaphragmen oder Canale
communicirenden Abtheilungen bestehen, deren Inhalt nach der Electrolyse getreunt
*) Wir haben bereits erlautert, in welchem Sinne diese Ausdrucksweise gestattet ist.
Karmarsch & Heeren Techniscbes Wiirterbuch. Bd. III. 16
242
Electrolyse.
(in Bezug auf seine eleraentare Zusammensetzung) untersucht werden kann. Bei
einer sekr einfachen unci zweckuiassigen, von Wiedemann herriihrenden Ein-
richtung dieser Art besteht der Zersetzungsapparat (Fig. 1470) aus zwei durcli
einen Canal d, e, f, e1, d, communicirenden Abtheilungen a und o1, welche die
Fig. 1470. Eleetroden c und c, ent-
halten, wobei angenommen
werden kann, dass die in
Folge der electrolytischen
Processe an den Eleetroden
auftretenden secundaren
Wirkungen nicht aus einer
Abtheilung in die andere
sich erstrecken konnen.
Die zu den Eleetroden
fiihrenden Platindrahte I
und l{ gehen durch die
glasernen Deckel b und
bx der Glasgefasse a und
ax • eben so die in der
Mitte durch einen dreiarmi-
gen Kantschukschlanch
vereinigten glasernen Anne
des Yerbindungs - Canals.
Der mittlere Arm des
Schlauches umfasst ein glas ernes Hahnstiiek g, welches von einem Stative h ver-
stellbar festgehalten wird und dazu dient, nach Fiillung der Glaser durcli Saugen
bei geofifnetem Hahne aucb den Verbindungs- Canal zu fiillen, wora'uf der Hahn
geschlossen wird. Nach der Electrolyse wird derselbe wieder ge&ffnet, urn die
in den Canal gehobene Fliissigkeit in zwei getrennten Partien zuriickfallen zu
lassen. Hierauf wird der Inhalt eines jeden der beiden Glaser far sich untersucht
und das Ergebniss mit der bekannten Zusammensetzung der Substanz von der
Electrolyse verglichen.
Wir iibergehen die mannigfaltigen von D an i ell, Miller und insbesondere
von Hittorf construirten electrolytischen Apparate, indem wir diesfalls auf
Wiedemann's Werk iiber Galvanismus verweisen, welches audi die betreffenden
Originalabhandlungen citirt. Auf die Untersuchungen von Hittorf und Wiede-
mann werden wir spater noch zuruckkommen.
Wir beschaftigen uns vorerst noch mit der Frage, wie man sich den Hergang
der Electrolyse vorstellen kann, urn zu einer Erklarung der bisher angefiihrten
Thatsachen zu gelangen.
Nach einer alteren, von G r o tthuss (1805) aufgestellten Ansicht hatte man
sich z. B. die Electrolyse von HCl in folgender Weise zu denken.
Jedes i/67-Molecul (I, II, III u. s. w. Fig. 1471) besteht aus entgegengesetzt
electrischen Atomen von H und 67, indem beim Contacte der letzteren H positiv
und CI negativ electrisch wird. Zwischen den Eleetroden A und K richten sich
Fig. 1471.
H-
A
\a\K\ ^k1) V67 A7V \aA-K
7C
Electrolyse. 243
die (in Folge des flussigen Zustandes des Electrolyten leicht beweglichen) Molecule
dargestellt, dass die electronegativen Atome (CI) der positiv electrischen Anode
A und die electropositiven Atome (H) der negativ-electrischen Kathode K zuge-
wendet sind. Die Anzielmng der Anode auf das Chloratom 1 bewirkt ein Los-
reissen desselben vom Wasserstoff-Atom 2; dieses, frei geworden, verbindet sich
uiit 3, 4 mit 5, 6 mit 7, wahrend das Wasserstoff-Atom 8 der Anziehung von
Seite der Kathode K folgt und an derselben sich ausscheidet.
Nach dieser Ansicht wiirde jedoch (wie Clausius mit Recht geltend ge-
macht hat) cine Electrolyse erst dann eintreten konnen, wenn die von den
Electroden ausgehenden electrischen Krafte eine gewisse zum Losreissen der an-
grenzenclen Atome (1 und #), d. i. zur Aufhebung des Znsammenhanges der
Moleciile des Electrolyten erforderliche Intcnsitat erreichen. Unterhalb dieser
Grenze konnte kein Strom durch den Electrolyten gehen, nach Ueberschreitung
dieser Grenze aber plotzlich ein sehr starker mit entsprechend lebhafter Zersetzung.
Dagegen lehrt die Erfahrung, dass audi bei den schwiichsten Strtimen Electrolyse
stattfindet.
Diese Schwierigkeit wird durch die von Clausius aufgestellte Annahme
behoben, dass die Moleciile des Electrolyten (wir wollen sie mit Clausius
„Gesammtmoleciile" heissen)*) nicht als festverbundene Atomencomplexe zu be-
trachten sind, sondern dass die als Jonen auftretenden Bestandtheile („Theil-
moleciile") der einzelnen Gesammtmoleciile schon vor der Einschaltnng in den
Stromkreis in einem fortwahrenden mehr oder weniger lebhaften Austausche be-
gnffen sind, so dass z. B. ein _HC7-Moleciil nicht immer aus denselben Atomen
H und CI. besteht, sondern dass bei den dem flussigen Zustande (nach Massgabe
der Temperatur) eigenthiimlichen Molecular-Bewegungen ofter ein Zusammentretfen
ungleichartiger Theilmoleciile zweier benachbarter Gesammtmoleciile stattfindet,
und in Folge dessen ein Losreissen und wechselseitiger Austausch der Theil-
moleciile eintritt. **) Die Jonen sind also schon vor der Electrolyse in fortge-
setzten Verbindungen und Zersetzungen begriffen. Beim Durchgange des Stromes
werden diese Bewegungen mehr oder weniger in der Art geregelt, dass die freien
positiven Jonen vorherrschend in der einen, die negativen in der entgegengesetzten
Richtung sich bewegen.
Bei dieser Wanderung der Jonen kommt noch die weitere Frage in Betracht,
ob man sich, was das Nachstliegende ware, vorzustellen hat, dass Anion und
Kation mit gleichen Geschwindigkeiten den betreffenden Electroden sich nahern
oder nicht. Beide Annahmen sind mit einer gleich grossen Ausscheidung in einem
gegebenen Falle vereinbar.
Nehmen wir z. B. an, es werden in einer Minute 222 Milligramm Ca CI
electrolysirt, wir wollen sagen: vier Aequivalente (222 ■=. 4 X 55*5). Die Doppel-
reihe I (Fig. 1472) soil uns 10 Aequivalente Ca CI vorstellen, indem die mit A
bezeichneten Punkte CI und die mit B bezeichnetcn kleinen Kreise Ca bedeuten.
Wir wollen der Einfachheit wegen 10 gleich weit von einander entfernte Gesammt-
moleciile betrachten.
Man kann sich nun die Ausscheidung von 4 Aequivalenten CI auf der einen
und 4 Aequivalenten Ca auf der anderen Seite entweder in der Art bewerkstelligt
denken, wie bei // angedeutet ist, namlich so, dass die Theilmoleciile A und B
gleich schnell (um je 2 Intervalle) nach entgegengesetzten Richtungen vorschreiten,
oder auch, wie III andeutet, durch ungleich schnelles Vorriicken (indem z. B. die
*) Diese Bezeichnungen : „Gesaramtmolecul" und „Theilraoleciil" sind besonders far den
allgemeineren Fall gewiihlt, dass die Jonen eiues electrolysirten Molecules selbst aus
mehreren Atomen bectshen ; so sind z. B. S04 und II die Theilmoleciile des Gesammt-
rnoleciiles IISO.^. (Siehe Clausius Abhandlungen Bd. 2 S. 205.)
**) Eine iihnliclie (iibrigens noch weiter gehende) Ansicht. iiber das Verhalten zusammen-
gesetzter fliissiger und lufttormiger Korper hat schon William son in einer Abhandlung
iiber die Th orie der Aetherbildung ausgesprochen.
16*
244
Electrolyse.
A urn 3 Intervalle nach der Anode, die B aber gleichzeitig nur urn 1 Interval!
nach der Kathode sich bewegen).
Fig. 1472.
S
BO o o o o
B
o o
^O 0 O O
O O O O OB
ooooooo^'
s
II
III
o o o o o o^
Wilrde man in beiden Fallen die Beschaffenheit des Electrolyten vor und
nach der Electrolyse zu beiden Seiten eines bestimmten Querschnittes S nnter-
suchen (was bei Anwendung eines der oben erwahnten Zersetzungs-Apparate wohl
geschehen kann), so wiirde man finden, dass der Gehalt an A in der Abtkeilung
auf Seite der Anode im Falle III mehr zugenommen hatte als im Falle 77; oder,
mit anderen Worten, dass in dem einen Falle eine stark ere „Ueberfiihrung" des
Jones A zur Anode stattgefunden hat als im anderen.
Hittorf hat die in diesem Sinne stattfindenden Ueberfiihrungen der Jonen
zur Anode und Kathode in vielen Fallen untersucht und numerisch mit einander
verglichen. Er fand, dass die diesem Verhaltnisse entsprechenden sogenannten
„Ueberfiihrungszahlen" *) fast nie einander gleich, sondern in der Regel ganz be-
deutend von einander verschieden sind, und zwar in der Art, dass die Ueber-
fohrung zur Anode grosser ausfallt. So sind z. B. die Ueberftihrungszahlen von
CI und Ca 0*78 und 0-22, d. h. an der relativen Wanderungsgeschwindigkeit
participirt das Chlor mit 78 °/0, das Calcium mit 22 °/,r
Neueste Untersuchungen von F. Kohlrausch**) haben es sehr wahr-
scheinlich gemacht, dass die Leitungsfahigkeiten der Electrolyte mit den Ueber-
ftihrungszahlen ihrer Jonen in einem sehr einfachen Zusammenhange stehen. Haben
z. B. zwei Electrolyte einen Bestandtheil gemeinsam (KCl und NaCl) und untersucht
man dieselben in verdiinnten wassrigen Losungen, welche in gleichen Raumtheilen
gleich viele Aequivalente enthalten, so zeigt sich, dass die Leitungsvermogen
verkehrt (also die Leitungswiderstande direct) wie die Ueberfiihrungszahlen des
in beiden Fallen gemeinschaftlichen Bestandtheils sich verhalten.
Da das Wasser selbst nicht leitet, kann es nur als Mittel betrachtet werden,
in welchem die electrolytischen Verschiebungen vor sich gehen , so, dass der
Leitungswiderstand der Losung als der Reibungswiderstand sich darstellt, welchen
die wandernden Elemente an den Theilchen des Wassers (und, wenn die Losung
nicht verdiinnt ist, auch aneinander) finden.
Eine electrolytische Ueberfiihrung anderer Art — man nennt sie die mecha-
nische Ueberfiihrung oder electrische Endosmose — findet statt, wenn ein Zer-
setzungsapparat durch eine porose Scheidewand in zwei Abtheilungen getheilt ist.
Es findet in diesem Falle eine Ueberfiihrung der Fliissigkeit durch das Diaphragma
nach der Kathode bin statt, und zwar desto mehr, je grosser einerseits die
Stromstarke und anderseits der Leitungswiderstand der Fliissigkeit ist. Naheres
* Sind Wj und v2 die Wanderuugsgeschwindigkeiten der beiden Jonen, so nennt man
v. v2
n. ~ 1 und n2 ~ ; ihre Ueberfiihrungszahlen.
«, -j- v.2 vx -f- v.t &
*) Siehe Carl's Repertorium der Experimentalphysik, Bd. 13 Heft 1, S. 10.
Electrolyse. — Electromagnetismus. 245
iiber diese von Wiedemann und Quincke genauer erforschte Erscheinung
findet man in Wiedemann's mehrfach citirtem Werke.*)
Die practischen Anwendungen der Electrolyse gehoren grosstentheils der
Galvanoplastik (beziehungsweise audi Galvanokaustik) an, die in einem besonderen
Artikel abgehandelt wird. Hier wollen wir nur noch an die epochemachenden
Versuche Davy's erinnern, welcher die Zerlegung der Alkalien und Erden auf
electrolytischem Wege zuerst bewirkt hat und einige Worte iiber die electro-
chemische Gewinnung gewisser Metalle beifiigen.
Kalium kann, bei Anwendung einer kraftigen Saule, an einer Platin-Electrode
bekanntlich direct erhalten werden, wenn man ein feuchtes Stiickchen Aetzkali
auf ein Platin-Blech als Anode legt und oben mit einem als Kathode dienenden
Platin-Drahte beriihrt.
Leichter lasst sich Kalium-Amalgam erhalten. Um das Amalgam eines
Alkali-Metalles electrolytisch darzustellen, dient ein Apparat wie Fig. 1473.
Am Boden eines Glasgefasses befindet sich Queck- Fig. 1473.
silber, in welches das blanke Ende eines mit einem
isolirenden Ueberzuge versehenen Platin-Drahtes taucht,
der mit dem negativen Batteriepole verbunden ist. Ueber
dem Quecksilber befindet sich dann die concentrirte
alkalische Losung, in welche man die als Anode dienende
Platinplatte taucht. Das ausgeschiedene Metall (z. B.
Kalium) verbindet sich unter Erwarmung mit dem Quecksilber und das entstandene
Amalgam erstarrt beim Erkalten.
Uebrigens konnen (nach Bun sen) selir leicht oxydirbare Metalle auch aus
ihren Chlorverbindungen electrolytisch ausgeschieden werden, wenn man durch
Anwendung einer Kathode von sehr kleiner Oberflache (Platindraht) eine grosse
Stromdichte erzeugt.
Die bei anorganischen Verbindungen betrachteten electrolytischen Gesetze
finden auch bei den organischen analoge Anwendungen. So geben z. B. die Verbin-
dungen organischer Sauren mit den Alkalien an der Kathode ein Aequivalent Metall,
welches sich unter Wasserstoffentwicklung oxydirt oder nach Umstanden auch re-
ducirend auf das organische Salz wirkt. An der Anode tritt ein Aequivalent
Sauerstoif und ein Aequivalent Saure (zunachst als Anhydrit) auf, die sich jedoch
theils mit Wasser verbindet, theils durch den activen SauerstofF oxydirt. Es ent-
stehen auf diese Art secundare Producte, die nach Massgabe der Stromdichte,
Concentration und Temperatur sehr verschieden sein konnen.**)
Die secundaren Producte der Electrolyse treten in gewissen Fallen (bald
an der Anode, bald an der Kathode) in so diinnen Schichten auf, dass sie die
sogenannten Farben diinner Plattchen (wie wir sie z. B. an den Seifenblasen
sehen) zeigen. Hieher gehoren z. B. die Nobili'schen Farben von Bleihyper-
oxyd an der Anode und die gleichfalls an der Anode entstehenden farbigen Nieder-
schtage von Manganhyperoxyd, welche Processe man zur Verzierung von Metall-
waaren (z. B. Tischglocken, Briefschwerern u. dgl.) verwendet hat. Wir ver-
weisen jedoch die naheren Angaben hieriiber in den Artikel Galvanoplastik.
A. v. W.
Electrolyte (electrolyte — electrolyte), s. Electrolyse.
Electromagnet (electro-aimant — electro-magnet), siehe Electromagne-
tismus.
Electromagnetismus (electro -magnetisme — electro -magnetism). Die im
Artikel Electricitat (Absatz XXXIII) erwahnten magnetischen Wirkungen eines
electrischen Stromes (derselbe mag wie immer hervorgebracht sein) sind von
zweifacher Art. Einerseits bewirkt der electrische Strom, indem er einen des
') Bd. I S. 576.
*) Siehe Wiedemann, Bd. I S. 548.
246
Electromagnetisinus.
Magnetismus fahigen Kbrper (z. B. einen Eisenstab) umk-reiset, eine Magnetisirung
des Korpers ; anderseits vermag er bewegliche Stahlmagnete (z. B. Magnetnadeln),
die sich in seiner Nahe befinden, nach besthnmten Gesetzen abzulenken.
Beide Arten von inagnetiscben Wirkimgen sollen bier nur insoweit beriick-
sicbtigt Averden, als sie bei wichtigen praktischen Anwendungen in Betracht
kommen. Hierber geboren einerseits die Electromagnete und anderseits die Gal-
vanometer.
a) Magneti siren de Wirkung des Stromes. Die Gesetze dersclbcn
Averden am besten aus folgenden Beispielen erhellen.
1st ein Eisenstab mit einer recbtsgewundenen Drabtspirale beAvickelt, so
wird das Stabende an der Eintrittsstelle des Stromes stets sudlicb magnetisch,
Avie I und 77 in Fig. 1474 andeuten. In einer linksgewundenen Drathspirale ent-
stebt an der Eintrittsstelle des Stromes der Nordpol. Siebe III und IV in
Fig. 1474. Hieraus ergibt sich folgende allgemeine Regel. Man denke sicb im
Stromleiter eine menscblicbe Figur*) mit dem Strome schwimmend, das Gesicbt
gegen den Eisenstab gewendet. Der Nordpol entsteht dann stets zur Linken dieser
Ampere'scben Figur. Ein durcb einen electrischen Strom magnetisirter Eisenstab
von was immer fiir einer Form heisst Electromagnet.
lig. 1474.
1 III
■*i \ \ \ \ \. \ \ raxp-y *\iiznimm3s
^aimiiimx!^ jqjrrrrniim-v-
Zur Messung der Grosse des Magnetismus (z. B. eines magnetisirten Stabl-
stabes) dient bekanntlicb die Beobacbtung des Winkels w — no n', urn welchen
eine Magnetnadel ri s' (Fig. 1475) von dem in bestimmter Lage und Entfernung
angebraebten Magnetstabe NS aus ibrer urspriinglicben Stellung ns abgelenkt
wird. War NS senkrecbt auf ns und der Abstand Oo (im Vergleicbe mit Nadel
und Stab) verhaltnissmassig gross, so ist die Grosse des Magnetismus unter
iibrigens gleicben Umstanden der Tangente jenes Ablenkungswinkels anniibernd
proportional.
Fig. 1476.
/«*
N O S
Mit Benutzung dieses Principes (in der Fig. 1476 angedeuteten Weise) und
gehoriger Berlicksichtigung des durcb die magnetisirende Drabtspirale S fiir sicb
ailein (ohne Stab) bewirtten Theiles der Nadel-Ablenkuug an der Bussole B hat
man gefunden, dass der durcb einen electrischen Strom erregte Magnetismus
(E 1 e c t r o m agnetismus) innerhalb ziemlich weiter Grenzen der Stromstarke
K) Wir wollen sic kiiut'tig kurz die Ampere'sche Figur nennen.
Electromagnetismm
247
Fig. 1470.
Fig. 1477.
/flu
lip
-
/ \
Le I
1
.ESPT— *
!|
proportional ist. *) Bei starkeren Magnetisirun-
gen wachst der Magnetismus langsamer als die HE]B
Stromstarkc ; man sagt dann : es trete „S;itti- I™!
gung" ein.**)
Ein ahnliches Gesetz gilt fur den Zusam-
menhang zwischen der magnetisirenden Strom-
starke und der Tragkraft von Electromagneten
der gewohnlieh vorkommenden Form (Fig. 1477).
Dabei ist jedocli wobl zu beachten, dass
der dnrcb den Strom erregte Magnetismus, sobald
man den Anker vorlegt, clnrcb die Riickwirkung desselben
sehr bedeutend gesteigert wird, wesslialb eine Vergrosse-
rung der Stromstarke bei vorgelegtem Anker eine viel
raselier zunebrucnde Sattigung bewirkt als ohne Anker.***)
Wahrend man die Tragkraft eines guten Stahlma-
gneten aus dem Gewiclite desselben annabernd berecbnen
kann, f) gibt es keine allgemeine Forrnel fur die Trag-
krlifte der Electromagnete ; doch ist es immer leicht,
dieselbe soweit zu bringen, dass sie ein Vielfaches wird
von der Tragkraft eines gleichscbweren Stahlmagneten.
Eine verhaltnissmassig noch grossere Tragkraft als
die Electromagnete von der gewohnliehen Hufeisenform
baben die sogenannten Glockenmagnete (Fig. 1478, 1479
und 1480), welcbe man namentlich bei der Construction
von electromagnetiscben Maschinen (Motoren, siebe den
Artikel Electromotor) mit Vortlieil angewendet hat.
Wahrend bei gewohnliehen Electromagneten nur im
Inneren der Magnetisirungsspirale ein Eisenkern sich be-
findet, baben G u i 1 1 e m i n und Romers h a u s e n auch
die aussere Flache der- p{ M7^ n U7^
selben mit einer Eisen-
hiille umgeben, wie Fig.
1478, welche den Ro-
me r s h a u s e n'schen
Glockenmagnet darstellt,
beispielsweise zeigt. In
den Raum zwisehen dem
massiven und hohlen Cy-
linder kommt die Magnetisirungsspirale, wie auch in Fig.
1480 ersichtlich ist, wo anstatt der ausseren HiUle mehrere
rings urn die Spirale angeordnete Eisenstabe angebracht sind, welche mit dem
inneren Eisenkern auf einer gemeinsehaftliehen eisernen Bodenplatte befestigt sind
(System Nickles). Eine solche geraeinsehaftliche Bodenplatte verbindet auch den
massiven und hohlen Cylisider Fig. 1478. Eine oben aufzulegende eben solche
Platte dient als Anker. Ein Nickles'scher Magnet mit nur zwei ausseren Staben
ist Fig. 1479 abgebildet.
*) Nach meirien Untersuchungen ungeiahr so langi?, bis der Stab die Halfte des Mague-
tismus, (lessen er iiberhaupt fahig ist, angenommen hat.
**) Corre,cter ware es zu sagen: Der Magnetismus iibersteigt die halbe Sattigung-. Vergl.
die vorhergehende Aumerkung.
***) Die Kesulate neuerer Untersuchungen liieruber enthalt Wii liner's Lehrbuch der Physik
(3. Aufl. 4. Bd. S. 825), wobei die rait p bezeichneten Zahlen die Sattiguugsprocente
bedeuten.
f) Nach der Jiac eke r'schen Formel T — 103 P~\ wobei T die Tragkraft und P das
Gewicht des Magneten (ohne Anker, der bei T eingerechnet wird) in Grammen bedeuten.
248 Electromagnetismus.
Man begegnet sehr haufig der Behauptung, dass die Tragkraft der
Electromagnete bei sckwachen Magnetisirungen mit dem Quadrate der Stromstarke
wachse. Diese auf falschen Schlussfolgeruugen beruhende Annahme wird durch
die Erfabrung nirgends bestatigt. *)
Die Tragkraft wachst bei beginnencler Magnetisirung allerdings etwas rascher
als die Stromstarke, aber niclit im quadratischen Verhaltnisse ; spaterhin tritt
innerbalb enger Greuzen eine annahernde Proportionalitat ein, und bei noch
weiter fortgesetzter Magnetisirung wachst die Tragkraft immer langsamer im
Vergleiche mit der Stromstarke.
Nach Unterbrechung des magnetisirenden Stromes verliert das Eisen den
erlangten Magnetismus desto vollstandiger, je weicher es ist. Stahl belialt da-
gegen einen mehr oder weniger betrachtlichen magnetischen Riickstand, worauf
eben die Herstellung permanenter Stahlmagnete beruht.
Zum Magnetisiren von geraden oder gebogenen Stahlstaben mittelst des
electrischen Stromes dient die Elias'sche Magnetisirungsspirale (Fig. 1481), welche
Fig. 1481. entweder aus sehr dickem (etwa 4mm) iiber-
sponnenen Kupferdrahte oder aus einem isolirend
bewickelten oder tibersponnen Kupferblechstreifen
liergestellt wird. Ist die Spirale bis auf die
Mitte des Stabes aufgeschoben , so wird der
Strom gescblossen. Nachdem man die Polflachen
mit weichem Eisen verankert hat, wird die Spirale
etwa 10- bis 20mal von Pol zu Pol und wieder
in die Mitte zuriick bin- und liergeschoben (oder
umgekebrt der Stab in der Spirale) und sodann
der Strom wieder unterbrochen. Je barter der
Stahl ist, desto schwerer, aber auch desto haltbarer, ist er zu magnetisiren, d. h.
desto weniger M:;gnetismus nimmt er bei einer gewissen Stromstarke an, desto
mehr Procente davon behalt er aber auch zuriick.
Aus glashartem Wolframstahl hat Referent durch Anwendung entsprechend
starker Strome sehr kraftige Magnete erzeugt. Ausserordentlich kraftig sind die
(gleichfalls mit dem Strome magnetisirten) beriihmten Haarlemer Magnete (na-
mentlich jene von Wetter en). Hire Tragkraft ist ein Mehrfaches von jener, welche
nach Hacker den besten Stahlmagneten in der Regel zukommt und der Forrnel
T — 103 ft
entspricht, wobei T die Tragkraft in Grammen und P das Gewicht des Magneten
in Grammen bedeutet. (Das Gewicht des Ankers wird natiirlich zu T gerechnet.)
Noch kraftiger sollen die Jamin'schen „Blattermagnete" (aus gebogenen
magnetisirten diinnen Stahlfedern zusammengesetzt**) sein.
Ungewdhnlich kraftig (d. h. mehr leistend, als die obige Hacker'sche Forrnel
verlangt) sind auch die Magnete von S. M a r c u s in Wien.
Die Avichtigste Anwendung finden kraftige Stahlmagnete bei der Herstellung
von magnetoelectrischen Inductionsapparaten fur die Telegraphie, Sprengtechnik
und andere Zwecke.
Der Electromagnetismus kann auch in der Art zur Herstellung kiinstlicher
Magnete dienen, dass man die zu magnetisirenden Stahlstabe an den Polen eines
kraftigen Electromagm ten streicht. Man verwendet dazu die grossen Electro-
magnete von der in Fig. 1482 dargestellten Aufstellung, wie man sie in physica-
lischen Cabineten vornehmlich fiir diamagnetische Versuche gebraucht.***) Eine
*) Siehe die vorletzte Aumerkung.
**) Bei cliesen Feder-Lamellen steht also die Breite der Lamelle auf der Biegungsebene
senkreeht, wahrend bei den gewolmlichen magiietischen Mag\izinen die einzelnen La-
mellen so g-ebogen sind, dass die Breite der Lamelle in der Biegungsebene liegt.
***) Der in Fig. 1483 abgebildete Anker dient zu Tragkraftsversuchen mit dem Electro-
magnete Fig. 1482 mittelst eines in die Stiitze a einzulegenden Abreisshebels, die Stiitze
b t'a'ngt den Hebel behn Losreissen.
Eleetromagnetismus.
249
Fig. 148:-
~JP
Halfte des zu magnetisirenden
Stabes wircl auf dem Nordpol,
die andere auf dem Sudpol
des Electromagneten (von der
Mitte aus nach dem Ende hin)
mehrmals gestrichen. Die auf
dem Nordpol gestrichene Halfte
wird sudlich, die andere nord-
lich magnetisch. Ein weiteres
Eingehen auf die verschiedenen
Magrietisirungsmethoden (ins-
besondere auch fur Hufeisen-
magnete) wiirde uns zu weit
flihren und wir miissen diesfalls
auf Frick's physikalische Tech-
nik verweisen. Gewohnlich die-
nen Stahlmagnete als Streich-
magnete.
b) A b 1 e n k e n d e W i r-
k u n g des Stromes. Be-
findet sicli eine Magnetnadel in der Nahe eines Stromleiters, so wird sie in der
Weise abgelenkt, wie es Fig. 1484 fur einige Falle beispielsweise zeigt. Wie
man sieht, erfolgt die Ablenkung des Nordpoles stets . nach der Linken der mit
dem Strome schwimmenden und mit dem Gesichte gegen die Magnetnadel ge-
wendeten A m p e r e'schen Figiir. *) So lautet die Ampere'sche Regel.
Liegt der auf die Nadel wirkende Stromleiter
seiner ganzen Ausdebnung nacb in der Ebene des
magnetischen Meridians, und ist die Nadel sebr klein,
selbst im Vergleicbe mit dem Abstande vom nachst-
liegenden Theile des Stromleiters, so ist die Strom-
. starke der Tangente des Ablenkungswinkels an-
nahernd proportional. Hierauf beruben die soge-
nannten Tangente nbussolen. Bildet der Strom-
leiter einen kreisformigen Ring, in dessen Mitte sicb
der Drehungspunkt der Magnetnadel befindet (Fig.
1485), so bat man im Wesentlichen die Anordnung
der W e b e r'scben Tangentenbussole, welcbe wohl
als das einfacbste, gebraucblichste und unentbebr-
lichste Messinstrument fiir electriscbe Strome (oder
„ Galvanometer") bezeichnet werden kann. Man findet mittelst dieses Instrumentes
die Stromstarke S nacb cbemiscbem Masse nach der Formel
H R
S — 1-05 — - - .tq co
Hier bedeutet H die horizontale Componente der erdmagnetischen Kraft, nach
") Man clenkt sicli narulich zur leicliteren Orientirnng- im Stromleiter eine menschliche
Pigur daigestellt, im electrischen Strome schwimmend, dass der Strom von den Fiissen
nach dem Kopfe der Figur gehf, wa'hrend das Gesicht der Figur der Magnetnadel, auf
welche der Strom wirkt, zne-cwendet ist.
250
Electroniagnetismus.
der iiblichen Gauss'scben
Einbeit gemessen,*) R
den Radius des strom-
leitenden Ringes in Milli
metern, n das Kreisver-
haltniss (3. 14 ) und
w den Ablenkungswinkel.
Bei der Gaugain-
schen Tangentenbussole
1st der Drebungspunkt
der Magnetnadel ausser-
halb derEbene des strom-
leitenden Ringes im Ab-
stande von '/4 des Ring-
durchmessers. Diese An-
ordnung gewabrt den
Vortheil, dass die Pro-
portionalitat zwiscben S
und tg ra („Tangenten-
gesetz") genauer zutrifft.
Bedeutende Abweichun-
gen vorn Tangentenge-
setze treten ein, wenn
die Magnetnadel zu lang
ist. Auf die diesbeziig-
' licben Correctionen kann
bier nicbt eingegangen
werden. Wir besebran-
ken uris darauf, die Regel
zu empfeblen, dass die
Nadellange l/10 des Ring-
durebmessers nicbt be-
trachtlich iibersteigen soil. -- Urn ungeaehtet der Kiirze der Magnetnadel auf
einer Kreistbeilung von grosserer Ausdebnung die Ablenkungen ablesen zu konnen,
versiebt man die Magnetnadel mit einem (gewobnlicb senkrecbt zu ibrer Riebtung
angebracbten) leichtcn, geraden und gut aquilibrirten Glasfaden oder Aluminium-
drabt als Zeiger. Der Stromleiter der Taugentenbussole kann audi aus mebreren
(entweder nach dem Weber'scben oder naeb dem Gaugain'scben System ange- .
ordneten) Drabtkreisen besteben, wodurch erzielt wird, dass die Ablenkung bei
gleicber Stromstarke grosser ausfallt, oder mit anderen Worten: dass der Re-
ductions factor kleiner ausfallt. Enter diesem verstebt man den Coefficienten
Jc in der Forrnel
S=ktg
Fig. 1486\
welcbe die Proportionality zwiscben
Stromstarke und Ablenkungstangente
ausdriickt. ** i
Fiir starke Strome, und wenn
es sicb nur darum bandelt, die Zu-
oder Abnahme derselben zu bcob-
achten ist das leicbt herzustellende
einfache „Rheoscop" Fig. 1486
*) In unseren Gegenden kommt der Werth von H der Zahl 2 sehr nahe.
**) In ul.iger Formel (fur eine Weber'sche Taugentenbussole mit einfaehem Binge) ist
nlso der Beductionsfactor t'iir ehemisches Strommass 1c — 105 — .
BJlectromagneti sinus.
251
der Nadel kann bei derselben das
sckwachen Stromen die
>mctern, die man M 11 1 1
erne
i c a -
Fig. 1487.
sehr bequera. (Wegen der grossen La'n
Tangentengesetz natiirlich nicLt zutreffen).
Zur Nachweisung und Messung von sehr
eigene Classe von moglichst empfindlichen Galvani
tor en nennt.
Denkt man sich eine aufgehangte Magnet-
nadel ns wie die untere in Fig. 1487 in der daselbst
angedeuteten Weise von mehreren Drahtwindungen
unigeben, so wird ein bei -f- eintretendcr und bei —
austretender Strom die Nadel mebrmals umkreisen.
Die ablenkende Wirkung (welche im vorliegenden
Falle den Nordpol hinter die Zeiclnmngsebene
treibt) wird daher im Verhaltnisse der Anzahl der
Drahtwindungen verstarkt (multiplicirt) werclen.
Zum Aufwickeln des Drahtes dient ein holzerner Rahmen (Fig. 1488) inner-
Mit derselben ist oft eine
sich ausserhalb der Draht-
Fig. 1488.
halb dessen Hohlung die Magnetnadel sich befindet.
zweite entgegengesetzt gerichtete Magnetnadel, die
windungen befindet, in der aus Fig.
1487 ersichtlichen Weise festverb linden.
Diese Einrichtung (man nennt eine solche jjSIbI
Doppelnadel eine astatische, weil
der Erdmagnetismus anf dieselbe nur ^
ein geringes Drehnngsmoment ansiiben ^^
kann) erholit die Empfindlichkeit, d. h. ■
die Ablenkarbeit durch schwache Strome "m _ ___
aus dem bereits angegebenen Grunde ^V " m=^^^mm^^ ;
und weil zugleich noch das Drehungs-
moment des Strornes auf beide Nadeln in gleichem Sinne wirkt.
Die obere Nadel spielt7 wie die Abbildung eines vollstandigen Multiplicators
Fig. 148D zeigt, auf einer oberhalb des Gewindrahmens angebrachten Kreistheilung.
Die Aufliangungsvorrichtung (zum Heben nnd Senken der Nadel eingerichtet) zeigt
Fig. 1490 in grosserem Massstabe. — Zwei Drahtklemmen dienen zur Anbringung
der Leitungsdrahte beim Gebrauche des Instrumentes.
Vor dem Gebrauche wird das Instrument natiirlich so eingestellt, dass die
obere Nadel auf dem Nullpunkte der Kreistheilung einsteht. Die freie Beweg-
lichkeit der Nadel wird dadurch gesichert, dass man sie mittelst der Aufliangungs-
vorrichtung in solche Hohe bringt und das ganze Instrument mittelst der Stell-
schrauben so richtet, dass die Nadel innerhalb des Rahmens nirgends anstreift.
Die feinsten Beobachtungen gestatten die sogenannten Spiegel gal van o-
meter. Eines der einfachsten Instrumente clieser Art ist z. B. das TV e b e r'sche
Fig. 1491. Der innerhalb des Drahtgewindes bewegliche, mittelst der Vorrichtung
rr aufgehangte Magnetstab ist ausserhalb des Gewindes mit dem entsprechcnd
aquilibrirten kleinen Spiegel m fest verbunden. Denkt man sich nun von einer
Flamme ein Strahlenbiindel auf den Spiegel fallend, so wird dasselbe voni Spiegel
reflectirt und mittelst eines Schirmes aufgefangen, auf demselben ein Lichtbild
erzeugen, welches seinen Ort verandcrt, so wie der Magnetstab und mit ihm der
Spiegel eine Drehung erfahrt. Hier vertritt das reflectirte Strahlenbiindel gewisser-
raasscn die Stelle eines langen Zeigers, der die Ablenkungen angibt. Auf diese
Art konnen Galvanometerablenkungen leiclit einem ganzen Auditorium sichtbai-
gemacht werden.
Handelt es sich um genaue Messungen, so stellt man dem Galvanometer-
spiegel gegeniiber einen horizontalen Massstab auf und betrachtet das Spiegelbild
desselben mittelst eines Fernrohres mit Fadenkrcuz.
Beobachtet man, welche Theilstriche am Fadenkreuze crscheinen, so findet
man aus der Anzahl der Scalentheile, um welche im Falle einer Ablcnkung das
Spiegelbild verschoben wird, und aus dem Abstande des Spiegels von der Scala
252
Electromagnetismus.
Fig. 1489.
Fig. 1490.
durch eine leichte Rechnung die Ablenkung in Bogenmass,, worauf wir hier niclit
weiter eingeben wolleu.
Man bat Spiegelgalvanometer der verschiedensten Form und Construction je
nacb dem Zwecke, welcbem sie dienen sollen. Audi beim transatlantischen
Telegrapbeu ist ein Spiegelgalvanometer in Verwendung, welches durch grossere
oder kleinere Ausschlage des reflectirten Flammenbildes („Lichtzeigers") zum
Zeichengeben dient.
Bei mancben Instrumenten dieser Art vertritt ein magnetisirter Stahlspiegel
zugleich die Stelle des abzulenkenden Magnetstabes oder der abzulenkenden
Magnetnadel.
Oft ist es sehr storend und zeitraubend bei jeder Ablenkung abwarten zu
miissen, bis der Magnet nacb einer Anzahl von Scbwingungen eine neue Gleich-
gewichtslagc annimmt. Man hat desshalb aucb Vorrichtungen erdacht, welche
den Magnet mebr oder weniger rascb zur Ruhe bringen und Damp fun gen ge-
nannt werden. Man kann zu diesem Zwecke das Princip des Mittelwiderstandes
anwenden, oder, was gewohnlich gescbieht und vorzuziehen ist, die Riickwirkung
clectrischer Strome, welche der schwingende Magnet in benachbarten Metallmassen
inducirt. Dass und wie eine solche Riickwirkung stattfindet, lebrt schon der ein-
fache Yersuch, dass eine Magnetnadel viel schneller zur Ruhe kommt, wenn sie
iiber einer Metallplatte als wenn sie z. B. iiber einem Brette schwingt. Nach den
im Artikel Electricitat abgebandelten Inductionsgesetzen (Abscbnitt D) ist namlich
leicbt einzuseben, dass die von den bewegten Magnetpolen in der Metallplatte
Electromagnetismus. — Electromotor.
inducirten Strome stets die entgegengesetzten ]>e-
wegungen der Magnetpole zu bewirken sucben.
Construirt man daher ein Galvanometer so,
dass der schwingende Magnet von einer dicken
knpfernen Hiilse („Dampfer") umgeben ist, so wird
er viel rascber zur Rube kommen, als wenn er
frei schwingt.
Man bat in neuester Zeit aucb sogenannte
ape r iodise he Galvanometer hergestellt, bei
welchen die Dampfung so stark ist, dass der
Magnet, wenn er durcb einen in das Gewinde ein-
geleiteten Strom abgelenkt wird, schon nach dem
ersten Ausschlage zur Ruhe kommt, also gar keine
Scbwingungen mehr macht.
c) Spiralanziehung. Als eine dritte
Form, in welcher der Electromagnetismus oft zur
Anwendung kommt, mag noch die sogenannte
„ Spiralanziehung" erwahnt werden.
Liegt in einer Magnetisirungsspirale Fig. 1492
ein Eisenstab, so wird derselbe, wenn in der Spirale
Fig. 1492.
Fig 1491.
ein electrischer Strom circulirt, nicht nur magnetiscb geworden sein, sondern auch
nur mit einem gewissen Kraftaufwande aus der Spirale herausgezogen werden
konnen. Lasst man ihn wieder aus, so wird er, bei entsprechend starkem Strome,
kraftig in die Hohlung der Spirale zurlickgezogen, bis er eine solche horizontale
Lage angenommen hat, dass die Mitte des Stabes mit der Mitte der Spirale zu-
sammenfallt (insoferne er daran nicht durch Reibung verbindert wird). Wir baben
diese Erscheinung, die wir nicht weiter verfolgen wollen, nur erwahnt, weil auf
diesem Principe einige oft zur Sprache kommende electromagnetische Apparate
beruhen.
Wir wollen schliesslich noch hinzufiigen, dass auch je zwei Magnetisirungs-
spiralen aufeinander magnetische Wirkungen ausiiben, wie man leicht beobachten
kann, wenn man sie entsprechend leicht beweglich aufhangt. Dasselbe gilt von
einzelnen Drahtwindungen. Die weitere Verfolgung dieser und ahnlicher Erschei-
nungen fiihrt zu dem Resultate: dass gleich gerichtete parallele Strome sich an-
zieben, entgegengesetzt gerichtete aber abstossen. A. v. W.
Electrometer (electrometre — electrometer) nennt man Instrumente, welche
zum Messen electrischer Spannungen oder Entladungen dienen. Gewobnlich wird
der Ausdruck Electrometer im Gegensatze zu Electro scop in dem im
Artikel Electricitat Absatz XXIII angegebenen Sinne gebraucbt.
In analoger Weise werden die zur Untersuchung electrischer Strome dienen-
den Instrumente entweder Rheometer (m Galvanometer, siebe den Artikel Electro-
magnetismus) oder Rheoscope genannt. -4. v. W.
Electromotor (moteur electrique — electro -magnetic engine). Dieser Aus-
druck wird in verschiedenem Sinne gebraucht, indem er bald auf die Electricitats-
erregung, bald auf die Anwendung der Electricitat als bewegende Kraft bezogen
254 Electromotor.
wirtl. Im ersteren Shine lieisst „ Electromotor" so viel als „Electricitatserreger"
(z. B. Kupfer mid Zink beim Contacte. Dalier audi tier Ausdruck, „electromoto-
rische Kraft"); siehe den Artikel „Electricitat" Absatz XXXVI bis XXXVII. Im
anderen Shine, und dies ist der gewShnliche Spraehgcbrauch, bedeutet „ Electro-
motor" eine electromagnetische Arbeitsmasehine (einen electrisehen Motor), namlich
eine Maschine, durcb deren Vermittelung ein electriscber Strom mechanische
Arbeit leistet.
Die grosse Tragkraf't der Electromagnetc bat bald nacb deren Erfindung
grosse Hoffnungen erregt, den Electromagnetismns mit Vortbeil als bewegende
Kraft nutzbar macben zu konnen. Versuche dieser Art baben zu den mannig-
faltigsten, mitunter sebr sinnreichen und eleganten Constructionen dieser Art ge-
fiibrt. Obgleicb die meisten davon nur in kleinem Massstabe bergestellt und
erprobt worden sind, und nur Wenige mit wissenschaftlichem Verstandnisse ge-
macbte Aufzeicbnungen von Versuchsresultaten vorliegen, so lasst sicb docb mit
Sicherheit bebaupten *), dass selbst die besten bis jetzt construirten Electromo-
toren, bei den gegenwartigen Hilfsmitteln zur Erzeugung electriscber Stronie, viel
zu grosse Betriebskosten erfordern , als dass fiir jetzt an eine ausgedebntere
practiscbe Verwendung derselben oder wobl gar an eine Concurrenz mit Dampf-
oder Gasmascbinen (obgleicb der Wirkungsgrad eines guten Electromotors den
Wirkungsgrad einer guten Dampfmaschine weit iibertrifft **) gedacht werden
konnte. — Hierbei kommt nocb ganz besonders in Betracht, dass, wie die Erfabrung
gelebrt bat und aucb axis tbeoretischen Griinden begreiflicb ist) der Wirkungs-
grad eines nacb einem bestimmten System construirten Electromotors bei der
Aus fiih rung im Gross en sicb immer kl einer b erausstellt als bei
den Versucben mit einem kleinen Modell.
Fiir jetzt lasst sich also von den electromagnetiscben Arbeitsmascbinen nocb
kein practiscb belangreicber Gebraucb macben, wesbalb eine ausfiibrlicbere Be-
sprecbung derselben bier fiiglicb unterbleiben kann. Wir beschraiiken uns darauf,
zunacbst die Grundidee der electromagnetiscben Mascbinen an einem moglicbst
einfacben Modelle dieser Art (von Bitcbie) zu erlaatern und sodanu das Princip
des besten bis jetzt construirten Electromotors (fiir die Pariser Weltausstellung
im Jalire 18(37 vom Mecbaniker J oh ami Kravogl construirt ***) in Kiirze
anzudeuten.
Um zuvorderst im Allgemeinen eine Vorstellung davon zu geben, wie der
Electromagnetismns als bewegende Kraft verwendet werden kann, betrachten wir
das in Fig. 1493 abgebildete B i t c b i e'scbe Mascbinchen.
Zwischen den Scbenkeln N und S eines Stablmagneten befindet sich die
verticale Drelmngsachse eines mit isolirtem Drahte bewickclten Ankers von weichem
Eisen, dessen Enden A und D etwas nacb abwarts gebogen sind, jcdoch so, dass
sie beim Kotiren um jene Aclise iiber den Magnetpolen N und S hinweggehen.
Denkt man sicb Magnet und Anker in der augenblicklich gezeicbneten Stellung
und A siidlicb magnetisch (was dann der Fall sein wird, wenn ein Strom beim
Drabtende o eintritt), so wird A gegen N und B (NordpoF gegen S (Siidpol)
gezogen werden. Dies hat eine Kotation des Ankers im Sinne eines Uhrzeigers
*) Die cliesbeziig-lichen Nachweismig-en hat Eeferent in seinen Abhandiungeu im 183., 188.
mid 191. Baride von Dingler's polyteclmischem Journale geliefert. Diese Abhandlungen
lehren zugleich die Ermittlung des Wirknngsgrades eines Electromotors.
**) Unter Wirkungsgrad versteht man bekanutlich den Quotienten des theoretischen
Ettectes durch den Nntzeffect, d. h. wenn z. B. E den Arbeitswertb. der zum Betriebe
der Maschine (in der Feuerung oder in der Batterie) aufgewendeten Warmemenge und
E '
X die wirkliche Arbeitsleistung bedeutet, so ist TV ~ — — der „ Wirkungsgrad" der
]SIascliine.
***) Das ausgestellte, jetzt am Wiener Polyteciinikum befmdlielie, vom Referenten unter-
suchte Modell hatte im Maximum den Wirkungsgrad l/t, etwa das Achtfache im Ver-
gleiche mit den besten anderen Mascbinen dieser Art, Siehe Dingler's polyt. Journal
Bd. 183.
Electromotor,
zur Folge, bei welclier jetlocli
der Anker niclit plotzlich liber
den darimter befindlichen Mag-
netpolen stelien bleiben, sondern
diese Lage vermoge der Tra'g-
lieit iiberschreiten wird.
Die Stromzuleitung ist nun
so eingerichtet, dass in diesem
Angenblicke ein Polwechsel statt-
findet, in Folge dessen A nord-
lich und B siidlich wird. Die
nunmebr zwischen A und N
einerseits und B und S ander-
seits herrschende Abstossung
veranlasst eine Fortsetzung der
bereits beschriebenen Rotation,
bis B iiber N und A iiber 8
zu stelien kommt. Bei Ueber
schreitung dieser Lage (in Folge
der Tragheit des rasch roti-
renden Ankers) findet sofort
wieder ein Polwechsel statt,
und so setzt sich die beschrie-
bene Bewegung fort.
Die erwahnten Polwechsel werden in folgender Weise bewerkstelligt.
An der Achse des rotirenden Ankers ist eine holzerne Scheibe, deren Umfang
niit zwei von einander getrennten kupfernen Halbringen belegt ist, auf welchen
die den Strom leitenden Contactfedern gleiten, die ihrerseits wieder mit den Draht-
klemmen -|- und — (zur Aufnahme der Leitungsdrahte) verbunden sind. Von
dem Drahtgewinde des Ankers ist das eine Ende o mit dem Halbringe h, das
andere mit dem zweiten Halbringe i verbunden. Steht der Anker so, class die
Contactfeder g, bei welcher der positive Strom eintritt, auf dem Halbringe li schleift,
so wird B nordlich, wenn aber g auf dem entgegengesetzten Halbringe i schleift,
siidlich magnetisch sein.
Im ersteren Falle geht der Strom aus dem Halbringe h durch das Gewinde
des Ankers in den zweiten Halbring i und aus diesem in die Contactfeder fj im
letzteren Falle aus g iiber * und li nach /. Der Commutator (die Rolle mit den
Halbringen) ist so gestellt, dass die beiden Contactfedern gerade auf die schmalen
isolirenden Zwischenraume zwischen den Halbringen zu stehen kornmen, wenn der
Anker gerade iiber den Magnetpolen sich befindet. Es findet dann der vorhin
beschriebene Polwechsel rechtzeitig statt.
Man kann sich nun leicht ein ahnliches grosseres Modell mit einem Schwung-
rade versehen denken, welches die Bewegung weiter ubertragt.
Electromotoren, bei welchen, wie bei diesem und vielen anderen alteren
electromagnetischen Maschinen, Polwechsel stattfinden, sind mit grossen Kraftver-
lusten verbunden, theils weil die Polwechsel bei grosseren Eisenmassen nicht rasch
genug erfolgen, theils weil sie Inductionsstrome erzeugen, welche dem Betriebs-
strome entgegenwirken. Diese Uebelstande sind beim nach stelien d beschriebenen
Kravogl'schen Apparate vermieden.
Das im Schema Fig. 1494 dargestellte hohle eiserne Schwungrad enthalt
zugleich den electromagnetischen Apparat der Maschine. Dieser (litngs eines auf
der Drehungsacb.se C senkrechten Schnittes zerlegbare) Radkranz umschliesst namlich
zunachst eine Anzahl von Magnetisirungsspiralen a, b m, innerhalb deren
Hiihlungen der hohle messingene Ring r r sich befindet. In diesem messingenen
Hohlringe befindet sich endlich der entsprechend gebogene (auf kleinen Rollen)
sehr leicht gleitende Eisenkern <p p (in seinem Imieren mit Quecksilber beschwert).
256
Electromotor. — Electrophor.
Fig. 1494. Die beiden Dralitenden einer jeden
11 Magnetisirungsspirale laufen radial gegen die
Achse hin , an welcber eine eigenthtimlieh
construirte Contactvorricbtung („Zuleiter" ge-
nannt) angebracht ist; welche den Batterie-
strom immer nnr in diejenigen Magnetisirungs-
^ spiralen iibergehen lasst, welche wahrend der
Drehung des Rades in einer bestimmten Lage
sind. Nehmen wir z. B. an, die Einrichtivng
sei so getrofFen, dass imrner nur die Spiralen,
welche rechts liegen (bei a und on) Strom
bekommen, so werden diese stets den Eisen-
kern in ihre Hbhlungen heranfziehen (siebe
Electromagnetismns Abscbnitt c). In
Folge dessen wird das Rad immer einseitig
beschwert sein und stets in der Ricbtung
a m I sicb dreben miissen. Diese Be-
wegung des Spiralenrades, welches also zugleich Scbwungrad ist, kann, wie die
eines jeden anderen Schwungrades, leicht weiter iibertragen werden. J. v, W.
Electrophor (electrophore — electrophones) heisst wortlicb Elect ricitat s-
trager. Diese Benennung fiihrt eine einfache Vorrichtung, welche dazu dient,
die Electricitat einer (mit Pelzwerk) geriebenen Harzplatte lange Zeit zu erhalten,
urn dieselbe gelegentlich zu Funkenziindnngen (z. B. bei eudiometrischen Ver-
suchen oder bei der electriscben Ziindmaschine) verwenden zu konnen.
Bottger empfieblt als Electrophormasse ein Gemenge aus 5 Theilen Scbellack,
5 Theilen Mastix; 2 Tbeilen venetiauiscbem Terpentin und 1 Theil Marineleim
(einer aus Schellack, Steinkohlentheer und Kautschuk bestehenden Masse).
Dieses Harzgemenge wird in eine niedrige cylindrische Form aus Blech ein-
gegossen, um nach dem Erstarren entweder in derselben zn bleiben, oder heraus-
genommen und auf eine beliebige andere leitende Unterlage (z. B. ein mit Stanniol
iiberzogenes Brett c, Fig. 1495) gelegt zu werden. (Um das Ilerausnehmen leicht
zu ermoglichen, kann die Gussform mit Papier ausgelegt werden. Die Unterlage
der Harzplatte muss ganz eben sein,
damit sich jene nicht kriiramt.)
Die Harzplatte a (Fig. 1495) wird
durch Reiben mit Pelzwerk (gewobnlich
durcb starkes Schlagen mit einem Fuchs-
schwanz) negativ electrisch gemacht.
Man setzt sodann einen an drei seidenen
Scbniiren bangenden metallenen Deckel
b darauf. Derselbe ist entweder einHohl-
korper aus Blech von der in der Zeicb-
nung dargestellten Gestalt, oder in der
c Art hergestellt, dass man einen holzernen
Ring mit starkem Papier bespannt und
das Ganze mit Stanniol iiberzieht.
Der Deckel wird beim Anflegen sofort durch Influenz electrisirt (s. Elec-
tric i t at Absatz X). Durch Beriihrung des Deckels wird die negative Influenz-
electricitat abgeleitet. Die positive bleibt gebunden zuriick*) und kann auf diese
Art Monate lang in Bereitschaft gehalten werden. Sie wird frei, sobald man den
Deckel mittelst der isolirenden Schniire abbebt, aus welchem sie auf einen an-
genaherten Leiter unter Funkenbildung iiberspringt. A. v. W.
Fig. 1495.
'■'■) Das schlechte Leitungsvermog-en der Harzplatte verhindert, dass eiue grossere Menge
der negativen Harzelectricitat mit positiver Influenzelectricitat des Deckels zur Aus-
gleichung komme,
Electroplate. — Element galvanisches. 257
Electroplate, Bezeiclmung fur versilbertes Neusilber7 gleichbedeutend
mit China-, Peru- Silber, Alfenicle u. s. f., s. Argent an I S. 190.
Electroplattiretl, syn. mit galvanischer Versilberung, s. Galvanoplastik.
■ Elect roscop (electroscope — electroscop), s. Elect ricitat Absatz XXIII.
Electrotyp, Voltatyp, ein mit anf galvanoplastiscbem Wege hergestellten
Kupferplatten erzeugter Druck.
Electriim, syn. mit Bernstein s. I pag. 431.
Electrum (electre — electrum), silberhaltiges Golderz mit tiber 20 % Silber-
gehalt. Hellgelbe Wtirfel oder Octaeder oder hexaedrische BMtchen. Spec. Gew.
14-1 — 14*6. Colmnbien, Konigsberg, Sibirien u. a. 0. Gtl.
Electrum, Name einer dem Silber almlichen Legirnng aus 8 Thl. Kupfer,
4 Thl. Nickel und 372 Thl. Zink. Gut polirbar. Gtl.
Elekta, besonders vorziigliche Schafwollsorte, s. Schafwolle.
Elektricitat, s. Electricitat.
Elektoral, jene Merino-Schaf-Race, welche das feinste Wollhaar liefert.
Elektrographie(Electrografie), ein von Devincenzi angegebenes Verfahren
der galvanischen Aetzimg von Zinkplatten fur den Buchdruck, s. Holzschnitt.
Elektromotor, s. Electromotor III S. 253.
Element, chemisches (element — element), Grundstoff, Urstoff,
chemise h einfacher Stoff, einfaches Radical, nennt der Chemiker die
mit den bisher zu Gebote stehenclen Mitteln nicht weiter zerlegbaren, also einfachsten
Bcstandtheile chemischer Verbinclungen. Gegenwartig sind 63 soldier Elemente oder
elementarer Stotfe bekannt und isolirt. Man theilt sie je nach ihren Eigenschaften
in metallische Elemente (Metalle) und in nichtmetallische Elemente (Nicht-
metalle). Die ersteren zerfallen wieder in: I. die Leichtmetalle, deren
Dichte unter 5 ist; und II. die Schwer metalle, deren Dichte iiber 5 ist. Die
erste Abtheilung (Leichtmetalle) umfasst die Gruppe der
Alkalimetalle, u. zw. Kalium7 Caesium, Rubidium, Natrium, Lithium,
dann jene der
Metalle der alkalis eh en Erden, u. zw. Baryum, Strontium, Calcium,
Magnesium. Endlich jene der
Erdmetalle, u. zw. Aluminium, Beryllium, Zirkonium, Yttrium, Erbium,
Terbium (Norium), Thorium, Cerium, Lanthan, Didym.
Die zweite Abtheilung (Schwermetalle) umfasst die Gruppe der
Unedlen Metalle, u. zw. Uran, Kobalt, Nickel, Eisen, Mangan, Chrom,
Zink, Cadmium, Blei, Thallium, Kupfer, Zinn, Titan, Tantal, Niobium, Wolfram,
Molybdaen, Vanadin, Wismuth, Antimon, Arsen, und die Gruppe der
Edlen Metalle, u. zw. Quecksilber, Silber, Gold, Platin, Palladium,
Ruthenium, Rhodium, Iridium, Osmium.
Die Nichtmetalle pflegt man einzutheilen in die Gruppe der
Metal lo Yd e, u. zw. WasserstofF, Stickstoff, Phosphor, Boi', Kiesel, Kohlen-
stoff, und die Gruppe der
OxygenoYde, u. zw. Sauerstoff, Schwefel, Selen, Tellur, Chlor, Brom,
Jod, Fluor. Ausser dieser Eintheilungsweise ist heute audi die Eintheilung der
Elemente nach ihrer Valenz (vgl. Atomigkeit I pag. 232) iiblich, wonach man
sie in 6 Gruppen bringen kann.
Eine tabellarische Zusammenstellung der Elemente, ihrer chemischen Symbole,
Atomgewichte und Aequivalente s. Atom I pag. 231. Gtl.
Element, galvanisches (element galvanique — voltaic cell). So nennt
man eine Combination von Leitern erster und zweiter Ordnung (z. B. zweier
Metalle und einer Fliissigkeit), welche zur Erzeugnng eines continuirlichen elec-
Kannarsch & Heeren, Technisches Wiirtorbuch. Bd. III. 17
258 Element galvanisch.es. — Elfenbein.
trischen Stromes geeignet ist. S. Electric it at III pag. 177 und electrischc
Telegraphie III pag. 202. Ueber thermoelectriscb.es Element s. Electricitat
III pag. 180. A. v. W.
Elemi (resine elemi — elemi), Elemiharz. Unter diesern Nanien kommen
harzartige, zu medicinischen, vorztiglicb aber zu tecbnischen Zwecken verwendete
Producte mehrerer Baumarten aus tropiscben Gegenden verschiedener Welttbeile
im Handel vor. In nnserem Handel findet sieh nur das von den Pbilippinen
iiber London und Hamburg eingefiibrte Manila- Elemi, eine Sorte, die man
von dem Pechbaum der philippinischen Inseln, dem Arbol a brea, einer Canarium-
Art (Burseraceae) ableitet. Ausser dieser Sorte findet sich noch in den verschie-
denen Preislisten z. B. von Londoner und Hamburger Droguisten ein Veracruz-
oder Mexikanisches Elemi (von Amyris elemifera Boyle) angefiihrt. — Das
Manila-Elemi bildet frisch eine zahe, fast terpentinartige, gelblichweisse, triibe, mit
Pflanzenresten untermischte Masse von starkem gewiirzhaftem, an Fenchel und
Macis erinnerndem Geruch und ahnlichem, nebstbei etwas bitterem Geschmack.
Mit der Zeit trocknet die Waare zu einer blassgelblichen undurchsichtigen, am
Bruche wachsgliinzenden Masse ein.
Unter dem Microscop erweist sich das Elemi aus kleinen und grosseren
prismatischen farblosen Krystallen zusammengesetzt, welche in eine formlose Masse
eingebettet sind. Kalter Alkohol lost bios letztere ; in heissem Alkohol, so wie
in Aether ist Elemi bis auf fremde Beimengungen vollkommen loslich. Es besteht
wesentlich aus einem atherischen Oele (an 10 %) im& Harz, das zum Theile
amorph, zum Theile krystallisirbar ist (Amyrin und Bryoidin). A. Yogi.
Elephanteillaus (anacarde — acajou mit), Merknuss, Anakardie,
Acajounuss, Malaccanuss. Nussartige Steinfrucht von Anacardium occi-
dentale (auf den Westindischen Inseln und in Sudamerika einbeimischer Baum),
so wie von Semecarjpus orientalis (in Ostindien einbeimisch). Die orientaliscben
(Malaccaniisse) sind glatt, herzformig bis stumpf dreieckig, dunkel- bis schwarz-
braun , einen nussartigen , oligen ; woblsehmeckenden Kern in der lederartigen
Fruchtschale enthaltend. Die occidentalischen Niisse haben eine mehr nierenformige
Gestalt und sind von grauer bis graubrauner Farbe. Die lederartige Fruchtschale
enthalt einen , im frischen Zustande lichtgefarbten , an der Luft rascb braun
werdenden Jitzenden Saft, der bald verharzt und als wesentlichen Bestandtheil
Car do 1 (s. II pag. 255) enthalt. Man hat diesen Saft sowohl als Arzneimittel
(blasenziehend) als auch wegen der Eigenscbaft; sich intensiv braun zu farben und
eine festhaftende braune Farbe zu liefern, zum Merken der Wasche, in Ostindien
auch zum Bedrucken von Cattunen verwendet. Gtl.
Elevator, s. Hebemaschinen.
Eiexeilholz, das Holz der Traubenkirsche oder Elexe (Primus padus) stimmt
in seinen Eigenscbaften mit dem Kirschbaumholz iiberein (s. d.).
Elfenbein (ivoire — ivory). Mit clem Namen Elfenbein bezeiebnet man
zunachst und hauptsachlich die Substanz7 woraus die machtigen Stosszahne der
beiden, jetzt noch lebenden Elefantenarten, des afrikanischen und des asiatischen
(indischen) Elefants bestehen, doch werden darunter im Handel und in den Ge-
werben haufig auch die analogen Gebilde noch einiger anderer Thiere (Flusspferd,
Walross , Narwal), so wie die unverandert erhaltenen Stosszahne vorweltlicher
Elefanten (fossiles Elfenbein) verstanden.
Die grosste Menge dieses werthvollen Artikels liefert Afrika. Der afrikanische
Elefant (Elephas Africanus Cuv.) ist iiber den ganzen mittleren Theil dieses
Continents verbreitet; in grossartigem Massstabe wird bier, des Elfenbeins wegen,
von alien Seiten der Vernichtungskrieg gegen ihn gefiihrt, besonders in den Ge-
genden um die Nik][uellenseen.
Der Hauptstappelplatz des bier erbeuteten Elfenbeins ist Chartum, wobin
es den Bachr el Gliasal und B. el Gebel herab aus den weit in's Innere
Elfenbein. 259
vorgeschobenen Niederlassungen (Seribas) der Chartumer Handler gelangt. Kin
wichtiger Elfenbeinmarkt ist in neuerer Zeit Zanzibar geworden fiir. das im ost-
lichen Afrika (in den Gegenden am Kilimandschuro, im Siiden vom Ukereve-See,
in den Gebieten des Nyassa-See's etc.) erbeutete Elfenbein. Von geringerer Be-
deutung ist, was gegenwartig die afrikaniscbe Westkuste und das Capland davon
in den Handel liefern. — Der asiatische Elefant (Elephas Asiaticus Cuv.) be-
wolint Siid-Asien, zumal Hinterindien (Cochinchina, Siam, Pegu etc.), Ceylon und
Sumatra. Aus diesen Landern kommt auch das beste asiatische oder indische
Elfenbein in den Handel.
Die Stosszahne des Elefanten sind gekriimmt, gerundet, nach vorn allmalig
spitz zulaufend; die des afrikanischen ausgewachsen bis arm dick, bis 2,/„m und
selbst darliber lang und 20—60 Kg. schwer; jene der asiatischen Art sind im
Allgemeinen kleiner. Zahne junger Thiere sind bis gegen die Spitze zu hohl,
wahrend sie bei ausgewachsenen Thieren bios am Grunde eine Hohlung besitzen.
Die Oberflache zeigt eine meist hellbraunliche Farbe und soil moglichst glatt, frei
von Sprtingen und Rissen sein. Die Substanz selbst ist weiss mit einem geringen
Stich in's gelbliche; mit der Zeit nimmt die gelbliche Farbe zu, sie ist sehr hart
und dicht und zeigt die eigenthiimliche Structur des Zahnbeins, so wie die che-
mische Zusammensetzung der Knochen uberhaupt, indem sie wesentlich aus Knorpel-
substanz, phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk besteht.
Die vielseitige Anwendung des Elfenbeins in Kiinsten und Gewerben ist
allgemein bekannt. — Wie das recente verarbeitet man auch das fossile Elfen-
bein, d. h. die Stosszahne vorweltlicher Elefanten, der Mamuththiere {Elephas
primi genius), wie sie durch die Kalte wohlerhalten im gefrorenen Boden des
nordlichen Sibiriens zwischen dem 58° n. Br. und dem Eismeere, insbesondere
am unteren Lauf des Ob, Jenissei und der Lena und an den Kiisten des Eis-
meeres stellenweise in sehr grosser Menge vorkommen und entweder durch Meeres-
fluthen und stromendes Wasser ausgewaschen und blosgelegt oder durch Grab-
arbeit zu Tage gefordert einen wichtigen Handelsartikel jener Gegenden bilden,
der iiber Russland zu mis gelangt. Die Stosszahne sind starker gekriimmt und
noch kolossaler (3 — 5m und dariiber lang) als bei den lebenden Elefanten.
Ein sehr geschatztes, auch als „Hippopotam" bekanntes Elfenbein liefern
ferner die bis 3 Kg. schweren, an 30cm und dariiber langen, halbkreisformig ge-
kriimmten, stumpf-langsrippigen, unten hohlen, oben schief abgeschnitteneu, ausserst
harten Eckzahne des Nil- oder Flusspferdes (Hippopotamus amphibius K.), eines
in den grosseren Fliissen und Seen Innerafrika's lebenden Dickhauters. Nicht
minder geschatzt sind die mehrere Decim. langen, 5 — 15 Kg. schweren Eckzahne
des Walrosses (Trichechus Rosmarus L.), eines das nordliche Eismeer bewohnenden
Flossenfiissers, deren sehr feste und dichte Masse eine an der Luft sich nicht
andernde, blendend weisse Farbe besitzt und unter Anderem zur Verfertigung
kiinstlicher Zahne verwendet wurde.
Von geringerem Werthe ist die Elfenbeinsubstanz des gerade gestreckten
Stosszahnes des im nordlichen Eismeere lebenden Narvals (Cerutodon Monoceros
Briss.) aus der Ordnung der Walthiere, der eine Lange von 2V2 — 3m und dariiber
erreicht, innen hohl und schraubenformig gedreht ist. — Unter den Namen : vege-
tabilisches Elfenbein, Elfenbeinniisse, Stein n it sse, Tagna-Niisse,
Corusconiisse (ivoire vegetal — ivory nut) kennt man im Handel die Samen
von Phytelephas macrocarpa R. et P., einer siidamerikanischen Pandanacee,
welche vor etwa 50 Jahren zuerst in Europa als Ersatz des Elfenbeins eingefiihrt
wnrden und eine ausgedehnte Beniitzung zu verschiedenen Drechslerarbeiten,
namentlich zu Stock- und anderen Knopfen etc. iinden. Der locker in einer
diinnen sproden, aussen matt graubraunlichen Schale steckende Samenkern von
meist eirunder, etwas plattgedriickter , nicht selten fast gerundet-tetraedrischer
Form und Hiihnereigrosse mit netzfurchiger, matt-rehbrauner Oberilache besteht
fast ganz aus einem beinharten, sehr dichtem, in der Mitte mit einem kleinen
17*
260 Elfenbein.
Hohlraum versehenen Eiweisskorper (Endosperm) von weisser Farbe mit einem
Stick in's Griinliche oder Blauliche. Die Masse erweicht in heissem Wasser etwas.
Das Elfenbein wird bei seiner Verarbeitung haufig gebleicht und audi gefarbt.
Um dasselbe zn bleichen, legt man die Stiicke in einen Brei aus 1 Thl. frischem
Clilorkalk nnd 4 Till. Wasser, lasst melirere Tage darin liegen, wascht ab und
trocknet bei gewohnlicher Temperatur (vgl. H. Anger stein, Dingl. pol. Journ.
137 pag. 155). Die Anwendung eines Saurezusatzes zum Clilorkalk ist zu ver-
meiden. Zum Farben des Elfenbeins verwendet man die verscluedensten Farben,
wie solche audi fur die Zwecke des Farbens von Holz und Bein in Anwendung
steben. Man farbt durcb Einlegen in die etwas angewarmte, wohl aucb zum
Sieden erbitzte Briibe (vgl. a. Ke Hermann, Dingl. pol. Journ. 120 pag. 438
u. e. d. 141 pag. 67).
Die wicbtigsten Farben erzielt man auf folgende Weise:
1. Schwarz. Soil eine in Elfenbein ausgefiihrte Arbeit im Ganzen
schwarz gefarbt werden, so kocht man sie einige Zeit in einer durchgeseihten
Abkochung von Blaubolz, und legt sie darauf in eine Auflosung von schwefel-
saurem oder essigsaurem Eisenoxyd.
2. Blau. Durch kurzes Eintauclien in eine verdiinnte scbwefelsaure Indig-
auflosung.
3. Gelb kann auf verschiedene Weise hervorgebracbt werden. Man legt
das Stiick einige Minute lang in Wasser, welchem eine kleine Menge salzsaurer
Zinnauflosung zugesetzt worden, hierauf in beissen, durcb Leinwand filtrirten Gelb-
holzabsud. Setzt man dem Gelbholz etwas Fernambukspane zu, so wird die Farbe
orange. Ein sehr dauerliaftes Gelb entstebt, wenn das Elfenbein etwa */4 Stunde
lang in eine Auflosung von Bleizucker, hierauf ebenso lange in eine Anftosung
von cbromsaurem Kali gelegt wird.
4. Roth. Zerriebene Cochenille wird mit Essig gemischt und darin das
Elfenbein eine kurze Zeit, einige Minuten, gekocht. Statt der Cochenille bedienen
sich einige Drechsler auch des theuerern Carmins. Das so erhalte Roth spielt in
Purpur. Ein schemes lebhaftes Roth entstebt, wenn man Elfenbein einige Minuten
lang in stark verdiinnte Zinnauflosung und sodann in kochend heisses Decoct
von Fernambnk einlegt. Durch Zusatz von etwas Gelbholz geht die Farbe in
Scharlach iiber. Wird das auf die angegebene Art roth gefarbte Elfenbein in
eine sehr verdiinnte Pottaschenlosung gelegt, so geht die Farbe in Kirschroth iiber.
5. Violett. Man farbt zuerst roth und taucht sodann auf einen Augenblick
in Indigauflosung ; oder durch Beizen mit sehr verdiinnter Zinnlosung und nach-
lieriges Einlegen in eine heisse Blauholz-Abkochung. Legt man das so gefarbte
Elfenbein in Wasser, dem einige Tropfen Salpetersaure zugefiigt wurden, so entsteht
Pnrpiirroth.
6. Griin kann entweder durch aufeinander folgendes Gelb- und Blaufarben
entstehen, oder indem man das Elfenbein einige Stimden in eine ziemlich ge-
sattigte Auflosung von cbromsaurem Kali legt, und es dann liingere Zeit dem
Sonnenlicht darbietet. Dunkelblaulich griin.
Sollten, wie z. B. bei Billardballen, weisse Streifen auf gefarbtem Grund
erscheinen, so legt man ein mit Wachs getranktes Band um die Kugel, bewickelt
es noch ausserdem mit Bindfaden, und farbt den Ball, wobei die gewachsten
Stellen weiss bleiben. Sollte sich die Farbe doch etwas in den weissen Streif
gezogen haben, was leicht geschieht, so nimmt man durch vorsichtiges Schaben
die Farbe weg.
Es ist noch zu erwahnen, dass alle Farben auf unpolirtem Elfenbein weit
besser haften, als auf polirtem, weshalb man die Politnr erst nach dem Farben
gibt. Es geschieht dies durch Reiben mit Seife und Wiener Kalk mit der nackten
Hand. Man darf beim Farben die Kochungen nie zu lange fortsetzen, weil das
Elfenbein dabei leicht Spriinge bekommt, und legt die Stiicke, so wie sie aus der
Fliissigkeit kommen, zum raschen Abkiihlen in kaltes Wasser.
Elfenbein. - — Elfenbeinsurrogate. 261
Von besonderen Farbemcthoden sei namentlich noch erwahnt die Herstellung
von schwarzen Zeichnungen auf Elfenbein, die gewohnlich in der Weise vorge-
nommen wird, dass man das zu atzende Elfenbein mit einem Actzgrund iiberzieht,
in denselben die gewiinschte Zeichnung radirt, und sodann eine Losung von salpeter-
saurem Silber (1 Tbl. in 10 Tbl. Wasser) auftragt. Man lasst diese etwa '/2
Stunde lang einwi-rken, nnd setzt nach dem Entfernen derselben und leichtem
Abtrocknen durcb einige Stunden dem directen Sonnenlicbte aus, wodurch die
mit der Silberlosung benetzten Stellen des Elfenbeins eine schon schwarze Farbc
annebmen. Man spiilt nun mit Wasser ab und entfernt endlich den Aetzgrund
durcb ein geeignetes Losungsmittel. Dass man zum Farben des Elfenbeins audi
die gcgenwartig so allgemein verwendeten Anilinfarben verwenden kann, ist selbst-
verstandlicb. A. Vogl.
Elfenbein kiinstliches, s. Elfenbeinsurrogate.
Elfenbein vegetabilisches, s. Elfenbein.
Elfenbein-Arbeiten, s. Knock enbearbeitung.
Elfenbeinkamme, s. Kamme.
Elfenbeinnuss, s. Elfenbein.
Elfenbeinpapier (ivory paper) wird aus mebreren aufeinander geleimten auf-
gespannten Blattern guten Zeickenpapiers dadurck hergestellt, dass man die Ober-
flaeke mit feiuem Glaspapier abschleift, hierauf einen Anstrich von Gyps (mit
Pergamentleim angemacbt) gibt, diesen Anstrich abermals abschleift und hierauf
nock ein Paar Anstricke diinnen Leimwassers auftragt. Das Elfenbeinpapier wird
bei' der Miniaturmalerei verwendet. Kk.
Elfenbeinschwarz (noir d'ivoire — ivory black), Bezeicbnung fur feinere
Sorten von Beinschwarz, s. d. bei Knocben.
Elfenbeinsurrogate, kiinstliches Elfenbein. Fiir die Herstellung von
kiinstlichem Elfenbein sind verschiedene Vorschriften gegeben worden. Eine der
altesten Elfenbeinimitationen erhielt man durch Einriihren von fein vertkeilter
Tkonerde in eine geniigend consistente Leimlosung, erstarren lassen und troeknen
der erhaltenen Misckung. Weit besser und dem Elfenbein viel ahnlicher ist aber
das Product, welches man erbalt, wenn man Gelatine oder Folien von lichtem
Leim in ein Bad von essigsaurer oder scbwefelsaurer Thonerde einlegt, und langere
Zeit in dem Bade belasst. Der Leim nimmt hiebei reichlich Thonerde auf, die
Folien werden prall und dick, und liefern , nachdem sie vollstandig von der
Fllissigkeit durchdrungen sind, nach dem Troeknen eine Masse, die eine schone
Politur annimmt, und dem Elfenbein sehr ahnlich sich verhalt. Eine plastische
Masse, welche die Farbe und das durchscheinende Wesen des Elfenbeins besitzt,
dabei aber biegsamer ist, kann erhalten werden, wenn man 50 Tbl. Kartoffel-
starke mit 5 Thl. Zinkoxyd innig mengt und die Misckung mit einer Fliissigkeit
aus 50 Tkl. Cklorzinklosung (von 55° B.), 1 Thl. Salzsaure und 1 Thl. Wein-
stein zu einer Masse anruhrt. Dieses Product widersteht jedoch nicht der Ein-
wirkung von Feuchtigkeit, weshalb die daraus gefertigten Gegenstande mit einem
schiitzenden Firnissiiberzuge versehen werden miissen.
Auch Kautschuk wird zu Elfenbeinimitationen verwendet. Nach einem von
F. Marquard (Dingl. pol. Journ. 183 pag. 498) angegebenen Verfahren erbalt
man eine solche, wenn man etwa 1 Kilo Kautschuk in der 15fachen Menge
Chloroform lost, die Losung behufs vollstandigen Bleichens mit Ammoniakgas
sattigt, und hierauf unter fleissigem Rlihren durch Erwarmen bis auf 85° C. das
Chloroform verdampft. Die riickstandige, locker schaumige Masse wird nun nach
vorherigem Pressen nochmals mit Chloroform zu einem Teige erweicht und diesem
so viel von feinpulverigem phosphorsaurem Kalk oder kohlensaurem Zinkoxyd
eingeknetet, dass die Masse das Ansehen von feuchtem Mehl erbalt. Die so er-
262 Elfenbeinsurrogate. — Ellipsoid.
haltene innige Mischung wird sodann in heisse Formen gebracht imd stark gepresst,
wodurch sie das Aussehen und die Politurfahigkeit des Elfenbeins annimmt. Gil.
Eliasit, s. Grummierz.
Elimination, Ausscheidung; in der Algebra die Ausscheidung gewisser
Grossen aus vorgelegten Gleiehiuigen. Fehler-eliminirende Beobach-
tungsmethoden, bei welchen durcb den Vorgang der Beobachtung selbst —
also ohne besondere Rechnung — ■ die Einflltsse gewisser Fehlerursacben un-
schadlich gemacht (ausgescbieden) werden ; z. B. die Umlegimg des Fernrohrs bei
Winkelmessinstrumenten, urn die fehlerhafte Stellung der optischen Achse gegen
die Drebacbse des Fernrohres unsckadlich zu macben 5 Ablesung der Kreistbeilung
an zwei diametralen Nonien, um den Einfluss der Excentricitat der Alhidade zu
bebeben etc. Bei feineren Messungen kommen solcbe Methoden durchwegs zur
Verwendung, weil an eine vollkonimene Beseitigung der Instrurnentenfekler nicbt
zu denken ist. Czuber.
Elinsaure, Name einer vonCbevreul ini Wollscbweisse entdeckten fliissigen
Saure, deren spec. Gew. hoher als das des Wassers ist. (Vgl. Dingl. pol. Journ.
171 pag. 480.) Gil.
Ellagsaure (acide rufigallique — parellagic acid), Bezoarsaure, Saure
der Formel C14H60H, welche sicb in den kalkigen Magenconcretionen der Bezoar-
ziege und anderer Pflanzenfresser, den sog. Bezoarsteinen, dann im Biebergail, der
Torrnentillwurzel, den Gallapfeln u. a. 0. findet. "Wird durch Zersetzung des Tannins,
wenn es in Losung der Luft ausgesetzt ist, oder durcb Kocben der Gerbsaure
aus Granatrinden mit verdiinnten Sauren, in letzterem Falle neben Zucker er-
halten. Man erhalt sie durcb Gabrenlassen von mit Wasser zu einem Brei an-
geriibrtem Gallapfelpulver, Auspressen des Breies, Kocben des Press-Ruckstandes
mit Wasser und Erkaltenlassen der abgeseibten siedend beissen Fliissigkeit,
wobei sich rohe Ellagsaure als gelblicbweisses Pulver abscbeidet, das durch Auf-
losen in verdiinnter Kalilauge in ellagsaures Kali iiberfuhrt wird, welches durch
Umkrystallisiren aus kochendem Wasser gereinigt und mit Salzsaure zerlegt die
reine Saure liefert. Blassgelbes krystallinisches Pulver, seltener kleine gelbe,
saulenfbrmige Krystalle oder hochgelbe seidenglanzende Nadeln. Gesckmacklos,
von schwach saurer Reaction, zum Theile sublimirbar. In Wasser und Weingeist
nur wenig loslich, gar nicht in Aether. Mit Eisenchlorid farbt sie sich allmalig
tief schwarzblau. (Vgl. Br aconno t, Annal. de Chim. et Phys. 9, 187; Wohler,
Annal. der Chem. u. Pharm. 67 pag. 361, und Merklin u. Wohler, Annal.
d. Chem. u. Pharm. 55 pag. 129; F. Gob el u. A. Gob el, Annal. d. Chem. u.
Pharm. 79 pag. 83 und 83 pag. 280.) Gil.
Ellernholz, s. Erlenholz.
Ellernrinde, hie und da gebrauchlicher Handelsname fiir die gerbstoffhaltige
Rinde von Alnus glutinosa, syn. mit Erlenrinde.
Ellipse, s. Cur ven II S. 431.
Ellipsenzirkel, s. Zeichnen (Zeichen-Instrumente).
Ellipsoid, zu den Flachen zweiten Grades gehorig, hat einen im Endlichen
gelegenen Mittelpunkt, durch welchen die drei zu einander senkrechten Hauptachsen
hindurchgehen. Heissen ihre Langen 2 a, 2 b, 2 c, und verlegt man in dieselben
die Achsen X, Y, Z eines orthog. Raumcoordinatensystems, so lautet die Gleichung
des Ellips : —^- -(- —^ -\ ~ = 1 (dreiachsiges oder allgemeines
El lips.). Alle ebenen Schnitte desselben sind Ellipsen, darunter zwei Schaaren
von Kreisschnitten. — Wird insbesondere 2azr=.2b, so hat man das Rotation s-
ellipsoid (Spharoid), dessen zu Z senkrecht gefuhrte Schnitte Kreise, wahrend
die durch Z gelegten, congruente Ellipsen von den Achsen 2a, 2 c sind, so dass
Ellipsoid. — Email. 263
man sich die ganze Flache durch Umdrehung einer solchen Ellipse um Z ent-
standen denken kann. Je nachdem 2 c 2 a, spricht man von einem oblong en
oder abgeplatteten Ellipsoid. Der Gestalt des letzteren nahert sich unsere
Erde, wobei (nach F. W. Bess el's Berechnungen; a == 0377397-1 56m und
c = 6356078*963m betragt. Den Werth - - nennt man die Abplattung,
1 a
er betragt bier — — . Der Rauminhalt des E. ist 4/3 n a b c> mithin der des
Rotations-E. 4/3 n a"c (Kugel 4J3 n a3). Czuber.
Elsbeerholz, Atlasbeerholz (alizier — service-tree), von Crataegus
torminatis, ist ein femes, dichtes, hartes Holz, von jungen Baumen gelblich, von
alteren rotbbraun und als Drecbslerbolz geschatzt. Sehr ahnlich ist das vom
weissen Elsbeer- oder Mehlbeerbaume (alizier blanc — wliite-liawihorn) , Crataegus
Aria, stamniende Holz. Kk.
Eisner's Griin, giftfreies Kupfergriin, durch Fallung einer Kupfer-
vitriollosung mit einer Abkochung von Gelbholz , der man 1 °/0 Leim zugesetzt
hat und die mit 10 — 12 % Zinnsalz vermischt wurde, mit Natronlauge darstellbare
griine Farbe, welche je nach der Quantitat des angewendeten Gelbholzes mehr
oder weniger gelb nuancirt erhalten werden kann. Gftl.
Eisner's Lampe, sj^n. mit Sieb-Gasbrenner, s. Leuchtgas, s. Lamp en.
Elvan, in Cornwales gebrauchte Bezeichnung fiir Porphyr, welcher in netz-
formigen Gangen die dortigen Grauwackenschiefer durchsetzt. Lb.
Email (email — enamel), Schmelz oder Schmelzglas. Die Emaile
sind Glasarten7 die sich vom gewahnlichen Glase durch ihre leichtere Schmelz-
barkeit und in den mc-isten Fallen durch ihre geringere Durchsichtigkeit *) unter-
scheiden. Sie sind entweder farblos (nur die durchsichtigen Arten) oder gefarbt
und werden zum grossten Theile dazu verwendet, um metallische Oberflachen vor
der zerstorenden Einwirkung verschiedener Fliissigkeiten (oder Dampfe) und diese
selbst vor der Verunreinigung durch aufgelostes Metall zu schiitzen, und dienen
anderntheils zur Oberflachen - Verschonerung verschiedener Luxusartikel. Eine
unerlassliche Eigenschaft aller Email-Arten ist die, dass sie leichter schmelzbar
sein milssen als die Metalle oder Legirungen, **) zu deren Ueberzug sie verwendet
werden sollen. Die Emailirungsarbeiten lassen sich in vier Hauptoperationen ein-
theilen, namlich:
1. Die Bereitung der Emailmassen,
2. die Vorbereitung der zu emailirenden Gegenstande,
3. das Auftragen und
4. das Einbrennen der Emaile.
1. Die Emailbereitung. Die Erzeugung guten Emails erfordert viele Um-
sicht und genaue Kenntniss der Mischungsverhaltnisse und Qualitat der Materialieu,
des Verhaltens dieser Glasfltisse und der sie farbenden Metalloxyde in der Schmelz-
hitze, so wie der Haltbarkeit des Emails an der Oberflacke verschiedener Metalle.
Die Quantitat und Qualitat der Email-Bestandtheile richtet sich:
1. Nach dem Zwecke des Email-Ueberzuges ; ob derselbe bios zur Ver-
schonerung angebracht ist, oder ob er der Zerstorung der Metalle durch Chemikalien
vorbeugen soil, und im letzteren Falle wiederum, ob die emailirten Gegenstande
erhohter Temperatur ausgesetzt werden oder nicht.
*) Man unterscheiclet durchsiclitige Emaile, bei cleneri die Gemcng'tlieile vollig geschiuolzen
sind, und undurclisichtige (opake), deren Bestandtlieile entweder bios zusammeugeflo^sen
oder, wenn sie geschmolzen sind, triibende Gemengtheile enthalten, so dass sie das Licht
nicbt hindurcbdringen lassen.
•*) Es soil hier bios von der Emailirung metallener Gegenstande die Eede seiii. Ueber die
Emailen fiir keramische Erzeugnisse siebe den Artikel Th'onwaaren.
264 Email.
2. Nacb dem zu emailirenden Metalle selbst. Der Ueberzug muss namlich
der verschieden starken Ausdehnung und Zusammenziehung verschiedener Metalle
in der Hitze (des Emaileinschmelzens und beim Gebrauclie) folgen, oline abzu-
blattern oder Risse zu bekommen.
3. Nach der beabsicktigten Farbuug der Scbmelze. So darf z. B. zu farb-
losen Emails kein eisenbaltiger Sandy zu gefarbten kein kupfer- oder antimon-
haltiges Bleiglas (den Fall ausgenommen, dass die Farbuug ohnebin mit Kupfer-
oder Antimonoxyd erfolgen soil), zu purpurrotb zu farbenden Emailen iiberhaupt
kein blei- oder zinnbaltiges Glas genommen werden u. s. f.
Die Basis des farblosen Emails ist stets das reine Krystallglas, dem man
zur Erbohuug des Glanzes in einem gewissen Verhaltnisse Zinnoxyd*) und Blei-
oxyd und unter Umstanden aueh Sand hinzufugt.
Die Materiale werden jedes fur sich fein gepulvert, dann gesiebt und innig
gemischt, worauf man sie in einem mittelst eiues Deckels bermetiscli verschlossenen
feuerfesten Tiegel bis zur beginnenden Schmelzung erhitzt. Die so erhaltene zu-
sammengebackene Masse — die Fritte — wircl nach dem Erkalten (das man
durch Einwerfen des beissen Tiegelinhaltes in kaltes Wasser bescbleunigt) abermals
gemahlen, gesiebt, gemiscbt und zum zweitenmale gefrittet, urn eine recbt innige,
gleicbformige Vertbeilung und Miscbung der Bestandtbeile zu erreichen.
Erscbeint die Fritte nacb erfolgter Sinterung missfarbig, so ist sie desbalb
nocb nicht immer zu verwerfen, da diese Verfarbung von eingedrungenem Raucb
oder von Eisenoxydul verursacht sein kann. Es ist dann eine geringe Menge
Braunstein (Glasmacberseife) vor dem zweiten oder dritten Fritten zuzugeben.
Der Braunstein entwickelt in der Hitze Sauerstoff, der den etwa eingescblossenen
Kohlenstoff zu (entweichendem) Kohlenoxyd und das Eisenoxydul zu weniger
farbendem Eisenoxyd oxydirt. **)
Als Basis farbiger Emaile eignet sicb nacb Clouet***) ein Gemenge von
3 Tbeilen gewaschenen Sandes, 1 Theile Kreide und 3 Theilen calcinirten Borax
oder von 3 Tbeilen guten weissen Krystallglases, 1 Theil calcinirten Borax,
'/4 Theil Natronsalpeter und einem Tbeile Antimonoxyd, oder 60 Theile (kalk-
baltiger) Sand, 30 Theile Alaun, 35 Theile Kochsalz und 100 Tbeile Mennige.
Ein schwacber Eisengehalt dieser Bestandtheile ist weniger scbadlicb als
das Vorkommen von Kupfer- oder Antimonox}rd, welche die Schonlieit der Farben
selir beeintrachtigen wiirden.
Die farbenden Metalloxyde miissen stets in moglichst reinem Zustande und
miiglichst fein vertbeilt in Anwendung gebracht werden.
Im Nachstebenden sei Einiges tiber dieselben erwahnt.
Zur Erzielung p u r p u r r o t h e r Schmelzfliisse verwendet man den C a s s i u s-
G o 1 d p u r p u r, den man durch Fallung einer Goldlosung mittelst Zinnsalz erhalt
und durch wiederholtes Waschen mit Wasser vollkommen gereinigt hat. Minder
gut_, jedoch mit nocb zufriedenstellendem Erfolge, verwendet man das Gold
chlorid. Das Goldpraparat darf nur in eine ziun- und bleifreie Emailmasse
eingetragen werden. Als Fritte eignet sich am besten ein Gemisch von 3 Theilen
Quarzsand, 1 Theile Kreide und 3 Theilen calcinirtem Borax. Die Frittung muss
bei moglichst niederer Temperatur vorgenommen werden. Die Tiefe des Farben-
tones hangt von der Menge des angewandten Goldpraparates ab.
Zur Rotbfarbung verwendet man ein Thonerde-Eisenpraparat,
welches man erhalt, wenn man zuvorderst ein Gemenge von 21/„ Theilen Eisen-
vitriol und 1 Theile schwefelsaurer Thonerde bis zur volligen Vertreibung des
Krystallwassers erhitzt, sodann aber die Hitze steigert und so lange gliiht, bis
*) Die Meugc des Zinnoxydes muss so geriiig sein, dass sie kerne Triibung der Schmelze
hervorbringt.
**) Der Braunstein eutlnilt 3neist selbst eine gewisse Menge Eisenoxyd, die der Schmelze
einen -iveingelben Ton eitheilt, den man aber durch einen geringen Smaltezusatz und
wiederholtes Fritten parallisiren kann.
***) Muspratt, chemische Encvklopadie, II. Band Seite -131.
Email. 265
eine herausgenommene Probe nach demErkalten eine gieichmassige braunschwarze
Farbung zeigt, ein Zeichen; dass sammtliches Eisenoxydul in Eisenoxyd iiberfiihrt
worden ist. *)
Die Fritte fur rothes Email bestelit aus Alaun, Mcnnige, Koehsalz und talk-
haltigem Sande (Fayence Sand). Man nimmt je einen Theil des farbenden Oxyd-
gemisches auf 2 — 3 Tbeile Fritte. Das Eisenoxyd wird von der schmelzenden
Fritte nicht gelost, sondern bleibt als solches im Glase schwebend erhalten ; denn
wiirde eine wirkliche Losung desselben im Glasflusse erfolgen, so wiirde dieser
anstatt roth schwarz oder gelb gefarbt werden.
Fiir die Gelb far bung von Emailen erzeugt man sich die Farbe aus einem
Gemenge von 1 Theile Bleiweiss, 1 Tlieile Alaun, 1 Theile Salmiak und 1 Tlieile
Antimonoxyd, welche man sammtlich zerreibt und in einem Gefasse iiber Feuer
so lange erwarnit, bis aller Salmiak sublimirt ist und der Rtickstand eine gelbe
Farbe angenommen hat.
Auch eine geringe Menge Eisenoxyd ertheilt bei holier Temperatur den Glas-
fltissen eine gelbe Farbung.
Die fiir gelbes Email geeigneteste Fritte ist die aus Sand, Bleioxyd und Borax
zusammengesetzte.
Die blauen Schmelzen erzeugt man stets durch Zusatz von Kobaltver-
bindungen, welche theils als reines Oxyd, theils als sogenannter Zatfer (Kobalt-
saflor) im Handel vorkommen. Die Fritte darf kein Blei oder hochstens nur
Spuren desselben enthalten, da eine grbssere Quantitat enthaltenen Bleioxyds die
Farbe sehr alterirt.
Die violette Farbe wird dem Email durch einen Zusatz von Mangan-
superoxyd (Braun stein) ertheilt. Beim Schmelzen der Fritte ist darauf zu
achten, dass das Mangansuperoxyd nicht dazu beansprucht sei, etwa vorliandenes
Eisenoxyd oder eindringenden Rauch oxydiren zu miissen, da es dadurch ver-
hindert wiirde, auch gleichzeitig farbend aufzutreten.
Griine Emails verdanken diese Farbung entweder der gleichzeitigen An-
wendung blau- und gelbfa'rbender Metalloxyde oder der farbenden Eigenschaft
von Kupfer- oder Chromoxyd, von denen man zu je 2 Unzen auf 4 Pfund
gewohnlicher Bleiglasfritte anwendet.
Endlich werden schwarze Emails crzielt, wenn man den Glasfliissen grosse
Zusatze von Kupfer-, Kobalt- und Manganoxyd gibt, wodurch eine dunkle Ton-
Mischung von blau, griin und violett entsteht, die von schwarz nicht zu unter-
scheiden ist. Clouet will durch Zusammenschmelzen von leicht schmelzbarcm
Thon mit 1/3 seines Gewichtes Eisenoxydul ebenfalls ein schwarzes Email er-
halten haben.
Die vorziiglichste Sorgfalt muss auf die richtige Zusammensetzung der Emails
zum Ueberzuge von Gefassen (Kochgeschirren) verwendet werden, da an diese
Gattung von Schmelzen sehr vielfache, zum Theile ganz unerlassliche Anforderungen
gestellt werden.
Wie bereits oben gesagt, miissen die Emaile der Einwirkung von Wasser
und schwachen Sauren vollkommen widerstehen, um dieselben nicht doch endlich
zu clem zu schiitzenden Metall sich hindurchfressen zu lassen ; und der Ausdehnung
des Metalles folgen, damit sie keine, ihren Zweck ganz illusorisch machende Risse
und Spriinge erhalten.
Diesen Anforderungen zu entsprechen , war zu Anfang ziemlich schwierig,
weil die Ausdehnung zweier so heterogener Materien, wie es Metalle (gewohnlich
Gusseisen) und Glasfliisse sincl, eine sehr ungleiche ist; doch wurde diese Aufgabe
dadurch gliicklich gelost, dass man zwischen das eigentliche, von den Fliissig-
keiten beriihrte Email und das Metall eine Schichte einschaltete, deren Ausdehn-
*) Wird die Oxydation zu weit getrieben, so bildet sich durch theihveise Sauerstoffabgabi
Eisenoxyduloxyd, welches dera Schmelzflusse eine sclnvjirzliche oder griinliclie Fai'lunu
ertheilen wiirde.
266
Email.
samkeit in der Warme zwischen jenen des Metalles und des Emails steht, so
dass sie eine Vermittlung zwischen ersteren beiden bewirkt. Diese Zwischen-
schichte besteht aus einem nicht in den vollkommen glasartigen Zustand liberge-
gangenen porosen Email, dem sogenannten Grundemail oder der Grundmasse.
Nebst den oben angefiibrten unerlasslichen Eigenschaften ist es erwiinscht,
dass das Gescbirremail eine moglichst glatte, von Blasen, Runzeln und Rissen
freie Oberflache und eine reine (ineist weisse), gleichniassige, wolkenfreie Farbung
habe, und nicht allzu sprode sei, um nicht bei geringen, gegen das Metall ge-
ftihrten Schlagen gleich abzuspringen.
Die Herstellung der Geschirremaile zerfallt also in die Erzeugung der Grund-
masse und der Deckmasse.
Zur Darstellung der Grundmasse mischt man krystallisirten Borax mit
Feldspath oder Kryolith und feinem Sand oder statt letzterem mit gepochtem
Quarz,*) sammtliche im feingemahlenen Zustande und bringt dieses Gemenge in
einen an seinem Boden durchlocherten Tiegel, in welchem man es einschmilzt.
Nebenstehende Figur 1496 a und b zeigt einen fur diese Operation geeigneten
Ofen im Verticalschnitte. A ist der hessische, mit einem Deckel verschliessbare
Sehmelztiegel, B ein durchlocherter Untersatz, der durch den Rost D hindurchragt,
Fig. 1496.
E ein Wassergefass, in welches man die
gehorig geschmolzene Fritte durch Oeffnung
des mit einem Thonpfropfen verschlossenen
Loches im Tiegelboden abfliessen lasst.
Der Tiegel wird durch die Oeffnung M
eingesetzt, beschickt und bedeckt; dann
wird Feuer auf den Rost gebracht, dariiber
Kohle oder Koks geworfen und die Oeff-
nung M verschlossen. Nach etwa 1 1!q
Stunden ist die Masse geschmolzen und
wird abgelassen ; worauf man die Operation
des BeschickenS; Einschmelzens etc. mit
anderen Mengen vornimmt. Die aus dem
Wasser genommene Masse wird getrocknet,
durch Stamp fen zerkleinert, mit Pfeifeuthon
und gebrannter Magnesia gemischt und das
Ganze auf einer Glasurmiihle fein gemahlen.
Das sorgsam von den Potterien (Email-
Geschirr-Fabriken) bewachte Geheimniss be-
steht in dem richtigen Mengen- Verhaltniss
der zur Fritte genommenen Bestandtheile.
Einige als bewahrt befundene Recepte seien
hier angefiihrt.
1.) 30 Thl. Quarzmehl, 16V2 Thl. Borax und 3 Thl. Bleiweiss werden im
Tiegel eingeschmolzen (und liefern 39 Gew.-Thl. Fritte) und nach dem Erkalten
und Pochen der gewonnenen Schmelze mit 9 Thl. Quarzniehl, 82/5 Thl. ge-
schlammtem feuerfesten Thon, V2 Thl. Magnesia alba und der nbthigen Wasser-
menge zu einer rahmartigen Fltissigkeit mittelst einer Glasurmiihle vermahlen.
2.) 30 Thl. Quarzmehl, 30 Thl. feingemahlener Feldspatb, 25 Thl. Borax
werden eingeschmolzen und nach dem Pochen der Schmelze zu dieser 103/4 Thl.
Thon, 6 Thl. Feldspath und l3/4 Thl. gebrannter Magnesia zugemischt? worauf
man unter Wasser vermahlt.
Die in diese Massen (Fritten) eingefiihrten Antheile von Thon und Thonerde
(im Kryolith) bedingen, dass die Masse beim Einbrennen weniger diinnfliissig wird,
vielmehr eine halbgeschmolzene, teigige Consistenz annimmt.
*) Derselbe wird durch Gliiheu und rasches Absclnecken in kaltein Wasser sprode gemacht,
\\m leichter gepocht werden zu konnen.
Email. 267
Die Deckmasse unterscheidet sich von der Grundmasse in ihrer Zusammen-
setzung nur durch ihren Mangel an Thonerde und durch die Anwesenheit von
Zinnoxyd oder phosphorsaurem Kalke (als Knochenerde verwendet;, welche die
milchige Triibung des Schmelzflusses bedingen. Mit Uebergehung der als schadlich
erwiesenen, bleihaltigen Gemische sei hier die Zusammensetzung eines vollkommen
unschadlichen Deckemails*) gehracht. 37]/2 Thl. Quarzmehl, 27 1/,i Thl. Borax,
30 Thl. Zinnoxyd, 15 Thl. Soda, 10 Thl. Salpeter und 5 Thl. gebrannter Mag-
nesia werden in feingepulvertem Zustande gemengt und, wie bei der Grundraas.se-
Erzeugung beschrieben, gefrittet (man erhalt dadurch 92 Thl. Email), und diese
Operation so oft wiederholt, als die abgelassene Masse noch blasig erscheint.
Nach beendeter Frittmig, Abkiihlung und Zerpochung mischt man das Email-
pulver mit 6V8 Thl. Quarzmehl, 3% Thl. Zinnoxyd, 2/3 Thl. Soda (calcinirt)
und 3/4 Thl. gebrannter Magnesia und vermahlt das Ganze auf einer Glasurmlihle
mit dem erforderlichen Wasserquantum zu einer rahmigen Fliissigkeit.
Eine besonders fur Blechgeschirre und Sauregefasse sehr geeignete Email -
masse wird aus 12 Thl. ungebranntem Gyps und 1 Thl. Borax gemischt. Dieses
Gemenge muss ebenfalls gefrittet, in Wasser abgelassen, getrocknet und ver-
mahlen werden.**)
2. Vorbereitung der zu emailirendenGegenstande. Die Mannig-
faltigkeit der Formen und Verschiedenheit der Metalle bedingt verschiedene Vor-
arbeiten, doch lasst sich als allgemeines Erforderniss aufstellen, dass die mit
Email zu iiberziehenden Flachen metallisch rein und doch rauh gearbeitet sein
miissen , um die Adhasion zwischen dem Email und dem Metall moglichst zu
steigern.
Die zu Uhrzifferblattern, Schildern etc. bestimmten Kupferbleche werden
theils einseitig, theils auf beiden Seiten emailirt, und miissen, nachdem sie in der
richtigen Form zngeschnitten, concav ausgehammert oder aber geebnet und mit
den zur Befestigung bestimmten Lochern versehen sind, auf einer oder beiden
Seiten mit verdilnnter Salpetersaure blankgebeizt und sofort in Wasser geworfen
werden, um sie vor der oberflachlichen Oxydation zu schtltzen. Im Wasser haben
diese Bleche bis zur Auftragung und Einbrennung des Emails zu verbleiben.
Sehr grosse Sorgfalt und mehr kiinstlerische Ausfiihrung beanspruchen die
Vorarbeiten an zu emailirenden Luxusartikeln. Auf dieselben wird das Email
meist in mehreren nebeneinander angeordneten, aber scharf getrennten Farben
aufgetragen, wodurch es noting ist, die Oberflache soldier Gegenstande mitkleinen,
zur Aufnahme des Emails bestimmten Behaltnissen von entsprechender Form zu
versehen. Das Erzeugen dieser Behaltnisse geschieht entweder derart, dass man
auf eine gereinigte Platte die Contouren der im Email auszufiihrenden Zeichnung
(d. h. die Grenzlinien der verschiedenen Farben) vorzeichnet, dann mittelst feiner
Zangelchen Draht nach diesen Linien biegt und diesen schliesslich mit einem
nicht zu weichfliissigen Lothe an die richtige Stelle auflothet. Diese Manier fiihrt
den Namen Zellenschmelze (emaile cloisonne, von cloison, d. i. Verschlag
oder Scheidewand) und liefert die am theuersten bezahlten Producte. Oder es
werden die erforderten Griibchen mit dem Gravirstichel aus dem vollen Metall
ausgearbeitet. Diese Art bezeiclmet man mit dem Namen Grubenschmelze
(champ eleve).
Am raschesten und billigsten gelangt man zum Ziele, wenn man die Ver-
tiefungen durch Einpragen mittelst starker Schraubenpressen erzeugt, oder durch
Giessen der ganzen, schon mit den Zellen versehenen Gegenstande aus Metallen,
die strenger fliissig sind als die zur Anwendung kommenden Emaile. Diese
s) Vom Hiittenmeister Cuchul in der k. Eisengiesserei in Glehvitz erfnnden und eben-
daselbst im Gebrauche. S. Dingler's polyt. Journcal Bd. 202 S. 502.
■■) Dinglei-'s polyt. Journal Bd. 203 S. 499. Dieses Email verwendet die Fabrik ^og-.
„Sanitatsgeschirre" des Emil Soltmann in Thale.
268 Email.
beiden Verfahrungsarten sind natiirlich nur dann rentabel, wenn es sicb urn An-
fertigung vieler gleicher Stiicke handelt, da die Beschaffung von Pragestempeln
und scharfen Gussformen kostspielig ist. *)
Gleichgiltig, in welcher Weise vorgegangen wurde, muss audi hier ein Ab-
beizen mittelst Sauren dem Auftragen des Emails vorangehen.
Die ausgedehnteste Anwendung erleidet das Email als Ueberzug von Koch-
geschirren, Fliissigkeits-Leitungsrohren und als ausserlicher Schutz der Locomotiv-
kessel-Siederobren gegen die Ablagerung von Kesselstein.
Bei alien Arten Rohren ist das Material von der Bestimmnng des fertigen
Productes abhangig, bei Kocbgescbirren aber ist es in den meisten Fallen Guss-
eisen, seltener Eisen- oder Kupferblech.
Die Gusseisengescbirre sollen an und fur sicb leicht sein und die Warme
rascb durchdringen lassen, beides Eigenschaften, die man durcb entsprecbend diinne
Wandungen erzielt, wozu das beim Scbmelzen sebr diinnfliissige weisse Gusseisen
von Wiesenerzen sehr geeignet ist. Die Harte dieses Materiales tbut der Ver-
wendung keinerlei Eintrag, da die gegossenen Gefasse vor dem Auftragen des
Emails keinerlei Bearbeitung mittelst Werkzeugen erfahren, sondern lediglicb
mittelst scbwacher Saure (24 Tbl. Wasser, 1 Thl. Scbwefelsaure) abgebeizt, mit
scbarfem Sande und mittelst einer scbarfen Biirste in kaltem Wasser gescheuert
und dann mit beissem Wasser ausgespiilt werden, worauf sie sofort trocknen.
3. Auftragen des Emails. Diese Operation erfordert einige Uebung,
da der Emailiiberzug iiberall moglicbst ' gleiebmassig sein muss. Zifferblatter
it. s. w. werden mittelst eines Pinsels mit dem im Wasser vertbeilten Emailpulver
bestricben oder in die rabmige Fliissigkeit, in welcber man das Emailpulver durcb
bestandiges Rlibren gleiebmassig vertheilt erhalt, eingetaucbt und der anhangende
Ueberscbuss durch mehrmaliges rascbes Schwingen oder durcb einige kurze, kraftige
Stosse, die indess den Metallgegen stand nicbt deformiren diirfen, abgescbleudert.
Ebenfalls mit einem Pinsel wird das Email in die Zellen von Luxusgegen-
standen eingefiillt.
Das Einbriugen des Emails in Kocbgeschirre muss in zwei getrennten
Operationen vorgenommen werden, indem man zuerst eine Grundmasse auftra'gt
und erst nacbdem diese ehigebramit ist; die Deckmasse dariiber bringt. Beidemale
wird die mit Wasser zu einer rabmartigen Fliissigkeit angeriihrte., fein ge-
pulverte Emaile in die auf etwa 60 — 70° in einem Vorwarmofen angewarmten
Geschirre in binreicbender Menge eingegossen , durcb gescbicktes Wenden und
Schwenken gleiebmassig vertheilt, der Ueberscbuss abgegossen und die Gefasse
zum raschen Trocknen in einen Warmofen gebracbt. Neuer, wenn audi gewiss
niclit besser, ist das Verfahren des Englanders Paris.**) Die Gefasse werden
innerlicb mit einer dlinnen wassrigen Losung von arabiscbem Gummi ausgestricben
und auf diese klebrige Schichte das trocken feingemablene Emailpulver aufgesiebt
und durch scharfes Trocknen befestigt.
4. Das Einbrennen des Emails erfolgt nie in offenem Feuer, sondern
stets in Muffeln, um die Verunreiniguiig des Emailiiberzuges durch Rauch oder
Flugasche zu verhuten.
Die Gegenstande sind beim Einschmelzen stets so zu stellen, dass die
moglicbst geringste Tendenz des Abfliessens des breiig erweichten Emails vor-
handeii ist.
Die Einbrenn-Temperatur ist eine wechselnde und richtet sicb nacb der
Scbmelzbarkeit des Emails, die jedenfalls unter der des zu emailirenden Metalles
oder an demselben vorkommender Lothungen liesren muss.
*) Vergleiche Dingler's polyt. Journal Bd. 211 S. 245 und „Verhandlnngeu des Vereiues
fixr Ge-werViefleiss1' VI. Beilag-e, Vortrag vom Fabrikanten Sussmann He 11 born am
6. December 1875.
**) Musspratt's cliemiseli-technisclie Encyklopadie.
Email.
269
Die Einrichtung eines Muffel-
ofens, wie derselbe zum Email-
schmelzen fiir kleinere Gegenstande
geeignet ist, zeigt nebenstehende
Figur 1497. A ist die thcinerne
Muff el, die sich an den Einsclmitt C
des Ofens schliesst und anf mehreren
thonernen Stiitzen anfruht. D ist
eine durchlocherte Thonplatte, die
den Rost vertritt, E der Aschenfall,
R die Oeffnung zum Einbringen
des Brennmateriales und B der von
den Flammen erfiillte Ofenraum.
Wahrend des Email-Einschmelzens
ist die Muffel bei C mit einem tho-
nernen Deckel verschlossen. Fiir
Emailirung von Sehmuckgegenstan-
den eignet sich vorziiglich P e r r o t's
Gas-Muffelofen (s. Gas 6 fen).
Nachdem das Email geschmol-
zen ist, wovon man sich durch zeit-
weiliges Herausziehen von Proben tiberzeugt, lasst man den Ofen erkalten und
nimmt die Gegenstande aus der Muffel. Man findet nun, dass die Emailoberflache
mit vielen kleinen, geplatzten Blaschen iiberdeckt ist (diese Erscbeinung tritt
besonders stark auf, wenn das Fritten und Trocknen keine vollkommene Ent-
wasserung des angewendeten Borax oder der Soda bewirkt hat). Man schleift
dann die Oberflache mit Schmirgel und Polirroth ab und bringt die Gegenstande
nach erfolgter sorgfaltiger Reinigung abermals in die Muffel zur zweiten Schmelzung,
dem sogenannten Glanzschmelzen, wodurch sie eine glasglanzende Oberflache
erlangen.
Das Einbrennen des Emails in Geschirren erfordert wegen der bedeutenderen
Grosse der einzelnen Stiicke, und weil die Procedur mit vielen Gefassen zugleich
vorgenommen wird, Muffelofen von bedeutenderen Dimensioned doch diirfen diese
nicht allzugross genommen werden, da es schwierig ist, dieselben dann gleich-
massig auszuheizen.
Die Gefasse werden in diesen Oefen bis zur hellrothen Gluth erhitzt, wodurch
bei richtiger Zusammensetzung der Emailmasse nach 15 — 20 Minuten die Sinterung
der Grundmasse oder Verglasung cles Glanzemails vollstandig erfolgt ist.
Die Geschirre miissen wahrend des Einbrennens mehrmals gedreht werden,
damit die Schmelze iiberall gleichmassig erweicht werde.
Die Thiire der Muffel wird nur wahrend des Einsetzens und Ausnehmens
der Geschirre geoffnet; bleibt aber sonst verschlossen. Zur Einfiihrung einer
eisernen Gabel, mit welcher die Geschirre an den Henkeln gefasst und gewendet
werden, ist in der Muffelthlire ein langlicher, wagrechter Schlitz.
Das Einbrennen der Deckmasse erfordert natiirlich mehr Sorgfalt als jenes
der Grundmasse, wird aberim Wesentlichen in beiden Fallen gleich ausgefiihrt.
Alle emailirten Gegenstande, insbesondere voluminosere, sollen nach er-
folgtem Einbrennen des Emails in Kiihl-Oefen gebracht und mit diesen abkuhlen
gelassen werden, um die Bildung von Haarrissen im Email zu verhiiten.
Geschirre und Rohren sind nach dieser letzten Operation fertig und werden
nur zuweilen noch auf den nicht emailirten Flachen mit Firniss iiberstrichen.
Zifferblatter,, Schilder und viele Luxusgegenstande aber erhalten eine Be-
malung, welche man mit Emailfarben, die in hochst feingemaldenem Zustande mit
Lavendelol verrieben sind, mittelst eines Pinsels auftragt und dann vorsichtig in
Muffeln einbrennt. Es ist selbstverstandlich , dass diese Emailfarben leichter
schmelzen miissen als der Grund, um jedes Verfliessen hintanzuhalten.
270 Email. — Emetin.
Audi Vergoldungen und Versilberungen werden auf den Sclimelz angebracht
und verweisen wir dieserlialb auf Porcellamnalerei im Artikel Thonwaaren.
(Als hervorragende Fabriken emailirter Kochgeschirre sind zu nennen: Pleischl
Ad., Wien, Alserstrasse 25. (Emailirte Gussgeschirre.) Bartelmus Aug. & Co.,
Briinn (Em. Eisenblechgescbirre). Actiengesellschaft in Lauchhammer, Prov.
Sachsen (bis zu em. Gahrbottichen). Moritz Kohn.
Emailfarben; Emailglas, Emailgrund, s. Email u. Glas.
Emailirofen, s. Email.
Embolit, Mineral. Tessulare Krystalle von gelber oder grlinlicher Farbe,
diamantglanzend. Harte 1 — 1*5, spec. Gew. =z5*79 — 5*81. 1st Bromchlorsilber von
der Formel 2 Ag Br -f- 3 Ag CI mit 66-9% Silber. Findet sich zu Copiapo in Cbili. Gtl.
Embritllit, Mineral. Derb, kuglige oder kornige Massen von bleigrauer
Farbe bildend. Harte 2-5. 1st Schwefelantimon-Schwefelblei mit geringem Kupfer-
und Silbergehalt. Vorkommen Nertscbinsk. Gtl.
Emerald, s. Smaragd.
Emeraldin, s. Anilingriin bei Theerfarbstoffe.
Emeraldnickel, s. Nickel smaragd, s. Texasite.
Emerylith, s. m. Mar gar it.
Emetin (emetine — emetine). Das wirksame Princip der Ipecacuanha-
oder Brechwurzel, vielleicht auch der Caincawurzel. Zuerst von Pelletier im
Jahre 1816 dargestellt und von demselben im Vereine mit Mag en die (s. Journ.
Pbarm. (2) III 145 u. IV 322), dann mit Dumas (Annal. d. Cbem. et Pbys.
(2), XXIV pag. 180), weiter von Merk (Trmsdrf. n. Journ. f. Pbarm. XX, 1.
pag. 134), von Reich (Arcbiv f. Pbarm. (2) CXm pag. 193), Lefort (Journ.
Pharin. (4) IX pag. 167 u. 241) u. A. genauer untersucbt. Kann erbalten werden
durch Extrahiren der zerkleinerten Ipecacuanbawurzel mit warniem Weingeist,
zuerst mit starkerem (86-grad.), dann mit schwacherem (56-grad.), Verdunsten der
Ausziige zur Syrupconsistenz und Versetzen des Verdiinstungsriickstandes mit
etwas Wasser und 2 °/0 von dem Gewichte der Wnrzel an Kalibydrat und Schiitteln
dieser Miscbung mit Chloroform. Nach dem Verdunsten der von der iibrigen Masse
getrennten Cbloroformlosung hinterbleibt unreines Emetin, das in verdiinnter Salz-
saure gelost und die Losung durch eine eben znreichende Menge an Ammoniak
gefallt wird. Der hiebei erhaltene Niederschlag wird nun zunachst mit AVasser,
dann mit Aether gewaschen, wodurch die letztcn Reste von Verunreinigungen
entfernt werden (Lefort). Es resultirt nach diesem Verfahren aus brasil. Ipeca-
cuanbawurzel durchschnittlich 1/3 — V2 % Emetin.
So dargestelltes Emetin bildet ein weisses, geruchloses Pulver von schwach
bitter kratzendem Geschmack ohne Spur von Krystallisation. Es reagirt alkalisch.
Lust sich in 1000 Thl. Wasser von 50° C, leicht in Alkohol, sehr leicht in
Chloroform, eben so auch in Benzol und Petroleumather, dagegen fast gar nicht
in Aether. Die angesauerte Losung fluorescirt blau. Das Emetin schmilzt bei
70° C. (Lefort) (nach Pelletier bei 50°), bei starkerem Erhitzen verbrennt
es mit russender Flamme. Von Sauren wird es gelost unter Bildung neutraler Salze,
welche nicht krystallisirbar, in Wasser meist leicht loslich und von scharfem,
zugleich bitterem Geschmacke sind. Das Nitrat ist nach Lefort schwer loslich.
Seine noch nicht mit Sicherheit festgestellte Zusammensetzung entspricht nach
Reich der Formel CMH3uN2010, nach Anderen ware jedoch auf 30 bis 37 Atome
Kohlenstoff bios 1 Stickstoffatom enthalten wie in der Formel 6,3.-^„Tivr010. Das
Emetin wird aus den Losungen seiner Salze sowohl durch Platinchlorid als auch
durch Phosphormolybdansaure, dann durch Gerbsaure, Quecksilberchlorid gefallt.
Schwefelcyankalium fallt es gelblichweiss , Kaliumbichromat gelb , salpetersaure
Alkalien weiss. Aetzende, so wie kohlensaure und doppelt kohlensaure Alkalien,
Ammoniak und Magnesia fallen reines Emetin. Es wirkt schon in geringen Gaben
Emetiri. — Endosirmaschine. 271
heftig brechenerregend, in grSsseren Dosen tbdtlich. Unter dem Namen Emetine
coloree (brnne) kommt in Frankreich cin Praparat in den Handel, das nichts
weiter als ein durcli Verdunsten eines alkoholischen Wurzelauszuges, Auflosung
des Riickstandes in Wasser und Eindampfen der nacli Zusatz von etwas Mag-
nesia filtrirten wassrigen Losung znr Troekene bereitetes Extract der Ipecacuanha
ist. GtL
Emmer, s. bei Dink el II pag. 632.
Emmonit, kalkhaltiger Strontianit, s. d.
Emoisin, Bezeichnung fur Lexikon-Format.
Empiectit, rhombisches Mineral, welches in dtinnen nadelformigen , stark
langsgestreiften Saulen in Quarz eingewachsen vorkommt. Mild, Harte 2, spec.
Gew. — 5-137 — 5-263, zinnweiss , gelb angelaufen. Chern. Zusammensetzung
Cu*S BPS3, 19 Schwefel, 19 Knpfer und 62 Wismuth. Vorkommen Schwarzenberg
im Erzgebirge, Freudenstadt in Wiirttemberg, Copiapo in Chile. Lb.
Empyreuma (empyreuma — empyreume) bedeutet so viel als brenzlicher
Geruch oder Gescbmack, wie solcher den bei der trockenen Destination organiscber
Substanzen sich bildenden StofFen eigenthiimlich ist. Vgl. Destination II
pag. 613.
Emillsin, Synaptase, s. Amygdalin I pag. 141, s. Ei weisskorper
III pag. 142.
Emulsion nennt man die innige Vermengung eines in einer Fltissigkeit nicht
oder nur schwer loslichen Korpers mit derselben durch gleichmassige Vertheilung
des feinzertheilten Korpers in der Fltissigkeit. Namentlich gebraucht man cliese
Bezeichnung fiir die durch feine Vertheilung eines Oeles oder Fettes, wohl auch
eines Harzes in einer wassrigen Fliissigkeit entstandenen Mischungen, wie solche
z. B. in der thierischen Milch, den Milchsaften der Pflanzen, dem Eidotter etc
vorliegen und spricht in diesem Sinne von Oel-, Fett-, Harzemulsionen.
Fiir die kiinstlicbe Bereitung von Emulsionen wahlt man scbleimige Fliissig-
keiten, welche der Wiedervereinigung der fein vertheilten Oel-, Fett- oder Harz-
partikelchen einen grosseren Widerstand entgegensetzen. So kann man durch An-
riihren von 1 Till. Oel mit ]/a Thl. Gummi und allmaligen, unter fleissig fort-
gesetztem Verreiben erfolgenden Zusatz von Wasser (10 — 12 Thl.) eine Oelemulsion
darstellen. Gummiharze liefern beim Anriihren mit Wasser direct eine Harz-
emulsion, auch durch Zerstossen olreicher Samen, Anriihren des Breies mit Wasser
und Abseihen der erhaltenen Emulsion von den festen Samentheilen erhalt man
Emulsionen (Samenemulsion), z. B. die Mandelmilch. Gil.
Emydin. StickstofFhaltige und phosphorhaltige organische Substanz, welche
sich in Gestalt rundlicher Kcirner, nicht selten auch krystallisirt in den Schild-
kroteneiern findet. GtL
Enargit (Name von ivaoyiqg deutlich, Anspielung auf die Spaltbarkeiti,
rhombisch-krystallisirendes Mineral, das jedoch meist derb,, grobkornig oder stenglig
vorkommt. Spaltbar prismatisch, vollk. sprode. Harte 3, spec. Gew. = 4*36
bis 4-47. Eisenschwarz, Strich schwarz, Metallglanz. Chem. Zusammensetzung
SCu-SAs"^ mit 48-60 Kupfer, 18-28 Arsen, 32-58 Schwefel. Zuweilen vicariirt
etwas Antimon fiir Arsen, etwas Eisen und Zink fiir Kupfer. Im Kolben sublimirt
erst Schwefel, worauf er schmilzt und dann Schwefelarsen gibt. Schmilzt auf
Kohle leicht zu einer Kugel, Aetzkali entzieht dem Pulver Schwefelarsen. Fund-
orte Morococha in Peru, Chesterfield, Siid-Carolina, am Colorado, Coquimbo, Chile,
Neugranada, Mexico. Lb.
Encaustik, s. Enkaustik.
Endlose Schraube, s. Schraube.
Endosirmaschine oder Abpress-M., s. Buchbinderea II S. 114.
272 Endosmose. — Enkaustik.
Endosmose, s. Diffusion II pag. 625.
Engelroth, Englischroth, s. Caput movtuum II S. 252 u. d. Artikel
Poliren, s. a. Eisenoxyd II pag. 760.
Engelwurzel, Angelicawurzel (racine d'angelique — angelica root).
Die Wurzel von Archangelica officinal. Hofiin., einer im nbrdlichen Europa und
Asien, seltener in Mitteleuropa , auf feucbten Wiesen und an Bachen vor-
kommenden Doldenpflanze , die nicht selten ini Erzgebirge und in Thiiringen
cultivirt wird. Die Handelswaare bildet braune Stiicke. welcbe aus dem oft bis
6cm dick en, geringelten, mit den Scheidenresten abgestorbener Blatter besetzten
Wurzelkopf bestehen, an dem zahlreiche, bis 0*2™ lange, 3 — 4mm dicke Neben-
wurzeln sitzen, die haufig unter einander verschlungen sind. Die ziemlich lockere
strahlige Wurzelsubstanz bat einen angenehmen, durchdringend aromatischen Geruch
und schwach bitteren, gewiirzhaften Geschinack, welcbe auf Rechnung eines athe-
rischen Oeles (von welchem die Wurzel 03 — 0*7 °/0 enthalt) und einer balsara-
artigen Substanz ( — 6 °/0) zu setzen sind. Bucbner hat daraus das krystallisirbare
Angelicin oder Angel icabitter erhalten, ausserdem findet sich Angelica-
saure (Q-#802), etwas Valeriansaure, Zucker, Starke, Wachs, ein BitterstofF und
Spuren von Gerbsaure.
Die Angelikawurzel dient einerseits als Arzneistoff, andererseits wird sie
ihres angenebmen Aromas wegen zur Bereitung von Liqueuren und aromatischen
Essigen verwendet. Gil.
Englischblau, vgl. Indigo.
Englischgelb, Varietat von Casselergelb, s. d. I pag. 621.
Eliglischgriin , Mineralfarbe , welcbe durch Mischuug vou Chromgelb mit
Berlinerblau und Barytweiss erbalten wird. Vgl. griiner Zinnober bei Blei I
pag. 603. Gil.
Englisch-Leder, ein dicbtes Baumwollgewebe, s. Satin, s. Weberei.
Engl ischpf laste r {taffetas anglais — court -plaster), S c h o n h e i t s p f 1 a s t e r,
Englisches Klebepflaster (Woodstock's), Taffetpflaster. Ein durch
Ueberstreichen von Taffet mit Hausenblase oder Gelatine hergestelltes Pflaster,
welches nach folgender Vorschrift dargestellt werden kann : 100 Gr. Blatter-
hausenblase in kleine Stiickchen geschnitten, werden in 2000 Gr. heissen destillirten
Wassers gelost, die Losung mit 100 Gr. 90-proc. Weiugeist und 10 Gr. gereinigtem
Honig gemischt und diese Mischung durch ein Tuch geseiht. Diese Menge der
Mischuiig wird durch gelindes Erwarmen fliissig erbalten und mit einem breiten
Haarpinsel auf ein 1 Meter langes Stiick Taffet (von schwarzer, rosarother oder weisser
Farbe), welches auf eine Rahme glatt gespannt ist, nach und nach sehr gleich-
miissig aufgetragen, indem nach jedesmaligem Anstrich abgewartet wird, bis die
aufgetragene Schichte vbllig trocken geworden ist. Sobald die ganze Menge der
Mischuug aufgetragen und der Taffet vbllig abgetrocknet ist, wird derselbe auf
der Riickseite mit einem Anstrich aus einer Mischung von 4 Thin. Benzoetinktur
( 1 Benzoe zu 5 Thl. 90 °/0 Alkohol) und 1 Thl. Perubalsam iiberstrichen und
nach dem Abtrocknen dieses Anstrichs in Stticke von beliebiger Grosse geschnitten.
An Stelle der Hausenblase verwendet man fiir geriugere Sorten von Englisch-
pflaster wohl auch weissen Leim (Gelatine), dem man etwas Glycerin (1 — 2°/0)
zusetzt. Gtl.
Englischl'Oth, syn. mit Engelroth.
Englischsalz, syn. mit schwefelsaurer Magnesia oder Bittersalz.
Englischschwarz, s. Zeugfarberei.
Enkaustik \cncaus1ique — encaustic painting), s. Thonwaaren.
Enkaustiren. — Entfarben. 273
Enkaustiren nennt man clas auf Gypsabgiisse angewendcte Verfahren, des
Einlassens (theilweisen Impragnirens) derselben mit Stearin oder Paraffin, wodurch
die Gypsgegenstande ein, gewissen Marmorarten ahnliches, schwa eh transparentes
Anssehen gewinnen und eine weniger leicht schmutzende, abwaschbare Oberflache
bekomnien. Man erreicht dies entweder durch Einlegen der vollkommen trockenen
nnd auf 80 — 88° C. erwa'rmten Gypsabgiisse in geschmolzene Stearnisaure oder
Paraffin (in welch letzterem Falle man die Gegenstande bios auf 63 — 65° 0. zu
erwarmen braucht), 3 — 4 Minuten langes Belassen in dem Fettbade und Biirsten
der erkalteten Gegenstande mit einer weicben Biirste. Auch durch wiederholtes
Bestreichen der auf den Schmelzpunkt des Fettes erhitzten Gegenstande mit dem
geschmolzenen Fette kann man den gleichen Zweck erreichen. Nach Wiederhold
kann man die Erwarmung der Gegenstande dadurch umgehen, dass man sie durch
Tranken mit einer Losung von 1 — 2 Thl. Stearinsaure in 10 Thl. Petroleum-
ather enkaustirt. Durch Anwendung einer mit etwas Drachenblut und Gummigutt
gefarbten Stearinsaure kann man den enkaustirten Gegenstanden eine angenehm
rothlich-gelbe Farbe ertheilen. Die zu enkaustirenden Gegenstande miissen aus
dem reinsten Gyps hergestellt sein, da sie andernfalls stets ein schmutzig weisses
Aussehen bekommen. Vgl. Gyps bei Calcium II pag. 218, s. a. Gypsguss bei
G i e s s e r e i. Gtl.
Enkrinitenkalkstein, korniger, mehr oder weniger dichter Kalkstein, der
wesentlich aus zusammengehauften Gliedern fossiler Crinoiden besteht, und in ver-
schiedenen Forniationen, namentlich im Kohlenkalk, Muschelkalk und Jura oft in
betrachtlicher Entwicklung vorkommt. Da die Crinoidenglieder immer in Kalk-
spath verwandelt sind, hat das Gestein ein mehr oder weniger spatkig korniges, kry-
stallinisches Aussehen, und liefert oft vorziiglichen Marmor (Lumachelle, Pietra
stellaria z. Thl.). Lb.
Enlevage (enlevages — chemical discharge), Aetzbeize, s. Beize I
pag. 372. Vgl. a. Zeugfarberei u. Druckerei. Gtl.
Enlevagedruck, s. Zeug druckerei.
Enron lew, Einrollapparat, eine Maschine zum faltenfreien Aufwickeln
von Geweben (s. Appretur I pag. 169).
Enstatit, Min. rhombisch, in rechtwinkligen Saulen krystallisirend in Ser-
pentin- oder Olivingesteinen eingewachsen. Prismatisch vollk. spaltbar. Harte
5"5, spec. Gew. — 3*13 — 3*29, graulich oder griinlich weiss. Perlmutterglanz auf
den Spaltungsflachen, wenig durchscheinend. Chem. Zusammensetzung MgOSiO",
60-6 Kieselsaure, 39*4 Magnesia. 1st vor dem Lothrohr unschmelzbar, wird von
Sauren nicht angegriffen. Urspriinglich nur vom Zdjarberge in Mahren bekannt,
lernte man den Enstatit als charakteristischen Gemengtheil des Schillerfelsens vom
Harz, so wie zahlreicher Olivingesteine kennen; auch ist der Enstatit eines von
jenen Mineralien, welche sich in Meteorsteinen finden, der Meteorit von Bishopville
besteht vorwiegend daraus. Lb.
Entfarben (decolorer — to decolour). Das Entfarben von Fliissigkeiten
kann entweder durch Zerstorung oder durch Entfernung des farbenden Bestand-
theiles erfolgen. Im ersteren Falle wird man es wesentlich mit einem Bleich-
processe zu thun haben und die anzuwendenden Mittel werden chemisch wirkende
Mittel, Bleichmittel, sein miissen, vgl. Bleichen I pag. 622. Im zweiten Falle
wird man Mittel anwenden miissen, welche die farbende Substanz aufnehmen oder
binden und sie so zu entfernen gestatten. Von solcher Art ist die Wirkung der
Mittel, die man haufig zur Entfarbung von Fliissigkeiten anwendet, welche die An-
wendung chemisch wirkender Agenzien nicht gestatten. In diesem Sinne verwendet
man am haufigsten Knochenkohle (Thierkohle od. Spodium), welche bei liingerer Be-
riihrung mit gefarbten Fliissigkeiten, soferne dieselben sauer oder neutral reagiren,
die Farbstoffe aufnimmt und nach dem Abfiltriren der Knochenkohle eine mehr
oder weniger farblose Fliissigkeit liefert. Auch frisch gefalltes Schwefelblei, oder
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 18
274 Entfarben. — Entlastungs-Schieber.
noch besser Schwefelblei, welches im Bereiche der zu entfarbenden Fllissigkeit
selbst entsteht, reisst die meisten Farbstoffe mit nieder, wirkt also entfarbend,
und man kann hiebei den gtinstigsten Erfolg dadurch erreichen, dass man eine
zu entfarbende Fliissigkeit, falls dies angeht, mit etwas Bleizuckerlosung versetzt
and sodann Sckwefelwasserstoff so lange auf die Misclnmg einwirken lasst, bis
alles Blei in Schwefelblei verwandelt ist. Audi frisck gefalltes Eisenoxyd und
frisches Thonerdehydrat wirken nicht selten entfarbend. Gtl.
Entfarbungsmesser, vgl. Decolorimeter bei Colorimeter II pag. 385.
Entfarblingsmittel, s. Bleichen I pag. 622, vgl. Enoch enkohle, vgl.
Zeugfarberei.
Entfernung (distance — distances), s. Distanzmesser II pag. 635.
Entfetten, s. Bleichen I pag. 623 u. 630.
Entfettungsmaschlne oder Krapp mas chine, s. Appretur I S. 170.
Entfuseln, s. Branntweinbrennerei I pag. 769, v. a. Alkohol.
Entfuselungspillver nennt Plattner ein ihm patentirtes Gemenge von
2 Thl. Starke mit 1 Thl. Eiweiss und 1 Thl. Milchzucker, welches in feinpulveri-
ger Form zur Klarung und Entfuselung von Liqueren dienen soil. S. Dingl. pol.
Journ. 215 pag. 283. Gtl.
Entglasen, s. Glas.
Enthaaren und Enthaarungsmittei, s. Leder.
Enthiilsungs-Wlaschinen, s. Landwirthschaftliche Mas chin en.
Entkohlen , Decarbonisiren (decarbonisation — decarbon izing) be-
zeichnet das Gliihen von Stahlplatten (fur Stahlstiche) zwischen Schmiedeisenfeil-
spanen zum Zwecke des Weichermachens der Platten durch Verminderung des
KohlenstofFgehaltes des Stahles.
Entkrauseln, s. Kammgarnspinner ei.
Entladevorrichtungen, s. Heb em as chin en.
Fig. 1497. Entlastlingsbogen {arc en decharge — dis-
charging arch) ist ein Mauerbogen, um den Druck
^-"-S^KlT1 H [J TTTrVV^;' ~~ ^es Mauerwerkes (oder der Belastung) von einem
~^\\\\\\wjW darunter befindlichen horizontalen Steinbalken (Sturz)
^NxV \oA\-77^^Xt/J'/i °der einem schwachen Mauerbogen abzuhalten. Fig.
7:^iii_' U1>7 'u'ibt ein Bild davon- Gr-
~'Ua m^' Entlastungs-Schieber, Entlasteter Schieber
llT~r~ (soapape a bascule — balance valere). Schieber-
entlastungen sind, wie schon das Wort besagt, Con-
structionen, welche bezwecken, den Druck, mit welchem Dampf-Schieber gegen ihre
Balm gepresst werdrn, zu verringern und dadurch den Reibuiigswiderstand thunlichst
herabzumindern. Der entlastete Schieber wird natitrlich complicirter und kost-
spieliger als der gewohnliche, keine der bekannten Anordnungen kann als voll-
kommen entsprechend bezeichnet werden, und sie bediirfen, um dauernd wirksam
zu bleiben, ofteren Nachsehens und Reparatur, so dass man derlei Constructionen,
wo es nicht unbedingt geboten erscheint, lieber umgeht.
Das Bediirfniss der Schieberentlastung tritt aber ein, wenn man es mit
grosseren Maschinen zu tlmn hat, deren Steuerungsapparat von Hand aus verstellt
werden soil, wie bei Maschinen mit Umsteuerung und Handsteuerung. Wir sehen
daher bei Schiftsmaschinen (wegen der grossen Schieberdimensionen) fast durchwegs
Entlastungen angewendet, sehr oft audi bei Dampfhammern (s. II pag. 520 etc.),
wahrend die Locomotiven und Fordermaschinen zumeist noch mit voll belastetem
Entlastungs-Schieber,
275
Schieber arbeiten, da die hierbei oft versuchten Entlastungs-Constructionen kein
zufriedenstellendes Resultat ergaben.
Eine der gebrauchlichsten Schieberentlastungen ist jene mit Schlussring, wie
An dem Muschelschieber ist ein cylindrischer Thcil
Fig. 1498.
eine solche Fig. 1498 zeigt.
D angegossen, welcher oben
eine Rinne b eingedrelit
enthalt. In letztere passt
ein Gussring R, der durch
Kautschuk oder Stahlfedern
fortwahrend gegen den be-
arbeiteten und gut gerichte-
ten Scbieberkastendeckel
gepresst wird. Nach der
Grosse, welche man dem
Cylinder D gibt, kann die Entlastung in mehr oder minder hohem Grade erzielt
werden, auf jeden Fall aber, und das gilt fur alle Constructionen, muss noch ein
Druck nach abwarts iibrig bleiben, der den Schieber gegen seine Bahn abdichtet.
Die Entlastung ist im vorliegenden Falle dadurch erzielt, dass der Dampf vom
Riicken des Schiebers abgesperrt wird, und hort auf, sobald der Ring nicht mehr
dampfdicht am Schieberkastendeckel schleift.
Auf einem ahnlichen Gcdanken beruht auch der Schieber von Holt,*) von
Desgrange**) und noch zahlreiche andere Constructionen.***)
Eine andere haufige Anordnung zeigt Fig. 1499. Der Schieberkastendeckel
bildet einen Cylinder Z, in dem sich dampf- Fig. 1499.
dicht der Kolben K bewegt. Schieber und ]<7
Kolben sind durch die Stange L, die in 1
und 2 mit Scharnieren versehen ist, ver-
b unden. Indem der Dampf auch auf den
Kolben K (dessen Oberflache stets etwas
kleiner sein muss als die Schieberoberflache)
nach aufwarts driickt, entlastet er zum grossten
Theil den Schieber. Bedingung ist, dass kein
Dampf in den Raum r gelange, sonst wiirde
die Anordnung unwirksam. Liesse man den J
Deckel E weg, was auch gesshen kann, so
dauert auch beim Undichtwerden des Kolbens K die Entlastung fort, aber es er-
geben sich bedeutende Dampfverluste. Wahrend der Schieber hin- und hergeht,
bewegt sich der Kolben unmerklich auf und ab, und es iibt die Stange L in alien
Stellungen des Schiebers ausser der Mittelstellung einen schiefen Zug auf den
Kolben aus, wodurch derselbe sehr bald schadhaft wird.
Auf dem Principe der Druck-
ausgleichung beruht auch die Ent-
lastung der Kolbenschieber, welche
neuerer Zeit wieder haufiger in Auf-
nahme gelangen.
Fig. 1500 zeigt einen Kolben-
schieber, construirt von Oschgers.
In einem cylindrischen Korper H be-
wegt sich der Kolbenschieber und er-
offnet die Dampfwege a, b, c, welche
ihn ringfdrmig langs eines Kreisum-
*) Kadinger, Motoren der Wiener Weltausstellung.
**j Armengaud, Publication indnstrielle T. 8. 1853.
***) Eine grosse Anzahl von entlasteten Schiebern ist beschrieben von A. Lindner in der
Zeitschrift d. osterr. Ing.-V. Jhrg. 14. 1862. — Ueberdies ist nodi zu erwahnen ein
Artikel in der Revue universelle von Cuyper T. II 1857.
18*
276
Entlastungs-Schieber. — Entstehimgszustand.
fanges umgeben. Die Dichtung erfolgt bei grosseren Ausfiihrungen durch Gussringe
•/. Sobald einer der Dampfkanale, z. B. jener a eroffnet wird, wirkt auf die
aussere Mantelflaehe des linksseitigen Gussringes allseitig der Dampfdruck. Um
diesem entgegenzuwirken und so die Riuge auszubalanciren , dienen die Innen-
flaclien g. Diese Construction soil sicli bei Locomotiven vorziiglich bewahrt haben.
Die Construction in Fig. 1501 ist die von Lindner, und sie fusst auf dein
Gedanken, die Entlastung dadurch berbeizufiibren, dass man die gleitende Reibung
Fig. 1601.
eines Schiebers zum grossten
Tbeil in eine rollende ver-
wandelt.
Der obere Tbeil des
Scbiebers ist cylindriscb und
nimnit den Kolben K auf, der
durch Metallringe gegen den
Scbieber abgedicbtet ist. K
stiitzt sicb in einem Stahllager
bei m auf den Sector J, dessen untere Babn kreisformig und aus m beschrieben
erscheint.
Der Druck, den der Dampf auf den Kolben K ausiibt, iibertragt sicb auf
den Sector. Bei der Schieberbewegung bleibt K relativ gegen den Scbieber in
Rube, und es ist nur die unbedeutende Reibung, welche der Sector beim Rollen
auf der im Auspuffkanal angebracbten Platte i verursacbt, zu iiberwinden. Dei-
Sector J wird durch einen Zahn (in der Figur nicht ersichtlich), der in einen
Ausschnitt der Platte i eingreift, vor zufalliger Verriickung geschlitzt, Die An-
scblage m' verhindern ein Heraustreten des Kolbens aus deru Scbieber. Audi
diese Construction soil sehr gute Resultate ergeben haben.
Diese wenigen Beispiele geben nur typische Formen, Reprasentanten ganzer
Gruppen, denn die Zahl der Constructionen ist iiberaus gross und schon seit dem
Bestehen der Dampfmaschine cultivirt.
Behufs genaueren Studiums dieser Frage ist daher auf die bereits citirten
Quellen zu verweisen. Blalia.
Entoilage, ein den Spitzen ahnliches, gazeformiges Gewebe, s. Weberei.
Entschalen oder Kochen der Seide s. d., s. a. Bleichen I pag. 632.
EntSChlichteil (maceration — steeping), dem Bleichen vorhergehende, die
Schlichte entfernende Reinigung der Gewebe. S. Appretur I S. 169.
Entschwefeln bezeichnet das Auswaschen der Seide nach der Bleiche
(Schwefeln) mit schwefliger Saure. Entschwefeln der Erze vgl. z. B.
Kupfer u. Blei, s. a. Rosten.
Entschweissen, jenes Waschen der Wolle, durch welches der Fettschweiss
entfernt wird, s. Kammgarnspinnerei u. Bleichen I pag. 630.
EntStehungszustand, Moment des Freiwerdens (status nascendi). Die That-
sache, dass einfache Korper, welche auf einen zweiten einwirken, sicb anders
verhalten, wenn sie bereits im freien Zustande sicb fanden, wie sie zur Wirkung
kameu, als wenn sie in dem Augenblicke zur Wirkung gelangten, wo sie eben
aus einer Verbindung ausscheiden, hat schon friihzeitig dazu gefiihrt, die Korper
in dem Augenblicke ihres Freiwerdens in einem besonderen Zustande stehend an-
zusehen, und der Wirkung iin . Entstehungszustaude eine besondere Energie bei-
zumessen. In der That sind Erscheinungen soldier Art nicht selten. So wirkt
Sauerstoff z. B. weit weniger energisch oxydirend, wenn man ihn als Gas auf
gewisse oxydirbare Substanzen einwirken la'sst, als wenn man solche Substanzen
mit Gemengen zusammenbringt, aus welchen sicb eben Sauerstoff entwickelt.
Eben so reducirt Wasserstoff als fertig vorhandenes Gas die verschiedensten Sub-
stanzen nicht, wahrend er sie sehr leicht zu reduciren vermag, wenn man die
Entstehungszustand. — Eosin. 277
Substanz mit einem Gemenge zusammenbringt, aus welchem sich Wasserstoff ent-
wickelt u. s. w. Diese grossere Energie, die elementare Stoffe in dem Zustande
ihres Freiwerdens zeigen, erklart sich gegenwartig aus der Annahme, dass auch die Mo-
lecule ehemiscli einfacher Korper sich in der Regel aus mindestens zwei Atomen der
Substanz aufbauen, also gewisserniassen als Verbindungen zweier Atome anzusehen
sind. die sich in dem Momente ihres Freiwerdens zu einem Molecul vereinigt
haben. Wahrend man es also in einem bereits fertig vorhandenen Korper immer
mit solchen zu Moleculen verbundenen Atomen zu thun habe, sei in dem Augen-
blieke, wo ein soldier Korper aus einer bestandenen Verbindung ausscheidet, also
eben frei wird, Atom fur Atom in noch unverbundenem Zustande vorhanden und
diesem Umstande die grossere Energie des Korpers zuzuschreiben. Vgl. Atom
I pag. 227. Gil.
Entwassern, Trockenlegen (drainer — - to drain), s. Landwirth-
schaft, Entwassern geistiger Fliissigkeiten (defiegmer — to dephlegmate), vgl.
Alkohol I pag. 96.
Entwasserung, s. Wasserbau, s. Drainage II pag. 676.
Entwickler, s. Hervorrufung bei Photographic
Entziindungstemperatur, d. i. die Temperatur, bei welcher ein brennbarer
Korper unter sonst normalen Verhaltnissen zur Verbrennung gebracht werden kann.
Die Kenntniss dieser Temperaturen ist namentlich wichtig fur die Beurtheilung
der Brauchbarkeit von Leuchtolen, dann von Explosivstoffen u. dgl., s. Ver-
brennung, vgl. Explosivstoff e, vgl. Petroleum. , Gil.
Enveloppe- Oder Papiersack-Wlaschine. Lockwood in Philadelphia
hatte auf der dortigen Ausstellung eine E.-M. exponirt, welche ans einer end-
losen Papierrolle die Enveloppcn durch Schneiden, Formiren und Gummiren herstellt
und in Packete von je 25 Stuck, welche von der Maschine abgezahlt werden,
bringt. Der Durchschnitt der taglichen Leistung soil nach G o 1 d y's Bericht
60.000 Stiick betragen. (Vgl. a. Falzkapselmaschine.) Kk.
Enzianbitter, Enziansaure, s. Gentianawurzel.
Enzianwurzel (racine de gentiane — fell-ioort), s. a. Gen tin aw urz el.
EoTdin, syn. mit Bixin, s. b. Orlean.
Eosin (eosine — eosina), Tetrabromfluorescein-Kalium. Ein von A. Baeyer
und H. C a r o entdeckter, seit wenigen Jahren im Handel vorkommender stick-
stoffft-eier Farbstoff von prachtig morgenrother Farbe (daher der Name von ^ag,
die Morgenrothe) und charakteristischer Fluoreszenz. Nach A. W. Hofmann
(Ber. d. d. cheni. Ges. 8 pag. 63) ist dasselbe als das Kalisalz des Tetrabrom-
fluorescein (C^H^Br^O^) anzusehen und kann sonach als ein Abkommling des
Resorcins (CqH^OH)^ betrachtet werden, aus welchem das Fluorescein (C^qH^oO^)
durch Erhitzen mit Phtalsaureanhydrid (C8H403) entsteht, das weiters durch Ein-
wirkung von 8 Br unter Abspaltung von 4 BrH in Tetrabromfluorescein iiber-
gehen kann.
Das Eosin stellt im trockenen Zustande ein rothbraunes Pulver von grtln-
lichem metallischen Reflex dar, es ist in Wasser (2-2 Thl. heissen und 2*6 Thl.
kalten) sehr leicht zu einer prachtig rosarothen, im auffallenden Lichte griin fluo-
rescirenden Fliissigkeit loslich. In Alkohol ist es schwerer loslich (in 11 Thl.
kochendem Weingeiste), ferner lost es sich in Glycerin, Seifenlosungen, so wie in
Losungen von atzenden und kohlensauren Alkalien. In Aether, Benzol, Anilin,
Phenylsaure, so wie in fetten Oelen ist es unloslich.
Die wassrige Losung wird durch Sauren (Essigsaure ausgenommen) unter
Abscheidung eines ziegelrothen Niederschlages von Tetrabromfluorescein zersetzt.
Thonerde-, Zinn- oder Bleisalze erzeugen rothe, Silber- und Quecksilber-Salze violett-
rothe, Zinksalze gelbe, Kupfersalze braunrothe Niederschlage. Durch Natrium-
amalgam, so wie andere kraftige Reductioiismittel wird die Losung rasch entfiirbt.
278 Eosin. — Epidosit.
Mit Kaliumhydroxyd versetzt farbt sich die Anfangs tiefrotli gefarbte Losung beim
Erhitzen rasch schwarz-violett bis schwarz-braun. Zur Darstellung des Eosins
kann man yon der Benzoldisulphonsaure ausgehen, welche man nach Egli (Ber.
d. d. chem. Ges. 8 pag. 817) leicht durcli fortgesetztes Einleiten von Benzoldampf
in anf 240° C. erhitzte concentrirte Schwefelsaure erhalt. Wird das Natriumsalz
dieser Saure mit Aetznatron geschinolzen, so resitltiren reichliche Mengen von
Resorcin, die durch Extraction der mit einer Saure angesauerten Losung der
Schmelze gewonnen werden konnen. Durch Erhitzen des Resorcins mit Phtal-
saureanhydrid auf 195 — 200° C. erhalt man zunachst das Fluorescein, das, in
Essigsaure gelost und mit Brom behandelt, endlich in das Tetrabromid iibergeht.
Es kommt westntlich darauf an, dass die Bromirung sorgfaltig geleitet wird. Die
fabriksmassige Darstellung ist bisher geheim gehalten.
Charakteristisch fur das Eosin ist das von A. Baeyer (Ber. d. d. chem.
Ges. 8 pag. 146) angegebene Verhalten desselben, beim Schiitteln mit Natrium-
amalgam und Wasser nach gelindem Er warm en sich rasch zu entfarben, indem
Fluorescin entsteht, dessen Losung nach dem Verdiinnen mit Wasser und Zusatz
von einem Tropfen Chamaleonlosung im auffallenden Lichte sofort undurchsichtig
griin erscheint.
Das Eosin farbt Wolle und Seide sehr leicht und liefert schon rosafarbene
Nuancen mit schwach gelblichem Stich. Eine kalte wassrige Losung von Ol %
Eosingehalt farbt noch lebhaft rosa. Auf Baumwolle lasst sich nach Depierre
(Bull. d. 1. soc. ind. de Rouen 11 pag. 273) selbst mit Anwendung der fur
Anilinfarben geeigneten Fixirungsmittel keine echte Farbung erzielen. Nach
Durand (Monit. scient. 1876 Nr. 415 pag. 696) lasst sich Eosin auf Kattun in
der Art verwenden, dass man mit der durcli Gummizusatz verdickten Eosinlosung
druckt, hierauf danipft und endlich durcli eine Bleizuckerlosung passirt. Derselbe
erwahnt auch einer besonderen Sorte von Eosin, die er Primerose nennt, deren
Bereitungsweise er jedoch nicht naher angibt und die sich namentlich fur Er-
zielung dunklerer Tone eignen soil. Binschedler und Busch (pol. Notizbltt.
31 pag. 240) stellen ein stark in's Blaue ziehendes Eosin dar, welches auf Wolle
ein dem Cochenilleponceau im Tone gleichkommendes, aber reineres Roth liefert.
Nach ihnen farbt es sich auf Wolle besonders leicht auf, wenn man dem Bade
etwas unterschwefligsaures Natron zusetzt, vgl. a. Fluorescin und Resorcin.
Durch Erhitzen des Eosins mit der 15-fachen Menge von Alkohol und der fur
die Bildung eines neutralen Aethers berechneten Menge an atherschwefelsaurem
Kalium im zugeschmolzenen Rohre durch 4 — 5 Stunden auf 150° C. re-
sultirt nach A. Baeyer (Annal. d. Chem. 1876, 183 pag. 1 — 74) das Mono-
athyltetrabromfluorescein oder das Erythrin (Ci0H6Br403 s&i 5), welches in
schon rothen Krystallen erhalten werden kann, und eine Kaliuniverbindung liefert,
die in Wasser schwer, dagegeu in warmem Weingeist (50°/0) leicht zu einer
Anfangs rothgelben, beim Verdiinnen in Rosa mit gelber Fluorescenz iibergehenden
Fliissigkeit loslich ist. Das Erythrin stellt ausgebildete (rhomboedrische ?) Kry-
stalle von starkem, metallisch griinem Flachenschiller dar, welche beim Zerreiben
ein dunkelrosafarbiges Pulver liefern. Es farbt Wolle und Seide roth mit deutlicher
Nuancirung in Violett. Otl.
Ephemeriden , Tagebiicher iiberhaupt, insbesondere aber astrouomische,
welche die Erscheinungen am Himmel (Coordinaten der Himmelskorper fur be-
stimmte Epochen etc.) fur eine Folge von Zeiten und einen bestimmten Beob-
achtungsort im Vorhiuein angeben. Insbesondere zu nennen sind der „Nautical
Almanac" und das Berliner „ Astrouomische Jahrbuch". Czuber.
Epicykloide, s. Cur v en II S. 444.
Epidosit, Gestein von dioritartiger Beschaflenheit, a'pfel- bis pistaziengriin,
von bedeutender Harte. Besteht wesentlich aus Quarz und Pistazit. Tork. in
Mahren (Blansko) und auf der Insel Elba. Vgl. Epidot. Gtl.
Epidot. — Erbium. 279
Epidot (epidote — epidote), Pistazit, Bucklandit z. Thl. , Eisen-
epidot, Piemontit (Akantikon, Achmatit, Delphinit, Thallit,
Tautolith), Name von smdoavg, Zugabe. Mineral mit borizontalsaulenformi-
gen, nach den Orthodiagonalen gestreckten Krystallen, monoklin, meist in Drusen,
auch in Zwillingsformen, aber audi derb mit stengligem, kornigem und dichtem
Gefiige. Spaltbar, nach der Basis sehr vollkommen , nach der Ortho-
diagonale vollkommen. Bruch muschlig bis uneben. Harte 6 — 7 , spec. Gew.
sr: 332 — 3'50. Vorwiegend griin, gelb, grau, schwarz, selten roth. Glasglanz,
durchsichtig in alien Graden, meist nur durchscheinend bis kantendurchscheinend.
Die chemische Zusarnmensetzung ist schwankend und nicht auf eine bestimmte
Formel zuruckfiihrbar. Im wesentlichen stellt der Epidot eine Verbindung von
36—40 Kieselsaure, 8-29 Thonerde, 7—17 Eisenoxyd und 21—25 Kalkerde
dar. Demgemass ist auch das Verhalten vor dem Lothrohr und zu Sauren ver-
schieden. Alle werden nach heftigem Gliihen oder Schmelzen mehr oder weniger
leicht von Salzsaure zersetzt.
Man unterscheidet :
1. Pistazit, Eisen epidot oder Epidot schlechthin, pistazien-
bis schwarzgriin, oder aucb 61- und gelbgriin, krystallisirt, aber meist derb mit
stengligem, kornigem Gefiige, auch dicht und erdig. Ein baufiger Begleiter von
Magneteisensteinlagern ; im Erzgebirge bei Kupferberg, Schwarzenberg, Breiten-
brunn, bei Striegen in Schlesien, in Arendal in Norwegen, in Finnland, Ural
u. a. a. Orten vorkommend. Besonders schone Krystalle kommen in den Alpen
vor7 beriibmt die von der Knappenwand bei Sulzbach in Pinzgau.
2. Piemontit, Manganepidot, schwarzviolett oder schwarzrothlich mit
rothem Stricb und stengligem Gefiige. Statt der Thonerde findet sich Eisenoxyd
und 14 — 24 °/0 Manganoxyd. Schmilzt vor dem Lothrohr leicbt, und gibt mit
Borax die Manganreaction ; von St. Marcel in Piemont.
3. Bucklandit, welcher in schwarzen Krystallen, im Kalkspath einge-
wachsen, bei Achmatowsk am Ural vorkommt.
Die scbonen durchsicbtigen Varietaten von Arendal, St. Gotthard, Sulzbacb
u. a. 0. lassen sich als Schmucksteine verschleifen. Sonst wird der Pistazit da,
wo er in grosserer Menge mit Eisenerzen vorkommt, als Zuschlag beim Schmelzen
verwendet. Lb.
Epigenit, ein bei Wittichen in Baden vorkommendes Kupfererz von ahnlicher
Zusammensetzung wie Enargit. Lb.
Epihydrine , halogenhaltige Abkommlinge mehrwerthiger Alkohole , vgl.
Glycerin.
Epistilbit, Mineral von der Zusammensetzung des Stilbits, d. i. ein Thon-
erde-Kalksilicat. Rhombisch, farblos oder schwach blau, durchsichtig oder durch-
scheinend, glasglanzend. Harte 4 — 4*5, spec. Gew. == 2-25 — 2'36. Vorkommen
Island, Neuschottland, vgl. Stilbit. Gil.
Epsomit, Name vom Fundort Epsom in England, so viel als Bittersalz, s.
Magnesium.
Epsomsalz, Epsomer Salz, syn. mit Bittersalz, cl. i. Magnesium sulfate
Epurateur, eine bei der Holzzeugfabrication verwendete Maschine, s. Holz-
zeug, s. Papier fabrication.
Erbium {erbium — erbium) , Symbol Er , Atomgew. zz: 112*6 (?) (169).
Das metallische Ptadical der Erbinerde, welche neben Yttererde sich fast nur im
Gadolinit von Ytterby und Hitteroe, im Euxenit, Yttrotantalit und Orthit findet,
ist bisher noch nicht isolirt dargestellt. Die von Mosander 1843 entdeckte
Erbinerde ist Erbiumoxyd ErO (Er^O^) und wird nach Bun sen und Bahr
(Annal. d. Chem. u. Pharm, 137 pag. 1) aus dem Gemenge der Nitrate der Gadolinit-
erden erhalten, indem man dasselbe bis zur beginnenden Zersetzung erhitzt und
280 Erbium. — Erdarbeit.
sodann mit Wasser behandelt; aus der erhaltenen Losung krystallisirt zunachst
basiscb-salpetersaures Erbiumoxyd, welches durch wiederholtes Umkrystallisiren
gereinigt wird und nach heftigem Gliihen Erbiumoxyd als rosenrothes Pulver
liefert. Es ist unschmelzbar, ergliibt jedoch in Weissgliibliitze mit iulensiv griinem
Licbte. In Wasser ist es unloslich, scbwer loslicb in Sauren, mit denen es saner
reagirende, siisslicb zusammenziebend scbmeckende Salze von blassrotber Farbe
liefert. Gut gekannt sind das Sulfat BErSOi + 8 Ho0, welches in luftbe-
standigen rotblichen Krystallen erhalten werden kann, die in Wasser schwer loslicb
sind, aber mit Kaliumsulfat ein leicbter losliches Doppelsalz liefern. Dann das
basische Nitrat ErO^ErN^O^ -f- 3 H^O, welches weisse Krystalle liefert, die
in Wasser gut loslicb,. aber nicbt zerfliesslich sind; ferner das Carbonat und das
Oxalat, welche weisse, in Wasser unlosliche Niederschlage darstellen. Das Oxalat
liefert beim Gliihen in Wasserstoffstrorn schwarzes Koblenstofferbium ErCv Nach
Delafontaine (Arch, de scienc. phys. et nat. 1864, 1865 u. 1866) kommen
die eben bescbriebenen Eigenscbaften der Terbinerde (?) zu, wahrend Erbinerde
ein gelbes, durch Gliihen im Wasserstoffstrome farblos werdendes Pulver darstellen
soil, das in der Weissgliibliitze in rein weissem Lichte erglliht. Gtl.
Erbsetl (pois — peas). Sind die bekannten Samen zweier Pisum-Arten,
u. zw. von Pisum sativum L., d. i. der weissbliihenden oder Acker-Erbse, und von
Pisum arvense, der roth oder violett bliihenden Stock erbse. Die Samen stehen
in der Hiilse (Schote) in gedrangter Reihe, sind mehr oder weniger rund, im halb-
reifen Zustande griin und dann sehr siiss schmeckend (Zuckererbsen), im reifen
Zustande gelb (weisse Erbsen), seltener auch griingelb und von eigenthtimlichem,
kaum mehr siissem Geschmacke. Die Erbsen werden fast nur als Nahruugs-, be-
ziehungsweise Futtermittel verwendet und zu diesem Zwecke allenthalben nocb
gebaut, obwobl ihre Cultur seit der Verallgemeinerung des Kartoffelbaues ziemlich
zuriickgegangen ist. Sie sind iibrigens eine sehr nahrhafte, wenn auch namentlich
im ungeschalten Zustande etwas schwerere Speise. Man pflegt sie deshalb wohl
auch auf besonderen Maschinen zu entschalen (Erbsgraupen), oder im gekochten
Zustande durch Siebe durchzureiben, wobei man das Erbsenmuss erbalt, wahrend
die Sclialen am Siebe zurtickbleiben. Nach Pay en enthalten sie 27*2 °/0 Stick-
stoffverbindungen , 43-1% Starkemehl, 12-8 Zucker und Dextrin, 2*3 °/0 Fett,
11-6 Zellsubstanz und 2*9 c/0 Ascbenbestandtheile. Nach Peligot betragt der
Wassergehalt im normalen Zustande 12-7 °/0. Der relativ bohe Fettgehalt, so wie
der Reichthum an stickstofFhaltiger Substanz^ endlich aber der in der Asche nach-
weisliche, nicbt unerheblicbe Gehalt an phosphorsauren Alkalien und alkalischen
Erden bedingen ein sehr giinstiges Nahrwerthverhaltniss. Gtl.
Erbsenstein, Pisolith, s. Ar agon it I pag. 180.
Erdapfei, syn. mit Kartoffel s. d.
Erdalkalien oder alkalische Erden nennt man die Oxyde der alkalischen
Erdmetalle: Baryum, Strontium, Calcium und Magnesium, s. d. Gtl.
Erdarbeit (travaux de terrassement — earth- working). Die Erdarbeit bildet
bei vielen Bauunternehmuiigen den wesentlicbsten Tbeil, und sei nur aufStrassen-
und Eisenbahnbauten hingewiesen, wo oft Abgrabungen und Anschiittungen von
bedeutenden Massen zur Ausfiibrung gelangen. Ohne auf die theoretiscben De-
ductionen iiber Erdarbeiten (Gleicbgewichtsbedingungen und Bestimmung der
Boschung eines Erdkorpers , Theorie vom Auf- und Abtrag und Transport der
Erde) bier eingehen zu konnen, sei iiber die Ausfiibrung der Erdarbeiten nur
Einiges erwahnt.
Die Erdarbeiten zerfallen der Hauptsacbe nach in folgende Gruppen:
I. Erdgrabung oder Bildung des Abtrages. Abtrag oder Deblai
nennt man eine von dem naturlichen oder gewacbsenen Boden entnommene Erd-
masse. Geschieht die Abgrabung derart, dass nur einerseits eine Erdwand iibrig
Erdarbeit.
281
bleibt, so entsteht ein Abschnitt; bleiben an zwei gegeniiberliegenden Seiten
Erdwande, so lieisst dies ein E i ns c h n i 1 1.
II. Transport oder Forderung der Erde.
III. Erdanschiittung oder Bildung des Auft rages. Auf'trag oder
Remblai nennt man die an irgend einer Stelle des Bodens kiinstlich abgelagerte
Erdmasse.
Die Erdarbeiten beim Strassen- und Eisenbahnbau sollen so eingerichtet
werden, dass Abtrag und Anftrag sich ausgleichen ; daher ist es noting, den Kubik-
inhalt derselben genau festzustellen. Man bestimmt zu diesem Zwecke verticale
Sclmitte vom Erdkorper, die man Profile nennt und berecbnet den Fliicbeninhalt
derselben entweder analytisch, graphisch oder mit Hilfe eines Planimeters.
Zur Ausftihrung der verschiedenen Erdarbeiten dienen hauptsachlich folgende
Werkzeuge und Requisiten : die Schaufel, der Spaten, die Krampe (Kreuzpickel)
Fig. 1502, die Breit-, Roth- oder-Erdhaue (Fig. 1503), die Spitzhaue oder Ein-
spitze (Fig. 1504), die Planir- oder Scarpirhacke (Fig. 1505), die Snmpfhaue
(Fig. 1506), die Wasenscbaufel (Fig. 1507) zum Rasenstechen ; ausserdem das
Wasenmesser (zum Versetzen und Beschneiden der Rasenziegel), die Erdramme,
verscbiedene Wagen und Karren.
Fig. 1502. Fig. 1503. Fig. 1504.
Spitzhaue,
Fig. 1506.
Sumpfhacke.
Planirhacke.
Wasserschaufel.
Die Arbeit des Erdgrabens ist verscbieden je nacb der Bodenbeschaffenheit,
und man theilt dieselbe allgemein in 6 Kategorien.
1. Scbaufelarbeit, geeignet fiir Sand, Dammerde, Moor, lockeren Lebm etc.
Der Arbeiter wirft mit der Schaufel oder dem Spaten die Erde entweder zum
Auftrag oder auf das zur Forderung bestimmte Fahrzeug. Man reebnet, dass
ein Arbeiter in 10 Arbeitsstnnden I5kbm lockere Dammerde oder Sand ansgraben
und auf einen Karren oder Wagen zu laden im Stande ist. Die Entfernung der
einzelnen Arbeiter darf bebufs praktischer Durchftihruiig der Arbeit weder zu gross
nocb zu klein gewahlt werden. Als Durcbscbnittsentfernung hat sich 1-5 — l*8m
ergeben.
2. Krampenarbeit, fiir Flnss- und Grubenscbotter, nicht sebr nassen Torf,
theilweise erharteten Lehni etc. Man verwendet hiezu die Krampe und die Breithaue.
3. Arbeit mit Krampe und Spitzhaue, fiir Bergschutt, Steingerolle, erhartete
Lehmerde, groben Schotter, feuchte Tbonerde etc.
4. Arbeit mit Brecheisen, Spitzbaue und Keilen, fiir Quader-, Mergel- und
Tbonschiefer, weichen Sandstein, verwitterten Kalkstein etc. Brecharbeit kommt
bei lagerhaft gespaltenen Felsen vor und die Abarbeitung geschiebt bankweise.
282
Erdarbeit.
5. Arbeit rait Brecheisen unci Sprengung ausgeftihrt, fur hartere Sandsteine,
weiche Kalksteine, Feldspath, Hornstein, Grauwacke, weichere Porpbyre etc.
6. Sprengavbeit mit Sprengpulver oder Dynamit, fiir Urkalksteine, Granit,
Gneis, Quarz, Basalt, quarzbaltige Sandsteine, Urporphyre etc.
Sebr wesentlich ist bei Beurtheilung der Erdarbeit, ob dieselbe im trockenen
oder im nassen Boden (mit Wasseradern durclizogen) vor sich geht, da im letzteren
Falle die Arbeit bedeuteud erscbwert wird. Das zustromende Wasser muss entweder
abgeleitet oder ausgepumpt werden, urn im Trockenen graben zu konnen. Ist der
Wasserzufluss nicbt zu bewaltigen, dann muss unter Wasser gegraben (gebaggert)
werden. Siehe Artikel Baggern.
Fiir Ausbebung grosser, gleichmassiger Erdmassen, in die Kategorie „Schaufel-
arbeit" gehorend, verwendet man mit Vortheil Erdausbebungsmaschinen,
sog. Excavatoren. Das Princip bestebt darin, dass ein eisernes Gefass mit schaufel-
formigem oberen Ende (oder aucb ein System ven Scbaufeln) derart regulirt werden
kann, dass es beim Herablassen mit der Spitze der Schaufel, vermbge des Eigen-
gewichtes, sicb in den Erdboden eingrabt. Beim Emporbeben und gleichzeitiger
Drebung des Gefasses (resp. des Schaufelsystemes) wird das Erdmaterial aufge-
nommen, gehoben und durch den beweglichen Boden des Gefasses,- welcben der
Arbeiter mittelst einer Kette lost, finclet die Entleerung statt. Fig. 1508 zeigt eine
Skizze des Excavators, wie er beim
Erdbau der Central-Pacific-Babn zur
Verwendung kam.
Bei der Pfeilerfundirung der
Clydebriicke auf der Glascower Ver-
bindungsbalm *) verwendete man
einen von M i 1 r o y construirten
Excavator. Ein eiserner, acbteckiger
Rahmen tragt acbt, urn Scharniere
drebbare Scbaufeln von dreieckiger
Gestalt, die in aufgeklappter, hori-
zontaler Lage den Boden des Rah-
mens bilden. Das Rabmengestell
bangt mittelst mebrerer Ketten an
einer Iiauptkette in losbarer Ver-
bindung; ausserdem sind an der
Hauptkette, die an einer Aufzugs-
maschine bangt, die Enden der
Schaufeln mit je einer Kette be-
festigt. Beim Herablassen des Ap-
parates stehen die Schaufeln vertical und durch das Gewicht des Rahmen-Ge-
stelles, welches ans seiner Verbindung mit der Hauptkette gelost wird, dringen
die Schaufeln in die Erde. Beim Wiederanziehen der Hauptkette drehen sich die
Schaufeln um die Scharniere nach aufwarts (da der Apparat jetzt nur an den
Ketten der Schaufel befestigt ist), und heben das Erdmaterial in die Hohe. Wird
die Verbindung des Rahmens mit der Hauptkette wiederhergestellt,senken sich die Schau-
feln und der Apparat entleert das Erdmaterial in den untergeschobenen Transportwagen.
Die Sicherung der Erdwande ist oft ein wichtiger Theil der Abgrabungs-
aibeit und ist besondere Vorsicht bei Untergrabungen noting, weiche mitunter,
um den oberen Theil zum Absturz zu bringen, in Anwendung kommen. Nicht
selten ist der Einsturz durch einen Regen oder andauerndes feuchtes Wetter friiher,
als beabsichtigt wurde, erfolgt, zum Unheil der Arbeiter.
Ganz besondere Anordnungen sind zumeist dort zu treffen, wo das gegrabene
Material von unten nach oben geschafft werden muss, z. B. bei Fundament- und
Kelleraushebung, Brunnengrabung etc.
Excavator.
") ' Zeitschrift des Vereines deutsclier Iiiorcnieiire 1869 pag. 57
Erdarbeii 383
Zur Sichenmg der iiber lm tiefen, aus lockerem Material bestehenden Erd-
wande gibt man denselben entweder eine BSschung, d. h. die Wandungen miissen
derartig geneigt angeordnet werden, dass keinc Rutschungen entstehen, oder man
lasst verticale Wande stehen mid schlitzt dieselben durch sog. Bblznngen. Ea
sind dies Verscliahmgen durch entsprechend starke Bretter, die durch ein ilolz-
geriist aus verticalen Pfosten und Spreizen oder horizontale Kranze aus Balken
angepresst werden. Fig. 1509 gibt eine Schacht-Bolzung mit Anordnung von
Kranzen.
Bedeutende Arbeiten der Erdgrabung kommen vor : Beim Stollen- und
Schachtbau (siehe Bergbau), beim Tunnelbau (s. d.), bei Bohr ling en
(Tiefbohrung s. d.) und bei Baggerungen (s. Baggern).
II. Transport des gewonnenen Erd- Fig. 1509.
mater iales. Die anzuwendenden Forderungsmittel >_^^j~~:jzi"c^r:.ciT
hangen ab von der Lange und BeschafFenheit des rr.J\; r". TJ^f
Weges und von der Masse des Abtrages. > -v- H *--
Der Transport kann geschehen: i 'llj
1. Durch Werfen mit der Schaufel, vortheilhaft
bis 6m Entfernung. Ein Arbeiter ist im Stande, auf- 1;,% J -
gelockerte Erde mit der Schaufel 2 — 3m horizontal :?lr .^.J :
oder 1*2 — l'8m vertical zu werfen, und vermag tag-
lich lQkbm mit der Schaufel zu laden oder auf 3m
Weite ZU werfen. Schacht-Bolzung.
2. Mit dem Schubkarren ,, vortheilhaft bis 90m Entfernung. Der Schub-
karren (ein einradriges Fahrzeug) vermag 0-03 — O06kbm zu fassen.
3. Mit dem Roll- oder Handkarren, vortheilhaft bis 190m Entfernung; der-
selbe ist ein zweiradriges Fahrzeug, fasst 0*2 — 0*27kbm und wird von 2 oder 3
Arbeitern bewegt.
4. Mit dem Wipp- oder Sturzkarren, vortheilhaft bis 200m . Der Wipp-
karren ist ein zweiradriges Fahrzeug, fast 04 — 0-5kbm und wird von einem Pferde
gezogen. Der Kasten ist zum Umkippen eingerichtet. Der Transport ist im
Allgemeinen theuerer als der mit Handkarren.
5. Mit -vierradrigem Wagen, vortheilhaft iiber 200m Entfernung; das Lad-
vermogen desselben betragt 0-7 — 0-8kbm. Vgl. d. Art. Fuhrwerke.
6. Mit dem Haspel, bei der verticalen Schachtforderung von Erdmaterial an-
gewendet. An der Welle eines Haspels sind durch Seile Kiibel befestigt, welche
das zu transportirende Material aufzunehmen haben. (Bei grosseren Anlagen sind
statt der Haspel Pferdegoppel oder kleine Dampfmaschinen noting.)
7. Auf provisorischen Pferde- oder Locomotivbahnen , sog. Dienstbahnen,
vortheilhaft fur wenigstens 1000m Entfernung.
Zum Transport des Materials werden vierradrige Kippwagen verwendet. Da
die Dienstbahn nur ein Geleise erhalt, sind von Strecke zu Strecke Ausweieh-
bahnen (der Lange der Wagenziige entsprechend) nothwendig, . damit die Ziige
einander ausweichen konnen.
III. Erdanschiittung, Auf t rag. Das durch Ab- oder Ausgrabung ge-
wonnene Material soil zweckmassig zu baulichen Anlagen verwendet werden ; kann
dies nicht sofort geschehen, so muss dasselbe einstweilen deponirt werden. Die
Materialdeponirung hangt von localen Verhaltnissen und den jeweiligen Materialien
ab ; es ist die Placirung so zu wahlen , dass bei eventueller Verwendung die
Kosten ein Minimum werden.
Fur dauernde Erdanschtittung ist zunachst zu berucksichtigen, dass der von
einem bestimmten Vol. Abtrag gewachsenen Bodens gewonnene Vol. Auftrag be-
deutender als der erstere ist, und betragt die Vermehrung bei Dammerde selbst
nach der Verdichtung noch y,„ — 1/9.
Als Hauptgrundsatz gilt, nur Schichten von 0-18 — 0-30™ Hcihe auf einmal
aufzutragen, um ein moglichst gleichmassiges und rasches Seizen der Masse zu
284
Erdarbeit.
erzielen. Die Sohle ist moglichst horizontal (bei absehiissigem Terrain stufen-
formig) herzustellen.
Die Dichtung des Auftrages geschiebt entweder durcb die dariiber fahrenden
Fuhrwerke, oder die Erdmasse wird durchwassert oder gestampft oder gewalzt.
Der Auftrag dient zur Herstellung von
Planirungen, d. s. Ausgleichnngen der Terrainunebenheiten,
Beschotterungen, d. s. Belage planirter Flachen mit festen kleinen
Steinen oder Kies, und
Da mm en, d. s. feste Erdkorper, welche eine Strasse oder Eisenbabn tragen,
oder als Schutz gegen andringendes Wasser dienen (Teichdarom, Flussdamm etc.).
Auf nassem Terrain ist die Dammberstellung erst zu bewerkstelligen, wenn
dasselbe vollkommen durch Entwasserungsgraben , Ableitung der Quellen etc.
trocken gelegt wurde.
Tabelle als Anhaltspnnkt zur Bestimmung des Bedarfes an Arbeitskraften
(bez. Kosten) einiger Erdarbeiten.*) (Um die Kosten zu erhalten, hat man die
in der Tabelle angegebenen Taglohn-Bruchtheile mit der Grosse des Taglohnes
eines Steinbrechers (Stbr.), resp. Handlangers (Hdlg.) bei taglich 10 Arbeitsstunden
zu multipliciren und den Zuschlag fur R quisiten (Req.) dazu zu addiren.
Beze.iclmung
der auszufiihrendon
Arbeit
Bezeichnung
des Erdmateriales
Bezeichnung
der Arbeitskr.ift
j u. sonstiger Zuschku
Anmerkung
Erd-Abgrabung im
offenen Terrain,
sammt Transport
auf Schubkarren
bis 60m Entfernung,
erfordert pro lkbm :
a) im lockeren Grunde, Sand.
Moor, Torf, Ackererde etc.
b) im mittelfesten Grunde.
Lehm, Letten, festgelager-
ten groben Sand
c) im schweren Boden, Thon,
eisenschiissigen Kiesgrund,
verwitterten Felsenabraum
0-37 Hdlg, + 0-1 Req
0-51 Hdlg. + 0-1 Req
0-66 Hdlg. + 0-1 Req.
Grundgrabung fur
Fundamente, Brunnen
etc. mit Boschungs-
wanden bis auf 2m
Tiefe, sammt Trans-
port bis 60m Entfer
nung, erfordert pro
a) im lockeren Grunde, Sand,
Moor, Torf, Ackererde etc.
0-44 Hdlg. i- 0-1 Req
b) im mittelfesten Grunde,
Lehm, Letten, festgelager- 0-59 Hdlg. + 0-1 Req
ten groben Sand
c) im schweren Thon, Boden,
eisenschiissigen Kiesgrund,! 0*73 Hdlg. + 0*1 Req
verwitterten Felsenabraum
Bei jeder
um 2m
grosseren
Tiefe sclilagt
man dem
Arbeitslohn
0-30 Hdlg.
Fur Aushebung mit Bolzun
0-30 Hdlff. hinzu.
Felsensprengung
bis 2m Tiefe unter
dem Horizont,
sammt Transport
bis G0m Entfernung.
erfordert pro lkbm:
rechnet man zu dem jeweiligen Arbeitslohn
a) zerkliifteter Felsen ohne
Sprengmaterial
0-30 Stbr. -f 0-88 Hdlg. + 0- 1 Req
b) zerkliiftete Felsen, bei 073Stbr.+ <>5& Hdlg. ^0-1 Req.
theilweiser Anwendung + 0-25 Kg. Pulver o. 0-11 Kg.
von Sprengmaterial
c) mittelhart, wenig kliifti|
mit Sprengmaterial
Dvnamit
l-17Stbr.-r-0-37Hdlg.+ 0-llReq,
+ 0-37 Kg. Pulv. o. 0-14 Kg. Dyn.
d) sehr hart mit Spreng- | 1-47 Stbr.+ O44Hdlg.+ 0-12 Req.
material | + 0-41 Kg. Pulv. o. 0-18 Kg. Dyn.
Bei jeder um
0-07 Stbr. + 0-15
2m grosseren Tiefe
Hdlg.
^ebe
tan pro
Kbm. einen Zuschlag von
■) Naheres siehe Wach's Bauratligeljer, Temp sky, Prag, ls74.
+
0-1
+
0-1
+
o-i
+
o-i
+
0-1
Erdarbeit. — Erde. 285
Anschiittung vom Erdhorizont in die Tiefe, bei Zufuhr auf 20m Entfernung
imd Stampfung erfordert pro lkbm 0-40 II dig. -4- O'l Req.
Anschutten und Planifen in Schichten und Stampf'en . . 044 „ -j- 0*1 „
Anschiittung liber Sturz- unci Dippelboden, Gewolben, nebst
Aufladen und Planiren, bei Transport auf 60m horizontal
und 6m vertical, erfordert pro lkbm 0-5 „ -f- O'l „
Fiir je 6m mehr Hohe einen Zuschlag pro lkbm von . .0*11 „
lkbm Erde irn Grubenmass auf 60m horizontal mit dem
Schubkarren verfiihren, ohne Aufladen, erfordert . 0-20— 0-22 „
lkbm feuchten Lehm 60m weit und 6m hoch, mit dem
Schubkarren verfiihren, erfordert 0-29 „
Fiir je 6m mehr Hohe rechnet man einen Zuschlag von 0-15 Hdlg.
lDm Flachrasenverkleidung, sammt Stechung und Zufuhr
auf 60m Weite und Legung, jedoch ohne Pfldcke, erfordert Oil „
lDm Beschotterung, 16cm hoch, nebst Zufuhr auf 20 m
Entfernung und Ausgleichung der Oberflache, erfordert . 0*02 „
lDm Besandung, 5cm hoch bei frisch beschotterten Strassen,
nebst Zufuhr auf 20m Entfernung, erfordert O01 „
Literatur iiber Erdbau: Henz und Plessner, Anleitung zum Erdbr.n,
Berlin 1867. — v. E tz el, Ausfiihrung grosser Erdarbeiten, Stuttgart 1859. —
Bernard, Annales des mines. 1862. — Piarron de Mondesir, Annales
des ponts et chaussees 1847. — Hoffmann, Transportkosten, Zeitschrift
des osterr. Ing.- u. Arch.-Vereines, 1861. — v. Kaven, Vortrage iiber
Ingenieur-Wissenschaften, Hannover 1870. — Schmitt E., Der Erdkunstbau,
Leipzig, Felix, 1871. — Becker, Allgemeine Baukunde des Ingenieurs,
Stuttgart, Maken, 1865. — Rziha, Der englische Einschnittsbetrieb. Tech-
nische Blatter (Vierteljahrschrift des deutschen polyt. Vereines in Bohmen),
1872, 1. Heft. — 'Heine, Der Erdbau in seiner Anwedung auf Eisenbahnen
und Strassen, Wien, Holder, 1876. Grohm.
Erdbeerather, ein den Erdbeeren ahnlich riechendes Gemenge von Essigather
mit Essigsaureamylather und Buttersaureather, s. d.
Erdbirne, s. Top in am bur, vgl. a. K art off el.
Erdbdgen (arc de fondation — retaining -arch in the groundwork) sind
die in verkehrter Lage (Scheitel unten und Bogenlinie nach aufwarts gerichtet)
im Fundament angebrachten Gewolbebogen, welche die Fundamentpfeiler mitein-
ander verbinden, behufs gleichmassiger Vertheilung des Druckes und Verhinderung
der Senkung der Pfeiler bei schlechtem Baugrund. S. Fundi rung.
Erdbohrer, s. Tiefbohrung.
Erde animalische, syn. mit Knochenasche.
Erde armenische, syn. mit Erde lemnische.
Erde blaue, syn. mit Eisenblau, Blaueisenerd e, Vivianit s. Eisen
II pag. 759, s. a. Vivinit.
Erde braune, syn. m. Umbraerde, s. Umbra.
Erde casseler (van Dyke brown), s. C a s s e 1 e r B r a u n II pag. 265, s. U m b r a.
Erde cdlnische, s. Umbra.
286 Erde. — Erdmandeln.
Erde engliSChe, syn. mit Englischroth, vgl. Bolus I pag. 725. Auch ein
geschlammter grauer Mergel, der zur Ziminermalererei verwendet wird.
Erde gelbe (neapolitanische), syn. m. Neapelgelb, s. Blei I pag. 603.
Auch syn. mit Ockererde.
Erde gesiegelte, s. Bolus I pag. 724.
Erde griine, s. Gr tin erde.
Erde japanische, s. Catechu II pag. 266.
Erde lemnische {terre de Lemnos — terra lemma), brauner Bolus von der
Insel Lemnos. S. Bolus I pag. 724.
Erde niirenberger, rothe Erdfarbe, vgl. Bolus I pag. 724, s. Ockerde.
Erde persische, rothe Erdfarbe vgl., Bolus und Ockererde.
Erde preussische, rothe Erdfarbe, syn. mit Englischroth.
Erde SClimiedeberger, syn. mit Polirroth, Englischroth.
Erde sienische, siener (terra di Siena), ein brauner Bolus, der sich bei
Siena im Toskanischen findet und als Malerfarben dient. Vgl. Bolus I pag. 724.
Erde Striegauer, brauner Bolus von Striegau in Schlesien. Vgl. Bolus I
pag. 724.
Erde veroneser, s. Gr tin erde.
Erden nennt der Chemiker die Oxyde der sogenannten Erdmetalle: Alumi-
nium, Beryllium, Zirkonium, Cer, Lanthan, Didym, Yttrium, Erbium, Terbium (?),
Norium, Thorium. Gtl.
Erdensalz, syn. m. Steppensalz, s. Chlorn atrium bei Natrium.
Erdfarbe II, syn. mit far big en Erden, Farb erden.
Erdfernrohr, s. Fernrohr.
Erdgeschoss, parterre (rez-de-chaussee — ground-floor), ist das Gebaude-
stockwerk zu ebener Erde; gewohnlich ist es um einige Stufen tiber das natiir-
liche Terrain erhoht. 1st die Erhohung bedeutend, so nennt man es erhbhtes
Erdgeschoss oder Hochparterfe ; dann ist gewohnlich ein Stockwerk theilweise
unter dem nattirlichen Terrain angeordnet, welches man vertieftes Erdgeschoss
oder Souterrain nennt. Bei Souterrainwohnungen soil die innere Flache der Decke
tiber das Strassen-Niveau wenigstens 1.25m erhoht sein. Grohm.
Erdharz gelbes, s. Bernstein I pag. 431, schwarzes syn. mit Asphalt
s. I pag. 211. Vgl. a. Elaterit und Ozokorit.
Erdkobalt, Kobaltbeschlag, ist arsenhaltige Kobaltbliithe, syn. Ery thrin.
Erdkohle, s. Braunkohlc bei Brennstoffe II pag. 27.
Erdmagnetismus, s. Magnetism us.
Erdmandeln (amandes de te»re — round cynerus root) sind die -an den
Enden der Wurzelauslaufer von der in Nordafrika und Siidamerika einheimischen,
im Siiden Europas cultivirten Riedgras-Art {Cyperus eseidentus) sich findenden mehli-
gen Knollen. Sie sind etwa haselnussgross, unregelmassig kuglig oder eifbrmig,
graubraun, innen weiss, mehlig, Aon stissem nussartigem Geschmack. Sie kbnnen
sowohl roh als auch gekocht oder gebraten genossen werden und sollen im f'rischen
Erdmandeln. — Erganzungsflache. 287
Zustande — 16% eines haselnussahnlich riechenden, goldgelben fetten Oeles ent-
halten, von welchem die bei uns gezogenenKnollen indesscn nie mehr als 4 — 5°/„
liefern. Nicht selten werden die Erdmandeln, von welchen cine einzige Pflanze
oft bis 30 Stiick liefert, gerostet imd gemahlen unter dem Namen E rdm and el-
caff ee als Caffeesurrogat in den Handel gebraelit. Das E rdm an del 51 zeigi im
reinen Zustande das spec. Gew. 0.918 und ist leicht vcrscifbar. (Vgl. Lesant
Journ. Pharm. (2) VIII pag. 509.) Gil.
Erdmannit, a. Cerin II pag. 300.
Erdmetalle, vgl. Erden.
ErdniiSSe (pistaches de terre — ground nuts), Erdeicheln. Die Friicbte
von Arachis hypogaea L. , einer krautartigen , urspriinglich wahrscheinlich
dem tropischen Amerika angehorenden Pflanze aus der Familie der Caesalpineen,
welche jetzt fast in alien heissen und warmeren Gebieten der Erde, zumal in
Siid-Amerika, West- und Ost-Indien und an der Westkiiste Afrikas als Oel- und
Nahrungspflanze gebaut wird. Sie ist dadurch merkwurdig, dass ihr Bliithenstiel nach
dem Verbliihen sich zu Boden senkt und der Stempel unterirdisch zu einer etwa
3cm langen walzlichen, in der Mitte meist etwas eingeschntirten, nicht aufspringen-
den Hiilse sich entwickelt, der'en zahes, papierartiges, aussen netzig-geripptes, matt
hellbraunes Gehause 1 — 3 eirunde^ schief abgestutzte7 mit diinner, vertieft-langs-
adriger braunrother Hiille versehene, sehr olreiche, mandelartig schmeckende
Samen enthalt. Diese geben durch Auspressen bis 50°/0 eines gelblichen, geruch-
losen fetten Oeles von 0.918 spec. Gew., welches wesentlich ein Gemenge der
Glycerinverbindungen von 3 verschiedenen krystallisirbaren Fettsauren (Arachin-
saure, Hypogaeasaure und Palmitinsaure) ist und im Haushalte (als Speiseol), be-
sonders aber zu technischen Zwecken, sowie audi zur Verfalschung von Oliven-
und Mandelol Verwendung findet. A. Vogl.
Erdnussol, s. Erdniisse.
Erdol, s. Petroleum s. St ein ol.
Erddlather, der zwischen 60 und 100° C. destillirende Antheil des Roh-
Petroleums, s. Petroleum.
Erdorseille, s. Orseille, vgl. Fl edit enfarbst off e.
Erdpech, s. Asphalt I pag. 211. Erdpech elastisches, syn.
E 1 a t e r i t.
Erdpise, s. S tamp f ban.
Erclsalz, syn. Steinsalz, s. Chlornatrium bei Natrium.
Erdtheer, syn. Theer aus bituminos. Schiefer, s. Theer.
Erdthermometer, Geothermometer, vgl. Thermometer, s. Warme-
messung.
ErdwacllS, s. Ozokerit.
Eremit, s. Monazit.
Erganzungsflache eines Kreiskegels ist wieder eine Kegelliaclie, deren
Erzeugende senkrecht stehen auf jener Erzeugenden des ersten Kegels, welche sie
an der gemeinsamen Basis (Erganzungskontur) schneiden. Auf irgend ein Axoid
ausgedelmt wird die Erganzungsflache zu der durch jene Normalebenen umhiill-
ten Flache, welche in den Punkten eines Querschnittes auf die Erzeugenden des
Axoides gelegt werden konnen. Kk.
288 Erganzungskontur. — Erker.
ErganzungskontUI' bezeiclmet Reuleaux die Sclniittlinie der Oberflache
eines Axoides mit der Erganzungsflache desselben. S. Reuleaux Kinematik S. 86.
(Vieweg 1875).
Ergotin (ergotine ■ — ergotine) heisst der aus dem Mutterkorn {Secede cov-
nuium) bereitete wassrige oder alkoholische Extract; mit demselben Namen be-
zeiclmet man aber audi eines der Alkaloide, die in demselben entbalten sind.
Der Extract wird auf verschiedene Weise bereitet. Nacb Wiggers wird das
gepulverte und mit Aetber entfettete Mutterkorn mit Weingeist ausgekocht, der
weingeistige Auszug abgedunstet, und der Verdampfungsriickstand mit Wasser
behandelt, wobei Ergotin als rothbraunes, scharf sebmeckendes Pulver zuriickbleibt,
das in Weingeist schwer, nicbt in Wasser und Aetber loslich ist. Bonjean's
Ergotin wird durch Extraction des eingedampften wassrigen Mutterkorn auszuges
mit Weingeist und Eindampfen als Extract erhalten, der in Wasser und Weingeist
loslicb ist.
Letztere Darstellungsweise bat unter anderen audi die osterreichische Phar-
macopoe acceptirt. Der Mutterkornextract enthalt ausser Trimethylamin nacb
Wenzell noch die Alkolaide Ergotin und Ecbolin, Tan ret bat kiirzlicb noch
ein drittes, das Ergotinin aufgefunden. Die ersteren zwei werden dargestellt, in-
dem der kalt bereitete wassrige Auszug des Mutterkorns mit Bleizucker gefallt,
das Filtrat entbleit, stark concentrirt und zunachst mit gepulvertem Quecksilber-
chlorid das Ecbolin vollstandig ausgefallt wird. Das Filtrat mit Schwefelwasser-
stoff behandelt, dann mit Phosphorniolybdansaure versetzt, lasst einen alles Ergotin
enthaltenden Niederscblag fallen, der mit aufgescblammtem koblensauren Baryt
digerirt wird; das Filtrat eingedunstet binterlasst das Ergotin. Das Ecbolin wird
aus seiner Quecksilberverbindung durch Zersetzen mit Scbwefelwasserstoff, Schiitteln
der Losung mit pbospborsaurem Silber, Bebandlung der dann abfiltrirten Fliissig-
keit mit Aetzkalk, endlicb Entfernung des tiberscbiissigen Kalkes durch Koblen-
saure und Eindunsten der Losung als Rtickstand erbalten. Beide Alkaloide sind
amorph, firnissartig^ bitter sebmeckend, alkaliscb reagirend und losen sich leicbt
in Wasser und Alkobol, nicbt aber in Aetber und Chloroform. Sie bilden leicbt
zerfliessliche Salze7 mit Kalilauge gekocbt entbinden sie Ammoniak. Sie unter-
scbeiden sicb dadurcb, dass Quecksilbercblorid das Ergotin nur in neutraler, das
Ecbolin audi in saurer Losung fallt, dass durch Platincblorid Ecbolin dunkelgelb^
Ergotin erst nacb Zusatz von Aetberweingeist gelblich, durch Cyankalium nur das
Ecbolin und z war weiss gefallt werden kaun. Manassewitz stellt fur das Ergotin
die noch sehr bypothetiscbe Formel C^H^N^O^ auf. Das Ergotinin von Tanret
ist in Chloroform und Aether loslicb, seine Darstdlung sehr complicirt. Wenzell
hat in wassrigem Mutterkornextracte die Ergotsaure nachgewiesen, die, mit Wasser-
dampfen wenigstens, fliichtig ist und unkrystallisirbare Salze liefert. Sfanup.
Eri nit, Min. (Ha i dinger), amorphe, nierenformige Massen von sniaragd-
griiner Farbe, kaum durchscbeinend, H.rr4-5 — 5, spec. Gew. z=. 4.04, ist wasser-
haltiges Kupferarsenat =r As„Cub010 -\- oH„0, Vork. Irland, vgl. a. Corn-
wall it II pag. 415. Erin it (Dam our), Kupferglimmer, Chalkophyllit, bildet
rhomboeder. Krystalle von smaragdgriiner Farbe, durchscheinend bis durch-
sichtig H. z= 2, spec. Gewicht z=z 2.4—2.66, ist wasserhaltiges Kupferarsenat
= ^s,JC»GOn+,<,iJ20. Gtl.
Eriometer, Instrument zur Bestimmung der Feinheitsnummer der Woll-
liaare, s. Wolle.
Eriophoronwolle, s. Gespinnstfasern.
Erker (fenetre en saillie — oriel-window, jut-window), ist ein geschlos-
sener, balkonartiger Yorbau eines Gebauderaumes, meist durch Consolen (aus
Holz, Stein oder Eisen) getragen, oft durch mehrere Geschosse reichend. Der
Erker. — Erythrit. 289
Grundrissform nach kann der Erker polygonal oder rund sein, und soil stets im
organischen Zusammenhang mit der Architektur des Gebaudes stehen. Grohm.
Erlangerblau, syn. Berlinerblau, s. Blutlaugensalze I pag. 667.
Erlenholz (aune, aulne — alder). Das Holz der gemeinen Erie (Betula
alnus) ist ein weissgelbes bis gelbrothliches Holz, frisch ist es orangenroth. Das-
selbe ist dicht, von mittelmassiger Harte, geringer Elasticitat und Zahigkeit. Es
wird seiner grossen Dauerbaftigkeit unfer Wasser oder in feuchter Erde wegen
zu Wasserbauten, sonst' meist als Brennholz beniitzt. Uebrigens findet es auch
zuweilen zu Holzschuhen, Leisten und Giessereimodellen Anwendung. Als Bau-
holz ist es seiner geringen Dauer im Trockenen, sowie seiner Sprodigkeit wegen
nicht geeignet. Kk.
Erntemaschinen, s. Landwirthschaft.
Erstarrungspunkt, die Teniperatur, bei welcber der Uebergang einer Fliis-
sigkeit in den starren Aggregatzustand erfolgt. Vgl. a. Schmelzpunkt und
Schmelzen. Gtl.
Erubescit, syn. m. Buntkupfererz, s. Kupfer.
Erucasaure (acide erucique), feste Fettsaure von der Formel C2qH^O„,
welcke als Glycerinverbindung einen Bestandtheil des fetten Oeles der weissen
und scbwarzen Senfsamen7 des Traubenkernols und des Rapsoles (vgl. Br ass in-
saure) bildet. Farblose und geruchlose nadelformige Krystalle bei 36° C.
schmelzend. Im Wasser unldslich, loslich im Alkobol und Aether. Verfarbt sich
an der Luft. Mit schmelzen dem Kalibydrat zerfallt sie in Aracbinsaure und
Essigsaure. (Vgl. Darby Annal. d. Cbem. u. Pbarm. 69 pag. 1, Otto ebenda
127 pag. 182. Gtl.
Eruptivgesteine. Allgemeine Bezeichnung jener Gesteine, welche aus dem
Innern der Erde hervorgedrungen und erstarrt sind7 wie alle Laven, Basalte,
Trachyte, Porphyre u. s. w. Lb.
Erweiterungsbohrer, s. I pag. 698, 709.
ErythHn, Farbstoff, s. Eosin III pag. 278.
Erythrin (erythrine — cobalt bloom), Kobaltbliithe, Kobaltbeschlag,
Name von iov&Qog roth. Monoklines Mineral, die einfachen rechtwinkligen saulen-
formigen Krystalle selten, meist nadel-haarfbrmige, in biischel-, biindel- und stern-
formige Gruppen verwaschene Individuen. Auch erdig als Ueberzug, Anflug oder
Beschlag. Die Krystalle klinodiagonal sehr vollkommen spaltbar, wenig sprode.
H. 2.5, spec. Gew. = 2.9 — 3.0. Rosenroth, karmin-, pfirsichbliithroth, Strich
rosa. Die krystallisirten Aggregate seidenglanzend, die erdige Varietat matt.
Chem. Zus. 3CoOAs'10^-\-8H'10, 37.8 Kobaltoxydul, 38.2.Arsensaure, 24 Wasser.
Gibt im Kolben Wasser und wird blau, griin oder braun, im Reduct. F. auf
Kohle Arsendampfe und schmilzt dabei zu Arsenkobalt; Borax gibt damit ein
blaues Glas. In Salpetersaure leicht zu einer rothlichen Solution loslich. In Kali-
lauge wird er schwarz, wahrend die Lauge sich blau farbt. Ein Begleiter von
Kobalterzen, namentlich des Speiskobaltes, und ein Zersetzungsproduct daraus.
Unter Zutritt der Atmosphare bildet sich der sogenannte Kobaltbeschlag oder die
erdige Kobaltbliithe sehr rasch auf Kobalterzen, und ist ein charakteristisches
Kennzeichen fur solche. Fundorte Joachimsthal und Pribram in Bdhmen, Schnee-
berg in Sachsen, Richelsdorf in Hessen, Saalfeld in Thiiringen, Allemont Dau-
phine. Wird mit anderen Kobalterzen zur Blaufarbenbereitung beniitzt. Lb.
Erythrit (erythrite — ery trite) , E r y t h r o g 1 u c i n , E r y t h r o m a n n i t,
Ery thro gly ein, E ryglucin, Pseud o or ein, Phycit, ein in die Classe
der Alkohole gehorender Korper, wird aus verschiedenen Flechten, so Eoccella
Karmarsch & Heeren, Technisches Worteibuch Bd. III. 19
290 Erythrit. — Erythrozym.
fuciformis, R. Montagnei, in denen er aber nicht als solcher vorkommt, am besten
nach dein Verfahren von Stenhouse, der ihn zuerst darstellte, gewonnen. Hier-
nach wird die Roccella fucciformis kalt durch diinne Kalkmilch in der Art er-
schbpft, dass die zweiten und dritten Ausziige auf neue Flechte gegossen werden,
wahrend der erste so rascli als mb'glicb durch Spitzbeutel filtrirt und mit Salz-
saure zersetzt wird. Es fallt robe Erytbrinsaure heraus (s. Flechtenfarbstoffe),
die mil Wasser durch Decantation gewaschen, mit Kalkmilch im geringen Ueber-
schusse durch eine halbe Stunde im Kolben gekocht wird, worauf die Lbsung mit
Kohlensaure oder Schwefelsaure vom iiberschiissigen Kalk befreit und fast zur
Trockene verdampft wird. Der Riickstand mit Benzol (von 110 — 150°Siedep.) wie-
derholt ausgekocht gibt an dieses Orcin (s. d), dann mit heissem Wasser be-,
handelt an dieses Erythrit ab, der mit kaltem Weingeist gewaschen und noch-
mals aus Wasser krystallisirt rein erhalten wird. Die beschriebene Reaction geht
in der Weise vor sich, dass die Erytbrinsaure zunachst in Pikroerythrin und
Orsellinsaure (resp. Aether der letzteren) zerfallt, dann das Pikroerythrin Erythrit
und Orsellinsaure und letztere Orcin und Kohlensaure geben. Der Erythrit, nach
Strecker CiHl 0Oi, ist ein vieratomiger Alkohol, er krystallisirt in grossen farb-
losen glanzenden Krystallen des quadratischen Systems , schmeckt siiss, ist in
Wasser leicht, schwieriger in Alkokoh, nicht in Aether lbslich, ist nicht gahrungs-
fahig und ohne optisches Drehungsvermbgen. Er schmilztbei 120°, auf 300° er-
hitzt tritt unter theilweiser Zersetzung Caramelgeruch auf. Mit Jodwasserstoffsaure
erhitzt gibt er Butyljodiir vom Siedepunkt 120, in wassriger Lbsung mit Platin-
mohr behandelt, oder vorsichtig mit Salpetersaure oxydirt auffalliger Weise nicht
WeinsMure, sondern eine unkrystallisirbare Saure der Formel C4Hs05. Rauchende
Salpetersaure ftihrt ihn in eine Nitroverbindung, warme concentrirte Schwefel-
saure in eine Erythritschwefelsaure iiber, mit organischen Sauren gibt er Ester,
mit Aetzkali geschmolzen unter Wasserstoffentwickelung Essigsaure neben Oxal-
saure. Nach Lamy und Wagner ist Phycit identisch mit Erythrit. Skraup.
Erythrobenzin, ein von Laurent und Castelaz (Repert. of. patent in-
vent. October 1862) dargestellter, noch nicht naher untersuchter, rother Farbstoff
aus Nitrobenzol, welcher durch etwa 24stiindige Digestion von Nitrobenzol
(12 Thl.), mit Eisenfeilspanen (24 Thl.) und concntrirter Salzsaure (6 Thl.), Aus-
laugen der erhaltenen Masse mit Wasser und Fallen der wassrigen Lbsung mit
Kochsalz dargestellt werden kann und sich sowohl zum Farben als auch zum
Drucken eignet. Gtl.
Erythrocentaurin, krystallisirbarer Bestandtheil des Tausendguldenkrautes
(Erythrea centaurium), welcher aus dem wassrigen Extracte des Krautes durch
Ausziehen mit Alkohol und Extrahiren des Riickstandes des Alkoholauszuges mit
Aether erhalten werden kann. Farblose, geschmacklose Krystalle, in kaltem Wasser
kaum lbslich, leichter in siedendpm, leicht in Alkohol und Aether, bei 136° C.
schmelzend. Farbt sich am Sonnenlichte rosa bis roth, wird aber beim Erhitzen
wieder farblos. Durch Salpetersaure wird es nicht merklich angegriffen. Entspricht
der Formel Co.HniOs. Vgl. C. Mehu Journ. de Pharm. (4) 3, pag. 265. Gtl.
Erythroglucin, s. Erythrit HI pag. 289.
ErythroleTn und Erythrolitmin, s. Lackmus.
Erythromannit, s. Erythrit IE pag. 289.
Erythronium, syn. mit Vanadin.
Erythrophyll, s. Blattfarbstoffe I pag. 533.
Erythrosin, syn. Tyrosinroth, durch Einwirkung von Salpetersaure auf
Tyrosin entstehender rother Farbstoff. Gtl.
Erythrozym, Ferment der Krappwurzel, s. K r a p p , vgl. Alizarin I pag. 88.
Erzaufbereitung. — Esparto. 291
Erzaufbereitung, s. Aufbereitung I pag. 234.
Erze (minerals — ores). Der Begriff von Erz ist etwas schwankend. Im
weiteren Sinne versteht man darunter alle jene Mineralkorper, welche als Haupt-
bestandtheil eines der sogenannten scbweren Metalle enthalten, im engeren, melir
gebrauchlichen Sinne aber nur jene Mineralien, aus welchen das darin enthaltene
Metall mit Vortheil gewonnen werden kann, also die nutzbaren metalliscben Mi-
nerale. Die Erze enthalten die Metalle entweder im regulinischen Zustande, oder
in chemiscber Verbindung mit anderen Substanzen, die oft ihre Eigenschaften als
Metalle so verdecken, dass der Nicbtkenner schwerlich ein werthvolles Metall
darin vermnthen sollte. Die am haufigsten vorkommenden Verbindungen der Me-
talle sind die mit Sauerstoff, also ihre Oxyde; imd die mit Schwefel, seltener
scbon die Arsenikverbindungen. Die Oxyde wieder sind entweder rein oder mit
Wasser, als Hydrate, oder mit Kohlensaure in Verbindung. Andere Metallsalze,
so wie Phosphor-, Selen- und Chlorverbindungen sind so selten, dass sie den nutz-
baren Erzen nicht zugezahlt zu werden pflegen. Einige Metalle, so namentlich
Gold und Platin, werden nur im regulinischen Zustancle, wiewohl oft mit anderen
Metallen legirt, angetrotfen.
Ueber das Vorkommen der Erze in der Erdrinde und iiber ihre Gewinnung
enthalt derArtikel „Bergbau" das Nahere, wahrend die allgemeinen Verfahrungs-
arten ihrer Aufbereitung in dem Artikel „Aufbereitung" (s. I pag. 234) nach-
zusehen sind. Ausserdem ist bei jedem einzelnen Metalle die Gewinnungsart im
Grossen ausfiihrlich behandelt. K. H.
Erzmetalle ist gleichbedeutend mit Schwermetalle, s. Element III pag. 257,
s. Metalle.
Erzstahl, s. Ill pag. 41.
Eschel, s. Smalte.
Eschenholz (frene — ash). Das Holz der gemeinen Esche (Fraxinus
excelsior) weiss bis braunlichgelb. Es hat breite Jahrringe und dem Eichenholz
ahnliche Poren. Es ist sehr zah und elastisch, spaltet schwer7 aber gerade und
ist im Trocknen sehr bestandig. Es wird als Tischlerholz, zum Wagenbau und
zu Stielen fur Werkzeuge, so wie zu Turngerathen beniitzt. Kk.
Esdragondl (huile d'estragon — tarragon oil), Dragunol. Das Oel der
Blatter von Artemisia dracunculus hat den eigenthiimlich erfrischenden Geruch des
Dragun- (Esdragon)- Krautes, ist blassgelb, vom spec. Gew. 0.935 und siedet
zwischen 200—206 ° C. Es besteht wesentlich aus Anethol und Kohlenwasser-
stoifen. Vgl. St em an is. Dient wie das frische Kraut zum Aromatisiren von
Essigen und Raucheressenzen. Gil.
Esdragonsaure, s. bei Stemanis.
Eserin, syn. mit Physostigmin, s. Calabar bo line II pag. 195.
Esmarkit, Min., durch Wasseraufnahme veranderter Dichroit. Auch fiihren
diesen Namen Varietaten sowohl des Datolits als auch des Anorthits, s. Datolit
II pag. 591. Gil.
Esparto (sparte — esparto), Haifa, Espartogras. Unter dem spanischen
Namen Esparto und dem arabisclien Haifa versteht man ein vegetabilisches Roh-
product, welches in der Neuzeit als Papiermaterial zu grosser Bedeutung gelangt,
die getrockneten Blatter von zwei Grasarten darstellt, namlich von Macvocliloa
tenacissima Kth. (Stipa tenacissima Desf.) und Lygeum Spartum L. fil., die ini
grosser Menge auf diirrem Boden vom 41 - 32 ° n. Br. in den Kiistenprovinzers
von Stid-Spanien, von Tunis, Marocco und Algerien wachsen.
19*
292 Esparto. — Essence d'orient.
Die zahen, 4-7 dcm langen, im Mittel etwa 1 % mm im Durchmesser betra-
genden Blatter dieser beiden in sonstigen botanischen Mejkmalen wesentlich
abweicbenden Gramineen stimmen darin iiberein, dass sie nicht flacb sind, wie
wir dies an unseren Grasern sehen, sondern von beiden Randern her zusammen-
gelegt, stielrund, binsenartig. Nur eine sehr feine Rinne, welche vom Grunde
des Blattes bis zur Spitze verlauft, deutet dieses auffallende Verhalten der Blatter
an, welche sonst an der Oberflache kahl und glatt oder hochstens feinstreifig
(bei Lygeum Spartum), etwas glanzend graugriinlich oder strohgelb gefarbt sind.
Die Innenflache zeigt eine matt graugriine Farbe und mehr weniger tiefe Langs-
furchen mit scharf vorspringenden [Macrochloa) oder mehr stnmpfen, gerundeten
[Lygeum) Leisten (Nerven), welche mit kurzen konischen, an der Spitze etwas
hakig gekriimmten Harchen besetzt sind. Histologisch besteht das Espartoblatt
unter der derben Oberhaut aus einem Grundgewebe, welches theils parenchymatisch
und diinnwandig, theils proxenchyniatisch und dickwandig ist. Darin sind starkere
und schwachere Gefassbiindel vom Gharakter jener der Monocotylen eingelagert.
Bei Macrochloa sind diese im Allgemeinen schwacher, von sparlichem Parencliym
umgeben, oder ganz in das Fasergewebe eingebettet, welches die Hauptmasse des
Blattgewebes bildet, bei Lygeum sind die Gefassbiindel starker und das Proxen-
chym weit weniger, das Parenchym dagegen reichlicher entwickelt als bei Macro-
chloa. Jenes Proxenchym oder Fasergewebe, welches auch die Hauptmasse der
fabriksmassig abgeschiedenen Espartofaser bildet, besteht aus bastzellenartigen
Elementen, welche sich mit der Nadel leicht isoliren lassen. Sie sind kurz (bei
einem Durchmesser von 0.007 — 0.02mm 0.5 — 4.5mm lang), glatt, beiderseits lang
zugespitzt, oder an den Enden abgerundet, seltener abgestutzt oder gabelig, dick-
wandig, mit sehr engem Lumen; in Kupferoxydammoniak quellen sie stark auf
und losen sich darin schliesslich, Jod mit Schwefelsaure farbt sie blau.
Esparto dient schon seit den altesten Zeiten in seinen Heimathslandern zur
Verfertigung verschiedener Flechtwaaren (Sparterie), wie zu Korben, Matten etc.
Zu diesen und anderen Zwecken, z. B. als Durchzugsstroh fur Virginier-Cigarren
wird es auch bei uns eingefiihrt. Durch eine entsprechende Behandlung wird
daraus audi eine Rohfaser abgeschieden, die zur Fabrikation ordinarer Gewebe
und zu Seilerarbeiten dient. In grossartigstem Massstabe aber wird Esparto,
insbesondere in England in der Papierfabrikation verwerthet. 1872 exportirte
Algerien 44 Mill. Kilo von diesem Rohproducte (Spec. Catalog der Wiener Welt-
ausstellung 1873. Algier). Die an Haifa (hauptsachlich Macrochloa) reichste
Gegend hier ist das hohere Plateau von Oran und die Hauptausfuhrplatze Sebdon,
Daya und Saida.
Mit dem Namen Esparto bezeichnet man in Spanien auch die Binsenpfrieme,
Spartum pinceum L., eine strauchige, in Siid-Europa einheimische, bei uns in
Gartenanlagen ihrer schonen, grossen, goldgelben Blatter wegen haufig cultivirte
Papilionacee, deren griine zahe Zweige gleichfalls zur Anfertigung von Korben,
Matten, Netzen, Tauen etc. dienen. A. Yogi.
Espenholz (tremble — asp), auch Aspenholz, s. I pag. 211.
Esse (cheminee — chimney), Schorn stein, s. H 549, s. Heizung.
Essence de Mirbane, Mirbanol, kunstliches Bitter mandelol, Nitro-
benzol, vgl. I pag. 379, s. a. Nitro benzol.
Essence d'orient, Perlenessenz. Unter diesem Namen kommt im Handel
eine zur Imitation von Perlen verwendete Fliissigkeit vor, welche aus wassrigem
Ammoniak besteht, in welchem der auf mechanischem Wege von den Schuppen
gewisser silbersclnippiger Fische (namentlicli des Weissfisches) abgeloste silber-
glanzende Beschlag vertheilt ist. Der Gehalt an Ammoniak dient wesentlich als
Conservirungsmittel fur die in reinem Wasser leicht veranderliche Substanz.
Gtl.
Essenzen. — Essig. 293
Essenzen (essence — essence) nennt man im Allgemeinen geistige Ausziige
oder Destillate aus aromatischen Pflanzentheilen odcr sonstigen Substanzen, welche
gewissermassen gesattigte Lbsungen des riechenden Principes solch aromatischer
Stoffe darstellen, seltener belegt man auch atherische Oele mit diesem Namen.
Vgl. a. Tincturen, s. Parfumerie. Gtl.
Essig (vinaigre — vinegar). Im Allgemeinen versteht man unter Essig
eine sehr verdtinnte Essigsaure, welche je nach der Art nnd Beschaffenheit des
Materiales, aus welchem sie erzeugt, andere Stoffe beigemengt enthalt, die ihr den
eigenthiiinlichen Geruch und Gesclimack ertheilen.
Die Kenntniss des Essigs datirt seit den liltesten geschichtlichen Zeiten;
schon den meisten alten Volkern war es bekannt, dass Fruchtsafte (bes. Trau-
bensaft), langere Zeit mit Luft in Beriihrung gebracht, sauer werden und die
Eigenschaft erhalten, anf manche Steine und Metalle losend zu wirken. Die
Alchemisten , welche sich vielfach mit dem Essig beschaftigten, kannten bereits
auch eine concentrirtere Essigsaure (sog. Kupferspiritus), das Wesen der Essig-
bildung aber war unbekannt; wurde auch nicht aufgeklart, als Boerhaave in
Leyden um das Jahr 1720 eine praktische Anleitung zur Weinessigfabrikation
veroffentlichte, die als die eigentliche Grundlage der Wein- und Schnellessigfa-
brikation angesehen werden kann. Nachdem Priestley 1774 den Sauerstoff
entdeckt und Lavoisier 1788 nachwies? dass Alkohol durch Oxydation in Essig-
saure iibergehe, beschaftigte man sich eingehender mit der Erklarung des Vorganges
der Essigbildung ; es traten verschiedene Chemiker mit haufig wiedersprechenden An-
sichten auf, die sich einerseits in der Beliauptung, die Umwancllung des Alkohols in
Essig sei ein reiner Oxydationsprocess, andererseits in der Ansicht, dieselbe geschehe
nur durch Vermittlung eines Gahrungserregers (Ferment, Essigpilz etc.), gipfelten.
Die Gewinnung des Essigs im Grossen geschieht :
1. Aus alkoholhaltigen Fliissigkeiten.
2. Aus zucker- und starkmehlhaltigen Materialien und
3. Durch trockene Destination des Holzes. Letztere siehe Artikel „Holzessig."
Zur ersten Gruppe konnen gezahlt werden: verdlinnter Alkohol, Bier,
Wein, gegohrener Malzauszug etc. Die zweite Gruppe umfasst alle jene Mate-
rialien, die durch iliren Starke- und Zuckergehalt befahigt sind, bei der Gahrung
alkoholhaltige Fliissigkeiten zu liefern ; hieher gehoren z. B. Getreide, Riiben,
Obst, Most etc.
Die erhaltenen Produkte bezeichnet man dann als : Branntwein- oder Spiritus-,
Wein-, Bier , Malz-, Getreide- u. Riibenessig.
Soil iiberhanpt eine alkoholhaltige Fliissigkeit in Essigsaure iibergehen, so
miissen gewisse Bedingungen erfiillt sein u. z. :
1. Eine bestimmte Concentration der zu sauernden Fliissigkeit, deren Al-
koholgehalt in den Grenzen von 3—12 Volumprocenten schwanken kann; die Er-
fahrung hat gelehrt, dass Fliissigkeiten, die unter 3°/0 Alkohol enthalten, sehr
langsam, solche mit mehr als 12°/0 gar nicht sauern.
2. Hinreichender Luftzutritt; da der Uebergang von Alkohol in Essigsaure
durch Aufnahme von Sauerstoff aus der Luft, die Sauerung stets von der Ober-
flache der alkoliolhaltigen Fliissigkeit aus erfolgt, muss dem Luftzutritt eine mog-
lichst grosse Beriihrungsflache dargeboten werden.
3. Eine zwischen 20 bis 35" C. liegende Temperatur ; obwohl die Essig-
bildung auch noch bei niedercr Temperatur vor sich geht, erscheint dieselbe doch we-
sentlich verlangsarat, dagegen verlauft sie bei Temperaturen iiber 35° C. sehr rasch,
jedoch mit bedeutenden, durch Verdunstung von Alkohol entstehenden Verlusten.
4. Die Gegenwart eines stickstoffhaltigen Korpers, eines Fermentes.
Zur Erklarung des Vorganges der Essigbildung machen sich verschiedene
Ansichten geltend. Liebig*) fiihrt die Essigbildung auf einen einfachen Oxy-
■■) Liebig, die Es~iggahrung, Ann. der Chemie u. Pharm. 153 p. 137; Biichners Repert.
19 pag. 321, Dinglers polyt. Journal 196 pag. 548.
294 Essig.
dationsprocess zurlick unci stiitzt seine Erklarung vorziiglich auf das Experiment
von Dobereiner, nach welchem Alkoholdampf mit Sauerstoff oder Luft und
feinvertlieiltem Platin (Platinmohr) in Beruhrung gebracht in Essigsaure iibergeht, unter
gleichzeitiger Bildung von Aldehyd, Acetal und Essigsaureathylather. Liebig nimmt
also die Bildung von Aldehyd als Uebergangsstadium an, aus welchem sich durch
weitere Aufnahme von Sauerstoff Essigsaure bildet:
CaH60 + 0 = C^O + Ho0
Alkohol Sauerstoff Aldehyd Wasscr
C&O + 0 = CqH&
Aldehyd Sauerstoff Essigsaure
Aehnlich wie Platinmohr wirken nach Liebig viele in Zersetzung und Ver-
wesung begriffene organische Korper, die durch diesen Process, den Sauerstoff
auf den Alkohol iibertragen; ebenso nimmt er an, dass Holzkohle oder Hobel-
spane, als Sauerstoff verdichtend, in gleicher Weise wirken. Pasteur (Etude sur le
vinaigre, Paris 1868) dagegen vertritt die Ansicht, dass mir der Lebensprozess
eines zur Essigbildung unumganglich nothigen Pilzes (BIyco derma aceti) auf
analoge Weise wie bei der Alkoholgahrung die Umwandlung des Alkohols in
Essigsaure bewirkt, und beruft sich dabei auf das stetige Vorkommen jener Pflanze
bei jeder Essigbildung, die nicht stattfindet, wenn im Essiggute nicht auch die
Lebensbedingungen derselben (Proteinstoffe, phosphorsaure Salze) geboten sind.
Diese Ansichten sind nach den Versuchen von W. v. Knieriem und Ad.
Meyer (Chem. Centralblatt 1763 p. 666; Jahrbuch fiir Pharm. 1873 40 p.
326; Landwirthsch.-Versuchstation 16 p. 327) in den Hauptpunkten vollslandig
bestatigt worden und bezweifeln sie auch die Moglichkeit der Verwandlung
von Alkohol in Essigsaure durch ozonhaltige Luft. L em aire (Compt. rend.
57 p. 625; Journal fiir praktische Chemie 92 p. 248) ist der Ansicht dass sich
die My co derma arte n nicht als die Ursache der Essigbildung, sondern viel-
mehr als die Folge des Vorhandenseins von Essigsaure entwickeln , die durch
directe Oxydation des Alkohols entstehe.
Man unterscheidet bei der Essigbereitung zweierlei Methoden:
1. Die altere oder langsamere, nach welcher die Sauerung des Essiggutes
in theihveise gefiillten, in warmen Localen liegenden Fassern vor sich geht; die
vollstandige Umwandlung erfordert wochen- bis monatelanges Lagern ; gegen-
wartig fast ausschliesslich nur zur Bereitung von Wein-, Bier- und Getreideessig
verwendet.
2. Die neuereMethode oder S chn el lessigfabrikation,nach welcher das durch
sehr feine Vertheilung eine grosse Oberflache darbietende Essiggut bei steter
Luftzufuhr und erhohter Temperatur sehr rasch in Essig iiberfiihrt wird; haupt-
sachlich zur Erzeugung von Spiritus- oder Branntwein-, seltener des Malzessigs
verwendet.
Im Folgenden geben wir eine Darstellung der wichtigsten Essigsorten und
ihrer Bereitung:
a) Wein essig wird fast ausschliesslich in weinreichen Gegenden, besonders
in Frankreich (bei Orleans), seltener in Deutschland producirt,
Nach dem altern Vrfahren von Boerhaave beniitzt man zwei gleich
grosse, oben offene Fasser, verschliesst das Spuudloch, stellt dieselben auf Un-
terlagsbalken in ein warmes Local, fiillt nun beide mit Weinkammen oder
Trestern, das eine mit Wein ganz, das andere halbvoll an, entleert nach 24 Stunden
das voile Fass so weit, dass hiemit das zweite, halbvolle, gefullt wird, nach 48
Stunden dieses und fahrt so fort, bis aller Alkohol in Essigsaure verwandelt ist;
die Sauerung geht hauptsachlich in dem halbvollen Fasse vor sich und dauert
sehr lange Zeit.
Ausser diesem heutzutage fast ganzlich verlassenen Verfahren ist in Frank-
reich die sog. „Methode von Orleans" im Gebrauch, nach weicher ein Gemisch
Essig. 295
von Wein und Essig in warmen Localen sich selbst iiberlassen wird; Hauptetv
forderniss der Lagerraume ist steter Luftwechsel und moglichst constante Tem-
peratur; die Wande derselben bestehen aus Ziegelsteinen und sind ausserdem
mit Brettern und Gyps bekleidet; auch sind niedrige Raume am besten geeignet ;
die Temperatur betragt 25 bis 30° C. Die Gefasse, in denen die Sauerung vor
sich geht, sind Fasser von 2 bis 4 Hektoliter Inhalt; grossere arbeiten zu langsam,
kleinere erfordern zu viel Bedienung.
Man fiillt die Fasser zu ca. y3 mit siedendem starken Essig, fiigt darauf
10 Liter Wein hinzu und uberlasst die Mischung sich selbst ; nach ca. 8 Tagen
setzt man abermals 10 Liter Wein zu, wiederholt diese Operation nach 3 bis 4
Wochen, und setzt dieselbe so lange fort, bis die Fasser iiber die Halfte gefullt
sind, zieht sodann 1/3 des Inhaltes, in manchen Fabriken auch nur 40 Liter ab,
setzt wieder 10 Liter Wein zu und fahrt so fort.
Triiber Wein muss vor dem Zusatze in die Sauerungsfasser durch mehr-
wochentliches Lagern in grossen, mit |Buchenholzspanen angefiillten Bottichen
geklart werden ; triiber Essig wird derselben Operation unterworfen.
Von dem Fortschreiten der Gahrung iiberzeugt man sich auf empirischem
Wege, indem man einen weissen gebogenen Stab in die Fliissigkeit taucht ; ist
derselbe beim Herausziehen mit einem dichten weissen Schaume (Essigblume)
bedeckt, so ist die Gahrung beendet; ist der Schaum hingegen roth, so erhoht
man die Temperatur bis zum Eintritte obiger Erscheinung.
Die in Verwendung stehenden Fasser bedtirfen nach 6- bis Sjahrigem Ge-
brauche in Folge des Absatzes von Weinstein und Essigmutter einer Reinigung,
nach 20 bis 25 Jahren vollstandiger Erneuerung.
Nach dem Verfahren von Pasteur (Compt. rend. 54 p. 265, 55 p. 28;
Bulletin de la societe d' encouragement 1862 p. 615; Repert. de chim. appl.
1862 p. 70 und 279; Dingl. polyt. Journal 165 p. 299 und 303; Poly-
technisches Centralblatt 1862 p. 1439 u. 1510) saet man auf eine Fliissigkeit,
bestehend aus Wasser, dem 2% Alkohol, 1% Essig und etwas phosphorsaure
Salze zugesetzt wurden, den Essigpilz aus; die kleine Pflanze entwickelt sich
sehr rasch iiber die ganze Oberflache, gleichzeitig sauert der Alkohol; sobald
der Process im Gange und etwa die Halfte des zngesetzten Alkohols
in Essigsaure verwandelt ist, setzt man jeden Tag Alkohol, Wein oder mit Wein-
geist verselztes Bier zu, bis die Fliissigkeit so viel Alkohol erhalten hat, class
der resultirende Essig den erforderlichen Grad der Starke besitzt.
Hiebei ist besonders zu beachten, dass es einerseits der Fliissigkeit nie an
Alkohol fehlen, audererseits die Entwiklung der Pflanze nicht zu weit gedeihen
darf, weil in beiden Fallen eine weitere Zersetzung der gebildeten Essigsaure
(in Kohlensaure und Wasser) stattfinden wiirde. Wird die Wirkung der Pflanze
schwacher, so wartet man die vollstandige Sauerung ab, zieht den gebildeten
Essig ab, wascht die Pflanze und benutzt sie von Neuem.
Dieses Verfahren wird in der Fabrik von Breton-La ugier in Orleans
im Grossen ausgefiihrt. (Deutsche Industrie-Zeitung 1871 pag. 234; Dingl.
polyt. Journ. 201 p. 67; Chem. Centralblatt 1871 p. 687; Polyteclm. Cen-
tralblatt 1871 p. 1326.)
DerWeinessig enthalt 6 — 9% Essigsaurehydrat, daneben . Weinstein, Wein-
saure, Citronensaure , Farbstoffe, Spuren von Aldehyd, Glycerin und Bern-
steinsaure.
b) Bier-, Malz- oder Getr eideessig. Die Erzeugung des Essigs aus
Bier, resp. Malz oder Getreide ist heutzutage meist nur in Landern gebrauchlich,
in welchen in Folge der hohen Spiritussteuer solcher zur Erzeugung des Essigs
nicht verwendet werden kann, wie z. B. in England und Schweden.
Bei der Herstellung des nbthigen Maizes ist es nicht nothig, so genau und
sorgfaltig vorzugehen, wie es bei der Bierbrauerei erforderlich ist; die Temperatur
beim Malzen kann etwas hoher gesteigert, auch die Keimung weiter fortgesetzt
werden; meist mischt man ungemalztes Getreide mit Malz u. z. am besten zu
296 Essig.
gleichen Theilen, wobei man das erstere sehr fein, das fertige Malz nur grob
geschrotet anwenden kann; zur Mischung mit Malz kann mit Vortheil Hafer
verwendet werden; weil die Treber dadurch aufgelockert werden und die Wiirze leicht
abfliessen kann. Die erhaltene ungehopfte Maische wird auf Kiihlschiffen bis 20
oder 25° C abgekiihlt, in die Galirbottiche abgelassen und mit Hefe versetzt. Die
Gahrung kann als beendet angesehen werden, wenn das Saccbarometer ca. 2°
zeigt und diese Anzeige constant bleibt. Die erhaltene vergohrene Maische wird
in grossen, ganz geftillten Fassern der Nachgahrung unterworfen, welche ebenso
wie die Hauptgahrung um so rascher verlaufen wird, je holier die Temperatur
der Fliissigkeit und der umgebenden Luft ist. Soil das erhaltene Bier nach dem
alteren Verfahren in Essig umgewandelt werden, so kann die Nachgahrung in
ziemlich warmen Raumen oder in der Essigstube selbst vorgenommen werden ;
im letztern Falle jedoch resultiren sehr leicht triibe, nicht haltbare Producte.
Soil das Bier nach der Methode der Schnellessigfabrikation gesauert werden, so
ist es vortheilhaft, den ersten Wiirzauszug oder die ganze Maische zur Abscheidung
der Albuminate zum Kochen zu bringen, da ein zu grosser Gehalt an stickstoff-
haltigen Korpern sehr bald eine Verschleimung der Spane im Essigbilder her-
beifiihren wiirde.
Nach dem alteren Verfahren wird die Maische oder das Bier, ganz ahnlich
wie bei der Weinessigfabrikation beschrieben, in Fasser gebracht, die Temperatur
der Essigstube mbglichst constant auf 29 bis 30° C. erhalten oder, wie in
England gebrauchlich, im Freien auf sogenannten Essigfeldern die Sommermonate
hindurch sich selbt iiberlassen. Durch Filtration iiber Traubenkamme, Trester,
Hobelspane oder Stroh reinigt man den fertigen Essig.
Nach der neueren Methode mischt man dem Biere oder der vergohrenen
Maische verdiinnten Alkohol und eine entsprechcnde Menge Essig zu, lasst aber
die friiher gebrauchlichen Zusatze von Brod, Sauerteig, Weizen- oder Roggenmehl-
teig mit Weinstein etc. weg.
Das Essiggut kann z. B. bestehen aus : 100 Liter Alkohol von 90°/0 Tr. ,
1900 Liter Wasser, 3600 Liter Bier und 900 Liter Essig, oder 100 Liter Al-
kohol von 90% Tr., 1500 Liter Wasser, 700 Liter Bier, 180 Liter Essig, oder
100 Liter Alkohol v. 90% Tr., 1400 Liter Wasser, 100 Liter Bier, 300 Liter
Essig, oder 100 Liter Bier und 15 Liter Essig ohne Alkoholzusatz.
Endlich kann zur Fabrikation von Bieressig eine der franzosischen Wein-
essigfabrikation nachgebildete Methode in Anwendung kommen ; den regelmassigen
Gang der Essigbildung verfolgt man durch Bestimmung der Zunahme des spe-
zifischen Gewichtes, besser durch oftere Bestimmung des Sauregehaltes mittelst
Titration. Ist ein Stillstand in der Essigbildung eingetreten und aller Alkohol in
Essigsaure verwandelt, so ziebt man den gebildeten Essig ab und lasst nur so viel
desselben zuriick, als zur Herstellung des neuen Essiggutes benothigt wird, ersetzt
das Feblende durch Znsatz der berechneten Menge verdiinnten warmen Alkohols
und Biers, worauf die Essigbildung sogleich wieder beginnt. Dem erhaltenen Essig
setzt man behufs langerer Haltbarkeit eine geringe Menge Alkohol zu.
c) Riib en essig. Die Fabrikation des Essigs aus Zuckerriibe ist in neuerer
Zeit, besonders in Frankreich, vielfach in Anwendung. Nacli dem Verfahren von
N e a 1 und D u y c k (Zeitschrift des Vereins fur Riibenzuckerindustrie
1867 p. 205; Polytechn. Centralblatt 1867 p. 208; Chemisches Centralblatt
1867 p. 512) wird durch die gegohrene Fliissigkeit mittelst eines Geblases ein
continuirlicher Luftstrom getrieben und dadurch die Sauerung in ziemlich kurzer
Zeit bewirkt. Die griindlich gereinigten und gewaschenen Riiben werden zu feinem
Brei zerrieben, in Sacke gefiillt und in hydraulischen Pressen ausgepresst; das
spezifische Gewicht des Saftes (urspriinglich 1,035—1,045) wird durch Zusatz
von Wasser auf 1,025 gebracht, derselbe kurze Zeit gekocht, rasch auf ca.
16° C. abgekiihlt, in Galirbottiche gebracht, daselbst mit Hefe angestellt und
die vergohrene Fliissigkeit in die Sauerungsgefasse gepumpt. Das Sauerungs-
gefass ist ein starker Bottich von ca. 1000 Hektoliter Inhalt, in dessen uuterm
Essig. 297
Theile eine Rose oder ein umgekehrter durchlocherter kleiner Kegel, dor mit einem
Blaseapparate in Verbindung steht, angebracht ist ; um die Fliissigkeit erwarmen
zu konnen geht ein, an einem Ende offenes Dampfrohr bis auf den Boden des
Bottichs. Um die vergohrene Wiirze in Essig zu verwandeln, bringt man zuerst
8000 Liter fertigen Essig in den Bottich, fiigt eine gleiche Menge gegohrenen
Saft und etwas Hefe hinzu und setzt den Blaseapparat in Bewegung. Wenn die
Temperatur der Fliissigkeit unter 21° C. sinkt, lasst man Dampf eintreten und
erhalt die Warme zwischen 21 und 27° C; der Alkohol wird auf diese Weise in
wenigen Tagen oxydirt; man bringt sodann zum fertigen Essig 160 Hektoliter
gegohrenen Saft und wiederholt diese Behandlung, wodurch die ganze Menge
bald sauer wird.
Nach Leplay (Illustrirte Gewcrbezeitung 1862 Nro. 8; Polytechn. Cen-
tralblatt 1862 pag. 1167; Polyt. Notitzblatt 1862 pag. 183) lasst man nicht den
Riibensaft, sondern die in Streifen geschnittenen Riiben galiren, indem man die-
selben in bereits in Gahrung befindlichen Riibensaft eintaucht; ist die Gahrung
voriiber, so zapft man die Fliissigkeit ab. Der Gahrbottich ist nun mit Rubenstucken
gefiillt, welche mit grosser Begierde SauerstofF absorbiren ; nach einiger Zeit ist
aller Alkohol im Zellgewebe der Riibe in Essigsaure iibergegangen, welche auf
zweierlei Weise abgeschieden werden kann:
1 Die Riibenstiicke werden kerausgenommen und in einem Destillirapparat
mit Wasserdampf destillirt; man gewinnt destillirten Essig von sehr angenehmem
Geruch und grosser Reinheit.
2. Der Essig wird durch Maceration ausgezogen. Ausser Zuckerriiben
konnen auch andere zuckerhaltige Pflanzenstoffe zur Fabrikation eines mehr oder
weniger reinen Essigs verwendet werden, z. B. gewohnliche Riiben, Mohren, To-
pinambours, Zuckerrohr etc.
d) Branntwein- oder Spirituses sig. Die altere oder langsamere Me-
thode der Erzeugung von Essig aus Alkohol, gegenwartig wohl schon selten in
Verwendung, bedient sich zur Sauerung entweder eichener Fasser oder Topfe
von Steinzeug; kleinere Fasser von ca. 60 bis 90 Liter Inhalt sind grosseren
vorzuziehen, Steintopfe von 12 bis 18 Liter eignen sich besonders gut zur Er-
zeugung eines starken Essigs.
Das Locale in welchem die Sauerung vorgenommen wird, die sog. Essig-
s t u b e, muss eine moglichst sorgfaltige Regelung der Temperatur, des Luftzutrittes,
Luftdurchzuges etc. gestatten, muss eine vor Wind und Luftzug geschiitzte Lage haben,
gegen Siiden gelegen und niedrig sein,Doppelthiiren, moglichst wenig Fenster und starke
Wande besitzen. Die Feuerung geschieht entweder durch ausserhalb des Locales
angebrachte thonene, eiserne oder Meidinger'sche Oefen, vortheilhatter durch Ka-
nalheizung; der Fussboden kann aus Holz oder Steinplatten mit trockener Un-
terlage hergestellt sein. Fiir geniigende Ventilation wird durch mehrere kleine
an der Decke und am Fussboden angebrachte, durch Schieber verschliessbare
OefFnungen gesorgt. Alle Eisentheile werden mit einem ofter zu erneuernden An-
strich von Asphaltfirniss (einer Losung von Asphalt in Terpentinbl mit Zusatz von
Leinolfirniss) versehen.
Dem zu sauernden verdunnten Alkohol wird zur Einleitung der Essigbildung
fertiger Essig zugesetzt; die zu fiillenden P'asser werden vorher mit warmen
Essig impragnirt, indem man diesen mehrere Tage in denselben stehen lasst; mit
dem bis auf die Temperatur der Essigstube, auch hoher (35—40° C.) vorge-
warmten Essiggute werden die Fasser zur Halfte oder "/3 angefiillt, die Spund-
lbcher mit Schieferplatten lose bedeckt und so gefiillt sich selbst iiberlassen; nach
2—3 Wochen, je nach der Temperatur auch noch liinger, ist die Sauerung beendet.
Die Temperatur der Mischung, welche anfangs in Folge des Oxydations-
processes iiber die Temperatur der Essigstube gestiegen., sinkt gegen das Ende
desselben bedeutend herab, die Fliissigkeit nimmt einen rein sauern Geschmack
und Geruch an; sie wird nun auf die Lagerfasser abgezogen, wenn nicht ganz
298
klar, (lurch Filtration iiber Buehenholzspane gereinigt, manchmal auch noch mit
etwas Alkoliol versetzt, urn den resultirenden Essig starker zu machen.
Die neuere Methode oder sog. Schnellessigfabrikation, 1823 von
Schutzenbach eingefiihrt, errnoglicht es, Alkohol binnen 24 bis 48 Stunden in
Essig iiberzufiihren, und kann gegenwartig, trotz ihrer Mangel, als die rationellste
bezeichnet werden; sie erfordert grosse Umsicht des Betriebes, sorgfaltige Kegel ung
der Temperatur und grosstmogliche Reinliclikeit in alien Manipulationen ; Nach-
theile derselben siud: Produkte von geringerer Giite und grdsserer Alkoholverlust.
Als Vertheiler der Fliissigkeit wendet man fast ausschliesslicli Rothbuchen-
holzspane an , welche aus ca. 30cm langen Stiicken griinen , durch Auslaugen
mit Wasser von den loslichen Stoffen befreiten Holzes mittelst eines Stosshobels
so geliobelt werden, dass sie sich zu Spiralen aufrollen, sodann nochmals mit
Wasser ausgelaugt und sorgfaltigst getrocknet werden. Nach Miihling soil die
Essigbildung rascher verlaufen, wenn man abwechselnde Schichten von Buchen-
spanen und diinnen Weinreben anwendet. Statt Buchenspanen konnen audi
Koks, welche durch Auslaugen mit Salzsaure und nachheriges Waschen mit
Wasser von ihrem Eisengehalte befreit wurden, oder audi Holzkohle, besonders
Lindenholzkohle, verwendet werden ; letztere arbeitet sehr gleichformig und mit
geringem Alkoholverlust. Nach Pfund (Dingl. polyt. Journ. 211 pag. 280,
367; Polytechn. Centralblatt 1874 p. 518) wird dieselbe in moglichst trockenem,
staubfreiem Zustande in etwa nussgrossen Stiicken verwendet, hat aber den Nach-
theil, dass ilire Sauerungsfahigkeit zu der Masse des erforderlichen Ansatzessiges
in keinem sehr giinstigen Verhaltnisse steht; die Kohlenfiillung eines mittelgrossen
Essigbilders verschluckt 10 — 12 Hektoliter Essig, liefert aber nicht mehr Fab-
rikat als ein Spanbilder mit 3 — 4 Hektoliter Ansauerungsessig.
Die bei der Schnellessigfabrikation verwendeten Sauerungsgefasse sind hohe
cylindrische, nach unten etwas verjiingte Bottiche aus Eichenholz, sogenannte E s s ig-
b i 1 d e r oder Essisrstander.
Fig. 1510.
(Fig. 1510.) DieselbenhabenfolgendeEinrichtung:
Ueber dem Boden befindet sich ein auf einem star-
ken Holzrande liegender, durchlocherter Deckel B.
5em iiber diesem sind 6 — 12 im Kreise gleich-
massig vertheilte, l'5cm weite, nach abwarts ge-
richtete Zuglocher C gebohrt. Auf einem Holzrande,
vom obern Deckel circa 30cm entfernt, befindet sich
ein zweiter, mit zahlreichen Lochern (300 — 400)
versehener, gut eingepasster Senk- oder Siebboden
D, dessen Oeffnungen ca. 2-5cmvon einander entfernt
sind;derselbe dient zur Aufnahmeundgleichmassigen
Vertheilung des Essiggutes iiber das Fiillmateriale.
Urn diese Vertheilung langsam und gleichmlissig
zu erhalten, befinden sich in den Lochern starke,
mit einem Knopfe versehene Bindfaden, die nur
tropfenweise das Herabrinnen des Essiggutes gestat-
ten; ausserdem sind noch 4—6 3cra weite Locher
gebohrt, in die kurze Glasrohren befestigt sind,
welche den Zweck haben, die von unten durch
die Zuglocher C eingetretene sauerstoffarmer ge-
wordene Luft oben austreten zu lassen. Den Innenraum des Bottichs zwischen beiden
Siebboden nimmt das Fiillmateriale ein. Urn die Temperatur im Innern des Bilders
genau beobachten und hienach den Process beschleunigen oder verzogern zu
konnen, ist in der halbeu Hohe des Bilders ein Thermometer angebracht, dessen
Kugel bis in die Mitte oder wenigstens 15cm weit ins Innere des Bottichs reicht.
Den ganzen Bottich schliesst ein Holzdeckel C, der in der Mitte eine ca.
25n°m grosse Oeffnung hat, die lose verschlossen oder offen gehalten werden
kann ; dieselbe gestattet das Auffullen des Essiggutes in den Apparat und zugleich
die Regulirung des Luftzus-es in demselben.
ler E
•standcr
Essig. 299
Im untern Theile cles Bottichs, etwa 5cm liber dem untersten Boden des-
selben ist eine S- formig gebogene Glasrohre E angebracht, welelie bei einem
gewissen Stande des Essigs denselben in ein unterstehendes Gefass //abfliessen lasst.
Der ganze Bottich ruht auf einer 45cm hohcn Holz- oder Mauerwerksunter-
lage del.
Die Dimensionen des Essigstanders schwanken in der Holic zwischen
0-8 — 6"m , in der Brcite von 0*8 - 2*5m ; in der Praxis jedoch hat sich eine Holic
von 2 — 2*5 und eine Breite von 0.8 — l*5m am meisten bewahrt. Zu grosse
Bottiche ergeben einen grossern Abgang von Alkohol durch Verdunstung, zu
kleine halten sich schwerer auf einer gleichmassigen Temperatur.
Neue Essigstander werden zuerst niit Fluss- oder weichem Brunnenwasser
ausgelaugt, bis dasselbe geschmack- und farblos ablauft, hierauf mit den trockenen
Spanen gefiillt und nun mit starkem angewarmten Essig gut durchtrankt. Sind
die Bilder so vorbereitet, so erfolgt das Ansauern, Einsauern oder Ansctzen, indem
man Essig von der zu erzielenden Starke 3 — 4mal des Tages auf den Siebboden
aufgiesst, 2 — 3 Tage auf den Spanen stehen lasst und dies so lange wiederholt,
bis der ablaufende Essig dieselbe Starke wie der aufgegossene hat^dies wahrt je
nach der Grosse der Stander 8 — 14 Tage. Nach Pfund benothigt man far Bil-
der von lm Durchmesser und 2m Fitllungshohe bei Anwendung von Buchenholz-
spanen 3 — 6, bei Lindenholzkohle 8—12 Hektoliter an Ausauerungsessig.
Das Essiggut besteht aus Branntwein oder Spiritus, der durch Zusatz von
Wasser auf einen Gehalt von 6 — 7°/0 gebracht wird und dem man l/i oder J/2
Volum an Essig zusetzen kann. Oefters gewahlte und bewahrte Zusammensetzungen
sind z. B. 10 Liter Branntwein von 50% Tr.7 60 Liter Wasser, 20 Liter Essig,
oder 10 Liter Alkohol von 90% Tr., 120 Liter Wasser, 30 Liter Essig.
Der hiebei verwendete Essig enthalt 6*25 — 6*5% Essigsaurehydrat.
Das Auffitllen des Essiggutes geschieht alle Stunden mit 6—8 Liter, die,
am Boden angelangt, zwar schon zum grossten Theile in Essig verwandelt sind,
jedoch noch ein- oder mehreremal aufgegossen werden mtissen, um die vollstandige
Oxydation des Alkohols herbeizuftihren. Man vertheilt diese Arbeit auch auf zwei
oder mehrere Bottiche, die dann zusammen arbeiten; der erste erhalt dann frisches
Essiggut; mit 10 Bottichen kann man 750 Liter Essig pr. Tag erzeugen.
Statt des manche Nachtheile bietenden periodischen Aufgiessens wendet man
haufig automatisch wirkende Apparate an, von denen insbesondere der sog. Schau-
keltrog oder die Wippe gebraucblich ist. Derselbe besteht aus einem auf seiner
untern Kante ruhenden dreiseitigen Trog, der durch eine Langsscheidewand in
zwei Halften getheilt ist; das Essiggut fliesst aus einem hoher stehenden Reser-
voire in eine der Halften, die, wenn sie gefiillt, den Trog zum Umkippen und
dadurch die andere Halfte unter das Reservoir bringt, worauf sich das Spiel wie-
derholt. Auch kann zur Vertheilung des Essiggutes als feiner Regen iiber das
Fiillmateriale die in den englischen und schottischen Brauereien zum Auslaugen der
Treber verwendete Modification des Segnerischen Wasserrades mit Vortheil
beniitzt werden.
Die Temperatur der Essigstube betragt beim Beginne der Fabrikation 38° C,
die des Essiggutes 50 — 52° C. ; bei erreichtem regelmassigen Gang erhalt man
die Lufttemperatur auf 21, die des Essiggutes auf 26 — 27°. Im Innern des Appa-
rates steigt die Temperatur in Folge der raschen Oxydation des Aikohols auf
38 — 42° C. Zur Erzeugung von starkerem Essig oder Sprit setzt man dem Essig,
nachdem er das Fass zweimal passirt, neuerlich Alkohol zu und wiederholt dies
eventuell vier- bis fiinfmal bis zur Erreichung der gewiinschten Starke.
Auf die Leistungsfahigkeit des Essigbilders iiben Einfluss: die Grosse
desselben, Art und Beschatfenheit des Fiillmaterials, Zusammeusctzung und Ver-
theilung des Essiggutes, die Warme in der Essigstube, die Ventilation derselben
und wenn auch im untergeordneten Masse Sonnenlicht und Ozongehalt der Luft.
Statt Hobelspanen oder Lindenkohle wendet Artus (Dingl. polyt.
Journ. 186, p. 158) zur schnelleren Sauerung und Darstellung eines angenehm
300
Essig.
loll.
riechenden Produktes platinirte Kolile an, die er durcli Tranken vou 1*5 Kilo
Laselnussgrosser Holzkohlenstiickchen mit einer Losung von 15 Gramm Platin-
cldorid in 2*5 Liter Alkohol nnd nachheriges Gliihen in bedeckten Tiegeln darstellt.
Der bei der Schnellessigfabrikation resultirende Essig ist gewohnlich milchig
getriibt nnd lasst sich derart reinigen, dass man ihn mehrere Tage lang in einem
Bottich mit Holzkohle oder Holzspanen anstellt, und nach dem Abziehen wenn
noting durcli Filzbeutel filtrirt. Nach einem in England ertheilten Patente wird
Rohessig gereinigt, indem man denselben in Dampfform durcli geschmolzenes Pa-
raffin leitet, welches die Verimreinigungen aufnimmt. (!)
Der bei der Schnellessigfabrikation entstehende Verlust durch Verdunsten
von Alkohol kann auf etwa 6°/0 veranschlagt werden.
Singer in Berlin will durch seinen Essiggenerator verschiedene
Uebelstande des geschilderten Verfahrens beseitigt wissen und hebt als
besondere Vortheile seines Apparates geringeren Alkoholverlust, Entfal-
len des Fiillmaterials,
einfache Manipulation,
voile Sicherheit des Gan-
ges und Erzeugung von
Essig in jeder Starke,
hervor.
Nach Reimann
(Dingl. polyt. Journ.
190, p. 314; Deutsche
Industriezeitung 1868,
p. 513) besteht derselbe
aus einer Anzahl flacher
holzerner Gefasse,welche
durch holzerne Rohren so
verbunden sind, dass die
Essigraischung tropfen-
weise aus einem Gefass
in das andere rinnt und
dabei die Rohren passirt;
dieselben sind zur Ver-
grosserung der Ober-
flache der durchlaufen-
den Fliissigkeit im Innern
mit horizontalen Riefen
versehen, tragen ausser-
dem in der Mitte zwei
Langsspalten, durch wel-
che die Luft freien Zu-
gang hat; diese bewirkt
in den Rohren die Oxy-
dation des fein vertheil-
tenAlkohols zuEssig,und
da das Essiggut eine
grosse Anzahl dieser Roh-
ren wiederholt durch-
fliessen muss, wird die
Essigbildung eine sehr
rasche und vollkommene.
Der Apparat steht in
einem eigens construirten
Gehause, das ihn vor
uud heizbar ist. Fig. 1511 zeigt den-
Essiggenerator von Singer (im Durehschnitt).
Abkiihlung und starkem Luftzutritte schiitzt
Essig.
301
selben im Durchsclmitt, Fig. 1512 die einzelnen Gefasse unci ihre Verbindung dtirch
die ROhren in grOsserem Massstabe. Der Essiggenerator bestebt aus fiinf iiber-
einander befindlichen Bottichen,
deren gleichmassige Zwischen- Fig. 1512.
raume durch die an den ein-
zelnen Gefassen angebrachten,
verlangerten Fassdauben ge«
wonnen sind. In dem Boden
der Gefasse A u. A1 sind 37
ROhren axx.b eingesetzt, durch
welche dieselben mit den Ge-
fassen B u. Bt in Verbindung
stehen; letztere tragen im Boden
nur 32 ROhren, welche nach
oben das Gefass B mit A% ver-
binden, nach unten aber in das
Gefass C einmtinden. Das
oberste Gefass A ist mit einem
Deckel geschlossen, durch wel-
chen der Schlauch g aus dem
Reservoir E fur das Essiggut
fiihrt ; je 2 Gefasse sind aussen
durch zwei KnierOhren i, die
mitHahnen verschliessbar sind,
verbunden. Die friiher genann-
ten ROhren sind im Innern mit
6 ringfOrmigen Rillen versehen,
oberhalb derselben sind 4 Oeff-
nungen angebracht, durch
welche das Essiggut einflies-
sen kann. Die ROhren sind
oben geschlossen, unten offen ;
das unterste Gefass C hat zwei
Abflussrohre, wovon *7 am Bo-
den, k 3cm hOher angebracht
ist. Sammtliche Gefasse ruhen
auf dem Beh alter D, der zur ^ -'- ^ - " "-''■' ' — : _
Aufnahme der Fliissigkeiten iissiggenerator von Singer (em Theil vergrossert).
dient, die den Apparatpassiren,
und eine Oeffnung q besitzt, welche vermittelst eines Schlauches vom Rohre J mit
dem Gefasse C verbunden wird. Das Wasserstandsglas p dient zugleich beim Um-
drehen desselben zum Ablassen der Fliissigkeit aus D\ m ist eine Klappe, n sind
Schieber zur Regulirung des Luftzutrittes.
Das Essiggut fliesst aus dem Reservoir E durch g nach dem ersten Gefasse
A, tritt durch die TropfrOhren der Reihe nach in alle Bottiche, gelangt daselbst
bei grosser Oberflache mit stets neuen Luftmengen in Beriihrung und sammelt
sich im Gefasse D als fertiger Essig an.
zeitung 1870, p. 276) verOffentlicht einige ungiinstige Urtheile tiber den Singer'scheri
Generator, bezweifelt die rasche Leistungsfahigkeit und hebt hervor, dass einer
Verdunstung von Alkohol nicht gesteuert wird.
Kurz erwahnt sei noch das Verfahren von C. Wiedemann (Monit. scientif.
1872 Nro. 369 p. 733), welcher Alkohol (Whisky) durch Vermittlung von Ozon
in Essigsaure iiberfiihrt. Mayer und v. Knieriem (Chemisches Centralblatt
1873 p. 666) bestreiten jedoch, wie bereits erwahnt, die Fahigkeit ozonisirter
Luft, Alkohol ohne Mitwirkung des Essigpilzes in Essigsaure verwandeln zu kOnnen.
302
Knapp beschreibt ein in England iibliches Verfahren der Schnellessigfa-
brikation, bei welchem die Luft mittelst Pumpen (doppelt wirkendes Baader'sches
Glockengeblase) durch die Essigbilder gesogen wird. Die aus den Pumpen tretende
Luft passirt ein Gefass mit Wasser, in welchem der mitgefiikrte Alkohol- und
Essigdampf condensirt wird und das zum Ansetzen von neuem Essiggute ver-
wendet wird. Die Bilder sind hiebei ausnahmsweise gross, 3"7m hoch, 4 — 4#5m
im Durchmesser; die Flillung derselben geschieht mit gesagten Holzklotzchen.
Im Verlaufe des Processes tritt eine solche Erwarmung ein, dass die Essig-
stube nicht geheizt werden muss.
Aromatische- oder Krauteressige finden vorzuglich als Tafelessige, als
cosmetische Mittel, zu Raucherungen etc. Verwendimg. Man stellt sie entweder
durch directes Aufgiessen des Essigs und Stehenlassen mit den betreffenden
Pflanzen oder Pflanzentheilen, oder durch Destination mit denselben unter Zu-
satz von Kochsalz (zur Erhohung des Siedepunktes), oder endlich durch Bei-
mischung von alkoholischen Losungen atherischer Oele dar. Die am meisten in Ver-
wendung kommenden aromatischen Substanzen sind : Esdragonkraut und Esdra-
gonol (s. d.), Schalotten, Origanum, Boretsch, Sellerie, Piment, Pfeffer, Rosen-
blatter, Orangenbliithen, Serif, Himbeeren etc. und ftihren die erhaltenen Pro-
dukte die Namen Esdragon-, Himbeer-, Senfessig etc.
Das Farben des Essigs hat den Zweck, die durch die Schnellessigfabrikation
erhaltenen farblosen Produkte dem Wein-, Malz- oder Getreideessig ahnlich zu
machen und geschieht dies ausser durch Lagern des Essigs auf rohem Weinstein,
Rosinen oder Rosinenstielen, durch Farben mit braunem Malz, Zuckercouleur, Mal-
venblattern, Heidelbeeren etc.
Im Allgemeinen sind die auf dem Wege der Schnellessigfabrikation erzeugten
Essige von wesentlich weniger angenehmen Geschmack und Geruch als die
nach der altern Methode erhaltenen, was wohl daher kommt, dass zu erstern de-
stillirte, zu letztern bloss gegohrene Fllissigkeiten verwendet werden. Die Ursache
des Geruches und Geschmackes sind verschiedene Aetherarten und verwandte
organische Verbindungen. Der Gehalt an reiner Essigsaure betragt bei Weinessig,
der als der beste geschatzt wird, 6 — 8, bei Malz- und Bieressig 2 — 5, bei Brannt-
weinessig 4 — 6, bei Sprit 12 — 14%; das spezische Gewicht varirt von 1-01— 1*03.
Die sogenannten Krankheiten des Essigs entstehen durch Einwirkung der Luft
auf die stickstoffhaltigen Substanzen desselben, wobei sicli der Essigkahm oder
Essigpilz (Mycoderma aceti), die Essigmutter (Hydrocrocis decti oder Ulvina aceti)
und in den nach der altern Methode dargestellten Essigen die Essigalchen ( Vibrio
aceti oder Anguilhda aceti) bilden, welch letzere durch Kochen getodtet werden
konnen. Ein Essig, der noch etwas Alkohol enthalt, unterliegt in Folge der
langsamen Neubildung von Essigsaure nicht so leicht dem Verderben.
Priifung des Essigs, der Essigsaure und der essigsauren
S a 1 z e. Die Bestimmung des Sauregehaltes im Essig durch das Araeometer gibt, da
der Unterschied im spezifischen Gewicht bei verschiedenem Gehalte an Essig-
saure ein sehr geringer ist, ausserdera stets andere auf das spezifische Gewicht
Einrluss nehmende Substanzen vorhanden sind , nur ungenaue Resultate und
kann hochstens zur Vergleichung von Essigen derselben Abstammung (und da
nur bei Anwendung sehr genauer Araeometer und Einhaltung der Normaltemperatur)
verwendet werden. Ebenso sind die in friihern Zeiten gebrauchten Methoden heute
vollig unzureichend; die eine derselben bestand darin, dass man eine gewisseMenge
des zu untersuchenden Essigs mit einem gewogenen Quantum reinen kohlensauren
Kali's neutral isirte, den nicht verbrauchten Rest zurilckwog und aus dem Verbrauch
die Quantitat reiner Essigsaure berechnete. Die andere auf ahnliche Weise und
mit einem gewogenen Stiicke Marmor vorgenommene Probe fiihrte man so aus,
dass man nach dem Aufhoren der Gasentwicklung den ungelosten Marmor reinigte,
trocknete und aus der Gewichtsabnahme [p Thl. kohlens. Kalk rr 6 Thl. Essig-
saurehydrat) den Sauregehalt bestimmte.
Um den Gehalt eines Essigs moglichst rasch und auch im Verlaufe der
Essig. 303
Fabrikation jederzeit bestimraen zu konnen. kann man sich des von Otto con-
struirten Acetometer's (Essigprobers) bedienen.
Dasselbe bestelit aus einer graduirten, unten zugeschmolzenen, 30cm langen,
13mm weiten Glasrohre, welche von unten nach oben folgende Eintheilung besitzt :
Die erste Marke bezeichnet den Stand von lcbcm- Wasser, der Abstand bis zurn
zweiten Theilstricli fasst 10cbcm-, der Raura tiber dieser Marke ist in 12 gleiche
Theile getheilt, deren jeder 2-07s,n Ammoniakfliissigkeit von soldier Starke
(l-369°/0) fasst, dass damit gerade 0-18'm Essigsaurehydrat neutralisirt wird. Man
bringt nun bis zur ersten Marke neutrale Lakmustinktur, bis zur zweiten den zu
priifenden Essig (wodurch die Fliissigkeit roth wird), und setzt vorsichtig unter
ofterm Umschiitteln so lange von der Ammoniakfliissigkeit zu, bis die blaue Farbe
eben wieder zum Vorschein kommt; liest man nun den Stand der Fliissigkeit ab,
so gibt die Zahl direct Procente, repective Bruchtheile derselben an Essigsaure-
hydrat an. Bei sehr starkem Essig fiillt man nach dem Eingiessen der Lakmus-
tinktur nur bis zur Halfte des friiher bezeichneten Standes, dann mit Wasser bis
zur Marke und verdoppelt nach vollendeter Probe die abgelesenen Procente. Man
kann auch die durch ein bestimmtes Gewicht Essig aus iiberschiissigem kohlen-
sauren Natron ausgetriebene Kohlensauremenge nach Gewicht oder Volnm
bestimmen und danach die Menge der Essigsaure berechnen.
Die genauesten Resultate liefert jedenfalls die Titrirmethode ; zur Ausfiihrung
derselben benothigt man einer Normalsaure und einer Normal alkalilosung. Als
erstere kann am besten die Oxalsaure, welche durch wiederholtes Umkrystal-
lisiren aus der kauflichen dargestellt wird, verwendet werden; man wagt davon
genau 63gm ab, lost in Wasser und verdiinnt bei gewdhnlicher Tenperatur (14° R.)
auf 1 Liter= 1000cbcm; ferner benothigt man einer Normalalkalilb'sung von der
lcbcm genau lcbcm der Normalsaure neutralisirt. Zur Herstellung derselben ver-
diinnt man eine reine concentrirte (von 1*04 spec. Gew.) Natronlauge mit Wasser, um
eine der Normalsaure gleichwerthige Natronlosung zu erhalten ; man misst z. B. I0cbcm
der Normalsaurelosung ab, verdiinnt mit etwas Wasser, setzt Lakmustinktur zu und lasst
aus einer Biirette die mit der noch zu concentrirten, richtig zu stellenden Lauge gefiillt
ist, so lange von dieser zufliessen, bis der Neutralisationspunkt erreicht, d. h. die rothe
Farbe der Fliissigkeit eben in Blau ilbergegangen ist. Gesetzt den Fall, es seien
auf obige Menge Oxalsaurelosung nur 8cbcm Lauge verbraucht worden, so miissen
je 8cbcm derselben mit 2cbcm Wasser oder 800 cbcm durch Zusatz von 200cbcm
Wasser auf einen Liter verdiinnt werden, um die richtige Concentration der Lauge
zu erhalten ; durch eine neuerliche Probe kann man sich von der Richtigkeit der
so gestellten Normallauge iiberzeugen. 1 Liter derselben enthalt nun 31gm wasser
freies oder 4Cgm Aetznatron und neutralisirt 51gm wasserfreie oder 60^m wasser-
haltige Essigsaure.
Zur Priifung eines Essigs oder einer Essigsaure auf ihren Gehalt kann man
entweder ein bestimmtes Volum oder ein bestimmtes Gewicht derselben nehmen; im
ersteren Falle hat man das Volumgewicht mit Beriicksichtigung des spezifischen
Gewichtes auf das absolute Gewicht zuriickzufiihren. Man titrirt nun nach vor-
herigem Farben mit Lakmus so lange mit der Normalnatronlosung, bis der Ueber-
gang von roth in blauviolett stattfindet und berechnet aus der Anzahl der verbrauch-
ten Cubikcentimeter der Natronlosung den Sauregehalt. Hatte man z. B. I0ebcm
eines Essigs vom spezifischem Gewichte 1-010 abgemessen und 10-5cbcm Natron-
losung zur Neutralisation verbraucht, so ergibt die Rechnung: 10cbcm vom spez.
Gewichte 1-010 sind gleich 10-10§m Essig; da nun lcbcm Normalalkali 0-051 wasser-
freier oder 0-06 wasserh. Essigsaure entspricht, so ergeben die verbrauchten
10-5cbcm Natronlosung (10-5 X 0-051 oder 10-5 X 0-06) == 0-5355 wasserfreie
oder 0-63 wasserhaltige Essigsaure, d. h. es enthalten also 10'lgm Essig 0-5355
resp. 0-63gm Essigsaure, was in Procenten 5-302 wasserfreier oder 6-23 wasser-
haltiger Essigsaure entspricht.
Bezeichnet allgemein mit C die Anzahl der Cubikcentimeter Natronlauge, die
zur Neutralisation von 10cbcm Essig oder Essigsaure erforderlich sind, mits das spe-
304 Essig.
zifische Gewicht derselben, so wird der Gehalt p an Essigsaurehydrat in Ge-
Q
wichtsprocenten durch die allgemeine Forniel p z~z 0*6 ausgedriickt.
Wagt man genau 5*1, resp. 6-0gm Essig oder Essigsaure zur Probe ab, so
gibt die Anzahl der verbraucbten Cubikcentimeter direct den Gehalt an Essig-
sanre in Procenten.
Ein ahnliches acetometrisches Verfahren beschreibt Pohl (Dingl. polyt.
Journ. 163, p. 365). Man misst 5cbcm des Essigs ab, versetzt mit einigen Tropfen
Lakmus, titrirt auf bescbriebene Weise, bestimmt ferner mit einem genauen Araeo-
meter (welches noch Differenzen von 0-005 anzeigt) das spezifische Gewicht
nnd findet dann den Essigsaurehalt des Essigs ausgedriickt in Procenten wasser -
freier Essigsaure nach der Forrmel: p — ■■ '' ' .,* == 1-02 — =r— wobei C die
o U U
Anzahl der verbraucbten Cubikcentimeter Natronlauge, D die gefundene Dichte
(spez. Gew.) des Essigs bezeichnet. Zur raschen Ermittlung des Prozentgehaltes
hat Pohl Tabellen ftir die verschiedenen Dichten des Essigs und die Zahl der
verbrauchten Cubikcentimeter Natronlosung entworfen.
Nach Jaillard (Journal de pharm. et de chim. (3) 46, p. 419; Zeitschrift
ftir analytische Chemie 1865 p. 222; Chem. Centralblatt 1865 p. 768) setzt man
zu 20cbcm Normalnatron oder Kali 100cbcm Wasser, 6 Tropfen Lakmus und titrirt
mit Normalschwefelsaure; andererseits verdiinnt man 20cbcm Normalalkali mit
l90ebcm Wasser, farbt mit Lakmus und setzt 10cbcmdes zu untersuchenden Essigs
zu, welche naturlich zur Sattigung des Alkalis nicht hinreichen, und beendet die-
selbe durch Normalschwefelsaure; die Differenz der verbrauchten Schwefelsaure-
mengen in beiden Fallen gibt die gesuchte Menge an Essigsaure.
Bei stark gefarbten Essigen (Himbeeressig, Holzessig) verwendet man beim
Titriren zur Erkennung des Neutralisationspunktes gutes Lakinuspapir, auf welches
man hie und da einen Tropfen der Fliissigkeit bringt ; bei sehr dunkel gefarbtem
Essig ist auch diese Methode nicht verlasslich, und kann man in diesem Falle
eine gewogene Menge desselben mit iiberschiissigem reinem kohlensauren Baryt
von bekanntem Gewicht in der Warme neutralisiren, den ungelosten kohlens.
Baryt nach dem Auswaschen mit heissem Wasser und Trocknen entweder zuriick-
wagen oder die Menge desselben durch Titration bestimmen, urn aus der Menge
des verbrauchten kohlens. Baryts den Sauregehalt berechnen zu konnen.
Auch kann die Kieffer'sche Methode, die sich auf Titration mit einer
richtig gestellten Kupferoxydammoniaklosung griindet, mit Erfolg angewandt werden.
Die Bestimmung der Essigsaure in essigsauren Salzen griindet sich auf die
Eigenschaft derselben, beim Gliihen in kohlensaures Salz iiberzugehen (essigsaure
Salze der Alkalien oder alkalischen Erden) oder Oxyde, resp. Metalle zu hinter-
lassen. Bei erst genannter Gruppe titrirt man das erhaltene kohlensaure Salz mit
Normalsaure und beriicksichtigt dabei, dass 1 Moleklil kohlensaures Salz aqui-
valent ist 2 Molekiilen essigsauren Salzes. Nach Fresenius (Zeitschrift fur
analytische Chemie 1866 p. 315) kann man die Essigsaure in essigsauren Salzen
(essigs. Kalk) durch Destilliren derselben mit Salzsaure abscheiden und durch Titration
eines Theiles desgesammten Destiliates mit Normalnatron den gesammten Sauregehalt,
durch Titration eines andern Theils mittels Silberlosung die mit tibergegangene
Chlorvasserstoffsaure bestimmen, und durch einfache Rechnung den Essigsa'uregehalt
finden. Mit Vortheil lasst sich Phosphorsaure bei dieser Methode besonders dann anwen-
den,wennneben essigsaurem Kalk noch Chlorcalcium und andere Salze vorhanden sind.
Fresenius hat in neuester Zeit ein einfaches Yerfahren zur raschen Analyse
des holzessigsauren Kalkes und Bleies veroffentlicht. Naheres hieriiber s. seine
Originalarbeit „ Zeitschrift fiir analytische Chemie" 1874 p. 153; 1874 p. 30, Dingl.
polyt. Journ. 213 p. 540; Polytechn. Centralblatt 1874 p. 1502.
Der Essig und die Essigsaure des Handels enthalten oft Verunreinigungen
und Beimengungen, wie: Schweflige Saure, Schwefelsaure, schwefelsaure Salze,
Essig. 305
Chlorwasserstoffsiiure, Chlorverbindungen, weinsaure Salze, Weinsaure, Kalk-,
Natron- und Metallsalze, empyreumatische Stoffe, Gewurze, Farbstoffe etc.
Schweflige Saure kann bei Abwesenheit von Schwefelsaure nachgewiesen
werden : mit Chlorbaryum, nachdem man den Essig mit Salpetersaure oder Chlor-
wasser erwarmt, worauf sich durch Bildnng von Schwefelsaure, schwefelsaurer
Baryt als weisser in Sauren unloslicher Niederschlag abscheidet ; oder man neu-
tralisirt bis fast znr Sattigung der Essigsaure mit kohlensaurem Natron, f'iigt
Zinkvitriol, Nitroprussidnatrium und einige Tropfen Ferrocyankalium zu, wobei
sich die Gegenwart der schwefligen Saure durch Rothfarbung der Fliissigkeit zu
erkennen gibt; eine Losung von Chamaeleon (iibermangansaures Kali) wird durch
schweflige Saure enthaltenden Essig entfarbt ; auch tritt bei Anwesenheit derselben
die blaue Farbung der Jodstarke nicht auf oder verschwindet bald wieder. 1st
neben schwefliger Saure Schwefelsaure vorhanden, so kann erstere in dem De-
stillate des Essigs, das man in verdtinnte Salpetersaure leitet, nach dem Erwarmen
dieser Fliissigkeit durch Chlorbaryum nachgewiesen werden.
Entsteht im Essig oder der Essigsaure durch Zusatz von Chlorbaryum sofort
ein Niederschlag, so kann derselbe von Schwefelsaure, schwefelsauren Salzen
oder von beiden zugleich herriihren. Freie Schwefelsaure kann nach Runge er-
kannt werden, wenn man etwas Essig mit Zucker in einer Porzellanschale langsam
zur Trockene eindampft, wobei der Zucker zersetzt und geschwarzt wird. Auch
kann man etwas Essig mit einigen Kornchen Starke eine Zeit lang kochen, dann
Jodtinktur zusetzen , worauf bei Anwesenheit von Schwefelsaure die blaue
Jodstarkefarbung nicht auftritt, da das Starkemehl in Traubenzuker verwandelt
wurde.
Salzsaure oder Chlormetalle konnen im Destillate des Essigs an dem weissen,
kasigen, in Ammoniak loslichen Niederschlag von Chlorsilber erkannt werden, wenn
man einige Tropfen salpetersaurer Silberlosung zusetzt.
Weinsaure kann ermittelt werden, wenn man den Riickstand beim Abdampfen
des Essigs mit Alkohol auszieht und der Losung Chlorkalium zusetzt, wobei bei
Anwesenheit von Weinsaure ein weisser krystallinischer Niederschlag von saurem
weinsaurem Kali entsteht.
Dusart (Travaux de la soc. d'emul. pour les scienc. pharm. 3
pag. 174) wendet zur AufFindung von Weinstein im Essig ein Verfahren
an, welches sich auf die Loslichkeit von weinsaurem Eisenoxydkali grlindet. Setzt
man zur Losung des Essigextractes ein wenig Eisenchlorid zu, kocht, versetzt dann
die Fliissigkeit mit uberschussiger Kalilauge, filtrirt und leitet SchwefelwasserstofT
in das Filtrat, so fallt bei Gegenwart von weinsauren Salzen Schwefeleisen
als sehwarzer Niederschlag aus, wahrend bei Abwesenheit derselben dies nicht
erfolgt, da alles Eisen durch die Kalilauge ausgefallt wurde.
Um das Vorhandensein von Blei- oder Kupfersalzen zu erkennen, kann man
den im Essig durch SchwefelwasserstofF entstehenden Niederschlag von Schwefel-
blei, resp. Schwefelkupfer benlitzen, wahrend die Gegenwart von Eisen an dem
durch Ferrocyankalium entstehenden blauen Niederschlag von Berlinerblau nach-
gewiesen werden kann.
Empyreumatische Stoffe konnen nach L ightfoot(Chemic. news. 1861 p. 290;
Zeitschrift fur analytische Chemie 1862 pag. 252 ; Dingl. polyt. Journ. 165
p. 240; Polytechn. Centralblatt 1862 p. 1392) nach geschehener Neutralisation
durch Zusatz einer Losung von iibermangansaurem Kali erkannt werden, die sich
bei Gegenwart genannter Stoffe entfai'bt ; Eisessig (Acidum aceticum glaciale) muss
vorher nach Merk fNeues Jahrbuch fur Pharmacie 39 p. l) mit seinem gleichen
Gewichte Wasser verdiinnt werden,
Der Zusatz von Gewurzen (Pfeffer, Bertramwurzel, Senf, Seidelbast etc.^
gibt sich nach der Neutralisation einer Partie Essig mit kohlensaurem Natron an
dem auftretenden charakteristischen Geschmack und Geruch der betreffenden
Pflanzenstoffe zu erkennen. K. Wet's.
Karmarach & Hoeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 20
306 Essigaelchen. — Essigsaure.
Essigaelchen (anguillida aceti), s. Essig III pag. 302.
Essigalkohol; syn. mit Aceton, s. Essigsaure.
Essigather, s. Essigsau-reather.
Essigbilder, Essigbildner, Essigstander, s. Essig III pag 298.
Essigbiume, syn. mit Essigpilz, s. Essig III pag. 295.
EssigCOllleur, syn. mit Zuckercouleur, s. Caramel II pag. 253, vgl.
Zucker.
Essigge'lSt, syn. m. Aceton, s. Essigsaure.
Essiggenerator, syn. m. Essigbilder, s. Essig III pag. 300.
Essiggut, s. Essig, III pag. 298.
Essigkahm, s. Essig III pag. 302.
Essigmutter, s. Essig III pag. 302.
Essigpilz, Essigbiume, s. Essig III pag. 294.
Essigprober, Ace to meter, s. Essig, III pag. 303.
Essigsaure (acide acetique — acetic acid). CoHi0o, Acetylsaure
oder Acetoxylhydrat C,,H3O.OH; Metbylcarbonsaure CH3. CO. OH.
Die Essigsaure, in ihren Eigenschaften der Ameisensaure nabe verwandt,
bildet das kohlenstoffreicbere zweite Glied der sogenannten Fettsaurereihe und
unterscbeidet sicb von ersterer durcli einen Mebrgebalt von CH„.
In der Form der verdiinnten Essigsaure ist dieselbe scbon seit den altesten
Zeiten bekannt; Basilius Valentius (im 15. Jabrbunderte) lebrte eine concentrirte
Siiure (den sog. Kupferspiritus) dnrch Destination des Griinspans erzeugen; er
war es audi, der ganz richtig erkannte, dass bei der Destination des Essigs
die ersten Antheile schwacber, saurearmer sind als die nachfolgenden. Jedoch
erst 1793 gelang es Wertendorf und Lowitz, die krystallisirte Essigsaure
rein darzustellen.
Die Essigsaure findet sicb in sebr geringen Mengen theils frei (in Hollunder-
beeren und Tamarindenfritcbten), theils gebunden an Alkalien und alkalische
Erden im Safte vieler Pflanzen ; sie bildet einen integrirenden Bestandtheil des
Sclnveisses, der Fleischfliissigkeit der Saugethiere, des Magensaftes und anderer
Fliissigkeiten des tbieriscben Organismus; in der Milch, der Leber, im Harn und
im Mineralwasser von Briickenau ist sie aufgefunden worden.
Sebr mannigfacb sind die Bildungsweisen der Essigsaure. Eine grosse Reibe
stickstofffreier organiscber Verbindungen (Holz, Torf, Braunkolde, Cellulose, Starke,
Gummi, Zucker etc.) geben, bei Luftabscbluss erbitzt, unter Abscbeidung eines
koblenstottVeicben Riickstandes, ein Destillat, welcbes stets Essigsaure enthalt.
Dieselbe bildet sicb ferner beim Keimen von Samen (bes. Bobnen), bei der Faulniss
diverser organiscber Stofte (Casein, Fibrin, Albumin), bei der Einwirkung von
Braunstein und Scbwefelsaure, Cbromsaure, Uebermangansaure oder Salpetersaure
auf Albumin, Casein^ Fibrin, Oelsaure, Terpentinol etc., uberbaupt von Oxydations-
mitteln auf allc sog. Fettkorper, beim Scbmelzen von, Kalibydrat mit Aepfelsaure,
Weinsaure, Citronensaure, Milcbsaure, Starke, Zucker etc.
Wird verdiinnter Alkohol oder eine alkoholhaltige Fliissigkeit (Bier, Wein,
vergohrener Riibensaft etc.) bei geeigneter Temperatur und Anwesenbeit stickstoff-
baltiger Korper ^Fermente) dem Zutritte der Luft ausgesetzt, so ilbergebt der
EssigsJCure. .'10 7
Alkohol in Essigsaure; dieselbe Umwandlung erleidet der Alkoholdampf in Beriih-
rung mit Platinschwamm und Sauerstoff oder atmospharischer Luft (D 6b er einer):
C„HR0 + 0 = a,H4o -j- H,,0
Alkohol Sauerstoff Aldehyd Wasser
Ci&tO + 0 = CJijX
Aldehyd Sauerstoff Es<igsaure
Auf synthetischem Wege kann Essigsaure gebildet werden durch Einwirkung
von Kali- oder Natronlauge auf Methylcyaniir :
CH:iCN -f HqO + NaOH == CHs€O.ONa -j- NH3 '
Methylcyaniir Wasser Natriumhydroxyd Essigs. Natron Ammoniiik
Methylnatrium geht durch Absorbtion von Kohlensaure direct in essigsaures
Natron iiber (Wanklyn, Ann. der Chem. und Pliarm. Ill pag. 234):
CH.,Na -f CO, = CHz.CO.OISa
Methylnatrium Kohlensaure essigs. Natron
Kaliummethylalkoholat durcli Einwirkung von Kohlenoxyd in essigsaures
Kali (Berth elot): CH3OK -f CO = CH:i.CO.OK
Kaliummethylalkoholat Kohlenoxyd ess;gs. Kali
Direct aus Essig lasst sich die Essigsaure nicht mit Vortheil gewinnen, da
bei der Destination desselben in Folge des ziemlich hohen Siedepunctes (118° C.)
der reinen Saure die ersten Antlieile immer wasserreicher und saurearmer sind,
als das Rohmateriale selbst; wird die Destination zu weit getrieben, so findet
sehr leicht eine Zersetzung der fremden Bestandtheile des Essigs in der Destillir-
blase und hiemit eine Verunreinigung des Destillates selbst statt. Die Destination
wird in kupfernen Destillirblasen vorgenommen ; bandelt es sich hiebei um vollige
Reinheit der zu erzeugenden Saure, so miissen Helm und Kiihlrohren aus Silber
oder versilbertem Kupfer bestehen.
Immer erhalt man nacli diesem Verfahren eine fur die meisten Zwecke zu
schwache Essigsaure und muss zur Darstellung einer concentrirten Saure von der
Zersetzung essigsaurer Salze durch Mineralsauren ausgegangen werden. Die liiezu am
geeignetsten Salze sind die Acetate des Natriums, Calciums, Baryums und Blei's,
von welchen jedoch zur Darstellung im Grossen fast ausschliesslich nur die beiden
ersteren verwenclet werden. Das Nahere hierttber siehe Artikel „Holzessig."
Zur Darstellung des reinen Essigsaurehydrates kann der Bleizucker des
Handels verwendet werden ; man befreit denselben durch Schmelzen in einer
flachen Schale von seinem Krystallwasser, steigert sodann die Temperatur bis
eine vollkommen trockene, staubige Salzmasse erhalten wird ; von diesem Salze
werden in einer tubulirten Retorte 320 Theile (1 Mol.) mit 98 Theilen (1 Mol.)
concentrirter Schwefelsaure unter Abkiihlung gemischt, langere Zeit, bis alles Salz
von der Schwefelsaure durchdrungen ist, stehen gelassen und sodann die gebildete
Essigsaure vom Bleisulfat durch vorsichtige Destination im Sandbade getrennt.
Da sich das Bleisulfat leicht sehr fest an dem Boden der Retorte ansetzt, die ab-
destillirte Saure iiberdies leicht durch schweflige Saure verunreinigt wird, ver-
wendet man statt Schwefelsaure satires schwefelsaures Kali oder Natron und er-
halt dann im Riickstande ein Gemenge von Bleisulfat und neutralem Kalium- oder
oder Natrium sulfat, welches sich leicht aus der Retorte entfernen lasst.
Statt Bleiacetat kann mit Vortheil Natriumacetat verwendet werden. Der
hiebei stattfindende Vorgang kann durch folgende Gleicliung ausgedriickt werden:
CvH^O.ONa + SO.ff^ — C^H.^O.OH + NaHSO,
Natriumacetat Schwefelsaure Essigsaure Natriumbisulfat
Zur Zersetzung von 1 Molek. oder 82 Theilen wasserfreien essigs. Natrons
ist 1 Molek. oder 98 Theile Schwefelsaure erforderlich ; das zu verwendende
krystallisirte Natriumacetat {CtlH30. ONa -f- 2>H„0) wird durch Umkrystallisiren
von seinem Chlornatriumgehalte, durch zweimaliges Schmelzen (bei ca. 240° C)
von seinem Krystallwasser befreit. Man bringt nun 5 Theile des fein gepulverten
Salzes in eine Retorte, fiigt 6 Theile der concentrirten Schwefelsaure zu, sorgt
durch kraftiges Umschwenken fur sorgfaltige Mischung beider, setzt sogleich die
20*
308 Essigsaure.
Vorlage an und unterstiitzt die sofort beginnende Destination durch schwaches
Erwarrnen; man erhalt flir je 1 Mol. des verwendeten Natronsalzes 1 Mol. oder
60 Gewichtstheile Essigsaure.
Nach Mel sens kann Essigsaure in der Form des rein en Hydrates erhalten
werden durch Zerlegung des sog. sauren essigsauren Kali's, welches Salz sich bei
300° C. in neutrales essigsaures Kali einerseits und Essigsaurehydrat andrerseits
spaltet: C^O.OKa.C^H^ — CaH30.0Ka + C2#402
saures essigsaures Kali neutr. essigsaures Kali Essigsaure
Eine reine, aber verdiinnte Essigsaure, der sog. concentrirte Essig?
Acetum concentratum, Acid urn acetic um dilutum der Pharmakopben
(spec. Grew. 1-040), wird erhalten durch Destination von krystallisirtem essig-
saurem Natron mit wasserhaltiger Schwefelsaure.
In den meisten Fallen ist jedoch die erhaltene Essigsaure nicht ganz rein, sie
enthalt Spuren von schwefliger Saure, entstanden durch Einwirkung von Schwefel-
saure auf Essigsaure; um sie von diesem Gehalte zu befreien, kann dieselbe mit
oxydirend wirkenden Substanzen, wie doppelt chromsaurem Kali, Braunstein oder
Bleisuperoxyd der Rectification unterworfen werden.
Nach Buchholz soil eine, von schwefliger Saure vollkommen freie Essig-
saure durch einmalige Destination erhalten werden, wenn man dem Gemisch von
Bleizucker und Schwefelsaure gleich von vornherein die erforderliche Menge
Braunstein zusetzt.
Die reine Essigsaure ist eine farblose Fliissigkeit von scharfem, stechendem,
zu Thranen reizendem Geruch, saurem Geschmack, bei gewbhnlicher Temperatur
merklich fliichtig; auf die Haut gebracht, wirkt sie atzeud und erzeugt schmerz-
hafte Brandblasen ; reagirt nicht auf trockenes, wohl aber auf feuchtes Lacmus-
papier. Ganz concentrirte Essigsaure raucht schwach an der Luft, zieht leicht
Feuchtigkeit aus derselben an; erstarrt bei -4- 17° C. zu durchsichtigen glanzenden
Tafeln, die iiber 17° wieder schmelzen. Man nennt nach dieser Eigenschaft die
concentrirteste Saure Eisessig, Radicalessig (Acidum aceticum glaciale) ; ein
sehr geringer Wassergehalt bewirkt eine betrachtliche Erniedrigung des Erstarrungs-
punktes, so dass sich nach F. Rudorff*) in concentrirter Saure 0-1 °/0 Wasser
mit Sicherheit nachweisen lasst. Die Erniedrigung des Erstarrungspunktes ist dem
Wassergehalt keineswegs proportional, dieselbe sinkt vielmehr langsamer, als der
Wassergehalt zunimmt. So z. B. ist der Erstarrungspunkt der reinen cone. Saure
nach Rudorff bei -f- 16-7° ft, der eines Gemisches von 100 Th. Saure mit
10 Th. Wasser bei -j- 4-3° C, von 100 Th. Saure mit 24 Th. Wasser bei —
7-4° C. gelegen.
Das specifische Gewicht der festen Saure ist 1*10 bei 8-5° C. (Persoz), das
der fliissigen 1-0635 bei 16° C Mischt man Essigsaure mit Wasser,, so nimmt
das specifische Gewicht derselben unter Erwarmung zu, erreicht bei 1-0735 (77 —
80°/0 Saure entsprechend) das Maximum der Dichte und nimmt dann allmalig
wieder ab, so dass eine Fliissigkeit, die 54 °/0 Saure enthalt, dasselbe specifische
Gewicht zeigt, wie die reine Saure.
Der Siedepunkt liegt bei 118° C, nach Rii do rff bei 117-8° C ; ihrDampfist
mit blauer Farbe zu CO„ und H„0 verbrennbar; Dampfdichte=r 2-09. Mit Wasser,
Alkohol und Aether ist sie in jedem Verhaltnisse mischbar. Sie lost viele
organische Korper, Campfer, Harze, Schiessbaumwolle, Albumin, Fibrin, atherische
Oele, von welchen letzteren das Citronenbl am schwersten loslich ist und
ein Kennzeichen fiir die hochste Concentration abgibt, indem es aufhort loslich
zu sein. wenn die Saure mehr als 2°/0 Wasser enthalt. Die deutsche Phar-
makopbe schreibt eine Essigsaure vor, von der 10 Theile 1 Theil Citronenbl
zu Ibsen vermbgen (1.04 spec. Gew.).
f) F. Rudorff, Poggend. Annal. 140. pag. 415; Berichte der deutsch. chem. Gesellsch.
1870, pag. 390. Dingl. polyt. Journ. 196, pag. 545; Chem. Centralblatt 1870,
pag. 320; Deutsche Industrie-Ztg 1870, pag. 430.
Essigsaure.
309
Den Zusanimenhang zwischen Sauregehalt
folgende Tabelle (nach M o h r) :
und specifischem Gewicht zeigt
Essigsaure
c&ot
Spec.
Essigsaure
Spec.
Essigsaure
C'2H402
Spec.
Essigsaure
: c;//4o2
Spec.
Proc.
Gewicht
Proc.
Gewicht
Proc.
Gewicht
Proc.
Gewicht
100
1-0635
74
1-072
48
1-058
22
1-031
99
1-0655
73
1-072
47
1-056
21
1-029
98
1-0670
72
1-071
46
1-055
20
1-02 7
97
1-0680
71
1-071
45
1-055
19
1-026
96
1-0690
70
1-070
44
1-054
18
1-025
95
1-0700
69
1-070
43
1-053
17
1-024
94
1-0706
68
1-070
42
1-052
16
1-023
93
1-0708
67
1-069
41
1-051
15
1-022
92
1-0716
66
1-069
40
1-051
14
1-020
91
1-0721
65
1-068
39
1-050
13
1-018
90
1-0730
64
1-068
38
1-049
12
1-017
89
1-0730
63
1-068
37
1-048
11
1-016
88
1-0730
62
1-067
36
1-047
10
1-015
87
1-0730
61
1-067
35
1-046
9
1-013
86
1-0730
60
1-067
34
1-045
8
1-012
85
1-0730
59
1-066
33
1-044
7
1-010
84
1-0730
58
1-066
32
1-042
6
1-008
83
1-0730
57
1-065
31
1-041
5
1-007
82
1-0730
56
1-064
30
1-040
4
1-005
81
1-0732
55
1-064
29
1-039
3
1-004
80
1-0735
54
1-063
28
1-038
2
1-002
79
1-0735
53
1-063
27
1-036
1
1-001
78
1-0732
52
1-062
26
1-035
77
1-0732
51
1-061
25
1-034
76
1-0730
50
1-060
24
1-033
75
1-0720
49
1-059
23
1-032
Die Essigsaure findet vielseitige Verwendung, so in der Farberei zur Dar-
stellung der Beizen, als Losungsmittel fiir Farbstoffe, Harze, zur Bereitung von
Anilinfarben, in grosster Menge zur Darstellung der essigsauren Salze; in der
Medizin als belebendes Wasch- und Riechmittel (sog. Riechessig, ein Gemisch von
Essigsaure und atherischen Oelen), im concentrirten Zustande als Aetzmittel; der
Eisessig in der Photographie.
Das sog. Essigsaureanhydrid (anhydride acetique — acetic anhydride)
C4H003 (zuerst von Gerhard 1852 dargestellt) wird erhalten durch Einwir-
kung von Chloracetyl oder Phosphoroxychlorid auf essigsaures Kali als wasser-
helle leicbt bewegliche Flussigkeit, welche in Wasser in olartigen Tropfen unter-
sinkt, allmalig Wasser aufnimmt und sich in 2 Mol. Essigsaure spaltet. Spec.
Gew. rr 1-095, Siedepuukt 138° 0.
Die Essigsaure ist sowohl als Hydrat, wie auch im wasserfreien Zustande
bekannt. Das Hydrat, der empirischen Forniel CoHi0gi entsprechend, enthalt in
100 Theilen: C =: 40-00 °/0"
H — 6-67 %
O — 53-33 %
100-00
Nach der alteren Anschauung als Verbindung der wasserfreien Essigsaure
mit Wasser {C^H^O^. HO) betrachtet, leitet sich dieselbe vom einfachen Wassertypus
310
TT.
tt\ 0 durch Vertretung eines Wasserstoffs durch das Radical Acetyl C2 H3 0
(fiir C — 12, 0 — 16) ab;
h\u h\u
Typus Wasser Essigsaure
aus dem Acetyl selbst durch Anlagerung einer Hydroxylgruppe HO (Wasserrest)
an die freie Affinitat derselben (daber ihr Name Acetylsaure oder Acetoxylhydrat)
C = H C = H3
I I
C — frei C — OH
I I
0 0
Acetyl Acetylsaure oder Es-igsairfe.
In gewisser Hinsicht kann die Essigsaure auch als Abkommling der Kohlen-
saure angeseben werden (daher auch Methylcarbonsaure).
Ohne den Charakter der Essigsaure wesentlich zn andern, konnen sammtliche
Wasserstoffatome der Metbylgruppe durch Chlor oder andere einwertige Elemente,
der Wasserstoff der Hydroxylgruppe durch einwertige Metalle, Radicale (Methyl,
Aethyl, Amyl etc.) oder Chlor vertreten werden.
Die Essigsaure ist durch Hitze nur schwierig zersetzbar; leitet man Essig-
sauredampf durch ein gliihendes Porzellanrohr, welches mit Bimsteinstiicken gefiillt
ist, so findet theilweise Zersetzung derselben statt; unter den Zersetzungsproducten
treten neben Kohlensaure noch Sumpfgas, Aceton, Benzol, Naphtalin und Phenol
auf (Berthelot).
Salpetersaure, selbst concentrirte, wirkt weder in der Kalte noch beim
Erhitzen auf Essigsaure ein ; ebenso wird sie von Uebermaugansaure nur schwer
verandert , dagegen von Ueberjodsaure in Ameisensaure und Kohlensaure
zerlegt.
Wird Essigsaure mit concentrirter Schwefelsaure erwarmt, so wird erstere
theilweise zersetzt ; das Gemenge fa'rbt sich braun bis schwarz unter Entwicklung
von Schwefligsaure- und Kohlensaureanhydrid. Erwarmt man wasserfreie Schwefel-
saure mit krystallisirbarer Essigsaure langere Zeit auf 75° C, so bildet sich eine
Doppelsaure, die Essigschwefelsaure oder Sulfo essigsaure.
Durch Einwirkung von Chlorgas auf erwarmte reine Essigsaure konnen je
nach der Dauer der Einwirkung ein, zwei oder drei Wasserstoffatome durch Chlor
vertreten werden ; es entstehen auf diese Weise die Mono-, Di- und Trichloressig-
saure, von welchen die beiden letzteren medicinische Verwendnng finden.
Die D i c h 1 o r e s s i g s it u r e C^Cl^z^CHClyCO.OH, eine farblose Fliissig-
keit von 1-52 spec. Gew. und 195° Siedepunkt, hat sich nach A. Urner*) als
ein ganz ausgezeichnetes Aetzmittel bewahrt.
Die T r i c h 1 o r e s s i g s a u r e**) QC/;5 HO„=C C13C0.0H, welche durch Ein-
Avirkung von tiberschiissigem Chlor auf concentrirte Essigsaure bei gleichzeitiger
Gegenwart von Licht leicht erhalten werden kann, bildet in Wasser und Alkohol
leicht losliche, an der Luft zerfliessliche, rhomboedrische Krystalle, deren Schmelz-
punkt bei 45° C. liegt. Die Anwendung in der Medizin beruht auf der Eigen-
schaft, durch Einwirkung von Alkalien in gelinder Warme Chloroform abzugeben
und kann sie statt Chloralhydrat da angewendet werden, wo man dieWirkung der
Ameisensaure vermeiden will ; die Wirkur.g der Trichloressigsaure als Anastheticum
steht jedocli der des Chloralhydrates wesentlich nach.
Die Essigsaure ist eine einbasische Saure, d. h. sie enthalt nur ein durch
Metallatome vertretbares Wasserstoffatom ; die allgemeine Formel der essigsauren
*) A. Urner, Polvtechn. Notizblatt 1868, pag. 239. Polytechn. Centralblatt 1868, pag.
1344.
**) Schering, Mittheil. a. d. chem. Fabrik 1873 Nr. 5, pag. 4. Cbem. Centralblatt 1873,
pag. 272.
Essigsaure. — Essigsaureather. 311
f1 Tf C)
Salze ist daher (72J?3if'02 fur einwertige, und n jf M" r~ fur zweiwertige Metalle.
Ausser den neutralen Salzen bildet die Essigsaure auch basische und saure
Salze. Die basischen konnen betrachtet werden als Verbindungen neutralcr
Acetate mit Oxyden oder Oxydhydraten, die sauren als neutrale, verbunden init
Essigsaurehydrat.
Die neutralen essigsauren Salze sind meist krystallisirbar, fast immer
farblos, grosstentheils in Wasser und Alkobol sehr leicbt loslich ; scbwer loslich
sind nur das Silber- und Quecksilberoxydulsalz. Die essigsauren Salze konnen
theils dureh Auflosen der basisclien Hydrate, Oxyde oder Carbonate in Essigsaure,
theils durch doppelte Zersetzung erbalten werden.
Die wasserigen Losungen mancber Acetate, besonders jene des Blei- und
Kupfersalzes verlieren beim Kochen etwas Essigsaure, das Ammonsalz bingegen
Amnion. Im trockenen Zustande erhitzt zersetzen sie sicb sammtlicb, u. z. unter
Bildung von Essigsaure, Sump%as, Aceton und Zuriicklassung von Metall, Oxyd
oder Carbonat, gemengt mit Kohle.
Die essigsauren Salze geben, mit verdiinnter Schwefelsaure erhitzt, freie
Essigsaure, die an ibrem stechenden Geruche, mit concentrirter Schwefelsaure und
Alkobol erwarmt, Essigather, der an seinem angenehmen, erfriscbenden Geruche
zu erkennen ist. Destillirt man ein essigsaures Salz mit verdiinnter Schwefel-
saure und digerirt das Destillat mit iiberscbiissigem Bleioxyd, so erhalt man eine
alkaliscb reagirende Losung von basischem Bleiacetat (Bleiessig). Eisencblorid
gibt mit der Losung eines neutralen essigsauren Salzes eine rotbe Farbung von
Eisenacetat; freie Essigsaure zeigt diese Reaction nicht. Salpetersaures Silber
erzeugt in den Losungen der neutralen Acetate einen weissen krystalliniscben, in
beissem Wasser loslichen Niederschlag von Silberacetat. Salpetersaures Queck-
silberoxydul einen weissen, krystalliniscben Niederschlag von Quecksilberacetat,
der durch siedendes Wasser unter Abscbeidung von metalliscbem Quecksilber
zersetzt wird.
Wird ein essigsaures Salz mit arseniger Saure unter Luftabschluss erhitzt,
so bildet sich Kakodyloxyd oder Alkarsin (As[C'H3] 40), dessen Gegenwart
an dem durchdringenden penetranten, sehr charakteristischen Geruche erkannt
wird. Dieses Verhalten kann verwendet werden, um die geringsten Spuren
Essigsaure nachzuweisen.
Essigsaureather (ether acetique — acetic ether). Die Essigsaure bildet,
analog anderen Sauren mit Alkoholen eine Reihe von Verbindungen, sog. zusammen-
gesetzte Aether oder Ester, welche angesehen werden konnen als Alkohole, in
welchen der WasserstotF der Hydroxylgruppe durch Acetyl, oder als Essigsaure-
bydrat, in welchem der Wasserstoflf der Hydroxylgruppe durch ein Alkoholradical
vertreten ersch§int.
Die wichtigsten zusammengesetzten Aether der Essigsaure sind:
Essigsaureathylather, Essigather, essigsaures Aethyl oder Essignaphta
a2H3O.O.CnH5 = C^O^ oder £2f3°J 0 oder Cff3.CH„.O.CO.CH3
findet sich in geringen Mengen in manchen Weinen, im Weinessig und Franz-
branntwein, deren Aroma bedingend.
Er entsteht durch Einwirkung von Aetherschwefelsaure auf essigsaure Salze :
CM^O^H + C^H30.0.Na =z C^O.C^O + SO.NaH
Aetherschwefelsaure essigs. Natron Essigather saures schwefels. Natron
Am leichtesten und in grosster Menge wird derselbe erbalten durch Destit-
ution von 10 Theilen entwassertem, essigsaurem Natron mit einem Gemisch von
15 Theilen englischer Schwefelsaure und 6 Theilen Alkobol von 80 bis 90%;
in das erkaltete Gemisch von Schwefelsaure und Alkobol wird das vorher fein
gepulverte und vollkommen getrocknete Natriumacetat eingetragen, durch Umrlih-
ren gut gemischt und nun bei langsam steigender Temperatur die Destination
so lange fortgesetzt, bis das zuletzt ubergehende Destillat nicht mehr brennbar ist.
312 Essigsaureatker.
Im Grossen wird die Destination mit Dampf in eisernen Kesseln vorge-
nomnien, die mit einem Helm aus Kupfer und einer im Wasser liegenden Kiihl-
scklange verbunden sind.
Das Destillat entkalt neben Essigsaureather noch Alkokol, freie Essigsaure,
Wasser undSpuren von sckwefliger Saure ; zur Entfernung dieser Verunreinigungen
wird dasselbe mit Wasser versetzt, die sick absckeidende Aetkersckickte zur
Neutralisation der freien Saure mit Sodalosung gesckiittelt, abermals mit Wasser
gemisckt und nun mit gesckmolzenem Chlorcalcium so lange versetzt, als dieses nock
gelost wird, langere Zeit steken gelassen und die sick oben absckeidende, entwasserte
Aethersckickte fractionirt destillirt; der bei 74° C. iibergekende Antkeil stellt
dann reinen Essigatker dar.
Handelt es sick nickt urn absolute Reinkeit des Destillates, so geniigt es
das Rokdestillat mit Sodalosung zu neutralisiren und iiber Cklorcalcium zu rectificiren.
Nack Gross ckopff*) eignet sick zur Darstellung des Essigatkers im grossen
Massstabe folgendes Verfakren : Essigsaures Natron wird in gusseisernen Kesseln
iiber freiem Feuer zur Trockeue verdampft, gesckmolzen, kierauf gepulvert und
nock warm gesiebt. Das Salzpulver bringt man in eine Kupferblase, die mit
einer Rukrvorricktung und einer Oeffnung zum Nackflillen verseken ist und gibt
auf je 40 Kilo Salz ein erkaltetes Gemisck von 46 Kilo engliscker Sckwefelsaure
von 1-84 spec. Gew. und 37 Kilo fuselfreien Alkohol von S5° T. Nackdem alles
gut gemisckt ist, destillirt man unter fortgesetztem Umriikren so lange, als das
Destillat nack Essigsaure rieckt. Das Rokdestillat, von dem ca. 55 Kilo
erkalten werden, vertheilt man in kleine Flascken, die zu ca. 2/3 kiemit gefiillt
werden, gibt V4 Volum Wasser und etwas koklensaures Kali zu, sckuttelt einige-
male kraftig durck, lasst sick sckeiden, kebt die wasserige Fliissigkeit unter dem
Aetker keraus, und wiederkolt diese Operation, indem man statt koklensaurem
Kali Cklornatrium nimmt. Den so entsauerten und vom Weingeist befreiten
Aetker entwassert man mit zerstossenem Cklorcalcium, lasst einige Zeit steken
und rectificirt iiber gebrannte Magnesia. Man erkalt ca. 36 bis 37 Kilo reinen
Aetker, der frei von jedem Nebengeruck ist. Die ganze Destination dauert ca.
2 Stunden.
Die Wasckwiisser nekmen kiebei nickt unbetracktlicke Mengen von Essig-
saure auf; sie werden gesammelt, rectificirt und geben ein alkokolkaltiges Product.
Nack Egkis wird Sckwefelsaure in einer tubulirten Retorte auf ca. 130° C.
erwarmt und nun tropfenweise ein Gemisck von Essigsaure und Alkokol zutreten
gelassen ; man erkalt aus 1 Kilo Essigsaure fast 2 !/2 Kilo roken Essigatker, der,
wie oben angegeben, weiter gereinigt wird.
Auck kann Essigatker erkalten werden durck Erkitzen eines essigsauren
Salzes mit Jodatkyl in gescklossenen Gefassen auf ca. 200° C. und Trennung
des Aetkers vom entstandenen Jodmetall durck Destination.
Der Essigsaureatker stellt eine wasserbelle, diinne Fliissigkeit von ange-
nekmem erfrisckendem Gerucke und brennendem Gesckmacke dar, die angeziindet
mit gelblick weisser Flamme brennt, sick im trockenen Zustande nicbt, im feuckten
jedock nack einiger Zeit in Essigsaure und Alkokol zersetzt; er ist leickter als
Wasser, spec. Gew. — : 0-917, Siedepunkt 74° C, Dampfdickte = 3*06; er lost
sick im 7- bis llfacken Gewickte Wasser, ist mit Alkokol und Aetker in jedem
Verkaltnisse misckbar. Durck Kocken mit atzenden Alkalien wird er in Acetat
und Alkokol, durck concentrirte Sckwefelsaure beim Erwarmen in Essigsaure und
gewoknlicken Aether zersetzt.
Der Essigsaureatker fiudet in der Parfiimerie, zum Aromatisiren der Essige,
als Losungsmittel fiir Harze, Oele, Sckwefel, Pkospkor, mancke Salze und mit
dem zwei- bis dreifacken Gewickte Alkokol gemisckt in der Medizin unter dem
Namen Spirit us acetico aetkereus Anwendung. Im Verein mit Benzoesaure-
athylather bildet er den sog. Kirscbenatker.
") Aun. der Chemie imd Pharra. 63, pag. 258. Deutsche Industrie-Zeitung' 1867, pag. 118.
Essigsaureather. 313
Essigsaureamylather, essigsaures Amyl, Amylessigather.
C^O.O.C.H^ — C-H^02 oder ^3°j0
Er wird erhalten durch Destination eines Gemenges von 2 Theilen essig-
saurem Kali, 1 Theil Amylalkohol (Fuselol) und 1 Theil concentrirter Schwefel-
saure, Waschen des Destillates mit Wasser, dem etwas kolilensaures Natron
zngesetzt ist, Trocknen iiber Chlorcalcium und Rectification liber Magnesia oder
Bleiglatte.
Nach F eh ling kann derselbe ohne Destination erhalten werden, wenn
man 1 Theil Eisessig mit 1/„ Theil Schwefelsaure und 1 Theil Amylalkohol
mehrere Stunden auf 100° C. erwarmt, den gebildeten Aether durch Wasserzusatz
ausscheidet und wiederholt mit Wasser zur Entfernung der anhangenden Saure
wascht. Sehr rein erhalt man den Amylessigather nach Wurtz durch Erhitzen
von Jodamyl mit Silberacetat.
Der Essigsaureamylather stellt eine farblose, leicht bewegliche Fliissigkeit
von angenehmem gewiirzhaftem Geruche dar, in Wasser unloslich, mit Alkohol und
Aether in jedem Verhaltnisse mischbar. Spec. Gew. =: 0-857 bei 21" C, Siede-
punkt 133° C. (Kopp), Dampfdichte zzr 4*458; wird durch . alkoholische Kali-
losung in essigsaures Kali und Amylalkohol zersetzt.
Mit dem sechs- bis achtfachen Volumen reinen starken Alkohols gemischt,
bildet er die in der Parfumerie und Liqueurfabrikation verwendete Birnenessenz
(Birnol, Pear-Oil) ; gemeinschaftlich mit Essigsaure- und Buttersaureathylather den
sogenannten Erdbeerather.
Die nachfolgend angeiuhrten Aether haben eine nur geringere Bedeutung,
besitzen aber einen meist sehr angenehmen Geruch und finden deshalb auchAnwen-
dung zur Darstellung der sogenannten Fruchtessenzen.
Essigsauremethylather, essigsaures Methyl, Methylessigather oder
essigsaurer Holzather
a,Hs0.0.CH3 — C^H^ oder ^3°]0
findet sich fertig gebildet im rohen Holzgeist und wird erhalten, wenn man ein
essigsaures Salz mit einem Gemenge von Schwefelsaure und Holzgeist, oder 1 Th.
Essigsaurehydrat, 2 Th. Holzgeist und 1 Th. Schwefelsaurehydrat, oder 3 Th.
Methylalkohol? 5 Th. Schwefelsaurehydrat und 14 Y2 Th. Bleizucker der Destination
unterwirft.
Farblose, angenehm atherartig riechende Fliissigkeit von 0.956 spec. Gew.
und 56° C. Siedepunkt; in Wasser ziemlich leicht loslich, mit Alkohol und Aether
in jedem Verhaltnisse mischbar.
Essigsaurebutylather, essigsaures Butyl, Butylessigather
a^O.O.C.H.j = C6HllzO„ oder q^°\0
eine farblose, angenehm atherartig riechende Fliissigkeit von 0.8845 spec. Gew.
und 114° C. Siedepunkt.
Essigsaureoctylather, essigsaures Octyl, Octylessigather
CnH:iO.O.C8Hl7 = C10^T21)O2 oder %%0]O
farblose, angenehm atherartig riechende, im Wasser unldsliche Fliissigkeit von
190 — 193° C. Siedepunkt; bildet den Hauptbestandtheil des Oeles von Heraclevvi
Spondylium, im Verein mit dem Buttersaurehexylather den, bei ca. 205° sie-
denden Theil des atherischen Oeles von Heraclewn giganteum.
Essigsaurecetylather, essigsaures Cetyl, Cetylessigather
CoR30.0.CiGP«3 = CiSH3C>0,2 oder c^JQ
wird erhalten durch Sattigung einer Losung von Cetylalkohol in Eisessig mit
Ohlorwasserstoff als weisse Krystallnadeln, welche bei 18-5° C. schmelzen.
K. Wets.
314 Essigsauresalze. — Euchroit.
Essigsauresalze , Acetate, s. Essigsaure III pag. 311, s. die ein-
zeln en Metalle.
Essigspinell (spinelle vinaigre ■ — vinegar spinel), eine Varietat der bra-
silschen Spinell von blassbraunlicher Farbe, s. Spin ell. Gtl.
Essigsprit, s. Essig III pag. 299.
Essigstander, Essigbilder, s. Essig III pag. 298.
Ester, syn. m. zusamniengesetzter Aether, s. Aether I pag. 53.
Estrich wird jeder mit einer zusammenhangenden, kiinstlichen Steinmasse
bekleidete Fussboden genannt. Speciell liber den venezianischen Estrich erschien
eine Schrift von Rodlich, Berlin, Trautwein, 1821. S. Decke II pag. 593, s.
Cement II 273.
Etage (etage — stage), audi Stock werk, Geschoss genannt, ist die
horizontale Abtheilung eines Gebaudes. Mit b el -etage bezeichnet man das
Hauptgeschoss, gewohnlich den ersten Stock. Grohn.
Etagenbruchbau, s. Bergbau I pag. 394.
Etagenrost, s. bei Treppenrost II pag. 534.
Etaion (Normalmassstab). E. a bout, Endmassstab, welcher die zu defini-
rende Lange durch die Entfernung seiner Endflachen angibt; e. a trait, Strich-
massstab, bei welchem die Lange durch die Entfernung zweier parallelen Striche
auf einer Seitenflache definirt erscheint. Erstere sind letzteren im Allgemeinen
vorzuziehen. Czuber.
Etherzilin, syn. mit Schiessbaumwolle, s. Explosivstoffe.
Eucalin, Zuckerart, Zersetzungsprodukt der Melitose s. d.
Eucalyptol (C^H^O), Bestandtheil des ather. Oeles der als Fiebermittel
verwendeten Bliithen von Eucalyptus globulus Lab. Farblose Fliissigkeit von an-
genehmem entfernt rosena'hnlichem Geruche, siedet bei 175° C, spec. Gew. 0.905.
Wirkt rechtspolarisirend. Kann aus dem ather. Eucalyptusole durch Destination
iiber Kalihydrat erhalten werden. Das Eucalyptusol ist farblos, diinnfliissig und
von aromatischem, campherartigem Geruche, es siedet bei 170° C. Durch Destil-
lation liber wasserfreie Phosphorsaure erhalt man Eucalypten (Cia£T]9), bei 165°C.
siedend, und Eucalyptolen (Ct^Hls), bei 300° C siedend. Das Eucalyptusol fin-
det in grosser Menge Verwendung in der Parfumerie. Vgl. Cloez, compt. rend.
70 pag. 687. Vgl. a, A. Faust u. J. Homeyer Ber. d. d. chem. Ges. 1874
pag. 63 urn 1429. Gtl.
Eucalyptuszucker, s. Melitose.
Euchlorglimmer, syn. mit Kupfer glimmer, Kupferschaum und
Uranglimmer s. d.
Euchlorine, Euchloringas, s. Chi or II pag. 325.
Eucliroit (tvyooog:, sehonfarbig), rhombisches Min., kurzsaulenformige, langs-
gestreifte Krystalle. Unvollkommen spaltbar, sprode. H. = 3-5—4, spec. Ge-
wicht = 3-3 — 3-4, smaragd- und lauchgriin ; Strich spangriin7 glasglanzend,
durchseheinend. Chem. Zus. : 4CuOAs"Ob-\-7H-0, 47 Kupferoxyd, 34 Arsensaure,
19 Wasser. Gibt im Kolben Wasser und wird lichter und locker. Schmilzt
vor dem Lothrohr zu einer erkaltet krystallinischen Masse.. Schmilzt auf
Euchroit. - Euklas. 315
Kohle unter Arsengeruch, lost sich leicht in Salzsaure. Von Libethen in
Ungarn. Lb.
Euchron, s. Euchronsaure.
Euchronsaure, Abkommling der Mellithsaure (Honigsteinsaure). Bildet farb-
lose, pristnatische Krystalle, die in Wasser loslich sind. Entspricht der Form el
(7,„jH4iV2Os. Durch Wasserstoff in Entstelmngszustande wird sie in Encliron,
einen tiefblauen, in Wasser unloslichen, in Alkalien mit tief purpurrotber Farbe
loslichen Korper iibergefiihrt. Gtl.
Eudiometer (eudiometre — eudiometer), in seiner urspriingliclien Bedeu-
tung so viel wie „Luftgiitemesser", d. i. ein Instrument, bestehend aus einer ein-
seitig geschlossenen, mit einer Raumtbeilung versehenen Glasrohre, mit Hilfe deren
man den Sauerstoffgehalt der Luft entweder durch Anwendung eines Absorptions-
mittels oder durch Verpuffen mit Wasserstoffgas bestimmen kann (Eudiometrie),
zu welch letzterem Ende das Eudiometer nahe an seinem geschlossenen Ende
zwei gegeniiberstehende, in die Glaswand eingeschmolzene Platindrahte tragt,
welche bestimmt sind den Entladungsfunken einer Leydenerflasche oder eines
Funkeninductors im Innern der Glasrohre tiberspringen zu lassen und so das
explosive Gemenge von Luft und Wasserstoff zur Verpuffung zu bringen, s. Luft.
Gegenwartig bezeichnet man mit diesem Namen allgemein Messrohren mit oder
ohne eingeschmolzenen Platindrahten, deren man sich fur die Zwecke der volu-
metrischen Gasanalyse bediente. S. Messgefasse. Gtl.
Eudialyt (fv&udvrog, leicht zu losen), rhomboedrisches, pfirsichbliithrothes
oder braunliches Zirconsilicat, welches sieh im Kaukendluarsukfjord und auf den
Kittisutinseln in Gronland und der Arkansas in der Magnetlove finclet.
H. r= 5 — 5-5, spec. Gew. — 2-9 — 3-01. Eine cer- und lanthanhaltige Varietat
des Eudialyts ist der Eukolit von Brewig in Norwegen. Lb.
Eugenglanz, s. Polybasit.
Eugetlin (eugenine — eugenin), weisse perlmutterglanzende Krystallblattchen
bildende Substanz, welche sich aus dem liber Gewiirznelken destillirten, mit
Nelkenol beladenen Wasser allmalig abscbeidet. Ist geschmacklos, von schwachem
Nelkengeruch, lost sich schwer in Wasser, leicht in Alkohol und Aether, wird an
der Luft gelb, mit Salpetersaure bluthroth. Entspricht der Formel C10HlsO,r
Vgl. Dumas Annal. d. Chem. et Phys. (2) 53 pag. 168; Liebig Annal. der
Chem. u. Pharm. 9, pag. 72; Bonastre Journ. Pharm. (2) 20, pag. 565. Gtl.
Eugenol, syn. m. Nelkensaure, vgl. Gewiirznelken, vgl. Nelken.
Eugensaure, syn. mit Nelkensaure, vgl. Gewiirznelken, vgl.
Nelken.
Eukairit (Selen-Silber-Kupfer). Ein nur derb mit feinkornigem krystalli-
nischen Gefiige vorkommendes Mineral von geringer Harte und blaugrauer Farbe
mit glanzendem Strich. Chem. Zus. . WSe+Ag^Se, 25-32 Kupfer, 43.13 Silber,
31-55 Selen. Sublimirt im Glasrohre Selen und selen. Saure, entwickelt auf Kohle
Selendampfe und schmilzt zu einer grauen, sproden Metallkugel, gibt mit Borax
Kupferreaction, mit Blei abgetrieben ein Silberkorn ; ist loslich in Salpetersaure.
Findet sich zu Skrikerum in Smaland, in Chile und in der Wiiste Atakauen. Den
Namen von svxruoog, zur rechten Zeit, erhielt das Mineral von Berzelius, weil
er es zur Zeit entdeckte, als er das Selen untersuchte. Lb.
Euklas {sv gut, xlaa spalte). Monoklines Mineral, nach der Klinodiagonale
und dem Hemidoma ausgezeichnet spaltbar, audi leicht zersprengbar, hat eine
Harte von 7-5, spec. Gew. — 3-0 — 3*1, blassgriin in blau und gelb verlaufend,
Glasglanz, durchsichtig bis halbdurchsichtig. Chem. Zus.: 2(GlO-SiO-)-\-Al'0:iH-0,
316 Euklas. — Euphorbium.
17-4 Glycinerde, 35-2 Thonerde, 40-3 Kieselsaure, 6-1 Wasser. Schmilzt vor dem
Lothrohr in dunnen Splittern schwer und schwillt an. Wird mit Kobaltsolution
gegliiht blau, von Sauren nicht auflosbar. Findet sicb sehr selten am Baikalsee in
Sibirien, in den Goldseifen am siidlichen Ural und in den Edelsteinseifen in Bra-
silien in losen Fragmenten und Krystallen. Schongefarbte, durchsichtige Exem-
plare werden als Schmucksteine verwendet, und der Seltenheit wegen theuer be-
zahlt. Lb.
Eukolit, s. Eudialyt.
Elllysit, ein in Schweden bei Tunaberg vorkommendes Gestein, bestehend
aus einem Gemenge von einem olivinahnlichen Mineral, griinem Augit und brau-
nem Granat. Lb.
Eulytin (svA.vzog, leicht schmelzbar), Kieselwismut, Wismutblende ; ein Mi-
neral, welches in sebr kleinen tesseralen, u. z. tetraedrischen Krystallen, welche
einzeln aufgewachsen oder in kleine Drusen vereinigt, auch in Zwillingen vor-
kommen. Spaltbarkeit unbekannt, Bruch muscblig, H. — 4-5 — 5, spec. Gew. 6-1,
nelkenbraun bis weingelb, Diamantglanz, durchsichtig bis durchscheinend. Chem.
Zus.: 2Bi'OsSiO'i, u. z.: 80-6—82-2 Wismutoxyd und 15-9—16-2 Kieselsaure
nebst etwas phosphorsaurem Eisen. Schmilzt vor dem Lothrohr leicht unter Auf-
wallen zu einer braunen Perle, gibt mit Soda metallisches Wismut, mit Phosphor-
salz ein Kieselskelett, Salzsaure zersetzt ihn unter Abscheidung von Kieselgallerte.
Fundorte: Schneeberg und Freiberg in Sachsen. Lb.
EllOSmit, fossiles Harz aus dem Lignit von Bayershof im Fichtelgebirge,
bildet gelbbraune pulverige oder erdige Massen, loslich in Alkohol und in Aether,
bei 77° C. schmelzbar, von angenehm aromatischem Geruch. Verbrennt angeziindet
mit Flamme und enthalt 34 C, 29 H. und 2 0. Gtl.
Euphorbium (resine d'euphorbe —euphorbium), Euphorbium harz, ist
der eingetrocknete Milchsaft von Euphorbia resinifera Berg., einer cactusartigen
Wolfsmilchart, welche im nordlichen Theile des tropischen Afrika einheimisch ist.
Das Euphorbium wird namentlich im marokkaniscken Atlas durch Anschneiden der
Aeste der Pflanze vor dem Eintritt der Fruchtreife gewonnen, indem der den
Schnitten entquellende Milchsaft an den Stengeln eintrocknet und nach dem Er-
harten eingesammelt wird. Die Hauptausfuhrplatze fur Euphorbium sind Sale und
Mogadore. Das Euphorbium, welches gewobnlich in mit Bastmatten eingehullten
Ballen zu Markte kommt, bildet undurchsichtige Stiicke von hell-graubrauner Farbe
mit unebenem, rauhem Bruche, welche sich entweder aus zusammengeflossenen
flachen Krusten oder keulenformigen Stiicken gebildet erweisen und oft auch kurz
dreiastige, innen hohle Formen eingeschlossen enthalten. Neben dieser eigentliclien
Gummiharzsubstanz finden sich in der Handelswaare stets noch Bruchtheile der
Aeste, Bliitben und Frtichte, so wie Stacheln der Stammpflanze. Das Euphorbium
ist in Wasser kaum loslich und liefert damit auch keine Emulsion. In Alkohol
ist es zum grossen Theile (50 — 60°/0) loslich. Es ist fast geruchlos, doch wirkt
der Staub heftig zum Niesen reizend. Der Geschmack ist anhaltend scharf-
brennend. Beim Erwarmen zeigt es cinen schwach an Weihrauch erinnernden
Geruch. Das Euphorbium hat schon in geringen Gaben eine heftig purgirende,
zum Theile brechenerregende Wirkung, und wird dieser, so wie seiner reizen-
den Wirkung auf zartere Hautpartien wegen, als Arzneimittel verwendet. Es ent-
halt nach Johnston (Journ. f. pract. Chem. 26, pag. 145) ein in kaltem Alkohol
losliches Harz(3S°/0) yon der Zusammensetzung C13H„„0„, und eine krystallisir-
bare, in Alkohol, Aether, Chloroform und Benzin leicht, in Wasser unlosliche Sub-
stanz, das Euphorbon (C\3H„„0), die geruchlos, aber von scharfem Geschmacke
und heftig purgirender Wirkung ist, wogegen das Harz den eigentlich reizenden
(^blasenziehenden) Bestandtheil bildet ; uberdies enthalt es Gummi und Aepfelsaure,
so wie unorganische Salze. Nach Fliickiger (Yierteljahrschrift f. pract. Pharm.
Enphorbium. — Evacuiren. 317
17, pag. 82) betragt der Enphorbongehalt 22%, jener an Gummi 18%; an apfel-
sauren Salzen 12% und an Mineralsalzen 10%. Vgl. a. Buchner's Repertorium
11, pag. 145 und Rose Pogg. Annal. 33, pag. 33, und 53 pag. 365. Gtl.
Euphotide, syn. m. Gabbro s. d.
Euphyllit, s. Mar gar it.
Elipion (eupione — eupion). Urspriinglicb wurde von Reicbenbach mit
dieseru Namen ein bei der trockenen Destination von Holz, fetten Oelen, Harzen,
Kautscbuk u. s. w. resultirender Kohlenwasserstoft bezeichnet, wahrend nach Hesse
das Product der Einwirkung von Schwefelsaure auf diese Producte der trockenen
Destination Eupion genannt wurde. Nacb Frankland ist Eupion ein Gemenge
mehrer Koblenwasserstoffe, in welchem sich als wesentlicher Bestandtheil Amyl-
wasserstoff (C5J3jjJ findet. Man kann es durcb trockene Destination des Riibols,
Bebandlung des leicbter fliichtigen Antheils des Destillates mit cone. Scbwefelsaure,
Destination des von der Scbwefelsaure und dem ausgeschiedenen Paraffin getrenn-
ten und durcb nochmalige Destination abgeschiedenen Oeles mit Schwefelsaure,
Schiitteln des Destillationsproductes mit Kalilauge und Rectification als eine farb-
lose Fliissigkeit von angenebmem Bliithengerucbe erhalten, die gescbmacklos und
in Wasser unloslicb ist. Das spec. Gew. z= 0-655 bei 20° C, der Siedepunkt
liegt bei 47° C. Es ist mischbar mit Alkohol, Aether, Benzin, fetten Oelen und
Schwefelkoklenstoff, lost Phosphor, Schwefel und verschiedene Harze auf und wird
weder durch cone Sauren, noch durch Alkalien und Chlor angegriffen. Auch aus
den leicht fliichtigen Antheilen des durch trockene Destination der Knochen (Thier-
61), so wie des Kautschuks erhaltenen Destillates kann man Eupion darstellen.
Es ist ein fast nie fehlender Bestandtheil der verschiedenen Theerole. Gtl.
Eupyrchroit, ein zersetzter Phosphorit mit 46 Phosphorsaure, 50 Kalkerde
und 2 Eisenoxydul, welche nierenformiger faserige Massen von grauer Farbe bildet,
und zu Hammoundsville in Essex, u. a. 0. zur Erzeugung von Dungerphosphat
gewonnen wird. Lb.
Eurit, s. Felsit u. Porphyr, vgl. a. Granulit.
Euritporphyr, syn. m. Felsitporphyr, s. Porphyr.
Eustilbit, Heulandit, s. Stilbit.
Eusynchit, ein dem Dechenit nahe verwandtes vanadinsaurehaltiges Mineral
von Hofgrund bei Freiburg im Breisgau. Lb.
Elixanthin, Bestandtheil des Purree genannten gelben Farbstoffes, s. Purree.
Elixanthonsaure, Zersetzungsproduct des Euxan thins, s. Purree.
Euxenit (evfevog, gastfreundlich, Anspielung auf die vielen Bestandtheile),
ein gewbhnlich derb vorkommendes Mineral mit unvollkommen muschligem Bruch,
unvollkommener Spaltbarkeit. Harte — 6-5, spec. Gew. = 4-6 — 4-9, braun-
schwarzer Farbe, rothlichbraunem Strich, in Metallglanz geneigten Fettglanz, un-
durchsichtig. Chemische Zusammensetzung schwankend, im wesentlichen vor-
herrschend Niobsaure, dann Titansaure, Uranoxydul und Ittererde, im Verhalt-
niss zur Niobsaure wie 15 — 20 : 39 — 32, ausserdem etwas Ceroxydul, Eisen-
oxydul, Kalkerde und Wasser. Im Kolben gibt er Wasser und wird lichter, vor
dem Lothrohr ist er schmelzbar, wird auch von Sauren nicht angegriffen. Fund-
orte Jolster und Arenclal in Norwegen. Lb.
Euzeolyth, s. Stilbit.
Evacuiren, d. h. Ausleeren, pflegt man gewohnlich das Auspumpen der Luft
aus einem Recipienten oder einem Gefasse iiberhaupt zu nennen, s. Luftpumpe.
318 Evaporiren. — Explosivstoffe (Schiesspulver).
Evaporiren, syn. m. Ab damp fen s. I pag. 3.
Everninsaure, Ev ems Sure, s. Flechtenfarbstoffe.
Evolvente, s. Curven II pag. 447.
Evonymit, s. Dulcit, II pag. 703.
Excavator, s. Erdarbeiten III pag. 282.
Excentrik, s. Kineniatik. s. bei D amp f mas chine II pag. 560 etc.
Excess, spbarischer, heisst der Ueberschuss der Winkelsumme eines sphari-
schen Dreiecks ilber 18°. Wird derselbe, im Bogenmass, in Graden, Minuten,
Secunden ausgedriickt, beziehungsweise mit e, &°, sv, t", die Flache des Drei-
ecks mit F, der Radius der Kngel mit r bezeicbnet, so bat man:
F1 IP T? TP
e — —• b° — 57-29578 -=■': a' = 3437-74677 —=: i" = 206264-806 -^
r- v- r2 r1
Bei Dreiecken, wie sie bei Triangulirungen vorkommen, ist der spbar. E. immer
nur gering ; fiir ein Dreieck von 1 geogr. D M. betragt derselbe in mittleren
Breiten ca. 0".28. Czuber.
Exhauster, Saugventilator (s. Ventilator), o. Blasrohr (s. Eisen-
babnfahrbetriebsmittel III pag. 109); s. ferner Luftpumpe, s. In-
jector.
Exorateur, Name eines von Kessler angegebenen Apparates znr Alkohol-
bestimmung im Weine auf dem Wege der Destination. S. Wein, vgl. a. Al-
kobol I pag. 109. Gtl.
Exosmose, s. Diffusion II pag. 626.
Expansion, s. Dampf II pag. 504 etc., s. Dampfmascbinen II pag.
567, 583 etc.
Explosionen bei Dampfkesseln, s. II pag. 551.
Explosionsmaschine ist die Benennung der Drake'scben G asm as chine
s. daselbst.
Explosivstoffe (explosifs — explosives). I. Schiesspulver (poudre de
guerre, de mine, de chasse — gun powder).
a) Z u s a m m e n s e t z u n g, p b y s i k a 1 i s c h e u n d c h e m i s c h e E i g e n-
schaften. Inniges mecbaiiisches, gekdrntes Gemenge von Kalisalpeter, Scbwefel
und Koble. — Mittleres Verhaltniss der drei Bestandtheile : 74 Salpetef, 16 Koble,
10 Scbwefel. — Bei feinem Jagdpulver nimmt der Salpetergehalt zu (franzosisches
Jagdpulver: 78 Salpeter, 12 Kohie, 10 Scbwefel), bei Sprengpulver ab (franzo-
sisches Minenpulver: 62 Salpeter, 18 Koble, 20 Scbwefel). Das Miscbungsver-
baltniss eines Pulvers heisst dessen Dosirung. — Das specifiscbe Gewicbt der
einzelnen Korner (Massendichte) schwankt zwiscben 1*4 (leicbtes Minenpulver) und
1-82 (Gescbtitzpulver), das specifiscbe Gewicbt des in einem Gefasse wobl einge-
s'chiitteten Pulvers, also Kornerzwiscbenraum beriicksichtigt (gravimetrische Dichte^)
zwiscben 0*77 (franzosisches Minenpulver) und 0*94 (sehr feines, dichtes Jagd-
pulver). Die Kornergrosse wechselt von 0-3— 0-5mm (feinstes Jagdpulver) bis zu
18 — 30mm (engliscbes Cylinderpulver) ; die sechsseitigen Korner des sogenannten
prismatiscben Pulvers baben sogar 40mm Durchmesser.
Gutes Sebiesspulver muss folgende Eigenscbaften haben: Schieferfarbe mit
mattem Glanz (blaugrauschwarz) ; zu dunkle Farbe weist auf zu viel Feuchtigkeit,
weisse Flecke auf Salpeterausscbeidung. — Jagdpulver, welches absichtlicb mit
Rotbkohle erzeugt wurde, hat braunlich schwarze Farbe. Beim Pteiben der Korner
auf der flachen Hand mit dem Finger miissen die Korner ganz bleiben, beim Zer-
Explosivstoffe (Scliiesspulver). 3 1 9
driicken zwischen den Fiugern knirschen, nacli dem Zerdriicken muss der Staub
vollkommen gleiche Farbe haben und diirfen in ihm keine scliarfen Theile fiihlbar
sein. Giesst man Pulver in hellem Licht von lm Hohe aus, so darf kein Staub
sichtbar werden, beim Rollen iiber reines Papier darf es nicht abfarben. Der
Feuchtigkeitsgekalt darf 2 °/0 nicht iibersteigen. Auf weissem Papier entziindet
muss es rasch, ohne Hinterlassung von Flecken und Riickstand verbrennen. —
Pulver entziindet sich durch Temperaturerhohung auf 250 — 300°, sehr leicht durch
Beriihrung mit gliihenden Korperh, schwieriger durch Flamme, ausserdem aber audi
durch Stoss, Reibung und Schlag zwischen gewissen Kbrpern, leicht durch Schlag
von Eisen gegen Eisen, Eisen gegeu Messing, Messing auf Messing, weniger leicht
durch Kupfer gegen Eisen oder Kupfer, Eisen gegen Marmor etc. Der Entladungs-
schlag der Leidnerflasche entziindet Scliiesspulver nicht unmittelbar. — Um Pulver-
ladungen durch den elektrischen Funken zu entziinden, miissen daher eigene Ziinder
eingeschaltet werden. — Der durch galvanischen Strom gliihend gemachte feine
Schliessungsdraht bewirkt aber directe Entziindung. Die Entziindung des Pulvers
pflanzt sich rasch von einem Punkte durch die zusammenhangende Masse desselben
fort. Die Geschwindigkeit dieser Fortpflanzung wechselt mit der Gattung des
Pulvers, Grosse, Form und Einschluss der Ladung und der Entziindungsweise.
In offenem Lauffeuer betragt die Geschwindigkeit der Fortpflanzung 2 — 3m , im
Geschiitzrohre iiber 20m , wenn die Entziindung durch starke Knallsatze erfolgt
(siehe spater Detonationsz tin dung) noch mit weit erhohter Schnelligkeit.
Die Verbrennungsgeschwindigkeit eines Kornes (Fortschritt der Verbrennung von
aussen nach innen) betragt in freier Luft bei gutem Pulver etwa 12mm in der
Secunde, nimmt ab mit der Dichte des Korns; aber rasch zu mit der Dichte und
Temperatur der umgebenden Gase.
Die Verbrennungsproducte des Pulvers, die Menge, Temperatur und Spannung
der gebildeten Gase wechseln mit der Gattung des Pulvers, der Grosse, und Form,
dem Einschlusse der Ladung und der Entziindungsweise. Die verlasslichsten der
vorgenommenen Versuche (von A. Noble & F. A. A b e 1 Compt. rend. 78
und 79) ergaben fur den Fall, dass Pulver in fest verschlossenem Gefasse
(Bombe) verbrennt, folgende Resultate, berechnet fur 1 Gramm Pulver: 1. Die
Verbrennungsproducte nach der Explosion sind ungefahr 43 °/0 permanente Gase,
57°/0 fest werdende Producte. 2. Die permanenten Gase wiirden bei 0° und
760mm Druck etwa 280cc , d. h. das 280fache Volumen cles Pulvers betragen.
3. Die Spannkraft des Pulvers betragt, wenn selbes den Verbrennungsraum ausfiillt und
dieser fest umschlossen ist, circa 6400 Atmospharen, mit dem Wachsen des Ver-
brennungsraumes gegeniiber dem des Pulvers nimmt die Spannung ab, so dass
sie beispielsweise nur mehr circa 25 Atmospharen betragt, wenn der Verbrennungs-
raum zehnmal so gross als clas Pulvervolumen ist. 4. Die Temperatur der Gase
betragt circa 2200° C. 5. Die Zersetzung von 1 Gr. Pulver entwickelt etwa
0-7 Calorien, d. h. „1 Gr. Pulver hat eine innere Arbeitskraft von circa 300km".
Als Zersetzungsproducte von 1 Gr. Pulver wurden bei den letztgenannten
Versuchen gewonnen:
Kohlensaures Kali 0-3115 Schwefelwasserstoff 0-0134
Unterschwefligsaures Kali . . .0-1163 Kohlenoxyd 0-0519
Schwefelsaures Kali ...... 0-0843 Kohlensaure 0-2577
Schwefelkalium 0-0416 Wasserstoff 0-0007
Sulfocyankalium 0-0005 Stickstoff 0-1151
Salpetersaures Kali . 0-0027 Suffiffie der gMffirmigOT ^7"
Anderthalb-kohlensaur.Ammoniak 0-0009 ducte 0-4388
Schwefel 0*0034
Summe der festen Producte . 0*5612
b) Entwicklung des Schiesspulvers. Der oder die Erfinder des
Schiesspulvers sind unbekannt. Walirscheinlich ist, dass die Entdeckung des
Schiesspulvers durch die Araber in den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts e-eschah;
320 Explosivstoffe (Schiesspulver).
fast gewiss ist es, dass die Italiener schon in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahr-
hunderts Schiesspulver fabricirten, und nachgewiesen, dass wenig spater in Deutsch-
land (1340 in Augsburg, 1344 in Spandau, 1360 in Liibeck) Schiesspulverfabriken
bestanden. Die diversen Geschicbten ilber die Erflndung des Scbiesspulvers in
China, iiber Berthold Schwarz u. s. f. halten unbefangener Priifung nicht
Stich. Die wirkliche Verwendung des Scbiesspulvers als Triebmittel fur Geschosse
und seine Fabrication in grosserem Massstabe kann in Europa also mit Sicherheit
in die 1. Halfte des 14.' Jahrhunderts verlegt werden, die erste Anwendung als
Sprengrnittel fiir Kriegszwecke fallt in das Jahr 1397, die altesten verlasslichen
Nachrichten iiber die Verwendung als Sprengstoff in Bergwerken in das Jahr 1613.*)
Schon die altesten Zusammensetzungen des Schwarzpulvers weicben wenig
von den heute tiblichen ab. Beispielsweise zeigen dies folgende Daten :
1546 werden angegeben fiir Buchsen: 83-4 Salpeter, 8-3 Kohle, 8'3 Schwefel,
1649 „ „ „ Gewehre: 75-5 „ 13-3 „ 11-2 „
1774 in Preussen fiir grobes Pulver: 74-4 „ 13-3 „ 13-3 „
heute meist iibliche Verhaltnisse : 74—75 „ 15 — 16 „ 10 „
Das alteste Pulver wurde bios durch Mengung seiner Bestandtheile aus freier
Hand hergestellt, spater beniizte man. Mablmiiblen, die aber wegen ihrer Gefahr-
lichkeit rasch verlassen und schon Mitte des 15. Jahrhunderts durch die heute
noch zuni Theil im Gebrauche befindlichen Stampfmiihlen ersetzt wurden. Im
16. Jabrhunderte findet man schon Walzmiihlen, nach Art der jetzt ublichen, zum
Kleinen und Mengen der Materialien. 1791 wurde in Frankreich das Kleinen und
Mengen in Trommeln eingefiihrt, das in mehr oder minder begrenzter Anwendung
heute in den meisten besseren Pulverfabriken iiblich ist.
Anfanglich wurde das Pulver nur in Mehlform verwendet. Die Nachtheile
hievon bemerkte man bald und schon vor Mitte des 16. Jahrhunderts wurde in
Frankreich, dann bald audi in alien anderen Staaten zur Kornung des Pulvers
iibergangen. Mit dem Anfange des 18. Jahrhunderts hat die Fabrication des
Schwarzpulvers in der Hauptsache bereits jene Entwicklungsstufe erreicht, welche
sie um die Mitte des gegenwartigen Jahrhunderts besass. Die Schwarzpulver
fabrication blieb also, wenn man von relativ untergeordneten, die Giite des fertigen
Productes wenig beeinflussenden Veranderungen absieht, durch fast 1 1/2 Jahrhunderte
stabil. Da entstand in Gefolge des letzten amerikanischen Biirgerkrieges der Wett-
kampf zwischen Geschiitz- und Panzerconstructionen, der zu den "Riesenkalibern
der Gegenwart fiihrte. Die grossten Metallstarken konnten nicht mehr den enormen
Ladungen Widerstand leisten, es mussten Mittel und Wege gesucht werden, das
alte Schwarzpulver zu verbessern oder zu ersetzen.
In Nordamerika wurde 1859 — 60 zuerst durch Major Rodman, dann
durch Professor Dor em us in West-Point, 1858 durch das Geschiitzpulver-Comite
in England, spater auch durch die grossen Militarstaaten Europa's energisch an die
Losung der Pulverfrage gegangeii. Alle Versuche, das Schwarzpulver durch ein
ahnliches mechaniscbes Gemenge zu ersetzen, in dem der Kalisalpeter durch analoge
sauerstoffreiche Korper (Barytsalpeter, chlorsaures Kali), Kohle und Schwefel durch
ahnlich wirkende Korper (Zucker, Holzstoff, Blutlaugensalz etc.) substituirt sind,
haben ungiinstige Resultate ergeben. Die alten Rohmaterialien haben sich als die
besten erwiesen. Ferner hat sich gezeigt, dass jenes, seit uralter Zeit bestehende
Mischungsverha'ltniss, welches fiir bestes Jagdpulver verwendet wird und welches
die hochste Nutzleistung gibt, zugleich das beste Mischungsverhaltniss fiir
alle anderen Pulversorten ist, seien sie Minen- oder Geschiitzpulver. Das Vermehren
des Kohlenstoffgehaltes gegeniiber dem Salpetergehalte, um geriugeren Druck,
langsamere Verbrennuug zu erbalten, ist eine wahre Verschlecliterung des Pulvers.
*) Zahlreu-he Literaturnachweise und Notizen iiber die Geschichte des Scbiesspulvers findet
man im Lebrbucb der gesammten Tunnelbaukunst von F. Eziba I. Band 1867. —
Das Sehiesspulver, die Explosivkbrper etc. von Dr. J. Upmann u Dr. E. v. Meyer.
— Meyer, Handbueb der Gescbicbte der Feuerwaffentechnik.
Explosivstoffe (Schiesspulver). 321
Dagegen haben umfassende Versuche nachgewipsen, dass die mechanische Con-
stitution des Pulvers von hbchstem Einflusse aiif die Wirkungsweise ist, und dass
riclitig combinirte Veranderungen in der Grosse, Form, Oberflachenbeschaffenheit,
Dichte und Harte der Pulverkorner vollkommen geniigen, auch den gesteigerten
Anforderungen an die Triebkraft der Geschiitzpulver zu geniigen, ohne die Rohre
iibermassigen Spannungen auszusetzen. Indem man nur die starkste Pulvermiscbung
erzeugt, erreicht man den grossten Effect des verbrennenden Pulvers, indem man
je nach der Grosse der Ladungen dem Korn entsprechende Form, Dichte, Harte
und Grosse gibt, kann man die Verbrennung der Ladung derart reguliren, dass
der Druck wahrend der ganzen Fortbewegungszeit der Geschosse im Rohr ziemlicli
gleichmiissig wirkt, der Maximaldruck auf das Rohr also mogliclist herabgesetzt wird.
Aus den hier angedeuteten Bestrebungen entstand 1862 in Amerika das
Mammouthpul ver mitKbrnern von 1*5 — 2'5cmDruchmesser; spater das prisma-
tische Pulver, bestehend aus regelmassigen sechsseitigen Prismen von etwa 4cmDurch-
messer und 2'5cmHohe. In Amerika aufgegeben, wurde das prismatische Pulver in Russ-
land und Preussen urn so ernsteren Versuchen unterzogen und schliesslich fur die
grossten Gescliiitze adoptirt. Die Diclite dieser Korner ist 1-66 — 1*76, ihr Gewicht
bis zu 40 Gr. In England fiihrten die Versuche ebenfalls zur Anwendung stark
verdichteter (gepresster) Pulversorten fur schwere Geschiitze ; insbesondere gelang-
ten zu umfassender Anwendung das Kieselpulver (pebble poivder) durch die
harte, glatt polirte Oberflache, Form und Grosse der Korner Kieselsteinen ahnlich;
1867 das Cylinder pulver (pellet powder), ein stark gepresstes Pulver in Form
cylinilrischer Scheiben. Zu analogen Resultaten gelangte man in den anderen
Staaten. Auch fiir die Sprengarbeit wurden in letzter Zeit, besonders in Belgien
und Frankreicli, gepresste Pulver in Form cylindrischer Stangen eingefiihrt.
Der gesammte Fortschritt im Pulverwesen resumirt sich so in Folgendem:
1. Anwendung verbesserter Mittel, urn eine moglichst homogene und innige
Mischung der einzelnen Bestandtheile zu erzielen.
2. Starke Compression des Pulversatzes.
3. Bildung grosser Korner mit verschiedenen Formen und verschieden be-
handelten Oberflachen.
Diesem an sich geringen Fortschritte parallel lauft auch ein ausserst geringer
Fortschritt in den Apparaten der Fabrication. Abgesehen von der Anwendung
besserer Verkohlungsmethoden, der Einfiihrung starker hydraulischer Pressen und
besserer Kornmaschinen ist man ziemlicli auf demselben Standpunkte wie zu Anfang des
Jahrhundertes. Und dass diese Fortschritte nicht wesentlicher Natur sind, daftir
gibt das beste Beispiel, dass bei ausserst sorgfaltig geleiteten Versuchen sich die
Pulver einer kleinen schwedischen Fabrik,*) welche die primitivste Einrichtung
besitzt, aber sehr sorgfaltig arbeitet, als die besten zeigten.
' c) Fabrication des Schiesspulvers. 1. Rohmaterialien. Es ist
nothwendig oder doch sehr wtinschenswerth, dass Fabriken ihre Rohmaterialien
selbst erzeugen oder wenigstens raffiniren.
Salpeter. Es wird nur Kalisalpeter verarbeitet, meist in Mehlpulverform,
wie sie durch Stoning des Krystallisationsprocesses bei der Lauterung entsteht
(s. S a 1 p e t e r). Der gereinigte Salpeter muss ganz frei von in destillirtem Wasser
unlbslichen Stoffen sein. frei von schwefel- und kohlensauren Salzen (Priifnng
durch Chlorbaryumlbsnng), von salpetersaurem Kalk und Magnesia (Priifung durch
oxalsaures Kalium und Ammoniak), und darf hbchstens Spuren von Chlorver-
bindungen (Aequivalent 0-0004% Kochsalz) enthalten.
Schwefel. Mit Ausnahme Schwedens, wo zum Theile schwedische Schwefel-
kiese verarbeitet werden, wird nur sicilianischer Stangenschwefel genommen, der
meist nochmals gelautert und in eine zum Kleinen passendere (sprodere) Modifi-
cation tibergefiihrt wird (s. Schwefel). Der Schwefel muss frei von Erden uudOxyden
(riickstandslos verbrennen), frei von Schwefelsaure* und schwefliger Saure (Priifung
*) Acker in Sodermannland.
Karmar.sch & Heeren, Technisches Wiiitorbucb. Bd. III. 21
322 Explosivstoffe (Schiesspulver).
mit Lacniuspapier) und von Arsen (Kochen von feineni Schwefel mit Salpeter-
saure, Neutralisirung der salpetersauren Fliissigkeit mit kohlensaurem Ammonium
und Zusatz von salpetersaurem Silber, darf keinen Mederschlag, Silberarseniat,
geben) sein.
Kohle. Tauglich ist nur Kohle, die leicht entziindlich, sehr zerreiblicli und
rascli verbrennlich ist und sehr wenig Asche gibt; also nur Kohle von weichen,
leichten Holzern : Faulbaum , Weiden- und Erlenholz (Deutschland), Hundsbeer
(Oesterreich), Haselholz (Schweiz) etc. Ausserdem werden sehr oft Hanfstengel
(Italien)7 Weinreben (Spanien) und ahnliche Vegetabilien beniitzt. Ueber die ver-
schiedenen Methoden der Verkohlung s. Verkohlung u. Holzkohle. — Fiir
sehr feines Jagdpulver wird sogenannte Rothkohle (erzeugt bei etwa 270° C.) ge-
nommen, da diese unter sonst gleichen Verhaltnissen grossere Triebkraft gibt;
die schwarze gewohnliche Pulverkohle wird bei 340 — 350° C. erzeugt. Die
mittlere Ausbeute an Schwarzkokle betragt 25 — 30°/0 des verwendeten Holzes.
Nach eingehenden Versuchen in England hat es sich gezeigt, dass sehr
entziindliche Kohle aus Faulbaumholz, durch sehr langsame Verkohlung bei
niedriger Temperatur erzeugt, die besten Resultate gibt, und dass sich die Ver-
brennlichkeit des daraus erzeugten Pulvers durch entsprechende Dichte und Grosse
des Kornes vollkommen regeln lasst. Die grossere Feuchtigkeitsanziehung solch
schwach gebrannter Kohle lasst sich ebenfalls durch Dichte und Glatte des Kornes
gentigend reduciren. Der Einfluss der Kohle ist besonders wesentlich. So ergab
bei englischen Versuchen:
Pulver aus Waltham-Abbey mit Faulbaumholz erzeugt 439 (437)m | Anfangs-
„ „ „ mit Erlen-u.Weidenkohle „ 374 (391) „ |Geschwindigk.
2. Misckungs verhaltniss (Dosirung). Eine theoretische Festsetzung
des besten Mischungsverhaltnisses ist nicht moglich, da hiefiir eine ganze Reihe
tbeoretischer und praktischer Faktoren fehlen. Dagegen ist durch eine hochst
umfassende Reihe von Erfahrungen nachgewiesen, dass das praktisch giinstigste,
die vollkommenste Verbrennung gebende Verhaltniss ungefahr jenes von 75 Salpeter,
10 Kohle und 15 Schwefel ist. Dieses oder ein nur wenig abweichendes Verhaltniss
kann heute fiir alle Gewehr- und Geschutzpulver beibehalten werden.
Zweifelhaft ist es noch, ob dieses Verhaltniss audi fiir Sprengpulver in jenen
Fallen, wo eine langsam wirkende Kraft wiinschenswerth ist (Riesenminen in
relativ weichem Stein, wie Kalkstein), das richtige, und ob es nicht vorzuziehen
sei_, die Verbrennung soldier Pulver durch bedeutende Herabsetzung des Salpeter-
gehaltes zu verzogern. Es sprechen aber auch hier sehr viele Griinde dafur, „nur
die beste, d. h. am vollkommensten verbrennendePulvermischung
zn verwenden" und durch Compression des Pulvers und andere, speciell der
Sprengtechnik angehorende Mittel die gewiinschte Modification der Wirkung zu
erreichen. Immerhin wird noch in manchen Landern sogenanntes Spreng- (Minen-)
pulver mit vermindertem Salpetergehalt erzeugt. Das franzosische Minenpulver hat
beispielsweise 62 Salpeter, 18 Kohle, 20 Schwefel.
4. Die Herstellung des Pulver satzes. Die Herstellung des Pulver-
satzes fordert das Kleinen der Rohmaterialien, deren vollkommen innige Mengung
und endlich die entsprechende Dichtung (Pressung) des so entstandenen Gemenges.
Die primitivsten Methoden sind jene, in welchen das Kleinen^ Mengen und Dichten
in einer Operation geschieht. Hiezu gehort in erster Reihe die Herstellung des
Pulversatzes durch Stampfmtihlen, seit 1435 in Anwendung und auch gegen-
wiirtig noch in einigen Landern theilweise im Gebrauch (Oesterreich, Deutschland,
Danemark etc.). In einer Reihe von morserahnlichen Stampflochern, in Eichen-
oder Buchenholz gehdhlt und etwa 0*4m weit und tief und zur Aufnahme von etwa
8 — 10 Kilo Satz bestimmt, wird Salpeter, Kohle und Schwefel in Form groben
Pulvers eingetragen und durch vertical auf- und abbewegte Stempel aus Holz,
welche unten einen Bronceschuh tragen und 17 — 40 Kg. schwer sind, unter zeit-
weiser Befeuchtung des Satzes zerkleinert und zugleich gemengt und gedichtet.
Die Anzahl Stosse pro Minute ist 55—60, die Dauer der Bearbeitung je nach der
Explosivstoffe (Schiesspulver).
323
1513.
Giite des Pulvers, der Schwere der Stampfen etc. 14—60 Stunden. Die Fallhohe
ist 0-3 — 0'bm (gewohnlich 0*432). Diese Methode ist entschieden zu verwerfen.
Sie fordert sehr viel Zeit, sehr viel mechanische Kraft (15 — 16 Millionen Kilo-
grammmeter pro 100 Kilo Pulver), viel Arbeiter (40 Arbeiterstunden pro 100 Kilo),
liefert ein wenig homogenes, nicht sehr festes und poroses Pulver, und ist so ge-
fahrlich, dass sie in England ganz verboten ist. Das Gleiche gilt fur eine analoge
Arbeitsweise, die noch in der Schweiz in Verwendung ist und in der die Stampfen
durch Hammer ersetzt sind. Ein weit besserer Vorgang, urn alle drei Operationen
zu vereinen, ist die Bearbeitung durch Walzmiihlen (Laufer-, Kollermiihlen). Die
Materialien werden auf eine Art horizontaler Stein- oder Eisenschale geschlittet,
auf der im Kreise sich zwei schwere Cylinder von Stein, Bronze oder Gusseisen
an einer horizontalen Achse, ahnlich wie bei Chocolademaschinen, bewegen und so
die Materialien zerreiben, mischen und durch ihre Schwere (bis zu 5000 Kilo
a Laufer) zugleich pressen. Die Detailbeschreibung einer solchen Construction folgt
spater. Aber auch diese Methode ist nicht rationelL fordert noch immer, besonders
bei sehr feinem Pulver, viel mechanische Arbeit (9 — 10 Millionen K.-M. pro 100 Kilo
guten Pulvers, feines englisches Pulver fordert sogar iiber 40 Millionen K.-M.)
und ist ebenfalls hochst gefahrlich.
Heute wird von der Vereinigung der Operationen des Kleinens, Mengens und
Dichtens in alien rationellen Pulverfabriken abgegangen. Das Kleinen der Roh-
materialien wird jedenfalls getrennt von der Mengung und Dichtung, in den meisten
Fallen sogar auch der Process der Dichtung getrennt von jenem der innigen
Mengung vorgenommen.
Das Kleinen der Substanzen (pulverisation, trituration des matieres
composantes — pulverizing the ingredients). Das Kleinen der einzelnen Bestand-
theile fur sich kann entweder in Stampfmiihlen (alteste unrationellste Methode),
in Walzmiihlen (ahnlich den Chocoladereib-
maschinen, fiir Schwefel auch oft ahnlich
den Kaifeereibmiihlen), oder in sogenannten
Pulverisir- oder Brechtrommeln geschehen.
Die Walzmiihlen sind den spater be-
schriebenen, zur innigen Mengung der
Materialien bestimmten ahnlich, nur haben
sie meist leichtere Laufer als diese. Die
Brechtrommeln sind von sehr verschie-
dener Construction und Dimension. Eine
gute Construction zeigt Fig. 1513. Die
Trommel besteht aus einem Cylinder von
starkem Eichenholz (2*2m Durchmesser,
l'6m Lange), der durch drei Eisenreifen
zusammengehalten und durch Holzboden
beiderseits geschlossen ist. Innen hat die
Trommel 24 Leisten aus Weissbuchen-
holz, welche in gleichen Abstanden von
einander parallel mit der Achse der Trom-
mel laufen. Die ganze innere Flache der
Trommel ist mit starkem Sohlleder be-
kleidet. Durch die Trommel geht eine
eiserne, in Metalllagern ruhende Achse,
welche im Innern der Trommel zuerst mit
Holz und dariiber mit Leder bekleidet
ist. Durch entsprechende Transmissions-
mittel kann die Trommel in Drehung ver-
setzt werden. Das Ein- und Ausbringen
der Materialien geschieht durch eine Oeffnung in der Mantelflache, welche wahrend
des Kleinens durch eine massive Thiire verschlossen wird. Ueber der Trommel
21*
324 Explosivstoffe (Schiessputver).
ist ein concentriscb.es Gehause aus Wackstaffet, das mit einer Klappe X geoffnet
oder geschlossen werden kann imd das Verstauben hindert. An dieses Gehause
seliliesst sich unten ein Drillichsack L, durck den die fertige Miscknng in unter-
gestellte Fasscken F fallt. Das Kleinen in solchen Trommeln gesckiebt dadurck,
dass die zu pulverisirenden Materialien mit kleinen Bronzekugeln von 4 — 15mm
Durckmesser eingebrackt und dann eine passende Zeit in Rotation erkalten werden.
Da Sckwefel sick sekr sckwer durck diese Metkode fur sick kleinen lasst (er ballt
unci erkitzt sick), wird er gewoknlick mit einem Theile Salpeter zusammengemengt.
In Spandau werden in Trommeln der angegebenen Construction 50 Kilo Kokle
mit 100 Kilo Bronzekugeln (von etwa 14cm Durckmesser) durck 900 Rotationen
(8 — 10 pro Minute) ; 44 Kilo Sckwefel mit 44 Kilo Salpeter durck 100 Kilo
Bronzekugeln (von 8 — 14cm Durchmesser) durck 1200 Umdrekungen gekleint.
Ist eine Ckarge pulverisirt, so wird der massive Deckel abgenommen, an seine
Stelle ein Messinggitter gesetzt, welcbes die Kugeln riickhalt, die feinen Materialien
aber in den Sack L fallen lasst. Die feme, leickt selbstentziindlicke Kokle wird
zweckmassig in gescklossenen Bleckkasten und feuerfesten Localitaten untergebrackt.
Wo man Salpeter und Sckwefel sckon in Form feinen Pulvers gewinnt, fallt
natiirlick eine besondere Kleinung kinweg. Es ist von Vortkeil auck dort, wo
man Trommeln zum Kleinen benlitzt, die groben Rokmaterialien zuerst mit Hammern
in Stiicke zu zerschlagen, dann unter einfacken Mtiklen grob und dann erst in den
Trommeln fein zu pulvern. Bei solckem Vorgang kann dann das Kleinen in
Trommeln als die rationellste Metkode angeseken werden.
In manchen Fabriken werden nur Miscbungen von je zwei Rokmaterialien
zusammengemengt, u. zw. Sckwefel mit einem Tkeile der Kokle (Sckwefelkoklen-
satz) uud Salpeter mit dem Rest der Kokle (Salpeterkoblensatz). Die Verkaltnisse
solcker „binarer" Miscbungen oder Satze miissen so sein, dass Schwefelkohlensatz
und Salpeterkoklensatz. in passenden Verbaltnissen zusammengemischt den rick-
tigen Pulversatz geben.
Das Mengen der gekleinten Materialien (melanger — mixing).
Das Mengen der fiir sick oder binar gekleinten Substanzen findet, wo man Stampf-
miiblen biefiir verwendete, in diesen, sonst aber in Mengtrommeln oder aufWalz-
miililen statt. Die Mengtrommeln sind ganz ahnlich den friiber beschriebenen
Brecbtrommeln construirt, nur ist die aussere Holzverkleidung meist durck ein
blosses Holzgerippe ersetzt, welcbes mit sekr starkem Soblenleder iiberzogen ist;
ausserdem werden alle Eisenbesckla'ge durck solcke aus Bronze oder Messing ersetzt.
In Spandau kommen in eine Trommel 20 Kilo Salpetersckwefel. (s. oben), 64 Kilo
Salpeter und 16KiloKoble mit 150 Kilo 8cm Bronzekugeln zusammen und werden
durck 1440 Umdrekungen (8 — 10 a Minute) gemengt. Die vorgesckriebene Touren-
zabl wird bei Brecb- und Mengtrommeln meist durch Zabhverke controllirt. In
mebreren der grossten Pulverfabriken, besonders in Frankreicb, England und seinen
Colonien gesckiekt das innige Mengen (the Incorporation) oft durck Walzmiiblen
(meules pesantes — incorporating mills), meist nacbdem friiber die drei Materialien
oberflacblicb in einer Art Mengtrommel, in der die Wirkung der Kugeln durck je
mekrere an der Acbse befestigter bronzener Arme ersetzt ist, gemengt wurden.
Fig. 1514 zeigt eine Walzmiilile der kbn. engliscken Pulverfabrik zu Waltbam-
Abbey. Die Miible bestebt aus einem Paar grosser scbwerer Laufer L L (meules
verticales — edge-runners) aus Eisen oder Stein, welcbe auf einer horizontalen
Lagcrscbale «S desselben Stoifes laufen. Die grossten Laufer baben bis zu 2-5 m
Durcbmesser und 5 — 6000 Kilo Gewicbt. Die Laufer sind auf einer starken Ho-
rizontalackse H befestigt, welcbe ihrerseits fest mit der Muffe m verbunden ist,
die derart auf der Verticalwelle V sitzt, dass sie sich wohl mit dieser drehen
muss, sich aber langs derselben vertical senken und heben kann, wobei dann
natiirlick die korizontale Ackse und die Laufer an dieser Bewegung Tkeil nehmen.
Die Acbse V wird durch eine passende Transmission unterhalb der Lagei-schale
in Drehung versetzt. Die 2 Laufer sind in verschiedenen Entfernungen von der
verticalen Achse befestigt. Die Muffe m tragt auf einem abwarts gehenden Arm
Explosivstoffe (Scbiesspulver
v,->:
ein pflugformiges Streifmesser R aus mit Filz oder Leder bescblagenem Holze,
welches den Zweck hat, die Pulvermasse zu wen den und unter die Laufer zu
bringen.
Wahrend der Bearbeitung muss die Pulvermasse von Zeit zu Zeit mit de-
stillirtem Wasser in dem Masse befeuchtet werden, dass sie am Scblusse der Arbeit
2 — 3°/n Wasser enthalt. Trotz dieser Befeuclitung wird die Masse gegen das
326
Explosivstoffe (Schiesspulver).
Ende der Arbeit ausserst explosiv und die Arbeit somit sehr gefahrlich. In England
diirfen nur 25 Kilo auf einmal unter die Laufer kommen und dauert die Arbeit
bei Gewebrpulver 5, bei Geschtitzpulver 3 Stunden.
In Form eines weichen Kuchens verlasst das Pulver die Walzmiihlen und
wird in holzernen Fassern zur weiteren Verarbeitung aufbewabrt.
Es ist beute nocb eiue offene Frage, ob nicbt die Mengung nur in Trommeln,
welcbe weniger Arbeitskraft und viel weniger Anlagekapital fordern und weniger
gefahrlich ist, ein eben so gutes Product liefern kann, als die Bearbeitung durch
Laufer.
Eine innige Mischung ist jedenfalls von sehr hohem Einflusse auf die Giite
des Pulvers und bringt eine Verlangerung der Bearbeitungsdauer unter den Laufern
innerhalb gewisser Grenzen eine bedeutende Steigerung der Anfangsgeschwindigkeit
und eine Herabsetzung der Gasdrilcke mit sich.
So ergaben Versuche in England:
Mit Faulbaumholzkohle
erzeugtes Pulver von
Hall & Sons
Mit der Zunahme der Mahlzeit sinkt die Dichtigkeit des Satzes.
Das Die h ten oder Pressen des Pulver satzes (compression du
melange temaire — 2')ress^n9)- Dichte und Harte des Pulvers sind von mass-
gebendstem Einfluss auf die Wirkung, miissen also genau eingehalten werden. Die
entsprechende Dichte wird durch Volumverminderung (Pressen), die nothige Harte
durch Anwendung eines bestimmten Feuchtigkeitsgrades wahrend der Pressung
erreicht. Die moderne Pulverfabrication sucht grosse Dichte und Harte zu er-
reichen zur Schonung der Rohre und zur Vergrbsserung der Widerstandsfahigkeit
des Pulvers gegen mechanische Erschiitterungen und den Einfluss der Feuchtigkeit.
Zu grosse Dichte kann aber ebenfalls sckadlich sein und die Wirkung zu stark
herabsetzen, so ergaben beim Feuern aus dem 10-zolligen Geschiitze;
70 Pfd. pebble Pulver mit Dichte 1-84 . 1288 Fuss Anfangsgeschwindigkeit,
10 „ „ „ „ „ 1-81 |
60 „ ■ „ „ 1-78 \
Korngrosse
Anfangsge-
schwindigkeit
Grosster
Gasdruck
2 Stunden
gemahlen
25mm
16mm
450m
441m
2142- Atm.
3154 „
8 Stunden
gemahlen
25mm
16™
462m
460m
1897 Atm.
3106 „
1424
Fiir jede Geschiitzgattung ist experiinenteli die richtige Pulverdichte zu be-
stimmen.
Die Verdichtung des Pulvers geschieht durch Schrauben-, Walzen- oder hy-
draulische Pressen. Wurde der Pulversatz in Trommeln erzeugt, so muss er vor
dem Einbringen in die Pressen angefeuchtet werden ; wurde der Satz unter Laufern
bearbeitet, wo er bereits eine ziemliche Consistenz erlangt hat, so muss er friiher
in Stticke zerschlagen werden. Die Construction der Schrauben- und der hydrau-
lischen Pressen ist im Wesentlichen ganz gleich jener gleichbenannter Pressen fiir
andere Zwecke. Die Grosse der Pressung wird in beiden Fallen nur durch die
erzielten Volumveranderungen gemessen, welche das Pulver wahrend der Pressung
erleidet. Man bringt das Pulver meist in 20 — 40r von einander durch feuchte
Leinwand oder Metallplatten getrennten, 1 — 2cm hohen Schichten auf die Press-
platte und setzt es dann einem Drucke aus, der bis zu 130 Atmospharen steigt.
Das Pulver wird hiebei etwa auf V3 seines friiheren Volumens comprimirt.
Eine eigentliiimliche Construction haben die Walzenpressen, welche besonders
in Deutschland und Frankreich verbreitet sind. Fig. 1515 zeigt eine Walzenpresse
deutscher Construction. Zwischen zwei paralellen Wanden a a, deren jede aus
zwei von einander getrennten Balken b b besteht, befinden sich 3 Walzen, von denen
Explosivstoffe (Schiesspulver).
327
sich die oberen mit ihren Aclisen in den durch die Balken b b in den Wanden
a a gebildeten Fiihrungen auf- und abbewegen konnen. Die uhterste Walze wx
(Triebwalze) hat feste Lager und wird von der Triebkraft der Fabrik durch eine
passende Transmission in Bewegung gesetzt. Die mittlere Walze w?2 ist aus Papier,
liegt frei auf der Triebwalze auf und wird von dieser durch Friction mitgenommen,
die obere w;i (Druckwalze) ist aus Metall. Zwischen wq und w.A geht ein aus
starkein Segeltuch gefertigtes Band ohne Ende, welches durch die kleine Walze iv0
in der Richtung des Pfeiles / bewegt und so zwischen it\ und w3 durcligezogen
wird. Ueber dem Bande ohne Ende sitzt ein Aufschuttkasten K, in welchen das ange-
feuchtete (10 °/0 Wasser enthaltende) Pulver kommt, durch OefFnen des Schiebers S in
mehr oder weniger dichter Schichte auf das Band fallt, mit diesem zwischen den Walzen
w„ und iv3 durcligezogen, durch den Druck der letzteren comprimirt wird und auf
der anderen Seite in passende Aufnahmsgefasse fallt. Auf den Zap fen der Walze
Fig. 1515.
w3 sitzen in den Schlitzen der Balken b b zwei Balken h h, iiber welche ein
Querbalken g greift, der als Auflager eines langen, um den festen Punkt i dreh-
baren Hebels H H dient. Indem man durch eine passende, aus Flaschenziigen
und Hebeln combinirte Vorrichtuug das Ende H entsprechend stark niederzieht,
kann man auf die Walze w.A und damit auf den Pulverkuchen einen sehr starken
Druck ausiiben. Passende Verhaltnisse ergeben sich, wenn die Pulverschichte etwa
von 30cm auf 10cm Hohe niedergepresst wird und die Druckwalze bei 10 Touren
pro Minute ca. 10.000 Kg. Druck ausubt. Eine solche Presse kann taglich bis
1000 Kilo Pulver pressen.
Gut eingerichtete hydraulische Pressen sind jedenfalls den Walzenpressen
vorzuziehen.
Explosionen wahrend der Pressung sind haufig und gehoren zu den zer-
storendsten und heftigsten.
Das Pulver verlasst die Pressen in Form fester, schieferartiger Kuchen und
muss durch die folgenden Operationen zunachst in die entsprechende Form ge-
bracht werden.
5. Das Kornen (le grenage — granulating). Das Kornen hat den Zweck,
den harten Pulverkuchen in Korner bestimmter Grosse zu zertheilen. Die meisten
der hiezu verwendeten Vorrichtungen lassen sich in 2 Gruppen theilen, in die
328
Explosivstoffe (Schiesspulver)
Lefebere'scben und in die C o n g r e v e'scben Kornmaschinen. Die Construction
der Ersteren, ineist auf dem Continent in Gebrauch, zeigen die Fig. 1516 a u. b.
Dei* Hauptbestand-
Fiq. 1516 a. theil der Mascbine
ist eine Anzabl (8
bis 12) symetrisch
nm einen Mittel-
punkt auf einem
horizontal en Rah-
men befestigter
Siebsysteme S, $2
S3, deren jedes fol-
gende Detailcon-
struction bat (Fig.
1516 Z>). In einem
cylindrischen Holz-
gestelle sind 3 Sie-
be eingesetzt ax aa
a3. Das oberste
Sieb bat ein Mes-
singgewebe mit
etwa 5cm weiten
Mascben, ausser-
dem enthalt es
zwei grossere Oetf-
nungen o o, von
welchen aus ge-
krummte Kupfer-
scbaufeln K nach
dem 2. Siebe a2
berabfiihreu und
dieses tangiren. Auf dem Obersieb liegt
frei eine Eichenbolzscbeibe E, welcbe an
ibrer Unterflache sternformig ausgenom-
men und durcb ' Bleieinguss immer im
Gewicbte von 3 Kilo erhalten wird. Die
Mascbenweite des Mittelsiebes a„ ent-
spricbt der zu producirenden Kornergrosse,
wabrend das Untersieb die zu feinen
Theilc durchlasst. Der Rabmen, auf dem
sammtliche Siebsysteme befestigt sind,
kann durch eine Excenterwelle W W,
welcbe in passender Weise (z. B. durch
eine Trommel M) ihren Antrieb erhalt, in
eine schiittelnde, riittelnde Bewegung ver-
setzt werden, die sicb den Sieben mit-
theilt. Jedes Sieb ist oben mit einem
Deckel verschlossen, durch den je ein
Lederschlauch Ln L„ nach einem Kupfer-
trichter T, , T„ fiihrt," der zum Einschutten
des in grobe Stiicke zerschlagenen Pulver-
kuchens dient. Der auf das Obersieb
fallende Kuchen wird durch die Korn-
scbeiben zerrieben, fallt auf das Mittel-
sieb mid von bier die entsprecbend grossen Korner Nr in die Aufnahmsgefasse
far das gekornie Pulver. Die durch das Untersieb gebenden Theile gelangen eben-
Explosivstoffe (Schiesspnlver
329
falls durcli Schlauche P,, P2 in separate Gefasse. Die durch das Obersieb
lenden Theile, welche noch zu gross sind, urn durch das Mittelsieb zu gehen,
den durch die Centrifugalkraft auf den schiefen Flachen K aufwarts geschleu
gelangen so durch
die Oeffnungen 0
wieder auf das
Obersieb und unter
die Kornscheiben.
Eine bessere
Construction, und
vielleicht mit pas-
senden Verander-
ungen auch fur
die grosskornigen
Geschiitzpulver an-
wendbar, ist die
"Cong re ve'sche
K6rnmaschine(Fig.
1517).Viermitent-
sprechend geform-
ten Zahnen verse-
hen e Walzenpaare
aus Bronze tt\ w„
w3 iv 4 sind in ge-
neigter Richtung
iiber einander an-
gebracht. Die Wal-
zen jedes Paares
konnen durch Stell-
schrauben pas send
von einander ent-
fernt werden. Von
einem Rollenpaar
zum anderen fiih-
ren geneigte kurze
Drahtsiebe s, s„ s3.
Unter sammtlichen
Rollenpaaren hin-
weg, paralell zu
einander, laufen
zwei grosse Siebe
N N und M M
und eine voile Ebe-
ne PP, die saramt-
lich durch einen
Holzrahmen mit
einander verbun-
den sind u. sammt
den genannten kur-
zen Sieben in eine
rtittelnde Bewe-
gung versetzt wer-
den konnen. Das
Pulver wird in ein Aufnahmsgefa'ss A geschiittet
ohne Ende B B aufwarts und zwischen
der Maschine ist selbstverstandlich.
fal-
Aver-
dert7
und von hier durch ein Band
die Walzen gefiihrt. Das weitere Spiel
330 Explosivstoffe (Schiesspulver).
Will man sehr grosskorniges Pulver (jpelletpowder) erzeugen, so wird die
Zertheilung des Pulverkuchens ebenfalls durcli ahnlicke, mit passend geformten
Zahnen versehene Walzenpaare oder durch Schneidmaschinen, welche ahrilich grossen
Zuckersckeeren sind, vorgenommen.
Auch die Kornung ist im Allgemeinen eine gefahrliche Operation. Von 29
grossen Pulverexplosionen in England, zwischen Mai 1858 bis Juni 1870, ent-
standen eilf wahrend der Kornung und verungliickten dabei 45 Menschen.
6. Erste Trocknung des Komp ul vers (sechage — drying). Das
Pulver komnit aus der Kornmaschine in geraumige Trockensale, deren Construction
guten Luftzug gestattet und wird bier in diinnen Scbichten auf etagenformig iiber
einander liegenden holzernen, gitterformigen, mit Leinwand iiberspannten Trocken-
tafeln ausgebreitet, und bleibt so lange liegen, bis es nur noch 2V2— 3% Wasser
enthalt. Dieses Lufttrocknen dauert bei feuchter Witterung bis zu 14 Tagen.
7. Erstes Sortiren undAusstauben. Die Kornmaschienen liefern Kor-
ner sebr verscbiedener Grosse und mit viel Staub gemengt. Nach dem Lufttrocknen
wird deshalb ein vorlaufiges Sortiren und Entstauben vorgenommen. Gut ver-
wendbar hiezu sind grosse, an 4 Riemen hangende borizontale Siebkasten, welche
durch verticale Wande in 12 Abtheilungen getbeilt sind, deren jede ein Obersieb
enthalt, welches die zu grossen Korner riickhalt, wahrend die anderen auf das
darunter liegende Sieb fallen, welches die Geschiitzpulverkorner zuriickhalt, die
kleineren, fur Gewehrpulver bestimmten, aber auf ein Haarsieb fallen lasst, welches
den Staub allein durchlasst. Jede Abtheilung wird von oben mit etwa 4 Kilo be-
schickt, das Sieb von 2 Arbeitern in schiittelnde Bewegung versetzt und nach
IV2 — 2 Minuten die Abtheilungen entleert.*)
8. P 0 1 i r e n d e r K 0 r n e r (lissage — glazing). Die Operation des sogenann-
ten Polirens hat den Zweck, die scharfen, sich leicht abbrockelnden Ecken und Kanten
der Korner abzuschleifen, die Poren zu verstopfen und den Kornern eine feste
glatte Oberflache zu geben. Im Allgemeinen wendet man zum Poliren Holz-
trommeln an, die ahnlich den Mengtrommeln construirt sind, nur dass die Achsen
meist nicht durch die Trommeln gehen, sondern an deren Stirnflachen direct be-
festigt sind. Das Poliren erfolgt einfach durcli gegenseitige Reibung der einge-
brachten Korner aneinander wahrend der Drehung der Trommeln. In Spandau
haben diese Trommeln etwa l'8m Durchmesser, 0-6m Lange, nehmen auf einmal
200 Kilo Pulver auf uud fordert deren Politur circa 3600 Drehungen, wovon 10
(bei Geschiitzpulver), 12 — 16 (bei Gewehrpulver) auf die Minute gehen, Graphit-
zusatze werden nur bei grobem Pulver genommen, bei feinem sind sie schadlich.
Starker Glanz des Pulvers ist ohnedies kein Zeichen der Giite.
9. Trocknung des Pulvers. Obwohl das Pulver wahrend des Polirens
einen grossen Theil seiner Feuchtigkeit verliert, hat es bei Beendigung desselben
doch noch immer 1 '/„ — 2 °/0 Wasser, von denen es befreit werden muss. In
manchen kleinen Fabriken geschielit dies noch durch Trocknen an der Luft oder
in sehr primitiven, bios durch Oefen geheizten Trockenstiiben. In alien grosseren,
besser eingerichteten Fabriken hat man nur Trockenstuben mit Warmwasserheizung,
in denen der Feuerherd vollkommen vom Trockenraume getrennt ist. Meist ist
die Einrichtung derart getroffen, dass die erwarmte trockene Luft in Trockenkasten
tritt, welche oben mit Drahtgeflechten und dariiber mit leinenen Decken iiberzogen
sind, auf welche das Pulver in diinnen Scbichten ausgebreitet wird. Die warme
Luft stromt so durcli die Pulverschichte und nimmt deren Feuchtigkeit leicht mit.
Das Trocknen muss langsam geschehen, bei einer Temperatur, welche zwischen
50—60° C. bleibt. Das Trocknen bei 58° C. in 1— 2cm hohen Schichten und
unter neissi°rem Umriihren dauert etwa 1 Stunde.
-) In manchen Fabriken wird das Ausstaubeii in rotirenden Sieben vorgenommen. Das
Lufttrocknen vor dem Ausstauben bleibt weg, wenn durch das Pressen ein sehr fester,
■\venig Feuchtigkeit enthaltender Pulverkuchen gewonnen wird.
Explosivstoffe (Schiesspulver). 331
10. DasAusstauben des trockenenPulvers (epoussetage — dusting).
Sehr grobkbrniges Pulver, z. B. das engliscbe Rifle Large Grain wird nach
dera Trockneu sogleich in Fasser verpackt, feinere Pulversorten werden nach dem
Trocknen nochmals entstaubt. Man beniitzt hiezu entweder wieder einfache Sieb-
vorrichtungen oder in vielen Fabriken Leinensacke verschiedener Form und Grosse,
in welche das Pulver kbinmt und in passender Weise in den Sacken einer
schiitteluden Bewegung ausgesetzt wird. Das Ausstauben in Sacken dauert circa
1 Stunde bei Geschiitzpulver, 2 Stunden bei Gewebrpulver.
11. Das Sortiren des Pulvers. Die auf das 1. Sortiren folgenden ver-
schiedenen Operationen verandern wieder derart die Korngrbsse, dass ein 2. Sortiren,
in ganz ahnlichen Apparaten wie beim 1. Sortiren, nothwendig wird, eine Operation,
die fur 25 Kilo Pulver die Arbeitskraft von 2 Mann durch ^^inuten fordert.
12. Das Men gen der erzeugten Pulver. Um fur die Verwendung
moglichst gleichfbrmiges Pulver zu haben, wird das erzeugte Pulver noch derart
in passender Weise zusammengemengt, dass die zufalligen unvermeidlichen Diffe-
renzen in Feuchtigkeitsgekalt, Dichte, Zusammensetzung etc. moglichst ausgeglichen
werden, und man immer Mengen von 5000 — 10.000 Kilo erhalt, welche praktisch
genommen durchaus dieselbe Zusammensetzung haben.
13. Die Methode der Pulvererzeugung nach Champ y. Eine fur
die Erzeugung von Minenpulver wichtige Abweichung von den bisher skizzirten
Fabricationsmethoden ist das Verfahren nach Champy. Die gewohnliche Methode,
gekbrntes Pulver herzustellen, ist zeitraubend, kostspielig und gefahrlich, leider
aber fur alle Gewehr- und Geschtitzpulver nicht zu umgehen. Versuche zur Zeit
der ersten franzosischen Revolution ausgefiihrt (in Vincennes 1795) zeigten, dass
eine feuchte Pulvermasse schon durch Schiitteln in Tonnen sich in Form runder
Kbrner bringen lasse. Champy griindete hierauf folgende Kornungsmethode : Der
Apparat der Kornung ist eine Trommel, ganz ahnlich jener zur Erzeugung des
Pulversatzes, nur fiihrt durch eine der Stirnflachen in das Innere der Trommel
ein Kupferrohrchen, welches mit einer Art Brause endet, und welches gestattet,
genau abgemessene Wassermengen in feinen Strahlen in die Trommel einzuspritzen.
In die Trommel kommen 50 Kilo Pulvermasse in Form sehr kleiner Kbrner, dann
setzt man die Trommel in Bewegung, lasst etwa 5 Kilo Wasser durch die Brause
zutreten, wodurch die Korner befeuchtet werden und bringt dann weitere 50 Kilo
Pulver in Staubform zu. Die feuchten Kornchen werden von diesem umhilllt und
vergrbssern sich wahrend der weiteren Drehung der Trommel bis zum gewiinschten
Masse. Man erhalt so rundes Kornpulver, welches nur mehr getrocknet, sortirt
und entstaubt wird. Die feinsten Kbrner kommen wieder zur nachsten Operation.
Fiir Minenpulver ist diese Arbeitsmethode praktisch noch viel im Gebrauch, und
lasst sich mit ihr Pulver von einer Dichte bis zu 1*5 erreichen.
14. Gepresstes Pulver. Die sogenannten comprimirten Kartatschen,
namlich ganze Ladungen, direct durch Pressung des Pulversatzes in die gewiinschte
Ladungsform erzeugt, haben durchaus' ungiinstige Resultate ergeben und finden
nur noch fiir Minenpulver Verwendung. Dagegen werden heute fiir alle schweren
Geschutze nur Pulversorten verwendet, welche aus grossen Kbrnern stark gepressten
Pulvers bestehen. Diese Kbrner werden entweder direct aus dem unter starken
Pressen gewonnenen Pulverkuchen dadurch gewonnen, dass man diesen in Stlicke
der gewunschten Grosse zerschlagt oder zerschneidet, diese Stiicke durch Siebe
mit grober Maschenweite sortirt und dann weiter wie gewbhnlich in Polirtrommeln
behandelt, oder aber man presst aus feinem Mehlpulver unter sehr hohem Drucke
Kbrner in regelmassige Form. Zu den ersteren Sorten gehbren das amerikanische
Mammuthpulver (Kbrner von 1-5 — 2'6cm Durchmesser), das engliscbe Kieselpulver
(mit Kbrnern von i-7cm Grosse), zu den letzteren Sorten das engliscbe Cylinder-
pulver (regelmassige Cylinder von l-8cmDurchm., l*2cm Hbhe), und das sogenannte
prismatische Pulver (sechsseitige Prismen von 4-0cm Durchmesser, 2*5cm Hbhe,
welche paralell ihrer Achse mit 7 Durchbohrungen von etwa 0#45cm Weite ver-
sehen sind). Dieses gepresste grobkbrnige Pulver hat eine Dichte von 1-75 bis
332
Explosivstoffe (Schiesspulver).
1-82. Um diese Dichte zu erreichen, muss das Pulver einem sehr starken Drucke
ausgesetzt werden, der beispielsweise bei dem englischeu Cylinderpulver etwa
80 Atmospharen betragt.
Das Princip einer guten englischeu Maschine zur Erzeugung von Pellet-Pulver
ist folgendes (Fig 1518 a b): In einer starken Metallplatte A sind eine Reihe
Durchboliriingen B genau von dem Durchmesser der zu erzeugenden Korner, welche
unten durch bewegliche Stempel C versclilossen sind, die ibrerseits durch eine
diinnere Metallplatte D gehen. Das Querhaupt Et tragt eine Reihe daran be-
festigter Stempel T; genau centrisch mit den Oeffnungen B. Querhaupt Et und
daran befestigte Stempel werden durch das Niedergehen des unteren Presskopfes
P„ herabgezogen. (P„ driickt auf E2 und zieht dadurch E1 herab.) Die Fiihrungs-
saulen S S haben Schultern K K, durch welche das Spiel der Querhaupter EtEq
begrenzt wird. Das Spiel der Maschine ist nun folgendes : Der ganze Theil
A, B, C, D, welcher 200 Oeffnungen B enthalt, kann um eine horizontale Achse
Fig. 1518.
aus der Presse herausgedreht, dann leicht alle 200 Oeffnungen B mit Pulver
gefiillt und dann wieder unter die Presse zuriickgebracht werden derart, dass alle
kleinen Stempel C iiber den oberen Presskopf P1 zu liegen kommen. Beginnt
die Presse ihr Spiel, so steigt das Querhaupt El herab und alle Formen werden
(lurch die Stempel T oben fest versclilossen; gleichzeitig hebt sich der Presskopf
P, und presst die unteren Stempel C mit voller Kraft in die Formen. Ist das
Pulver so in die entsprechende Form gepresst, so hebt sich E,, die Stempel C
bewcgen sich aber noch weiter nach aufwarts und pressen dabei die fertigen
Korner aus den Formen heraus. Die Korner nahern sich der kugelfdrmigen Ge-
stalt und sollen sich besser bewahren als rein cylindriscbe.
II. Surrogate des Schiesspul vers. Als solche soil jenes Pulver be-
zeichnet werden, welches in der Hauptsache ein mechanisches Gemenge sauerstoff-
und kohlenstoffreicher Korper ist.
a) Ersatz des Kalisalpeters: Natronsalpeter, vielfach versucht,
gibt ein zu hygroscopisches Pulver; Bary tsalpeter, besonders von Belgien und
Explosivstoffe (Schiesspulver-Surrogate). 333
Preussen eingehenden Versuchen unterzogen, gibt Pulver, das zu heftig wirkt,
mehr Fenclitigkeit als gewohnliches Pulver anzieht und zu viel Riickstand erzeugt ;
chlorsaures (oder iiberchlorsaures) Kali ist viel zu heftig wirkend (zu
brisant), audi im Verhaltnisse zur Vermehrung des Nutzeffectes zu theuer. Keines
dieser Ersatzmit'tel hat sich als lebensfahig erwiesen. Beztiglich pikrinsaurem Kali
siehe unten.
h) E r s a t z d"er H o 1 z k o h 1 e. Versucht wurdeu Zucker, Blutlaugensal z,
feiner HolzstofF, Starke, mineralische Kohle, Gerbsaure etc. Durchaus ohne prakti-
schen Erfolg. Gute Holzkohle zeigte sich bisher als der beste kohlenstoffreiche
Korper.
c) Pulver ohne Schwefel. In einer Reihe Pulver, die aber ebenfalls
meist wenig Verbreitung erlangten, ist der Schwefel' einfach weggelassen, ohne aber
durch einen chemisch analog wirkenden Korper ersetzt zu werden.
d) Specielle Zusammensetzungen von Surrogatpulver.
Weisses Pulver von Augendre: Pulver von Sharp & Smith:
Chlorsaures Kali 40 Chlorsaures Kali 2
Gelbes Blutlaugensalz 25 Kalisalpeter 2
Weisser Zucker 25 Rothes Blutlaugensalz 1
Aus gleichen Stoffen besteht audi Weinsteinsaures Kali 2
Po Ill's und Reveley's Pulver. Schwefel 2
Kraft's Pulver: chlors. Kali, humussaures Ammoniak, Kalisalpeter und
Schwefel.
Call ou's Pulver: chlors. Kali und Auripigment.
Spencer's Pulver: chlors. Kali, Stein- und Holzkohle, Sagespane und
doppelt-kohlensaures Natron.
Ehrhardt's Pulver: chlors. Kali, Kalisalpeter, Catechu und Holzkohle.
Kellow & Short's Pulver : chlors. Kali, Kali- und Natronsalpeter, Schwefel,
Lohe und Sagespane.
Horsley's Pulver: 9 Thl. chlors. Kali, 3 Thl. Gallapfel.
N i s s e r's Pulver : Ueberchlorsaures oder chlors. Kali, Ferro- oder Ferrid-
cyankaliurn, Kali- oder Natronsalpeter, PflanzenstofF, Steinkohle, Schwefel.
H aim's Pulver: chlors. Kali, Schwefelantinion, Kohle.
Melland's Schiesspapier: Papier getrankt in Losung von 9 Thl. chlors.
Kali, 4% Thl. Kalisalpeter^ 374 Thl. gelbes Blutlaugeusalz, r/,6 chromsaures
Kali mitV/4 Thl. Holzkohle und 720 Starke.
D e T r e t's Pulver (Pyronone) : Natronsalpeter, Schwefel, Lohe.
Devey's Pulver: Natronsalpeter, Schwefel, Kohle und eine schleimige
Substanz (Mehl, Starke etc.) als Teig geformt, gekornt und getrocknet.
Das Pulver von Or land, Eaton, Schwarz ist ein Gemenge aus Kali-
und Natronsalpeter mit Stein- und Holzkohle ; S c h a f f e r & B u d e n b e r g's Spreng-
pulver hat ausserdein noch einen Zusatz von Seignettesalz.
Oiler's Pudrolith besteht aus: Carboazotine ist ein Gemenge von:
Kalisalpeter 68 Kali- oder Natronsalpeter . . 50 — 60
Natronsalpeter 3 Schwefel • . . 13 — 14.
Barytsalpeter 3 Kohle oder Sagemehl .... 14 — 16
Schwefel 12 Russ 9—18
Holzkohle, Sagemehl, Lohe . . . .14 Eisenvitriol 5 — 6
Der Pyrolithe von Terre und M e r c a d e r ist ein Gemenge von Kalisalpeter,
Sagemehl und Schwefel mit oder ohne Zusatz von Natronsalpeter und Steinkohle.
Typus eines Pulvers mit Barytsalpeter ist Wynaud's Saxifragine be-
stehend aus : 76 Thl. Barytsalpeter, 2 Thl. Kalisalpeter und 22 Thl. Holz-
kohle.
Aehnlich ist Newton's und K tip's Pulver, nur enthalt letzteres noch
Schwefel.
Fehleisen's Haloxylin ist ein Gemenge von Kohle, Kalisalpeter und
gelbem Blutlaugensalz.
334 Explosivstoffe (Nitroglycerinpulver oder Dynamite).
III. Die Nitroglycerinpulver oder Dynamite (la dynamite —
the dynamite).
a. Geschichtliche Notizen, Zusammensetzung und Eigen-
s ch af ten. Der neutrale Salpetersaureather des Glycerins C3ff&(0N0Q):i, in der Tech-
nik Nitroglycerin oder Sprengol genannt, bildet die Grundlage der wichtigsten
Sprengmittel der Neuzeit. 1847 von Sobrero entdeckt wurde das Nitroglycerin
erst 1863 durch Nobel, nachdem dieser eine praktische, wenig gefahrliche Methode
zur fabriksmassigen Erzeugung gefunden hatte, in die Technik eingefiihrt. Es
zeigte sich aber bald, dass Nitroglycerin im flitssigen Zustande ein so gefahrlicher
Sprengstoff sei, dass seine praktische Verwendung in diesem Zustande unzulassig
wurde. Audi Nobels Vorschlag, durch Zusatz von 15— 20% Methylalkohol das
Sprengol wahrend des Transportes unexplosiv zu machen und es am Gebrauchsorte
durch Mischen mit Wasser von dieser Beimischung zu trennen, hat sich als unpraktisch
erwiesen. 1864 machte Nobel die Entdeckung, dass Nitroglycerin, mit passenden
porosen Korpern in bestimmten Verhaltnissen gemischt, vorziigliche Sprengstoffe
gebe, welche die Verwendung der hohen Sprengkraft des Nitroglycerins, unter
Vermeidung seiner bedeutenden Gefahrlichkeit , zulassen. Diese Sprengstoffe,
Nitroglycerin gemengt mit saugfahigen Korpern, haben von Nobel
den Nam en Dynamite erhalten.
Nitroglycerin, einer der starksten bekannten Explosivstoffe, ensteht durch
Einwirkung bestimmter Gemische starker Schwefel- und Salpetersaure auf Glycerin.
Es ist eine hellgelbe, olartige Fliissigkeit, geruchlos, von siisslichem, brennendem
Geschmack, loslich in Alkohol und Aether, unloslich in Wasser. Durch Flamme
schwer entziindlich, brennt es selbst in grosseren Quantitaten ruhig ab, bei vor-
sichtigem Erwarmen zwischen 100 und 150° verdampft es, siedet bei 185°, detonirt
bei etwa 250°. — Bei hoheren Temperaturen kann wieder Zersetzung ohne
Detonation eintreten. — Dagegen explodirt es in beliebig grossen Massen mit
grosster Heftigkeit, wenn man in irgend einem Theile der Fliissigkeit eine geringe
Menge bestimmter Knallpraparate (z. B. 0-2—0-5 Gramm Knallquecksilber in
einem Kupferhiitchen eingeschlossen) zur Detonation bringt. — Diese Methode,
gewisse Sprengstoffe dadurch zu vollstandiger Explosion zu bringen, dass man
die Detonation kleiner Mengen Knallsatze auf sie iibertragt, wird die Ziindung
durch Detonation genannt. Sie bildet eine der fruchtbarsten Entdeckungen
auf dem Gebiete der Sprengtechnik, die dem schwedischen Iugenieur Alfred Nobel
zu danken ist. Die Gesehwindigkeit der Fortpflanzung der auf solche Art erzeugten
Explosion irgend eines Nitroglycerintheilchens durch die Masse des Nitroglycerins
betragt etwa 6000 Meter pro Secunde. Grosse Massen gelangen also fast momentan
zu voller Explosion. Zwischen +8 und +10° C. erstarrt (gefriert) das Nitroglycerin
zu farblosen, durchsichtigen Krystallen. Die Dichte des fliissigen Nitroglycerins
ist 1-6, die des gefrorenen 1-735. Nitroglycerin ist giftig, verursacht in fliissigem
Zustande und auch schon durch seinen Dampf heftigen Kopfschmerz, Mattigkeit,
Schwindel. In diinnen Schichten explodirt es mit Heftigkeit, wenn es starken
Schlagen oder Stossen zwischen harten Korpern ausgesetzt wird. Reines Nitro-
glycerin ist ein sehr stabiler Korper, bleibt Jahre lang unter den praktisch zu
beachtenden Temperaturverhaltnissen, selbst unter dem mehrwochentlichen Einfluss
von 50 — 60° C. vollkommen unverandert. Die caustischen Alkalien zerlegen das
Sprengol unter Bildung salpetersaurer Salze und Glycerin. Die Zersetzungsproducte bei
der Detonation sind noch unbekannt, wahrscheinlich sind es Kohlensaure, Wasser-
dampf, Stickstotf und Sauerstoff. Nach den heutigen tbeoretischen Anschauungen
ist das Verliiiltniss der Energie des Nitroglycerins zu der des Schwarzpulvers
ungefahr wie 2:1; das Verba'ltniss der grossten Pressungeu bei Explosion in
allseitig geschlossenem Raume etwa wie 100 : 8. Diesem letzteren Verhaltnisse
ist ungefahr die Sprengkraft gegen sehr feste Medien proportional. Da die Kraft
des Nitroglycerins in weit geriugerer Zeit zu voller Entwicklung gebracht werden
kann als die des Schwarzpulvers (Nitroglycerin weit brisanter als Pulver ist),
kann Nitroglycerin zu bestimmten Zwecken (Sprengungen mit ofFen liegenden
Explosivstoffe (Nitroglycerinpulver oder Dynamite). 335
Ladungen) eine Kraft entwickeln, welche die des Schwarzpulvers noch weit mehr
als in letzt angegebenem Verkaltnisse iibersteigt. Dagegen vermindert sich das
Kraftverhaltniss zu Gunsten des Schwarzpulvers, wenn in weichen Medien (Erde)
gewirkt werden soil. Das praktische Kraftverhaltniss ist also von dem Materiale,
in dem gewirkt werden soil, von der Art und Umschliessung der Ladungen
abhangig.
Die Eigenschaften der Dynamite sind bedingt durch jene des Nitroglycerins
und der zu dessen Aufsaugung verwendeten Stoffe. Im Allgemeinen sind es Pulver
von grobkbrniger, fettiger, mehr weniger plastischer Beschaffenheit, einem zwischen
. 1-0 und 1*6 wechselnden specifischen Gewichte und einer durch den Aufsaugestoff
bedingten wechselnden Farbung. Gegen Feuer, gliihende Kohlen, verhalten sie
sich im Allgemeinen, wenn der Aufsaugestoff nicht selbst sehr verbrennlicher
Natur ist, wie das Nitroglycerin. Gei'ingere Quantitaten brennen meist ruhig ab,
wahrend bei grosseren Mengen audi durch blosse Entztindung eine Explosion
herbeigefiihrt werden kann. Gegen mechanische Einwirkungen, wie starke Stbsse
und Schlage, sind gute Dynamite so weit unempfindlich, dass sie unbedenklich
alien Erschiitterungen des Transportes zu Wagen oder per Eisenbahn ausgesetzt
werden kbnnen. Hierin liegt ihr ungeheuerer Vortheil gegeniiber dem fliissigen
Nitroglycerin, welches eben wahrend des Transportes enorm gefahrlich ist.
Dynamite mit unorganischen Aufsaugestoffen geben im Wasser das Nitro-
glycerin ab (hiezu gehbren das Nobefsche Dynamit I, dann alle sogenannten
Salpeterdynamite, d. h. Dynamite, welche im Aufsaugestoff Salpeter enthalten).
Dynamite mit bios organischen, passend praparirten Aufsaugemitteln sind in Wasser
vollkommen unverandert. (Cellulose-Dynamit und Schiesswolldynamit.)
Gleich dem Nitroglycerin bediirfen auch die Dynamite, urn mit Sicherheit zu
explodiren, einer besonderen Ziindungsweise, der sogenannten Detonationsziindung,
welche meist darin besteht, dass man geringe Mengen (02 — 0-4 Gramm) Knall-
quecksilber, in einem Kupferhiitchen eingeschlossen, in passender Weise im Innern
des Dynamits zur Detonation bringt.
Wie das Nitroglycerin, so frieren (erharten) auch die Dynamite bei Tempe-
raturen unter 8° C. und miissen dann vor der Verwendung in passender Weise
aufgethaut oder durch sehr starke Kapseln oder besondere Ztindpatronen zur
Explosion gebracht werden.
Die Kraft der Dynamite ist abhangig von dem Aufsaugstoffe und der Menge
des im Dynamite befincllichen Nitroglycerins.
Die verbreitetste Dynamitsorte, Nobel's Kieselguhr-Dynamit, bestehend aus
75% Nitroglycerin und 25°/0 porbser Kieselerde, hat in sehr festem sprbden
Gestein die 6 — 7fache Kraft des Sprengpulvers. Je weicher der Stein, um so
geringer wird die Ueberlegenheit dieser Dynamitsorte. Im Allgemeinen kann man
aber mit Sicherheit annehmen, dass man durch passende Wahl der Dynamitsorte
in alien Gesteinsarbeiten gegeniiber dem Schwarzpulver wenigstens 25% an
Kosten gewinnen und um 30 — 50% rascher arbeiten kann.
b) Fabrikation der Dynamite. 1. Erzeugung des Nitrogly-
cerins. Die Rohmaterialien der Erzeugung sind: Salpetersaure von 1*5 spec.
Gewicht, Schwefelsaure von 1-84 spec. Gewicht und Glycerin von 1.24 spec.
Gewicht. Zur Bereitung von 1 Theil Nitroglycerin werden 1*5 Theil Salpeter-
saure mit 2-6 Theilen Schwefelsaure gemengt, dem abgekiihlten Sauregemisch
nach und nach unter bestandiger Abkiihlung und Bewegung der Fliissigkeit 0.5
Theile Glycerin zugesetzt und das so gebildete Gemenge in etwa die lOfache
Menge Wasser ausgegossen. Es setzt sich dann das Nitroglycerin am Boden des
Gefasses ab, wird abgezogen, mehrmals, zuerst mit Wasser und dann behufs
volliger Entsauerung mit Sodalbsung gewaschen und endlich durch Filtrirung liber
Filzschichten von Wasser und Schlamm befreit. Hauptaugenmerk ist auf vollige
Neutralisirung des Nitroglycerins zu richten, da hievon in erster Reihe dessen
chemische Stabilitat abhangt. (Siehe Artikel Glycerin und Nitroglycerin.) Statt
des Ausgiessens in Wasser kann man auch nach dem vblligen Einbringen des
336 Explosivstoffe (Nitroglycerinpulver oder Dynamite).
Glycerins in das Sauregeinische die Fllissigkeit ruhig stehen lassen, worauf sich
nach '/_, — 1 Stunde das Nitroglycerin von den Sauren scheidet, sich auf
diese i wie Oel anf Wasser absetzt und durch Decantiren von den Sauren getrennt
werden kami.
Bei der fabriksmassigen Erzeugung wird meist der Process der Nitrirung
in grossen Bleigefiissen vollzogen, Avelche innen zahlreiche Schichten Bleirbhren
entbalten, durch welche kaltes Wasser circulirt. Die Fliissigkeiten in den Gefassen
werden durch comprimirte Luft in fortwahrender Bewegung erhalten.
2. Erzeugung der A u f s a u g e s t o f f e. Die Erzeugung der Aufsauge-
stoffe variirt mit diesen. Der gebrauchlichste und fur viele Zwecke beste
Aufsaugestoff ist die sogenannte Kieselguhr, eine sehr leicbte, mehlartige Infuso-
rienerde, fast aus reiner Kieselsaure bestehend, welche bei Oberlohe in Hannover
in grossen Lagern gefunden wird. Die gegrabene Guhr ist sehr wasserhaltig
und enthalt organische Verunreinigungen. In grossen Flarnmofen gebrannt, dann
gewalzt und gesiebt saugt sie bis zu 7 6°/0 Nitroglycerin und bildet mit diesem eine
plastische Masse, welche das Nitroglycerin selbst unter grossem Drucke sehr gut
festhalt.
Fiir billigere oder weniger brisante Pulver, welche weniger (unter 70°/0)
Nitroglycerin enthalten sollen, werden als Aufsaugestoffe Gemenge, ahnlich dem
Schwarzpulver^ aus Salpeter und kolilenstoffreichen Korpern wie feiner Holzstoff,
Kohle, Gallapfel etc. verwendety, die dann meist in ahnlicher Weise wie das
Schwarzpulver erzeugt werden. Gewohnlich werden solchen verbrennlichen Gemen-
gen dann noch, um die Saugfahigkeit zu vermehren, Guhr, Magnesia etc. zugesetzt.
Bei manchen Dynamiten werden endlich selbst feste Nitrokorper, wie Schiess-
wolle, zugemengt, deren Bereitung dann natiirlich deren Natur entsprechend ist.
3. Erzeugung der Dynamite. Das Mengen der Aufsaugestoffe mit
dem Nitroglycerin, geschieht am sichersten und besten durch die primitivste
Metliode, namlich durch Mengen des Pulvers mit dem Sprengole mittelst Handarbeit
in einfachen, mit Blei oder Kautschuk geflitterten, Holztrogen. Ist die Mischung
eine gleichformig innige, so wird das gebildete Dynamit durch feme Siebe
gedrtickt, um fremde Korper zu entfernen.
4. Patronirung des Dy nam its. Des sicherern Transportes- und der
leichteren Handhabung wegen wird das Dynamit fiir Bergwerkszwecke gewohnlich
schon in den Fabriken zu Patronen verarbeitet, d. h. in Pergamentpapierhiilsen
eingepresst, welche den gewolinlichen Bohrlochsdurchmessern entsprechen und wech-
selnde Langen haben.
c) Dynamitsorten. Die verbreitetsten und erprobtesten Dynamitsorten
sind gegenwartig die von der deutsch - osterr. - ungarischen Dynamit-Actien-Gesell-
scliaft (vormals Alfred Nobel & Comp.) erzeugten. Es sind :
1. Stiirkste und im Wasser unveranderliche Sorte: Trauzl's Cellulose-
Dynamit: 70—75% Nitroglycerin, 30 — 25% Cellulose.
2. Nobel's Kieselguhr-Dynamit: 75% Nitrogliycerin, 25% Kieselguhr.
3. Salpeter-Dynamite obiger Gesellschaft :
Nr. II. Nr. III. Nr. IV.
Nitroglycerin 50 30 20
Kalisalpeter 34 55 67
Cellulose und Paraffin 5 9 12
Kieselguhr 10 5
Soda 1 1 1
Ausser diesen Dynamiten existirt nocli eine Unzahl Nitroglycerinpulver,
welche theils ebenfalls den Namen Dynamit tragen, theils, obwohl sie Dynamite
sind, unter anderen Namen in den Handel gebracht wurden. Die bekannten
hievon sind:
Nobel's diverse Salpeterpulver und zwar: 1. 69% Natronsalpeter, 4 Paraffin,
4 Holz- oder Steinkohle, 20 Nitroglycerin. 2. Barytsalpeter 70, Harz 10, Nitro-
glycerin 20.
Explosivstoffe (Schiesswolle). 337
Brain's Pulver: 40 — 50 Nitroglycerin, GO— 40 einer Miscliung aus 1
Theil Kaliumchlovat, 1 Theil Holzkohje, 1 Theil Zucker.
Lithofracteur: Nitroglycerin 52, Kieselguhr 30, Steinkohle 12, Baryt- oder
Natronsalpeter 4, Schwefel 2.
Coloniapnlver: Eine Art Schwarzpulver mit Nitroglycerin getrankt. (Wird
nicbt melir erzeugt.)
Weisses Dynamit (nach Analysen von Schwarz in Graz) : 57 — 67
Nitroglycerin, 42 — 30 Kreide und Sagespane, 1 — 3 Feuchtigkeit.
Rhexite: Gemenge von 30 — 65% Nitroglycerin mit Kalisalpeter, Kreide,
Sagespanen und geringera Zusatze von schlecht nitrirtem Holzstoffe, also zersetz-
licher Natur.
D u a 1 i n : Im Allgerneinen als Aufsaugestoff, Gemenge von nitrirtem oder unni-
trirtem Sagemehl, Nitrostarke, Nitromannit und Kalisalpeter.
Ammoniakrut von Norbin: 80% Ammoniaksalpeter, 6°/0 Koble und
10—20% Nitroglycerin.
S e r a n i n e und Horsley's Pulver baben als Aufsaugestoff Gemenge von
cblorsaurem Kali mit koblenstoffreichen Korpern, wie Gallapfel etc.
IV. Schiesswolle (poudre-coton — gun-cotton). (S. Artikel Cellulose,
Collodium und Schiesswolle.)
a) GescbichtlicheNotizen, phisikalische und chemische Eigen-
schaften. Branconnot entdeckte 1832, dass eine Reihe organischer Substanzen
durch Behandlung mit Salpetersaure in explosible Korper verwandelt werden
konne. 1846 entdeckte Schonbein ein praktisches Verfahren, um speciell Baum-
wolle durch Eintauchen in Gemenge von Salpeter- und Schwefelsaure in einen
explosiven Stoff, Schiessbaumwolle genannt, zu verwandeln. Eingehende Studien
von Regierungscommissionen in fast alien Staaten Europa's gaben zunachst kein
praktisches Resultat und wurden Anfangs 1865 am Continent ilberall wieder die
Versuche sistirt. Nur in England fiihrte Abel das von dem osterreichischen Feld-
marschalllieutenant Baron Lenk mitgetheilte Verfahren der Schiesswollerzeugung
fort, verbesserte es dadurch, dass er die Schiesswolle ahnlich wie Papiermasse
maischte, sie stark comprimirte undihr endlich dadurch einen grossen Anwendungs-
kreis wenigstens fiir militarische Zwecke sicherte, dass er zeigte, dass auch auf sie
die Detonationsziindung anwendbar sei, und dass sie mit grossem Wassergehalte
noch vollkommen explodirbar bleibe.
Schiesswolle unterscheidet sich im Aeussern fast gar nicht von gewohnlicher
Baumwolle, nur ist die Faser weniger elastisch und briichiger, knirscht beim
Zusammendrucken und wird durch Reibung elektrisch.
Schiesswolle ist geruch- und geschmacklos, in Wasser vollkommen unver-
anderlich, unloslich in Aether, Alkohol und weingeistigem Aether, widersteht den
starksten Sauren und Alkalien, wird aber durch concentrirte Schwefelsaure allmalig
zersetzt. Vollkommen rein ist sie ein sehr stabiler, jahrelang unveranderlicher
Korper.
Das spec. Gewicht ist abhangig von der Form und dem Compressionsgrade. In
Flockenform hat sie 0*2, in stark comprimirtem Zustande 0*9 — 1-0 spec. Gewicht.
Hire Entziindungstemperatur schwankt zwischen 120 und 170°. Sie ist
gegen Reibung ziemlich empfindlich, weniger gegen Stosse und Schlage.
Angeziindet brennt sie in trockenem Zustande mit 4 — 5 m Geschwindigkeit
ab, im comprimirten Zustande ist die Verbrennung weit langsamer und konnen
selbst Mengen von mehreren Centnern ohne Explosion abbrennen. Mit Knallpra-
paraten zur Explosion gebracht, detonirt sie auch ohne festen Einschluss mit
voller Gewalt und einer 5000 m ubersteigenden Geschwindigkeit.
Die Energie der Schiesswolle ist etwa 500.000 Kil. a 1 Kg., ihr grosster
Druck bei Explosionen in eigenem Raume etwa das 4fache von jenem guten
Schwarzpulvers. Hire Triebkraft in Gewehren nngefahr das 3 — 4fache von jener
guten Schiesspulvers. Die Sprengkraft comprimirter Wolle ist ungefahr gleich
jener der starken Dynamitsorten (mit 75% Nitroglycerin).
Karmarach & Heeren Technisches Worterbuch. Bd. III. 22
338 Explosivstoffe (Schiesswolle).
h) Fabrikation der Scliiesswolle (nach Lenk mid Abel). Rob
materialien sind: Abfalle der Bamnwollspinuereien, die durcb Kocheu mit starken
Alkalien vollkommen entfettet, ausgewaschen und dann scharf getrocknet werden,
Salpetersaure von 1*52 spec. Gewicbt und Schwefelsaure von 1-84 spec. Ge-
wicht.
Die Sauren werden im Verbaltniss von 1 Salpeter- auf 3 Scbwefelsaure
gemischt, abgekiihlt und dann die Baumwolle in kleinen Quantitaten in die Saure
getaucht und wenige Minuten in der Saure belassen. Beim Herauszieben der
Wolle aus den Sauren haftet ihr etwa das 9 — lOfache ihres Gewichtes
an Sauren an und wird die Wolle in diesem Zustande etwa 24 Stunden zum
Zwecke vollstandiger Nitrirung in Steinguttopfen belassen, welcbe von kaltem
Wasser uruspiilt sind. Nach dieser Zeit wird die anbaftende Saure durcb Centri-
fugen von der nun in Schiesswolle verwandelten Baumwolle moglichst getrennt,
die ausgedriickte Schiesswolle in Wasser getaucht und darin tiichtig ausgewaschen
und dann das anhaftende Wasser wieder durcb Centrifugiren entfernt. Die Schiess-
wolle wird nun in heissem Wasser unter Danipfzuleitung langere Zeit belassen,
hierauf in einer Art Hollander fein zermahlen und hierauf noch in diesem fein
vertheilten Zustande zur Entfernung der letzten Saurespuren einem neuen Wasch-
processe, ahnlicb jenem von Papierbrei, unterzogen. Zeigt sicb nach 24 — 36stiln-
digem Wascben die Schiesswolle vollkommen saurefrei, so wird ihr noch ein
neutralisirendes Agens (Soda etc.) zugesetzt und der Scbiesswollbrei dann in die
Pressen geleitet.
Je nach dem Zwecke wird namlich die Schiesswolle durch starke hydrau-
lische Pressen, welche einen Druck von etwa 1000 Kilo a Gcm ausiiben konnen,
in Cylinder- oder Scbeibenform gepresst, welche ein spec. Gewicht von 0*9 — 1
haben. Fur Bergbauzwecke baben die so erbaltenen Cylinder Durchmesser,
welche den gewbbnlichen Bohrlochern entsprechen, fur militarische Zwecke hin-
gegen werden Scheiben von 7'8cm Durchmesser und 5*25cm Hohe gepresst, welche
mit einem Wassergehalte von 20°/0 zur Verwendung gelangen.
Fur Gewebrpatronen werden aus dem Scbiesswollbrei Bogen, ahnlicb wie
bei der Papierfabrikation, geschopft., getrocknet, dann in langliche Streifen zer-
schnitten und mittelst Maschinen zu Cylindern geformt, die durch ein Guttapercba-
hautchen gegen Feuchtigkeit geschiitzt werden.
c) Surrogate der Schiesswolle. Ausser der moglichst rein en Cellulose,
der Baumwolle, konnen eine Reibe verwandter Stoffe durch einen ahnlichen Process,
wie bei der Schiesswolle angegeben, zu Explosivkorpern umgewandelt und fur
sich oder gemengt mit anderen Korpern verwendet werden. Solche Praparate
sind :
Scbultze's Pulver. (Weisses Schiess- und Sprengpulver.) Fein gekorntes
hartes Holz wird mit Sodalosungen gereinigt, ahnlicb wie Schiesswolle nitrificirt,
dann mit einer Losung von Kalisalpeter und Blutlaugensalz getraukt und getrocknet.
Das sogenannte C olio din oder Volkmann'sche Pulver ist dasselbe Praparat.
Aehulich Mus champ's Pulver.
Statt des Holzes kann man auch andere Pflanzen stoffe, Papier (Pyro-
papier), Flacbs (Patent von Bicford & Spoonor), Kleie (L an noy's Patent)
etc/ verwenden.
Mackie's gekornte Schiesswolle: Gewohnliche , fein zermahlene
Schiesswolle mit Salpeter- und Zuckerlosung getrankt und dann granulirt.
Hall's Sprengmittel : Schiesswolle mit Starke.
Uchatius-Pulver (^Nitrostarke, Xiloidin): Starke verwandelt durch Nitri-
ficirung in Nitrostarke, einem weissen, sehr hygroskopischen und sebr explosiven
Pulver. Ohne praktische Bedeutung.
Nitromannit (Knallmannit) entsteht aus einer bekannten Zuckerart, dem
Mannit, ganz analog wie die Scbiessbaumwolle. Stark explosives Praparat, mehr-
seitig als Ersatz des gefahrlichen Knallquecksilbers zur Fiillung von Ziindbiitcben
vorgeschlagen.
Explosivstoffe (Pikratpulver und Knallpraparate). 339
Aehnlich wie Mannit lassen sich audi andere Zuckerarten in Explosivkorper
venvandeln und erhalt man so Nitrorohrzucker, Nitromilchzucker etc.
V. Die Pikratpulver. Aus dem Phenol (Carbolsaure), so wie aus einer
Reike organischer Korper, wie Salicin, Harz, Indigo etc. erhalt man dutch ent-
sprechende Behandlung mit concentrirter Salpetersaure die Pikrinsaure, die, an
sich schon explosiv, mit einer Reihe Basen losliche, kristallisirbare, rothe oder
gelbe Salze bildet, welche zum Theile beim Erhitzen oder durch starke mechanische
Einwirkungen heftig explodiren. Mehrere dieser Salze wurden zur Bildung von
Explosivmitteln verwendet.
Designoll's Pulver besteht aus wechselnden Mengen von Kalisalpeter und
pikrinsaurem Kali und Kohle.
Brugere's Pulver, so wie Prof. Abel's Pikrinpulver aus pikrinsaurem Kali
und pikrinsaurem Ammoniak.
Auch Bobeufs und Fontaine's Pulver sind Pikratpulver.
Solchen Pulvern wird gegeniiber dem Schwarzpulver nachgertihmt: Gleich-
massigere Wirkung, geringerer Druck im Rohre bei gleicher Triebkraft, geringere
Hygroscopicitat, wenig Rauch, unschadlicher Rtickstand im Rohre etc.
Trotz all' dieser geriihmten Vorziige haben sie bisher, ungeachtet sehr ein-
gehender Versuche in Frankreich, keine grossere praktische Bedeutung erlangt.
Einige der Pikrinsaure und ihren Derivaten analoge Korper wie Knall-
anilin (salpetersaures oder chromsaures Diazobenzol) wurden als Ersatz des
Knallquecksilbers vorgeschlagen.
VI. Knallpraparate (Fulminate). Zur Ziindung fur Gewehre und
Geschiitze,, dann zur Detonationsziindung bei gewissen Sprengmitteln (Dynamit,
Schiesswolle etc.) bedarf man Praparate, welche durch Schlag, Reibung oder
auch durch blossen Funken in heftiger Weise explodiren. Solche Praparate, meist
Mischungen mehrerer explodirenden Substanzen, heissen je nach der Anwendungs-
weise, Percussions- oder Frictionssatze etc. Hire Hauptbestandtheile sind
Salze der Knallsauren.
Am meisten Anwendung findet das Knallquecksilber C (NOq) CNHg.
Es wird erzeugt durch Einbringen von 1 Theil Quecksilber in ein Gemische von
5 Theilen verdiinnter Salpetersaure (von 1'3 spec. Gewicht) mit 10 Theilen Alkohol
(von 0*85 spec. Gewicht). Die nach Beendigung der Reaction abgeschiedenen
kleinen, schwach grau gefarbten, nadelfdrmigen Krystalle des Knallquecksilbers
werden auf Filtern so lange mit Wasser gewaschen, bis das ablaufende Wasser
keine saure Reaction zeigt. Aus 100 Theilen Quecksilber werden 125 Knall-
quecksilber gewonnen. Das Knallquecksilber ist hochst explosiv und detonirt schon
durch massigen Schlag und Reibung zwischen harten Korpern. Feuer und der
Induktions-Funke bringen es7 besonders wenn es eingeschlossen ist, ebenfalls zu
voller Detonation.
Es wird nur als Ziindmittel verwendet, meist gemischt mit anderen Korpern.
Vielverwendete Ziindsatze sind:
Ziindsatz fiir Gewehre: 100 Theile Knallquecksilber, 30 Theile Wassei
und 60 Theile Mehlpulver zu Brei vermengt, gekornt und dann getrocknet, oder
100 Knallquecksilber, 62'5 Salpeter, 29 Schwefel.
Ziindsatz fiir osterreichische Hinterlader: 3 Theile Knallqueck-
silber, 2 Theile chlorsaures Kali, 4 Theile Glaspulver, 1 Theil Leimlosung.
Ziindsatze fiirDynamit undSchiesswollkapseln: 3 Theile Knall-
quecksilber und 1 Theil chlorsaures Kali.
Dem Knallquecksilber analoge Verbindungen, wie das Knallsilber und Knall-
gold, sind noch empfindlicher wie das Erstere und haben keine bedeutendere
praktische Anwendung gefunden. Ueber farbige Feuersatze s. Feuerwerker ei.
J. Trauzl.
Liter atur. Das Schiesspulver, die Explosivkorper etc. von Dr. J. Upmann 1874
fenthalt auch zahlreiche Literaturangaben.) — Ueber explosive Nitrilver-
22*
Quotient — ist, so hat man 8 3 =: 1 • — • -3- • -5- — tt §; da ferner | dutch
340 Exponent. — Extincteur.
bindungen von I. Trauzl 1870. — Theoretische und praktische Chemie
von Muspratt (mit zahlreichen Literaturangaben). — Die ExplosivstofFe der
Gegenwart von Isidor Trauzl 1877. Memorial de I' officier du genie Nr. 20
(hochst empfehlenswerthe Arbeit fiber die neuern Explosivstoffe). Guida pra-
tique de la fabrication des Poudres par Steerk. — Les explosives modernes.
Memoires etc., Paris 1876. Handbook of the Manufacture and Proof of Gun-
powder. — Die wichtigen Arbeiten von F. A. Abel publicirt in den Phil.
Transactions of the Royal Society. La Dynamite et la Nitroglycerine par
Champion 1872. Sur la force de la Poudre par Berthellot 1872. — Gintl
Ausstellungsbericht liber Explosivstoffe, Wien 1873.
Exponent, in der Algebra in der primitivsten Bedeutung jene Zahl n, welche
anzeigt, wie oft eine andere a als Factor zu setzen ist (Potenz-Exp.), und im
Gegensatze dazu jene Zahl on, welche angibt, in wie viele gleiche Factoren eine
andere b zerlegt werden soil (Wurzel-Exp.). Beide Definitionen gelten ihrem
Wesen nach nur fiir eine positive ganze Zahl. Daher allgemeiner: „ Der Exponent
n schreibt vor, eine Zahl a solle zur Einheit so als Factor gesetzt werden, wie
er selbst aus jener Einheit entstanden ist". Da — 3 durch dreimalige Setzung
des Gegensatzes der Einheit entsteht, der Gegensatz des Factors 8 aber der
— - ist, so hat man 8— 3 == 1 • — • —
8 ? 8 8
zweimalige Setzung des dritten Theiles der Einheit entsteht, dem dritten
Theil der Einheit andererseits die dritte Wurzel des Factors entspricht, so ist
1 3_ 3_ 3
83 r= 1 . V8 . V8 — V8'2 = 45 da ferner 0 aus der Einheit entsteht, indem
man diese gar nicht setzt, so verlangt der Exponent 0, man solle a zur Einheit
gar nicht als Factor setzen, d. h. a0 zzz 1 .— Operationsexponent, jene
Zahl, welche anzeigt, wie oft an einer vorgelegten Grosse eine gewisse Operation
auszuflibren ist; z. B. in Dn f(x), Dnx f{x,y) schreibt n vor, man solle die Func-
tion f(x) nmal nach einander iiberhaupt, resp. f(x,y) ebenso oft nach der Varia-
belen x allein differentiren. Brechungsexponent (s. Optik.) — Expo-
n e n t i a 1 g 1 e i c h u u n g e n , zu den transcendenten Gleichungen gehorig, enthalten
die Unbekannte im Exponenten und konnen durch Logarithmirung in algebraische
iiberfiihrt werden. So gibt z. B. : a-f(x) = W(x) die algebraische Gleichung
f(x) . la — <p(x) . lb, sofern f(x), q(x) algebr. Funct. sind. — Exponential-
grosse, eine Potenz mit variablem Exponenten (z. B. ax). Exponential-
grossen mit imaginarem Expon. fiihren den Namen Drehungs- 0. Richtungs-
functionen, weil sie zur Darstellung der sogenannten Richtungszahlen (complexen
Grossen) in die Algebra eingefiihrt wurdeu. So bedeutet ren> eine Strecke von
der Lange r, welche urn den Winkel q aus der Linie der positiv-reellen Zahlen
gedreht wurde, oder jene complexe Grosse, deren reeller Antheil r cos q>, deren
imagiuarer Bestandtheil ir sin cp, ist (alles auf eine bestimmte Einheit bezogen).
— Expon en ti aire ihe, d. i. die der Exponentialgrosse ax aquivalente un-
... , _, ., _ . xla . x"(la)- , xs(la)s
endhche Reihe: a* = 1 + — + -^-^ + fV% + Czuber.
Exsiccatoren (exsiccateurs) sind Apparate zur Trocknung von Substanzen
ohne Anwendung von Warme, s. Abdampfen I pag. 5, s. Trocken-
apparate. Gtl.
Exstirpator, s. Landwirthschaft.
Extincteur nennt C artier einen Apparat, welcher bestimmt ist zu Feuer-
loschzwecken zu dienen, und dessen Wirkurig darauf beruht, dass mit Kohlen-
sauregas gesattigtes und unter dem Drucke comprimirtcr Kohlensaure stehendes,
in einem nach Art der Syphonflaschen (s. Kohlensaure, s. Sodawasser),
Extincteur. — Extracte. 341
eingerichteten, geniigend stark wan digen Gefasse aufbewahrtes Wasser, durch OefFnen
ernes Hahnes durch die Druckwirkung des comprimirten Gases in Gestalt eines
Strahles herausgetrieben werden kann. Solche Apparate sind ausser von Cartier
(vgl. Dingl. pol. Journ. 180, 199) auch von Masnata (d. Industrie-Ztg. 1867,
pag. 118), dann von Baragwanath (d. Industrie-Ztg. 1867, pag. 187) ange-
geben worden, kbnnen aber nur zur Bekampfung kleiner Brande mit Vortheil be-
niitzt werden, weil die verfiigbare Wassermenge eine relativ nur geringe sein
kann. Vgl. Feuerlbschwesen. Gtl.
Extracte (extraits — extracts). Durch an und fur sich indifferente
Lbsungsmittel kbnnen aus organischen und insbesondere aus pflanzlichen Stoffen
gewisse lbsliche Substanzen gewonnen werden, wahrend ein bedeutender unlbslicher
Riickstand bleibt, welcher die Organisation der urspriinglich angewandten StofFe
besitzt. Dies Verfahren heisst die Extraction, das Ausziehen (s. Aus-
laugen). Die durch Extraction gewonnenen Lbsungen fiihren in dem Falle,
als dieselben zur mehr oder weniger dicklicher oder fester Consistenz eingeengt
werden, den Namen Extracte oder Auszuge. Das Verfahren ihrer Dar-
stellung heisst die Extractbereitung. Die Lbsungsmittel, deren man sich
bei der Bereitung der Extracte bedient, und welche man deshalb Extractions-
mitt el nennt, sind: Wasser, Weingeist und Aether, selten kommen andere, wie
Schwefelkohlenstotf, angesauertes Wasser etc. zur Anwendung.
Die Extractbereitung bezweckt die Concentration aller, als chemisch oder
medicinisch wirksam erkannten oder technisch verwendbaren Bestandtheile eines
pflanzliehen oder thierischen Kbrpers behufs bequemer Aufbewahrung, Versendung
und Verwendung.
Nach der Art der angewandten Lbsungsmittel unterscheidet man wasse-
rige, weingeistige und atherische Extracte. Sa ft extracte oder
Stork' sche Extracte sind aus saftreichen Pflanzen oder Pflanzentheilen
ohne Anwendung eines Lbsungsmittels durch Auspressen und Eindicken der Pflan-
zensafte erzeugt. Ihrer Wirkung nach sind die Extracte, narkotisch adstringirend,
bitter etc. Hinsichtlich ihrer Verwendung kbnnte man sie eintheilen in solche,
welche als Arzneimittel Verwendung linden, in solche, welche zum Garben und
Farben verwendet werden, und in Extracte, welche concentrirte Nahrungs- und
Genussmittel vorstellen.
Man nennt die Extracte d ii n n, wenn sie die Consistenz des Honigs besitzen,
dick, wenn man ihnen nach dem Erkalten die Pillenform ertheilen kann, und
trocken, wenn sie entsprechend eingedickt nach dem Erkalten zerreiblich sind.
Die Trockenform gibt man Extracten, die sich sonst ohne zu verderben nicht
aufbewahren liessen, und welche beim Eintrocknen keinen Schaden leiden. Das
vollkommene Austrocknen bei gewbhnlicher Temperatur gelingt nur unter einer
Glasglocke iiber Schwefelsaure oder Chlorcaleium. Da Trockenextracte leicht
Feuchtigkeit aus der Luft anziehen, mtissen sie besonders sorgfaltig aufbewahrt
werden. Bei Extracten, welche sich ohne Zersetzung nicht vbllig austrocknen
lassen, wird das Austrocknen durch Vermengen mit indifferenten Stoffen (Zucker
etc.) befbrdert.
Die Art der Extractbereitung andert sich mit dem Lbsungsmittel. In alien
Fallen jedoch fordert man: 1. Die zweckmassige Zerkleinerung der organischen
Substanz, damit das Lbsungsmittel sie vbllig durchdringen und energisch lbsend
wirken kbnne. Ob die organische Substanz zerschnitten, geraspelt, zerquetscht,
zerrieben, zerstossen etc. werden soil, hangt von ihrer Art und ihrer Festigkeit
ab. 2. Die sparsame Anwendung des Extractionsmittels. Das Gelbste muss vom
Ungelbsten etwa durch Abpressen getrennt und der Riickstand wiederholt ausge-
zogen werden. Je weniger Fltissigkeit verdampft zu werden braucht, desto eher
kann einer etwaigen Zersetzung vorgebeugt werden. 3. Eine zweckmassige Tem-
peratur, die sich zwar nach der Art des Extractes andern, meist aber zwischen
20° C. und 50° C bewegen wird. Das Auskochen wird nur bei holzigen Prlan-
342 Extracte.
zentheilen angewendet, wahrend Substanzen, welche viel Pectinstoffe enthalten
und deshalb schwierig klarbare warme Extracte liefern, kalt extrahirt werden,
die Loslichkeit der wirksamen Bestandtheile in kaltem Wasser vorausgesetzt.
4. Rascbe Bereitung, da durch eine solche nachtheilige Zersetzungen vermieden
werden. 5. Das Abdunsten und Eindicken des Extracts soil niemals iiber freiem
Feuer, sondern immer auf dem Dampfbade und unter fleissigem Umruhren vor-
genommen werden. Jede Hautbildung auf der Oberflache des Extracts ist ebenso
zu vermeiden, wie unvorsichtiges Erhitzen. Zum Abdunsten sind am zweck-
massigsten Apparate anzuwenden, welche die Verdunstung im Vacuum bei mog-
lichst niederer Temperatur und in ktirzester Zeit gestatten (s. Destination).
Zweckwiedrig ist es, dem ersten wahrend des Eindampfens die folgenden Ausziige
nach und nach zuzusetzen, der grosste Theil des Extracts bliebe dadurch langere
Zeit einer hoheren Temperatur ausgesetzt und litte Schaden. Wasserige Extracte
bereitet man durch Maceration, Infusion, Digestion und Auskochen. Bei den
meisten und insbesondere bei alien fleischigen und lockeren Pflanzengeweben
(Blattern, Krautern, Wurzeln) liefert die heisse Infusion eine grossere Extract-
ausbeute als das Auskochen.
Die Extraction mit kaltem Wasser besteht darin, dass man die
zerkleinerte Pflanzensubstanz etwa 24 Stunden mit kaltem Wasser macerirt, die
abgepresste Fliissigkeit durch Stehenlassen klart und zur vorgeschriebenen Con-
sistenz eindampft. Die kalte Extraction nimmt viel Zeit in Anspruch, wodurch
die Giite des Extracts beeintrachtigt wird. Mit Beniitzung der Real'schen Presse
kann man dies Verfahren beschleunigen.
. Die Real'sche Presse ist eine Vorrichtung, bei welcher der Druck einer
hoheren Wassersaule das raschere Extrahiren gestattet. Zu gleichem Zwecke
bediente man sich friiher weit mehr denn jetzt der Romershausen'schen Luft-
presse : Vermittelst einer Handluftpumpe wird in einem sogenannten Evacuations-
gefasse, welches mit dem oberhalb befindlicheu Extractionsgefasse luftdicht
verbunden ist, ein luftverdiinnter Raum erzeugt, in Folge dessen der Druck der
aussern Luft das Wasser mit grosserer Gewalt durch die zu extrahirende Substanz
treibt und ein inniges Durchdringen des Zellgewebes derselben bewirkt, wenn
die organische Substanz im Extractionsgefasse zusammengedriickt wurde, urn das
Wasser nicht wirkungslos hindurchfliessen zu lassen. In dem Evacuationsgefasse
sammelt sich das Extract an.
Die Extractbereitung unter Anwendung von Warme ftihrt
rascher zum Ziele. Der erste Auszug kann nach zwei Stunden abgepresst werden,
wahrend der immer wieder etwas aufzulockernde Rtickstand noch ein oder zwei-
mal mit heissem Wasser tibergossen wird. Die Gesammtmenge des gewonnenen
Auszugs wird aufgekocht, geklart, geseicht und auf dem Wasserbade eingedampft.
Zur Bereitung solcher Extracte verwendet man das Extractfass, ein Holzgefass
mit doppeltem Boden, das ein bequemes Auspressen der ausgelaugten Substanz
gestattet, die Romers hausen'sche Dampfpresse, eine Vorrichtung, darauf
beruhend, dass der Druck des in einem geschlossenen Gefasse entwickelten
Dampfes beim Oeffnen eines Hahnes Wasser durch eine dichte Schichte des zu
extrahirenden Stoflfes emportreibt, wodurch dieselbe binnen Kurzem vollstandig
ausgezogen werden kann, und weit haufiger eine von Rochleder angegebene
Vorrichtung: ein iiberall siebartig durchlocherter Cylinder aus Weissblech, auf
drei kurzen Fiissen stehend, wird mit zerkleinerter Pflanzensubstanz angefiillt,
mit einem Siebdeckel versehen in eine Destillirblase gestellt und der Einwirkung
des siedenden Wassers und des Dampfes ausgesetzt; hierauf herausgenommen,
die Pflanzensubstanz abgepresst und derselbe Vorgaug mit neuen Partien Wassers
wiederholt.
Farbextracte sind meist wassrige Extracte. Sie werden durch Auskochen
der Farbhblzer und Eindampfen der erhaltenen Losungen erzeugt. Farbholzextracte
sind im Zeugdruck mit Vortheil zu verwenden , werden fabriksmassig dar-
Extracte. 343
gestellt und namentlieli von Frankreick unci Siidamerika aus in den Handel ge-
brackt.
Die zweckmassige Zerkleinerung der Farbholzscheite erfolgt mittels Masckinen.
Das zerkleinerte Farbkolz wird in einem von Aime Bohra angegebenen oder
einem andern aknlicken Apparat extrahirt. Ein birnformiges Gefass von
Kupferblech ist in Pfannen clrekbar, welcke auf Standern ruben; der birn-
formige Kessel ist oben mittels einer Kappe luftdicbt verschliessbar, im Innern
bildet eine vielfack diirchlocherte Kupferplatte einen Boden, oberkalb dessen
ein Sieb ans Kupferdraht angebrackt ist; iiber dem Siebboden lagert ein
gelocbtes Scklangenrokr, das durck einen koblen Zapfen eintritt, wakrend ein
zweites durck den entgegengesetzten koklen Zapfen eintretendes Rokr bis an den Boden
des Kessels reickt, welcker mit einem kurzen, mittels eines Haknes abscbliess-
baren Rokre zum Ablassen des Kesselinkalts verseken ist. Der Kessel wird mit
zerkleinertem Farbkolze besckickt und aus dem unteren Rokre Wasser eintreten
gelassen. Wakrend aus dem Rokre oberkalb des Siebbodens Dampf stromt,
gestattet man der Luft zu entweicken. Der eintretende Dampf bringt den Kessel-
inkalt zum Sieden, welckes etwa eine kalbe Stunde fortgesetzt wird. Beim
Oeffnen eines Haknes stromt der erkaltene Farbauszug in Folge des Dampfdrucks
in einen Bottick, wakrend neue Wassermengen bei Wiederkolung des gesckilderten
Vorgangs die vollstandige Ersckopfung des Farbkolzes bezwecken. So erzeugt
man drei versckiedene Abkockungen, welcke mit einander vermengt entweder
sogleick verwendet oder zur Trockene eingedampft werden.
Aeknlicke zur Erzengung von Farbextracten im Grossen beniitzbare Vor-
ricktungen alterer Art sind die Extractionsapparate von Suarce, Kramer,
Scklumberger, Meissonier, Pa yen u. a.
Der Payen'scke Apparat gestattet neben dem Auszieken das sofortige
Eindampfen und bestekt aus einem Kessel mit doppeltem Boden, dessen Inkalt
durck Dampf erkitzt wird. Mit dem Kessel steken zwei Cylinder in Verbindung,
die mit dem zerkleinerten Farbkolz beschickt werden, welckes der Dampf durck-
stromen kann. Die Anwendung zweier Extractionscylinder gestattet continuirlicken
Betrieb ; denn wakrend der eine entleert wird, arbeitet der andere. Der aus
dem Cylinder austretende Dampf wird in einem mit diesem in Verbindung steken-
den Gefasse verdicktet und die dabei abgegebene Warme zum Abdampfen des
Extracts verwendet, was insofern gesckeken kann, als der Boden des Abdampf-
gefasses den Deckel des Condensators bildet.
Wasserige Extracte sind: das Aloeextract, aus dem eingetrockneten und
gepulverten Safte mekrerer Aloearten ; das Ckinarindenextract, aus der Rinde
gewisser Cinckonaarten ; das Enzianextract, aus kleingeschnittener Enzianwurzel ;
das Bitterkleeextract, aus den getrockneten Blattern von Menyanthes trifoliata L ;
das Lowenzaknextract, aus den getrockneten und zerscknittenen Blattern und
Wurzeln von Taraxacum officinale Moench ; das Opiumextract, aus dem eingetrock-
neten Safte unreifer Friickte von Palaver somniferum L. ; das Quassiaextract, aus
dem gestossenen Holze von Quassia amara L. ; das Ratankaextract, aus der
Wurzel von Krameria triandra L. ; das Fleisckextract, aus dem vom Fettgewebe
und den Knocken befreiten, zu einer grobbreiigen Masse zerkleinerten Ocksen-
fleisch ; das Malzextract, aus gesckrotetem Gerstenmalz ; das Blaukolzextract, aus
dem zerkleinerten Kernkolz von Haematoxylon campechianum L. ; das Rotkkolz-
extract, aus dem Holze mekrerer stidamerikaniscker Casalpinien; das Quercitron-
rind enextract, aus der Rinde von Quercas tinctoria Willd.; das Gelbkolzextract,
aus dem Stammkolz von Morns tinctoria L. ; Eickenrinden-, Knoppern-, Gall-
apfelextract, Catecku etc.
Weingeistige und atkeriscke Extracte werden aus solcken friscken
oder getrockneten Pflanzen oder Pflanzentkeilen erzeugt, deren wirksames Princip
sick im Alkokol oder im Aetker lost. Zur Extractbereitung dienen diesfalls
Verdrangungs- oder Deplacirungsapparate, gut sckliessende Glas-
344 Extracte.
oder Blechgefasse, welche die Verdunstung des Lbsungsmittels verhindern, das
dickere Schichten der zu extrahirenden Stoffe durchstrbmeu muss, nachdem es
mit diesen langere Zeit in Beriihrung gestanden, wodurch ein intensives Aus-
ziehen des Lbslichen ermbglicht wird. Solche Vorrichtungen sind von Mohr,
Scbiel, Jakobi, Robiquet, Pelouze u. a. angegeben worden und eignen
sich theils zur kalten, theils zur warmen Extraction.
Apparate fiir die Extractbereitung mit Beniitzung von
War me haben das gemeinschaftlieh, dass man Aether und Alkohol sowohl in
Dampfform, als auch im tropfbarfltissigen Zustande auf die zu extrahirenden
Substauzen einwirken lasst. So besteht der Extractionsapparat nach Mohr aus
einer zweihalsigen Wulf "schen Flasche, in deren einem Halse das Extractionsgefass
eingepasst 1st, in welches ein nach abwarts conisch zulaufendes, mit kaltem
Wasser gefiilltes Gefass hineinragt; aus dem zweiten Halse fiihrt eine Rohre
die Aether- oder Alkoholdampfe in das Extractionsgefass, wo sie mit den kalten
Wanden des Kiihlgefasses in Bertihrung fltissig werden und, die auszuziehende
Substanz durchtrankend, am Boden der Flasche sich wieder ansammeln. Durch
Erwarmen der Flasche von Aussen mittels eines Wasserbades werden die Losungs-
mittel immer wieder verfliichtigt und bewirken, in der angedeuteten Weise circu-
lirend, die Erschopfung der Substanz.
Der Deplacirungsapparat von Pelouze fiir kalte Extraction
verwendbar besteht aus einem spindelformigen Glasgefass, das mittels eines
Korks in eine zweilialsigc Flasche eingepasst und dessen unteres Ende mit
etwas Baum- oder Glaswolle verstopft, oben mittels eines Korks geschlossen ist.
Dieses fiillt man zum Theil mit der zu extrahirenden Substanz und iibergiesst
sie mit Aether; nach langerem Stehenlassen verbindet man den zweiten Hals der
Flasche mittels eines Kautschukschlauchs mit dem oberen Ende der Glasspindel,
das nun mit einem durchbohrten Korke versehen wurde, worauf der atherische
Auszug langsam nach abwarts fliesst, ohne dass Aetherdampfe nach Aussen ent-
weichen konnen. Weniger vollkommen wird das Entweichen von Aetherdampfen
bei dem folgenden Apparat vermieden, welcher dafiir den Vortheil billiger und
leichter Herstellung gewahrt. Ein senkrecht gestellter Vorstoss aus Glas, dessen
untere Oeffnung mittels eines Korkes geschlossen ist, wahrend die obere bedeckt
wird, ist das Wesentliche der Vorrichtung, das Extractionsgefass. In diesem
wird die organische Substanz ausgelaugt und das Extract durch Liiften des Kor-
kes in ein untergestelltes Gefass fliessen gelassen. Die Ausztige werden in hohen
Glascylindern gesammelt, durch Stehenlassen geklart, mittels eines Winkelhebels
abgehoben, der Rest durch einen Flanellspitzbeutel und wenn nbthig durch Papier
filtrirt, und die klare Lbsung sofort eingedampft, was gleichzeitig mit dem
Abdestilliren des Lbsungsmittels erfolgt, welches auf solche Weise aliemal wieder
gewonnen wird.
Um grbssere Mengen weingeistiger oder atherischer Farb-
extracte zu erzeugen, kann man sich nach Kopp eines Apparats bedienen
welcher aus drei durch Rohren mit einander verbundenen Theilen besteht.
Die zu extrahirenden Pflanzenstoffe werden in einen verticalen Drahtcylinder
gebracht, welcher in einem doppelwandigen Metallcylinder steckt; man bedeckt
den Drahtcylinder mit Werg und einer durchlbcherten Eisenplatte. In einem
eisernen Beliiilter, der mit Wasserdampf gefiillt werden kann, steckt ein kugel-
fbrmiges Gefass fiir Weingeist oder Aether. Durch Wasserdampf erwarmt ver-
fliichtigt sich das Lbsungsmittel und gelangt in das mit einem durch Quecksilber
abgesperrten Sicherheitsrohr versehene Kiihlrohr, aus welchem es, zur Fliissigkeit
condensirt, auf die Siebplatte im Cylinder fliesst, um von hier aus gleichmassig
vertheilt das Material vollstandig zu durchdringen. Die Extraction wird dadurch
befdrdert, dass zwischen die Doppelwand des Cylinders Dampf geleitet werden
kann, vermittels dessen das Lbsungsmittel erwarmt wird. Das Extract fliesst
nach dem kugelfbrmigen Behalter und sammelt sich daselbst an. Das Lbsungs-
mittel wird neuerdings verfliichtigt und macht den beschriebenen Weg so oft, bis
Extracte. ■ — Fackeldistel-Sprit. 345
das Farbmaterial ira Cylinder vollkommen ausgezogen ist. Die letzten Reste
des Weingeists oder des Aethers werden durcli Wasserdarapf verdrangt, und das
Extract durch Oeffnen eines auf der Unterseite des kugeligen Behalters befindli-
cheu Hahnes in ein untergestelltes Gefass abfliessen gelassen.
Weingeistige Extracte sind: das Sturmhutextract, aus den getrockneten und
gepulverten Knollen von Aconitum napellus L. ;' das Malvenextract, aus den
Blumenblattern von Althea rosea L. ; das Tollkirschenextract, aus der getrockneten
und gepulverten Belladonnawurzel ; das Schollkrautextract, aus dem zur Honig-
consistenz eingedampften Safte von Chelidonium majus L. ; das Coloquinthen-
extract, aus den von den Samen befreiten Friichten von Cucumis coloquinthis L. ;
das Safranextract, aus den getrockneten Bliithennarben von Crocus sativus L. ;
das Cubebenextract, aus den gepulverten Friichten von Cubeba officinalis L. ; das
Bilsenkrautextract, aus den Blattern von Hyosciamus niger L.; das Brechnuss-
extract, aus den grobgestossenen Samen von Strychnos nux vomica L. etc.
Vorwiegend weingeistige Extracte sind audi die neuerer Zeit von einzelnen
Erzeugern auf den Markt gebrachten Gewiirzextracte.
Die Giite und Zusammensetzung des Extracts lasst sich auf chemischem
Wege nicht gut priifen, da die wenigsten genau bekannte und analytisch nach-
weisbare Verbindungen enthalten. Bei Farbextracten bestimmt man das Farbe-
vermogen durch den Versuch.
Die Extractausbeute ist unter sonst ganz gleicher Behandlung niemals
dieselbe, weil die Beschaffenheit der Pflanze von den schwer bestimmbaren und
sehr veranderlichen Vegetationsverhaltnissen abhangt. Man pflegt den Extract-
gehalt in Grammen wirksamer Substanz anzugeben, welche aus 1000 Gramm des
urspriinglichen Pflanzenstotfes erhalten werden.
Von einem guten Extract fordert man den Geruch und Geschmack des
PflanzenstofFs, aus welchem er bereitet wurde, bei pharmaceutischen Extracten
hellbraune oder dunkelgelbe Farbe. Die griine Farbe verrath die Anwesenheit
von viel Chlorophyll, die schwarze Farbe eine fehlerhafte Bereitung. Wassrige
Extracte miissen sich im Wasser fast vollstandig losen. Im Allgemeinen nennt
man ein Extract um so besser, je grosser die relative Menge an wirksamer
Substanz ist. R — ch — r.
Extracteur, s. Centrifugaltrockenmaschinen II pag. 293.
Extrahiren, s. Ausziehen, s. Auslaugen I pag. 256.
Fabrikgold, Doppelgold (or double — strong gold leaves), Handelssorte
von Blattgold, s. Goldschlagerei.
Fach (pas — lease), die Theilung der Kette, s. Weberei.
Fachwerk, s. B riick en II pag. 86, s. Dach II pag. 475.
Fackel (flambeau — torch), s. Leuchtstoffe.
Fackel bengalische, s. Feuerwerkerei.
Fackeldistel-Sprit ist Weingeist, welcher aus den Friichten von Cactus
opuntia, einer in Algier einheimischen, auch im siidlichen Europa wildwachsen-
den Pflanze, d. i. der Fackeldistel oder algier ischen Feige, durch
Gahrung und Destination der vergohrenen Masse gewonnen wird. Diese Wein-
346 Fackeldistel-Sprit. — Fallen.
geistsorte ist durch einen schwachen Feigengeruch ausgezeichnet. Vgl. Schu-
barth, preuss. Verhndlg. 1855, pag. 119, s. a. Jahrb. f. Pharm. 6, pag. 186.
Gtl.
Fackelglanz, technische Bezeichnung fiir vollige Klarheit des Weines. S.
We in.
Facondraht, s. Draht II pag. 643.
Faconeisen, s. Eisen II pag. 776.
FaQOn-Rum, syn. Rum kiinstlicker, s. Branntweinbrennerei I p. 741.
Fadenbruchwachter, s. Spulmaschinen.
Fadenfiihrer, s. Spinner ei, s. a. Dingl. pol. Journ. Bd. 200.
Fadenglas. Filigranglas (verve jiligrane — filigree glass), Spitzenglas,
Petinetglas, s. G-las.
Fadenlinie, s. Kettenlinie b. Cur ven, II pag. 451.
Faecalsteine nennt Petri in Berlin (s. Dingl. pol. Journ. 213, pag. 258)
ein durcb Pressung in die Form von Ziegeln gebrachtes Brennmateriale, welches
aus Excrementen (Faecalien) mit einem desinficirenden Zusatze hergestellt werden
kann und eine niitzliche Art der Beseitigung und Verwertkung solcher Auswurfs-
stoffe bezweckt. Das Brennmateriale soil in Bezug auf Brennwerth den Braun-
kolilen gleichkommen und eine wegen ihres Phosphorsaurereichthums als Diing-
mittel trefflicb verwendbare Asche liefern. Gil.
Fallen (precipiter — to 'precipitate), praecipitiren, niederschlagen,
nennt der Chemiker jene Operation, bei welcher durch Zusatz einer geeigneten
Substanz (Fallungsmittel) zu. einer Losung ein in derselben vorfindlicher Korper
oder ein Bestandtheil desselben in Gestalt eines sogenannten Niederschlages
(Praecipitates) abgeschieden wird. Die Fallung erfolgt entweder dadurch, dass
durch die Einwirkung des Fallungsmittels eine chemische Veranderung des ge-
losten Korpers sich vollzieht, und sohin eine neue, in dem vorhandenen Losungs-
mittel nicht mehr Ibsliche Verbindung sich bildet, oder dass das Lbsungsmittel in
einer bestimmten Weise verandert und sohin sein Losungsvermogen alterirt wird.
Im ersteren Falle wird der niedcrfallende (gefallte) Korper offenbar chemisch ver-
schieden sein miissen von jenem, welcher in Losung stand, in letzterem Falle kann
ein in Losung stehender Korper unverandert gefallt werden. So werden in Auf-
losungen von Magnesia-, Kalk-, Baryt-, Strontian-, Thonerde-, Eisen-, Mangan-,
Zink- und vielen anderen Metall-Salzen, z. B. durch Zusatz einer Losung von
kohlensaurem Natron Fa'llungen erhalten, indem sich durch Wechselwirkung des-
selben mit den genannten Metallsalzen ein kohlensaures oder basisch kohlensaures
Salz des betreffenden Metalles bildet, das in der vorhandenen wassrigen Fliissig-
keit nicht mehr loslich ist. In gleichcr Weise fallt phosphorsaures Natron aus
Lbsungen der verschiedensten Metallsalze, unlbsliches phosphorsaures Salz,
Scliwefelwasscrstoff und Schwefelammonium, unlbsliche Schwefelmetalle u. dgl. m.
In alien diesen Fallen ist der entstehende Niederschlag von jenem Korper, welcher
in Losung war, verschieden. Anders verhalt es sich in jenem Falle, wo durch
das angewendete Fallungsmittel das Lbsungsmittel beeinflusst wird, bier kann der
in Losung stehende Korper unter Umstanden unverandert abgeschieden werden.
So entstehen Fa'llungen durch Zusatz von Weingeist zu Auflbsungen solcher Korper,
welche in Weingeist vbllig unlbslich sind, z. B. der verschiedensten Metallsalze.
Beispielsweise fallt durch Zusatz von Weingeist zu einer Gypslbsung Gyps ; zu
einer Eisenvitriollbsung Eisenvitriol, zu einer Eiweisslbsung Eiweiss u. dgl. m.
Durch Zusatz von Wasser oder Aether kann man wieder die verschiedensten, in
Alkohol lbslichen Korper aus ihrer alkoholischen Losung fallen, wenn sie an sich
Fallen. — Farbelappen. 347
in Wasser oder Aether unlbslich sind. So lassen weingeistige Harzlbsungen auf
Wasserzusatz das gelbste Harz fallen, oder alkoholische Salzlosungen auf Zusatz
von Aether, das in Aether unlosliche Salz. Audi durch Zusatz von Sauren zu
wassrigen Losungen kann man nicht selten das unveranderte Salz zur Ausfallung
bringen, wenn die angewandte Saure wasserbindend wirkt und sohin das Lbsungs-
vermogen desselben verringert. So wird z. B. Chlorbariura aus seiner wassrigen
Lbsung durch Salzsaure als solches gefallt, salpetersaurer Baryt durch Salpeter-
saure, schwefelsaure Salze durch Schwefelsaure u. dgl. Die bei der Fallung ent-
stehenden Niederschlage sind entweder feinpulverig und dann entweder amorph
oder rnikrokrystallinisch, oder sie sind flockig-gallertartig und dann immer amorph,
doch kbnnen solche letztere unter Umstanden, nach ktirzerer oder langerer Zeit,
krystallinisch werden, wobei sie dann immer das flockig-gelatinose Wesen gegen
ein pulveriges oder korniges vertauschen. Die Fallung kann entweder vollstandig
oder unvollstandig sein. Ersteres wird immer dann der Fall sein, wenn der
fallende Kbrper vollkommen unlbslich in dem vorfindlichen Lbsungsmittel ist, und
wenn von dem Fallungsmittel so viel verwendet wurde, als nothwendig, um die
Gesammtmenge des in Lbsung stehenden Kbrpers in die neue unlosliche Form
iiberzufiihren ; letzteres wird entweder bei ungeniigender Anwendung von Fallungs-
mitteln oder bei nicht vblliger Unlbslichkeit des entstandenen Niederschlages der
Fall sein, und wird iibrigens fast stets dann vorkommen, wenn die Fallung durch
Veranderung des Lbsungsmittels erfolgte, da in solchem Falle das Lbsungsver-
mbgen der Fltissigkeit meist nicht vollstandig aufgehoben, sondern gewbhnlich nur
mehr oder weniger stark vermindert werden kann. Bei unvollkommener Unlbs-
lichkeit der gefallten Verbindung erfolgt die Fallung in der Regel nicht sofort,
sondern gewbhnlich erst allmalig, und ist dies insbesondere dann der Fall, wenn
mit der Umwandlung eines amorphen Kbrpers in den krystallinischen Zustand
eine Zunahme der Schwerlbslichkeit eintritt.
Man bedient sich der Operation der Fallung in ausgedehntem Masse zur
Abscheidung von gelbsten Kbrpern aus ihren Losungen, namentlich aber zur
Trennung von mehreren nebeneinander in Lbsung stehenden Kbrpern von ein-
ander, indem man Fallungsmittel anwendet, welche einen oder einzelne der ge-
lbsten Kbrper zur Ausscheidung bringen, wahrend andere durch dasselbe Fallungs-
mittel unverandert bleiben. Hierauf beruhen die meisten Methoden der qualitati-
ven sowie der quantitativen Analyse, sowie die Darstellungsmethoden der ver-
schiedensten Kbrper. Auch kann man mehrere neben einander in Lbsung stehende
Kbrper auf dem Wege der Fallung von einander in der Weise trennen, dass man
durch ein geeignetes Fallungsmittel, durch welches endlich alle vorhandenen Kbr-
per gefallt werden kbnnen^ die Fallung partienweise vornimmt, wobei sich ergibt,
dass derjenige Kbrper, welcher mit dem Fallungsmittel eine schwerer lbsliche
Verbindung gibt, immer friiher abgeschieden wird als jener, der eine weniger
schwer lbsliche Verbindung liefert. Man nennt diese Art der Fallung die theil-
weise oder fractionirte Fallung, und wendet dieselbe namentlich zur Tren-
nung einander sehr ahnlicher Kbrper an; so z. B. haufig bei organischen
Substanzen.
Soil durch die Fallung eine Trennung von mehreren in einer Lbsung vorhandenen
Kbrpern erfolgen, dann muss nicht nur der gefallte Kbrper von der Fltissigkeit ge-
sondert werden, was durch Decantiren oder durch Filtration geschehen kann,
sondern es muss stets auch die den entstandenen Niederschlag durch trankende
Lbsung durch Auswaschen (s. Auslaugen I pag. 256) entfernt werden, wobei
selbstverstandlich eine Fltissigkeit verwendet werden muss, die den auszulaugenden
Niederschlag nicht oder doch nur sparlich lost, wahrend sie den zu entfernenden
Kbrper aufzulbsen vermag. Gtl.
Fallung und Fallungsmittel, s. Fallen.
Farbelappen, s. Bezetten I pag. 455.
348 Farben des Goldes. — Farberdistel.
Farben des Goldes (mise en coideur — colouring). Da die Goldarbeiten
aus einem Gemische von Gold mid Kupfer oder — noch gewohnlicher — von
Gold, Silber und Kupfer bestehen, so zeigen sie nacb dem Blankschleifen und
Poliren, ja selbst nacb dem Absieden mit schwacher Salpetersaure, welebem man
sie in der Kegel unterwirft, eine von der reinen Goldfarbe sebr verschiedene
Farbe. Sie erscbeinen namlicb bleichrothlich oder bei vorwiegendem Silberzusatze
blassgelb. Will man den aus legirtem Golde geraachten Artikeln ein hoch gold-
gelbes Ansehen ertheilen, so gesebiebt dies durch das Farben, namlicb durch
Kochen in einer Fliissigkeit, welche man Farbe, Goldfarbe (coideur a bijoux
— gold-colour) nennt.
Diese atzend wirkende Fliissigkeit entfernt von der Oberflache das Kupfer und
Silber, und setzt durch eine electrolytiscbe Wirkung das gleicbfalls anfanglich ge-
loste Gold als feine gleichmassige Schichte anf der Oberflache ab. Vor dem
eigentlichen Farben wird die Waare durch Kochen in einer gesattigten Borax-
losung gereinigt.
Ein gebrauchliches Verfahren zu farben ist folgendes: Man nimmt auf einen
Theil guter Goldwaare (s. diesen Artikel) 2 Gew.-Th. liber Feuer abgeknistertes
Kochsalz und 4 Tbl. Salpeter, reibt sie trocken gut zusammen, la'sst sie in einem
irdenen Topfe mit ein wenig Wasser kochen, und rtihrt so lange, bis das Ganze
zu einem trockenen Pulver geworden ist; dann giesst man 3 Thl. Salzsaure (von
spec. Gew. 1-165) hinzu, lasst bis zu volliger Aufiosung und sebr merklicher Ent-
wicklung von Chlorgas sieden ; bringt nun die Goldwaare hinein und bewegt sie
fleissig herum, indem man sie nur zeitweilig auf einen Augenblick hebt, um das
Hervorkommen der hochgelben Farbe zu beobachten. Gewohnlich nach 5 bis 6
Minuten, wabrend die Fliissigkeit stetig kocht und Chlorgas nebst salpetrigsaurem
Dampfe ausstosst, ist das Geschaft vollendet; man spiilt die Gegenstande so rasch
als moglich in zwei Gefassen mit kochendem Wasser, unmittelbar darnach in
einer grossen Menge kalten Wassers, und taucht sie endlich noch einmal in reines
kochendes Wasser, damit sie beim Herausziehen schnell von selbst abtrocknen.
Wasser zuzusetzen, wabrend die Waare in der Farbe verweilt, muss thunlichst
vermieden werden, ist aber noting, wenn die Masse durch das Einkochen zu steif
wird ; das zugefiigte Wasser muss jedenfalls kochend sein. Lothstellen farben sich
anfangs schwarzlich, werden aber nachher ebenfalls gelb. Die gebrauchte Farbe
kann nicht ein zweites Mai angewendet werden, wird aber wegen eines geringen
darin befindlichen Goldgehaltes zuriickgestellt, und nach Ansammlung einer grosse-
ren Menge dadurch zu Gute gemacbt, dass man sie mit ein wenig Konigswasser
versetzt, durch zugefiigtes reines Wasser ganz fliissig macht, filtrirt, und durch
Eisenvitriolauflosung das Gold als metallisches Pulver niederschlagt.
Goldarbeiten von einem geringern Feingehalte als 14 Karat lassen sich nicht
farben, sondern werden in der Farbe schwarz und unansehnlich, weil ihre Ober-
flache dem auflosenden Chlor zu wenig Goldtheilchen darbietet. Rud. Wagner
(s. Dingl. pol. Journ. 218 pag. 329) empfiehlt eine Lbsuug von 1 Grm. Brom,
30 Grm. Bromkalium (= 25 Grm. Bromcalcium) in 1000 Grm. Wasser als
brauchbares Mittel zum Goldfarben.
Zur Erzielung bestimmter Farbentone stehen mannigfache Goldfarben in Ge-
brauch, bei deren Anwendung es oft auf genaues Einhalten der Zeit ankbmmt;
dieselben werden meist geheim gehalten.
Farberalizarill {alizarine tinctoriale) nannte Kopp ein fur Farbereizwecke
dargestelltes, nicht vollig reines Alizarin, das durch Behandeln von Garancin mit
auf 200° C. erhitztem Wasserdampf, wobei sich Alizarin mit den Wasserdampfen
verfluchtigt, erhalten wurde. Gil.
Farberbllime, s. Farberginster.
Farberdistel, Stammpflanze des Safflors, s. d., s. a. Farberscharte.
Farberei. — Farberflotte. . 349
Farberei (teinture — dyeing) ist im Allgemeinen die Kunst, Kbrpern der
verschiedensten Art dauernd die Fahigkeit zu ertlieilen, in unserem Gesichtsinne
die Empfindnng einer bestimmten Farbe hervorzurufen, im Besonderen aber ver-
steht man unter Farberei die Fertigkeit, auf Geweben, sei es natiirlichen, pflanz-
lichen oder thierischen Ursprungs, sei es kiinstlichen, wie solchen aus Baumwolle,
Leinen, Wolle, Seide oder sonstigen Gespinnstfasern, zum Theile oder vbllig be-
stimmte Farbungen hervorzubringen, welche der Einwirkung von Licht, Luft,
Wasser oder sonstigen bei der Verwendung soldier Gewebe sicb geltend machenden
Einfltissen mehr oder weniger lange widerstehen konnen. Das Wesen dieser schon
seit den altesten Zeiten bekannten Fertigkeit liegt nicht so sehr in der Erzielung
einer bestimmten Farbe auf der Gewebsfaser, sondern vielmehr in der Herstellung
einer mbglichst festen Verbindung zwischen der zu farbenden Faser und der die be-
stimmte Farbung hervorrufenden Substanz. Hiedurch unterscheidet sich die Kunst
der Farberei im engeren Sinne des Wortes von der Malerei, der Anstreicberei,
der Farbendruckerei, Buntpapierfarberei, deren Ziel zwar auch die Hervorrufung
bestimmter dauernder Farbenerscheinungen auf der Oberflache der Korper ist, die
aber dieses Ziel durcb einfaches Auftragen eines fertig vorhandenen Farbkorpers
auf die zu farbende Flache und Fixirung desselben mit Hilfe eines Klebemittels
(Leim, Gummi, Starkekleister, Firniss oder Lack) oder durch einfache Beimischung
eines feinvertheilten Farbkorpers zu der zu farbenden Substanz (Farben der
Papiermassen) oder endlich Durchtrankung einer porosen Substanz mit einer Farb-
stofflbsung, die nach dem Verdunsten des Lbsungsmittels den Farbstoff in den
Poren der gefarbten Substanz hinterlasst (Farben von Steinen, Gyps, Bein,
Holz), zu erreicben suchen. Gegeniiber einem solchen, rein mechanischen Vor-
gange der Farbung von Korperoberflachen oder Massen verwerthet die Farberei
im engeren Sinne des Wortes die chemisclien Beziehungen der farbegebenden zu
den zu farbenden Korpern, indem sie entweder durch Einwirkung von geeigneten
Agentien, die an sich nicht wie Farbstotfe sich verhalten, auf die zu farbende
Gewebssubstanz eine solche Veranderung derselben hervorruft, dass diese nach-
mals gefarbt erscheinen (Reactionsfarben), oder dass sie die Fahigkeit der
Faser bentitzt, gewisse Farbstotfe anzuziehen und zu binden (substantive oder
subjective Farben), oder dass sie zunachst Verbindungen der Faser mit Stoffen
herstellt, welche ihrerseits Farbstotfe zu fixiren vermcigen und sohin als Bindeglied zwi-
schen der Faser und dem Farbstotfe (a d j e c t i v e F a r b e n) dienen (s. Beize I pag.370)
oder endlich, dass sie die Faser mit Losungen durchtrankt, aus welchen sich durch
nachmalige Einwirkung eines dritten Korpers ein unloslicher Farbstoff ausscheiden
lasst und in fein vertheilter Form in der Faser abgelagert wird (K up en far ben
— Praecipitations farben). Seltener findet in der Farberei die Application
fertiger Farbkbrper auf die Faser und die Befestigung derselben durch ein eine me-
chanische Bindung bewirkendes Fixirungsmittel statt, wie das beispielsweise bei
der sogenannten topischen Farberei oder dem topischen Druck der Fall ist, und
auch hier muss wenigstens das Fixirungsmittel auf dem Wege eines chemischen
Processes eine Umwandlung erfahren, der zu Folge es nach der Fixirung eine
Veranderung seiner Lbslichkeitsverhaltnisse erleidet. So beispielsweise bei den
Dampffarben und den Klotzfarben, die durch Auftragen von Mischungen
der zu applicirenden Farbkbrper mit Albumin oder Caseinlbsungen und nachheri-
ges Unlbslichmachen des Albumins durch Dampfen (Erhitzen auf 100° C.) oder
des Caseins durch Einwirkung von Saurebadern, befestigt werden. Eine einge-
hende Besprechung der Methoden der Farberei geben wir in dem Artikel Zeu g-
druckerei und Zeugfarberei, s. d. Gtl.
Farbereiche, Stammpflanze der Quercitron- oder Farbereichenrinde, s.
Quercitron.
Farberflechten, s. b. Flechtenfarbstoffe.
Farberflotte, s. Zeugfarberei.
350 Farberginster. — Faulniss.
Farberginster (genet de teinturiers — dyers broom), Far b erbium e,
Gelbkraut, Geniste, Gloesen. Das zur Bltithezeit gesammelte und getrock-
nete Kraut von Genista tinctoria L., einer in lichten Waldern in Europa
und Mittelasien haufig wachsenden, vora Juni bis August bliihenden Papilionacee,
einen niedrigen Halbstrauch darstellend mit schlanken, unbewehrten, gestreiften
zahnigen Zweigen. Die auf diesen zerstreut sitzenden Blatter sind lanzettlicb
oder langlich, spitz, ganzrandig, gewimpert, auf dem unterseits stark vorsprin-
genden Mittelnerv sparlich behaart, glanzend grtin, getrocknet steif brticbig. Die
Schuietterlingsbliithen mit kahler goldgelber Blurnenkrone, deren zuriickgeschlagene
Fahne so lang als das sichelformige Schiffchen ist, stehen in gedrungenen, fast
rispenforinigen, endstandigen Trauben. Das Kraut dient zum Gelbfarben von
Wolle und Leinen, doch ist die Farbe von geringerem Werthe als Wau und
Farberscharte. Der Farbstoff des Farberginsters soil sich dem Luteolin (dem
Farbstoff des Waus) ahnlich verbalten. In Ungarn und Slavonien sammelt man
zu demselben Zwecke die nahe verwandte Genista ovata W. K. - und wahr-
scheinlich verhalten sich auch die anderen einheimischen Ginsterarten (Genista
pilosa und germanica L.) ahnlich wie der Farberginster, nur sind sie farbstoff-
armer. A. Vogl.
Fai'berknotrich (Polygonum tinctorium), Stammpflanze einer Indigosorte,
deren Blatter directe zum Blaufarben verwendet werden konnen. S. Indigo. Gtl.
Farberlack (lac de teinturiers — lac-dye), s. Lac- dye, s. Kermes,
vgl. a. C arm in II pag. 25G.
FarbermOOS, s. b. Flechtenfarbstoffe.
Farberrothe, syn. Krapp s. d.
Farberscharte (herbe de cerette — saivwort), Farbe rdistel. Das
getrocknete bliihende Kraut von Serratula tinctoria L., einer auf Wiesen
sehr verbreiteten, ausdauernden Composite, hin und wieder (in Sachsen, Bohmen)
auch angebaut. Der bis iiber lm Hohe erreichende Stengel ist glatt, gestreift, oben
doldentraubig-astig; die wechselstandigen Blatter sind langlich, spitz, ungetheilt,
leierformig oder fiederspaltig, scharf gesagt, die unteren langgestielt, die oberen
sitzend, fast glatt. Die Bltithenkorbchen haben dachziegelformige, nach oben
violette Hullblatter und rohrenformige, mit einem Pappus versehene violette
Blumen. Das Kraut enthalt einen gelben Farbstoff, der sich dem Luteolin ahn-
lich verhalten soil; es dient zum Gelbfarben und zur Darstellung von Schuttgelb.
A. Vogl
Farbersumach, s. Sumach (Schmack).
Farberwau, syn. Wau, Gelbkraut s. d.
Faulniss (pourriture — rot). Die Materie der abgestorbenen Organismen
ohne Ausnahme und viele der organischen Substanzen als solche, erleiden in
kiirzerer oder langerer Zeit Veranderungen weitergehender Art, die man je nach
den dabei auftretenden Erscheinungen als Gahrung, Faulniss (faulige Gahrung),
Verwesung oder Vermoderung bezeichnet.
Man weiss jetzt nach eingehenderem Studium dieser Zersetzungsprocesse, dass
zur Einleitung derselben unbedingt in der gewohnlichen Atmosphare stets
vorhandene, lebens- und fortpflanzungsfahige Keime gewisser Organismen nothig
sind, die einnral eingeleitete Zersetzung aber weiters, wenn auch in modificirter
Form, als Verwesung oder Vermoderung durch den Sauerstoff der Luft allein
fortgesetzt und beendigt werden kann. Diese Faulnissorganismen, die auch als
organisirte Fermente (s. Ferm en te) bezeichnet werden, sind nun animalischer, vorzugs-
weise aber pflanzlicher Natur und jedenfalls die Producenten und nicht, wie man lange
annahm, die Producte oder Begleiter dieser gewissermassen natiirlichen Zersetzungs-
processe. Bei den Pflanzen gehoren sie ausschliesslich der chlorophyllosen und
Faulniss. 351
hier vorzugsweise der Klasse der Pilze an. Unter diesen gibt es insbesondere
eine Reihe von Gattungen, die erwiesenerraassen nur auf sich zersetzenden orga-
nischen Snbstanzen vegetiren konnen und deshalb audi Faulnissbewohner odor
Saprophyten genannt werden. Sie umfassen nebst anderen die Hyphomyceten
oder Fadenpilze, zu welchen die verscliiedenen denSchimmel zusammensetzenden
Schimmelpilze gehoren, die Ascomyceten oder Scblauchpilze (worunter die Alkohol-
hefen Saccharomyces cerevisiae) und die besonders speciesreichen Schyzomyceten
oder Schaltpilze, worunter die Bacterien, Bacteridien, Vibrionen, Zoogloen, Micro-
coceen und andere, die vornehmlich Faulnisserreger sind.
Es gibt nun Stoffe, welche direct solcher Zersetzungsprocesse fahig, wahr-
scbeinlicb direct als Nahrungssubstrat diesen Faulniss- und Gahrungsorganismen
dienen, wie z. B. die Eiweissstoffe, die Leimsubstanzen, viele Zuckerarten etc.,
sodann solche, die hiezu erst durcb die Einwirkung gewisser unorganisirter oder
katalytischer Fermente umgewandelt werden, wie z. B. der Rohrzucker, der durch
einen Bestandtbeil der Hefe vor der Gabrung in Invertzucker uberfiihrt wird,
endlicb solche, die iiberbaupt nicht faulniss- oder gahrungsfahig sind, wie z. B.
die die Hauptmasse der festen Pflanzensubstanz bildende Cellulose, welche aber
durcb die Gegenwart der in Umlagerung befindlicben Molekiile der faulenden
Stoffe und die dadurch bervorgerufene Erregung ibrer eigenen Atome zum mindesten
scbliesslicb der Einwirkung des atmospharischen SauerstofFes zuganglicher gemacht
wird und der Verwesung anheimfallen kann. Die Gabrung ist ihren Ursacben
nach von der Faulniss nicht unterschieden, doch pflegt man nur die mit Entwicke-
lung stinkender, fliissiger oder gasiger Substanzen verbundenen Zersetzungen
speciell als Faulniss anzusprechen.
Die Bedingungen zur Faulniss und Gahrung (hier sei zuerst nur die erstere
in's Auge gefasst) sind demnach:
I. Der Zutritt der atmosph arise hen Luft, welche stets die
faulnisserregenden Keime (Sporen von Pilzen etc.) enthalt. Hat die Faulniss ein-
mal begonnen, so setzen auch nach nachherigem Abschluss der Luft die inzwischen
durch Fortpflanzung entstandenen Faulnissgebilde die Faulniss fort.
II. Gegenwart einer hin reichenden Menge von Feuchtigkeit.
Die faulnissfahigen Stoffe sind als solche oder in wenig veranderter Form das
Nahrungssubstrat der Faulnissorganismen und konnen nur in wasseriger Losung
von diesen umgewandelt und assimilirt werden.
III. Eine bestimmte Tempera tur. Die betreffenden Faulnissorga-
nismen bediirfen zu ihren Lebensfunctionen stets einer hoheren Temperatur als
0° C. und werden durch hohere Temperaturen, gegen 100° C, getodtet, somit
unwirksam gemacht.
Kommt nun ein faulnissfahiger Korper mit der atmospharischen Luft in
Beriihrung und sind die andern angeftihrten nothigen Bedingungen zur Faulniss
vorhanden, so beginnt dieselbe in irgend einem Theile des Ersteren und setzt
sich dann durch die ganze Masse fort. Wird die Luft nun nach begonnener
Faulniss ganz oder fast ganz abgesperrt, so macht sich unter den einmal in
Bewegung gesetzten Atomen der Molekiile des faulenden Korpers ihre specifische
chemische Affinitat geltend. Der vorhandene Sauerstoff oxydirt einen Theil des
Kohlenstoffes zu Kohlensaure, einem constanten Producte der Faulniss, einen
Theil des Wasserstoffes zu Wasser, wodurch der faulende Korper, wie leicht
ei-sichtlich, immer relativ kohlenstoffreicher und- wasserstoff- und sauerstoffarmer
wird. Der restirende Wasserstoff bindet weiters den Stickstoff zu Ammoniak,
meistens vorhandenen Schwefel zu Schwefelwasserstoff, welche vier Verbindungen :
Kohlensaure, Wasser, Ammoniak und Schwefelwasserstoff fast immer bei der
Faulniss auftreten. Ausserdem bilden sich aber verschiedene Kohlemvasserstoffe,
sowie gewisse iibelriechende, bis jetzt noch ungeniigend erkannte fliissige und
gasige Substanzen in wechselnden Quantitaten, welche die Faulniss vieler Sub-
stanzen besonders charakterisiren.
352 Faulniss.
1st die faulende Substanz aber dem ungehemmten Luftzutritte ausgesetzt,
so sind die Veranderungen derselben wesentlich andere. Die faulende Substanz
leistet weniger Widerstand dem Angriffe des Sauerstoffes, welcher dieselbe ver-
haltnismassig rasch durch eine Reihe von ebenfalls wenig bekanntem Zwischen-
gliedern zu hochoxydirten Substanzen, Kohlensaure, Wasser, das erst gebildete
Ammoniak sogar schliesslich zu Salpetersaure umwandelt, so dass, wahrend bei
der eigentlichen Faulniss stets kohlenstoffreichere Reste zuriickbleiben, bei
diesem Vorgange der Verwesung (pourriture seche — dry rot) die organische
Substanz, freilich erst nach langerer Zeit, fast vollstandig verschwindet.
Da die Wirkung des Sauerstoffes sich natiirlich nur an der Oberflache der
faulenden Substanz geltend machen kann, so gent neben der Verwesung im
Innern des Korpers stets zugleich eigentliche Faulniss vor sich.
Wenn die Verwesung wegen ungeniigenden Luftzutrittes langsam erfolgt, so
wird sie als Verm o der ung (carte — rot druxy) bezeichnet ; *) deren Pro-
ducte sind wesentlich dieselben wie bei der Verwesung, nur leistet der immer
kohlenstoffreicher und deshalb dunkler werdende Rest der weiteren Einwirkung
des Sauerstoffes einen so energischen Widerstand, dass er sich gewohnlich als
solcher durch sehr lange Zeit fast unverandert erhalt, wie z.B. das Vermoderungs-
product gewisser Sphagnumarten, der Torf.
Man war natiirlich aus vielen Griinden schon seit langer Zeit bemiiht,
diese gewissermassen natiirlichen Zersetzungsprocesse der mannigfach verwertheten
organischen Substanzen hintanzuhalten, dieselben davor zu bewahren, zu conser-
viren, und bedient sich einer Reihe von Mitteln, die man desshalb im weiteren
Sinne als faulnisswidrige, antiseptische Mittel bezeichnet. -Aus den angefiihrten
Redingungen der Faulniss ergeben sich von selbst die Principien der Conservirung
organischer Substanzen. Diese kann daher erfolgen :
1. Durch Kalte, eines der kraftigsten und gewissermassen des natiirlichen
Antiseptikums, von dessen holier faulnisswidriger Kraft die Erhaltung vieler vor-
weltlicher Thiere im Eise der Polargegenden das eklatanteste Beispiel liefert.
Die Conservirung durch Kalte hat unbestreitbar unter alien Conservirungsmitteln
die grbsste Zukunft, weil sie die betreffenden Objecte mit durchaus unveranderten
Eigenschaften erhalt. Die gegenwartig sehr vervollkommneten Maschinen zur directen
Fabrikation von Eis und Hervorbringung niedriger Temperaturen haben, den
verschiedenen Bediirfnissen gemass construirt, nicht nur in grbsseren Etablissements,
wie Brauereien, Schlachthausern, Conservenfabriken, sondern auch in Hotels und
grbsseren Haushaltungen Eingang gefunden. Neuester Zeit sind mit sehr gtinsti-
gem Resultate Versuche zur Ueberschiffung grosser Quantitaten Fleisches von
Australien nach Frankreich, conservirt durch Kalte mittelst einer am Schiffe
befindlichen T e 1 1 i e r'schen Kaltemaschine (mittelst Methylather, s. Eisapparate
II pag. 744), gemacht worden; diese berechtigen zu den Hoffnungen, dass ein
grosser Theil der ungeheueren, bisher zur Fleischextractfabrikation verwendeten
Quantitaten Fleisches von Siidamerika und Australien, als solches, durch Kalte
conservirt, nach Europa wird gebracht werden kbnnen.
2. Durch Wasserentziehung, entweder durch directes Austrocknen
oder durch Zusainmenbringen der zu conservirenden Substanz mit wasserentzie-
henden Mitteln, z. B. Kochsalz, Salpeter, Zucker, Alkohol etc. Was das eigent-
liche Austrocknen anbelangt, so ist dieses zwar sehr wirksame, leider aber aus
anderen Riicksichten nicht immer empfehlenswerthe Verfahren nicht selten in
Anwendung, wiewohl es einestheils bei grosseren Gegenstanden, z. B. grbsseren
Fleischstiicken, schwierig ist, die Trocknung in der That vollstandig und so schnell
zu bewirken, dass nicht schon wahrend derselben eine partielle Faulniss eintritt;
anderentheils aber, und hierin liegt ein weiteres Hinderniss, die Substanzen, zumal
solche, die im frischen Zustande sehr weich und saftig waren, so stark zusammen-
*) In gewissein Sinne wird manchmal die Verwesung als die Veranderung der animalischen,
die Vermoderung als die der vegetabilischen Substanzen aufgefasst.
Faulniss. 353
sckrumpfen, dass sie nachher auch durch ankaltendes Kochen nicht wieder vollig
zu erweichen sind. Endlich verursacht das Trocknen, zumal bei griisseren Quan-
titaten, auch sekr bedeutende Miike und Zeitaufwand, und ist daher sckon aus
okonomiscken Riicksickten nicht immer vortkeilkaft.
Fleisck, in diinne Streifen zerschnitten und an der Sonne getrocknet, wie
dies in einigen Gegenden von Amerika gesckiekt (Tessajo und Pemmikan der
Indianer), wird sekr hart, liefert jedock eine jedenfalls sckwer verdaulicke und
wenig sckmackkafte Speise. Ein weit besseres, aber auch kostspieligeres Ver-
fahren ist folgendes:
Man bringt in einem Kessel Wasser zum Sieden und legt das in etwa
100 Grm. schwere Stticke zerschnittene Fleisch auf einige Minuten hinein, nimmt
es dann heraus, bringt es sofort auf Hiirden in eine geheizte Trockenstube,
deren Temperatur aber 50° C. nicht iibersteigen darf, und fahrt mit dem Ab-
briihen frischer Portionen in demselben Wasser so lange fort, bis das letztere zu
einer sehr dicken, concentrirten Fleischbriihe geworden ist, die man dann noch
so weit eindampfen muss, bis ein Probchen auf einen kalten Korper gebracht,
schnell zu einer steifen G-allerte erstarrt. Wenn nun nach Verlauf von etwa zwei
Tagen das Fleisch vollig trocken ist, so erweicht man die Gallerte durch Er-
warmen, taucht das Fleisch Stiick fur Stiick in diese ein, und trocknet es wieder,
worauf es auf seiner Oberflache einen dichten Leimiiberzug erhalt. Reicht
die vorhandene Gallerte hin, so kann dieser Leimiiberzug durch nochmaliges
Eintauchen und Trocknen noch verstarkt werden. An einem recht trockenen
Orte aufbewahrt, halt sich das so behandelte Fleisch vollig unverandert, und
erlangt beim nachherigen Kochen seine anfangliche Weichheit, wenn auch nicht
ganz, aber doch in gentigendem Grade wieder. Verdeil dampft das in Scheiben
geschnittene Fleisch in Kammern von Eisen- oder Bleiblech mittels Wasserdampf
von 3 — 4 Atm. Spannung durch 10 — 15 Minuten und trocknet das so abge-
dampfte Fleisch bei 40—50° C.
Am haufigsten wendet man die Trocknung bei Friichten an, die entweder
in rohem, ganz unverandertem Zustande getrocknet werden, z. B. Weinbeeren
zur Bereitung der Rosinen und Korinthen, Pflaumen, Kirschen u. dgl., oder
vorher in Scheiben zerscknitten werden, wie z. B. beim Trocknen der Aepfel.
Die Trocknung kann, zumal in warmeren Klimaten, an der Sonne, sonst auck
in einem Backofen oder in einem eigenen Trockenzimmer gesckeken. Hierker gehort
die freilick nur fur gewisse Gegenden empfeklenswertke Methode der Runkelruben-
Trocknung fiir Zwecke der Zuckerfabrikation. Die durch eine Maschine in Scheiben
zerschnittenen Rtiben werden in einem Trockenhause getrocknet, und konnen so
das ganze Jahr hindurch aufbewahrt werden, woraus sich fur die Riibenzucker-
fabriken der ausserordentliche Vortheil ergibt, dass die Fabrikation ununterbrochen
das ganze Jahr hindurch betrieben werden kann, wahrend bei Anwendung frischer
Ruben sich die Fabrikationszeit auf den Winter und selbst nur einen Theil
desselben beschrankt, indem die Ruben bei langerer Aufbewahrung der Verderb-
niss unterliegen; dass ferner die nutzbare Substanz der Ruben sich auf ein sehr
kleines Volumen reducirt, wodurch nicht nur viel Raum zur Aufbewahrung
erspart, sondern auch der Transport in dem Grade erleichtert wird, als getrock-
nete Ruben sich weit versenden lassen, mithin einen eigentlichen Handelsartikel
bilden konnen, worin sowohl fiir die Zuckerfabriken, als auch fiir den Landbau
ein grosser Vortheil liegt. Zwar verursacht das Trocknen der Riibenschnitte einen
sehr grossen Aufwand an Brennmaterial, dieser aber compensirt sich fast ganz
dadurch, dass bei der nachherigen Verarbeitung die zu feinem Mehl gemahlenen
Schnitte mit einer verhaltnissmassig sehr geringen Menge Wasser extrahirt, sofort
einen sehr concentrirten und ziemlich reinen Zuckersaft liefern, dessen Verdampfung
nur noch wenig Brennstoff in Anspruch nimmt.
Die Conservirung von verschiedenen Gemiisen durch Trocknung hat in
neuerer Zeit durch den Franzosen Masson eine bedeutende Vervollkommuung
erfahren dadurch, dass er die getrockneten Blatter einer starken Pressung unter-
B^.nnarach & Heeren, Techniaches Worterbuch. Bd. III. 23
354 Faulniss.
warf und sie so in kleine viereckige Tafelcken von etwa 10om iin Quadrat und
lcm Dicke verwandelte, wodurch wegen des so sehr verminderten Volums die
Einwirkung der Luft bedeutend herabgesetzt wurde (Comprimes). Es wurden
auf diese Art von ihm gewbhnlicher weisser Kohl, Rosenkohl, Kerbel, Sellerie,
Spinat und die Zuthaten zu der unter dem Nam en „ Julienne" bekannten Suppe
gepresst und in blechernen Biichsen verlothet verkauft. Ein Tafelchen solcher
Comprimes wiegt 500 Grm. und liefert 20 Portionen, deren eine beim Kochen
150—180 Grm. Gemuse gibt. Ein Blechkastchen von 0.008cm Inhalt fasst 10
solcher Tafelchen, welche 5 Kl. Gemuse — 200 Portionen a 25 Grm. entsprechen. Da
den nach der Masson'schen Methode dargestellten Comprimes meist ein eigen-
thtimlicher Heugeruch anhaftet und dieselben wegen der unvollstandigen Coagulation
des Eiweisses leicht bei langerer Aufbewahrung einen scharfen Geschmack anneh-
ruen, so hat man das Verfahren dadurch zu verbessern gesucht, dass man die
zu conservirenden Gemuse zunachst mit iiberhitztem Wasserdampf behandelt und
dann erst trocknet und presst. Dieser Art sind die Methoden von Morel-
Facio, Dolfuss und Verdeil, welcher letztere das Gemuse mit Dampf
von 4 — 5 Atm. Spannung (145 — 150° C.) in eigenen Kammern abdampft und
sodann in einem Strome von auf 32 — 40° C. erhitzter Luft trocknet. Zum Ge-
brauch ist es nur nothig, die Kuchen etwa 7/2 bis 3/4 Stunden in warmes
Wasser zu legen, wodurch die Blatter bis zu ihrem friiheren Volumen anschwellen
und auch vollkommen das friihere Ansehen wieder gewinnen". Sie werden dann
auf gewdhnliche Art gekocht und besitzen hiernach ganz den Geschmack der
frischen Pflanze. Auch Kartoffeln in feine Streifen zerschnitten, getrocknet und
in Blechbiichsen verlothet, erhalten sich lange unverandert. Diese Erfindung ist
besonders zum Verproviantiren der Schiffe in hohem Grade wichtig, wejl es dabei
hauptsachlich auf Raumersparung ankommt.
Getreidemehl, wie gewohnlich feucht gemahlen, ist besonders bei fester
Verpackung in Fassern der Verderbniss unterworfen. Zum Behuf der Weiter-
versendung oder langer Aufbewahrung ist es daher nothwendig, das Getreide
nicht nur beim Mahlen nicht zu netzen, sondern es in moglichst trockenem Zu-
stande zu verarbeiten. Auch ungemahlenes Getreide, so wie alle anderen Samen
unterliegen in vollig trockenem Zustande durchaus keiner Verderbniss, wenn auch
freilich ihre Keimkraft allmalig schwindet.
Auf dem Principe der Conservirung durch Trocknen beruht auch die Her-
stellung des Fleisch zwiebacks (meat biscuit), wie sie von G a i 1 - B o r d e s
in Galveston (Texas) zuerst angewendet, spater auch von Siemens in Hohen-
heim und Calamand in Paris ausgefiihrt wurde. Nach Siemens (vgl. Dingl.
pol. Journ. Bd. 123 pag. 458) werden 12 Kilo Rindfleisch mit Wasser abgekocht und
4-5 Liter Briihe erhalten; diese nach dem Erkalten von dem aufschwimmenden
Fett befreit und sodann bis auf etwa ]/4 des Volumens eingedampft, sodann noch
heiss mit 6 Kilo feinem Weizenmehl angemacht, zu Kuchen geformt und in
einem Backofen gebacken. Es werden 6 Kilo Zwieback erhalten. Aus dem
abgekochten Fleisch und den Knochen konnen auf gleiche Art noch 2 Kilo Zwie-
back erhalten werden.
Der Fleischzwieback ist zur Bereitung von Suppen bestimmt, indem man
ihn pulverisirt und mit Wasser unter Zusatz von Salz und Pfeffer kocht. Er
ist so nahrhaft, dass 140 Grm. vollkommen zur taglichen Nahrung eines Men-
schen hinreichen.
Auf der wasserentziehenden Wirkung gewisser Salze, wie Kochsalz, Sal-
peter, weiters aber auch concentrirter Zuckerlosungen basirt das Conserviren
z. B. des Fleisches, der Fische u. s. w. durch Einpockeln und das Conserviren
des Obstes durch sogenanntes Einsieden in Zucker. Das Einpockeln des Fleisches
ist sehr einfach und besteht darin, das Fleisch mit Salz stark einzureiben, es
hierauf mit Salz stark bestreut einige Tage liegen zu lassen, dann unter Gewichten
oder einer Hebelpresse auszupressen, dieselbe Behandlung noch einmal zu wieder-
holen, das Fleisch hierauf in Fasser zu verpacken und mit der ausgepressten
Faulniss. 355
Lake, die, wenn es sicli urn sehr Iange Conservation handelt, etwa bis auf die
Halfte eiugedarapft werden kanii, zu iibergiessen. Fische, so namentlich Haringe,
werden mit Seesalz eingepockelt. Man legt sie nach dem Ausnehmen und
Abwaschen etwa 24 Stunden lang in Salzlake ein und verpackt sie endlich in
die Fasser. Das Einsalzen von Gemiisen,, Friichten u. dgl. ist eine zu bekannte
Sache, als dass es einer naheren Beschreibung bediirfte.
Statt cles Kochsalzes konnen audi andere Salze in Anwendung gebracbt
werden, was jedocli mit Ausnabme von Salpeter, der wobl beim Einsalzen in
geringer Menge zugesetzt wird, ihres unangenebmen Geschmackes wegen nicbt
gesehiebt. Eines der am kraftigsten wirkenden Salze ist Alaun und schwcfel-
saure Tbonerde. Eine concentrirte Losung von scbwefelsaurer Thonerde ist zum
Einlegen der Leicben und Praparate bei anatomischen Arbeiten statt des Brannt-
weins empfoblen worden, wird aber nur selten angewendet.
Eine sebr allgemeine Anwendung als Conservirungsmittel findet das Ein-
machen in Zucker. So sehr aucb eine verdiinnte Zuckerlosung geneigt ist;
durcb Vermittlung stickstoffhaltiger Substanzen, besonders der Hefe, in die Wein-
gahrung iiberzugehen, ebenso stark widerstebt sie derselben in concentrirtem
Zustande und schiitzt so auch andere damit impragnirte Stoife vor der Verderb-
niss. Das Einmacben der Friichte, Wurzeln und anderer Pflanzentheile in Zucker
ist im Wesentlichen eine bekannte Sache, und ist dabei stets nur zu beachten,
dass so viel Zucker angewendet werden muss, dass er die ganze Menge des vor-
handenen Wassers fiir sicb in Anspruch nimmt. Es ist daher immer Regel bei
dem Einmacben in Zucker, an diesem letzteren nicht zu sparen.
Hierber gehort aucb die Conservation der Milch, indem man etwa 1/3
ihres Gewichtes Zucker darin aullost, und sie dann bis zur dicksyrupartigen
Consistenz abdampft. Sie nach der Methode von Fadeuil ganz zur Trockne
abzudampfen, nm sie so in Gestalt barter Kuchen aufzubewahren, ist nicht zweck-
massig, weil sie sick beim Gebrauche nicht wieder im Wasser zu einer Emulsion
fein zertheilt. (vergl. a. Milch.)
Endlich gehort zu den Conservirungsmethoden, welche durch Wasserent-
ziehung wirken, auch das Einlegen in Alkohol (Rum u. dgl.). Diese bei
anatomischen Praparaten, so wie beim Einmachen von Friichten tibliche Methode
verbindet den Vortheil der Einfachheit und Bequemlichkeit mit dem besonders
fiir anatomische Praparate so wichtigen Umstande, dass die Theile in ziemlich
unveranderter Gestalt und ihrem natiirlichen weichen Zustande verbleiben, und
zugleich durch die vollig klare Fliissigkeit vollkommen gut beobachtet werden
konnen. Leider gestattet dies so vortreffliche Aufbewahrungsmittel nur eine sehr
beschrankte Anwendung auf die Conservation von Nahrungsstoffen, und man
wendet es ausser zur Conservirung anatomischer Praparate wobl nur vereinzelt
zur Obstconservation an. (Rumobst.)
3. Durch Absperrung der Luft, entweder durch entsprechende
Einschliessung und Aufbewahrung in hermetischen Gefassen, oder durch Ueber^
ziehen der zu conservirenden Objecte mit einer fiir die Atmosphare undurch-
dringlichen Hiille. Beispiel fiir das erstere ist die so vielfach practicirte
Appert'sche Methode der Conservirung durch Einschliessung und Ver-
lothung in Metallblechbiichsen, nachdem zuvor durch Erhitzen des Inhaltes bis
iiber 1(70° C. die Faulnisskeime getodtet und die Luft aus den Biichsen ver-
trieben wurde.
Nach dem Appert'schen Verfahren kann man sowohl zubereitete Speisen
als auch Friichte, Milch u. s. w. conserviren. Zubereitete Fleischspeisen z. B.,
die zu dem Ende moglichst stark eingekocht werden miissen, bringt man in
cylindrische Blechbiichsen von angemessener Grosse, die damit grosstentbeils
gefullt werden, lothet nun einen mit einer kleinen Oeffnung versehenen Deckel
darauf, fiillt durch diese Oeffnung den noch leeren Raum vollig mit Sauce, und
verlothet endlich auch diese Oeffnung mit einemStiickchenBlech. Die so weit fertigen
Biichsen setzt man je nach ihrer Grosse 1/(t bis 1 Stunde in einem Wasserbade
23*
356 Faulniss.
der Siedhitze aus, wobei audi die letzten Spuren von Sauerstoff mit den Bestand-
theilen der Brtihe zusammentreten, imd dadurch ausser Wirkung konimen, worauf
nach dem Erkalten die Biichsen noch mit einein Firnissanstrich versehen werden
konnen.
So conservirte Speisen halten sich in der Regel lange Zeit vollig unverandert.
1st in einzelnen Biichsen ausnakmsweise Verderbniss eingetreten, so kann man
diese schon ausserlich daran erkennen. dass die flachen Boden durch entwickeltes
Gas bauchig aufgetrieben sind. Kleinere Gegenstande, als Erbsen, Bohnen u.
dergl., werden in glaserne Flaschen gethan, diese mit sehr guten Korken fest
verschlossen, und nun ebenfalls in einem Wasser- oder Dampfbade einer etwas
tiber 100° C. gehenden Temperatur ausgesetzt.
Um das Zerspringen der Flaschen zu verhuten, versieht man den Kessel
mit einem durchlocherten doppelten Boden, stellt die am besten in leinene Sack-
chen eingebundenen Flaschen darauf, und bringt nun das Wasser zum Kochen.
Nach vollendeter Kochung bleiben die Bouteillen noch einige Stunden in dem
Kessel, um damit langsam abzukiihlen, worauf man sie herausnimmt und nach
dem volligen Erkalten verpicht.
Erbsen und andere Gemiise konnen zwar rob in die Flaschen gegeben
werden, doch ist es zweckmassiger, sie vorher in heissem Wasser abzubriihen,
indem sie dadurch auf ein kleineres Volumen reducirt werden, und die Flaschen
mehr davon aufnehmen, mithin um so weniger Luft darin bleibt. Die Erhitzung
in dem Wasserbade muss je nach der verschiedenen Beschaffenheit der Gemiise
1 bis 2 Stunden dauern. Auch Milch kann nach der Appert'schen Methode
ziemlich lange conservirt werden, wenn man eine reine Flasche damit fiillt, sie
gut verkorkt und etwa 3/4 Stunden im Wasserbade erwarmt.
Eine neuere, dem Appert'schen Verfahren nachgebildete, sich aber doch
von ihr wesentlich unterscheidende Methode, Fleischspeisen u. dergl. zu conser-
viren, ist von Willaumez erfunden. Es konnen dazu glaserne Flaschen
gebraucht werden. Wesentlich ist hierbei ein kleines Werkzeug, der Dilator,
ein ganz schmales, etwa 3 Linien breites und 2 Zoll langes Streifchen von
Weissblech, welches in Gestalt einer flachen Rhine umgebogen ist; es wird beim
Gebrauch an den Kork gelegt, so dass die Rinne dem Gase zugekehrt ist und
beim Eindriicken des Korkes der in der Flasche enthaltenen Fliissigkeit und beim
nachherigen Kochen den Dampfen einen Ausweg gestattet.
Die zu conservirenden Substanzen, Gemiise oder Friichte, werden entweder
roh, im natiirlichen Zustande, jedenfalls aber so frisch wie moglich, oder auch
im gekochten und zubereiteten Zustande in die Flaschen gebracht. Letzteres ist
vorzuziehen. Der Zwischenraum wird entweder mit der beim Kochen erhaltenen
Briihe oder mit gesalzenem Wasser gefiillt. Man stellt die Flaschen in einen
hinreichend tiefen Kessel auf einen durchlocherten holzernen Boden, und fiillt
den Kessel mit einer Mischung von Wasser, Kochsalz und Zuckersja-up in dem
Gewichtsverhaltniss von 12 : 2 : 2 an, welche bei 108° C. kocht.
In diesem kochenden Bade lasst man die ganz gefiillten Flaschen etwa
'/a Stunde lang stehen und setzt nun die Korke auf. Diese miissen von sehr
gutem, dichten Korkholz angefertigt und durch Eintauchen in geschmolzenes
Wachs vollig luftdicht gemacht sein. Wenn nun die Substanz in der Flasche
sich im Kochen befindet, und der Dampf durch den Dilator in einem ununter-
brochenen Strahl austromt, so nimmt man die Flasche schnell aus dem Wasser-
bad, setzt sie in ein kleines Kasseroll mit kochendem Wasser, tragt das Ganze
unter die Zupfropfe-Presse, zieht den Dilator heraus und presst den Kork mit
Gewalt in die Flasche, worauf man sie langsam erkalten lasst.
Dasselbe Verfahren kann auch bei Fleischspeisen angewandt werden, nur
sind sodann Flaschen mit weiter Miindung erforderlich, und es entsteht die
Schwierigkeit, so grosse, hinreichend dicht schliessende Korke zu finden.
Ganz analog ist das von F a s t i e r und Morel-Facio angegebene Ver-
fahren, nach welchem man die Blechbiichsen zunachst nicht vollig verlothet,
Faulniss. — Fahlerz. 357
sondern eine kleine Oeffhung an cler Lothstelle belasst, durch welche beim Erhitzen
der Bitchsen die letzten Reste von Luft entweichen konnen, worauf man erst
vollig verlothet.
Beispiele fur das zweite Verfahren sind das Ueberziehen von Fleisch und feineren
Friichten mit einer Schichte von Paraffin, das Einlegen der Eier in Kalkwasser,
welches in die Poren der Schale eindringt, sich bier bald in unloslichen kohlen-
sauren Kalk umsetzt, wodurch das Eindringen der Luft verhindert wird. Auch
das Verfahren, die frischen Eier auf kurze Zeit, etwa 2 Minuten, in siedendes
Wasser zu tauchen, so dass das Eiweiss bis zu einer gewissen, wiewohl nicht
bedeutenden Tiefe hartgekocht wird, und somit eine scbiitzende Decke fiir den
uncoagulirten Tbeil abgibt, gehort hierher. Die Eier werden dann zwischen Sage-
spanen an einem kiihlen Orte aufbewahrt. Noch sicherer wiirde es sein, die
auf die eben erwahnte Art oberflachlich abgekochten Eier noch heiss mit einer
starken Gummilosung, der man, urn das vollige Austrocknen und Rissigwerden zu
verhindern, ein wenig Zuckersyrup zusetzen konnte, zu bestreichen und nun in
Kohlenpulver aufzubewahren.
4. Durch Anwendung von Substanzen, welche mit den zur Faulniss am
meisten geeigneten Stoffen, wie Eiweisssubstanzen, Leim etc., gewisse, wenn auch
lose Verbindungen eingehen, in welcher Form diese der Faulniss einen grosseren
Widerstand entgegensetzen, wie z. B. Gerbsaure, Phenol und seine Homologen,
Kreosol und Guajacol (im Holzrauch enthalten), gewisse Metallsalze.
Beispiele hiefiir sind die Conservirung der thierischen Haut als Leder durch
Gerbung mit Gerbsaure und Thonerdesalzen, das Rauchern des Fleisches, wobei
eine Fixirung der Eiweisssubstanzen durch die Bestandtheile des Kreosotes des
Holzrauches und zugleich eine Austrocknung erzielt wird, die Conservirung des
Holzes durch Kupfervitriol, Chlorzink etc. (Letztere ist ubrigens hierbei noch
auf mehrere andere Momente zuriickzuftihren.)
5. Durch Anwendung von Substanzen, welche geradezu Gifte fiir die Faul-
nissorganismen sind, dieselben todten, wie z. B. Arsenige Saure, Sublimat etc.
6. Durch Anwendung von Substanzen, welche die Faulnissorganismen nicht
direct todten, aber die Umwandlung der faulnissfahigen Substanzen in eine zur
Ernahrung der ersteren geeignete Form verhindern oder andere physiologischen
Functionen dieser beeintrachtigen.
Hierher gehoren unter anderen die in neuerer Zeit als vorziiglichstes Anti-
septicum erkannte Salicylsaure und einige ihr nahestehenden Verbindungen, deren
ausgezeichneten antiseptischen Eigenschaften wahrscheinlich nur auf diesen Wir-
kungen beruhen; hierher gehort wohl auch die conservirende Wirkung der
Benzoesaure, der Borsaure, endlich des Schwefelkohlenstoffs. Ed. Donath.
Faustel, s. Bergbau I pag. 384, s. Bohren I pag. 696.
Fagin, fluchtiges Alkaloid, von Herberger in den Bucheckern (s. U
pag. 161) aufgefunden, diirfte mit Trimethylamin identisch sein. Gtl.
Fahlerz, Schwarzerz, Graugiltigerz (Cuivre gris — Gray copper
ore), Tetraedrit. Ein unter die Kiese gehbriges Erz, welches tesseral, vor-
ziiglich in tetraedrischen Hemiedrien (daher der von Hai dinger gegebene Name)
mit zahlreichen Combinationen krystallisirt, gewohnlich aber derb und eingesprengt
vorkommt. Unvollkommene Spaltbarkeit, Bruch muschelig, kleinkornig, sprode.
Harte = 3— 4, spec. Gcw. 4-36 — 5.36. Stahlgrau bis eisenschwarz, Strich dunkel
fast schwarz. In der chemischen Zusammensetzung zeigen die Fahlerze verschie-
dene bemerkenswerthe Abweichungen, welche im Allgemeinen nach H. Rose
Bildungen nach der Formel 4JR^QS;J+2(4Cw2^Q*Sa) darstellen, worin R Eisen
und Zink, Q Antimon oder Arsen bedeutet. Das Kupfer fiihrt zuweilen (bis 10%)
Silber, auch wohl Quecksilber. Man unterscheidet :
1. Arsen fahlerze. Sie sind in der Regel heller von Farbe und dabei
sprode, sie haben einen grosseren oder geringeren Silbergehalt, fiihren aber kein
358 Fahlerz. — Falsch-Schiefer.
Zink. Sie geben iin Kolben ein Sublimat von Schwefelarsen, scbmelzen v. d. L.
leicht zu einer Kugel, welche gerostet die Eisen- und Kupferreaction gibt. Salpeter-
saure zersetzt das gepulverte Erz unter Abscheidimg von Arseniksaure und
Schwefel. Salpetersalzsaure gibt eine Losung, welche sich mit Wasser nicht triibt.
Kalilauge extrahirt Schwefelarsen.
2. Antimonfahlerze. Dunkler von Farbe und etwas weicher, fiihren
niemals Silber,, haben dafiir etwas Zink. Geben im Kolben ein dunkelrothes Su-
blirnat, v. d. L. wie Arsenfahlerz. Salpetersalzsaure zersetzt das Pulver und schei-
det dabei Antinionoxyd und Schwefel ab. Salpetersalzsaure scheidet Schwefel ab,
die Losung wird durch Zusatz von Wasser triibe. Kalilauge extrahirt in der
Warme Schwefelantimon.
3. Eine zwischen beiden stehende Gruppe Arsen-Antimonfahlerze,
deren Reactionen keinen bestimmten Charakter haben, da sie nach 1. und 2.
schwanken.
Die Fahlerze sind weit verbreitet, finden sich bei Pribram, Joachimsthal,
Freiberg, Clausthal, Zillerfeld, Andreasberg im Harz, Schwatz und anderorts in
Tyrol, Herrengrund, Kremnitz, Schemnitz in Ungarn, Kapnik in Siebenblirgen,
Cornwall in England u. a. v. a. 0.
Die Fahlerze werden theils zur Gewinnung des Kupfers, theils mit zur Er-
zeugung des Silbers verwendet. Lb.
Fahlleder, syn. Lohleder, Schmalleder, s. Leder.
Fahlrohkupfer, s. Kupfer.
Fahlunit, syn. Dichroit von Fahlun, vgl. Dichroit II pag. 621.
Fahnenhafer, Avena orientalis, s. Hafer.
Fahrgeschwindigkeit, III pag. 75.
Fahrkunst, s. Bergbau I pag. 410.
Fahrordnung, III pag. 74.
Fahrschacht, s. Bergbau I pag. 387.
Fahrteil, s. Bergbau I pag. 409.
Fahrtonne, Boje, s. I. pag. 724.
Fahrimg, s. Bergbau I pag. 409.
Faile (cadole — latch), s. S c h 1 o s s e r.
Fallen der Schichten, s. Ein fall en II pag. 739.
Fall hammer, s. Dampf hammer II pag. 511, s. Schmieden.
FallklotZ, s. Bar I. pag. 273.
Fallprobe, s. Eisen II pag. 775 (Wurfprobe).
Fallschirmrakete, s. Feuerwerkerei.
Fallwerk, s. Blechbearbeitung I pag. 557.
Falscher Drallt bezeichnet eine bios voriibergehende Drehung des Vor-
gaxnes, s. Streichgarnspinnerei.
Falsch-Schiefer, falsche S chief erung, auch secundare oder trans-
versale Schieferung (Cleavage), nennt man eine eigentliiimliche, vorwiegend im
Thonschiefer- und Grauwackeugebirge wahrnehmbare Erscheinung, welche darin
besteht, dass sich stellenweise^ aber oft auf weite Strecken, eine Schieferung be-
Falsch-Schiefer. — Farbe. 359
merkbar macht, welche nicht mit der eigentlichen Schichtung parallel geht, son-
dern auf deren Richtung mehr weniger senkrecht steht. Die Grauwacken- und
Thonschiefermassen zerfallen an solchen Stellen in parallelopipedische Stiicke
(Griffelschiefer z. B.), und die falsche Schieferung kann so ausgebildet sein,
dass sie die achte vollkommen unkenntlich macht. Die Ursache dieser Erschei-
nnng ist jedenfalls in Stdrungen der Lagerung der Schichten durch seitlichen
Druck zu suchen, und zeigt sich aucb zumeist nur da sehr ausgebildet, wo durch
Verwerfungen und Stauungen eine solcbe entstanden ist. Lb.
Faltung der Schichten oder des Gebirgs nennt man die in einem ScHichten-
system oder einem Gebirge mehrfach wiederkehrenden Biegungen der Glieder,
welche hiedurch eine wellenfdrmige, zickzakformige schleifen- oder facherfcirmige
Lage oder Faltung annehmen kdnnen. Lb.
Falz, s. Holzverbindungen, s. Blechbearbeitung I pag. 545.
Falzen, s. Holzverbindungen, s. Buchbinderei II pag. 110.
Falzhobel, s. Holzve r bind un gen, s. Hobelmaschinen.
Falzkapsel-Wlaschine zur Massenerzeugung der in den Apotheken verwen-
deten Papierkapseln erzeugt W. R. Enzmann in Dresden.
Falzmaschine, s. Buchbinderei II pag. 110, s. Blechbearbeitung
pag. I 546, 552.
Falzzange, s. Blechbearbeitung I pag. 545.
Fangspitze, s. Blitz ableiter I pag. 641.
Fangvorrichtungen, s. Bergbau I pag. 407.
Faradayin, altere Bezeichnung fur ein fliichtiges Product der trockenen De-
stination des Kautschuks, siedet bei 33° C, spec. Gew. 0*65. Ist ein gutes
Losnngsmittel ftir Harze, Schwefel und Phosphor, und bei gewohnlicher Tempe-
ratur schon ausserst fliichtig. Gil.
Farbe (couleur — colour) im Allgemeinen, ist die eigenartige, durch den
Sehnerven vermittelte Empfindung, welche durch die Einwirkung einzelner oder
auch mehrerer, ein and er aber nicht zu weissem Lichte erganzender, Lichtwellen
von bestimmter Wellenlange auf die Netzhaut oder durch eine sonstige Reizung
der Netzhaut erregt wird. Je nachdem diese Empfindungen ihre Quelle ausser-
halb des die Empfindung vermittelnden Organes haben, und daher flir mehrere
von einander unabhangige Sehorgane gleichzeitig wahrnehmbar sind, oder aber
in einem einzelnen Organe selbststandig zur Geltung kommen und dann fur nor-
male Sehorgane gleichzeitig nicht wahrnehmbar sind, unterscheiden wir die Farben
in objective oder physische und in subjective oder physiologische. Es soil hier
nur von den ersteren die Rede sein. Das von einem leuchtenden Korper aus-
strahlende Licht, welches in unserem Sehorgane eine bestimmte Farbejiempfindung
nicht hervorruft und das wir w e i s s e s Licht nennen, ist, wie die Erfahrung lehrt
(s. Licht), das Ergebniss mehrerer neben einander bestehender, wellenfdrmig sich
fortpflanzender Schwingungsbewegungen der Lichtathermolektile. Da das Zustande-
kommen der Lichtempfindung iiberhaupt als die Folge der von den schwingenden
Aethermolekiilen gegen die in der Netzhaut des Auges ausgebreiteten Endver-
zweigungen des Sehnerven gefiihrten Stosse angesehen werden muss, so lasst sich
denken, dass wahrend die gleichzeitige regellose Einwirkung der Stosse melu-erer
in verschiedener Weise schwingender Aethermoleklile auf die Netzhaut die Em-
pfindung des weissen Lichtes bedingen kann, die in einer gewissen Regelmassigkeit
erfolgenden Stosse schwingender Aethermolekiile die Empfindung der Farbe be-
dingen, etwa so wie beim Tonen der Korper die gleichzeitige Einwirkung ver-
360 Farbe.
schiedener Schallwellen in unserem Gehororgane die Wahrnehmung eines Ge-
rausches hervorrufen kann, wahrend Schallwellen von bestimniter gleichartiger
Natur die Wahrnehmung bestimmter Tone bedingen. Insoferne die physischen
Farbenerscheinnngen sonach stets nur ihre Quelle in der Einwirkung bestimmter
Lichtwellen auf die Netzhaut des Auges haben, kann man solche Lichtwellen
selbst als farbige bezeichnen und demnach die Farbenempfindung als das Ergeb-
niss der Einwirkimg einzelner oder mehrerer, zwar gleichzeitig wirkender, sich in
ihrer Wirkung aber nicht storender farbiger Lichtwellen bezeichnen. Die Art der
Farbenempfindungen ist, ebenso wie die Art der Tonempfindung durch die lang-
samere oder raschere Schwingung des tonenden Korpers bedingt wird, abhangig
von der grosseren oder geringeren Raschheit der Schwingung der Aethermolekiile,
also von der Dauer der Schwingung und der mit dieser im engsten Zusammen-
hange stehenden geringeren oder grosseren Lange der Lichtwellen, uud wie jeder
bestimmten Schwingungszahl eines tonenden Korpers ein bestimmter Ton entspricht,
so entspricht jeder bestimmten Schwingungszahl der Lichtathermolekiile eine be-
stimmte Farbe. Fresnel hat durch sehr genaue Versuche fiir verschiedene far-
bige Lichtwellen, welche die Hauptfarben reprasentiren, die Wellenlangen und die
Schwingungszahlen der Aethermolekiile gemessen und wie folgt gefunden:
Wellenlange ausgedriickt in Schwingungen des Aethermolekuls
Licht Milliontheilen eines Millimeters in einer Secunde
Rothes 645 500 Billionen
Orangefarbiges 588 532 „
Gelbes .551 563
Grimes 511 607
Lichtblaues 475 653 „
Dunkelblaues 449 691 „
Violettes 423 735
Wie man aus diesen Zahlen ersieht, unterscheiden sich die verschiedenen
Lichtarten in Bezug auf ihre Wellenlangen und Schwingungszahlen sehr erheblich
von einander, und es ist demnach begreiflich, dass die Empfindungen, welche sie
hervorzurufen vermogen, um so verschiedener sein werden, je mehr die Schwin-
gungszahlen von einander abweichen. In ihrer gleichzeitigen Einwirkung auf den
Sehnerv bringen sie den Eindruck des weissen Lichtes hervor, und da man sohin
im weissen Lichte die verschiedensten Arten farbigen Lichtes nachzuweisen ver-
mag, kann man das weisse Licht als aus den einzelnen farbigen Lichtarten zu-
sammengesetzt und demnach die unter dem Einflusse des weissen Lichtes auf
gewisse Korper hervortretende Farbenerscheinung als das Resultat einer Zersetzung
des weissen Lichtes bezeichnen. In der That nehmen wir Farbenerscheinungen
nicht bios dann wahr, wenn das von einem leuchtenden Korper ausgestrahlte Licht
von bestimmter Farbe direct in unser Auge gelangt (urspriingliche oder
permanente Far ben), sondern weit haufiger werden Farbenerscheinungen
bedingt durch den Einfluss, welchen die Korper bei der Einwirkung weissen Lichtes
auf die Verhaltnisse der Lichtwellen nehmen (apparente Far ben). Hierher
gehoren zunachst die Farbenerscheinungen, die bei der Brechung des Lichtes, d.
s. Br echujigsfarben (prismatische Farben), zu Stande kommen konnen
und ihren Grund in der durch die Verschiedenheit der Wellenlangen bedingten
verschiedenen Brechbarkeit der einzelnen Lichtarten haben, weiters die Farben-
erscheinungen durch die Einwirkung zweier unter einer schwachen Neigung sich
so treffender Lichtwellen, dass bei dem Zusammentreffen derselben eine Gang-
verschiedenheit um eine ungerade Zahl von halben Wellenlangen besteht (Inter-
ferenz-Farben), endlich jene, welche durch die Vernichtung einzelner Licht-
arten bei dem Dnrchgange oder der Reflexion der Lichtstrahlen durch verschiel
dene Korper zu Stande kommen, d. s. Farben der Absorption. Zu de-
ersten Art der apparenten Farbenerscheinungen zahlen vornehmlich die Spectra r-
farben, dann die Farben bei Linsensystemen; die Farbenerscheinungen durch
Interferenz finden sich in den Farben diinner Blatter, dann den irisirenden
Farbe. 361
oder Perlmutterfarben, endlich die Polarisations far ben, wahrend zu
den Farbenerscheinungen durch Absorption, die Farbenerscheinungen an farbigen,
Licht durchlassenden Korpern, Glasern, Mineralien,, Fliissigkeiten, Gasen (diop-
trische Absorptions far ben), so wie jene an farbigen, fur Licbt undurch-
gangigen oder doch hbchstens durchscheinenden Korper von nattirlicher Farbe
(katoptrische Absorptionsfarben) zu zahlen sind.
Farbenerscheinungen, mit welchen es die Technik zu thun hat, sind vor-
nehmlich Absorptionsfarben (nur verhaltnissmassig selten kommen Farbenerschei-
nungen der Interferenz in Betracht), und diese Erscheinungen kommen dem oben
Gesagten zu Folge in der Art zu Stande, dass das auf gefarbt erscheinende Stoffe
auffallende weisse Licht vermoge der absorbirenden Wirkung die die Masse oder
wenigstens die Oberflache solcher Stoffe auf einzelne in dem weissen Lichte ent-
haltene farbige Lichtwellen ausiibt, zum Theile zersetzt wird und demnach nur
der nicht absorbirte Antheil der das weisse Licht zusammensetzenden einzelnen
Lichtarten zur Wahrnehmung gelangt. Der Eindruck, den dieser Antheil auf
unser Auge macht, wird mehr oder weniger von jenem des weissen Lichtes ab-
weichen miissen, und zwar um so ausgesprochener, je mehr von den einzelnen
Lichtarten, die in ihrer Gesammtheit die Empfindung des Weiss hervorbringen,
absorbirt worden ist; in der Regel aber wird dieser Eindruck nicht der einer
einzelnen Lichtart, sondern meist noch der eines Gemenges von sich zu einer
Farbenmischung vereinigenden farbigen Lichtwellen sein. Hat ein Korper die
Eigenschaft, alle Lichtwellen bis auf eine von bestimmter Wellenlange zu absor-
biren, so wird seine Farbe rein (homogen) erscheinen, in alien anderen Fallen
wird sie noch zusammengesetzt sein, also eine von der reinen Farbe ab-
weichende Nuance (Farbenton) haben, und es ist klar, dass ein solcher Korper
bei der Beleuchtung mit alien Lichtarten von anderer Beschaffenheit oder mit
einem Gemenge von solchen, welche die Lichtart, die er nicht absorbirt, nicht ent-
halten, dunkel erscheinen, und nur dann erhellt und wahrnehmbar sein
wird, wenn er von der bestimmten Lichtart oder einem dieselbe enthaltenden Ge-
menge derselben getroffen wird. Es kann demnach ein Korper, welcher im weissen
Lichte eine bestimmte Farbung zeigt, bei der Beleuchtung mit einer bestimmten
anderen Lichtart, dunkel und ungefarbt erscheinen, oder wenn er wie gewbhnlich
keine homogene Farbe zeigt, durch die Beleuchtung mit einem andern als weissem
Lichte eine andere Nuance der Farbung zeigen, wie ja das die Erfahrung, z. B.
das missfarbig erscheinen violetter oder blauer Korper bei Beleuchtung mit dem
nicht rein weissen Kerzen- oder Lampenlicht, das ungefarbt erscheinen rother
Korper in dem gelben Lichte der Flamme von mit Kochsalz vermengtem Spiritus
u. s. w. sattsam lehrt. Die Beurtheilung der Farbe eines Kbrpers kann sich dem-
nach im Allgemeinen nur auf die Beleuchtung mit weissem Lichte (Sonnen- oder
helles Tageslicht) beziehen.
Da die Farbe eines Korpers, wie erwahnt, durch die Absorption eines
Theiles farbiger Lichtwellen aus dem weissen Lichte zu Stande kommt, so
ist klar, dass der zur Absorption gebrachte Antheil der farbigen Lichtwellen, mit
jenem, welcher unabsorbirt geblieben ist und also die Kbrperfarbe bedingt, sich
zu Weiss erganzen miisste, wenn man beide wieder zusammentreffen lasst, und es
folgt hieraus, class es fur jede Farbe eine entsprechende zweite geben muss,
welche mit der ersten, in passendem Verhaltnisse zusammentreffend, wieder Weiss
liefert.
Diese eine bestimmte Farbe zu Weiss erganzende Farbe nennt man ihre E r-
ganzungsfarbe oder Complementarfarbe, und Farben, die mit ein-
ander gemengt Weiss liefern, nennt man complementare Farben. Von diesem
Verhalten der Farben macht man mannigfachen Gebrauch ; so z. B. bentitzt man
die Complementaritat dazu, um schwach gelb gefarbten Korpern durch Zusatz von
einem geeigneten Blau ein rein weisses Aussehen zu ertheilen; hierher gehbrt das
Blauen der Wasche, des Zuckers, der Starke, das Weissmachen des Glases durch
schwaches Anfarben mit Violett. Farblos erscheinende Mineralien verdanken ihre
362 Farbe.
Farblosigkeit oft dem Umstande, dass sie zwei einander complementare Farben
enthalten u. dgl. m. Auf der Cornplementaritat der Farben berulit auch die als
Contrastwirkung bezeichnete Erscheinung, dass eine Farbe durch eine neben
ihr gestellte zweite Farbe beeinflusst und in ihrer Nuance geandert werden kann,
indem bei der gleichzeitigen Einwirkung zweier Farben auf die Netzhaut, wenn
dieselben neben einander wirken, das Auge die beiden Farben nicht nur unver-
iindert, sondern jede einzelne so wahrnimrnt, als wenn ihr die der nebenstehenden
Farbe complementaire Farbe beigemengt ware. So erscheint ein weisses Feld, das
sich auf einem hellgriinen Grunde befindet, schwach roth, oder umgekehrt schwach
griin, wenn es sich auf rothem Grunde findet, schwach violett, wenn es vorherr-
schend eine gelbe Umgebung, und schwach gelb, wenn es eine violette Umgebung
hat, schwach blau, wenn nebenbei vorherrschend Orange, und orange, wenn nebenbei
vorherrschend Blau vorhanden ist u. s. w. So wird Griin neben Violett gelblich, das
Violett rothlich, Roth neben Gelb violett, das Gelb griinlich u. s. w. Solche schein-
bare Farben pflegt man Contrast far ben oder Nebenfarben zu nennen, und ihrem
Auftreten muss in der Farberei und Druckerei, ebensowohl wie in der Malerei
ganz besonders Rechnung getragen werden.
Man kann die Farben nach den 7 Hauptfarben, welche das durch prismatische Zer-
streuung zerlegte weisse Licht in dem sogenannten Spectrum (s. S p e c t r o s c o p) zeigt
(vgl. oben), in rothe, orange, gelbe, grime, blaue und violette unterscheiden, welchen
7 Hauptgruppen als eigentliche Grundfarben wieder nur roth, gelb und blau zu
Grunde gelegt werden konnen. Weiss und Schwarz erscheinen nicht als Farben,
sondern es entspricht Weiss der Abwesenheit jeglicher Farbe und Schwarz dem
Abgange des Lichtes iiberhaupt. Chevreul hat ein System der Farben auf-
gestellt, dessen wesentlicksten Grundsatze bier kurz angedeutet werden sollen.
Die Hauptfarben: roth, orange, gelb, griin, blau und violett konnen ver-
andert werden:
a) durch Weiss, welches sie heller und weniger intensiv macht, wodurch die
helleren Tone einer und derselben Farbe entstehen ;
b) durch Schwarz, welches sie dunkler erscheinen lasst, bei gleichzeitiger
Schwachung der Intensitat, wodurch die dunkleren Tone der Farbe erhalten
werden. Die Reihenfolge aller Tone bildet die Farbenscala;
c) durch eine zweite Farbe, welche die Eigenthiimlichkeit der Farbe andert,
ohne sie zu triiben, wodurch Nuancen der Farbe entstehen;
d) durch eine zweite Farbe, welche die Eigenthiimlichkeit der Farbe unter
gleichzeitiger Triibung andert und sie endlich in Schwarz oder in das Gemenge
von Schwarz mit Weiss, d. h. in Grau abstumpft.
Durch Combination der in der Reihenfolge stehenden Hauptfarben mit ein-
ander in bestimmten Verhaltnissen stellt Chevreul 72 Farbentypen dar, von
deren jeder er durch Beimischung von 0-1 — 0*9 Antheilen an Weiss oder Schwarz
20 Tone herstellt. Er erhalt in dieser Weise Scalen von je zwanzig Farben, mit
Hilfe deren sich jede einzelne Farbe genau bestimmen lasst, indem man die Namen
der Scala angibt, der sie angehort, und die Nummer ihres Tones, eventuell die
Beimengung von Schwarz, durch welche sie gedampft erscheint. (Vgl. E. C h e v r e u 1
de couleurs et de leur applications etc. 1864.)
Als Erfahrungsregeln fiir die Mischung von Farben ergeben sich folgende :
I. a) Mischungen von Farbstoffen, deren einer Roth, der andere Gelb ist,
beziehungsweise zwischen Roth und Gelb liegenden Nuancen des einen oder des
andern liefern Orange oder orange Nuancen.
b) Mischungen von Farbstoffen, deren einer dem Roth, der andere dem Blau
angehort, liefern Violett oder violette Nuancen.
c) Mischungen von Farbstoffen, deren einer dem Blau, der andere dem Gelb
angehort, liefern Griin oder griine Nuancen.
II. a) Roth, Gelb und Blau liefern in passendem Verhaltnisse gemischt
Schwarz oder durch Schwarz gedampftes Weiss, d. i. Grau.
Farbe.
Farbereiben.
u-y/j
b) Ist in der Mischung eine Farbe iiberwiegend, so entsteht7 je nach dem
Vorherrsclien des Roth, Gelb oder Blau, ein rothliches, gelbes oder blaues Grau.
Vgl. iib. a. Farberei III pag. 349, s. a. Far b s to ffe. Gil.
Farbendruck, s. Buntdruck II pag. 157, s. Kupferdruck, s. Lito-
graphie. Eine eigenthiimliehe Methode des Farbendruckes von J. M. Jobnson
& Son im London ist kurz bescbrieben in der Zeitscbrif't d. nied.-rist. Gew.-Ver.
1874 pag. 49. Kk.
FarbenmaSS, syn. m. Colorimeter, s. II pag. 379.
Farbenspectrum, s. Spectroscop.
Farberden7 syn. m. Erdfarben, s. bei Erde III pag. 285.
Farbereiben (pulveriser des couleurs — to powder colour). Das Reiben
der Malerfarben geschiebt sebr haufig nocb jetzt aus freier Hand mit Farbstein
nnd Laufer, ist aber eine hochst zeitraubende und langweilige Arbeit. Sie Hesse
sieh ungemein erleichtern, wenn die Farben, besonders das Bleiweiss, welches in
so grossen Quantitaten gebrancht wird, gleich als hinlanglich fein gemablene
Pulver in den Handel kamen.
Der Farbstein ist eine horizontal gestellte, ebene Platte aus dichtem
Marmor, Porpbyr, Granit od. dgl. Der Reiber oder Laufer ist ein kegelformi-
ger Stein derselben Art mit glatter Grundflache.
Wo es sich um kleine Quantitaten handelt, empfiehlt sich allerdings das
Reiben mit Farbstein und Laufer durch Einfachheit, sowie dadurch, dass die ganze
Menge der geriebenen Farbe leicht und vollstandig abgenommen werden kann.
Beim Reiben grosserer Quantitaten einer und derselben Farbe aber verdienen Reib-
maschinen jedenfalls den Vorzug.
Eine Farbreibmaschine, deren
Wirkungsart mit jener der Hand-
arbeit ziemlich nahe iibereinstimmt,
besteht in einem grossen run den
Reibsteine auf welchem ein kleine-
rer, dessen Durchmesser etwa V3
von dem des grossen betragt, durch
einen Mechanismus im Kreise herum-
gefiihrt, und wahrend dem bestandig
um seine eigene Achse gedreht wird.
Recht wirksam und durch viel-
faltige Anwendung erprobt ist die
in Fig. 1519 abgebildete Farben-
reibmaschine von Rum m el. Auf
einem gusseisernen Gestelle A B
ist durch Schrauben das gleichfalls
gusseiserne Bodenstlick C befestigt,
auf welchem sich der auf der Innen-
seite gefurchte gusseiserne Laufer E,
dessen Gestalt sich aus der Zeichnung ergibt, dreht. Derselbe ist durch die
Mutter a, den dreiarmigen Stern e und die Winkelstucke c an der stehenden
Welle D befestigt und tragt zugleich den Aufgebetrichter F. Die Drehung der
Welle wird mittelst der Kurbel G und der konischen Rader H und J bewirkt;
ein Schwungrad K dient zur Erzielung gleichformigeren Ganges. Um den Druck
des Laufers gegen das Bodenstlick beliebig reguliren zu konnen, dienen die beiden
Stellschrauben b und d. Die in den Trichiter gegebene Farbe geht langsam zwi-
schen Laufer und Bodenstlick hindurch, sammelt sich in der kreisformigen Rinne
h nnd fliesst von hier ab. Auf einer Maschine mit 36ora Durchmesser des Laufers
kann taglich 50 Kg. Oelfarbe gerieben werden.
Fig. 1519.
364 Farbereiben. — Farbstoffe.
Zum eigentlichen fabriksmassigen Betriebe eignen sicb besonders die Ma-
schinen mit Walzen, deren zwei oder drei, fest an einander gedrtickt, sich mit un-
gleicher Geschwin digkeit umdreben. Solche Walzmaschinen haben
Aehnlichkeit mit den Chocolade-Reibmaschinen, welche Bd. II pag. 338 etc. be-
schrieben wurden. Diese Maschinen werden namentlich zum Reiben der Buch-
druckerfarbe beniitzt. Auch excentrische Miihlen finden Anwendung. Hier-
bei sitzt eine Eisen- oder Steinscheibe auf einer vertikalen, von unten hebbaren
Achse und rotirt. Oberhalb derselben ist fest eine zweite Scbeibe angebracht,
welche excentrisch zu der ersteren stent und durch deren Auge (durchbohrte
Mitte) die zu reibende Farbe zufliesst. (Vgl. Art. Pulverisiren.)
Farbenreibmaschinen verfertigen : Herrmann in Paris, Carl A. Specker
in Wien, Joh. Ph. Klein in Offenbach a. M., Michaelis & Miiller in Chemnitz, H.
Bruckner in Berlin u. v. A.
Farberze oder Farbenerze, im weiteren Sinne alle Erze, welche zur Farben-
bereitung gebraucht werden, wie: Brauneisenerz, Rotheisenerz, Chromeisenerz,
Uranpecherz, Kobalt- und Nickelerze. Im engeren Sinne werden namentlich letz-
tere drei, im sachsischen Erzgebirge wohl auch die Kobalterze allein, weil zur
Blaufarbenerzeugung gebraucht, als Farberze bezeichnet. Lb.
Farbholzer, s. Blauholz, s. Gelbholz, s. Rothholz u. A.
Farbholzextracte, s. Extra cte III pag. 341, vgl. a. d. einzelnen Farb-
holzer.
Farbholzmiihlen, s. Hobelmaschinen, s. Frasen.
Farbkorper, s. Farbstoffe.
Farblacke (laque des peintres — drop-lake), Lackfarben, Lacke,
nennt man im Allgemeinen die Verbindungen von organischen Farbstoffen mit
Thonerde, Zinnoxyd, Bleioxyd, Eisenoxyd u. s. w., wie solche durch Fallung ge-
wisser Farbstofflosungen mit Thonerde-; Blei-, Zinn- oder anderen Salzen der
schweren Metalle oft bei gleichzeitiger Anwendung eines Alkalis in Gestalt von
in Wasser nicht oder nur sehr schwer loslichen Niederschlagen erhalten werden
kbnnen. Gil.
Farbmalz, s. Bier I pag. 476.
Farbmuhlen, s. Farbereiben.
Farbreibmaschinen, s. Farbereiben.
Farbschreiber, Blauschreiber, s. Electricitat bei electrische Tele-
graphie III pag. 217.
Farbstein, s. Farbereiben.
Farbstoffe, F a r b m a t e r i a 1 i e n (matieres colorantes — colouring matters),
Pigmente, Farbkorper, nennt man alle jene Korper, welche durch ihre
Gegenwart anderen Korpern die Fahigkeit ertheilen, eine bestimmte Farbe zu
zeigen, wobei sie die bestimmte Farbe entweder schon an sich haben (Far ben),
oder dieselbe erst unter gewissen Umstanden annehmen (Chromogene). Man
kann die Farbstoffe je nach ihrer chemischen Natur in unorganische oder
Miner alfarb en und in organische Farbstoffe eintheilen, welche letztere
Gruppe alle dem Pflanzen- und Thierreiche entstammenden naturlichen Farbstoffe,
sowie die kiinstlichen Farbstoffe (z. B. Phenol-., Anilin-,, Naphtalin-, Anthracen-,
Chinolin-Farben u. s. w.) umfasst. Zwischen beiden stehen jene Farben^, welche
einen organischen Farbstoff in Verbindung mit einer unorganischen Substanz ent-
halten, d. s. die sogenannten Lackfarben (s. Farblacke). Je nach ihrer
Verwendung unterscheidet man die Farbkorper in solche, welche vornehmlich fur
Farbstoffe. 365
Zwecke der Farberei und Druckerei dienen (Zeugfarben oder Druckfarben)7
dann solche, welche wesentlich zu Zwecken der Malerei verwendet werden
(Maler- oder Anstrichfarben); endlich solche, die zur Farbung von Glas-
fliissen Verwendung finden (Schm elzfarben).
Die Maler- oder Anstrichfarben unterscheidet man, je nachdem die durch
Auftragen derselben herstellbare Farbschichte mehr oder weniger durchsichtig oder
durchscheinend oder aber undurchsichtig und demnach den Untergrund verdeckend
ist, in Lasur- oder Saftfarben und in Deck far ben (Korperfarben); je nach
der Natur des Bindemittels, mit welchem sie auf der Unterlage haftend gemacht werden,
in Oel- oder Firnissfarben, in Wasserfarben (Leimfarben, Aquarellfarben)
und in Kalkfarben (Mauerfarben), endlich Pas tell- und Staub farben,
welche ohne besonderes Bindemittel aufgetragen werden. Eine besondere Art der
Deckfarben bilden die Metall- oder Bronzefarben, bei welchen mit der bestimmten
Farbung ein gewisses Mass von Metallglanz erzielt werden kann.
Die Schmelzfarben unterscheidet man je nach ihrem jeweiligen Zwecke in
Glasfarben, Email- oder Glasurfarben und Porzellanfarben ; dass man die einzel-
nen Arten von Farben iiberdies nach ihrer Abstammung, beziehungsweise nach
ihre wesentlichsten Bestandtheilen gruppirt und entsprechend benennt, erhellt
aus den beziiglichen Namen, wie A n i 1 i n farben, Anthracen farben, Naphtalin-
farben, B lei farben, K up fer farben, Chromfarben u. dgl. m. Je nach der
Natur der charakteristischen Farbungen, die die einzelnen Farbkorper zeigen oder
hervorzubringen gestatten, unterscheidet man schwarze, braune, rothe, orange-
gelbe, gelbe, griine, blaue, violette, weisse und graue Farben. Von besonderer
Wichtigkeit ist endlich die Unterscheidung in giftige (schadliche) und giftfreie
(unschadliche) Farben, und insoferne diese Unterscheidung fiir die Praxis nicht
selten von hervorragender Bedeutung ist, geben wir im Folgenden eine Zusammen-
stellung der gebrauchlichsten Farben, welche diesen Categorien angehoren.
Es sind giftig:
Schwarze Farben: Antimonschwarz (Eisenbronce), Quecksilberschwarz.
Branne Farben: Bleibraun, Breslauer Braun (Chemisch Brann), Terra siena.
Rothe Farben: Zinnober (chinesisch Roth, Vermilion, Pariser Roth, Patent Roth),
Antimonzinnober, Mennige (Bleiroth, Minium, Pariser Roth, rothes Bloioxyd), Chromroth
(Chromzinnober, chroms. Blei), Mineralroth, rother Streuglanz, Schonroth, Florentinerlack
(arsenhalt. Cochenilleroth), Corallinroth, gewisse Arten von Fuchsin, Kupferroth (Kupferoxydul).
Orangegelbe Farben : Chromorange, Goldschwefel (Antimonorange).
Gelbe Farben: Rauschgelb (Auripigment, Opperment, Konigsgelb, persisch Gelb, chi-
nesisch Gelb, spanisch Gelb), Cadmiumgelb, Chromgelb (Kaisergelb, Neugelb, Krongelb,
Kolner Gelb, Pariser Gelb, Leipziger Gelb, Gothaer Gelb), Neapel-Gelb, Casseler Gelb (Mi-
neralgelb, Turners Gelb, Patent Gelb, Montpellier-Gelb, Veroneser Gelb, chemiseh Gelb).
Zinkgelb (Zinkchromat), Ultramaringelb (Gelbin, Barytgelb), Antimongelb, Steinbiihler Gelb,
Wismuthgelb, Massicot (Bleigelb), Gummi Guttae, Pinkrinsaure (Pikringelb).
Griine Farben : Grunspan (Spangriin), Bremer Griin, Berggriin (Braunsehweiger
Kupfergrun), Barytgriin (Mangangriin), Zinkgriin (Rinmanns Griin), Kobaltgriin, griiner Zinn-
ober (Oelgriin, Resedagriin, Maigriin, Moosgriin, Laubgriin, Neapel-Griin), Chromgriin (Gri-
gnet's Griin, grlines Chromoxyd), Seheele's Grim (schwedisch Griin, Mineralgriin), Sclnveinfurter
Griin (Kaiser-Griin, Konigs Griin, Kurrers Griin, Kirchbergers Griin, Schober-Griin, Zwickauer
Griin, Grundir-Griin, englisch Griin, Casseler Griin, Leipziger Griin, Neuwieder Griin, Original-
griin, Patentgriin, Pickelgriin, Mitisgriin, Maigriin, Moosgriin, schweizer Griin, Pariser Griin,
Wiener Griin, Wiirzburger Griin, Papageigriin, Basler Griin), Casselmanns Griin, Smaragd-
griin, Gelbholz- und Quercitrongriin, Jodgriin.
Blaue Farben: Bergblau (Mineralblau, Kalkblau, Kupferblau, Casseler Blau, Ham-
burger Blau, englisch Blau, Neuwieder Blau), Coeruleum, Kobaltblau (Thenard's Blau), Molyb-
daenblau (Mineralindigo), Smalte (Eschel), Berliner Blau (u. z. speciell Louisenblau und Mi-
neralblau), blaiier Erzglanz, blauer Streuglanz, manche Sorten Anilinblau.
Violette Farben: Alle aus giftigen blauen oder rothen Farben hergestellten violetten
Gemenge, ferner manche Sorten Anilinviolett.
Weisse Farben: Bleiweiss und bleiweisshaltige Mischungen (Schieferweiss, Kremser
Weiss, Venetianer Weiss, Hamburger Weiss, Hollander Weiss, Tyroler Weiss, Thenards
Weiss, Clichyer Weiss, franzosisch Weiss, Silberweiss, Perlweiss), Zinkweiss (Schneeweiss,
Zinkblumen, Zinkoxyd), Barytweiss (Schwerspath, Spathweiss, Mineralweiss, Neuweiss, Blei-
weisssurrogat, Permanentweiss, Blanc fixe), Satinweiss, Wismutweiss (spanisch Weiss, Schmink-
Weiss, echt Perlweiss).
366 Farbstoffe. — Faserkohle.
G r a n e Farben. Alle Mischungen, welclie schadliche weisse oder schwarze Farben
enthalten, dann Zinkgrau, Zinkblende.
Metall- oder Br once farben: Schaumgold, Schaumsilber, imechtes Metallgold und
Metallsilber, unechtes Malersilber, Kupferbronce, Broncelacke aus schadlichen Anilinfarben,
Wolframbronzeii.
Es sind nicht giftig :
Schwarze Farben: Frankfurter Schwarz (Rebscliwarz, Weinschwarz, Drusenschwarz,
Hefenschwarz), Russschwarz (Kienruss, Lampenscbwarz), Oelschwarz, Beinschwarz, Kork-
schwarz (spanisch Schwarz), Neutralschwarz, Kernschwarz.
Branne Farben : Umbra (Umbraun, Kolnisch Braun, Kesselbraun, spanisch Braun,
Van Dyks Braun, Eisenacher Braun, brauner Carmin), Biester (Sodbraun, Chemischbraun),
Manganbraun (Mineral-Biester, Wad), Eothbraun, Mumienbraun, Sepia, Mahagonibraun, Mode-
braun, Russischbraun.
Eothe Farben: Eisenroth (rothe Ocker, Eouge, Engelroth, Berliner Roth, Niirnberger
Roth, Indischroth, Neapel-Roth, Steinroth, Hausroth, rother Bolus, rothe Erde, Rb'thel, Polir-
roth, Todtenkopf, Caput mortuum, Colcothar, Blutstein), Freienwalder Roth, Rothlacke (Kugel-
lack, Wiener Lack, Rosenlack, Karminlack, Blauholzroth, Rotkholzroth, Rosenroth, Carmin),
Bezetten, Sophienroth, Safflorroth (Tassenroth, Safflorcarmin), Anilinroth (giftfreies), Anthracen-
roth (Purpurin, Alizarin), Krapproth, Rothsafte (Berberitzensaft, Alkermessaft, Malvenroth,
Heidelbeerroth.
Orangegelbe Farben: Orlean (Saft-Nanquin), Gemenge aus unschadlichen rothen
und gelben Farben.
G e lb e Farben: Ockergelb (Ockererde, Gelberde, Hausgelb, Goldocker, Satinocker,
Chineser Gelb, Schongelb, Kahlaer Gelb, Strigauer Gelb, Lemnische Erde), Schiittgelb, Krapp-
gelb, Curcuma-Gelb, Saftgelb, Berberitzen-Gelb, Saflor, Quercitron, Wau, Kreuzbeergelb, Gelb-
beeren, Gelbholz, Gelbholzlack (Gelblack), Fustikholz, Saffran, Eingelbhnnengelb.
Griine Farben: Saftgriin (Kreuzbeergriin, Pistaziengriin, Apfelgrun), Ultramaringriin
(Leykaufs Griin), Griinerde (Veroneser Griin, Seladongriiu, Steingriin, cyprischeErde, bohmische
Erde, Kaadner Erde, franzosische Erde), Mischungen aus Berliner Blau mit Curcumagelb oder
Ringelblumengelb, obenso aus Indigocarmin mit unschadlichen gelben Farben.
Blane Farben: reines BerHner Blau (Pariser Blau, preussisch Blau, Diesbacher Blau,
sachsisch Blau, englisch Blau, Turnbulls Blau, Raymonds Blau, Erlanger Blau, Neublau,
Waschblau, Hortensienblau, Miloriblau, Wasserblau), Indigo (Indigocarmin, blauer Carmin,
Blautinktur), giftfreie Smalte (Eschel), Ultramarin (Lazurblau, Azurblau), Malveublaii, Lakmus-
blau, Holzblau, giftfreies Anilinblau.
Violette Farben : Veilchensaft, giftfreies Anilinviolett, Gemenge von unschadlichen
rothen mit unschadlichen blauen Farben, z. B. Carmin und Indigo, Alkermes und Lakmus
oder Indigocarmin.
Weisse Farben: Geschlammte Kreide (Schlammkreide, Marmorweiss, Wiener Weiss,
Bologneser Weiss), weisser Bolus (Pfeifenthon, Bol- oder Volerde), Gyps (Alabasterweiss),
Talkweiss (Federweiss, Venetianer Talk, Speckstein). Kr.ochenasche (Beinweiss, Hirschhorn-
weiss), Porzellanthon (China Clay).
Metall- und Br o nze farben: Echtes Gold (Muschelgold) und Silber (Muschelsilber),
Musivgold, Zinnstaub, Graphit, Eisenpulver, giftfreie Anilinfarben.
Ueber die cinzelnen Farbstoffe s. die betreffenden Artikel. Gtl.
Farbwurzel, syn. Krappwurzel, dann auch fiiv Alkannawurzel ge-
brauchlicb.
Farina, syn. ni. Me hi.
Farinzucker, s. Zucker.
Farrenkrautwurzel-Oel, s. Filixol.
Faschine {fascine — fascine), s. Wasserbau.
Faseralaun, naturlich vorkommende Verbindung von sehwefelsanrer Ma-
gnesia und sehwefelsanrer Thonerde. Enthalt 25 Mol. Wasser. Nicht selten
mangan- nnd eisenhaltig. Weisse oder gelblichweisse bis graue krystallinische
Masse. Vorkommen am Bosjemanfluss in Siidafrika. Gtl.
Fasergyps, s. Gyps.
Faserkalk, s. Arragonit I pag. 179.
Faserkohle, eine fasrige Varietat der Stein- oder Braunkolile, s. d.
Fasern. — Feculometer. 367
Fasern, s. Gespinnstfasern.
Faserquarz, s. Quarz.
Faserstoff, syn. nl. Fibrin, s. EiweisskSrper III pag. 140.
Faserzeolith, syn. Skolezit.
Fass, Fassfabrikation, s. Bsttcherei I pag. 690.
Fassait, s. Pyroxen.
Fassbinderei, s. BOttcherei I pag. 677.
Fasseschel, s. Smalte.
Fassfuller, s. Kellerwirthschaft.
FaSSgelager, vgl. Bier und We in.
Fassglasuren nennt man LSsungen von Harzgemengen (Colophoniurn,
Damarharz etc.), in Terpentinol oder Alkohol, welche man zum Wasserdicht-
machen von Holzfassern verwendet. (Vgl. Kanitz Dingl. pol. Journ. 212
pag. 351). Gil.
FaSShahll, s. Kellerwirthschaft.
Fasshahnlegierung, von Vigoureux empfohlene Legierung fur Fasshahne,
bestehend aus Antimon (19—21 Thl.), Zinn (71—80 Thl.) und Nickel (1-8—7
Thl.). Vgl. Dingl. pol. Journ. 178 pag. 242. Gtl.
Fassheber, s. Kellerwirthschaft.
Fatisciren, syn. m. Verwittern, s. d.
Failjasit, Min. kalk- und natronhaltiges Thonerdesilikat, wasserhaltig. Weisse
bis braune, glasglanzende Krystalle (tessular), Harte 5 — 6. Vorkommen bei Giessen,
Eisenach und Kaiserstuhl in Baden. Gtl.
Faulbaumkohle, s. Explosivstoffe III pag. 322, s. a. Kohle.
Faulbruch, s. Eisen II pag. 774.
Faust, Fausteisen, s. Blechbearbeitung, I pag. 554.
Faustleier, s. I pag. 723.
Fayalit, Min. ist kieselsaures Eisenoxydul (SiFeQ04) von Fayal in Irland,
krystallinisch, messinggelb, griinlich schwarz, oft verschlackt und derb, undurch-
sichtig, magnetisch. Harte zn 6*5. Gtl.
Fayence, s. Thonwaaren.
Fayenceblau, s. Indigo.
Fayencedruck, s. Thonwaaren.
Fayencefarben, syn. Porzellainfarben, Emailfarben, Schmelzfarben, s. Thon-
waaren.
Fayencethon, s. Thon, s. Thonwaaren.
Fecule, syn. m. Star kerne hi s. d.
Feculometer nennt Bloch (Polyt. Centrlblt. 1873 pag. 1486) em von ihm
construirtes Instrument zur Bestimmung des Wassergehaltes eines Starkeniehls,
beziehungsweise zur Priifung der Starke auf ihre Reinheit. Die Einrichtung des-
368 Feculometer. — Federn (Vogelfedern).
selben basirt auf der Thatsache, dass Starkemehl beim Benetzen mit Wasser
eine bestiinmte Volumsvermehrung erfahrt, und bestelit dasselbe wesentlich aus einein
mit einer empirischen Scala versehenen Glasrohre, in welch em die Volumszunahme
gemessen werden kann, welche eine bestimmte Menge der zu untersuchenden Starke
unter der Einwirkung des Wassers erfahrt. Vgl. a. Starke. Gtl.
Federalaun, Haarsalz, natiirlich vorkommender Alaun, s. Alaun I
pag. 62.
Federerz, s. Heteromorphit.
Federglatte, Bleiglattekrystallchen die sich beim Treiben des Silbers bilden,
s. Silber.
Federhiimmer, s. Schmieden, u. a. auch verfertigt von Schwabe W. &
Co. Wien Hernalserstrasse 121.
Federharz, s. Kautschuk.
Federn. I. Federn der Vogel (plumage — plume). An einer Vogelfeder
unterscheidet man zwei Haupttheile: die Fahne und den Schaft; das Ende
des letzteren ist durch eine hornartige durchscheinende Rohre gebildet, die P o s e,
Spule oder der Kiel. Die Federpose ist an ihrem Ende offen und enthalt im
Innern das Mark (die Seele, eine Zusammensetzung von kleinen, hautigen Trich-
tern), welches einen Kanal von der Oeffnung des Kiels nach dem massiven Theile des
Schaftes bildet und zur Ernahrung der Feder dient. Die grossten Federn befinden
sich an den Fliigem (Sch w ungfedern) und am Schwanze (Steuer federn) ;
kleinere, mit breiter Fahne und schwachem Kiele bedecken bei den meisten
Vogeln fast den ganzen Korper (Deckfedern); die allerkleinsten, welche einen
kaum bemerkbaren Kiel und eine ausserordentlich feine, wollige Fahne besitzen,
stehen unter den Deckfedern, dicht auf der Haut (F 1 a u m e n, F 1 a u m e n f e d e r n,
Dunen oder Daunen). Die Beniltzung der Vogelfedern ist eine verschiedene,
je nachdem sich dieselben durch grosse Elasticitat der Fahnen, oder sehr ela-
stische Kiele oder endlich durch schone Form und Farbe der Fahne auszeichnen.
Man verwendet demnach Vogelfedern zum Fiillen von Betten und Kissen (Bett-
federn), zum Schreiben (Schreibfedern) und zum Schmucke Schmuck-
federn).
1. Bett federn. Als solche werden meistens die Flaumen und Deck-
federn der Ganse benutzt, welche sich durch Leichtigkeit, Weichheit und Elasticitat
vorziiglich brauchbar zeigen; seltener^ weil theurer^ verwendet man die Federn
der Eiderente oder Eidergans (Anas mollissimaj — die wegen ihrer ausgezeichneten
Elasticitat und Weichheit bertihmten Eiderdunen — und die Dunen und Deckfedern
des Schwanes und Pelikans. Von weit geringerem Werthe als die Gansefedern
sind dagegen die Federn der Enten und Hithner^ weil sie weniger elastisch und
schwerer sind. Man gewinnt die Gansefedern theils von lebenden Gansen, welche
dreimal des Jahres — im Friihlinge, Sommer und Herbst — gerupft werden, theils
von geschlachteten. Im Durchschnitte erhalt man 12 — I4i>kgrm Deckfedern und
3.5Dkglra Flaumfedern von einer Gans.
Die Federn von lebenden Gansen (Rupffedern oder Sommergut) sind dem
Verderben weniger unter worfen, besitzen mehr Elasticitat und sind gewohnlich
auch reiner als die von geschlachteten (Wintergut), wesshalb man die ersteren
auch mehr schatzt; ebenso sind die Federn von ungemasteten Gansen (Futter-
giinsen) besser als die von gemasteten.
Die eingesammelten Federn werden an der Sonne oder in einem geheizten
Zimmer gut getrocknet, dann durch Schlagen mit leichten Stabchen gut aufge-
lockert und durch Sieben von dem ausgeschlagenen Schmutze befreit. Das
sorgfaltigste Trocknen ist unerlasslich, weil ohne dasselbe die in den Kielen
befindliche Feuchtigkeit in Faulniss ubergeht. Federn, welche an diesem Fehler
Fed evn (Bettfedern)
360
leiden oder durch den Gebrauch einen moderigen Geruch angenomraen haben,
konnen davon befreit werden, indem man sie 3 oder 4 Tage lang in Kalkwasser
einweicht, rnit reinem Wasser auswascht, auf Netzen trocknet nnd durch Klopfen
mit Stabchen auflockert. Doch stauben solche Federn stets.
Zur Reinigung iibelriechender Bettfedern wurde vom Hospital- Ftp. 1520.
verwalter J. Spahn in Miinchen ein Dampfapparat construirt, der
in Fig-. 1520 dargestellt ist.*) Derselbe besteht aus einem Ofen A
von Schwarzblech nnd einem in diesen eingehangten kleinen
Dampfkessel B von Weissblech. Dieser Kessel hat einen Probe-
liahn a, dann eine Naclifiilloffnung b, die nach erfolgter Speisung
des Eessels verscbranbt wird, nnd endlicli eine Oeffnung c, die
mit einem verzinnten engmaschigen Drahtsiebe iiberdeckt ist. Dieses
Drahtsieb bildet den Boden eines auf den Kessel B aufgesetzten
Schwarzblechtriekters C, in welchen die zu reinigenden Federn ein-
gebracht werden. Wahrend des Dampfens ist der Trichter oben
mittelst einer iiber einen holzernen Reifen gespannten Leinwand
abgeschlossen.
Wird der Ofen geheitzt, so entwickelt sich im Kessel Dampf,
der aus a austritt; sobald die Dampfentwicklung eine geniigend
starke ist, wird a gescblossen und hiedurch der Dampf gezwungen,
durch die in C beflndlichen Federn hindurchzustreichen und die
Miasmen etc. abzufiihren. Nach 5 Minuten laugem Dampfen wird
der Leinwanddeckel abgenommen und die Federn mit einem holzer-
nen Stockehen umgeriihrt. Mehr als handwarm darf man die Federn
nicht werden lassen. Steigt die Temperatur zu sehr, so werden
die Federn aus dem Trichter genommen und auf einer reinen Diele
mittelst Besen bis zum volligen Erkalten durch einander gefegt, um
eine Lockerung der Ballen zu bewirken.
Flaumenfedern sind nach den oben beschriebenen Reinigungsoperationen
unmittelbar zum Gebrauche geeignet; nicht so die Deckfedern. Die Stiele der
letzteren vermindern die Weichheit einer grosseren Partie, indem sie, theilweise
in der Richtung des etwa wirkenden Druckes stehend, einen weniger elastischen
Gegendruck aussern, und leiden noch an dem Uebelstande, dass sie das Bettinlett
durchstechen und heraustreten. Desshalb miissen die Deckfedern von den steifen
Kielen befreit werden, was durch Abreissen der Fahne mit den Fingern vorge-
nommen wird. Diese Operation heisst das Reissen oder Schleissen. Die
Absonderung der Stiele zieht einen Verlust von V6 bis 74 vom Gewichte der
Federn nach sich. Eine Arbeiterin kann in zehn bis zwolf Arbeitsstunden nicht
leicht mehr als 25Dkgrm Federn schleissen.
Im Handel werden die Bettfedern ofters verfalscht, theils durch Einmengung
schon gebrauchter Federn (welche man an den abgeniitzten Spitzen erkennt),
theils durch schlechtere Federn von anderem Gefliigel, theils endlicli durch f ein en
weissen Sand, Gyps oder andere pulverige Korper, welche nur den Zweck haben
das Gewicht zu vermehren, nnd sich durch Schiitteln leicht erkennen lassen.
2. Schreibfedern. Die Schwungfedern aus den Fliigeln der Ganse sind fast die
einzigen, welche zum Schreiben gebraucht werden. (Untergeordneter und seltener ist die
Anwendung von Fasanen-, Pfau-, Truthahn- und Rabenfedern.) Die besten sind diejenigen,
welche den Thieren zur Mauserzeit (im Mai oder Juni) von selbst ausfallen oder ausgezogen
werden ; weil sie die vollige Reife erlangt haben. Weniger geschatzt sind die zu anderen
Zeiten den Gansen ausgerissenen, am schlechtesten die von geschlachteten Gansen. Von den
Schwungfedern in jedem Gansefliigel sind bios die ersten fiinf brauchbar. Die erste, welche
Eckfeder (Eckpose, Ort- oder Endpose) genannt wird, ist kurz, sehr hart und nahezu
kreisrund; die folgenden zwei — die Schlachtfedern (Schlachtpos en) sind die aller-
besten, wahrend die Eckfeder nur von mittlerer Qualitat ist und die nun folgenden Breit-
federn (die 4. und 5.) der Giite nach zwischen der Eckfeder und den Schlachtfedern die
Mitte lialten. Zwischen den Federn aixs beiden Fliigeln findet ein kleiner Unterschied statt,
den man leicht bemerkt; sie sind namlich nach entgegengesetzter Seite gekriimmt. Wenn
man eine Feder des rechten Fliigels so auf den Riicken legt, dass das Kielende dem Beschauer
zugfkflirt ist, so befindet sich die breitere Seite der Fahne links, und der Schaft der Feder
ist ebenfalls nach der linken Seite gekriimmt. Bei den Federn des linken Fliigels ist beides
*) Polytechn. Centralblatt, Jahrgang 185G, pag. 160; Kunst- u. Gewerbeblatt fur Bajern,
1855, pag. 6G7.
Karrnarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. Ill 24
370 Feclern (Schreibfedern).
umgekehrt, claher dieso beim Schreiben durch ihre auswSrts gerichtete Kriimmung manchen
Schreibern bequemer in der Hand liegen.
Die rohen Gansekiele miissen, nm zum Schreiben brauchbar zu sein, eine Zurichtung
erleiden, durch welch e folgende Zwecke erreicht werden sollen. 1. Vermehrung der Harte;
2. ein gewisser Grad von Sprodigkeit, vermoge derer gute Federn rein und ohne Zahne
spalten; 3. Entfemung der diinnen Haut, womit die Kiele im natiirlichen Zustande iiberzogen
sind, sowie des an ihnen sitzenden Fettes, welches das Anhaften der Tinte verhindern wiirde.
Znr Erzielung der eben angedenteten Zwecke unterzieht man die Federn nachstehenden
Operationen :
a) Sortiren, wobei man die Federn des rechten und linken Fliigels von einander
trennt, sie naeh Dicke, Harte und Lange zusammenlegt und besonders die Rangwdnung
beriicksichtigt, welche die Federn nach ihrer Stellung in dem Fliigel beobachten. In der
Regel sind die schwersten Federn die besten.
b) Reinigen oder Putzen, wobei der Kiel von allem Schmutze befreit und von
der Fahne das Ueberfliissige, welches die Feder entstellen oder beim Schreiben hinderlich sein
konnte, mittelst eines scharfen Glasscherbens oder eines Rasirmessers abgeschabt wird.
c) Das Ziehen, Ha r ten oder Brennen ist die eigentliche Hauptoperation und
besteht darin, dass man die Kiele bis zu einem angemessenen Grade (62 — 85° C.) erhitzr,
dann jeden einzeln der Lange nach mit einer Messerklinge abstreift. Durch die Warme wird
der Kiel zwar erweicht, aber wenn er dann wieder erkaltet ist, besitzr er eine viel grossere
Harte als im urspriinglichen Zustande und seine ursprungliche Zahigkeit hat einem gewissen
Grade von Sprodigkeit Platz gemacht. Es kommt hier sehr darauf an, den richtigen Hitze-
grad zu treffen und zu beniitzen. Ist die Hitze zu schwach, so bleiben die Kiele zahe und
werden nicht hart genug, spalten sehr unrein und zackig ; ist hingegen die Hitze zu stark,
so erlangen sie eine zu grosse Sprodigkeit. Der richtige W'armegrad ist dauu eingetreten,
wenn die Kiele gleichmassig erweicht sind, und die sie umkleidende Haut mit Leichtigkeit
abgestreift werden kann. Das Erwarmen kann iiber freiem, nicht rauchendem und nicht
flammendem Kohlenfeuer, oder in heisser Asche, auch in erhitztem i'einen Sande oder endlich
in heissem Wasser geschehen. Am gewohnlichsten bedient man sich des heissen Sandes.
Indem der Arbeiter die durch Einstecken in den Sand erwarmte Feder mit der linken Hand
auf sein Knie legt, driickt er sie mit demMesser, welches er in der rechten Hand halt, oben,
wo als Fortsetzung des Schaftes der Kiel anfangt stark zusammen und zieht sie behende
unter dem Messer durch, so dass sich die Haut grosstentheils abstreift. Dieses Driicken
bewirkt ein Abgerissenwerden der Seele, welche daun beim Schneiden aus dem Kiele heraus-
fallt. Ein geschickter Arbeiter kann in 10 Arbeitsstunden an 3000 Stiick Federn ziehen. Die
Seiten, wo der Kiel von dem Messer und der Unterlage beriihrt wurde, machen sich durch
zwei klare durchsichtige Streifen bemerkbar. Sollen diese vermieden werden, so muss in dem
Messer ein halbrunder Aussehnitt sein, durch welchen der Kiel einigemal mit der gehorigen
Wendung durchgezogen wird. Die resultirenden, ganz durchsichtigen Kiele fiihrten im Handel,
aus dem sie nun zum grossten Theile verschwunden sind, den Namen G las kiele.*) Unmittelbar
nach dem Ziehen werden die Federn einige Zeit an einer Stelle in den Sand gesteckt, wo
derselbe etwas kiihler ist; zuletzt aber bringt man sie wieder in den ganz heissen Sand, um
den gehorigen Grad von Harte zu erzielen. Um von den wieder ganz erkalteten Kielen die
Reste der Haut und alien iibrigen Schmutz zu entfernen, werden sie gebiirstet. Zwei flache,
steife Biirsten sind zu diesem Behufe so angebracht, dass die eine, die Borsten nach oben
kehrend, auf einem Tische test liegt, die zweite hingegen iiber jener sich befindet, mittelst
eines Fusstrittes niedergedriickt und durch eine eiserne Feder wieder aufgehoben wird.
Mehrere Kiele werden zugleich zwischen diesen Biirsten schnell hin und her gezogen, und
erlangen auf diese 'Weise Glatte und Glanz.
Hierauf folgt das Binden und Yerpacken. Es muss hier noch angef iigt werden,
dass manche Kiele mit sich vielfach durchkreuzenden Linien verziert werden, welche
man durch Driicken der erwarmten Federn mit der stumpfen Messerklinge hervorbringt
(Kreuzkiele.) **)
Durch den Gebrauch der Stahlfedern (s. d.) ist die Zurichtung der Federkiele nur
mehr in wenigen Fabriken in Anwendung.
Bevor wir auf (be dritte Anwendungsweise der Vogelfedern iibergehen, sei hier der
Fabrik des Hm. Bardin in Joinville le Pont bei Paris,***) welche friiher ausschliesslich fiir die
Zurichtung der Federkiele zu Schreibzwecken bestimmt war, gedacht. Daselbst sind iiber 150
Arbeiterinen damit beschaftigt, die aus Russland (Nisehnei, Moskau, Kasan) kommenden Federn
von Ganseu, Enten u. s. w. unter theilweiser Benutzung sehr sinnreich construirter Maschinen zu
verarbeiten. So z. B. werden mittelst Maschinen die Kiele nach Spiralen in ca. lm lange Streif-
chen zertheilt, diese mit Dampf erweicht und gestreckt, zu Blumen und Haarputz verarbeitet.
Von den iibrigbleibenden Barten und Stielen werden die ersteren zu bunten Teppichen mit-
verarbeitet u. s. w.
*) Zur Erzielung hochster Durchsichtigkeit soil man die Kiele 24 Stunden lang vor dem
Ziehen in Alaunlosung weichen lassen.
**) PrechtVs technolog. Encyclopadie, Band V.
***) Dingler's polyt. Journal Bd. 193 S. 523 und Bulletin de la Societe d' Encouragement,
September 18(58.
Federn (Sclimuckfedern). 371
3. Sch muck- oder Pu tzfe dern.*)
I. Die Bearbeitung der Sclimuckfedern ist bei alien Sorten so ziem-
lich dieselbe; wir theilen hier als Beispiel die Zubereitung der Straussfedern
mit. Es werden verschiedene Arten von Straussfedern unterschieden ; im Allge-
meinen sind die von dem Manncben die weissesten und schonsten. Die in der
Nahe der Burzeldriise (am hinteren Ende des Riickens) wachsenden Biirzelfedern
sincl die vorzuglicbsten ; demnachst folgen die Scbwungfedern von den Fliigeln,
die Scbwanzfedern bilden die geringste Sorte. Die Straussdunen von dem Baucb
und anderen Theilen des Korpers sind kiirzer; sie sind bei dem mannlichen
Vogel schwarz, bei dem weiblichen grau. Die schonsten weissen Federn der Weib-
chen sind stets nacb den Enden zu ein wenig graulich, wodurch sie gegen die miinn-
lichen Federn, die vollig rein weiss sind, in der Qualitat, daher audi im Preise zuriick-
stehen. Der Hauptbandel mit Straussfedern geht von Algier, Tunis, Alexandrien,
Madagascar und der Mlindung des Senegal aus, unter ihnen liefert Algier die
schonsten, Senegal die am wenigsten schonen Federn.
Um die Federn zu waschen, geht man folgendermassen zu Werke: Man
lost 1 Theil klein geschnittene weisse Seife in 32 Theile warmen Wassers, das
sich in einem recht geraumigen Behalter befindet, und schlagt das Seifenwasser
zu Schaum. Man bringt nun zwei Btindel mit Bindfaden zusammengebundener
Federn hinein, arbeitet sie etvva 5 Minuten lang mit den Handen durch, und
wascht sie darauf in reinem handwarmen Wasser.
Die Federn werden dann, um sie ganz weiss zu machen, zuerst auf ahn-
liche Art wie die Strohhilte geschwefelt (s. den Artikel Schwefeln), hierauf
geblaut, indem man sie rasch durch kaltes Wasser, welchem ein wenig Indig-
auflosung beigemischt, hindurchzieht; dann noch in einem Bade von Wasser mit
etwas eingertihrter feiner Starke oder gescblammter Kreide herumgenommen ;
endlich in handwarmem Wasser ausgespillt, auf Bindfaden zum Trocknen aufge-
hangt und dabei von Zeit zu Zeit geschiittelt.
Sind die Federn so weit fertig, so schabt man die Schafte mit einem
Glasscherben, um sie recht biegsam zu machen. Die Fahne wird dann mit
der Schneide eines stumpfen Messers gestrichen, wodurch sie das hiibsche gekrau-
selte Ansehen erhalt.
Die Federn, die eine unangenehme, schmutzige Farbe besitzen und daher
in ihrer natiirlichen Farbe nicht verkauflich sein wtirden, werden meistens schwarz
gefarbt. Zu dem Ende werden auf je 20 Kilogramm Federn 25 K. Blauholz
mit Wasser abgekocbt, nacb sechsstiindigem Kochen das Holz herausgenommen
und 3 K. Eisenvitriol zu dem Decocte gegeben, dann noch 15 bis 20 Minuten
gekocht, und nun der Kessel vom Feuer genommen. Jetzt bringt man die
Federn in kleinen Portionen hinein, vertheilt sie so gleichmassig wie moglich in
dem Bade, und lasst sie 2 bis 3 Tage darin liegen. Hierauf nimmt man sie
durch eine ganz schwache alkalische Lauge und wascht sie mehrere Male mit
Seifenwasser. Wenn sie durch diese Behandlung die gehorige Weiche und Bieg-
samkeit angeuommen haben, spiilt man sie in kaltem Wasser und trocknet sie.
Ganz weisse Federn nehmen selten ein so schones Schwarz an, als die von
Natur grauen. Statt des Eisenvitriols soil auch essigsaures Eisen und zwar mit
noch besserem Erfolge angewandt werden konnen.
Um andere Farben zu farben, mtissen die Federn zuvor an der Sonne
und im Thau gebleicht werden, wobei man sie mit den Kielen einzeln in den
Rasen einsteckt. Nacb 14 Tagen werden sie gut mit Seife gewascben und
gefarbt. Zum Farben dienen (ausser Anilinfarben) gewohnlich die folgenden Pig-
mente: zu Hell roth und Rosa Safflor, zu Dunk el roth Brasilienholz
nach vorhergegangenem Anbeizen mit Alaun. Zu Karmoisin werden die
Federn auf die zuletzt angegebene Art gefarbt und dann noch durch ein Orseille-
bad genommen.
*) Prechtl's technolog. Encycloptidie Band V pag. 499.
24*
372 Federn (Metallfedern).
Zu Violettbraun behandelt man die mit Brasilienholz gefarbten Federn
mit einer schwachen alkalischen Lauge.
Blau in alien Tonen wird in der Indigklipe gefarbt.
Gelb, nach dem Beizen mit Alaun, in einem Wau- oder Curcumebade.
Zu erwahnen ware noch das D res sir en, eine Arbeit, welche die Gerad-
richtung des Federschaftes, sowie die regelmassige Ansbreitung der Fahne znm
Zwecke hat. Sehr dicke Federschafte werden hierbei an der Unterseite znm
Theil weggeschnitten unci mit Glas glattgeschabt, urn dieselben diinn und biegsam
zu machen ; endlieh das Fri siren oder Kr a us ein, welches der Feder eine
angenehme Kriimmung und der Fahne ein gelocktes Aussehen ertheilen soil.
Diese Operation wird dadureh ausgefiihrt, dass man die Feder mehreremale
zwischen dem Daumen und einer stumpfen Messerklinge hindurehzieht oder aber
(was nur bei schwarzen Federn ausfiihrbar ist) die Federn in den Ranch von
brennendeni Zucker bringt, oder vorsiehtig mit einem heissen Eisen behandelt.
II. Metallfedern (ressorts — springs). Ein Korper „federt", wenn er
vermoge seiner Elasticitat sofort in seine urspriingliche Lage zuriickkehrt, sobald die
aussere Kraft, die ihn aus der Gleichgewichtslage gebracht hat, zu wirken aufhort.
Ueber das mechanische Verhalten s. Elasticitat und Festigkeit Illpag. 162.
In Bezug auf die Verwendung lassen sich die Federn eintheilen in :
1. Trieb federn oder Gangfedern zur Hervorbringung einer Bewe-
gung von Maschinen und Mechanismen.
2. React ionsfed em, um Rtickkehr-Bewegungen hervorzubringen, d. h.
ran Theile von Maschinen und Werkzeugen, die durch ausseren Einfluss verschoben
worden sind, wieder an ihren Platz zuriickzufiihren.
3. Druck federn. Zur Ausiibung eines constanten Druckes, also um
Theile von Werkzeugen und Maschinen auf ihrem Platze zu erhalten.
4. Spannfedern, um Schniire, Bander oder solche Maschinentheile,
welche sich zeitweise locker befinden, anzuspannen.
5. Tragfedern zur Unterstiitzung von Korpern und Unschadliehmachung
von Stossen.
6. Dynamometrische Federn. Um durch den Grad ihrer Defor-
mation die Grosse der auf die Feder wirkenden Kraft zu bestimmen.
7. Ton- oder S c h 1 a g f e d e r n , die beim Vibriren einen Schall
hervorbringen.
1. Trieb fed em. Die Anwendung der Federn zur Hervorbringung
andauernder Bewegungen beschra'nkt sich auf Uhren, Bratenwender, Stahlspiel-
werke, kleine Automaten, Nahmaschinen u. s. w. In alien diesen Fallen dienen
die Federn gewissermassen als Arbeitsreservoir, indem sie die zum sogenannten
Aufziehen erforderliche Arbeit aufnehmen, und durch die so erzielte Spannung
auf gewisse Maschinentheile bewegend einwirken. Diese Federn bestehcn aus
einem diinnen Streifen geharteten und bis zur blauen oder violetten Farbe nach-
gelassenen, elastisehen Stahles (Federstahr). Dieser Streifen wird in einer
Spiiallinie zusamraengerollt und in ein cylindrisches Gehause — das sogenannte
Feder hau s — eingelegt. Das Federhaus ist seitlich mit zwei Scheiben abge-
schlossen, damit die Feder nicht herausfalle und hat eine durch die beiden
und die innerste Windung der Feder frei hindurchgehende Welle, die
sogenannte Federwelle. den Feder stift oder Well-
baum. Nebenstehende Fig. 1521 zcigt nns ein Federhaus
•>/^^^^^^v sammt Feder und Welle. Die Feder ist mit ihren Enden
-?^r* ^\ einerseits an die Welle , andererseits an die Innenwand des
Federhauses eingehangt. Die Einhangung geschieht, indem
man die Lochelchen, mit denen die beiden Enden versehen
sind, auf entsprechende Stifte n der Federwelle und des Feder-
hauses aufschiebt; oder indem man die Federenden haken-
fiirmig umbiegt und dann in Rinnen, welche sich auf den eben genann-
ten Haupttheilen betinden, einzwitngt. Aus der Betrachtung der Fig. 1521 ist er-
Federn (Metallfedern). 373
sichtlich, dass die Feder, vermoge ihres Bestrebens sicli aufzuwiekeln, ihre Win-
dungen moglichst nahe an den Federliausrand drtickt. Denken wir uns das Feder-
liaus H festgehalten (z. B. durch ein gehemmtcs R&derwerk) und der Federstift F
werde in der Riclitung des Pfeiles 1 umgedreht, oder umgekehrt, es sei F fest-
gehalten und das Federhaus werde in der Riclitung der Pfeiles 2 umgedreht, so
zielien sicli die Windungen der Feder gegen die Federwelle, wie dies Fig. 1522
zeigt. Die Feder ist in dicsem Zustande aufgezogen und
die ihr innewohnende Spannung hat das Bestreben, das Feder- Fig. 1522.
bans if in der Riclitung des Pfeiles 1 (Fig. 1522) umzudrehen,
wenn der Federstift i^als nicbt drehbar angenoinmen wird Coder
den Federstift nacb dem Pfeil 2 zu drehen, wenn das Feder-
haus an der Drehung gehindert ist). Eine aufgezogene Feder
liiuft sofort ab, d. li. sie bewirkt die Drehung des drehbaren
einenTheiles (entvveder i'oder H), wenn diese nicht durch eine so
genannte H em m ung (ecJiappement — escapement) verhiitet wird.
Diese Hemmung hat ein allmaliges Ablaufen der Feder zu bewerkstelligen, also die
Wirkung der in der Feder angehauften Arbeit auf eine langere Zeitdauer auszudehnen.
SolcherEchappements gibt es verschiedene, und ibnen, inVerbindung mit den sogenann-
ten Unruhefedern fallt die Aufgabe zu, in den Federuhren eine isochrone Bewe-
gung eines Zahnraderwerkes einzuleiten, d. h. das Ablaufen der Feder so zu
reguliren, dass die Uhrenrader stets gleiche Umdrehungszahlen in gleichen Zeiten
haben.*) Da die spannende Kraft der Feder nacb und nach geringer wird, so
sind in den Uhren Vorrichtungen angebracht, die einen Ausgleich herstellen,
d. h. den Isochronismus audi dann noch erhalten, wenn audi die Spannung der
Feder geringer geworden ist. (Hieriiber siehe den Artikel Uhren.) Zum Auf-
ziehen einer Feder ist eine gewisse Anzalil Umdrehungen erforderlich ; wird diese
Zahl iiberschritten, so lauft man Gefahr die Einhangungshakchen oder die Feder
selbst zu reissen ■ — abzusprengen. Solclie Zufalligkeiten vermeidet man mit
Hilfe der sogenannten St el lung (s. Uhren), welche ein Aufziehen ttber die
zulassige Grenze verhindert.
Fabrikation der Uhrfedern. Da die Federn . fur Werke verschiedener
Grosse und Feinheit gebraucht werden, so werden sie in mannigfachen Dimen-
sionen erzeugt. Die Nummerirungen beziehen sicli besonders auf Abstufungen
der Breite. Diese variirt zwischen lmin und 10"im. Man bedient sich znm
Messen des Feder masses. Die Breiten der Federn nehmen von Zehntel zu
Zehntel Millimeter zu. Die Dicke der gewohnlichen Taschenuhrfedern betra'gt
zwischen 0.16mm— -0.24uira, endlich die Lange 400— 700mm. Letzteres Ausmass
wird in der Regel reichlicher genommen, damit dem Uhrmacber die Freiheit bleibt,
die Feder beliebig abzunehmen unci dem Federhause anzupassen. Das Material
fur Federn fur die Kleinuhrmacherei ist Gussstahl, fiir die Grossuhrmacherei
Gerbstahl. Die Barren oder Stahlstabe werden zuerst**) in heller Rothgluth auf
2 mm Uic^e ausgewalzt und dann kalt (ofter ausgegliiht) bis zur erforderlichen
Dicke gestreckt. Die dabei verwendeten Walzen sind von Stahl, von 0.25™ Lange
und 0.15 m Durchmesser. Die erzielten Streifen werden sortirt. Um die Oberflaehe
blank zu machen, werden die Federn auf den Flachen und Kanten mit Sclimirgel-
scheiben abgeschlififen, indem man sie langsam zwischen den rasch rotirenden
Scheiben bindurchzieht. Das Harten beansprucht die grosste Sorgfalt. Die zu
hartenden Federn einer Sorte werden um kammartig ans der Flache einer Seheibe
hervorragende Zahne gewickelt und mit Draht umbunden. Diese Scheiben
werden in einem Ofen gleicbmassig erliitzt und hierauf rasch und raitsammt den
Scheiben in ein Hartebad von Rapsijl und etwas Seife gebracht. Nach volligem
*) Londoner Preis-Schrift iiber den Isoclironisnnis der Spitalfedern von ]\Ioritz Irani isch
pract. Uhrmacher. — Weimar 1873 Bernh. Friedr. Voigt.
**) Dingl. pol. Journ. Band 196 pag'. 19. Armengaud Genie industriel Jahrji1. 1870 pag. 44.
(Ueber die Ulirfederfabrik von Montandon & Sohne in Paris )
374 Federn (Metallfedern).
Verkiihlen nimmt man die Federn von der Scheibe und schleift sie an einer
Stelle blank. Hierauf erhitzt man einige Probefedern zu verscbiedenen Anlauf-
farben, und wenn man die Temperatur fur die Entstehung der gewiinschten
Anlauffarbe gefunden bat, spannt man etwa % Dutzend Federn mit ihren Enden
zwischen zwei Schraubkloben, welche an einer Spannvorrichtung befestigt sind
und setzt sie der ermitteltn Nacblasstemperatur aus. Die Anspannung zwiscben
den Scbraubenkloben verbindert jedes Krummzieben. Zum Nachlassen wird audi die
in Fig. 1523 a b dargestellte Mascbine beniitzt. Von der Spule JVlauft der Stahl-
streifen iiber die vom Ofen J geheizte Gusseisenplatte K, und wird an diese von
einem Sattel k mit einer dem Zuge des Gewicbtes r entsprechenden Pressung
Fig. 1523 a.
angedruckt. Von bier lauft das Stahlband unter einer Leitrolle H auf eine
Spule E. 1st diese vollgewundeu, so wird das von H kommende Stablband
auf eine zweite, neben E befindlicbe Spule Ex gewickelt, wahrend E sich auf die
Spule E3 abwindet; ist nun wiedenun Et voll, so kommt das Band wieder
auf E, wahrend E{ sein Band an En abgibt u. s. f. Man bebt dann die Welle e
aus ihrem Lager, ziebt die mit dem nunmebr vbllig erkalteten Band bewickelte
Rolle E3 ab, und ersetzt sie durcb eine neue. Die Conuse T und 71, dienen
zur Begulirung der Gescbwindigkeit, die Kurbel M zum Betriebe der Mascbine
von Hand aus und der Tritt p zur Aufhebung des Satteldruckes gegen die
Gusseisenplatte K. Letzteres wird dann noting, wenn sicb die Hitze der Platte
iiber das Erforderniss gesteigert baben sollte. Die Bestimmung der iibrigen
Federn (Metallfederia).
375
Theile ist aus dor Zeichnung verst&ndlich. Nach dem Anlassen werden die Federn
abermals geschliffen. Kleinere Federn passiren zwei Schleifmaschinen mit je drei
Paaren Schmirgelwalzen, grossere 12 Schleifmaschineh mit je zwei Schmirgel-
walzenpaaren. Die Schmirgelbelegutig ist an den spater zur Wirkung komraenden
Walzen immer feiner, als an den vorhergehenden, so dass nach und nach ein
Schleifen, Glatten und Poliren erfolgt.
Interessant ist die zum Harten gebrauchte Maschine von Kugler in Paris*)
Fig. 1524. Nachdem der Stahldraht bis zur riclitigen Verdiinnung geplattet ist,
wird er auf Rollen N auf'gewunden. Von N lauft das Stahlband durch ein
eisernes, aussen mit feuerfestem Materiale umgebenes Rohr von rechteckigem
Querschnitt (etwa 100mm breit, 12mm hoch). Dieses Rohr liegt in einem Ofen
und wird daselbst mit einem Holzkohlenfeuer erhitzt. Das Stahlband erlangt bei dem
langsamen Durchziehen durch das Rohr die Gliihhitze und wird noch glfihend mittelst
der Druckwalze D in ein Oelbad i^gezogen und gehavtet. Da sich das Oel bald erhitzt,
so wird es stetig durch einfliessendes frisches Oel erneuert, wahrend das warme aufstei-
gende durch ein Ueberlaufrohr abgeleitet wird. Aus dem Oelbade tritt das Band zwischen
1624.
die Trockenballen T, die mit entsprechenden Gewichten belastet sind und eine
langsame Querbewegung ausfiihren. Das abgestreifte Oel lauft in das Hartebad
zuriick. Von den Trockenballen gelangt das Band auf eine von einem Ofen
erhitzte Gusseisenplatte K, urn nachgelassen und geradgerichtet zu werden, und
endlich auf einen Schleifapparat, dessen mit Schmirgel belegte Walzen beide
Seiten des Stahlbandes abschleifen. Zuletzt windet sich das Band auf die
Spule M.
Sind die Federn auf die eine oder andere Art so weit fertig gemacht
worden, so schreitet man an ihre Rectification. Zuerst bringt man ihre
Dicke durch ein nochmaliges Schleifen zwischen verstellbaren Schleifwalzen auf
das richtige Mass und polirt sie, worauf man dasselbe Verfahren zur Egalisirung
der Breite vornimmt. Hierauf zertheilt man die Stahlstreifen mittelst eines Pro-
portionalmassstabes in entsprechend lange Stiicke, erwarmt deren Enden und
lasst sie langsam erkalten, um sie weich zu machen, und schlagt dann in die-
selben mittelst eines Durchschlages viereckige Locher zum Einhangen. Die so
vorbereiteten Stahlstreifen miissen nun spiralformig gewunden werden. Man bedient
sich hierzu des in Fig. 1525 dargestellten Federn winders.
Man hat dieses Werk/.eug von verschiedener Grosse, nach der Starke der Federn, fiir
welche es bestimmt ist. Der Gebrauch dieses Instrumentes ist sebr einfacli. Zuerst wird das
') Polytechu. Gentralblatt, Jabrg. I860 pag. 1304; Genie industriel Juli 1S60 pag. 16.
376
Federn (Metallfedern).
Ende der Feder mittelst einer Zange etwas rund gebogen, ura es auf den Stift q legen nnd
in das Hakcken r einliangen zu konnen; dann drekt man mit der rechten Hand die Kurbel g,
wahrend die linke Hand den Stahlstreifen so regulirt, dass die Windungen gehorig auf einander
fallen. 1st die ganze Feder gerollt, so lasst man den Hebel u v herab, und hangt das freie
Federende auf den Haken w, danu verschiebt man die Feder I so auf dem doppelten Sperr-
kegel w k i, dass er die Umdrehung des Sperrades h, also das Aufgehen der gewundenen Feder
verbindert. Hierauf wird die Kurbel noch etwas weiter gedreht und die Federspannung um
beilaufig so viel vergrossert, als beim Freilassen der Feder davon wieder verloren wird, indem
sich die Feder aufzurollen strebt Der Federwinder wird beim Gebi'auche mit seinem Ansatze n
in den Schraubstock befestigt.
Fig. 1525.
2. Reactions fed era bestehen nieistens aus gehartetem und wieder
nachgelassenem Stable, zuweilen auch aus Eisen oder Messing, welche durch
Ziehen oder Hammern hart und elastisch geworden sind. Die Federn werden
durch Schmieden aus Stahlstangen oder Stahlstreifen hergestellt und die an ihnen
vorkommenden Lappen zur Befestiguug eutweder angeschweisst oder mit Messing
angelothet oder gleich aus einem Stiicke ausgearbeitet.
Die Befestigung der Federn geschieht gewohnlich mit einer Schraube; um
sicher zu sein; dass sich die Feder nicht zufallig verdreht, oder um beim Wieder-
befestigen einer etwa abgenommenen Feder ihre richtige Lage zu trefFen, bringt
man zwei Schrauben an oder eine Schraube und einen sogenannten S tell stift
(Fuss) b in den Figuren 1526 und 1527, welcher an der Feder befestigt ist und
Fig. 1527.
^
in ein Loch der Unterlage gesteckt wird, bevor man die Feder anschraubt. Die
in Fig. 1527 gezeichnete Einrichtung ist dann geboten, wenn der Raum zwischen
x und y gegeben ist und die Feder in demselben eine moglichst grosse, frei
spielende Liinge erhalten soil, folglich die Befestigungsscbraube nicht in der
geraden Fortsetzung derselben angebracht werden kann. Grosse Lange des
bewegliclien Theiles der Feder bei beschra'nktem Raume wird auch dadurch
erzielt, dass man dem festgemachten Ende einige Spiralwindungen gibt, wie dies
die Fig. 1528 und 1529 zeigen. Die Befestigung geschieht dann entweder an
Federn (Metallfedern).
377
einem vierkantigen Stift (Fig. 1528) oder in dem Querschlitze eines runden
Stiftes (Fig. 1529). Urn zwei Stiicke, die temporal- gegen einander gedriickt
werden (Backen- oder Flaschenschraubstocke), nach Behebung der zusammen-
driickenden Kraft von einander zu entfernen, legt man zwischen dieselben Blatt-
federn wie Fig. 1530. Dieselben sind kraftiger, wenn man den Theil zwischen
beiden Schenkeln zu einer biigelformigen Blattfeder gestaltet (Fig. 1531), wie
dies bei Schafscheren und Federzirkeln gebrauchlich ist; oder aber wenn man
die Feder an dieser Stelle mit einer vollen Windung versieht, Fig. 1532 (z. B.
in Drehorgeln zum Zusammenpressen des Blasebalgs). Federn der ebon vor-
geftihrten Formen findet man in Schlossern und an vielen anderen Vorrichtungen.*)
Federn, wie in Fig. 1531 und 1532, machen den Uebergang zu den
Spiralfedern, die ibrer ganzen Lange nacb zu einer Spirale gewunden sind,
und deren Windungen in einer Ebene liegen. Durcb diese Gestalt werden die
Federn, wie bereits oben erwahnt, geeignet, bei drehender Bewegung einer Kraft
entgegen zu wirken. 1st namlich das innere Ende o einer Feder Fig. 1533 an einer
Achse, das aussere Ende n an einem Punkte ausserhalb der letzteren befestigt, so wickelt
jede Drehung der Achse oder jeder Umscbwung von n je nach der Drebungsrichtung die
Fig. 1528. Fig. 1529. Fig. 1530. Fig. 1531. Fig. 1532.
Fia. 1534.
Fig. 1533.
=OlZ3
Feder enger zusammen oder weiter auseinander, und sobald die Kraft zu wirken
aufhort, leitet die Elasticitat eine Bewegung nach der entgegengesetzten Richtung
ein. Die wichtigste Beniitzung finden diese Federn bei den Unruhen der Uhren.
Die Unruhefedern werden aus hartgewalztem Stablblecb — dem sogen. Spiral-
federblech — geschnitten, an den Randern abgegliclien, dann mittelst eines
feinen Zangelchens um einen runden Stift gewunden, und endlich gehartet nnd nacb-
gelassen. Zu letzterer Operation bedient man sich der in Fig. 1534 dargestellten
Zange. Die gewundene Unruhefeder wircl zwischen die Scheibe a und die dureb-
brochene Backe d des Schenkels efg gebraclit und durch den Druck der Feder h
festgebalten. Nun bringt man die Zange sammt der Spiralfeder in eine Wein-
geistflamme und erhitzt bis zum Gliihen, resp. zu dem Erscheinen der gewiinseliten
Anlauffarbe.
Von den Spiralfedern sind die scbr aub en for migen Federn dadurch
unterscbieden, dass ihre Windungen nicbt in einer Ebene liegen, sondern eine
;) Band I dieses Werkes: / in Fig-. 125, F in Fig. 147, /■ in Fig. 148, b in Fig. 425:
Band II dieses Werkes: e ia Fig. 1103 a, e in Fig. 1104 a, f3 in Fig. 1105. / in Fig.
1107 u. s. w.
378
Federn (Metallfedern).
Kegel- oder Cylinderflache umhiillen. Sie bestehen entweder aus Draht oder
Blechstreifen. Sie konnen beansprucht sein auf Zug, Druck oder Drehung. Im
ersten Falle liegen die einzelnen Windungen im ungespannten Zustande der Feder
nahe an einander; das eine Ende der Feder ist an einem unbeweglichen Punkte
befestigt, das zweite an jenem Theile, der nach einer Verschiebung auf seinen
Platz zuriickgefiihrt werden soil. Im zweiten Falle ist die Feder zwiscben einen
festen Widerstand und den zu verscbiebenden Tbeil eingescboben. Hire Win-
dungen sind im unbelasteten Zustande von einander abstehend, und werden durcb
die Verscbiebung gegen einander gepresst. Bei diesen Federn ist eine grossere
Zabl von Windungen leicht mit dem Nachtheile verbunden, dass der mittlere
Tbeil derselben seitwarts ausweicht. Man verbtitet diesen Uebelstand dadurch,
dass man den Windungen den grosstmoglichsten Durchmesser gibt, dass man die
Feder auf einen Dorn steckt, oder in ein Robr einschliesst u. s. w. Die kegel-
formigen Federn sind von diesem Fehler frei. Die Fig. 1535, 1536 und 1537
zeigen uns drei Formen von schraubenformigen Federn.*)
Im dritten Falle endlicb sind die beiden Enden der Scbraube gerade
gericbtet und mit diesen an den zu verschiebenden Gegenstand und anderseits an
einen festen Widerstand gestemmt. Die Einscbliessung der Feder in eine Rohre
oder die Aufsteckung auf einen Stift ist aucb hier, wie bei den Druckfedern
noting. Diese Anordnung der Feder benutzt man bei Springdeckeln von Dosen,
als Thiirschliesser u. s. w.
Die Herstellung der scbraubenformig gewundenen Federn gescbieht in
mannigfacber Weise. Am einfaebsten durcb Umwindung des Drabtes oder Blech-
Fig. 1535. Fig. 1536
Fig. 1538.
A B
streifens um einen rotirenden cylindriscben oder kegelformigen Korper. Eine
etwas complicirtere Vorrichtung wird zur Herstellung doppelt kegelformiger Federn
benutzt, die in Fig. 1538 dargestellt ist. Sie besteht aus einer Welle a, die
durcb die Kurbel b gedreht werden kann. Auf a sitzen zwei Holzkegel, auf
deren Oberflacben eine Rhine, entsprecbend der zu erzeugenden, doppelt kegel-
formigen Feder, eingearbeitet ist. Der zu verarbeitende Draht wird an einem
Ende dieser Rinne befestigt, und wabrend die rechte Hand die Kurbel dreht,
wird der Dralit von der linken Hand zugeleitet. Ist die Feder gewunden, so
wird der Draht abgezwickt, indem die Welle aus ihren Lagern gehoben, der
Conus .4 abgezogen und dann die Feder vom Conus B entfernt wird.
Interessant ist die von J. Harrison in New-York**) zura gleichen Zwecke
construirte Maschine, welche in Fig. 1539 in der Seitenansicht dargestellt ist.
Das einem Spindelstocke einer Drehbank ahnlielie Gestell A ruht auf den Fiissen B.
Es fcragt die Spindel C, welclie sich in Lagern SS} dreht und an dem vorderen Ende in einen
Conus D auslauft. Der zwischen S und S1 befindliche starkere Theil von C tragt eine
Scbraube J, welche aus einem reehten und einem linken Gewinde gebildet ist. Die Hiilse Q
umfasst die Scbraube und trag't ein auf einem Stifte drebbares Stuck K. , welches zwiscben
*) Vergleicbe dieses Werk Baud I i in Fig. 298, y yx in Fig. 160, II. Band F in Fig.
987, / in Fig. 988, s in Fig. 674 und 677 u. s. w.
•*) Patentirt fur die vereinigt. Staaten 27. Januar 1857, fur England 16. September 1857,
veroffentlicht im Polyt. Centralblatt, Jabrgang 1858, pag. 782 und Dingler's Journ.
Bd. 148, pag. 14.
Federn (Metallfedernj.
379
die Gewindgange von J passt. Wird die Spindel 0 gedreht, so wird die Hiilse Q wegen des
Stiickes Kt von der Schraube vor- oder riickwarts bewegt. An den Enden der Schraube •/
sind in die Gange kleine Fiillungen c c1 eingesetzt nnd es wird das Stuck K, bei seiner Be-
weguug von links nach rechts z. B. durch die Fullung c von dem rechten Gewinde in das
linke iibergeleitet mid die Hiilse Q dadurch zu einer riickgiingigen Bewegung veranlasst j
wahrend sich die Spindel fortwahrend in demselben Sinne weiterdreht. Dasselbe findet hierauf
am anderen Ende der Schraube J statt, wo durch die Fullung cl das Stiick K, vom linken
wieder in d n rechten Gewindgang gewiesen Avird. Die Hiilse Q bewegt sich daher hin und
her, dm-ch eine Lange, welche durch die Stellung der Fiillungen c cx regulirt werden kann.
Oben greift die Hiilse Q iiber eine runde Stange P, welche sich vermoge der Zahnrader m
und n zugleich mit der Spindel C dreht, und mittelst zweier auf ihr augebrachten Stellringe
r und i\ von der Hiilse Q der Lange nach hin und her geschoben wird. Die Stange P hat
Fig. 1539.
ihre Fiihrung in den Lagern d und c?, und das Ead m ist mittelst Keil und Nuth so mit
P vereinigt, dass es die Stange dreht und ihr zugleich die Langenbewegung erlaubt. Auf
dem vorderen Ende der Stange P ist bei y die Eolle g2 aufgekeilt und zwei Charnieie Z Zl
(Hooke'scher Schlussel) erlauben der Eolle g.2 einem Druck von oben nach unten zu folgen,
ohne der drehenden Bewegnnng der Stange P etwas in deu Weg zu legen. Am oberen
Pmde des Standers d sind seitlich zwei Hebel L um den Zapfen c, leicht drehbar, und
diese Hebel haben an den unteren Seiten die Bahnen d.iy auf welchen sich ein Schlitten A'
hin und her schiebt, welcher mittelst zweier Lappen iiber die Achse y der Eolle </., greift.
Vermoge der vorn an den Hebeln L wirkenden Spiralfedern wird die Eolle g2 nach unten
gegen den Conus B gedriickt.
Das untere Ende der Hiilse Q tragt die Stange Z, welche sich in viereckigen Lochern
der Stander d dt fiihrt. Das vordere Ende von I ist aufwarts gebogen, abgeflacht und mi
380
Federn (Metallfedern).
einem Scblitze versehen, wodurch sie mittelst eines Stiftes a mit dem Wagen F verbunden
werden kann. F gleitet auf einer Balm E vor- und riickwarts, wie es die Bewegung der
Stange I mit sich bringt. Die Bedeutung von M m und p ist aus der Figuv olme Wei teres
zu entnehmen. Der Schlitten .Ftragt zwei Ansatze, in welchen die Rollen gxmdg} gelagert sind.
Beim Winden der Federn mit dieser Masehine wird der Dralit auf eine Spule in sorg-
faltig neben einander gelegten Windungen aufgewickelt, urn ein Verwirren zu verhiiten, und
dann sein Encle so um den Conns D gewickelt, dass es durch die Rollen g und gx von unten
und durch die Rolle g2 von ohen gehalten wird. Wird jetzt die Masehine in Bewegung
gesetzr, so zwingt die vor- und riickwarts gehende Bewegung der Rollen g g{ und g2 den
Draht sich auf dem rotirenden Conus in schraubenformigen Linien aufzuwickelu, und es bildet
sich, da hierbei die Aufwickelung abwechselnd auf engere und weitere Stellen des Conus
statlfindet, eine Reihe von konisch gewundenen Federn, deren Lange durch c c, regulirt
werden kann und deren Steigung sich nach dem auf der Spindel C angebracbten Gewinde J
richtet. Durch Einschaltung eines steileren Patronengewindes J kann man auch steilere Win-
dungen des Drahtes erzielen. Die an einander liangenden Federn konnen entvveder in die
halbe Anzahl rechts gewundener unci die halbe Anzahl links gewundener, einfach konischer,
Federn oder in doppelt konische Federn zertheilt werden,
3. Druckfedern werden angewendet:
a) Statt Gewichten zur Belastung von Maschinentheilen, z. B. Ventilen,
Walzen (bei Auswindemaschinen und Mangen; Satinirpvessen etc. vergl. Bd. II
pag. 170 Fig. 696 Feder a) etc.
b) Um die stete Beriihrung zweier Korper, welche sich an einander ver-
scliieben konnen, zu erzielen, oft zu dem Zwecke, zufallige nnbeabsichtigte Ver-
schiebungen zu hindern, z. B. die Schleiffedern, welche,
am Schlossdeckel angebracht, den Riegel a gegen den
Schlossboden b driicken ; die Schraubenfedern in den
Wagenlaternen, welche die Kerze stets bis zum einge-
bogenen Rande ihrer Hlilse heben u. dgl.
c) Zum Zwecke der Erhaltung einer „ gefalligen " Form eines Kleidnngs-
stuckes — Miederfedern — oder bei gewissen Bandagen zur Erzielung eines „sanf-
ten" Druckes.
In ihrer Form sind sie haufig mit den Reactionsfedern (Fig. 1528 bis 1532)
iibereinstimmend, und sind bei der Auswahl der Form zumeist Rlicksichten des
Raumes massgebend.
Hatte man z. B. die Anfgabe, ein lose auf einer Welle aufgestecktes Rad a
gegen eine mit der Welle fest verbundene Scheibe b zu driicken, so kbnnte man
diese Frictionskuppliing sowohl dadurch erzielen, dass man gegen die feste Wand
d eine Feder c (A, B) stemmt und auf a wirken lasst, wie sie Fig. 1541 zeigt,
oder man konnte zu demselben Zwecke auch Kegel- oder Schraubenfedern etc.verwenden.
1540.
Fia. 1541.
-^^
(MJa
Fig. 1542.
Fig. 1543.
IT
^a
w^
In Fig. 1542 wird durch die Feder g hi ein unabsichtliches Verschieben
der Ausgleichskugel /' auf der Ausgleichstange s verhindert. In Fig. 1543 ist
Fedeni (Metallfedern).
381
eine Vomchtung dargestellt, welche dazu dient ein allzuleichtes Drelien der Spule
a in der Weberschiitze zu verhindern. Auf dem in der Schiitze festgelagerten
Stabe b ist eine schranbenformige Feder mit einiger Reibung drehbar. Das Ende
a dieser Feder ragt in ein Lochelchen der Spule s. Wickelt sich nun der Faden
von s ab, so bewirkt die Dreliung der Spule zunachst eine Spannung der Feder
und diese beginnt sich erst dann mitzudrehen, wenn die eben erwahnte Spannung
die Reibung der Feder an b zu iiberwinden vermag; es wird also der Dreliung
der Spule ein gewisser Widerstand entgegengesetzt.
Spulen, welche sich gar nicht drehen sollen (wie in den Schnellschiitzenj
werden, wie dies in Fig. 1544 dargestellt ist7 entweder auf eine Achse aufgesteckt,
Fig. 1544.
mml
welche in zwei auseinander klaffende Theile gespalten oder in einen federnden
Haken umgebogen ist. *)
4. Spannfedern. Bei den zuletzt angefiihrten Constructionen sehen wir
schon die Absicht. durch erschwerte Umdrehung der Spulen den sich abwickelnden
Faden gleichmassig anzuspannen. Es gibt jedoch Falle, z. B. in Giirteln, Hosen-
tragern, Handschuhen u. s. w., wo schranbenformige Drahtfedern o. dgl. direct
eine Anspannung bewirken. Die Spiralfeder Fig. 36 pag. 149 Bd. I. beseitigt
den todten Gang. Bei den Bobrbogen spannt der federnde Bogen die den Bohrer
umschlingende Saite etc.
5. Tragfedern. Bei der Unterstiitzung schwerer Massen durch Federn
verfolgt man zweierlei Zwecke ; entweder den Druck auf die Unterlage anders
zu vertheilen, oder die Stosse, welche ein bewegter Korper wahrend seiner
Bewegung erleidet, zu brechen und in unschadliche Schwingungen zu ver-
wandeln.
In der erst angedeuteten Weise verwendet man Federn, um z. B. den Druck
einer schweren aufrechtstehenden Welle (Konigsbaum) auf deren Fusslager zu
vermindern.
Zur Unschadliclimachung von Stossen wendet man die Federn an : bei
Fuhrwerken und Eisenbahnfahrzeugen ; bei Grubenseilen, um das Reissen zu ver-
hiiten ; bei Kanonenlaffeten, um den Stoss der nach dem Schusse zuriickfahren-
den Kanone fiir die Laffete unschadlich zu machen ; bei den sogenannten Pferde-
schonern u. s. w.
Die Formen der Federn sind sehr verschie-
den. Wir tretfen da die in den Fig. 1535 bis
1537 dargestellten schraubenformigen Federn, dann
gewellte Scheiben- und Blatt- oder Lamellenfedern.
Das Material der Federn ist fast durchwegs Stahl,
nur in einigen vereinzelten Fallen mit Kautschuk,
comprimirter Baumwolle**) etc. combinirt. Die ein-
fachste, jetzt schon seltener anzutreffende, Form
von Wagenfedern ist die in Fig. 1545 dargestellte.
Wir sehen, dass dieselbe aus dem Hauptblatte b a c
und 5 immer kiirzer werdenden Innenblattern 1, 2,
3, 4 und 5 bestebt. Die sammtlichen 6 Stahlblatter
sind bei a mittelst eines festen Bundrinffes zusamraengehalten. Damit die einzelnen
1545.
f) Das Bankeisen, Yig. 117 pag. 290 I Band, ist mit, einer Klemmfedt
es irn Loche der Bankplatte dort stehen bleibt, wo man will.
'•■) Dingler's polyt. Journal Bd. 174 pag. 419.
versehen, daniit
382 Federn (Metallfedern).
Blatter bei der Durchbiegung nicht von einander abweichen, sind ihre aufwiirts gekelir-
ten Enden aufgeschlitzt und diese Schlitze gleiten iiber kleine Stifte der benachbarten
Blatter. Die Feder ist bei c und d an das Wagenuntergestelle befestigt und der Wagen-
kasten ist an dem Haken b des Hauptblattes aufgehangt. Diese Form bezeichnet
man mit dem Namen aufrechte oder stehende Feder zum Unterschiede
von den in den Fig. 1546, 1547 und 1548 dargestellten liegenden Federn.
Fig. 1546 zeigt eine gerade liegende Feder, dieselbe ist bei a an das Wagen-
gestelle befestigt, wahreud bei b b die zu unterstutzende Last (Wagenkasten)
driickend wirkt. Widerstandsfahiger wird diese Feder, wenn ihre Enden nach
Fig. 1546.
aufwarts gekriimmt werden, wie dies Fig. 1547 zeigt, wo zwei solcher Federn
an ihren Enden mittelst starker Bolzen c c vereinigt sind. Die Befestigung dieser
Feder erfolgt bei 6 an das Wagengestell, bei a an den Wagenkasten, der senk-
recht abwarts driickt. Fig. 1548 zeigt eine aus ungleich dicken Blattern beste-
hende Feder, dieselbe ist bei b b an das Wagengestelle befestigt. Der Druck
des Wagenkastens ist auf c und c, vertheilt. Bei c, wird der Druck nicht
direct vom Wagenkasten ausgeiibt, sondern durch eine bei e an den Wagenkasten
quer zur ersten Feder befestigte zweite Feder iibertragen.
Da die Lamellenfedern gegenwartig eine ausgedehnte Verwendung im
Wagen- und Waggonbau finden, sei ihre Fabrikation kurz skizzirt.
Die geeignetste Stahlsorte fiir Waggontragfedern ist der halbweiche
Stahl (acier demi tendre) von 0.45 — 0.55 °/0 ' Kohlenstoffgehalt und einer Zer-
reissungsfestigkeit von 56 — 59 Kilo pr. Gmm (die Ausdehnung — allongement —
vor dem Reissen betragt 10 — 20"/0 der urspriinglichen Lange).
Die Grundlage bilden Bessemer-Rohgussstahlstiicke von 120 — 130 Kilo
Gewicht; sie werden weissgliihend gemacht, unter einem Dampf hammer zu
Prismen mit quadratischem Querschnitt (von 180mm Seite) ausgehammert und auf
einem Vorwalzwerk auf 80 X 60mm ausgereckt. Hierauf wird auf einem Fertig-
walzwerk (finisseur) nach und nach ein Band von 13mm Dicke und 78mm Breite
erzielt. Lamellen, welche nicht allerorten gleich stark sind, wie sie Fig. 1548
zeigt, werden auf einem excentrischen Walzwerk fertig
gemacht. Urn die seitlichen Verschiebungen der Feder-
Fig, 1549. lamellen zu verhiiten, wird nicht immer die in Fig. 1548
k T5--t_-j gegebene Anordnung getroffen, sondern man versieht
Sii^ilpi gleich die Stahllamellen mit Rinnen und Rippen, die in
einander passen. Fig. 1549 zeigt den Querschnitt durch
eine solche Feder.
Aus dem auf die eine oder die andere Art erhaltenen Profileisen
werden nun Stticke von der entsprechenden Lange mittelst einer Maschinen-
schere geschnitten. Die la'ngsten, zu den Hauptblattern bestimmten Stticke
werden hierauf rothwarm gemacht und zwischen zwei gusseisernen Blocken,
die mit Schrauben zusammengepresst werden, in die entsprechende Form ge-
bogen. Zum Erhitzen bedient man sich ernes Flammofens. Die folgenden
Blatter werden hierauf immer nach den ihnen in der Feder voranliegenden
gebogen, was mit Hilfe des in Fig. 1549 gezeichneten Walzwerkes geschieht.
Das betreftende Blatt wird warm gemacht, auf sein Nachbarblatt gelegt,
Federn (Metallfedern).
183
und nun beide zwischen die durch einen Hebeldruck von einander gehobenen
Walzen eingebracht. Hierauf lasst man die Oberwalze herab nnd dreht rait
der Kurbel so lange bin nnd her, bis die neue
Lamelle sich der vorhergehenden vollkommen ange-
passt hat. Sind auf diese Art alle zu einer Feder
gehorigen Lamellen gebogen, so werden sie provi-
sorisch an einandergelegt, ihre Enden bezeichnet,
dann wieder auseinander genommen nnd an die
Adjustirung der Enden geschritten. Dieses Adjusti-
ren besteht zunachst fur alle Gattungen in einem
Zuschneiden mit einer Maschinenschere, nnd fur
jene ohne Rippen und Rinnen in der Anbringung
des Schlitzes und des Zapfens, welcher in den
Schlitz der nachsten Lamelle passt.
Hierauf werden die Enden der Blatter (mit
Ausnahme jener des Hauptblattes) abgeeckt oder
seltener zugespitzt, die Enden der Hauptblatter
zu 7sz^iigen (IB111™) Augen umgebogen oder mit
separat geschmiedeten Augen durch Schweissen verbunden.
Nach diesen Operationen werden die Blatter rothwarm gemacht und in
Wasser von 25° R. (31° C.) gehartet, worauf man sie in einem eigenen Ofen
bis zur himmelblauen Farbe nachlasst. Die nun fertigen Blatter werden in
der richtigen Reihenfolge an einander gelegt, durch kaltes Hammern der vollige
Anschluss bewirkt und zuletzt mittelst eines durch ihre Mitte gehenden Bolzens
oder eines in der Mitte anzubringenden Bundes vereinigt.*) Die fertigen Federn
werden auf ihre Tragfahigkeit und Elasticitat gepriift.
An die Blattfedern reihen sich die geglieder-
ten Federn von J. B. Jolly, Ingenieur in Paris.**)
Dieselben sind in Fig. 1551 dargestellt. Sie haben
den Vorthftil, dass man durch beliebige Aendernng
ihrer Gliederzahl und deren Lange und Breite fast
jeden gewiinschten Grad von Elasticitat innerhalb
gewisser Grenzen erreichen kann; auch ist das Aus-
wechseln einzelner Lamellen leicht gemacht.
Eine sehr ausgedehnte Verwendung finden die
Spiralfedern und schraubenformigen Federn theil-
weise zur Aufhebung der Stosse zwischen dem Wagen-
untergestelle und dem Wagenkasten (Tragfedern),
theilweise zur Unschadlichmachung heftiger Stosse
beim plotzlichen Anziehen (Zugfedern)^ und endlich zur Aufhebung
der Stosse beim raschen Aneinanderfahren der Eisenbahnfnhrwerke
(Bufferfedern).
Im Nachfolgenclen wollen wir einige Constructionen von Trag-,
Zug- und Bufferfedern besprechen; verweisen aber betreffs der ge-
wohnlichen Volut federn auf den Artikel Eisenbahnwesen
III pag. 95 und 115, und den Art. Elasticitat III pag. 164.
Fig. 1552 stellt Cochrans combinirteStah 1-K a u t s c h u k-
Feder***) dar, die sich zu alien drei Anwendungsarten eignet.
a ist eine cylindrisch gewundene Feder, h eine Kautschukrohre, beide sind von
Fig. 1551.
*) E. Hen singer von Waldegg, specielle Eisenbahnfcechnik, 1875 Leipzig, Willi. Engel-
mann, 4. Band pag. 220; Alphons Petzhold, Eisenbalmmatei'ial, 1S72 Wiesbaden,
C. W. Kreidl pag. 211; Polyt. Centralblatt Jahrg. 1861 pag. 924.
**) Dingler's polyt. Journal Band 183 pag. 18G. Arm en gaud Gen. ind. November
1866 pag. 262.
***) Dingler's polyfechn. Journal Band 197 pag. 206; Meeh. Magazin, Jahrg. 1870
pag. 188.
384
Pedern (Metallfedern).
einander durcli teleskopartig in einander verschiebbare Blechrohren c und e getrennt,
einestheils urn ein Ausweichen von a, anderntheils aber urn die schadliche Rei-
bung und die durch sie bedingte Abnutzung des Kautsclmks zu vermindern.
Ft a. 1553.
aSSESEV^Y^
Fig. J 553 zeigt die Anordnung der Spiralfeder von Vaugin & Chesneaux
in Paris *), u. zw. unter I als Tragfeder, II Zugfeder und III als Bufferfeder.
In alien dvei Fallen ist das eine Ende der Feder festgeuiacht, wahrend das
zweite Ende der Feder an eine drehbare Welle o befestigt ist. Die Stosse werden
durcli entsprechende Vorrichtungen auf die Welle o so tibertragen, dass sie eine
theilweise Umdrehung ausfiihrt und dadurch die Spiralfeder spannt.
Fig. 1 554 stellt die Bufferfeder von R. C h r i m e s in Rotherham **) vor.
Sie ist eine Combination melirerer verschieden langer schraubenformig gewundener
Federn, die in einander geschoben sind, und wegen ihrer verschiedenen Lange
nach und nach zur Wirkung kommen. Die Federn bestehen entweder aus
rundem Drabt oder Stahlbleclistreifen. Damit sich die Federn nicht in einander
klemmen, ist imnier eine Feder rechts gewunden und die in sie eingeschobene
links, dann wieder rechts u. s. w.
Fig. 1555.
Interessant ist die Bufferfeder von Th. B. Turston & J. Root in
Shefield.***) Aus Fig. 1555 ist ersichtlich, dass auf einer Welle «t zwei cylin-
drische Korper ^4 und B aufgeschoben sind. A und B sind auf den gegen-
einander gekehrten Enden mit schiefen Ebenen versehen (ahnlich jenen an Zahn-
kuppelungen) die7 wenn A und B an einander geschoben werden, in einander
passen. Eine urn A und B gelegte schraubenformige Feder C ist mit ihrem
einen Ende a an A, mit dem anderen b an B befestigt. Wirkt nun auf diesen
Buffer ein Stoss in der Ricbtung des Pfeiles 1, so werden zunachst A und B
aneinander geriickt und hierdurch die Feder C zusammengepresst. Das Gegen-
einanderbewegen von A und B hat aber auch zur Folge; dass die schiefen
Ebenen aufeinander gleiten und dadurch die Drehung von A und B in den
Richtungen der auf ihnen gezeichneten Pfeile, bewirken, wodurch die Feder C
*) Polytechn. Centralblatt Jahrg. 1855 Seite 257; Genie industriel Jahrg. 1854 pag. 284.
*) Polytechn. Centralblatt Jafarg. 1857 pag. 564; Pract. Mech. Journal Jahrg. 1857
pag. 317.
*) Polytechn. Centralblatt Jahrg. 1857 pag. 565; London Journal Jahrg. 1856 pag. 261.
Federn (Metallfedern).
385
enger gedreht wird. Beide Elasticitatsausserungen, namlich jene gegen das
Zusammendriicken und jene gegen das Drelien der Feder wirken den auf'tretenden
Stdssen kraftig entgegen.
Fig. 1556 zeigt den Buffer von Meyers in Rotherham.1) In die ring-
formigen Nuthen a b c eines am Wagengestelle befestigten Gussstiickes sind
niedrige schraubenformige Federn A B und C eingelegt. In dieselben Nuthen
ragen nngleich hohe ringformige Leisten des zweiten Buffertheiles. Die Wirkung
der Federn beginnt nicht zugleich, was einestheils zu ihrer eigenen Scheming,
anderntheils zur besseren Aufhebung des schadlichen Stosses beitragt.
Die Bufferfeder von Richard Vose in New- York2) besteht aus einer
schraubenfornrgen Stahlfeder von eigenthiimlicher Querschnittsform 0=0 und einer
zwischen die Gange der Feder eingelegten Kautschukschnur. Der Zusammcn-
driickung der Feder durch den Stoss wird zuerst von ihr selbst, dann aber auch
durch den Kautschuk entgegengearbeitet.
Fig. 1556.
Fig. 1557.
Fig. 1557 zeigt eine einfache und eine vcrstarkte Bellevile-Sckeibenfeder
von Alfred Eg an, Ingenieur der ung. Theiss-Eisenbahn.3) Die gewellten Scheiben
sind von bestem Bessemerstahlblech gemacht. Die Erzeugung der Wellenscheiben
gesehieht durch Pressen der rothwarmen Blechscheiben zwischen zwei entsprechend
geformten Gusseisenstanzen. Mehrere soldier Doppelscheiben, mit ihrem Loclie
auf eine schmiedeiserne Stange geschoben und mit dieser in das Buffergebause
gebracht, bilden einen sehr kraftigen, aber auch sehr elastischen Widerstand
gegen Stosse. Es wurde auch der Versuch gemacht, die Verbindung der Scheiben-
federn an ihrem Rande luftdicht zu machen, die Locher in der Mitte nicht
anzubringen und so die zwischen zwei an einander gefiigten Scheiben einge-
schlossene Luft als Luftpolster (pneumatischer Buffer) zu bentitzen.
Black beniitzt anstatt der Wellenscheiben wellenformige Platten.4)
Von den Kautschukbuffern sind besonders hervorzuheben die Construc-
tion von Georg Richar dson Fig. 1558. 5) Die Kautschukringe sind abwechselnd
mit Stahlringen in den Bufferkorper eingelegt:
:-es:en das Zer-
sprengen gesichert zu sein, von G. Spencer6) mit Stahlringen armirt worden,
*) Polytechn. Centralblatt, Jahrgang 1857 pag. 1417; Genie industr. 1857 pag. 6.
J) Dingler's polytechn. Journal, Band 176 pag. 418; Practical Meek. Journal 1865
pag. 16.
3) Dingler's polytechn. Journal Band 184 pag. 229 und Band 204 pag. 273.
4) Dingler's polyt. Journal Band 184 pag. 303; Journal of the Franld. Inst. 1867
pag. 46.
6) Polytechn. Journal Jahrgang 1857 pag. 564; The pr. Mech. Journ. Jahrgang 1857
pag. 317.
*) Dingler's polyt. Journal Band 207 pag. 358; Techn. Blatter 1S72 IV. Heft pag. 254.
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 25
186
Federn (Metallfederri).
wie dies Fig. 1559 zeigt. Sterne*) hat diesen Buffer in einen pneumatischen
umgewandelt, indem er zwischen je zwei Kautschukringe eine ebene durchlochte
Scheibe und von drei zu drei Kautschukringen eine voile Scheibe statt der
gelocbten anbringt; die zwischen den Ringen und den ganzen Scheiben einge-
schlossene Luft wirkt dann als Luftpolster. Diese letztere Construction eignet
sich vorziiglich als Buffer am Grande von Forderschachten, zur Aufhebung des
vom rasch nach abwarts fahrenden Forderkorbe ausgelibten Stosses. Fig. 1560
zeigt diese Anordnung. Eine and ere Art Tragfedern sind die sogenannten
Torsions federn, deren Elasticitat nicht durch Biegung, sondern mittelst
Drehung in Anspruch genommen wird. Fig. 1561 zeigt eine aus mehreren
geraden Stahlblattern bestehende Feder, die in der Mitte durch einen Band a
zusammengebalten sind und an den Enden in den drehbaren Hiilsen c c stecken.
Wirkt nun z. B. bei dl ein Zug nach einer Richtung und bei d ein entgegenge-
setzter Zug oder Widerstand, so kommt die Torsionselasticitat der Feder zur
Wirkung. Solche Torsionsfedern eignen sich besonders gut zur Unterstiitzung
von Wagen. Sie sind dann bei a am Untergestelle befestigt, wahrend der Zug
der aufgehangten Masse bei d und dA nach abwarts wirkt.**)
Fig. 1558.
Von alien Trag-, Zug- und Bufferfedern, die im Wagenbau, insbesondere
im Waggonbau verwendet werden, wird eine gewisse, von den Bahnverwaltungen
normirte Qualitat verlangt. Deshalb werden alle Federn vor ibrer Verwendung
einer Belastungsprobe unterzogen, wobei insbesondere die voriibergehende und blei-
bende Deformation der Feder bei einer gewissen Belastung beriicksichtigt werden.
Federn, die bei dieser Probe entweder eine allzugrosse bleibende Formveranderung
erleiden oder gar brechen, werden nattirlich als unbrauchbar verworfen.
Die zum Probiren der Federn verwendelen Feder probirmaschinen
sind manigfacher Construction. Die einfachste derartige Maschine ist die mit
Hebeliibersetzung wirkende, wie sie in Fig. 1562 dargestellt ist. Die Feder
ruht auf einer festen Unterlage; liber sie ist der Hebel A gelegt, dessen freies
Ende von dem Hebel B berabgezogen wird. Der Hebel B tragt an seinem
freien Ende eine Schale zur Aufnahme eines Gewichtes, welches so schwer
Polytechn. Journal .Tahrgang 1886 pag. 553 u. 1369: Engineering 1868 pag. 235.
Dingler's polyt Journal Band 205 pag. 487; Zeitschrift des Yereines deutscher
Eisenbabnverwaltuno;en.
Federn (Metallfedern).
Fig. 1562.
Fig. 1563.
gewahlt ist, class es auf die Feder den bestimraten Druck austibt. Die Schraube s
client zur Aufhebung der Hebel nach beendigter Priifung jeder Feder. Bei der
Probe wird die Hbbe der unbelasteten Feder und dann der Ilohe wahrend der
Belastung gemessen. Die Abnahme darf nur einen festgesetzten Proeentantheil
der urspriinglichen Federlange betragen. Fig. 1563 zeigt die Federnprobirmaschine
von Jolm Dew ranee & Comp. in London. Dieselbe besteht aus einem gchweren
Gnssstiick A, den Saulen B, welcbe einen Wasserbebalter, ein Pumpwerk und
eine feste liohle Kolbenstange C tragen. Die Kolbenstange ragt in einen beweg-
lichen entsprecbend gefiihr-
ten Cylinder D, welcher
kraftig nacb abwarts ge-
drlickt wird , wenn mit
Hilfe des Hebels a das
Pumpwerk bethatigt, also
Wasser in den Cylinder ge-
pumpt wird. Unterhalb des
Cylinders wird die zu prii-
fende Feder F aufgestellt
und nun das Pumpwerk in
Bewegung gesetzt. Ein am
Cylinder angebrachter Ma-
nometer reducirt den Druck,
wahrend die Verkiirzung
(resp. die Einsenkung der
Federn) an einem an der
Maschine selbst angebrach-
ten Massstabe m abgelesen
werden kann. Hierauf oflnet
man einen Wechselbabn li,
welcher das Zuriicktreten
des Wassers aus dem Cy-
linder in das Wasserbehalt-
niss gestattet und hebt den
Cylinder durch Umdrehung
des Zalmrades c, wobei man
von derElasticitat der Feder
unterstiitzt wird. An dem
Massstabe m kann nun leicht
die bleibende Verkiirzung
(resp. Einsenkung) eben so
wie vor der Probe die ur-
spriingliche Lange (resp.
Pfeilhbhe der gebogenen
Federn) abgelesen werden.
Gebruder T a n g i e in
Birmingham construirten
ebenfalls eine hydraulische
Federnprobirmaschine (hy-
draulic spring tester) die
horizontal wirkt. Der Riick-
gang des Presskolbens wird
durch sinkende Gewichte be-
schleunigt.
VI. Dynamometrische Federn. Die Eigenschaften der elastischen
Federn machen sie geeignet aus der Formveranderung einen Riickschluss auf die
deformirende Kraft zu machen. Man macht hievon Anwendung bei den sogenann-
25*
388 Federn (Metallfedern). — Feigen.
ten Dynamometern (II. Band pag. 707). Eine ahnliche Anwendung finden die
Federn in den Federwagen, s. Artikel Wagen.
VII. Tonfedern. Spiralfedern aus hartem Stahldraht von run den- o tier
quadratischen Quersclinitte, geben, mit einem Hammer angeschlagen, einen Schall
von sich, weshalb man sie zu Uhrenschlagwerken anwendet. Der Ton andert
sich mit der Zahl und Grosse der Umwindungen und dem Querschnitt des Feder-
drahtes. Die Tonfedern sind an ihrem inneren Ende an einen Lappen gelothet
und werden mit demselben auf dem sogenannten Stuhle (einem im Uhrkasten
aufrechtstehenden messingenen Kloben) festgeschraubt oder in ein Loch desselben
eingeschoben. Als Ersatz der Glocken hat man versucht Stahlstabe in Form einer V,
gegen deren Schenkel geschlagen wird, anzuwenden. Die Tam-tams der Japanesen
sind ebenfalls hieher zu zahlen. In den Stahlspielwerken befinden sich
kurze gerade Stahlfedern verschiedener Lange und Dicke, wclche durch die Um-
drehung einer mit Stiften besetzten Walze in tonende Schwingungen versetzt
werden. Moritz Kohn.
Literatur: Ausser den bereits citirten Quellen s. Galloway Anfertigung der
Federn fur Kutschen etc. Quedlinburg 1832 Basse.
Federsalz, syn. m. Federalaun.
Federschmiickerei, s. Fedem III pag. 372.
Federstock ist ein Hilfswerkzeug fur Sammtweber, erfunden von Schmitz.
(Verh. des Vereins fur Gewerbfleiss in Preussen J. 1846.)
Federwage, s. Wagen, s. audi III pag. 86.
Federweiss (soap stone — craie de Briancon) nennt man gemeiniglich
das in verschiedenen Gewerbszweigen als schliipfrigmachend verwendete Pulver
verschiedener Speckstein- oder Talksorten. Denselben Namen ftihrt aber auch
der sog. Fasergyps (satin spar), endlich auch der Amianth (s. d. I pag.
129). an.
Federwerk, s. Ill pag. 161.
Federzirkel [compas a pompe, compas a ressort — spring compass),
s. Messwerkzeuge.
Feigbohnen, Wolfsbohnen, sind die Samen von Lapinus albus L.,
einer im siidlichen Europa cultivirten Hiilsenfrucht. Wie Bohnen verwendbar. Gtl.
Feigen (fignes — figs). Die getrockneten Scheinfruchte von Ficus Carica
L., einem ursprtinglich in Vorderasien einheimischen Baume aus der Familie der
Moreen. Eine sehr friihe Cultur hat ihn iiber Nord-Afrika und Slid-Europa ver-
breitet und gegenwartig wird er hier, sowie in vielen warmeren und gemassigten
Landern der ostlichen und westlichen Erdhalfte in zahllosen Abarten gezogen.
In der Hohlung des Bltithenbodens sitzen auf der Innenflache zahlreiche gestielte, griin-
liche oder rothliche Bliithen, von denen nur beim wilden Feigenbaum einige wenige mann-
lich, alle iibrigen weiblich sind. Die cultivirte Feige besitzt nur weibliche Bliithen.
Bei der Fruchtreife wird der Bliithenboden umfangreicher, saftiger und fleiscliiger,
siissschmeckend, innen gelblich, rbthlich bis purpurn, wahrend seine Aussenflache
je nach der Spielart die griine Farbe beibehalt, oder aber eine braunliche,, vio-
lette bis blauschwarze Farbung annimmt; die Fruchtknoten verwandeln sich in
etwa 2mm grosse Steinfriichtchen, oder gehen bei manchen Spielarten ganz ein.
Die Friichte des wilden oder verwilderten Feigenbaumes (Caprijico) werden von
einer kleinen Wespe, Blastopliaga Psenes Low, bewohnt, welche ihre Eier in die
Fruehthohlung legt. In Griechenland und in Siid-Italien ist allgemein der Glaube
verbreitet, dass dieses Insekt, indem es sich auch auf die Bliithenstande der cul-
tivirten Feigenbiiume begebe, durch ein gesteigertes Zustromen von Saften eine
Vergrosserung der Frucht, Beschleunigung ihrer Reife bewirke, das zu friihe Ab-
fallen derselben hiutanhalte, kurz den Ertrag des Baumes steigere. Man hangt
Feigen. — Feilen. 389
dessbalb in jenen Landern die mit Feigenwespen besetzten Frucbtstande des
wilden Feigenbaumes anf die culiivirten Biiume auf, urn die reifenden Feigen des
letzteren desto sicherer dera Angriffe der aussebwtirmenden Thierclien zuganglicb
zu raacben, ein Vorgang, den man Capri fi cation nennt nnd der bereits von
den alten Romern und Griecben getibt wurde. Nach den Beobaehtungen mehrerer
Forscher ist diese Caprification ganz nntzlos; in manchen Landern wird sie gar
nicbt vorgenomraen und doch liefern sie ganz ausgezeiclmete Feigen.
Die gewohnlicbsten im Handel vorkommenden Feigensorten sind:
1. Smyrnaer Feigen (tiirkiscbe Feigen), die grossten, sehr siiss unci
fleiscbig; kommen aus Kleinasien mit Lorbeerblattern in Holzscbacbteln verpackt
iiber Smyrna in den Handel.
2. Kranz-Feigen (griechische Feigen), ziemlich gross, flacbgedruckt,
dickhaiitig, trockener und minder suss als die vorbenannten. Sie kommen aus
Griecbenland (Kalamata), auf Bastscbniire oder Cyperushalme gereibt und in grossen
Fassern verpackt, meist iiber Triest zu uns. Die geschatzteste Sorte stammt von
Corfu (Fraccazani).
3. Dalmatiner oder kleine Feigen (Istrianer Feigen), die kleinsten,
sebr siiss, aber bald austrocknend und wenig baltbar; gelangen in Fassern oder
flacben Bastkorben aus Dalmatien und Italien in den Handel.
Ausser diesen hauptsacblicbsten Sorten unterscbeidet man nocb im Handel
die Malteser (puglieser, calabreser, sicilianiscben) Feigen, die meist zwiscben
Lorbeerblattern oder audi in Kastanienmebl verpackt vorkommen ; dann die T y-
roler Feigen, die mit Lorbeer- oder Rosmarinblattern verpackt vorkommen
(Laub- oder Rosmarin-Feigen) ; endlich die f r a n z o s i s c h e n (Marseiller und
Comat-Feigen).
Die getrockneten Feigen haben meist eine graugelblicbe, mit einem mebr
oder weniger reicbliclien, grobkornigen, weisslichen Pulver bedeckte Oberflacbe.
Letzteres besteht aus Krystallgruppen von Traubenzucker, denen sicb baufig kleine
hefenartige Zellen und Milben beigesellen. Dem Angriffe der letzteren sind die
Feigen tiberbaupt sebr unterworfen. Der wicbtigste Bestandtbeil der Feigen, die
in sudlicben Gegenden als Nahrungsmittel seit den altesten Zeiten eine bervor-
ragende Rolle spielen, ist Traubenzucker, von dem sie 60 — 70°/,, ent-
lialten. Bei uns dienen sie bekanntlicb bauptsacblicb als Nascberei und in gross-
artigem Massstabe zur Fabrikation des Feigenkaffees (s. Kaffee-Surrogate).
A. Vogl.
Feilen {limes — files), F e i 1 h a u m a s c b i n e n [machines a tattler, les limes —
file-cutting machines). Feilen und Raspeln sind Werkzeuge, die zum Abtrennen kleiner
Materialtheilchen bebufs der Formvollendung der Arbeitsstiicke bestimrat, demgemass
immer eine grosse Anzabl von eigenthiimlicb geformten Scbneiden zeigen, deren Ge-
sammtbeit in ibrer entweder regelmassigen (Feilen) oder annahernd gleiebmassig ver-
tbeilten Anordnung (Raspeln) der Hieb (taille, cut) beisst. Das Material zu diesenWerk-
zeugen ist grosstentheils Stahl, der sicb in ausgezeichneter Weise biezu eignet.
es kommen aber docb auch Feilen aus Gusseisen, Eisen mit aufgesebweisstem
Stabl oder selbst aufgelothetem Stabl vor. Der Hieb, der durcb das Eintreiben
eines entsprecbend geformten Meisels (s. pag. 395) erzeugt wird, bestebt, wie
scbon erwabnt, aus einer Reibe von balb aufgeworfenen, balb vertieften Scbneiden
die im Querscbnitt nebenstebendes regelmassiges Bild geben. Fig. 15G4.
Die Zahncben der Raspeln sind im Quer-
scbnitt sebr abnlicb geformt, nur laufen sie nicbt pig, 1;~)64.
iiber die ganze Breite des Werkzeugs, und fol- '
gen nicbt in der Weise aufeinander, dass unmit- \ (/n^/K^l'/'/i/J
telbar Zabn auf Zalm folgt, sondern zwisclien den
einzelnen Zabnclien befindet sicb regelmassig ein
ebener Theil des Werkzeugkurpers.
Die Gestalt der Feilen ist immer eine, im Verbaltniss zu dem sebr mannigfaltigen
Querscbnitt, langgestreckte zu nennen, und cbaracteristiscb ist nur der schwach
390
Feilen.
biconvexe Langsschnitt der Feilen, der, wie dies auch in Fig. 1565 ersichtlich
ist, sich gegen das eine Ende (die Feilspitze) a etwas starker verjiingt, wahrend
das andere Ende etwas abgesetzt und zu einer Spitze b (Angel), die zur Befestigung
in das Heft c dient, ansgezogen ist. Der Grund zn der schwachen Kriimmnng
der wirksamen Feilflachen liegt in der Ftihrung der Feile dnrch den Arbeiter,
der sie mit der rechten Hand am Hefte halt und mit einigen Fingern oder dem
Ballen der Linken flihrt. Bei dem Hin- und Herschieben der Feile tiber
das Arbeitsstiick fallt es dem Arbeiter in Folge der beim Vorschreiten der Feile
von Stelle zu Stelle fur beide Hande wechselnden Hebelverhaltnisse ungemeiu
scliwer? den Druck auf beide Feilenden so zu variiren, dass die Bewegung eine
genau geradlinig hin- und hergehende wiirde, was fur den Fall gerader Feilen fur
exacte Arbeit unbedingt noting ware. Die bier den Gliederungsverhaltnissen der
Arme am meisten entsprecbende und namentlich bei scbwerer Arbeit immer
stattfindende Bewegung ist eine oscillirende, und zwar so, dass die drei Haupt-
stellungen die in Fig. 1566 mit F' Fu F"' markirten sind. Wie aus den beiden
Figuren leicbt ersichtlich, ergeben gerade Feilen convexe Oberflachen, wahrend
bei den gekriimmten Feilflachen viel leichter eine ebene Oberflache zu erzielen ist.
cr~ " ~~
Fig. 1565.
Flq. 1566.
Das Arbeiten mit der Feile geht immer so vor sich, dass zuerst die
grbbsten Feilen, die man verwenden will, beniitzt werden, um die Flache zu
ebnen (da s B esto ssen), und hierauf in richtiger Stufenfolge die feineren Feilen,
deren Anwendung den Zweck hat, den groben Feilstrich durch einen stufenweise
feineren zu ersetzen, obne aber viel zur Formveranderung beizutragen (das
S c h 1 i e h t e n).
Die feinen Feilen werden auf Schmiedeeisen und Stahl mit Oel gebraucht,
welches mit dem Feilicht (den Feilspanen) eine Art Paste bildet, die durch
theilweises Verlegen des Hiebes einerseits ein sanfteres Angreifen der Feilen
andererseits aber das Festsetzen grbberer Spane verhindert.
Sind Feilen durch Feilspane verlegt (verstopft), so werden sie entweder
durch Streichen des Hiebes mit einer Stahlspitze, oder bei feineren durch Be-
nutzung von Kratzbiirsten (siehe diese) oder durch ein auf ein Brettchen aufge-
nageltes Stiiek Baumwollkratze gereinigt, wobei einige Tropfen Benzol, auf
die Feile gebracht, durch Auflosen des verdickten Oeles die Reinigung sehr
erleichtern.
Ein richtiges Feilen (Hmev, filing) gehbrt zu den schwierigsten Arbeiten
des I\Ietallarbeiters. Gut gefeilte Arbeiten zeigen ebene glatte Flaehen, scharfe
Ranten, regelmassigen Feilstrich^ d. h. lauter kleine, gleich tiefe, untereinander.
parallele Striclie, die bei schmalen Gegenstiinden der Lange nach, nicht queriiber
oder schief liegen sollen.
Als Hilfsmittel beniitzt der Arbeiter Winkelmass, Richtschiene und Richt-
platte. Bei den Rundfeilen kleinerer Gegenstande werden diese in Feilkloben
v8tielklobeni eingespannt, in eine Rhine ernes im Schraubstock eingespannten
Feilen.
391
Holzes (Feilholz) eingelegt, unci durch gleichzeitiges Drelien in dieser Rinne und
Befeilen gerundet.
Bei den Raspeln ist die gekrliramte Oberflache nicht von soldier Bedeutung
fur die Arbeit da diese Werkzeuge seltener ziir Erzeugung gerader Flachen, sondern
mehr zur Abrandung, Schweifung etc. beniitzt werden, und auch der Druck, mit dem
die Raspeln gefiihrt werden, in Folge des weicheren Materiales, fur welches sie
Anwendung finden, em geringerer ist. Daher findet man meistens nur bei grossen
und gToben Werkzeugen dieser Art die schwach biconvexe Form. Beziiglich
der Gestalt der Raspeln ware hier noch zu erwahnen, dass das eine Ende nur
selten zu einer Angel ausgeschmiedet ist, sondern dass entweder beide Enden
stimipf abgescbrotet sind, oder dass wie bei den Flachspitzen das Heftende in
der Weise geformt erscheint, wie es Fig. 1567 angibt.
Die Eintheilung und Benennung der Feilen richtet sich zumeist nacb der
Anordnung und Bescliaffenbeit des Hiebes und nacb der Grand- oder Quer-
schnittsgestalt des Feilkorpers, obwolil viele Feilen audi nacb ihrer speeiellen
Verwendungsart benannt werden.
Je nach der Anordnung des Hiebes unterscheidet man Feilen mit ein-
fachem Hiebe (limes a taille simple — single cut files) Fig. 1568 und
mit Doppelhieb (limes a deux trauchants — double cut files) Fig. 1569.
Fiq. 1667.
Fig. 1568.
Bei den Feilen mit Doppelhieb fiihrt der untere die Bezeichnung Grand- oder
Unterhieb (premiere taille — first cut), der obere Kreuz- oder Oberhieb (se-
cond taille — s. cut). Durch die Kreuzung dieser Hiebe erscheint die Oberflache
der Feilen mit lauter kleinen Zalmchen bedeckt. Solche Feilen greifen etwas
starker an als einhiebige rait gleich tiefem Hiebe, da die Zertheilung in einzelne
Zalmchen das Eindringen in das Material besser ermoglicht.
Eine selten vorkommende Abart der doppelhiebigen Feilen sind die Spie-
gelfeilen Fig. 1570, bei welchen abwechselnd Grand- und Kreuzhieb oben liegt.
Fig. 1569.
1570.
Der Wink el Fig. 1569, unter dem der einfache Hieb oder bei den doppel-
hiebigen Feilen der Oberhieb gegen die Langsachse der Feile gefiihrt ist, soil
ungefahr 70° betragen, da es zwar vortheilhaft ist, ilin moglichst klein zu
machen*), jedoch andererseits ein Hinschieben in der Richtung des Hiebes ver-
mieden werden muss, da sonst ein Furchen Ziehen, Kratzen der Feilen eintreten
wiirde. Genau betrachtet ist liier nicht der Winkel, den der Hieb mit der Langs-
achse der Feile, sondern jener, den der Hieb mit der Feilrichtung einschliesst,
von Bedeutung. Wie in Pig. 1571 veranschaulicht, setzt der Arbeiter die Feile F
gewijlmlich in etwas sehiefer Lnge auf das Arbeitsstiick A und fiihrt sie beim
•■) Wegen des sogens
nologie Band I.
[•ten Schneidwinkels sielie Hojer mechanist-he Tech-
392
Feilen.
Fig. 1571
A
Vorschieben so, dass sie audi etwas seitlich verschoben wird, damit die zu
bearbeitende Flache keine eingefeilten Absalze erhalt, die ein richtiges schnelles
Arbeit en sehr erschweren wiirden. Dann kom-
men aber die Schneiden, die mit der Feilachse
den Winkel « einschliessen, nicht unter diesem
Winkel, sondern unter dem Winkel /? zur Wir-
kung, und dieser Winkel soil so beschaffen sein,
dass ein Gleiten der Feile Iangs des Hiebes nicht
zu befurchten steht.
Bei den doppelhiebigen Feilen ist ausser-
dem noch zu beachten, dass die Winkel, unter
denen Grund- und Kreuzhieb die Feilachse schnei-
den, nicht dieselben sind, damit die gebildeten
Zahnchen nicht in mit der Feilachse parallelen
Reihen hinter einander stehen, da in diesem
Falle die Feilen gleichfalls leicht Furchen Zie-
hen, nicht aber vortheilhaft arbeiten wiirden.
Was die Beschaffenhei t desHiebes
betrifft, so kann dieser entweder grob (grosse
taille — rough), m i 1 1 e 1 (moyenne tallle — ba-
stard) oder fein (douce taille — smooth) sein.
Zu den Feilen mit grobem Hieb gehoren die
sogenannten Arm- und Stroh feilen, welch
letztere den Namen nach der Art ihrer Ver-
packung tragen. Feilen mit mittlerem Hieb
nennt man Vorfeilen, audi wohl Bastardfeilen, die mit feinem Hieb
S c h 1 i c h t f e i 1 e n. Manchmal folgt noch eine Stufe, die sogenannten F e i n -
s chl ichtfeilen. — Feilen, bei denen der Hieb wiederum beiuahe ganzlich
abgeschliffen ist, oder welche anstatt des Hiebes nur die leichten Ritze ernes
groben Schleifsteines erkennen lassen, werden als Polirfeilen verwendet.
Die obigen Bezeichnungen sind alle nur relativ zur Grosse der Feile zu
verstehen, so dass der Hieb einer 40cm Schlichtfeile gleich dem einer 15™ Vor-
feile sein kann ; daher man nur aus der Zahl der Einschnitte pro Centim. auf die
Feinheit einer Feile bestimmt schliessen kann.
Eine beilaufige Relation zwischen Hieb und Lange der Feilen gibt folgende,
aus Kar mar sch's Technologie entlehnte Tabelle :
Gattungen
des
Hiebes
Lange der Feilen in M i 1 i m e t e r n
100 150
200
300
1
400 500
Rough . . . .
Bastard
Smooth
Superfine ....
56
76
112
216
52
64
88
144
44
56
72
112
40
48
70
88
28
44
64
76
!
21
34
56
64
wobei die in den Rubriken stehenden Zahlen die Anzahl der Hiebe pro 25mm
Lange der Feile angeben.
Die Benennung richtet sich ferner, wie friiher gesagt, nach Grund- und
Querschnittsgesta.lt des Feilkorpers. Was die Grundgestalt anbetrifft, so sind es
hauptsachlich vier Formen, wie sie Fig. 1572 zeigt, die auftreten. Diese Figuren
sind als Schnitte parallel zu den Arbeitsflachen der Feilen aufzufassen, wahrend
die darauf senkrecht gefiihrten Langsschuitte mit wenig Ausnahme die schon in
Fig. 1565 gegebene biconvexe Form ergeben.
Foil en.
VX)
Ordnet man die Feilen der verschiedenen gangbaren Querschnitte nach
ihrcn Grundgestalten, so erhalt man somit vier Gruppen (Fig. 1572).
Die erste der Hauptformcn
n
Fig.
n
1572.
Fig. 1573 ab c findet sich bei be-
sonders schweren Feilen, vierecki-
gen oder rechteckigen Querschnittes
(Arm- oder Strohfeilen). Sie ist da-
durch bedingt, dass alle vier Seiten
dieser Feilen Arbeitsseiten sind, daher
etwas gekriimmt sein sollen. DieFeil-
spitzeiststumpfabgeschnitten,manch-
mal ohne Hieb, weil sie immer als
Handgriff dient, da diese Feilen zur
Fiihrung mit e i n e r Hand viel zu
schwer sind. Das Gewicht derselben
variirt von 1 — 8 Kilogr., ihre Lange
von 35 — 70™1. Als Mass fur die Qua-
litat des Hiebes konnen 5 — 8 Ein-
sclmitte pro Centim. Lange der Feilen a
angegeben werden.
Die zweite der Hauptformen
Fig. 1574 ist fur Feilen sehr ver-
schiedener Grosse und mannigfachen
Querschnittes in Verwendung, da sie
in Folge der schlanken Verjiingung
zur Spitze auch fiir sebwerer zugang-
liche Stellen zu gebraucben ist. Fei-
len dieser Grundgestalt mit flachrechteckigem Querschnitt b nennt man
ir>74.
V
V
spit
flache, die mit Querschnitt c einfach dreieckige. Bei dem Querschnitte der
Sagefeilen d sind die Ecken des Dreieckes abgeschragt, und die dadurch an
diesen Feilen sich vorfindenden schmalen Flachen haben nur einfachen Hieb. Quer-
schnitt e wird mit halbrund bezeichnet. Feilen mit Querschnitt/ fiihren den Namen
Vogelzungen, wahrend solche, bei denen die Kriimmung beider Seiten nicht die-
selbe ist, als Karpfenzungen g bezeichnet werden. Da diese Feilen, wie schon
erwahnt, sehr verschiedener Grosse sind, so sind auch alle Feinheitsstufen des
Hiebes vertreten; zu ervvahnen ist, dass die dreieckigen und die Sagefeilen haufig
einfachen Hieb, die convexen Querschnittes aber einen Hieb zeigen, der aus schmalen
Streifen einfachen Hiebes in einer der Arten, wie sie Fig. 1575 zeigt, zusammen-
gesetzt ist.
Fig. 1575.
\\\\\M\\\«\\\w\\\\\\\\\^^^
\ \\\\\\\\WWW\V.\WW\\\\\\\\\\vW..
1 V,\\\\\\\WWWW\\N\\W\\\\W\V.\'
\ iippiiiri "
Vv,m\Ui\\\\\ )
Gruppe drei mit der langgestreckt rechteckigen Grundgestalt zeigt (Fig. 1576)
untera den Querschnitt der gewohnlichen flachen Feilen ; ist eine der Schmalseiten ohne
Hieb,, so heissen sie An satz feilen. Es greift die ohne Hieb gelassene Seite
natiirlich nicht an, was das reine Ausarbeiten winkelrechter Ecken, sogenannter
An- oder Absatze ermoglicht. b gibt den Querschnitt der sogenannten Ein-
streichfeilen, die zum Einfeilen der Rinnen in Schraubenkopfen dienen. c hat
nur an der geraden Seite Hieb, wahrend die convexe geschliften ist. Solehe
Feilen dienen theils als Walz feilen den Uhrmachern zum Abrnnden der Zahne
kleiner Rader, theils als Polirfeilen, wo ihre quergesehlifl'ene convexe Flache wie
eine Feile mit ausserst feinem Hieb, wohl aber auch zugleich in der Art eines
Polirstahls wirkt. Feilen, die • zum Ausfeilen der Gabelzinken beniitzt werden
394
Feilen.
Fig. 1576. Fig. 1577
Fig. 1578. Fig. 1
►
D
O
b
j
— Gab el feilen — haben den Qnerschnitt d, besitzen jedoch nur an den
convexen Schmalseiten Hleb.
Was endlich die
vierte Hauptform anbe-
langt, die langgestreckt
einerseils zur Spitze,
andererseits zur Angel
verjiingt erscheint, so ist
sie gewohnlich nur fur
Feilen in Anwendung,die
zum Einfeilen schmaler
Rinnen, Ausschweifen
oder Ausweiten verschie-
den gestalteter Oeffnun-
gen bestimmt sind. Die
gebrauchlichsten Quer-
schnitte sind die in Fig.
1577 unter a und b ge-
gebenen. Kleine Feilen
soldier Form mit rundem
Qnerschnitt fiihren haufig
die Bezeichnung R at t en-
schwa n z e.
Zu erwahnen wa-
ren noch einige, verein-
zelt dastehende, fiir spe-
cielle Zwecke verwendete
Feilensorten.
Messer feilen Fig. 1578, die Grundgestalt messerartig, Querschnitt nach
Art einer Klinge diinn, keilformig, alle vier Seiten mit Hieb versehen, zur Ver-
fertigung schmaler Einschnitte, jedoch seiten verwendet.
Sch weif feilen mit trapezformigem Querschnitt, und nur an der grosseren
Parallelseite mit Hieb versehen, von Schlossern zum Sclnveifen von Schliissel-
lochern verwendet.
Back en feilen mit Langsfurchen und einem einfachen, querliegenden
Hiebe, von den Messerschmieden zu dem Einfeilen der an den Metallbacken der
Messerschalen als Verzierung dienenden Querfurchen beniitzt.
Liegefeilen, breite, flache Feilen, ohne Heft, von Gold- und Silber-
arbeitern in der Weise beniitzt, dass sie kleiue Arbeitsstiicke mit der Hand iiber
die auf dem Tisch liegende Feile bin und her fiihren.
Nadelfeilen. Federfeilen Fig. 1579 5 — 10cm lange ungehartete oder audi
aus Eisen bestehende Feilen sehr verschiedenen Querschnittes, die, da sie sich
leicht biegen lassen, zur Bearbeitung schwer zuganglicher Stellen von Bijouterie-
arbeiten Anwendung finden.
Riff el feilen, Fig. 1580, ahnlich den vorigen, aber etwas grosser, zum
Gebrauche fiir Silberarbeiter, Giirtler, Bildhauer, haufig aus Eisen und nur durch
Einsetzen (s. Ill pag. 36) oberilachlich verstahlt, so dass sie audi mittelst eines
holzernen Hammers beliebig gebogen werden konnen.
Putzfeilen sind die zum Eigengebrauch in Giessereien gegossenen Feilen,
deren Zahne schon im Gusse erzeugt werden.
Spitz ringe sind Scheiben, die entweder ganz von Stahl, oder nur an
der Peripherie mit Stahl arniirt sind, sie sind bis zu lOcm diek> bei ungefahr
40cm Durchmesser. Der Hieb befindet sich an der Cylinderflache und ist mit dem
der gewbhnlichen Feilen ganz gleich. Diese Spitzringe dienen, auf eine rasdi
rotirende Welle aufgesetzt, zum Zuspitzen von Nadelh, kurzen Driihten iiber-
haupt, deren einige der Arbeiter, sie zwischen seinen Handflachen haltend, dem
Feilen (Fabrikation). 395
Spitzringe wie einem Schleifsteine darbietet, wahrend er (lurch Rollen zwischen
den Handen das Angreifen an alien Seiten, also das Zuspitzen erzielt. Feilen fur
Uhrmacher, Drechsler, Kammmacher, Schuhmacher etc. siehe Prechtl's Encyclo-
padie Bd. 5. Was scheibenformige Feilen anbelangt, siehe Frasen.
Rasp el n sind nur in wenigen Formen gangbar. Als solche sind die flach-
rechteckigen, flachrunden und die ganz runden hervorzuheben. Die erster-
en gewohnlich vmi rechteckiger Gestalt mit von der Mitte gegen beide Enden
gerichtetem Hieb. Die beiden letzteren naliern sich in der Form den Feilen
gleichen Querschnittes.
Gute Feilen sollen richtige, rein geometrische Form zeigen, ohne Sprlinge,
Flecken und Streifen sein, beim Anschlagen reinen Klang geben (was bei Harte-
rissen nicht der Fall ist), der Hieb soil die grosstmoglichste Regelmassigkeit mit
gehoriger Tiefe verbinden, die Oberflache endlich von heller Farbe sein, da eine
dunkle Gliihspan anzeigt, der der Scharfe der Feile nachtheilig ist.
Pro ben. Beim kraftigen Bestr eichen mit der Bruchecke einer guten, gebro-
chenen Feile soil kein Umlegen, sondern ein Ausbrechen des Hiebes erfolgen.
Ein federhartes Stahlstiick soil auf dem Hiebe keine sichtbare Spur (weissen
Strich) zuriicklassen und mit gleich bleibendem Widerstand iiber die Feile gleiten.
Feilen fabrikation. Selbe zerfallt in das Schmieden der Feilkorper,
deren Ausarbeituug, das Hauen und Hart en.
Als Material wird zumeist Gerbstahl oder fur die mittleren und kleinen
Sorten Gussstahl gewahlt. Zuerst werden aus den Stahlstangen Stiicke von
passendem Gewicht abgeschrotet und diese dann vom Schmiede in zwei Hitzen
in die entsprechende Form umgewandelt. In der ersten Hitze bildet der Schmied,
dem gewohnlich zwei Gehilfen zum Feuerschiiren und Zuschlagen beigegeben
sind, den P'eilkorper (blanket) meistens mit Zuhilfenahme von Gesenken (siehe
Schmieden), wahrend in der zweiten Hitze das Ausrecken der Angel, Richten
und Einschlagen der Fabriksmarken erfolgt. Pro Tag und Feuer konnen auf
diese Weise bis 25 Dutzend Feilen ausgeschmiedet werden. Die so ausge-
schmiedeten Feilkorper (blankets) besitzen aber nicht jene Reinheit der Form
und Oberflache, dass sie unmittelbar dem Hauen unterworfen werden konnten,
sondern sie mussen zu diesem Zwecke noch einer weiteren Ausarbeitung unterzogen
werden. Diese geschieht gewohnlich durch Schleifen auf Steinen von 1 — l*50m Durch-
messer und 20 — 30em Breite. Da diese Steine von der Transmission etwa 100
Touren pro Minute erhalten, so sind sie, um bei einem eventuellen Zerspringen
jeder Gefahr vorzubeugen, mit einem starken, aus Bohlen gefiigten Gehause
umgeben, welches nur eine circa 35cm lange Arbeitsoffnung besitzt. Die Feil-
korper werden dem Steine zuerst der Quere nach zugefiihrt, und dann der Lange
nach, um den ersten Schleifstrich zu vertilgen. Bei grosseren Feilen iibt der
Arbeiter den nothigen Druck auf den Feilkorper nicht durch die Hande aus,
sondern durch ein etwas ober der Schleifstelle stehendes, schwach federndes
Brett. Da der Arbeiter auf diesem Brette gleichsam reitet, mit den Fiissen aber
auf dem Boden aufsteht, so hat er es ganz in der Macht den Druck zu variiren
oder auch beliebig aufzuheben. Das Schleifen geht ziemlich rasch vor sich, und
ist namentlich bei runden Feilen kaum durch ein anderes Verfahren zu ersetzen.
Eine bessere^ d. h. genauere Ausarbeitung bietet das Feilen, es ist jedoch
zeitraubender und daher auch kostspieliger.
Eine andere Methode der Herstellung der Feilkorper ist die von William
Gray in Sheffield patentirte, durch Walzen mit Beniitzung unterbrocbener
Caliber. Diese Caliber (Fig. 1581) befinden sich in Scheiben, die auf den Wellen
B Bt ernes Walzwerkes correspondirend aufgekeilt sind. Zur Fertigstellung
eines Feilkorpers gehoren gewohnlich drei solche Faconcaliber, die je zur Halfte
in Ober- und Unterwalze eingelassen sind (Ausnahmen hievon entstehen bei den
dreieckigen und halbrunden Feilen). Zu bemerken ist, dass die Scheiben aus
okonomischen Griinden aus mehreren Tlieilen zusammengesetzt sind, den eigent-
39G
Feilen (Fabrikation).
lichen Calibertheilen (Gussstahl) C C, , die nur mit Schwalbenschwanznuthen und
Keilen mit den Scheiben G Gt (Gusseisen) verbunden, somit auswechselbar sind.
Fig. 1581 a.
Fig. 1581 b.
Seitlich werden die Caliber durch die Walzenringe D Dl abgeschlossen. Gewohn-
lich sind in einem Walzwerke Caliber fiir mehrere Feilenformen angeordnet. Art
nnd Weise der Arbeit fiir Flaclifeilen ist ans den Fig. 1581 a nnd b sehr leicht
zn entnehmen. Die passend vorgericliteten gliihenden Stahllamellen passiren das
erste Caliber nur zuin Zwecke der Bildung der Angel. In das zweite Caliber
werden sie rait der Angel voran in auf die hohe Kante gestellter Lage einge-
ftihrt, somit beim Durchwalzen der Breite nach verjiingt, wobei jedoch in der
Caliberform auf die im dritten Caliber erfolgende Verjiingung der Dickendimension,
die eine ziemliche Streckung der Feilspitze zur Folge hat, Riicksicbt zu nehmen
ist. Die auf diese Weise fabricirten Blankets bediirfen nur sehr wenig Nacharbeit,
was die Gestehungskosten wesentlich verraindert.
Anschliessend hieran sei auf die fiir das Nachhauen der stumpf gewor-
denen Feilen nothigen Vorarbeiten hingewiesen, da das Hauen selbst mit dem der
neuen Feilen ganz iibereinstimmt. Diese Vorarbeiten zerfallen in das Ausgliihen
der Feilen und das Entfernen des alten Hiebes. Diese letztere Operation geschiebt
entweder durch Schleifen oder aber bei grobem Hiebe durch Abfrasen im gliihenden
Zustande, oder aber endlich durch Abhobeln mittelst eigens construirter Hobel-
maschinen (Reinach in Berlin), bei denen der Schlitten durch Gleiten auf zwei
zu einander geneigten (verstellbaren) Schienen in seinem mittleren Theil, an
welchem die Feilen befestigt sind, die hie]- nothige, schwach convexe Balm zuriicklegt.
Nach diesen Vorarbeiten werden die Feilen in Kalkwasser eingetaucht, um
durch den diinnen Ueberzug von kohlensaurem Kalk das Rosten zu verhindern.
Dieser Ueberzug la'sst sich, sollen die Feilen dem nun folgenden Hauen unter-
worfen werden, durch Abwischen leicht entfernen.
Das Hauen. Die Werkzeuge, deren sich der Feil-
hauer hiezu bedient, sind Meissel und Hammer, ferner, als
Unterlage fiir die Feilen dieuend, Hauamboss, Haublei und
■verschiedene Haugesenke. Der Arbeiter setzt bei der Arbeit
den Meissel Fig. 1582 in der schon anfangs besprochenen,
gegen die Feilachse schiefen Richtung, und zwar etwas
gegen die Spitze iiberhangend, auf. Da die Schneide des
Meissels, die immer etwas breiter ist als die zu hauende
Feile, je nach Beschaffenheit des Hiebes mehr oder weniger
zugescharft ist, so ergibt sich daraus, dass, da wegen des
guten Angreifens die Vorderfliichen der Zahnchen bei alien
Feilen ziemlich dieselbe Steilheit haben sollen, die Meissel-
stellung fiir feine Feilen eine aufrechtere sein wird als bei
groben. Der Winkel, unter dem die Meissel aufgesetzt werden, variirt gewbhnlich
Fig. 1582.
Fcilcn (Feilhauen). 397
zwischen 78 — 86°. Letzterc Grenze ist fur die f'einsten Feilen giltig. Ferner ist
zu bemerken, dass namentlick bei den Meisseln fur groben Hieb, um die Lage der-
selben nicht gar zu geneigt zu erhalten, die Zuscharfung der beiden Seiten der
Schneide, wie aus Fig. 1582 ersichtlich, nicht unter gleichem Winkel geschieht.
Dass die Meissel auch in der Lange und Dicke je nach den zu hauenden
Feilen stark variiren, ist selbstverstandlich. Fiir convexe Feilflachen beniitzt man
sclimale Meissel mit ausgekriimmter Schneide, deren Kriimmung aber viel geringer
ist als die Convexitat der Feile.
Die Hammer des Feilhauers sind gedrungener Ge- Fiy. 1583.
stalt mit schwach convexcr Bahn(Fig. 1583) mit eigenthiim- r77
lich gekriimmtem, der Handstellung angepasstem Griff. Fiir ([J
grobe Feilen steigt ihr Gewicht oft bis zu 5 Kilogramm. — Ist,
wie obeu angegeben, der Meissel von der linken Hand des \\
Arbeiters richtig aufgesetzt, so treibt derselbe durch einen V
kraftigen Hammerschlag den Meissel ein, was in Folge I J±
der schiefen Stellung nicht nur ein Eindringen in die
Feile, sondern auch ein Aufwerfen des anliegenden Materiales erzielt. Es entsteht
so ein iiber die urspriingliche Flache erhabener Grat, an dessen Riicken der
Arbeiter den Meissel beim folgenden Hieb anlegt, und dadurch leicht den Paralle-
lismus aller Hiebe erzielt. Die Arbeit gelit somit nach dieser Methode (der
englischen) von der Spitze zur Angel, wahrend die alte deutsche, welche umgekehrt
vorging, langst verlassen ist.
Als Unterlage dient, wie erwahnt, ein der Grosse der Feilen angepasster
schmiedeiserner Hauamboss, der wiederum auf einem massiven Holzblocke aufruht.
Fiir halbrunde, dreieckige oder anders faconirte Feilen kommen noch zwischen
Feile und Amboss die mit entsprechenden Rinnen versehenen Haugesenke,
die sich von den Gesenken der Schmiede nur durch etwas grossere Lange unter-
scheiden. Sind die Auflagsflachen schon gehauen, so miissen immer Haubleie
unterlegt werden. Diese sind Bleiplatten, deren 3 Dimensionen zwischen 1 — 6 —
10cm bis 3 — 8 — 15cm schwanken, natiirlich haben jene fiir runde und dreieckige
Feilen verwendeten die entsprechenden Rinnen.
Um die Feilen auf diesen Unterlagen festzuhalten, beniitzt der Feilhauer
einen langen Riemen, welchen er so iiber die Feile legt, dass beiderseits eine Schlinge
zu Boden hangt, in die er mit den Fiissen tritt. Im Anfange der Arbeit, wo
nur die Spitze auf den Hauunterlagen aufliegt, legt er den gedoppelten Riemen
nahe der Spitze iiber die Feile und unterstiitzt die in ein provisorisches Heft
eingeschobene Angel mit der Brust. Reicht das gehauen e Stuck weit genug um
den Riemen auflegen zu konnen, so legt er die Riemen beiderseits der Haustelle
und halt die Feile so in ruhiger Lage.
Ist die Feile mit Grundhieb versehen worden und soil Kreuzhieb erhalten,
so muss der ausserste Grat mit einer Feile etwas abgestrichen werden, weil er
an und fiir sich nicht iiberall gleich ist, die Zahnchen daher einestheils ungleich
ausfallen wiirden, andererseits aber durch Einbiegen die Furchen des ersten
Hiebes auch theilweise geschlossen wiirden.
Zu der Feilhauerarbeit ist sehr viel Uebung erforderlich, besonders bei den
feinsten Uhrmacherfeilen, die bis 100 Hiebe pro Centim. aufweisen.
Es scheint fiir den ersten Blick, dass keine Fabrication so auf maschinelle
Arbeit hinweisen wiirde wie das Feilhauen. Demzufolge haben auch viele Con-
structeure sich bestrebt solche Maschinen zu erfinden, aber die wenigsten kamen
zu guten Resultaten, und selbst gegenwartig konnen sich diese Maschinen nicht
allgemeine Verbreitung verschaffen.*) Die Schwierigkeiten, mit denen man bier zu
kampfen hat, sind sehr verschiedener Natur. Besonders zu beachten sind folgende
Umsta'nde. Regelmassigkeit des Hiebes, Meisselfiihrung (Vermeidung des Prellens
f) P'eilhaumaschinen stehen au^ser in England auch bei Gebr. D i c kert raa nn in Biele-
feld in Anwendung.
398
Feilen (Feilhaumaschinen).
und jeder Vibration), Aenderung der Schlagintensitat je nach Feilbreite. Unregel-
massigkeit des Feilquerschnittes, ungleiche Harte im Material, Vermeiden jeder
Beschadigung beim Ausheben des Meissels aus dem gebildeten Hieb. Riicksicht
auf den constant sein sollenden Winkel, den der Meissel mit der convexen Feil-
oberflache einschliesst, und noch andere mehr. Alle diese Umstande berticksichtigt
der Arbeiter und eliminirt sie durch seine Uebung. Ausserdem verlangt man von
den Maschinen, dass sie einfach, schnellarbeitend und keiner starken Abniitzurg
unterworfen sind. Die hieher gehorigen Constructionen lassen sicli in zwei Qruppen
scheiden, und zwar in solche, die mit einem an einem Fallgewicht befestigten
Meissel arbeiten und solche, die, mehr die Handarbeit imitirend, Meissel und
Hammer getrennt anwenden.
Von den vielen Constructionen sollen hier nur zwei als Repras en tauten
dieser beiden Gruppen Erwahnung finden.
Eine der gelungensten Maschinen der ersten Categorie ist die in Fig. 1584
dargestellte Feilhaumaschine von Bernot*) (Paris) herrithrende.
Die zu hauenden Feilen
Fig. 1584. werden bei dieser Maschine
durch Klauen an einen Schlit-
ten B' befestigt, der seine Fuh-
rung in dem auf Zapfen ruhen-
den Theil B findet. Dieser
Theil ist somit verstellbar,
kann aber vermoge eines seit-
lich angebrachten Schlitzbo-
gens und Stellschraube, je nach-
dem, wie es die Zuscharfung
des Meissels erfbrdert, festge-
stellt werden. Der Meissel ist
in dem vertical gefuhrten Theil
K festgeschraubt. Von der. von
dem Motor aus angetriebenen
Welle x wird nun mittelst des
Hebedaumens a der Theil K
gehoben,dabei aber audi gleich-
zeitigdie aus mehrerenBlattern
bestehende Feder s gespannt,
lasst der Daumen a den Theil
K frei, so wird vermoge des
Fallgewichtes von K und der
Beschleunigung durch die Feder
ein kraftiger Schlag erfolgen,
wobei durch Zusammenwirken
von Feder und Fallgewicht ein
Prellen verhindert wird. Von
der Welle x aus erfblgt aber
auch nach jedem Schlage durch
cine excentrische Scheibe eine Schwingung des Hebels h, welche durch die Hebel h', h",
/i'",7i4,/'V'6 (theilweise gedeckt) und den Sperrkegel v auf das Schaltrad w iibertragen
wird, was eine intermittirende Rotation der Welle m und Schnecke S zur Folge
hat. Da die Schnecke S aber in eine Zahnstange eingreift, die mit Schlitten B'
auf Verschiebung verbunden ist, so erfolgt daraus auch eine Verschiebung der
Feile, und zwar urn ein der Hiebdimension genau entsprechendes Stiick. Durch
Aenderung der Hebelverhaltnisse oder Auswechslung des Schaltrades w ist die
Verschiebung leicht zu variiren.
f) Greenwood (Patent London).
Feileri ( Feilhaiimaschinen).
Urn die Schlage des Meisscls je nacli dcr Grosse der zu liauenden Feilen
yariiren zu konnen, ist es moglich das cine Ende der Blattfeder, die sich in der
Mitte g'ogen ein sofort nalier zu besprccliendes Stiick e stiitzt, durch eine Schraube
zu spannen. Das Stiick e, eine excentrische Scheibe, wird je nach der Feilen-
form gewablt, da cs die Bestimmung hat, den Schlag des Meissels wahrend der
Dauer des Hauens einer Feile entsprecbend dem mit der Breite wacbsenden
Widerstand zu andern. Von dem Theil K wird namlich durch n bei jedem
Scblage eine Oscillation des Doppelhebels I vermittelt, die durch Sperrkegel i
eine ruekweise Drehung von p und durch Zahnradiibertragung audi von lx erzielt.
Dadurch kommen immer grossere Radien dieser Scheibe gegen die Feder zu
stehen, und diese wird, da das auf K rubende Ende stets gleich hoch gehoben
wird, immer kraftiger einwirken. Um den Winkel, unter welchem der Hieb die
Feilaehse kreuzt, variiren zu konnen, bestebt das Untergestell aus zwei Theilen
g und </,, die durch die als Drehzapfen fungirende Biichse o verbunden sind.
Fiir das richtige Einstellen des im Querschnitt kreisformigen Schlittens sorgt
der federnde Taster k, der die jeweilig in Arbeit befindliche Stelle der Feile in
mit der Meisselkante genau parallelen Lagc erhalt. 1st das Hauen bis zur Angel
vorgeschritten, so wird durch den Hebel H die Stange y und die Winkel z zx,
Scbnecke S ausgeriickt, und der Schlitten in seine Anfangsstellung zuriickge-
schoben, um eine neue Feile aufzunehmcn.
Fig. 1585.
Als Reprasentant der zwei-
ten Gruppe (Fig. 1585), d. i. jener
Feilliaumascbinen, die die Handar-
beit imitiren, sei bier die Maschine
von A.Brandon*) beschrieben.
Der Grundgedanke der Construc-
tion ist der, die Verscbiebung der
Feile durch den Meissei erfolgen
zu lassen und zwar abhangig von
der Beschaffenheit des Hiebes.
Stellt Fig. 1586 I die Meissel-
stellung nach vollfiihrtem Hiebe
dar, so folgt dann ganz wie bei
der Handarbeit ein
Heben desMeissels i^a
Aufsetzen in Posi-
tion II und Vor-
schiebenindieStel-
lung III. Da dabei
der Meissei in seine '■ /,/-
Anfangslage zuriickkehren
muss, so ergibt sich noth-
wendiger Weise eine Ver-
scbiebung der Feile. Die
Construction ist nun in
der Weise durchgefiihrt,
dass der Meissei an einem
Stiele A befestigt ist, der durch eine Muffe m geht, in der er mit Fric-
tion durch zwei Seitenscheiben gehalten ist. Die MufFe m hat zwei Zapfen, die
in den Stiitzen B gelagert sind. Einer der Zapfen tragt den Hebel b, der durch
einen Bolzen d der an der Welle D sitzenden Scheibe e bethatigt werden kann.
Xeben dem Hebel b ist noch eine Rolle r an der Achse B angebracht, und diese
driickt, da die kraftige Feder v auf die die Achse B stiitzenden Theile ein-
wirkt, continuirlich gegen den Umfang der Scheibe e. In dem Augenblicke, wo
w
Fig. 1586,
C
*) London, Patent Office 1872 Nr. 628.
4:00 Feilen (Feilhaumaschinen).
Hebel b clinch d gehoben wird, kommt erne Ausbauchimg der Peripherie der
Scheibe e an die Rolle r, diiickt somit diese und den gehobenen Meissel zuriick.
Der Stift d lasst aber den Hebel b sinken, bevor die Ausbauchung die Rolle
ganzlieh passirt hat, unci der Meissel muss in die Position II kommen. Hat sich
Scheibe e weiter gedreht, so kommt die Feder v wieder zur Action, schiebt den
dnrch die Feder t auf die Oberflache der Feile gehaltenen Meissel M so lauge
vor, bis wiederum die Rolle r an e anliegt. In der allerletzten Periode dieses
Vorschiebens kommt der Meissel an den beim vorhergehenden Schlage gebildeten
Zahn, und schiebt sich, fest an diesen Zahn anlegend, die Feile sammt dem
Schlitten um die Zahndicke vor. Das Verschieben des Schlittens geht ziemlich
leicht vor sich, da die eine seitliche Fiihrungsschiene durch eine mittelst einer
Schraube zu spannende Federlamelle F ersetzt ist. Hat das Verschieben statt-
gefnnden so steht der Meissel in der zum Hiebe bereiten Stellung III. Der Schlag
des durch eine Feder s beschleuuigten Hammers H wird gleichfalls von der
Welle D durch den Hebedaumen c abgeleitet. Auf der Welle C ist der Hammer-
stiel, zugleich aber auch ein .Hebel a aufgekeilt, der die Wirkung des Hebedau-
mens auf den Hammer iibermittelt. Auf eine selbstthatige Variation der Schlag-
stiirke wahrend des Hauens einer Feile ist bier nicht Rticksicht genommen, selbe
kann jedoch von dem beaufsichtigenden Arbeiter durch Nachspannen der Feder s
erzielt werden.
Die Arbeit dieser Maschine soil ziemlich zufriedenstellend sein, ist jedoch
nur fur Flachfeden zu verwenden. Dasselbe gilt von den Constructionen von
Alfred Weed und Morgan Brown, London Patent Office 1873 Nr. 3680—
Nro. 1218, die nur Abanderungen dieser Maschine sind. Eine Maschine desselben
Principes, aber in ziemlich verschiedener Construction, welche selbst das Hauen
der Feilen mit convexen Flachen gestattet, ist die von Maurice Mondon (London
Patent Office 1874 Nr. 3426).
Sind die Feilen gehauen, so werden sie, um sie bis zu dem nun folgenden
Hart en vor dem Rosten zu bewahren, in Kalkwasser eingetaucht.
Das Hart en der Feilen verlangt, aus Ritcksicht auf den feinen Hieb,
ziemlich viel Sorgfalt. Die Feilen werden, um sie vor den oxydirenden Einfliissen
des Gliihens und des Hartewassers zu bewahren, mit einem Ueberzug versehen,
dessen Zusammensetzung in verschiedenen Fabriken verschieden ist. Haufig wird
hiezu ein Gemisch von verkohltemLeder(Horn,Knochen, Klauen), Ofenruss, Kochsalz
und Topferthon genommen. Dieses Oemenge wird mit Bierhefe angemacht und
mit einem Pmsel auf die Feilen aufgetragen und langsam fiber einem Feuer
getrocknet. Einfacher ist das Ueberziehen durch Eintauchen in einen Brei von
Roggenmehl und Kochsalzlosung. (Vortheilhaft soil es sein, die Feilen vor dem
eigentlichen Harten in dunkelroth gltihendem Zustande in gepulvertes Kochsalz zu
stecken.) Ist der Ueberzug trocken geworden, so werden sie entweder in einem
Coaks-Feuer oder aber besser in geschlossenen Muffenofen rothgliihend gemacht
und vertical in moglichst kaltes und reines Wasser (Regenwasser) eingetaucht.
Gut ist es die Angeln ungehartet zu lassen, da sie sonst durch Anfassen mit
einer gliihenden Zange weich gemacht werden miissen.
Nach dem Harten werden die Feilen in stark verdiinnte Schwefelsaure gelegt,
um die nachfolgende Reinigung zu erleichtern.
Das Reinigen geschieht am besten durch eine mit Biirsten oder Karden
besetzte Trommel, die in Wasser lauft. Die Feilen werden in verschiedenen
Lagen gegen diese Trommel gehalten, und wenn sie rein sind, schnell auf erhitz-
ten Eisenplatten getrocknet. Xoch warm werden sie in Baumol eingetaucht, und
nachdem dieses geniigend abgetropft ist, in Papier verpackt.
Ueber das Nachatzen stumpf gewordener Feilen siehe Karmarsch,
Technologie Bd. I p. 295; Dingler's polyt. Journ. Bd. 192 p. 73. F. Polak.
Literatur: Prechtl's Encyclopadie Bd. 5; Karmarsch Technologie Bd. I;
Hojer Technologie Bd. I. Ferner die schon bei den Feilenhaumaschinen
angeflihrten Beschreibungen des Londoner Patent Office.
Feilkloben. — Feldspathe. 401
Feilkloben, s. Schraubstock.
Feilkluppe, s. Schraubstock.
Feilmaschine, s. Hob el mas chine.
Feilspane, s. Ill pag. 120 (EisenfeilspSne), und pag. .'590.
Feinbrennen, s. Silber.
Feineisen, Feinmetall, s. Eisenerzeiigung III pag. 24.
Feinen unci FeinproceSS, s. Eisenerzeiigung III pag. 23.
Feingehalt, s. Goldarbeiten.
Feingold, s. Gold.
Feinkarde, s. Baumwollspinnerei I pag. 334, s. Karden,
Feinkies, s. Kies.
Feinkorneisen, s. Eisen II pag. 773.
Feinkratze, Feinkrempel, s. I pag. 334, s. Karden.
Feinofen, Weiss of en, s. Eisenerzeiigung III pag. 23.
Feinprobe, s. Silber, s. Probiren.
Feinsilber, s. Silber.
Feinspindelbank, s. Baumwollspinnerei I pag. 345.
Feinspinnen, s. I pag. 351.
Feinspinnmaschine, s. Baumwollspinnerei I pag. 345.
Feinzeug, Ganzzeug, s. Papier fa brikation.
Fel vitri, syn. m. Glasgalle, s. Glas.
Felbel, Fel pel, ein langhaariges, sammtartiges Gewebe, s. Weberei.
Feldahorn, s. Ahom I pag. 60.
FeldbuSSOle, s. Compass II pag. 390.
Feldkiimmel, s. Quendel.
Feldschmiede, s, Schmieden.
Feldspathe („feldspath" — feldspar). Name einer Gruppe von Mineralien
welche sich sowohl durch ihre bemerkenswerthe morphologische als chemische Ueber-
einstimmung auszeichnen. Die Feldspathe folgen namentlich zwei Typen, dem mono-
klinen und dem triklinen, sind ihrer chemischen Zusammensetzung nach Doppelsalze
uud bestehen im Wesentlichen aus einer Verbindung von Kieselsaure, Thonerde, mit
Kali-, Natron- oder Kalksilicat oder einem Gemenge der Letzteren in verschie-
denem Procentverhaltnisse. Die ganze Reihe der Feldspathe besitzt nach Tschermak
nur drei selbststandige Arten, namlich den Orthoklas, Kalifeldspath (Al-03,tiSiO"-\-
iT20,35i02), den Albit, Natronfeldspath (AW3, sSiO*-\-NaH), 3SiO*) und den
Anorthit, Kalk(Natron)feldspath (Al*03SiO--\-CaOSiO"-); ' alle iibrigen Feldspathe,
wie der Sanidin, Oligoklas (Plagioklas), Andesin, Labradorit sind nichts anderes
als zum Theil mechanische, zum Theil isomorphe Gemische dieser drei Arten.
Die Feldspathgruppe ist eine der wichtigstcn im Mineralreich, da ihre Glieder
einen wesentlichen Antheil an der Gestaltung der Gesteine nehmen. Die einzelnen
Arten s. a. g. 0. Lb.
Karmarsch & Heeren, Technischea Worterbuch Bd. III. 26
402 Feldspath. — Fenchel.
Feldspath gemeiner, s. Orthoklas.
Feldspathgesteine nennt man die gemengten krystallinisch-kornigen Gesteine,
welche unter ihren Gemengtheilen ein Glied der Feldspathreihe besitzen. Die
grosste Anzahl aller krystallinischen Massengesteine gehort hierhcr, da nur wenige
untergeordnete Gesteinsarten feldspathfrei sind. Lb.
Feldspath glasiger, s. Sanidin.
Feldspathporphyr, s. Quarzporphyr.
Feldspathporphyrit, s. Porphyrit.
Feldspathporzellan, s. Thonwaaren.
Feldstecher, s. b. Fernrohr.
Feldstein, s. v. a. gemeiner Feldspath, s. Orthoklas.
Feldsteinporphyr, s. Quarzporphyr.
Feldulme, s. Ulme.
Felge [jante — jount, felly), s. Fuhrwerk.
Felle, s. Leder.
Fellinsaure, s. Galle.
Fellmaschilie oder Pelzkreinpel, s. Streichgarnspinnerei.
Felpel oder Felbel, s. Weberei.
Felsenguano, s. Guano.
Felsit, ein dichtes Gestein, bestehend ans einem mikro- oder kryptokrystal-
linischen Gemenge von Quarz und Feldspath. Dasselbe kommt seltener fur sich
allein vor, sondern bildet haufiger die Grundmasse der Felsit- und Quarzporphyre,
s. d. Lb.
Felsitfels, Petroplex, s. Felsit.
Felsitische Grundmasse nennt man die mikro- oder kryptokrystallinische
Grundmasse porphyrartiger Gesteine, welche zumeist eine dem Felsit (s. d.) ent-
sprechende Zusammensetzung hat, zuweilen wie bei den Phonolithen auch
quarzfrei sein, und statt der Feldspathe ein loslicb.es Silikat aus der Reihe Ne-
phelin, Leucit, Nosean, Hauyn haben kann. Lb.
Felsitpechstein, s. Pech stein.
Felsitporphyr, s. Quarzporphyr.
Felsobanyit, Min. rhombisch, kleine kugelige Krystalldrusen bildend, meist
auf Schwerspath aufsitzend. Weiss bis grauweiss. Harte =r 1*5. 1st bas.
schwefels. Thonerde, wasserhaltig. Vorkommen F.elsbbanya in Siebenblirgen. Otl.
Femel7 Fimmel, mannliche Hanfpflanze, s. Hanf.
Fenchel (grcdries de fenouil — seed fennel graines), die getrockneten reifen
Friichte von Foeniculum officinale All., einer ausdauernden, an trockenen, steini-
gen Orten in Siid-Europa, im Kaukasus und den siidkaspischen Landern wild-
wachsenden, im gemassigten Europa viel gebauten und auch hie und da ver-
wildert vorkommenden Doldenpflanze. Die Friichte sind im Umfange cylindrisch,
an 8mm lang und 3nim breit, von einer kegelformigen, zwei ganz kurze Griffel
tragenden Seheibe gekront, glatt, biaun, leicht in ihre zwei langlich-eiformigen
Fenchel. — Fenster. 403
planconvexeu Theilfriichtchcn sicb spaltend inid zerfallend. Jedes der letzteren tragt
auf seiner gewbibten Riickenflache fiinf hervortretende stumpf-gekielte, griinlich-
gelbe Rippen, von denen die randstandigen starker und von den ubrigen etwas
entfernt sind. In jedem der breiten braun-griinen Thalchen liegt ein dunklerer
Oelstriemen; zwei Striemen tragt iiberdies die blassbraune Bcriihrungsflache. —
Der ans Siid'Enropa (besonders Siid-Frankreicb) zugefiihrte sogenannte Rbmische
Fenchel (siisser oder kretisclier Fenchel), von Foeniculum dulce 01., ist grosser,
mit starkeren, fast fliigelartig hervortretenden strohgelben Rippen und griinen
Tlieilchen. Der Fenchel riecht angenehm aromatisch und besitzt einen siisslich-
gewlirzhaften Geschrnack; er gibt 372 — 4°/0 eines atherischen Oeles, und ent-
halt ausserdem Zucker (2"/0) un^ fettes Oel (12°/0). Er findet eine ausgedehnte
Anwendung als Gewiirz und Arzneimittel. — Das atherische Fenchelol wird durch
Destination der Sam en mit Wasser oder Wasserdampf gewonnen. Es bildet
eine farblose oder licht-gelbe Fliissigkeit von dem charakteristischen Fenchelgeruche
und gewtirzhaft siisslichem Geschmacke. Schon bei gewbhnlicher Temperatur etwas
dickfliissig, erstarrt es bei -\- 10° C. zu einer krystallinischen Masse. Das spec.
Gew. ±= 0'90 — 1*0, es destillirt zum grossten Theile zwischen 185 und 230° C.
Es besteht wesentlich aus Anethol, und verhalt sich in Bezug auf seine Loslieh-
keitsverhaltnisse ahnlich dem An i sol (s. I pag. 152). A. Vogl.
Fetichelholz, syn. m. Sassafrasholz.
Fenchelol, s. Fenchel.
Fenian-Feuer (fenian fire), fliissiges Peuer, eine Losung von 18 Thl.
Phosphor in 1 Thl. Sclrwefelkohlenstoff, hinterlasst beim Verdunsten des Schwefel-
kohlenstoftes Phosphor in so fein yertheilter Form, dass derselbe unter Zutritt
von Luft freiwillig sich entztindet. Brennbare Gegenstande mit einer solchen
Losung iibergossen, gerathen sonach, wegen der sehr rasch erfolgenden Ver-
dunstuug des Schwefelkohlenstoffes, alsbald in Brand. Man hat darum solche
Losungen zur Fiillung von Brandhohlgeschossen verwendet. Auf gepulvertes
chlorsaures Kali aufgegossen, liefert eine solche Losung eine nach dem Verdunsten
des Schwefelkohlenstoffes selbstthatig explodirende und heftig detonirende Masse,
die man fiir Petarden beniitzt hat. Vgl. lib. Feuerwerkerei. Gil.
Fenster (fenetre — windoiv) sind die durch eingerahmtes Glas abschliess-
baren Licht- und Luftbffnungen fiir die Raume der Gebaude. Man hat daher:
1. die Construction der Fensteroffnung, 2. den Verschluss der Oeffnung zum Schutz
des Raumes gegen die Witternngseinfliisse, zu unterscheiden.
ad 1. Die Grundform der Fensteroffnung ist die eines hohen Rechteckes
(Hohe zumeist gleich der doppelten Breite) und daraus entstehen viele andere
Formen, wenn der Abschluss nach oben durch einen Halbkreis, Kreissegment,
Spitzbogen etc. gebildet wird. Selbstversta'udlich kommen audi andere verschieden-
artige Fensterformen vor, z. B. kreisrunde etc. Im Allgemeinen ist durch die
Stylrichtung des Gebaudes und durch architektonische Rucksichten die Form be-
stimmt. Die Grosse und Zahl der Fensteroffnungen richtet sich nach der Grbsse
des zu beleuchtenden Raumes und dessen Bestimmung ; audi begrenzt die Etagen-
hbhe das Mass der Hbhe der Fenster. Die Begrenzung der Fensteroffnung ge-
schieht unten durch die Sohlbank, zur Seite durch das Fenstergewa'nde
und oben durch den Fenster bo gen, welcher, wenn an dessen Stelle ein
horizontaler Steinbalken tritt, Sturz genannt wird. (S. Entlastungsbogen
III pag. 274.) Alle drei Stitcke bezeichnet man auch mitunter als Fenstergestell.
Die Sohlbank hat den besonderen Zweck, das an das Fenster anschlagende
Regenwasser abzuleiten ; sie erhalt daher einen Vorsprung vor der Mauerflueht,
ferner an der obern Flache eine geringe Abschragung und an der Unterseite eine
Rinne (sog. Wassernase) oder auch eine etwas ansteigende Flache. damit das
Wasser abtropft und nicht vermoge der Adhasion an der Mauer herabrinnt (s.
26*
404 Fenster.
Fig. 1589 bei s). Beim Vorsetzen einer steinerner Sohlbank auf der Fenster-
Briistungsmauer (gewohnlich 0*45m stark und O80m vom Fussboden hoch, wenn
das Fenster bequemen Ausblick gewahren soil) muss die Vorsicht gebraucht werden,
dass zwischen beiden ein schinaler leerer Raum bleibt, bis das Mauerwerk sich
vollstandig gesetzt hat, da bei Ausseracbtlassung ein Bruch der Sohlbank ein-
treten kann, indem die eingemauerten Enden sich mit der Mauer starker setzen,
wahrend der mittlere unbelastete Theil nicht folgen konnte.
Das Fenstergewande wird entweder vollstandig aus Ziegelmauerwerk her-
gestellt oder an der aussern Gebaudeseite aus Werkstiicken, nach Innen aus
Ziegeln. Der Fensterbogen richtet sich ganz nach der herzustell enden Fenster-
form ; die Anordnung eines steinernen Sturzes erfordert einen Entlastungsbogen
(s. d. Ill pag. 274). Die einfache Umrahmung des Fensters in der Facade nennt
man Chambrane (Fasche). Oft jedoch wird tiber dem Fenster ein sog. Ver-
dachungsgesims angebracht, welches nicht nur architektonischen Zwecken,
sondern auch zum Schutze des Fensters gegen Regenwasser dienen soil.
ad 2. Die Construction zum Abschluss der Fensteroffnung besteht: a) aus
dem Fenster stock, b) aus den Fenster fliigeln (zusammengesezt aus
Rahmen, Sprossen und Verglasung) und c) aus dem Fensterbeschlag.
a) Der Fensterstock ist der in Falze des Fenstergestelles eingesetzte,
durch Bankeisen, Schrauben oder Bander befestigte Holzrahinen, welcher die Fenster-
fliigel zu tragen hat. Fiir unser Klima wird zumeist ein doppelter Abschluss
(Doppelfenster) erforderlich. Davon bezeichnet man das aussere als Winterfenster,
das innere als Sommerfenster (weil oft im Sommer das aussere durch Jalousien
ersetzt wird). Zwiscben dem Sommer- und Winterfenster ist ein Luftraum, welcher
0*15 — 023m Tiefe besitzt; die dazwischen liegende Wandflache heisst Fenster-
L e i b u n g.
Tragt ein Stock beide Fenster, dann geht er nach der ganzen Tiefe der
Leibung und man bezeichnet ihn als Futterstock, Pfostenstock (4— 5cm stark,
21— 23cm breit). Siehe Fig. 1587, welche den Grundriss darstellt.
Erhalt sowohl das aussere als
auch das innere Fenster seinen se-
paraten Stock (Blindrahmen mit ca.
5cm auf (5.5cm starkem Querschnitt,
Fig. 1588), so wird bei eleganter
Wohnungsaustattung die Fenster-
leibung durch das sog. Fenster-
f utter oder Stein futter ver-
kleidet.
<t='0i=3» Die Fenster der Wohngebaude
erhalten zumeist 4 Fliigel; zwei
obere kleine und zwei untere grosse.
Die Trennung geschieht durch das horizontale Kampferholz und Loosholz.
Mitunter ist auch in der Mitte ein vertikal stehendes Holz festgemacht, welches
mit dem Kampferholz das Kreuz bildet. Man bezeicbnet dies als Fensterstock
mit Ki-euz oder Kreuzstock. Bei eleganten Fenstern wird jedoch das feste
Mittelstiick nicht angebracht und durch Schlagleisten ersetzt (offener Stock mit
Kampferstiick), oder nur an den oberen Fliigeln angewendet (Stock mit oberem
Mittelstiick). Die aussern dem Schlagregen ausgesetzten Fugen zwischen Stock
und Fliigeirahmen miissen durch sog. Wetterschenkel gegen das Eindringen
von Wasser gesehiitzt werden ; derselbe ist ein am Stock oder event. Fenster-
rahmen angebrachtes schwacbes, horizontales Holz, 1 — 2cmvon den Fensterrahmen
vortretend, mit einer Abschragung und Wassernase versehen.
b) Die Fensterflugel bestehen aus Rahmen (mit ca. 4*5cm starkem Quer-
schnitt) und Sprossen (2-5cm breit und wie die Rahmen stark), zwischen welche
die Verglasung eingekittet ist. Bei starkeren Rahmholzern wird man moglichst
nach der Tiefe des Fensters das Holz verstarken, da durch Verbreiterung des Holzes
Winter-Fenster nach Aussen zu oftnen.
Fenster.
405
die Glasflache verringert wird. Das Profil des Rahmens enthalt hauptsachlich
zwei constructiv nothwendige Falze: den Anschlagfalz und den Kittfalz,
ca. lcm tief, welch letzterer immer
Firj. 1588.
an der Aussenseite des Fensters an-
zubringen ist. Die Untertheilung der
Fensterflugel durch Sprossen muss
der Ausstattung des Gebaudes ent-
sprechen. Elegante Salonfenster er-
halten fiir jeden Fliigel nur eine
Scheibe, so dass das ganze Fenster
nur drei oder vier Scheiben besitzt.
Einen speciellen Fall bildet
das Schau fenster, welches zu-
meist nur aus einer einzigen Spiegel-
scheibe, bis zu sehr bedeutenden
Dimensionen, hergestellt wird.
Die innern Fensterflugel offnen
sich stets nach Inn en, die aussern
jedoch nach Aussen (Fig. 1587) oder
Innen (Fig. 1588 und 1589). Im
letzteren Fall darf natiirlich der in-
nere Kampfer dem Fliigel kein Hin-
derniss zum Oeffnen bieten. Im All-
gemeinen wird daher das innere
Fenster in grosserer Dimen-
sion als das aussere herzu-
stellen sein, und beziiglich der
Kampferanbringung sind fol-
gende Anordnungen moglich:
1. Man mache den innern
Kampfer moglichst schwach,
den aussern aber so breit,
dass die aussern Fensterflugel
nach Innen geoffnet werden
konnen. Will man die Breite
des innern Kampfers auf ein
Minimum reduciren, so ge-
schieht dies' am besten durch
eine entsprechend geformte
Eisenschiene, welche leicht mit
Holz verkleidet werden kann.
2. Man mache beide Kampfer
in gewohnlicher Starke, bringe
aber den aussern um so viel
tiefer an, dass der imtere
Fensterflugel geoffnet werden
kann ; die aussern obern Flii-
gel konnen dann nicht wie
gewohnlich in Bandern dreh-
bar sein, sondern werden mit
Feder und Nuth zwischen Stock
und Kampfer eingesetzt und
musssen bei event. Entfernung gehoben werden.
welche Grundriss und Hohen-schnitt darstellen.
Bei den nach Innen zu aufgehenden Fenstern wird der aussere Stock zu-
meist ca. 0-15m nach Innen angeordnet; man nennt solche Fenster „zuriick-
Siehe die Fig. 1588 und 1589,
406 Fenster.
gesetzt". Im Sommer werden oft statt der Winterfenster Jalousien eingehangt.
Sie bestehen aus zwei oder vier im gewohnlichen Feiisterstock eingehangten Fliigel-
rahmen (Hauptrahmen), drehbar wie die gewohnlichen Fensterfliigel ; dieselben
tragen im untern Theil Nebenrahmen, nach aufwarts drehbar oder aufklappbar
uni Bander, die am Kampfer befestigt sind. Zwischen den Rahmen sind nm Zapfen
bewegliche, mit ihrer Unterkante sich iibergreifende Brettchen (ca. 9cm breit, l-5cm
stark) eingesetzt, welche mit Hilfe einer Zugstange gleiclizeitig gedreht werden konnen.
Fenster la den. Man nnterscheidet : ordinare Fensterladen, welche aus
gestemmten Fltigeln bestehen und am aussern Stock der Parterrefenster einge-
hangt werden.; zum Schutz gegen Feiiergefahr oder Einbruch werden dieselben an
der aussern Seite mit Blech beschlagen.
Die Spalettladen haben einen ahnliehen Zweck, stelien aber immer
innerhalb vor dem innern Fenster und werden aus zwei Fltigeln, jeder aus mehreren
zusammenlegbaren Theilen bestehend, hergestellt. Beim Zusammenlegen werden die-
selben in eine Vertiefung der Fensterspalettirung (sog. Spalettkasten)zusammengeklappt.
S chub fenster. Dasselbe besteht gewolmlich aus zwei Theilen; die
untere Halfte ist immer nach aufwarts verschiebbar, wahrend der obere Theil fest
oder nach abwarts bewegt werden kann. Der verschiebbare Rahmen ist durch
eine Schnur, welche iiber eine Rolle fiihrt, mit einem Gegengewicht in Verbindung,
behufs leichterer Handhabung und damit das Schubfester in jeder Lage in Ruhe bleibt.
Schau fenster. Dieselben werden nicht drehbar angeordnet und miissen
moglichst freien Einblick gewahren; daher werden zur Verglasung starke Spiegel-
scheiben verwendet, welche mit aufgeschranbten Leisten im Falz des Stockes be-
festigt werden. Bei sehr grossen OefFnungen theilt man die Scheiben durch ver-
tikale Eisensprossen. Die Scheiben miissen vor dem Beschwitzen und Befrieren
gescliiitzt werden. Es ist daher der eigentliche Schauraum nach Innen zu durch
eine Glasthiir abzuschliessen und die aussere Luft mit demselben in Verbindung
zu setzen, was am besten durch OefFnungen (entsprechend verziertj im Fries oder
Sockel der Schaufensterconstruction geschehen kann.
c) Fensterbeschlage bei gewohnlichen Fenstern.
1. Die Befestigung des Fensterstockes im Anschlag geschieht entweder
durch Bankeisen. oder durch Verbindung des ausseren und inneren Stockes durch
Eisenbander oder Schraubenbolzen.
2. Zur Verstarkung der Verbindung der Holzrahmen dienen sog. Schein-
haken, eiserne Winkel, je 10— 12cm lang, 1-5 — 2cm breit und 2mra stark, an den
Ecken in's Holz eingelassen und mit 5 Schrauben befestigt.
3. Das Aufhangen der Fensterfliigel geschieht bei Wohngebauden durch
Fisch- oder Aufsatzbander. Siehe Art. Band I pag. 287. Die Hohe betra'gt 12
bis 15cm, der Durchmesser der Htilse 10— 13mm.
4. Fensterverschliisse: a) Einreiber, Lappenreiber, eiufach und doppclt ;
ein Eisenplattchen vvird in eine ausgestemmte Oeffnung des Fensterkreuzes ein-
Fig. 1590.
0=6)
j@
Vorreiber i'4 n. Gr.).
gedreht. b^ Vorreiber (Kurbelreiber), einfach (Fig. 1590) und doppelt. je naeh-
dem derselbe einen oder zwei Fltigel festzuhalten hat. c) R u d e r v e r s c h 1 u s s fUeber-
wurf). Die Kurbel ist an einem Fltigel, der Haken am festeu Mittelstiick (Fig. 1591),
oder wenn dies fchlt, am zweiten Fliigelrahmen befestigt. d) B a s cul e-V crschluss
\ Fig. 1592. s. I pag. 304). Beim Drehen des Griffels (Olive) greift ein kleines Zahnrad
Triebrad) in zwei Zahnstangen ein, wovon die eine oben, die andere unteu schliesst ;
Fig. 1591.
^ ;!' ^' j ■ L,
;i*verschluss (J/s n.
Eud
Gr. ..
Fenster.
Fermenle.
407
gleichzeitig bewirkt einEinreiber in der Mitte den dritten Verschluss. Der Bascule-
Verschluss ist der am meisten iibliche. Statt durcli Triebrad und Zahnstangen
kann man audi durcli Excenter die Bewegung der Eisenstangen erzielen (Patent
Peyer in Wien). e) Espagnolette-Verschluss. Ein Ruderverschluss ist an einer
vertikalen drebbaren Stange befestigt, welche, bei geschlossenem Zustand des Fen-
sjers, oben und unten mit gekriimmten Haken in festgemachte Haken eingreifen.
Fig. 1593 gibt eine Skizze. f) Schubriegel, Dieselben werden bei ordinaren
Fenstern aussen sichtbar angebracht, wahrend bei besserer Ausstattung die Schieber
ins Holz eingelassen und durcli Bleche verdeckt werden (verdeckte Schubriegel;.
1692.
Fig. 1594.
m
Co
Fensterschnapper
(V, n. Gr.).
Basculeverschluss Espagnolettverschluss Innere Fensterspreitze
(% n. Gr.). (V5 n. Gr.). (V5 n. Gr.),
5. Vorrichtungen. um die geoffneten Fenster in ricbtiger Lage zu erhalten :
a) Fiir das nach Aussen zu aufgehende Fenster dienen eiserne Aufspreizstangen.
b) Fiir das Festhalten der nach Innen zu aufgehenden Fenster verwendet man
inwendige Fensterspreitzen und Fensterschnapper. Diese Fensterspreitze ist ein
Vorreiber, welcher am vertikalen Theil des Stockes befestigt wird. Fig. 1594.
Der Fensterschnapper (Fig. 1595) ist im Fensterbrett derart eingelassen, dass die
etwas vorstehende Falle in eine entsprechende Vertiefung an der Unterseite des
Fensterrahmens beim Oetfnen desselben einspringt. Um das Fenster schliessen zu
konnen, wird durch einen Drnck auf den Knopf die Feder sammt Falle hinabgedriickt.
Fiir specielle Einrichtungen werden selbstverstandlich mannigfache Anordnun-
gen bedingt, z. B. fiir horizontal an Charnierbandern aufgehangte und verstellbare
Fenster (Ventilationsklappen). Im Allgemeinen bringt man in der Mitte des Fensters
eine kreisbogenformige Zahnstange an, welche in ein Triebrad eingreift; durch
Drehung des Triebrades offnet oder schliesst sich das Fenster. Grohnann.
Fensterblei, s. Glaserarbeiten.
Fensterglas, s. Glas.
Fenstersprosseneisen, ein durch Walzen erzeugtes Fa§oneisen.
Ferberit, s. Wolframit.
Fergusonit (brauner Ittrotantalit), ein sehr seltenes, in kleinen, undeutlichen,
tetragonalen Krystallen vorkommencles Mineral, welches undeutlich spaltbar,
muschlig im Bruch und sprode ist, eine Harte rr: 5-5 — 6, spec. Gew. — 4-89
hat, dunkel-pechschwarz .mit hell-braunem Strich, undurchsichtig ist, und wesent-
lich aus niobsaurer Yttererde besteht. Es findet sich in kleinen Krystallchen zu
Schreibershau im Riesengebirge, bei Ytterby in Schweden und am Cap Farewele
in Grbnland. Lb.
Fermentation, s. G ah rung.
Fermente (ferment — ferment), G a h r u n g s e r r e g e r , G a h r u u g s m i 1 1 e 1.
Substanzen, welche Zersetzungen oder irgendwie geartete Veranderungen anderer
408 Fermente.
Substanzen zu bewirken im Stande sind, ohne selbst dabei eine durch eine che-
mische Gleichung ausdruckbare Veranderung zu erfabren, nennt man im Allge-
meinen Fermente. Es gibt nun Fermente, welcbe niedere Organistnen repra-
sentiren, bei welcben die durch sie bewirkten Zersetzungen gewisser Stoffe nur
eine Folge ihrer Lebensfunctionen sind ; sie werden als organisirte oder ge-
formte Feraente bezeicknet, und die durch diese hervorgebrachten Veranderungen
sind identisch mit den Faulniss- und Gahrungsprocessen.
Solche organisirte Fermente sind z. B. die Alkoliol-Bierhefe, Saccharomyces
cerevisiae M., die Milchsaurehefe, Oiclium lactis etc. Es gibt sodann Fermente,
welche bloss chemische Individuen, freilich bisher noch sehr ungeniigend gekannt,
reprasentiren, ohne irgend eine Organisationsstructur, die durch blossen Contact
mit anderen Substanzen "bei Gegenwart von Wasser eine Veranderung derselben
herbeifiihren, derart, dass diese Substanzen entweder direct in mehrere Korper
zerlegt werden, oder aber eine Spaltung erleiden und die Spaltungsproducte selbst
durch Addition der Bestandtheile eines oder mehrerer Moleklile Wasser neue Sub-
stanzen bilden.
So z. B. wird der Rohrzucker (Saccharose) durch ein in der Bierhefe ent-
haltenes, ungeformtes Ferment, das Invertin, in zwei andere Zuckerarten iiberfiihrt.
C^H^+H.O = Q//1206 + CfitfI206
Rohrzucker Dextrose Levulose
Dasselbe bewirken auch verdunnte Mineralsauren, so dass man sieht, dass
diese fermentosen Eigenschaften durchaus nicht an die organische Natur gekntipft
sind. Das Amygdalin, ein Bestandtheil der bitteren Mandeln und vieler anderen
Theile gewisser Prunusarten, wird durch ein sowohl in den bitteren als siissen
Mandeln enthaltenes Ferment, das Emulsin, durch Aufnahme von Wasser ge-
spalten in Bittermandelol, Blausaure und Zucker.
C,0H„NOn+K2O = C-HtO + CNH + 2(C%HxxOJ
Anygdalin Bittermandelol Blausaure Zucker
Das myronsaure Kalium, ein Bestandtheil der Samen des schwarzen Senfs,
wird durch ein ebenfalls in diesen Samen enthaltenes, dem Emulsin sehr ahn-
liches Ferment, das Myrosin, ohne Aufnahme von Wasser in folgender Weise
zerlegt: Cl0HiSKNS.,O10 = C.H.NS + C6//1206 + KHSO,
myi'onsaures Kalium Sentol Zucker saures schwefels. Kalium
Diese Fermente, wie das Emulsin, Myrosin, Invertin, Pepsin (im Magensaft),
Diastase (im Malz) etc., werden als ungeformte oder unorganisirte Fer-
mente bezeichnet; die durch sie hervorgerufenen Processe wurden friiher als
Zersetzungen durch Contact oder Katalyse angesprochen und ihrer Ursacblichkeit
nach sehr verschiedenartig erkla'rt.
Man kann sich heute dariiber folgende urspriinglich zum Theil von Bunsen
ausgesprochene Ansicht bilden. Die in einer Verbindung befindlichen Atome
baben ihre Affinitat vielleicht niemals ganz gesattigt ; in Folge desen iiben sie auf
jeden mit ihr in Beriihrung gebrachten Atomcomplex eine mehr oder minder
grossere Anziehung aus. Diese Gegenwirkung kann entweder zu einer wirklichen
Verbindung einzelner oder aller constituirenden Theile der beiden Atomcomplexe
oder zum mindesten zu einer Spannung der Atome fuhren. Selbst im ersten Falle
aber ist die eventuell entstandene Verbindung in Folge der grossen Anzahl der
sie constituirenden Atome von so labilem Gleicligewicht, dass sie sich gewohn-
lich entweder sofort bloss spalten, oder aber die Spaltungsproducte, da sie sich
gewissermassen im Entslehungszustand befinden, sofort mit anderen Atomen, z. B. in
den angegebenen Beispielen mit den Bestandtheilcn des Wassers in Verbindung
treten. Einer der beiden in Action tretenden Atomcomplexe von stabilerem Gleich-
gewichte, in unseren Beispielen das Invertin. die Schwefelsaure, das Emulsin etc.,
d. i. die fermentirende Atomgruppe wird keine Veranderung erleiden und kann daher
wieder dieselbe Wirkung auf eine neue Menge der anderen Substanz ausiiben.
Ueber den allgemeinen Charakter der ungeformten Fermente haben uns ins-
bcsondere die Untersuchungen von Hiifner, Zulkowsky und Konig hoch-
Fermente. 409
wichtige Aufschliisse ertheilt. Diesen zufolge sind die ungeformten Fermente
ihrer Zusammensetzung nach wesentlich von den Proteinsubstanzen unterschieden,
indem sie kohlenstoff- und stick stoffarmer sind als letztere ; sie koraraen fast in
alien pl^siologisch wichtigen Thier- und Pflanzenfliissigkeiten vor, so dass sie
jedenfalls als Vermittler sehr wichtiger Lebensfunctionen anzusehen sind. Viele
von ihnen haben die Eigenschaft, im Wasser zwar nicht loslich, aber im hohen
Grade aufquellbar zu sein, in welchem Zustande sie z. B. von Aether in Form
einer dickgallertartigen, an der Oberflache schwimmenden Masse abgeschieden
werden.
Die geformten Fermente spielen bei den mannigfachsten Vorgangen eine
sehr wichtige Rolle; sie sind es, die den ersten Anstoss zu den Faulniss- und
Verwesnngsprocessen geben ; sie sind, wie unstreitig festgestellt, die Keime und
Trager vieler epidemischer Pflanzen- und Thierkrankheiten. Die naturhistorische
Stellung and insbesondere die physiologischen Eigenthtimlichkeiten der geformten
Fermente waren bis vor Kurzem sehr ungeniigend gekannt, und nur diejenigcn,
die bei der Darstellung der geistigen Fliissigkeiten, den am langsten gekannten
imd geiibten Processen, auftreten, sind schon langere Zeit Gegenstand eingehender
vielseitiger Studien gewesen.
Die meisten fur die Techuik wichtigen geformten Fermente kann man
unter dem Collectivnamen Hefe (lev lire, lies — lees, barm) zusammenfassen, und
man spricht demnach von Alkoholhefe, Milchsaurehefe, Buttersaurehefe etc. Die
wichtigste und bestgekannte ist die Alkoholhefe, welche die geistige Gahrung
verschiedenartiger Fliissigkeiten veranlasst. Dieselbe wurde zuerst als ein ein-
facher, nicht organisirter, aus den gahrenden Fliissigkeiten sich abscheidender
Niederschlag angesehen, 1680 aber von Anton van Leeuvenhoek zum ersten-
male mikroskopisch untersucht und von ihm, aus lauter kleinen kugeligen und
ellipsoidischen, verschieden an einander gereihten Korperchen bestehend, beschrie-
ben. Desmazieres reihte sie 1826 als Micoclerma cerevisiae zu den Infuso-
rien, und erst 1837 wurde ihr pflanzlicher Charakter gleichzeitig von Cagniard-
L a tour und Kiitzing festgestellt ; von dem Ersteren wurde sie als Crypto-
coccus fermenti den Algen eingereiht, vom Letzteren wurde ihre Fortpflanzungs-
weise durch Knospung entdeckt; als eigentliche Pilzspecies wurde sie von
Schwann 1837 aufgestellt. Ihre organisirte Natur wurde aber trotzdem von
den hervorragendsten Chemikern, wie Liebig und Berzelius, entsprechend
den von diesen vertretenen Gahrnngstheorien bestritten, durch die eigenen Unter-
suchungen Mi ts ch erlich's aber zweifellos erwiesen. Es haben sich sodann sehr
viele hervorragende Botaniker, wie Bail, DeBary, Berkeley, Hallier,
Hoffmann, Karsten und andere mit der Naturgeschichte der Hefe befasst,
gelangten jedoch nicht zu iibereinstimmenden Ergebnissen. Vorwiegend nahm man
an, dass die Hefe eine besondere Entwicklungsform von Sporen vieler ffypJw-
myceten, wie Penicillium glaucum, Mucor mucedo etc. sei, bedingt durch die
chemische Zusammensetzung der gahrungsfahigen Fliissigkeiten als Nahrungs-
substrate der letzteren, und dass unter Umsta'nden aus der Alkoholhefe wieder diese
Pilzspecies hervorgehen konnten. Erst die auf Anregung De Bary's erfolgten
Untersuchungen von Re ess 1869 in botanischer Richtung und noch spater von
Fitz in chemischer Richtung haben eine endgiltige Klarung der „Hefefrage':
bewirkt, und zu folgender, gegenwartig fast nicht bestrittener Anschauung gefiihrt.
Die Eigenschaft, geistige Gahrung in geeigneten Fliissigkeiten hervorzurufen,
kommt sehr vielen verschiedenartigen Pilzen zu. Sporen und selbst Mycelstiicke
von vielen Hyphomyceten, insbesondere der Mucorarten, konnen in zuckerhaltigen
Fliissigkeiten eine Gahrung bewirken, wobei vorzugsweise Alkohol und Kohlen-
saure ^ebildet werden. Allein die in der Gahrungstechnik verwertheten Hefen-
pilze gehoren einer anderen Pilzfamilie, Saccharomyces, zu, die gewiss in gar
keinem entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhange mit jenen Hyphomyceten steht.
Diese specifischen Hefepilze Saccharomyces pflanzen sich bei Luftzutritt und in
zuckerarmen Nahrungsmedien durch Ascosporenbildung (Ascuschlauch) fort, wall-
410 Fermente.
rend miter denselben Umstanden jene anderen ebenfalls Gahrung bewirkenden
Pilze Mycelien and Hyphen bilden.
In zuckerreichen Fliissigkeiten and bei beschranktem Luf'tzutritt aber findet
die Vernielirung tier Saccharomyces durch die sehon lange bekannte Knospung
statt, wobei sick an jeder Hef'enzelle ein oder zwei Ausstiilpungen bilden, die mit
fortsehreitendera Wachsthum sick entweder schliesslich von der Mutterzelle los-
trennen, oder aber, mit ihr im Zusammenhange bleibend, selbst neae Knospen
freiben, wodnrch eigenthiinilich rosenkranzformige oder verzweigte Zellcolonien
entstehen. Die Gahrung der Bierwiirzen, sowie der KartotFel- and Getreidemaischen
wird durch Saccharomyces cerevisiae Meyen bewirkt, wahrend bei der Gahrung
der versohiedenen Weinmostarten andere Saccharomycesspecies, wie S. ellipsoi-
deus, 8. apiculatus, S. pastorianus etc. auftreten. Wahrend man also unter Hefe
alle gahrimgserregenden Pilze begreift, ist unter Hefepilz bloss Saccharo-
myces zu verstehen.
Die Mucorgahrung ist iibrigens nach den Untersuchungen von Fitz wesent-
lich verschieden von der normalen, durch Saccharomyces bewirkten Alkokol-
giihrung. Wahrend Saccharomyces sehr widerstandsfahig ist gegen Alkohol, und
selbst bei einem Gehalte der Fliissigkeit von 10°/0 desselben noch lebhafte
Gahrung erfolgt, wird schon bei einem Alkohoigehalt von 3 — 4°/0 die Mucor-
gahrung sehr trage und durch einen hbheren Alkohoigehalt die Mucorhefe sogar
getbdtet. Auch soil nach Fitz bei der Mucorgahrung das Verhaltniss zwischen
dem gebildeteu Alkohol und der Kohlensaure ein anderes wie bei der Saccharo-
mycesgahrung, namlich bei Mucor 123-1:100 gegen 96*3:100 bei letzterer sein;
Flir die Praxis insbesondere wichtig ist das zweifache Auftreten der Alkohol-
liefe als Ober- und Uuterhefe. Bekanntlich zeigt die Hefe der alkoholischen
Gahrung, je nachdem diese bei niedrigen Temperaturen, 4 — 10" C, oder bei
hoheren, 12 — 24° C, vor sich geht, verschiedene Eigenschaften. Irn ersteren
Falle scheidet sie sich zumeist am Boden der Gefasse ab (Unterhefe, Unter-
gahrung) und bestelit aus einzelnen, unzusammenhangenden Zellen ; im letzteren
Falle scheidet sie sich fast vollstandig an der Oberflache der gahrenden Flitssig
keit ab (Oberhefe, Oberga'hrung). und besteht aus zusammenhangenden, gleichsam
mit einander verwachsenen Zellcolonien. In Folge dessen und da die durch Unter-
gahrung entstandenen geistigen Fliissigkeiten weit weniger spateren nachtheiligen
Veianderiiugen ausgesetzt waren, hielt man Ober- und Unterhefe fur typisch ver-
schieden, und nahm insbesonders in Folge der Untersuchungen von Mitscher-
lich und Wagner an, dass die Oberhefe sich durch die bereits besprochene
Knospung oder Sprossung, die Unterhefe aber dadurch fortpflanze, dass die Mutter-
zellen platzen, einen kornigen Inhalt entleeren und die einzelnen Kornchen neue
lose Hefezellen bilden. Die Untersuchungen von Re ess lassen nun alle diese
Erscheinungeii in anderer Weise richtig interpretiren. Nach ihm besteht zwischen
Ober- und Unterhefe kein typischer Unterschied, und sind ihre Verschiedenheiten
grossentheils durch die grbssere oder geringere Gahrungsiiitensitat bei den sehr
verschiedenen Temperaturen und der dieser entsprechenden Kohlensaureentwicklung
bedingt. Bei den niedrigen Temperaturen der langsamen Untergahrung aber sind
die Existcnzbedingungen fur andere nicht nur Alkohol-, sondern audi Milch- und
Essigsauregahrung bewirkenden Pilzformen nicht giinstig, in Folge dessen
diese sich nicht entwickeln und fortpflanzen, und demnach auch spaterbin diese
naehtheiligen Processe nicht einleiten kbnnen. Bei den hbheren Temperaturen der
stiirmischen Obergahrung aber entwickeln sich auch diese Pilzformen iippig und
betintra'chtigen daher nicht nur das Wachsthum des echten Hefepilzes, sondern
geben auch spater zu den angefiihrten schadlichen Gahrungen Veranlassung.
Rees's bezeichnet daher die Unterhefe als eine aus der gemischten unreinen
Hefe wilder Selbstgahrungen zumeist mit Hilfe niedriger Temperaturen geziichtete
reine Race, und es la'sst sich aus dem Angefiihrten wohl nicht schwer erklaren,
warum die thatsachlich gelungene Ueberfiihrung von Oberhefe in Unterhefe schwie-
riger erfolgt als umgekehrt. E. Donatli.
Fermente. — Fern'rolir; 411
Lit era tar: Hiifner Julirb. f. pharm. Chcm. 1872 5. Bd. pag. 372; Zul-
kowsky unci Konig Sitzber. der kais. Akad. in Wien Bd. LXXl Marz-
heftl875; R e e s s Zur Naturgeschichte der Bierhefe Bot. Ztg. 18G9pag. 105 ;
Botanische Untersucliungcn iiber die Alkoholgahrungspilze 1870; Fitz
Berichte der deutsch. chera. Ges. 1873 pag. 48. S. a. Brefeld, lanclw.
Jahrb. 1874 III Heft 1.
Fermentole nennt man jene fliichtigen Principien, ira Allgemeinen von der
Natur sauerstoffhaltiger ather. Oele, welche ilire Entstehung einem durch Ferment-
wirkung eingeleiteten Zerfalle organisclier (pflanzlicher) Substanzen verdanken.
Solche Fcrmontole sind z. B. das Bittermandelol, das KirschlorberSl, das ather.
Sen fill, ferner die eigentbiimlichen Riechstoffc, die sich bei der Gahrung versehie-
dener Prlanzenblatter (Eichenblatter, Nesselblatter, Eschenblatter, Buehenblatter,
Fliederblatter) oder Krauter (Tausendguldenkraut), sowie anderer Pflanzentheile
(Eiekenrinde, Fieliten- und Tannenrinde, Tannennadeln etc.) bilden. Gil.
Fernambllk, Fernanibuc, Fernam buk -Hoi z, s. Rothholz.
Fernaildine-Process nennt Weil ein ihm patentirtes Verfahren (s. Bull,
de la soe. chim. 1874, 21. Nr. 1 pag. 46) der Bef'estigung von Farbstoffen auf
Zeugen durch Ueberziehen der niit dem Farbstoffe bedruckten oder gefarbten Faser
mit einer Schichte von Collodium. Gil.
Femrohr (telescope — telescope) heisst ein optischcs Instrument, welches
entfernte Gegenstande unter einem grosseren Gesichtswinkel (oder mit anderen
Worten in einer geringeren scheinbaren Entfernung) und in Folge dessen deutlicher
erscheinen la'sst.
Die Einrichtung des Auges (insbesondere die anatomische Structur der Netz-
haut) bringt es na'mlich mit sich, dass eine Dimension (z. B. die Breite eines Striches
oder Punktes u. dgl.) der Wahrnehmung sich entziebt, sobald der Gesichtswinkel
derselben unter eine gewisse (ubrigens auch von Nebenumstanden abhangige und
daher nicht allgemein angebbare) Grenze herabsinkt.
Eine solche die Wahrnembarkeit eines Objectes beeintrachtigende Kleinheit
des Gesichtswinkels kann sich auf zweierlei Art ergeben. Es kann eutweder das
Object an sich so klein sein, dass es selbst bei der aussersten noch zulassigen
Annaherung an das Auge noch immer nicht unter einem hinreichend grossen
Gesichtswinkel dem Auge dargeboten ist, oder aber es kann die Entfernung des
Objectes vom Auge so gross sein, . dass der Gesichtswinkel, selbst bei betracht-
licher Grosse des Objectes, zu klein ausfallt. Im ersteren Falle dient uns das
Micro scop (s. den Artikel), im zweiten das Telescop*) oder Femrohr
zur erforderlichen Vergrosserung des Sehwinkels.
Im Folgenden soil zunachst von den diopt rise hen Telescopen, namlich
von denjenigen Fernrohren die Rede seio, die nur aus Lin sen (s. den Artikel)
mit Ausschluss von Spiegeln zusammengesetzt sind. Die catoptrischen oder
Spiegel-Telescope sollen spater eine kurze Eiwahnung finden.
A. Diopt rische Telescope.
Die dem betrachteten Objecte zugewendete Linse oder vielmehr Linsen-
combination heisst das Objectiv des Fernrohres. Dasselbe soil stets eine apla-
natische Doppellinse **) (s. den Artikel) sein, deren Crownglaslinse nach
aussen (gegen das Object) gekehrt ist. Die tibrigen Linsen bilden zusammen das
sogenanDte Ocular des Fernrohres. Abgesehen vom Galilei'schen Fernrohre
*) Wortlich von TtAo?, das Ende (ausserste Feme), und axonho, ich spShe (betrachte).
**) Bei den von Lit trow berechneten und von Plossl ausgefiihrten sogeuannten dia-
lytischen Fernrohren ist das Objectiv eine Sammellinse aus Crownglas, welche durch
eine von derselben durch einen grosseren Zwischenraum getr ennte und desshalb ent-
sprechend kleinere (also auch leichter vollkommen herzustellende) Zerstretiungslinse
ausFlintglas (oder vielmehr durch eine zusammengesetzte Zerstretiunglinse) achromatisirt
wird. Dialylisch konnnt von dta, auseinander, und Xvot. ich lose.
412
Fernrohr (das astronomische).
/
(z. B. Feldstecher, Theaterperspectiv), dessen Ocular eine einfache Zerstreuungs-
linse ist, sind die gangbarsten Fernrohr-Oculare Combinationen aus zwei oder vier
Sammellinsen, je nachdern das Fernrohr ein sogenanntes astronomisches oder
terrestrisches (Erdfernrohr) *) ist. Das astronomische Fernrohr zeigt die Gegen-
stande verkehrt, das terrestrische, sowie das Galilei'sche aufrecht.
I. Das astronomische Fernrohr. In der
urspriinglichen einfachsten Form besteht das astronomische
(oder Keppler'sche) Fernrohr aus zwei Sammellinsen,
deren eine (Fig. 1596) oo als Objectiv, die andere mit
v v bezeichuet, als Ocular dient.
Das Objectiv einer Linse von verhaltnissmassig grosser
Brennweite hat die Aufgabe, von einem entfernten Gegen-
stande AB ein Bild ba zu erzeugen, indem jeder Punkt
des Gegenstandes, z. B. A durch die von demselben aus-
gehenden und auf das Objectiv fallenden Strahlen in einem
entsprechenden Vereinigungspunkte a jenseits der Linse
abgebildet wird. (S. den Artikel Linse.)
Wir erhalten auf diese Art ein verkehrtes und ver-
kleinertes, aber in unsere unmittelbare Nahe geriicktes
Bild des Gegenstandes. Wiirden wir dieses Bild (falls es
hinreichend lichtstark ware) wie das Bild einer photogra-
phischen camera obscura auf einem transparenten Schirm
auffangen und in der deutlichen Sehweite mit freiem Auge
betrachten, so batten wir mit dem Objective allein
schon eine Vergrosserung des Gesichtswinkels er-
, zielt, weil die Verhaltnisszahl der bewirkten Annaherung
^ an das Auge grosser ist als die Verhaltnisszabl der gleich-
zeitig bewirkten Verkleinerung; sobald, was wir voraus-
c^ setzen wollen, die Brennweite f0 des Objectives grosser
§ ist als die Sehweite s des Auges. Ist namlich der Ab-
stand a0 des Gegenstandes von der Linse im Vergleicbe
mit f0 sehr gross, so wird das Bild nabezu in der Brenn-
weite und sonach -^mal verkleinert erscheinen. Dafiir ist
/o
E
es aber dem Auge — mal naher geriickt als der Gegen-
stand, wenn E die Entfernung des Gegenstandes vom Auge
bedeutet.
Die Vergrosserung des Gesichtswinkels wird also
uberwiegen, sobald — ^> -?, und zwar nach Massgabe
s /o
des Quotienten — : ~ z=z — • — . wofiir man, insofern
s /0 a0 s
aa nicht viel kleiner als E ist, auch — setzen kann.
Diese Zahl
V —
/„
1.)
nennt man die Obj e cti v vergros serung.
Im Fernrohre wird aber das Objectivbild ba nicht mit freiem Auge in der
Sehweite, sondern mit dem als Lupe dienenden Ocularglase von kurzer Brenn-
Die aus drei Linsen bestehenden Oculare sind in diesem Artikel. um denselben nicht
zu scbr auszudebnen, nicht beriicksichtigt.
Fernrohr (das astronomische). 413
weite /, betrachtet, wodurch*) abermals eine f -j - -J- 1 jmalige, also annahernd
— rmalige Vergrosserung erzielt wird, welclio Zahl
v" = k *>
die Ocular vergrosserung heisst. Sie gibt, mit der Objectivvergrosserung
multiplicirt, die Gesam mtv erg rosse rung
v — if- ?>.)
des Fernrohres. T\
Die Wirkung der Ocularllinse besteht darin, dass die nacb der Krenznng
in einem Punkte (z. B. a) des Objectivbildes wieder auseindergehenden und auf
das Ocular fallenden Strahlen so gebrocben werden, als wenn sie von einem ent-
fernteren und auch weiter von der Achse abliegenden Punkte (z. B. a') herkamen.
Die aus dem Oculare austretenden Strahlen wirken also in ihrer Gesammtheit so
auf das Auge, in dessen Pupille sie eindringen, als befande sich jenseits des
Objectivbildes ba ein demselben Hauptstrahlenwinkel (bma — b'ma') entspre-
chendes, ebenfalls umgekehrtes Bild b'a'. Dieses scheinbare („imaginare" oder
„virtuelle") Bild muss in der deutlichen Sehweite s erscheinen, wenn das Fern-
rohr deutlich zeigen soil. Da s bei jedem nicht allzu kurzsichtigen Auge im
Vergleiche mit fx sehr gross sein wird7 so wird die Ocularlinse meist so zu
stellen sein7 dass der Abstand ax des Objectivbildes**) vom Ocular nicht viel
kleiner als die Brennweite fx desselben ist, indem die nach einem Punkte des in
der Regel 2 — 3 Decimeter weit entfernten imaginaren Bildes gerichteten
austretenden Strahlen nie stark divergiren konnen, und sonach annahernd
parallel sein miissen. Jedenfalls aber wird fiir verschiedene Sehweiten auch eine
verschiedene Einstellung des Oculars nbthig sein; grossere s erfordern grossere ax
und umgekehrt, wesshalb das Ocular fiir den Weitsichtigen weiter ausgezogen
werden muss als fiir den Kurzsichtigen.
Der Winkel, unter welchem das virtuelle Bild b4 a4 dem Auge erscheint,
heisst der kiinstliche Gesichtswinkel des betrachteten Gegenstancles AB.
Er ist etwas kleiner als der Hauptstrahlenwinkel b'ma4 — ip', aber von diesem
so wenig verschieden, dass man beide Winkel als nahezu gleich anzunehmen
pflegt. Der natiirliche Gesichtswinkel des betrachteten Gegenstandes AB
ist derjenige, unter welchem dieser nach Beseitigung des Fernrohres dem freien
Auge erscheint. Dieser Winkel ist etwas kleiner als der Hauptstrahlenwinkel
AcB zzz yj, unter welchem der Gegenstand vom Objective aus gesehen erscheinen
wiirde ; da jedoch die Lange des Fernrohres im Vergleiche mit dem Abstande des
Gegenstandes von dem (hinter dem Ocular gedachten) Auge kaum in Betracht
kommt, so kann \f> annahernd fiir den natiirlichen Gesichtswinkel gelten. Der
Quotient des kiinstlichen darch den natiirlichen Gesichtswinkel
V=^ 4.)
ist die Vergrosserung des Fernrohres, die nach Formel 3.) auch durch den Quo-
tienten der Brennweiten von Objectiv und Ocular ausgedriickt werden kann.
Es ist einleuchtend, dass kein grosserer Gegenstand oder, besser gesagt,
keine grossere Dimension im Fernrohre erscheinen kann, als eine solche, fiir
welche ip =± vcv ware, da sonst die im Objective sich kreuzenden Hauptstrahlen
das Ocular nicht mehr treffen wiirden. Dieses grosste t/>, welches mit u> bezeich-
net werden mag, bestimmt also die Grosse des Sehfeldes, und wird desshalb
*) Siehe Linse, Lupe. r
sf l
**) Nach den im Artikel Linse angefiihrten Formeln ist a^ — i—r — — ft , ., , also
A + * -f -t- i
desto weniger von fl verscliieden, je grosser s im Vergleiche mit /, ist.
414
Fernrohr (das astronomische).
geradezu das Gesichtsfeld genannt. Der dem a> entsprechende scheinbare
Gesichtswinkel ty' heisst das scheinbare Gesichtsfeld, nnd es gilt dem-
nach vernioge 4.) die Relation
ifi' == Vij) 5.)
auf die wir spater zuriickkommen werden.
Hieraus ist ersichtlich, das das Gesichtsfeld eines Fernrohres nie grosser
sein kann als der Winkel, unter welchem die Oeftnung (d. i. der Durchraesser)
der dem Objective gegeniiberstehenden Linse vora Objective ans erscheint.
Ein astronomiscb.es Fernrohr, dessen Ocular, wie wir bisher angenoramen,
aus einer einzigen Sammellinse bestande, wiirde sehr nnvollkommen sein. Man
gewinnt bei gleicher Vergrossernng an Gesichtsfeld nnd Scharfe der Bilder, wenn
man anstatt einer ein fa ch en Linse das von Hnyghens herriihrende, haufig nach
C a m p a n i benannte Ocular anwendet, dessen Einrichtung und Wirkungsweise in
Fig. 1597 dargestellt ist.*)
Bedeutet /, die Brennweite der grosseren und /„
Fiq. 1597. die der kleineren von den beiden (mit den Wolbungen
nacli dem Objectiv gekehrten) Planconvexlinsen, so ist
f\ rrr 3f„ und die Entfernung beider Linsen von ein-
ander d := 2fn. Die grossere der beiden Linsen wird die
Collectiv linse, die kleinere die Augen linse oder
Ocular linse genannt.
RS stellt das Bild vor, welches vom Objectiv er-
zeugt werden wtirde, wenn das Collectiv dc nicht vorhan-
den ware. Durch dieses Glas werden alle vom Objectiv
R;
bw
p
^^a
_L
r
gebrochen und zngleich starker convergent gemacht, so
dass z. B. die Spitze des am Rande bei d auft'allenden
Strahlenkegels nicht nach B, sondern nach r zu liegen
kommt.
Auf diese Art entsteht anstatt des Bildes ES ein
kleineres und dem Collective naheres rs, und zwar, bei
richtiger Einstellnng, nahezu in der Mitte zwischen beiden
Linsen, aber jedenfalls innerhalb der Brennweite f,, der
Augenlinse. Diese empfangt die nach der Kreuzuug in rs
wieder divergirenden Strahlen und bricht sie dergestalt,
dass z. B. der am Rande bei b auft'allende Strahlenkegel in ein gegen die Achse
zu gebrochenes Btindel von schwach divergirenden (nahezu parallelen) Strahlen
tibergeht, die von einem in der Zeichnung nicht dargestellten, in der deutlichen
Sehweite erscheinenden imiiginaren Bilde (wie b'a' in Fig. 1569) herzukommen
scheinen.
Da, wie sich zeigen lasst, rs
= ~ RS,
ist die Vergrossernng eiues
mit dem Huy ghens'schen Oculare versehenen astronomischen Fernrohres aus-
gedriickt durch die Formel**)
Y - jo
3 fa_
6.)
Die Fassung des Huy ghen s'schen Oculars ist in Fig. 1589 dargestellt.
Nahezu in der Mitte zwischen beiden Glaseru ist eine sogenannte Bl en dung,
deren Weite zum Abstande beider Linsen in einem bestimmten Verhaltnisse steht.
Da anderseits dieses Verhaltniss. wie leicht einzusehen ist, fiir die Grbsse des
Die Fassung- der Glaser sammt Blendung zeigt Fig. 1589.
es 1
Fonueln 2.) nnd 3.)
**) Die Yergrosservmg des H u j g h e n s'schen Ocnlars ist naraliLli -^- -— - ; vergleiche die
3 /a
Fernrohr (das astronomische).
-n.
Fiii- ein solches Fernrohr ist, wenn die t/< in Grade n aus-
gedriickt werden, ungefahr const ~ 28, woraus dann auch
das Gesichtsfeld yj, sobald die Vergrosserung V bekannt ist,
leicht in Graden berechnet werden kann.
Das Huyghens'sche Ocular wird auch haufig „achroma-
tisches" Ocular genannt. In der That wird, wie im Artikel
Linse gpzeigt werden soil, in dieser Linsencombination die
Farbenzerstreuung fast vollstandig anfgehoben. Im Gegen-
1599.
scheinbaren Gesiclitsfeldes t/J' massgebend ist, so ergibt sich vermBge 5.) fiir ein
Fernrohr mit H u y g h e n s'schem Oculare die Relation
l'i/j = const*) 7.)
d. h. Gesichtsfeld und VergriJsserung sind einander verkehrt
proportional.
Grosseren Telescopen pflegt man cine Auswahl von Fig. 1598.
mehreren Ocnlaren derselben Art (wie, z. B. Fig. 1598)
aber von verschiedenen Vergrosserungen beizilgeben. Wcndet
man diese der Reihe nach an nnd betrachtet mit dem
Telescope z. B. die Vollmondscheibe, so wird man einen
desto kleineren Theil derselben im Sehfelde erblicken, zu
je starkeren Vergrosserungen man iibergeht, da das Ge-
sichtsfeld nach Massgabe der Formel 7.) abnimmt. Be-
riicksichtigt man, dass der scheinbare Dnrchmesser (Ge-
sichtswinkel) des Mondes beilaufig einen halben Grad be-
tragt, so kann man das Gesichtsfeld eines auf den Mond
eingestellten Fernrohres leicht dem Augenmasse nach ab-
schatzen. Wir werden spater daranf znriickkommen.
Hinsichtlich des Huyghens'schen Oculars**) ist
noch zu bemerken, dass das Fadenkreuz (s. den Artikel
Messinstrumente), wenn ein solches erforderlich ist, in der
vorhin erwahnten Blendung (namlich am Orte des durch
die Augenlinse betrachteteu Bildes) angebracht wird.
Wird das Huyghens'sche Ocular gewechselt, so
wird mit demselben auch das Fadenkreuz gewechselt, was
manche Unannehmlichkeit mit sich bringt. Dieser Uebel-
stand entfallt bei Anwendung des Ramsden'schen Ocu- | j
lars. Dasselbe ist im Wesentlichen eine aus zwei getrenn-
ten (mit ihren Wolbungen gegen einander gekehrten) glei-
chen planconvexen Linsen zusammengesetzte Lupe; durch
welche man das vom Objective erzeugte Bild (an dessen
Ort sich das Fadenkreuz befindet) direct betrachtet***).
Die anssere Einrichtung des astronomischen Fern-
rohres ist in Fig. 1599 anschaulich gemaeht.
Im sogenannten Objectivkopfe k ist das achroma-
tische Objectiv mit seiner (im Artikel Linse naher be-
sprochenen) Fassung eingeschraubt. An die Rohrc (Tubus),
die einerseits mit dem soeben erwahnten Objectivkopfe
endigt, ist anderseits eine engere Rbhre s angeschraubt,
in welcher vvieder eine andere Rohre t mittelst des Trie-
bes r ein- und ausgeschoben werden kann. An diese
letztere Rohre t wird das Ocular o angeschraubt, dessen
Einstellung also mittelst des Triebes r bewerkstellifft wird.
zu dent Ramsden'schen Ocular, welches spater erwahnt werden soil und ..posi-
tives" Ocular genannt wird, nennt man das Huyghens'sche auch oft das „ negative".
Diese Bezeichnung bezieht sich auf den Umstand, dass das Objectivbild bei jenem vor.
bei diesem hingegen (virtuell) h inter das Collectiv fallt.
***.) PI os si hat die beiden einfachen Planconvexlinsen des Ramsden'schen Oculars durch
achromatische Linsen ersetzt und so sein sogenauntes aplanatisches Ocular her-
gestellt.
416
Fernrohr (das terrestrische).
b \
r^
>
i' L
1 | T^-^s^^
^s^-
r i
> t
>>^'
1601.
II. Das terrestrische Fernrohr. Das astronomische Fernrohr, so-
wohl mit einfachem als auch rait dem Huyghens'schen oder R a m s d e n'schen
Ocnlare, zeigt umgekehrt. Bei der Betrachturig irdiseher Objecte ware dies sehr
storend nnd mnss da-
Fig. 1600. lier durch em Ocular
vermieden werden,
welches aufrechte Bil-
der gibt. Die Figur
1600 zeigt eine von
den vielen Linsencom-
binationen, welche zu diesem Zwecke construirt worden sind.*) Die Linse r ist
dem Objective zugekekrt, also die Linse t dem Auge. Das vom Objective er-
zetigte Bild ba fallt innerhalb die Brennweite der Linse r und wird durch die
Wirkimg der drei ersten Linsen, zu Folge der in der
Zeichnung dargestellten Brechung der Strahlenkegel, um-
gekehrt, so dass ein aufrechtes Bild a'b4 entsteht. Dieses
wird durch die letzte Linse t als Lupe in derselben Weise
betrachtet, Wie es von dem Bilde ba in Fig. 1596 gegen-
iiber der Augenlinse vv erortert worden ist. Man muss
sich namlich vorstellen, dass die ans der Linse t aus-
tretenden, etwas divergirenden Strahlen auf das (an der
Kreuzungsstelle mit der Fernrohrachse befindliche) Auge so
em w irk en, als kamen sie von einem in der Sehweite be-
findlichen (imaginaren) Bilde (wie b'a' in Fig. 1596) her.
Dieses scheinbare Bild ist natiirlich ebenfalls ein auf-
rechtes.
Ein mit einem solchen („terrestrischen") Oculare ver
sehenes Fernrohr wird ein terrestrisehes oder Erdfernrohr
genannt.
Die vollstandige Einrichtung des terrestrischen Ocu-
lars sammt Fassung ist aus Fig. 1601 ohne weitere Be-
schreibung ersiehtlich. — Das Fadenkreuz, wenn ein sol-
ches erfordert wird, ist in der weiteren Blendung (ein
wenig innerhalb der Brennweite der Augenlinse) anzu-
bringen.
Bezeichnet man die Brennweite des achromatischen
Objectives auch hier mit/0 und der Ocularlinsen der Reihe
nach mit fv, f„, f3 und /4, so gilt fur die Vergrosserung
die Formel
V — tJf 8.)
wobei m ein von der Einrichtung des Oculars abhangiger
Coefficient (Jbei den F raunhof er'sehen Ocularen betracht-
lich grosser als 1.) ist.**)
*) Bei einem von Frannhofer construirten derartigen Ocu-
lare, welches vom Verfasser imtersucht wurde, waren die
Brenmveiten j\ und /, der beiden aussersten Linsen unter
sich annahernd gleich. also /, ~ f4 ~ /. Ebenso die
Brennweiten f2 und f3 der beiden mittleren Linsen, jedoch
grosser als /, namlich /, — f3 — F
Die Linse 2
hat die kleinste, 3 die grosste Oeffnung. Zwischen 1 und 2. sowie zwisehen 3 und 4
befinden sich Blendungen, je im Abstande von nahezu / von den aussersten Linsen.
F f
Die Abstande 1, 2; 2. 3; und 3, 4 waren beziehungsweise / -\-~ ; 2F und / -4- — .
") Vergleiche Formel 6.).
Fernrohr (das holl&ndische oder Galilei'sche
41
Das Gesichtsfeld winl auch hier diirch den Winkel bestimmt, imter welchem
die Oeffnung der Linse / (d. i. r in Fig. 1600) void Objective aus erscheiiit.
Wenn die beidenlliil-
sen, welche in dem Figur Fig. 1602.
1601 dargestellten terrestri-
schen Oculare je zwei Lin-
sen enthalten,gegeneinander
verschiebbar sind, so liegt
darin cin Mittel, den Werth
der Constanten m in Formel
8.), also die Vergrosserung zn verandern. Ein solches,
eine innerhalb gewisser Grenzen beliebig veranderliche Ver-
grosserung gewahrendes Ocular wird ein pan cratisc lies
genannt.
Wird das terrestrische Fernrohr als Standfernrohr
(aufStativ) gebraucht, so gibt man ihm die beim astrono-
mischen Fernrohre beschriebene Form (Fig. 1599). Soil
es bequem transportabel sein (z.B. als Touristen-Fernrohr),
so wird es al s sogenanntes Auszugsfernrohr oder
Z u g f e r n r o h r (Fig. 1 602) construirt.*)
Eine sogenannte B a u m s e h r a u b e dient zur Be-
festigung des Fernrohr es.
Die Ausziige eines Fernrohres bilden nach dem
Herausziehen nie ein gerades Rohr und beeintrachtigen
daher die fur die Scharfe der Bilder so nothwendige „Cen-
trirung". Aus diesem Grunde werden nur kleinere Per-
spective als Zugfernrohre construirt.
III. Das h o 1 1 a n d i s c h e oder G a 1 i 1 e i'sche
Eernrohr. Ein aufrecht zeigendes Fernrohr kann man
auch herstellen, wenn man eine Zerstreuungslinse auf so-
gleieh naher zu bezeichnende Art als Ocular anwendet.
Lasst man namlich die aus dem Objective austretenden
Strahlen, bevor sie sich zu einem Bilde ba (Fig. 1603)
vereinigen, so auf eine Zerstreungslinse fallen, dass der
Ort des nicht zu Stande komraenden Bildes ausserhalb der
(imagina'ren) Brennweite der Zerstreungslinse zu liegen
kommt, so wird ein z. B. dem Punkte A des betrachteten
Gegenstandes entsprechender Strahlenkegel oao (der in a
das Bild von A erzeugen wiirde) dergestalt gebrochen und
von der Achse des Fernrohres abgelenkt, dass die aus dem
Ocular austretenden Strahlen nicht mehr nach dem Punkte
a des Hauptstrahles ma, sondern nach einem jenseits der
Linse liegenden Punkte a' desselben Hauptstrahles conver-
giren, das heisst: die Strahlen treten (gleichwohl nur in
geringem Grade) divergent aus der Linse und bewirken in
dem dicht hinter dieser Linse angebrachten Auge den Ein-
druck, als kamen sie von einem aufrechten Bilde a'b' jenseits
der Linse her. Die scheinbare Entfernung desselben istj
bei angemessener Einstellung des Oculars, die deutliche
Sehweite.
Setzt man auch hier fur den natiirlichen Gesichts-
winkel ip den Winkel ^.c^B =:bca und fiir den kiinstlichen
Gesichtswinkel i/»' den Winkel a'mb' r= bma, so erhalt
man, da die Abstande des (nicht zu Stande komraenden) Bildes ba von Objectiv
*) In Fig. 1593 sind die Linsen nur angedeutet, aber nicht genau gezeichnet.
Karmarsph & Heeren, Technisches Wbrterbuch. Bd. III. '21
418 Fernrohr (das hollandische oder Galilei'sche).
und Ocular nur sehr wenig die Brennweiten f0 und f1 dieser Linsen Ubertreffen,
und insofern die Winkel i/> und ip' als sehr klein angenommen werden,
-iX. z= -%- : -4- — ty- Setzt man ferner annahernd ^zL -£- _Z_ — ]7 So er-
*^V }\ Jo /i tyV V
halt man ftir die Vergrosserung des hollandischen oder G a 1 i 1 e i'schen Fernrohres
eine Formel von derselben Gestalt wie Formel 3.) fllr das einfache astronomische
Fernrohr, nSmlich
V — I*. a\
~ A j
Je schSrfere Zerstreuungslinsen als Oeulare angewendet werden, desto kleiner
wird /,, desto nSher wird also auch das Ocular gegen ha (welches nahezu in der
Objectivbrennweite liegt) herausgezogen ; die Distanz cm zwischen Objectiv und
Ocular (Lange des Fernrohres), welche irn Allgemeinen f0 — /, ist, nimmt
also zu.*)
Die Abweichung der aus dem Ocular austretenden divergenten Strahlenkegel
von der Achse bringt es mit sich, dass, selbst wenn die Pupille des Auges dicht
an der Linse sich befindet, nicht mehr Licht in das Auge dringen kann, als
oinem der Pupille gleichen Theile der Ocularoffnung entspricht, wahrend, wenn
die Augenlinse eine Sammeilinse ist, das im sogenannten Augenorte (namlich
an der Kreuzungsstelle der austretenden Strahlenkegel mit der Achse) befindliche
Auge auch Strahlen aufnehmen kann, welche in der Nahe des Randes der Augen-
linse aus derselben austreten, also einem viel grosseren Theile der Oeffnung dieser
Linse entsprechen.
Aus dem Gesagten ist zugleich ersichtlich, dass das Gesichtsfeld eines hol-
landischen Fernrohres immer ein sehr beschranktes sein muss und ungefShr durch
den Winkel bestimmt ist, unter welchem der Durchmesser der Pupille aus der
Entfernung f0 — ft erscheinen wtirde.
Bewegt man das Auge am Oeulare hin und her, so kcinnen immer andere
Strahlenkegel von der Pupille aufgenommen werden. Um dies zu erzielen, ist
jedoch ein entsprechend grosses Ocular erforderlich, und hangt das Gesichtsfeld
auch von der Oeffnung des Objectives ab.
Da im hollandischen Fernrohre kein reelles Bild zu Stande kommt, so kann
in demselben selbstverstandlich auch kein Fadenkreuz (welches ja immer im
Orte eines reellen Bildes sich befinden muss) angebracht werden. Es eignet sich
daher nicht ftir Visir-Instrumente.
Wegen des beschrankten Gesichtsfeldes vertragt das Galilei'sche Fern-
rohr auch keine starken Yergrosserungen.
Die gewShnlichste Form dieses Fernrohres
Fig. 1604. ist das Theaterperspectiv (Fig. 1604)**),
welches gewohnlich als Doppelperspectiv (Opern-
gucker) in Verwendung ist und in der Regel
nur eine 2- bis .Smalige Vergrosserung besitzt.
Debrigens hat man auch Operngucker mit so-
genannten R e v o 1 v e r - 0 c u 1 a r e n construirt,
bei welchen mittelst einer einfachen Drehvor-
richtung drei verschiedene Oeulare nach Belie-
ben gewechselt werden konnen. Eines dieser
Oeulare gibt die gewohnliche (etwa 2malige)
Theater- Vergrosserung, die beiden anderen jedoch starkere Yergrosserungen,
z. B. 3- und 4malige.
Eine andere Form des G a 1 i 1 e i'schen Fernrohres ist der sogenannte
*) Beim einfachen astronomischen Fernrohre ist diese Distanz annahernd /„ -f- /, .
*) Die Zeichnnng ist insofern nicht ganz genau. als das Objectiv oo inWirklichkeit keine
einfache, sondern eine achromatische Sammeilinse ist.
Fernrohr (Leistnngen). 419
F elds tec her. Er hat die Gestalt eines kurzen Auszugsfernrohres mlt 1 bis 3
Ausziigen.
Beim Feldstecher konnen die Vergrosserungcn mittelst einer Drehscheibe
gewechselt werden, welche etwa 4 Oculare zur Auswahl darbietet, deren Ver-
grosserungen je nach den Diraensionen des Feldstechers abgestuft sind, im Allge-
rneinen aber zwischen den Grenzen 4 und 30 liegen.
Die Banmschranbe ist am Feldstecher hanfig ein fiir allemal in compen-
dioser Weise befestigt.
Soil der Feldstecher (z. B. bei der Anwendung fiir militarische Zwecke) in
freier Hand gehalten werden, so gibt man den Ocularlinsen (wie auch beim
Theaterperspective) eine grbssere Oeffnung, nm das Anfsuchen der in's Ange zu
fassenden Objecte zu erleichtern, was wegen der^Kleinheit des Gesichtsfeldes bei
kleinen Ocularlinsen sehr schwierig ware.
Eine weitere Anwendung findet das Princip des hollandischen Fernrohres
bei der Briicke'schen Lupe. Sie besteht aus einem achromatischen Doppel-
objective und einer Zerstreungslinse, gibt (etwa 9cm lang) eine nahezu Tmalige
Vergrosserung, und gestattet die Betrachtung von Objecten, die ungefahr 8frn weit
vom Objective entfernt sind.
Der Gedanke, zwei Fernrbhren zu einem binocularen Telescop oder Doppel-
perspectiv ( b i n o c 1 e ) zu verbinden, den wir an den bereits erwahnten Opern-
guckern realisirt sehen, ist in neuerer Zeit auch auf grossere Perspective (Erd-
fernrohre) angewendet worden.
IV. A 1 1 g e m e i n e Bemerkungen ii b e r die B e u r t h e i 1 u n g und
Priifung der Lei stung en eines Fernrohres.
Bei der Leistung eines Fernrohres kommen, abgesehen von der
Vollkommenheit des Bildes, drei Momente in Betracht: die Vergrosserung ,
das Gesichtsfeld und die Helligkeit.
Von der Vergrosserung und dem Gesichtsfelde ist insofern bereits die Rede
gewesen, als wir bei Bespreclmng der verschiedenartigen Fernrbhren die construc-
tiven Verhaltnisse angegeben haben, von welchen jene Grossen abhangen.
Zur Erlauterung des Begriffes der Helligkeit diene folgende Erwagung.
Betrachten wir beispielsweise den Mond, das eine Mai mit freiem Auge,
dessen Pupillenbffnung = co sein mag, und das andere Mai mit einem Fernrohre
von der Objectivoffnnng zzz 0.
Wir wollen annehmen, das Fernrohr sei ein astronomisches oder terrestri-
sches, und es kamen bei richtiger Stellung des Auges (an der Kreuzungsstelle der
aus dem Ocular austretenden Btrahlen mit derAchse) alle vom Monde dem Objec-
tive zngesendeten Strahlen in die Pupille. Dann verhalten sich die vom Auge
aufgenommenen Lichtmengen in beiden Fallen wie w" zu Oa, d. h. das Ange
empfangt bei der Betrachtung durch das Fernrohr — ^mal mehr Licht als bei der
CO1
Betrachtung mit freiem Auge. Ware das Netzhautbild des Mondes in beiden
Fallen gleich gross, so wiirde die auf die Flacheneinheit desselben (des Netzhaut-
bildes) entfallende Lichtmenge, die man eben Helligkeit nennt, bei Anwendung
des Fernrohres eben auch — smal grosser sein. Das Netzhautbild ist aber der Fla'che
nach in diesem Falle, wenn die (lineare) Vergrosserung des Fernrohres :=. V ist.
F2mal grosser als bei Anwendung des freien Auges, folglich entspricht der
Helligkeit bei der Betrachtung durch das Fernrohr nur der Werth
H--^ • • • • 10.)
wenn die Helligkeit bei der Betrachtung mit freiem Auge z± 1 gesetzt wird.
Es lasst sich zeigen, dass
r=± id
o
420 Fernrohr (Leistungen).
wobei o den Durchmesser des kleinsten Querschnittes des aus dem Ocular aus-
tretenden Lichtbiindels vorstellt. Man erhalt sodann
*-S »o
Wenn also die Pupillenoffnung (des freien Auges) jenem kleinsten Quer-
schnittsdurchmesser gleichkommt, ist H = 1, d. h. das Fernrohr gewahrt, abge-
sehen von den Liehtverlusten beim Durchgange dnrch die Glaser, dieselbe Hellig-
keit, wie bei der Betrachtung rait freiem Auge. Man nennt diese die natiir-
liche Helligkeit.
Diese Helligkeit findet auch statt, wenn co < o; denn wird z. B. o mmal
grosser als vorhin (da es — go war), so wird dadurch vermoge 11.) die Ver-
grosserung des Fernrohres und somit auch die Flache des bei Anwendung des
Fernrohres entstehenden Netzhantbildes m2mal kleiner, anderseits aber auch von
der Pupille nur der Bruchtheil — s des aus dem Oculare austretenden Lichtes
m2
aufgenommen, wesshalb die Helligkeit unverandert bleibt. *)
H ist also gleich 1, so lange a> :^f 0; wird dagegen co ">> 0, so fallt die
Helligkeit im quadratischen Verhaltnisse von — geringer aus. **)
CO
Bei Fixsternen, die selbst im starksten Refractor***) nur als scharfe Licht-
punkte ohne merkliche Ausdehnung erscheinen, entfallt der durch die Formel 10)
ausgedriickte Einfluss der Vergrosserung (die hier eben nicht zur Geltung kommt)
auf die Helligkeit und wachst diese demnach im Verhaltnisse — h.
CO2
Bezeichnet man die Helligkeit, mit der ein Fixstern dem freien Auge er-
scheint, mit /, so wiirde dieselbe, wenn der Fixstern \ih~ mal weiter entfernt
ware, nach bekannten Gesetzen der Lichtfortpflanzung — betragen. Durch An-
wendung eines Fernrohres von der Objectivoffnung 0 — co \JJT empfangt das
O2
Auge — 7l mal — h mal mehr Licht, und wiirde demnach der Fixstern in der
\//7_mal grosseren Entfernung ebenso hell erscheinen, wie dem freien Auge in
der ursprtinglichen Entfernung. Desshalb nennt man nach Hers ch el die Grosse
\h rr: — die raum durch dringende Kraft eines Telescopes.
Die zulassige Vergrosserung F, beziehungsweise die erforderliche Helligkeit
H hangt von der Lichtsta'rke der zu betrachtenden Objecte ab. Beim terrestri-
3
schen Fernrohre pflegt man darauf anzutragen, dass H nicht unter — herab-
geht. Mit derselben Helligkeit, I -^— Kbegniigt man sich auch bei dem sogenannten
M a r i n e - F e r n r 0 h r e zu Gunsten einer entsprechend starkeren Vergrosserung.
Bei astronomischen Telescopen pflegt man die Vergrosserungen, insofern es Licht-
starke und Gesichtsfeld gestatten, oft viel weiter zu treiben,f) worauf wir spater
noch zuriickkommen.
*) Die Formel 12.), nach welcher fur 01 •< o, H .> 1 werden miisste, gilt eben vermoge
ihrer Ableitung nur so lange, als alles ans dem Ocnlar tretende Licht von der Pupille
aufgenommen wird.
**) Selbstverstandlich immer unter der stillschweigend zu Grunde gelegten Annahme, dass
die Pupillenoffnung beim Durchsehen durch das Fernrohr dieselbe Grosse hatte wie
bei der Betrachtung mit freiem Auge.
***) Man bezeichnet mit dem Ausdrucke Refractor ein dioptrisches oder Linsen-Telescop.
wahrend man ein catoptrisches oder Spiegel-Telescop einen Reflector nennt.
t) Hierbei kommt der Umstand zu Gute. dass die meisten Himmelskorper eigenes Licht
haben.
Fernrohr (Leistungen). 421
Die schwachste Vergrosserung wahlt man stets so, das H — 1 ausfallt.
Im Allgemeinen dient die Formel
V=-^ 13.)
zur Berechnung der zulassigen Vergrosserung, sobald man iiber die einzuhaltende
Helligkeitsgrenze im Reinen ist, und einen bestimmten Werth fur m angenommen
hat. Nach Prechtl kann man co —0.06 W.-Zoll nehmen. Hieraus folgt, wenn
0 und co in Centimetern (to — 0.158) angegeben werden, annahernd
v=100im "•)
Es entsprache demnach z. B. einem Fernrohre von 4om (Objectiv-) Oeffnung,
falls die natiirliche Helligkeit (H z=. 1) nicht beeintrachtigt werden soil, eine
25malige Vergrosserung.
Ebenso leicht kann man die zur Erzielung einer gewissen Vergrosserung
bei gegebener Helligkeit erforderliche Objectivbffnung berechnen, namlieh
« = ^F -)
Demnach ware z. B. zur Erzielung einer lOOmaligen Vergrosserung bei
— der natiirlichen Helligkeit eine Oeffnung von 8em erforderlich.
Nach einer von Fraunhofer herriihrenden Regel fiir die Dimensionirung
der Fernrdhren sollen sich die dritten Potenzen der Ojectiv-Brenn-
weiten wie die vie r ten Potenzen der Obj ecti v-0 effnungen ver-
halten, wobei einem Objective von zwei Fuss Brennweite eine Oeffnung von
23-83 Linien (Wiener Mass) entspricht.*)
Es ergibt sich hieraus, dass ein terrestrisches Fernrohr bei einer nicht viel
mehr als 40maligen Vergrosserung (die natiirliche Helligkeit vorausgesetzt) schon
die Lange von etwa lm erreicht. Da ein Auszugsfernrohr von grosserer Lange
schon nicht mehr gut centrirt bleibt, so erscheint es nicht zweckmassig, bedeu-
tend starkere Fernrdhren noch mit Ausziigen zu construiren, wesshalb denn auch
die Objective der grdssten Zugfernrohre eine Oeffnung von 6cm kaum iiber-
schreiten.
Fiir astronomische Telescope gibt Prechtl**) die Regel an, dass man
als starkste zulassige Vergrosserung das 4T/2fache der in Wiener Zollen aus-
gedriickten Objectiv-Brennweite annehmen kdnne. Die Helligkeit wird dabei selbst-
verstandlich entsprechend weit unter den Betrag der natiirlichen Helligkeit herab-
gesetzt.
Fernrdhren von grosser Helligkeit und grossem Gesichtsfelde kdnnen natiir-
lich nur eine verhaltnissmassig schwache Vergrosserung haben. Man braucht solche
Insrumente zum Aufsuchen lichtschwacher Objecte. Sie liaben grosse Objectiv-
und Ocular-Oeffnungen. Hieher gehdren die sogenannten Cometensucher.
Fernrdhren mit Vorrichtungen zur genauen Messung des scheinbaren Sonnen-
durchmessers heissen Heliometer.***)
Die an grossen Telescopen parallel mit denselben angebrachten kleinen
Fernrdhren, welche zur vorlaufigen annahernden Einstellung dienlich sind, werden
Sucher genannt.
Bei der Prufung eines Fernrohres kommt es nicht nur auf die Er-
mittlung der Vergrosserung des Gesichtsfeldes und der Helligkeit an, sondern auch
*) Uebertragt man diese Zahlen auf Metermass, so kommen auf 5cm Oeffnuug sehr nahe
60 (genauer 59-52cm) Brennweite.
**) Prechtl, Dioptrik pag\ 176. Die Eegel beruht auf der Annahme einer gewissen
Minimal-Brennweite des Oculars mit Riicksicht auf Gesichtsfeld und Deiitlichkeit des
Bildes.
***) Bei Beobachtungen der Sonne pfiegt man gefarbte Dunkelgliiser, sogenannte Sonnen-
glaser hinter dera Ocular (d. h. zwischen Ocular und Auge) anzubringen.
422 Fernrohr (Leistungen).
auf die Erprobung der Vollkommenheit des Bildes, wie sie durch Beeeitigung der
chromatischen und sphanschen Abweichung, gute Centrirung, Gleichfbrmigkeit und
passende Wahl der Glassorten und genaue Einhaltung der richtigen dioptrischen
Verhaltnisse in der Dimensionirung und Anordnung der Linsen und Blendungen
erzielt wird.
Es wiirde zu weit flihren, auf die Methoden zur Aufsuchung einzelner
Fehlerquellen einzugehen. Wir begniigen uns, in Kiirze die Proben anzufuhren,
nach welchen sich im Allgemeinen die Qualitat und Leistung eines Fernrohres
beurtheilen lasst.
Betrachtet man durch das Fernrohr die Kante eines dunklen Gegenstandes
auf hellem Hintergrunde, so sollen bei richtiger Einstellung des Oculars keine
farbigen Saume an der betrachteten Kante erscheinen, auch dann nicht, wenn die-
selbe aus der Mitte des Sehfeldes gegen den Rand desselben geriickt wird.
Schiebt man das Ocular aus seiner richtigen Stellung nach einwarts oder
auswarts, so treten auch beim besten Fernrohre Farben auf (das sogenannte
secundare Spectrum);*) diese sollen jedoch keine grellen Farben
(z. B. feuerroth oder tiefblau) sein, sondern z. B. purpurroth beim Hinein-
schieben und weingelb beim Herausziehen des Oculars. **)
1st das Objectiv eines Fernrohres zwar von der chromatischen, nicht aber
von der spharischen Abweichung gehorig befreit, so erkennt man dies an einer
nebelartigen T r ii b u n g , in welcher es die Gegenstande zeigt.
Ein vorziigliches Priifungsmittel eines Fernrohres in Bezug auf die Scharfe
der Bilder liegt in der Betrachtung eines Fixsternes durch das Fernrohr. Ein
soldier darf nicht wie ein Comma oder in anderer Weise verzerrt und auch nicht
wie ein von einer Hiille umgebener heller Kern, sondern muss als ein scharf
markirter glanzender Punkt ohne Ausdehnung erscheinen. Je vollkomenner ein
Fernrohr dieser Probe geniigt, desto leichter wird es auch sein, mit demselben
Doppelsterne als solche zu erkennen, oder, wie man sagt, „aufzulosen", worin, so
wie in der Auflosung von Sternhaufen und Sternnebeln, ebenfalls ein scharfes
Priifungsmittel zur Vergleichung von Telescopen der verschiedensten Grossen
besteht. ***)
Auch schwarze Flecke von verschiedener Form (kreisformig, dreieckig und
quadratisch) auf weissem Papier, oder Systeme von Parallelstreifen in Abstufun-
gen verschiedener Breite und Distanz, oder endlich ein beliebiger Letterndruck,
in angemessenen Entfernungen betrachtet, sind gut brauchbare Probeobjecte zur
Beurtheilung der Giite und Leistung eines Fernrohres.
Die Vergrosserung eines Fernrohres ermittelt man sehr haufig durch
directe Vergleichung des natiirlichen und kiinstlichen Gesichtswinkels auf foi-
gende Art.
Ein entfernter Gegenstand, welcher eine Anzahl von gleichen Unterabthei-
lungen darbietet (wie z. B. eine eingetheilte Latte^ eine Reihe von Dachziegeln,
ein Gartengelander u. dgl.), wird mit dem einen Auge durch das Fernrohr und
gleichzeitig mit dem andern Auge unmittelbar betrachtet. Man beobachtet dabei,
wie viele mit freiem Auge gesehene Abtheihmgen auf eine im Fernrohr vergrossert
gesehene kommen. Ebenso vielmal vergrossert das Fernrohr.
Das Gesichtsfeld eines Fernrohres findet man, indem man z. B. er-
mittelt, wie oft der Durchmesser der im Fernrohr betrachteten Mondscheibe im
Durchmesser des Sehfeldes enthalten ist, oder, was fur ein aliquoter Theil des
*) Dasselbc riihrt davon her, class mit- uur zwei verschiedeuen Glassorten (Crownglas und
Flintglas) ein vollkormnener Achromatismus nicht erzielt werden kann. Siehe den
Artikel Achromatismus.
**) Vgl. K c 1 1 n e r , das orthoscopische Ocular.
***) Die Firma Merz in Munchen liet'ert Telescope mit aplanatischen Objectiven bis nahezu
einem halben Meter Oeffnuug und sieben Meter Brenmveite. Xoch grossere Dimen-
sionen haben die amerikanischen Refractoren der neuesten Zeit. Die relative Voll-
kommenheit derselben im Vergieiche mit jenen mag hier dahingestellt bleibea.
Fernrohr (catoptrische Telescope).
423
Durchmessers der Mondscheibe dem Durchmesser des Sehfeldes entspricht. Dabei
kommt in Erwagung, dass der Gesichtswinkel des Mondes annahernd einen halben
Grad *) ausmacht. Das Gesichtsfeld eines Fernrohres betragt also etwa 1 V2 Grade,
wenn der Mond, im Fernrohre betrachtet, 1/3 vom Durchmesser des Sehfeldes
deckt. Das Gesichtsfeld ware dagegen etwa '/4 Grad, wenn schon die halbe
Breite der Mondscheibe den ganzen Durchmesser des Sehfeldes einnehmen wiirde.
Auch mittelst der getheilten Latte, wenn man deren Entfernung kennt, lasst sich,
wie leicht einzusehen, das Gesichtsfeld ermitteln.
Andere und genauere Methoden zur Bestimmung der Vergrbsserung und des
Gesichtsfeldes zu erbrtern, wtirde uns hier zu weit fuhren. Wir verweisen dies-
falls auf Specialwerke.**)
B. Catoptrische Telescope.
Vor der Erfindung aplanatischer Linsensysteme***) suchte man theils die Un-
vollkommenheiten des Oculars durch sehr starke Objectiv-Vergrbsserungen, also
durch sehr grosse Ob-
jectiv-Brennweiten (wel- Yiq. 1605.
che die Anwendung
schwacher Oculare ge-
statten) weniger ffihlbar
zu machenf), theils die
Unvollkommenheiten des
Objectives dadurch zu
umgehen, dass man die
Linse durch einen Hohl-
spiegel ersetzte. So ent-
standen die Spiegel-
telescope, die durch fortgesetzte Verbesserun-
gen und vergrbsserte Ausfuhrung auch spSter-
hin neben den achromatischen Refractoren
immer noch eine hervorragende Rolle ge-
spielt haben.
Die verschiedenen Constructionen der-
selben unterscheiden sich in der Hauptsache
nur hinsichtlich der Anordnung und Ein-
richtung des Oculars, d. h. in der Art, wie
das vom Objectivspiegel erzeugte Bild der
Betrachtung durch ein Linsensystem zugang-
lich gemacht wird.
In der That wollen wir uns im Fol-
genden darauf beschranken, beispielsweise
nur eines dieser Instrumente etwas naher zu
beschreiben.
Wir wahlen das sehr leicht iibersicht-
liche G r e g o r y'sche Telescop, welches Fig.
1605 in der inneren Einrichtung und Fig.
1606 in der ausseren Form dargestellt ist.
— =hP-Ji
*) Er variirt zwischen 29' 22" unci 33' 31".
**) Man findet Naheres hieriiber in ausfiihrlicheren Werken iiber Geodasie ; ferner in Kohl-
rausch, praktische Pbysik, nnd endlich in den diesbeziiglicben Abbandluugen desVer-
fassers (Abhandl. der k. bobm. Gesell. der Wissensch. VI. Folge 5. Band, und C a r l'a
Eepertorium der Experhnentalpbysik 8. Band).
***) Siebe den Artikel Aplamatisnius.
f) Daher die enorme Lange alter Telescope, wie man sie in Museen noch haufig autrin't.
so wie das Anbringen von Objectiven an bohen Gebauden. — Die seit Doll on d con-
struirten Telescope mit achromatischen Objectiven werderi auch nAehromaten* ge-
nannt.
424 Fernrohr (catoptrische Telescope). — Ferrocyan.
In der Mitte des Objectivspiegels ss ist eine kleine Oeffnung, von der wir
vorderhand absehen wollen. Der Spiegel erzeugt ein verkehrtes Bildchen bei a.
Dieses spiegelt sicb in einem dem grossen gegeniiberstehenden kleinen Hohlspiegel
V, der mittelst der Triebstange mn so lange verstellt wird, bis ein verkehrtes
Bild b von a (also ein aufrechtes beziiglich des betrachteten Gegenstandes) hinter
dem Ausschnitte des Objectivspiegels entsteht, und zwar in solcher Entfernung
vor dem Ocular o, dass es einem durcb dieses Ocular sehenden Auge deutlich
erscheint. Je naher die betrachteten Objecte sind, desto weiter muss des kleine
Spiegel vom Objectivspiegel entfernt werden.
Beim Cassegrain'schen Telescop werden die vom Objectivspiegel kommen-
den Strahlen, bevor sie sich zu einem Bilde vereinigt haben, von einem Convex-
spiegel reflectirt, so dass sie mit verminderter Divergenz zu einem Bilde sich
vereinigen, welches, so wie beim G r eg ory'schen Reflector, durch das Ocular be-
trachtet wird.
Der centrale Ausschnitt des Objectivspiegels muss als ein Uebelstand bei
diesen Telescopen bezeichnet werden, weil gerade die mittlere Partie des Spiegels
(nachst der Achse) die vollkommensten Bilder liefert.
Newton und F. W. H e r s c h e 1 haben dies bei ihren Spiegeltelescopen
vermieden. Beim ersteren werden die vom Objectivspiegel kommenden Strahlen,
bevor sie sich zu einem Bilde vereinigt haben, durch einen Planspiegel seitwarts
reflectirt, und das so abgelenkte Bild durch ein seitlich in den Tubus eingesetz-
tes Ocular betrachtet.
Bei den Hers chef schen Telescopen ist der Objectivspiegel etwas schief
eingesetzt, so dass die Achse des Spiegels mit der Achse des Tubus einen Winkel
bildet. Ein zweiter Spiegel ist'nicht vorhandeu, sondern das Objectiv-Bild ent-
steht in der Nahe des Randes der Tubus-Oeffnung und wird mit einem daselbst
angebrachten Oculare betrachtet. Dass hierbei der Kopf des an der Tubus-
Oeffnung in das Ocular sehenden Beobachters zwischen Object und Spiegel
kommt, bringt bei sehr grossem Spiegeldurchmesser keinen merklichen Nachtheil
mit sich.
Die alteren Spiegel bestanden aus einer Legirung von Kupfer und Zinn,
mit einem Zusatze von Arsen. — R o s s e construirte bekanntlich einen Reflector
mit einem Objectivspiegel von 6 Fuss Durchmesser und 50 Fuss Brennweite.
Steinheil und Foucault haben mit Benutzung glaserner Hohlspiegel,
welche nach einem von Liebig herriihrenden Verfahren versilbert wurden, aus-
gezeichnete Spiegeltelescope hergestellt. Spiegel dieser Art vertragen wegen der
grossen Scharfe und Lichtstarke ihrer Bilder eine starke Ocularvergrosserung und
konnen daher im Vergleiche mit den alteren Spiegeln bei gleicher Leistungs-
fahigkeit kleinere Dimensionen haben. A. v. W.
Ferolenholz, syn. m. Atlasholz, s. Sa'tinholz.
Ferricum-Verbindungen, syn. m. Eisenoxyd-Verbindungen, tiberbaupt Ver-
bindungen der Atomgruppe Fea, welche sechswerthig ist; s. Eisen II pag. 760.
Ferridcyan und Ferridcyanmetalle, s. Biutlaugensalze I pag. 666,
s. a. Cyan II pag. 459.
Ferrid-FeiTOCyanid, syn. m. Ferrocyaneisen, ist der bei der Fallung von
Eisenoxydsalz durch Ferroevanwasserstoffsaure entstehende tiefblaue Niederschlag
(2Fe„,Fe3}Cy6).
Ferridprussianide,. syn. m. Ferridcyanide, vgl. Cyan II pag. 459.
Ferridsalze (Ferrisalze), syn. m. Eisenoxydsalzen, s. Eisen II pag. 760.
Ferrocyan und Ferrocyanmetalle, s. Biutlaugensalze I pag. 662; v.
a. Cyan II pag. 459.
Ferro-Ferridcyanid. — Fette. 425
Ferro-Ferridcyanid, syn. m. Turnbullsblau oder Ferridcyaneiscn (Fe3, Feq,
Cyl2), s. Blutlaugensalze I pag. 667.
Ferrokalium-Ferridcyanid, syn. m. Wiallmsonsblau oder losl. Berlinerblatij
s. Blutlaugensalze I pag. 667.
Ferromangan (Feromanganese), s. Eisen II pag. 769 und 773.
Ferropi'USSianide, syn. m. Ferrocyanide, 8. Cyan II pag. 459.
Ferrosalze, syn. m. Eisenoxydulsalze, s. Eisen II pag. 756.
FerTOSUm-Verbindungen, syn. m. Eisenoxydnl-Verbindungen, uberhaupt
Verbindungen des Eisenatoms Fe\ s. Eisen II pag. 756.
FeiTlim, syn. m. Eisen.
Ferulasaure, s. As ant I pag. 203.
Fes, Fez, tiirkische Kappe (fez). Diese Kopfbedeckung wird durch
Wirken aus Schafwollgarn, nachfolgendes Walken, Farben, Scheren, Dampfen,
Pressen etc. hergestellt. Wesentlich abweichend von den bei der Tuchfabrikation
verwendeten Vorrichtungen sind nur in Bezug auf aussere Form und Bewegungs-
mechanismen die Sclieermascbinen und Rauhmaschinen. U. a. liefern Maschinen fur
Fesfabrikation : Bernard in Karolinenthal bei Prag, Ster nickel & Guleher
in Bielitz-Biela. Vergl. die Artikel Tucli und Wirken. Kk.
Fesen, eigentlich Vesen oder Dinkelvesen, s. Dinkel II pag. 632.
Festigkeit (^resistance des materiaux — strength of materials), s. Ela-
sticity III. pag. 143.
Festigkeitsmaschilieil sind meclianiscbe Apparate, rnit welchen Materialien
fur das Bau- und Maschinenwesen auf Hire absolute oder Zerreissfestigkeit,
ihre riickwirkende oder Druckfestigkeit, ferner auf Biegung und Torsion etc. in
Anspruch genommen werden. Mancbe dieser Mascbinen ist fiir die eine oder
andere Aufgabe speciell construirt, andere sind fiir mebrere Arten der Inansprucb-
nabme gebaut. Ueber Werder's F. M. (auf Zug, Druck, Biegung, Torsion und
Abscheren) s. Kronauer's Zeichnungen von Mascbinen Bd. 4, Lief. 7 und 8.
Grafenstadener F. M. (Biegung, Zug, Druck) Dingler's polyt. Journ.
Bd. 215, pag. 306. Gollner's F. M. (Zug, Druck, Biegung, Torsion, Ab-
scbeeren) s. Jahrb. d. Bergakad. Oesterr. 1878 Heft II. Vergl. Art. Stoss. Kk.
Festungsachat, Varietat des Achat, s. d. I. pag. 45.
Festungsbau (fortification — building of fortifications), fallt iiber den
Rabmen dieses Werkes und sei daher nur verwiesen auf: Bles son's „Diegrosse
Befestigungskunst", Berlin 1830; Fesca's Handbuch der Befestigungskunst, Berlin
1852 — 53; Blumenhardt's „Die stehende Befestigungskunst", Darmstadt 1864
bis 1866.
Fettbol, eine Varietat des Bol, welche sicb fettig anfiihlt und nicbt an der
Zunge klebt. Kommt auf den Erzgangen Freiberg's vor. Vergl. Bolus I
pag. 724. Lb.
Fette (graisse — fat). Mit diesem Namen bezeicbnet man im Allgemeinen
die durch die allgemein bekannten Merkinale charakterisirten Glieder einer ganzen
Classe organischer Korper, welche aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff be-
stehen, sammtlich stickstofffrei sind, und sich fast ausnahiuslos als aus Fett-
sauren oder Oelsauren und Glycerin gebildete Ester des Glycerins, d. i. als
Glyceride erweisen. Fette im engeren Sinne des Wortes nennt man gc-
wohnlich nur jene dem Pflanzen- oder Thierkorper, u. z. vorherrschend letzterem,
426 Fette.
entstammenden Glyceride oder Gemenge solcher, welche im Gegensatze zu den
fetten Oelen oder fliissigen Fetten bei gewbhnlicher Temperatur starr oder
doch nur halbweich (in welchem Falle man wobl aucb die Bezeichnung Butter
oder Schmalz gebraucbt) sind.
Alle eigentlichen Fette sind dadurch ausgezeichnet, dass sie specifisch leichter
als Wasser und in demselben nicbt oder docb nur spurenweise lbslicb sind, sie
schmelzen bei hoherer Temperatur und zwar sammtlich unter 100° C. In Alkobol
sind sie wenigstens in der Kalte schwer, dagegen beim Erwarmen bis zur Sied-
hitze leichter lbslicb, leicbt werden sie von Aether, Schwefelkohlenstoff, Chloro-
form, Benzol und vielen aetherischen Oelen aufgenommen. Sie sind ferner im
reinen Zustande neutral reagirend, geschmacklos und zeigen einen nur schwachen,
aber eigenthiihmlichen Geruch, der namentlich beim Erwa'rmen deutlich wird. Durch
Zersetzungsproducte veiunreinigt nehmen sie indess einen deutlichen, unangenehm
kratzenden Geschmack und einen charakteristischen, unangenehmen (ranzigen) Ge-
ruch au, der mit zunehmender Zersetzung, welcher alle Fette unter dem Einflusse der
Luft mehr oder weniger ausgesetzt sind, immer deutlicher wird. Im reinen Zu-
stande sind ferner alle Fette farblos, im rohen Zustande dagegen konnen sie in
Folge eines Gehaltes an fremden, aus dem Thier- oder Pflanzenkbrper stammen-
den Beimengungen die verschiedensten Farbungen zeigen. Im geschmolzenen Zu-
stande, so wie in dtinnen Schichten sind sie durchsichtig oder stark durchscheinend,
und bringen daher auf Papier, wenn sie von der Masse desselben aufgesaugt
werden, einen durchscheinenden Fleck (Fettfleck) hervor, der sich dauernd erhalt.
Durch Erwarmen geschmolzen zeigt jedes bestimmte Fett einen bei einer bestimm-
ten Temperatur liegenden Schmelzpunkt. Durch Abkiihlung geht das geschmol-
zene Fett wieder in den starren Zustand tiber, doch liegt der Erstarrungspunkt in
der Regel bei einer niedrigeren Temperatur als der Schmelzpunkt. Beim Er-
starren, bei welchem einige Fette undeutlich krystallinisck zu werden vermbgen,
wahrend andere ganz allmalig, durch alle zwischen der Fliissigkeit und dem
starren Zustande liegenden Grade der Consistenz hindurchgehend, in den starren
Zustand zuriickkehren, findet fast ausnahmslos eine, wenn audi geringe, so doch
nachweisliche Temperatursteigerung statt, welche in einzelnen Fallen fast den
Schmelzpunkt erreicht. Beim starkeren Erhitzen, etwa auf 300° C. gerathen sie
in's Kochen, sind jedoch nicht unverandert fliichtig, sondern werden hiebei zersetzt,
wobei als Hauptproducte Acrolein, dann Kohlenwasserstoffe und fliichtige Sauren
neben Kohlensaure und Wasser entstehen; gleichzeitig findet eine Ausscheidung
von Kohlenstoff statt und tritt in Folge derselben eine mehr weniger deutliche
Braun- bis Schwarzfarbung der erhitzten Fette ein; da die beim Erhitzen der
Fette auftretenden Zersetzungsproducte brennbar sind, so fangen stark erhitzte
Fette Feuer und verbrennen mit leuchtender Flamme.
Unter Zutritt der Luft erleiden die Fette, wie schon erwahnt, Veranderun-
gen, u. z. um so leichter, je weniger rein sie sind. Namentlich vermag die Ge-
genwart geringer Mengen von Eiweissstoffen thierischen Schleimes u. s. w. die
Zersetzbarkeit der Fette wesentlich zu begiinstigen und scheinen solche Kbrper
audi in dieser Beziehung als Fermente zu wirken. Die Veranderung der Fette
crfolgt in der Regel unter Aufnahme von Sauerstoff, und besteht einerseits in
einer Spaltung der Glj^cerinverbindungen unter Abscheidung freier Fettsauren,
anderseits in einer Oxydation der vorhandenen Sauren. Namentlich energisch er-
folgt diese Oxydation, wenn Fette im feinvertheilten Zustande der Einwirkung
der Luft ausgesetzt werden und die hiebei frei werdende Warme kann sich so
weit steigern, dass eine Selbstentziindung des fein vertheilten Fettes eintritt. Daher
die Selbstentziindungen von gefetteten Geweben, wenn sie dicht aufeinander lagern,
von fetten Putzlappen, Wolle u. dgl. Mit verdiinnten Alkalilbsungen geschiittelt
oder innig gemengt bilden sie Fettemulsionen, in welchen sich das Fett, nament-
lich bei schleimiger Beschaffeiiheit der Fliissigkeit in fein vertheiltem Zustande
aufgeschlammt erhalt. Mit Alkalien, alkalischen Erden oder basischen Metalloxyden,
bei Gegenwart von Wasser in Beriihrung, werden sie namentlich leicht beim Er-
Fette. 427
warmen zersetzt, indem sie in Glycerin und Salze der vorhandenen Fett- oder
Oelsauren (Seifen) zerfallen, d. h. sie werden verseift. Auch beim Erhitzen
mit Wasserdampf allein auf ca. 310° C, so wie mit Wasser bei derselben Tem-
peratur tritt Zersetzung unter Bildung von Glycerin und freien Fettsauren ein,
und dasselbe ist der Fall bei der Einwirkung von Schwefelsaure oder Chlorzink.
Im ersteren Falle bilden sich zunachst Sulfo fettsauren, die jedoch bei Einwirkung
von Wasserdampf unter Abscheidung freier Fettsauren zersetzt werden.
Als Bestandtheile der eigentlichen Fette finden sich vornehmlich die Glyce-
ride der Oelsaure, dann der Palmitinsaure und der Stearinsaure, weiters vereinzelt
jene der Buttersaure, Capronsaure, Caprylsaure, Caprinsaure, Laurinsaure, Myristin-
saure, Arachinsaure, so wie der Crotonsaure, Angelicas&ure, Moringasaure, Hy-
pogaeasaure, Dbglingsaure und Erucasaure. Fast in alien Fetten vorhanden sind
die Glyceride der Oelsaure, der Palmitinsaure und Stearinsaure, u. z. die soge-
nannten neutralen Glycerinather dieser Sauren (s. Glycerin), d. i. das Triolein
oder Olein, das Tripalmitin oder Palmitin und das Tristearin oder Stearin, die
iibrigen Fettsauren und Oelsauren treten meist nur in geringen Mengen als Be-
standtheile der Fette aufv Ausser solchen Glyceriden finden sich als Bestandtheile
einzelner Fette auch Verbindungen von Fettsaurealkoholen und Fettsauren, so wie
auch freie Fettalkohole vor, wie dies z. B. bei dem gemeiniglich auch den Fetten
zugezahlten festen Antheil des Wallraths (Sperma-Ceti) der Fall ist, der aus
Palmitinsaure- Cetylather besteht. Auch die Wachsarten enthalten keine Glyceride
und sind demnach den eigentlichen Fetten, von denen sie auch in ihrem Verhal-
ten nicht unwesentlich abweichen, nicht beizuzahlen.
Was das Vorkommen der eigentlichen Fette anbelangt, so stammen die
meisten festen Fette aus dem Thierkorper, und nur zum geringeren Theile sind
sie pflanzlichen Ursprungs.
Im Thierkorper, der fast in alien Theilen die Gegenwart von Fetten nach-
zuweisen gestattet, finden sich dieselben stets in Zellgewebe eingeschlossen (Fett-
gewebe), meist in grosseren Mengen an den Eigenweiden, dem Gedarme, den
Nieren eingelagert oder zwischen Haut- und Muskelgewebe eingebettet, wohl audi
in den Hohlungen der Knochen (Mark) vor. Sie sind Producte des Stoffwechsels
im thierischen Organismus und verdanken ihre Entstehung wesentlich einer Um-
bildung der mit der Nahrung dem Korper zugefiihrten Kohlehydrate (Fettbilder),
zum Theile wohl auch jener der Eiweisstoffe und der diesen verwandten Bestand-
theile der Nahrungsmittel. Im pflanzlichen Organismus, in welchem feste Fette
weniger haufig, haufiger dagegen fliissige Fette (fette Oele s. d.) vorkommen,
finden sich die grossten Mengen derselben in den Samen und Fruchten abgelagert,
doch sind auch andere Pflanzentheile nicht vollig frei von Fett. Auch im pflanz-
lichen Organismus scheinen die Fette wesentlich durch Umbildung friiher vorhan-
dener Kohlehydrate (Starke, Zucker) zu entstehen, u. z. durch Desoxydations-
processe, vielleicht unter gleichzeitiger Bildung von Wasser und Kohlensaure.
Die Gewinnung der Fette pflegt im Allgemeinen nach zwei verschiedenen
Methoden zu geschehen, u. z. entweder durch das Ausschmelzen oder durch das
Auspressen; ausser diesen kann auch noch eine dritte, erst in neuerer Zeit auch
praktisch angewendete Gewinnungsmethode verwendet werden, d. i. das Extrahiren
der Fette mit Losungsmitteln (Schwefelkohlenstoff).
Aus Theilen thierischer Organismen werden die Fette gemeiniglich nur durch
Ausschmelzen gewonnen, das entweder olme Zusatz von Wasser oder mit Wasser-
zusatz (Auskochen) vorgenommen werden kann. Aus Pflanzentheilen dagegen pflegt
man die Fette fast stets nur durch Auspressen zu gewinnen, indem man die vor-
her zerkleinerten Pflanzentheile, wenn sie fettreich sind, vorher auf den Schmelz-
punkt des Fettes erhitzt und warm presst ; seltener wendet man auch bei Pflanzen-
theilen das Ausschmelzen mit Wasserzusatz an. Naheres iiber die Gewinnungs-
weisen der einzelnen Fettarten ist bei den betreffenden Fetten besprochen. Im
Folgenden sollen die wesentlichsten Eigenschaften der wichtigsten Fette erortert
werden.
428 Fette (Talg).'
A. Thierische Fette.
Von diesen sind die sogenannten Talgarten, d. s. die mehr oder weniger starren Fette
der verschiedensten Thiergattungen, weiters die Butter, das Schweineschmalz und das Knoehen-
fett zu nennen.
1. Talg (suif — ■ tallow, suet), Unschlitt, Inselt. Mit dies em Namen bezeichnet
man die bei gewohnlicher Temperatur vollig starren Fette verschiedener Saugetbiere, nament-
lich der Kinder, der Senate, der Ziegen, der Hirsche und verwandtenThiere, vorherrschend der
Pflanzenfresser, deren Fett im Allgemeinen nicht bios fester und dichter, sondern aueh weniger
leicht zum Ranzigwerden geneigt ist als das weichere Fett der Fleiscbfresser. Uebrigens hangt
die Beschaffenheit eines Fettes bei gleicher Abstammung auch ganz wesentlich von dem Alter
des Thieres, dem Gesehlechte und der Jahreszeit ab, in welcher das Thier getodtet wnrde.
Auch das Klima, unter welchem das Thier lebte, ist von Einfluss. So ist das Fett junger
Thiere stets weisser und gsruchloser, aber auch weicher als das alterer Thiere, die in der
Regel ein gelblich gefarbtes, aber auch festeres Fett haben. Das Fett mannlicher Thiere ist
meist fester als das weiblicher Thiere, und das Fett von im Winter getbdteten Thieren besser
als das Sommerfett, wabrend Thiere, die in heissen Klimaten leben, ein festeres Fett liefern
als solche aus kalteren Zonen. Dass iibrigens auch die Nahrung des Thieres, sowie der
Gesundheitszustand desselben die Beschaffenheit des Fettes beeinflusst, ist selbstverstandlich,
ebenso wie es begreiflich ist, dass bei ein und demselbenTbiere an verschiedenen Theilen des
Korpers Fette von verschiedener Beschaffenheit sich finden. In letzterer Hinsicht lehrt die
Erfahfung, dass jedes thierische Fett um so fester ist, je weiter von der Oberflache des Kor-
pers entfernt es sich findet.
Fiir Zwecke der Industrie kommen wesentlich nur der Rindstalg und der Schaftalg in
Betracht.
Der Rindstalg (Ochsentalg) ist bei gewohnlicher Temperatur hart und fest, von
schwach gelblicher Farbe und schwachem Geruch. Er schmilzt je nach der Abstammung
zwischen 37—50° C. und lost sich in 40 Thl. Alkohol von 0-821 spec. Gewicht bei Siedhitze
vollstandig auf. Er lasst sich durch Pressen bei ca. 30° C. in etwa 75% vollig starres Fett
(Stearin) und etwa 25% fliissiges Fett (Talgol, Olein) trennen. Das erstere ist weiss, kornig,
krystallinisch, schmilzt bei 44° C. und erstarrt bei 39'' C, in 7 Thl. absoluten Alkohol ist es
loslich. Das letztere ist farblos, fast geruchlos und vom spec. Gew. 0.913. Es lost sich in
etwas weniger als dem gleichen Gewichte siedenden absoluten Alkohols.
Der Schaftalg (Hammeltalg, Schopsentalg). Weisser als Rindstalg, hart, briichig,
fast geruchlos, schmilzt zwischen 41 — 50° C, ist in kochendem Alkohol schwerer loslich als
Rindstalg. Auch der Schaftalg lasst sich in einen festen (74%) und einen fltissigen Antheil
(26%) trennen. Der erstere, wesentlich aus Tristearin und Tripalmitin bestehend, ist krystalli-
nisch, weiss, bei 38° C. erstarrend und in Alkohol schwer loslich, der letztere ist farblos, von
eigenthiimlichem Hammelgeruche und lost sich in 1*2 Thl. kochenden Alkohols.
Die genannten beiden Talgsorten bilden den hauptsachlich zu Zwecken der verschie-
denen Gewerbe (Seifensiederei, Kerzenfabrikation) in Verwendung kommenden Talg und stellen
einen wichtigen Handelsartikel dar.
Man gewinnt den Talg durch Ausscbmelzen der in den Scklachtereien ausgelesenen
Fettgewebe der Ochsen, Ktihe, Kalber, Schafe und Hammeln, welehe zunachst einer mechani-
schen Zerkleinerung unterworfen und sodann ausgeschmolzen werden. Das Zerkleinern geschieht
entweder mittels Handinessern oder es wird durch besondere Schneideinaschinen besorgt; in
England bearbeitet man das Fettgewebe auf eisernen Kollermiihlen, neuerer Zeit wohl aucb
zwischen Quetschwalzen. Die gehorig zerkleinerte Masse wird sodann gewohnlich auf offenen
Kupfer-Kesseln iiber freiem Feuer geschmolzen (trockenes Schmelzen), wobei das Fett aus
den theihveise durch die vorherige Bearbeitung zerrissenen, theils dm-ch den Druck des bei
der Erhitzimg sich bildenden Wasserdampfes zum Platzen gebrachten Zellen des Fettgewebes
ausfliesst, wahrend die Gewebssubstanz in dem Masse, als durch fortgesetztes Erhitzen die
Gesammtmenge des in dem Fettgewebe eingeschlossen gewesenen Wassers entfernt ist, zusam-
menschrumpft und in Gestalt der sogenannten Grief en (Griebeu) sich grosstentheils vom Fette
scheidet und durch Abseihen und endliches Auspressen vollig von dem nun klar erscheinenden
Fette getrennt werden kann. Statt der offenen Kessel kann man sich geschlossener Kessel
bedienen, wclche mit Abzugsschlliuchen versehen sind, die die entweichenden Diimpfe entweder
Fotte (Talg). 429
directe in eine hohere Esse oder in fine Feuerung abfiihreri, in der sie zerstort werden kijnnen.
Es ist dies eine Einriehtung, die wegen der hiebei erreichbaren Verlmtung der durch den beim
Talgschmelzen in der Regel auftretenden huchst iiblen Geriich bedingten Belastigung der Arbeiter
und Nachbarn empfehlenswerth ist, docb hat man biebei darauf Bedaelit zu nebmen, dass erne
passende Riihrvorrichtung in den Kesseln angebracht werde. da ein ofteres Urariihren der
auszusehmelzenden Masse bei dem Ausscbmelzen iiber freiem Feuer unerlasslich ist. Statt des
trockenen Scbmelzens kann man das Ausscbmelzen mit Dampf oder das Auskoeben mit Zusatz
von gewissen cbemischen Mitteln anwenden. Das Ansschmelzen rait Dampf kann entweder
durch einfaches Zuleiten von Wasserdampf zn der anszuschmelzenden Masse gescbeben oder
man wendet gespannte Dampfe an, die man entweder directe auf die Fettmasse wirken lasst,
oder zur Erhitzung der dann doppelwandig construirten Schmelzkessel verwendet.
Zum Ansschmelzen mit gespannten Diimpfen, die directe auf die Fettmasse wirkeri,
eignet sich besonders der von Wilson angegebene Apparat, welcber einen cylindriscben, auf-
rechtstebenden Kessel aus starkem Eisenblech darstellt, der durch eine im Deckel ange-
brachte, dicht verschliessbare Fiilloffnung beschickt werden kann und in seinem Untertheil
einen falschen Siebboden eingesetzt enthalt, auf dem die eingetragene Fettmasse ruht. Von der
Mitte dieses Siebbodens aus fiihrt ein weites, mit einem von Aussen zu handhabenden Ventile
verschliessbares Rohr nach unten in ein unter dem Cylinder aufgestelltes Gefass, das zur Ent-
leerung der entfetteten Griefen bestimmt ist. Unter dem Siebboden liegt der mit Oeffnungen
versehene Robrkranz, durch welchen die gespannten Dampfe in den Cylinder eintreten, wahrend
eine Reihe von in verschiedencr Hohe iiber dem Siebboden angebracbten Hahnen zum Ablassen
des ausgeschmolzenen Fettes dienen. Ein Sicherheitsventil und ein Manometer biklen die
iibrige Armatur des Appai'ates. Man fiillt den Cylinder bis etwa zu 2, 3 seiner Hohe mit dem
zerkleinerten Fettgewebe an, verschliesst die Fiilloffnung und lasst durch den Robrkranz all-
malig Dampf von 4 — 5 Atmosph. Spannung in den Cylinder eintreten, bis die gleiche Spannung
auch im Schmelzcylinder erreicht ist, in welchem man sie nun durch etwa 10 Stunden erhiilt.
Nach beendigtem Diimpfen, wahrend welchem man von Zeit zu Zeit das sich unter dem Sieb-
boden ansaramelnde Wasser durch einen hiezu bestimmten Hahn ablassen muss, zieht man
durch Oeffnen der Abflusshahne das ausgeschmolzene Fett ab, wahrend man das im Cylinder
znriickgebliebene Wasser und die durch die Einwirkung des Dampfdruckes fast vollkommen
entfetteten Griefen durch Oeffnen des das nach unten mundende Rohr verschliessenden Ven-
tils abfliessen lasst.
Sehr empfehlenswerth ist der von Fouche construirte Apparat zum Ausscbmelzen
des Talgs mittels Dampf, bei welchem jedoch der Dampf nicht directe auf den Talg wirkt,
sondern nur zur Erhitzung desselben, vermittelst einer Rohrspirale, welche vom Dampfe dureh-
stromt wird, verwendet wird. (Vgl. Polyteehn. Centralblatt, 1857, pag. 130.) Andere Apparate
sind von Buff (Dingl. polyt. Journ. 176 pag. 143), dann von Lock wood und Everett
(vgl. Ott in Dingl. polyt. Journ. 213 pag. 493), endlich von Vohl (s. Dingl. polyt. Journ.
198 pag. 29) angegeben.
Vielfach wendet man beim Ansschmelzen, bez. Auskoeben des Talgs Zusatze an, welche
einerseits eine Lockerung des Zellgewebes und sohin eine vollkommenere Abscheidung des
Fettes von dem Gevvebe, andererseits eine Verminderung der bei der Talgschmelzerei auftre-
tenden hochst iiblen Geriiche bezwecken sollen. So empfiehlt Rorard einen Zusatz von
Sodalauge tmd zwar 1 Thl. Soda, 200 Thl. Wasser auf 300 Thl. Talg; d'Arcet empfiehlt
Schwefelsaure und zwar auf 100 Thl. Talg, 1 Thl. Schwefelsaure von 1848 spec. Gcwicht und
50 Thl. Wasser. Auch Zusatze von chromsaurem Kalixim und Schwefelsaure, iibermangan-
saurem Kalium und Schwefelsaure u. a. m. hat man empfohlen. Das Rorard'sche Verfahren
ist nach Stein weder geeignet denGeruch des schmelzenden Talgs wesentlich zti vermindern,
noeh ist es sonst empfehlenswerth, da sich das Fett nicht rein von der Lauge trennen lasst,
ein Mangel, der auch dem sonst recht wirksamen Zusatze von chromsaurem Kalium und
Schwefelsaure anhaftet. Empfehlenswerth ist dagegen das Verfahren von d'A r c e t. insofern
als vollstandige Abscheidung des Fetts von dem Gewebe durch das langer fortgesetzte Kochen
mit der verdiinnten Saure herbeigefiihrt und dadurch das Auspressen der Griefen vfillig ent-
behrlich wird. Dagegen bat dasselbe gleicli alien Schmelzmetboden, bei welchen chemiscbe
Zusatze gemacht werden, den Nachtheil, dass die Griefen, die andernfalls als Fnttermateriale
fiir Hunde, Schweine u. dgl. sehr gut verwerthet werden konnen, nicht mehr verwendbar sind.
430 Fette (Talg).
Der ausgeschmolzene Talg wird gewohnlich, namentlich fiir Zwecke der Kerzenfabrikation
vor seiner weiteren Verwendung einer Lauterung unterworfen , welche in der Regel
durch Umschmelzen mit Wasser, mitunter bei gleichzeitiger Anwendung von Bleichmitteln
erreicht wird. Man bringt zu diesem Ende den ausgeschmolzenen Talg, entweder noch fliissig
oder nachdem er erstarrt ist, auf einen grosseren Kupferkessel, setzt 20 — 25% Wasser zu
und erhitzt unter fleissigem Aufriihren etwa eine Stnnde lang zura Kochen, sodann wird der
Kessel bedeckt der Ruhe iiberlassen, wobei sich die dem Fette noch beigemengten Unreinig-
keiten zu Boden setzen, so dass das reine Fett abgeschopft werden kann. Von bleichenden
Zusatzen wendet man entweder ehromsaures Kalium und Salzsaure (1—2%) oder iiberman-
gansaures Kalium und Salzsaure (1 — 2%) an, audi iibermangansaures Kalium und wiissrige
schweflige Sa'ure sind sehr wirksam. Bei Anwendung dieser Zusiitze gilt als Regel, dass man
das anzuwendende Salz zunaehst im Wasser auflost, dann dem Fette zusetzt, und erst nach
langerer Einwirkung desselben in der Warme, wobei man durch fleissiges Riihren die Wirkung
wesentlich begiinstigt, die Satire zufiigt. Nicht selten wird der gelauterte Talg durch Zusatz
einer entsprechenden Menge eines blauen Farbstoffs (Indigo mitOel angerieben) geblendet, d. h.
die schwach gelbe Farbung desselben durch Blau gedampft. (s. Farbe III pag. 361.) (Vgl. a. die
Bleichmethoden von Treutlen in Dingl. pol. Journ. 207 pag. 516 und Bourgey & Comp.
in Bull, de la soc. chim. 1875 Nr. 11 pag. 526.) Im Handel kommen Rindstalg (gelber Talg),
so wie auch Schopsentalg (weisser Talg), theils rein, theils mit einander gemengt vor, die
harteren Sorten des Talgs bilden den Lichtertalg, wahrend die weichen und stark
gelben Talgsorten gewohnlich als Seifentalg bezeichnet zu werden pflegen. Die grossten
Mengen von Talg liefert Russland, und zwar Schopsentalg, aus dem Siiden meist aus
den Hafen des schwarzen Meeres (Odessa, Taganrog), zu Markte gebracht, wahrend der
Norden und das Innere Russlands, meist via Petersburg und Archangel, Rindstalg liefert.
Der beste weisse Lichtertalg kommt von Woronesch. Ausser Russland liefert auch
Amerika (aus den Laplata-Staaten) und Australien erhebliche Mengen von Talg, welcher
aber von geringerer Qualitat ist als der russische. Gute Sorten von Talg liefern auch
Holland, Danemark, Deutschland und Polen. und steht der Talg dieser Provenienz meist holier
im Preise als russischer.
Von anderen Talgarten sind noch zu nenneu:
Der Ziegentalg, welcher dem Rindstalg ahnlich, aber von charakteristischem, unan-
genelnnem Bocksgeruche ist, weichen er dem Gehalte an einer fliichtigen Fettsaure (Hircin-
saure) verdankt. Dieser Talg schmilzt zwischen 37 — 40° C. und lasst sich ebenfalls in ein
starres und in ein fliissiges Fett trenuen. Dem Ziegentalg sehr ahnlich ist
der Hirschtalg, der sich durch Behandeln mit kocliendem Alkohol in einen loslichen
und einen unloslichen Antheil trennen lasst.
2. Butter (bevrre — butter). Dieses der Kuhmilch entstammende Fett ist halbliarti
von mehr oder weniger gelber Farbe, hat im frischen Zustande einen von der Fiitterungsart
und dem Alter des Thieres abhangigen charakteristiscben Geruch und milden Geschmack, es
schmilzt bei 29—34-5° C. und erstarrt bei 19—24° C beginnt jedoch schon bei 17° C. ein
kornig krystallinisches festes Fett abzuscheiden.
Das durch Umschmelzen der Butter gereinigte Butterfett fiihrt gemeiniglich den Namen
Butterschmalz oder Schmalz. Das Butterfett besteht wesentlich aus ca. 68% Palmitin, 30%
Olein und 2% der Glyceride der Buttersaure, der Capron-, Capryl- und Caprin-Saure Im
Sommer gewonnene Butter ist reicher an Olein. Dem Gehalte an den Glyceriden der fliichtigen
Fertsiiuren verdankt die Butter ihren charakteristiscben Geruch. Ausser den genannten Sauren
und den im Palmitin und Olein enthaltenen, d. i. der Palmitinsa'ure und der Oelsaure, enthalt
die Butter auch Stearinsaure und Ai'achinsaure (Butinsaure). endlich eine Oelsaure von gerin-
gerem Kohlenstoffgehalte als gewohnliche Oelsaure.
Die Butter ist sehr leicht dem Verderben unterworfen. so lange sie nicht durch Um-
schmelzen von dem beigemengten Wassergehalte, sowie den der Milch entstammenden Resten
eiweissartigerKorper (Casein) vollig befreit ist. Dieser Neigung zum Ranzigwerden kann durch
Jifteres Auswasehen, dann durch Einkneten von Kochsalz, endlich durch Ausschmelzen gesteuert
werden, in welch' letzterem Falle sich die dem Butterfette beigemengten Milchbestandtheile
nebst dem Wasser (ca. 20%) abscheiden und von dem nun reinem Fette getrennt werden
konnen.
Fettc (Butter). 431
Was dieGewinnung der Butter anbelangt, so erfolgt diese, wie allgemein bekannt, durch
eine mechanische Behandlung des nach langerer Ruhe (36—48 Stunden) an der Oberflache
der Milch sich ansammelnden Rah id's, der die Hauptmenge der in der Milch entlialtenen
Butterfett-Trb'pfchen enthalt, die als specifisch laichter in der Fliissigkeit sich in die Hohe
erheben und eine etwas consistentere Schichte auf der Oberflache der Milch bilden, Diese
mechanische Behandlung der Rahmmasse bat stets nur den Zvvcck, die in der Fliissigkeit
schwebenden Fetttropfchen in eine heftige Bewegung zu versetzen, durch welcbe sic an ein-
ander gerieben und so veranlasst werden zu grosseren Klumpchen zusammenzufliessen, die sich
dann leicht von der Fliissigkeit trennen lassen. Die zu diesem Zwecke in Anwendung stehen-
den Apparate, von denen verschiedene Formen und Constructionen bekannt sind, lassen sich
sammtlich in drei Gruppen einreihen. Die 1. Gruppe wird gebildet von solchen Apparaten,
bei welchen die Butterausscheidung durch Stoss oder Schlag erzielt wird. Die 2. Gruppe
umfasst jene Vorrichtungen, bei welchen durch kraftiges Riihren der Fliissigkeit. die Vereini-
gung der Fetttropfchen erreicht wird, wahrend die 3. Gruppe solche Apparate umfasst, bei
welchen die Abscheidung durch Schutteln der Fliissigkeit herbeigefiihrt werden soil.
In die I. Gruppe fallen das bekannte gewohnliche oder deutsche Butte rfass, ein
kegelforiniges Fass mit Deckel, in dessen Oeffnung eine Stange auf- und abbewegt wird, die
an ihrem unteren Ende eine durchlocherte Holzscheibe tragi;, mit welcher der Rahm geschlagen
wird. Hierher gehoren auch das Butter fass von Gussander, bei dem an Stelle der
durchlocherten Scheibe eine durchlocherte Glocke von Weissblech zum Sehlagen dient, und
das amerikanische Butterfass (s. Dingl. polyt. Journ. 131 pag. 5), bei welchem die
zum Schlagen dienende durchlocherte Glocke von Blech an einer Rohre von Eisen befestigt
ist die an ihrer oberen Miindung ein sich nach Innen offnendes Ventil trligt, durch das sich
die Glocke bei der Aufwartsbewegung mit Luft fiillt, welche beim Niederdriicken in Form von
Blaschen durch die Fliissigkeit hindurchgetrieben wird und so die Bewegung derselben erhoht.
Hieher zahlt ferner die Butte rmaschine von Rennes (bez. Drummond), bei welcher
zwei mittelst einer Kurbel bewegbare abwechselnd auf- und niedergehende Stempel auf die
Fliissigkeit wirken, die sich in einem Gefiisse befindet, welches durch eine durchlocherte
Zwischenwand in zwei Abtheilnngen getheilt ist.
In die 2. Gruppe sind zu zahlen die Buttermaschine von Brochardt (8. Dingl.
polyt. Journ. 160 pag. 109), dann das von Stjernsvard angegebene Turbinen- oder Centri-
fugal-Butterfass (s. polyt. Centralblatt 1858 pag. 127), bei welchem, wie bei mehreren anderen
auf ahnlichen Principien beruhenden Vorrichtungen die Fliissigkeit durch ein an einer verticalen
Achse stehendes Riihrwerk mit Kurbelbetrieb ki-aftig geriihrt werden kann, wahrend z. B. bei
der unter dem Namen Kastenkarre bekannten Maschine, dann bei der Buttermaschine von
Lavoisy (Pariser Ausstellungsbericht 1856 pag. 179. Berlin) das Riihrwerk an einer hori-
zontal liegenden Achse befestigt ist. In die 3. Gruppe gehort die Buttermaschine (Diagonal-
karre) von Tin d all (s. Dingl. polyt. Journ. 131 pag. 97), bei welcher durch Drehung eines
schrag gestellten Fasses die Fliissigkeit heftig geschiittelt wird, dann das wiegenfdrmige
Butterfass von Weisse (s. Lobe, Encyclop. der Landwirthschaft, Leipzig 1851,111 pag. 569)-
bei welchem durch die wiegenartige Hin- und Herbewegung eines auf Walzen stehenden, durch
Facher in mehrere Abtheilnngen getheilten Holzkastens gleichfalls eine lebhaft schiittelnde
Bewegung der denselben erfiillenden Fliissigkeit erreicht wird. UeberButtermaschinen s. auch
Petit (polyt. Centralblatt 1858 pag. 202), Girard (Dingl. polyt. Journ. 160 pag. 110),
Johnson (Dingl. polyt. Journ. 159 pag. 263) u. s. w.
Bei dem Ausbringen der Butter aus der Milch kommt es, gleichgiltig- welcher Vorrieh.
tung man sich hiezu bedient, wesentlich auf die Einhaltung griisster Reinlichkeit und Sorgfalt
sowohl in Bezug auf die Aufbewahrung der Milch behufs Abscheidung des Rahms, als auch
in Bezug auf das eigentliche Butterschlagen fButtern) an, denn kaum irgend eine andere
Substanz nimmt so leicht einen fremdartigen Geruch oder Geschmack an als die Butter. Die
wohlschmeckendste Butter erhalt man immer aus frischem Rahm, doch ist solche Butter
weniger haltbar als eine aus vorher gesauertem Rahm dargestellte. Es kann ferner als Regel
gelten, dass die Butter desto wasserhaltiger und schaumiger erscheineje rascher sie abgeschieden
wurde, wahrend sie bei langsamer Abscheidung wesentlich wasserarmer und geschmei-
diger erhalten wird.
432 Fette (Butter).
Die geschlagene Butter wircl nun noch durch Auskneten im Wasser von dem einge-
schlossenen Riickhalte an Milchbestandtheilen mSg'lichst befreit, wobei man das Waschwasser
so langft.wechselt, bis dasselbe bei dem Auskneten der Butter sich niclit mehr merklich triibt,
sodann wird sie zu grosseren Klumpen zusammengeknetet und in bestimmte Formen, wie sie
eben landesiiblich sind, gebracht, urn so dem Consume zugefiihrt zu werden. Gilt es die Butter
langere Zeit aufzubewahren, so legt man entweder die einzelnen Stiieke in eine starke Salz-
losung ein, und zwar so, dass dieselben vollig von der Losung iiberdeckt werden, oder man
salzt die Butter ein, indem man ihr eine bestimmte Menge von Salz durcb Kneten einverleibt.
Die Menge des zugesetzten Salzes, die zwischen 2-5% zu betragen pflegt, soil fur Butter,
welche langere Zeit aufbewahrt werden soil, nicht geringer als 4% sein, wahrend fur Butter,
welche nur auf kurze Zeit conservirt werden soil, 270 Salzzusatz geniigen. Um das Einsalzen
der Butter auszufiihren, breitet man dieselbe zu flacben Stiicken aus, bestreut dieselben sodann
mit der bemessenen Menge an fein geriebenem Salz, rollt die Masse mit der bestreuten Fla'che
nach innen zusammen und knetet nun so lange durch, bis das Salz vollig gleichmassig in dor
Masse vertheilt ist. Empfehlenswerth ist es, dieses Einsalzen nicht in einer Operation auszu-
fiihren, sondern zunachst nur die Halfte des Salzes einzukneten, dann durch 24 Stunden liegen
zu lassen, und sodann erst die zweite Partie des Salzes ■ einzukneten. Die Butter wird so
gleiehmassiger gesalzen und gewinnt ein wesentlich schbneres Ansehen, als wenn man ihr das
ganze Salzquantum auf einmal einverleibt.
Was die erzielbare Butterausbeute anlaugt, so variirt diese wesentlich mit dem Alter
und der Ernahrungsweise, sowie endlich der Race derThiere, denen die auf Butter verarbeitete
Milch entstammt. Die mittlere Butterausbeute aus Milch von guten Kiihen betragt 4.8 — 5.5%;
bei guter Ernahrung liefert eine gesunde Kuh pro Tag ca. 500 Grm. Butter, im Mittel rechnet
man pro Jahr per Kuh einen Ertrag von 150 -160 Pfund Butter (vgl. von Hinniiber Journ.
fiir Landwirthschaft 1858 pag. 11 und 1854 pag. 95).
Die Butter wird nicht selten verfalscht oder doch durch Einkneten grosserer Wasser-
mengen oder grosserer Mengen von Kochsalz ihr Gewicht in betriigerischer Weise vermehrt.
Von eigentlichen Yerfalschungen kommenZusatze an Mold, Gyps, Kreide, Schwerspath, zerriebene
Kartoffel u. dgl. vor, deren Vorhandensein sich beim Aussehmelzen der Butter mit etwas
Wasser sehr leicht erkennen lasst, da solchc Beimischungen sich dann dem Wasser beimengen
und sich allmalig aus demselben abscheiden. Allzu grosser Wassergehalt (der normale schwankt
zwischen 14 — 20%) gibt sich daran zu erkennen, dass solehe Butter an der Schnittflache deut-
liche Wassertropfen zeigt, wahrend ein grosserer Salzgehalt sich durch den stark salzigen
Geschmack verrath. Audi fremde Fette, namentlich Talg und Schweinefett kommen, als Ver-
fiilschungen der Butter vor. Erstere ist an dem hbheren Schmelzpunkte kenntlich, den ein
irgend grosserer Zusatz an Talg bedingt; letzteres verrath sich schon durch den Geschmack.
Haufig wird die Butter, um ihr eine schon gelbe P'arbe zu geben, gefa'rbt, zu welchem Zwecke
in der Kegel Orlean verwendet zu werden pflegt.
Kunstbutter (Sparbuttcr). Schon seit mehr als 50 Jahrcn wird in Deutschland
unter dem Namen „Kunstschmalz'< (Oelschmalz) ein Surrogat fiir Butterfett erzeugt, des aus
tVisch gepressten Riibol und Rindstalg hergestellt wird. Es wird zu diesem Ende das Riibbl
zunachst durch starkes Erhitzen mit zerschnittenen Zwiebeln oder Kartoffeln gereinigt und
von dem Gehalte an dem den Triiger des Geruches im Riibole bildendenden schwefelhaltigen
titlier. Oele befreit und das so gereinigte Oel mit frischem Rindsfett zusammengeschmolzen
is. Strenz, Anleitung zur Schmalzol- und Oelschmalzbereitung, Niirnberg 1855). Dieses
Erzeugniss ist jedoch wegen seines Gehaltes an dem unter alien Umstanden zum Ranzig-
werden leicht geneigten und dann eckelhaft riechenden Riibol zum Ersatze der Schmelzbutter
wohl nicht zu empfehlen. Ebensowenig waren es andere Fabrikate, welche wie das nach
einem 187 1 fiir Amerika patentirten Verfahren erzeugte Kunstschmalz,durch Erhitzen einer Mischung
von Talg und Schweinefett in einem Dampfstrome, Schlagen und endliches Abschopfen von dem
ausgeschiedenen Wasser bereitet wurde, oder das nach dem Patente von La Perouse
durch Auskochen des Fleisches mit. Wasser (unter Zusatz von di^peltkohlensaurem Natron
und Kochsalz) abgeschiedene und von der Briihe durch Abschopfen gewonnene Fett, oder
endlich das durch Zusatz von Orlean gelb gefarbte Schweinefett, das seit langerer Zeit von
Amerika aus als Butterfett exportirt wurde.
Fette (Kunstbutter - Schweinefett). 433
Erst wahrend des letzten deutsch-franzbsischen Krieges gab der in dem belagerten
Paris fiihlbar gewordene Mangel an Butter Veranlassung zu Versucben, ein brauchbares Surro-
gat fiir Butter herzustellen, und es gelang Mege Mourier in dem von ihm mit dem Namen
Oleo-Margarine belegten Praparate ein Product zu liefern, das sich alsbald als Butter -
surrogat einburgerte. Das von M6ge Mourier gewahlte Verfabren (vgl. Industriebltt. von
Hager und Jakobsen, Berlin 1875 pag. Ill) ist in Wesenheit folgendes : 1000 Kilo friscbes
Ochsenfett werden zunachst entsprechend zerkleinert, dann mit 300 Kilo Wasser, 1 Kilo kohlen-
sauremKali und zwei klein zerschnittenen Schaf- oder Schweine-Magen in eineni Fasse mittelst
Wasserdampf auf 45° C. erwarmt. Nach 2 Stunden, wahrend welcher Zeit ofter umgerfihrt
werden muss, lSsst man das vbllig geschmolzene Fett nach einiger Ruhe von der abgeschie-
denen wassrigen Fliissigkeit in ein zweites Fass ab, das durch Wasserdampf auf 30 — 40° C.
erwarmt gehalten wird, setzt 2% Kochsalz zu, riihrt tiichtig durch und lSsst nach erfolgter
volliger Klarung abe:mals ab. Die so erhaltene blass gelb gefarbte Fettmasse wird nun in
einem auf 20 — 25° C. erhaltenenRaume abkiihlen lassen, wobei sie eine halbfeste Consistenz und ein
kornig crystalliniscb.es Gefiige a nimmt. Diese Masse wird nun bei ca. 25° C. in einer hydrau-
lischen Presse gepresst, wobei etwa 40—50% Stearin und 50-60% Oleomargarin erhalten
werden. Dieses letztere wird nun in einem Butterfasse mit einem Zusatze von 25 L. frischer
Kuhmilch und 25 L. von mit 100 Grm. fein zerschnittener Kuheuterdriise digerirtem Wasser
auf je 50 Kilo Oleomargarine, das mit etwas Orlean gelb gefarbt ist, bearbeitet, wobei anfang-
lich ein dicker Rahm, und endlich nach ca. 2 Stunden eine der frisch geschlagenen Butter
vollig ahnliche Masse resultirt, die in reinem Wasser ausgeknetet, fiir den Consum fertig ist.
Der bei dieser Procedur in Anwendung kommende wassrige Auszug der Kuheuterdriise soil
ganz wesentlich die Vertheilung (Emulsion) desFettes in der wassrigen Fliissigkeit begiinstigen,
wahrend durch den Milchzusatz dem Fabrikate ein der frischen Butter ahnlicher Geschmack
verliehen wird. So dargestellte Kunstbutter, welche von einer guten Butter weder im
Geschmacke, noch iin Geruche wesentlich abweicht, entbalt 12 — 13% Wasser, lost sich in
Aether unter Hinterlassung eines nicht mehr als l"2°i0 betragenden Riickstandes und erstarrt
nach dem Schmelzen zwischen 17 — 22° C. Die auf diese oder ahnliche Weise erzeugten
Buttersurrogate, welche, wenn aus frischem Rindstalg bereitet, anstandslos zum Genusse tauglich
sind, kommen neuerer Zeit mit einem wyesentlich geringeren Wassergehalt (6 — 7%) in den
Handel (Spar butter), und erscheint demnach, abgesehen von ihrem geringeren Preise, die
"Verwendung derartiger Erzeugnisse in der Hauswirthschaft insoftrn mit einer Ersparniss
verbunden, als sie ob des geringeren Wassergehaltes ausgiebiger sind als echte Butter. Zur
Unterscheidung echter Butter von solcher Kunstbutter kann man nach Moser (s. Dingl.
polyt. Journ. 216 pag. 288) die Verschiedenheit der Schmelzpunkte beniitzen. Nach seinen
Untersuchungen schmelzen verschiedene Sorten echter Butter zwischen 33 — 37° C, wahrend
die gepriiften Sorten der Wiener Sparbutter bei 27° C, eine Pariser Kunstbutter bei 31"7° C.
schmolzen. Das aus den einzelnen Sorten echter Butter ausgeschmolzene Schmalz zeigte
Schmelzpunkte zwischen 29 und 36° C (nur bei Karnthner Alpenbutterschmalz lag derSchmelz-
punkt bei 24-5° C), wogegen das Schmalz aus Sparbutter bei 22-5° C, aus Pariser Kunstbutter
bei 31-5° C. schmolz. Nach Kunstmann (s. Dingl. pol. Journ. 216 pag. 288) soil man
die Gegenwart von Talg durch den Geruch erkennen, den das mittels eines Dochtes zum
Verbrennen gebrachte Fett beim Ausblasen der Flamme verbreitet.
3. Schweinefett (graisse de pore — porFs lard), Schweineschmalz. Das Fett
des Schweines ist je nach dem Korpertheile, dem es entstammt, verschieden Das in dem
Unterhautzellgewebe eingelagerte Fett, d. i. der sogenannte Speck, ist weicher und leichter
schmelzbar als das in der Bauchhbhle abgelagerte Peritonaalfett, d. i. der sogenannte Filz.
Das durch Ausschmelzen des Bauchfettes gewonnene Fett ist weiss, fast geruchlos, von
schwachem aber charakteristischem Geschmacke. Es schmilzt zwischen 26 — 31° C. und hat
nach Saussure ein spec. Gew. — 0938 (bei 15° C). Es besteht aus 62 pCt. fliissigem und
38pCt. festem Fett (Braconnot), lost sich in 36 Thl. kochendem Alkohol und enthalt neben
Oelsaureglycerid auch jene der Palmitin- und Stearinsaure. Durch Pressen in gelinder Warme
lasst sich das fliissige voin festen Fette trennen. Das erstere, d. i. das Speckol oder
Schmalzol (lard oil) dient fiir verschiedene Zwecke der Industrie, namentlich als Schmierbl,
dann auch zum Einfetten der Wolle, wird aber auch vielfach zur Verfalsehung anderer Oele,
namentlich des Olivenbls verwendet. Es ist fliisssig, meist klar, farblos, mitunter auch weiss
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 2$
434 Fette (Schweinefett — Pflanzenfette).
triibe und besteht vorherrschend aus Oelsaureglycerid (Olei'n). Der feste Theil des Fettes, das
sogenannte Solarstearin, ist durchscheinend, kornig crystallinisch und schmilzt bei 43° C,
dient namentlich als Materiale fur Kerzenbereitung, wohl auch zur Verfalschung des Wallraths.
Das Schweinefett bildet einen nicht unwiehtigen Handelsartikel, der namentlich von Amerika,
dann vonUngarn, derMilitargrenze undSerbien exportirt wird. In Amerika ist das Missisippithal
die Hauptproductionsstatte fiir dieses Fett, fiir welches Cincinnati den wichtigsten Handelsplatz
bildet. Manpflegt daselbst denKorper der geschlachteten Schweine, nach Abtrennung der Schinken
des Lendenspecks und des Salzfleisches, sammt den Knochen in Dampfapparaten mit Dampf von
4 6 Atm. Spannung auszukochen und auszupressen und gewinnt derart ein weiches, sehr
olei'nreichee Fett, das zum Theile gebleicht und als solches zu Markte gebracht, zum Theile
aufSchmalzol und Solarstearin weiter verarbeitet wird. Das ungarische und serbische Schweine-
fett, welches gewohnlich durch Ausschmelzen des Bauch- und Gedarmefettes gewonnen wird'
ist besser und gesuchter als das amerikanische. Das Schweinefett des Handels ist nicht selten
verfalscht. Namentlich haufig wird demselben eine grossere Menge Wassers (bis 20%) einver-
leibt, wohl auch zur Erzielung grosserer Weisse und besserer Bindung des Wassers Starke
oder Mehl zugesetzt, endlich linden sich nicht selten Beimengungen von Aetzkalk (bis 1%)
und Alaun (bis 3%)j deren Anwendung zum Theile eine Verzbgerung des Verderbens des
Fettes bezweckt. Auch weisse Pulver, wie Gyps, Schwerspath u. dgl. findet man nicht selten
dem Fette beigemischt. Von solchenVerfalschungen last sich zunachst der grossere Wasserzusatz
durch Ausschmelzen bei gelinder Warme, wobei sich das Fett vom Wasser trennt, erkennen.
Mehl- oder Starkegehalt erkennt man beim Ausschmelzen mit Wasser an der Blaufarbung, die
das Wasser mit etwas Jodlosung annimmt, Kalk, Alaun, Gyps, Schwerspath an dem Aschen-
riickstande, der beim Verbrennen des Fettes hinterbleibt. Auch das Schmalzol wird nicht
selten durch Kiibol verfalscht, das man durch Anriihren mit 2—3% Starke und mehrstiindigas
Erhitzen bis zur Verkohlung der Starke bleicht.
Dem Schweinefett ziemlich nahestehend sind: Gansefett, das 32% festes und 68%
fliissiges Fett enthalt, ferner das Dachsfett, das bei 30" C schmilzt, aber schon bei 9° C.
erweicht und salbenartig wird, das Hundefett, das bei 27° C., und das Zie gen fett, das
bei 25° C. schmilzt-. Das Fett des Menschen hat gleichfalls eine dem Schweinefett fast
gleichkommerideConsistenz und lost sich in 40 Thl. kochenden Alkokols. DasFett desPferdes
ist gelb und wesentlich barter als das Schweinefett, es schmilzt bei 47-5° C. Besonders festund
schwer schmelzbar ist aber das Fett vom Halstheile desPferdes, d. i. dasKammfett, das bei
60° C. schmilzt und aus 25% Stearin und 25% Olei'n besteht, Fuchsfett schmilzt bei
54° C, Hasenfett bei 47-5° C.
4. Knochenfett (petit suif — fat of bones), Markfett. Gelblich weiss bis gelb,
bei gewbhnlicher Temperatur kornig weich, resultirt als Nebenproduct beim Anskochen der
Knochen gelegentlich der Leim- oder Spodiumfabrikation. Es schmilzt bei 45° C. und bleibt
selbst an der Luft ziemlich unverandert, weshalb es als Maschinenfett sich empfiehlt. Es ist
in siedendem Alkohol nur theilweise loslich.
5. Klauenfett (huile de pied de boeuf — foot oil), Klauenol. Dieses selbst bei
niederen Temperatnren fliissige, erst einige Grade unter 0° C. erstarrende Fett, eigentlich
richtiger Oel zu nennen, ist weiss oder blassgelb und von ganz vorziiglicher Haltbarkeit.
Man gewinnt es aus den Fussknochen der Kinder, welche man durch Einlegen in heisses
Wasser von den anhangenden Fleischtheilen und Hufen trennt und sodann die so praparirten
grossen Knochen durch Einwirkung von kochendem Wasser oder gespannten Da'mpfen ent-
fettet, wobei sich das Fett auf der Oberflache der Briihe abscheidet und abgeschopft werden
kftnn. Das so gewonnene Fett scheidet beim volligen Erkalten einen Theil eines salbenartigen
Fettes ab, welches durch Abgiessen von dem die Hauptmasse bildenden fliissigen Fette,
geschieden werdeii kann. Gutes Klauenol ist fast geruchlos und wird nicht leiclr ranzig
weshalb es sich besonders als Schmiermittel fiir Maschinen, Uhren u. s. w. empfiehlt.
B. Pflanzenfette.
Von den technisch verwendeten starren Pflanzenfetten hat die grosste Bedeutuug:
1. Das Palmfett, Palmbutter oder Palmol (huile de.'palme — palm oil). Dieses
Fetl stainmt von der Frucht der an der Westkiiste Afrikas, dann in Centralamerika einhei-
mischen Oelpalme (£lais guineensis Jacq., Avoira elais). Die Kiistendistricte von Sierra
Leone bis an die Congokiiste liefern die grossten Mengen dieser Oelfrucht, welche im reifen
Fette (Palmfett). 435
Zustande eiue tief orangegelb gefarbte Steinfrucht von der Grbsse einer Pflaume darstellt,
deren eine grosse Anzahl in traubenartigen Biischeln vereinigt den Fruchtstand der Oelpalme
bilden. Ein Palmbaum tragt oft Biischel von 40 — 50 K. im Gewichte. Die einzelnen Friiehte
bestehen aus einem den Samen einschliessenden Kerne, welcher in ein fasriges Fruchtfleisch
eingebettet ist. Sowohl das Frucbtfleisch als der Kern sind olhaltig. Die Einbeimiscben
sammeln die Friiebte und lassen sie in flachen Gruben oder Trogen durch langere Zeit der
Einwirkung der Sonnenhitze ausgesetzt, wodurch das Fruchtfleisch gelockert wird und sodann
durch Kneten und Schlagen von den Kernen getrennt werden kann. Das so gesonderte
Fruchtfleisch wird in irdenen Topfen mit Wasser gekocht, wobei sich das Fett an der
Oberflache der Fliissigkeit abscheidet und in Gestalt eines Breies, der noch reichlich Theile
des Fruchtfleisches beigemengt enthalt, abgescbopft werden kann. Dieses rohe Fett wird dann
durch Einschlagen in Tiicher und Ausringen oder einfaches Ausdriicken von der Hauptmasse
der Fruchtfleischreste getrennt. Die Kerne werden gegenwartig fast ausschliesslich nach
Europa gebracht, wo. sie nach dem Zerstossen in hydraulischen Pressen warm gepresst
werden.
Das Palmfett hat bei gewohnlicher Temperatur Butterconsistenz, ist von rothlichgelber
Farbe und hat im frischen Zustande einen angenehmen Veilchengeruch und einen schwach
siisslichen Geschmack. Es schmilzt, wenn frisch, bei 24—27° C. An der Luft wird es leicht
ranzig, wird dann allmalig blasser und schwerer schmelzbar (30—35° C, sehr altes schmilzt
sogar erst bei 41 — 42° C). Im Alkohol ist es bei Siedhitze leicht und vollstandig loslich,
Aether lost es schon in der Kalte, von Alkalien wird es leicht verseift. Es besteht wesentlich
aus Oelsaure- undPalmitinsaure-Glycerid, enthalt aber gleichzeitig eine mit dem Alter zunehmende
Menge an freier Oelsaure und Palmitinsaure, neben freiem Glycerin. Der Gehalt an freien
Sauren kann bis 80% betragen. Die gelbe Farbe riihrt von dem Gehalte an einem in dem
Fette gelbsten Farbstoffe her, der durch Zersetzung eines Bestandtheiles des Fruchtfleisches
entsteht. Es dient vornehmlich fiir Zwecke der Seifenfabrikation. Das nach dem Abpressen
des Olei'ns resultirende Palmitin wird ubrigens auch directe zur Kerzenfabrikation verwendet.
Uebrigens findet es Verwendung zu den Oelbeizen der Tiirkischrothfarbereien, als Maschinen-
schmiere u. s. w., im frischen Zustande auch als Nahrungsmittel.
Das aus den Kernen gepresste Fett, Palmkernbl, ist von chocoladebrauner Fai'be
und ubrigens ahnlichen Eigenschaften wie das Palmol. Es hat einen an Cacao erinnernden
Geruch. Das Palmol wird fiir die Zwecke der Seifen- und Kerzenfabrikation haufig gebleicht
Nach Pohl kann man die Zerstorung des Farbstoffes durch blosses Erhitzen des rohenFettes
erreichen. Man schmilzt dasselbe in Kesseln von Gusseisen und erhitzt es moglichst rasch
auf 220—240° C., bei welcher Temperatur man es durch ca. 10 Minuten bis '/2 Stunde erhalt
Bei 115° C. konimt das Fett anscheinend zum Sieden und beginnt zu steigen, weshalb man
die Kessel zur Verhiitung des Ueberlaufens nicht fiber 2 Dritttheile ihres Fassungsraumes
fiillen darf; ist die Temperatur bis 180° C. gestiegen, dann hbrt das Sieden auf und es
beginnt nun die Entwicklung sehr belastigender, stechend sauer riechender Dampfe. Nach
geniigend langer Einwirkung der hbheren Temperatur wird das Fett rein weiss und scheidet
die in demselben enthalten gewesenen Reste der Fruchtfleischsubstanz, von der in besseren
Sorten nicht mebr als 03 — 1% enthalten sein sollen, in Gestalt brauner Flocken ab. Das
frisch gebleichte Fett hat einen brenzlichen Geruch, der sich jedoch nach langerem Lagern
wieder vollstandig verliert, wahrend der urspriingliche Veilchengeruch wiederkehrt (vgl. Dingl.
pol. Journ. 135 pag. 140).
Auch durch langer fortgesetzte Einwirkung der Luft bei 100° C. kann man das Palm-
fett bleichen, ebenso durch Erhitzen mit chromsaurem Kali und Salzsaure oder SchwefelsSure
oder mit Braunstein und Salzsaure (s. Dingl. pol. Journ. 152 pag. 80). Auf 100 K. Palm-
fett rechnet man 1 — 1-5 K. chromsaures Kali, 3 K. Salzsaure und V, K. Schwefelsaure. Das
chromsaureKali wird friiher gelost und dieseLbsung mit den Sauren dem auf 50° C. erwarmten
Fette beigemengt und durch fleissiges Riihren damit vermischt. Wenn die Gelbfarbung ver-
schwunden ist, lasst man kla'ren und zieht das Fett ab, hierauf wascht man mit heissem Wasser
oder mittelst Dampf. Sollte das gewaschene Fett noch eine Griinfarbung zeigen, so kocht
man dasselbe wiederholt mit salzsaurehaltigem und endlich mit reinem Wasser. Am besten
lasst sich die Lagos-Waare bleichen, wahrend die unter dem Namen Liverpooler Waare
bekannten Sorten nach dem Bleichen oft eine schwache Graufarbung zeigen.
28*
436 Fette (Pflanzenfette). — Fettkorper.
Das Bleichen des Palmkembls wird am vortheilhaftesten derart ausgefiihrt, dass man
das Fett zunachst bei 100° C. mit Salzlauge von 26° B. innig vermengt und sodann der
Buhe iiberlasst, wobei sich die Salzlauge, welche dem Fette schon einen Theil des Farbstoffs
entzogen hat, abscheidet. Das abgeschopfte Fett wird nun bei 35° C. mit Salzsaure und
chromsaurem Kali in gleicher Weise gebleicht wie das Palmfett. Das gebleichte Palmkernol
(Palmnussol) ist indess fast nie rein weiss, sondern zeigt fast stets eine blassgelbe Farbe.
2. Mafurratalg. Das Fett der Mafurrakerne (Mafutrakerne), d. s. die Samen einer in
Mozambique einheimischen, nicht naher bekannten Pflanze, welche eine leichte, beim Driicken
abspringende rothe Hiille, in der Mitte mit einem schwarzen Fleck haben, etwa so gross wie
eine Cacaobohne und durchschnittlich 0'6 Grm. schwer sind. Diese Kerne, welche an der
Innenseite flach, nach Aussen zu convex sind und sich leicht in zwei Halften spalten lassen,
sind selir hart und haben einen stark bitteren Gesclimack. Beim Pressen liefern sie nur
geringe Mengen Fett, dagegen wesentlich mehr beim Auskochen mit Wasser oder beim Extra-
hiren mit Benzin, Aether oder Schwefelkohlenstoff. Durch solche Extraction kann man bis
65% eines gelblichen starren Fettes gewinnen, das der Cacaobutter ahnlich riecht und etwa
denselben Schmelzpunkt zeigt wie Rindstalg. In siedendem Alkohol ist es nur unvollstanriig
loslich, leicht dagegen in heissem Aether, aus welcher Losung es in sternfdrmigen Crystallen
sich ausscheidet. Es ist leicht verseifbar und besteht wesentlich aus einem Gemenge von
Ole'in und Palmitin. Die Mafurrakerne konnen in grosster Menge von Mozambique und Mada-
gascar bezogen werden (s. Journal f. pract. Chem. 67 pag. 286).
Dem Mafurratalg ahnlich verhalt sich der Tinkawantalg, der aus Indien in den
Handel kommt und von den Friichten eines in Borneo und Sumatra einheimischen Baumes
stammt. Er lost sich nur zum Theile in kaltem, vollstandig in kochendem Alkohol und
besteht wesentlich aus Ole'in, Palmitin und Stearin (vgl. Ruge Jahrbuch der Chemie 1862
pag. 506.)
3. Die Muscatbutter (beurre de muscade — oil of mace), Mus catbalsam. Muscat-
nussbutter, das Fett der unter dem Namen Muscatniisse bekannten Friichtevon Myristica moschata
Thunb., das durch Auspressen der zerstossenen und gedampften Friichte bei gelinder Warme
gewonnen werden kann. Die Niisse liefern etwa 12% eines rothlich gelben, weiss marmorirten
ziemlich festen Fettes, das einen starken Muscatnuss-Geruch und schwach aromatischen
Geschmack hat, welche Eigenschaften es einem Gehalte von atherischern 0.1 (etwa 4%,) ver-
dankt. Schmilzt bei 41 — 51° C, spec. Gew. ~ 0-995. Lost sich in kaltem Weingeist schwer,
leicht in kochendem (4 Thl.), Aether, Chloroform und Benzin Ibsen theilweise. Besteht vor-
nehmlich aus den Glyceriden der Oelsaure und Myristinsaure neben etwas Buttersaureglycerid
(s. Play fair, Annal. d. Chem. u. Pharm. 37 pag. 152 u. 163; a. Bicker, n. Jahrb. d.
Pharm. 19 pag. 17). Die Muscatbutter kommt in wie Seife geschnittenen Stiicken, die in Bast
eingehullt sind, ineist von Java (bessere Qualitat) und von Singapore und Penang (geringere
Qualita') in den Handel. Nicht selten wird dieses Fett verfalscht durch Zusatze von billigeren
Fetten oder durch Kochen von Talg mit etwas Muskatnusspulver und Farben mit Sassafras
oder Safran imitirt. Audi die Muscatbliithe liefert ein ahnliches, aber dunkler gefarbtes
Fett (Macisbutter).
4. Der Pinieutalg, das Fett der Samen von Valeria indica, wird durch Auskochen
der Samen mit Wasser und Abschopfen des abgeschiedenen Fettes gewonnen. Ist fa-t weiss,
bei 38° C. schmelzend, fast geruchlos.
Ueber Cocosfett, Cocosbutter s. II pag. 371, iiber Cacaobutter s.
Cacao II pag. 187. Fliissige Pflanzenfette d. s. fette Oele s. b. Oele, iiber
Wachsarten s. Wachs. Gtl.
Fettgarleder, fettgares Leder, Samischleder, s. Leder.
Fettgas, Leuchtgass, durch trockene Destination der Fette gewonnen, s. a.
Oelgas, s. Leuchtstoffe.
Fettkorper, allgemeine Bezeichnung fur Fette uberhaupt. In der org.
Chemie bezeichnet man mit diesem Namen, im Gegensatze zu den aromatischen
Kbrpern, jene organisclien Stoffe, deren Kohlenstoffatome man sich reihenformig
zu sog. offenen Ketten angeordnet denkt (=C — C—C—C=), wahrend man in
Fettkorper. — Fettsauren. 437
den aromatischen Korpern die Kohlenstoffatome in geschlossenen Ketten (Ringen)
gruppirt denkt. Vgl. aromatische Kijrper I pag. 192, vgl. a. Benzol I pag.
377. Gil.
Fettleder, s. Leder.
Fettquarz, s. Quarz.
Fettsauren. Diesen Namen fiihren die organischen Sauren der allgemeinen
Formel Cn Hin 0,2, welcke sich vorherrschend als Bestandtheile der natiirlichen
Fette finden, in denen sie theils als Glyceride, theils in Verbindung mit Alkoho-
len, als zusammengesetzte Aether, theils auch ijn freien Zustande enthalten sind.
Die wichtigsten hierher gehorigen Sauren sind:
Ameisensaure Cff202 Lanrinsaure C^H^^O^
Essigsaure C^H^O^ Myristinsaure Ci^H(lsOi
Propionsaure C3H60^ Palmitinsaure C, 6ff3Q02
Buttersaure C^HgO^ Stearinsaure ClsFf.IG02
Valeriansaure C^H^O^ Arachinsaure Ci0H4002
Capronsaure Cc-ff]a02 Behensaure C'22Jff44Oa
Oenanthylsaure (77jS,402 Hyanasaure C^H^O^
Caprylsaure CsHi60(1 Cerotinsaure C27iJ5402
Pelargonsaure C9Hl80tl Melissinsaure C.i0H6QOa.
Caprinsaure Cl0H<1()Oli
Wie aus den Zusammensetzungsverhaltnissen der Sauren dieser Reihe zu er-
sehen, unterscheiden sich die hoheren Glieder der Reihe von den niedrigen durch
einen Mehrgehalt von wmal der Gruppe CHq und konnen aus den niedrigeren
Gliedern durch Vertretung von Wasserstoff in denselben durch die einfache oder
selbst schon Substitutionen zeigende Gruppe CH.A entstanden gedacht werden.
Sammtliche Sauren dieser Reihe sind einbasisch und enthalten sonach nur eine
Hydroxylgruppe, in welcher der Wasserstoff durch Metalle vertretbar ist. Man
kann sonach die Sauren dieser Reihe durch die allgemeine Structurformel CHO,OH
ausdriicken, worin der Wasserstoff der Gruppe CHO durch CH3 oder CH„CH3,
CH^CH^CH^ CH^CH^CH^CH^ u. s. w. vertreten sein kann. So erscheint die
Essigsaure als CCH30,Off, d. i. Methylameisensaure, die Propionsaure als
CCH^H^OjOH, d. i. Aethylameisensaure u. s. f. Es ist hiebei jedoch nicht be-
dingt, dass diese den Wasserstoff vertretenden Gruppen durch successive Ver-
tretung von je einem Wasserstoffatom in den Gruppen CH3 entstanden sind, son-
dern es kann auch der Fall eintreten, dass in ein und derselben Gruppe CH3
mehre oder alle Wasserstoffatome durch die Gruppe CH3 oder Abkoramlinge der-
selben vertreten sind, wodurch Sauren von gleicher Zusammensetzung, aber ver-
schiedenen Eigenschaften (isomere Sauren) entstehen ; so kann es zwei Sauren der
Formel C^H80,2 geben, deren eine CCH2CH2CH,0,OH, die andere CCH°$0,OH ist.
und solche Moglichkeiten sind bei den hoheren Gliedern dieser Reihe natiirlich
iu vermehrtem Verhaltnisse nicht nur denkbar, sondern es bestehen beziiglich
aller hoheren Formen auch entsprechend mehr Isomeriefalle.
Die Fettsauren, welche bis zu dem Gliede Ctoisr,,002 fliissig und auch fast
vollig unzersetzt destillirbar sind, wahrend die hoheren Glieder schon bei gewohn-
licher Temperatur starr und unter gewohnlichem Luftdruck nicht mehr unzersetzt
fluchtig sind, und demnach in fliissige und fliichtige und in feste und nicht flueh-
tige unterschieden werden, sind im Allgemeinen schwache Sauren, u. z. um so
schwacher, je hoher ihr Kohlenstoffgehalt ist. Die fliichtigen haben einen mehr
weniger stechend sauerlichen Geruch und brennend saueren Geschmack, losen sich
in Alkohol und Aether und bis zur Valeriansaure auch in grosserer Menge in
Wasser. Die festen Fettsauren sind dagegen fast geruch- und geschmacklos, in
Wasser unloslich, dagegen in Alkohol und Aether loslich. Sie zeigen eine in dem
Masse, als ihr Kohlenstoffgehalt wachst, abnehmende sauere Reaction, dagegen
438 Fettsauren. — Feuerloschdosen.
steigen ihre Siede- und Schmelzpunkte im Verhaltnisse der Zunahme des Kohlen-
stoffgehaltes u. z. die Siedepunkte im Allgemeinen fiir jede Zunahme um 1 Kohlen-
stoffatom um 19° C.
Ueber die einzelnen Fettsauren s. die betreffenden Artikel. Gil.
Fett wachs (adipoczre), Leichenwachs, ist ein Umwandlungsproduct der
Fette, welches durch langere Einwirkung von Feuchtigkeit und Luft, bei gleich-
zeitiger Gegenwart von Basen aus Fetten sich bildet. Findet sich nicht selten in
den Erdreiche, in welchem viele Cadaver angehauft waren, also auf Friedhofen,
und besteht wesentlich aus zum Theil freien, zum Theil an Kalk gebundenen
Fettsauren. Gil.
Feuer fliissige (feu liquide — liquid fire) nennt man im Allgemeinen
fliissige Mischungen, welche entweder durch Luftzutritt oder durch Zutritt von
Wasser selbst zur Entziindung kommen, und so directe als Ziindmittel dienen
konnen, oder bei ihrer Bertihrung mit entziindlichen Substanzen die Entziindung
dieser herbeifiihren und so mittelbar als Ziindmittel wirken konnen. Ausser dem
bereits besprochenen Fenian-Feuer (s. Ill pag. 403) gehbren hieher:
1. Die Mischung von Niepce, welche durch Vermengen von Benzol oder
Petroleum mit Kalium oder Phosphorcalcium hergestellt wird, so wie die Natrium-
ziindmasse von Fleck (s. Dingl. pol. Journ. 190 pag. 306) beides Mischungen,
welche durch Beriitirung mit Wasser zur Entziindung kommen.
2. Die Mischung von Chlorschwefel mit phosphorhaltigem Sehwefelkohlen-
stoff, welche unter dem Namen lothringisches Feuer (feulorrain) bekannt
ist; und sich sofort entziindet, wenn sie mit Ammoniak (Salmiakgeist) in Beruhrung
kommt. (S. Dingl. polyt. Journ. 206 pag. 78.) In gleicher Weise verhalt sich
auch Phosphortrichlorid (dreifach Chlorphosphor) und ebenso Bromschwefel, wenn
sie mit Ammoniak oder Schfl'efelammonium in Beruhrung kommen.
3. Die Mischungen von Schwefelsaure mit chlorsauren Salzen oder mit
iibermangansauren Salzen (3 Thl. concent. Schwefelsaure mit 2 Thl. iibermangans.
Kalium), welche bei Beruhrung mit brennbaren Korpera, als : Terpentinol, Papier,
Holz, Schwefel u. s. w. die Entziindung derselben herbeifiihren. (s. Sophro-
nius d. Industr. Ztg. 1867 pag. 36.) Gil.
Feuer lothringisches, s. Feuer fliissige.
Feuerbestandig (apyre, fixe — apyrous, fix) nennt man Korper, welche bei
hbherer Temperatur nicht verbrennbar und auch nicht fliichtig sind. Unverbrenn-
bare Korper bezeichnet man wohl auch als feu erf est (incombustible — fire
proof), welche Bezeichnung indess correct nur fiir Korper angewendet werden
soil, welche im Feuer fest bleiben, also unschmelzbar sind. Gtl.
Feuerblende, s. Zinkblende, s. a. Rothgiltigerz.
Feuerbriicke (pont — fire bridge), s. Eisenerzeugung bei Puddel-
ofen III pag. 534.
Feuergeschranke, s. II pag. 534.
Feuergewehre, s. Feuerwaffen.
Feuergrube, s. Schmiedeherd im Artikel Schmieden.
Feuerhahn oder Hydrant, s. Rbhrenleitungen.
Feuerkastetl (botte ci feu — fire-box), s. b. Locomotive III pag. 81.
Feuerlauge. s. b. Seife.
Feuerloschdosen nennt man die von Bucher empfohlenen, zur Loschung
von Branden in geschlossenen oder gut verschliessbaren Raumen bestimmten, mit
brennbaren Gemeugen gefiillten Dosen, welche dadurch loschend wirken, dass
Feuerloschdosen. — Feuerwaffen. 439
dnrch Verbrennung ihres Inhaltes eine grosse Menge von Gasen ( Stickstoff, scbweflige
Saure, Kohlensaure) gebildet wird, welche zur Unterhaltung von Verbrennungen imtaug-
licb sind und sobin loschend wirken konnen. Nach verschiedenen Analysen besteht
der Inhalt dieser Dosen wesentlich aus einera Gemenge von ca. 60 Tbl. Salpeter,
36 Thl. Schwefel und 4 Thl. Kohle, und entwickelt ein Kilogr. dieser Masse durch-
schnittlich 298 Liter scbwefliger Saure, 68 L. Kohlensaure und 84 L. Stickstoif.
Audi Zeisler hat ein ganz ahnliches Gemenge von 60 Thl. Salpeter,
36 Thl. Schwefel und 4 Thl. Kohle nebst einem geringen Zusatz an Kalk zu
gleichen Zwecken angegeben, und empfiehlt ' das aus den gehcirig zerkleinerten
Gemengtheilen innig gemischte und in Pappendeckelhiilsen fest eingestampfte Ge-
menge in das in einem abschliessbaren Raume entstandene Feuer zu werfen
(u. z. 1 Klg. auf 15kbmRaum) und den Raum sodann moglichst gut abzuschliessen.
Selbstverstandlich ist bei Anwendung dieser Loschmittel zu beriicksichtigen, dass
die durch Verbrennung des Gemenges entstandenen Gase irrespirabel sind, wess-
halb das Leben von Bewohnern angrenzender Raume durch Anwendung eines
solchen Loschmittels unter Umstanden gefahrdet werden konnte. (Vgl. a. L 6 s c h-
w e s e n.) Gil.
Feuerloschwesen, s. Loschwesen.*)
Feueropal, s. Opal.
Feuerrader, s. Feuerwerkerei.
Feuerschwamm, s. Ziindschwamm, s. a. Schwamm.
Feuersetzen, s. Bergbau II pag. 385.
Feuerspritze (pompe a incendie — fire engine), s. Loschwesen.*)
Feuerstein, s. Quarz.
Feuersteitl-Bearbeitung hat jetzt nur mehr geringe praktische Bedeutung,
indem die Anwendung des Feuersteines als Flintenstein, so wie als Stein
zum Feuerschlagen auf wenige Kreise beschrankt ist. Der Feuerstein war in her-
vorragender Weise das Material der Werkzeuge der Alten und es kommt seiner
Bearbeitung ein holies historisches Interesse zu. Vgl. Hacquet B. phys. und
techn. Beschr. der Flintensteine Wien 1792 Beck, s. f. Prechtl Encyclop.
Bd. 6 pag. 34 und den Art. Steinbearbeitung. Kk.
Feuerung (chauffage — fewel). Vgl. die Artikel: Brennstoffe II pag.
14, Dampfkessel II pag. 533, Eisenbahn-Fahrbetriebsmittel bei Locomo-
tive III pag. 81, Gasfeuerung und Heizung, so wie betreffend die
Feuerungen fur andere specielle Zwecke die beziiglichen Artikel, z. B. Blei, Eisen-
erzeugung, Brodbackofen etc.
Feuerungs-Anlagen, s. Feuerung.
Feuervergoldung, s. Vergoldung, s. Galvanoplastik.
Feuerwaffen. Unter dieses Schlagwort sind nicht nur die Handfeuer-
waffen als Gewehre [fusil — musket) und Pi stolen (pistolet — pistol),
sondern auch die grossen Geschiitze als Morser, Kanonen {canon — gun),
Mitrailleusen etc. einzureihen. Es ist nicht moglich in diesem Werke alle die
Abarten dieser Waffen zu beschreiben, wir wollen vielmehr nur eine Uebersicht
iiber dieses grosse Gebiet liefern.
Nachdem die Wurfkraft des Schiesspulvers im 14. Jahrhundert bekannt wurde,
machte man Versuche grosse Steine aus steinernen und metallnen starken, morser-
artigen Gefassen in die Feme zu schleudern, indem man in die Hohlung des
Morsers eine der gewunschten Tragweite entsprechende Quantitat Schiesspulvers
*) Zu dieser Verweisung sieht sich die Redaction durch den betreffenden Herrn Mit-
arbeiter gezwuDgen. Kk.
440 Feuerwaffen (Geschichtliches.)
schtittete und einen kugelfdrmigen Stein darauf legte. Durch eine feine, nahe am
Boden des Gefasses angebrachte Bohrung (Ziindloch) erfolgte die Entziindung
(Explosion) des Pulvers und in Folge derselben das Auswerfen der Kugel.
Die parabolische Kugelbahn war aber, weil die Kugel keine sichere Fuhrung
im Rohre des Mdrsers erhielt, so unbestimmt, dass man den Einfall des geschleu-
derten Gegenstandes nicht einmal so genau bestimmen konnte, als es bei den
bei Belagerungen seit vielen Jahrhunderten gebrauchlichen Katapulten oder
Wurf m aschinen der Fall war. So unvollkommen waren die ersten Morser.
Bald ist man jedoch zur Ueberzeugung gekommen, dass die Flugbahn bedeutend
sicherer zu bestimmen ist, wenn das zu ladende Geschiitz langer ist, und das
Geschoss vor dem Austritte, durch eine langere Rohre, in die gehdrige Richtung
gebracht wird. Durch fortgesetzte Verbesserungen soldier primitiver Geschtitze
gelang es in nicht geraumer Zeit die alten Katapulten und B alii s ten durch
Morser und andere mannigfach benannte grobe Geschiitze ersetzen. Diese
Donnerbiichsen wurden theils von Eisen gewunden oder geschmiedet, theils
in starke Baumstamme gebohrt, oder aus schwachen Eisenstaben, die um eine
blecherne Rohre gelegt und mit Leder umnaht wurden, u. s. w. verfertigt. Die
von minder festem Material, namentlich von Holz verfertigten Feuerbuchsen
wurden gewohnlich durch starke Eisenreifen armirt. Spater wurden dieselben
aus Eisen oder diversen Legirungen gegossen. Am besten bewahrte sich
das Kanonenmetall (s. Bronze II pag. 60), welches noch vor wenig Jahren,
also beinahe vier Jahrhunderte nach seiner ersten Anwendung, meist zur Ver-
fertigung der Kanonen benutzt wurde.
Zugleich wurden auch Verbesserungen an den Geschossen getroffen, so dass
die steinernen Kugeln den eisernen wichen; welche die Rohrseele genau
ausfilllen konnten, wodurch die Treff- und Tragfahigkeit erheblich gewann.
Bald nach der Einfuhrung der Donnerbiichsen versuchte man auch kleinere der-
artige Waffen zu erzeugen, und schon das 14. Jahrhundert sah kurze Hand-
biichsen, Musketen, die mit der Zeit, wegen leichter Handhabung und ziemlich
gutem Erfolge, die alten Bogen und die Armbriiste verdrangten.
Wegen besserer Handhabung befestigte man die Handkanonen, an verschie-
den geformte Holzschafte, und auch die schweren Geschiitze erhielten holzerne
Unterlagen wegen leichterem Richten beim Zielen, welche Unterlagen (Bid eke
genannt) spater mit Riicksicht auf den Transport wieder durch solid gebaute
Karren (Lafetten) ersetzt wurden.
Anfangs wurden sammtliche Feuerwaffen, kleine wie grosse, mit der Hand
mittelst Lunte oder Feuerschwamm entladen, welcher Uinstand das Zielen mit
Handbiichsen sehr beeintrachtigte ; deshalb wurden ganz einfache bewegliche
Lunthalter (Drachen) angebracht, welche eine nicht gar starke Feder iiber der
mit etwas Pulver bestreuten Pfanne hielt, und die der Schiitze, nachdem er
gezielt, auf die Pfanne senkte. Bald nachher wurde eine besondere Vorrichtung
getroffen, die es ermdglichte den Drachen durch einen einfachen Druck an die
Pulverpfanne zu neigen, ebenso wie die alten Armbriiste durch dieselbe Bewegung
abgedriickt wurden. So wurde das Luntschloss, die erste mechanische Vorrich-
tung zur Entladung der Feuerwaffen.
In dieser Periode sind, wie es scheint, die Feuergewehre auch schon fiir
die Jagd beniitzt worden.
Die Luntschldsser wurden nach geraumer Zeit durch die sinnreich zusammen-
gestellten Radschldsser ersetzt. An die Stelle des Drachen trat der Hahn,
in dessen M au 1 e Schwefelkies befestigt wurde. Hat man den durch eine Schnappfeder
festgehaltenen Hahn heruntergedriickt, so rieb das, vorher durch einen Schliissel
gespannte, am Umfange mit kleinen Einschnitten versehene Rad beim Losdriicken
durch schnelle Drehung eine zur Anfeuerung des Zundsatzes geniigende Menge
Funken aus dem Schwefelkies.
Nach dem J. 1543 wurde das Radschloss der Pracisionswaffen fast gewohnlich mit
Feuerwaffen. 441
der in Mtinchen erfundenen Abzugvorrichtung, dem sogenannten Steelier ver-
bunden, welclien wir spater naher zu erwahnen Gelegenheit finden.
Das Radschloss, mit der Zeit wesentlich verbessert und vereinfacht, erhielt
sich bis auf den heutigen Tag. Zudem besitzen auch die bei den meisten Hinter-
ladern beniitzten PercusionsschlosserFeder, Stud el, Schnappstange
und N u s s, wie diese dem urspriinglichen Radschlosse angehorten.
Das Radschloss fand bald erfolgreiche Concurrenz im Schnapphahn-
schloss, welches bei sehr einfacher und wenig kostspieliger Construction den
Vortheil hatte, dass die Pulverpfanne durch einen Deckel vor Regen und Aus-
schutten geschiitzt war. Der Hahn ist hier an die Stelle des Rades getreten und
wird durcb die Schlag- oder Schnappfeder stark gegen die Pfanne gedriickt, so
dass er beim Loslassen (ohne Driicker) an die aufgeworfene Seite des P fa nn en-
deck e 1 s anschlagt, wodurch der rasch aufspringende Deckel den durch Ansehla-
gen des Schwefelkieses auf Stahl erzeugten Feuerfunken freien Fall zu dem
Ziindsatz gewahrt.
Spater wurden die Vortheile des Schnapphahnes mit denen des Radschlosses,
namlich mit den Spannrasten und Abzugvorrichtung vereint; das
Resultat war das Batterieschloss, welches mehr als 150 Jahre das Feld
beherrschte. Der Schwefelkies des Radschlosses und Schnapphahnes wnrde beim
Batterieschloss durch den Feuer stein (altgerm. Flins) ersetzt. Das Wort
„ F 1 i n t e " ist von Flins abgeleitet.
Mit diesen Schlossverbesserungen wurde auch der L auf und andere Gewehr-
theile vervollkommt. So wurde vor Allem die Rohrseele mit parallel laufenden
geradlinigen Vertiefungen versehen, wodurch nicht nur die Tragweite, sondern
auch die Trefffahigkeit bedeutend stieg, umsomehr als man die parallelen
Riffe oder Ziige durch schraubenformige ersetzte. Derartige Ziige sind bisher
in ihrer Wirkung durch keine andere Vorrichtung ersetzt worden. Sie
werden mit dem Namen Drall bezeichnet. Solche Laufe sind jedoch nur filr den
Kugelschuss geeignet.
Ferner wurde wegen sicherem Zielen das vordere Rohrende mit einem kleinen
Ansatze versehen, der sich unter dem Namen Fliege, Korn, Mil eke bis heute
erhielt. Die mit diesem Ansatze versehenen Feuergewehre bezeichnete man mit dem
Worte „Musketen," welches von dem ital. „moschetta" (Fliege) abstammt.
Auch wurde der zu jeder Feuerbiichse nothige holzerne Ladstock durch
einen eisernen ersetzt, welcher das Aufsetzen der Kugel durch seine Schwere bedeutend
erleichterte, und nicht so gebrechlich war wie die plumpen Holzstocke.
Bei derartigen Fortschritten war es ganz naturlich, dass die sammtlichen
alten Feuerwaffen den neueren Platz raumten, und diese als schwere wie als Hand-
geschiitze neben den Hau- und Stichwaffen fast allgemein eingefiihrt wurden.
Fast gleichzeitig mit der Constraining des Batterieschlosses haben sich die
Fachleute die alte Frage zur neuen Aufgabe gemacht, ob man nicht das Kugel-
rohr zugleich als Lanze benutzen konnte. Dies war leicht geschehen. Man gab
der kurzen Seitenwaffe einen runden holzernen Griff, den der Kampfer leicht in
die Rohrmiindung einstecken und so die Schusswaffe in eine Lanze verwandeln
konnte. Bei derart verstopftem Rohre war es freilich nicht moglich, das Gewehr
zum Feuern gleichzeitig zu gebrauchen. Die Schweden waren die ersten, die
den Schuss bei aufgepflanztem Bajonett ermoglichten, indem sie nicht den
Bajonettgriff in den Lauf, sondern umgekehrt den Lauf in den Griff einschoben,
und die Stichklinge etwas seitwarts anbrachten.*) (Vgl. Bajonettver-
schluss I pag. 279.)
*) Die Idee, die Feuerwaffen mit einer anderen Waffe zu verbinden, ist Lereits in den
ersten Jabren der Benutzung derselben, als man noch mit der Hand abfeuern musste,
so wie auch spater ofters vorgekommen; so war z. B. die Handwaffe zugleich em
Beil, Morgenstern etc., und in der Soltikoff'schen Sammlung bewundert man noch
heute einen Saufanger, an welchem iiber den Hellebardenhaken drei Liiufe mit Kad-
schlossern angebracht sind.
442 Feuerwaffen (Fabrikation der Laufe).
Ausserdem wurden die fur die Jagd bestiramten Doppelwaffen erfunden,
und zwar wurden solche anfanglich derart erzeugt, dass jeder Lauf fur sich, unab-
hangig von dem anderen, im Scbafte befestigt war. Erst spater wurden, und
zwar wie es scheint in Sehweden, die beiden Laufe zusammengelothet.
Die Erfindung des explodirenden Chiorkali durcli den Chemiker
Grafen Bertholet 1786 und die des Knallquecksilbers durch Howard
1799 batte in der Waffenindustrie eine allgemeine Wendung bervorgerufen. Wie
konnte auch die Erfindung dieser durch blossen Scblag sich entziindenden Stoffe
besser benutzt werden, als fiir die Schusswaffen?
Schon im Jahre 1807 patentirte Forsyth in Birmingham ein Percussions-
schloss. Der Halm des Batterieschlosses wurde namlich durch einen Hammer
ersetzt, und auch die Pfanne hat andere Form und Bohrung erhalten. Jedoch
wie alle neuen Erfindungen hatte auch diese mit vielem Misstrauen zu kampfen.
Man versah sehr oft einzelne Gewehre mit dem sinnreichen Doppelschloss
(Batterieschloss und Percussionsschloss in einem verbunden), wie man vor einem
Jahrhundert das Badschloss ebenfalls mit dem Batter ieschlosse und
noch friiher das erst ere mit dem Luntschlosse vereinte.
Als jedoch spater die Z tin der, Zundrohrchen, Z iind hutch en (K ap-
se In) etc. auch die urspritnglichen Ziindpillen verdrangten, weil hier der
durch blossen Schlag entziindliche chemische Satz durch eine Metalldecke
geschiitzt war, wurden die Percussionsschlosser, Schlagschlosser, fast allge-
mein angewendet, und erhielten solche Gewehre den Namen der Percussions-
gewehre. Der Stecher der Radscblossflinten hat sich bei Kugelbfichsen gleich
den, noch von der Armbrust geerbten einfachen Abzugziingel der Schrot-
flinten bisher erhalten.
Zu den Feuerwaffen wurde zu jeder Zeit nur das beste Material verwendet,
namentlich ist dem „Rohrmaterial" die grosste Sorgfalt zu widmen. Der Lauf,
als Haupttheil der Waffe, hat die Bestimmung, die Ladung aufzunehmen, und
nach der Pulverexplosion dem Geschosse die Richtung zu geben. Die Rohrwande
miissen daher geniigend stark sein, um den enormen Druck der Pulverexplosion aus-
halten zu konnen. Diese Widerstandsfahigkeit der Laufwande ist jedoch weniger
von der Wandstarke abhangig, als von der Qualitat des zum Laufe verarbeiteten
Eisens, welcher Umstand die bewundernswerthe Dauerhaftigkeit der verhaltniss-
massig schwachen und leichten heutigen Laufe erklart.
Am starksten ist der Lauf immer an der Kammer, weil die Pulver-
kraft eben hier den bedeutendsten Druck auf die Rohrwande ausiibt. Gegen die
Mini dung zu nimmt die Starke des Eisens mehr oder weniger ab, so wie auch,
freilich nur unbedeutcnd, der Durchmesser der Rohrseele (Caliber).
Die Fabrikation der Laufe geschieht auf mehrere Arten.
Friiher verband man zwei rinnenartige Eisenschienen von entsprechender
Liinge, indem man die Seiten derselben zuerst in der Mitte um einen Dorn
zusammenschweisste, und von da zu beiden Enden derart fortschritt, bis aus den
beiden hohlen Schienen eine Rohre entstanden war.
Spater, als man bei Verwendung besseren Materials die iiberfliissige Dicke
der Rohrwande vermied, und noch jetzt findet man es fiir besser, die Laufe aus
einer einzigen Schiene zu schweissen, indem man dieselbe derart hold streckt,
dass die beiden langen Seiten derselben sich beruhren. Hernach werden die
Rander der Schiene, wie bei ersterem Verfahren, zuerst in der Mitte und dann
gegen die Enden zu fiber einem Dorn geschweisst. Nach dem Zusammenschweissen
wird der Lauf abermals erhitzt, und nachdem ein neuer Dorn in die Hohlung
eingebracht wurde, nochmals so lange gehammert, bis er ganzlich kalt geworden
ist. Dadurch wird die Festigkeit und Elasticitat des Eisens bedeutend erhoht.
Ist auch dies geschehen, so wird durch die Hohle ein glatter, nach beiden Enden
wenig zugespitzter, runder stahlerner Dorn getrieben, und dadurch der Hohlung in
ihrer gauzen Liinge, ein ziemlich gleicher Durchmesser ertheilt.
Feuerwaffen (Fabrikation der Laufe). 443
Es gelang dem Schweden Wasstrom Gewehrlaufe aus Stahldamast zu
erzeugen (vgl. Damascener- Stahl Bd. II pag. 500), was in kurzer Zeit durch die
Franzosen Del aim ay, Cheaumette, Renier und Des Champs vervoll-
kommt wurde, so dass man seit der Zeit Laufe aus verschiedenartigsten Damasci-
rungen verfertigle. Meistens wurden die Laufe aus Draht und aus Bandeisen
erzeugt.
Zu diesem Behufe nimmt man eine gleiche Anzahl eiserner und stahlerner
Drahte oder Bander, legt dieselben abwechselnd zusammen, schweisst und
streckt sie sodann in eine einzige Stange. Diese wird in der Mitte der Lange
gebrochen, beide Halften wieder aufeinander gelegt, zusammengeschweisst, lang-
gestreckt, welche Manipulation, nachdem man mehr oder weniger feine Draht-
laufe erzeugen will, mehrmal wiederholt wird. Befeilt man eine Stelle der
so zubereiteten Stange und befeuchtet diese mittelst einer atzenden Saure, so erscheint
auf der Oberflache des Eisens eine Aderung wie
Fig. 1607 zeigt, indem die weichen Eisens tell en,
durch die Satire in hoherem Grade beriihrt, d u n k e 1,
die harteren Stahlstreifchen dagegen minder be-
riihrt, 1 i c h t und g 1 a n z e n d bleiben.*)
Eine derart vorbereitete Stange wird, nachdem die Streifchen geniigend
fein sich nuanciren, in eine lange, ungefahr 1 bis l*5cin breite und 7s bis 1/<iem
starke Schiene gewalzt oder ausgeschmiedet. Diese Schiene wird dann um einen
stahlernen, dem gewiinschten Caliber angemessenen langen Dorn schraubenformig
gewunden, so dass die schmalen Seiten der Schiene fest aneinander liegen.
(Fig. 1608.) Nachdem dies in gewiinschter Lange geschehen, wird der Dorn
beseitigt und das entstandene R o h r
von eineni Ende zum anderen in piqm 1608.
einem hohlen Gesenke zusammen-
geschweisst. Wahrend der Schweis-
sung wird mit einem Ende des
schweissenden Laufes gegen die
Stirnseite des Ambosses angestossen,
wodurch das Rohr nicht nur an der
ausseren Oberflache, sondern auch
der Lange nach gestaucht wird, so dass die schmalen Seiten der Schiene in ihrer
Schweisshitze um so fester zu einem Ganzen vereint werden.
1st das Rohr der ganzen Lange nach gut geschweisst, so wird es nochmals
dunkelroth erhitzt, und in einem hohlen Gesenke bis zum ganzlichen Erkalten
mit kleinen Hammern bearbeitet.
Solche Laufe heissen Drahtlaufe oder Bandlaufe und werden oft
auch nur von Eisendraht, andere wieder bios von Stahldraht verfertigt.
Sie kommen bfter im Handel unter dem Namen Rub a nl a life und D'acier-
laufe vor, welche letztere wegen ungewohnlicher Sprodigkeit nur seiten zu
Gewehren beniitzt werden.
Franzosische Canonieres (R o h r s c h m i e d e) recken das zu den Laufen bestimmte
Eisen in kleinen Schmiedefeuern zu Bandern von nur 3mm Dicke, 4cm Breite und ungeiakr
1 Meter Lange aus. Solcher Bander werden nun 25 aufeinander und diese zwischen zwei
etwas dickere gelegt, und das ganze, etwa 30 Kilo schwere Biindel, aus welchem nur zwei
Laufe erfolgen, an zwei Stellen rnit Eisendraht zusammengebunden. Die beiden dickeren
Deckbander haben den Zweck, die inneren wahrend dem Schweissen vor dem Verbi'ennen
"_) Es ist eine unter Chemikern eingewurzelte falsche Meinung, dass in diesem Falle nicht
die lichten, sondern die dunkeln Stellen Stahl, die lichten dagegen Eisen sind, weil,
wie gesagt wird, durch das Aetzen der Kohlenstoff des Stahles einen schwarzen Nieder-
schlag hildet. Diese Theorie findet sich auch in den Beschreibungen des Briinirens;
wer aber ein einzigesmal Gelegenlieit hatte, einen eisernen und zugleich einen stahlernen
Lauf zu atzen, der wird von der Richtigkeit unserer Angabe iiberzeugt sein. (Vergl. I
pag. 54. )
444 Feuerwaffen (Fabrikation der Liiufe).
zu schiitzen, indem die vollstandige Schweissung des Biindels, so wie das demnachstige Aus-
recken zu einer 2cm breiten und l-5cm dicken Stange nicht anders als in wiederholten Hitzen
ausfiihrbar ist. Besondere Aufmerksamkeit wird bei dem Schweissen und Ausschniieden darauf
verwandt, dass die einzelnen Bander ihre anfangliche parallele Lage beibehalten. Die so
erhaltene flache Stange wird nun umgebogen, und die beiden Halften dergestalt wieder
zusammengeschweisst und ausgeschmiedet, dass die Lage der urspriingliehen Bander recht-
winklig gegen die neuerzeugten ist, dass also die Schweissnathe der Dicke, nicht derBreite
nach in dem neuerzeugten Bande fortlaufen. Das weitere Verfahren ist dasselbe wie oben
beschrieben.
Besonders gute und schone Laufe waren die noch vor wenig Decennien, namentlich in
England massenhaft erzeugtenHufnagellaufe, und es ist bisher eineFrage, welches andere
Material das Hufnageleisen im Stande ist zu ersetzen. Es ist allgemein bekannt, dass das
Eisen um so besser ist, je ofter es durch Gliihen und Schmieden bearbeitet wurde. Durch
diesen Grundsatz geleitet, wahlten die Englander die alten, wenn auch rostigen Hufnagel
als das vortheilhafteste Eohrmaterial. Dies war freilich noch in der Zeit, als nur mit der
Hand geschmiedete Hufnagel im Handel vorkamen; nachdem jedoch dieselben durch
adoucirte u. a. ersetzt wurden, ist das Huf beschlagen der Pferde freilich etwas billiger geworden,
doch die Waffenindustrie erlitt hiedurch den betraehtlichsten Schaden. Wie in den Huf-
nageln das passendste Eisen, wurden die alten Kut schenfedern als der vortheilhafteste
Stahl erkannt. Ehe man aus den Hufnageln Eisen darstellte, wurden diese von Weibern
genau sortirt und untersucht, um alle gusseiserne Nagel und andere Unreinlichkeiten aus-
zuscheiden. Dann reinigte man die Nagel von Rost etc., indem man selbe in der Eeinigungs-
trommel (ein um seine Achse sieh drehendes Fass) unter schnellen Umdrehungen derselben
so lange beliess, bis sie rein glanzend, wie polirt erschienen. Dieselbe Eeinigungsmethode
wurde auch bei den Kutschenfedern verwendet, nachdem selbe friiher durch Scheere und
Meissel klein gekornt wurden.
In einer ahnlichen Trommel wurden dann Eisen und Stahl vermengt und zwar
nach dem Gewichtsverhaltnisse 5 : 3. Manche haben freilich mehr Stahl (ungefahr 5 : 5) vor-
geschlagen, das alte Verhaltniss hat sich jedoch immer am besten bewahrt. Die so vermengten
Eisen- und Stahlkbrner wurden dann in Schmelztiegeln unter bestandigem Umriihren mittelst
einer bereits fertigen Stange aus Hufnageleisen einer starken Hitze ausgesetzt. Das dauerte
so lange, bis die Korner, wie es schien, zusammenschmolzen und einen einzigen Klumpen
bildeten (Uebergang von der Schweiss- zur Flusshitze bei 1300° C), welcher nun auch an
die Eisenstange angeschmolzen, mittelst dieser aus dem Tiegel gehoben, auf den Amboss
geworfen und durch grosse Hammer schnell bearbeitet wurde. Nach dem Ausstrecken des
Klumpens in eine lange Stange wurde diese gebrochen, wieder geschweisst und von neuem
gestreckt, was ebenfalls je nach der gewiinschten Feinheit mehrmals wiederholt wurde. Nach
dem Abschleifen und Befeuchten durch atzende Saure zeigte sich ungefahr dieselbe Zeichnung
wie beim Drahteisen (Fig. 1607).
Aus dem Hufnageleisen wurde Huf nag el dam as t, ebenfalls wie aus Drahteisen
Drahtdamast, durch nachstehendes Verfahren erzeugt. Nachdem das betreffende Eisen zu
schwachen viereckigen Stab en gestreckt wurde, wurden diese an beiden Enden befestigt und
in gliihendem Zustande wie ein Strick gedreht. Drei so gedrehte Stabe werden neben-
einander derart zusammengeschweisst, dass neben einem zur rechten Seite gedrehten ein
links gedre liter Stab zu liegen kommt.
ZT" 1RHQ Nach dem Abfeilen und Aetzen erscheinen an
der Oberflache des Eisens gefallige Figuren (Fig. 1609).
Je schwacher die gedrehten Stabe waren, desto feinere
und schonere Figuren zeigte dann die Oberflache.
Diese Schienen wurden dann nach der vdrher
beschriebenen Methode zu Laufen verarbeitet.
Das Drehen ist freilich kein Vortheil filr das Laufmaterial ; die Schiitzen
ziehen jedoch haufig die Schonheit der Giite vor, und zwingen also die
Btichsenraacher die Giite dem gefalligeren Aeusseren zu opfern. Es ist namlich
bekannt, dass das Eisen in der Richtung des ersten Streckens die meiste Dauer-
haftigkeit besitzt, ebenfalls wie das Holz in der Richtung seiner Faser um vieles
FeuerwafFen (Fabrikation der Laufe). 445
fester ist als quer iiber dieselben. Da aber durcb das Dreben die Fas em
des gestreckten Eisens gekriimmt, ja gerissen werden, kann man unmog-
licb von solchem Material dieselbe Festigkeit erwarten wie bei dem nichtgedrehten.
Die Festigkeit des Eisens wird durch das Drehen urn ungefabr 35% beeintrach-
tigt, oder anders zu sagen: wenn die Kammer eines von Drahteisen verfer-
tigten Laufes dem Drucke von 100 Atmospharen widersteht, wird die eines
Drahtdamastlaufes bei gleichem Caliber und Wandstarke bios den Druck
von 65 Atmospharen aushalten konnen. Deswegen sollen die Damastrohre
am Pulversacke immer verhaltnissmassig starker gemacht werden.
Durch verschiedenartiges Behandeln des Eisens ist man mit der Zeit auf
viele Abarten des Damastes gekommen, und wiirde uns zu weit ftihren, alle hier
zu beschreiben. Beschranken wir uns deshalb auf die blosse Benennung der
wiehtigsten und gangbarsten :
Eisenband (damas ruban), Stahlband (ruban d'acler od. damas
d'acier), Englisch damast (damas anglais), Moireedamast (damas
moiree), Rosen- oder Turkischdamas t (damas turc), Bernard dam as t
(damast de Bernard), Blumendamast (damas fleurs).
Andere Damaste sind sammtlich von den hier verzeichneten abhangig; so
ist s. B. der heutige Hufnageldamast eigentlich grober Rosendamast,
ebenso Garibaldidamast; Damas Laminet sind abwechselnd liegende
Stabe von Rosen- und D'acier damast. Durch nochmaliges Str ecken fertiger
Damaste erhalt man damas alonge. Abarten des damas fleurs sind Laub-
damast, Epheudamast u. s. w.
Wegen sehr kostspieliger Herstellung der Damaste haben die Rohrfabrikanten
auch sparen gelernt, leider aber nur selten zum Vortheile ihrer Erzeugnisse. Sie
verfertigen namlich von ganz ordinarem billigen Eisen ein Rohr, und zwar
nach der billigsten Methode, wie wir zuerst beschrieben haben. Dieser ordinare
Korper wird dann schwach mit Damast bekleidet, indem er mit der
schwachen Damastschiene umgewunden und dann das Ganze zusammengeschweisst
wird. Diese Idee ist freilich nicht schlecht, im Gegentheil sehr praktisch, muss
aber gewissenhaft ausgefuhrt werden. Es wird namlich darauf gerechnet, dass
der innere schlechte Kern durch das nachstfolgende Bohren beseitigt, und so
der theuere Damast geschont wird. Wie oft gelingt es jedoch, dass der schlechte
Kern vbllig ausgebohrt wird? Oft reibt in einem feinen Damastlaufe das
Geschoss auf der einen Seite am ordinaren ascherig en Eisen, auf der anderen
am Damast. Bei solchen Laufen geschieht es nicht selten, dass sich das
Schlechte vom Guten ablost, und so in der Rohrseele ganze, oft centimeterlange
Eisenfetzen sich abschalen.
Ist der Lauf geschweisst, so wird er regelmassig nochmals erhitzt, und bis
zum ganzlichen Abkiihlen in einem hohlen Gesenke gehammert. Nachdem
man auch einen glatten Dorn durch die Rohrseele getrieben, und dieselbe hierdurch
regulirt hat, wird das Rohr zur Bohr bank gegeben.
Das Bohren der Laufe hat den Zweck, das Innere des Rohres glatt, die
Seele genau rund und das Caliber durchgehends genau und gleichmassig
herzustellen, und bei feinen Laufen auch den schlechten Kern zu beseitigen.
Verschieden hievon ist das Bohren der aus Gussstahl oder Eisen ohne
Schweissung verfertigten Laufe, welche meistens zu Kugelbiichsen verwendet werden.
Das Bohren dieser Laufe wird an einer grossen Drehbank verrichtet, und
handelt sich in diesem Falle nicht urn die weitere Ausarbeitung einer schon vor-
handenen Hohlung, sondern um die Dur ebb oh rung einer massiven Stahl-
oder Eisenstange nach der Richtung ihrer Achse.
Der Bohrer zu geschweissten (also vom Schmieden her hohlen) Laufen
ist ein vierkantiges,, schwach pyramidal sich verjiingendes Stlick Stahl, ungefabr
in Form einer Reibahle, welches an das vordere Ende einer runden eisernen
Stange angeschweisst ist. Sehr gewohnlich lasst man nicht alle vier Kanten
zugleich zur Wirkung kommen, sondern belegt eine der Seitenflachen mit
446 Feuerwaffen (Fabrikation der Laufe).
einem diinnen, an der Hinterseite cylindrisch convexen Holze (auch Messing oder
Kupfer), wodurch dann zwei Kanten des Bohrers ausser Beriihrung mit dem Laufe
gesetzt werden, und nur die zwei entgegengesetzten arbeiten. Dieses Verfahren
gewahrt den Vortheil, dass ein und derselbe Bohrer, successive mit immer dickeren
Holzleisten belegt, zur allmaligen Erweiterung des Bohrlochs dienen kann, wahrend
bei Anwendung nackter Bohrer diese Erweiterung nur durch eine Reihenfolge
mehrerer, in genauer Abstufung auf einander folgenden Bohrer zu erreichen ist.
Und da bei dem so oft nothigen Schleifen die Bohrer jedesmal ein wenig diinner
werden, so verlieren sie nach kurzem Gebrauch schon so viel von ihrer Dicke,
dass sie als unbrauchbar bei Seite gelegt werden mtissen, was beim Belegen mit
Holz oder Kupfer nicht so bald eintritt. Zum Einspannen des Laufes beim
Bohren dient die Bohrbank, auf welcher der Lauf horizontal, auf einem zwischen
zwei Schienen vor- und ruckwarts verschiebbaren Schlitten liegend, in der
Mitte seiner Lange befestigt ist.
Wahrend man auf den ersten Blick zu der Vermuthung verleitet werden
kbnnte, dass die Bohrung regelmassiger und vollkommener ausfallen und leichter
von Statten gehen mtisse, wenn sich Lauf und Bohrer in unverriickbar fester
Lage befinden, zeigt die Erfahrung das Gegentheil. Dem Lauf muss Freiheit
gelassen werden, in schlotternder Bewegung dem Eingreifen des Bohrers nothigen-
falls nachzugeben, daher denn auch dieser letztere ausser seiner Befestigung an
der Triebwelle, durch die er seine Drehung erhalt, seiner ganzen Lange nach
freiliegt und nur am vorderen Ende durch den Lauf, in welchem er mit bedeutender
Geschwindigkeit (150 bis 180 Umlaufe pr. Minute) gedreht wird, die nothige
Fiihrung erlangt.
Lauf und Bohrer befinden sich bei der Arbeit fast unaufhorlich in stark
vibrirender Bewegung, wobei der erstere mittelst eines am vorderen Ende haken-
formig gebogenen Hebels, dessen anderes Ende der Arbeiter mit der linken Hand
fasst, auf hochst einfache Art gegen den Bohrer gedruckt wird.
Nachdem der Lauf durch dieses Rauh- oder Schwarzbohren bis fast
zur calibermassigen Weite ausgearbeitet ist, folgt das Weissbohren oder
Poliren, welches sich von dem Schwarzbohren nur darin unterscheidet, dass
genauere, sehr scharfe und gei-adkantige, stets an einer oder auch zwei neben
einander liegenden Seiten mit Kupfer oder Holz belegte Bohrer in Anwendung
gebracht werden, die, um eine moglichst glatte Flache zu erzeugen, nur wenig
angreifen diirfen. Bei diesem Weissbohren, vorausgesetzt, dass es mit sehr guten
Bohrern und mit Sorgfalt ausgefiihrt wird, erlangt die Rohrseele eine vbllig
hinreichende Glatte; beabsichtigt man jedoch die zarten Bohrringe vollig zu
beseitigen, so nimmt man noch eine nachtragliche Bearbeitung mit einem feilen-
artig gehauenen, an einer Stange befestigten, stahlernen Kolben, der unter
langsamer Drehung durch den Lauf der ganzen Lange nach hin und her gezogen
wird, vor. Dieses Verfahren nennt man Frischen. Nach dem Frischen tritt
an die Stelle des Frischkolbens ein Bleikolben, der mitOel undSchmir-
gel bestrichen, ebenfalls in der Rohrseele hin und her gezogen wird, und dieser
dadurch vollige Glatte ertheilt. Wahrend des Rauh bohren s und des dabei ein
tretenden Vibrirens des Laufes kann sich dieser, zumal bei geringer Wandstarke,
kruminen. Der Arbeiter muss daher von Zeit zu Zeit den Lauf priifen, in dem
er eine feine Darmseite hindurchzieht, in einen Bogen einspannt, und, indem
er den Lauf gegen das Licht halt, untersucht, ob die Saite iiberall genau an die
Rohrwande anliegt. Ergeben sich hierbei Biegungen, so wird der Lauf mittelst eines
holzernen Hammers oder an der Richtmaschine gerichtet.
Es folgt nunmehr die aussere Bearbeitung mittelst des Schleifsteins.
Man gebraucht sehr grosse, wohl l-7m im Durchmesser haltende und 0-3m
dicke Steine, welche mit grosser Geschwindigkeit (bis 120 Touren pr. Minute) umge-
trieben, und an deren Peripherie die Laufe horizontal (also der Achse des Steines
parallel) angelegt und mit massiger Kraft angedriickt werden. Indem nun die
Reibung auch den Lauf, wiewohl mit geringer Geschwindigkeit, in Drehung setzt,
FeuerwafFen (Priifung tier Laufe). 447
wird er an alien Seiten gleichma'ssig abgeschliffen. In neuerer Zeit hat man mit
grossem Vortheil angefangen, die Laufe auf einer eigenen Drehbank abzudrehen,
wobei der Drehstahl durch einen Support gefiihrt wird.
1st der Lauf so weit fertig, so wird das Gewinde fur die S c h w a n z -
schraube eingeschnitten, bei manchen audi dasKorn und die Schafthaften
angelothet, und dem Lauf durch Abzi eh en mit derFeile ein Langsstrich gegeben.
Nun wird der Lauf mit einer provisorischen Schwanz schraube versehen und
der P r obi r bank iibergeben.
Die Laufe werden nur in wenig Orten Europas fabricirt, da sich solche
Etablissements nur bei gesicherten grossen Lieferungen rentiren konnen, und nicht
sogleich routinirte Rohrsclimiede zu finden sind. Die renommirtesten Fabriksorte
sind hinsichtlich der Rohrwerkstatten : Birmingham, London, L ii 1 1 i c h ,
St. E tie nne, obwohl uns audi Ferlach und andere, namentlich billige
Fabricate massenhaft liefern. In solchen Stadten sind gewbhnlich behordliche
Anstalten zum Probiren der Laufe vorhanden. Jeder Rohrfabrikant und jeder
Biichsenmacher ist in England und Belgien verpflichtet, seine Laufe nach dem
Bohren und Schleifen, sowie audi nach dem ganzlichen Ausarbeiten
der completten Watfe, beschiessen zu lassen, und unterliegt einer grossen Geld-
strafe, im Falle er gegen dieses Gesetz handelt.
In der Liitticher Probiranstalt (die uns als die vollkommenste der heute
existirenden erseheint, weshalb wir unten meist nach dieser die Beschreibung
richten) werden einfache Laufe nur einmal, Dopp el laufe zu Vorderladern
zweimal und zu Hinterladern dreimal probirt. Nach jeder Probe erhalt der
Lauf einen Punzen, so dass es immer moglich ist, sich zu iiberzeugen, wie viel-
mal ein Lauf die Probe bestanden hat.
Bei der Probe wird jeder Lauf mit einer Pulverladung gleich 2/., des ent-
sprechenden Bleikugelgewichtes geladen. Wiegt daher eine fur das bei uns
beliebteste Jagdcaliber 16 (Durchmesser 17-6mm) passende Bleikngel 27 l/2 Gramm, so
ist das Pulvergewicht der Probeladung auf 18 Gramm festzustellen. Auf die
Pulverladung wird ein Kartonpfr opfen und auf diesen mittelst eines eisernen
Ladstocks die Kugel aufgesetzt. Nach dem Laden werden alle zu probirenden
Laufe in das stark gemauerte Probirhaus, dessen Wande mit starken Eisen-
platten belegt sind, gebracht und auf eine mit Blei iiberzogene Bank (hievon
„banc d'&preuves") derart gelegt, dass die Ziindlocher der erwabnten provisoi'i-
schen Scliwanzschrauben nach oben gerichtet sind, in welcher Lage sammtliche
Laufe durch einen ebenfalls mit Blei bekleideten Eisenhalken befestigt werden.
Nachdem man auf die Bank so hoch Pulver gestreut, dass die Ziindlocher hiemit
gedeckt sind, wird das Beschiesshaus verschlossen, und das gestreute Pulver
durch eine kleine Oeffnung von aussen angeziindet, wodurch fast momentan
die sammtlichen Gewehiiaufe entladen werden. Die Kugeln schlagen in einen
Sandhaufen ein.
Nach der Probe werden die Laufe sorgfaltig untersucht, und wenn keine
Risse, Sprunge, Beulen oder sonstige Fehler vorbanden sind, mit einer
provisorischen Marke am Pulversacke versehen. Diejenigen Liiufe, die
kleine Fehler zeigen, werden an der fehlerhaften Stelle zersagt. Den Schaden
muss in jedem Falle der Rohrscbmied tragen. Wenn der Lauf die bleibende
Schwanzschraube erhalten, oder bei Hinterladern, wenn er basculirt ist und aber-
mals die Probe iiberstanden hat, erhalt er erst die sogenannte grosse Marke.
Doppelflintenla'ufe werden erst nach der ersten Probe zusammengelothet, und
zwar wahlt man immer Laufe fleich feinen Damastes, jedoch immer so, dass
wenn die Damastschiene des rechten Laufes zur rechten Seite gewunden ist, fur
die linke Seite ein in entgegengesetzter Richtung gewundenes Rohr gewahlt
wird. Das Verbinden der Rohre zu Doppelwaffen muss (oder soil wenigsteus)
sehr sorgfaltig berechnet Mrerden, damit die Schiisse beider Laufe audi auf
grossere Distanz gleich hoch und auf ungefahr den selb en Fleck anschlagen
konnen. Nach der Vcrbindung der Doppellaufe, wenn selbe audi an der obcren
448
Feuerwaffen (Bestandtheile des Gewehres).
Seite eine Visirschiene erhalten baben, miissen dieselben abermals der
Probirbank vorgelegt werden.
Erst nach der Beschiessung diirfen die Laufe in England und Belgien
weiter verarbeitet werden : in anderen Staaten, wo keine oder nur ungeniigende
Probiranstalten sicb linden, kiimmern sich die Regierungen wenig darum, ob die
Biicbsenmacher solide oder fehlerhafte Robre zu ihren Erzeugnissen beniitzen,
was freilich den sichtbar zunehmenden Verfall der Waffenindnstrie solcber Staaten
im bohen Grade unterstiitzt.
Die weitere Bearbeitung des bereits gestempelten Laufes hangt natiirlich
davon ab, zu welchem Systeme derselbe beniitzt werden soil.
Fur die sammtlichen Abarten der Vorderlader werden die Laufe mit
Schwanzschrauben versehen. Die Einrichtung derselben ist sehr verschieden,
doch ist es moglich, dieselben in drei Hauptarten zu theilen: 1. Die gewohn-
liche Schwanzschraube alter Art Fig. 1610 besteht in einer gegen 1 Zoll langen
eisernen Schraube c mit ebener oder nur wenig concaver Endflache, einem starken
Kopfe d und bieran befindlichen Lappen (Schwanz) e, der zur Befestigung des
Laufes am Schafte dient. Sie reicbt in dem Laufe a a bis nabe an das Ztind-
locb b oder ofters sogar ein wenig dariiber hinaus, in welchem Falle ihr vor-
derer Rand einen Aussclinitt enthalt, urn die Communication zwischeR b und
der Laufbohrung herzustellen. Solche Schwanzschrauben waren meist bei
Militar- und anderen ordinaren Gewehren gebrauchlicb. 2. Die Kammer-
schwanzschraube Fig. 1611 unterscheidet sich von der vorhergehenden
dadurch, dass ihre Vorderseite cylindrisch, conisch oder halbkugelformig ausge-
hbhlt ist, so dass ein Theil der Pulverladung von dieser Rammer aufgenommen
wird. Auch bier bedeutet a a die Wandung des Laufes, c die Schwanzschraube,
d deren Kopf; der Ziindkanal b geht mitten von der Kammer aus, wendet
sich unter rechtem Winkel und setzt sich durch den in a und e eingeschraubten
Kern e / fort, wo er in eine geraumigere cylindrische Hohlung n mlindet. In
letztere wird schief gegen die Rohrachse der stahlerne Ziindkegel (auch
Cylinder oder Piston genannt) eingeschraubt, vor dessen feiner Oeflfnung bei
h die Zlindung stattfindet, wonach der Feuerstrahl auf dem zweimal im Winkel
ablenkenden und ziemlich langen Wege ins Innere dringt.
Fig. 1610.
Fig. 1611.
Fiq. 1612.
'
3. Die Pat en tsch w anzs chrau b e (Fig. 1612) entbalt ebenfalls eine
Kammer, diese aber von solcber Grosse, dass die Pulverladung vollstandig hinein-
geht; sie bildet demnach den ganzen Pul versa ck. Die Zeichnung stellt zugleich
Feuerwaffen (Bestandtheile des Gewehres).
449
eine von Fig. 1611 abweichende Anordnung des Ziindkanals b dar, welcher seit-
wa'rts von der Kammer ausgeht, viel kiirzer ist und ohne Winkelbiegung zu der
(in einer Verstarkung der Schwanzsclnaube selbst angebracliten) Bohrung n
fiihrt. Die Patentschwanzschrauben haben zugleich den grossen Vortheil, dass sie
das Herausnehmen der Laufe vom Schafte bedeutend erleichtern, indem der soge-
nannte Schwanz nicbt wie bei ersteren mit der Schraube vereint ist, sondern
diese durch einen oder zwei Haken in den am Schafte fest angeschraubten
Schwanz, hier Scheibe genannt, ein- und ausgehangt werden kann. (Deshalb
wurde audi die ursprttngliche Benennung Patent- oder Kammerschwanzschraube
in Patentschraube und Kammer schraube abgekiirzt.) Zugleich bietet
diese Vorrichtung den grossen Vortheil, dass die Eisentheile des Schaftes sehr
fest zusammengeschraubt werden konnen, und so zu sagen im Holze ein Ganzes
bildend, die Erschiitterung beim Schusse eher aushalten konnen, ohne dass ein
zelne Schrauben mit der Zeit locker werden.
Dies halten wir fur geniigend iiber den Rohrverschluss der Vorderlader,
der regelmassig in die Laufbohrung eingeschraubt wird. Bei den meisten Hinter-
ladern wird im Gegentheil der Lauf in das Ver schlussgehause eingeschraubt.
Bei wenigen Jagdhinterladungssystemen, die auch zu Doppellaufen ver-
wendbar sind, namentlich bei Lefauchex, Lancaster, Teschner's Ziind-
nadel etc., wird ein starker Eisenansatz (Haken) angelothet, und sodann in
ein eisernes, in Starke dem Laufcaliber angemessenes Bascul eingepasst. Die
Laufe konnen durch diverse sehr einfache Druckvorrichtungen aus dem, am
Bascul im Ch ami ere beweglichen Schiffel herausgehoben und eben so
leicht eingelegt werden; im geladenen Zustande werden die Laufe ganz einfach
niedergedriickt, worauf sie durch verschiedene Schnappvorrichtungen oder
durch Umdrehung einer Kurbel (Schliissel) in dieser Lage festgehalten
werden. Durch einfachen Druck oder riickwartige Umdrehung des Schliissels wird
dem Haken die Haltung entzogen, so dass sich die Laufe wieder durch eigene
Schwere neigen, d. h. offnen konnen.
Fig. 1613.
Lancasterbascul.
Obige Abbildung zeigt ein Lancasterbascul mit geneigtem Laufe.
a ist das Charnier, d das bewegliche Schiffel, in welchem der Lauf durch
die Haken b und c festgehalten wird. e ist die Stossscheib e, auch Ver-
schlussspiegel genannt, auf welche der geschlossene Lauf genau anliegen
muss. / ist der von der alten Schwanzschraube geerbte, zum Befestigen im
Schafte bestimmte Schwanz.
Es wiirde uns hier zu weit fiihren, auch die Bearbeitung der iibrigen
Verschlussarten der Hinterlader zu beschreiben und beschranken uns deshalb nur
auf eine spater folgende, kurzgefasste Beschreibung der wichtigeren Systeme.
Karmarsch & Heeren, Technisches Wiirtnibucb. Bd. III. 29
450
Feuerwaffen (das Percussionsschloss).
1st der Rohrverschluss fertig, so wird auch das S c h 1 o s s, je nach der
Construction, an- oder eingepasst. Die in der ersten Halfte des 19. Jahrhundertes
allgemein verbreiteten Percussionsschlosser haben wir bereits binsichtlieb
ihrer Entstehung erwahnt und bleibt uns daber nur die Construction zu beschrei-
ben iibrig.
Fig. 1614.
Percussionsschloss.
Figur 1614 zeigt die aussere Ansicbt eines Percussions- oder Schlag-
schlosses. Man bekommt bier keine anderen Theile zu sehen, als das ini
Schafthalse eingelassene Schlossblech A A und der Hahn Z, welcher
um die Nussachse o beweglich 1st, und in der Schlagflache seines Kopfes
eine Vertiefung m entbalt, die beim Aufscblagen den Piston und das Ziind-
biitchen umschliesst, und dadurcb das deni Schiitzen gefahrliche Herumfliegen
von Triimmern des zerscbmetterten Ztindhiitchens verbindert. c d bietet die
aussere Ansicht der Patentsebraube ohne Lauf, mit eingescbraubtem Cylin-
der h. B B ist der Schaft.
Fig. 1615.
Ruckschloss.
Zur Erklarung der inneren Schlosseinricbtung ist in Fig. 1615 als Beispiel-
ein Schloss derjenigen Art gezeicbnet, welche man RtickschlGsser nennt,
weil bier die Scblagfeder vom Laufe riickwarts und nicbt wie bei dem in
Fig. 1614 abgebildeten Seitenschlosse zur Seite der Pulverkammer angebracht
ist. Mit anderen Worten, bei einem Seitenscblosse ist die Scblagfeder vor7 bei
den Ruck- oder Griffs chlossern hinter deni Habn befestigt. Im Uebrigen bleibt
sicb die Construction ganz gleich. ^1 A ist die S chlossplatte, I der Hahn,
r die Nuss. Letztere bestebt aus einer etwas dicken Platte von eigenthumlich
Feuerwaffen (Bestandtheile des Schlagschlosses). 451
geschweifter Gestalt, mit zwei runden Zap fen versehen. Der eine dieser
Zapfen ist dick, geht durch ein passendes Loch des Schlossblecb.es, und endigt
ausserhalb desselben in ein Viereck, auf welchem der Hahn rait einem ent-
sprechenden viereckigen Loche steckt, so dass Hahn und Nuss nicht anders ale
gemeinschaftlich sich drehen konnen. Um das Abgehen des Hahnes von dem
Vierecke zu verhindern, ist eine Schraube mit grossem Kopf'e vorgeschraubt
(o in Fig. 1614). Der Zapfen auf der inneren Flache der Nuss ist bei n sicht-
bar; er dreht sich in einem Loche der sogenannten Studel, welche mittelst
der Schrauben 1, 2, 3 mit dem Schlossbleche vereinigt wird. Auf ihrem untern
convex bogenformigen Rande hat die Nuss zwei Kerb en 4, 5, von welchen 4
die Vorderrast oder Ruhr as t, 5 die H inter- oder Spannrast heisst;
letztere ist ganz seicht^ erstere bedeutend tiefer. Ein Hebel u, welcher um den
in Schlossblech und Studel eingebohrten Stift b beweglich ist, und Stange
genannt wird, fallt durch den Druck der Stange nfeder/ mit seinem vor-
dersten Ende — Schnabel — in eine oder die andere der beiden Rasten ein
(je nach der augenblicklichen Stellung der Nuss) und halt so Nuss und Hahn
unbeweglich. Die Stange ist an ihrem hintersten Ende rechtwinklig vom
Schlossbleche abgebogen ; wird nun wegen Losdriicken des gespannten Schlosses
der A b z u g an diesen Stange nbalken v gedruckt, so wird der Schnabel aus der
Spannrast gehoben, so dass die Nuss, resp. Hahn, dem Drucke der Schlag-
feder y x folgend, in ebenso rascher, wie kraftvoller Bewegung an den Piston
h (Fig. 1614) schlagt. Die Schlagfeder ist durch einen nahe an x befindlichen
Stift in der Schlossplatte befestigt. Das Verfahren beim Spannen und Losdriicken
ist geniigend bekannt, als dass es einer Beschreibung bediirfte; und ebenso wird
der innere Vorgang beim Spannen und Losdriicken aus Vorhergesagtem leicht zu
verstehen sein. Wir bemerken nur, dass die Ruhrast so eingefeilt sein muss,
dass es nicht moglich ist, den nur halb gespannten Hahn loszudriicken.
Eine ganz eigenthiimliche Art der Percussionsziindung war in der oster-
reichischen Armee eingefuhrt, wir meinen die Z ii n d e r g e w e h r e. Diese entstanden
durch die Console'sche Ziindmethode, welche darauf beruht, eine geringe
Menge Knallquecksilber in ein kleines Stiickchen diinnen Messingblechs einzu-
wickeln und diese Z under in das Zundloch des Gewehrlaufes einzuschieben.
Durch das Anschlagen des Hahnes explodirte das Knallquecksilber und ziindete
die Pulverladung des Laufes. Im Jahre 1840 verbesserte der damalige Feld-
marschall - Lieutenant Baron Aug us tin diese Methode, indem er die alten
Batteriedeckel durch P fan n en deck el mit den beweglichen, mit grossen
Kopfen versehenen Ziindschiebern, auf welche hammerahnliche Hahne schlu-
gen, ersetzte.
Um das gegen die Absicht des Schiitzen erfolgende, nur zu oft die grossten
Ungliicksfalle vei*anlassende Losschlagen des Hahnes zu verhindern, oder wenigstens
unschadlich zu machen, hat man fur Percussionsschlosser allerlei Sicherheitsvor-
richtungen erfunden. Dem Zwecke ziemlich entsprechend war eine Bedeck ung
des Ziindkegels, welche das Aufschlagen das Hahnes auf den Cylinder unmoglich
macht, so lange sie nicht beseitigt ist. Ausserdem erscheinen die Gesperre
bald in der Form eines verschiebbaren Riegels, eines Vorreibers, aus dem
Schlossbleche beim Spannen aufspringenden Stiftes etc. etc.
Die Schlagschlosser hat man auch zu vielen Hinterladesystemen verwendet,
doch wurden bei der Mehrzahl auch anders construirte Schlosser angebracht.
Das Spiralschloss bei der Dreyse'schen Ziindnadel (Vorderlader) 1827 ange-
wendet, ist obwohl bei diversen Systemen auch verschiedenartig ausgefiihrt, im
Princip aus Fig. 1616 leicht erkenntlich.
In einer langen, an beiden Enden nur mit kleinen Oeffnungen versehenen
Hlilse ist der Z und stift i bin und her beweglich und mit dem Kragen c,
der einen der Bohrung der Htilse entsprechenden Durchmesser hat, versehen.
An diesen Kragen driickt von der dem Gewehrlaufe entgegengesetzten Seite
29*
452
Feuerwaffen (Abzugvorrichtungen).
eine Spiralfeder, mit dem hinteren Ende sich an die (mit der Oeffnung /
versehene) Hiilsenmutter d stiitzend. Beim Spannen des Schlosses wird der
Fig. 1616.
Spiralschloss.
Ziind- oder Schlagstift so weit zurtickgezogen, bis es dem St oil en b moglich
ist, vor den Kragen c einzuschnappen und so den Schlagstift in dieser Stellung
festzuhalten. Durch einen einfachen Druck auf den Dr ticker oder Abzug E
wird der Stollen geniigend weit ausgezogen, urn den Kragen des Ztindstiftes zu
verlassen, so dass der Stift durch den Druck der Spiralfeder gegen die Ladung
getrieben wird, um so den Schuss zu bewirken.
Dies ist das Princip der Spiralschlosser, welche mit mehrfachen Aenderungen
bei den meisten Hinterladern verwendet sind, und die, wie aus der Construction
leicht erkenntlich, nur in der Mitte des Schafthalses, also in gerader Linie mit
der Rohrseele angebracht werden konnen.
Indem wir die Beschreibung der Schlcisser geliefert haben, sehen wir uns
verpflichtet, auch den mit den Schlossern eng zusammenhangenden Abzugs-
vorrichtungen einige Zeilen zu widmen.
Der Abzug ordinarer und der Garnisons-Gewehre mit Schlagschloss ist
aus Figur 1617, erkenntlich und es gentigt zu bemerken, dass der obere
Rand c beim Andriicken an das Z tin gel b die Schlossstange v aus der Spann-
rast hebt, wodurch das ganze Schloss in die zum Schusse nothwendige Bewegung
gesetzt wird.
Fig. 1617.
Fig. 1618.
Abzug
Stecher.
Complicirter ist der bereits bei Radschlossern erwahnte Stecher (Fig. 1618),
der noch heute bei alien mit Percussionsschloss versehenen Scheibenbtichsen
und auch bei vielen Hinterladern angebracht wird (freilich auch mit verschiedenen
Abweichungen). In der Abzugplatte a ist an der Schraube b ein langer
Hebel c mit Druckztingel c?beweglich. Durch Andriicken an das Ztingel neigt
sich der obere Arm des Hebels c so weit, dass die Stange m, durch eine
schwache Feder gedriickt, mit ihrer Kerbe tiber das ausserste Ende des Hebel-
armes schnappt und denselben in dieser Lage festhalt. Bei blosser Bertihrung
des nadelfdrmigen Tbeiles der Stange wird der Hebel seiner Haltung befreit, und
dem Drucke einer starken Schnellfeder folgend ertheilt er der Schlossstange
einen zum Abdrlicken des Schlosses geniigenden Schlag. Durch die Stell-
schraube i wird der Stecher regulirt, indem man das mehr oder weniger
Feuerwaffen (Gewehrschafte). 453
weite Uebergreifen der Stange hiemit bestimmen kann. Wesentlich verbessert
und vereinfacht wurde der Stecher in dem sogenannten Riickstecher oder
franz. Stecher, bei welchem es mbglich ist, auch auf gewbhnliche Art
loszudriicken.
Nachdem der Laufverschluss, Schloss und Abzugsvorrichtung fertig und
aneinander gehbrig angepasst sind, wird das Gewehr geschaftet. Die Laien sind
gewohnlich der Meinung, die Aufgabe des Gewehrschaftes sei, nur die einzelnen
Bestandtheile beisammen zu halten, und dem Schiitzen als Griff zu dienen. Allein
der Schaft spielt bei der Waffe eine viel wichtigere Rolle. Indem der Schiitze
das Gewehr in Anschlag niramt (das Gewehr zum Schusse bereit zur Wange
anlegt), will er die ganze Waffe schon in gehoriger Linie vom Auge zum Ziele
wissen. Es ist also nicht gleichgiltig, wenn der Schaft zu lang oder zu kurz, zu
krumm oder gerade verfertigt ist. Ein langarmiger magerer Schiitze will einen
lang en, ein kurzarmiger dicker einen kurzen Anschlag am Gewehr haben.
Ebenfalls bedarf ein langer Hals einen mehr, ein kurzer dicker Hals dagegen einen
weniger krummen Schaft. Es ist also kein Wunder, dass die Biichsenmacher
wahrend der Mode, hohe steife Halskragen zu tragen, auch diese in Betracht
nehmen mussten. Fig. 1619 zeigt dem Leser in verjiingter Zeichnung die
Fig. 1619.
Gewehr-Schaft.
gewbhnlichste (mittelmassige) Form eines Gewehrschaftes. Die an dieser
Figur sichtbaren punktirten Linien deuten die Art des Abmessens an, die Buch-
staben die wiehtigsten Theile des Schaftes und des K o 1 b e n s , wie man den
plumperen Hintertheil des Schaftes bezeichnet.
Die Lange eines mittelmassigen Schaftes ist vom hinteren Rohrende a zum
hinteren Schaftende b gemessen 41 %cm, vom Abdruckziingel c zur Mitte des hinteren
Schaftendes d 35cm. Die Kriimme des Schaftes wird derart gemessen, dass man
ein gerades Lineal L L an den Lauf legt, und sodann seinen Abstand vom Schaft-
kolben bei der Nase e und am Kolbenende b genau abmisst. Dieser Abstand be-
tragt bei mittlerer Schaftkriimme bei e 3cm und bei b 6cm. Im Schafthalse ist
der ganze Schlossmechanismus und das hintere Laufende oder bei Riickladern das
Verschlussgehause (resp. Bascul) genau eingelassen und durch Schrauben befe-
stigt. Das hintere Ende des Kolbens wird mit einer Eisenkappe versehen.
Bei den sogenannten deutschen Schaft en macht man gewohnlich eine
zum Anlegen der Wange bestimmte Erhohung Backenanlage, welche in
unserer Zeichnung mit g bezeichnet ist, und die um so voller sein muss, je
magerer das Gesicht des Bestellers ist. Ausserdem haben die deutschen Schafte
noch einen Horngriff oder Hornbiigel h, der das feste Anhalten der Waffe
beim Schusse erleichtert. Englische Schafte haben weder Backe noch
Griff und werden vom Schafter ganz glatt ohne jeden Vorsprung abgerundet.
Nach dem Einschaften werden Verschluss- und Schlossmechanismus nochmals
regulirt und auch die Rohrseele ihrer Bestimmung gemass schliesslich bearbeitet.
Schrotlaufe werden nochmals gefrischt oder mit Blei geschmirgelt, und zwar
so, dass die Rohrseele bei der Pulverkammer um ein Minimum erweitert wird,
454 Feuerwaffen (Vollendungsarbeiten).
wodurch der Waffe bedeutendei*e Treff- und Tragfahigkeit ertheilt wird. Die
Kugelrohre werden dagegen mit Drall versehen. Der Drall besteht aus einer
gewissen Anzahl rinnenfdrmiger, in einer ganz schwach gewundenen Schraubenlinie
fortlaufenden Ziige, deren Zweck darin besteht, der Kugel eine drehende Bewe-
gung urn ihre eigene Achse zu ertheilen, wodurch eine etwa unrichtige Lage
ihres Schwerpunktes ansgeglichen und das Zusammenfallen der Kugelbahn mit
der Achse des Laufes gesichert, audi eine vollstandigere Ausniitzung der Pulver-
kraft erzielt wild.
Das Ziehen der Laufe geschieht durch eine ebenso einfache wie sinn-
reiche Voirichtung, die Zugbank. Auf dieser wird der zu ziehende Lauf
horizontal befestigt, wahrend ein anderer, bereits mit Ziigen (Drall) versehener
Lauf (das Leitrohr) in geringer Entfernung von ihm so angebracht ist, dass
die Achsen beider Laufe genau zusamme: fallen. In dem gezogenen Lauf ist ein
genau passender Bleikolben (durch Eingiessen von Blei in ihn gebildet) beweglich,
durch dessen Mitte eine mit dem Kolben fest verbundene Stange hindurchgeht. Es
ist einleuchtend, dass diese Stange beim Vor- und Zuriickziehen durch den an ihr
festsitzenden Kolben, der sich in den spiralformig gewundenen Ziigen des Leit-
rohres fortschiebt, eine entsprechende Drehung erfahrt. Das vordere Ende der
Stange nun ist mit einem holzernen Kolben versehen, welcher zwei oder drei
wenig vorspringende feilenartig gehauene Schneideisen enthalt, und in den zu
ziehenden Lauf gebracht wird. Diese Eisen folgen natiirlich ganz genau der
Bewegung des Bleikolbens und arbeiten somit genau iibereinstimmende Ziige in
dem Laufe aus. Ist ein solcher Zug bis zu der erforderlichen Tiefe fertig, so wird das
Leitrohr mittelst einer getheilten Scheibe um einen, je nach der Anzahl der
Ziige zu bestimmenden Winkel gedreht, wieder befestigt, und mit der Arbeit
fortgefahren, bis sammtliche Ziige in genau gleichen Abstanden von einander
vollendet sind. Die Ziige miissen vollkommen parallel neben einander fortlaufen,
und nicht tiefer sein, als gerade noting ist, um der Kugel die bezweckte rotirende
Bewegung zu ertheilen. Ist das Rohrziehen zu Ende, so wird die Rohrseele
mittelst Blei und Schmirgel polirt und zugleich am Pulversacke derselben wenig
grosserer Durchmesser ertheilt und sodann das Gewehr auf die gehorige Distanz
e i n g e s c h o s s e n.
Nachher werden die kleineren Bestandtheile gehartet, indem man selbe
in blechernen Kasten mit Lederkohle bedeckt, bis zur Rothgluth dem Holz-
kolilenfeuer aussetzt, und sodann in stillstehendem kalten Flusswasser abkiihlt.
(S. Einsetzen III pag. 43.) Die so bebandelten Eisentheile, blank geschliffen und
anlaufen gelassen, erscheinen in den scbonsten Farben, welche (Einsatzfarben)
um so dauerhafter sind, je barter die Oberflache der Bestandtheile. Durch
Abwaschen mit Salzsaure werden die Eisentheile der Farbung (Moire) beraubt,
und erscheinen gleichmassig grau.
Die von aussen sichtbaren Bestandtheile der Luxuswaffen werden
gewobnlich vor dem Verstahlen an der Aussenseite gravirt, kiinstlich ciselirt
oder mit Gold und Silber ausgelegt. Dies gilt auch von dem Lauf, der aber nie
gehartet werden darf. Die Draht- und Daniastlaufe werden entweder durch
atzende Sauren gebeizt (wodurch die weicberen Eisentheile tiefer ausgeatzt,
dunkel, die harteren dagegen der Saure widerstehend nur wenig beriihrt, fast
in ihrer urspriinglichen Farbe erbaben erscheinen) oder sie werden gleieh den
Eisen- und Gussstahllaufen briinirt.
Die Br Sun e zum Briiniren der Rohre ist verscbieden, und hat beinahe nicht
nur jeder griissere Biichsenmacher, sondern oft einzelne Arbeiter derselben eigene
Recepte, und halt jeder sein eigenes fur das beste. Die Laufbraune ist um so
besser, je festere und diinklere Farbenkruste sie am Laufe bilden kann, ohne
jedoch die Stahltheile des Damastes unsichtbar zu machen. (S. Braunen I pag. 737.)
Bei Verfertignng von Pi stolen wird ganz ahnlich vorgegangen.
Die Hauptaufgabe der Sehusswaffen im Allgemeinen ist die moglichst grosste
Tragweite und Treff sicherheit. Jedenfalls kommt bier neben entspre-
Feuerwaffen (Kugelformen).
455
chender praciser Bearbeitung der Rohrseele und der von dem bestimmten
Pulverquantum abhangigen Rohrlange auch gutes Schiesspulver und namentlich
die Form der Kugel in Betracht. Am besten bewahren sich mit Einschnitten
versehene Spitzkugeln. Es wurde schon vor Langem eingesehen, dass die Schuss-
erfolge um so besser sind, je strenger das Geschoss die Rohrseele ausfiillt, und
sind deshalb bei den Vorderladern alle moglichen Vorrichtungen getroffen worden,
um auch bei leichter Einbringung der Kugel in den Lauf die genaue Ausfiillung
derselben zu ermoglichen.
Eine diesbeziiglich wesentliche Verbesserung der Kugelbiichsen geschah
durch den franzosischen Artilleriecapitan Delvigne, welcher zur Aufhahme der
Pulverladung der Waffe eine verengte Kammer gab, bis zu deren Rand
das Geschoss im Laufe nur hinabgleiten konnte. Das Geschoss (von, der Rohr-
seele entsprechendem Durchmesser) wurde mittelst eines Ladstockes, dessen
Knopf mit einer der Kugelspitze entsprechenden Aushohlung versehen war, so
auf den Kammerrand aufgesetzt, dass es, durch diesen gestaucht, sich in die
Ziige des Laufes einpresste.
Der franz. Art.-Oberst Thouvenin versah die Pulverkammer mit einem
stahlernen, oben zugespitzten D o r n e, der iiber die Pulverladung herausstehend die
an ihn angestossene Kugel derart erweiterte, dass die Rohrseele ganzlich ausgefullt
war. Solche Gewehre nannte man Dorn- oder Stiftbtichsen. Bei Anwendung
eines 3 l/g Loth (55? ) schweren Geschosses miteiner Pulverladung von 7/24 Loth (5*1* )
erreichte man bei diesen Gewehren eine bis auf 1000 Schritt gesteigerte Trag-
weite und eine TrefFsicherheit, die auf die Entfernung von 800 Schritt der einer
gewohnlichen Biichse auf 300 Schritt gleich kam, wobei noch die Leichtigkeit
des Ladens ein wesentlicher Gewinn ist. Durch hinreichende Versuche ist man
auch zu der Ueberzeugung gekommen, dass es sehr vortheilhaft ist, die Geschosse
mit einem in Talg getrankten Leinwandpfl aster zu umwickeln.
Mit Rucksicht darauf, dass die Dornbiichsen namentlich beim Militftrgebrauch
im Felde sehr schwer zu reinigen sind, construirte im Jahre 1849 der Capitan
M i n i e ein cylindrisches Geschoss, welches vorne abgerundet, hinten mit einer
conischen Hohlung versehen war. In dieser Hohlung wurde ein eiserner Treib-
spiegel eingesteckt, welcher, durch den Pulverdruck in die Hohlung tiefer
eindringend, die Kugel in ihrem Umfang geniigend ausbreitete, damit sie die.
Ziige des Rohres ausfiillen kann. Nebige Fig. 1620 zeigt den Durchschnitt einer
solchen Kugel.
Diese Kugeln vereinfachte der Belgier j?iq. 1620.
Timmerhans, indem er das eiserne Culot
(Treibspiegel) beseitigte, die Wande der Hoh-
lung schwacher machte, hingegen in der Mitte
derselben einen massiven Kern beliess, der
das Gleichgewicht der Kugel untersttitzte.
Diese in Fig. 1621 abgebildete Kugel war
zugleich mit der des Minie das Muster fur
die spateren Versuche der expansiven Ge-
schosse.
Am vortheilhaftesten bewahrte sich fur den Schusserfolg die Kammer-
ladung, die es moglich machte, ein Geschoss von grosserem Durchmesser als
die Rohrmundung in die weiter gebobrte Kammer einzufiihren und ausserdem auch
das Laden weniger zeitraubend machte.
Obwohl schon seit den ersten Jahren der Beniitzung von Feuerwaffen wieder-
holt Versuche gemacht wurden, die kleinen wie grossen Geschutze von hinten zu
laden, ist es doch erst dem 19. Jahrhunderte gelungen, diese so wichtige Frage
eigentlich zu losen. Den Alten mangelte es erstens an den sehr nothwendigen
Patronenhiilsen, so dass das Pulver nur lose in den Lauf geschuttet werden
musste, wodurch auch der beste Verschluss als unvollstandig erschien. Ferner
war es schwer, ein noch so solid gebautes, von hinten geladenes Gewehr mittelst
456 Feuerwaffen (Hinterlader oder Kammerladungs-Gew.).
eines Lunt-, Rad- oder Steinschlosses zu feuern. Die Erfindung der durch blossen
Schlag oder Stich ziindbaren Stoffe bat erst zur Lbsung dieser wichtigen Aufgabe
gefiihrt.
Der erste Hinterlader unserer Periode war der im Jahre 1809 von P a u 1 y
in Paris construirte. Bald nachher erschienen ebenfalls in Frankreich die franz.
Wallbiicbse und die Riickladesysteme Robert imd Lefauckeux; ausser
diesen, das sogenannte Kammerladungsgewehr der norwegiscben Infanterie
nach Herzberger's Muster, und endlich das neuere Ziindnadelgewehr von
Dreyse in Sommerda, welches eine grosse Reform in der gesammten Waffen-
industrie hervorrief.
Das Charakteristische der Kammerladungsgewehre besteht iiberhaupt in
Folgendem: Um die Ladung von hinten in den Lauf zu bringen, muss dieser
leicht und scbnell geoffnet werden konnen. Verschliessung desselben durch eine
Schwanzschraube ist also unzulassig. Die Oeffnung des Pulversackes kann auf
dreierlei Art geschehen; entweder am oberen Theile, wie es bei der Amusette
des Marschalls von Sachsen und bei dem Montalembert'schen Gewehre
statt gefunden; oder an seinem vorderen Ende, wie bei der franz. Wall biichse
(1831) oder schliesslich an seinern hinteren Ende, nach welcher Methode die
Systeme Pauly, Robert, Lefaucheux, Dreyse und sammtliche heute
gebrauchlichen Hinterlader construirt sind. Die Bohrung des Pulversackes^ hier
Kammer genannt, ist etwas weiter als jene des Laufes, der sich noch gegen
die Mundung zu unbedeutend verengt. Dieser Umstand gewahrt bei den Feuer-
waffen der Cavallerie einen Vortheil dadurch, dass bei dem geladenen und mit
der Mundung niederwarts hangenden Karabiner, selbst bei den scharfsten Gang-
arten des Pferdes, dem Vorgleiten und dadurch auch dem Versagen der Ladung
vorgebeugt wird. Ueberhaupt ist es wegen der leichten Einbringung der Kugel
von riickwarts und wegen ihres nach Entzlindung des Pulvers folgenden Ein-
drangens in den engeren Vordertheil des Laufes mbglicb, aus den Gewehren ein
dicht anliegendes Geschoss zu schiessen, ohne ein Pflaster anwenden zu miissen.
Hiedurch wird jedenfalls die Friction des Geschosses in der Rohrseele bedeutend
gesteigert, so dass solche Geschosse auf die grosste Distanz noch mit bewunderns-
werther Treffsicherheit das Ziel erreichen. Der unbequeme Gebrauch des Lad-
stockes fallt ganzlich weg, wodurch beim Laden Zeit erspart (die Geschwindigkeit
des Feuerns vervielfacht) wird und die Lange des Laufes nicht mehr von der
Grosse des Mannes abhangig ist, sondern nach der Ladung gerichtet werden
kann.
Nach verschiedenen Versuchen, namentlich nach den mit dem norwegischen
Kammerladungsgewehre, ergaben sich folgende Bedingungen als nothwendig zur
Erreichung eines moglichst guten Schusses: Die Ziige im Laufe mit abge-
f 1 a c h t e n (gebrochenen) Kanten zu versehen und nicht tief zu machen, damit
sich das Geschoss leicht nach dem Laufe formt; dem Pulversacke oder Patro-
nenlager keine grbssere Bohrung zu geben, als gerade der Geschossdurch-
messer, resp. der der Patronenhtilse erfordert, und schliesslich das an den Pulver-
sack sich anschliessende Laufende sehr schlank trichterartig zu erweitern, damit
der Uebergang der Kugel aus der weiteren Bohrung in die engere nicht zu
plotzlich stattfinde. Die leichte Einbringung der Ladung von riickwarts gestattet
ohne Schwierigkeit jede Gattung von Geschossen anzuwenden.
Die ferneren Vortheile der Riicklader bestehen darin, dass sie in jeder
bewegten oder behiiiderten Stellung leicht und schnell geladen werden konnen;*)
dass sich ferner die Geschwindigkeit des Feuerns bedeutend vergrossert, und
*) Dass das Laden daher erfolgen kann sowohl bei der geschlossenm Gliederung der
Infanterie, als auch von dem im Laufen begriffenen, amBoden liegenden oder knienden
Srhiitzen, ferner bei der dem Reiter so la<tigen Unruhe seines Pferdes und bei der
unbequemen Handhabung der Wallbuchsen in den beschrankten Raumlichkeiten crene-
lirter Mauern.
Feuerwaffen (Ziindnadelgewehr).
457
endlich das Entladen und Reinigen viel leichter als bei Vorderladern zu bewerk-
stelligen ist.
Eine ganz eigenthiimliche Hinterladeconstruction war das p reussiscbe
Ziindnadelgewehr, welches der Gewehr- und Zundhutchenfabrikant Dreyse
in Sommerda 1836 durch Umarbeitung seines im Jahre 1827 patentirten
Vorderladers mit Ziindnaclel und Spiral fe der herstellte.
Fig. 1622 stellt
die a u s s e r e A n-
s i c h t des zum
Laden geoffneten
Ziindnadelhin-
terladers, Fig.
1623 den Durch-
schnittdesschon
geladenen vor.
Der Verschluss
und Schlossmecha-
nismus besteht bei
diesem System e
aus drei in einan-
der geschobenen
Cylindern und zwar
der S c h w a n z-
htilse a, die an
den Lauf ange-
schraubt ist, und
inwelcherderVer-
schlusscylin-
der b mit der
K u r b e 1 c in zwei
Richtungen beweg-
lich ist. Dieser Cy-
linder enthalt den
Schloss cylin-
der dmit derSpi-
ralfeder und
dem Nadelbol-
z en.
Will man das ab-
gefeuerte Gewehr
laden, so wird vor-
erst der stark vor-
stehende Ansatz
der Sperrfeder
f niedergedriickt
und der Schloss-
cylinder d soweit herausgezogen, dass der Abzugstollen g iiber den Kr a gen
des Nadelbolzens iiberschnappen kann. Nun wird der Verschlusscylinder mit-
telst seiner Kurbei c zur linken Seite gedreht und zuriickgezogcn, so dass
zwischen dem Cylinder und dem Laufe ein geniigend weiter Raum zum bequemen
Einschieben der Patrone entsteht. Nach dem Einstecken der Patrone in die
Kammer wird der Verschlusscylinder wieder zugeschoben und rechts
gedreht. In diesem Zustande kann das Gewehr beliebig lange belassen werden.
ohne dass man besorgt sein miisste, es konnte vielleicht ein tJngluck durch
zufallig erfolgte Entladung vorkommen. Erst wenn man schiessen will, wird der
Schlosscylinder wieder eingedriickt, wo er durch das Eingreifen der Sperrfeder /
458
Feuerwaffen (Hinterlader).
festgehalten wird. Dadurch wird erst das Schloss gespannt, indem der Nadel-
bolzen, durch den Abzugstollen gehalten, nicht mit dem Cylinder zugleich vor-
geschoben werden kann. und so die Spiralfeder gepresst wird. Durch einfachen
Brack auf den Abzug wird der Nadelbolzen seiner Haltung befreit, und, dem
Triebe der Spiralfeder folgend, dringt er durch die ganze Pulverladung, um die
Z ii n d p i 1 1 e zu erreichen.
Das Drey sesy stem war das erste, bei welchem die Einheitspatrone
eingefiihrt wurde, d. h. eine Patrone, die Ziindstoff, Pulver und Geschoss enthalt,
so dass alles zum Schusse Nothige auf einmal in den Lauf eingebracht wer-
den kann.
Auch ist es das einzige Originalsystem, welches Kugeln von kleinerem
Caliber als die Rohrseele schoss, und dessen Pulverladung von vorne und nicht
von hinten entztindet wurde. Fig. 1623 zeigt zugleich den Durchschnitt einer
Zlindnadelpatrone. Die Kugel, hier L a n g b 1 e i oder E i c h e 1 benannt,
sitzt in einem dem Rohrcaliber entsprechenden Treibspiegel von gepresstem
Papier, an dessen von der Kugel abgewendeter Flache die Ziindpille (in der
Zeichnung schwarz) in der Mitte angebracht ist. Um diese Pille erreichen
und durch ihren Stich ziinden zu konnen, muss die Nadel die ganze Pulverladung
durchdringen. Kugel, Propfen mit Ziindpille und die entsprechende Pulverladung
sind mit Papier umgewickelt. Der Treibspiegel hat hier die Aufgabe, die Ziind-
pille in dem Centrum zu halten und beim Abfeuern der Kugel genligende
Fiih rung zu ertheilen. Nachdem er die Rohrmiindung verlassen fa'llt er zur Erde.
Dreyse's Gewehr wurde, wie alles Gute, durch verschiedene unbedeutende
Umanderungen hier verbessert, dort verschlechtert. Von den Verbesserungen sind
vortheilhaft zu nennen die Ziindnadelgewehre : Doersch & Baumgartner
(Braunschweig 1861) und Chassepot (Frankreich 1866), ferner die Systeme
Terry 1860, Carle & Sohn 1867 (Russland), van der Popenburg 1860,
Spangenberg & Sauer 1860 und Carcano 1868 (Italien).
Ausser diesen diente die Dreyse'sche Construction und Verschluss- (Ob-
turations) Idee einer grossen Mehrzahl verschiedener Hinterlader zum Muster.
Nach der Einfiihrung von M e t a 1 1 p a t r o n e n h ii 1 s e n beniitzten vom
Dreyse'schen wenig abweichende Verschlusscylinder: Hiigel 1866, Norris
1868, Vetterli 1870, Berdan II. 1871, Beaumont 1871 und Briider
Mauser 1871, welches letztere System bestimmt ist, in der deutschen Armee
die siegreichen alten Ziindnadeln zu ersetzen.
Einige dieser Systeme
gestatten es, in 4 Be-
wegungen schiessen
zu konnen, und zwar:
1. Oeffnen des Ver-
schlusses, wodurch zu-
gleich das Schloss ge-
spannt wird. 2. Einle-
g e n neuer Patrone.
3. Schliessung. 4.
F e u e r n. Besonders sind
ihrer Construction und
Leistungsfahigkeit wegen
die Systeme Vetterli
und Mauser hervorzu-
heben.
Eine andere Obtura-
tionsvorrichtung ist der
Blockverschluss,
der bei manchen im Scharnier sich neigend, bei anderen wieder anders angebracht ist.
Als Beispiel dicnen hier die vorztiglichen Systeme M a r t i n i 1871 und Comblain
Fig. 1624.
Martini-Gewehr.
Feuerwaffen (Hinterlader).
459
1870, deren ersteres unter dem Namen Martini - Henry in England, das
andere in der garde civique in Belgien eingefuhrt wurde. Fig. 1624 zeigt den
Durchschnitt des Martini-, Fig. 1625 des Combl ain-Gewehres. Der Ver-
schlussblock B des Martinigewehrs neigt sich beim Herabziehen des He be Is
A, weil er an der Schraube b beweglich ist ; der Block halt ein Spirals ch loss
in der Mitte. Der Verscblussblock des anderen Gewehres wird ebenfalls durch
Herabziehen des Hebels gesenkt, indem er an dem Hebel durch die Schraube a
befestigt und in der breiten Oeffnung Em verticaler Richtung beweglich ist.
Hiebei wird der Hahn C durch den Ansatz c des Hebels gespannt. Die punktirten
Linien der Abbildung zeigen deutlich die innere Schlosseinrichtung.
Die Oeffnung und gleich-
zeitige Spannung des Schlosses ge- ^l9' 1^25.
schieht also bei beiden Systemen
durch dieselbe Handbewegung, und
die abgeschossenen Hiilsen werden
durch die Extractors f selbst-
thatig ausgeworfen. Nach dem Ein-
bringen derneuen Patrone wird die
Kammer durch Anziehen des
Hebels A eingeschlossen.
Ebenfalls wie Martini sei-
nen Verschlussblock und Hebel dem
amerikanischen Systeme P e a b o d y
entwendete und nur mit neuer Spiral-
schloss-Vorrichtung versah, ahmte
audi Comb lain den Verschluss
des Amerikaners Sharps nach,
und ersetzte das alte Percussions-
schloss dui-ch ein einfacheres, in der
Mitte des Blocks angebrachtes
Schlosschen, wodurch er das Ganze
fiir Metallhiilsen anwendbar machte.
Aber auch dem Amerikaner Sharps
gehort nicht die Ehre der ersten
Anwendung dieser Verschlussart, da noch alte Kammerlader vom Ende des 16.
Jahrhun dertes mit eben demselben Verschlussmechanismus vorhanden sind.
Peabody's Blockverschluss mit Charnier wurde 1872 wesentlich verein-
facht in der vom Fabrikanten Stahl in Suhl construirten Biichse. Dagegen
y
Comblain-Gewehr.
Fig. 1626.
Kemiugtou-Geweiu1.
erscheint der ganze Mechanismus ziemlich complicirt im bairischen, ohne jegliche
Werkzeuge zerlegbaren Werdergewehr e (1869). Ausser diesen fiihren
460
Feuerwaffen (Hinterlader).
wir als wichtigere Blocksysteme an: Starr 1858, Cochrans 1866 und
Schmidt 1873.
Von den iibrigen verschiedenartigsten Verschlussarten, die grosstentheils
mit gewohnlichen Percussionsschlossern versehen sind, konnen wir
leider keine langen Beschreibungen vorlegen, und halten wir fur geniigend, das
interessante amerik. Doppelhahn system Remington (1864) Fig. 1626 und das
in der osterreichischen Armee eingefiibrte Worndelgewehr (1868) Fig. 1627 zur
Ansicht zu bringen.
Der vordere Habn a des Remington gewebres bildet den Verschluss,
und kann niebt eher von seiner Lage geboben werden, als bis der zweite eigentlicbe
Schlaghahn b vollig gespannt ist. Ebenfalls kann der Habn b nicht losgedriickt
werden, wenn der Verschlusshahn nicht an dem Laufe genau anliegt.
Fig. 1627.
Worndel-Gewehr.
1b' 28.
1629.
Das osterreichische W o r n d 1 - Gewehr ist mit einem gewohnlichen Percussions-
Riickschlosse versehen ; den Rohrverschluss bildet hier eine von einer Seite loffel-
artig ausgehohlte Walze a von fast doppel-
tem Laufdurchmesser , die in dem Ver-
schlussgehause h um ihre Achse drehbar
und mit dem Griff g versehen ist. Der Schuss
erfolgt durch Anschlagen des Hahnes an einen
in der Walze eingebohrten, beweglichen Ziind-
stift. —
Fiir die Jagd werden meistens nur Doppet-
waffen nach den Systemen Lefaucheux und
Lancaster, freilich mit sehr verschiedenen
Abanderungen erzeugt. Der Unterschied beider
Systeme ist hier eigentlich nur in den verwend-
baren Patronenhiilsen zu suchen. Die Ziind-
capsel der Lefaucheuxpatrone (Fig. 1628)
wird beim Anschlagen des Hahnes auf den
Stift b durch diesen geziindet; bei der Lan-
caster patrone (Fig. 1629) ziindet dagegen das im Centrum des Hlilsenbodens
sitzende Ziindhiitchen durch unmittelbaren Anstoss des im Verschlussbascul des
Gewebres beweglichen Ztindstiftes. (Siehe Fig. 1613.) Ausser diesen findet auch
das Z ti n d n a d e 1 d o p p e 1 s y s t e m nach Teschner (Frankfurt a. 0.) Beifall,
welches ausser der Ziindung nichts anderes mit dem Dreyse'schen Original
gemeinschaftlich hat, und wird auch diese Ziindart sehr oft mit der nach Lan-
caster verwechselt.
Besonderer Erwahnung werth sind die sogenaunten Repetirgewehre,
die theils im Schafte oder ofters unterhalb dem Laufe mit einer langen Rohre
zum Einnehmen der Patronen versehen sind, welche Patronen sodann nach jedem
Schusse durch besonderen Mechanismus einzeln zum Laufe geboben und in das
Feuerwaffen (Repetirgewehre).
461
Patronenlager eingeschoben werden ; daher kann man mit solchen einlaufigen
Gewehren, wenn sie einmal gefiillt sind, 9 — 12 bis 15mal nach einander feuern.
Wir liefern nebenbei
Fig. 1630.
Spencer's Repetier-Gewehr.
nur die Abbildungen
zweier R e p e t i r- oder
Magazingewehre,
und zwar zeigt Fig. 1630
das mit einem Percus-
sionsschloss u. zweithei-
ligem Blockverschluss
versehene Spencers y-
stem; (Boston Amer.
1860.) Das Schloss muss
auf gewohnliche Art ge-
spannt werden; die ab-
geschossene Hiilse wird
mit einer neuen Patrone
durch einfaches Ab- und
Anziehen desunterenHe-
bels ersetzt.
Die Function der einzel-
nen Constructionstheile
ist aus der Abbildung
leicht ersichtlich, indem
dieselbe den Durchschnitt
des Gewehres in der
Stellung zeigt, als eben
die abgeschossene Hiilse durch den (hier weiss markirten) am Verschlussblock
befestigten Extractor aus dem Laufe beseitigt wurde, um der nachstfolgenden ge-
ladenen Patrone des Magazins Platz zu machen. Letztere wird bei der ruckwar-
tigen Bewegung des Verschlussblockes durch die hier leicht bemerkbare Kante
desselben am Rande erfasst, und sodann dem Patronenlager zugeschoben.
Das Henrygewehr
Fig. 1631, (Newhaven, Fig. 1631.
Conecticut, Amer. 1854)
ist einfacher beziiglich der
Handhabungjedoch com-
plizirter in der Construc-
tion.
Durch eine einfache
Bewegung des Biigel-
h e b e 1 s wird vor allem
die starke Verschluss-
stange vom Laufe zu-
riickgezogen, wodurch
auch der, an dem hin-
terem Ende der Stange
anliegende Hahn in Bewegung gesetzt und gespannt wird. Zugleich wird auch die
abgeschossene Hiilse aus dem Laufe gezogen, indem sie durch die, an der Stange
befestigten Krallen erfasst, die Bewegung mitmachen muss. Im selben Momente,
als die abgeschossene Hiilse den Lauf verlassen hat, hebt sich ein eigens con-
struirter Theil, der die nachste Patrone aus der hier unter dem Laufe ange-
brachten Magazinsrohre genommen, so dass die alte Hiilse iiber den Rand des
Gehauses, die der Magazinsrohre entnommene neue Patrone dagegen in gleiche
Linie mit der Rohrseele gehoben wird. Bei der Riickbewegung des Hebels wird
wieder zuerst die Verschlussstange dem Laufe zugeschoben, hiedurch also auch
Henry-Gewehr.
462
Feuerwaffen (Revolver).
die neue Patrone in die Rohrkammer gedriickt, und schliesslick auch der Theil
zum Einnehmen einer dritten Vorrathspatrone zur weiteren Repetirung herabge-
zogen. Alles dies geschieht durch einfaches Ab- und Andrticken des Biigelhebels
— im Zeitraume von kaum einer Secunde.
Das System des Tyler Henry wurde durch Winchester verbessert,
indem das Fullen der Magazinrohre vereinfacht wurde und diente so als Weg-
weiser zu den beiden Vetterli'schen Repetirsystemen (Schweiz 1867 — 1874),
so wie auch zu den des Ball (Windsor 1863), Gamma & Infanger (Altorf
1868), A. Thury (Bern 1874) und And.
Im Jahre 1872 construirte auch der Wiener Waffenfabrikant Fruhwirth
ein vorztigliches Magazingewehr, welches in der osterr. Gensdarmerie eingefiihrt
wurde. Was die Einfachheit der Construction anbelangt, geziemt dem Herrn
Thury (1874) unbedingt der erste Platz.
Die Repetirgewehre sind jedenfalls das Vorziiglichste, was die Waffentechnik
des neunzehnten Jahrhundertes dem Kriegswesen, sowie auch den passionirten
Schiitzen bieten kann. Obwohl die ersten Repetirgewehre von Amerika zu uns
kamen, ist doch der Ursprung derselben in unserem Continent zu suchen, da
bereits vor mehr als 2 Jahrhunderten in Europa Versuche mit Repetition gemacht
wurden, und wir konnen nicht umhin zu bemerken, dass auch D r e y s e in den
ersten Decennien seiner Thatigkeit sich mit dieser Idee befasste. Da er jedoch
einsah, eher mit dem Ziindnadelgewehre den Zweck erreichen zu konnen, gab er
den Gedanken auf und erst sein Sohn hat die Idee wieder erfasst.
Es ist ganz natiirlich, dass wahrend der Vervollkommnung der langen
Handfeuerwatfen auch die kurzen Pistol en und Terzerole entsprechend ver-
bessert wurden. Das Bedeutendste was hier geleistet wurde, ist der Revolver
oder die Drehpistole. Wie alle wichtigen Erfindungen dieses Faches ist
auch diese vor langer Zeit versucht worden. Hofantiquar Pickert in Niirnberg
hat in seiner Sammlung einen Drehling, dessen Cylinder, Lauf und Schaftstellung
denen des heutigen Revolvers sehr ahnlich sind. Diese Watfe ist mit Luntschloss
versehen und wurde in Niirnberg in den Jahren 1480 — 1500 verfertigt. Ausserdem
existiren noch mehrere alte Drehlinge.
Die erste nachhaltige Erfin-
dung im Gebiete der Dreh-
linge war die S a m u e 1 C o 1 t's,
der sein erstes Modell bereits
als 15jahriger Schiffsknabe
1828 aus Holz schnitzte. C o 1 t's
Revolver besteht (Fig. 1632J
aus einem hinter dem Laufe I
um seine Achse drehbaren Cy-
linder A mit mehreren zum
Aufhehmen der Ladung be-
stimmten B o h r u n g e n, die
auf der, dem Laufe entge-
gengesetzten Seite mit Pistons
versehen sind. Beim Schiessen steht immer die eine Bohrung in gerader Linie
mit der Rohrseele, so dass die geschossene Kugel aus der Walze in den
Lauf gedrangt wird, um hier die bestimmte Richtung zu erhalten. Beim Hahn-
spannen wird immer die nachstfolgende Bohrung dem Laufe zugedreht<
Ein anderer Drehling war der von Mariette (1842), der die Ladewalze oder den
Cylinder nicht vom Laufe separirte; sein Revolver besteht eigentiich aus 4 und
noch mehr (bis 18) Laufen entsprechender Lange, die ebenfalls hinten mit Pistons
versehen sind. Der Hahn wird gespannt und die Laufe der Reihe nach mittelst
starken Drucks an den ringformigen Abzug nach oben gedreht. Mit
Feuerwaffen (Geschiitze). — Feuerwerkerei. 463
der Einflihrung der Riickladung haben auch die Drehlinge viele Verbesserungen
erfahren.
Der beste und noch heute beliebteste Revolver ist der Lefaucheux's
(Sohn) 1853, der die drehbare Walze von Colt mit der iialmspannung mittelst
Abzng von Mariette verbindet; es ist hier die sogenannte doppelte Bewe-
gung (durch Halm und Abzug) vorhanden. Die Patronen sind den Lefaucheux-
Jagdpatronen ahnlich.
Nach Einfiihrung der Centralz tin dung nach Lancaster sind abermals
neue Revolversysteme aufgetaucht. Von den heute bekannten Drehsystemen nennen
wir ausser den oben angefiihrten: Gasser (Wien 1871, osterr. Armeerevolver),
der aber eine strenge Nachahmung des Lefaucheux-Revolvers und nur anf
Worndlpatronen gerichtet ist. Hauptmann Kropatschek hat den Gasser'schen
Revolver in Mass und Gewicht reducirt. Wirkliche Verbesserungen des Lefau-
cheux sind die Revolvers: Drivon & Birou (St. Etienne 1865), Spirlet
(Liittich 1869), Galand 1870, Smith & Wesson 1867— 70, Tackels 1871,
Chamelot, Delvigne & Schmidt 1873.
Bei dem allgemeinen Bestreben, alle Feuerwaffen in Riicklader zu ver-
wandeln, wurde auch der groben Geschiitze nicht vergessen. Jedenfalls war
es nicht moglich dieselben Verschlussarten wie bei Handgewehren hier in Anwen
dung zu bringen, und so entstanden meistens ausGussstahl verfertigte Kanonen-
systeme mit; Kolben verschluss (Wahrendorf), Keilvers chluss (Krei-
ner), Schraubendeckelverschluss (Whitworth), Schraubenverschluss
(Chay - Schalk), Riegelver schluss (Armstrong).
Am besten bewahren sich gegenwartig die Krupp'schen und vor Allem die
vor Kurzem in Oesterreich-Ungarn eingefiihrten Uchatius-Geschiitze, die, aus
der sogenannten Stahlbronce verfertigt, bei nicht sehr grosser Metallstarke
iiberraschende Schnssresultate bieten.
Der Lafette wurde ebenfalls grosse Sorgfalt gewidmet und sind jetzt
unzahlige Lafettensysteme fur Schiff, Land, Festungen, Gebirg etc. bekannt.
Gleich wie die von hinten zu ladenden groben Geschiitze des 15. und 16.
Jahrhundertes bei uns vervollkommnet und adoptirt wurden, sind auch die alten
Orgelgeschiitze oder Todtenorgeln des 15. Jahrhundertes in den
Mitrailleusen (auch Kugelspritzen) wieder zum Vorschein gekommen.
Die Mitrailleuse besteht aus 25 bis 36 (auch noch mehr) Laufen, ziemlich
grossen Calibers, die, mit einemmal geladen, durch Drehung einer Kurbel schnell
hinter einander abgefeuert werden, so dass nur ein kurzes donnerahnliches Krachen
vernehmbar ist. Von den bisher bekannten Mitrailleusen sind zu erwahnen
die franzosische (1867) und die in Oesterreich und Belgien adoptirte
Mitrailleuse Montigny's (1869).
Die drehbare, selbstladende Gatling-Kanone (1868) steht den
Mitrailleusen wiirdig zur Seite. Brandeis.
Literatur. Betreffend die Gewehrfabrikation vergleiche: Fur ten bach, Biich-
senmeisterei, Ulm 1627. Prechtl, techn. Encyclop. Band 6. Alison G.
Chr. der engl. Buchsenmacher, Quedlinburg Basse 1832. Bervaldo, Feuer-
und Seitengewehre, Wien, Gerold. 1829. Schmidt J., die Geheimnisse
der engl. Gewehrfabrikation, Weimar 1824. Schmidt, Beitrage zur Biich-
senmacherkunst, Weimar 1843. — Betreffend die Waffenlehre vergleiche:
C. Riistow, die Kriegshandfeuerwaffen, Berlin 1857; A. Dub, Handb. ii. d.
K. d. Gewehre etc. Wien 1852. Neue Studien iiber die gezogene Feuer-
waffe der Infanterie von W. v. Plonnies, 2.Bd., Darmstadt, 1861, 1864.
Schott, Waffenlehre 1868, Darmstadt. Ferner zahlreiche Abhandlungen in
Dingl. polyt. Journal u. a. a. 0. Vergleiche Artillerie I. pag. 203.
Feuerwerkerei (pyrotechnic — pyrotechny), Pyrotechnik. Die Ver-
wendung leicht entztindlicher, mehr oder weniger explosiver Gemenge hat seit
Erfindung des Schiesspulvers ausserordentlichen Einfluss auf die Gesammtverhalt-
464 Feuerwerkerei.
nisse des gewohnlichen Lebens, besonders aber auf die Art der Kriegfiihrung gewonnen,
und die Kenntniss der Darstellung, Verwendung und Wirkungsweise des Schiess-
pulvers bildet eine der wichtigsten Grundlagen der modernen Kriegskunst. Aber
auch zu anderen wesentlich friedlicheren Zwecken kann das Abbrennen explosiver
Miscbungen dienen, insoferne man die bei dem Abbrennen entsprechender Mischun-
gen erzielbaren Licbteffecte zur Erzengung weithin sichtbarer Flammen verwenden
und sohin fur die Zwecke des optischen Signalisirimgswesens geeignete Signal-
licliter erzeugen kann, als man auch, sei es die mit solcben Miscbungen erzielbare
Farbenpracbt der Feuer, sei es die mit Zuliilfenabme bestimmter Kunstgriffe
erreichbare Vielgestaltigkeit und Mannigfaltigkeit in den Formen der Feuererschei-
nungen zur Hervorrufung brillanter Lichteffecte oder belustigender Schauspiele
iiberbaupt verwenden kann.
Diese Art der Verwendung leicbt entziindlicher oder explosiver Miscbungen
bildet den Gegenstand der Feuerwerkerei im engeren Sinne des Wortes, das ist
der sogenannten Lustfeuerwerkerei, von der im Folgenden gebandelt
werden soil.
Die meisten und schonsten Erfindungen im Gebiete der Feuerwerkerei
verdankt man dem beriihmten Ruggieri und seinem Sohne, die in Rom, Paris
und den meisten iibrigen Hauptstadten von Europa ibre bis dahin unbekannte,
durch sie eigentlich begriindete Kunst der Ausfiibrung brillanter Feuerwerke
producirten, und deren Erfabrungen in dem 1821 zu Paris erschienenen Werke
„ Elements de pyrotechnic par Ruggieri" niedergelegt sind.
Die Hauptmaterialien zu fast alien Feuerwerksmischungen sind die Bestand-
theile des Schiesspulvers : Salpeter, Kohle und Sckwefel; ausser diesen dienen
aber nocb mancberlei Nebenruaterialien, als Feilspane von Eisen, Stahl, Kupfer,
Zink, dann Schwefelruetalle, ferner die verschiedensten Salze, meist solche, welche
die Fahigkeit haben, den Flammen bestimmte Farbungen zu ertheilen, endlicli
aucb Campher, Harze, Lycopodium etc. Schiesspulver selbst wird sehr haufig,
und zwar zum Tbeil gekornt, zum Tbeil ungekornt, als Mehlpulver, angewandt;
durch Beimiscbung bestimmter anderer Stofie erzielt man besondere Effecte. So liefern
Eisenspane, besonders wenn sie rechtlang, aber fein sind (Lyoner Faden), spruhende
rothe und weisse Funken. Feil- und Bohrspane von Stahl und Gusseisen geben
ein glanzendes, heftig spriihendes Feuer. Alle dergleichen Spane miissen, wenn
sie die verlangte Wirkung machen sollen, ganz rostfrei sein. Ein Zusatz von
Kupferspanen bedingt eine griine, von Zinkspanen eine sehr schon griinlieh blaue
Farbung des Feuers. Schwefelantimon wirkt ahnlich wie Zink, das Blau ist nocb
weniger griinlieh, das Feuer sehr stark rauchend. Bernstein und Colophonium, so auch
Kochsalz farben die Flamme rothgelb oder gelb, das letztere muss aber, um die Ver-
brennung nicht zu hindern, sehr trocken angewandt werden. Lampen- oder Kienruss,
mit Mehlpulver gemengt, erzeugt ein dunkelrothes, mit Salpeter zusammengerieben,
ein hellrothes Feuer. Man bedient sich eines solclien Satzes zum Goldregen.
Auch gelber Glimmer wird wohl zugesetzt und bewirkt recht hiibsche goldgelbe
Funken. Durch Griinspau entsteht Hellgriin, durch Eisenvitriol und Salmiak ein
lichtes Palmgriin. Campher bringt ein weisses Licht hervor, und wird auch
wohl des Geruches wegen zugesetzt. Zu demselben Zweck dienen auch Benzoe
und Storax. Durch Zusatz von Lycopodium entsteht eine schon rosenrothe
Flamme.
Man kann die verschiedenen Feuerwerkskorper in 3 Hauptclassen eintheilen :
1. in solche, die ibre Wirkung auf der Erde zu machen bestimmt sind, 2. solche,
die in hoheren Luftschichten abbrennen sollen, und 3. solche, die auf dem Wasser
abgebrannt werden sollen.
Fast alle Feuerwerkskorper bestehen aus einer papiernen oder pappenen
Hiilse von bestimmter Form, in welche die geeignete brennbare Mischung (der
Feuerwerkssatz) eingefiillt ist. Die Hiilsen werden auf einem cylindrischen Stabe
von angemessenem Durchmesser aus starkera Papier oder diinner Pappe, in
mehreren Windungen iibereinander geleimt, angefertigt. Nicht selten wird das
Feuerwerkerei (Feststehende Feuerwerkskorper). 465
zur Verfertigung solcher Hiilsen dienende Papier vorher mit einer Alaunlbsung
getrankt, urn es vor dem Anbrennen zu schiitzen. Das eine Ende wird in der
Regel dadnrch fest verschlossen, dass man es mittelst eines umgewundenen starken
Bindfadens, auch wohl mittelst einer besonderen Vorriclitung stark zusammen-
schniirt (wiirgt) und in die etwa noch vorhandene kleine Oeffnung einen papiernen
oder tkbnernen Propf eintreibt. Bei Stiicken, wo sich nach dem Ausbrennen des
Satzes die Entziindung auf einen anderen Theil fortpflanzen soil, lasst man den
kleinen Pfropf weg, und verbindet das hintere Ende der einen Hulse mit dem
vorderen der anderen durch eine Ziindschnw oder eine Brandrbhre. Auch die
vorderen Enden werden nach dem Einfiillen des Satzes gewohnlich zugewtirgt
und die so entstehende bedeutende Verengung nothigt den Feuerstrahl mit
grosser Heftigkeit hervorzuspriihen. Nur da, wo eine ruhige, gerauschlose Flamme
verlangt wird, lasst man die Miindung der Hiilsen ihrer ganzen Weite nach off en.
Der Satz, dessen Zusammensetzung je nach den verschiedenen Zwecken
sehr verschieden sein kann, wird meistentheils, um das allzu rasche Abbrennen
zu mildern, durch vorsichtiges Schlagen stark verdichtet, was zugleich den Vor-
theil gewahrt, dass eine Hulse von bestimmter Grbsse eine weit grossere Menge
des Satzes aufzunehmen vermag, als ohne Verdichtung desselben moglich ware.
Im Folgenden geben wir eine kurze Beschreibung der hauptsachlichsten
Feuerwerkskorper und ihrer Herstellungsart.
1. Feststehende Feuerwerkskorper. Hierher gehbren zunachst als
einfachste Form die Brander, d. s. einfache, mit irgend einem Brandsatze
gefiillte und an dem vorderen Ende gewiirgte Hiilsen, die einen lebhaften Feuer-
strahl auswerfen. Der gewohnlichste Satz fur Brander von nicht iiber 2cm Durch-
messer ist: 16 Mehlpulver, 3 Kohle; fur grossere: 16 Mehlpulver, 4 Stahlfeil-
spane. Durch Zusatz von Kupferfeilspanen erhalt man griine, durch Zinkfeilspane
blaugrune Funken. Das chinesische Feuer, das mit prachtvollen blumen-
ahnlichen Funken (Jasminbliithen genannt) brennt, wird fiir Brander unter 2cm aus
16 Mehlpulver, 8 Salpeter, 3 feinem Kohlenpulver, 3 Schwefel und 10 feinen
Gusseisenbohrspanen 5 fiir grossere Brander aus 16 Mehlpulver, 12 Salpeter, 3
Kohle, 3 Schwefel und 12 groben Gusseisenspanen zusammengesetzt. Durch
Verbindung mehrerer Brander entstehen die feststehenden Sonnen, indem
eine Anzahl von Brandern in der Richtung der Radien eines Kreises oder der
Speichen eines Rades verbunden und zu gleicher Zeit in Brand gesetzt wird.
Wenn, wie in dem vorliegenden Falle, mehrere, oft sehr viele Stiicke gleichzeitig
entziindet werden miissen, so geschieht dies mittelst der Ludelfaden oder
St op in en (etoupille — quickmatch), d. s. mit Pulver versetzte, in eine diiune
papierne Rbhre eingeschlossene baumwollene Dochte. Aus solchen Stopinen,
deren jede die Lange eines Papierbogens oder auch mehrerer Bogen haben kann,
und deren Hiilsen man absichtlich an dem einen EncU? ein wenig weiter macht,
als an dem anderen, um bequem das dunnere Ende der einen in das weitere
der nachsten einstecken zu kbnnen, bildet man dann eine vollstandige Leitung
nach alien zu entziindenden Punkten. Auch kann man sich zum gleichen Zwecke
der gegenwartig fabriksmassig dargestellten Ziindschniire oder aus Schiess-
baumwolle gefertigter und mit einer Lbsung von Salpeter getrankter Schnilre
bedienen.
Unter Glorien versteht man ahnliche Zusammenstellungen, wobei die
Miindungen der Brander nicht in einem einfachen Kreise, sondern in dreieckigen,
sternfbrmigen oder anderen Figuren angeordnet sind, und die oft selbst mehrere
Reihen von Brandern enthalten.
Der Facher besteht aus mehreren, etwa 5 oder 7, als Radien eines
Viertel- oder Halbkreises verbundenen Brandern. Drei Brander bilden den soge-
nannten Gansefuss.
M o s a i k entsteht, wenn mehrere, nicht zu weit, etwa 3 Fuss von einander
entfernte Pfahle auf die Art mit Brandern besetzt werden, dass sich beim Brennen
allemal vier Feuerstrahlen in einem Pnnkte vereinigen oder kreuzen, wodurch
Kaimarscb & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 30
466 Feuerwerkerei (Feststehende Feuerwerkskorper).
bei einer bedeutenden Anzahl solcher sich kreuzender Feuerstrahlen eine mosaik-
ahnliche Erscheinung erzielt werden kann.
Cascaden werden durch eine Anzahl horizontal neben einander liegender
Brander nachgeahmt. Am besten eignet sich hierzu chinesisches Feuer. Auf
gleiche Art, nur dass die Brander nach abwarts geneigt sind, entsteht der
Goldregen.
Fixsterne. Hierzu dienen Brander von besonderer Einrichtung. Zu ihrer
Herstellung werden die Branderhitlsen an beiden Enden geschlossen, dagegen
aber bohrt man in der Nahe des einen Endes und zwar in einer und derselben
Durchschnittsebene ftinf Locher durch die Hiilse, welche, wenn der Brander in
horizontaler Lage in der Richtung seiner Acbse betrachtet wird, beim Brennen
einen aus ftinf divergirenden Feuerstrahlen bestehenden Stern darstellen.
Zweckmassige Satze zu solchen Sternen sind:
Gewohnlicher
Salpeter 16 ....
Schwefel 4 . . . .
Mehlpulver .... 4 . . . .
Schwefelantimon . . 2 . . .
illerer
farbiger Satz
12 . .
.... —
6 . .
. . . . 6
12 . .
.... 16
1 . .
.... 2
Die sogenannten bengalischen Flammen oder Theaterfeuer sind
bunte Feuersatze, welche entweder in Papierhtilsen, die nicht gewiirgt werden,
geschlagen sind, oder in Blechbtichsen von 6 — 10cm Hohe und 3 — 6cm Durch-
messer, wohl auch in kleine Thontiegel eingestampft und nach dem vSlligen
Trocknen angeziindet werden. Zu ihrer Herstellung verwendet man die ver-
schiedensten Mischungen, fur welche unten passende Vorschriften angefuhrt
werden sollen.
Brandchen sind diinne, oft aber ziemlich lange, mit einem Brandsatze
gefiillte Hiilsen aus vierfachem Papier, von welchem aber nur die ausserste Lage
geklebt wird, weil die Hiilse, urn das ruhige sanfte Fortbrennen des Satzes
nicht in ein heftiges Spriihen zu verwandeln, gleichzeitig mit dem Satze verbrennen
soil, hieran aber durcli zu viel Leim oder Kleister gehindert werden wiirde. Sie
werden aus demselben Grunde auch an der Mundung nicht verengt, sondern ganz
offen gelassen. Solche Brandchen dienen zur Hervorbringung von Namensztigen
und anderen Decorationen, als Tempeln u. dgl., die gewohnlich den Schluss
eines Feuerwerkes bilden. Zu diesem Zweck muss ein Rahmen oder Geriist in
der Gestalt der geplanten Decoration vorhanden sein, an welchem die Brandchen
befestigt und durch Stopinen in Verbindung gesetzt werden, so dass sie sich
gleichzeitig entziinden. Gewohnlich bekommen diese Brandchen verschiedenfarbige
Satze, wobei dann der Feuerwerker die Vorsicht nicht ausser Augen lassen darf,
die mit rasch brennenden Satzen gefiillten Brandchen verhaltnissmassig langer zu
machen, ale die mit langsam brennenden, weil die kunstgerechte Ausfiihrung der
Decorationen nicht nur die gleichzeitige Entziindung, sondern auch ein moglichst
gleichzeitiges Vrerloschen sammtlicher Lichter erheischt. Una die Brandchen sicher
zur Entziindung zu bringen, bohrt man etwa zwei Linien vom vorderen Ende
mit einer Pfrieme ein Loch quer hindurch, ura die Verbindungsstopine, die an
dieser Stelle bloss liegen und den Satz des Brandchens beruhren muss, mit
einem durch das Loch gesteckten Faden befestigen zu kbnnen. Fiir derlei
farbige Brandchen empfohlene Brandsatze finden sich unten angefuhrt.
Hierher gehoren auch die fiir Zimmerfeuerwerke verwendbaren japanischen
Stern- oder Blitz- A eh r en, das sind etwa stricknadeldicke, am vorderen
Ende ahrenformig verdickte Brandchen, welche aus feinem Seidenpapier gefertigt
und mit etwa 0-04 Grin, einer Mischung von 3-75 Thl. Salpeter, 1-5 Thl. Schwe-
fel und 1 Thl. Holzkohlenpulver, oder nach anderen Angaben 3 Salpeter, 6
Schwefel und 4 Holzkohle, oder 15 Salpeter, 8 Schwefel und 3 Russ, oder 7
Salpeter, 4 Schwefel und 2 Lindenkohle (vgl. Dingl. pol. Journ. 175 pag. 481
und 189 pag. 87) gefiillt sind. Man schneidet zu ihrer Herstellung feines Seiden-
Feuerwerkerei (Feuerwerkskorper rait drehender Bewegung). 407
papier in keilformige, am breiteren Ende etwa 3cr" breite, ira Ganzen 9 — 10 "''■'
lange Streifchen und wickelt die etwa 0*04 Grm. betragende Menge des Satzes
so in den Streifen ein, dass die grosste Menge desselben vom breiten Ende
eingeschlossen wird. Beim Anziinden an dem verdickten Ende brennen die.se
Aehrchen anfangs mit einer ruhigen, kaum leuchtenden, kleinen Flainme, bald
aber beginnt sich an dem brenneden Ende ein rothgliihendes Kiigelchen zu
bilden, aus welchem bei fortschreitender Verbrennung ausserst zarte glanzende
Fnnken blitzartig hervorbrechen und eine prachtige Erscheinung gewShren.
Auch die japanischen Ziindstabchen liefern eine ahnliche Erschei-
nung. Man erhalt sie, wenn man 26 — 30 Thl. Mehlpulver, 11 Schwefel und 5
Lampenruss mit Weingeist zu einem steifen Brei anknetet, aus diesem kleine,
etwa lcm grosse Wiirfel schneidet und trocknen lasst. Zwangt man ein solches
Wiirfelchen in ein gespaltenes Holzstabchen ein, und brennt es an dem nach
unten gehaltenen Satbchen ab, so bildet sich alsbald eine feurige Kugel, aus
welcher gleichfalls blitzartige Funken hervorspriihen (vgl. d. Ind. Zeitg. 1865
pag. 48).
2. Feuerwerkskorper mit drehender Bewegung. Die Bewegung
der meisten Feuerwerksstiicke beruht auf dem Riickdruck, den die gasformigen
Verbrennungsproducte des Feuerwerkssatzes beim Ausstromen aus einer Oeffnung
bedingen. Befinden sich namlich in einem verschlossenen Gefasse stark verdichtete
Gase, die also gegen die Wande des Gefasses einen starken Druck ausiiben, so
bleibt nichts desto weniger Alles im volligen Gleicbgewichtszustande, weil einem
jeden Theile der Wand, der einen bestimmten Druck erleidet, eine gleich grosse
Flache gegeniibersteht, die sich unter genau demselben Druck befindet. Entstande
nun plotzlich eine Oeffnung in dem Gefasse, so wiirde beim Ausstromen des
Gases der Druck in der Oberfiache des Loches nicht mehr zur Wirkung kommen
(weil hier keine Wand dem Drucke Widerstand leistet), wahrend die gegenuber-
stehende Wand nach wie vor dem Druck unterworfen bleibt, daher denn also
nach dieser letzteren Seite hin, d. i. in der dem Loche entgegengesetzten
Richtung ein tiberwiegender Druck sich geltend machen muss, der eine Bewe-
gung in der der Ausstromungsrichtung entgegengesetzten Richtung bedingen kann.
Dieses Verhaltniss tritt nun immer ein, wenn Feuerwerkshiilsen, welche mit Satzen
gefiillt sind, die reichliche Mengen von Verbrennungsgasen entwickeln (Treib-
satze), so angebracht werden, dass sie in Folge eines solchen, beim Abbrennen
zur Geltung kommenden einseitigen Druckes, eine Bewegung erfahren konnen,
wobei der der bewegten Hiilse entstromende Feuerstrahl die Spur der Bahn
kennzeichnet, welche von der Ausstromungsoffnung zuriickgelegt wurde und so
feurige Bewegungsfiguren beschreibt, welche in mannigfacher Weise combinirt und
zur Erzielung prachtiger Effecte benutzt werden konnen.
Die einfachste Art derartiger beweglicher Feuerwerkskorper sind die Feuer-
r a d e r , welche im Kleinen durch spiralformiges Aufrollen einer mit Satz
gefullten Papierhiilse um eine kleine holzerne Scheibe, die beim Gebrauch
mittelst eines Stiftes und um denselben drehbar an einen Pfahl befestigt werden
kann, hergestellt werden. Im grosseren Massstabe werden die Feuerrader fast
stets aus drei oder auch mehreren einzelnen Brandern angefertigt, die an der
Peripherie eines dreieckigen oder polygonalen, um seinen Mittelpunkt drehbaren
Brettchens so befestigt sind, dass ihre Achsen den Seiten des Polygons parallel
laufen, und auf solche Weise mit einander in Verbindung gesetzt werden, dass
der erste, nach dem volligen Ausbrennen, den zweiten, dieser den dritten u. s. w.
entziindet, so dass jeder Zeit nur ein Brander in Thatigkeit ist. Der Satz zu den
Feuerradern kann begreifiicher Weise die verschiedensten farbigen Feuermischungen
enthalten, darf aber nicht zu stark verdichtet werden, um die nothige Kraft zum
raschen Umtreiben des Ganzen zu entwickeln; ein Grundsatz, der bei alien
Stiicken Anwendung findet, die in eine lebhafte Bewegung versetzt werden sollen.
Gewohnlich niramt man zu Feuerradern einen stark funkenspriihenden Satz.
So z. B. fiir einen Durchmesser der Brander unter 2cm: 16 Mehlpulver, 3 grbblieh
30*
468 Feuerwerkerei (Feuerwerkskorper mit geradliniger Bewegung).
zerriebene Kohle; fur grossere Durchmesser 20 Pulver imd 4 Kohle; zn stark
spriihendem Feuer 16 Pulver imd 2 — 3 gelben glimmerhaltigen Sand; oder 16
Pulver, 1 gestossene Steinkohle, 1 — 2 gelben Sand.
Doppelte Feuerrader werden aus zwei sich auf derselben Achse in
entgegengesetzter Richtung drehenden Feuerradern zusammengesetzt.
Capricen, ebenfalls aus einer Combination mehrerer Brander bestehend,
drehen sich in honzontaler Richtung abwechselnd bald rechts, bald links, was
sich sehr leicht durch entsprechende Anordnung der Ausstromungsbffnungen der
einzelnen, nach einander zur Wirkung kommenden Brander erreichen lasst.
Etwas complicirter ist die Herstellung der Spiral en. Diese erfordern ein
aus mehreren Staben construirtes, mbglichst leichtes, kegelformiges Geriist, das
mit der Spitze auf einen verticalen Pfahl gehangt wird und sich in horizontaler
Richtung um denselben dreht. Die untere ringfdrmige Basis ist mit einer Anzahl
horizontaler Brander ausgestattet, welche den Apparat in Drehung setzen, wahrend
eine spiralfbrmig sich bis zur Spitze des Kegels hinaufschlangelnde Reihe nahe
zusammenstehender verticaler Brandchen sich zu gleicher Zeit entziindet. Dass
besonders bei diesem Stiicke verschiedenfarbige Satze eine ausgezeichnet schbne
Wirkung machen, ist leicht zu begreifen.
Eines der eflPectvollsten Feuerwerksstiicke ist die vonRuggieri angegebene
Schlange, welches den Eindruck einer feurigen Schlange niacht, die in raschen
Windungen einen vor ihr fliegenden Schmetterling verfolgt. Zu diesem Stuck ist
eine eigene mechanische Vorrichtung erforderlich. An den Ecken eines grossen
achteckigen Gerilstes oder Rahmens sind grosse Rader angebracht, die sich
sammtlich in einer Verticalebene drehen. Um diese Rader oder Rollen schlingt
sich ein endloses Band in der Art, dass es erst uber die Aussenseite eines
Rades, dann iiber die dem Centrum des Achteckes zugewandte innere Seite des
nachsten, von diesem wieder iiber die aussere Seite des dritten u. s. w. fortlauft,
mithin eine schlangenformige, in sich zuriicklaufende Curve beschreibt. Das Band
ist ganz nach Art einer Uhrkette, natiirlich in grossem Massstabe, ausgefiihrt und
tragt in einem Theile seiner Lange verticale Plattchen oder Schilder, die sich
dicht an einander anschliessen, und in ih'rer schlangenformigen Windung die
Gestalt einer Schlange nachahmen. In einiger Entfernung von denselben tragt
ein Kettenglied die den Schmetterling darstellende Platte. Indem nun die Schlange
mit bunten, der Schmetterling mit weissen Brandchen besetzt in Bewegung
gebracht wird, wahrend der Zuschauer in der Dunkelheit der Nacht von dem
mit schwarzer Farbe angestrichenen Mechanismus keine Spur bemerkt, entwickelt
sich ein ausserst eflfectvolles Schauspiel. Ruggieri liess dieses Stuck gewohn-
lich ohne menschliche Beihilfe durch das Abbrennen anderer Feuerwerksstiicke
sich entziinden, so dass es aus einem Flammenmeer sich selbst zu entwickeln
schien. Die Drehung des Apparates bewirkte er dadurch, dass eines der Rader
durch ein vorher aufgezogenes Gewicht angetrieben wurde. Er nannte dieses
Feuerwerkssttick auch Salamander.
3. Feuerwerkskorper mit geradliniger Bewegung.
Zu diesen gehoren vor alien anderen die Rake ten (fusee volante, raquette
— sky-rocket), die, so allbekannt und gebrauchlich sie sein mogen, dennoch
immer eines der schonsten und interessantesten Stiicke ausmachen und bei den
kleinsten, wie bei den grbssten Feuerwerken nicht fehlen diirfen. Besonders in
grbsserer Menge zugleich abgebrannt, gewahren sie ein iiberraschend schbnes
Schauspiel, das haufig als Schlussstiick und Hbhepunkt grosser Feuerwerke benutzt
wird. Man u terschcidet Girandolen und Pfauensch weife, erstere, wenn
sammtliche Raketen vertical, also im Allgemeinen parallel unter einander; letztere,
wenn sie in divergirender Richtung, also nach oben sich ausbreitend aufsteigen.
Die Verfertigung der Raketen erfordert viele Sorgfalt und genaue Beob-
achtung mehrfacher Regeln, die besonders dahin abzielen, eine sehr gleichmassige
Feuerwerkerei (Feuerwerkskorper mit geradliniger Bewegung). 469
Lacking unci Verdichtung des Satzes zu erzielen, daher auch nur bei Beachtung
aller Riicksicbten und entsprechender Uebung die Herstellung gut steigender
Raketen gelingt.
Die Hiilse der Rakete muss aus sehr festem Material angefertigt werden,
urn, ohne zu grosses Gewicht zu besitzen, dem starken inneren Druck der Feuer-
gase des Treibsatzes zu widerstehen. Hinsichtlich der Ladung weicht die Rakete
von alien anderen Feuerwerkskorpern darin ab, dass in ihrer Mitte der Lange
nach, von der Miindung bis nahe an das entgegengesetzte Ende eine Hohlung
(Seele) gelassen wird, die den Zweck hat, dass sich der Satz zu gleicher Zeit
der ganzen Lange nacb entziinde, und sohin durch eine reicbliche Entwicklung
von Feuergasen die erforderliche Triebkraft entwickle. Die Kraft eines gewohn-
lichen Branders, dessen Ladung sich vorn entziindet und gleichzeitig nur in der
kleinen kreisformigen Durchschnittsflache brennt, reicht zwar zum Treiben eines
Feuerrades und ahnlicher Apparate bin, wiirde aber fur eine Rakete viel zu
unbedeutend sein, wogegen die hohle, sich der ganzen Lange nach von der
Achse aus entziindende Raketenladung eine sehr grosse, aber auch nur kurze Zeit
andauernde Triebkraft entwickelt. Die Hohlung kann entweder, wie dies frUher allge-
mein geschah und auch jetzt noch haufig geschieht, dadurch erhalten werden, dass
man den Satz iiber einem Dorn mittelst hohler Stempel einstampft, oder dadurch,
dass man in eine massive Ladung nachtraglich auf der Drehbank ein Loch ein-
bohrt, ein Verfahren, welches jetzt ziemlich allgemein in Verwendung ist, da man
massive Ladungen viel leichtergleichmassig verdichten kann, als solche, die iiber
einen Dorn geschlagen worden.
Diese Hohlung darf das vordere Ende der Rakete nicht erreichen, sondern
lasst ein massives Stuck der Ladung (die Zehrung) ubrig, welche nach dem
Abbrennen die Entziindung auf die Versetzung, d. h. die zum Auswerfen
bestimmten Leuchtkugeln, Schwarmer oder dergleichen iibertragt. Die Versetzung,
die oft nur aus einem einfachen Schlage (s. u.) besteht, befindet sich an dem vor-
deren, beim Steigen also oberen Ende der Rakete in der Kappe, einem in eine
Spitze auslaufenden kegelformigen Aufsatze aus diinnem Kartenpapier, dessen
Durchmesser bei starken Versetzungen den der Rakete oft bedeutend tiber-
treffen kann.
Als zweckmassiger Satz zur Raketenfiillung (Treibsatz) empfiehlt sich
folgende Mischung:
Mehlpulver 8
Grobes Kohlenpulver 3
oder:
Salpeter j fein pul- 16
Schwefel i verisirt 4
Grobes Kohlenpulver 9
Der preussische Kriegsraketensatz besteht aus 32 Salpeter, 12 Schwefel,
32 Mehlpulver und 16 Holzkohle (von hartem Holze). In Frankreich hatte man
eine Mischung von 21-1 Salpeter, 4-3 Schwefel und 12 Holzkohle in Ver-
wendung.
Beim Laden muss sich die Hiilse in einer genau anschliessenden, aus zwei
Halften zusammengesetzten kupfernen Form befinden, weil sie sonst bei dem
gewaltsamen Eintreiben des Satzes zerplatzen wiirde. Ueber dem Satze wird
eine durchbohrte Scheibe (Schlagscheibe) angebracht, auf welcher die V e r s e tz u n g,
das ist der nach dem Aufsteigen der Rakete zum Abbrennen kommende Feuer-
werkssatz angebracht wird. Ist die Rakete fertig geschlagen, gebohrt, mit der
Versetzung versehen, und mit der den Kopf bildenden Kappe, die wesenflich den
Zweck hat, den Widerstand, den die Luft der aufsteigenden Rakete entgegensetzt,
leichter uberwinden zu lassen, geschlossen, so bringt man einen Ludelfaden der
ganzen Lange nach in die Seele ein, und versieht schliesslich die Rakete mit
470
Feuerwerkerei (Raketen).
Fig. 1633.
1635.
einem pyramidenformigen Stabe von Weiden- oder Tannenholz, d. i. dem Raket en-
stab oder der Ruthe (panaceau — rocket stick), welclier den Aufstieg der Rakete
zu regeln bestimmt ist. Die Lange dieses Stabes, welcher genau parallel der
Langsachse der Rakete an dieser befestigt wird, muss fur lpfiindige Raketen*)
2-66 m, fur ^pfiindige 2*35m betragen. Das Anbinden der Ruthe muss so vor-
genommen werden, dass der Schwerpunkt der mit dem Stabe armirten Rakete
etwa lcm unter die Raketenmiindung fallt. Zum Abbrennen der Raketen wird
ein etwa 4m hoher Pfahl moglichst fest (mindestens i/qm tief) in die Erde
eingerammt, oben an der Seite desselben ein langer Nagel eingeschlagen, an
welchem die Rakete mit einem schwachen Faden aufgehs'ingt wird, wahrend
unten zwei kleine Nagel neben einander eingeschlagen werden, zwischen welchen
das Stabende der mit der Mundung nach abwarts hangenden Rakete ruht;
hierauf wird die Stopine mittelst einer langen Ziindstange in Brand gesetzt und
so der Satz entziindet.
Die Versetzung oder G-arnitur
der Raketen kann mehrerlei Art
sein ; die gewohnlichen sind folgende :
Sterne, d. s. kleine runde
oder wiirfelformige Korperchen aus
fein pulverisirtem und mit Spiritus
angefeuchtetem Satz geformt. Zu
weissen Sternen nimmt man 16
Salpeter, 8 Schwefel, 3 Meblpulver ;
oder 16 Salpeter, 7 Schwefel, 4
Pulver. Zu goldgelben Sternen 16
Salpeter, 10 Schwefel, 4 Kohle, 16
Schiesspulver, 2 Kienruss; oder 16
Salpeter, 8 Schwefel, 2 Kohle, 2
Kienruss und 8 Schiesspulver.
Sehr haufig wendet man auch
Leuchtkugeln an, s. u. Oft werden
die Raketen auch nur mit ein-
fachen Schlagen armirt, die nach
dem Abbrennen des Raketensatzes
mit kanonenschussahnlichem Knall
explodiren.
Ganz besonders brillante Effecte
geben die in neuerer Zeit haufiger
in Verwendung kommenden Fall-
schirmraketen, die, sobald sie
aufgestiegen sind, einen Fallschirm
mit einem daran hangenden bren-
nenden farbigen Leuchtsatz auswer-
fen. Da der sehr langsam sinkende
Fallschirm in der Dunkelheit der
Nacht nicht gesehen werden kann,
so macht die Erscheinung den Ein-
druck eines geraume Zeit lang in
der Hohe schwebenden, hellleuchten-
den, farbigen Sternes. Besonders
schon ist die Wirkung, wenn eine
griissere Zahl soldier Raketen gleichzeitig abgebrannt wird.
:^ Man bezeichuet das Caliber der Raketen nach dem G^wichte einer Eisenkugel, welche
den gleicken Durchmesser hat wie die Kakete.
Feuerwerkerei (Raketen). 471
Die Einrichtung soldier Fallschirmraketen ist aus den nebenstebenden Fig.
1633—1635 ersichtlich. Ein in Fig. 1633 und Fig. 1634 a dargestelltes rundes
Brettchen mit einera Ansatz, an welchen eine Hiilse b von Kartenpapier geleimt
ist, tragt den in diese Hiilse festgestampften Satz fiir ein Farbenfeuer. Der
Fallschirm Fig. 1634 ist ein rundes Stuck Taffet von 0-75 — lm Durchmesser,
mit einem Loch in der Mitte, an dessen Rand sechs Faden befestigt sind,
welche durch eben so viele Locher einer kleinen, zweizolligen Pappscheibe c
hindurchgehen und mittelst eines einzigen Bindfadens die mit dem Flammen-
feuersatz geladene Hiilse tragen. Fig. 1635 zeigt die ganze Rakete. e die
Hiilse, / den Satz, g die Seele (die innere Hohlung), h die Zehrung, k eine an
die Rakete geleimte Hiilse von Kartenpapier, I einen holzernen Ring, der um die
Hiilse k, und um welchen wieder eine zweite, etwas weitere Hiilse m geleimt
ist. In die Hiilse k wird die den Flammfeuersatz tragende Hiilse hineingeschoben,
so dass das Brettchen a auf dem Ring I aufliegt ; die Pappscheibe c kommt dann
dariiber und hierauf der Fallschirm o in loser Weise zusammengefaltet. Endlich
wird eine von Kartenpapier gemachte kegelformige Kappe n aufgesetzt und durch
einige schmale Papierstreifchen leicht befestigt. Ist die Rakete aufgestiegen und
die Zehrung zu Ende gebrannt, so theilt sich die Ziindung dem vermittelst etwas
Mehlpulver angefeuerten Leuchtsatz mit. Durch die dabei stattfindende geringe
Explosion wird die Leuchthiilse nebst dem Fallschirm ausgestossen. Letzterer
offnet sich sogleich beim Fallen durch den Widerstand der Luft, besonders wenn
man Sorge getragen hatte, den Fallschirm erst am Tage des Gebrauches in die
Rakete zu bringen, so dass die noch ungeschwachte Elasticitat der Seide die
Ausbreitung befordert.
Wahrend die besprochenen Arten von Raketen wesentlich Zwecken der
Belustigung zu dienen bestimmt sind, hat man in neuester Zeit von der Trieb-
kraft der Raketen auch anderweitige Anwendung gemacht. So hat man Raketen
von grosseren Dimensionen (5 — 8cm Durchmesser) dazu angewendet um Rettungs-
leinen von Uferstationen aus Schiffbriichigen zuzufiihren und also die Verbindung
von Wrack und Strand durch an derlei Raketen (Rettungs raketen) befestigte
Leinen herzustellen. Auch zur Ermbglichung des Abkommens von Rettungsboten
vom Strande hat man die Triebkraft von Raketen (Ankerraketen) beniitzt.
Den Raketen wesentlich nahestehend sind die sog. Leuchtkugelu oder
romischen Lichter. Bei diesen Feuerwerkskorpern wird eine an dem einen Ende
ungewiirgte Hiilse abwechselnd mit einem langsam brennenden Satze (fauler
Satz) und mit aus verschiedenfarbig leuchtenden Satzen geformten Cylinderchen,
von ahnlicher Art wie die Sterne gefiillt und an dem ungewiirgten Ende entziindet.
Man gibt den Cylinderchen an der Unterseite eine kleine Hohlung, die mit etwas
Pulver ausgefullt wird, und setzt sie mit dieser auf die vorher eingebrachte
Schichte faulen Satzes auf, so dass man zu unterst in die Hiilse etwas faulen Satz
bringt, darauf einen Leuchtsatzcylinder setzt, der jedoch nur lose in die Httlse
passt, hierauf clen Zwischenraum zwischen Hiilse und Cylinder mit faulem Satz
ausfiillt und nun abermals eine Schichte faulen Satz iiber den C}dinder bringt
hierauf abermals einen Cylinder aufsetzt, wieder faulen Satz auffiillt und so fort,
bis endlich die Hiilse vollig gefiillt ist. Die oberste Schichte muss fauler Satz
sein, der durch eine eingesetzte Stopine entziindet werden kann. Bei der Entziin-
dung brennt zunachst die oberste Schichte ab, die Ziindung pflanzt sich dann
durch die faule Satzschichte um den 1. Cylinder nacli der unter diesem liegenden
Pulverladung, die etwas gedichtet sein muss, fort, und durch den Druck der bei
der Verbrennung desselben gebildeten Gase wird der gleichzeitig entziindete
Cylinder ausgeworfen, wahrend sich die Ziindung der unter dem 2. Cylinder
liegenden Schichte mittheilt, so dass dieser ausgeworfen wird u. s. f. Je nach
der Wirksamkeit der gewahlten Pulverladung, der Dicke und dem Grade der
Dichtung derselben konnen die Cylinderchen hoher oder weniger hoch ausgeworfen
werden, und liefern, indem sie im Aufliegen abbrennen, die Erscheinung leuchtender
472 Feuerwerkerei (Feuerwerkssatze).
Kugeln. Derlei im grosseren Massstabe gefertigte Feuerwerkskorper liefern die
als Nachtsignale verwendeten Bombenrohren.
Von anderen theilweise freibeweglichen Feuerwerkskorpern sind zu nennen:
die Serpent os en, die Schlage und Petarden.
Die Serpentosen oder Frosche sind kleine mit Treibsatz gefullte Hiilsen
aus Kartenpapieir, welcbe an beiden Enden zugewiirgt und in der Nahe der
Wiirgstellen mit zwei an entgegengesetzten Seiten angebrachten Oeffnungen ver-
sehen sind, aus welchen die Feuergase entweichen, und so ein Hin- und Her-
springen der entziindeten Korperchen bedingen.
Schlage sind kleine mit Schiesspulver gefullte viereckige Kastchen aus
Pappe, welcbe mit einer Anfeuerung versehen, mebrfacb mit Bindfaden um-
wunden oder leicht verklebt sind. Sie geben beim Abbrennen je nach ihrer
Grosse einen starken Knall.
Man bringt sie entweder einzeln oder zu mehreren als Versetzung in Raketen
oder brennt sie auf der Erde oder zur Erhohung der Scballwirkung in leeren
Fassern ab. (Donn er schlage.)
Petarden sind kleine mit Schiesspulver gefullte Hiilsen, die beim Abbrennen
mit einem heftigen Knall zerspringen.
Feuerwerkssatze.
Je nach dem Zwecke, dem ein bestimmter Satz dienen soil, haben die in
der Feuerwerkerei angewendeten Mischungen eine wesentlich verschiedene Zusammen-
setzung. Man unterscheidet wesentlich Treibsatze (solche, die durch Entwick-
lung von Gasen wirken sollen) und Leuchtsatze (die durch Erzeuguug von
hellen Lichteffecten wirken). Je nach der Raschheit, mit welch er die Satze
abbrennen, unterscheidet man rasche und faule Satze, bei Leuchtsatzen, je
nachdem der verbrennende Satz mehr oder weniger gluhende Theilchen auswirft,
oder aber mit mehr oder weniger ruhiger Flamme brennt, Funkenfeuer- und
Flammfeuer satze. Die letzteren beiden werden mitunter vereinigt und liefern
die Z w i 1 1 e r - oder Doppelsatze.
Fiir Treibsatze werden vorherrschend Schiesspulver oder demselben ahnliche
Mischungen verwendet. Je nach der Raschheit, mit welcher der Satz wirken
soil, verwendet man entweder, u. z. fiir rasche Satze gekorntes Schiesspulver oder
man bringt das Pulver zur Massigung der Raschheit in Gestalt von Mehlpulver
in Anwendung. Durch mehr oder weniger starkes Verdichten des Pulversatzes
kann man die Raschheit der Verbrennung noch weiter reguliren und endlich hat
man in der Abanderung der Mischungsverhaltnisse ein Mittel zur Verlangsamung
der Verbrennung. Den Mischungen, welcbe langsam verbrennen sollen, legt man
gewohnlich den Salpeters chwefel zu Grunde, d. i. eine aus 75 Thl. Salpeter
und 25 Thl. Schwefel bestehende Mischung. Zur Sicherung des Fortbrennens
dieser Mischung muss man jedoch immer wenigstens noch Kohle zusetzen. Durch
Beimischung von Mehlpulver kann man je nach der Grosse des Pulverzusatzes
eine zunehmende Raschheit der Verbrennung erzielen. Sehr haufig wird eine
unter dem Namen grauer Satz bekannte Mischung von 93'5 Salpeterschwefel
mit 6*5 Mehlpulver verwendet. Durch Anwendung von Mischungen mit chlorsaurem
Kali kann man sehr rasch verbrennende Satze herstellen und dient als Grund-
lage fiir solche Mischungen, der Chlorkalisch wefel, d. i. ein Gemenge von
80 Thl. chlorsaurem Kalium und 20 Thl. Schwefel.
Die Funkenfeuersatze bestehen gewohnlich aus Gemengen von Mehlpulver
mit Kohle oder anderartige Mischungen von Salpeter, Schwefel und Kohle. Die
Kohle wird zur Erzielung grbsserer Funken zum Theile in Gestalt eines groben
Pulvers augewendet. Ausser Kohle wendet man zu Funkenfeuersatzen auch
Zusatze von feinvertheilten Metallen, als Eisenspane, Gussstahlspane (rostfrei)
oder zur Erzielung fa'rbiger Funken Kupfer- oder Zinkspane an. Kohle liefert
Feuerwerkerei (Feuerwerksatze). 473
rothliche, Eisen weisse, Kupfer grime, Zink blaugriine Funken. Satze mit Metall-
zusatzen nennt
man wohl
auch
Brillants
it z e.
Beliebte
Funkenfeuermischu
gen sind :
I
II
III
IV
V
VI vu
Salpeter . . .
2 .
16
. . 8 .
. 12
. . 12
. . 12 . . 12
Schwefel . .
. 3 .
4
. . 3 .
. 3
. . 1
. . 3 . . 3
Kohle (grob) .
. 5 . .
9
. . 3 .
. 3
. . 1
. . 1 . . 1
Mehlpulver
. — .
—
. . 16 .
. 16
. . —
. . 12 . . 14
Gnsseisenspane
. — .
—
. . 10 .
. 12
. . 2
. . — . . —
Kupferspane .
. — .
—
. . — .
. —
. . —
. . 6 . . —
Zinkspane . .
. — ■
—
. . — .
. —
. . —
. . — . . 5
Fur Flammfeuersatze kann entweder der graue Satz verwendet werden, der
an und fur sich ein weisses Licbt liefert, oder ein ebenfalls weiss brennender
Satz aus 75 Salpeter, 22*5 Schwefel und 2*5 Kohle. Auch das sogenannte
Kaltgeschmolzenzeug, welches aus 85-6 grauem Satz, 29-4 Mehlpulver und
5 Thl. Schwefelantimon besteht, liefert einen guten Leuchtsatz.
Uebrigens wird als Grundlage fur Leuchtsatze mit Flammfeuer auch nicht
selten der Chlorkalischwefel (s. oben) verwendet. Fur farbige Flammfeuer ver-
wendet man Mischungen von einem dergleichen Leuchtsatze mit einem Salze,
welches der Flamme die gewiinschte Farbung zu ertheilen vermag, und variirt
nicht selten die Mischungsverhaltnisse in entsprechender Weise, wobei jedoch zu
beachten ist, dass ein grosserer Gehalt an Kohle der Flamme stets eine rothliche
Farbung ertheilt. Wir geben im Folgenden eine Anzahl bewahrter Vorschriften
fur die Herstellung verschiedener Feuerwerkssatze zu farbigen Feuern, welche
namentlich von Web sky und Char tier, so wie auchAnderen angegeben wurden.
A. Zu Leuchtkugeln.
Roth, a) Chlorsaures Kali 12, Salpetersaurer Strontian 39, Schwefel 12,
Kienruss 2, Schellack2; oder b) Chlorsaures Kali 10, Salpetersaurer Strontian 12,
Schwefel 6, Schwefelantimon 3 ; oder c) Chlorsaures Kali 3, Salpetersaurer Stron-
tian 4, Milchzucker 2; oder d) Chlorsaures Kali 25, Salpetersaurer Strontian 25,
Milchzucker 12, Schwefelsaures Kupferoxyd-Ammoniak 3.
V i o 1 e 1 1. a) Chlorsaures Kali 9, Salpetersaurer Strontian 4, Schwefel 6,
Bergblau 1, Calomel 1-, Schellack V<2 ; oder b) Chlorsaures Kali 14, Kreide 5,
Schwefel 6, Calomel 4, Schwefelkupfer 6, Schellack '/a-
B 1 a u. a) Chlorsaures Kali 4, Basisch Chlorkupfer 1, Milchzucker 2 ; oder
b) Chlorsaures Kali 40, Schwefelkupfer 22, Calomel 32, Zucker 9, Talg 2.
G e 1 b. a) Chlorsaures Kali 4, Oxalsaures Natron 2, Schellack 1 ; oder
b) Chlorsaures Kali 4, Salpetersaurer Baryt 2, Milchzucker 2, Doppelt kohlens.
Natron 1.
Orange. Chlorsaures Kali 3, Salpetersaurer Strontian 10, Oxalsaures
Natron 3, Schellack 3.
Gr r ii n. a) Chlorsaures Kali 20, Salpetersaurer Baryt 40, Calomel 1 3,
Schwefel 13, Kienruss 1, Schellack 1 ; oder b) Chlorsaurer Baryt 24, Calo-
mel 9, Schwefel 1, Schellack 4; oder c) Chlorsaurer Baryt 3, Milchzucker 1,
Schellack '/2.
Weiss, a) Mehlpulver 1, Arab. G-ummi '/a? Salpeter S, Schwefel 3,
Schwefelantimon 2 5 oder b) Salpeter 70, Schwefel 14, Realgar 10, Schel-
lack 1, Antimonmetall 12; oder c) Salpeter 9, Schwefel 3, Schwefelantimon 2;
oder d) Chlorsaures Kali 16, Schwefel 8, Schwefelantimon 1, Salpetersaures
Blei 16.
474 Feuerwerkerei (Feuerwerksatze).
Um aus diesen Satzen Leuchtkugeln zu formen, werden sie mit etwas Wein-
geist, der Satz zum Weiss mit etwas Wasser, angefeuchtet und in einer Form zu
kleinen Cylindern, wie oben angegeben, geformt.
B. Satze zu Brandern, Lichtchen und Sternen.
Roth, a) Chlorsaures Kali 16, Salpetersaurer Strontian 24, Lycopodium
(Hexenmehl) 4, Milchzucker 1; oder b) Chlorsaures Kali 15, Salpetersaurer Stron-
tian 25, Schwefel 13, Mastix 1, Schwefelantimon 4.
V i o 1 e 1 1. Chlorsaures Kali 6. Salpetersaurer Strontian 4, Milchzucker 3,
Bergblau 1, Salpeter 2, Salmiak 1.
B 1 a u. a) Chlorsaures Kali 8, Bergblau 2, Salmiak 1, Salpeter 2, Milch-
zucker 4 ; oder b) Chlorsaures Kali 40, Schwefelkupfer 22, Calomel 32, Zucker 9,
Talg 2.
Griin. a) Chlorsaurer Baryt 18, Calomel 7, Schellack 3; oder b) Chlor-
saures Kali 3, Salpetersaurer Baryt 3, Schellack 1 ; oder c) Chlorsaurer Baryt 6,
Stearin 1.
Weiss, a) Salpeter 4, Schwefel 1, Mehlpulver 1 ; oder b) Salpeter 4,
Schwefel 1, Schwefelantimon 1.
C. Satze zu bengalischen Flammen und Theaterfeue r.
Roth, a) Salpetersaurer Strontian 20, Chlorsaures Kali 2, Schwefel 5,
Schwefelantimon 2, Feine Kohle 1 ; oder b) Salpetersaurer Strontian 24, Chlor-
saures Kali 3, Schwefel 8, Schwefelkupfer 3, Calomel 6, Schellack 1 ; oder
c) Salpetersaurer Strontiau 40, Chlorsaures Kali 5, Schwefel 13, Kohle 2; oder
d) Salpetersaurer Strontian 56, Chlorsaures Kali 20, Schwefel 24.
Rosa. Chlorsaures Kali 61, Schwefel 16, Chlorcalcium 23.
Purpurroth. Chlorsaures Kali 61, Schwefel 16, Kohlensaurer Kalk 23.
V i o 1 e 1 1. a) Alaun 12, Kohlensaures Kali 12, Chlorsaures Kali 60,
Schwefel 16; oder b) Alaun 16, Kohlensaures Kali 16, Chlorsaures Kali 54,
Schwefel 14.
B 1 a u. a) Schwefelsaures Kupferoxyd-Ammoniak 15, Chlorsaures Kali 28,
Schwefel 15, Schwefelsaures Kali 15. Salpeter 27; oder b) Schwefelsaures Kupfer-
oxyd-Ammoniak 12, Gegliihter Alaun 12, Chlorsaures Kali 60, Schwefel 16.
G r ii n. a) Salpetersaurer Baryt 8, Chlorsaures Kali 3, Schwefel 3 ; oder
b) Salpetersaurer Baryt 40, Chlorsaures Kali 4, Calomel 10, Schwefel 8, Kien-
russ 2, Schellack 1.
G e 1 b. a) Salpetersaures Natron 48, Schwefel 16, Schwefelantimon 4, Feine
Kohle 1; oder b) Kohlensaures Natron 23, Schwefel 16, Chlorsaures Kali 61.
Weiss, a) Salpeter 32, Schwefel 10, Schwefelantimon 3, Ungeloschter
Kalk 4 ; oder b) Salpeter 32, Schwefel 8, Antimon-Metall 12, Mennige 11.
Bei alien Feuerwerkssatzen, welche chlorsaures Kali und Schwefel enthalten,
darf der letztere nur im Zustande von pulverisirtem Stangenschwefel, nie als
Schwefelblumen genommen werden, weil sonst leicht Selbstentztindung eintritt,
ebenso hat man sich zu hiiten, Mischungen welche chlorsaures Kali und Schwefel
oder Schwefel metalle enthalten, im trockenen Zustande zu reiben oder zu schlagen,
da sie leicht explodiren. Das Mischen von chlorsaurem Kali mit Schwefel und
den sonstigen Gemengtheilen sollte immer nur mittels eines Federbartes auf Papier
oder durch Durchschlagen der fur sich gepulverten Gemengtheile durch ein Sieb,
vorgenommen werden.
Der salpetersaure Strontian muss vollstandig entwassert, ebenso der salpeter-
saure und chlorsaure Baryt vollstandig getrocknet sein.
Feuerwerkerei (Feuerwerksatze). 475
Dersalpetersaure und chlorsaure Baryt geben nur dann ein reines Griin, wenn
sie chemisch rein; namentlich ganz frei von Kalk unci Strontian sind.
Neuestens hat S. Kern (Jahrb. fur' chem. Technol. v. R. v. Wagner 1876; Vorsehriften
fiir Buntfeuer angegeben, bei welchen auch auf die Raschheit dee Abbrermens Riicksicht ge-
nommen ist. Eine Zusammenstellung dieser Vorschriften geben wir in folgender Tabelle, wobei
zu bemerken ist, dass die Vorschriften so geordnet sind, dass jeder Satz mit hoherer Numrner
auch langsamer abbrennt als einer mit niedrigerer.
Fiir Griinfeuer.
Numrner: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Chlorsaures Kali ... 36 29 24 21 18 16 14 13 11 10 9.5 9 8.5 8
Salpetersaurer Baryt . . 40 48 53 57 60 62 64 66 67 68 69 69.5 70 70.5
Schwefel 24 23 23 22 20 22 22 21 21 21 21 21 21 21
Fur Rothfeuer.
Numrner: 12 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Chlorsauses Kali . . 40 32 27 23 '20 18 16 15 13 12 11 10 10 9.25
Salpetersaurer Strontian 39 46 51 55 58 60 61.6 63 64 65 66 67 67.25 68
Schwefel 18 19 20 20 20.5 21 21.2 21 22 22 22 22 22 22
Kohle 3 2 2 2 1.5 1 1.2 1 1 1 1 1 0.75 0.75
Fiir Vlolettfeuer.
Numrner: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Chlorsaures Kali 52 52 52 52 52 52 51 51 51 51 51 51 51 51
Kohlensaurer Kalk .... 29 28 26 24 23 21 20 18 16 15 13 11 10 8
Malachit 4 5 7 9 10 13 14 16 18 19 21 23 24 26
Schwefel 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15 15
Von sonstigen Buntfeuermischungen sind empfohlen, aber wegen grosserer
Kostspieligkeit wenig angewendet:
Weissfeuer von Uhden. Griinfeuer naeh Crookes.
Salpeter 20 Chlorsaures Thallium*) . . 8
Schwefel 5 Calomel . . 2
Kohle . . 1 Harz 1
Schwefelcadmium .... 4
Griinfeuer nach Designolle. Griinfeuer nach Brugere.
Pikrinsaures Ammoniak . .48 Pikrinsaures Ammoniak . . 25
Salpetersaurer Baryt ... 52 Salpetersaurer Baryt ... 67
Schwefel 8
Rothfeuer nach Designolle.
Pikrinsaures Ammoniak . . 54
Salpetersaurer Strontian . . 46
Auch mit Chlorlithium lassen sich prachtige Rothfeuer herstellen, doch
miissen solche Mischungen rasch verwendet werden, da sie leicht feucht werden.
Durch Versetzen der einzelnen Buntfeuermischungen mit Stearinsaure
(fiir Griin und Blau auch mit Schellack) erhalt man langsam brennende Satze.
welche nach Thenius (Dingl. pol. Journ. 173 pag. 411) zur Herstellung der
sogenannten bengalischenFackeln verwendet werden, indem man dergleichen
Satze in Hiilsen fiillt, welche aus mit Salpeter getranktem Papier gefertigt und
im Untertheile mit Sand gefiillt werden.
Furienfackeln (Theaterblitze) erzielt man durch Einblasen von Lyco-
podium in eine Weingeistflamme.
Zu bengalischen Lichteffecten besonders in geschlossenen Raumen eignet sich
ferner vorziiglich das Magnesiummetall, welches in der Form von Bandchen odor
*) Auch Salpetersaures Thallium und Chlorthallium liefern zu Griinfeuersatzeu zugeset^':
eine brillante griine Farbe.
476 Feuerwerkerei (Feuerwerksatze).
diinnem Draht leicht entziindet werden kann und mit ruhiger, glanzend weisser
Flamme fortbrennt. Fiir Theaterbeleuchtungszwecke hat man besondere Lampen
fiir Magnesiumverbrennung construirt, s. Magnesiumlampen. Auch Legirungen
von Magnesium mit anderen Metallen kann man zur Herstellung farbiger Flammen
verwenden.
Ganz besonders eignet sich auch fiir bengalische Beleuchtnng die Verbren-
nung von chlorsauren Salzen in Weingeist- oder in Gasflammen. Wenn man
in eine Flamme von Leuchtgas, das man ohne weitere Brennervorrichtung aus
einer Rohre ausstromen lasst, auf einem halbrunden Eisenblechloffelchen (das
genietet sein muss) einige Gramm eines chlorsauren Salzes einfiihrt, so tritt eine
ausserst brillante Lichterscheinung ein, welche denselben Effect gibt wie ein
bengalisches Feuer. Mit chlorsaurem Baryt erhalt man in solcher Weise ein
grimes, rait chlorsaurem Strontian ein rothes, mit chlorsaurem Natron ein gelbes,
mit chlorsaurem Kali ein violettes Feuer, das namentlich bei den erstgenannten
drei Salzen ziemlich lange anhalt und den Vorzug hat, dass es keinerlei iiblen
Geruch verbreitet.
Es ist hier auch am Platze von sonstigen Feuerwerkssatzen jener Erwah-
nung zu thun, die allerdings nicht zu Zwecken der Lustfeuerwerkerei, sondern
wesentlich fiir Kriegszwecke Verwendung finden, wohl aber auch in bestimmten
Fallen fiir aussergewohnliche technische Zwecke dienen konnen. Es sind dies die
Brandsatze und St a nkkugelsatz e.
Die Brandsatze haben wesentlich den Zweck, brennbare Objecte auf Distanz
in Brand zu stecken. Dem entsprechend muss ihre Mischung so gewahlt werden,
dass sie mit moglichst grossem Warmeeffect und verhaltnissmassig langsam ab-
brennen. Gewohnlich stellt man solche Brandsatze durch Vermischen von grauem
Satz (s. oben) mit Pech, Theer, Werg u. s. w. So besteht z. B. der preussische
Satz fiir Brandgeschosse aus 76 Thl. grauem Satz und 24 Thl. Colophonium,
der Satz fiir Brandbomben in Bayern aus einer Mischung von Schiesspulver, rait
sogenanntem Warmgeschmolzenz eug, d. i. einer Mischung, welche durch
Einriihren von 22 Thl. Salpeter und 33/4 Mehlpulver in 22 Thl. geschmolzenen
Schwefel erhalten wird.
Stankkugelsatze, welche den Zweck haben bei ihrem Abbrennen eine grosse
Menge unathembarer Gase zu liefern, werden im Allgemeinen aus schwefelreichen
Mischungen hergestellt, die sonach beim Verbrennen reiche Mengen schwefliger
Saure liefern. Am einfachsten ist es Sal peter schwefel mit so viel von Kohle
zu mengen als eben hinreicht um das Fortbrennen der Mischung zu sichern.
Insoferne die schweflige Saure ein gutes Desinfectionsmittel ist (s. d. II. pag. 603)
konnen dergleichen Satze auch zu Desinfectionszwecken verwendet werden. (Des-
infectionsschwarmer).
Schliesslich sei bemerkt, dass es ein Irrthum ware zu glauben, man konne
durch Vermischung von mit verschiedenfarbigem Lichte verbrennenden Feuer-
satzen alle Arten von Mischfarben in den Flammen erzielen. Das ist nicht oder
doch nur in beschranktem Masse moglich, insoferne sich nur durch Mischen von
Roth- und Blaufeuer ein violettes Feuer darstellen lasst, wahrend z. B. Griin- und
Rothfeuer oder Gelb- und Rothfeuer gemengt ein mehr weniger weisses oder
weissgelbes, Gelb- und Blaufeuer ebenfalls weisse Feuer geben. Namentlich das
Griinfeuer ist besonders empfindlich gegen Zusatze von andersfarbigen Feuer-
mischungen, da das Griin wegen des Zusammentreffens complementarer (s. Farbe
III pag. 361) Strahlen ausgeloscht und in Weiss verwandelt wird. Dagegen
lassen sich durch Nebeneinanderstellung von verschiedenfarbigen Feuern in Folge
der Contrastwirkung sehr schone Effecte erzielen. So erscbeinen schwach griine
Feuer glanzend griin, wenn man ein starkes Rothfeuer neben ihnen abbrennt, und
umgekehrt gewinnen schwache Rothfeuer an Effect durch Nebeneinanderstellung
mit starkem Griinfeuer ; schwach blaue Feuer gewinnen an Intensitat durch Neben-
stellung gelber oder rother Feuer u. dergl. m.
Feuerwerkerei. — Feuerzeug. 477
Ueber Feuermischungen, welche im Wasser zur Entziindung koramen oder
auf Wasser brennen s. bei Feuer fliissige III pag. 438. Ueber Griechisches
Feuer vgl. Dingl. pol. Journ. 10, 125, 133, 280, 135 u. 155.
Ueber Feuerwerkerei vgl. a. A. Loden der Lustfeuerwerker 1870; M.
Meyer Lebrbuch der Pyrotecbnik 1840; M. Web sky die Luftfeuerwerkskunst.
Winkelblech iiber farbige Feuer im polytechn. Centralblatt 1850 pag. 1405
und 1851 pag. 107 etc. etc. Gil.
Feuerwerksatze s. Feuerwerkerei.
Feuerzangen s. Schmieden.
Feuerzeug (briquet — tinder box), nennt man jede Vorrichtung, welche
dazu dient, Feuer anzumachen, urn mittels desselben die Entziindung brennbarer
Korper zu ermbglichen. Die Feuerzeuge lassen sicb in mehrere Classen theilen,
u. z. wesentlich in mechanische, in chemische und electriscbe. Die ersteren
beruhen sammtlich auf der Anwendung des Principes, durch Reibung (oder durch
Druck) Warme zu erzeugen. Die einfachste Form der Anwendung dieses Principes
fand sich in dem Feuerzeug der Wilden, welche durch fortgesetztes, gentigend
heftiges Reiben zweier Holzstiicke, Feuer anzumachen pflegten. Dasselbe Princip
liegt den bis zu Anfang dieses Jahrhunderts ziemlich allgemein im Gebrauche
gewesenen Schlagfeuerzeugen zu Grunde, bei welchen man mittels Feuerstein und
Stahl Feuer anmachte. Bei dieser Art von Feuerzeugen, die auch heute noch
mehrfach in Verwendung stehen, werden durch heftige Reibung eines Stahlstiickes
an der Kante eines harten Steins (Feuerstein) Theilchen des Stahls losgerissen,
welche in Folge der durch die Reibung entwickelten Warme zum Ergltihen, ja
selbst zum Verbrennen gebracht werden und im gliihenden Zustande auf ein leicht
feuerfangendes Materiale (Zunder, Ziindschwamm) fallend, dasselbe zum Glimmen
bringen konnen. An dem glimmenden Zunder lassen sich mit Schwefel getrankte
Baumwoll- oder Leinenfaden entflammen und mit Hilfe derselben die Ziindung leicht
auf andere brennbare Korper iibertragen.
Die Feuersteinfeuerzeuge haben im Laufe der Zeit mannigfache Gestalten
angenommen, indem man sich allenthalben bemiihte, durch geeignete mechanische
Vorrichtung die Arbeit der Reibung von Stahl und Stein zu erleichtern.
So entstanden die Feuerschlosser der alten Flinten (s. Feuer waffen), die
Radschlosser und die diesen verwandten Formen der besonders in England ver-
wendeten Stahlradfeuerzeuge, bei welchen ein an einer horizontalen Welle
befestigtes Stahlrad mittels einer Kurbel oder eines Drehbogens in rasche Um-
drehung versetzt und an dasselbe ein Stuck Feuerstein angedriickt wurde, unter
welchem ein Stuck Zunder oder Feuerschwamm gehalten ward. Auf gleicher
Grundlage beruht das in neuester Zeit von Herrm. Glaser construirte Taschen-
feuerzeug, bei welchem ein kleines, mit Riefen versehenes Stahlradchen mittels
eines kleinen Antriebes durch Anwendung mehrerer Zahnradiibersetzungen in sehr
rasche Rotation versetzt wird, und hiebei an einem in einem federnden Halter
eingesetzten und an die Radperipherie angedriickten Stiickchen feinkornigen Sand-
steins Funken gibt, welche gegen eine Lunte geschleudert werden, die hiedurch
zum Glimmen gebracht wird. Der ganze Apparat, der in einer Metallblichse von
der Grosse einer gewohnlichen Taschenuhr eingeschlossen ist, ist sehr handlieh
und namentlich zum Anmachen von Glimmfeuer im Freien sehr bequem.
Die Eigenschaft verschiedener Korper, durch die bei massiger Reibung oder
bei Schlag erzeugte Arbeitswarme zur Entziindung gebracht zu werden, findet
iibrigens auch ausgedehnte Anwendung bei anderen Vorrichtungen, bei welchen
durch die Wahl leichter entziindlicher Korper schon ein geringer Schlag oder
eine massige Reibung zur Entziindung des brennbaren Stoffes zureicht. Soldier
Art sind die Kapselfeuerzeuge und die Feuerzeuge mit Ziindpillen, bei welchen
durch Vermittlung einer durch Schlag zur Explosion gebrachten Ziindkapsel oder
Ziindpille eine Lunte zum Glimmen gebracht wird, dann aber sind es insbesondere
478 Feuerzeng.
alle Arten vou Streich- oder Reibfeuerzeugen, bei welcben die leicht entziindliche
Zlindmasse der Streichhblzer durch Reibung so weit erwarmt wird, dass sie zur
Entziindung kommt (s. hieriiber bei Ziin dwaaren).
In die Reihe der auf mechanischem Wege wirkenden Feuerzeuge gehort
auch das Compressions- oder pneumatische Feuerzeug (Mollet's
Pumpe, Luftfeuerzeug), das aus einem starkwandigen, an einem Ende geschlossenen
Hohlcylinder besteht, in welcbem ein Stempel luftdicbt auf- und abbewegt werden
kann und sohin die den Cylinder erftillende Luft zu verdichten gestattet. Wird
an dem in den Cylinder passenden Ende des Stempels, an einem daselbst ange-
brachten Hakchen ein Stiickcben mbglichst trockenen Ztindschwamms befestigt
und nun der Stempel mbglichst rasch in den Cylinder hineingetrieben, was durch
einen kraftigen Schlag auf den Griff des Stempels geschehen kann, so wird durch
die rasche Compression der Luft so viel Warme entwickelt, dass der Ziind-
schwamm Feuer fangt und nach dem Herausziehen des Stempels aus dem Cylinder
fortglimmt.
Bei den chemischen Feuerzeugen ist es die durch die Einleitung chemi-
scher Processe frei werdende Verbindungswarme, welche zur Entziindung brenn-
barer Kbrper herangezogen wird. Hierher gehbrt die 1823 von Dbbereiner
erfundene und nach ihm benannte Ziindmaschine (Platinfeuerzeug, Knallgas-
feuerzeug).
Die Wirkung dieses Apparates beruht auf der von Dbbereiner entdeckten
Eigenschaft des Platinschwamms (sehr porbsen metallischen Platins), ein Gemisch
von WasserstofFgas und Sauerstoffgas zur chemischen Verbindung zu veranlassen,
wodurch sehr schnell eine bis zum Gliihen des Platins sich steigernde Hitze
entsteht und die Gasmischung in Flamme ausbricht. Eine solche Ziindmaschine
einfachster Construction besteht aus einem cylindrischen Gefasse von Glas7 Steingut
oder dergl., welches oben durch einen metallenen, nur leicht aufgelegten Deckel
geschlossen ist. Durch die Mitte des Deckels geht ein Loch, welches oben mit
einem Hahn in Verbindung steht, der andererseits mit einer seitlichen, eine feine
Bo lining tragenden Ausstrbmungsspitze communicirt. Nach unten communicirt
dieses Loch mit einer Glasglocke, die an dem Deckel luftdicht befestigt ist und
fast auf den Boden des ausseren Gefasses herabreicht. Auf einen kleinen Drei-
fuss von Blei wird ein Stuck reines Zink gelegt oder mittels eines Bleidrahtes
in der Glocke aufgehangt, und verdiinnte reine Schwefelsaure in das Gefass gegossen,
worauf man den Deckel mit der Glocke einsetzt. Durch Wechselwirkung des Zinks
mit der Schwefelsaure entwickelt sich nun WasserstofFgas und sammelt sich in
der Glocke, aus welcher man es anfanglich durch Oeffnung des Hahnchens aus-
strbmen lasst, um alle atmospharische Luft damit zu entfernen. Glaubt man
dies erreicht zu haben, so schliesst man den Hahn, worauf sich die Glocke
mit Wasserstoffgas flillt und die Schwefelsaure in ihr so weit herabgedrangt
wird, bis sie ausser Berlihruug mit dem Zink kommt, womit die Gasentwickelung
aufhbrt. Nun erst wird ein kleines Stiickcben Platinschwamm innerhalb eines
kurzen Rohres vor der Oeffnung der Ausstrbmungsspitze befestigt. Lasst man
durch Oeffnung des Hahnes einen feinen Gasstrom gegen den Platinschwamm
treten, so entziindet er sich sogleich. Wenn nach mehrmaligem Gebrauch so
viel Gas entwichen ist, dass die Schwefelsaure wieder mit dem Zink in Be-
riihrung tritt, so beginnt sogleich von Neuem die Entwickelung von Wasser-
stofFgas, und der Apparat kann somit lange Zeit dienen, bevor es nbthig ist,
ihn mit neuer Schwefelsaure zu versehen. Sollte das Zink oder die Saure unrein,
namentlich arsenikhaltig sein, so verliert der Platinschwamm sehr bald seine Ziiud-
kraft. Derlei Ziindmaschinen sind aber auch aus anderen Griinden dem Versagen
leicht unterworfen. So verliert der Platinschwamm seine Ziindkraft leicht durch
Aufnahme von Feuchtigkeit, sowie durch langere Beriihrung mit ammoniakhaltiger
Luft, wie sie sich in Wohnraumen, namentlich solchen, in denen geraucht wird, in
Schlafstuben, in der Niihe von Stallungen u. s.w. gewbhnlichfindet. Aufdiese Weise
Feuerzeug. 479
unwirksam gewordener Platinschwamm gewinnt seine Wirksamkeit leicht wieder,
wenn man ihn ausgliiht. Unwirksam wird der Platinschwamm auch, wenn das
auf denselben wirkende VVasserstoffgas mit Schwefelwasserstoff, schwefliger Saure,
salpetriger Saure, Phosphorwasserstoff, Kohlenwasserstoffen verunreinigt ist, was
bei Anwendung von unreiner Saure oder stark verunreinigtem Zink leicht der Fall
sein kann. So liefert eine mit schwefliger Saure verunreinigte Schwefelsaure bei
Beruhrung mit Zink ein durch Schwefelwasserstoff, salpetersaurehaltige Schwefel
s&ure ein mit salpetriger Saure verunreinigtes "VVasserstoffgas. Bei Anwendung von
rohem Zink kann sich leicht eine merkliche Menge von Kohlenwasserstoffen oder
Phosphorwasserstoff entwickeln. Nach B 6 ttg e r darf man keine rauchende Schwefel-
saure anwenden, weil diese bei Beruhrung mit Zink leicht schweflige Saure ent-
wickeln konnte, wahrend nach Karmarsch eine bei Anwendung von englischer
Schwefelsaure nicht mehr functionirende Zlindmaschine bei Verwendung von Vitriolol
sofort wieder wirksam gemacht werden kann. Auch durch Verstaubtwerden allein,
dann aber auch durch von dem Gasstrome mitgerissenes Zinksalz kann der Pla-
tinschwamm seine "Wirksamkeit verlieren. In der Mehrzahl der Falle lasst sich
ein unwirksam gewordener Platinschwamm durch blosses Ausgliihen in einer
Weingeistflamme wieder wirksam machen. Heftiges Ausgliihen ist hiebei zu
vermeiden, da der Platinschwamm durch Erhitzen auf Weissgluhhitze seine Ziind-
kraft verliert. Geniigt das einfache Ausgliihen nicht, dann kann man ihn durch
Tranken mit einer Platinchloridlbsung, nachherige Einwirkung einer Salmiaklosung
und endliches Ausgliihen wieder wirksam machen. Ware Unreinheit der Saure
Schuld, dann kann man in Ermanglung reiner Saure, die Schwefelsaure durch Er-
hitzen mit Wasser und etwas Zucker reinigen, indem durch diese Operation sowohl
ein Gehalt an schwefliger Saure, als auch ein solcher an salpetriger und Salpeter-
Saure aus der Schwefelsaure entfernt zu werden vermag.
Ziindmaschinen ahnlicher Art, zum Theile bios in der Form von jener Dobereiner's
abweichend, haben Eisenlohr (s. Dingl. pol. Journ. 72, pag. 27) und Schiele
(Dingl. pol. Journ. 76, pag. 236) angegeben. Dobereiner hat auch ein ahnlich
wirkendes Iridiumfeuerzeug construirt (s. Schweiger's Jahrb. 3, pag. 467.)
Ein eminent chemisches Feuerzeug ist ferner das von Chancel in
Paris 1805 erfundene fixe oder S tipp feu erz eug (Tunkfeuerzeug), bei welch em
Holzchen, die an einem Ende mit Schwefel und daran mit einer kleinen Menge
eines Teiges versehen sind, der aus chlorsaurem Kali (30 Thl.) und Schwefel
(10 Thl.), dann etwas Hexenmehl, Tragantschleim und einem farbenden Zusatze
von Zinnober oder Indigo hergestellt werden kann, dadurch zur Entziindung ge-
bracht werden konnen, dass man das mit dem Teig belegte Ende derselben mit
concentrirter Schwefelsaure benetzt, die der bequemeren Handhabung halber in
einem Flaschchen, welches mit Asbest gefiillt ist, der mit concentrirter Schwefelsaure
getrankt wurde, aufbewahrt wird.*) Die Entziindung dieser Holzchen (Tunk-
holzchen) wird dadurch bewirkt, dass concentrirte Schwefelsaure das chlorsaure
Kali unter Bildung von Unterchlorsaure zersetzt, welche vermoge ihrer energisch
oxydirenden Wirkung die dem chlorsauren Kali beigemengten oxydirbaren Sub-
stanzen (Schwefel, Hexenmehl, Zucker u. d. g.) oxydirt, wobei so viel Wiirme
entwickelt wird, dass die vorhandene brennbare Substanz zur Entziindung kommt.
Dasselbe Princip lag den spater in England eingefuhrten „Prometheans" zu
Grunde, die aus dtinnen Papierrollchen bestanden, in welchen eine geringe
Menge einer Mischung von chlorsaurem Kali und Zucker und ein beiderseits zu-
geschmolzenes, diinnwandiges Glasrohrchen, das concentrirte Schwefelsaure enthielt,
eingeschlossen war. Beim Quetschen solcher Papierrollchen sprang das Bohrchen
*) Newton brachte die Schwefelsaure in ein Flaschchen, das ohne Asbesttullung- zu 2 3
mit concentrirter Schwefelsaure gefiillt und mit einem oben becherforniig- ausgehohlten.
unten convexen, mit mehreren feinen Bohrungen versehenen Stopsel aus Blei verschlossen
wurde. Beim Schiitteln des Flaschchens sammelte sich in der becherfiirmigen Aushoh-
lung etwas Schwefelsaure an, die zum Tunken verwendet wurde.
480 Feuerzeug.
und die ausfliessende Schwefelsaure brachte das entziindliche Gemenge zur Ent-
flanimung.
Eine andere Art chemi seller Feuerzeuge sind die Phosphor feuerzeuge,
bei welchen die Selbstentziindlichkeit gewisser Phosphormischungen zur Zlindung
beniitzt wurde. Solcher Art war das Feuerzeug von Cagniard de la Tour u. A.
Etwas Phosphor wurde in ein kleines, mit Glasstopsel verschliessbares Flaschchen
gebracht und darin bis zur Entziindung erhitzt, wahrend man durch ein Rohr etwas
Luft einbliess, so dass der Phosphor einer unvollstandigen Verbrennung anheini-
fiel. Die Innenwandung des Flaschchens iiberzieht sich hiebei mit einer Schichte
von phosphoriger Saure, gemengt mit fein vertheiltem Phosphor, welche noch vor
dem Erkalten mittels ernes Glasstabchens mit dem unverbrannten Phosphor gut
durchgeriihrt und das Glaschen hierauf verschlossen wurde. Wurde etwas von
dieser Masse mit einem in Schwefel getauchten Holzstabchen aus dem Flaschchen
genommen und an die Luft gebracht, so fing dieselbe Feuer, das sich dem
Schwefelhblzchen mittheilte.
In ahnlicher Weise wirkten audi Mischuugen von Phosphor mit anderen
Substanzen, welche den Phosphor im Zustande feiner Vertheilung enthielten. Eine
solche Mischung war es z. B., welche man durch vorsichtiges Zusammenschmelzen
von 1 Thl. gelben Wachs, 8 Thl. Steinol, 4 Thl. Phosphor und 1 Thl. feinen
Korkfeilspanen darstellte. *)
Hierher gehoren endlich auch die Pyrophorfeuerzeuge, bei welchen
ein Pyrophor (z. B. ein durch Gliihen von schwefelsaurem Kalium mit Mehl unter
Luftausschluss dargestelltes und erkaltetes Gemenge von feinzertheiltem Schwefel-
kalium mit Kohle o. d. m.) in einem gut verschliessbaren Gefasse aufbewahrt
wurde, und im Falle des Bedarfes etwas davon auf etwas Baumwolle, Zunder odev
Ziindschwamm ausgestreut wurde, die hiedurch sofort zum Glimmen gebracht wurden.
Endlich gehoren hierher auch die Natriumfeuerzeuge Fleck's, bei welchen
durch Beruhrung einer Natrium enthaltenden Zitndmasse mit Wasser eine Ent-
ziindung herbeigefiihrt werden kann (vgl. a. Feuer fliissige III. pag. 438, s.
a. Ziind waaren).
Bei den electrischen Feuerzeugen wird die durch eine electrische
Entladung oder durch einen galvanischen Strom bedingte Warmewirkung zur Ent-
ziindung eines brennbaren Korpers verwendet.
Hierher gehort z. B. das 1770 von Fiirstenberg erfundene, 1777 von
Brander verbesserte electrische oder electrop neum atische Feuerzeug
(Schnellfeuerzeug, Tachypyrion, Gasopyrion, Brennluftlampe). Dasselbe bestand
wesentlich aus einem Wasserstoffentwicklungsgefasse von ahnlicher Anordnung,
wie es sich bei der Dbbereiner'schen Zundmaschine findet. In einem unter dem-
selben angebrachten Holzkastchen ist ein Harzkuchen, Electrophor (s. Electro-
phor III. pag. 256) untergebracht, dessen Deckel dnrch einen geeigneten Me-
chanismus gehoben wird, wenn der Hahn des Ausstromungsrohres fur das Wasser-
stoffgas geoffnet wird. Die durch das Abheben des Electrophordeckels und Be-
ruhrung desselben mit einem Metallcontacte bewirkte electrische Entladung erzeugt
das Ueberspringen eines electrischen Funkens zwischen zwei vor die Ausstro-
mungsbffnung fur den Wasserstoff gestellten Metallspitzen, so dass der beim Oeffnen
des Hahnes austretende Wasserstoffstrom von dem uberspringenden Funken ge-
troffen und so zur Entziindung gebracht werden kann.
Bei dem von Hare erfundenen Galvanophor wurde ein mittels einer galvani-
schen Batterie erzeugter Strom dazu beniitzt, einen diinnen Platindraht zum Gliiheii
zu bringen, an welchem ein Ziindfaden entziindet werden konnte. Das Ergluhen
;:) Die erst vor Kurzem empfolilenen, jedoch sehr gefahrb'chea Feuerzeuge, bei welchen
kleine Fliischchen mit einer Lbsung von Phosphor in Schwefelkohlenstoff gefullt ver-
wendet werden solleu, in welche man Papierstreifen eintaucht, die beim Verdunsten der
Losung an der Luft Feuer fangen, gehoren auch hierher, indem die Entziindung eben-
falls durch die Selbstentziindlichkeit des beim Verdunsten des Losungsmittels in fein
vertheiltem Zustande hinterbleibenden Phosj>hors bedingt wird.
Feuerzeug. — Ficelliren. 481
eines diinnen Platindrahtes beim Durchleiten galvanischer Strome wurde audi
als Ziindmittel fur Wasserstoffzlindmaschinen, neuestens auch von Klinkerfues
zur Entziindung von Leuchtgas (galvanisch - hydrostat. Ziindmaschine) verwendet
(vgl. Dingl. pol. Journ. 203 pag. 451 und polyt. Centralblatt 1872 pag. 1201).
Auch Voisin und Dronnier (s. D. Industr.-Ztg. 1874 pag. 418 und 1875
pag. 4) haben dasselbe Princip zur Construction einer selbstziindenden Petroleum-
lampe (katalytisches Leuchtfeuerzeug) bentitzt. Ausfiihrlicbes iiber Feuerzeuge s.
H. Wagner, Licht und Feuer. Weimar 1869. Dr. H. Schmidt, der vollstan-
dige Feuerzeugspraktikant, Weimar 1840 und spat. Auflagen. C. B. A.Propst, An-
weisung zur Verfertigung von alien Arten Ztindapparaten ; Quedlinburg 1834
und A. Gil.
Fibrilia nennt Vat tern are ein aus verschiedenen faserhaltigen Materialien
componirtes Fasermateriale.
Fibrin, s. Eiweisskorper III. pag. 140. s. a. Blut I pag. 660.
Fibrinogen. Eisweissartiger Korper, welcher sich im Zustande der Lbsung
als Bestandtheil des Blutes, des Chylus, der Lymphe. sowie anderer thierischer
Fliissigkeiten findet und ohne Zweifel in naher Beziehung zum Fibrin (s. d. Ill
pag. 140) steht. s. a. Blut I pag. 661. Gil.
Fibrinoplast s. Blut I pag. 661.
Fibroferrit, Min., ist strahlig krystallisirtes, bas. schwefelsaures Eisenoxyd.
Vorkommen in Chile. Gil.
Fibroin (fibro'ine — fibroine) (Sericih), wesentlicher Bestandtheil der
Seidensubstanz, sowie Bestandtheil der Spinnfaden gewisser anderer Spinner (In-
secten, Spinnen etc.), z. B. der sog. Sommerfaden. Man erhalt das Fibroin am
bequemsten aus Seidenfaden, indem man dieselben anhaltend und zwar am besten
unter erhohtem Druck mit Wasser kocht, den Riickstand mit Alkohol und Aether
und endlich mit cone. Essigsaure erschopft und schliesslich nochmals mit Wasser
behandelt; auch durch Behandlung der Seide mit kalter Natronlauge lasst sich
das Fibroin isoliren. Man erhalt aus Seide 54 — 60 Procent reines Fibroin.
Im reinen Zustande stellt dasselbe eine farb- und geruchlose, hellglanzende
seidenahnliche Masse dar, die jedoch von geringerer Festigkeit aber auch geschmei-
diger als Seide ist. In Wasser, Alkohol, Aether und cone. Essigsaure ist es un-
loslich, dagegen loslich in cone. Mineralsauren, in Auflosungen atzender Alkalien,
in Kupferoxydammoniak, sowie in Nickeloxydulammoniak, dann in cone. Chlorzink-
losung (60° B.). Aus den alkalischen Losungen wird es durch Verdiinnen mit
Wasser, sowie durch Sauren, aus den Losungen in Sauren nach dem Verdiinnen
derselben mit Wasser durch Gallapfeltinctur (Gerbsanre) wieder als fasrige Masse
gefallt. Beim Erhitzen blaht es sich auf und verbrennt mit hellblaulicher Flamme
unter Verbreitung eines Geruches nach verbranntem Horn und Hinterlassung einer
lockeren Kohle. Beim Kochen mit verdunnter Schwefelsaure wird es unter Bil-
dung von Glycocoll, Leucin und Tyrosin zersetzt, Salpetersaure verwandelt es
unter anfanglicher Gelbfarbung endlich in Oxalsaure. Die Zusammensetzung des
Fibroins entspricht der Formel C^H^N^O^ (Cramer), vgl. Vogel in Buch-
ner's Repert. 8, pag. 1, Schl ossberger Annal. d. Chem. u. Pharm. 108 pag.
62, Schweizer Journ. f. pract. Chem. 76 pag. 544. Cramer, Untersuchung'
der Seide, Inaugural-Dissertation, Zurich 1863, a. Dingl. pol. Journ. 176 pag. 53,
s. a. Seide. Gil.
Fibrolith syn. Sillimanit und Buchholzit.
Ficelliren syn. Verbinden der Champagnerflnschen s. W
e l n.
Karmarsch & Heeren, Technischos Worterbuch. Bd. III. 31
482 Fichtelit. — Fichtenharz.
Fichlelit {fichtelite — fichtelite), Min. Ein natiirlich vorkommender, fester
Kohlenwasserstoff, der in Gestalt kleiner, dem monoklinen Kiystallsysteme ange-
horigen Krystall-Schuppen oder in krystallinischen Krusten im Lignit von Redwitz
in Bayern, audi im Torf von Borkowitz in Bohmen, dann aber auch an den
lebenden Starnmen von Pinus australis sich findet. 1st weiss, perlniutterglanzend,
geruchlos mid geschmacklos. Lost sich schwer in Alkohol, leicht in Aether, schwimmt
auf Wasser; schmilzt bei 36° C, in hoherer Temperatur unzersetzt fliichtig. Seine
Zusammensetzung entspricht der Formel n(Cl0H16). Gtl.
Fichtenharz (poix resine, pegle — common resin, firresin), gemeines
Harz. Das an den Fichten, Kiefern und Tannen theils freiwillig, theils durch
in die Rinde gemachte Einschnitte und Hiebe ausfliessende Harz fiihrt in dem
noch fiiissigen Zustande den Namen Terpentin. Lasst man es so lange an dem
Baume,, bis der grosste Tlieil des Terpentinols durch Verfliichtigung entfernt ist, so
fiihrt das so gewonnene, noch etwas Oel enthaltende Harz den Namen Fichten-
harz. Galipot (bred sec) oder B arras. Es bildet mehr weniger unregel-
massige Stiicke oder Klumpen von gelblich weisser, gelbrother oder brauner Farbe,
die halbdurchscheinend, von terpentinartigem Geruch und etwas knetbar sind.
Wird dasselbe geschmolzen und absetzen lassen oder durch Stroh oder Werg
filtrirt, urn Blatter, Rinde und andere Unreinigkeiten abzuscheiden, und dann in
Fassern erkalten gelassen, so resultirt das weisse Harz (Weisspech) oder bei
starkerem Erhitzen das gel be Harz, das eine mehr oder weniger gelbe oder
braimlich gelbe, durchscheinende, in der Kalte sprbde Masse von- muschligem
Bruche darstellt, die in der Warme erweicht und klebrig wird. Beim Erhitzen
mit Wasser resultirt das undurchsichtige, gelbliche oder gelblich weisse B u r-
g under Pech (poix de Bourgogne — Burgundy pitch). Dasselbe Product
resultirt auch bei der Destination des Fichtenharzes mit Wasser, wie sie zum
Zwecke der Terpen tinblgewinnung ausgefiihrt zu werden pflegt (s. Terpen tin 61),
als Retortenrtickstand.
Wird dieser starker erhitzt, oder. die Destination ohne Wasserzusatz aus-
gefiihrt, so resultirt das Colophonium oder Geigenharz (colophane —
colophony), das von braunlich gelber bis dunkelbrauner Farbe, durchsichtig oder
durchscheinend, in der Kalte sprode und von glanzendem muschligem Bruche, in
in der Warme aber klebrig ist. Es lasst sich leicht pulvern, doch hat das Pulver
Neigung sich zusammenzuballen. Das spec. Gewicht des Colophoniums ist 1.01
bis 1.08.
Wird die Destination des Terpentins mit Wasserzusatz nicht so weit ge-
trieben, bis der Riickstand wasserfrei ist, so resultirt der gekochte Ter-
pentin (terebintina cocta), ein noch Wasser und Terpentinol enthaltendes,
schmutzig gelbes Harz, das in der Warme weich, in der Kalte hart ist, aber bei
langerem Liegen der Stiicke noch zusammenfliesst. Auch durch Abtrocknen des
freiwillig ausfliessenden Terpentins oder der nach der Terpentingewinnung in den
Einschnitten der Stamme zuriickbleibcnden Terpentinreste bilden sich mehr weniger
ahnliche Harzmassen. Soldier Art ist der Waldweihrauc h, der in Gestalt
kleinerer oder grosserer Stiicke haufig von Thranenform und gelblich weisser,
gelber bis rothlich brauner Farbe in den Handel kommt, zwischen den Fingern
erweicht, angenehm aromatisch riecht und terpentinahnlich bitter schmeckt. Nicht
selten wird soldier Waldweihrauch in Ameisenhaufen gefunden, in welche die ab-
fallenden Tropfen von Ameisen vertragen werden, seltener von den Baumen selbst
gesammelt. Das in den alten Einschnitten der Baume angesammelte und dort
cingetrocknete Harz, sowie jenes, welches sich nicht selten zwischen Rinde und
Holz alter Stamme findet, wird gesammelt und als gemeines Harz zu Markte
gebracht. Es ist dem Waldweihrauch im Ganzen ahnlich, doch gewolmlich vie!
unreiner als dieser. Ein stark aromatisch riechendes Harz ist auch das sog.
L ar eh en ha r z, welches durch freiwillig-es Abtrocknen des aus Pinvs Laricio-
Fichtenharz. — Fieberklee. 483
Stammen ausfliessenden Balsams entsteht und unregelroassig rundliche, aussen
rothliche, innen weisse Harzkbrner bildet.
Die reichsten Quellen fur die Gewinnung des Fichtenharzes und der mit
diesem allgemeinen Namen belegten Harzproducte anderer Coniferen sind eioerseits
die osterreichischen, deutschen und russischen Waldgegenden, dann die Coniferen-
bestande im Siiden von Frankreich (hauptsachlich von der sog. Meerstrandsfichte
stammend), endlich aber vornehmlich die Walder Nordamerikas, von wo jahrlich
hunderttausende von Tonnen Fichtenharz nacli Europa exportirt warden. Alle
Arten von Fichtenharz sind in Alkohol grosstentheils lbslich, durch Alkalien ver-
seifbar, bei hoherer Temperatur leicht schmelzbar, bei starkera Erhitzen unter
Luftzutritt mit hellleuchtender, stark russender Flamme verbrennbar. Sie entlialten
neben Resten von atherischem Oel und mehr oder weniger Wasser, mehrere Harze
von der Natur schwacher Sauren, die wesentlich theils das Hydrat, tlieils das
Anhydrid einer Saure, der Abietinsaure C44^6r.04 (Maly) sind. Das Fichten-
harz findet in seinen verschiedenen Formen die mannigfachste Anwendung zu
technischen Zwecken, insbesondere zur Herstellung von Lacken, Firnissen und
Schmelzlacken (Siegellacken), dann zur Bereitung des Harzleims fur Papierfabri-
kation, zu Kitten ; Colophonium namentlich auch als Mittel zur Erzielung grosserer
Reibungsmomente bei Maschinentheilen, Streichinstrumenten u. dg. m., endlich
dient Fichtenharz als Rohmateriale fiir die Gewinnung der Harzole, sowie auch
zur Erzeugung eines Leuchtgases u. s. w. Nach Hunth und Po chin's paten-
tirtem Verfahren lasst sich Colophonium durch Destination mit iiberhitzten Wasser-
dampfen auch gebleicht erhalten und ist dann weiterer Anwendungen, zu welchen
das gewohnliche Colophonium seiner Farbung wegen nicht verwendbar ist, fahig
s. a. Pech und Forstwirth s chaft. Gil.
Fichtennadelol (essence du coton de pin — pin needle oil), Kieferna-
delol, Waldwollol. Das durch Destination der Fichtennadeln mit Wasser,
meist als Nebenproduct bei der Bereitung des Fichtennadelextractes gewonnene
atherische Oel. 1st dem Terpentinol nahe verwandt, von ahhlichem, aber ange-
nehmerem Geruche, farblos bis griinlich gelb, leicht beweglich, diinnfliissig. Spec.
Gew. 0.88. Ist mit Alkohol und Aether mischbar. Gil.
Fichtenholz (sapin, pin — red deal, pine) ist das Holz der Rothtanne
oder Fichte (Pinas abies L.), welches in Mitteleuropa sowohl als „weiches"
Brennholz, als auch als Tischler- und Bauholz die ausgedehnteste Anwendung
findet. Es ist ein weiches, leicht spaltbares, unter der Axt gerne splitterndes
Holz; etwas harzreicher als das Tannenholz, mit welchem es grosse Aehnlichkeit
besitzt, aber lange nicht so harzreich wie das Holz der Fohre und Larche. Die
.Tahresringe (das Friihlings- und Herbstholz) sind deutlich zu unterscheiden : die
Farbe ist rbthlich-gelblich-weiss. Ein Kubikmeter dieses Holzes wiegt ca.
475 k. Kk.
Fichtenzucker s. Pin it.
Ficinit, Min. Bildet dunkelfarbige, fast schwarze, kaum durchscheinendeKry-
stalle des monoklin. Systems. Zu Bodenmais^ als Begleiter des Cordierits sioli
findend. Ist Schwefelsaure und manganhaltiges Eisenphosphat vom spec. Gew.
3.4—3.5 und der Harte 5—5.5. Gtl.
Fieberrinde syn. Chinarinde s. II pag. 309.
Fieberklee (herbe a, la fievre — fewer-feio), Bitterklee. Die Blatter
des auf sumpfigen Wiesen Mitteleuropashaufigvorkommenden Bitterklee"s Menydn--
thes trifoliata L. zeichnen sich durch einen erheblichen Gehalt an einem intensiv
bitterschmeckenden Extractivstoff M en y an thin ails, und wurden friiher als
Arzeneimittel, hie und da wohl auch als Hopfensurrogat zur Bierbereitung ver-
wendet. Das von Ludwig und Kromayer (Arch. f. Pharm. 108 (2) pag. 263^
isolirte Menyanthin stellt eine amorphe, gelbliche, anfangs weiche, allmalig feat
31*
484 Fieberklee. — Filixwurzel.
werdende Masse dar, die stark und rein bitter schmeckt, schwer in kaltem, leicht
in kochendem Wasser und Alkohol, in Aether aber nicht loslich ist. Beim Er-
hitzen auf 110 — 115° C. schmilzt es zu einer leicht beweglichen Fllissigkeit.
Es ist stickstofffrei und ist der Formel C{1„H3(.Oll entsprechend zusammen-
gesetzt. Gtl.
Fiedelbogen^ Bohrbogen, s. Bohr en II pag. 710 Zeile 11.
Fikor syn. mit ostind. Arrow- Root, s. Starkemehl.
Filanda (filature — silk-spinning-mill), Seidenspinnerei, s. Seide.
Filatorium (moulin h soie — spinning mill), Seiden-Zwirnmaschine,
s. Seide.
Filete, s. Buchbinder-Arbeiten II pag. 123.
Filigranarbeit (filigrane — filigrane) bezeiehnet man jene, namentlich ira
Oriente noch jetzt gebrauchliche Gold- und Silberarbeit, bei welcher die einzelnen
Schmuckstiicke aus mannigfach gebogenen, durch Lbthen vereinigten Gold- oder
Silberdrahten hergestellt sind. Um mannigfacheren Effect zu erzielen, verwendet
man auch cordirten und dann geplatteten Draht, s. Goldarb eiten.
Filigranglas s. Glas.
Filigranpapier (papier filigrane — 'paper filigrane) ist Papier mit zarten,
durch Pragedruck (mit oder ohne Zuhilfenahme von Durchschnitten) hergestellten
Zeichnungen. Vgl. Art. Buntpapier II pag. 177.
Filiren (moulinage — throiving), Zwirnen der Seide, s. Seide.
Filixgerbsaure s. Filixwurzel.
Filixsaure s. Filixwurzel.
Filixwurzel, Farrenkrautwurzel, die Wurzel von Aspidium filix mas.
Sw., welche namentlich als Arzeneimittel gesohatzt ist, enthalt eine eigenthiim-
liche Saure, die Filixsaure, dann eine Gerbsaure, Filixgerbsaure und ein fettes
Oel, das Farrenkrautwurzelol oder Filixol.
Die Filixsaure CtiHiS05 scheidet sich aus dem atherischen Extracte
der Wurzel in Gestalt krystallinischer, gelber Krystallkrusten ab, die durch Um-
krystallisiren aus Aetherweingeist und endlich aus Aether gereinigt und in Form
kleiner weisser Krystallblattchen erhalten werden konnen, die bei 161° G. schmelzen,
von schwachem Geruche und Geschmacke und schwach saurer Reaction sind. In
Wasser ist sie nicht loslich, leicht dagegen in kochendem Weingeist, dann in
Aether und Schwefelkohlenstoff, sowie endlich in Fetten und ather. Oelen. Mit
Alkalien bildet sie losliche Salze. Sie ist ein Derivat des Phloroglucins u. z.
Dibutyrylphloroglucin (vgl. Luck, Annal. d. Chem. u. Pharm. 54, pag. 119 und
Grabowsky, Annal. d. Chem. u. Pharm. 143 pag. 279).
Die Filixgerbsaure, aus dem wassrigen Auszuge der Filixwurzel durch
Fallen mit Bleiessig und Zersetzung des Bleiniederschlages mit Schwefelwasser-
stoff darstellbar, ist der Chinagerbsaure ahnlich, amorph, in Wasser unter Trii-
bung, leicht in Alkohol loslich, fallt Leim und farbt Eisenoxydsalze griin. Durch
Kochen mit verdiinnten Sauren wird sie unter Abscheidung dunkelziegelrother
Flocken von Filix roth (C„6HiS012) zersetzt, wobei sich auch Zucker bildet
(vgl. Mai in, Annal. d. Chem. u. Pharm. 143 pag. 276).
Das Filixol ist ein fettes, schwierig verseifbares Oel von dunkel gras-
griiner Farbe und ziemlich dicker Consistenz. Es schmeckt Anfangs mild, spater
kratzend und erstarrt in der Kalte nicht. Kann aus dem atherischen Filixwurzel-
extracte durch Scliiitteln mit ammoniakalischem Wasser gewonnen werden. Gtl.
Fillet — Filtriren. 485
Fillet, s. Baumwollspinnerei I pag. 332.
Fillingmaschine ist eine in der Floretseidenspinnerei verwendete Maschine,
s. Seide.
Filter, Filtrum, s. Filtriren.
Filterapparate, Filtrirapparate, s. Filtriren s. a. Wasser.
Filterkohle, eine porose Kohlenmasse zur Herstellung von Filterapparaten,
namentlich fur Wasserfiltration s. Wasser, vgl. Kohlenstoff. Gil.
Filterpapier, Filtrirpapier s. Filtriren, vgl. Papier.
Filterpressen. Zur Abscheidung feiner, pulveriger Substanzen von Fliissig-
keiten werden mit vorzuglichem Erfolge Filterpressen angewendet. So z. B. zum
Auspressen des Porzellanmasse-Schlamines, des Stearins, der Hefe etc. S. hieruber
Naheres im Art. Pressen, s. a. Zuckerfabrikation. Kk.
Filtriren (filtrage — filtering), Filtern (Durchseihen). Eine rein me-
chanische Operation, urn Fliissigkeiten von darin aufgeschwemmten festen Theilchen
zu sondern, sei es nun, dass man die Fliissigkeit oder die festen Theilchen oder
auch Beides zu benutzen beabsichtigt. Das dazu dienende Mittel, das Filtrum
(Jiltre — filter), besteht jederzeit aus irgend einem porosen Korper, wie z. B.
Loschpapier, Filz, Zeugen, aller Art porosen Steinen oder thonernen Geschirren,
Kohlenpulver, porosen Kohlenmassen, Sand, Amianth, Glaswolle u. dergl. Zu
chemischen Versuchen im Kleinen wird fast nur feines Loschpapier (Filtrirpapier)
genommen, welches entweder von vorn herein mit ganz reinem, sorgfaltig gewa-
schenem Papierzeug und klarem Regenwasser angefertigt sein muss, oder das
man noch besser dadurch reinigt, dass man es (am bequemsten die fertig zu-
sammen gefalteten Filtra) in verdiinnte Salzsaure einlegt, um alle Eisenoxydtheile
und Kalk, die fast immer in geringer Menge im Papiere vorkommen, aufzuloseu,
und dann wieder so lange mit destillirtem Wasser auswascht, bis das ablaufende
Wasser mit salpetersaurer Silberauflosung nicht die geringste Triibung gibt.
Die Art, das Papier zusammen zu legen, um es als Filter zu verwenden,
besteht gewohnlich ganz einfach darin, dass man ein viereckiges Stuck zweimal,
namlich in der Richtung der Diagonalen, zusammen faltet, und es dann an dem
orfenen Rande bogenformig abschneidet, so dass eine kreisformige Scheibe resultirt,
die auf einen Viertelkreis zusammengelegt ist. *) Oder man legt ein Stuck Papier
einmal zusammen, und bildet nun durch facherformiges Zusaoimenfalten ein einem
Facher ahnliches, halbkreisformiges Falten-Filter (Stern filter) (filtre cl plis),
bei welchem die einzelnen Faltenbiige radial gegen das Centrum der Kreisscheibe
zusammenlaufen. Um die aus Papier gefertigten Filter, die man zur Ersparniss
an Papier nach S to lb a auch durch Zusammenlegen einer halbkreisformigen Pa-
pierscheibe auf einen Viertelkreis und zwei- bis dreimaliges Zusammenfalten des
offenen Randes erhalten kann, zu benutzen, setzt man sie entweder in eine Filtrir-
tasse oder in einen Trichter ein. Filtrirtassen sind flache Tassen aus Glas, Por-
zellan oder Holz, mit einem kreisrunden Ausschnitt in der Mitte, in welchen man
das aufgerollte gewohnliche Filter, das die Gestallt eines hohlen Kegel hat, mit
der Spitze nach abwarts einsetzt, und die so mit dem Filter versehene Tasse
legt man dann auf die Miindung des Gefasses auf. in welchem man die filtrirte
Fliissigkeit auffangen will. Um ein gewohnliches Filter aufzurollen, dreht man
die in die Halfte zusammengelegte Papierscheibe dutenformig zusammen, indem
man den Finger zwischen die beiden Halften der Kreisscheibe dazwischen schiebt.
*) Zum Eundschneiden der Filter kann man sich bequem der von Moir angegebenen
Filterchablonen aus Weissblech oder einer Vorrichtung bedienen, welcbe Stevenson
angegeben hat, und die aus einer Metallscheibe bestebt, auf welcher ein in einer Kreis-
linie beweglicher Arm mit verstellbarem Messer angebracht ist.
486 .Filtriren.
so dass nach dem Aufrollen ein Hohlkegel entsteht, der an der einen Seite eine
dreifache, an der anderen Seite eine fiinfache Lage von Papier zeigt. Solcher
Tassen kann man sich im Allgemeinen nur fur kleinere Filter bedienen, da bei
Anwendung grosser Filter der Druck der in das Filtrum eingegossenen Fliissig-
keit zu gross ist, als dass ihn das, namentlich im feuchten Zustande leicht reis-
sende Filtrirpapier, selbst wenn man es doppelt oder dreifach genommen hatte
(doppelte oder dreifache Filtra), auszubalten vermochte *) Zweckmassiger, weil
das Reissen des Filtrirpapiers, das, um fur Fliissigkeiten moglichst gut durch-
gangig zu sein ungeleimt sein soil, besser verraeidend, ist es, die Filtrain Trichter
einzusetzen. Man kann sowohl mit gewohnlichen (glatten) als auch mit gefalteten
Filtern (Sternfiltern) in Trichtern filtriren. Um glatte Filter in den Trichter einzusetzen,
hebt man von der auf einen Viertelkreis zusammengelegten Kreisscheibe nur das
oberste Blatt auf und formirt, wahrend man die anderen 3 iibereinander liegenden
Blatter gemeinschaftlich fasst, einen Hohlkegel, den man nun in den Trichter ein-
setzt, so dass das Papier iiberall moglichst gut an der Trichterwand anliegt.
Das Filter darf hiebei den Rand des Trichters nicht uberragen. Die Trichter
mtissen so gewahlt werden, dass der Winkel, welchen die Wande des Trichters
einschliessen, nicht wesentlieh mehr oder weniger als 60° (fur sehr grosse Trichter
50°) betragt, und der Trichterhals darf sich nicht allmalig erweitern, sondern soil
mit einem moglichst scharfen Winkel absetzen. Andernfalls legt sich das Filter
nicht gut an die Trichterwand an und bleibt dem Reissen leicht unterworfen. In
Folge des Umstandes, dass glatte Filter sich an der Trichterwand fest anlegen,
wird die Filtration bei Anwendung solcher Filter in Trichtern nicht unwesentlich
verlangsamt, und ist es daher, wenn rasche Filtration beabsichtigt wird, zu em-
pfehlen, statt der glatten Filter, die gefalteten (Faiten- oder Sternfilter) zu ver-
wenden, die sich nur theilweise an der Trichterwand anlegen, und zwischen den Faiten
der Fliissigkeit den Ablauf gestatten, mithin eine grossere filtrirende Flache bieten.
Solche Filter muss man jedoch mit ihrer Spitze ziemlich tief in den Trichterhals
eindriicken, da sie sonst leicht reissen.
Den Zweck einer Beschleunigung der Filtration erreicht man auch bei An-
wendung glatter Filter, wenn man zwischen Filter und Trichterwand mehrere
Glasstabchen einstellt, oder Trichter anwendet, welche an ihrer Innenwand gerieft
sind. Auch Trichter mit durchlcicherter Wandung kann man an wenden, und Wolff
hat sogar empfohlen, an Stelle der Trichter kegelformige Gestelle aus verzinntem
Eisendraht anzuwenden, welche das Filter geniigend stiitzen, ohne die Raschheit
der Filtration zu beeintlussen.
Ftir die Filtration von Korpern, die nur bei hoherer Temperatur geniigend
fliissig sind, um durch die Porren des Filters hindurch zu gehen, bedient man sich
der sog. Warmtr ichter, d. s. doppelwandige Trichter, gewohnlich aus Metall-
blech, in die man entweder directe das Filtrum oder den dieses tragenden Glas-
oder Porzellantrichter einsetzen kann. Der Zwischenraum zwischen den beiden
Wandungen des Trichters wird entweder mit heissem Wasser gefiillt, das durch
eine an der Aussenwand wirkende Flamme heiss erhalten wird, oder man lasst
hcisse Dampfe durchstromen iDampftrichter).
Filtrationen in etwas grosserem Masstabe werden haufig in Spitzbeuteln oder
auf Seihetiichern vorgenommen ; die ersteren konnen aus Leinwand oder Flanell
genaht oder auch aus Filz gleich in einem Stiick angefertigt werden. Dergleichen
Filter befestigt man in sog. Tenakeln, d. s. aus 4 zu einem Quadrat zusammen-
gelegten Holzstaben gebildeten Rahmen, die an den Kreuzungsstellen der Stabe
Iange Nagel tragen, deren Spitzen so weit aus dem Holze hervorragen, dass man
den Rand des Spitzbeutels oder Tuches daran befestigen kann. Solche Filzfiltra
*) Pichot und Malapert liaben eiu Filtrirpapier hergestellt, welches in derMitte eines
jeden Bogans eine ruude Seheibe eines t'einen Gewebes (Gaze) eingelegt enthalt, wo-
dureb die Festigkeit des Papiers wesentlich crhoht wird.
Filtriren.
487
Fig. 1636.
finden z. B. Anwendung beim Filtriren des Brennols nach der Behandlung
mit Schwefelsaure. Eine andere Filtrirvorrichtung, eb en falls bei der Oelraffinerie
gebrauchlich, besteht in emem Fass mit vielfach durehlochertem Boden, durch
dessen Locher baumwollene Dochte, oben mit einem Knoten versehen, hindurch-
gezogen werden. Anch Werg sowie Stroh oder Strohgefiechte, dann Sclieerwolle
wendet man im Grossen als Filtermaterial an.
In einzelnen Fallen, so namentlich beim Filtriren concentrirter Sauren oder
atzender Laugen, oxydirend wirkender oder solcher Fliissigkeiten, die bei Beriili-
rung mit organischen Substanzen zersetzt werden wiirden, muss das Filtrum aus
einer unorganischen Masse bestehen. Man bedient sich dann einer Lage von
reinem Sand, Glaspulver, Asbest, Bimsstein oder der gegenwartig allenthalljen leicbi
zuganglichen Glaswolle, welclie jedoch aus einem Glase gefertigt sein muss, welches
von dergleichen Fliissigkeiten nicht angegriffen wird. In manchen Fallen kann
man mit Vortheil aueh Schiessbaumwolle verwenden, die gleichfalls der Einwir-
kung gewisser atzend wirkender Fliissigkeiten nicht unterliegt. Auch Bimsstein in
Stiicken kann man als Filtermateriale in der Weise verwenden, dass man aus
Bimsstein auf einer Drehbank kegelformige Stiicke formt, die man innen bis auf
eine schwache Wand aushohlt. Eben solche Filter kann man auch aus porosem
Thone (Bisquit) oder porosem Steinmateriale herstellen. Auch aus Asbestgewebe
hat man ein Filtermateriale fur atzende Fliissigkeiten hergestellt, das ahnlich dem
Filtrirpapier zu Filtern geformt werden kann, die man entweder in einem Trichter
oder in einem anderen geeigneten Behalter, dessen Boden durchlochert sein
muss, anbringt. Um das Hindurchfallen des Sandes durch die Locher zu ver-
hindern, legt man iiber jedes ein Steinchen. Dergleichen Filtrationen kommen
indessen seltener vor, oder lassen sich auf anderen Wegen umgehen.
Um sich die Miihe zu ersparen, sowohl
bei den Filtrationen selbst die zu filtrirende
Fliissigkeit, als auch besonders beim nachheri-
gen Auswaschen das Wasser aufzugeben, bedient
man sich mit grosstem Vortheil selbstwirkender
Filtrirvorrichtungen, deren Aufgabe darin be-
steht, das Filtrum stets gefullt zu halten. Eine
bei Filtrationen im Kleinen sehr bequemc und
zweckmassige Methode besteht darin, die Fliis-
sigkeit mit dem Niederschlage in eine Flasche
zu geben, den Hals mit dem Finger zu ver-
schliessen, sic umzukehren und die Oeffnung
in das Filtrum zu bringen. Aus bekannten
Griinden hbrt das Ausstromen der Fliissigkeit
auf, sobald sie in dem Filtrum bis zu der Hbhe
gestiegen ist, dass sie die Miindung der Flasche
absperrt und sohin den Eintritt der Luft in
die Flasche hindert. Die Flasche wird nun in
dieser umgekehrten Stellung mittelst eines Tra-
gers befestigt. Wenn aber im Verlauf der
Filtration das Niveau bis unter die Miindung
der Flasche sinkt, so gelangt, unter gleich-
zeitigem Ausfluss eines entsprechenden Volu-
mens Fliissigkeit, Luft in dieselbe, bis aber-
mals die Flaschenmiindung durch die Fliissig-
keit abgesperrt wird. Zum Auswaschen von
Niederschlagen, von welchen nichts verloren
gehen soil, wie bei genauen Analysen, ist diese
Vorrichtung aus dem Grunde unanwendbar, weil die Luftblasen bei ihrem Eintritt
in die Flasche und dem Aufsteigen leicht eine kleine Menge des Niederschlages
mit in die Hohe reissen und in die Flasche fiihren, wo sich derselbe 'dann an
488 Filtriren.
den Wanden festsetzen kann. Es sind daher wohl andere Vorrichtungen vor-
zuziehen, die diesem Uebelstande begegnen, unter welchen der in Fig. 163G dar-
gestellte, von Gay-Lussac empfohlene Aussiissapparat einer der altesten und
eben sowohl im Kleinen als auch im Grossen vollkommen anwendbar ist. Er
besteht aus einer geraumigen Flasche, deren Miindung mit einem genau luftdicht
schliessenden Pfropfe versehen ist, durch welchen zwei Glasrohren bis nahe auf
den Boden der Flasche hindurchgehen. Die eine dieser Rdhren ist heberformig
gekriimmt, und an ihrem ausseren Sehenkel so lang, dass das Ende, welches in
das Filtrum b hineinreicht, etwa urn einen Centimeter tiefer liegt, als die untere
Oeffnnng a der zweiten Rohre. Soil nun eine Aussiissung vorgenommen werden,
so fiillt man die Flasche mit reinem Wasser, verschliesst sie mit dem Pfropfe,
bringt den Heber in das Filtrum, mit der Vorsicht, dass der Rand dieses letzteren
urn etwas holier liegt als die Oeffnung a und setzt nun den Apparat dadurch
in Thatigkeit, dass man in die gerade Rohre Luft einblast, wodurch sich die
Heberrohre mit Wasser fiillt, das von da in das Filter abfliesst, so lang, bis
die Miindung der heberformigen Rohre etwa ebenfalls ein Centimeter tief in die
Fliissigkeit im Filtrum eintaucht. Indem das Fliissigkeitsniveau im Filtrum wahrend
des Ganges der Filtration sinkt, fliesst eine neue Menge Wassers aus dem Heber-
rohre nach, bis die Fliissigkeit im Filtrum wieder auf das urspriingliche Niveau
gebracht ist u. s. f. Der Apparat wirkt also selbstthatig und halt, so lange noch
Wasser in der Flasche ist, das Filtrum stets mit Wasser gefiillt. Aus physikali-
schen Griinden namlich, deren Erorterung hier zu weit fiihren wiirde, fliesst der
Heber, unter gleichzeitigem Eintritt von Luft durch die andere Rohre, nur so
lange, bis das Niveau der ihn umgebenden Fliissigkeit in dem Filtrum bis zu der
Hohe der Oeffnung a gestiegen ist, wo dann der Zufluss von Wasser aufhort.
Auf demselben Principe beruhen die meisten anderen selbstthatigen Nach-
fiillapparate, die in den verschiedensten Formen angegeben wurden.
Die Natur des Niederschlages ist von dem grossten Einfluss auf die Schnel-
ligkeit der Filtration. Grobkornige, sandige Niederschlage filtriren am besten ;
naclist diesen folgen die fasrigen und flockigen, auf diese die feinkornigen, und
am schlimmsten von alien sind schleimig-volumindse Niederschlage zu filtriren,
daher man denn, zumal bei Arbeiten im Grossen, sich bemiihen muss, den Nie-
derschla'gen eine geeigte kornige oder flockige Beschaffenheit zu ertheilen., sofern
nicht etwa die Bestimmung derselben eine andere Beschaffenheit erheischt.
Insoferne die Raschheit, mit welcher eine Fliissigkeit die Poren eines Filter-
materiales durchdringt, wesentlich abhangig ist von dem Drucke der auf die im
Filter befindliche Fliissigkeit wirkt, ist es klar, dass man durch einseitige Erhohung
des Druckes eine wesentliche Beschleunigung der Filtrationsprocesse herbeifiihren
kann. Ein solcher, und zwar am bequemsten ein hydrostatischer Druck, ist da-
durch zu bewirken, dass man entweder dem Filtrum eine betrachtliehe Tiefe gibt,
oder dass man den Raum iiber dem Filtrum nach alien Seiten hin dicht ver-
schliesst, mit einer aufsteigenden Rohre in Verbindung setzt, und diese mit Wasser
oder der zu filtrirenden Fliissigkeit gefiillt erhalt.
Eine grosse Unbequemlichkeit dieses an sich einfach erscheiuenden Ver-
fahrens liegt darin, dass der Niederschlag wahrend der Filtration und der Aus-
waschuug vollig unzuganglich bleibt, sich also durchaus nicht nachsehen und auf-
riihren la'sst, und dass auch das jedesmalige Oeffnen und Wiederverschliessen des
Apparatus zwischen zwei Filtrationen gewisse Schwierigkeiten darbietet. Ebenso
unbequem und in der Praxis undurchfiihrbar ist es, durch Erhohung des Luft-
druckes iiber der Fliissigkeit im Filtrum die Filtration zu beschleunigen. Dagegen
ist es verhaltnissma'ssig bequem ausfiihrbar, den auf der Fliissigkeit im Filtrum
lastenden Druck einseitig dadurch zu erhbhen, dass man den Atmospharendruck
uuter dem Filtrum erniedrigt. Dies lasst sich am leichtesten in der Art be-
werkstelligen, dass man den das Filtrum tragenden Trichter mittels eines doppelt
durchbohrten Pfropfens luftdicht auf eine starkwandige Flasche aufsetzt, und nach-
dem man die zu filtrirende Fliissigkeit auf das Filter aufgegossen hat, durch Ver-
Filtriren. 489
mitt-lung einer in die zweite Bohrung des Pfropfens eingepassten Rohre die Luft
aus der Flasclie auspumpt oder doch wesentlich verdiinnt. Man erreicht dies
mittels einer Luftpumpe und wendet hiezu am vortheilhaftesten die neuerer Zf.it
ganz Allgemein im Gebrauche stehenden Wasserluf'tpumpen (s. d. bei Luftpumpen;
oder Aspiratoren anderer Art an. Bei Arbeiten im Grossen kann man die Luf't-
verdiinnung auch wohl durch gewohnliche Luftpumpen besorgen. Auf demselben
Principe beruht auch die Einrichtung der Schnellfilter, welche man nicht selten bei
Arbeiten im Kleinen verwendet, bei welchen an das Rohrende eines gewbhnlichen Filtrir-
trichters mit Hilfe eines Kautschukschlauchstiickes eine langere enge Glasrohre ange-
setzt ist, die nahe an ihrer Verbindungsstelle mit dem Trichterrohre zu einer kleinen
Schlinge gebogen ist. Die aus dem Eilter ablaufende Fliissigkeit (das Filtratj,
welches durch diese Rohre ihren Weg nehmen muss, bildet in derselben unter dem
Einflusse der Schlinge, die sie passiren muss, kleine Fliissigkeitssaulen, die bei ihrem
Fallen in der Rohre eine saugende Wirkung ausiiben und sohin den unter dem
Filter herrschenden Druck in einem, wenn auch nur geringen Grade vermindern.
Bei Arbeiten im Grossen kann man, soferne die zu filtrirende Fliissigkeit
die Beriihrung mit heissen Wasserdampfen vertragt, die Druckerhohung iiber dem
Fliissigkeitsniveau im Filter auch dadurch bewirken, dass man in das oben her-
metisch abgeschlossene Filter gespannten Dampf eintreten lasst.
Dass bei alien Filtrationen mit Druck das Filtrum die nbthige Festigkeit
besitzen miisse, urn unter dem Drucke nicht zu zerreissen, bedarf kaum der Er-
wahnung. Man bringt desshalb zum Schutze der Filtra nicht selten kleine sieb-
fbrmig durchlocherte Hohlkegel aus Platinblech oder Pergamentpapier unter die
Filterspitze oder wendet wohl auch ein durch eingelegte Gewebe (Gaze oder
Battist) verstarktes Filtrirpapier oder sonstige dem Drucke leichter widerstehende
Filtermaterialien an. Bei manchen Niederschlagen ferner, namentlich bei schlei-
mig-flockigen, ist Anwendung von Druck nicht immer zweckmassig, indem sich
der Niederschlag gerade durch die Gewalt des Druckes auf der Oberfiache des
Filtrums zu einer fast undurchdringlichen Kruste zusammensetzen kann, die den
ferneren Durchgang von Fliissigkeit hindert.
Zweck der Filtration ist gerade nicht immer, eine Fliissigke it von einem
darin enthaltenen fein zertheilten festen Korper zu trennen; es kommt auch in
einzelnen Fallen der Zweck in Betracht, die Substanz des Filtrums chemisch auf
die Fliissigkeit einwirken zu lassen, so z. B. bei der Salmiakfabrikation, wo man
die rohe Lauge von kohlensaurem Ammoniak durch pulverisirten Gyps filtrirt,
um eine gegenseitige Zersetzung zu kohlensaurem Kalk und schwefelsaurem Am-
moniak zu erzielen ; ferner bei der Filtration gefarbter oder riechender Stoffe
durch Kohlenpulver oder iiber Spodium, um sie geruchlos zu machen oder zu entfarben.
Hierher gehort das Filtriren iiber Spodium, wie es in der Zuckerfabrikation
sowie bei verschiedenen anderen Zweigen der chem. Industrie in Anwendung steht ;
das Filtriren des fuseligen Branntweins iiber Holzkohle, um ihn zu entfuseln, das
Filtriren schlechten Trinkwassers durch plastische Kohle, um es von riechenden
und farbenden oder iiberhaupt fremdartigen Stoffen zu befreien. Ueber besoudere
Arten der Filtration im Grossen s. bei Wasser, s. b. Zuckerfabrikation.
Ueber das Filtriren von Metallen, welches schon von Lampadins empfohlen
wurde, hat neuestens Curter (vgl. Dingl pol. Journ. 215 pag. 469) neuere
Arbeiten geliefert, vgl. iib. a. Leichsenring D. Industr.-Ztg. 1875 pag. 37.
s. a. b. d. einzelnen Metallen. Gtl.
Filtrirstein (pierre Jiltrante — filtering stone), Filtrirsandstein. Ein fein-
kbrniger Sandstein von ziemlich porbser Masse, der sich als Filtermateriale gut
eignet, insoferne er fiir Fliissigkeiten leicht durchgangig ist. Er wird gewbhnlich
zur Wasserfiltration verwendet, u. z. in der Art, dass man grbssere, unten ge-
schlossene, oben offene, hohle Cylinder aus diesem Steine fertigt, die in das zu
filtrirende Wasser eingestellt werden, das nun durch die porbse Sandsteinmasse
in den Innenraum des Steines eindringt und hiebei filtrirt wird. Gtl.
490 Filtrirtuch. — Firniss.
Filtrirtuch. Zum Auspressen des Stearins etc. in den Filterpressen wird ein
dicker Schaffwollstoff verwendet, dessen Kettenfaden aus Sdrahtigem und dessen
Schussfaden aus lOdrahtigem Kammgarnzwirne bestehen. Die Drehung der letzteren
ist geringer. Diese Faden sind zu einem dichten, dreibtindigen Korper verwebt. Kk.
Filz (feiitre — felt) wird ein aus wirr durcheinander liegenden thierischen
Haaren bestehender Zeug genannt, welcher ohne Weben den Zusammenhang durch
das Verfilzen oder Filzen erhalten hat. Nicht alle thierischen Haare besitzen die
Verfilzungsfahigkeit in dem gleichen Masse und kann daher nur aus geniigend
verfilzungsfahigen Haaren ein guter Filz erhalten werden. Je feiner und elasti-
scher das thierische Haar ist, um so dichter und fester lasst sich der Filz er-
halten. Man kann das Filzen folgendermassen vornehmen. Eine Schichte
gleichmassig gelockerter wirrer Haare, z. B. Schafwolle, Hasenhaare o. dgl.,
werde zwischen zwei Leinwandstticke gebracht, welche zunachst nur die Aafgabe
haben die Uebertragung der Haarschichte zu ermoglichen. Man bringt nun das Ganze
in warraes Wasser oder eine warme Seifenlosung und driickt anfanglich sehr vor-
sichtig, spater kraftiger. Die Haare werden sich bald unter sich derart verbinden,
pass die Leinwand entfernt werden kann und ein weiteres Verfilzen durch kraf-
tiges Kneten des Vliesses erzielbar wird. Man erhalt so jene innige Vereinigung
der Haare, welche Jedermann von den Filzhiiten her bekannt ist. S. die Artikel :
Hutfabrikati on, Schafwolle und Tuch. Kk.
Filzmalz, ein stark gewaehsenes Malz, bei dem die langen Malzkeime so
in einander versehlungen sind, dass die einzelnen Malzkorner eine verfilzte Masse
bilden, s. Bier I pag. 465 bei Malzen. Gil.
Filzmaschine, s. Tuch.
Filztuch, s. Tuch.
Fimmel, s. Bergbau-I pag. 384, s. a. Hanf.
Fingei'hut (de — thimble). Fingerhute aus Metall werden gewohnlich durch
Stauzen (s. I pag. 557), selten durch Driicken, hergestellt und an der Drehbank
mit Zuhilfenahinc der Randelradchen etc. vollendet. Die Fingerhute aus Elfenbein
oder Bein werden auf der Drehbank durch Ausbohren und Abdrehen hergestellt
und erlangen die feinen Grilbchen durch Ausbohren, da hier das Randelradchen
nicht anwendbar ist. Kk.
Fingerhutkraut, wirksame Bestandtheile s. b. Digital in II pag. 628.
Fitlirmaschine (machine a arrondir — finishing engine), s. Walz-
ra a s c h i n e.
Finne, s. Hammer.
Finnhammer, s. Blechbearbeitung I pag. 555.
Finnish-Maschine, s. Appretur I pag. 177.
Firmamentstein s. Opal.
Firneis, das aus dem Hoehsehnee iiber der Schneelinie der Hochgebirge ge-
bildete, aus rundlichen, festen und harten Kbrnern bestehende Eis der Firnfelder
der Gletscher. welches nach oben zu locker und hold, nach unten hin zu einer
t'esten compacten Masse sich verbindet, aus welcher nach und nach das Gletschereis
entsteht. Lb.
Firniss (verms — raniish). Lackfirniss, Lack. Mit dicsem Namen belegt
man im Allgemeinen Fliissigkeiten, welche die Eigenschaft haben, in diinnen
Schichten der Eimvirkung der Luft ausgesetzt, mehr oder weniger rasch zu
mehr oder weniger harten, durchsichtigen oder doch durchscheinenden und einen
Firniss. 191
melir oder weniger ausgesprochenen Glanz zeigenden Ueberziigen einzutrocknen.
Man benutzt Firnisse iiberall da, wo es gilt der Oberflache der verschiedensten
Kbrper einen ibnen an sicb nicbt eigenthiimlichcn Glanz zu ertheilen und ihnen
liiedurch ein schdneres Aussehen zu geben (Lackfirnisse oder Lacke), sowie audi
urn die verschiedensten Korper mit ein em dem Einflusse von Luft und Feuchtig-
keit widerstehenden Ueberzuge zu versehen und sohin vor diesen Einfltissen zu
schiitzen. Diesen Zwecken entsprechend wendet man zur Herstellung von Firnissen
fast ausschliesslich Harze oder diesen verwandte, der Einwirkung von Wasser
und Luft widerstehende, Substanzen an, welche in geeigneten fliichtigen Losungs-
mitteln aufgelost werden oder wenn sie an s^ch fliissig waren, so zubereitet
werden, dass sie die Fahigkeit des Eintrocknens gewinnen.
Von Harzen oder Gummiharzen kommen am haufigsten Schollack, Copal,
Dammar, Sandarak, Mastix, Fichtenharz (Colophonium), Bernstein, Asphalt, Elemi,
Terpentin, Acaroidharz, seltener Benzoe, Gummi-Gutt, Drachcnblut, Kautschuk
u. d. g. in Verwendung. Als Losungsmittel werden vornehmlich Weingeist, Holz-
geist, methylirter Weingeist, dann Terpentinol und Harzol, Leinol, Ricinusbl und
Mohnol, seltener Aether, Aceton, gewisse atherische Oele, Benzol, Chloroform,
verwendet. Man kann die Firnisse einerseits nach dem Harze, welches sie vor-
herrschend enthalten, eintheilen, andererseits classificirt man sie nach dem Lo-
sungsmittel, welches in Anwendung kam. In letzterer Hinsicht unterscheidet man
1. Weingeistfirnisse (geistige Firnisse iiberhaupt). 2. Terpentinolfirnisse (Firnisse
mit atherischen Oelen). 3. Fette Firnisse (Leinol-, Mohnolfirnisse). 4. Harzolfirnisse.
Haupterfordernisse fiir einen brauchbaren Firniss sind, dass die nach dem
Eintrocknen hinterbleibende Schichte einen hohen Grad von Harte, dabei aber
doch noch so viel Zahigkeit habe, dass sie bei Temperaturwechsel nicht rissig und
kliiftig wird, dass sie ferner einen schonen, haltbaren Glanz habe, sowie dass
das Eintrocknen nicht allzu lange Zeit in Anspruch nimmt. Diese Eigenschaften
werden theils durch die Wahl des Harzes oder der geeigneten Harzmischung,
theils aber auch durch die Wahl des Losungsmittels, sowie die Art der Herstel-
lung bedingt. Im Allgemeinen sind die Weingeistfirnisse zwar durchwegs sehr
rasch trocknend, und liefern hochglanzende Ueberziige, dagegen sind diese Uebcr-
ziige meist nur von geringer Dauerhaftigkeit, indem sie zum rissig werden leicht
geneigt sind, insoferne das geloste Harz nach dem Verdunsten des Losungsmittels
in Gestalt einer mehr weniger sproden Schichte zuriickbleibt. Es kommt desshalb
bei Herstellung derartiger Firnisse auf eine entsprechende Auswahl geeigneter
Harzgemenge, bei welchen die Sprddigkeit des einen durch Zusatz eines weicheren
oder zaheren gemildert wird, Alles an.
Die Terpentinolfirnisse, sowie jene, welche unter Anwendung anderer athe-
rischer Oele hergestellt werden, sind, was Raschheit desTrocknens anbelangt. den
geistigen Firnissen sehr nahe kommend, unterscheiden sich aber von ihnen dadurch,
dass sie, wegen der Fahigkeit soldier atherischerOele selbst zu verharzen und ein
mehr weiches, erst allmalig sprcider werdendes Harz zuriicklassen zu konnen,
weniger sprdde Schichten liefern. «
Weitaus vorzuziehen sind die fetten Firnisse zumal in Bezug auf Dauer-
haftigkeit und Widerstandsfahigkeit der Schichte, die sie nach dem Trocknen
hinterlassen. Dagegen trocknen sie im Allgemeinen wesentlich langsamer als die
Terpentinolfirnisse. Den fetten Firnissen an Widerstandsfahigkeit und Dauer-
haftigkeit der Anstriche, die sie liefern, fast gleichkommend, dagegen aber weniger
Glanz gebend, sind endlich die Harzolfirnisse,, die tibrigens auch, was die Dauer
des Trocknungsprocesses anbelangt, den fetten Firnissen ziemlich gleichstehen.
Im Folgenden geben wir eine Reihe bewahrter Vorschriften fiir die Her-
stellung verschiedener Firnisse.
a) Geistige Firnisse (Weingeist, Holzgeist, Aether. Aceton, Chloroform
als Losungsmittel). Derlei Firnisse werden vorherrschend fiir Tischler- und Drechsler-
arbeiten, dann fiir Papier- und Buchbinderarbeiten, dann fiir Vergolderarbeiten
und endlich fiir Metallarbeiten verwendet.
492 Firniss (Geistige Firnisse).
Firnisse fur T i s c h 1 e r a r b e i t e n sind :
Die Tischlerpolitur. 1 Thl. Schellack wird in 4 Thl. Weingeist von 90
Proc. gelost. Fiir lichte Polituren wird eine blasse Schellacksorte gewahlt. Die
Auflosung erfolgt nach langerem Stehen in der Kalte, leichter beim Erwarmen
auf 40— 50° C. Mody empfiehlt 1% Thl. Schellack, 1 '/„ Thl. Benzoe, '/15
Thl. Drachenblut in 88 Thl. rectif. Holzgeist in der Warme zu losen.
Ein Firniss fiir Kunsttischler wird erhalten durch Auflosen von Gummilack
16 % Thl. in 900 Thl. Weingeist von 90 Proc. und Zusatz von 125 Thl. Kleber.
Nach mehrta'gigem Stehen in gelinder Warme und oft wiederholtem Umschiitteln
wird filtrirt. Audi 250 Thl. Schellack oder Kornerlack und 1 Thl. Benzoe in
1000 Thl. Weingeist von 90 Proc. gelost, liefert eine gute Tischlerpolitur. Ein
guter Drechslerlack fiir Buchsbaumholz wird erhalten aus 20 Thl. Gummilack,
4 Thl. Elemiharz, 64 Thl. Weingeist (96 Proc.) und 3 Thl. Venetian. Terpentin.
Fiir Papierarbeiten und Bilder :
Sandarak 6 Thl., Mastix 4 Thl. werden gestossen und zur Verhinderung
des Zusammenballens bei der Auflosung 4 Thl. Glaspulver zugeraischt. Das
Ganze mit 32 Thl. Weingeist ubergossen und bis zur vollstandigen Losung der
Harze in der Warme digerirt, schliesslich werden 3 Thl. geschmolz. venetianer
Terpentin zugesetzt; oder 6 Thl. Sandarak in 24 Thl. Weingeist in gelinder
Warme gelost und 4 Thl. Elemi zugesetzt. Nach Zinn liefern 10 Thl. San-
darak, 4 Thl. Mastix, und '/„ Thl. Campher in 180 Thl. Weingeist von 90 Proc.
aufgelost, ein en guten, in dtinnen Schichten aufgetragen, nicht abspringenden
Bilderfirniss.
Fiir photographische Glasbilder (Negativ-Bilder) empfohlen, aber audi fiir
Papierarbeiten verwendbar sind :
Weisser Schellack (gebleicht) 8 Thl., Sandarak 4 Thl., Canadabalsam 1
Thl, Weingeist von 90% 120 Thl. Cooper's Firniss: 2 Thl. Benzoeharz (ge-
schmolzen), a/10 Thl. Sandarak in 6 Till, starkem Methylalkohol (Holzgeist) gelost
und zu dieser Losung 40 Tropfen einer Losung von 1 Thl. Mastix in 6 Thl.
Terpentinbl zugesetzt; oder 2 Thl. Benzoe (geschmolzen) '/10 Theil Sandarak,
2 Thl. Jalappaharz, 16 Thl. Holzgeist, 40 Tropfen Mastixfirniss. — Moczigay's
Negativfirniss : 8 Thl. Sandarak, l1^ Thl. Terpentinol, 1% Thl. Lavendelbl,
2 !/4 Thl. Eisessig, 40 Thl. absolut. Weingeist. — L 6 c h e r e r's Negativlack :
180 Thl. Weingeist, 11 74 gebl. Schellack, 3% Thl. Benzoe. — Spiritusfirniss
von Schnauss: 20 Thl. gebl. Schellack, 1 '/2 Thl. Sandarak, 160 Thl. Wein-
geist von 0.825 spec. Gew. (muss warm aufgetragen werden). Firniss fiir Zeich-
nnngen: 16 Thl. gebl. Schellack, 8 Thl. Campher, 2 Thl. Canadabalsam in 130
Thl. Weingeist.
Fiir B u c h b i n d e r a r b e i t e n.
1 Thl. Kornerlack in 7 Thl. Weingeist (92%) gelost, filtrirt und imWasser-
bade auf die Halfte eingedampft, sodann mit lfx6 Thl. Lavendelol versetzt, liefert
den braunen Buchbinderlack. Goldgelber Buchbinderlack wird erhalten aus 2 Thl.
Kornerlack, 2 Thl. Mastix, 1 Thl. Gummigutt, 14 Thl. Weingeist (90%) oder:
6 Thl. Sandarak, 4 Thl. Mastix, */„ Thl. Terpentin, % Thl. Gummigutt, 30
Thl. Weingeist ^90%) oder: 2 Thl. gebleichter Schellack, ~l/s Till. Gummigutt in
12 Thl. Weingeist (90%) gelost, filtrirt und auf die Halfte verdampft, oder: Co-
lophonium (blass) 2 Thl., Mastix 1 Thl., Sandarack J/4 Thl., Gummigutt V8 Thl.,
venetianer Terpentin 7s Thl., Weingeist (90%) 18 Thl. Ein schnell trocknender
Buchbinderlack wird nach Krehan erhalten aus 5 Thl. Schellack, 21/,, Thl.
Sandarak, 2% Thl. Mastix, 21/, Thl. Benzoe in 32 Thl. absol. Alkohol gelost.
Fiir Holzvergoldung:
25 Thl. Elemi, 25 Thl. Mastix, 250 Thl. Sandarak werden in einer De-
stillirblase mit 600 Thl. Weingeist zwei Stunden lang gekocht und nach erfolgter
Firniss (Geistige Firnisse). 493
Losung der in der Vorlauge aufgefangene Weingeist wieder zuriickgegossen and
mit der Losung vermengt. (Dingl. pol. Journ. 131 pag. 238.; Fiir Sandarak
and Mastix enthaltende Firnisse empfiehlt iibrigens Varrentrapp (Dingl. pol.
Journ. 112 pag. 216) auch folgende Vorschriften : 6 Thl. Sandarak, 4 Thl. Mastix,
% Thl. Terpentin, 30 Thl. Weingeist, oder 12 Thl. Sandarak, 6 Thl. Mastix,
74 Thl. Venetian. Terpentin, 30 Thl. Weingeist. Einen Universalweingeistfirniss
empfiehlt J. Miller (Dingl. pol. Journ. 130 pag. 358), bestehend aus 4 Thl.
Sandarak, 2 Thl. Mastix, 2 Thl. Colophonium, 1 Thl. Campher, alles gepulvert,
mit Glaspulver gemengt und mit 24 Thl. Alkohol von 90°/0 in gelinder Warme
digerirt, bis Losung der Harze erreicht ist. Durch theilweisen Ersatz von San-
darak durch gebleichten Schellack erhalt man einen Firniss, der etwas hartere
Anstriche liefert: z. B. 2 Thl. gebl. Schellack, 2 Thl. Sandarak, 2 Thl. Mastix,
2 Thl. Colophonium, 2 Thl. Campher, 24 Thl. Weingeist (90%).
Fiir Goldleisten firnisse speciell empfiehlt R. v. Poppinghausen
folgende Vorschriften :
1. 3 Pfd. Schellack (blond) in 2% Quart Alkohol gelost, % Pfd. San-
darak in 3/4 Quart Alkohol gelost, 74 Pfd. Mastix in % Quart Alkohol, l/2 Pfd.
Gummigutt in '/„ Quart Alkohol, 3 Lth. Drachenblut in V8 Quart Alkohol, 9
Lth. Sandelholz (hellstes) mit 3/4 Quart Alkohol angesetzt, 12 Lth. venetianer
Terpentin in '/s Quart Alkohol. Jede Losung fiir sich bereitet und wenn nothig
filtrirt und sodann alles zusammengegossen und gut geraischt. Der Firniss ist
sehr hart und hat sehr viel Feuer.
2. 2-Va Pfd. Schellack (blond), 1 Pfd. Sandarak, »/fl Pfd. Gummigutt, 11
Lth. hellstes Sandelholz, 8 Lth. Terpentin (venetianer), 5 Quart Alkohol.
3. 2% Pfd. Schellack (blond), 1 Pfd. Sandarak, V4— 72 Loth Anilingelb,
11 Loth Sandelholz, 8 Loth venetianer Terpentin, 5 Quart Alkohol.
4. % Pfd. Garancine, 2 y2 Pfd. Schellack, 2 Pfd. Sandarak, % Loth Saffran,
5 Quart Alkohol nach mehrtagiger Digestion in gelinder Warme zu filtriren.
Ein Mattfirniss fiir matte, unechte Goldleisten wird erhalten aus V2 P^. Schellack
(blond) in 2 Quart Alkohol (absolut.) gelost. Mit einem Theil dieser Losung
wird nach dem Filtriren etwa % Pfd. geschlammter Kreide fein abgerieben und der
Brei mit der iibrigen Losung verdiinnt.
Fiir Metallwaaren (Goldlackfirnisse).
12 Thl. Kornerlack, 4 Thl. gelb. Bernstein, 4 Thl. Gummigutt, % Thl.
Sandelholz, ]/8 Thl. Safran, l/4 Thl. Drachenblut, gepulvert und mit 12 Thl.
Glaspulver gemengt werden in 80 Thl. Weingeist von 90% in gelinder Warme
gelost und filtrirt, oder es werden 2 Thl. Mastix, 1 Thl. Gummigutt und 2 Thl.
Kornerlack in 14 Thl. Weingeist von 90% gelost; oder 2 Thl. Schellack, 2 Thl.
Kornerlack, 2 Thl. Orlean, 6 Thl. Gummigutt, 1 Thl. Safran in 15 Thl. Wein-
geist; oder 2 Thl. Gummigutt, 2 Thl. Drachenblut, 2 Thl. Kornerlack, 4 Thl.
Elemi, 4 Thl. Sandarak, 1 Thl. Curcumawurzel in 45 Thl. Weingeist oder 4
Thl. Schellack, 4 Thl. Sandarak, 2 Thl. Mastix, 5 Thl. Terpentin (venetianer),
1 Thl. Colophonium, 4 Thl. Drachenblut, 4 Thl. Gummigutt in 70 Thl. Weingeist,
(90%).
Nach Morell kann man den Metallfirnissen eine besondere Haltbarkeit
ertheilen und sie auf dem Metall sehr fest haftend machen, wenn man einem der
Spiritusfirnisse z. B. obiger Vorschriften auf 100 Thl. V„ Thl. reiner krystalli-
sirter Borsaure zusetzt und in demselben auflost. Nach R ay s e r erhalt man einen
sehr schonen Goldfirniss fiir Metallwaaren durch Auflosen von '/2 kryst. Borsaure
und reiner Pikrinsaure in einer hellen Schellacklosung. Je nach der Menge der
zugesetzten Pikrinsaure kann man eine mehr oder weniger gesattigt gelbe Farbe
des Firnisses erzielen.
Worlee (Dingl. pol. Journ. 184 pag. 377) empfiehlt fiir Goldlackfirnisse
die Verwendung von Acaro'i'dharz, von dem namentlich die rothe Gattung eine
494 ' Firniss (Geistige Firnisse).
alkoholische Losung von schon rother Farbe liefert. Man verwendet vortheilhaft
das Harz im Gemenge mit Scliellack und setzt der alkoholischen Losung, urn die
Sprbdigkeit des Anstriches zu raildern, etwas Copaivabalsam und Lavendelbl zu.
Durch Zusatz verschiedener in Weingeist lbslicher Anilinfarben zu licliten
Weingeistfirnissen kann man Firnisse in alien Farben darstellen ; die anzuwendende
Menge der Anilinfarbe richtet sich nach der Intensitat der Farbung, die man dem
Firnisse ertheilen will. Solcbe Firnisse liefern auf blanke Metallflachen aufge
strichen brillante Effecte, wenn sie vbllig klare und durchsichlige Anstricbe geben.
Um solche zu erzielen, miissen die Firnisslbsungen selbst vollkommen klar sein,
was bei Scliellack- sowie bei Kbrnerlacklbsungen meist nicht der Fall ist7 da ein
geringer Gehalt dieser Harze an einer wachsahnlichen Substanz nach kiirzerer
oder langerer Zeit eine Triibung der alkoholischen Losungen bedingt. Um solche
Losungen zu klaren, empfiehlt Peltz (Deutsch. Industr. Ztg. 1875 pag. 175)
dieselben mit Y3 ihres Volumens an Benzin zu schiitteln und nach dem Abheben
der Benzinschichte der nun klar erscheinenden Firnisslosung 1 bis 3 Proc. Venetian.
Terpentin zuzusetzen.
Die Auflosungen des Schell- oder Kornerlacks sind immer mehr oder weniger
braun, wesslialb man zu solchen Firnissen, die recht hell erscheinen sollen, sich
des gebleichten Schellacks bedienen muss. Hierbei trifft man haufigauf dieSchwie-
rigkeit, dass derselbc der Auflbsung widersteht. Die Ursache davon liegt theils in dem
Alter des Schellacks, theils in der Art seiner Bleichung und es bleibt daher nichts iibrig,als
den gebleichten Scliellack, bevor man ihn ankauft, auf seine Auflbslichkeit zu priifen.
Von sonstigen geistigen Firnissen sind zu nennen die mittels Aceton berei-
teten Firnisse (vgl. Wiederhold, Deutsche Industrie-Ztg. 1864 pag. 284). So
liefert gepulverter und fast bis zum Beginn der Schmelzung gedbrrter Copal in
dem Verhaltnisse von 1 Thl. zu 24/5 Thl. reinen Aceton gelost schon in der
Kalte einen Firniss, der fast augenblicklich trocknet und einen Anstrich von dauer-
haftem glasahnlichem Glanze liefert. Beliebig mit Aceton verdiinnt, erhalt man
aus einer solchen Losung Firnisse von der verschiedensten Consistenz, die na-
mentlich als Mobellacke und flir solche Falle verwendbar sind, wo der Firniss-
iiberzug nicht elastisch zu sein braucht. Sehr leicht Ibsen sich audi Mastix und
Sandarak in Aceton und liefern schon in der Kalte sehr dicke Firnisse, die gleich-
falls mit Aceton zu beliebiger Consistenz verdiinnt werden kbnnen.
Auch mit Anwendung von Aether werden Firnisse bereitet. So empfehlen
namentlich D. und F. Freudenberg fllr die Herstellung von Copaliirnissen fol-
gende Vorschrift: 8 Thl. westind. Copal, 8 Thl. Schwefelather, 8 Thl. Terpentinbl,
8 Thl. Weingeist (84 Proc.) oder ohne Aether 8 Thl. westind. Copal, 8 Thl.
Terpentinbl und 12 Thl. Weingeist (98 Proc). Nach Karmarsch u. Heeren
erhalt man einen vorzliglichen Copalfirniss, wenn man 6 Thl. gepulverten west-
indischen Copal in eine Mischung von 6 Thl. Weingeist (98 Proc), 4 Thl. Ter-
pentinbl und 1 Thl. Aether eintragt und in gelinder Warme auflbst. Die Auf-
losung erfolgt sehr leicht, und der erhaltene Firniss bildet eine licht gefarbte
dickfliissige Fltissigkeit, die durch Absetzen oder Filtriren vollkommen klar erhalten
werden kann. Er trocknet in langstens 2—3 Stunden. Von Wichtigkeit ist aber,
dass der angewandte Copal westindischer sei, da sich ostindischer Copal in diesem
Lbsungsmittel nicht auflbst, sondern nur aufquillt. Um sicher zu gehen, ist es
daher immer angezeigt, den zu verwendenden Copal vorher auf seine Lbslichkeit
in der oben angegebenen Mischung in einem kleinen Prbbchen zu priifen. *) Audi
mit Dammarharz lassen sich atherische Firnisse herstellen, die weniger sprbde
Anstriche liefern als Copal.
Bottger (s. pol. Notizblatt 1867 pag. 209) empfiehlt Campher zur Vermittlung der
Losung des Copals in Aether-Weingeist. Er lost 1 Thl. Campher in 12 Thl. Aether,
digerirt mit dieser Losung 4 Thl. feingepulverten Copal und setzt nach erfolgter theil-
wt-iser Losung noch 4 Till, absol. Alkohol und l , Thl. Terpentinol zu. Auch Yiolette
is. Dingl. pol. Journ. ls-J pag. 64) hat Mittheilnngen iiber die Herstellung iifherisclier
Copallacke gemacht.
Firniss (Terpentinolfirniss). 495
In einzelnen Fallen kann man audi Chloroform oder Essigather als Losungs-
mittel fur die Herstellung von Firnissen verwenden, doch ist die Anwendung der-
selben wegen des hdheren Preises dieser Ldsungsmittel, bei ersterem aber anch
wegen der anasthetischen Wirkung, die die Einathnunig der Dainpf'e zur Folgehat,
fill- die Praxis nicht zu empfehlen.
b) Terpentinolfirnisse (Terpentinol und vcrwandte atherische Oele,
dann niedere Kohlenwasserstoffe, als Benzin etc., endlich Schwefelkohlenstoff als
Losungsmittel).
Terpentinol wird namentlich zur Herstellung von Dammarfirnissen mit Vor~
liebe verwendet. Urn solclie darzustellen, muss das Dammerliarz so lange mit
Terpentinol gekocht werden, bis alle Feuchtigkeit ausgetrieben ist, was man daran
erkennt, dass die Masse ruhig ohne heftiges Aufwallen siedet. Man bringt zu
diesem Ende 4 Thl. Harz in Stiicken mit 5 Theilen Terpentinol in einen guss-
eisernen, emaillirten Kessel, und kocht so lange, bis der Firniss ruhig siedet, seibt
dann durch ein Sieb, lasst absitzen und verdiinnt die dickolige Fliissigkeit nacb
dem Erkalten mit so viel Terpentinol, bis die gewiinschte Consistenz erreicht ist.
Soil der Firniss einen moglichst wenig sproden Anstrich liefern, so setzt man vor
dem Kochen noch 2 — 3 Proc. Leinol zu (vgl. Miinzal, Dingl. pol. Journ. 131
pag. 141). Nach J. Midler (Dingl. pol. Journ. 128 pag. 58) soil man fur die
Herstellung eines guten Dammarfirnisses eine Sortirung des Harzes vornehmen,
bei welcher alle undurchsichtigen, wachsglanzenden Stiicke ausgeschieden werden.
Man bringt von dem sortirten Harz 1 Thl. im gepulv.erten Zustande in einen
Topf aus Weissblech, rlihrt dasselbe mit 1V2 Thl. Terpentinol zu einem dlinnen
Brei an, und kocht so lange, bis die Fliissigkeit klar geworden ist, hierauf nimmt
man vom Feuer und setzt noch 1 Thl. Terpentinol unter fleissigem Umriihren
zu. Da soldier Firniss ziemlich weiche, wenig widerstandsfahige Anstriche liefert,
so kann man ihn dadurch harter machen, dass man Y2 Thl. reinsten Copal schmilzt
und mit V4 Thl. lichtem Leinolfirniss versetzt und dieser Masse 1 Thl. des obigen
Dammarfirnisses zusetzt. Audi durch Auflosen von 10 Thl. Dammarharz in 12
Thl. Teipentinol bei Siedhitze und Verdiinnen der erhaltenen Losung mit 6 Thl.
Weingeist (92 Proc.) erhalt man einen guten Dammarfirniss, der sich namentlich
zum Firnissen von Gemalden eignet. Mastix lost sich gleichfalls leicht in Ter-
pentinol in alien Verhaltnissen und liefert einen sehr lichten Firniss. Ein mastix-
haltiger Firniss mit Sandarakzusatz wird als G ol dlackfimiss verwendet.
Man erhalt einen solchen, wenn man 4 Thl. Mastix, 4 Thl. Sandarak, beide ge-
pulvert in einem Gemenge von 50 Thl. Terpentinol und 6 Thl. Spickol siedend
heiss auflost und wahrend des Siedens noch 1 Thl. Colophonium und 2 Thl Le-
beraloe zusetzt. Terpentinol wird iibrigens audi zur Herstellung der verschiedenen
fetten Copal- und Bernsteinfirnisse als Verdiinnungsmittel verwendet (s. u. fette
Firnisse) und nach Violette (s. Dingl. pol. Journ. 183 pag. 402) lost Ter-
pentinol an sich sowohl Copal als audi Bernstein, wenn man dieselben vorher
in einem geschlossenen Gefasse unter Druck geschmolzen hat. Von sonstigen Ter-
pentinolfirnissen sind zu nennen die Firnisse, wclche durch Auflosen von Asphalt
und Steinkohlentheerpech in Terpentinol erhalten werden konnen (s. Asphalt I
pag. 216).
Das Terpentinol kann als Losungsmittel fiir Harze zu Zwecken der Firniss-
bereitung sowohl durch Spickol als auch durch Lavendelol (beide jedoch kost-
spieliger), dann durch die bei der Harzdestillation resultirenden leichten HarzSle,
endlich aber durch leichtes Steinkohlentheerol ersetzt werden. Dieses letztere,
welches im gereinigten Zustande wasserhell und vom spec. Gew. 0.850 ist (Benzin),
ist leichter fliichtig als Terpentinol und liefert daher rascher trocknende Firnisse,
die ihren Geruch audi leichter verlieren als Terpentinolfirnisse. Da. es tiberdies
auch ein gutes Losungsmittel fiir Kautschuck und Guttapercha ist, so wird es
namentlich fiir die Herstellung von derlei Substanzen en thai tend en Firnissen mit
Vortheil verwendet.
496 Firniss (Fette Firnisse).
So erhalt man einen guten Firniss fur polirte Metalle, wenn man nach
Ryder 32 Thl. Guttapercha, 64 Thl. Colophonium und 1 Thl. Schellack in 544
Thl. Steinkohlentheerbl von 0.850 spec. Gewicht durch Erwarmen auf 60° C. lost.
Bin Kautschukfirniss kann nach Bolley (Dingl. pol. Journ. 156 pag. 465) er-
halten werden, indem man Kautschuk mit Schwefelkohlenstotf iibergiesst, und
vbllig aufquellen lasst. Die aufgequollene Masse behandelt man sodann mit Stein-
kohlentheerbl, worin sie sick grostentheils auflbst, erwarmt die von dem Unge-
lbsten durch Abseihen getrennte Lbsung zur Verfliichtigung des Schwefelkohlen-
stoffs in einem Destillirkolben und verdiinnt die erhaltene Lbsung bis zur ge-
wiinschten Consistenz mit Steinkohlentheerbl. Auch ohne Anwendung von Schwefel-
kohlenstotf lasst sich Kautschuk auflbsen, wenn man denselben in feingeschnittenem
Zustande langere Zeit mit Steinkohlentheer digerirt und das Ungelbste abfiltrirt.
Solcher Firniss trocknet sehr rasch und liefert an sich sehr elastische, nicht glan-
zende Anstriche; da er sich mit atherischen Firnissen ebensowohl wie mit fetten
in jedem Verhaltnisse mischen lasst, so kann man denselben mit Vortheil als
Zusatz zu solchen Firnissen verwenden, die an sich sehr sprbde Anstriche liefern
und diese hiedurch wesentlich verbessern.
Eine Vorschrift fur einen eigenartigen Firniss hat C. Puscher (Deutsche
Indust. Ztg. 1872 pag. 365) gegeben. Er empfiehlt eine Auflbsung von Thon-
erdeseife in Terpentinbl als Firniss zu verwenden. Die Thonerdeseife kann leicht
erhalten werden, wenn man eine dtinne Lbsung von Kernseife so lange mit einer
Auflbsung von Alaun oder schwefelsaurer Thonerde versetzt, als noch ein Nieder-
schlag entsteht. Dieser wird mit siedend heissem Wasser gewaschen, getrocknet
und sodann in warmen Terpentinbl gelbst. Der Firniss ist fast farhlos und lasst
sich namentlich, wo Biegsamkeit der Anstriche erforderlich ist, sehr gut empfehlen.
Auch als Ueberzug auf Metalle, welche eine hbhere Temperatur auszuhalten haben,
wird er empfohlen, da der Anstrich mit demselben beim Erhitzen keine Blasen
wirft.
Auch Wachs lost sich in Terpentinbl sowie in Steinkohlentheerbl und liefert
einen Firniss, der namentlich zum Schutze von dem Rosten ausgesetzten Metall-
gegenstanden sehr empfehlenswerth sein soil.
c) Fette Firnisse. Die einfachste Art fetter Firnisse bilden die trock-
nenden fetten Oele, wie Leinbl und Mohnbl, deren Fahigkeit an der Luft zu
trocknen durch eine passende Zubereitung entsprechend erhbht worden ist. Die
Mittel, deren man sich bedient. um die Trocknungsfahigkeit solcher Oele zuerhbhen,
dieselben also in Firnisse umzuwandeln, siud entweder blosses Erhitzen derselben
miter Luftzutritt (gekochtes Leinbl oder Mohnbl), oder Kochen mit Bleiglatte, oder
Braunstein oder borsaurem Manganoxydul, oder endlich das Schutteln derselben
mit bahisch essigsaurem Bleioxyd. Die gewbhnlichste Methode der Bereitung des
L einblfirnisses ist folgende :
Man bringt 100 Kilo Leinbl in einen eisernen Kessel, der hbchstens bis
zu etwa 3/fi damit angefiillt werden darf, erhitzt allmalig, steigert die Hitze, bis
das Oel gelinde zu wallen anfangt, und erhalt es in diesem Zustande zwei Stunden
lang, wobei der grbsste Theil der Feuchtigkeit ausgetrieben wird. Bildet sich
Schaum auf der Oberflache, so nimmt man ihn mit einer Schaumkelle ab, und
thut ihn bei Seite, um ihn zu ganz ordinaren Aibeiten zu verwenden. Man lasst
nun die Hitze noch etwas steigen und schuttet sehr langsam und in kleinen Por-
tionen 1.5 Kilo Bleiglatte, eben so viel Mennige und etwas tiirkische Umbra
liinzu, welche sammtlich scharf ausgetrocknet sein miissen, indem sie sonst das
Oel heftig aufschaumen machen und demselben eine triibe, dicke, zahe Beschaffenheit
und die Eigenthtimlichkeit ertheilen wlirden, dass es nach dem Auftragen gewisser-
massen wie ein Sttick feine Blase auf der gestrichenen Flache aufliegt und sich nach dem
Trocknen leicht davon ablbst. Hat man nun diese Zusatze vollstandig eingeriihrt, so
halt man das Oel in steter Bewegung, damit sich Glatteund Mennige nicht zu Boden
setzen, wodurch das Oel selir leicht anbrennen und braun werden kbnnte. Nach dem
Firniss (Bleifirniss). 497
Zugeben der Glatte lasst man das Oel noch etwa 3 Stunden gelinde fortkochen.
Wenn es nun keinen Schauin mehr bildet, so untersuclit man es von Zeit zu Zeit
mit einer Federfahne. Wenn diese sich ganz zusammenkriimmt und windet, so
wird es als ein Zeiclien angesehen, dass die Hitze hinlanglich hoch gestiegen ist,
worauf man das Feuer moglichst rasch auslbscht, den Kessel mit dem Firniss aber
wenigstens 10 bis 24 Stunden ruhig steben lasst, damit sich die nicht geloste
Glatte und Umbra moglichst vollstandig absetze.
Der so bereitete Firniss kann zwar sofort verwendet werden, aberergewinnt
sehr wesentlich an Giite, wenn er vor der Verwendung eine mehrmonatliche Ab-
lagerung erfahren hat, indem er hiebei alle beigemengten Unreinigkeiten absetzt
und vbllig klar erscheint, wie denn iiberhaupt langeres Lagern bei alien fetten
Firnissen von ganz besonderem Vortheile ist. Die in friiherer Zeit empfohlenen
Zusatze zu dem kochenden Leinbl, wie Brod, Zwiebeln u. s. w. sind durcbaus
nicht von Einfluss auf die Giite des resultirenden Firnisses und darum entbehrlich ;
selbst die Anwendung eines Umbrazusatzes kann ohne Nachtheil fur das Product
bei Seite gelassen werden. Ebenso ist es fur die Erzeugung eines guten Leinbl-
firnisses keineswegs erforderlich, wie friiher immer empfohlen, das Oel sich ent-
ziinden und eine Zeit lang brennen zu lassen, da hiemit nur ein Verlust an Oel,
aber kein Vortheil fiir das resultirende Product erwachst.
Auf kaltemWege lasst sich durch Schiitteln von Leinbl mit einer Losung von
basischem Bleiacetat Firniss bereiten. Lost man 1 Thl. Bleizucker in 4 — 5Thl. Wasser,
erhitzt zum Sieden und tragt in die siedend heisse Fliissigkeit unter fleissigem
Umriihren portionenweise 1 Thl. feinpulverige Bleiglatte ein, so erhalt man nach
dem Abfiltriren des Ungelosten eine Losung von basischem Bleiacetat (Bleiessig).
Verdunnt man die erhaltene Losung mit dem gleichen Gewichte Wasser und setzt
sie zu 20 Thl. Leinbl zu, das man vorher mit 1 Thl. Bleiglatte abgerieben hat, und
schiittelt nun das Ganze wiederholt heftig durch, so erhalt man nach mehrstiindiger
Einwirkung des Bleiessigs auf das Leinol, die man durch bfter w.iederholtes tiich-
tiges Schiitteln begiinstigt, eine Fliissigkeit, die sich nach langerer Ruhe in zwei
Schichten trennt, von welchen die obere der Firniss, die untere eine Bleizucker-
Ibsung ist, die man neuerdings zur Herstellung von Bleiessig verwenden kann. Der
so dargestellte Firniss, welcher durch langeres Lagern oder durch Filtration gekla'rt
werden kann, ist, da er ohne Anwendung hoherer Temperaturen hergestellt ist, von
lichter Farbe und trocknet innerhalb 24 Stunden vollstandig. Er enthalt 4 — 5
Proc. an Bleioxyd.
Nach Winkler (Dingl. pol. Journ. 151 pag. 77) erhalt man einen fast farb-
losen Leinolfirniss durch Kochen von 32 Thl. gutem alten Leinol, mit 1 Thl. Blei-
spanen und 1 Thl. Spanen von engl. Zinn in einem Kupferkessel, unter Zu atz von
einem Stiick Blackfischbein, welches sich nach kurzem Kochen in dem Oele auf Ibsen
soil. Die noch heisse Masse wird sodann mit 2 Thl. feingepulverten, entwasserten Zink-
vitriol vermischt, noch eine halbe Stunde gekocht, nach dem Erkalten filtrirt und
in Flaschen, deren Boden mit einer Schichte von Bleispannen bedeckt ist, durch 4 — 6
Wochen aufbewahrt, nach welcher Zeit der fertige Firniss abgegossen werden
kann.*)
Da die mit Blei oder Bleisalzen bereiteten Firnisse ob ihres Bleigehaltes
schadlich wirken kbnnen und iiberdies die mit denselben hergestellten Ansti-iche
zum Gelbwerden besonders geneigt sind, hat man vielfach andere Mittel zur Her-
stellung von Leinolfirnissen angewendet. Solche Mittel sind namentlich die Be-
handlung des Leinbls mit den Oxyden des Mangans oder mit borsaurem Mangan-
oxydul. So erhalt man nach Binks Leinolfirniss, wenn man Leinbl in einer mit
Blei ausgekleideten Tonne mittels Dampf auf 40—66° G erhitzt, auf je 240—250
Thl. desselben 1 Thl. Manganoxydulhydrat zasetzt und in das auf circa 40° G.
*) Walton (pol. Centralblatt 1860 pag. 1616) lasst auf mit 5—10 Proc. Bleizucker ver-
mischtes Leinol, das er durch ein feines Sieb in feine Stralilen vertheilt, heisse Lutx
einwirkcn, wodurch die Firnisshildung- wesentlich beschleunigt werden kann.
Karmaisch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 32
498 Firniss (Manganfirniss).
erwarmt erhaltene Oel durch einige Stunden einen Strom von Luft einblast. Unter
Abscheidung von Manganoxyd erhalt man schon nach 5 — 6 Stunden einen guten
Firniss, der indess auch ohne das Einblasen von Luft sich scbon nach 2 — 3 Tagen
brauchbar erweist. Man kann auch directe schwefelsaures Manganoxydul und Kalk-
hydrat oder Bleioxyd dem Oele zusetzen, wobei sich durch Wechselzersetzung
Manganoxydulhydrat bildet, wahrend der nebenbei gebildete Gyps oder das schwe-
felsaure Bleioxyd sich aus dem Firniss ablagert (vergl. Dingl. pol. Journ. 159
pag. 465).
Um mit borsaurem Manganoxydul Leinb'lfirniss zu bereiten, setzt man auf
1000 Thl. Leinol lV2 Thl. borsaures Manganoxydul, das man mit einem Theil
des Oeles zu einem zarten Brei angerieben hat, zu und erhitzt durch eine Vier-
telstunde nicht ganz bis zum Sieden. Das borsaure Manganoxydul kann man
einfach in der Weise herstellen, dass man Braunstein so lange mit cone. Salzsaure
erwarmt, bis keine Chlorentwicklung mehr bemerkbar ist. Die erhaltene Lpsung
von Manganchloriir wird von dem ungelbsten Antheil abgegossen, mit Wasserver-
diinnt und nun vorsichtig so lange eine Losung von kohlensaurem Natron zuge-
setzt, als noch ein rostrother Niederschlag (von sich ausscbeidendem Eisenoxyd-
hydrat) sich bildet. Nach dem Abfiltriren dieses Niederschlags wird das Filtrat
so lange mit einer Losung von Borax versetzt, als noch ein weisser Niederschlag
fallt. Dieser wird absetzen lassen, mit Wasser wiederholt gewaschen, endlich
auf einem Filter gesammelt und getrocknet (vgl. Barruel u. Jean. Dingl. pol.
Journ. 128 pag. 374 und Schubert Dingl. pol. Journ. 132 pag. 76).
Hoffmann (Dingl. pol. Jour. 145 pag 450) reibt ein Loth weisses (in
der Kalte gefalltes) borsaures Manganoxydul mit etwas Leinol zu einem gleich-
massigen Brei an, setzt 2 Mass altes Leinol zu und erhitzt in einem Kupfer- oder
Zinn-Kessel zwei bis drei Tage lang nicht itber 100° G. Auch kann man ein
Theil borsaures Manganoxydul mit 3 Theilen Leinol zu einem Brei anruhren und
diesen zu 260 Thl, siedend heissem Leinol zusetzen, einmal aufkochen lassen und
nach dem Erkalten in einem geeigneten Gefasse durch 14 Tage lagern lassen,
wahrend welcher Zeit vSllige Klarung erfolgt (vgl. Dingl. pol. Journ. 174
pag. 165).
Das borsaure Manganoxydul beschleunigt iibrigens, auch wenn es in der Kalte
dem Leinol zugesetzt wird, dessen Trocknung, und namentlich werden Leinblfirnisse
sehr schnell trocknend gemacht, wenn man ihnen etwas borsaures Manganoxydul
beimischt. So hat de la Rue empfohlen, der Buchdruckerschwarze, um sie rascher
trockuen zu machen, einen Zusatz von 1 Proc. bors. Manganoxydul zu geben, und
die Mischung etwa 4 Wochen lang lagern zu lassen, ehe man sie in Gebrauch
zieht. Auch kann man vor der Fertigstellung der Schwarze dem zu ihrer Be-
reitung zu verwendenden Firniss, nachdem man ihn auf etwa 350° C. erhitzt
hat, etwa 2 Proc. bors. Manganoxydul beimisehen. (Dingl. pol. Journ. 141 pag.
317). Eine Mischung von Zinkweiss (95 Thl.) mit borsaurem Manganoxydul
(5 Thl.) kommt als Siccatif zumatique in den Handel, von dem 27^ Proc. zu
Leinblfirnissfarben zugesetzt dieselben rascher trocknen niacht (s. Dingl. pol.
Journ. 141 pag. 398).
Uebrigens soil nach einzelnen Beobachtungen das borsaure Manganoxydul
nichts voraus haben vor der Anwendung von Manganoxyd oder Manganoxydhydrat,
von welchen schon */s Proc, bei gelindem Erwarmen dem Leinol beigemengt, einen
sehr guten Firniss liefern soil (Dingl. pol. Journ. 142 pag. 452). Auch nach
Heumann (Dingl. pol. Journ. 149 pag. 200) stellt man einen sehr rasch trock-
nenden Firniss dar, wenn man ein Mass Leinol mit V2 Loth Manganoxydhydrat
bis zum schwachen Rauchen erwarmt und etwa a/a Stunde lang bei dieser Tem-
peratur erhalt.
Ausser solchen Mitteln zur Darstellung von Leinolfirnissen sind noch andere
Verfahrungsarten angegeben und mehr oder weniger empfohlen worden. So kann
man durch blosses Einkochen von Leinol unter Luftzutritt einen Firniss erzeugen,
der, wenn auch langsam, so doch gut trocknet. Auch durch langes Lagernlassen
Firniss (Leinolfirniss) 499
von Leinol unter Luftzutritt erhalt raan ein dickes, firnissahnliches, trocknendes
Oel (Standol). Fur Zwecke, wo eine dunklc Farbe des Firnisses erwiinscht ist,
z. B. fur den bei der Lederlackirerei verwendeten Blaulack empfiehlt Wiederhold
(Dingl. pol. Journ. 168 pag. 457 und 109 pag. 147j das Kochen des Leinols
mit Berlinerblau, wobei ein tief dunkelbrauner dickfliissiger Firniss erhalten wird.
Uebrigens spricht die Erfalirung dafiir, dass Leinol durch blosse Einwirkung
von Luft allein nur sehr allmalig in einen brauchbaren Firniss umgewandelt
wird, selbst dann nicht wesentlich rascher, wenn gleichzeitig hohere Temperatur
darauf einwirkt, und es scheint durch die Beobachtungen von C 1 o e z (pol. Cen-
tralis. 1866 pag. 118) erwiesen, dass die Umwandlung des Oeles in Firniss
durch die Gegenwart einer gewissen Menge eines bereits entstandenen Oxydations-
productes wesentlich begiinstiget werde. Die Bildung eines solchen Oxydations-
productes scheint aber wesentlich durch die Einwirkung von Licht beschleunigt
zu werden.
Mehrfach hat man sich bemiiht die Ueberfiihrung von Oel in Firniss dadurch
zu bewerkstelligen, dass man das Oel mit Luft unter Verhaltnissen zusammen-
bringt, welche die Einwirkang der Luft moglichst gunstig sich gestalten lassen.
So wurde cmpfohlen das Oel in feinen Strahlen wiederholt durch Kammern durch-
fliessen zu lassen, welche fortwahrend von einem Strome erwarmter Luft durch-
zogen werden. Dasselbe bezweckt audi Walton (Bericht d. d. chem. Gesell-
scliaft 1874 pag. 1374) mit seinem patentirten Verfahren, wornach das in offenen
Pfannen zum Kochen erhitzte Leinol in von einem constanten Luftstrome durch-
zogene Kammern gehoben wird, in welchen es mittels Schaufelradern zerstaubt
wird, um so in moglichst fein vertheiltem Zustande der Einwirkung der Luft aus-
gesetzt zu werden.
Da beim Kochen des Leinols in der gewohnlichen Weise, also iiber freiem
Feuer, eine theilweise Ueberhitzung des Oeles nur schwer vermieden werden kann,
der zu Folge es sich mehr oder weniger braunt, hat man vorgeschlagen das
Kochen des Leinols mittels Dampf vorzunehmen, von welchem Verfahren C. W.
Vincent in London schon seit Jahren mit grossem Vortheile Anwendung macht.
Sein Apparat (vgl. Dingl pol. Journ. 201 pag. 65) besteht aus einem halbkugel-
formigen Kessel von Kupfer, der aussen mit einem Dampfmantel umgeben ist.
Kessel und Mantel mtissen einen Druck von 3 V„ Atm. aushalten konnen. Der
Kessel tragt einen aufgenieteten Dom mit einem Mannloch und einem Abzugsrohr
fur die Dampfe. Ein mittels einer Stopfbuchse durch den Dom eingefiihrtes
doppeltes Rtihrwerk und ein Rohr, durch welches Luft in den Kessel eingetrieben
werden kann, vervollstandigen die Einrichtung. Bei der Arbeit wird das Leinol
(etwa 40 Cent, pro Operation) in den Kessel gebracht, dann durch Einlassen von
Dampf in den Zwischenraum zwischen Mantel und Kesselwand mit dem Erhitzen
begonnen und das Riihrwerk in Bewegung gesetzt. Wenn der Dampfdruck im
Kessel 35 Pfd. erreicht hat, wird Luft eingefiihrt. Nach etwa vierstundiger Arbeit
ist die Umwandlung in Firniss erfolgt. Das so erhaltene Product ist, wenn ohne
Zusatz von Trockenmitteln bereitet, sehr lichtfarbig.
Leinolfirnisse, namentlich solche von dickerer Consistenz, werden nicht selten
mit Terpentinol verdiinnt. Nach Varrentrapp (Dingl. pol. Journ. 108 pag. 74)
erhalt man audi einen Firniss durch Auflosen von Leinolbleiseife in Terpentinol.
Zur Herstellung dieses, namentlich in der Tapetenfabrikation zum Aufkleben des
Goldes oder der Scheerwolle (fiir Sammttapeten) verwendeten Firnisses erhitzt
man Leinol zwei bis drei Stunden auf 200° C, verseift es sodann durch Kochen
mit einem moglichst geringen Ueberschusse von Kali oder Natronlauge, verdiinnt
den erhaltenen Seifenleim mit Wasser und setzt so lange Bleiessig zu der Seifen-
losung, als noch ein Niederschlag entsteht. Dieser wird von der Flussigkeit ge-
trennt, durch Auskneten in Wasser gewaschen und nach dem Abpressen des
Wassers in Terpentinol gelost, so dass eine Flussigkeit von dicker Firnissoonsi-
stenz erhalten wird. 1
32*
500 Firniss (Copalfirniss).
Neben den einfachen Leinolfirnissen und denen aus Mohnol, das ganz so
wie das Leinol auf Firnisse verarbeitet werden kann und im Allgemeinen feinere
Firnisse liefert, sind von fetten Firnissen namentlich die Copal- und Bernstein-
Firnisse von hervorragender Bedeutung.
Im Allgemeinen werden diese dureh Auflosen von vorher geschmolzenem
Copal oder Bernstein in kochendem Leinol oder Mohnol bereitet.
Fur Copalfirniss, zu dessen Herstellung sich ostindischer Copal besser eignet
als westindischer, da er beim Schmelzen sich weniger farbt, gibt Heeren fol-
gende Vorschrift:
Man bedarf hierzu zweier Kessel von angemessener Grosse, deren einer
zum Kochen des Leinoles, der and ere zum Schmelzen des Copals dient. Man
bringt zuerst den Oelkessel mit z. B. 40 K. Leinol auf seinen Ofen und macht
Feuer darunter an. Wahrend sich das Oel allmalig erwarmt, wagt man den er-
forderlichen Copal in gleichen Portionen zu je 4 K. ab, gibt dann eine davon
in den Copaltopf und macht Feuer darunter an. In Zeit von 3 Minuten, wenn
anders das Feuer lebhaft brennt, fangt der Copal zu schmelzen und zu rauchen
an. Man riihrt ihn nun bestandig um und sucht die Stiicke so viel wie moglich
zu zerkleinern. Zum Schmelzen von 4 K. Copal sind durchschnittlich etwa 15
bis 20 Minuten erforderlich, wo er dann wie klares Oel fliesst; doch richtet sich
die Zeit sehr nach der Lebhaftigkeit des Feuers und der Geschicklichkeit, mit
welcher der Arbeiter den ganzen Process zu leiten versteht. Wahrend der ersten
12 Minuten, nachdem der Copal zu schmelzen angefangen hat, muss ein zur Be-
aufsichtigung des Oeles angestellter Gehilfe mit dem Erwarmen desselben so weit
vorgeriickt sein, dass es gelinde zu kochen anfangt; denn es ist zum Gelingen
des Firnisses sehr wesentlich, dass Oel und Harz beim Vermischen genau die
richtige Temperatur haben. Zeigt nun das Oel durch das anfangende Aufwallen
die richtige Temperatur an, so fassen beide Leute den Oelkessel an den Hand-
haben, heben ihn gerade in die Hohe und setzen ihn auf eine Schichte Asche.
Der Arbeiter wendet sich nun sofort wieder nach dem Copaltopf, wahrend der
Gehilfe 3 Loffel voll (etwa 7—8 K.) des gekochten Oeles in ein Giessbecken
f ti lit und dieses, um es warm zu halten, auf dem Ofen neben dem Copaltopf auf-
stellt. Wenn nun der Copal so weit geschmolzen ist, dass die vollstandige
Schmelzung in wenigen Minuten bevorsteht, so gibt er dem Gehilfen ein Zeichen,
der alsdann das Giessbecken mit beiden Handen, die eine unter dem Boden, die
andere an dem Handgriffe, ergreift, den Ausguss iiber den Rand des Copaltopfes
legt und wartet, bis der andere durch den Ruf „Oel!" ihm einzugiessen befiehlt.
Die 7 — 8 K. Oel des Giessbeckens werden nun unter stetem Umriikren zu dem
geschmolzenen Copal gegeben, der Topf aber noch auf dem Feuer gelassen, bis
die Mischung ganz vollstandig erfolgt ist, und ein Tropfen, auf eine Glasplatte
gebracht, ganz klar erscheint. Ist dieser Punkt erreicht, so hebt man den Topf
vom Feuer und stellt ihn vorlaufig auf eine gemauerte Biihne, wahrend der Ge-
hilfe wieder 3 Loffel voll Oel (7 — 8 K.) aus dem Oelkessel in das Giesbecken
und eben so viel zu einer dritten Copalschmelzung in ein zweites Becken fiillt,
so dass nach dem dreimaligen Ausfiillen von je 7 — 8 K. in dem Oelkessel von
den anfanglichen 40 K. nur noch 17 — 18 K. zuriickbleiben. Der Arbeiter ergreift
nun den Copaltopf mit der Mischung der 4 K. Copal und der ersten 7 — 8 K.
Oel, legt den Rand desselben iiber den des Oelkessels, und lasst den Inhalt zu
jenen 17 — 18 K. Oel hinzufiiessen ; um den Inhalt vollig ausfliessen zu lassen,
wendet er ihn zuletzt vollig um und halt ihn so etwa 1 Minute lang. Wahrend
dieser Operation muss der Gehilfe mit einem starken holzernen Deckel in Bereit-
schaft stehen, um, falls das Oel wahrend des Eingiessens des Copals Feuer fangen
sollte, den Kessel sofort zu bedecken. Wenn nur der Copaltopf im Innern zu
brennen anfa*ngt, so hat dies weniger zu bedeuten, weil die Flamme von selber
wieder verloseht, wenn man den Topf fortwahrend in der umgekehrten Stellung
erhalt. Brennt aber das Oel im Kessel, so kann dies nur durch festes AuBegen
des Deckels ausgeloscht werden.
Firniss (Copalfirniss). 501
Gleich nacbdera der Copaltopf entleert ist, gibt der Arbeiter 2'/a K. Ter-
pentinbl hinzu, wascht mittelst eines Lappchens die Wande des Topics so rein
wie mbglich und giesst das Oel in eine zinnerne Schale, um es spater noch zu
benutzen ; mit einem anderen Lappchen trocknet er den Topf voilstandig ab, gibt
wieder 4 K. Copal binein, um ihn wieder zum Schmelzen zu bringen, ihn dann
mit 7 — 8 K. Oel zu mischen, die Mischung in den Oelkessel zu geben, und
endlicb nocb zum drittenmale 4 K. Copal auf die namliche Art zuzubringen. Man
hat nun also eine Auflosung von 12 K. Copal in 40 K. Leinoi. Diese wird in
dem Oelkessel wieder zum Feuer gebracht und so stark erhitzt, dass sich die
Oberflache mit einem Scbaume bedeckt, der plotzlich zu steigen beginnt. 1st dieser
bis zu den Nieten der Handgriffe gestiegen, so wird der Kessel rasch vom Ofen
abgehoben und auf die Asche gestellt, und nun die benothigte Bleiglatte, falls
solche angewandt werden soil, langsam und in kleinen Portionen eingeriihrt. 1st
der Schaum gesunken, so bringt man den Kessel wieder auf das Feuer, setzt
die nocb vorhandene Bleiglatte allmalig hinzu, und hebt jedesmal, wenn der
Scbaum bis an den Rand zu steigen droht, den Kessel vom Feuer. Im Allge-
meinen kann man annehmen, dass, wenn das Feuer im guten Gange ist, die zum
Kochen nothige Zeit, von dem dritten und letzten Copalzusatz an gerechnet, etwa
3'/2 bis 4 Stunden betragt. Indessen darf sicb zumal ein Anfanger keineswegs
nach der Zeit richten, da diese nach dem Wetter, der Beschaffenheit des Oeles,
des Copales und der Glatte, sowie nach der grbsseren oder geringeren Lebhaf-
tigkeit des Feuers sich richten muss. Wenn daher das Kochen etwa 3 Stunden
fortgesetzt ist, nimmt man eine Probe und lasst sie auf eine Glasplatte tropfen.
Zeigt diese beim Erkalten eine ziemlich feste und fadenziehende Consistenz, so
ist die Kochung beendigt, der Kessel wird nun vom Feuer genommen und der
Inhalt so lange geruhrt, bis er hinlanglich abgekiihlt ist, um den letzten Zusatz,
namlich das Terpentinbl, zu erhalten. Die.zu diesem Abkiihlen nothige Zeit richtet
sich gleichfalls nach Umstanden ; im Winter reicht eine halbe Stunde hin, im
Sommer oft kaum eine ganze.
Der Zusatz des Terpentinols muss unter stetem Umriihren gegeben werden ;
die Menge hangt wieder von Umstanden ab. War der Copal sehr gut, und ist
die Schmelzung voilstandig und richtig von Statten gegangen, so vertragt der
Firniss wohl 75 K. Terpentinbl; im entgegengesetzten Fall muss der Zusatz auf
60 K., ja selbst noch weniger beschrankt werden. Es milssen daher von Zeit zu
Zeit Proben gemacht werden, die darin bestehen, dass man eine flache Schale
nimmt, und eine Portion Firniss hineingiesst. Wenn dieser erkaltet ist, so erkennt
man leicht an seiner Consistenz, ob er eines ferneren Zusatzes von Terpentinbl
bedarf oder nicht.
Die Mischung von Firniss und Terpentinbl kann begreiflicherweise nicht in
dem Siedekessel geschehen, indem dieser nicht geraumig genug dazu ist; sondern
es muss ein besonderer Kessel dazu vorhanden sein, in welchen man zuerst den
Firniss Mit und dann das Terpentinbl hinzugibt.
Schliesslich wird der Siedekessel zuerst mit dem Terpentinbl, welches zum
Ausspulen des Copaltopfes diente, sorgfaltig ausgewischt, hierauf mit einem wol-
lenen, in Bimssteinpulver getauchten Lappen blank gescheuert. Auf dieselbe Art
werden alle iibrigen gebrauchten Apparate und Werkzeuge geputzt, dann noch
mit reinem Terpentinbl nachgespiilt und endlich mit reinen Lappchen voilstandig
getrocknet.
Das hier beschriebene Verfahren kann, mit Ausnahme der durch Abweichungen
in dem quantitativen Verhaltnisse der Materialien bedingten Modificationen. bei
der Anfertigung von Copallack stets in Ausiibung gebracht werden.
Sehr wichtig ist die Auswahl des Leinbles. Am besten ist das Oel von
gutem ausgewachsenen reifen Samen. Dieses muss, in einem Glaskblbchen be-
trachtet, vbllig klar und glanzend, dabei von recht hellgelber Farbe sein. Es
muss einen milden, siisslichen Geschmack und wenig Geruch besitzen, nach dem
502 Firniss (Copalfirniss)
Kochen und Klaren schnell und fest eintrocknen und einen nur wenig gefarbten
Firniss liefern.
Weit einfacher und bequemer ist die Bereitung fetten Copalfirnisses nach
dem Verfahren von V i o 1 e 1 1 e. Nach seinen Untersuchungen (vgl. Dingl. pol.
Journ. 167 pag. 70 und 371) lost sich Copal nur dann leicht und vollstandig,
wenn er so lange auf einer Teraperatur von 360° C. erhalten worden ist, dass
er durch Verfliichtigung von bei dieser Temperatur destillirenden Antheilen circa
25 Proc. seines Gewiclites verloren hat. Ktihlt man die hiebei resultirenden
Danipfe ab, so erhalt man ein klares, gelbes, fliichtiges Oel von 0.80 spec. Gew.
(Copalol), das die Eigenschaft hat, die weicheren Sorten von Copal zu losen und
sich gleichwohl mit alien fetten und fliichtigen Oelen zu mischen. Zu diesem mit
einer Destination verbundenen Schmelzen des Copals, das vor der gewohnlichen
Art der Copalschmelzerei an sich schon den Vortheil voraus hat, dass die bei
dem Schmelzungsprocesse sich verfliichtigenden Destillationsproducte gewonnen
und verwerthet werden konnen, verwendet Violette kupferne, innen stark ver-
silberte Trommeln (in Eisengefassen schwarzt sich der Copal), welche ahnlich den
Rosttrommeln fur Caffee um ihre Achse drehbar sind, oder kupferne, innen versilberte
Destillirblasen mit eingesetztem Riihrwerk. Ein kupfernes Verbindungsrohr, welche
bei den trommelartigen Apparaten in der Achse liegt, stellt die Verbindung des
Innenraums des Schmelzgefasses mit einer Kiihlvorrichtung her, die nach Art eines
Liebig'schen Kiihlers(s. Destination II pag. 607 — 608) construirt ist und zur Verdich-
tung der beim Schmelzen sich entwickelnden Dampfe dient, deren Condensations-
product (Copalol) in einer Vorlage aufgefangen wird. Man tragt die abgewogene
Menge des zu schmelzenden Copals durch eine gut verschliessbare Fiilloffnung in
das Schmelzgefass ein, das iiber einer geeigneten Heizvorrichtung erhitzt werden
kann, und beginnt, wahrend man die drehbare Trommel fleissig wendet, oder
in der Blase das Riihrwerk in Betrieb setzt, mit der allmaligen Erhitzung, die man
langsam steigert und sorgfaltig unter Vermeidung jeder die Temperatur von 360° C.
iibersteigcnden Ueberhitzung regulirt. Die Erhitzung wird so lange fortgesetzt,
bis sich in der Vorlage eine 25 Proc. des angewendeten Copalgewichtes betragende
Menge an Destillat angesammelt hat. Zur raschen Beurtheilung des Eintritts
dieses Zeitpunktes ist an der Vorlage ein Fliissigkeitsstandmesser angebracht, an
dem die den einzelnen Raumtheilen entsprechenden Gewichtsmengen des Copalols
ersichtlich gemacht sind. Wahrend des ganzen Schmelzprocesses muss die Trommel,
bez. das Riihrwerk unausgesetzt in Bewegung erhalten werden, damit die Copal-
masse iiberall gleichniassig erhitzt werde. Ist der Schmelzprocess beendet, dann
lasst man durch ein besonderes Abflussrohr die geschmolzene Copalmasseabfliessen
und sammelt sie in kupfernen Kesseln oder in Steintopfen, in welchen nunmehr
die Losung des Copals in dem Firniss oder dem Oele vorgenommen wird. Als
Heizmateriale sowohl bei der Arbeit des Schmelzens als auch bei dem nachherigen
Losen im kochenden Firniss verwendet man vortheilhaft Holzkohle, da diese eine
gute Regulirung des Feuers gestattet. Und auf diese kommt alles an, da Ueber-
hitzung nicht allein beim Schmelzen, sondern auch beim nachherigen Kochen mit
Firniss eine mehr weniger dunkle Farbung des Firnisses bedingt, der zu Folge
derselbe an Werth verliert. Man zieht desshalb vielfach Steintopfe fur die Arbeit
des Firnisskochens den Metallkesseln vor, da sie wegen des geringen Warme-
leitungsvermogens des Steinzeugs weniger leicht eine Ueberhitzung eintreten lassen
als Metallgefasse. Doch kann man auch in den letzteren bei sorgfaltiger Arbeit
einer Ueberhitzung leicht aus demWege gehen, und hat den Vortheil, dass man das
bei Steinzeugtopfen so haufige Zerspringen nicht zu befiirchten braucht.
Eine weitere wesentliche Verbesserung hat Violette (s. Dingl. pol. Journ.
183 pag. 402) in der Darstellung von fetten Firnissen dadurch angebahnt, dass
er nachwies, class sowohl Dammar als auch Copal und selbst Bernstein die Eigen-
schaft erlangen, sich in fetten Oelen oder in Terpentinol zu losen, wenn man sie
in einem geschlossenen Raurne unter hbherem Druck geschmolzen hat. Es ist
demnach moglich durch Erhitzen von Copal oder Bernstein mit Leinolfirniss oder
Firniss (Bernsteinfirniss — Harzblfirniss). 503
Terpentinol in einem hermetisch geschlossenen Raum diese Harze nicht allein
directe zu Ibsen, sondern zugleich audi jeglichen Verlust an sich verfluchtigenden
Antheilen zu verraeiden. Die Erhitzung muss 350 — 400° G. bctivngen, und erheischt
insoferne einige Vorsicht, als die hermetisch geschlossenen Gefasse in Folge des
bedeutenden Druckes, den sie zu erleiden haben (20 Atmosph.), dem Reissen leicht
ausgesetzt sind. Diese Gefahr lasst sich indess durch Wahl passender Gefasse
(Kupfercylinder innen versilbert) wesentlich verringern. Einen guten, far'olosen
Copalfirniss bereitet man nach Leisel (s. Dingl. pol. Journ. 155 pag. 237)
auch folgendermassen. Man verwandelt ostindischen Copal in ein ziemlich feines
Pulver und lasst dasselbe ausgebreitet an einem trockenen Orte durch etwa 6
Wochen der Einwirkung der Luft ausgesetzt. Von dem so vorbereiteten Copal
mengt man 1 Thl. mit 1 Thl. grobem Glaspulver, bringt das Gemenge in eine
Flasche, iibergiesst mit 6 Thl. Terpentinol, bringt nun die Flasche auf ein Sand-
bad und erhitzt, bis das Oel zum Sieden kommt, wahrend man ofter umriihrt.
Sodann setzt man der Mischung 1 Thl. Leinbifirniss zu, den man zum Sieden
erhitzt hat, schiittelt gut durch und seiht nun die erhaltene Lbsung von dem Un-
gelbsten ab.
Zur Herstellung fetter Bernstein firnisse kann man im Allgemeinen
in gleicher Weise verfahren, wie dies fur Copalfirnisse angegeben wurde.
Von besonderen Vorschriften fur Bernsteinfirnisse ware, zu nennen: 18 Thl.
Bernstein werden mit 2 Thl. Terpentinol tibergossen und so lange iiber freiem
Feuer erhitzt, bis der Bernstein geschmolzen ist. Zu der etwas abgekiihlten Masse
setzt man sodann 24 Thl. vorher erwarmtes Terpentinol zu, erhitzt neuerdings
zum Sieden und mengt der erhaltenen Lbsung endlich 7 — 8 Thl. Leinbifirniss
bei. Dieser Firniss ist namentlich als Mbbelfirniss empfohlen. Nach einer anderen
Vorschrift schmilzt man 10 Thl. Bernstein, mengt der geschmolzenen Masse 9
Thl. Leinbifirniss zu und lost die Mischung in 32 Thl. Terpentinol inderWarme
auf. Lander er und Diamond (vgl. Dingl. pol. Journ. 151 pag. 78 u. 133
pag. 313) empfehlen Bernstein in geschmolzenem oder rohem Zustande in Chloro-
form zu Ibsen, wobei man einen sehr rasch trocknenden Firniss erhalt.
Zum Kochen von fetten Firnissen hat ferner G. Feichtinger eine zweck-
massige Vorrichtung angegeben, die namentlich dafiir berechnet ist, dieBelastigung
zu beheben, der der Arbeiter durch die beim Sieden der Firnisse entweichenden
Dampfe ausgesetzt ist, und ferner die Gefahr der Entziindung der Firnisse, die
beim Arbeiten in offenen Kesseln sehr leicht eintritt, zu beseitigen (vgl. Dingl.
pol. Journ. 204 pag. 71).
Was endlich die Harzblfirnisse anbelangt, so sind diese wesentlich
Lbsungen von Copal, beziehungsweise Bernstein, oder aber von Colophonium und
sonstigen billigen Harzen, in den schweren Destillationsproducten des Fichtenharzes.
Die Darstellung dieser Art von Firnissen, die sich namentlich durch besonders
niedrige Preise auszeichnen, ist derzeit noch das Geheimniss einzelner Fabriken,
von welchen namentlich jene der Firma Lemme & Co. inStolp dieerstewar, die
diese Fabrikate in den Handel brachte.
Um den Firnissanstrichen, namentlich solchen, welche mit fetten Firnissen
hergestellt werden, die Eigenschaft zu ertheilen, mbglichst rasch zu trocknen, setzt
man den Firnissen nicht selten Trockenmittel (Siccative) zu, von deren einzelnen
bereits oben (s. pag. 489) die Rede war. Ausser solchen Zusatzen, die namentlich
den Zweck haben, die Oxydation des trocknungsfahigen fetten Oeles zu begiinstigen.
hat man aber als Siccative auch andere Substanzen angewendet. Namentlich eignen
sich Lbsungen von Schellack in Borax oder Salmiakgeist vorziiglich zur Beschleu-
nigung des Trocknungsprocesses und C. Puscher (Dingl. pol. Journ. 191 pag.
174) empfiehlt eine Lbsung, die aus 3 Thl. blondem Schellack, 1 Thl. Salmiakgeist
und 6 — 8 Thl. Wasser und Kochen der zunachst durch 12 Stunden kalt digerirten
Masse bis zur erfolgten Lbsung des Schellacks bereitet werden kann, als Ersatz
einer weingeistigen Schellacklbsung ftir die verschiedensten Zwecke.
504 Firniss. — Firnisspapier.
Jiinemann (Dingl. pol. Journ. 178 pag. -160) empfiehlt als Siccativ eine
Losiing, welche durch Kochen von 4 Thl. Borax, 12 Thl. Schellack und 100
Thl. Wasser, in einem Kupferkessel, bis alles gelost ist, bereitet werden kann.
Diese Losung, welche, je nachdem lichter oder dunkler Schellack verwendetwurde,
blass gelb bis braun sein kann, liefert an sich einen rasch trocknenden Firniss.
Durch Zusatz von 1 Thl. desselben auf einen Theil eines fetten Firnisses oder einer
Oelfarbe und inniges Vermischen kann man die Anstriche in 15 — 30Minutenzum
Trocknen bringen. Selbstverstandlich darf man nicht mehr von fettem Firniss
oder Oelfarbe mit diesem Sicativ vermengen, als eben zum Verbrauche kommt.
Eine ganz eigenthiimliche Art von Firnissen und besonders ausgezeichnet
durch Dauerhaftigkeit und Schonheit der Anstriche, die sie liefern, sind die j apane-
s i s c h e n Firnisse oder Lacke. Soviel man mit Sicherheit weiss, werden diese
Firnisse aus dem Safte des Lackbaumes (Urushinoki) erzeugt, der allenthalben in
Japan gedeiht, aber vorherrschend in den Provinzen Oshu und Oswari einheimisch
ist. Man macht im Monate September Einschnitte an verschiedenen Stellen des
Stammes dieser Baume und hangt unter dieselben Gefasse, in denen sich der
Lacksaft sammelt. Die gesammelte Fliissigkeit wird sodann durch ein Tuch ge-
seiht, urn sie von beigemengten Unreinigkeiten zu trennen und kommt so unter
dem Namen Kidjomi in den Handel. Er wirkt atzend und bringt auf die Haut
gebracht bosartige Geschwiire hervor. Aus diesem Lacksafte werden nun durch
verschiedene Zusatze die farbigen Anstrichfirnisse hergestellt. So wird schwarzer
Firniss (Rairo) hergestellt, indem man zu 40 Thl. von dem Safte 1 Thl. eines
Breies zusetzt, den man durch Schleifen eines Stiicks Eisen auf einem weichen
Schleifstein unter Wasserzusatz bereitet. Das Gemenge wird dann am Sonnen-
lichte mit Holzschaufelchen so lange geriihrt, bis es schwarz geworden und auf die
Halfte verdampft ist. Durch Zusatz von 15 Proc. des Oels von Sesamum orient.
(Yenoabura) zu einem solchen Gemenge von Lacksaft mit etwas weniger Schleif-
brei erhalt man den glanzend schwarzen Hanaurushi-Lack. Ein rother Firniss
(Shuurushi) besteht aus 100 Thl. Lacksaft, 30 Thl. Yenoabura und V300 Thl.
Gummigutt an der Sonne gut umgertihrt u. d. m. (vgl. hieruber P. Kemper-
mann, Industrieblatt v. Hager u. Jakobsen, Berlin 1874).*)
Ein eigenartiges Firnissmateriale ist auch das Nienfett, eine fettahnliche
Ausscheidung eines in Amerika einheimischen Insectes (vielleicht von Coccus Axin),
welches eine gelbbraune fettige Masse bildet, die an der Luft verharzt und sich
in Terpentinbl, Benzin, Aether und Chloroform auflost. Nach 0. Buchner (s.
D. Industr.-Ztg. 1870 pag. 479) wird die Losung des Nienfetts in Terpentinol
von den Eingeborenen in Yucatan zur Herstellnng glanzender Firnissiiberziige, die
sehr hart aber zugleich elastisch sind verwendet, (vgl.a. Chem. Centbl. 1870 p. 679.)
Ueber Firnisse vgl. iibg. auch Creuzburg, Lehrb. d. Lackirkunst, Weimar
1865. Musspratt-Stohmann, Handbuch d. techn. Chem . — Gintl, Ausstellungs-
bericht iiber Appreturmittel u. Harzproducte, Wien 1873. — L. E. Andes, Jahrb.iiber
Neuerungen etc. auf dem Gebiete der Lack- u. Firnissfabrikation. Leipzig 1877. Gil.
Firnisspapier. Ein als Ersatz fiir Wachstafft verwendetes, mit Firniss ge-
tranktes Papier. Ueber Darstellung desselben, sowie der hierzu geeigneten Firnisse
vgl. E. Thorey (Dingl. pol. Journ. 214 pag. 427). Gil.
*) Es ist daher begreiflich, dass alle Versuche, die chinesischen, bez. japanesischen Lack-
arbeiten mit deu bei uns ublichen Materialien an Firnissen und Firnissfarben nachzu-
ahnien, wegen der Eigeiiartigkeit des in jenen Landern vei'wendeten Materiales nicht
von Erfolg sein konnten und Avohl auch nicht sein werden, so lange man nicht
selbst bei Anwenduug desselben Materiales auch die Methode befolgt, die die japanesi-
schen Arbeiter bei der Verwerthung ihrer Lacke anwenden. Versuche, japanesischen
Lack nachzuahmcn, sind vielfach gemacht worden. Eine der bekanntesten solcher
Vorschriften ist wohl die der Marineartillerie der Vereinigten Staaten Nord-Amerikas,
wonach i Thl. Bleiglatte. 6 Thl. Mennige, 1 Thl. Umbra, 8 Thl. Schellack, 2 Thl.
Bleizucker und 1 Thl. Ziukvitriol unter allmaligem Zusatz von 17 Thl. gekochtem Leinol
unter fortwahrendem rmriihren 5 Stunden lang gekocht und die Masce nach dem Ab-
kuhlen mit 2 Thl. Terpentinol vermeugt werden soil.
First. — Fischbein. 505
First (faite — ridge, top), s. Dach II pag. 463 Zeile 10.
Firstenbau, s. Bergbau I pag. 388.
Firstengewdlbe, Firstenkasten, Firstenstirn, s. Bergbau I pag. 380.
Fischalbumin, Albumin aus Fischrogen, s. Albumin I pag. 80, vgl. a.
Leuchs pol. Ccntralblatt 1861 pag. 286 und Wagn. Jabrbrcbt. der chem. Teclm.
1861 pag. 595.
Fischangeln, Angel haken (hamecons, haims — fish-hooks). In Bezug
auf die Beniitzung der Fischangeln zum Fischfange sei verwiesen auf: Boccius
Die Fluss-, Bacli- und Teichfischerei, a. d. Engl. 2. Aufl., Weimar 1861; Bier-
mann illustr. Fischereibuch, Berlin 1865; Sturz Der Fischfang auf hoher See,
Berlin 1862. Betreffs des Fabrikation und Form der Fischangeln s. Prechtl's
Techn. Encyclop. Bd. I pag. 277—282 und The Engineer Bd. 8 pag. 426.
Fischauge syn. m. Adular muschelformiger, Wolfsauge, ceylon. Opal,
Wasseropal, Girasol, vgl. Orthoklas.
Fischband, (fiche a vase — butt hinge) s. Band I pag. 287.
Fischbauchtrager, s. Briicken II pag. 89.
Fischbein (os de baleine — whale bone), d. i. Walfischbarten. Die Sub-
stanz der Walfischbarten (barbes — whale-pins) d. s. sensenformig gestaltete
hornartige Piatten, die in zwei Abtheilungen zu beiden Seiten eines Knochens,
der der Lange nach unter dem Oberkiefer des Rachens der Walfischc (Balaena
mysticetus L, B. australis Desm.) und Finnfische (Balaenoptera borealis Less.) fort-
lauft und unter diesem Kiefer selbst befestigt sind. Die Lange dieser Barten
hangt natiirlicher Weise von der Grosse des Fisches ab, variirt aber auch sehr
nach der Stelle des Rachens. Die mittleren sind im Allgemeinen die langsten
und iiberhaupt die besten, und wohl bis zu 5 M. Lange vorgekommen, indessen
gehort eine Lange von 4 — 4.5 M. schon zu den Seltenheiten. Die Breite betragt
in der Nahe des Anheftungspunktes etwa 3 — 3.5 Decim., von hier aus laufen sie
in massig bogenformiger Kriimmung in eine Spitze aus. Die Dicke ist am oberen
Rande etwa 9 — 10mm, nimmt aber gegen den unteren Rand, an welchem sich die
Barte in eine Reihe loser Haare oder Fransen auflost, sehr bedeutend ab. Jede
der beiden Reihen zahlt etwa 300 Barten, unter denen indessen nur etwa 250
brauchbar sind, so dass ein Fisch durchschnittlich 500 nutzbare Barten licfert.
Die Substanz des Fischbeins (wesentlich Hornsubstanz) besteht aus einer Masse
parallel neben einander liegender dicker Fasern, die seitlich durch eine a'hnliche.
jedoch etwas weniger feste Substanz aneinander geheftet sind, und sich ziemlich
leicht von einander trennen lassen.
Dem Walfische dienen die Barten als eine Art Filtrirapparat ; indem er
namlich das eingeschliirfte Wasser zwischen den Bartenreihen und dem Unter-
kiefer wieder herauspresst, bleiben kleine Seethiere und Fische in seinem Rachen zuriick.
Die Barten werden, nachdem sie von dem Oberkiefer abgelost und von
anhangendem Speck gereinigt und sortirt sind, in Packete von etwa 10 oder 12
Stiick gebunden und so nach Europa gebracht, wo sie in denFischbeinreissereien,
die in den meisten nordeuropaischen Hafenstadten, so wie auch in grosseren Fa-
briksstadten etablirt sind^ in die handelsiiblichen Formen gebracht werden.
Die Verarbeitung des Fischbeins zu viereckigen oder llachen Staben, das
sog. Fischbein reissen, wird, nachdem das Fischbein durch zweistundiges
Kochen mit Wasser erweicht worden, auf folgende Art bewerkstelligt. Man spannt
die in Stiicke von etwa 1 — 1V2 M. Lange zersagten Barten auf einer Art Tischler-
bank mittels zweier Bretter so ein, dass sie auf der hohen Kante stehen. und
spaltet nun mittelst eines eigenen bogenformigen Messers oder Hobels, der je
nach der Dicke der abzureissenden Stangen gestellt werden kann, diese davonab.
506 Fischbein. — Fischhaut.
Nach dem Reissen werden die Stangen getrocknet, wodurch sie ihre natiir-
liclie Harte und Steifigkeit wieder erlangen, und nun audi an den Seitenflachen
glatt geschabt. Die hierbei abfallenden Fischbeinspane eignen sich als Surrogat
der Rosshaare zum Ausstopfen der Betten und Mobeln.
Das Fischbein findet seiner Biegsamkeit, Elasticitat, Festigkeit und seines
geringen specifischen Gewichtes wegen mannigfaltige Anwendungen, besonders zu
Schirmgestellen (Schirmfischbein), zu Corsets (Schneiderfischbein), zu Stocken,
Reitpeitscken, Galanteriewaaren, feinen Flechtarbeiten etc. Durch Dampf oder im
Sandbad erhitzt, erlangt es einen solchen Grad von Weichheit, dass es sich wie
Horn in Form en pressen lasst, und die so erhaltene Gestalt, vorausgesetzt, dass
es innerhalb der Form abkiihlt, unverandert beibehalt. Auf diese Art konnen
mancherlei Luxusartikel, als: Tabakdosen, Messerschalen, Stockknopfe u. dgl. aus
Fischbein verfertigt werden.
Man polirt es gewohnlich mit Bimssteinpulver, das mit Wasser auf einen
Filz aufgetragen wird, und . reibt es schliesslich noch mit zerfallenem Kalk ab.
Der relativ hohe Preis, den das Fischbein namentlich zu Zeiten, wo die
herrschenden Damenmoden einen bedeutenden Consum an diesem Materiale bedingten
hatte, hat Veranlassung gegeben, die Herstellung von Fischbeinsurrogaten
zu versuchen, deren einzelne noch zur Zeit, wo die Preise echten Fischbeins nicht
mehr so hoch stehen, Anwendung finden. Ein solches wurde zuerst von Th.
V o k 1 e r in Kbln bei Meissen uuter dem Namen W a 1 1 o s i n in den Handel ge-
bracht. Dasselbe wird in folgender Weise hergestellt: Gewohnliches spanisches
Rohr wird auf einer besonderen Maschine (vgl. Bayr. Kunst- u. Gewerbe-Blatt
1856 pag. 659) von seiner glatten Schale befreit, nach dem Entschalen mittels eiues
Blauholzabsudes und Eisenbeize schwarz gefarbt und nach dem Trocknen mit
einer Losung von Kautschuk, Guttapercha und Schwefel in Steinkohlentheerbl
getrankt. Die so getrankten Stabe werden nunmehr in einem Dampfapparate
unter einem Druck von 2 Atmosph. gedampft, wodurch die das Rohr durchtran-
kende Masse vollkommen gehartet (vulcanisirt) wird^ und endlich werden sie ge-
walztj wodurch sie vollig dicht und in hohem Grade elastisch werden. Die Im-
pragnirungsfiussigkeit wird bereitet, indem man einerseits 1 Thl. Guttapercha in
2 Thl. Steinkohlentheerbl, dann in einem besonderen Gefasse 1 Till. Kautschuk
in 12 Thl. Steinkohlentheerbl, endlich 1 Thl. Schwefel in 12 Thl. Steinkohlen-
theerbl auf lost und sodann 24 Thl. der Guttaperchalbsung mit je 12 Thl. der
Kautschuk- und der Schwefellbsung vermengt.
Nach Good year's Patent (Hannov. Mitthlg. 1855 pag. 294) wird ein
Fischbeinsurrogat wesentlich aus vulkanisirtem Kautschuk erhalten, indem Kaut-
schuk mit einem Zusatz von geeigneten Vulkanisirungsmittelii durch Erhitzen auf
120 — 140° C. gehartet wird. Er schreibt auf 1 Kilo Kautschuk eine Mischung
von 0.25 K. Schwefel, 0.2 K. Schellack, 0.2 K. Magnesia und 0.25 K. Gold-
schwefel (ftinffach Schwefelantimon) als Vulkanisirungsmittel vor. Seit den in
der neueren Zeit gemachten bedeutenden Fortschritten auf dem Gebiete derKaut-
schukindustrie (vgl. Kautschuk) wird vulkanisirter Kautschuk ganz allgemein
als Fischbeinsurrogat verwendet. Gil.
Fischbein weisses, Blackfischbein s. Sepia.
Fischbein-Bearbeitung hat grosse Aehnlichkeit mit der Bearbeitung von
Horn und wird hierauf verwiesen. Ueber die Verwendung des Fischbeins zur
Erzeugung kiinstlicher Blumen schrieb Basse eine „Anleitung". Quedlinburg 1826.
Fischbeinsurrogate, Fischbein kiinstliches, s. Fischbein.
Fischguano s. Guano.
Fischhaut. Die eingetrocknete rauhe Haut einiger Haifisch-Arten, wird als
Beleg von Brustbaumen bei Webstiihlen, an Reibzeugen etc. verwendet. Vgl.
Chagrin.
Fischleim. — Flachs. 507
Fischleim s. Ha us en blase.
Fischdl-Naphta. Ein Petroleumsurrogat, welches durch trocktne Destination
der Kalkseife des Thrans von einer Haringsart (Alosa menhaden) dargestellt
wurde (vergl. Warren u. Storer, Ausz. in Journ. f. pract. Chem. 102 pag.
436). Gtl.
Fischsalz syn. m. Biihnensalz, s. Kaliura bei Chlorkalium, s. Natrium
bei Salz; auch Pockelsalz zur Fischpockelung.
Fischschuppen (ecaille de poisson — scale). Die Fischschuppcn finden
ausser zur Herstellung der Perlessenz (s. Essence d'Orient III pag. 292) audi
anderweitige technische Verwendung. Nach einem Patente von E. u. J. Huebner
in Newark (Ver. Staaten) konnen frische Fischschuppen von grosserer Form fur
die Herstellung von Schmucksachen, kiinstl. Blumen u. s. w. zubereitet werden,
indem man sie zunachst durch 24 Stunden in Salzwasser einlegt, sodann wieder-
holt mit reinem Wasser auswascht, dann einzeln mit Leinenlumpen abreibt und
schwach presst. Sodann werden sie etwa 1 Stunde in Spiritus gelegt, abgerieben
und wieder gepresst, bis sie trocken sind. So zubereitet haben sie ein perlmutter-
artiges Aussehen, sind sehr elastisch und widerstandsfahig und konnen leicht in
den verschiedensten Nuancen gefarbt werden (vgl. pol. Centralblatt 1874 pag.
1246.) Gtl.
Fischschwanzbrenner, eine besondere Form der Leuchtgasbrenner, s. L eucht-
stoffe, vgl. Lampen.
Fischthran s. Thran.
Fisetholz syn. Fustikholz u. Gelbholz.
Fixage u. Fixiren, so viel wie Befestigung und bef'estigen7 namentlich von
Farbstotfen auf der Faser, s. Beize I pag. 370, vgl. Zeugfarberei und
Druckerei. dann auch das Haltbarmachen von Photographien s. Photo-
graph i e.
Fixbleiche syn. Chlorbleiche s. Bleichen I pag. 622.
Fixirsalz syn. m. unterschwefligsauer. Natron, s. b. Natrium.
Fixfifen syn. Schneller- Oefen, s. b. Calciumoxyd Bereitung, II
pag. 197.
Fisetin s. Fustikholz.
Flaak, Flack ('platfond — fiat), der unterste flache Boden eines
Schitfes.
Flaake, ein Weidengeflecht zum Uferschutz.
Flachs. Unter Flachs versteht man die von den Gefassbiindeln der Stengel
verschiedener, der Gattung Lein, Linum, angehorenden Pflanzen abgeschiedenen
Bast-Fasern. — Nur wenige Arten dieser Pflanzen eignen sich jedoch geniigend
zur Gewinnung einer als Spinnmaterial brauchbaren Faser und ist fur den alten
Continent in dieser Hinsicht von allein hervorragender Bedeutung die Art: Linum
usitatissimum L., die sich in L. sativum oder Schliesslein, Dreschlein
(Rigaer Lein), bei welchem die reifen Samenkapseln geschlossen bleiben und in
L. humile Mill, oder S p r i n g 1 e i n oder K 1 a n g 1 e i n gliedert, dessen Samenkapseln
bei ihrer Reife aufspringen.
508
Flachs.
Fig. 1637.
»
SA
Fig. 1638.
Der in manchen Gegenden gebaute, durch seine Lange ausgezeichnete Koniglein ist
ebenfalls eine Form des gewonlichen Leins und heisst L. us. regale.
Im mittleren und siidlichen Europa, sowie im mittleren Asien wird noch L. perenne
L., im siidl. Europa, im westl. Frankreich und in West- und Siid-England L. angustifolium
Huds. angebaut, von denen die erstere eine grobe, harte, die letztere eine etwas bessere
Faser liefert.
In Nordamerika wird neben L. usitatissimum noch L. Levisii Pursh. gebaut.
In Europa zeichnet sich durch die Production eines hervorragenden, schonen Gewachses
und Erzeugung der besten, feinsten Spinnfasern Belgien aus.
Der Lein gedeiht in alien Klimaten, wo Getreide angebaut werden kann, jedoch wecb-
selt die Giite der unter sonst gleichen Umstiinden gewonnenen Faser nach Klima, und Lage
und halt man gebirgige Gegenden und Meereskusten mit feuchter, massig warmer Atmosphare
als gute Vorbedingungen zur Erzeugung eines schonen Productes.
Der Lein ist eine Sommerpflanze mit diinnem 0.4 bis 1.2m hohem Stengel,
der mit zarten lanzettahnliehen, wechselweise stehenden Blattern besetzt ist und
in 2 bis 3 Aestchen endet, welche die
gewbhnlich blaue Bliithe tragen, aus der
sich etwa erbsengrosse Samenkapseln mit
10, den langlich oval en, platten, roth-
braunen Sam en enthaltenden Fachern ent-
wickelt. — Der Kelch und die Blume
ist fiinfblattrig.
Der Lein hat eine Pfahlwurzel, die
je nach der Art der Saat und der Acke-
rung, so wie der Witterung 0*1 — 0*25 m
lang wird. Soil der Lein besonders
der Fasergewinnung wegen angebaut wer-
den, so muss man ihn dichter saen, als
wenn zur Aussaat geeigneter Samen ge-
wonnen werden soil. Im ersten Falle zeigt
dann der Stengel keine oder nur wenige
Nebenaste mit geringer Anzahl Bliithen
und eine langere Pfahlwurzel, im letz-
teren zweigt sich der Stengel verschie-
dentlich ab und enthalt eine Pflanze viel
mehr Bliithen und eine kiirzere, mehr ge-
astete Wurzel. Die nebenstehenden Holz-
schnitte zeigen in Fig. 1637 den Bast-
Lein nach der Bliithe, in Fig. 1638 den
Samen -Lein, in Figur 1639 in na-
turlicher Grosse die Bliithe, die Samen-
kapseln, das Samenkorn und ein Blatt
des Leins.
Fester bindiger Boden und anderseits zu
leichter Sand- und Torfboden eignet sich nicht
zum Anbau des Leins, derselbe verlangt viel-
mehr einen miirben, tiefgriindigen, in alter Kraft
stehenden Boden und liebt auch gemischte Bo-
denarten.
Das Land muss ordentlich draiuirt und
wasserfrei sein und bis 0.4 Meter tief bearbeitet
werden. Auf ein und demselben Boden darf
der Lein nie ofter als alle 5 Jahre gebaut werden,
doch ist es meist besser, erst nach Verlaufvon
7 bis 10 Jahren wieder denselben Boden zur
FlachsiTzeugung zu benutzen, und haben Gewohnheit und Erfahrungen eine gewisse Frucht-
folge und geeignete Diingung t'estgestellt.
Die Zeit der Aussaat ist zwischen April und Juni, und spricht man desshalb vonFriih-
lein, Mitt ell ein und Spat lein.
Fig. 1639.
Flachs. 509
Der Friihlein wird im Allgemeinen bevorzugt, da er vor Erdflolien mehr verschont
bleibt und eine bessere, kraftigere Faser liefert, auch der Zeitpunkt der geeigneten Reife vor
der des Getreides fallt, so dass man mehr Arbeitskrafte zum Abernten desselben in der Land-
wirthschaft bereit hat. Die schonen belgischen Flachse riihren meist von friiher Aussaat her.
Je dichter gesaet wird — und man kann um so dichter saen, je tiefer geackert und je
kraftiger der Boden ist — desto feiner, gerader, langer und frei von Nebenasten wird der
Stengel — desto weniger Samen erhalt man aber anderseits. Bei sehr dichter Aussaat und
eingetretenem, langer andauernden Regenwetter kann ein Lagern der Pflanzen und Bescha-
digung derselben durch Faulen eintreten, deshalb pflegt man in manchen Gegenden, z. B. in
Holland, Belgien und Frankreich — bei solcher dichter Aussaat — den Flachs dadurch zu
stiitzen, dass man ihn zwingt, durch iibergelegtes laubloses Reisig zu wachsen, welches auf
seitlich gestiitzten, in geeigneten Entfernungen angebrachten Stangen ruht. Man nennt diesen
Process in Holland das „Landern" und erhalt durch denselben zarte, hohe Pflanzen, die
eine feine und weiche Faser geben — in Frankreich unter lin rame bekannt.
Der Lein muss, ehe die Samenreife eingetreten ist, abgeerntet (gerauft)
werden, weil vor diesem Zeitpunkte die Faser weicher und zarter ist. — Der
Samen ist alsdann wohl zur Oelgewinnung, aber nicht zur Wiederaussaat geeignet.
Eine gleichzeitige Gewinnung guten Flachses und schweren, reifen Samens ist
daher schon aus diesem Grunde nicht moglich.
Der geeignetste Zeitpunkt, wann der Lein geerntet, d. h. mit sammt der
Wurzel aus dem Boden gezogen werden soil — weiche Arbeit man das Raufen
der Flachsstengel nennt — hangt von der Absicht ab, in der man den Lein
baute. Einige Tage nach der Bliithe geraufte Pflanzen geben einen sehr weichen,
seidenahnlichen, aber nicht sehr festen Flachs ; auch wird bei der Abscheidung
der Fasern mehr Abfall gebildet. — Nach der Ausbildung der Samenkapseln —
wenn dieselben noch griln sind — geernteter Lein gibt eine festere, feine, weiche
und helle Faser. Wartetman mit der Ernte, bis die Pflanzen von der Wurzel an bis zur
Halfte der Stengel gelb werden und die Leinenkorner in den Kapseln sich schwach
zu farben beginnen — weichen Zeitpunkt man die „Gelbreife" nennt — so
erhalt man neben einem guten festen Mittelflachs zugleich auch Samenkorner zur
Oelbereitung ; wesshalb man in den meisten Gegenden in diesem Stadium die
Ernte vornimmt. Wenn man noch langer wartet, u.z.bis sich die Leinenstengel beinahe
bis zur Spitze gelb gefarbt und bis die Samenkorner gleichformig lichtbraun geworden
sind — also bis zur sogen. „ Samenreife" — so ist die Faser grober und
harter geworden, wahrend der jetzt gewonnene Samen tauglich zur Wieder-
aussaat ist.
Dem Raufen folgt das Trocknen der Leinenstengel, das bei trockenem
Wetter am einfachsten auf einer abgemahten Wiese oder einem Stoppelfelde durch
reihenweise Lagerung der Stengel und ofteres Umwenden derselben erreicht wird.
Da aber starker Thau und eintretender Regen auch eine nicht beabsichtigte theilweise
Rostung der Stengel hervorbringen kann, so ist das in Belgien, Westphalen und einigen
anderen Orten ubliche Trocknen in Kapellen, bei welchem dieser Umstand nicht leicht ein-
treten kann, vorzuziehen. Nach dieser Methode werden die gerauften Buschel handvollweise
mit einem diinnen Strohseile etwas zusammengebunden und dann mit den Wurzelenden nach
unten in Form eines Satteldaches, bei welchem die Samenkapseln den First bilden, derart
von Norden nach Siiden aufgestellt, dass die schragen Langenseiten desselben von der Sonne
gleich stark beschienen werden konnen.
Sind die Stengel und deren Kapseln geniigend getrocknet — rasseldiirr ge-
worden — so werden sie gesammelt und unter Dach gebracht, nachdem die Seiten-
aste, die Blatter, die Kapseln und die Wurzeln von den Stengeln entfernt worden
sind, was auch manchmal sofort nach dem Raufen auf dem Felde gesehieht.
Das Abstreifen der Aeste und Kapseln gesehieht durch das Riffeln oder
Reffeln, das mittels des Riff el- oder Reffelkammes, der Raff el aus-
gefuhrt wird. Es besteht dies Instrument aus 8 — 10 eisernen, 0'2 — 03m langen
Zinken von der Form einer schlank zugespitzten Pyramide, weiche in einem Brett
oder einem Flacheisen so nebeneinander angeordnet sind, dass die Diagonalen des
Querschnittes mit ihrer Aufstelluugsriehtung zusammenfallen. Die Zinken haben an
der Basis eine Dicke von etwa 15Tnm und lassen daselbst einen Zwischenraum
von ca. 3mm, der sich nach oben zu vergriissert. Mehrere solcher Kiimme sind
510 Flachs.
neb en einander auf einer Bank — der Riffelbank — befestigt. Das Riffeln ge-
schieht in der Weise, dass der Arbeiter eine Hand voll Stengel an den Wurzel-
enden fasst und festhalt, wahrend er die etwas ausgebreiteten Spitzen moglichst
schonend und vorsichtig mehrmals durch den Kamm zieht. Nacli Entfernung der
Samenkapseln wird die Hand voll uingekehrt und mit den Wurzelenden ebenfalls
einigemale durch den Kamm gezogen.
Es ergeben sich aus lufttrockenem Lein etwa 70 — 80°/0 reine Stengel.
Auf. das Riffeln sollte vortheilhafterweise stets das Sortiren der Leinen-
stengel — des Rohflachses, wie er jetzt heisst — nach ihrer Lange und Dicke
erfolgen. Das erstere geschieht durch Aufstossen der Handvoll mit den Wurzel-
enden auf dem Sortirtische und durch Herausziehen der dann mit den Spitzen
iibcr die andern herausragenden Stengel. Man kann in dieser Weise bis vier ver-
schiedene Sorten bilden, welche sich besser und vortheilhafter einzeln, als unsor-
tirt verwenden lassen.
Der gewonnene Rohflachs (Flachsstroh) — also die lufttrockenen und ab-
geriffelten Leinenstengel — hat eine durchschnittliche Lange von 0*6m. Man er-
halt von einer Hektare guten Ackerbodens unter giinstigen Umstanden bis
5000 Kilo Rohflachs, meist aber bedeutend weniger.
Abscheidung der spinnbaren Faser, die Gewinnung des
Flachses.
Um die zu diesem Zwecke eingeleiteten Processe besser beurtheilen zu konnen,
moge zunachst eine nahere Betrachtung der Stengel folgen.
Die ausseren Scliichten sind sehr schwach und dtinn und bestehen aus der
Oberhaut und der Rinde, unter welcher die Gefassbiindel, der Bast — die eigent
lichen Flachsfasern — liegen. Es umgeben diese Fasern einen holzigen Kern,
den eigentlichen Stengel, der im Centrum von einer weichen Masse, dem Marke,
erfiillt ist. Zwischen Fasern und holzigem Kern kann man noch eine Schicht
unterscheiden, die sich je nach der Reife der Stengel mehr dem Faser- oder dem
Holzgewebe anschliesst, die aber bei der Fasergewinnung selbst von untergeord-
neter Bedeutung ist. Die Bastfasern mit den diinnen obern Scliichten betragen
dem Gewichte nach etwa 20 — 30% des gut getrockneten Rohflachses.
Die Gefassbiindelchen haften durch eine Intercellularsubstanz besonders
fest aneinander und an den umgebenden Geweben, und es soil der folgende
Process eine Abtrennung derselben von diesen und ein Zerlegen in feinere einzelne
Fasern bewirken und vorbereiten. Dies kann aber nur dadurch geschehen, dass
die im Wasser unlosliche Intercellularsubstanz theilweise zersetzt wird, was man
unter dem Einflusse einer Fermentation (Rotten) zu erreichen strebt.
Das Rotten oder Rosten (rouissage — retting, rating, steeping). Die
alteren Methoden des Rottens sind die Thau-, Wasser- und gemischte
Roste, und man hat sich erst seit den letzten 50 Jahren bemiiht diese zeitraubenden
und oft unsicheren Verfahrungsarten zu verbessern und in eigenen Rostanstalten
durch andere zu ersetzen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass die alten Me-
thoden des Rostens allein die besten Resultate ergeben, dass sie also principiell
die richtigsten sind, wesshalb sie auch jetzt noch, mit einigen Verbesserungen in
Bezug auf die Art der Ausfiihrungen, fast aussehliesslich in Gebrauch sind. *)
f) Flachs rostanstalten entstanden zunachst in Irland, dann in Deutschland und
Oesterreich; und wenn sie auch keineswegs den gehegten Erwartungen entsprachen,
so haben sie indirect doch den Weg erkennen lassen, auf dem allein dauemde Ver-
besserungen in der Gewinnung des Flachses zu erreichen sind. — Wir kbnnen hier
nicht eingehend erortern, warum derartige Unternehmuugen nuf selten lebensfahig sind,
doch wollen wir wenigstens einige Momente hervorheben. — Es basirt eine derartige
Anstalt vor Allem auf der Moglichkeit, geeigneten Rohflachs in genii gender
Menge preiswiirdig zu erlangen. Nun hat aber der Rohflachs in Bezug auf sein Gewicht
ein sehr bedeutendes Yolumen, weshalb sein Transport auf weitere Entfernungen als
30 bis 37 Kilometer ihn derart vertheuert, dass sein Bezug alsdanu nicht mehr lohnend
erscheint, und sind deshalb solche Anstalten auf einen ziemlich beschrankten Umkreis
Flaclis. 511
Die Rostmethoden konnen eingetlieilt werden in
A) natiirliche Rftsten, die ohne besondere Vorbereitung des Rostmittels
durchgefiihrt werden, wie: a) die Thauroste, b) die Wasserroste mit ihren
Modificationen, c) ge mis elite Roste.
B) Kiinstliche Rosten. Sie sind stets Gegenstand besonderer Unterneh-
mungeiv, welche den natlirlichen Zustand des Rostmittels in der Absicht ver-
andern, den Rostprocess zu beschlennigen. H.geh.: d) die Warm wasserroste,
e) die H e is s wasserroste, f) die Da mpfrostc, g) die Roste mit ver-
diinnter Schwefelsaure.
Was zunachst den giinstigsten Zeitp unlet der Roste betrifft, so wurde
friiher das Rosten der griinen, nicht getrockneten, abgeriffelten Stengel
(Griinroste, noch jetzt in einzelnen Gegenden gebrauchlich) als empfehlenswerth
angeseben, indem man annahm, dass einerseits der Rostprocess alsdann schneller
verlaufe, anderseits ein besseres Product ergebe; doch hat sich das letztere als
ein Irrthum erwiesen. Der getrocknete und manchmal bis zum nachsten Jahre
und la'nger aufbewahrte Rohflachs rostet zwar etwas langsamer, gibt aber eine
bessere, weichere Faser. So pflegt man in Belgien den in drei Qualitaten sortir-
ten Robflachs stets getrocknet und meist nur die geringsten Sorten noch in dem-
selben Jahre, wo sie geerntet wurden, &u rosten ; Flachs besserer und bester
Qualitat hingegen erst im Friihling des folgenden Jahres und den Process bei dem
besten noch vor Beendung zu unterbrechen, um ihn erst im darauf folgenden
Friihjahr zu vollenden.
a) die Thauroste (rouissage sur terre, rosage — deiv-retting) ist jetzt
noch sehr verbreitet und muss iiberall da angewendet werden, wo geeignetes
Wasser zur Ausflihrung der Wasserroste nicht vorhanden ist. Sie liefert bei auf-
merksamer Ueberwachung und giinstiger Witterung einen glanzenden und weichen,
angewiesen. Hierzu kommt noch, dass die Leinpflanze nur etwa alle 7 Jahre wieder
in demselben Boden gezogen werden darf, so dass nur ca. \L des in dem erwahnten
Bereiche vorhandenen Landes fiir die Cultur derselben iibrig bleibt. Man kann aber
nur in seltenen Fallen auf eine so concentrirte Flachszucht rechnen; — und auch da,
wo sie vorhanden ist, gelingt es doch noch seltener, das sammtliche Rohmaterial zu
geeigneten Preisen fiir die Flachsbereitungs-Anstalt zu erwerben, weil der Landwirth,
wo sich ihm nur irgend passende Gelegenheit dazu bietet, die Zubereitung des Flachses
selbst iibernimmt, indem er die hierauf verwendete Miihe und Arbeit nur sehr niedrig
oder gar nicht in Anrechnung bringt und sich einen hbheren Nutzen aus dem Verkaufe
des abgeschiedenen Flachses als aus dem der rohen Stengel verspricht. Die gewerbs-
massigen Flachsbereitungs-Anstalten, die eine theure Anlage zu verzinsen haben, konnen
somit nicht in Concurrenz mit dem mit sehr einfachen Mitteln arbeitenden Landwirthe
treten, besonders da es ihnen nur ungeniigend gelingt, ihre etwa feineren Producte
entsprechend hoher zu verwerthen, wie es die aufgewendetenKosten verlangen. Bedenkt
man ferner noch die nicht sehr selten eintretenden Missernten, wodurch der Bezug
von Rohflachs manchmal fiir eine an einen bestimmten Ort gebundene Anstalt fast
unmoglich werden kann, ferner noch den Umstand, dass der Rohflachs je nach der Art
des Samens, des Bodens, der Cultur und des Reifestadiums, in dem er geerntet wurde
— welche Umstande doch unmoglich den Flachsbereitungs-Anstalten geniigend bekannt
sein konnen — verschieden in der Roste behandelt werden muss, um das mogjichst
beste Product aus ihm zu erzielen, so lassen sich die Schwierigkeiten — welche einer
fabriksmassigen Behandlung desselben entgegenstehen — ermessen und die Griinde er-
kennen, warum derartige Unternehmungen nur unter ganz besonders giinstigeu Yer-
haltnissen und meist nur in Verbindung mit Spinnerei bestehen konnen. — Diese uud
noch andere hier nicht weiter verfolgte Punkte haben denn erkeunen lassen, dass
man nicht durch solche Anstalten, sondern durch directe Belehrung
der Landwirthe iiber beste Cultur und geeignete Verarbeitung der Pflanzen — die
stets eine vortheilhafte, zum grossten Theil im Winter auszufiihrende Beschaftigung
fiir den Landwirth bleiben wird — eine Verbesserung der Flachsproduction und ver-
mehrten Anbau der Pflanzen erreichen wird. — Die Bestrebungen in dieser Hinsicht.
in Verbindung mit der Errichtung von Flachsmarkten, auf denen es dem Land-
wirth erst moglich ist, sein Product entsprechend zu verwerthen, sind denn auch
bereits von Erfolg begleitet gewesen; doch konnen wir uns noch lange nicht messen
init dem noch unen-eicht dastehenden Belgien, das Flachsbereitungs-Anstalten in deiu
besprochenen Sinne nicht kennt.
512 Flachs.
meist dunkleren Flachs. Die geeignetste Zeit zur Ausfiihrimg dieser Roste ist
das Friilijahr, imd nur bei Friibflaclis, der etwa im Monat Juli oder August ge-
rostet werden konnte, kann man sie allenfalls noch in demselben Jahre in den
Herbstmonaten zur Ausfiihrung bringen, — doch sollte man nur getrockneten,
tiber Winter aufbewahrten Flachs in dieser Weise behandeln. In manchen Ge-
genden rostet man den Flacbs im Herbst halbfertig und erst im folgenden Jahre
ganz fertig.
Die Thauroste wird auf einer abgemahten Wiese oder einem Stoppelfelde
vorgenommen, nie auf blosser Erde, weil sonst leicht ein Verderben der unten
liegenden Stengel bei nur einigermassen nasser Witterung eintreten kann; doch
darf der Erdboden nicht eisenhaltig sein, weil der mit demselben in Bertihrung
kommende Lein hierdurch dunkel gefarbt wird und sich spater sehr schwer bleichen
lasst. Die Stengel werden in diinnen Schichten derart ausgebreitet, dass der
herrschende Wind von den Wmzelenden nach den Spitzen zustreichen kann, und dann
der Einwirkung von Thau, Sonnenschein und Regen mehrere Wochen unter wieder-
holtem Wenden der Schichten iiberlassen. Wechseln Regen und Sonnenschein
hanfig, so kann die Roste schon nach 14 Tagen beendet sein, wahrend sie ander-
seits bei trockenem Wetter 7 — 8 Wochen und langer dauert. Das Wenden des
Flachses ist bei dieser Roste von grosster Wichtigkeit, urn ein iiberall gleich-
massiges Product zu erhalten.
Das beste Mittel zur Erprobung, wann die Roste beendet ist, besteht darin,
dass man eine kleine Partie Leinenstengel an einem warmen Orte trocknet und
die Abscheidung der Fasern mittels der Breche versucht. Findet dabei die Ab-
losung der Holzstengel leicht und vollstandig statt, fiihlt sich die Faser weich an,
und sieht sie glanzend aus, hat sich dabei wenigAbfall gebildet, so ist die Roste
gut verlaufen und vollendet. Hat sich viel Abfall gebildet, und zeigt die Faser
wenig Festigkeit, so hat der Flachs bereits zu lange gelegen, er ist iiberrottet.
Geschieht hingegen die Abscheidung schwierig, und lasst sich die Faser kauni
rein von Stengelresten erhalten, fiihlt sich dieselbe hart an und zeigt eine griin-
liche Farbe, so ist zu wenig gerottet. Andere Methoden erfordern viel mehr
Uebung, urn die richtige Rostreife zu erkennen und bieten nicht die Sicherheit
der vorher erwahnten. Es bestehen dieselben gewolmlich in der Priifung des
Ablosens der Fasern, wenn man einige Stengel in der Mitte zerbricht und die
eine Halfte an der andern herunterzieht, oder in der Art des Abspringens des
holzigen Kernes beim Zerreiben etlicher Stengel in der Hand und in der Be-
schaffenheit der zuriickbleibenden Faser.
Sind die Stengel rostreif, so miissen sie sobald wie irgend nioglich und zwar dann,
wenn sie gerade recht trocken sind, zu etwa armdicken Biindeln vereinigt, jedes mit einen
Stengel quer umschlungen und mehrere derselben zusammengelegt zu grosseren Bunden durch
Strohseile vereinigt und nach einem luftigen, trockenen Orte zur Aufbewahrung bis zur wei-
teren Behandlung gebracht werden. — Wenn aber anhaltend nasses Wetter eintritt, wahrend
die Stengel schon rostreif sind, so ist es am besten, dieselben im nassen Zustande zu sammeln
und unter Dach und Fach zum Trocknen aufzustellen, um sie dann erst zu binden und auf-
zubewahren.
b) Die Wasser roste (rouissage a Veau — icater-retting, icatering stee-
ping) kann nur bei vorhandenem tauglichen Wasser und geeigneter Oertlichkeit
angewendet werden ; sie ist schneller und sicherer beendet als die erstere und
liefert im Allgemeinen einen festern und schbnern Flachs. Die Roste wird in be-
sondern Gruben (Rostgruben) und sonstigen stehenden Wassern (Tiimpeln, Teichen),
welche keinen oder nur schwachen Abfluss haben, ausgefiihrt und heisst dann
Gruben roste oder Roste in stehendem Wasser (rouissage a Veau stag-
nante — pond-retting). Werden bei dem Einlegen der Stengel in Gruben —
ohne Wasserabfluss — die einzelnen Schichten mit Schlamm oder Rasen, dem
wohl audi Erlenlaub und Klatschrosen beigemengt werden, bedeckt, so erbalt
man die S c h lamm roste, in Belgien (Ostflandern) auch blaue Roste genannt.
Der auf letztere Art geriistete Flachs hat eine silbergraue oft beliebte Farbe bei t
Flachs (Rosten). 513
grosser Weichheit und Zartheit. Anderscits kann die Roste in Wassern mit raehr
oder weniger lebhafter Wassercirculation, also in Bachen, Fliissen, wohl auch in
Teichen mit schnellerem Wasserwechsel ausgefiihrt werden, und bezeichnet man
dieses Verfahren mit Roste in fliessendem Wasser (rouissage a Veau
courante — river-retting), in Belgien (Westflandern) auch weisse Rotte ge-
nannt, well durch sie der Flachs eine hellere Farbe erhalt.
Der Unterschied der beiden Methoden bestelit hauptsachlieh darin, dass bei
der einen die Rostproducte gar nicht, oder doch nur langsam, bei der andern
jedoch schneller aus dem Bereiche der rostenden Stengel liinweggefiihrt werden.
Hierdurch wird aber im ersten Falle der Rostprocess wesentlich, allerdings unter
erhohter Gefahr des Ueberrottens, beschleunigt und der Flachs etwas dunkler ge-
farbt, — im andern Falle geht derselbe langsamer zu Ende und gibt dem Flaeh.se
eine hellere Farbe, aber auch etwas geringere Weichheit.
Am empfehlensvverthesten ist ein Mittelweg, ein Rosten mit langsamer Er-
neuerung des Rostwassers. Deshalb pflegt man auch, wenn irgend moglich, Rost-
gruben so anzulegen, dass das frische Wasser von unten langsam zu- und das
gebrauchte oben abfliesst.
Das Rosten in Fliissen, Bachen oder Teichen ist nicht iiberall gestattet und kann, in
grbsserem Massstabe an einer Stelle ausgefiihrt, durch die von dem Wasser aufgenommenen
Gahrungsproducte ein Aussterben der Fische und durch die Verengung des freien Fluss-
beetes eine Beeintrachtigung der Schifffahrt.
Als geeignetstes Rbstwasser gilt ein weiches, nicht zu kaltes Wasser. Enthalt dasselbe
aber Eisenverbindungen gelbst, so ist es ganzlich zum Rosten unbrauchbar, weil es den Flachs
dunkel farbt und derselbe sich dann nur schwer bleichen lasst. Hartes Wasser kann man im
Allgemeinen dadurch zum Rosten geeigneter machen, dass man es einige Zeit vorher in dicht
hergestellte Rostgruben leitet und sich selbst iiberlasst.
Ein Rosten in schnell fliessendem Wasser ist ganz verwerflich, da dasselbe, meist
wenig erwarrut, die Rostung sehr verzogert und eine ungleiche Beenddiung des Rbstprocesses
bewirkt; auch verliert der Flachs wesentlich an Geschmeidigkeit und Weichheit.
Die Rostgruben werden, damit das Wasser in denselben oben und unten
moglichst gleiche Temperatur hat, nicht tief, etwa 1-2 — l*8m angelegt; sie werden
entweder mit Brettern ausgelegt oder ausgemauert, wohl auch mit Thon aus-
gestampft, um sie wasserdicht zu machen.
Zum Rosten in Fliissen, Bachen oder Teichen wendet man RSstkasten an, etwa 3.75
bis 5 Meter lang und 1.25 bis 2.5 Meter breit und 1.25 Meter tief aus Latten, die unter ein-
ander einen Zwischenraum von 10 bis 12 Cent, lassen, hergestellt. — Werden dieselben in
Fliissen oder Bachen gebraucht, so ist es empfehlenswerth, gegen die Stromung hin diese
Kasten an 3 Seiten zu verschalen, um den Rostprocess moglichst wenig zu storen.
Die Gruben oder die Rostkasten werden nun in der Weise mit Rohflaehs
gefiillt, dass derselbe — wie er gewachsen ist — mit den Wurzelenden nach unten
— bundelweise eingesetzt wird und soil er in den Gruben den Boden nicht be-
rtihren. Nach der Fiillung wird manchmal eine Strohschicht iibergedeckt, dann
Bretter und Stangen aufgelegt und das Ganze mit Steinen derart beschwert, dass
das Wasser noch ca. 20cm iiber den Spitzen steht. Die Kasten werden natiirlich
am Ufer gefiillt, dann in's Wasser gelassen und nun erst mit Steinen beschwert,
damit sie geniigend untersinken.
Bei der Schlamm roste wird der von dem Flusse mitgefiihrte fette Schlamm oder.
auch in Ermanglung dessen abgestochener Rasen (Schlamm und Boden miisseu aber eisenfrei
sein) zwischen die einzelnen lose vereinigten Bundel und auf dem Boden der Grube nebst
etwas Erlenlaub und Klatschrosen — letzteres geschieht der Farbe wegen — geschichtet, und
das Ganze mit einer eben solchen Schichte Schlamm oder Rasen bedeckt. — Hebt sich im
Verlaufe des Processes der Flachs, so muss er stets um so viel beschwert werden, dass er
immer unter Wasser bleibt.
Die Dauer des Rostprocesses richtet sich zuerst nach den besonderen Eigen-
schaften des eingelegten Flachses, sodann aber nach der Temperatur und der
Beschaffenheit des Wassers. Je warmer und je weicher das Wasser ist. um
so schneller verlauft sie. Bei dem Rosten in stehendem Wasser ist der Process
bei warmer Witter ung bereits nach 2 — 4 Tagen, bei kalter in 5—7 Tagen voll-
Karmarsch & Heeren, Technisches Wiirterbuch. Bd. III. 33
514 Flachs (Rosten).
endet, wahrend ev beim Rosten in fliessendem und hartem Wasser bei kalter
Witterung oft 3 Wochen dauert.
Der Rostprocess bestelit — wie erwahnt — in einer Fermentation mid
kiindigt sich der Beginn derselben zunitckst durch Farbung und Trubung des
Wassers und Auftreten eines aromatischen Geruches an ; es bilden sicli Essigsaure,
Pectinsaure u. s. w., und aufsteigende Blasen deuten auf die Bildung von Gasen,
Kohlensaure u. s. w. Die Trubung des Wassers nimmt zu ; es wird schmutzig-
braun, und es tritt bei vermehrter Gasabsonclerung ein starker unangenehmer
Geruch auf; hierauf wird die Gasentwicklung wieder geringer und der Rostprocess
ist nahezu vollendet. Der Flachs hat sich bei der starkeren Gasentwicklung ge-
hoben und muss aufs Neue beschwert werden, damit er unter Wasser bleibt.
In dem Stadium, wo die von der Gasentwicklung herrtihrenden Blasen auf
der Oberflache zu verschwinden beginnen — was oft schon nach dem zweiten
Tage eintritt — muss der Flachs fleissig untersucht werden, da jetzt die Inter-
cellularsubstanz geniigend zersetzt und verandert ist, und ein zu langes Verweilen
des Flachses im Wasser einen Faulnissprocess hervorruft, der die Fasern selbst
angreifen, ja unbrauchbar machen wiirde. Der Flachs ist dann „uberrottet" oder
„verrottet".
Die Untersuchung hat in dem letzten Stadium alle zwei Stunden stattzufinden, und
erkennt man die Rostreife am besten wiederum durcli rasches Trocknen und Abscheiden der
Faser mittelst der Breclie.
Doch hat man hiking hierzu nicht Zeit und Gelegenheit und begniigt sich dann durch
Erprobung einiger anderen Kennzeichen, wie : a) Bildung eines Knotens aus mehreren Stengeln,
der in's Wasser geworfen ganz langsam bei Rostreife untersinken muss ; b) leichtes Losen der
Fasern von den Stengeln, wenn man einige Stengel an den Wurzelenden fasst und sie mit
den anderen Enden auf die Wasserflaehe schliigt; c) leichtes Brechen und Knicken der Stengel;
d) leichtes Abziehen des Bastes in seiner ganzen Lange, wenn man einen Stengel zwisehen
zwei angedriickten Fingern hindurch zieht u. s. w.
Ist der Flachs geniigend gerostet, so entfernt man die aufgelegten Steine und Bretter,
nimmt die Biindel heraus, schwenkt sie in reinem Wasser gut ab und stellt sie senkrecht an
das Ufer des Flusses oder in Gestalt eines Kegels frei auf, um sie abtropfen zu lassen. Der
Flachs ist in diesem Augenblicke so schwach, dass er das Ausbreiten auf der Wiese nicht
aushalten, sondern unter den Handen zerbrechen Aviirde, als ob er verfault ware,
In dieser Lage bleibt der Flachs, bis er geniigend abgetrocknet ist, um das Ausbreiten
auf der Wiese aushalten zu konnen.
c) Die gemischte Roste (rouissage it la metJiode mixte — mixed
retting) ist eine Combination der Thau- und Wasserroste. Man legt den Flachs
zuerst in's Wasser, nimmt ihn vor beendeter Rbste heraus und breitet ihn auf
dem Felde aus, bis er vollstandig fertig gerostet ist. Hierbei geht man der Ge-
fahr des Ueberrottens aus dem Wege und erhalt einen schbnen, weichen und
hellen Flachs.
B) Ktinstliche Rosten. Dieselben verlaufen verhaltnissmassig sclmell
und werden fast nur in Flachsbereitungsanstalten angewendet, weil sie zu ihrer
Ausfiihrung besonderer Einrichtungen bediirfen und der Process auf das Sorg-
faltigste iiberwacht werden muss. Im Allgemeinen — etwa mit Ausnahme der
Warmwasserrbste — liefern aber diese Methoden ein weniger gutes Product, und
pflegt man desshalb in den erwahnten Anstalten — wo sich irgend passende Ge-
legenheit hierzu bietet — stets nur die Wasserroste anzuwenden.
d) Die Warmwasserrbste {rouissage a Veau chaude — warm-water
retting). Nach dieser Methode wird der Flachs in durcli Dampf erwarmtem
Wasser gerostet. Sie wurde von Schenk aus Amerika zuerst nach England ge-
bracht und heisst desshalb auch die Sch en k'sche Methode. Bei diesem Verfahren
beendet man den Process in etwa 80 — 90 Stunden, wenn das Wasser auf einer
gleichmassigen Temperatur von 20° R. erhalten wird. Eine hbhere Temperatur
bewirkt zwar eine Abkiirzung der Rbstzeit, jedoch leicht auf Kosten der Qualitat
des Flachses. Es wird der Process in Bottichen oder in gemauerten, dichten
Gruben ausgefiihrt. In beiden Fallen ist in etwa 15cm Entfernung vom Boden
Flachs (Rosten). 515
des Behalters ein Lattenboden eingelegt, auf welehen der Flachs mit don Wurzel-
enden zu stelien kommt. Unterlialb des Lattenbodens liegt in einigen Wiudungen
ein Dampfrohr, in welchem Dampf circulirt, der seine Warme an das Rostwasser
abgibt. 1st der Behalter gefiillt, so wird ein hiilzerner Deckel aufgelegt, der durch
Querbalken oder Steine niedergehalten wird, und jetzt lasst man kaltea Wasser
zustromen, bis dasselbe einige Cent, liber dem Deckel steht. Durch Oeffnung
des Dampfhahnes wird die angegebene Temperatur des Wassers erreicht und bis
zur Beendigung des Processes beibehalten. Bei Eintritt der Rostreife werden die
Stengel, ehe man sie herausholt, mit kaltem — besser jedoch mit warmem —
Wasser gespiilt und dann wie oben getrocknet.
In einigen Flachsbereitungsanstalten lasst man den herausgenommenen Flachs
ein paar glatte Quetschwalzen passiren, wodurch ein grosser Theil des Wassers
und mit ihm zugleich noch eine Menge Schmutz entfernt wird. Durch einen wieder-
holten derartigen Quetschprocess, bei welchem immer frisch zufliessendes Wasser
ein grilndliches Abspiilen bewirkt, erleichtert man die schliessliche Abscheidung
der Fasern wesentlich.
e) Die Heisswasserroste wird in selbstthatigen Apparaten ausgefiihrt, in welchen
der Flachs wiederholt mit kochendem Wasser iibergossen wird Es ist dieses Verfahren, das
in 4 Stunden beendet ist, von Buchanan angegeben worden, hat aber nicht den gehegten
Erwartungen entsprochen (Dingl. pol. Journ. 133 pag. 59).
f) Die Dampf roste wurde von Watt 1852 angegeben und soil die Stengel — welche
in verschlossenen eisernen Kasten der directen Einwirkung von Wasserdampf ausgesetzt sind
— in 10 bis 12 Stunden vorbereiten. — Die anfanglicken giinstigen Berichte iiber diese Jle-
thode miissen sich wohl nicht bestatigt haben, wenigstens ist dieselbe bereits wiederziemlich
in Vergessenheit gekommen.
#) Das Rosten mit verdiinnter Schwefelsaure. Nach diesem von Gaultier
de Claubry in Paris angegebenen Verfahren wird ein Bad, das dem Gewichte nach */, Proc.
concentrirte Schwefelsaure enthalt, hergestellt, in welchem der Rohflachs 5 bis 7 Tage lang
eingeweicht wird, worauf ein sorgfaltiges Spiilen in reinem Wasser folgen muss, urn jede Spur
von Saure zu entfernen, die sonst unzweifelhaft die Faser angreifen wurde. Das Fehlen jedes
unangenehmen Geruches ist wohl der Hauptvorzug dieser Methode : die aber, recht vorsichtig
angewendet, ganz gute Resultate ergeben kann.
Die gerosteten und getrockneten Flachsstengel (Rotte- oder Roste-
flachs), bei denen also der Zusammenhang der Bastfasern unter einander und
an den umliegenden Geweben gelockert ist, werden gewohnlich in demselben Jalire
— feinere Sorten auch spater — verschiedenen mechanischen Arbeiten unter-
worfen; namlich zunachst dem Brech- und Schwingprocesse, urn den hol-
zigen Stengel zu entfernen und die Fasern *zu isoliren, hierauf dem Hechel-
processe, um letztere zu zerlegen , zu trennen , vollstandig zu reinigen
und zu ordnen. Diese Processe, so wie einige begleitende Arbeiten werden, je
nach den Gegenden und je nachdem Hand- oder Maschinenarbeit, oder beide
abwechselnd zur Anwendung kommen, verschieden ausgefiihrt.
Vor dem Brechprocesse wurde frviher — und auch wohl nianclimal jetzt noch — um
denselben mit weniger Miihe ausfiihren zu konnen, ein kiinstliches Trocknen des Eost-
flachses in besonderen Darrofen oder gar iiber freiem, in Gruben angeziindetem Feuer vorge-
nommen ; doch schadet dasselbe — selbst wenn es noch so vorsichtig ausgefiihrt wird — stets
mehr oder weniger der Faser; weshalb dieses verwerfliche Verfahren bier nicht naher be-
schrieben werden soil. — Andererseits aber erleichtert ein Auslegen der aus einem offenen
Schuppen kommenden Stengel in der Sonne oder in geheizten Raumei], durch griindlichstes
Austrocknen derselben, die folgenden Arbeiten nicht unwesentlich, ohne der Qualitat der Faser
zu schaden.
Das Brechen, Brecheln, Braken, Raken (macquer, macquage, broyer,
broyage, teiller — braking, breaking) wird in vielen Gegenden von den Laml-
leuten fast ausschliesslich selbst besorgt. Man bedient sich dabei der Flachs-
breche, Breche, auch Brake genannt (troie, macque, tillotte — brake).
Dieselbe 1st in umstehender Fig. 1640 in der Seitenansicht abgebildet, wahrend
Fig. 1641 die arbeitenden Theile im Querschnitt nach AB wiedergibt.
Die Breche besteht aus der Lade e, dem Deckel oder Sehlagel / und dem Gestelle o,
c, d. Die Lade ist aus 3 parallelen, an den oberenEnden zugescharften, aber nicht schnei-
33*
516
Flachs (Brechen u. Boken).
Fig. 1640.
dig en Scliienen von hartem Holze zusammengesetzt, die in den erwjihnten Standern horizontal
befestigt sind. und erhalten diese dnrch einen schweren Klotz b die nothige Stabilitat. Der
mit Handgriff h versehene Schlagel / ist um den dnrch die Lade gesteckten Bolzen g dreh-
bar und besteht aus zwei ebenfalls stumpf zugescharften Schienen, die so weit auseinander
stehen, dass sie bei dem Auf- und Niederbewegen des Schlagels in die Zwischenraume der
untern fassen.
Bei Ausfiihrung des Brech-
processes wird der Schlagel f an
dem Handgriff e erfasst und auf
und nieder bewegt, wahrend rait
der anderen Hand eine Handvoll,
eine Riste (poignee — strick)
Stengel quer ilber die Lade ge-
legt und allmalig weiter bewegt
wird, so dass dieselbe wiederholt
in die Zwischenraume der Schienen
gedriickt und der holzige Kern
dabei zerbrochen, zerknickt und
von den zaheren Flachsfasern zum
grossten Theile abgelost wird.
Diese kleinen abfallenden Stengel-
theilchen nennt man Schaben,
auch Schewen, Agen, Acheln,
Annen (chenevotte — aivn, chaff).
Die" Stengelristen werden zuerst
von der Mitte nach den Wurzel-
enden zu bearbeitet, dann um-
gewendet und auf der andern
Seite ebenso behandelt. Durch
Ausschiitteln entfernt man schliess-
lich die noch hangen gebliebenen
losen Schaben, muss jedoch meist
zwei Brechen hinter einander an-
Flachs-Breche.
1641.
Fiq. 1642.
Botthammer.
zeren Fasern bestehend
mit enger aneinander gesetzten,
manchmal aus Eisenblech herge-
stellten Schienen ein vollstandi-
geres Abstreifen derselben durch
mehrmaliges Durchziehen der Ri-
sten zwischen Schlagel und Lade
zu erreichen. Haufig kommt der
Flachs, nachdem er nur in dieser Weise behan-
delt worden ist, in den Handel.
In einigen Gegenden (besonders in West-
falen, Sachsen u. s. w.) pflegt man vor oder
auch nach dem Brechen noch eine Hilfsarbeit
— das Boken, Poken (piler — pilage) —
vorzunehmen, d. h. die Stengel einem Quetsch-
oder Stamp fprocesse zu unterwerfen, wodurch
dieselben, wenn das Boken vor dem Brechen
stattfindet., glatt gedriickt werden und sich dann
auf der Handbreche die holzigen Theilchen
leichter abscheiden lassen. Auch soil durch
diese Vorarbeit der bei dem Brechen unver-
meidliche Faserabfall — aus abgerissenen kiir-
sehr bedeutend vermindert und durch langer fortgesetztes
Boken der Brechprocess uberfltissig werden. Das Boken geschieht entweder mit der Hand,
Flachs (Schwingcn).
517
mittels eines etwa 2k schweren Schlagels auf der Hirnflache eines Holzklotzes,
oder in besondcrn Bokraiihlcn durcli ein mechanisch bewegtes Stampfwerk auf
Stein- oder Holzunterlagen. Durch diesen Process gewinnt die Faser an Weich-
heit, besonders aber dann, wenn derselbe nach vorausgegangenera Brechprocesse
vorgencmraen wird. In Belgien wendet man das Botten oder Pott en an und
bedient sich zur Zerkleinerung der holzigen Stengel des Botthammers (Pott-
hammers), mit welchem der Flachs gleichsam gedroschen wird.
Derselbe besteht — wie Fig. 1642 angibt — aus einem schweren Stuck harten, vier-
eckigen Holzes mit parallelen, nicht zu stumpfen Einkerbungen, welches an einem etwas
gebogenen langeu Stiele befestigt ist. Dieser Hammer wird in der Weise angewendet, dase
der Arbeiter seinen Stand an den Spitzenden der diinn ausgebreiteten Stengel nimrnt und
zuerst die Wurzelenden mit der gekerbten Flache desselben schlagt nnd dann allmalig nach
den Spitzenden vorriickt. — Durch Umlegen der Stengel wird dann die andere Seite in der-
selben Weise bearbeitet.
Bei dieser Behandlung des Flachses soil lediglich ein vollstandiges Knicken
der Stengel stattfinden, wahrend die Abscheidung der Schaben dem folgenden,
alsdann stets nothwendigen Schwingprocesse vorbehalten bleibt. Die P'aser wird
hierbei sehr geschont und Hire Milde und Weichheit erhoht, und sollte man sich
deshalb entschliessen, die vorerwahnte Breche bei Seite zu legen und zu diesem
Verfahren iiberzugehen.
Das Schwingen (teiller, teillage, espader, espadage — swinging, swing-
ling, swindling, scutching) (Schwingeln) soil die Abscheidung der von dem
Brechen oder Botten her noch etwas fester an den Fasern haftenden Holztheilchen
bewirken und wird mittelst des Schwingstockes (chevalet) und der S c h w i n g e
(Schwingmesser) (ecang, dague, espade) ausgefuhrt. Der Schwingstock ist
— wie die Figuren 1643 und 1644 zeigen — ein aufrecht stehendes, in der
Bohle b befestigtes, 5— 6cm starkes und l-25m hohes Brett a, das 20cm von oben
mit einem 18cm tiefen und 5 — 6cm hohen Ausschnitte c versehen ist, dessen
untere Kante nach der Arbeitsseite hin abgerundet ist, wie dies bei d in erwahnter
Fig. 1643.
Schwingstock.
Fig. 1644.
Fig. 1645.
Schwingbeil.
Fi^ur angegeben worden. Die Risten werden in den Ausschnitt c gelegt und
derart gehalten, dass die grossere Halfte auf der abgernndeten Seite desselben
herabhangt. Mit der andern Hand wird die Schwinge — ein schwertformiges,
0-5 — 0-6m langes, etwa 10cm breites, mit einem Handgrift' versehenes, an den
Kanten stumpf zugescharftes schwaches Holzstiick — gefasst und mit demselben an
518 Flachs (Ribben).
dem Schwingstock ilber den herabhangenden Flachs der Lange nach herunter-
gesclilagen.
Darait sich hierbei der Avbeiter nicht an die Beine schlagt und die Zuriickfiihrung der
Schwinge erleichtert wird, ist an zwei Standern e e ein Strick / / — oder auch ein Riemen
— befestigt, welcher das Schwingmesser auffangt.
Ein anderes, besonders zweckmassig gestaltetes Schwingmesser, wie es in Belgieu
angewendet wird, ist in Figur 1645 abgebildet. — Das Messer besteht aus einem schwung-
gebenden, 35 Centim. langem Theile k und dem eigentlichen, 25 Centim. langen Messer,
das sich an der Kante g h bis zu Messerriickenstarke verjiingt, mit dem Griffe t, welcher
auf der Seite des Messers, die bei der Arbeit vora Schwingstock absteht, aufgeleimt und
mit hblzernen Stiften befestigt ist. Ist zuerst die Wurzel- und dann die Spitzenseite einer
Riste mittels dieses Instrumentes bearbeitet, dabei das Innere derselben wiederholt nach
Aussen gebracht und in derselben Weise behandelt worden, so legt man, wenn durch die
Entfernung der Holztheilchen die Riste so diinn geworden ist, dass sie mit der Hand nicht
rnehr gut gehalten werden kann, dieselbe bei Seite, bis eine zweite, ebensoweit behandelt,
mit der ersten vereinigt und jetzt vollstandig rein geschwungen werden kann, wobei man
sich eines andern, feinern und mehr zugescharften Messers — des Reinschwingmessers —
bedient.
Bei manchen Flachssorten, bei denen sich die Schaben etwas schwer
abscheiden lassen, pflegt man nach dem Schwingen noch das Ribben oder auch
das Risten anzuwenden, um diese fester anhangenden Holztheilchen zu entfernen.
Das Ribben wird mittels des Ribbmessers (racloir — flax - dresser' s-
knife), Fig. 1649, ausgefiihrt ; einer diinnen Klinge r von Eisenblech, welche in
einem holzernen Griffe s gefasst ist. Der Flachs wird von
Fiq. 1646. dem sitzenden Arbeiter auf einem Stuck Leder, das auf
seinem rechten Schenkel bis zum Knie befestigt ist7 aus-
gebreitet und mit der linken Hand gehalten, wahrend die
rechte das Messer fiihrt und das Abstreichen der letzten
Schabentheilchen bewirkt.
Ribbmesser. Bei dem Risten wird der Flachs an beiden Enden
mit den Hitnden gehalten und iiber eine horizontale, dtinne,
zugescharfte, am besten aus Eisenblech bestehende Kante eines aufrecht stehenden
Brettes (Ristebockes) bin- und hergezogen. Es ist stets empfehlenswerther die
Entfernung der Schaben durch den Schwingprocess zu bewirken.
Wenn der Brech- und Schwingprocess in besondern Anstalten, auf grossen
Griitern oder in] Flachsspinnereien selbst ausgefiihrt wird,, dann pflegt man sich
stets mechanisch bewegter Brech- und Schwingmaschinen zu bedienen, von denen
eine grosse Anzahl construirt worden ist. Kleinere Wirthschaften konnen oft mit
Vortheil anstatt der gewbhnlichen Handbrake wenigstens eine Brechmaschine mit
Handbetrieb anwenden, und schwingen dann den Flachs auf oben beschriebene
Weise rein. Es kann nun nicht in der Absicht dieses Aufsatzes liegen, die grosse
Zahl der bis jetzt construirten Brechmaschinen bier ausfiihrlich vorzufiihren, und
es sei deshalb auf die folgende Literatur verwiesen. *)
Die Hauptbedingungen guter Brechmaschinen sind:
Die arbeitenden Organe dtirfen vor Allem niemals scharfe Schneiden oder
Kanten haben, weil durch diese stets die Faser verletzt wird ; auch miissen sie
moglichst nur an einer Stelle auf die Stengel wirken, welche keinesfalls an meh-
') Ziisammeiistellung der jilteren Flachsbrechmaschiuen von Weinling in Hiilsse's allge-
mciner Maschinen-Eneyklopadie Bd. II. Leipzig 1814, Artikel Breclimaschinen. Aitikel
Flachs iu Prechtl's technologischer Encyklopadie , 3. Supplementband, Seite 95,
Stuttgart 1861. Dr. H. Grothe: „Ueber die Bearbeitung des Flachses", Berlin,
Verlag von Trieben, welche Brochure eine weitere reiche Quellenangabe enthiilt ;
ferner noch: ..Berichte iiber die Wiener Weltausstellung von Johann Zeman" in
Dinglers pol. Journ. Bd. 210 pag. 85 und ebenso von Prof. Gustav Herrmann,
Zeitschrift deutscher Ingenieure 1874, pag 204; endlich auch Resultat des recherches
et Experiences relatives au broyage et au teillage du lin a la Mecanique depuis 1856
jusqu"a ce jour, par P. Felboen-Pecquerian. Courtrai 1867 etc.
Flachs (Brechmaschinen). 519
reren Stellen gleichzeitig festgehalten werden diirfen, weil eonst ebenfalls Ver-
letzungen der Fasern eintreten miissen. Der holzige Stengel darf ferner nicht in
zu kleine Theilchen zerbrochen werden, weil diesc sich nur schwierig durch den
folgenden Schwingprocess abscheiden lassen, und es muss, wenn ein Brechen der
Stengel in alien Tlieilen vorgenommen wird, stets ein gleichzeitiges Abschaben,
Abstreifen der Schaben von den Fasern stattfinden, wahrend in beiden Fallen
eine selbstthatige, continuirliche Beseitigung der abfallenden Schabentheilchen und
des Staubes aus den Arbeitsorganen der Maschine eintreten muss. Hierzu gesellen
sich noch die an landwirthschaf'tliche Maschinen iiberhaupt zu stellenden Forde-
rungen. — Keine der vorhandenen Brechmaschinen erfiillt alle diese Bedingungen
vollkommen.
Die verschiedenen Constructionen lassen sich eintbeilen in :
a) Brechmaschinen mit Poch-, Stampf- oder Hammerwerken,
bei denen die untere Seite der Stampfen oder Hammer, sowie die Unterlage
geriffelt ist. Hierher gehort die Maschine von Payne und auch die von F r i e d-
lander, obgleich bei letzterer das Pochwerk untergeordneter Natur ist und die
Hauptarbeit eine Schwingmaschine verrichtet.
b) Brechmaschinen mit Riffelwalzen, die auf geriffelten Platten hin und
her bewegt werden (Terwagne, Mc. Pliers on u. A.).
c) Brechmaschinen mit mehreren sich drehenden und gedrehten gerif-
felten Walzen, die muhlenartig unter einer cannelirten Platte arbeiten, und bei
welchen die Flachsstengel, durch Schlitze in den Platten eingehalten, der Wirkung
der Walzen ausgesetzt werden (Catlinetti und Kesseler).
d) Brechmaschinen mit mehreren cylindri'schen, in gerader Linie oder
in einem Bogen hinter einander angeordneten, immer feiner in ihren Riffeln
werdenden Walzenpaaren, oder mit mehreren Riffelwalzen, die um eine grossere
Unterwalze herum angeordnet sind; bei welchen Constructionen aber sammtliche
Walzen nur eine einfache rotirende oder eine rotirende und trans-
versale (Quer-) Bewegung haben. (Greenwood, Plummer, Coblenz &
Leoni, C. Maier, Lefebure, Kuthe — letztere Maschine kann auch unter /
angefiihrt werden — Warnecke u. A.).
e) Brechmaschinen mit derselben Anordnung wie unter d, bei denen
aber die Oberwalzen bei ihrer Drehung hin und her schwingen (C o 1 1 y e r ,
Luft u. A.).
/) Brechmaschinen mit derselben Anordnung wie unter d, bei denen
aber Ober- und Unterwalzen eine Pilgerschrittbewegung annehmen, d. h. zusammen
eine grossere Vorwarts- und dann eine geringere Rilckwartsdrehung erhalten.
Hierbei konnen noch, wie bei den unter d genannten Maschinen, die zusammen
arbeitenden Walzen eine Querbewegung, (also in ihrer Langenrichtung'i ausfiihren
(Kuthe, siehe oben, Guild, Narbuth, Warnecke, Felhoen u. A.).
g) Brechmaschinen, denen das Princip der Handbreche zu Grunde
liegt und bei welchen der Flachs entweder mit der Hand gehalten (C. & Th.
Moller) oder durch ein cannelirtes Walzenpaar zugefiihrt wird (Kaselo wsky).
Von diesen Maschinen sind die unter a und b genannten am verwerflichsten
(mit Ausnahme etwa der Friedlander'schen, die aber mehr den Schwiug-
maschinen zuzurechnen ist). Die Maschinen unter c und besonders die Maschinen
Kesseler's sind von recht guter Leistung^ jedoch schwerfallig und theuer.
Die Maschinen, bei denen vorzugsweise cannelirte Walzen ziir Verwendung kommen.
also die unter d bis / genannten^ haben sich in hoherm oder geriugerm Grade
brauchbar gezeigt und sind einige Maschinen unter ihnen — wie z. B. die unter
/ genannten Warnecke'schen — welche, bei geringem Kraftverbrauch und
einfacher Construction, auch weniger vertrauten Handen ilbergeben werden konnen.
Von den unter g genannten Maschinen sind zwar die von G. & Th. Moller in
520
Flachs
Brackwede ganz brauchbar, werden jedoch in vieler Hinsicht von den Kaselowsky-
sclien iibertroffen, welche bei einfacher Construction und sehr geringem Kraft-
verbrauch eine vorziigliche Wirkuug ergeben, und bei geringem Gewicht einen
sehr niederen Preis haben, so dass sie sowohl fur den Grossbetrieb wie in der
Landwirthschaft gleich gut Verwendung finden konnen.
Fig. 1648.
Kuthe's Flachsbrechmaschine.
Es mogen jetzt noch einige dieser Maschinen eine etwas nahere Bespreclmng finden.
Die Flachsbrechmaschine von Kuthe empfiehlt sich bei leidlich guter Wirkung be-
sonders durch Einfacbheit und Wohlfeilheit und vermag die Handbreche recht gut zu ersetzen.
Flachs (Brechmaschinen). 521
Fig. 1647 stellt dieselbe in der Langenansicht von der rechten Seite dar und Fig. 1648 in der
Seitenansicht von hinten (wo der gebrochene Flachs heraustritt), Fig. 1649 gibt eine Ansioht
der hintern Gestellswand. g, i, k sind 3 Walzen von hartem Holze und mit eisernen Zapfen
versehen; ihr Umkreis ist mit dreieckigen, etwas abgestumpften Rippen versehen, s. Fig. 1647.
Wenn die grosse Walze g mittels ihrer Kurbel h umgedreht wird, so greift sie mit ihren
Furchen und Rippen in jene der beiden andern Cylinder cin und versetzt also auch diese in
Umdrehung. Die Zapfen von g liegen in runden Lbckern der Gestellswande (s. eines der-
selben bei g in Fig. 1649); die beiden andern Walzen hingegen haben versckiebbare laager
(wie I, I Fig, 1649), namlich i in den Standern a und k in den Armen e, weil diese "Walzen,
wenn zwiscken iknen und g der Flacks durchgekt, die Fakigkeit kaben miissen, sick
zu keben.
Der dabei fortwabrend nothige Druck wird mittels t eines Gewicktes p ausgeiibt, welckes
an einem von unten gegen d' sick stiitzenden Hebel o hangt. Letzterer liegt selbst wieder
auf einem Querkolze n, an dessen Enden Stricke angebunden sind, welche iiber die Walzen-
lager I, I nacb ikren Befestigungspunkten m an den Standern a kinlaufen. Eine Art sckra'gen
Tisches r dient zum Vorlegen des Flackses, ein ahnlicher Tisck q zum Herausfiikren desselben
aus den Walzen. Beide kangen mittelst eiserner Haken in Ringen s, t an den Standern a,
und werden von Stiitzen u, u' getragen. Fig. 1650 zeigt die Riffel in Naturgrosse.
Wenn die Masckine arbeiten soil, so legt man eine Hand voll Flacks auf den Tisck r,
und breitet sie gleickmassig dergestalt aus, dass die Ricbtung der Stengel recktwinkelig gegen
die Walzenacksen ist. Indem man sodann die Kurbel
t?' i#~n ^ umdrekt, wird der Flacks von den Walzen hinein-
o' ' gezogen, zuerst zwiscken g und i, kierauf zwischen g
und k gebrocken. Man drekt einigemal vor- und
riickwarts, um den Flacks kin und ker gekenzulassen,
und lasst ihn endlick auf den Tisck q keraustreten.
Die Sckabe fallt in sekr kleinen Tkeilen ab, der Bast
wird weniger besckadigt, als es gewbhnlich auf der
Handbrecke der Fall ist.
Eine andere irlandische, fiir einen Fabriksbetrieb bestimmte Breckmaschine bestekt
aus ftinf korizontalen gusseisernen, geriffelten Walzenpaaren, welcke so angeordnet sind, dass
der durck das erste Paar eingefiikrte Flacks in einmaligem Durckgange von alien bearbeitet
wird, und vollstandig gebrocken aus dem letzten Paare austritt. Sammtlicke Walzen kaben
0.65 Meter Lange und 20 Centimeter Durchmesser; ibre Rippen sind, bessern Eingriffs
kalber, nacb Art von Radzaknen abgerundet; der untern Walze eines jeden Paares wird
direct drebende Bewegung (vermittels eines Raderwerks) ertkeilt, die obere Walze gebt
zufolge des Eingriffs der Rippen oder Riffeln mit. Die Riffeln sind an den Enden der
Walzen auf etwa 1 Centimeter Lange etwas starker gelassen, so dass sick dieselben an
diesen Stellen gegenseitig beriikren und nur in der Mitte — wo der Flacks kindurck
gekt — ein Zwischenraum bleibt, wodurch eine sckonendere Einwirkung auf die Fasern
erreickt wird. Die Flacksstengel werden wohlgeordnet auf einem Tische vorgelegt, von den
ersten Walzen ergriffen, geknickt und den folgenden Walzenpaaren der Reike nach iiberliefert,
welcke sie in gleicker Weise nock ferner bearbeiten. Um dies successiv auf mbglichst vielen
Punkten zu bewerkstelligen und eine stufenweise steigende Zerkleinerung der Holztkeile zu
erzielen, sind die spater wirkenden Walzen feiner geriffelt als die vorausgekenden; es kat
z. B. jede Walze im ersten Paare 14, im zweiten 18, im dritten, vierten und fiinften 25
Rippen. Zugleich drekt sick das erste Paar am sckncllsten, jedes folgende etwas langsamer,
weil der Flachs beim Fortsckreiten durck die feiner geriffelten Cylinder mekr Knickungen
empfangt und nack Absonderung eines Theiles seiner Holzsubstanz auch tiefer in die
Riffelung eintreten kann, mitkin eine gewisse Verzogerung seiner Fortbewegang erfakren
muss, wenn er nickt abgerissen werden soil. Zur Niederkaltung der obern Walzen auf
die untern dienen Gewichte, welche auf zwei Hebel (an jedem Ende der Walzen einer)
gesteckt werden.
Die Masckine erfordert zum Betriebe gegen 1 Pferdekraft, zur Bedienung 3 oder 4
Kinder, und bricbt in 12 Stunden 2000 Kilo Stengel.
522
Flachs (Brechmaschinen)
Bei neueren Maschinen dieser Anordnung ist vor den ersten Riffelwalzen ein Paar
glatte Walzen angeordnet, welches die Stengel erst breit quetscht, ehe sie zu den Riffelwalzen
gelangen.
Die beschriebene Maschine ist sehr schwerfallig und theuer, erfullt auch nur einige der
vorher aufgestellten Bedingungen, und bleibt es selbst bei der sorgsamsten Construction nicht
aus, dass einzelne Fasern zerrissen werden und in den Abfall iibergehen.
Warnecke hat den Betrieb der sechs Unterwalzen seiner nach diesem Systeme ge-
bauten Maschine durch Kurbelbetrieb bewirkt, doch sind auch bei ihr die geriigten Unvoll-
kommenheiten vorhanden.
Eine Maschine neuerer Construction ist die von Collyer, die oben unter e) angefuhrt
wurde (s. die erwahnten Wiener Weltausstellungs-Berichte) und welche in der folgenden Fig.
1651 in der Langenansicht dargestellt ist.
Die grossere Riffelwalze W, welche von der Handkurbelwelle aus durch die Rader
a und b nach einer Richtung hin bewegt wird, ist oberhalb von zwei kleineren Walzen W1 W2
umgeben, die mittels Gleitlager zu beiden Seiten in drehbaren, tiber die Achse A der
Fiq. 1651.
Collyer' s Brechmaschine.
untern Walze geschobenen Standern gelagert sind und die durch Federn auf die untere auf-
gedriickt werden. Von der erwahnten Handkurbelwelle o aus wird noch durch die Rader
c und d die Welle oi bewegt, die mit einer Kropfung k versehen ist, von der aus durch die
Lenkstange I an den Querbolzen q — der die Verlangerung der erwahnten beweglichen Lager-
stander nach unten zu verbindet — und somit auch an diese Lagerstander und die oberen
Walzen eine hin und her schwingende Bewegung iibertragen wird.
Bei der Drehung der Handkurbel H wird das auf den holzernen Zufiihrungstisch Tt
ausgebreitete Flachsstroh von den Walzen erfasst, gleichuiassig einwarts gezogen und auf den
Abfiihrungstisch T2 abgeliefert. Da nun die durch Reibung und den Eingriff ilirer Riffeln
mit gedrehten Oberwalzen zugleich eine hin und her schwingende Bewegung haben, so wird
eine intensivere Bearbeitung der Stengel, ein vollstandiges Knicken derselben und Ablosen
der Schiiben durch die reibende Wirkung erreicht, und zwar sind die Yerhaltnisse bei vorlie-
gender Maschine so gewlihlt, dass die Stengel einer funfinaligen Einwirkung jeder Brechwalze
unterworfen sind.
Flachs (Brechmaschinen). 523
Bei dieser sonst recht gut arbeitenden Maschine fehlt besonders das geniigende Aus-
schiitteln der Schaben aus den geknickten Stengeln und miissen dieselben erst durch ein
langer andauerndes Schwingen entfernt werden. Anderseits ist die Bearbeitung der Faser
eine viel schonendere und inildere als bei der vorher erwahnten Maschine. — Bei Handbetrieb
soil man mit dieser Maschine in einer Stunde 40 bis 50 Kilogr. Flachsstroh brechen konnen,
wahrend bei mechanischem Antrieb - in welchem Falle 3 schwingende Oberwalzen vorhanden
sind — in derselben Zeit und bei einem Kraftaufwande von '/2 Pferden 130 bis 150 Kilogr.
Flachsstroh verarbeitet werden.
Die ebenfalls unter der Eubrik e angefuhrte B rechmaschine von Luft besteht aus
6 in einem Bogen gelagerten Walzenpaaren, und sind sammtliche obere Walzen (Druckwalzen)
in oscillirenden Standern gelagert. Die Wirkung dieser Maschine ist ahnlich wie die
der eben beschriebenen, doch bietet die Construction ihrer Walzen eine besondere Eigenthiim-
lichkeit. Es sind dies namlich Messerwalzen nach dem Patente Pini construirt, also aus radial
stehenden, in der Breite vierrnal gestutzten und seitlich durch Bundringe zusammengehaltenen,
abgerundeten Messerschienen bestehend, welche ein leichtes Abfallen der Schiibentheilchen
durch ihre Zwischenraume gestatten.
Von den unter f erwahnten Brechmaschinen mit Pilgerschrittbewegung hat die Maschine
von Narbuth 9 Paar Riffelwalzen, die von Guild nur 2 Paar (letztere Maschine ist von
Prof. Dr. H a r t i g in seinem Werke : Ueber den Kraftbedarf der Maschinen in der Flachs-
und Wergspinnerei. Leipzig, Teubner, pag. 51, beschrieben und berechnet).
Die Maschine kommt in ihrer Leistung einer alteren Walzenbreche mit etwa 10 bis 12
Walzenpaaren gleich und bricht pro Tag 600 bis 700 Kilogr. Flachsstroh.
Bei sammtlichen Maschinen mit Pilgerschrittbewegung ist die plotzliche Aenderung der
Bewegungsrichtung stets mit bedeutenden Schlagen in den arbeitenden und transportirenden
Theilen verbunden, so dass Briiche von Radzahnen u. s. w. nicht zu den Seltenbeiten gehoren,
und daher diese Maschinen schon aus diesem Grunde eine besondere Empfehlung nicht ver-
dienen.
Warneke hat bei seiner zweiten, nach diesem Princip arbeitenden Mascbine, die fur
Handbetrieb eingerichtet ist, durch Anwendung von Keilradern die Stosse bei dem Bewegungs-
wechsel moglichst gemildert, weshalb diese Maschine bei ihrer Billigkeit (980 Mark) und
verhaltnissmassig grossen und guten Leistung (bei Handbetrieb tiiglich 600 Kilogr., bei Kraft-
betrieb 1000 Kilogr.) vielfache Verbreitung gefunden hat. — Es hat diese Maschine 2 Paar
in grosserem Abstande von einander gelagerte Brechwalzen, die durch ein Stirnraderpaar (an
der untereu vorderen und der oberen hinteren) in Verbindung stehen. Vor den Stirnradern
sitzen auf den betreffenden Walzenachsen zwei Keilradersectoren und auf der oberhalb gela-
gerten Schwungradwelle zwei eben solche von verschiedener Bogenlange neben einander.
Zuerst fasst der langere Keilsector in den an der Achse der oberen, hinteren Walze sitzenden
Sector ein und bringt dadurch die Vorwartsbewegung hervor, hierauf kommt der kiirzere
Sector rait den auf der unteren vorderen Brechwalze sitzenden in Eingriff und bewirkt die
kiirzere Zeit dauernde Riickdrehung u. s. w.
Brechmaschinen, denen das Princip der Handbreche zu Grunde liegt.
Bei der Maschine von Moller (Doppelrakmaschine) werden Risten zwischen 3 Paar
feste, horizontal neben einander liegende, nach den Enden zu sich maulformig erweiternde
Fiihrungen gebracht, in deren Zwischenraumen von einer Kurbelwelle aus zwei Schlagergabeln
senkrecht auf und nieder bewegt werden. Die Schlagergabeln sind ebenfalls paarweise vor-
handen und knicken also einmal die Stengel von oben nach unten, dann von unten nach
oben, bei einer Umdrehung der Kurbelwelle. Da diese nun 400 Umdrehungen in der Mimite
macht, so werden 800 Schlage in derselben Zeit ausgefiihrt, und hat man es in der Hand,
durch langsameres oder rascheres Querdurchziehen der Risten die Schlage dichter oder weniger
dicht auf einander folgen, den Flachs also verschieden bearbeiteu zu lassen ; audi kami durch
Verstellung des Hubes die Kraft des Schlages, je nach Absicht, geandert werden. — Die Ma-
scbine ist fur Kraftbetrieb eingerichtet, bedarf etwa V.2 Pferdekraft, kostet 375 Mark inch
Aufstellung und Rieraen und verarbeitet tiiglich etwa 300 Kilogr. Flachsstengel.
Zu den besten der vorhandenen Brechmaschinen gehort unstreitig die Kaselowsky'sche,
welche bei einfacher Construction und niederem Preise, bei geringem Kraftbedarfe fast alle
524
Flachs (Brechmaschinen)
Fig. 1652.
der vorher aufgestellten Bedingungen erfiillt, jedenfalls in schonender Behandlung der Fasern
und griindlieher Ausfiihrung des Brechprocesses von keiner anderen iibertroffen wird.
Die Arbeits- und Betriebsorgane der Kaselowsky'schen Brechmaschine sind nach einer
neueren Ausfiihrung in der folgenden Fig. 1652 im Langensclmitt dargestellt. Die ersteren
bestehen in einem Paar geriffelter Zufiihrwalzen ot ot ; einer grosseren Walze W mit einge-
setzten diinnen abgerundeten Leisten I und aus einer Lade L mit ahnlichen Leistchen. —
Die Hauptbetriebswelle B, welche durch die Riemscheibe R — oder auch mit der Hand durch
eine Kurbel . — in Bewegung gesetzt wird, ist im hochsten Punkte der Maschine gelagertund
zwischen den beiden Seitengestellen auf einer Lange, welche der Arbeitsbreite der Maschine
(der Lange der Leisten) entspricht, gekropft. Diese Kropfung ist von den Lagerbackeu
der Lade L umschlossen, weshalb letztere bei der Drehung der Hauptwelle eine auf und nieder
gehende Bewegung annehmen muss. — Die Fiihrung der Lade ist bei verschiedenen Maschinen
etwas abweichend construirt.
Bei vorliegender Con-
struction hat die Lade an
ihren beiden Enden je eine
Fiihrungsstange /, welche
zwischen der Achse a der
Leistenwalze und einer mit
seitlichen Randern verse-
henen, am Gestelle drehbar
befestigten Fiihrungsrolle r
hindurch geht. — Von der
Betriebswelle B aus wird
durch die Rader c und d
die Leistenwalze und von
deren Achse durch die Stift-
rader g und h die untere
Einziehwalze ox bewegt. Ist
die Maschine im Betriebe,
so wird auf den Zufiihrungs-
tisch Ti das Flachsstroh
ausgebreitet und in den
Bereich der Einziehwalzen
°i °i gebracht, welche das-
selbe voiknickend allmalig
weiter iiber die Leisten-
walze schieben. Bei jeder
Umdrehung der Hauptwelle stossen nun die Leisten der Lade in die Zwischenraume der
dann stets unter ihnen befindlichen Leisten der Walze W und driicken das Flachsstroh in die-
selben ein, so (lass ein Kuicken der Stengel an mehreren Stellen — entsprechend der Anzahl
der Walzenleisten — eintritt. Gewohnlich pflegt man die Lade mit 4 Leisten, von denen die
mittleren etwas kiirzer sind, die Walze in 4 Abtheilungen mit 2 Leisten zu armiren, die aber
dann nicht im gleichem Abstande von einander, sondern so stehen, dass sie einmal zwischen
die ersten und dann zwischen die hintern Ladenleisten treten.
Die Ladenleisten haben neben ihrer senkrechten eine leicht oscillirende Bewegung und
diese bewirkt, in Gemeinschaft mit der fortschreitenden der Walzenleisten, ein Abstreichen
der geknickten Stengel, und fallen die Schaben, wenn nicht direct herunter, in die Zwischen-
raume der Leisten, aus denen sie bei der Drehung der Walze abgeworfen werden. Da aber
ferner die Umfangsgeschwindigkeit der Leistenwalze viel grosser als die derZufiihrungswalzen
ist, so wird bei dem Emporgehen der Lade und der weitern Drehung der Leistenwalze letztere
noch fernerhin abstieichend und abschiittelnd auf die aus den Zwischenrauinen der Leisten
wieder herausgetretenen Stengel wirken und d.idurch einen weiteren Theil der Schaben ent-
l'ernen. In der That ist der auf den Abfiihrtisch T2 abgelieferte Flaclis nur noch mit wenigen
lose anhangenden Schaben behaftet, die sich durch einen leichten Schwingprocess — ein
Kaselowsky"s Flachsbrechmaschine.
Flachs (Schwingmaschinen).
525
sogenanntes Reinschwingen — sehoh entferncn lassen, wenn tier Flachs richtig vorbereitet
war. Eine Vei'letzung der Fasern kann bei clieser Behandlung nicht gut eintreten, und ist
der in dem Abfall sich findende Faserantheil sehr gering.
Die Maschine bedarf niir Y, bis 1/a Pferdekraft zum Betriebe und verarbeitet bei 2
Mann Bedienung in 10 Stunden 500 bis 600 Kilogr. Flachsstroh. Der Preis derselben ist
etwa 160 bis 180 Mark.
Schwingmaschinen. Es sind nur zwei verschiedene Arten derselben
im Gebrauch : Bei der ersten Anordnung sind an der, auf einer horizontal liegenden,
rotirenden Welle befestigten Nabe entweder direct oder mittels besonderer in
dieselbe eingesteckten Arme gewohnlich 4 — 12 holzerne, besser aber eiserne,
zugescharfte und an der Schlagkante gut abgerundete Schlagscheiben (Leisten)
befestigt, welche bei der meist aus Eisen hergestellten Schwingoffnung (Kante),
ahnlich wie bei dem Schwingstock die Schwinge, vorbeistreichen und den iiber-
gelegten und fest gehaltenen Flachs unter wiederholten, rasch auf einander
folgenden Streichen treffen. Eine altere derartige charakteristische Anordnung
zeigt die folgende Fig. 1653 in einem Querschnitt.
An der Nabe c sind hierbei 5 scbmiedeiserne Arme b befestigt, welebe die Schwing-
scheiben a tragen. An dem gusseisernen Stander (Stocke) e ist im oberen Theile die nach
den Schlagscheiben zu etwas gebogene und gut abgerundete Leiste bei / (in unserer
Figur verdeckt) eingesetzt, an welcher die Schlagscheiben ziemlich dicht vorbei schlagen.
Die Leiste / ist durch zwei Federn mit dem Stander e verbunden, wodurch ein gewisses
Nachgeben derselben bei zu stark iibergelegter Riste moglich ist und iiberhaupt der Flachs
eine schonendere Behandlung erfiihrt. — Das in folgender Fig. 1653 angegebene Rad d wird
Ton der Schwingwelle aus durch ein Getriebe bewegt und dient zur Bewegung der Betriebs-
Fig. 1653.
Schwingmaschine.
welle einer dahinter stehenden Brechmaschine. Sehr haufig fehlt diese Anordnung, indem die
Brechmascbine besser direct von der Transmissionswelle aus bewegt wird. — In einer grosseren
Schwingerei hat man sich nun mehrere der beschriebenen Schwingvorricbtungen hinter ein-
ander auf derselben Welle o in solchen Zwischenriiumen zu denken, dass in jeder entstehenden
Abtheilung (einem sogenannten Schwingstande) ein Arbeiter bequem stehen und hantiren kann.
526 Flachs (Schwingmaschinen).
Damit min die Arbeiter vor Staub und vor Verletzungen durch die Schlagscheiben
mciglichst gesichert sind, uingibt man die Maschine rait einem hblzernen Verschlage, aus dem
nur die Auflegeleisten soweit wie nbthig herausragen.
Maschinen mit einer grosseren Anzahl Schwingstanden consti-uirt man doppelt, d. h.
ordnet in geniigender Entfernung von der ersten eine zweite Welle mit denselben Schlag-
vorrichtungen derart an, dass die aussersten Kanten der Schlagbretter immer dicht bei der
andern Welle, und ohne die auf dieser sitzenden Seblagvorricbtungen seitlicb zu treffen, vor-
beigehen. Man erhalt so die eine Halfte der Schwingstande auf der einen Seite — und
benutzt diese zum Vorschwingen — die andere Halfte auf der andern Seite — welche
dann zum Eeinschwingen dient.
Nur bei intensiv wirkenden Brecbmaschinen (Kaselowsky) kann man
sich mit einmaligem Ausschwingen der Risten begniigen. Die Anzahl der Umdre
hungen der Schlagwellen scbwankt sehr, liegt etwa zwischen 80 und 150 in der
Minute und richtet sich nach der Grosse der Maschine und der Anzahl der
Messer. Bei einer mehrstandigen Maschine kaun man pro Stand etwa 0*1 — 0*2
Pfcrde Betriebskraft rechnen, und erfordert beispielsweise eine Maschine von 8
Standen und je 8 Schwingscheiben bei 90 Umdrehungen in der Minute etwa
1 Pferdekraft, dabei 12 Personen zur Bedienung. Vier uni den gebi'ochenen Flachs
zurecht zu legen und den acht an den Schwingstanden Stehenden zuziireichen. Es
werden taglich pro Stand etwa 35k gebrochener Flachs verarbeitet, der ca. 28k rein
geschwungenen Flachs liefert.
Nach einer zweiten, besonders von Kaselowsky ausgebildeten Construc-
tion sind die Schlagscheiben tangential und gewohnlich an beiden Enden von
der Welle aus unterstiitzt angeordnet, so dass der iiber eine federnde Auflege-
leiste gehaltene Flachs stets in voller Breite auf einmal — und nicht wie bei
der vorigen Anordnung erst nach einander — getroffen wird. Bei diesen Maschinen
ist es unbedingt nothwendig, die Auflegeleiste federnd und leicht verstellbar zu
construiren, damit man fur jede Flachssorte sofort die Maschine richtig einstellen
kann. Derartige Vorrichtungen hat Kaselowsky in so vollkommener Weise
angegeben, dass diese Schwingmaschinen die vorigen vielfach in schonender und
dabei doch geniigender Bearbeitung iibertreffen. Diese Maschine gibt in Verbindung
mit der Kaselo wsky'schen Breehmaschine ausserordentlich zufriedenstellende
Resultate.
Man hat an Arbeitskriiften dadurch zu sparen gesucht, dass man Schwing-
maschinen mit mechanisclier Flachszufiihrung construirte, jedoch wird dabei stets
so viel Abfall erzeugt, dass bis jetzt das Halten mit der Hand nicht entbehrt
werden kann.
Der geschwungene Flachs ist von fast alien Holz- und Oberhauttheilchen
befreit, audi sind die an einander hangenden Fasern selbst bis zu einem gewissen
Grade getheilt. Bei jenen Behandlungen hat sich eine Menge Abfall gebildet,
der nicht allein aus Schaben, sondern auch aus einer gewissen Menge kiirzerer
oder langerer, mit Schaben vermengter Fasern in sehr verwirrtem Zustande
besteht, die man, je nachdem sie beim Brechen, beim Vor- oder Reinschwingen
abfielen, sortirt und entweder ungereinigt oder auf besonderen Schiittelmaschinen
aufgelockert und gereinigt, als „Zopfwerg, Schwingwerg, Abfallwerg"
an Spinnereien oder Seilereien verkauft. Dieses Werg kann nur zu den grobsten
Nummern versponnen oder zu Seilerarbeiten verwendet werden.
Aus I000k frisch ausgezogenen und geriffelten Leinenstengeln ergeben sich
je nach Qualitat der Stengel und Arbeitssorgfalt : 300— 500k lufttrockenes Flachs-
stroh, 190 — 430k gerostete, lufttrockene Stengel, 9O-360k gebrochener Flachs,
65 — 160k geschwungener Flachs und etwa 5 — 90k Schwingheede.
Der Flachs kommt meist in geschwungenem Zustande (Schwingflachs,
Reinflachs) in den Handel und muss in kiihlen, der Sonne nicht zuganglichen,
nicht nassen, aber auch nicht zu trockenen Lagerraumen aufbewahrt werden. Er
darf nicht auf dem blossen Fussboden, sondern muss stets auf einem Lattenboden
Flachs (Hecheln). 527
gelagert werden. Eine massige Feuchtigkeit der Luft erhbht die Weichheit und
Milde der Faser und scliiitzt vor Gewichtsverlusten durch Austrocknung.
Im Handel unterscheidet man den Flachs nach der Gegend, aus der er
stamrat und dann nach der Art der angewendeten Roste in „Rasenflachs," der
durch Thaurbste, und in „ Wasserflachs, " der durch Wasserroste gewonnen wurde.
Das Hecheln (serancer, serangage, peigner, peignage — heckling, hackling).
Die meisten Spinnereien verarbeiten fertig geschwungenen Flachs und es fallen
daher die weiteren Arbeiten in das Gebiet der Flachsspinnerei. Da jedoch das
Hecheln lediglich eine vorbereitende, die Faser isolirende Arbeit ist, so soil dieser
Process — so weit er mittelst der Hand ausgefiihrt wird — an dieser Stelle
besprochen werden.
Wir erwahnten, dass durch die vorangegangenen Processe die Fasern
abgeschieden, bis zu einem gewissen Grade gereinigt und zertheilt werden, aber
noch ist der Flachs nicht zum Verspinnen geeignet. Er enthalt Reste von fester
anhangenden Schaben und Oberhauttheilchen, auch sind die Bastfasern unter
einander noch verbunden, vielfach verworren, langere befinden sich neben kiirzeren
u. s. w. Der Hechelprocess bezweckt die vollstandige Abscheidung der Schaben,
Zertheilung und Zerlegung der zusammenhangenden Faserbiischel unter gleichzeitiger
Absonderung der kiirzeren Fasern und ein Ordnen, Parallellegen der iibrigen
langen Fasern.
Zum Hecheln des Flachses bedient man sich der „Hechel" (seran, serin,
serangoir, peigne — heckle, hackle), eines Werkzeuges, das aus einem System
von Nadeln besteht, die in runden, concentrischen, oder wie iiblicher in mehr-
fachen, einfach versetzten, zusammen ein Viereck bildenden Reihen in einem
Brett befcstigt sind. Je nach der Feinheit des Flachses und dem Grade, bis zu
welchem er ausgehechelt werden soil, stehen die Nadeln mehr oder wenigei" dicht
zusammen und haben eine grbssere oder geringere Feinheit und Lange. Sie sind
aus Eisen oder besser aus Stahl, bilden schlank zugespitzte und polirte Kegel,
im letzteren Falle mit stets rundem Querschnitt.
Der fur die Maschinenspinnerei (von der spliter ausschliesslich die Rede
sein soil) auszuhechelnde Flachs muss viel sorgfaltiger behandelt werden als der
fur Handspinnereizwecke, weshalb man im erstern Falle eine grossere Anzahl von
Hecheln hintereinander in zunehmender Feinheit anwenden muss als im letzteren.
Die erste Hechel, auf welcher der Schwingflachs zunachst behandelt wird,
nennt man die Abzugshechel (Ruffer), die folgenden Mittelhecheln und
die letzte, fur einen bestimmten Fall beniitzte, die Ausmachehe chel.
In den Hecheleien der Fabriken sind die einzelnen Hecheln neben einander
auf niederen Banken entweder so, dass die Nadeln senkrecht oder etwas nach
dem Arbeiter zu geneigt stehen, befestigt. Neben der Abzugshechel, die gewohn-
lich besonders steht, ist noch ein 3kantiger, einige Centim. langer Stift fest
angeordnet. Von den anderen Hecheln stehen stets mehrere neben einander. Zu
beiden Seiten eines Hechelsortiments sind weitere Banke zur Lagerung und Sorti-
rung des Flachses angeordnet, so dass sich einzelne durch die Banke von einander
geschiedene Hechelstande bilden, vor denen noch die Heedekasten stehen zur
Aufnahme der ausgehechelten kiirzeren Fasern, die das Material zur Werg-
spinnerei liefern. Zunachst findet das Spitzen der einzelnen Risten statt, d. h.
die aus den Risten vorstehenden Enden der nicht richtig liegenden oder zu langen
Fasern werden um den erwahnten Stift geschluugen und abgezogen oder abge-
rissen, so dass moglichst gerade Enden entstehen. Hierauf wird die Riste etwa
in der Mitte gefasst, mit der andern Hand aus einander gebreitet, und auf die
Spitzen der Vorhechel geworfen, worauf sie vorsichtig und langsam zuriickgezogen
und dann dieses Verfahren mehrmals wiederholt wird, wobei man, immer tiefer
in die Hechelnadeln eindringend, unter haufigem Wenden des Flachses, denselben
erst an den Enden und schliesslich auch in der Mitte bearbeitet. Nachher wird
die Riste umgekehrt und auf der anderen Halfte in derselben Weise behandelt.
528 Flachs.
Die kurzen und verworrenen Fasern bleiben zwischen den Nadeln sitzen, werden
von Zeit zu Zeit herausgezogen und in den Handkasten geworfen, wobei die
ersten in der Hechel sich ansammelnden Fasern, da sie langer als die spater
zuriickbleibenden sind, abgezogen und zu einer besonderen Flachsriste zusammen-
gelegt werden. 1st diese Bearbeitung auf der Vorhechel beendet, so gehen diese
Risten gewbhnlich in die Hande des zweitcn Hechlers tiber, der dieselben auf den
Mittelhecheln und der Ausmachehechel ahnlich behandelt, bis der Flachs geniigend
gehechelt ist.
Das zuerst ausgehechelte Werg ist das grobste und unreinste und wird das
von den verschiedenen Hecheln stammende getrennt aufbewahrt.
Gleichzeitig mit dem Hecheln findet das Sortiren des gehechelten Flachses
nach den weiter unten angegebenen Eigenschaften desselben statt, und ist es
haufig iiblich denselben in folgenden Nunimern auslegen :
I1/,, 2, 2% 3, 3'/2, 4, 4V„ 5, 5% 6, 7 und 8,
(hbhere Nummern kann man aus den in deutschen und osterreichischen Spinne-
reien meist nur verarbeiteten Provinzial- und russischen Flachsen nicht auslegen),
aus denen gewbhnlich die lOmal hbhere Garnnummer gesponnen wird. Man
kann also aus beispielsweise Flachs 3 Garn Nummer 30, aus Flachs 51/<1 Gam
Nummer 55 spinnen u. s. w. Es werden jedoch auch einzelne Flachssorten, je
nachdem die Garnqualitat ausfallen soil, etwas hoher oder niedriger verwerthet.
Das Werg wird gewbhnlich direct nach den Nummern, zu denen es ver-
sponnen werden soil, sortirt, so dass also Werg 14 zu Garn Nummer 14 bestimmt
ist u. s. w.
Eigenschaften der Flachsfaser, nach welchen ihr Werth bestimmt
wird, sind : die Farbe, der Glanz, die Weichheit, Milde, Schmiegsamkeit, die
Festigkeit, die Feinheit, die Lange und endlich der Grad der Reinheit.
Die Farbe des Flachses muss vor Allem gleichfbrmig sein. Man liebt
die hellere, besonders die lichtblonde Farbe sehr, aber auch die stahlgraue Farbe
ist vielfach geschatzt. Eine braune, rostige Farbe — von eisenhaltigem Diinger,
Wasser oder Erde — eine griinliche, auf ungenligende Rotte, oder eine schwarz-
liche und ungleichmassige, auf Ueberrottung deutende Farbe gehbren stets
minderwerthigen oder ganz unbrauchbaren, werthlosen Flachssorten an.
Der Glanz ist neben geeigneter schbner, reiner Farbe ein sehr gutes
Zeichen fitr die Giite eines Flachses. Derselbe steigert sich bei den besten
kernigen Flachsen bis zum Seidenglanz.
Die Weichheit, Milde, Schmiegsamkeit ist meist ein Begleiter
des Glanzes und gute Flachssorten miissen diese Eigenschaften im hbchsten
Grade zeigen. Geringere und schlecht in der Rotte behandelte Flachse sind
harsch und rauh, und es fehlt diesen Fasern die Schmiegsamkeit fast ganzlich.
Die Festigkeit ist das Zeichen eines kernigen, gesunden, richtig in der
Rotte behandelten Flachses und muss guter Flachs neben schbner Farbe, hohem
Glanz, neben Weichheit, Milde und Schmiegsamkeit auch genugende Festigkeit
zeigen. Ein Flachs, dem Festigkeit fehlt, ist fast werthlos.
Die Feinheit des Flachses, d. h. der Durchmesser der einzelnen Fasern,
bestimmt bei sonstigen guten Eigenschaften den hbheren oder niederen Werth
desselben, weil besonders von d i e s e r Eigenschaft die Verwendbarkeit zu feineren
oder weniger feinen Garnnummern abhangt. Selbst bei den feinsten belgischen
Flachsen finden sich noch vielfach zusammenhangende Bastfasern und variirt
die Breite (Durchmesser) der gehechelten Fasern zwischen 0-045 bis 0*06 2mm.
Die Lange des Flachses wird oft in Zusammenhang mit der Feinheit der
Fasern gebracht, aber meist sind feinere Flachse von geringerer Lange und nur
bei Flachsen gleicher Feinheit und sonstigen gleich guien Eigenschaften
geniesst der von grbsserer Lange den Vorzug.
Flachs. — Flachsdarrhaus. 529
Sonstige phy sik ali sclie und chemische Eigensch aft en des
Flachses :
Die Elasticitat des Flachses ist geringer als jene der Banmwolle und
lasst sich die Flachsfaser hochstens nm 4°/0 der natiirlichen Lange ausdehnen,
bis sie zerreisst. Im gewohnlichen, lufttrockenen Zustande enthalt der Flachs
5.7 — 7-22°/,, Wasser, der in init Wasserdampf gesattigtem Raume bis zu 23,3G°/0
steigt.
Jod und Scbwefelsaure farbt die Flachsfaser blau ; Kupferoxydarnmoniak
bringt zuerst eine blaue Farbung hervor und lost alsdann die Faser auf. Schwefel-
saures Anilin farbt die Flachsfaser nicht. Bei schlecht gerostetem und gehecheltem
Flachse wird das Oberhaut - Parenchim und Holzgewebe dadurch erkenntlich,
dass dieses durch Jod und Scbwefelsaure nicht blau, sondern gelb bis braun
gefarbt wird, wahrend Kupferoxydarnmoniak dasselbe nicht lost, das schwefelsaure
Anilin dieses jedoch gelb farbt, so dass im letztern Falle dem unbewaffneten
Auge die ganze Faser gelblich gefarbt erscheint. Das spec. Gewicht der reinen
(gebleichten) Flachsfaser ist 1-5, fast ebenso wie das der Baumwolle, der sie
auch in der chemischen Zusammensetzung sehr nahe kommt.
Histologic der Flachsfaser. Die Bastfasern, wie sie nach dem
Hecheln vorliegen, sind noch nicht einfache Pflanzenfasern, sondern erscheinen
aus einzelnen kiirzeren Bastzellen (Elementarfasern) von 2 — 4 cm Lange zusammen-
gesetzt, welche mit einander durch den Rest des kleberartigen Bindemittels
zusammenhangen. Nicht gut verarbeitete und schlecht gereinigte Flachse zeigen
ausserdem noch Reste von Parenchym- und Oberhautzellen und des Holzgewebes,
welche aber bei den besten und vollstandig rein gehechelten Flachsen nicht niehr
vorkommen.
Die Bastzellen selbst, welche sich durch Kalilauge oder Chromsaure —
die das Bindemittel losen — isoliren lassen, erscheinen cylindrisch oder etwas
plattgedrilckt, aber uie bandformig oder gewunden wie die Baumwolle (I. pag. 314)
und haben stets spitz zulaufende Enden. Diese Enden fassen in der langen
Faser dachziegelartig iibereinander und kann das Bindemittel auch durch heisses
Wasser so weit erweicht werden, dass sich die einzelnen Bastzellen (Elementar-
fasern), wie dies beim Spinnen mittelst heissen Wasser s geschieht, leicht
von einander ziehen lassen, ohne dass ejn eigentliches Abreissen der Fasern
eintritt, und wodurch es — nebenbei bemerkt — moglich ist, den Flachs zu
feineren Nummern als auf anderem Wege zu verspinnen. Auch bei dem der
Wasserrotte unterworfen gewesenen Flachse zeigt sich diese Erscheinung , so
lange der Flachs noch nass ist. Es gelingt namlich in diesem Zustande sehr
leicht die Bastfasern in kurze und ausserst feine Fasern aus einander zu ziehen,
was nicht mehr moglich, sobald der Stengel getrocknet ist, weil alsdann das
Bindemittel wieder erhartet. •
Die Elementarfasern sind hohl, jedoch ist die Hohlung sehr diinn und
erscheint meist nur als dunkle Linie. Die Aussenseite der Elementarzellen des
gehechelten Flachses ist haufig rauh. (s. Art. G-espinnstfasern). E. Pfuld.
Flachs neuseelandischer s. Gespinnstfasem.
Flachsbaumwolle (flax cotton) ist eine durch Nachrosten mit Aetzlauge,
Behandeln mit Saure und Verkiirzung durch Schneiden baumwollahnlich erhaltene
und wie diese durch Krempeln bearbeitete Flachsfaser. Es ist dies eine ent-
schieden verwerfliche Manipulation, welche nur auf Werg beschrankt in Zeiten
Sinn haben konnte, wo Baumwolle sehr hoch im Preise stand. Kk.
Flachsbereitungsanstalten s. Flachs pag. 510 (Flachsrostanstalten .
Flachsbreche, Flachsbrechmascliine s. Flachs III. pag. 516, 519.
Flachsdarrhaus und Darrofen, s. Flachs pag. 515 (kiinstl. Trocknen).
Karmnr^rh & Heeren, Technisphes Wbrtoibucb. Bd. III. 34
530 Flachsdorre. — Flachsspinnerei (Geschichtliches).
Flachsdorre s. Flachs III. pag. 515.
Flachsgarn s. Flachsspinnerei.
Flachsroste s. Flachs III pag. 510 bis 515.
Flachsrostanstalten s. Flachs III pag. 514.
Flachsschwingmaschinen s. Flachs III pag. 525.
Flachsspinnerei (filature de lin — flax spinning). Hienmter verstelit
man alle diejenigen Verrichtungen, durch welche aus dem gehechelten Flachse ein
Faden von beliebiger Lange, Garn; erzeugt wird.
Geschichtliches. Bis vor etwa 60 Jahren wurde Flachsgarn lediglich mit der
Hand mit Hilfe der bekannten Spindel oder des Spinnrades erzeugt und war dieser hausliche
Industriezweig einer der altesten und verbreitetsten. Ganz besonders auf dem alten Continente
— in Kussland, Oesterreich, Deutschland, Holland, Belgien und Frankreich — stand derselbe,
in Verbindung mit einer ausgebreiteten Handvveberei, in hochster Bliithe, ernahrte Millionen
von Menschen und bedingte den Wohlstand ganzer Provinzen und Lander.
In Preussen trug wesentlich Friedrich der Grosse zur Hebung der schlesischen Leinen-
industrie und des Flachsanbaues bei, und in gleichem Masse Maria Theresia in Bbhmen, wo
besonders Graf Hatzfeld sich grosse Verdienste urn die Hebung dieses Industriezweiges
erwarb. — Friiher war aber auch in Irland und Schottland die hausliche Handflachsspinnerei
eingefiihrt und erhielt durch Errichtung der Linen-Hall in Dublin etwa um 1728 grosseren
Aufschwung.
Wahrend nun mit fortschreitender Entwickelung- der Maschinenindustrie schon um
1767 und 1768 durch die Ausdauer der talentvollen Manner James Har greaves und
Richard Arkwright Spinnmaschinen fur Baumwolle und Wolle mit dem besten Erfolge
in Thatigkeit gesetzt wurden, gelang es doch erst viel spater die weniger fiigsame Flachs-
faser auf meehanische Weise, ohne Zuhilfenahme der bildenden Hand, in Garn uinzuwandeln,
und erst als das Uebergewicht der in England — und in geringerem Masse auch bereits in
Deutschland und Oesterreich — zu hoher Bliithe gelangten Baumwollenspinnerei mittels
Maschinen fur die hausliche Leinenindnstrie auf dem Continente fast erdruckend wurde,
begann der Kampf dieser continentalen Industrie gegen die der Insulaner. Napoleon I. gebiihrt
das Verdienst, die erste Anregung zur Einfiihrung von Maschinen in der Leinenindnstrie
gegeben zu haben, indem er erkannte, dass es nur auf diesem Wege moglich sei, das einhei-
mische Rohproduct, Flachs, in wirksame Concurrenz gegen die fremdlandische Baumwolle
treten zu lassen. Er erliess am 12. Mai 1810 ein Decret an die Erfinder aller Nationen und
setzte einen Preis von 1 Million Francs auf die beste Maschinenconstruction, welche die
Verspinnung des Flachses auf mechanischem Wege in der fiir das Weben geeigneten Weise
bewirkte.
Philipp de Girard war der Mann, welcher kaum 2 Monate nach dem Erlass dieser
Aufforderung die gestellte Aufgabe loste, alle Principien fiir die erfolgreiche Lbsung des
Problems der Flachsspinnerei in einer seinem Patentgesuche beigefiigten Beschreibung erklarte
und die Wege vorfiihrte, auf denen das Garn sowohl auf trockenem wie nassem Wege erzeugt
werden kbnne. Er erhielt am 8. Juli 1810 ein Patent auf seine Erfindung, doch wurde der
ausgesetzte Preis weder ihm, noch einem Andern ausgezahlt.
Bei Beginn der Maschinenspinnerei war jedoch wieder England — begiinstigt durch
eine bereits sehr entwickelte Maschinenindustrie — friiher als andere Lander und selbst
als Frankreich im Besitze von Flachsspinnmaschinen, obgleich der Erfinder derselben ein
Franzose war. *)
Von der osterreichischen Regierung wurde Philipp de Girard 1815 von Paris nach
Oesterreich berufen und behufs Anlegung einer mechanischen Flachsspinnerei bedeutend
*) Man lese: Bilder und Studien zur Geschichte voni Spinnen, Weben, Na'hen von Dr.
Herrmann G r o t h e.
Flachspinnerei. 531
nnterstiitzt. Diese Spinnerei bestand in der Nahe von Wien (zu Hirtenberg) rnehrere Jahre,
arbeitete 1819 rnit 20 Feinspinn maschinen, producirte auch schone Game, hat aber niemals
giinstige okonomische Resultate geliefert und ist spater ganz eingegangen. Keinen bessern
Erfolg hatten die anderen, sowohl in Frankreich wie in Oesterreich gegriindeten Unterneh-
mungen dieser Art.
Die Situation fiir die continentale Flachsspinnerei wurde jetzt immer bedenklicher.
England hatte bereits durch ausserordentliclie Verbesserungen in den Constructionen der
Spinnmascliinen einen machtigen Vorsprung vor alien anderen Landern, und erst als man in
diesen ebenfalls mit den verbesserten englischenMaschinen mechanische Spirmereien anzulegen
begann, konnte man der englisehen Concurrenz wieder mit Erfolg begegnen.
Frankreicb baut jetzt seine Flachsspinnmaschinen selbst und versorgt auch einen Theil
der umliegenden Lander mit denselben. Die Maschinenindustrie Deutschlands und Oesterreichs
vvagt aber nur sehr vereinzelt gegen die englische, welche einen weiten Vorsprung hat, anzu-
kampfen, und so sehen wir diese Lander leider fast ausschliesslich nur mit englisehen
Maschinen arbeiten.
In Oesterreich verdankt die neuere, von Erfolg begleitete Flachsmaschinenspinnerei
ihre Einfiihrung dem Fabrikanten Johann Faltis, welcher im Jahre 1837 in der Mitte des
bbhmischen Flachsbaues und der Leinenweberei — namlich in Jungbuch bei Trautenau
— die erste Flachsgarn - Maschinenspinnerei mit englisehen Maschinen errichtete. — In
Deutschland war es die konigl. preussische Seehandlung, welche durch Errichtung mehrerer
derartiger Etablissements in Schlesien weitere Anregung zur Verbreitung der Maschinen-
spinnerei gab.
Jetzt hat dieser Indus triezweig in alien industriellen Landern weite Verbreitung
gefunden. Er nahm inFolge des nordamerikanischen Krieges und des dadurch hervorgerufenen
zeitweiligen Baumwollmangels einen ausserordentlichen Aufschwung, so dass beispielsweise
in Oesterreich in dem kurzen Zeitraume von 5 Jahren die Zahl der Flachsspinnereien in dem
Reichenberger Handelskammerbezirk von 18 im Jahre 1860 auf 36 im Jahre 1865 stieg, mit
etwas mehr als 200.000 Spindeln, welche iiber 25.000 Arbeitern Lebensunterhalt verschafften
und fiir etwa 12 Millionen Gulden Garn lieferten. — Doch machte die F lac hs cult ur
nicht gleiche Fortschritte mit der Entwickelung dieser Indussrie, so dass man in
Oesterreich wie Deutschland meist auf den Bezug fremder Flachse angewiesen war und in
missliche Abhangigkeit von auslandischen Flachsmarkten gerieth. Die Flachsindustrie erlitt
zudem durch die Wiederkehr giinstiger Verhaltnisse in Amerika einen empfindlichen Stoss,
dazu traten wiederholte Missernten im Flachsbau und in Folge dessen enorme Preissteigerungen
des Rohmaterials, wahrend dagegen gleichzeitig die Garnpreise sanken, einmal des wieder
erfolgten Aufschwunges der Baumwollenmanufactur wegen, dann aber wegen des unmoglich
gemachten Exportes von Leinenfabrikaten nach Amerika, welches auf die Einfnhr aller Leinen-
artikel einen Werthzoll von 25% legte. Die in den letzten Jahren wieder eingetretenen
billigeren Rohflachspreise, so wie die Anfertigung neuer, friiher nicht hergestellter Webe-
artikel aus diesem Material, haben die Verhaltnisse wieder etwas gebessert; doch kann nur
durch rationelle Flachscultur — indem mehr und besserer Flachs als bisher in den eigenen
Landern erzeugt wird — der Wiederkehr grosserer Calamitaten in diesem Industriezweige
vorgebeugt werden.
Die Handspinnerei kommt jetzt nur noch sehr vereinzelt in den landlichen
Wirthschaften vor ; sie ist fast ganzlich durch die Maschinenspinnerei, von der jetzt
ausschliesslich die Rede sein soil, verdrangt worden.
Das Hecheln mit der Hand, vgl. pag. 527, ist auch jetzt noch in vielen
Fabriken ausschliesslich im Gebrauch, in anderen jedoch hat auch die Maschinen-
hechelei Eingang gefunden, ohne dass man deshalb der Handarbeit dabei ganzlich
entbehren konnte. — Bei der Anwendung von Hechelmaschinen — die erst in
den letzten Jahrzehnten gentigend vervollkommt sind — verfahrt man haufig in
der Weise, dass die Flachsristen zuerst auf der Abzugshechel (Ruffer) an den Enden
gerade abgerissen, vorgespitzt werden, hierauf den Hechelmaschinen iibergeben.
und endlich noch durch eine oder zwei Ausmachehecheln gezogen und gleichzeitig
sortirt werden. — Geringere Flachse werden nur vorgespitzt, gehen dann auf.
34*
532 Flachsspinnerei (Hechelinaschinen).
die Hechelmaschinen iiber und werden nach der Bearbeitung auf diesen, ohne
nochmalige Anwendung von Handhecheln, gleich bei den Hechelmaschinen in ver-
schiedene Sorten ausgelegt.
Die feinsten — gewohnlich belgischen oder hollandischen — Fltichse, welche zu hohen
Garnnummern fur Zwirn- oder Spitzengarne verarbeitet werden sollen, werden in geschwun-
genem Zustande — noeh vor dem Hechelprocesse — auf besonderen Zerreissmaschinen in
3 Theile zerrissen, von welclien Kopf- u. Wurzelenden weniger brauchbar sind und nur der mittlere,
gleichmassig starke Tbeil, zu dem besagten Zwecke verwendet wird. Friiher wurde fast jeder
nur einigermassen lange Flachs in dieser Weise geselmitten, um gleich lange Theile zu
bekommen und diese auf Maschinen von bestimmten Dimensionen verarbeiten zu konnen; jetzt
baiit man die Maschinen der natiirlichen Lange der Faser angemessen und zerlegt daher nur
in dem zuerst erwahnten Falle den Flachs. Man nennt solchen Flachs geschnittenen
Flachs (I'm coupe — cut I'm [flax]), im Gegensatz zu dem nicht geschnittenen, langen
Flachse (long lin).
Die Zerreissmaschine ist ein- oder zweiseitig und hat dem entsprechend vier
oder acht eiserne Einfiihruugsscheiben, die zu beiden Seiten der Schneidescheibe auf zwei
resp. vier parallelen, iiber einander liegenden Achsen paarweise befestigt sind. Die Einfuhr-
scheiben haben etwa einen Durchmesser von 0-3m bei 2cm Breite und es sind die oberen mit
zwei ringsherum laufenden Stabchen, die unteren mit entsprechenden Hohlkehlen versehen,
um den Flachs fest zu fassen. Die Schneidescheibe, deren Aclise parallel den Achsen der Einzieh-
walzen inderMitte zwischen den oberen und unteren, resp. vorderen und hinteren liegt, ist
grosser, verstahlt und mit einem gezackten Rande versehen; sie bewegt sich mit bedeutend
grosserer Geschwindigkeit als die Einfiihrscheiben. Eine starke Riste geschwungenen Flachses
wird mit beiden Handen gefasst und mit den zwischen liegenden Punkten den Einfiihrscheiben
iibergeben. Letztere ziehen den Flachs hinein und fiihren ihn gegen die gezackte Scheibe,
welche ihn schnell entzwei reisst. Bei doppelseitigen Maschinen wirkt alsdann die Schneide-
scheibe auf der einen Seite von oben nach unten, auf der andern von unten nach oben.
Nach einem zweiten Systeme wird die Flachsriste um einen festen viereckigen und mit
dem anderen Ende um einen sich drehenden Zapfen gewickelt, wodurch zwischen beiden das
Zerreissen derFasern erfolgt. Man muss diese Methoden und kann nicht etwa das Abschneiden
mit einer Scheere anwenden, weil die Fasern, um sich leicht und gut spinnen zu lassen, keine
stumpfen Enden haben diirfen. In Oesterreieh und Deutschland wird der Flachs nur sehr
seiten in geschnittenem Zustande verarbeitet.
Ehe aber der lange oder der knrze (gesclinittene) Flachs versponnen werden
kann, muss er auf das sorgfaltigste gehechelt und sortirt werden, wie dies schon
im Artikel „Flachs" erwahnt wurde. Wa'hrend eben daselbst die Handhechelei
ihre Besprechung gefunden hat, erubrigt jetzt noch die Betrachtung der Ma-
schinen h e c h e 1 e i.
Das Hecheln mittelst Maschinen*; geschieht durch Nadeln, welche
auf Hechelstaben, gewohnlich holzernen, mit Blech iiberzogenen Leisten befestigt sind,
wa'hrend die Flachsristen in Kluppen oder Zangen eingespannt gehalten und so
bewegt werden, dass die grossere hervorstehende Halfte derselben zuerst an den
Spitzen und allmalig nach der Mitte zu bearbeitet wird. Nach einmaligem der-
artigen Durchhecheln kommen andere, feinere und dichter steliende Nadeln zur
Wirkuug. Dieser Process wiederholt sich mehrmals, worauf die Risten nach ge-
niigendem Aushecheln von beiden Seiten umgespannt und auf der andern Halfte
ebenso behandelt werden. — Es ist gleichzeitig eine Vorrichtung thatig, welche
von den Hecheluadeln das ausgehechelte Werg (Heede) abnimmt.
Die altesten der angewendeten Hechelmaschinen (machine a peigner le lia,peigneusse
— heckling machine) von Peters bestanden aus einer Walze mit Hechelstaben besetzt. Die
in Kluppen eingespannten Flachsristen, in horizontale Fiihrungen eingelegt und iiber dieser
rotirenden Walze entlaug gefiihrt, wurden dadurch ausgehechelt, dass die herabhangenden
Enden derselben sich in die Walzennadeln legten Durch Umlegen der Kluppen und nach-
heriges Umspannen der Risten erreichte man die Bearbeitung von alien Seiten. Diese
Maschinen sind in ihrer Wirkung sehr unvollkommen.
s) Sulie: Supplement zu Prechtl's technologischer Encyklopadie 3. Bd. pag. 108 bis 120,
ferner „Aufsatz iiber Hechelmaschinen" von Prof H. Falke in der deutschen Industrie-
Zeituns? 1877 Nr. 47 und 48.
Flachsspinnerei.
533
Eine viel bessere Maschine ist die von Girard (1810) construirte, bei welcher der
Flachs gleichzeitig von beiden Seiten bearbeitet wird. Die Nadeln sind bei dieser Maschine
in mehreren Reihen auf zwei Platten derartig angebracht, dass die Spitzen einander zugekehrt
siud und liegen mehrere derartige Plattenpaare init immer feineren Nadelgarnitnren in einer
Reilie neben einander. Oberhalb derselben sind Bahnen angebracht, zwischen denen sich
Ketten fortbewegen, in welche die Kluppen mit den eingespannten Flachsristen eingehangt
sind, diese werden soinit langsam horizontal iiber den Hechelplatten fortbewegt, wodurch die
herabhangenden Enden allmalig zwischen sammtliche derselben gelangen. Den Platten wird
von zwei gekropften Wellen durch Schubstangen eine derartige Bewegung ertheilt, dass
dieselben zunachst unter gegenseitiger Annakerung niedergehen, wodurch die Flachsenden
erfasst und ausgehechelt werden, sorlann sich von einander entfernen, aufwarts steigen, sich
wieder nahern und aufs Neue abwarts gehen u. s. w. Obgleich diese Maschinen vielfach
verbessert wurden, so von D.ecoster und von d e W e i g h t, und obgleich Val s on, L e villar d
& Chardot die horizontale Fiihrung der Kluppen durch eine schrag abwarts gehende
ersetzten, so dass zuerst die Spitzen der Risten und dann allmalig die Mitten derselben
bearbeitet wurden, so ist dieses System doch ebenfalls bereits verlassen und durch einfachere
und bessere Constructionen ersetzt worden.
Zu den neueren, Hechelmaschinen gehort die von Taylor, Wordsworth & C'omp.
in Leeds gebaute Maschine, welche seit 1840 in osterreichischen und deutschen Spinnereien
vielfach Eingang gefunden hat, und deren Prinzip noch jetzt vielen Hechelmaschinen zu
Grunde liegt.
Die hierbei gebrauchte Anwendung von zwei einander zugekehrten verticalen, endlosen
Hecheltiichern, welche in der Langenrichtung aus mehreren Hechelfeldern mit zunehmender Feinheit
und Dichtigkeit der Nadeln bestehen, zwischen welche die in Kluppen eingespannten Flachsristen
durch eine auf und nieder gehende Balm emgefuhrt, erst an den Spitzen und dann weiter
gegen die Mitte ausgehechelt, alsdann in ihrer hbehsten Lage ausser dem Bereiche der
Nadeln den folgenden Feldern zugeschoben werden, zeigen die neneren Maschinen fast
sainmtlich und sind meist nur Aenderungen in den Bewegungsmechanismen und einigen
Detailconstructionen zu erwahnen. Das
Emporheben der Risien geschieht aber
nicht plotzlich, sondern nur etwas rascher
als das Senken.
Von den neueren Hechelmaschinen
sind ferner folgende zu erwahnen :
Die Comb e'sche oscillirende Hechel-
maschine mit Leistenapparat und Kainm-
staben zum Abstreifen der Heede (oscil-
lating stripper bar hackling machine).
Diese Maschine hat, wie die Figur 1654
in einem Querschnitt zeigt, zwei endlose
Hecheltiicher a und a, die aber auf der
einander zugekehrten Seite oben weiter
als unten von einander abstehen ; was
einerseits durch die Stellung der obern
Fiihrungsrollen o gegen die untern u,
anderseits durch die Bleche i i bedingt
' ist. In der Langenrichtung sind sechs
immer feiner werdende Hechelfelder vor-
handen. Die Bahn d, in welche die
Kluppen c mit den eingespannten
Risten gelegt werden, kann um den
festen Zapfen e, wie die Pfeile an-
deuten, entweder nach der Richtung von
/ oder nach der von g schwingen. Die Wirkung ist folgende : die zwischen beiden Hechel-
feldern senkrecht herabhangende Flachsriste wird bei der Beweguug der Bahn d nach der
Richtung / zunachst an den Spitzen und dann nach und nach mit der ganzen freien Liinge an
\2^Z_7
Combe's Hechelmaschine.
534
Flachsspinnerei (Hechelinaschinen).
Fig.
das Hechelfeld {sheet) a angelegt und auf dieser Seite bearbeitet. 1st dies geschehen, so dreht
sicb die Bahn zuriick in ihre mittlere Lage und dann weiter in der Eichtung nach g, so
dass jetzt in derselben Weise die Eiste an das Hechelfeld b angelegt und von diesem auf
der anderenSeite bearbeitet wird. Hierauf stellt sicb die Bahn in die Mitte und nun werden
die Kluppen weiter in die Maschine hineingeschoben, worauf dieselbe Manipulation in der
beschriebenen Weise auf dem zweiten Hechelfelde begiunt u. s. w.
Eine andere, neuere Hechelmaschine von Combe gehbrt unter die mit vertikalen
Hecheltiichern versehenen Masehinen. Sie ist mit demselben Heedeabnehme-Apparat m versehen
wie die vorige (Vertical sheet stripper bar hackling machine). Die folgende Fig. 1655 stellt
die arbeitenden Theile im Querschnitt dar. Wie aus dieser Figur hervorgeht, sind die bei-
den Hecheltiicher a und b oben einander so weit genahert, dass die Nadeln des einen Tuches
zwischen denen des anderen hindurch streichen, wahrend dieselben unten etwas weiter von
einander abstehen. Die in die Bahn d eingelegten Kluppen c mit den eingespannten Flachsristen
nehmen eine auf- und niedergehende Bewegung an. Sind sie im hochsten Punkte, so bleiben
sie daselbst einen Moment ruhig stehen und werden dabei in das folgende Hechelfeld, deren
im Ganzen sechs vorhanden sind, hineingeschoben.
Der Bahnhub ist verstellbar, so dass die Maschine fur langern und kiirzern Flachs ein-
gestellt werden kann. Das Heben und Senken der Bahn geschieht durch ein Excenter, und
zwar so, dass 7/12 einer Umdrehung desselben auf das Heben und 5/12 auf das Senken ver-
wendet wird. Die Fortriickung der Zangen erfolgt von demselben Excenter aus durch eine
Eolle, von der die Bewegung durch Hebel, Zugstangen und einen im oberen Theile ange-
brachten Winkelhebel auf
Stosstangen iibertragenwird,
1655. ^e gegen die Kluppen in
der Bahn wirken. Die Zu-
riickfiihrung der Stosstan-
gen geschieht dm-ch ein
Gewicht, wodurch erreicht
wird, dass im Fall eines
Steckenbleibens oder irgend
eines anderen Hinderuisses
das 'erwahnte Gewicht sich
nicht senkt , Bescbadigun-
gen der arbeitenden Theile
also nicht eintreten konnen.
Damit das Einstechen
der Hechelnadeln in die
Eisten moglichst rechtwink-
lich geschehe, sind die He-
chelleisten in den oberen
Scheiben eigenthiimlieh ge-
fiihrt, wie die Fig. 1656
angibt.
Die Maschine wird jetzt
mit einer zweiten Schub-
stange auf der Kluppenbahn
Combe's neuere Hechelmascliine. versehen, wodurch es mbglich
ist die Kluppen liber die
letzten Hechelfelder hinweg-
zufiihren, olme dass ein Hecheln statttindet, was die Anwendung ein und derselben Maschine
fiir recht verschiedene Flachsgattungen, die mehr oder weniger gehechelt werden sollen,
ermoglicht.
Das Abnehmen der ausgehechelten Heede von den Hechelnadeln bei dieser und der
vorher erwahnten Combe'schen Maschine findet folgendermassen statt. Zwischen den Hechel-
staben liegen die Abnehmeleisten n, entweder viereckige hblzerne Schienen wie in Fig. 1654,
Flachsspinnnerei.
535
Fig. 1656.
oder besser gewalzte Winkelschienen wie in Figur 1655, welche auf besondern, ebenfalls
iiber die Kollen o und n gehenden Lederriemen befestigt sind. In dern abwarts gehenden
Theile der zusammen arbeitenden Hechelfeliter liegen diesc Ab-
nehmeleisten so tief, dass die Nadeln der Hechelsta.be vollstandig
iiber dieselben herausragen. Sobald diese aber die untere Rolle u
passirt haben nnd aussen aufwarts gehen, werden sie durch be-
sondere Fiihrungsrollen p p aus den Hechelstaben herausgehoben,
wodurcli die Heede von den Nadeln abgestrichen wird und in
darunter befindliche Kasten fallt. Diejenige Heede indessen, welche
an den Abnehmeleisten etwa hangen bleibt, wird von dem anlie-
genden Kamme m gefasst und bei jedem Spiel der Maschine, bei
jeder Kluppenverschiebung, durch eine seitliche, riittelnde Bewegung
von denselben abgeschiittelt. Fiir sehr feineFlachse ist jedoch
diese Abnehme-Vorrichtung nicht vollkoramen geeignet, und wendet
man dann einen Burst- und Kammwalzen - Apparat an (vertical
sheet hackling machine withbfush doffer).
Der untergestellte Tleedekasten enthalt drei Abtheilungen £, k und I, von denen die beiden
ausseren 11 zur Aut'nahme der Heede dienen, der mittlere k hingegen nur die Schaben, welche
bei dem Hechelprocess direct abfallen, auffangt. Bei dieser Anordnung bleibt die Heede viel
reiner, als wenn eine derartige Trennung nicht vorgenommen wird.
An beiden Enden der Maschine sind Tische zum Ein-, Urn- und Ausspannen der
Flachsristen aus den Kluppen angeordnet, welche Arbeit gewohnlich mit Hilfe von Schrauben-
schliisseln mit der Hand vorgenommen wird, wobei die Kluppen horizontal auf den Tisch mit
ihren Nasen in entsprechende Vertiefungen eingelegt und dadurch festgehalten werden. Das
Auf- und Zuschrauben der Flachskluppen ist eine sehr ermudende Arbeit, und wenn letzteres
nicht sorgraltig und test genug geschieht, so werden bei dem Hechelprocesse audi gute, nicht
geniigend festgehaltene Fasern mit aus den Kluppen herausgerissen. Dieser Umstand hat die
Firma Combe & Barbour in Belfast veranlasst, einen mechanischen Einspanner (Barbour's
Patent) bei ihren Maschinen einzufiihren.
Die folgende Figur 1657*) bringt
diesen Apparat zur Anschauung. Die
Kluppe wird auf den Tisch T so gelegt,
class die Mutter, welche dieselbe zusam-
men halt, in den Schlussel a zu liegen
kommt. Dieser Schlussel istvertikal dreh-
bar gelagert und am unternEndemiteinem
konischen Rade versehen, das mit zwei an-
deren, auf einer horizontalen Welle c lose
drehbaren Radern in Eingriff ist. Die
Welle c wird wahrend des Betriebes
durch die Schnurscheibe p in Drehung
versetzt. Sobald nun die Zahnknpplung
b, die mittels Feder und Nuth verschieb-
bar auf der Welle c angeordnet ist, nach
links oder rechts mit den anderenHalften
der Kupplungen an den konischen Radern
in Verbindung gebracht wird, erfolgt die
Drehung des Schliissels a nach der einen
oder der andern Richtung, also das Oeffnen
oder Schliessen der Kluppe. Die Kup-
plung steht gewbhnlich in der Mittellage
und wird nach der einen oder der anderen Seite durch die Tritthebel d d und den Winkelhebel
e gebracht und dann vermoge der unteren schragen Flachen desselben durch den Gewichtshebel/
in dieser Lage gehalten. Das festere oder losere Einspannen hangt von der Grosse der Gewichte
Fig. 1657.
^S7"
Einspannvorrichtung.
*) Siehe Dingl. polyt. Journ. Band 210 pag.
536
Flachsspinnerei (Hechelmaschinen).
ab und lost sich bei grosserem, als diesem Gewichte entsprechenden Widerstande die Kupplung b
von selbst aus, indem der Winkelhebel e in die Mittellage zuriickgelit.
Die Hechelmaschinen einer Eeihe anderer Constructeure sind sk'mmtlich mit den
verticalen Hecheltiichern versehen, so auch die von Rousselle & Dosche, von Ward,
von Stephen, Cotton & Comp. in Belfast etc.
Schliesslich mag noch die Maschine von Horner in Belfast erwahnt werden, da
dieselbe mehrere Eigenthiimlichkeiten zeigt. Die folgende Fig. lo58 stellt dieselbe im Quer-
schnitt dar.*) Sie ist, wie aus derselben hervorgeht, eine Doppelraaschine mit zwei neben
einander angeordneten, endlosen, verticalen Hecheltiicherpaaren a, 6, und a2 b2 und zwei
Bahnpn dx d2 zur Aufnahme der Kluppen c. Der bekanntermassen in die Kluppen gespannte
Flachs wird zunachst in die linke Bahn cZ, eingelegt, vier- bis sechsmal - entsprechend der
Anzahl der vorhandenen Hechelfelder — nieder- und aufgefuhrt und ruckweise weitergeschoben,
bis er sammtliche Hechelfelder passirt hat und am anderen Ende abgeliefert wird. Hier
erfolgt das Umspannen der einmal gehechelten Risten, die dann auf derselben Seite in die
zweite Bahn d2 eingelegt und in entsprechender Weise bearbeitet, wieder auf der vorderen
Fig. 1658 a.
Fig. 1658 b.
Horner's Hechelmasdiine.
Seite abgeliefert werden. Das Transportiren der einmal bearbeiteten und uingespannten Risten
nach der Eingangsseite, behufs nochmaligen Einlegens bei einfachen Maschinen, fallt also bei
dieser Anordnung weg.
Die beiden Bahnen sind nahe an ihren Enden mit Schienen g verbunden, die im obern
Theile in den Gestellstandern ihre vertical e Fiihrung erhalten, wahrend sie mit ihren unteren
Enden lose auf den Rollen r, r2 der gleicharmigenHebel 7i ruhen. die auf einer gemeinschaft-
Siehe Prof. Hartig: Yersuche iiber den Kraftbedarf der Maschinen in der Flachs-
und Werggarnspinnerei, Leipzig 1869.
Flachsspinnerei.
537
Fig. 1659.
lichen, entlang der Maschine gehenden Achse fest sitzen. Die hierdurch abbatancirten Batmen
erbalten ihre auf- und niedergehende Bewegung durch die Hebel h. Der eine derselben fasst
namlich mittels femes Rollzapfens in die excentrische Nuth der Scheibe /, durch derenDrebung
die Oscillation beider durch eine Achse verbundenen Hebel erreicht wird. Der erwahntfe
Rollzapfen kanu in verschiedenen Entfernungen vom DrehpUnkte des Hebels festgestellt, also
der Hub f'iir verschieden lange Flachse verandert werden.
Datnit aber audi bei verschiedenem Hube die Heehelnadem stets moglichst dicht an
den Kluppen in den Flachs einstechen, sind die Schienen g aus zwei iiber einander verschieb-
baren Theilen hergestellt (Fig. 1658 b), so dass man deren Lange verandern kanu. Verscbieden*
Wechselrader erlauben ferner die Umdrehungszahl jener Welle zu andern, von der aus der Hub
und die Kluppenverschiebung bewirkt wird, so dass bei gleicli bleibender Geschwindigkeit der
Hecheltiicher dieRisten langere oder kiirzereZeit der Einwirkung derselben ausge.setzt bleiben.
Ferner kanu auch noch die Geschwindigkeit der Hecheltiicher geandert, also jede nur irgend
wiinschenswerth erscheinendo Bearbeitung erreicht werden.
Das Fortschieben der Kluppen ge-
schieht durch den aufrecht stehenden,
oben gabelformigen Hebel n, der im
tiefsten Punkte seinen Drehpunkt hat und
etwas dariiber rait einem Rollzapfen ver-
sehen ist, welcher in einem dera'rtig
schraubengangahnlich ausgeschnittenen
Cylinder lauft, dass durch dessen Dre-
huug der Hebel n eine hin und her
schwingende Bewegung mit kleinen Ruhe-
pausen in den aussersten Stellungen er-
halt. Das gabelfdrmige Ende dieses He-
bels ist mit den Schubstangen s1 und s2
und diese sind wiederum an den andern
Enden mit den Fuhrungsschienen /, f2 —
welche auf denBahnen durch Biigelgehal-
ten horizontal verschiebbar sind — durch Gelenk verbunden. Die Schienen J\ f2 sind mit Stoss-
klinken versehen, welche direct auf die Stossknaggen der Kluppen wirken, und diese dadurch
in ihren Bahnen vorwarts bewegen, was jedesmal dann erfolgt, wenn die betreffende Bahn
sich in ihrer hochsten Lage befindet, der Flachs also ausser dem Bereiche der Nadeln ist.
Die auf schmiedeisernen Schienen aufgenieteten Hechelstabe, an den Enden und in
der Mitte auf endlosen Riemen befestigt und dadurch zu einem fortlaufenden Hecheltuclie
vereinigt, gehen iiber grossere untere Scheiben u und iiber kleinere obere o. Die letztereu
sind eigenthiimlich ausgezackt, wie Fig. 1659 erkeunen la'sst, und soil auch hierdurch ein
moglichst senkrechtes Einstechen der Nadeln in die Risten erreicht werden,
Der Heedeabnehmappa-
rat besteht aus Putzschienen
und Kammleisten. Die un-
teren auf den Achsen Jc
sitzenden Scheiben u haben
namlich radial stehende
Schlitze, in denen die hol-
zernen, an den Enden mit
Blech besetzten Putzschie-
nen liegen. Auf der untern
Halfte der Scheiben u treten
diese Schienen, in Folge
ihres Gewichtes, zwischen den Hechelstaben bis iiber die Nadeln heraus und streichen dadurcb
die zwischen sitzende Heede ab, die, so weit sie nicht direct herab in die Heedekasten fallt.
noch von den Kammschienen m aufgefangeia und in bestimmten Zeitraumen abgescbiittelt
wird. Es tritt bei der Senkung der Kamme m ebenfalls eine Schiene iiber die aussersten
Spitzen derselben. Die Fig 1660 zeigt diese Einrichtung in etwas grosserem Massstabe. Da
Fig. 16t>0.
538 Flachsspinnerei.
aber bei diesen Maschinen das sichere Abstreifen der Heede von dem geniigenden Vor-
treten der betreffenden Schienen, dieses aber lediglicli von dem Eigengewichte derselben
abhlingig ist, so kann dasselbe bei grosseren Widerstanden oder Klemmungen unterbleiben,
weshalb das bei den Combe'schen Mascliinen erwahnte Herausheben der Streichscliienen
zuverlassiger ist.
Die Horner'schen Maschinen werden iibrigens aucli mit Biirsten- nnd Kammwalzen-
Abnalnne ausgefiihrt.
Nach Beendigung des Hechelprocesses wird der gehechelte Elachs und das
ausgehechelte Werg sortirt, in Magazinen als Material fiir die Spinnerei gesammelt
und aufbewahrt, welch e in Flachsspinnerei im engeren Shine, die sich
mit der Verarbeitung des ersteren, und in Werg spinnerei, die sich mit der
Verspinnung des letzteren befasst, zerfallt.
Die Flachsspinnerei im engeren Sinne umfasst :
1. Vorbereitung. Die Bildurig von Bandern durch Anlegen und das
erste Verziehen und Doubliren derselben auf der Anlege- oder ersten Zugmaschine
auch Anlegetisch, Anlege, genannt {table a etaler, etaleur — spreader, first
drawing).
2. Preparation. Das weitere Verziehen, Strecken und Doubliren auf
den Zug-, Streck- oder Doublirmaschinen (Strecken, Durchziigen) (banc d'etirage,
laminoir — drawing-frame).
3. Vorspinnen. Das letzte Doubliren und Verziehen und das Zusamnien-
drehen der sehr verfeinerten Bander zu Vorgarn auf der Spindelbank, der Vor-
spinnmaschine {bank a broches — roving-frame, flyer).
4. Das Feinspinnen bewirkt die Umwandlung des Vorgarns in Fein-
garn durch erneutes Strecken des ersteren und Ertheilen der bleibenden, festen
Drehung an die zur geniigenden Feinheit ausgezogenen Faden auf der Feinspinn-
maschine {machine a filer en fin, metier — spinning frame).
5. Das Haspeln und Nummeriren, das Trocknen des nass gespon-
nenen Feingaraes und das Packen der Game. — Hierdurch wird das Garn
von den Feinspinnspulen in eine fiir Verkaufszwecke geeignete Form gebracht. —
Wir besprechen zunachst noch allgemein :
Die Vorbereitung des Hechelflachs es. — Bei alien Maschinen
der Vorbereitung ist das Streckwerk gleich construirt. Es besteht zunachst aus
den Einziehwalzen, auch Speisewalzen genannt {cylindre foumisseur — feeding
or back roller), welche bei der ersten Zugmaschine den auf endlosen Tiichern
aufgelegten Flachs, bei den anderen Maschinen die ihnen zugefiihrten Flachsbander
erfassen und den Streckwalzen {cylinder etireur — drawing or front roller)
iibergeben, welche sich mit wesentlich grosserer Umfangsgeschwindigkeit als die
Speisewalzen bewegen, und wodurch die Streckung. der Verzug der Bander aus-
gefiihrt wird.
Die Entfernung der Einzieh- von den Streckwalzen — die Distanz
(distance entre les axes de deux paires de cylindres successive — ratch
reach), welche von der Mitte der unteren letzten Einziehwalze bis zur Mitte
der unteren Streckwalze gemessen wird — ha'ngt wesentlich von der Lange
der Fasern in den zu streckenden Bandern ab, wie im Artikel Baumwollspinnerei
(pag. 343) bereits naher auseinander gesetzt wurde. — Da nun der Flachs in
sehr verschiedenen La'ngen von 30tm bis 76cm (12 bis 30 Zoll engl.) vorkommt,
so muss dem entsprechend auch die Distanz je nach der zu verarbeitenden Flachs-
sorte wechseln, und man hat, da dieselbe sich bei den Flachsvorbereitungsmaschinen
nur sehr wenig andern lasst, in gut eingerichteten Spinnereien deshalb stets mehrere
Systeme fiir kurzen, mittellangen und langen. ev. auch fiir gescbnittenen Flachs.
Da der kiirzere Flachs auch zumeist der feinere ist, so sind die Maschinen mit
kurzer Distanz fiir feinere Flachse, die zu hbheren Garnnummern verarbeitet werden
Flachsspinnerei (Anlegemaschine). 539
sollen, bestimmt. Bei jedem zusammen gehorenden Systeme von Maschinen hat
aber das Streckwerk jeder folgenden Maschine stets eine geringere Distanz, da
die Lange der Fasern mit fortschreitender Verarbeitung immer mehr abnimmt.
Auf dem Wege zwischen Einzieh- und Streckwalzen werden die Bander durcli
einen sich passend vorwarts bewegenden Hechelapparat unterstiitzt, durch welch en ein
fortgesetztes Heclieln (Spalten, Zertbeilen) und Reinigender Fasern, wahrend sie von den
Streckwalzen durch die Nadeln gezogen werden, dadurch stattfindct, dass die Schaben-
theilchen und die bei dem friiheren Hecheln noch nicbt entfernten und bei der
Spaltung neu entstandenen kiirzeren Fasern — die sich zwischen den Nadeln des
Hechelapparates und unter demselben ansammeln — abgestrichen und zuriick-
gehalten werden. — Der Hechelapparat zeigt je nach der Feinheit des Flachses
und der zu erzeugenden Garnnummer Abweichungen in der Entfernung der
Nadeln, der Feinheit und Lange derselben. — Die allgemeine Anordnung und
Bewegung desselben ist jedoch bei alien Maschinen gleich und geschieht letztere
jetzt ausschliesslich durch einen Schraubenmechanismus.
Gleichzeitig mit dem Strecken und auch nach Ausfiihrung desselben wird
das Zusamnienlegen, Doubliren, mehrerer Bander vorgenommen; jedoch iiber-
wiegt stets der Streck- den Doublirprocess, so dass die von den Ablieferungs-
walzen (reunisseurs ou debiteurs — delivering rollers) kommenden Bander
diinner und feiner sind, als die, welche urspriinglich in die Maschine eingefiihrt
wurden.
Wir gehen nunmehr zur naheren Besprechung der einzelnen Arbeiten und
der bei denselben angewendeten Maschinen tiber.
1) Die Bildung einesBandes aufderAnlegemaschine. Die
folgende Fig. 1661 zeigt eine Anlegemaschine im Langsschnitt. Der Flachs wird
derart ristenweise auf 4 bis 6 endlosen, 76— 203ram breiten Lederttichern T, den
Speisetiichern (tablier — feeding cloth) ausgebreitet, welche sich horizontal neben
einander, iiber dieselbe Treibrolle a und Fiihrungs- und Spannrolle b fort-
bewegen, dass eine Auflage von moglichst gleicher Dicke entsteht. Auf der-
selben Tuchlange muss stets dasselbe Gewicht Flachs ausgebreitet werden,
zu welchem Zwecke man — wenigstens bei ungeiibteren Arbeitern — stets das-
selbe abgewogene Flachsquantum auf einer bestimmten mar-
kirten Tuchlange niederlegt. Zugleich wird hier das Vermischen verschie-
dener Flachssorten vorgenommen, indem man die neben einander laufenden Tiicher
mit denselben belegt und die gebildeten Bander zu einem einzigen vereinigt.
Die endlosen Tiicher fiihren den aufgelegten Flachs zunachst iiber ein Leit-
blech J zwischen Fiihrungen lq hindurch, welche die Breite begrenzen, nach den
Einzugswalzen pt und p2, von denen die untere ein glatter, eiserner, angetriebener
Cylinder ist, wahrend die obere, durch Gewichte beschwcrt, lediglich durch Rei-
bung von der unteren mitgenommen wird. Zwischen diesen Walzen werden die
Risten soweit zusammen gedrtickt, verdichtet, dass sie von dem Hechelapparate
vollstandig aufgenommen werden konnen. Sowie die Einzugswalzen den Flachs
abliefern, treten von unten sofort 4 bis 6, je nach der Anzahl der vorhandenen
Auflegetucher, auf Staben (barrettes — fallers, heckle-bars) befestigte Nadelsysteme
(peigne — gill) in denselben ein, welche sich mit etwas grosserer Geschwindig-
keit, als die Umfangsgeschwindigkeit der Einzugswalzen betragt, in schrag anlau-
fencler Richtung entfernen. Diese iibergeben den durch die Fiihrungen /3 etwas
zusammengezogenen Flachs den Streckwalzen C0 Ci} von welchen derselbe aus-
gezogen, gestreckt, wird. Der zwischen den Walzen herrschende bedeutende Druck
veranlasst zugleich eine lose Vereinigung der Fasern, so dass ein fortlaufendes
Band von geniigender Haltbarkeit entsteht. Der erste Hechelstab tritt, bei den
Streckwalzen angekommen, senkrecht aus den Flachspartien nach unten und geht
mit grosserer Geschwindigkeit zurtick, um, wieder bei den Einziehwalzen ange-
kommen, auf's Neue in die Hbhe gehoben, den Flachs zu fassen. Wahrend sich
der erste Hechelstab von den Einziehwalzen entfernt, treten fortwahrend neue
540
Flachsspinnerei (Anlegemaschine).
Hecbelstabe mit Nadelsystemen in den Flachs, so dass derselbe, wie die Fignr
zeigt, zwischen p und C unterstiitzt und zugleich ausgehechelt wird.
Die untere Streckwalze C'0 ist ein flatter oder auch schwacli geriffelter Cylinder, welcher
zu beiden Seiten der Maschine gelagert ist und den Antrieb empfangt. Durch eine Putzleiste
Fig. 1661.
'■:"*jdX"' ~ ;^ "■/'-"
L wird derselbe von etwa liangeu gebliebenen Fa'serchen gereinigt. Die oberen Walzen,
gewohnlicb aus Erlenholz hergestellt und paarweise auf ein und derselben Achse befestigt,
sind Druckwalzen (drawing-or frontrotter pressings} und werden nur durch Reibung von den
unteren mitgeuommen. Neucrdings wendet man audi eiserne mit Leder iiberzogene Druck-
Flachsspinnerei (Strecke). 5 1 1
walzen an, wie sie in der Jute-Spinnerei beniitzt warden. Je naclidem die Maschine 4 oder
6 Anflagetiicher hat, sind 2 oder 3 Paar Druckwalzen vorlianden. Die Achsenenden derselben
laufen in Metall-Lagcrn, die ihrerseits durch prismatische Fiihrungen der Stander «, gehalten
wex-den, und es vvirkt das Belastungsgcwicht mittels einer Hebelverbindung und eines Lager-
biigels in der Mitte der Achse. Neuerdings wird die Belastung der Aehse an beiden Enden
dicht neben den Lagern vorgezogen, da hierdureh eine gleichintissigere Vertheilungdes Druckes
erzielt wird. Oberhalb der Druckwalzen sind Putzer ia zum Abstreifen der kiirzeren Faserchen
angeordnet.
Die von den Streckwalzen ausgezogenen Bander gleiten iiber die mit 4
oder 6, entsprechend der Anzahl der vorhandenen Bander, nnter 45° geneigten,
nbgerundeten Einschnitten versehene Donblirplatte P kerab, so dass es moglich
ist, je 2 oder audi sammtlicke Bander zu vereinigen und den Ablieferungswalzen
g0 g1 zuzufiikren — von denen entweder 2 Paare, oder, was gewoknlicker, nur
ein Paar vorlianden ist — welcke das durck die Leistcken Z4 zusammengezogene
Band in vorgesetzte Bleckkannen abliefern. Es findet kierdurck also ein Dou-
bliren von 2 bis 6 Bandern statt. Die unteren Ablieferungswalzen g0 sitzen auf
einer Ackse, welcke den Antrieb empfangt, wahrend die oberen massiven guss-
eisernen Walzen Druckwalzen (delivering pressing rollers) sind, welcke in den
Standern atl Ftikrung kaben. — Oberkalb dieser Walzen sind wiederum Putzer
ib angeordnet. Die Ablieferungswalzen kaben eine nm sekr wenig grossere Um-
fangsgesckwindigkeit als die Streckwalzen (1:1.09), wodurck die Bander stets
straff angezogen werden; da aber die Entfernung zwiscken Streck- und Abliefe-
rungswalzen kleiner ist als die Lange der Fasern, so miissen die oberen Walzen
gx etwas gleiten, was aber auf die Vereinigung der Bander nur vortkeilhaft wirkt.
Um nun stets eine bestimmte, von der Masckine abgelieferte Bandlange zu
erkennen und in den vorgesetzten Bleckkannen iinmer gleicke Langen aufzufangen,
um aus dem Gewickt derselben die weiteren Dispositionen zur Erzeugung einer
bestimniten Garnnuramer treffen zu kbnnen, ist die Maschine nock mit einem
Klingelapparat verseken, der von der Ackse der unteren Abzugswalze g0 aus in
Bewegung gesetzt wird. Bei dem jedesmaligen Ertonen der Klingel wird das
Band abgerissen und eine neue leere Kanne untergesetzt.
Die stiindl. Einzugslangen betragen etwa 37 bis 122 Yards, die Lieferungs-
langen 1920 bis 3050 Yards.*)
2) Das weitere Strecken und "Doubliren auf den Zug-? Streck- oder Dou-
blir masckine n. Man wendet stets mekrere derselben und zwar zwei oder
drei nack einander an. Die Bander der Anlegemasckine zeigen nickt iiberall
gleicke Starke und miissen daker durck Doubliren und Strecken (s. Baumwoll-
spinnerei I. pag. 341) ausgeglicken werden.
Eine erste Streckmasckine (premier etirage — first drawing frame) ist in
Fig. 1662) im Langsscknitt abgebildet. Das Streckwerk ist bis auf die Einzieh-
walzen nakezu wie das der Anlegemasckine construirt. Der Heckelapparat liegt
jetzt korizontal und es bestekt die Masckine aus mekreren neben einander liegenden
Abtkeilungen, Kbpfen (tete — heads), von denen der eine gleicksarn die Wieder-
kolung des anderen bildet. Jeder Kopf kat ein besonderes Heckelwerk und einen
eigenen Meckanismus zum Treiben desselben, ferner eine besondere Donblirplatte
und iibereinstimmend angeordnete Abzugswalzen.
Die Masckinen zur Verarbeitung versckieden feiner (langer) Flackse weicken
in der Anzahl der pro Kopf transportirten Bander, in der Distanz, der Feinkeit
des Heckelwerkes und der Anzakl der Abzugswalzen von einander ab. — Die
Fig. 1663 zeigt den Grnndriss eines Kopfes dieser Streckmasckine von den Streck-
walzen bis zu den Abzugswalzen. Hieraus gekt kervor, dass diese Masckine pro
*) TTeber weitere Details und Kraftbedarf s. Zusammeustellung am Ende dieses Absclmittes-
Man sehe auch Prof. Hartig: Ueber den Kraftbedarf der Mascbineu in der Flachs-
und Werggarnspinnerei. Leipzig.
542
Flachsspinnerei (Strecken).
Kopf 4 Bander transportirt mid 2 Ablieferungen hat. (Beispielsweise eine erste
Streckmaschine 3 Kopfe a 4 Bander und 2 Ablieferungen. First drawing S
heads a 4 slivers and 2 deliverings).
Die Bander aus den Kannen k{ der Anlegemaschine gelangen iiber die
Rollen r Fig. 1662 durch die Fiihrungen lx und seitlich begrenzt durch die yer-
stellbaren Leistchen /„ zu den, Einziehwalzen. Diese bestehen aus 3 Cylindern,
von denen die unteren 2 durchgehende, zwischen jedern Kopfe der Maschine ge-
lagerte glatte Cylinder £>, pQ sind7 welche durch Raderwerk bewegt werden,
wahrend die oberen jp.^ aus kiirzeren und zwar fur jeden Kopf aus 2 bis 4
Fig. 1662.
Strecke.
Enden bestehen, die, zwischen die ersteren eingelegt, von diesen nur durch Rei-
bung mitgenommen werden. Zum Abstreifen der am Cjdinder pt und pa etwa
hangen gebliebenen kiirzeren Fasern dienen die Putzleisten (dead rubbers) i0 ix.
Der Weg der Bander ist aus der Figur ersichtlich, deren iibrigen Theile gleich-
artig denen der Anlegemaschine sind, und die gleichen Buchstaben aufweisen.
Die stiindlichen Einzugslangen pro Band betragen etwa 48 bis 123 Yards,
die Liefernngslangen 957 bis 1720 Yards.
Es eriibrigt die nahere Beschreibung des Schraubenmechanismus zur Be-
wegung der Hechelstabe. Fig. 1664 stellt den Schraubenmechanismus eines
Kopfes der beschriebenen Streckmaschine im Querschnitt dar.
Zu beiden Seiten eines jeden Kopfes der Streckmaschinen ist ein Paar
geordnet. Je zwei sich gegeniiber liegende Schrauben haben genau gleiche Steigung,
doch ist die der untern bedeutend grosser als die der obern. Zwischen diesen
Flachsspinnerei.
543
Fig. 1663.
Schrauben liegen mittelst platter Kopfe, welche den Gangen der oberen Scbrauben
entsprecbend an den Enden geneigt sind, auf den FUhrungen c0 c, die Hechel-
stabe S, und zwar derart, dass sie; ohne zu klemmen, in der Richtang ilirer
Lange moglielist wenig Spielraum baben. Auf* diesen Hecbelstaben sind die Nadel-
systeme 1 bis 4 — entsprecbend der Anzabl der Bander — befestigt. Die
Hechelstabe werden durch Drebung der oberen Scbranben .s-0 s0 auf den Piihrungen cfl
c0 entlang gefiibrt. 1st
ein oberer Hecbelstab
an dem Streckcylinder
angelangt, so boren die
ihn unterstiitzenden Fiih-
rungen auf, und zwei
am Ende der oberen
Scbrauben sitzende Dau-
men o0 o0 werfen ihn
nach unten. Ein Paar
flache Federn o„ o2,
welcbe sich bierbei in
entsprecbende Nuten der
Kopfe des Stabes ein-
legen, geben demselben
die nothige Fiihrung und
bindern ein zu friihes
Herabgleiten. (Bei der
Streckmascbine sind es
2 flache drehbare, durch
Gewichte geeignet be-
schwerte und angedriickte Schienen, welche diese Fiibrung bewirken.) Der Stab
fallt auf die unteren Leisten ct c, und in die SchraubeDgange der unteren
Schrauben s1 st hinein, welche denselben, da ihre Drehrichtung der oberen
entgegegensetzt ist; zuriickfiihren, und zwar vermoge ihrer groberen Theilung —
wodurch an Hechelstaben gespart wird — mit grosserer Geschwindigkeit.
1st der Stab am vorderen Ende in der Nahe der Einfiibrwalzen ange-
kommen, so wird er durch die Daumen ox o, der unteren Scbrauben (Figur
Fig. 1664.
Scliraubcnmechanismiis.
1664) an den Fiihrungsstaben o(, o{1 iiber die obere Kante der Fiibrungen
c0 cQ emporgehoben und so lange gehalten, bis die oberen Schrauben Zeit
haben, ihn zu fassen und weiter zu fiihren. — Der an den oberen Fiibrungen
auf der Seite der Einfiibrwalzen sichtbare Finger fasst dabei in die erwahnte Xut
544 Flachsspinnerei (Vorspinnen).
der Stabkopfe, in welche vorhin die Federn eingriffen, gibt bei dem Aufwarts-
heben eine sichere Fiihrung mid gestattet zugleich ein leichtes Einschieben in die
oberen Schraubengange.
Die untern Schrauben werden von der Welle V0 Fig. 1662 (hack shaft) (lurch eonische
Eader I, l0 bewegt und iibertragen die entgegengesetzte Drehung durch Stirnrader m, m auf
die obern Schrauben. Denkt man sich jetzt Stab neben Stab in das Gevvinde der Schrauben
eingelegt, so muss bei jeder Umdrebung derselben ein Stab nach unten geworfen werden,
wahrend an dem andern Ende gleiehzeitig ein Stab nach oben gebracht wird.
Bei den Anlegemascliinen sind, um das Auffallen der Stabe bei ihrem Austreten aus
den obern Schrauben auf die untern Fiihrungen zu massigen, Empfangshebel d0 zu beiden
Seiten oder auch nur einer in der Mitte angeordnet (Figur 1661), welche einmal empor
nnd dann wieder niedergehen, wodurch das Inempfangnehmen und sanfte Niedersetzen der
Stabe erreicht wird. Die geeignete Bewegung der Hebel erfolgt von der Hinterwelle V0 aus.
Diese treibt mittels zweier Rader cine Achse, welche die Excenterscheibe h0 tragt, von der
durch Schubstange h, der gebogene Hebel d3 und durch diesen die horizontale Welle w ge-
dreht wird, auf der die Empfangshebel d0 sitzen.
Der Doublir- und Streckprocess wird nun auf der zweiten, bei feinen Garnen
auch noch auf der 3. Streckmaschine (second etirage — - second drawing frame)
wiederholt, das Ausgleichen der Unregelmassigkeiten in der Dicke der Bander,
das Verdiinnen, Verfeinern, das weitere Ausheclieln derselben also hierdurch fort-
gesetzt. Je mehr man deshalb innerhalb praktiscli zulassiger Grenzen den Streck-
nnd Doublirprocess ausdehnt, um so gleichmassiger und schoner werden die Bander
um so besser und egaler wird .auch das aus ihnen gesponnene Garn.
Die neuerdings erhohten Anspriiche, welche man an die Glite der Game
stellt, yerlangen eine recht sorgfaltige Vorbereitung und bedingen inFolge dessen
auch sclion zu weniger hohen Nummem (etwa von Nr. 50 an) die Anwendung
von drei Streckmaschinen hinter einander, auch muss die Anzahl der Kopfe der
einzelnen Maschinen vermelirt werden, um geringe Belastung der Nadeln, nicht
zu sclmellen Gang der Streckwerke und starke Doublirungen — Umstande, die
sammtlich vortheilbaft auf die Erzeugung eines gleichmassig schonen Productes
wirken — anwenden zu konnen.
Die zweiten und dritten Streckmaschinen sind im Princip ebenso wie die
erste construirt ; die Distanz wird bei jeder folgenden Maschine geringer, weil die
Lange der Fasern immer mehr abnimmt, dabei steigt die Feinheit der Hecliel-
werke. Die Anzahl der pro Kopf eingefiihrten und abgelieferten Bander nimmt
zn und die untergestellten Blechkannen werden, entsprechend der abnehmenden
Starke der Bander, von geringerem Durchmesser gewahlt. Einzngs- und Liefe-
rnngslangen stehen ebenfalls innerhalb der angegebenen Grenzen.
3) Das letzte Doublir en und Vorziehen unci das Bilden des
Vor gar nes auf der Spindelbank, der Vorspinnmaschine.
Die Bander von dem Streckwerk der Vorspinnmaschine haben eine so geringe
Starke, dass sie das Verspinnen zu Feingam, ohne auseinander zu gehen, nicht
anslialten wiirden ; deshalb erhalten die gestreckten Bander sofort eine geringe
Drehung und heissen dann Vorgespinnst, Vorgarn (rove).
Gewohnlich werden die Bander von der letzten Streckmaschine der Spindel-
bank einfach vorgesetzt; eine Doublirung findet also nicht mehr statt. Nur bei
ganz feinen Nummern lasst man die Bander doppelt in die Vorspinnmascliine
gehen. — Die Zufiihrung der Bander gesehieht in derselben Weise wie bei den
Durchziigen ; auch ist das Streckwerk bis zu den Streckwalzen wie bei diesen
construirt, hat nur geringere Distanz und feineres Hechelwerk. Die Streckwalzen
liefern aber die Bandchen unmittelbar zu je einer Spindel, mit welcher ein fest
aufgesetzter Fliigel sich mit constanter Geschwindigkeit umdreht. Das Bandchen
umschlingt den Fliigel oder geht, wenn derselbe liohl hergestellt ist, durch einen
der hohlen Arme, um sich alsdann auf die Spule, nach Massgabe des Zuriick-
bleibens derselben gegeniiber dem Fliigel, aufzuwickeln. Die Drehung des Vor-
Flachsspinnerei (Vorspinnen). 545
games tlarf nur eine geringe sein, damit es moglich 1st, den Vorgarnfaden zwischen
den Streckwalzen der Feinspinnmaschine noch weiter auszuziehen und schwankt
dieselbe, je nach der Giite des Flachses, ungefabr zwischen den Grenzen : Drehtrag
pro engl. Zoll — 0.3 bis 0.5 N; wo N die Nivmmer des Vorgarnes ist, ebenso
bestimmt wie die des Feingarns.
Es ist nun wegen dieser schwachen Dreliung nicht vortheilhaft, das Vorgarn
auf eine durch die Spannung des Fadens allein bewegte nnd durch Reibung
zurtickgehaltene Spnle aufzuwinden, weil sich dasselbe hierbei ungleichmassig
strecken wtirde und aucli der Grad der Drehung nicht constant bleibt. Bonders
es miissen die Spulen wie bei dem Vorspinnen der Baumwolle (Ipag. 347; durch
einen besonderen Mechanismus bewegt werden, welcher bewirkt, dass in dem
Masse, wie sich der Vorgarnfaden bildet, derselbe ohne erhebliche Spannung in
dicht neben einander liegenden Lagen aufgewunden wird.
Die Spindelbank hat demnach aucli hier folgende Functionen zu verrichten :
1. Das Strecken der eingefuhrten Bander.
2. Das Drehen der gestreckten Bander, urn denselben die niJthige Festigkeit
zu geben.
3. Die regelrechte Aufwindung des Vorgarns auf Spulen.
Die in der Flachsspinnerei angewendeten Spindelbanke haben Spulen niit
Endscheiben, so dass sogenannte weiche Spulen entstehen und die Hubhohe der
Spulenbank stets dieselbe bleibt. Die Pressionsflugel und die Mechanismen, weiche
die Spulenbankhebung bei jedem Hube una etwas verkiirzen, wie sie zur Erzeugung
von harten Spulen in der Bauinwollspinnerei angewendet werden (pag. 345 und
347), fallen hier also weg.
Die sich mit constanter Geschwindigkeit bewegenden Spindeln haben dieselbe
Bewegungsrichtung, wie die Spulen, und bewirken das Drehen des Vorgarnes, welches
von den mit geringerer Geschwindigkeit, aber nach derselben Richtung bewegten
Spulen gleichmassig aufgenommen wird.
Die mit zunehmender Bewickelung der Spulen nothigen Aenclerungen in der
Umdrehungs- und Hebungsgeschwincligkeit derselben werden aucli bei den Spindel-
banken der Flachsspinnerei durch analoge Mechanismen, unter geringen Abwei-
chungen, bewirkt, wie sie bei der Baumwollenspinnerei eingehend beschrieben
wurden (s. Fig. 160 pag. 349 nebst Beschreibung).
Die Flachsvorspinnmaschinen von Samuel Lawson & Sons in Leeds sind
nach diesem Princip gebaut. Es sind aber auch vielfach Spindelbanke in Ge-
brauch, die mit anderen abweichend hiervon gebauten Regulirungsmechanismen
versehen sind, und zwar sind dies Maschinen von Combe, Barbour & Combe in
Belfast und von P. Fairbairn & Co. in Leeds, von denen wir die Combe'sche
Maschine etwas naher besprechen wollen, wahrend die Beschreibung der Fair-
bairn'schen im Artikel Jutespinnerei nachgesehen werden kann.
Die folgende Fig. 1665 zeigt eine Spindelbank im Querschnitt mit den
Combe'schen Aufwindemechanismen. Fig. 1666 gibt eine perspectivische Ansicht
der letzteren und Fig. 1667 stellt einen Tlieil der Spulenbank mit den Stoss-
knaggen dar.
Aus Fig. 1665 erkennt man die mit den Durchziig-en iibereinstimmende Construction
des Streckwerkes, dessen einzelne Theile rait denselben Bnchstaben wie dort bezeiclmet sind.
Der untere Streckcylinder C'g wird von der Hauptwelle i? ans, die durcb die gauze Maselune
geht, bewegt und zwar auf der (in Figur 1665 weggeschnitten gedachten) Seite. Dieser
Antrieb ist auch in Fig. 1666 weggelassen worden. Vom Streckcylinder geht die Bewegung-
riickwarts nach dem Hinterschaft V0, welcher die Schraubenmechanismen treibt, und von
diesem nach den Einziehwalzen.
Der gestreckte Vorgarnfaden geht durch die auf den Spindeln S sitzenden Fliigel /
nach den Spulen e Fig. 1665. Die Spindeln werden von 2 horizontalen, im unteren soge-
Kamiarsch & Heeren, Technisches Wortertmeb. Bd. III. 35
546
Flachsspinnerei (Vorspinnen).
nannten Spindelkasten gelagerten Wellen durch die hyperbolischen Rader ra r3 und r2 ra
bewegt. Die Wellen stehen mit einander durch gleich grosse Rader rT rT in Verbindung und
wird das eine derselben direct von der Haitptwelle H aus durch die Rader r und t bewegt.
Keines dieser Rader kann gegen ein anderes ausgewechselt werden, die Umdrehungen der
Spindeln sind daher constant.
Fig. 1665.
Combe's Spindelbank.
Bezeiclmet man mit S die constante Umdrehungszahl derselben, mit L die constante
Umfangsgeschwindigkeit der Streckcylinder in der Minute, d i. die in derselben Zeit gelieferte
Fadenlange, so ist die Drehung D pro Langeneinheit D ~ -y
Die Spulen ruhen sammtlich auf einer durch Gewichte abbalancirten Spulenbank (oberer
Oder Spulen-Kasten) i?0, die mit dem ganzen zum Treiben der Spulen nothigen Raderwerk
mittels Zahnstange A von den auf der "Welle tv0 sitzenden Radern a0 in Gradfiihrungen g0
auf und ab bewegt werden kann, wodurch das Nebeneinanderlegen der Fiiden in der Hohen-
richtung der Spulen erreicht wird.
Der Umfang der Spulen bleibt aber nicht constant, sondern wird nach jedem Auf- und
Niedergang der Spulenbank in kleinen Abstufungen durch die Bewicklung grosser. Damit
Flachsspinnerei.
547
nun das gleiclimassig von den Streckcylindern abgelieferte und von don Spindeln aufgenom-
mene Vorgarn ebenso gleiclimassig aufgewickelt werde, muss sich bei constanter Umdreliungs-
zahl der Spindeln die Tourenzahl der Spulen und die Geschwindigkeit der Hebung nnd
Senkung derselben mit ihrem zunehmendcn Durchmesser andern.
Fig. 1666.
Bezeichnet man den veranderlichen Spulenumfang mit u, die zugehorende Umdrelmngs-
zahl der Spulen mit s, so ist, da die Aufwicklung auf die Spule stets der gelieferten Faden-
35*
548 Flachsspinnerei (Vorspinnen).
liinge gleich sein muss (wie schon Bd. I Seite 347 erortert wurde) L — u (8—s) oder auch
Aus der ersten Gleichung ersieht man aber sofort, dass, wenn u wachst, die Spule also
voller wird, die Differenz zwischen Spindel und Spulenumdrehungen {S — s) abnehmen muss,
da L constant ist. Diese Differenz kann aber bei constanter Spindelnmdrehungszahl nur
abnehmen, wenn die Touren der Spulen zunehmen. Mit zuneh-
Fiq. 1667. mender Aufwicklung wachst also die Umdrehungs-
zahl der Spulen. Damit sich aber stets gleichmassig Faden
neben Faden lege, muss die Gesehwindigkeit der Hebung und
SSenkung der Spulen, also der Spulenbank proportional der Differenz
der Spindel- und Spulenumdrehungszahl sein. Da diese aber bei
fortschreitender Bewicklung abnimmt, so muss auch die Hebungs-
geschwindigkeit der Spulenbank nacb jedem Auf- und Niedergang
4
AM
\m
Kt=l
fei derselben abnehmen. Die Gesehwindigkeit der Auf- und
Abwartsbewegung der Spulen nimmt also mit wach-
sendemDurchmesser derselben ab.
Die eigenthiimlichen Mechanismen, welche diese Bedingungen erfiillen, sollen jetzt
naher betrachtet werden, und zwar zunachst die bei der Auf- und Abbewegung der Spulen-
bank thatigen Theile.
Auf der linken Seite des Streckcylinders C'0 Fig. 1666 sitzt die Schnurscheibe S0 und
iibertragt ihre constante Gesehwindigkeit mittels eines Lederseiles auf die expandible Schnur-
scheibe, den Expander G. Die Expanderwelle ist in der gekrbpften Achse i i gelagert und
diese einerseits in dem Biigel B, anderseits im Gestelle links, so dass die Verbindungslinie
der Drehpunkte mit der Mittellinie der Welle J zusammenfallt, die Expanderwelle aber in
einem Kreisbogen um die Drehpunkte der Lagerachse i auf- und abbewegt werden kann.
Bei leeren Spulen nimmt die Expanderwelle ihre tiefste Lage em, und es geschieht die Anf-
wartsbewegung sprungweise nach jedem Auf- oder Niedergang der Spulenbank. Dicht bei
dem Gestelllager ist namlich die Kropfachse mit Hebel h0, der auf der Spindelseite in einen
Zahnbogen iibergeht und auf der hinteren Seite ein Gewicht tragt, fest verbunden. Der Zahn-
bogen ist mit einem Stirnradchen s im Eingriff, welches ebenso wie das daneben angeordnete
Klinkrad KQ auf einem drehbar gelagerten, mit dem Handrade H0 versehenen Zapfen befestigt
ist. Das an dem Hebel ha sitzende Gewicht wird das Bestreben haben, den Hebel um den
Dreiipunkt zu drehen, die Expanderwelle also aufwarts zu bewegen. Diese Bewegung hindern
zwei Sperrklinken &, und Jc2 von denen die eine stets in den Zahnen des Sperrades liegt,
wahrend alsdann die andere durch ein besonders geformtes Gussstiick M, das auf demselben
Zapfen wie Rad s und A"0, aber lose sitzt, ausser Eingriff gehalten wird. Die Spulenbank
bewirkt nun, indem sie am Ende ihres Auf- oder Niederganges mittels zweier Knaggen A,^
und kA Fig. 1667 das Gussstiick M dreht, wodurch die eine der Klinken zunachst auf die
Mitte eines Zahnes gelegt wird, die Auslosung der andern. Das Klinkrad kann sich daher
jetzt um einen halben Zahn drehen, so dass bei jedem Auf- oder Niedergang der Spulenbank
der Expander um einen bestimmten Bogen gehoben wird. Hierdurch wird aber die verschieb-
bare Hlilfte des Expanders durch Gleiten an einem keilformigen Lineal L um ein bestimmtes
Stiick in die andere Halfte hinein geschoben — der Expander-Durchmesser also, nach jedem
Bewegungswechsel der Spulenbank, vergrossert. Mit wachsendem Spulendurchmesser wird
daher die Umdrehungszahl der Expanderwelle eine geringere, und diese abnehmende Gesehwin-
digkeit wird zunachst dureh die Rader b0 bi nach der "Welle J und von dieser durch die
Riider b.2 b3 und durch das Wechselrad z0 auf die Welle J, fortgepflanzt, von welcher die Auf-
Al)bewegung der Spulenbank ausgeht.
Hierdurch wird aber die Bedingung erfiillt, dass dieGeschwindigkeit
dieser Bewegung mit wachsendem Spulendurchmesser abnehmen soil. Da
durch das Wechselrad sQ die Gesehwindigkeit der Hebung und Senkung fur jeden bestimmten
Fall regulh't werden kann, so nennt man dasselbe das Hebungs wechselrad.
Der Wechsel der Bewegmng' selbst ffeschieht in folffender Weise:
Flachsspinnerei. 549
Die Welle J, ist an ihrem linken Ende (Fig. 1666) in einer Scheibe gelagert und treibt
durch das auf ihr sitzende Radchen ai das ebenfalls in der Scheibe gelagerte gleich grosse
Radchen a.,. Entweder Radchen ai oder a2 ist im Eingriffe mit dem Uebersetzungsrade a3
und dieses wiederum durch Rad a4 mit dem Hohlrade as, das am Ende der durch die ganze
Maschine gehenden Welle w0 sitzt. Diese Welle treibt durch die an verschiedenen Stellen
sitzenden Radchen a6 die mit der Sjralenbank verbundenen Zahnstangen A, welche an den festen
Fiihrungen g, auf und ab geschoben werden konnen (Fig. 1665). Je nachdem Radchen a.
oder a2 mit Rad a3 im Eingriff ist, wird dasselbe nach der einen oder der anderen Richtung,
die Spulenbank also auf- oder abwarts, bewegt werden. Das Wechseln der Radchen muss
nun jedesmal in demselben Momente geschehen, in welchem die Spulenbank einen Auf- oder
Niedergang vollendet, also gleichzeitig mit der Vergrosserung des Expander-Durchmessers.
Zu diesem Zwecke ist die Scheibe, in welcher die Welle Jz mit den RaMchen «r und a2 gelagcrt
ist, mit einer Zugstange h2 versehen, welche den mit dem Gussstiick M fest verbundenen
Hebel Mx mit ihrem schlitzformigen Ende fasst. Das obere Ende des Hebels M{ hat ein
bogenformig begrenztes Gleitstiick gT und wird dasselbe auf einer Seite durch ein ahnliches
Gleitstiick^ des Gewichtshebels A, beriihrt. Gegen Ende des Aufganges der Spulenbank (bei der
in Fig. 1666 gezeichneten Lage der Theile) wird nun, wie beschrieben, Gussstiick ilf, mithin
aber auch Hebel M{ bewegt, bis sich die Spitzen der Gleitstiicke gx und g2 beriihren, ohne
dass aber die Zugstange h2 bewegt wiirde, da sie vermoge ihres Schlitzes von dem Stifte des
Hebels MT stehen gelassen wird. Im nachsten Moment aber, wahrend die Bank in ihrem
hochsten Punkte angelangt ist, wird der Hebel hx durch sein Gewicht das Gleitstiick g2 an
der anderen Seite des Gleitstiickes gT herabdriicken, den Hebel Mx noch weiter und mit ihm
nunmehr die Zugstange h2 nach der anderen Seite bewegen, wodurch das Rad a2 ausgeriickt
und aT in Eingriff kommt. Die Spulenbank geht nunmehr nach unten und findet am Ende
des Niederganges wieder der entsprechende Wechsel statt.
Der Expander wird, wie erwahnt, stets um einen constanten Bogen gehoben, so dass
das Lederseil bei dem Zusammenschieben stets dieselbe Spannung behalt. Die Achse der
Expanderwelle bewegt sich sonach in einem Kreiscylinder, dessen Halbmesser gleich der Ent-
fernung derselben vom Drehpunkte der Kropfachse ist. Die verschiebbare Expanderhalfte
(Fig. 1666) gleitet mittels eines Stiftes e in einem durch die Welle hindurch gehenden Schlitze.
Gegen diesen Stift stosst in der Richtung der Mittellinie der Welle eine kleine Stange e0,
welche in entsprechender Bohrung der verlangerten Welle Fiihrung hat. Der abgerundete
Kopf dieser Stange legt sich an das in der Schiene e, gerade gefiihrte Gleitstiick e2, welches
in der Richtung der Achse der Stange einen geschlitzten drehbaren Kopf e3 hat, der stets
das keilforrnige Lineal umfasst. Bei der Hebung des Expanders gleitet dieser Kopf an der
schragen Flache des Lineals in die Hohe, und es wird dadurch das Gleitstiick und mithin
auch die Stange und die verschiebbare Expanderhalfte in der Richtung der Achse verschoben,
wodurch die successive Vergrosserung des Expanderdurchmessers erreicht wird. Damit das
Lineal immer von dem erwahnten Kopfe umfasst werden kann, muss es der Kreisbogenbewe-
gung desselben folgen konnen, und ist deshalb um einen Zapfen z normal zur Richtung", in
welcher die Hebung stattfindet, beweglich. Das Lineal ist so gestaltet, dass der Expander
nach jedem Auf- oder Niedergang der Spulenbank um ein gleiches Stiick in einander geschoben
wird, da die Vergrosserung des Durchmessers stets um ein constantes Stiick erfolgen muss.
Die mit jedem Auf- und Niedergang der Spulenbank verminderte Geschwindigkeit der
Expanderwelle wurde, wie beschrieben, auf Welle J iibertragen. Von dieser Welle aus geht
nun die Bewegung durch Q auf das Rad E iiber, welches lose auf der Hauptwelle H lauft
und.zwischen Kranz und Nabe in Zapfen drehbar gelagert, zwei sich genaugegeniiber stehende.
gleich grosse konische Rader Bx und E2 tragt. In diese Riider greift auf der einen Seite
das fest mit der Hauptwelle verbundene, dieselbe Grosse habende Rad K ein, und auf der
andern Rad D, welches aber lose auf der Hauptwelle sitzt und an seiner etwas verlangerten
Nabe noch das Stirnrad Dx tragt, durch welches die BewTegung auf das Zwischenrad 2" und
durch das an dasselbe angegossene gleich grosse konische Rad auf Rad £>., vibertragt. Das
Zwischenrad T lauft auf einem Zapfen, der bei v0 und t\ drehbar gelagert ist und eine kugel-
formige Erweiterung hat, in deren Bohrung mittels langer Nabe sich das Rad J>.: bewegt.
In diese Nabe fasst, mittels Feder und Nut verschiebbar, eine Welle g (Fig. 1665 und 1666),
welche nach der Spulenbank fiihrt, und es kann also diese Welle der Auf- und Abbewegung
550 Flachsspinnerei (Vorspinnen).
der Spulenbank folgen. Die Welle y pflanzt (Fig. 1665) ihre Bewegung durch Rad D3 und
und Tx auf -D4 D\ und die beiben Betriebswellen im Spulenkasten fort, die ihrerseits durch
Rader DB D's die Spulenradchen D6 D'6 bewegen. Diese Spulenradchen haben lange Naben,
welche iiber die Spulenbank herausragen und sich dort tellerformig ausbreiten, um die Spulen
aufnehmen zu konnen und sie mittels eines Stiftes und entsprechenden Loches im Fusse der-
selben zu kuppeln.
Die Radercoinbination, welche an das Rad D und Dt und somit auch an die Spulen
eine von der Umdrehungszahl des Rades R und des Rades K abkangige Tourenzahl iibertragt,
nennt man Differentialgetriebe, oder (nach H. Professor Reuleaux) Umlaufrader. Die eine
durch Rad K von der Hauptwelle aus an dies Getriebe ubertragene Bewegung ist constant,
die andere von der Expanderwelle aus an Rad R abgegebene Tourenzahl nimmt, wie wir
gesehen haben, mit jedem Hube der Bank ab. Bezeichnen wir daher mit n die constanten
Umdrehungen der Hauptwelle, mit m die nur wahrend eines Hubes constanten des Rades
R, und beriicksichtigen ferner, dass dieses Rad in demselben Sinne wie die Hauptwelle sich
dreht, so wird an die Rader D und DT eine Tourenzahl iibertragen (vgl. Bd. I pag. 348 unten)
von f ~ n — 2 m., welche auf dem beschriebenen Wege nach den Spulen transportirt wird.
Die Umdrehungszahl derselben ist demnach, wenn das gesammte constante Uebersetzungsver-
haltniss vom Rade D aus mit G bezeichnet wird, s ~ C f ZZ C. (n — 2 m). Die veranderliche
Umdrehungszahl m des Umlaufrades R ist aber abhangig von dem veranderlichen Expander-
Durchmesser g und ausserdem bedingt durch das Uebersetzungs-Verhaltniss von der treibenden
Scheibe S0 an bis zu diesem Rade. Bezeichnen wir den constanten Theil dieses Uebersetzungs-
Cl f 2CX\
Verhaltnisses mit CJ, so ist also m ~ — und daher auch s ~ C I n — 1.
Fiir das regelrechte Aufwinden des Vorgarnes war aber die allgemeine Bedingungs-
L
gleichung fiir die Umdrehungszahl der Spulen s gefunden worden : s ZZ S — — ; damit nun
der Mechanismus diese Bedingung erfullt, miissen beide Werthe stets einander gleich sein,
2 C1 C L
also C n — — S — — . In der Ausfiihrung sind nun stets die Uebersetzungen so
2 Cn C L r 2 C C >w
gewahlt, dass C n ~ S ist, alsdann tolgt aber : — — oder fj ZZ I f 1 u,
2 C1 C
oder wenn man die Constanten : j ~ A setzt, so ist stets g zz A u, d. h. aber :
Der jeweilige Expander-Durchmesser ist direct proportional dem Umfange u, also auch
dem Durchmesser der Spulen und muss bei jeder vollendeten Wickelung um eine constante
Grosse zunehmen, was wiederum bei geraden Expander-Arrnen nur dadurch geschehen kann,
dass derselbe stets um dasselbe Stuck gleichmassig zusammen geschoben wird. Dieser Me-
chanismus erfullt also ebenso vollstandig die Aufwindebedingungen, wie der in Bd. I pag. 350
beschriebene, und ist besonders durch seine leichte Zugangliehkeit und Verstellbarkeit sehr
beliebt. —
Die Maschiue hat einen sehr geringen Kraftbedarf. Die stiindlichen Ein-
zugslangen schwanken etwa zwischen 45 bis 126 Yards, die Lieferungslangen
zwiscben 950 bis 1800 Yards. Man baut jetzt die Maschinen bis 80 Spindeln,
vertbeilt in 10 Kopfen. — Die weiteren Details ergeben sich aus der folgenden
tabellarisehen Zusammenstellung.
Diese Zusammenstellung gibt die fiir verschiedene Garnnummern angewendeten
Mascbinensortimente, deren Hauptdimensionen, die Spindelgescbwindigkeiten der
Spindelbanke und die Anzahl der Feinspindeln, welche eine Vorspindel zu versorgen
vermag.
Der ungefahre Kraftbedarf der einzelnen Maschinen fiir mittlere Garnnum-
mern betragt nach Prof. Hartig:
Fiir eine Anlegemaschine pro Band 0.17 Pferdekraft; fiir eine erste Streck-
maschine pro Kopf 0.29 Pf. und pro Band 0.026—0.096 Pf. ; fiir eine zweite
Streckmaschine pro Kopf 0.25 Pf. und pro Band 0.022—0.069 Pf.: fur eine
Spindelbank pro Spindel: 0.023—0.038 Pf.
Flachsspinnerei.
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Anlegemaschine
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Spindelbank
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Erste Strecke
Zweite Strecke
Spindelbank
Anlegemascbine
Erste Strecke
Zweite Strecke
Spindelbank
Anlegemascbine
Erste Strecke
Zweite Strecke
Spindelbank
Anlegemascbine
Erste Strecke
Zweite Strecke
Spindelbank
Anlegemascbine
Erste Strecke
|5 |c||^ z^^^
552 Flachsspinnerei (Feinspinnen).
Der mittlere auf den Umfang der Streckwalzen reducirte Widerstand in
Kilogr. ist etwa: Bei der Anle^e 31.4, bei dem ersten .Flachsdurchzug 15.3, beim
zweiten Flachsdurchzug 9.87, bei der Spindelbank 7.81.
Bezeichnet man daher nach Dr. Hartig mit D den Durchmesser der
Streckwalzen in Meter; mit U die Umdrehungen desselben pro Minute; n Anzahl
der Bander der Spindeln ; p obigen Widerstand auf den Umfang der Streckwalzen
bezogen; / Coefficient fur die normalen Stillstande der Maschine; N Betriebskraft
der Maschine in Pferdestarken ; so ist fur sammtliche Maschinen:
4) Das Feinspinnen auf der Feinspinnmaschine. Das Vorgarn wird
bis zu einer dem Feingarne entsprechenden Feinheit ausgezogen, der gestreckte
Faden, urn ihm Zusammenhang, Festigkeit, zu geben, geniigend gedreht und
schliesslich auf Spulen aufgewunden. Die Feinspinnmaschinen sind stets
nach dem Systeme der Water- oder Drossel-Maschinen, bei welchem diese drei
Verrichtungen in ununterbrochener Folge geschehen, gebaut (s. Baumwollenspinnerei
pag. 352). Die Maschinen haben demnach ein Streckwerk zum Verziehen des
Vorgarnes, dann Spindeln mit Fliigeln und Spulen zum Drehen des gestreckten
Fadens und unmittelbarem Aufwinden des so gebildeten Feiugarnes.
Das Streckwerk erhalt aber bei diesen Maschinen eine verschiedene Anord-
nung, je nachdem das Vorgarn trocken, oder unter Anfeuchtung mittels kalten
Wassers (halbnass) oder endlich unter Anwendung von heissem Wasser (nass)
versponnen wird, und kann man dem entsprechend unterscheiden : Trocken-,
Halbnass- und Nass-Feinspinnmaschinen.
Die Trockenspinnmaschine {metier a filer a sec — dry spinning
frame, long reach spinning frame) hat eine der durchsclmittlichen Faserlange
des Flachses im Vorgarn entsprechende Distanz im Streckwerk von 18 bis 22
Zoll engl. zz 0.457 bis 0.558 Meter. Da nun der Vorgarnfaden bereits etwas
gedreht ist, so kann eine Unterstiitzung desselben zvvischen Einzieh- und Streck-
walzen durch ein Hechelsystem wie bei den Vorbereitungsmaschinen nicht statt-
finden, sondern es geniigt, denselben liber eine glatte Rhine aus Weissblech,
oder zwischen einigen Walzenpaaren oder um einzelne Walzen herum und uber eine
verstellbare Platte bis zu den Streckwalzen zu fiihren. Es sind bei diesen Ma-
schinen entweder drei Einziehwalzen wie bei den Streckmaschinen oder, was ge-
wohnlicher ist, nur zwei eiserne stark geriffelte vorhanden, von denen entweder
die vorderen oder hinteren die Druckwalzen sind. Die Druckwalzen der Streck-
cylinder werden gewohnlich aus Holz hergestellt.
Eine Trockenspinnmaschine zeigt die Fig. 1668 im Querschnitt. Die Ma-
schine ist zweiseitig, wahrend die Figur nur die eine Halfte und die wichtigsten
arbeitenden Theile vorfuhrt.
Auf einem Rahmen, im pbersten Theile der Maschine, sind neben einander
tiber diinnere Drahtstifte die Vo^spinnspulen A aufgesteckt, von welchen die Fa'den
durch Oeffnungen der Fiihrung /t hindurch nach den Einziehwalzen py p„ gelangen.
Die Walze pt ist durchgehend, auf ihrer ganzen Lange mehrmals gelagert und
empfangt zugleich die Bewegung. Die hinteren Walzen sind DruckTvalzen und
sitzen zu je zwei auf einer gemeinschaftlichen Achse, die, an den Enden in
Standern gefiihrt, in der Mitte belastet ist. Beide Walzen sind aus Eisen und
geriffelt. Die Lauftlachen sind breiter als der Kern dick , und zwar etwa
3/4 bis iy4 Zoll engl. = 19mm bis 31.74mm. — Damit nun der Vorgarn-
faden nicht stets an ein und derselben Stelle diese Walzen passirt, ist die Fiih-
rung lt entweder verstellbar, oder erhalt mittels Schnecke, Schneckenrad und einer
mit letzterem excentrisch verbur.denen Schubstange eine selbstthatige, ganz langsam
in der Langenrichtung bin und her gehende Bewegung, so dass die Vorgarnfaden
alsdann allmalig die gauze Breite der Einzugswalzen entlang und wieder zuriick
Flachsspinnerei (Feinspinnen).
>53
gefiihrt werden, wodurch eine gleichmassige Abnutzung derselben auf der ganzen
Breite erreicht und ein Einlaufen an einer Stelle vermieden wird.
Bei Anwendung von drei Einzieliwalzen sind zwei derselben n. z. die
ausseren beiden glatte, durchgehende, angetriebene Cylinder, wahrend die dritte
zwischen liegende aus kiirzeren, nur durcb Reibung mitgenommenen Enden besteht.
Diese Construction ist aber veraltet und wird jetzt nicht mehr ausgefiihrt.
Die weitere Fiihrung des Vor-
Fig. 1668.
garnfadens nacb den Streckwalzen
C0 Ox findet bei vorliegender Ma-
schine zunachst tiber den Cylinder
d0 und dann unterhalb dx tiber
die Fiibrungsplatte g hinweg statt.
Die beiden Cylinder d0 und dl er-
balten ebenfalls Drebung. Die Platte
g {guild plate) ist stellbar, urn den
Faden eine grossere oder gerin-
gere Beriihrungsflache zu bieten,
wodurch das Aufdrehen derselben
auf geringere oder grossere Lange
begrenzt und der hiervon abhan-
gende Zusamnienhang der Fasern
geandert werden kann.
Die ausseren Streckwalzen sind
gusseiserne, an der Oberflache ganz
schwach eingerissene , etwa ,;{/16
Zoll engl. = 20.5mm breite Cylin-
der, die sammtlich auf einer durch-
gehenden und angetriebenen Welle
befestigt sind. Die Druckwalzen
sind aus hartem Holz bergestellt,
und sitzen zu je zwei auf einer ge-
meinschaftlicben Achse, die, an den
Enden in besonderen Standern ge-
fiihrt, in der Mitte entweder durcb
Federn oder mittels Gewlcht und
Winkelbebel belastet ist. Zwischen
der Platte g und den Streckwalzen
wird jeder Faden tiber ein seitlich
aufgebogenes Leitblech gefiihrt, wel-
ches an den Druckwalzen Ct Fiihrung
hat, urn einem Verlaufen des Fadens
vorzubeugen, und sicher zu erreichen,
dass derselbe stets vollstandig von
den Streckwalzen gefasst wird. Die
Streckwalzen liefern dann den genii-
gend fein ausgezogenen Faden, nach-
dem derselbe durch die Augen des
Fithrungsbrettes l^ gegangen ist, nach den Fliigeln /, die rait den Spindeln jS
bewegt werden, zu den Spulen e. Durch die Bewegung der Spindeln und Fliigel
erhalt der Faden die nothige Drebung, und zwar ist dieselbe pro Langeneinheit
D z=z —=- wo S die Umdrehungen der Spindeln in der Minute und L die in der-
selben Zeit von den Sireckwalzen gelieferte Fadenlange bedeuten. Die Spindeln
mit Spulen und Fliigeln stehen in der Langenrichtung der Maschine dieht neben
einander, soweit es die Dimensionen der Fliigel gestatten, und nennt man die
Entfernung je zweier derselben die Theilung (pas, denture — pitch) der Maschine.
Trockenspiimmaschine.
554 Flachsspinnerei.
Das Aufwinden des gesponnenen Games findet stets nach Massgabe des Zuruck-
bleibens der Spule gegen die Spindel statt. Die Spulen erhalten keine besondere
Bewegung, sondern werden durch die Spannung des Fadens allein mitgenommen.
Das Zuriickbleiben derselben wird regulirt durch vermehrte oder verminderte
Reibung, hervorgebracht durch beschwerte Bremsschniire r, welche mehr oder weniger
um den eingedrehten Fuss der Spule herumgelegt und durch zahnartige Ein-
kerbimgen der Spulenbank festgehalten werden. Sammtliche Spulen ruhen auf
einer Spulenbank b, welche eine auf und nieder gehende Bewegung annimmt und
dadurch das schichtenweise Aufwickeln der Faden auf den Spulen bewirkt.
Die Auf- und Abbewegungsgeschwindigkeit bleibt wahrend der Ftillung der Spulen
dieselbe und ist eine dem mittleren Durchmesser derselben angemessene ; sie
wird, meist von einer Herzscheibe hervorgebracht, durch Hebel und Ketten auf
die Geradfiihrung der Bank itbertragen. Die Bewegung der Spindeln geschieht
von der Trommel T aus durch Schniire, bei schwereren Maschinen durch baum-
wollene Bander auf die Wlirtel w derselben.
Von der Achse 0 dieser aus Weissblech gefertigten Trommel aus, welche
durch Riemscheiben angetrieben wird, geht die Bewegung unter Zwischenschaltung
eines Uebersetzungsrades und Drehungsweehselrades auf den Streckcylinder C0
iiber, von diesem alsdann — auf der anderen Seite der Maschine — aufwarts
nach den Walzen d0 dt und die Einzugswalze ■p1 unter Einfiigung des Verzugs-
wechselrades.
Die Maschinen werden je nach den Garnnunimern, welche auf ihnen ge-
sponnen werden sollen, etwas verschieden gebaut. *)
Die Halbnassfein spin n maschine weicht nur wenig von der beschrie-
benen Maschine ab. Die Distanz des Streckwerkes ist auch hier, wie bei der
vorigen, mit der Lange der Fasern iibereiustimmend ; es findet aber auf dem Wege
zwischen Einzieh- und Streckwalzen oder zwischen den Streckwalzen selbst, ein
Anfeuchten cles Vorgarnfadens mittels kalten Wassers statt, wodurch ein glat-
teres, runderes Garn vor schonerem Aussehen erzeugt wird, das sich besonders
zu solchen Geweben eiguet, die roh bleiben sollen. Am haufigsten wird das
Anfeuchten dadurch bewirkt, dass man die, wie in der letzten Figur 1668 ange-
ordneten Streckdruckwalzen Cx in einem Wassertroge sich bewegen lasst, so dass
sie bei ihrer Umdrehung geniigend Wasser mit empornehmen und an den zu
streckenden Faden abgeben. Die Druckwalzen sind in diesem Falle aus Buchs-
baumholz hergestellt, die vorderen Streckcylinder — des Rostens wegen — aus
Messing.
Die Nassfeinspinnmaschine (metier a filer a Vau chaude, ou de
decomposition — hot water spinning, short reach spinning frame). Bei diesen
Maschinen wird der Vorgarnfaden, ehe er zu den Einzugswalzen gelangt, durch
heisses Wasser gezogen. Wir erwahnten im Artikel Flachs pag. 529 einer eigen-
thumlichen Beschaffenheit und Eigenschaft der Flachsfaser, namlich dass dieselbe
aus kurzeren Elementarzellen besteht, welche unter einander durch ein klebriges
Bindemittel zusammengehalten werden, welches durch Chromsaure oder Kalilauge
ganzlich gelost, durch heisses Wasser aber so weit erweicht werden kann, dass
ein Auseinanderziehen derselben — ohne Abreissen der Fasern — mbglich
ist. Nachdem daher bei dem Spinnen mittels heissen Wassers die Vorgarnfaden
dasselbe passirt haben, gelangen sie zu einem Streckwerk, das eine nur der Lange
der Elementarzellen entsprechende Distanz von 2 bis 4 Zoll engl. zzz 50.8 bis
101mm hat, so dass das Auseinanderziehen dieser erfolgen muss. Die Prioritat
dieser Idee, welche es erst ermbglichte Flachsgarn hbherer Nummern (grosserer
Feinheit) maschinenmassig zu spinnen, gebiihrt Philipp de Girard, wie pag. 530
erwahnt wurde.
*) Die Redaction sail sich zu ihrem Bedauern durch den besclirankten Raum nicht nur
zur Weglassung der diesbezuglichen Tabellen. sondern iiberhaupt zu ganz bedeutenden
Kiirzungen dieses sehr eingehend bearbeiteten Artikels gezwungen. Kk.
Flachsspinnerei (Feinspinnen). 555
Auf trockenem oder halbnassem Wege vermag man aus groben Flacbsen
Garn Nr. 1 bis 8 zu Sack- und Packleincu, aus feineren Flacbsen Garn Nr. 1 0
bis 30 zu erzeugen ; bei Anwendung von heissem Wasscr spinnt man Flachsgarn
von Nr. 20 bis Nr. 300, docb sind die hoheren Numraern nur fiir bestimmte
Zwecke, z. B. zur Herstellung von Zwirnen und zu Garnen fur die Spitzenfabri-
kation etc. gebrauchlich. Auf dem Continente, wenigstens in osterreichischen und
deutscben Spinnereien, werden meist nur Game bis Nr. 130 gesponncn. Die
feinsten Game aus gescbnittenem Flachs (cut line) werden fast ausnabmslos in den
irlandiscben Spinnereien und zwar in schonster Vollendung hergestellt, und gelingt
es den deutschen und osterreichischen Spinnern nicht, mit Vortheil in diesen
Nummern zu concurriren.
Das Trocken- nnd Halbnassspinnen des Flachses kommt jetzt nur noch wenig
zur Ausfiihrung, und sind die Game in den Nummern 1 bis 8 durch die billi-
geren, schoneren, aber schwacheren, aus Jute gesponnen, in weiterer Ausdehnung bereits
verdrangt worden.
Das Nassfeinspinnen ist daher tiberwiegend im Gebrauch. Die hierdurch
mogliche vortheilhaftere Ausnutzung des Flachses stellt sich etwa so, dass Flachs
trocken zu Garn Nr. 25, beim Spinnen mittels heissen Wassers zu Nr. 40
verarbeitet werden kann.
Eine Nassfeinspinnmaschine zeigt die folgende Fig. 1669 im Querschnitt.
Die Maschinen werden stets doppelseitig, also mit 2 Reihen Spindeln gebaut und
geschieht der Antrieb auf eine beiden Seiten gemeinsame Riemscheibe auf der
Trommelachse 0. Durch Ausriicken des Riemens kommen daher beide Seiten
gleichzeitig zum Stillstande. Die Vorspinnspulen A sind in 2 Etagen im Spulen-
gestell (2 storys in Creel) angeordnet (die obere ist in der Figur weggelassen)
und gehen die Vorgarnfaden zunachst tiber die Stabe v v in den Trog _D, der
zum grossten Theil mit Wasser gefiillt ist, welches durch das Dampfrohr k auf
einer bestimmten Temperatur (von 50° bis 70° R.) gehalten wird. Durch die
Fiihrungen I l0 in diesem Wasser moglichst lange gefiihrt, treten die Faden iiber
die vordere abgerundete, mit Messingblech bekleidete Kante des Troges zwischen
die Einschnitte der Fiihrungsleiste ll} welche dieselbe Hin- und Herbewegung an-
nimmt, wie bei den Trockenspinnstuhlen erwahnt wurde; gelangen dann zu den
Einzugswalzen p1 p„ und von diesen direct zwischen die Streckwalzen C0 Ct.
Es sind hier stets die vorderen Walzen die Druckwalzen, und es wird je
ein Einzugs- und Streckdruckwalzenpaar durch einen gemeinschaftlichen, in ver-
schiedener Weise construirten Sattel mit Hilfe von Zugstange und Gewichtshebel,
auf die unteren Walzen gedritckt. Die vorderen und hinteren Einziehwalzen,
sowie die hinteren Streckwalzen sind stets aus Messing und zwar um einen
Eisencylinder herumgegossen. Die Streckdruckwalzen werden entweder aus Buchs-
baumholz, Gutapercha oder aus verschiedenen Compositionen hergestellt und sind
zu je 2 auf einer Achse festgeschraubt.
Alle Walzen sind stark und rund geriffelt, um einem Gleiten der Faden zwischen den
Cylindern vorzubeugen. Zur Berechnung der Umfaugsgeschwindigkeit ist es aus diesem
Grunde nothig, den Umfang der Walzen durch Probiren zu ermitteln, da man denselben durch
Rechnung auf gewohnliche Weise wegen der Eifflung nicht finden kann. Man lasst deshalb
sovvohl zwischen den Einzugs- wie Streckwalzen einen geniigend langen Papierstreifen hin-
durchgehen, nachdem man vorher einen Eiffel der Unterwalzen mit Farbe bestrichen hat. Ist
der Papierstreifen von den Walzen abgeliefert, so wird er ausgestrichen, gegliittet, und es gibt
dann die Lange zwischen je zwei Abdriicken des gefarbten Eiffels den Umfang der Walzen
an. Zum Messen des Umfanges der Einzugswalzen, zwischen denen der dicke Vorgarnfaden
hindurchgeht, muss man einen starkeren, mehrmals zusammengefalteten Papierstreifen, der
einigermassen mit der Dicke desselben iibereinstimmt, anwenden, um die wirklich abgewickelte
Lange zu erhalten. Bei den Streckwalzen ist diese Vorsicht nicht nothig, da der Faden durch
die Streckung hier bereits sebr diinn geworden ist. Den Umfang der Walzen, wenn der
aussere Durchmesser derselben (iiber die Eiffeln gemessen) gegeben ist, findet man aunahernd
556 Flachsspinnerei.
(lurch Rechnung, wenn derselbe mit 3 '44 multiplieirt wird. (Es ergab eine Messung bei den
Durchmessern von 21/2, l3/4i lV'i Zoll engl. beispielsweise die Umfange 8'6, 61 und 5 Zoll,
woraus obige Zahl folgt.)
Die Streckwalzen liefern den gestreckten Faden durch die Oeffnungen des
Fadenfukrers l„ nach den auf Spindeln S sitzenden Flilgeln / und der durch
beschwertes Bremsband r gebremsten Spule e ah, welche Anordnung also mit der
bei den Trockenspinninaschinen erwahnten iibereinstimmt. B0 Bt sind Spritzbleclie
urn das bei der Rotation der Spindeln umliergeschleuderte Wasser aufzufangen,
Fig. 1669.
en fiY^m mi-^
t^Lir
Nassspinnmas chine.
in Rinnen u zu sammeln und seitlich abzuleiten. Die Spindeln S werden von der
Trommel T durch YViirtel w mittels Schnuren (oder Bander) angetrieben. Die
hintercn Streckcylinder erhalten von der Trommelachse 0 aus ihre Bewegung
unter Zwischenschaltung eines Drehungswechselrades fiir beide Seiten der Maschine.
Von dem Streckcylinder aus geht7 auf der anderen Seite der Maschine, die Be-
wegungsubertragung unter Zwischenfiigung des Verzugswechselrades nach oben zu
Flachsspinnerei (Feinspinnen).
557
clem hinteren Einzugscylinder. Die Auf- und Abbewegung der Spulenbank b ist
in vorstehender Figur 1669 etwas naher angegeben. Die von der Trommelachse
ausgehende, durch mehrere Uebersetzungsrader gehorig verlangsamte Bewegung
geht auf die Achse Q iiber, auf der das Herz II befestigt ist; durcb dessen
Drehung die Hebel h h nach beiden Seiten bin immer in entgegengesetzter Rich-
tung bewegt werden. Hebel li pflanzt, wie rechts sichtbar, mittels Kette seine
Drehung an eine Scheibe fort, welche auf der durchgehenden Achse 7 festsitzt
und wodurch diese ihre Drehung bekommt. Auf dieser Achse sitzen in der Lan-
genrichtung der Maschine mehrere andere Scheiben i, an denen Grelenkketten be-
festigt sind, deren untere Enden mit den Fiihrungsstangen m verbunden sind.
Diese Stangen gehen zwischen den Spindeln durcli bis unter die Spulenbank,
die also mit ihren sammtlichen Spulen auf ihnen ruht. Die durch Hebel h her-
vorgebrachte Drehung der Welle q bewirkt ein Emporgehen der Stangen m, eine
Hebung der Bank b, anderseits das Gewicht derselben ein Niedersinken und eine
Rtickdrehung der Welle q und des Hebels li in dem Masse, wie es das Herz
bei seiner zweiten halben Drehung zulasst.
Anstatt dieser Herzbewegung findet man auch haufig eine Mangelrad-Con-
struction angewendet.
Hinsichtlich weiterer Details
weichen nun diese Maschinen eini-
germassen von einander ab , na-
mentlich in Bezug auf die Anord-
nung der Sattel, der Hebungsvor-
richtung, der Spindel und Spulen
u. s. w. Wir konnen an dieser
Stelle hierauf nicht naher eingehen
und erwahnen nur noch folgende,
besonders eigenthiimliche Anord-
nung, indem wir auf einige weitere
in Prechtl's techn. Encyclopadie
III 153 beschriebene verweisen.
Nassfeinspinnmaschine von John
Wood in Leeds, welche in der neben-
stehenden Figur 1670 im Querschnitt
abgebildet ist. Die Maschine ist
ebenfalls zweiseitig, jedoch hat jede
Seite zwei Reihen Spindeln, und
zwar liegt die vordere Reihe der-
selben tiefer als die hintere, um
letztere zuganglich zu machen. Jede
Seite der Maschine hat eine be-
sondere Trommel zum Antrieb.
— Durch diese Anordnung ist der
zur Aufstellung einer bestimmten
Spindelzahl nothige Raum sehr
Maschinen bei uns gar nicht Eingang
Wood's Nassspinnmaschine.
Trotzdem haben diese
vermindert.
gefunden.
Es eriibrigt zunachst noch eiuige Worte iiber die Temperatur des "Wassers zn sagen,
durcli welches das Vorgarn gezogen wird, ehe es zu den Einziehwalzen gelangt. Wir sagten
diese Temperatur liege etwa zwischen 50 und 70° R. und ist die AVahl derselben abliangig-
von der Beschaffenheit des Flachses und dem Grade der Drehung des Vorgarnes. Die niederste
Temperatur hat man bei schwachen, wenig haltbaren Rasenflachsen und lose gedrebtem Vor-
garn, die hochste Temperatur bei festen, kernigen Wasserflacbsen und scbarfer gedrebtem
Vorgarn anzuwenden. Ist z. B. die Temperatur fur einen bestimmten Fall zu hoch, so wird
die Erzeugung eines gleichmassig dicken Games, wenn auch das Vorgarn gut ist. haufig nicht
5*58 Flachsspinnerei (Wergspinnerei).
gelingen, da die zu weit gehende Enveiebung des Bindemittels der Elementarzellen die Halt-
barkeit des "V orgarnfadens so weit beeintracbtigen kauri, dass derselbe die ReibuDgswiderstande
von den Spulen bis zu den Einziebwalzen nicht auszuhalten vermag, sondern sich auf diesera
Wege entweder bereits ungleich streckt, oder ganz auseinander gebt. 1st anderseits die
Wassertemperatur fiir ein bestimmtes Vorgarn zu niedrig, so iindet die Erweichung des Binde-
mittels nicbt geniigend statt; die Streckwalzen sind nicbt im Stande das Auszieben des Vor-
garns ricbtig auszufiihren; es tritt ein unegaler Verzug auf, oder das Vorgarn geht. ohne
iiberbaupt gestreckt zu sein, durch die Walzen. Es ist desbalb Sacbe der Erfabrung, die
ricbtige Temperatur fiir ein bestimmtes Vorgarn zu treffen, und sind die angegebenen Tem-
peraturen etwa als Grenzwerthe anzusehen.
Alle Art en Flachsfeinspinnmaschinen werden je nacli den Garnnumniern,
welche auf ihnen gesponnen werden sollen, verschieden in der Distanz und der
Theilung (reach u. pitch), sowie in den hiervon abhangenden Riffelungen der
Walzen, Walzendurchmessern, Gescbwindigkeiten der Spindeln u. s. w. ausgefiihrt.
Ueberden Kraftbedarf der Trockenspinnmaschinen liegen zuverlassige Resultate
nicbt vor.
Fiir eine Nassfemspinnrnasckine zu den G-arnnummern 25 — 40 betragt die
Betriebskraft nacb Prof. Hartig pro Spindel 0.012—0.027 Pf. der mittlere auf
den Umfang der Streckwalzen reducirte Widerstand in Kilogr. 10.8, and es gilt
zur Berecbnung der gesammten Betriebskraft einer Mascbine dieselbe Formel,
welcbe bei den Vorbereitungsmaschinen gegeben wurde.
Die auf das Feinspinnen folgenden Arbeiten stimmen mit denen in der
Wergspinnerei iiberein und finden dort ibre Besprecbung.
Die Werg- oder Heede-Spinnerei umfasst die Verarbeitung der beim
Hecheln des Flacbses ausgekamniten kiirzeren, verworrenen und vielfach ver-
schlungen, durcheinander liegenden Leinenfasern, die mebr oder weniger rnit Schaben
und Staubtbeilen verunreinigt sind, und wird das aus demselben erzeugte Garn
— im Gegensatz zum Flacbsgarn — Werg-, Heede- (Tow) Garn genannt.
Die Verarbeitung der Leinenfaser in diesem Zustande beginnt zunacbst mit
einem Reinigungs- und Auflockerungs-Processe und der Bildung von Bandera aus
den losen Fasern. Dieser Process kann je nach dem Grade der Verunreinigung des
Materials in verscbiedener Weise ausgefubrt werden.
Bei sehr knotiger und stark verunreinigter Heede wird zunacbst ein Vor-
reinigen, ein Ausschiitteln und alsdann ein ein- oder zweimaliges Kardiren oder
Krempeln vorgenommen, wabrend bei besserem Material nur ein einmaliges Kar-
diren notbwendig ist.
Abweicbend biervon ist die Verarbeituug der Heede durcb einen Kammprocess
mittels Heilman'scber Kammmascbinen (man vergleicbe spater Kammgarnspinnerei),
wodurcb dasselbe zu feineren Nummern und zu einem dem Flacbsgarne in Bezug
auf Gleicbmassigkeit vbllig gleichwertbigen Game gesponnen werden kann. Dieser
Metbode stebt bis jetzt nocb die geringe Productionsfabigkeit der Kammmaschinen
entgegen, wodurcb eine erbeblicbe Vertheuerung des Productes entstebt. Desbalb
geben wir auf diese immer nocb im Versuchsstadium befindlicbe Verarbeitung
nicbt naber ein, sondern besprecben nur die zuerst erwabnte und bis jetzt allge-
mein gebraucblicbe Metbode.
Die V o r r e i n i g u n g, der Schiittelproeess der stark verunreinigten
Heeden. Die zur Ausfiibrung dieser Arbeit bestimmten Mascbinen sind meist
Scblagmascbinen und abnlicb construirt wie die in der Banmwollenspinnerei zu
diesem Zwecke angewendeten. Die koniscben Scblagwolfe (I pag. 323) eignen sich
ganz besonders gut zur Auflockerung und Reinigung der Heeden und finden des-
balb vielfach Verwendung, wabrend durch andere Mascbinen, wie beispielsweise
durch die mit dem Oefrhen fiir Baumwolle von Taylor, Lang & Co. iiberein-
stimmend construirte Schlagmaschine von M. Frenzel in Cbemnitz, die Heeden
stark angegriften und die Fasern unnbtbig verkiirzt werden. Abweicbend von
Flachsspinnerei.
559
diesen Maschinen ist die Rack'sche Patent-Sehiittel- und Auflockerungsmaschine
(Victor Rack & Co. in Zittau), die sich ganz besonders gut fiir kurze Heeden
und Heeden-Abfalle eignet. Diese Maschine ist in y24 nat. Grosse in folgender Fig.
1671 im Langenschnitt abgebildet.
Sie bestekt aus einer Eeilie von Nadellatten, die an den Enden auf je einem endlosen
Riemen befestigt sind, der sich mit aufgenieteten Vorspriingen in die zahnartigen Aussparungen
der Walzen $,, S2, S3 einlegt. Walze ST ist die Betriebswalze, S2 und S3 dienen zur Fuhrung
und Sa zugleich zur Spannung des Riemens. Auf ihretn Wege von Walze S2 nach St linden
die Latten durch Fiihrungen / Unterstiitzung, so dass ein System horizontal fortschreitender
Nadelreihen entsteht. Durch die Zwischenraume je zweier Nadeln einer Reihe schlagen etwas
starkere in einer Reihe stehende Stabe o, bis o61 die in holzernen, auf beiden Seiten im Gestell
mit eisernen Zapfen drehbar gelagerten Achsen befestigt sind. In der Breitenrichtung der
Maschine sind 25 Nadeln auf jeder Leiste und 24 Schlagstabe in jeder Reihe vorhanden. Die
hin und her schwingende Bewegung derselben geht von der Achse der Walze S2 ausundwird
durch Kurbel und Schubstange an den auf der Achse der Stabreihe o, sitzenden Schlitzhebel
und von da durch zwei Kupplungsstangen auf die Schlitzhebel der auderen Stabreihenachsen
Fig. 1671.
Rack's Schiittel- und Auflockeruna'smaschine.
iibertragen. Diese Anordnung erlaubt den Ausschlag der Stabe zu andern. — In der gezeich-
neten Verbindung nimmt der Ausschlag der Stabe von Reihe o6 bis o3 hin ab und von da
bis o, wieder zu. Die Zufiihrung des Materials geschieht durch Auflegen auf das endlose
Tuch T. Die ausgeschiittelten Schaben- und Schmutztheilchen fallen zwischen den Latten
hindurch in den Kasten K, wahrend die gereinigto Heede unterhalb der Walze s, aus den
Nadeln herab auf Tuch Tx fallt und von diesem fortgefiihrt wird. Der Antrieb der einzelnen
Theile geht aus der Figur hervor. Die Geschwindigkeit des Hecheltuches ist 30 Meter in
der Minute.
Der K rem pel- oder Kardi rungs pro cess. Derselbe wird durch
Karden oder Krempel {card — card) bewirkt, welche ahnlich wie die Bauin-
wollenkrempel; aber stets Circular-Roller Karden, d. h. auf deni ganzen Unifange
cler Haupttrommel mit Rollers umgeben sind. (Vergl. Baumwollsp. I pag. 334.")
Die Aufgabe des Krempelprocesses ist zunachst die Entwirrung, Aufloekerung und
Zertheilung der Fasern, die Abscheidung der Schaben- und Schmutztheilchen und
der ganz kurzen Fasern, die das zu erzeugende Garn rauh und knotig machen
560 Flachsspinnerei.
wiirden, alsdann aber die gleichmassige Vertheilung und Ordnung der im Roh-
materiale vollstandig win* und regellos durch einander liegenden Fasern, so dass
sie in dem gebildeten Bande vorwiegend nacli der Langenrichtung desselben zn
angeordnet und ganz quer liegende Fasern nicht vorhanden sind. Je vollstandiger
diesen Bedingungen genitgt ist; desto bessere Resultate ergibt der folgende Streck-
und Doublirprocess.
Den Krempelprocess pflegte man friiher meist zweimal, auf der Vorkarde
(carde briseuse — breaking card) und der Feinkarde (card finisseuse — finis-
hing card) vorzunehmen, begniigt sich aber neuerdings fast stets mit einem ein-
maligen Kardiren, indem man der Karde weniger Material in derselben Zeit zur
Verarbeitung ubergibt.
Die Vorkarde unterscheidet sich von der Feinkarde meist nur durch minder feine Be-
schlage und weitere Stellung der Walzen. Haufig fehlt der Feinkarde der Zufuhrungstisch,
indem die Bander der Vorkarde auf Holzwalzen zu Wickeln {laps) mittels der Wickelmaschine
gewunden werden, von denen stets drei neben einander in Gestellen eingelegt der Karde vor-
gesetzt werden. Ebenso haufig aber setzt man die Kannen der Vorkarde, wenn zweimal
kardirt werden soil, der Feinkarde vor, die dann einen eben solchen Zufuhrungstisch wie
erstere hat. Die Wickelmasckinen sind ubereinstimmend mit denen in der Jute-Spinnerei
gebrauchten construirt und sollen daselbst naher besprochen werden.
Eine Karde mit Zufuhrungstisch ist in der folgenden Figur 1672
in Y24 naturlicher Grosse dargestellt.
Sie besteht aus einer Trommel T von 1.52m (5 Fuss engl.) Durchmesser
und 1.82m(6 Fuss engl.) Breite, welcher das auf drei endlosen Tuchern, Tischen
z [tablier — feeding cloth) ausgebreitete Material in dreiAbtheilungen durch die
Speisewalzen el e2 {cylindre fournisseurs — feeding rollters) zugefiihrt wird.
Auf die Speisewalzen folgt eine dicht am Umfange der letzten e2 und der Trommel
sich bewegende Walze W0, Speisewendewalze (debourreur fournisseur — feeding
stripper) genannt, alsdann folgen 7 Paar mit dem Umfange der Trommel und
unter sich in naher Beriihrung befindliche Walzenpaare Wt Ay bis W~ A17 jedes
aus einer Wendewalze W (debourreur — stripper) und einer Arbeitswalze A
(travailleur ■ — worker) bestehend. Auf diese folgen drei grosse Walzen, die
Abnehme- oder Kammwalzen Dx Z)2 Z)3 (peigneurs — doffers).
Die Trommel und sammtliche Walzen sind mit Beschlagen versehen; die
von denen bei den Baumwollkrempeln benutzten insofern abweichen, als die
Hackchen bedeutend starker uud nicht geknickt sind, also kein Knie haben7 son-
dern in schrager ungebrochener Linie aus dem Befestigungsmateriale, meist Leder
oder Holz, heraustreten. Nur die Nadeln der Speisewalzenbeschlage sind haufig
bogenfdrmig gekriimmt. Die Befestigung der Hakchen in den Lederstreifen ist
dieselbe wie Bd. I pag. 3.30 angegeben wurde. Die Trommelbeschlage bestehen neuer-
dings haufig aus ca. 6cin breiten Holzleisten mit schrag eingesetzten einzelnen
Nadeln, die in 3 Abtheilungen neben einander auf dem Trommelumfange fest
geschraubt werden. Die Holzleisten erlauben allerdings keine bedeutende Schrag-
stellung der Nadeln, sind aber haltbarer und leichter zu repariren als die viel
theurern Lederbeschlage. Die erwahnte Beschaffenheit der Beschlage gibt denselben
eine grosse Widerstandsfahigkeit, sie sind starr und nicht wie die Beschlage der
Baumwollenkrempel nachgiebig. Die Wirkung der Beschlage gegen einander ist
aber im Uebrigen ebenso, wie I pag. 331 eingehend erlautert wurde, also ab-
liangig von der gegenseitigen Lage der Nadeln und deren Geschwindigkeiten.
Ebenso ist auch die Wirkung der Arbeiter und Wenderwalzen gleicli der
I pag. 333 besprochenen. Die Walzen _D, Z>2 D3 entsprechen dem Filet der
Baumwollkarde.
Damit die Abnahme der Heede moglichst vollstandig geschelie, steht die
erste Abnehmewalze Dx am weitesten, nimmt daher die grbbsten, langsten, aber
auch unreinsten Fasern von der Trommel ab ; die zweite steht naher und die
dritte am dichtesten, empfjingt also die feinsten und reinsten Fasern.
Flachsspinnerei (Wergkrempel).
5G1
Aus den Nadeln der Abnehmewalzen werden die Fasern iibereinstimmr-nd
mit der in drei Abtbcilungen bewirkten Auflage des Materials durcli die rasch
auf- und niedergebende Bewegung der Kamme kt k„ k.v audi II acker genannt,
(diinne, auf der Unterseite fein gezahnto Stablschienen), ausgekammt, und zwar
in Form von drei fiir sich zusammenbangenden Fliessen, die durch Trichter tt t„t^
zu Bandern zusammengezogen und durcli die Abzugswalzen g0gv g,,'g/, g0" ' g-,"
verdicbtet und weiter geleitet werden. Zur Reinbaltung der Nadeln der Abnebme-
walzen dienen die Burstwalzen B{ B„ Ba. Zu jeder Abnebmewalze geboren 3
Fig. 1072.
Paar Abzugswalzen, die eine Breite von 7.G bis 10.0cm baben und von denen
die unteren g0 auf einer gemeinsaraen Acbse sitzen, wabrend die oberen gl Druck-
walzen sind. Von jeder Abnebmewalze kommen also drei, im Ganzen daher neun
Bander, die man in verscbiedener Weise weiter leitet. Sollen je 3 Bander einer
Abnebmewalze fiir sich bleiben, so dienen die Doublirplatten Px.Pa P:i mit schrag
eingesetzten Zapfen zur seitlichen Ableitung derselben. Man erlialt alsdann ein
grobes, ein mittelfeines und ein feines Band, jedes zu verschieden feinen Garn-
nummern verwendbar. Sebr biiufig aber lasst man, wie in der Figur angegeben,
Kaitnar-sch & Heeren, Techniseb.es Wbrteibucb Bd. 111. q{j
562 Flachsspinnerei (Werg-Strecke)..
die Bander der ersten Abzngswalzen mit den en der zweiten und diese wiederum
mit denen der dritten zusammenlaufen, und erhalt so von den letzteren 3 Bander
mittlerer Feinheit, die wiederum auf der Platte P3 rechtwinklich zu ihrerurspriing-
lichen Riclitung abgeleitet und entweder getrennt, oder zu einem einzi^en Bande
vereinigt, durch seitlich stehende (in der Figur weggeschnitten gedachte) Abzngs-
walzen in Blechkanneh abgeliefert werden.
Uie Geschwindigkeiten der einzelnen Walzen sind vom grossten Einfluss auf
die Art der Arbeit und kcinnen, rait Ausnabme der der Wendewalzen, durch
Wechselrader innerhalb ziemlich weiter Grenzen geandert werden.
Trommeltouren zwischen 140 — 180, gewohnlich 150; die
Umfangsgeschwindigkeit der Trommel nahe 12m
„ Wender 2.7m
„ Arbeiter 7.6— 44.5 mm
„ „ Abnehmewalzen 42.3— 99mm
„ „ Speisewalzen 4 — 12.2mm
Soil das Material mit einmaliger Kardirung geniigend bearbeitet werden,
so darf man auf einer Karde taglich nicht mehr als 200 bis 250 Kilogr. ver-
arbeiten, und kann bei zweimaliger Kardirung bis 350 Kilogr. gehen.
Fur Garn Nr. 8 — 14 hat die Trommel Bclag Nr. 13 oder 14; die spater
zur Wirkung kommenden Arbeiter und Wender sind urn 2 bis 3 Nr. feiner, ebenso
die Abnehmewalzen um 4—5 Nummern. Bei Garn Nr. 16 — 22 sind sammtliche
Belege um 1—2 Nr., bei Nr. 25 — 30 um 2 — 3 Nr. feiner.
Der Kraftbedarf einer Karde schwankt zwischen 1.5 bis 2.5 Pferdekraften.
Abweichend von den erwahnten Krempeln sind die von Dockrey constniirten. Die
Trommel hat den geringen Durchmesser von 0.8 Meter und ist nur von zwei Paar Wende-
und Arbeitswalzen, auf welche 3 Abnehmewalzen folgen, umgeben. Die Zufiihrung des auf
dem Anflegetische ausgebreiteten Materials erfolgt durch eine Muldenspeisewalze. Zwischen
den Arbeitern und Wendern ist je eine gusseiserne, oben abgerundete stellbare Sehiene ange-
ordnet, welche bewirken soil, dass das vom Wender dem Arbeiter abgenommene und iiber
diese hinweggezogene Material sic-h gleichmassiger ablosen und vertheilen soil. Das von der
ersten Abnehmewalze von der Trommel abgenommene und durch einen auf- und niederschwin-
gemlen Kamm von derselben ausgekiimmte Material geht sofort wieder auf eine Muldenspeise-
walze iiber und wird von der Trommel auf s Neue an der Kante der Mulde bearbeltet, worauf
es durch die zwei letzten Abnehmewalzen definitiv abgenommen, aus diesen abgekammt, duich
Trichter zu je drei Bandern zusammengezogen und durch Abzngswalzen verdichtet wird. Die
Bander jeder Abnehmewalze werden durch die Doublirplatte vereinigt und durch zweite Ab-
zngswalzen weggeleitet. Bei einer andern Construction lauft je ein oberes Band mit dem
untern zusammen, und gelangen die drei im Ganzen abgelieferten Bander noch. durch einen
besondern Streckkopf, ehe man sie in Blechkannen anffiingt.
An verschiedenen Stellen der Trommel sind Holzschienen angebracht, um den Einfluss
der Luftstromung auf die Fasern zu mildern.
Diese Karden sind bei uns nur in wenigen Exemplaren zur Anwendung gekommen und
stehen in Bezug auf die Qualitat der geleisteten Arbeit den zuerst beschriebenen bedeutend nach.
Die Kardenbander werden mehrmals doublirt und gestreckt auf zwei oder
drei Streckmaschinen und gehen alsdann auf die Vorspinnmaschine iiber.
Die Wergstreck- und Vorspinnmaschinen sind meist ebenfalls
mit einem aus Hechelstaben bestehenden und durch Schrauben bewegten Hechel-
apparat versehen, sind also im Princip gleich den Flachsmaschinen construirt,
von denen sie nur durch einfachere Bandzufiihrung, direct iiber ein Zufiihrungs-
blech, durch kiirzere Distanz im Streckwerk und leichtere Bauart abweichen.
Ausser dem erwahnten Hechelapparat benutzt man aber auch in der Wergspinnerei
rotirende Hechelstabe, die zusammen einen Cylindermantel bilden und durch deren Nadel Aus- und
Eintritt in die Bander durch excentrische Scheiben annahernd geradlinig bewirkt wird (cir-
cular gills ), oder auch eine rotirende Hechelnadelwalze (rotary gill), die zwischen Einzieh-
Flachsspinnerei (Haspeln etc.). 563
unci Streckwalzen in der Nahe der letzteren gelagcrt 1st. Beide Anordnungen sind weniger
gut als die erstere und werden nur selten angewendet. Die letztere erlaubt einen schnelleren
Gang der Maschinen, also eine grossere Production, und findet deshalb bei Erzeugung solcher
Game, bei denen es besonders auf moglichst billige Herstellung ankommt, Anwendung.
Das Fein spin nen des Wergvorgarnes findet ebenfalls entweder auf* Trocken-j
Halbnass- oder Nassspinnstiihlen statt. Die ersteren haben eine kleinere Distanz
im Streckwerk, etwa 20 bis 25em, es fallen daher die bei den Flachsfeinspinnstiiblcn
dieser Art vorbandenen besonderen Fiibrungen des Vorgarnes weg und sind nur
die friiher erwahnten stellbaren Leitplatten und kurze seitlich begrenzte Bleche
vorhanden, welcbe das Eintreten des Fadens zwiscben den Streckwalzen sichern.
Zur Erzeugung dicker Game aus der Scbwing- und Abfallheede bedient
man sicb haufig eines sogenannten Abfallsystems, bestebend in einer Karde rait
einer Trommel von 1.22™ Durchmesser, bei 1.82m Breite und Streckkopf; dann
folgt eine Streckmascbine mit 3 Kopfen a 6 Bandern und hierauf eine H e c b e 1 s p i n n-
maschine (gillspinning) oder Spindelbankspinnmaschine (roving-gillsp.).
Diese Feinspinnmascbinen werden in beiden Formen bis zu den Garn-
nummern 3 angewendet. Die Hecbelspinnmascbinen besonders zu den grobsten
Nummern bis Nr. iy2 sind bis zu den Streckwalzen ebenso wie eine Vorspinn-
mascbine und von da ab in Bezug auf die Spindeln wie eine Feinspinnmaschine
gebaut, haben also nur eine Reihe Spindeln und gebremste Spulen7 wahrend der
besondere Bewegungsmechanismus derselben fehlt.
Die zweite Art der Feinspinnmaschinen, die haufiger angewendet wird,
ist ebenso wie eine Vorspinnmaschine, also audi mit zwei Reihen Spindeln tmd
gemeinsam bewegten Spulen construirt. Die Geschwindigkeit der Spindeln und
die mdglichen Drehungen per Zoll sind nur bedeutend grosser als die bei den
Vorspinnmaschinen.
Bei Anwendung von Hechelspinnmaschinen, fehlt also im System die Vor-
spinnmaschine, und es folgt auf die letzte Streck-, die obige Maschine.
Ueber den Kraftbedarf*) ist zu bemerken, dass ein erster. Wergdurchzug
pro Kopf 0.32, ein zweiter pr. K. 0.25, ein Wergfleier pro Spindel 0.028 und
eine Wergfeinspinnmaschine fiir die Nummern 14—16 pro Spindel 0.028 Pferde-
krafte braucht.
Wird der mittlere Widerstand in Kilogr., reducirt auf den Umfang der
Streckwalzen, mit p bezeichnet, so ist derselbe fiir den ersten Durchzug 18. 17
fiir den zweiten 12.2, fiir den Wergfleier 10.2 und fur die Feinspinnmaschine
zu Nr. 14 — 16 zu 11.9 zu setzen, und alsdann kann dieselbe Form el zur Be-
rechnung der Betriebskraft wie friiher (pag. 552) angegeben benutzt werden.
5) Das Haspeln, Numeriren und Trocknen der nass gespon-
nenen Flachs- und Werggarne, so wie das Pack en derselben.
Das Haspeln der Game findet auf dem Garnhaspel, der Weife, statt. Die
Feinspinnspulen werden direct fiber feste, neben einander auf einem Brett ange-
ordnete diinne Drahtstifte, oder besser (weil leichter drehbar) erst auf Messing-
hulsen und mit diesen dann fiber die Stifte gesteckt. Die Faden verbindet man
mit dem Haspel, bei dessen Drehung sie sich auf dem Umfange aufwinden
(s. Haspel).
Der Haspelumfang ist gewobnlich 2 '/2 Yards =: 90 Zoll engl. — 2.286 m.
120 Faden heissen ein Gebind (led) — 300 Yards; 10 Gebinde geben einen
Strahn = 3000 Yards, 4 Strahn b= 1 Stuck == 12.000 Yards: 5 Stfick =
1 Biindel = 60.000 Yards, 12 Biindel z= 1 Schock = 720.000 Yards und ist
ein Schock — 2 Pack englisch.
Neben dieser Weife sind jedoch in Deutschland und Oesterrcich noch andere
hiervon abweichende im Gebrauch.
*) Siehe Dr. Hartig Versuche ii. d. Kraftbedarf etc. S. 11 u. 12.
36*
564 Flachsspinncrei (Spirmplan).
Die Grarnnumerirtmg, also die Bestimmung der Feinheit cles Fadens, fimlet,
mit Ansnahme von Frankreich, ubereinstimmcnd nacli der englischen Metliode
statt. Hiernach ist die Garnmtmmer die Zahl, welch e die Anzahl der in eineni
engl. Pfunde enthaltenen Gebinde oder leas a 300 Yards angibt. Ein Pfund
Garn von der Nummer N hat demnach eine Lange von 300 N Yards. Das
Gewicht G eines Biindels Garn in engl. Pfunden ist daher
_ 60.000 _ 200
~~ 300~^ ~~ N
90*72 90
G — ~jj — oder abgerundet G — '— in Kilogr.
(s. Garnnumerirung).
Die Aufstellimg des Spinnplanes ist jene Anordnung der Vorziige und
Donblirungen anf den einzelnen Maschinen, welche aus einer bestimmten Menge
Rohmaterial (Flachs oder Heede) ein Garn von gewiinschter Nnmmer liefert.
Der Spinnplan ist eingehend besprochen in der Spinnereirnechanik von C. H. Schmidt
nnd der Flachsspinnerei von Dr. Hiilse, weshalb wir uns hier mit einigen Andeutungen be-
gniigen konnen. Yerfolgen wir die Art nnd YYeise der Verarbeitung des Flachses, So wird
zumichst die Grosse des Auflagegewichtes anf der Anlegemaschine, d. li. die auf die Langen-
einheit des Znfiihrungstisches derselben ausgebreitete Flachsmenge, so gewablt, dass die dnrch
den Klingelapparat angezeigte Bandliingo k (gewohnlich 500 Yards) ein durchschnittliehes
Gewicht g besitzt, dessen Grosse innerhalb gewisser erfahrnngsgemass bestimmten Grenzen
schwankt. Die durch ungleichmassige Auflage hervorgernfenen Differenzen im Gewichte der
einzelnen Klingellangen Band gleieht man nun dadurch ans, dass man dt, je eine voile
Klingellange Band enthaltendc Kannen im Gesammtgewicht von c/, g — P zu sogeriannten
..Ansiitzen" (charges — sets) zusammensetzt, diese vor die erste Streckmaschine bringt, die
Bander i\ mal auf derselben verzieht und sammtliche Bander jeden Ansatzes durch die Baud-
platic wieder zu einem einzigen Bande vereinigt. Hierauf werden d.2 soldier Bander in ihren
Kannen auf dem zweiten Durchzuge vt mal verzogen, wiedeium zu einem Bande zusammen-
gefiihrt, und wiederliolt man dieses Verfahren auf dem dritten Durchzuge mit di Bandern, die
man v3 mal streckt. Gewohnlich werden alsdann der A7orspinnmaschine die Bander einfach,
nohmon wir aber allgemein an d^ facli vorgesetzt, vA mal verzogen, zu Yorgarn zusammen-
gedreht, und dieses dann, nachdem es auf der Feinspinnmaschine v- mal gestreckt wurde, in
Feinp-arn von der Nummer N umgewandelt. Der aus dt Bandern bestehenue Ansatz wird im
k
engl. Pfunde n eine Lange von -jj Yards und das aus demselben erzeugte Feingarn von der Nummer
N eine Lange von oOO N Yards haben. Der Ansatz muss deshalb eine totale Streckung V
erhalten von :
_ 300 X _ 800 X. P
P
welche demselben auf den Maschinen zu ertheilen ist.
Der result irende Yerzug auf den Maschinen ist aber gleich dem Producte aus den ein-
zelnen Yerziigen, dividirt durch das Product ans den einzelnen Donblirungen, also
V — — — r — r — r — " , und es muss daher aus vorigem Grunde sein:
*J "i <*4
.WO. X. P v, f, v3 u4
k — ~~d~di~d.
k v, t\, r. v, v-
worans sich beispielsweise das Ansatzgewicht P berecbnet
300 X. d„ d, ds
Da das Garn in Folge der Contraction durch die Drehung auf der Feinspinnmascliine
an Lange vcrliert. d. h. eben so viel an Gewicht gewinnt, anderseits aber durch den Abgang
an Schaben- und Staubtheilchen leichter wird — die Gewiclitszunahmc aber iiberwiegt, so
rechnet man von dem ermittelten Gewichte einen crfahrungsgemiiss festgestellten Procentsate
Flachsspinnerei (Trocknen). 565
(etwa 8 Proc.) ab, oder vergrcissert den Verzug auf eftier Maschine — gewbbnlicb dor Fein-
spinumasebine — entsprechend) damit diese Gewichtszunabine ausgeglichen wird.
Im Allgemeinen gclit hieraus hervor, dass man in verschiedener Weise doubliren und
verziehen kann und scbliesslich dock zu demselbcn Resiiltate kommt. Die Ghrcnzcn, welche
man bier jedoeh inne zu halten hat, sind einerseits durcb die Grosse der Maschinen — indem
die Anordnnng so zu treffen ist, dass jede folgende Maschinc bei fortwahrendem Betriebe das
Product der vorhergehenden moglichst vollstandig aufarbeitel — anderseits durcb dieBeschaf-
fenheit des Robmaterials bestimmt. Gutcs und kraftiges Matcriiil vertrSgt grossere Verziige
als sebwacheres und kiirzeres, und pflegt man meist auf der Feinspinnmaschine fiir Flachs
keine hohereu Verziige als 9-10, fiir Werg als 6—7, auf den Vorspinnmasckinen und Durch-
ziigen 14 — 16 fiir Flachs und 6 — 8 fiir Werg, auf der Anlegemascbine und der Karde 25 - 30
zu geben, welche auch fiir geringeres Material anwendbar sind. Die Grosse des Ansatzes bei
500 Yards Klingelliinge ist etwa 55 bis 90 Kilogr. fiir Flachs und 30 bis 60 Kilogr. fiir
Werg —
Die Auzahl der Drehungen, welche man dem Feingarne gibt, ist 1) ~ << \ X, wo
bei Kettengarn aus Flachs « ~ 1.8—2 und aus Werg a — 2 — 2.5,
„ Schussgarn „ „ a — 1.6—1.7 „ „ „ a — 1.8—1.9 ist.
Die nass gesponnenen und geliaspelten Game miissen sofort, wie sie von
der Weife komraen, getrocknet werden, urn sie vor dem Verderb.en zu bewahren.
Man wendet zum Trocknen der Garnstrahne an: a) Tro ckenkammern.
b) Tro ekenapparate und c) Trockenmaschinen.
a) Die Tro ckenkammern werden meist in den obersten Etagen und
zwar so angelegt, dass in demselbem Raume zwei durch einen 1.25m breiten
Gang von einander getrennte Kammern entstehen. Die eine Kammer ist dann
mit nassein Game gefiillt und steht unter der Einwirkung erwarmter Luft7 wahrend
die andere von dem bereits getrockneten Game entleert und dann mit neuem,
nassen Game voll gehangen wird. (Vgl. Art. Trocknen.) Bei guter Anlage
kann man mit 200 K. Kohle bis 1000 K. Garn trocknen.
l>) T-ro eke nap par ate. Es haben sicli besonders zwei Apparate, die von
Tb. Calow & Co. in Bielefeld gebaut werden7 in verschiedenen Spinnereien ein-
gefuhrt und bewahrt, und zwar : der Canal-Trockenapparat und der Kasten-Trockeu-
apparat. Beide beditrfen zum Trocknen desselben Garnquantunis bedeutend weniger
Raum als die Kammern. Der Heizapparat besteht in bei den Fallen aus einem
meist aufrecht stehenden , aus Scbmiedeisen hergestellten, oben und unten ge-
schlossenen Cylinder (etwa 1.5 Meter im Durchmesser und 3 Meter liocli), welcher
im Innern circa 500 Stiick durch beide Boden gehende 38mm weite Robren
enthalt. In den Cylinder wird entweder directer Kesseldampf, durch ein Reduc-
tions - Ventil auf bestimmter Spannung gehalten , oder abgeliender Maschinen-
dampf eingefuhrt, der die kleineren Rohren umspielt und daher die in den-
selben circulirende Luft erwarmt, die man direct zum Trocknen der Game
benutzt. Die Bewegung der erwarmten Luft wird stets durch einen Ventilator
beschleunigt.
Der Kanaltrockeii apparat, welcher in der folgenden Figur 1673 im Grundrisa
und Liingenscbnitt in '/I00 nat. Grosse dargestellt ist, besteht aus zwei horizontalen neben
einander angeorclnetcn, feuerfest gemauerten Kanalen A und Z> und ist neben Kanal A nocli
eine offene Bahn C augeordnet. Beide Kanale A und B sind an den Enden mit eiserueu
Schiebern geschlossen und communiciren mit einem Ventilator F, der die Luft ansaugt.
KK sind zwei lleizapparate, wie oben beschrieben, welche mit Kanal B aommuniciren. Das
Aufbangen der Game an Stiiben geschieht ausserhalb der Kanale in der Balm C auf klcine
auf Scbienen beweglicbe Garnwagen. Die Garnwagen gelangen zunachst bei a- in den Kanal
A und rollen in demselben durch das Nacbsehieben neuer Wagen in der Kichtung des Pfeiles
weiter. Aus A werden die Wagen bei b in den Kauai B iiberfiibrt, welcher gehcizt ist und
in welchem sich die Garnwaji'en nacb links beweo'en.
566
Flachsspinnerei (Trocknen).
1st der Betrieb im Gauge, also beide Kanale gefiillt, so wird ein Wagen mit trockenera
Game aus B herausgenommen, die Garnwagen werden naehgescboben und ein neuer mit nassem
Gam in A eingefiilirt. Vor den Enden der Kanale laufen sogenannte Querwagen, welclie die
Ueberfiihrung der Garnwagen von deni einen Kanal zum andern vermitteln. Durch die an-
gefiihrte Bewegung der Game erst in dem ungebeizten und dann in dem geheizten Kanale
wird das Trocknen der Game nnter geringem Kostenaufwande in verhaltnissmassig kurzer
Zeit erreicbt. Die Leistung dieses Apparates ist 2500 bis 3000 Kilogr. Garn per Tag. Man
verwendet aucb je nacb den Umstanden zwei Ventilatoren oder auch nur einen Heizapparat.
Fig. 1673.
Grundriss.
Kanal trockenapparat.
Der Kas ten trockenapparat beansprucht nocb weniger Raum als der vorstebend
bescbriebene und wird deshalb gern bei sehr bescbrankter Raumlichkeit angewendet. Zujedem
Apparat gehort ein Heizcylinder, der unter dem Fussboden des Trockenraumes entweder
stebend oder liegend angeordnet ist. Oberhalb desselben ist ein ca. 1 25 Meter breiter, 1.4
Meter langer und etwa 3 Meter bober bolzemer Kasten aufgestellt, durcb welcben die erwarmte
Luft von dem Heizcylinder von einem im bocbsten Punkte wirkenden Ventilator gefiihrt und
weggeleitet wird. Die feucbten, auf Rahmen aufge.spannten Game gelangen im bocbsten Punkte
von der Vbrderseite in den Kasten in welchem 36 Stiick auf einander zu liegen kommen und
schreitet demnach das Trocknen von oben nach unten zu fort. Die Ralnnen werden in dem
Kasten durcb einen besonderen Mecbanismus gehalten, welcber erlaubt, sobald das Gam des
untersten Rahmens trocken ist, diesen nach der Vorderseite zu berauszunebmen und auf einen
Fabrstubl niederzulegen. Die Production eines solcben Ajjparates ist taglich 1250 Kilogr.
c) Trocken mas chin en. Am bekanntesten und in einigen deutsclien
Spinnereien (z. B. in der Flachsspinnerei von George Stelling, Graber & Co. in
Flachsspinnerei. — Flaehe
»67
Fly. 1674.
Fig. 1675 a. Fig. 1675 b.
Hannover) seit Iangen Jaliren mit bestem Erfolgc angewendet, ist die Cylinder-
Garntrockenmaschine von Mather, Piatt in Manchester, welche auf dem im Art.
Appretnr I pag. 171 besprochenen Principe beruht.
Das Garn wird in sechs Strangen neben einander auf
der Maschine getrocknet, und jeder Strang fasst, je nach
der Starke des Games, 2 bis 6 Sttick, die mit einander
durch bronzene Verbindungsstiicke (Fig. 1674 in '/.io nat-
Grosse) an einander befestigt sind. Ein Madchen hangt
die Strahne mittels dieser Verbindungsstiicke an einander,
ein anderes am entgegengesetzten Ende der Maschine
hakt die Verbindungen wieder aus und legt das getrocknete Garn geordnet nieder.
Das Garn kommt sehr liiibsch blank und glatt aus der Maschine und ist, nachdem
es etwa 40 bis 45 Minuten auf derselben gewesen, vollig getrocknet Man kann
leicht 150 Biindel von Nr. 10 bis 30 pro Tag auf dieser Maschine trocknen.
Das Pack en der Game geschieht entweder auf der Packbank oder mittels
Pressen (s. Art. Garnpressen) und ist die Art der Packung, sowie die Grosse der
gebildeten Taeke sehr verschieden, je nach den Garnnummern und den Produc-
tionsgebieten.
Die Spinnereiabfalle, namentlich jene vom Feinspinnen, sind ein werth-
volles Rohmaterial der Feinpapierfabrikation. E. Pfuhl.
Flachstichel s. Graviren.
Flachzangen (pincettes, bequettes —
plyevs) sind, wie die beistehende Figur zeigt,
Zangen mit schmalem, flachem Maule, welche
sich zum Festhalten diinner Gegenstande, zum
Fassen und Biegen von Draht, Blechstreifen
u. dgl. eignen. Vgl. Art. Zangen.
Flachwerk (couverture a claire vote),
Eindeckung der Dacher mit flachen Ziegeln.
Flackmaschine und Schlagm as chine,
s. Baumwollspinnerei, I pag. 327.
Flader oder Maser, Maserholz (ma-
drure — speckled wood) bezeichnet jene un-
regelmassigen, gefaserten, oft astreichen Schnitt-
hdlzer (namentlich der Fournire), welche aus
knorrigen, verkriippelten Stammen und Wurzeln
erhalten werden , und ihres hiibschen Aus-
sehens wegen fiir Tischlerarbeiten geschatzt
sind. Kk.
Flache (besoche — pickaxe with two flat feathers), ein Steinmetzwerkzeug
zum Ebnen von Flachen, s. Stein bearb eitung.
Flache {surface — surface) als Raumgebilde, der Ort einer gesetzmassig
bewegten Linie, welche Avahrend der Bewegung wohl auch ilire Gestalt continuirlich
andern kann, oder auch der Ort von Punkten im Raume, welche einer gewissen
Forderung Geniige leisten. Den Eintheilungsgrund fiir die Flachen gibt ilire Ent-
stehungsvveise, vom analytischen Standpunkte die Natur der sie darstellenden
Gleichung.
I. Nach der Entstehung unterscheidet man :
A. Regcl flachen , entstanden durch die Bewegung einer G era den.
Dieselben zerfallen in zwei Gruppen :
_LL
568 Flache.
a. Die entwickelbaren oder developpablen Regel flachen, bei
welclien benachbarte Lagen der erzeugenden Geraden sicli im Endlichen oder
Unendlichen schneiden (in einer Ebene liegen). Dieselben lassen sich ohne
Anfhebung ihfes Zusammenhanges in eine Ebene — die einfachste Flache dieser
Gattnrig — ausbreiten (developpiren). Es gehoren hieber :
a) Die Kegel- nnd Cylinder flachen, bei deren Erzeugung die langs
einer Curve (Leitcurve) gleitende generirende Gerade durch einen festen Punkt
im Endlichen — den Scheitel, — bezw. im Unendlichen — die Richtung —
hindurchgeht; die einfachsten Flachen dieser Art sind die Kreiskegel- und Kreis-
cylinderflache.
/?) Die allgemeine developpable Regelflache, der Ort der Tan-
genten oder die Enveloppe der Schmiegungsebenen einer Raumcurve (s. Curven,
II. Thl. pag. 423) ; bezeichnet man namlich mit Mt , M„, M3, M4 . . . benachbarte Lagen
des eine Raumcurve beschreibenden Punktes, so sind- die Verbindungslinien von
M, M„, il/„ M3, il/jj M4 . . . oder die Geraden t1} tn, t3 . . . Tangenten fur
die Elemente il/, M„, M„ M3, M3 M4 . . . der Curve, die durch zwei auf ein-
ander folgende Tangenten tl und t„, t„ und t$ . . . . bestimmten Ebenen EtfE,,...
Schmiegungsebenen fiir die Elementenpaare M^ M„ nnd M„ J/37 J/2 M3 und
J/;JJ74...; der Ort der Tangenten tt, t„, t3 . . . oder die Enveloppe der Ebenen
Er E„ . . . wird die developpable Flache der Raumcurve und diese selbst die
Riick kehrk a nte der Flache genannt. Wir nennen als Beispiel die develop-
pable Flache der Sehraubenlinie auf dem Kreiscylinder, developpable Schrau-
b en flache oder Helicoid genannt.
Developpable Flachen, deren einhiillende Ebenen El} E»... gegen eine
feste Ebene gleiche Neigung haben, nennt man Flachen von gleichem
Falle. Die Kreiskegelflache und das vorgenannte Helicoid zahlen hieher.
b. Die winds chief en Reg el flachen, bei welchen benachbarte Lagen
der erzeugenden Geraden sich kreuzen (nicht in einer Ebene liegen). Wir
fiihren hievon an :
a) Die windschiefen Regelflachen zweiten Grades: das hyperbolisclie
Paraboloid, welches durch Gleiten einer zu einer festen Richtungsebene pa-
rallel bleibenden Geraden langs zweier sich kreuzender Geraden, und das II y-
perboloid mit einem Mantel, welches durch Gleiten einer Geraden langs
dreier sich kreuzender Geraden entsteht; beide Flachen enthalten zwei Regel-
schaaren, d. h. zwei Systeme von Geraden.
j5Q Die Conoid e, Flachen, welche durch Gleiten einer zu einer festen
Ricli tun gs ebene parallel bleibenden Geraden langs einer Leitcurve (oder
Leitfla'che) und einer Leitgeraden entstehen ; steht letztere zur Richtungsebene
normal, so spricht man von einem geraden Conoid. Wir nennen bier die
gerade Schrauben- oder Wendel flache, deren Leitcurve eine Cylinder-
scliraubenlinie ist; als Leitgerade dient die Achse derselben und die Richtungs-
ebene ist zu dieser normal. Die Flache tritt beim Steinschnitt schiefer Tonnen-
gewolbe auf.
v) Die scharfe Schr aubenflach e, welche entsteht, indem eine Gerade
Lings einer cylindrischen Sehraubenlinie und der Achse des Schraubencylinders
gleitet und letztere unter constautem Winkel schneidet.
Fiihrt man durch einen beliebig gewahlten Punkt des Raumes Parallele zu
den Erzeugenden einer Regelflache, so haben diese zum geometrischen Orte eine
Kegelfla'che mit jeneni Punkte als Scheitel, welche man den D i r ect ionskegel
der Regelflache nennt; dcrselbe spielt in der constiuctiven Theorie eine wichtige
Rolle. —
J L Rotation s flachen, welche durch Drehung einer Curve um eine mit
ihr in fester Verbindung stehende Gerade, die Umdrehungs- oder Rotations-
Flache. 569
achse entstelien. Alle durch die Achse gelegten Ebchen, Merkliariebeneir, schneiden
die Flache nacli congruenten, zur Achse orthogonal-symmetrischcn Curven, Meri-
dian en, wahrend. die zur Rotationsachse normalen Ebenen Kreise lie fern. Wiv
nenuen hier :
«) Die Rotationsflachen zwei ten Grades: die Kugel; das flache
und oblonge Umdrehungsellipsoid, ersteres durch Drehung einer Ellipse
uiii ihre kleine, letzteres durch Rotation um deren grosse Achse entstanden ; das
einraantelige und das zweim an tel ige Umdr eh ungshy p e rb o loid,
das erste aus der Drehung einer Hyperbel um ihre imaginare, das letztere aus
der Rotation um die reelle Achse hervorgehend ; das Umdreh ungspa r a-
boloid aus der Parabel, wenn die Achse derselben als Rotationsachse gewahlt
wird, hervorgehend.
(3) Die W uls tflach en, durch Drehung eines Kreises um cine in seiner
Ebene liegende, nicht durch den Mittelpunkt gehende Gerade entstanden.
C. Einhiillende Flachen, welche durch gesetzmiissige Bewegung einer
Flache entstelien, wobei diese auch noch ihre Gestalt continuirlich verandern kann ;
je zwei Nachbarlagen der erzeugenden Flache schneiden sich nach einer Curve,
welche die Charakteristik der erzeugten Flache genannt wird; offenbar kann
letztere Flache audi als Ort der Charakteristik aufgefasst werden. Wir nennen
hier beispielsweise die Serpentine, erzeugt durch Bewegung einer Kugel von
constantem Halbmesser, deren Mittelpunkt eine Cylinderschraubenlinie durchlauft ;
ihre Charakteristik ist der Kreis.
D. Riickungs flachen, die man sich durch gesetzmassiges Fortriicken
einer Curve entstanden denkt, wobei dieselbe audi wohi ihre Form continuirlich
abandern kann. Wenn beispielsweise der Mittelpunkt eines Kreises von constantem
Halbmesser eine Cylinderschraubenlinie durchlauft und seine Ebene zur Cylinder-
achse normal bleibt, so beschreibt er die Oberflache der sog. gewundenen
Sanle.
Selbstverstandlich kann man sich jede Flache auf mehrfache Art entstanden
denken ; alle Rotationsflachen z. B. entstelien auch durch Rlicken eines Kreises
oder durch Bewegung einer Kugel, die zugleich ihren Radius andert etc.
II. Vom analytischen Standpunkte unterscheidet man die Flachen
nach der Natur der sie darstellenden Gleichungen in algeb raise he und trans-
cendente, erstere wieder nach dem Grade der Gleichungen.
III. A 1 1 g e m e i n e E r k 1 a r u n g e n.
1. Die durch zwei unendlich nahe Punkte einer krummen Flache F be-
stimmte Gerade t wird eine Tangente der Flache und die Vereinigung ilijener
Punkte ihr B eriihrungspun kt genannt.
2. Die durch zwei in einem Punkte M an die Flache F gelegten Tangenten
bestimmte Ebene T wird Tangentialeb ehe fur den Punkt M genannt; sie
ist der Ort aller in M an F gezogenen Tangenten; von diesen beriihren zwei,
tx und t„, auch die Schnittcurve der Tangentialebene mit der Flache, fur welche
M ein Dopp el punkt ist, man nennt sie die Haup ttangenten in M und
sie sind reell und verschieden oder reell und zusammenfallend oder imaginar ;
darnach wird M ein hyper b o lis cher, parabolisch er oder elliptischer
Punkt der Flache genannt.
3. Die im Beruhrungspunkte M zur Tangentialebene Z'errichtete Senkrechte
N heisst Nor male der Flache fur den Punkt M. Jede durch AT gelegte Ebene
heisst Normalebene und ihr Schnitt *S mit der Flache ein Normal schn i tt
fur M.
4. Jeder Normalschnitt des Punktes M hat im Allgemeinen in diesem Punkte
eine andere Kriimmung, mit andcren Worten : die Flache ist in einem betrachteten
570 Flache.
Punkte in Riclitung eines jeden Normalschnittes anders gekriimmt. Docli gibt es
zwei zu ein an der s en kre elite Normalschnitte S, und S,2, von denen der
eine den kleinsten. der andere den grossten Krummurtgshalbmesser oder der eine
die grosste, der andere die kleinste Kriimmung in M besitzt ; man nennt S{ und
Stl die Hauptnormalschni tte, ihre Kriimmungshalbmesser r, und r2 (in M)
die Hauptkriimmungsradien der Flache in M. Die den Schnitten S, und
$2 zukommenden, in T liegenden Tangenten rt, r2 halbiren die Winkel der
Haupttangenten tx, £,. — Ein Punkt der Flaclie, in welchem dieselbe nach alien
Richtungen gleiche Kriimmung (wie die Kugelflache) aufvveist, heisst Nabel-
oder Umbilicalpunkt. Einfache Beispiele solcher Punkte bieten die Scheitel-
punkte der Umdrehungsaclise bei Rotationsflachen.
IV. Von den einer Flache aufgeschriebenen Curven.
1. Errichtet maft in den Punkten einer auf einer Flaclie F verzeichneten
Curve C die Normalen zur Flache, so wird der geometrische Ort derselben eine
Nor malfl ache von F langs der Curve C genannt.
2. Die asymptotischen Curven oder Curven der Haupttan-
genten sind jene Linien auf einer Flache F, deren Schmiegungsebenen zugleich
Tangirungsebenen von F sind, deren developpable Flachen also der Flache F
umschrieben erscheinen; sie beriihren in jedem Punkte, durch welch en sie
gehen, eine der Haupttangenten t[7 ttl. Es gibt solcher Curven zwei Schaaren,
oder eine einfache Schaar, oder sie sind imaginar, je nachdem die Flache an der
betrachteten Stelle hyperbolische, parabolisch e oder elliptischePunkte enthalt. —
Das hyperbolische Paraboloid und das einmantelige Hyperboloid besitzen zwei
Schaaren asympt. Linien (in den beiden Regelschaaren) ; bei den Kegel- und Cy-
linderflachen gibt es deren nur ein System, reprasentirt durch die geraden
Erzeugenden ; auf den sammtlichen Flachen zweiten Gerades ausser den beiden
vorgenannten sind sie imaginar.
3. Geodatische Linien sind solche der Flache aufgeschriebene
Curven, deren Schmiegungsebenen zu den Tangentialebenen der Flache normal
sind. Es sind zugleich die Linien des kurzestenAbstandes in der
krummen Flache, in diesem Sinne also Analogon der Geraden in der Ebene. - —
Bei den developpablen Regelflachen erscheint eine geodatische Linie in der Ab-
wicklung als Gerade; daher ist beispielsweise auf einer Kreiscylinderflache die
Schraubenlinie eine geodatische Linie; auf Rotationsflachen sind die Meridiane
derlei Linien.
4. K r urn m ungs linien sind Curven, welche in den Punkten, durch welche
sie gehen, einen der Hauptnormalschnitte S1} StJ oder dessen Tangente r1? ra
beriihren, daher in jedem Punkte die Richtung der maximalen oder minimalen
Kriimmung der Flache angeben. Es gibt deren zwei Schaaren, durch jeden
Punkt der Flache geht je eine aus jeder Schaar, die eine rt (oder^S,), die andere
t„ (oder S„) beriihrend. Kriimmungslinien derselben Schaar begegnen sich
nicht (ausser in Nabelpunkten), dagegen wird j e d e aus der einen Schaar von
alien aus der anderen Schaar rechtwinklig geschnitten. Durch beide Schaaren
wird die krumme Flaclie in rechtwinklig-vierseitige Elemente getheilt. Die Nor-
malflachen langs der Kriimmungslinien sind d e vel opp ab el, d. h.
die in zwei benachbarten Punkten einer Kriimmungslinie zur Flache errichteten
Normalen schneiden sich. Einfache Beispiele von Kriimmungslinien bieten die
Meridiane und Parallelkreise auf Rotationsflachen, die geraden Erzeugenden und
die Normalschnitte auf Cylinder flachen.
Die Kriimmungslinien und ihre Normalflachen sind fur den Steinschnitt der
Gewolbe von Bedeutung.
V. Einige analytische Entwickelungen.
1. Die auf ein reclitwinkliges Raumcoordinatensystem O (X Y Z) bezogene
Gleichung einer Flache stellt sich in einer der Formen
Flache. 571
«) z — f (x>y)
§)..'. F (x, y, z) — o
dar ; fiir manclie Falle (Rotations-, Schraubenflachen) empfiehlt sich die Einftlhrung
sog. Cylindercoordinatcn mit Hilfe der Relationen
x z=z r cos cp
y =± r sin cp
z — z
wodurch die Flachengleichung die Form
7) .z — ib (r cP)
annimmt. — Setzt man in «) oder /?) der Reihe nach x, y, z der Nulle gleich,
so ergeben sich die Gleichungen der Schnittcurven der Flache mit den Ebenen
Y Z, Z X, X Y. Fiir x ■= c erhalt man die Gleichung des Schnittes einer im
Abstande c zur Y Z parallel gelegten Ebene. Aehnlich fiir y = c und z = c.
Wird in Gl. y) z = o gesetzt, so erhalt man die Polargleichung der Schnittcurve
mit der X F-Ebene, fiir z z— c die Gleichung des Schnittes mit einer im Ab-
stande c zur X Y parallelen Ebene. Fiir ein constantes cp stellt y) die Gleichung
des Schnittes mit einer durch 0 Z gehenden, zu X Z unter dem Winkel cp ge-
neigten Ebene dar, wahrend fiir ein constantes r y) den Schnitt der Flache mit einer
Kreiscylinderflache vom Radius r repriisentirt, die 0 Z zur Achse hat.
2. Sind x, y, z die Coordinaten eines Punktes der Flache «) oder /?), so
hat die Tangirungsebene in diesem Punkte die Gleichung
r -* = a-x)^l +(,_,) *j,
bezw. (J - x) fT_ + (, -j,) -^ + (f - ,)
und ihre Stellungswinkel r^ ty> tz sind bestimmt durch
d F
cl
cos rx
—
d z
d x
~w
d z
cos ty
—
d y
N
cos rz
—
1
oder
oder
oder
d x
~w
d y
N'
d_F_
dz
wobei
Die Normale des belrachteten Punktes, wclche mit den Achsen eben diese
Winkel einschliesst, hat die Gleichungen
d z ,y d z
t-x=- j-x (f— ,) , - y = - j- (f — .)
bezw.
£ — x t] — y k — z
d_F ~ dJF — d^F *
d x d y d z
3. Die Coexistenz der Gleichungen zweier Flachen
Fx (x, y, z) — o
F2 {x, y, z) — o
reprasentirt die Durch dringungs curve dieser Flachen; die successive Elimi-
572 Flache.
nation von x, y, z liefert die Gleiclinngen der Prujectionen dieser Curve auf die
Ebenen Y Z, Z X, X Y. Sind Ft und F,, algebraische Flachen von der Ord-
nnng mt, bezw. m„, dann ist die Durchdringungscurve im Allgemeinen von der
Ordnung mt m,,.
Die Coexistenz von drei Flachengleichungen
F, (x, y, z) — o
Fl2 (x, y, z) = o
F3 (x, y, z) = o
fiihrt auf die alien gemeinscliaftliclien Punkte, deren Zalil, wenn die
Flachen von der Ordnung ml »i„ m3 resp. sind, m1 m„ w3 betragt.
4. Bedeutet in der Gleichung
F (*? y, z, p) — o
einer Flache p einen die Lage oder die Form oder beides zugleich beeinflussenden
Parameter, so folgt durch Elimination von p aus dem Gleichungspaare
F (x, 1J, z, p) = 0
d F (x, y, z, p) _ q
d p
die Gleichung <1> (x, y, z) — o der durch die continuirliche Variation von p
und die dieser entsprechende Orts- (und Form-) Aenderung der vorgelegten Flache
entstandene einhullende Flache oder Enveloppe. Die Coexistenz von
F (x, y, z, p) — o
* (a>; y, z) — 0
stellt die Charakteristik der einhullenden Flache dar.
5. Complan ation der Flachen. Betraclitet man das Rechteck dx.dy
in XZ-Ebene als Projection eines Elementes dO der krummen Flache
z = f (x, y)
und bezcichnet mit to den Neigungswinkel der an das Element gelegten Tangi-
rungsebene der Flache mit der A'F-Ebene, so ist
do^^^y-
COSIC
und nachdem w z=. r, und cos t, n , so ist
d zV+ 1
und 0
d ° = * *■ v(^)+ag+j
Die Grenzen der beiden Integrationen richten sich nach der Ausdehnung des
m complanirenden Flachentheiles und werden aus der Projection seiner Umgren-
zung auf die XF-Ebene abgeleitet.
6. Cubatur durch k rum me Flachen begrenzter Vol urn en.
Wird der Inhalt des durch das fnihere Rechteck dx. dy und das Element d 0
der krummen Flache, von welchem jenes die Projection ist, bestimmten prismati-
schen Raumelementes mit dV bezeichnet, so kann
dV = z. dx. dy = f (x, y). dx. dy
gesetzt Averden, und es folgt hieraus
V = jy*z dx. dy —fff fa y)- ^. dy,
wobei die Integrationsgrenzen wieder aus der Begrenzung der in der XY-Ebene
liegenden Grundflache des Volumens abzuleiten sind.
Flache. — Flachcnwirkung. 573
Literatur. Fiir die constructive Theorie der FlSchen: Monge, „Lecona
de geometric descriptive" (Paris, 7. And. 1847); C. F. A. Leroy „Traite
de geometrie descriptive" (deutsch von Kauffmann, 3. Aufl. 1873); J. A. R.
M. de la Gonrnerie „Traite de geometric descriptive" (Paris' 1860— 1864);
Dr. W. Fiedler, „Dic darstellende Geometric in organischer Verbindung
mit der Geometrie der Lage" (Leipzig, 2 Aufl. 1875); J. Schlesinger ..Die
darstellende Geometrie im Sinne der neueren Geometrie" (Wien, 1870). —
Fiir die analytische Theorie: Dr. 0. Boklen, „Am,Iytische Geometrie
des Raumes" (Stuttgart, 1861); 0. Hesse _ Vorlesungen Uber d. analyt
Geom. d. Raumes" (Leipzig, 1861 und 1869); G. Salmon, „Anal. Geom.
d. Raumes" (deutsch von Dr. W. Fiedler).- Ueber Complanation und
Cubatur sehe man auch Dr. 0. Schlomilch's „ Compendium d. hoheren
Analysis" (1. Bdv Leipzig, 4. Aufl.). Ueber die geodatische Linie auf
dem Spharoid (flachen Rotationsellipsoid), welche fiir die Geodasie von Be-
deutung ist, vergl. man J. J. Baeyer „Das Messen auf der spharoidisclien
Oberflache" (Berlin 1862). Czuber.
Flacheninhalt (ebener) begrenzter Figuren (aire — area); die Bestimmung
desselben geschieht entweder auf rechnungsmassigem Wege aus den Masszahlen
der Dimensionen oder mechanisch mit Hilfe von Planimetern (s. Messinstrumente).
Die Flachenbestimmung von Grundstiicken erfolgt entweder durch directe
Messung der nothigen Dimensionen (z. B. bei der haufig gebrauehten Aufnahme
durch rechtwinklige Coordinaten) oder aus einer graphischen Darstellung (einem
Plane) mit Beniitzung des zu Grunde liegenden Massstabes. Was die hiebei er-
forderliche Genauigkeit anlangt, so besteht in Oesterreich (fiir den Kataster)
die officielle Vorschrift, dass zwei unabhangige Flachenbestimmungen hbchstens
zeigen diirfen
bei einer Flache von eine DifFerenz von
la = 100Dm 0-5Qm
10 =z 1000 5
lha= 10000 50
10 = 100000 500
(Vergl. Jordan, Handbuch der Vermessungskunde, 1877 pag. 177.)
Fiachennivellement, s. Nivelliren.
Flachentheilung, die Theilung einer ebenen Figur in mehrere Theile, deren
P'lacheninhalte in einem gegebenen Verhaltnisse stehen ; in der Regel werden an
die Theilungslinien gewisse Forderungen gestellt.
Flachenverwandlung — die Umwandlung der Begrenzung einer Figur mit
Wahrung ihres Flacheninhaltes ; es gehort hieher auch die Regulirung von Grenzen.
Ueber die graphische Losung derartiger Aufgaben, wie sie namentlich bei den
Constructionen in der graphischen Statik vorkommen, sehe man den graphischen
Calcul von L. Cremona (deutsch von M. Curtze). Cz.
Flachetiwirkung (Contactwirkung) nennt man die eigenartige, auf Flachen-
anziehung (Adhaesion) zuriickfiihrbare Wirkung, welche Korper von holier Poro-
sitat, die demnach in einem verhaltnissmassig kleinen Raume eine grosse Ober-
flache haben, unter geeigneten Verhaltnissen zu ausscrn vermogen. Hieher gehort
die entfarbende Wirkung, welche z. B. porose Kohle auf gefarbte Fliissigkeiten
ausiibt, und die in einer Aufnahme des gelosten Farbstofts durch die porose Kohle
besteht. Ebenso konnen solche Korper auch andere Stoffe, insbesondere Bitter-
stoffe, sowie Riechstoffe aus Losungen aufnehmen, ja sie vermogen sogar Zer-
setzungserscheinungen herbeizufiihren und sich mit einem der Zersetzungsproducte
zu beladen. Hierauf beruht die Anwendung von Blut- oder Knochen-Kohle als
Enlfarbungsmittel (Spodium), als Mittel zur Abscheidung von Bitterstoften aus
574 Flachenwirkung. — Flamme.
Pflanzenausziigen, als Entkalkungsmittel z. B. fiir Zuckersafte (s. b. Zucker-
fabrikation), die An wenching von Holzkolile als Mittel zur Entfernung von
Riechstoffen u. d. g. m. Eine solclie Flachenwirkung liegt auch jenen Erschei-
hungen zu Grunde, welche eintreten, wenn hochgradig porose Korper Verbindungs-
vorgange zwischen Gasen einleiten, die an sich bei gewohnlicher Temperatur sich
mit einander nicht zu verbinden vermogen. Hierher gehbrt z. B. die ziindende
Wirkung, welche Platinschwamra auf ein Geraenge von Sauerstoff und Wasserstoff
ausiibt? sowie iiberhaupt die Einleitung von Oxydationsprocessen beim Zusammen-
trcffen von Sauerstoff mit oxydirbaren Substanzen bei gleichzeitiger Gegenwart
poroser Korper. So veranlasst porose Holzkolile bei Beriihrung rait Luft und oxydirbaren
Gasen die Oxydation dieser letzteren, und wirkt zum Theil auf diese Weise des-
inficirend fiir die Luft, so fiihrt die Substanz der Buehenspane ira Essigbilder die
rasche Oxydation des Alkohols durcli den Sauerstoff der Luft herbei, so bedingt
die Gegenwart von Bimsstein, Platinschwamm, platinirtem Asbest o. d. g., die
Vereinigung von schwefligsaurera Gas mit Sauerstoff zu Schwefelsaureanhydrid
u. s. w. Im Allgeraeinen kann man die letztere Art der Flachenwirkung dem
Umstande zuschreiben, class die Oberflache starrer Korper durch Adhasionswirkung
Gase zu verdichten vermag und dass derlei hochgradig verdichtete Gase ener-
gischere chemische Wirkungen zu aussern vermogen, als sie es im Zustande des
Verdtinnungsgrades zu thun im Stande sind, den sie unter gewohnlichen Druck-
verhaltnissen zeigen. GtL
Flamme (flamme — flame) nennt man die Erscheinung, welche ein in
Verbrennung stehendes Gas darbietet. Das Entstehen einer Flamme bei irgend
einer Verbrennungserscheinung setzt imraer das Vorhandensein eines gas- oder
dampfformigen Korpers voraus, der der Verbrennung anheimfallt. Wenn daher
ein der Verbrennung fahiger Korper bei seinem Verbrennungsprocesse eine Flam-
menbildung zeigt, so hat dies seinen Grund darin, dass der Korper entweder an
sich gas- oder dampfformig war, oder dass er, wenn fliissig oder fest, bei einem
unter seiner Verbrennungstemperatur liegenden Tempcraturgrade sich in Dampf
oder Gas verwandelt, oder aber eine Zersetzung erleidet, bei welcher brennbare
Gase entwickelt werden Die Gestalt der Flamme ist wesentlich abhangig von
den Verhaltnissen, unter welchen der der Verbrennung anheimfallende gas- oder
dampfformige Korper mit der zur Verbrennung erforderlichen Luft zusammentrifft,
und wird also wesentlich beeinflusst durch den herrschenden Druck, die Hohe der
Verbrennungstemperatur, die Menge des verbrennungsfahigen Gases im Verhalt-
nisse zur vorliandenen Luft- (Sauerstoff) Menge, den Dichtenunterschied zwischen
Luft und dem verbrennungsfahigen Gase, sowie endlich durch die Art und Grbsse
von Bewegungserscheinungen des der Verbrennung anheimfallenden Gases. Da
jede Verbrennungserscheinung ein unter Licht- und Warmeentwicklung sich voll-
ziehender chemischer Verbindungs-Process ist, welcher unmittelbare Beriihrung der in
die chemische Action eintretenden materiellen Theilchen voraussetzt, so ist es
klar, dass bei Flammen die eigentliche Verbrennung lediglich an jenen Punkten
sich vollziehen wird, bei welchen der mit dem Sauerstoff der Luft verbrennende
gasfcirmige Korper der Flamme mit der Luft in unmittelbarer Beriihrung steht,
also an der Peripherie des Flammenkbrpers. Demnach erscheint jede Flamme
als ein Gebilde, an dem sich unter alien Umstanden verschiedene Theile unter-
scheiden lassen, u. z. ein dunkler, aus noch unverbrenntem Gase bestehender,
im Allgemeinen auch eine niederere Temperatur zeigender Kern, dann eine die
Hiille dieses Kerns bildende Zone, in welcher sich der Verbrennungsprocess voll-
zieht, und die demnach, als der eigentliche Herd der Wa'rme- und Lichtentwicklung,
hohe Temperatur zeigt und Licht ausstrahlt, d. i. der- Flam in en mantel, endlich
eine iiussere Hiille von bei der Verbrennung gebildeten gluhenden, gasfbrmigen
Verbrennungsproducten, die eine gegeniiber der Leuchtkraft des Mantels kaum
wahrnehmbare Lichtentwicklung zeigt und demnach nur schwach sichtbar ist, d. i.
der Flammenschleier.
Flamme. — Flammcnschutzmittcl. 575
Die Leuchtkraft (lev Flamme ist abhangig von der Natnr, aber audi von
der Diclite ties verbrennungsfahigen Gases, endlicli von dem Verlialtnisse des
Zutrittes an Sanerst'off. So leuchtet eine Wasserstoffflamme nnter gewbhnlidiem
Drucke kanm merklich, wahrend sie bei lioherem Drucke ein intensives Lieht zu
entwickeln vermag. Leucbtgas verliert wesentlich an Leuchtkraft, wenn man dem
ausstromendcn Gase gestattet sicb vor dem Austritte in die Atmosphere mit Lnft
zu mengen, so dass demnach die mit einer bestiramten Leuclitgasmenge in Be-
riibrung stehende Sauerstoffquantitat grosser ist als bei dem einfachen Ausstrbrneu
des Leuchtgase's (s. Bunsens Lampe bei Lampen). Aus gleicbem Grunde leuchten
selir kleine Flammen im Verlialtnisse zu der verbrennenden Gasmenge weit weniger
als grbssere, weil das Verhaltniss der Oberflacbe zu dem Rauminbalte des P^lam-
mcnkorpers ein relativ grosses und daber das Verhaltniss des San era toffs zur
Gasquantitat ein erhohtes ist, ebenso zcigen flacbe Flammen eine grbssere Licht-
entwicklung als kegelfbrmige. Die Farbung der Flamme ist abhangig von der
Natur der verbrennenden Korper, kann aber cturch die Hbhe der Temperatur nicbt
unwesentlicb beeinHusst werden. Ueber Lbthrobrflammen s. Lbthrohr, vgl. aucb
Leucbtstoffe und Lampen. Flammen farbige s. b. Feu er worker ei.
Gil.
Flammenmergel, ein im nordwestlicben Deutscbland in der unteren Kreide-
formation auftretender, mit eigentbtimlichen flamraenartigen Zeicbnungen versebener
Mergel. Lb.
Flammenopal s. Opal.
Flammenschutzmittel nennt man solche Mittel, welcbe geeignet sind ver-
brennbare Stoffe, wie Holz, Gewebe, Papier u. d. g. vor, dem Verbrennen mit
Flamme zu scbiitzen und dadurch die Fortpflanzung eines begonnenen Verbren-
nungsprocesses zu bindern. In Wesenbeit griindet sich die Wirkung soldier
Mittel darauf, dass sie entweder die verbrennbare Substanz mit einer den Luft-
zutritt absohliessenden, selbst nicbt entziindlicben Schichte umhiillen, oder dass
sie bei hoberer Temperatur eine Einwirkung auf die verbrennbare Substanz in
dem Sinne ausiiben, dass Zersetzungsproducte geliefert werden, die nieht brennbar
sind. Insbesondere hat man die Anwendung soldier Mittel empfoblen zum LTn-
verbrennbar- (Unentflammbar-) machen des Holzes in Gebauden, zur Herstellung
unentflammbarer Stoffe fiir Damenkleider, zur Erzeugung unverbrennbarer Vor-
bange oder Decorationen in Wohngebauden, Theatern u. d. g.
Je nacb dem zu erreicbenden Zvvecke konnen verschiedene Substanzen in
Anwendung kommen. Fiir Holz bat man mjt Erfolg die Impragnirung mit Alaun,
mit Eisenvitriol, anderen Vitriolen, mit Borax und mit kieselsauren Alkalien in
Anwendung gebracht (v. Dingl. pol. Journ. 199 pag. 194). Besonders wirksam
erweist sicb das schwefelsaure Ammoniak, das pbosphorsaure Ammoniak und das
wolframsaure Natron. Die letztgenannten drei Salze sind es audi, welcbe fiir
das sog. Unverbrennbarmachen leichter Kleiderstoffe, namentlicb gefarbter oder
gemusterter beinabe allein geeignet sind, da sie an sich indifferent die Farbe
und Festigkeit des Gewebes nicbt alteriren, worauf es gerade bei Kleiderstoffen
ganz wesentlich ankommt. Im Allgemeinen geniigt es die zu praparirenden Zeuge
durch Lbsungen von 1 Thl. des Salzes in 10 Thl. Wasser hindurch zu nebmen
und sodann zu trocknen. Sollen die Stoffe oder fertige Kleider und Wa'sdie mit
beissen Platteisen appretirt (gebiigelt) werden, was natiirlich erst nach der Pre-
paration mit der Salzlbsung geschehen kann, so ist besondere Riicksicht darauf
zu nebmen, dass sowohl schwefelsaures als audi pbospborsaures Amnion durch
Einwirkung hoberer Temperatur unter Verlust von Ammon zersetzt und Saure frei
gemacht werden kann, deren Auftreten nicbt allein die Farben zu alteriren vermag,
sondern audi der Festigkeit des Gewebes abtraglich werden kann. Es ist daher
fiir solche Falle gerathener sich des wolframsauren Natrons zu bedienen, das
selbst bei Anwendung sehr heisser Platteisen den Zeugen keine Gefabr bringt
576 Flammenschutzmittel. — Flancll.
unci gleichwohl die Unentflammbarkeit der Gewebe vollstandig zu erreichen ge-
stattet. Man wen {let dasselbe in wassriger Losung in dem Verhiiltnisse von 1 : 5
gelost an und kann der Losung wohl audi nocb 3 — 4 Proc. phosphors. Natron
zusetzen. Man hat nur darauf zu achten, dass das angewandte Salz ziemlich
rein und namentlich frei von einem hoheren Gehalte an Soda sei (vgl. Vers-
raann und Oppenheim im Auszg. in Dingl. pol. Journ. 158 pag. 66).
Von besonderen Vorschlagen fiir das Unentflammbarmachen von verbrcnn-
barem Baumateriale und Zeugen waren noch zu nennen u. z. fur Holz : Anstreichen
des Holzes mit einer lieiss gesattigten Losung von 3 Thl. Alaun und 1 Thl.
Eisenvitriol. Nach zweimaliger Wiederholung dieses Anstriches ein Anstrich mit
verdiinnter Eisenvitriollosung, in der Topferthon aufgeschlammt ist, oder Bestreichen
des Holzes mit heissem Leimwasser, so lange dieses noch eingesogen wird," hierauf
ein Anstrich von dickerer Leimsuppe, auf welchen, so lange derselbe noch feucht
ist, ein Gemisch von 1 Thl. Schwefel, 1 Thl. Ocker oder Thon und 6 Thl. Eisen-
vitriol als Pulver aufgestreut wird (vgl. Fr. Sieburger Deutsch. Industr.-Ztg.
1872 pag. 225). S. W. Moore (polyt. Centralbl. 1875 pag. 446) schlagt vor
das Holz in einem Cylinder unter starkem Druck mit Kalkmilch und schwefliger
Saure zu impragniren.
Fiir Gewebe: Ein Gemenge von schwefels. Ammoniak und Gyps oder ein
Gemenge von Borax und Bittersalz in Wasser gelost und die Gewebe damit
impragnirt (Patera iiber Flammenschutzmittel, Wien 1872, s. a. Dingl. pol.
Journ. 203 pag. 481 im Auszug). Nach Carter on und Rim m el (vgl. Deutsch.
Industr.-Ztg. 1871 pag. 328) soil ein Gemenge von gleichen Theilen essigsaurem
Kalk und Chlorcalcium in Wasser gelost die mit einer solchen Losung impragnirte
Zeugen unentflammbar machen. Nach den Erfahrungen des Verfassers lasst sich
audi thioschwefelsaures (unterschwefligsaures) Natron als Flammenschutzmittel fiir
Zeuge verwenden, ebenso Ammoniakalaun.
Vielfach hat man auch7 um fiir die Zwecke der Hauswirthschaft die Vor-
nahme einer besonderen Operation, welche die Impragnirung der Zeuge mit der
Losung eines oder des auderen als Flammenschutzmittels empfohlenen Salzes
erheischt, zu ersparen, Mischungen soldier Salze mit Starke als Ersatz der ge-
wohnlich zu Appreturzwecken verwendeten Starke empfohlen und in den Handel
gebracht. F euer sich erheits -Starke (apyrous starch). Leider hat audi
diese bequeme Form eine allgemeinere Anwendung von I^lammenschutzmitteln
in den Kreisen der modernen Damenwclt nicht wesentlich gefcirdert (Gintl,
Ausstellungsbericht 1873 iiber Appreturmittel, Wien 1874), s. iib. a. Starke.
mi
Flammireil, syn. flam men, chin ir en (chimire — chine), Chinafarben.
Eine Art der Garnfarberei, bei welcher die Garnstrange mit Knoten versehen und
so ausgefarbt werden, wodurch die das Innere des Kuotens bildenden Garnpartien
ungefarbt bleiben und so zweifarbige Garnstriine erhalten werden konnen; s. a.
Chine II pag. 309. GtL
Flammirung, s. Chine II pag. 309.
Fiammirte Zange, s. Weberei.
Flammofen (fourneau pour les fontes crues — flaming furnace) im
Allgemeinen jede Ofcnanlage, bei welcher die Flamme des Brennmateriales iiber
die zu erhitzenden Massen streicht und diese directe erhltzt. Flam mo. Puddel-
ofen (fourneau a reverbere, a ■puddler — reverberatory furnace, puddling
furnace) s. E i s e ner z eugun g III pag. 28, 123, vgl. a. Blei I pag. 577, s.
Gliih o fen.
Flanell (flanelle - — flannel) ist ein leinwandartiges oder gekopertes Gewebe
aus Streiehgam. welches sehr wenie gewalkt ist und auf der rechten Seite ge-
Flanell. — Flaschengriin. 577
rauht wird. Die Kette ist oft Kammgarn, zuweilen aus Baumwollgarn, in welchen
Fallen der Flanell beim Waschen weniger eingeht, als wenn Schuss und Kette
aus Streichgarn besteht.
FlantSCh, Flantsche (bourelet, collet — flange) nennt man den scheiben-
fdrmigen Rand an Rohrenden, welcher die Verbindung mit einem gleichfalls mit
Flantsche versehenen zweiten Rohr durch Schrauben gestattet, s. Rohrenver-
bindungen. Kk.
Flasche. a) Allgemein gebrauchliche Bezeiclinung fur Hohlgefasse mit
ringsum verengter Ausgussoffnung (Hals), b) Flasche, Form flasche (chassis
— flask) s. Eisengiesserei III pag. 124. c) Flasche (poulie — pulley)
bedeutet in der Mechanik die Verbindung zweier Flacheisen oder Bleche, zwischen
welchen bewegliche Theile gelagert sind (so z. B. beim Flaschenzug die Rollen,
beim Flaschenschraubstock der bewegliche Backen etc.). Kk.
Flasche bolugneser (flole philosophique — Bologna piiiol), Spring-
kolben, s. Bologneser Flaschchen I pag. 724, vgl. a. Glas bei Hartglas.
Flasche fiorentiner (recipient florentin — italian receiver). Eine Vor-
richtung zur Aufsammlung atherischer Oele, welche leichter sind als Wasser. Sie
besteht aus einer grosseren Glasflasche mit weitem Halse, welche nahe am Boden
mit einem nach aufwarts gekriimmten Rohre versehen ist, das etwas unter dem
Rande des Halses miindet. Wird bei der Destination von atherischen Oelen mit
Wasserdampfen das aus Wasser und den Oeltropfchen bestehende Destillat in
einer solchen Flasche aufgefangen, so sammelt sich das specifisch leichtere athe-
rische Oel in der Flasche an, wahrend das specifisch schwerere Wasser durch die
Abflussrohre so lange ablauft, als durch neu eintretende Destillatmengen die Fliissig-
keit in der Flasche ein hoheres Niveau zeigt, als der Lage der Ausflussoffnung
des Abflussrohres entspricht (vgl. Oele atherische). Gtl.
Flasche leydener, s. Electricitat III pag. 172.
Flasche Woulfsche (flacon tubule — necked bottle), eine mit 2 oder
mehreren Halsen (Tubulaturen) versehene Flasche fiir chemische Zwecke, insbe-
sondere als Grasentbindungs- oder Waschflasche in Verwendung. Gtl.
Flaschenbier, s. Bier I pag. 457.
Flaschenfiillapparate (appareils d'empli des bouteilles — bottling -
apparatus). Das miihsame und zeitraubende Abziehen von Fliissigkeiten in Glas-
flaschen ist in neuester Zeit auf recht sinnreiche Art durch Fullapparate der Art
erleichtert worden, dass die Handarbeit sich bloss auf das Anstecken der leeren
Flaschen und das Wegnehmen der bereits gefiillten Flaschen beschrankt. Der-
artige Fiillapparate konnen auch fiir jede beliebige Flaschenanzahl eingerichtet
sein. Auf dem umstehenden Holzschnitte ist deutlich zu ersehen, dass aus der
dem Fasse eingeschlagenen Pipe eine Rohre oder ein Gefass g mit der Fliis-
sigkeit gefiillt wird. Aus diesem Sammelgefasse fiihren die Rohre r', r" die
Flussigkeit jenen drehbaren Hebern ht — 7«4 zu, an welche die Flaschen gesteckt
werden. (S. Fig. 1677.)
Diese Fullapparate werden gewohnlich aus England bezogen und die Firma
Farrow & Jackson in London, 18. Great Towerstreet, liefert diese Appa-
rate in grosster Auswahl und besonderer Glite. (Vergl. polyt. Centralblatt 185S
pag. 66). G. W.
Flaschenglas s. Glas.
Flaschengriin s. Zeugfarberei und Druckerei, s. a. Glas.
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 37
578
Flaschenkapselri.
Flascheilkapseln (capsules des bouteitles — capsules of the bottle) sind
aus mit Zinn plattirten Bleifolien auf Maschinen erzeugte Kappen oder Hiitcneii
zum luftdicliten Verschluss von verkorkten Flasclien und zuv Bezeichnung des
Flascheninkalts. Vor ungefahr 40 Jahren (Ende des 3. Jalirzehents dieses Jahr-
Fig. 161\
Flascheufiiilapparat.
hunderts) wurde das BediirFniss, die Flaschen der in Handel gebrachten Fliissig-
keiten auf eine fiir den Export in warrae Zonen dauerhaftere Weise luftdickt zu
verscliliessen und die Echtheit der Fiillnng zu bezeichnen, zuerst in Frankreich
durch Metallkappen statt der Verwendung von Siegelwachs oder Pech befriedigt.
In England wurde die Erzengung von diesen Metallkapseln durch sinnreiche
Maschinen vervollkommnet und der Gebrauch dieses metalliscben Flaschenver-
schlusses so verallgemeinert, dass nun auch uberall auf dem Continent solche
Flascheilkapseln bei der Versendung von Mineralwassern, Weinen, Bieren, Liqueuren
und Arzneimitteln in Verwendung gebracht werden. Das Wichtigste fiir die Er-
fiillung des beabsichtigten Zweckes ist die Moglichkeit, diese Metallkappen so fest
liber den Kork und Flaschenhals zu Ziehen und anzuschmiegen, dass ein unver-
letzendes Abnehnien dieser Metallkappen und eine wiederholte Verwendung der-
selben Metallkappe unmoglich wird. Das feste faltenlose Anschmiegen der Fla-
scheilkapseln wird einerseits durch die Weichheit der verwendeten plattirten Blei-
folie, andererseits durch die sinnreiche und einfache Methode, hiezu die Reibung
einer Schlinge eines ledernen Bandes zu verwenden, moglich gemacht. Die ausser-
dem empfohlene Verwendung von harzigen, diinnfliissigen Klebemitteln ist dazu
ganz iiberfliissig, und kann nur dort noch zum luftdichten Verschluss der ver-
korkten Flaschen nothwendig sein? wo zum Einpressen der Korke keine Stoppel-
mascliinen verwendet werden oder die Korke sehr poros und rissig sind.
Die fabriksraassige und gebotene billige Erzeugung der Flaschenkapseln ist
natiirlich erst durch die vielfache Verwendung und den gesteigerten Absatz moglich
geworden. Im Anfange hat man das Drucken der Kapseln aus den passenden
Flaschenkapseln. — Flaschenreinigung.
573
Folienscheiben auf mehreren von Knaben betriebenen Fussdrehbanken bewerk-
stelligt und erst Betts*) in England hat hiezu die complicirte automatisehe
Kapselstanzmaschine eingefuhrt, welche durch entsprechende Verandernng der
Matrizen und Patrizen auf einer Maschine in wenigen Secunden die langsten Flaschen-
kapseln zu erzeugen im Stande ist. Das Princip dieser Mascbinen ist das im
Artikel „Blechbearbeitung" auf Seite 556 im I. Band erwalmte Stanzen
oder Pressen durch ruhigen Druck mittels Excentern, und es ist die von der
Maschine selbst bewirkte Transportirung der durch ein Stanzenpaar vorbereiteten
Kapsel zum nachsten Stanzenpaar durch eine Reihe hochst sinnreicher Bewegungen
moglich geraacht. Wir miissen auf die Beschreibung dieser Maschine verzichten,
und verweisen auf die Patentbeschreibung von Betts.
In Deutschland wurden diese Flaschenkapseln besonders von Vetter in
Niirnberg, Gebriider Pohle in Graupen bei Mariaschein in Bohmen und G.
Winiwarter in Gumpoldskirchen in Niederosterreich der allgemeinen Verwen-
dung zuganglich gemacht. Je nach der Grosse kosten 1000 Stiick solche Kapseln
4 bis 11 fl.
Eine besondere Art von Flaschenkapseln, welche leichten, guten Verschluss
bei Charnpagnerflaschen gewahren sollen, werden von der Pat. Kork Company
London, 1 Great Winchester steel Buildings, in den Handel gebracht. G. W.
Ueber Thompson's luftdichten Verschluss fur weithalsige Flaschen, s.
Dingl. polyt. Journal 203 Bd. pag. 8.
Flaschenlack s. Si eg el lack.
Flaschenreinigung (rinser les bouteilles, bottle washing, rinsing). Die
Versendung von Getranken in Flaschen bedingt eine grosse Aufmerksamkeit
fiir die Reinigung der
Fig. 1678.
Flaschen, deren Fiillung
mit geklarten und zur
Versendung geeigneten
Fliissigkeiten und end-
lich die luftdichte Ver-
korkung mit neuen, ge
sunden Stopseln.
Fiir die Flaschenrei-
nigung ist nicht nur
reines Sptilwasser in ge-
nugender Menge erfor-
derlich, sondern es miis-
sen auch oft mechanische
Hilfsmittel, reiner gro-
ber Sand oder eigene
Flaschenbiirsten mit in
Anwendung gebracht
werden, und was das
Wichtigste ist : das letzte
Spiilwasser muss in
einem kraftigen Strahle
in die Flasche geleitet werden, daher dieses aus einem 5 — 6 Meter hoch
stehenden Bottich mittels eines Spritzhahns die Flasche treffen soil.
Sind die Flaschen gebraucht gewesen, so muss auch eine Spiilung mit ver-
diinnter Salzsaure der Spiilung mit reinem Wasser vorhergehen. Die mechanische
Reinigung mit Bleischrot muss aber unbedingt als gesundheitsgefahrlich vermiedeu
werden.
Das I. Patent vom 12. Januar 1849.
37*
580 Flascheni'tdriigung. — Flans.
Die zweckmassigste Form der Flaschenbiirsten aus zwei verzinkten eisernen,
gabelformig federnden Theilen zeigt beistehender Holzsclinitt Fig. 1679.
Solche Biirsten werden aber riicht nur riiit dem ein-
fachen Drahtgriffe, sondern audi rait einer Kurbel und
±ig. lot J. einer einfachen Radiibersetzung schneller und kraftiger
gedreht, wie der Holzsclinitt Fig. 1678 zeigt, und der
Zweck der guten Flasclienreinigung wird dann urn so leichter
und schneller erreicht. G. W.
Flaschenschraubstock, s. Schraub stock.
Flaschenverkorkungsmaschinen. Obwohl manritg-
fache Maschinen die Aufgabe Flaschen zu verkorken losen,
so sei bier doch nur eines der angewandten Systeme kurz
dargelegt, welches besonders gut die Aufgabe lost. Bei
dieser Maschine wird der Kork durch den Druck eines
von Hand aus bewegten Hebels, welcher den auf den Kork
unmittelbar driickenden Stahlcylinder bethatigt, in die
Flasche eingepresst.
Damit die in der Flasche befindliche Luft oder falls dieselbe mit Fliissigkeit
ganz gefiillt sein sollte, diese, dem eindringenden Korke keinen grossen Widerstand
entgegensetzt, wird eine „Nadel" (zarte Blechrinne) vor dem Korke eingeschoben,
neben welcher derselbe eingedriickt wird und durch die Nadel Luft oder Fliissig-
keit nach aussen treibt. Das Einfiihren des Korkes geschieht in einen konisch
sich verengenden, in ein trichterartiges Rohr iibergehenden Spalt. Der von einem
Hebel bewegte Stempel, indem er den Kork niederdriickt, zwingt denselben den
geringen Durchmesser des (sehr dickwandigen) Trichters anzunehmen. Die auf
einera beweglichen, durch selbstthatige Keilstellung feststellbaren, Untersatze ste-
hende Flasche ist mit ihrem Halse genau an die OefFnnng jenes tricliterartigen
Theiles gedriickt und tritt der Kork also unmittelbar aus dem Trichter in den
Flaschenhals ein, wo er sich entsprechend ausdehnt und den vollkommenen Ab-
schluss bewirkt. Bei dem Heben des Handhebels wird die Nadel ausgezogen
und die Festklemmung des Flaschentisches aufgehoben, so dass die Flasche entfernt
werden kann, welche nun verkorkt ist.
Diese Maschinen sind schon seit lange in Champagnerfabriken in Gebrauch
und bewahren sich vorziiglich. Als Bezugsquelle dieser und verwandter Maschinen
kann die Administration der W e i n 1 a ub e in K 1 o s t e r n e u b u r g bei Wien
empfohlen werden. (Vgl. die Artikel: Kellerwirthschaft und Wein). Kk.
Flaschenverschluss, s. Flaschenkapseln.
Flaschenzug, s. Hebemaschinen.
Flattirfeuern gleichbedeutend mit Anwarmen, Vorheizen, beim Einbrennen
der Glasur des Porzellans, s. Tlionwaare n.
FlatterrilSS ist theerarmer, flockiger Russ von brauner oder schwarzer
Farbe, je nachdem er bei der Verbrennung kohlenstoffarmerer oder kohlenstotf-
reicherer Brennmaterialien sich bildet, vgl. Russ, s. Kohlenstoff Gil.
Flaumhaar oder Grundhaar (poll follet — down, soft hair). Bei der
Mehrzahl der Pelze oder der Behaarung der im wilden Zustande lebenden Thiere
ist das weiche, feine Grundhaar deutlich von dem langeren groberen Oberhaar
zu unterscheiden und werden beide getrennt verarbeitet.
Flaus, Fries (frise — coating) ist ein tuchartiges Gewebe, welches sich
von dem gewohnlichen Tuch durch grossere Dicke und la'ngeres, groberes Haar
unterscheidet. Kk.
Flaveanwasserstoff. — Flechtenfarbstoffe. 581
Flaveanwasserstoff, Cyansulfhydrat, Sulfoxalenid, ist eine Doppel-
verbindung von Cyan rait Schwefelwasserstoff von der Formel (CN)a -j- SHa.
Entstelit bei der directen Einwirkung von Cyan und feucbtem Schwefelwasserstoff
auf einander in Gestalt gelber Krystallnadeln. Gtl.
Flavin (quercitrine — fiavine), Flavingelb. Diesen Naraen fiibrt ein
namentlich in friiherer Zeit fur Farbereizwecke vielfach angewendetes Praparat
(vgl. Dingl. pol. Journ. 140 pag. 297), das wesentlich ein aus Quercitron ge-
wonnenes Extract darstellt, welches entweder durch Extrahiren der Quercitronrinde
mit Wasser (vgl. Konig Dingl. pol. Journ. 145 pag. 304) oder durch Auslaugen
der Rinde mit einem kohlensauren Alkali und Fallen des alkalischen Auszuges
mit Schwefelsaure dargestellt werden kann (vgl. Hochstattler und Oehler
polyt. Centralbl. 1857 pag. 1453). Es besteht wesentlich aus Quercitrin und
Quercetin und stellt ein braungelbes Pulver dar, dessen Farbevermogen 16mal
grosser ist als das der Quercitronrinde (s. Quercitron). Unter demselben
Namen kam iibrigens auch ein blassgelbes Farbstoffextract in den Handel, welches
sich wesentlich als ein Gemenge von Morinsaure und Moringerbsaure erwies und
otfenbar durch Extraction von Gelbholz dargestellt war (vgl. G el b ho 1 z). Uebrigens
belegt man auch das Diamidobenzophenon (Diphenylharnstoff) mit dem Namen
Flavin. Gtl.
Flavindin. Ein Zersetzungsproduct des In din's, sowie des Isatyd's und
der Sulfisatyde, welches durch Einwirkung von alkohol. Kalilauge auf einen dieser
Korper entstelit und gelbe sternformig gruppirte Nadeln bildet, vgl. Indigo
und Is a tin. Gtl.
Flavinschwefelsaure. Sulfo flavins Sure, Zersetzungsproduct des indig-
blauschwefelsauren Kali's (vgl. Indigo) durch Einwirkung von Kalkwasser bei
Luftzutritt entstehend. Gtl.
Flavopurpurill nennen S chunk und Rb'mer (s. Ber. d. deutsch. chem.
Gesellsch. 1875 pag. 1628 und 1876 pag. 379) ein aus der, das kiinstliche
Alizarin begleitenden Anthraflavinsaure darstellbares Purpurin, vgl. Purpurin.
Es bildet goldgelbe, in kaltem Alkohol leicht losliche, in Wasser, selbst bei Koch-
hitze wenig losliche Krystallnadeln, welche sich in Kalilauge mit einer weniger
rothen Purpurfarbe losen als gewbhnl. Purpurin. Ihre Zusammensetzung entspricht
der Formel C\^HsOb. Gtl.
Flechtarbeiten, Flechten (tresser, cordormer, natter — to twist, to
tveave, to plait). Das Flechten ist zumeist Handarbeit und wird gewohnlich mit
kiirzeren, biegsamen, band- oder ruthenformigen Materialien, wie gespaltenem
Stroh, gespaltenen oder ganzen Weidenruthen etc. ausgefuhrt. Die Verwendung
der Strohgeflechte zu Hliten, sowie die Korbflechterarbeiten sind bekannt. Sowie
nun Stroh und Bast zu Flechtarbeiten verwendet werden kann, so konnen auch
Haare und endlich auch Gespinnste hierzu Verwendung finden. Das Kloppeln
der Spitzen ist eine mit dem Flechten im Wesentlichen iibereinstimmende Operation,
wenn durch dieselbe auch die mannigfachst gemusterten Fabrikate (s. Spitzen)
erzielt werden. Manche Schniire werden auch durch Flechten hergestellt, so
Haarschniire, Peitschenschniire etc., doch bedient man sich hierbei mit Vortheil
der Rundschnur oder Kloppelmaschine, s. d. vergl. auch Posamentier-
arbeiten und Holzgewebe. Kk.
Flechtenblau syn. Lakmus.
Flechtenfarbstoffe. Eine grosse Anzahl von Flechtenarteii (Lichenes) ent-
halten eine Reihe farbloser Verbindungen, die durch die Einwirkung verschiedener
Agentien als Resultat ihrer Spaltung ein Product, das Orcin geben, welches als
Chromogen den Ausgangspunkt fttr die Bildung der blauen und violetten Flechten-
582 Flechtenfarbstoffe.
farbstoffe bildet; letztere sind der teclmisch verwerthete Bestandtheil der unter
dem Namen Orseille, Persio und Lacknius im Handel vorkommenden und
zur Farberei von Wolle und Seide Anwendung findenden Farbwaaren.
Andere Arten von Flechten enthalten fertig gebildete gelbe Farbstoffe, welche
jedoch, hauptsachlich wegen ihrer Schwerloslichkeit in Wasser, bisher noch keine
technische Verwendung fanden.
Die hier in Betracht zu ziehenden Flechtenarten zeigen im Allgemeinen
folgende Formen: Aus kleiner festsitzender Basis erhebt sich die baumahnlich
verastelte Pflanze, deren Zweige bald haarformig spitz, bald mehr oder weniger
dick, oder am Ende verbreitert, auch ganz flacb gebildet sind; die Farbe wechselt
zwischen grau und braunlichweiss.
Die wichtigsten zur Fabrication der Farbstoffe verwendeten Gattungen und
Arten sind:
Rocella tinctoria (Var. fuciformis), Rocella montagnei, Usnea florida,
Usnea hirta, Usnea plicata, Usnea barbata, Lecanora tartarea, Lecanora
parella, Variolaria dealbata, Variolaria lactea, Variolaria orcina, Parmelia
furfuracea, Evernia prunastri, Ramalina calicaris, Cladonia rangiferina,
Lecidia geographica, Cetraria vulpina, Gyrophora pustidata u. a.
Hauptfundorte genannter Flechten sind die Kiisten des mittellandischen
Mecres, Spaniens, Frankreicbs, Hollands, Englands, Schwedens, die canarischen
und capverdischen Inseln, zu denen in der neueren Zeit audi Siidamerika (Lima,
Valparaiso), Afrika (Madagaskar, Zanzibar, Angola) und Ostindien zu zahlen sind.
Obwohl sclion den Griechen und Romern das Farben mit Flechtenstoffen
bekannt war und die Darstellung von Orseille bereits im 14. Jahrhunderte be-
trieben wurde, war doch bis in die neueste Zeit tiber das Wesen und den Zu-
sammenhang der verschiedenen Flechtensauren und der aus denselben gebildeten
Farbstoffe nichts Naheres bekannt, bis die miihevollen Arbeiten von Heeren,
H e 1 d t, Hesse, Kane, Laurent und G e r h ar d t, R o b i q u e t, R o c h 1 e d e r,
Schunck, Stenhouse, Strecker und Anderen Licht iiber diese Verbindungen
verbreiteten und dieselben ibrem natiirlichen Zusammenhange nach erklarten.
In den obgenannten Flechtenarten finden sich eine Reihe farbloser oder gelb
gefarbter Sauren, deren wichtigste die Lecanorsaure, Erythrinsaure, Evernsaure,
Vulpinsaure, Usninsaure, Rocellsaure und Parellsaure sind. Die meisten dieser
Verbindungen liefern durch Kochen mit Wasser, Alkohol, wasserigen Losungen
von Alkalien und alkalischen Erden ein Endproduct, das Orcin, welches als die
eigentliche Grundsubstanz fiir die Bildung des Farbstoffes angesehen werden kann,
indem sich dasselbe durch Einwirkung von feuchter Luft und Ammoniak in Or cei'n
verwandelt, eine Substanz, die in alien, Orseille, Persio, Cudbear genannten
Flechtenfarbstoffen offenbar das farbende Princip bildet.
Es seien hier nur kurz die wichtigsten Flechtenfarben angefuhrt und wird
auf das Specielle derselben bei den einzelnen Artikeln verwiesen.
Orseille (orseille- orclial) wird aus verschiedenen Rocella- und Lecanora-
arten durch Behandlung mit faulendem Ham oder Avasserigem Ammoniak erzeugt
und kommt im Handel als brei- oder pastenartige Masse von eigenthiimlich
ammoniakalischem Geruche, alkalischem Geschmacke und mehr oder weniger roth-
violetter oder violelter Farbe vor. Man unterscheidet hauptsachlich zwei Sorten :
Krautorseille (Orseille de mer) aus Rocellaflechten und Erdorseille
(Orseille de terre) aus Variolaria orcina, Variolaria dealbata und Lecanora
tartarea gewonnen.
Durch Ausziehen des Farbstoffes der Orseille und nachheriges Eindampfen
der Losung oder durch Isolirung des farbstoffgebenden Orcins der Flechten und
naclihcriges Verwandeln desselben in den eigentlichen Farbstoff, gewinnt man die
sog. Orseilleextracte.
Unter d cm Namen franzosischer Pur pur (Pour pre /ran gaise — f ranch
purple) kommt ein Orseillekalklack, d. i. ein durch Fallung der durch Einwir-
Elecbtenfarbstaffe. 588
kung der Luft kirschrotli gewordenen ammoniakalischen Losung dor Flechten-
sauren mit Ohlorcatcium erhaltener Niederschlag von schoner tiefgranatrother
Farbe im Handel vor. Persio, Cudbear oder rot her Indigo i.-^t in gelinder
Warme getrocknete nnd fein geinablenc Orseille.
Laekmus wird aus Rocella-, Lecanora-, Variolaria-Artcri durch Faulen-
lassen der zerkleinerten Flecbten init Harn oder Ammoniak unter Zusatz von
Pottasche oder Kreide bis zur vollstandigen Blaufarbung der Masse und nach-
berigen Zusatz von Kreide und Gyps, Formen in Tafelchen und Trocknen der-
selben gewonnen. Nach Kane ist der wesentlicbste Bestandtbeil des Laekmus das
Azoli train (C1H1NOi), eine dunkelrothbraune Substanz, die aus dem Orcin
durcb Einwirkung von Ammoniak und Sauerstoff entstanden gedacbt werden kann.
Wie bereits erwahnt finden sicb in den zur Farbstofff'abrieation verwendeten
Flecbten eine Anzahl Sauren, durch deren Zersetzung Orcin und weiter der eigent-
licbe Farbstoff Orcein gebildet wird; im Folgenden mogen die wicbtigsten Flecbten-
sauren kurz charakterisirt werden.
L e can or s an re*) (acide lecanorique — lecanoric acid) (Orsellsaure,
Alphaorsellsaure, Lekanorin, Diorsellinsaure , Esteranhydrit der Orsellinsaure;
o16sl4o7.
Zuerst 1842 von Schunck dargestellt, findet sich in Rocella-, Lecanora-
und Variolaria-Arten, nach Hesse (Annalen der Chem. und Pharm. 89 p. 22)
besonders in Rocella tinctoria und wird nach dem Verfahren von Stenhouse
erhalten, indem man den durch Maceration der zerschnittenen Flecbten mit Kalk-
milch erhaltenen gelblichen Auszug mit Salzsaure fallt, den erhaltenen weissen
gallertartigen Niederschlag auswascht, auf Gypsplatten trocknet und aus warmem
Alkohol crystallisirt. Nach Hesse, indem man den durch Extraction der Flecbten
mit Aether erhaltenen Auszug verdunstet, den Riickstand in Kalkmilch lost, mit
Schwefelsaure fallt und den mit Wasser gewascbenen Niederschlag wiederholt
aus Alkohol krystallisirt.
Die Lecanorsaure bildet farblose, sternformig vereinigte Nadeln mit 1 Mol.
Krystallwasser, welche bei 153° scbraelzen; die Krystalle rothen Laekmus, sind
im Wasser schwer, leichter in kaltem, leicht in heissem Alkohol loslich ; sie bildet
mit Alkalien losliebe krystallisirbare Salze. Ihre Losung in wasserigem Ammoniak
farbt sich an der Luft roth ; die wasserige oder alkoholische Losung mit Eisen-
chlorid purpurroth. Bildet beim Erhitzen Orcin und ein brenzliches Oel, hinter-
lasst nur wenig Kohle. Beim Kochen mit Wasser, Aethyl- oder Amylalkohol
entsteht Orsellinsaure, resp. Orsellinsaureathyl- oder Amylathcr
C1G^1407 + Ho0 ^ 2(CSHS04)
Lecanorsaure Orsellinsaure.
Die Orsellinsaure selbst zerfallt bei langerem Kochen in Orcin und K o b 1 e n-
O Q IT V p *
C8H80i -=z C7H80„ + CO„
Orsellinsaure Orcin Kohlensaure.
Rascher und vollstandiger erfolgt diese Zersetzung der Lecanorsaure durch
Kochen derselben mit verdiinnten Losungen von Alkalien oder alkaliscben Erden.
Die Orsellinsaure (acide orsellique — orchillic acid)
Cs77s04 == CGHq (CH,) (OB), CO.OH
krystallisirt aus Wasser und Weingeist in farbloscn sternformig gruppirten Nadeln
von schwachsaurem, zugleich bitterem Geschraackc, welche bei 176° schmelzen
und hiebei unter Schauraen in Orcin und Kohlensaure zerfallen.
Die aus Rocella tinctoria vom Cap der guten Hoffnung dargestellte Beta-
orsellsaure ist von Schunck und Gerhardt als identiscb mit Lecanorsaure
*) Vrrgl. hieriiber Rochleder und Heldt, Ann. d. Chem. u. Pharm. 48 pig. -2. Sten-
house, Ann. d. Chem. u. Pliarni. GS pag. 57. O. Hesse, Ann. d. Chem. u. rhann.
139 pag. 22. Schunck, Ann. d. Chem. u. Pharm. 41 pay. 157, 54 pag-. 261,
584 Flechtenfarbstoffe.
erkannt worden; ein Gleiches glaubt Gerhard t far die aus Gyrophora postulata
dargestellte Gyrophorsaure annehraen zu mussen.
Ery thrinsaur e*) (acide erythrique — ■ erythric acid) (Erythrin, Dior-
sellinsaure — Erythritester) , C„0H,VIOi0. Zuerst von Heeren dargestellt,
findet sich in den vollstandiger entwickelten Formen der Valparaisoflechte Rocella
fuciformis. Man digerirt die zerschnittenen Flechten mit Kalkmilch und fallt
entweder die colirte gelbe Fliissigkeit mit Salzsaure, wodurch ein weisser gal-
lertartiger Niederschlag erfolgt, oder man leitet in die Losung Kohlensaure, in
welchem Falle kohlensaurer Kalk und Erythrin niederfallen. Der entstandene
Niederschlag wird mit Alkohol erwarmt, mit Thierkohle entfarbt, filtrirt und mit
so viel heissem Wasser versetzt, dass eine bleibende Triibung entsteht; nach
dem Erkalten scheidet sich die Erythrinsaure ziemlich volistandig in krystallini-
scliem Zustande aus. Sie bildet weisse, kugelformig gruppirte feine Nadeln ohne
Geruch und Geschmack, schwer in Wasser und Aether, leicht in kochendem
Weingeist loslich; schmilzt bei 137° und efsiarrt beim Erkalten amorph ; farbt
sich mit Ammoniak an der Luft allmalig dunkelroth, mit Eisenchlorid in wein-
geistiger Losung purpurroth. Sie verliert beim Erhitzen Krystallwasser und
zersetzt sich unter schwacher Kohlensaureentwicklung ; lost sich ohne Zersetzung
in concentrirter Schwefelsaure und Salzsaure und wird durch Wasser unverandert
abgeschieden.
Beim Kochen mit Wasser, Weingeist oder Amylalkohol, wasserigen Losungen
der Alkalien und alkalischen Erden zerfallt die Erythrinsaure in Pikroery thrin
und Orsellinsaure, resp. Orsellinsaureathyl- oder Amylather.
Erythrinsaure Pikroerytbrin Orsellinsaure.
Das Pikroerythrin Ci„HliiO:, von Heeren als Erythrinbitter, von Kane
als A m arithrin beschrieben, bleibt beim Verdunsten der gekochten weingeistigen
Losung des Erythrins neben Orsellinsaureathylather zuriick ; letzterer bleibt beim
Vermischen dieses Riickstandes mit Wasser ungelost, wahrend aus der filtrirten
Losung Pikroerythrin auskrystallisirt. Es bildet lange sternformig gruppirte Nadeln
mit 3 Mol. Wasser, wenig in kaltem, leichter in heissem Wasser, leicht in Wein-
geist und Aether loslich; schmilzt bei 158". Beim Kochen mit Kalk- oder
Barytwasser zerlegt es sich in Orsellinsaure und Erythrit (Erythroglucin,
Erythromannit oder Phycit), erstere in Orcin und Kohlensaure.
C\,Hl607 + Ho0 = CsH,Ox ■+ CAHinO,
Pikroerythrin Orsellinsaure Erythrit
CsHsOi = C7ffnOa + COs
Orsellinsaure Orcin Kohlensaure.
Beim Kochen von Erythrinsaure mit iiberschiissigem wasserigem Kalk oder
Baryt werden nur die Endproducte der Zersetzung, Erythrit; Orcin und Kohlen-
saure erhalten.
B e taery t hrinsaure**) (acide betaerythrique — betaenjthric acid)
(7,,#ooO|0 findet sich an Stelle \on Erythrinsaure in verktimmerten Formen
von Rocella fuciformis; bildet ein weisses krystallinisches Pulver, welches
bei 116° unter heftiger Kohlensaureentwicklung schmilzt. Beim Kochen mit
Wasser, Weingeist, wasserigen Alkalien und alkalischen Erden entsteht neben
Orsellinsaure Betapikroerythrin C13ffi606 und statt Orcin das homologe Beta-
orcin CsHinO<i, letzteres krystallisirt in grossen glanzenden klinorhombischen
*) Vgl. Kane, Ann. d. Chem. u. Pharm. 39 pag. 31. Schunck, Ann. d. Chetn.u. Pharm.
61 pag. 64. St en ho use, Ann. d. Chem. u. Pharm. 68 pag. 72. O.Hesse, Ann. d. Chem.
u. Pharm. 139- pag. 22. Heeren, Scliw* igg. Journ. 59 pag. 313.
*) Vgl. Lamparter, Ann. d. Chemie u. Pharm. 134 pag. 243. Menschutkin, Zeitschr.
fur Chem. 8 pag. 112.
FlechtenfarbstofFe. 585
Prismen von schwach siisscra Geschmack; in kaltem Wagsev schwerer loslich als
Orcin; farbt sich, wenn vollig rein, durch Einwirkung von Luf't und Aramoniak
nur sehr langsam roth.
E v e r n s a u r e *) (acide evemique — evernic acid) C17 T/,,.0, findet
sich nach Sten house und Hesse neben Usninsaure in Evernia pruiiastri;
man zieht die Flechte mit Kalkmilch aus, fallt den filtrirten gelbliclien Auszug
mit Salzsaure oder Schwefelsaure, trocknet den mit kaltem Wasser gewaschenen
Niederschlag, entzieht demselben die Evernsaure durch schwach erwarmten
Alkohol oder Aether und krystallisirt mehrmals aus Alkohol. Sie bildet weisse
kugelige Krystallaggregate, die sauer reagiren, bei 164° schmelzen, im Wasser
schwer, leichter in Alkohol und Aether loslich sind; bei der trockenen
Destination entsteht neben Orcin ein brenzliches Oel. Die ammoniakalische
Losung farbt sich an der Luft dunkelroth. Beim Kochen mit wasserigen Alkalien
oder alkalischen Erden zerfallt die Evernsaure in Everninsaure, Orcin und
Kohlensaure.
C^H^O, + Ho0 = C9ffl00, + C\H80, + CO,
Evernsaure Everninsaure Orcin Kohlensaure
Everninsaure [acide everniriique — eveminic acid) Cc,Hi004, eine der
Orsellinsaure homologe Saure, krystallisirt in farblosen feinen Nadeln, in kaltem
Wasser fast unloslich, leicht loslich in heissem Wasser, Alkohol und Aether ;
schmilzt bei 175°, wird durch Eisenchlorid violett gefarbt. Beim Schmelzen mit
Kali liefert sie neben Kohlensaure Orcin.
Vulpinsaur e **) {acide vidpinique — vulpinic acid) (Chrisopikrin)
Cl9HliOr) findet sich in Evernia s. Cetraria vuljpina, nach Stein in den
unentwickelten Formen von Parmelia parietina; sie wird der betreffenden
Flechte durch lauwarmes Kalkwasser entzogen und scheidet sich beim Ansauern
des Filtrates in gelben Krystallen ab ; krystallisirt aus Chloroform in dicken
Prismen. In Wasser und kaltem Alkohol sehr schwer, leichter in kochen dem
Alkohol und Aether, leicht in Chloroform loslich. Schmilzt bei 110°, erstarrt beim
Erkalten krystallinisch und sublimirt bei 120° in glanzenden Blattchen, welche
sich in Alkalien mit gelber Farbe losen ; bildet mit Alkalien gelbe losliche, mit
Metalloxyden unlosliche Salze.
Usninsaure***) (acide usniqw — usnic acid) CiSH1801, von Knop,
Rochleder und Heldt gleichzeitig entdeckt; gehort zu den verbreitetsten
Flechtensauren und findet sich in alien Arten der Gattung Usnea, ferner in
Cladonia-, Parmelia-, Ramalina- und Lecanora- Arten. Besonders geeignet zur
Darstellung sind Cladonia rangiferina, Usnea florida und Ramalina calicaris.
Krystallisirt in hell schwefelgelben glanzenden Blattchen oder Prismen, in Wasser
unloslich, schwer loslich in Alkohol und Aether; leicht loslich in kochendem
Aether, heissen atherischen und fetten Oelen ; schmilzt bei 200 — 202° zu einer
durchsichtigen harzartigen, beim Erkalten krystallinisch erstarrenden Masse. Die
aus Cladonia rangiferina erhaltene Saure schmilzt nach Hesse bei 175° und
wird von ihm als Betausninsaure unterschieden. Die Usninsaure ist loslich in
Alkalien, die Losung braunt sich unter Sauerstotf-Absorbtion sehr rasch an der
Luft. Bei der trockenen Destination liefert Usninsaure ein Destillat von Betaorcin
CaHloOl2; diese dem Orcin homologe Substanz, welche audi aus Betapikroerythrin
entstelit, bildet grosse glanzende klinorhombische Prismen, welche unzersetzt in
schonen weissen Nadeln sublimiren.
*) Vgl. Stenhouse, Ann. d. Chem. u. Pharm. 68 pag. 83. O. Hesse, Ann. d. Chem. und
Pharni. 117 pag. 297.
**) Vgl. Bo 1 ley u. Kinkelin, Journ. f.pract. Chem. (2) 93 pag. 354. Stein, Zeitsch. Chem.
7 pag. 97; 8 pag. 47. Moller u. Strecker, Ann. d. Chem. u. Pharm. 113 pag. 56.
***) Vgl. Kochleder u. Heldt, Ann. d. Chem. u. Pharm, 48 pag. 9. Stenhouse, Ann. der
Chem. u. Pharm. 68 pag 97. Hesse, Ann. d. Chem. u. Pharm. 118 pag. 343. Knop
und Schnedermann, Journ. f. pract. Chem. 39 pag. 363.
586 Flechtenfarbstoffe.
Chrysophansaure (Ruraicin, Lapatliin oder Rhabarbersaure) von Her-
b e r g e r, R o c h 1 e d e r und H e 1 d t in der Wandflechte, Parmelia parietina entdeckt ;
findet sich anch in der Rhabarberwurzel und in Rumexarten; krystallisirt in gold-
gelben metallisch glanzenden Nadeln, welche bei 162° schmelzen, bei hbherer
Temperatur unter theilweiser Zersetzung sublimiren (vgl. auch II pag. 359).
Die zuletzt angeflihrten gelben Flechtenfarbstoffe haben bislang keine tecli-
nische Verwendung gefunden. Chrysophansaure findet neuestens Anwendung als
Heflmittel.
Roc el Is aur e*) (rocelline — rocellic acid) Rocellin C17Hi204 findet
sich neben Erythrinsaure in Rocella tinctoria; bildet weisse silberglanzende
Tafeln oder kurze Nadeln, in Wasser unloslich, leicht loslich in warmem Alkohol
und Aether; geruch- und geschmacklos. Schmelzpunkt 132°. Beim Erhitzen
auf 220 — '280° C. verwandelt sie sich in Rocellsaureanhydrit CnH300.d.
Parellsaure (acide parellique — parellic acid) Parellin ClJHi.Oi findet
sich nach Schunck neben Lecanorsaure in Lecanora Parella] krystallisirt in
feinen stark glanzenden Nadeln, welche in Wasser fast unloslich, in Alkohol
und Aether leicht loslich sind.
Orcin {prcine — orcine) (Alphaorcin, Dihydroxyltoluol)
C:H80o_ = C6H3(CH3)(0H)*.
Orcin, das unmittelbare Chromogen der Flechtenfarbstoffe, findet sich vielleicht in
sehr geringer Menge bei'eits fertig gebildet in den Flechten vor und entsteht durch
Einwirkung von Wasser, Alkohol, Losungen von Alkalien und alkalischen Erden
auf Lecanorsaure, Erythrinsaure, Orsellinsaure etc.
Zur Darstellung von Orcin verfahrt Sten house auf folgende Art : Eine
Rocellaflechte wird mit Kalkmilch macerirt, colirt und die erhaltene Fliissigkeit
mehrere Stunden gekocht; hiebei uhergeht die Lecanorsaure in Orcin und Kohlen-
saure. Zur Entfernung des Kalkes wird Kohlensaure eingeleitet, filtrirt und die
erhaltene Losung zur Trockene verdarnpft; der Riickstand wird mit kochendera
Alkohol extrahirt, aus welchem sich das Orcin nach einiger Zeit ausscheidet.
V. de Luynes, Dingl. polyt. Journal 169 pag. 220, a. Chera. Centralblatt
1863 pag. 1053) verfahrt folgenderweise : Die Flechten werden eine Stunde
lang mit Wasser macerirt, dann mit einer kleinen Menge geloschten Kalk
iiberstreut und gut durchgertihrt, hierauf decantirt und der Riickstand aus-
gepresst; die erhaltene Fliissigkeit rasch filtrirt und mit Salzsaure in geringen
Ueberschuss versetzt, wodurch alle Erythrinsaure als dicke Gallerte gefallt wird.
Diese wird so lange gewaschen, bis die ablaufende Fliissigkeit nicht mehr sauer
reagirt, an der Luft getrocknet und hierauf mit geloschtem Kalk in luftdicht
verschlossene Kessel gebracht und hier 2 Stunden auf 150° erhitzt. Darauf wird
die Fliissigkeit abgelassen und vom gebildeten kohlensauren Kalk filtrirt. Aus
dem Filtrat scheiden sich beim Erkalten grosse beinahe farblose Krystalle von
Orcin ab.
Auf synthetischem Wege kann Orcin durch Behandeln von Aloe mit
schmclzendem Aetzkali oder durch Schmelzen von chlortoluolsulfonsaurem Kali
mit Aetzkali erkalten werden (Vogt und Henninger, Bullet, de la soc. chim.
1874, 21. Nro. 8 pag. 373.
Orcin bildet farblose 6 seitige monokline Saulen, ist in Wasser, Alkohol
und Aether sehr leicht loslich. Beim Verdunsten aus Wasser erhalt man Krystalle
mit 1 Mol. Krystallwasser, aus Aether krystallisirt es wasserfrei ; bei 58° schmilzt
das wasserhaltige Orcin und verliert sein Krystallwasser, destillirt bei 290°
unverandert als wasserhelle Fliissigkeit. Der Gesehmack des Orcins ist wider lich
siisslich, eckelerregend. Die neutrale wasserige Losung wird durch Eiscnchlorid
dunkelroth, durch Bleiessig weiss gefallt.
") Schunck, Ann. d. Chem. u. Pharm. 61 pag. 78. Hesse, Ann. der Chem. u. Pharm.
117 pag 332.
Flechtenfarbstoffe. 587
Wird zerriebenes Orcin unter eine Glocke gebracht, unter welcher sich ein
Gefass mit Salpetersaure von 40° r— 1*38 spec. Gew. befindet und so bei
gewbhnlicher Temperatur der langsamen Einwirkung von Salpetersauredampfen
ausgesetzt, so werden dieOrcinkrystalle allmalich gebraunt und endlich vollstandig
in einen rothen Farbstoff verwandelt, welcher vom Orcein verschieden ist. Derselbe
lost sich nach de Luynes (Compt. rend. 57 pag. 161; Dirgl. polyt. Journ.
170 pag. 237) in Wasser, Alkohol und Aether auf, farbt Wolle und Seide
ohne Beize schon roth, wird von Ammoniak vorubcrgehend, von fixen Alkalies]
dauernd in einen violetten Farbstoff verwandelt durch Sauren aber wieder roth
gefarbt; Chlornatrium fallt den Farbstoff aus seiner wasserigen Lbsung, docli lcJst
er sich nach dem Auswaschen des Salzes wieder auf. Durch Chlorkalk wird
Orcin tief violett, dann braun und gelb, an der Luft und im Lichte bald rbthlich
gefarbt ; trockenes Orcin bleibt in ammoniakhaltiger Luft unverandert, iin feuchten
Zustande nimmt es Ammoniak und Sauerstoff auf und verwandelt sich in Orcein
und Wasser.
C7HsO* + NHs + 30 = C\FJrN03 + 2#20
Orcin Orcein.
Das Orcein C- H7 N03 kann leicht erhalten werden, wenn man zerriebenes
feuchtes Orcin unter einer Glasglocke neben starker Ammoniakfliissigkeit stellt ;
sobald es braun geworden, lost man es in Wasser, dem einige Tropfen Ammoniak
zugesetzt sind, und fallt durch Essigsaure. Aus Orseille kann es durch Versetzen
mit Salzsaure, Abdampfen zur Trockene, Auskochen des Riickstandes mit Wein-
geist, abermaliges Eindampfen, Waschen mit Wasser und Aether erhalten werden.
Es stellt ein dunkelrothbraunes Pulver dar, in Wasser sehr schwer, in Weingeist
leic't mit scliarlachrother, in wasserigen Lbsungen der Alkalien mit prachtvoll
purpurrother Farbe lbslich. Chlornatrium fallt aus diesen Lbsungen das Orcein
in Verbindung mit Alkali.
Nascirender Wasserstoff, ebenso Schwefelwasserstoff entfarbt ammoniakalische
Orceinlbsungen, welche jedoch an der Luft wieder roth werden.
Durch Einwirkung von Chlor, Brom und Jod auf Orcin werden Substitutions-
producte desselben, durch Salpetersaure Nitroorcin erhalten.
Das Tri chlor or ein C.H^l.O,, oder CcCl3(CH3)(0H)a krystallisirt aus
Wasser in farblosen Nadeln von 59° C. Schmelzpunkt. Das Tribromorcin
C7H5Br30,, oder C^v./CH^OH),, bildet farblose bei 103° C. schmelzende seiden-
glanzende Nadeln. Das Monojod orcin C~H~JO,, (Chem. News 29, 53; Ann.
d. Chemie u. Pharm. 171, 310) krystallisirt aus Wasser und Benzol in farblosen
Prismen, die bei 86*5° C. schmelzen. Das Trinitro orcin C7H5(NO„)30„ ■=
CG(M)2)3(CHJ)(Oi/)2 bildet gelbe bei 162° C. schmelzende Prismen.
Nach W e s e 1 s k y (Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch. 7 pag. 442) erhalt man
durch Einwirkung von salpetrige Saure enthaltender Salpetersaure auf Orcin neben
einem Farbstoff zwei Nitroorcine, welche sich durch Destination mit Wasser
trennen lassen. Das Alphanitroorcin C7H.(NO„)0,, scheidet sich aus dem
wasserigen Destillate in Krystallen ab und bildet nach der Sublimation orange-
rothe golclglanzende Nadeln. Das Betanitroorcin, im Destillationsriiekstande ent-
halten, bildet nach dem Umkrystallisiren aus Wasser kurze citronengelbe Nadeln.
Durch Einwirkung von salpetrige Saure enthaltender Salpetersaure auf
Orcin erhalt man nach Weselsky (Berliner Berichte 7, 439) einen Farbstoff
in Form dunkelbrauner krystallinischer Kbrner mit metallisch griinem Reflexe,
welche in Wasser, das eine Spur Alkali entkalt, mit prachtvoller Purpurfarbe
lbslich sind; die sehr verdiinnte Lbsung zeigt zinnoberrothe Fluorcscenz; heisse
concentrirte Salpetersaure lost den Farbstoff mit dunkelrothbrauner Farbe auf.
Nach dem Erkalten der Lbsung scheiden sich glanzende, fast zinnoberrothe
Prismen aus. Diese Verbindungen scheinen im Zusammenhange mit dem durch
Einwirkung von Luft und Ammoniak auf Orcin entstandenen Orcein zu stehen.
588 Fleclitenfarbstoffe — Flechtenspiritus.
Orseille unci Orseilleextracte werden hauptsachlich zuin Farben von Wolle
und Scide verwendet, und da der Farbstoff ein substantiver ist, so farben sich
diese ohne Beize. Die erhaltenen violetten Farben sind ziemlich haltbar und
konnen durch Zusatz von Alaun in verschiedenen Nuancen erhalten werden.
Grossere Wichtigkeit hat Orseille zur Erzeugung von Mischfarben und von Braun-
uud Modefarben auf Wolle. Zum Drucken findet selbe wenig Verwendung, wohl
aber franzbsischer Purpur.
Die Methoden zur Bestimmung des Gehaltes an Farbstoff in Orseille und
Flechten beruhen entweder auf dera Vergleiche der farbenden Kraft derselben
oder auf der Bestimmung der farbengebenden Bestandtheile.
100 Gramm der zu untersuchenden Flechten werden mit alkalihaltigem
Wasser ausgezogen, auf 100 Gramm concentrirt, mit 30 Gramm Ammoniak ver-
setzt und mit dieser Lbsung directe Farbeversuche auf nicht mordanisirter Wolle
angestellt, aus deren Vergleichung auf die Menge des gebildeten Farbstoffes
geschlossen werden kann •, die Priifung der Orseille geschieht durch directe Farbe-
versuclie auf nicht gebeizter Wolle.
Nach Gerhardt kann das Farbungsvermbgen verschiedener Flechten
vergleichsweise bestimmt werden, wenn man ein bestimmtes Gewicht derselben
mit Kalkmilch extrahirt, filtrirt, die Fliissigkeit mit Salzsaure fallt und die ausge-
schiedenen Flechtensauren direct wagt.
Stenhouse (Annalen der Chem. und Pharm. 68 pag. 55 ; wendet
eine titrirte Auflbsung von unterchlorigsaurem Kalk an, mit der er die durch
mehrmalige Maceration der Flechten mit Kalkmilch erhaltene Fliissigkeit so lange
versetzt, als noch vorubergehende Rothfarbung eintritt und aus der verbranchten
Menge der Chlorkalklbsung auf die Quantitat des Farbstoffs schliesst. Statt
Bleichkalk kann auch unterchlorigsaures Natron verwendet werden.
Nach Rey mann (Ber. d. deutsch. chem. Gesellschaft 1875 pag. 790; wircl das
Orcin in den Farbeflechten des Handels massanalytisch bestimmt. Durch Zusatz von
Bromwasser zu verdiinnter Orcinlbsung entsteht unter Gelbfarbung zuerst Mono-
bromorcin, das durch weiteren Zusatz von Bromwasser nach voriibergehender
Weissfarbung des in der Fliissigkeit suspendirten Niederschlags in gelbes Tri-
bromorcin iibergeht. Man versetzt die zu priifende Lbsung mit Bromwasser, bis
der entstandene Niederschlag endlich wieder gelb geworden ist und nach einigem
Schiitteln ein Ueberschues von Brom durch den Geruch wahrnehmbar vorhanden
ist; dann setzt man eine gemessene Menge Jodkalium zu und titrirt das durch
den Ueberschuss von Brom ausgeschiedene Jod mit unterschwefligsaurem Natron,
woraus sich berechnen lasst, wie viel Brom zur Bildung von Tribromorcin ver-
wendet wurde oder wie viel Orcin in der Fliissigkeit enthalten war.
K. Weis.
Flechtengriin, der griine Farbstoff der Flechten, s. Th alloc hi or.
Flechtenroth s. Orcein, s. Fleclitenfarbstoffe.
Flechtensauren s. Fleclitenfarbstoffe. Flechtensaure nennt man auch
die Fumarsaure s. d.
Flechtenspiritus (Moos-Spiritus). Ein neuerer Zeit namentlich in Schweden
und Russland in grosserem Massstabe fabriksmassig gewonnener Alkohol, zu
dessen Darstellung gewisse, an Flechtenstarke reichere Flechtensorten, zumal
die Rennthierflechte durch Kochen mit verdiinnter Schwefelsaure oder Salz-
saure zur Gewinnung einer gahrungsfahigen Fliissigkeit verwendet werden, welche
nach der Neutralisation der freien Saure mit Kreide oder kohlensaurem Natron
zur Gahrung gebracht und nach der Vergahrung entgeistet werden kann (vgl.
Stenberg Journ. f. pract. Chem. 106 pag. 416), s. a. Chem. Centralbl. 1872
pag. 515, vgl. a. Branntweinbrennerei I pag. 739. Gil.
Flechtenstarke. — Fleckenreinigung. 589
Flechtenstarke syn. Lichen in, vgl. a. Starke.
Fleckenmergel, Allgauschichten, Allgauschiefer, dunkelgraue,
diinnscliiefrige Mergel rait von Fucoidin herruhrenden Zeichnungen , welche irn
Lias der nordlichenAlpen nameiitlich im Allgauer Gebirge vorkommen. Lb.
Fleckenporphyr s. Quarzpbrpbyr.
Fleckenreinigung {detacher ■ — to take out spots). Sowohl die Entfernung
von Flecken aus Zeugen, besonders Kleidungsstiicken, als auch ana Papier und
Holz, bildet den Gegenstand einer besonderen Fertigkeit, bei der es sicli entweder
darnm handelt, einen den Fleck verursacbenden fremden Korper aus dem zu rei-
nigenden Stoffe zu entfernen (Oel-, Fett-, Harz-7 Schrnutz-, Rostflecke), oder darum,
eine durch Einwirkung einer fremden Substanz bedingte locale Veranderung
der Eigenscbaften des fleckig gewordenen Zeugs zu beheben und die urspiiingliche
Farbe wieder berzustellen (Laugen-, Saure-, Obstflecke). In alien Fallen setzt die
rationelle Fleckenreinigung die Kenntniss der Natur der den Fleck verursacbenden
Substanz, dann aber auch die Kenntniss der Wirkungsweise der angewandten
Reinigungsmittel und ihres Einflusses auf den zu reinigenden Stoff voraus, und es
konnen demnacb die im folgenden gegebenen Vorschriften nur als allgemeine
angeseben werden.
a) Flecke in weissen Zeugen sind meistens leicht zu beseitigen, weil hier
jede Art von Waschung und sonstiger cbemiscber Behandlung zulassig ist. Fett-
flecke sind durch Seife, welcher man bei hartnackigen Flecken, z. B. eingetrock-
neter Oelfarbe, ein wenig atzender Kalilange zusetzen kann, leicht fortzuschaffen.
Theer, Wagenschmiere u. dergl. konnen ebenfalls durch Seife, besser noch durch
vorheriges Einreiben mit Butter und darauf folgendes Waschen beseitigt werden.
Zwar wiirden sich auch hier die weiter unten fiir gefarbte Zeuge angegebenen
Mittel gegen Fettflecke in Anwendung bringen lassen, wo aber eine Waschung
mit Seife irgend zulassig ist7 geht sie in Sicherheit und Vollkommenheit des Er-
folges alien anderen Mitteln vor.
Tintenflecke so wie Rostflecke vertilgt man aus weissen Zeugen am leich-
testen durch Eintauchen oder Betupfen mit massig verdiinnter Salzsaure, welche
der Substanz des Zeuges nicht schadet, wenn nur nach der Zerstorung des Fleckes
zuerst mit Wasser, darauf mit Seife gehorig gewaschen wird, um die Saure
vollstandig zu entfernen. Kleesaure und Sauerkleesalz wirken weniger kraf'tig,
konnen aber auch dazu gebraucht werden. Sehr alte Rostflecke weichen mitunter
der Einwirkung einer Zinnchloriirlosung.
Flecke von Fruchtsaften, z. B. Heidelbeeren, Rothwein und dergleichen
weichen gewbhnlich schon einer kraftigen Waschung; sollte dies nicht der Fall
sein, so tauche man die Stelle in eine schwache Losung von Chlorkalk oder unter-
chlorigsaurem Natron (s. Bleichen I pag. 622), versaume aber nicht, hinterher
durch sorgfaltiges Waschen das Bleichmittel vollstandig wieder zu entfernen.
Dasselbe Mittel zerstort nicht selten die durch langes Liegen an feuchten Orten
entstandenen sogenannten Stockflecke. Auch Flecke von blauer Tinte (IndiglSsung),
Blauholztinten, rothen Tinten, in weissen wollenen Stoffen werden durch Bleich-
wasser schnell zerstort.
b) Flecke in gefarbten Stoffen. Fettflecke entfernt man auch hier am
besten durch Waschen mit Seife. Wo jedoch, wie z. B. bei seidenen Stoffen,
eine Waschung nicht zulassig ist, sucht man das Fett durch Auflosung zu ent-
fernen. Hierzu eignet sich am besten reiner Schwefelather, Benzin, Chloroform
oder Schwefelkohlenstoff (s. a. Fleck wasser). (Dnreiner Schwefelather oder
verdorbenes, saures Chloroform ist zu vermeiden, weil die in ihm enthalteue
Saure der Farbe schaden konnte.) Man legt die befleckte Stelle auf mehrfaches
Loschpapier, tropfelt etwas Aether o. d. g. auf den Fleck, betupft ihn mit einem
weichen Bauschchen, und wiederholt dieses bis zum Verschwinden des Fleckes.
590 Fleckenreinigung.
Denselben Zweck erfiillt auch Terpentinol, vorausgesetzt, dass es ganz frisch
rectificirt und dadurch von allem Harz befreit wurde; eine Bedingung, die nicht
so leicht zu erfiillen ist, wesshalb dem Aether oder Benzin der Vorzug gebiihrt.
Gcwohnlich findet man, nacbdem der Fleck selbst verschwunden ist, in einiger
Entfernung urn denselben einen wolkigen Rand, von einem geringen Rest des
Fettes berriihrend, das sich hier aus der Auflosung abgesetzt hat. Um diesen zu
beseitigen, bestreicht man ihn mit in Wasser anfgeweichtem Pfeifenthon und lasst
diesen trocknen. Das Fett wird von dem Tbon eingesogen, der sich dann durch
Klopfen beseitigen lasst. Oder, man umgebe den Fettfleck vor Anwendung des
Aethers mit einem Rand von aufgelostem Gummi arabicum, um die Poren des
Stoffes hier zu verstopfen, lasse ihn trocknen und entferne nun den Fleck mit
Aether. Ist dies geschehen, so beseitigt man das Gummi mit Wasser, worauf,
wenn alles richtig ausgefiihrt wurde, kein Fettrand zu bemerken sein wird. Zu
rathen ist jedoch, bei sehr empfindlichen Farben auf seidenen Stoffen vorerst einen
Probeversuch mit einem absichtlich auf einem Lappchen desselben Stoffes ge-
machten Fettfleck anzustellen.
Bei weniger empfindlichen Stoffen leistet ein wiederholtes Betupfen mit
zubereiteter Ochsengalle (m. s. Galle) gate Dienste; so wird dieses Mittel haufig
beim Reinigen tuchener Kleidungsstiicke in Anwendung gebracht, besonders um
den im Kragen der Rocke sich ansammelnden, aus Fett und Staub bestehenden
Schmutz zu entfernen. Audi durch Wascben mit verdiinnten Aetzammoniak lassen
sich Fettflecke, namentlich aus Tuchstoffen, gut entfernen.
Talgflecke beseitigt man leicht durch dieselben Mittel, nachdem durch
gelinde Erwarmung das Fett zum Schmelzen gebracht worden ; Wachsflecke durch
Befeuchten mit Weingeist und darauf folgendes Reiben, wobei das Wachs in
Pulverform sich ablost.
Oelfarbe muss wo moglich sogleich und vor dem Eintrocknen mit Galle
oder Terpentinol weggenommen werden, wobei es jedoch nicht immer gelingt,
die letzten Reste des in die Poren des Gewebes eingedrungenen Farbstoffes ganz
zu entfernen. Ist Oelfarbe ein Mai erhartet, so lost sie sich sehr schwer auf;
am besten ist es denn, sie mit Butter zu bestreichen, diese mehrere Tage lang
darauf zu lassen und nun Terpentinol in Anwendung zu bringen, audi mit Schwefel-
kohlenstoff lassen sie sich mitunter ausbringen. Ein besonderes Reinigungsmittel
sind die Fleckkugeln. Diese werden folgendermassen verfertigt: Man nimmt
durch Schlammen von allem Sande vollstandig gereinigten Walkthon oder Pfeifen-
thon und mischt 1 Kilo davon mit 1 Kilo Soda, 1 Kilo Seife und einer durch
anhaltendes Schlagen bewirkten Mischung von 1 Kilo Ochsengalle mit dem Gelben
von 32 Eiern. Das Ganze wird auf einem Reibstein sorgfaltig gerieben und zu
kleinen Kugeln geformt. Beim Gebrauch schabt man ein wenig davon mit einem
Messer ab, macht es mit etwas Wasser zu einem Teig und reibt damit den Fleck.
Auf sehr zarten Farben sind diese Fleckkugeln ihres Alkali und Seifengehaltes
wegen nicht anwendbar.
Tinte- und Rostflecke konnen aus gefarbten Zeugen nur dann entfernt
werden, wenn die Farbe durch die nothwendig anzuwendende Saure (Kleesaure)
nicht dauernd leidet ; bei heiklen, durch Saure sich dauernd verandernden Farben
ist die Vertilgnng eines Tinten- oder Rostfleckes geradezu eine Unmbglichkeit.
Ist auf schwarz oder dunkel gefarbten Zeugen durch eine sta'rkere Saure,
z. B. Schwefel- oder Salzsaure ein rother Fleck entstanden, so verschwindet er
beim Betupfen mit Ammoniak (Salmiakgeist) augenblicklich ; ist aber ein solcher
Fleck sehr alt, so kann es sein, dass er nur unvollkommen oder gar nicht ver-
schwindet. Flecken von Salpetersaure lassen sich durch dieses Mittel tiberhaupt
nur beseitigen, so lange sie ganz frisch sind.
Ist bereits wirkliche Zerstorung des Farbstoffes eingetreten, wie dies bei
Einwirkung von Salpetersaure oder durch Aufbewahrung von gefarbten Stoffen
in feuchtem Zustande (Stockflecke) geschehen kann, so bleibt kein anderes Aus-
Fleckenreinigung. — Fleckwasser. 591
kunftsmittel, als die Stelle neu zu farben, wozu allerdings praktische Keimtniss
der Fa'rberei unerlasslicbe Bedingung ist.
Flecke auf Papier. (Jm Fettflecke von Papier zu vertilgen, bedient
man sich am besten des Aethers. Man legt die Stelle auf eine Unterlage von
Loschpapier, giesst einige Tropfen Aether auf den Fleck, bedeckt, ohne dem
Aether zum Trocknen Zelt zu lassen, die Stelle mit mehrfach zusammengelegtem
Loschpapier und bringt das Ganze sogleich unter eine kraftige Presse. Dieselbe
Procedur wird so lange wiederholt, bis der Fleck verschwunden ist. Gleich dem
Aether liisst sich auch Benzol oder Schwefelkohlenstotf verwenden.
Tintenflecke, wenn sie von Gallapfel- oder Alizarin-Tinte herriihren, zerstort
man am besten mit einer concentrirten Auflosung von Kleesaure. Ist die schwarze
Farbe verschwunden, so legt man das Papier zwischen Loschpapier und presst es,
worauf man die Stelle mit reinem Wasser befeuchtet, dann abermals zwischen
Loschpapier presst und dieses bis zur ganzlichen Entfernung sichtbarer Spuren
der Operation wiederholt. Flecke von Blauholz-Indigo- oder Carmintinten lassen
sich auf diese Weise jedoch nicht entfernen, zu ihrer Beseitigung ist in der Regel
die Anwendung von Bleichkalklosung nothwendig.
Flecke auf Holz. Fur Fettflecke gibt es kein besseres als das
allgemein bekannte Mittel zu empfehlen , den Fleck mit in Wasser oder
Branntwein aufgeweichtem Pfeifenthon zu bestreichen, und denselben bis zur
volligen Trocknung auf der Stelle zu lassen. Zeigt sich nach dem Ahnehmen des
Thons der Fleck noch, so wiederholt man dieselbe Behandlung. Biirsten der
Stelle mit heisser Sodalauge ist ebenfalls sehr wirksam ; nur wird das Holz dadurch
gelblich, welche Farbe sich freilich hinterher durch verdiinnte Schwefelsaure be-
seitigen lasst.
Zur Zerstorung von Tintenflecken auf weissem Holz bedient man sich am
besten der verdiinnten Salzsaure, oder bei Blauholztinten etc., einer schwachen
Bleichlauge. Ist der Fleck verschwunden, so suche man durch kraftiges Scheuern
der Stelle mit Regenwasser (nicht Brunnenwasser oder gar Seife) die Riickstande
der Operation zu entfernen, s. a. Fleckwasser.
Fleckkugelil (savonnette — scouring ball) s. Fleckenreinigung III. pag. 590.
Fleckschiefer, Frucht-, Garb en-, Knotenschiefer. Sowohl sedimen-
tare als auch krystallinische Thonschiefer und selbst Glimmerschiefer, in welchen
sieh eigenthiimliche Concretionen auf den Schieferflachen zeigen, welche oft nur
einen mehr oder weniger scharfumschriebenen dunkelgefarbten Fleck bilden
(Fleckschiefer) oder bei welchen dunkle Knotchen von unbestimmter Form (Kno-
tenschiefer) auf den Flachen liegen, oder aber bei denen diese Flecken nach
einer oder zwei Seiten hin sich ahren- oder garbenartig ausdehnen (Frucht- oder
Garbenschiefer). Die knotenbildende Substanz hat keinen bestimmten mineralogi-
schen Charakter, sie gemahnt zuweilen an Staurolith, u. a. a. Mineralien, ohne jedoch
dasselbe zu erreichen. Nach Allem scheinen diese Knotchen oder Flecken die
Fplge der Einwirkung eines emporgedrungenen Eruptivgesteines zu sein, durch
welches die umliegenden Schiefer bestimmt wurden eine Umkrystallisirung ihrer
Gemengtheile einzuleiten, da man nur in unmittelbarer Nahe, an der Griiuze
solcher Gesteine gegen die Schiefer, dergleichen Fleck- und Knotenschiefer
findet. Lb.
Fleckwasser (eau a detacher — scouring water). Von Mitteln zur Ent-
fernung von Flecken aus Zeugen, namentlich von Harz-, Wachs-, Fett- oder Theer-
flecken, wohl auch von Saureflecken hat man die verschiedensten Mischungen
empfohlen, wohl auch als Geheimmittel in den Handel gebracht. Von solchen
sind zu nennen:
Bronners Fleckwasser ist wesentlich mehr oder weniger reines Benzin,
wie es als leicht fliichtiger Antheil bei der Rectification der leicht siedenden Theer-
592 Fleckwasser. — Fleisch.
ole gewonnen wird, eignet sich nur fur die Entfernung von Wachs-, Fett- oder
Theerflecken.
Buchner's Fleckwasser ist eine Misclmng von 3 Thl. Schwefelather, 3 Thl.
absol. Alkohol und 1 Thl. Salmiakgeist (auch fiir Saureflecke verwendbar).
Englisehes Fleckwasser, 6 Thl. 95% Alkohol, 2 Thl. Salmiak, '/10 Thl.
Benzol.
Le Francois's Mischungen: 1 Thl. Seife, x\^ Thl. Ochsengalle, l/i0 Thl.
Terpentin.
1 Thl. venet. Seife, 7a Tnl- Ochsengalle, 15/,0„ Honig, '/,0 Zucker und
ein wenig Terpetin; endlich
64 Thl. Seifenwurzel und Seifenkraut, 45 Thl. geklart. Citronensaft, 185
Thl. Weingeist, 1700 Thl. Flusswasser, als Waschmittel.
Winkler's Fleckwasser: 1 Thl. Pinolin, 1 Thl. Aether, 1 Thl. absol.
Alkohol (das Ganze mit etwas Citronenol und Bergamottol parfumirt).
Aehnlich diesem ist die Mischung von 4 Thl. Terpentinol (rectificirt), 1 Thl.
Weingeist, 1 Thl. Aether.
Liqueur Bernhard ist eine Losung^ von 100 Thl. Ochsengalle und 50
Thl. Potasche in 1000 Thl. Wasser. Gil.
Fledermausbrenner, s. Leuchtstoffe, s. Lampen.
Fleisch (viande — meat). Unter diesem Namen begreift man die aus
Muskelfasern, Bindegewebe und elastischem Gewebe bestehenden Antheile des
Thierkorpers, in denen neben Gefassen und Nervenasten, stets Fettzellen und
freies Fett eingelagert sind und die mehr oder weniger mit Blut und Blutfliissig-
keit erfiillt sind. Im engsten Sinne des Wortes versteht man unter Fleisch auch
nur die Bilndel der Muskelfasern allein, welche sich aus mikroskopisch kleinen,
meist quergestreiften Faserchen aufbauen, die von einer aus Bindegewebe beste-
henden Scheide umschlossen werden. Der Inhalt der einzelnen Muskelfasern
(Primitivbtindel) besteht wahrscheinlich im Wesentlichen aus Syntonin einer d em
Eiweiss ahnlich zusammengesetzten Substanz , wahrend die das Muskelgewebe
erfiillende Ernahrungsfliissigkeit wesentlich eine Losung von Eiweissstoffen und
Myosin nebst Salzen ist. Der fiir das Fleisch der hbheren Thiere charakteristische
rothe Farbstoff ist identisch mit dem BlutfarbstoiT (s. Blut I pag. 659), die die
Scheiden der einzelnen Muskelfaserchen bildende Substanz, (Sarcolemma) besteht
wahrscheinlich aus Keratin und Elastin. Von sonstigen charakteristischen Bestand-
theilen findet sich im Fleische das Kreatin (C^HgN^O^), das Kreatinin
{C4H~N30), die Inosinsaure (C10^Tl4ivr4O11) und Milchsaure (s. d.), ferner
S a r k i n (auch Hj^poxanthin C'5i/4A740), X a n t h i n (6'4Zf4iV402), T a u r i n (s.
Galle), Harnsaure (s. d.), Inosit (Muskelzucker), gahrungsfahiger Zucker,
Dextrin, leimgebende Substanz, Fettsauren und Salze nebst sonstigen Bestand-
theilen des Blutes und der Nervensubstanz.
Wird Fleisch kalt extrahirt, so finden sich in dem Auszuge : Eiweiss (Al-
bumin) Myosin, Kreatin, Kreatinin, Xanthin, Sarkin, dann Milchsaure, Inosin-
sSure, Harnsaure, Zucker, Dextrin, Inosit, Farbstoff endlich Salze u. z. z. Th.
Salze der fliichtigen Fettsauren, z. Th. Chloride und Phosphate der Alkalien.
Ein heiss bereiteter Fleischauszug enthalt nur wenig von Eiweisstoffen gelost, da
diese fast sammtlich beim Kochen coagulirt und unloslich werden, dagegen ent-
halt er durch Umwandlung des leimgebenden Gewebes gebildete Leimsubstanz.
Fein zerkleinertes Ochsenfleisch gibt an kaltes Wasser 6 Proc. Lbsliches ab, wo-
von 2.9 Proc. coagulirbares Eiweiss sind, das beim Kochen des wassrigen Aus-
zuges sich abscheidet. Hiihnerfleisch gibt 8 Proc. Lbsliches ab, wovon 4.7 Proc.
gerinnungsfahiges Eiweiss. Mit schwach salzsaurehaltigem Wasser mazerirt lasst
das Fleisch eine erheblich grbssere Menge an Substanz in Losung Ubergehen,
indem durch Einwirkung schwacher Salzsaure eine mehr oder weniger grosse
Menge von Faserstoff lbslich wird. Eine kochend bereitete Fleischbriihe, aus
Fleisch 593
1 K. reinem Muskelfleisch durch fiinfstiindiges Kochen mit 3 K. Wasser erhalten,
enthalt duTchschnittlich 1.56 Proc. losl. Stoffe, wovon etwa 1.27 Proc. organische
Substanzen und 0.29 Proc. mineralische Stoffe. Diese letzterenj welche im Mittel
82 Proc. der gesammten Menge an unorganischen Bestandtheilen des Fleisches
reprasentiren, bestehen wesentlich aus 31.8 Proc. Phosphorsaure, 42.9 Proc. Kali,
3.8 Proc. Kalk, Magnesia und Eisen, 3.5 Proc. Schwefelsaure und 17.9 Proc.
Chlorkalium. Die Menge von Leim, welche beim Kochen des Fleisches gebikk-t
wird, schwankt je nach der Dauer des Kochprocesses nnd der Natur des Fleisches.
So liefert ausgelaugtes Ochsenfleisch nur 0.6 Proc, Kalbfleisch 4.75 Proc. Leim.
Insoferne der Nahrungswerth des Fleisches einerseits durch den Gehalt
desselben an stickstoffhaltiger organischer Substanz, andererseits aber durch die
vorhandenen zur Blutbildung erforderlichen Salze bedingt ist, wird es klar sein,
dass das Fleisch seinen wahren Nahrungswerth nur dann behalt, wenn ihm bei
der Zubereitung zur Speise keine fiir die Ernahrung werthvollen Stoffe entzogen
werden. Dies wird erreicht, wenn man eiu compactes Fleischsttick entweder in
siedendes Wasser bringt und durch langere Zeit fiir die Erhaltung der Siedetem-
peratur sorgt, oder es rasch iiber lebhaftem Feuer schmort ; hiebei werden die
coagulirbaren Eiweisskorper zum Gerinnen gebracht, noch ehe sie in Losung iiber-
zugehen vermogen und durch die* Ablagerung der geronnenen Eiweisssubstanz in
dem Muskelgewebe bildet sich eine fiir Wasser nicht mehr durehgangige Schichte,
welche auch der Auslaugung der Salze und sonstiger loslicher Fleischbestandtheile
eine Grenze setzt. Umgekehrt muss Fleisch, wenn man moglichst viel von den
loslichen Bestandtheilen desselben extrahiren will, zerkleinert, der Einwirkung von
kaltem Wasser ausgesetzt werden, und der erhaltene Auszug darf nicht iiber 60° C.
erhitzt werden, wenn man nicht durch Gerinnung den grossten Theil der werth-
vollen Eiweisssubstanz, die sich dann in Gestalt eines braunen Schaumes (Suppen-
schaum) ausscheidet, verlieren will. Zusatz von etwas Salzsaure (0.05 — 0.1 Proc.)
zu dem zur Mazeration zu verwendenden Wasser erhoht die Menge der bei der
kalten Mazeration in Losung gehenden Antheile an stickstoffhaltiger org. Substanz
ganz wesentlich und liefert relativ sehr kraf'tige Fleischbriihen. Das giinstigste
Verhaltniss fiir die Herstellung solcher Fleischbriihe ist: 1 Kilo fein gehacktes
Ochsen- oder Hiihnerfleisch (Kalbfleisch ist nicht empfehlenswerth) mit 2V4 Kilo
kaltem Wasser zu mazeriren, dem 16 Tropfen reine cone. Salzsaure und 12 Grm.
Kochsalz zugesetzt sind. Die .mit dieser Fliissigkeit ausgelaugte Fleischmasse
wird endlich noch mit 1 Kilo Wasser ausgewaschen und abgepresst.
Schon seit langerer Zeit stellt man Fleischextracte im grossen Mass-
stabe her, deren Werth je nach ihrer Gewinnungsart ein wesentlich verschiedener
ist. Die alteste Form solcher Fleischextracte sind die sog. Fleis chgallerten,
Bouillontafeln {bouillon en tablettes — soupstock), welche durch Eindampfen einer
Abkochung von Fleisch und leimgebenden Knochen bis zu einer Concentration,
bei welcher die Briihe in Folge ihres Leimgehaltes gelatinirte, erhalten wurden.
Haufig wurde auch Fleischbriihe geradezu mit Leim versetzt und verdampft. Der
Werth dieser Extracte ist in Bezug auf den Nahrnngseffect ein relativ geringer.
insoferne sie vorherrschend Leim und nur relativ wenig der Fleischsalze ent-
halten. Von wesentlich anderer Art sind die eigentlichen Fleischextrate, wie sie
gegenwartig in Gestalt einer braunen, salbenartigen Masse in den Handel gebracht
werden. Diese Extracte reprasentiren allerdings auch nicht den vollen Nahrwerth
des Fleisches, aus dem sie erhalten wurden, aber insoferne sie den grossten Theil
der Fleischsalze enthalten, die zur Blutbereitung erforderlich sind, liefern sie. mit
entsprechenden vegetabilischen Nahrungsstoffen gemeinschaftlich genossen, eine
Nahrung. welche insoferne dem Nahrungswerthe des Fleisches selu' nahe kommt.
als die Gegenwart der zur Blutbereitung erforderlichen Salze den vegetabilischen
Nahrungsstoffen nahezu den Werth thierischer Nahrstoffe verleiht. Die erste
Fabrik solchen Fleischextractes ist eine Schopfung des deutschen Ingenieurs
Giebert, welcher unter Mitwirkung und unter dem Protectorate Liebig's den
Gedanken, den Reichthum an Rindvieh in den Siidstaaten Amerikas dem Continente
Karmarech & Heeren, Teehnisches Worterbuch. Bd. III. 3g
594 Fleisch.
nutzbar zu machen, in der Art realisirte, dass er zu Fray Bentos in Uruguay
eine erste Fleischextractfabrik in grossem Massstabe ins Leben rief. Die Fabri-
kation wird dort in der Art betrieben, dass das Fleisch der friiher fast nur der
Haute wegen geziichteten Rinder, nachdem es von Fett, Hauten und Sehnen
befreit ist; kleingehackt und mit dem gleiclien Volumen Wasser bei einer Tem-
peratur von 75 — 80° C. mazerirt wird. Die von dem Ungelosten gescliiedene
Fleischbriihe wird nun im Wasserbade moglichst rasch bis zu einer bestimmten
Concentration verdampft, hierauf erkalten lassen und von den sick beim Erkalten
ausscheidenden Fett und. Resten an Eiweissubstanz durch Filtration getrennt. Das
Filtrat wird sodann bei massiger Hitze bis zur Salbenconsistenz verdunstet,
sofort in Blecbbiicbsen von 20 — 25 K. Inhalt gefiillt und verlothet, in welcher
Form es nach Europa gebracht und in dem Hauptdepot in Antwerpen, nach vor-
heriger Controlle beziiglich seiner Giite, in glasirte Thontiegel von V2, 74 > 7s
Kilo Inhalt abgefiillt und so in den Verkehr gebracht wird. Von solchem Fleisch-
extract, das also wesentlich eine concentrirte Fleischbriihe darstellt, entspricht 1 K.
einer Quantitat von 34 Kilo reinen, fett- und sehnenfreien Muskelfleisches, oder
45 K. des Fleisches sammt Fett, Sehnen, Haut und Knochen, wie es von den
Metzgern verabreicht wird. Gutes Fleischextract soil sich zu mindestens 60 Proc.
in Alkohol von 80 Proc. auflosen, in Wasser s611 es vollig klar loslich sein. Es
enthalt durchschnittlich 18—22 Proc. Asche, 10 Proc. Stickstoff und 16 Proc.
Wasser, und soil frei von Fett und Eiweissstoffen sein und auch keinen Leim
enthalten.
Der allgemeine Anklang, den dieses Fleischextract trotz des immerhin etwas
hohen Preises beim Publicum gefunden, hat alsbald eine Concurrenz in der Fa-
brication dieses Productes wacbgerufen und gegenwartig sind nebst jener zu
Fray-Bentos sowohl in Amerika als auch in Australien und selbst in Europa
(namentlich Russland) Fleischextractfabriken im Betriebe, die grosstentheils das
Liebig'sche Verfahren einhalten, wie es in Fray-Bentos im Grange ist. Die be-
deutendsten dieser Fabriken sind nachst jener zu Fray Bentos die von R. Tooth
zu Sydney in Australien, welche pro Monat 4 — 5000 Kilo eines vorztiglichen
Extractes liefert, u. z. gesondert Hammelfleisch- und Rindfleisch-Extract, und jene
zu Buenos Ayres, welche gleichfalls in grossem Massstabe arbeitet. Von anderen
Fabriken sind zu nennen jene der Firma Lucas Her r era y Obes y Co. zu
Trinidad im Departem. San John (genannt Buschenthal), jene der San An-
tonio Meat Extract Company zu San Antonio in Texas, jene der Ge-
brtider Robertson zu Baff le Creek in Queensland, Australien, des E. M.
M. Bagot zu Adelaide in Siid-Australien, jene von Pedras Brancas zu
Rio grande do Sul in Brasilien u. A. Eine besondere Art von Fleischextract
liefert Georges in Montevideo, indem er das zur Conservation nicht geeignete
Fleiscb unter Druck mit Dampf kocht, den Brei abpresst und das so erhaltene
Extract in Biichsen fiillt. Der Pressriickstand wird als Brennmaterial verwendet
und liefert eine Asche, die ein treftliches Diingmittel abgibt. Die schoneren Stiicke
des Fleisches werden in Stiicke von 2 — 60 K. zerschnitten und in einer Losung
von doppelt schwefligsaurem Natron, Glycerin und Salzsaure in Wasser (etwa
85 Procent Wassergehalt) mazerirt, sodann aus der Losung genommen, mit
doppelt schwefligsaurem Natron bestreut, in Blechbiichsen verpackt und ver-
lothet. Neuester Zeit ist auch Russland beziiglich der Fleischextractfabrication
in Concurrenz getreten und liefert ein Fleischextract in Form von Tafelbouillon,
aber von besonders guter Qualitat. Dieses Extract soil aus dem Siiden von Russ-
land stammen und theils von gewohnlichem Schlachtvieh, theils von Wild ge-
wonnen sein. Auch in der Schweiz und in Frankreich, selbst in England sind
Fleischextractfabriken entstanden. (Naheres iiber Fleischextract s. J. v. Liebig,
Journ. f. pract. Chem. 63, pag. 312 und 94 pag. 293; W. Horn, pol. Central-
blatt 1865 pag. 874; Wagner Jahrb. 1866 pag. 482; J. v. Liebig, Dingl. pol.
Journ. 189 pag. 259; s. a. pol. Centralbl. 1869 pag. 622; E. Reich ardt,
Dingl. pol. Journ. 194 pag. 505 und 193 pag. 311 (iiber russische Bouillontafeln) ;
Fleisch. — Fliegenholz. 595
Georges, polyt. Centralbl. 1870 pag. 719; Pettenkofer ira Ausz. Dingl. pol.
Journ. 209 pag. 378; 0. Leube, Dingl. pol. Journ. 210 pag. 319; E. Rei-
ch ardt, Dingl. pol. Journ. 210 pag. 389 (iiber Priifung unci Zusamraensetzung) ;
Chandler und Cairns, Wag. Jahrber. 1874 pag. 802 (Zusammensetzung : E.
Thiel, Amtl. Bericht liber die W. Ausstellung, Wien 1873; Braunschweig 1874
Bd. I pag. 317 u. a. a. 0.)
Die Riickstande von der Fleischextractfabrikation nach dem Liebig'schen
Verfahren sind keineswegs werthlos, sondern lassen sich mit Vortheil noch als
Futter verwenden; sowie sie selbstverstandlich auch ein werthvolles Diingmittel
darstellen. Gil.
Fleischbearbeitungs-Maschinen, s. Wurstfabrikation.
Fleischcacao syn. Fleischchocolade.
Fleischchocolade eine mit Zusatz von nach dem Verfahren von Hassal
(s. Dingl. pol. Journ. 184 pag. 448) bereitetem Fleischmehl hergestellte Chocolade s. d
Fleischconserveil syn. conservirtes Fleisch s. b. Faulniss, III pag. 355.
Fleischextract s. Fleisch, III. pag. 593.
FleiSChfibrin s. Fibrin, s. Eiweisskbrper III pag. 140.
Fleischhack- und Schneidemaschinen, s. Wurstfabrikation.
Fleischmilchsaure (Propylglycolsaure, Paramilchsaure, Aethylenmilchsaure),
s. Milchsaure.
Fleischzucker, s. Inosit.
Fleischzwieback {biscuit de viande — meat biscuit) nennt man im All-
gemeinen Gebacke, welche aus Mehl unter Zusatz von Fleischbriihe oder Fleisch-
extract bereitet und demnach wesentlich nahrhafter als reine Mehlgebacke sind.
Solcher Art sind Gail Borden's Fleischzwieback (s. amtl. Ber. der Lon-
doner Ausstellung, Bd. I pag. 306, vgl. a. Siemens Versucke, Dingl. pol. Journ.
123 pag. 248 u. 458), dann Callamand's Fleischzwieback (s. Boussingault in
pol. Centralbl. 1855 pag. 813, vgl. a. C. Thiel in Dingl. pol. Journ. 184 pag.
443), endlich das Fleischextract-Brod von Jacobsen, auch deutscher Fleisch-
zwieback (s. Deutsch. Industr.-Ztg. 1870 pag. 409). Ein Kilo dieses letzteren
Praparates entspricht an Nahrungswerth 4 Kilo Rindfleisch (vgl. a. Faulniss III
pag. 354). Gil.
Fleur de garance, s. Garancine, s. Krapp.
Flexometer, ein Instrument zur Messung der Biegung der Briicken bei
Probebelastungen von Amyot und Mallet. S. Wiener Bauzeitung 1865 pag. 205.
Flickklipfer, Rollkupfer, ist Kupferblech von nur 0.5mm Dicke, in Rollen.
Fliederholz (lilas — lilac) ist das Holz des spanischen Hollunders
(Syringa vidgaris), es ist gelblich- oder grauweiss, sehr hart und dicht und wird
zu Drechslerarbeiten verwendet. Aehnlich ist das Hollunderholz (s. d.) von
Sambucus nigra.
Fliegen, s. Luftschifffahrt.
Fliegen spanische, s. Canthariden II pag. 246.
Fliegende Angriffe, s. Schlosser.
Fliegenholz, s. m. Quassiaholz.
38*
596 Fliegenstein. — Flintenschrot.
Fliegenstein syn. m. gediegen Arsen, s. Arseu I pag. 193.
Fliegenpapier (mort aux mouches — fly paper) Fliegentod. Die unter
diesem Naroen in den Handel kommenden, zur Vertilgung der lastigen Zimmef-
fliege bestimmten Giftpapiere werden allgemein durch Trauken von weissem oder
gefarbtem Fliesspapier mit einer fiir Insecten giftigen Substanz liergestellt. Von
solcben sind im Allgemeinen nur jene verwendbar, welclie erfahrungsgemass mit
etwas Zucker gestisst von den Fliegen genommen werden, als avsenige Saure,
arsensaure Salze; Quecksilber-Sublimat, dann Abkochungen von Quassiaholz oder
von Kockelskornern, sowie endlich von Brechntissen (mix vomica). Fiir den
Gebrauch des grossen Publicums sind jedoch wohl nur solclie Papiere zulassig,
welclie keine allzn heftigen Gifte enthalten, mid sollten daher Papiere, welehe rait
Arsenpraparaten oder Quecksilberpraparaten vergiftet sind, nie verwendet werden.
Am zweckmassigsten und ungefahrlichslen sind die Quassiapapiere, velche bequem
in jeder Hauswirthscliaft liergestellt werden konnen, indem man Quassiaholz mit
etwa der doppelten Menge von Wasser durch eine Viertelstunde kocht mit
diesem Absude Kartchen von Fliesspapier trankt, und diese mit etwas Zucker
bestreut, auf Aachen Schalchen auflegt und von Zeit zu Zeit befeuchtet. Gtl.
Fliehkraft, s. Centrifugalkraft II. pag. 290.
Fliese icarreau — floor-stone) F 1 u r z i e g e 1, E s t r i c li p 1 a 1 1 e, sind
Platten zuni Belegen der Fussboden. Man verwendet sowohl naturliche Steine
(Marmor, Thonschiefer, Plattenkalk etc.) als audi kiinstlich hergestellte Platten
aus gebranntem Tlion (z. B. Mettlacher PI.), Cement etc. oft mit verschieden
farbigen Mustem versehen. Siehe auch d. Art. Fussboden u. Thonwaaren.
Grohm.
Fliess, Vliess (toison — fleece) s. Schafwolle.
Fliessofen, Ofen fiir das Rosten von Kiesen, s. b. Schwefel.
Fliesspapier ungeleimtes, lockeres (nicht sehr stark gepresstes) Papier aus
Baumwolle oder Leinen und Baumwollhadern.
Flint s. v. a. Feuerstein s. Quarz.
Flinte, Gewehr, s. FeuerwafFen III pag. 439.
Flintenbohrmaschine, s. Feuerwaffen III pag. 445.
Flintenschrot (plomb de chasse, dragee — shot). Schrot, B 1 e i-
s c h r o t werden Bleikiigelchen im Durchmesser von 1 bis 6mm genannt.
Die Verfertigung des Schrotes geschah frliher allgemein auf die Art, dass man
das gehorig legirte Blei geschmolzen durcli ein Sieb herabtropfeln und in kaltes
Wasser fallen liess, in welchem die Tropfen erstarrten; eine Methode, die
nur sehr unvollkommenes Fabrikat liefern konnte. Wenn namlich ein Tropfen
fliissiges Blei plotzlich durcli kaltes Wasser abgekiihlt wird, so erstarrt im
ersten Moment die aussere Oberflache, wahrend das innere Blei noch fliissig
ist. Wenn dieses demnachst ebenfalls erstarrt und sich dabei zusammenzieht, so
muss entweder im Innern eine Hbhlung entstehen, oder aber es bildet sich an
irgend einer Stelle der Oberflache eine Yertiefung aus , wie man diese bei
Untersuchung der nach dem alten Verfahren fabricirten Schrotkorner so haufig
bemerkt.
Gegenwartig ist allgemein ein weit rationelleres Verfahren angenommen.
Man la'sst namlich das Blei von einem hohen thurmartigen Gebaude herabfallen,
so dass die Tropfen bereits in der Luft fest werden, und fangt sie nun, nur um
sie vollends abznkiihlen, in einem Gefass mit Wasser auf. Der hocliste Schrot-
thurm ist wohl der zu Villach in Karnthen, dessen Hohe 240 Wiener Fuss betragt.
Flintenschrot. 597
In Ennangelung hinlanglich holier Giessthurme bedient man sich dazu eines Gru-
benschachtes. Das Schrotmetall ist eine Legirung von Blei mit wenig Arsenik.
Das quantitative Verhaltniss beider Theile richtet sich nach der Beschaffenheit
des Bleies; je weicher und reiner das Blei, um so mehr Arsenik muss ihm zuge-
setzt werden. Auf 1000 Pfund Blei rechnet man hiernach 3 bis 8 Pfund weissen
Arsenik oder Operment.
Meistens wendet man hartes Blei an, weil es wohlfeiler ist und dem Zwecke
hinlanglich gut entspricht. Um die Legirung darzustellen, setzt man entweder bei
jedem Schmelzen das nothige Arsenik hinzu, oder man bereitet eine grossere
Quantitat einer stark arsenikhaltigen Legirung, und setzt nachher von dieser beim
Bleischmelzen die nothige Menge zu.
Als Kennzeichen der richtigen Zusammensetzung der Legirung kann die
Form der Schrotkorner dienen. Sind diese namlich linsenformig, so enthalten sie
zu viel Arsenik ; sind sie dagegen an einer Seite flach oder gar mit einer Ver-
tiefung, so haben sie zu wenig Arsenik.
Die Erfinder des neuen Verfahrens, Acker man und Martin, beschreiben
dasselbe folgendermassen : Man schmelzt 1000 Kilo weiches Blei in einem grossen
eisernen Topfe, und bedeckt es in der Nahe des Randes mit etwa zwei Schaufeln
voll Holzasche, lasst aber die Mitte davon ganz frei, und tragt nun in der Mitte
etwa 20 Kilo Arsenik ein. Man bedeckt dann den Topf mit einem eisernen
Deckel und verstreicht die Fugen schnell mit Lehm oder Mortel, um die arseni-
kalischen Dampfe am Entweichen zu verhindern. So lasst man das Ganze unter
massigem Feuern etwa 4 Stunden lang stehen ; nimmt dann den Deckel ab, reinigt
die Oberflache sorgfaltig, und giesst das Metall in Blocke von 75 Kilo. Beim
Gebrauch wird von dieser Legirung ein Block mit 500 Kilo ordinarem Blei
zusammengeschmolzen. Um zu untersuchen, ob das Metall von richtiger Beschaf-
fenheit ist, nimmt man ein wenig davon in einen mit kleinen Lochern versehenen
Schaumlbffel und lasst das durchtropfelnde Blei aus einiger Hohe in einen Be-
halter mit Wasser fallen. Je nachdem sie nun m hr linsenformig, oder an der
einen Seite abgeplattet sind, muss entweder noch mehr Legirung oder reines Blei
zugesetzt werden.
Zinnhaltiges Blei ist nicht zu brauchen, weil es Tropfen von langlich
eirunder oder selbst nadelformiger Gestalt liefert.
Das Giessen geschieht mittelst der Schrotform, einer etwa 260mm im
Durchmesser haltenden hohlen Halbkugel von Eisenblech, die mit sehr genau
runden, gleich grossen Lochern durchbolirt ist. Zu den verschiedenen groberen
und feineren Schrotsorten miissen begreiflicher Weise verschiedene Formen mit
grbsseren und kleineren Lochern vorrathig sein.
Der Durchmesser der Locher muss betragen fur Nr. 0 1/!i0 Zoll engl.
» D n n n » n n -*- '5S » »
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Von Nr. 5 bis Nr. 9 nimmt der Durchmesser in gleiclimassigen Abstufungen
ab, bis er bei der letzteren nur noch Y3i;o Zoll betragt.
Gewohnlich wird mit 3 Formen zu gleicher Zeit gegossen, die in geringer
Entfernung von einander sich in einem dreieckigen Kohlenbecken befinden. Wah-
rend sich dieser Apparat an dem obersten Punkte des Giessthurms befindet, ist
genau vertikal unter ihm der Wasserkasten aufgestellt, der bei der Arbeit zur
Halfte mit Wasser gefullt wird. Durch umgelegte Kohlen wird das Blei in den
Formen fliissig erhalten, wobei die angemessene Temperatur genau zu bertick-
sichtigen ist. Fiir grobe Nummern muss das Bleibad kaum so heiss sein, dass
ein wenig Stroh, in dasselbe eingetaucht, sich schwach braunt; fur feinere Num-
mern darf sie schon heisser sein.
598 Elintenschrot.
Feinere Schrote erfordern nattirlich, da sie weit leichter erstarren, eine
weniger grosse Fallhohe, als grobere ; so reicht fur Nr. 4 bis 9 eine Fallhohe
von 32 Meter hin, wahrend grobere Sorten 45 bis 60 Meter erfordern. Soil
nun das Giessen beginnen, so wird in grosseren Schrotfabriken gewohnlich eine
Quantitat von 2000 bis 3000 Kilo Blei eingescbmolzen. Die Oberflache desselben
iiberzieht sich dabei mit einer weissen schwammigen Oxydkruste, welche bei dem
Giessen eine wichtige Anwendung findet. Mit diesem Oxyd namlich bedeckt man
die Formen auf der Innenseite, um so die Locher theilweise zu verstopfen ; denn
liesse man die Foimen ganz rein, die Locher ganz frei, so wiirde das Blei so
schnell hindurcbfliessen, dass die Tropfen eine langliche Gestalt erhielten. Gerade
das langsame Hindurchsickern des Bleies durch die mit Bleiasche bedeckten Locher
ist eine der wesentlichsten Bedingungen zum Gelingen der Arbeit.
1st nun Alles in Bereitschaft, so tragt der Arbeiter die Bleiasche in die
Formen, und driickt sie uberall in einer dlinnen Lage an, giesst nur etwas
Blei hinein und ersetzt dieses in dem Masse, wie es durchtropfelt, stets durch
neues.
Die Schrotkorner werden nachher aus dem Wasserkasten herausgenommen
und durch Siebe sortirt; denn selbst wenn die Locher der Formen von ganz
gleicher Grosse sind, fallen doch die Schrote nicht von einerlei Grosse aus. Der
mittlere Theil dieser Formen namlich, der von den Kohlen weniger stark erhitzt
wird, liefert jederzeit grobere Schrote als die in der Nahe der Peripherie lie-
genden, starker erhitzten Theile. Ausserdem wird auch oft mit mehreren Formen,
von verschiedener Grosse der Locher, zu gleicber Zeit gearbeitet.
Die zum Sortiren dienenden Siebe bestehen aus Eisenblech, und werden
gewohnlich zu je zwei Stuck, deren Locher der Grosse nach aufeinander folgen,
aufeinander befestigt.
Nachdem nun die Schrote der Grosse nach sortirt sind, ist es noch nothig,
sie auch der Form nach zu sortiren, urn namlich alle nicht genau runden Korner
zu beseitigen. Diese auf den ersten Blick vielleicht schwierig scheinende Aufgabe
wird durch ein eben so einfaches, wie unfehlbares Mittel gelost. Man hat namlich
ebene, mit einem vorspringenden Rande versehene Platten von etwa 700mi"
Lange und 400mm Breite (geschliffene und polirte Spiegeltafeln eiguen sich hierzu
am allerbesten), welche genau horizontal gerichtet werden, und auf deren eines
Ende man eine kleine Portion, etwa eine Hand voll, Schrot auflegt. Hieraufwird
die Tafel sehr wenig geneigt, und sanft bin- und hergeschiittelt, wobei denn die
vollkommen runden Korner herabrollen, wahrend alle iibrigen zuriickbleiben, die
man dann wieder einschmilzt. Gegenwartig verwendet man Sortirapparate, welche
auf demselben Principe beruhen aber ganz selbstthatig arbeiten.
Endlich folgt noch eine letzte Bearbeitung, wodurch die Schrote die nothige
Glatte und Politur erhalten. Sie werden zu dem Ende nebst einer Portion Graphit
in ein kleines, horizontal liegendes, achteckiges Fass gegeben, das mittelst einer
durchgehenden eisernen Achse gedreht wird. Indem sich hierbei die Korner an
einander reiben, runden sie sich noch vollstandiger ab und erhalten zugleich den
feinen Graphitiiberzug, der theils des Ansehens wegen, theils aber auch zu dem
Ende gegeben wird, um das Blei bei langerer Aufbewahrung vor der Oxydation
zu schiitzen.
Um die Anlage eines thurmartigen Gebaudes zu ersparren, ist der Vor-
schlag gemacht worden^ zum Giessen einen niedrigen, vielleicht 13 bis 16 Meter
hohen Cylinder zu benutzen, durch welchen von unten mittelst eines Ventilators
ein so kraftiger Luftstrom getrieben wird, dass er das Blei, trotz der geringen
Hbhe, zum Erstarren bringt. Es ist aber kaum zu bezweifeb, dass die Betriebs-
kosten eines solchen Ventilators die Zinsen der Anlagekosten eines hinlanglich
hohen Gebaudes bei weitem ubersteigen werden.
Ziemlich gut bewahrt sich jedoch das Princip der Centrifugalschrotfabri-
kation. — Eine runde, ringsherum mit einer siebartig durchlocherten Scheidewand
Flintenschrot. — Flotzleerer Sandstein. 599
von Messingblech versehene Metallscheibe wird mittelst Dampf- oder anderer
Triebkraft mit einer Umfangsgeschwindigkeit von 6 bis 10 Meter pr. Secunde in
Drelmng gesetzt. Wird nun in die Mitte der drehenden Scheibe fliissige Blei
legirung gegossen, so wird es in Folge der Centrifugalkraf't in Form (den Lochern
der Scheidewand entsprecbender) runder Korner zu alien Seiten geschleudert, wo
diese durch einen festen Leinwandschirm oder gepolsterte Bretterwand aufge-
fangen werden, und in unten befindliche Wasserkasten fallen mtissen. Die durch
Drelmng der Scheibe ebenfalls in kreisende Bewegung gesetzte Luftmasse bringt
die Bleitropfen zum Erstarren, noch ehe sie die Bretterwand erreichen. Zur Er-
zeugung groberen Schrotes ist ebenfalls grdssere Entfernung des Leinwandschirraes
sowie geringere Hitze des Metalles erforderlich. Sonst ist die ganze Manipulation
dieselbe, wie vorher beschrieben wurde.
Der Bleiverlust betragt bei der Schrotfabrikation ohne Riicksicht auf die
Methode l3/4 bis 27/s Proc. ; bei unregelmassiger Hitze und anderem schlechten
Behandeln des Materials auch bis 4 Proc.
Flintglas, s. Glas.
Flintshirestein syn. Dinasstein, Quarzziegel, s. Dinassteine II pag.
631, s. Thonwaaren.
Flinz syn. Spatheisenstein.
Flittergold, Rauschgold, Knitter go Id (oripeau, clinquant — dutch
gold), ist dtinnstes Messingblech, s. Messing.
Flittern (petitions et paillettes — spangles). Die Folie-Flittern (petit-
ions) sind rundliche verschieden geformte Plattchen aus echter oder unechter
Gold- und Silberfolie und Zinnfolie durch Ausschlageisen gefertigt, indem man
auf einer bleiernen Unterlage Sttickchen von runder, sternfdrmiger, rosenformiger,
blumenblattahnlicher etc. Gestalt aushaut.
Die Draht-Flittern (paillettes) sind flachgesehlagene Drahtringelchen,
daher Scheibchen mit centrischem Loch. Die Draht flittern, welche am
meisten gebrauchlich sind, werden aus Ringelchen von echtem oder unechtem
Gold- und Silberdrahte gebildet, indem man diese auf einem fein polirten
Ambosse mit einem ebensolchen Hammer flachschla'gt; sie behalten dabei eine
Oefmung im Mittelpunkte, welche zum Aufnahen dient. Man lasst sie entweder
glatt, wie sie sind, oder schlagt sie nachtraglich auf einer Bleiunterlage mittelst
eines stahlernen Stempels, durch den sie entweder eine stark vertiefte Gestalt
Hohlflittern) oder Verzierungen von Strichen, Punkten etc. bekommen (Kraus-
flittern). Vgl. Leonische Arbeit.
Flocken, gleichbedeutend mit dem Fullen oder Fiittern der Kratzen, s. d.
Flockseide (frisons — flock silk) beim Einsarameln der Cocons an den
Brettchen oder Reisig hangen bleibende und spater eingesammelte Seide, welche
zu den Abfallen gegeben und zu Florettseide versponnen wird.
Fldtz nennt man jenes Glied eines Schichtensystemes, welches aus einem
nutzbaren Minerale besteht, daher z. B. Steinkohlen-, Braunkohlen-, Eisenstein-,
Kalkstein-Flotz. Lb.
Fldtzgriinstein so viel als Dolerit, s. d.
Fldtzhund, s. Bergbau I pag. 403.
Flotzleerer Sandstein, ein in der pelagischen Steinkohlenformation an der
Grenze iiber den marinen und unter den productiven Steinkoblengliedern liegender,
sehr charakteristischer Sandstein, welcher keine oder nur unbedeutende Kohlen-
600 Flotzleerer Sandstein. — Fluchtlinie.
flotze fiihrt. Er wird in England, wo er stellenweise aus hartem sogen. krystall.
Sandstein besteht, vielfaeh zur Erzeugung von Miihlsteinen verwendet (millestone
grit), so in Yorkshire, Lancashire and Derbyshire, anch liefert er gute Gestell-
steine. In Westphalen besteht er aus wechselnden Lagen von Sandsteinen und
Schieferthonen, denen bauwiirdige Kohlenflotze fehlen. Lb.
Flohsamen (graines de psillium — fly seed), sind die Samen von Plantago
Psyllium und Plantago arenaria Wld. im siidlichen Europa einheiraischer, an
sandigen Kiisten wachsender Wegerich-Arten, von welchen naraentlich die letztere
im Siiden von Frankreich behufs Gewinnung der Samen cultivirt wird. Der Same
ist etwa 2 — 3mm lang, gestreckt, einseitig gewolbt, anderseits flach und mit einer
Langsfurche versehen, in deren Mitte ein punktformiger Nabel sich findet. Sie
sind von dunkel rothbrauner Farbe (Flohfarbe) und mehr oder weniger stark
glauzend. Der Flohsamen, von welchem die geschatzteste Sorte von Frankreich
aus auf den Markt koinnit, wahrend Italien eine zwar weniger schon aussehende,
aber nicht minder brauchbare Sorte liefert, fand ehemals seines Gehaltes an Pflan-
zenschleim (etwa 15 Proc.) wegen, demzufolge er mit heissem Wasser eine con-
sistente Gallerte liefert, als schleimiges Mittel Anwendung in der Medizin. Gegen-
wartig wird er zur Herstellung von schleimigen Fliissigkeiten, namentlich fill-
die Zwecke der Buntpapierfabrikation, dann wohl auch ftir die Zwecke der
Zeugappretur und der Kattundruckerei in Verwendung gezogen. Gil.
Flor, Trauerflor, ist jenes unter dem Namen Krepp oder Krepon be-
kannte Gcwebe. S. Krepp. Auch bedeutet dieses Wort die Pole {poll —
pile, nap), d. i. die haarige Decke der sammtartigen Gewebe. S. Weberei.
Florentinerlack, Carminlack, Wiener Lack, Pariser Lack, s. Carmin II
pag. 257 und pag. 259.
FloreS Antimonii, Antimonblumen, syn. m. Antimonoxyd, s. Antimon I
pag. 167.
Flores Benzoes, Benzoeblumen, syn. m. Benzoesaure I pag. 376.
Flores salis ammoniaci martiales, Eisenblumen, syn. m. Eisen-
chlorid, s. Eisen II pag. 765.
Flores Sulfliris, Schwefelblumcn, s. Scliwefel.
Flores Viridcs aeris syn. mit Griinspan s. b'. Kupfer.
Flores Zinci, Zinkblumen, syn. m. Zinkoxyd s. Zink.
Florettseide (fleuret, filoselle — floret silk, floss silk) aus den Seiden-
abfa'llen erzeugtes Seidengarn (s. S e i d e).
Floss (radeau, train de bois — float, raft) neben einander gebundene
Sta'mme von Holz zur Flussschifffahrt.
Flossen tJRoheisen-Handelsfonn), vgl. Eisenerzeugung III pag. 11.
Flottensalz syn. m. Borax, insoferne dieses Salz als Auflosungsmittel ftir
Pigmente in Farbflotten dient, vgl. Borax bei Bor I pag. 728.
Flliavile, Bestaudtheil der Guttapercha s. d.
Fluchtlinie. das Bild der unendlich fernen Geraden einer Ebene oder einer
Stellung. daher den perspectivischen Darstellungen eines Systems paralleler
Ebenen gemeinsam.
Fluchtpunkt. — Fluor. 601
Fluchtpunkt, das Bild des unendlich fernen Punktes einer Geraden oder
einer Richtung, daher der Vereinigungspunkt der Bilder eines Systemes paral-
leler Geraden. Cz.
Fluder, Fluter, Vorriclitung zum Ablassen des Wassers aus Teichen.
Fliigel oder Schaft (lame — kftf), s. Weberei.
FlUgelbremsen, s. Regulator.
FlUgelort, s. Bergbau I pag. 387.
Flugmaschine, s. Luftschifff ahrt.
Flugstaub der Hutten syn. Hutten rauch, s. Arsenige Saure I pag. 195.
Flugstaub der Bleikammern s. Schwefelsaure b. Schwefel. Gtl.
Fluid Ozon, Name eines als Geheimmittel in den Handel gebracliten Des-
infectionsmittels, bez. Heilinittels, welches wesentlich eine 5 procentige Losung
von ubermangansaurem Kali in Wasser ist. Gtl.
Fluocerit, hexagonales Mineral, kommt tafelfbrmig oder derb eingewaschen
in Granit vor, hat einen unebenen Bruch, H — : 4 — 5, sp. Gew. 4.7, rbthlich
oder gelblich, wenig glanzend, undurchsichtig oder kantendurchscheinend. Chem.
Zus. CeFl„ -\- Ce2Fl6.' Entwickelt beim starken Gliihen im Kolben oder
Glasrohr Flusssaure, ist auf Kohle uuschmelzbar, gibt mit Borax und Phos-
phorsalz die Reaction von Cerium. Fundorte Finbo und Broddbo bei Falun in
Schweden. Lb.
Fluor (fluor — fiuor). Symbol Fl. Atomgew. = 19. Das Fluor bildet
in Gemeinschaft mit Chlor , Brom und Jod die Gruppe der Haloide oder
Halogene, monovalente Elemente, deren Wasserstoflf- und Sauerstoffsauren ein-
basisch , im Molekiil nur ein durch Metall vertretbares WasserstoflFatom be-
sitzen und nur eine Reihe, ncutrale Salze, bilden. Von den Haloiden ist
das Fluor das am wenigsten gekannte; es ist im freien Zustand nur unvoll-
standig bekannt, da es sich im Momente seiner Abscheidung in Folge seiner
grossen Verwandtschaft zu andern Elementen sogleich mit den Bestandtheilen
der Gefass-Substanzen verbindet; einigermassen grbssere Mengen von Fluor
im gasfbrmigen Zustande konnten bisher nur in Gefassen von Flussspath
isolirt werden.
Durch Zersetzung von Fluorsilber (Davy) oder Fluorquecksilber (Knox)
mit Chlorgas, durch Einwirkung von Jod (bei 70 — 8t'°) auf Fluorsilber in luftleer
gemachten zugeschmolzenen Rohren (Kammerer), durch vorsichtiges Erhitzen
eines Gemisches von Flussspath, ubermangansaurem Kali und Schwefelsaure
(P hip son), durch Elektrolyse von Fluorkalium etc. ist das Fluor als farbloses.
in seinem chemischen Verhalten dem Chlor sehr ahnliches Gas von eigenthiim-
lichem Geruche erhalten werden, welches Wasser unter Bildung von Fluorwasser-
stoff und Entbindung von Sauerstoff sehr energisch ze*rsetzt; die Versuche, es in
grossern Quantitaten zu erhalten, scheitern eben an der grossen Verwandtschaft
die das frei gewordene Fluor gegen fast alle Elemente aussert.
In Verbindung mit andern Elementen findet sich das Fluor in grbsster
Menge im Flussspath (CaFl„) und im Kryolith (GNaFl -|- ALFlt.) ; in geringerer
Menge im Apatit, Topas, Amphibol, in den meisten natiirlichen pliosphorsauren
Salzen, in den Knochen, im Email der Zahne, in sehr geringer Menge in der
Milch/ im Meerwasser etc.
Die Sauerstoffverbindungen des Fluors sind unbekannt; mit Wasserstoff
bildet es die der Chlorwasserstoffsiiure analoge Fluorwasserstoftsaure , welche
den Ausgangspunkt fur die Darstellung der Fluormetalle und anderer Fluor-
602 Fluor.
verbindungen bildet. Die Fluorverbindungen der Alkalien sind im Wasser leicht
loslich, die der meisten iibrigen Metalle schwer loslich oder unloslich ; Fluorsilber
jedoch (im Gegensatz zu Chlor-, Brom- und Jodsilber) leicht loslich, Fluor -
calcium (im Gegensatz zu Chlorcalcium) unloslich. Sammfliche Fluorverbindungen
oder Fluoride zersetzen sich mit Schwefelsaure unter Entwicklung von Fluor-
wasserstoff.
Naheres iiber Flussspath (Fluorit) und Kryolith siehe die betreffenden
Artikel; iiber Fluorverbindungen bei den betreffenden Metallen.
Fl uorw ass ers toff (acide fluorhydrique — hydrofluoric acid), (Fluor-
wasserstoffsaure, Flusssaure), Symbol FIH, wird erhalten durch Zersetzung von
Flussspath mit Schwefelsaure:
CaFL + S04Ht, = CaSOt + 2HFI
Flussspath Schwefelsaure Calciurasulfat Fluorwasserstoff.
Fluorwasserstoff ist ein farbloses atzendes Gas von stechend saurem Geruche,
welches an der Luft weisse Nebel bildet, leicht verdichtbar ist, eingeathmet hochst
nachtheilig wirkt, von Wasser in grossen Mengen absorbirt wird. Da das Gas
Gefasse von Glas, Porzellan, sowie die meisten Metalle angreift, so kann die
Zersetzung des Flussspathes mit Schwefelsaure nicht in Glasgefassen oder beliebigen
Metallgefassen bewerkstelligt, sondern es mlissen hiezu Gefasse von Blei oder
Platin verwendet werden.
Zur Darstellung der wasserigen Flusssaure in grossern Mengen kann der
von Briegleb empfohlene Apparat verwendet werden. Die aus Blei gefertigte
Destillirblase besteht aus zwei Theilen, deren unterer, zur Aufnahme der
Beschickung mit Flussspath und Schwefelsaure bestimmt, mit dem obern Theile
(Helm) gut verkittet wird. Die gleichfalls aus Blei gefertigte Vorlage hat seitlich
einen Tubus zur Aufnahme des Helmhalses, ferner einen konischen ubergreifenden
Deckel, von dem ein Ableitungsrohr abzweigt. In der Vorlage selbst befindet
sich eine mit dem Absorbtionswasser gefiillte, auf einem Ringe von Blei stehende
Platinschale. Sobald alle Fugen des Apparates verstrichen sind, beginnt man
mit der Entwicklung des Fluorwasserstoffgases durch Erwarmen der in einem
eisernen Sandbade stehenden Blase; man erhalt so eine mehr oder weniger
concentrirte, fast bleifreie Saure.
Zur Darstellung von wasserhaltiger Flusssaure in kleinen Mengen kann ein
einfacher Apparat, bestehend in einer aus zwei Theilen gebildeten bleienen
Destillirblase mit einem Abzugsrohr von Platin, verwendet werden. In den untern
Theil der Blase bringt man concentrirte Schwefelsaure und riihrt in diese so viel
fein gepulverten Flussspath, dass die Masse noch vollstandig fllissig bleibt, setzt
sodann den obern Theil auf, verkittet und erhitzt nun den Boden der Blase mit
einer kleinen Flamme. Das aus dem Platinrohr austretende Fluorwasserstoffgas
lasst man in einen mit Wasser gefiillten und gekuklten Platintiegel eintreten.
Soil die erhaltene Flusssaure vollstandig bleifrei sein, so miissen zur Dar-
stellung derselben Gefasse von Platin verwendet werden, da die in den meisten
Bleiapparaten dargestellte Flusssaure geringe Mengen von Blei enthalt.
Lasst man das aus Flussspath und Schwefelsaure entwickelte Fluorwasser-
stoffgas in kleine, mit einer Kaltemischung umgebene Gefasse von Platin, Blei
oder Gold treten oder leitet man dasselbe durch eine U-fdrmige, gleichfalls
gekiihlte Rohre von Blei, so erhalt man die Flusssaure im wasserfreien Zustande.
Die wasserige Flusssaure ist eine farblose, sehr saure, bei starker Concen-
tration an der Luft rauchende Fliissigkeit, welche die meisten Metalle unter
Entwicklung von Wasserstoff auflost, mit Metalloxyden Wasser und Fluor-
metalle bildet.
Die wasserfreie Flusssaure ist eine farblose, sehr fluchtige, rauchende, sehr
saure, atzende, bei ca. 15° C. siedende Fliissigkeit von 1061 spec. Gewicht;
auf die Haut gebracht, bewirkt sie lebhafte Entziindung derselben, und eizeugt
Fluor. 603
schwer heilende Wunden. Durch Zusatz von wenig Wasser erhoht sich ihr spec.
Gewicht auf 1*25 unter bedeutender Erhitzung.
Die Aufbewahrung der wasserigen Flusssaure geschieht in Gefassen von
Blei oder Platin, wohl auch in Glasgefassen, deren Innenwande mit einer Schichte
von Wachs oder Asphalt uberzogen sind.
Von grosster Wichtigkeit ist die Einwirkung des Fluorwasserstoffgases
sowohl als auch der wasserigen Fliisssaure auf Kieselsaure und Silikate.
Flusssaure setzt sich namlich mit Kieselsaure um in gasfbrmiges Silicium-
fluorid und Wasser,
SiOz + ±FIH = SiFl4 + 2#20
Kieselsaureanhydrid Fluorwasserstoff Siliciumfluorid Wasser
mit Silicaten in Siliciumfluorid. Fluormetall und Wasser. Wirkt daher Fluor-
wasserstoffgas oder Flusssaure auf Glas, so wird demselben ein Theil der Kiesel-
saure in Form von gasformigem Siliciumfluorid entzogen und je nach der Dauer
der Einwirkung an der betreffenden Stelle eine mehr oder weniger starke Ver-
tiefung erzeugt.
Diese zerstorende Wirkung der Flusssaure aufGlas wird beniitzt, um Zeich-
nungen, Schriftziige, Theilungen, Photographien etc. auf Glas zu atzen.
Bereits 1670 kannte H. Schwankhardt in Niirnberg ein Verfahren,
mittelst Flussspath und Schwefelsaure Glas zu atzen; 1771 wies Scheele die
Existenz einer eigenthiimlichen, der Chlorwasserstoffsaure ahnlichen Saure nach,
welche sich aus dem Gemische von Schwefelsaure und Flussspath entwickelt und
%welcher Saure die atzende Wirkung zukomme. Durch Hann, Bottger und
Bromeis, Kessler, Siegwart, Tessie" du Mothay, Auer u. A. erhielt
das Verfahren der Aetzung des Glases, namentlich in der Methode des sogenannten
Glasdruckes, der Hyalographie etc. die grosste Wichtigkeit.
Man atzt entweder mit Fluorwasserstoffgas, aus einem Gemisch von Fluss-
spath und Schwefelsaure entwickelt oder mit wasseriger Flusssaure, wohl auch
unmittelbar mit dem Gemisch von Flussspath und Schwefelsaure oder mit einer
mit Salzsaure angesauerten Losung von Fluorwasserstoff-Fluorkalium oder endlich
mit Fluorammonium. Je nach Wahl der einen oder andern Methode ist das
Aussehen des geatzten Glases von verschiedener Art; Fluorwasserstoffgas und
Fluorammonium erzeugen matte Aetzung, ebenso das Gemisch von Schwefelsaure
und Flussspath, wenn es unmittelbar auf die zu atzende Stelle aufgetragen wird ;
eine wasserige Losung von Flusssaure hingegen hinterlasst die geatzte Stelle
nicht matt, sondern hell und fast durchsichtig. Durch Abwechslung von matt
und hell geatztenS tellen, durch verschiedene Tiefatzung, Wegatzen von Ueber-
fang etc. konnen die verschiedensten Arten geatzter Glaser von trefflicher Wirkung
hergestellt werden.
Obzwar sammtliche Glasarten von Fluorwasserstoff angegriffen Averden, so
eignen sich am besten weiche Bleikrystallglaser, indem die Aetzung der harten
Kali- oder Kalikalkglaser nur sehr langsam von statten geht.
Um Zeichnungen auf Glasplatten, Scalen auf Thermometern., Eudiometern etc.
zu atzen, verwendet man die Methode der Aetzung mit gasformigem Fluor-
wasserstoff. In die, mit einem Aetzgrunde von geschmolzenem Wachs und Ter-
pentin oder Kupferstecherfirniss moglichst gleichmassig iiberzogene Oberflache der
Glasplatte oder Rohre wird die Zeichnung mittelst eines feinen Griffels, die
Theilung fur Thermometer und Eudiometer mittelst Theilmaschine eingeschnitten.
um so die betreffenden Glasstellen der Einwirkung der Fluorwasserstoffsaure
blosszulegen, hierauf durch langere oder ktirzere Zeit je nach der gewiinschten
Tiefe der Aetzung den Dampfen der Fluor- wasserstoffsaure ausgesetzt — wobei
nur Sorge getragen werden muss, dass die Temperatur nicht zu hoeh steigt, um
nicht Stellen, welche nicht geatzt werden sollen, durch das Schmelzen des Aetz-
grundes blosszulegen — und schliesslich durch gelindes Erwarmen und Abwischen
der Aetzgrund entfernt.
604 Fluor.
Da die Herstellung von Zeichnungen im Aetzgruude viel Zeit und Miihe
erfordert, fiir jeden einzelnen Gegenstand wiederholt werden muss, so wurde schon
von Hann (1829), Bbttger u. Bromeis (1844), Kessler (1855), Siegwart,
Tessie du Mothay und Marechal etc. ein Druckverfahren*) eingefiihrt,
nach welchem die betreffenden Zeichnungen auf dem lithographischen Stein
entworfen, der Aetzgrund auf Papier gedruckt und von diesem auf das Glas iiber-
tragen wird.
Nach Kessler wird zunachst die betreffende Zeichnung auf einem ebenen,
polirten lithographischen Stein mittelst einer Tinte (Losung von Asphalt in Ter-
pentinol) entworfen, nach dem Trocknen derselben der Stein mit stark verdiinntev
Salzsaure ca. !/amm ^ief geatzt, mit Aetzgrund, bestehend aus 3 Th. Asphalt,
2 Th. Stearinsaure und 3 Th. Terpentinol, iiberzogen und mittelst einer gerad-
linigen Metallschiene die erhabenen Stellen blossgelegt. Man bedeckt nun den
Stein mit einem Blatte Halbseidenpapier und bringt ihn in die lithographische
Presse behufs Uebertragung des Aetzgrundes auf Papier; auf diese Weise konnen
von dem Steine eine beliebige Anzahl Abdriicke hergestellt werden. Hierauf
erfolgt die Uebertragung des Abdruckes von Papier auf Glas; man legt das
Papier mit der nicht bedruckten Seite auf ganz verdunnte Salzsaure, bis das
Papier durchdruDgen ist, breitet es hierauf mit der bedruckten Seite auf der
Glasplatte vollkommen eben aus und entfernt das Papier durch vorsichtiges
Abziehen, wodurch der Aetzgrund in Folge seiner klebenden Beschatfenheit auf
dem Glase haften bleibt und die betreffenden Stellen vor der Einwirkung der
Fluorwasserstoffsaure schiitzt.
Tessie du Mothay und Marechal verwenden als Aetzbad eine Losung"
von 250 Grarnm Fluorwasserstoff-Fluorkaliuni und 250 Gramm kaufl. Salzsaure
in 1 Liter Wasser, Siegwart eine Losung von 8 Thl. Fluorkalium, 1 Thl.
Schwefelsaure in 100 Thl. Wasser.
Handelt es sich urn die Herstellung grbsserer matter Flachen, so wendet
man haufig die directe Aetzung mittelst eines breifbrmigen Gemisches von Fluss-
spath und Schwefelsaure an ; man erhalt so mattirte Flachen, welche viel zarter
und gleichformiger sind, als dieselben durch Schleifen hergestellt werden konnen ;
besonders geeignet ist diese Methode zur Herstellung der matten Scheiben fiir
die Camera obscura.
Urn ganze Flachen zu mattiren werden diese nach P. Weiskopf**) ca. 5mm
hoch mit einem diinnen Teige von feingepulvertem Flussspath und concentrirter
Schwefelsaure bestrichen, kleinere oder runde Gegenstande ganz eingehiillt, in
einem eisernen Topf, dessen Boden mit Gyps oder Kreide belegt ist, durch zwei
Stunden gelinde erhitzt, damit alle iiberschiissige Flusssaure abzieht. Das Ende
der Operation erkennt man daran^ dass sich die Dccke der Platte vollstaudig in
harten Gyps verwandelt hat und sich nach dem Abkiihlen leicht und vollstandig
ablbsn. Die Platten werden sodann in verdiinnter Aetzkalilauge und darauf in
Wasster einigemal gewaschen, worauf die geatzten Stellen rein und intensiv matt
erscheinen.
Will man Glasflacheu nicht ganz matt, sondern nur eisartig glanzend (bes.
fiir Fenster) herstellen so legt man die Glasscheibe vollstandig horizontal, bedeckt
dieselbe mit einer Lage sehr feiner Schrottkbrner und atzt nun mit stark ver-
diinnter Flusssaure; die Schrottkbrner wirken als Deckgrund und bringen so auf
dem Glase erhabene Punkte hervor.
Photographien lassen sich nach E. Siegwart (Dingl. polyt. Journal 190
pag. 426, 220 pag. 479; auf Glas atzen, wenn die mit einer Chrom-Gelatine-
*) Vergl. Kessler, Dingl. polyt. Journ. 170 pag. 217 und 185 pag. 222. Tessie du
Mothay und Marechal, Dingl. pol. Journ. 181 pag. 213. E. Siegwart, Dingl.
pol. Journ. 199 pag. 222. M. Hock, Dingl. pol. Journ. 215 pag. 129
**) S. Dingl. polyt. Journ. 206 pag. 469.
Fluor. — Fluorescein. 605
schichte praparirte Platte dem Lichte exponirt, nach cter Belichtung mit feinera
Flussspathpulver bestreut (welches nur an den vor dem Lichte geschiitzten Stellen
haftet), rait Rohcollodium uberzogen und hierauf in verdiinnte Schwefelsaure
gebracht wird.
Zum Mattatzen und Mattschreiben mit der gewohnlichen Feder empfiehlt
Kessler eine Losung von Fluoraramonium.
Si liciumfl uor id (Fluorkiesel, Fluorsilicium) SiFlA wird erhalten, wenn
man ein Gemenge aus gleichen Theilen Flussspath und gepulvertem Quarz oder
Sand mit 8 Thl. concentrirter Schwefelsaure erwarmt:
SiO,, + 2CaFl? + 2£04#2 =: 2C'aS04 + 2H./J + SiFlA
Kieselsaureanhydrid Fluorcalcium Schwefelsaure Calciumsulfat Wasser Siliciumfluorid.
Das schon bei gelinder Erwarmung sich reichlich entwickelnde Gas muss
iiber Quecksilber aufgefangen werden, da es von Wasser augenblicklich zersetzt
wird. Es ist ein farbloses Gas von stechend saurem Geruche und Geschmacke,
das an feuchter Luft starke Nebel bildet. Das spec. Gewicht des Gases nach
Davy rr 3'574; bei einer Temperatur von — 106° C. und einem Drucke von
9 Atmospha'ren zu einer farblosen leicht beweglichen Fliissigkeit verdichtbar.
Wird das Gas in Wasser geleitet, so findet Zersetzung desselben unter
Abseheidung von gallertartiger Kieselsaure und Bildung von Kieselfluorwasser-
stoffsaure statt.
SSiFl^ + 4H,,0 = 8iOiHi -f 2SiFl6H^
Siliciumfluorid Wasser Kieselsaure Kieselfluorwasserstoffsiiure.
Die Kieselfluorwasserst offsaure oder Kieselflusssaure bildet eine
farb- und geruchlose sehr saure Fliissigkeit, welche bei gewdhnlicher Temperatur
nicht auf Glas wirkt, dasselbe jedoch bei hoherer Temperatur, unter Riickbildung
von Siliciumfluorid, angreift.
Die Kieselfluorwasserstoffsaure kann betrachtet werden als Kieselsaure von
der Formel SiO:iHa, in welcher die drei zweiwerthigen Sauerstoffatome durch
sechs einwerthige Fluoratome vertreten sind oder audi als Verbindung von Silicium-
fluorid mit Fluorwasserstoff SiFl^ -\- 2B.Fl.
Die Kieselfluormetalle, durch Vertretung von Wasserstoff durch Metallatome
entstanden, sind, mit Ausnahme des Kalium- und Baryumsalzes, in Wasser niehr
oder weniger leicht loslich, einige auch krystallisirbar.
Ausser in der analytischen Chemie, in welcher die Kieselfluorwasserstoff-
saure zur Erkennung der Kalisalze, Trennung der Baryum- und Strontiumsalze
dient, ist dieselbe auch zur Entfernung der Alkalisalze aus Riibenmelasse empfohlen
worden.
Naheres iiber Fluor, Fluorwasserstoff, Siliciumfluorid und Kieselfluorwasser-
stoffsaure siehe: Graham-Otto's ausfiihrliches Lehrbuch der Chemie 2. Band 1. Ab-
theilung pag. 798—809 und pag. 991—996. K. Weis.
Fluorborsaure. Bor fluorwasserstoff saure, s. Bor I pag. 731
Fluoren, Name eines von Berthelot in dem zwischen 300 und 340° C.
sied. Antheile des Steinkohlentheeres entdeckten, stark fluorescirenden Kohlen-
wasserstoffs, der nach Bar bier (Ber. d. d. chem. Ges. 1873 pag. 1264) bei
113° C. schmilzt und der Formel Cri;JJff]8 entspricht. Gtl.
Fluorescein (fiuoresceine) d. i. Resorcin-Phtalein. Durch Einwirkung
von wasserfreier Phtalsaure auf Resorcin beim Erhitzen auf 195° C entstehend,
lasst es sich mittels Alkohol aus der Masse ausziehen und krystallisirt aus der
Alkohol-Losung, in Gestalt kleiner, zu Krusten vereinigter Krystallchen von dun-
kelbrauner Farbe. In Kalilauge Ibsen sich die Krystalle auf und aus der Losung
fallt durch Saurezusatz das Fluorescein in Gestalt eines ziegelrothen Pulvers. Die
Zusammensetzung entspricht der Formel C^H^J)^ oder C<20H1>1Ob. Mit Schwefel-
606 Fluorescein. — Fluorit.
saure stark erhitzt liefert es bei Zusatz von Wasser einen rothen pulverigen
Niederschlag, der sich in Alkalien mit blauer Farbe lost. Die Losung liefert mit
Zinkstaub eine Kiipe mit der sich wie mit einer Indigoktipe blaufarben lasst.
Doch sind die erzielbaren Farbentone weder schon noch echt, (vgl. a. Eo sin III
pag. 277, s. Baeyer, Ber. d. d. chem. Gesellsch. 1871 pag. 558 u. 622, s. d.
Ann. d. Chem. 1876, 183 pag. 1 — 74, s. a. Resorcinfarben). Kr tiger hat das
Fluorescein neuestens als Indicatorsubstanz ftir Maassanalyse vorgeschlagen, (vgl.
Ber. d. d. chem. Gesellsch. 1876 pag. 1572). Gtl.
Fluorescin ist das Reductionsproduct des Fluoresceins, welches aus diesem
durch Behandlung mit Zinkstaub in alkalischer Losung erhalten werden kann.
Fluorescenz s. Licht.
FlllOrid syn. m. Fluormetall.
Fluorit, Flussspath, Fluss, F I o s s der alten Bergleute, (chaux jinatee —
jluor spar, fluorite), krystallirt tesseral zumeist im Hexaeder oder Octaeder, aber
auch im Rhombendodekaeder, Tetrakontaoctaeder, sowie in mancherlei Combina-
tionen. Die in der Regel schon ausgebildeten, grossen Krystalle finden sich
einzeln oder in Gruppen und Drusen, auch oft in sehr regelmassiger paralleler
Verwachsung (Treppenoctaeder). Zwillinge nach einer Octaederflache sind haufig.
Auch derb , in grobkornigen oder stangligen Massen , sowie dichte und erdige
Varietaten finden sich. Spaltb. octaedrisch vollk. Bruch muschlig selten sichtbar,
sprode. H = 4, spec. Gew. 3.1 — 3.2, im reinsten Zustand wasserhell, gewohnlich
gefarbt in alien nur denkbaren Farben und Nuancen, auch nicht selten zwei- und
mehrfach verschieden gefarbte Krystalle, daher auch von den Bergleuten „Erz-
blume oder Erzbltithe" genannt. Die Farbe soil von einer Beimengung von
KohlenwasserstofF herrtihren, da sie beim Gliihen verschwind et. Pulverisirt oder
schon in groberen Stiicken auf Platinblech erhitzt phosphoresciren die Flussspathe
lebhaft. Chem. Zus. CaFlq = 51.3 Calcium und 48.7 Fluor. Zerknistert v. d. L.
phosphorescirt und schmilzt nur in dtinnen Splittern zu einem unklaren Email,
wobei sich die Flamme rothet. Mit Gyps schmilzt er zu einer klaren Perle,
welche erkaltet trtib wird. Von cone. Schwefelsaure wird er unter Entwicklung
von Flusssaure vollstandig zersetzt, in Salzsaure und Salpetersaure lost er sich
schwer. Ist ein haufiger Begleiter von Erzen, z. B. von Zinnerzen zu Schlaggen-
wald, Zinnwald, Ehrenfriedendorf in Cornwall, auf Silbererzgangen in Weipert, Anna-
berg, Freiberg, Rongsberg, auf Bleigangen an vielen Orten in England, auch mit
Rotheisenstein und Spatheisenstein findet er sich, bildet auch ftir sich oft ziemlich
machtige Gange wie zu Wolsendorf im Bairischen Wald, Rothleberode am Harz
u. a. a. 0. Eine eigenthumliche Varietat des Flussspathes ist der zu Wolsendorf
in Baiern vorkommende „Stink flussspath oder Antozonit." Er ist derb,
dunkelblau bei schwarzblau, oft stanglig, und entwickelt beim Stossen oder Schlagen,
noch mehr beim Zerreiben einen eigenthtimlichen Geruch, welchen Schonbein
als von Antozon herriihrend erklart, wahrend nach anderer Ansicht dieser Geruch
von einem Kohlenwasserstoff-Gehalt herrtihren soil.
Der im Granit von Kararfoedt und Broddbo bei Falun sowie bei Amity in
New- York, N.-A., vorkommende Yttrocerit, welcher violetblaue Ueberziige und
Krusten im Gestein bildet, besteht aus Fluorcalcium mit einem Gehalt von Fluor-
cerium und Fluoryttrium.
Der Flussspath findet mancherlei Verwendung in der Technik. Yon Alters
her findet er Anwendung als Zuschlag zum Schmelzen strengfltissiger Erze, sowie
beim Probiren der Erze. Er dient zur Erzeugung der Flusssaure, als Zusatz bei
der Bereitung von Glasuren und Emailen. Die schongefarbten englischen Fluss-
spathe werden zu Platten geschnitten, womit allerlei Luxusgegenstande belegt
werden, auch werden ganze Ornamente und verschiedene Gerathe daraus gefertigt
Fluorit — Fluss. 607
(Sparstone - Ornaments). Als Ringstein wird er seiner geringen Harte wegen
nur selten verschliffen, und muss im letzteren Falle mit einer Glas- oder Krystall-
doublette versehen werden. Einige Archaeologen vermuthen, dass die von den
Alten hochgeschatzten murrhinischen Gefasse (Vasa murrhina) aus Flussspath
gemacht waren. Lb.
Fluormetalle, Fluoride vgl. Fluor s. b. d. einz. Metallen.
Fluorwasserstoff s. Fluor ill pag. 602.
FluSS syn. m. Fluorit.
FIlISS, Flussmittel (fondant —flux), nennt man bei metallurgischen
Processen im Allgemeinen Korper, welche man bei Schmelzoperationen den zu
schmelzenden Stoffen zusetzt, um leicht schmelzbare Schlacken zu erzielen. In
diesem Sinne dienen Flussspath, Borax, Glas oder sonstige Silicate als FUisse.
Den Namen Fluss speciell fiihren aber auch besondere Flussmittel, die neben
dem Zwecke als Verfliissigungsmittel zu dienen noch die besondere Aufgabe haben
Reductions- oder Oxydationswirkungen auszuiiben.
Solche Flussmittel sind:
a) Der schwa rze Fluss (flux noir — black flux), d. i. ein Product,
welches durch Verpuffen eines innigen Gemenges von circa 2 — 3 Thl. Rohwein-
stein mit 1 Thl. Salpeter erhalten wird und eine schwarze Masse darstellt, welche
wesentlich aus kohlensaurem Kali, fein vertheilter Kohle, etwas Cyankalium nebst
geringen Mengen von kohlens. Kalk (aus dem Kalkgehalte des Rohweinsteins),
Chlormetallen und schwefelsauren Salzen, oft auch brenzlichen Zersetzungspro-
ducten der Weinsteinsaure besteht. Derselbe wirkt als reducirendes Flussmittel,
und kann, je nachdem eine kraftigere oder weniger kraftige Reduction gewtinscht
wird, durch Aenderung des Mischungsverhaltnisses von Weinstein und Salpeter
variirt werden. So erhalt man bei Anwendung von 2 Weinstein auf 1 Salpeter
eine Masse von etwa 5 Proc. Kohlenstoffgehalt, von 2 '/„ Weinstein auf 1 Salpeter,
von etwa 8 Proc. Kohlenstoffgehalt, von 3 Weinstein auf 1 Salpeter von etwa
12 Proc. Kohlenstoffgehalt und im Verhaltnisse der Zunahme des Kohlenstoff-
gehaltes auch kraftiger reducirende Wirkung.
b) Grauer Fluss (flux gris — grey flux) ist ein Product der Verpuffung
von 3 Thl. Weinstein mit 2 Thl. Salpeter, ist wesentlich armer an Kohlenstoff
als der schwarze Fluss.
c) Weisser Fluss (flux blanc — ivhite flux) wird erhalten durch Ver-
puffen eines Gemenges von 1 Thl. rohem Weinstein mit 1 bis 2 Thl. Salpeter.
Er enthalt vornehmlich kohlensaures Kali neben salpetrigsaurem und salpetersaurem
Kali, dann geringen Mengen von kohlens. Kalk (aus dem Kalkgehalte des Roh-
weinsteins) etwas an Chlormetallen und schwefels. Salzen. Er dient wegen seines
Gehaltes an salpetrigsauren und salpetersauren Salzen als oxydirendes Fluss-
mittel.
Diese Gemenge sind um so wirksamer, je vollkommenerer die Mischuug
von Weinstein und Salpeter war. Sie miissen, da sie grosse Neigung haben
Feuchtigkeit anzuziehen, in gut verschlossenen Gefassen auf bewahrt werden.
Mit dem Namen Schnell fluss bezeichnet man eine von Bail me ange-
gebene Mischung aus 3 Thl. Salpeter, 1 Thl. Schwefel und 1 Thl. Sagespiineii
(von einem harzigen Holze), welche Metalle, die leicht in Schwefelmetalle verwan-
delt werden konnen (Kupfer, Silber etc.), rasch zum Schmelzen bringt, indem sie
dieselben in leicht flussige Schwefelungstufen iiberfiihrt.
Fluss nennt man ubrigens auch den Zustand der Verfliissigung fester Korper
und unterscheidet in dieser Beziehung wohl auch zwischen wiissrigem Fluss,
£08 Flussbau. — Forlenholz.
d. i. das Schmelzen z. B. eines wasserhaltigen Krystalls in seinera Krystall-
wasser, und feurigem Fluss, d. i. die Verfliissigung eines starren Kbrpers
im Feuer, z. B. eines wasserfreien Salzes, eines Metalls u. s. v?., vergl. auch
Schmelzen. Gtl.
Flussbau, s. Wasserbau.
Flusseisen, s. Eisen II pag. 771 und 777.
FIUSS Mainzer syn. mit Strass, s. Glas.
Flussmittel s. Fluss.
Flusssaure syn. Fluorwasserstoff, s. Fluor III pag. 602.
Flussschifffahrt, s. Schifffahrt.
Flussspath s. Fluorit.
FluSSStahl s. Eisen II pag. 778.
FluSSStein s. Fluorit.
Fluxion ist der Grenzwerth, welchem sich das Verhaltniss der Aenderung
einer Function, zu der sie herbeifiihrenden Aenderung der unabhiingigen Variablen,
nahert, wenn letztgenannte Aenderung ohne Ende der Nulle zustrebt, also der
sog. erste Differ en tialquotient oder die derivirte Function, welche
ein Mass fiir die Aenderungsgeschwindigkeit der Function abgibt. Cz.
Flyer, s. Baumwollspinnerei I pag. 345.
Flysch s. Wiener Sandstein.
FOCUS syn. m. Brennpunkt, s. b. Linsen, vgl. Licht.
Fbhrenholz, Kiefernholz (pin — fir), das Holz der Kiefer oder Fohre
(Pinus silvestris) ; es ist raeist rothlich gelb, an den Randern der Jahrringe roth-
braun, im Splinte weiss. Es gehort zu den weichen Holzern, zeichnet sich jedoch
durch seinen Harzreichthum aus, daher es auch in der Nasse dauerhaft ist und
besonders gerne als Materiale zu Fensterrahmen, ferner auch zu Brunnenrbhren
beniitzt wird. Das K i e n h o 1 z ist das besonders harzreiche Holz der Wurzeln
der Fohre. Das Holz der Weymouthskiefer (Pinus sti-obus) ist sehr brlichig
und minder harzreich, daher nicht so verwendbar. Kk.
Forderschacht, s. Bergbau I 387.
Fdrderung, s. Bergbau I pag. 402, 407.
Folie (paillon, feuille — foil), diinnstes Blech, u. z. Silber- oder plattirtes
Kupferblech, bei dem Fassen der Edelsteine in Gebrauch, und die Zinnfolie zur
Belegung der Spiegel. Vgl. Goldarbeiten u. Spiegel. Kk.
Foncjrmaschine, Grundirmaschine U pag. 166.
Fontaine, s. Springbrunnen.
Fontaine-Pulver, s. Explosirstoffe III pag. 339.
Forcherit, s. Opal.
Forellenstein, Forelleuschiefer, s. Granulit.
Forlenholz, svn. m. Fbhrenholz.
Form. ■ — Formsand. 609
Form (tuyere — tivyer) s. Eisenerzeugung III pag. 8 und 17.
Form (moule — mould), s. Eisengiesserei III pag. 123, s. f. den
Artikel Galvanoplastik, s. Glas.
Formaldehyd, Me thy laid eh yd ist der Aldehyd der Ameisensaure,
der im reinen Zustande ein Gas darstellt, von der Formel CH20. Er liefert
leicht Condensationsproducte. Zunachst entsteht der Paraformaldehyd C3H603,
welcher erne krystallinische weisse Masse liefert, die unter 100° C. sublimirt und
bei starkerem Erhitzen sich in drei Molekiile Formaldehyd spaltet. F. reducirt
in einer schwach ammoniakal. Silbernitratlosung das Silber als metallglanzenden
Spiegel und ist iiberhaupt ein energisch wirkendes Reductionsmittel, vgl. Aldehyd
I pag. 84, s. a. Methylalkohol. Gil.
Formamid, d. i. das Amid der Ameisensaure (CHNH^O), vgl. Amide
I pag. 130.
Formanilid, d. i. das Anilid der Ameisensaure (COH NHC6H6), vgl.
Anilide I pag. 151.
Formatsalz, s. m. Blocksalz („Balwani")7 s. Natrium b. Steinsalz.
Formen, s. m. Methyl en s. d.
Formen, s. Eisengiesserei III pag. 123.
Formflasche, Formkasten, s. Eisengiesserei III pag. 124.
Formiate syn. m. ameisensaure Salze, s. Ameisensaure I pag. 128.
Formmaschinen. Jene Vorrichtungen, welche man unter diesem Namen
begreift, haben die Aufgabe das Formen zu erleichtern, und sind meist auch nichts
weiter, als mechanische Vorrichtuugen, welche das Herausziehen der Modelle aus
dem im Formkasten befindlichen Formsande ausfiihren, wahrend das Einstampfen
des Sandes nach wie vor Handarbeit ist. Fur diesen Zweck geniigt aber meist
die im Artikel Eisengiesserei besprochene Anwendung der Modellplatten, so
dass nur bei Massenfabrikation die Anwendung dieser Maschinen zu empfehlen ist.
Naheres hieriiber s. Dingl. polyt. Journ. Bd. 167, pag. 1 — 9; vergl. ferner Art.
Rohrengiesserei. Kk.
Formonitril syn. m. Cyanwasserstoff, s. Cyan II pag. 458, tibrig. auch
syn. mit Carbylamin, s. II pag. 255, vgl. Cyan II pag. 460.
Formplatten, s. B aum w o lisp inn erei I. pag. 360.
Formsand (sable de moulage — moulding -sand), ist bei Eisengiesserei
III pag. 123 etc. in Bezug auf seine Anwendung besprochcn. Hier sind noch
dessen wesentliche Merkmale anzugeben. Guter Formsand soil sowohl den Druek
des geschmolzenen Metalles, als die bedeutende Erhitzung aushalten konnen. und
den beim Gusse entstehenden Gasen und Dampfen den Durchgang gestatten. Die
Merkmale guten Formsandes sind: Er soil dem Auge in der Komgrosse ziemlich
gleichfbrmig erscheinen, auf 80 — 90 Theile groberen Kornes nur 10 bis 20 Theile
feinen Kornes enthalten ; er soil sich wenig scharf anfiihlen ; er soil im trockenen
Zustande nur sehr wenig staubige Theile enthalten; er soil mit 10 — 20 Proc.
Wasser angemacht sich ballen lassen; die Ballen, welche man durch Drucken in
der Hand bildet, sollen beim Fallen aus geringer Hohe auf Sand nicht zerfallen,
aber sie sollen sich doch leicht brechen und zerdriicken lassen ; endlich soil er
sich wiederholt verwenden lassen.
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 39
610 Formsand. — Forstwirthscliaft.
In letzterer Beziehung ist Quarzsand fiir die Eisengiesserei, Tuff fur Bronze-
guss vorziiglich. Feldspathsand zerspringt nach dem ersten Gusse in feine
Theilchen und ist nicht verwendbar. (Verbrannter Sand.) Man findet selten in
der Natur vollkommen verwendbaren Formsand. Meist muss man durch Sieben
den gegrabenen Sand von den zu groben Steinchen befreien, oft auch muss durch
Anwendung von Kollergangen (s. d.) eine entsprechende Verkleinerung der-
selben erzielt werden. Keiner Quarzsand hat, wenn auch gefeuchtet, zu wenig
Bindekraft und muss in diesem Falle fiir Eisenguss mit ca. 2 Proc. Tlion oder
4 Proc. Lehm gut gemischt werden, wahrend Roth-, G-elb- und Bronzeguss eines
grosseren Lehmzusatzes bediirfen.
Fiir Eisenguss findet zum Formsande ein Zusatz Kohlenpulver (Holz oder
Steinkohle) statt, welcher die Eigenschaft hat, fetten Sand magerer und mageren
Sand fetter zu machen. Vgl. die Artikel Masse und Sand. Kk.
Formschneiden, Formstechen, s. Mo dels tech en, s. Holzschnitzen.
Formyl, Radikal der Ameisensaure, die demnach auch den Namen F o r-
mylsaure fiihrt. Entspricht der Formel CHO.
Formylchlorid syn. Chloroform II pag. 330.
Formyl hydriir syn. mit For maid eh yd.
Formylsaure, s. Ameisensaure I pag. 127.
Formyltrichlorid (Formylsuperchlorid), syn. Chloroform, s. d. II pag. 330.
ForsteHte, Min.-Varietat des Olivins aus alten Vesuvlaven vom Monte Somma,
ist Eisenoxydul haltiges Magnesiumsilicat (Mg„Si04). Oil.
Forstwirthschaft und Forstwissenschaft.
I. Forstwirthschaft:
Der Wald soil einerseits bestimmte Producte — Holz (Hauptnutzung) und
Rinde, Baumsafte, Streu, Gras, Wild etc. (Nebennutzungen) — liefern, andererseits
gewisse Einfliisse in klimatischer Hinsicht (Temperatur, Wind, Feuehtigkeit, Was-
serstand der Quellen und Fliisse etc.) ausiiben. Moglichst vollkommene und dabei
mit moglichst geringem Aufwand verbundene Erreichung dieser Ziele ist die Auf-
gabe der Forstwirthschaft.
In der Productenerzeugung ist das eigentlich privatwirthschaftliche Element
der Waldwirthschaft gegeben, wahrend hinsichtlich der Wirkung des Waldes auf
Boden und Klima nicht der einzelne Besitzer (Staat, Gemeinde, Private etc.) allein
und nur nach den eigenen Interessen entscheiden kann, sondern die Gesammtheit
massgebend wird. Hieraus resultirt das Recht wie die Pflicht des Staates, durch
die Gesetzgebung jene klimatischen Einfliisse des Waldes sicher zu stellen, even-
tuell zu schaffen — Staatsforstwirthschaft, (Waldsclmtzgesetze, Bildung von Wald-
genossenschaften etc.). Eine, wenn auch innerhalb moglichst enger Grenzen zu
haltende Beschrankung der freien Verfiigung des Waldbesitzers iiber sein Eigen-
thum ist unvermeidlich.
Die Productenernte setzt das Vorhandensein von Holzbestanden, bez. deren
BegriindiiDg, Erziehung, Pflege und Beschiitzung voraus.
Der zur Productenerzeugung erforderliche Productionsfonds, welcher, wie
in jeder Wirthschaft, auf eine relativ geringste Grosse reducirt werden soil,
besteht hauptsachlich in dem Bodencapital , sowie einem Capital, aus dessen
Zinsen die Culturkosten und die jahrlichen Ausgaben fiir Verwaltung, Steuern etc.
bestritten werden ; handelt es sich urn Waldungen, welche im sog. Nachhaltbetriebe
bewirthschaftet werden, d. h. um solche, von denen man jahrlich eine Nutzung
verlangt, so tritt als wesentlicher, dem absoluten Betrag nach oft bedeutendster
Factor ein bestimmtes Holzvorrathscapital hihzu. dessen Zins, neben den Zinsen
Forstwirthsehaff. Gil
der iibrigen Productionscapitalien, in der jahrlichen Nutzungsgrcisse enthalten sein
muss. —
Die Thiitigkeit des For_stwirtb.es hat liiernach zunachst zu bestehen in der
Sorge fur moglichste Steigernng des Waldertrags nach Masse und Werth der
Producte bei gleichzeitiger Beschrankung cles Productionsaufwande.s, so dags die
Rentabilitat des ganzen Betriebs die grosstmogliche wird. Dabei ist Sicherheit
und Zuverlassigkeit des Ertragsanfalles, eiue gewisse Stabilitat und Nachhaltigkeit
der Nutzungen zu erzielen.
Wie sicb diese Thatigkeit im Einzelnen aussert, erhellt aus einer Ueber-
sicbt iiber die verscbiedenen Disciplinen der Forstwissenschaft, welch' letztere,
ganz allgeinein, die systeraatiscb geordneten Regeln der Forstwirthschaft begreift.
II. Forstwissenschaft:
Wahrend man in frlihester Zeit (conf. z. B. des Tacitus Germania) in
Mitteleuropa7 speciell in dem jetzigen Deutschland und Oesterreich, Wald in
Ueberfluss hatte, so dass ausser der den jeweiligen Bedarf befriedigenden Nutzung
vorhandener Vorrathe kaum eine Verrichtung in den Forsten vorzunehtnen war,
gesellte sich bald — als Folge der Verminderung dieser Vorrathe und gleich-
zeitiger Vermehrung des Aekergelandes — die Sorge fur Begriindung neuer Bestiinde
an Stelle der abgetriebenen, hinzu ; die Vorstellung von der Unerschopfliehkeit
der iiberkommenen Holzmassen musste sich mit der Zeit verlieren, die Pflege
und Beschiitzung des Waldes, eine mehr und mehr ausgepragte Regelmassigkeit
der „Wirthschaft" gewann als Ersatz planloser Angriffe auf die Substanz der
Forste allmalig Boden, und in stetem Fortschreiten bildeten sich diejenigen Wirth-
schaftsgrundsatze heraus, welche heute massgebend sind :
Conf. Bernhardt: Geschichte des Waldeigenthums, der Waldwirthschaft
und Forstwissenschaft in Deutschland. 3 Bde. Berlin 1872 — 1875.
Das Erstehen einer Forstwissenschaft fallt zusammen mit der Be-
griindung einer eigentlichen Forstliteratur ; energische Anfange beider datiren erst
aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.
Seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts ist die forstliche Literatur stattlich
angeschwollen. Ein standiger Meinungsaustausch wird durch zahlreiche Fachzeit-
schriften vermittelt; wie u. a. :
Die allgemeine Forst- und Jagdzeitung (red. Heyer in Miinden),
die Monatschrift fur Forst- und Jagdwesen (Baur in Hohenheim), die Zeitsehrift
fur Forst- und Jagdwesen (Dankelmann in Eberswalcle), das Tharander Jahrbuch
(Judeich in Tharand), das Centralblatt fiir das gesammte Forst- unci Jagdwesen
Hempel in Wien).
Zur Orientirung der Leser bringen alle diese Zeitschriften periodische Zu-
sammenstellungen der literarischen Erscheinungen.
Eine gedrangte Uebersicht iiber das gesammte Gebiet der Forstwissenschaft
gibt der Grundriss zu Vorlesungen iiber Encyklopadie der Forstwissenschaft von
Dr. R. Hess, Giessen 18737 dessen einzelnen Abschnitten Literaturnachweise bei-
gefiigt sind; die wichtigsten forstlichen Werke finden sich sammtlich darin ver-
zeichnet.
Man theilt die Forstwissenschaft sachgemass in P r o duction si ehr e und
Ge werb el ehr e. Erstere umfasst als Disciplinen den Waldbau (Forstproducten-
zucht), den Forstschutz (Sicherung der Waldungen gegen Gefahren), die Forst-
benutzung (Nutzbarmachung der Forstproducte) ; die Gewerbelehre setzt sich zu-
sammen aus der Ertragsregelung? Waklwerthrechnung und Statik, sowie der forst-
lichen Haushaltungskunde.
1. Der Waldbau befasst sich im Wesentlichen mit der Begriindung und
Erziehung der Bestande, wobei in den weitaus meisten Fallen das Holz als das
Hauptproduct massgebend ist.
39*
61 2 Forstwirthschaft.
Conf. in Betreff des Gesammtgebietes dieser Disciplin Heyer Dr. Carl:
Der Waldbau oder die Forstproductenzucht. 3. Aufl. ed. Gustav Heyer7 Leipzig
1877.
Der Wald setzt sich aus Boden und Holzbestand zusammen. Zwischen
beiden bestehen mannigfachc Wechselbeziehungen, aus denen sich die wichtigsten
Regeln des Waldbaues ergeben.
Nachst dem Boden sind fur das Gedeihen der Bestande die Lage (Meeres-
hohe, Exposition, geographische Breite etc.) und das Klima entscheidend.
Als Grundlage fur eine wissenschaftliche Behandlung des Waldbaues muss
hiernach erstlich specielle Kenntniss der Bodenkunde und Klimatologie, dann der
Forstbotanik (der einzelnen Waldgewachse und ihres Verhaltens unter einander),
sowie endlich des gegenseitigen Einflusses von Standort und Gewachsen voraus-
gesetzt werden.
Conf. Heyer Dr. Gustav: Lehrbuch der forstl. Bodenkunde und Klima
tologie, Erlangen 1856; Lorenz und Rothe: Lehrbuch der Klimatologie, Wien
1874; Dobner: Lehrbuch der Botanik fur Forstmanner, Aschatfenburg 1865.
A. Anzucht der Hauptnutzung, des Holzes :
Die Holzbestande werden zunachst begriindet und zwar natiirlich (durch
Besamung seitens des vorhandenen Bcstandes oder durch Ausschlag, z. B. Stock-
lohden etc.) oder kiinstlich (mittelst Saat oder Pflanzung) ; dann sind die Bestande
geeignet zu erziehen, zu welchem Ende insbes. Ausjatungen und Liiuterungs-
hiebe, Durchforstungen, Aufastungen, Dnterpflanzungen etc. zu erfolgen haben.
Conf. Burckhardt: Saen und Pflanzen nach forstlicher Praxis, Hannover
bei Riimpler.
B. Die Anzucht der Nebennutzungen erfolgt meist gleichzeitig mit der
Holzzucht; nur in besonderen Fallen ist sie Hauptzweck der Wirthschaft, wie die
Anzucht der Lohrinde im Eichenschalwald, des Wildes in Thiergarten. Nachst
diesen sind Gras, Samen, Futterlaub, Baumsafte (z. B. Harz), landwirthschaftliche
Gewachse (Waldfeldbau), Torf etc. zu beachten.
Der Anzucht der Forstproducte coordinirt steht im Waldbau:
C. Die Lehre von den forstlichen Betriebsarten, welche fiir Technik und
Gewerbe insofern von Bedeutung werden, als durch die Wahl der Betriebsart
(Hochwald, Mittelwald, Niederwald in ihren verschiedenen Formen) hauptsachlich
die Gewahrung der verschiedenen Nutzholzsortimente bedingt ist.
2. Der Forstschutz itbernimmt die Aufgabe, drohende Gefahren aller
Art vom Walde fern zu halten und hereingebrochene auf ein Minimum zu reduciren.
Nach der Art dieser Gefahren gliedert sich das gauze Gebiet in den Schutz
gegen die organische und den Schutz gegen die anorganische Natur. In ersterer
Hinsicht hat man den Wald zu vertheidigen gegen Menschen (Servituten, Forst-
frevel), Thiere (Saugethiere, Vbgel und insbes. Insecten) und Pflanzen (Forst-
unkrauter, Pilze) ; in letzterer kommen u. a. Frost, Hitze, Wind, Schnee, Eis,
Ueberschwemmungen, Feuer etc. zur Sprache.
Aus der genauesten Kenntniss des Uebels sind in jedem Falle die Vorbeu-
guugsmittel und die Massregeln zur Bekampfung abzuleiten.
Conf. Grebe Dr. C. : Waldschutz und Waldpflege als 3. Aufl. von Kbnigs
^raldpflege, Gotha 1875; Hess Dr. R. Der Forstschutz 3 Lieferungen 1876
bis 1878; Altum: Forstzoologie 3 Bde. Berlin 1872—1875; Ha r tig Robert:
Die durch Pilze erzeugten Krankheiten der Waldbaume.
3. Die Forstbenutzung umfasst im weitesten Sinne (einschliesslich der
Forsttechnologie) die systematisch geordneten Regeln fur die Ernte, Aufbewah-
rung, Verwendung, Verwerthnng, Veredelung und den Transport aller Forst-
producte.
Conf. Gayer Carl: Die Forstbenutzung 4. Aufl. Berlin 1876 (das ganze
Gebiet begreifend). Zahlreiche Literaturnachweise enthalt Hess Dr. R. Grundriss
zu Vorlesungen iiber Forstbenutzung 1876.
Forstwirthschaft. 613
In diese Disciplin gehoren also die in gewerblich-technischer Hinsicbt jeden-
falls wichtigsten Theile der Forstwirthschaftslehre. Bekanntschaft mit den Anfor-
derungen der holzverbrauchenden Gewerbe ist ebenso unerlassliche Vorbedingung
eines rationellen Ausnutzungsbetriebes, wie die Kenntniss der Eigenscbaften des
Holzes ; letztere sind fiir dessen technische Verwendung ausscblaggebend (Farbe,
Harte, Schwere, Dichte, Festigkeit, Elasticitat etc. je nach Holzart, Alter, Zu-
stand etc.)
Conf. Nordlinger: Die tecbnischen Eigenschaften der Holzer, Suttgart 1860.
Die Forstbenutzung im engeren Sinne behandelt
A. Die Ernte der Forstproducte, zunachst des Holzes (Holzhauereibetrieb),
dann der Nebennutzungen, wie insbesondere der Lobrinde (conf. Neubrand:
Die Gerbrinde, Frankfurt a. M. 1869; Hartig Theodor: iiber den Gerbstoff
der Eiche und Wohmann, Neubauer und Lotichius: Die Schalung der
Eichenrinde mittelst Dampf), des Harzes (conf. Grebe: Die neuere Harznutzung
im Thiiringer Walde, und Burckbardts „Aus dem Walde", Heft 1, 1865), des
Futterlaubes, der Banmfriichte, des Waldgrases, der Waldstreu (conf. Eber-
mayer: Die gesammte Lebre von der Waldstreu, Berlin 1875), des Torfs, von
Steinen und Erde, Seegras, Grassamen, Beeren etc.
Es gehort bierher auch der Betrieb der Jagd und Fiscberei.
B. Der Transport der Forstproducte kann entweder zu Land oder zu
Wasser stattfinden. Es handelt sicb urn das Verbringen derselben von dem Orte
ihrer Gewinnung an den Ort ihrer Consumtion, zumeist nur, soweit dieser Trans-
port innerhalb der Waldgrenzen erfolgt.
In die Lehre vom Landtransport ordnet sich naturgemass der gesammte
Waldwegbau ein.
Conf. S chub erg: Der Waldwegbau, 2. Bde. 1873 und 1875
Ausserdem kommen die cbarakteristischen Bringungsanstalten der Gebirgs-
forstwirtbschaft (Holzriesen, Flosserei etc.) in diesem Abschnitte zur Besprecbung.
C. Die Aufbewahrung und Verwerthung der Forstproducte.
Zur Forstbenutzung im weiteren Sinne gehoren die Verwendung
und Veredelung der gewonnenen Producte — Forsttechnologie.
Dieselbe umfasst die Veredelung des Holzes und der Nebenproducte. Zu
ersterer gehort das
Impragniren (conf. Buresch: Preisschrift iiber verschiedene Verfabrungs-
arten und Apparate, Dresden 1860; Nepomucky: Mittheilungen iiber Holzim-
pragnirung auf der Kaiser Ferdinand-Nordbahn, Wien 1874; v. Berg: iiber das
Verfahren von Boucherie, allgem. Forst- und Jagdzeitung von 1858 und 1861),
der Betrieb der Waldsagemlihlen und Dampfsagen, die Anwendung sonstiger Holz-
bearbeitungsmascbinen, die Koblerei (conf. v. Berg: Anleitung zum Verkoblen
des Holzes, 2. Aufl. Darmstadt 1860), die Pottaschesiederei.
Als Verwendung und Veredelung von Nebenproducten sind zu nennen u. a. :
Die Theerschwelerei, Pechsiederei, Kienrussbrennerei, der Samenklengbetrieb
(conf. Walla: Die Samendarren und Klenganstalten, Berlin 1874).
Gayer's „ Forstbenutzung" enthalt die Schilderung aller betreffenden Vor-
gange, der Gerathe, Apparate, Baulichkeiten etc.
Der forstlichen Gewerbelehre fallt die Aufgabe zu, die wirtbscbaft-
licben Momente des Betriebs klar zu stellen, insbesondere die Nachbaltigkeit der
Nutzungen zu sichern, sowie einen regelrechten Gang und moglicbste Rentabilitat
der Wirtbschaft zu garantiren.
In diesem Sinne bezweckt:
4. Die Waldertragsregelung (Forsteinriclitung, Betriebsregulirung^) die
vortheilhafteste zeitliche und raumlicbe Regelung des Ertrags der Wa'lder, indem
sie zunachst die Bedingungen eines idealen (Normal-) Zustandes derselben anf-
stellt und untersucht, auf welcbe Weise die concreten Waldverbaltnisse sich am
scbicklicbsten in normale uberfuhren lassen.
614 Forstwirthschaft. — Fournirte Arbeit.
Die Losung der Aufgabe fordert als Grundlage die Untersuchung des im
Walde vorhandenen Thatbestandes, insbesondere der Standortsgiite (Bonitirung),
Aufnahme der Bestande nach Masse, Alter und Zuwachs, Gtite, Wiichsigkeit etc.
Conf. Heyer Carl: Die Waldertragsregelung, 3. Aufl. von Gustav Heye
(im Druck); Judeich: Die Forsteinrichtung, 2. Aufl. 1874; Baur Franz:
Holzmesskunst, 2. Aufl. 1875.
5. Die Waldwerthrechnung lehrt die Berechnung der in der Wald-
wirthschaft arbeitenden Capitalien (Boden, Holzvorrath etc. etc.).
Conf. Heyer Dr. Gustav: Anleitung zur Waldwerthrechnung. 2. Aufl. 1876.
6. Die Statik zeigt als „ Rentabilitatsr echnung der forstlichen Wirth-
schaftsverfahren, " wie man in jedem Falle den Effect mit dem Productionsauf-
wand vergleicht und hiernach unter concurrirenden Betriebsoperationen stets die
vortheilhafteste auswahlt. (Bestimmung der Umtriebszeit, Holzart, Betriebsart, Bestau-
desdichte etc. mit Riicksicht auf hochste Rentabilitat.)
Conf.: Heyer Dr. Gustav: Handbuch der forstlichen Statik. I. Abth. 1871.
7. Die Forsthaushaltungskunde endlich bespricht die Organisation
des Geschaftsbetriebs.
Conf.: Micklitz Robert: Forstliche Haushaltungskunde 1859.
Alle bisher skizzirten Theile der Forstwirthschaft betreffen das Verhaltniss
des Waldbesitzers als solchen zu seinem Walde ; sie geben die Mas sregeln an,
welche der Waldeigenthiimer ergreift, am seine Wirthschaft in moglichst voll-
kommenen Zustand zu versetzen.
Die Beziehungen, in welchen der Staat zur Forstwirthschaft stent (conf.
oben), findeu in diesem System keine Stelle, sondern sind durch eine besondere
Disciplin vertreten, welche als Staatsf o rst wir th s chaft si e lire oder als
Forstpolizei neben den iibrigen Fachzweigen herlauft und mit ihren Vor-
schriften iiberall mehr oder minder modificirend eingreift^ wo- das Interesse der
Gesammtheit dies erheischt. Dr. Taisko Lorey.
Forte-Piano, s. Musikinstrumente.
Fortification, s. Festungsbau III pag. 425.
Fossil (fossils — fossil), allgemeine Bezeichnung fiir durch Umwandlung
organischer Substanzen entstandene Mineralien, als Mineralkohlen, Versteinerungen ,
Bernstein etc. Uebrigens gebraucht man den Namen Fossil (d. i. so viel wie Aus-
gegrabenes) audi von Mineralien schlechtweg. Gtl.
Foulard ist ein glattes seidenes Gewebe zu Kleideru und Taschentiicherii,
dessen Kette aus ungezwirnter Rohseide in einfachen Fiiden und dessen Schuss
entweder aus demselben Materiale oder gewohnlicher aus feinem Florettseidengarn
besteht. Die Bindung des Gewebes ist taffetartig. Kk.
Fourcroye, s. Gespinnstfasern.
Fournire. Fournir blatter, Fournier, Furnlire (plaques, feuillets,
feuilles de placage — venurs), sind diinne Holzblatter, meist aus edleren, gefla-
derten Hblzern mit der Fournirsage oder der Fournirhobelmaschine
geschnitten. Betreff der ersteren s. den Artikel Sag en bei Sagemlihlen und
beziiglich der letzteren vergl. den Artikel Hob elm as chin en. Die Fournire
werden von Tischlern und Kartonagearbeitern zu fournirten Arbeiten (s. d.) ver-
wendet. Kk.
Fournirte Arbeit, Fournirung (plaquer, placage — rendering). Der
Zweck der Fournirung holzerner Gegenstande, durch Bekleidung derselben mit
diinnen Blattern von feineren und theuereren Holzsorten. ist ein mannigfaltiger.
1. Die Arbeiten konnen billiger hergestellt werden und fallen im Gewiclite kleiner
aus als aus massivem Holze (bois pleiri), weil ibr Hauptkorper aus weichen,
Fournirte Arbeit. 615
leichten unci billigeren Holzarten verfertigt werden kann. 2. Das anssero Ansehen
kann (lurch entsprechende Anordnung der Fournire schemer erhalten werden als
bei niassiven Arbeiten, weil grossere Holzstiicke selten eine gleichformigc Zeichnung
zeigen, und 3. Die Nntzbarmachuug schon gezeichneter, zu anderen Arbeiten
unbrauehbarer kleincrer Holzstiicke, indem man dieselben auf Fournire ver-
sehneidet.
Als Hauptgrundsatz beim Fourniren gilt: die einzelnen Blatter so neben-
einander anzuordnen, dass die Adern und Flammen derselben eine geschrnackvolle,
symmetrische und sich womoglich wiederholende Zeichnung ergeben. Natiirlicli
erfordern die beiden letzteren Eigenschaften das Vorhandensein mehrerer moglichst
gleichgezeichneter Blatter, wie sie zu je zweien durch jeden Schnitt der Fournir-
sagemaschinen (s. d.) erhalten werden.
Die Erzielung der Symmetrie geschieht auf mehrfache Art: Entweder man
bringt zwei gleiche Blatter parallel so neben einander an, dass ihre Figuren
symmetrisch in Bezug zu der durch die Fuge bezeichneten Mittellinie stehen. (Wo
eine Flache mehr als zwei Blatter benothigt, muss man fur jecle Fuge die eben
angegebene Riicksicht auf Symmetrie nehmen.)
Oder man bildet den Fournirbelag so aus vier Blattern, dass sich die Fugen
im Mittelpunkte der Flache kreuzen, u. z. konnen hierbei die Fugen in diagonaler
Richtung laufen oder den Seiten (viereckiger Flachen) parallel sein. Endlich
werden ovale, runde oder polygonale Flachen s tern for mig, auf Spitz e (en
coeur, en rosace) fournirt, indem man die Blatter keilformig zuschneidet und
sammtliche (8 — 16) Fugen im Mittelpunkte der Flache zusammentreffen lasst.
Bevor wir an die Beschreibung der eigentlichen Fournirarbeiten schreiten,
sei Folgendes vorausgeschickt :
Zur Anfertigung des Grundkorpers — Blindholz (hdtis, ground) — ist
solches Holz am besten geeignet, welches sich nach erfolgter Trocknung moglichst
wenig verzieht, also Linden-, Pappel-, Tannenholz u. s. w. ; das vorziiglichste
aber ist astfreies schlichtes Eichenholz, welches nebst seiner Festigkeit noch die
schatzbare Eigenschaft besitzt, den Leim sehr gut anzunehmen.
Die Verbindungen der Theile des Grundkorpers miissen solid und unver-
riickbar sein. Nirgend diirfen hblzerne Nagel oder unbedeckte Zinken mit ihrer
Hirnseite in der Oberfiache des Blindholzes liegen, weil bei der Schwindung der
umliegenden Partien das weniger schwindende Hirnholz stets die Veranlassung
der Bildung von Buckeln ist. Endlich ist es erforderlich, dass das Blindholz
eine etwas rauhe Oberfiache habe, um den Leim besser aufzunehmen.
Man erreicht dies durch Ueberfahren mittelst eines Zahnhobels in verschie-
denen Richtungen, oder, wo Schweifungen etc. die Anwendung des Hobels nicht
zulassen, mittelst einer Raspel.
Die Fournirblatter sollen moglichst egale Dicke haben und frei sein von
Rissen oder Lochern. Ihre Innenflache (diejenige, die an das Blindholz zu liegen
kommt) wird wie das Blindholz mittelst des Zahnhobels gerauht.
Die Holzfournire werden mittelst Maschinen erzeugt (s. d.). Das Fourniren
erfolgt zuweilen mit im Voraus zusammengefiigten Blattern, die in verschiedener
Weise erzeugt werden : Aus verschiedenfarbigen Fournirblattern werden Stiicke
mannigfaltiger Gestalt ausgeschnitten (mit dem Schnitzer, mit einer scharfen Reiss-
ahle, mit dem Stemmeisen, mit einer kleinen Sage, mit dem Schneidmodell, oder
bei kreisformigen Stiicken mit einem Stangenzirkel, der eine zugescharfte Spitze
hat), und diese auf einem mit Leim bestrichenen Papierbogen zu einem Muster
zusammengestellt. Oder man vereinigt mehrere schmale Fournirstreifen mit ihrer
breiteren Flache zu einem Stabe, den man mittels quer zu den Stossfugeu ge-
fiihrter Langenschnitte in mehrere, der Lange nach gestreifte Fournierbander
zertheilt. Werden Fournirplattchen zu einer Saule zusammengefiigt und diese
dann 'durch Langenschnitte zertheilt, so erhalt man quer gestreifte Fournirbander.
Die unter dem Namen Holz-Mosaik vorkommenden grosseren gemu-
sterten Belegfournire werden in einer, der eben beschriebenen Manier ahnlichen,
616 Fournirte Arbeit.
Weise hergestellt. Es werden namlich quadratische, dreieckige oder rautenformige,
beliebig lange Stabe aus verschieden farbigen Holzern so durch Hobeln hergestellt,
dass die Faserrichtung quer zur Lange der Stabe liegt. Diese Stabe werden
entsprechend dem Muster zu einem Klotze an einander geleimt und dieser nach
erfolgter Austrocknung durcb quer zur Lange (also in der Richtung der Fasern)
geftihrte Schnitte in Blatter (von 2 — 3mm Dicke) zersagt.*)
Das Verfahren ist bei Massenerzeugung billig, bietet aber weniger Freiheit
in der Zusammenstellung der Zeichnung. Trockene Birkenreiser (ungeschalt) auf
dieselbe Weise zu einem Klotze an einander geleimt, wobei man die Zwischen-
raume durcb den mit feinen Sagespanen vermengteu Leim ausfiillt, liefern eben-
falls htibsche Mosaikfournire, die indess den Uebelstand kaben, dass sie bei nach-
traglicher Glatthobelung leicht ausbrockeln, weil die Fasern quer gegen ihre Langs-
richtung zerscbnitten wurden.
Kiinstlicher und schwieriger auszufiihren ist folgendes Verfahren: Auf ein
Fournir wird ein Papier aufgeklebt und darauf die Zeichnung (aus in sich selbst
zuriickkehrenden Linien und Contouren) vorgezeichnet. Nun legt man unter dieses
Fournir ein zweites von anders gefarbtem Holze und schneidet beide Blatter
zugleich mit der Laubsage aus freier Hand oder mittelst einer Decoupirsage-
maschine nach den Umrissen der Zeichnung aus. Die aus dem unteren Fournire
fallenden Stiickchen werden in die Durchbrechungen des oberen eingelegt, und
umgekehrt, so dass man zwei brauchbare vollstandige Exemplare und, ausser den
Sagespanen, keinen Abfall erhalt (travail en contre partie, country part — sawing).
Wenngleich die herausgeschnittenen Theile um die Breite des Sageschnittes ringsum
kleiner sind als die fur sie bestimmten Oeffnungen der Fournire, so hebt sich
doch dieser Fehler ganz, weil man die Vorsicht gebraucht, die beiden Fournire
zum Ausschneiden so auf einander zu befestigen, dass ihre Fasern rechtwinklig
gegen einander laufen. Beim Einleimen der Figuren in die Oeffnungen quillt
jedes Holz quer gegen die Fasern ein wenig an, und dem zu Folge schliesst sich
die Fuge sehr gut, wenn der Sageschnitt moglichst fein war. Manche Niirnberger
Fabriken, die dieses Verfahren anwenden, gebrauchen auch folgenden Kunstgriff:
Die Sage schneidet etwas schrag zur Flache der Fournir (anstatt senkrecht darauf),
wodurch die eine Figur bei entsprechender Schragstellung der Sage um die
Breite des Schnittes grosser ausfallt als die andere und dann sehr genau in die
betreffende Oeffnung passt. Das zweite Stiick liefert dann natiirHch ein minder
genaues, aber immerhin noch brauchbares Produkt.
Die hochst selten angewendeten Steinfournire oder Massefournire
werden aus einem Teig aus Kreide, gebranntem Kalk und Leimwasser erzeugt,
den man mit Mineralfarben farbt. Die Steinfurnire miissen stets vor der Anwen-
dung mit Wasser erweicht werden.
Das Fournir en ebener Flachen erfolgt durch Auflegen der Blatter auf
das gerauhte, mit moglichst heissem, nicht zu dickfliissigem Leim bestrichene Blind-
holz und nachheriges Pressen. Man legt zu diesem Zwecke iiber das Fournirblatt
ein etwas angewarmtes tannenholzenes Brett — die Zulage (cole, caul) — und
passt es mit Schraubenzwingen fest. Sind zwei gleiche Stiicke zu fourniren, so
erspart man die Zulage, indem man beide Stiicke rasch nach einander belegt,
sie dann mit den Fourniren auf einanderlegt und mit Zwingen an einanderpresst.
Erhalt ein Stiick auf beiden Seiten Fournire, so legt man letztere ebenfalls rasch
nach einander auf, dann auf jede Seite eine Zulage und presst ein, wodurch man
bedeutend an Zeit und Arbeit erspart. Bei dieser beiderseitigen Fournirung (Ge-
genfournirung conire plaquer) legt man auf die nicht ins Auge fallende Seite
gewohnlich ein Eichenholzfournir.
Bei besseren Arbeiten erfolgt zuweilen eine doppelte Belegung, wodurch
dem Rissigwerden besonders gut vorgebeugt ist. Man belegt zuerst mit einem
*) Polyt. Centralbl. Jahrg. 1848 pag. 1212.
Fournirte Arbeit. 617
Eichenholzfournir und nach dessen Antrocknung mit dem werthvolleren Aussen-
fournir.
An schmale Flachen pflegt man die Fournire nicht durch Einpressen zu
befestigen, sondern man reibt den Fournirstreifen mit dem etwas angewarmten,
glattbahnigen Fournirhammer (marteau a placage) auf das mit Leim bestrichene
Blindbolz, d. h. man iiberfahrt das Fournir unter entsprechendem Drueke so lange
mit dem Hammer, bis es. test haftet.
Das Fourniren der Kanten muss so vorgenommen werden, dass keine
Fuge bemerkbar ist. Man verfahrt dabei in folgender Weise: Das Fournirblatt
wird so gross vorgeschnitten, dass es fur beide an einanderstossende Flachen
ausreicht. Dann beklebt man es auf der Aussenseite mit einem starken Papier-
bogen und befestigt es durch Leimen und Anpressen zuerst auf der einen Flache.
Nach dem Trocknen schneidet man in die gegen das Blindholz gekehrte Seite
gerade an der Stelle, wo das Fournir die zu belegende Kante iiberragt mit der
sogenannten Kip p sage oder dem Kippeisen eine in der Tiefe winkelig zu-
sammenlaufende, fast bis an das Papier dringende Furche in das Founder, bestreicht
die Flache des Blindholzes mit Leim und befestigt das Fournir, nachdem man es
um die Kante gekippt hat, auch auf der zweiten Flache. Die so belegten Kanten
fallen sehr rein aus und sind auch nicht aufgesplittert, da dies der Papierbelag
verhiitet.
Das Belegen geschweifter und krummer Flachen unterscheidet
sich von jenem ebener Flachen dadurch, dass man erst die Fournire, um sie bieg-
samer zu machen, verdiinnen muss. Man klebt sie zu. diesem Zwecke mittelst
Leim auf ein mit Seife (gegen das Anleimen) bestrichenes Brett und hobelt bis
zur erforderlichen Verdunnung, dann erwarmt man mittelst eines heissen Eisens
den Leim, lost das Blatt los und reinigt es durch Abwaschen von Leim.
Wesentliche Abweichungen zeigen die Zusammenpressungsvorrichtungen. Man
beniitzt entweder Zulagen, die genau nach der Krlimmung der Flache ausgearbeitet
sind, oder bei complicirten Formen Sacke, die mit feinem erwarmten Sand gefullt
sind, und mittelst holzerner Zulagen und Schraubenzwingen angepresst werden
oder endlich eiserne hohle, durch eingeleiteten Dampf erwarmte Zulagen *), letztere
indess selten, wegen ihrer nur von Fall zu Fall zulassigen Anwendbarkeit.
Die grosste Aufmerksamkeit erfordert das Fourniren runder Stticke (z. B.
Saulen, Walzen etc.) Die Fournire miissen hierzu ebenfalls verdiinnt werden.
Hierauf schneidet man sie etwas grosser zu, als der zu belegende Umfang erfordert,
und halt sie mit der unrechten Seite tiber ein Eeuer von Hobelspanen, wodurch
sie schon eine Krlimmung annehmen. Das Anpressen an das mit Leim bestrichene
Blindholz kann nun entweder miitelst passend ausgehohlter Zulagen geschehen,
die freilich nur hochstens ein Drittel des Umfanges umfassen konnen oder durch
spiralformiges Umwinden mittelst eines straff angespannten Leinenbandes. Im
letzteren Falle beniitzt man die Fournirmaschine [machine a, plaquer). Dieselbe
besteht in einem Gestelle, welches einerseits eine verstellbare Dornspitze (Ivorner),
andererseits ein ebenfalls verstellbares, an einer kurzen Welle sitzendes Spitzen-
futter (s. Drehbankfutter) enthalt. Zwischen den Korner und das Flitter wird
das zu belegende Blindholz eingespannt. Parallel und oberhalb der eingespannten
Saule etc. dreht sich mit grosser Reibung eine Holzwalze, die mit einer Leinen-
gurt spiralformig umwunden ist. Ist das in der Warme vorgebogene Fournirblatt
auf das Blindholz gebracht, so wird es vorlaufig befestigt und dann das Gurtende
an das eine Ende der Saule. Bei der nachfolgenden Drehung wickelt sich die
Gurte iiber das Fournir und bleibt daselbst bis zur volligen Trocknung. Hierauf
wird der Leim mittelst eines erwarmten Eisens an der Stelle, wo die Rander des
Fournirs etwas iibereinander greifen, erweicht, die Fournirkanten sorgfaltig zuge-
schnitten und durch wiederholtes Umwinden der Gurte festgehalten.
*) Polyt. Centralbl. Jahrg. 1850 pag. 775. Die mehrfach genanute Erwarmung hat den
Zweck, den Leim vor dem allzu raschen Erstarren zu bewahren.
618 Fournirte Arbeit. — Frase.
Zuweilen treten kleine Fehler ein, welch e vor der Ausfiihrung der Vollend-
arbeiten zu verbessern sind. Klebt z. B. das Fournir an einer Stelle des Randes
nicht vollstandjg gut, oder ist es abgehoben, so fiihrt man in die Spalte mittelst
einer sehmalen Messerklinge etwas Leim ein, und presst mittelst einer Leimzwinge
und einer kleinen Zulage das Fournir gegen das Blindholz. Hat sich aber das
Fournir in Form einer Blase abgehoben, so kann diese, wofern sie nicht von einer
Unebenheit des Blindholzes herriihrt, leicht beseitigt werden. Ist die Ursache
ihrer Entstehung eine locale Mehranhaufung von Leim, so erweicht man diesen
mittelst eines auf die Blase gehaltenen warmen Eisens und verstreicht die Un-
ebenheit mit dem Fournirhammer ; ist sie aber die Folge von zu wenig Leim
(also eine wirkliche Blase), so muss man dieselbe durch einen feinen Schnitt mit
einem Federmesser offnen, dann etwas fltissigen Leim darein bringen nnd eben-
falls durch anhaltendes Reiben mit dem Hammer beseitigen.
Ein anderer Fehler sind Grlibehen, Spalten und Locher. Dieselben muss
man mit einer Paste ausstreichen {cement stopping), wozu sich am besten sehr
fein geschabte Spanchen derselben Holzgattung mit Leim vermengt eignen.
Zeigt eine Fournirbelegung zu viele Mangel nach dem Trocknen, so muss
man sie wieder abheben (deplaquer). Zu diesem Ende iiberfahrt man nach und
nach die ganze Flache rait einem erwarmten Eisen und hebt das Fournir in dem
Masse allmalig ab, als dies der erweichende Leim gestattet. Moriz Kohn.
Fowlerit Min. ist zinkhaltiges Kieselmangan (Rhodonit) von Franklin
in New-Yersey. Gtl.
Fowler's Ldsung (solutio arsehicalis Foideri) eine Lbsung von arsenig-
sauerem Kali in Wasser, wird bereitet durch Auflosen von 1 Grarnm gepulv.
arseniger Saure und 1 Gramm kohlensaurem Kalium in soviel Wasser als nbthig,
um im Ganzen 90 Gramm Losung zu erhalten. Die Auflosung wird durch Kochen
der Mischung begiinstigt. Als Fieberraittel geschatzt. Gtl.
Fradeln (Katten), Benennung der Ballen, in welchen Java-Indigo in den
Handel kommt, s. Indigo.
Frase (Fraise, Cutter). — Unter Frase soil hier ganz allgemein ein Werk-
zeug verstanden werden, das gewohnlich aus Stahl, selten aus Eisen angefertigt,
auf der Oberflache mit einer rnehr oder weniger grossen Anzahl von Schneiden
ausgestattet ist und durch eine drehende Bewegung zur Wirkung gebracht wird.
Da die Frase in einer grossen Zahl von Fallen im Stande ist, nicht nur die
theure und langwierige Arbeit des Feilens, sondern audi mit grossem Erfolg die-
jenige des Grabstichels, des Bankmeissels, so wie namentlich auch des Profil-
hobels zu ersetzen, so ist sie in neuerer Zeit zu einem der wichtigsten Werkzeuge
sowohl fiir Metall- und Holzarbeiter, als auch fur Elfenbein-, Horn-, Hartgummi-
u. s. w. Arbeiter geworden.
Je nachdem die Frase auf Metall oder auf Holz und event, auf Materialien
in Verwendung kommen soil, die in ihrer Harte dem harten Metall oder dem
Holze nahe stehen, sind die Schneiden in Bezug auf ihre Zuseharfung und Grbsse
u. s. w. ziemlich verschieden, weshalb zweckmassig die Metall-Frasen von den
Holz-Frasen getrennt behandelt werden.
a) Metallfrasen. Diese werden mit wenig Ausnahmen in der Art an-
gefertigt. dass man die stahlernen Korper (die der Leichtigkeit halber oft hohl
oder ausgehbhlt sind) auf der Oberflache einkerbt, wie bereits bei den einhiebigen
Feilen III pag. 366 angegeben, nnd zwar entweder durch Hauen und Feilen oder
gewohnlich wieder mit Frasen oder mit Stossmaschinen. In der Regel sind die
Kerben dreieckig und je nach der Grbsse der Frasen sehr verschieden gross, von
sehr verschiedener Theilung. Die Theilung richtet sich im Allgemeinen nach dem
Durchmesser der Frase und nach der Feiuheit der Arbeit. Frasen unter 6mm
Durchmesser kommen selten vor, eben so solche iiber l00mm, weil noch grbssere
Fra'se.
619
sehr schwer zu harteri sind, ohne dass sie sich werfen oder Risse bekoramen.
Als bewahrte Theilung ist etwa anzunehmen bei Frasen
von G — 15uim Durclimesser eine Theilung' von 0-6 — 0.8"""
bei 15—45 „ „ „ „ „ 0.8—2.5 „
„ 45—75 „ „ „ „ „ 2.5—3.0 „
„ 75 — 100,, „ „ „ „ 3.0—4.0 „
Mitunter macht man die Theilung so grob, dass sie an Frasen von 75rnm Duicli-
messer wohl 10mm betragt.
Je nach der Gestalt und der Verwendung erhalten die Frasen verschiedene
Narnen.
Die gewohnlichsten Frasen haben, wie Fig. 1679 A zeigt, eine cylindrische
Gestalt und sowohl auf der Mantelflache a als auf der Stirnflache b Schneiden
und heissen dann Stirnfrasen. Sie dienen zur Bearbeitung ebener Flachen,
indem das Arbeitsstiick tangential an der Peripherie a oder vor der Stirn b ber-
gefiihrt wird, und zur Ausarbeitung rechtwinkliger Ansatze; wie sie oft an Rahm-
werk, als Fiihrungsprismeri u. s. w. vorkommen. — Wenn die Frasen die Be-
stimmung haben, cylindrische Locher zu erweitern (zu versenken), so nennt
man sie demgemass Senker (Versenker, Senkkolben, Ausraumer oder
Ausreiber, auch F raiser^ Fraise, Countersink). Je nach der Form der Ver-
Flq. 1679.
senkung andert sich auch die Gestalt der Senker. Zu kegelformigen Versenkungen
dienen konische Frasen Fig. B ; zu cylindrischen Versenkungen gebraucht man
cylindrische Senker oder Stirnfrasen, welche sich von denen in Fig. 1679 ^i
dargestellten dadurch unterscheiden, dass die Schneiden auf der Mantelflache a
fehlen, und dass auf der Mitte der Stirnflache b sich in der Regel Gin Zapfen
befindet, der zur Fiihrung in das zu erweiternde Loch eintritt, wie beim Bohrer
Fig. 504 pag. 709. — Hier schliessen sich die Frasen an, welche die Gestalt
einer Kugel besitzen, und zum Ausfrasen halbkugeliger Vertiefungen an Kugel-
zapfenschalen, der sog. Nuss an Thiirschlossern, an den Kugel- und Hagelgiess-
zangen^ so wie der oft vorkommenden halbkreisformigen Rinnen dienen (Kugel-
frase Kugelknopf, Cherry). Ferner gehoren hierher die Frasen mit profi-
lirter Oberflache, welche als Rotationskorper zu betrachten sind, deren Ober-
flachen mit Schneiden besetzt sind, welche rechtwinklig zur Drehrichtung stehen,
und zum Ausarbeiten profilirter Vertiefungen an Nahmaschinentheilen, Gewehr-
theilen, an Spitzkugelgiesszangen u. s. w. oft vorkommen.
Mitunter sollen freistehende Erhohungen, z. B. Zapfen oder ringformige
Vertiefungen oder audi nur Rander vermittelst Frasen gebildet werden ; dann
muss die Stirnfrase in der Achse mit einer entsprechenden Bohrung C versehen
sein Fig. A, in welche die Erhohung eintritt. In diesem Falle liegen die Schneiden
620 Frase.
oft nach innen zu schrag gegen die Achse, also in dem inDeren Mantel eines
Hohlkegels, z. B. zum Anfrasen der Kegelflache an versenkten Schraubenkopfen.
Wenn die Frasen sehr gross oder in der Achsenrichtung gemessen sehr
diinn werden, so ist es gerathener, sie als Scheiben zu construiren und mit einem
centrischen Loch auf die Welle zu schieben, welche sie in Unidrehung setzt, statt
wie Fig. 1679 A und B zeigen, mit Zapfen T in eine achsiale Oeffnung dieser
Welle zu stecken. — Solche scheibenformige Frasen (Schneidscheiben,
S c h n e i d r a d e r) nahern sich, wenn sie diinn und auf der Peripherie gekerbt
sind, den Kreissagen und finden vorztiglich Verwendung zur Herstellung von
Nuthen aller Art. Hat die Frase dann die Gestalt eines abgestumpften Kegels,
so eignet sie sich zur Hervorbringung schrager Einschnitte, z. B. an Scheiben-
randern, um Sperrader zu erzeugen 5 zur Fabrikation der Frasen selbst ; zur An
fertigung von Schraubenbohrern, gekerbten Reibahien u. s. w. Ist die Kante
der Schneidscheibe abgerundet, so wird die Nuth also auch halbrund. Da solche
Nuthen an vielen Werkzeugen vorkommen, z. B. den amerikanischen Spiralboh-
rern Fig. 501 pag. 709, an Gewindbohrern etc., so wird die Frase zur Anfer-
tigung solcher Werkzeuge vielfach gebraucht.
In hervorragender Weise dienen die Schneidscheiben zum Einschneiden oder
zum Egalisiren der Zahnliicken an Stirnzahnradern, in welchem Falle die Scheiben
an der Peripherie des Zahnliickenprofils und auf der ganzen dies Profil bildenden
Umflache Schneiden besitzen und einen wichtigen Theil der Raderschneid-
maschinen bilden. Fig. 1679 C zeigt in zwei Ansichten die Beschaffenheit
einer solchen Rader frase geniigend deutlich.
Die Frasen mit feiner Theilung lassen sich nicht nachschleifen (nur von
5mm Theilung aufwarts sollen Schmirgelscheiben anwendbar sein), sondern mtissen,
wenn sie stumpf geworden sind, weich gemacht, nachgeschnitten und neu gehartet
werden. Um dieser miihsamen und durch das haufige Zerspringen der Frasen
beim Harten verlustdrohenden Arbeit iiberhoben zu sein, wird in vielen Fallen
die Theilung so gross genommen, dass ein Nachschleifen moglich wird. Fiir
Zahnschneidrader z. B. empfiehlt es sich dann, die Frasschneiden so auszubilden,
dass wirkliche Meissel von dem Zahnltickenpronl entstehen. Mit Hilfe von Fig.
1679 D mag diese Art von Frasen erklart werden. Jeder Schneidzahn steht mit
der Brust a b fast radial, so dass der Winkel b a e beinahe ein rechter ist.
Die Linie a e ist aber kein concentrisches Kreisstiick, sondern der Punkt e liegt
dem Mittelpunkt M naher als der Punkt a, so dass dadurch der Anstellungs-
winkel gebildet wird. Das Zahnprofil abed ist an alien Stellen des Schheid-
zahnes kongruent, weil b n mit a e a'quidistant ist, weshalb der Zahn bis zur
Linie e f abgenutzt, d. h. weggeschliffen werden kann, ohne dass sich die Zahn-
form andert. Das Anschleifen der Brust findet aber wegen der grossen Zahnliicke
a m kein Hinderniss.
Bei sehr grossen Frasen geht man noch weiter, indem man die Zahne als
besondere Stiicke also als wirkliche Meissel oder Messer anfertigt und in ein
anderes Stuck (K 0 p f, F r a s k 0 p f) einsetzt, entweder dauernd fest oder ausnehmbar
und auswechselbar. Eine dauernde Vereinigung wird unter Anderem dadurch
erreicht, dass man die Meissel in radialer Lage in einer cylindrischen Lehmform
einformt und dann die Form mit Gusseisen ausgiesst, welches nach dem Erstarren
die Meissel fest zusammenhalt. Auch ist vorgeschlagen, die keilformig ausge-
schmiedeten, zu einem Cylinder zusammengesetzten Meissel durch eiserne Ringe
zu vereinigen, die gluhend herumgelegt werden und dann durch Abkuhlen sich
verengend, eine starke Zusammenpressung hervorbringen. Am einfachsten und
zweckmassigsten erscheint die Einriehtung, bei welcher die Meissel in den Fra's
kopf eingesteckt und durch Klemmschrauben oder Keile befestigt werden. Stehen
dabei die Meissel aus der Peripherie des Kopfes heraus, so gewinnt die Frase
grosse Aehnlichkeit mit dem Bohrkopf Fig. 518 pag. 719. Sollen sie aber auf
der Stirnflache sitzen, so erklart Fig. 1679 E die Anbringung. Die Meissel m
werden quer durch den Kopf K gesteckt und durch die Schrauben s festgeklemmt.
Fras
621
1680.
Bei dieser Anordnung ist es besonders leicht, die einzelnen Meissel zura Anscharfen
aus der Frasscheibe herauszunehmen und sammtliche Schneiden in eine Ebene
zu bringen.
b) Holzfrasen. Bei den Holz-
frasen ist die Zahl der Schneiden
in der Regel kleiner als bei den
Metallfrasen, da die Schneiden mit
ihren kleineren Schneidewinkeln tief
eindringen, dickere Spane wegneh-
men und desshalb eine grossere
Theilung verlangen. Die Zahl be-
tragt gewohnlich zwei bis sechs.
Entweder werden die Holzfrasen
aus einem Stiicke hergestellt oder
sie bestehen aus einem scheiben-
oder cylinderartigen Kopfe. in wel-
chen Messer eingesetzt oder auf
welchem Messer befestigt werden.
In beiden Fallen ist es oft geboten,
die Schneiden so auszubilden, dass
sie in beiden Drehrichtungen ar-
beiten, damit man durch Umsetzung
der Bewegung im Stande ist, aucn
an krummen Holzflachen die Frasen
so zur Wirkung zu bringen, dass zur Vermeidung des Ausreissens die Arbeits-
bewegungsrichtung mit deni Faserlauf zusammenfallt.
Wird auf diese letzte Anordnung Bedacht genommen, so erzeugt man die
Frasen in einem Stuck aus stahlernen Rotationskorpern von entsprechender Ach-
senlange und Profilirung in der Art, dass man Fig. 1680 A Einschnitte a macht,
deren Seiten sich in der Achse m schneiden. Je nach der Grosse des sich in
der Achse bildenden Centriwinkels b m c ■=. (p ist auch der Zuscharfungswinkel
m c b —2 a verschieden, indem ja dieser durch die geometrische Beziehung
a = 90» - \
bestimmt wird, wenn man die Frase als Polygon ansieht. Sind demnach 3, 4, 6
Einschnitte vorhanden, so ist bei gleicher Theilung und 6 Messern
360
12
also a z=i 75°.
Ist die Zahl der Messer dahingegen 4 und haben die Einschnitte einen Winkel
(V
= 30°
<]P
360
4. 15
— lb
und a — 90° — 37.5 == 52.5.
Da beim Harten dieser Frasen aus Stahl leicht Bruch entsteht, so fertigt
man sie oft aus Schmiedeisen an und hartet durch Einsetzen. Hierbei verdient
auch folgende Art der Anfertigung Beachtung. Man nimmt runde Scheiben von Eisen-
blech und treibt sie in Gesenken unter dem Fallwerk pag. 557 u. s. w. zu einem
Rotationskorper oder einer Pyramide von verlangtem Profil aus. Sodann kerbt
man sie vom Rande her so ein, dass in der Mitte eine Kuppe stehen bleibt, die
eine centrische Durchbohrung zum Aufstecken auf die Friisspindel erhalt und hartet
die Frase dann durch Einsetzen.
Stehen die Frasen nur in einer Richtung auf den Schnitt, so werden sie in
der Weise ausgebildet, wie Fig. 1680 B ohne weitere Erklarung zu erkennen gibt.
622
Frase.
Fur grosse Frasen ist wie bei Metallfrasen die Construction mit besonderen
Messern aus denselben Griinden raehr tiblich. Die beliebig profilirten Messer m
werden dann entweder quer ciureli den Fraskopf gesteckt, Fig. 1680 E und F,
durch Kletnschrauben r oder Keile befestigt, oder auf einen prismatischen Korper von drei-
oder viereckigem Querschnitt gelegt Fig. 1680 C und D und durch Schrauben r
gehorig fest gehalten. Durch Vertheilung einer Anzahl schmaler Messer m liber
die Seiten des Prisma ist man, wie Fig. 1680 E zeigt, im Stande, verschiedene
Profile zu einem einzigen c d zusammenzusetzen. Man sieht hierbei leicht ein,
wie man hierdurch in der Walil der Profile lediglich nur durch Unterschneidungen
beschrankt ist.
Frasmaschinen. {Machine a fraiser, Machine a sheper — Moiling ma-
chine, Cutting machine, Shaping machine.) Die Wirkungsweise der Frase ver-
langt, wenn sie vortheilhaft zur Verwendung kommen soil, eine ziemlich bedeu-
tende Arbeitsgeschwindigkeit. Die Frasscheiben haben auf Schmiedeisen 150 bis
I80mm; auf Gusseisen 180 bis 200mm; die Messerkopffrasen auf Guss- und
Schmiedeisen 200 bis 250mm; die Radersckneidfrasen 300 bis 400mm Geschwin-
digkeit pro Secunde. Bei den Holzfrasen kann man sogar eine Peripheriege-
schwindigkeit von 15 bis 20m pro Secunde annehmen, was einer Umdrehzahl von
3000 bis 4000 pro Minute fiir 100mm Frasedurchmesser entspricht. Aus diesem
Grunde erklart sich audi namentlich die Unzweckmassigkeit, die Frasen mit freier
Hand oder einem einfachen Gerath, das nur geringe Geschwindigkeit zulasst,
(Brustleier, Ratsche etc. pag. 712) zur Wirkung zu bringen, wenn zwar z. B. die
Senker oft in der Brustleier gebraucht werden. Man bedarf vielmelir einer maschi-
nellen Vorrichtung zur Erzeugung der gehorigen Geschwindigkeit, und so entstehen
die Frasmaschinen, die zunachst in zwei Kategorien : Metall frasmaschinen
und Holz frasmaschinen zerfallen.
a) Metallfrasm aschin en.
Dieselbe besteht in der Hauptsache
Fig. 1681. aus einer gewohnlich horizontal lie-
genden Fraswelle, welche die Frase
aufnimmt und in Bewegung setzt
(Arbeitsbewegung) ; sodann aus einer
Einrichtung fiir die Aufnahme des
Arbeitsstiickes (Einspannvor-
richtung); und endlich aus dem
Mechanismus der Relativbewegung
zwischen Werkzeug und Arbeitsstiick
(S c h a 1 1 b e w e g u n g) , urn dem
ersteren stets neue Arbeitsflachen
darzubieten, wobei bemerkt werden
mag, dass die Schaltbewegung fast
ausschliesslich dem Arbeitsstiick err
theilt wird und zwar entweder durch
die Hand eines Arbeiters oder selbst-
thatig von der Maschine aus.
Zur naheren Erklarung mag die
in Fig. 1681 dargestellte, sehr viel
gebaute Frasmaschine mit selbst-
thatigem Vorschub dienen. Das
Werkzeug a sitzt auf dem vorderen
Ende der Fraswelle a b und be-
kommt mit dieser die Arbeitsbewe-
gung direct durch die Stufenscheiben
S. Das Arbeitsstiick wird auf dem
Aufspanntisch T durch Aufspannkloben etc. befestigt und mit demselben zunachst
vertical auf- und niederwarts bewegt, um in die passende Lage zu der Frase a
Frase. 623
zu gelangen. Zu diesem Zwecke wircl der Tisch T von einor Console getragen,
die an der Vorderseite des Gestells G bei / / Prismenfiihrungen besitzt und
unterwarts durch die starke Schraubenspindel p gestiitzt wircl. Diese Schraube
besitzt ibre Mutter in q und ausserdem am oberen Ende einen Zapfen, der in ein
umgekehrtes Spurlager an der Console eintritt. Die Bewegung der 8chrau.be
erfolgt durch ein Schraubenrad, das am unteren Ende des Zapfens sitzt und durch
eine Schnecke gedreht wird, die auf einer kurzen Schneckenwellc W sich befindet.
Die letztere wird an der vorderen Seite der Console durch eine anfgesteckte
Handkurbel so lange nach links oder rechts in Umdrehung versetzt, bis das
Arbeitssttick die richtige Hohenlage erhalten hat. Zur Verschiebung in der Ho-
rizontalebene ist der Tisch wie am Kreuzsupport construirt.
Die Annaherung oder Entfemung an das Gestell G wird mit Hilfe der
horizontalen Schraube bewirkt, die bei V durch eine Handkurbel bewegt wird,
und die Bewegung vor dem Gestell entlang durch die Leitspindel o, welche fiir
die erste Einstellung von einer aufgesteckten Handkurbel, zur continuirlichen
Schaltbewegung aber von der Maschine aus gedreht wird. Fiir den letzten Zweck
treten die Zahnrader n und i in Function, indem das Rad i von der Schnecke u
gedreht wird, welche durch die Kegelrader 4, 3, 2, 1 von den Schnurscheiben
c den Antrieb erhalt, die ihrerseits vermitteist der Schnur C von den auf der
Fraswelle sitzenden Schnurrollen b in Umdrehung versetzt werden. Hierbei sind
die Uebersetzungsverhaltnisse so zu wahlen, dass das Arbeitssttick etwa 0.5 bis
2mm Vorschub pro Secunde erhalten kanu. Damit bei den verschiedenen Ver-
schiebungen des Tisches und der Console die thatigen Organe nicht ausser Ein-
griff kommen, werden diese von den sich verschiebenden Theilen mitgenommen
und auf den Wellen in langen Nuthen verschoben. So hangt an dem unteren
Tischschlitten das Lager m zur Aufnahme des Rades i und der Schnecke u, die
zwischen den Armen r liegt und auf der Welle t verschoben wird. Desgleichen
tragt die Console den Arm g, an dem das Zahnrad 5 hangt, durch welches die
vertikale Welle h sich verschieben kann.
Fiir bestimmte Zwecke und namentlich auch fur grossere Arbeiten werden
Frasmaschinen gebaut, welche in mancher Beziehung von dem eben beschriebenen
Typus abweichen. So erfolgt der Antrieb bei Anwendung des Fraskopfes Figur
1679 E mit eingesetzten Messern, oft durch Radervorgelege oder Schraubenrad
mit Schnecke von Stufenscheiben aus, so dass ein Fraskopf von 200mm Durch-
messer etwa 95 bis 260mm Peripherie- Geschwindigkeit pro Secunde erhalt. Mit-
unter kann es bequem sein die Frasspindel vertical aufwarls mit der Frase am
unteren Ende iiber dem Arbeitstisch anzuordnen, wodurch die Maschine Aehnlichkeit
mit einer Bohrmaschine erhalt. Bei manchen Maschinen sind zwei und mehr
Frasen auf einer Welle vorhanden, die dann entweder in der Mitte oder an beiden
Enden gelagert wird, jenachdem die Frasen an oder zwischen den Enden angebracht
sind. Hierzu sind unter anderen die M utter fr asmaschinen zu rechnen,
welche mit zwei Fraisscheiben versehen sind, die ihre Arbeitsflachen einander zu-
kehren und zwischen denen die Muttern oder die Kopfe von Bolzen etc. so hin-
durchgefiihrt werden, dass zwei einander gegeniiber liegende parallele Seitenflachen
gleichzeitig bearbeitet werden. Auch gehoren hierher die Frasmaschinen zur
Bearbeitung _|_ formiger Theile, wie sie vielfach fiir Artillerie-Ausriistungsgegen-
stande (Munitionswagen) nothwendig sind. Eine besondere Bedeutung haben die
Frasmaschinen zur Herstellung unregelmassiger Korper, Nuthen, Vertiefungen etc.
fiir Nithmaschinen, Gewehrtheile und dgl. erhalten. Das wichtigste Stiick bildet
bei diesen Curvenfr asmaschinen der Fiihrungsapparat , welcher in den
meisten Fallen so eingerichtet ist, dass das Arbeitssttick mit einem Schlitten. der
zu seinem Festhalten oder Einspannen dient, vermitteist Schablonen vor der Frase
bin- und her- und an- und abbewegt wird. Zur Forderung der Arbeit werden
dann zweckmassig gleichzeitig mehrere Frasen angebracht und in Thatigkeit gesetzt.
Ueber die bei den Frasmaschinen . anzubringenden Vorrichtungen zum Eintheilen
wird das Nahere bei den Raderschneidmaschinen angegeben.
624
Fri
Fig. 1682.
Sammtliche Metallfrasmaschinen, besouders aber die Specialfrasmaschinen
werden in vorziiglicher Ausfiibrung von der Werkzeugmaschinen-Fabrik G. Justus
in Hamburg gebaut.
b) Holzfrasmaschinen. Die oben bescbriebenen Holzfrasen erfordern,
wie dort bereits beinerkt, eine solche grosse Geschwindigkeit, dass sie nur niit
Hilfe mascbineller Einrichtungen zur Wirkung gebracbt werden konnen. Sie stecken
zu dem Zwecke auf Wellen o p Fig. 1680, die entweder borizontal odei* vei'tical
gelagert und durch rasche Rotation denselben die Arbeitsbewegung ertheilen,
wahrend das Arbeitsstiick die Schaltbewegung erhalt, die entweder durcb die
Arbeiterhand oder selbstthatig von der Mascbine erzeugt wied.
Nicbt nur durcb die verschiedenen Stellungen der ' Triebwelle (vertical und
horizontal), sondern aucb durch Combinirung von Frasen auf horizontalen Wellen
mit solchen auf verticalen Wellen, so wie durch Anwendung mehrerer Fraswellen
neben einander oder tiber einander u. s. w. erhalt man eine grosse Verschiedenheit
in der Construction dieser wichtigen Holzbearbeitungsmaschine, die jedoch in der
Praxis wesentlich unterschieden werden als eigentliche Frasmaschine und
Holzhobelmaschine. Man versteht dann gewohnlich unter Holzfrasmaschine
eine Maschine mit Fraskopf zur Erzeugung profilirter Oberflacken und unter Holz-
hobelmaschine eine solche zur Hervorbringung ebener Flachen. Letzterer wird,
der Anlage dieses Buches entsprechend, ein besonderer Artikel gewidmet.
Die Holzfrasmaschine hat durchgangig einen
Fraskopf zwischen 30 — l00mm Durchmesser von
der Art Fig. 1680 A oder in einer Richtung
schneidend nach dem Princip Fig. 1680 E, der
in der Regel unmittelbar iiber einem Tische
auf einer durch den Tisch vertical abwaits ge-
richteten Welle sitzt, die deshalb audi unter
dem Tisch den Antrieb erhalt, wahrend das
auf dem Tische liegende Holzstiick tangential
gradlinig oder in Bogen etc. an dem Fraskopf
voriiber gefiihrt wird. Der Antrieb der Welle
*^iiw J ffiLiU erfolgt entweder durch Riemscheiben direct oder
^mp™*! KpJ indirect, indem noch Reibungsrader eingeschaltet
I iHPfilff werden. Da die letztere Anordnung bedeutende
Vorziige voraus hat, so mag bier zur weiteren
Erlauterung mit Hilfe der Fig. 1682 die Be-
schreibung einer Holzfrasmaschine mit Reibungs-
rader-Betrieb Platz finden. Der Fraskopf A,
der nach beiden Drehrichtungen schneidend
gedacht werden mag, sitzt auf der verticalen
Welle B, welche wegen eines ruhigen Ganges
und Vermeidung von storenden Erschlitterungen
in zwei langen Lagern lauft und bei c einen Kegel aufnimmt, der durch die
kegelformigen Scbeiben a oder b gefasst und angetrieben wird und zwar nach
links oder rechts herum, je nachdem b oder a zur Wirkung gebracbt wird. Wie
die Zeichnung ergibt, bilden die Reibungsscheiben a und b ein Sttick, das auf der
Welle i) q festgekeilt ist und durch die Riemscheibe / vermittelst eines von der
Haupttransmission abgeleiteten Riemens nach einer Richtung in Rotation versetzt
wird. Wenn daher eine der beiden Scbeiben a oder b an den Kegel c ange-
presst wird, so erfolgt die Bewegung des Eraskopfes. Dies Anpressen vermittelt
der in o drehbare Hebel o r s, welcher mit dem gabelformigen Ende s urn die
mit dem Handrad H verbundene Schraubenmutter fasst und sich daher je nach
der Drehung und Verschiebung der letzteren auf der Schraube nach links oder
rechts bewegt und die Welle p q mitnimmt, indem eine auf p q befestigte Nuth-
scheibe r von einem Stift des Hebels mitgenommen wird. Ausser der Moglichkeit,
die Bewegungsanderung des Fraskopfes fast plotzlich eintreten zu lassen, gewabrt
Frase. — Franzbranntwein. G25
der Hebel o r s audi noch eine Druckregulirung zwischen den Reibungsradern.
Da in der Mittellage von a b keine Beriihrung mit c eintritt, so ist aucb ein
schnelles Stillstellen leicht. Der Arbeitstisch T rulit um den oberen Theil des
Bockes auf der Nabe des Handrades N, welche zugleicb als Mutter fiir die in
der Zeichnung leicht erkennbare Schraube ausgebildet, die Hbhenlage des Tisches
festlegt. Eine Klemraschraube t schiitzt den Tisch gegen das nicht gewlinschte
Mitnehmen desselben durch das Arbeitsstiick. Naeh Lbsung dieser Klemmschraube
kann sich aber der Tisch drehen, was fiir manche Arbeiten erwiinscht ist. Ausser-
dem lasst sich der Tisch leicht gegen Auflagen auswechseln, die z. B. bei Frasen
doppelter Kriininiungen eine sicherere Fiihrung des Arbeitsstiicks verbiirgen.
Von dieser neueren Construction sind die alteren wesentlich durch den
Antrieb und das Gestell verschieden, indem der erstere fast ausschliesslich direct
durch Riemen erfolgt, und zwar um die beiden Drehrichtungen hervorbringen zu
kbnnen, oft durch einen offenen und einen gekreuzten Riemen, die abwechselnd
angespannt werden, und indem das Gestell viereckig tischformig ist. Diese Gestell-
form ist wegen der grosseren Stabilitat namentlicb fiir grossere Maschinen vor-
zuziehen. E. Hoyer.
Frasbohrer ist ein dem Schneidzirkel (s. d.) ahnlich gebautes Werk-
zeug zum Einschneiden kreisfbrmiger, schmaler Furchen. (Prechtl, Encyclop. II
pag. 548.)
Frasen (fraiser — shape, cut), s. Frase.
Fraisen, Fraismaschine, s. Frase.
Frame ist ein aus dem Englischen entnommenes Wort, welches nicht selten
auch vom Maschinenbauer zur Bezeichnung eines Rahmens? einer Einfassung oder
eines Rahmengestells gebraucht wird. Es lasst sich dieses Wort meist deutsch
eben so gut durch die Worte Rahmen? Gestell u. dgl. ersetzen. Kk.
Frangipani (Plumeriabliithen-Essenz), Name einer hb'chst angenehm riechenden,
auch himmlischer Geruch genannten Essenz, welche einer auf den westindischen
Inseln einheimischen Plum eria- Art entstammen soil. Gtl.
Frangulasaure7 s. m. Cathartin, s. Kreuzbeeren.
Frangulin, Avornin, Rhamnoxanthin, Glucosid aus der Wurzel und,
Stammrinde7 sowie den Beeren des Faulbaums (Rhamnus frangula L.), sowie des
Kreuzdorns (Rh. cathartica) C„QH9(tOXQ, s. b. Kreuzbeeren7 s. a. Lo-Kao.
Frankfurter Schwarz, Rebschwarz, Hefenschwarz etc. Durch Verkohlung
von Weinhefe, Weintrestern oder Weinreben dargestellte schon schwarze Farbe,
wesentlich feinvertheilter Kohlenstoff s. d. Gtl.
Franklinit, ein tesseral gewohnlich in Octaedern oder Rhombendodekaedern
krystallisirendes Mineral, dessen Krystalle aufgewachsen oder eingewachsen oder
in Drusen vorkommen, das sich auch kornig derb und eingesprengt findet. Sehr
unvollk. spaltb., Bruch muschlig, H ■=. 5.5 — 6.5, spec. Gew. — 5.0— 5.069, eisen-
schwarz mit braunem Strich und unvollk. Metallglanz, undurchsichtig. Chem. Zus.
RO.R-03, worin RO 21 Zinkoxyd mit etwas (7) Eisen- und (0-7) Manganoxydul,
R'203 59 Proc. Eisen- und 8 Proc Mangonoxyd vorstellt. v. d. L. unschmelzbar,
gibt auf Kohle Zinkbeschlag, mit Soda auf Platinblech geschmolzen Manganreaction,
mit Borax ein heiss rothes, kalt braunes Glas, lost sich in erwarmter Salzsiiure
unter Chlorentwicklung. Fundorte Franklin und Stirling Hill in New-Yersey.
Nord-Amerika. Lb.
Fransen (franges — fringes), s. Posamentierarbeiten.
Franzbranntwein, s. Cognac II pag. 373.
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. ^.Q
626 Franzgold. — Freieslebenit.
Franzgold , Pariser Gold, ist blassgelbes Blattgold , s. Gold-
s c h 1 a g e r e i.
Franzleinen ist ungebleichte, stark appretirte Futterleinwand.
Franzdsischgriin, syn. mit Steingrlin oder Griinerde.
Franzofen, Schliechofen fiir das Zugutemachen von Quecksilbererzen, s.
Quecksilber.
Franzosenholz, Pockholz, s. Guajakholz.
FraueneiS, Frauenglas, s. Gyps.
Fraxetin, s. F rax in.
Fraxin (fraxine — fraxine), Paviin. Glucosid aus der Rinde von Fra-
xinus- (Esche) und Aesculus- (Rosskastanie) Baumen. Kann durch Auskochen
der zur Bliithezeit gesammelten Eschenrinde mit Wasser und Fallen der Ab-
kochung mit Bleizucker aus dem Filtrate vom BLeiniederschlage erhalten werden,
indem man dasselbe mit bas. essigs. Blei fracti : Irt fallt und die letzten Antheile
dieses Niederschlags mit Schwefelwasserstotf unter Wasser zersetzt. Die vom
Schwefelblei abfiltrirte Losung liefert beim Verdunsten Krystalle, welclie aus Wein-
geist umkrystallisirt werden. (Vgl. Salm-Horstmar, Pogg. Ann. 97 pag. 637,
100 pag. 607, 107 pag. 327). Aus Rosskastanienrinde erhalt man es nach Roch-
leder (vgl. Pogg. Ann. 107 pag. 331, Ber. d. k. Akad. d. Wiss. zu Wien 40
pag. 37) durch Extrahiren derselben mit Weingeist von 35° B., Fallen des Aus-
zuges mit weingeistiger Bleizuckerlosung und Zersetzen des Niederschlags mit
Schwefelwasserstotf unter Wasser.
Das reine Fraxin bildet farblose, dem Zinkvitriol ahnliche Krystalle, lost
sich in 1000 Thl. Wasser in der Kalte, leichter in heissem Wasser und in Wein-
geist, welcher es namentlich bei Kochhitze reichlich aufnimmt. In Aether ist es
unloslich. Es schmeckt pchwach bitterlich herbe. Seine Zusammensetzung ent-
spricht der Formel Co7H3001~. Beim Erhitzen auf 320° C. schmilzt es unter
Wasserabgabe zu einer rotblichen Masse und weiter erhitzt tiitt Verkohlung ein.
Mit verdunnten Sauren erhitzt spaltet es sich in Fraxetin {Ci^)HloOs) und 2
Molekule krystallisirbaren Zucker (CGi/j„06).
Das Fraxin ist besonders ausgezeichnet durch die prachtig blaulich-griine
Fiuorescenz, welche die wassrigen und weingeistigen Losungen desselben, namentlich
bei Gegenwart von geringen Mengen von Ammoniak oder Alkalien zeigen. Saure-
zusatz hebt die Fluoressenz auf (vgl. auch Stokes Chem. Soc. Q. J. 11 pag.
17 und 12 pag. 126). Gtl.
Fraxinin wurde von Keller ein als Mannit erkannter Bestandtheil der
Eschenrinde genannt, s. Mannit.
Freie Achse (bvayer d'une balance — axe of a balance). Rotirt ein
Korper um erne Achse und heben sich die Fliehkrafte der einzeluen Molekule
derartig gegenseitig auf, dass diese Krafte keine Einwirkung auf diese Achse aus-
iiben, also die Richtung der Rotations-Achse nicht zu verandern streben, dann
nennt man dieselbe freie Achse.
Siehe z. B. Redtenbacher Principien der Mechanik pag. 117 und betreffs
der Anwendung auf Miihlsteine Kick Mehlfabrikation II. Aufl. pag. 159.
Vergl. f. d. Artikel Rotation. Kk.
Freie Hemmung, s. Uhren.
Freieslebenit, Schilfglaserz. Ein seltenes Silbererz, dessen monoklin-pris-
matischen, stark langsgestreiften Krystalle an Gras oder Schilf erinnern, daher
Freieslebenit. — Frischschlacke. 627
der deutsche Name Schilfglaserz. Auch derb und eingesprengt kommt es vor.
1st nach der Saule und der Basis spaltbar, hat muschligen Brucli, ist wenig sprode,
hat H = 2 — 2.5, spec. Gewicht = 6.19- 6.3ft, dunkelbleigrau. Chem. Zus.
2Ag2S.Sb'1S3-Jr3PbS.Sb0-S3 mit 22.5 Silber, 32.4 Blei, 26.8 Antimon und 18.3
Schwefel. Schmilzt im Glasrohr unter Entwicklung von schwefliger Saure und
Antimonsublimat. v. d. L. schmilzt er schnell und gibt unter Bildung von Blei-
und Antimonbeschlag ein Silberkorn. Findet sicli zu Pribram , Ratiborschitz,
Felsobanya, Hiendelencina in Spanien. Ein in Pribram von dem Freieslebenit in
der Krystallform etwas abweichendes Schilfglaserz wurde von v. Zepharovich
D i a p h o r i t genannt. Lb.
Freitreppe (perron — open stairs) ist ein Stufengang, welcher ausserhalb
des Gebaudes sich befindet. Die Auftrittsflachen erhalten eine ganz geringe
Neigung nach vorn zum Wasserabfluss. Grohm.
Friction, s. Reibung.
Frictionshammer, s. Hammer.
Frictionsholzer, s. Ztindwaaren.
Frictionskalander, s. Appretur I pag. 179.
Frictionsrader, s. Kin em at ik.
Frictionsrollen, s. Reibung.
Frictionssatze, s. Explosivstoffe.
Friedrichsalz, s. m. Bitter salz, s. b. Magnesium.
Fries, Flaus (frise — coating), s. Flaus.
Fries (fries : — plate-bande). Darunter versteht man im Allgemeinen
Rahmen oder Streifen, welche eine Construction in Unterabtheilungen trennen, z. B.
Friese bei Fussboden. In archetektonischer Hinsicht wird damit die Flache im
Gebalk der Saulenordnungen bezeichnet, welche zwischen Architrav und Kranz-
gesims liegt. . Grohm.
Frigoriferen, s. Eismaschinen II pag. 743.
Frischblei, Weichblei, Kaufblei, Glattblei (plomb raffine — refined lead),
s. Blei I pag. 569.
Fr'lSChen, s. Eisenerzeugung III pag. 22.
Frischen (affinage — refining), hiittenmannische Bezeichnung, so viel wie
Lautern, Garen, Reinigen, speciell im Blei- und Eisenhtittenbetrieb. Hierauf be-
ztigliche Ausdriicke, wie F r i s c h a r b e i t, Frischfeuer, Frisehherd, Frisch-
metall, Frischofen, F ris chpr o cess etc., s. b. Blei I pag. 569 und bei
Eisen HI pag. 22.
Frischfeuer, Frischherd (forge d'affinerie — refining-fire), s. Eisen-
erzeugung III pag. 22.
Frischglatte {litharge conglomeree — hard litharge), s. Blei I pag. 569.
Frischluppe (loupe — bloom), s. Frischen.
Frischschlacke, s. b. Eisen III pag. 22 u. /., vgl. a. Schlacke.
40*
628 Frischstahl. — Fruchtole.
FHschstahl (acier brut — rough steel), s. Eisen II pag. 776 und Eisen
erzeugung III pag. 27.
FriscllVOgel, hiittenm. Benennung des beim Stahlfrischen die Gare anzei-
genden Ansatzes am Schlackenspiesse.
Frise, Krausgespinnst, s. Leonische Arbeit.
Frisirmiihle, Eatinirmaschine (friseuse, ratineuse), ist eine Appretur-
maschine fur den Ratin, ein tuchartiges Gewebe, dessen vorstehende Harchen
zu kleinen Knoten mittelst der Ratinirmaschine geballt werden, indem das Tuch
- einer eigenthiimlichen Reibung ausgesetzt wird. Armengand publ. ind. X. 366.
FHsoletbander sind gekoperte Seidenbander ziemlich schilechter Qualitat,
der Schuss ist meist Florettseide, die Kette dasselbe Materiale oder auch nur
Baumwolle.
Frisoir, eine Punze mit ovaler ebener Flache mit regelmassigen kleinen,
halbkugeligen Vertiefungen, s. Goldarbeiten, s. Graviren.
Ff itte (feretto — frit), allgem. Benennung fur Glassatz oder Schmelzsatz,
s. Glas, vgl. Email III pag. 264.
Fritten (fritter — to frit), in der Glasmacherkunst das Vorgliihen der
Glasmasse bis zur beginnenden Sinterung. Im Allgemeinen das Erhitzen einer
pulverformigen Mischung bis zur beginnenden Erweichung und zum oberflacblichen
Aneinanderbaften der erweichten Partikelchen. Gil.
Frittenporzellan, s. Thonwaaren bei Porzellan.
Fr0SCh7 s. Bottcberei I pag. 685.
Frosche, Hebedaumen, Daumlinge (cames, poucets — arms, knobs),
vergl. I pag. 564, Fig. 360.
Frdsche, s. Feuerwerkerei III pag. 472.
FrOStmaschinen, s. Eismascbinen II pag. 743.
Frostmischungen, s. Kaltemischungen.
Frottirapparat , Wiirgelapparat, s. Streicbgarnspinnerei bei
Vorspinnkrempel.
Frottirstoff, s. Bade bandtiic her I pag. 271.
Fmchtather, Frucbtessenzen, Fruchtole (ether de fruit — essence of
fruits), nennt man allgemein gewisse, meist zusammengesetzte Aether (Ester),
s. Aether I pag. 50 oder Gemenge solcher darstellende Kunstprodukte, welche
einen dem Aroma gewisser Obstarten ahnlichen Geruch zeigen, oder durch Zusatze
von atherischen Oelen anzunehmen vermogen. Die wichtigsten dieser Fruchtather
sind unter dem Namen der Fruchte7 deren Geruch sie zeigen, angefiihrt. Gil.
FruchtbranntweJn, s. Branntweinbrennerei I pag. 741.
Fruchtessenzen, s. Fruchtather.
Fruchtessige, s. Essig III pag. 293.
Fruchtgneis, Feldspathkorner fuhrender Fruchtschiefer, s. Fl eckschiefer.
Fruchtole, s. Fruchtather.
Fruchtsaure. — Fuhrwerk. 629
Fruchtsaure, s. m. Aepfelsaure I pag. 49.
FruchtSChiefer is. Flecks chiefer.
Fruchtwein, s. Wein.
Fruchtzucker, Links fruchtzu eke r, Levulose, s. Zucker.
Fuchsschwanz, Fuchsschweif (scie a madia — liand saw), s. Sagen.
FliChsiacin, alt. Benennung fur Fuchsin.
Fuchsin, s. Theerfarbstoffe.
Fuchsinsaure, veralt. Bezeichnung fur Fuchsin. .
Fuchsit, ein in Tirol vorkom mender, durch einen geringen Chromoxydgehalt
(bis 4 Proc.) schon gras- oder smaragdgriin gefarbter Kaliglimmer. Lb.
Fuchsweizen, s. Wei z en.
FllCOidensandstein, ein in der Kreide im Flysch vorkommender Sandstein
mit Resten von Meeresalgen (Fucoiden).
Fucusol, Produkt der Destination gewisser Fucus-Arten mit verd. Schwefel-
saure, ahnlich dem Furfur ol, s. d.
Fllder (fudcler), Bezeichnung fur jene Wagenladung (Belastung), welche
zwei Pferde ziehen kbnnen, s. Fuhrwerk e.
Fiigen (joindre — - jointing) nennt der Tischler das Abhobeln der laugen
Kanten der Bretter (Dielen), welche Operation mit der Fugbank oder des
Fughobels (s. Hobel) und unter Beihilfe einfacher, die Bretter hochkantig
haltender Gestelle, der Fiigebocke, ausgefiihrt wird. Kk.
Fiihlhebel, s. Messwerkzeuge.
Fuhrung (guide — guide), die Bezeichnung eines ruhenden Maschinentheiles,
welcher einen bewegten zwingt, eine bestimmte Bahn zu durchlaufen? s. Kine-
m a t i k.
FUllapparat, s. Flaschenfullapparat.
Fullmasse, s. Zuckerfabrikation.
Fiillofen, s. Oefen.
Fullort (recette d'accrochage — pit-eye), jener erweiterte Raum in Schachten
und Stollen, wo die Fordergefasse gefiillt werden.
Fiillung (panneau — panel), die im Material schwacher gehaltene Aus-
fiillung eines Rahmens, s. Thiiren, ferner bezeichnet das Wort Fiillung
(remplage — backing) auch die Ausschiittnng oder Anfiillung von Hoblraumen,
haufig mit solchem Materiale, welches die Warme schlecht leiten soil.
Fugbank, s. Bbttcherei I pag. 680.
Fugenleiste, Deckleiste, ist eine schmale Leiste zur Ueberdeckung der Fuge
zwischen Holzer, oder Holz und Stein. Grohm.
Fughobel (houvet — long-plane), s. Hobel.
Fuhrwerk (voiture — carriage). Allgemeine Grundsatze. Da der
Name Fuhrwerk bekanntlich von den verschiedensten Vorrichtungen gebraucht
wird, so ist ausdriicklich zu bemerken, dass hier darunter nur Karren und Wagen
oder zweiradrige und mehrradrige Transportmittel verstanden werden sollen. Um
von der zweckmassigen Einrichtung dieser so hbchst wichtigen Apparate deutliche
630 Fuhrwerke.
Ansichten zu erwerben, ist es erfordeiiich, einige Satze voranznschicken, welche die
Physik und Mechanik bei der Lehre von der Reibung naher entwickeln und beweisen.
Zwei feste Korper, welche mit ihren Oberflachen und einem gegenseitigen Drucke an
eiuander herbewegt werden, zeigen — unabhangig von alien sonstigen Verhaltnissen — einen
Widerstand gegen die Bewegung, welcher mit dem Namen Reibung oder Friction belegt
wird. Wenn die Theile der Flache in Bewegung gerathen, so hat jeder Punkt eine augen-
blickliche Richtung, die normal gegen das Perpendikel der gemeinschaftlichen Beriihrungs-
Ebene gerichtet ist, und die Richtung der Kraft, welche irgend einen Punkt wirklich forttreibt,
muss ebenfalls rechtwinklig gegen die Richtung des gegenseitigen Druckes gestellt sein. Die
Reibung als Widerstand gegen die Bewegung ist langs der Oberflache der Richtung der Be-
wegung stets gerad^inig entgegengesetzt, und also auch rechtwinklig auf die Richtung des
Druckes. Neben der Reibung ist nun in manchen Fallen die Anhaftung oder Adhasion der
bewegten Flachen wesentlich mit zu beriicksichtigen ; zunachst soil indessen davon abge-
sehen werden.
Man unterscheidet zwei Arten von Reibung, namlich: gleitende und walzende. Gleitende
Reibung findet statt, wenn verschiedene Theile des einen Korpers mit demselben Theile des
andern allmalig in Bertihrung kommen. Man pflegt dabei noch schiebende und drehende
Reibung zu unterscheiden ; erstere zeigt sich bei dem eiufachen Fortschieben eines Korpers
auf einer Unterlage ; letztere bei dem Bewegen eines Zapfens in seiner Pfanne. Bei der wal-
zenden Reibung, wie sie sich z. B. bei dem Fortrollen einer Walze zeigt, treten allmalig von
beiden Flachen verschiedene Theile mit einander in Beriihnmg.
Als Ursache der Reibung erkennt man die natiirliche Rauhigkeit der korperlichen Ober-
fiachen, welche durch Poliren und andere Mittel zwar bis zu einem gewissen Grade vermindert,
jedoch nie ganz beseitigt werden kann. Es gibt fiir diese Rauhigkeit keinen Massstab, sondern
sie lasst sich nur in ihrer Wirkung durch Yergleichung mit anderen Zustanden derselben Art
auffassen. Im Allgemeinen zeigen gleichartige Korper starkere Reibungen gegen einander als
verschiedenartige, und es erklart sich diese Thatsache sehr einfach daraus, dass bei der ersteren
die gegenseitigen kleinsten Erhabenheiten und Vertiefungen mehr und gleichmassiger in ein-
ander greifen und passen, als dies bei verschiedenartigen Korpern der Fall sein kann. Eine
kohere Temperatur, wie sie besonders durch Reibung selbst eintreten kann, vermehrt den
Widerstand oft sehr bedeutend.
Als wesentlich e Satze, welche die Erfolge der Reibung darlegen, kann man die nach-
stehenden ansehen :
a) Die Grosse der Reibung ist, unter sonst gleichen Umstanden, dem Drucke propor-
tional, mit welchem die Flachen an einander herbewegt werden.
b) Bei gleichem Drucke ist die Grosse der Reibung unabhangig von der Ausdebnung
der sich reibenden Flachen, vorausgesetzt jedocli, dass diese nicht bis zu einer einschneidenden
Kante oder Spitze verkleinert sind. Diese sehr wichtige Thatsache findet ihre Erklarung
darin, dass bei Vergrosserung der Flache der Druck in entsprechendem Masse an jeder Stelle
abninnnt, daher die gegenseitigen Rauhigkeiten nicht mehr so stark wie friiher in einander
greifen konnen; und dass bei Korpern, deren Theile in starrer Verbindung stehen, das Auf-
heben und Bewegen einer Stelle das gleichzeitige Loslassen aller anderen herbeifiihrt und
bedingt.
c) Die Reibung, um aus der Ruhe in Bewegung iiberzugehen, ist grosser als diejenige,
welche wa'krend der Bewegung wahrgenommen wird. Die Zeiten, welche bei ruhenden Korpern
verfliessen, ehe sich der grosste Werth des Reibungswiderstandes zeigen kann, sind ubrigens
so verschieden, dass eine allgemeine Angabe nicht moglich ist.
d) Gleitende Reibung zeigt einen ungleich grosseren Widerstand als walzende, welches
sich leicht daraus erklart, dass bei letzterer ein hebelartiges Losheben der sich beriihrenden
Theile stattfindet, welches bei ersterer offenbar nicht eintreten kann; vielmehr erfordert diese,
um die Bewegung eintreten zu lassen, haufig ein gewaltsames Abbrechen und Umbiegen der
widerstehenden Theile.
e) Die verschiedenen Geschwindigkeiten wahrend der Bewegung zeigen nur einen un-
merklichen Einfluss auf die Grosse der Reibung.
Man ist iibereingekommen, den Werth oder den Widerstand der Reibung durch einen
Bruch auszudrueken, dessen Nenner den jedesmaligen Druck angibt, womit die Flachen an
Fuhrwerke.
631
einander gepresst sind, und dessen Zahler denjenigen verhaltnissmassigen Theil dieses Druckes
darlegt, welcher als bewegende Kraft angewendet werden musste, um die Bewegung eintreten
zu lassen oder zu erhalten. Diese Zahlen, welche durch umfassende Erfahrungen ia jedera
besonderen Falle festgestellt worden sind, werden Reibungs-Coefficienten oder Rei-
bungsfactoren genannt. So wiirde z. B. der Reibungs-Coefficient '/, andeuten, dass bei
zwei reibenden Korpern, denen diese Zahl angehort, jedesmal der vierte Theil des stattfin-
denden Druckes als Kraft verwendet werden miisse, um die Reibung zu iiberwinden. Natiirlich
sind jedoch alle Werthe, die auf diese Weise gefunden und in Tabellen niedergelegt sind,
nur Mittelzahlen, welche innerhalb gewisser Grenzen "einen geniigenden Grad von Zuverlassig-
keit fiir die Ausiibung darbieten, ohne auf absolute Genauigkeit Anspruch zu machen, wie
sich dies wegen der grossen Abweichung in der natiirlichen Beschaffenheit von solchen Sub-
stanzen derselben Art, wie sie hier vorkommen, zum Voraus denken lasst.
Ohne in Einzelheiten iiber die Auffindung der Reibungs-Coefficienten einzugehen, kann
man folgende als die wichtigsten Mittelzahlen bemerken:
I. Gleitende Reibung der Ruhe.
1. Schiebende Reibung, zunachst in trockenem Zustande.
Eichen auf Eichen 3/7 ; Kiefer auf Kiefer 7/|4; Ulmen auf Ulmen 6/(3 ! Eichen auf Kiefer
V3 ; Eichen auf Guajak Vl0; Eisen auf Eisen 2/7 ; Kupfer auf Eisen 3/7 ; Eisen auf Eichen l/s ;
Kupfer auf Eichen 2/rr > Messing auf Eisen 4/t6.
Mit Talg geschmiert ergaben sich folgende Zahlen:
Eichen auf Eichen V5 ; Kupfer auf Eisen i/10 ; Eisen auf Eichen J/l2.
2. Drehende Reibung.
Kupfer auf Eisen (trockenj 2/u ; mit Talg geschmiert \/tl ; Eisen auf Guajak (trocken) VIS ;
mit Talg geschmiert 1/.l0.
II. Gleitende Reibung der Bewegung.
1 Schiebende Reibung, trocken.
Eichen auf Eichen % ; Kiefer auf Kiefer l/6 ; Ulmen auf Ulmen V] o ! Eisen auf Eisen a/7 ;
Kupfer auf Eisen J/6 ; Eisen auf Eichen '/6 ; Kupfer auf Eichen V, 2.
Mit Talg geschmiert:
Eichen auf Eichen 7,7 ; Eisen auf Eisen V, 0 ; Kupfer auf Eisen Vn ; Eisen auf Eichen '/25 ;
Kupfer auf Eichen V,,.
2. Drehende oder Zapfen-Reibung nach Morin.
A n g a b e
der
sich reibenden Korper
Zustand der Reibungsflachen und
Gattung
der Schmieren
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Oel, Talg oder
Schweinefett
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Bronze auf Bronze . . .
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0.097
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Gusseisen auf Bronze .
— •
—
—
0.049
—
—
—
Schmiedeisen auf Bronze .
0.251
0.189
0.075
0.054
0.090
0.111
-
Schmiedeisen auf Gusseisen
—
—
0.075
0.054
—
—
Gusseisen auf Gusseisen .
—
0.137
0.075
0.054
—
—
0.137
Gusseisen auf Bronze .
0.194
0.161
0.075
0.054
0.065
—
0.10(3
Desgleichen auf Guajakholz
0185
—
0.100
0.092
—
0.109
0.140
Guajakholz auf Guajakholz
1
—
—
—
0.070
—
"
~
Hieraus folgt insbesondere fiir die Praxis, dass es ganz gleichgiltig ist. sobald man
nur sorgfaltig schmiert, ob Zapfen aus Schmiede- oder Gusseisen auf Lagern (Pfaunen) aus
Gusseisen oder Bronze laufen, natiirlich ubrigens dieselben Umstande, namentlich gute Bear-
tung der Zapfen, vorausgesetzt.
632 Fuhrwerke.
Der Widerstand der Adhasion, welcher haufig ausser der Reibung stattfmdet, wachst
im geraden Verhaltnisse mit den anhaftenden Flachen und scheint vom Drucke unabhangig
zu sein; er ist im Allgemeinen und vergleichungsweise so gering, dass er bei bedeutenden
Eeibungen, mit denen derselbe verbunden erscheint, vernachlassigt werden kann. Es ist zu
bemerken, dass die benutzten Oberflachen der Korper bei alien Versuchen moglichst polirt
waren, und dass bei der Verwendung von fettigen Substanzen, wie Talg oder Oel, unter dem
Naraen von Schmiere, die dadurch eintretende, oft sehr bedeutende Abnahme der Reibung ganz
einfach dessbalb erfolgt, weil durch dies Zwischenmittel ein mehr oder weniger vollstandiges
Ausfiillen der natiirlichen Unebenheiten zu Wege gebracbt wird. Aucb der Erfolg dieses
Mittels ist nach Beschaffenheit derjenigen Substanzen, wobei es benutzt wird, schr verschieden,
und es muss von ihm nie mehr verwendet werden, als durchaus noting ist. .
Es zeigt sich ferner aus Obigem, dass zwar einige harte Holzer noch geringere Reibung
geben als manche Metalle; allein wegen der ungleich grosseren Festigkeit und Dauer der
Letzteren werden sie dennoch zu Maschinentheilen und auderen Apparaten meistens vor-
gezogen.
Die walzende Reibung zeigt sich stets ungleich geringer als die gleitende, sie steht bei
den namlichen Korpern im geraden Verhaltnisse des Druckes und im umgekehrten Verhalt-
nisse mit den Halbmessern oder Durchmessern der Walzen, so dass mithin eine ganz so ein-
fache Bestimmung durch Coefficienten wie bei der gleitenden Reibung nicht thunlich ist. Eine
Walze von l50mm Durchmesser von Guajak auf eichener Unterlage erfordert bei 100 Kilo
Belastung nur 0.3 Kilo zur Bewegung; eine von 50mm, also dreimal so viel, u. s. w. Eine
Walze von 150mm Durchmesser von Ulmen auf Eichen bei 1000 Kilo Belastung wurde durch
5 Kilo Kraft in Bewegung gesetzt; und aus diesen Angaben litsst sich durch einfache Rech-
nung die entsprechende Fortsetzung finden, wobei natiirlich Alles auf dieselben Einheiten
bezogen werden muss. Bezeichnet man die Belastungen durch Qund 9S die Halbmesser durch
R und r und die Widerstande durch W und w, so muss dem Vorigen zufolge nachstehendes
Gesetz iiber die walzende Reibung stattfinden:
w - Q q
w . w - _ . __
wr
Setzt man hier w, a und r als durch Versuche bekannt voraus und bezeichnet mit q, so
q
wird (p der Coefficient der wiilzendeii Reibung genannt, und die Kraft W zur Ueberwindung
der walzenden Reibung kann durch die Formel bestimmt werden:
Q
Wird E in preussischen Zollen und Q in preussischen Pfunden ausgedriickt, so ist nach
sorgfaltigen Versuchen :
q — 0.0184 for Walzen aus Pockholz i
a A.m ,t, i. i } nach Coulomb.
q ~ 0.0311 „ „ „ Ulmenholz t
Fiir gusseiserne Rader von 520mui Durchmesser, welche auf eisernen Schienen laufen:
q — 0.0178 nach Weisbach in Freiberg.
q< ~ 0.0187 nach Rittinger in Schemnitz.
Endlich fand Pambour fiir Eisenriider von circa lm Hohe auf schmiedeisernen
Schienen:
q — 0.019 bis 0.021.
Q
Bei der Formel W ~ q -pr wird vorausgesetzt, dass die Kraft W zum Ueberwinden
des Reibungswiderstandes mit einem dem Walzenhalbmesser gleichen Hebelarm wirke . und
daher mit der Walze einerlei Weg zuriicklege; wirkt sonach diese Kraft an einem Hebelarme
2 B, so ist auch der zuruckgelegte Weg doppelt so gross und die Reibung unter sonst gleichen
Umstanden nur halb so gross: d. h.
_^
2E
Die liauptsachlichste und entscheidende Bestrebung bei der Einricbtung aller
Transportmittel ist bekahntlich dabin gerichtet, die Widerstande gegen die Bewe-
gung so unbedeutend wie moglich zu macben, und abgeseben von der. Beschaffen-
W' — q -
Fuhrwerke. 633
heit der Wege und sonstigen Hindernisse, besteht das vorziiglichste Mittel, jenen
Zweck zu erreichen, in der Verminderung der Reibung. Weil nun die walzende
Reibung so ausserst viel geringer ist als die gleitende, so liegt die Idee selir
nahe, wo moglich durcb eine Umanderung der letzteren in die erstere sicb dem
vorgesteckten Ziele zu nahern, und es bat nicht an vielfacben Vorschlagen gefehlt,
wie man geradezu jene Umanderung bevvirken konnte. Allein die bis jetzt bekannt
gewordenen Erfindungen dieser Art waren entweder ganz unpraktisch, oder ihre
Anwendungsfakigkeit ist auf einzelne so seltene Falle beschrankt, dass eine Be-
nutzung im Grossen davon nie zu erwarten steht. Untergelegte Walzen unter den
fortzuscbaffenden Lasten sind ein allbekanntes Mittel, welcbes nur fur kleine
Strecken braucbbar ist. Raderwerke, cleren Zapfen selbst wieder auf dem Umfange
anderer Rader liegen, sogenannte Frictionsrollen, eignen sich nur fur geringe
Belastungen und sind leicht zerbrechlicb u. s. w. Es bleibt daher fiir jetzt nichts
iibrig, als denjenigen Mechanisrnus kennen zu lernen und darzulegen, der seit
Jahrtausenden schon zu diesem Zwecke benutzt ist, namlich die Fortscbaffung der
Lasten durcb Achse und Rad. Er iibertragt die schiebende Reibung in eine dre-
hende am Umfange der Achse, und in eine walzende am Umfange des Rades.
Dabei ist es zunachst gleichgiltig, ob die Achse mit dem Rade sich in einer
Unterlage dreht oder, wie es gewohnlicher ist, urn die unbewegliche feste Achse
sich das Rad allein dreht.
Gelegentlich mag hier angefiihrt werden, dass die grossartigste Vermin-
derung der Reibung, welche bekannt geworden ist, diejenige sein diirfte, wodurch
der Granitblock transportirt wurde, auf welchem die Bildsaule Peters des Grossen
in Petersburg steht. Der Block wog liber iy2 Mill. Kilogramm und wurde auf
metallenen Kugeln fortgeschafft, so dass mit Anwendung anderer mechanischer
Vorrichtungen die gewohnliche Kraft zum Bewegen einer so ausserordentlichen
Last dennoch kaum 1000 Kilo zu betragen brauchte.
Wenn man sich eine Schleife mit ihrer Belastung auf Walzen gelegt denkt,
und diese Walzen durcb die Ausfuhrung als Rader bleibend macht, so hat man
hierin die erste und allgemeine Vorstellung des Wagengestelles. Zweiradrige
Fuhrwerke heissen bekanntlich Karren, vierradrige Wag en; Gestelle mit mehr
als vier Radern kommen nur ausnahmsweise vor und verdienen hier keine besondere
Beriicksicktigung.
Als Grundlage der ganzen Betrachtung sind natiirlich die Verhaltnisse an
ein em Rad anzusehen, und ts dienen zu ihrer Bestimmung, so weit dies ohne
tieferes mathematisch.es Eingehen thunlich ist, die nachstehenden Satze.
Eine oberflachliche Kenntniss der Theile eines Rades und ihrer Namen darf
dabei als gelaufig vorausgesetzt werden.
Man denke oder zeichne sich als Darstellnng des Rades einen Kreis auf
horizontaler Grundlinie, und urn seinen Mittelpunkt einen zweiten verhaltnissmassig
kleinen Kreis als Angabe des Achsschenkels oder der OefFnung der Nabe. Im
ruhenden Zustande pflanzt sich der Druck der Belastung, die auf der Achse liegt,
in senkreehter Richtung von der Achse gegen die Nabe und am Umfange des
Rades gegen den Erdboden oder die sonstige Unterlage fort. Es werde eine
horizontale Zugkraft angenommen, deren Angriffspunkt die Mitte der Achse ist,
und man fragt zunachst nach den Bedingungen des Gleichgewichtes zwischen
Kraft und Widerstand. Nun leuchtet ein, dass der Widerstand am Umfange des
Rades als eine nach riickwarts gestellte Kraft anzusehen ist, deren Ueberwindung
nothwendig mit einem gleichzeitigen Vorriicken der Achse oder einer eben solchen
Riickwartsdrehung des Rades verbunden sein muss. Denn wenn auf glatten
Bahnen dieser Widerstand am Umfange fehlt, so dreht sich bekanntlich das Rad
nicht, sondern es entsteht so lange eine bloss fortschleifende Bewegung. Alle
Verhaltnisse also, welche sich der Umdrehung des Rades widersetzen, sind in
demselben Sinne Hindernisse des Fortriickens, und umgekehrt. Als erster Wider-
stand gegen die Drehung des Rades erscheint nun nothwendig diejenige Reibung
am Umfange der Achse, welche als drehende Reibung nicht allein einen bestimmten
634 Fuhrwerke.
Zahlenausdruck zum Reibungs-Coefficienten hat, sondern auch an einem H eb el-
arm e wirksam ist, welcher mit dem Halbmesser der Achse iibereinstimmt. Bei
einem und dem namlichen Werthe der unmittelbaren Reibung steht also, nach
bekannten Satzen, der Erfolg derselben, d. h. hier der Widerstand gegen die
drehende Bewegung, in geradem Verhaltnisse mit dem Halbmesser oder Durch-
messer der Achse. Es wird daher, wenn alles Uebrige unverandert bleibt, der
Widerstand in demselben Masse wachsen, wie die Achse dicker wird. Sodann
ist als Folge des iibertragenen Druckes, wie schon erwaknt, ein riickwarts ge-
stellter Widerstand am Umfange des Rades zu beriicksichtigen. Zu seiner Ueber-
windung, nm die Drehung zu bewirken, hat die Zugkraft, wie leicht zu ersehen,
einen Hebelarm, welcher dem Halbmesser des Rades entspricht, und die Bewalti-
gung muss daher um so leichter erfolgen, je grosser dieser Halbmesser ange-
nommen war.
Es sind also fur jetzt die beiden Momente des Widerstandes, welche hier
in Betracht kommen, um so leichter zu uberwinden, je kleiner der Hebelarm der
drehenden Reibung an der Achse, d. h. je diinner der Schenkel ist, und auf der
anderen Seite je grosser der Hebelarm der Zugkraft, d. h. der Halbmesser oder
auch die Hbhe des Rades ausgefiihrt wurde. In diesen hbchst einfachen Begriffen
liegt die theoretische Entwicklung ausgesprochen, wenn man eine vollstandige
mathematische Darlegung vermeiden will, und es darf dies um so melir geschehen,
als es sich bald zeigen wird, dass die mathematisch nachzuweisenden Verhaltnisse
des Widerstandes und die Gesetze des Gleichgewichts keineswegs diejenigen sind,
welche im wirklichen Gebrauche entscheiden. Wenn also auch die vorstehende
Erorterung nicht auf strenge Begrundung Anspruch machen kann, so behalt sie
dennoch als Resultat die namliche Wichtigkeit, welche einer weit ausgedehnteren
Untersuchung zukommen konnte. Dabei ist auch noch der Einfluss der walzenden
Reibung am Umfange des Rades vernachlassigt, welches um so eher zu rechtfer-
tigen ist, da derselbe vergleichungsweise zu den weit grosseren Widerstanden,
die sich noch nachweisen lassen, in der That als unbedeutend erscheint. Be-
zeichnet man den Halbmesser des Rades mit R, den der Achse mit r, die Bela-
stung mit Q und den unmitielbaren ReibungscoefFicienten am Umfange der Achse
oder des Schenkels mit /, so findet sich fiir den Fall des Gleichgewichtes die
Zugkraft K — f — . Q, worin die vorhin entwickelten Beziehungen einfach
ausgesprochen sind. Es sei z. B. die Belastung 2500 Kilo = Q; Halbmesser
des Rades R =: lm ; Halbmesser der Achse r — 50mm und der Reibungs-
coefficient / m '/s; so fande sich auf diesem Wege eine Zugkraft K — 7s
50/1000 . 2500 z=z 30 Kilo, und so in alien ahnlichen Fallen.
Eine vollstandige Theorie muss mit einer genauen Erfahrung nothwendig
und von selbst ubereinstimmen. Nur freilich ist die Gewinnung der letzteren
haufig ebenso schwierig, wie die Entwickelung der ersteren, und wenn einseitige
Empirie mit gelehrter Einseitigkeit in Zusammenstoss gerath, so ist eine ver-
standige Ausgleichung nicht fiiglich zu erwarten. Diese Bemerkung gilt in beson-
derem Grade von manchen Einrichtungen der Fuhrwerke, bei denen fast niemals
eine erwagende Theorie dem arbeitenden Handwerker zu Hiilfe gekommen ist.
Wer z. B. die eben vorstehenden Zahlen naher betrachtet, wird leicht erkennen,
dass kein Rad mit soldier Belastung durch eine so winzige Kraft bewegt oder
auch nur in den Zustand des Gleichgewichts versetzt werden konnte. Und in
der That sind in den friiheren Herleitungen sehr wesentliche Umstande ausser
Acht gelassen, welche fur die Anwendung den entschiedensten Einfluss geltend
machen. Hierher gehbrt zuerst die Vertheilung der Last auf wenigstens zwei
Rader, wodurch zwar rein theoretisch Xichts geandert wird, desto mehr aber in
einzelnen Fallen des wirklichen Gebrauches.
Sodann aber bewirkt die Beschaffenheit der gewohnlichen Wege und die
Construction der Achse (wovon spater die Rede sein wird), dass fast ununter-
brochen Reibungen an der Seite der Radfelgen, so wie an der Mittelachse oder
Fuhrwerke. 635
am Liinz stattfinden, welche unfehlbar viel grossere Widerstande gegen die Be-
wegung hervorrufen, als es die bisher erorterten Beziehungen thun konnten, und
in diesen stets einwirkenden, aber audi stets veranderlichen Hindernissen liegt
bei Weitem der Hauptgrund fiir die wirkliche Grosse der Zugkrafte, wie die Er-
fahrung sie fordert.
Ferner sollte die Zugkraft, wie sie durch die Reibung bedingt wird, sich
verhalten wie die Quotienten, welche erscheinen, wenn man die Halbmesser der
Schenkel (Achsenzapfen) durch die Halbmesser der Rader dividirt. Aber diese
Behauptung ist nur rein mathematisch, nicht physikalisch richtig. Denn bei zu
diinnen Schenkeln entstehen nothwendig Biegungen und dadurch Klemmungen von
dem nachtheiligsten Einflusse, und bei zu hohen Radern wiirde die Anbringung
der Zugkrafte durch die Lage der Strange nur unvortheilhaft geschehen konnen.
Endlich aber ist wohl zu beriicksichtigen, dass ein moglichst hoher Grad von
Beweglichkeit geradezu nur auf horizontalem festen Boden von unbedingtem Xutzen
sein kann; dass aber bei solchen Verhaltnissen des Bodens und der Wege, wo
ein Streben des Fuhrwerkes sich riickwarts zu bewegen eintritt, der hochste
Grad von leichter Beweglichkeit schon dadurch zum Theil aufgehoben und nutzlos
gemacht wird. Nun aber bieten alle gewohnlichen Wege eine zusammenhangende
Kette von Erhabenheiten und Vertiefungen dar, jeder tiefsandige oder weiche
Weg bildet vor dem Rade eine augenblicklich entstehende und wieder nieder-
zudriickende Erhohung, wodurch es dann sehr begreiflich wird, dass die moglichst
diinnen Schenkel im wirklichen Gebrauche keineswegs sich so giinstig zeigen, wie
es theoretisch der Fall sein sollte.
Fur eine zweckmassige Anordnung der Theile des Gestelles der Fuhrwerke
miissen nun noch verschiedene einzelne Umstande naher erortert werden, durch
deren Auffassung demnachst das Urtheil geleitet und bestimmt werden muss.
1. Verhaltnisse beim Aufwartsfahren.
So lange die Bewegungen auf einer horizontalen Ebene erfolgen, hat die Zugkraft keine
anderen "Widerstande zu iiberwinden, als die bisber verhandelt wurden. Wenn aber das Fuhr-
werk bergan fahren soil, so tritt die Schwerkraft als neues Hinderniss, das mit iiberwunden
werden muss, hinzu. Dieser Einfluss wird gefunden, wenn man das ganze Gewicht der Be-
lastung und des Gestells mit der Sinuszahl des Neigungswinkels multiplieirt. Bei einem
Ansteigen um 10 Grad ist jene Zahl 0.1736; und wenn also das Gesammtgewicht 5800 Kilo
betragt, so entsteht dadurch ein neuer Widerstand, welcher die erhebliche Grosse von
0.1736 X 5800 Kilo — 1006 Kilo besitzen wird. Man kann hieraus leicht ermessen, welchen
bedeutenden Einfluss aucb die geringern Steigungsverhaltnisse der Wege auf die Vermehrung
der Zugkrafte haben. Etwas ganz Aehnliches, nur nicht so leicht darzulegen, findet in san-
digen und tiefen Wegen statt, wo die Reibung an der Seite der Radfelgen noch binzukommt.
Daraus folgt sehr deutlich, wie ganz ausserordentlich die Krafte der Zugthiere und diese selbst
geschont werden, wenn die Beschaffenheit der Wege in dieser Hinsicht zweckmassig ange-
ordnet und erhalten wird. Fiir das Bergabfahren miisste eine ebenso grosse Kraft als Hem-
mung entgegen treten, wenn nicht die Grosse der Eeibung als vortbeilhaft hier einwirkte und
eine Verminderung zuliesse. Bei zweiradrigem Fuhrwerke zeigt sich beim Bergabfahren noch
ein anderer Uebelstand, der spater naher erortert werden muss.
2. Uebersteigen von Hindernissen auf dem Wege.
Ein festes Hinderniss, welches sich auf dem Wege des Rades vorfindet, verlangt ein
wirkliches Drehen und theilweises Heben der Last um die zunachst getroffene Kante desselben.
Wenn man von dem Mittelpunkte des Rades nach dieser Kante einen Halbmesser zieht \m&
den Winkel angibt, den derselbe mit der senkrechten Richtung einschliesst, so zeigt eine
leichte Betrachtung, dass der so entspringende Widerstand gefunden wird, iudem man das
Gesammtgewicht mit der Tangentenzahl dieses Winkels multiplieirt. Ist z. B. der Halbmesser
des Rades lm Und die Hohe eines Hindernisses '/6m , so betragt jener Winkel 33 Grad, und
seine Tangente 0.6494; bei einem Gesammtgewichte von 5S00 Kilo ergibt also dieser Wider-
stand den sehr bedeutenden Werth von 5800 X 0.6494 — 3766 Kilo. Ware der Winkel
45 Grad, so wiirde bereits die Zugkraft der ganzen Last gleich sein miissen. Man erkennt
sofort, dass bohere Rader jenen Winkel bei sonst gleichen Hindernissen vermindern, also
636 Fuhrwerke.
einen viel leichteren Gang geben; auch ersieht man eben so leicht, dass selbst unbedeutend
scheinende Hindernisse vom nachtheiligsten Einflusse sein miissen. Obgleich die angefiihrten
Zahlen allerdings sehr grosse Widerstande ausdriicken, so muss man dabei erwagen, dass fur
den ernstlichen Fall einige Beziebungen eintreten, welche die Ueberwindung moglich macben
und erleicbtern. Zuerst befindet sich das Hinderniss regelmassig doch nur vor einem Rade,
und auf diesem ruht nur ein Theil der Last, entweder die Halfte oder der vierte Theil ; dabei
bieten die anderen Rader Stiitzpunkte dar, so dass die zu hebende Last auf eine viel giinstigere
Weise in die nothwendige Drehung versetzt wird. Sodann kommt das Fubrwerk nicht im
Zustande der Rube vor das Hinderniss, sondern die Bewegung, die oft absicbtlicb vorher
bescbleunigt wird, bietet ein Moment dar, wodurch mit einer schwungartigen Bewegung die
Drebung uud Uebersteigung sehr befordert wird. Endlich ist die Anstrengung der Pferde nur
augenblicklich nothig, und konnen daher oft ganz unverhaltnissmassig grosse Kraftausserungen
von ibnen geleistet werden.
3. Fester Stand des Gestelles.
Nach bekannten Satzen der Statik fallt ein Korper um, sobald die Senkrechte, welche
von seinem Schwerpunkte herabgelassen wird, aus der Unterstiitzungs-Ebene hinausfallt. Wenn
nun ein Korper um eine bestimmte Seite seiner Grundflache gekippt oder umgelegt werden
soil, so bangt der Widerstand, welcher sich dem entgegenstellt (die sogenannte Stabilitat),
zunachst von dem Gewichte des Korpers ab, und zwar so, dass ein grosseres Gewicht eine
vermehrte Gewalt zum Umlegen erfordert; sodann von der Hohe des Scliwerpunktes iiber der
Unterstiitzungs-Ebene, indem mit zunehmender Hohe die Stabilitat gleichmassig verringert
wird; endlicb von dem Abstande, welchen die Senkrechte aus dem Schwerpunkte von der-
jenigen Seite der Grundflache hat, um welche das Kippen oder Umlegen erfolgen soil. Je
grosser dieser Abstand ist, um so fester steht der Korper, weil alsdann eine starkere Neigung
eintreten muss, damit jene Senkrechte aus dem Bereiche der unterstutzenden Flache hinaus-
fallen kann.
Wendet man diese einfachen Verhaltnisse auf das Gestell eines Fuhrwerkes an, so
ergibt sich sogleich, dass der Raum zwischen den Radern hier als die Unterstiitzungsebene
zu betrachten ist; dass die Gesammtlast den halben Abstand der Rader zu ihrem Hebelarme
hat, um den festen Stand zu sichern, dass aber eine durch Umstande herbeigefiihrte um-
reissende Gewalt die Hohe des Scliwerpunktes (welche iiber der Mitte der Achse liegend
angenominen werden kann) vom Erdboden zu ihrem Hebelarme hat. Sobald nun das Fuhrwerk
an eine seitwarts geueigte Ebene gestellt wird, so lasst sich sehr leicht der Winkel der Seiten-
neigung angeben, bis zu welchem bin das Fuhrwerk schrag gestellt werden kann und dennoch
nicht umfallen wird, weil die Senkrechte aus dem Schwerpunkte bis zu dieser Grenze noch
innerhalb des durch die Rader bestimmten Raumes bleiben muss. Bei einrr halben Spurweite
von (J50mm und einer Hohe des Schwerpunktes von 780mm wird der Winkel, bis zu welchem die
Seiten-Neigung vergrossert werden kann, ohne dass das Umwerfen erfolgt, zwischen 39 und
40 Grad betragen. Das Niimliche wird offenbar eintreten, wenn ein Rad uberhaupt niedriger
steht als das andere, gleichgiltig, ob dies durch eine seitwarts abhangende Bahn oder durch
Schlaglocher, einseitige Hindernisse u. dgl. herbeigefiihrt ist.
Allein in soldier Auszeichnung wird in den Fallen der Anwendung der feste Stand
nicht gesichert sein. Das Fuhrwerk kommt in die betrachtete schrage Stellung nicht durch
ruhiges Hinstelleu, sondern es ist im Zustande der Bewegung und oft der rasehen Bewegung
begriffen. Dadurch aber entsteht eine schwungartige Seitenbewegung. sobald das eine Rad
plotzlich tiefer zu stehen kommt als das andere, und hierdurch wird die Gefahr des Umwerfens
bei weitem grosser, als jene Rechnung sie ergab. Uebrigens bleibt es richtig, dass niedrige
Riider oder tiefe Lage des Schwerpunktes uberhaupt, so wie eine breitere Spurweite den festen
Stand wesentlich erhohen. Es folgt ferner, wie sehr es gerathen ist, auf schlechten Wegen,
wo Schlaglocher und einzelne Hindernisse vorkommen, langsam zu fahren, da jede rasche
Bewegung den Seitenschwung und damit die Moglichkeit des Umwerfens vergrossert. Endblch
iibersieht man schon jetzt, dass der Wagen in dieser Beziehung in uberwiegendem Vortheile
gegen den Karren steht.
4. Richtung der Zugstrange.
Ohne an dieser Stelle die Art und Weise zu berucksichtigen, wie die Zugthiere und
namentlich die Pferde ihre Kraft aussern, wurde bisher angenommen, dass die bewegende
Fuhrwerke. 637
Kraft parallel zur Unterlage gerichtet sein miissp. Die Richtung der Zugstrange ist nun gleich-
bedeutend mit der Richtung der Kraft, und es entsteht die Frage : was fur Aenderungen die
eigentlicli thatige Kraft erleidet, wenn die Zugstrange die parallele Richtung gegen die Unter-
lage nicht haben? Der Verlust an Kraft ist wenig bedeutend; allein wenn der Angriffspunkt
der Kraft hoher liegt als die Brusthohe des Pferdes, so wird der Verlust an Kraft unmittelbar
dazu verwendet, um das Fuhrwerk noch fester gegen die Erde zu driicken, so dass dann die
Pferde ihrer eigenen Thatigkeit entgegen arbeiten. Zudem lehnt sich das gut abgerichtete
Thier im Augenblicke des ersten Anziehens, wo der Widerstand der ruhenden Reibung zu
iiberwinden ist, mit der Brust stets etwas uber seine Vorderbeine hinaus, wodurch die Brust-
hohe geringer wird; waren also die Strange eigentlicli parallel zur Unterlage, so werden sie
nun auf eine hochst ungiinstige Weise sich etwas senken. Daher legt man den Angriffspunkt
der Strange an der Mittelachse gern um einige Zoll niedriger als die Brusthohe der Pferde;
dadurch sind die Strange dann im gewohnlichen Zuge etwas gehoben, was indess keinUebel-
stand ist, und man vermeidet die nach unten geneigte Richtung im Augenblicke des ersten
Anziehens. Durch diese Umstande wird wesentlich mit die zweckmassige Hcihe der Rader
bestimmt, wie sich demnachst zeigen lasst.
Wenn man es versuchen wollte, eine voUstandige mathematische Theorie auf
diese hochst verschiedenartigen, einander gegenseitig bedingenden und stets ver-
anderlichen Umstande der wirklichen Bewegung bei Fuhrwerken auf gewohnlichen
Wegen anzuwenden, so wiirde sich unfehlbar das Resultat ergeben, dass auch bei
Zuziehung des hoheren Kalkiils keine Uebereinstimmung mit der Erfahrung zu
erreichen sein kann. Man denke sich nur die unendlichen und stets wechselnden
Verschiedenheiten eines gewohnlichen gepflasterten Weges, wo zahllose kleine
Hindernisse nach vorn zu iiberwinden sind, daneben ein bestandiges Abgleiten der
Rader zur Seite und damit ein voriibergehendes Andriicken des Rades gegen die
Mittelachse oder gegen den Liinz eintritt, so dass die Widerstaude fast ununter-
brochen wechseln; so wird man sich leicht iiberzeugen, wie undenkbar es ist,
auf solche Thatsachen eine erschopfende Theorie anzuwenden. Eben so schwierige
Beziehungen bieten tief sandige und kothige Wege dar, besonders wenn ein Zu-
sammenschlagen des Erdreichs iiber die Felgen hinzukommt, oder wenn man, wie
es hier doch erforderlich sein wiirde, den Widerstand der Adhasion mit hinzu zu
ziehen versuchte.
Die bestandige und grosse Verschiedenheit, welche in alien solchen Verhalt-
nissen stattfindet, zeigt sich am deutlichsten bei Anwendung eines Kraftmessers,
um die Zugkrafte in bestimmten Zahlen darzulegen. Selbst auf ganz ebenen und
festen Wegen, bei dem vorsichtigsten Fahren schwanken die beobachteten Zahlen-
werthe auf eine kaum glaubliche Weise. Auf Steinpflaster und in tiefen Wegen
sind diese Schwankungen so gross, dass nur eine lange fortgesetzte Wiederholung
der Beobachtungen dazu ftihren kann, iiberhaupt eine Gesetzmassigkeit in der
ganzen Erscheinung zu entdecken.
Die ausgezeichnetsten und umfangreichsten (dynamometrischen) Versuche
sind jene, welche der Artillerie-Offizier Morin auf Anordnung und Kosten der
franzosischen Regierung angestellt hat. Wir theilen im Nachstehenden die wesent-
lichsten Ergebnisse dieser Versuche mit, und verweisen iibrigens auf unsere
Quelle. *)
Wir beginnen in tabellarischer Uebersicht mit dem Verhaltniss des hori-
zontalen Zuges auf horizontaler Bahn zur fortzuschaffenden Totallast.
(Dabei bezeichnet I die Felgenbreite der Rader, q den Zapfenradius, ?*j den
Radius der Vorderrader, r(J den Radius der Hinterrader. Sammtliche Masse sind
Metermass.)
*) Experiences sur le tirage des voitures et sur les effets destructeurs qu'elles exercent
sur les routes, par M. Morin, Paris 1842.
638
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640 Fuhrwerke.
Die Zusammenstellung aller Morin'schen Resultate liefert mit Bezug auf
vorstehende Tabelle Folgendes:
1. Bei alien Fuhrwerken ist der auf die Radachse reducirte, mit der Fahr-
bahn parallele Widerstand an der Letzteren proportional dem Drucke und um-
gekehrt proportional dem Radius des Rades.
2. Die Strassen werden desto mehr verdorben, je kleiner die Rader sind.
3. Auf dem Steinpflaster oder den Scbotterstrassen ist der Widerstand
nabezu von der Breite der Radfelgen unabhangig, sobald diese mindestens 0m.08
bis 0m.10 betragt.
4. Auf zusammendriickbarem Boden, wie Erde, Sand, Kies, Ueberscbiittungen
von beweglichem Material und neuen Scbotterstrassen nimmt der Widerstand in
demselben Verhaltnisse ab, wie die Breite der Felgen zunimmt.
5. Auf weicbem Boden, wie Erde, Sand etc., die Bahn mag in gutem Zu-
stande sein oder Gleise haben, in den tiefen Kieslagen auf festem Boden, oder den
0m.04 bis 0m.06 tiefen Aufscbuttungen auf den Steinbabnen der Strassen ist der
Widerstand bei aufgehangten und nicbt aufgebangten Fuhrwerken von der Ge-
schwindigkeit unabhangig.
6. Fur den Schritt ist der Widerstand auf alien Strassen und selbst auf
gutem Pilaster der namliche fur aufgehangte und nicbt aufgehangte Fuhrwerke.
7. Auf Scbotterstrassen und auf dem Steinpflaster nimmt der Widerstand
mit der Gescbwindigkeit zu, so dass die Aenderungen desselben den Aenderungen
der Geschwindigkeit proportional sind, wobei von der Gescbwindigkeit von einem
Meter ausgegangen wird.
Die Vergrosserung des Widerstandes ist desto geringer, je weniger starr
und je besser aufgebangt das Fubrwerk ist; ferner je glatter die Strasse ist. Sie
ist bei gut aufgebangten Eilwagen auf sehr guten Scbotterstrassen, deren Ober-
flache keine bervorragenden Steine darbietet, zwischen den Geschwindigkeiten des
Scbrittes und des starken Trabes ziemlicb gering.
8. Auf einem guten Sandsteinpflaster, welches recbt dicht und eben ist,
wie das Metzer, ist der Widerstand bei der Geschwindigkeit des Schrittes nur
ungefahr 3/4 von demjenigen, welcher bei den besten Scbotterstrassen stattfindet;
und fiir gut aufgehangte Fuhrwerke ist der Widerstand auf einem guten Pflaster
bei der Geschwindigkeit des starken Trabes der namliche wie auf einer guten
Schotterstrasse, welche bier und da an der Oberflache hervorragende Steine dar-
bietet. Wenn das Pflaster dagegen nicbt sehr gut unterhalten ist, so ist der
Widerstand bei der Geschwindigkeit des Trabes grosser als auf guten Scbotter-
strassen, selbst bei Fuhrwerken, welche moglichst gut aufgebangt sind.
9. Die nicbt aufgebangten Fuhrwerke, welche im Schritt fahren, verderben
die Strasse mehr als die aufgebangten Fuhrwerke bei der Geschwindigkeit des
Trabes, und noch viel mehr werden die nicht aufgebangten Fuhrwerke bei der
Geschwindigkeit des Trabes auf das Verderben der Strasse wirken.
10. Die Neigung der Zugricbtung, welche dem Maximum des Nutzeffectes
correspondirt, soil im Allgemeinen mit dem Widerstande des Bodens zunehmen,
und desto grosser sein, je kleiner die Vorderrader sind.
Ein G e s t e 1 1 bei Fuhrwerken besteht aus der Achse mit ihren beiden
Schenkeln und zwei Radern; jedes Rad bekanntlich wieder aus der Nabe,
den Speichen und den Felgen, welche letzteren vereinigt den Kranz bilden,
wozu dann noch die verschiedenen Beschlage kommen.
An der Achse unterscheidet man den mittleren Theil unter dem Namen der
Mittelachse; sie hat eutweder gleiche Hohe und Breite, oder die Hdhe ist
grosser als die Breite; erstere Einrichtung kommt mehr bei eisernen Achsen vor,
letztere bei holzernen. Die Schenkel sind meistentheils abgekiirzt kegelformig,
also vorn am Liinz diinner als an der Mittelachse, und man nennt diesen Unter-
schied ihre Verjiingung ; am hinteren Ende stimmt ihr Durchmesser mit der Breite
der Mittelachse uberein. Wenn der Querschnitt der letzteren kein Quadrat ist,
Fuhrwerke. 641
so uberragt sie mit ihrer Hohe den Durchmesser des Schenkels, und dieser
obere Theil heisst der Stoss. Auch bei eisernen Achsen koramt diese Stelle
vor, weil zur Verbindung rait den iibrigen Theilen die Achse in ein starkercs
holzernes Achsfutter eingelassen werden muss.
Die Schenkel miissen immer so gestellt sein, dass ihre untere Begrenzung
mit der nnteren Flache der Mittelachse eine einzige gerade Linie bildet und also
die vorhandene Verjiingung ganz auf der oberen Seite des Schenkels erscheint.
Nur bei dieser Anordnung kann das Rad bei dem Drucke, welcher auf ihra liegt,
eine ruhige und gleichmassige Stellung und Bewegung annehmen. Wollte man
dagegen den kegelformigen Sclienkel so gegen die Mittelachse stellen, dass die
Mittellinie desselben horizontal zu stehen kame, so wiirde der Schenkel veranlasst.
sich bestandig durch die Nabe zuriickzuziehen, so dass das Rad fortwahrend
gegen den Liinz geschoben wtirde und daselbst die nachtheiligsten Seitenreibungen
entstehen miissten. Von anderen Mangeln, die sich dabei noch zeigen wtirden,
wird weiterhin die Rede sein.
Die Verjiingung der Schenkel soil dazu dienen, durch den etwas gerin-
geren mittleren Durchmesser den Erfolg der Reibung herabzusetzen, und an
der Mittelachse grossere Sicherheit gegen das Zerbrechen zu gewahren. Bei sehr
starken holzernen Schenkeln muss man diesen Grund anerkennen, jedoch nicht
bei eisernen, wo die Verjiingung viel zu unbedeutend ist, um irgend wesentlich
einzuwirken. Nicht allein von dem rein mechanischen Standpunkte wiirden cylin-
drische Schenkel wegen des gleichmassigeren Ganges den Vorzug vordienen, sondern
auch weil sie durch metallene Ringe, die an die Mittelachse hinter das Rad, oder
zwischen dem Rade und Liinz auf den Schenkel gesteckt werden, eine Veran-
derung der Spurweite zulassen, die man bei kegelformigen Schenkeln nicht erreichen
kann, ohne einen unsichern, schlottrigen Gang des Rades herbeizufiihren. Fur
manche Fuhrwerke aber, die nicht bios auf Kunststrassen gehen, ist eine solche
Anschliessung an die abweichenden Spurweiten in verschiedenen Provinzen eine
wichtige Sache.
Die Lange der Schenkel hangt iibrigens mit anderen Einrichtungen des
Rades so genau zusammen, dass davon erst spater gesprochen werden kann : sie
betragt von 37— 63cra.
Die wirklichen Abmessungen von Achse und Schenkel sind natiirlich durch
das Material bedingt, woraus sie verfertigt werden. Zu holzernen Achsen wird
vorzugsweise Eichenholz genommen, und nach Massgabe der Belastungen, wofiir
das Fuhrwerk bestimmt ist, macht man die Mittelachse 79 — 132mm breitund 132
bis 184mm hoch ; eiserne Achsen sind bedeutend diinner und verhaltnissmassig eben
so breit wie hoch, im Allgemeinen wohl 50 — 100mm. Es ist schon erwahnt, dass
der hintere Durchmesser des Schenkels mit der Breite der Mittelachse iiberein-
stimmt, und bei gewohnlicher Verjiingung ist der vordere Durchmesser ctwa halb
so gross. Am vorderen Theile des Schenkels befindet sich das Liinzloch oder
sonst diejenige Vorrichtung, wodurch das Rad auf dem Schenkel festgehalten wird.
Eine holzerne Achse muss immer stark und sorgfaltig mit Eisen beschlagen
werden. Dazu gehort das untere Achseisen oder Achsblech, welches den
Schenkel bis zur Halfte seines Umfanges und oft noch mehr umschliesst, und
dann, in eine Stange ausgehend, unter die Mittelachse, ja selbst bei grossen Lasten
ganz unter dieser hergeht, so class der Beschlag fiir beide Schenkel aus einem
einzigen Stiicke besteht. Die Befestigung geschieht durch Nagel, Schrauben und
Bander. Sodann ist noch ein oberes Schenkelblech noting, welches mit einem
Bande das Liinzloch umschliesst und einfasst; an der Mittelachse befindet sich
das Stosseisen , welches oft pyramidal etwas vorspringt. Diese sammtlichen
Beschlage werden haufig verstahlt.
Die eiserne Mittelachse wird durch Bander in einem holzernen Futter be-
festigt, um sie dauerhafter mit dem Gestelle verbinden zu kbnuen. Eiserne
Schenkel werden mitunter verstahlt, oder es wird ihnen — so gut es gehen will
— eine Stahlplatte angeschweisst. Eine eigenthiiraliche und sehr vorziigliche
Karmarsch & Heeren, Teehnisohes Worterbuch. Bel. III. 41
642 Fuhnverke.
Einriehtung Tbesteht bei den Fuhrwerken der englischen Armee. Die Schenkel
sind von Eisen und endigen in eine starke eiserne Stange, welche unter der
holzernen Mittelacbse entweder ganz hergeht, oder die Stan gen stossen von beiden
Seiten unter der Mitte vor einander und werden durch starke Selirauben und
Bander befestigt. Durch Priifung in den spanischen Feldziigen hat sich diese
Einriehtung, die von belgischen Frachtkarren entlehnt ist, als vortrefflich bewahrt,
indem die mechanischen Beziehungen wie bei ganz eisernen Achsen sich ergeben,
und doch die Widerherstellung einer zerbrochenen Aclise eben so leicht und noch
leichter als bei holzernen geschehen kann.
Zur Vergleichung der holzernen und eisernen Achsen wird man folgende
Verbaltnisse zu beriicksichtigen baben :
a) Das geringere Reibungsmoment, welches der diinne eiserne Schenkel
zeigt, ist jedenfalls ein nur zweifelhafter Vorzug, indem Beweglichkeit vorwarts
und Beweglichkeit rilckwarts in gewissem Sinne dasselbe ist und einander ent-
gegen treten kann. Wenn daher auf ganz ebeuem festen Boden der eiserne
Schenkel einen bestimmten Vorzug in den Zahlenwerthen der Zugkraft ergibt, so
andert sich dies sofort auf unebenem oder in tiefem Boden.
b) Ebenfalls zeigen diinne eiserne Schenkel bei geringen oder mittleren
Belastungen vergleichungsweise oft grosse Vorziige, welche ganzlich verschwinden,
sobald die Lasten bedeutend steigen. Diese wichtige Thatsache erklart sich dadurch
dass die diinne und mehr elastische eiserne Achse fiir grosse Belastungen eine
Biegung annimmt, was die hblzerne an sich und wegen ihrer Beschlage nicht
thun kann.
Sobald aber die geometrische Mittellinie einer drehenden Bewegung mit der
physikalisehen Achse derselben nicht mehr zusammenfallt, zeigen sich Klemmungen,
wobei an einzelnen Stellen heftige Pressungeu und vergrbsserte Hebelarme ftir die
Reibung zu Stande kommen.
c) Die hblzerne Achse hat wegen ihrer Beschlage und wegen der Art, wie
diese angelegt werden miissen, seiten eine vollkomuien regelmassige Form, und
dieser Umstand ist, zumal bei stark verjiingten Schenkeln, ein wichtiger Nachtheil.
d) Es lasst sich die eiserne Achse bei der Uebernahme besser priifen, aber
sie ist auch schwieriger wieder herzustellen, wenn sie zerbrochen ist. Gerade
in dieser Hinsicht erfiillt die vorhin erwahnte englische Einriehtung moglichst viele
Bedingungen.
e) Bei strenger Kalte brechen die eisernen Achsen ungewbhulich leicht ; man
schiitzt sie dagegen, «enn man vor dem Gebrauche mit einem schweren Hammer
oder einer Axt gegen die vordere Flache des Schenkels einige kraftige Schlage
fiihrt.
f) Der wichtigste Vorzug der eisernen Achsen ist ihre ungleich grossere
Dauer. Es ist sehr wohl mbglich, und die Erfahrung bestatigt es auf das Be-
stimmteste, dass eine gute holzerne Achse im neuen Zustande vollig so stark
sein kann wie eine eiserne. Allein nach wenigen Jahren, sowohl des Gebrauches,
als des Nichtgebrauchcs, wird eine neue Probe ergeben, dass sich schon merk-
bare Unterschiede zeigen 5 und wenn beide Einrichtungen — wie es doch oft
gefordert wird — 20 bis 30 Jahre in Vorrath gehalten werden miissen, so ist
nach dieser Zeit die eiserne Achse noch eben so diensttiichtig wie vorher, wahrend
die hblzerne durch die unabanderlichen Einwirkungen der Luft und sonstiger
organischer Zersetzungen kaum noch brauchbar sein wird. Bei Fuhrwerken,
welche sofort in steten Gebrauch genommen werden sollen, ist also dieser Umstand
von geringerem Gewichte, allein ein anderer nachtheiliger Einfluss, der gleieh
crwahnt werden soil, findet dennoch audi dann statt.
y) Es bedarf namlich der eiserne Schenkel uberhaupt etwa nur den dritten
Theil der Schmiere, welche ein hblzerner verlangt^ theils weil ietzterer an sich
einen grosseren Umfang hat, theils urn r.achtheilige Erhitzungen beim schnellen
Fahren und Sclbstentziindungen zu veihiiten. Nun aber dringt diese Schmiere
unabwendlich in das Holz selbst ein, und dadurch wird der Schenkel allmalig
Fuhrwerke.
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unci frither zerstort, als es ausserdem geschehen wiirtle. Audi hiervon abgesehen
ist tier viel geringere Bedarf an Schmiere und die grtissere Unabhangigkeit von
diesera Stoffe ein recht wesentlicher Vortheil tier eisernen Schenkel.
Als Resultat aller dieser Bemerkungen kann es niclit zweifelliaft sein, dass
im Allgemeinen eiserne Schenkel, ungeachtet tier grosseren Kosten, stets vorzn-
ziehen sind, unbedingt aber dann, wenn die Fuhrwerke langere Zeit unbenutzt
hingestellt oder in Vorrath verfertigt wertlen, wie es zum Beispiel mit dem
grossten Theile militarischer Fuhrwerke tier Fall ist.
An der Nabe des Ratles A Fig. 1683 unterscheidet man den mittleren und
dickeren cylindrischen Theil, in welchen die Speichen eingelassen sind, er heisst
tier Busch oder Haufen c Fig. 1684; dann den abgekiirzt kegelforraigen Theil,
tier an die Mittelachse trifft und hier Stoss genannt wird a Fig. 1684, endlicli
den vorderen langeren Theil, welcher die Roll re heisst b Fig. 1684.
Die Lange der Nabe ist von der Belastung nicht abhangig, wenn sie nur
so lang ist, dass die Richtung ties Druckes in ihr vollig unterstiitzt wird. Au.s
wichtigen, spater zu besprechenden Griinden haben die Speichen f keine senk-
rechte Stellung, sondern sind gegen aussen geueigt, und desshalb muss die Nabe
eine solche Lange bekommen, dass das Perpentlikel von dem oberen Theile ties
Fig. 1683.
Ratles auch bei Seiteiibewegtmgen noch stets durchsie hindurchgelit. Eine grossere
Lange ist iiberfliissig, und obgleich die Schmiere dadarch mehr erhalten wird, so
ist sie doch unbequem und storend wegen des Anneinantlerfahrens mit anderen
Fuhrwerken oder in engen Wegen. Dann macht man die Nabe wohl 65 — 75mm
kiirzer als den Schenkel, urn die Stossscheiben zur Vera'nderung tier Spurweito
anbringen zu konnen ; ahnliche Scheiben , auch ohne Beriicksichtigung dieses
Zweckes, sind iiberhaupt zur Verininderung der Seitenreibungen sehr angemessen.
Die Lange tier Nabe wird ctwa zwischen 34 — 63om betragen. Die Dicke im
Haufen oder Busch muss eine geniigentle Befestigung tier Speichen an dieser
Stelle zulassen, und daher verlangen hohe Ratler oder grosse Belaslungen —
weil bei ihnen die Krafte zum Losbiegen tier Speichen grosser sind — starkere
Naben. Im Allgemeinen verdienen kurze und dicke Naben den Vorzug, und eine
Starke tlerselben von 32 — 37cm ware in vielen Fallen weit praktischer als die
41*
644
Fuhrwerke.
langen und dtinnen Naben, die vorkommen. Urn die Nabe werden gewohnlich
eiserne Bander d1 d" d3 Fig. 1684 gelegt, eins vorn an der Rohre und eins
hinten am Stoss, und haufig audi noch an der vorderen und hinteren Seite des
Haufens.
Wiclitiger als jene Bander ist die Art, wie die Bohrung dieses Theiles
durch einen Beschlag ausgefiittert und gesichert ist. Man nennt ihn die Biichse
und er bestelit entweder nur aus zwei breiten Ringen, die vorn und hinten in
die Bohrung eingelassen werden, oder besser lasst man die Biichse in Form einer
Rohre B Fig. 1684 ganz durchgehen. Dann hat sie in der Gegend der Mitte
eine geringe Erweiterung (die sogenannte Kammer), urn die Schmiere besser
Fig. 1684.
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zu halten. Stets muss die Substanz der Biichse weicher sein als der Schenkel
oder dessen Beschlag, damit bei den unvermeidlichen Abnutzungen der Schenkel
so viel wie moglich geschont werde, indem Ausschleifungen der Biichse an sich
weniger nachtheilisr sind, und auch leichter verbessert werden konnen als Be-
Fuhrwerke. 645
schadigungen des Schenkels. Bei hblzernen Schenkeln mit geharteten oder stah-
lernen Achseisen kann man zu der Btichse Schmiedeisen nehmen, bei eisernen
Schenkeln wahlt man dazu Messing oder Bronze.
Bei neuen Radern soil zwischen der Oeffnung der Biicbse and der Dicke
des Schenkels kein merkbarer Unterschied stattfinden, oder das Rad soil ohne
Spielraum auf den Schenkeln stecken. Nach einiger Zeit des Gebrauches tritt
ein solcber Spielraum unvermeidlich ein, und er tragt spaterhin besonders zum
Ruin der Fubrwerke bei, weil derselbe den Druck, den Achse und Rad eigentlicb
erleiden sollten, in stossartige Bewegungen verwandelt, und dadurch die ergriff'enen
Theile ungleich mehr zu leiden haben.
Der nachste wichtige Bestandtheil des Rades sind die Speichen /; bei
gewohnlichen Radern sind deren 12, bei ganz hohen wohl 16 Stuck. An der
Speiche unterscheidet man das Blatt h, welches in die Nabe eingelassen wird,
das Mittelstuck/ und den Zap fen a, der in die Felgen i tritt. Das Blatt
ist entweder vierkantig pyramidal geformt oder sckwalbenschwanzformig.
Die Oeffnungen im Busch heissen Stemmungen c, c, sie gehen ganz
hindurch, und zum Einlassen der Speichen wird die Nabe mitunter in einer Lauge
mehrere Stunden lang gekocht, in diesem erweichten Zustande kann selbst ein
starkeres Blatt eingetrieben werden. Die Befestigung in der Felge geschieht
durch den Zapfen, in welchen nach dem Einsetzen ein Spalt gehauen wird, um
einen Keil d Fig. 1683 von weichem Holze nachzuschlagen. Das Mittelstuck ist
in der Regel nicht voliig rund gebildet, sondern mit einem langlich runden Quer-
schnitte, dessen grosserer Durchmesser die Stellung nach der Breite des Fuhr-
werkes bekommt. Man wahlt diese Form, weil die zerbrechenden Gewalten durch
die Seitenbewegungen meistens nach der Richtung der Breite wirken, und also
der Widerstand dann grosser ist als bei kreisformigem Querschnitte. Das Mittel-
stuck ist ferner haufig nicht ganz gerade, sondern so geformt, dass das aussere
Ende etwas nach einwarts gebogen ist, damit diejenigen Speichen, welche eben
unten stehen, mehr in ibrer eigenen Richtung in Anspruch genommen werden.
Alsdann ist der Widerstand ihrer riickwirkendeu Festigkeit weit grosser als der-
jenige gegen das Zerbrechen, wenn der etwas vor der senkrechten Stellung sich
befindende Korper voliig gerade geformt ware. Bisweilen werden die Speichen,
einzeln abwechselnd, im Busch um etwa einen Zoll weiter vorwarts oder riickwarts
eingelassen, welches man die Versetzung derselben nennt.
Endlich stehen mitunter je zwei Speichen einander etwas naher als den
ihnen benachbarten, welches mit dem Namen gekuppolte Speichen bezeichnet
wird. Man thut dies, um da, wo zwei Felgen zusammentreffen, die Speichen
dieser Fuge naher zu bringen und so eine festere Verbindung zu erhalten.
Am wichtigsten fur die Construction des Rades ist nun die Abweichung der
Speichen von der senkrechten Stellung gegen Achse und Nabe. Man setzt sie
namlich so ein, dass — wie schon angefiihrt ist — sie sich vor der senkrechten
Richtung befinden, und nennt diese Abweichung die Sttirzung oder denSturz
derselben. Sie betragt 1/12 bis Ys c^es Radhalbmessers und wird bei lange ge-
brauchten Radern allmalig schwacher. Diese Sttirzung, wodurch also das Rad
nicht mehr eine scheibenformige, sondern im Allgemeinen eine kegelformige Gestalt
annimmt, hat wesentliche Vortheile gegen eine senkrechte Stellung. Ein Rad von dieser
Form, auf einen verjtingten Schenkel gesteckt, stellt sich nothwendig so, dass die unteren
Speichen fast senkrecht stehen, also im Sinne ihrer ritckwirkenden Festigkeit angegriffen
werden, und ein Einbiegen der Speichen nach der Breite des Fuhrwerkes kiinnte nicht
anders eintreten, als wenn gleichzeitig der Kranz des Rades aus einander gerissen
wiirde. Nun ist aber dieser Kranz jetzt von einem geringeren Umfange, als er
es bei der namlichen Lage der Speiclien in senkrechtor Stellung sein wiirde. und
mithin widersteht aus diesen beiden Griinden die ganze Vorrichtung weit sicherer,
als es ohne Sttirzung moglich ware. Rader, die mit starken Belastungen auf
unebenen Bahnen gebraucht werden sollen, sind ohne Sttirzung voliig untauglich
046 Fuhrwerke.
weil die stossartigen Krafte, welche seitwarts gegen die Speichen wirken, ein
Einbiegen and Losbrechen derselben sehr bald zur Folge haben mussten. Ausser-
dem bewirkt die Stiirzung, dass der obere Theil des Rades weiter auswarls zu
stehen kommt, wodurch der Raum zwischen den Radern erweitert wird, was oft
wiclitig ist. Ura bei Kutseli- und Reisewagen, zumal von geringer Spurweite
oder bei meist cylindrischen Schenkeln, diese Annehmlichkeit noch mehr herbei-
zufiihren, pflegt man sogar die untere Seite des Schenkels nicht in horizontaler
Stellung zu bclassen, sondern man biegt sie etwas abwarts, wodurch die unteren
Theile der Rader auf dem Boden einander naher gebracht und die oberen Theile
zur Aufnalime des Kutschkastens noch weiter von einander entfernt werden ;
dadurch wird jedoch der gleichmassige Gang des Rades gestort.
Eine zu grosse Stiirzung hat den Nachtheil, dass die Nabe langer werden
muss und dass die zu schrag gestellten Speichen in tiefem Boden seitwarts ge-
sclieuert werden und die Geleise aufreissen.
Es ergibt sich hieraus noch schliesslich, dass : Stellung des Schenkels gegen
die Mittelachse, Lange der Nabe und Stiirzung Anordnungen sind, die einander
gegenseitig bedingen.
Der Kranz des Rades besteht bekanntlich aus den holzernen Felgen i Fig.
1683, deren Anzahl gewbhnlich sechs betragt, welche unter einander bei K ver-
zapft sind, ilire cigentliche sichere Verbindung aber erst durch die Speichen und
den Beschlag (Reifen -p) erhalten. Urn das Spalten der Felgen zu verhindern,
sind die Felgenniete / angebracht. Die Hohe der Felgen in der Rich tun g des
Halbmessers betragt etwa 75 — 100""", und sie braucht bei hoheren Radern nicht
gerade grosser zu sein, weil sie nur dazu dient, die Speichen lialtbar zu binden.
Lasst man den Kranz aus mehr als sechs Felgen bestehen, so wird jedes einzelne
Stiick zwar giinstiger gewachsen sein und weniger iiberspanige Stellen besitzen,
allein die dauerhafte Verbindung ist alsdann auch sclnvieriger zu bewerkstelligen.
Vortheilhaft sind die Felgen aus gebogenem Ilolze.
Fur alle Fuhrwerke, noch mehr aber fur die von ilinen befahrenen Wege,
ist die Breite der Felgen ein liochst wichtiger Gegenstand. Die breitere
Felge vertheilt natiirlich den Dr.ick der Belastung auf eine grossere Fliiche des
Erdbodens, und wirkt dalier weniger einschneidend und weniger ungiinstig fur die
Balm. Dies gilt audi noch von eigentlichen Kunststrassen, die bei manchen
Witterungsverhaltnissen einem ahnlichen Verderben ausgesetzt sind. Auf unebenen
oder auf gepflasterten Strassen deckt die breite Felge die Unebenheit mehr zu,
verhindert daher in etwas das bestandige llin- und Ilerschleudern des Fuhrwerkes,
wodurch dieses selbst und die fortzuschaffenden Gegenstande wesentlich geschont
werden. Je mehr nun der Staat filr gute Kunststrassen sorgt, desto grosser, ja
selbst ganz unverhaltnissmassig. werden die Lasteu, die der Fuhrmann auf jedes
Pferd ladet, und urn so sorgfaltiger sollten die verderblichen schmalen Felgen
beseitigt werden. Eine geringere Breite als 100""a (wie sie noch so haufig an
Frachtkarren vorkomint) sollte giinzlich von den Kunststrassen ausgeschlossen
sein, und es sollte durch Herabsetzung des Weggeldes bei zunehmender Breite
die Einfiihrung dieser letztern audi fur Land fuhrwerke befdrdert werden. Ausser-
dem wird der Beschlag des Rades bei breiteiem Krauze weit mehr geschont als
bei schmalem : endlich ist auch eine nicht ganz unerhebliche Verminderung der
Zugkraft die Folge des gleichmiissigeren Ganges der breitfelgigen Fuhrwerke.
Gegen die breiten Felgen hat man das grossere Gewicht der Rader ange-
ftihrt; allein dieser Einwurf zerfallt in sich selbst. Als Nachtheil ist wohl zu
nennen, dass auf Land- und Feldwegen bis jetzt die breiten Felgen nicht Spur
halten und dass auf stark gewolbten Kunststrassen ein damit versehener Wagen
bei glatter Balm im Winter mit dem Hintergestell leicht seitwarts abgleitet,
welches allerdings fiir die Pferde eine ziemliche Belastigung ist, oder Avenigstens
zur Vermeidung einen aufmerksamen Fuhrmann fordert. Da man aber aus anderen
Fuhrwerke. 647
Griinden von den friihcren starken Wolbungen dcr Strassen mehr zuriickkomrnt,
so wird auch dieser letzte Einwurf wenig Bedeutung behalten.
Es wiirde wegen aller dieser Verhaltnisse eine gesetzliche Vorschrift, welclie
fiir eigentliche Frachtfuhrwerke die Breite der Felgcn festsetzte, in jeder Hinsiclit
gerecht und lobenswertli sein.
Der eiserne Beschlag des Rades besteht entweder aus einem Reif p (bei
breiten Felgen aus zwei neben einander liegenden) oder aus einzelnen Eisenstlicken,
welcbe Schienen genannt werden. In beiden Fallen geschieht die Befestignng
auf den Felgen durch Nagel oder Schraubenbolzen m, deren Kopfe versenkt sein
miissen. Der zusamraenhangende Reif gibt — bei sonst richtiger Arbeit — dem
Rade unfehlbar mehr Festigkeit, und besonders erhalt er sicherer die so hbclist
wichtige, vbllig runde Gestalt des Rades ; rait Schienen beschlagt man meist nur
solche Rader, die gewaltsamen Beschadigungen ansgesetzt sind, wie z. B. bei
manchen Militar-Fuhrwerken, weil sie hierbei eine einfachere Ausbesserung zu-
lassen als der Reif. Die Schienen miissen so gelegt werden, dass sie auf der
Mitte einer Felge zusammentreffen, damit die Fugen zwischen den Felgen destb
mehr verdeckt und geschiitzt werden.
Geleitet durch die eisernen Rader der auf den Eisenbahnen gehenden Wagen
hat man neuerdings versucht, die Rader auch anderer Fuhrwerke ganz von Eisen
zu verfertigen. Abgesehen von den grosseren Kosten leidet es keinen Zweifel,
dass eiserne Naben und Speichen sehr vorziiglich sein wiirden. Der Kranz von
Schmiedeisen ist jedoch zu nachgebend, gestattet fortwahrende Aenderungen in
der Gestalt des Rades, und von Gusseisen wiirde er fur gewbhnliche Wege wohl
zerbrechlicher sein als gute hblzerne Felgen mit tiichtigem Beschlage.
Unter Spurweite versteht man bekanntlich den Abstand, den die Rader
auf dem Boden stehend von einander haben, und zwar ist man nicht allgemein
dariiber einverstanden, ob es der innere Abstand oder der von der Mitte zu Mitte
sein soil. Wenn man von der verschiedenen Breite der Felgen unabhangig bleibeu
will, so ist es am besten, den innern Abstand zu nehmen, obgleich meistens der
von Mitte zu Mitte gerechnet wird. Die Weite der Spur liegt in Mitteleuropa so
ziemlich allgeraein zwischen 134 — 158tm, und die aus dieser verdriesslichen Ver-
schiedenheit entspringenden Uebelstande in der Weite der Geleise auf Feldwegen
und dergleichen sind leider hinlanglich bekannt.
Eine weite Spur hat grosse Vorztige vor einer engen. Sie gestattet hbhere
Rader, ohne dass das Fuhrwerk an festem Stande verliert, und bei gleieher Hbhe
wird die Stabilitat grosser; sie gewahrt einen breiteren Raum fiir die Bepackung,
so dass der Schwerpunkt derselben niedriger zu liegen kommt, welches von
Neuem den festen Stand erhbht. Aus den pag. 636 angegebenen Griinden findet
zwischen der Spurweite und der Hbhe der Rader ein sich gegenseitig bedingendes
Verhaltniss statt, indem die Einfiihrung hbherer Rader nothwendig eine weitere
Spur fordert, wenn nicht die Stabilitat bedeutend gefa'hrdet werden soil. Eine
ungewbhnlich weite Spur kann nur in Gebirgspassen, wo regelmassig Fuhrwerke
mit enger Spur gehen, ein grosses und vielleicht nicht zu besiegendes Hinderniss
abgeben ; in alien iibrigen Fallen, namentlich auf Kunststrassen, wo die landes-
iibliche Spurweite wenig in Betracht kommt, gewahrt sie einleuchtende Vorziige.
Bereits pag. 641 ist gesagt, wie man bei cylindrischen oder wenig verjiingten
Schenkeln durch aufgesteckte Ringe die Weite der Spur andern kbnne, und wenn
eine solche Anschliessung auch nur die Grenzen von 50 — 63mm betragt, so ist
das unter Umstanden schon ein wichtiger Gewinn.
In Beziehung auf die Hbhe der Rader ist friiher (pag. 632 und 634x
angefiihrt, dass clas hbhere Rad fiir die Zugkraft einen grosseren Erfolg. d. h.
einen leichteren Gang herbeifiihrt. Hier ist noch zu bemerken, dass ein holies Rad
Unebenheiten, Vertiefungen, Graben u. dgl. mehr zudeckt, Hindernisse leichter
iiberwindet und, weil es weniger keilartig wirkt, auch in tiefem und sandigem
Boden weniger einschneidet, als ein niedriges, und dies sind in dieser Hinsicht
wichtige Vorziige. Hbhere Rader machen beim Zuriicklegen desselben Weges
648 Fuhrwerke.
eine geringere Anzahl von Umlaufen, sie ruiniren also die Beschlage weniger,
erhitzen sich nicht so stark wie niedrigere, verbrauchen weniger Schmiere, endlich
werden Achse und Schenkel in tiefen Wegen nicht so leiclit beschmutzt u. dgl.
Der einzige Einwurf von Belang gegen die hoheren Rader ist in der That
ihr leichteres Umwerfen ; man wirkt ihm aber durch eine entsprechende Spurweite
und zweckmassige Bepackung entgegen ; dass sie etwas zerbrechlicher sein mogen,
ist allerdings richtig, jedoch wird dieser Unterschied in den gewohnlichen Grenzen
wenig bedeuten. Wenn der Halbmesser des Rades die Brusthohe der Pferde
iibersteigt, so lasst man sehr zweckmassig die Zugstrange unter der Deichsel
angreifen. Obgleich nun die Beschaffenheit ganzer Landstreeken, so wie die Grosse
des Mittelschlages der zu verwendenden Pferde fur diese wie fiir manche Einrich-
tung an Fuhrwerken mitsprechen, so leidet es doch keinen Zweifel, dass fur
Deutschland und einen grossen Theil des mittleren Europas uberhaupt eine Hohe
der Rader von 5 Fuss keineswegs zu bedeutend ist, wobei nur beriicksichtigt
werden muss, dass aus Griinden, die sich bei der Zusammensetzung des Gestelles
ergeben werden, die Vorderrader in der Regel etwas niedriger als die Hinter-
rader sein miissen.
Man kann noch hinzufiigen, weil bei Radern mit breiten Felgen eine ver-
mehrte Hohe in der einen Beziehung nachtheiliger einwirkt, dass das grossere
Gewiclit derselben beim Aufwartsfahren (pag. 635) einen merkbaren Einfluss
aussern wird, weil in diesem Falle jedes gesteigerte Gewicht eine nicht unerheb-
liche Vermelirung der Zugkriifte erfordert.
Zum Schlusse dieser einzelnen Betrachtungen muss noch eine kurze Er-
wahnung der Methoden folgen, wie man das Rad auf dem Schenkel E Fig. 1684
befestigt.
Die einfachste Vorrichtung dieser Art ist der Vorstecker oder Liinz G
ohne andere kiinstliche Mittel als allenfalls einen kleinen Riemen, der durch ein
Oehr in dem unteren Theile desselben gezogen wird, urn das Herausfliegen aus
dem Liinzloche doch einigermassen zu verhuten.
Nun folgt der Liinz oder Splint, welcher unten mit einer abstehenden Feder
versehen ist, ohne deren Zerbrechen das Abfliegen nicht moglich ist ; allein bei
raschem Fahren auf liartem unebenem Boden zerbriclit diese Feder auch ziemlich
leicht. Von dieser Einrichtung des Liinzes gibt cs iibrigens eine Menge Abarten,
theils mit, tlieils ohne Federn ; ihre Anftihrung hat keine besondere Wichtigkeit.
Sodann hat man dem Schenkel an seinem vorderen Ende einen Schraubengang
gegeben, auf welehen eine Mutter festgeschraubt wird, und vor dieser pflegt man
noch einen kleinen Liinz anzubringen. Ware diese Schraube an der linken Seite
des Fuhrwerkes eine solche mit rechtem Gewinde, eine rechts eingeschnittene,
so wiirde durch den Druck und die Seitenreibung der Vorderflache der Nabe
gegen die aufgeschraubte Mutter diese nothwendig und sehr bald gelost werden.
Man schneidet daher an der genaunten Seite die Schraubengewinde links ein,
wodurch die bezeichnete Reibung die Losung derselben nicht bewirken kann.
Eine sinnreiche und wichtige Verbesserung aller dieser Bemiihungen bieten
endlich die sogenannten Patentbiichsen dar, und sie haben die Aufgabe vbllig
aufgelost. Der Schenkel ist urn etwas kiirzer als gewohnlich, und wiirde durch
die Nabe nicht vollig hindurchtreten ; an der Stelle desselben, wo der Stoss der
Nabe anfangt (also ungefahr auf a/4 seiner Liinge von vorn) ist er mit einer
cylindrischen oder linsenformigen Verstarkung versehen, welche etwa 50 — 75mm
mehr im Durchmesser hat als der Schenkel an dieser Stelle, und diese wulst-
artige Verstarkung mag eine Dicke von beilaufig 25 — 40mm haben. Die Nabe
besteht aus zwei Theilen, namlich dem Stosse fiir sich und dem Haufen oder
Busch mit der Rohre fiir sich.
Der Stoss kann gleich bei der Zusammensetzung des Gestelles auf die
Aehse gebracht werden : jene cylindrische Verstarkung des Schenkels wird von
einer entsprechenden Erweiterung der Biichse aufgenommen, welche sich am hin-
teren Ende des Haufens befindet. Vorn ist die Nabe durch eine starke Metall-
Fuhrwerke. 649
platte geschlossen. Sind nun beide Theile der Nabe auf den Schenkel geschoben,
so stossen sie hinter jener Verstarkung gegen einander und der Stoss bildet den
Stiitzpunkt fur die Verstarkung des Schenkels nach hinten-, er kann daber ein-
facher in Form einer starken Platte gebildet sein. Zur Vereinigung beider Theile
gehen nun drei Schraubenbolzen von hinten nach vorn der Lange nacli durch die
Nabe, und werden vor der vorderen Metallplatte durch aufgeschraubte Muttern
gehalten. Man erkennt leicht, dass das Ablaufen eines so befestigten Rades
ohne ganzliches Zerbrechen der Nabe unmoglich ist, und die Beweglichkeit bleibt
eben so frei wie vorhin, ja der Gang wird eigentlich noch gleichmassiger als
sonst ausfallen. Da ausserdem die Nabe ganz geschlossen ist7 so wird ein Ab-
laufen der Schmiere verhindert, und man bedient sich nun mit vielem Erfolge
dazu des Oeles ; die Biichse hat eine etwas grossere Kammer als gewohnlich,
zwischen den Stemmungen zweier Speichen fiihrt ein Loch, welches durch eine
Schraube geschlossen werden kann, in die Kammer, und durch dieses giesst man
das Oel ein. Der Verbrauch und die Kosten sind ungleich geringer als bei jeder
andem Art zu schmieren, da die Erneuerung begreiflicher Weise weit seltener
nothig wird. Weil diese Patentbiiclisen indess den Preis eines Fuhrwerkes ziemlich
betrachtlich erhdhen, so werden sie fur jetzt nur bei iiberhaupt kostbaren Ein-
richtungen angewendet. (Naheres siehe unten.)
Auf dem gewohnlichen Liinz, so wie an den Enden der Mittelachse bringt
man gebogene starke Metallplatten zum Schutze des Schenkels gegen den vom
oberen Theile des Rades herabfallenclen Schmutz an ; besser noch umgibt man
zu eben diesem Zwecke die Nabe, sowohl vor der Rohre wie hinter dem Stoss,
mit einem ganz umhergehenden metallenen Ringe von einigen Zoll Breite, man
nennt ihn die Kappe der Nabe.
Von den eben erwahnten Patentbiiclisen seien zwei Arten naher beschrieben,
welche unter dem Namen C o 1 1 i n g e und Mail bekannt sind, und sich beide
ganz vorziiglich bewahrt haben. In nachstehenden Abbildungen stellen Fig. 1685
bis 1693 die Collinge- Achse und Fig. 1694 bis 1699 die Mail-Achse
im 4. Theile wahrer Grosse dar.
Bei beiden Achsen und Biichsen sind gleiche Theile mit gleichen Bueh-
staben bezeichnet. So bedeutet in sammtlichen Figuren A die Achse (im engeren
Sinne genommen), d. h. den Theil des ganzen schmiedeisernen Korpers, welcher
frei zwischen den beiden Radern zu liegen kommt, wahrend B der sogenannte
Achsschenkel ist, um welchen sich die Biichse (Nab en biichse) D dreht, die dem
Schenkel B zur Pfanne client, in der Radnabe festgekeilt wird, und mit dem Rade
zugleich um B herumlauft. E ist eine cylindrische Verstarkung der Achse, der
sogenannte Stoss, wogegen sich, wie aus den Durchschnitten Fig. 1686 und 1695
erhellt, bei beiden Achsgattnngen der hintere (weitere) Theil der gusseisernen
Biichse D lehnt. Zwischen beiden ist (Fig. 1686) eine ringformige Lederscheibe v
gelegt, die sowohl zur Dichtung als auch dazu dienen soil, etwaige Seitenstosse
minder schadlich zu machen. Die ebenfalls cylindrische Erweiterung F der Biichse
D bildet in ihrem hohlen Raume die Kammer zur Aufnahme der Schmiere, zu
welchem Raume man jedoch nur gelangen kann, wenn alle Theile der ganzen
Patentbiichse auseinander genommen werden.*) Wie verhaltnissmassig selten bei
den Collinge- Patentbiiclisen das Erneuern der Schmiere nothwendig wird, davon
ist Referenten ein Beispiel bekannt, wo ein Wagen mit derartigen Achsen ver-
sehen iiber 1/q Jahr (fast taglich) im Gebrauche war, ohne dass die Schmiere
f) Auf der Londoner Industrie-Ausstellung 1851 batten die Birminglianier Patentachsen-
Fabrikanten Eykyn & Millichap Co Hinge -Achsen und Biichsen ausgestellt, wo
durch den Stoss E fur das Einbringen von Oel ein Loch gebohrt und durch eine
Schraube verschlossen war. Ausserdem hatte man das hintere (starkere) Ende des
Schenkels B mit zwei flachgangigen Schraubengewinden versehen, die beim Einbringen
des Schenkels durch eine betreffende Mutter in die Biichse geschoben werden mussten,
nachher aber frei in die Oelkammer F zu liegen kanien. Beim Yorwartsfahren des
Wagens boten diese Gewinde ein neues Sicherheitsmittel gegen das Ablaufen dar.
650
Fuhrwerke.
Fig. 1685.
Fig. 1686.
°S1A^ ;- " ■ '-^mmmmmmJf
—
J . ,
Fig. 1687. Fig. 1688. Fig. 1689, 1690. Fig. 1696. Fig. 1698.
iH Hi
Fig. 1691, 1692, 1693,
Fig. 1694.
Fig. 1695.
Fig. 1697. Fig. 1699.
Fuhrwcrke. 651
ganzlich verzehrt worden ware. Der Hauptunterschied genamiter beiden Patent-
achsen liegt in der Art tind Weise, wie das Ablaufen der Achsbtichse D, respective
des ganzen Rades, vermieden wird.
Bei Collinge ist der betreffende Haupttheil der sogenannte Kragen x (Fig.
1691 bis 1693 in drei verschiedenen Ansichten gezeichnet), gegen dessen schiefe
Flache a [3 sich der vordere dunnere Theil der Biichse D lehnt, wie Fig. 16S6
hinlanglich erkennen lasst. Innerhalb ist dieser Ring nicht ganz kreisformig,
sondern an einer Stelle 3 abgeplattet, welche Abplattung rait dem ebenso gestal-
teten Theil w des Achsschenkels iibereinstimmt,wovo,n Fig. 1689 den Durch-
schnitt nach der Linie 3.4 von Fig. 1685 zeigt. Man wird leicht erkennen, dass
der Zweck dieser Anordnung einfach der ist, das Drehen des Kragen s zn ver-
hindern, wenn derselbe auf der gehorigen Stelle aufgebraclit wnrde. Der Kragen
x wird wieder mittelst der beiden Schraubenmuttern y und z an dem Herunter-
schieben in der Achsenrichtung verhindert, wozu nnter Umstanden die Achsbiichse
D ein nicht geringes Bestreben hervorbringt. Dabei ist die eine Schranbe y eine
rechts-, dagegen z eine linksgangige, damit sowohl beim Vor- wie Riickwarts-
fahren ein Losgehen niclit zu befiirchten steht ; endlich wird noch vor die Mutter
z ein Vorsteckstift u eingebracht. Das ganze vordere Ende der Biichse D wird
iiberdies von einer Staubkapsel G verschlossen.
Jede der Biichsen D ist an ihrer Aussentiache am starkeren Theile mit
zwei Nasen k versehen, die zum Festkeilen der Biichse in der holzernen Radnabe,
und also dazu dienen, ein Umdrehen der Biichse in der Nabe zu verliindern.
Schliesslich werde bemerkt, dass q eine Schmierrille und C der Lappen ist, auf
welchem die Federn zum Tragen des Wagenkastens befestigt werden.
Bei der M a i 1 - Patentachse wird das Ablaufen der Biichse D nebst Rad
vom Schenkel B mittelst zweier schmiedeiserner Scheiben 8 und T, Fig. 1694,
vermieden, welche durch drei Schraubenbolzen a mit einander vereinigt sind und
die Biichse D zwischen sich fassen. Dabei ist b wieder eine Lederscheibe, gegen
welche sich der ausserste, besonders abgedrehte Rand m (Fig. 1695) am weiten
Ende der Biichse lehnt und beim Umdrehen der Biichse reibt. Von den in Fig.
1695 weggelassenen Scheiben T und S hat letztere ihren Platz in dem ringfor-
migen Raume n n zwischen der Kapsel G und der Biichse D.
Ueber die Vorziige der einen oder anderen der beschriebenen Achsen ist
man selbst in ihrem Vaterlande England nocli nicht ganz einig.
Einleuchten diirfte jedoch die grcissere Sicherheit der Mail-Biichse, weil hier
ein Losgehen der drei Schraubenmuttern c gewiss weit weniger zu erwarten ist,
als dies bei den Schrauben y u. z der Collinge der Fall ist, welche den ganzen
Seitendruck der Biichse D auszuhalten haben, der bei Mail von dem Ansatze E
gegen welchen sich im schlimmsten Falle die Lederscheibe b lehnt, aufgenommen
wird. Dagegen haben die Collinge-Biichsen den Vorzug des grosseren Dichthaltens gegen
Schmutz und Staub, was sofort aus der Vergleichung der Durchschnittsfiguren
Fig. 1686 und 1695 klar werden wird, wo bei der Mail der Achsschenkel B
vollig offen liegt, sobald die Staubbiichse G entfernt wird, bei der Collinge da-
gegen der Kragen x ein neues Mittel der Absperrung fur Unreinigkeiten bildet.
welche bereits in die Biichse G gelangt sein mochten. Dass Mail eine starkere
Nabe (unter sonst gleichen Umstanden) als Collinge erfordert, diirfte namentlich
fiir elegante Stadtwagen gegen jene sprechen, so wie andererseits der jedenfalls
hohere Preis der Collinge nicht ganz zu iibersehen sein wird.
Nachdem im Vorstehenden die Anfangsgriinde fiir die Einrichtung aller
Fuhrwerke und ihrer allgemeinen Verhaltnisse dargelegt waren, folgte eine Be-
schi-eibung der einzelnen Theile des Gestelles ; und es ist nun die Verbindung
dieser Theile zu dem Fuhrwerke selbst naher zu betrachten.
Dabei wird vorzugsweise der gewohnliche und wichtigste Zweck. zum Trans-
pose grosserer Lasten zu dienen, hier beriicksichtigt.
Man unterscheidet zunachst an jedem Fuhrwerke das Untergestell oder
den Unter wage n und das Obergestell oder den Oberwagen. Von
652 Fuhrwerke.
Wichtigkeit ist vorziiglich nur die Kenntniss des Untergestelles, weil dieses die
Leistimgen des Fuhrwerkes hauptsachlich bedingt; der Oberwagen ist einer all-
gemein zu bestimmenden Einrichtung gar nicbt fahig, indem die verschiedenen
Zwecke bald diese, bald jene Anordnung erfordern, welche haufig selbst auf dem
namlichen Untergestell ausgefiihrt werden kann.
Das Gestell eines Karrens ist hochst einfach; die Achse mit ihren
beiden Radern wird in zwei Trag- oder Schwungbaume eingelassen, und
durch Achsbiigel, Bander und Bolzen damit in feste Verbindung gesetzt. Diese
Tragbaume bilden mit ihrem hinteren Theile den oberen Raum fur die Bepaeknng
und sind durch Querholzer verbunden; ihre vorderen Theile kommen naher zu-
sammen und geben die Gabeldeichsel, Kluftdeichsel oder Scheere
zum Eispannen eines Pferdes. Sind mehrere Pferde noting, so mtissen sie daher
einzeln vor einander gespannt werden, und diese Anordnung, so wie besonders
die Lage des Pferdes in der Gabel ist fur schnelle Bewegungen sehr hinderlich.
Denn es leuchtet ein, dass dieses Pferd nicht allein den Theil der Last tragen
muss, der die Baume nach vorwarts niederdriickt, sondern beim raschen Fahren
wird das Thier, besonders auf unebenem Boden, durch das Hin- und Herschlagen
der Tragbaume auf eine gewaltsame Weise angestrengt und gequalt.
Die Bepackung des Karrens sollte eigentlich so geschehen, dass der Schwer-
punkt der Last genau iiber die Achse zu liegen kame, alsdann wurde keine nach
vorn niederdriickende Gewalt auf die Baume wirken, und das Gabelpferd hatte
in dieser Hinsicht nichts zu leiden. Allein bei einer solchen Bepackung wurde
beim Aufwartsfahren die Scnkrechte aus dem Schwerpunkte hinter die Achse
fallen, dadurch eine Drehung des Gestelles nach oben entstehen, und das Pferd
in der Gabel ware wohl kaum immer im Stande, diesen Gewalten Widerstand zu
leisten. Man muss daher von Haus aus die Belastung so packen, dass ihr Schwer-
punkt vor die Achse zu liegen kommt, dadurch ist die eben angefuhrte Drehung,
die man nicht gestatten darf, zu vermeiden ; aber es wird nun auch dem Pferde
fiir den gewohnlichen Zug auf ebenem Boden stets ein Theil der Last zum Tragen
aufgebitrdet.
Wie iibrigens die Lage des Schwerpunktes in dieser Hinsicht regulirt werden
soil, hangt von der Beschaffenheit der Wege ab, die man der Wahrscheinlichkeit
nach passiren muss, und Gebirgsgegenden erfordern desshalb andere Massregeln
als ein im Allgemeinen flaches Land.
Ein besonders ungiinstiges Verhaltuiss tritt fiir den Karren dann ein, wenn
derselbe — wie z. B. bei dem Durchschreiten von Graben oder Vertiefungen —
eine Drehung der Last bewirken muss ; das Gabelpferd befindet sich bereits auf
der neuen Richtung des Zuges, der Karren aber noch nicht, und es ist klar, wie
schwierig dieser Uebergang werden kann.
Endlich bietet das Karrengestell im Allgemeinen Aveniger Raum dar als
das Wagengestell ; bei Belastungen mancher Art, die viel Platz erfordern, rtickt
daher der Schwerpunkt holier; hierdurch, und durch den Umstand, dass die Last
nur auf ein em Gestelle liegt, ist der feste Stand des Karrens ungleich geringer
als der eines Wagens unter sonst gleichen Verhaltnissen. Andere Vergleichungs-
Momente werden sich spaterhin ergeben.
Das Untergestell eines Wagens besteht aus dem Hinter gestell, dem
Vor der gestell und der D e i c h s e 1.
Zum Hintergestell gehort die Achse a, und der Achsstock bt Fig. 1700, mit
den beiden Radern r, )\ 5 auf bt wird noch eine 75 — 100mm hohe Verstarkung
angebracht unter dem Namen des Achsschemels, und mit ihm durch Bander
vereinigt. Von ihm geht der Langbaum / mit seinen beiden Streben oder
Armen aus, und dient zur Verbindung des Hintergestelles mit dem Vordergestell ;
er gibt die Lenkung fiir das Hintergestell gerade so ab, wie die Deichsel dies
fiir das Vordergestell thut.
Das Vordergestell besteht wieder aus der Achse a mit den Radern ;• und
einem Achsschemel auf dem Achsstocke b] durch letzteren gehen die beiden
Fuhrwerkc.
653
Deichselarme d' d" hindurch, welche vor der Achse die Deichselscheere zur
Aufnahme der Deichsel d bilden ; hinter der Achse gehen sie beinahe bis zur
Liinge der Mittelachse auseinander, und sind an ihrem Ende — auf etwa 1 m
Abstand von der Achse — durch einen Querarm, Reibscheit oder L e n k-
scheit t verbunden. Eben weil von der Hinterachse der Langbaum, und von
der Vorderachse die Deichselarme ausgehen, muss beiden jene angebrachte Ver-
starkung gegeben werden, um die Achse selbst nicht zu schwachen.
Der Langbaum des Hintergestelles geht itber das Reibscheit weg, und tritt
sodann in eine vierkantige weite Oeffnung in dem Vorder-Achsschemel, wo er
durch den von oben durchgehenden Rei.b- oder Spann-Nagel n gehalten wird.
Das Reibscheit ist oben mit einer eisernen Schiene belegt, der vordere Theil des
Langbaumes endigt in eine eiserne Kappe, und in dieser Verbindung muss das
Vordergestell, d. h. die Deichselarme und die Deichselscheere, nothwendig eine
wagerechte Stellung annehmen. Mit der Deichsel ist der Schwengel s und an
diesem sind die Zugscheite (Trittel) z befestigt.
Zum Oberwagen gehort sodann der Wend- oder Lenkschemel, welcher
in der Regel convex gekriimmt auf dem Vorder-Achsschemel drehbar ruht, und durch
welchen der Spann-Nagel von oben hindurch geht. Dieser Wendschemel steht
mit dem Kasten oder den sonstigen Theilen des Oberwagens in fester Verbindung,
und auf der Hinterachse wird der Oberwagen ebenfalls durch entsprechende Vor-
richtungen, Rungen, Stemmleisten (audi wohl Niisse genannt) festgehalten.
Es kann daher die Vorderachse unter dem Wendescherael und Oberwagen ihre
Fig. 1700.
Stellung verandern, ohne dass dieser und die Hinterachse daran auf irgend eine
Weise Theil zu nehmen brauchen. Soil daher der Oberwagen im Ganzen eine
horizontale Stellung einnehmen, so muss der Halbmesser der Vorderrader um die
Hohe des Wendeschemels kleiner sein als der der Hinterrader. Dies ist der ge-
wohnliche Grund der kleinen Vorderrader; eine andere Veranlassung, sie noch
niedriger zu machen, findet statt, wenn man unterlaufende Rader haben will.
Von der hier beschriebenen Einrichtung des Vordergestelles ist das eigent-
liche K u t s c h- oder Bockgestell vollig verschieden. Bei ihm muss ein grosser
freier Raum liber der Vorderachse zur Anbringung des Bockes u. s. w. gewonnen
werden, in der Regel werden auch unterlaufende Rader angebracht, und darnach
muss sich die iibrigens hochst abweichende Construction sowohl des Unterwagens
wie des Oberwagens in diesen Theilen richten. Der Unterwagen weisst z. B. in
den Figuren 1701 u. 1702 keinen Langbaum auf, indem die betreffenden Ver-
bindungsstilcke in den Oberwagen gelegt sind. Es liegt nicht in dem Plane dieses
Artikels hiervon naher zu sprechen.
Als Material zum Unterwagen wird regelmassig Eichenholz genommen, weil
dessen grossere Festigkeit und Dauer doch ein iiberwiegender Vorzug trotz des
vermehrten Gewichtes ist. Bei leichteren Fuhrwerken benutzt man jedoch auch
654
Fuhrwerke.
B uclien und Ulmen. Ueberhaupt liangt die Festigkeit des Gestelles keineswegs
von der Masse und Dicke des verwendeten Materiales ab, sondern mehr noch
von der zweckmassigcn Form, Gegeneinanderstellung und Verbindung der Theile.
Es dient die Deichsel und zunachst die einfache Deichsel dazu, um durcli
eine bestimmte Stellung derselben der Vorderachse eine veranderte Lage unter
deni Wendeschemel und Oberwagen zu ertheilen. Wird nun der Wagen in Be-
wegung gesetzt, so muss der veranderte Zug der Pferde gegen die Achse und die
hierdurch bedingte seitliche Pressung des Langbaumes das Hintergestelle veran-
lassen in die neue Richtung iiberzugehen. Natiirlich dient bei gleichmassiger
Fiihrung der Pferde die Deichsel dazu, die Richtung der Bewegung iiberhaupt zu
erhalten, wie zu lenken.
Fig. 1701.
Auf oder unter der Deichsel, nach Massgabe der Hohe der Rader, liegt zur
Verbindung der Zugstrange niit der Achse und dem Fuhrwerke die Wage (der
grosse Schwengel), woran die kleinen Schwengel oder Zugscheite (Trittel)
befestigt sind, an welche die Strange angeschlungen werden.
Fig. 1702.
Bei alien Fuhrwerken ist ihre L e n k b a r k.e i t, d. i. die Fahigkeit der
Riclitiingsiinderung, von besonderer Bedeutung. Indem die Richtungsanderuug des
ganzen Wagens keine plbtzliche sein kann, sondern in einem Bogen stattfinden
muss, welchen die Rader des Hintergestelles durchlaufen, so ist die Lenkbarkeit
um so grosser, je scharfer gekriimmt dieser Bogen sein kann.
Wenn man das in Figur 1700 gezeichnete Untergestelle betrachtet und
sich das Vordergestelle um den Reibnagel n gedreht denkt, so ersieht man
leieht, dass diese Drehung alsbald begrenzt ist; wenn eines der Vorderrader gegen
Fuhrwerke. — Fumarin. 655
den Langbaum stb'sst. Es bezeichnet dies die Grenze der Abweichung; und
indem man die Vorderachse und Hinterachse so weit verlangert denkt, bis sie sich
schneiden, so erhalt man den Drehungsmittelpunkt, also auch den Radius des
kleinsten Kreises, in welchem sich das Fuhrwerk bewegen kann. Es ist nun
leieht ersichtlich, dass jener Radius grosser werden muss — also die Lenkbarkeit
abnimmt - — wenn der Langbaum bedeutende Lange hat, ferner wenn die Spur-
weite der Rader eine geringere ist.
In den wenigsten Fallen ist jedoch das Vordergestelle so weit beweglieh,
dass eines der Rader den Langbaum beriiliren kann, sondern meist wird die Be-
wegung durch den Oberwagen friiher begrenzt. Daher ist auch die Breite des
Oberwagens und die Orosse der Vorderrader von wesentlichem Einflusse auf die
Lenkbarkeit; und trachtet man namentlich durch entsprechende Form des Ober-
wagens, z. B. Einschnitte am Wagenkasten, die Hindernisse zu vermindern.
Mit den Anforderungen, welche im Sinne der Lenkbarkeit an ein Fuhrwerk
gestellt werden miissen, kreuzen sich die Forderungen, welche man betreffs der
Stabilitat stellen muss. Der Schwerpunkt der Last soil thunlichst tief liegen,
es bedingt dies breite, niedere Oberwagen. Dieser Collision begegnet man durch
solche Wahl der Dimensionen, wie sie die Erfahrung festgesetzt hat.
Beim Abwartsfahren werden haufig Hemmungsvorrichtungen erfor-
derlicli, wohin die Hemmkette, der Hemm- oder Radschuh, die H emm-
schraube oder Bremse zu zahlen sind. Vgl.denArt. Bremse II pag. 7 bis 10.
Beziiglich der Zugkraft der Fferde und ihrer Ermittlung vergleiche die
Artikel: Arbeit Ipag. 188, Dynamometer II pag. 706 und Pferdekraft;
hier sei nur bemerkt, dass man auf guten Strassen pr. 1 Pferd eine Belastung
von 30 — 50 Zoll Cent, bei einer Geschwindigkeit (Schritt) von 1.1 bis 1.3m und
von 5 Zoll-Cent. bei 3m Geschwindigkeit (Trab) rechnen kann, in welcher Bela-
stung das Gewicht des Wagens nicht einbezogen ist. R.
Literatur. Riihlmann: Allgem. Maschinenlehre 3. Band. Braunschweig 1868.
Bickes: Anleitung z. Kenntniss aller Arten von Equipagen oder Darstellung
der Kutschenfabrikation. Freiburg i. Br. 1829. L e b r u n : Manuel du Charron
et du Carrossier, Paris 1833, ubersetzt: Theor. pract. Handbuch des Wagners,
Weimar 1835. Beckmann Handbuch der Wagenfabrikation, 4. Aufl. von
Rausch, Weimar 1865. Zeitschriften fur Wagenbau: Meitinger Wagenbau-
Zeitung Mitnchen ; Brice-Thomas le Guide du Carrossier. Paris etc.
Fllligo, s. m. Kienruss, s. b. Kohlenstoff.
FulmicotOtl, s. Schiessbaumwolle, s. Explosivstoffe III pag. 337.
Fulminate, s. Knallsaure-Salze, s. d., vgl. Explosivstoffe III pag. 339.
Fulminatin, syn. Fuchs'sches Sprengpulver, ist Scheerwolle (moglicher Weise
auch nitrirter Baumwollabfall), mit Nitroglycerin getrankt, s Berg- und Hiittenm.
Ztg. 1872 pag. 55, vgl, E. Kopp, Monit. scientif. 1874 Nr. 390, pag. 499,
s. a. Gintl, Ausstellungsber. ii. Zundwaaren u. Explosivstotf, Wien 1874. Gil.
Fulminatin, s. Bergbau I pag. 385.
Fulminsaure u. Fulminursaure, s. m. Knallsaure und Isocyanur-
saure, s. Cyan II pag. 460, s. a. Knallsaure.
Fumarolen (soffioni), d. s. die in den Provinzen Pisa und Grosseto des
ehemaligen Grossherzogthums Toscana der Erde entstrb'menden borsaurehaltigen
Wasserdampfe, welche zur Gewinnung von Borsaure dienen, s. Bor I pag. 726,
vgl. a. C. M. Kurtz, Dingl. pol. Journ. 212 pag. 493. Gtl.
Fumarin (fumarine — fumarine) das Alkaloid des Erdrauchs (Fumaria
offic L.), kann aus dem frischen Kraute des Erdrauchs durch Zerstampfen, An-
656 Fumarin. — Fumarsaure.
sauern des Breis mit Essigsaure und mehrstiindige Digestion in der Warme, Ab-
pressen des Saftes nnd Extrahiren des im Wasserbade verdunsteten Saftes mit
kochendem Alkohol zunachst in weingeistiger Lbsung erhalten werdcn, aus welcher
sich nach dem Entfarben mit Thierkohle beim Verdunsten farblose Krystallnadeln
von essigs. Fumarin ausscheiden (vgl. Hannon, Journ. Chim. med. (3) 8 pag. 705).
Audi dureh Auskochen des trockenen Krautes mit Essigsaure entbaltendem Wasser,
Fallen des Decoctes mit Bleiessig und Fallen des vom Blei befreiten Filtrates
nach starkem Ansauren mittels Schwefelsaure mit metawolframsauren Natron erhalt
man einen Niederschlag der mit frischem Bleioxydhydrat vermengt und getrocknet
an kochenden Alkohol Fumarin abgibt, welches durch Verdunsten des Alkohols,
Losen des Riickstandes in essigsaurehaltigem Wasser, Fallen der Lbsung mit Blei-
essig und Sattigen des vom Blei befreiten Filtrates mit Kalihydrat zunachst in
Gestalt eines Niederschlags erhalten werden kann, der nach dem Waschen und
Trocknen in warmen Schwefelkohlenstoff gelbst und nach dem Abfiltriren des
Ungelbsten aus dieser Lbsung durch Schiitteln mit salzsaurehaltigem Wasser die
Base in Gestalt eines salzsauren Salzes liefert, aus welchem sich durch Ver-
mengen mit kohlens. Baryt und Extrahiren des trockenen Gemenges mit absol.
Alkohol das reine Alkaloid gewinnen lasst (vgl. Preuss, Zeitschr. f. Chem. 1866
pag. 414). Das Fumarin bildet farblose Krystalle (Prismen des klinorhb.
Systems), lost sich wenig in Wasser, leicht in Weingeist, Amylalkohol, Schwefel-
kohlenstofF, Chloroform und Benzol, in Aether ist es unlbslich. Es schmeckt bitter
und seine Losungen reagiren alkalisch. Mit cone. Schwefelsaure farbt es sich
dunkelviolett. Seine Zusammensetzung ist noch nicht festgestellt. Vergl. a.
Peschier in Trommsdrtf. n. Journ. Pharm. 17(2) pag. 80. Gtl.
Fumarsaure (acide fumarique — fumaric acid), Flechtensaure, Bo-
letsaure, Par am ale ins a lire. Knstallisirbare Saure, findet sich als Bestand-
theil des Erdrauches (Fumaria off. L.), des Krautes von Corydalis bidb. De C.
und Glaucium hit. L., dann im island. Moos (Cetraria islandica Ach.), sowie in
verschiedenen Schwammen, insbesondere Agaricus und Boletits-Avten. Kiinstlich
entsteht sie bei der trock. Destination der Aepfelsaure, sowie beim Erhitzen dieser
Saure mit Salzsaure oder BromwasserstofF.
Aus Erdrauchkraut erhalt man die Fumarsaure, wenn man durch Fallen der
siedend heissen wassrigen Abkochung desselben mit Bleizuckerlbsung zunachst
Gerbstoffe und Farbstoffe entfernt und die noch siedend heisse Fliissigkeit vom
Niederschlage abfiltrit. Aus dem Filtrate scheidet sich beim Erkalten fumarsaures
Blei in Gestalt kleiner kbrniger Krystalle aus, die gesammelt und mit Salpeter-
saure zerlegt werden, wonach aus dem Zersetzungproduct durch kochenden Alkohol
die Fumarsaure ausgezogen werden kann. Durch Ueberfuhrung in das Ammo-
niumsalz, Umkrystallisiren und abermaliges Zersetzen desselben mit Salzsaure
lasst sich die Saure rein erhalten. Reine Fumarsaure bildet farblose prysmatische
Krystalle, welche in 390 Thcile Wasser von 10° C, reichlich in heissem
Wasser, dann in 21 Theile 76 Proc. Alkohol, sehr leicht in Aether auf-
lbslich sind. Sie ist geruchlos, schmeckt und reagirt stark sauer. Beim Erhitzen
iiber 100° C. schmilzt sie und sublimirt iiber 200° C. in langen nadelfdrmigen
Krystallen, wahrend ein Theil sich unter Wasserabgabe in Fumarsaureanhydrid
(Cj^jO.,) verwandelt. Ihre Zusammensetzung entspricht der Formel CJi^O^ sie
ist mit Maleinsaure isomer, in die sie z. Th. audi beim Erhitzen iiberzugehen
vermag. Die Fumarsaure ist eine zweibasische Saure und liefert z. Th. krystal-
lisirbare Salze. Das Silbersalz ist leicht zersetzbar und explodirt beim Erhitzen
heftig. Beim Erhitzen eiuer mit Salzsauregas gesattigten Lbsung von Fumarsaure
in Alkohol destillirt bei 225° C. siedender Fumarsaure Aethylather als eine farblose
angenehm obstartig riechende Fliissigkeit (C^H^O^ »(C,,Hh).
Mit Jodwasscrstoff erhitzt oder mit Natriumamalgam behandelt, geht die
Fumarsaure unter Aufnahme von Wasserstoff in Bernsteinsaure iiber (vergl. a.
Winckler, Rep. Pharm. 39 pag. 48 und 368, dann 48 pag. 39 und 363,
Fumarsaure. — Function. 657
Pasteur Annal. Chim. Phys. (3) 31 pag. 92, Pelouze Annal. Chim. Phys.
(2) 56 pag. 72, Kekule Annal. der Chem. und Pharm. 130 pag. 21, 131 pag.
85. Supplem. I pag. 129 und II pag. 108). Gil.
Function. Hangt eine Grosse u von einer oder mehreren anderen unbe-
schrankt und stetig veranderlichen Grossen x, y . . . ab; so zwar, dass mit diesen
auch u seinen Werth andert, so wird u eine Function jener Grossen genannt und
man schreibt u z=z f (x), u — F (x, y) . . . . Die Grossen x, y . . ., denen das
Merkmal der unbeschrankten continuirlichen Veranderlickkeit als wesentlich an-
haftet, werden die unabhangigen Variablen genannt; dagegen pflegt man u
auch die abhangige Veranderliche zu nennen. Der geometrische Repra-
sentant einer Function von einer Variablen ist eine (
yon zwei unabhangigen Veranderlichen eine Elache.
1. Dem Wesen nach theilt man die Functionen in algebraische und
transcendente; in den ersten werden mit den Veranderlichen bios die sog.
algebraischen Operationen — Addiren und Subtrahiren, Multipliciren und Dividiren,
Potenciren und Radiciren mit constantem Exponenten — vorgenommen ; in den
zweiten sind die Variablen mit anderweitigen, sog. transcendenten Operationen
behaftet.
2. Die algebraischen Functionen theilt man weiter ein in rationale
und irrational e, je nachdem sie — nach Ausfuhrung etwa angedeuteter Ope-
rationen — die Variablen nur mit ganzen oder auch mit gebrochenen Exponenten
(unter einem Wurzelzeichen) enthalten; in ganze und gebrochene, je nachdem
die Variablen nur im Z Shier (mit positiven Exponenten) oder auch im Nenner
(mit negativen Exponenten) erscheinen.
3. Eine Function / (x) der unabhangigen Variablen x — gleichgiltig ob
algebraisch oder transcendent — heisst ein- oder mehrdeutig, je nachdem
einem bestimmten Werthe von x ein oder mehrere Werthe von f (x) entsprechen ;
gerad oder ungerad, je nachdem sie fur entgegengesetzt-gleiche Werthe von
x gleiche oder entgegengesetzte Werthe annimmt, je nachdem also/(as) =z/( — x)
oder f (x) •=. — / ( — x) ; sie ist innerhalb eines Intervalls der unabhangigen
Variablen x ■=. a bis x = b continuirlich oder discontinuirlich, je
nachdem fur alle zwischen a und b gelegene Werthe von x einer unendlich
kleinen Aenderung dieser Grosse auch sie eine solche Aenderung erfahrt. Perio-
disch heisst eine Function / (x) , wenn sie nach gleichen Intervallen der
Variablen immer wieder denselben Werth annimmt, so dass, wenn mit a jenes
Intervall bezeichnet wird, / (x) = / (a -\- x) rzz / (2a -\- x) . = . . v . 5 man
nennt a den Index der Periodicitat.
4. Zu den einfachen algebraischen Functionen rechnet man nebst
den einfachsten a -±z x, bx, — , in welchen die Variable mit den Constanten
c
a, b, c durch die vier Species verkniipft ist, die Potenz, d. i. die zu einem
(ganzen oder gebrochenen, positiven oder negativen) constanten Exponenten er-
hobene Variable; zu den transcendenten die Exponential grosse as,
ihre Umkehrung, den Logarithmus Hog x; die goniometrischen Func-
tionen sin x, cos x, tg x, cot x, sec x, cosec x, ihre Umkehrungen, die cyclo-
metrischen Functionen arc sin x, arc cos x, arc tg x, arc cot x ... Liisst
man fur die unabhangige Variable auch complexe Werthe zu, so konnen die gonio-
metrischen Functionen aus der Exponentialgrosse, die cyclometrischen aus dem
Logarithmus hergeleitet werden.
Liter atur. Ausser dem hervorragenden Werke tiber die Theorie der Functionen,
Lagrange's „ Theorie des fonctions analytique" (3. Aufl. v. Serret, Paris
1847) und dessen „Lecons sur le calcul des fonctions" ist auf die verschie-
denen Curse der hoheren Mathematik zu verweisen, von denen wir hier nur
Navier's „Legons d'analyse" (deutsch v. Wittstein), Schlomilch's „ Com-
pendium der hoheren Analysis" (4. Aufl. Leipzig), Herr's Lehrbuch der
Karmarach & Heeren, Technisches Wbrterbuch Bd. Ill 42
658 Function. — Fuscin.
hoheren Mathetnatik" (3. Aufl. Wien, 1877) und Lipschitz's eben im
Erscheinen begriffenes „Lehrbuch der Analysis" (Bonn 1877) anfiihren.
Czuber.
Fundament, s. Bergbau I pag. 400, s. Fundirung.
Fundamentalpunkte nennt man die durch directe Bestimmung festgestellten
Siede- und Eispunkte an Thermometern, s. d. vergl. Warraeniessung. Gil.
Fundirung (foundation — foundation). Die Gesammtheit jener Arbeiten,
welche bei Herstellung des Fundamentes oder der Grundmauern eines Bauwerkes
auszufiihren sind. Besondere Wichtigkeit im Briickenbau bat die pneumatische
Fundirung erlangt (s. bieriiber d. Art. Wasserbau).
Fungin, syn. Cellulose, s. d. II pag. 269.
Funkenfanger, werden bei Schornsteinen angebracht und sollen durch
Kriimmung des Weges, welchen der Rauch bei der Ausstromung zurlickzulegen
hat, die Ablagerung der mitgefiihrten gliihenden Stiickchen (Funken) bewirken.
Vergl. Ill pag. 105, Fig. 1333 b bei T u. X, vergl. ferner d. Art. Heizung.
Furfurin, s. Furfurol.
Furfurol (furfurole), A m e i s e n 6 1 , Pyroschleimsaure-Aldehyd. Name (von
furfur, die Kleie und oleum, Oel, d. i. Oel aus Kleie) eines Zersetzungsproductes,
das bei der Destination von Kleie, Mehl, Gummi, Zucker, Holzspanen etc. mit
verdunnter Schwefelsaure, sowie bei der trockenen Destination dieser Korper ent-
steht. Man stellt es dar durch Destination eines Gemenges von 6 Thl. Kleie,
5 Thl. Schwefelsaure und 12 Thl. Wasser, oder durch Erhitzen eines Breies
aus 15 Thl. Kleie und 5 — 6 Thl. Zinkchlorid mit so viel Wasser, als nothig, um
eine geniigend fliissige Masse zu erhalten, Neutralisiren des Destillates mit Kali
und nochmalige Destination, wobei ein wassriges Destillat erhalten wird, aus dem
sich das Furfurol in Gestalt oliger Tropfen ausscheidet, die gesammelt und iiber
Chlorcalcium getrocknet werden.
Das Furfurol stellt eine Anfangs farblose, am Licht sich bald gelb und braun
farbende olige Fliissigkeit dar, ist von eigenthiimlich gewiirzhaftem Geruche und
brennendem Geschmacke. Es hat das spec. Gew. 1.165 und siedet bei 163° C.
In Wasser, Alkohol und Aether ist es leicht loslich, farbt die Haut deutlich gelb
und reducirt Silberoxyd zu metallischem Siiber. Seine Zusammensetzung entspricht
der Formel Cr)#40„. — Mit Ammoniak vereinigt es sich zu Fur fur amid
CirtHliN„03, das' beim Kochen mit Kalilauge in die isomere Base Furfurin
iibergeht, ebenso beim Erhitzen auf 120° C. Diese Base bildet seidenglanzende
farblose Nadeln, die geruch- und geschmacklos sind und sich schwer im kalten
Wasser, leicht in Alkohol und Aether losen. Die Losungen reagiren alkalisch und
liefern mit Sauren leicht krystallisirbare Salze. Bei 100° C. schmelzen die Kiy-
stalle, dartiber hinaus erhitzt werden sie zersetzt. Das Furfurin ist giftig.
Mit Schwefelammonium liefert das Furfurol T hi o furfurol (C^H^OS), in
Gestalt eines weissen krystallinischen Niederschlags. Mit Anilin gibt es einen
schon i othen, jedoch nicht bestandigen Farbstoff, mit Pjn-ogallussaure oder Resorcin,
audi mit Phenol unter Benetzung mil etwas Salzsaure gemengt, liefert es einen
indigblauen Korper. Naheres s. in chem. Handbiichern. Gtl.
Furienfackeln, s. Feuerwerkerei III pag. 475.
Furniren, s. Fournirte Arbeit en.
Furnure, s. Fournire.
Fuscin, organische Base aus dem Dippel'schen Oele, die sich an der Luft
roth farbt, s. Thierol, vgl. Knochenole.
Fuscokobaltsalze. — Fuselol. G59
Fuscokobaltsalze sind Ammoniakkobaltsalze, s. Kobalt.
Fuselcampher, der erstarrende Antheil des Fuselols aus Getreidebrannt-
wein.
Fuselol (fusel oil), Fusel nennt man im Allgemeinen die bei der Gahrung
der verschiedensten, einer Alkoholgahrung fahigen Substanzen neben dem Alkohol
in geringer Menge auftretenden anderweitigen Substanzen, welche dem Roh-Alkohol
einen melir oder weniger charakteristischen Geschmack und Geruch ertheilen und
bei der Rectification desselben, als schwerer fliichtig, zuriickbleiben. Die bei der
Gahrung der verschiedenen zur Alkobolgewinnung verwendeten Materialien resul-
tirenden Fuselole sind in der Regel entweder Alkoliole von hoherem Kohlenstoff-
gehalt oder Aether soldier Alkoliole, oder Ester (s. Aether I pag. 50), enthalten
jedoch audi Sauren, mitunter Aldehyde und endlich sog. Fermentole. So besteht
das Fuselol des Kartoffelspiritus wesentlich aus Amylalkohol neben etwas Propyl-
und Butyl-Alkohol, wohl auch Spuren anderer kohlenstoffreicherer Alkoliole und
Fettsauren. Das Getreide-Fuselol enthalt wesentlich Oenanthather, Amyl-
alkohol, Caprinsaure und Caprylsaure, sowie Ester dieser Sauren, endlich ein
Fermentol von eigenthtimlichem, je nach der Getreideart verschiedenem Geruche
(Kornol). Das Fuselol des Rtiben-Melassen-Spiritus enthalt Capron-, Capryl-
und Caprin-Saure , sowie Pelargonsaure neben verschiedenen Alkoholen. Das
W e i n f u s e 1 o 1 (Drusenol) ist wesentlich Oenanthather (Pelargonsaure-Aethylather),
des Rum fusel 61 wesentlich Buttersaureather etc.
Mit dem Namen Fuselol schlechtweg bezeichnet man nicht selten auch den
Amylalkohol, der wie erwahnt den Hauptbestandtheil des Kartoffelfuselols aus-
macht und aus diesem durch Rectification gewonnen werden kann. Dieser der
Formel C^lf^OH entsprechend zusammengesetzte Alkohol (Amyloxydhydrat) be-
steht in fiinf verschiedenen Formen, von denen zwei im Fuselol (Galirungsamyl-
alkohol) enthalten sind, u. z. der optisch inactive Amylalkohol, der als Isobutyl-
carbinol aufgefasst werden muss, und der optisch active Amylalkohol, der vielleicht
als Amylenhydrat anzusehen ist. Der durch wiederholte Rectification des Kar-
toffelfuselols gereinigte Amylalkohol stellt eine farblose olartige Fliissigkeit von
eigenthiimlichem Geruche und scharfem Geschmacke dar, die in Wasser nur wenig
loslich ist, sich aber mit Alkohol in alien Verhaltnissen mischt. Bei — 21° C.
erstarrt er, der Siedepunkt liegt bei 131° C, das spec. Gew. = 0.818. Er
erzeugt auf Papier einen erst nach einiger Zeit verschwindenden Fettfleck und
brennt mit blauer Flamme. Die beiden durch ihr V'erhalten gcgen das polarisirte
Licht sich unterscheidenden Modifikationen kann man nach Pasteur durch Um-
wandlung in amylschwefelsauren Baryt und Trennung der Barytsalze durch Kry-
stallisation von einander trennen. Das Salz des optisch wirksamen Alkohols, der
links dreht (bei 50cm langem Rohre um 20°), ist schwerer loslich als das des
Anderen. Dem Amylalkohol entspricht wie anderen Alkoholen der Fettreihe auch
ein Aether (C10H„q0), Aldehyd C5Hl()0, (Amylaldehyd, Valeral) und eine Saure,
die Valeriansaure (CbHlQ0^), die durch Oxydation des Alkohols leicht erhalten
werden konnen. Mit Sauren liefert er Ester von meist angenehmen Obstgeruche
(s. d. bei den einzelnen Sauren). Mit wasserentziehenden Mitteln (Chlorzink,
Schwefelsaure) destillirt liefert der Amylalkohol Amy 1 en (C-Hxo), d. i. eine
farblose. nach faulem Kohl riechende, kiihlend schmeckende Fliissigkeit vom spec.
Gew. 0.659 und dem Siedpunkte 35° C, welche man ahnlich dem Chloroform
als Anastheticum beniitzt hat. Die librigen isomeren Formen des Amylalkohols
sind der sog. normale Amylalkohol (Pentylalkohol), der Normalbutyl- Carbinol
(vgl. Buttersaure II pag. 181) ist und bei 137° C. siedet; der Isoamylalkohol,
d. i. Methylpropylcarbinol, ein secundarer Alkohol, der bei 120° C. siedet, der
Pseudoamylalkohol (Methylisopropyl-Carbinol) oder Amylenhydrat, ein secundar.
Alkohol, der bei 105° C. siedet, und der tertiare Amylalkohol, Pseudoamylalkohol
(Dimethylathyl-Carbinol), der bei 98.5—102° C. siedet.
42*
660 Fuselol. — Fussboden.
Das Fuselol findet ausser zur Herstellung verschiedener Fruchtather anch
als Beleuchtungsmateriale (Apollool), dann als Losungsmittel fiir Alkaloi'de prak-
tische Verwendung, dient ferner zur Darstellung der Valeriansaure (s. d.) etc.
Ueber Entfuseln des Alkohols s. Branntweinbrenn erei. Gil.
FllSSarbeit, die Herstellung von Geweben, bei welchen die Schafte durch
Treten bewegt werden, Trittweberei (etoffes fagonnees a la marche).
FUSS kunstlicher, s. Gliedmassen kiinstliche.
FllSSband, s. Band I pag. 285.
FuSSbekleidung, s. Schuhmacherei.
Fussboden (aire — flooring), ist der Belag der Bodenflache der Raume
der Gebaude. Die Belegung erfolgt mit natiirlichen oder kiinstlichen Steinen
(Pflasterung), oder mit einer weichen, breiartigen Masse, welche nach dem Er-
harten ein testes Ganze ohne Fugen bildet (Aestrich, Estrich), oder endlich durch
Holzconstructionen.
1. Pflasterung. a) Das gewohnliche Steinpfl aster ist entweder
ein unregelmassiges, wenn wenig bearbeitete Bruchsteine verwendet werden oder
ein Reihenpflaster (Wiirfelpflaster), wenn die Steine nach der prismatischen Form
vorbereitet werden. Die Befestigung der Unterlage ist sehr wichtig und dient fur
Einfahrten, Stallungen etc. eine 8 — 15cm starke comprimirte Sandschilttung. Die
Steine (ca. 10— 15cm hoch) werden,, nachdcm sie mit unausgefiillten Fugen ver-
legt sind, mit einer Ramme (ca. 12 K. schwer) gestampft. Nach dem ersten
Stampfen sind die Fugen mit feinem Sand auszufiillen und erst dann ist das
Stampfen fortzusetzen. Soil die Pflasterung Fliissigkeiten ableiten, so ist bei
glatten Steinen ein Gefalle von mindestens t/i°/0 nothwendig.
b) Plattenpfl aster zu Gangen, Vorplatzen, Kiichen, Aborten, Trottoirs
etc. Von natiirlichen Steinen kommen besonders Sandsteine, Thonschiefer und
Kalksteine, von kiinstlichen Steinen gebrannte Thonplatten (z. B. Mettlacher
Platten), Cement- und Asphaltplatten zur Anwendung. (S. Asphalt, bautcchn.
Anwendung I. 216, 1. e.) Die Cementplatten werden aus einem Gemisch von
Cement und Sand hergestellt und konnen leicht verschieden gefarbte Zeichnungen
oder Marmorincrustationen (Terrazoplatten) erhalten, welche den Platten eine hohe
Elegauz verleihen. Die Unterflache der Platten bleibt rauh; die iibrigen Flachen
werden mehr oder weniger glatt hergestellt, selbst geschliffen und polirt. Als
Untergrund nimmt man gestampften Schutt, Ziegelpflaster oder Beton. Die Platten
werden zumeist in ein Mortelbett gelegt und die Fugen mit diinnfliissigem Mortel
ausgegossen.
c) Ziegelpflaster. Hierzu verwendet man entweder gewohnliche Mauer-
ziegel oder eigene Pflasterziegel, Klinkerziegel (bloss 3 — 5em stark). Bei An-
wendung gewohnlicher Mauerziegel unterscheidet man flaches oder liegendes Ziegel-
pflaster (Hohe des Pflasters gleich der Ziegeldicke) und hochkantiges oder ste-
hendes Ziegelpflaster (Hohe des Pflasters gleich der Ziegelbreite). Letzteres wird
bei grosser Belastung oder starker Abniitzung verwendet; mitunter ist demselben
jedoch ein doppeltes flaches Ziegelpflaster, mit dazwischen liegender Sandschichte,
vorzuziehen wegen leichterer Reparaturfahigkeit und geringerer Anzahl Fugen.
2. A es trie he. Je nach dem Hauptbestandtheil der Masse unter-
scheidet man :
a) L e h m a s t r i c h. Lehm wird in feuchtem Zustande in diinnen Lagen
aufgetragen und mit holzernen Pracken geschlagen ; ist der Lehm zu mager,
bestreicht man ihn mit Rindsblut. Beim Schlagen werden Pauseu von ca. 24
Fussboden. 661
Stunden gemacht und beobachtet, ob sich Risse bilden. Man hat so lange zu
schlagen, bis sich keine Risse mehr zeigen.
b) Gypsastrich. Auf einer Sandunterlage wird der Gypsmortel 2 — o'm
stark aufgetragen. Zur Erzielung gleichmassiger Dicke legt man genau horizontal
Latten, mit Seifenwasser benetzt, in ca. lra Entfernungen, fiillt den Zwischenraum
je zweier Latten und streicht mit einem Richtscheit die Oberflache gleich. Man
entfernt dann die Latten und nach etwa 24 Stunden kann der Aestrich mit hol-
zernen Pracken geschlagen werden. Die von den Latten herriihrenden Streifen
werden mit Gypsmortel ausgefullt.
c) Venetianischer Aestrich, Battuta, auch terrazzo marmorino, ist
ein aus drei Lagen bestehender Kalkanstrich. Die erste, ca. 8cm hoch, besteht
aus gewohnlichem guten Mortel mit kleinen Ziegel- oder Steinstiicken und wird
mit eisernen Pracken gestampft; die zweite Lage, 4 — 5cm stark, wird ahnlich
hergestellt, enthalt aber nur Steinchen von ca. lcm Durchmesser. Als letzte Schicht,
ca. lcm stark, wird ein Mortel aus Kalk, Ziegel- und Marmorstaub aufgetragen,
UDd so lange derselbe noch weich ist, Marmorstucke nach verschiedenem Muster,
als Mosaik, eingedriickt und die Flache mit einer Walze geebnet. Nach ganz-
licher Austrocknung wird der Aestrich mit Sandstein, dann mit Bimsstein ge-
schliffen. Soil die Flache Glanz erhalten so wird dieselbe mit einer stahlernen
Kelle bearbeitet und mit heissem Leinbl getrankt.
cl) Betonastrich und Cementastrich. Eine Masse aus hydraulischen
Mortel (oder Cementmortel) mit erbsengrossem Kies wird auf eine gemauerte oder
gut gerammte Unterlage 8 — 10cm hoch aufgetragen und gestampft. Der Beton-
astrich eignet sich zur Herstellung von wasserdichtem Bodenbelag, z. B. fur Klichen,
Keller, Stallungen etc.
e) Asphalt as trich, siehe Asph., bautechn. Anwendung I. 216, 1.
3. Fussboden aus Holz. Die allgemeinen Anforderungen sind Eben-
heit und Dichtheit, besonders gegen Staub. Fiir gewohnliche Fussboden verwendet
man Weiss- und Rothtanne; fur stark der Abniitzung ausgesetzte Fussboden sind
Eiche und Buche zu empfehlen. Die Lagerholzer (Polsterholzer), auf welchen der
Fussboden befestigt wird, miissen genau horizontal liegen ; das Fiillmaterial (Schutt)
muss trocken und frei von Gegenstanden sein, welche zur Erzeugung des Haus-
schwammes Veranlassung geben, besonders vegetabilischen Stotfen. Es eignen sich
hierzu trockener Sand, Bauschutt, Schmiedeschlacke, Kohlengrus. Bei Anwendung
von Bauschutt miissen besonders Holztheile sorgfaltig entfernt werden wegen
Gefahr der Uebertragung von Ungeziefer. Zu gewohnlichen Fussboden geniigt
lufttrockenes Holz; zu kostbaren Fussboden soil man gut in Trockenkammern
vorbereitetes Holz verwenden.
a) Gewohnlicher Bretter fussboden (Dielen). Die ca. 3cm starken Bretter
werden mit glatt gehobelten Seitenflachen stumpf aneinander gestossen (gefugt).
Die durch das eintretende Schwinden der Bretter entstehenden Fugen werden nach
1 — 2 Jahren ausgespant, d. h. durch eingeleimte Spane beseitigt. Die Verbin-
dung der einzelnen Bretter durch Spundung (Feder und Nuth), Federung und
Falzung bietet wohl anfangs grossere Dichtheit gegen Staub ; da das Ausspanen
nicht gut ausfiihrbar ist, werden die Fugen spater verkittet. Will man mbglichst
wenig Fugen erhalten, so leimt man mehrere Bretter zu Tafeln, so dass das
Stammende des einen Brettes mit dem Wipfelende des anderen zusarurnentriffr :
die Fugen werden in diesem Falle verhaltnissmassig breiter werden. Um das
Werfen der Bretter auf ein Minimum zu bringen, mache man dieselben moglichst
schmal. Die Bretter werden durch Beniitzung von Klammern und Keilen fest an-
einander getrieben und auf jedem Polsterholz mit zwei Nageln befestigt.
b) Friesboden, eingefasster Fussboden. Fig. 1703. Die Boden-
flache wird durch Friese (Rahmen aus hartem Holz) in mehrere Felder getheilt.
662
Fussboden.
welche nach Art eines gewohnlichen Fussbodens ausgefiihrt werden. Es miissen
daher diejenigen Polsterholzer, welche unter Friesen zu liegen kommen, um ca.
4 — 5em breiter sein als letztere.
c) Stabfussboden, Wiener Fussboden, Sckiffboden, audi mitunter Fries -
boden genannt.
Eichene Brettel, ca. lm lang, 10— 15cm breit und 2 Va — 3cm stark, werden
in verschiedener Weise in Verband gebracht und befestigt.
1. Die Brettel werden untereinander durch Falz verbunden und durch zwei
Nagel an jedem Ende (u. z. der eine in der Mitte, der andere im Falz) an die
Polsterholzer befestigt. Fig. 1704.
2. Die Brettel haben an alien Seiten Nuthen und die Verbindung geschieht
durch Federn ; die Nagelung, auf einem Blindboden als Unterlage, findet innerhalb
der Nuthen statt, ist daher vollstandig verdeckt. Fig. 1705.
Fig. 1703.
Fig. 1704.
Fig. 1705.
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Stabfussboden '|,00 n. Gr.
Friesfussboden '/, 00 n. Gi
Stabfussboden
rait verdeckter Nagelung.
3. Der Verband wird ohne Unterlagsholzer und ohne Nagelung erzielt. Die
Brettel, nur ca. 50cm lang und 8cra breit, werden auf einer Asphaltunterlage mit
Feder und Nuth verbunden und an den Stirnen der Brettel geschieht die Befe-
stigung durch eiserne Plattchen, welche als Keile in eingesagte Nuthen getrieben
werden.
d) Parketirte Fussboden. Dieselben erhalten als Unterlage einen
gewohnlichen Bretterfussboden (sog. Blindboden), auf welchen die Parketen ge-
nagelt und untereinander durch ein-
Fig. 1706.
V2B n. Gr.
geleimte Federn verbunden werden.
Die Nagelung geschieht innerhalb
der an den Stossflachen der Par-
keten angebrachten Nuthen u. z.
immer an zwei Seiten, wahrend die
anderen zwei Seiten nur durch
die eingesetzten Federn befestigt
sind. Jede Parkete besteht aus
dem Rahmen, den Friesen und den
Fiillungen (sog. Steine), siehe Fig.
1706. Rahmen und Friese werden
immer aus hartem Holz hergestellt
und ersterer erhalt die halbe Breite
der letzteren. Sind die Steine aus
weichem Holz, so nennt man die Par-
keten weiche; sind dieselben jedoch aus hartem Holz, so harte Parketen. Die
ersteren sind nicht zu empfehlen, da das weiche Holz sich bald abnutzt. Das
Fussboden. — Fustikholz. 603
Verlegen der Parketen gesehieht entweder von der Mitte des Raumes aus oder
am haufigsten aus der Ecke. Nach der vollstandigen Legung wird der Fussboden
glatt gehobelt.
e) Foumirte Fussboden sind die reichsten und elegantesten und
kommen- wohl nur bei Reprasentationsraumen zur Anwendung. Als Unterlage
gibt man Tafeln aus Kiefernholz, die wie Parketen miteinander verbunden sind.
Jede Tafel, ca. 0.50m breit, 4cm stark, besteht aus zwei Rahmen mit dazwischen
eingeschobenen Brettchen. Auf diese Unterlage werden die 3 — 4'""' starken
Fournirholzer, zu verschiedenen Mustern zusammengesetzt, geleimt.
f) Holzpfl aster, Sto ckelpfl aster. Auf dem geniigend festgerammten
Untergrund werden Holzwiirfel oder Klotzchen von polygonaler Form durch Diibel
(Holzstifte) (2cm stark, ca. 8cm lang) verbunden. Soil das Holzpflaster wasser-
dicbt sein, so wird dasselbe in Asphalt verlegt. Auf eine Betonschicht kommt
eine Asphaltlage und die durcbgehenden Stossfugen der Holzklotzcben werden in
der unteren Halfte mit Asphalt gefiillt; die Fugen im oberen Theil erhalten Sand-
und Kiesfiillung. Grohmann.
Fussboden wachs, Fussbodenwichse, s. Bohnwachs I pag. 695.
Fussbiige, s. Band I pag. 285.
Fusspfund, s. Arbeit I pag. 188.
FllSSpunktencurve ist der geometrische Ort der Fusspunkte der Senkrechten,
welche man von einem als eine Art Pol gewahlten Punkte auf die Tangenten
einer Curve fallt. So ist beispielsweise die Cardioide die Fusspunktencurve eines
Kreises, wenn ein Punkt seines Umfanges als Pol gewahlt wird; die Lemniscate,
die Fusspunktencurve einer gleichseitigen Hyperbel, wenn deren Mittelpunkt zum
Pole gemacht wird; die Cissoide, die Fusspunktencurve der Parabel, wenn ihr
Scheitel als Pol gilt. — „Ueber Fusspunktencurven der Linien zweiten Grades"
von Dr. R. Wolf vergl. Crelle's Journal XX., iiber die hier genanuten Curven
den Artikel „ Curven" (II pag. 423.). Cz.
Fussteppiche, s. Teppiche.
FllStet, syn. Fisetholz, s. Fustikholz.
Fustik alter, s. Gelbholz.
Fustikholz, F i s e t h o 1 z (bois defustet — fleet ivood, fustic young), Zante-
Gelbholz, T i r o 1 e r-, Ungarisches Gelbholz, Periickensumach,
Schmackholz, Visetholz, junger Fustik. Das von Rinde und Splint
befreite Kernholz des Peruckensumachs (Rhus cotinus L.) eines in Ungarn, Tirol,
Dalmatien, Italien, Spanien, der Levante, den Antillen, Jamaika etc. wachsenden
Strauches aus der Familie der Therebinthaceen.
Es kommt in Spane geschnitten oder in Gestalt von Kniippeln und Aesten,
von aussen braunlicher, innen gelbgriiner Farbe, meist von Illyrien, Dalmatien
und Ungarn, dann aber auch von Amerika aus in den Handel. Das amerikanische
Holz ist geschatzter als das europaische. Es dient sowohl als Farbholz, sowie
auch zum Gerben des Leders. Es enthalt neben Gerbstoff und einer braunen
Substanz namentlich einen gelben und einen rothen Farbstoff. Der zuerst von
Chevreul untersuchte gelbe Farbstotf, das Fisetin (Fustin) kann nach Boll ey
(s. schweiz. polyt. Zeitschrift 9 pag. 22) durch Verdampfen der wassrigen Ab-
kochung des Holzes zur Trockene, Auslaugen des Trockenriickstandes mit Alkohol
und Verdiinnen der concentr. alkohol. Losung mit Wasser in Gestalt eines kry-
stallinischen Sedimentes erhalten werden, das durch Abpressen, Autlosen in Alkohol
und wiederholtes Fallen mit Wasser in reinem Zustande resultirt. Es bildet kleine
gelbe, nadelformige Krystalle, die im kalten Wasser schwer, leichter im kochenden,
leicht in Alkohol loslich sind, und der Formel C15-ffJ0Ofi (?) entsprechend zu-
664 Fustikholz. — Gabbromasse.
sammengesetzt sein sollen, aber nacb Bolley obne Zweifel identisch mit Quer-
cetin (s. d.) sind, da die Verschiedenheiten, welche dieser Farbstoff gegenuber
dem Quercetin zeigt, wobl auf einen geringen Gehalt desselben an dem noch nicht
naher untersuchten rothen Farbstoffe des Holzes zurtickzufiihren sein diirften. Die
Auflosung des Fisetins in Alkalien farbt sicb rasch roth und wird durcb Zinn-
cbloriir nicht gelb (wie bei Quercetin), sondern orangeroth gefallt. Die Thonerde-
verbindung ist ebenfalls orangeroth. Vgl. a. Gelbholz Gil.
FllStin, s. Fustikholz.
Flitter, s. Drehen II pag. 679, 682.
Futterbarchent, s. Barchent I pag. 291.
Fllttermauer {contre-mur — retaining-wall) ist die Bezeichnung fur eine
Mauer, welche den Schub des auf der Riickseite derselben befindlichen Erdreiches
aufnehmen, und Abrutschungen verhindern soil. S. Rebhann: Theorie des Erd-
druckes und der Futtermauern, Wien, Gerold 1871, ferner Eytelwein und
Gylly, Wasserbaukunst, 3. Heft, 2 Aufl. 1830, Berlin, Reimer.
Futterpresse, Futterschneidmaschine, s. Landwirthschaft.
Futtertafft, s. Tafft.
Gabanholz, Camholz, s. Cambaholz II pag. 235.
Gabbro (gabbro — diallage-rock), \Jrgrimstem,ZobtenMs,Schi\lerfe\s,Eu])hot[de,
Ophiolithe, Granitone, Granito di Gabbro, Verde di Corsica. Gabbro ist ein granitartig
korniges, gemeugtes, krystallinisches Massengestein, bestehend aus Labrador und Diallag
oder Smaragdit. Der Labrador ist frisch glanzend, weisslichgrauinsblaulichegeneigt,
zeigtauf den grosseren Kornern deutlich die charakteristischeZwillingsstreifung, schmilzt
vor dem Lothrohr, und wird von Sauren zersetzt. Statt desselben ist zuweilen
ein anderes feldspathahnliches Mineral, Saussurit, vorhanden, welches matt grtin-
lich oder graulich weiss ist, vor dem Lothrohr schwer schmilzt, und von Sauren
nicht angegriffen wird. Der Diallag ist eine Varietat des Augites, er bildet
blattrige graue, tombackbraune, tafelartige Krystalle, auf den Spaltungsflachen zeigt
sich ein metallartiger Perlmutterglanz. Der Smaragdit erscheint in grasgriinen
perlmutterglauzenden Kornern. Je nach dem unterscheidet man Diallag- oder
Smaragdit-Gabbro. Die Textur des Gesteines ist regellos kornig, bei Anwesen-
heit von Labrador ist das Gefiige gross- und grobkbrnig. Bei der von Saussurit
kleinkbrnig oder porphyrartig. Seltener ist der Gabbro faserig oder schieferig.
Serpentin ist haufig vorhanden, weitere Uebergemengtheile sind Hornblende,
Glimmer, Sphen, Titaneisen, Granat, Magnet- und Eisenkies u. s. w. Das Gabbro
braust zuweilen mit erwarmten Sauren. Das kornige Gabbrogestein sondert un-
regelmassig polyedriscb ab und bildet oft machtige Stbcke und Gangstocke. Dem
Alter nach scheinen die hierher gehbrigen Gesteine sehr verschieden zu sein,
da man solche an krystallinischen Schiefern, in Grauwacken, im Lias und selbst
eocaenen Nebengesteinen kennt. Gabbrogesteine sind sehr verbreitet in Bbhmen
bei Komorau, Ronsperg, Kupferberg, in Sachsen, in den Vogesen, in Norwegen,
in den Alpen, auf Corsica u. s. w. Das Gestein (Gabbro, Euphodite, Verde di
Corsica) wird in Italien wegen seiner Harte und schbnen Farbe zu Ornamenten,
kleinen Saulen, Tischplatten u. s. w. verarbeitet. Lb.
Gabbromasse nennt J. v. Schwarz eine aus den Abfallen von der Fa-
brikation der Speckstein-Brenner gewonnene plastische Masse zur Herstellung von
Gabbromasse. — Gahrung. 665
Gefassen, Luxusgerathen, Statuetten u. d. g. Zur Darstellung dieser Masse werden
die gemahlenen Specksteinabfalle mit geeigneten Zusatzen (geschlammtem Thon
u. dgl.) vermengt und mit Wasser zu einem Brei angestossen der ausserst plastisch
ist und nach dem Brennen einen hohen Grad von Festigkeit und Harte gewinnt.
Vgl. Bergan in Kunst und Gewerbe 10 pag. 177. Gil.
Gabel. wird auch zuweilen statt dem Worte Flttgel (epinglier, trechoir
— heck, fly) gebraucht, s. Spinnrad.
Gabelband, s. Band I pag. 287.
Gabelfeilen, s. Feilen III pag. 394.
Gabelgei'Ste, Blischelgerste (horcleum vulgare trifnrcatum) , s. b.
G e r s t e.
Gadolinit (Name nacb dem Chemiker G a d o 1 i n), rhombisches, nach Anderen
monoklines Mineral, kommt selten und nur in undeutlichen Krystallen vor, findet
sich zumeist derb und eingesprengt. Hochst unvollk. spaltb. Bruch, muscblig
oder splittrig. H. = 6.5 — 7. Sp. Gew. — 4.0 — 4.3. Pechsehwarz, Strich grau.
Fettiger Glasglanz, gewohnlich undurchsichtig. Cliem. Zus. schwankend, die einen
enthalten wenig oder keine Glycinerde, dafiir Ceroxydul und waren halbkiesel-
saure Salze, fiir welche Berzelius die Formel 2(2 YOSiO*) -4- ^ROSiO* aufstellte,
sie enthalten etwa 27.1 Kieselsaure, 46.6 Yttererde, 15.7 Ceroxydul und 10.6Eisen-
oxydul. Die anderen enthalten statt Ceroxydul Glycinerde, sind drittelkieselsaure
Salze und entsprechen ungefahr der Formel
SROSiO'', worin SRO = %Y0 + »/a FeO + GIO -f y6LaO
mit 25.2 Kieselsaure, 48.8 Yttererde, 10.3 Glycinerde, 9.8 Eisenoxydulund5.9 Lan-
thanoxyd. Gadolinite, z. B. die von Ytterby, glimmen vor dem Lothrohr lebhaft
ohne zu schmelzen und schwellen dabei ein wenig an ; andere, wie das von Hitteroe,
zeigen dies Verhalten nicht. Salzsaure zersetzt ihn unter Abscheidung von gallert-
artiger Kieselsaure. Ytterby, Finbo, Broddbo in Schweden, Hitteroe in Norwegen,
im Riesengebirge bei Schreibershau. Lb.
Gaebeleshafer, Doppelhafer, Klumphafer, dreikorniger Haber
(avena sativa alba trisperma), s. Hafer.
Gadoliniterde-Metalle nennt man die Metalle Yttrium, Erbium und
(Terbium?), deren Oxyde in Verbindung mit Kieselsaure sich im Gadolinit
finden, s. Erbium III pag. 279, s. Yttrium. Gil.
Gahrbottich, Gahrfass, s. Bier I pag. 496.
Gahrspund nennt V o s s e 1 e r einen besonders construirten Spund. der wahrend
der Nachgahrung zum Verschliessen der Fasser verwendet werden soil und so
eingerichtet ist, dass er zwar das Entweichen der Kohlensaure gestattet, dagegen
aber die Verfltichtigung des Aromas und des Alkohols, sowie das Eindringen
von Luft in die Gefasse hindert und so zur besseren Conservirung gegohrener
Getranke beitragen soil, vgl. Deutsche Ind.-Ztg. 1868 pag. 428. Gtl.
Gahrung (fermentation — fermenting). Die Gahrungsprocesse unterscheiden
sich ihrer letzten Ursachlichkeitnach nicht von den Faulnissprocessen, deren Wesen und
Bedingungen schon friiher (s. Faulniss III p. 350) erortert wurden. Man kbnnte
hochstens reichliche Gasentwickelung bei Abwesenheit tibelriechender Producte als
unterscheidende Kriterien derselben ansehen. In Folgendem mogen die Bedingungen
und Erscheinungen der technisch wichtigsten Gahrungsprocesse erortert werden.
Die Alkoholgahrung besteht in der Zerlegung gewisser Zuckerarten in
eine Anzahl von Producten, unter denen Alkohol und Kohlensaure constant und
als Hauptproducte auftreten. Es gibt nun eigentlich mehrere Arten der Alkohol-
666 Gahrung.
gahrung, die durch die Sporen der verschiedeusten Pilzgattungen, z. B. der Mucor-
arten und anderer Hyphomyceten eingeleitet werden ; die technisch wichtige
Alkoholgahrung aber, wie sie in den Gahrungsgewerben auftritt, wird nur
hervorgerufen durch einen zu den Ascomyceten (Scblauchpilzen) gehorigen Pilz,
Saccliaromyces, von dem eine Species, z. B. Saccharomyces cerevisiae, bei der
Gahrung der Bierwiirze, verschiedene andere bei der Weinmostgahrung auftreten.
Die Zuckerarten sind nicht alle direct gahrungsfahig. Der Rohrzucker z. B. muss
vorher durch ein in der Hefe enthaltenes Ferment in Invertzucker tibeiftihrt
werden ; der eine Bestandtheil desselben, die Dextrose (Traubenzucker), ist viel
leichter vergahrungsfahig als der andere, die Levulose (Schleimzucker), in Folge
dessen die Rechtsdrehung einer Rohrzuckerlosung im Verlaufe der Gahrung all-
malig in eine Linksdrehung iibergeht. Zum Eintritte der Alkoholgahrung sind
ausser dem Zucker noch andere Substanzen unbedingt noting, und zwar einerseits
gewisse organische stickstoffhaltige Substanzen, wie sie stets in der Bierwiirze
und im Weinmoste etc. enthalten sind; nach den Untersuchungen von A. Mayer
sind vorzugsweise diejenigen stickstoifhaltigen Substanzen der Gahrung forderlich,
die mit sogenannten katalytischen Eigenschaften begabt sind, wie Diastase, Pepsin,
Ptyalin, wahrend die eigentlichen Eiweissstoffe wenig dazu geeignet sind. Ausser-
dem miissen aber noch gewisse Mineralsubstanzen, darunter vornehmlich Kali,
Kalk und Phosphorsauren, die ebenfalls in den in der Praxis zur Gahrung ge-
langenden Fliissigkeiten enthalten sind, vorhanden sein.
Die organischen stickstoffhaltigen Substanzen konnen aber nach Pasteur
durch Ammoniaksalze, am besten mit organischen Sauren ersetzt werden, und
eine Rohrzuckerlosung, die demnach noch ein Ammonsalz z. B., weinsaueres
Ammon, und die angefiihrten Mineralsubstanzen in Form von Hefenasche enthalt,
wird durch Hefe sofort in Alkoholgahrung versetzt.
Die constanten Producte der Alkoholgahrung stammen nun jedenfalls ganz
oder grosstentheils vom Zucker selbst ab ; es sind dies : Alkohol, Kohlensaure,
Glycerin, Bernsteinsaure, Cellulose und Fett. Ob das von Oser*) in mit Press-
here vergohrenen Zuckerlosungen gefundene Alkaloid (C13H,J,0N4) und das von
Ludwig in mehreren Weinen gefundene Trimethylamin constante Producte
der Alkoholgahrung sind, ist noch nicht erwiesen.
Der Vorgang der Alkoholgahrung lasst sich nattirlich nicht durch eine ein-
fache chemische Gleichung ausdriicken, um jedoch die quantitativen Beziehungen
zwischen den Gahrungsproducten ersichtlich zu machen, kann man nach Pasteur
annehmen, dass sich der grosste Theil des Zuckers (94 — 95°/0) spaltet nach der
sehon friiher angenommenen Formel :
C,2J?220u + EJJ — ±C„H60 + 4CO„
Rolirzucker Wasser Alkohol Kohlensaure,
ein anderer kleiner Theil aber 4.5 — 6°/0 nach einem eomplicirten Schema, namlich
49 C12F22On + 109 HtlO = 24 (C'4i?604) + 14A(C3Ha03) + 60 CO„
Rohrzucker Wasser Bernsteinsaure Glycerin Kohlensaure.
Nach den Untersuchungen Pasteurs entstehen namlich aus 100 Gewichts-
theilen Rohrzucker, welche 105.23 Gew.-Thl. Invertzucker entsprechen, bei der
Alkoholgahrung
51.10 Gewichtstheile Alkohol
49.20 „ Kohlensaure
3.40 „ Glycerin
0.65 . Bernsteinsaure
1.30 ., Cellulose und andere in die Zusammensetzung der Hefe
eingehenden Substanzen
105.65.
<) Sitzb. der W. Ak. Bel. 56.
Gahrung. 667
Ueber die Wirkung der Hefe in Bezug auf die Alkoholgahrung war h»is vor
Kurzeni, vornehmlich begriindet und gestiitzt durcb die Untersuchimgen und die
Autoritat Pasteurs, fast allgemein die Ansicht geltend, die Alkoholgahrung sei ein
normaler pbysiologiseher Process. Die Hefe bedlirfe namlich, wie alle Pflanzen,
zur Vollziebung ibrer Lebensfunctionen, des atmospharischen Sauerstoffes und
werde dieser durcb Abscbliessung der Luft ibr entzogen, so sei sie ira Stande.
denselben durcb eine Zerlegung gewisser anderer Substanzen, also bier des Zuckers,
sicb anzueignen, wobei sie, Gahrung hervorrufend, zugleich ganz normal wachst
und sich fortpflanzt. Nach den Untersuchungen von 0. Bref eld 1st jedoch die
Auffassung der Gahrung eine wesentlich andere; nach Brefeld ist die Gahrung
ein abnorrnaler oder mindestens unvollkommener Lebensprocess ; die durcb Ab-
scbliessung der Luft des freien Sauerstoffs entbehrende Hefe bewirkt die Gah-
rung in Zuckerlbsungen, die ausserdem die vorher angefiihrten andern Bestandtheile ent-
halten, aber sie kann den ihr nbthigen freien Sauerstoff nicbt dem Zucker ent-
lebnen und desshalb aucb nicht normal wachsen und sich fortpflanzen.
Bei einer jeden Gahrung, wie sie in der Praxis erfolgt, findet daher an
verschiedenen Stellen Wachsthum und Gahrung statt; das Wachstbum an der
Oberflache, wo freier Sauerstoff zutreten kann, Gahrung im Innern, wenn der
absorbirte Sauerstoff dort verzehrt ist.
Doch ist gegenwartig die Gahrungsfrage noch immer als eine strittige anzusehen.
Die Milchsauregahrung. Dieselbe bewirkt die Umwandlung mehrerer
Kohlehydrate, wie Traubenzucker, Milchzucker, Dextrin in Milchsaure. Das Ferment
derselben, ein Pilz Oidium lactis entwickelt sich vornehmlich gerne auf sich zersetzenden
eiweissreichen Substanzen wie z. B. faulendem Kase. Die Milchsauregahrung ist
die Ursache der Gerinnung der Milch und des Sauerwerdens bei der Sauerkraut-
erzeugung. Sie tritt namentlich bei etwas hbheren Temperaturen gerne neben der
Alkoholgahrung auf, so dass viele gegohrene Fliissigkeiten stets geringe Mengen
von Milchsaure enthalten. Als Fortsetzung der Milchsauregahrung tritt, wenn
bei sonstigen Bedingungen die Temperatur tiber 35° C. gesteigert und erhalten
wird, die Buttersauregah rung ein, wobei die Milchsaure in Buttersaure umgewan-
delt und Kohlensaure und Wasserstoff entwickelt wird. Die Buttersauregahrung
ist insoferne auch technisch wichtig, als die zur Erzeugung von buttersauren
Aetbern (behufs Fabrikation von Rumessenz) dienende Buttersaure haufig durcb
Gahrung dargestellt wird.
Bei der schleimigen Gahrung wird Traubenzucker in Milchsaure, Mannit
und eine Gummiart umgewandelt. Die Bedingungen und das Ferment derselben
sincl noch ungeniigend gekannt.
Bei der Essigbildung wird die Aufnahme des Sauerstoffes durch den Alkohol,
durcb Micoderma aceti vermittelt.
Die Verhinderung der Gahrungsprocesse, also die Conservirung vor Gahrung,
ist im Allgemeinen auf die bereits bei Faulniss (s. o.) besprochenen allgemeinen
Principien der Conservirung zuriickzufuhren. Doch^sind niedrige Temperaturen, wie
sie schon zur Conservirung vor Faulniss hinreichen, hier nicbt anwendbar, weil die
Gahrungsfunctionen der betreffenden Organismen noch bei 3—4° C. gar nicbt
beeintrachtigt werden. Hbhere Temperaturen sind desshalb ein besseres und auch
haufig angewendetes Mittel zur Verhinderung vieler Gahrungsprocesse und hat
z. B. die darauf beruhende Conservirungsmethode fiir Weine, das Pasteurisiren
(nach Pasteur) grosse Verbreitung bereits gefunden und wird gegenwartig aucb
bei Exportflaschenbieren angewendet.
Eine diesbeziiglich wichtige Verwendung hat gegenwartig die Salicylsaure
und besitzt in dieser Richtung jedenfalls noch eine grosse Zukunft. Schon in
geringen Dosen*) (z. B. 100 Gramm per 1000 Liter Most) ist sie im Stande.
*) Einschlagige Literatur iiber Salicylsaure. C. Neubauer, Joum. f. pract. Chem. 11.
pag. 2 und 354.. E. v. Meyer und H. Kolbe, Dingi. Journ. 217 pag. 402. H.
Wcidenbusch, Polyt. Centralb. 1875 pag. 582.
668 Gahrung. — Gahnit.
die meisten Gahrungsprocesse zu verhindern, ohne dabei einigermasseu den
Geschmack der betreffenden Fliissigkeiten zu modificiren oder gesundheitsschad-
liche Wirkungen auszuiiben. Ueber Gahrung der Bierwiirzen, der Branntwein-
maischen , des Weinmostes siehe bei Bier, Branntweinbrennerei und
Wein.
Literatur. Pasteur: Memoire sur la fermentation alcoolique, deutsch iibertragen von
V. Griessmayer. J. v. Liebig: Ueber die Gahrung und Quelle der Muskelkraft. Journ.
f. pr. Ch. Bd. 109 pag. 35. Dr. Adolf Mayer: Untersuchungen iiber die Alkohol-
gahrung etc., bei C. Winter in Heidelberg. Dr. Adolf Mayer: Lehrbuch der Gah-
rungschemie. O. Brefeld: Wagners Jahresberichte f. 1874 pag. 700. Ed. Donath:
Monographie der Alkoholgahrung etc., bei C. Winkler in Briinn.
Ed. Donath.
Gahrungsalkohole nennt man im Allgemeinen die bei Gahrungsprocessen
sich bildenden Alkohole, als Aethyl-, Propyl-, Butyl- und Amyl-Alkohole, von letz-
teren dreien selbstverstandlich nur jene Formen, welche ihre Bildung eben dem
Gahrungsprocesse verdanken. Gil.
Gahrungserreger, s. Fermente III pag. 407.
Gahrungsgummi nennt C. Scheibler eine besondere Art von Gummi,
welche unter dem Einflusse einer eigenartigen Gahrung des Runkelriibensaftes auf
Kosten des Zuckers entsteht (vgl. Dingl. pol. Journ. 210 pag. 302). Gil.
Gahrungskupe, s. Indigo, s. Zeugfarberei.
Gansekotigerz, Ganomatit, ein zu Joachimsthal, Andreasberg, Schemnitz
vorkommendes Mineral, welches gelbgriine oder braunliche glanzende Ueberziige
auf anderen Arsen- und Silbererzen bildet, ist ein ahnliches Gebilde wie Arsen-
eisensinter, ein Zersetungsproduct anderer Arsen-Eisenerze. Lb.
Gatize (gueuses — pigs), Barren, s. Eisenerzeugung III pag. 11.
Garben (raffiner, corroyer — ■ rifining), s. Eisenerzeugung III pag. 49.
Garbstahl (acier covroye — refined steel), s. Eisenerzeugung, III pag.
48, s. Stahl.
Gagat (jayet, jais — jet), schwarzer Bernstein. Eine dichte, schwarze, von
Erdpech getrankte Brauukohle, die fest und wenig sprode ist, H. := 1.3 — 1.4,
Spec. Gew. 3 — 4, hat den Bruch und den Glanz der Pechkohle, brennt lebhaft
wie Asphalt und hinterlasst eine kohlige porose Masse. Findet sich im unteren
Jura zu Witby (Jet) in England, audi bei Reutlingen und anderwarts im
schwabischen Jura. In Frankreich findet er sich im Griinsand von St. Colombe,
Dep. Aude, auch in Aragonien und Asturien in Spanien kommt er vor.
Das Mineral wird seit langer Zeit zu Dourbon und Segur in Languedoc
fabriksmassig zu Trauerschmuck verarbeitet, indem man es auf der Drehbank be-
arbeitet oder ahnlich wie Bernstein auf Sandsteinen schleift und mit Tripel, Oel
und Calcothar auf Leder polirt. Auch in England wird ahnlicher Trauerschmuck
erzeugt, doch dient dort statt des achten Gagat zumeist Cannelkohle als
Materiale. Lb.
Gahnit, Auto mo lit Min., dunkelgriine oder blaue, fettglanzende Krystalle
des tesseral. Systems, meist eingewachsen ist Eisen-, Magnesia- und Kieselerde-
haltiges Zinkaluminat ALOAZn. H. 8, spec. Gew. 4.33 — 4.35. Vorkommen im
Talkschiefer von Fahlun, Franklin in New-Jersey, Haddam in Connecticut, Quer-
bach in Schlesien u. a. 0. Dem Gahnit sehr verwandt ist der Dj^sluit
von Sterling in New-Jersey, ein dunkelbraunes Mineral, das neben Zinkaluminat
Gahnit. — Galbanum. 669
reichlich Eisenoxyd, Eisenoxydul und Manganoxydul enthalt, 8. a. Aluminium
I pag. 124. Gil.
Gahtlitbeize nennt Bolley (Dingl. pol. Journ. 149 pag. 142; eine zink-
haltige Thonerdebeize fur Baumwollfarberei, vgl. a. Spinellbeize. Gtl.
Gaidinsaure, s. m. Hypogaeasaure.
Gaize. In den Ardennen unter der Kreide vorkommendes Gestein, das
wesentlich aus Kieselerde (80 Proc), etwas Thon, Eisenoxyd, Kalk und Magnesia
besteht und sicli durch hocbgradige Porositat und leichte Bearbeitbarkeit Ces lasst
sick mit dem Messer scbneiden) auszeichnet. Es eignet sick mit Vortkeil zur
Herstellung von Sckmelztiegeln und liefert nack dem Gliiken sekr widerstands-
fahige Ziegel fur Sckmelzofen. Da ein grosser Tkeil des Kieselsauregehaltes der
Gaize in Alkalien loslich ist, so kat man das Gestein auck fur die Fabrikation
von Wasserglas empfoklen. Vgl. H. Deville und J. Desnoyers Compt.rend.
70 pag. 581, auck ckem. Centralbl. 1870 pag. 244). Gtl.
Galacticum s. m. Milckzucker.
Galactinsaure, Galactin, nack Morin (Journ. de Pkarm. (3) 25 pag.
423) eine in der Milck vorkommende eigentkumlicke sckleimige Substanz. Gtl.
Galactometer, Milchprtifer in Gestalt einer besonders construirten Senkwage
von Silber oder verzinntem Eisenblecb, s. Milck, vgl. Scklienkamp, Arck.
d. Pkarm. (2) 103 pag. 15. Gtl.
Galactose, Umwandlungsproduct des Milckzuckers, aus diesem durck Kocken
mit sekr verdiinnter Schwefelsaure sick bildend. Kleine warzenformige Krystalle,
leickt loslick in Wasser, gakrungsfakig. Entsprickt der Formel C6Hl(l06, starker
recktsdrehend als Traubenzucker und wie dieser alkaliscke Kupferoxydlosungen
reducirend. Mit Salpetersaure oxydirt liefert sie Sckleimsaure, vgl. Milchzucker,
s. Milch. Gtl.
GalactOSCOp, Milchprttfer, s. Milch.
Galambutter, s. B as si abutter I pag. 305.
Galangawurzel, s. Galgantwurzel.
Galanteriewaaren : Alle zum Putz und Schmuck gehorigen Artikel, mit
Ausnakme der Ellenwaaren, gleichviel ob sie Theile der Kleidung oder andere
auch oft dem gewohnlichen Gebrauche unterworfene Luxusartikel oder Theile davon
sind (Spitzen, Facher, Stockknopfe, Dosen etc.), vergl. Kurzwaaren.
Galazyme syn. fur gegohrene Eselsmilch, vgl. a. Arsa I pag. 193.
Galbanum (galbanum — galbanum). Mutterharz. Ein durch Eintrocknen
des Milchsaftes einer im nordl. und mittleren Persien, sowie auch in Mittelafrika
vorkommenden Umbelliferen-Art, wahrscheinlich Ferula erubenscens Boiss., erhaltenes
Gummiharz. Bildet rundliche, erbsen- bis haselnussgrosse, weissgelbe, gelbgriine
oder braungelbe, wachsglanzende Korner, welche am Rande durchscheinend. am
Brucke sckmutzig weiss oder gelblick sind (Korner galbanum oder Galbanum
in Grams') oder aus einzelnen Kornern zusammengeflossene, unregelmassige Stiicke
von kellerer oder dunklerer grUnlick-brauner Farbe, welcke kaufig fremdartige
Gemengtkeile (Pflanzentheile, Sandetc .) enthalten (K u c h e n g a 1 b a n u m, Galb. in
massis). Es ist kalt ziemlick sprode, erweickt jedock sckon in der Handwarme
und wird klebrig. Der Gesckmack ist eigentkiimlick sckarf bitter, der Geruck
670 Galbanum. — Galgantwurzel.
aromatisch. Mit Wasser angerieben gibt es eine weisse Emulsion, Alkohol lost
es zum Theile etwa 3/4, auf. Das Galbauum gelangt theils aus Syrien, Avabien
und Persien, tbeils von Ostindien zu Markte, Haupthandelsplatze sind Triest und
Marseille.
Es bestebt wesentlich aus Harz 67°/0, Gummi 19%? ather. Oel 6% neben
8 Proc. fremden Beimengungen (vgl. Pelletier Bull. Pharm. 4, pag. 97). Das
atherische Oel ist farblos, deni Terpentinol isomer, rechtsdrebend, es siedet bei
160° C. und hat das spec. Grew. 0.884. Das durcb Auflosen des Destillations-
riickstandes in Kalkmilch und Zerlegen des Kalkresinates mit Salzsaure isolirbare
Harz bildet weissgelbe Flocken, die in Weingeist leicht loslich sind. Nach Mo ss-
mer u. Hlasiwetz (vgl. Annal. d. Cbem. u. Pharm. 119 pag. 257 und Wien.
Akad. Bericbt 49 pag. 203) entspricbt es der Formel C,1VxH3SOro. Bei der trock.
Destination liefert es neben Wasser ein blaues dickes Oel, das bei 298° C.
siedet und der Formel C„QH.M)0 entspricbt, und Umbel lifer on (C6Jff402) in
seidenglanzenden, geschmack- und gerucblosen Nadeln. Beim Scbmelzen mit Kali-
hydrat liefert es Re so re in neben Oxalsa'ure und fliicht. Fettsauren. Das Galba-
numharz, ehemals ein geschatztes Arzeneimittel, wird gegenwartig nur selten als
Zusatz zu Pflastern verwendet, audi bildet es einen Bestandtbeil mancber Kitte
z. B. des Diamantkittes. Gtl.
Galeerenofetl (galere — galley furnace), nennt man im Allgemeinen jene
Art von Robren- oder Retortenofen, bei welchen eine Reihe r.ebeneinander einge-
setzter, oft in Doppelreiben angeordneter Rohren oder Retorten, von einer ge-
meinschaftlicben Feuerung erbitzt werden konnen. Gtl.
Galena s. m. Bleiglanz I pag. 570, allgemein auch synom. mit „Glanz",
daber Galena inanis d. i. Zinkblende, Galena Wismathi, Wismuthglanz.
Galenit, s. m. Bleiglanz I pag. 570. Galenit nennt E. David in
Paris auch das Product, welcbes beim andauernden Rosten von Bleiglanz bei
massiger Temperatnr erhalten werden kann (wesentlich Bleioxyd und schwefel-
saures Bleioxyd), und das er als Ersatz des Miniums fur Metallanstriche oder
des Bleiweisses zur Grundfai'be fur Oelanstriche empfiehlt. Es deckt gut und ist
ein kraftiges Siccativ, vgl. Deutsche Industr.-Ztg. 1875 pag. 3G8. Gtl.
Galenoide, s. m. Glanze.
Galettam, Gallet (fantaisie), Chappe, Florettseiden Gespinnst, s. Seide.
Galette, s. m. Cocon, s. Seide.
Galganiwurzel (galanga — galangal), kl einer Galgant, Galanga-
wurzel. Der Wurzelstock von einer in China einheimischen Scitaminee (Alpinia
chinensis Rose), bildet cylindrische 1 — 1.5cm dicke und 5 -6cm lange, gebogene
oder knieformige, meist einzelne Reste abgeschnittener Stengel und Wurzelaste
tragende Stiicke von runzlichem Aussehen und aussen rothbrauner, innen zimmt-
brauner Farbe. Die Wurzelsubstanz ist von holzig zaher Beschaffenheit und hat
einen aromatischen, pfefferartig scharfen Geschmack und einen eigenartig aroma-
tischen, entfernt an Ingwer erinnernden Geruch. Sie enthalt Starkemehl, ein scliarfes
Harz, Gummi, Bassorin, Gerbstoif und ein atber. Oel (etwa 0.5 Proc.), das durch
Destination mit Wasser gewonnen werden kann. Es ist gelb bis braungelb, von
brennend anisartigem Geschmack und dem Cajaputol ahnlichem Geruche (vergl.
A. Vogel, Rep. Pharm. 83 pag. 22). Die als grosser Galgant im Handel
nur mebr selten vorkommende Galgant-Sorte, welche dem kleinen Galgant voll-
kommen ahnliche aber starkere, zugleich aber auch leichtere und weniger aroma-
tische WurzelstScke darstellt, stammt nach einigen Angaben von Alpinia Galanga
Swrtz., nach anderen sind es lediglich ausgewahlte grossere Stiicke der gewobn-
Galgantwnrzel. — Galle. 07 1
liclien Galgantwnrzel. Der Galgant, ehemals als Arzneimittel geschatzt, wird
gegenwartig nur selten als Zusatz zu aromatischen Tincturen, Liqueuren u. d. g.
hie und da auch als Gewiirz, ahnlich dera Ingwer verwendet. Gtl.
Galipot, s. Fichtenharz, III pag. 482.
Galitzenstein blauer, s. m. Kupf&r vitriol, s. Kupfer.
Galitzenstein weisser, s. m. Z ink vitriol, s. Zink.
Gallapfel, s. Gall en.
Gallapfelgerbstoff, s. Gerbsauren.
Gallapfeltinte, s. Tinte.
Gallamid, Gallussaureainid. Tannigenamsaure, d. i. das Amid der Gallus-
saure (C7H.N04), welches durch Einwirknng von Ammoniak und saurem schweflig-
saurem Ammoniak auf Gerbsaure erhalten werden kann und grosse blattrige
Krystalle liefert, die in Wasser und Salzsaure loslich sind. Gtl.
Galle (bile — gall), die in der Gallenblase holier entwickelter Thiere
enthaltene griinlich gelbe Fliissigkeit. Sie ist schleimig-zahe, von salzig bitterem
Geschmack, frisch nur schwach riechend, aber sehr leicht dem Verderben unterworfen
und dann iibelriechend.
Die Galle findet mehrfach technische Verwendung und pflegt zu diesem
Zwecke gereinigt zu werden. Namentlich fur die Zwecke der Aquarellmalerei,
dann wohl auch als Reinigungsmittel fiir Zeuge muss sie vollig entfarbt werden.
Eine Reinigungsmethode ist folgende : Man nimmt ganz frische Ochsengalle,
lasst sie etwa 12 bis 15 Stunden ruhig stehen , giesst nun die iiber dem
Absatze stehende klare Fliissigkeit in eine porzellanene Abdampfschale, und lasst
im Wasserbade bis zu dem Punkte abdampfen, wo die Galle anfangt eine dickliche
Consistenz anzunehmen. Jetzt lasst man sie bei gelinder Warme fast bis zur
Trockne eindampfen, in welchem Zustande man sie in irdenen Kruken, die nur
mit Papier bedeckt werden, unverandert jahrelang aufbewahren kann. Beim Ge-
brauch nimmt man ein Stiickchen von der Grosse einer Erbse und lost es in einem
Essloffel voll Wasser auf.
Eine andere, weniger einfache, aber ein noch besseres Produkt liefernde
Methode ist folgende. In 1 Liter gekochter und abgeschaumter Ochsengalle
werden 40 — 50 Gr. fein pulverisirter Alaun anfgelost, die Losung in eine Flasche
gegeben und diese, leicht verkorkt, bei Seite gestellt. In einem zweiten Liter
Galle lost man 40— 50 Gr. Kochsalz auf, und bewahrt auch diese in einer Flasche
auf. In Verlauf von etwa 3 Monaten setzt sich in beiden Flaschen ein Bodensatz
ab^ wahrend sich die iiberstehende Galle klart. Man zieht diese von dem Sedi-
mente ab, und mischt nun beide Portionen, wodurch der gelbe Farbstoff gefallt
wird, nach dessen Abscheidung durch Filtration die Galle klar und farblos erscheint.
Die so gereinigte Galle verbessert sich noch mit zunehmendem Alter, und ist der
Yerderbniss nicht unterworfen.
Die so geklarte Ochsengalle mischt sich sehr gut mit Wasserfarben, und
ist namentlich zum Anmachen von Ultramarin, Carmin, Griin und anderen empfind-
lichen Farben sehr niitzlich, indem sie sie nicht nur eben so gut wie Gummi auf
dem Papier befestigt, sondern ihnen auch die Eigenschaft ertheilt, sich vorziiglicli
gut und gleichmassig auszubreiten^ ohne einen so starken storenden Glanz zu
bewirken wie Gummi. Mit Galle aufgetragene Farben trocknen schnell und so
fest ein, dass man sie ohne Gefahr des Wiederauflosens mit anderen Farben
iibergehen kann.
672 Galle.
Gegliihtes Lampenschwarz, mit Gummi und Galle angemacht. liefert eine
sehr brauchbare Nacbahmung des chinesischen Tusch. Sebr anwendbar ist sie
auch, urn Bleistift- und Kreidezeichnungen zu iiberziehen, um dem Verwischen
derselben vorzubeugen.
Besonders fur Miniaturmalerei ist die gereinigte Galle ein sehr wichtiges
Hilfsmaterial. Auf Elfenbein namlich haften die Farben nicht gut, indem es mit
einer Fettsubstanz durchzogen ist. Dieser Mangel lasst sich durch Abreiben des Stiickes
mit Galle vollstandig beseitigen, so dass sich die Farben auf dem Elfenbein eben
so gut wie auf Papier auftragen lassen und befestigen.
Auch zu Transparenten kann Galle mit Vortheil angewandt werden. Wenn
namlich geoltes oder gefirnisstes Papier mit Galle bestrichen wird, so kann man
so gut darauf malen wie auf ungeoltem.
Eine besondere Verwendung findet Galle auch in der Buntpapierfabrikation
(s. d.) und als Fleckreinigungsmittel. Haufig wird Galle durch Zusatz von Essig-
ather conservirt (auf 1000 Thl. Galle 7—8 Thl. Essigather) und halt sich mit
diesem Zusatze, der auch den unangenehmen Geruch der Galle deckt, lange Zeit,
ohne etwas an ihren Eigenschaften zu verlieren. Nach A. Vogel lasst sich die
Galle auch durch Vermischen mit Torfkohle conserviren (vgl. Deutsch. Industr.
Ztg. 1866 pag. 245).
Durch Kochen von frischer oder conservirter Galle mit caustischem Alkali
oder durch Verkochen von 2 Thl. Talg oder Harzseife mit 1 Thl. Galle erhalt
man die Gallenseife, welche als Fleckreinigungsmittel verwendet wird (vgl. Gaul-
tier de Claubry in Dingl. pol. Jour. 159 pag. 159). Aime Fichemot (dtsch.
Industr. Ztg. 1870 pag. 26) empfiehlt zum Waschen feiner seidener Zeuge,
Bander etc. eine Gallen-Seife, die man nach folgender Vorschrift erhalt: 1 K.
Cocosnussol wird in einem Kupferkessel erwarmt und mit Y2 K. atzender Sodalauge
von 30° B. und '/2 K. weissen venetianer Terpentin vermengt, die Mischung
durch 4 Stunden erwarmt gehalten und nun 1 K. Ochsengalle eingeruhrt. Der so
erhaltenen Masse wird endlich so viel gepulverte Kernseife beigemischt, bis sie
vollig fest wird (etwa 1 — 2 K. Kernseife).
Die Galle enthalt anorganische und organische Substanzen ; von ersteren
Alkalimetalle, Kalk, Magnesia, etwas Eisen, Mangan und Kieselsaure. Die orga-
nischen Bestandtheile, die zum Theil auch in anderen Organen aufgefunden wurden,
sind nicht bei alien Thiergattungen gleich, stehen aber unstreitig in uahen Bezie-
hungen. Ein grosser Theil derselben ist saurer Natur. Von ihnen sind an besten
bekannt die Glycocholsa^reCog-ff^iVO,; und die Taurocholsaure C,16HA^)NS01,
beide krystallisirte Sauren, die von Strecker (Ann. Chem.Pharm. 62,205) in der
Ochsengalle nachgewiesen wurden. Beide liefern mit wassrigen Alkalien erhitzt
Cholalsaure CO4H400b, die ersteren neben Glycocol (Amidoessigsaure)
CH2(NHa)COOH, 'die zweiten neben Taurin C^H^NH^SO^H). Die Glycochol-
saure diirfte auch in der menschlichen Galle vorkommen, von der Taurocholsaure
ist es noch zweifelhaft. Bei anderen Thieren wurden besondere Gallensauren ge-
funden, so dieHyoglycocholsaure und Hyotaurocholsaure der Schweine-
galle, die ganz analog den obigen in Hyocholsaure und Glycocoll, respective Taurin
zerfallen, die Chenotaurocholsaure der Gansegalle u. a.
Das C h o 1 e s t e r i n ist in alien Gallen hoherer Thiere aufgefunden worden, es
ist aber auch sonst im thierischen Korper und in pflanzlichen Produkten sehr
verbreitet.
Es besitzt die Zusamensetzung Cq6H43OH -\- H,20, krystallisirt aus Alkohol
in charakteristischen Blattern, ist seinem chemischen Verhalten nach ein Alkohol.
Von Gallenfarbstoffen, die auch in den Gallensteinen vorkommen, sind die
relativ best untersuchten das Bilirubin, auch Gallenroth, ein rothes krystallinisches
Pulver, dann das B i 1 i v e r d i n, Gallengriin, ein dunkelgriiner amorpher Korper, der
auch aus dem Bilirubin erhalten werden kann. Diese und andere Gallenfarbstoffe
werden am besten aus Gallensteinen dargestellt, die vorherrschend aus Cholesterin,
Bilifuscin, Biliprasin, Bilihumin, Fett, Schleim, endlich cholsauren und choloidinsauren
Galle. — Gallen. 673
Salze des Kalks, neben kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk, Magnesia, nicht
selten Eisen, Kieselerde und Spuren von Kupfer etc. bestehen.
K. II. und Dr. Skraup.
GalleTn (galleine — galleine) nannte A. Baeyer (Ber. d. d. chem. Ges.
1871 pag. 457, pag. 555 und 658) das durch Erhitzen von Phtalsaureanhydrid
mit Pyrogallussaure darstellbare Phtalein der Pyrogallussaure (CaoH1(/J7). Erhitzt
man 2 Thl. Pyrogallussaure mit 1 Thl. Phtalsaureanhydrid durch einige .Stunden
auf 190 — 200° C. bis zum Dickwerden der Masse, lost die Schmelze in heissem
Alkohol, filtrirt und verdiinnt mit Wasser, so erhalt man einen reichlichen Nieder-
schlag von Gallei'n, der nochmals in Alkohol gelost und umkrystallisirt, reines
Gallei'n liefert. Es bildet entweder ein braunrothes Pulver oder kleine metallisch
griin glanzende Krysta'llchen, lost sich in kaltem Wasser kaum, . in heissem mit
rother Farbe jedoch schwer, leicht in Alkohol mit dunkelrother Farbe. Kalilauge
lost es zu einer prachtig blauen, Ammoniak zu einer violetten Fliissigkeit. Erhitzt
verkohlt es. Mit sehr verdiinnter Schwefelsaure und Zink erhitzt liefert das Gallei'n
eine hellrothgelbe Losung, aus welcher sich grosse braunrothe Krystalle ausscheiden,
die aus trockenem Aether umkrystallisirt, grosse farblose Krystalle von Gallin
(CU0i/1807) liefern, welche jedoch an der Luft rasch undurchsichtig werden und
zu einem rothlichen Pulver zerfallen. Das Gallin, welches auch in einer wassrigen
Losung von Pyrogallussaure leicht loslich ist und aus einer solchen gut umkry-
stallisirt werden kann, lost sich in kaltem Wasser schwer, leichter in heissem,
sehr leicht in Alkohol auf. Seine wassrigen Losungen farben sich sehr leicht roth.
Durch Erhitzen mit 20 Thl. cone. Schwefelsaure auf 200° C. geht das Gallei'n
unter Veranderung der Anfangs rothbraunen Farbe der Losung in eine griinbraune,
in Coerulei'n iiber, das sich durch Verdiinnen der Saurelosung mit viel Wasser
in Gestalt eines voluminosen fast schwarzen Niederschlags ausscheidet, der nach
dem Waschen mit Wasser zu einer blaulich schwarzen, gerieben metallglanzend
werdenden Masse von reinem Coerulei'n eintrocknet. Das Coerulei'n ist in Wasser,
Alkohol und Aether kaum, leichter u. z. mit schmutzig griiner Farbe in Essig-
saure, mit olivenbrauner Farbe in heisser cone. Schwefelsaure und mit prachtvoll
indigoblauer Farbe in heissem Anilin loslich ; Alkalien losen es mit schon griiner
Farbe. Seine Zusammensetzung entspricht der Formel CwHl0O1. Durch Reductions-
mittel geht es in Coerulin ilber, das sich in Aether zu einer gelben, schon griin
fluorescirenden Fliissigkeit lost. Sowohl Gallei'n, als auch Coerulei'n sind Farb-
stoffe und farben mit Thonerde-, EiseiiT oder Chrom-Salzen gebeizte Zeuge schon
und echt. Nach Versuchen von Kochlin (Dingl. pol. Journ. 224 pag. 463) gibt
Gallein sowohl auf dem Wege des Druckes als auch der Fa'rberei rosa und
violette Tone, welche Seife gut vertragen. Mit Chrombeizen liefert es dunklere,
mit Bleioxyd graue Nuancen. Coerulei'n liefert mit Thonerde- und Eisenbeizen
olivengriine Tone, die seifen- und lichtecht sind. Zur Herstellung einer fiir Farberei-
zwecke geeigneten Coeruleinlosung setzt man dem Wasser eine der Farbstoffmenge
gleiche Quantitat von doppeltschwefligsaurem Natron zu, worin sich das Coerulei'n
vollkommen lost. Vgl. a. Phenolfarbstoffe bei Phenol, s. Theer. Gil.
Gallen, Gallapfel (galles, noix de galle — nut galls), Gallus, sind gerb-
stoffreiche Auswiichse in kraftiger Vegetation stehender, jugendlicher oder bereits
vollkommen entwickelter Pflanzentheile, welche in Folge des Einflusses von im
Innern ihres Gewebes oder an ihrer Oberflache lebender Thiere sich entwickeln.
Fiir uns hier haben nur jene eine Bedeutung, welche ihre Entstehung gewissen
Gallwespen (Cynips-Arten) und Blattlausen (Aphis-Arten) verdanken und durch-
aus dicotylen Gewachsen angehoren.
Die im Handel vorkommenden technisch und niedicinisch verwendeten Gallen
(namentlich in der Farberei und Gerberei) lassen sich demnach als Cy nips- und
Aphis -Gall en und nach den Pflanzen, von denen sie gesammelt werden, als
Eichen-, Sumach-, Pistacien- und Tama risken -Gallen unterseheiden.
Karmarsch & Heeren, Technischea Worterbuch. Bd. III. 43
674 Gallen.
A. Eichen gallen, durch Gallwespen auf verschiedenen Eichenarten in
Asien und Europa erzeugte Gallen. Das eierlegende Weibchen dieser Haut-
fltigler bohrt mit seinem Legestachel in die Rinde jiinger Zweige, in die Knospen
odev in andere Theile und deponirt in der entstandenen Hohlung das Ei.
Dadurch, sowie durch den Reiz, den die spater auskriecliende Larve ausiibt,
wird eine Vermehrung des Saftezuflusses, Neubildung und Wucherung von Ge-
websmassenin Formeines geschlossenen, am haufigsten mehroder weniger kugligen
Auswuchses hervorgerufen, der in seinem Innern eine im Verhaltniss zur Dicke
der Wandung nur kleine Hohlung birgt, worin das Thier seine Metamorphose
dnrchmacht und schliesslich als ausgebildete Gallwespe sich herausbohrt oder
darin zu Grunde geht. In vielen Gallen findet sich im Innern ein aus sehr dichtem
Gewebe bestehender, das Thier zunachst umschliessender, rundlicher Hohlkorper,
die sogenannte Innengalle.
Nach ihrer Herkunft werden die Eichengallen des Handels als asiatische
und europaische unterschieden.
1. Asiatische. Die werthvollsten, weil gerbstofFreichsten unter den Eichen-
gallen sind die sogenannten Levantiner oder tiirkischen Gallen (Gallae
levanticae, Galle du Levant, Levant Galls). Sie entstchen durch Cynips Gallae
tinctoriae Oliv. auf jungen Zweigen von Quercus Lusitanica Webb. Var.
infectoria DC. (Q. infectoria Oliv.), einer immergriinen strauchigen Eichenart,
die durch Kleinasien und Syrien bis Persien verbreitet ist und auch auf Cypern
und in Thracien wachst. Der wichtigste Stappelplatz fur diese Gallen ist Aleppo,
und zwar werden sie theils im Elajet Aleppo selbst gesammelt, namentlich in der
Gegend von Killis, Aintab und Marasch, nordlich von Aleppo, theils gelangen sie
aus Kurdistan, wo sie sowohl ostlich in den Bergen von Mosul , am Tigris, bei
Zachu bis an die persische Grenze, bei Revandoz und Suleimania, als auch westlich
bei Mardui und bei Diarbeker gesammelt werden, auf den Markt von Aleppo.
Nach v. Zwiedinek kommen durchschnittlich jahrlich von Mosul 900 — 1000
Kantar (a 200 Okken), von Mardui 500—600 und von Diarbeker 400—500 K.,
wahrend die Jahresernte im Aleppischen Gebiet selbst ca. 200 — 250 K. betragt.
Der grosste Theil der auf den Markt von Aleppo gelangenden Waaren wird iiber
Alexandrette nach Marseille und Liverpool, ein Theil nach Triest, Genua und
Livorno verschifft. In neuerer Zeit geht ein Theil des im ostlichen Gebiet Ge-
sammelten liber Bagdad nach Indien und von hier aus wahrscheinlich in Ver-
bindung mit Zufuhren aus Persien nach England (Bombay- oder ostindische
Gallen). Weniger belangreich ist die Production Kleinasiens an Gallen, die
iiber Smyrna ausgefiihrt werden.
Die levantinischen Gallen sind kuglig, nach abwarts in einen kurzen Stiel
verschmalert, mit einem Durchmesser von 1.5 — 2.5em, an der Oberflache, zumal
in der oberen Halfte mit zerstreuten stumpfen oder ziemlich spitzen Hdckern und
leistenartigen Vorspriingen besetzt, bald heller, bald dunkler olivengriin, grau-
griin, braungelb, gelblichroth oder strohgelb, haufig, zumal die lichter gefarbten
mit einem seitlichen, 2 — 3mm weiten Flugloch versehen, schwer, hart, sprode, am
Bruche bald dicht, fast hornartig, bald locker kornig-brockelig, zuweilen strahlig
oder zerkliiftet. Der Durchschnitt zeigt eine von den Resten des Insectes und
von Gewebsdetritus locker ausgefiillte oder eine ganz leere Hohlung, je nachdem
die Galle geschlossen oder durchbohrt ist, selten findet sich darin die mehr oder
weniger gut erhaltene entwickelte Gallwespe. Der Hohlraum ist zunachst von
einem meist dunkleren und dichteren Kern (Innengalle) umgeben, wiihrend die
iibrige Masse eine heller braune oder gelblich-weisse Farbe besitzt. Sie sind
geruchlos und schmecken sehr zusammenziehend. Ihr wichtigster Bestandtheil ist
die Gallapfelgerbsaure (Tannin), von der die besten 60—70 Proc. enthalten,
neben etwas Gallussaure, Ellagsaure, Gummi, Zucker, Harz, einem pectinartigen
Korper etc.
Gallen. 675
Nach ihrer Provenienz, .Grosse, Schwere, Oberflachenfarbe unterscheidet man
im Handel zahlreiche, im Preise ungleiche Sorten. Die werthvollsten im Allge-
meinen sind die von Aleppo exportirten, aleppischen Gallen. Auf dem Markte
von Aleppo werden die im Gebiete des Villajets gesammelten am hochsten
geschatzt, ihnen reihen sicb die von Mardui kommenden an, wahrend die
Mosul -Gallen in der Qualitat nacbstehen und als die schlechteste Sorte die
von Diarbeker gelten. Weiter werden die aleppischen Gallen sowohl wie die
aus Smyrna ausgefiihrten kleinasiatischen oder Smyrna- Gallen (G. de
VAsie mineure on G. de Smyrna) als schwarze (G. noires, die dunkleren),
g r ii n e oder grlinliche (G. vertes) und w e i s s e (G. blanches, die heller gefarbten)
unterschieden. Letztere bezahlt man durchschnittlich mit %- — 3/4 des Preises der
schwarzen.
Die kleinsten (hochstens lcm im Durchmesser), aus der naturellen Waare
ausgelesenen aleppischen Gallen, in Farbe den schwarzen gleichend, zum Theil
mit spitzen verlangerten, oft verbogen«n Hockern, hart, meist ohne Flugloch,
pflegt man als Sorian-Gallen zu bezeichnen.
Eine durch Form und Grosse sehr auffallende Sorte stellen die sog. Bas
sora-Gallen dar. Sie sind vorwaltend eirund oder etwas niedergedriickt kuglig,
fast kreiselformig , 5 — 5.5cm lang, oben kurz gespitzt, unten in einen kurzen
dicken Stiel verschmalert, an der Oberflache rothlich-braun oder braunroth, glan-
zend, oft wie lackirt, in der Mitte des Umfanges oder in der oberen Halfte mit
einem einfachen, meist aber mehrfachen Kreise ziemlich spitzer, gerade abste-
hender kurzer, heller gefarbter, von einander getrennter, selten zusammenflies-
sender Hocker und mit einem kreisrunden, relativ engen Flugloch versehen, sehr
leicht, weich, innen schwammig, hell-lederbraun, in der Mitte aueh einer eirunden
glatten Hohlung. Ihre Abstammung ist nicht sicher erschlossen. Vielleicht werden
sie von einer und derselben Cynips-Art auf verschiedenen Eichenarten erzeugt.
• 2. Europaische Eichengallen. Auf verschiedenen Eichenarten
(Quercus jpedunculata Ehrli., sessiliflora Sm., pubescens Willd., Cerris L., Ilex
L. etc.) durch verschiedene Cynips-Arten entstandene Gallen von mannigfaltiger
Gestalt, Grosse und Oberflachenbeschaffenheit, leichter und armer an Gerbstoff als
die asiatischen. Hieher gehoren:
Die Morea-Gallen (angeblich von der Zerreiche Quercus Cerris L.),
klein (hochstens 1.2cm lang), kreisel- oder urnenformig, in einen kurzen Stiel
verschmalert oder fast zusammengezogen, an der Oberflache etwas glanzend roth-
braun oder graulich gefleckt, laugs- oder unregelmassig netzrunzlig, im obersten
Theile mit einem Kreise von spitzen oder ziemlich spitzen, seitlich verbundenen
Hockern (ahnlich einem Fruchtkelche), am Scheitel flach gewolbt, seitlich mit
einem auffallend grossen kreisrunden Flugloch. — Istrianer Gallen (wohl von
Quercus Ilex L.), klein (hochstens 1.5cm lang), kuglig, oben ohne Spitze oder kurz
stumpf-gespitzt, nach abwarts in einen kurzen dicken Stiel verschmalert, an der
Oberflache matt rothbraun oder mehr gelblichbraun , grob unregelmassig, fast
netzig-runzlig, gegen den Stiel zu langsrunzlig, ohne Hocker, h5chstens mit An-
deutungen von stumpfen Leisten am Scheitel oder in der oberen Halfte. Sollen
41.2 Proc. Gerbstoff enthalten.
Was als Abruzzo-Gallen im Handel vorkommt, stimmt im Wesentlichen
mit den Istrianer Gallen iiberein. (Auch im Gehalte an Gerbstoff). — Die sog.
Marmoregne- oder apulischen Gallen (G. Marmorigae, Marmonigae*
apulicae), angeblich aus der Gegend von Puglia in Neapel, sind kuglig, kurz
gestielt, von der Grosse der levantinischen, an der Oberflache vorwiegend matt-
rothlich, grau-braun, mehr oder weniger runzlig, ohne Hocker oder hochstens mit ein-
zelnen stumpfen Hockern versehen. Vielleicht werden sie von einer anderen
Abart der Q. Lusitanica gesammelt.
Ungarische Gallen, von denen man kleine und grosse (Landgallus)
unterscheidet. Die klein en, durch Cynips lignicola Hart, auf der Stieleiche
43*
676 Gallen.
(Quercus pedunculate/,) und auf der Steineiche (Q. sessiliflora) entstanden, haben
die Grosse etwa der Istrianer Gallen, sind kuglig, ungestielt, sehr grobrunzelig
auf der etwas glanzenden, dunkel-rothbraunen, von weisslichen Schilfern fleckigen
hockerlosen Oberflache. Die gross en ungarischen Gallapfel, durch Cynips Hun-
garica Hart, auf Q. peducnidata erzeugt, sind kuglig, oder nach abwarts etwas
verschin alert, von der Grosse eines kleinen Apfels, an der Oberflache matt oder
schwach glanzend, hellbraunlich oder aschgrau, allenthalben mit Ausnahme des
untersten flach-langs-furchigen Theils rait stumpfen 3 — 4 kantigen, mit den ver-
langert herablaufenden Kanten zum Theil zusammenfliessenden Hockern besetzt,
dadurch unregelmassig kantig, hockerig, sebr leicht, im Innern mit lederbrauner
korkartiger Wand, welche einen unregelmassigen Hohlraum umschliesst, in welchem
sich, von einem kurzen Stiele getragen, eine sehr regelmassige ellipsoidische
Innengalle findet. Ihnen verwandt, noch mehr aber den Bassora-Gallen sind die
von Cynips argentea Hart, auf jungen Aesten von Quercus pubescens, sel-
tener von Q. sessiliflora und peduncidata producirten Gallapfel. Sie haben etwa
die Grosse der grossen ungarischen Gallus, sind kuglig oder urnenformig mit
einer ganz geringen Verjtingung nach abwarts, am Gipfel kurz stumpfgespitzt,
im oberen Drittheil mit einem Kreise von wenigen (6 — 8) scharf ausgepragten
dreieckigen, etwas nach aufwarts gebogenen, seitlich durch einen schmalen Saum
verbundenen Hockern versehen und dadurch an manche vom Kelche gekronte
Frnchtformen erinnernd, unter einem feinen aschgrauen Ueberzuge rehbraun, mit
einem kreisrunden Flugloch, sehr leicht, im Innern ganz wie die Bassora-Gallen.
Deutsche Gallen. Die durch Cynips Kollari Hart, auf Quercus sessili-
flora, pubescens und wohl auch auf anderen Eichenarten hervorgerufenen Gallen
sind regelmassig kuglig mit einem Durchmesser von 2 — 2.5om, aussen glanzend,
hellrothlich oder gelbbraun und meist vollkommen glatt, selten etwas runzelig,
sehr leicht, mit hellbrauner, nach innen zu radial gestreifter sehr weicher Wand-
substanz, die einen elliptischen Hohlraum einschliesst. Enthalten 25 — 30 Proc.
Gerbsaure.
Eine besondere Art von Gallen bilden die als Gerbematerial bei uns viel
beniitzten Knoppern, ungarische oder eigentliche Knoppern, {Gallons, Galles a
bonnet — Acorn-Galls) (niclit zu verwechseln mit den sogenannten orientalischen
Knoppern oder Valonen). Sie verdanken ihre Entstehung der Cynips Quercus
Calycis Burgsdf., die ihr Ei in die junge Frucht von Quercus sessiliflora (und
pedunculata) legt und kommen vorziiglich vor und werden gesammelt in Ungarn,
Slavonien und in der Bukovina (in den Monaten September und October).
In giinstigen (warmen trockenen) Jahren erhalt man bis iiber 100 K. von
einem Baume. Fiinfkirchen, Temesvar, Pest, Oedenburg sind die Hauptmarkte
ftir dieses Rohproduct, welches statt der Gallapfel in der Farberei und zum
Gerben (besonders von Sohlenleder) verwendet wird. Die Knoppern stellen sehr
verschieden, zum Theil ganz unregelmassig gestaltete etwa 1.5 — 2.5cm lange
stumpfliockerige, furchige, kantig-gefliigelte, leichte holzige Korper dar, von matt-
rothbrauner oder gelblichbrauner Farbe, die mehr weniger verktimmerte Frucht
(Bechevhiille und Eichel) ganz einschliessend oder (bei einseitiger Entwickelung)
der Frucht seitlich aufsitzend. Im Innern findet man zwei durch eine Querscheide-
wand getrennte Hohlraume, von denen der untere die eiformige, an einem Ende
offene Innengalle einschliesst; am oberen Ende der Knopper findet sich eine
natiirliche Oefihung zum AusschliipfLii des Insects. Je weniger Friichte die
Knoppern enthalten, desto geschatzter sind sie. Sie kommen auch gemahlen als
Knoppernmehl im Handel vor. Auch ein Knoppernextract ist Gegenstand des
Handels.
Im Anschlusse sei liier noch einer Sorte von Gallen erwahnt, die in jiingster
Zeit angeblich aus Griechenland unter dem Namen „Rove" eingefiihrt wurden.
Sie haben eine sehr mannigfaltige, zum Theil sehr abenteuerliche Gestalt; am
haufigsten sind kreiselforraige oder fast becherfbrmige Stiicke, manche erinnern
Gallen. 677
einigermassen an Morea-Gallen, sind kelcliformig, pben am breitesten mit ver-
tiefter, im Urnkreise unregelmassig gelappter Scheitelflache, aus deren Mittc sich
ein kurzer spitzer Zapfen erhebt, nach abwarts in einen kurzen Stiel versclimalert,
an der Oberflache dicht gelblich graufilzig. Die harte, hornartige, gl&nzend schwarz-
lich braune Wand umgibt eine ziemlich weite, innen glatte Hohlung, in welcher
lose eine eirunde odor langliche, sehr zcrbrechliclie Innengalle liegt. Meist sitzen
diese Gallen zu mehreren endstandig an den jungen Aesten. Hire Abstammung
ist nicht bekannt. Einigermassen erinnern sie in ihren Gestalten und der Be-
schaffenheit ihres Innern an die Gallen von Cijnips polycera Gir. (s.Mayr, mittel-
europ. Eichengallen Taf. Ill F. 23.)
B. Sumach- (Rhus-) Gallen. Durch Blattlause auf verscluedenen
Sumach- (Rhus-) Arten erzeugte Gallen. Hieher gehoren als die wichtigsten die
schon 1724 in Europa eingefuhrten, aber erst seit etwa 40 Jahren als regel-
massiger Handelsartikel aus China und Japan auf dem europaischen, zumal dem
englischen Markte vorkommenden chinesischen und japanischen Gallen
(Gales de Chine ou du Japan — Chinese Galls.), blasige Auswiichse, welche durch
Aphis chinens is Dubled. an den Blattstielen, angeblich von Rhus semialata Murray
einer in China und Nord-Indien, beziehungsweise in Japan einheimischen baum-
artigen Anacardiacee entstehen. Sie stellen hohle, blasenformige, leichte, 2 — 8"m
lange, bis 4cm breite Gebilde dar von sehr mannigfaltiger, zum Theil sehr son-
derbarer, schwer zu beschreibender Gestalt. Im Allgemeinen sind sie langlich
oder verkehrt eiformig ohne (Japanische G.) oder mit einzelnen bis zahlreichen
kiirzeren und langeren7 geraden oder etwas gekriimmten, kugelformigen, hohlen
Fortsatzen und Hockern besetzt, aussen meist fein gestreift und von einem dichten,
kurzen, grauen Filz aus einfachen7 dickwandigen, steifen Haaren iiberzogen,
darunter gelblich- oder rothlichbraun, mit 1 — 2mm dicker, hornartiger, eben-
briichiger, durchscheinender, von Milchsaftgangen durchsetzter Wand. Die weite
Hohlung en thai t die Reste der in grosser Zahl vorhandenen schwarzlichen Blatt-
lause neben einer weisslichen, klumpig zusammengeballten, von den Insecten ab-
gesonderten fadigen Masse.
Der Gerbstofigehalt dieser Gallen, welche im Preise etwa V3 billiger sich
stellen als die besten tiirkischen und von denen auf dem Londoner Marktjahrlich
an 6000 — 8000 Kisten verkauft werden, ist mindestens ebenso bedeutend, wie
jener der besten tiirkischen, namlich 65 — -77 Proc. Neben Gerbstotf enthalten
sie auch Starke (im verkleisterten Zustande) als Zellinhalt, etwas Gallussaure,
Fett, Harz etc.
Hieher gehoren auch die auf einer Sumach-Art (nach D y m o o k in Ph. d. a.
Transact. 1876 Juni p. 1003 wohl nicht richtig auf Rh. succedanea) in
Indien vorkommenden, im GerbstofFgehalt den chinesischen kaum nachstehenden
Kakrasingheer Gallen von flacher, scheibenrunder, eiformiger, langlicher,
haufig lappiger und verbogener Gestalt und 1 — 3cm Durchmesser, bei 4 — 6mm
Dicke, an der hell braunlich-gelben, gelbbraunen bis gelbgritnen Oberflache kahl,
langsrunzlig, mit etwa lmm dicker, hornartiger, griinlich-gelber bis brauner Wand
und weiter Hohlung. Sie gelangen aus dem nbrdlichen Indien auf den Markt von
Bombay.
C. Pis tazien -Gallen. Auf Pistazia - Arten durch Blattlause erzeugte
Auswiichse. Hieher gehoren die Terpentin- Gallen, Judenschoten, (Carobe
de Giudea) Sie entstehen durch Aphis Pistaziae L., auf verscluedenen Theilen
von Pistazia Terebinthus L. einer strauchartigen, im Gebiete des Mittel-
meeres (in Oesterreich z. B. sehr haufig in der Siidspitze Istriens und auf den
benachbarten Inselu) wachsenden Anacardiacee. Die meisten und grbssten Aus-
wiichse kommen auf der Spitze der Aeste vor, sind im Allgemeinen hiilsentormig,
nicht selten bis 1.5 — 2.0dm lang, nach abwarts etwas versclimalert, nach aufwiirts
zugespitzt, cylindrisch oder zusammengedriickt, die einjahrigen hellgelb-griin, meist
purpura iiberlaufen, langs-adrig-gestreift, frisch klebrig von ausgetretenem Balsam
678 Gallen. — Gallerte.
und nach cyprischem Terpentin riechend, getrocknet hart, sprode. Die kaum
lmm dicke Wand enthalt mit hellem Balsam gefiillte Kanale, die weite Hohlung
die Brut und eine weisse fadige Masse. Die vorjahrigen Gallen sind schwarz-
braun oder fast schwarz, meist klaffend, runzlig, sehr hart und sprode. Die Ter-
pentingallen entkalten an 60 Proc. Gerbstoff, 15 Proc. Gallussaure, etwas Harz
und atherisches Oel. Die auf den Blattern und Blattstielen der genannten Pista-
ziaart vorkommenden Gallen stimmen mit den gleichartigen Gallen von Pistazia
atlantica Desf. und P. Lentiscus L., Arten, die gleichfalls in Sud-Europa,
Nord-Afrika und im Oriente und zumal letztere haufig vorkominen, uberein, welche
gewohnlich als Busgundsch (in Marokko als Igh) bezeichnet werden, und auf
den letzten Weltausstellungen aus dem Oriente sowohl wie aus Marokko reichlich
vertreten waren, in welchen Landern sie gleich wie die Terpentin-Gallen zum
Farben der Seide und zum Gerben dienen. Sie sind knollig, an kleine Kartoffeln
erinnernd, erbsen- bis wallnussgross, nacb abwarts in einen kurzen, stielartigen
Theilverschmalert, an der Oberflachemehroder weniger runzelig, mit seichteren und
tieferen Langsfurchen, etwas glanzend, braunrbthlich oder gelblich-braun, nach
abwarts purpura, sonst mit den Eigenschaften der oben beschriebenen Terpentin-
Gallen. Hielier gehoren auch die von Pistazia vera L. stammenden echten
Bokhara-Gallen (Gule-Pistah auf dem Bombay-Markt, wohin sie von Persien,
wohl auch aus Centralasien gelangen). Sie sind rundlicb, eiformig oder langlich,
stumpf oder zugespitzt, 6 — 20mm lang, an der Oberflache glatt, langsaderig, etwas
glanzend, hellbraun-rbthlich oder gelblich mit rothlichem Anflug, mit relativ dtinner,
hornartiger, braunvioletter, durchscheinender, einen weiten Hohlraum umgebender
Wand, welche im Baue mit jener der Terpentin-Gallen iibereinstimmt. Ihr Gerb-
stoffgehalt soil 32 Proc. betragen.
D. Tamarisken-Gallen. In neuerer Zeit hat ein aus Marokko unter
dem Namen Takout eingefiihrter Rohstoff die Aufmerksamkeit der europaischen
Industrie auf sich gezogen. Aber nicht bloss Marokko, sondern auch Algier, Indien
und Centralasien liefern (unter verschiedenen anderen Bezeichnungen) diesen Artikel
in den Handel, und zwar wird diese Sorte von Gallen, wie es scheint, in den ver-
schiedenen, eben bezeichneten Gebieten von einer und derselben weit verbreiteten
Pflanze, der Tamarix articulata Vahl. (T. orientalis Torsk.), gesammelt. Der
Takout besteht aus pfefferkorn- bis haselnuss- oder etwas dariiber grossen
sehr verschieden geformten Stticken. Die meisten sind unregelmassig knollig,
rundlich, annahernd eiformig, langlich mit Einschniirungen etc., an der Ober-
flache grob-warzig-runzlig, matt graubraun, gewaschen hell gelbbraun, purpurroth
oder brauuroth, hart, einzelne, namentlich die grosseren Stiicke mtirbe, zerreiblioh,
leicht, die kleinen ohne, die grosseren meist mit einem kreisrunden, glattrandigen
Flugloche versehen. Die Innenmasse ist schwammig-zellig, gelblichbraun oder
griin-braunlich, an den grosseren mit einer unregelmassig begrenzten Hohlung
oder mit mehreren derartigen Hohlraumen, in denen weisse Flocken, sowie Insecten-
reste, reichlich auch Pilzfaden sich finden. Ihr Gerbstoffgehalt betragt iiber
43 Proc. A. Vogl.
Gallenfarbstoffe, s. Galle HI pag. 672.
Gallenfett, s. Choi ester in, s. Galle HI pag. 672.
Gallensauren, s. Galle III pag. 672.
Gallensteine, s. Galle HI pag. 672.
Gallerte (gelee — jetty), nennt man im Allgemeinen jene eigenthiimlich
halbfesten, zitternden (sulzigen) Massen, welche sich beim Erkalten der Losungen
sog. Gallertki3rper bilden. Solche Losungen sind in der Hitze fast ausnahmslos
schleimig zahe, mehr weniger klebrig und gestehen beim vollstandigen Erkalten
zu Gallerten (Sulzen). Korper, welche die Eigenscbaft haben, Gallerten zu bilden,
Gallerte. — Gallussaurearnid. 679
sind in erster Linie der thierische Leim und das Ieimgebende Gewebe (Hausen-
blase), s. d. Von Pflanzenstoffen haben naroentlich gewisse Algen (s. Agar-Agar
I pag. 59, Caragaheen s. II pag. 252), dann Flechten (island. Moosj, endlich
auch Samen (Flohsamen, s. Ill pag. 600, Quittensamen etc.), sowie andere reich-
liche Mengen von Pflanzenschleim enthaltende Pflanzentheile die Eigenscliaft mit
Wasser Gallerten zu liefern. Gtl.
Gallertfolien, s. Leimfolien bei Leim.
Gallertkapseln, s. Leim.
Gallertsaure, s. m. Pectinsaure.
Gallette (cocon — cocoon), das Co con genannte Gespinnst der Seidenraupe.
Gallhuminsaure, Metagallussaure, Melangallussaure, s. Gerbsauren.
Gallin, s. b. Gallein III pag. 673.
Gallirbret (planche d 'arcades — compass board), das Harnischbret
an Zug- und Jaqnardstiihlen, s. W e b e r e i.
Galliretl (empoutage — becting), das Vorrichten des Harnisches, Harnisch-
stechen genannt, s. Weberei.
Galliren, s. Beize I pag. 373.
Gallisiren, s. Wein.
Gallseife, Gallenseife, s. Galle III pag. 672.
Gallium (gallium — gallium). Von Lecoq de Boisbaudran im Jabre
1875 (27. Aug.) entdecktes neues Metall. Findet sich in der Zinkblende von
Pierrefitte (Pyrenaen), in der scbwarzen Blende von Bensberg, im Zinkstaube von
Vielle Montagne und im Flugstaub der Rostofen von Corpbalie (Belgien), endlich
auch im kauflichen Zink, spurenweise (16mg in 10k Zinkblende) vor. 1st grau-
weiss, vom spec. Gew. 5.93 und dem Atomgew. 69.9- Es schmilzt bei 29.5 bis
30.1° C. (Handwarme) und kann wochenlang fllissig bleiben, bei langsamen Er-
kalten bildet es kleine Octaeder. Beim Erhitzen in reinem Sauerstoff auf 260° C.
oxydirt es nur wenig (D u p r e), in dunkler Rothgluth starker, wird blaulich grau
und verliert seinen Glanz. Salpetersaure greift es in der Kalte nicht, wohl aber
in der Warme an. Salzsaure lost es unter Wasserstoffentwicklung, ebenso Aetzkali.
Cbarakteristisch fur das Gallium ist sein Spectrum, welches zwei schone violette
Linien zeigt. Es steht in Hinsicht der Eigenschaften seiner Salze einerseits dem
Aluminium, andererseits dem Zink nahe. Schwefelwasserstoff fallt es nicht, ebenso
werden reine Galliumsalzlosungen durch Schwefelammonium nicht gefallt. Zink
fallt aus Galliumsalzlosungen Galliumoxyd, Ammoniak fallt unvollstandig, Aetzkali
und Aetznatron fallen , doch lost sich der Niederschlag im Ueberschusse des
Fallungsmittels wieder auf. Aus den Losungen von Galliumoxyd in atzenden
Alkalien kann durch Electrolyse das Metall gefallt werden. Naheres ttber Dar-
stellung und Eigenschaften dieses Metalls, s. Lecoq de Boisbaudran, Compt.
rend. 81 pag. 493, 82 pag. 1036 und 1098, 83 pag. 636. Derselbe und Jung-
fleiscb, Bull. d. 1. soc. chim. 1877, 27, Nr. 3 pag. 144. Delachanel und
Mermet, Bull. d. 1. soc. chim. 1876, 25, Nr. 5 pag. 197, im Auszug a. chem.
Centralbl. 1875 pag. 658, 818; 1876 pag. 393, 451, 452, 705, 721; 1877
pag. 51. Gtl.
GalluS, s. m. Gallapfel, s. Gall en III pag. 673.
Gallussaure, s. b. Gerbsauren.
Gallussaureamid, s. m. Gallamid III pag. 671.
680 Gallustinte. — Galvanoplastik.
Gallustinte^, s. Gallapfeltinte, s. Tinte.
Galmei (calaminec — diamine), kieselsaures Galmei, Zinksilicat, Kieselzinkerz,
Hemimorphit, krystallisirt rhombisch in eigenthiimlichen hemimorphen Krystallen, welche
wie sie auch oben begrenzt sein mogen, unten eine Brachypyramide zeigen, wo-
durch sie einerseits zugespitzt, keil- oder spatenformig werden. Die Krystalle
sind meist klein, aufgewachsen und zu Drusen verbunden, haufig auch in kugel-,
keil-, fackerfbrmigen Gruppen vereinigt, aucb fein stenglig, faserig, kbrnig,
dicht und erdig findet er sich.
Nach dem Prisma und dem Orthopinokoid vollk. spaltbar, H zzz 5, spec.
Gew. 3.35 — 3.50, weiss, zumeist grau, gelb, griin, roth, brann gefarbt ; Glasglanz,
durchscheinehd bis undurchsichtig. Chem. Zus. 2ZnOSiO'1 -\- HaO, 67 Zinkoxyd,
28.5 Kieselsaure, 7.5 Wasser. Im Kolben gibt er Wasser, v. d. L. schmilzt er
nicht, farbt sich mit Kobaltsolution gegliiht stellenweis griin. Sauren Ibsen ihn
auf unter Abscheidung von Kieselsaure. Fundorte Raibl und Bleiberg in Karnthen,
Altenburg bei Aachen, Iserlohn, Tarnowitz in Schlesien, in England und Nord-
amerika an vielen Orten. 1st neben dem Zinkspath das wichtigste Erz zur Ge-
winnung des metallischen Zinks. Lb.
Galmei edler, s. m. Zinkspath.
Galmei kohlensaurer, s. Zinkspath.
Galvanische AetZling ist die wenig angewandte Methode der Aetzung durch
den galvanischen Strom, wobei das zu atzende Stiick als Anode in die Zersetzungs-
zelle kommt (s. Galvanoplastik). Von dieser Aetzmethode wird meist nur zu dem
Zwecke Gebrauch gemacht, urn zu vergoldende oder zu versilbernde Metall-Gegen-
stande rauher zu machen, wodurch die Vergoldung , Versilberung etc. dann
wesentlich fester anhaftet (s. pag. 684 und 686). Kk.
Galvanische Bronzirung, s. Galvanoplastik.
Galvanische Metallfarbung, s. Galvanoplastik.
Galvanischer Anstrich (peinture galvanique), wird ein Anstrich auf Eisen-
waare genannt, bei welchem die Anstrichfarbe aus feinstem Zinkpulver, mit
Leinolfirniss angerieben, besteht. Dieser Anstrich schiitzt durch den Firniss wie
jeder Oelfarbenanstrich. Kk.
Galvanismus, Be run rungs-, Contact-Electricitat, Voltaismus
(galvanisme — galvanism), s. Electricitat III pag. 175.
Galvanisirtes Eisen (fer galvanise, — galvanized iron) gleichbedeutend
mit verzinktem Eisen, d. h. durch Eintauchen in geschmolzenes Zink mit
einer Schichte diesen Metalles iiberzogenes Eisen. Diese Benennung verfiihrt manchmal
zu dem Glauben, dass man es mit einem auf galvanoplastischem Wege herge-
stellten Ueberzuge zu thun hat, was nicht der Fall ist. Hiermit ist auch eine
diesbeziigliche Irrung Bd. II pag. 495 letzte Zeile richtig gestellt. Kk.
Galvanisiren (galvaniser — galvanizing), s. V erz in ken.
Galvanoglyphik, s. Galvanoplastik pag. 686, s. Holzschnitt.
Galvanographie, s. Galvanoplastik pag. 686.
Galvanometer, s. Electromagnetismus HI pag. 249.
Galvanokaustik, galvanische Aetzung, s. oben und pag. 686.
Galvanophor, s. Feuerzeug EI pag. 480.
Galvanoplastik (galvanoplastie, hydroplastie — galvanoplastic, electrome-
tallurgy) nennt man jenes Verfahren, . durch welches mit Hiilfe des galvanischen
Stromes aus Metall-Losungen coharente Metallniederschlage gebildet werden. Die-
selben sind entweder bestimmt als Ueberzuge zu dienen (Verkupfern, Versilbern,
Galvanoplastik. 681
Vergolden etc.) oder es werden diese Metallniederschlage von der Unterlage,
Matrize, abgelbst und liefern negative Copien der Matrize von einer Genauigkeit,
wie sie auf anderem Wege nicht erhalten werden kbnnen.
In beiden Fallen ist die Hauptforderung, welche an den Niederschlag gestellt
wird, Homogenitat und Coharenz. Sollen Ueberzuge gebildet werden,
so wird festes Anhaften an der Unterlage, an dem zu vergoldenden, versil-
bernden etc. Gegenstande verlangt; soil der Niederschlag von der Matrize abge-
nommen werden, so muss die Wegnahme ohne Beschadigung durchfiihrbar sein;
auch wiinscht man den Niederschlag in einer dem Metalle entsprechenden, gefalligen
Far be. Sowohl das Ablosen, als die bei galvanischen Metalliiberziigen oft ver-
langte Politurfahigkeit des Niederschlages erheischt endlich noch eine gewisse
Zakigkeit des Niederschlages. Es handelt sich also um die Erzielung eines gleich-
fbrmigen, dichten, zahen und gut gefarbten Metallniederschlages.
Um einen Metall-Niederschlag zu erhalten, braucht man eine galvanische
Batterie (oder statt derselben eine Thermosaule oder eine dynamoelectrische
Maschine) welche als Stromquelle betrachtet werden kann, ferner eine Zersetzungs-
z e 1 1 e d. i. ein Gefass, in welchem sich die zu zerlegende Metalllosung, das Elec-
trolyt, befindet und in dieser die Electro den d. i. die mit der Batterie leitend
verbundenen, den Strom selbst auch leitenden Korper, von welchen der eine, die
Kathode, als Unterlage fur den Metallniederschlag dient, wahrend der zweite,
die Anode, gewohnlich aus demselben Metalle, welches gefallt werden soil,
bestehend, zur moglichsten Erhaltung der Concentration des Electrolytes dient.
Die Kathode ist leitend mit dem negativen Pole (Zinkpol) der
Batterie, die Anode mit dem positivenPole (Kupferpol) verbunden.
Die Principien, auf welchen die Galvanoplastik beruht, sind bereits in dem
Artikel Electrolyse (s. III. pag. 236) dargelegt worden, und sei hier nur an
das elektroly tische u. Ohm'sche Gesetz erinnert, welche beide dem Galva-
noplastiker als Fiihrer bei Beurtheilung des Vorganges dienen kbnnen. *)
Wir haben hier den praktischen Vorgang zu besprechen, welcher zum Zwecke
der Erzielung guter galvanischer Niederschlage eingehalten werden muss. Als
Regel ist zu beobachten, dass die Kathode, auf welcher der Metallniederschlag
erhalten werden soil, meist Matrize genannt, aus einem Materiale bestehe,
welches durch die angewandte Metalllosung, also durch das Electrolyt, nicht an-
geg riff en werde und von dieser Lbsung auch nichts einsauge. Die Matrize
muss entweder an sich leitend sein, oder durch einen Ueberzug mit einer leitenden
Schichte in einen Leiter verwandelt werden.
Ferner ist die richtige Wahl des Electrolytes von besonderer Wesenheit
und wenn sich auch diesbeziiglich der Zeit keine allgemeine Regel angeben lasst,
so kann doch bemerkt. werden, dass in der richtigen Wahl der Zersetzungs-
fliissigkeit das Schwergewicht des ganzen Verfahrens liegt. Die Stromstarke
ist bei vielen Electrolyten von sehr untergeordnetem Einflusse auf die Qualitat
der Niederschlage **) und wenn sie bei manchen doch von Einfluss zu sein scheint,
so riihrt dies von secundaren Vorgangen her, oder daher, dass die Metallabschei-
dung indirekt stattfindet. Die diesbeziiglichen Vorgange sind noch nicht geniigend
erkannt und hieraus erklaren sich die mannigfachen, oft abentheuerlichen Anschau-
ungen einerseits, die Geheimnisskramerei andererseits.
Die Zersetzungszelle muss aus einem Materiale bestehen, welches
durch das Electrolyt nicht angegriffen wh4d, also aus Glas, Porzellan, Gutta-
percha u. dgl.
*) Das electrolytische Gesetz lautet: Durch denselben galvanischen Strom werden
aquivalente Mengen der Electrolyte (der durch den Strom zerlegten Substanzen)
zersetzt und die Quantitaten der au beiden Electroden abgescliiedenen Stoffe stehen
gleichfalls im Verhaltnisse ibrer Aequivalente. — Das Ohm'sche Gesetz lautet:
Die Stromstarke ist gleich der electromotorischen Kraft getheilt durch die Summe aller
Leitungswiderstande.
**) Studien iiber Galvanoplastik von Fr. Kick, technische Blatter Jg. 1S74, pag. 145.
Dinglers polyt. Journ. Bd. 218 pag. 1; ferner 465 und Bd. 219 pag. 61, 141 und 313.
682 Galvanoplastik.
Die Verbindungen zwischen der Batterie u. den Electroden, die Leitungs-
drahte sind aus Kupfer herzustellen, die Contactstellen sind blank zu halten-
und soil die Drahtstarke nicht unter lmm betragen.
Als Anode wird haufig eine Platte desselben Metalles eingehangt, welclies
aus der Losung gefallt wird, und dient dies zur Erhaltung der Constanz der
Zersetzungsflussigkeit. Dock wird dieser Zweck bei langer fortgesetzter Arbeit
nur dann ziemlicb vollkommen erreicht, wenn die Oberflache der Anode bedeutend
grosser, wie die der Kathode ist, und auch nur dann, wenn die Anode rein ist,
weil sonst entweder andere Metalle in Losung kommen oder die Fltissigkeit ver-
unreinigende Bodensatze entstehen.
Gleiche Dicke des Niederschlages lasst sich erzielen, wenn Ka-
thode u. Anode horizontal in die Zersetzungsfliissigkeit eingehangt sind. Ist
die Anode iiber der Kathode angebracht, dann soil zwischen beide ein Diaphragma
(z. B. mit Pergament iiberzogener Rahmen) eingehangt sein, damit die von der
Anode sich ablosenden pulverigen Verunreinigungen nicht auf die Kathode fallen.
Meistens sind Kathode und Anode vertical in die Zersetzungszelle eingehangt, da
dies fiir die Manipulation bequemer ist.
Wir haben bereits im Eingange erwahnt, dass die Galvanoplastik entweder
zur Herstellung galvanischer Ueberziige oder zur Herstellung von Gegenstanden,
welche von der Matrize abgelost werden, verwendet wird, und wir wollen in dieser
Richtung die weitere Besprechung sondern.
Die Herstellung galvanoplastischer Gegenstande. Soweit man
durch Pragen, Stanzen u. drgl. Fabrikate herzustellen vermag, welche dem Zwecke
entsprechen, kann die Galvanoplastik nicht concurriren. Auf galvanoplastischem
Wege hergestellte Metallknopfe (durch Niederschlagung von Kupfer auf Gutta-
percha- oder Kautschuck-Matrizen) konnten z. B. trotz ihrer Schonheit und der
Moglichkeit unterschnittener Partien (welche die elastischen Formen zuliessen) den
Markt nicht erhalten, weil sie weit theurer als die gestanzten Blechknopfe waren.
Hingegen fiir die Herstellung von Kupferdruckplatten, galvanischen
Cliches u. drgl. ist die Galvanoplastik von hohem und bleibenden Werthe, des-
gleichen auch fiir die Reproduction von Kunstwerken in getriebener Arbeit.
Meist handelt es sich hier urn die Darstellung eines galvanopl. Gegenstandes
aus Kupfer und hierbei beniitze man Kupfervitriollosung mit einem
Zusatze von Schwefelsaure.*)
Als Zersetzungszelle lasst sich mit Vortheil ein mit Guttapercha ge-
futterter Holzkasten verwenden, an welchem Metallstabe einerseits zum Anhangen
der Anoden, auf der Gegenseite zum Anhangen der Kathoden angebracht sein
konnen. Die Guttaperchafiitterung ist zwar sehr theuer, aber weit haltbarer als
eine Pechfiitterung oder die Anwendung von Glaswannem
Man kann auch die Zersetzungszelle mit der Batterie vereinen, indem man
z. B. auf den Boden der Zelle die Matrize legt, **) von welcher ein mit Lack
iiberzogener Metallstab nach aufwarts bis oberhalb der Fliissigkeit reicht ; in diese
Zelle die oberwahnte Kupfervitriollosung giesst und dann einen Rahmen bis etwa
2/3 der Hohe desselben eintaucht, welcher unten mit Pergament bespannt ist und
in welchem eine Zinkplatte in sehr verdiinnte Schwefelsaure ***) gelegt ist. Diese
Zinkplatte wird mit der Kathode (Matrize) leitend verbunden. Durch die Fallung
*) Der Concentrationsgrad und der Zusatz an Schwefelsaure ist durchaus nicht an enge
Granzen gebunden. Man erhalt geeignete Bader, wenn man einer Kupfervitriollosung
von 15— "20° B. so viel Schwefelsaure zusetzt, dass das Areometer urn 1 bis 2° B.
hohere Diehte zeigt. Der Schwefelsaurezusatz ist aber wesentlich, denn eine Kupfer-
vitriollosung, welche keine freie Saure enthalt, liefert schlechte, sprode, oft missfarbige
Niederschlage.
**) Diese Anordnung slammt von Becquerel und ist u. a. in der k. k. Staatsdruckerei
in "Wien in Yerwendung.
**ft) Einige Tropfen Saure in destillirtes Wasser geniigen.
Galvanoplastik. 683
des Kupfers wird die Fliissigkeit armer an Kupfervitriol, und man thut daher gut,
in dieselbe Leinwandbeutel gefullt mit Kupfervitriol einzuhangen, welcher allmalig
in Losung kommt und die Fliissigkeit ziemlich constant halt.
Werden als Matrizen Kupferplatten (z. B. Original-Kupferstiche) verwendet,
so reibt man die zu copirende Seite mit etwas Oel oder Wachs (in letzterem
Falle auf erwarmter Platte) ein und wischt mittelst eines Baumwollbauschchens
scheinbar alles Oel oder Wachs wieder ab. Es bleibt doch so viel hangen, dass
der erhaltene Niederschlag nach Erlaugung der geniigenden Starke leicht abge-
zogen werden kann. Um dies zu erleichtern ist die Platte an der Ruckseite und
den Randern mit Ausnahme der Contactstellen mit Pech oder Wachs oder Deck-
grund*) iiberstrichen, wodurch der Niederschlag nur auf der zu copirenden Seite
anfallen kann. Natiirlich ist die erste Copie einer gravirten Kupferplatte eine
sogenannte Hochplatte, d. h. dieselbe zeigt die am Originale vertieften Linien
erhaben. Von dieser Hochplatte wird eine neuerliche Copie gemacht und diese
Tiefplatte ist dann eine getreue Wiedergabe des Originals.
Die Matrizen konnen aber auch aus den verschiedensten anderen Substanzen,
z. B. aus Guttapercha, Wachs, Stearin, Gyps (mit Stearin getrankt),
G 1 a s etc. etc. bestehen, es ist aber in diesem Falle erforderlich, diese Materialien
leitend zu machen.
Die Erstgenannten werden durch Einreiben oder Einpinseln mit gutem
englischen Graphit**) (Dix's Blacklead) oder Silberpulver (s. d.) leitend
gemacht, Glas hingegen muss entweder mit Flusssaure matt geatzt und hierauf
mit Graphit leitend gemacht werden, oder man gibt, wenn dies zulassig ist, einen
diinnen Anstrich von Copalfirniss, und reibt diesen, wenn fast trocken, mit Graphit ein.
Fur Gegenstande mit unterschnittenen Theilen oder einspringenden Winkeln
werden auch elastische Formmassen angewendet, alswelchesichdieBd.il.
S. 137 erwahnte Walzenmasse sehr gut eignet. Durch Aufpinseln von Graphit
werden sie leitend gemacht.
Die Wahl der Batterie ist durch aus nicht so wesentlich, als man meist
annimmt. Man kann Elemente von Bunsen, Daniell, Smee, Meidinger etc. be-
nlitzen (vergl. Bd. Ill p. 179 u. 202), und wird gleich gute Niederschlage er-
zieleu. Da man fur die Galvanoplastik so constante Strome, wie sie fur die
electrische Telegrafie gebraucht werden, nicht nothig hat, so sind hier besonders
die Elemente von Smee und Daniell zn empfehlen, welche einen hinlanglich
kraftigen Strom ohne Entwicklung schadlicher Dampfe liefern.
Vortheilhaft ist auch die Anwendung der in neuerer Zeit fiir langeren Ge-
brauch sehr vervollkommten Noe'schen Therm o saule***). Fiir grossere gal-
vanoplastische Anstalten sind die dynamoelec.trischen Maschinenf) zu
empfehlen.
Allen, welche sich mit Galvanoplastik beschaftigen, ist der Gebrauch eines
Stromstarkemessers (Galvanometers, Galvanoskops, Rheometers oder der
Bussole) auf das Angelegentlichste zu empfehlen, weil nur mit Zuhilfenahme dieses
Instrumentes ff ) erkannt werden kann, mit welchem Strome man arbeitet und wo
etwaige Storungen oder Fehler ihren Grund haben. Was der Indicator bei der
Dampfmaschine ist, das ist der Rheometer in der Galvanoplastik.
Es ist haufig wiinschenswerth zu wissen, welche Quantitaten Metalles
man mittelst verschiedener Stromquellen galvanisch zu fallen vermag. Ist in den
Stromkreis des galvanoplastischen Apparates der Rheometer eingeschaltet, so kann
*) Zwei Theile Asphalt, ein Theil Mastix.
**) Guter Graphit darf gar keine Sandtheilchen enthalten und muss an den Fingern oder
auf Papier gerieben eine glanzende, glatte, bleigraue Flache liefern.
***) Dingler's polytechn. Journal Bd. 200 pag. 10 und Bd. 224 pag. 267.
f) Siehe hieruber Naheres ira Art. Electricitat III pag. 182—189.
ff) Unter anderem zu beziehen beim Mechaniker Grund in Prag zum Preise von 12 fl.
ost. Wahr.
684 Galvanoplastik.
man aus dem Grade der Ablenkung der Magnetnadel unmittelbar die Nieder-
schlagsmenge jedes beliebigen Metalles nach dem electrolytischen Gesetze durch
Auflosung einer einfachen Proportion leicht finden, wenn die den einzelnen Aus-
schlagswinkeln der Nadel entsprechende Wasserzersetzung oder Kupferfallung in
einer Tabelle dem Apparate beigegeben ist.*) Natiirlich ist bei Einschaltung des
Rheometers in den Schliessungskreis darauf zu sehen, dass die Nadel auf Null
zeigt, so lange der Strom nicht geschlossen ist, oder mit anderen Worten, der
Leitungsbogen des Rheometers muss im magnetischen Meridian liegen.
Ohne Anwendung des Rheometers ist eine bestimmte Angabe der Nieder-
schlagsmenge nicht moglich; wohl aber lassen sich zu annahernder Orientirung
nachstehende Zahlen geben.
Es ist in 1 Stunde bei OlQm Electrodengrosse eine Kupferfallung aus
angesauertem Kupfervitriolbade
durch ein Dani ell -Element von 1.2 gr. zu erhalten
» Smee „ „ 1.0 „ „
„ „ Bun sen „ „ 2.0 „ „ „
„ „ Noe'sche Thermosaule (mit 128 Elementen) von 3.4 „ „ „
Es lasst sich die stiindliche Niederschlagsmenge annahernd nach der von
Prof. Dr. von Waltenhofen angegebenen Formel**)
p — 0.003565 .M
i d
U-\-Q 7
n f
berechnen.
Hierbei wird p in Grammen gefunden, wenn die electromotorische Kraft e,
fiir ein Daniell'sches Element mit 12, fur ein Smee'sches Element mit 6, fur ein
Bunsen -Element mit 20, fiir ein Noe'sches Thermoelement mit 1 in Rechnung
gebracht wird. Ferner bedeutet M das Aequivalentgewicht des gefallten Metalles
(fiir Kupfer 31.7, fiir Gold 196 etc.); u ist der vorher zu ermittelnde Widerstand
in einem Element und q der Leitungswiderstand der Fliissigkeit, bezogen auf
lDcm der Electroden im Abstande von lcm und betragt bei concentr. Kupfervitriol-
losung 21, bei mit 3 Proc. Schwefelsaure angesauerter, auf 35° B. verdiinnter
Kupfervitriollosung 12.3 u. s. w.
d ist der Plattenabstand in Centimetern, n die Zahl der Elemente der
Batterie, / die Plattengrosse (Electrodengrosse) in Quad.-Centm.
Galvanoplastische Ucberziige (Galvanostegie). Die Herstel-
lung galvanoplastischer Ueberziige, auch Galvanostegie genannt, dient meistens zur
Verschbnerung der Metallwaaren und hierbei wird vorzuglich ein festes Haften
des Ueberzuges verlangt. Dieses findet aber nur dann statt, wenn der zu iiber-
ziehende (zu vergoldende, versilbernde, vernickelnde etc.) Gegenstand vollkommen
frei von jeder Spur von Fett, Oxyd etc. und wenn er matt rauh ist. Dies wird
durch Ausgliihen und Abbeizen am besten erreicht.
Noch inniger findet das Anhaften statt, wenn man den zu uberziehenden
Gegenstand zuerst durch kurze Zeit als Anode einhangt und hierauf erst als
Kathode. Durch diesen Vorgang werden die Bader jedoch verunreinigt, und
wendet man daher dies Verfahren nur ungern oder in besonderen, bereits mangel-
haften Badern an.
*) 1st dies nicht der Fall und kann man sich die erforderlichen Bestimmungen nicht durch
einen Physiker durchfiihren lassen, so moge man selbst, bei Fallung von Kupfer aus
den obenvahnten Losungen, die Bestimmung der in gewissen kurzen Zeiten (wiihrend
Avelchen die Stromstiirke ziemlich unveranderlich ist) gefallten Kupfermengenvornehmen.
Die Stromstiirke kann durch Einschaltung von Widerstanden fiir jede Probe geandert
werden; auch durch Aenderung der Stromquelle.
**) Dingl. p. J. Bd. 224 pag. 274.
Galvanoplastik. 685
Ueber die Zusammensetzung der Bader zur Herstellung verschiedener Metall-
iiberziige linden sich Angaben vor, von welcben wir einige folgen lassen, wobei
aber bemerkt sei, dass z. B. die Zusammensetzung der Vergoldungsbader, welche
Goldniederschlage in bestimmten, beliebten Farbentonen liefern, noch als Fabriks-
geheimniss*) betrachtet werden.
Vergoldungs-Bader sind gewohnlich Losungen von Goldcyanur-, Kalium-
cyaniir oder Cyan- Gold, Cyan-Kalium, entweder bereitet durcb Auflosen von Gold-
chlorid oder von Knallgold**) in einera Ueberschusse von Cyankaliumlosung
(wasserige Losung) oder auf electrolytischem Wege hergestellt, indem man als
Kathode und Anode Goldblech anwendet, die Zersetzungszelle rait Cyankalium-
losung fiillt und den galvanischen Strom durch ein, zwei Tage wirken lasst, bis
hinlanglich Gold aufgelost wurde. Beim Vergolden dient auch ferner reines Gold
in Blechform als Anode. Es sollen 200 — 300g Gold auf 1 Kilo Cyankalium und
20 Liter Wasser kommen. Ein Zusatz von Aetzkali wird empfohlen.
Versilberungsbader werden durch Auflosen von Chlorsilber in Cyan-
kalium oder von salpetersaurem Silberoxyde in Cyankaliumlosung hergestellt,
wobei ca. 2(,0 Gramm Silber auf 1 Kilo Cyankalium und 10 bis 14 Liter Wasser
genommen werden.***)
Verkupferungsbader fiir Stahl und Eisen. Diese Metalle, welche
in Kupfervitriollbsung direct angegritfen werden, erfordern ein Verkupferungsbad,
welches aus einer Losung von Cyankupfer-Cyankalium besteht und durch Auflosen
von Kupferoxyd in Cyankaliumlosung, oder durch Auflosen von Kupfervitriol in
jener Losung oder endlich wie Gold- und Silberlosungen auch auf electrolytischem
Wege bereitet sein kann.
Galvanische Platinirung. Obwohl das Ueberziehen von Metall-Ge-
fassen mit Platin fiir chemischeZwecke von hoher Wichtigkeit ware, hat man der
Zeit noch keine geeigneten Bader zum Verplatiniren aufgefunden.
Verstahlen (Ueberziehen mit Eisen). Kupferdruckplatten werden mit
einer diinnen Schichte Eisen iiberzogen, „verstahlt", um mehr Abdrlicke zuzulassen,
indem einerseits die Eisenschichte widerstandsfahiger ist und andererseits leicht
erneuert werden kann, sobald sie schadhaft geworden ist. Durch Einlegen der
Platten in verdunnte Schwefelsaure wird der schadhafte Ueberzug von Eisen in
wenigen Secunden entfernt und dann frisch angebracht. Zum Verstahlen kann
man sich eines Bades bedienen, welches aus Eisen - Chloriir , Chlorammonium
besteht und dadurch bereitet wird, dass man in eine ziemlich concentrirte Chlor-
ammoniumlosung als Kathode und Anode Eisenplatten einhangt und den Strfm
so lange einwirken lasst (ca. 24 Stunden), bis die Flussigkeit griinlich (an der
Oberflache rothlich von Eienoxyd) geworden ist. Diese Flussigkeit wird durch
die Einwirkung des Lichtes zersetzt, daher keine Glasgefasse verwendet werden
diirfen.
Verm ess in gen. Nach Heeren kann ein Bad zum Vermessingen be-
reitet werden, wenn 1 Theil Kupfervitriol in 4 Theile Wasser, 8 Theile Zink-
vitriol in 16 Th. Wasser und 18 Th. Cyankalium in 36 Thl. Wasser gelost und
diese Losungen gemischt werden. Der entstehende Niederschlag wird durch Zusatz
'*) Ein Zusatz von Cyankupfer in das Cyangold-Cyankaliumbacl soil den Golduiedersclilag
rothlich, ein Zusatz von Cyansilber soil ihn lichter (hellgelb) machen; doch fehlen
genaue, verlassliche Daten.
**) Gold in Konigswasser gelost und die Losung eingedampft, um die uberschussige Siiure
zu entfernen , liefert Goldchlorid AuCl3. Goldchloridlosung mit Ammoniak gefallt
liefert als Niederschlag Goldoxyd-Ammoniak oder Knallgold.
***) Bei der Versilberung von Alpaka oder Argentan wird empfohlen, die zu versilbernden
Gegenstande unmittelbar vor dem Einhiingen in die Zersetzungszelle in eine sehr verdiinute
Losung von salpetersaurem Quecksilberoxyd zu tanclien.
686 Galvanoplastik.
von Cyankalium gelost und liierauf noch 250 Th. Wasser zugesetzt. Die Losung
wird auf ca. 80° C. erhitzt verwendet.
Zum B r o n z i r e n von Eisenwaaren soil man eine ahnliche Losung an-
wenden, doch statt des Zink ein Zinnsalz (Zinnchlorid) verwenden.
Vergleiche ferner dieArtikel: V erg old en, Versilbern, Verkupfern,
Ve mi eke In etc.
Anwendungen der Galvanoplastik.
Es wurde schon oben erwahnt, dass die Galvanoplastik zur Reproduction
von Holzschnitten (s. d.) und Kupferstichen (s. Kupferdruck) Anwendung findet.
Eigenthiihmliche, nur durch Anwendung der Galvanoplastik herstellbare Druck-
platten erhalt man bei der Galvanographie, Stilographie und dem
Naturselbstdruck.
Bei der Galvanograpbie wird auf einer versilberten Kupferplatte mit
dem Pinsel eine Farbe von Ocker und Leinol iu Tuschmanier aufgetragen, und
hat der Kunstler die Farbe urn so rauher und dicker aufzutragen, je schwarzer
im Druck die Stelle erscheinen soil. Nach dem Trocknen wird diese Platte durch
Graphit leitend gemacht und im galvanoplastischen Apparat unmittelbar die Tief-
platte erzeugt.
Die Stilographie beniitzt eine aus 1 Th. Stearin und 2 Theilen Schellack
hergestellte, durch geniigenden Kienrusszusatz in der Masse schwarz gefarbte
Platte. Diese Platte wird mit Firniss bestrichen und mit Silberpulver eingerieben.
Hierauf wird mit dem Griffel die Zeichnung in die Platte radirt. Alle Theile,
welche im Druck seiner Zeit schwarz erscheinen sollen, sind vertieft und daher
die weisse Silber-Schichte an diesen Stellen entfernt. Nach vollendeter Radirung
wird die Platte durch Graphit leitend gemacht, im gal van. Apparate zuerst eine
Hochplatte und von dieser hierauf die Tiefplatte erzeugt. Wahrend die Galvano-
graphie Abdriicke in Tuschmanier liefert, gibt die Stilographie Drucke, welche
ahnlich Radirungen sind.
Der Naturselbstdruck liefert Platten filr den Buch- und den Kupfer-
druck, welche Pflanzen, Gewebe u. dgl. darstellen, zu welchen diese selbst die
Originale bildeten, indem von ihnen der Abdruck entweder in Guttapercha oder
Blei genommen und galvanoplastisch in eine Druckplatte umgewandelt wird. Soil
z. B. eine Naturselbstdruckplatte von Spitzen gebildet werden, so klebt man diese
mit dunnem Gummiwasser auf eine Stahlplatte und legt nach dem Trocknen auf
diese eine Bleiplatte. Beide Platten fiihrt man durch ein Walzwerk unter massigem
Druck. Die Spitzen drlicken sich in die Bleiplatte, welche als Matrize zur Her-
stSllung einer Hoch- und hierauf einer Tiefplatte verwendet wird. Montirt man
nun die Tiefplatte auf Holz filr den Buchdruck, so empfangt die Platte die Farbe
auf der Flache und man erhalt das Muster weiss auf farbigen Grunde. Fur den
Kupferdruck kommt die Farbe nattirlich in die Tiefen.
In derselben Weise kann man Platten fur kiinstliche Narben (Leder-
imitation) herstellen, indem man von dem genarbten Leder in Blei oder Gutta-
percha einen Abdruck macht. Auf diesem Wege bekommt man ein besseres Re-
sultat, als wenn das Leder mit Firniss bestrichen und durch Graphit leitend
gemacht, hierauf auf ein lackirtes Brett befestigt und mit Wachsrand ver-
sehen wird.
Hangt man eine mit Aetzgrund Uberzogene, hierauf radirte Kupferplatte
als Anode in den galvanischen Apparat ein, so findet eine Vertiefung der
blankgelegten Stellen statt, welches Verfahren man galvanische Aetzung
oder Galvanokaustik nennt.
Ueber den mit Hilfe der Galvanoplastik moglichen Ersatz des Holzschnittes
durch die sog. Glyph ographie und Galvanoglyphik sprechen wir im
Art. Holzschnitt.
Die Galvanoplastik wird ferner zur Herstellung sehr dichter Kupfer-
platten, zur Verbesserung von Fehlern an Kupferstichen etc. angewendet.
Galvanoplastik. — Gambir. 687
Die Galvanochromie oder galvanische Farbung wird besonders
zur Farbung von Messingwaaren angewendet. Hierbei wird die Waare als Anode
in ein Bad eingehangt, welches bereitet wird, indem man 1 Kilo Aetzkali in
4 Kilo Wasser lost und in diese kochende Fllissigkeit einige Loffel Bleioxyd
(Massicot oder gemahlene Bleiglatte) eintragt, und durch einige Zeit absetzen
lasst. Es entsteht bei der galvanischen Zerlegung auf der als Anode eingehangten
Waare ein dlinner Ueberzug von Bleihyperoxyd, welcher je nach seiner Dicke
verschiedene Farben (roth, blauroth, griin, grau) liefert. Man muss den Gegen-
stand herausnehmen, wenn der richtige Farbenton erhalten ist. Da es schwierig
ist bei starkem Strome gleichmassige Farbentone zu erhalten, aibeitet man mit
massigen Stromen. Als Kathode wird Platinblech angewendet, und damit der
Abstand der verschiedenen Oberflachenpartien des Gegenstandes von der Kathode
nicht zu ungleich ist, biegt man selbe entweder zu einem den Gegenstand urn-
fassenden Rohre oder hangt denselben 5fter um.
Nach Puscher bekommt man auf Messing schone Farbungen, wenn man
die Messingwaare in einer Fllissigkeit, bestehend aus 50 Gr. unterschwefligsaurem
Natron in V2 Liter Wasser und gemischt mit 16% Gr. Bleizucker gleichfalls in
]/2 Liter Wasser gelost, auf 85 — 100° C. erhitzt; nur muss die Erwarmung
gleichmassig erfolgen, was dadurch geschieht, dass man das Gefass, in welchem
die Fliissigkeit zum Kochen gebracht wurde, in eine Filzumhullung setzt und die
fur sich in kochendes Wasser getauchten Gegenstande rasch eintragt, und nun
das Gefass mit einem Doppeldeckel oder Filzscheibe bedeckt. (Vergleiche den
Art. Br aim en (Briiniren) I pag. 737). Kk.
Literatur: Jacobi: Galvanoplastik, Petersburg 1840. (Jacobi ist der Ent-
decker der Electrolyse und sein Werkchen von geschichtlichem Interesse.)
Werner: die Galvanopl. in ihrer techn. Anwendung. Petersburg 1844.
Martin: Repertorium der Galvanoplastik. Wien 1856. (Fine sehr reich-
haltige Sammlung von Recepten, leider meist ungepriift, wie sie in der
Literatur zerstreut vorkamen). Smee: Elements of electrometallurgy, neue
Aufl. London 1851, deutsch Leipzig 1851. Roseleur: Manipulations hydro-
plastiques, Paris 1855, deutsch von Willich und Kasalowsky, Stuttgart 1862.
v. Kress: die Galv. ftir industr. und kiinstl. Zwecke, Frankfurt 1867.
GalvariOSCOp, s. Electricitat III pag. 171.
Gambeer, s. m. Gambir.
Gambetta-Ballons sind Enveloppen aus diinnem, mit einer schwachen Losung
von Kaliumbichromat oder einer verdiinnten Losung von Berlinerblau in Okal-
saure getranktem Papier, welche an ihrem oberen Ende angezitndet, ein Aschen-
netz hinterlassen, das nach dem Abbrennen gleich einem Ballon einige Fuss hoch
aufsteigt (so lange die Erwarmung der Luft im Innern des Aschenballonchens
nachhalt), vgl. Dingl. pol. Journ. 200 pag. 158. Gtl.
Gambiensergummi, s. m. Kinogummi.
Gambir (gambir — gambir), Gam beer, Gambir -Catechu, gelbes,
kubisches Catechu. Eine Catechu-Sorte (vgl. II pag. 266), welche in wiirfel-
formigen Stiicken von 3 — 4cm Seitenlange, von aussen dunkelbrauner, innen
hellgelber bis graugelber Farbe, in den Handel kommt. Die meist ziemlich
regelmassig geformten Wiirfel sind poros, leicht zerbrechlich , an der Zunge
klebend und haben einen zusammenziehend bitteren, nachtriiglich susslichen Ge-
schmack. Das Gambir-Catecjiu, das in seiner Zusammensetzung dem Catechu
bis auf einen geringeren Gerbsauregehalt (36 — 40 Proc.) ziemlich nahe kommt,
wird aus den jiingeren Blattern von Uncaria {Nauclea) Gambir, einer in Ostindien
(Sumatra, Malakka, Singapore und molukkische Inseln) einheimischen, straUchigen
Rubiacee, durch Auskochen mit Wasser und Eindampfen der Abkochung gewonnen
und kommt von Singapore und Penang tiber London zu Markte. Gtl.
688 Gambogiasaure. — Gram.
Gambogiasaure, Bestandtheil des Gummigutt, s. d.
Gangspill, s. Anker winde I pag. 155.
Ganister, feuerfestes Materiale zum Auskleiden von Frischbirnen, s. T h o n.
Ganomatit; s. Gansekbthigerz.
Ganz, Gans, s. Barren I pag. 298 und III pag. 9.
Ganz-Hollander, s. Papierfabrikation.
Ganzholz (bois de brin). Holz in unbeschlagenen, also runden StSmmen
oder kiirzeren Stucken, Blbcken, ferner sogen. Stangenholz.
Ganzzeug (pate raffinee — stuff), s. Papierfabrikation.
Ganzzeug Hollander, s. Papierfabrikation.
Garbstahl, Gerbstahl, s. Eisenerzeugung III pag. 48.
Garbe, s. Eisenerzeugung III pag. 49.
Garanceux, s. Krapp.
Garancin, s. Krapp.
Gardeniazucker, Zuckerart, welche bei der Spaltung des Polycliroits ent-
steht, s. Safran.
Gardenin s. m. Crocin u. Polychroit, s. Safran.
Gargang, s. Eisenerzeugung (Hochofenprocess) III pag. 10.
Gargouletten. Bezeichnung einer Form von Wasserktihlgefassen, welche nach
dem Princip der Alkarazzas (s. I pag. 22) wirken. Gtl.
Garkupfer, s. Kupfer.
Gam (fil — yarn). Unter Garn versteht man die durch Spinnen zu einem
Faden vereinigten Gespinnstfasern, also eine durch Drehung erzielte Vereinigung
vom Fasern zu einem Faden moglichst gleichmassiger Dicke. Je nach der zur
Garnbildung verwendeten Faser unterscheidet man Baumwoll-, Schafwoll-,
Flachs-, Jute-, Hanf-, Seiden- etc. Garn. In Bezug auf die Herstellungsmethode
werden die Schafwollgarne in Streich- und Kammgarne unterschieden und
sind fiir dieses Materiale nur diese Benennungen gebrauchlich.
Der von Cocons abgehaspelte Faden, Rohseide, ist kein Garu, sondern
man hat unter Seidengarn das Gespinnst aus Seidenabfallen (die Florettseide)
zu verstehen.
Der ziftermassige Ausdruck des Verhaltnisses zwischen der Lange und dem
Gewichte des Games liefert eine Zahl, welche das Garnnummer genannt wird.
Ueber die zumeist in der Gegenwart noch gebrauchliche Numerirung siehe die
Artikel Baumwollspinnerei, Flachsspinnerei, Kammgarnspinnerei etc. etc. Hier
wollen wir nur die Vorschlage des zweiten internal Congresses fiir einheitliche
Garn -Numerirung zu Briissel 1874 kurz erwahnen, wenn auch dieselben
noch der Einfiihrung harren. Es wurde dort beschlossen :
1. Fiir Game (Gespinnste) aus kurzfaserigem Materiale, Baumwolle, Schaf-
wolle, Leinen, Chape, ist die Feinheits-Nummer die Zahl von Metern, welche zur
Erfiillung der Gewichtseinheit von einem Gramm erforderlich ist.
Gara. — Gas. 689
Hiermit ist die Nummer der reciproke Werth der Gewichtszahl von 1000"
Garn Lange in Kilogrammen.
2. Fiir rohe und filirte Seide: Die Feinheitsnummer ist gleich dem absoluten
Gewichte eines Fadensttickes von 1000m in Decigrammen (x/10 Gr.) ausgedriickt.
Oder die Nummer ist der lOfache Werth der Gewiclitszahl von 1000™ Seiden-
faden in Grammen gewogen. (Siehe diesbeziiglich Naheres: Civilingenieur Bd. 21
Heft 1, Zeitsch. d. nied.-ost. Gewerbe-Vereines 1876 Nr. 30.)
Die Game, welche vom Spinner entweder in Form von Strahnen (Schneller)
oder als Kotzer oder auch auf Spulen in den Handel gebracht werden, werden
nicht selten einer Appretur unterworfen, welche entweder ein Bleichen, Sengen
(Gasiren) oder Knotenabstreifen oder Einreiben von Appreturmitteln (Liistriren) ist.
Die Manipulationen sind je nach der Art der Game, ob Baumwoll-, Flachs-, Sei-
den- etc. Game, ziemlich abweichend. Das Bleichen der Baumwollgarne,
selbst in Kotzerform, kann mit Vortheil in Kesseln ausgefiihrt werden, aus welchen
zuerst durch eine Luftpumpe die Luft ausgepumpt und nachher durch den ausseren
Luftdruck die Bleichfliissigkeiten eingetrieben werden. Es findet dies meist nur
bei den fiir Strickzwirn (Baumwoll-Strickzwirn) verwendeten Garnen Anwen-
dung (s. Zwirn). Das Bleichen der Flachsgarne findet theils auf chem. Wege
in ofFenen Gefassen mit Chlorkalk und schwefelsaurem Natron, theils als Rasen-
bleiche statt; das Bleichen von Schafwoll- und Seidengarn findet in Bleichkasten
statt, wo die feuchten Strahne den Dampfen von schwefliger Siiure ausgesetzt
sind. (Vergl. Bleichen.)
Zum Sengen der Game dienen Sengemaschinen. Die einzelnen Faden
streichen durch Gasflarnmen, bei welchen durch entsprechende Mengung des Gases
mit Luft darauf zu sehen ist, dass die Flammen nicht russen. Diese Operation
wird namentlich haufig auf Florettseide (Chape) mit ausgezeichnetem Erfolge an-
gewendet. (Dingl. polyt. Journ. Bd. 153 S. 21.)
Zum Abstreifen der Knoten zieht man das Garn durch einen Spalt
feiner Metallblattchen, welclie Operation meist mit der Weife verbunden ist.
Beim Liistriren, namentlich der Baumwollgarne und Zwirne, wird auf die
iiber rotirende Walzen gelegten Strahne das Appreturmittel aufgetragen, und durch
rotirende, der Bewegungsrichtung des Games entgegenarbeitende Biirstenwalzen
bis fast zur Trockene gebiirstet und so glanzend gemacht. Als Appreturmittel
verwendet man diinnes Starkewasser mit Flohsamenabguss oder Seife u. d. gl.
(Dingl. polyt. Journ. Bd. 122 S. 417, Bd. 123 S. 432, Bd. 158 S. 255, Bd. 161
S. 20 etc.) Kk.
Garnerit Min. Im Serpentin von Neu-Caledonien vorkommendes Nickelerz,
wesentlich aus wasserhaltigem Nickel- und Magnesiuni-Silfcat bestehend, mit 18
Nickeloxydul, 15 Magnesia, 7 Eisenoxyd, 38 Kieselerde und 22 Wasser, vgl.
Gamier Monit. scientif. 1876, Nr. 416 pag. 857, s. a. Nickel. Gtl.
Garnitur, s. Eisenbahn bei Locomotive, III pag. 84 — 89.
Garschaum, Eisenschaum, hiittenmannische Bezeichnung fiir den beim Auf-
losen von Roheisen in Sauren sich ausscheidenden Graphitkohlenstoff, siehe
Kohl enst off.
Garschlacke, s. Eisenerzeugung III pag. 26.
Gas der hollandischen Chemiker, Elailgas, s. b. Kohlenwasser-
sto ff, s. L euchtgas.
Gas olbiltlendes. Elailgas, s.b. Kohlenwasserstoff, s. Leuchtgas.
Gas (gaz — gas)} allgeraeiner BegrifF, s. Gase.
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. Ill, 44
690 Gasather. — Gase.
Gasather nennt man Mischungen von rectificirtem Terpentinol (s. C a m p h i n
II pag. 239) mit Alkohol und Aether, welche als Leuchtmateriale empfohlen
wurden. Gil.
Gasbeleuchtung, s. Leuchtstoffe b. Leuchtgas.
Gasbehalter, s. Gasometer.
Gasbeleuchtling, s. Leuchtstoffe.
Gasbereitung und Gasbereitungs-Apparate, siehe Leuchtstoffe bei
Leuchtgas.
Gasbrenner (bruleur a gaze — gas burner), s. Leuchtstoffe bei
Leuchtgas.
Gasdruckregulatoren, s. Leuchtstoffe bei Leuchtgas.
Gase nennt man, im Gegensatze zu den tropfbar-fliissigen und nur inner-
halb ausserst enger Grenzen elastischen Korpern, die ausdehnsam (elastisch)
fliissigen Korper.
In dem Gaszustande haben die Molekille der Korper das Bestreben sich
nach alien Seiten hin von einander zu entfernen, es besteht zwischen ihnen keine
Anziehung mehr, wie sie bei den Molekiilen im festen oder im fliissigen Aggregat-
zustande noch besteht; desshalb Mien Gase jeden ihnen gebotenen Raum voll-
standig aus (Ausdehnsamkeit) und vertheilen sich in demselbem vollstandig gleich-
massig. Da jedes einzelne Molekiil eines Gases sich in einer geradlinig fort-
schreitenden Bewegung befindet, die so lange wahrt, bis es auf ein zweites Molekiil
oder an die feste, den Raum abgrenzende Wand stosst, wo dann die Bewegung
entweder auf das zweite Molekiil iibertragen wird oder einen Riickprall von der
festen Wand bedingt, so ist begreiflich, dass ein in eine Gasatmosphare eingefiihrter
Korper (sowie natiirlich audi die einen mit Gas erfiillten Raum abschliessende
feste Wand) fortwahrend wiederkehrenden Stossen der bewegten Gasmolekiile
ausgesetzt sein muss und das urn so mehr, als die Geschwindigkeit der bewegten
Gasmolekiile wachst, oder die Anzahl der in einem abgeschlossenen Raume vor-
findlichen und sich in demselben bewegenden Molekiile zunimmt; denn in dem
einen Falle wird ein und dasselbe Molekiil in gleicher Zeit ofter zum Anpralle
kommen, in dem anderen Falle wird in gleicher Zeit eine grossere Anzahl von
Molekiilen zum Stosse koramen.
Die Summe aller Stosse, welche von den Molekiilen eines Gases in der
Zeiteinheit auf eine feste Wand ausgeiibt werden, gibt sich als Druck des
Gases (Spanming, Tension) zu erkennen und dieser wird, wie aus dem oben
Gesagten erhellt, zunehmen mit der Verringerung des Raumes, der dem Gase zur
Erfiillung geboten ist, und abnehmen mit der Vergrosserung desselben. Nennt
man den von einem Gase erfiillten Raum das Volumen des Gases, so wird sich
sagen lassen, dass der Druck und das Volumen eines Gases einander verkehrt
proportional sind, d. h. dass der eine in demselben Verhaltnisse wachst als
das andere abnimmt und umgekehrt. Die Spannung der Gase, die selbst von
dem auf das Gasvolumen ausgeiibten, von aussen wirkenden Drucke abhangig ist,
steht also im umgekehrten Verhaltnisse zu dem Volumen desselben (Boyle'sches
Gesetz, Mariotte'sches Gesetz).
Andererseits wird durch Warmezufuhr die Grosse der lebendigen Kraft der
in Bewegung stehenden Molekiile und mithin ihre Geschwindigkeit erhoht, und
sohin auf dem Wege der Vergrcisserung der Molekiilgeschwindigkeiten in dem
Falle, wo dem Gase die Mciglichkeit der freien Ausdehnung benommen ist, also
ein abgeschlossenes Gasvolumen in Betraeht kommt, gleichfalls eine Erhohung
der Tension, bez. des Druckes herbeigefiihrt, oder diese im Falle der Warme-
abnahme vermindert. Temperatur und Druck eines Gases sind einander demnach
gerade proportional (vgl. Ausdehnung I pag. 250 und 251.)
Gase. — Gasfeuerung. 691
Der Mangel einer gegenseitigen Anziehung zwischen den einzelnen Mole-
kiilen, der den Gascharakter wesentlich bedingt, besteht nur innerhalb gewisser
Druck- und Temperaturverhaltnisse; und insof'erne dureh fortgesetzte Druck -
erhohungen oder aber Temperaturerniedrigungen eine stetig zunehmende Anna-
lierung der Molektile herbeigefiihrtwird, kann diese endlicli soweit gedeihen, dass
die einzelnen Molekiilc eine Anziehung auf einander auszuiiben vermSgen
und der Korper sonach aufhort gasformig zu sein, d. i. den flussigen oder festen
Aggregatzustand annimmt. Es liangt wesentlich von der Natur der Korper ab,
unter welchen Druck- und Temperaturverhaltnissen diese Aenderung des Aggregat-
zustandes eintritt und insoferne dieselbe bei einzelnen Korpern schon bei gewShn-
licher Temperatur und gewohnlichem Drucke (Druck einer Atmosphare) erfolgtj
untersclieidet man zwischen eigentlichen Gas en, d. h. solclien Korpern,
welche unter gewohnlichen Verhaltnissen noch gasformig sind und Damp fen,
d. s. Gase, die nur bei hoheren Temperaturen oder niedrigen Drucken bestelien.
Die eigentlicben Gase selbst unterschied man bis vor Kurzem noch in solehe,
welche sich durch starke Abkiihlung und erhebliche Druckvermehrung verfliissigen
(verdichten, condensiren) lassen, welche man con d ensirbare (coercible)
Gase nannte, und solche, bei welchen mit Hilfe der verfiigbaren Mittel eine Ver-
dichtung nicht erreichbar war, die man in coercible oder permanente Gase
nannte. Die neuesten Arbeiten von R. Pictet (Compt. rend. 85 pag. 1214 nnd
1220 und L. Cailletet, Compt. rend. 85 pag. 1016 u. 1213) haben aber gezeigt,
dass auch die bisher fiir permanente erklarten Gase, Sauerstoff, Wasserstoff,
Stickstoff etc., bei geeigneten Druck- und Temperaturverhaltnissen condensirt
werden konnen, so dass demnach diese Unterscheidung hinfallig ist. Ueber Aus-
dehnungscoefficienten der Gase s. Ausdehnung I pag. 250, iiber Absorption
der Gase s. Absorption I pag. 35. Gtl.
Gasentbindungs-, Gasentwicklungs-Apparate, im Allgemeinen Vorrichtungen
zur Darstellung und Isolirung gasformiger Korper, deren Einrichtung je nach der
Natur des Processes und der Art des Gases verschieden sein kann. Ueber die
einzelnen Apparate s. bei den betreffenden Gasen. Gtl.
Gasfang, s. Eisenhiittenkunde III pag. 16.
Gasfeuerung (fourneau a gaz — gas furnace). Bei Beniitzung fester
Brennstoffe zu industriellen Zwecken kommen im Allgemeinen drei Feuernngs-
systeme zur Anwendung:
1. Der Brennstoff wird nur massig hoch auf den Rost geschichtet. Die
Verbrennung findet thunlichst vollstandig bei Ueberschuss von Luft statt, welclie
jedoch theilweise unzersetzt mit den Verbrennungsproducten abzieht und sonach
nutzlos erwarmt werden muss. Beispiele dieser Art sind z.-B. die meisten Dampf-
kesselfeuerungen.
2. Der Brennstoff wird hoch auf den Rost geschichtet, die zutretende Luft
bleibt so langer mit dem Brennmateriale in Beriihrung und zieht nicht unzersetzt
mit den Verbrennungsproducten ab. Diese enthalten jedoch in Folge der hier
herrschenden, absichtlich hervorgerufenen unvollstandigen Verbrennung vielleicht
ebenso viel Kohlenoxyd als Kohlensaure. Trotzdem erzielt man hohe Tempera-
turen, weil sich die erzeugte Warmemenge auf eine geringere Menge von Ver-
brennungsproducten vertheilt. Dieses Verfahren kommt bei metallnrgischen Ope-
rationen nicht selten zur Verwendung (s. Brennstoffe II pag. 21 f).
3. Das Brennmateriale wird so hoch geschichtet, dass die das Brennmateriale
durchstreichende Luft zunachst nur Kohlenoxyd bildet. Diesem wird eine weitere
Quantitat Luft zugefuhrt, gerade hinreichend um vollstandige Verbrennung zu
Kohlensaure zu bewirken. Diese Art der Feuerung ist die Gasfeuerung. Der
principielle Unterschied zwischen Gasfeuerung und gewohnlicher directer Feuerung
besteht also darin, dass bei jener die Bildung von Kohlenoxyd und dessen Ver-
44*
692 Gasfeuerung.
brennung zu Kohlensaure nach ei nan der, bei dieser aber zugleich stattfindet.
(Vgl. Brennstoffe II pag. 32).
Jede Gasfeuerung erfordert im AUgemeinen als wesentliche Theile den Gas-
erzeuger oder Generator (generateur de gaz — generator furnace) und eine
Verbrennungsvorrichtung, den Brenner {bee — burner).
Zwischen beiden konnen noch eingeschaltet sein : Vorrichtungcn zum Zuriick-
halten mit fortgerissenen Flugstaubes (Rauchsammler, Gasrein iger), zur Con-
densation von Wasser- und Theerdampfen (Condensatoren), zur Vorerhitzung
der Verbrennungsluft allein oder zugleich audi der brennbaren Gase (Regene-
rator en) u. ahnl. m.
Die Zufiihrung der zur Gaserzeugung und zur Gasverbrennung nothwendigen
Luft geschieht entweder durch natiirlichen Zug oder durcli Ventilatoren u. dgl.
Im AUgemeinen ist der Gasgenerator ein Schacht, in dessen Basis ein Rost
eingebaut, doch variiren die Details entsprechend der vorliegenden Situation und
insbesondere nach dem Brennmateriale und dessen Qualitat. Als solches kommt
Stein und Braunkohle, Torf, Holz und Sagespane in Betracht. Den Eigenschaften
genannter Brennstoffe nach wird die Schiitthohe, dem Agregatszustand ent-
sprehend, gewahlt ; die Form und Grosse des Rostes — der ubrigens nicht von
so wesentlichem Einfluss wie bei directer Feuerung — bestimmt man mit
Beriicksichtigung der Reinheit des Brennmateriales derart, urn die Rostreini-
gung mit Leichtigkeit handhaben und die nothwendige Luftmenge zufiihren zu
konnen u. s. w.
Anzustreben ist, dass alle durch die anfangliche Verbrennung erzeugte Koli-
lensaure wieder zu Kohlenoxyd reducirt wird und dass die Gaserzeugung mbg-
lichst regelmassig und ungestort stattfinde.
Zweckentsprechende Bedienung ist eine wesentliche Bedingung guter Function.
Bei aschenreichem Brennstoffe und insbesondere bei stark backender, schlackender
Kohle ist das Schiiren und Abschlacken des Feuers eine wichtige, schwierige
Arbeit, welche vollste Sorgsamkeit verlangt. Unregelmassige oder ungeschickte
Bedienung ist haufige Ursache von Storungen in der Gasentwickelung; ein unzeitig
gestorter Generator kann aber oft mehrere Stunden brauchen, um wieder in regel-
massigen Betrieb zu gelangen.
Der Generator muss ubrigens so eingerichtet sein, dass er stets hermetisch
geschlossen sei und Luft nur durch den Rost Eintritt finde. Desshalb ist
besondere Vorsicht darauf verwendet, bei Beschickung des Schachtes mit frischem
Brennmateriale, als audi bei Fortleitung der Gase nach dem Verbrennungsraume den
Eintritt der Luft und dadurch schadliche Verdiinnung der Heizgase zu vermeiden. Die
Gaskanale sind audi vor Feuclitigkeit bestens zu schiitzen und ist Eindringen
von Feuchte in den Generator oder die Gasleitung fiir den Heizeffect hochst nach-
tlieilig. Die Herstellung der Mauerung fiir Gasfeuerungen hat darum sehr sorg-
faltig zu geschehen.
Die Gasleitungen sollen mbglichst kurz sein. Sind lange, bald ansteigende
bald fallende Leitungen geboten, so sollen an geeigneten (tiefsten) Punkten
bequem zugangliche , luftdicht verschliessbare Wasser- und Theerfange ange-
bracht sein. Die Ziige mtissen sich gut reinigen lassen und empfiehlt sich An-
bringung von Schaulochern und Sicherheitsklappen.
Als Beispiel sei ein (Ferrini's Technologie der Warme entnommener) Stein-
kohlengenerator von Siemens besclirieben, den Fig. 1707 zeigt.
Derselbe bestcht aus einer etwa 2.5m hohen iiberwolbten Kammer gebildet durch eine
liintere Wand, zwei darauf senkrechte Seitenwande von 1.5m bis 2m DJstanz und einer unter
50 — 60° geneigten Vorderwand, welche in ihrem oberen Theile aus feuerfesten Ziegeln besteht
und weiter ca. 800""ii (jber der Sohle einen Eost enthalt, welcher sich in gleieher Neigung
mit der Wand dieser anschliesst, bis er etwa 400mm iiber der Sohle mit einem zweiten hori-
zontalen Roste zusammentrifft. Zwischen beiden Rosten lasst man um die Reinigung zu
erleichtern, eine Oeftnung von 100 — 150mm. Eine Brennmaterialschiclite von der richtigen
Gasfeuerung.
693
Dicke liegt auf der scliiefen Ebene und den Rosten. Im Gewolbe Bind Oeffnungen angebracht,
iiber denen sich Fiilltrichter zum Einbringen des Brennmateriales befinden. Damit beim Be-
achicken keine Communication mit dem iiusseren Raume cntsteht, habeii die Trichter Deckel,
deren Rander in eine mit Wasser oder Sand gefiillte ringformige Rinne tauchen und der
Boden des Trichters, der die Brennstoffcharge enthalt, kann von Aussen mittelst eines Hebela
vertical gestellt werden. Weitere Oeffnungen dienen aks Schaulocber und sind so angeordnet,
dass man durch dieselben aucb mittelst eines Schiirliakens die zusammenger-ackenen Stiicke
trennen und auflockern, so wie das Nachsinken des Brennmateriales und dessen gleichmassige
Vertheilung reguliren kann.
Die Ausstromung der Gase wird durch einen Schieber oder ein Ventil regulirt. Wenn
das Gewolbe des Generators nicht mindestens um 3m tiefer liegt, als die Sohle des Verbren-
nungsraumes, so lasst Siemens die Gase erst in einen gemauerten oben gescblossenen Kamin
emporsteigen. Etwas unterhalb der hochsten Stelle zweigt ein horizontales Blecbrohr ab,
1707.
welches eine ziemliche Strecke weit boch iiber den Boden geht, sich dann vertical abwarts
bis zum Terrain des Ofens biegt. Dieses Kuhlrohr (cooling tube) — wie Siemens es nennt
— bewirkt durch die Spannungsdifferenz zwischen den heissen, vom Generator kommenden
und den durch das Rohr abgekiihlten Gasen constante Stromung zum Ofen bin, nnabhangig
vom Schornstein des letztern.
Ein sol'cher Generator soil je nach Grosse 1300 bis 1800 K. Kohle in 24 Stunden
destilliren. Geniigt dies nicht, so ordnet man mehrere Generatoren an.
Die Generatoren stehen isolirt oder unmittelbar beim Ofen. Letztere Anord-
nung findet sich zumeist dort, wo ein Generator dem Betriebe geniigt, erstere
empfiehlt sich fur grossere Anlagen, sie lasst vollstandige Trennung der Feuerungs-
von der eigentlichen Ofenmanipulation zu.
694 Gasfeuerung.
Die vom Generator kommenden Gase mischen sich ira Brenner mit Luft
nnd ziehen durch den Generator-Fuchs, wo die Flamme sich noch vollstandig
entwickelt, zum eigentlichen Herd oder Ofen.
Die moglichste Mischung von Gas nnd Luft wird durch sehr von einander
abweichende, wohl noch wesentlicher Verbesserung fahiger, Constructionen ange-
strebt. Entweder bestehen diese aus einer Anzahl von paarweise und concentrisch
in einander gesteckten Diisen, von denen die eine Gas, die andere Luft ausstromen
lasst, oder man lasst gegen die aus einem Schlitze oder concentrischen Ringe aus-
tretenden Gase Luft unter einem gewissen Winkel aus einer Anzahl feiner Diisen
oder schmaler Schlitze stossen und ahnl. m. Als bester Mischungsapparat diirfte
in den meisten Fallen sich jener erweisen, bei Avelchem Gas und Luft nicht in
paralleler Richtung, sondern unter einem Winkel auf einander treffen, weil die
Mischung so schneller und inniger erfolgt. Wie selbstverstandlich, muss Brenner und
Fuchs aus allerbestem Materiale solidest hergestellt werden.
Die Art und Weise wie, und die Menge, in welcher dem Gase Luft zuge-
fiihrt wird, beeinflusst wesentlich die Beschaffenheit der Flamme und den Nutz-
effect der Anlage. Durch diesbeziigliche Regelungkann man je nach Bedarf kurze oder
langgestreckte Flamme erzeugen, ferner derselben mehr reducirenden oder oxydi-
renden Charakter ertheilen, je nach dem industriellen Zwecke, dem der Ofen zu
dienen hat.
Wird dem Gase mehr Luft als nothig zugefiihrt, so wird hiedurch Warme-
verlust hervorgerufen ; wird nicht hinreichend Luft gegeben, so entsteht Rauch und
ein Theil der Gase geht unbeniitzt verloren.
Nun ist gerade die Leichtigkeit, mit der man das Verhaltniss zwischen Gas
und Luft reguliren kann, ein wesentlicher Vortheil der Gasfeuerung. Es kann
die beste Gasfeuerung mangelhaft arbeiten, wenn zur Vergasung oder zur Ver-
brennung nicht die angemessene Menge SauerstotF zugefiihrt wird. Fiir die prak-
tische Erkennung der Giite des Processes dient der durch Uebung gescharfte
Geruchsnerv und die Beurtheilung der Art und der Farbe der Flamme, beste
Controlle jedoch bietet die Untersuchung der Producte der Verbrennung, respective
der Vergasung. Zu solchen Untersuchungen eignen sich die Gasanatysen-Apparate
von Or sat (D. P. J. Bd. 217, S. 220, Bd. 221 S. 468), Winkler (D. P. J.
Bd. 219 S. 413, Journal fiir prak. Chemie 1873 Bd. 6 S. 301), Schwack-
h o f e r (veibesserter Orsat-Apparat, s. Wochenschrift der ost. J. u. A. V. II. Jahrg.
Nr. 48 S. 299) u. a.
Zur Steigerung des Heizeffectes tragt die Erhitzung der Verbrennungsluft
wesentlich bei. Selbe geschieht durch die ausstrahlende Warme des Feuerungs-
raumes (in Kanalen der Seitenwande, in Rohren unter dem Rost u. ahnl.) oder
des Ofens selbst u. z. beim Durchleiten durch die hohle Feuerbriicke, oder unter
dem Ofenherd, oder in den Kanalen der Seitenwande, oder zwischen gitterformig
aufgestellten Steinen, welche von den abgehenden Feuergasen und in besonderen
Kanalen dazwischen von der Luft durchstromt werden. Letzteres ist bei den Vor-
richtungen von Pon sard (D. P. J. Bd. 219, S. 125), Xehse (D. P. J. Bd. 220,
S. 427) u. a. der Fall.
Fig. 1708 und 1709 geben als Beispiel einen completten Gasofen mit Einzelnfeuerung
(zur Verdampfung von Langen u. dgl.), wo die Verbrennungsluft in dem durch eiserne Flatten
gebildeten Eauin g erhitzt wird. a ist der Gasgenerator, d der mit dem Schieber c versehene
Fiilltrichter, durch welchen die Braunkohle auf den Rost b gelangt. Die Gase treten iiber
die Feuerbriicke e und mischen sich oberhalb derselben mit Luft, welche bei /'in den Generator
eintritt und erhitzt bei /( austritt. Die Flamme verbreitet sich gleichmassig iiber die gc-mauerte
Pfamie /, indem sie aus dem Brenner k austritt. Behufs Entziindung der Gase bei Verwen-
dung von feuchten Kohlen dient der kleiue Xebenrost h. Die abziehenden Verbrennungs-
producte miinden durch den Kanal o in den gut ziehenden Schornstein p. Bei n wird die
concentrirte Lauge abgelasseu, wahrend des Ablassens werden die Feuergase durch die Neben-
esse <± abgeleitet. Dieser Gasofen functionh-t im Alaunwerk bei Bonn (s. Alaun I pag. 67).
Gasfeuerung.
GO/
Die hoclisten Temperaturen erzielt man mit den Regenerate re n, wie
sie C. W. u. F. Siemens eingefiilirt haben. Diese sind aus vielen engen Kanalen
bestehende, aus f'euerf'esten Ziegeln hergestellte Kammern, welche abwechselnd von
den Verbrennungsproducten (kurz ehe sie in den Schornstein entweichen) und von
den zum Brenner stromenden Generatorgasen und der Luft durclizogen werden.
In der ersten Periode werden also die Regeneratoren durch die Feuergase erwarmt,
in der zweiten geben sie die aufgenomraene Warme an das Gas und die zur
Gasverbrennung dienende Luft ab.
Fiir gewbhnlich sind die Regeneratoren paarweise gruppirt: die zwei Kam-
mern eines Paares communiciren in ihrem oberen Theile fortwahrend mit den
Verticalschnitt.
Fig. 1709.
Horizontalschnitt eines Verdampfungsofens mit Gasfeuerung.
Oeffnungen in der Ofensohle oder Wand Und nach unten mit dem Schornstein ; die zwei
Kammern des zweiten Paares communiciren gleichfalls mit dem Ofen und zugleich die eine
mit dem Generator, die andere mit der Atmosphare. Mit Beziehung darauf sei bei jeder
Gruppe die erstere die Gaskammer, die zweite die Luft k a m m e r genannt. Eiuen
Umstellungsapparat, durch welch en man die Communication eines Paares mit dem
Schornstein herstellen, resp. unterbrechen und dafiir die Verbindung mit dem Generator
und der Atmosphare herstellen kann, zeigt z. B. Fig. 1710. Zumeist hat man
zwei solche, einen fiir die beiden Gaskammern und einen andern fiir die beiden
Luftkammern. Die Saugwirkung des Schornsteines zwingt die Flamme, die im
Ofen gewirkt hat; durch die zum ersten Paar fiihrenden Oeffnungen denselben zu
verlassen und die in den Kammern angehitufte Ziegelmasse von oben nach unten
zu durchstromen. Auf diesem Wege wird den Verbrennungsproducten allmalig
696
Gasfeuerung.
Fig. 1710.
ihre Warme entzogen, wahrend sich die Ziegel erhitzen. Inzwischen erhitzen sich
in den Kammern des anderen Paares das eintretende Gas und die Luft durch die
Beriihrung mit den Ziegeln , die
kurz zuvor die Flamme umspiilte,
irnmer mehr und mehr. Naturlich
ktihlen sich die Ziegel in den vom
Gas und der Luft durchstromten
Kammern durch die Warmeentzie-
hivng ab; allein unterdessen erhitzen
sich die Ziegel des zweiten Paares
und man hat nur dafiir zu sorgen,
dass zur rechten Zeit — etwa
halbstiindig — die Umschaltungs-
klappen umgeschaltet werden. Je
haufiger die Umschaltung geschieht,
um so geringer werden die Tem-
peraturschwankungen im Ofen; allein
um so hoher ist auch die Tem-
peratur der abziehenden Verbren-
nungsproducte im Schornstein.
Fig. 1711 und Fig. 1712 veranschaulichen einen Simens-Regenerativ-Schmelzgasofen
(siehe Eisenerzeugung, Gussstahl, 3. Bd. S. 46). Die zur Verbrennung gelangenden Gase
koramen von einem Generator durch </, g% in der Richtung der Pfeile, gelangen in die
Gaskammer g3 und durch &2 in den Ofen. Die Luft tritt durch lt l.x in die Luftkammer l3 und
Fig. 1711.
Siemen's Regenerativofen (Horizoutalschnitt).
gelangt durch &,' in den Ofen. Die Mengung beiderfindetbeio stattundes erfulgt die Verbrennung
im Schmelzraume a. Die Verbrennungsproducte ziehen darch fc, kt' ab, und gehen durch yz y2 ;'r
und /3 A, ?.x zur Esse. Verstellt man die Klappen j\ "nd p2 um 90°, so gehen die Generator-
gase durch j-, y2 y3 nach A',, Luft durch ).l A2 ).a nach kx\ in y3 und /.3 findet Abgabe der
"Warme an Gas resp. Luft statt, beide treten auf etwa 800° erhitzt in den Ofen, die Verbren-
Gasfeuerung.
v.n
nungstemperatur kann Iiiedurch auf 1500 bis 2000" C. und mehr gebraeht werden. JJi'j Ver-
brennungsproduete ziehen nun durch k2 g:i g.t gt und durch /<:._,' l3 l% /, ab und erhitzen wieder
das Fachwerk der Kammcr g3 und 1.6.
Was nun die Erfolge der Gasfeuerug anbelangt, so sind diese unbestritten
vorerst da bedeutend, wo die Aufgabe gestellt ist, thunlichst hochste Ilitzegerade
zu entwickeln. Die Regeneratoren ermoglichen die Erzielung selir holier Tempe-
raturen, deren Gfanze wohl in erster Linie nur durch die Widerstandsf&hfgkeit
des Ofens normirt ist. Diese hohen Hitzegrade kann man mit Ililfe der Grasfeuerung
selbst aus bloss geringwerthigera Brennmateriale — Torf, Braunkohle u. s. w. —
stiickr e icher Beschaffenheit entwickeln.
Fig. 1712.
3000(5900
p^^p^^iSS
Siemen's Regenerativofen (Vertikalschnitt).
Nicht minder sind die Erfolge der Gasfeuerung dort fraglos, wo es gilt die
Unreinigkeit des urspriinglichen Brennmateriales (Schwefel, Aschenbestaudtheile
u. dgl.) vom Arbeitsobject feme zu halten, wie z. B. fur keramische Zsvecke. Fern
zu .halten dadurch, dass man eben aus dem unreinen natiirlichen Brennmateriale
moglichst reines kiinstliches schuf. Audi ist es fiir gewisse Industriezwecke ein
wesentlicher Vortheil der Gasfeuerung, dass sie vollstandige Regelung der Flamme
gestattet. Man kann die Lange derselben von 600 — 700mm bis 9m variiren.
Wo diese Bedingungen jedoch nicht zu erfiillen sind, hat bis jetzt die Gas-
feuerung dauernd sich nicht behaupten konnen, namentlich hat sie bisher wenig
Anwendung gefunden zur Erzeugung massiger Temperaturen durch gutes Brenn-
materiale. Grund hiefiir ist, dass die Verbrennung guten Brennmateriales in unseren
gewohnlichen Feuerungsanlagen fast ebenso rationell bewirkt werden kann, als
mit Gasfeuerungen, wahrend diese ungleich mehr Anlagekosten, Reparaturen und
Intelligenz der Bedienung als jene verlangen. Desto mehr ist man bemiiht
gewesen, das allergeringste Brennmateriale, also namentlich Kohlenlosche (Kohlen-
gruss) u. Aehnl. durch Gasfeuerungen zu verwerthen. Man hat hiebei die Erfah-
rung gemacht, dass der nattirliche, durch einen Schornstein herstellbare Zug nicht
ausreicht, um die Gase durch eine aus Losche bestehende Kohlenschiclite von
soldier Machtigkeit zu ziehen, wie sie zur Bildung von Kohlenoxydgas nothwendig.
desshalb hat man den Zug auf kunstliche Weise verstarkt (Geblase oder Pres-
sungsgeneratoren). Der kiinstliche Zug macht Anlage und Betrieb theuerer, und
droht mit Reparatursgefahr.
698 Gasfeuerung.
Als Vortheil des kiinstlichen Zuges wird iibrigens die Unabhangigkeit von
Witterungsverhaltnissen und in Folge dessen gleichmassigerer Betrieb hervor-
gehoben.
Wenn, wie im Vorstehenden enthalten, auch die Principien ziemlich unab-
anderlich feststehen, welche bei Errichtungen von Gasfeuerungen zu befolgen sind,
so gibt es trotzdem zahlreiche Detailverschiedenheiten der Ausfiihrung, welche theils
durch die in jedem einzelnen Falle vorliegenden besonderen Verhaltnissen geboten
sind, theils nach den Anschauungen der einzelnen Constructeure variiren. So
nennen wir beispielsweise die Anordnung von Benrath (fur Holzgas, s. Ramdohr
II), B i c h e r o u x (mit gusseisernem Lufterwarmungs-Apparat am Generator selbst,
s. D.P.J. Bd. 219 S. 220), Bjorklund (mit besonderer Condensatorconstruction,
s. Oest. Z. f. B. u. Httws. 1875, S. 77), Boetius (s. Ramdohr II), Grobe-
L u r m a n n (bringt die festen Brennstoffe vor deren Vergasung auf hohe Tempe-
ratur, s. Oest. Z. f. B. u. Httws. 1878 S. 125), Lebedoff (s. D.P.J. Bd. 189
S. 378), Liegel (bringt Schlacke zum Schmelzen und Selbstabfliessen, s. Ramdohr
II., D. P. J. Bd. 223 S. 482 — A. Friedmann strebt das Gleiche an, s. D.
P. J. Bd. 214 S. 355), Lund in (mit eigenthiimlicher Condensator-Construction,
angewendet fur Gaserzeugung aus Sagespanen, s. D. P. J. Bd. 183 S. 369,
Ramdohr II S. 56, aus Torf, s. Oest. Z. f. B. u. Httws. 1877 S. 497), Moller
u. Mendheim (s. Ramdohr II), "Miiller u. Fichet (s. Rahmdor I), Nehse
(s. D. P. J. Bd. 220 S. 427, Ramdohr II S. 68 u. 123), Ponsard (s. D. P. J.
Bd. 219 S. 125, Ferrini S. 298 — in An wen dung 'fur Dampfkessel s. D. P. J.
Bd. 216 S. 199), H. Schafer, Siemens (s. Fig. 1707, 1711 und 1712),
Thum (s. D. P. J. Bd. 213 S. 121), Wilson, Wittenstrom (ordnet Regene-
ratoren iiber den Ofen an, s. Oest. Z. f. B. u. Httws. 1875 S. 75), R. Ziebart u.
Putsch (s. deren s„verbesserte Gasfeuerung mit Regeneratoren", Berlin 1865) u.a.m.
Oft werden die zu benutzenden gasformigen Brennmateriale nicht erst in
besonderen Generatoren erzeugt, sondern sind entweder als Nebenproduct in ge-
wissen metallurgischen Apparaten gewonnen (Gichtgase) oder kommen in der
Natur vor. Die Gichtgase werden mittelst der Gas fang e (cloche a gaz —
gas bell), s. Eisenerzeugung Bd. Ill S. 7 und 16, abgefangen und an den Ort
ihrer Verbrennung geleitet.
Betreffs der Beniitzung der von der Natur gebotenen Gase verweisen wir
nur auf die in amerikanischen Eisenhiitten in neuester Zeit gemachten Fortschritte
der directen Verwendung der mittelst Bohrrohreu aus dem Innern der Erde abge-
leiteten brennbaren Gase. Wir erwahnen als Beispiel, dass das Gas fiir den
Betrieb der rotirenden Puddelbfen von Graff, B e n e 1 1 & Co. in Pittsburg aus ca.
550m Teufe 20 engl. Meilen (ca. 32km) Distanz geliefert wird und verweisen
auf verschiedene diesbezugliche Mittheilungen (s. Oest. Z. f. B. u. Httws. 1875
S. 512, Z. d. ost. I. u. A. V. 1877 S. 79 u. s. w.)*) Vgl. a. Brennstoffe II p. 32.
Die Erfindung selbststandiger Gasfeuerungen ist deutschen und speciell osterreichi-
schen Technikeru zuzusckreiben. Die Grundlage jedoch fiir die Idee der Construction selbst-
standiger Gasfeuerungen hat die Verwendung der Hochofengase fiir hiittenmannische Zwecke
abgegeben, welche zuersl der Franzose Aubertot— 1809 etwa — einfiihrte, indem er Gieht-
flammen zurn Schweiss- und Puddelprocess beniitzte. In Deutschland gingen die ersten dies-
beziiglichen Versuche 1837 von dem wurttembergischen Bergrath Fab re du Faur in Wasser-
alringen aus. Die Seitens der osterreichischen Regierung nach Wasseralfingen abgesandten
Hiittentechniker erkannten jedoch in der durch das System bedingten Abhangigkeit zweier so
*) In „Das Eisenhiittenwesen der vereiuigten Staaten von Nordamerika" beurtheilt von
P. Fatter v. Tunner heisst es S. 23: In Pittsburg traf ichzwei Eisenhiitten, wo das in
und nachst der Oelregion vorkommende, durch Bohrlocher mit einer pro Quadratzoll
100 bis 120 Pfund betragenden Spannung zu Tage tretende brennbare Gas zum
Betrieb von Puddlings- und Schweissofen beniitzt wird. Die Verwendung dieses natiir-
lichen Gases zu dem Endzwecke ist eine sehr einfache, sehr bequeme und wiirde auch
eine sehr billigo sein, wenu die Nachhaltigkeit des Gases aus dieser Quelle sich be-
wahren mbchte.
Gasfeuerung. — Gasmaschinen. 699
vviohtigeu Hiittenproces.se nicht unwesentliche Mangel unci es erfolgten hierauf die Versuche
mit selbststandigen Gasfeuerungen bei der k. k. Einsenhiitte zu Senbach in Tirol 1830 bis
1840. Wegen der nicht zu bewiiltigcnden Explosionen sistirte man diese Versuche, bis sie
1842 auf dem k. k. Gusswerk zu St. Stephan in Steiermark wieder aufgenommen vvurden und
zwar mit besserem Erfolge. Sectionschef Carl v. Scheuchen stub 1 hat am die Entwickelung
der Gasfeuerung grosse Verdienste. Zu gleicher Zeit errangen Bischof, welcher bereits 1839
den ersten Gasofen entworfen, sowie spater Thoma, dann Schinz und besonders Siemens
wichtige Erfolge ;mf diesem Gebiete.
Literatu r. Bischof, die indirecte, aber hochste Nutzung des roben Brenn-
materiales, Quedlinburg 1856; Ferrini R., Technologie der Warme, deutsch
v. Schroter Jena, Costenoble (S. 128, 175, 291); Neumann Fr., die Ver-
gasung erdiger Braunkoble — Halle Knapp; Ramdohr L., die Gasfeuerung I
nach dem Franzosischen von Fichet (behandelt auch Gasfeuerungen fur Dampf-
kessel) ; Ramdohr L., die Gasfeuerung II — Halle, Knapp ; H. S t e g-
niann die Bedeutung der Gasfeuerung und Gasofen filr das Brennen von
Porzellan, Thonwaaren etc.; Reiche, Anlage und Betrieb der Dampfkessel,
2. Aufl. S. 85; Steinmann F., Compendium der Gasfeuerung, Freiberg,
Engelhardt; Zerrener Carl Dr., Einfiihrung, Fortschritt und Jetztstand der
metallurgischen Gasfeuerung im Kaiserthum Oesterreich, Wien, k. k. Staats-
druckerei 1856 (mit ausfiihrlicher Literaturangabe iiber Gasfeuerung von 1841
bis 1855). C. Ludioik.
Gasgenerator (generateur de gaz — gas generator), s. Gasfeuerung
pag. 692.
Gasheizung, s. Heizung.
Gaskalk (chaux gaziere — gas lime), das aus den Reinigungsapparaten
der Leuchtgasfabriken, welche Aetzkalk zur Gasreinigung verwenden, fallende
Nebenproduct, enthalt neben Kalkhydrat, Schwefelcalcium , Calciumsulfhydrat,
Schwefelcyancalcium, Cyancalcium, kohlens. Kalk, unterschwefligs. Kalk, schweflig-
sauren Kalk, schwefelsauren Kalk, Ammoniak, Theerproducte etc. Wird vielfach
verwerthet entweder an sich als Dlingemittel, oder als Baumateriale (far Weg-
bauten), als Enthaarungsmittel fur Felle (wobei clcr Gehalt an Calciumsulfhydrat
und Schwefelcalcium wirkt), endlich als Rohmateriale fur die Gewinnung von
Schwefelcyanverbindungen und Cyanverbindungen (Berlinerblau), sowie von unter-
schwefligsauren Salzen, vgl. Leuchtstoffe bei Leuchtgas. Gtl.
Gaskohle nennt man einerseits solche Sorten fossiler Kohlen, welche be-
sonders reiche Gasausbeuten liefern, andererseits bezeichnet man mit diesem
Namen auch die in den Gasretorten sich ansetzende, ausserst dichte (spec. Gew.
2,356) und harte Kohle (Retortenkohle, Retortengraphit), welche namentlich zur
Herstellung der Kohlenelemente fur galvanische Batterien, vom Kohlenspitzen fur
electrische Lampen sich besonders eignet, aber auch fur die Herstellung von
Schmelztiegeln dienen kann, vgl. Kohl ens toff. Gtl.
Gaskoks, s. Koks, s. Brennstoffe II pag. 29.
Gaskrug, Apparat zur Bereitung von mit Kohlensauregas gesattigtem Wasser
(Sodawasser), s. Wasse r.
Gasmaschinen oder Gaskraftmaschinen (moieuragaz — gas power engine).
Eine der baroksten Ideen, welche auf dem Gebiete des Maschinenwesens zur
Durchfiihrung gelangten , ist wohl die , explosive Gasgemenge als motorische
Substanz, beziehungsweise als treibende Kraft zu verwenden.
Das Verdienst, diese Idee gefasst und sofort in gelungener Weise realisirt
zu haben, gebiihrt Herrn Lenoir in Paris, iiber dessen Erfindung in den tech-
nischen Journalen vom Jahre 1860 zuerst referirt wird, nachdem die von Herrn
700 Gasraaschinen.
Chr. Reithmann in Mlinchen unci von Hevrn C. Hugon in Paris erhobenen
Prioritatsanspriiche nicht aufrecht erhalten wurden.
Die erste ausgefuhrte Lenoir'sche Maschine hatte den Typus einer gewohn-
liclien liegenden doppeltwirkenden Darnpfniaschine. Der Cylinder war mit Wasser-
klihlung versehen und hatte oben einen Doppelschieber, vvelcher an ein oder dem
andern Cylinderende den Eintritt des Gemenges von 2 bis 8 Proc. Gas mit 98
bis 92 Volumprocenten atmospharischer Luft vermittelte, und unten einen Doppel-
schieber, welcher an dem entgegengesetzten Ende den Austritt des verbrauchten
Gases in die Atmosphare ermoglichte. Die Entziindung des in gefahrloser Weise
explodirenden Gemenges erfolgte mittelst eines Ruhmkorff-Apparates derart, dass
die beiden freien Enden desjenigen Drahtes, welcher den inducirten Strom leitete,
sich nach den beiden Cylinderenden gabelten, und* dort so nahe an einander
gestellt waren, dass in dem Momente, als der inducirende Strom durch Vermitt-
lung des hin, und hergehenden Kreuzkopfes unterbrochen wurde, an der Innen-
seite der beiden Cylinderenden ein Inductions-Funken auftrat, welcher auf der-
jenigen Seite, wo eben das explosible Gemenge vorhanden war, die Entziindung
bewirkte.
Diese Maschine war auch in der 2. Auflage von H. Boetius „die Erics-
son'sche calorische Maschine" 1861 beschrieben und wurde daselbst die franzo-
sische Angabe von nur '/„ Kubm. Gasverbrauch per Pferd und Stunde als un-
moglich bestritten.
Die Firma Lenoir setzte sich sofort mit dem renommirten Maschinenfabri-
kanten Hypolite Marin oni in Paris in Yerbindung, welcher die Gasmaschine con-
structiv verbcsserte und fabriksniassig erzeugte. Die Marinoni'sche Maschine hat
die beiden Schieber seitwarts liegend und ist so eingericktet, dass die Mengung
von Luft und Gas erst im Cylinder erfolgt, somit jede Explosionsgefahr ausge-
schlossen ist.
Nach einer Mittheilung von Ingenieur Eyth im „Civilingenieur" 1861 ver-
suchte der deutsche Maschinenfabrikant G. Kuhn die Marinoni'sche Maschine nach-
zubauen, erreichte aber keine giinstigen Resultate. Bei 7.1 Proc. Gasgehalt betrug
die Leistung bei 100 Touren in der Minute 235 Fusspfund badisch z= 35.25mk
pro Secunde r= 0.47 Pferdestarken mit einem Gasverbrauch von 45 Kubikfuss
= 1.215 Kubikm. in 37 Minuten, also pro Stunde 1.97 Kubikm. und pro Pferd
und Stunde 4.19 Kubikm., ja bei dem Mischungsverhaltniss von 5.6 Proc. sogar
5.45 Kbm., also circa doppelt so viel, als nach den durch Professor C. H. S c h m i d t
in Stuttgart bekannt gewordenen ersten Yersuchen des Herrn T r e s c a, Subdirector
am conservatoire imperial des arts et metiers, abgefiihrt im Marz 1861, die fran-
zosische Originalmaschine verbrauchte, bei welcher der durchschnittliche Verbrauch
an Gas pro Stunde und Pferdestarke nur 2.74 Kbm. betrug.
Allein Herr Tresca setzte seine Beobachtungen an anderen derartigen Ma-
schinen fort, und verofFentlichte im October 1861 einen ausfiihrlichen interessanten
Bericht im Bulletin de la Societe d'Encouragement, welchen das polytechnische
Journal B. 163 vollstaudig brachte.
Nach diesen Versuchen betrug der Gasverbrauch bei einer Leistung von
1.02 bis 1.S5 Pferdestarken zwischen 2.7 bis 3.4 Kbm. pro Pferd und Stunde,
und ergab sich insbesondere bei einer Maschine mit 81 Touren 1.02 Pferdestarken
und 2.8 78 Kbm. Gasverbrauch pro Pferd und Stunde, der Kiihl-Wasserverbrauch
mit 800 Liter pro Pferd und Stunde, wobei dasselbe von 18 auf 40° C. erwarmt
wurde, also pro Stunde 17600 Calorien oder pro Secunde 4.89 Calorien, d. i.
27mal so viel wegfuhrte, als die der Nutzleistung aquivalente Warmemenge be-
tra'gt. Ausserdem entwichen die Gase aus der Maschine mit 280° C. Rechnet
man beim giinstigsten, nicht zu schnellem Gang den Gasverbrauch nur mit 26
Kbm. pro Pferd und Stunde, so kommt man auf die Tresca'sche Angabe, dass
ein Liter Gas 6 Calorien und eine Calorie 16.6mk Arbeit liefert.
Trotz dieser im Vergleich zu den Unterhaltungskosten einer kleinen Dampf-
maschine, welche etwa pro Pferd und Stunde 5 K. Kohle beuothiget, allerdings
Gasmaschinen. 701
sehr ungiinstigen Resultate, bcsitzt die Gasmaschine fiir den Gewerbetreibenden,
der in seiner Werkstatt keine Dampfmaschine, wohl aber eine Gasmaschine auf-
stellen darf, einen grossen Werth, insbesondere dann, wenn er die Kraft nicht
continnirlicb benothiget, sondern nur mit liaufigen Unterbrecliungen, denn sie
consumirt wahrend des Stillstandes keinerlei Betriebsmaterial, und kann fast mit
derselben Bequemlichkeit in Gang gebracbt werden, mit welcher man die Gas-
flammen anziindet. Die Maschine erfordert wenig Raum, die entweichenden Gase
werden zum Heizen der Werkstatt und das erwarmte Kiildwasser in der Haus-
baltung verwendet. Die Maschine kann auch gefahrlos dort zur Anwendung
gelangen, wo in der Werkstatt feuergefahrliche Materialien herumliegen, also eine
calorische Maschine ansgeschlossen ist. Der einzige bedeutende Uebelstand ist,
dass die Maschine einer sorgfaltigen und reichhaltigen Schmierung bedarf'; daher
der hiemit beschaftigte Arbeiter in seiner sonstigen Arbeit sehr gestort ist.
Die seither noch mehrfach verbesserte Lenoir-Marinoni'sche Maschine wird
bis heute fabriksmassig erzeugt, obwohl bei derselben der Gasverbrauch noch
immer etwa doppelt so gross sein mag als bei der atmospharischen Gaskraft-
maschine System Langen und Otto, wo er nur 3/4 bis 1 Kbm. pro Pferd und
Stunde betragt, und man zieht mit Recht die Lenoir-Marinoni'sche der Langen-
Otto'sclien Mascliine in alien den Fallen vor, wo nicht die geringere Hohe der
Betriebskosten, sondern der ruhige Gang fiir die Wahl des Systems entscheidend
ist. Wo man sich aber eine Maschine gefallen lassen darf, welche einen Larm
wie etwa eine kraftig auspuffende Locomotive macht, da ist die der Wesenheit
nach von dem deutschen Ingenieur N. A. Otto construirte „atmospharische
Gaskra ft maschine" am Platz.
Dieselbe, schon in der ersten Ausfiihrung geistreich durchgeftihrt, gehort in
ihrer jetzigen Form zu den vorziiglichst durchdachten Constructionen, welche der
Maschinenbau aufzuweisen hat.
Die ersten Mittheilungen iiber diese Maschine finden sich im Journal fiir
Gasbeleuchtung 1867 und hiernach in den anderen technischen Journalen. Eine
vorziigliche Beschreibung mit guten Zeichnungen derselben hat Prof Reuleaux in
den Verhandlungen des Vereins fiir Gewerbfleiss in Preussen 1868 geliefert. In
diesem Aufsatz wird die Idee, die Gasmaschine mit einer Wasser-Einspritzpumpe
zu versehen, urn einen Theil der Gaswarme zur Dampfbildung zu verwenden,
Herrn Hugon zugeschrieben, wahrend sie in Wieck's illustr. Gewerbezeitung 1861
(Polyt. Centralblatt 1861) schon als von Lenoir beabsichtiget angefiihrt wird.
Desgleichen fiihrt Reuleaux Herrn Hugon als Erfinder der Gasflammenentziindung
an, welche jedoch erst bei der Otto und Langen'schen Maschine zur allgemeinen
Anwendung gelangte.
Diese ist nicht horizontal liegend und mit Kurbelbewegung versehen wie
die Lenoir'sche, sondern besitzt einen hohen verticalen, oben olfenen Cylinder, der
nur in seinem unteren Drittel mit Wasserkiihlung versehen ist und nicht einmal
steter Erneuerung des Kiihlwassers bedarf, sondern mit der in passender Weise
erzielten Wassercirculation ausreicht. Dieser wichtige Umstand wird dadurch
erreicht, dass die nach eingetretener Explosion momentan entstandene hohe Span-
nung des sehr heissen Gases in moglichst vollstandiger Weise ausgeniitzt werden
kann, indem der schwere Kolben sammt der daran befindlichen verticalen langen
also schweren Kolbenstange durch den starken Gasdruck, ohne hiebei in Ver-
bindung mit der Arbeitswelle zu sein, also ohne Widerstand, mit grosser Be-
schleunigung in die Hohe geschleudert wird, und hiebei vermoge der erlangten
lebendigen Kraft und zufolge des nach oben nicht begrenzten Hubes sich sehr
bedeutend iiber jene Hohe erhebt, bei welcher diese Masse von dem darunter
befindlichen Gase im Ruhezustande getragen werden konnte, derart, dass die End-
spannung der Verbrennungsgase bei der hochsten Kolbenstellung sogar wesentlich
geringer ist als die atmospharische Spannung, was nur dadurch moglich wird.
dass die expandirenden Gase Warme an die durch Wasser und Luft bestandig
702
Gasmaschinen.
gekiihlten Cylinderwandungen abgeben, wobei auch die bei der Verbrennung ent-
standenen Wasserdampfe theilweise condensiren.
Bei Beginn des Kolbenniederganges ist daher nicht nur das bedeutende
Gewicht des Kolbens sammt Zugehor wirksam, sondern iiberdies der Ueberdruck
der atmospharischen Luft iiber die Spannung der Gase im Cylinder, worauf der
Name „atmospharische Gaskraftmaschine" basirt. Nur der Kolbenniedergang ist
wirksam, indeni hiebei die Zahnstange des Kolbens in ein auf der Welle loses
Stirnrad eingreift, welches innen mit einem ganz eigenthiimlich und sinnreicli
construirten Schaltwerk derart ver-
Fig. 1713.
sehen ist, dass bei dem langsamen
Kolbenniedergang der Zahndruck
treibend auf die Arbeitswelle wirkt,
wahrend bei dem raschen Kolben-
aufgang sich das Stirnrad entge-
gengesetzt der ziemlich gleichmassig
fort rotirenden Schwungradwelle be-
wegt.
Die Abbildung dieses Schalt-
werks findet man sowohl in der
Reuleaux'schen Beschreibung der
alteren Masehine, welche zur Be-
thatigung des Schiebers eine Vor-
gelegwelle hatte, wie auch in den
Beschreibungen der neueren atmo-
spharischen Masehine ohne Vor-
gelegwelle und mit verbesserter
Regulatoreinrichtung , welche Be-
schreibung in Alfred Musil „die
Motoren fiir Kleingewerbe" , Kla-
genfurt 1875, und in M tiller -
M e 1 c h i o r's vortrefflichem Bericht
iiber die Weltausstellung in Phila
delphia 1876 im polyt. Journal,
Band 223, Heft 6, Seite 557 zu
finden ist.
In letzterer Quelle sind auch
alle anderen ingeniosen Details der
neueren Masehine , welche ohne
Detail des Schiebers auch in Ried-
ler's schatzbaren „Excursions-Be-
riclit", Blatt 14, enthalten ist,
devitlich beschrieben, und beschran-
ken wir uns bei dem Umstande,
als die atmospharisclie Gaskraft-
maschine seit Juli 1877 nur mehr
auf Vonnd 1 Pferdekraft gebaut wird,
wahrend die -grosseren Maschinen
von 2 bis 8 Pferdestarken bereits
nach dem neuesten System : „ Otto's
neuer Motor" ausgefiihrt werden, darauf, die neuere atmosphari sche Gas-
kraftmaschine Fig. 1713 nur mit einigen Schlagworten zu charakterisiren.
Da die Sehwungradwelle mit dem Stirnrad seit warts von der Mittellinie
der Kolbenzahnstange liegt, so erhiilt natiirlich die Excenterstange und der
Schieberkasten in der zweiten hier nicht dargestellten Projection eine schrage
Stellunsr,
WWW/,
Atmospharische Gaskraftmaschine.
Gasmaschinen.
703
Fig. 1711
Der Schieberspiegcl ist in Pignr 1714 dargestellt.
Der Schieber,' Fig. 1715 enthalt drei Muscheln. Bei Mittelstellung des
Schiebers nimmt die mittlere Muschel II die durch eine Oeffnung zutrelende Luft
auf. Die rechts gelegene Muschel I ermciglicht den Austritt der gegen Ende des
Kolbenniederganges comprimirten Gase durch ein RUckschlagventil Fig. 1714,
welches bei der darauf folgenden Periode des Kolbenaufganges und Ansaugens
des Gasgemenges sich selbstthatig schliesst. Die links gelegene Muschel III f Li 1 1 1
sich bei der Schiebermittelstellung mit der Gasmenge fur den nachsten Hub. Der
Schieber geht nach abwarts, das in III beflndliche Gas gelangt durch mehrere
feine Locher im Schieberspiegel in den mit Luft erfiillten Raum II, mengt sich
mit derselben dort sehr vollkommen und tritt wahrend der durch einen Hebel-
mechanismus erfolgenden langsamen Erhebung der Kolbenstange und wahrend der
Schieber aus der tiefsten in die Mittellage zuriickgeht, in den Cylinder ein.
Eine tiefer liegende Durch-
brechung IV des Schiebers ist be-
standig von dem Schieberkasten- Fig. 1714.
deckel bedeckt, ausser in einer
Stellung oberhalb der tiefsten Schie-
berstellung, wo sie zusarnmtrifft mit
einer Oeffnung im Deckel, vor
welcher bestandig eine kleine Gas-
flamme brennt. In der tiefsten
Stellung des Schiebers wird der
Raum IV mit Gas und Luft gefiillt.
Bei Hebung des Schiebers ist er
ringsum abgeschlossen, gelangt clann
zu dem Fenster im Deckel V Fig.
1713, wodurch sich das abgeschlos-
sene Gemenge entziindet, brennend
sofort wieder abgeschlossen wird, und bei der
zu dem Kanal gelangt, der mit dem Cylinder
bindung mit II war.
Hiedurch erfolgt etwa nach ein Fiinftheil des Kolbenweges die Explosion,
die Spannung der Gase steigt plotzlich auf circa 4 Atmospharen Ueberdruck und
der Kolben, welcher wahrend der Fiillungsperiode durch den Druck eines Hebels
auf eine mit dem Hebel nicht verbundene Druckstange langsam gehoben wurde,
wird nach der Explosion rasch hinauf geschleudert, und beginnt hierauf seinen
wirksamen Niedergang. Auffallend ist die Erscheinung, sagt Reuleaux, dass die
bedeutend unter dem atmospharischen Druck liegende Spannung der Gase beim
Niedergang des Kolbens so gleichformig bleibt, ja sogar in der Regel noch sinkt,
wahrend und obgleich der Kolben die Verbrennungsgase zusammendriickt.
Man hat wohl eine rasche Ableitung der Warme durch die gekuhlten Cy-
linderwande und Condensation der Wasserdampfe als Ursache dieser Erscheinung
anzunehmen.
Im Durchschnitt betrug das Vacuum in der ersten Halfte des Kolbennieder-
ganges 3/4 Atmospharen, so dass also eine absolute Spannung von !/4 Atmosphare
als Gegendruck blieb. Die Hublange schwankte bei der Vopferdigen Maschine
dor Pariser Weltausstellung 1867 (alterer Construction) zwischen 0.88 und 0.95
Meter, je nach der etwas variablen Maximalspannung der Gase. Bei der alteren
Maschine wurde jedesmal ein neuer Kolbenflug eingeleitet, sobald der Kolben an
dem Boden des Cylinders ankam ; die Regulirung der Anzahl Kolbenhube per
Minute konnte also nur dadurch erfolgen, dass der Regulator auf das Riickschlag-
ventil wirkte und die Ausflussoffnung der Explosionsproducte regulirte, beziehungs-
weise einen Verengungswiderstand einschaltete. Bei der neueren Maschine ist
jedoch der Gasaustritt immer ganz ungehiudert und der Kolben bleibt in seiner
hochsten Stellung des Schiebers
communicirt, und friiher in Ver-
704 Gasmaschinen.
tiefsten Lage ruhig stehen, wahrend die Schwungradwelle fortlauft, bis sich deren
Geschwindigkeit so weit ermassigt, dass durch das Sinken der Regulatorkugcln
auf eine Sperrklinke gewirkt wird, welche in ein auf der Welle befindliches
Sperrad eingreift, wodurch erst diejenige Kurbel bethatiget wird, von welcher
statt der sonst iiblichen Excenter der Scbieber bewegt nnd der Kolben behufs
des Ansangens angeboben wird. Daher wird der Schieber nur wahrend der Be-
scbleunignngsperiode der Welle bei Beginn des Kolbenniederganges von der Schie-
berkurbel mitgenoromen nnd in die Mittelstellnng gebracht, bleibt bei der ferneren
Bescbleunigung und darauf folgenden Verzogerung bei ausgeloster Sperrklinke
unverandert in der Mittellage und wird erst, lange nacbdem der Kolben schon
nnten angekommen ist, in Folge der nnter das Normale sinkenden Geschwindig-
keit des Schwungkugelregulators und des dadurch bewirkten Einklinkens des
Sperrades weiter abwarts in die tiefste Lage gescboben und wieder aufwarts bis
in die Mittellage zuriick bewegt, wahrend gleichzeitig der Kolben angeboben wird.
Dieser sinnreichen Einrichtung verdankt man es, dass die Maschine je nach dem
kleineren oder grosseren Widerstand an der Schwungradwelle nur 2 oder aber bis
30 Kolbenfllige pro Minute macbt, wahrend in beiden Fallen die Schwungrad-
welle eine gleiche in nur massigen Grenzen schwankende Geschwindigkeit besitzt,
und dass daher der Verbrauch an raotorischer Substanz fast genau dem Wider-
stande bei unveranderter Geschwindigkeit proportional ist, ohne dass sich der
Maschinenwartcr darum zu kiimmern braucht, eine Eigenschaft, die in so weiter
Grenzen bei gar keiner anderen Kraftmaschine erzielt werden kann. In Folge
dessen und wegen des ungehinderten Gasaustrittes beim Kolbenniedergang ist
auch der Gasverbraucb weit geringer als bei der Lenoir-Marinoni'schen Maschine
und betragt nur 3/4 Kbm. pro Pferdestarke und Stunde. Die Betriebskosten
stellen sich daher bei den gewohnlichen Preisverhaltnissen des Gases und der
Koks bei dieser Gasmaschine nur wenig oder gar nicht holier als bei einer calo-
rischen Maschine, abgeseben davon, dass letztere auch noch einen Heizerlobn
erfordert, der bei ersterer wegfallt, und dass sich der Gasverbraucb immer der
hochst verschiedenen Arbeitsleistung anpasst.
So ausserordentlich sinnreich auch diese atmospharische Gaskraftmaschine
in alien ihren Details construirt ist, und obwobl die Gasmotorenfabrik zu Deutz
bei Coin im Vereine mit ihren Zweigfabriken in verschiedenen Landern bis Ende
1876 schon 4500 Exemplare dieses Motors verkauft hat, so leidet die Maschine
docb an mehreren bedeutenden Uebelstanden.
Vor Allem ist das unangenehme Geriiusch beim Betriebe so storend, dass
deswegen allein die Aufstellung in -sielen Localitaten unzulassig ist. Dann lasst
sie sich nur als vertical stehende Maschine ausfiihren und gibt in Folge der com-
plicirten Construction leicbt zu Storungen und Reparaturen Anlass.
Diese Uebelstande sind durch die „Otto's neuer Motor" benannte Con-
struction vollstandig beseitiget. Dieser neu patentirte Gasmotor mit horizontalem
Cylinder arbeitet so wie der Lenoir'sche Motor ahnlicli wie eine kleine Dampf-
maschine mit Pleuelstange, Kurbel und Schwungradwelle ganz gerauschlos und
verbraucht bei voller Arbeitsleistung 1 Kbm. Gas pro Pferd und Stunde, wohl
melir als die atmosphariscbe Maschine, Avas jedoch durch die sonstigen Vorztige voll
aufgcwogen wird.
Diese Maschine ist in Dingler's polyt. Journ. Bd. 228 S. 201 unter dem
Titel: „Otto's geraus chlose Gasmaschine" beschrieben.
Der Cylinder ist auf der Schwungsradseite oifen, auf der anderen Seite wird
der Cylinderdeckel durch starke Spiralfedern nebst zwei kleinen Sicherheits-Stell-
schrauben an den zwischen Cylinder und Deckel sich in horizontalem Sinne senk-
recht auf die Cylinderachse bewegenden Schieber angedriickt. Die Maschine ist
nur halb wirkend, indem auf zwei Schwungradumlaufe nur eine Cylinderfiillung
stattfindet. Bei dem ersten Hingang des Kolbens erfolgt das Ansaugen des <ias-
und Luftgemenges, beim ersten Riickgang die Compression dieses Gemenges,
Gasmaschinen. — Gasmuffelofen. 705
beim zweiten Hingang die Explosion und Expansion und beim zweiten Ruckgang
die Gasausstromung. Desbalb wird der Schieber von einer Zwischenwelle ange-
trieben, die nur halb so viele Umdrehungen macht als die Schwungradwelle, der
Zutritt des Gases wird ausserdem selbstthatig durch ein Ventil regulirt. Die Ent-
ziindung also Explosion des Gasgemenges im Cylinder wird wie bei der atmo-
spharischen Maschine durch eine Gasflamme veranlasst. Zur Kulilung des Cy-
linders ist eine geringe Menge kalten Wasser erforderlicb. Die Mascliine ist im
Vergleicb mit calorischen oder anderen Gasmaschinen auffallend klein, was wohl
dem Umstande zugeschrieben werden darf; dass sie mit 170 Touren per Minute,
also so wie eine sehr schnell gehende Locomobile arbeitet. Sie wurde bisher bis
zu 8 Pferdestarken ausgefuhrt.
Die Dimensionen und Preise von Otto's gerauschloser Gasmaschine sind
folgende :
Pferdestarke % 1 2 4 6 8
Tourenzahl pro Minute 180 180 160 160 150 150
Lange in Metern 1.80 2.10 2.46 2.94 3.18 3.42
Breite in Metern 0.85 0.90 1.02 1.18 1.30 1.44
Hohe in Metern 1.40 1.51 1.62 1.71 1.80 1.85
Preis in Mark 1000 1500 2100 3000 3800 4500
Preis in fl. o. W. ab Langen & Wolf
in Wien complett 750 1000 1500 2000 2500 3000
G. Schmidt.
GaSltiesser (compteur au . gaz — gas counteur)
uhren und Leuchtst offe.
Gaszahler, s. Gas-
Gasmilffelofen (fourneau d'emailleur a gas). P e r r o t hat einen Gas-
muffelofen construirt, welcher namentlich zur Emailirung von Schmuckgegenstanden
in Verwendung steht. Der ganze
Fig. 1716.
Ofen ist eine viereckige, aufkurzen
Fiissen stehende eiserne Kiste von
33cm Hohe und Tiefe und 44cm
Breite. An der Riickwand ist eine
Oeffnung, zu welcher die Miindungen
der 6 Gasrohre des Brenners ge-
bracht werden. Durch einen gemein-
schaftlichen Schieber kann die Luft-
einstrijmung in sammtlichen Gas-
rohren des Brenners regulirt wer-
den, der Gaszufluss hingegen durch
Stellung eines Hahnes am Gaszu-
leitungsrohre. Die Muffel, deren
Oetfnung auf der Vorderseite durch
eiserne Thurchen verschlossen wer-
den kann, steht von der Riickwand
urn ca. 6em ab. Sammtliche Ofen-
wande sind mit einer Fiitterung
von feuerfestem Materiale bekleidet
und tiber die Muffe ist von der
Riickwand gegen vor gehend ein
Rohr aus feuerfester Masse gesteckt,
welches zwischen sich und der Muffel
einen ringfdrmigen Raum von ca.
14mm lichter Weite frei lasst. Durch diesen Raum streicht das Gas von riick-
warts gegen vor, und kehrt dann zwischen dem Rohr und der Fiitterung der
Karmarsch & Heeren, Technisches WBrtorbuch. Bd. HI. 45
706 Gasmuffelofen. — Gasometer.
Ofenwand zurtick, um endlich in das Rauchrohr zu gelangen, wie dies die vor-
stehende Skizze versinnlicht.
Beim Gebrauche dieser Oefen hat man darauf bedacht zu sein, dass die
Erwarmung des Ofens eine langsame ist, auch muss vermieden werden Gas in den
Ofen strbmen zu lassen, bevor dasselbe entztindet ist, da sonst eine Explosion
eintreten kann. Kk.
Gasofen, s. Heizung, s. Gasschmelzofen, s. Gasmuffelofen.
Gasbl, ein als Schrnierbl verwendbares Destillationsproduct der Braunkohle.
Gasoletl, Handelsname der fliichtigen Destillationsproducte des Petroleums,
s. Steinol, s. a. Gasoline.
Gasoline, in Amerika gebrauchliche Bezeichnung fur den bei 77° C. destil-
lirenden Antheil der leichtfliichtigen Destillationsproducte des Rohpetroleums vom
spec. Gew. 0.61—0.63, s. Steinol.
Gasometer (reservoir a air — gas holder), Gasbehalter. Mit dem
Namen Gasometer (d. i. Gasmesser) bezeichnet man im Deutschen unrichtiger
Weise jene Vorrichtungen, die zur Aufsammlung und Aufbewahrung von Gasen
verwendet werden und also streng genommen als Gasbehalter zu bezeichnen sind.
Man unterscheidet zwei verschiedene Arten von Gasometern und zwar sogenannte
Glockengasometer und Gefassgasometer. Beiden liegt das Princip zu
Grunde, dass ein in einem Raume eiDgescblossenes Gas, wenn auf dasselbe ein
Druck ausgeitbt wird, der grosser ist als der Druck in einem zweiten durch eine
Rohrenverbindung mit dem ersten communicirenden Raume, in diesen iiberstromt,
so lange bis Druckgleichheit in beiden Raumen berrscbt.
Die Gefassgasometer, wie sie zuerst von Pepys angegeben wurden und
in gleicher oder wenig abweichender Form noch gegenwartig allgemein in Ver-
wendung stehen, bestehen aus einen grosseren 30 — 40cm boben und 15 — 20cm
weiten Cylinder aus Kupfer- oder Zinkblech (das mitunter auch angewendete Eisen-
blech ist nicbt empfeblenswertb), der allseitig geschlossen, in der Nahe seines
Bodens eine kurze, etwas nacb Aufwarts stebende, mit Stbpsel oder Verscbraubung
verscbliessbare, etwa 3cm weite Abflussrobre, und nabe am obersten Rande eine
fur die Ausstrbniung des Gases bestimmte Habnrohre mit enger Bohrung tragt
und den eigentlicben Gasrecipienten bildet. Ueber demselben stebt ein oben offenes
Gefass, gewohnlicb von gleicbem Durcbmesser, aber nur etwa l/3 der Hohe des
unteren Cylinders, auf dessen etwas gewolbtem Deckel es mittels 3 bis 4 Trag-
saulchen anfgesetzt und befestigt ist. Dieses zur Aufnabme des Wassers oder
der geeigneten Druckfliissigkeit bestimmte Gefass communicirt durch zwei mit
Hahnen verscbliessbare Rohren mit dem unteren Cylinder und zwar durch eine
in der Acbse der beiden Gefasse stehende kurze Rbbre, welche vom Boden des
Ober-Gefasses ausgebend unmittelbar unter dem Deckel des unteren Cylinders
mtindet, und eine zweite, seitlich gestellte, welche von dem Boden des Obergefasses
ausgebend, bis nabe an den Boden des unteren Cylinders fiihrt. Ueberdies tragt
bei Gasometern aus Metallblech der als Gasrecipient dienende Cylinder noch eine
am Boden und nabe am Deckel eingekittete Glasrohre zur Beobachtung des
jeweiligen Fliissigkeitsstandes im Gasometer. Haufig, namentlich zum Gebrauche in
chemiscben Laboratorien, stellt man dergleichen Gasometer zum Theil aus Glas
her (Eckling'sche Gasometer), indem man sowohl den unteren Cylinder als
audi das Obergefiiss durch Gefasse aus Glas ersetzt, die mit gut aufgekitteten
Messingfassungen armirt sind, und bringt bei solchen Gasometern die Gasaus-
strbmuugsrohre meist nicbt an dem unteren Glasgefasse selbst an, sondern an der
kurzen Verbindungsrbhre zwischeu dem oberen und unteren Gefasse, die man dann
zwecknm'ssig mit einem Dreiweghahne versieht, um die Anwendung zweier beson-
derer Habne zu ersparen. Endlich stellt man nach demselben Principe einge-
Gasometer. 707
richtete Gasometer fur die Zwecke der Aufbewahrung von Gasen, welche, wie
z. B. Chlorgas, Metalle heftig angreifen, auch ganz aus Glas her, indem man
eine grossere zweihalsige Glasflasche, die nahe am Boden eine Tubulatur tragt,
einerseits mit einer in die eine Halsoffnung gut eingeschliffenen, bis auf den Boden
der Flasche herabreichenden Trichterrohre mit Glashahn (mit entsprechend grossem
Trichtergefass) versieht, wahrend in die zweite Halsoffnung eine kurze, recht-
winklig gebogene und gleichfalls mit Glashahn versehene Glasrohre eingeschliffen
ist, die unmittelbar unter dem Halse der Flasche miindet. Um solche Gasometer
zu beniitzen, fiillt man sie zunachst mit Wasser oder einer geeigneten anderen
Fliissigkeit (fur Chlorgasometer z. B. gesattigten Chlorcalciumlosung), indem man
die Fliissigkeit auf das obere Gefass aufgibt, wahrend die Tubulatur am Boden
des unteren Gefasses und der Hahn der kurzen Communicationsrohre geschlossen,
die Hahne der Rbhre fur die Gasausstromung aber sowie der Hahn der bis an
den Boden des Untergefasses fiihrenden Communicationsrohre (Druckrohre) aber
geoffnet sind. Wahrend die den Gasrecipienten erfullende Luft aus der seitlichen
Ausstromungsrohre entweicht, fiillt sich derselbe allmalig vollkommen mit Fliissig-
keit an. 1st derselbe vbilig gefiillt, dann schliesst man die Hahne der Druckrohre
sowohl als auch der Ausstromungsrohre und offnet hierauf allmalig die Tubulatur
nachst dem Boden des Gasrecipienten, aus welchem nun, wenn alle Hahne gut
schliessen und der ganze Apparat vollkommen dicht ist, bei sonst geeignet schrager
Stellung des Tubulus, weder Fliissigkeit aus dem Gefasse ausfliessen, noch Luft
in dasselbe eindringen darf. Fiihrt man nun durch die Tubulusoffnung ein Bohr
in das Innerne des Gasrecipienten ein, durch welches das in den Gasometer zu
fiillende Gas unter geniigendem Drucke ausstrbmt, so fiillt sich, wenn gleichzeitig
die Fliissigkeit neben dem eingefiihrten Gasleitungsrohre frei abfliessen kann, der
Gasrecipient mit dem Gase allmalig an. Man setzt die Fiillung so lange fort, bis
eben nur mehr so viel Fliissigkeit im Gasrecipienten enthalten ist, dass die Tu-
bulatur nachst dem Boden durch dieselbe abgesperrt erscheint, zieht sodann die
Gasleitungsrohre heraus, und verschliesst die Tubulatur mit dem zugehorigen
Stbpsel Oder der Verschraubung. Man hat nun das Gas in dem Recipienten vollig
abgeschlossen und kann dasselbe, wenn der Apparat vollig dicht ist, und das Gas
selbst nicht etwa in Folge der Beruhrung mit der Fliissigkeit eine Veranderung
erleidet, beliebig lange aufbewahren. Will man dasselbe in Verwendung ziehen,
so fiillt man zunachst das Obergefass mit Wasser oder einer sonst geeigneten
Fliissigkeit und kann nun entweder nach dem Oeffnen des Hahnes der Druckrohre
das Gas unter dem Drucke der Fliissigkeitssaule aus der seitlich angebrachten
Ausstromungsrohre austreten und mittels geeigneter Rohrenleitungen in den Raum
eintreten lassen, den man mit dem Gase fiillen will, oder man kann dasselbe in
andere Gefasse dadurch iiberfiillen, dass man dieselben mit Wasser oder der
geeigneten Fliissigkeit vollig gefiillt, mit ihrer Miindung nach abwarts gekehrt
iiber die Oeffnung der kurzen Communicationsrohre am Boden des oberen Gefasses
bringt, und wahrend der Hahn der Druckrohre geoffnet ist, nun auch den Hahn
der kurzen Verbindungsrohre offnet, worauf das Gas aus dieser entweicht und in
Blasen, durch die das Obergefass fiillende Fliissigkeit aufsteigend, in dem gewiinschten
Gefasse aufgefangen werden kann.
Anstatt auf den Gasrecipienten directe das Wassergefass aufzusetzen, kann
man, wenn eine Wasserleitung mit geniigendem Wasserdrucke zur Verfugung steht,
auch einfach hermetisch geschlossene und mit einem Ablasshahne, ferner einer
Gasableitungsrohre und einer fur die Zuleitung von Wasser bestimmten Druck-
rohre versehene Reservoirs als Gasometer beniitzen, die man nur mit der Wasser-
leitung in Verbindung zu setzen braucht, um sie in gleicher Weise zu verwenden
wie Gasometer von der oben beschriebenen Construction. Von solcher Art sind
die in Laboratorien rnitunter in Verwendung stehenden grbsseren Gasometer fur
Sauerstoff oder Wasserstoff und die neuerer Zeit von R. Muencke (Dingl. pol.
Journ. 218 pag. 40) beschriebenen verbesserten Gasometer haben wesentlich die-
selbe Einrichtung.
45*
708 Gasmesser.
Was die sog. Glockengasometer betrifft, so ist die Einrichtung dieser
verhaltnissmassig alteren Vorrichtungen eine ziemlich einfache. Eine oben ge-
schlossene, nach unten zu offene Glocke aus Metall oder Glas taucht mit ihrer
Miiiidung unter die Oberflache der in einem weiteren Gefasse befindlichen Sperr-
fliissigkeit; itber welche die Miindung eines in das weitere Gefass eingesetzten und
mittels einer Hahnrohre nacb Aussen miindenden Gasleitungsrobres einige Milli-
meter hervorragt. Wird die Glocke aufgesetzt, so sinkt sie, wahrend die in der-
selben abgesclilossene Luft durch die HahnofFnung der Gasleitungsrohre entweicht,
vermoge ihrer Schwere in die Fliissigkeit ein und erscheint endlich selbst vbllig
mit Wasser gefiillt. Lasst man nun durch die Gasleitungsrohre einen Gasstrom
unter geniigendem Drucke unter die Glocke eintreten, so fiillt sich dieselbe indem
sie sich zugleich dem eingetretenen Gasvolumen entsprechend aus der Fliissigkeit
hebt, mit dem Gase an, welches nach Abschluss des Zuleitungshahnes durch die
die Glockenmiindung absperrende Fliissigkeit abgeschlossen erscheint. Will man
das Gas wieder austreten lassen, dann hat man nur nothig, den Hahn der Gas-
leitungsrohre zu oftnen und sofort stromt das Gas unter dem durch das Gewicht
der Glocke (das man durch aufgelegte Belastungsgewichte beliebig vermehren
kann) bedingten Drucke aus. Haufig sind solche Gasometer, die man wie be-
greiflich auch mit 2 Rohren, d. i. einer besonderen Zuleitungs- und einer beson-
deren Ableitungsrohre versehen kann, mit einem das gleichmassige Niedersinken
und Aufsteigen bewirkenden Fiihrungsgestelle versehen. Solche Gasometer die
man wokl auch in kleineren Dimensionen ausgefiihrt in Laboratorien (meist als
Luftgasometer verwendet) antrifft, werden gewohnlich zur Gasaufsammlung im
Grossen, z. B. in Leuchtgasfabriken verwendet. Ueber die Einrichtung solcher
grosser Gasbehalter, s. Leuchtstoffe bei Leuchtgas.
Dass man jede der beschriebenen Arten von Gasometern auch als Gas-
sauger (Aspirator) beniitzen und mit Hilfe derselben Gase aus einem zweiten
Gefasse in den Gasrecipienten einsaugen kann, ist begreiflich, wenn man erwagt,
bei den Gefassgasometern der Abfluss der denselben erfullenden Fliissigkeit nur
in dem Masse erfolgen kann, als Luft oder ein anderes Gas die Fliissigkeit
ersetzend eindringt, und dass ebenso ein gewaltsames Aufziehen der Glocke eines
Glockengasometers bei geoffnetern Halm der Gasleitungsrohre, ein Einsaugen von
Luft oder Gas in die Glocke, u. z. in dem Masse statthaben miisse, als die die-
selbe fiillende Fliissigkeit herabsinkt. In der That verwendet man denn auch
Gasometer fur die Zwecke der Gasaspiration. Eine fur solche Zwecke geeignete
Construction hat der Reversions-Gasometer von A r e n d t. Derselbe besteht aus
zwei gleich grossen cylindrischen Blechgefassen, deren jedes gleich dem Recipienten
eines Gefassgasometers hermetisch geschlossen ist, und die in der Richtung ihrer
Langsachsen in einem Abstande von 20 — 30cm iibereinander gestellt und durch
entsprechend augebrachte Tragsaulchen fix miteinander verbunden sind. Durch
zwei Rohren, deren jede mit einem Hahne versehen ist, communiciren die beiden
Gefasse so mit einander, dass die eine Rohre vom Boden des oberen Gefasses
ausgehend bis nahe zum Boden des unteren Gefasses fiihrt, wahrend von der
Decke dieses, eine Rohre in das obere Gefass, u. z. bis nahe an die Decke des-
selben reicht. Ausserdem tragt jeder der Cylinder, u. z. der obere, nahe seinem
Boden, der untere nahe seiner Decke, ein mit einem besonderen Hahne verschliess-
bares Gasausstromungsrohrchen, deren Miindungen zweckmassig in ein gemein-
schaftliches Ausstromungsrohr vereinigt werden konnen, wahrend andererseits an
jedem der Cylinder, u. z. an dem oberen beim oberen Rande, an dem unteren,
nachst dem unteren Rande, je ein mit einem Hahn verschliessbares Rohr einge-
passt ist, welche als Saugrohren dienen und zweckmassig gleichfalls in eine
gemeinschaftliche Saugrohre miinden. Der ganze Apparat ist in einem geeigneten
Gestelle so befestigt, dass er im Mittelpunkt des Abstandes der beiden Gefasse
urn eine auf die Langsackse senkrechte Linie gedreht werden kann, so dass man
bequem bald das eine, bald das andere der Gefasse nach oben, beziehungsweise
unten stellen kann. Wird nun z. B. das obere Gefass mit Wasser gefiillt, der
Gasometer. — Gasuhren. 709
Hahn der Saugrohre an demselben geoffnet, zugleich aber auch der Hahn der bis
auf den Boden des unteren Gefasses fiihrenden Communicationsrohre und endlich
der Halm des Gasausstrcimungsrohrchens an dem unteren Gefasse geoffnet, wahrend
alle iibrigen Hahne geschlossen bleiben, so wird das Wasser aus dem Obergefa.sse
in das untere abfliessen und in dem Masse als es abfliesst, in das Obergefgss
Luft oder ein anderes Gas eingesaugt werden, wahrend das das untere Gefass
erftillende Gas entweicht. 1st das Wasser abgeflossen, so bat man lediglich die
geoffneten Hahne zu schliessen, den Apparat zu wenden, so dass das mit Wasser
gefiillte Gefass nach Oben zu stehen kommt, und kann nun durch Oeffnen der
drei anderen Habne den Process der Aspiration einerseits und der Gasausleitung
anderseits in gleicher Weise vor sich. gehen lassen wie friiber. Dass solchen
Apparaten auch die Einrichtung gegeben werden kann, dass der bei jedesmaliger
Wendung erforderliche Wechsel der Hahnstellung durch die Wendung selbst be-
sorgt wird, ist keinem Zweifel unterworfen (vgl. a. Aspirator I pag. 219).
Gtl.
Gasopyrion. s. m. electriscbes Feuerzeug, s. Feuerzeug III pag. 480.
Gaspriifer, s. Leuchtstoffe bei Leuchtgas.
Gassengmaschine, s. Appretur I pag. 175.
Gasschmelzofen (fourneau de fusion a gaz — gas smelting -furnace).
Es sind in neuerer Zeit mehrere Constructionen von Gasschmelzofen in die Indu-
strie eingefilhrt worden. Die bekannteste Construction ist die von Per rot*),
welche sich namentlich fur die Gold- und Silberscbmelzung vorziiglich eignet und
von Goldarbeitern, Goldschlagern u. dgl. mit vorziiglichem Erfolge angewendet
wird. Zeichnung und Beschreibung dieses Ofens findet sich im Artikel Gold-
schlagerei. Kk.
Gasuhren, Gasmesser (compteur au gaz — gas-meter) sind Apparate,
mittels welcher das von einer Gasfabrik producirte und das an einen jeden
Consumenten abgegebene Gasquantum nach Kubikmetern gemessen werden kann.
Die Gasuhren lassen sich zur Zeit in zwei Abtheilungen bringen, indem
man trockene von nassen Gasuhren unterscheidet.
Im Nordamerika und England sind vorwiegend die trockenen, in Oesterreich,
Deutschland und Frankreich die nassen Gasuhren in Gebrauch.
Die trockene Gasuhr ist eine Erfindung des Jobann Maclani, dem
darauf im Jahre 1820 ein Patent ertheilt wurde. Madam's Construction fand wohl
viele Verbesserer, z. B. Edge, Defries, Croll, Glover und Andere, aber alle ver-
folgten dasselbe Princip, welches darin besteht, dass dass durchgehende Gas
durch blasebalgartige Kammern, die sich abwechselnd fiillen und entleeren, mittels
eines durch die Bewegungen der Balge getriebenen Zablwerks gemessen wird.
Die Kammern der alten Uhr waren aus Leder gebildet, das mit Fett, sparer
mit Glycerin praparirt wurde.
Lange Zeit waren die trockenen Uhren ausser Gebrauch gesetzt, weil die
elastischen ledernen Wandungen leicbt sprode und brlichig wurden und deren
Scharniere leicht die nbthige Beweglicbkeit verloren, wodurch dann durch Druck-
widerstand oder Durchlassen ungemessenen Gases Verluste fiir die Gasfabrik
entstanden.
In neuerer Zeit, seit 1867, traten Verbesserungen in der Herstellung trockener
Uhren auf, die ihnen den Eingang in einige franzosische und deutsche Stadte
verschafften.
Zu diesen Verbesserungen gehort die Erfindung des Ingenieurs Schtilke,
die darin besteht, dass er ein Gewebe, das man statt des Leders zur Herstellung
f) In Oesterreich zu beziehen diirch Scheeier & Wolff in "Wien.
710
Gasuhren.
der Balge anwenden kann, durch Niederschlag gerbsauren Leimes gasdicht machte.
Dieses Gewebe besitzt bei grosser Elasticity die nothige Festigkeit, wird durch
die losenden Bestandtheile des Gases nicht klebrig und verliert nicht seine
Dichtigkeit und Elasticitat, wie dies bei den ledernen Balgen der Fall war.
Die nebenstehende
Fig. 1717.
hm
Glover's Gasuhr.
Figur 1717 zeigt die
Einricbtung der trocke-
nen Gasubr, wie sie von
Glover construirt wurde.
Die Gasmenge wird
in vier von einander ge-
trennten Kammern A,
B, C und D, je eine
aussere und eine innere,
vertheilt. Durch die 3
Kanale a b c wird
immer von jedem der
4 gedacbten Raume der
eine gefullt, der andere
geleert. Die Bewegung
der beiden Schieber d
d geschieht durch die
recbtwinkelig auf ein-
ander stehenden Stangen
e e, die mit einem kleinen Krumnizapfen / verbunden sind, auf dessen Welle
noch die Kurbel g aufgesteckt ist.
Das durch das Robr h kommende Gas tritt durch die Oeffnung i in den
abgescblossenen Raum klm und durch einen der gebffneten Kanale a oder c in das
Innere eines der Balge
Fiq. 1718. ■&■ oc*er -^ un^ zugleich
in den entgegengesetzten
Aussenraum C oder D.
Durch den Druck des
Gases wird ein Druck
gegen die Metallscheibe
x beim Fiillen des Bal-
ges A ausgeiibt und da-
durch die Scheibe nach
auswartsgedriickt. Durch
diese Bewegung wird der
Winkelhebel n n in
Scbwingung versetzt und
diese Scbwingungen mit-
tels der Stangen o und
p auf die Kurbel g und
den Krummzapfen/iiber-
tragen , wodurcb sich
dann die Bewegung den
Vertbeilungsschiebern d
mittheilt.
Je nach der Stellung dieser Schieber stromt das Gas durch den Kanal a,
in den beziiglichen Rbhren 1 oder 2 fortgehend, in das Innere der Balge A und
JB oder durch den Kanal c direct abwarts in die Raume zwischen den beweglichen
Scheiben A und B und den festen Wanden des Gasmessers U U und V V.
Das Abfliessen des Gases von da nach den Rbhren r r erfolgt mittels der mitt-
leren Schieberbffnungen b. Der Abfluss des Gases zu den Brennern geschieht
Gasuhren.
711
dann durch die Rohre s. Von der Krummzapfenwelle / wird die Uebertragung
der Bewegung durch das Schraubenradchen t und die Welle w auf das Zahlwerk
in dem Gehause z bewirkt.
Was die nassen Gasuhren betrifft, so unterscheidet man solche, bei
welcher der Messapparat (wie bei der ersten, im Jahre 1815 von CI egg con-
struirten Uhr und dem im Jahre 1861 von Hansen beschriebenen Gasmessapparat)
aus abwechselnd vertical auf- und absteigenden Glocken besteht 5 und solche, deren
Haupttheil aus einer mit Abtheilungen versehenen cylindrischen Blechtrommel be-
steht, die sich in einem grossern metallenen Gehause um eine horizontale Achse
dreht (System der rotirenden Trommel). Die nassen Gasuhren mit Glocken
sind weniger in Gebrauch, obwohl in neuester Zeit Friedr. Klingmiiller eine
solche Gasuhr construirt hat, deren Vertheilungsmechanismus sehr an den Figur
1717 dargestellten Apparat erinnert, und welche sehr gut functioniren soil.
Die nasse Gasuhr mit rotirender Trommel ist 1817 von Clegg
erfunden und spater von Crosley sehr verbessert worden. In den Figuren 1718
bis 1720 wird eine solche nasse Gasuhr, welche baufig Anwendung findet, dargestellt.
In Fig. 1718 ist T die Messtrommel; dieselbe bildet einen kurzen Cylinder,
der an der rechten Seite offen und links eine ausgebauchte Endflache hat. Bis
Fig. 1719.
Fig. 1720.
Gasuhr von Crosley.
zur Hohe L, also noch iiber die Halfte taucht diese Trommel in Wasser oder
eine andere Sperrfliissigkeit. Nach Hinwegnahme des Blechmantels M sieht man,
dass sich um eine im Centrum laufende Achse Figur 1709 der 4fache Gang einer
archimedischen Schraube aus Blech ohne Unterbrechung durch den Druck des
durchstromenden Gases bewegt. Die verschiedenen Fliigelstiicke liegen nicht fest
an einander, sondern lassen spaltformige Zwischenraume iibrig, wodurch das Gas
ein und austreten kann. So tritt bei s das Gas in die Kammer K und unter x
wieder hinaus, ferner in B durch c ein und von da heraus durch den Spalt d.
Das zu messende Gas tritt durch das Rohr 0 in die Messtrommel und geht
durch das Rohr _p ab Fig. 1718. Das kastenformige Gehause A Fig. 17l8u. 1720 enthalt
die Sperrmechanismen und die Rader, die zur Bewegung des Zahlwerks in E dienen.
Das Gas wird durch das Rohr i zugeftihrt und kann durch r in 0 kommen,
wenn das Ventil v geniigend weit geoffnet ist. Da das Ventil durch den Schwimmer
In geoffnet wird, ist es fur den Consumenten erforderlich, um Gas zu erhalten, dass
stets so viel Wasser resp. Sperrfliissigkeit in dem Apparat sei, dass v offen bleibe.
Zu viel eingeschiittetes Wasser fliesst durch r in das tiefer liegende Gefass n,
712 Gasuhren. — Gaultheriabl.
von wo es durch g zu Zeiten abgelassen wird. Durch die Constanterhaltung der
Fliissigkeitshohe sind Producent und Consument vor Schaden gesichert. Bei zu
niedrigem Wasserstand wiirde mehr und bei zu hohem Wasserstande weniger Gas
durchgehen, als das Zahlwerk anzeigt. Durch die sinnreiche Sperrvorrichtung ist
der Consument gezwungen den Producenten vor Schaden zu schiitzen.
Die Trommel rotirt natiirlich nur dann, wenn z. B. der Haupthahn einer
Privatleitung geoffnet wird und der Brennerhahn geoffnet ist ; sobald letzterer ge-
schlossen ist, bleibt die Trommel der Uhr stehen.
Zur Controlle der Gasproduction hat jede Gasfabrik fur sich einen Station s-
gaszahler, der in jedem Momente die producirte Gasmenge angibt. Diese Gas-
uhr liegt zwischen dem Reiniger, aus dem das Gas fertig fur den Consum heraus-
kommt, und den Gasbehaltern. Die Uhr ist ebenso eingerichtet wie die beschriebene
Privatgasuhr. Sie soil so gross gemacht werden, dass die Trommel pro Stunde
nicht mehr als 100 Umdrehungen mache, und man hat solche in Gebrauch, die
in der Stunde 3000 Kbm. Gas durchlassen. Auf je 1000 Kbm. Maximalproduction
in 24 Stunden soil die Fabriksgasuhr eine Capacitat von je 50 Kbm. per
Stunde haben.
Die Sorge um die Constanterhaltung der Sperrfltissigkeitshohe hat dem
Consumenten nicht abgenommen werden konnen, so lange Wasser als Fiillfliissigkeit
verwendet wurde. Diesem Uebelstande kann man leicht abhelfen, wenn man statt
Wasser reines saurefreies Glycerin nimmt. Dieses schiitzt die Uhren auch vor
dem Einfrieren, wenn es anderweitig unmoglich ist, die Gasuhr vor Frost zu
schiitzen.
Bei Aufstellung der Uhr ist zu beachten, dass man sie horizontal
hinstelle, denn eine Neigung nach riickwarts hebt das C/rormige Rohr r o holier
iiber den Fliissigkeitsspiegel, erlaubt eine starkere Wasserfullung und schadigt
den Consumenten, eine Neigung nach vorne schadigt den Fabrikanten. Vergl. a.
Leuchtstoffe bei Leuchtgas.
Literatur: Dr. M. Riihlmann: Allgem. Maschinenlehre. R. v. Wagner: Hand-
buch der chemischen Technologic J. Quaglio : Katechismus der Gasindustrie.
Dingier: Polytechn. Journal. Band 218. Heft 1. Patentschriften.
G. Oldenburger.
Gaswasser, die bei der fabriksmassigen Erzeugung des Leuchtgases sich
condensirende wassrige Fliissigkeit, welche wesentlich aus einer Losung von koh-
lensaurem Ammoniak, Schwefelammonium, Cyanammonium^ Schwefelcyanammonium,
fliichtigen organ. Basen etc. in Wasser besteht und als Rohmateriale fur die Ge-
winnung von Ammoniak und Ammoniaksalzen verwendet wird, vgl. Ammoniak
I pag. 134, s. Leuchtstoffe bei Leuchtgas. Gtl.
Gatinois, Handelssorte des franzosischen Safrans (aus den Depm. Loiret,
Pithivers und Orleans stammend), s. Safran.
Gatter, s. Sag en.
Gattiren (assortir — to mix), hlittenmannische Bezeichnung fur das Mengen
der Erze vor dem Ausschmelzen behufs Erzielung eines bestimmten Mittelgehaltes,
bei welchem erfahrungsgemass sich das Ausbringen des Metalls am giinstigsten
stellt, s. Blei, s. Eisenerzeugung, DII pag. 11.
Gaufriren (gaitfrer, gaufrage — embossing), s. Moiriren, s. Blum en
kiinstl. I, 651.
Gault. s. m. blauer Merge 1, Flammenmergel.
Gaultheriadl (huilegmdtherique — wintergreen oil), Wintergriinol, das
atherische Oel von Ganltheria procumbens L. einer nordamerikaniscben Ericinee,
findet sich in den Bliithen sowohl wie auch den iibrigen Theilen der Pflanze, aus
der es theils durch Destination mit Wasser, theils durch Extraction mit Alkohol
Gaultheriabl. — Geblase. 713
und Trennung durch fractionirte Destination gewonnen wird. Es ist frisch farblos,
an der Luft indess bald rothlich werdend, riecht angenehm aromatiscb und schmeckt
gewiirzhaft, schwach siisslich. Fs siedet zwischen 200 und 220° C. und zeigt
ein spec. Gew. — : 1.17. Es besteht wesentlich (9/10) aus der Salicylsaureverbin-
dung des Metbylathers, ist also Salicylsaure-Methylatber und entbalt '/10 eines
farblosen diinnfliissigen Camphens, das Gaultherilen, das bei 160° 0. siedet
und nach Pfefferol riecht (vgl. C ah ours Ann. Chem. u. Phys. (3) 10 pag. 358).
Es findet Verwendung zur Darstellung von Fruchtathern und Parfumerien, in
Amerika und England haufig auch als Geschraack verbessernder Zusatz. Gil.
Gaultheriatinte, Name einer aus den ver. Staaten Nordamerikas eingefuhrten
Tinte, welche, wie es scheint, eine Salicylsaure-Tinte ist.
Gailtschen (coucher la feuille), s. Papier, s. Kautschen.
Gayerde, Name einer in Ungarn vorkommenden, namentlich aus den Woh-
nungen der armeren Menschenclasse stammenden salpeterhaltigen Erde, welche zur
Gewinnung von Salpeter (Gaysalpeter) verwendet werden kann. s. Kalium bei
Salpeter. Gil.
Gay Lussac Thurm, s. Schwefelsaure bei Schwefel.
Gayliissit (Gay-Lussit — Natrocalcit) monoklines, in saulenformigen, rauhen,
einzeln in Thon eingewachsenen Krystallen vorkommendes Mineral. Unvollk. Spaltb.
Bruch muschlig, H. 2.5 — 3. Spec. Gew. -=. 1.90 — 1.99, farblos durchsichtig oder
weiss, Chem. Zus. NaOCO'1 -j- CaOCO9' + 5H"0. Ist langsam und nur theil-
weise in Wasser loslich, im Kolben verknistert er und schmilzt unter Abgabe-
von Wasser, reagirt sodann alkalisch ; schmilzt v. d. L. leicht zu einer triiben
Perle und farbt die Flamme rothlichgelb. Fundorte Lagunilla bei Merida in Neu-
Granada, Salzsee bei Ragtawn in Nevada, N.-A. Lb.
Gaysalpeter, s. Salpeter bei Kalium, s. Gayerde.
Gaze, s. Weber ei.
Gebalk (empoutrerie — timbemvork of a story), in constructiver Hinsicht
die Gesammtheit aller zu einem Bautheil gehorigen Balken z. B. Dachgebalk,
Deckengebalk. In architektonischer Hinsicht bezeichnet man bei den Saulenord-
nungen den von den Stiitzen (Saulen, Pfeiler) getragenen Theil, bestehend aus
Architrav, Fries und Kranzgesims mit diesem Namen. Grohm.
Gebinde, Bind, Wiel, Wiedel, Fitze,, Untertheil eines Strahns, s.
Haspeln.
Geblase (soufflets — blast-engine) gehoren in die allgemeine Gruppe der
Luftbewegungsmaschinen, welche bei der Ventilation von Bergbauen und
anderen Raumen, ferner zur Erzeugung von comprimirter, als Transmissionsmittel
dienender Luft (vergl. die Artikel „Bergbau", „Compressoren", „Ventilatoren")
u. s w., dann insbesondere im Hiittenwesen verwendet werden, um den
Feuerungen die zur Verbrennung erforderliche Luft (den Wind) zuzuftihren.
Die Geblase der Hiittenwerke saugen atmospharische Luft an und driicken
dieselbe in einen Rohrenstrang, die Windleitung. Zur Verbrennung einer ge-
gebenen Menge Brennstoff in gegebener Zeit ist ein bestimmtes Luftquantum
erforderlich ; durch grosse Ausflussgeschwindigkeit desselben wird erfahrungsmassig
der Effect der Verbrennung erhoht, daher man die Luft aus der Windleitung
durch verengte Mundungen, D lis en, iu den Feuerraum treten la'sst. Dieser Aus-
flussgeschwindigkeit entspricht aber eine die atmospharische tibersteigende Spannung
oder Pressung in der Windleitung, welche noch durch den Umstand erhoht
wird, dass schon im Feuerraum die Spannung grosser ist als die aussere. Die
Aufgabe eines Geblases besteht daher in der Verdichtung einer gegebenen Wind-
714 Geblase.
menge auf die erforderliche Pressung und in der Fortsehiebung derselben in
die Windleitung.
Die von einem Geblase in bestimmter Zeit gelieferte Windmenge wird in
der Regel dem Volum nach angegeben und letzteres auf 0° Temperatur und den
mittleren Meeresbarometerstand von 0-76 Meter Quecksilber reducirt gedacht. Sei
M0 die von 1 Diise pr. Minute gelieferte reducirte Windmenge, also das Volum,
welches die in 1 Minute ausgeblasene Luftmenge bei 0° Temperatur und 076 m
Barometerstand einnebmen wiirde, so hat man M0 = f 31, worin M ein Nahe
rungswerth und / ein Correctionsfactor ist, welche Grossen die Werthe
/— 1-»127\/ b+ h*
Temperatur reducirte Volum Ms ,
Eintritt in das Geblase wirklich
_„ l 4- « ts
M = 18740 d°-
V \-h>
und(
besitzen. Das auf aussere
d. h. das Volum, welches
besass, ist
Spannung
M0 vor
und
dem
Ms = /,
M0, worin
A -
b
Bei Bessemergeblasen, wo die Spannung der Luft verhaltnissmassig gross
ist, sind die erhaltenen Werthe von M0 und Ms noch zu multipliciren mit dem
Factor
f __ i _ 0.03 K - K
In diesen Formeln ist a der AusdehnungscoefFicient der Luft = 0*003665,
die anderen Grossen haben folgende Bedeutung: d der Diisendurchmesser; ht u.A2
die Quecksilber-Manometerhohen, welche der Spannung der Luft in der Windleitung
und ausserhalb der Diise, also im Feuerraum entsprechen (fur die Manometerhohe
selbst wird kurzweg auch der Ausdruck „ Spannung" oder „Pressung"gebraucht);
b der Quecksilber-Barometerstand ; tx und £, die Temperaturen der Luft in der
WindleituDg und der angesaugten Luft in Graden 0.; bei Geblasen mit Lufter-
hitzungsapparat ist tx die Temperatur, welche die erhitzte Luft in der Nahe der
Diise besitzt. Die Langendimensionen sind dabei in Metern verstanden. Die
angegebenen Werthe sind bei einem bestehenden Geblase durch Beobachtung zu
ermitteln. Die Grosse A2 ist bei Hochofen zugleich die Spannung im unteren
Theil, im Gestelle, des Ofens und wird dadurch bestimmt, dass man durch eine
der vorhandenen Oeflfnungen, z. B. durch den Schlackenabstick ein eisernes Rohr
einfiihrt und am ausseren Ende desselben mittelst Kautschukschlauch ein Mano-
meter anscbliesst. Oder man notirt die Pressung hv in der Windleitung und die
Zahl der Umgange n des Gebliises, zieht dann die Diise soweit von der Ofenwand
zuriick, dass die Luft in's Freie ausgeblasen wird, regulirt den Gang des Geblases
derart, dass dasselbe wieder n Umgange beschreibt und beobachtet die nun sich
einstellende Pressung 7>x in der Windleitung ; hiemit ergibt sich h„ =. ht — As .
Die Menge Ms muss dann berechnet werden, wenn man den Wind effect des
Geblases, d. i. das Verhaltniss der theoretischen, aus den Dimensionen und der
Geschwindigkeit des Geblases sich ergebenden und der von den Diisen ausge-
blasenen Luftmenge ermitteln will, zu welchem Zwecke das letztere Volum auf
den Zustand zu reduciren ist, welchen das erstere besitzt.
Die Bestimmung der Windmengen, ein beim Hochofenbetrieb sich oft wie-
derholendes Geschaft, wird durch Tabellen erleichtert (die detaillirtesten Tabellen
dieser Art sind die von J. v. Hauer, Wien 1876, Verlag v. A. Holder).
Unter den einzelnen Arten von Geblasen spielen im Hiittenwesen weitaus
die wichtigste Rolle die Cylindergeblase, welche grosse Pressungen (bei
Eisenhochbfen bis zu '/„, bei Bessemergeblasen bis 3 Atm. Ueberdruck) zu er-
zielen gestatten. Sie bestehen nach Fig. 1721 aus einem glatt ausgebohrten, beider-
seits mit Deckeln versehenen Cylinder, in welchem ein mit Liederung versehener
Kolben sich bin- und herbewegt. An jedeni Deckel sind Saug- und Druckventile
Geblase.
715
angebracht; erstere offnen sich gegen das Innere des Cylinders, letztere gegen
Aussen. Von den Druckventilen sind Kanale zura Windsammler M geftihrt,
an welchen sich die Windleitung W schliesst. Bei Bewegung des Kolbens wird
daher stets gleichzeitig auf einer Seite desselben Luft in den Cylinder gesaugt,
auf der anderen zuerst verdichtet und dann in die Windleitung ausgeblasen.
Cylindergeblase werden aus
denselben Griinden wie Dampfma-
schinen fast durchgehends dop-
peltwirkend hergestellt; nur in
Schweden war en und sind noch
einfachwirkende Geblase aus
dem Grunde in Anwendung, weil
bei diesen der Cylinder an einer Seite
offen bleiben kann, daher der Kolben
behufs Nachziehens der Liederung
leicht zuganglich ist.
Der schadliche Raumist
der zu Ende des Hubes zwischen
dem Kolben und dem nachstgele-
genen Cylinderdeckel befindliche,
mit verdichteter Luft gefiillte Raum.
Derselbe vermindert nicht, wie man
glauben konnte, den Wirkungsgrad,
Fig. 1721.
m
J •?•
_0^-*J
M
Cylinder- Geblas e .
indem die vom Kolben zur Verdichtung der Luft des schadlichen Raumes aufge-
wendete Arbeit beim Rtickgange des Kolbens durch Expansion dieser Luft wieder
abgegeben wird, wohl aber den Windeffect, weil das Ansaugen neuer Luft erst
beginnt, wenn durch das Fortschreiten des Kolbens die Luft des schadlichen
Raumes bis unter die atmospharische Spannung verdiinnt ist, so dass das Saug-
ventil sich offnen kann. Das Ansaugen beginnt daher erst nach einem Theil des
Kolbenlaufes, der urn so grosser ist, eine je hohere Spannung die verdichtete Luft
besitzt.
Ist M0 die von einem Geblase zu liefernde reducirte Windmenge, <p der
Windeffect, v die mittlere Kolbengeschwindigkeit, s der Kolbenhub, so ergibt sich
die Kolbenflache 0 und die Zahl n einfacher Kolbenlaufe pr. Minute
0 =
id w:
60 "
60 cp v
wobei der Factor ft den fruheren Werth besitzt und bei Berechnung desselben
fur b und £s voraussichtliche mittlere Werthe zu setzen sind. Der Windeffect <p
kann fur Geblase mit geringerer Pressung gleich 0.7, fiir Bessemergeblase mit
2 bis 3 Atmospharen Ueberdruck gleich 0.6 bis 0.5 gesetzt werden. Die Kolben-
geschwindigkeit v ist fiir einen Hub s von 1 bis 3m gleich 0.8m bis 1.2m zu
nehmen ; bei zu grosser Geschwindigkeit schlagen die Ventile zu heftig. Der
Hub s selbst wird in der Regel nahe gleich dem Cylinderdurchmesser gewahlt;
bei grossem Hub wird die Langenausdebnung des Geblases grosser, im entgegen-
gesetzten Falle ist der Einfluss des schadlichen Raumes um so fuhlbarer. Ergibt
sich 0 zu gross, so nimmt man zwei oder mehrere Cylinder an^ wobei audi der
Gang und die Luftausstromung aus den Diisen gleichformiger werden. Die grossten
ausgefiihrten Cylinder besitzen Durchmesserbis3.7m ; gegenwartig geht man damit
nicht iiber 2.5 bis 3m.
Der Wirkungsgrad eines Cylindergeblases betragt bei guter Con-
struction 0.7.
Der Kolben besteht meist aus Gusseisen, zur Vermindenmg seines bei
liegenden Geblasen nachtheiligen Gewichtes auch oft ganz oder theilweise aus
Schmiedeisen. Wichtig ist eine dichtschliessende und doch wenigReibungverursachende
Liederung. Die altere Hanf- und die Liederung mit Lederstulp sind wegen geringer
716
Geblase.
Dauer fast ganz ausser Gebrauch gekommen. Leinwand ist dagegen viel in
Verwendung und erweist sich bei Pressungen bis zu 12 — 15 Cent. Quecksilber
als dauerhaft. Man schneidet aus Leinwand, welcbe in einer Mischung von Leim-
wasser und Grafitpulver getrankt wurde, diagonal zu den Fasern Segmente aus,
und legt diese zu einem Ring von einigen Centimetern Hohe zusammen, welcber
zusammengenaht, gepresst, aussen abgefeilt wird, und dann wieder in Stiicke zer-
scbnitten auf den Kolbenrand zu
liegen kommt. Durch einen geeig-
neten Mechanismus, z. B. durch
Stellschrauben lassen sich die Seg-
mente im Masse ihrer Abniitzung
nach aussen riicken. Ein Beispiel
fur eine solche Liederung zeigt
Fig. 1722 im Verticalschnitt und im
Grundriss ohne Kolbendeckel. Der
Kolben besteht aus einer Bodenplatte
mit Nabe fiir die Kolbenstange,
radialen Rippen und einer am
Umfang angegossenen cylindrischen
Wand. Auf dem Rande der Boden-
platte liegen die Segmente des
Leinwandringes und innerhalb des
letzteren ein an einer Stelle ge-
theilter Schmiedeisenring , gegen
welchen Stellschrauben driicken.
Diese sind in Gewinde der cylin-
drischen Wand eingedreht und mit
Gegenmuttern versehen. Der Kol-
ben ist durch einen Deckel geschlossen, bestehend aus einer Blechplatte mit
einem Gusseisenring am Umfang, wodurch verhindert wird, dass die Hohlung
des Kolbens als schadlicher Raum fungire. Schaltet man zwischen den Stell-
schrauben und dem schmiedeisernen Ring Federn ein , so wird die Liede-
rung bestandig nach Aussen gedriickt. Bei Volckner's Kolben sind die
Kolben mit LeinwandliederuD£.
Fig. 1723.
Kolben mit Lederliederung.
Stellschrauben durch Excenter ersetzt, deren Achsen parallel zur Cylinderaehse
liegen und ausserhalb des Kolbens mit Sperradern versehen sind, urn eine selbst-
thittige Rlickdrehung zu hindern. — Als Schmiere fur die Leinwandliederung dient
Grafitpulver.
Figur 1723 stellt den Kolben der Georgs-Marienhutte bei Osnabriick dar.
Der Kolbenkorper besteht aus einer Nabe, welche an der hohlen Kolbenstange
aufgeschoben und an einer Flantsche derselben festgeschraubt ist, aus Armen von
Geblase. 717
I formigem Querschnitt mit durchbrochener Mittelrippe und einem Kranz. Der
Raum zwischen den Armen ist durch beiderseits aufgelegte Blecbplatten, die Hohlung
des Kranzes durch einen (in Fig. 1723 unten erscheinendenj Gusseisenring gegen
Aussen abgeschlossen. Die Liederung besteht aus drei Stulpen aus Filz mit
untergelegtem Leder; binter denselben befinden sich drei Ringe aus Lindenholz-
segmenten und dann ein Blechring; die Liederung wird durch Stellschrauben,
welche auf Lamellenfedern wirken, gegen Aussen gedriickt. — Bei einem Geblase
in Kladno wurde mit gutem Erfolg eine Liederung angewendet, bestehend aus
zwei am Kolbendeckel und Boden anliegenden Lederstulpen und einem dazwiscben
befindlichen Ring aus Segmenten von Weissbuchenholz, welcbe ahnlich wie im
vorigen Falle gegen die Cylinderwand gedriickt werden.
Fur hohe Pressungen, also besonders auch fur Bessemergeblase geeignet
erweist sich die Me tall liederung. Sie besteht aus 2 bis 3 an einer Stelle
getheilten Ringen aus Stahl, Schmiedeisen oder Messing, die durch Stellschrauben
und Federn oder nur durch ihre eigene Elasticitat nach aussen gedriickt werden.
Sehr gebrauchlich ist die Ramsbottom'sche Liederung, bei welcher 4 bis 8
federnde Ringe von quadratischem Querschnitt mit nur 1 Cent. Seite in Nuthen
der hier am aussersten Umfang des Kolbens befindlichen cylindrischen Wand
gelegt sind ; die Innenwand des Cylinders wird dabei weniger ausgerieben als
durch starke Ringe. Auch verwendet man einen einzigen schraubenformig ge-
wundenen Ring mit mehreren Umgangen, der ebenfalls in einer entsprechend
geformten Nuth liegt.
Autoclave, d. h. solche Liederungen, welche durch die Spannung der
Geblaseluft selbst nach Aussen gedriickt werden, sind nicht besonders zu empfehlen,
weil sie zu Anfang des Hubes, wo die Luft noch wenig verdichtet ist, nicht gut
schliessen, dann aber, wenigstens bei hoherer Pressung, eine zu grosse Reibung
verursachen.
Die Kolbenstange erhalt einen circa doppelt so grossen Querschnitt als
bei Dampfkolben, welche dem gleichen Druck ausgesetzt sind, weil der Durch-
messer des Geblasekolbens bei gleichem Gesammtdruck bedeutend grosser ist.
Von besonderer Wichtigkeit fur den guten Gang des Geblases sind die
V entile. Um das Durchstrbmen der Luft zu erleichtern, soil deren Gesammt-
querschnitt moglichst gross sein; so erhalten die Saugventile an jedem Cylinder-
ende zusammen '/8 bis x\^ die Druckventile */, 0 bis V6 des Cylinderquerschnittes,
erstere mehr, um das Ansaugen moglichst zu erleichtern und dadurch den Wind-
effect zu erhohen. Bei grosser Kolbengeschwindigkeit wird die ganze Deckelflache
zur Anbringung von Ventilen beniitzt, und % davon fur die Saug-, V3 fur die
Druckventile genommen, wodurch sich die obigen Verhaltnisszahlen noch bedeutend
steigern. Ferner soil der Hub der Ventile gering sein, damit dieselben sich rasch
schliessen und nicht schlagen; bei Tellerventilen wird dies dadurch erreicht, dass
man dieselben mit kleinem Durchmesser und in grosserer Zahl verwendet; bei
Klappen durch Verminderung der senkrecht zur Drehungsachse gemessenen Breite,
mit welcher Dimension man bis auf 5 oder 6 Centimeter herabgehen kann, wahrend
die Lange das 4 bis 6fache betragt. Endlich sollen die Ventile sich leicht bffnen,
daher geringes Gewicht besitzen, und wenn sie Klappen sind, nahe vertical gestellt
werden. Zur Erleichterung der Appretur verwendet man haufig besondere Ven-
tilsitze.
Die gewohnlichen Ventile bestehen nach Fig. 1724, welche ein Klappen-
v en til darstellt, aus einer durch Nieten zwischen zwei Blechtafeln eingeschlossenen
Lederplatte. An einer der Langseiten ist die Lederplatte durch einen aufgelegten
Blechstreif und Schrauben am Sitz befestigt; das Ventil offnet sich bis in die
punktirte Stellung, das Leder bewirkt dichten Schluss. Fig. 1725 zeigt eine
Anordnung von Saugventilen, deren zwei an einem gemeinschaftlichen Sitz an-
gebracht sind, fur einen liegenden Cylinder; ahnlich werden die Druckventile
gestellt, doch miissen dieselben mit einem Ventilkasten umgeben sein (vergl.
Fig. 1721). Den Uebergang zu den Tellerventilen bildet die Construction Fig. 1726,
718
Geblase.
Fig. 1724.
bei welcber am Ventil v eine horizontale Schiene unveranderlich befestigt und mit
zwei parallelen Hangschienen drebbar verbunden ist ; das Ventil bewegt sich daher
parallel zu seiner Stellung und lasst an seinem ganzen Umfange Luft durch-
stromen. Der Hub ist dadurcb begrenzt, dass
ein Ansatz der einen Hangschiene gegen einen
in den Ventilsitz eingeschraubten Bolzen schlagt.
Bei verticalen Cylindern kommen Tel-
lerventile Fig. 1727 vor, deren Gewicht
durch eine Feder oder ein Gegengewicbt aus-
geglichen sein muss; das Ventil wird durcb
einen iiber seine Oeffnung gelegten Steg gerad gefiihrt. Urn die Gewichts-
ausgleichuug zu vermeiden, ist es zweckmassiger, auch bier nabe vertical ge-
stellte Klappen zu verwenden, wie Figur 1728 ftir das obere Druckventil
Fig. 1725.
Fig. 1726.
Fig. 1727.
darstellt; an den Cylinderdeckel ist dabei ein Kasten angegossen, an dessen in
den Windsarninler eingetaucbter Mundung das Ventil befestigt ist. Oft werden
die Ventile, um ibre Dimensionen vermindern zu konnen, am ganzen Umfang des
Cylinders vertbeilt. Eine solcbe Einricbtung zeigt Fig. 1729. Zwiscben der oberen
Fig. 1728.
Fig. 1729.
Fig. 1730.
Cylinderflantscbe und dem Deckel ist ein ringformiges, gegen den Cylinder offenes
Gebause angebracht, das am ganzen Umfang vertheilt die borizontalen Druck- und
die geneigten Saugklappen entbalt, welcbe sammtlich mit besonderen Sitzen ver-
Geblase. 719
sehen sind. Von den Druckventilen stromt die Luft in einen ringformigen Blech-
kasten und aus diesem in die Windleitung.
Ventile aus biegsamen Materialien, wie Kautschuk, Leder gefertigt, zeigen
den Vortkeil geringen Gewichtes, miissen aber sehr klein gemacht werden oder
auf einem in der Oeffnnng befestigten Glitter ruhen, um von der verdichteten Luft
nicht durchgedriickt zu werden. In Fig. 1730 ist in 1/3 Naturgrosse ein Ventil
skizzirt, aus einer kreisformigen Kautschukplatte bestehend, welche durch einen
Schraubenbolzen niedergehalten wird, dessen Kopf die Form einer Schiissel besitzt,
und den Hub des ringsum aufsteigenden Ventilrandes begrenzt. In der Oeffnung
befinden sich 4 radiale Stege.
Fin* Bessemergeblase hat man noch keine ganz befriedigende Ventil-
construction. Bei der altesten, noch gegenwartig viel verwendeten Einrichtung
sind an jedem Ende des Cylinders in dessen Wandung 2 bis 3 Reihen Oeffnungen
von 2.5 bis 3cm Durchmesser angebracht und mit einem Hohlcylinder aus Kaut-
schuk umgeben, welcher sich in einem an den Cylinder angegossenen ringfdrmigen
Kanal befindet, der mit der Windleitung communicirt; durch die verdichtete Luft
wird der Kautschukring ausgedehnt und lasst daher die Luft austreten. Der
Deckel ist mit grosserem Spielraum in den Cylinder eingelassen, der eingelassene
Theil ebenfalls mit Oeffnungen am Umfang und einem diese umgebenden Kaut-
schukring versehen, welcher als Saugventil fungirt. Der Nachtheil dieser Con-
struction ist, dass die kostspieligen Ringe sich bald abntitzen oder sprode werden
und zerbrechen. Lederventile taugen ebenfalls nicht gut; Tellerventile mit einer
ringformigen Kupf erscheibe als Auflage sollen sich bewahren.
Bei neueren Geblasen werden offers die Saugventile in Kasten eingeschlossen
und diese mit einem Rohr in Verbindung gesetzt, durch welches die Luft von
einem staubfreien Orte angesaugt werden kann.
Um die Uebelstande der Ventile zu vermeiden, hat man bei den Schieber-
geblasen Schieber statt der Ventile in Anwendung, welche durch den Mecha-
nismus der Geblasemaschine bewegt werden. Dieselben besitzen meist die Form
der Muschelschieber von Dampfmaschinen und werden durch Excenter bewegt;
am Geblasecylinder befindet sich der Schieberspiegel mit drei, wie bei einem
Dampfcylinder angeordneten Kanalen. Der Schieber liegt entweder frei am Sitz
und die verdichtete Luft wird in dessen Hohlung geblasen, welche durch den
mittleren Kanal mit der Windleitung communicirt, oder es wird durch den mitt-
leren Kanal angesaugt, und die verdichtete Luft gelangt durch die beiden ausseren
Kanale in einen Schieberkasten, in welchen dann die Windleitung miindet. Fur
einen guten Gang ist es nothwendig, dass der Schieber die Ausstromung erst
offnet, wenn die Luft bis auf die in der Windleitung vorhandene Spannung ver-
dichtet ist, weil sonst Riickstromung aus der Windleitung in den Cylinder statt-
findet; ferner, dass das Ansaugen erst beginnt, wenn die Luft des schadlichen
Raumes bis auf aussere Spannung verdunnt ist. Construirt man das Geblase
diesen Forderungen entsprechend, so ergeben sich entweder sehr grosse Schieber
dimensionen oder sehr kleine Durchstromungsquerschnitte fur die Luft, audi arbeitet
die Maschine nur bei derjenigen Pressung richtig, welche dem Entwurfe zu Grunde
gelegt wurde. Nun ist gerade beim Bessemcrbetrieb, fur welchen diese Geblase
vorzugsweise bestimmt sind, die hervorzurufende Pressung sehr veranderlich ; aus
diesem Grunde hat sich die anfangliche starke Verbreitung der Schiebergeblase
wieder bedeutend reducirt.
Das Schwungrad erfordert verhaltnissmassig geringe Dimensionen, da
weniger eine gleichformige Drehung der Wellen als eine gleichfdrmige Bewegung
der Geblasekolben wiinschenswerth ist, damit auch die Ausstromung der Luft
aus den Diisen moglichst ungeandert stattfinde. Man kann bei Berechnung des
Schwungradgewichtes den Gleichformigkeitsgrad gleich 12 bis 15 setzen.
Zum Betrieb der Geblase dienen Wasserrader, Turbinen und vorwaltend
Dampfmaschinen. Letztere werden oft mit Expansion, dagegen namentlich
bei Hochofengeblasen nur selten mit Condensation versehen, weil diese Einrichtung
720
Geblase.
die Maschine complicirter macht und zu Betriebsstorungen Anlass gibt, welche bei
Hochofen besonders nachtheilig sind. Expansions mas chinen werden haufig nach
dem Woolf'schen Princip ausgefiihrt.
Die Anordnung ist eine stehende oder liegende, je nachdem die Achse
des Geblasecylinders vertical oder horizontal ist. Letztere zeigt den Vortheil
leichterer Fundirung, besserer Uebersichtlichkeit ftlr den Warter und geringerer
Anlagskosten ; bei grosserem Durchraesser wird jedoch der Kolben so schwer,
dass wegen Biegung der Kolbenstange die Liederung an der Unterseite des
Kolbens und die Stopfbilchsen sich mehr ausreiben, wenn man auch die Kolben-
stange durch beide Cylinderdeckel fuhrt und durch stellbare Gleitstucke unter-
stiitzt. Fiir mehr als 1.8m Cylinderdurchmesser empfiehlt sich daher die stehende
Anordnung.
Ferner sind zu unterscheiden Balancier-, directwirkende und Geblase mit
Kurbelbewegung. Fig. 1731 zeigt die gewohnliche Anordnung eines st eh en den
Balanciergeblases; die Stange
Fig. 1731.
des Geblasekolbens ist durch ein
Parallelogramm , die des Dampf-
kolbens durch einen Gegenlenker
geradgefiihrt ; eine mit dem Balan-
cier verbundene Schubstange setzt
mittelst Kurbel die Schwungradwelle
in Bewegung. Der Nachtheil dieser
Anordnung ist, dass die Kurbel eine
geringe Lange erhalt, ihr Zapfen
und die Schubstange einem starken
Druck ausgesetzt sind. Gegenwartig
construirt man daher die Balancier-
geblasemeist nach Erg. 1732 (in dieser
Figur ist eine Woolf sche Maschine
und Anordnung der Geblaseventile
nach Fig. 1729 angenommen) ; die Schwungradwelle ist dabei ausserhalb der
Dampfcylinder verlegt. Bei der Mittelstellung des Balancier mtissen die Linien,
welche den oberen Endpunkt der Schubstange mit den Achsen des Balancier und
der Schwungradwelle verbinden, senkrecht auf einander stehen, wodurch sich der
hornartige Ansatz des Balancier ergibt.
Fig. 1732.
Bei directwirkenden Geblasen sind die Kolbenstangen des Geblase-
und des Dampfcylinders direct verbunden. Die gewohnliche Anordnung eines
stehendeu directwirkenden Geblases zeigt Fig. 1733. Ganz oben ist dabei der
j
Geblase.
721
Fig. 1733.
ra
Geblasecylinder auf einen Rahraen gestellt, welch er von 4 Saulen gestiitzt wird!
Letztere, sowie der Dampfcylinder ruhen auf einem mit seitlichen Oeffnungen
versehenen Untersatz, mid dieser ist mit dem Fundament verankert. Die Kolben-
stangen beider Cylinder vereinigen sich in einer Traverse, welche zwischen den
Geriistsaulen vertical gefiihrt ist und an beiden Enden Zapfen besitzt, von welchen
Schnbstangen abwarts zu zwei anderen Zapfen
laufen, welche in den Armen zweier Schwung-
rader befestigt sind. Die Schwungradwelle ist
durch den Untersatz gelegt und bewegt mittest
Excenter und einer Hebelumsetzung den Dampf-
schieber. Diese Einrichtung ist zweckmassiger
als die uingekehrte, bei welcher der Geblase-
cylinder unten, der Dampfcylinder oben steht,
weil letzterer dann eine hangende Stopfbiichse
erhalt, an der sich stets condensirtes Wasser
und Schmiere herabziehen und die unteren
Theile verunreinigen. Gegenliber der Anord-
nung mit Balancier zeigt die eben beschriebene
den Vortheil geringeren Raumerfordernisses und
Anschaffungspreises, dagegen ist der Bau wegen
grosser Hohe weniger solid ; am grossten wird
die Hohe , wenn man, wie es bei einigen
neueren Geblasen vorkommt, die Kolbenstange
des oberen Cylinders auf- oder die des unteren
abwarts verlangert und durch Schubsxange und
Kurbel mit der Schwungradwelle verbindet.
Dagegen ist fur 1 i e g e n d e, directwirkende
Geblase meistens die Einrichtnng Fig. 1734,
welche der zuletzt besprochenen analog ist, in
Verwendung, weil dabei das Geblase am ein-
fachsten ausfiillt, und eine etwas grossere Lan-
genausdehnung keinen wesentlichen Uebelstand
bildet. Neben dem Schwungrad ist in Figur
1734 das zur Bewegung des Dampfschiebers
dienende 'Excenter angedeutet.
Gekuppelte Geblase besitzen eine ge-
meinschaftliche Schwungradwelle mit unter 90
Grad verstcllten Kurbeln zur Verbindung mit
den beiden Balanciers, Dampf- oder Geblasekolbenstangen. Znr Kupplung eignen
sich die Anordnungen mit Balancier, dann das der Fig. 1734 analoge, stehende
Geblase.
Fig. 1734.
r
Bei Geblasen mit Kurbelbewegung reicht nach Fig. 1735 eiu einziger
Dampfcylinder aus, um zwei beiderseits aufgestellte Geblasecylinder mittelst euier
Kurbelwelle zu betreiben, an welcher zwei Schwungrader zur gleichformigen Yei'-
theilung der Belastung angebracht sind. Die Cylinder sind zweckinassig obeiij
Karmarach & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 46
722
Geblase.
die Welle unten zu legen, weil letztere die solideste Befestigung erfordert. Fassl
man die Fig. 1735 als Grundriss auf, so stellt sie ein liegendes Geblase mit
Kurbelbewegung dar. Da jedocb eine Welle mit Doppelkurbel oder zwei abge-
sonderte durcb eine Schleppkurbel verbundene Wellen notbwendig sind, wird die
Anordnung nicbt oft beniitzt.
Endlich batte man friiber Geblase ohne rotirende Welle, mit Knaggen-
oder wie Wasserhebmaschinen mit Kataraktsteuerung fur die Dampfmaschine.
Obgleich durch Weglassung des Schwungrades und seiner Welle die Construction
sehr vereinfacht erscheint, ist man doch von solcben Geblasen wieder abgekommen,
weil bei denselben der Hub nicbt genau begrenzt ist, daber entweder das Geblase
mit grossem schadlichen Raum arbeiten muss oder Buffer zur Verhinderung der
Ueberschreitung des normalen Hubes erfordert werden, welche, wenn auch aus
elastischem Material hergestellt, doch Stosse verursacben.
Turbinengeblase erfordern bei der grossen Umgangszahl der Turbinen
eine Umsetzung in's Langsame, Was serr ad geblase umgekehrt eine Umsetzung
in's Schnelle. Beide werden liegend
auch mit Balancier ausgeflibrt.
Fig. 1735.
njw
oder stehend, Wasserradgeblase zuweilen
Die hiittenmannischen Processe
erfordern eine gleichformige Aus-
stromung der Luft aus den Diisen,
daher eine eben solche Einstromung
vom Geblase her in die Windleitung.
Urn diesen Zweek zu erreiche,n,
werden bei zwei gekuppelten Cylin-
| dern deren Kurbeln um 90°, bei
dreien um 120 Grade gegen ein-
ander verstellt, damit die Perioden,
in welchen der Kolben die Luft
verdichtet, daher die Ausstromung
unterbrochen ist, ferner die Mo-
mente der grossten und kleinsten
Kolbengeschwindigkeit bei den ein-
zelnen Cylindern mit einander ab-
wechseln. Bei zweicylindrigen und
um so mehr bei eincylindrigen Ge-
blasen ist indessen die Luftausstro-
mung noch so ungleichformig, dass
man in die Windleitung einen Re-
gulator einschaltet, d. i. einen
Bebaiter, in welchem moglichst con-
st ante Spannung herrschen soil, damit die von dieser Spannung abhangige
Gescbwindigkeit des Ausflusses der Luft gegen die Dusen hin ebenfalls tbunlichst
ungeandert bleibe.
Dieser Zweck wird auf zweifaehe Art erreicht: entweder indem man den
Behalter mit beweglichen Wanden versieht, so dass dessen Volum sich bei starkerer
Zustrbmung vom Geblase her vergrbssert, im umgekehrten Falle verkleinert ; oder
indem man dem Behalter feste Wande, doch ein so grosses Volum gibt, dass die
Pressung darin ungeachtet des veranderlichen Zuflusses nahe constant bleibt. Es
sind daher Regulatoren mit veranderlichem und solche mit unverander-
lichem Volum zu unterscheiden.
Zu ersteren gehbren der Kolben regulator, aus einem verticalen Cy-
linder bestehend, in dessen Boden das vom Geblase kommende und das weiter
zu den Diisen fortgesetzte Windleitungsrohr miinden. Im Cylinder befindet sich
ein Kolben, welcher derart belastet ist, dass sein Gewicht dem mittleren Druck
der Geblitseluft gleichkommt. Strbmt daher mehr als die normale Windmenge
zu, so hebt sich der Kolben: strbmt weniger zu, so senkt er sich. Doch ist diese
Geblase.
723
Fig. 1736.
"]
Z 1
Reguliruiig unvollstandig und der Kolben verursacht durch undicht schliessende
Liederung Luftverluste. Der Wasser regulator 1st ein unten offener, unver-
anderlich befestigter Kasten; der in ein Wasserrcservoir taucht. In denselben
miinden oben das Zu- und Ableitungsrohr f'iir die Luft. Das Wasser steht im
Kasten niedriger als aussen, weil die innere Spannung grosser ist als die atmo-
spkarische. Bei vermehrter Einstrcimung wird das Wasser theilweise nach aussen
gedrangt; die Regulirung ist jedoch die unvollkommenste, weil bei Verdrangung
des Wassers auch der Hbhenunterschied des ausseren und inneren Wasserspiegels
sich andert, was nur durch eine Pressungsanderung der Luft moglich ist. Daher
haben auch diese Apparate wenig Verbreitung. Sehr empfindlich fiir Spannungs-
anderungcn ist der Wasser ton n en regulator Fig. 1736, der dem Principe
nach mit den in Gasanstalten gebrauchten Regulatoren iibereinstimmt und aus
einem vertical beweglichen und gefiihrten, unten offenen Blecheylinder besteht,
welcher in den mit Wasser gefiillten Zwischenraum zweier schmiedeiserner oder
holzerner Cylinder taucht. In den Boden der
letzteren miinden Zu- und Ableitungsrohr fiir
die Luft. Bei verstarktem Zufluss steigt der
bewegliche Cylinder empor und es ist dazu nur
eine sehr geringe Spannungsanderung erforder-
lich, da dieser Bewegung nur die Reibung gegen
die Fiihrungen und gegen das Wasser ent-
gegenwirkt. Die Belastung des Regulators
muss wieder der mittleren Spannung der Luft
entsprechen. Der Grund? warum auch dieser
sonst sehr zweckmassige Apparat verhaltniss-
massig selten vorkommt, ist in der zu grossen
Empfindlichkeit zu suchen, welche bei jedem
Kolbenschub des Geblases heftige Schwankungen
auf- und abwarts zur Folge hat. Beide zuletzt
beschriebenen Regulatoren sind iibrigens nur
fiir massige Pressungen anwendbar, da sonst
der Unterschied des ausseren und inneren Was-
serspiegels und mithin die Hohe des Ganzen
zu gross wird.
Bei alien neueren und grosseren Geblasen kommen Regulatoren mit unver-
anderlichem Volum zur Anwendung, welche^ analog den Dampfkesseln aus zu-
sammengenieteten Blechtafeln bestehen und keinen anderen beweglichen Theil als
ein Sicherheitsventil enthalten. Die Grosse des Volums muss hier die Beweg-
lichkeit der Wande ersetzen. Bei Hochofengeblasen nimmt man fiir zwei gekup-
pelte Cylinder das Regulatorvolum gleich dem lOfachen, und wenn zeitweise nur
ein Cylinder in Betrieb ist, oder bei Vorhandensein nur eines Cylinders gleich
dem 20fachen Cylindervolum, in welche Grosse jedoch auch das Volum der
Windleitung einbezogen werden kann, daher bei grosser Lange der letzteren der
Regulator entbehrlich wird, namentlich wenn man der Windleitung absichtlich
eine grossere Weite gibt.
Diese Regulatoren sind meist cylindrisch geformt und werden liegend, wegen
Raumverhaltnissen zuweilen stehend angeordnet und im letzteren Falle auf einer
Gusseisenplatte fundirt. Auch kommen kugelformige Regulatoren vor, welche
bei gegebenem Volum die kleinste Oberflache besitzen, was jedoch nicht eben auf
den geringsten Materialaufwand fiihrt, weil die Wandstarke grosser sein und gegen
unten zunehmen muss, um eine Einsenkung durch das Eigengewicht zu verhiiten ;
dieser wirken iibrigens auch holzerne, im Innern aufgestellte Streben entgegen.
Endlich hat man gemauerte Regulatoren, unterirdisch angelegt, mit in
Cement gelegten Steinen ausgefiittert oder aus Beton mit einem bei der Auffiihrung
als Stiitze dienenden schwachen Ziegelgewolbe. Die InnenwSnde werden mit
46*
Wassertrommel-Regulator.
724 Geblase.
Cement beworfen und sodann mit mehrnialigein Theeranstrich versehen. Dessen
ungeachtet sind solche Regulatoren nur schwer luftdicht herzustellen und daher
niclit besonders zu empfehlen.
Der Durclimesser der Windleitung soil so gross sein, dass sicli die Luft
darin mit nicht mehr als 10 Meter Geschwindigkeit bewegt. Sie wird mit
Flantschenverbindung aus Gusseisen und bei grosserem Durchmesser jetzt meistens
aus Blech hergestellt. Zur Dichtung der Flantschen dienen Kupferdraht oder
Eisenkitt, bei kalter Geblaseluft aucb Blei, Kautschuk, mit Fett getrankter Flanell
oder Filz. Bei langeren geraden Rbhrenleitungen sind, besonders wenn sie ab-
wechselnd von kalter und heisser Luft durchstromt werden, Compensationen
erforderlich. Rohren aus Aspbaltpapier eignen sicb nur fur kalte Luft.
Gemauerte Leitungen sind aus demselben Grunde wie gemauerte Regulatoren
nicbt vortheilhaft.
In der Nahe der Dusen ist eine Regulirungsvorrichtung, meist ein Schieber,
eingeschaltet, urn die ausstromende Luftmenge abzuandern. Der Durcbmesser der
Diisen ergibt sich nach den Formeln ftir die Windmengen aus den Gleicbungen
= ^,<* = V:
/ ' V 18740 V K — K '
worin die Grossen die friiher angegebene Bedeutung besitzen, insbesondere M0
die von einer Diise zu liefernde reducirte Windmenge ist, und im Werthe von
f fur b, A2 und tl voraussichtliche Mittelwertbe zu nehmen sind. In der Praxis
wird ubrigens meist eine Abanderung des bereebneten Werthes von d notbwendig.
Die Diise selbst ist ein Rohr aus Scbmied- oder Gusseisen von scbwach conischer
Form (mit circa 6 Grad Seitenconvergenz).
Neben den Cylindergeblasen kommen beim Hiittenwesen noch zahlreiche
andere Arten vor, welcbe jedoch grosstentbeils von geringerer Bedeutung sind.
Ziemlicb verbreitet waren in den Alpenlandern oscillirende Cylinderge-
blase, bei welchen wie bei oscillirenden Dampfmascbinen der verticale Cylinder
um zwei borizontale Drehzapfen schwingt. Dadurcb sind Schubstange, Gleitstuck
und dessen Fiibrung erspart, dock lassen solcbe Geblase nur eine geringe Kolben-
gescbwindigkeit zu und erfordern daher grosse Dimensionen. Die Ableitung der
verdicbteten Luft erfolgt abnlicb wie bei den spater betrachteten Wassertonnen-
geblasen.
Bei Kastengeblasen Fig. 1737 erfolgt die Verdichtung der Luft in
einem bolzernen quadratiscben oder recbteckigen, unten offenen Kasten, in welchem
sicb ein gleicbfalls holzerner, mit Liederung versehen er Kolben auf- und nieder-
bewegt. Die Saugventile befinden sich am Kolben und offnen sich beim Nieder-
gang, die Druckventile sind am Kasten selbst angebracht und offnen sich beim
Aufgang, das Geblase ist daher einfachwirkend. Da dasselbe grosstentbeils aus
Holz besteht, sind seine Herstellungskosten geriug. Dagegen eignet es sich aus
diesem Grunde nur fur Pressungen bis zu 5 Cent. Quecksilber und unterliegt der
Kasten einer baldigen Ausreibung.
Lederbalge (Spitzbalge) Fig. 1738 bestehen in der gewbhnlichen Con-
struction aus drei bolzernen trapezformigen Tafeln, deren Zwischenraum durch
einen Ledermantel umschlossen ist. Die mittlere Tafel ist fix, enthalt das Druck-
ventil, und ist an der schmaleren von beiden Trapezseiten mit einem Holzblock,
dem Balgkopf, verbunden, welcher durchbohrt und mit einer Diise versehen ist.
Die beiden anderen Tafeln sind durch Charniere an dem Balgkopf befestigt; die
untere enthalt das Saugventil und wird auf- und niederbewegt, die obere ist mit
Gewichten bescbwert. Das Innere des Balges ist daher durch die fixe mittlere
Wand in zwei Theile B und R geschieden, von welchen der untere B zum Auf-
saugen und Verdichten der Luft, der obere R als Regulator dient, um ein
bestandiges Ausstromen der Luft aus der Diise zu bewirken, obgleich der Balg
selbst einfachwirkend ist. Hat man namlich die Belastung des Regulatordeckels
entsprechend regulirt, so wird beim Aufgaug der unteren Platte mehr Luft in
Geblase.
725
den Regulator R gedriickt, als gleichzeitig durch die Diise austritt, daher auch
der Regulatordeckel aufsteigt. Beim folgenden Niedergang tritt f'rische Luft durch
das Saugventil in den unteren Balgraum B, das Druckventil ist geschlossen, der
Regulatordeckel aber wird durch die Gewichte abwarts bewegt, daher die Luf't-
ausstromung fortgesetzt.
Die Trapezform ergibt sich aus der Forderung, dass die Charniere, bei
welchen die Dichtung am schwersten herzustellen ist, thunlichst kurz sein sol leu.
Die Hebung der nnteren beweglichen Tafel erfolgt durch Daumen an einer Wasser-
radwelle oder durch Menschenkraft, mittelst eines zweiarmigen Hebels und einer
Zugstange Z\ der Niedergang tritt selbstthatig ein und wird erforderlichen Pallea
durch ein anhangendes Gewicht beschleunigt. Das Leder soil vor Erhitzung und
Dnrchnassung bewahrt und durch ein fettes Schmiermittel geschmeidig erhalten
werden. Damit dasselbe sich stets in die gleichen Falten legt, werden an den
Kanten der letzteren Holzleisten befestigt.
Die Leistung der Balge ist gering, ftir bedeutendere Windmengen fallen
ihre Dimensionen wegen der eigenthiimlichen Form zu gross aus, die Pressung
kann wegen Luftverlust nicht liber 1*2 bis 2 Cent. Quecksilber gesteigert werden.
Diese Geblase sind daher nur bei Schmiedefeuern, dort aber allerdings wegen
ihrer einfachen Einrichtung in ausgedehntester Weise in Anwendung; hie und da
findet man sie auch bei Hammerwerken.
Fig. 1737.
Fia. 1738.
Kastengeblase.
Balggeblase.
Bei Holzbalgen ist der Ledermantel durch ein holzernes Gehause mit
gekriimmter Riickwand ersetzt. In vervollkommneter Form standen solche Apparate
unter dem Namen Widholmsgeblase in Schweden in Gebrauch.
Bei Cylinder balgen sind die drei Holztafeln kreisfdrmig, der Leder-
mantel cylindrisch, die obere und untere Tafel bewegen sich parallel zu ihrer
Stellung; am Rande der mittleren fixen Tafel ist eine cylindrische Holzwand
aufgesetzt, in welche die Windleitung mtindet. Die horizontale Ausdehnung eines
Cylinderbalges ist kleiner als die eines Spitzbalges. Ein compendioser Apparat
dieser Art ist von Enfer fiir Schmiedefeuer construirt CArmengaud's genie in-
dustriel, 12. Bd.).
Von rotirenden Kolbenmaschinen (bei welchen der Kolben eine drehende
statt der bin- und hergehenden Bewegung erhalt) haben in neuerer Zeit die Roots-
schen Ventilatoren (Roots-Blower), zu der Gruppe der von Reuleaux so beuannten
Kapselrader gehorig, einige Verbreitung gefunden. Die beiden Kolben K
Fig. 1739 sind ineinandergreifenden Zahnradern vergleichbar, deren jedes nur
zwei Zahne enthalt. Dieselben rotiren in einem Gehause dicht anschliesseud in
726
Geblase.
der Richtung der Pfeile mit gleicher Geschwindigkeit. Bei jeder Umdrehung
werden von jedem Kolben zwei Volumen Luft von dem in der Figur sehraffirten
Querschnitte aus der oberen Saugoffnung entnommen und in die unten sich an-
schliessende Windleitung fortgefiihrt. Die ausseren Enden der Kolben werden
nach einem Kreisbogen gekriimmt, die Form des mittleren Theiles ist nach den
Regeln der allgemeinen Verzahnung zu bestimmen. Um Klemmungen zu ver-
meiden, muss zwischen beiden Kolben etvvas Spielraum belassen werden; der
dichte Schluss wird durch eine consistente Schmiere aus 6 Gewichtstheilen Talg,
6 Th. Gips, 3 Th. Wacbs und 1 Th.
Grafit erzielt. Die Achsender Kolben
Fig. 1739. ragen aus dem Gehause vor und es
sind gewohnlich an beiden Enden
derselben Zahnraderpaare, dann an
jeder Achse eine treibende Riemen-
scheibe, an entgegengesetzten Seiten
des Apparates, befestigt, um eine
moglichst gleichformige Drehung zu
bewirken. Nach Fig. 1739 kann
an der Saugoffnung ein Kasten aus
gelocbtem Blech befestigt werden,
welcber das Eintreten fremder Korper
verhiitet. Die Kolben bestehen ent-
weder ganz aus Holz oder aus
eisernen Rahmen mit einer Holz-
hiille.
Die Vortheile solcher Apparate
sind das Wegfallen der Ventile,
einfache Construction und Unab-
hangigkeit der Pressung von der
Umgangszahl; dagegen steigt mit
der Pressung die Schwierigkeit
der Dichtung, und es tritt Effects-
verlust durch Riickstromung der Luft ein, da die angesaugte Luft bei atmospha-
rischer Pressung mit der verdichteten in der Windleitung in Beruhrung kommt.
Die Spannung kann bei Kolben mit Holziiberzug nnd Anwendung consistenter
Schmiere bis 5 Cent. Quecksilber steigen, die Ventilatoren werden fur Windmengen
von 1*5 bis 200 Kubikmeter pr. Minute her-
Fiq. 1740. gestellt und erhalten dabei 500 bis 200 Um-
gange pr. Minute; der Wiudeffect wurde vom
Ingenieur Geiser in Mariazell zu 0'50 be-
stinimt. Man verwendet die Roots-Blower bei
Kupolofen, Schmiedfeuern u. s. w.
Bei einer Reihe von Geblasen ist der
Raum, in welchem die Verdichtung der Luft
stattfindet, durch Wasser gegen Aussen ab-
Wassertrommelgeblase. geschlossen. Diese Arten bieten vorziiglich nur ein
historisches Interesse ; sie eignen sich sammtlich
bloss fur geringe Pressungen, da sonst der Hbhenunterschied der beiden Wasserspiegel,
von welchen einer den atmospharischen, der andere dem Drucke der Geblaseluft
ausgesetzt ist, zu gross wird, die Dimensionen der Apparate zu sehr anwachsen.
Zu denselben gehbren das Baader'sche Geblase, welches im Princip mit dem
bei Ventilation der Bergbaue verwendeten Harzer Wettersatz iibereinstimmt, ferner
das Wassertonnen-, das Schbpfradgeblase und die Cagniardelle.
Das Wassertonnengeblase Fig. 1740 ist ein hblzerner hohler Cy-
lynder T, welcher um zwei in seiner Achse liegende und an seinen Stirnwanden
befestigte Zapfen schwingt und durch zwei Kurbeln und Schubstangen eine oscil-
Roots Ventilator.
Geblase.
727
lirende Bewegung erhalt. Vom Scheitel der halb mit Wasser gefullten Tonne T.
ist bis nahe zum Boden eine Scheidewand herabgefiihrt, und beiderseits von dieser
befinden sich an der einen Stirnwand die Druck-, an der anderen die Saugventile
Bei Drehung der Tonne verbleibt das Wasser in deren unterer Halfte, daher sich
der freie Raum auf einer Seite der Scheidewand vergrossert, auf der anderen ver-
kleinert; in dem ersteren findet daher Ansaugen, im letzteren Ausblasen der Luft
statt. Diese Functionen wechseln in den beiden genannten Raumen mit einander
ab. Der Wasserspiegel stellt sich beiderseits der Scheidewand verschieden hoch,
weil sich auf einer Seite stets angesaugte, auf der anderen verdichtete Luft
befindet. Von den Druckventilen ist ein Rohr herabgefuhrt, dessen Endstiick in
die verlangerte Achse der Tonne fallt, daher ebenfalls nur urn diese Achse oscil-
lirt und durch einen Lederschlauch oder eine Stopfbuchse mit der fixen Wind-
leitung verbunden werden kann. Johnston's Luftcorapressionsmaschine (Revue
universelle 1874, 36. Bd. p. 343) ist eine Combination dreier auf einander fol-
gender Wassertonnen, in welchen die Pressung der Luft successive gesteigert
wird ; der ganz aus Eisen bestehende Apparat ist ziemlich complicirt.
Fig. 1741.
Fig. 1742.
Scbneckengeblase.
Cagniardelle.
Das Schopfrad- oder Schneckengeblase, nach dem Erfinder, einem
siebenblirgischen Bergbeamten, auch Debreczen y'sches Geblase genannt, be-
steht nach Fig. 1741 aus kreisformigen Holztafeln, welche mit einer centrischen
Achse verbunden sind, und zwischen denen eiserne oder gleichfalls holzerne, nach
einer Spirale gekriimmte Wande eingesetzt sind. Der Apparat taucht in ein
Wasserbassin ; eine der runden Tafeln ist mit einer centrischen Oeffnung und
einem Ansatzrohr versehen, welches in einen Behalter miindet, an den sich die
Windleitung anschliesst. Rotirt der Apparat in der Richtung des Pfeiles, so tritt
in die Kanale zwischen den Spiralwanden abwechselnd Luft und Wasser ein, das
Wasser verbleibt stets in der unteren Halfte der Windung, die Luft in der oberen,
und schliesslich gelangen beide in den mittleren Raum und von dort durch das
Ansatzrohr in den erwahnten Behalter. Dieser communicirt unten durch eine Oeffnung
mit dem gezeichneten Bassin, daher das Wasser wieder in letzteres zuriickfliesst.
Das Schneckengeblase stand in mehreren Provinzen Oesterreichs, besonders in
Siebenbiirgen, in Bentitzung; der Wirkungsgrad desselben betragt nur 0-2 bis 03,
was dadurch zu erklaren ist, dass stets ein Quantum Wasser von den Spiral-
wanden bis in die Hohe der Achse gehoben werden muss und dann vom Aus-
trittsrohre wieder frei herabfallt.
Die Cagniardelle Fig. 1742 (nach dem Erfinder Cagniard-La-
t o u r so benannt) oder Schraubengeblase ist in gewisser Beziehung dem vor-
beschriebenen ahnlich. Sie besteht aus einer schraubenformigen Platte, welche
728
Geblase.
Fig. 1743.
an einer schragliegenden Welle befestigt und mit einem cylindrischen Mantel um-
geben ist, der unten in einen schwach ansteigenden Conus endigt. Das Ganze
rotirt in einem mit Wasser gefiillten Behalter; das feststehende Windleitungsrohr
taucht in eine Oeffnung des Conus. Durch die gekriimmte Platte ist ein schrauben-
fbrmiger Kanal gebildet, dessen obere Miindung sich bei der Drebung abwechselnd
in der Luft und im Wasser bewegt, daher abwecbselnd von beiden ein gewisses
Quantum aufnimmt und allmalig nacb unten fiihrt, da in jeder Windung des
Kanales das Wasser den unteren, die Luft den oberen Raum einnimmt. Schliess-
licb stromt die Luft in das Windleitungsrohr, das Wasser durch die Oeffnung des
Conus in den ausseren Behalter zurtick. Der Hbhenunterschied zwischen dem
ausseren und dem Wasserspiegel im untersten Tbeil des Cylinders entspricht der
Spannung der verdichteten Luft. — Die Leistungen der Cagniardelle sollen sebr
befriedigend sein, docb hat die schwierige Herstellung derselben ihrer weiteren
Anwendung eine Grenze gesetzt.
Bei einer anderen Gruppe, die man Wasser geblase nennen kann,
wird die Verdicbtung und Fortschiebung des Wassers durch unmittelbare Wirkung
des unter entsprechender Gefallsbohe zustromenden Wassers erzielt. Es gehbren
dazu das H e n s c b e l'scbe Ketten- oder Paternoster geblase, das
von demselben Erfinder stammende Wasser saulengeblase und das A 1 1-
h a n s'sche Wasserstopfengeblase, \on welchen nur je ein Exemplar
ausgefiihrt wurde, und die beiden ersteren
wegen zu complicirter Construction, das letztere
wahrscheinlich wegen geringen Effectes keine
weitere Verbreitung fanden, daher deren Be-
schreibung hier fiiglich iibergangen werden kann.
Ferner sind zu erwahnen die Wasser-
und D a m p f s t r a h 1 g e b 1 a s e, bei welchen
Wasser oder Dampf mit so grosser Geschwin-
digkeit durch eine Rohre stromt, dass die
Spannung in der letzteren unter die atmospha-
rische sinkt, daher durch seitliche Oeffnungen
in der Rohre Luft eintritt, welche vom
Wasser oder Dampf mechanisch mitgerissen
und schliesslich durch Abgabe der lebendigen
Kraft verdichtet wird. Hieher sind zu rechnen
das Wassertrommel- und das Dampfstrahl-
geblase.
Die Wasser trommelgeblase sind
nacb Fig. 1743 gewbhnlich paarweise aufgestellt.
An den Boden des oben befindlichen Gerinnes
fiir das Kraftwasser schliessen sich die E i n-
f a 1 1 r o h r e n , von welchen in Figur 1743
die eine durchscbnitten , die andere in der
beweglichen Holzkegel kann die einstrbmende
Wassermenge regulirt werden. Am Obertheil
der Rbbren befinden sich Oeffnungen fur den Eintritt der Luft, die soge-
nannten Schlucklbcher. Jede Einfallrbhre mundet unten in eine umge
stiirzte Tonne, die Trommel, welche in einem mit einer Abflusslutte ver-
sehenen Behiilter steht, und an deren Deckel sich die Windleitung anschliesst.
Indem das Wasser die Einfallrbhre durchstrbmt, nimmt es eine gewisse Ge-
schwindigkeit an, daher diePressung im Obertheil der Rohre entsprecliend kleiner
wird als die atmospharische. Die durch die Schlucklbcher eingetretene Luft ge-
langt mit dem Wasser in die Tonne und entweicht in die Windleitung, wahrend
das Wasser unter dem Rand der Tonne durch in den ausseren Behalter tritt und
von dort continuirlicb zum Abfiusse gelangt. Urn Wasser und Luft thunlichst von
Geblase. 729
einander zu scheiden, ist in der Trommel ein Tisch mit flach kegelformiger Platte,
die sogenannte Brechbank aufgestellt. Die Verengung am oberen Ende der
Einfallrohre hat den Zweck, die Geschwindigkeit des Wassers zu steigern und
dadurch die Pressung um so mehr herabzusetzen. Die Wassertrommel ist das
einfachste Geblase, weil sie keine bewegten Theile enthiilt und ganz aus Holz
hergestellt werden kann. Das Gefalle betragt 3 bis 9m, der Durchmesser der
Einfallrohren 0-2 bis 0*26m, die erreichbare Pressung ist nach dem Gefalle ver-
schieden und steigt bis 4*5 Cent. Quecksilber, die gelieferte Windmenge betragt
0*04 bis 0*07 Cubikmeter per Secunde. Der wesentliche Nachtheil ist der geringe
Wirkungsgrad, der nicht hoher als auf 005 bis 0"06 zu veranschlagen ist. Die
Anwendung dieses Apparates gehort daher auch mehr der Vergangenheit an.
Das D a m p f s t r a h 1 g e b 1 a s e ist dagegen eine Erfindung der neueren
Zeit; und ist der G i f f ar d'schen Dampfstrahlpumpe ahnlich, nur dass dasselbe
Luft statt des Wassers saugt. Da die Luft mit dem Wasserdampf austritt,
ist dieses Geblase nur dort verwendbar, wo der Gehalt an Dampf dem betreffenden
Hiittenprozess keinen Nachtheil bringt. Dasselbe kommt bei Gasgeneratoren, wo
ein solcher Gehalt sogar vortheilhaft ist, zum Einblasen von Luft in den ge-
schlossenen Raum unter dem Rost (Erzeugung von Unterwind) in Beniitzung.
Bei dem K o r t i n g'schen Geblase wird zuerst durch einen Dampfstrahlapparat
das Gemenge von Luft und Dampf in einen Behalter geblasen, worin der Dampf
sich theilweise niederschlagt, sodann in einen zweiten grosseren Apparat, um hier
als Motor von Neuem Luft anzusaugen und mit dieser vereint in die Windleitung
zu stromen. Im Allgemeinen lasst sich von den Dampfstrahlgeblasen analog den
Giffard'schen Injectoren nur ein geringer Wirkungsgrad erwarten, und wird sich
daher deren Anwendung nur auf specielle Falle beschranken. (S. Injectoren.)
Auch die Centrifugalventilatoren spielen im Hiittenwesen eine
verhaltnissmassig untergeordnete Rolle. Der Grund davon ist, dass diese Ma-
schinen sich zur Erzeugung hbherer Pressungen nicht eignen. Die erreichbare
Pressung hangt von der Umfangsgeschwindigkeit des Ventilatorrades ab, und je
grosser erstere sein soil, desto grosser mtissen Durchmesser und Umgangszahl
sein. Bei grossem Durchmesser wird der Ventilator schwer und kostspielig, bei
grosser Umgangszahl wachsen der Verbrauch an Schmiere und die Reparaturen.
So kann eine Pressung von circa 3 Centimeter Quecksilber als die Grenze dessen
betrachtet werden, was praktisch ohne grosse Uebelstande erreichbar ist. Ein
Rittinger'scher Ventilator z. B. erfordert dabei schon l'6m Durchmesser und
900 Umgange pr. Minute oder l*2m Durchmesser und 1200 Umgange. Dagegen
fiihrt erst ein sehr grosses zu bewegendes Luftvolum auf Schwierigkeiten der
Ausfilhrung, weil dieses nur eine Vergrosserung der Breite des Ventilatorrades
und des Durchmessers der Saugoffnungen, nicht aber eine Vermehrung der Um-
fangsgeschwindigkeit erfordert. Die sonstigen wesentlichen Vorziige sind Ein-
fachheit der Construction, bei welcher insbesondere die Ventile wegfallen, und
gleichformige Luftstromung. Centrifugalventilatoren werden dort angewendet, wo
eine geringe Pressung geniigt, wie bei Kupolofen, Frisch- und namentlich bei
Schmiedefeuern.
Der Wirkungsgrad der gewohnlichen Ventilatoren betragt 0*25 bis 0*35, die
Construction ist sehr verschieden und basirt nicht stets auf bestimmten Principien.
In der Regel bestehen dieselben aus einem mit gekriimmten Flitgeln versehenen
Rade, welches in einem Gehause eingeschlossen ist, an das sich tangential die
Windleitung anschliesst. Im Gehause befindet sich auf einer oder auf beideu
Seiten eine kreisformige Saugoffnung, deren Mittelpunkt in die Achse des Rades
fallt. Indem clas letztere rotirt, erhalt die zwischen den Fliigeln eingeschlossene
Luft ebenfalls eine drehende Bewegung und gelangt zufolge der Fliehkraft in das
Gehause und von dort in die Windleitung. Durch den Austritt der Luft aus dem
Fliigelraum wird in diesem die Spannung kleiner als die atmosparische, und es
findet daher ein stetes Nachstromen itusserer Luft durch die Saugoffnung statt.
730
Geblase.
Bei Rittinger's Ventilator Fig. 1744 besteht das Rad aus einer massiven
und einer mit einer Oeffnung in der Mitte versehenen Scheibe; zwischen diesen
beiden parallelen Scheiben befinden sich die gekriimmten Fliigel, welche an der
Innenseite eine derartige Richtung besitzen, dass der Eintritt der Luft ohne Stoss
stattfindet, aussen jedoch radial auslaufen, da nach Rittinger's Theorie der Ven-
tilatoren bei dieser Form die zur Erzielung einer gegebenen Pressung nothwendige
Umfangsgeschwindigkeit am kleinsten wird. Die Oeffnung in der einen Ventilator-
scheibe correspondirt mit der Saugoffnung in einer von den beiden ebenen paral-
lelen Wanden des Gehauses. Das letztere ist unter Beriicksichtigung des Umstandes,
dass von gleichen Theilen des Radumfanges gleich viel Luft ausstromt, spiral-
formig erweitert. Nach der genannten Theorie ergibt sich bei geringen Wind-
mengen das Rad, parallel zur Achse gemessen, sehr schmal, wodurch der Neben-
widerstand gegen die Bewegung der Luft verhaltnissmassig gross wird.
Fig. 1744.
Kittins
Ziemlich verbreitet ist die Ventilatorform, welche Fig. 1745 im Horizontal-
schnitte zeigt, und welche von Colt, spater von Schiele ausgefiihrt wurde. An
die Achse schliesst sich das aus Nabe, Armen und dreieckigen Fliigeln bestehende
Rad; das Gehause ist zweitheilig und besteht aus einem mittleren, beiderseits
conisch zulaufenden und einem ausseren Theil in Form eines Ringes von kreis-
formigem Querschnitt, an welchen sich tangential die Windleitung an schliesst. Die
Verengung des Fliigelraumes gegen Aussen hat den Vortheil einer allmaligeren Ab-
leukung und geringeren Contraction des Luftstromes, welcher parallel zur Achse
eintritt und sodann eine radiale Richtung annehmen muss. Auch arbeitet dieser
Ventilator ohne das Gerausch, welches nicht nur lastig ist, sondern auch auf
weniger gnten Gang und Effect schliessen lasst.
Bei Lloyd's Ventilator Fig. 1746 sind die Fliigel etwas zuruckgekrummt,
fur welche auch sonst vorkommende Einrichtung verschiedene, nicht ganz stich-
Geblase. — Gefrierpunkt.
731
haltige Erklarungen gegeben werden. Die Austrittsgeschwindigkeit der Luffc vom
Rade wird durch diese Construction herabgesetzt, was zur Verminderung der
Nebenhindernisse beitragen mag. Das Gehause besteht aus 4 in einer Horizontal-
und einer Verticalebene zusammenstossenden Theilen. Auch hier ist der Fliigel-
raum stark gegen Aussen verengt. Bei einigen anderen Arten sind die Fliigel
eben, jedoch ebenfalls nicht radial gestellt, sondern zuriickgeneigt.
Eigenthiiralich ist der F a 11 ize'sche Ventilator, dessen Rad statt der Fltigel
bloss eine Anzahl ringformiger, in geringem Abstand von einander senkrecht zur
Achse befestigter Scbeiben enthalt, von welchen die Luft nur durch Reibung
mitgenommen und in Rotation versetzt wird, dann aber in Folge der Tragheit
wieder in das umgebende Gehause entweicht.
Fig. 1746.
Flo. 1745.
Colt's Ventilator.
(Horizontalschnitt.)
Lloyd's Ventilator.
Um die Umfangsgeschwindigkeit der Ventilatoren herabzusetzen, ist man
auf die Idee verfallen, deren zwei oder mehrere derart zu combiniren, dass jeder
die vom vorhergehenden gelieferte Luft ansaugt und dem folgenden wieder zublast.
Sind n Ventilatoren vorhanden, so hat jeder die Pressung nur um den wten Theil
der gewiinschten Gesammt-Erhohung zu steigern. Sehr compendios ist dieses
Princip durchgefiihrt beim Hochdruckventilator von Clark (Polytechnisches Central-
blatt 1870, S. 736), bei welchem sammtliche Rader auf einer gemeinschaftlichen
Achse angebracht sind.
Die ausgedehnteste Bearbeitung des Capitels iiber Geblase entbalten Jul. v.
Hauer's „Huttenwesensmaschinen,u II. Aufl., Leipzig 1876; ferner befassen sich mit
dem Gegenstand, vorzugsweise beschreibend und vom Standpunkte des Hiittenmannes
mannischen, sowie die sonstigen technischen Zeitschriften eine ausgedehnte Literatur
iiber diese Maschinen. J. v. Hauer.
Gpblaselampe, s. Glasblaserei.
Gebrochene Passage oder satzweiser Einzug (remettage interrompu)
s. Web erei.
Gedge's Wletall. Legirung aus 60 Thl. Kupfer, 38 Vs Thl. Zink, 1.5 Thl.
Eisen, dient zu Schiffbeschlagen, lasst sich hammern und walzen. GtL
Geflechte, s. Flechtarbeiten III pag. 581.
Gefrierpunkt, Eispunkt, Nullpunkt der Celsius'schen und Reanmur'schen
Thermometer, s. Warmemessung.
732 Gegen-Email. — Gekrosestein.
Geg en -Email (contre-email) ist Email, welches auf der Gegenseite diinner
Metallbleche, z. B. ZifFerblatter, aufgetragen werden muss, um das Verziehen zu
hindern und das Object zu verstarken, s. Email III pag. 267.
Gegenmuttern, Contremuttern, s. Schraubenversicherungen.
Gegen-Punzen (contre-poincons — counter -punches), s. Pun z en.
Gegenwinder, s. Baumwollspinnerei I pag. 353.
Gehange, ofter gebrauchte Bezeichnung fur Constructionstheile, an welche
andere Theile angehangt sind oder hiedurch von oben oder der Seite her getragen
werden, z. B. bezeichnet man so die Zwischenrahmen der Fofmkasten (Hangeisen),
Theile am Webstuhl, welche Schafte tragen (Rollen, Gehange) etc.
Gehreisen, s. Geisfuss.
Gehrmass, s. Gehrung.
Gehrung {onglet, anglet, biaisement, mitre — mitre). Der Tischler, Zim-
mermann und audi einige Metallarbeiter bezeichnen unter Gehrung den Winkel
von 45°. In der Gehrung zusammengefiigte Theile sind dann solche, welche je
unter 45° zugearbeitet und dann zusammengefiigt eine rechtwinklige Ecke bilden.
Namentlich fur Holzarbeiten hat diese Verbindungsweise grosse Verbreitung und
bedient man sich verschiedener Hilfswerkzeuge, welche die Herstellung der Gehrung
erleichtern. Hierher gehort das Gehrmass (equerre-onglet — mitre square),
welches ein Winkelmass mit Anschlag ist, bei welchem beide Schenkel mit ein-
ander den Winkel von 135° (90° -j- 45°) einschliessen, s. Messwerkzeuge.
Die Gehrungsschneidlade und die Gehrungsstosslade sind
Hilfswerkzeuge, bei welchen eine Sage, respective ein Hobel, unter 45° gegen die
Langskante des Arbeitsstuckes gefiihrt wird und so die Herstellung, resp. Zu-
arbeitung der Gehrung erleichtert wird. Die erstere wird als Hilfsweikzeug bei
Schneiden mit der Sage im Artikel Sage, letztere im Artikel Hobel besprochen.
Kk.
Geigenharz, s. m. Colophonium, s. Fichtenharz III pag. 482.
Geinsaure, Acker-, Torf-Saure, Bestandtheil der Moorerde, verhalt sich
ahnlich der Huminsaure s. d., vgl. Humus.
Geisfuss. Diese Benennung kommt verschiedenen Werkzeugeh zu. So
heisst Geisfuss eine zum Bewegen von Lasten verwendete Eisenstange (Brech-
stange, Beisser), deren Ende etwas diinner und in zwei, einen kurzen Spalt zwischen
sich lassenden Zinken ausgeschmiedet ist. Dieses gabelformige Ende kann auch
zum Ausziehen von Nageln verwendet werden.
Geisfuss (carrelet, burin — corner chisel, parting tool) wird ferner ein
schneidendes Werkzeug genannt, welches aus zwei geradlinigen, unter 45, 60 oder
90° zusammenstossenden Schneiden besteht und in Form und Anwendungsweise
zu den Stemm- und Stechzeugen (s. d.) gehort. Unter demselben Namen
kommt ein in den Schneiden ahnliches Werkzeug (b V), aber mit noch spitzerem
Winkel, beim Schneidzeug fitr holzerne Schrauben (s. d.) in Anwendung. Kk.
Geistuhren, Controllapparate, s. m. Spiritusmessapparate.
GekratZ, Arco (arcot — dross), s. Kupfer.
GekratZ, Kratze, Goldkratze (lavure, cendres — dross, sweepings) werden
verschiedene Abfalle beim Goldschmelzen und der Goldbearbeitung genannt, z. B.
Feilspiine etc., s. Goldarbeiten.
Gekrosestein, s. Anhydrit.
Gelander. — Gelbbeereri. 733
Gelander (barriere, garde-corps — railing), die Einfassung eines Kaumes
an den Seiten, iiber welche man nicht hinaustreten soil ; zuraeist angewewkt bei
Stiegen, offenen Corridoren, Balkonen, Briicken etc. Die Einfassung, ea. 0.90 r"
hoch, wird entweder durch Holzstabe (gedrecbselt, Traillen genannt) oder durch-
brochen geschnitzte Bretter, guss- oder schmiedeiserne Stabe und Gitter, Stein-,
Terracotta- und Cement-Briistungen in mannigfachster Weise hergestellt. Siehe
auch Balustrade I, 285. Grohn.
Gelager, Kiihlge lager d. i. Absatz auf den Kiihlstocken der Brauereien,
s. Bier I pag 495. Fassgelager, Absatz in den Lagerfassern, vgl. Bier, vgl.
Weiri.
Gelatine, s. Leim, vgl. a. Gallerte.
Gelatine chinesische, vgl. Agar -Agar I pag. 59.
Gelatine japanische, vgl. Agar-Agar I pag. 59.
Gelatinefolien, s. m. Leimfolie, s. Leim.
Gelatinpapier (papier glace, papier gelatine) ist Hausenblasenfolie, erhalten
durch Aufgiessen einer warmen Losung von Hausenblasenleim, welche man auf
eine schwach geolte Spiegelglastafel giesst, eine zweite eingeolte Tafel darauflegt
und nach dem Erkalten beide auseinander nimmt.
Gelbbeeren, Gelbkorner (graines de Perse — yellow berries), Avig-
nonkorner, Kreuzbeeren, Persische Beeren. Unter diesem Namen kommen die
getrockneten unreifen Beeren mehrerer in Italien, Spanien, der Ttirkei, Klein-
Asien, Persien einheimischer, im siidlichen Frankreich haufig cultivirter Rhamnus-
(Kreuzdorn-) Arten in den Handel und werden als Farbmaterialien verwendet.
Die Beeren sind etwa erbsengross, rundlich mit drei oder vier halbkreisformigen
Einschniirungen, welche vom Stiel nach der Spitze zulaufen und den Zwischen-
raumen der in dem Fruchtfleische eingebetteten Samenkorner entsprechen. Die
Farbe ist gelbgriin, braunlich bis schwarz, sie haben einen eckelhaften Geruch
und einen bitteren unangenehmen Geschmack.
Man unterscheidet namentlich folgende Handelssorten :
a) Persische Beeren, sind an Grosse etwa grossen Erbsen gleich,
laufen gegen den Stiel spitz zu und zeigen eine schon griine Farbe. Sie sind
vierfachrig und enthalten in den Fachern fast dreieck'ige Samen. Der Geschmack
ist stark bitter. Sie kommen meist von Aleppo und Smyrna, wohl auch Triest
aus in den Handel und stammen von Tihamnus amygdalinus, oleo'ides und
saxatilis.
b) Levantische oder turkische Gelbbeeren (Grenetten) , sind
etwa pfefferkorngross und nur dreifachrig. Sie kommen aus der Tiirkei und
Natolien iiber Konstantinopel und Smyrna zu Markte. Man unterscheidet sie ihrer
Abstammung nach in Adrianopel-, bessarabische und wallachische Beeren, von
denen die letzteren die geschatzteste Sorte sind.
c) Morea- Beeren, die grosste Sorte der Gelbbeeren von lichtgelber
Farbe mit bios zwei Samenfachern.
d) Franzosische oder Avignon-Beer en {graines d' Avignon —
french berries), sind pfetferkorngross, plattgedriickt, unten spitzig, zweifachrig,
von dunkelgriiner Farbe. Sie stammen von Rhamnns infectoria und alaternut,
und sind von geringerem Werthe als die persischen.
e) Spanische Beeren sind den franzosischen ganz ahnlich, aber von gelber
Farbe und werthvoller als jene. Stammen von Bhamnus saxatilis.
f) Itali^iiische Beeren gleichen ebenfalls den franzosischen Beeren
und stammen von Rhamnus infectoria.
734 Gelbbeeren. — Gelbeisenstein.
g) Ungarische Beeren, stammen von Rhamnus cathavtica und saxatilis,
sind etwa erbsengross und vierfachrig, zieralich geschatzt.
h) Deutsche Beeren, welcbe von Rhamnus cathavtica stammen, sind
die geringwerthigsten (vgl. a. Kreuz beeren).
Die Gelbbeeren liefern mit Wasser gekocht einen schmutzig gelben Absud,
welcher sicb an der Luft leicht verandert mid mit verschiedenen Beizmitteln
Nuancen liefert, welche den mit Quercitron eizielbaren ahnlich sind. Mit Quer-
citron und Gelbholzabsud gemengt und mit Alaun und Kreide gefallt liefert der
Gelbbeeren-Absud einen gelben Farblack7 das Schittgelb {stil de grain). Die
Gelbbeeren werden hauptsachlich zur Herstellung von Dampf- und Tafelfarben
beniitzt, meist gemeinscbaftlich mit Gelbholz und Quercitron, audi fur die Zwecke
der Buntpapierfarberei u. d. m.
Lasst man den Absud von Gelbbeeren mit Wasser, der mit etwas Schwefel-
saure angesauert ist, einige Zeit steben, so tritt alsbald alkoholiscbe Gahrung ein,
bei der sich eine schwer losliche krystallinische Substanz abscheidet. Die Gelb-
beeren enthalten neben sonstigen allgemeincr verbreiteten Pflanzenstoffen nament-
lich Rhamnin (Rhamnegin, Xanthorhamnin) undRhamnetin (Chrysorhamnin),
von welchen das erstere ein Glukosid (Mannid), das letztere, das auch als Spal-
tungsproduct des Rhamnins entsteht, das eigentliche farbende Princip ist, das sich
durchaus wie Quercetin verhalt (s. Rhamnin und Rhamnetin). In den Beeren
von Rhamnus cathavtica findet sich das auch als Frangulin (s. Ill pag. 625)
bezeichnete Chromogen, Rhamno-Xan thin, dann ein unkrystallisirbarer Bitter-
stoff das Rhamnocathartin und die Rhamnogerbsaure. Vgl. a. Kreuz-
beeren und Kreuzd ornfarbstoffe, vgl. Kane, Journ. f. pract. Chem. 29
pag. 481. Fleury, ebenda 26 pag. 226. Winkler, Jahrb. Pharm. 24 pag. 1.
Binswanger, Repert. Pharm. 104 pag. 54. Gellatly chem. Centralbl. 1858
pag. 477. Ortlieb, Bull. soc. de Mulhouse 30 pag. 16. .Bolley, polyt. Cen-
tralbl. 1860 pag. 1125. Lefort, Compt. rend. 63 pag. 840 u. 1081. Schtitzen-
berger, chem. Centralbl. 1868 pag. 806. Stein, polyt. Centralbl. 1868 pag.
1176 und 1869 pag. 41. Cass elm aim, Annal. Chem. u. Pharm. 104 pag. 77.
P hip son, Compt. rend. 47 pag. 153. Enz, Viertelj. f. pract. Pharm. 16 pag.
106. Faust, Arch. Pharm. 187 pag. 8. Gtl.
Gelbbeeren chinesische. Unter diesem Namen kommen seit einigen Jahren
die getrockneten Bltithenknospen von Sophova japonica als Farbmateriale in den
Handel. Gtl.
Gelbbleierz, s. Wulfenit.
Gelbbrennen, s. Abbeizen I pag. l.
Gelbcomposition. Beize zum Gelbfarben mit Quercitron auf Zeugen, ist
eine Losung von Zinn in 3 Thl. Salzsaure und 1 Thl. Schwefelsaure, s. Zeug-
farberei. Gtl.
Gelbeisenerz (fer oxyde jaune — iron ochre), Gelbeisenstein, gelber
Eisenocker, gelber Glaskopf, Xanthosiderit, Min., ahnliche Formen
zeigend wie Brauneisenstein, goldgelb-braun bis braunroth, ist Eisenoxydhydrat
Fe„03 -4- 2HaO. Findet sich neben Brauneisenstein, bildet aber in jiingeren
Formationen auch selbststandige Lager (Ilmenau). Mit Thon gemengt bildet es
das thonige Gelbeisenerz (im Steinkohlengebirge und Jura), findet als Eisenerz
Verwendung. Den gleichen Namen fiihrt auch das bei Kolosoruk und Tschermig
in Bbhmen, dann bei Modum in Norwegen vorfindliche Kalium-Eisen-Sulfat (das
von Modum ist Natrium-Eisensulfat) 4^,03503 + Ka^SO^ + 9HqO, welches
in nierenformigen Knollen oder Platten auch derb sich findet, schon ockergelb,
mattglanzend und wenig sprode ist. Harte =z 2.5 — 3, spec. Gew. 2.7 — 2.9. Gtl.
Gelbeisenstein, s. Gelbeisenerz.
Gelberde. — Gelbholz. 735
Gelberde, ein lichter Brauneisenocker, welcher sich hie und da in Braun-
eisenstein- oder Bohnerzgruben, auch als Absatz eisenhaltiger Sauerlinge findet,
dann auch ein ockergelber, feinerdiger Thon, der bei Wehrau in der Lausitz und
zu Amberg in Franken vorkommt. Sie brennen sich sammtlich roth, sind in
Saure theilweise loslich. Die Gelberde koramt geschlemrat in den Handel und
dient als Anstrichfarbe. Lb.
Gelbgiesserei (fonderie de cuivre jaune — brass-foundry), Messing-
giesserei (s. Giesserei).
Gelbgummi, s. Acaroidharz I pag. 45.
Gelbharz, s. Acaroidharz I pag. 45.
Gelbholz (murier des teinturiers — yellow wood), alter Fustik. Das
rindenfreie Stammholz des Farbermaulbeerbaumes, Morus tinctoria L. {Madura
tinctoria Nutt., Broussonetia tinctoria Kunth.), einer in Ostindien, Siidamerika,
dann einzelnen Theilen Nordamerikas, Jamaika, Cuba, Tabago einheimischen Urticee,
welche oft die Hohe von 50 — 60 Fuss erreicht. Das Holz ist blass citronen-
gelb, fest und hart, fast sprode, zienilich leicht, zuweilen von rothlichen Adern
durchsetzt. Es kommt in Scheiben bis zu 50 K. schwer in den Handel, welche
beiderseits abgeschnitten sind. Auch gemahlen und geraspelt wird es zu Markte
gebracht. Die beste Handelssorte ist:
a) Das Cuba-Gelbholz, das von Cuba stammend in kleinen, runden,
ziemlich dicken Stiicken von ausserlich brauner, innen schon gelber Farbe vor-
korumt und in der Regel roth geadert ist.
b) Das Tampico-Gelbholz ist lichter gelb als das Cubaholz, mit deni
es zumeist in den Handel kommt. Eine seltenere Handelssorte ist
c) das Brasili en- Gelbholz (gelbes Brasilienholz), das sehr hellfarbig,
matt, meist wurmstichig und eine geringwerthige Sorte ist. Besser als dieses ist
d) das Jamaika-Gelbholz (Tuspanholz , ostindisches Gelbholz) von
lebhaft gelber Farbe, am Schnitte deutlich glanzend, das in einzelnen Stiicken
dem Cubaholze an Werth fast gleichkommt, aber schwerer ist als jenes, und
e) das Porto rico-Gelbholz (Carthagena-7 Marakaibo-, San Domingo-
Gelbholz), das ziemlich licht gefarbte, ungleich grosse, schwere Stiicke bildet.
Sehr geschatzte Sorten bilden endlich
f) das Siam-Gelbholz oder K a 1 e b (Kardarang der Malayen), das von
Siam zu Markte kommt, und
g) das Madagora- oder Jungfernholz, das aus Indien stammmt.
Das Gelbholz enthalt wesentlich zwei bei der technischen Verwendung des-
selben in Betracht kommende Stoffe, namlich das Morin (Morinsaure) und das
Maclurin (Moringerbsaure). Das Morin, zuerst von Chevreul entdeckt, kann
erhalten werden, wenn man den wassrigen Absud des Gelbholzes stark (etwa bis
zur Halfte des Gewichtes des verwendeten Holzes) eindampft und mehrere Tage
stehen lasst. Es scheidet sich ein Bodensatz ab, der neben Morin auch die Haupt-
masse des Maclurins enthalt. Derselbe wird abfiltrirt, gepresst, zweimal mit Wasser
ausgekocht und siedend heiss filtrirt. Der hiebei ungelost bleibende Antheil ist
rohes Morin mit etwas Morinkalk. Man erhitzt dasselbe mit Wasser und etwas
Salzsaure, wascht gut aus, lost den Riickstand in kochendem Weingeist, vermengt
die Losung mit 2/3 des Volumens an heissem Wasser und lasst erkalten, wobei
sich fast alles Morin in gelben Nadeln ausscheidet, das durch wiederholtes Um-
krystallisiren aus Weingeist und endliches Entfarben mit Schwefelblei voilig ge-
reinigt werden kann.
Es bildet glanzende, fast voilig farblose, 1 — 3 Linien lange Krystallnadeln,
die haufig zu Biischeln gruppirt sind, von schwach bitterem Geschmacke und
736 Gelbholz. — Gelbholz ungarisches.
schwach sauerer Reaction. Es lost sich in 4000 Thl. kaltem und 1060 Thl.
siedend. Wasser, leiclit in Weingeist, schwer in Aether, nicht in Schwefelkohlen-
stoff. Alkalien losen es leicht mit tiefgelber Farbe, wassrige Sauren losen ebenfalls
etwas leichter als reines Wasser. Die ZusammensetzungderKrystalleentspricht der
Formel C1(1HsOb -f- H^O; sie verlieren ihren Wassergehalt erst bei 250° C.
vollstandig. Behn Erhitzen iiber 300° C. subliniirt ein Theil des Morins, wahrend
sich ein Theil in Kohlensaure, Phenol und Brenzcatechin zersetzt. Mit Eisen-
chlorid farbt sich die Losung dunkelgriin. Mit Kali, Natron, Kalk etc. bildet
sie salzartige Verbindmigen, von denen das Morinkali (C\uHgK06) sich in Gestalt
weissgelber, nach dem Trocknen braungrun werdender Krystallnadeln aus einer
heiss bereiteten Losung des Morins in kohlensaurem Kali abscheidet. Morinkalk
(Ca4^risCa012) bildet einen gelben Niederschlag, der durch Fallung von Morinkali
mit Chlorcalcium erhalten werden kann. Mit Salpetersaure liefert es eine rothe
Losung die beim Verdampfen tafelfonnige, gelbweisse Krystalle von Styphnin-
saure hinterlasst (vgl. Chevreul, Journ. chim. med. 6 pag. 158. R. Wagner,
Journ. f. pract. Cheni. 51 pag. 82, 52 pag. 449. Hlasiwetz u. Pfaundler,
Journ. f. pract. Chem. 90 pag. 445 und 94 pag. 65).
Das Maclurin oder die Moringerbsaure kann aus dem durch wieder-
holtes Auskochen des, rohes Morin und Maclurin enthaltenden ersten Absatzes
aus dem Gelbholzabsude (siehe oben), gewonnenen Filtrate durch starkes Ein-
dampfen und Zusatz von etwas Salzsaure abgeschieden und durch wiederholtes
Umkrystallisiren aus schwach angesauertem Wasser gereinigt werden. Es bildet,
wenn vollig rein, farblose Krystallchen von siisslich zusammenziehendem Geschmacke,
wenn noch unrein, hellgelbe mikroskopische Nadeln, die bei 140° C. ihr Wasser
verlieren und bei 200° C. schmelzen, bei weiterem Erhitzen tritt Zersetzung ein.
Lost sich in 6.4 Thl. Wasser von 20° C. und 2.1 Thl. kochendem Wasser mit
gelber Farbe ; leicht in Weingeist, Holzgeist, Aether. In wassrigen Alkalilpsungen
ist es leicht loslich, kohleusaure Alkalien werden unter Kohlensaure-Abscheidung
zersetzt. Die Zusammensetzung entspricht der Formel C13Ht006. Die Losungen
reduciren leicht alkalische Kupferoxydsalze, sowie Gold- und Silbersalze. Die alka-
lischen Losungen farben sich an der Luft dunkelbraun, die wassrige Losung liefert
mit Eisenoxydsalzen einen griinschwarzen Niederschlag. Mit Kalihydrat geschmolzen
zerfallt es in Phloroglucin und Protocatechusaure. Mit Zink und Schwefelsaure
erhitzt liefert es eine Anfangs hochrothe, dann gelbe Losung, in welcher neben
Phloroglucin Machromin {C\iHl0O^) enthalten ist, das sich durch Ausschiitteln
der Losung mit Aether-Weingeist ausziehen und durch Fallen der wassrigen
Losung des Verdunstungsriickstandes mit Bleizucker, Zersetzen des Niederschlages
mit Schwefelwasserstoff und Verdunsten des Filtrates nach dem Umkrystallisiren
aus heissem wassrigen Weingeist in farblosen Krystallchen erhalten lasst, die
sich unter Einwirkung vou Luft und Licht bald dunkelblau farben ; eine Er-
scheinung, welche auch die heiss bereitete wassrige Losung sowohl an der. Luft
als auch nach Zusatz von Ammoniak oder atzenden Alkalien zeigt (vergl. R.
Wagner, Journ. f. pract. Chem. 51 pag. 82, 52 pag. 449. Delffs, n. Jahrb.
f. Pharm. 14 pag. 166. Hlasiwetz und Pfaundler, Ann. d. Chem. und
Pharm. 127 pag. 357).
Das Gelbholz in Spanen oder gemahlen wird in der Farberei zur Her-
stellung von Farben verwendet, welche den mit Quercitron darstellbaren sehr nahe
kommen. Seine Abkochungen liefern mit Alaun einen hellgelben, mit Zinnchloriir
einen gelben, mit Bleizucker einen orangegelben, mit essigs. Kupfer einen braun-
gelben Niederschlag. Mit Eisenoxydsalzen liefern sie eine braune Farbung und
einen griinlich schwarzen Niederschlag. Die Blei-, Zinn- und Thonerdenieder-
schlage finden als Korperfarben Verwendung. Gil.
Gelbholz tyroler, s. Fustikholz III pag. 663.
Gelbholz ungarisches, Zante-Gelbholz, s. Fustikholz III pag. 663.
Gelbin. — Gelose. 737
Gelbin, s. m. chromsaurer B'aryt, gelbes [Jltramarin, s. Baryt-
gelb; I pag. 299.
Gelbkraut, s. Wau.
Gelbmenakerz, s. Titan it.
Gelbmetall, Miinz's Verkleidungs-Metall, hammerbares Messing, s. Messing,
s. Kupfer.
Gelbschoten chinesische (gousses de Chine — ivongshy), Wongsky (Hoany-
Ischy), d. s. die Friichte von Gardenia grand/flora Lour, einer in Ostindien
einheimiscben Gentianee. Die Schoten sind 2 — 3cm lang, bis lcm dick, ungleich-
massig rothlichgelb gefarbt mid scldiessen in der harten briichigen Schale ein
vertrocknetes Fruchtfleisch ein, in welcbem zahlreiche barte Satnen eingebettet sind.
Sie riechen ausgesprochen safranahnlich, quellen im Wasser bedeutend auf, werden
scbleimig und farben die Fliissigkeit deutlich gelb. Das Fruchtfleisch schmeckt
bitter, die Samen scharf-sttsslich-sauer. Sie kommen vornehmlich von Batavia aus
in den Handel. Die Gelbschoten entbalten neben Pectin, Zucker, Fett und
Aschenbestandtheilen wesentlich einen gelben Farbstoff, dann Rubichlorsaure und
zwei Gerbsauren, die sich mit Eisensalzen griin farben und deren einc der Forrael
Cg,nH3t.Ol7, die andere der Formel C^H^O^ entsprecbend zusammengesetzt sein
soil (vgl. v. Orth, Journ. f. prac. Cbem. 64 pag. 10). Der Farbstoff, welchen
man nach Rochleder und Mayer (Journ. f. pract. Cbem. 74 pag. 1) durch
Extrahiren der Gelbschoten mit kochendem Weingeist, Verjagen des Alkohols und
Entfernung der Gerbsauren aus dem Extracte mittels Thonerdehydrat, Fallen des
Filtrates mit Bleiessig, Zerlegen des Niederschlages mit Schwefelwasserstoff und
Auskochen des Schwefelbleies mit Alkohol in weingeistiger Losung erhalten kann,
die nach dem Abdampfen iiber Schwefelsaure im Vacuum den Farbstoff als ein
lebbaft rubinrothes Pulver hinterlasst, das von Wasser mit rothgelber, von Alkalien
mit gelber Farbe gelbst wird, ist nach Rochleder und Mayer identisch mit Crocin,
dem Farbstoffe des Safrans (s. d.). Die Gelbschoten finden Verwendung zum
Gelbfarben gebeizter Zeuge. Der mit warmeni Wasser bereitete Auszug farbt
Wolle sowohl ungebeizt als auch mit Thonerdesalzen gebeizt schon orange, mit
Kalkwasser gebeizt schon rothlichgelb. Seide farbt sich im wassrigen Auszuge
schon goldgelb, Baumwolle mit Zinnsalz gebeizt, orange. Die Farben sind seifen-
echt, werden aber am Lichte gebleicht. Sauren und Zinnsalz nuanciren sie rothlicb,
Alkalien gelblich (vgl. a. Stein, cbem. pharm. Ceiitralbl. 9 pag. 140). Gtl:
Gelbwurzel, s. Curcuma II pag. 422.
Geleisanlagen, s. Eisenbahn III pag. 62 etc. bei Oberbau.
Geienkbewegung, s. Kinematik.
Gelenkketten, s. Ketten.
Gelenkquarz, s. Itacolumit, vgl. a. Diamant II pag. 617.
Gelese, Fadenkreuz (encroix, enverjure — lease), s. Weberei.
Gelf kupfer, Rob kupfer (cuivre brut — coase copper), s. Kupfer.
GellertS Griin, altere Bezeichnung fur Rin man's Griin, d. i. Kobaltgrun,
Zinkgriin, s. K o b a 1 1, s. Z i n k.
Gelose (Hai'-Thao), Name eines fur Appreturzwecke verwendbaren. der
Gelatine sich ahnlicb verhaltenden Pflanzenstoffs, der aus einer in Cochin china
und auf Mauritius einheimischen Alge gewonnen wird. Kommt in groben, platten
Fasern von etwa 30em Lange in den Handel, welche aus einer harten und zitlien,
farblosen,, durchscheinenden, von einem Netz undurchsicbtiger Aedercben (Falten)
Karmarsch & Heeren, Technisches Worterbuch Bd. III. 47
738 Gelose. — Gentianawurzel.
durchzogenen Masse bestehen, die gesclimacklos nnd geruchlos ist, in kaltem
Wasser stark aufquillt, in Wasser von 75° C. theilweise, vollstandig in kochendem
Wasser bei la'ngerer Einwirkung (etwa 10 Minuten) loslich ist. Die Losung stellt
eine dunne. schmutzig-weisse, nicht klebrige Fliissigkeit dar, die nach dem Ab-
kiihlen zu einer Gallerte erstarrt, welche keine Neigung zur Faulniss oder Gahrung
zeigt. Eignet sich insbesondere zur Appretur feiner Gewebe, welchen man einen
geschmeidigen, dabei aber kornigen Griff ertheilen will, nicht aber zur Erzielung
eines steifen, schweren Apprets, s. J. J. Heilmann Bull. d. 1. soc. industr. d.
Rouen 1875 pag. 263, auch Dingl. pol. Journ. 218 pag. 522. Gtl.
Gemiiseconserven, s. b. Faulniss, III pag. 353 und 354.
Genadelte Arbeit, s. Stickerei.
Genauigkeit (exactitude — accuracy). Als Mass der Genauigkeit
einer Messungs operation betrachtet man den bei einer Messung zu fiirch-
tenden mittleren oder wahrscheinliclien Fehler, und zwar ist die Genauigkeit diesem
Feliler umgekehrt proportional. Ebenso versteht man unter der Genauigkeit
eines Instrumentes den mittleren oder wahrscheinliclien Fehler, den man bei
einer Messung mit demselben zu befurchten hat. Zum Zwecke leichter und
rascher Vergleichung rechnet man die relative Genauigkeit entweder als
auf den Zahler 1 reducirtes Verhaltniss des mittleren (oder wahrsch.) Fehlers zur
gemessenen Grosse, oder als mittleren auf die Einheit (z. B. bei Langenmessungen)
entfallenden Fehler, oder man driickt den Fehler in Procenten der gemessenen
Grosse aus. Cz.
Generator, s. Gas feue rung III pag. 692.
Generator, Gaserzeuger, s. b. Leuchtgas, s. Gasfeuerung.
Generatorgas, s. Gasfeuerung, s. a. Brennstoffe II pag. 32.
Genever (genievre — gin), Wachholder-Branntwein (Steinhager) ist ein
namentlich in Holland (Schiedam) bereiteter, aus Gerste oder Roggen unter Zu-
satz von Wachholderbeeren zur Maische erzeugter Branntwein, der auch wohl
durch Rectificiren gewohnlichen Branntweines iiber Wachholderbeeren und etwas
Hopfen dargestellt wird, seine Eigenthiimlichkeit aber wesentlich dem Umstande
verdankt, dass die Maischen mit verhaltnissmaesig wenig Wasser und wenig Hefe
vergohren werden. Er wird nicht selten auch dadurch imitirt, dass man gewohn-
lichen Branntwein mit Wachholderol parfumirt. Soldier Branntwein trtibt sich rait
Wasser, was Genever nicht thut. Vgl. Branntweinbrennerei. Gtl.
Genipkraut, Alpenwermuth, das Kraut mehrerer alpiner Artemisia Arten,
namentlich A. Mutellina VilL, A. glacialis L., A. spicata Wulf., ist sehr aro-
matisch, dem gewohnlichen Wermuthkraut ahnlich riechend, aber weniger bitter
schraeckend als dieses, wesshalb es mit Vorliebe zur Bereitung des Absynth-
Liqueurs [extrait d'absynihe) verweudet wird. Gtl.
Gentele's Griin, ein durch Fallung einer Kupfervitriollosung mit Zinnoxyd-
Natron darstellbares Griin, das wesentlich aus Zinnoxyd-Kupferoxyd (zinnsaures
Kupferoxyd) besteht. Gtl.
Gentiana-Violet. Xame eines von Topke und Leidloff in den Handel
gebrachten ^Anilinviolets das, billiger als Methyl violett, sich in kochend heissem
Wasser leicht lost und ebenso brillante Nuancen gibt wie Methylviolett, vergl.
Pharm. Centralhalle v. Hager, 16 pag. 157, s. a. Theerfarben. Gtl.
Gentianawurzel (racine de gentiane — gentian root), Enzian wurz el,
heissen die hauptsachlich zu Tincturen und Extracten verwendeten Wurzeln meh-
rerer Gentianaarten, so der G. lutea, G. purpurea, G. punctata und G. pan-
Gentianawurzel. — Geodasie. 739
nonica, unter denen jene der G. lutea am langsten und starksten sirid. Die
Wurzeln sind je nach ihrer Abstammung aussen rothbraun bis rothgelb, innen
braungelb bis gelblich-weiss gefarbt, und zeichrien sicli durch ihren intensiv bitteren
Geschmack und slisslichen Geruch aus. Die mitunter im Handel vorkommeude
Wurzel der G. asclepiadea zeichnet sicli durch grossere Verholzung aus, die
vollkommen verholzten Wurzelstlicke dieser Species sind ganz wertlilos.
Die Enzianwurzel ist reich an Zucker, so dass sie in den Alpen und Jura-
gegenden zu Branntwein vergohren wird.
Der wichtigste Bestandtbeil derselben ist das Gentiopi kri n, ein von
Kromayer (Arch. Pharm. (2)110,27) isolirtes Glucocid, das gewohnlich zu den
Bitterstoffen gerechnet wird. Es hat die Formel C^ff^O, 2, krystallisirt in farb-
losen, zu Kornern oder strahlig gruppirten farblosen Nadeln, welche leicht in
Wasser und wassrigem, schwer in absolutem Weingeist, nicht in Aether loslich
sind. Es schmeckt rein bitter. Mit verdtinnten Sauren gekoclit spaltet es sich
in gahrungsfahigen Zucker und in amorphes Gentiogenin CliHl606. Frische
Wurzeln der G. lutea geben eine Ausbeute von nicht ganz 0.2 Proc, trockene
liefern fast gar nichts. Das gleichzeitig in der Enzianwurzel in hochst geringer
Menge vorkommende Gentisin, auch Gentianin, Gentiansaure genannt, bildet
gelbe, lange, geschmacklose Nadeln, besitzt die Formel Ci4Hu)0:i und spaltet sich
nach HI a si we tz und Habermaiin (Wien, Acad. Ber. 70, 211) in Essigsaure,
Phloroglucin und G entisin s aure, die wahrscheinlich mit der Oxysalicylsaure
identisch, in hoherer Temperatur unter Kohlensaureabspaltung Plydrochinon liefert.
Skraup.
Gentianin, Gentiansaure, s. Gentianawurzel.
Gentiogenin, Gentiopikrin, s. Gentianawurzel.
Gentisin, Gentisinsaure, s. Gentianawurzel.
Geocerain, Name eines wachsartigen Korpers der sich zugleich mit dem eben-
falls wachsahnlichen Geomyricin und der G e o c e r a T n s a u r e durch Behandeln
mit kochend heissem Alkohol aus sachsischen Steinkohlen extrahiren liisst. Aus
dem alkohol. Auszuge scheidet sich beim Erkalten das Gemenge der drei Korper
als eine Gallerte ab, die abgepresst und geschmolzen einen dem Bienenwachse
sehr ahnlichen Korper darstellt, Schmilzt bei 82° C., ist brennbar. Das GeoceraTn
entspricht der Formel C„3H^60„, demselben isomer ist die Geocerai'nsaure, wahrend
das Geomyricin der Formel C3iH6sO,i entspricht. Gtl.
Geodasie {geodesie —
oder praktische Geometrie genannt, hat die Messung kleinerer oder grosserer
Theile der Erdoberflache und in letzter Linie die Messung der Erde selbst zum
Gegenstande.
Durch die bei den Messungen verwendeten Instrumente einerseits und die
Rechnungsmethoden anderseits, tritt die Geodasie mit der Physik, beziehungsweise
Mathematik in enge Beziehung, und es haben die genannten Disciplinen in ihrer
Wechselwirkung einander wesentlich gefordert. Namentlich war es die reine
Geometrie, welche in den einfachsten Aufgaben der Geodasie> die Feldmessung be-
treffend, ihren Ursprung nahm. Die hoheren Gebiete der Geodasie treten auch
mit der Astronomie in enge Beriihrung.
Die iibliche altere Eintheilung unserer Wissenschaft ist die in die niedere
und h oh ere Geodasie. Erstere beschaftigt sich mit solchen Aufnahmen, bei
denen von der Kriimmung der Erdoberflache abgesehen werden kann ; bei den
Arbeiten der letzteren dagegen muss die Erdkriimmung in Rechnung gezogen
werden. Diese Eintheilung entspricht mehr dem praktischen Standpunkte. wahrend
vom wissenschaftlichen Standpunkte eine ebene, spharische, spharoidi-
sche und geoidische Geodasie zu unterscheiden ware. In der e ben en G.
wird dem Vermessungsgebiete mit Riicksicht auf seine geringe Ausdehnung eine
47*
740 Geodasie.
Ebene substituirt; in der spharischen G. denkt man sich im Vermessungs-
gebiete an die Erdoberflaehe eine ihrer Kriimmung moglichst angepasste berlihrende
Kugelflache gelegt; die sparoidische G. betraclitet die Erdoberflaehe als Ro-
tationsellipsoid (Spharoid); die geoidische G. endlich fiihrt Messungen zur
Bestimmung der Dimensionen dieses Spharoids und der Abweiehungen der that-
sachlichen Erdoberflaehe von dieser idealen Flache aus, hat also die Feststellung
des sogenannten G e o i d's zur Aufgabe ; derlei Arbeiten fasst man unter dem
Namen „Gradmessungen" znsammen und hat in ihnen die hoehste Aufgabe
der Geodasie zu erblicken.
Bei den geodatisehen Messungen handelt es sich entweder urn die Aus2
dehnung einzelner Theile der Erdoberflaehe in Richtung des Horizonts oder in
verticalem Sinne und man unterseheidet darnach Horizontal- und Vertical-
oder Hohenmessungen. Bei alien kommt es der Hauptsache nach auf
Lang en- und Wink el messungen an.
Nach dem Zwecke der Arbeit richtet sich die erforderliche Genauigkeit und
nach dieser wieder das zu wahlende Instrument und Messverfahren. Es ist daher
fur den Geometer von wesentlicher Bedeutung, den mit jedem Instrument erreich-
baren Grad der Genauigkeit zu kennen,, sowie auch iiber die Fehlergrenzen der
erlangten Resultate im Klaren zu sein. Die Theorie der Beobachtungs-
fehler und ihrer Ausgleichung bildet sonach eine der Grundlagen der prak-
tischen Geometric. Viele der neueren Werke iiber Geodasie widmen diesem
Gegenstande die gebiihrende Aufmerksamkeit, so Hartner's Lehrbuch, Bauernfeind's
Elemente u. A., vor alien aber Jordan's Tasehenbuch und Handbuch der Ver-
messungskunde ; ausserdem sind als Specialwerke zu nennen :
Chr. A. Gerling, die Ausgleichungsrechnungen der praktischen Geometrie,
Hamburg und Gotha 1843. Dr. A. Sawitsch, die Anwendung der Wahrschein-
lichkeitstheorie auf die Berechnung der Beobachtungen und geodatisehen Messungen;
deutsch v. C. G. Lais, Mitau und Leipzig 1863. F. R. Helmert, die Aus-
gleichnngsreehnung nach der Methode der kleinsten Quadrate mit Anwendungen
auf die Geodasie und die Theorie der Messinstrumente. Leipzig, 1872.
Betrachtet man die Geodasie als Gegenstand des Studiums, so hat man drei
Stufen des Lehrganges zu unterscheiden. 1. Die Theorie der Messinstrumente,
ihre Handhabung, Priifung und Berichtigung ; die genaue Kenntniss der Instrumente
ist erste Bedingung einer erfolgreichen Arbeit. 2. Die eigentlichen Messoperationen.
3. Die Rechnungsmethoden, durch welche aus' den unmittelbaren Ergebnissen der
Messung die angestrebten Resultate abgeleitet werden. An Stelle der Rechnungs-
methoden oder auch zu denselben treten hanfig Constructionsmethoden, welche die
bildliche Darstellung der aufgenommenen Objecte bezwecken ; ubrigens geht letztere
zuweilen mit dem Messverfahren Hand in Hand (Messtischaufnahmen).
Die spater anzufiihrenden Werke tiber Geodasie behandeln in der Regel alle
erwahnten Stufen mehr weniger gleichmassig. Doch mogen als Specialwerke iiber
die Messinstrnmente genannt werden :
Dr. E. F. Schneitler, die Instrumente und Werkzeuge der hoheren und
niederen Messkunde etc. Leipzig 1848 (2. Aufl. 1852). K. Engelbreit, In-
strumente der niederen und hoheren Geodasie und der Hydrographie. Niirnberg
1852. Dr. G. Chr. K. Hun aus, die geometrischen Instrumente der gesammten
praktischen Geometrie, deren Theorie, Beh.hreibung und Gebrauch. Hannover,
1864. (Niiheres s. Messinstrumente.)
I. Die niedere Geodasie beschaftigt sich mit Aufnahmen, welche vor-
zngsweise fiir die Zwecke der Technik, der Land- und Forstwirthschaft, des
Oatasters u. dgl. bestimmt sind. Man konnte auch die Markscheidekunst hieher
zahlen, welche sich mit der Vermessung von Grubenraumen mit den mit denselben
zusammenhangeiulen Taggegenden (Abziehen) und mit der bildlichen Darstellung
des Aufgenommenen ^Zulegen) befasst; doch wird diese, wegen ihrer Beschrankung
auf ein einziges praktisches Gebiet, gewbhnlich als selbststandige Disciplin be-
handelt.
Geodasie. 741
Allgemeine Liferatnr: J. Lemoch, Lehrbuch der praktischen Geometrie
Wien, 1849. 2 Bde., 2. Aufl. 1857. Fr. Hartner, Handbuch der niederen
Geodasie. Wien, I. Aufl. 1852, II. 1856, III. 1864, IV. 1872, V. von Prof. J.
Wastler bearbeitet, 1876. C. M. Bauern fei nd, Elemente der Vermessungs-
kunde. I. Aufl. 1856—58, II. 1862, III. 1869, IV. 1873, V. 1876. Fr. Baur,
Lehrbuch der niederen Geodasie. Wien, 1858. J. Reb stein, Lehrbuch der
praktischen Geometrie, mit besonderer Berucksichtigung der Theodolithmessungea.
Frauenfeld, 1868. W. Jordan, Taschenbuch der praktischen Geometrie. Stuttgart,
1873. K. J. Schmarda, Lehrbuch der praktischen Messkunst, Wien, 1874.
Dr. W. Jordan, Handbuch der Vermessungskunde. 2 Bde. Stuttgart, 1877 — 78
u. s. w. A. Li eb en am, Lehrbuch der Markscheidekunst und praktischen Geo-
metrie, Leipzig, 1876. B o r ch e rs, Die praktische Markscheidekunst. Hannover, 1870.
Die bildliche Darstellung der aufgenommenen Theile der Erdoberflache und
der mit ihr verbundenen Gegenstande, die Verkleinerung, Vergrosserung und Ver-
vielfaltigung von Planen sincl Gegenstand des Situationszeic linens. J. G.
Lehmann, Das Situationszeichnen. Dresden 1843. Scheda, Situationszeichen-
schliissel. Wien 1854. Muszynski und Prihoda, Terrainlehre in Verbindung
mit der Darstellung, Beurtheilung und Beschreibung des Terrains. Wien 1872.
J. Zaffauk, Populare Anleitung fiir die graphische Darstellung des Terrains in
Planen und Karlen, Wien 1875. V. R. v. Streffleur, Allgemeine Terrainlehre.
Wien 1876. (Herausgeg. von GM. A. Neuber.)
Die Zeitverhaltnisse brachten es mit sich, dass in den letzten Decennien
namentlich die fur das Ingenieurwesen wichtigen Partien des Vermessungswesens
eifrige Pflege fanden und zahlreiche literarische Producte zu Tage fbrderten. Dies
betrifft insbesondere das Nivelliren, namentlich das barometrische (a), das Abstecken
von Linien (b) und die Tachymetrie (Schnellmessverfahren) (c).
Ad a) C. M. Bauernfeind, Beobachtungen und Untersuchungen iiber die
Genauigkeit barometrischer Hbhenmessungen. Miinchen 1862. A. Elschnig,
Kurzgefasste Anleitung zu barometrischen Nivellirungen mit Quecksilber- und
Metallbarometern. Salzburg 1869. Riihlmann, Die barometrischen Hohenmes-
sungen. Leipzig 1870. E. Herzog, Prakt. Anleitung zum Hohenmessen mittelst
Dosenbarometer. Pest 1870. H. Schoder, Hilfstafeln zu barometrischen Hohen-
bestimmungen nebst einer Anleitung zur Untersuchung und zum Gebrauche der
Aneroidbarometer. Stuttgart 1872. J. Holtschl, Die Aneroide von Naudet und
Goldschmid, 1872 n. s. w.
Ad b) W. Heyne, Das Traciren von Eisenbahnen in vier Beispieleu und
einem Anhange. Wien 1865. F. R. Helm ert, Die Uebergangscurven fiir Bahngeleise.
Aachen 1872. K. K n o 1 1, Taschenbuch zum Abstecken der Curven an Eisenbahnen und
Strassen. Stuttgart 1873. L. Winckel, Handbuch zum Abstecken von Curven.
Berliu, 1873. Absteckung des Mont-Cenis- und des Gotthard-Tunnels. Koppe,
Pestalozzi, Zeitschr. f. Vermessungsw. 1875 — 76. Die Eisenbahn, 1877 u.s. w.
Ad c) C. Werner, Die Tacheometrie und deren Anwendung bei Trace-
studien. Wien 1873. R. Jahns, Der Vielmesser. ein neues Feldmessinstrument.
Deutsche Bauzeitung 1875. F. Kreuter, Das neue Tacheometer. Briinn 1876.
Dr. W. Tinter, Das Tachygraphometer von Wagner, Zeitschr. d. cist. A.- und
I.-V. 1876. J. Szcepaniak, Universal -Nivellir- Instrument als Tacheometer.
Wien 1878 u. s. w.
In neuerer Zeit sind Nivellements mit sehr genauen Instrumenten und unter
Anwendung besonderer Vorkehrungen zur Ausfiihrung gekommen. Es sind dies
die sogenannten Pracision sniv ellements, welch e namentlich fiir die Zweeke
der Europaischen Gradmessung in sehr grosser Ausdehnung vorgenommen werden.
Sie haben sich fiir verlasslicher und genauer erwiesen als die friiher bevorzugten
trigonometrischen Hohenmessungen.
Hirsch & PI an tarn our, Nivellement de precision de la Suisse. Genf
und Basel 1867 — 74. C. M. Bauernfeind, Das baierische Pracisionsuivellement.
742 Geodasie. — Geokronit.
1870—72. Dr. Chr. A. Vogler, Ueber Ziele und Hilfsmittel geometriseher Pra-
cisionsnivellements. Mtincben 1873 u. s. w.
II. Die hob ere Geodasie besehaftigt sich mit jenen Operationen und
Rechnungen, welcbe bei Vermessung grosserer Theile der Erdoberflache zur An-
wendung kommen und in letzter Linie zur Kenntniss der Grosse der Erde und
ihrer wahren Form fiihren; wenn letzterer Zweck zu Grunde liegt, so spricbt man
von einer G r a d m e s s u n g. (Piir die gescbicbtlicbe Entwickelung der Grad-
messungen sehe man: J. J. Baeyer, Ueber die Figur und Grosse der Erde.
Berlin 1861; diese Schrift hat insoferne eine hervorragende Bedeutnng, als durch
sie die jetzt im Zuge befindlicbe Europaische Gradmessung angeregt wurde.)
L i t e r a t u r. B e s s e 1 und Baeyer, Gradmessung in Ostpreussen und
ihre Verbindung mit russischen Dreiecksketten. Berlin 1838. Gauss, Untersuchungen
iiber Gegenstande der hoheren Geodasie. Gottingen 1844 — 47. Ph. Fischer,
Lebrbucb der hoheren Geodasie. Darmstadt 1845 — 46, 2 Bde. J.J. Baeyer, Das
Messen auf der spharoidischen Erdoberflache. Berlin 1862. Hansen, Geodatische
Untersuchungen. Leipzig 1865. Bremiker, Studien iiber hohere Geodasie. Berlin
1869. Dr. W. Jordan, Handbuch der Vermessungskunde. Stuttgart 1877—78.
(Dieses Werk gibt eine vollstandige Darstellung des gegenwartigen Standes des
gesammten Vermessungswesens) u. s. w.
Die wissenschaftlichen Grundsatze fur die bildliche Darstellung grosserer
Theile oder der ganzen gekriimmten Erdoberflache in einer Ebene bilden
den Gegenstand der Kartenprojection oder Chorographie.
C. F. Gauss, Allgemeine Auflosung der Aufgabe; die Theile einer gege-
benen Flache so abzubilden, dass die Abbildung dem Abgebildeten in den kleinsten
Tbeilen ahnlich wird. Schumacher's Astron. Abhandl. 1825. Witt stein, iiber
conforme Kartenprojection, Astr. Nachr. 1868. Gretschel, Lehrbuch der Karten-
projection. Weimar 1873 u. s. w.
In Betreff der periodischen Literatur fiir Geodasie ist besonders die seit
1872 (Stuttgart) erscheinende „Zeitsehrift fiir Vermessungswesen, im Auftrage und
als Organ des Deutschen Geometervereins herausgegeben von Dr. W. Jordan",
zu nennen, welcbe Abhandlungen aus alien Gebieten des Vermessungswesens
bringt. Zahlreiche Abhandlungen geodatischen Inhaltes enthalten ferner die seit
1823 erscheinenden „Astronomischen Nachrichten", die „Zeitschrift fiir Mathematik
und Physik", Grunert's Archiv, die zahlreichen technischen Zeitschriften u. s. w.
Seit 1864 erscheinen alljahrlich „Generalberichte der Europaischen Gradmessung"
(Berlin).
Auch ein speciell den Geodaten gewidmeter Kalender (anfangs „Deutscher
Geometer-Kalender," seit seinem 3. Jahrgange „ Kalender fiir Vermessungskunde"
betitelt) wird seit 1874 durch W. Jordan herausgegeben; derselbe brachte in
einigen Jahrgangcn dankenswerthe Zusammenstelhmgen der einschlagigen Literatur.
Czuber.
Geoghegan's Salz ist Quecksilberjodid-Cyankalium HgJ„ -\- aKCy.
Geoid. Denkt man sieh die gesammte Oberflache des Meeres im volligen
Gleichgewichte und erweitert selbe unter den Continenten durch unter einander
und mit dem freien Meere eommunicirende Canal e, so heisst diese dem hydro-
statisehen Gesetze der rubenden Fliissigkeit entsprechende Flache, welcbe das
Loth uberall rechtwinklig durehschneidet, das Geoid. Dasselbe bildet den Gegen-
satz zur idealen Form der Erdoberflache, dem Rotationsellipsoid. (Vgl. Geodasie.)
Cz.
Geokronit, Min., meist derb, dicht mit undeutlich streifiger Structur, selten
rhomb. Krystalle, Harte 2 — 3, spec. Gew. 6.45—6.54, licht bleigrau, schwarz
angelaufen. Ist wesentlieh Schwefelblei - Sehwefelantimon bPbS -\- Sb9Ss mit
65 Blei, 1.6 Kupfer, 16 Antimon, 16.9 Schwefel. Vorkommen Sala in Schweden,
Geokronit. — Geometric 743
Merodo in Spanien, Pietro santo in Toskana. Die Varietaten von Sala und Pietro
santo enthalten auch Schwefelarsen. Gil.
Geometrie (geometrie — geometry). Die Geometric beschaftigt sich mit
den Raumgebilden und betrachtet dieselben nach ihrer Entstehung, organischen
Beschaffenheit und Verwandtschaft. Ihren Anfang nahm sie in den durch das
praktische Bediirfniss gebotenen Aufgaben der Feldmessung, ihre Elemente wurden
zum ersten Male durch Euklid zu einem wissenschaftlichen System geordnet.
1. Die Elemente der alteren Geometric, welche die Grundlage jedes
geometrischen Studiums bilden, sind in einer grossen Reihe von Werken behandelt,
die besonders anzufiihren wir fiir iiberfliissig erachten.
2. Die Trigonometric (und Polygonometrie), welche sich mit der fiir
die Praxis wichtigen Auflbsung von Dreiecken (und Polygonen) in der Ebene, auf
der Kugelflache und dem Spharoid (ebene, spharische und spliaroidische Trigon.)
befasst, iibertragt ihre Aufgabe durch Einfuhrung der sogenannten Winkelfunctionen
auf das Gebiet der Arithmetik.
J. A. Grunert, Elemente der ebenen, spharischen und spharoidischen
Geometrie. Leipzig 1837. J. Dienger, Hanclbuch der ebenen und spharischen
Trigonometrie mit Anwendungen. Stuttgart 1855. W. Brennecke, Trigono-
metric fiir das Bediirfniss hoherer Lehranstalten. Berlin 1856 u. s. w.
3. Die analytische Geometric, durch Descartes im XVII. Jahrhundert
begriindet, unterwirft die geometrischen Gebilde durch Einfuhrung der sogenannten
Coordinaten und Hinzuziehung des Begritfes stetig veranderlicher Grossen einer
algebraischen Behandlung; die auf diesem Wege erzielten Resultate werden wieder
auf geometrisches Gebiet iibertragen. Je nachdem man es nur mit ebenen oder
mit Gebilden dreifacher Dimension zu thun hat, unterscheidet man eine analytische
Geometrie der Ebene und des Raumes.
J. Pliicker, System der analytischen Geometrie auf neue Betraehtungs-
weisen gegriindet. Berlin 1835. 0. Fort und 0. Sch lb milch, Lehrbuch der
analytischen Geometrie. 2 Bde. Leipzig, I. Aufl. 1855, II. 1863. L. 0. Hesse,
Vorlesungen aus der analytischen Geometrie der geraden Linie, des Punktes und
des Kreises in der Ebene. Leipzig 1865. G. Salmon, Kegelschnittslinien.
Deutsch von Dr. W. Fiedler. Leipzig 1860. J. Pliicker, System der Geometrie
des Raumes in neuer anahytischer Behandluogsweise. Diisseldorf 1846. L. 0.
Hesse, Vorlesungen iiber die analytische Geometrie des Raumes. Stuttgart,
I. Aufl. 1861,-11. Aufl. bes. v. Gundelfinger. 0. Bbklen, Analytische Geometrie
des Raumes. Stuttgart 1861. G. Salmon, Grundriss der analytischen Geometrie
des Raumes. Deutsch von Dr. W. Fiedler. Leipzig 1863 u. s. w.
4. Die darstellende oder beschreibende Geometrie (geometrie de-
scriptive) eigentlich erst durch Monge's im Jahre 1794 erschienenes TVerk
„Lecons de geometrie descriptive" begriindet, lehrt die Darstellung raumlicher
Gebilde in der Ebene, wozu sie sich der sogenannten Projectionsmethoden bedient,
und die Ableitung der aus der Gestalt und Lage der Raumgebilde entspringenden
geometrischen Beziehungen aus diesen Darstellungen. — Fiir die Teclmik hat die
darstellende Geometrie als Theorie des constructiven Zeichnens Iiervorragende
Bedeutung; vom wissenschaftlichen Standpunkte bedeutet sie einen wesentlichen
Fortscliritt in der Entwickelung der Geometrie und bildet ein Seitenstiick des
analytischen Verfahrens.
J. de la Gournerie, Traite des geometrie descriptive. Paris 1860 — 64.
C. F. A. Leroy, Traite des geometrie descriptive. Deutsch von Kauffmann.
I. Aufl. 1838, II. 1853, III. 1873. K. Pohlke, Darstellende Geometric Berlin.
1860, II. Aufl. 1866. J. Schlesinger, Die darstellende Geometrie im Sinne
der neueren Geometrie. Wien 1870. Dr. W. Fiedler, Die darstellende Geometrie
in organischer Verbindung mit der neueren Geometrie. Leipzig, 1871, II. Aufl.
1875 u. s. w.
744 Geometrie. — Geraderichten.
5. Die nenere Geometrie, aueh wohl projectivische, synthetische, con-
structive Geometrie oder Geometrie der Lage genannt, ist erne der neuesten
mathematischen Disciplinen and hat seit ihrer durch Poncelet's „Traite des
proprietes projectives des figures" (Paris 1822, II. Aufl. 1865—66) erfolgten Be-
griindung einen sehr bedeutenden Aufschwung erfahren. Ihr Ursprung ist in der
ihr immittelbar vorangegangenen darstellenden Geometrie zu suchen. Die Be-
zeichnung ., projectivische Geom." hat ihren Grand darin, dass sich diese Disciplin
mit solchen Eigenschaften der Raumgebilde befasst-, die bei der Projection erhalten
bleiben; die Bezeichnung „ synthetische Geom." ist so anfzufassen, dass im Gegen-
satze zur rechnenden analytischen die neuere Geometrie ihre Gebilde constrairt
oder entstehen lasst. „ Geometrie der Lage" wird sie wegen der vorherrschenden
Rficksichtnahme auf die Lagenverhaltnisse, den Grossenverhaltnissen gegentiber,
genannt.
Ueber die historische Entwickelung der neueren Geometrie lese man die
vortreffliche Einleitung zu H. Hank el's „Die Elemente der projectivischen Geo-
metrie in synthetischer Behandlung" (Leipzig 1875).
A. F. Mob ius, Der barycentrische Calcul. Leipzig 1827. J. Pliicker,
Analytisch-geometrische Untersuchungen. Essen 1828—31. J. Stein er, Syste-
matische Entwickelung der Abhangigkeit geometrischer Gestalten von einander.
Berlin 1832. K. G. Chr. v. Staudt, Geometrie der Lage. Niirnberg 1847.
Th. Reye, Die Geometrie der Lage. Hannover 1866—68. J. Stein er's Vor-
lesungen liber synthetische Geometrie. Herausgegeben von K. F. Geiser und
H. E. Schroter. Leipzig, 1866— 1867, II. 1875—76. H. Gretschel, Lehr-
buch zur Einftihraug in die organische Geometrie. Leipzig 1868 u. s. w.
6. In neuester Zeit wurde die Geometrie in umfassender Weise zur Aus-
fiihrung algebraischer Operationen und fur Zwecke der Mechanik (s. d.) hier im
Gegensatze zu der im XVIII. jahrhundcrte auf diesem Gebiete beliebten rein
analytischen Richtung — verwendet; so entstanden die unter den Namen „gra-
phisches Rec linen" (Arithmographie) und „graphische Statik" (Grapho-
statik) und „Dynamik" bekannten Disciplinen.
H. Eggers, Grundziige einer graphischen Arithmetik. Schaffhausen 1865.
K. Culmann, Die graphische Statik. Zurich 1866. K. v. Ott, Grundziige des
graphischen Reclmens und der grapliischen Statik. Prag 1871 ; IV. A. 1878. L.
Cremona, Der graphische Calcul. Deutsch von M. Curtze. Leipzig u. s. w.
7. Praktische Geometrie, s. Geodasie. Czuber.
Geomyricin s. Geocerain.
Georgine. nennt Max Singer in Tournai ein aus den Riickstanden der
Fuchsinfabrikation dargestelltes Gelb, das sicli auf Seide und Wolle ohne Beize,
auf Baumwolle mit Anwendung einer Thonerdebeize oder einer Sumachpassage
auffarben lasst und die Farbennuancen von Curcuma, Gelbholz oder Pikrinsaure
zu erzielen gestattet (vgl. Max Singer, Deutsch. Industrie-Ztg. 1872 pag. 478,
vgl. a. K o p p, Wiener Ausstellungsber. fiber Gruppe III, Baader's Verlag, Schaff-
hausen pag. 138 und 144), s. Th e er far b en. Gtl.
Georginenol. das ather. Oel aus den Knollen der Georginen (Dahlia va-
riabilis), kann durch Destination derselben rait Wasser gewonnen werden, hat
einen starken, eigenthfimlicken Geruch, sfisslichen Geschmack, ist schwerer als
Wasser, butterartig, krystallinisch (vgl. Pay en, Journ. Pharm. (2), 9 pag. 384
und 10 pag. 239). Gtl.
Geprage (coinage — stamp, coinage), s. Miinzen.
Geradeisen. ein Reifmesser mit gerader Schneide (draving knife).
Geraderichten [dressage, redressage — straightening), geschieht bei Stangen
and Blech liaufig mit dem Hammer im kalten Zustande, falls die Biegungen nicht
Geraderichten. — Geraniumol. 745
zu bedeutende sind (vgl. Schmieden). Urn Draht gerade zu richten, bedient
man sicli der sog. Draht-Dressur, eines aus 5 Rollen bestehenden Werkzeug.s.
Fig. 1747. Die drei Rollen rl i\ r3 sind in einer geraden Linie auf fixen
Achsen aufgesteckt, die beiden anderen Rollen r4 r:% sind gegen die ersten stellbar,
also senkrecht anf die Durclizugsrichtung zu verstellen, je nachdem die Drahtdicke
dies erfordert. Sammtliche Rollen sind am Umfange eingedreht. Sole-he Draht
dressuren stehen in Verwendung bei den Drahtstiften-Maschinen, den Kratzen-
und Drahtspiralwinde-Maschinen u. dgl.
Fig. 1747. Fig. 1748.
ol (2
o o o
Das Geraderichten der Drahte fur die Nahnadelfabrikation findet in der Weise
statt, class eine grosse Zahl der auf die Doppellange der Nadeln geschnittenen
Drahte zwischen zwei eisernen Ringen-r so eingelegt wird, wie es die Fig. 1748 zeigt.
Man macht das Ganze dunkelroth gliihend und rollt den Pack, indem man mit
den Schenkeln einer eisernen Gabel bei a a niederdriickt, auf einem Eisentiseho.
bin und her. Hierauf schiebt man die Ringe etwas weiter auseinander und legt
bei b eine Flachschiene auf, mit welcher man den Pack wieder rollt. Hierdurch
werden ein paar hundert Stifte in 2 — 3 Minuten genau gerade. Vergl. Artikel
Drehen II 681 u. Art. Walzen (Geraderichtwalzen). Kk. ■
Geradfiihrungen, s. Kin em at ik.
Geradhang Wlaschine (machine a planter — pitching tool), eine Uhr-
macherei-Maschine.
Geraniol, s. Geraniumol.
Geraniumol (huile de geranium — geranium oil). Unter diesem Namen
kommen mehrere von Andopogron und Pelargoniumarten stammende atherische
Oele in den Handel, welche wegen ihres rosenahnlichen Geruches vielfach als
billigeres Surrogat ftir Rosenol, sowie auch zur Verfalschnng desselben verwendet
werden.
Das echte Geranium- oder Rosenblattgeraniumol, auch franzosi-
sches Geranium- oder Palmae-Rosae-Oel stammt von Pelargonium Badula, aus
dessen Blattern und Bliithen es durch Destination mit Wasser gewonnen wird.
Es ist farblos, mitunter audi griinlich oder gelblich, selbst braunlich gefarbt und
ist namentlich das letztere das am meisten geschatzte. Es siedet bei 216 bis
220° C. und erstarrt bei 16° C. Sein Geruch ist angenehm, dem Rosenol almlieh.
Es polarisirt rechts. Dieses sowie das als algierisches Geraniumol be-
zeichnete, aus den Blattern und Bliithen von Pelargonium roseum Willd. und
P. odoratissiimim, ursprlinglich ira Oriente einheimischen, gegenwartig aber mehr-
fach auch in Frankreich u. a. a. 0. cultivirten Pflanzen, gewonnene Oel, welches
dem franzosischen sehr ahnlich ist, aber links polarisirt, werden besonders haufig
zur Verfalschnng des Rosenols verwendet, selbst aber auch mit dem Oele von
Andropogon-Arten (Grasol) verfalscht, vgl. Citronellaol II pag. 364.
Das tiirkische Geraniumol (rose — roshe oil, oil of rosegeranium.
ginger ■grassoil) ist das ather. Oel von Andropogon Pachnodes Iv'in., einer in Ost-
indien, Persien und Arabien einheimischen Graminee, ist gelblich duunniissig, von
746 Geraniumol. — Gerbematerialien.
angenehm gewiirzhaftem Geruche, nicht leicht erstarrend und kommt vorziiglich
iiber Smyrna und Bombay in den Handel. Es wird angeblich in Mekka ge-
wonnen.
Das Palmae-Rosae-Oel enthalt Pelargonsaure C9i?l804, eine farblose
olige Fliissigkeit, die bei niederer Temperatur erstarrt, bei 10° C. schmilzt, bei
260° siedet. 1st eine Saure aus der Reibe der Fettsauren. Von weiteren Be-
standtheilen des Geraniumols sind zu nennen das Geraniol, das dem Borneo!
(s. d.) isomer C10HxsO ist und eine farblose, angenehm rosenartig riechende,
bei 232° C. siedende Fliissigkeit darstellt, die beim Erhitzen mit Zinkchlorid
Geranien Cl0Hie als farblose, nach Mohren riechende Fliissigkeit liefert, welche
bei 163° C. siedet. Gtl
Geranosin nannte Th. L nth ringer einen ponceaurothen Farbstoff, der
durch Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd oder von Baryumsuperoxyd und
Schwefelsaure auf schwefelsaures Rosanilin erhalten werden kann, s. Monit. scient.
1868 pag. 39, auch d. Industrie-Ztg. 1868 pag. 75, vgl. a. The erfarb en.
Gtl.
Gerbematerialien (tannins — tanning-materials). An Gerbstoff reiche,
hauptsacblich in der Gerberei, zum Theil aber auch zu anderen technischen
Zwecken, wie namentlich in der Farberei verweudete Rohproducte vegetabilisehen
Ursprungs. Die Zahl der Gewachse, welche in dieser Art beniitzte Stoffe liefern,
ist eine betrachtliche und dieselbe nimmt naturlich mit den sich erweiternden
Kenntnissen Jahr fiir Jahr zu.
Gerbstoffe treten, und zwar in der lebenden Pflauze hauptsacblich als fliis-
siger Zellinhalt, in ober- und unterirdischen Theilen der meisten hoheren Pflanzen
auf. Sie konnen in den verschiedenartigsten Geweben vorkommen: in der Ober-
haut, im Kork, im Parenchym und Prosenchym ; am reichlichsten linden sie sich
im Parenchym der Rinde dicotyler PHanzen, wie deun iiberhaupt das Parenchym
ihre vorziiglichste Ablagerungsstatte ist. Bald sind sie in alien parenchymatischen
Zellen eines Pflanzentheils, meist neben anderen Inhaltsstoffen, nicht selten selbst
zwei verschiedene Gerbstoffe in einer Zelle vorhanden, bald ist ihr reichlicheres
Vorkommen auf bestimmte, im Gewebe zerstreute oder zu netzformigen Complexen
zusammengestellte Zellen oder auf Schliiuche beschriinkt, welche die Gefassbiindel
begleiten, bald auf Zellschichten. Haufig fmden sich Gerbstoffe auch im Holze,
im Gewebe der Blatter, Bliithen und Friichte, seltener der Samen. Eine Ueber-
sicht der Gerbematerialien zeigt uns, dass es auch in der That Rinden dicotyler
Holzgewachse sind, welche in grbsster Menge Verwendung linden, wahrend die
Zahl der in dieser Richtung beniitzten Friichte, Blatter, Hblzer und unterirdischen
Theile eine weit geringere ist. Ausserdem gehoren hieher gewisse durch Insecten
hervorgerufene, durch grosscn Gerbstoffgehalt ausgezeichnete Auswiichse (siehe
den Artikel: Gallen) und eine Anzahl extractartiger Substanzen, wie Catechu,
Grambir, Kino u. a., welche an den betreffenden Stellen eine besondere Besprechung
linden Als die wichtigsten, Gerbematerialien liefernden Pflanzenfamilien sind
anzufiihren : die Coniferen, Cupuliferen , Betulaceen, Uhnaceen, Saliciueen, Arto-
carpeen, Casuarineen, Proteaceen , Ericaceen, Bignoniaceen, Rubiaceen, Rhizo-
phoreen. Saxifragaceen, Malpighiaceen, Hippocastaneen, Rhamneen, Anacardiaceen,
Combretaceen, Tamariscineen, Myrtaceen, Rosaceen, Amygdaleen und Leguminosen.
Unter den Rinden spielen die wichtigste Rolle jene verschiedener Cupuliferen
und bier vor Allem die Rinden zahlreicher Eichenarten (Quercus). Ausser der
Rinde der bei uns waehsenden (siehe: Eichenrin de) kommt auch jene ver-
schiedener im Oebiete des Mittelmeeres einheimischen Arten, so von Quercus
Suber L. , Q. Mirbeckii Dur., Q. castaneaefolia Bor., Q. Pseudo-Suber Dasf.,
Q Ilex L.. Q. Ballota Desf., Q. coccifera. L. in Betracht; fiir Noid-Amerika
wichtige Gerberinden liefern die dort einheimischen Quercus-Arten, insbesondere
Q. Pritius L. Var. 3. acuminata DC. (Q. Castanea Muhl.) „Wliite-Cliestnut-
Grerberuaterialien. 747
Oak", deren Rinde iiber 16 Proc. Gerbstoff enthalt und gleich dem daraus be-
reiteten fliissigen Extract (mit c. 28 Proc. Gerbstoffgehalt) das wichtigste Grerbe-
material fur die westlichen Unionsstaaten ist (W. Eitner in : Bericht iiber die
Weltausstellung in Philadelphia 1876, Heft 18), ferner Qu&rcus Prinus L. Var.
y. monticola (Q. montana Willd.) „Rook-Chestnut-Oak" , Qu&rcus alba L.
„ White-Oak", Q. falcata Michx. „ Spanish- Oak", Q. coccinea Wangenh. >.
nigricans DC. (Q. tinctoria Michx.) „Black Oak", Q. aquatica Walt, und Q.
cinerea Michx. Von geringerer Bedeutung ist die Rinde anderer Cupulifeien,
wichtiger dagegen die Wei den rinde, welche ira Frlihling von 2 — 4jahrigen
Trieben von verschiedenen Weidenarten gesammelt und nach sorgfaltiger Trock-
nung in bandartigen Stticken in den Handel gebracht wird. Ihr Gerbstoff-
gehalt, zwischen 3 — 16 Proc. schwankend, ist nach der Weidenart vcrschieden.
Die gerbstoffreichsten Rinden liefern die sogenannten Bruchweiden (Salix fragilis
L., S. alba L., S. pentandra L.) , die Korbweiden (Salix viminalis L.J
und Saalweiden (S. caprea L., S. cinerea L.). Die Weidenrinde (zumal jene
von S. pentandra und caprea) dient schon seit Langem in Russland zur Be-
reitung des Juchtenleders und wird auch in neuerer Zeit in Deutschland zur Her-
stellung feinerer Ledersorten beniitzt. Besonders in den nordischen Landern
Europas, zum Theil auch in Deutschland spielt auch die Birkenrinde (von
Betula alba L.), welche 5.5 Gerbsaure enthalten soil, eine Rolle. Weniger
bedeutend ist die Erlenrinde (von Alnus-Arten) und die Ulm en rinde (von
Ulmus campestris L.), dagegen ist die Rinde von verschiedenen Nadelbaumen
(Coniferen) fur manche Gebirgsgegenden Europas (Bohmen, Oesterreich, Deutsch-
land) Gegenstand eines nicht unbedeutenden Handels. Hauptsachlich wird die
Rinde der Fichte {Pinus Picea Dur.), seltener jene der Weisstanne (Pinus
Abies Dur.), der Schwarzfohre (Pinus Laricio Poir.) und der Larche (Pinus Larix
L.) gesammelt. Nach Hartig liefern 60 — 80 Jahre alte Pichten die beste Rinde, deren
Gerbstoffgehalt 8 Proc. betragt. In Neapel und Sicilien, wohl auch in anderen
Mediterranlandern beniitzt man die Rinde von Pinus Halepensis Mill, und gewiss
auch von anderen dort wachsenden Eohrenarten, so namentlich von Pinus Pi-
naster Sol., deren Rinde auf der Wiener Weltausstellung aus Marokko vorlag.
In Nord-Amerika dienen gleichfalls die Rinden dort einheimischer Nadelbaume
zum Gerben, namentlich jene von Pinus Canadensis L. „Hemlock", welche
7 — 8 Proc. Gerbstoff enthalt' und aus der man auch das in ausgedehnter Anwen-
dung stehende, 18 — 30 Proc. Gerbstoff enthaltende Hemlo ck- Extract bereitet
(Ausfiihrliches im Bericht iiber die Weltausstellung in Philadelphia, 18. H. Leder-
industrie von W. Eitner, Wien 1877) und jene von Pinus alba Ait. v White
Spruce".
Als Gerberinden von beschrankter , localer Anwendung sind noch anzn-
fiihren : die Rinde des Rosskastanienbaumes, Aesculus Hippocastanum L. (in
Italien), die Rinde des Myrtenstrauchs, Myrtus communis L , die Rinde von
Pistacia Lentiscus L., von Rhus pentaphylla Desf., von Tamarix Gallica L.
und Africana Poir , jene des Granatbaumes,, Punica Granatum L. (in Algier,
letztere auch im Oriente), die Rinde von Bignonia longissima Jacq. und Mal-
pighia spicata Can. in Westindien, jene von Tectona grandis L. f. in Indien
und viele andere.
In den letzten Jahren hat man zahlreiche neue gerbstoffreiche Rinden aus
verschiedenen aussereuropaischen Gebieten naher kennen gelernt und der euro-
paischen Industrie zugefiihrt. So um einige der wichtigsten zu nennen, die Rinde
von Casuarina- und Terminalia-Arten, von Aleurites triloba Forst., Acacia Leb-
beck W. aus Reunion, von verschiedenen Acacia-Arten wie A. dealbata Lk.
(„ Silver Wattle"), A. decurrens Willd. („BIack Wattle"), A. molissima Willd.
u. a. aus Australien, die Rinde einer Balloghia-Art aus Neu-Caledonien. die Rinde
von Phyllocladus trichomanoides Don. (23.2 Proc. Gerbst.), von Weinmannia
racemosa Forst. (12.7 Proc. G.), von Coriaria ruscifolia L. (16.8 Proc. G.),
von Elaeocarpus dentatus Vahl. (21.8 Proc. G.), von Eugenia Maire A. ('»>?..
748 Gerbematerialien.
von Rhabdothamnus scabrosus Steud. u. a. aus Neuseeland (der Gerbstoffgehalt
nach Angaben im Catal. der neuseel. Abth. der Wiener Weltausst. 1873), die
Rinde verschiedener Legurninosen, namentlich jene der Cebil-Acacie, Acacia Cebil
Gr. und anderer Acacia-Arten mit einem Gerbstoffgehalt von 9 — 14.4Proc. (nach
M. Siewert), die Quebracho-Rinde (siehe weiter unten das Quebracho-Holz), die
Cedro Rinde von Cedrela brasilleasis S. Hill. etc. aus der siidamerikanischen
Republik Argentina, die Mango -Rinde von Mangifera Indica L., die Mangle-
Rinde (Mangle Colorado) von Rhizophora Mangle L., die Rinde von Coccoloba
uvifera L. (Uva de Playa) und Weinmannia glabra L. (Curtidor) aus Vene-
zuela, die Rinden verschiedener Proteaceen vom Cap der guten Hoffnung, so von
Proted mellifera Thbg. (Sugarbosh), Pr. grandifiora Thuabg. (Waagenboom),
Leucospermum conocarpum, R. Br. (Kreupelboom) , Leucadendron argenteum R.
Br. (Silverboom) etc. etc. Einige dieser Rinden haben bereits auch bei uns Ein-
gang gefunden.
Von Friichten und Fruchttheilen sind als Gerbemittel von grosser Wichtigkeit
die Fruchtbecher (Cupulae) verschiedener Eichenarten des Orients, welche unter dem
Namen Vailonea (orientalische Knoppern) in den Handel gelangen (siehe den
Art. Vailonea), ferner die sogen. Myrobalanen, die Friichte namentlich ver-
schiedener Terminalia-Arten Indiens (siehe d. Art. Myrobalanen), die Httlsen ver-
schiedener Legurninosen, so die als Dividivi (Libidibi) bekannten von Caesal-
pinia Coriaria W. (siehe den Art. Dividivi) und jene von diversen Acacia-Arten,
im Handel als Bablah bekannt (siehe den Art. Bablah). An sie schliessen sich
die aus dem siidlichen Amerika in den Handel gelangenden Hiilsen von Acacia
Paraguariensis Parody und wohl audi anderer Arten an, welche unter dem ein-
heimischen Namen Algarobillo bekannt sind sowie die Hiilsen der in Argentina als
„Espinillo" bezeichneten Acacia Cavenia Hook. et. Am., welche in ihrem Frucht-
gehause liber 32 Proc. Gerbstoff beherbergen. Eine ausgedehnte Auwendung
finden im Oriente die bis 28 Proc. Gerbstoff enthaltenden Fruchtschalen des Granat-
baumes (Punica Granatum L.). Unter den Krautern, Blattern, resp. jungen
Zweigen baum- und strauchartiger Gewachse, welche hieher gehoreu, nimmt der
Sumach (s. d. Art.), die zerkleinerten beblatterten Zweige verschiedener Rhus-
Arten, den ersten Rang ein. Der Aufmerksamkeit werth sind die Blatter ver-
schiedener anderer Anacardiaceen, wie namentlich jene der in Siidamerika wach-
senden, in Argentina (wo man sie zum Gerben und Farben verwendet) als „Molle"
bezeichneten Litliraea Gilliesii (mit 8.5 Proc. Gerbst.) und Duvaua dependens
DC. (mit 19 — 20 Proc. Gerbst.), ferner die Blatter des Quajacan (Caesalpinia
mefanocarpa Gr. mit iiber 21 Proc. Gerbstoffgehalt), die Blatter des als weisser
Quebracho von Salta bezeichneten Bauines (Aspidospermat), welche 27.5 Proc.
Gerbstotf enthalteu sollen (Siewert, Tanning materiales of South America. Pharm.
J. a. Transact. 1878 Janner p. 548). Auch die Blatter von Pistacia Arten,
namentlich von P. Lentiscus L , jene von Rhizophora Mangle und von Terminalia-
Arten sind in neuerer Zeit niehr beriicksichtigt worden. In Sicilien und Nordafrika
spielen auch die jungen Aeste von Tamarix eine Rolle. Kaum nennenswerth
sind verschiedene Ericaceen, wie der Sumpfporsch, Ledum palustre L., die ge-
meine Heide, Erica vulgaris Salisb., die Barentraube, Arctostaphyllos offici-
nalis Wimm., die Heidel- und Preisselbeere, Vaccinium Myrtillus L. und
V. }^itis Idaea L. etc., dereu Kraut resp. Blatter hie und da zum Gerben dienen.
Dasselbe gilt auch fur verschiedene unter irdische Theile, so die Wasser-
Sehwertlilienwurzel (Iris Pseudoacorus L.), die Natternwurzel (Polygonum Bi-
storta L.)} die Ruhrwurzel (Potentilla Tormentilla Nestl.), die Wurzel von
Statioe-Arten (so z. B. St. coriaria Hoffm. in Russland), von Eupatorium chilense
Mol. in Chile etc.
Von H biz em ist durch eineu namhaften Gerbstoffgehalt (8 Proc.) aus-
gezeichnet und zumal in Frankreich gleich dem daraus dargestellten flussigen
Extract in der Gerberei verwerthet das Holz der Kastauie Castanea vulgaris
Lam. und von in der argentinischen Republik einheimischen, naher uutersuchten
Gerbematerialien. — Gerbsauren. 749
Pflanzen (vgl. Siewert 1. c.), das Holz der Cectrela Brasiliensis S. Hill (5.61 Pi-),
des Waluussbaumes, Juglans nigra L. Var. Boliviano, DC. (5 Proe.)> des
Cochucliu oder Coco, Zanthxoylon Coco Gill. (6.13 Proc), besonders aber das
Quebrach o -Holz, das bereits gleich dem daraus bereiteten festen Extract
Gegenstand des europaischen Handels geworden ist und vor Kurzem viel be
sproehen wurde. (W. Eitner in „der Gerber", Org. der chem. technischen Ver-
sucbsstation fur Lederindustrie etc. 1878, Nr. 83.) Mit dem Namen Quebracho
bezeichnet man in der argentinischen Republik verschiedene Baume und unter-
sclieidet insbesondere einen Quebracho bianco und einen Q. Colorado oder rosado.
Ein Theil des Quebracho bianco betrifft das Holz wahrscheinlich einer oder
mehrerer Pr osopi s- A rten. Nach M. Siewert (1. c), der als Stammpflanze
einer Sorte des Q. bianco Aspidosperma Quebracho Schl. (?) neurit, eine Pflanze
aus der Familie der Apocynacee (diese Ableitung ist indess durcbaus unsicher.
Vergl. A. Grisebacb, die Vegetation der Erde. II. Band, Leipzig 1872, p. 619,
19), ist der weisse Quebracho von Salta verschieden von jenem aus der Provinz
Cordoba. Als Stammpflanze des Quebracho Colorado — es ist dies die auch
bei uns schon eingefiihrte Sorte — fiihrt der Catalogue of the Arg. Republ. Intern.
Exhib. Philadelphia 1876 Loxopterygium Lorentzii Gr. an. Es ist ein hartes
Holz von 1.193 sp. G., aus kleinen Spanen bestehend von fast gleichmassig hell
braun-rothlicher Farbe, auf der radialen Spaltungsflache fast seidenglanzend,
geruchlos, von herbem Geschmack. Der geglattete Querschnitt lasst ein diehtes
rothlich braunes Grundgewebe erkennen, durchschnitten von feinen, scharf gezeich-
neten genaiierten Markstrahlen von hellerer Farbe und dazwischen mit zer-
streuten helleren Gefasspunkten. Es zeigt den Bau eines Leguminosenholzes und
enthalt (nach Eitner) neben einem rothen Farbstoff 16-17 Proc. Gerbstoff.
A. Yogi.
Gerbetl des Stahles, s. Eisenerz eug ung III pag. 49.
Gerberei u. z. Lohgerberei (tannage — tanning), Weissgerberei (megisserie
— tawing), Samisch- oder Fettgerberei (chamoisage ■ — chamoising), d. i. das
Verfahren der Lederbereitung, s. Leder.
Gerberfett, syn. Degras, s. Leder.
Gerberlohe, s. Leder, vgl. a. Gerbematerialien.
Gerbei'SUmach, s. Gerbematerialien.
Gerbgang, Schlilgang, Spitzgang, s. Mehlfabrikation.
Gerbsauren, Gerbstoffe sind im pflanzlichen Organismus sehr verbreitete
Korper, die vermuthlich in keiner hoheren Pflanze fehlen diirften, und sowohl in
ausdauernden als ein- und zweijahrigen Pflanzen nachgewiesen wurden. Trotz
ihrer ausgebreiteten Verwendung und ihrer wichtigen pflanzenphysiologischen Rolle
sind sie aber nur sehr. unvollstandig gekannt. So ist es noch ziemlich unent-
schieden, ob in einer Pflanze, ja in einem Pflanzentheil stets nur eine Gerbsaure
oder aber verschiedene gemeinschaftlich vorkommen. Dafiir steht es fest, Jass
die Gerbsaure einer Pflanze mit jener der auf ihr wie immer hervorgebrachten
Auswtichse nicht identisch sein muss. (So Eichenrindengerbsaure und Gallusgerb-
saure.) Andererseits haben insbesondere die zahlreichen Versuche Rochleder's
dargetlian, dass innerhalb einer Pflanzenfamilie die gleichen oder doch hbchst
ahnliche Gerbsauren auftreten.
Das allgemeine Kennzeichen der Gerbsauren ist, dass sie amorph, farblos
bis braun gefarbt, saurerNatur sind, einen adstringirenden Geschmack besitzen. in
wassriger Losung von Eisensalzen charakteristisch gefarbt werden ^in der Regel
griin oder blauschwarz, mitunter, so manche Gerbsauren der Pinusarten aber auch
braun). In alkalischer Losung der Luft ausgesetzt werden sie unter Sauerstoff-
750 Gerbsauren.
absorption braun gefarbt und zersetzt, in wassriger Losung, rascher noch beim
Kochen mit verdunnten Sauren spalten sie sich, liefern biebei sebr haufig, doch
nicht immer, Glucose und andererseits Korper, die mitunter krystallisirt sind, wie
Gallussaure und Ellagsaure, in der Regel aber roth bis braunroth gefarbte amorphe
Substanzen darstellen, welch letztere den der betreffenden Pflanze angehorigen
Phlobaphenen oder Rindenfarbstoffen sehr nahe stehen, wenn nicht mit ihnen
identisch sind.
Alle Gerbstoffe reduciren Gold- und Silbersalze. Der weitaus grossten
Zahl der Gerbstoffe kornmt die Eigenthiiinlichkeit zu, durch Leim- und Brechwein-
steinlosung gefallt zu werden und in Wasser und Alkohol leicht, schwer dagegen
in Alkohol und wasserfreiem Aether loslich zu sein. Die allermeisten sind glu-
cosidischer Natur (siehe oben), doch ist es noch zweifelhaft, ob der Paarling
wirklich Glucose oder nicht etwa Gummi sei, das erst bei der Spaltung in Zucker
iibergefiihrt werde.
Mit Ausnahme der Gallusgerb- und Granatgerbsaure , die Gallussaure
Ct.yH,,(OH)3(COOH) liefern, werden sammtliche in dieser Richtung untersuchte
Gerbstoffe, respective deren beim Kochen mit Sauren erhaltenen rothen Spaltungs-
producte (China-, Chinova- etc. Roth benannt) beim Schmelzen mit Aetzkali in
Protocatechusaure CGH:i(OH)t2COOH iibergefiihrt, einige von ihnen, wie die Kaffee-,
China- und Chinovagerbsaure liefern ausser jener noch Essigsaure, andere, so die
Filix-, Ratanhia-, Tormentill- und Kastaniengerbsaure geben als zweites Spal-
tungsproduct Phloroglucin C6H3(OH)3.
Als nicht glucosidischer Natur wurden mit Bestimmtheit die Tormentill-,
die Kastanien- und die Gerbsaure der Rinde der Sauerkirsche erkannt, ebenso
in neuester Zeit die Gallusgerbsiiure oder das Tannin und die Ellagengerbsaure
der Dividivischoten ; die Zahl der nicht glucosidischen Gerbsauren diirfte aber
damit noch lange nicht erschbpft sein.
Aus all dem geht hervor, dass die unter dem Namen Gerbsauren zu-
sammengefassten Korper wohl gewisse Eigenthiinilichkeiten gemein haben, aber sehr
verschieden constituirt sind.
Ueber die umfassende Verwendung der Gerbstoffe, die allerdings nur beim
Tannin auch in Form der reinen Saure, sonst aber durch die betreffenden
Rohmaterialien oder deren wassrige Extracte erfolgt, in der Medicin und Phar-
macie, dann der Farberei, Gerberei, Tintenfabrikation, zum Schonen des Weines,
zum Beschweren der Seide etc., siehe die betreffenden Artikel.
Der bestgekannte Reprasentant der Gruppe der Gerbsauren ist das Tannin,
oder die Gallapfel-, Gallusgerb-, Eichengerbsaure (acid tannique — tannin), das
den Gerbstoff der verschiedenen Gallapfel, sowie der Knoppern ausmacht, dann
aber auch im Sumach und in den Myrobalanen (siehe nnten Ellagengerbsaure)
nachgewiesen wurde, stets aber von Gallussaure u. a. den Gerbstoffen sehr nahe
stehenden Substanzen (im Sumach auch von der eigenthiimlichen Catechugerb-
saure, dann dem Catechin) begleitet wird.
Es kann aus tiirkischen Gallapfeln am besten nach einem von Schmidt
(Arch. Pharm. (2) 134, 213) empfohlenen Verfahren gewonnen werden. Hiezu
werden jene mit einem Gemisch von 12 Thl. Aether und 3 Thl. 90 — 91 proc.
Woingeist kalt extrahirt, das dann wiederholt mit einem Dritttheil Wasser ge-
schiittelt wird, welches die Gerbsaure endlich vollstandig aufnimmt. Durch Ein-
dampfen der wassrigen Losung wird em ziemlich reines Praparat erhalten, die
Ausbeute betriigt biebei 50 — 77 Proc. der angewandten Gallapfel.
Zur Darstellung des Tannins aus chinesischen Gallapfeln hat Schmidt ein
ctwas modificirtes Verfahren angegeben, beziiglich dessen auf oben citirte Original-
abhandlung verwiesen sei.
Urn kaufliches unreines Tannin zu reinigen, soil dieses nach Heinz (Pharm.
Zeitschr. f. Rnss. 18G7, VI, 4G9) in dem doppelten Gewicht warmen Wassers
gelSst und dann mit '/6 — '/,„ des Volums Aether anhalteud geschtittelt werden,
der die Verunreinigungen als coagulirte Massen fallt; durch Filtration von diesen
Gerbsauren. 751
nnd Eindampfen der Losung wird ein sehr reines Product gewonnen. Unter vielen
anderen Reinigungsverfahren sei auf jcnes von Luboldt (Mourn, f. pract. Chem.
77, 357), sowie auf die Arbeit von Li) we (Zeitsch. f. analyt. Chem. 1872, 365)
aufmerksam gemacht.
Die reine Gallusgerbsaure ist nahezu farblos, am Licht gelb werdend,
amorph, leicht zerreiblich, wenig hygroskopisch, sie ist geruchlos, zusammenziehend,
aber nicht bitter schmeckend, besitzt deutlich saure Reaction, kein optischea Dre?
hungsvermogen. Sie gibt im Wasser, das sie reichlich aufniramt, eine scbaumende
Losung, aus der Salze und Mineralsauren sie wieder fallen. Wassriger Wemgeisf
lost das Tannin reichlicher als absoluter, wasserfreier Aethfr lost es nur wenig,
wassriger weit besser, indem sich eine schwere, wassrige, viel Gerbsaure und etwas
Aether und eine atherische, nur wenig Gerbsaure haltende Schichte bildet. Die
Zusammensetzung der Gallusgerbsaure wurde bis in die neueste Zeit mit 6'„7I/or,017
angenoInmen (Strecker, Ann. Chem. Pharm. 81, 248 u. 90, 328) und sie als
Glucosid betrachtet; als Frucht zahlreicher Untersucbungen von Knop (Chem.
Centralbl. 1852— 1860), von Rochleder u. Kavalier (Wien. Acad. Ber. 22,558,
29 28, 30 159), Hlasiwetz (Ann. Chem. Pharm. 143, 295), dann Lowe (Journ.
f. pract. Chem. 102, 211) und Sch iff (Ann. Chem. Pharm. 170, 43) hat sich aber
herausgestellt, dass sie kein Glucosid, sondern der Formel Cy±Hxa09 entsprechend zu-
sammengesetzt sei und als eine Digallussaure C(}HQ(OH).i.C'O.0.C'l.H,,{OH)l,COOH
aufgefasst werden miisse. Schiff gelang es auch das Tannin durch Einwirkung
von wasserentziehenden Mitteln, wie Phosphoroxychlorid und Arsensaure (nicht
aber von concentr. Schwefelsaure), auf Gallussaure synthetisch darzustellen, was
schon durch Lowe als sehr wahrscheinlich hingestellt wurde. Schiff halt es fiir
wahrscheinlich, dass die in der Pflanze enthaltene Gallusgerbsaure doch ein Glu-
cosid u. z. der Formel C34i?,iS022 sei, das sich aber schon wahrend der Extraction
ja in der Pflanze selbst, unter Aufnahme von 2 Mol. Wasser in 1 Mol. Glucose
und 2 Mol. Digallussaure spalte.
Das Tannin liefert kein haltbares Leder, wird aber als adstringirendes
Mittel medicinisch, dann zur Tintenfabrication, in der Farberei, besonders als
Beize, zur Darstellung von Gallus- und Pyrogallussaure, als Reagenz auf Leira,
Eiweissstoffe, Alkaloide, zum Entfarben von Polarisationszuckerlosungen etc. an-
gewandt.
Die Gallussaure, das Product der Einwirkung von verdiinnten Sauren
auf Tannin, wird gewohnlich aus dem Gallapfelextract dargestellt, indem dieses mit
Natronlauge oder verdiinnter Schwefelsaure gekocht, oder einer Art Gahrung
tiberlassen wird. Um auf letztere Weise Gallussaure zu bereiten, werden gewohnliche
Gallapfel zerstossen und mit Wasser befeuchtet mehrere Wochen lang der Luft
ausgesetzt bei einer Temperatur von 20 — 28° C. belassen, hierauf mit Wasser aus-
gekocht und die Losung krystallisiren gelassen. Durch wiederholtes Umkrystalli-
siren aus Wasser wird die Gallussaure gereinigt. Bei alien Operationen sind
eisenhaltiger Staub etc. moglichst abzuhalten. Bei Anwendung chinesischer Gall-
apfel miissen gewohnliche Gallapfel oder Fermente (Bierhefe) zugesetzt werden,
da sonst die Ausbeute eine sehr schlechte ist. Vorschriften wurden von Bra conn ot
(Ann. chim. phys. IX, 181), Wittstein (Vierteljahrsch. pract. Pharm. II. 72), Steer
(Wien. Akad. Ber. 22, 249) und Liebig (Ann. Chem. Pharm. 53, 180) gegeben.
Die Darstellung der Gallussaure unter Mitwirkung von verdttnuten Sauren
geschieht nach Wetherill (Journ. f. pract. Chem. 92, 247) am besten derart. dass
1 Thl. Gerbsaure mit 10 Vol. verdiinnter Schwefelsaure (1 : 4) so lange gekocht
wird, bis die Fliissigkeit nach dem Erkalten krystallisirt. Die Ausbeute betra'gt
dann gegen 87 Proc. Nach Liebig wird dasselbe durch Kochen mit Natronlauge
erreicht, Knop (siehe oben) erhielt beim Kochen von gleichen Theilen Gerbsaure
und neutralen schwefligsauren Alkalien mit 12 Thl. Wasser gegen 80 Proc. Gallus-
saure. Die Gallussaure CCiHll(OH)3.COOH krystallisirt mit 1 Mol. H,20, das sie
bei 120° verliert, bildet feine, weisse, seidenglanzende Nadeln des triklinischen
Systems, die in kaltem Wasser schwer (1 : 100), leicht in heissem Wasser ^1 : 3),
752 Gerbsauren. — Gerbsaurebestimmung.
leicht auch in Weingeist, schwer in Aether ldslich sind. Leim und Pflanzenbasen
fallt sie nicht, Eisensalze farbt sie schwarzblau. Vorsichtig erhitzt zerfallt sie in
Kohlensaure nnd Pyrogallussaure Cf.H:i(0H)3 /siehe diese), rasch erhitzt liefert
sie Wasser und die kohlen iihnliche M e 1 a n- oder M e t a g a 1 1 u s s a u r e. Sie reducirt
mit Leichtigkeit Silbersalze, findet desshalb auch Anwendung in der Photographie,
ist jedoch fast ganzlich hierbei durch die Pyrogallussaure verdrangt, zu deren
Darstellung sie hauptsachlich bereitet wird.
Die Eichenrindengerbsaure ist weit weniger und seltener untersucht worden
als das Tannin, mit dem sie nicht identisch ist, und von welchem sie sich ausser
dem verschiedenen Verhalten gegen Sauren dadurch noch unterscheidet, dass sie,
trocken destillirt, Brenzcatechin C6H4(0H)q, jenes aber Pyrogallussaure liefert.
Nach Grabowski (Ann. Chera. Pharm. 145.1) bildet sie eine gelbbraune Masse,
die sich gegen Leim-, Brechweinstein- und Eisensalzlosungen wie das Tannin ver-
halt, die aber durch kochende verdtinnte Mineralsauren in Zucker und Eichenroth
zerlegt wird, das dem Eichenphlobaphen sehr nahe steht. J. Oser (Wien, Acad.
Ber. 1875, 72) zeigte in neuester Zeit, dass sie nach ClloH„QOxl zusammen-
gesetzt ist und oben erwahnte Spaltung nach der Gleichung
Q„^0?,t + HnO = G,Hlop6 + C^H1006
Eichenrindengerbsaure Zucker Eichenroth
vor sich gehe. Zahlreiche Bestimmungen zeigten ihm ferner, dass die Eichen-
bliitter eben so viel GerbstofF enthalten wie Spiegelrinde.
Die Eichenriudengerbsaure spielt in der Lohgerberei eine hervorragende
Rolle, da ihre auf die thierische Haut niedergeschlagenen Verbindungen mit dem
Coriin u. a. stickstoffhaltigen Faserbestandtheilen sehr widerstandslahige Korper
sind, was bei den analogen Substanzen des Tannins nicht der Fall ist.
Ob die gleichfalls in der Lohgerberei mit Vortheil angewendeten Gerbsauren
des Sumachs, der Valonia, verschiedener Rinden etc. mit der Eichenrindengerb-
saure identisch sind, steht noch immer in Frage.
Nach Lowe (Z. analyt. Chem. 1875, 35 u. 44) ist die Gerbsaure der Divi-
divischoten und der Myrobalanen Ellagengerbsaure der Formel C}iHl0Oxn,
die unter erhohtem Druck in wassriger Ldsung erhitzt Ellagsaure, Cl4H6Os, bei
der trockenen Destination, wie es scheint kein Brenzcatechin, sondern Pyrogallus-
saure liefert, gegen Reagentien ein der Gallusgerbsaure sehr ahnliches Verhalten
zeigt, letzterer also im Ganzen sehr nahe steht.
Auch die Gerbsaure des Thees dtirfte nach Hlasiwetz (Ann. Chem. Pharm.
142, 233) dem Tannin naher stehen als der Eichenrindengerbsaure.
Eine ziemlich vollstandige Beschreibung der Gerbsauren und beziigliche
Quellenangabe enthalt A. • und Th. H u s e m a n n's „Pflanzenstoffe" , Berlin,
Springer 1871.
Gerbsaurebestimmung. Alle bisher vorgeschlagenen Methoden der Bestim-
mung von Gerbsauren kranken daran, dass dieselben der verschiedenen Zusam-
mensetzung der jeweilig zu bestimmenden Gerbsaure nicht Rechnung trag«n, und sich
darauf beschranken, ein bestimmtes ehemisches Verhalten der zu priifenden Gerb-
stofflbsung, welches natiirlich bei jedcr verschiedenen Methode anders gewahlt ist,
mit dem einer Tanninldsung von bekanntem Gehalte zu vergleichen.
Derartige Methoden haben, wenn auch keine wissenschaftlicheScharfe, doch fur
bloss vergleichende Untersuchung genligenden Werth, vorausgesetzt, dass die dem
Verfahren zu Grunde liegendc Normallbsung einen bestimmten Titre hat. Dies
trifft nun bei den bisherigen Methoden desshalb nicht zu, weil sie zum Vergleich
Tannin des Handels nehmen, welches stets von wechselnder Zusammensetzung ist.
(Siehe Gerbsauren.) Es diirfte sich wohl empfehlen, der Analyse von Gerbmate-
rialien reine Digallussaure zu Grunde zu legen, die nach dem Schiff'schen Ver-
fahren, wahrscheinlich aber einfacher und wohlfeiler durch wiederholte Anwendung
der von Rochleder vorgeschlagenen fractionirten Fallung mit Bleiacetat und Zer-
legung mit Schwefelwasserstoff dargestellt werden kann.
Gerbsaurebestimmung. — Gerinnen. 753
Von den vielen bekannt gewordenen Methoden seien nur f'olgende erwalmt:
Nach Hammer (J. f. pr. Ch. I860, 3, 159) wird der w&ssrige Oerbstoffauszug
bis zu einem bestimmten Volumen eingedampft und sodann dessen spec. Gewicht
ermittelt. Durch Eintragen von getrockneter, geraspelter thierischer Haut (4 — 5
Tld. auf 1 Th. vermutheten Gerbstoff) werden die Gerbsanren niedergesehlagen.
Wird hierauf die Flitssigkeit auf das urspriingliche Volumen gebracht, abermals
das jetzt geringere spec. Gewicht bestimmt, so erhalt man eine Differenz, die dem
Eigengewicht einer reinen Gerbsaurelosung der vorliegenden Concentration ent-
spricht. Aus von Hammer entworfenen Tabellen kann sodann der Procentgehalt
direct abgelesen werden.
Lb'wenthal (J. f. pr. Ch. 1860, 3, 150) titrirt die Gerbsaure mit ziemlich
verdiinnter Chamaleonlosimg, die auf eine V1000 Losung reiner, bei 100° C. ge-
trockneter Gerbsaure, und auch auf eine etwa 3/,00 Losung von teigigem Indig-
carmin gestellt wurde. Das Verfahren beruht darauf, dass Gerbsaure und Indig-
carmin gleichzeitig oxydirt werden, also die blaue Farbe einer mit Indigo gefarbten
Gerbsaurelosung erst dann verschwindet, wenn eben auch die erstere vollstandig
oxydirt ist. Die Stellung der Ueberinangansaurelosung erfolgt zuerst auf reine
Indiglosung, dann auf ein Gemisch dieser mit Gerbsaurelosung. Wird nun bei
der Ausfiihrung ein wassriges Gerbstoffdecoct mit einem gemessenen Volumen
der Indiglosung versetzt und Chamaleonlosung bis zur Entfarbung zugesetzt, so
weiss man die Menge letzterer, die zur Oxydation des Indigo's notbwendig war,
und der Rest gibt auf Grund des Vergleiches mit der '/I01)0 Gerbstofflosung die
Menge des in der Probe vorhandenen Gerbstoffes, ausgedritckt in Gewichtstheilen
Tannin.
Bei beiden und alien alteren Methoden wirkt die Anwesenheit von Pectin-
stoffen, die in wassrigen Gerbstoffausztigen nie fehlen, storend. Selbe konnen
entfernt werden, wenn man nach Lowe (Zeitsch. analyt. Chem. 4, 366) die was-
srige Losung eindampft, den Riickstand mit Alkohol aufnimmt, den von Pectin-
korpern freien Auszug wieder eindampft, in Wasser aufnimmt und dann erst titrirt.
Speciell fur die Lowenthal'sche Methode empfiehlt Neubauer (Zeitsch. fiir
analyt. Chem. 10, 1) den Fehler derart zu umgehen, dass der Gerbstoffauszug einmal
direct, das anderemal erst dann titrit wird, nachdem ihm durch Behandlung mit
Thierkohle die Gerbsaure entzogen wurde.
Nach Carpene und B a r b i e r i erhalt man die sichersten Resultate, wenn mit
iiberschttssiger ammoniakalischer Zinkacetatlosung die Gerbsaure heiss gefallt,
die Fliissigkeit auf 1/3 eingedampft, der von Gallnssaure u. a. Stoffen freieNieder-
schlag nach dem Erkalten abfiltrit, mit heissem Wasser gewaschen, in verdiinnter
Schwefelsaure gelost und sodann mit auf V,oon Tanninlosung gestelltem Chamaleon
titrirt wird.
Ausfiihrlichere Anleitung gibt u. a. „Bolley's technisch-chemische Unter-
suchungen", Leipzig, Arthur Felix, 1874. Skraup.
Gerbstahl, s. Stahl bei Eisen-Erzeugung III pag. 48.
Gerbstoffe, s. Gerbsauren, vgl. a. Gerbemateriali en.
Gerbstoffe kutlStliche nannte man die durch Einwirkung von Schwefel-
saure und Salpetersaure auf verschiedene organische Substanzen entstehenden
Zersetzungsproducte, deren Natur bisher nicht vollig sichergestellt ist, die sich
jedoch dadurch auszeichnen, dass ihre wassrige Losung Leim fallt. Gtl.
Gerinne (chanee — trough), kiinstlicher Wasserlauf (Kanal) oder eine
durch Rinnen bewirkte Wasserleitung.
Gerinnen, coaguliren, gestehen (coagulation — curdling), sagt man von
Eiweisskorpern, wenn sich dieselben aus ihren Losungen durch einen geeigneten
Einfluss (Erhitzen, Saurezusatz etc.) in unloslicher Form ausscheiden. Das Aus-
Karmarseh & Heeren, Technisches Worterbuch. Bd. III. 48
754 Gerinnen. — Gerste.
geschiedene bezeichnet man als Gerinnsel (precipite caillebotte — curded pre-
cipitate), vgl. Albumin, vgl. Casein. Gtl.
Germansilber, s. m. Neusilber, s. Argentan I pag. 190.
Gersdorffit, Nickelarsenkies, Nickelglanz. Krystallisirt tesseral ahnlich
wie Pyrit, kommt gewohnlich derb in kornigen Massen vor. 1st nach dem Wiirfel
ziemlich vollk. spaltb., Bruch uneben, Harte- z= 5.5, sp. Gew. rr: 5.95 — 6.9,
grauweiss, grau, dunkler angelaufen, Stricb dunkel. Chem. Zus. NiAs" -\- NiS^
mit 35.1 Nickel, 45.5 Arsen und 19.4 Schwefel, die Zusammensetznng ist jedoch
nicht vollkommen constant, da ein Theil des Nickels durch etwas Eisen und
Kobalt ersetzt sein kann (bis 14 Proc), daher wird aucb die Formel
2NiAs + NiS + FeS*
aufgestellt, welche 28.1 Nickel, 8.9 Eisen, 47.7 Arsen und 15.3 Schwefel bedingt.
Im Kolben decrepitirt er, sublimirt in starkerer Hitze Schwefelarsen, der Riick-
stand ist Rotbnickelkies. Im Glasrobr gibt er arsenige und scbweflige Saure.
Auf Koble schmilzt er unter Abgabe von Arsendampfen zu einer Kugel, welche
mit Borax und Phosphorsalz die Reaction auf Nickel und Eisen gibt. Salpeter-
saure lost ihn theilweise unter Abscbeidung von Schwefel und arseniger Saure.
Fundort Schladming in Steiermark, Lobenstein in Reuss, Harzgerode im Harz,
Miisen in Westphalen, Loos in Schwedem Wird zur Darstellung der Nickel-
metall benutzt. Lb.
Gerste (orge — barley). Eine scbon in den friihesten Zeiten cultivirte
Kornerfrucht, die, wie man glaubt, sich von Aegypten aus iiber Europa verbreitet
hat. Sie hat die grosste Verbreitung und gedeiht noch in verhaltnissmassig hohen
Lagen. In Schottland baut man noch bis zu 500m Hobe Gerste, in den Alpen
bis zu 1000™ , in der Provence bis zu 2000m , auf der asiatischen Hochebene
bis zu 5000m Hbhe. Sie verlangt aber zum Gedeihen einen kraftigen, nicht zu
nassen und schweren Boden, der ziemlich rein sein muss und kein entschiedener
Sandboden sein darf. Es werden hauptsachlich vier verschiedene Gerstenspecies
gebaut, u. z. zwei secbszeilige und zwei zweizeilige. Bei alien Gerstensorten stehen
immer je zwei aus drei Bltithen bestehende Biindel einander gegeniiber, bei den
sechszeiligen sind alle drei Bliitben jedes Biindels frucbtbar, wahrend bei den
zweizeiligen nur die mittlere Bliithe jedes Biindels befruchtet wird. Man kann
folgende Gerstenarten untersebeiden :
1. Die secbszeilige Ger^ste (Hordeum hexastichon) hat sechs regel-
massige Zeilen, gedeiht nur in warmen Lagen und gutem Boden, gibt sowohl als
Sommergerste, als audi als Wintergerste einen reichen Ertrag. In Deutschland
weniger cultivirt, nur als Sommergerste. Sie ist in zwei Varietaten bekannt.
2. Die kleine oder vierzeilige Gerste (Hordeum vidgare), gemeine
Gerste. Ist unregelmassig sechszeilig, d. h. es liegt nur in zwei einander gegen-
iiberliegenden Zeilen Korn auf Korn, wahrend in den vier anderen Zeilen die
Korner dachziegelformig liegeu , und durch die fast parallel anliegenden
Grannen, der brcitgedriickt viereckigen Aehre das Ansehen einer vierzeiligen
Aebre geben. Sie wird haufig u. z. sowohl als Sommer-, wie audi als Winter-
gerste gebaut. Winter- und Sommergerste untersebeiden sich iibrigens durch
Grosse und Farbe der Korner, die bei der ersteren klein und blaulich bei der
letzteren grosser und weisslich sind. Ausser der Sommergerste (Hordeum vidgare
aestinim) und der Wintergerste (Hordeum vidgare hybernum), die beide beschalte
Korner baben, uuterscbeidet man noch zwei Varietaten mit nackten Kornern, u. z.
die namentlich im Orient, wohl aber audi bei uns als Sommerfrucbt gebaute
Himm els- Gerste (Hordeum vidgare nudum), Himalaja-Gerste, bei welcber
die reifen Korner aus den Spelzen ausfallen, und die B ii s c h e 1- oder G a b e 1-
Gerste (Hordeum vulgare trifurcatum), welche der Himmelsgerste sehr ahnlich
ist aber statt der Grannen tragen die Spelzen drei kleine Spitzen, die wie Gabel-
zinken aussehen.
Gerste. — Geriiste. 755
3. Die gross e oder zweizeilige Gerste (Hordeum distich on) hateine
flachgedriickte Aehre mit zwei gegeniiberstehenden KSrnerreihen und weit gestellten,
aufrecht gerichteten Kornern. Die langen Grannen sind fast parallel aufgcrichtet.
Die Korner sind grosser als bei den iibrigen Arten. Man untcrscheidet die gross e
zweizeilige Gerste (Hordeum disticlion nudum), auch Kaffeegerste oder
agyptischer Weizen genannt, mit nackten ausfallenden Kornern, die gemeine
zweizeilige Gerste (Hordeum disticlion nutans) mit beschalten Kornern,
die als Sommerfmcht in Deutschland am haufigsten gebaut wird, und die Spiegel-
gerste (Hordeum disticlion erectum) mit beschalten und dichter stehenden
Kornern.
4. Die Reisgerste (Hordeum Zeocriton), Pfauen- oder Bart-Gerste, hat
sehr gedrungene, zweizeilige Aehren, mit abstehenden Kornern und halbkreis-
formig gestellten Grannen, ist der Spiegelgerste und der gemeinen Gerste sehr
verwandt und wird namentlich in England viel gebaut. Hirer grossen mehlreichen
Korner wegen ist sie namentlich zur Bierbereitung sehr geschatzt.
Die Gerste enthalt 10—17.7 Proc. Kleber undEiweiss, 38 —52 Proc. Starke,
40 — 46 Proc. Holzfaser, Gummi und Zucker (nach Poison 4.2 Proc. Gummi
und Zucker), 1.5—2.6 Proc. Fett, 12—16 Proc. Wasser, 2.1 — 5.5 Proc. Asche.
Der mittlere Stickstoffgebalt betragt 1.8 — 2.7 Proc, der Phosphorsauregehalt 0.8
bis 1.13 Proc. Die Asche enthalt 3 — 29 Proc. Kali, 1 — 16 Proc. Natron, 1.04
bis 4.9 Proc. Kalk, 28.5 — 52 Proc. Phosphorsaure, 0.1 — 5 Proc. Schwefelsaure,
1.3 — 33.3 Proc. Kieselsaure, 0.4 — 3 8 Eisenoxyd, je nach der Beschaffenheit des
Bodens. Besonders charakteristisch ist fur die Gerstenasche ihr holier Gehalt an
Kieselsaure, der in der Regel zwischen 20 — 30 Proc. zu schwanken pfJegt. Die
Gerste findet ausser zur Herstellung von Graupen, besonders ftir die Zwecke der
Malzbereitung Verwendung, s. d. Bier. Gtl.
Gerstenzucker, s. Stangenzucker b. Canditen II pag. 243.
Geriiste, Baugeriiste (echafaud — scaffold) sind diejenigen provisorischen
Constructionen, welche nur als Mittel zum Zwecke dienen, namlich zur Ausfiihrung
gewisser Bauarbeiten erforderlich sind. Die Geriiste werden im Allgemeinen aus
Holz construirt und man unterscheidet beim Hochbau hauptsachlich folgende:
1. Haupt- oder Lantennengeriist, 2. Bock- oder Schragengeriist, 3. Ausschuss-
oder fliegendes Geriist, 4. Leitergeriist, 5. Hangegeriist, 6. Laufgeriist, 7. Versetz-
geriist, 8. Lehrgeriist.
1 . H a n p t- oder Lantennengeriist. Fig. 1 749. Hohe Baurnstamme
a, welche bis zum Hauptgesims des zu errichtenden Gebaudes reichen, werden in
ca. 3m Entfernungen von einander (gewohnlich gegeniiber den Fensteroffhungen)
und in 2.50m Entfernung vom Gebaude fest eingegraben ;
daneben werden Stander b, von der Hohe eines Geschosses, ^l9- 1*49.
aufgestellt, welche die Querriegel c, die einerseits auf der
Mauer aufruhen, stiitzen. Die Querriegel nehmen Pol-
sterholzer, Streuholzer (8/10 — 10/i2Cm st0 auf un^ d^ese
tragen einen doppelten Pfosten- oder Bretterbelag. Die
Verbindungen werden sammtlich durch Geriistklammern
geschieht durch Sturmlatten, (sog. Schwerter). Fiir das
obere Geschoss wiederholt sich die Anordnung. Mitunter
vereinfacht man die Anordnung, indem der Stander b
entfallt und ein Pfosten durch gute Verklammerung an Lanteuneu-Geriist.
den Lantennen befestigt wird ; dieser nimmt zunachst
die Riegel auf. Auch verwendet man eiserne Tragklammern, die an den Lantennen
befestigt werden (und verriickbar sind) ; dieselben nehmen Schweller auf, welche
die weitere Geriistconstruction tragen. Das Geriist kann gehoben werden. Bei leichten
48*
756
Geriiste.
Geriisten kann man mitunter dureh Anbinden der Schweller an die Lantennen und
der Riegel an den Schweller mittelst Stricken auskommen ; es ist jedoch vorsichtige
Untersuchung der Stricke bezuglich ihrer Giite nicht ausser Acht zu lassen.
Fiir bedentend hohe Bauten und bei langer Bauzeit bilden die Geriiste
zusammengesetzte Constructionen mit festen Holzverbindungen, welche nacb Art
der dauernden Holzconstructionen abgebunden werden.
2. Bock- oder Schragengeriiste sind transportable Nebengeriiste,
welche auf dem Hauptgeriiste aufgestellt werden und bestehen aus den sogen.
Bocken, tiber welche die Belagpfosten kommen Fig. 1750. Gegen das Umsturzen
werden die Bocke durch Strebeholzer und Klammern gesichert. Man verwendet
gewohnlich Bocke von zwei verschiedenen Hohen, u. z. ea. lm und 2m hoch.
Fig. 1750.
Fig. 1751.
Ausschnss-Gerust.
3. Ausschuss- oder fliegendes Geriist, Fig. 1751, kommt zumeist
bei Restaurirungsarbeiten zur Anwendung. Durch Fensteroffnungen werden lange,
starke Holzer (Ausschussbaume) so weit hinausgeschoben, als die Geriistbreite es
erfordert und durch Streben gegen die Mauer gestiitzt. Im Innern miissen die
Balken gut durch Verspreizung und VerstrebuDg niedergehalten werden.
4. Leitergeriiste werden bei geringen Reparaturen, Farbelung der
Facade etc. angewendet. Hohe Leitern mit eisernen Fussspitzen werden in 2 bis
2.50w Entfernungen von einander (die Sprossen senkrecht zur Mauertlache) an
Fig. 1752.
Fig. 1753.
Lauf-Geriist.
110U
Hange-Geriist
gut verspreizte (z. B. durch die Dachfenster herausgeschobene) Ausschussbaume
mittelst neuer Stricke angebunden. In den erforderlichen Hohen werden dann
Geruste.
757
wmmm
4 — 5cm starke Bretter liber die Sprossen gelegt. Die Leitern roiissen durch
Sturmlatten kreuzweise verbunden werden. An den Seiten bilden Schutzbretter
(mit Stricken angebunden) das Gelander.
5. Hangegerust, Verwendung wie das Leitergerftst. An Ausschuss-
baumen wird mittelst Rollen und Seile ein Kasten, filr 1 oder 2 Arbeiter and
das notbwendige Material, aufgehangt und derselbe kann nach Bedarf gehoben
oder gesenkt werden. Wird ein kleiner Flaschenzug und ein kleiner Anfzugskrahn
angebracht, so konnen die Arbeiter den Apparat selbst reguliren. Fig. 1752 gibt
ein Bild davon.
6. Laufgeriist, Fig. 1753, ist der schrage Aufgang zum Materialtransport
in die Hohe, und wird dann verwendet, wenn keine besonderen Hebevorriehtangen
(als Aufziige, Paternosterwerke etc.) zur Disposition sind. Die oberste Bretterlage
erhalt nach der Breite in Schrittentfernung Leisten wegen sicherem Gang. An
regnerischen Tagen ist die Aufgangsflache mit Sand zu bestreuen.
7. Versetzgeriist, dient dazu, die Bausteine zu heben und genau bis
zur Versetzstelle zu schaffen. Die Constructionen sind mannigfacb nach den
Objecten. Im Allgemeinen ist auf einem f'esten Geriist ein auf Rollen und Schienen
beweglicher Wagen, der wieder Laufschienen tragt, deren Richtung senkrecht zur
Hauptbahn ist. Auf dieser zweiten Balm bewegt sich ein Aufzugskrahn, der die
zu versetzenden Steine auf-
nimmt. Durch die zwei Be- Fig. 1754. Fig. 1755.
wegungsrichtungen kann der
Stein innerhalb der Lange
und Breite der Bahn auf
jeden beliebigen Punkt
leicht und sicher transportirt
werden.
8. Lehr geruste oder
Einriistung behufs Ausfiih-
rung der Gewolbe. Bei Lehr-Geriiste.
Mauerbogen von geringer
Spannweite, z. B. Thiir- und Fensteriiberwblbungen sind die Constructionen sehr
einfach. Fig. 1754 zeigt die Einriistung fur einen halbkreisformigen Mauerbogen
von geringer Tiefe. In diesem Falle ist keine Verschalung nothwendig, da Lehr-
bbgen, in ca. 0.30m Entfernungen auf-
gestellt, geniigen. Bei Fig. 1755,
welche die scheitrechte Ueberwolbung
einer Fensteroffnung angibt, geniigt
ein Brettchen, welches auf den Wi-
derlagsrnauern aufsitzt und in der
Mitte gestiitzt ist.
Fiir grossere Gewolbe werden
nach der Gewolbform L e h r b o g e n
hergestellt, indem Pfostenstiicke in
2 — 3facher Lage mit abwechselndem
Stoss mit einander verbunden werden.
Diese Lehrbogen werden in ca. 1 — 2m
Entfernungen von einander aufgestellt
(von einem Bogengeriist unterstiitzt)
und durch aufgenagelte Latten wird
die Form des Gewolbes genau fixirt.
Fig. 1756 gibt ein Bild fiir die Aus-
fiihrung eines Tonnengewolbes (s.
Ai-t. Gewolbe). Die Lehrbogen
werden durch Stander, Durchziige und
und Durchzugen befinden sich Keile
1.50
Fig. 1756.
wmmm
Lehr-Geriist.
Streben unterstiitzt und zwischen Lehvbog-en
welche bei der Ausriistung des fertigen
758 G-eriiste. — Geschwindigkeit.
Gewolbes erst allmalig (vom Gewolbscheitel an) gelockert werden; erst wenn
keine Setzung mehr bemerkbar wird, kanu das ganze Lehrgeritst entfernt werden.
Die Art der Unterstiitzung der Lehrbogen hangt nicht allein von der Spann-
weite und dem Gewichte des Gewolbes ab, sondern auch, ob die Lehrbogen
direct durch Stander unterstiitzt werden konnen oder nicht; im letzteren Falle
beniitzt man Hang- imd Sprengwerke. Grohm.
Geschirr {equipage, harnais — mounting), das Werk, Zeug d. i., die
Schafte sammt ihrem Bewegungsapparate an den Webstiihlen (s. Weberei).
Geschlagene Arbeit (ouvrage martele — hammered work), Treiben,
s. Blechbearbeitnng I pag. 554.
Geschoss {etage — story), Stockwerk; Geschoss (projectile — shot)-,
Wurfgeschoss.
Geschiitze, s. Feuerwaffen III pag. 463.
Geschutzmetall, s. Bronze II pag. 60.
Geschutzpulver, s. Explosivstoffe III pag. 321.
Geschur, s. m. Gekratz, s. Blei I pag. 595.
Geschwindigkeit (vitesse — velocity). Unter Geschwindigkeit versteht man
das Verhaltniss des Weges, welchen ein bewegter Korper in einem Zeittheilchen
zuriicklegt, zur Dauer dieser kurzen Zeit. Bewegt sich der Korper mit gleicher
Geschwindigkeit, dann ist dieses Verhaltniss natiirlich ganz unabhangig von der
Grosse des obigen Zeitfheilchens, weil in der doppelten, dreifachen, ?ifachen Zeit
auch der doppelte, dreifache, nfache Weg zurtickgelegt wird. Bewegt sich aber
der Korper mit variabler Geschwindigkeit, dann muss man den in einer unendlich
kurzen Zeit zurlickgelegten Weg, der natiirlich auch eine sehr kleine Grosse sein
wird, in's Verhaltniss zum Zeittheilchen setzen und dies wird mathematisch durch
die Gleichung
ds
V ~ ~dT
ausgedriickt, welche besagt, die Geschwindigkeit des Korpers in einem Punkte
seiner Balm ist gleich dem Differentiale des Weges getheilt durch das Differentiale
der Zeit. (Vergleiche Art. Bewegung Bd. I pag. 443.)
Mittlere Geschwindigkeit ist jener Werth, welcher durch Division
des Gesammtweges durch die Gesammtbewegungszeit erhalten wird. Es ist jene
Geschwindigkeit, welche ein gleichforinig bewegter Korper besitzen miisste, wenn
er in derselben Zeit denselben Weg zuriicklegeu wiirde.
Indem der Mechaniker oft in die Lage kommt, Geschwindigkeiten, welche
die Erfahrung fiir gewisse Bewegungen festsetzt, kennen zu miissen, so soil die
nachfolgende Tabelle beigefiigt sein.*)
a) A r b e i t s - G e s c h w i n d i g k e i t e n in Metern pr. Secunde.
0.015 Schnittgeschwindigkeit beim* Abdrehen von Hartgusswalzen.
0.015 Umfangsgeschw. der Walzen an Blech- und Schienenbiegemaschinen.
0.018 Geschw. des bewegl. Scherblattes bei Parallelscheren, des Stempels bei
Lochmaschinen.
0.030 Umfangsgeschw. an Gewindbohrern und den Backen von Schraubenschneid-
maschinen.
") Entnoramen eiuer Zysammenstellung H a r tig's, s. tecbn. Blatter 1874 pag. 192
Geschwindigkeit. 759
0.050 mittlere Schnittgeschwindigkcit beim Drehen, Hobcln, Ansbohren stahlemer
Arbeitsstiicke.
0.080 mittlere Schnittgeschwindigkcit beim Abdrehen, Hobeln, Auebohren guss-
eiserner Arbeitsstiicke.
0.15 mittlere Sclmittgeschwindigkeit beim Abdrehen etc. von Bronze.
0.20 Geschw. beim Ziehen starken Eisendrahtes.
0.24 Geschw. der Eimerketten bei Flussbaggern.
0.25 Umfangsgeschw. holzerner Arbeitsstiicke beim Abdrehen rnit (bm Handstahl.
0.35 Umfangsgeschw. von Frasen bei Bearbeitung von Guss- nnd Schmiedeeisen-
Zahnradern.
0.44 Arbeitsgeschw. der Stemmeisen bei Holzstemmmaschinen.
0.47 Umfangsgeschw. der Walzen von Erzquetschen.
0.70 mittlere Umfangsgeschw. der Qnetschwalzen fur Oelfriichte.
*0.75 vorth. Geschwindigkeit der Hechelstabe bei Hechelmaschinen.
0.80 vorth. Geschw. der Schneidwalzen und Kreisscheren.
1.30 Arbeitsgeschw. beim Ziehen feinen Eisendrahtes.
1.50 vortheilhafteste Geschwindigkeit der Schienenwalzen und Grobeisenwalzfii.
1.70 mittl. Arbeitsgeschw. der Walzwerke fur Eisenblech.
2.08 „ „ „ Mahlwalzen bei Walzenstuhlungen.
2.20 vortheilh. Geschw. der Schermesser an Getreidemahmascbinen.
2.30 „ „ „ Walzenwalken fiir Stoffe.
2.50 mittl. „ „ Gattersagen.
2.50 vorth. „ „ Feineisenwalzen.
3.00 grosste „ w Dralitwalzen.
4.50 mittl. Umfangsgeschw. des Scbneidzahnes beim Frasen von Holzzahnen.
5.00 „ „ der Schleifsteine zum Schl. von Arbeitsstablen.
5.00 Umfangsgeschw. holzerner Arbeitsstiicke beim Abdrehen auf Supportdreh-
banken.
7.00 mittl. Umfangsgeschw. der Hollander walzen.
7.43 vorth. Umfangsgeschw. der Messer bei Haderschneidern.
10.0 „ „ der feinkornigen Schleifsteine in Schleifmaschinen.
10.0 „ Geschw. des Blattes bei Bandsagen.
10.0 grosste rathsame Umfangsgeschw. der Miihlsteine.
10.0 „ Umfangsgeschw. der grossen Schleifsteine in Fabriken.
15.0 „ „ „ Schmirgelscheiben zum Feinschleifen.
18.0 ■„ „ „ Schneidkopfe bei Holz-Frasmaschinen.
25.0 „ zulassige Geschw. grosser Schleifsteine sehr guten Materiales.
27.0 vorth. Umfangsgeschw. der Schmirgelsch. an Sagescharfmaschinen.
40.0 ., „ „ Kreissagen fiir Holz.
60.0 „ „ „ Schlagscheiben bei Carr's Desintegrator.
b) D u r c h g a n g s g e s c h w i n d i g k e i t e n von Material ien d u r c h
Arbeitsmaschinen. (Meter pr. Secunde.)
0.025 Geschw. der Schlagmaschinen fiir Baumwolle a. d. Zufiihrwalzen.
0.04 „ „ Zwirnmaschinen fiir Streichgarn (Zwirnlange p. S.).
0.064 „ „ „ „ Seide „ „ „
0.08 „ des Tuches bei Tuchrauhmaschinen.
0.10 zweckm. Geschw. bei Blechspann- oder Bordelmaschinen.
0.10 mittl. Geschw. bei Tuchtrockenmaschinen mit endl. Spannketton.
0.13 „ „ „ Tuchbiirstmaschinen.
0.14 „ „ „ Ketten-Scheermaschinen fiir Streichgarn.
0.21 n n des Papiers bei Glattkalandern.
0.33 „ „ bei Dampftrockenmaschinen fiir baumwollene Gewebe.
0.35 „ „ der Papiermaschine bei Ilerstellung diinnen Schreibpapiers,
0.75 „ ,, des Stoffes beim Durchgang durch Kalander.
1.00 vorth. „ bei Gassengmaschinen.
760 Geschwindigkeit.
1.10 vorth. Geschw. bei Tuchwaschmaschinen unci Walzenwalken (Pressprich-
Wiede).
2.30 vorth. Geschw. der Walzenwalken.
c) Umfangsgeschwindigkeiten, welche nicht unter a mid b er-
walmt sind.
0.07 grosste zulass. Umfangsg. der Messtrommel nasser Gasuhren.
0.06 Umfangsgeschw. der Lumpenkocher.
0.60 zweckm. Umfangsg. der Wasserschopfrader.
5— 6m Geschw. der Trommeln hei Streichgarnkrempeln.
8 „ „ „ „ Baumwollkrempeln.
8.5 „ der Schleifsteine fur Holzstoff (Volter).
13 — 14 „ der Trommeln bei Wergkarden.
30 grosste zulassige Geschw. an Schwungradern.
35 Umfangsgeschw. der Schlagfliigel fur Baumwolle.
50 „ „ Centrifugen fiir Tuch.
d) Geschwindigkeit en bei 0 rts ver an derungen im gewohnlichen
Sinne und bei der Wirkung lebender Motoren.
m/Sec.
0.10 mittl. Fahrgeschw. der Bergleute beini Ausfahren auf gew. Fahrten.
0.14 „ . „ „ „ „ Einfahren „ „ ,
0.20 zweckmassige Fahrgeschw. bei Aufziigen in Fabriken.
0.60 vorth. Geschw. der im Gopel g henden Ochsen.
0.67 „ „ ., Paternosterwerke oder Elevatoren fiir Mahlgut.
0.75 „ „ ., von Menschen gedrehten Kurbelgriffe.
0.80 „ „ „ im Gopel gehenden Esel.
0.90 „ „ „ „ „ „ Pferde.
0.95 mittl. Geschw. der bei Fahrkiinsten angewendeten Fahrten.
1.32 reglementmassige Marsckgeschwindigkeit der Fusssoldaten mit vollem Gepack.
1.50 mittl. Geschw. eines Fussgangers ohne Belastung auf horiz. Bahn.
1.80 vorth. Fahrgeschw. der Kettendampfer in todtem Wasser.
2.08 mittl. „ des Pariser Omnibus.
2.43 „ „ „ Londoner Omnibus.
2.44 hbchste zulassige Geschw. der Transporrgurten fiir Hafer, Kleie, Melil.
2.54 „ „ Einfahrgeschw. der Fahrgestelle in Schachten zur Menschen-
Beforderung.
2.68 vorth. Geschw. des Transportseiles bei der Hoogson'schen Seilbahn.
2.75 hochste zulassige Geschw. der Transporrgurten fiir Weizen, Korn u. dgl.
3.10 mittl. Fahrgeschw. auf den Londoner Tramways eingereehuet der normalen
Unterbrechungen.
3.68 hochste zulassige Ausfahrgeschwindigk. der Fahrgestelle in Schachten (zur
Mensehen-Bef.)
4.00 mittl. Fahrgeschw. der Flussdampfer in todtem Wasser.
5.00 „ „ „ Seedampfsehiffe.
12.5 grosste zulassige Fahrgeschw. der Giiterziige.
18.5 mittl. Fluggeschwindigkeit der Brieftauben.
20.8 grosste zulassige Fahrgeschw. der Personenziige.
25.0 „ „ „ „ Schnellziige.
25.0 vortheilhafteste Geschw. des Treibseils bei Laufkrahnen m. Seilbetrieb.
Vergl. Bd. Ill pag. 75 bctreffs Zuggeschwiudigkeit.
e) Wasser- und Lu ft geschwindigkeit en.
0.07 grosste Wassergeschw., bei welcher abgel. feiner Schlamm und Sand noch
Geschwindigkeit. — Geschwindigkeitsincsser. 701
0.10 Geschw. des aufsteig. Wasserstromes, bei welchem Qaarzkdrner von 1""" D.
in f'allender Schwebe gehalten werdcn.
0.14 Geschw. des aufsteig. Wasserstromes, bei welchem QuarzkiJrner von 1.4n"n D.
in fallender Schwebe gehalten werden.
0.15 grosste Wassergeschw. in Fliissen, b. w. abgelagerter fetter Thou nicht
weggefiihrt wird.
0.19 Geschw. des aufsteig. Wasserstromes, bei welchem QuarzkSrner von 4mrn D.
in fallender Schwebe erhalten werden.
0.40 mittlere Wassergeschw. in Ober- und Unterwassergraben hydr. Motoren.
0.63 grosste Wassergeschw. in Fliissen, bei welcher Gerollc von 10""" D. noch
liegen bleibt.
0.92 grosste Wassergeschw. in Fliissen, bei welcher Gerolle von 20""" D. noch
liegen bleibt.
1.00 Lu ft geschw. bei kaum merkbarem Winde.
1.00 vorth. Geschw. des Wassers in Sang- und Druckrohren einfach wirkender
Kolben-Pumpen.
1.60 vorth. Geschw. des Wassers in Saug- und Druckrohren doppelt wirkender
Kolben-Pumpen.
2.00 Luftgeschw. bei massigem Winde.
4.00 „ „ frischem „
9.00 „ „ gutem Seewind.
15.00 „ „ starkem Wind.
Geschwindigkeitsmesser, Trocho meter (trochometer — tachymetre).
Die Schwierigkeiten, einen Apparat zum Messen der Geschwindigkeit zu schaffen,
sind clarum grosse, weil die Geschwindigkeit ein Zustand ist, welcher nicht nur
innerhalb sehr weiter Grenzen der Grosse nach verschieden ist, sondern sich inner-
halb kurzer Zeiten oder auch continuirlich andern kann. Wahrend man Langen
mit Langen, Flachen mit Flachen etc. verhaltnissmassig leicht messen kann, da
wahrend der Operation des Messens die zu messende Grosse sich nicht oder ver-
schwindend wenig andert, ist beim Messen von Geschwindigkeiten das zu Messende
variabel, und man hat die Aufgabe, den in einer gewissen Zeit vorhandenen Werth
zu messen. Hierzu gesellt sich eine zweite Schwierigkeit, welche clarin liegt, dass
man noch keinen Apparat aufgefunden hat, welcher die sehr verschiedenen Ge-
schwindigkeiten der verschiedenen bewegten Korper, wie solche in der Technik,
dem Eisenbahnwesen, der Ballistik etc. vorkoramen, unroittelbar mit Geschwindig-
keiten, deren Grosse durch den Apparat feststellbar waren, vergleichcn liesse.
Man misst daher die Geschwindigkeiten je nach ihrer Grosse und je nach
der Art des bewegten Korpers und der Gattung der Bewegung durch mannigfache
Apparate. Im Artikel Anemometer I pag. 146 wurden Apparate zur Bestim-
mung der Wind -Geschwindigkeit besprochen, im Art. Hydrometrie werden
jene fur die Bestimmung der Wassergeschwindigkeit angegeben. Zur Be-
stimmung der meist gleichformigen Umfangsgeschwindigkeit rotirender Korper
bedient sich der Mechaniker der To urenz abler (s. d.) und findet die Geschwin-
digkeit aus der minutlichen Tourenzahl n und dem Radius r durch Rechnuug,
denn es ist v m -^— . Um die Geschwindigkeit eines Ei senb ahnzuges
zu bestimmen, sind Apparate construirt (Hearson's Strophometer), bei welchen ein
Centrifugalpendel mit einer Laufachse derart in Verbindung gesetzt ist, dass jenes
ax Touren macht, wenn diese x Touren ausfiihrt. Die versehiebbare Hiilse des
Centrifugalpendels (ahnlich construirt wie bei Watt's Regulator, s. d.) bewegt
einen Hebel, dieser wirkt auf ein Zahnsegment, welches in ein kleines Zahnrad
eingreift, an dessen Achse ein Zeiger sich findet, welcher an einem empirisch
getheilten Zifferblatte unmittelbar die Fahrgeschwindigkeit anzeigt. Die richtige
Anzeige dieses Apparates hangt von der exacten Transmission der Bewegung-, von
der Empfindlichkeit des Centrifugalpendels und der Richtigkeit der empirischen
762 Geschwindigkeitsniesser. — Gesinishobel.
Theilung ab. In seinen Angaben wird dieser Apparat iiberdies durch die Vibra-
tionen des Waggons, in welcliem er angebracht ist, beeinflusst. Die Geschwin-
digkeit eines Eisenbahnzuges kann auch in folgender Weise leicbt bestimmt werden.
Sei u der Umfang des Triebrades der Locomotive und bewege sicb der Zug mit
K Kilometer pr. Stunde, so werden K Touren des Triebrades in irgend einer
u K
Zeit t gemacht werden. — — ist dann die Geschwindigkeit pr. Secunde. Dieselbe
;.'.■ , . .. K.IOOO 10 . . . '■ u K 10 '
ist aber auch gleicb .,_ „_ — : -—- K\ hiernach wird =z -p— K oder
bO.bO So t 36
t = 3.6 u. Fur u = 3m wird t =: 10.8see und man hat mithin nur die leicht
zahlbare Tourenzahl des Triebrades innerhalb der Zeit von 10.8 Sec. zu.zahlen,
urn in dieser Zahl unmittelbar die Anzahl der Kilometer pr. Stunde zu erhalten,
mit welcher sich der Zug bewegt.
Die Geschwindigkeit einer Gewehr- oder Geschtitzkugel (zwischen 300 bis
500m ) kann in folgender Weise bestimmt werden. Mit einer horizontalen, sehr
rasch (z. B. 300 Touren) und gleichformig rotirenden Welle sind im Abstande
von 2 oder mehr Metern zwei Papierscheiben entsprechend verbunden. Das Gewehr
wird parallel zur Achse und tiber derselben gelagert, nahe vor der ersten Scheibe,
und der Kugelschuss abgefeuert. Beide Papierscheiben werden Locher aufweisen,
aber die Lage derselben wird versetzt erscheinen, entsprechend der Zeit, welch e
die Kugel zum Durchfliegen des kurzen Wegstiickes zwischen beiden Scheiben
brauchte und entsprechend der Tourenzahl derselben.
Statt dieser Vorrichtung kann man (bei Geschtitzen) zwei Massen in einem
gewissen Abstande von einander aufhangen und durch die Kugel die Faden durch-
schiessen lassen. Die fallenden Stticke schliessen oder unterbrechen einen elec-
trischen Strom und aus der Zeit zwischen den Strom - Schliissen oder Unter-
breclmngen in Verbinduug mit dem bekannten Abstand der Aufhangepunkte ist
die Geschwindigkeitsbestimmung leicht.
Die beiden letztgenannten Mittel geben genauere Bestimmungen als das
ballistische P e n d e 1, welches darauf beruht, dass die Kugel gegen eine
schwere anfgehangte Masse geschossen wird, deren Pendelschwingung gemessen
und so die iibertragene lebendige Kraft — — bestimmt wird, woraus sichvergibt
(vgl. Art. S t o s s), aber sie sind umstandlicher, so dass z. B. zur Bestimmung der
Pulverkraft dock die altere Methode vorzuziehen ist. Vergl. auch Chronoskop
II pag. 355. Kk.
Gesenk (etampe, estampe — swage, bosse, shaper,) s. Schmieden.
GesenkklotZ, Gesenkstock (swage block), s. Schmieden.
Gesenkschacht, s. B.ergbau I pag. 387.
Gesims (moulure — moulding), aus einzeluen Profilgliedern zusammen-
gesetzte architektonische Verzierung, welche die Wechselwirkung einzelner Bau-
theile zum Ausdruck bringen soil, z. B. das Fuss- oder Sockelgesims soil den
Abschluss des Baues (oder eines Bautheiles) nach Unten ausdriicken, das Haupt-
gesims den Abschluss ^Krouung) nach Oben ; das Gurtgesims bezeichnet eine
Trennung (Giirtung) der Holie nach etc. In constructiver Hinsicht haben die
Gesimse iin Freien den Zweck, das Herabfliessen des Wassers an der Wand
wenigstens theilweise zu verhindern, daher im Profil die vortretende Hangeplatte
mit einer Unterschneidung (Wassernase) wesentlich ist. In der Architektur bilden
die Gesimse eines der wichtigsten Capitel: ein naheres Eingehen hierauf istjedoch
bier ausgeschlossen. Grohmann.
Gesimshobel, s. Hob el.
Gespann. — Gespinnstfasern. 763
Gespann (trousse, fourrure, paquet — tongs), bei der Hammerarbeit ver-
einigte, gleichzeitig der Bearbeitung (dem Treiben) unterworfene Bleche.
Gesparre (chevrons — couple-close), die Gesammtheit aller in einem Dacli-
profil befindlichen Balken. Siehe liber Bund- und Leergesparre Artikel Dach
II pag. 466. Grohm.
Gesperr (encliquetage — click and spring- work) ein Sperrad mit Sper-
kegel. Uhrenbestandtheil, s. Uhren.
Gespinnstfasern. Die zu Geweben verarbeiteten Rohproducte entstammen
theils dem Thierreiche, wie Wolle und Seide, tbeils dem Pflanzenreiehe. Die
vegetabilischen Gespinnstfasern sind entweder Haarbil dungen und als Bolche
einfache langgestreckte Zellen, wie die B a u m w o 1 1 e , die Wolle d e r W o 1 1-
baume, oder vielzellige Gebilde, sogenannte Zotten, wie die Eriophorum-
Wolle; — oder aber sie stellen Gefassbiindel oder Bestandtbeile von Gefass-
biindeln meist krantartiger, seltener baumartiger Gewaehse dar, durch einen mebr
weniger umstandlichen Process theils aus der Innenrinde (Bast) dicotyler Pflanzen
rein dargestellt, wie Flachs, Hanf, Chinagras, Sunn und Jute, theils aus
den Blattern, Neuseelandflachs, Agavefaser u. a., aus Stangeln, Ma-
nillahanf, oder aus der Fruchthlille, Cocosfaser, monocotyler Gewaehse.
Die angefuhrten Beispiele von Gespinnstfasern sind zugleich solche, welche fur
die europaische Industrie eine grossere Bedeutung haben, und sollen bloss diese
hier, mit Ausschluss der Baumwolle, welche bereits Band I. p. 308 dieses Worter-
bucbes abgehandelt wurde, mit Ritcksicht auf ihre histologischen Verhaltnisse be-
sprochen werden. Verschiedene andere FaserstofFe finden eine Erorterung unter
Papiei--, Polstermaterial und Seilerei. Beziiglich einer eingehenderen Unterweisung
verweisen wir auf folgende Schriften : H. Schacht, die Priifung der im Handel
vorkommenden Gewebe etc. Berlin 1853. — J. Wiesner, Einleitung in die
technische Mikroskopie. Wien 1867. J Wiesner, die Rohstoffe des Pflanzen-
reichs, Abschnitt: Fasern. Leipzig 1873. — R. Schlesinger, mikroskopische
Untersuchungen der Gespinnstfasern etc. Zurich 1873. — Ve till art, Etudes sur
les fibres vegetales textiles employes dans l'industrie. Paris 1876.
Bei der Untersuchung der Gespinnstfasern mit mikrochemischen Reagentien
empfiehlt sich ausser den sonst iiblichen: Jodsolution (am besten Jodglycerin) mit
Schwefelsaure, Kupferoxyd-Ammoniak und einer Losung von schwefelsaurem Anilin,
welche letztere durch Gelbfarbung die Anwesenheit von Holzstoff anzeigt, — audi
Chlorzinkjodlosung, welche viel brauchbarer ist als Jod mit Schwefelsaure, und
ferner eine Losung von Phloroglucin, die in Verbindung mit einer Mineralsaure
(am besten Salzsaure) in neuester Zeit als ein sehr empfindliches Reagens auf
verholzte Zellmembranen erkannt wurde. Es ist wo moglicii empfindlicher noeh
als das schwefelsaure Anilin, allerdings weniger bequem anzuwenden, iusofern
man das betreffende Object mit zwei Mitteln zu behandeln hat. Ava'hrend bei
letzterem nur eines in Betracht kommt. Wir tranken bei der Anwendung des
Phloroglucins das Untersuchungsobjcct mit der vorbereiteten wassrigen Losung
dieses Mittels, tupfen die iiberschiissige Fliissigkeit ab und setzen sodann einen
Tropfen Salzsaure zu. Verholzte Membranen farben sich nach dieser Behandiung
blass bis mebr weniger intensiv violett oder violettroth, je nach der Intensitat
der Verholzung, resp. der Dicke der verholzten Membranschieht. Bei den zahl-
reichen Untersuchungen, die an den im Nachfolge#den angefuhrten Fasern an-
gestellt wurden, haben wir uns iiberzeugt, dass nirgends die Bastfaserwandung
in ihrer Totalitat verholzt ist, sondern die Verholzung stets nur die ausseren
mehr weniger dicken Partien der Zellwand betrifft. Dieser Umstand ist bei der
Deutung der Erscheinungen, die man bei Anwendung der obeu aufgezahlten Rea-
gentien beobachtet, wohl zu beriicksichtigen.
Sehr rein gehechelte Sorten des Flaehses — aus den Stangeln von
Linum usitatissimum L. (Lineae) gewonnen — bestehen bloss aus Bast-
764
Gespinnstfasern (Flachs).
fasern (Fig. 1757); in weniger reinen Sorten sind diese begleitet von Resten des
Rindenparenehyms und der Oberhaut (Epidermis), zuweilen auch von Resten des
Holz^ewebes. Noch reichlicher zei-
Fig. 1757.
h
J
gen sick diese Beimengungen im
Rohflachse, gewolmlich neb en Pilz-
faden, Pilzsporen u. dgl. Im un-
veranderten Zustande, wie sie im
sog. Flacbsstroh vorkommen, stellen
die Bastfasern 2— 4cm lange, 0-015
—0.020— 0.030mm dicke cylindri-
scbe oder fast cylindrische, nacb
den Enden zu beiderseits allmalig
und meist sehr stark verjiingte,
nicht selten in eine sehr lange,
fast unmessbar diinne Spitze aus-
gezogene glatte farblose Faserzellen
(Prosenchymzellen) dar mit sehr
dicker, von einzelnen Porenkanalen
durchsetzter Wand und meist sehr
engem, oft nur als dunkle Linie
sick darstellendem Zellenraume. Auf
dem Querschnitte erscheinen sie
gerundet: kreisrund, eirund oder
mehr ellipsoidisch, oder gerundet
polygonal mit engem kreisrunden,
elliptischem oder spaltenformigem
Lumen und farbloser dicker ge-
schichteter Wand. Das gleiche Ver-
halten zeigt die Bastfaser aus dem
bios gerbsteten Flachs. Die Fasern
des gehechelten, also mechanisch
bearbeiteten Flachses bieten da-
gegen zum Theil ein verandertes
Aussehen dar; einmal findet man
neben (der Lange nach) vollig erhaltenen, zahlreiche abgerissene Bastfasern, ferner
an vielcn derselben die Verdickungsschichten der Zellwand auseinandergebrochen,
die Zellwand in Folge dessen von langsverlaufenden parallelen dunklen Linien
durchsetzt. (2) Hautig zeigt sich diese Erscheinung nur an einzelnen aufgetriebenen
Stellen. An der Obertlaehe der Bastfasern des gehechelten Flachses sieht man
uberdies nicht selten Linien, welche senkrecht oder fast senkrecht zum Langs-
durchmesser der Faser verlaufen, veranlasst zum Theil durch Bruchlinien, welche
die Zellwand quer durchsetzen, zum Theil aber durch anhaftende Reste der Bast-
parenchymzellen (1). Kalilauge macht die Zellwand aufquellen ohne Farbeniinde-
mng; Chlorzinkjod larbt sie sofort violett, Jod mit Schwefelsaure schon blau,
wahreiul die beigemengten Residuen der Rinde und des Holzkorpers eine gelbbraune
Parbe annehmen. Sehwefelsaures Analin farbt die Bastfaser selbst nicht, ebenso-
wenig wie Phloroglucin, dagegen werden die etwa vorhandenen Reste des Holz-
gewebes durch ersteresReagens gelb, durch letzteres roth gefarbt. Kupferoxyd-
ammoniak macht unter Auftreten von Langs- und feiner spiraliger Streifung und
unter BlaufSrhung die Wand zuerst stark aufquellen und lost sie schliesslich bis
auf die Innenauskleidung, welche langere Zeit in Gestalt eines dunnen glatten,
stellen weise schraubenformig gewundenen Scblauchs zuriickbleibt (3), um endlich
auch aufgelost zu werden.
Der Hanf, — aus den Stangeln von Cannabis sativa L. (Cannabineae)
erhalten — , besteht liauptsaehlich aus Bastfasern (Fig. 1758); daneben trifft man
selbst in fein gehechelten Sorten noch in kleiner Menge Bastparenchymzellen. Ge-
Flachs (Linmii usitatissimum).
Gespinnstfasern (Hanf).
76 J
brochener oder unvollkoromcn gehechelter Hanf ehth&U iiberdies Reste dor Oberhaut,
des Rindenparencbyms und selbst des Holzgewebes. Die Bastfasera besitzen eine
'■'■!/•
1758.
v
Hanf (Canabis sativa).
Lange von 1 — 5cm und dartiber bei einem Querdurchinesser von 0-015 — 0.028mm;
sie sind fast stielrund oder etwas flachgedriickt mit meist stumpfen, seltener mit
spitzen oder selbst in eine lange Spitze vorgezogenen Enden [A), zuweilen an einem
Ende oder an beiden Enden mehr weniger knorrig mit einzelnen entfernten stumpfen
Zahnen oder gerundeten Hockern, dabei leicht verbogen, selten kurzgabelig ver-
zweigt. Die ziemlich stark verdickte Zellwand zeigt bin und wieder einen sebief
verlaufenden Porenkanal und an der Faser des gebrocbenen Hants stets grobe
parallele Streifnng (B) 5 der Zellenraum ist meist leicbt zu erkennen. Auf dem Quer-
schnitte erscheint die Hanfbastfaser gerundet, oder gerundet-polygonal mit farbloser
gescbichteter, ziemlich dicker Wand und engem spaltenformigem einfacbem oder
strahligem, oder aber mit ziemlich weitem spitz-elliptiseliem Lumen. In Kalilange
quillt die Wand farblos auf, Cblorzinkjod farbt sie violett, Jod mit Schwefelsaure
die vollkommen gebleicbte scbon blau, sonst selten rein blau, sondern mehr
weniger griinlich. Schwefelsaures Anilin farbt die unveranderte Bastfaser blassgelb,
Phloroglucin viele schon violettroth, einzelne nicht. In Kupferoxydammoniak quillt
die Wand zuerst unter Hervortreten grober Langs- und zarter querer oder schrager
Streifnng und blangriiner bis blauer Farbe machtig auf; hiebei erscheint die innere
Anskleidung als breiter, dicht ring- oder schraubenformig gefalteter Schlauch (G)
766
Gespinnstfasern.
und auch eine aussert zarte Schicht der Wand widersteht langere Zeit in Gestalt
krausfaltiger Fetzen sich darstellend, wahrend die eigentliche Zellwand bereits
unter der Einwirkung des Reagens sich gelost hat. Haufig sieht man bei dieser die
Hanfbastfaser gleich der Leinenfaser nnd der Baumwollenhaare in Folge stellen-
weiser Einscbniirimgen ein rosenkranzformiges Aussehen annehmen.
Das sogenannte Chinagras, aus dem Stangel von Boehmeria nivea
Gaud. {Urtica nivea L.), und die Ramie fa ser, aus dem Stangel von Boeh-
meria tenacissima Gaud. (Urticaceae) gewonnen , enthalten ausser Bastfasern
(Fig. 1759 A) Reste der Stangelrinde : sehr feine Siebrohren mit stark scbrage ge-
'w
1759.
//■"'■''"''■'' \"i
M
Chinagras (Boehmeria nivea).
stellten Siebplatten und Parencbym, und zwar sowohl cbloropbyll-fiibrende Zellen,
als aucb solcbe, welche kleine Krystalldrusen von Kalkoxalat einscbliessen. Die
Bastfasern des unveranderten Cbinagrases sind zunacbst durch ibre ausserordentlicbe
Lange ausgezeicbnet ; dieselbe betragt 6 — 20cm und selbst dariiber bei einem
Querdurcbmesser von 0 04 — 0.08 tam. Sonst sind sie ziemlicb cylindrisch, beider-
seits kegelforinig verscbmalert mit abgerundeter, stumpier, zuweilen lanzen- oder
spatelformiger, selten gabelig getbeilter Spitze, im Allgemeinen massig verdickt
mit weitem Zellenraum (A), farblos, glatt, litngsgestreift, nach Bebandlung mit Kali-
lauge zwei sich fast recbtwinklicb kreuzende feine, schief zur Langsacbse der
Faser verlaufende Liniensysteme in der Wandflache zeigend (B), einzelne einen
feinkornigen gelbliohen Inhalt einscbliessend. Der Querscbnitt erscboint gerundet:
kreisrund, eirunfl, eiformig oder elliptiscb, meist mit bucbtig eingebogenem Umriss,
mit deutliolier Wandscbicbtung und weitem rundlicbem oder spitz-elliptischem
Lumen. Cblorzinkjod farbt die Wand sofort scbmutzigviolett, Jod und Scbwefel-
sSure kupferrotb, violett oder scbon blau; schwefelsaures Anilin farbt sie nicbt,
ebensowenig wie Pbloroglucin ; in Kupferoxydammoniak quillt sie unter Blau-
farbung und Hervortreten eines breiten faltigen Innenscblaucbs maclitig auf und
lost sich schliesslich. Einzelne Bastfasern sind ganz oder theilweise von Langs-
Reihen kleiner zartwandiger. nahezu kubischer Zellen umsponnen, von denen jede
eine Krystalldruse von oxalsaurem Kalk enthalt (C).
Die Bastfasern der Boehmeria tenacissima ^Ramie) unterscheiden sich haupt-
Gespinnstfascrn.
707
sachlich nur durch ilire Diraensionen. Nacli Wiesner bfetr3gt ihre.Lange hochsteus
80mm bei einem Querdurchmesser von 0-016 — 0-01 20""".
Die Faser des Sunns (braunen Hanfs; Madras-Hanfs), ana der. StSngelrinde
der einjahrigen Papilionacee Crotalaria jimcea L- gewonnen, besteht gleich-
falls der Hanptsache nach aus Bastfaserbiindeln, begleitet von mehr weniger
reichlichen diinnwandigen Zellen des Rindenparenchyms, von Siebr8hren, Stttcken
der Oberhant mit einzelligen kegelformigen, nicht dickwandigen Haaren und Ele-
menten des Holzkorpers. Die Bastfasern (Fig. 1760 A) zeigen eine Lange von J his
Fig. 1761.
Fig. 1760.
Sunn (Crotalaria juncea)
Jute (Corchorus capsuLiris).
12mm bei einern Durclnnesser von 0-02— 0-05mm; sie sind cylindrisch oder fast
prismatisch mit allmalig verschmalerten meist stumpfen oder genmdeten, zuweilen
fast spatelformigen Enden, glatt, farblos; auf dern Querschnitt eirund oder gerundet-
polygonal mit ziemlich dicker geschichteter Wand. Kalilauge farbt diese unter
Quellung voriibergehend gelblich, Chlorzinkjod sofort schmutzig-violett, Jod mit
Schwefelsaure blau, scbwefelsaures Anilin gelblich, Phloroglucin blass-violett, Knp-
feroxydammoniak blau unter Hervortreten einer deutlichen spiraligen Streifung.
weiterhin folgt starke Quellung, wobei ein zarter krausfaltiger Innensehlauch be-
merkbar wird (B) und schliesslicb Losung.
Die Jute, aus dem Stangel mehrerer C or chorus -Aiten, namentlich von
C capsularis L. (Tiliaceae) dargestellt , besteht aus Biindeln sehr innig mit
einander verbundener Bastfasern (Fig. 1761) von nur 0-8 — 5mm (am haufigsten 2mm)
768
Gespinnstfaserri.
Fig. 1762.
Lange und O'Ol — 0-03mm Dicke. Auf dem Quersclm.itte erscheinen diese polygonal,
5 — 6-seitig mit auffallend ungleichem, bald weitem, bald engem eirundem leerem
Lumen und daher sehr ungleicher Wanddicke. Sie sind demnach in ihrem Korper
prismatisch mit rasch zugespitzten, meist abgerundeten Enden, an den Seiten haufig
knorrig, ausgeschweift oder gezahnelt, zumal gegen die Enden zu. Sehr auffallend
ist die ungleiche Wanddicke im Verlaufe der Faser: an manclien Stellen 1-st sie
nicht starker wie bei der Baumwolle und dann der Zellenraum sehr weit, an
anderen Stellen dagegen steht sie der Leinenfaser nicht nach. An einer und
derselben Bastfaser sieht man sehr haufig den bis auf einen linienfortnigen Kanal
reducirten Zellenraum von Strecke zu Strecke plbtzlich oder allmalig in eine
Erweiterung iibergehen; auch eine ungleiche Wandstarke in derselben Hohe einer
Faser kommt vor. Chlorzinkjod farbt die Wand braungelb, Jod mit Schwefel-
siiure griinlich-blau, schwefelsaures Anilin schon gelb, Phloroglucin sofort purpura,
Kupferoxydammoniak unter massiger Quellung blaulich.
Der aus den Blattern von Phormium tenax Forst. (Liliaceae) abgeschie-
dene Neuseeland-Flachs besteht der Hauptmasse nach aus Strangen bast-
faserartiger Elemente (Fig. 1762) begleitet (wenigstens in der Rohwaare) von senk-
rechten Reilien kurzprismatischer derbwandiger
getiipfelter Parenchymzellen (pp), von Bundeln
sehr f einer Siebrohren (Cambiform) und mehr we-
niger reichlichen Resten von Holzgefassen : meist
abrollbaren Spiralgefassen mit einfachem oder
doppeltem Spiralbande, welche den im Manilla-
hanf angetroffenen gegeniiber nicht sehr weit
sind (0-05— 0-07mm mit etwa 0-007mm breitem
Spiralbande). Hin und wieder trifft man Ober-
hautstiicke aus kleinen tafelformigen Zellen mit
einzelnen Spaltbffnungen. Die Bastfasern selbst
sind 8— 10ulm lang (Wiesner) mit einem Quer-
durchmesser von 0-008 — 0*01 6mm, fast prisma-'
tisch, gleichmassig und eben nicht stark verdickt
(jedenfalls aber relativ dickwandiger als jene des
Manillahanfs) mit deutlichem, meist weitem Zel-
lenraum, allmalig nach den Enden verschmalert
und hier meist spitz oder zugespitzt, seltener
stumpf oder in eiue kurze Spitze vorgezogeu,
glatt, farblos ; auf dem Querschnitte gerundet-
polygonal mit meist kreisrundem Lumen. In
Kalilauge quillt die Zellwand unter voriiber-
gehender gelblicher Farbung auf, Chlorzinkjod
farbt sie goldgelb, Jod mit Schwefelsaure grtin-
lichblau bis blau, schwefelsaures Anilin kaum
wahrnehmbar gelblich (dagegen die Spiralbander
der Gefasse schbn gelb ; bei reichlicherer An-
wesenheit dieser letzteren nimmt daher die Roh-
faser eine gelbe Farbe an), Phloroglucin blass-
violett, Kupferoxydammoniak unter massiger
Quellung blaulich.
Der sog. M a n i 1 1 a h a n f (Abaca), die Faser
aus dem Stangel von Musa textilis Nees
auf den Philippine)! (auch wohl von andern Musa-Arten) darstellend, besteht gleich-
lalls vorwiegend aus bastzellenartigen Elementen (Fig. 1763) und daneben aus
den wohlerhaltenen oder in Resten vorhandenen Gewebselementen, welche das
Gefassbiindel jener Pflanzen zusammensetzen, namentlich aus sehr weiten Ge-
l'assen (Netz-, Ring- und abrollbaren Spiralgefassen sp) und Langsreihen kurzcy-
lindrischer diinnwandiger Parenchymzellen [pp). Die Bastfasern selbst sind bei
(^
J
Neuseeland-Flachs (Phormium tenax)
Gespinnstfasern.
769
einem mittleren Querdurchraesser von 0:024mm 3 — 12mm lang, fast cylindriscb
oder gerundet-prismatisch mit wenig und gleichmassig verdickter Wand mid wei-
tem Zellenraum, nach den Enden allmalig verjttngt und hier spitz oder gtumpHich,
nicht selten gegen das Ende zu mit etwas wellenformigcm Umriss, son.st voll-
kommen glatt. Der Querschnitt erscheint gerundet-polygonal oder rundlich mit
Fig. 1764.
Fig. 1763.
Manillahanf (Musa textilis).
Cocosfaser.
weitem Lumen. Gleich den Bastfasern des neuseelandischen Flachses lassen sie
sich durch Kalilauge leicht isoliren. Chlorzinkjod farbt ihre Wand braun gelb
bis schmutzig-violett, Jod mit Schwefelsaure goldgelb , dann von innen nacb
aussen schon blau, Kalilauge voriibergebend unter Quellung gelb, Kupferoxyd-
ammoniak unter schwachem Aufquellen blaulichgriin. Weder schwefelsaures Anilin
noch Phloroglucin bringt Farbung bervor.
Ganz ahnlich verbalten sich die Fasern anderer Musa-Arten. Musa para-
disiaca soil etwas dickere Bastfasern besitzen.
Die Cocosfaser (Coir), aus der Fruchtscbale der Cocosnuss gewonnen
(siehe denArtikel: Cocos), bestebt vorwaltend aus Bastfasern (Fig. 1 704) ; daneben
finden sich diinnwandige prosenckymatische Elemente (Cambiform), engr&umige
Holzgefasse (gettipfelte und Spiralgefasse), so wie in Langsreihen geordnete sehr
kleine, mit der Wand der Bastfasern an der Oberflache innigst verbundene Zellen,
Karmarsch & Heeren, Techuisches Worterbuch. Bd. Ill 4 9
770
Gespinnstfasern.
Fig. 1765.
welche ungleich starker an der Innenwand verdickt und hier stark verkieselt sind.
Durch diese convex nach aussen vorspringenden, als Deckplattchen (Stegmata)
bezeichneten Gebilde erhalt die Bastfaser ein ganz eigenthiimliches hockeriges
oder warziges Aussehen (st st). Die Bastfasern selbst sind nur 0*4 — 08mm lang bei einem
Querdurchmesser von etwa 0*02mm, stielrund mit stumpfen oder abgerundeten Spitzen
und haufig mit ausgeschweiften oder gezahnelten ausseren Grenzlinien ; auf dem Quer-
schnitte rundlicb mit ziemlich dicker, hin und wieder von Porenkanalen durchbrocbener
Wand und weitem rundlicbem Lumen. Die mit Kalilauge isolirten Bastfasern
zeigen die aufgequollene Wand innen mit einem Spiralbande zierlicb ausgekleidet.
Cblorzinkjod fSrbt die Wand braungelb, Jod und Scbwefelsaure grim, schwefel-
saures Anilin scbon gelb, Phloroglucin blass purpura, Kupferoxydammoniak unter
schwachem Aufquellen gelbgriin.
Die Agavefaser, Pita, Chan-
vre Pita, Aloefaser, betrifft zunachst
die aus den Blattern der Agave
Americana L. (Pita) und anderen
Agave-Arten (Famil. der Agaveen),
wie namentlich aus Agave Mexi-
cana Lam. (Maguey), Agave filif era
Salm., A. vivipara L., A. (Four-
croya) foetida L., Agave Sisalana
Mill. (Sisalbanf) etc. dargestellte
Faser. Mit dem Namen Aloefaser
oder Pita werden aber auch haufig
im Handel die Blattfasern verschie-
dener Bromeliaceen, wie jene von
Ananassa sativa Lindl. (Bromelia
Ananas L.), Bromelia Karatash. etc.
und Liliaceen, wie jene von Aloe-
Arten (A. perfoliata Lour., A. litto-
ralisw.dL.), von Yucca- und San-
s e v i e r a - Arten ( Yucca Jilamentosa
L., Y. aloefolia L. ; Sanseviera
Zeylanica Willd.) bezeicbnet.
Die ecbte Agavefaser (Fig.
1765) besteht vorwaltendaus starken
Bastfaserbiindeln, begleitet von senk-
recbten Reihen langerer und kiirzerer
derbwandiger getiipfelter Parencbym-
zellen (p), Cambiform, Biindeln enger
treppen-, netz- und abrollbarer Spi-
ralgefasse (sp), abgerollten Spiralban-
dern, Resten eines spharoidalen diinn-
wandigen grosszelligen Parencbyms und haufig von grossen prismatiscben Kalkoxalat-
krystallen. Die Bastfasern (b) sind prismatiscb, meist einfacb zugespitzt, mit haufig
stumpfer oder schiefer, seltener kurzgabeliggetheilter Spitze 0'6 — 4*0mm lang bei
einem Durchmesser von 0-025 — 0*036mm, derbwandig bis ziemlich dickwandig,
mit nicht selten an einer und derselben Faser etwas veranderlicher Wanddicke,
sehr deutlich spaltentiipfelig, mit deutlichem weitem Zellenraume, ganz glatt oder
einzelne mit ausgeschweift-gezahnelter Begrenzung, auf dem Querschnitte polygonal
mit rundlich-polygonalem Lumen. Cblorzinkjod farbt die Wand gold- bis braun-
gelb, Jod mit Scbwefelsaure gelb, dann griin und scbliesslich von innen nach
aussen blau, Kupferoxydammoniak unter starker oder ziemlich starker Quellung
und unter Hervortreten einer deutlichen spiraligen Streifung blaulich. Anilin und
Phloroglucin farben die Wand entweder gar nicht oder ganz schwach gelblich,
respect, violett-rbthlich ; die Spiralgefasse werden dagegen meist deutlich gefarbt,
Agavefaser (Agave Americana
Gespinnstfasern. 771
daher bei reichicherer Anwesenheit derselben die Kohfaser selbst durch die beiden
Mittel eine gelbe resp. rothliche Farbe antiimmt.
Die Bastfasern der anderen oben angefiihrten Agave-Arten weichen zurn
Theil in Form, Grosse, Wanddicke, Verhalten gcgcn Reagentien etc. von den
beschriebenen der Ag. Americana ab. Die ecbte Aloefaser, von Aloe-Arten
(zumal A. perfoliata), besteht nach Wiesner bloss aus Bastfasern von 1*3 — 3,72mm
Lange und 0-015 — O024mm Dicke. Dieselben sind regelmassig cylindrisch
mit koniscber Zuspitzung, einzelne gabeltheilig, sehr stark verdickt mit spar-
lichen Spaltentiipfeln, bei Quetschung oder Behandlung mit Kalilauge spiral ige
Streifung zeigend; mit Kupferoxydammoniak farben sie sich unter starker Quellung
blau, mit Jod und Schwefelsaure die meisten rothbraun, einzelne grlinlich oder
gelb, stellenweise blau.
Die Yuccafaser, „Silkgrass" der Englander, von Yucca aloefolia L.,
jilamentosa L. etc. gewonnen, aus Amerika in den europaischen Handel gelangend,
ist nach Ve till art von der Agavefaser sehr schwer zu unterscheiden. Ihre
Bastfasern sind am Querschnitte polygonal mit engem gerundetem Lumen, dick-
wan dig mit regelmassig verschmalerten Enden, bei 0*01 — 0'02mm Durchmesser
0-5— 6-0mm lang.
Die Sanseviera-Faser, „Moorva", Bowstring-Hemp, von S. Zeylanica
Willd., besteht nach demselben Gewahrsmann aus 1-5— 6'0mm langen, 0-015
— 0*026mm dicken, am Querschnitt polygonalen weitmiindigen, nicht sehr dick-
wandigen, an den Enden lang ausgezogenen spitzen Fasern.
Die- echte Ananas fa ser (Piiia), von Ananassa sativa Lindl. {Bromelia
Ananas L.) besitzt nach Ve till art sehr gleichmassig, aber verschieden dicke,
glatte, am Querschnitte rundliche oder polygonale Bastfasern mit verlangerten
spitzen Enden, sehr dicker Wand und engem Lumen, von 3 — 9mm Lange und
0*004 — 0'008mm Durchmesser ; die Faser der Bromelia Karatas L. nach Wiesner
dlinnwandige, 1-4 — 6'7mm lange, 0.027 — 0,042mm ■*) dicke, cylindrische, an den
Enden zugespitzte, spaltentupfelige, nicht spiralig gestreifte Bastfasern, die mit
Jod und Schwefelsaure rostroth, mit Kupferoxydammoniak blaulich, unter schwacher
Quellung, gefarbt werden.
Die Wolle der Wollbaume, verschiedener Arten der Gattung B o m b a x, ins-
besondere von B. Malabaricum DC. und Bombax heptaphyllum L. , sowie
anderer verwandter Bombaceen stellt gleich der Baumwolle Samenhaare dar. Die-
selben sind im Allgemeinen cylindrisch, nach der Spitze zu allmalig kegelformig
verschmalert, manche flachgedriickt oder ausserdem um die Achse gedreht, am
Grunde etwas gekriimmt und kolbig ausgebaucht, farblos (wenigstens bei B. Ma-
labaricum), einzellig (ausnahmsweise zweizellig), diinnwandig, am Grunde zuweilen
mit netzformiger Wandverdickung, 1 — 3cm lang bei einem grossten Querdurchmesser
von 0-02 — 0*04mm, luftfiihrend. Jod mit Schwefelsaure farbt die scharf hervor-
tretende Cuticula goldgelb, die eigentliche Zellwand, nachdem unter ihrer Quellung
die Cuticula gesprengt ist, schon blau; Chlorzinkjod farbt die Haare gelb, Anilin
blassgeblich, Phloroglucin schwach, aber deutlich rdthlich, Kupferoxydammoniak
bewirkt bloss eine schwache Quellung.
Die Wolle der Wollgrasarten (Eriophorum august i 'folium Roth, E. lati-
folium Hopp., E.vaginatum L., E. gracile Koch, E. Sclieuchzerl Hopp., E. aljn-
num L. ; — insbesondere kommt jene der beiden erstgenannten Arten, die bei
uns haufig wachsen, in Betracht) stellt die Frucht begleitende flache vielzellige,
aus breitem, meist abgerundetem oder verwachsenem Grunde allmalig nach der
Spitze verjiingte Zotten dar(Fig.l766). Das sie zusammensetzende, aussen von einer Cu-
ticula iiberzogene Gewebe besteht aus axial gestreckten, im Ganzen parallel-
epipedischen farblosen, meist lufterfiillten Zellen (5) ; ihre Wand ist diinn, nur der
Grund eines jeden Haares wird aus derbwandigen, von Porenkanalen durch-
brochenen Zellen gebildet und haufig sind auch die aussersten Spitzenzellen
*) Nach Vetillart Liinge — 3-5 — 10mm; Durchm. — 0'020 -003'»™,
49*
772
Gespinnstfasern.
starker verdickt. Die Lange der Zotten schwankt nach den Arten zwischen 2 — 4cm
(die kiirzesten [2 — 2'/2cm] hat E. alpinum, vaginatum, gracile, Scheuchzeri, die
langsten [3 — 4cm] E. angustifolium und latifelium) • die grosste Breite (iiber
dem Grunde) liegt zwischen 0.0288 — 0-1620mm (die breitesten hat E. vaginatum
und E. alpinum — 0-108 — 0'162Dmm die schmalsten E. gracile — 0-0288
— 0-O54mm, in der Mitte stehen die Zotten von E angustifolium, latifolium und
Scheuchzeri mit 0*072 — 0-108mm). — Die Zottenspitze ist meist einfach, aus
1 oder 2 neben einander liegenden Zellen gebildet, so bei E. angustifolium,
latifolium, Scheuchzeri und gracile (1 — 3) ; eine 2 — 3gabelige(in 2 — 3 vorspringende
Zellen endende) Spitze zeichnet die Zotten des E. vaginatum aus (4), wahrendjene
des E. alpinum sehr auffallend charakterisirt sind durch zerstreute gerade vor-
gestreckte oder spitzenwarts gebogene Zahnchen und durch eine mit derartigen
Fiq. 1766.
5 1 2 3 4
Haare der Wollgraser.
Zahnchen diclit besetzte und mit solchen endende Spitze. Jod mit Schwefelsaure
farbt die Cuticula gelbbraun, die eigentlichen Zellwande schon blau, Chlorzinkjod
farbt die Zotten geblich, Kupferoxydammoniak blass-blaulich-griin unter geringer
Quellung der Zellwande. Weder Anilin noch Phloroglucin bewirken eine Farbung.
T hi er haare. Selten ohne Weiteres, meistens nach Behandlung mit ge-
wissen Mitteln, wie Sauren und Alkalien oder am besten mit Kupferoxydammo-
niak, tritt an den Gespinnstfasern, welche Thierhaare darstellen, die denselben
cigenthiimliche Structur hervor: zu ausserst eine dilnne Hillle, das Oberhaut-
chen (oder die Cuticula), welche aus sehr zarten glashellen, dachziegelformig
sich deckenden Epith elplattchen zusammengesetzt ist. Darunter folgt die
Rind en- oder Faserschicht, die Hauptmasse des Haares bildend, von streifig-
faserigem Aussehen , aus feinen, etwas flachgedriickten Faserzellen bestehend ;
endlicli in vielen Fallen ein centraler Strang eines Gewebes von parenchymati-
schem Aussehen, aus kleinen gerundet-polyedrischen Zellen gebildet, das Mark
(Marksubstanz). Die natiirliche Farbe der Haare hangt meist ab von einer Far-
bung der Rindenschicht, welche entweder gleichmassig oder fleckig ist, seltener
von einem in den Zellen des Markes vorhandenen Pigment. Die weisse Farbe
der Haare wird zumeist bedingt durch die mit Luft erfiillten Markzellen oder
durch die an und ftir sich farblosen Elemente, welche das Haar zusammensetzen.
Gespinnstfasern. 773
Die wichtigsten Anhaltspunkte zur Erkennung inul Unterscheidung der ver-
schiedenen Haare gewahren ilire Grbsse, die relative Starke der einzelnen
Schichten, sowie Grbsse und Form der sie zusammensetzenden Elemente, das
Vorhandensein oder Fehlen des Marker etc. Die gewbhnliche Schafwolle
besteht aus weissen oder gelbgefarbten, 4 — 32cm langen, 0*014 — Q'06mm dickeo
Haaren, an denen man unter Wasser gesehen in der Kegel nur die Bcharf-
gezeichneten Epithelplattchen, zuweilen auch die Rindenschicht und ein Mark
erkennt. Bei Behandlung mit Schwefelsaure tritt an vielen Haaren letzteres her-
vor; wo dies nicht der Fall ist7 sind die Haare urspriinglich marklos. Concentrirte
Schwefelsaure mit Salzsaure Ibsen nach Wiesner die Haare unter Rothfarbung,
Kupferoxydammoniak bewirkt eine schwache Quellung unter Blaufarbung.
Das weisse Haar der Angoraziege (Hircus Angorensis), woraus die Angora-
(Mohair) Wolle besteht, hat nach Schlesinger eine Lange von 16cm bei einem
Durchmesser von 0'02 — 0-03,nm. Es lasst ohne Weiteres grosse scharfeckige
Epithelplattchen und meist leicht die Rindenscliieht erkennen, dagegen ist ein
Mark weder unter Wasser noch nach Behandlung mit Schwefelsaure sichtbar.
Nur sehr selten treten kleine Inseln von Markzellen hervor.
Das weisse Alpacahaar (Alpacca- oder Pacos-Wolle) von Auchenia Paco
Illig. zeigt jederzeit alle Schichten ; das Mark erscheint graulich und durchzieht
nur selten continuirlich, meist nur mit Unterbrechungen das Innere des Haares.
Das braune und schwarze Alpacahaar lasst unter Wasser keinerlei Structur er-
kennen, nur am Rande lassen sich bei genauer Untersuchung die Epithelplattchen
wahrnehmen. Nach Schlesinger hat das Haar eine Lange von 15cm bei einem
Durchmesser von 0 02— 0-034mm.
Die Sei deist bekanntlich das erstarrte Secret zweier langer schlauchfbrmiger
Driisen (Spinndrilsen) des „Seidenwurms," der Raupe des wahrscheinlich aus China
stammenden Maulbeer- oder Seidenspinners (Bombyx Mori), welches in Gestalt
eines sofort nach dem Hervortreten aus dem Korper der Raupe sich bildenden
Doppelfadens ausgeschieden, in ununterbrochenem Zusammenhange zum Bau
des Cocons verwendet wird. Durch das sogenannte Entschalen oder Degumiren
wird der Kitt (Seidenleim), der die beiden zum Doppelfaden verbundenen Fitden
vereinigt und iiberzieht, in Lbsung gebracht, wesshalb die degumirte Seide aus
einzelnen Faden besteht. Diese sind stets solid (innen nicht hold) und voll-
kommen structurlos. cylindrisch, 0-009 — 0-02 lmm dick; manchmal zeigt sich eine
zur Langenachse parallele^Zerkliiftung. In Sauren und besonders in Alkalien quillt der
Seidenfaden auf; concentrirte Schwefelsaure , Aetzkali und Kupferoxydammoniak
losen ihn nach einiger Zeit auf. Bruchflachen des Seidenfadens sind meist aus
zwei bis mehreren treppenformig liber einander stehenden Flachenstiicken gebildet
(Wiesner). Der Faden jede>3 Cocons bildet an diesem drei Schichten, aus wel-
chen drei dem Werthe nach sehr verschiedene Seidensorten gewonnen werden.
Die ausserste liefert die Florett- oder Flockseide, die mittlere die feine Seide, die
innerste die Wattseide. Die Faden dieser drei Sorten sind in Form und Grosse
des Querschnittes nach Wiesner veranderlich. Florettseide andert ihre Quer-
schnittsform innerhalb langerer, Wattseide innerhalb klirzerer Strecken, so dass
an dieser die Begrenzungslinien starkere Kriimmungen zeigen. Der Querschnitt
beider schwankt zwischen 0*009 — 0'014mm; feine Seide ist dicker als Florett-
und Wattseide und sehr constant in der Grbsse des Querschnitts, der meist
0-018mm betragt. — Die Seide des Ailanthuss pinner s {Saturnia Cynthia)
lasst sich nach Wiesner mikroskopisch leicht von echter Seide unterseheiden.
Der Durchmesser des Fadens liegt zwischen 0-011 — 0-025mm, und zwar an den
ausseren, mittleren und inneren Theilen des Cocons, ja selbst an einer und
derselben Stelle des Doppelfadens besitzen dessen Theiltaden oft einen verschie-
denen Querschnitt; ferner besteht die Ueberkleidung des Doppelfadens aus einer
kbrnigen Haut, der. Faden selbst zeigt eine zarte parallele Faserung und beiin
Zerreissen entstehen btischelige Faserenden. Aug. VogL
774
Gespinnstfastem.
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lde.
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—
schwache
—
Q. =
- Quellung.
Gestange. — Geviere. 775
Gestange ('perches — poles). Mehrere zu einem Ganzen verbundene Stangen
oder Balken, welche zur Uebertragung oder zur Leitung einer Bewegung dienen.
In ersterem Sinne gebraucht man dieses Wort bei der Bezeichnnng B e h r- and
Puinpen -Gestange, im letzteren bei Fahrgestange; bezeicbnend die
Summe jener parallel liegenden Balken, in deren Spur die Forderschale lauft. Kk.
Gestangebewegung, Gestangbewegung, Hin- und Her bewegung
(mouvement de va-et-vient — see- saio -motion).
Gesteiliarbeit; Steinarbeit (damboard), wird in der Weberei jene Art
Muster genannt, welcbe aus quadratischen und rechteckigen Felclern bestehen,
und namentlich bei ordinaren Leinendamasten haufig vorkomraen.
Gesteinbohrmaschinen, s. Bobren I pag. 699. Seit der Zeit, als jener
Artikel, auf welcben wir hier verweisen, gescbrieben wurde, ist durch Ingenieur
Brandt in Zurich ein neues System in die Praxis eingefiihrt worden. Hierbei
wird ein Stahlkronenbohrer verwendet, welcher durch hydrauliscben Druck — an
100 Atmospharen — einerseits sehr kraftig gegen den Stein gepresst, andererseits
langsam gedreht wird. Diese Maschine arbeitet sowobl auf harte als weiche
Steine (Granit, Kalk) vorziiglich und ist in einer ausgezeichneten Monographic
durch den Constructeur Riedler (Wien. Lehmaun & Wenzel, 1878) be-
schrieben. Kk.
Gestell (bdti — stock), rahmenartige Geriiste; ferner in der Metallurgie
(ouvrage — hearth) der untere, verengte Theil eines Schachtofens, s. Ill pag. 8
Gestemm, die von den Hirnrandern der Dauben gebildeten Fassrander.
Gesundheitsgeschirr, Sanitatsgeschirr, im Allgemeinen Thonwaaren mit blei-
freier Glasur, fur den Kiichengebrauch ; auch Porzellan fiihrt diesen Namen. Gtl.
Gesundheitshdlzchen, d. s. giftfreie, auch schwedische Ziindbolzchen, siehe
Ziindwaaren.
GesundheitSStein, s. m. Schwefe Ikies o. Pyrit.
Getah Karet, s. Kautschuk.
Getall Lahoe, s. Sumatrawachs.
Getee, Faser von Marsdenia tenacissima, dient als Flachssurrogat. Gtl.
Getretene Arbeit, Fussarbeit {etoffes faconnees a la marche), durch
Bethatigung von Tritten hergestellte, gemusterte Stoffe.
Getreide-Reinigungsmaschinen, siehe Landwirthschaft und Mehl
fabrikat ion.
Getreidestein, s. Bier stein I pag. 520.
Getriebe (pignons — pinions) sind die in den Uhren vorkommenden, aus
Triebstahl hergestellten Zahnradchen mit grosser Breite der Zahne; audi wird
ein ganzer Satz zusammenwirkender Rader Getriebe genannt.
Getriebene Arbeit, Treibarbeit (repousse), siehe Blechb ea rb ei t ung
I pag. 554 und Ciseliren II pag. 362.
Gettaniagummi, s. m. Gutta-Percha.
Geviere, s. Bergbau I pag. 399.
77G Gevierte. — Gewicht.
Gevierte, s. Buchdruckerei II pag. 129; ferner Tafelglas von etwas
grosserer Lange als Breite.
Gewande (jambage — jamb), Begrenzung einer MauerofFnung zur Seite ;
je nach dem Material der Construction bezeichnet man dasselbe als Stein-, Ziegel-,
Holzgewande und je nach der Art der Oeffnung als Fenster-, Thiir- oder Thorgewande.
Siehe auch Fenster III pag. 403. Grolvni.
Gewebe (tissu — web) ist im weitesten Sinne jedes flachenartig ausgedehnte
Fabrikat, das durch regelmassige Kreuzung oder Verschlingung von Faden oder
fadenahnlichen Korpern mittelst einer maschinellen Vorricbtung hervorgebracht
worden ist, s. Weberei, Wirkerei, Netzen und Bobbinnet (I pag. 667).
Gewehre, s. Feuerwaffen III 439.
Gewehrpulver7 s. Explosivstoffe III pag. 322.
Gewehrfabrikation, s. Feuerwaffen III pag. 442 etc.
Gewehrlaufe, s. Feuerwaffen III pag. 442.
Gewehrschafte, s. Feuerwaffen III pag. 453.
Gewehrschltisser, s. Feuerwaffen III pag. 450.
Gewicht (pesanteur — gravity). Gewicht, als tbeoretischer Begriff, ist die
Grosse des Druckes, den ein Korper auf seine Unterlage ausitbt. Dieser Druck
ist eine Folge der Anziehung, welobe die Erde auf die Korper ausiibt, und deren
Starke im geraden Verhaltnisse des Productes der Massen des anziehenden (also des
Erdkorpers) und des angezogenen Korpers und im umgekehrten Verhaltnisse des Qua-
drates der Entfernung der Massen sich aussert. Die Grosse des Druckes auf seine
Unterlage, welche ein bestimmter Korper auf der Erde zeigt, ist einerseits abkangig
von der Grosse seiner Masse, andererseits aber von der Entfernung des Korpers
vom Erdmittelpunkte, da die im Gefolge der Acbsendrehung der Erde stehende
Fliebkraft, deren Grosse mit der Entfernung vom Erdmittelpunkte wachst, der
Anziehung entgegenwirkt. Es folgt bieraus, dass die Grosse des Druckes, den ein
und derselbe Korper auf seine Unterlage ausiibt, an verschiedenen Punkten der
Erdoberflache verscbieden sein muss. Genaue Bestimmungen haben ergeben, dass
fiir ein und denselben Korper die Grosse dieses Druckes an den Polen etwa
7I00 mehr betragt als am Aequator. Mit Hilfe der Wage, welcber man sich
allgemein zur Bestimmung des Gewichtes der Korper bedient, lassen sich nun
diese Differenzen nicht ermitteln, insoferne an der Wage der zu wagende
Korper sich unter denselben Verhaltnissen befindet wie die Masse jenes, dessen
man sich zur Herstellung des Gleichgewichtes bei der Wage bedient. Das, was
man also im gewohnlichen Leben Gewicht, absolutes Gewicht (poids absolu —
absolute weight) nennt, ist kein Ausdruck fur die wahre Grosse des Druckes, den
ein Korper auf seine Unterlage ausijbt, sondern vielmehr nur ein Mass der Masse,
welche den Druck ausiibt. Als Einheit dieses Masses gilt fiir wissenschaftliche
Zwecke allgemein, fiir praktische Zwecke auch in vielen cultivirten Landern
Enropas das Gramm, d. i. das Gewicht eines Cub. -Cent, vollig reinen Wassers
von 4° C. Mehrfach sind jedoch auch noch andere Gewichtseinheiten im Gebrauche,
deren Eintheilung und Verhaltniss zum Gramm sich im Artikel Masse ange-
geben findet.
Zu der praktischen Ermittlung der Korpergewichte, wie sie mit Hilfe der
Wage (s. d.) bestimmt werden, bedient man sich ganz allgemein abgemessener
Massen von bestimmter Grosse, d. i. der Gewichtsstiicke oder Gewichte (poids —
weight), welcbe entweder aus Metall (Eisen, Messing, Platin) oder aus anderem
geniigend scbweren Materiale (Stein), fiir feinere Gewichte namentlich auch Berg-
krystall bergestellt sind. Sie sollen so geformt sein, dass sie sich bequem fassen
Gewicht. — Gewicht specifisches. 777
lassen, unci ihre Oberflache soil so beschaffen sein, class sich nicht leicht Schmutz
und Staub an clenselben festsetzt, so wie audi das Materiale moglichst wider-
standsfahig gegen Abniitzung beim Gebrauche sein muss, damit sich beira fort-
gesetzten Gebrauche nicht allzugrosse Abweichungen vom Normalrnasse heraus-
stellen. Ueberdies mlissen sie in gut erkennbarer Weise die Werthbezeiehnung
tragen. In Oesterreich, sowie in den meisten iibrigen Staaten sind iibrigens die
fur den Handelsverkehr bestimmten Gewicbtsstitcke mit einer ihre Vollwichtigkeit
bezeugenden Marke (Punze oder Aichsterapel) versehen. Die gebrauchlioh.ste
Form fiir Gewichtsstiicke ist die von abgestumpften Kegeln oder abgestumpften
4 — 6seitigen Pyrarniden, seltener von Kugelsegmenten. Kleinere Gewichtsstiicke
verfertigt man nicht selten in der Form von abgestumpften Kegeln, die innen hohl
und in ihrer Grosse so bemessen sind, dass immer das nachst kleinere Gewichts-
stiick in die Hohlung des nachst grosseren passt (Schalgewichte oder Einsatz-
gewichte). Sehr kleine Gewichte, Gran-, Decigramm- oder Centigramm- Gewichte
stellt man meist in Gestalt kleiner Bleche mit umgestiilpter Ecke (zum Anfassen),
seltener aus diinnem Drahte (vergold. Messing, Platin oder Aluminium) her, wel-
cher schneckenformig aufgewunden und dessen Liinge so bemessen ist, dass die
Anzahl der Windungen die Anzahl der Decigramme, Centigramme oder Grane
angibt, welche durch das betreffende Gewichtsstiick reprasentirt werden. Eine
besondere Art von Gewichten sind endlich die Laufgewichte, deren man sich
zu Wagungen an ungleicharmigen Wagen (Schnellwagen) oder zur Bestimmung
sehr kleiner Gewichtsmengen auf sehr empfindlichen Wagen bedient. Grossere
Laufgewichte haben meist die Form von Kugeln und sind mit einem an seiner
Innenseite zu einer Schneide zugescharften Haken versehen, mit welchem sie auf
dem Wagebalken aufgehangt und an demselben verschoben werden konnen ;
kleinere Laufgewichte, z. B. Milligrammhaken, sind meist aus diinnem Metall-
drahte gefertigte Reiterchen (Reitergewichte), welche mittels einer Pincette oder
einer eigenen Vorrichtung (Reiterverschiebung) am Wagebalken hin und her ge-
schoben werden konnen (vgl. lib. a. Wage). Gil.
Gewicht specifisches (poids specijiqne — specific gravity). Durch Wa-
gung erfahrt man die Grosse der Masse eines Korpers ohne Riicksicht auf sein Volu-
men, d. i. sein absolutes Gewicht. Vergleicht man die absoluten Gewichte gleicher
Volumen verschiedener Korper mit einander, so gelangt man zur Kenntniss der
in gleichen Raumtheilen enthaltenen Massen verschiedener Korper, d. i. indirectc
zur Kenntniss der Dichte der Korper (vgl. Dichte II pag. 622). Vergleicht
man die Gewichte gleicher Raumtheile verschiedener Korper mit einander, iudem
man eines derselben zur Einheit wahlt und darauf alle iibrigen Gewichte bezieht.
so erhalt man Verhaltnisszahlen , welche man im Allgemeinen specifische
Gewichte nennt. Als Einheit der spec. Gewichte fester und fliissiger Korper
hat man das Gewicht der Volumseinheit des reinen Wassers gewahlt, wahrend
man als Einheit der spec. Gewichte der Gase und Dampfe das Gewicht der
Volumseinheit der atmosphar. Luft angenommen hat. Das spec. Gewicht eines
fliissigen oder festen Korpers ist demnach die Zahl, welche angibt, wie vielmal
der bestimmte Korper schwerer oder leichter ist als ein gleich grosses Volumen
Wasser, das spec. Gew. eines Gases die Zahl, welche angibt, wie vielmal das
bestimmte Gas leichter oder schwerer ist als ein gleich grosses Volumen atmo-
spharischer Luft. Allgemein findet man demnach das specifische Gewicht eines
Korpers, wenn man sein absolutes Gewicht durch das absolute Gewicht des
gleichen Volumens Wasser (fiir fliissige oder feste Korper) oder des gleichen
Volumens atmosphar. Luft (fiir gasformige Korper) dividirt, oder durch eine
p
allgemeine Formel ausgeclriickt S — — , worin S das spec. Gewicht, P das
absolute Gewicht des Korpers und p das absolute Gewicht des gleichen Volumens
Wasser (bez. Luft) ausdriickt. Weiss man z. B. , dass ein Cub.-Zoll Eisen
210-6 Gramm,, ein Cub.-Zoll Gold 520 Grin, wiegt, wahrend das Gewicht eines
778 Gewicht specifisches.
Cub.-Zolles Wasser 27 Grm. betragt, so erhalt man das spec. Gewicht des
Eisens == — — — — 7-8, das des Goldes == — — == 19-26.
Insoferne die Verschiedenheit der spec. Gewichte ihren Grund in der Ver-
schiedenheit der Raumerfullung einerseits und der Verschiedenheit der Molecular-
gewichtsgrosse andererseits hat, ist das spec. Gewicht bei festen und fliissigen
Korpern, z. Th. ein Mass der Dichte; bei gasforniigen Korpern, bei welchen die
Raurnerfiillung unter gleichen Druck- und Ternperaturverhaltnissen als eine gleich-
artige angesehen werden muss, ein Mass der Moleculargewichtsgrosse und seine
Kenntniss als eines wesentlichen Factors ftir die Charakteristik der Materie daher
von besonderer Wichtigkeit. Zur Ermittlung des spec. Gewichtes eines Korpers
bedarf man dem oben Gesagten zufolge einerseits der Kenntniss des absoluten
Gewichtes des betreffenden Korpers, andererseits der Kenntniss des absoluten
Gewichtes des gleich grossen Volumens Wasser oder atmosph. Luft. Am ein-
fachsten ist die Bestimmung dieser Daten bei fliissigen oder gasformigen Korpern,
indem man nur noting hat, ein bestimmtes Gefass, am besten ein solches,
welches mit einem engen Halse versehen ist, an welchem eine Massmarke an-
gebracht ist, zunachst zu wagen, sodann mit der zu untersuchenden Fliissigkeit
bis genau zur Marke zu fiillen und zu wagen, wodurch man nach Abzug des
Gewichtes des leeren Gefasses das absolute Gewicht des das Gefass bis zur
Marke erfiillenden Fliissigkeitsvolumens erfahrt, um sodann dasselbe Gefass mit
reinem Wasser ebenfalls genau bis zur Marke zu fiillen und abermals zu wa-
gen, wobei man nach Abzug des Gewichtes des leeren Gefasses das Gewicht
des gleich grossen Wasservolumens erfahrt. Da es bei solchen Bestimmungen
auf moglichst genaue Ermittlung der absoluten Gewichte ankommt und oft nur
geringe Mengen der zu untersuchenden Korper zur Verfiigung stehen, so pflegt
man solche Gefasse meist nur in kleinen Dimensionen (5 — 10oc Fassungsraum)
herzustellen und pflegt ihnen dann eine Einrichtung zu geben, welche moglichst
sichere Erzielung der Volumgleichheit gestattet, was man erreicht, wenn man die
Gefasse so einrichtet, dass sie vollstandig mit Fliissigkeit gefiillt werden. Zu
diesem Ende pflegt man die meist aus moglichst schwachem Glase hergestellten,
meist ballonformigen oder cylindrischen Gefasse entweder mit einem in der
Liingsachse mit einer capillaren Bohrung versehenen, gut eingeschliffenen Glas-
stopsel verschliessbar zu machen, oder mit einer auf den Rand des Halses gut
aufgeschliffenen Deckplatte, die selbst eine feine Bohrung tragen kann, zu ver-
sehen. Der Rand des Halses muss dann moglichst glatt abgeschliffen sein und
keinerlei Vorspriinge oder Vertiefiingen zeigen, in denen sich Fliissigkeit anzu-
sammeln vermag. Solche Gefasse, welche man Pyknometer*) nennt, fiillt
man, nachdem man vorher ihr Gewicht genau bestimmt hat, beim Gebrauche
mit der zu untersuchenden Fliissigkeit vollstandig an, driickt dann den durch-
bohrten Pfropf langsam in die Halsoffnung ein, wobei das Uebermass der Fliis-
sigkeit theils seitlich, theils durch die capillare Bohrung austritt, oder schiebt
die aufgeschliftene Glasplatte von der Seite her auf den Rand auf, und entfernt
sodann die an den Aussenwandungen adharirende Fliissigkeit durch sorgfaltiges
Abtrocknen mit einem Tuche, wobei man sich jedoch davor zu hiiten hat, das
Gefass selbst mit der blossen Hand zu fassen, damit eine Erwarmung und hie-
durch bedingte Ausdehnung der Fliissigkeit im Pyknometer, welches vollstandig
und ohne eine Luftblase einzuschliessen mit der Fliissigkeit gefiillt sein muss,
nicht eintrete. Das so gefiillte Pyknometer wird sodann gewogen und nun nach
der Entleerung der zu untersuchenden Fliissigkeit und entsprechender Reinigung
in gleicher Weise mit destillirtem Wasser gefiillt und abermals gewogen. Da
bei scharfen Bestimmungen iibrigens alles darauf ankommt, dass die verwendeten
Volumina bei gleicher Temperatur gemessen sind, da ja jede Temperaturverande-
i:) Eine sehr bequeme Form hat Gintl (Drngl. pol. Journ. 194 pag. 42) angegeben.
Gewicht specifisches. 779
rung- eine dem Ausdehnungsvermogen des betreflfenden Korpers entsprechende
Volumsveranderung bedingt, hat man auch Pyknometer mit Thermometer)! in Ver-
wendung (Geissler's Pyknometer), bei welchen cin genaues Thermometer zura
Verschlusse des Pyknometerhalses verwendet ist, wahrend eine seitlich angebraehte
enge Rdhre mit aufgeschliffener Kappe die Moglichkeit eincr vollstandigen Fiillung
sichert. Da die Korper undurchdringlich sind, und mithin ein in eine Fltissigkeit
gebrachter Korper so viel von der Fltissigkeit verdrangt, als seinem Volumen
entspricht, so lasst sicli mit Hilfe des Pyknometers auch das spec. Gewicht fester
Korper bestimmen. Man bringt zu diesem Ende ein oder mehrere Stiicke des
betreflfenden Korpers, deren Grosse so bemessen sein muss, dass sie bequem in
das Pyknometer gebracht werden konnen, und deren Gewicht vorher genau be-
stimmt wurde, in das Pyknometer, dessen Gewicht gleichfalls bekannt sein muss,
und fiillt dasselbe, wenn der betrefifende Korper von Wasser nicht angegriflfen,
bez. gelost wird, vollstandig mit Wasser an, sorgt dann mit Hilfe eines Feder-
bartes oder eines feinen Pinsels (falls der feste Korper sehr poros ware, durch wie-
derholtes Auskochen) daftir, dass alle an dem festen Korper haftenden Luftblaschen,
bez. die die Poren desselben erfiillende Luft vollstandig verdrangt und entfernt
werden, und verschliesst das vollig mit Wasser gefiillte und, wenn ausgekocht
wurde, wieder vollig erkaltete Pyknometei", wie oben angegeben, so dass es vollig
mit Wasser erfullt erscheint. Nach vollzogener sorgfaltiger Reinigung der Aussen-
seite wagt man und erfahrt hiedurch das Gewicht des Pyknometers mehr des
festen Korpers und des den tibrigen Raum erfiillenden Wassers. Entfernt man
nun den festen Korper aus dem Gefasse, fiillt dasselbe vollstandig mit Wasser
und wagt nach vorgenommener Reinigung wieder, so hat man das Gewicht des
Pyknometers mehr jenem des den gesammten Innenraum erfiillenden Wassers.
Zieht man von beiden gefundenen Gewichten nun zunachst das Pyknometergewicht
ab und von dem Reste des fiir das den festen Korper nebst Wasser enthaltende Pykno-
meter gefundenen Gewichtes das bekannte Gewicht des festen Korpers, so erhalt
man einen Rest, der, von dem Reste des fiir das bios mit Wasser gefiillte Pyk-
nometer gefundenen Gewichtes abgezogen, das Gewicht des Wassers angibt,
welches denselben Raum erfullt wie der feste Korper, und man findet sonach
das spec. Gewicht dieses letzteren, wenn man das bekannte absolute Gewicht
desselben durch das Gewicht des gleichen Wasservolumens dividirt.
1st der auf sein spec. Gewicht zu untersuchende feste Korper in Wasser
loslich oder wird er iiberhaupt von demselben angegriflfen, dann muss man zur
Bestimmung eine andere geeignete Fltissigkeit (Alkohol, Aether, Chloroform, Ter-
pentinol, Oel o. dgl.) wahlen, hat jedoch, falls das spec. Gewicht derselben nicht
an sich genau bekannt ist, die Bestimmung desselben nach dem oben angefuhrten
Verfahren vorzunehmen, und hat, urn das auf die Einheit Wasser beziigliche
specifische Gewicht zu finden, das Ergebniss der tibrigens genau so wie bei An-
wendung von Wasser zu fiihrenden Rechnung mit dem spec. Gewichte der
verwendeten Fltissigkeit zu multipliciren.
Fiir die Bestimmung des spec. Gewichtes von Gasen und Dampfen kann
man sich eines gewohnlichen Pyknometers nicht bedienen, sondern muss, wenn
man Bestimmungen der spec. Gewichte soldier Korper nach demselben Principe
vornehmen will, grossere mindestens 50 — 100cc fassende Glasballons verwenden,
die, wenn sie mit dem betreflfenden Gase oder Dampfe gefullt sind, zur Hintan-
haltnng einer Aenderung in der Beschaflfenheit des Gases (durch Diffusion) zuge-
schmolzen werden und sodann erst zur Wagung kommen. Man hat hiebei auf
die Temperatur und den Druck, unter welchen das zu untersuchende Gas im
Zeitpunkte des Zuschmelzens des Ballons stand , genau Riicksicht zu nehmen.
Ermittelt man sodann genau, etwa durch Ausmessung mit Q.uecksilber, den Raum-
inhalt des betreflfenden Ballons, so kann man, da man das Gewicht eines 0. C.
atmospharischer Luft fiir O0 C. und 760ram Barometerstand und den Ausdehnungs-
coefficienten der Gase nach der Temperatur, sowie die durch die Druckverschic-
denheit bedingte Volumsveranderung der Gase genau kennt (vgl. Ausdehnungl.
780 Gewicht specifisches.
pag. 251), leicht das Gewicht des gleichen Volumens atmospharischer Luft und
sonach das spec. Gewicht des fraglichen Gases bezogen auf die Einheit Luft = 1
berechnen, wenn man von dem Gewichte des mit dem Gase gefiillten Ballons
das Gewicht des leeren Ballons weniger dem Gewichte des denselben, bei dem
wahrend der Wagung beobachteten Temperatur- und Barometerstand, erfiillenden
Luftgewichtes (d. i. das Gewicht des luftleeren Ballons) abzieht und den Rest
durch das Luftgewicht dividirt.
Ausser dieser Methode der Bestimmung spec. Gewichte kann man zu dem-
selben Zwecke auch Anwendung von zwei Satzen der Hydrostatik machen, deren
erster, d. i. der archimedische Fundamentalsatz, dahin lautet, dass
jeder in einer Flussigkeit untergetauchte Korper so viel an seinem Gewichte
verliert, als das Gewicht der durch ihn verdrangten Flussigkeit betragt, wahrend
der zweite lehrt, dass jeder in einer Flussigkeit schwimmende Korper so tief
in die Flussigkeit eintaucht, bis das Gewicht des durch denselben verdrangten
Flussigkeitsvolumens so viel betragt wie das Gesammtgewicht des schwimmenden
Korpers.
Von dem archimedischen Fundamentalsatze macht man Gebrauch bei der
sogenannten directen oder hydrostatisch en Methode der Bestimmung spec.
Gewichte, zu deren Ausfuhrung man sich einer eigens hierzu adjustirten, genauen
Wage bedient, die so eingerichtet ist, dass an dem einen Ende des Wagebalkens,
statt der am anderen Ende vorfindlichen gewohnlichen Wagschale, eine an nur
sehr kurzen Schniiren oder Drabten aufgehangte, an der Unterseite u. z. in der
Mitte mit einem Hakchen versehene Schale sich findet, deren Gesammtgewicht so
bemessen ist, dass sie der anderen Wagschale genau das Gleichgewicht halt.
Will man mit Hilfe einer solchen Wage das spec. Gewicht z. B. einer Flussigkeit
bestimraen, so befestiget man mittels eines feinen Fadens oder Drahtes ein Stiick
eines festen Korpers, am besten ein cylindrisches Glasstuck von mbglichst glatter
Oberflache an dem Hakchen der kiirzeren Wagschale, bringt die Wage durch
Auflegen von Gewichten auf die zweite Wagschale in vblliges Gleichgewicht und
bringt nun die zu untersuchende Flussigkeit, in einem geeigneten Gefasse mit
weiter Miindung, so unter die kiirzere Wagschale, dass das an derselben auf-
gehangte Glasstiick, ohne die Gefasswand zu beruhren, frei und vollstandig in
die Flussigkeit eintaucht. Sofort wird sich die Abnahme des Gewichtes des
Glaskbrpers durch Stoning des Gleichgewichts an der Wage bemerkbar machen.
Urn dasselbe wieder herzustellen, wird man auf die kiirzere Wagschale genau so viel
an Gewicht zulegen miissen, als der Gewichtsverlust des cintauchenden Glaskbrpers
betrug; da dieser gleich ist dem Gewichte des von dem Glaskorper verdrangten
Flussigkeitsvolumens, so erfahrt man in dem zur Wiederherstellung des Gleich -
gewichtes erforderlichen Zulegegewichte das Gewicht des dem Volumen des Glas-
korpers gleichen Flussigkeitsvolumens. Fiihrt man nun mit demselben Glaskorper,
nachdem man ihn entsprechend gereinigt hat, in gleicher Weise eine Bestimmung
des Gewichtsverlustes aus, den er in reinem Wasser erleidet, so erfahrt man das
Gewicht des gleichen Volumens Wasser und hat sonach die zur Berechnung des
spec. Gewichtes der zu untersuchenden Flussigkeit erforderlichen Daten.
Dasselbe Verfahren ist anwendbar zur Bestimmung des spec. Gewichtes
fester Korper, soferne man dieselben in Stuckchen verwenden kann, welche sich
entweder directe mittels eines Fadens an dem Hakchen der kiirzeren Wagschale
befestigen oder in einem an demselben aufgehangten Tauchschalchen (aus feinem
Platindrahtnetz o. dgl.) in die Fliissigkeit eintauchen lassen. Man bestimmt
zunachst mbglichst genau das absolute Gewicht des betretfenden festen Korpers
und sodann die Grosse des Gewichtsverlustes, welches er beim Eintauchen in
reines Wasser (oder, falls er von demselben gelbst oder angegriffen wiirde, eine
andere Flussigkeit) erleidet, und hat, da der gefundene Gewichtsverlust (Wasser
als Tauchriiissigkeit vorausgesetzt) dem Gewichte des gleichen Volumens Wasser
entsprieht, ebenfalls wieder alle zur Berechnung des spec. Gewichtes erforder-
Gewiclit specifisches. 78 1
lichen Daten. Dass man bci Ausf'iihrung derartiger Versuche sehr sorgfaltig
darauf zu acliten hat, dass der feste Korper vollstandig in die Fliissigkeit taucht
und keinerlei Luftblaschen an demselben haften, bedarf wolil keiner Erftrterung,
ebenso wie es begreiflich ist, dass die so ermittelten spec. Grewichte nur dann
richtig sein konnen, wenn das Volumen des zur Aufhangung benlitzten Padens
oder Drahtes im Verhaltnisse zum Volumen des festen Korpers verschwindend
klein und also zu vernachlassigen ist, was nur dann der Fall sein wird, wenn
man sehr feine Faden (oder liaardiinnen Draht) verwendet. Fiir Korper, welche
leichter sind als Wasser und die demnach im Wasser nicht untertauchen, muss
man entweder Fliissigkeiten von entsprechend geringerer Dichte verwenden oder
man muss sie gemeinschaftlich mit einem zweiten schwereren Korper, dessen
Grewichtsverlust fiir sich allein man vorher bestimmt hat, in die Fliissigkeit
eintauchen.
An Stelle einer gewohnlichen hydrostatischen Wage kann man sich audi besonders
eingerichteter Wagen bedienen, wie solche z. B. von Mohr, von Zenger in Prag u. A. an-
gegeben worden sind. Die erstere ist eine ungleicharmige Wage, welche am Ende des
langeren Armes ein an einem diinnen Platindrahte aufgehangtes cylindrisches Glaskorperchen
tragt (das gewohnlich gleichzeitig als Thermometer dient), wahrend an dem kiirzeren Arme
ein fixes Ausgleichsgewicht die Gleichgewichtslage herstellt. Der Abstand des Aufha'ngepunktes
des Glaskorpers von dem Drehungspunkte des Wagbalkens ist durch eine auf dem langeren
Arme angebrachte Scala in 10 gleiche Theile getheilt, und die 9 Theilstriche sind von dem
Drehungspunkte gegen das Ende des Armes zu mit den Ziffern 1 — 9 bezeichnet. Die zur
Ausfiihrung der Bestimmungen erforderlichen Gewichte, von denen 4 Stuck vorhanden sind,
sind Reitergewichte und so bemessen, dass zwei derselben genau das Gewicht des durch den
Glaskorper verdrangten Wassers reprasentiren, wahrend das Gewicht des 3ten J/J0, des 4ten
Vr00 dieses Gewichtes betriigt. Wird man nun den Glaskorper in eine Fliissigkeit tauchen,
welche schwerer ist als Wasser, und hangt das eine der schwersten Gewichte unmittelbar am
Aufhangepunkte des Glaskorpers auf, so wird sich zunachst als erste Ziffer des zu ermittelndeu
spec. Gewichtes — 1 ergeben, wahrend die Wage noch nicht im Gleichgewichte steht. Um nun
das Gleichgewicht herzustellen, bringt man zunachst das zweite der schwersten Gewichte auf
den langeren Arm nnd verschiebt dasselbe so lange auf demselben, bis Gleichgewicht herrscht.
Fallt der Aufhangepunkt des Eeitergewichtes hiebei genau mit einem Theilstriche der Scala
zusammen, so gibt die Ziffer desselben genau die Zehntel des zu ermittelnden spec. Gewichtes
an. Fallt der Aufhangepunkt jedoch zwischen zwei Theilstriche, so schiebt man das Reiter-
gewicht auf den Theilstrich von niedrigerer Nummer, die man nun als Zehntel des spec.
Gewichtes ansetzt, zuriick, setzt das dritte Gewicht auf und verschiebt dasselbe ebenfalls
wieder so lange, bis Gleichgewicht herrscht, wobei die Nummer des Tkeilstricb.es, mit welchem
der Aufhangepunkt zusammenfallt, genau die Hundertstel des spec. Gewichtes angibt, wahrend
man endlich fiir den Fall, als der Aufhangepunkt dieses Gewichtes in der Gleichgewichtslage
der Wage zwischen zwei Theilstriche fiele, durch Anwendung des 4ten und kleinsten Ge-
wichtes die Ziffer der Tausendstel des spec. Gewichtes ermittelt. Wiirde z. B. in einem ge-
gebenen Falle das grosste Gewicht auf dem Theilstriche 7, das kleinere auf dem Theilstriche 4
und das kleinste auf dem Theilstriche 3 hangen miissen, damit Gleichgewicht herrscht, wahrend
das zweite der grossten Gewichte an dem Aufhangepunkte des Glaskorpers aufgehangt ist,
so entsprache das einem spec. Gew. = 1-743. Bei der Priifung von Fliissigkeiten, welche
von geringerem spec. Gewichte sind als Wasser, bleibt das Verhiiltniss dasselbe, nur entfallt
die Belastung des Aufhangepunktes des Glaskorpers, so dass sich dann als erste Stelle der
zu ermittelnden spec. Gewichtszahl 0 ergibt, wahrend der Werth der drei iibrigen, nun allein
in Verwendung kommenden Reitergewichte derselbe bleibt wie friiher. Ware z. B. bei der
Priifung eines Alkohols zur Herstellung des Gleichgewichtes noting gewesen, das grosse Ge-
wicht auf den Theilstrich 9, das nachst kleinere auf den Theilstrich 6, das kleinste auf den
Theilstrich 5 zu setzen, so entsprache das einem spec. Gewichte = 0*965. Wie man einsieht,
gewahrt diese Einrichtung der Wage den Vortheil, dass bei Bestimmung des spec. Gewichtes
nicht nur alle Rechnung erspart bleibt, sondern dass man audi verkaltnissniassig rasch ein
bei Beriicksichtigung der erforderlichen Vorsichten bis in die dritte Decimalstelle richtiges
782 Gewicht specifisches.
Eesultat erhalt. Wagen soldier Art, welche in besonders ernpfehlenswerther Ausfiihrung
Mechaniker Westphal in Celle (Hannover) herstellt, haben iibrigeus auch den Vortheil, dass
verhaltnissmassig wenig Fliissigkeit (4 — 5cc) zu einer Bestimmung geniigt.
Die Einrichtnng der Zenger'schen Wage (Tangenten- Wage), welche vom Mechaniker F.
Boschek in Frag in sehr exacter Ausfiihrung geliefert wird, nahert sich im Allgemeinen der
einer gewbhnlichen hydrostatischen Wage, doch wird die Grosse des Gewichtsverlustes nicht durch
Aufgeben von Gewichten, sondern nach der Grosse des AnsschlagSAvinkels bemessen, den der
aus seiner Gleichgewichtslage gebrachte Wagbalken beschreibt. Mit Hilfe von Tabellen lasst
sich sodann das dem jeweiligen Ausschlagswinkel entsprechende spec. Gew. angeben (vgl.
Phil. Mag. (4), 41 pag. 443). Ueber andere besondere Constructionen s. a. d. Art. Wage.
Von dem zweiten oben angefiihrten hydrostatischen Lehrsatze — „das Ge-
wicht des von einem schwimmenden Kbrper verdrangten Fliissigkeitsvolumens ist
gleich dem Gesammtgewichte des schwimmenden Korpers" — macht man An-
wendung bei der Bestimmung des spec. Gewichtes mit Hilfe der Araometer,
von welchen man bekanntlich (s. d. I pag. 180), je nachdem sie zur Bestimmung
des Volumens, bis zu welcliem sie einsinken, eingerichtet und dann mit einer
Scala versehen sind, oder aber durch Zulegen von Gewichten jeweilig bis zu
einer bestimmten Marke eingesenkt werden miissen, Volum- (oder Scalen-) Arao-
meter und Gewichtsaraometer unterscheidet. Eine andere Anwendung von dem-
selben Lehrsatze macht man bei der Bestimmung der spec. Gewichte von Fliis-
sigkeiten in solchen Fallen, wo man, wie in schmelzenden Korpern, erhitzten
Fliissigkeiten u. dgl. in., nicht ohne Weiteres von einer der anderen Methoden
Anwendung machen kann. Man verwendet dann kugelformige Korperchen von
verschiedener Grosse aus Glas oder Metall, deren Grosse im Verhaltnisse zu
ihrem Gewichte so bemessen ist, dass jedes derselben einem bestimmten spec.
Gewichte entspricht, beziehungsweise nur in einer Fliissigkeit schwimmt, von
welcher ein dem Korperchen gleiches Volumen dasselbe Gewicht hat wie das
Korperchen selbst. Bringt man mehrere solclie Korperchen, auf welchen die
ihnen entsprechenden spec. Gewichte eingezeichnet sind, in eine zu untersuchende
Fliissigkeit, und sieht zu, welches derselben sich in der Fliissigkeit eben schwim-
mend erhalt, so gibt das Korperchen directe das spec. Gewicht der Fliissigkeit an.
Fiir die Bestimmung spec. Gewichte von Gasen und Dampfen, fur welche sich
allerdings auch die erwahnten hydrostatischen Principe mit entsprechenden Modifi-
cationen anwenden lassen, hat man ausser der oben angegebenen Methode ebenfalls
andere Verfahrungsarten in Anwendung gebracht. So lasst sich aus der Ge-
schwindigkeit, mit welcher zwei Gase unter gleichen Druck- und Temperatur-
verhaltnissen aus einer Oeffnung von bestimmter Grosse ausstromen, das Ver-
haltniss ihrer spec. Gewichte ermitteln, ebenso ist hierzu die Bestimmung der
Diffusionsgeschwindigkeit zweier Gase geeignet (vgl. II. pag. 626). Mach und
Gintl haben ubrigens auch versucht, aus der Tonhohe, welche besonders con-
struirte Pfeifen beim Anblasen mit verschiedenen Gasen und Dampfen geben, die
spec. Gewichte der Gase und Dampfe, namentlich auch gesattigter Dampfe auf
eine beip-ieme Art zu bestimmen, doch sind die Versuche bisher noch nicht zum
Abschlusse gebracht. ^Ausfiihrliches iiber spec. Gewichtsbestimmung s. in physi-
kalischen Handbiichern.)
Da das spec. Gewicht eines Korpers das Verhaltniss seines absol. Gewichtes
zu seinem Volumen angibt, so ist klar, dass sich alle Angaben uber spec. Ge-
wichte auf bestimmte Temperaturen beziehen miissen, wenn sie einen Werth haben
sollen, da ja jede Aenderung der Temperatur eine Aenderung des Volumens be-
dingt. Kami man bei festen Korpern, wenn man nicht ausserhalb der Grenzen
gewbhnlicher Temperaturverhaltnisse die Bestimmung ihrer spec. Gew. vorgenom-
men hat, die Temperaturangabe wegen der innerhalb enger Temperaturgrenzen
nur unbedeutenden Volumsanderung auch vernachlassigen, so muss man dagegen
bei Fliissigkeiten und insbesondere bei Gasen stets genau die Temperatur, bei
Gasen uberdies auch den Druck (Barometerstand) angeben, auf welche sich das
Gewicht speciiisches. — Gewolbe. 783
spec. Gewiclit bezielit. Gewohnlich pflegt man iibrigens die .spec. Oewiclite vou
Gasen auf 0° C. und 760rara Barometerhohe zu beziehen (vgl. iibrg. a. bi elite II
pag. 622). - Gtl.
Gewichte, s. Masse.
Gewinde (filet — -worm), Schraubengewinde, s. Schrauben.
Gewindebohror, s. Schrauben-Erzeugung.
Gewindestahl, s. Schrauben-Erzeugung.
Gewolbe (voute — vault) ist die Ueberdeckung ernes Raumcs entweder
durch keilformig gestaltete Steine, welche so zusammengesctzt werden, dass jeder
einzelne vermoge seiner Form und Lage von den benaebbarten Steinen an einer
Bewegung gehindert wird, oder durch eine auf einem eingeschalten Formgerfist
aufgegossene breiartige Masse, welche bald erhartet und ein festes Gauzes bildet
(Gussgewolbe.)
Die Ueberdeckung von Oeffnungen . in Mauern durch Gewolbe nennt man
Mauerbogen.
I. Benennungen der wichtigsten Theile eines Gewolbes. —
Fig. 1767. W Widerlager, sind die Begrenzungsmauern, welche dem Gewolbe
als Stiitze dienen; S Gew 61b stir n, ist der dem Beschauer sichtbare Querschnitt
des Gewolbes, J Gewolbleibung (Intrados), ist die innere Flache des Ge-
wSlbes, E Gewolbriicken (Extrados) heisst die aussere Flache des Gewolbes.
x Gewolbachse (in der Figur die Achse des halben Cylinders) ist die Linie,
welche bei der Erzeugung der G. Leibung vom Mittelpunkt des Bogens durch-
laufen wird, as b Bogenlinie, s Scheitelpunkt, als hochster Punkt der
Bogenlinie; Scheit el linie, die vom Scheitelpunkt bei Erzeugung der Leibungs-
flache beschriebene Linie ; Gewolbfuss, G. Anfang, Kampfer, heisst der unterste
auf clem Widerlager ruhende Theil des Gewolbes. Die Durcbschnittslinien der
Leibung mit der Widerlagsflache heissen An-
laufs- oder Kampferlinien. Anfangs- u.
Endpunkt der Bogenlinie heissen Anlaufs- jp- jjqj
punkt e. Gewolbweite, Spannweite ai
ist die Entfernung der zu einander gehorigeii
Anlaufspunkte. Gewolbhohe, Pfeilhohe
x s ist die grosste rechtwinklige Ordinate von
der Spannweite bis zur Bogenlinie. Gewolb-
scbenkel sind die Theile, in welche eine
lothrechte Ebene, durch die Scheitellinie, das
Gewolbe zerlegt. Fallt eine Kampferlinie mit
der Scheitellinie zusammen, so entsteht ein e i n-
schenkliges Gewolbe. Der in einem Quer-
schnitt im Scheitel befindliche Gewolbstein ist
der S chlussste in, die am Anlauf liegenden
heissen die Anfanger oder Kampfer steine.
Die Gewolbstarke wird durch die Lange der Gewolbfugen an der Stirnflache
gemessen. Diese Fugen stehen normal auf den zugehorigen Bogenelementen and
ihre Verlangerungen fiihren zu dem Mittelpunkte des Bogens.
Hintermauer ung ist das Mauerwerk zur Ausfiillung des Zwickels
zwischen dem Gewolbriicken und Widerlager.
II. Art en der Gewolbe. Man bezeichnet dieselben
A) N a c h der Form der Bogenlinie.
1. Halbkreisformiges, voiles oder Rundbogengewolbe.
784 Gewolbe.
2. Elliptisches Gewolbe, gedriickt und iiberhbht. Ein Gewolbe heisst im
Allgemeinen gedriickt, wenn die Pfeilhohe kleiner ist als die halbe Spannweite.
An Stelle der Ellipse wird gewbhnlich ein sog. Korbbogen, ein der Ellipse
ahnlicher, aus Kreisbogen zusammengesetzter Bogen, angewendet.
3. Parabolisches Gewolbe, wenn der Bogen eine Parabel ist.
4. Segmentfbrmiges, Stichbogen- oder flaches Gewolbe, wenn die Bogen
linie ein Kreisseginent ist.
5. Spitzbogiges oder gothisches Gewolbe, aus zwei Segmenten.
6. Scheitrechtes Gewolbe, wenn die Gewolblinie eine Gerade ist.
B) Nach der Form der Gewolbflachen. Diese Unterscbeidung ist die
wesentlicbste.
1. Tonnengewolbe, Fig. 1767. Dasselbe entsteht durcb Fortbewegung
einer Bogenlinie nach der Richtung einer andern Linie, der Achse. Ist die Achse
gerade, horizontal und senkrecht auf der Ebene der Bogenlinie, so entstebt das
gerade Tonnengewolbe; ist die Achse geneigt zur Ebene der Bogenlinie, so ent-
steht das schiefe Tonnengewolbe.
Bei kreisformiger Achse entsteht das ringfbrmige Tonnengewolbe, bei
gerader und ansteigender Achse, — die steigende Tonne, und ist die Achse
schraubenformig — das Schneck en gewolbe oder die schraubenformige Tonne.
Denkt man sich ein Tonnengewolbe Tiber einem rechteckigen Raum durch zwei
diagonal gestellte lothrechte Ebenen geschnitten, so entstehen vier Theile; die,
welche Anlaufspunkte und Scheitellinien haben, heissen Kappen (k), die mit An-
laufslinien und Scheitelpunkt heissen Wangen (w). Aus diesen Elementen lassen
sich noch andere weiter unten erbrterte Gewblbformen zusammenstellen. Die Be-
zeichnung des Tonnengewblbes geschieht im Grundriss durch Einzeichnung der
umgeklappten Bogenlinie des Gewblbes. Durchdringt eine kleine Tonne ein zweites
Tonnengewolbe, so nennt man die erstere Stichkappe Fig. 1767. Kurze kraftige
Tonnen, welche entweder zur Verstarkung eines Gewblbes oder zum Tragen von
Mauern oder als Widerlager dienen, nennt man Gurten und bezeichnet sie
demnach als Verstarkungsgurte, Traggurte, Widerlagsgurte.
Ausfiihrung der Tonnen -Gewolbe. Um iiberhaupt ein Gewolbe aus-
zufuhren, sind mit wenig Ausnahmen Lehrgeriiste nothwendig, d. s. provisorisch aufge-
stellte Holzconstructionen, welche die Form der Leibungsflache des Gewblbes entweder
ganz oder theilweise bilden. Man unterscheidet ferner die Ausfiihrung nach dem
Material 1. aus Werksteinen, 2. aus Ziegeln, 3. aus Cement oder Betonmbrtel
(sog. Gussgewblbe).
Bei der Ausfiihrung des Tonnengewblbes mit Werkstiicken werden
die Steinschichten parallel zur Achse in Verband gesetzt; die Herstellung erfordert
ein Lelirgeriist mit vollstandiger Einschalung. Die Verstarkung des Gewblbes
gegen das Widerlager findet im Allgemeinen nach einer krummen Linie statt.
Siehe audi weiter unten : Starke des Gewblbes.
Bei der Herstellung aus Ziegeln unterscheidet man drei verschiedene
Einwblbungsarten :
Erstens Anordnung der Schaaren, wie mit Werkstiicken Fig. 1767 die vordere
Kappe. Zweitens die Moller'sehe Einwblbungsait. Die Schaaren werden senkrecht zur
Achse in Verband gelegt. Man benbthigt in diesem Falle nur verscbiebbare Lehr-
bogen und keine vollstandige Verschalung, da jeder ausgefiihrte Bogen sich selbst erhalt.
Drittens die Schwalbenschwanzfbrmige Einwblbung. Man beginnt aus den Ecken und
legt die Schaaren unter 45° gegen die Achse gerichtet : die Schichten treffen in
der Scheitellinie zusammen und greifen schwalbenschwanzfbrmig in einander.
Fig. 1767 die hintere Kappe. Hier wirken sammtliche Umfassungsmauern als
Widerlager und man benbthigt ebenfalls keine vollstandige Einschalung. Die Ver-
starkung der Ziegelgewblbe gegen das Widerlager geschieht absatzweise, zu 15cm
(V2 Ziegellange). Als Widerlager fiir Tonnengewolbe dienen entweder voile Mauern,
oder Widerlagsgurten oder eiserne Trager. Das Widerlager muss zur Aufnalime
Gewolbe
1768.
Fig. 1769.
des Gewolbes entsprccliend vorbereitet werden. Man unterscheidet e i n g p r i n g e n d e
Widerlagev, wenn in der Mauer entsprechende Rinnen hergestellt werden, und ane-
springende Widerlager, wenn durch Vorragen der Mauersteine, das Anflager
fur den Gewolbfuss vor die Mauerflucht heryortritt. Bei
starken Gewolben werden em- und ausspringende Wider-
lager combinirt, Fig. 1768 rechts ; oder die Widerlager
absatzweise angeordnet, Fig. 17G8 links. Lange Tonnen-
gewolbe erhalten in gewissen Abstanden Verstiirkungsgurten ;
dieselben sind entweder an der Leibungsflache sichtbar oder
sog. versteckte Gurten, wenn die Verstarkung riur im Riicken
des Gewolbes stattfindet. Die Anordnung, wenn ein Eaum
durch Quergurten (oder eiserne Trager) in kleine recht-
eckige Felder eingetlieilt wird, welche mit flachen Tonnen
gewolbt werden, bezeichnet man mitunter als preussische
Kappengewolbe.
Herstellung aus Cement-Beton. Die Aus-
fiihrung dieser Gewolbe erfordert selbstverstandlich eine
vollstandige Eingeriistimg nach der Gewolbform. Um den
Seitenscbub auf die Widerlager aufzubeben, empfiehlt Lie-
bold*) ein horizontales Auflager clem Gewolbe zu geben,
Fig. 1769, d. h. das Gewolbe als Platte aufzufassen, was
keinen Schwierigkeiten unterliegt, da nach dem Erharten
das Gewolbe ein vollstandiges Ganze bildet. Bei der Aus-
fiihrung ist nur so viel Material herzustellen, als conti-
nuirlich verarbeitet werden kann; die gleichmassig ausge-
breitete Masse wird mit leichten Handrammen gestampft und comprimirt. Man
hat auf die dadurch entstehende Schwindung Riicksicht zu nehmen und beim Auf-
tragen die Masse entsprechend zu vermehren. Ein gewohnlicher Cementbeton lasst
sich circa um V4 — '/3 der Hohe comprimiren. Die Ausriistung kann nach circa
4 Wochen geschehen.
2. Kreuzgewolbe. Fig. 1770, welche
ein spitzbogiges Kreuzgewolbe darstellt, entsteht
durch die Zusammensetzung so vieler Kappen
von gleicher Pfeilhohe, als der zu uberwolbende
Raum Umfangsseiten hat. Bei einem recht-
eckigen Grundriss kann man audi sagen, dass
das Kreuzgewolbe aus der Durchdringung zweier
Tonnengewolbe von gleicher Pfeilhohe entsteht.
Die Duchschnittslinien der Kappen heissen Grate
und die Flachen an demselben bilden einen
einspringenden Winkel. Werden die Grate aus
der Gewolbflache vortretend ausgefiihrt und pro-
filirt, so nennt man sie Rippen. Ist der Grund-
riss unregelmassig, so wird der Scheitel vertical
iiber dem Schwerpunkt der Grundrissfigur an-
genommen.
Sind die Scheitellinien der einzelnen Kappen gerade und horizontal, so
entsteht das gerade Kreuzgewolbe, — bei gerader aber ansteigender Scheitel-
linie, Kreuzgewolbe mit gerader S tec hung, — bei krummliniger Schoirellinie.
Kreuzgewolbe mit bogenformiger Stechung. Haben im letzteren Fall die
Scheitellinien der Kappen im Scheitel des Gewolbes eine gemeinschaftliche. hori-
zontale Tangente, so entsteht das sog. spharische Kreuzgewolbe Fig. 1770.
Werden die Gewolbfelder eines einfacheii Kreuzgewolbes durch Rippen abermals
1770.
*) Liebold. Der Cement in seiner Verwendun
K.irmarsch & Heeren, Technisches Worterbueh. Bel. III.
im Hochbau etc.
Halle. Knapp. 1875.
50
786
Gewolbe.
gegliedert
des Ster
sternformi
Fia. 1771.
and diese neu entstandenen Felder selbststandig ausgefiihrt, so entsteht
ngewolbe (Liernen-Gewolbe). Die Rippen bildeii ini Grundriss zurneist
ge Figuren, daher der Name fiir das Gewolbe, siehe Fig. 1771.
Die Au sfiih rung geschieht: a) Aus
Werkstiicken auf zweierlei Art. 1 . Die
einzelnen Kappen werden wie beim Tonnen-
gewolbe hergestellt mid es ergeben sich auf
diese Weise besondere Gratsteine, welehe
in beide zugehorigen Kappen eingreifen. Der
Schlussstein muss seibstverstandlich mit alien
Kappen in Verband gesetzt werden. 2. Die
Grate werden selbstandig als Rippen con-
struct und die zwischen denselben befindlichen
Gewolbfelder separat mit Werksteinen oder
Ziegeln eingewolbt. Es treten die Rippen als
Widerlager auf und muss daher das Profil der
Rippeusteine darnach gewahlt werden. Beim
Sterngewolbe unterscheidet man Hauptrippen
und Zwisclienrippen (Nebenrippen) , welehe
die Hauptgewolbfelder in Unterabtheilungen
theilen.
b) Herstellung aus Ziegeln. Hier unterscheidet man auch zwei
Arten. 1. Einwolbung auf den Kuf. Die Ziegelschaaren werden parallel
zur Achse der Kappen gelegt. An den Graten iibergreifen die Ziegel in die
anstossende Kappe und miissen daher entsprechend zugehauen werden Fig. 1772
bei a. 2. Einwolbung auf den Schwalbenschwanz,
welehe zurneist angewendet wird. Fig. 1772 bei b. Die
Ziegelschaaren werden senkrecht zur Gratlinie gelegt und
nach derselben erhalt das Gewolbe Verstarkungsgurten
(Kreuzgurten, Diagonalgurten). Gewolbe und Kreuzgurten
werden in Verband hergestellt. In den Scheitellinien greifen
die Schaaren schwalbenschwanzartig in eiiiander ; diese Her-
stellungsart erfordert nur Aufstellung von Lebrbogen.
3. Kloster gewolbe kaun man sich entstanden
denken durch die Zusammensetzung so vieler Gewolb-
wangen; als der zu iiberwolbende Raum Umfangseiten hat.
4. M u 1 d e n g e w o 1 b e, wegen der Aehnlichkeit mit
einer Mulde so genannt. Der rechteckige Grundriss wird
in der Richtung der Langseiten mit einer Tonne iiber-
spannt, welehe an den Schmalseiten durch Gewblbwangen
begrenzt wird. Die Ausfiihruug des Kloster- und Mulden-
gewolbes erfordert Lehrbogen und vollstandige Verschalung.
Die Anordnnng der Ziegelschaaren ist entsprechend der Ricbtung der einzelnen
Wangen.
5. Spiegelge wolbe. Nach alien Umfassungswanden zu Gewolbwangen,
in der Mitte jedoch ein scheitrechtes Gewolbe (der Spiegel). Bei der Fugen-
anordnung des scheitrechten Gewolbes wird immer ein Segmentbogen zu Grunde
gelegt, welcher eine Pfeilhuhe von ca. '/Ifi der Spannweite erhalt. Das Gewolbe
selbst wird nach Art eines sehr flacheu Platzel- oder Klostergewolbes ausgefiihrt.
Der mit eiuem scheitrechten Gewolbe zu iiberdeckende freie Raum darf hochstens
3m Spannweite besitzen. Durch Anwendung von Eisentragern als Widerlager ist
die Ausfiihruug iiber grcissere Riiume sehr erleichtert.
G. Konisches Gewolbe, hat die Form eines abgestutzten halben Kegels,
nach dessen Spitze die Ziegelschaaren gerichtet sind.
Fig. 1772
t> .--• •'
GeWolb
7.-7
7. Kxtp.p elgewolb e. Die Grrundrissform 1st eine geschlossene Curve,
gewohnlich ein Kreis. Dariiber wird entweder eine Halbkugel gespannt (rolle
Kuppel), ein Rotations-Ellipsoid oder Paraboloid. Letztere geben ttberbiJhte
Kuppeln. Besteht die Ueberwolbung nur aus einem Theil einer volleu Kuppel
(Kugelkappe), so heisst es flache Knppel. Bei der Herstellung werden die
Steine in horizontalen Ringen zusammengesetzt rait central gerichteten GrewJJlb-
fngen. Jeder geschlossene Ring halt sich selbst, daher kdnnen die Gewdlbe ira
Scheitel offen sein; man nennt dann den obersten Steinring Nab el. Wird die
Oeffnung zum Zwecke der Belenchtnng gelassen, so kommt noch ein thurrnartiger
Aufbau dariiber, die sog. L at erne.
Zur Benrtheilung der imposanten Dimensionen zur Ausftihrung gelangter
Kuppeln seien einige Beispiele erwahnt:
Pantheon in Rom 43m Durchmesser im Lichten, vollendet 25 Jahre naeh Christi,
Sophienkirche in Constantinopel 31.4mDurchm. im Lichten, vollend. 537 n. Chr.,
Santa Maria del Fiore in Florenz 43™ „
Peterskirche in Rom 41. 4m Durchmesser
Set. Paulskirche in London 30. 5m Dnrchm.
im Lichten, vollendet
1434
1563
1710
1774.
8. Platzelgewolbe. a) Bohmisches
Platzelgewolbe. Fig. 1773. Dasselbe kann
man sich aus einer Kuppel entstanden denken, Fig. 1773.
welche durch verticale Ebenen nach den Seiten
der Grundrissfigur gesclmitten wird ; der inner-
halb der Ebenen liegende Theil des Gewolbes
bildet das bohm. Platzel. Die Ausfuhrung
geschieht mit Hilfe von Lehrbogen fur die An-
laufs- und Diagonallinien, ohne Verschalung.
Man beginnt gleichzeitig aus den Ecken zu
wolben, in Schaaren senkrecht zu den Diago-
nallinien. Die Gewolbzwickel im Rilcken des
Gewolbes werden gleich nach Schluss des Ge- ^l9-
wblbes nachgemauert.
b) Preussisches, flaches, walsches
Platzel, welches sich besonders zur Einwcil-
bung schmaler rechteckiger Raume eignet. Fig.
1774 gibt ein annaherndes Bild. Wir konnen
das Gewolbe gebildet denken durch Bewegung
eines Kreissegmentes liings eines zweiten. Die
Ausfuhrung erfordert nur Lehrbogen und ge-
schieht entweder von den Ecken aus, wie beim
bohm. Platzel, oder man legt an den Schmalseiten die Schaaren senkrecht zur
Langsachse, die Schaaren des raittleren Theiles senkrecht zu den ausseren Schaaren.
wodurch diese verspannt werden.
9. Kuppel mit P e n d e n t i f ist eine Combination der Kuppel mit dem
bohm. Platzelgewolbe iiber einem regelmassigen polygonalen Raume. Der Ueber-
gang in den Grundkreis der Kuppel wird durch Gewolbzwickel, Pendentifs (welche
dem bohm. Platzel entnommen sind) gebildet. Zwischen Pendentifs und der eigenr-
lichen Kuppel wird gewohnlich eine ringformige Aufmauerung (mit Gesimsen ge-
ziert oder mit Fensteroffnungen versehen) eingeschaltet, welche Trommel, Ring,
T ambour heisst.
10. Chorgewolbe nennt man ein halbes Kuppel- oder Klosrergewolbe.
nach einer Seite durch eine verticale Ebene begrenzt. Kleine Chorgewolbe inner-
halb einer Mauerdicke heissen Nisch eng ewolbe.
11. Trichter- oder Fach erge wo lb e. Fig. 1775. Denken wir uns
bei einem quadratformigen Raum die halbe Bogenlinie um den zugehorigen Eek-
50*
788
Gewolbe.
punkt gedreht imd den mittleren durch vier horizontale Viertelkreise begrenzten
Raum durch eine flache Kuppel oder nach Art eines bohm. Platzels eingewolbt,
so bat man die .Grundform eines Fachergewol-
bes. Die vollstandige Trichterform kommt erst
Fig. 1775. Zur Geltung, wenn mehrere Gewolbfelder an-
einander stossen. Der Schlussstein wird durch
eine herabhangende Rosette (Zapfen) verziert.
III. Starke der Gewolbe undderen
Widerlager. Es kann hier nicht der Ort
sein, die vollstandigen Theorien iiber die Ge-
wolbe zu entwickeln und muss auf die zahl-
reiche Literatur in Lehrbuchern und Abhand-
lungen verwiesen werden. Es sollen hier nur
im Allgemeinen die Wege angegeben werden,
um fur die Praxis anwendbare Werthe zu er-
halten.
a) Die Bestimmung der Scheitelstarke geschieht nach empirischen Formeln.
Man kann sicli der Naherungsforrneln nach Schwarz bedienen :
Fur Bogen und Gewolbe, Pfeilhohe kleiner als 1/3 der Spannweite, ist
d = A -\ — - — — y— in Meter.
6o25 k . h
Fiir Bogen und Gewolbe, Pfeilhohe grosser als 1/3 der Spannweite, bis
halbkreisformige Bogen ist d r= N -\- -rT-=rr ~r- in Meter.
In den Formeln bedeuten: d Gewolbstarke
im Scheitel in Metern, Q Gewicht der Gewolb-
halfte sammt Belastung fiir lm Gewolbtiefe in
Kg. to Spannweite und h Pfeilhohe in Met.,
k die in der Praxis zulassige Inansprucbnahme
des Gewolbmateriales in Kg. pro rjcm. iVeine
Constante u. z. 0.24m fiir stark belastete,
0.1 6m fiir mittelstark belastete und 0.08m fiir
wenig belastete Gewolbe.
Fiir halbkreisformige Briickengewolbe, die
Ausfuhrung in Werksteinen vorausgesetzt, dient
\M die Formel: d — 0.20 + 0.03 I + 0.02 r.
Dabei bedeutet: I lichte Weite, r Radius, d
Scheitelstarke, alles in Met. ausgedriickt.
Unter Voraussetzung schon bestimmter Scheitelstarke wird die allmalige
Verstarkung des Gewblbes gegen die Widerlager a b nach der Gleichung
7 d
dn r=z
cos q>
bestimmt, siehe Fig. 1776. Es bedeutet dn die Gewolbstarke in irgend einem
Punkt, q den Winkel der beziiglichen Gewolbfuge mit der Lothrechten.
b) Nach einfachen, den Resultaten der Ausfiihrung annahernd entsprechenden
graphischen Constructionen. Z. B. nach Rondelet fiir ein segmentformiges Ge-
wolbe aus Werksteinen nach Fig. 1776. C ist der Mittelpunkt des inneren Bogens
v
vom Radius r, M der des ausseren Bogens und CM =z — .
Fiq. 1776.
Fiir halbkreisformige Bcigen nimmt man CM ■=.
cj Man nimmt die Gewolbstarke nach Erfahrungsdaten an und untersucht
das Gewolbe auf Stabilitat. Dies kann geschehen: 1. Man nimmt vorlaufig an,
Gewolbe
789
dass die Drucklinie (Mittellinie des Druckes) in der Mittellinie dea Gewdlbquer-
schnittes liege Fig. 1777 und geht von dem Satze aus, dass das Moment der
Horizontalkraft Q im Scheitel in Bezug auf den tiefsten Punkt der Drucklinie
gleich sein soil dem Moment der Kraft P (Resultirende der Gesammtlast der
Bogenhalfte fur lm Tiefe) in Bezug auf denselben Punkt, also Q. h rr P. a.
P ist genau bekannt, h und e annahernd.
Man erhalt einen angenaherten Werth von Q. Durcli Zusammensetzung von
Q mit den Theilbelastungen (als Componenten) lasst sich eine angen&herte Druck-
linie construiren, welche neue Werthe h' und e' liefert, folglich anch einen ge-
naueren Werth Q' z=z P — Fiir den Zustand des Gleicbgewichtea muss die so
annaherungsweise bestimmte Drucklinie innerhalb des Gewolbes bleiben.
2. Man untersucht das Gewolbe in Bezug auf Sta-
bility durcli Construction der Stiitzlinie mit Hilfe der gra-
phischen Statik. *)
Die Stiitzlinie eines Gewolbes ist diejenige Linie,
welche fur jeden Normalschnitt (J_ zur Achse) desselben
die Lage und Richtung derjenigen Mittelkraft gibt7 die
man erhalt, wenn man die ausserhalb jenes Schnittes auf
den Bogen (auf einer Seite) wirkenden Krafte (Eigen-
gewicht, zufallige Belastungen undAuflagerreactionen) zu-
sammensetzt. Beim Gewolbe darf die Stiitzlinie nicht aus
dem inneren Drittel des Normalschnittes heraustreten.
Fig. 1777
Fia. 1778
76 0/
In der Praxis haben wir es mit denjenigen Fallen zu fliun, wo die Bela-
stungsverhaltnisse und die Gewolbform gegeben sind und man die Stabilitat un-
tersuchen soil durch Einzeichnen der Stiitzlinie. Es ist jedoeh nicht nothwendig
Sielie Ilarlaclier: Die Stiitzlinie im Gewolbe. Technische Blatter 1870,
790 Gewdlbe.
durch Probiren die mittelste Stiitzlinie zu finden (ein directes Verfahren gibt es
nielit), sondern es geniigt zu untersuchen, ob es mdglich ist, eine
Stiitzlinie einzuzeichnen, die das innere Drittel nielit iiber-
s c h r e i t e t.
Ohne auf die theoretische Begrtinclung der Construction hier eingehen
zu kdnnen, sei die Untersuchung an einem Beispiel erlautert. Figur 1778
A und B.
Es sei in Fig. A (Massstab 1 : 100) die Halfte eines kalbkreisforrnigen
Gewolbes C D E F mit einer Nachmauerung bis zur Hohe M N angenommen.
Das Auffiillungsinaterial zwischen C N M und der Fahrbahn J K sei urn 1/^
specifisch leichter als das Gewolbrnaterial. Reducirt man die Hohen in demselben
Verhaltniss, so erbalt man die Abgleicbungslinie (Linie der reducirten Belastung)
G L. Theilt man die Querscbnittsflacbe von der Mitte bis zur innern Wider-
lagslinie in Lamellen von gleicber Breite, so ' sind die Gewicbte der Prismen von
lm Tiefe proportional den Flachenlamellen ; da diese annahernd (fiir die Praxis
genau genng) Trapeze von gleicber Breite darstellen," so sind die Flacben wieder
proportional der Lange der Mittellinien. Wir konnen also annahernd annehmen,
dass die Langen der Linien in der Mitte der Lamellen proportional sind den
Kraft en 1, 2, 3 die eigentlich wieder in den Schwerpunkten der Lamellen, statt
in der Mitte, angreifend gedaeht werden sollten ; doch ist diese Abweichung fur
die Praxis ohne Belang. Der Einfluss der weggedachten anderen Gewolbhalfte
wird ersetzt durch die Horizontalkraft H im Scheitel, welche wir im oberen
Drittel angreifen lassen und bis zur Kraft 1 verlangern , dieselbe ist vorlaufig
noch unbekannt. Die zunachst willkiirlich angenommene Horizontalkraft H} im
Kraftepl.an Fig. 1778 B mit dem Pol 0, wird mit den Kraften 1, 2, 3 zusam-
mengesetzt u. z. gibt der Krafteplan die Mittelkrafte in Lage und Richtung.
(Um den Linienzug nicht zu laug werden zu lassen, wird im Krafteplan oft ein
aliquoter Theil der Krafte aufgetragen, in vorliegender Figur die Halfte.) Parallel
zu den Mittelkraften im Krafteplan werden nun in Fig. 1778 A die Seiten
des Seilpolygones (welches nur die Lage der einzelnen Krafte und ihre Mittelkraft,
angibt und hier als Stiitzlinie aufzufassen ist) gezogen u. z. von der Kraft 1 bis 2,
von 2—3, von 3—4.
Die angenommene Horizontalkraft H, liefert eine Stiitzlinie, welche iiber das
mittlere Drittel hinausgeht und in der Zeichnuug punktirt wurde. Um zu untersuchen,
ob eine Stiitzlinie muglich ist, welche das innere Drittel oben und unten beriihrt
zeichnet man eine zweite Stiitzlinie ; da diese von der ersten nur dadurch sich
unterscheidet, dass die Horizontalkrafte verschieden sind, so gilt der Satz : die
gleichnamigen Seilpolygonseiten der beiden Polygone treffen sich auf der verlan-
gerten Anfangskraft (Horizontalkraft). Auf diese Weise ergibt sich die aus-
gezogene Polygonseite zwischen den Kraften 3 und 4 als Tangente an die innere
Linie des mittleren Drittels und im Krafteplan hierzu eine Parallele gezogen,
erbalt man die Horizontalkraft H mit dem Pol 0, wodurch man wie friiher mit
H, die Stiitzlinie erganzt; dieselbe bleibt innerhalb des mittleren Drittels, daher
ist das Gewolbe stabil.
3. Man beniitzt zur Bestimmung der Starke und Fugenstellung
des Widerlagers am zweckmassigsten die Stiitzlinie des Gewolbes, iudem
man dieselbe ins Widerlager fortfiihrt. Siehe die Figur 1778 A und B. Man
nimmt fiir das Widerlager doppelte Sicherheit an, d. h. zur Fortsetzung der
Zeichnung der Stiitzlinie nimmt man die doppelte Horizontalkraft, oder, was das-
selbe Resultat liefert, man tragt nur die halben Krafte auf; da dieselben im
Krafteplan ohnehin schon zur Halfte angenommen wurden, so sind die Krafte
4 und 5 nur zum vierten Theil aus Fig. A nach B zu iibertragen. Die in Fig.
A gezeichneten Polygonseiten treffen die Basis des Widerlagers (welche gegeben
ist) in W} welcher Punkt die Starke des Widerlagers fixirt. Zur Bestimmung
der Fugenrichtung im Widerlager beniitze man die Stiitzlinie mit einfachem Hori-
Gewolbe.
Ghittaiemou.
791
trig.
1779.
zontalschnb ; dieselbe darf mit den Fugenfiachen keinen kleineren Winkel als
90° minus dem Reibungswinkel bilden. Ein anderes Verfahren ist:
Die Bestimmung der Widerlagsstarke durch einfache Construction uach Ron-
delet, welche Fig. 1779 fiir ein halbkreisforrniges Gewdlbe angibt. Man ziehe
co senkrecht zur inneren Gewijlblinie, durch d
eine Horizontale ef, niache dg — ed, ah == gf
und at rz 2 kd, schlage tiber hi einen Halb-
kreis; der Schnittpunkt m der Horizontalen
durch a mit dem Halbkreis liefert die Wider-
lagsstarke.
d) Fiir Ziegelmaterial und die gevvohnlichen
Dimensionen und Belastungen beim Hochbau
haben sich annahernde Normen tiber Scheitel-
starke, Verstarkung des Gewolbes gegen die
Widerlager und Widerlagsstarke herausgebildet,
auf deren Angabe bier verzichtet und auf die
Hilfsbiicher liber Baukunde verwiesen wird.
e) Starke der Cement-Betongewolbe. Bei einer
Spannweite bis 3.60m geniigt nach den Resul-
taten ausgeftihrter Bauten eine Gewolbstarke im Scheitel von 0.12 bis 0.15™ bei
einer Pfeilhohe von V10 — V12 ^er Spannweite.
Zur Bestimmung des Kubikinhaltes des Gewolbmauerwerkes bedient
man sich annahernder Formeln. Ist in Fig. 1776 U der Umfang des mittleren
Bogens ab (im Umfang breit)7 so nimmt man an :
Fiir Tonnengewolbe U — S -\- p -j- 3/2 ( — — I;
fiir Platzelgewolbe
Es bedeutet S die Spannweite, p die Pfeilhohe, d Starke im Scheitel,
d' Starke am Widerlager. Die mittlere Dicke D = — ~~ — . Die Lauge des
Gewolbes L, dann ist der Kubikinhalt K =r: U. D. L.
Groh
Literatur. Scheffler, Theorie der Gewolbe, Futtermauern und eiserne
Briicken. v. Ott, Vortrage tiber Baumechanik. Prag, Dominicus. Cul-
mann, Graphische Statik. Ortmann, Statik der Gewolbe mit Riicksieht
auf ihre Anwendung. Halle, Knapp. H ein zer ling, Analyt. graph. Con-
struction der Briickengewolbe. Zeitschrift fiir Bauwesen 1872.
Gewiirzextracte und Gewiirzsalze werden neuester Zeit namentlich von
L. Naumann in Plauen (Sachsen) und von H. Ha ens el in Pirna (Sachsen) for
Zwecke des Haushaltes, sowie fiir Conditoreien und Nahrungsmittelfabriken erzeugt
und theils in fester, theils in fliissiger Form in den Handel gebracht. Auch be-
stimmte Gewtirzmischungen, z. B. Fleischgewiirze, Braten- und Fischgewiirze. Wnrst-
salze u. cl. g. werden von diesen Fabrikanten erzeugt. Naneres hieriiber s. deutsche
Industr. Ztg. 1874 pag. 218, Industrie. Bit. 1876, 13 Nr. 22, 23 u. l54. vgl. a.
die chem. Industrie Deutschlands auf der Weltausstellung Philadelphia 1876,
Berlin 1876. A. Hirschwald — pag. 65. Gtl.
Gewiirznelken s. Nelken.
Gewurznelkenol s. Nelken oi.
Gezogene Arbeit, specielle Art der Muster- Weberei. s. W r b e r e i.
GhittaiemOU, alter Name fiir Gummigutt s. Gutti.
792 Gibbsit. — Giesserei.
Gibbsit, Hy drargillit, Min. in kleinen korriig. Krystallen des hexagonal en
Systems, oder kugligen theils fasrigen, theils kornigen oder sclnippigen Aggregates
oft ganz Wawellit-alinlick ; farblos bis rbthlich weiss, Perlroutterglanz, theils Glas-
glanz, durchscheinend. Harte 2.5 — 3, spec. Gew. 2.34 — 2.39. 1st Thonerde-Hydrat
Alq03, 3H„0 mit 65.5 Thonerde und 34.5 Wasser. Vork. Slatoust am Ural,
Villa-rica in Brasilien, Richmond in Virginien. Gtl.
Gicht (guenlard, dame — furnace top, throat), Gichtgase (gaz perdu —
waste gas), Gichtfang (gueidard — top of a furnace) s. Eisenerzeugung
III pag. 6 bis 16. .
Gichten, s. Eisenerzeugung III pag. 6.
Gichtrauch, Gicht sand, Gichtstaub, syn. Hiittenrauch s. Eisen,
s. Z i n k, vgl. a. Arse n.
Gichtschwamm (tutie — tutia), zinkischer Ofenbruck, d.i. auf der Rast und im
Schacht der Zinkhohofen sich absetzende, in gelben oder griinen Saulen krystal-
lisirte oder gelbgriine bis schwarze dichte Masse. 1st wesentlich Zinkoxyd meist
mit Eisenoxyd und erdigen Massen verunreinigt, oft auch Chlorblei und Chlor-
kupfer enthaltend, s. Z i n k. Gtl.
Giessen (fondre, coider — found, cast).
Giesserei, Giesskunst (fonderie — foundry). Alle jenen Operationen,
welche erforderlich sind Metalle oder andere feste Korper in fliissigen Zustand
zu bringen, in Formen zu giessen, in denselben erstarren oder erharten zu lassen
und hierauf in der so erlangten Gestalt (als Gussstiick) aus der Form zu nehmen,
bilden zusammen die Giesserei. Oft wird dieses Woi't auch dem Locale bei-
gelegt, in welchem Giesserei getrieben wird.
In Bezug auf das Material, welches zum Gusse verwendet wird, unterscheidet
man die Eisengiesserei (s. d. Ill pag. 121)," die Bronze-, Messing-, Blei-,
Zinn-, Gyps-, Cement-Giesserei etc.
Die To.mbak- Giesserei wird auch als Rothgiesserei, die Messinggiesserei
als Gelbgiesserei bezeichnet.
Die zum Guss beniitzten Metalle konnen in verschiedenen Oefen eingeschmolzen
werden und in dieser Beziehung wird Tiegelguss, Flammofenguss, Cupol-
ofengnss unterschieden.
Die Form, in welche gegossen wird, und deren Hohlraum durch das ge-
schmolzene Materiale ausgefiillt wird und dadurch die Gestalt des Gussstiickes
bedingt, kann gleichfalls aus sehr verschiedenen Materialien besteben, a!s: Sand,
Masse (Gemenge aus Sand und Lehm), Lehm, Eisen, Messing, Stein, Holz etc. etc.
Diesbeziiglich unterscheidet man, namentlich als Arten des Eisengusses, den
Sand-, Masse- und Lelimguss. Sand und Masse wird meist in Rahmen, „Kasten"
oder .,Flaschen" als Formmateriale angewendet und daher riihrt die Benennung
Kasten- oder F laschengnss. Eiserne und uberhaupt metallene Formen, Schalen
genannt. geben Veranlassung zur Benennung Schalenguss.
In Bezug auf die Form oder die Art des Gussstiickes sind die Beziehungen:
Kugel-, Ra'der-, Topf-, Lettern- oder Schrift-, Kerzen-Giesserei u. d. gl.
im Gebrauch. Unter Kunstguss versteht man die Herstellung von Figuren
durch den Guss.
Zur Orientirung sei nachstehende Tabelle beigefiigt.
So mannigfach hiernach auch die Arten der Giesserei sind, so lassen sich
dock gewisse Grundsatze angeben, welche das Verstaudniss des Vorganges er-
leichtern.
Giesserei.
793
Guss-Materiale :
Eingeschmolzen in :
Die Form besteht aus :
E i s e n
Cupol-Oefen
Sand f!" der Herdsohle, Herdg
(Gusseisen)
Flamrn-Oefen
U in Kasten od. Flaschen
Tiegel-Oefen
Lehm.
Es wird in feuchten (griinen
Sand, in getrocknete Masse und ;
Lehm gegossen.
Eisen (Schalenguss, Hartgu.s- .
S t a h 1
Flamm-Oefen od.
Sand, Masse, Lehm (trocken).
Tiegel-Oefen
Schalen, Coquillen.
Messing u.Tombak
Tiegel-Oefen
Fetter Sand getrocknet oder
Lehm getrocknet.
Bronze
Flamm-Oefen od.
Fetter Sand getrocknet oder
Tiegel-Oefen
Lehm getrocknet.
A rg en tan
Tiegel-Oefen
Fetter Sand getrocknet, Eisen-
Schalen. Feiner, feuchter Sand.
Zink
Tiegel-Oefen
oder Einschmelzen in
einem eisernen Kessel.
Messing-, Eisen - Schalenformen.
Blei
Tiegel - Oefen od.
Trockener Sand ; Eisen oder Mes-
Hartblei
(Pfannen, Kessel)
sing etc. Formen.
Schriftmetall
Z i n n
In Gussloffel und Guss-
Sandstein-, Schiefer-, Serpentin-,
n. Zinnlegirungen, auch
pfanne
Messing-, Schalenformen ; Holz-,
Schriftmetall
Papierformen.
Gold; Silber
Tiegel-Oefen (Gasofen)
Eiserne Schalenformen.
a) Gusseisen, unter alien das wichtigste, in der grbssten Ausdehnung augewendete
(s. Eisengiesserei). Es ist zwar strengfliissig (bei starker Weissgliihhitze sckmelzend),
aber doch nicht in solchem Grade, dass die nbthigen Anstalten zum Sehrnelzen grosser Massen
desselben besonderen Schwierigkeiten unterlagen; dabei fiillt es die Formen selir gut, eiguet
sich demnach auch zu feinen Giissen und besitzt nebenher grosse Festigkeit. wodurch es zu
starken Gegenstanden liochst anwendbar wird.
b) Die Mischungeu des Kupfers mit Zink, welche unter den Namen Messing und
Tombak (oder Rothguss) vorkommen. Bei RothgKihhitze schmelzbar, diehten und festen
Guss liefernd, gehbren dieselben zu den schatzbafsten Materialien der Giesserei, wiewohl sie
sich weit weniger fein ausgiessen als das Eisen und auch durch den hoheren Preis ihre An-
wendung beschrankt wird.
c) Die Zusammensetzungen aus Kupfer und Zinn, oder Kupfer, Zink and Zinu. welche
unter der Gesammtbenennung Bronze bekannt sind (s. Bronze), und nadi Verschiedenheit
ihrer Zusammensetzung bald durch besonders grosse Harte und Zahigkeit, bald durch vor-
ziigliche Tauglichkeit zu fein ausgebildeten Giissen sich hervorthun.
d) Das Argent an oder Neusilber, eine Legirung aus Kupfer, Zink und Nickel,
von angenehmer weisser Farbe, von grbsserer Harte und Zahigkeit als Messing, aber bedeutend
thturer als dieses, weshalb seine Benutzung zu Gusswaaren auf Kleinigkeiteu eingeschrankt ist.
e) Zink, ist im gegossenen Zustande ausserst sprodc, also zu Gussartikolu niir in so
fern tauglich, als diese keinen Einwirkungen stossender oder brechender Gowalt unterliegen ;
Zinkguss findet desshalb nur Anwendung auf Gegenstande der Ornamentirnng. als Reliefs,
Vasen, Biisten, Bildsa'ulen u. dgl. Die Schmelzung des Metalls ist sehr leicht, da sie nicht
einmal vbllige Gliihhitze erfordert; die Giisse konimen mit eben so grosser Scharfe und Sau-
berkeit aus den Formen, wie jene von Gusseisen.
f) Zinn, im reinen Zustande, fiillt die Formen weit weniger leicht und gut. als eine
Mischung ans Zinn und Blei, welche schon deswegen (abgesehen von ihrer grbsseren Wohl-
feilheit) fast allgemein angewendet wird. Das Britannia- Me tall i^siehe diesen Artikel\
794 Giesserei.
welches hier anzureihen ist, da es zum allergrbssten Theile aus Zinn besteht, liefert wohl-
ausgebildete Giisse, die an Harte und Festigkeit das reine, nock mehr das bleiiialtige Zinn
iibertreffen. Aus Zinn und Antimon, mit oder ohne Kupfersatz, giesst man vortreffliche
Zapfenlager fiir Maschinen. Alle Zinnmiscbungen, sofern darin die fremden Zusatze den ge-
ringeren Antbeil ausmacben, bieten fiir die Giesserei den Vortbeil dar, dass sie zum Scbmelzen
eine sehr geringe Hitze erfordern.
g) Blei, dessen grosse Weicbheit und geringe Festigkeit der Anwendung zu vielerlei
Gegenstanden im Wege steben, bedarf zum Schmelzen einer wenig grosseren Hitze als Zinn,
wiirde also aus diesem Gesichtspunkte zur Giesserei sehr geeignet sein. Flatten, Rohren,
Gewehrkugeln, Flintenschrot, Gefasse zu cbemischen Zwecken und Plomben (Bleisiegel) fiir
Zollamter sind jedoch die einzigen regelmassig vorkommenden Gusswaaren aus Blei. Durch
Versetzung mit Antinion erlangt dieses Metall grossere Harte und Steifheit, ancb in weit
hoherem Grade die Fahigkeit, durch vollkommene Ausfiillung der Formen sehr scharfe Abgiisse
zu liefern; hiervon wird ein wesentlicher praktischer Nutzen gezogen, indem man allerlei
kleinere Ornamente und Gerathe aus Hartblei (einem etwas antimonhaltigen Blei) giesst,
uud zum Giisse der Buchdruckerschriften eine Legirung von Blei mit grosserem Antheile
Antimon (das Schriftzeug) zusammensetzt. Hierher gehort auch das Zapfenlager-Metall
aus Blei und Antimon, oder Blei, Zinn und Antimon.
h) Silber und Gold werden ihrer Kostspieligkeit halber wenig durch Guss verarbeitet,
da man gerade bier am meisten auf geringe Dicke der Gegenstiinde angewiesen ist, mithin
fast alle Artikel von grosserem Umfange kohl aus Blech anzufertigen pflegt.
Zu feinen, verzierten Gusswaaren eignet sich im Allgemeinen ein Metall desto besser,
je fahiger es ist, in alle Vertiefungen der Form, auch die zartesten, einzudringen. Diese
Fahigkeit aber beruht auf natiirlicher Diinnfliissigkeit und auf dem Verhalten beim Evstarren
und Abkiiblen in der Form.- In Ansehung ihrer Diinnfliissigkeit bieten die Metalle auffallende
Verschiedenheiten dar; so z. B. ist das meiste weisse Roheisen auffallend dickfliissig im Ver-
gleich mit dem giauen, ebenso das reine Zinn gegeniiber dem mit Blei versetzten.
Das zum Giessen taugliche Metall muss ohne zu grosse Kosten schmelzbar
sein, beim Erstarren d i c h t e Gussstiicke liefern und die Form vollstandig aus-
fiillen.
Der ersten Bedingung widerstebt von den techniscb venvendeten Metallen
nur das Schiniedeeisen, indem die Kosten der Scbmelzung durch den Werth des
Productes nicht aufgewogen wiirden. Die Scbmelzung selbst unterlage keinen
grossen Schwierigkeiten, kann man ja sogar Platin in ausgehohlten Aetzkalk-
stticken mittelst Knallgas schmelzen ; aber sie ist aus okonomischen Griinden doch
ausgeschlossen. Der zweiten Bedingung -widerstebt das Kupfer und es ist nur
schwierig moglich aus Stahl und Aluminium dichte Gussstiicke herzustellen. Die
Erlangung dicbter Giisse erheiscbt ubrigens bei alien Metallen die Beobacbtung
gewisser V'orsichten. Der Grad der Erhitzung des geschmolzenen Metalles muss
der richtige sein. Ist das flussige Metall bedeutend iiber seinen Schmelzpunkt
erhitzt, so entsteht meist blasiger Guss. Nur bei leichtrliissigen Metallen, wenn
selbe in Formen gegossen werden, welcbe die Warme gut leiten, wiirde das Metall,
ehe es die Form vollstandig ausfiillt. erstarren, wenn es nicht stark tiberbitzt ware.
Es richtet sich die erforderliche Temperatur des fliissigen Metalles daher nicht
nur nach diesem, sondern auch nach dem Materiale und der Gestalt der Form.
Die Form muss der Luft den Abzug gestatten, zu welchem Zwecke dieselbe ent-
weder aus einem liiftdurclditssigen Materiale (magerer Sand) bestehen oder mit
Lul'tabziigen ^Wimlpfeifen) versehen sein muss. Unnotige Ueberhitzung ist auch
der meist eintretenden Oxydation wegen zu meiden. Zink und Zinklegirungen
(Messing, Tombak) bilden iiberbitzt Zinkoxyd. Das Zink verbrennt theilweise,
einen Ranch aus weissen, leicbten Flocken ausstossend. Zinklegirungen werden
daher iiberbitzt armer an Zink, und dies urn so mebr, je langer die Ueberhitzung
dauert.
Das vollkommene Ausfiillen der Form bangt von der Diinnfliissigkeit
des Metalles ab. In dieser Beziehung zeichnet sich graues Roheisen (Gusseisen)
und Zink besonders aus und liefern diese Metalle daher besonders reine Giisse.
Denselben kbmmt noch die besondere Eigenschaft zu, dass sie sich unmittelbar
vor oder bei dem Erstarren ausdebnen (que 11 en) und hierdurch die Formen urn
so vorziiglicher ausfiillen.
Im Allgemeinen folgen die Metalle dem Gesetze. sicb beim Erwarmen aus-
zudebnen, beim Erkalten zusammenzuziehen. Aus diesem Grunde ist das erkaltete
Giesserei. 795
Gussstiick kleiner afs der Hohlraum der Form, welchen das geschmolzene Metall
ausfiillte, und hieran wird auch dureh das oberwaimte Quellen nichts geitadert,
weil die Ausdehnung beim Erstarren weit geringer ist, als die nachfolgende Zu-
sammenziehung beim Erkalten. Diese Volumsverminderung nennt man Schwinden
und die Grosse derselben, ausgedriickt in Bruchtheilen der LUngendimensioneii
(lineare Zusammenziehung), heisst S c h win d m as s. Dassel be betragf nach
Ka-rmar-sch:
bei Gusseisen _ bis -— durchschnittlich , _
125 63 'Jt
(bei dunkelgrauem weniger als bei
lichtgrauem)
Messing — ■ — ■
" " 80 " 50 " 64
Glockenbronze . . ... ■ —
63
Statuenbronze — —
" ' 170 " 72 " 120
Kanonenbronze —
130
Zink _L ± 1_
' ' 97 " 65 " 80
Blei -1- ± J_
" ' '104 " 86 " 9S
rr- 111
Zmn — — —
' ' ' 173 " 1-20 " 147
Una die Gussstiicke genau in verlangter Grosse zu erhalten, muss das
Schwindmass fur das anzuwendende Metall ermittelt und hiernach die Form ent-
sprechend grosser hergestellt werden. Man verwendet bierzu in den Giessereien
eigene Schwiudmas sstab e, deren Theilung urn den Betrag des Schwindmasses
grosser ist.
. Durch das Schwinden vermindert sich die Grosse des Gusssttickes im All-
gemeinen. Es kann aber das ungleichzeitige Erstarren das Nachfliessen nock
geschmolzenen Materiales zu Stellen, wo bereits die Volumsverminderung einge-
treten ist, zur Folge haben und hierdurch konnen je nach der Form des Gruss-
stiickes an gewissen Stellen Locher oder Vertiefungen entstehen. Diese Erschei-
nung bezeichnet man durch den Ausdruck S a u g e n (tassement) und Mis dasselbe
nur darin besteht, dass aus dem Anguss oder Gusszapfen Material nachgesogen
wird; so benennt man es mit Nach sack en. Findet die Zusammenziehung
derart statt, dass ebene Platten krumm, oder Theile, welche eine bestimmte
Kritmmung haben sollen, eine andere annehmen, so heisst dies W erf en.
Durch die richtige Wahl des Me.talles, d. h. z. B. eines solchen Gusseisens.
welches die tible Eigenschaft des Werfens nicht besitzt; durch entsprechende
Elrhitzung desselben; bei Schalenformen durch geeignetes Vorwarmen dieser : ferner
durch Anwendung holier Angiisse (Gusszapfen); trachtet man correcte Gussstiicke
zu erzielen.
Das Schwinden kann bei grossen? nicht geniigend nachgiebigen Form en
(z. B. Lehmformen) auch ein Reissen des Gusssttickes zur Folge haben. welches
bei grossen Stiicken durch Ausziehen von Keilen nach dem Erstarren. welchfi
Keile Theile der Form bildeten, verhindert wird. Bei manchen kleinen Stiieken
offnet man die Form nach dem Erstarren und vor der weiteren Abktihiung.
Beim Schmelzen der meisten Metalle und Legirungen bildet sich. dureh
Oxydation oder durch Verschlackung beigemengter Theile, eine Schlacke bei Zinn
„Asche", bei Gold „Kratze"), welche sich auf der Oberflaehe der Gusspfanne
oder des Tiegels sammelt und deren Eintreten in die Form beim CJusse durch
Abstreifen oder durch Vorsetzen eiserner Schienen u. dgl. verhindert werden
muss. Das Eingiessen des geschmolzenen Metalles muss in gleiehmassigem.
796
Giesserei.
Fig. 1780.
ununterbrochenem Strome geschehen, weil bei Unterbrechungen leicht kalt-
giissige (unganze) Stucke entstehen.
Die Form (moule — mould), in welche gegossen wird, soil dauerhaft und
scharf sein; d. h. mindestens einen reinen Guss liefern. Im Allgemeinen ist es
wiinschenswerth, wenn das Materiale der Form ein schlechter Warmeleiter ist,
weil dadurch das Erstarren allmaliger und gleichinassiger geschieht. Aus diesem
Grunde und aus okonomischen Kiicksichten wendet man fiir Eisen, Bronze und
Messingguss meistens Sand-, Masse- und Lehmformen an. Das Materiale der
Form muss das Herausheben des Gussstiickes gestatten, es darf sich nicht an
dasselbe anhangen oder anschmelzen.
Die Form ist entweder eine bleibende oder verlorene.
Bleibende Form en gestatten wiederholte Giisse und bestehen aus Gusseisen,
Schmiedeisen, Messing, Sandstein, Schiefer etc., je nach dem Schmelzpunkt des
Metalles, welches gegossen wird ; sie sind zwei- oder mehrtheilig. Verlorene Formen
dienen nur einem Gusse und werden aus Sand, Masse und Lehm hergestellt, ent-
weder mit zu Hilfenahme eines Modelles oder einer Schablone.
Das Modell kann aus Holz oder Metall bestehen und ist entweder ein-
oder zwei-, seltener m e h r theilig.
Das Formen mit einem ein-
t h e i 1 i g e n Modell erfolgt in Sand *)
in folgender Weise. In den auf das
Modellbrett a gesetzten Formkasten
b wird Sand eingestampft und das
Modell m (beispielsweise eine Kugel)
nach Bestauben des Sandes mit Koh-
lenpulver bis zum Mittelschnitte
eingedrlickt, der Sand abgeglichen
und das Ganze neuerlich eingestaubt.
Hierauf wird der zweite Form-
kasten (Flasche) aufgesetzt, welcher
auf den ersten mittelst des soge-
nannten Schlosses d genau aufge-
passt und nicht verschoben werden
kann. In den Kasten c wird nun
gleichfalls Sand eingestampft, wel-
cher sich jedoch mit dem Sande
in b nicht verbindet, weil zwischen
Kohlenpulver gestreut ist. Nachdem
das Einstampfen des oberen Kastens
vollendet und die Oberflache abge-
glichen ist, wird mittelst einfacher
Werkzeuge (Formspateln, Formloffel)
der Einguss e gebildet. Hierauf vor-
sichtig der obere Kasten abgehoben,
c wieder aufgesetzt und nun ist die Form zum
c
b
Ak'
ir/
Xj
Formen mit eintheilio'em Modell
Fig. 1781.
Y^\ • :
i
CL[
Fig. 1782.
i ^
%
b
f
a\ ■
!
Formen mit zweitlieilia'em Modell
der Kasten
das Modell entfernt
Gusse fertig.
Das Abheben des oberen Kastens,
nur dann ohne Beschadigung der Form
zum Mittelschnitte in b eingedriickt oder
schnitte der Ku^el abgeglichen wurde.
sowie das Ausheben des Modells kann
erfolgen, wenn die Kugel genau bis
der Sand in b genau bei dem Mittel-
Erfordert dies schon bei so einfachen
Formen, wie eine Kugel ist, einige Miihe, so wird die Sache bei complicirteren
Formen noch schwieriger.
Aus diesem Grunde theilt man die Modelle durch einen Mittelschnitt in
zwei Theile und formt dann in der Weise ein, dass die Modellhafte mx auf das
*) SieLe Formsand III pag. 609.
Giesserei. 70 7
Formbrett a gelegt, darauf der Kasten b gestellt, mit Kohienptalver bestaubt and
Sand eingestampft und endlich abgeglichen wird. Pig. 1781. Man legt nun ein
zweites Formbrett auf, kehrt den Formkasten sarnrnt den beiden Formbrettern
nra, hebt das erste, jetzt oberc Formbrett ab, setzt die zweite Modellbalfte «> ,
und bierauf den zweiten Kasten c
auf, bestaubt mit Kohlen, stampft
Sand ein, schneidet den Einguss e
aus Fig. 1782, nimmt dann die
beiden Kasten auseinander und ent-
fernt aus jedem die Modellhalfte.
Weitere Beispiele sind im Artikel
Eisengiesserei Bd. Ill pag. 124
nachzusehen.
Bei complicirteren Gussstiicken
ist man nicht selten gezwungen
ein mehrtheiliges M o d e 1 1
und mehrere Formflascben oder
Kasten anzuwenden. Die beiste-
hende Figur soil uns die Herstellung
der Form eines Maschinentheiles dar-
stellen, dessen Modell aus den Theilen ml m„ m3 besteht, und zu dessen Ein-
formung vier Formkasten 1, 2, 3, 4 beniitzt werden. Scbon aus der Numerirung
ist ersichtlich, in welcber Keihenfolge das Formen durcbgefiihrt wird oder werden
kann. Der Kasten 4 dient als Boden oder je nach der Lage der Form beim
Gusse, auch als Seitenwand oder Decke.
Ueber die Anfertigung und den Gebrauch der Kerne bei Herstellung hohler
Gussstucke ist im Artikel Eisengiesserei das Erforderliche mitgetheilt worden.
Das Formen in Lehm mit der Schablone statt des Modells.
Die Formerei in Lehm, welcbe sehr langsam von Statten gebt und dadureb
aucb kostspielig wird, findet zu massiven Gegenstanden fast niemals Anwendung.
Man greift zu ibr gewohnlich nur, wenn grosse Gefasse oder gefassahnliehe Stiieke
(Kessel, Thurmglocken, Dampfmaschinen-Cylinder etc.) zu giessen sind, zu welchen
man keine hinlanglich bohen und weiten Formkasten hat, oder bei denen — weil
sie nur in einem oder wenigen Exemplaren gegossen werden sollen — die An-
schatfung eines holzernen oder metallenen Modells zu viel Kosten verursachen
wilrde. Denn die Lehmformerei bedarf (da der Lehm fur sieh Standfestigkeit
genug hat) keines Formkastens und das Modell wird durch die weit billigere
Schablone ersetzt oder, namentlich bei Kunstguss, durch ein Modell aus Lehm.
Der Form lehm muss nicht zu sandig, geniigend bildsam und bindend.
aber auch nicht zu fett sein; denn gerade durch das richtige Mittel zwischen
diesen entgegengesetzten Beschaffenheiten erlangt er einerseits die nothige Stand-
festigkeit, andererseits die Eigenschaft, beim Trocknen und Brennen wenig zu
schwinden, keine oder nur unbedeutende Risse zu bekommen. Nachdem man ihn
von Steinen, Wurzeln u. dgl. gereinigt hat, wird er mit Wasser angefeuchtet.
fleissig durchgearbeitet, mit gehacktem Stroh, Kuhhaar oder trockenem Pferdemist
innig gemengt, und in der Consistenz eines weichen Brodteiges angeknetet.
Zu jeder Lehmform fiir einen hohlen Gegenstand miissen drei Hanpttheile
gebildet werden: der Kern, ein an Gestalt dem Innern des Gus?stiieks entspre-
chender Korper; das Hemd oder Modell (die Dicke), cine den Kern dicht
anliegend umkleidende Lehmschicht, welche ausserlich nach der verlangten aussern
Gestalt des Gussstiicks gestaltet ist; endlich der Mantel, eine starke Lehmmasse,
mit welcher das Hemd ganzlich umhtillt und in der zugleich das Gussloch nebst
den nbthigen Windpfeifen (Luftausgangen) angelegt wird. Den Kern macfat
man hohl, um Material und Arbeit zu sparen ; ist er von betraehtlieher Grosse.
so ftihrt man ihn von lufttrockenen Lehmsteinen auf und bekleidet ihn nur
798 Giesserei.
schliesslich zur Berichtigung und Vollendung seiner Gestalt mit Formlehm ; Eisen-
verstarkungen im Inuern desselben sind oftmals nothig. Den Mantel pflegt man
ausserlich mit eisernen Reifen und Schienen zu armiren. Zu alien drei Bestand-
theilen muss der Lehm in Schichten nach und nacli aufgetragen und jede
Schicht vor dem Auftragen der nachsten an der Luft getrocknet werden ;
zuletzt wird ein scharfes Austrocknen oder vielmehr ein gelindes Brennen an
allmalig verstai-ktem Feuer vorgenominen, urn alle Feucktigkeit zu entfernen und
der Form die gehorige Festigkeit zu geben. Mit der Anfertigung des Kerns wird
der Anfang gemacbt; die Oberflache desselben bepinselt man dann mit in Wasser
zerriihrter Holz- oder Torfascbe, mancbmal statt dessen mit einer geschmolzenen
Mischung aus Talg und etwas Wacbs ; ebenso verfahrt man mit dem Hemde7
wenn dieses auf dem Kerne vollendet ist. Dadurcb wird erreicht; dass die Be-
standtbeile sicb leicbt von einander losen lassen. Ist namlich der Mantel fertig
geworden, so bebt man ibn entweder im Ganzen, oder in zwei, auch mebrere
Stiicke zerschnitten, von dem Modelle ab, schneidet und bricbt Letzteres voll-
standig vom Kerne los, setzt endlich den Mantel wieder liber den Kern, und
erbalt so den bisher vom Modelle ausgefullten Raum bohl. Vor dem Gusse muss
der Kern ausserlich und der Mantel innerlich mit einer Briihe von Leimwasser
unci Kohlenstaub bestricben oder iiber einem Kienholzfeuer angerauchcrt werden,
um das Anbangen von Lebmtbeilcben an das eingegossene Metall zu verhindern.
Ist das Gussstiick von runder Gestalt, so wird der Kern, das Hemd und
meist (wiewohl nicht streng notbig) aucb der Mantel durch Abdreben gebildet,
wozu man sich verschiedener, nacb den geforderten Profilgestalten ausgeschweifter
Bretter (Schablonen, Drehbretter) bedient. Das Verfahren bierbei ist nach
den Umstanden verschieden. Kleine Formen dreht man auf einer Drehbank
(Dreblade), indem man sie auf einer eisernen, horizontal in Lagern liegenden,
mittelst einer Kui'bel umzudrebenden Spindel bildet und bierbei das Drebbrett
ruhig gegen den in langsame Drehung versetzten Lehmkorper anlegt. Die Hoblung
des Kerns entsteht bierbei durch Bewickelung der Spindel mit Strohseilen.
Formen, deren Transport zu schwierig und wegen zu fiirchtender Beschadigung
gefabrlich sein wiirde, erbaut man an der Gussstelle selbst, und dann steht die
Form unbeweglich und das Drebbrett wird im Kreise um dieselbe herumgefiibrt ;
hier findet dann die schon oben erwabnte Herstellung des Kerns aus Lehmsteinen
seine Anwendung. Lehmformen von betrachtlicber Grosse (so wie auch mit Sand
geformte sehr b o h e Formkasten) miissen wegen bequemer Zuleitung des Metalls
aus dem Sticblocbe des Schmelzofens in einer Erdgrube versenkt gegossen werden,
und man hlillt sie bierin ganzlich mit trockenem Sand, trockener Erde oder zer-
pochter Steinkoblenscblacke ein, indem man diese Fiillung der Grube recht fest
zusammenstampft, um einem Platzen der Lebmformen unter dem oft sehr bedeu-
tenden Metalldrucke vorzubeugen.
Die Ausfiihrung der Lehmformerei fur grosse runde Gegenstande soil an
einem Beispiele naher erlautcrt werden, wozu als etwas complicirtes Gussstiick
eine Thurmglocke gewahlt wird. Fig. 1784 zeigt im senkrechten Durchschnitte
die zum Formen der Glocke erforderliche Veranstaltung. a a ist der mit Ziegeln
fundamentirte Boden der Formgrube; bb ein Ziegelmauerwerk mit Canalen c,c,c,
durch welche Luft in's Innere des Kerns treten kann, wenn man diesen durch
darin angemacbtes Feuer brennt ; d e, d e der von Lehmsteinen mit Lebmverband
aufgefubrte Hauptkorper des Kerns; f f dessen Hoblung ; g g die Lehmbekleidung,
durcb welche der Kern ausserlich seine Vollendung erbalt : h ein Pfahl im Mittel-
punkte des Kerns, auf welchem das zugleich in dem Kern vermauerte Eisen i i
ruht; k I die eiserne Spindel als Drehacbse fur die Scbablone, welche mittelst
eines Eisenbeschlages n n, o o daran befestigt wird. Die Spindel k I hat an
beiden Enden Zapfen, von welchen der untere in einem Loche des Eisens i, der
obere in dem quer iiber die Formgrube gelegten Balken m steckt. Die Schablone
oder das Drebbrett p q ist auf verscbiedene Weise fiir die drei Bestandtbeile der
Form ausgesclmitten. Die Schweifung der Kern-Sehablone ergibt sich sofort durch
Giesserei. 799
die aussere Grenzlinie der Lehmschicht <j g\ die Hemd-Schablone ist nach der
punktirten Linie r s ausgeschnitten, um dem Hemde oder Modelle die verlangte
Gestalt v v zu ertheilen ; endlich gibt die punktirte Linie t u die Sohweifung der
Mantel-Schablone an. Der Hohlraum des Kerns wird naeli dem Brennen mit
Erde, Sand, Schlacken u. dgl. ausgefiillt, das Hemde v v oben durch die Lehm-
platte w w gehorig geschlossen; aber ira Mantel bringt die Schablone oben eine
regelmassige trichterartige Oeffnung hervor, in welclie die aus Lehm liber einem
Holz- oder Waelis-Modelle aus freier Hand angefertigtc Kronen- oder Henkel-Form
eingesetzt wird. Aufschriften und Verzierungen der Glocke wurden frtther von Wachfl
geformt oder bossirt und auf dem fertigen Hemde angeklebt, bevor man zur
Anfertigung des Mantels schritt. Da diese Waclisreliefs beim nachherigen Feuern
(welches stattfmdet7 um den Mantel zu brennen) ausschmelzen, so hindern sie die
Ablbsung des Mantels nicht, wenn dieser mittelst eines Krahns in die Hbhe ge-
zogen wird, damit man an das Hemd gelangen und dasselbe beseitigen kann.
Jetzt werden diese Vertiefungen meist durch Handarbeit im abgehobenen
Mantel hergestellt und beniitzt man namentlich zu den erhabenen (im Mantel ver-
Fig. 1784.
tieften) Buchstaben kleine Holz- oder Messingmodelle, welche in die InnenflScbe
des Mantels entsprechend eingeformt werden.
Figur 1785 ist die obere Ansicht und Figur 1786 die Seiten-Ansicht des
Grlocken-Mantels ; A der Korper der Glocke selbst7 B die Henkelform, x} x der
Eisenbeschlag mit Haken y, y fur die Ketten oder Seile zum Aufheben des
Mantels, z der Zuflusskanal filr das Metall, a' das Gussloch, h\ h' Miindungen
der Windpfeifen der Henkelform. Vergl. Art. Eisengiesser ei III pag. 132.
Schalen- oder Metallform en. Unter alien Arten von Qiessformen
sind diese die dauerhaftesten, aber gewohnlich audi die kostspieligsten. Man
gebraucht dergleichen zum Giessen des Eisens, Zinks, Zinns und Britannia-Metalls,
Bleies, Hartbleies und Schriftzeuges. In der Eisengiesserei sind. wegen der dabei
einwirkenden hohen Hitze; nur eiserne (gusseiserne) Formen anwendbar, welche
man sehr dickwandig macht und mit Graphit oder Steinkohlentheer ausstreicht.
Man nennt sie Schalen oder Schalen form en und bedient sieh ihrer aus-
800
Giesserei.
schliesslich in denjenigen Fallen, wo die durch das sclmelle Abkiiklen entstehende
Hartung des Gusses ein Erforderniss ist. Sandguss aus Eisen kann durch das-
selbe Mittel theilweise gebartet werden, wenn man in die Sandform an der be-
treffenden Stelle ein Stuck Gusseisen einlegt, durch. dessen Beriihrung gerade hier
die rasche Abklihlung (das Abschrecken) erreicht wird.
Aus Zink, mehr noch aus Hartblei werden ofters kleine Ornamente, Lani-
penfiisse, Leuchter etc. in gusseisernen oder messingenen Formen gegossen ; aus
Blei in guss- oder schraiedeisernen Formen die Plomben der Zollamter, die Gewehr-
kugeln, auch Rohren ; das sogenannte Giessinstrument der Schriftgiesser ist die
von Eisen, Messing und Kupfer zusammengesetzte Form fur Buchdruckerschriften
(s. S chriftgiesser ei). Am wicbtigsten aber sind Metallformen beim Giessen
des Zinns und des Britannia-Metalls. Man gebraucht hier sowohl Gusseisen- als
Messingformen, und macht die Kerne zu hohlen Gegenstanden mancbmal aus
Stahl; der Woblfeilheit halber werden aber nicht selten auch Formen von Blei
oder Zinn angewendet, welche freilich weit weniger dauerhaft sind. Die inneren
Flachen aller seiner metallenen Formen bestreicht der Zinngiesser mit in Wasser
zerriibrtem Bolus, Tbpfertbon, Lebm, Eisenocher, oder mit einer Mischung aus
Kienruss, Eiweiss und Essig ; oder er berauchert sie tiber einem Feuer von Kien-
holz, wenn sie sehr klein sind iiber einer epialmenden Licht- oder Lampenflamme.
Diese Formen bestehen wenigstens aus zwei, oft aber aus drei, vier und noch
viel mebr Theilen. Am kiinstlicbsten sind diejenigen zu bauchigen verzierten
Gefassen, an welchen Ausgussrohr, Henkel, Fiisse und ahnliche Nebentbeile vor-
kommen. Da man aus einem baucbigen (innerlich sicb erweiternden) Gefasse den
Kern nicht als Gauzes fortnehmen konnte, so muss derselbe hier aus Stucken
zusammengesetzt werden, welcbe man einzeln nach einander herausholt. Um die
mit Anschaffung solcher vieltheiliger Formen verbundenen grossen Kosten zu
ersparen, giesst man sebr gewbhnlich die Gefasse inmehreren Stucken, deren jedes fiir
sich eine weit einfachere Form, erfordert, und welclie nachber durch Lothung zu
einem Ganzen vereinigt werden. Wenn bei kleinen hohlen Gegenstanden das
Innere nicht ins Auge fallt oder man aus anderen Griinden keinen Wertb auf
ein schones glattes Ansehen der Iunenseite legt (wie bei Deckelknbpfen, Biisten,
kurzen Rohren, Kinderspielzeug etc.), sowahlt man die Metbode des Stiirzens,
Giesserei.
801
wobei ohne Kern hohl gegossen wird. Dann ist die Form von der Besehaffen-
heit, dass sie vollgegossen ein Stiick ohne Hohlung liefern wlirde: man f'iillt sie
auch in der That ganzlich mit geschmolzenem Zinn7 sttirzt sic aber nach wenigen
Augenblicken am and litest den
Fig. 1787. n<>ch Hiissigen Theil auslaufen,
wobei cine bereits erstarrte, den
Hohlraum der Form auskleidende
Kruste zartickbleibt.
Als Beispiel einer messingenen
Zinngiesserform diene die zu einer
Suppenterrine bestimmte, von
welcher Figur 1787 die Seiten-
ansicht, Figur 1788 die Ober-
ansicht, Figur 1789 den Bent
rechten Dnrchschnitt darstellt;
Sie besteht au.s zwei Aussen-
theilen A, B und zwei Kernen
. C, D. Die dicke schwarze Linic
in Fig. 1779 gibt den Raum zu
erkennen, welcher von dem Zinn
auszufiillen ist; zugleich erkennt
man hier, wie die oberen und
unteren Rander der Seitentlieile
A, B in Rinnen oder Furclien
der Kerne C, D eingreifen, urn
die richtige gegenseitige Stellung
aller Theile zu sicliern. a b e
sind holzerne Hefte, woran die
drei grosseren Bestandtheile .4.
B, C in ihrem erhitzten Zu-
stande bequem angefasst und
gehandhabt werde*h konnen. Die
Eingussoffnung befindet sich am
obern Rande des Gefasses und
wird durch zwei aneinander pas-
sende Schnabel e, e der Seiten-
tlieile A, B gebildet (s. Figur
1787, 1788).
Stein form en komnien inZinn-
giesser-YVerkstiitten nicht selten vor
nnd bestehen aus einem feinkornigen
festen Sandstein, cans dickspalti-
gem T h o n s c h i e f e r, oder aus S e r-
pentin. Die Sandsteinforraen sind wohlfeil, aber schwerfallig und wie alle steinernen Formen
empfindlich gegen unvorsichtige Erhitzung, welche sie zersprengt ; sie erhalten innerlich einen
Anstrich von in Wasser angeriihrter Kreide, damit der Guss sich nicht an der rauhkornigen
Oberflache festsetzt. Thonschiefer ist fein von Flache, sehr weich und daher leielit zu gra-
viren; die kleinen Soldaten- und Thierfiguren etc. aus stark bleihaltigem Zinn. welche als
allgenvein bekanntes Spielzeug vorkommen, pflegt man in Schieferformeu zu giessen. Serpen-
tinformen sind ihres ziemlich hohen Preises wegen weniger gebrauchlich, liefern aber — da
sie eine gute Politur annehmen — sehr glatte Giisse.
Holz- und Papier formen eignen sich zu manchen Zhm-Gegenstanden ganz ein-
facher Gestalt, welche in wenigen Exemplaren zu giessen sind, also keine sehr dauerhaften
Formen verlangen. Im Allgemeinen gehoren sie zur Classe der Surrogate oder Nothmittel.
Man kann z. B. Platten aus Zinn zwischen zwei mit glatten Pappblattern belegten Brettein
Karmarseh & Heeren, Technisches Woitorbuch. Bd. III. 51
Fig. 1789.
802 Giesserei.
giessen; kurze weite Rohren in einer Papierrolle, der man als Kern einen mit Kreide be-
strichenen Holzzylinder g-ibt, u. dgl. m.
Gyp sf or men. Gussformen aus Gyps eignen sich nur fill- sehr leicht
schmelzbares Metall, da sie keine hohe Hitze aushalten konnen, olme zu zerspringen
oder miirbe zu werden und abzubrockeln. Man gebraucht sie daher kaurn anders
als in der Zinngiesserei, selbst bier aber ihrer Verganglichkeit wegen ziemlich
selten und ausscbliesslich in solclien Fallen, wo man zufrieden ist, ^; ' ■je
AnzabI Abgiisse aus einer und derselben Form zu gewinnen. Sie gewa ••• . .jch
in einer Beziebung einen grossen Vortheil, namlich dass sie sehr lei . und mit
geringen Kosten herzustellen sind, wenn man ein Modell des aus Metall zu
giessenden Gegenstandes hat. Dieses Modell wird in einem leichten holzernen
Formkasten (statt dessen oft ein Schachtelrand, eine Einfassung von Pappe etc.
geniigt) eben so eingeformt wie mit Sand, nur dass man an des letzteren Stelle
den Brei aus Gyps und Wasser eingiesst, welcher schnell erhartet. — Durch
einen Zusatz von feinem Ziegelmehl wird der Gyps fahig, etwas hohere Hitzegrade
zu ertragen, aber zugleich auch miirber; man beniitzt eine solche Zusaramensetzung
nicht selten, nm Kerne fur Sandformen zu giessen, kann aber einen derartigen
Kern nur einmal gebrauchen.
Die Gussstiicke bediirfen einer sehr verschiedenen Nacharbeit — Appretur
— weil sie aus den Formen mit unreiner Oberflache, mit Angiissen und Guss-
nahten kommen. Die erste Arbeit is! daher die Beseitigung des anhangenden
Formsandes und Lebms, wenn die Form aus diesen Materialien bestand, das Aus-
schlagen der Kerne, das Abschlagen unn Wegmeisseln der Gusszapfen und Nahte.
Zur Richtigstellung der Form wird nicht selten von Feilen und Schleif-
steinen Gebrauch gemacht und bei Fein- und Kunstguss wird die Oberflache durch
Ciseliren (s. II pag. 362) mit dem Stichel und Schaber nachgearbeitet.
Feinerer Eisenguss wird geschwarzt, durch Anrauchern iiber Feuer aus
Kienholz und nachfolgendes Biirsten, oder durch Bestreichen mit Leinol und
Erhitzen der bestrichenen Stiicke bis zum Verschwinden der Flamme, worauf man
gleichfalls btirstet.
Den Standern der Maschinen und manchen Maschinentheilen gibt man einen
Oelfarbenanstrich ; andere Gussstiicke werden durch Verzinnen, Verkupfern, Ver-
messingen, durch Braunen etc. verschonert (s. die betreffenden Artikel).
Das Adouciren oder Tempern wird ofter audi zu den Appreturoperationen
des Eisengusses gerechnet, wir haben es im Artikel Eisenerzeugung III pag. 41
besprochen.
Auf den Artikel Eisen giesserei wurde bereits wiederholt verwiesen ,
bier sei noch bemerkt, dass in den Artikeln: Gy psgiesserei, Kunstguss
und Schriftgiesser ei Einschlagiges zu finden ist.
Literatur. C. Hartmann: Handbuch der Metallgiesserei 4. Aufl. 2 Bd.^
Weimar 1863. Guettier: De la fonderie telle quelle existe aujourd'hui en
France et de ses nombreuses applications a l'industrie, Paris 1844. Over-
mann: The moulders and founders pocket guide. Philadelphia 1851.
London 1852, Kk.
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