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Full text of "Keilinschriften und Bibel nach ihrem religionsgeschichtlichen Zusammenhang"

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http://www.archive.org/details/l<eilinschriftenuOOzimm 


CKeifinfcßtrif^en  ttn^  (gißef 

NACH  IHREM 

RELIGIONSGESCHICHTLICHEN  ZUSAMMENHANG 


EIN  LEITFADEN  ZUR  ORIENTIERUNG 
m  SOG.  BABEL-BIBEL-STREIT 

MIT  EINBEZIEHUNG  AUCH  DER  NEUTESTAMENTLICHEN  PROBLEME 


15^inricß  Jtmtnern 


PROFESSOR    AN    DER    UNIVERSITÄT    LEIPZIG 


MIT  NEUN  ABBILDUNGEN 


VERLAG  VON  REUTHER  &  REICHARD 
1903 


Alle  Rechte,  insbesondere  das  der  Übersetzung  in  fremde  Sprachen,  vorbehalten. 


Druck  von  W.  Drugulin  in  Leipzig. 


Einleitung. 

Uer  Schreiber  dieser  Zeilen  hatte  ursprünglich  die  feste  Ab- 
sicht, in  den  durch  Delitzsch'  ersten  Vortrag  über  Babel  und 
Bibel  entstandenen  Streit  überhaupt  nicht  einzugreifen.  Und  zwar 
hielt  ich  mich  darum  von  der  Sache  fern,  weil  es  mich  äulierst 
unsympathisch  berührte,  dali  bei  dieser  Gelegenheit  von  zumeist  ganz 
inkompetenten  Beurteilem  und  in  der  breitesten  Öffentlichkeit  vielfach 
gerade  über  solche  wissenschaftliche  Fragen  abgeurteilt  wurde,  die 
teils  überhaupt  noch  nicht  spruchreif  sind,  teils  sich  nur  zur 
Diskussion  im  engsten  Forscherkreise  eignen.  Nachdem  nun  aber 
dieser  Streit  immer  noch  nicht  zur  Ruhe  kommen  will,  vielmehr  in- 
folge von  Delitzsch'  zweitem  Vortrag  über  dasselbe  Thema  immer 
noch  weiter  um  sich  gegriffen  hat,  halte  ich  es  schlielUich  für 
meine  Pflicht,  doch  nicht  mehr  länger  hinter  dem  Berge  zu  halten, 
sondern  auch  meinerseits  in  diesem  leidigen  Kampfe  das  öffentlich 
auszusprechen,  was  ich  von  mir  aus  zur  Klärung  beizubringen  im- 
stande bin.^ 

Dabei  ist  es  nun  aber  keineswegs  meine  Absicht,  mich  etwa 
über  solche  Fragen  eingehend  zu  verbreiten,  wie  es  mit  einer  wie 
auch  immer  gearteten  besonderen  Offenbarung  im  Bereiche  der 
biblischen  Geschichte  bestellt  ist,  oder  wie  über  den  Monotheismus  der 


^  Aus  der  fast  unübersehbaren,  im  allgemeinen  ziemlich  unerfreulichen 
sog.  Babel-Bibel -Literatur  seien  hier  nur  folgende  Broschüren  als  die  meines 
Erachtens  besten  Orientierungen  hervorgehoben,  wenn  ich  mich  auch  nicht 
mit  allen  in  denselben  enthaltenen  Einzelheiten  einverstanden  erklären  vv'ill: 
H.  Gunkel,  Israel  und  Babylonien,  Göttingen  1903.  —  C.  F.  Lehmann, 
Babyloniens  Kulturmission  einst  und  jetzt,  Leipzig  1903.  ■ —  A.  Jeremias, 
Im  Kampfe  um  Babel  und  Bibel,  4.  Aufl.,  Leipzig  1903.  —  Für  weitere  Kreise 
recht  empfehlenswert  als  Belehrung  über  die  Resultate  der  Assyriologie  ist 
die  mit  reichem  bildnerischen  Schmuck  ausgestattete  Monographie  von 
C.  Bezold,  Ninive  und  Babylon,  Bielefeld  und  Leipzig  1903. 
Zimmern,  Keilinschriften  und  Bibel.  i* 


Einleitung 


alttestamentlichen  Prophetie  und  des  späteren  Judentums  zu  urteilen 
ist.  Das  möge  den  Theologen  von  Fach  überlassen  bleiben,  zu 
denen  ich  mich  wenigstens  jetzt  nicht  mehr  rechne.  Auch  war  es 
meines  Erachtens  ein  schwerer  Fehler  von  Delitzsch,  dalJ  er  ins- 
besondere in  seinem  zweiten  Vortrag  sich  dazu  hat  hinreißen  lassen, 
gerade  über  derartige  schwierige  Fragen  sich  in  sehr  prononcierter 
Form  zu  äulJern^  obwohl  doch  Delitzsch  weder  von  Haus  aus  Theologe 
ist,  noch  auch  nach  seinen  bisherigen  wissenschaftlichen  Arbeiten, 
deren  Stärke  vielmehr  auf  einem  ganz  anderen  Gebiete  liegt,  sich 
die  Berechtigung  dazu  erworben  hat,  in  allgemein  religionsge- 
schichthchen  Fragen  als  besonders  kompetenter  Beurteiler  aufzu- 
treten. 

Meine  einzige  Absicht  ist  vielmehr  die,  durch  dieses  Schriftchen 
auch  den  weitesten  Kreisen,  die  nun  einmal  in  diesen  Streit  hinein- 
gezogen worden  sind,  die  Möglichkeit  an  die  Hand  zu  geben,  sich 
selbst  einigermalJen  klar  darüber  zu  werden,  wieweit  es  sich  bei 
diesem  Streit  um  wirkliche  urkundliche  Tatsachen  handelt,  und 
wieweit  andererseits  um  blolJe  an  diese  Tatsachen  geknüpfte  Kom- 
binationen, die  zwar  an  und  für  sich  ganz  richtig  sein  mögen,  bei 
denen  aber  doch  in  vielen  Fällen  nicht  ganz  die  gleiche  sichere 
Gewähr  für  die  Richtigkeit  besteht,  wie  bei  den  urkundlichen  Tat- 
sachen selbst.  Gerade  in  dieser  Hinsicht  litt  speziell  der  erste  Vor- 
trag von  Delitzsch,  wie  sich  nicht  leugnen  lälJt,  an  einigen  erheblichen 
Mängeln,  indem  diese  Grenzlinie  zwischen  Tatsachen  und  Kom- 
binationen für  den  Hörer  und  den  Leser  nicht  immer  streng  genug 
hervortrat.  Und  gerade  dieser  Umstand  hat  es,  abgesehen  von 
mancherlei  außerhalb  der  Sache  selbst  liegenden  Nebenumständen, 
dann  wohl  auch  hauptsächlich  veranlafJt,  daß  sich  daran  der  heftige 
Streit  anschloß.  Freilich  sind  bei  diesem  Streite  auch  manche  Gegner 
von  Delitzsch  vielfach  über  das  Ziel  hinausgeschossen,  indem  sie  in 
einer  für  den  der  Sache  Näherstehenden  oft  ergötzlich  naiven  Weise 
urkundliche  Tatsachen  oder  auf  solche  sich  aufbauende  ganz  sicher 
richtige  Kombinationen  in  Zweifel  zu  ziehen  oder  schlankweg  bei- 
seite zu  schieben  sich  bemühten. 

Ferner  beabsichtige  ich  aber  auch  nicht,  ausschließlich  diejenigen 
sicheren  oder  angeblichen  Berührungspunkte  zwischen  den  Keil- 
inschriften und  der  Bibel  im  folgenden  zur  Besprechung  zu  bringen,  von 
denen  mehr  oder  weniger  zufällig  in  Delitzsch'  Vorträgen  gerade  die 
Rede  war;  es  sollen  vielmehr  auch  noch  einige  weitere  wichtige  Punkte, 


Einleitung  c 

speziell  auch  solche,  die  das  Neue  Testament  betreffen,  zur  Sprache 
kommen,  in  denen  die  babylonische  Literatur  beachtenswerte  Parallelen 
zur  biblischen  Literatur  auf  dem  Gebiete  der  Religion  aufweist. 
Denn  auf  das  religionsgeschichtliche  Gebiet  sollen  die  folgenden 
Erörterungen  in  der  Hauptsache  beschränkt  bleiben,  da  speziell  über 
die  hier  einschlagenden  Fragen  der  heftigste  Streit  entbrannt  ist. 
Da  ich  nun  gerade  vor  kurzem  in  der  neubearbeiteten  dritten  Auflage 
von  Eberh.  Schrader's  „Die  Keihnschriften  und  das  Alte  Testament"* 
diese  Fragen  eingehend  behandelt  habe,  so  sollen  und  wollen  die 
folgenden  Ausführungen  auch  nicht  viel  anderes  sein,  als  eine  kurze 
Zusammenfassung  des  in  jenem  größeren  Werke  Gebotenen,  auf 
das  darum  auch  für  alle  genaueren  Einzelnachweise  auf  Schritt  und 
Tritt  für  denjenigen  verwiesen  ist,  der  nicht  nur  im  allgemeinen 
von  den  behandelten  Fragen  Kenntnis  nehmen  will,  sondern  ihnen 
auch  im  einzelnen  genauer  nachgehen  möchte.  Wenn  dabei  die 
Form  meiner  Ausführungen  manchem  Leser  vielleicht  weniger  bequem 
erscheinen  wird,  da  ich  vielfach  keine  fertigen  Resultate  vorlege, 
sondern  nur  auf  die  schwebenden  Probleme  hinweise,  so  hoffe  ich 
andererseits  manchem  gerade  dadurch  einen  Dienst  zu  erweisen,  dali 
ich  möglichst  objektiv  auf  die  bestehenden  Probleme  aufmerksam 
mache,  ohne  an  dieser  Stelle  die  mir  am  wahrscheinlichsten  dün- 
kende Lösung  dieser  Probleme  allzu  vorlaut  zu  betonen. 


^  Im  folgenden  abgekürzt  durch  KAT'^. 


Sintflut.^ 

Eine  babylonische  Sintfluterzählung  war  uns  bereits  vor 
der  Wiederentdeckung  des  babylonisch-assyrischen  Altertums 
aus  griechischer,  auf  den  babylonischen  Priester  Berosus  zurück- 
gehender Überlieferung  bekannt.  Durch  die  Ausgrabungen  des 
vorigen  Jahrhunderts  auf  der  Trümmerstätte  von  Ninive  sind 
wir  jetzt  aber  auch  wieder  in  den  Besitz  der  keilschriftlichen 
Originale  gelangt,  die  diesen  babylonischen  Sintflutbericht  ent- 
halten. Dessen  Hauptzüge  sind  in  Kürze  folgende:  Die  Götter 
beschliefJen  in'^^einer  Versammlung  eine  Sintflut  zu  veranstalten 
und  zwar,  wie  wenigstens  am  Schlulj  der  Erzählung  mit  deut- 
lichen Worten  ausgesprochen  wird,  um  die  Sünden  der  Menschen 
zu  bestrafen.  Der  Gott  Ea,  der  im  Götterrate  zugegen  gewesen 
war,  setzt  seinen  Schützling  Utnapistim  aus  der  Stadt  Surippak 
hiervonj^^in  Kenntnis  und  befiehlt  ihm,  zu  seiner  Rettung  ein 
Schiff  zu  bauen  und  lebende  Wiesen  aller  Art  in  dieses  mit 
hineinzunehmen.'^  Utnapistim  befolgt  den  Befehl  Ea's,  baut  das 
Schiff  nach  den  ihm  vom  Gotte  vorgeschriebenen  Maßen,  teilt 
es  in  zahlreiche  Abteilungen,  und  bringt  seine  Familie  und 
Verwandtschaft,  sowie  Tiere  aller  Art  hinein.  Kurz  vor  Beginn 
der  Flut,  deren  Eintritt  ihm  durch  ein  göttliches  Zeichen  vor- 
her angezeigt  wird,  besteigt  er  selbst  das  Schiff  und  verschließt 
dessen  Tor,  während  er  den  Steuermann  mit  der  Lenkung  des 
Schiffes   betraut.     In  der  Frühe   des  nächsten  ^Morgens  bricht 


I  S.  Näheres  in  KAT^  S.  543—560. 


Sintflut  7 

die  Flut  los,  verbunden  mit  gewaltigen  Stürmen  und  dichter 
Finsternis.  Die  Götter  selbst  fürchten  sich  vor  der  Sintflut  und 
steigen  zum  Himmel  empor.  Die  Göttermutter  klagt  über  den 
Untergang  ihres  IMenschengeschlechts  und  bereut  es,  in  der 
Gütterversammlung  der  Veranstaltung  einer  Sintflut  zugestimmt 
zu  haben.  Sechs  Tage  und  Nächte  rast  die  Sintflut.  Am  sie- 
benten Tage  aber  ruht  das  Meer  und  hört  der  Sturm  auf.  Utna- 
pistim  öffnet  ein  Luftloch,  da  fällt  Tageslicht  auf  seine  Wangen. 
Er  setzt  sich  nieder  und  weint.  Danach  steigt  Land  auf  und 
das  Schiff  sitzt  auf  dem  Berge  Nisir  fest.  Nach  sieben  Tagen 
läßt  Utnapistim  eine  Taube  ausfliegen,  die  aber  wieder  zurück- 
kommt, weil  sie  keinen  Ruheplatz  findet.  Das  Gleiche  geschieht 
bei  einer  Schwalbe,  die  Utnapistim  darauf  ausfliegen  lälit.  Erst 
ein  Rabe,  den  er  als  dritten  Vogel  aussendet,  kehrt  nicht  wieder 
zurück,  sondern  läßt  sich  fressend  nieder.  Da  läßt  Utnapistim 
alles,  was  sich  im  Schiffe  befindet,  hinaus  und  bringt  auf  dem 
Gipfel  des  Berges  ein  Opfer  dar,  dessen  süßen  Geruch  die 
Götter  wohlgefällig  einatmen.  Es  folgt  eine  Szene,  in  der  die 
Göttermutter  und  Ea  mit  Bei  darüber  hadern,  daß  er  die  Sint- 
flut veranstaltet  habe,  Bei  selbst  aber  darüber  erzürnt  ist,  daß 
nicht  alle  Menschen  in  der  Flut  umgekommen  sind,  sondern 
einer,  Utnapistim  mit  den  Seinen,  gerettet  ist.  Schließlich  aber 
wird  Bei  anderen  Sinnes  und  verleiht  sogar  dem  Utnapistim 
und  seinem  Weibe  göttliche  Natur  und  entrückt  sie  in  die 
Ferne,  an  die  „iMündung  der  Ströme". 

Darüber,  daß  diese  babylonische  Sintfluterzählung  mit  der 
biblischen  oder  vielmehr  den  beiden  biblischen  —  denn  in 
Gen.  6 — 9  sind  zwei  Sintflutberichte  zusammengearbeitet  — 
aufs  engste  verwandt  ist,  kann  trotz  der  mancherlei  Verschieden- 
heiten im  einzelnen  kein  Zweifel  bestehen.  Am  stärksten  ist 
die  Berührung  wohl  bei  der  Episode  von  der  Aussendung  der 
Vögel  und  bei  der  Darbringung  des  Opfers  beim  Verlassen 
der  Arche,   obwohl  gerade  auch  hier  wieder  charakteristische 


8  Sintflut 

Verschiedenheiten  zwischen   der  biblischen  und  der  keilschrift- 
lichen Rezension  vorliegen. 

Das  Problem  kann  also  hier  nicht  das  sein,  ob  überhaupt 
eine  Verwandtschaft  zwischen  dem  babylonischen  und  dem 
biblischen  Bericht  besteht,  sondern  vielmehr  nur  das,  wie  diese 
Verwandtschaft  zu  denken  ist.  In  letzterer  Hinsicht  sind  nun 
allerdings  die  Meinungen  noch  sehr  geteilt.  Doch  darf  es 
wenigstens  als  die  Ansicht  der  überwiegenden  Mehrzahl  der 
Forscher  bezeichnet  werden,  daß  die  Sintflutsage  bei  den 
Babyloniern  heimisch  und  bei  den  Hebräern  erst  von  diesen 
entlehnt  ist.  Wie  nun  freilich  diese  Entlehnung  zu  denken  und 
in  welcher  Zeit  sie  anzusetzen  ist,  darüber  gehen  die  Meinungen 
wieder  von  neuem  auseinander,  indem  die  einen  diesen  Zeit- 
punkt bereits  recht  früh  ansetzen  und  wohl  gar  diese  Sage 
schon  von  den  Hebräern  aus  ihrer  freilich  äußerst  problema- 
tischen babylonischen  Heimat  mitgebracht  sein  lassen,  während 
andere  etwa  das  achte  oder  siebente  Jahrhundert  v.  Chr.  als 
die  Zeit  annehmen,  in  der  die  Israeliten  mit  diesem  wie  mit 
anderen  babylonischen  Stoffen  bekannt  geworden  wären.  Mag 
man  sich  nun  für  diese  oder  für  jene  Alternative  entscheiden, 
so  liegt  in  jedem  Falle  die  Sache  doch  so,  daß  die  babylonische 
Sintflutsage  nicht  etwa  sozusagen  mit  Haut  und  Haaren  von 
Israel  aus  Babylonien  übernommen  worden,  sondern  daß  sie  in 
sehr  starkem  Maße  im  Geiste  der  spezifisch  israelitischen  Religion 
umgebildet  worden  ist.  —  Wieder  eine  ganz  andere  Frage  für 
sich,  die  neuerdings  gerade  ziemlich  lebhaft  erörtert  worden 
ist,  ist  die,  welches  denn  wohl  der  eigentliche  Ursprung  und 
Sinn  der  Sintflutsage  ist.  Hier  stehen  sich  namentlich  zwei 
Ansichten  ziemlich  schroff  gegenüber,  indem  die  einen  in  der 
babylonisch-israelitischen  Sintflutsage  doch  einen  historischen 
Kern,  etwa  eine  einstmalige  besonders  gewaltige  Überschwem- 
mung der  Euphrat-Tigris-Tiefebene  erkennen  wollen,  während 
andere    die   Sage    als    einen   Naturmythus,    speziell    als    einen 


Urväter 


Himmelsmythus  zu  erklären  suchen,  höchstens  mit  dem  Zuge- 
ständnis, daß  die  spezifischen  Farben  für  die  Ausmalung  dieses 
Mythus  von  den  in  der  Landschaft  Babylonien  üblichen  Über- 
schwemmungen hereenommen  sind. 


Urväter.' 


Zwischen  Weltschöpfung  und  Sintflut  kennt  sowohl  die  baby- 
lonische als  auch  die  israelitische  Sage  eine  Reihe  von  Heroen- 
gestalten, die  in  der  babylonischen  Überlieferung  als  Könige,  in 
der  biblischen  als  Patriarchen  der  Urzeit  erscheinen.  Beiden,  den 
babylonischen  vorsintflutlichen  Königen  und  den  biblischen  vor- 
sintflutlichen Patriarchen,  werden  abnorm  hohe  Lebensalter  zu- 
geschrieben. Die  Anzahl  der  babylonischen  Urkönige  beträgt 
zehn.  Ebenso  groß  ist  die  Zahl  der  biblischen  Urväter,  wenigstens 
nach  der  einen,  ihrer  jetzigen  Form  nach  jüngeren,  Quelle 
(Gen.  5),  während  die  einer  anderen,  älteren  schriftstellerischen 
Quelle  angehörende  Rezension  des  gleichen  Sagenstoffes  (Gen. 
4,  1/  ff.)  nur  sechs  oder  sieben  Urväter  aufzählt,  die  sich  aber 
schon  durch  ihre  Namen  als  ursprünglich  identisch  mit  sieben 
von  jenen  zehn  Urvätern  ausweisen. 

Daß  nun  zwischen  der  babylonischen  Tradition  von  den 
zehn  vorsintflutlichen  langlebigen  Urkönigen  und  der  hebräischen 
von  den  zehn  (sieben)  vorsintflutlichen  langlebigen  Urvätern  ein 
wirklicher  historischer  Zusammenhang  besteht,  zeigen  klar  einige 
weitere  Übereinstimmungen  im  einzelnen.  So  ist  in  beiden 
Fällen  der  letzte,  der  zehnte,  der  Held  der  Sintflut:  Utnapistim 


I  S.  Näheres  in  KAT'^  S.  530—543. 


10  Urväter 

im  Babylonischen,  Noah  in  der  Bibel,  wie  denn  beide  Traditionen, 
die  hebräische  sowohl  als  die  babylonische,  den  ausgesprochenen 
Zweck  verfolgen,  die  Periode  zwischen  Schöpfung  und  Sintflut 
zu  überbrücken.  Ferner  zeigen  die  einzelnen  Namen  der  baby- 
lonischen Urkönige  und  biblischen  Urväter  mancherlei  enge 
Beziehungen  zu  einander.  So  ist  z.  B.  der  Name  des  dritten 
Urkönigs  im  Babylonischen,  Aiiielon  in  der  griechischen  Über- 
lieferung des  Berosus,  das  gewöhnliche  babylonische  Wort  für 
„Mensch",  babylonisch  anielu;  ebenso  ist  der  Name  des  dritten 
biblischen  Urvaters,  Enös,  das  gewöhnliche  hebräische  Wort 
für  „Mensch"  enös.  Entsprechendes  läßt  sich  auch  für  einige 
weitere  Namen  der  Urkönige  bezw.  Urväter  aufzeigen.  Beson- 
ders auffallend  ist  die  Übereinstimmung  in  dem,  was  von  dem 
siebenten  babylonischen  Urkönig,  Enmeduranki,  einerseits,  und 
dem  siebenten  biblischen  Urvater,  Henoch,  andererseits  er- 
zählt wird.  Enmeduranki  war  einst  König  in  Sippar,  der  Stadt 
des  Sonnengottes  Samas.  Dieser  berief  ihn  in  seine  Gemein- 
schaft und  belehrte  ihn  über  alle  Geheimnisse  der  Wahrsage- 
kunst. So  wurde  Enmeduranki  bei  den  Babyloniem  der  Stamm- 
vater der  Wahrsagepriester.  Gerade  von  dem  siebenten  Ur- 
vater Henoch  weil)  die  sonst  sehr  trockene  und  schematische 
Liste  der  Urväter  in  Gen.  5  gleichfalls  etwas  Eigenartiges  und 
an  die  Gestalt  des  Enmeduranki  Erinnerndes  zu  berichten: 
„Nach  der  Geburt  seines  Sohnes  Methusalah  wandelte  Henoch 
in  Gemeinschaft  mit  Gott  300  Jahre.  Und  seine  ganze  Lebens- 
dauer betrug  365  Jahre.  Und  weil  Henoch  in  Gemeinschaft 
mit  Gott  gewandelt  hatte,  so  verschwand  er  einst;  denn  Gott 
hatte  ihn  entrückt."  Was  in  dieser  kurzen  Notiz  von  Gen.  5 
nur  mit  wenig  Worten  angedeutet  ist,  davon  weiß  die  spät- 
jüdische Tradition  ausführlichst  zu  berichten.  Denn  in  dieser 
ist  Henoch  eine  beliebte  Sagenfigur,  um  die  sich  ein  reichhaltiger 
Sagenkranz  geschlungen  hat.  Speziell  gilt  hier  Henoch  als  ein 
berühmter  Weiser  der  Vorzeit,  der  vermöge  seines  Umgangs 


Urväter  1 1 

mit  Gott  Inhaber  alles  Wissens  über  die  Geheimnisse  im  Himmel 
und  auf  Erden  geworden  ist  und  der  darum  auch  als  Begründer 
der  Astrologie,  Astronomie,  Rechenkunst  usw.  gilt.  Auch  die 
365  Lebensjahre  des  Henoch,  die  ganz  aus  dem  Schema  der 
übrigen,  viel  höheren  Lebensalter  der  vorsintflutlichen  Urväter 
herausfallen,  erklären  sich  jetzt  leicht  im  Hinblick  auf  die  baby- 
lonische Parallelfigur  des  Enmeduranki:  denn  wie  die  Zahl  365 
jedenfalls  mit  den  365  Tagen  des  Sonnenjahres  zusammenhängt, 
so  ist  es  speziell  der  Sonnengott,  in  dessen  Stadt  Enmeduranki 
König  ist  und  der  ihn  in  seine  Gemeinschaft  beruft. 

Im  Hinblick  auf  die  im  Vorstehenden  namhaft  gemachten 
Berührungen  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  die  biblische 
und  die  babylonische  Tradition  von  den  vorsintflutlichen  Ur- 
vätern oder  Urkönigen  mit  einander  verwandt  sind.  Eine  zweite 
Frage  ist  die,  wie  dieses  Verwandtschafts  Verhältnis  zu  denken 
ist.  Die  Annahme  etwa,  dafj  es  sich  hier  irgendwie  auch  nur 
um  eine  Spur  von  wirklicher  historischer  Überlieferung  handeln 
könnte,  die  einerseits  bei  den  Babyloniern,  andererseits  bei  den 
Hebräern  sich  erhalten  hätte,  ist  selbstverständlich  ohne 
weiteres  abzuweisen.  Aber  auch  die  Möglichkeit,  dalJ  etwa  die 
babylonische  und  die  hebräische  Sage  in  diesem  Punkte  auf 
eine  gemeinsame  Quelle,  also  etwa  eine  ursemitische  Sage  zurück- 
gingen, kommt  kaum  in  Betracht.  Vielmehr  spricht  alles  da- 
für, daß  hier,  wie  auch  bei  den  übrigen  urgeschichtlichen  Sagen, 
die  Tradition  in  Babylonien  einheimisch,  in  Israel  erst  von  dort 
eingedrungen  ist.  Wann  diese  ursprünglich  babylonische  Sage 
von  den  Urvätern  in  Israel  Eingang  gefunden  hat,  ist  dann 
wieder  eine  weitere  Frage  für  sich.  Voraussichtlich  schon  ziem- 
lich frühzeitig,  da  sie  schon  in  der  alten  Quelle  Gen.  4  und 
hier  bereits  in  recht  eigenartiger  Umarbeitung  vorliegt.  Allem 
Anschein  nach  ist  die  gleiche  babylonische  Sage  dann  noch 
einmal  zu  einer  anderen,  späteren  Zeit  nach  Israel  gekommen 
und   hat   dabei  weniger  einschneidende   Umformung   erfahren, 


12  Weltschöpfunr 


als  das  erste  Mal.  So  würde  es  sich  erklären,  daß  Gen.  5, 
das  ja  auch  der  späteren  Quellenschrift  des  Pentateuch  an- 
gehört, der  babylonischen  Sage  relativ  näher  steht,  als  Gen.  4. 


Welt  Schöpfung.' 

Auch  ein  babylonischer  Weltschöpfungsmythus  war  uns,  wie 
die  babylonische  Sintfluterzählung,  bereits  aus  Berosus  bekannt. 
Und  auch  hier  sind  uns  durch  die  Ausgrabungen  die  keilschriftlichen 
Originaltexte  jetzt  wieder  zugänglich  geworden,  auf  denen  diese 
Angaben  des  Berosus  fußen.  Abgesehen  von  einigen  kürzeren 
poetischen  Textstücken,  die  das  gleiche  Thema  in  mehrfachen 
Variationen  behandeln,  ist  es  hauptsächlich  ein  großes,  auf 
sieben  Tafeln  verteiltes  episches  Gedicht  (vgl.  Abb.  i),  das  in 
ausführlicher  schwungvoller  Schilderung  die  Weltschöpfung  be- 
handelt. Zwar  ist  dieses  babylonische  Weltschöpfungsepos  bis 
jetzt  leider  immer  noch  nicht  in  ganz  vollständigem  Zustande 
in  unsere  Hände  gelangt.  Doch  sind  gerade  neuerdings  wieder 
beträchtliche  Stücke,  die  bisher  noch  fehlten,  hinzugefunden 
worden,  so  daß  die  noch  bestehenden  Lücken  sich  immer  mehr 
schließen  und  die  Aussicht  immer  größer  wird,  daß  in  nicht  zu 
ferner  Zeit  auch  dieses  wichtige  Literaturstück  wieder  vollständig 
der  jahrtausendelangen  Verborgenheit  abgerungen  sein  wird. 
Der  Gang  des  babylonischen  Weltschöpfungsepos  ist  in  kurzen 
Strichen  folgender: 

Am  Anfang,  ehe  Himmel  und  Erde  geschaffen  waren, 
waren  einzig  der  Urvater  Apsü  und  die  Urmutter  Tiämat,  beides 
Personifikationen  der  Urflut,    vorhanden.     Da  entstehen  zuerst 


I  S.  Näheres  in  KAT^  S.  4S8— S20  und  S.  584—586. 


Weltschöpfung 


13 


Abb.  I.     Anfang  der  4.  Tafel  des  babylonischen  VVeltschöpfungsepos  (mit 
Hervorhebung  der  Halb/:eilcn). 


JA  Weltschöpfung 


aus  diesem  Urpaare  in  mehreren  aufeinander  folgenden  Gene- 
rationen die  Götter.  Apsü  und  Tiämat,  in  ihrer  bisherigen 
Ruhe  gestört  und  darum  unzufrieden  mit  diesem  veränderten 
Zustand,  schmieden  einen  Plan  gegen  die  neuentstandene  Götter- 
welt. Apsü  unterliegt  bei  diesem  Vorgehen.  Dagegen  führt 
Tiämat  die  Sache  um  so  eifriger  fort,  erwählt  sich  in  Kingu 
einen  neuen  Gatten  und  Helfer,  zieht  einen  Teil  der  Götter  auf 
ihre  Seite  und  erschafft  eine  Anzahl  von  Ungeheuern,  die  ihr 
im  Kampfe  gegen  die  Götter  als  Helfer  dienen  sollten.  Dieser 
Kampf  und  die  Vorbereitungen  dazu  werden  nun  im  weiteren 
Verlauf  des  Stückes  ausführlichst  geschildert.  Die  älteren  Götter, 
Anu  und  Ea,  versuchen  zuerst  vergeblich,  der  Tiämat  entgegen- 
zutreten, kehren  vielmehr  mutlos  und  unverrichteter  Dinge 
wieder  zurück.  Da  erbietet  sich  zuletzt  einer  der  jüngsten, 
Marduk,  der  Sohn  Ea's,  den  Kampf  gegen  die  Tiämat  aufzu- 
nehmen, knüpft  aber  daran  die  Bedingung,  daß  ihm,  falls  er 
Sieger  bleibt,  künftig  der  oberste  Rang  unter  allen  Göttern  und 
das  ausschlaggebende  Wort  in  der  Götterversammlung  ein- 
geräumt werde.  In  feierlicher  Götterversammlung  werden  Mar- 
duk diese  Bedingungen  zugestanden  und  wird  ihm  als  künftigem 
Götterkönig  von  den  übrigen  Göttern  gehuldigt.  Ausführlich 
wird  darauf  geschildert,  wie  sich  Marduk  zu  dem  bevorstehen- 
den Kampfe  mit  Tiämat  mit  Waffen  rüstet  und  ihr  auf  einem 
mit  vier  Rossen  bespannten  Wagen  entgegenfährt.  Kingu  und 
die  übrigen  Begleiter  Tiämat's  geraten  beim  Herannahen 
Marduk's  in  Bestürzung.  Sie  selbst  aber  hält  Stand  und  schleudert 
ihm  trotzige  Worte  entgegen.  Diese  nimmt  Marduk  auf,  in- 
dem er  ihr  seinerseits  in  einer  Scheltrede  ihre  frevelhafte 
Empörung  vorhält.  In  dem  hierauf  folgenden,  in  den  leb- 
haftesten Farben  geschilderten  Kampfe  bleibt  Marduk  Sieger, 
durchbohrt  der  Tiämat  den  Leib  und  macht  ihr  den  Garaus. 
Darauf  wirft  er  ihren  Leichnam  hin  und  stellt  sich  darauf. 
Alsdann  wendet    er   sich    gegen   die   Götter  in  ihrem  Gefolge, 


Weltschöpfung  ji 


bringt  auch  diese  in  seine  Gewalt  und  setzt  sie  gefangen. 
Ebenso  macht  er  die  Ungeheuer,  die  sie  sich  als  Helfer  er- 
schaften  hatte,  und  zuletzt  auch  den  Kingu,  ihren  Gemahl,  un- 
schädlich. Dann  kehrt  Marduk  zum  Leichnam  der  Tiämat 
zurück,  zerschlägt  ihn  in  zwei  Teile  und  bildet  aus  den  beiden 
Teilen  Himmel  und  Erde.  Von  den  einzelnen  Schöpfungswerken, 
die  im  weiteren  Verlaufe  des  Gedichtes  aufgezählt  gewesen  sein 
müssen,  sind  einstweilen  nur  Bruchteile,  auf  die  Erschaffung  der 
Himmelskörper  und  auf  die  Menschenschöpfung  sich  beziehend, 
erhalten.  Doch  lehrt  der  Hymnus  auf  Marduk,  in  den  das 
Schöpfungsepos  ausläuft,  im  Zusammenhalt  mit  einigen  kleineren 
Fragmenten  und  mit  dem  Berichte  des  Berosus,  auch  jetzt 
schon,  daß  auch  die  übrigen  Schöpfungswerke  ausführlich  auf- 
gezählt und  auch  sie  alle  dem  Marduk  zugeschrieben  ge- 
wesen sein  müssen. 

Die  Frage,  in  welchem  Zusammenhang  die  biblische 
Schöpfungsgeschichte  in  Gen.  i  mit  diesem  bab)'lonischen 
Schöpfungsmythus  steht,  ist  nicht  so  ganz  einfach  zu  beant- 
worten und  es  haben  sich  darum  auch  in  den  letzten  Jahren 
eingehende  Erörterungen  an  ihre  Beantwortung  geknüpft,  ohne 
dalj  bis  jetzt  volle  Übereinstimmung  unter  den  Forschern  in 
diesem  Punkte  erzielt  worden  wäre.  Eine  Hauptfrage  ist  dabei 
die,  ob  Gen.  i,  das  in  seiner  jetzigen  Form  sehr  jung  ist  und 
erst  der  späten  priesterlichen  Quelle  des  Pentateuchs  angehört, 
nicht  doch  bereits  auf  eine  in  Israel  in  Umlauf  gewesene  ältere 
Form  eines  Schöpfungsmythus  zurückgeht,  die  dann  dem  baby- 
lonischen Schöpfungsmythus  noch  bedeutend  näher  gestanden 
und  von  diesem  im  letzten  Grunde  erst  ihren  Ausgang  genommen 
hätte.  Diese  These  hat  insbesondere  Gunkel^  aufs  eingehendste 
zu  begründen  unternommen  und  der  Schreiber  dieser  Zeilen 
bekennt,    dalj    sie    ihm   immer  noch   als  die  bei  weitem  wahr- 


I  Schöpfung  und  Chaos  in  Urzeit  und  Endzeit,  Göttingen  1895. 


10  Weltschöpfung 


scheinlichste  Erklärung  der  vorliegenden  Tatsachen  erscheint. 
Dabei  kommt  namentlich  auch  das  in  Frage,  ob  nicht  im  Alten 
Testament  selbst  noch  deutliche  Spuren  einer  solchen  älteren 
Rezension  des  Schöpfungsmythus  vorliegen.  Solche  Spuren 
wären  zu  erkennen  an  mehreren  Stellen  der  poetischen  Bücher 
des  Alten  Testaments, '  wo  von  einem  Kampf  Jahwe's  mit  einem 
mythischen,  drachengestaltigen  Wesen  die  Rede  ist,  das  bald 
unter  dem  Namen  Rahab,  Leviathan,  bald  mit  der  Bezeichnung 
Drache,  Schlange,  bald  auch  als  das  personifizierte  Urmeer, 
Tehöm,  auftritt.  Hierbei  kommt  besonders  auch  noch  der 
Umstand  in  Betracht,  daß  an  mehreren  der  genannten  Stellen 
unmittelbar  hinter  der  Erwähnung  eines  solchen  Kampfes  Jahwe's 
mit  einem  drachenartigen  Ungetüm  von  der  Schöpfung  der 
Welt  durch  Jahwe  gesprochen  wird,  so  daß  es  nahe  liegt, 
daraus  den  Schluß  zu  ziehen,  daß  in  Israel  einst  auch  eine 
Form  der  Schöpfungserzählung  bekannt  war,  bei  der  der  eigent- 
lichen Schöpfung  ein  Kampf  des  Schöpfergottes  mit  dem  als 
Ungetüm  vorgestellten  Urmeer  vorausging.  Da  nun  in  dem 
oben  mitgeteilten  babylonischen  Schöpfungsmythus  gerade  der 
Kampf  Marduk's  mit  dem  personifizierten  Urmeer,  der  Tiämat, 
eine  so  hervorragende  Rolle  spielt,  und  da  außerdem  Tehöm 
dasselbe  Wort  wie  Tiämat  ist,  nur  in  spezifisch  hebräischer 
Gestalt,  so  liegt  es  in  der  Tat  sehr  nahe,  anzunehmen,  daß  der 
babylonische  Marduk- Tiämat -Kampf  den  Ausgangspunkt  für 
den  israelitischen  Jahwe-Tehöm-Mythus,  wie  wir  die  Sache  der 
Kürze  halber  nennen  können,  gebildet  habe.  Wir  hätten  dann 
weiter  anzunehmen,  daß  in  dem  Schöpfungsbericht  Gen.  i  der 
ursprünglich  auch  in  Israel  bekannt  gewesene  Kampf  des 
Schöpfergottes  mit  der  drachengestaltigen  Tehöm,  weil  mit  den 
geläuterten    religiösen    Vorstellungen    der    späteren    Zeit    nicht 


I  Insbesondere  Jes.  51,  9  f.;     Ps.  89,  10  ff. ;     Hiob  26,  12  f.;    9,  13'> 
Ps.  74,  12  ff. ;    Jes.  27,1;    —  Ps.   104,  5  ff. 


Weltschöpfung  i  y 


mehr  vereinbar,  unterdrückt  worden  wäre  und  nur  noch  in  der 
Nennung  der  Tehöm  als  des  Urwassers,  über  dem  der  Geist  Gottes 
schwebt  (brütet),  eine  dunkle  Spur  zurückgelassen  hätte.  Dazu 
würden  sich  manche  weitere  Eigentümlichkeiten  des  Schöpfungs- 
berichtes Gen.  I,  so  die  Vorstellung,  daß  Wasser  und  Finsternis 
am  Anfang  geherrscht  habe,  die  Schöpfung  von  Himmel  und 
Erde  durch  die  Scheidung  von  oberem  und  unterem  Wasser, 
die  besondere  Betonung  der  Himmelskörper  und  ihrer  Be- 
stimmung vmd  anderes  recht  gut  bei  der  Annahme  erklären, 
dali  Gen.  i  im  letzten  Grunde  auf  den  babylonischen  Schöpfungs- 
mythus zurückginge. 

Es  soll  nun  allerdings  an  dieser  Stelle  nicht  verschwiegen 
werden,  datj  nicht  nur  von  selten  mehrerer  alttestamentlicher 
Forscher,  sondern  auch  von  selten  eines  bekannten  Assyriologen, 
Jensen,  aufs  entschiedenste  in  Abrede  gestellt  wird,  daß  die 
erwähnten  Kämpfe  Jahwe's  mit  den  drachengestaltigen  Wesen 
und  der  ]\Iarduk-Tiämat-Kampf  des  babylonischen  Schöpfungs- 
epos mit  einander  in  Zusammenhang  stünden.  Speziell  von 
Jensen  wird  dabei  betont,  daß  die  Tiämat  des  babylonischen 
Schöpfungsmythus  überhaupt  nicht  als  ticr-  oder  gar  drachen- 
gestaltig  vorgestellt  werden  dürfe  und  daß  darum  auch  baby- 
lonische bildliche  Darstellungen,  in  denen  ein  Gott  im  Kampfe 
mit  einem  aus  verschiedenen  Tierteilen  zusammengesetzten  Un- 
geheuer erscheint,  von  dem  Marduk-Tiämat-Kampfe  schlechter- 
dings zu  trennen  und  auf  eine  ganz  andere  mythologische 
Szene  zu  beziehen  seien.  Es  mag  sein,  daß  in  der  Tat  diese 
bildlichen  Darstellungen  des  Kampfes  eines  Gottes  mit  einem 
Ungeheuer,  von  denen  die  bekannteste  die  auch  bei  Delitzsch, 
Babel  und  Bibel  I  S.  "^6  abgebildete  ist,  sich  direkt  nicht  auf 
den  Marduk-Tiämat-Kampf  beziehen.  Immerhin  bleibt  meines 
Erachtens  sehr  mit  der  ^Möglichkeit  zu  rechnen,  daß  es  sich 
bei  diesen  bildlichen  Darstellungen,  wenn  auch  nicht  um  ganz 
den    gleichen,    so    doch   um    einen   parallelen   Mythus  zu   dem 

Zimmern,  Keilinschrlften  und  Bibel.  2 


i8 


Weltschöpfunt 


Marduk-Tiämat-Kampf  handelt.^  Besonders  beachtenswert  sind 
dabei  noch  diejenigen  Fälle,  in  denen,  wie  z.  B.  auf  Abb,  2 
und  3,  das  vom  Gott  bekämpfte  Wesen  Schlangenkopf  und 
Schlangengestalt  aufweist.  Ob  man  auch  in  der  grolJen  Schlange, 


Abb.  2.     Siegelzylinder  mit  Darstellung  eines  Drachenkampfes. 

die    sich    auf   den   sog.   Grenzsteinen    in    der  Regel    abgebildet 
findet  (s.  Abb.  4),    eine   an   den   Himmel    versetzte    Darstellung 


Abb.  3.     Siegelzylinder  mit  Darstellung  eines  Drachenkampfes. 


^  Soviel  steht  wenigstens  durch  eine  Inschrift  Sanheribs  (K.  1356)  fest, 
daß  dieser  den  Kampf  Assur's  (der  hier  in  Assyrien  begreiflicherweise  an 
Stelle  Marduk's  erscheint)  mit  Tiämat  am  Tore  eines  assyrischen  Tempels 
des  Namens  „Haus  des  Neujahrfestes"  bildlich  darstellen  ließ.  Ich  gedenke 
über  diese  bisher  nicht  recht  verstandene  Inschrift  demnächst  an  einem 
anderen  Orte  ausführlicher  zu  handeln;  desgleichen  über  den  Text  K.  3476, 
der,  wie  es  scheint,  die  Beschreibung  eines  Festspiels,  näher  wohl  eines 
Neujahrsfestspiels  enthält,  bei  dem  der  König  die  Rolle  Marduk's  spielt  und 
u.  a.Kingu,  durch  ein  Schaf  repräsentiert,  auf  einem  brennenden  Kohlenbecken 
verbrannt  wird. 


\Veltschöpfung 


19 


—  // 


'v^ 


Abb.  4.      Sog.  Grenzstein   aus    der  Zeit  Nebukadnezat's  I 
(ca.  iioo  V.  Chr.). 


20  Weltschöpfung 


des  gleichen  Ungeheuers  zu  erblicken  hat,  ist  dagegen  weniger 
sicher. 

Endlich  muß  hier  noch  eines  Gebietes  Erwähnung  ge- 
schehen, auf  dem  der  babylonische  Weltschöpfungsmythus  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  in  weiter  Ausdehnung,  bis  in  das  Neue 
Testament  hinein,  nachwirkt,  nämlich  des  Gebietes  der  Apo- 
kalyptik.  Denn  wenn  man  die  Schilderungen  eines  Kampfes 
Jahwe's  mit  drachenähnlichen  Wesen  im  Alten  Testament  ihrem 
letzten  Ursprünge  nach  aus  dem  babylonischen  Weltschöpfungs- 
mythus herleitet,  muß  man  das  Gleiche  auch  mit  Gestalten  wie 
dem  „Tiere"  in  Dan.  7,  dem  „Drachen"  in  Apok.  Joh.  12  und 
an  anderen  Stellen  der  Apok.  Joh.  tun.  Speziell  zu  dem 
siebenköpfigen  Drachen  der  Apok.  Joh.  läßt  sich  auch  bereits  im 
Babylonischen  das  entsprechende  Vorbild  in  einer  siebenköpfigen 
großen  Schlange  nachweisen.  Stammt  aber  das  „Tier",  der 
„Drache"  der  Apokalypsen  aus  der  babylonischen  Mythologie, 
so  liegt  es  auch  nahe,  in  dem  Besieger  des  Tieres,  des  Drachen, 
in  dem  Menschensohn  von  Dan.  7,  in  Michael  in  Apok.  Joh.  12, 
in  dem  Reiter  auf  weißem  Pferd  (Christus)  in  Apok,  Joh.  19 
Gestalten  zu  erblicken,  die  in  einer  Figur  der  babylonischen 
Mythologie  wie  Marduk,  dem  Besieger  der  Tiämat,  ihr  Vorbild 
haben. 


Paradies.' 

Einen  babylonischen  Mythus,  der  etwa  in  derselben  Weise 
wie  bei  der  Sintflut,  den  Urvätern  und  der  Weltschöpfung  als 
das  Vorbild  der  biblischen  Paradieseserzählung  in  Gen,  2  und  3 
gelten  könnte,  gibt  es  bis  jetzt  wenigstens  nicht.  Eine  viel- 
besprochene  und  in   sehr  verschiedener  Weise   gedeutete  Dar- 

I  S.  Näheres  in  KAT^  S.  520—530, 


Paradies  21 

Stellung  auf  einem  altbabylonischen  Siegelzylinder  mit  zwei 
Gestalten  zur  Seite  eines  Baumes  und  einer  Schlange  hinter 
der  einen  Gestalt  mulj  vorderhand  wenigstens,  ehe  sich  nichts 
Sicheres  über  den  dieser  Darstellung  zu  Grunde  liegenden  M}- thus 
feststellen  lälJt,  für  eine  Vergleichung  mit  der  Versuchungsszene 
in  Gen.  3  aus  dem  Spiele  bleiben.  Eher  kommt  der  baby- 
lonische M}'thus  von  Adapa  für  Gen.  2 — 3  in  Betracht,  ohne 
dalJ  aber  auch  hier  die  Verwandtschaft  zwischen  dem  biblischen 
und  dem  babylonischen  Stoffe  eine  so  enge  wäre,  wie  bei  der 
Weltschöpfung,  den  Urvätern  und  der  Sintflut.  Adapa,  ein 
Sohn  des  Gottes  Ea,  hat  von  diesem  zwar  hohe  Weisheit,  aber 
nicht  ewiges  Leben  verliehen  bekommen.  Wegen  einer  von 
ihm  begangenen  Gewalttat  vor  den  Himmelsgott  Anu  zitiert, 
hätte  Adapa  hier  Gelegenheit,  durch  den  Genuß  von  Lebens- 
speise und  Lebenswasser,  die  Anu  ihm  reichen  laut,  sich  die 
Unsterblichkeit  zu  erwerben,  er  schlägt  aber  die  dargebotenen 
Gaben  aus  und  verscherzt  sich  somit  auch  ewiges  Leben.  Die 
Berechtigung,  den  babylonischen  Adapa-Mythus  zur  biblischen 
Paradieseserzählung  zu  stellen,  wäre  noch  größer,  wenn  sich 
—  was  aber  bisher  auch  noch  nicht  als  sicher  gelten  kann  — 
erweisen  ließe,  daß  Adapa  dem  zweiten  babylonischen  Urkönig 
Alaparos  (Adaparos)  bei  Berosus  entspräche,  da  dadurch  auch 
der  babylonische  Adapa-Mythus  in  die  Urzeit  des  Menschen- 
geschlechts gerückt  würde. 

Ebensowenig  wie  für  die  Versuchungsgeschichte  lassen  sich 
für  die  übrigen  in  Gen.  2  —  3  enthaltenen  Sagenstoffe  bis  jetzt 
sichere  babylonische  Vorbilder  aufweisen,  wenn  auch  bei 
einzelnem,  wie  bei  den  Paradiesesströmen,  den  Keruben  als 
Wächtern  am  Eingang  des  Paradieses,  in  gewisser  Weise  Paral- 
lelen vorhanden  sind,  wie  z.  B.  auch  die  in  Gen.  2  vorliegende 
Erschaffung  des  Menschen  aus  Erde  durchaus  der  babylonischen 
Anschauungsweise  in  diesem  Punkte  entspricht.  Daß  gerade 
die   biblische   Paradieseserzählung   von   Gen.   2 — 3   weniger   als 


22  Paradies 

die  übrigen  urgeschichtlichen  Erzählungen  in  der  babylonischen 
Literatur  ihre  genaue  Parallele  hat,  wird  übrigens  auch  damit 
zusammenhängen,  daß  Gen.  2 — 3  kein  einheitliches  Ganzes  dar- 
stellt, sondern  in  diesen  Kapiteln  mehreres  ursprünglich  nicht 
Zusammengehöriges  zusammengekommen  ist. 

Mit  größerer  Sicherheit  läßt  sich  dagegen  aussagen,  daß  in 
den  spätjüdischen  Vorstellungen  von  einem  himmlischen  Para- 
diese, die  dann  auch  in  das  Urchristentum  ihren  Eingang  ge- 
funden haben,  mancherlei  Babylonisches  nachwirkt,  insbesondere 
die  spezifisch  babylonischen  Vorstellungen  vom  Himmel.  Ebenso 
läßt  sich  die  mit  dem  himmlischen  Paradiese  ja  vielfach  kom- 
binierte Idee  von  dem  himmlischen  Jerusalem  mit  seinen  zwölf 
Toren  ihrem  Ursprünge  nach  nur  von  der  babylonischen  Kos- 
mologie aus  verstehen.  Denn  wie  das  himmlische  Jerusalem 
im  Grunde  ein  Bild  des  Himmels  selbst  darstellt,  so  erklären 
sich  die  schon  bei  Ezechiel  Kap.  48  genannten  zwölf  Tore 
dieser  Stadt  und  die  in  der  Apok.  Joh.  Kap.  21  noch  hinzu- 
gefügten zwölf  Engel  an  diesen  zwölf  Toren  ihrem  Ursprünge 
nach  nur  aus  dem  durch  die  zwölf  in  Babylonien  heimischen 
Sternbilder  des  Tierkreises  zwölfgeteilten  Himmel. 


Gilgames-Epos.' 

In  der  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  babylonischen  National- 
literatur begegnen  wir  als  umfangreichstem,  freilich  immer  noch 
erst  fragmentarisch  vorliegenden  mythologischen  Stücke  einem 
von  einem  Heros  Gilgames  handelnden  Epos.  Man  hat  diese 
Gestalt  des  Gilgames  (früher  Izdubar  gelesen)  vielfach  mit  dem 


I  S.  Näheres  in  KAT^  S.  566—582. 


Gilgamej-Epos 


biblischen  Nimrod  in  Gen.  10,8—12  zusammengestellt.  Die 
iNIöglichkeit  eines  Zusammenhanges  läfJt  sich  nicht  abweisen, 
ebensowenig  läfit  es  sich  aber  bis  jetzt  auch  beweisen,  dai-j  ein 
solcher  Zusammenhang  tatsächlich  besteht.  Doch  in  anderer 
Weise  scheint  das  babylonische  Gilgames-Epos  für  Stoffe  der 
biblischen  Tradition  mehr  und  mehr  an  Wichtigkeit  zu  gewinnen. 
Aus  diesem  Grunde  erscheint  es  geboten,  auch  an  dieser  Stelle 
einen  kurzen  Überblick  über  seinen  Inhalt  zu  geben. 

Gilgames  ist  Herrscher  in  der  Stadt  Uruk.*  Seine  Herr- 
schaft lastet  drückend  auf  den  Bewohnern  der  Stadt.  Da  er- 
schafft die  Göttin  Aruru  auf  die  Bitte  der  Leute  von  Uruk  den 
Eabani,*  damit  dieser  mit  Gilgames  auf  Abenteuer  ausziehe. 
Eabani,  ein  Wesen  voller  Körperkraft  und  Sinnlichkeit,  haust 
anfänglich  in  der  Steppe  mit  den  Tieren  zusammen  und  kann 
nur  durch  allerlei  listige  Mittel,  bei  denen  die  Künste  einer  Hure 
die  Hauptrolle  spielen,  dazu  bewogen  werden,  nach  Uruk  hinein- 
zukommen und  sich  dem  Gilgames  als  Genosse  zuzugesellen. 
Vereint  unternehmen  die  beiden  einen  Zug  nach  dem  Zedern- 
berg im  Osten,  woselbst  die  Göttin  Istar  wohnt,  von  dem 
Wächter  P  umbaba  bewacht.  Diesen  gilt  es  zu  erschlagen,  um 
zu  Istar  dringen  zu  können.  Nach  schwerem  Kampfe  gelingt 
es  auch  Gilgames  und  Eabani ,  den  Humbaba  zu  töten. 
Istar  trägt  dem  aus  dem  Kampfe  siegreich  hervorgegangenen 
Gilgames  ihre  Liebe  an.  Aber  Gilgames  weist  sie  zurück,  da 
sie  schon  viele  Liebhaber  gehabt  und  alle  immer  nur  ins  Ver- 
derben gestürzt  habe.  Durch  diese  Zurückweisung  schwer 
gekränkt  läiJt  Istar  von  ihrem  Vater  Anu  den  Himmelsstier  er- 
schaffen und  sendet  diesen  gegen  Gilgames,  damit  er  ihn  ver- 
nichte. Aber  Gilgames  und  Eabani  erschlagen  in  siegreichem 
Kampf  den  Himmelsstier  und  erregen  dadurch  von  neuem  den 

I  Biblisch  Erech,  Gen.   lo,  lo,  eine  der  Städte  Ximrods.  2  Die 

Lesung  des  Namens  ist  nur  konventionell,  doch  wird  sie  im  folgenden  der 
Einfachheit  halber  beibehalten. 


24  Gilgames-Epos 

Zorn  der  Istar,  die  überdies  noch  von  Eabani  grausam  verhöhnt 
wird.  Vielleicht  im  Zusammenhang  damit  finden  wir  den  Eabani 
alsbald  von  schwerer  Krankheit  heimgesucht,  die  schlietJlich  zu 
seinem  Tode  führt.  Gilgames,  durch  den  Tod  seines  Gefährten 
aufs  äufJerste  niedergeschlagen,  eilt  ruhelos  durch  die  Steppe 
dahin.  Sein  Ziel  ist  dabei,  seinen  zu  göttlichem  Leben  in  die 
Ferne  an  die  Mündung  der  Ströme  entrückten  Ahn  Utnapistim, 
den  Helden  der  Sintflut,  aufzusuchen.  Aber  gar  schwierig  ist 
es,  dorthin  zu  gelangen.  Zuerst  führt  der  Weg  durch  die  un- 
wirtliche Steppe,  in  der  Löwen  hausen,  sodann  durch  das 
finstere  Gebirge  Masu,  dessen  Eingang  von  den  beiden  schreck- 
lichen Skorpionmenschen  bewacht  wird,  die  ihm  nur  mit  Mühe 
Durchlaß  gewähren.  Beim  Austritt  aus  dem  Masugebirge 
kommt  Gilgames  zu  einem  wunderbaren,  am  INIeere  gelegenen 
Götterpark,  woselbst  die  Göttin  Sabltu,  mit  einem  Schleier  ver- 
hüllt, auf  dem  „Thron  des  Meeres"  sitzt.  Von  ihr  erhält  Gilgames 
Auskunft  über  den  Weg  zu  Utnapistim  und  den  Rat,  sich  an 
dessen  in  der  Nähe  befindlichen  Schifter  zu  wenden,  damit 
dieser  ihn  über  das  ]\Ieer  und  die  ,, Wasser  des  Todes"  zu 
Utnapistim  fahre.  Gilgames  folgt  diesem  Rat,  findet  den  Schifter 
und  gelangt  mit  ihm  auf  dem  Schift'e  nach  allerlei  Fährlichkeiten, 
die  sich  insbesondere  bei  der  Fahrt  über  die  „Wasser  des  Todes" 
einstellen,  zu  Utnapistim.  Dieser  gibt  dem  neuen  Ankömmling 
Aufschlüsse  über  den  Sinn  des  menschlichen  Lebens  und  er- 
zählt ihm  auf  seine  Frage  ausführlich  die  Geschichte  der  Sintflut 
und  seine  Entrückung  an  diesen  Ort  am  Ende  der  Flut.  Es 
ist  das  eben  der  oben  im  Abschnitt  „Sintflut"  seinem  Inhalte 
nach  kurz  mitgeteilte  babylonische  Sintflutbericht,  der  für  uns 
in  diesem  weiteren  Zusammenhange  des  Gilgamesepos  vorliegt. 
Nach  Beendigung  dieser  Erzählung  nimmt  Utnapistim  und  sein 
Weib  an  Gilgames  allerhand  Zaubermanipulationen  \'or,  die 
diesem  zu  „Leben"  verhelfen  sollen,  was  aber  doch  nur  sehr 
unvollkommen    gelingt.      Im    Auftrage    L^tnapistim's    läßt    der 


Gilgames-Epos  2K 

Schiffer  den  Gilgames  am  Reinigungsorte  sich  rein  waschen 
und  schifft  sich  dann  wieder  mit  ihm  ein,  um  ihn  nach  seiner 
Heimat  zurückzubringen.  Ein  ihm  \on  Utnapistim  genanntes 
Wunderkraut  findet  Gilgames  glücklich  in  der  Tiefe  des  Wassers, 
er  belegt  es  mit  dem  Namen  „als  Greis  wird  der  Mensch  wieder 
jung",  will  es  nach  Uruk  bringen,  davon  essen  und  in  den  Zu- 
stand seiner  Jugend  zurückkehren.  Aber  unterwegs  wird  ihm 
das  Wunderkraut  von  einer  Schlange  weggeschnappt.  Darüber 
natürlich  grolJe  Wehklage.  Schließlich  gelangt  er  aber  auch 
ohne  das  Wunderkraut  mit  dem  Schiffer  zusammen  wieder 
nach  Uruk.  Der  SchlulJ  des  Epos  enthält  dann  noch  eine 
Schilderung  davon,  wie  Gilgames  mittels  einer  Totenbeschwörung 
mit  dem  Totengeiste  seines  verstorbenen  Freundes  Eabani  in 
Verbindung  tritt  und  von  ihm  sich  über  den  Zustand  des  Toten- 
reichs Aufschluß  geben  läßt. 

Die  im  Eingang  dieses  Abschnittes  angedeuteten  etwa  vor- 
handenen Zusammenhänge  desGilgamesepos  mit  biblischen  Sagen- 
stoffen, die  insbesondere  Jensen^  neuerdings  im  Zusammenhang  mit 
■der  Annahme  gleichzeitigen  Einströmens  der  Stoffe  des  baby- 
lonischen Gilgamesepos  auch  in  die  griechische  Sage,  in  aus- 
gedehntem Maße  nachzuweisen  unternommen  hat,  beziehen  sich 
einmal  auf  die  israelitische  Vätersage,  namentlich  auf  den 
Wüstenzug  und  die  Moses-Josua-Erzählungen;  sodann  aber  auch 
auf  die  Elias-  und  Elisa-Geschichten;  ferner  auf  die  spätjüdischen 
Esther-,  Judith-,  und  Tobias-Legenden;  endlich  auch  noch  auf 
die  Geschichte  Jesu.  Siehe  zum  letztgenannten  Punkte  speziell 
auch  noch  unten  S.  42  f.  Bei  der  großen  Bedeutung  dieser 
Fragen  für  die  alttestamentliche  wie  auch  für  die  neutestament- 
liche  Forschung  mußtean  dieser  Stelle  das  einmal  aufgeworfene 
Problem  als  solches  wenigstens  namhaft  gemacht  werden,  wenn 


I  Vgl.  dessen  vorläufige  Mitteilung  in  der  Zeitschr.  f.  Assyriologie,  Bd. 
16  (1902),  S.  406  ff. 


20  Kultgebräuche 


auch  hier  keineswegs  der  Ort  dazu  ist,  näher  in  die  Verhandlung 
über  diese  äußerst  schwierigen  und  erst  noch  der  gründlichsten 
Erörterung  bedürftigen  Fragen  einzutreten. 

Über  den  Sinn  und  Charakter  des  babylonischen  Gilgames- 
epos  als  Ganzes  sei  noch  bemerkt,  daß  es  sich  ziemlich  deutlich 
als  ein  Sonnenmythus  darstellt,  der  den  Lauf  der  Sonne  durch 
die  zwölf  Zeichen  des  Tierkreises  zum  Hintergrunde  hat,  wobei 
dann  aber  auch  historische  Ereignisse  mit  den  mythischen  und 
astralen  Ideen  vermengt  worden  sein  mögen. 


Kultgebräuche'. 

Das  babylonische  Ritual  zeigt,  wie  nicht  anders  zu  erwarten, 
einen  reichgegliederten  Opferkult  (vgl.  Abb.  5).  Dabei  finden 
sich  manche  Opfergebräuche,  die  zwar  schlagende  Parallelen 
zu  entsprechenden  alttestamentlichen  Opfergebräuchen  bilden, 
die  aber  trotzdem  in  keinem  historischen  Zusammenhang  mit 
diesen  zu  stehen  brauchen,  da  sie  ebenso  auch  in  anderen 
Religionen  begegnen  und  darum  vielmehr  allgemein  mensch- 
lichen Ursprungs  sein  werden.  Dahin  gehört  z.  B.  die  Idee 
des  Ersatzes  eines  Menschenopfers  durch  ein  Tieropfer.  So 
haben  wir  in  babylonischen  kultischen  Texten  Stellen,  an  denen 
vom  Priester  gesagt  wird:^ 

Das  Lamm,  den  Ersatz  für  den  Menschen,  gibt  er  für  dessen  Leben, 
den  Kopf  des  Lammes  gibt  er  für  den  Kopf  des  Menschen, 
den  Nacken  des  Lammes  gibt  er  für  den  Nacken  des  Menschen, 
die  Brust  des  Lammes  gibt  er  für  die  Brust  des  Menschen  usw. 

Oder  es  heiüt  an  einer  anderen  Stelle: 3 


I  S.  Näheres  in  KAT^  S.  589—591   und  S.  594—606.  2  jy  R  26 

Nr.  6.  3  Cun.  Texts  XVII  6  Z.   10  ff. 


Kultgebräuche 


27 


äL.'^A  ^X^i^.^Jnyf; 


M 


er 


^m^iu,^ 


h 


t    ^ 
.!     < 


28  Kultgebräuclie 


Ein  Ferkel  gib  als  Ersatz  für  ihn  (den  kranken  Menschen), 
das  Fleisch  anstatt  seines  Fleisches,     das  Blut   anstatt  seines  Blutes  gib 
hin  und  sie  (die  Götter)  mögen  es  annehmen. 

Außerdem  begegnen  wir  aber  auch  manchen  babylonischen 
Kultgebräuchen,  die  gleichfalls  in  entsprechenden  alttestament- 
lichen  ihre  genaue  Parallele  haben,  bei  denen  es  aber,  nament- 
lich wenn  noch  dazu  die  betrefifenden  Worte  ganz  überein- 
stimmen, wahrscheinlich  ist,  dafi  die  enge  Übereinstimmung 
auf  einem  historischen  Zusammenhang  zwischen  der  betrefifenden 
babylonischen  und  hebräischen  Kultsitte  beruht.  So  liegt  es 
z.  B.  auf  der  Hand,  datJ  wenn  von  den  judäischen  Frauen 
Jer.  7,  i8;  44,  19  erzählt  wird,  dafj  sie  der  „Himmelskönigin" 
Kuchen  (kawiuän)  buken,  und  wenn  wir  andererseits  aus  den 
babylonischen  Texten  erfahren,  daß  der  Himmelskönigin  Istar 
in  ihrem  Kultus  u.  a.  auch  ein  als  kamänii  {kawänu)  bezeich- 
netes Gebäck  dargebracht  wurde,  die  erwähnte  hebräische  götzen- 
dienerische Handlung  eine  direkte  Nachahmung  des  babyloni- 
schen Istarkults  darstellt.  Desgleichen  ergibt  sich  das  Ezech.  8, 14 
als  eine  eingerissene  Abgötterei  erwähnte  Beweinen  des  Tammuz 
durch  Klagefrauen  als  eine  genaue  Nachahmung  des  babylo- 
nischen Tammuz-Kultes. 

Handelt  es  sich  bei  den  im  Vorstehenden  genannten  Kult- 
entlehnungen nur  um  notorisch  ausländische  Gebräuche,  die 
vorübergehend  in  Israel  Eingang  gefunden  haben,  so  erhebt 
sich  aber  auch  bei  einer  Anzahl  zum  eigentlichen  israelitischen 
Opferritual  gehöriger  Gebräuche  und  Ausdrücke  die  Frage,  ob 
sie  nicht  ursprünglich  aus  Babylonien  stammen,  wobei  eine 
Frage  für  sich  ist,  ob  solche  Entlehnung  etwa  bereits  in  früher 
Zeit  oder  erst  in  später  Zeit  stattgefunden  hat.  So  werden 
z.  B,  im  babylonischen  Kultus  mit  Vorliebe  zwölf  (auch  zwei- 
mal zwölf  oder  dreimal  zwölf)  Brote  vor  den  Göttern  aufgelegt 
(vgl,  Abb.  6),  wie  ebenso  auch  im  israelitischen  Kult  (Lev.  24, 
5  ff.).    Der  beim  Tieropfer  der  Gottheit  in  erster  Linie  dargebrachte 


\ 


Kultgebräuche 


29 


Teil  ist  im  babylonischen  Kult  ein  Stück  der  rechten  Seite 
des  Tieres  (Schafes)  und  zwar  wahrscheinlich  die  rechte  Keule. 
Ebenso  gehörte  im  israelitischen  Opferkult  speziell  die  rechte 
Keule  des  Opferschafs,  ursprünglich  wenigstens,  zu  den  für 
Jahwe  zu  \erbrennenden  Cpferstücken,  wurde  später  dann  aller- 


f,rt-_ 


> 


Abb.  6.    Ritualtext  K.  3272  etc.  mit  Erwähnung  von  3  nia.  i. 


legten  Broten. 


dings  zu  einem  Priesterdeputat.  —  Die  technische  Bezeichnung 
für  „sühnen"  im  israelitischen  Kult  ist  kipper.  Das  gleiche 
Wort,  kiippicru,  ist  auch  im  babylonischen  Kultus  das  übliche 
Wort  für  die  sühnende  Reinigung  im  Sühneritual.  Dabei  ist 
im  Babylonischen  noch  deutlich,  daß  dieses  Wort  eigentlich 
„abwischen"  (von  Schmutz)  zum  Zwecke  der  kultischen  Reini- 


90  Kultgebräuche 


gung  bedeutet,  wie  denn  das  Wort  im  Babylonischen  auch 
noch  außerhalb  der  Kultussprache  in  der  gewöhnlichen  Be- 
deutung „abwischen"  (z.  B.  von  Tränen)  vorkommt.  Gerade 
der  Umstand,  daß  dieses  Wort  kipper  im  Hebräischen  nur  in 
der  speziell  kultustechnischen  Bedeutung  „sühnen"  begegnet, 
macht  es  wahrscheinlich,  daß  das  Wort,  und  damit  dann  voraus- 
sichtlich auch  ein  Teil  der  Sache,  im  Hebräischen  nicht  heimisch, 
sondern  erst  aus  dem  Babylonischen  entlehnt  ist,  —  Ganz  Ent- 
sprechendes gilt  auch  für  die  hebräische  Bezeichnung  qiddas 
für  „heiligen,  weihen"  in  ihrem  Verhältnis  zu  babylonisch 
quddusu  in  derselben  Bedeutung  und  mit  dem  gleichen  kultus- 
technischen Gebrauch.  —  Weniger  sicher,  wenn  auch  aus 
manchen  Gründen  erwägenswert  ist,  ob  auch  die  beiden  im 
Alten  Testament  eine  so  grofje  Rolle  spielenden  Worte  bent 
„Satzung,  Bund"  und  töra  „göttliche  Kundtuung,  Gesetz"  im 
babylonischen  Ritual  ihre  Parallele  und  vielleicht  gar  ihren 
letzten  Ursprung  haben. 


Sabbat' 


Die  vorliegenden  Tatsachen  sind  folgende:  i.  An  mehreren 
Stellen  der  einheimischen  babylonisch -assyrischen  Vokabulare 
wird  ein  bestimmter  Feiertag  mit  dem  Namen  sabattn  aufge- 
führt und  dieser  einmal  auch  ausdrücklich  als  „Tag  der  Be- 
ruhigung des  Herzens"  (nämlich  der  erzürnten  Götter)  bezeichnet, 
demnach  als  eine  Art  Bufj-  und  Bettag.  2.  Aus  den  einheimi- 
schen babylonisch-assyrischen  Festkalendern  ist  zu  ersehen,  daß 
der  7.,  14.,  21.  und  28.  Tag  der  (dreilJigtägigen)  Monate,  ferner 
der  19.  Tag  (d.  i.  der  ^XJ.  Tag  des  vorhergehenden  Monats) 


I  S.  Näheres  in  KAT^  S.  592 — 594. 


Sabbat  3I 

einen  von  den  übrigen  Tagen  des  Monats  stark  abstechenden 
Charakter  trugen.  Die  Bestimmungen  über  diese  Tage,  die 
ausdrücklich  als  „böse  Tage"  bezeichnet  werden,  lauten: 

Der  Hirt  der  zahlreichen  Menschen  soll  Fleisch,  das  auf  Feuer  gekocht 
ist,  gesalzenes  Brot  nicht  essen,  das  Gewand  seines  Leibes  nicht  wechseln, 
ein  helles  Kleid  nicht  anziehen,  ein  Opfer  nicht  darbringen.  Der  König  soll 
den  Wagen  nicht  besteigen,  als  Herrscher i  keinen  Ausspruch  tun.  Ein 
Orakelpriester  soll  im  Adyton  einen  Bescheid  nicht  geben,  ein  Arzt  an  einen 
Kranken  die  Hand  nicht  legen.  Einen  Wunsch  auszuführen 2  ist  er  (nämlich 
der  Tag)  nicht  geeignet.  In  der  Nacht  soll  der  König  (die  und  die  Opfer 
darbringen),  so  wird  sein  Gebet  bei  Gott  genehm  sein. 

Daß  die  unter  No.  2  genannten  7.,  14.,  21.,  28.,  sowie  19. 
Tage  eines  Monats  den  unter  No.  i  erwähnten  Namen  sabattu 
getragen  hätten,  ist  allerdings  bis  jetzt  noch  nicht  zu  belegen. 

Die  Folgerungen,  die  sich  aus  den  vorstehenden  Tatsachen 
mit   größerer   oder   geringerer   Sicherheit  ergeben,    sind   diese: 

1.  Der  hebräische  Name  Sabbat  kann  nicht  von  dem  assyri- 
schen sabattu  getrennt  werden,  sondern  es  handelt  sich  in  beiden 
Fällen   um   dasselbe  Wort   zur  Bezeichnung   eines  Feiertags. 

2.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  das  hebräische  Wort  Sabbat  im 
Hebräischen  nicht  einheimisch,  sondern  daselbst  ein  altes  Lehn- 
wort aus  dem  babylonischen  sabattu  ist;  in  diesem  Falle  könnte 
die  eigentliche  Grundbedeutung  des  Wortes  Sabbat  auch  nur 
aus  dem  Babylonischen  mit  Sicherheit  entnommen  werden, 
nicht  aus  dem  Hebräischen.  3.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  im 
Babylonischen  sabattu  nicht  nur  im  allgemeinen  eine  Bezeichnung 
für  einen  Bußtag  ist,  sondern  daß  auch  speziell  der  7.,  14.,  21., 
28.,  sowie  auch  der  19.  Tag  eines  Monats  als  solche  sabattu' s 
zu  gelten  haben.  4.  Trifft  diese  unter  No.  3  genannte  An- 
nahme  zu,   so   kann    auch    die  Institution   des   israelitischen 


I  Delitzsch'  Fassung  der  Zeichengruppe  als  „die  Priesterin"  ist  im  Hin- 
blick auf  Parallelstellen  unmöglich.  2  Delitzsch'  Fassung  des  be- 
treffenden Zeichens  als  „(zu)  irgendwelchem  (Anliegen)"  ist  im  Hinblick  auf 
Parallelstellen  unmöglich. 


32  Sabbat 

Sabbats  nicht  von  dieser  babylonischen  Feier  des  je  7.  Tages 
eines  Monats  getrennt  werden,  5.  Eine  weitere  noch  offene 
Frage  wäre  dann  die,  ob  eine  solche  Feier  eines  Sabbats  in 
Israel  und  in  Babylonien  auf  eine  gemeinsame  Ausgangsquelle 
zurückginge,  oder  ob  es  sich  in  Israel  um  eine  alte,  vielleicht 
durch  die  Kanaanäer  vermittelte  Entlehnung  dieser  Institution 
aus  Babylonien  handelte.  6.  Ob  ursprüngliche  Entlehnung  vor- 
liegt oder  nicht:  jedenfalls  trägt  die  israelitische  Sabbatfeier, 
so  wie  sie  uns  im  Alten  Testament  entgegentritt,  einen  vom 
babylonischen  sabattiL  und  von  der  babylonischen  Feier  des  je 
7.  Monatstages  stark  verschiedenen  Charakter  und  mülite  auch 
im  Falle  der  Entlehnung  dieser  Institution  aus  dem  Babyloni- 
schen angenommen  werden,  daß  sie  sich  dann  innerhalb  Israels 
ganz  eigenartig  weiter  entwickelt  hätte,  dalj  z.  B.  das  Unter- 
lassen der  Arbeit  am  Sabbat  in  Israel  einen  ganz  andern  Sinn 
bekommen  hätte  als  in  Babylonien,  wo  die  Vermeidung  der 
Vornahme  gewisser  Handlungen  an  diesen  Tagen  vielmehr  dar- 
um geschah,  weil  diese  Tage  als  Unglückstage  betrachtet 
wurden,  an  denen  eine  Handlung  nicht  glückte.  Desgleichen 
müßte  die  israelitische  Feier  des  je  7.  Tages  durch  das  ganze 
Jahr  hindurch,  unabhängig  vom  Monatsanfang,  als  eine  eigen- 
artige Umgestaltung  der  babylonischen  Institution  angesehen 
werden,  wo  diese  Loslösung  der  Feier  des  je  7.  Tages  vom 
Monat  sich  bis  jetzt  wenigstens  noch  nicht  belegen  läßt. 


Hymnen  und  Gebete,  Polytheismus/ 

In  der  Art  und  Weise,  wie  sich  die  babylonische  Religion 
in  ihren  uns  wieder  zugänglich  gewordenen  Literaturdenkmälern 
äußert,  zeigt  sich    ein   merkwürdiger  Kontrast:    Auf  der   einen 

I  S.  Näheres  in  KAT-^  S.  607 — 612. 


Hymnen  und  Gebete,  Polytheismus  ^3 


Seite  krassester  Aberglaube,  Wahrsagerei  und  Beschwörungs- 
wesen in  vollster  Blüte,  und  zwar  nicht  etwa  bloli  als  mehr 
oder  weniger  geduldete  Überbleibsel  aus  einer  älteren  über- 
wundenen Religionsstufe,  sondern  bis  in  die  letzten  Zeiten  des 
assyrischen  und  babylonischen  Reiches  als  unentbehrliche  und 
hochangesehene  Zweige  der  offiziellen  Staatsreligion  betrachtet; 
auf  der  anderen  Seite  eine  reichhaltige  Literatur  von  Götter- 
hymnen und  Gebeten,  die  relativ  recht  hohe  Vorstellungen  von 
der  Gottheit  aufweisen  und  die  sich  besonders  auch  durch  die 
starke  Betonung  des  Sünden-  und  SchuldbewulJtseins,  das  den 
Menschen  gegenüber  der  Gottheit  erfüllt,  auszeichnen.  Nament- 
lich in  letzterer  Hinsicht  klingen  diese  sogenannten  babyloni- 
schen BulJpsalmen  oft  merkwürdig  an  alttestamentliche  Psalmen 
an  und  es  ist  sehr  im  Auge  zu  behalten,  wenn  auch  einstweilen 
noch  nicht  sicher  zu  erweisen,  ob  nicht  zwischen  der  alttesta- 
mentlichen  und  der  babylonischen  Psalmenliteratur  ein  wirk- 
licher historischer  Zusammenhang  besteht,  der  aus  einer  Be- 
rührung der  babylonischen  mit  der  israelitischen  Religion,  sei 
es  in  der  älteren  oder  in  der  jüngeren  Zeit,  zu  erklären  wäre. 
Auch  die  rein  formale  Seite  der  babylonischen  und  der  hebrä- 
ischen Psalmen,  der  sogenannte  Parallelismus  der  Versglieder 
(Halbzeilenj, '  wie  der  rhythmische  Aufbau  im  einzelnen  legen 
es  nahe,  an  einen  historischen  Zusammenhang  zwischen  der 
hebräischen  und  der  babylonischen  Poesie  zu  denken.  Jedoch 
ist  gerade  bei  einer  Vergleichung  der  hebräischen  und  der 
babylonischen  Psalmenliteratur  auch  wieder  große  Vorsicht  ge- 
boten, da  die  Gefahr  vorliegt,  da£>  um  gleichartiger  Ausdrucks- 
weise willen  die  wirklichen  Übereinstimmungen  überschätzt 
werden.  So  können  und  werden  tatsächlich  z.  B,  Ausdrücke 
wie  „Sünde  begehen",  vom  Menschen  ausgesagt,  „Sünde  ver- 
geben",   von    der    Gottheit    ausgesagt,    in  der  babylonischen 

I  Vgl.  auch  die  Schreibung  in  Halbzeilen  auf  dem  zum  Schöpfungsepos 
gehörigen  Texte  oben  S,  13  Abb.  i. 

Zimmern;  Keilinschrlften  und  Bibel.  -i 


■3^  Hymnen,  und  Gebete,  Polytheismus 

Religion  nicht  ganz  den  gleichen  Sinn  wie  in  der  israelitischen 
gehabt  haben.  Insbesondere  wird  daran  festzuhalten  sein,  da(5 
sich  der  Begriff  der  Sünde  in  der  babylonischen  Religion  weit 
mehr  als  in  der  israelitischen  auf  die  Verletzung  kultischer, 
ritueller  Vorschriften,  als  auf  die  Nichtbeobachtung  allgemeiner 
sittlicher  Normen  bezieht,  wenn  auch  das  letztere  bei  den  Baby- 
loniern  keineswegs  fehlt.  —  Endlich  möge  an  dieser  Stelle  aus- 
drücklich darauf  hingewiesen  werden,  daß  auch  die  schönsten 
und  edelsten  Erzeugnisse  der  babylonischen  Hymnen-  und  Ge- 
betsliteratur durchweg  noch  auf  der  Stufe  des  Polytheismus 
stehen,  auch  wenn  einzelne  dieser  Hymnen  durch  die  über- 
schwängliche  Erhebung  desjenigen  Gottes,  an  den  sie  gerichtet 
sind,  über  alle  anderen  Götter,  äußerlich  mehrfach  einen  mono- 
theistischen Anstrich  aufweisen.  Übrigens  zeigt  sich  die  gleiche 
Erscheinung  auch  auf  anderen  Gebieten,  so  in  den  Personennamen^ 
und  in  Götterlisten,  wo  gleichfalls  in  älterer  wie  in  jüngerer 
Zeit  von  wirklichem  Monotheismus  nicht  die  Rede  sein  kann, 
sondern  höchstens  das  angenommen  werden  kann,  daß  in  spät- 
babylonischer Zeit,  eventuell  sogar  hier  bereits  unter  dem  Ein- 
fluß außer-babylonischer  Religionen,  unter  der  Priesterschaft 
der  Stadt  Babylon  Bestrebungen  sich  zeigten,  die  dahin  gingen, 
in  allen  übrigen  Göttern  des  babylonischen  Pantheons  nur  eine 
Manifestation  Marduk's,  des  Stadtgottes  von  Babylon,  zu  er- 
blicken.^ 


^  Über  das  Vorkommen  dts  Namens  Jahwe  in  Personennamen  aus  der 
Hammurabi-Zeit,  das  in  der  letzen  Zeit  im  Anschluß  an  Delitzsch'  Vortrag 
so  viel  von  sich  reden  gemacht  hat,  sei  hier  nur  so  viel  bemerkt,  daß  es  mir 
nach  wie  vor  sehr  fraglich  ist,  ob  in  den  betreffenden  Elementen  yß-"-/"/, /<?- 
PI.  ja-tc—itm  der  Gottesname  Jahwe  oder  auch  nur  ein  Wort  gleichen  Stammes 
mit  diesem  Gottesnamen  enthalten  ist.  S.  Näheres,  auch  über  das  sonstige 
Vorkommen  des  Namens  Jahwe  in  den  Keilinschriften,  in  KAT'^  S.  465 — 468. 

2  So  im  Hinblick  auf  den  von  Delitzsch,  Babel  u.  Bibel  I  S.  49  erwähnten, 
neuerdings  vielfach  erörterten  Text,  wo  ich,  im  Gegensatz  zu  dem  von  mehreren 
Seiten  gemachten  Vorschlag,  in  dem  Namen  „Marduk"  hier  nur  eine  appella- 


Hymnen  und  Gebete,  Polytheismus  ^5 

Im  Folgenden  möge  nun,  da  auf  diese  Weise  am  besten 
eine  Anschauung  von  der  babylonischen  Hymnenliteratur,  ihren 
Schönheiten  und  auch  ihren  Schranken  gegeben  werden  kann, 
ein  solcher  bab}'lonischer  Hymnus  seinem  vollen  Wortlaute  nach 
mitgeteilt  werden.  Es  ist  dies  ein  erst  neuerdings  bekannt  ge- 
wordener Hymnus  an  die  Göttin  Istar,  ^  der  es  aus  mehreren 
Gründen  verdient,  hier  vor  andern  gewählt  zu  werden,  einmal, 
weil  es  einer  der  wenigen  größeren  babylonischen  Hymnentexte 
ist,  die  uns  bis  jetzt  vollständig,  nicht  nur  in  fragmentarischem 
Zustand,  wie  so  viele,  vorliegen,  sodann  auch  deshalb,  weil  er 
in  besonders  anschaulicher  Weise  beides  mit  einander  vereinigt, 
den  Hymnus  auf  die  Gottheit  und  das  an  diese  gerichtete 
Bußsebet. 


Ich  flehe  zu  dir,  Herrin  der  Herrinnen,  Göttin  der  Göttinnen, 

Istar,  Königin  aller  Wohnstätten,  Leiterin  der  Menschen ! 

Irnini2,  du  bist  gepriesen,         bist  groß  unter  den  Igigi'^, 

bist  gewaltig,  bist  Herrscherin,         dein  Name  ist  grolx 
5  D  u  bist  die  Leuchte  von  Himmel  und  Erde,         streitbare  Tochter  Sin's, 

führst  die  Waffen,         veranstaltest  den  Kampf; 
erteilst  alle  Befehle,         bekleidest  dich  mit  der  Herrscherkrone, 

o  Herrin,  herrlich  ist  deine  Größe,         über  alle  Götter  erhaben. 
Du  schaffst  Wehklagen,         bringst  in  Streit  friedliche  Brüder,' 
lo       gewährest  Fesselung. 

Du  fesselst,  Herrin  der  Niederwerfung,         stoßest  nieder,  die  an  mir  übel  tun  ; 

Gusea2,  die  mit  Kampf  gerüstet,         mit  Schrecken  bekleidet  ist. 
Du  vollführst  Gericht  und  Entscheidung,         dasGesetzvonErde  undHimmel; 

Götterkammern,  Kapellen,   Tempel   und  Heiligtümer      achten  auf  dich! 


tivische  Bezeichnung  für  „Gott"  zu  erblicken,  ähnlich  wie  bei  Bei  und  Istar, 
doch  dabei  bleiben  möchte,  daß  hier  die  verschiedensten  Götter  des  baby- 
lonischen Pantheons  in  der  Weise  mit  Marduk  gleichgesetzt  werden,  daß  die 
gOnst  jenen  zugehörigen  Epitheta  einfach  auf  Marduk  übertragen  werden. 
I  Veröffentlicht  und  übersetzt  von  L.  W.  King  in  dessen  The  Seven 
Tablets  of  Creation,  London  1902,  Vol.  I.  p.  222 — 236  und  Vol.  II  p.  75—84. 
2  Beinamen   der  Istar.  3  Bezeichnung  für  die  Gesamtheit  der  Götter. 

3* 


}iß  Hymnen  und  Gebete,  Polytheismus 

15  Wo  (gilt)  nicht  dein  Name,         wo  nicht  dein  Gebot? 

wo  sind  deine  Bilder  nicht  gebildet,     wo  deine  Tempel  nicht  gegründet? 
wo  bist  du  nicht  groß,         wo  du  nicht  erhaben? 
Anu,  Bei  und  Ea  haben  dich  erhoben,         unter  den   Göttern  deine  Herr- 
schaft groß  gemacht; 
haben  dich  erhöht,  in  der  Gesamtheit  der  Igigi     deine  Stelle  hervorragend 

gemacht. 
20  Beim  Gedenken  an  deinen  Namen         zittern  Himmel  und  Erde, 
die  Götter  zittern,       es  beben  die  Anunnaki, 
auf  deinen  furchtbaren  Namen         haben  acht  die  Menschen. 
Du  bist  groß         und  bist  erhaben; 

dieGesamtheitderSchwarzköpfigen^dasGewimmel  der  Menschen     huldigt 

deiner  Macht. 

25  Die  Sache  der  Mannen  in  Recht  und  Gerechtigkeit       richtest  du,  ja  du; 

blickst  auf  den  Mißhandelten  und  Zerschlagenen,     bringst  sie  zurecht  täglich. 

Ach  daß  du  doch  endlich,  Herrin  Himmels  und  der  Erde,         Hirtin  der 

angesiedelten  Menschen ! 
Ach  daß   du  doch  endlich,  o  Herrin  von  Eanna,  2  dem  heiligen,         dem 

herrlichen  Vorratshaus ! 
Ach  daß  du  doch  endlich,  o  Herrin,  deren  Füße  nicht  rasten,     deren  Kniee 

hurtig  sind! 
30       Ach  daß  du  doch  endlich,  Herrin  der  Schlacht,         aller  Kämpfe! 
Herrliche,  wütende  unter  den  Igigi,         Unterjocherin  zürnender  Götter; 

mächtige  über  alle  Fürsten,  die  du  ergreifst  die  Zügel  der  Könige. 

Die  du  öffnest  die  Banden  (?)         von  allen  Frauen; 

die  du  erhaben,  festgegründet  bist,  gewaltige  Istar,       groß  ist  deine  Macht! 
35  Leuchtende  Fackel    von  Himmel    und  Erde,         Glanz   aller  Wohnstätten; 
zornig  im  unwiderstehlichen  Angriff,         stark  im  Kampf! 
Brandfackel,    die    gegen    die  Feinde    aufflammt,       die    den   Kriegern  Ver- 
derben bringt, 
wütende  Istar,         die  die  Scharen  zusammenschart! 
Göttin  der  Männer,  Gottheit  der  Frauen,       deren  Ratschluß  niemand  versteht ! 
40  Wo  du  hinschaust,  wird  der  Tote  lebendig,         steht  der  Kranke  auf, 
kommt  der  Verwirrte  zurecht,         da  er  auf  dein  Antlitz  schaut. 
Ich,  ich  schreie  zu  dir,  hinfällig,  seufzend,       dein  schmerzerfüllter  Knecht. 
Schau  auf  mich,  meine  Herrin^,         nimm  an  mein  Seufzen! 


»  Bezeichnung  für  die  Menschen.  2  Name  des  Istartempels  von 

Uruk  (Erech).  3  „Meine  Herrin",   Beäl,  wird  geradezu  Eigenname 

für  Istar,  ähnlich  wie  Madonna  für  Maria. 


Hymnen  und  Gebete,  Polytheismus  Vj 

Treulich  blick  auf  mich,         höre  auf  mein  Flehen! 
45       ,Ach  daCi  ich  doch  endlich!*  sprich  aus      und  dein  Gemüt  erweiche  sich! 
Ach  dat  doch  endlich  mein  zerschlagener  Leib,      der  voll  ist  von  Störungen 

und  Wirrnissen; 
ach  daß  doch  endlich  meine  schmerzerfüllte  Seele,      die  voll  ist  von  Tränen 

und  Seufzern! 
Ach  dat  doch  endlich  meine  zerschlagenen  Eingeweide,  die  gestört  und 

verwirrt  sind; 

ach  dat  doch  endlich  mein  bedrängtes  Haus  S     das  erschüttern  die  Tränen ; 

50       ach  daß  doch  endlich  mein  Gemüt,     das  gesättigt  wird  von  Tränen  und 

Seufzern ! 
Irnini,  wütender  Löwe,         dein  Herz  beruhige  sich; 
zorniger  Wildochs,         dein  Gemüt  erweiche  sich  ! 
Deine  schönen  Augen         seien  auf  mich  gerichtet, 

mit  deinem  lichten  Antlitz         blick  gnädig  auf  mich,  ja  mich! 
55  Vertreib  die  Hexerei,  das  Böse  in  meinem  Leibe,        dein  helles  Licht  möge 

ich  schauen! 
Wie  lange,  meine  Herrin,         sollen  meine  Widersacher  böse  auf  mich  blicken, 
in  Auflehnung  und  Ungerechtigkeit         Feindseliges  planen, 
soll  mein  Verfolger,    mein  schadenfroher  Feind         gegen  mich  wüten? 
Wie  lange,  meine   Herrin,  soll  der über  mich  kommen. 


60 


dalj  die  Schwachen  stark  wurden,         ich  schwach  wurde. 
Ich  woge  wie  eine  Hochflut,         die  ein  schlimmer  Wind  erregt  hat, 

es  fliegt,  es  flattert  mein  Herz         wie  ein  Vogel  des  Himmels. 
Ich  klage  wie  eine  Taube,         Nacht  und  Tag, 
65       ich  bin  verstört,         und  weine  qualvoll; 

in  Weh  und  Ach         ist  schmerzvoll  mein  Gemüt. 
Was  habe  ich  getan,         mein  Gott  und  meine  Göttin,  ich  ? 

Als  ob  ich  meinen  Gott  und  meine  Göttin  nicht  gefürchtet,       ergeht  es  mir. 

Esist  über  mich  gekommen  Krankheit,  Siechtum,    Verderben  undVernichtung; 

70       es  ist  über  mich  gekommen  Unglück,  Abwendung  des  Antlitzes     und  Fülle 

von  Zorn, 
Wut,  Groll,         Grimm  von  Göttern  und  Menschen. 
Ich  muß  sehen,  o  meine  Herrin,  düstere  Tage,        finstere  Monate,  Jahre  des 

Unglücks ; 
ich  muß  sehen,  o  meine  Herrin,  ein  Gericht  der  Verwirrung  und  Empörung; 
es  bringt  mich  zu  Ende  Tod  und  Ungemach. 

I  Bildlich  für  „Körper". 


^8  Hymnen  und  Gebete,  Polytheismus 

75  Verwüstet  ist  mein ,         verwüstet  ist  mein  Hausheiligtum, 

über  mein  Haus,  Tor  und  Gefild         ist  Verödung  ausgegossen. 
Mein  Gott:  nach  einem  andern  Orte       ist  sein  Angesicht  hingewendet, 

aufgelöst  ist  meine  Sippe,        meine  Hofmauer   zerbrochen. 
Es  merken  auf  dich,  meine  Herrin,   es  sind  auf  dich  gerichtet  meine  Ohren, 
80       ich  flehe  zu  dir,  ja  zu  dir,         löse  meinen  Bann! 

Löse  meine  Schuld,  meine  Missetat,       meinen  Frevel  und  meine  Sünde; 

vergib  meinen  Frevel,         nimm  an  mein  Seufzen! 
Lockre  meine  Brust,       schaffe  mir  Unterhalt; 

leite  recht  meine  Schritte,  daß  ich  prächtig,    herrlich  bei  den  Menschen 

meinen   Weg  gehe! 
85  Befiehl    und  auf  deinen  Befehl         sei  der  zürnende  Gott  wieder  gnädig, 
möge  die  Göttin,  die  grollte,         sich  wieder  zuwenden! 
Mein  finstres,  rauchendes         Kohlenbecken  leuchte, 

meine  ausgelöschte  Fackel  werde  angezündet ! 
Meine  aufgelöste  Sippe  sammle  sich  wieder, 
90       mein  Hof  werde  weit,         mein  Stall  dehne  sich  aus! 

Nimm  an  mein  Niederwerfen  auf  das  Antlitz,         hör  auf  mein  Gebet, 

blick  gnädig  auf  mich,         (nimm  an  mein  Flehen)! 
Wie  lange,  meine  Herrin,  zürnst  du,         ist  abgewandt  dein  Antlitz; 
wie  lange,  meine  Herrin,  bist  du  grimmig,         ist  zornig  dein  Gemüt? 
95  Wende  wieder  zu  deinen  Nacken,     das  Wort  der  Gnade,  das  du  verstoßen, 

setze  wieder  vor  dich! 
Wie  die  auflösenden  Wasser  des  Flusses       werde  dein  Gemüt  aufgelöst! 
Meine  Feinde  möge  ich  wie  den  Erdboden  niedertreten, 

meine  Hasser  unterwirf  mir         und  laß  sie  zu  Boden  sinken  unter  mir! 
Mein  Gebet  und  mein  Flehen         möge  zu  dir  gelangen, 
100       dein  großes  Erbarmen         werde  mir  zu  Teil! 

Die  mich  erblicken  auf  der  Straße,        mögen  großmachen  deinen  Namen, 
und  ich  möge  bei  den  Schwarzköpfigen  deine  Gottheit  und  deine 

Macht  verherrlichen ! 
Istar  ist  großl         Istar  ist  Königin! 

Meine  Herrin  ist  groß!         Meine  Herrin  ist  Königin! 
105       Irnini,  die  gewaltige  Tochter  Sin's,         hat  keinen  Rivalen! 


Der  Christus,  Jesus  ^g 


Der  Christus,  Jesus. 

Die  Probleme,  um  die  es  sich  hier,  soweit  Assyriologisches 
in  Betracht  kommt,  handelt,  lassen  sich  etwa  in  folgende  Fragen 
zusammenfassen:  i.  Weist  das  spätjüdische  und  das  urchrist- 
liche Messiasbild  u.  a.  solche  Züge  auf,  die  sich  nicht 
aus  innerjüdischer  Gedankenentwicklung  oder  aus  der  histo- 
rischen Person  Jesu  erklären  lassen,  sondern  vielmehr  auf  eine 
aulJerjüdische  orientalische  Mythologie  als  ihre  Quelle  führen? 
2.  Kommt,  falls  die  erste  Frage  zu  bejahen  ist,  hier  nur  eine 
auf  später  Religionsmischung  beruhende  Form  von  orientali- 
scher Mythologie  in  Betracht,  bei  der  sich  nicht  mehr  zwischen 
ursprünglich  etwa  ägyptischen  oder  persischen  oder  babyloni- 
schen l:5estandteilen  scheiden  lälit,  oder  lassen  sich  doch  noch 
mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  wenigstens  einerseits  die  ägyp- 
tischen, andererseits  die  babylonisch-persischen  zu  Grunde  liegen- 
den Ideen  erkennen?  3.  Enthält  das  Leben  Jesu,  wie  wir  es  bei 
den  Synoptikern  und  auch  im  Johannesevangelium  finden,  etwa 
Sagenstoffe,  die  ihrem  letzten  Ursprünge  nach  aus  der  babyloni- 
schen Heldensage  herrühren? 

Eine  definitive  Antwort  lälJt  sich  bis  jetzt  noch  auf  keine 
dieser  die  schwierigsten  Probleme  der  orientalischen  Religions- 
geschichte berührenden  Fragen  geben.  Doch  sind  die  Fragen 
einmal  vorhanden  und  werden  sich  nicht  so  leicht  wieder  von 
der  Tagesordnung  absetzen  lassen.  Es  ist  darum  auch  am 
Platze,  diese  Probleme  in  dieser  Broschüre  zu  erwähnen;  doch 
sei  ausdrücklich  nochmals  hervorgehoben,  dalJ  von  einer  end- 
gültigen Lösung  dieser  Probleme  noch  keine  Rede  sein  kann, 
die  Erörterung  über  sie  vielmehr  noch  in  den  ersten  Anfängen 
steht.  Ich  selbst  habe  namentlich  den  beiden  ersten  Fragen 
mein  Augenmerk  zugewandt  und  insbesondere  in  Schrader's  Die 


AQ  Der  Christus,  Jesus 


Keilinschriften  und  das  Alte  Testament  3.  Aufl.  S.  S77 — 394» 
worauf  auch  für  alle  Einzelheiten  verwiesen  werden  mufj,,  die 
etwa  vorhandenen  Beziehungen  zwischen  Christologie  und  baby- 
lonischer Mythologie  eingehend  behandelt\  Darnach  erscheint 
es  mir  wenigstens  sehr  envägenswert,  zu  fragen,  ob  nicht  in 
den  folgenden  christologischen  Vorstellungen  Nachwirkungen 
babylonischer  mythologischer  Gedanken,  teilweise  vielleicht  erst 
durch  das  Medium  des  Parsismus  hindurchgegangen,  und  auch 
kombiniert  mit  ägyptischen  Mythologemen,  vorliegen:  a)  in  der 
Vorstellung  von  dem  Christus  als  einem  vorweltlichen,  himm- 
lischen, göttlichen  Wesen,  das  zugleich  der  Weltschöpfer  ist; 
b)  in  den  Erzählungen  von  der  wunderbaren  Geburt  des  Christus, 
sowie  von  den  Ehrungen  und  Nachstellungen,  die  das  neugeborene 
Christuskind  erfährt;  c)  in  der  Vorstellung  von  dem  Christus 
als  dem  Welterlöser  und  Bringer  einer  neuen  Zeit,  der  in  der 
„Fülle  der  Zeit''  erscheint;  d)  in  der  Idee  von  dem  Christus 
als  dem   von  seinem  göttlichen  Vater  in  die  Welt  Gesandten; 

e)  in  der  Idee  vom  Leiden  des  Christus,  soweit  hier  nicht 
historische  Tatsachen  aus  dem  Leben  Jesu  in  Betracht  kommen; 

f)  in  der  Idee  vom  Tode  des  Christus,  soweit  diese  sich  nicht 
aus  der  historischen  Tatsache  des  Todes  Jesu  erklärt;  g)  in 
dem  Dogma  von  der  Höllenfahrt  des  Christus;  h)  in  dem  Dogma 
von  der  Auferstehung  des  Christus  und  zwar  nach  drei  Tagen 
oder  am  dritten  Tage  nach  seinem  Tode;  i)  in  dem  Dogma 
von  der  Himmelfahrt  des  Christus  und  zwar  nach  vierzig  Tagen; 
k)  in  der  Vorstellung  von  der  Erhöhung  des  Christus,  seinem 
Sitzen  zur  Rechten  Gottes  und  seiner  Königsherrschaft  im 
Himmelreich;  1)  in  der  Lehre  von  dem  Kommen  (Parusie)  des 
Christus    vom  Himmel   am  Ende   der  Tage   als  Welterlöser   in 


I  Vgl.  außerdem  jetzt  vor  allem  H.  Gunkel's  Schrift  Zum  religionsge- 
schichtlichen Verständnis  [des  Neuen  Testaments,  Göttingen  1903,  worin 
Gunkel  u.  a.  auch  die  christologischen  Probleme  im  größeren  religionsgeschicht- 
lichen Zusammenhange  behandelt. 


Der  Christus,  Jesus  aj 


Verbindung  mit  seinem  letzten  Entscheidungskampf  gegen  die 
bösen  Mächte,  die  um  jene  Zeit  mit  besonderer  Gewalt  her- 
vortreten; m)  in  der  Idee  von  der  Hochzeit  des  Christus  beim 
Beginn  der  neuen  Zeit,  des  neuen  Himmels  und  der  neuen 
Erde.  —  Der  religionsgeschichtliche  Entwickelungsgang  wäre 
bei  einem  Zusammenhange  zwischen  babylonischer  Mythologie 
und  Christologie,  vorausgesetzt,  dalj  ein  solcher  hier  überhaupt 
besteht,  so  zu  denken,  daß  solches,  das  ursprünglich  von  ge- 
wissen babylonischen  Göttergestalten,  insbesondere  Lichtgöttern, 
wie  Marduk,  Samas,  Sin,  Istar,  Nergal  u.  s.  w.  ausgesagt  wurde, 
in  gewissen  Kreisen  des  Spat-Judentums,  und  zwar  möglicher- 
weise erst  durch  das  Medium  des  Parsismus  hindurch,  und 
auch  kombiniert  mit  ägyptischen  Ideen,  auf  die  Gestalt  des 
Messias  und  weiter  im  Urchristentum  auf  Jesus  von  Nazareth 
übertragen  worden  wäre.  Für  die  obigen  Punkte  a — m  würde 
aus  der  babylonischen  Mythologie  etwa  folgendes  in  Betracht 
kommen:  a)  die  Rolle  Marduk's,  des  Sohnes  Ea's,  als  Welt- 
schöpfers; b)  die  der  Kindheitsgeschichte  Mose's  nahestehende 
Sage  von  der  Geburt  und  Kindheit  Sargon's  L,  desgleichen  die 
Sage  von  der  Geburt  des  babylonischen  Königs  Gilgamos  bei 
Aelian;  c)  die  Rolle  Marduk's  als  Heilgottes  in  allen  Krank- 
heiten und  Lösers  jeglichen  Bannes;  dazu  ferner  die  bereits 
fürs  Babylonische  nachweisbare  Gestalt  des  „Erlöser-Königs", 
der  die  neue  Zeit  inauguriert;  endlich  die  gleichfalls  schon  in 
Babylonien  vorhandene  Idee  von  der  „Erfüllung  der  Zeiten"; 
d)  die  Rolle  Marduk's  als  des  von  seinem  Vater  Ea  jeweils  zur 
Hilfeleistung  bei  den  Leiden  der  Menschheit  Gesandten;  e)  die 
Mythen,  die  sich  in  der  babylonischen  Mythologie  an  die  zeit- 
weilige Verdunkelung  der  astralen  Lichtgottheiten,  insbesondere 
des  Sin  (Mondgott),  des  Samas  (Sonnengott)  und  der  Istar 
(Göttin  des  Planeten  Venus  und  des  Siriussternes)  knüpfen;  f)  die 
Mythen,  die  sich  in  der  babylonischen  Mythologie  an  das  völlige 
Verschwinden  der  gleichen  Gottheiten  knüpfen   und  die  in  der 


A2  Der  Christus,  Jesus 


Idee  vom  „Sterben"  dieser  Götter  zum  Ausdruck  kommen;  g)  das 
Hinabsteigen  der  babylonischen  astralen  Lichtgottheiten  zur 
Zeit  ihrer  Unsichtbarkeit  in  das  Totenreich  unter  der  Erde; 
h)  das  „Aufstehen"  Marduk's  am  Neujahrsfeste  zur  Zeit  der 
Frühjahrs-Tag-  und  Nachtgleiche;  dazu  die  Zeit  von  drei  Tagen, 
während  derer  der  (Frühjahrs-)Neumond  unsichtbar  ist;  i)  das 
Hinaufsteigen  der  Lichtgottheiten  zum  Himmel,  als  Gegensatz 
zu  ihrem  Hinabsteigen  zur  Unterwelt;  dazu  vielleicht  die  vierzig- 
tägige Zeit  der  Unsichtbarkeit  der  Plejaden  im  Frühjahr;  k)  die 
Rolle  Marduk's,  des  jungen  Lichtgottes,  der  über  alle  andern 
Götter  zum  König  erhoben  wird;  1)  der  in  der  babylonischen 
Mythologie  in  der  Urzeit,  vor  der  Weltschöpfung,  stattfindende 
siegreiche  Kampf  Marduk's  gegen  Tiämat  und  ihre  Gefolg- 
schaft; m)  die  Hochzeit  des  Marduk  mit  der  Sarpanitu  am 
Neujahrsfeste,  dem  Feste  der  Erschaffung  von  Himmel  und 
Erde. 

Sollten  die  im  Vorstehenden  vermutungsweise  aufgestellten 
Zusammenhänge  zwischen  babylonischer  Mythologie  und  Christo- 
logie  im  ganzen  oder  zum  Teil  sich  wirklich  bestätigen,  so 
würde  gleichwohl  zu  beachten  sein,  dalj  es  sich  dabei  nicht 
um  eine  einfache  Übernahme  mythologischen  Materials  handeln 
würde,  sondern  dalJ  schon  im  Judentum  und  vollends  im  Ur- 
christentum solches  ursprünglich  aus  polytheistischer  Religion 
stammende  mythologische  Material  eine  ganz  eigenartige  cha- 
rakteristische Umbildung  erfahren  hätte  und  mit  völlig  neuen 
urchristlichen  Ideen  verknüpft  worden  wäre. 

Was  die  oben  S.  39  aufgeführte  dritte  Frage  betrifft,  so  ist 
diese  neuerdings  von  P.Jensen  in  Zeitschr.  f.  Ass.  Bd.  XVI,  S.  41 1 
aufgeworfen  und  eine  eingehende  Untersuchung  darüber  von  ihm 
in  Aussicht  gestellt  worden.  Die  vorläufige  These  Jensen's,  die 
sich  hierauf  bezieht,  lautet  dahin,  dalj  das  Leben  Jesu  in  wesent- 
lichen Stücken  die  Geschichte  eines  israelitischen  Gilgames  sei, 
und  daß  die  alttestamentlichen  Geschichten  ähnlichen  Ereignisse 


Taufe  und  Abendmahl  a-j 


im  Leben  Jesu  nicht  auf  jene  zurückgingen,  sondern  nur 
Parallelen  dazu  seien,  die  einem  selbständigen  System  der  „Pro- 
pheten- und  Erlöser-Legende"  angehörten.  —  Es  ist  hier  nicht 
der  Ort,  in  eine  Diskussion  über  diese  sehr  weitgreifenden 
Fragen  einzutreten,  zumal  der  eigentliche  Beweis  für  diese  These 
von  ihrem  Urheber  erst  in  Aussicht  gestellt  ist.  Doch  mulite 
dieser  Sache  Erwähnung  geschehen  zur  Charakterisierung  der 
Lage,  in  der  sich  die  Forschung  gegenwärtig  auf  diesem  Ge- 
biete befindet. 


Taufe  und  Abendmahl. 

Bei  der  christlichen  Taufe  und  dem  Abendmahl  ist  die 
neuere  theologische  Forschung  mehr  und  mehr  zu  der  Erkenntnis 
gelangt,  daß  beide  Institutionen  ihrem  Ursprünge  und  ihrem 
Charakter  nach  nur  dann  einigermalJen  befriedigend  erklärt 
werden  können,  wenn  man  der  Vorgeschichte  nachgeht,  die 
diese  beiden  Sakramente  bereits  im  Judentum  zur  Zeit  Christi 
oder  genauer  gesagt  in  gewissen  Kreisen  des  Judentums  in  jener 
Zeit  gehabt  haben.  Und  zwar  kommen  für  die  christliche  Taufe 
bestimmte,  in  jenen  jüdischen  Kreisen  damals  übliche  Wasser- 
riten in  Betracht,  wie  sie  z.  B.  auch  in  der  Johannistaufe  vor- 
liegen; für  das  Abendmahl  gewisse  in  jenen  Kreisen  geltende 
Vorstellungen  von  einem  Paradiesesmahle,  einem  messianischen 
Endmahle.  Doch  hat  man  weiter  gesehen,  da(i  auch  im  Juden- 
tum diese  eigenartigen  Wasserriten,  wie  die  besonderen  Vor- 
stellungen, die  sich  an  das  Paradiesesmahl  als  eines  Mahles  der 
Unsterblichkeit  knüpfen,  schwerlich  einheimisch  sind,  vielmehr 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aus  einer  aulJerjüdischen  orien- 
talischen   Religion    in   das  Judentum    erst   eingedrungen    sind,^ 

*  Vgl.  speziell  für  das  Abendmahl  namentlich  A.  Eichhorn,  Das  Abend- 


44 


Taufe  und  Abendmahl 


wobei  man  von  vornherein   am  ersten  wieder   an  die  persische 
oder  babylonische  Religion  denken  möchte. 

Speziell  für  die  christliche  Taufe  ist  das  Problem,  soweit 
Babylonisches  in  Betracht  kommt,  dieses:  Besteht  in  der  im 
vorstehenden  angedeuteten  Weise  ein  religionsgeschichtlicher 
Zusammenhang  zwischen  der  christlichen  Taufe,  bezw.  der 
Johannistaufe  als  ihrer  Vorläuferin,  und  den  Wasserriten,  wie 
sie  in  der  babylonischen  Religion  namentlich  im  Kult  des  Gottes 
Ea  und  seines  Sohnes  Marduk  eine  sehr  wichtige  Rolle  spielen? 
Hat  ferner  das  Taufen  „im  Namen"  Jesu  einen  religions-histo- 
rischen  Zusammenhang  mit  der  magischen  Anwendung  des 
„Namens"  Ea's  und  Marduk's  bei  jenen  babylonischen  Riten?' 
—  Für  das  Abendmahl  andrerseits  lautet  die  Frage  so:  Hat  die 
eine  Seite  des  Abendmahls,  wonach  es  von  Anfang  an  auch 
als  Mahl  der  Unsterblichkeit,  als  Speise  und  Trank  zum  ewigen 
Leben  gilt,  einen  religionsgeschichtlichen  Zusammenhang  mit 
der  babylonischen  Idee  von  der  Lebensspeise  und  dem  Lebens- 
wasser?^ —  Auch  hierbei  würde  aber,  wenn  auch  diese  Fragen 
im  bejahenden  Sinne  zu  beantworten  wären,  wieder  daran  fest- 
zuhalten sein,  daÜ  die  ursprünglich  babylonischen  Ideen  im 
Judentum  und  vollends  im  Urchristentum  eine  ganz  eigenartige 
Umbiegung  erfahren  hätten. 


mahl  im  Neuen  Testament  1898  (Hefte  zur  „Christi.  Welt"  Nr.  36). 

I  S.  zum  letzteren  Punkte  vor  allem  die  Schrift  von  Heitmüller  „Im  Namen 
Jesu",  Göttingen  1903  (Forschungen  zurReligion  und  Literatur  des  Alt.  und  Neuen 
Test.  hsg.  von  Bousset  und  Gunkel  I  2).  2  Vgl.  das  Vorkommen  von 

Lebensspeise   und  Lebenswasser   in    dem  Mythus  von  Adapa  oben  S.  21  und 
weiteres    über  Lebensspeise    und   Lebenswasser    im    Babylonischen    in  KAT-^ 

s.  523-525- 


Buch  des  Lebens  und  Gerichtsbuch,  Prädestination  ac 


Buch  des  Lebens  und  Gerichtsbuch, 
Prädestination.' 

In  der  babylonischen  Religion  spielt  die  Idee  einer  göttlichen 
Buchführung  eine  hervorragende  Rolle.  Der  Gott  Nabu  (Nebo) 
ist  der  göttliche  Schreiber,  der  auf  seiner  Tafel  mit  dem  Tafel- 
stift sowohl  die  Schicksale  der  Welt,  wie  die  des  einzelnen 
Menschen  aufschreibt.  Insbesondere  verzeichnet  Nabu  in  dieser 
Weise  auf  seiner  „Tafel  des  Lebens"  die  Lebenstage  des  Menschen, 
verlängert  oder  verkürzt  deren  Dauer,  je  nach  dem  guten  oder 
schlechten  Verhalten  des  Menschen.  Auf  einer  „Tafel  der 
guten  W^erke"  werden  die  guten  Werke  der  Menschen,  auf  einer 
„Tafel  der  Sünden"  die  Sünden  des  Menschen  aufgeschrieben 
und  der  Wunsch  des  frommen  Beters  geht  dahin,  dali  die 
Tafel  der  guten  Werke  beschrieben  werde,  dali  aber  die  Tafel 
seiner  Sünden  zerbrochen  oder  ins  Wasser  geworfen  werden 
möge.  —  In  engem  Zusammenhang  mit  dieser  Buchführung 
durch  den  Schreibergott  Nabu  steht  in  der  babylonischen  Welt- 
anschauung die  Idee,  dalö  das  Schicksal  der  Welt  von  alters  her 
festgesetzt  ist,  dali  insbesondere  die  als  Weltherrscher  gedachten 
babylonischen  und  assyrischen  Könige  jeweils  schon  von  den 
fernsten  Zeiten  her  zu  diesem  ihren  Weltherrscherberuf  von  den 
Göttern  ausersehen  und  berufen  worden  sind. 

Die  Fragen,  die  sich  an  die  im  Vorstehenden  dargelegten 
Tatsachen  aus  der  babylonischen  Religion  für  verwandte  biblische 
Gedankengänge  knüpfen,  lauteten  dahin,  ob  nicht  die  biblische 
Vorstellung  von  einem  Buch  des  Lebens  (der  Lebenden),  das 
von  Gott  im  Himmel  geführt  wird,  worin  die  Gerechten  auf- 
gezeichnet und  die  Sünder  gestrichen  werden,  desgleichen  die 
Idee  von  einem  Buch  der  guten  und  bösen  Taten  (Gerichts- 


I  S.  Näheres  in  KAT-^  S.  402 — 403  und  S.  405 — 407. 


40  Buch  des  Lebens  und  Gerichtsbuch,  Prädestination 

buch),  das  im  Himmel  über  die  Menschen  geführt  wird,  wenigstens 
zum  Teil  auf  jene  babylonische  Idee  von  der  Tafel  des  Lebens 
und  der  Tafel  der  Sünden  zurückgeht.  —  Ferner  ist  zu  fragen, 
ob  nicht  die  babylonische  Anschauung  von  der  Schicksals- 
bestimmung, Ausersehung  und  Berufung  nachwirkt  in  dem 
Dogma  von  der  Prädestination,  das  im  apokalyptischen  Judentum 
und  im  Neuen  Testament  eine  so  große  Rolle  spielt,  und  zwar 
sowohl  der  Prädestination  des  gesamten  Weltlaufs  als  des 
Schicksals  der  einzelnen  Menschen,  wie  letzteres  in  der  neu- 
testamentlichen  Lehre  von  der  göttlichen  Vorausersehung  und 
Berufung  des  einzelnen  zum  Heil  in  Christo  vorliegt.  Aber 
auch  bei  diesem  Punkte  ist,  falls  sich  die  Annahme  dieser  Zu- 
sammenhänge in  der  Tat  bewähren  sollte,  wieder  ausdrücklich 
zu  betonen,  daß  es  sich  nicht  etwa  um  eine  mechanische  Über- 
nahme babylonischer  Ideen  durch  das  Spätjudentum  handeln 
würde,  sondern  daß  auch  hier  schon  im  apokalyptischen  Judentum 
und  insbesondere  im  Urchristentum  eine  ganz  eigenartige  Um- 
bildung und  Weiterbildung  überkommener  babylonischer  Ideen 
stattgefunden  hätte. 


Engel  und  Teufel/ 

Eine  polytheistische  Religion,  wie  die  babylonische,  kennt 
selbstverständlich  eine  Unzahl  von  göttlichen  Wesen,  unter 
denen  wieder  eine  beschränktere  Anzahl  als  die  Hauptgötter 
hervorragen  (vgl.  Abb.  7).  Da  nun  die  babylonische  Religion 
seit  alters  im  wesentlichen  auf  Gestirnkult  hinauslief,  so  erklärt 
es  sich  von  hier  aus,  daß  man  in  dieser  Religion  die  Haupt- 
götter aufs  engste  mit  Sonne,  Mond  und  den  fünf  dem  Altertum 

I  S.  Näheres  in  KAT^  S.  451—464  und  S.  620—635, 


Engel  und  Teufel 


47 


bekannten  Planeten  (Merkur,  Venus,  Mars,  Jupiter,  Saturn),  sowie 
mit  anderen  hervorragenden  Sternen  oder  Sterngruppen  am 
Himmel,  wie  namentlich  den  in  Babylonien  heimischen  zwölf 
Sternbildern  des  Tierkreises,  verknüpfte.  Weiter  aber  erblickte 
man  auch  in  allen  übrigen  Sternen  des  Himmels  göttliche  Wesen 
und  betrachtete  so  die  gesamte  Sternenwelt  als  einen  himm- 
lischen Hofstaat,  den  man  sich  um  den  obersten  Himmelsgott 
als  König  dieses  Staates  versammelt  dachte.     Dabei  hatte  man 


Abb.  7.    Die  babylonischen  Hauptgötter  auf  den  Felsenreliefs  von  Maltai. 


im  speziellen  noch  die  Vorstellung,  daß  diese  himmlische  gött- 
liche Sternenschar  eine  Ratsversammlung  bilde,  die  unter  dem 
Vorsitze  ihres  Himmelskönigs  über  die  Schicksale  der  Menschen 
Beratung  pflegte;  ebenso  galten  diese  Sterngottheiten  als  himm- 
lische Krieger,  die  Gesamtheit  der  Sterne  also  als  ein  himm- 
lisches Heer,  das  um  seinen  obersten  Gott  als  seinen  Heerführer 
geschart  war. 

Von  dieser  der  babylonischen  Astralreligion  eigenen  Be- 
trachtung des  Sternenhimmels  lassen  sich  nun  ziemlich  tief- 
gehende Nachwirkungen  schon  im  Alten  Testament,  wie  besonders 
im  späteren  Judentum  und  im  Neuen  Testamente  feststellen. 
Dabei  ist  vor  allem  im  Auge  zu  behalten,  dafj  naturgemälj  in 
einer  monotheistischen  Religion,  wie  dem  Judentum,  die  Götter- 


48    .  Engel  und  Teufel 


gestalten  einer  polytheistischen  Religion  in  ihrer  ursprünglichen 
Bedeutung  keine  Stelle  mehr  finden  konnten.  Vielmehr  mußte 
eine  Umbiegung  des  ursprünglichen  Charakters  dieser  Stern- 
gottheiten erfolgen:  sie  wurden  zu  depossedierten  Göttern,  zu 
bloßen  „Engeln'*.  Dabei  schimmert  aber  noch  deutlich  genug 
an  m.anchen  Stellen  der  ursprüngliche  Charakter  dieser  „Engel" 
als  ehemaliger  Sterngottheiten  hindurch. 

Unter  diesen  Engeln  treten  nun  namentlich  hervor  die 
sieben  Erzengel,  zu  denen  u.  a.  Michael  und  Gabriel  gehören, 
die  fraglos  im  letzten  Grunde  auf  die  sieben  babylonischen 
Planetengötter  zurückgehen.  Ferner  die  zwölf  (Tierkreis-) - 
Engel,  die  im  Buch  Henoch  (Kap.  82)  begegnen  und  die 
gewiß  auch  in  den  zwölf  Engeln  an  den  zwölf  Toren  des  himm- 
lischen Jerusalems  in  der  Apokalypse  Johannis  (Kap.  21)  zu 
erblicken  sind.  Diese  zwölf  Tierkreisengel  gehen  natürlich  auf 
die  zwölf  göttlich  verehrten  babylonischen  Tierkreisbilder  zurück. 
Entsprechend  werden  die  vierundzwanzig  Ältesten,  die  in 
der  Apok.  Joh.  4  rings  um  den  Thron  Gottes  auf  24  Thronen 
sitzen,  in  24  Sternen,  die  die  Babylonier  nach  Diodor  außer  den 
12  Sternbildern  des  Tierkreises  noch  besonders  unterschieden, 
ihr  Vorbild  haben.  Desgleichen  sprechen  gewichtige  Gründe 
dafür,  daß  die  bei  Ezechiel  und  in  der  Apok.  Joh.  vorliegende 
Vorstellung  von  den  vierKeruben,  als  den  vier  großen  Trägern 
des  göttlichen  Thronwagens,  mit  Menschen-,  Löwen-,  Stier-  und 
Adlergesicht,  den  vier  Seiten  des  Himmels  zugewendet,  im 
letzten  Grunde  von  dem  babylonischen  zwölfteiligen  Tierkreis 
am  Himmel  und  zwar  von  vier  Hauptbildern  desselben,  den  vier 
Quartalssternbildern,  ihren  Ausgang  genommen  hat.  Ahnlichen 
Ursprungs  wird  die  Vorstellung  von  den  vier  Reitern  auf  vier 
verschiedenfarbigen  Rossen  (Sach.  i,  vgl.  Apok.  Joh.  6)  und 
von  den  vier  Wagen  mit  viererlei  verschiedenfarbigen  Rossen 
(Sach.  6)  sein.  —  Weniger  sicher  ist  dagegen,  ob  auch  die 
biblische  Vorstellung  von   den  Engeln  als  Gottesboten  und  als 


Engel  und  Teufel  40 


Schutzengeln  der  einzelnen  Individuen  von  entsprechenden  baby- 
lonischen Vorstellungen  ihren  Ausgangspunkt  genommen  hat. 
Während  so  die  babylonischen  Götter  mehrfach  als  Engel 
in  der  jüdischen  und  auch  christlichen  Religion  fortleben,  haben 
andrerseits  auch  die  Dämonenvorstellungen  der  Babylonier  im 
Alten  wie  auch  im  Neuen  Testament  ihre  deutlichen  Spuren 
zurückgelassen.  So  finden  sich  die  babylonischen  Dämonen- 
namen sedu,  lüitu  und  vielleicht  auch  labartu  im  Alten  Testa- 
ment. So  hängt  die  im  Neuen  Testamente  begegnende  Vor- 
stellung von  einer  Siebenzahl  von  bösen  Dämonen  wahrscheinlich 
mit  den  im  Babylonischen  eine  grolöe  Rolle  spielenden  sieben 
bösen  Dämonen  zusammen.  Endlich  geht  auch  die  Gestalt  des 
Satans  und  zwar  sowohl  als  eines  übermenschlichen  Wesens, 
das  die  Menschen  bei  Gott  anklagt,  als  auch  als  obersten 
Fürsten  des  widergöttlichen  Geisterreiches  im  letzten  Grunde 
wahrscheinlich  auf  das  Babylonische  zurück  und  zwar  im  letzteren 
Falle  auf  den  Widerpart  des  siegreichen  Gottes  im  Drachen- 
kampf, wie  er  oben  im  Abschnitte  „Weltschöpfung"  besprochen 
wurde,  wenn  auch  gerade  hier  die  persische  Religion  eine  sehr 
tiefgreifende  Vermittlerrolle  gespielt  haben  wird. 


Totenreich  und  Jenseitsglauben.' 

Die  Vorstellungen  der  Babylonier  vom  Totenreich,  wie  sie 
uns  namentlich  in  dem  sog.  Mythus  von  Istar's  Höllenfahrt ,  in 
den  Totenreichschilderungen  des  Gilgames-Epos,  in  dem  Mythus 
von  Nergal  undEreskigal,  aber  auch  an  anderen  Stellen  der  babylo- 
nischen Literatur,  sowie  in  bildlichen  Darstellungen  (vgl.  Abb.  8) 

I  S.  Näheres  in  KAT^  S.  635—643. 
Zimmern,  Keilinschriften  und  Bibel.  a 


50 


Totenreich  und  Jenseitsglauben 


entgegentreten,  berühren  sich  in  vieler  Hinsicht  sehr  nahe  mit 
den  alttestamentlichen  Schilderungen  vom  Totenreich,  wenn 
auch  der  hebräische  Name  Scöl  für  das  Totenreich  nicht,   wie 


Abb.  8.     Sog.  Hadesrelief. 

man  eine  Zeit  lang  geglaubt  hat,  in  einem  entsprechenden  baby- 
lonischen Namen  für  das  Totenreich  wiederkehrt.  Speziell  die 
Art,  wie  man  sich  im  Bab}-lonischen  das  Totenreich  als  ein  mit 
Mauern  umgebenes  unterirdisches  finsteres  Bereich,  voll  von  Staub, 
vorstellte,  worin  die  Totengeister  als  schattenhafte  Wesen  hausen, 


Totenreich  und  Jenseitsglauben  51 

erinnert  stark  an  die  entsprechende  alttestamentliche  Idee  von  der 
Seöl  und  dem  Zustand  der  Toten  in  ihr.  Da  auch  sonst  gerade 
in  den  Vorstellungen  vom  Weltganzen  babylonische  Ideen 
nachweislich  vielfach  auf  Israel  eingewirkt  haben,  so  liegt  die 
Annahme  sehr  nahe,  daß  auch  in  diesen  israelitischen  Vor- 
stellungen von  der  Seöl  teilweise  wenigstens  babylonische  Ein- 
flüsse vorliegen. 

Dagegen  ist  ausdrücklich  zu  betonen,  daß  die  erst  im  späteren 
Judentum  auftretende  und  von  da  aus  auch  in  das  Neue  Testa- 
ment und  in  das  Christentum  übergegangene  Idee  einer  von 
brennendem  Feuer  erfüllten  Hölle,  dem  Aufenthaltsort  der  Gott- 
losen, als  deren  Gegensatz  das  Paradies,  der  Aufenthaltsort  der 
Frommen,  gilt,  in  den  babylonischen  religiösen  Vorstellungen 
kein  sicheres  Vorbild  hat.  So  ist  es  auch  sehr  fraglich,  ob  die 
Babylonier  bereits  von  einer  strengen  Scheidung  von  Frommen 
und  Gottlosen  im  Jenseits  gesprochen  haben,  ob  man  also  be- 
rechtigt ist,  ihnen  den  Glauben  an  eine  Vergeltung  im  Jenseits 
schon  im  vollen  Umfang  zuzuschreiben.  —  Noch  weniger  läßt 
sich  der  spätjüdische  und  christliche  Glaube  an  die  Auferstehung 
der  Toten  etwa  bereits  für  die  babyloiiische  Religion  nachweisen. 
Vielmehr  scheint  der  Auferstehungsglauben  aus  eigenartigen 
mystischen  Vorstellungen  hervorgegangen  zu  sein,  indem  man 
ursprünglich  nur  den  König,  später  aber  auch  jeden  einzelnen 
Menschen  mit  der  Gottheit  gleichsetzte  und  so  den  einzelnen 
Menschen  die  gleichen  Schicksale  wie  den  Gott,  nämlich  Sterben, 
Regrabenwerden  und  Wiederauferstehen,  erleben  ließ.  Solche 
Vorstellungen  finden  sich  nun  in  der  ägyptischen  Religion  be- 
reits in  der  ältesten  Zeit  in  sehr  ausgeprägter  Form.  Dagegen 
können  wir  für  Babylonien  bis  jetzt  nur  soviel  sagen,  daß  man 
auch  hier,  wenigstens  in  der  älteren  Zeit,  den  Königen  gött- 
lichen Charakter  zuschrieb,  wie  z.  B.  der  alte  König  Naräm- 
Sin  auf  seiner  in  Susa  gefundenen  Stele  die  Hörner,  das  Symbol 
der  Göttlichkeit,  trägt  (s.  Abb.  9).    Dagegen  läßt  sich  die  Aus- 

4* 


52 


Totenreich  und  Jenseitsgauben 


dehnung  dieser  Idee  der  Gleichsetzung  mit  den  Göttern   auch 
auf  jeden  einzelnen  Menschen,  und  damit  wahrscheinlich  auch 


Abb.  9.    Teil  der  Siegesstele  des  Königs  Naram-Sin. 


Schlußbemerkung  cj 


der  eigentliche  Ursprung  des  Auferstehungsglaubens,  bis  jetzt 
wenigstens  im  Babylonischen  noch  nicht  nachweisen. 


Soll  im  Hinblick  auf  das  Vorstehende  und  mancherlei 
andere  Berührungspunkte,  die  in  diesem  kurzen  Überblick  nicht 
zur  Besprechung  gekommen  sind,  ein  Gesamturteil  über  den 
religionsgeschichtlichen  Zusammenhang  zwischen  Keilinschriften 
und  Bibel  gefällt  werden,  so  hat  es  meines  Erachtens  etwa 
dahin  zu  lauten,  dafj  das  Vorhandensein  eines  solchen  Zu- 
sammenhangs nicht  nur  für  das  Alte  Testament,  sondern  auch 
für  die  Literatur  des  späteren  Judentums,  insbesondere  des 
apokalyptisch  gefärbten  Judentums,  wie  auch  für  das  Neue 
Testament,  in  ziemlich  weitem  Umfange  anzuerkennen  ist,  ja 
dal-i  auch  in  sehr  vielen  Fällen  dieser  Zusammenhang  nur  so 
zu  erklären  ist,  daß  die  betreffenden  Ideen  in  Babylonien  ur- 
sprünglich heimisch  und  erst  als  fremde  Ideen  in  das  Alte 
Testament,  in  das  Judentum,  in  das  Urchristentum  hineinge- 
kommen sind.  Gleichzeitig  ist  aber  meines  Erachtens  stets 
ausdrücklich  zu  betonen,  daß  die  Übernahme  dieser  babyloni- 
schen Ideen  in  den  allermeisten  Fällen  —  mit  Ausnahme  etwa 
manches  eschatologisch  -  apokalyptischen  Materials  —  keine 
mechanische  war,  daß  vielmehr  eine  starke  Umformung  und 
Weiterbildung  der  überkommenen  babylonischen  Ideen  im  Sinne 
der  israelitischen  Religion  des  Alten  Testaments  auf  ihren  je- 
weiligen Stufen,  der  Religion  des  Judentums  und  der  urchrist- 
lichen Religion  stattgefunden  hat. 


Inhalt 

Seite 

Einleitung 3 

Sintflut 6 

Urväter 9 

Weltschöpfung 12 

Paradies 20 

Gilgames-Epos 22 

Kultgebräuche 26 

Sabbat 30 

Hymnen  und  Gebete,  Polytheismus 32 

Der  Christus,  Jesus 39 

Taufe  und  Abendmahl 43 

Buch  des  Lebens  und  Gerichtsbuch,  Prädestination 45 

Engel  und  Teufel 46 

Totenreich  und  Jenseitsglauben 49 

Schlußbemerkung 53 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 

Abb.   I  (S.    13)  nach  A   Guide    to   the    Babylonian    and   Assyrian   Antiquities, 

London,  British  Museum,  1900,  PI.  VII. 
Abb.  2  (S.  18)  nach  L.  W.  King,  Babylonian  Religion  and  Mythology,  London 

1899,  p.   102. 
Abb.  3  (S.  18)  nach  Ward  in  Bibliotheca  Sacra  1881,  p.  224. 
Abb.  4  (S.   19)  nach    Cuneiform    Inscriptions    of  Western  Asia  Vol.  V  PI.  57. 
Abb.  5  (S.  27)  nach  A   Guide   to    the   Babylonian   und   Assyrian   Antiquities, 

London,  British  Museum,   1900,  PL  IV. 
Abb.  6  (S.  29)  nach  eigener  photographischer  Aufnahme  des  Originals. 
Abb.  7  (S.  47)  nach  v.  Luschan  in  Ausgrabungen  in  Sendschirli  I. 
Abb.  8  ('S.    50)  nach    Revue   Archeologique,    Nouv.    Serie,     Vol.    38,     1879, 

PI.  XXV. 
Abb.  9  (S.  52)  nach  Memoires  (de  la)  Delegation  en  Perse,  Paris  1900.  Tome  I 

pl.  X. 


Verlag  von  Reuther  &  Reichard  in  Berlin  W.  9. 


Die 

Keilinschriften  und  das  Alte  Testament 

vo;! 

Eberhard  Schrader 

Dritte  Auflage. 

Mit    Ausdehnung,   auf   die   Apokryphen,    Pseudepigraphen    und    das    Neue 

Testament 

neu  bearbeitet  von 

Dr.  H.  Zimmern  und  Dr.  H.  Winckler 

orJ.  Prof.  an  der  Universität  Leipzig  Privatdozent  an  der  Universität  Berlin 

I.  Teil:    Geschichte  und  Geographie   von  H.  Winckler 
II.  Teil:  Religion  und  Sprache  von  H.  Zimmern. 

Mit  einer  Karte  der  vorderasiatischen  Länder. 
Gr.  8».     XIL     680  Seiten.     M.  21.—,  in  Halbfrzbd.  geb.  M.  23.— 

Die  nunmehr  fertig  vorliegende  dritte  Auflage  dieses  Werkes  dürfte 
in  dieser  ihrer  jetzt  abgeschlossenen  Gestalt  manche  Desiderien  erfüllen,  die 
beim  Erscheinen  der  einzelnen  Teile  dieser  Neubearbeitung  von  verschiedenen 
Seiten  ausgesprochen  worden  sind.  So  hat  die  Verlagsbuchhandlung  dafür 
Sorge  getragen,  dass  durch  eine  dem  Werke  beigegebene,  von  Billerbeck 
redigierte  Karte  der  vorderasiatischen  Länder  das  Verständnis  des 
historisch-geographischen  Teils  des  Buches  wesentlich  erleichtert  wird.  Ferner 
bietet  ein  sehr  umfangreiches  Namen-,  Sach-  und  Wortregister  die 
Möglichkeit,  sich  rasch  und  leicht  über  eine  beliebige  in  dem  Buche  behandelte 
Einzelfrage  zu  orientieren.  Dem  gleichen  Zwecke  dient  ein  ausführliches  Re- 
gister der  behandelten  Bibelstellen,  während  anderseits  eine  ziem- 
lich eingehende  „Inhaltsübersicht"  auch  die  systematische  Anordnung  des 
Ganzen  leicht  und  rasch  erkennen  lässt.  Bei  dem  verschiedenartigen  Leser- 
kreise, der  für  das  Buch  in  Betracht  kommt,  konnten  freilich  kaum  alle  in 
gleicher  Weise  befriedigt  werden.  Immerhin  wird  sowohl  der  alttestament- 
liche  Spezialforscher,  wie  anderseits  der  Student  der  Theologie  oder  der  im 
praktischen  Pfarramt  Stehende  das  für  seine  Bedürfnisse  Erforderliche  in  dem 
Buche  im  wesentlichen  finden.  In  einem  Punkte  allerdings  verlangt  das 
Werk  für  solche,  die  sich  irgendwie  eingehender  mit  den  betreffenden  Pro- 
blemen befassen  wollen,  eine  Ergänzung.  Bei  dem  grossen  Umfange,  den 
gegenwärtig  bereits  die  keilschriftliche  Originalliteratur  angenommnn  hat, 
war  es  nämlich,  abgesehen  von  Ausnahmefällen,  ganz  unmöglich,  im  Rahmen 
dieses  Werkes  all  die  Originalstellen,  auf  die  Bezug  genommen  werden  musste, 
im  Wortlaute  vorzuführen.  Hier  wollen,  wenigstens  bei  einer  eindringen- 
den Behandlung  der  betreffenden  Fragen,  die  citierten  Originalstellen  vor 
allem    aus    der    „Keilinsch  riftlich  en    Bibliothek",    aber    auch     aus 


Verlag  von  Reuther  &  Reichard  in  Berlin  W^.  9. 


manchen  andern  namhaft  gemachten  Textpublikationen,  tatsächlich  auch  ein- 
gesehen werden.  Dasselbe  gilt  bei  dem  historisch-geographischen  Teile  von 
den  Verweisungen  Wincklers  auf  die  eingehende  Behandlung  mancher  der 
dort  nur  ihrem  Resultate  nach  mitgeteilten  Fragen  in  seinen  „Altorientalischen 
Forschungen".  Was  endlich  die  Scheidung  des  monumental  Fest- 
stehenden von  den  darauf  aufgebauten  mehr  oder  weniger  sicheren 
Schlussfolgerungen  betrifft,  so  wird  ein  aufmerksamer  Leser  bei  einigem 
guten  Willen  in  den  allermeisten  Fällen  ohne  zu  grosse  Schwierigkeit  die 
tatsächliche  Lage  der  Dinge  aus  der  Art  der  Darstellung  entnehmen  können. 

Aus  Urteilen  über  den  I.  Teil: 

„.  .  .  Die  Eigenart  Wincklers,  die  aus  seinen  früheren  Arbeiten  bekannt 
ist,  hat  t!er  Forschung  im  Alten  Testament  manchen  kräftigen  Stoss  gegeben, 
sie  hat  auch  aus  diesem  Werk  eine  originale  Schöpfung  gemacht.  Im 
ganzen  Buch  herrscht  die  unerbittliche  Logik  des  vernünftigen 
Denkers  und  Beobachters,  verbunden  mit  der  Selbstgewissheit 
des  Künstlers  in  der  freien  Combination  .  .  .  Sicherlich  wird  jeder  vom 
Lesen  dieses  Buches  viel  Freude  und  Förderung  haben.  Es  ist  eine  Ge- 
schichte Israels  im  Rahmen  der  Weltgeschichte,  und  vom  profanen  bezw. 
babylonischen  Standpunkt  aus  geschrieben  ...  meisterhaft  in  der  Anlage 
und  berückend  in  der  Consequenz  und  der  Energie  der  Durch- 
führung.. ."  (P.   l'fllz,  i.  d.  Theol.  Literatiirzeiüing  /goj,  2.) 

„.  .  .  Alles  in  allem  genommen:  der  Verf.  hat  es  vortrefflich 
verstanden,  uns  ein  Stück  des  alten  Orients  in  fast  greifbare 
Nähe  vor  Augen  zu  rücken  und  die  Geschichte  Israels  in  den  welt- 
historischen Zusammenhang  einzugliedern,  wie  es  bis  jetzt  auch  nicht 
annähernd  erreicht  worden  war.  Dafür  werden  ihm  alle,  die  es  an- 
geht, aufrichtig  dankbar  sein,  auch  diejenigen,  die  den  babylonischen  Stand- 
punkt des  Verfassers  nicht  oder  doch  nicht  in  gleichem  Grade  zu  teilen  ver- 
mögen. Referent  gesteht  für  seine  Person,  dass  er  selten  aus  einem 
Werke  so  viel  gelernt  und  so  fruchtbare  Anregung  empfangen 
hatwie  aus  diesem  etc."    (Prof.  Baentsch  im  Liter.  Centralblatt  igoj,  8.) 

,,.  .  .  this  edition  is  one  of  the  most  valuable  contributions  to 
the  history  of  the  ancient  Orient  that  have  appeared  for  many 
years.  Here,  as  in  no  other  single  work,  the  latest  results  of  cuneiform 
research  in  relation  to  the  Old  Testament  are  made  accessible  etc." 

(A?n.  Jonrn.  of  Theology  ig02,  IV.) 

„Jedem,  der  es  ernst  meint  mit  der  Ergründung  der  Beziehungen  zwischen 
Juda  und  Babylon  und  überhaupt  mit  der  Aufklärung  in  Bezug  auf  die  wirk- 
liche Geschichte  Israels  und  Judas,  sei  dieses  Werk  als  das  unentbehr- 
lichste und  grundlegende  warm  empfohlen;  es  ist  ein  wahres 
Denkmal  deutscher  Wissenschaftlichkeit,  Unermüdlichkeit, 
Scharfsinnigkeit  und  Freiheit  —  sowohl  in  dem  (historischen  und 
geographischen)  von  Winckler,  wie  in  dem  von  Zimmern  bearbeiteten,  die 
Religion  und  Sprache  betreffenden  Teil.  Hier  findet  man  alle  wünschens- 
werten Angaben  über  die  weitere  Literatur". 
(H.  St  Chambe riain  im  Votiuort  zur  4.  Aufl.  der  Grundlagen  des  XIX.  Jahrh.)