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CKeifinfcßtrif^en ttn^ (gißef
NACH IHREM
RELIGIONSGESCHICHTLICHEN ZUSAMMENHANG
EIN LEITFADEN ZUR ORIENTIERUNG
m SOG. BABEL-BIBEL-STREIT
MIT EINBEZIEHUNG AUCH DER NEUTESTAMENTLICHEN PROBLEME
15^inricß Jtmtnern
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG
MIT NEUN ABBILDUNGEN
VERLAG VON REUTHER & REICHARD
1903
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Druck von W. Drugulin in Leipzig.
Einleitung.
Uer Schreiber dieser Zeilen hatte ursprünglich die feste Ab-
sicht, in den durch Delitzsch' ersten Vortrag über Babel und
Bibel entstandenen Streit überhaupt nicht einzugreifen. Und zwar
hielt ich mich darum von der Sache fern, weil es mich äulierst
unsympathisch berührte, dali bei dieser Gelegenheit von zumeist ganz
inkompetenten Beurteilem und in der breitesten Öffentlichkeit vielfach
gerade über solche wissenschaftliche Fragen abgeurteilt wurde, die
teils überhaupt noch nicht spruchreif sind, teils sich nur zur
Diskussion im engsten Forscherkreise eignen. Nachdem nun aber
dieser Streit immer noch nicht zur Ruhe kommen will, vielmehr in-
folge von Delitzsch' zweitem Vortrag über dasselbe Thema immer
noch weiter um sich gegriffen hat, halte ich es schlielUich für
meine Pflicht, doch nicht mehr länger hinter dem Berge zu halten,
sondern auch meinerseits in diesem leidigen Kampfe das öffentlich
auszusprechen, was ich von mir aus zur Klärung beizubringen im-
stande bin.^
Dabei ist es nun aber keineswegs meine Absicht, mich etwa
über solche Fragen eingehend zu verbreiten, wie es mit einer wie
auch immer gearteten besonderen Offenbarung im Bereiche der
biblischen Geschichte bestellt ist, oder wie über den Monotheismus der
^ Aus der fast unübersehbaren, im allgemeinen ziemlich unerfreulichen
sog. Babel-Bibel -Literatur seien hier nur folgende Broschüren als die meines
Erachtens besten Orientierungen hervorgehoben, wenn ich mich auch nicht
mit allen in denselben enthaltenen Einzelheiten einverstanden erklären vv'ill:
H. Gunkel, Israel und Babylonien, Göttingen 1903. — C. F. Lehmann,
Babyloniens Kulturmission einst und jetzt, Leipzig 1903. ■ — A. Jeremias,
Im Kampfe um Babel und Bibel, 4. Aufl., Leipzig 1903. — Für weitere Kreise
recht empfehlenswert als Belehrung über die Resultate der Assyriologie ist
die mit reichem bildnerischen Schmuck ausgestattete Monographie von
C. Bezold, Ninive und Babylon, Bielefeld und Leipzig 1903.
Zimmern, Keilinschriften und Bibel. i*
Einleitung
alttestamentlichen Prophetie und des späteren Judentums zu urteilen
ist. Das möge den Theologen von Fach überlassen bleiben, zu
denen ich mich wenigstens jetzt nicht mehr rechne. Auch war es
meines Erachtens ein schwerer Fehler von Delitzsch, dalJ er ins-
besondere in seinem zweiten Vortrag sich dazu hat hinreißen lassen,
gerade über derartige schwierige Fragen sich in sehr prononcierter
Form zu äulJern^ obwohl doch Delitzsch weder von Haus aus Theologe
ist, noch auch nach seinen bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten,
deren Stärke vielmehr auf einem ganz anderen Gebiete liegt, sich
die Berechtigung dazu erworben hat, in allgemein religionsge-
schichthchen Fragen als besonders kompetenter Beurteiler aufzu-
treten.
Meine einzige Absicht ist vielmehr die, durch dieses Schriftchen
auch den weitesten Kreisen, die nun einmal in diesen Streit hinein-
gezogen worden sind, die Möglichkeit an die Hand zu geben, sich
selbst einigermalJen klar darüber zu werden, wieweit es sich bei
diesem Streit um wirkliche urkundliche Tatsachen handelt, und
wieweit andererseits um blolJe an diese Tatsachen geknüpfte Kom-
binationen, die zwar an und für sich ganz richtig sein mögen, bei
denen aber doch in vielen Fällen nicht ganz die gleiche sichere
Gewähr für die Richtigkeit besteht, wie bei den urkundlichen Tat-
sachen selbst. Gerade in dieser Hinsicht litt speziell der erste Vor-
trag von Delitzsch, wie sich nicht leugnen lälJt, an einigen erheblichen
Mängeln, indem diese Grenzlinie zwischen Tatsachen und Kom-
binationen für den Hörer und den Leser nicht immer streng genug
hervortrat. Und gerade dieser Umstand hat es, abgesehen von
mancherlei außerhalb der Sache selbst liegenden Nebenumständen,
dann wohl auch hauptsächlich veranlafJt, daß sich daran der heftige
Streit anschloß. Freilich sind bei diesem Streite auch manche Gegner
von Delitzsch vielfach über das Ziel hinausgeschossen, indem sie in
einer für den der Sache Näherstehenden oft ergötzlich naiven Weise
urkundliche Tatsachen oder auf solche sich aufbauende ganz sicher
richtige Kombinationen in Zweifel zu ziehen oder schlankweg bei-
seite zu schieben sich bemühten.
Ferner beabsichtige ich aber auch nicht, ausschließlich diejenigen
sicheren oder angeblichen Berührungspunkte zwischen den Keil-
inschriften und der Bibel im folgenden zur Besprechung zu bringen, von
denen mehr oder weniger zufällig in Delitzsch' Vorträgen gerade die
Rede war; es sollen vielmehr auch noch einige weitere wichtige Punkte,
Einleitung c
speziell auch solche, die das Neue Testament betreffen, zur Sprache
kommen, in denen die babylonische Literatur beachtenswerte Parallelen
zur biblischen Literatur auf dem Gebiete der Religion aufweist.
Denn auf das religionsgeschichtliche Gebiet sollen die folgenden
Erörterungen in der Hauptsache beschränkt bleiben, da speziell über
die hier einschlagenden Fragen der heftigste Streit entbrannt ist.
Da ich nun gerade vor kurzem in der neubearbeiteten dritten Auflage
von Eberh. Schrader's „Die Keihnschriften und das Alte Testament"*
diese Fragen eingehend behandelt habe, so sollen und wollen die
folgenden Ausführungen auch nicht viel anderes sein, als eine kurze
Zusammenfassung des in jenem größeren Werke Gebotenen, auf
das darum auch für alle genaueren Einzelnachweise auf Schritt und
Tritt für denjenigen verwiesen ist, der nicht nur im allgemeinen
von den behandelten Fragen Kenntnis nehmen will, sondern ihnen
auch im einzelnen genauer nachgehen möchte. Wenn dabei die
Form meiner Ausführungen manchem Leser vielleicht weniger bequem
erscheinen wird, da ich vielfach keine fertigen Resultate vorlege,
sondern nur auf die schwebenden Probleme hinweise, so hoffe ich
andererseits manchem gerade dadurch einen Dienst zu erweisen, dali
ich möglichst objektiv auf die bestehenden Probleme aufmerksam
mache, ohne an dieser Stelle die mir am wahrscheinlichsten dün-
kende Lösung dieser Probleme allzu vorlaut zu betonen.
^ Im folgenden abgekürzt durch KAT'^.
Sintflut.^
Eine babylonische Sintfluterzählung war uns bereits vor
der Wiederentdeckung des babylonisch-assyrischen Altertums
aus griechischer, auf den babylonischen Priester Berosus zurück-
gehender Überlieferung bekannt. Durch die Ausgrabungen des
vorigen Jahrhunderts auf der Trümmerstätte von Ninive sind
wir jetzt aber auch wieder in den Besitz der keilschriftlichen
Originale gelangt, die diesen babylonischen Sintflutbericht ent-
halten. Dessen Hauptzüge sind in Kürze folgende: Die Götter
beschliefJen in'^^einer Versammlung eine Sintflut zu veranstalten
und zwar, wie wenigstens am Schlulj der Erzählung mit deut-
lichen Worten ausgesprochen wird, um die Sünden der Menschen
zu bestrafen. Der Gott Ea, der im Götterrate zugegen gewesen
war, setzt seinen Schützling Utnapistim aus der Stadt Surippak
hiervonj^^in Kenntnis und befiehlt ihm, zu seiner Rettung ein
Schiff zu bauen und lebende Wiesen aller Art in dieses mit
hineinzunehmen.'^ Utnapistim befolgt den Befehl Ea's, baut das
Schiff nach den ihm vom Gotte vorgeschriebenen Maßen, teilt
es in zahlreiche Abteilungen, und bringt seine Familie und
Verwandtschaft, sowie Tiere aller Art hinein. Kurz vor Beginn
der Flut, deren Eintritt ihm durch ein göttliches Zeichen vor-
her angezeigt wird, besteigt er selbst das Schiff und verschließt
dessen Tor, während er den Steuermann mit der Lenkung des
Schiffes betraut. In der Frühe des nächsten ^Morgens bricht
I S. Näheres in KAT^ S. 543—560.
Sintflut 7
die Flut los, verbunden mit gewaltigen Stürmen und dichter
Finsternis. Die Götter selbst fürchten sich vor der Sintflut und
steigen zum Himmel empor. Die Göttermutter klagt über den
Untergang ihres IMenschengeschlechts und bereut es, in der
Gütterversammlung der Veranstaltung einer Sintflut zugestimmt
zu haben. Sechs Tage und Nächte rast die Sintflut. Am sie-
benten Tage aber ruht das Meer und hört der Sturm auf. Utna-
pistim öffnet ein Luftloch, da fällt Tageslicht auf seine Wangen.
Er setzt sich nieder und weint. Danach steigt Land auf und
das Schiff sitzt auf dem Berge Nisir fest. Nach sieben Tagen
läßt Utnapistim eine Taube ausfliegen, die aber wieder zurück-
kommt, weil sie keinen Ruheplatz findet. Das Gleiche geschieht
bei einer Schwalbe, die Utnapistim darauf ausfliegen lälit. Erst
ein Rabe, den er als dritten Vogel aussendet, kehrt nicht wieder
zurück, sondern läßt sich fressend nieder. Da läßt Utnapistim
alles, was sich im Schiffe befindet, hinaus und bringt auf dem
Gipfel des Berges ein Opfer dar, dessen süßen Geruch die
Götter wohlgefällig einatmen. Es folgt eine Szene, in der die
Göttermutter und Ea mit Bei darüber hadern, daß er die Sint-
flut veranstaltet habe, Bei selbst aber darüber erzürnt ist, daß
nicht alle Menschen in der Flut umgekommen sind, sondern
einer, Utnapistim mit den Seinen, gerettet ist. Schließlich aber
wird Bei anderen Sinnes und verleiht sogar dem Utnapistim
und seinem Weibe göttliche Natur und entrückt sie in die
Ferne, an die „iMündung der Ströme".
Darüber, daß diese babylonische Sintfluterzählung mit der
biblischen oder vielmehr den beiden biblischen — denn in
Gen. 6 — 9 sind zwei Sintflutberichte zusammengearbeitet —
aufs engste verwandt ist, kann trotz der mancherlei Verschieden-
heiten im einzelnen kein Zweifel bestehen. Am stärksten ist
die Berührung wohl bei der Episode von der Aussendung der
Vögel und bei der Darbringung des Opfers beim Verlassen
der Arche, obwohl gerade auch hier wieder charakteristische
8 Sintflut
Verschiedenheiten zwischen der biblischen und der keilschrift-
lichen Rezension vorliegen.
Das Problem kann also hier nicht das sein, ob überhaupt
eine Verwandtschaft zwischen dem babylonischen und dem
biblischen Bericht besteht, sondern vielmehr nur das, wie diese
Verwandtschaft zu denken ist. In letzterer Hinsicht sind nun
allerdings die Meinungen noch sehr geteilt. Doch darf es
wenigstens als die Ansicht der überwiegenden Mehrzahl der
Forscher bezeichnet werden, daß die Sintflutsage bei den
Babyloniern heimisch und bei den Hebräern erst von diesen
entlehnt ist. Wie nun freilich diese Entlehnung zu denken und
in welcher Zeit sie anzusetzen ist, darüber gehen die Meinungen
wieder von neuem auseinander, indem die einen diesen Zeit-
punkt bereits recht früh ansetzen und wohl gar diese Sage
schon von den Hebräern aus ihrer freilich äußerst problema-
tischen babylonischen Heimat mitgebracht sein lassen, während
andere etwa das achte oder siebente Jahrhundert v. Chr. als
die Zeit annehmen, in der die Israeliten mit diesem wie mit
anderen babylonischen Stoffen bekannt geworden wären. Mag
man sich nun für diese oder für jene Alternative entscheiden,
so liegt in jedem Falle die Sache doch so, daß die babylonische
Sintflutsage nicht etwa sozusagen mit Haut und Haaren von
Israel aus Babylonien übernommen worden, sondern daß sie in
sehr starkem Maße im Geiste der spezifisch israelitischen Religion
umgebildet worden ist. — Wieder eine ganz andere Frage für
sich, die neuerdings gerade ziemlich lebhaft erörtert worden
ist, ist die, welches denn wohl der eigentliche Ursprung und
Sinn der Sintflutsage ist. Hier stehen sich namentlich zwei
Ansichten ziemlich schroff gegenüber, indem die einen in der
babylonisch-israelitischen Sintflutsage doch einen historischen
Kern, etwa eine einstmalige besonders gewaltige Überschwem-
mung der Euphrat-Tigris-Tiefebene erkennen wollen, während
andere die Sage als einen Naturmythus, speziell als einen
Urväter
Himmelsmythus zu erklären suchen, höchstens mit dem Zuge-
ständnis, daß die spezifischen Farben für die Ausmalung dieses
Mythus von den in der Landschaft Babylonien üblichen Über-
schwemmungen hereenommen sind.
Urväter.'
Zwischen Weltschöpfung und Sintflut kennt sowohl die baby-
lonische als auch die israelitische Sage eine Reihe von Heroen-
gestalten, die in der babylonischen Überlieferung als Könige, in
der biblischen als Patriarchen der Urzeit erscheinen. Beiden, den
babylonischen vorsintflutlichen Königen und den biblischen vor-
sintflutlichen Patriarchen, werden abnorm hohe Lebensalter zu-
geschrieben. Die Anzahl der babylonischen Urkönige beträgt
zehn. Ebenso groß ist die Zahl der biblischen Urväter, wenigstens
nach der einen, ihrer jetzigen Form nach jüngeren, Quelle
(Gen. 5), während die einer anderen, älteren schriftstellerischen
Quelle angehörende Rezension des gleichen Sagenstoffes (Gen.
4, 1/ ff.) nur sechs oder sieben Urväter aufzählt, die sich aber
schon durch ihre Namen als ursprünglich identisch mit sieben
von jenen zehn Urvätern ausweisen.
Daß nun zwischen der babylonischen Tradition von den
zehn vorsintflutlichen langlebigen Urkönigen und der hebräischen
von den zehn (sieben) vorsintflutlichen langlebigen Urvätern ein
wirklicher historischer Zusammenhang besteht, zeigen klar einige
weitere Übereinstimmungen im einzelnen. So ist in beiden
Fällen der letzte, der zehnte, der Held der Sintflut: Utnapistim
I S. Näheres in KAT'^ S. 530—543.
10 Urväter
im Babylonischen, Noah in der Bibel, wie denn beide Traditionen,
die hebräische sowohl als die babylonische, den ausgesprochenen
Zweck verfolgen, die Periode zwischen Schöpfung und Sintflut
zu überbrücken. Ferner zeigen die einzelnen Namen der baby-
lonischen Urkönige und biblischen Urväter mancherlei enge
Beziehungen zu einander. So ist z. B. der Name des dritten
Urkönigs im Babylonischen, Aiiielon in der griechischen Über-
lieferung des Berosus, das gewöhnliche babylonische Wort für
„Mensch", babylonisch anielu; ebenso ist der Name des dritten
biblischen Urvaters, Enös, das gewöhnliche hebräische Wort
für „Mensch" enös. Entsprechendes läßt sich auch für einige
weitere Namen der Urkönige bezw. Urväter aufzeigen. Beson-
ders auffallend ist die Übereinstimmung in dem, was von dem
siebenten babylonischen Urkönig, Enmeduranki, einerseits, und
dem siebenten biblischen Urvater, Henoch, andererseits er-
zählt wird. Enmeduranki war einst König in Sippar, der Stadt
des Sonnengottes Samas. Dieser berief ihn in seine Gemein-
schaft und belehrte ihn über alle Geheimnisse der Wahrsage-
kunst. So wurde Enmeduranki bei den Babyloniem der Stamm-
vater der Wahrsagepriester. Gerade von dem siebenten Ur-
vater Henoch weil) die sonst sehr trockene und schematische
Liste der Urväter in Gen. 5 gleichfalls etwas Eigenartiges und
an die Gestalt des Enmeduranki Erinnerndes zu berichten:
„Nach der Geburt seines Sohnes Methusalah wandelte Henoch
in Gemeinschaft mit Gott 300 Jahre. Und seine ganze Lebens-
dauer betrug 365 Jahre. Und weil Henoch in Gemeinschaft
mit Gott gewandelt hatte, so verschwand er einst; denn Gott
hatte ihn entrückt." Was in dieser kurzen Notiz von Gen. 5
nur mit wenig Worten angedeutet ist, davon weiß die spät-
jüdische Tradition ausführlichst zu berichten. Denn in dieser
ist Henoch eine beliebte Sagenfigur, um die sich ein reichhaltiger
Sagenkranz geschlungen hat. Speziell gilt hier Henoch als ein
berühmter Weiser der Vorzeit, der vermöge seines Umgangs
Urväter 1 1
mit Gott Inhaber alles Wissens über die Geheimnisse im Himmel
und auf Erden geworden ist und der darum auch als Begründer
der Astrologie, Astronomie, Rechenkunst usw. gilt. Auch die
365 Lebensjahre des Henoch, die ganz aus dem Schema der
übrigen, viel höheren Lebensalter der vorsintflutlichen Urväter
herausfallen, erklären sich jetzt leicht im Hinblick auf die baby-
lonische Parallelfigur des Enmeduranki: denn wie die Zahl 365
jedenfalls mit den 365 Tagen des Sonnenjahres zusammenhängt,
so ist es speziell der Sonnengott, in dessen Stadt Enmeduranki
König ist und der ihn in seine Gemeinschaft beruft.
Im Hinblick auf die im Vorstehenden namhaft gemachten
Berührungen kann es nicht zweifelhaft sein, daß die biblische
und die babylonische Tradition von den vorsintflutlichen Ur-
vätern oder Urkönigen mit einander verwandt sind. Eine zweite
Frage ist die, wie dieses Verwandtschafts Verhältnis zu denken
ist. Die Annahme etwa, dafj es sich hier irgendwie auch nur
um eine Spur von wirklicher historischer Überlieferung handeln
könnte, die einerseits bei den Babyloniern, andererseits bei den
Hebräern sich erhalten hätte, ist selbstverständlich ohne
weiteres abzuweisen. Aber auch die Möglichkeit, dalJ etwa die
babylonische und die hebräische Sage in diesem Punkte auf
eine gemeinsame Quelle, also etwa eine ursemitische Sage zurück-
gingen, kommt kaum in Betracht. Vielmehr spricht alles da-
für, daß hier, wie auch bei den übrigen urgeschichtlichen Sagen,
die Tradition in Babylonien einheimisch, in Israel erst von dort
eingedrungen ist. Wann diese ursprünglich babylonische Sage
von den Urvätern in Israel Eingang gefunden hat, ist dann
wieder eine weitere Frage für sich. Voraussichtlich schon ziem-
lich frühzeitig, da sie schon in der alten Quelle Gen. 4 und
hier bereits in recht eigenartiger Umarbeitung vorliegt. Allem
Anschein nach ist die gleiche babylonische Sage dann noch
einmal zu einer anderen, späteren Zeit nach Israel gekommen
und hat dabei weniger einschneidende Umformung erfahren,
12 Weltschöpfunr
als das erste Mal. So würde es sich erklären, daß Gen. 5,
das ja auch der späteren Quellenschrift des Pentateuch an-
gehört, der babylonischen Sage relativ näher steht, als Gen. 4.
Welt Schöpfung.'
Auch ein babylonischer Weltschöpfungsmythus war uns, wie
die babylonische Sintfluterzählung, bereits aus Berosus bekannt.
Und auch hier sind uns durch die Ausgrabungen die keilschriftlichen
Originaltexte jetzt wieder zugänglich geworden, auf denen diese
Angaben des Berosus fußen. Abgesehen von einigen kürzeren
poetischen Textstücken, die das gleiche Thema in mehrfachen
Variationen behandeln, ist es hauptsächlich ein großes, auf
sieben Tafeln verteiltes episches Gedicht (vgl. Abb. i), das in
ausführlicher schwungvoller Schilderung die Weltschöpfung be-
handelt. Zwar ist dieses babylonische Weltschöpfungsepos bis
jetzt leider immer noch nicht in ganz vollständigem Zustande
in unsere Hände gelangt. Doch sind gerade neuerdings wieder
beträchtliche Stücke, die bisher noch fehlten, hinzugefunden
worden, so daß die noch bestehenden Lücken sich immer mehr
schließen und die Aussicht immer größer wird, daß in nicht zu
ferner Zeit auch dieses wichtige Literaturstück wieder vollständig
der jahrtausendelangen Verborgenheit abgerungen sein wird.
Der Gang des babylonischen Weltschöpfungsepos ist in kurzen
Strichen folgender:
Am Anfang, ehe Himmel und Erde geschaffen waren,
waren einzig der Urvater Apsü und die Urmutter Tiämat, beides
Personifikationen der Urflut, vorhanden. Da entstehen zuerst
I S. Näheres in KAT^ S. 4S8— S20 und S. 584—586.
Weltschöpfung
13
Abb. I. Anfang der 4. Tafel des babylonischen VVeltschöpfungsepos (mit
Hervorhebung der Halb/:eilcn).
JA Weltschöpfung
aus diesem Urpaare in mehreren aufeinander folgenden Gene-
rationen die Götter. Apsü und Tiämat, in ihrer bisherigen
Ruhe gestört und darum unzufrieden mit diesem veränderten
Zustand, schmieden einen Plan gegen die neuentstandene Götter-
welt. Apsü unterliegt bei diesem Vorgehen. Dagegen führt
Tiämat die Sache um so eifriger fort, erwählt sich in Kingu
einen neuen Gatten und Helfer, zieht einen Teil der Götter auf
ihre Seite und erschafft eine Anzahl von Ungeheuern, die ihr
im Kampfe gegen die Götter als Helfer dienen sollten. Dieser
Kampf und die Vorbereitungen dazu werden nun im weiteren
Verlauf des Stückes ausführlichst geschildert. Die älteren Götter,
Anu und Ea, versuchen zuerst vergeblich, der Tiämat entgegen-
zutreten, kehren vielmehr mutlos und unverrichteter Dinge
wieder zurück. Da erbietet sich zuletzt einer der jüngsten,
Marduk, der Sohn Ea's, den Kampf gegen die Tiämat aufzu-
nehmen, knüpft aber daran die Bedingung, daß ihm, falls er
Sieger bleibt, künftig der oberste Rang unter allen Göttern und
das ausschlaggebende Wort in der Götterversammlung ein-
geräumt werde. In feierlicher Götterversammlung werden Mar-
duk diese Bedingungen zugestanden und wird ihm als künftigem
Götterkönig von den übrigen Göttern gehuldigt. Ausführlich
wird darauf geschildert, wie sich Marduk zu dem bevorstehen-
den Kampfe mit Tiämat mit Waffen rüstet und ihr auf einem
mit vier Rossen bespannten Wagen entgegenfährt. Kingu und
die übrigen Begleiter Tiämat's geraten beim Herannahen
Marduk's in Bestürzung. Sie selbst aber hält Stand und schleudert
ihm trotzige Worte entgegen. Diese nimmt Marduk auf, in-
dem er ihr seinerseits in einer Scheltrede ihre frevelhafte
Empörung vorhält. In dem hierauf folgenden, in den leb-
haftesten Farben geschilderten Kampfe bleibt Marduk Sieger,
durchbohrt der Tiämat den Leib und macht ihr den Garaus.
Darauf wirft er ihren Leichnam hin und stellt sich darauf.
Alsdann wendet er sich gegen die Götter in ihrem Gefolge,
Weltschöpfung ji
bringt auch diese in seine Gewalt und setzt sie gefangen.
Ebenso macht er die Ungeheuer, die sie sich als Helfer er-
schaften hatte, und zuletzt auch den Kingu, ihren Gemahl, un-
schädlich. Dann kehrt Marduk zum Leichnam der Tiämat
zurück, zerschlägt ihn in zwei Teile und bildet aus den beiden
Teilen Himmel und Erde. Von den einzelnen Schöpfungswerken,
die im weiteren Verlaufe des Gedichtes aufgezählt gewesen sein
müssen, sind einstweilen nur Bruchteile, auf die Erschaffung der
Himmelskörper und auf die Menschenschöpfung sich beziehend,
erhalten. Doch lehrt der Hymnus auf Marduk, in den das
Schöpfungsepos ausläuft, im Zusammenhalt mit einigen kleineren
Fragmenten und mit dem Berichte des Berosus, auch jetzt
schon, daß auch die übrigen Schöpfungswerke ausführlich auf-
gezählt und auch sie alle dem Marduk zugeschrieben ge-
wesen sein müssen.
Die Frage, in welchem Zusammenhang die biblische
Schöpfungsgeschichte in Gen. i mit diesem bab)'lonischen
Schöpfungsmythus steht, ist nicht so ganz einfach zu beant-
worten und es haben sich darum auch in den letzten Jahren
eingehende Erörterungen an ihre Beantwortung geknüpft, ohne
dalj bis jetzt volle Übereinstimmung unter den Forschern in
diesem Punkte erzielt worden wäre. Eine Hauptfrage ist dabei
die, ob Gen. i, das in seiner jetzigen Form sehr jung ist und
erst der späten priesterlichen Quelle des Pentateuchs angehört,
nicht doch bereits auf eine in Israel in Umlauf gewesene ältere
Form eines Schöpfungsmythus zurückgeht, die dann dem baby-
lonischen Schöpfungsmythus noch bedeutend näher gestanden
und von diesem im letzten Grunde erst ihren Ausgang genommen
hätte. Diese These hat insbesondere Gunkel^ aufs eingehendste
zu begründen unternommen und der Schreiber dieser Zeilen
bekennt, dalj sie ihm immer noch als die bei weitem wahr-
I Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit, Göttingen 1895.
10 Weltschöpfung
scheinlichste Erklärung der vorliegenden Tatsachen erscheint.
Dabei kommt namentlich auch das in Frage, ob nicht im Alten
Testament selbst noch deutliche Spuren einer solchen älteren
Rezension des Schöpfungsmythus vorliegen. Solche Spuren
wären zu erkennen an mehreren Stellen der poetischen Bücher
des Alten Testaments, ' wo von einem Kampf Jahwe's mit einem
mythischen, drachengestaltigen Wesen die Rede ist, das bald
unter dem Namen Rahab, Leviathan, bald mit der Bezeichnung
Drache, Schlange, bald auch als das personifizierte Urmeer,
Tehöm, auftritt. Hierbei kommt besonders auch noch der
Umstand in Betracht, daß an mehreren der genannten Stellen
unmittelbar hinter der Erwähnung eines solchen Kampfes Jahwe's
mit einem drachenartigen Ungetüm von der Schöpfung der
Welt durch Jahwe gesprochen wird, so daß es nahe liegt,
daraus den Schluß zu ziehen, daß in Israel einst auch eine
Form der Schöpfungserzählung bekannt war, bei der der eigent-
lichen Schöpfung ein Kampf des Schöpfergottes mit dem als
Ungetüm vorgestellten Urmeer vorausging. Da nun in dem
oben mitgeteilten babylonischen Schöpfungsmythus gerade der
Kampf Marduk's mit dem personifizierten Urmeer, der Tiämat,
eine so hervorragende Rolle spielt, und da außerdem Tehöm
dasselbe Wort wie Tiämat ist, nur in spezifisch hebräischer
Gestalt, so liegt es in der Tat sehr nahe, anzunehmen, daß der
babylonische Marduk- Tiämat -Kampf den Ausgangspunkt für
den israelitischen Jahwe-Tehöm-Mythus, wie wir die Sache der
Kürze halber nennen können, gebildet habe. Wir hätten dann
weiter anzunehmen, daß in dem Schöpfungsbericht Gen. i der
ursprünglich auch in Israel bekannt gewesene Kampf des
Schöpfergottes mit der drachengestaltigen Tehöm, weil mit den
geläuterten religiösen Vorstellungen der späteren Zeit nicht
I Insbesondere Jes. 51, 9 f.; Ps. 89, 10 ff. ; Hiob 26, 12 f.; 9, 13'>
Ps. 74, 12 ff. ; Jes. 27,1; — Ps. 104, 5 ff.
Weltschöpfung i y
mehr vereinbar, unterdrückt worden wäre und nur noch in der
Nennung der Tehöm als des Urwassers, über dem der Geist Gottes
schwebt (brütet), eine dunkle Spur zurückgelassen hätte. Dazu
würden sich manche weitere Eigentümlichkeiten des Schöpfungs-
berichtes Gen. I, so die Vorstellung, daß Wasser und Finsternis
am Anfang geherrscht habe, die Schöpfung von Himmel und
Erde durch die Scheidung von oberem und unterem Wasser,
die besondere Betonung der Himmelskörper und ihrer Be-
stimmung vmd anderes recht gut bei der Annahme erklären,
dali Gen. i im letzten Grunde auf den babylonischen Schöpfungs-
mythus zurückginge.
Es soll nun allerdings an dieser Stelle nicht verschwiegen
werden, datj nicht nur von selten mehrerer alttestamentlicher
Forscher, sondern auch von selten eines bekannten Assyriologen,
Jensen, aufs entschiedenste in Abrede gestellt wird, daß die
erwähnten Kämpfe Jahwe's mit den drachengestaltigen Wesen
und der ]\Iarduk-Tiämat-Kampf des babylonischen Schöpfungs-
epos mit einander in Zusammenhang stünden. Speziell von
Jensen wird dabei betont, daß die Tiämat des babylonischen
Schöpfungsmythus überhaupt nicht als ticr- oder gar drachen-
gestaltig vorgestellt werden dürfe und daß darum auch baby-
lonische bildliche Darstellungen, in denen ein Gott im Kampfe
mit einem aus verschiedenen Tierteilen zusammengesetzten Un-
geheuer erscheint, von dem Marduk-Tiämat-Kampfe schlechter-
dings zu trennen und auf eine ganz andere mythologische
Szene zu beziehen seien. Es mag sein, daß in der Tat diese
bildlichen Darstellungen des Kampfes eines Gottes mit einem
Ungeheuer, von denen die bekannteste die auch bei Delitzsch,
Babel und Bibel I S. "^6 abgebildete ist, sich direkt nicht auf
den Marduk-Tiämat-Kampf beziehen. Immerhin bleibt meines
Erachtens sehr mit der ^Möglichkeit zu rechnen, daß es sich
bei diesen bildlichen Darstellungen, wenn auch nicht um ganz
den gleichen, so doch um einen parallelen Mythus zu dem
Zimmern, Keilinschrlften und Bibel. 2
i8
Weltschöpfunt
Marduk-Tiämat-Kampf handelt.^ Besonders beachtenswert sind
dabei noch diejenigen Fälle, in denen, wie z. B. auf Abb, 2
und 3, das vom Gott bekämpfte Wesen Schlangenkopf und
Schlangengestalt aufweist. Ob man auch in der grolJen Schlange,
Abb. 2. Siegelzylinder mit Darstellung eines Drachenkampfes.
die sich auf den sog. Grenzsteinen in der Regel abgebildet
findet (s. Abb. 4), eine an den Himmel versetzte Darstellung
Abb. 3. Siegelzylinder mit Darstellung eines Drachenkampfes.
^ Soviel steht wenigstens durch eine Inschrift Sanheribs (K. 1356) fest,
daß dieser den Kampf Assur's (der hier in Assyrien begreiflicherweise an
Stelle Marduk's erscheint) mit Tiämat am Tore eines assyrischen Tempels
des Namens „Haus des Neujahrfestes" bildlich darstellen ließ. Ich gedenke
über diese bisher nicht recht verstandene Inschrift demnächst an einem
anderen Orte ausführlicher zu handeln; desgleichen über den Text K. 3476,
der, wie es scheint, die Beschreibung eines Festspiels, näher wohl eines
Neujahrsfestspiels enthält, bei dem der König die Rolle Marduk's spielt und
u. a.Kingu, durch ein Schaf repräsentiert, auf einem brennenden Kohlenbecken
verbrannt wird.
\Veltschöpfung
19
— //
'v^
Abb. 4. Sog. Grenzstein aus der Zeit Nebukadnezat's I
(ca. iioo V. Chr.).
20 Weltschöpfung
des gleichen Ungeheuers zu erblicken hat, ist dagegen weniger
sicher.
Endlich muß hier noch eines Gebietes Erwähnung ge-
schehen, auf dem der babylonische Weltschöpfungsmythus aller
Wahrscheinlichkeit nach in weiter Ausdehnung, bis in das Neue
Testament hinein, nachwirkt, nämlich des Gebietes der Apo-
kalyptik. Denn wenn man die Schilderungen eines Kampfes
Jahwe's mit drachenähnlichen Wesen im Alten Testament ihrem
letzten Ursprünge nach aus dem babylonischen Weltschöpfungs-
mythus herleitet, muß man das Gleiche auch mit Gestalten wie
dem „Tiere" in Dan. 7, dem „Drachen" in Apok. Joh. 12 und
an anderen Stellen der Apok. Joh. tun. Speziell zu dem
siebenköpfigen Drachen der Apok. Joh. läßt sich auch bereits im
Babylonischen das entsprechende Vorbild in einer siebenköpfigen
großen Schlange nachweisen. Stammt aber das „Tier", der
„Drache" der Apokalypsen aus der babylonischen Mythologie,
so liegt es auch nahe, in dem Besieger des Tieres, des Drachen,
in dem Menschensohn von Dan. 7, in Michael in Apok. Joh. 12,
in dem Reiter auf weißem Pferd (Christus) in Apok, Joh. 19
Gestalten zu erblicken, die in einer Figur der babylonischen
Mythologie wie Marduk, dem Besieger der Tiämat, ihr Vorbild
haben.
Paradies.'
Einen babylonischen Mythus, der etwa in derselben Weise
wie bei der Sintflut, den Urvätern und der Weltschöpfung als
das Vorbild der biblischen Paradieseserzählung in Gen, 2 und 3
gelten könnte, gibt es bis jetzt wenigstens nicht. Eine viel-
besprochene und in sehr verschiedener Weise gedeutete Dar-
I S. Näheres in KAT^ S. 520—530,
Paradies 21
Stellung auf einem altbabylonischen Siegelzylinder mit zwei
Gestalten zur Seite eines Baumes und einer Schlange hinter
der einen Gestalt mulj vorderhand wenigstens, ehe sich nichts
Sicheres über den dieser Darstellung zu Grunde liegenden M}- thus
feststellen lälJt, für eine Vergleichung mit der Versuchungsszene
in Gen. 3 aus dem Spiele bleiben. Eher kommt der baby-
lonische M}'thus von Adapa für Gen. 2 — 3 in Betracht, ohne
dalJ aber auch hier die Verwandtschaft zwischen dem biblischen
und dem babylonischen Stoffe eine so enge wäre, wie bei der
Weltschöpfung, den Urvätern und der Sintflut. Adapa, ein
Sohn des Gottes Ea, hat von diesem zwar hohe Weisheit, aber
nicht ewiges Leben verliehen bekommen. Wegen einer von
ihm begangenen Gewalttat vor den Himmelsgott Anu zitiert,
hätte Adapa hier Gelegenheit, durch den Genuß von Lebens-
speise und Lebenswasser, die Anu ihm reichen laut, sich die
Unsterblichkeit zu erwerben, er schlägt aber die dargebotenen
Gaben aus und verscherzt sich somit auch ewiges Leben. Die
Berechtigung, den babylonischen Adapa-Mythus zur biblischen
Paradieseserzählung zu stellen, wäre noch größer, wenn sich
— was aber bisher auch noch nicht als sicher gelten kann —
erweisen ließe, daß Adapa dem zweiten babylonischen Urkönig
Alaparos (Adaparos) bei Berosus entspräche, da dadurch auch
der babylonische Adapa-Mythus in die Urzeit des Menschen-
geschlechts gerückt würde.
Ebensowenig wie für die Versuchungsgeschichte lassen sich
für die übrigen in Gen. 2 — 3 enthaltenen Sagenstoffe bis jetzt
sichere babylonische Vorbilder aufweisen, wenn auch bei
einzelnem, wie bei den Paradiesesströmen, den Keruben als
Wächtern am Eingang des Paradieses, in gewisser Weise Paral-
lelen vorhanden sind, wie z. B. auch die in Gen. 2 vorliegende
Erschaffung des Menschen aus Erde durchaus der babylonischen
Anschauungsweise in diesem Punkte entspricht. Daß gerade
die biblische Paradieseserzählung von Gen. 2 — 3 weniger als
22 Paradies
die übrigen urgeschichtlichen Erzählungen in der babylonischen
Literatur ihre genaue Parallele hat, wird übrigens auch damit
zusammenhängen, daß Gen. 2 — 3 kein einheitliches Ganzes dar-
stellt, sondern in diesen Kapiteln mehreres ursprünglich nicht
Zusammengehöriges zusammengekommen ist.
Mit größerer Sicherheit läßt sich dagegen aussagen, daß in
den spätjüdischen Vorstellungen von einem himmlischen Para-
diese, die dann auch in das Urchristentum ihren Eingang ge-
funden haben, mancherlei Babylonisches nachwirkt, insbesondere
die spezifisch babylonischen Vorstellungen vom Himmel. Ebenso
läßt sich die mit dem himmlischen Paradiese ja vielfach kom-
binierte Idee von dem himmlischen Jerusalem mit seinen zwölf
Toren ihrem Ursprünge nach nur von der babylonischen Kos-
mologie aus verstehen. Denn wie das himmlische Jerusalem
im Grunde ein Bild des Himmels selbst darstellt, so erklären
sich die schon bei Ezechiel Kap. 48 genannten zwölf Tore
dieser Stadt und die in der Apok. Joh. Kap. 21 noch hinzu-
gefügten zwölf Engel an diesen zwölf Toren ihrem Ursprünge
nach nur aus dem durch die zwölf in Babylonien heimischen
Sternbilder des Tierkreises zwölfgeteilten Himmel.
Gilgames-Epos.'
In der bis jetzt bekannt gewordenen babylonischen National-
literatur begegnen wir als umfangreichstem, freilich immer noch
erst fragmentarisch vorliegenden mythologischen Stücke einem
von einem Heros Gilgames handelnden Epos. Man hat diese
Gestalt des Gilgames (früher Izdubar gelesen) vielfach mit dem
I S. Näheres in KAT^ S. 566—582.
Gilgamej-Epos
biblischen Nimrod in Gen. 10,8—12 zusammengestellt. Die
iNIöglichkeit eines Zusammenhanges läfJt sich nicht abweisen,
ebensowenig läfit es sich aber bis jetzt auch beweisen, dai-j ein
solcher Zusammenhang tatsächlich besteht. Doch in anderer
Weise scheint das babylonische Gilgames-Epos für Stoffe der
biblischen Tradition mehr und mehr an Wichtigkeit zu gewinnen.
Aus diesem Grunde erscheint es geboten, auch an dieser Stelle
einen kurzen Überblick über seinen Inhalt zu geben.
Gilgames ist Herrscher in der Stadt Uruk.* Seine Herr-
schaft lastet drückend auf den Bewohnern der Stadt. Da er-
schafft die Göttin Aruru auf die Bitte der Leute von Uruk den
Eabani,* damit dieser mit Gilgames auf Abenteuer ausziehe.
Eabani, ein Wesen voller Körperkraft und Sinnlichkeit, haust
anfänglich in der Steppe mit den Tieren zusammen und kann
nur durch allerlei listige Mittel, bei denen die Künste einer Hure
die Hauptrolle spielen, dazu bewogen werden, nach Uruk hinein-
zukommen und sich dem Gilgames als Genosse zuzugesellen.
Vereint unternehmen die beiden einen Zug nach dem Zedern-
berg im Osten, woselbst die Göttin Istar wohnt, von dem
Wächter P umbaba bewacht. Diesen gilt es zu erschlagen, um
zu Istar dringen zu können. Nach schwerem Kampfe gelingt
es auch Gilgames und Eabani , den Humbaba zu töten.
Istar trägt dem aus dem Kampfe siegreich hervorgegangenen
Gilgames ihre Liebe an. Aber Gilgames weist sie zurück, da
sie schon viele Liebhaber gehabt und alle immer nur ins Ver-
derben gestürzt habe. Durch diese Zurückweisung schwer
gekränkt läiJt Istar von ihrem Vater Anu den Himmelsstier er-
schaffen und sendet diesen gegen Gilgames, damit er ihn ver-
nichte. Aber Gilgames und Eabani erschlagen in siegreichem
Kampf den Himmelsstier und erregen dadurch von neuem den
I Biblisch Erech, Gen. lo, lo, eine der Städte Ximrods. 2 Die
Lesung des Namens ist nur konventionell, doch wird sie im folgenden der
Einfachheit halber beibehalten.
24 Gilgames-Epos
Zorn der Istar, die überdies noch von Eabani grausam verhöhnt
wird. Vielleicht im Zusammenhang damit finden wir den Eabani
alsbald von schwerer Krankheit heimgesucht, die schlietJlich zu
seinem Tode führt. Gilgames, durch den Tod seines Gefährten
aufs äufJerste niedergeschlagen, eilt ruhelos durch die Steppe
dahin. Sein Ziel ist dabei, seinen zu göttlichem Leben in die
Ferne an die Mündung der Ströme entrückten Ahn Utnapistim,
den Helden der Sintflut, aufzusuchen. Aber gar schwierig ist
es, dorthin zu gelangen. Zuerst führt der Weg durch die un-
wirtliche Steppe, in der Löwen hausen, sodann durch das
finstere Gebirge Masu, dessen Eingang von den beiden schreck-
lichen Skorpionmenschen bewacht wird, die ihm nur mit Mühe
Durchlaß gewähren. Beim Austritt aus dem Masugebirge
kommt Gilgames zu einem wunderbaren, am INIeere gelegenen
Götterpark, woselbst die Göttin Sabltu, mit einem Schleier ver-
hüllt, auf dem „Thron des Meeres" sitzt. Von ihr erhält Gilgames
Auskunft über den Weg zu Utnapistim und den Rat, sich an
dessen in der Nähe befindlichen Schifter zu wenden, damit
dieser ihn über das ]\Ieer und die ,, Wasser des Todes" zu
Utnapistim fahre. Gilgames folgt diesem Rat, findet den Schifter
und gelangt mit ihm auf dem Schift'e nach allerlei Fährlichkeiten,
die sich insbesondere bei der Fahrt über die „Wasser des Todes"
einstellen, zu Utnapistim. Dieser gibt dem neuen Ankömmling
Aufschlüsse über den Sinn des menschlichen Lebens und er-
zählt ihm auf seine Frage ausführlich die Geschichte der Sintflut
und seine Entrückung an diesen Ort am Ende der Flut. Es
ist das eben der oben im Abschnitt „Sintflut" seinem Inhalte
nach kurz mitgeteilte babylonische Sintflutbericht, der für uns
in diesem weiteren Zusammenhange des Gilgamesepos vorliegt.
Nach Beendigung dieser Erzählung nimmt Utnapistim und sein
Weib an Gilgames allerhand Zaubermanipulationen \'or, die
diesem zu „Leben" verhelfen sollen, was aber doch nur sehr
unvollkommen gelingt. Im Auftrage L^tnapistim's läßt der
Gilgames-Epos 2K
Schiffer den Gilgames am Reinigungsorte sich rein waschen
und schifft sich dann wieder mit ihm ein, um ihn nach seiner
Heimat zurückzubringen. Ein ihm \on Utnapistim genanntes
Wunderkraut findet Gilgames glücklich in der Tiefe des Wassers,
er belegt es mit dem Namen „als Greis wird der Mensch wieder
jung", will es nach Uruk bringen, davon essen und in den Zu-
stand seiner Jugend zurückkehren. Aber unterwegs wird ihm
das Wunderkraut von einer Schlange weggeschnappt. Darüber
natürlich grolJe Wehklage. Schließlich gelangt er aber auch
ohne das Wunderkraut mit dem Schiffer zusammen wieder
nach Uruk. Der SchlulJ des Epos enthält dann noch eine
Schilderung davon, wie Gilgames mittels einer Totenbeschwörung
mit dem Totengeiste seines verstorbenen Freundes Eabani in
Verbindung tritt und von ihm sich über den Zustand des Toten-
reichs Aufschluß geben läßt.
Die im Eingang dieses Abschnittes angedeuteten etwa vor-
handenen Zusammenhänge desGilgamesepos mit biblischen Sagen-
stoffen, die insbesondere Jensen^ neuerdings im Zusammenhang mit
■der Annahme gleichzeitigen Einströmens der Stoffe des baby-
lonischen Gilgamesepos auch in die griechische Sage, in aus-
gedehntem Maße nachzuweisen unternommen hat, beziehen sich
einmal auf die israelitische Vätersage, namentlich auf den
Wüstenzug und die Moses-Josua-Erzählungen; sodann aber auch
auf die Elias- und Elisa-Geschichten; ferner auf die spätjüdischen
Esther-, Judith-, und Tobias-Legenden; endlich auch noch auf
die Geschichte Jesu. Siehe zum letztgenannten Punkte speziell
auch noch unten S. 42 f. Bei der großen Bedeutung dieser
Fragen für die alttestamentliche wie auch für die neutestament-
liche Forschung mußtean dieser Stelle das einmal aufgeworfene
Problem als solches wenigstens namhaft gemacht werden, wenn
I Vgl. dessen vorläufige Mitteilung in der Zeitschr. f. Assyriologie, Bd.
16 (1902), S. 406 ff.
20 Kultgebräuche
auch hier keineswegs der Ort dazu ist, näher in die Verhandlung
über diese äußerst schwierigen und erst noch der gründlichsten
Erörterung bedürftigen Fragen einzutreten.
Über den Sinn und Charakter des babylonischen Gilgames-
epos als Ganzes sei noch bemerkt, daß es sich ziemlich deutlich
als ein Sonnenmythus darstellt, der den Lauf der Sonne durch
die zwölf Zeichen des Tierkreises zum Hintergrunde hat, wobei
dann aber auch historische Ereignisse mit den mythischen und
astralen Ideen vermengt worden sein mögen.
Kultgebräuche'.
Das babylonische Ritual zeigt, wie nicht anders zu erwarten,
einen reichgegliederten Opferkult (vgl. Abb. 5). Dabei finden
sich manche Opfergebräuche, die zwar schlagende Parallelen
zu entsprechenden alttestamentlichen Opfergebräuchen bilden,
die aber trotzdem in keinem historischen Zusammenhang mit
diesen zu stehen brauchen, da sie ebenso auch in anderen
Religionen begegnen und darum vielmehr allgemein mensch-
lichen Ursprungs sein werden. Dahin gehört z. B. die Idee
des Ersatzes eines Menschenopfers durch ein Tieropfer. So
haben wir in babylonischen kultischen Texten Stellen, an denen
vom Priester gesagt wird:^
Das Lamm, den Ersatz für den Menschen, gibt er für dessen Leben,
den Kopf des Lammes gibt er für den Kopf des Menschen,
den Nacken des Lammes gibt er für den Nacken des Menschen,
die Brust des Lammes gibt er für die Brust des Menschen usw.
Oder es heiüt an einer anderen Stelle: 3
I S. Näheres in KAT^ S. 589—591 und S. 594—606. 2 jy R 26
Nr. 6. 3 Cun. Texts XVII 6 Z. 10 ff.
Kultgebräuche
27
äL.'^A ^X^i^.^Jnyf;
M
er
^m^iu,^
h
t ^
.! <
28 Kultgebräuclie
Ein Ferkel gib als Ersatz für ihn (den kranken Menschen),
das Fleisch anstatt seines Fleisches, das Blut anstatt seines Blutes gib
hin und sie (die Götter) mögen es annehmen.
Außerdem begegnen wir aber auch manchen babylonischen
Kultgebräuchen, die gleichfalls in entsprechenden alttestament-
lichen ihre genaue Parallele haben, bei denen es aber, nament-
lich wenn noch dazu die betrefifenden Worte ganz überein-
stimmen, wahrscheinlich ist, dafi die enge Übereinstimmung
auf einem historischen Zusammenhang zwischen der betrefifenden
babylonischen und hebräischen Kultsitte beruht. So liegt es
z. B. auf der Hand, datJ wenn von den judäischen Frauen
Jer. 7, i8; 44, 19 erzählt wird, dafj sie der „Himmelskönigin"
Kuchen (kawiuän) buken, und wenn wir andererseits aus den
babylonischen Texten erfahren, daß der Himmelskönigin Istar
in ihrem Kultus u. a. auch ein als kamänii {kawänu) bezeich-
netes Gebäck dargebracht wurde, die erwähnte hebräische götzen-
dienerische Handlung eine direkte Nachahmung des babyloni-
schen Istarkults darstellt. Desgleichen ergibt sich das Ezech. 8, 14
als eine eingerissene Abgötterei erwähnte Beweinen des Tammuz
durch Klagefrauen als eine genaue Nachahmung des babylo-
nischen Tammuz-Kultes.
Handelt es sich bei den im Vorstehenden genannten Kult-
entlehnungen nur um notorisch ausländische Gebräuche, die
vorübergehend in Israel Eingang gefunden haben, so erhebt
sich aber auch bei einer Anzahl zum eigentlichen israelitischen
Opferritual gehöriger Gebräuche und Ausdrücke die Frage, ob
sie nicht ursprünglich aus Babylonien stammen, wobei eine
Frage für sich ist, ob solche Entlehnung etwa bereits in früher
Zeit oder erst in später Zeit stattgefunden hat. So werden
z. B, im babylonischen Kultus mit Vorliebe zwölf (auch zwei-
mal zwölf oder dreimal zwölf) Brote vor den Göttern aufgelegt
(vgl, Abb. 6), wie ebenso auch im israelitischen Kult (Lev. 24,
5 ff.). Der beim Tieropfer der Gottheit in erster Linie dargebrachte
\
Kultgebräuche
29
Teil ist im babylonischen Kult ein Stück der rechten Seite
des Tieres (Schafes) und zwar wahrscheinlich die rechte Keule.
Ebenso gehörte im israelitischen Opferkult speziell die rechte
Keule des Opferschafs, ursprünglich wenigstens, zu den für
Jahwe zu \erbrennenden Cpferstücken, wurde später dann aller-
f,rt-_
>
Abb. 6. Ritualtext K. 3272 etc. mit Erwähnung von 3 nia. i.
legten Broten.
dings zu einem Priesterdeputat. — Die technische Bezeichnung
für „sühnen" im israelitischen Kult ist kipper. Das gleiche
Wort, kiippicru, ist auch im babylonischen Kultus das übliche
Wort für die sühnende Reinigung im Sühneritual. Dabei ist
im Babylonischen noch deutlich, daß dieses Wort eigentlich
„abwischen" (von Schmutz) zum Zwecke der kultischen Reini-
90 Kultgebräuche
gung bedeutet, wie denn das Wort im Babylonischen auch
noch außerhalb der Kultussprache in der gewöhnlichen Be-
deutung „abwischen" (z. B. von Tränen) vorkommt. Gerade
der Umstand, daß dieses Wort kipper im Hebräischen nur in
der speziell kultustechnischen Bedeutung „sühnen" begegnet,
macht es wahrscheinlich, daß das Wort, und damit dann voraus-
sichtlich auch ein Teil der Sache, im Hebräischen nicht heimisch,
sondern erst aus dem Babylonischen entlehnt ist, — Ganz Ent-
sprechendes gilt auch für die hebräische Bezeichnung qiddas
für „heiligen, weihen" in ihrem Verhältnis zu babylonisch
quddusu in derselben Bedeutung und mit dem gleichen kultus-
technischen Gebrauch. — Weniger sicher, wenn auch aus
manchen Gründen erwägenswert ist, ob auch die beiden im
Alten Testament eine so grofje Rolle spielenden Worte bent
„Satzung, Bund" und töra „göttliche Kundtuung, Gesetz" im
babylonischen Ritual ihre Parallele und vielleicht gar ihren
letzten Ursprung haben.
Sabbat'
Die vorliegenden Tatsachen sind folgende: i. An mehreren
Stellen der einheimischen babylonisch -assyrischen Vokabulare
wird ein bestimmter Feiertag mit dem Namen sabattn aufge-
führt und dieser einmal auch ausdrücklich als „Tag der Be-
ruhigung des Herzens" (nämlich der erzürnten Götter) bezeichnet,
demnach als eine Art Bufj- und Bettag. 2. Aus den einheimi-
schen babylonisch-assyrischen Festkalendern ist zu ersehen, daß
der 7., 14., 21. und 28. Tag der (dreilJigtägigen) Monate, ferner
der 19. Tag (d. i. der ^XJ. Tag des vorhergehenden Monats)
I S. Näheres in KAT^ S. 592 — 594.
Sabbat 3I
einen von den übrigen Tagen des Monats stark abstechenden
Charakter trugen. Die Bestimmungen über diese Tage, die
ausdrücklich als „böse Tage" bezeichnet werden, lauten:
Der Hirt der zahlreichen Menschen soll Fleisch, das auf Feuer gekocht
ist, gesalzenes Brot nicht essen, das Gewand seines Leibes nicht wechseln,
ein helles Kleid nicht anziehen, ein Opfer nicht darbringen. Der König soll
den Wagen nicht besteigen, als Herrscher i keinen Ausspruch tun. Ein
Orakelpriester soll im Adyton einen Bescheid nicht geben, ein Arzt an einen
Kranken die Hand nicht legen. Einen Wunsch auszuführen 2 ist er (nämlich
der Tag) nicht geeignet. In der Nacht soll der König (die und die Opfer
darbringen), so wird sein Gebet bei Gott genehm sein.
Daß die unter No. 2 genannten 7., 14., 21., 28., sowie 19.
Tage eines Monats den unter No. i erwähnten Namen sabattu
getragen hätten, ist allerdings bis jetzt noch nicht zu belegen.
Die Folgerungen, die sich aus den vorstehenden Tatsachen
mit größerer oder geringerer Sicherheit ergeben, sind diese:
1. Der hebräische Name Sabbat kann nicht von dem assyri-
schen sabattu getrennt werden, sondern es handelt sich in beiden
Fällen um dasselbe Wort zur Bezeichnung eines Feiertags.
2. Es ist wahrscheinlich, daß das hebräische Wort Sabbat im
Hebräischen nicht einheimisch, sondern daselbst ein altes Lehn-
wort aus dem babylonischen sabattu ist; in diesem Falle könnte
die eigentliche Grundbedeutung des Wortes Sabbat auch nur
aus dem Babylonischen mit Sicherheit entnommen werden,
nicht aus dem Hebräischen. 3. Es ist wahrscheinlich, daß im
Babylonischen sabattu nicht nur im allgemeinen eine Bezeichnung
für einen Bußtag ist, sondern daß auch speziell der 7., 14., 21.,
28., sowie auch der 19. Tag eines Monats als solche sabattu' s
zu gelten haben. 4. Trifft diese unter No. 3 genannte An-
nahme zu, so kann auch die Institution des israelitischen
I Delitzsch' Fassung der Zeichengruppe als „die Priesterin" ist im Hin-
blick auf Parallelstellen unmöglich. 2 Delitzsch' Fassung des be-
treffenden Zeichens als „(zu) irgendwelchem (Anliegen)" ist im Hinblick auf
Parallelstellen unmöglich.
32 Sabbat
Sabbats nicht von dieser babylonischen Feier des je 7. Tages
eines Monats getrennt werden, 5. Eine weitere noch offene
Frage wäre dann die, ob eine solche Feier eines Sabbats in
Israel und in Babylonien auf eine gemeinsame Ausgangsquelle
zurückginge, oder ob es sich in Israel um eine alte, vielleicht
durch die Kanaanäer vermittelte Entlehnung dieser Institution
aus Babylonien handelte. 6. Ob ursprüngliche Entlehnung vor-
liegt oder nicht: jedenfalls trägt die israelitische Sabbatfeier,
so wie sie uns im Alten Testament entgegentritt, einen vom
babylonischen sabattiL und von der babylonischen Feier des je
7. Monatstages stark verschiedenen Charakter und mülite auch
im Falle der Entlehnung dieser Institution aus dem Babyloni-
schen angenommen werden, daß sie sich dann innerhalb Israels
ganz eigenartig weiter entwickelt hätte, dalj z. B. das Unter-
lassen der Arbeit am Sabbat in Israel einen ganz andern Sinn
bekommen hätte als in Babylonien, wo die Vermeidung der
Vornahme gewisser Handlungen an diesen Tagen vielmehr dar-
um geschah, weil diese Tage als Unglückstage betrachtet
wurden, an denen eine Handlung nicht glückte. Desgleichen
müßte die israelitische Feier des je 7. Tages durch das ganze
Jahr hindurch, unabhängig vom Monatsanfang, als eine eigen-
artige Umgestaltung der babylonischen Institution angesehen
werden, wo diese Loslösung der Feier des je 7. Tages vom
Monat sich bis jetzt wenigstens noch nicht belegen läßt.
Hymnen und Gebete, Polytheismus/
In der Art und Weise, wie sich die babylonische Religion
in ihren uns wieder zugänglich gewordenen Literaturdenkmälern
äußert, zeigt sich ein merkwürdiger Kontrast: Auf der einen
I S. Näheres in KAT-^ S. 607 — 612.
Hymnen und Gebete, Polytheismus ^3
Seite krassester Aberglaube, Wahrsagerei und Beschwörungs-
wesen in vollster Blüte, und zwar nicht etwa bloli als mehr
oder weniger geduldete Überbleibsel aus einer älteren über-
wundenen Religionsstufe, sondern bis in die letzten Zeiten des
assyrischen und babylonischen Reiches als unentbehrliche und
hochangesehene Zweige der offiziellen Staatsreligion betrachtet;
auf der anderen Seite eine reichhaltige Literatur von Götter-
hymnen und Gebeten, die relativ recht hohe Vorstellungen von
der Gottheit aufweisen und die sich besonders auch durch die
starke Betonung des Sünden- und SchuldbewulJtseins, das den
Menschen gegenüber der Gottheit erfüllt, auszeichnen. Nament-
lich in letzterer Hinsicht klingen diese sogenannten babyloni-
schen BulJpsalmen oft merkwürdig an alttestamentliche Psalmen
an und es ist sehr im Auge zu behalten, wenn auch einstweilen
noch nicht sicher zu erweisen, ob nicht zwischen der alttesta-
mentlichen und der babylonischen Psalmenliteratur ein wirk-
licher historischer Zusammenhang besteht, der aus einer Be-
rührung der babylonischen mit der israelitischen Religion, sei
es in der älteren oder in der jüngeren Zeit, zu erklären wäre.
Auch die rein formale Seite der babylonischen und der hebrä-
ischen Psalmen, der sogenannte Parallelismus der Versglieder
(Halbzeilenj, ' wie der rhythmische Aufbau im einzelnen legen
es nahe, an einen historischen Zusammenhang zwischen der
hebräischen und der babylonischen Poesie zu denken. Jedoch
ist gerade bei einer Vergleichung der hebräischen und der
babylonischen Psalmenliteratur auch wieder große Vorsicht ge-
boten, da die Gefahr vorliegt, da£> um gleichartiger Ausdrucks-
weise willen die wirklichen Übereinstimmungen überschätzt
werden. So können und werden tatsächlich z. B, Ausdrücke
wie „Sünde begehen", vom Menschen ausgesagt, „Sünde ver-
geben", von der Gottheit ausgesagt, in der babylonischen
I Vgl. auch die Schreibung in Halbzeilen auf dem zum Schöpfungsepos
gehörigen Texte oben S, 13 Abb. i.
Zimmern; Keilinschrlften und Bibel. -i
■3^ Hymnen, und Gebete, Polytheismus
Religion nicht ganz den gleichen Sinn wie in der israelitischen
gehabt haben. Insbesondere wird daran festzuhalten sein, da(5
sich der Begriff der Sünde in der babylonischen Religion weit
mehr als in der israelitischen auf die Verletzung kultischer,
ritueller Vorschriften, als auf die Nichtbeobachtung allgemeiner
sittlicher Normen bezieht, wenn auch das letztere bei den Baby-
loniern keineswegs fehlt. — Endlich möge an dieser Stelle aus-
drücklich darauf hingewiesen werden, daß auch die schönsten
und edelsten Erzeugnisse der babylonischen Hymnen- und Ge-
betsliteratur durchweg noch auf der Stufe des Polytheismus
stehen, auch wenn einzelne dieser Hymnen durch die über-
schwängliche Erhebung desjenigen Gottes, an den sie gerichtet
sind, über alle anderen Götter, äußerlich mehrfach einen mono-
theistischen Anstrich aufweisen. Übrigens zeigt sich die gleiche
Erscheinung auch auf anderen Gebieten, so in den Personennamen^
und in Götterlisten, wo gleichfalls in älterer wie in jüngerer
Zeit von wirklichem Monotheismus nicht die Rede sein kann,
sondern höchstens das angenommen werden kann, daß in spät-
babylonischer Zeit, eventuell sogar hier bereits unter dem Ein-
fluß außer-babylonischer Religionen, unter der Priesterschaft
der Stadt Babylon Bestrebungen sich zeigten, die dahin gingen,
in allen übrigen Göttern des babylonischen Pantheons nur eine
Manifestation Marduk's, des Stadtgottes von Babylon, zu er-
blicken.^
^ Über das Vorkommen dts Namens Jahwe in Personennamen aus der
Hammurabi-Zeit, das in der letzen Zeit im Anschluß an Delitzsch' Vortrag
so viel von sich reden gemacht hat, sei hier nur so viel bemerkt, daß es mir
nach wie vor sehr fraglich ist, ob in den betreffenden Elementen yß-"-/"/, /<?-
PI. ja-tc—itm der Gottesname Jahwe oder auch nur ein Wort gleichen Stammes
mit diesem Gottesnamen enthalten ist. S. Näheres, auch über das sonstige
Vorkommen des Namens Jahwe in den Keilinschriften, in KAT'^ S. 465 — 468.
2 So im Hinblick auf den von Delitzsch, Babel u. Bibel I S. 49 erwähnten,
neuerdings vielfach erörterten Text, wo ich, im Gegensatz zu dem von mehreren
Seiten gemachten Vorschlag, in dem Namen „Marduk" hier nur eine appella-
Hymnen und Gebete, Polytheismus ^5
Im Folgenden möge nun, da auf diese Weise am besten
eine Anschauung von der babylonischen Hymnenliteratur, ihren
Schönheiten und auch ihren Schranken gegeben werden kann,
ein solcher bab}'lonischer Hymnus seinem vollen Wortlaute nach
mitgeteilt werden. Es ist dies ein erst neuerdings bekannt ge-
wordener Hymnus an die Göttin Istar, ^ der es aus mehreren
Gründen verdient, hier vor andern gewählt zu werden, einmal,
weil es einer der wenigen größeren babylonischen Hymnentexte
ist, die uns bis jetzt vollständig, nicht nur in fragmentarischem
Zustand, wie so viele, vorliegen, sodann auch deshalb, weil er
in besonders anschaulicher Weise beides mit einander vereinigt,
den Hymnus auf die Gottheit und das an diese gerichtete
Bußsebet.
Ich flehe zu dir, Herrin der Herrinnen, Göttin der Göttinnen,
Istar, Königin aller Wohnstätten, Leiterin der Menschen !
Irnini2, du bist gepriesen, bist groß unter den Igigi'^,
bist gewaltig, bist Herrscherin, dein Name ist grolx
5 D u bist die Leuchte von Himmel und Erde, streitbare Tochter Sin's,
führst die Waffen, veranstaltest den Kampf;
erteilst alle Befehle, bekleidest dich mit der Herrscherkrone,
o Herrin, herrlich ist deine Größe, über alle Götter erhaben.
Du schaffst Wehklagen, bringst in Streit friedliche Brüder,'
lo gewährest Fesselung.
Du fesselst, Herrin der Niederwerfung, stoßest nieder, die an mir übel tun ;
Gusea2, die mit Kampf gerüstet, mit Schrecken bekleidet ist.
Du vollführst Gericht und Entscheidung, dasGesetzvonErde undHimmel;
Götterkammern, Kapellen, Tempel und Heiligtümer achten auf dich!
tivische Bezeichnung für „Gott" zu erblicken, ähnlich wie bei Bei und Istar,
doch dabei bleiben möchte, daß hier die verschiedensten Götter des baby-
lonischen Pantheons in der Weise mit Marduk gleichgesetzt werden, daß die
gOnst jenen zugehörigen Epitheta einfach auf Marduk übertragen werden.
I Veröffentlicht und übersetzt von L. W. King in dessen The Seven
Tablets of Creation, London 1902, Vol. I. p. 222 — 236 und Vol. II p. 75—84.
2 Beinamen der Istar. 3 Bezeichnung für die Gesamtheit der Götter.
3*
}iß Hymnen und Gebete, Polytheismus
15 Wo (gilt) nicht dein Name, wo nicht dein Gebot?
wo sind deine Bilder nicht gebildet, wo deine Tempel nicht gegründet?
wo bist du nicht groß, wo du nicht erhaben?
Anu, Bei und Ea haben dich erhoben, unter den Göttern deine Herr-
schaft groß gemacht;
haben dich erhöht, in der Gesamtheit der Igigi deine Stelle hervorragend
gemacht.
20 Beim Gedenken an deinen Namen zittern Himmel und Erde,
die Götter zittern, es beben die Anunnaki,
auf deinen furchtbaren Namen haben acht die Menschen.
Du bist groß und bist erhaben;
dieGesamtheitderSchwarzköpfigen^dasGewimmel der Menschen huldigt
deiner Macht.
25 Die Sache der Mannen in Recht und Gerechtigkeit richtest du, ja du;
blickst auf den Mißhandelten und Zerschlagenen, bringst sie zurecht täglich.
Ach daß du doch endlich, Herrin Himmels und der Erde, Hirtin der
angesiedelten Menschen !
Ach daß du doch endlich, o Herrin von Eanna, 2 dem heiligen, dem
herrlichen Vorratshaus !
Ach daß du doch endlich, o Herrin, deren Füße nicht rasten, deren Kniee
hurtig sind!
30 Ach daß du doch endlich, Herrin der Schlacht, aller Kämpfe!
Herrliche, wütende unter den Igigi, Unterjocherin zürnender Götter;
mächtige über alle Fürsten, die du ergreifst die Zügel der Könige.
Die du öffnest die Banden (?) von allen Frauen;
die du erhaben, festgegründet bist, gewaltige Istar, groß ist deine Macht!
35 Leuchtende Fackel von Himmel und Erde, Glanz aller Wohnstätten;
zornig im unwiderstehlichen Angriff, stark im Kampf!
Brandfackel, die gegen die Feinde aufflammt, die den Kriegern Ver-
derben bringt,
wütende Istar, die die Scharen zusammenschart!
Göttin der Männer, Gottheit der Frauen, deren Ratschluß niemand versteht !
40 Wo du hinschaust, wird der Tote lebendig, steht der Kranke auf,
kommt der Verwirrte zurecht, da er auf dein Antlitz schaut.
Ich, ich schreie zu dir, hinfällig, seufzend, dein schmerzerfüllter Knecht.
Schau auf mich, meine Herrin^, nimm an mein Seufzen!
» Bezeichnung für die Menschen. 2 Name des Istartempels von
Uruk (Erech). 3 „Meine Herrin", Beäl, wird geradezu Eigenname
für Istar, ähnlich wie Madonna für Maria.
Hymnen und Gebete, Polytheismus Vj
Treulich blick auf mich, höre auf mein Flehen!
45 ,Ach daCi ich doch endlich!* sprich aus und dein Gemüt erweiche sich!
Ach dat doch endlich mein zerschlagener Leib, der voll ist von Störungen
und Wirrnissen;
ach daß doch endlich meine schmerzerfüllte Seele, die voll ist von Tränen
und Seufzern!
Ach dat doch endlich meine zerschlagenen Eingeweide, die gestört und
verwirrt sind;
ach dat doch endlich mein bedrängtes Haus S das erschüttern die Tränen ;
50 ach daß doch endlich mein Gemüt, das gesättigt wird von Tränen und
Seufzern !
Irnini, wütender Löwe, dein Herz beruhige sich;
zorniger Wildochs, dein Gemüt erweiche sich !
Deine schönen Augen seien auf mich gerichtet,
mit deinem lichten Antlitz blick gnädig auf mich, ja mich!
55 Vertreib die Hexerei, das Böse in meinem Leibe, dein helles Licht möge
ich schauen!
Wie lange, meine Herrin, sollen meine Widersacher böse auf mich blicken,
in Auflehnung und Ungerechtigkeit Feindseliges planen,
soll mein Verfolger, mein schadenfroher Feind gegen mich wüten?
Wie lange, meine Herrin, soll der über mich kommen.
60
dalj die Schwachen stark wurden, ich schwach wurde.
Ich woge wie eine Hochflut, die ein schlimmer Wind erregt hat,
es fliegt, es flattert mein Herz wie ein Vogel des Himmels.
Ich klage wie eine Taube, Nacht und Tag,
65 ich bin verstört, und weine qualvoll;
in Weh und Ach ist schmerzvoll mein Gemüt.
Was habe ich getan, mein Gott und meine Göttin, ich ?
Als ob ich meinen Gott und meine Göttin nicht gefürchtet, ergeht es mir.
Esist über mich gekommen Krankheit, Siechtum, Verderben undVernichtung;
70 es ist über mich gekommen Unglück, Abwendung des Antlitzes und Fülle
von Zorn,
Wut, Groll, Grimm von Göttern und Menschen.
Ich muß sehen, o meine Herrin, düstere Tage, finstere Monate, Jahre des
Unglücks ;
ich muß sehen, o meine Herrin, ein Gericht der Verwirrung und Empörung;
es bringt mich zu Ende Tod und Ungemach.
I Bildlich für „Körper".
^8 Hymnen und Gebete, Polytheismus
75 Verwüstet ist mein , verwüstet ist mein Hausheiligtum,
über mein Haus, Tor und Gefild ist Verödung ausgegossen.
Mein Gott: nach einem andern Orte ist sein Angesicht hingewendet,
aufgelöst ist meine Sippe, meine Hofmauer zerbrochen.
Es merken auf dich, meine Herrin, es sind auf dich gerichtet meine Ohren,
80 ich flehe zu dir, ja zu dir, löse meinen Bann!
Löse meine Schuld, meine Missetat, meinen Frevel und meine Sünde;
vergib meinen Frevel, nimm an mein Seufzen!
Lockre meine Brust, schaffe mir Unterhalt;
leite recht meine Schritte, daß ich prächtig, herrlich bei den Menschen
meinen Weg gehe!
85 Befiehl und auf deinen Befehl sei der zürnende Gott wieder gnädig,
möge die Göttin, die grollte, sich wieder zuwenden!
Mein finstres, rauchendes Kohlenbecken leuchte,
meine ausgelöschte Fackel werde angezündet !
Meine aufgelöste Sippe sammle sich wieder,
90 mein Hof werde weit, mein Stall dehne sich aus!
Nimm an mein Niederwerfen auf das Antlitz, hör auf mein Gebet,
blick gnädig auf mich, (nimm an mein Flehen)!
Wie lange, meine Herrin, zürnst du, ist abgewandt dein Antlitz;
wie lange, meine Herrin, bist du grimmig, ist zornig dein Gemüt?
95 Wende wieder zu deinen Nacken, das Wort der Gnade, das du verstoßen,
setze wieder vor dich!
Wie die auflösenden Wasser des Flusses werde dein Gemüt aufgelöst!
Meine Feinde möge ich wie den Erdboden niedertreten,
meine Hasser unterwirf mir und laß sie zu Boden sinken unter mir!
Mein Gebet und mein Flehen möge zu dir gelangen,
100 dein großes Erbarmen werde mir zu Teil!
Die mich erblicken auf der Straße, mögen großmachen deinen Namen,
und ich möge bei den Schwarzköpfigen deine Gottheit und deine
Macht verherrlichen !
Istar ist großl Istar ist Königin!
Meine Herrin ist groß! Meine Herrin ist Königin!
105 Irnini, die gewaltige Tochter Sin's, hat keinen Rivalen!
Der Christus, Jesus ^g
Der Christus, Jesus.
Die Probleme, um die es sich hier, soweit Assyriologisches
in Betracht kommt, handelt, lassen sich etwa in folgende Fragen
zusammenfassen: i. Weist das spätjüdische und das urchrist-
liche Messiasbild u. a. solche Züge auf, die sich nicht
aus innerjüdischer Gedankenentwicklung oder aus der histo-
rischen Person Jesu erklären lassen, sondern vielmehr auf eine
aulJerjüdische orientalische Mythologie als ihre Quelle führen?
2. Kommt, falls die erste Frage zu bejahen ist, hier nur eine
auf später Religionsmischung beruhende Form von orientali-
scher Mythologie in Betracht, bei der sich nicht mehr zwischen
ursprünglich etwa ägyptischen oder persischen oder babyloni-
schen l:5estandteilen scheiden lälit, oder lassen sich doch noch
mit einiger Wahrscheinlichkeit wenigstens einerseits die ägyp-
tischen, andererseits die babylonisch-persischen zu Grunde liegen-
den Ideen erkennen? 3. Enthält das Leben Jesu, wie wir es bei
den Synoptikern und auch im Johannesevangelium finden, etwa
Sagenstoffe, die ihrem letzten Ursprünge nach aus der babyloni-
schen Heldensage herrühren?
Eine definitive Antwort lälJt sich bis jetzt noch auf keine
dieser die schwierigsten Probleme der orientalischen Religions-
geschichte berührenden Fragen geben. Doch sind die Fragen
einmal vorhanden und werden sich nicht so leicht wieder von
der Tagesordnung absetzen lassen. Es ist darum auch am
Platze, diese Probleme in dieser Broschüre zu erwähnen; doch
sei ausdrücklich nochmals hervorgehoben, dalJ von einer end-
gültigen Lösung dieser Probleme noch keine Rede sein kann,
die Erörterung über sie vielmehr noch in den ersten Anfängen
steht. Ich selbst habe namentlich den beiden ersten Fragen
mein Augenmerk zugewandt und insbesondere in Schrader's Die
AQ Der Christus, Jesus
Keilinschriften und das Alte Testament 3. Aufl. S. S77 — 394»
worauf auch für alle Einzelheiten verwiesen werden mufj,, die
etwa vorhandenen Beziehungen zwischen Christologie und baby-
lonischer Mythologie eingehend behandelt\ Darnach erscheint
es mir wenigstens sehr envägenswert, zu fragen, ob nicht in
den folgenden christologischen Vorstellungen Nachwirkungen
babylonischer mythologischer Gedanken, teilweise vielleicht erst
durch das Medium des Parsismus hindurchgegangen, und auch
kombiniert mit ägyptischen Mythologemen, vorliegen: a) in der
Vorstellung von dem Christus als einem vorweltlichen, himm-
lischen, göttlichen Wesen, das zugleich der Weltschöpfer ist;
b) in den Erzählungen von der wunderbaren Geburt des Christus,
sowie von den Ehrungen und Nachstellungen, die das neugeborene
Christuskind erfährt; c) in der Vorstellung von dem Christus
als dem Welterlöser und Bringer einer neuen Zeit, der in der
„Fülle der Zeit'' erscheint; d) in der Idee von dem Christus
als dem von seinem göttlichen Vater in die Welt Gesandten;
e) in der Idee vom Leiden des Christus, soweit hier nicht
historische Tatsachen aus dem Leben Jesu in Betracht kommen;
f) in der Idee vom Tode des Christus, soweit diese sich nicht
aus der historischen Tatsache des Todes Jesu erklärt; g) in
dem Dogma von der Höllenfahrt des Christus; h) in dem Dogma
von der Auferstehung des Christus und zwar nach drei Tagen
oder am dritten Tage nach seinem Tode; i) in dem Dogma
von der Himmelfahrt des Christus und zwar nach vierzig Tagen;
k) in der Vorstellung von der Erhöhung des Christus, seinem
Sitzen zur Rechten Gottes und seiner Königsherrschaft im
Himmelreich; 1) in der Lehre von dem Kommen (Parusie) des
Christus vom Himmel am Ende der Tage als Welterlöser in
I Vgl. außerdem jetzt vor allem H. Gunkel's Schrift Zum religionsge-
schichtlichen Verständnis [des Neuen Testaments, Göttingen 1903, worin
Gunkel u. a. auch die christologischen Probleme im größeren religionsgeschicht-
lichen Zusammenhange behandelt.
Der Christus, Jesus aj
Verbindung mit seinem letzten Entscheidungskampf gegen die
bösen Mächte, die um jene Zeit mit besonderer Gewalt her-
vortreten; m) in der Idee von der Hochzeit des Christus beim
Beginn der neuen Zeit, des neuen Himmels und der neuen
Erde. — Der religionsgeschichtliche Entwickelungsgang wäre
bei einem Zusammenhange zwischen babylonischer Mythologie
und Christologie, vorausgesetzt, dalj ein solcher hier überhaupt
besteht, so zu denken, daß solches, das ursprünglich von ge-
wissen babylonischen Göttergestalten, insbesondere Lichtgöttern,
wie Marduk, Samas, Sin, Istar, Nergal u. s. w. ausgesagt wurde,
in gewissen Kreisen des Spat-Judentums, und zwar möglicher-
weise erst durch das Medium des Parsismus hindurch, und
auch kombiniert mit ägyptischen Ideen, auf die Gestalt des
Messias und weiter im Urchristentum auf Jesus von Nazareth
übertragen worden wäre. Für die obigen Punkte a — m würde
aus der babylonischen Mythologie etwa folgendes in Betracht
kommen: a) die Rolle Marduk's, des Sohnes Ea's, als Welt-
schöpfers; b) die der Kindheitsgeschichte Mose's nahestehende
Sage von der Geburt und Kindheit Sargon's L, desgleichen die
Sage von der Geburt des babylonischen Königs Gilgamos bei
Aelian; c) die Rolle Marduk's als Heilgottes in allen Krank-
heiten und Lösers jeglichen Bannes; dazu ferner die bereits
fürs Babylonische nachweisbare Gestalt des „Erlöser-Königs",
der die neue Zeit inauguriert; endlich die gleichfalls schon in
Babylonien vorhandene Idee von der „Erfüllung der Zeiten";
d) die Rolle Marduk's als des von seinem Vater Ea jeweils zur
Hilfeleistung bei den Leiden der Menschheit Gesandten; e) die
Mythen, die sich in der babylonischen Mythologie an die zeit-
weilige Verdunkelung der astralen Lichtgottheiten, insbesondere
des Sin (Mondgott), des Samas (Sonnengott) und der Istar
(Göttin des Planeten Venus und des Siriussternes) knüpfen; f) die
Mythen, die sich in der babylonischen Mythologie an das völlige
Verschwinden der gleichen Gottheiten knüpfen und die in der
A2 Der Christus, Jesus
Idee vom „Sterben" dieser Götter zum Ausdruck kommen; g) das
Hinabsteigen der babylonischen astralen Lichtgottheiten zur
Zeit ihrer Unsichtbarkeit in das Totenreich unter der Erde;
h) das „Aufstehen" Marduk's am Neujahrsfeste zur Zeit der
Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche; dazu die Zeit von drei Tagen,
während derer der (Frühjahrs-)Neumond unsichtbar ist; i) das
Hinaufsteigen der Lichtgottheiten zum Himmel, als Gegensatz
zu ihrem Hinabsteigen zur Unterwelt; dazu vielleicht die vierzig-
tägige Zeit der Unsichtbarkeit der Plejaden im Frühjahr; k) die
Rolle Marduk's, des jungen Lichtgottes, der über alle andern
Götter zum König erhoben wird; 1) der in der babylonischen
Mythologie in der Urzeit, vor der Weltschöpfung, stattfindende
siegreiche Kampf Marduk's gegen Tiämat und ihre Gefolg-
schaft; m) die Hochzeit des Marduk mit der Sarpanitu am
Neujahrsfeste, dem Feste der Erschaffung von Himmel und
Erde.
Sollten die im Vorstehenden vermutungsweise aufgestellten
Zusammenhänge zwischen babylonischer Mythologie und Christo-
logie im ganzen oder zum Teil sich wirklich bestätigen, so
würde gleichwohl zu beachten sein, dalj es sich dabei nicht
um eine einfache Übernahme mythologischen Materials handeln
würde, sondern dalJ schon im Judentum und vollends im Ur-
christentum solches ursprünglich aus polytheistischer Religion
stammende mythologische Material eine ganz eigenartige cha-
rakteristische Umbildung erfahren hätte und mit völlig neuen
urchristlichen Ideen verknüpft worden wäre.
Was die oben S. 39 aufgeführte dritte Frage betrifft, so ist
diese neuerdings von P.Jensen in Zeitschr. f. Ass. Bd. XVI, S. 41 1
aufgeworfen und eine eingehende Untersuchung darüber von ihm
in Aussicht gestellt worden. Die vorläufige These Jensen's, die
sich hierauf bezieht, lautet dahin, dalj das Leben Jesu in wesent-
lichen Stücken die Geschichte eines israelitischen Gilgames sei,
und daß die alttestamentlichen Geschichten ähnlichen Ereignisse
Taufe und Abendmahl a-j
im Leben Jesu nicht auf jene zurückgingen, sondern nur
Parallelen dazu seien, die einem selbständigen System der „Pro-
pheten- und Erlöser-Legende" angehörten. — Es ist hier nicht
der Ort, in eine Diskussion über diese sehr weitgreifenden
Fragen einzutreten, zumal der eigentliche Beweis für diese These
von ihrem Urheber erst in Aussicht gestellt ist. Doch mulite
dieser Sache Erwähnung geschehen zur Charakterisierung der
Lage, in der sich die Forschung gegenwärtig auf diesem Ge-
biete befindet.
Taufe und Abendmahl.
Bei der christlichen Taufe und dem Abendmahl ist die
neuere theologische Forschung mehr und mehr zu der Erkenntnis
gelangt, daß beide Institutionen ihrem Ursprünge und ihrem
Charakter nach nur dann einigermalJen befriedigend erklärt
werden können, wenn man der Vorgeschichte nachgeht, die
diese beiden Sakramente bereits im Judentum zur Zeit Christi
oder genauer gesagt in gewissen Kreisen des Judentums in jener
Zeit gehabt haben. Und zwar kommen für die christliche Taufe
bestimmte, in jenen jüdischen Kreisen damals übliche Wasser-
riten in Betracht, wie sie z. B. auch in der Johannistaufe vor-
liegen; für das Abendmahl gewisse in jenen Kreisen geltende
Vorstellungen von einem Paradiesesmahle, einem messianischen
Endmahle. Doch hat man weiter gesehen, da(i auch im Juden-
tum diese eigenartigen Wasserriten, wie die besonderen Vor-
stellungen, die sich an das Paradiesesmahl als eines Mahles der
Unsterblichkeit knüpfen, schwerlich einheimisch sind, vielmehr
aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer aulJerjüdischen orien-
talischen Religion in das Judentum erst eingedrungen sind,^
* Vgl. speziell für das Abendmahl namentlich A. Eichhorn, Das Abend-
44
Taufe und Abendmahl
wobei man von vornherein am ersten wieder an die persische
oder babylonische Religion denken möchte.
Speziell für die christliche Taufe ist das Problem, soweit
Babylonisches in Betracht kommt, dieses: Besteht in der im
vorstehenden angedeuteten Weise ein religionsgeschichtlicher
Zusammenhang zwischen der christlichen Taufe, bezw. der
Johannistaufe als ihrer Vorläuferin, und den Wasserriten, wie
sie in der babylonischen Religion namentlich im Kult des Gottes
Ea und seines Sohnes Marduk eine sehr wichtige Rolle spielen?
Hat ferner das Taufen „im Namen" Jesu einen religions-histo-
rischen Zusammenhang mit der magischen Anwendung des
„Namens" Ea's und Marduk's bei jenen babylonischen Riten?'
— Für das Abendmahl andrerseits lautet die Frage so: Hat die
eine Seite des Abendmahls, wonach es von Anfang an auch
als Mahl der Unsterblichkeit, als Speise und Trank zum ewigen
Leben gilt, einen religionsgeschichtlichen Zusammenhang mit
der babylonischen Idee von der Lebensspeise und dem Lebens-
wasser?^ — Auch hierbei würde aber, wenn auch diese Fragen
im bejahenden Sinne zu beantworten wären, wieder daran fest-
zuhalten sein, daÜ die ursprünglich babylonischen Ideen im
Judentum und vollends im Urchristentum eine ganz eigenartige
Umbiegung erfahren hätten.
mahl im Neuen Testament 1898 (Hefte zur „Christi. Welt" Nr. 36).
I S. zum letzteren Punkte vor allem die Schrift von Heitmüller „Im Namen
Jesu", Göttingen 1903 (Forschungen zurReligion und Literatur des Alt. und Neuen
Test. hsg. von Bousset und Gunkel I 2). 2 Vgl. das Vorkommen von
Lebensspeise und Lebenswasser in dem Mythus von Adapa oben S. 21 und
weiteres über Lebensspeise und Lebenswasser im Babylonischen in KAT-^
s. 523-525-
Buch des Lebens und Gerichtsbuch, Prädestination ac
Buch des Lebens und Gerichtsbuch,
Prädestination.'
In der babylonischen Religion spielt die Idee einer göttlichen
Buchführung eine hervorragende Rolle. Der Gott Nabu (Nebo)
ist der göttliche Schreiber, der auf seiner Tafel mit dem Tafel-
stift sowohl die Schicksale der Welt, wie die des einzelnen
Menschen aufschreibt. Insbesondere verzeichnet Nabu in dieser
Weise auf seiner „Tafel des Lebens" die Lebenstage des Menschen,
verlängert oder verkürzt deren Dauer, je nach dem guten oder
schlechten Verhalten des Menschen. Auf einer „Tafel der
guten W^erke" werden die guten Werke der Menschen, auf einer
„Tafel der Sünden" die Sünden des Menschen aufgeschrieben
und der Wunsch des frommen Beters geht dahin, dali die
Tafel der guten Werke beschrieben werde, dali aber die Tafel
seiner Sünden zerbrochen oder ins Wasser geworfen werden
möge. — In engem Zusammenhang mit dieser Buchführung
durch den Schreibergott Nabu steht in der babylonischen Welt-
anschauung die Idee, dalö das Schicksal der Welt von alters her
festgesetzt ist, dali insbesondere die als Weltherrscher gedachten
babylonischen und assyrischen Könige jeweils schon von den
fernsten Zeiten her zu diesem ihren Weltherrscherberuf von den
Göttern ausersehen und berufen worden sind.
Die Fragen, die sich an die im Vorstehenden dargelegten
Tatsachen aus der babylonischen Religion für verwandte biblische
Gedankengänge knüpfen, lauteten dahin, ob nicht die biblische
Vorstellung von einem Buch des Lebens (der Lebenden), das
von Gott im Himmel geführt wird, worin die Gerechten auf-
gezeichnet und die Sünder gestrichen werden, desgleichen die
Idee von einem Buch der guten und bösen Taten (Gerichts-
I S. Näheres in KAT-^ S. 402 — 403 und S. 405 — 407.
40 Buch des Lebens und Gerichtsbuch, Prädestination
buch), das im Himmel über die Menschen geführt wird, wenigstens
zum Teil auf jene babylonische Idee von der Tafel des Lebens
und der Tafel der Sünden zurückgeht. — Ferner ist zu fragen,
ob nicht die babylonische Anschauung von der Schicksals-
bestimmung, Ausersehung und Berufung nachwirkt in dem
Dogma von der Prädestination, das im apokalyptischen Judentum
und im Neuen Testament eine so große Rolle spielt, und zwar
sowohl der Prädestination des gesamten Weltlaufs als des
Schicksals der einzelnen Menschen, wie letzteres in der neu-
testamentlichen Lehre von der göttlichen Vorausersehung und
Berufung des einzelnen zum Heil in Christo vorliegt. Aber
auch bei diesem Punkte ist, falls sich die Annahme dieser Zu-
sammenhänge in der Tat bewähren sollte, wieder ausdrücklich
zu betonen, daß es sich nicht etwa um eine mechanische Über-
nahme babylonischer Ideen durch das Spätjudentum handeln
würde, sondern daß auch hier schon im apokalyptischen Judentum
und insbesondere im Urchristentum eine ganz eigenartige Um-
bildung und Weiterbildung überkommener babylonischer Ideen
stattgefunden hätte.
Engel und Teufel/
Eine polytheistische Religion, wie die babylonische, kennt
selbstverständlich eine Unzahl von göttlichen Wesen, unter
denen wieder eine beschränktere Anzahl als die Hauptgötter
hervorragen (vgl. Abb. 7). Da nun die babylonische Religion
seit alters im wesentlichen auf Gestirnkult hinauslief, so erklärt
es sich von hier aus, daß man in dieser Religion die Haupt-
götter aufs engste mit Sonne, Mond und den fünf dem Altertum
I S. Näheres in KAT^ S. 451—464 und S. 620—635,
Engel und Teufel
47
bekannten Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn), sowie
mit anderen hervorragenden Sternen oder Sterngruppen am
Himmel, wie namentlich den in Babylonien heimischen zwölf
Sternbildern des Tierkreises, verknüpfte. Weiter aber erblickte
man auch in allen übrigen Sternen des Himmels göttliche Wesen
und betrachtete so die gesamte Sternenwelt als einen himm-
lischen Hofstaat, den man sich um den obersten Himmelsgott
als König dieses Staates versammelt dachte. Dabei hatte man
Abb. 7. Die babylonischen Hauptgötter auf den Felsenreliefs von Maltai.
im speziellen noch die Vorstellung, daß diese himmlische gött-
liche Sternenschar eine Ratsversammlung bilde, die unter dem
Vorsitze ihres Himmelskönigs über die Schicksale der Menschen
Beratung pflegte; ebenso galten diese Sterngottheiten als himm-
lische Krieger, die Gesamtheit der Sterne also als ein himm-
lisches Heer, das um seinen obersten Gott als seinen Heerführer
geschart war.
Von dieser der babylonischen Astralreligion eigenen Be-
trachtung des Sternenhimmels lassen sich nun ziemlich tief-
gehende Nachwirkungen schon im Alten Testament, wie besonders
im späteren Judentum und im Neuen Testamente feststellen.
Dabei ist vor allem im Auge zu behalten, dafj naturgemälj in
einer monotheistischen Religion, wie dem Judentum, die Götter-
48 . Engel und Teufel
gestalten einer polytheistischen Religion in ihrer ursprünglichen
Bedeutung keine Stelle mehr finden konnten. Vielmehr mußte
eine Umbiegung des ursprünglichen Charakters dieser Stern-
gottheiten erfolgen: sie wurden zu depossedierten Göttern, zu
bloßen „Engeln'*. Dabei schimmert aber noch deutlich genug
an m.anchen Stellen der ursprüngliche Charakter dieser „Engel"
als ehemaliger Sterngottheiten hindurch.
Unter diesen Engeln treten nun namentlich hervor die
sieben Erzengel, zu denen u. a. Michael und Gabriel gehören,
die fraglos im letzten Grunde auf die sieben babylonischen
Planetengötter zurückgehen. Ferner die zwölf (Tierkreis-) -
Engel, die im Buch Henoch (Kap. 82) begegnen und die
gewiß auch in den zwölf Engeln an den zwölf Toren des himm-
lischen Jerusalems in der Apokalypse Johannis (Kap. 21) zu
erblicken sind. Diese zwölf Tierkreisengel gehen natürlich auf
die zwölf göttlich verehrten babylonischen Tierkreisbilder zurück.
Entsprechend werden die vierundzwanzig Ältesten, die in
der Apok. Joh. 4 rings um den Thron Gottes auf 24 Thronen
sitzen, in 24 Sternen, die die Babylonier nach Diodor außer den
12 Sternbildern des Tierkreises noch besonders unterschieden,
ihr Vorbild haben. Desgleichen sprechen gewichtige Gründe
dafür, daß die bei Ezechiel und in der Apok. Joh. vorliegende
Vorstellung von den vierKeruben, als den vier großen Trägern
des göttlichen Thronwagens, mit Menschen-, Löwen-, Stier- und
Adlergesicht, den vier Seiten des Himmels zugewendet, im
letzten Grunde von dem babylonischen zwölfteiligen Tierkreis
am Himmel und zwar von vier Hauptbildern desselben, den vier
Quartalssternbildern, ihren Ausgang genommen hat. Ahnlichen
Ursprungs wird die Vorstellung von den vier Reitern auf vier
verschiedenfarbigen Rossen (Sach. i, vgl. Apok. Joh. 6) und
von den vier Wagen mit viererlei verschiedenfarbigen Rossen
(Sach. 6) sein. — Weniger sicher ist dagegen, ob auch die
biblische Vorstellung von den Engeln als Gottesboten und als
Engel und Teufel 40
Schutzengeln der einzelnen Individuen von entsprechenden baby-
lonischen Vorstellungen ihren Ausgangspunkt genommen hat.
Während so die babylonischen Götter mehrfach als Engel
in der jüdischen und auch christlichen Religion fortleben, haben
andrerseits auch die Dämonenvorstellungen der Babylonier im
Alten wie auch im Neuen Testament ihre deutlichen Spuren
zurückgelassen. So finden sich die babylonischen Dämonen-
namen sedu, lüitu und vielleicht auch labartu im Alten Testa-
ment. So hängt die im Neuen Testamente begegnende Vor-
stellung von einer Siebenzahl von bösen Dämonen wahrscheinlich
mit den im Babylonischen eine grolöe Rolle spielenden sieben
bösen Dämonen zusammen. Endlich geht auch die Gestalt des
Satans und zwar sowohl als eines übermenschlichen Wesens,
das die Menschen bei Gott anklagt, als auch als obersten
Fürsten des widergöttlichen Geisterreiches im letzten Grunde
wahrscheinlich auf das Babylonische zurück und zwar im letzteren
Falle auf den Widerpart des siegreichen Gottes im Drachen-
kampf, wie er oben im Abschnitte „Weltschöpfung" besprochen
wurde, wenn auch gerade hier die persische Religion eine sehr
tiefgreifende Vermittlerrolle gespielt haben wird.
Totenreich und Jenseitsglauben.'
Die Vorstellungen der Babylonier vom Totenreich, wie sie
uns namentlich in dem sog. Mythus von Istar's Höllenfahrt , in
den Totenreichschilderungen des Gilgames-Epos, in dem Mythus
von Nergal undEreskigal, aber auch an anderen Stellen der babylo-
nischen Literatur, sowie in bildlichen Darstellungen (vgl. Abb. 8)
I S. Näheres in KAT^ S. 635—643.
Zimmern, Keilinschriften und Bibel. a
50
Totenreich und Jenseitsglauben
entgegentreten, berühren sich in vieler Hinsicht sehr nahe mit
den alttestamentlichen Schilderungen vom Totenreich, wenn
auch der hebräische Name Scöl für das Totenreich nicht, wie
Abb. 8. Sog. Hadesrelief.
man eine Zeit lang geglaubt hat, in einem entsprechenden baby-
lonischen Namen für das Totenreich wiederkehrt. Speziell die
Art, wie man sich im Bab}-lonischen das Totenreich als ein mit
Mauern umgebenes unterirdisches finsteres Bereich, voll von Staub,
vorstellte, worin die Totengeister als schattenhafte Wesen hausen,
Totenreich und Jenseitsglauben 51
erinnert stark an die entsprechende alttestamentliche Idee von der
Seöl und dem Zustand der Toten in ihr. Da auch sonst gerade
in den Vorstellungen vom Weltganzen babylonische Ideen
nachweislich vielfach auf Israel eingewirkt haben, so liegt die
Annahme sehr nahe, daß auch in diesen israelitischen Vor-
stellungen von der Seöl teilweise wenigstens babylonische Ein-
flüsse vorliegen.
Dagegen ist ausdrücklich zu betonen, daß die erst im späteren
Judentum auftretende und von da aus auch in das Neue Testa-
ment und in das Christentum übergegangene Idee einer von
brennendem Feuer erfüllten Hölle, dem Aufenthaltsort der Gott-
losen, als deren Gegensatz das Paradies, der Aufenthaltsort der
Frommen, gilt, in den babylonischen religiösen Vorstellungen
kein sicheres Vorbild hat. So ist es auch sehr fraglich, ob die
Babylonier bereits von einer strengen Scheidung von Frommen
und Gottlosen im Jenseits gesprochen haben, ob man also be-
rechtigt ist, ihnen den Glauben an eine Vergeltung im Jenseits
schon im vollen Umfang zuzuschreiben. — Noch weniger läßt
sich der spätjüdische und christliche Glaube an die Auferstehung
der Toten etwa bereits für die babyloiiische Religion nachweisen.
Vielmehr scheint der Auferstehungsglauben aus eigenartigen
mystischen Vorstellungen hervorgegangen zu sein, indem man
ursprünglich nur den König, später aber auch jeden einzelnen
Menschen mit der Gottheit gleichsetzte und so den einzelnen
Menschen die gleichen Schicksale wie den Gott, nämlich Sterben,
Regrabenwerden und Wiederauferstehen, erleben ließ. Solche
Vorstellungen finden sich nun in der ägyptischen Religion be-
reits in der ältesten Zeit in sehr ausgeprägter Form. Dagegen
können wir für Babylonien bis jetzt nur soviel sagen, daß man
auch hier, wenigstens in der älteren Zeit, den Königen gött-
lichen Charakter zuschrieb, wie z. B. der alte König Naräm-
Sin auf seiner in Susa gefundenen Stele die Hörner, das Symbol
der Göttlichkeit, trägt (s. Abb. 9). Dagegen läßt sich die Aus-
4*
52
Totenreich und Jenseitsgauben
dehnung dieser Idee der Gleichsetzung mit den Göttern auch
auf jeden einzelnen Menschen, und damit wahrscheinlich auch
Abb. 9. Teil der Siegesstele des Königs Naram-Sin.
Schlußbemerkung cj
der eigentliche Ursprung des Auferstehungsglaubens, bis jetzt
wenigstens im Babylonischen noch nicht nachweisen.
Soll im Hinblick auf das Vorstehende und mancherlei
andere Berührungspunkte, die in diesem kurzen Überblick nicht
zur Besprechung gekommen sind, ein Gesamturteil über den
religionsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Keilinschriften
und Bibel gefällt werden, so hat es meines Erachtens etwa
dahin zu lauten, dafj das Vorhandensein eines solchen Zu-
sammenhangs nicht nur für das Alte Testament, sondern auch
für die Literatur des späteren Judentums, insbesondere des
apokalyptisch gefärbten Judentums, wie auch für das Neue
Testament, in ziemlich weitem Umfange anzuerkennen ist, ja
dal-i auch in sehr vielen Fällen dieser Zusammenhang nur so
zu erklären ist, daß die betreffenden Ideen in Babylonien ur-
sprünglich heimisch und erst als fremde Ideen in das Alte
Testament, in das Judentum, in das Urchristentum hineinge-
kommen sind. Gleichzeitig ist aber meines Erachtens stets
ausdrücklich zu betonen, daß die Übernahme dieser babyloni-
schen Ideen in den allermeisten Fällen — mit Ausnahme etwa
manches eschatologisch - apokalyptischen Materials — keine
mechanische war, daß vielmehr eine starke Umformung und
Weiterbildung der überkommenen babylonischen Ideen im Sinne
der israelitischen Religion des Alten Testaments auf ihren je-
weiligen Stufen, der Religion des Judentums und der urchrist-
lichen Religion stattgefunden hat.
Inhalt
Seite
Einleitung 3
Sintflut 6
Urväter 9
Weltschöpfung 12
Paradies 20
Gilgames-Epos 22
Kultgebräuche 26
Sabbat 30
Hymnen und Gebete, Polytheismus 32
Der Christus, Jesus 39
Taufe und Abendmahl 43
Buch des Lebens und Gerichtsbuch, Prädestination 45
Engel und Teufel 46
Totenreich und Jenseitsglauben 49
Schlußbemerkung 53
Verzeichnis der Abbildungen.
Abb. I (S. 13) nach A Guide to the Babylonian and Assyrian Antiquities,
London, British Museum, 1900, PI. VII.
Abb. 2 (S. 18) nach L. W. King, Babylonian Religion and Mythology, London
1899, p. 102.
Abb. 3 (S. 18) nach Ward in Bibliotheca Sacra 1881, p. 224.
Abb. 4 (S. 19) nach Cuneiform Inscriptions of Western Asia Vol. V PI. 57.
Abb. 5 (S. 27) nach A Guide to the Babylonian und Assyrian Antiquities,
London, British Museum, 1900, PL IV.
Abb. 6 (S. 29) nach eigener photographischer Aufnahme des Originals.
Abb. 7 (S. 47) nach v. Luschan in Ausgrabungen in Sendschirli I.
Abb. 8 ('S. 50) nach Revue Archeologique, Nouv. Serie, Vol. 38, 1879,
PI. XXV.
Abb. 9 (S. 52) nach Memoires (de la) Delegation en Perse, Paris 1900. Tome I
pl. X.
Verlag von Reuther & Reichard in Berlin W. 9.
Die
Keilinschriften und das Alte Testament
vo;!
Eberhard Schrader
Dritte Auflage.
Mit Ausdehnung, auf die Apokryphen, Pseudepigraphen und das Neue
Testament
neu bearbeitet von
Dr. H. Zimmern und Dr. H. Winckler
orJ. Prof. an der Universität Leipzig Privatdozent an der Universität Berlin
I. Teil: Geschichte und Geographie von H. Winckler
II. Teil: Religion und Sprache von H. Zimmern.
Mit einer Karte der vorderasiatischen Länder.
Gr. 8». XIL 680 Seiten. M. 21.—, in Halbfrzbd. geb. M. 23.—
Die nunmehr fertig vorliegende dritte Auflage dieses Werkes dürfte
in dieser ihrer jetzt abgeschlossenen Gestalt manche Desiderien erfüllen, die
beim Erscheinen der einzelnen Teile dieser Neubearbeitung von verschiedenen
Seiten ausgesprochen worden sind. So hat die Verlagsbuchhandlung dafür
Sorge getragen, dass durch eine dem Werke beigegebene, von Billerbeck
redigierte Karte der vorderasiatischen Länder das Verständnis des
historisch-geographischen Teils des Buches wesentlich erleichtert wird. Ferner
bietet ein sehr umfangreiches Namen-, Sach- und Wortregister die
Möglichkeit, sich rasch und leicht über eine beliebige in dem Buche behandelte
Einzelfrage zu orientieren. Dem gleichen Zwecke dient ein ausführliches Re-
gister der behandelten Bibelstellen, während anderseits eine ziem-
lich eingehende „Inhaltsübersicht" auch die systematische Anordnung des
Ganzen leicht und rasch erkennen lässt. Bei dem verschiedenartigen Leser-
kreise, der für das Buch in Betracht kommt, konnten freilich kaum alle in
gleicher Weise befriedigt werden. Immerhin wird sowohl der alttestament-
liche Spezialforscher, wie anderseits der Student der Theologie oder der im
praktischen Pfarramt Stehende das für seine Bedürfnisse Erforderliche in dem
Buche im wesentlichen finden. In einem Punkte allerdings verlangt das
Werk für solche, die sich irgendwie eingehender mit den betreffenden Pro-
blemen befassen wollen, eine Ergänzung. Bei dem grossen Umfange, den
gegenwärtig bereits die keilschriftliche Originalliteratur angenommnn hat,
war es nämlich, abgesehen von Ausnahmefällen, ganz unmöglich, im Rahmen
dieses Werkes all die Originalstellen, auf die Bezug genommen werden musste,
im Wortlaute vorzuführen. Hier wollen, wenigstens bei einer eindringen-
den Behandlung der betreffenden Fragen, die citierten Originalstellen vor
allem aus der „Keilinsch riftlich en Bibliothek", aber auch aus
Verlag von Reuther & Reichard in Berlin W^. 9.
manchen andern namhaft gemachten Textpublikationen, tatsächlich auch ein-
gesehen werden. Dasselbe gilt bei dem historisch-geographischen Teile von
den Verweisungen Wincklers auf die eingehende Behandlung mancher der
dort nur ihrem Resultate nach mitgeteilten Fragen in seinen „Altorientalischen
Forschungen". Was endlich die Scheidung des monumental Fest-
stehenden von den darauf aufgebauten mehr oder weniger sicheren
Schlussfolgerungen betrifft, so wird ein aufmerksamer Leser bei einigem
guten Willen in den allermeisten Fällen ohne zu grosse Schwierigkeit die
tatsächliche Lage der Dinge aus der Art der Darstellung entnehmen können.
Aus Urteilen über den I. Teil:
„. . . Die Eigenart Wincklers, die aus seinen früheren Arbeiten bekannt
ist, hat t!er Forschung im Alten Testament manchen kräftigen Stoss gegeben,
sie hat auch aus diesem Werk eine originale Schöpfung gemacht. Im
ganzen Buch herrscht die unerbittliche Logik des vernünftigen
Denkers und Beobachters, verbunden mit der Selbstgewissheit
des Künstlers in der freien Combination . . . Sicherlich wird jeder vom
Lesen dieses Buches viel Freude und Förderung haben. Es ist eine Ge-
schichte Israels im Rahmen der Weltgeschichte, und vom profanen bezw.
babylonischen Standpunkt aus geschrieben ... meisterhaft in der Anlage
und berückend in der Consequenz und der Energie der Durch-
führung.. ." (P. l'fllz, i. d. Theol. Literatiirzeiüing /goj, 2.)
„. . . Alles in allem genommen: der Verf. hat es vortrefflich
verstanden, uns ein Stück des alten Orients in fast greifbare
Nähe vor Augen zu rücken und die Geschichte Israels in den welt-
historischen Zusammenhang einzugliedern, wie es bis jetzt auch nicht
annähernd erreicht worden war. Dafür werden ihm alle, die es an-
geht, aufrichtig dankbar sein, auch diejenigen, die den babylonischen Stand-
punkt des Verfassers nicht oder doch nicht in gleichem Grade zu teilen ver-
mögen. Referent gesteht für seine Person, dass er selten aus einem
Werke so viel gelernt und so fruchtbare Anregung empfangen
hatwie aus diesem etc." (Prof. Baentsch im Liter. Centralblatt igoj, 8.)
,,. . . this edition is one of the most valuable contributions to
the history of the ancient Orient that have appeared for many
years. Here, as in no other single work, the latest results of cuneiform
research in relation to the Old Testament are made accessible etc."
(A?n. Jonrn. of Theology ig02, IV.)
„Jedem, der es ernst meint mit der Ergründung der Beziehungen zwischen
Juda und Babylon und überhaupt mit der Aufklärung in Bezug auf die wirk-
liche Geschichte Israels und Judas, sei dieses Werk als das unentbehr-
lichste und grundlegende warm empfohlen; es ist ein wahres
Denkmal deutscher Wissenschaftlichkeit, Unermüdlichkeit,
Scharfsinnigkeit und Freiheit — sowohl in dem (historischen und
geographischen) von Winckler, wie in dem von Zimmern bearbeiteten, die
Religion und Sprache betreffenden Teil. Hier findet man alle wünschens-
werten Angaben über die weitere Literatur".
(H. St Chambe riain im Votiuort zur 4. Aufl. der Grundlagen des XIX. Jahrh.)