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Full text of "Kern melodischer Wissenschaft, bestehend in den auserlesensten Haupt- und Grund-lehren der musicalischen Setz-kunst oder Composition, als ein Vorläuffer des Vollkommenen Capellmeisters"

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THE LIBRARY OF THE 
UNIVERSITY OF 
NORTH CAROLINA 


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DIALECTIC AND PHILANTHROPIC 
SOCIETIES 


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in 2013 


http://archive.org/details/kernmelodischerwO0matt 


beftehend 
in den auserleſenſten 


Haupt und Grund⸗Lehren 


der muſicaliſchen 


Sch Kunſt oder Compoſttion, 
8 a als ein Vorlaͤuffer des 
8. llkommenen Vapellmeiſters, 


ausgearbeitet von 


I MATTHESON 


— 


amburg 
Verlegts 1 Herold. a 
MD CCXXXVII. 5 2 


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55 


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om u auf Kür 15 und 


588K 
CAROLO FRIDERICO 


Buben zu Norwegen, Hertzogen zu Ichleswig⸗ 
Molſtein, Stormarn und der 
Dittmarſen, 
Srafen zu Oldenburg und Sel nen 


2c. D. Nc. 


Mäeinem gnaͤdigſten Fürſten und Herrn, 


17227. 
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a 


Durchlauchtigſter Hertzog! 


Gnaͤdigſter Furſt und Herr, 


J 
, 


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5 5 nunmehro ſchon achtzehn Jahr die Ehre ge⸗ 
niüeſſe, Eurer Königlichen Hoheit , als Ca 

Ars) pell⸗Meiſter, zu Gebote zu ſtehen, auch bishero 
umme zwar einige practiſche, doch noch keine theore⸗ 
tie Proben meiner Schuldigkeit bey Dero⸗ 
ſelben abgeleget habe; als erkuͤhne mich endlich, mittelſt gegen⸗ 
| war⸗ 


| waͤrtiger Blätter, dieſen Abgang zu erſetzen: untertänift bit: 
tend, fold geringes Merckmahl meiner Wee Verehrung 
in Gnaden auf- und anzunehmen. 


Die Harmonie hat das Gluͤck, daß mit Tea Nahmen die 
aller groͤſſeſten Verſtaͤndniſſe, Einträchtigkeiten, Freundſchafften, 
Buͤndniſſe und Ordnungen in der Ober⸗ und Unter⸗Welt bele⸗ 
get werden: und es iſt was ſchoͤnes, wenn groſſe Fuͤrſten Ge⸗ 
fallen tragen, in ihren wohleingerichteten Capellen, ein anſtaͤn⸗ 
diges Bildniß ſolcher wichtigern Uebereinſtimmung wahrzuneh⸗ 
men. Gleichwie aber in der Ton⸗Kunſt keine richtige Zuſam⸗ 
menfuͤgung der Klaͤnge zu hoffen ſtehet; dafern nicht ein ieder 
Mit⸗Genoß, bey der Ausfuͤhrung, ſeine beſondere, gute und 
liebliche Melodie ſolchergeſtalt zu lencken weiß, daß ſie dem gan⸗ 
tzen Concert zur Aufnahm, Verſtaͤrckung und Zierde gereichet: 
Alſo ſucht man auch, vornehmlich in Staats ⸗Coͤrpern, die ſo noͤ⸗ 
thige Harmonie nur umſonſt; dafern nicht ein jedes Glied die⸗ 
jenigen Pflichten und Tugenden wohl ausuͤbet, die ihm, gleichſam 
als ſeine eigene Partey, vorgeſchrieben, und, zur Wohlfahrts⸗ 
Befoͤrderung des Hauptes und gantzen gemeinen Weſens, an⸗ 
gewieſen ſind. Was dawieder verſtoͤſſet, das diſſoniret, und 
laßt ſich im Regiment nicht fo leicht, als etwa in Noten, aufloͤ⸗ 
ſen: ſintemahl offt ſehr harte e vorgekehret werden muͤſſen; 

ſoll 


* anders der 1 gefäßelige Mißlaut hip gar zu weit einreiſſen, 
und alle Symmetrie verderben. 


Meine Wenigkeit unterſtehet ſich demnach, bey chern 
Widmung dieſer Arbeit, Eurer Koͤniglichen Hoheit lauter 
ſolche vollkommene Intervalle anzuwuͤnſchen, die, in Dero 
Oberherrſchafftlichem Syſtemate, durch eine voͤllig⸗gnugthuende 
Temperatur, dereinſt Deroſelben glorreiche Abſichten, mit einer 
reinen, güldenen Triade harmonica, auf das allerglückfeeligite 
bekroͤnen mögen; in riefefier Ehrerbietung verharrend 


Eurer Koͤniglichen Hoheit 
Hamburg, im October 
1737. 9 


Unterthaͤnigſter Diener 
Johann Mattheſon. 


Vorrede. 


Jai entrepris ce petit ouvrage, comme tous mes autres, 
par raiſon; jy ai travaillè avec inclination & Pian | 
& j en verrai le fucces avec indifference. 


— 


anf de la . = 
gı Eu 
Ine Zeithero find mir, Berufs halber, dringendere Ge⸗ 

ſchaͤffte dergeſtalt in den Weg gekommen, daß darüber 
die angenehmern ziemlich haben zuruͤck ſtehen muͤſſen. 
Nun wendet ſich das Blat zu meinem Vergnuͤgen, 
daß ich abermahl die geliebte Muſic, der ich wahrlich, ohne allen 
Eigen⸗Nutz, von Hertzen gut bin, Nh beſuchen, und ein 
paar Worte mit ihr theilen darff. 

K. 2. 


Der Titel dieſes Werckleins weiſet 51 uͤberhaupt, was 
deſſen Inhalt ſey: wobey nur inſonderheit zu erinnern vorfaͤllt, 
daß zwar von einigen Sachen darin gehandelt werde, deren wir 
bereits anderswo gedacht haben; von vielen hergegen, die ſonſt 
nirgendswo beruͤhret worden ſind: es erſcheinen auch anietzo die 
erſten mit ſolchen Umſtaͤnden, Merckmahlen, Characteren, 
Affecten, wahren Ab⸗und Kennzeichen, davon noch keiner etwas 
geſchrieben hat; ob ſie gleich denen, die etwas gruͤndliches und 
ſchmackhafftes in or Muſic kennen 3 gantz unentbehrlich ſind. 


. 

Man trifft wol hin und . auch in fliegenden Blaͤttern, 
kurtze, nothduͤrfftige Anzeigen von verſchiedenen Dingen an; die 
darum bey weitem nicht auf das innere Weſen hindurch dringen, 
noch an die eigentliche Anwendung und . reichen. Ein 

an⸗ 


1 Vorrede. 
anders iſt, z. E. die Ingredientzten eines Geneſe⸗Mittels zum 
Theil und obenhin kennen; ein anders aber verordnen, lehren und 
feſtſetzen, wozu es dienlich, und wie es, nach allen Umſtaͤnden, 
recht gebrauchet werden muͤſſe: Gen haben die Apotheker mit 
manchem Krancken, der aus der Erfahrung etwas abgenommen 
hat, oͤffters gemein; dieſes hergegen iſt nur gelehrter und kluger 

Aertzte Werck. Und dahin gehet unſer Zweck. 


RN we: 5 4. | | 

Solte es nun gleich, in gegenwärtigen kleinen Begriff an 
gnugſamen Beyſpielen fehlen, ſo werden ihrer deſto mehr, zu 
rechter Zeit, in einem groͤſſern Buche, wovon dieſes nur ein kur⸗ 
tzer, und gar nicht allgemeiner Auszug oder Vorlaͤuffer iſt, 
beygebracht werden koͤnnen; dafern G Ott Leben und Geſund⸗ 
heit gibt, auch die Sachen mit den Druck⸗Noten nach meinem 
Wunſche gehen wollen. Doch ſetze ich nicht gerne uͤberfluͤßige 
Exempel in practiſchen Dingen her, und nehme, wenns ja geſche⸗ 
hen muß, viel lieber alte, als neue Muſter dazu: weil doch dieſe 
jenen nur gar zu bald aͤhnlich werden, und kein verdrießlicheres 
Stuck des Alters iſt, als deſſen Anfang, zumahl in der Muſic. 


1 H. By | 
Ich dringe übrigens noch immer, vorzüglich, auf eine ein⸗ 
tzelne, ſaubere Melodie, als auf das ſchoͤnſte und natuͤrlichſte in 
der Welt; gebe davon alhier (ſo viel ich weiß) zum erſtenmahl 
Beſchreibungen und Regeln; lege ſie zum Grunde der gantzen 
Setz⸗Kunſt; kan auch nicht begreiffen, warum man den deutli⸗ 
chen Unterſchied zwiſchen der ein und PTR Harmonie, deſſen 
| | ae in 


Der fo genannte vollkommene Capellmeiſter, darauf man hier gielet, iſt ein Werck von dreien 
betraͤchtlichen Theilen, darin wenigſtens etliche dreißig Haupt⸗Stuͤcke vorkommen, deren 
ö dieſer Bern nur acht, in einem Aus zuge, darleget. 1 Kl 
Vieleicht dienenfie, wie meine übrigen Eisbruͤche, heut oder morgen, auch dazu, daß ſich ein 
andrer breit dawit mache, und des Urhebers gar nicht erwehne. 


Vorrede. 5 


in meinen Schrifften vorlaͤngſt aus guten Gruͤnden erwehnet 
worden, niemahls in gehoͤrige Betrachtung ziehet, wenn, z. E. 
wieder alle Vernunfft, behauptet werden will! | 

„Daß die Melodie aus der Harmonie entſpringe und alle Regeln 

„der erſten von der andern hergenommen werden muͤſſen, ja, daß 

„es faſt unmöglich fen, gewiſſe Regeln von der Melodie zu geben, 

„weil das meiſte auf den guten Geſchmack ankomme. | 

F. , 

Die Melodie aber iſt im Grunde nichts anders, als die ur⸗ 
ſpruͤngliche, wahre und einfache Harmonie ſelbſt, darin alle In⸗ 
tervalle nach, auf und hintereinander folgen; ſo wie eben die⸗ 
ſelbe Intervalle, und keine andre, in vollſtimmigen Saͤtzen 
zugleich, auf einmahl, und miteinander vernommen werden, 
folglich eine vielfache Harmonie zu wege bringen. In beyden 
muß freylich der gute Geſchmack regieren, der auch allerdings 
ſeine gewiſſe Regeln hat. 


Dieſe gruͤndliche Auslegung hebet den Streit hieruͤber auf: 
weil iedermann zugeben muß, daß die erſten Elemente, woraus 
eine Vollſtimmigkeit gezeuget wird, in den bloſſen Klang⸗Stuffen 
beſtehen, und denn in der Natur ⸗Lehre, die ein tuͤchtiger Musicus 
inne haben muß, der Satz unumſtoͤßlich wahr bleibet: daß das 
einfache vor dem Suſammengeſetzten hergehet, folglich deſſen Ur⸗ 
ſprung und Wurtzel iſt. | | 

8. 

Wer nun eine richtige Theilung anſtellen will, der muß vorher 
den ganzen Sufammenbang in allen Stuͤcken wol betrachten und 
begreiffen. Dieſer Ausſpruch kan keinem Zweifel unterworffen 
ſeyn, daher ich ihn folgender Geſtalt anwende: Kein Menſch Mn 

wiſſen, 


„ Alſo komt es ſehr abgeſchmackt heraus, wenn mancher, auf andre Weiſe zwiſchen Harmoni⸗ 
ſchen und melodiſchen Intervallen einen Unterſchied erdichten will. f 


i Vorrede. 5 


wiſſen, was eine Tertz, Qoint, Octav u. ſ. w. bedeute, der nicht 
zuvor geſehen, getaſtet, gehoͤret und befunden hat, daß die erſte 
aus dreien, die andere aus fuͤnfen, und die dritte aus acht Klaͤn⸗ 
gen entſtehe, als aus ſo vielen einfachen Elementen, weſentlichen 
und durch gewiſſe ordentliche Stuffen aneinanderſchlieſſenden, me⸗ 
lodiſchen Grund⸗Stuͤcken. Dieſe Fuͤgung heiſſet eigentlich und 
vorzuͤglich karmonia, compages: welches mit den alten Griechen 
zu beweiſen ſtehet, die faſt von keiner andern Harmonie, als von 
dieſer einfachen, etwas wuſten. Es kan demnach niemand die 
Theilung der Octap anſtellen, ehe und bevor er die gantze Klang⸗ 
Leiter, in ihrem natuͤrlichen Weſen und Zuſammenhange, Tritt⸗ 
und Schrittweiſe, Grad vor Grad, ohne die geringſte Ueber⸗ 
huͤpffung, betrachtet, begriffen, beſungen oder beſpielet hat. 
Und das iſt ſchon Melodie, wie folgende Beyſpiele zur Gnuͤge 
darlegen, und augenſcheinlich bewaͤhren, 1) daß in der melodiſchen 
Scala alle Harmonie ſteckt. 2) Daß die Vollſtimmigkeit ihre 
Regeln aus der Melodie ziehet. 3) Daß ein eintzelner Geſang 
ohne Begleitung, gar wohl beſtehen koͤnne; eine fo genannte 
Harmonie aber, ohne Melodie nur ein leerer Schall, und gar kein 
Geſang ſey. 4) Daß alles kliegende Weſen, ohne Nachahmung 
wenig oder nichts bedeute; dieſe Nachahmung aber ſich auf pure 
Melodien gründe, es ſey in Fugen, Concerten oder andern Gat⸗ 
tungen. 5) Daß ein iedes Thema allezeit eine bloſſe Melodie fuͤh⸗ 
ret, auf welche, als auf den Grund, hernach die mehrfache Har⸗ 
monie ihr Geſticke und Gebraͤme verfertiget, auch ſich entweder 
gantz, oder zum Theil, nach derſelben richten muß. 6) Daß ein 
ieder ſeine Part vorher allein lernen muͤſſe, ehe er im Chor mit ſin⸗ 
gen kan; und daß es, 7) dem ungeachtet, bey Anfaͤngern hart 
genug halt, in der Harmonie nicht zu fehlen, ob fie gleich ihre ei⸗ 
gene Melodie allein noch ſo wohl treffen rs hi folget, daß 
2 1 


jenes ſchwerer ſey, als dieſes. 75 §. 9. 


Vorrede. 


5 1 
Canone alla diritta, a 4. Voci. 
N . W N 9 5 


Hier macht die bloſſe diatoniſche Leiter, durch ihre in gerader Schnur 
auf und niederſteigende Stuffen, bey gantz natuͤrlichemzuſammenhange, 
ſchon eine ſolche einfaͤltig⸗edle Melodie, darin die völlige vierſtimmige 
Harmonie, mit den erfienlichen Conſonantzen, ohne daß eine eintzige 
Note verandert werden darff, nebſt allen dahin gehoͤrigen fo kleinen, als 
groſſen Intervallen, iedes nach feiner Art, nehmlich: Secunden, Tertzen, 
OQvarten, Qvinten, Sexten, Septimen und Octaven, richtig enthalten iſt. 


5 8 | IO. 
Ich ſetze ferner nur dieſen Scotlaͤndiſchen Tantz, und frage, wie elend 
der Baß dazu ausfallen würde, wenn er ſich nicht nach der Haupt⸗Me⸗ 
lodie, im Nachahmen, richtete? und wie wohl hergegen auch eine nur zwie⸗ 
fache Harmonie geraͤth, wenn die eine Stimme von der andern gleichſam 
ein Muſter nimmt, und ihr freundlich entgegen ſpielt? 


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FPraget doch rechtſchaffene Tantzmeiſter: Sils commencent leurs lecons 
„ 5 0 Bei demarche de la Danſe? ob fie ihren Schuͤlern 
erſt Kreutz⸗Cabriolen, hernach aber einen tactmaͤßigen Gang beybrin⸗ 
gen? Man kan ja von niemand geſchickte Spruͤnge, mit beyden Fuͤſſen zu⸗ 
gleich, fodern, ehe er recht gehen gelernet hat; ſo wenig als iemand z. E. den 
dritten Theil eines Dinges herauszugeben vermag, der vom erſſen und 
zweyten nichts weiß. Eines beziehet ſich hier unumgaͤnglich auf das andre. 


5 12. | 
Mein naͤchſter unldugbarer Saslautetfo: Natürliche Werckzeuge 
ſind die Muſter und Gvellen der kuͤnſtlichen. Denn wenns auch 
moglich wäre, getrennte Tertzen, Qvinten zc. wiſſentlich und willkuͤhr⸗ 
lich zu treffen und zu theilen, ohne die zwiſchen ihren Enden liegende 
Klänge zu kennen, zu zeblen*, zu meſſen und zu unterſuchen; ſo i 
doch das Singen bey dem Menſchen eher geweſen, als das Spielen, 
und das natuͤrliche ſchoͤne Werckzeug der Kehle gibt nur einen einst 
gen Klang auf einmahl an. Derowegen, wenn von Intervallen die 
Rede iſt, muß man darunter vorzuͤglich denjenigen Gebrauch, da 
ihre termini oder Enden ſich nacheinander (ſucceſſpe) hören laſſen, und 
nur einen eintzigen Laut oder einfachen Klang, zur Zeit, hervorbringen; 
nicht aber, wie ſie das Ohr zugleich, auf einmahl ruͤhren und ein zuſam⸗ 
mengefestes, vielfaches, vermiſchtes Weſen oder eine Vollſtimmigkeit 
ausmachen: denn jenes kan durch einen eintzigen Menſchen allein geſche⸗ 
hen, und ſtehet alſo oben!! an; dahingegen dieſes mehr Perſonen, oder 
nachahmende Werckzeuge erfordert. 5 brauchen demnach alle pi 
OL 0 8 b 3 | iede 
Dee ſtaͤrckeſten und ſchaͤrfeſten Regeln der mehrfachen Harmonie gruͤnden ſich ſelbſt auf dieſe 


Mitzehlung der zwiſchenljegenden Grade und Klänge, bey ſpringenden Intervallen. Denn 
warum iſt es unrecht und hart verboten, ſo zu ſetzen? A 3 | 0 


— \ 


Wahrlich! aus keiner andern Urſache, als weil Base diefen Eprüngen ede Geſang⸗ 
8 der melodiſchen Leiter (welche man immer dabey im Sinne hat) ob fie gleich nicht hin⸗ 
92 0 en ſind, die heimlichen Qvinten und Octaven verrathen. Da iſt denn auch eine Probe 
4 85 rmoniſchen Regeln, die aus der Melodie flieſſen: und dergleichen gibt es viele mehr. 
Quis cantus fimplicior (eoneentuf) & priornaturä, 6, I. Voß. de Natura & Conſtit. Poefeos, 


. Vorrede. 

tede Intervalle! bey der Melodie natürlicher, fo wie bey der Harmonie 
kuͤnſtlicher Weiſe. 9. 13. 1 ne 

Aus den angefuhrten zween Grund⸗Saͤtzen folget alſo unwiedertreib⸗ 
lich der Schluß: daß der rechte Anfang zum componiren nothwen⸗ 
dig mit der Melodie gemacht werden muͤſſe, maaſſen in allen Linter; 
richtungen nur eine eintzige gute Methode oder Lehr ⸗Art Statt finder, 
nehmlich, da man von den leichteſten Dingen zu den ſchwerern, und von 


den bekannten zu den unbekannten fortgehet. 

a . . i 
Wiewol, wem die varis res gefallen, ich will ſagen, allerhand gemiſchte 
Speiſen durcheinander; der weiß nicht, wie gut die elca fimplex, oder ein 
einfaches Gericht ſchmeckt: ſo ſehr es auch Horatz “*, und die Geſundheit 
ſelbſt, anpreiſen. Warum doch ſchmeckt ihnen ſolches nicht? Sie neh⸗ 
men kein ſafftiges Fleiſch dazu, welches feine Bruͤhe in ſich ſelbſt hat; ſon⸗ 
dern boͤſe Fiſche, die viel Wuͤrtze freffen. Dieſe Koͤche bekennen zwar 
gantz gern, daß auch offt die ſchoͤnſte Harmonie, ohne Melodie, abge⸗ 
ſchmackt ſey, darum ich ihnen eben ein Gleichniß vom Geſchmack und 
von Speiſen alhier gebe: fie geſtehen aus eignem Triebe daß faſt alle 
Krafft der Gedancken, Leidenſchafften und deren Ausdrucke der bloſſen 
Melodie unterthan ſey: verſprechen daneben kuͤhnlich, durch Titel und 
Ueberſchrifften, mit duͤrren Worten, in ihren Buͤchern und Haupt⸗ 
Stuͤcken alles zu lehren, was nur immer eine Muſtc vollkommen ma⸗ 
chen konne; und wenns klappen ſoll, wird die Unmoglichkeit, Regeln von 
der Melodie zu geben, vorgeſchuͤtzet, da fie doch ſelbſt nicht in Abrede ſeyn 
koͤnnen, eben dieſe Melodie ſey die Haupt⸗Sache und der hoͤchſte Gipffel 
der Vollkommenheit. Heißt das nicht, feine Saͤtze deutlich vortragen, 

alles wohl ausrichten und gut beſtellen? 


K., J. 5 
Noch ein paar Fragen bitte mir hiebey aus. Erſtlich: ob denn eine 
nach gewiſſen, ſelbſt⸗erſonnenen, harmoniſchen Regeln eingerichtete 
Muſic / immer gut ſeyn konne, unangeſehen ſie, wenns hoch e 
| 1. | le 
Wir konnen ja burch lauter Dctaven, oder durch lauter Tertzen, Qvarten u. ſ. w. nichts gu⸗ 
tes ausrichten: denn ein ſolches Verfahren wäre eben fo albern in der Harmonie, ja noch 
viel thoͤrichter, als in der Melodie. Die Secunden gehoͤren auch hauptſaͤchlich mit zu bey⸗ 
den, und die Abwechſelung in allen muß das Ergetzen bringen. | 
2 — — — — — variæ 168 
Ut noccant homini, eredas, memor illius 4. 
Qux fimplex olim tibi federit. ' Hor. Lib. II. Sas. 2. 


die Ordnung der Melodie, des Geſanges, der Zeitmaaſſe, der Geltung, 

des feinen Geſchmacks u. ſ. w. ſuͤndiget? Fuͤrs andre: Ob eine ſolche Lehre, 
wie dieſe, tit der obigen, vom Vorzuge der Melodie, wol beſtehen und 
uͤbereinſtimmen koͤnne, indem ſie beyde von einerley Feder herruͤhren? 
Wenn dieſe zwo Fragen gruͤndlich mit Ja erwieſen, und meine vorher⸗ 
gebente Vernunfft⸗Schluͤſſe (der uͤbrigen, angeführten Erfahrungs⸗ 
Gruͤnde zu geſchweigen) richtig mit Nein wiederleget worden ſind, als⸗ 
denn will ich, der Melodie zu Liebe, ke Tage kein Wort mehr verlieren. 

| Des ; 


 Hiernächfi werden viele, bey Durchblaͤtterung gegenwaͤrtiger Ar⸗ 
beit, fo dencken: Wir konnen z. E. wol ſchreiben, ohne zu wiſſen, wie es 
mit der Bewegung unſrer Muſceln zugehe, wenn die Hand die Feder 
fuͤhret; wozu brauchen wir denn ſolcher genauer Unterſuchung und 

tiefen Einſicht? wozu dienen uns die Wiſſenſchafften von der Art und 
Bewandniß eines ieden Spiel⸗Zeuges, einer jeden Singe Stimme? 
Was nutzen uns die ausgeklaubten und ſorgfaͤltig beſchriebenen Gat⸗ 
tungen der Melodien, ja, gar die Weltweisheit, und in derſelben die 
Natur und Sitten⸗Lehre, die uns nicht nur hier, ſondern vor mehr als 
20. Jahren ſchon, im Orcheſter, doch ohne daß wir uns daran gekehret 
hatten, angeprieſen worden? Wir haben lange componirt, inein guter 
Mann, ohne uns um deinen Kern, oder irgend einen andern zu be⸗ 


ECT 


kümmern u. . w. F. 17. 

Piebey erinnere ich mich jenes ehrlichen Mannes, der zur Noth nur 
leſen, ſchreiben und rechnen kunnte; doch aber, durch viele eigene, ſchwere 
Gerichts Haͤndel, fo weit gekommen war, daß er zuletzt ſelber einen, ob⸗ 
wol ungelehrten, dennoch ziemlich verſchlagenen Anwald abgab, ohne 
den Rechts⸗Leib iemahls erblicket zu haben. Wie mancher beſitzet nicht 
eine wohlgeloͤſete Zunge, oder gewiſſe natürliche Gaben zur Beredſamkeit, 
und bedienet ſich noch wol dabey allerhand verbluͤmter Spruͤche, die er 
nicht kennet, weil ihm niemahls eine Rhetoric zu Geſicht gekommen. 
Sprachen zu reden, ohne die Srammatie zu verſtehen; Kranckheiten 
zu heilen, ohne das geringſte von der Salermtaniſchen Schule zu wiſſen; 
find Vorfälle die täglich aufſtoſſen. Sollten aber darum Juſtinian, 
Cicero, Varro, und Hippocrates ihr Anſehen verlieren? 


OGleichergeſtalt iſt nichts gewoͤhnlichers, als ſolche Eomponiſten ar 
nr 1 


RO 0 15 
zutreffen, die, Zeit ihres Lebens, vom Verhalt der Klaͤnge; von der 
wahren Beſchaffenheit muſſcaliſcher Schreib⸗Arten; von Regeln, einen 
lieblichen Geſang zu machen; vom Unterſchiede der Melodien; von 
ihren Abzeichen und Affecten; von den Eintheilungen und Abſchnitten 
der Klang⸗Rede; vom Einrichten, Ausarbeiten und Schmuͤcken der⸗ 
ſelben; von Annaherung der Fugen⸗Saͤtze ꝛc. nach ordentlich verfaſſeter 
Lehr⸗Art, kein Wort gehoͤret haben, und doch immer luſtig darauf los 
componiren. | 939 | , Me ie 

Wer aber die Kantzel und den Lehr⸗Stuhl beſteigen, oder öffentlich 
vor Gericht treten will, um daſelbſt das Wort, als ein rechtſchaffener 
Mann, zu fuͤhren; Red und Antwort zu geben; trifftige Gruͤnde bey⸗ 
zubringen u. |. w. der muß fuͤrwahr das rechte Gewicht und die eigent⸗ 
liche, innerliche Krafft ſeiner Ausdruͤckungen wohl kennen; die Schreib⸗ 
Art, nach Beſchaffenheit der Sachen und Umſtaͤnde, einrichten; er 
muß wiſſen, geſchickte, buͤndige Vorträge zu thun; den Unterſchied und 
die Abſaͤtze derſelben gehörigen Orts zu machen; die Gemuͤther das 
durch zu bewegen; alles richtig zu entwerffen, fleißig auszuarbeiten, 
aufs beſte zu zieren und nett an einander zu fuͤgen. 


. J. 20. = A 
Da find, in einem deutlichen Vorbilde: Intervalla; Stylus; Melopeia; 
Differentia Melodiarum; Incifiones; Affectus; Diſpoſitio, Elaboratio, Deco- 
ratio; & Artificium; von welchen die acht Haupt⸗Stuͤcke dieſes Werckleins 
kuͤrtzlich handeln. Es ſind Dinge, die bey einem gelehrten Ton⸗Kuͤnſtler 
auf alle Weiſe zu Hauſe gehoren muͤſſen, und ſo wol Eruditum muſicum, 
als Muſicum eruditum betreffen. Mit den uͤbrigen haben wir nichts zu 


ſchaffen. i „„ 5 

Schließlich, weil ich nicht bey dem Druck in Leipzig (als wohin das Ms. 
am untenbenannten Tage verſandt worden) habe gegenwartig ſeyn, noch 
die Correctur ſelbſt verrichten koͤnnen, fo wird man beſtens entſchuldi⸗ 
gen, wenn ja etwas, abſonderlich in den Noten, es ſey von andern, oder 
von mir ſelbſt, verſehen ſeyn moͤchte: weil Sirach doch Recht hat, wenn 
er im 27. Cap. ſpricht: Was der Menſch auch vornimmt, fo Flebes 


immer etwas unreines daran! 


Hamburg den 26. Januarii 
1737. 


Junhalt 


* E. 3X 


Be 


7 Innhalt 
des Kerns Muſicaliſcher Setz⸗Kunſt. 


Das erſte Haupt⸗ Stuͤck 


Som Verhalt der klingenden Intervalle 
p. 1 
Das zweyte Haupt⸗Stüͤck 


Von der Componiſten Schreib⸗Art 12 
und zwar | 


) vom Kirchen⸗ Styl 13 
2) vom theatraliſchen Styl 20 
3) vom Kammer⸗Styl 


Dias dritte Haupt⸗Stüͤck 
Von der Kunſt eine gute Melodie zu 15 
chen 
Hier wird gezeiget, daß eine gute Melo⸗ 
die ſeyn ſolle 


a) leicht 35 
b) lieblich 35 
c) deutlich 35 
d) flieſſend 36 


Sodann werden 1 Regeln gege⸗ 
ben und erlaͤutert, als 


ſieben von der Leichtigkeit Ey 
zehn von der Deutlichkeit 39 
achte von der Wohlflieſſenheit 45 

achte von der Lieblichkeit 


Das vierte Haupt⸗Stuͤck 


Vom Unterſchied der Vocal⸗ und 1 


r 


. 


48 


Das fuͤnffte Haupt⸗Stück 
Von den Einſchnitten der Klang⸗Rede 
L 


ie Einſchnitte find 


a) das Comma 75 
b) das Semicolon 80 

o) das Colon 87 
d) das Frage⸗Zeichen 89 
e) das Exclamations⸗Zeichen 90 
f) die Parentheſis 91 
g) das Punctum 


Das ſechſte Haupt⸗Stüͤck 


Von den Gattungen der Melodien und 
ihren beſondern Abzeichen 93 
Solche ſind a) bey den h Stuͤcken 


I) der Choral 94 
2) die Aria 95 
3) die Cavata 96 
4) das Recitativo 97 
5) die Cantata 98 
6) das Duetto 99 
7) das Terzetto 100 
8) der Chor 100 
9) die Serenata 101 
10) das Ballet 102 
II) das Paſtorale 103 
12) die Opera 104 
13) die Dialogi 105 
14) das Oratorium 106 
15) die Concerti da Chieſa 106 


(a) 16) Die 


RE Innnhalt. 8 
16) die Motetti 108 27) die Sinfonia 


b) bey den Inſtrumental⸗Sachen 22) die Ouverture 125 
I) le Menuet | 189 60 une 
5 Ca 5 Das ſiebende Haupt⸗Stuͤck a 
3) die Bourree 112 Von der Einrichtung, Ausarbeitung 
4) der Rigaudon 112 und Zierde in der Setz⸗Kunſt 127 
5) la Marche 113 und zwar von der i 
6) die Entree 114 aqa) Diſpoſition oder Einrichtung 128 
7) die Gique | 15 und deren Theilen: | 
8) die Polonoiſe 116 dem Eingange 129 
9) die Angloiſe 117 dem Berichte | 129 
10) lePaflepied 118 dem Antrage . 129 
II) der Rondeau 119 der Wiederlegung 130 
12) die Sarabanda 119 der Bekraͤfftigung 438 
13) die Courante 10 dem Schluſſe 130 
14) die Allemanda 121 die gegebenen Lehr⸗Satze werden mit 
15) Aria mit und ohne Doubles 122 einem Exempel erlaͤutert BI 
16) Fantaifies 122 b) Ausarbeitung oder Elaboration 

7) die Ci mi >affe-caille „ | 137 

een an 123 e) Ausſchmuͤckung oder Manieren 139 
18) die Intrada 124 2 ehr, st 
Sonya u Das achte Haupt⸗Stuͤck 
20) Concerto groſſo 124 Von den Fugen 1447182 


Kern 


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Prſtes Haupt Stüd. 


Vom Verhalt der klingenden Intervalle. 


(In Intervall iſt eigentlich der Raum, zwiſchen zweyen Enden abge⸗ 
meſſener Klaͤnge, die einen gewiſſen Verhalt mit einander haben. Der 
ei achtzehende h. wird dieſes weiter erklaͤren. 


2. | 1 
ht Ein Verhalt iſt diejenige Beſchaffenheit, welchen die Enden ſelbſt 
aufweiſen. Woraus der Unterſchied eines Intervalls und eines Verhalts ſatt⸗ 
ſam erhellet. | | 


Die Enden find die Graͤntzen eines Intervalls, an welchen dieſes anhebt und 
aufhoͤret. Sie mogen nun geſetzt werden, wo, und wie man fie haben will. 


„Dieſe Intervalle und ihr Verhalt laſſen ſich, in der Ton⸗Kunſt, nicht beſſer 
abbilden, als durch Linien und Zahlen: weil jene eine ſonderbare Gleichheit mit 
den Sauen haben, und dieſe, bey der Vorſtellung einer jeden Groͤſſe⸗ aaa = 

u A 3 5 


11 


2 Erſtes Capitel: Vom Verhalt 


find. Es beſtehet auch hierin der vornehmſte Nutz und Gebrauch, fo die Zahlen 
bey dem Klange haben: nehmlich, daß ſie zu erkennen geben, wie ſich die Intervalle, 
wenn man ſie ſehen koͤnnte, in ihrer Geſtalt und Maaſſe verhalten würden, 


9. 5. 

Es dienet demnach die Zahl Lehre einem Muſico zur Betrachtung der aͤuſſerli⸗ 
chen Form ſeiner Klänge; zur Emtheilung und Stimmung der Werckzeuge; zum 
weſentlichen Unterſchiede der Ton Arten, und deſſen handgreifflichem Beweisthum; 
gegen und wieder diejenigen, die desfalls auf un echtem Wege find. Dazu dienen 
die mathematiſchen Huͤlffs⸗Mittel in der Muftc, dazu find fie noͤthig; aber ſie ma⸗ 
chen nur einen gar geringen Theil derjenigen Dinge aus, die zur vollkommenen Setz⸗ 
Kunſt erfordert werden, und die gantze har monicaliſche Rechen⸗Kunſt allein 
kan nicht einen eintzigen tuͤchtigen Capellmeiſter hervorbringen. 

§. 6. 

Nachdem wir alſo das Weſen, ſamt dem Nutzen, der Klang⸗Maaſſe kuͤrtzlich 
dargeleget haben, wird derſelben Anwendung und Gebrauch uns zu betrachten ge⸗ 
ben: daß eine Linie, oder eine Zahl, die mit einer andern ſoll verglichen werden, ſich 
nothwendig entweder auf gleichem, oder ungleichem Verhalt, in Anſehung der⸗ 
ſelben, befinden muͤſſe. Iſt die Verhaͤltniß gleich, ſo faͤllt weiter nichts davon zu 
ſagen, denn die Gleichheit braucht keiner Eintheilung; iſt ſie aber ungleich, ſo thun 
ſich unzaͤhlige Gattungen dieſer Ungleichheit hervor, davon wir doch, zu unſerm 
Zweck, mehr nicht, als drey, gebrauchen, nehmlich die reine, die uͤbertheilige 
und uͤbertheilende. 


. 

e Der reine Verhalt iſt, wenn z. E. eine groſſe Zahl, die mit einer klei⸗ 

nern verglichen wird, dieſelbe kleinere nicht nur einmahl, ſondern viel⸗ 
mahl, gantz in ſich faſſet, nehmlich: zweymahl, dreymahl, viermahl 
u. ſ. w. Daraus entſtehen die Benennungen: doppelt, dreyfach, vierfach ꝛc. 
Und wenn eine Zahl, Linie, Saite oder Figur ſich gegen der andern anf 
dieſe Weiſe verhaͤlt, ſo iſt der Verhalt rein. Z. E. 5 
— — . — — 


Bo | EEE — 


Da iſt die eine Linie dreymahl ſo lang, als die andre. 


— 


| g. 8. | | 
Der uͤbertheilige Verhalt iſt, wenn eine Linie oder Zahl, mit ei⸗ 
sularis. ner kleinern verglichen, ſolche einmahl gantz, und noch daruͤber — 
gewiſ⸗ 


der klingenden Interballe. 3 


gewiſſen Theil derſelben, in ſich faſſet. Nachdem nun dieſer Theil groß 
dit, bekommt auch der Verhalt daher feinen uͤbertheiligen Zunahmen. 
Begreifft er die Helffte, fo heißt es ratio ſesquialtera, d. i. der anderthal⸗ 
bige Verhalt; hat er nur ein Drittel, fo iſts ratio ſesquitertia; ein Vier⸗ 
tel, lesquiquarta, u. ſ. w. zum Exempel: | a 
3; N NE | 
2. | ee... 
Da iſt die obere Linie anderthalb mahl ſo lang, als die untere, und 
ratio ſesquialtera vorhanden. 
* * * * X 
VP 


3. i . 
Da iſt die obere Linie um ein Drittel langer, als die untere, und heiſſet 
ſesquitertia. ie 
| * * * * 
5. — •üù nn (us .. 
4. ? — ꝙjj—— —— — — — 


Da iſt die obere Linie, oder Saite, um ein Viertel laͤnger, als die 
untere: daher entſtehet ein uͤbertheiliger Verhalt, deſſen Gattung fes- 
quiquarta genannt wird. u. ſ. w. 


. 
ratio ſu- Die dritte vorhabende Haupt⸗Verhaͤltniß heiſſet die uͤbertheilende, 
eden, Und beſtehet darin, wenn die lange Saite die kleine gantz, und noch dazu 
etliche Theile derſelben enthält. Als z. E. wenn man 15 mit 9 vergleicht, 
heißt die ratio, ſuper bis partiens tertias, weil die 9 gantz, und noch 
darüber zwey Drittel von 9, nehmlich 6, in der Zahl oder Lime 15 ſtecken. 

15. Lu en ——— v— — 
9. — 
Und dieſe Eintheilungen erſtrecken ſich, wie leicht zu erachten, ſonſt bis ins 
Unendliche hinein; aber nicht bey unſrer Klang⸗Maaſſe: denn die hat ihre 
geſetzte Schrancken, wie wir bald ſehen werden. 15 

IO. 

Nimmt man ſich nun die Muͤhe, einen Verſuch mit dem Circkel hiebey anzu⸗ 
ſtellen, fo konnen die 15 klingenden Intervalle, nach Maaßgebung obiger Verhaͤlt⸗ 
niſſe und ihres gleichen, nicht nur deutlich vor . geleget, ſondern auch, 15 
| a wirck⸗ 


4 Erſtes Capitel: Vom Verhalt 


wircklicher Beruͤhrung der Saiten, bewieſen, und dem Urtheil des Gehoͤrs unter⸗ 
worffen werden. | | 
RT RR 
Hiezu bedient man ſich eines gewiſſen Werckzeuges und *) Klang⸗Meſſers, 
ſonſt Monochordum genannt, d. i. der Einſaiter, weil es eigentlich nur eine Saite 
erfordert, welche man, nach allen benoͤthigten Verhaͤltniſſen, eintheilet und abmiſ⸗ 
ſet. Zwar werden bisweilen mehr Saiten darauf gezogen; allein wir nehmen ſie 
nur fuͤr eine an, ſo lange ſie alle einerley Klang haben. 
een 2 
Dieſes hoͤltzerne Gefaͤß, ſo etwa zwey Fuß lang und ſechs Zoll breit (auch 
wol groͤſſer) ſeyn kan, wird theils als ein plattes Brett, theils als ein hohles Kaͤſt⸗ 
lein, gebraucht, und auf der obern Flaͤche mit Papier beklebet, worauf man die 
Verhaͤltniſſe abzeichnet. Daneben muͤſſen einige kleine Steglein oder Unterſaͤtze 
ſeyn, die an Ort und Stelle, wo der Abſchnitt ſeyn ſoll, unter die Saiten, hin und 
her geſchoben werden koͤnnen, als wodurch dieſelben, nach Gefallen, gleichſam ver⸗ 
laͤngert oder verkuͤrtzet erſcheinen, und den geſuchten Klang geben. 
Beine Wollen wir demnach erfahren, was es heiſſe und bedeute, wenn geſa⸗ 
2.2. get wird, es verhalte ſich der Einklang wie 1 gegen 1, nehmlich in gaͤntzli⸗ 
ar cher Gleichheit, fo theilen wir die Saite des Klang⸗Meſſers (wenn deren 
quali, mehr nicht, als eine vorhanden) in zween gleiche Theile, und ſetzen das 
Stegelein auf den Mittelpunct der Theilung, unter die Saite, ſo daß 
dieſe darauf, als eine Bruͤcke auf ihrem Joche, ſanfft ruhe: als denn iſt die 
Abſonderung dadurch ſchon geſchehen, und wenn man mit einem Federkiel, die ſol⸗ 
cher Geſtalt getheilte Saite auf beyden Seiten des Stegeleins anruͤhret, wird die 
eine Helffte eben ſo klingen, als die andre, d. i. gleich. Daher giebt es kein In⸗ 
tervall. 


9. 14. 1 

. Will ich weiter ſehen und hören, ja greiffen und fühlen, wie ſich, im rei⸗ 
2.4 de. nen Verhalt, das doppelte Weſen, darin der Acht Klang ſtehet, hervor⸗ 
m ratione thue, kan ſolches, wie mit allen folgenden, auf zweyerley Art geſchehen: 
"per entweder mit einer, oder mit zwo Saiten. Im erſten Fall wird dieſelbe in 
drey getheilet, zween Theile frey gelaſſen, das Stegelein zwiſchen dieſen 
und dem dritten Theil feſt geſetzet, ſo vernimmt man das geſuchte Intervall. 
Sind aber zwo Saiten da, welches allemahl beſſer iſt, die in einerley 
Stim⸗ 

) Die Frantzoſen nennen es Sonometrei 


der klingenden Intervalle. 1 


Stimmung ſtehen, als denn laſſe man die eine derſelben ungetheilet, ſondere hergegen 
die andre in der Mitte, ſo wird eine jede Laͤnge dieſer letzten, gegen jener gantzen und 
bloſſen Saite, die Octav, obgleich im tiefern Klange, hören laſſen. Bey Unterſu⸗ 
chung der doppelten, drey⸗ und vierfachen Octaven, darf man nur 1 gegen 45 K 
gegen 8; und 1 gegen 16 halten, ſo findet ſich alles richtig und rein. Daher iſt 
das Diapafon das allervollkommenſte Intervall, und leidet keinen Abbruch. 

Das naͤchſte klingende Intervall, fo in der Maaß⸗Ordnung vor⸗ 
kömmt, iſt die Qvint, welche ſchon im uͤbertheiligen Verhalt befind⸗ Nene. 
lich iſt, und zwar, wie anderthalb gegen ein gantzes, oder 3 gegen 2. 23. 
Will ich nun hievon den Beweis haben, mit einer eintzigen Saite, ſo neh⸗ 7, u 
me ich die fuͤnf zuſammen, und theile meine Saite in dieſelbe, laſſe zween d, 
Theile davon auf der einen, und drey auf der andern Saite des Stege⸗ ae = 
leins, ſo geben dieſe den Grund, und jene den darüber liegenden Fuͤnf⸗ 
klang an, nehmlich eine richtige Quint: Nimmt man zwo Saiten, 
ſo bleibet deren eine bloß und ungetheilet zum Grunde, da ſie fir 3 Thei⸗ 
le gerechnet wird; von der andern Saite hergegen ziehet man, mittelſt des unter⸗ 
geſchobenen Stegeleins, ein Drittel ab, als unbrauchbar, und laͤſſet die zwey uͤbri⸗ 
gen Drittel gegen jene bloſſe Saite hören; fo ſtellet ſich ebenfalls eine Dvint ein, 
wiewol im groͤbern Ton, weil die Saiten laͤnger ſind. Nach dieſer Maaſſe waͤ⸗ 
re auch die Qvint rein; aber nach der Temperatur kan fie es nicht ſeyn. Et ſie 
de cæteris. | 

§. 16. 


Wir betrachten hier die klingenden Intervalle, mehr nach ihrer aͤuſſerlichen 
Geſtalt und Groͤſſe, als nach ihrer innerlichen Eigenſchafft und Tugend: daher ſoll 
es unverfaͤnglich ſeyn, wenn wir gleich den Wollaut und Gebrauch et⸗ 

was hintan ſetzen, und bloß nach der Meß- Ordnung allhſer mit der 

Qvart fortfahren. Ihr Verhalt it uͤbertheilig, wie 1 und ein Drit⸗ oyarız. 

tel gegen 1, oder wie 3 gegen 4, allwo die erſte Groͤſſe von der letzten 3. 4. 
vollig, ſamt einem Drittel mehr, begriffen wird. Solches nun auf in ratione 
dem Klang ⸗Meſſer zu zeigen, und zwar mittelſt einer eintzigen Saite, Aperpartice- 
(indem der Verhalt ziemlich deutlich iſt) theile man fie in ſo viele Theile, 
als 3 und 4 zuſammen machen, nehmlich in ſieben; laſſe 4 zur lincken, resquitertia, 
und 3 zur rechten Hand des Stegeleins; alsdenn wird, wenn der 
Grund ⸗Klang etwa ein s ſeyn ſollte, der 1 7 ohnfehlbar ein e ſeyn. En 


6 Erſtes Capitel: Vom Verhalt 


Will ichs mit zwo Saiten verſuchen, (dabey man doch allzeit verſichert bleiben 
muß, daß fie beyde genau in einem Ton ſtehen, und gleiche Länge haben) ſo rechne 
ich die eine gantze Saite für vier, ſteche auf der andern drey ſolcher Theile mit dem 
Bruͤcklein ab, ſo werden dieſe drey und jene vier eine Qvart angeben. | 


H. 17. 

Nach unſerm Vorſatz folget nun die groſſe Tertz, in eben dem 
Bertia major. iiber theiligen Verhalt, jedoch in einer andern Gattung, wie 1 und ein 
458. Fuͤnfftel gegen 1; oder wie 4 gegen 5. Solche Beſchaffenheit des Zus 
5 e ſammenklanges nun auf einer Saite vorzuſtellen, theile man dieſelbe in 
I ri. 9; laſſe vier davon zur rechten Hand des S eges, und fünff zur lincken 
1beruͤhren; jo wird man die groſſe Tertz deutlich vernehmen. Will ichs 
cesqulguimts auf zwo Saiten verſuchen, muß die bloſſe für 5 gelten, und den Grund⸗ 
Klang fuͤhren; auf der andern aber ſteche ich ein Fünffrel als unbrauch⸗ 
bar ab, daß nur vier zum Anſchlag nachbleiben: alsdenn geben dieſe vier 
Theile gegen jene fuͤnf der gantzen bloſſen Saite auch eine groſſe Tertz, 
ſo, daß wenn beyde Saiten z. E. ins a geſtimmet waͤren, die um ein 
eg durch das Stegelein verkuͤrtzte nothwendig wie eis klingen 

muͤſte. 


. 1% 

Yorsi minor. Die kleine Tertz hat die naͤchſte Stelle, und befindet ſich eben⸗ 

5.6. falls in dem uͤbertheiligen Verhalt, jedoch in einer ſolchen Gattung, 

in ratione wie 1 und ein Sechſtel gegen 1; oder wie 5 gegen 6. Wer dieſe klingen⸗ 
Sperper ren de Verwandtſchafft mit einer eintzigen Saite beweiſen will, muß elf Thei⸗ 

1. le daraus machen, (nehmlich 5 und 6 zuſammen.) Sechs bleiben zur 

fesquifexta. lincken, als im Grunde, und fünff zur rechten, als in der Höhe; fo 

wird ſich, bey der Beruͤhrung dieſer und jener Theile, die kleine Tertz 

deutlich melden. Will es jemand auf zwo Saiten verſuchen, (wie wir 

denn bey dieſer beſten Weiſe fernerhin, Kuͤrtze und Beqvemlichkeit hal⸗ 

ber, bleiben wollen) der halte die bloſſe Saite fuͤr ſechs Theile, und 

ziehe don der andern, durch Unterſchiebung des Steges, ein Sechſtel ab, daß 

daſelbſt nur fuͤnf zum Anſchlage uͤbrig bleiben: ſo giebt die gantze Saite das untere, 

die verfürgte aber das obere Ende einer kleinen Tertz zu vernehmen. Das heißt 

man die beyden Enden eines klingenden Zwiſchen⸗Raums. | 


H. 19. 2 © . 
Nun koͤmmt die groſſe Sert zum Vorſchein: ihr Verhalt iſt uͤbertheilend a 
un 


der klingenden Intervalle. 7 


und den Tertzen, Qvarten und Qointen nicht gleich; von einer fOls Sas major. 
chen Art, wie 1 und 2 Dritiel gegen 1; oder, wie 3 gegen 5. Bey dieſer 3.5. 
Bewondtniß nimmt man ſeine bloſſe Saite fuͤr fuͤnff Theile an; ſticht auf in ratione 
der andern drey Fuͤnfftel ab; ſchlaͤgt denn dieſe drey gegen jene fuͤnff Heber bar 
an, fo iſt die Sache richtig. Denn ich ſetze den Fall, daß die groſſe 1 
Saite ins h geſtimmet wäre, fo muͤſte die eben alſo geſtimmte, um zwey bis-tertiac; 
Drittel verkuͤrtzte, nothwendig wie gis klingen. Und das iſt die 
groſſe Sext, oder eine von ihnen. 
= $. 20. | 
Das letzte unter den am beiten klingenden Intervallen iſt end: vnn mor, 
lich die kleine Sext: ihr Verhatt it uͤbertheilend, wie der letzt⸗ vor⸗ _ 5-8 
hergehenden groſſen Sert; ja, wie aller nachfolgenden Zuſammenklaͤn⸗ in ion 
ge, deren etliche gar hart lauten, und beweiſen, daß die innerliche Eigen⸗ Lees 
ſchafft fich nicht allemahl nach der aͤuſſerlichen Geſtalt beurtheilen laſ 1. 
ſe. Die Gattung des Verhalts bey der kleinen Sert iſt wie 1 und 3 tri- quintas- 
Fuͤnfftel gegen 1; oder wie 5 gegen 8; da die achte Zahl die fuͤnffte gantz 
und noch drey Fuͤnfftel daruͤber begreifft. Man nehme nun hiebey ſeine 
bloſſe Saite fuͤr acht Theile an, und ziehe von der andern Saite drey ſolcher Achtel 
ab, daß 5 nachbleiben, ſo muͤſſen dieſe 5 gegen jene 8 eine deutliche kleine Sext, z. E. 
7. b angeben. 
| §. 28 
Wenn wir nun gleich, aus Ehrerbietigkeit für die lieben Zahlen, 
Linien und Groͤſſen, nach ihrer Ordnung verfahren wollten, und ſolchem Spun mi. 
nach die kleine Septime, weil fie einen deutlichern und in wenigern Thei e 
len beſtehenden Verhalt hat, als die groſſe Septime (wie dieſe denn 1 8 8 
auch herber klinget, als jene) vorangehen lieſſen, fo wuͤſte ich doch nicht, per quadru- 
ob die Zahl⸗Herrſcher nicht vielleicht ihren eignen Grund⸗Saͤtzen wie⸗ Pparzene. 
derſprechen wurden. Dennoch fen es gewagt! Es verhaͤlt ſich den 
nach die kleine Septime auf diejenige uͤbertheilende Art, da eine groſ⸗ 
ſe Saite die kleinere gantz, und noch vier Fuͤnfftel von derſelben in ſich 
faßt, wie 1 und 4 Fuͤnfftel gegen 1; oder wie z gegen 9. Dy ſchaͤtze ich nun, 
bey der Probe, meine gantze bloſſe Saite fuͤr 9 Theile, und von der andern Saite 
nehme ich, mit dem Stegelein, vier ſolcher Neuntel ab, daß nur fuͤnf zum Anſchla⸗ 
ge bleiben. Wenn denn die lange Seite, z. E. g klinget, ſo muß die verkuͤrtzte un⸗ 
fehlbar 5 angeben, - | 
| 6.22. 


8 Erſtes Capitel: Vom Verhalt 
§. 22. 
Soptima e. Die groſſe Seßtime beſtehet in einer ſolchen uͤbertheilenden Ver⸗ 
5 1j. haltungs⸗Art, da ſich rund 7 Achtel gegen ı hören laſſen, oder wie 8 ge⸗ 
in ratione gen 15. Wenn der Beweis erfolgen ſoll, wird die eine und gantze Saite 
, fuͤr 15 Theile angenommen, und die andre machet man, mittelſt Unter⸗ 
e cava. ſchiebung des Stegeleins, um ſieben ſolcher Funf gehe finger, fo blei⸗ 
ben ihrer acht zum Klangeuͤbrig, welche denn, gegen jene 15, die verlang⸗ 


te groſſe Septime zum Gehoͤr bringen, z. E. g. ns 


§. 23. 

Tonus major. Mit dem groſſen Ton hat es wiederum, in Anſehung der Zahlen⸗ 
89. Deutlichkeit, eine andre Beſchaffenheit, als mit der groſſen Septime. 
bree © Denn ſo wie, von Maaß wegen, dieſe den Nachtritt haben muß; ge⸗ 
e hoͤret hergegen jenem der Vorzug vor dem kleinen Ton. Er ſoll ihn 
fesqui-odtava auch haben. Aber es iſt noch eine wichtige Rechnungs Anmerckung 
vide 9-8 hiebey zu machen, daß wir, mit dem groffen und kleinen Ton, keines⸗ 
weges in der Claſſe des uͤbertheilenden Verhalts bleiben koͤnnen; 
| ſondern in die uͤbertheilige wieder zurück ſpringen muͤſſen, welches kei⸗ 
ne geringe mathematiſche Unordnung iſt. Denn der groſſe Ton ſtehet in dem u 
bertheiligen Verhalt wie rund 1 Achtel gegen 1; oder wie 8 gegen 9. Wer es 
auf dem Klang⸗Meſſer verſuchen will, nehme die bloſſe S Saite fuͤr neun Theil, und 
ziehe der andern ein ſolches Neuntel, als einen Überfluß ab, daß nur 8 davon 

angeſchlagen werden, ſo meldet ſich die groſſe Secunde, wie c und d. | 


§. 24. 

Ton minor. Eben der Haare iſt auch der kleine Ton, nehmlich, eines ſochen 
9.10. uͤbertheiligen Verhalts, als 1 und 1 Neuntel gegen 1; oder, wie 9 
1 8 gegen 10, da die groſſe Zahl die kleinere gantz, und noch ein Neuntel dar⸗ 
lari, über, in ſich faſſet. Wer ſich nun dieſes Intervall mit zwo Saiten vor 
ſesqui · nona. die Augen und Ohren legen will, der muß die bloſſe Saite für zehn Thei⸗ 
le, und fuͤr eine Grund⸗ Stimme annehmen, der andern hergegen ein 
Zehntel abkuͤrtzen, daß nur neun Zehntel zum Anſchlage kommen, und 
alſobald wird er den kleinen Ton, wie z. E. d-e, vernehmen. Wer vier Saiten 
eines Klanges und einer Laͤnge, bey dieſem Verſuch aufziehet, der kan gar ſchoͤn 
den Unterſchied des groſſen und kleinen Tons hoͤren, ſehen und fuͤhlen, einfolglich 
handgreiflich daraus ſchlieſſen, daß es bey weilem cht en m aus dem c, 

oder aus dem d, zu muſiciren. 5 
25, 


der klingenden Intervall. 9 


i an | $. 25. | 

Hieher gehoͤren denn die halben Tone noch, fo wol der groſſe, als Een enen 
der kleine: denn ihr beyderſeitiger Verhalt iſt nur uͤbertheilig, und fie „, 15 5 
find diefen falls, obgleich ſehr hartlautende Intervalle, ihrer Abmeſſung in ratione 
nach, nicht viel unedler, als die vornehmſten Geſchlechter der Qointen. Aperparricu 
Welches dem Circkel abermahl die Scepter⸗Wuͤrde benimmt. Es yesaui deri- 
wird demnach die Geſtalt des groſſen halben Tons aus demjenigen uͤber⸗ w quintz 
theiligen Verhalt erkannt, da ı und 1 Sechszehntel gegen 1; oder 15 ges 
gen 16 in Betracht kommen. Der Klang ⸗Meſſer rechne nur feine gantze 
Saite fuͤr 16, und ſteche ein ſolches Sechszehntel von der andern Saite 
zuruͤck, ſo hoͤret er den Zuſammenklang des groſſen halben Tons, z. E. 
wie e- f; oder wie hc. 5 | 

26. 


Der kleine halbe Ton verhaͤlt ſich wie rund ein 25 Theil gegen 1; Heriromium 
oder wie 24 gegen 25. Man nimmt hiebey die gantze bloſſe Saite fuͤr e 426. 
Theil, ziehet von der andern ein ſolches Fuͤnfundzwantzigtel ab; fo in ratione 
laͤßt ſich der kleine halbe Ton Hören, als z. E. cis. Was nun bey be een rien 
den Tonen, wegen des Unterſchieds, angegangen iſt, das kan auch bey fesquivigek- 
den halben Tonen mit groſſem Nutzen bewährt erfunden werden, und ma quarta, 
dienet zum unumſtoͤßlichen Beweiſe, daß bey keiner Verſetzung die 
Gänge fo bleiben, wie fie geweſen find. 
3 a | 
Noch ſind uͤbrig ein Paar vortreffliche und edle Intervalle, welche Erumidie- 
zwar keine ſolche leicht⸗begreiffliche Form haben, als Octaven und Qvin⸗ pente. 
ten; aber weit fchönere Eigenſchafften beſitzen. Das erſte iſt die verklei⸗ 45-64. 
nerte Qvint, und ihr Verhalt uͤbertheilend; wobey die hoͤchſte Zahl faber noven⸗ 
die kleine Zahl gantz und noch neunzehn Fuͤnfundviertzigtel dazu, in deeimpar- 
ſich begreifft, d. i. wie 45 gegen 64. Bey der Probe des Klang⸗Meſ⸗ add e 
ſers nimmt man alſo die bloſſe, leere Saite für 64 Theile, benimmt her⸗ mas quintae, 
hegen ihrer benachbarten 19 derſelben Theile, damit deren nur 45 zum 
Anſchlage übrig bleiben: alsdenn wird, wenn die freye lange Saite 3z. 
E. ins © geſtimmet wäre, die kleinere und verkuͤrtzte gantz gewiß wie das daruͤber 
liegende d klingen, und alſo die sn kleine Qvint hoͤren laſſen. * 
28. 
Endlich ſchlieſſet den Reihen die groſſe Qvart, in ihrem uͤbertheilenden Ver⸗ 
halt, da nehmlich die lange Saite, von 45 e auf 32 verkuͤrtzte Nachba⸗ 
n ö rin 


10 Erſtes Capitel: Vom Verhalt 


Tritonus. rin gantz, und ant, und noch daruͤber dreyzehn ſolcher zwey und Drang Theile 
es ausmacht, oder wie 32 gegen 45. Zum Beweiſe deſſen, duͤrffen wir 

ſaper trede MT von der einen Saite 13 Fuͤnfundviertzigtel zuruͤck ſtechen, daß ih⸗ 
cim partien rer mehr nicht als 32 zum Anſchlage uͤbrig bleiben: alsdenn werden ſich 
igefimas le. dieſe 2 gegen die gantze Saite, welche als 45 angeſehen wird, wie eine 
eundas, groſſe Qvart hoͤren laſſen, ſo daß, wenn z. E. die bloſſe Saite ins < ge⸗ 
ſtimmet waͤre, die mit dem Stegelein, auf obige Art, e noth⸗ 

wendig das z angeben ae 


$. 
Wer inzwiſchen, aus Liebe zur 800. Ordnung, dencken ſollte, die groſſe 
Qvbart muͤſſe, weil ihr Verhalt leichter zu begreiffen iſt, der Elernen Qvinte vorge⸗ 
hen, der darff nur die $ $. verwechſeln: meinen Willen hat er dazu. 


§. 30. 

Und ſo weit moͤgte es noch mit der mathematiſchen Lehr⸗Art, in der Klang⸗ 
Moaſſe, einige Richtigkeit haben, wenn wir nicht wuͤſten, daß ihr die Natur laͤngſt 
darin vorgearbeitet, und ohne Circkel, Maaß Stab, Linien oder Zahlen alle dieſe 
Intervalle, nach viel ſchoͤnerer Ordnung, vom Anfange bis zu Ende, ausfuͤhrlich 
in unabgetheilte Coͤrper, in unbeſaitete Klang⸗Meſſer (in monochorda fine 
ulla chorda) geleget hätte, darüber man billig hoͤchſtens erſtaunen und bekennen 
muß, daß die Herren Rechenmeiſter, mit ihren ſauren Erfindungen, in ſo fern ſie 


ſolche den Zahlen und Gewichten urſpruͤnglich zuſchreiben, viel, ſehr viel zu ſpaͤt 
kommen ſind. ö 


. 

Denn des edlen Waldhorns zu an; darauf ſich am 8 December 
1736. in Hamburg ein Blindgebohrner hören ließ, der mehr Klaͤnge hervorbrachte, 
als eine Orgel hat: alles ohne mathematiſchem Schwerdt und Wage; ſo uͤberhebt 
uns der Sprengel einer unabgezehlten Trompete, (inſtrumentum, quaſi inftru- 
ens mentem) vieler Muͤhe: wovon zwar der redliche Werckmeiſter eins und 
anders, zu ſeiner Zeit, und nach ſeiner Art, ſchon gemerckt; aber das Ding lange 
nicht tieff genug eingesehen, vielweniger in fein völliges Geſchicke gebracht hat: 
welches denn hiemit geſchehen ſoll, und zwar auf eine ſolche Weiſe, daß wir nicht 
einmahl noͤthig haben, alle Klaͤnge mitzunehmen und herzuſetzen, die man auf der 
Trompete in der Höhe findet, und da fich bekannter maaſſen, die kleinern Inter val⸗ 
le viel haͤuffiger als unten, hervorthun. 


§. 
Man hat zwar bisher gemeinet, es wirbt an verſchiedenen Intervallen en 
ie⸗ 


der klingenden Intervallen 11 


dieſen heroiſchen und Geheimniß⸗ vollen Werckzeugen mangeln; weil es aber eine 
laͤngſt ausgemachte Sache iſt, daß ſich z. E. auf der Trompete das z viel leichter 
und reiner anbiofen laͤßt, als ſelbſt das F; fo wird durch ſothane Zweifertigkeit 
nicht nur der vermeinte Abgang reichlich erſetzet, ſondern auch gar ein Überfluß zu⸗ 
wege gebracht, und der gantze Entwurff aller Klaͤnge, im beſagten ungekuͤnſtelten 
Coͤrper, ohne allem Zwang, alſo erſcheinen: | 


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Sweytes Haupt ⸗Ituͤck. 
Von der Componiſten Schreib - Art. 


Eil die beſondere Anwendung und Zuſammenfuͤgung gewiſſer 

Woͤrter, Redens⸗Arten, Ausdruͤcke und Formalien, ſo wol in 
heiliger Schrifft, als im Gericht, bey Hofe, in Kantzeleyen, 
auf Lehrſtuͤhlen, in Briefen und taͤglichem Umgange einen merck⸗ 
a lichen Unterſchied des ſo genannten Styls hervorbringet: ſo ſte⸗ 
het leicht zu erachten, daß die Ton⸗Kunſt, da ſich ihr Nutz und Gebrauch uͤber 
GoOttes⸗Haͤuſer, Schaubuͤhnen und Zimmer erſtrecket, nothwendig auch, durch 
ebenmaͤßige Anwendung und Zufammenfügung gewiſſer Klaͤnge, Gange, Falle, 
Geltungen und Zeit⸗ Ordnungen, in ihrer Schreib⸗ und Setz⸗Art, ſehr verſchie⸗ 
den ſeyn muͤſſe. 


| 6. 2. 

So leicht nun einem eden ſolches in die Augen fällt, und fo ſehr es einem 
angehenden Componiſten obliegen ſollte, vor allen Dingen dieſe Sache wohl zu 
unterſuchen, ſich einen deutlichen Begriff davon zu machen, und hernach ſelbſt, 
mit Verſtande, die Ausübung darüber anzuſtellen; fo wenig finden wir, daß 
diejenigen, welche die Noten Feder kuͤhnlich zu ergreiffen und zu führen fich ge: 
luͤſten laſſen, hiebon den gehoͤrigen Unterricht haben, ſondern, ohne zu wiſſen, 
in welchem Styl ſie auch nur arbeiten wollen, alles, wie Kraut und Ruͤben 
unter einander hacken: weil dieſer Punct in ihren Lehr-Buͤchern nur gantzſpar⸗ 
ſam beruͤhret; nirgend aber gehoͤrig aus einander geleget und deutlich ausgefuͤh⸗ 
ret worden iſt. b 0 

U 3: 


Zweytes Capitel: Von der Componiſten Schreib, Art. z 


| et 

Nun iſt zwar in der zweyten Eröffnung des Orcheſters von gegenwaͤrtiger 
Materie bereits eines und das andere vorgetragen, welches hiebey aufs neue 
mit zu Rath gezogen werden kan; Allein wir duͤrffen deswegen doch keinen 
Anſtand nehmen, ein mehrers davon, dieſes Ortes, zu melden. Denn es fin: 
den ſich noch ſo viele noͤthige Dinge disfalls zu erinnern, und die Wiſſenſchafft 
von dem Styl iſt fo wichtig, auch von fo wenigen bisher recht eingeſehen, daß 
nicht leicht zuviel davon geſaget werden mag. . 


| . 4 

Marco Scacchi, ein beruͤhmter welſcher Ton⸗Kuͤnſtler feiner Zeit und dreyßig⸗ 
jaͤhriger Capellmeiſter zweer Koͤnige in Pohlen, Sigismunds III. und Uladis⸗ 
las IV. deren erſter auch zugleich Schweden beherrſchte, bekraͤfftiget in einem Ma⸗ 
nuſcript, welches auf dem oͤffentlichen Hamburger Buͤcher⸗Saal befindlich, und 
an den damahligen Cantorem in Dantzig, Chriſtian Werner, gerichtet iſt, 
daß die Eintheilung aller muſicaliſchen Schreib⸗Arten in drey Claſſen, nehmlich 
in Kirchen⸗Kammer⸗ und Theatral⸗Styl nicht nur ihre völlige Richtigkeit habe, 
ſondern auch nothwendig alſo, und auf keine andre Weiſe, gemacht werden koͤn⸗ 
ne noch muͤſſe. | 


| §. 5. 

Damahls aber, etwa vor 100. Jahren, hat der Kirchen⸗Styl nur vier 
ſchlecht unterſchiedene Gattungen unter ſich begriffen; der Kammer ⸗Styl drey, 
und der theatraliſche ließ ſich noch gar nicht theilen, ſondern war einfach: daß 
man alſo mit Muͤhe nur 8. Arten berechnete. Man kan aber leicht dencken, 
daß ſich, ſeit der Zeit, viele Veraͤnderungen zugetragen haben, und die Zahl um 
ein Paar vermehret worden iſt. Ob nun dieſer Zuwachs kuͤnfftig hin noch wei⸗ 
ter gehen werde, ſolches wollen wir der Nach⸗Welt zu erleben gerne uͤberlaſſen: 
genug, daß die Haupt⸗Eintheilung ihre Gewißheit, ohne allen Zweifel, ſtets be⸗ 
haupten wird, und auch alle neue Neben⸗Aeſte ſich vermuthlich leicht auf die be⸗ 
reits⸗ vorhandene beziehen duͤrfften. 5 


I. Vom Kirchen⸗Styl. 
| | d. 6. Be 
Will nun jemand wiſſen, wie es mit dem gebundenen und ei: Ven 
gentlich ſo genannten Kirchen⸗Styl, welcher von den ungeheuren zu⸗ 
ſammengebundenen Noten den Nahmen hat beſchaffen ſey, und auf was 


Art man mit demſelben umgehen muͤſſe, der darff nur ein Paar alte | 
D 3 Meß⸗ 


— 


14 Zweytes Capitel: Von der 


— — — — —t3 — — 4 
Meß⸗Buͤcher, worin die Kirchen-Gebraͤuche, oder Ordnungen des aͤuſſerlichen 
Gottes-Dienſtes ſtehen, betrachten, und die, nach den erdichteten acht Grego⸗ 
rianiſchen Ton⸗Arten, eingerichtete Gegen⸗Geſaͤnge, Epiſtel⸗ und Stuffen⸗Lieder, 
ſammt den Beantwortungen des Chors u. ſ. w. aufſuchen, fo wird er feine Be: 
gierde bald ſtillen koͤnnen: zumahl, wenn er die Auslegung dieſer Bindungen 
in Walthers Woͤrter⸗Buche zu Rathe ziehet. Bey uns Evangeliſchen ſind 
nur noch ſehr wenige Ueberbleibſel von dieſem Styl; bey den ſo genannten Ca⸗ 
tholiſchen aber, in ihren Stifften und Kloͤſtern, trifft man die Menge davon an. 


ar, 

Wegen einiger Verwandtſchafft und Verbindung wurde dieſer Styl vor 
Alters von einigen auch der Capell⸗Styl genannt, wenn nehmlich uͤber einen fol- 
chen gebundenen Geſang, der feſt und unbeweglich blieb, mit vieler Geſchicklich⸗ 
keit von den andern Capell⸗Stimmen gekuͤnſtelt wurde: denn dabey war man 
ebenfalls an gewiſſe Schluͤſſe, enge Schrancken und Intervalle gebunden; die 
Abſaͤtze oder Ruhe⸗Stellen der Melodie in die Tertz und Qvart muſten ſich aus⸗ 
muſtern laſſen; die Graͤntzen der geborgten Ton⸗Arten wurden genau von den 
ſelbſt ſtaͤndig⸗vermeinten unterſchieden; es durffte ſich das Intervall der Sext 
bey Leibe in dem Geſange nicht melden, und was dergleichen mehr war: welches 
mit gutem Recht einer gebundene Setz⸗Art heiſſen mag, wenn gleich noch ſo viel 
gezwungene Zierrathen und ſchwere Kuͤnſte dabey vermacht waͤren. 


| 9. 8 
Wir ſetzen inzwiſchen, heutiges Tages, auch Pſalmen und geiſtliche Lieder, 
G Ott zu ehren, zu loben, zu preiſen, und die Andacht bey den Zuhörern zu erwes 
cken, wie denn das eigentliche Abzeichen aller Kirchen⸗Muſic und ihre eintzige 
Vollkommenheit darin beſtehet, daß ſie zur Gottesfurcht, auf eine edle und ernſt⸗ 
haffte Weiſe, reitze; aber, wir richten uns nicht mehr nach den ſteifen Vorſchriff⸗ 
ten des gebundenen Styls, und wiſſen ſeiner gar wohl zu entbehren. 


$. 9. 

Mote&ticus, Wollte iemand weiter gehen, und erfahren, was der Moteten⸗ 
Styl für eine Eigenſchafft habe, der darff nur den Hammerſchmidt 
und feines gleichen zur Hand nehmen. Ich will dieſes aber fo ſpoͤttiſch 
nicht gemeinet haben, als ob nicht viel ſchoͤnes, abſonderlich im Artickel 
der Vollſtimmigkeit, in mancher Motete von eben dieſem beruͤhmten 
Mann, vom Orlando Laſſo, und andern enthalten, auch vieles dar⸗ 
aus zu lernen ſey. Man kan von ihnen billig ſagen: Sie haben 
Muſicam tuͤchtig gelernet, und geiſtliche Lieder gedichtet: ſie ſind 1 

zu ih⸗ 


Componiſten Schreib Art. _ 15 


„„ ³ PVwbwbb... TT 
zu ihren Zeiten loͤblich geweſt, und bey ihrem Leben geruͤhmt a und haben ehrli 
che Nahmen hinter ſich gelafien. Sir. 44. 

10. 

Allein die Zeiten laſſen dergleichen Dinge, in ihrem damahligen Zuſammen⸗ 
hange, nicht mehr zu; Und es leidet fo wol der Wort⸗Verſtand, d. i. der Sinn 
des Textes, als auch die rechte Fuͤhrung einer angenehmen Melodie, bey dieſem 
Styl gar zu ſehr. Sonſt laͤßt er, nach ſeiner Art, viel buntes, verbraͤmtes, 
und mit Fugen, Allabreven, Contrapuncten kuͤnſtlich durchwircktes Weſen zu; 
dabey aber nur wenig Worte zum Grunde geleget werden: daß er vielleicht 
auch daher ſeinen Nahmen bekommen haben mag, nehmlich von dem welſchen 
Motto, ſo ein Wort bedeutet. Daß ihm aber deswegen der canoniſche Styl 
unterworffen ſeyn ſollte, weil auch bisweilen die Canones in der Moteten vor- 
kommen, ſolches folget gar nicht: indem ſo wol in Kammer⸗als Theatraliſchen 
Dingen ebenfalls dergleichen Kunſt⸗Stuͤcke angebracht werden, ohne daß ſich 
ſonſt das geringſte von einer Motete Ku meldet. 

II. 

Obgedachter Scacchi ſagt in dem erwehnten Manuſcript, es muͤſſen die 
Sachen in dieſem Styl mit ſolcher Geſchicklichkeit verfertiget werden, daß ſie 
weder der Schaubuͤhne, noch der Kammer zu nahe treten; ſondern gleichſam 
die Mittel⸗Straſſe halten: ingleichen, daß man bey den Italiaͤnern feiner Zeiten) 
die Moteten⸗ Art in den Oratorien zu gebrauchen pflegte; womit es iedoch heut 
zu Tage ganz anders beſtellet iſt. Die Verwunderung „den Schmertz und an⸗ 
dre Gemuͤths⸗Bewegungen hat er ausdruͤcken ſollen; und iſt doch, wegen Ab⸗ 
gangs einer edlen Einfalt und Deutlichkeit, gewißlich am allerunbeqvemſten da⸗ 
zu. Ich mag gerne Fugen leiden; aber ein Stuͤck von lauter Fugen hat keinen 
Nachdruck, ſondern iſt eckelhafft: und daraus beſtunden vormahls die Moteten, 
theils mit, theils ohne Inſtrumente; doch, in den letztern Zeiten, ſelten, ohne 
General⸗Baß. Die Miſſen, Moteten, und dergleichen Geſaͤnge von 4.5. 6. bis 
8. Stimmen, ohne Orgel, machten die erſte Gattung des Kirchen⸗Styls aus: 
die andere beſtund in eben denſelben Liedern mit der Orgel, und verſchiedenen 
Ehören. Die dritte lieferte Concerten, und die vierte Moteten nach der damah⸗ 
ligen neuen N Schlechter Unterſchied! 


6... 12, 
Es i noch nicht gar lange, da man dem Moteten⸗Styl faſt den 2 00 
vor allen andern in der Küche hat behaupten wollen; ohne zu bedencken, oder 
zu wiſſen, wie ſehr er ſelbſt in gar alten Zeiten herunler gemacht, ja jo 0 


16 Zweytes Capitel: Von der 


lich und unheilig gehalten worden, daß er ſich kaum hat duͤrffen blicken laſſen⸗ 
Vor mehr als 800 Jahren ſchon, da ſie noch viel ernſthaffter ausſahen, als nach⸗ 
hero, nannte man die Moteten geringe und ſchlecht, unandaͤchtig und unordentlich, be⸗ 
ſchloß auch, daß ſie in der Kirche nicht gebraucht werden ſollten: wie aus dem Balu⸗ 
zio und Durando zu erweiſen ſtehet. Heutiges Tages erſtreckt ſich die Bedeu⸗ 
tung des Moteten⸗Styls faſt auf alle lateiniſche Kirchen⸗Stuͤcke uͤberhaupt: indem 
wol gantze Pſalmen, von Ort zu Ende, nach dieſer Art, mit beſtaͤndigem Fugiren, 
durchgearbeitet worden. Es kan aber auch dieſer Styl gar wohl, und muß bil⸗ 
lig in geiſtlichen Sachen beybehalten werden; dafern man nur die nach demſelben 
3 Saͤtze mit andern kluͤglich abwechſelt, und zu rechter Zeit unter⸗ 
miſchet. 


§. 1% 

e Die beyden angefuͤhrten Gattungen der muſicaliſchen Schreib⸗ 
Fr Art haben nun nirgend anders Platz, als in der Kirche; Die folgen⸗ 
de dritte aber, nehmlich der Madrigalen⸗ Styl, gehoͤret fo wol dort, 
als auf der Schaubuͤhne, und in Saͤlen oder Zimmern zu Hauſe. Ja, 
er will heutiges Tages faſt alles in allem ſeyn. Oratorien, Paßiones, 
Geſpraͤche, Arien, Cavaten, Serenaten, Aubaden, Cantaten ꝛc. alles 
hat er unter ſeinen Haͤnden. Ja, die Opern ſelbſt. Wir duͤrffen alſo ſeinet 
wegen das Alterthum nicht viel bemuͤhen: denn, die ſogenannten Madrigalen, 
deren Erfindung Donius ums Jahr 1400 ſetzet, find eben fo gar alt noch nicht. 
Und ob zwar die wenigſten poetiſchen Stuͤcke dieſer Art zur heutigen Singe⸗ 
Kunſt geſchickt ſind, wird doch dergleichen Einrichtung in den Verſen bisweilen 
viel zur Anmuth eines Geſanges beytragen; wenn ſie nicht offt, noch allein, vor⸗ 

koͤmmt; ſondern mit andern Reim⸗Gebaͤnden unterflochten iſt. 


§. 14. e 
Die Singſpiele, ſagt Morhoff, ſind faſt durchgehends Madrigalen, und 
werden von den Componiſten mit dem Recitativ ausgedruckt. Er hat auch 
eben hierin kein groſſes Unrecht; als nur, daß er unter dem Recita⸗ 
tiv keinen Unterſchied hat machen koͤnnen: denn er wurde damahls noch Tact⸗ 
mäßig, wie itzo unſer obligato oder arioſo, geſungen, und ſchickte ſich daher beſ⸗ 
fer zu einem foͤrmlichen Madrigal: wie denn auch die Frantzoſen noch, groͤſſe⸗ 
ſten Theils, in ihrem Recitativ bey einer gewiſſen Zeit⸗Maaſſe bleiben; welche 
hergegen bey den Welſchen und denen, die ihnen folgen, laͤngſt abgeſchaffet iſt. 


§. 6. 


Componiſten Schreib⸗Art. 17 


Sn 


f EN. TE | 
Was ſonſt den Urſprung des Nahmens, Madrigal, betrifft, woruͤber fich 
mancher den Kopf vergeblich zerbrochen hat; ſo iſt mir unlaͤngſt eine Deutung 
aufgeſtoſſen, die der Mittheilung nicht unwerth iſt. Die Madrigale (heißt es 
beym Donio) wurden Anfangs von den Welſchen Land⸗Poeten, nach ihrer et⸗ 
was weichen Ausſprache, Madrials genannt: weil man ſie nehmlich zu materia⸗ 
liſchen Sachen, d. i. zu täglichen und gemeinen Vorfaͤllen, zu geringen und ſchlech⸗ 
ten Materien, durchgehends gebrauchte. Und ſolches, ſagt der genannte 
Verfaſſer, iſt die wahre Herleitung des Worts; alle andere ſind nur bey den Haa⸗ 

ren herbey gezogen. 1 

„ 6. | 
Von den Beſchreibungen aber der Madrigale gefüllt mir noch keine beſſer, 
als Caſpar Zieglers ſeine, die ſo lautet: Ein Madrigal iſt bey den Welſchen 
ein kurtzes Gedicht, darin ſie, ohne einiger gewiſſen Reim⸗Maaſſe, etwas ſcharf⸗ 
ſinnig faſſen, und gemeiniglich dem Leſer ferner nachzudencken an die Hand geben. 


i - 

IJgn vorigen Zeiten wurden ſolche Madrigale mit vielen Stimmen, faſt wie 
die Moteten, concertirend geſetzet, und wenn man dergleichen Arbeit heutiges Ta⸗ 
ges anſiehet, koͤmmt ſie uns gantz ſeltſam vor. Es muͤſſen auch nothwendig die 
ehmahligen Oratorien bey den Welſchen eine gantz andere Beſchaffenheit gehabt 
haben: denn in ſolchen kam kein Madrigal⸗Styl zum Vorſchein; da er ſich her⸗ 
gegen zu unſern Zeiten allenthalben haͤuffig meldet; obgleich nicht immer nach der 
poetiſchen Geſtalt, als in welcher dieſe Art der Reimſchluͤſſe ſehr ſelten, bey ietzi⸗ 
ger muſicaliſchen Schreib⸗Art und Setz⸗Kunſt, angebracht werden kan: maaſſen 
ſich, eines Theils, die Recitative nicht in die Madrigaliſche Schrancken ſperren 
laſſen, und andrer Seits, ein foͤrmliches Madrigal zu einer gewoͤhnlichen Arie 
ſchon viel zu lang ſeyn wuͤrde; andrer Umſtaͤnde zu geſchweigen. 

4 8 


18 8 
Wer einen guten muſicaliſchen Dichter bey der Hand hat, oder ſelber einer 
iſt, kan ſchon ein foͤrmliches Madrigal, in einer Cavata anbringen; doch muß da⸗ 
bey allemahl mehr redendes und flieſſendes, als gedehntes, hochtrabendes oder 
durchbrochenes; mehr nachdruͤckliches und deutliches, als gezwungenes und ver⸗ 
bluͤmtes; mehr natuͤrliches und zaͤrtliches, als gekuͤnſteltes und geſchmuͤcktes, ver⸗ 
nommen werden. e 5 | 5 


Es laͤßt ſich auch in dieſer e nicht viel Auf haltens oder har 
| ve 


18 Zweytes Capitel : Von der 


rens machen, aus zweyerley Urſachen, erſtlich, weil ein Madrigal insgemein, wo 
nicht mehr, doch 11 bis 13 Zeilen, und alſo eine ziemliche Lange hat; zum andern, 
weil es das nachdenckliche immer am Ende erſt aufweiſet, und ſich der Verſtand 
nur darauf ſpitzet. 

5. 28. 

Wohlgedachter Hammerſchmidt hat, bey nahe vor hundert Jahren, geiſt⸗ 
liche Madrigale, mit 4 bis 6 Sing⸗Stimmen, unter dem Titel, muſicaliſcher Ans 
dachten, drucken laſſen, die theils gar keine Verſe, ſondern bloſſe Spruͤche Heil. 
Schrifft und kurtze Stoß⸗Gebetlein, theils auch kleine Geſetze aus bekannten Kir⸗ 
chen⸗Liedern enthalten; aber nirgend ein Madrigal, in poetiſcher Geſtalt, aufwei⸗ 
ſen. Die Schrifft⸗Spruͤche ſchicken ſich nicht uͤbel zum Madrigalen⸗Styl in der 
Setz⸗Kunſt, wegen der Ungleichheit ihrer Abschnitte; ; Doch find ſolche darum kei⸗ 
ne Madrigale. Zur Probe wollen wir ein Gebet, aus nur erwehntem Wercke, 
herſetzen, woraus gnugſam erhellen wird, daß unfte liebe Vorfahren eine iede kur⸗ 
tze concertirende Motete fuͤr ein Madrigal gehalten, und weder das Reim⸗Gebaͤn⸗ 
de, noch das nachdenckliche, oder ſcharfſinnige, am wenigſten aber die Eigenſchafft 
der dazu beſtimmten Materien, beobachtet haben; indem ſie ſo gar die allerwich⸗ 
tigſten dazu erwaͤhlen wollen. 


Mit 5 Stimmen, und einer Capelle. 

„Siehe, HErr, hie bin ich Elender! Ich rufe zu dir, Schu, du Sohn David, 
„erbarm dich mein! Ich komme zu dir, HErr, mein Artzt, heile mich, HErr, 
„ſo bin ich geheilet. Hilff mir, ſo iſt mir geholffen! Siehe, HErr, ich 
„ traue auf dich, laß mich nicht zu Schanden werden! 

Die Noten zu dieſem Gebet (welches vermuthlich die Schuler in Zittau bey 
krancken Leuten werden abgeſungen haben, und ein loͤblicher Gebrauch ſeyn mag) 
betragen ungefehr 10 bis 12 Zeilen Partitur, und etwas uͤber 100 Tact, gemeiner, 
N etwas hurtiger, Zeit⸗Maaſſe. 

§. 21. 
Symphonia- Die vierte Schreib Art , fo zum Kirchen Styl gehoͤret, begreifft 
cus. die Inſtrumenten. Weil nun eine Inſtrumental⸗Muſic nichts anders 
iſt, als eine Ton⸗Sprache oder Klang⸗Rede, fo muß fie ihre Ab⸗ 
ſicht allemahl auf eine gewiſſe Gemuͤths⸗Bewegung richten, welche zu 
erregen der Nachdruck in den Tonen, die geſcheute Abtheilung der Saͤtze, die ge⸗ 
meſſene eee u. d. g. wohl in acht zu nehmen find, 


§. 22. 


Componiſten Schreib⸗Artt. 19 


| 14 | . 22 | 

Wie ferne ein iedes Inſtrument feine eigene Wirckung hat, fo befinden ſich 
unter dieſem Styl ſo viele Gattungen, als Werckzeuge, z. E. auf Violinen ſetzet 
man gantz anders, als auf Floͤten; auf Lauten anders, als auf Trompeten ꝛc. 
wozu ſchon eine groſſe Einſicht, Handanlegung und Erfahrung gehoͤret. Und ob⸗ 
gleich bey Inſtrumenten mehr Freyheit zu ſeyn ſcheinet, als bey Singe⸗Stimmen, 
ſo iſt doch ſolche einem Unwiſſenden mehr ſchaͤdlich, als nuͤtzlich, und giebt dem⸗ 
jenigen, der feinen wilden Einfuͤllen den Zügel laͤßt, nur deſto geöffern Anlaß zu 
Mißgeburthen und unfoͤrmlichem Geklaͤngel; falls er nicht vorher gefaßt hat, 
worin etwas foͤrmliches und wohlgeſtaltes beſtehet. 


i . | 
Alles Spielen ift eine Nachahmung und Geſellſchafft des Singens, ja, ein 
Spieler, oder der fuͤr Inſtrumente was ſetzet, muß alles, was zu einer guten Me⸗ 
lodie und Harmonie erfordert wird, viel fleißiger beobachten, als ein Saͤnger, 
der der für Singe⸗Stimmen etwas ſetzet: dieweil man, bey dem Singen, die 
deutlichſten Worte zum Beyſtande hat; woran es hergegen bey Inſtrumenten al⸗ 
lemahl fehlet. 80 a 


| $. 24. 

In fo weit nun der Inſtrumenten⸗Styl mit in die Kirche gehoͤret, (ob er 
wohl, gleich den vorhergehenden, ſich der Schaubuͤhne und der Kammer auch 
reichlich mittheilet) in ſo weit erfordert er, bey den in geiſtlichen Stuͤcken ge⸗ 
braͤuchlichen Sonaten, Sonatinen, Symphonien, Vor⸗ und Zwiſchen-Spielen, 
ſeine beſondere Feſtigkeit, und ein wohlgegruͤndetes Weſen im Gange; damit es 
nicht nach einer losbaͤndigen Ouvertuͤr ſchmecke: denn in göttlichen Materien muß 
dieſer Styl ernſthafft, wohlbedeckt und kraͤfftig, nicht taͤndelnd, nackt und ohn⸗ 
maͤchtig ſeyn: wie er denn eben deswegen aus der Paͤbſtlichen Capelle verbannet 
worden, woſelbſt keine andre, als die Orgel und Baß⸗Inſtrumente, bloß zur Ver⸗ 
ſtaͤrckung, zugelaſſen find, 


5 . | 

Jedoch muß man deswegen nicht aller Lebhafftigkeit bey dem Gottesdienſt, 

ohne Unterſchied, abſagen, da zumahl dieſe Setz⸗Art offt von Natur mehr freudi⸗ 
ges und munteres erfordert, als irgend eine andre, nachdem nehmlich die Umſtaͤn⸗ 
de Anlaß dazu geben. Ja, der Inſtrumenten⸗Styl dienet eigentlich dazu, daß 
er eben daszenige uͤber ſich nehmen und heraus bringen ſoll, was nicht allemahl 
den Sing⸗Stimmen anſtaͤndig oder begvem fallt. Faul, ſchlaͤfrig, lahm, iſt nicht 
ernſthafft, prächtig oder majeſtaͤtiſch. Freude 3 keinen Ernſt; ſonſt — 
T 2 fe 


20 Zweytes Capitel: Von der 


6I7u. gdf d Ne 
fe alle Luft im Schertz beſtehen. Ein aufgeraͤumtes Weſen reimt ſich am ſchöͤn⸗ 
ſten zur Andacht; im Fall dieſe nicht im Schlummer, oder gar im Traum, ver⸗ 
richtet werden ſoll. Nur muß die noͤthige Beſcheidenheit niemahls aus den Au⸗ 
gen geſetzet werden, noch dieſer Befehl den geringſten Abbruch leiden: Sey froͤ⸗ 
lich; doch in Gottesfurcht. . 

20. 


Cinonieus. Wer den Canoniſchen Styl, unter feinen Moteten, mit in die 
Kirche bringen will (er gehoͤret aber auch, eben wie die beyden vori— 
gen, zur Schaubuͤhne und zur Kammer) der gehe behutſam und ſelten 
damit um; brauche ihn mehr auf Inſtrumente, als in Singe⸗Stim⸗ 

men; ſuche ſolche Stellen und Worte dazu aus, wobey der Verſtand ſein Recht 

nicht verlieret, und verfahre lieber im Wiederſchlage oder nachahmenden Satze, 
mit der Qvint oder Qvart, als mit der Octav: alsdenn wird dieſe periodiſche 

Leyer einer ungebundenen Fuge noch etwas ahnlicher ſehen. 


9 

Bey Einfuͤhrung der Kirchen⸗Lieder in die geiſtlichen Stuͤcke oder Oratorien, 
deren etliche, in ihrer gewoͤhnlichen Sang⸗Weiſe, von ſelbſten ſehr gute canoni⸗ 
ſche Gange an die Hand geben, find ſolche nicht aus der Acht zu laſſen, es ſey 
auf Orgeln, oder auf dem Chor; wie man aber in dieſem Styl feine, nuͤtzliche 
Ubungen anſtellen koͤnne, und welche Vortheile dabey zu gebrauchen ſind, ſolches 
wird an ſeinem Orte mit mehrern gelehret werden. Und das waͤren denn die fuͤnf 
beſondere Schreib⸗ und Setz⸗Arten, die zum allgemeinen Kirchen⸗Styl gehoͤren. 


2. Vom theatraliſchen Styl. 
§. 28. fr 

Der theatraliſche Styl, ob er gleich unfern Vorfahren nur ein; 

fach geſchienen, hat doch zum wenigſten eben ſo viele Gattungen unter 

ſich, als der Kirchen⸗Styl; ja wol mehr. Denn zu geſchweigen, was 

wir oben ſchon von der allgemeinen Herrſchafft des Madrigalen⸗Styls 

erinnert haben, läßt die Schaubuͤhne noch fünff andre zu, bey welchen 

Dramaticus. der eigentliche, Dramatiſche billig oben an ſtehet, deſſen Abzeichen iſt, 

daß er ſo ſingen lehre, als ob man nur redete; und doch ſo rede, als 
ob man ſaͤnge. 


9.429 | 
‚Drama ift ein Griechiſches Wort, und bedeutet auf Teutſch ein Gedicht, 
oder eine ſolche Vorſtellung, darin gewiſſe Perſonen und Verrichtungen, recht 9 
em 


Componiſten Schreib: Art, 21 


dem Leben, aufgefuͤhret werden. Daher denn die Welſchen ihre Opern nur Dra⸗ 
me, oder Melodrame nennen. Kurtz, es iſt der eigentliche Opern⸗Styl, welcher 
heutiges Tages mehr als zu bekannt iſt. 5 a ; 


| 30 y 755 | 
Er erfordert aber auch mehr Schwierigkeit im Setzen, als ſich der meiſte 
Hauffe einbildet, indem nicht nur ſein Recitativ, ſondern auch ſeine Arien, und 
uͤbrige Theile, das natuͤrlichſte Weſen von der Welt, und gar nichts gezwunge⸗ 
nes oder weitgeſuchtes, haben wollen: ſie muͤſſen allerdings von den Recitativen 
und Arien, die ſich im gewohnlichen Madrigal⸗Styl, als in Cantaten, Abend⸗ 
und Tafel⸗Muſicken befinden, dadurch unterſchieden werden, daß alles im drama⸗ 
tiſchen viel leichter, ſingbarer, freyer, ungebundener, und durchgehends fo be; 
ſchaffen ſey, als ob es ohne ſtudtren, oder auswendig⸗ lernen, gleichfam aus dem 
Stegereiff hervorkaͤme: welches eine Anmerckung iſt, die nebſt vielen andern hie⸗ 
her gehörigen, von etlichen Teutſchen Opern-⸗Machern, in ihrer Noten⸗Arbeit 
gar zu geringe geſchaͤtzet, auch vielleicht von den meiſten gar nicht einmahl erkannt 
worden iſt; da ſie doch auf das vornehmſte Weſen des dramatiſchen Styls zielet, 
zur lebhafften Ausdruͤckung der Gemuͤths⸗Bewegungen unumgaͤnglich noͤthig iſt, 
und den Stellungen oder Geberden der theatraliſchen Perſonen, die der Compo⸗ 
niſt hiebey beſtaͤndig vor Augen haben muß, ungemein zu Huͤlffe kommt. Denn 
alles dieſes hat man in dem bloſſen Madrigal⸗Styl zu beobachten gar nicht noͤthig. 
| H. nt. | | 

Symphons- Der Inſtrumenten⸗Styl, in fo fern er dem Theatro ſtarck dienet, 
eus. iſt hier wiederum, in Anſehen des Ortes und der Umſtaͤnde, gantz an⸗ 
drer Natur, als in Kirchen⸗Muſicken, und darf man nur, ſolchen Un⸗ 
terſchied recht zu erkennen, eine kraͤfftige und Ton⸗reiche Kirchen⸗ 
Symphonie von Roſenmuͤller, mit einer uͤppigen und leichtflieſſen⸗ 

den Opern⸗Intrada von Kaiſer zuſammen halten. 


192. 

Es kan ſeyn, daß auch in theatraliſchen Sachen manches Vorſpiel aufſtoͤſ⸗ 

ſet, das ernſthafft genug klinget, wie denn Lully in dem Inſtrumenten⸗Styl ſei⸗ 

ner Opern uͤberaus fleißig und ſtarck geweſen iſt; allein es wird doch nicht den 

Reichthum haben, noch die innerliche Wichtigkeit beſitzen, welche dem Inſtrumen⸗ 
ten⸗Styl in Kirchen eigen ſind. „ f 


a, 1 
Man bedarff auch dergleichen Gruͤndlichkeit bey den theatraliſchen Saͤtzen 
eben nicht; ja, es laͤufft ſo zu reden, e wider die Eigenſchafft N 
| C3 5 


22 Zweytes Capitel: Von der 

Abſicht der Schauspiele, deren Kennzeichen doch allemahl etwas ſpielendes blei⸗ 
bet, das eben keinen groſſen, ernſtlichen Eindruck, ſondern nur eine nuͤtzliche, und 
dabey mehr ergoͤtzliche, als einnehmende Vorſtellung, zuwege bringen fol: damit 
zwar die Gemuͤther, durch Anfuͤllung der Augen und Ohren, geruͤhret und bewe⸗ 
get, doch nicht gantz aus ihrem Sitz gebracht, und allerhand Leidenſchafften gaͤntz⸗ 
lich aufgeopffert werden mögen. Hiebey kan ein Auſſenſchein, oder etwas glaͤn⸗ 
tzendes und funckelndes mehr ſchaffen, als etwas dichtes, feſtes, und den gantzen 
Menſchen erforderndes Weſen. 


$. 34. 

Hyporche- Die hohe Tantz⸗Kunſt auf Schaubuͤhnen hat, in den dazu geſchick⸗ 
maticus. ten Melodien und Sägen, ihren gantz eigenen Styl, nehmlich den hyp⸗ 
orchematiſchen, der die Ehaconnen, Paſſaeaglien, Entreen, und an⸗ 
dre groſſe Taͤntze liefert, welche ſehr offt nicht nur geſpielet, ſondern 
auch mit vielen angenehmen Abwechſelungen geſungen werden. In Erkaͤnntniß 
dieſer Schreib⸗Art thun wenig ausgeſuchte Frantzoͤſiſche Sachen mehr Dienſte, 

als alle Welſche: denn Franckreich iſt und bleibet die rechte Tantz⸗Schule. 


§. 35. 

Geſchickte Taͤntzer, die der Schaubuͤhne nuͤtzen wollen, muͤſſen dieſen Styl 
aus dem Grunde kennen, eben ſo wohl, als ein theatraliſcher Componiſt. Bey 
den groͤſſeſten Höfen in Europa iſt der Beweis und die Bekraͤfftigung meiner Ge; 
dancken darin anzutreffen, daß die Opern- und andere ſtarcke Ballette allemahl 
gerne durch einen beſondern, in ſothanem Styl wohlerfahrnen Meiſter verfertiget 
werden muͤſſen: ich meyne nicht die Schritte und Wendungen, ſondern bloß die 
Melodie dazu. Lully war in allen Saͤtteln gerecht, und ſchrieh nicht nur den 
Taͤntzern, ſondern allen andern Perſonen, taugliche Geſetze vor. 

§. 36. 

Wir wollen auch hiemit den Herren Tantzmeiſtern eben nicht alles allein auf⸗ 
buͤrden, und unſern Kopf aus der Schlinge ziehen, vielweniger behaupten, daß 
fonft keiner, als ein Tantzmeiſter, den hyporchematiſchen Styl recht zu führen 
wiſſen möge: angeſehen es gar ein nothwendiges Ding bey einem Opeun⸗Compo⸗ 
niſten iſt, daß er ſich auf alle hohe Tantz⸗Arten wohl verſtehe (ob er gleich ſelber 
nicht tantzet· und beqveme Weiſen dazu erſinnen koͤnne. c 


5. 37. 

Mancher erhaͤlt mit ſolchen geringſcheinenden Sachen offt einen groſſen 
Nahmen, abſonderlich bey Hoͤfen, wo eine Sing⸗Spiel⸗ und Tantz⸗Chaconne 
mehr ausrichtet, als Centner⸗ſchwere Contra⸗Puncte, und mir ſind Leute bekannt, 
die 


Eomponiften Schreib⸗Art. 23 


nn EB WERTE 
die fich mit einer Entrée grotesque, mit einem poßierlichen theatraliſchen Tantz, 
beſſer in Gnaden geſetzet haben, als mancher mit einem gantzen Folianten voller 
Fugen, die doch weit ſchͤͤtzbarer waren. | 

9. 

Man beſehe zu ſeinem Untetticht, nf den Frantzöͤſiſchen, nehrenthels ge⸗ 
druckten Opern⸗Partituren auch die gantz kleinen und gemeinen Buͤcher, worin 
die neueſten Frantzoͤſiſchen Täntze heraus kommen, und in Holland nachgedruckt 
werden: Denn, obgleich dieſe letztern mehr auf die niedrigen, als hohen Taͤntze, 
ihre Abſicht haben, ſo findet man doch bisweilen auch Chaconnen, Paſſacaglien, 
Entrees und dergleichen darin, die zu Muſtern dienen koͤnnen. 


$. 39. 

Der phantaſtiſche Nahme iſt ſonſt ſehr verhaßt; allein wir haben khantaſtleim, 
einen Styl dieſes Nahmens, der hauptſaͤchlich ſeinen Sitz auf der 
Schaubuͤhne, nicht nur für Inſtrumente, ſondern auch fur Sing⸗Stim⸗ 
men, behauptet: Er beſtehet eigentlich nicht ſo wohl im Setzen, (un⸗ 
geachtet Die ſogenannten fantaſie, cappriccie, ricercate dc, hieher ge 
hören) als in einem Singen oder Spielen, das aus freyem Geiſte, 
oder wie man ſagt, ex tempore, .. 


5. N 

Die Italiaͤner 1 gar oͤffters Gelegenheit, ihre Einfaͤlle ſolcher Geſtalt 
an den Mann zu bringen, und ſich dieſes Styls, zum beſondern Vergnuͤgen der 
Kenner, zu bedienen; es ſey, daß die Fantaſie wircklich zu Papier gebracht, und 
alſo dem Saͤnger oder Inſtrumentaliſten die Muͤhe erleichtert wird; oder, wel— 
ches allemahl beſſer, daß der Componiſt weiter nichts dabey thut, als den beqve⸗ 
men Ort und die rechte Stelle zu bemercken, wo dergleichen freye Gedancken nach 
eignem Belieben angebracht werden koͤnnen. Gemeiniglich geſchiehet ſolches bey 
einem Schluß, es ſey am Ende, oder ſonſt irgendwo. Aber es gehoͤren tuͤchtige 
Koͤpffe dazu, die voller Erfindungen ſtecken, und an allerhand Figuren bisweilen 
mehr, als gar zu reich find. 


$. 4 
Andrer Kunſtler auf Inſtrumenten zu geſchweigen, hat der berühmte Haͤn⸗ 
del offt, in feinen Schauſpielen, ſolche Accompagnements geſetzet, dabey das Cla⸗ 
vier allein, in dieſem Styl, nach des Spielers Gefallen und Geſchicklichkeit, ſon⸗ 
derlich hervorragte: welches ſeinen eignen Mann erfordert, und einigen andern, 
die es haben nachthun wollen, nur ſchlecht von der Fauſt gegangen iſt. f 
6.42 


= Ä Zweytes Capitel: Von der 


F. 42. 

Wir haben zwar geſagt, daß dieſer Styl feinen Sitz bey Schauspielen hat; 
allein mit dem Zuſatz: hauptſaͤchlich; indem ihn nichts hindert, auch in der Kir⸗ 
che und in Zimmern ſich hören zu laſſen. Denn was wolten doch die Herren Or⸗ 
ganiſten anfangen, wenn ſie nicht aus freyem Geiſte fantaſiren koͤnnten? es wuͤr⸗ 
de ja lauter hoͤltzernes, auswendig⸗gelerntes und abgenutztes Zeug heraus kom⸗ 
men. Und wie offt unterhaͤlt nicht ein fertiger Violiniſt ſich und ſeine Zuhoͤrer 
auf das allervergnuͤgteſte, wenn er nur bloß gantz allein fantaſiret. Was taͤglich 
auf dem Clavier geſchiehet, iſt bekannt; und wie die gelaͤuffigen Kehlen es trei⸗ 
ben, ſolches kan man von denen, die damit begabet ſind, am beſten erfahren. Nur 
Schade! daß keine Regeln davon vorhanden. i 


. 1 0 * 
Melismati- Noch ein beſonderer Styl gehoͤret zum Theatro, nehmlich der 
cus. melismatiſche, welcher alle luſtige Lieder und ſchertzende Arietten be⸗ 
greifft, die offt verſchiedene Geſetze oder Abſchnitte haben. Die Wel⸗ 
ſchen halten ihre Schau- und Singſpiele für viel zu vornehm, daß fie 
dergleichen canzonetti da hinein bringen ſolten, es möchte denn biswei⸗ 
len in Venedig ein und anders melismatiſches, den Bootsleuten zu Gefallen, mit 
unterlauffen. Wiewohl auch die intrame zzi oder Zwiſchen⸗Spiele bey den Ita; 
liaͤnern den Verluſt dieſes Styls in der Haupt⸗Handlung, an vielen Orten ſo 
reichlich erſetzen, daß man es ſchwerlich niedertraͤchtiger und Gaſſenmaͤßiger er; 
dencken kan. Die Frantzoſen und Englaͤnder haben es gerne, daß dieſe Schreib— 
Art ſich bisweilen bey ihren Oden hoͤren laſſe; aber von Pickel⸗Poſſen halten ſie 
nichts. Es waͤre gut, wenn man dieſe Beſcheidenheit auch von den Teutſchen 
zu ruͤhmen haͤtte. | | | 


3. Vom Kammer-Styl. 


§. 44. 

Endlich kommen wir zum Kammer⸗Styl, und wollen davon auch eine kur⸗ 
tze, doch ordentliche Nachricht geben. Da man nun bey den vorigen Haupt⸗Ab⸗ 
theilungen, und zwar bey ieder derſelben fünf oder mehr Neben⸗Style wahrge⸗ 
nommen hat, ſo werden hier wenigſtens eben ſo viel zu betrachten aufſtoſſen. 


% 45. | 

Symphonia. Der Inſtrumenten⸗Styl, deſſen bereits bey geiſtlichen und thea⸗ 
. traliſchen Wercken, wiewohl bey ieden auf eine ſonderbare Art, ge 
dacht worden, koͤmmt hier wiederum zum Vorſchein; doch ſo, daß er 

eine 


Componiſten Schreib⸗Art. 25 


eine fremde und dritte Geſtalt gewinnet. Denn, ob man gleich in Zimmern und 
Saͤlen auch wol Kirchen⸗Sachen und dramatiſche Dinge auffuͤhren kan; ſo wer⸗ 
den doch durch den Ort die Schreib⸗Arten auf ſolche Weiſe eben ſo wenig veraͤn⸗ 
dert, als wenn ich eine Kammer⸗Muſic in einer Kirche anſtellen wollte. Die 
Style werden zwar von dem Ort benennet; aber der Ort macht oder aͤndert ſie 


nicht. 


§. 45. 

Daß dannenhero leicht zu ſchlieſſen, es muͤſſe der Inſtrumenten⸗Styl, in ſo 
weit derſelbe zur Kammer gehoͤret, allwo er bey Tafel⸗Muſicken viel ſtaͤrcker res 
gieret, denn die uͤbrigen, von gantz andrer Natur und Beſchaffenheit ſeyn, als 
jene beyde. Weil ſich aber dieſe Eigenſchafften nicht ſo auf das genaueſte be⸗ 
ſchreiben, als aus Gleichniſſen und Beyſpielen erſehen laſſen; ſo hat man ſich 
desfalls an die ſo genannten, gar haͤuffig aufſtoſſende, Sonate da Camera, Con- 
certi groſſi, Suites u. d. g. zu halten, welche Licht genug hierin geben werden. 
Wobey ich jedoch abſonderlich die Correlliſchen Wercke, ihres Alters ungeach⸗ 
tet, zum Muſter angewieſen haben will, deren Verfaſſers unvergleichliche Ges 
ſchicklichkeit, in dieſem Styl, ſo was ausnehmendes hat, daß ich in den Amſter⸗ 
dammiſchen Kirchen, wiewol auſſerhalb des Gottesdienſts, zur Ubung der Kunſt⸗ 
Befliſſenen, ſeine Sonaten nicht nur von den Organiſten allein, ſondern von ei⸗ 
nem Violinen⸗Concert, ehmahls mit vielem Vergnuͤgen gehoͤret habe. 


$. 47. 

Es erfordert ſonſt dieſer Styl in der Kammer weit mehr Arbeitſamkeit, 
als ſonſt, und will kuͤnſtliche Mittel⸗Partien haben, die um den Vorzug mit den 
Dber Stimmen gleichfam beſtaͤndig, und auf eine angenehme Art, Streit fuͤh⸗ 
ren. Bindungen, Ruͤckungen, gebrochne Harmonien, Abwechſelungen mit 
tutti und ſolo, mit adagio und allegro &c. ſind ihm lauter weſentliche Dinge, 
welche man in Kirchen und auf der Singbuͤhne vergeblich zu ſuchen pfleget; weil 
es daſelbſt mehr auf die Hervorragung der ſingenden Stimmen ankoͤmmt, und 
der Inſtrumenten⸗Styl eigentlich nur ihnen zu Gefallen und zur Begleitung da 
iſt; wogegen er in der Kammer ſchier die Herrſchafft behauptet, wenn auch gleich 
die Melodie ein wenig darunter leidet, fo will er doch hier allemahl verbraͤmet, 
aufgeputzt und ſprudelnd ſeyn. | | 


48. 
Auf den Canoniſchen Styl wieder zu kommen, als der nach ſei⸗ Canonicus. 
ner Art auch in Zimmern und Saͤlen, ja bisweilen inter pocula, was 
zu ſagen haben will, ſo werden Exempel 9 in alten Schul⸗Buͤ⸗ 0 
ern 


26 Zweytes Capitel: Von der 


——— — — — — — — este) 
chern, ingleichen in Lob⸗Spruͤchen vor gedruckte Schrifften, genugſam aufſtoſſen; 
auch giebt ſich noch zuweilen ein und andrer Liebhaber die Muͤhe, canoniſche So⸗ 
naten zur Kammer⸗Muſic, über gewiſſe feſt⸗ſtehende Saͤtze, (canto fermo) zu 
verfertigen, welches wahrlich nicht ſo groſſe Ergetzlichkeit bringet, als es Arbeit 
erfordert. Mehr Luft wird eine auserleſene, muſicaliſche Geſellſchafft empfinden, 
wenn etwa; oder 4 Perſonen ſich befleiſſen, in dieſem Styl allerhand moraliſche 
Spruͤche auf die Bahn zu bringen, und bey guter Laune herum zu ſingen. Ich 
muß wol geſtehen, daß mir ſolche Bemuͤhung vormahls manche froͤliche Stunde 
gemacht hat, indem es warlich der beſte Nutz iſt, welchen dergleichen Arbeit ha⸗ 
ben kan. Die Frantzoſen ſind dieſen Falls Liebhaber davon; aber ſonſt nicht. 
In Englaͤndiſchen Noten Büchern trifft man auch verſchiedene hieher gehörige 
artige Dinge an. 


| $.49. N 
Chorin. Der dritte zur Kammer: Mufic gehörige Styl iſt der gewoͤhnli⸗ 
chen und gebraͤuchlichen Tantz⸗Kunſt eigen, von dem man gnugſame 
Vorſchrifften bey Ballen, Masqveraden, Englaͤndiſchen, Frantzoͤſi⸗ 
ſchen, Polniſchen und Teutſchen Tantz⸗Ubungen haben kan. Er thei⸗ 
let ſich in fo viele Gattungen, als es Arten von Taͤntzen in Zimmern und Saͤlen 
giebt: woraus eine ziemliche Reihe entſtehet, die einer weitern Unterſuchung wol 
werth iſt, wenn man den groſſen Gebrauch und Nutzen betrachtet. Die Polni⸗ 
ſche Art des Choraiſchen Styls hat abſonderlich ſeit einiger Zeit fo viel Beyfall 
gefunden, daß man ſich nicht geſcheuet, die ernſthaffteſten Worte und Sing⸗Ge⸗ 
dichte mit Melodien nach Polmiſcher Weiſe (à la polonoiſe) zu verſehen. Es 
hat auch in der That eine fremde Wirckung, und mag gleichwol, ohne ſattſame 
Kundſchafft des Choraiſchen Styls, niemand dieſelbe recht zu wege bringen. 


. 58 
Sehen wir ferner einen Scotlaͤndiſchen Land⸗Tantz an, davon gantze Buͤ⸗ 
cher voll in Holland gedruckt zu finden, ſo wird ſich gewiß in dem Styl deſſelben 
viel gefülliges und neues oder ſeltſames hervorthun, das hin und wieder nicht 
nur zum Tantzen, ſondern auch zu andern Sachen, ſo wol auf dem Theatro, als 
in Zimmern, gut anzubringen und nachzuahmen iſt; iedoch mit gehoͤriger Behut⸗ 
ſamkeit, abſonderlich für Singe⸗Stimmen. 


I 55 | x 

Man betrachte endlich alle Frantzoͤſiſche kleine Tantz⸗Lieder und Melodien, 

bis auf die Menuetten, die eben fo wol, als die groͤſſeſten Ouverturen, ihren ei⸗ 
genen Styl erfordern; man betrachte ſie, ſage ich, mit Fleiß, welche feine Ord⸗ 
nung 


Componiſten Se 27 


nung, Gleichfoͤrmigkeit, groſſe und kleine Abſchnitte darin anzutreffen, ich weiß 
gewiß, man wird befinden, daß eben dieſe Tantz⸗Style (den Hyporchematiſchen 
mit eingeſchloſſen) von ungemeinem Reichthum find, allerhand ſchoͤne Erfindun⸗ 
gen im Setzen an die Hand zu geben. Ich kenne groſſe Componiſten, die aus 
dieſem Choraiſchen Styl allein (der den Nahmen vom Reihen fuͤhret, wo ihrer 
viele zuſammen tantzen, als bey den Teutſchen, Englaͤndern ꝛc.) mehr, als aus 
allen andern geſammlet, und haͤuffige Einfaͤlle daraus hergeholet haben. Eine 
weitere Unterſuchung ſoll an ſeinem Orte folgen. | 

| 52 
| Was oben von den Madrigalen⸗ und melismatiſchen Stylen anz Madrigale- 
gefuͤhret worden iſt, ſolches kan auch allhier um deſto guͤltiger ſeyn, iznaticur. 
weil ſich dieſe beyden Schreib⸗Arten nicht etwan, wie die Inſtrumental⸗ ' 
Munſic, nach Beſchaffenheit des Ortes verändern, und ein neues We⸗ 
ſen annehmen, ſondern allenthalben, wo ſie Platz finden, eben dieſelbe 
Natur behalten. Es iſt auch der Madrigalen⸗Styl von Anbeginn 
nichts anders geweſen, als was er itzo iſt: (welches ſich doch z. E. vom Moteten; 
Styl nicht ſagen laͤßt) maſſen unter demſelben die Sonnetten, Canzonen, Arien 
u. d. g. ſamt dem Recitativ, nach feiner Art, begriffen worden. Ein gleiches iſt 
auch vom melismatiſchen Styl zu verſtehen, der ſich zu den weltlichen Oden von 
ie her hat beqvemen muͤſſen; bis ihn die Arien endlich ziemlich in die Enge getrie⸗ 
ben haben. Es giebt indeſſen noch heutiges Tages gewiſſe Jaͤger⸗Hochzeit⸗ 
Straff⸗ und Schertz⸗Oden dieſes melismatiſchen Styls, welche ſich zur Luſt ſehr 
wohl hören laſſen, und nicht allemahl auf bloſſe Gaſſenhauer hinaus lauffen: auch 
nicht felten auf Schaubuͤhnen gebraucht werden. | 


| . 

Damit waͤre alſo dieſe Materie, betreffend die Schreib⸗Arten der Compo⸗ 
niſten, ſo weit man ohne Exempel, mit bloſſen Betrachtungen, kommen kan, auf 
das nöthigſte in etwas ausgekernet. Die Ausuͤbung beruhet nun auf die Einſicht 
guter Vorſchrifften und Muſter, daran die Welt anietzo keinen Mangel leidet; 
wenn man ſich nur von iedem Haupt⸗Styl, nach angeführten Grund⸗Saͤtzen, eis 
nen feſten, deutlichen und reinen Begriff macht, gute Ordnung darin haͤlt, die 
Ein⸗ und Ausdruͤcke nicht ungebührlich mit einander vermiſchet, noch feine Mann⸗ 
ſchafft unter ein fremdes Faͤhnlein feel. 


$. 54 
Im Anfange dieſes Haupt⸗Stuͤcks hegte ich die Gedancken, es möchten die 
Gattungen dieſer Schreib⸗Arten wol dereinſt 9 werden: Denn, wer 85 
IR EM e 


28 Zwentes Capitel: Von der Componiften Schreib⸗Art. 


= c —:: EIKE meter in TREE 
auch itzund Luft hätte, konnte nicht allein die Neben⸗Zweige fehr weit ausbreiten, 
und ein groſſes Buch damit anfuͤllen, abſonderlich wenn jeder Satz mit einem eig? 
nen Exempel erläutert werden follte, welches fo ſchlinm nicht waͤre; ſondern es 
würden ſich auch ſchon andre Haupt⸗Aeſte angeben, und dabey vornehmlich der 
Feld⸗ oder Krieges⸗Styl in nicht geringe Betrachtung kommen. Denn obgleich 
die Marſche, und dergleichen, nicht mit Unrecht zum Hyporchematiſchen Styl ge⸗ 
zogen werden koͤnnten; ſo hat doch die martialiſche Muſic in vielen Stuͤcken noch 
was eigenes an ſich, welches dereinſt zu unterſuchen nicht undienlich ſeyn duͤrffte. 


§. 55. N 
Bey dem Schluſſe aber, da ich alles wohl erwogen habe, moͤchte ſchier eine 

gantz wiedrige Beyſorge bey mir aufſtoſſen, daß nehmlich mit der Zeit von allen 
dieſen Stylen und ihrer verſchiedenen Art, vielleicht nur wenige, oder auch wol 
kein eintziger, in feiner Reinigkeit und mit feinen gehörigen Abzeichen, übrig blei⸗ 
ben moͤchte. Denn, es iſt bereits bey vielen ſelbſtgewachſenen Componiſten ein 
ſolcher Miſchmaſch in der Schreib⸗Art anzutreffen, als ob alles in einen ungeſtall⸗ 
ten Klumpen wiederum verfallen wollte. Und ich glaube, daß man ihrer eine 
Menge fragen moͤchte, in welchem Styl ſie dieſes oder jenes ſetzten, die mit der 
Antwort ſehr langſam ſeyn wuͤrden. 


. 56, 

Solchem Unweſen, wo möglich, vorzubeugen, habe ich mir die Mühe gerne 
gegeben, dieſe Lehre auf das neue vorzutragen; will ſie auch mit Gottes Huͤlffe, 
im vollkommenen Capellmeiſter, dereinſt noch weiter ausfuͤhren. Ich weiß 
gar zu wohl, wie viel daran gelegen iſt, und hoffe, kein rechtſchaffener, und in ſei⸗ 
ner Wiſſenſchafft geſetzter Mann, der es redlich mit der Ton⸗Kunſt Aufnahm 
meinet, werde mir ein ſolches uͤbel auslegen; ſondern auch gewiſſe unvermeidliche 
Wiederholungen auf das beſte entſchuldigen. 


Drit⸗ 


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Drittes Huupt⸗Otück. 


Von der Kunſt eine gute Melodie zu machen. 


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I Je Meloponie iſt eine e Geſchicklichkeit in Erfin⸗ 
D 72 dung und Verfertigung ſolcher ſingbaren Saͤtze, daraus 
e eine Melodie erwaͤchſt. Dieſe Kunſt, eine gute Melodie zu 
ya \ machen, begreifft das weſentlichſte in der gantzen Mufic. Es iſt 
dannenhero hoͤchſtens zu verwundern, daß ein ſolcher Haupt⸗ 
Punct, an welchem doch das > gröffefte gelegen iſt, bis dieſe Stun⸗ 
de von aller Welt hintangeſetzet wird. Ja, man hat fo gar wenig darauf ge⸗ 
dacht, daß auch die vornehmſten Lehrer, und unter denſelben die weitlaͤufftigſten 
und neueſten, als Mr. Rameau, ) und die feines Gelichters find, geſtehen muͤſ⸗ 
ſen, es ſey faſt unmoͤglich, gewiſſe Regeln davon zu geben, unter dem 
Vorwande, weil das meiſte auf den guten Geſchmack ankaͤme; da doch auch von 


V 


N 


dieſem gewiſſe Regeln gegeben werden koͤnnen und muͤſſen. Im eigentlichen 


Verſtande frage man nur die Koͤche; im verbluͤmten die Sittenlehrer, Redner 
und Dichter. Womit ſie denn ihre Schwaͤche und ſchlechte Einſicht, wegen des 


| allernothwendigſten Stuͤcks, ſattſam an den Tag legen. Andre, die doch Gras 


wollen wachſen hören, handeln i in dieſem Fall noch etwas Flüger, und ſchweigen 
in ihren groſſen Buͤchern gantz und gar ſtill davon. 8 
2. 


3 
*) Ich babe neulich etwas von feiner Noten⸗Arbeit fuͤrs Clavier geſehen, das mir weit beſſer 
gefallen hat, als ſeine unbegreiffliche Betrachtungen. 


2. Drlttes Capitel: 


8.2 | 

Alſo bin ich, ohne Ruhm zu melden, unſtreitig der erſte, welcher öffentlich 
auf eine ſaubere Melodie dringen, und deutliche Anleitung dazu geben darff. Nie⸗ 
mand hat ſonſt, meines Wiſſens, mit rechtem Vorſatz und Nachdruck, davon ge 
ſchrieben. Es faͤllt alles gleich auf die Vollſtimmigkeit, und den allergeuͤbteſten 
fehlet es bisweilen in ihrer Arbeit an nichts ſo ſehr, als an der Melodie: weil ſie 
bey ihren Bemuͤhungen immer die Pferde hinter den Wagen ſpannen, und mit 
vier bis zehn Stimmen darauf los ſchreiben; ehe ſie noch einer eintzigen ihr Recht 
ee oder derſelben die wahre Lieblichkeit und Anmuth zu ertheilen, gelernet 

aben. | 


3 

Unter den Gelehrten hat zwar der eintzige Donius im vorigen Jahrhun⸗ 
dert angemercket, daß es Leute bey Dutzenden gaͤbe, die keinen Unterſchied zwi⸗ 
ſchen Melodie und Symphonie zu machen, noch die Meloponie von der Sympho⸗ 
niurgie abzuſondern wiſſen: Denn, ſagt er, obgleich die Vollſtimmigkeit ein groſ⸗ 
ſes Vermoͤgen hat, die Eigenſchafften der Klaͤnge entweder zu vermehren oder zu 
vermindern, ſo iſt doch dieſes eine Sache, die gantz fremd, und ihrer Natur nicht 
eigen iſt: weil man die Tone im Grunde nur erſt bey einer bloſſen einfachen Arie 
betrachten Re ; hernach aber erſt vom Zuſammenklange zu reden hat. Seine 
eigne Worte ſind werth, daß ſie hier Platz finden, ſo wie ſie in deſſen Buche von 
den wahren Ton⸗Arten oder Moden ſtehen, und unten *) angefuͤhret find. 

4. 

Allein der gute Mann, ob er gleich einen eignen Tractat von den Melodien 
geſchrieben, der aber einen gantz andern Zweck fuͤhret, als unſere vorhabende Ar⸗ 
beit, hat das Ubel zwar eingeſehen, und doch demſelben damit nicht abgeholffen; 
vielweniger Mittel und Wege an die Hand gegeben, dadurch man zur Setzung 
guter Melodien gelangen koͤnnte. 


„ „„ 

Es iſt einmahl unmoͤglich, daß bey vielen Stimmen zugleich viel Melodie, 
und zwar recht gute, gefunden werden möge, weil die letztere ſich gar zu ſehr ver⸗ 
theilen laſſen muß, und daruͤber allen geſchickten Zuſammenhang verlieret. Das 

Gehör hat hergegen gröffere Luſt an einer eintzigen wohlgeordneten Stimme, die eis 
| | ne 
) Muſiei da Dozzina, che non fanno diſtinguere la Melodia della Sinfonia, e la Melopoeis 

dalla Sinfoniurgia : perche, fe bene il Concento ha gran forza d' accrefcere o diminuire la 
proprietä de i Modi; tuttavia, come hö detto tante volte, queſta & cofa eflrinfeca alla natu- 
ra lore, iquali hanno da confiderare fondalmente in una ſemplice Aria, e poi parlare del- 
le Conſonanze. Donio, fopra i Tuoni o Modi veri p-123. | 


Von Verfertigung der Melodien. 31 


ne angenehme Melodie führer, als an vier und zwantzig, bey denen dieſelbe fo zer⸗ 

riſſen iſt, daß man nicht weiß, was es heiſſen fol, Die bloſſe Melodie, ſagt ein 

andrer gelehrter Schrifft⸗Steller, beweget mit ihrer edlen Einfalt, Klarheit und 

Deutlichkeit die Hertzen dermaſſen, daß fie offt alle harmoniſche Kunſt zu uͤber⸗ 
treffen) taugt. 


| „ f. 

Will man aber bey der Harmonie nur etwan einer oder zwoen Stimmen al⸗ 
lein den Vorzug und feinen Geſang zueignen, ſo muͤſſen die andern unumgaͤnglich 
dabey zu kurtz kommen, und was jene gut machen, das verderben dieſe, geſammter 
Hand. Es gehoͤret ſehr viel dazu, drey bis vier Stimmen mit geſchickten Gaͤn⸗ 
gen und Fuͤhrungen der Klaͤnge zugleich zu verſehen: und wie will es eben derje⸗ 
nige 5 welcher noch nie gelernet hat, eine eintzige Stimme recht melodioͤs ein⸗ 
zurichten? - - 


Re | 

Die Harmonie iſt nichts anders, oder ſollte von Rechtswegen nichts anders 
ſeyn, als eine Zuſammenfuͤgung vieler Melodien. Die Griechen nannten des⸗ 
wegen ihre gantze Compoſition oder Setzkunſt nur die Melopbie, das iſt, die 
Wiſſenſchafft eine Melodie zu machen: darin beſtund bey ihnen die gantze Muſic; 
damit thaten fie groſſe Wunder, als wir von ihren Ton⸗Kuͤnſtlern leſen; ob ſie 
gleich keine Vielſtimmigkeit aufzuweiſen hatten, fo, wie fie heutiges Tages bey, 
uns üblich iſt. 


f §. 8. 
Wenn wir nun fein ordentlich verfahren wollen, ſo muͤſſen wir wol dieſe Me⸗ 
lodie gruͤndlich beſchreiben, und ſagen, daß ſie ſey: 
Ein feiner Geſang, worin nur eintzelne Klänge fo rich⸗ weine 
tig und erwuͤnſcht auf einander folgen, daß empfindliche Sin 
nen dadurch geruͤhret werden. 


„ 

Erlaͤuterung. e 
Es find alſo nicht bloß hohe und niedrige Klänge; (denn die gehören auch 
gemeinſchafftlich zur Vollſtimmigkeit) ſondern eigentlich eintzelne Klaͤnge die 

rechte Materie der Melodie ins beſondere. 5 . 
Fuyuͤrs andere beſtehet die erwuͤnſchte Folge ſolcher Klänge, als die Form 
der Melodie, nicht allein in Schritten, oder in einer Fortſchreitung; ſondern auch 
| | | in 


*) Nuda Melodla tantopere cerda eömMimovet emplicitate, Inculentin & perfpicsitate (ua, ut non · 
nunquam artiſicinm vincere harmonicum zfimetur, Jo. Lippius, in Diſput, mig. Ill. 


32 Drittes Capitel: 


in gewiſſen Spruͤngen, die eine richtige Verwandſchafft mit einander haben: wel⸗ 
ches eben unſre einfache Harmonie, als die Dvelle aller vielfachen Zuſammenſtim⸗ 
mung iſt, und in dieſer Eigenſchafft zwar wol in der Erklaͤrung, doch nicht in ei⸗ 
ner umſchraͤnckten Beſchreibung ſtatt findet. | 5 
Drittens, wenn dasjenige, was empfindliche Sinnen rühren ſoll, vor allen 
Dingen leicht, lieblich, deutlich und flieſſend ſeyn muß, ſo koͤmmt bey dieſem 
Endzweck das natuͤrliche und erhabene ſo wol, als das abgemeſſene Weſen, in 
Betracht: denn nichts kan, z. E. deutlich ſeyn, was keine Ordnung haͤlt. So⸗ 
thane Abſicht aber in Ruͤhrung empfindlicher Sinnen, kan und muß die Melodie 
allerdings treffen; ob ſie es gleich nicht immer allein, in ſolcher Maaſſe, Pracht 
und Staͤrcke zu thun vermoͤgend iſt, als wenn ihr die Vollſtimmigkeit zu Huͤlffe 
koͤmmt, da ſodann auch wol Gemuͤther, die ſonſt von zaͤrtlichen Dingen eben 
nicht viel wiſſen, und deren Anzahl vielleicht die gröffefte ſeyn mag, dadurch be; 
weget werden. Alte und neue Geſchichte, taͤgliche Erfahrung, Natur und Ver⸗ 
nunfft bezeugen, daß die bloſſe Melodie gewiſſe Gemuͤths⸗Bewegungen trefflich 
wohl ausdruͤcken und aufmerckſame Zuhoͤrer ruͤhren koͤnne. Weil aber dieſe Be⸗ 
wegungen nicht alle einerley Art ſind, ſo werden ſie auch, durch die Verknuͤpfung der 
Harmonie mit der Melodie, gantz anders angeſtellet, als wenn dieſe nur allein 
wircket: maſſen eine ſchoͤne Vollſtimmigkeit oder Begleitung abſonderlich dasjeni⸗ 
ge nachdruͤcklich vorſtellen kan, was z. E. zu einer freundlichen Begegnung, hold⸗ 
ſeligen Umarmung, hertzlichen Vereinbarung, zum Luſt⸗oder Wett⸗Streit, zur 
Pracht, Hoheit u. d. g. gehoͤret; dahingegen die einfache Melodie gewißlich alle 
zaͤrtlichere Neigungen, als Liebe, Hoffnung, Furcht ꝛc. ſehr wohl gantz allein er; 
regen kan. Womit thaten doch die alten Griechen ihre Muſicaliſche Wunder? 
was ruͤhrete des Auguſtini Hertz in der Ambroſianiſchen Gemeine? was drang 
bey der Reformation ſo tieff in die Seelen? was iſt es, noch heutiges Tages, 
das vielen Leuten, in groſſen Kirchen, bald die Thraͤnen aus den Augen preſſet, 
bald aber die Sinnen zum Frolocken reitzet? womit bringet man die Saͤuglinge 
in den Schlaf? was zwinget einen Vogel, demjenigen nachzuahmen, der ihm 
etwas vorpfeiffet? war, und iſt es wol was anders, als bloſſe Melodie? Eine 
von den allerſtaͤrckſten und Erſtaunens⸗werthen Wirckungen derſelben iſt wol das 
Tantzen: wobey ſich die wenigſten bekuͤmmern, ob auch nur eine Baß⸗Begleitung 
da ſey, oder nicht. Ja, die erfahrenſten Tantzmeiſter entbehren ihrer viel lieber, 
und die Englaͤnder ſagen von ihren Country⸗Taͤntzen, daß eine Zweyſtimmigkeit 
zwar zierlich klinge, aber der Haupt⸗Sache wenig Nachdruck gebe, und daß die 
Mittel⸗Parteien, oder vollſtimmigen Saͤtze vielmehr alle Tantz⸗Luſt verderben 
ur | | wuͤr⸗ 


. | Von Verfertigung der Melodien. 33 


wuͤrden, da denn eine bloſſe Melodie, wenn ſie fuͤnf oder ſechsmahl beſetzet fen, 
an einem eintzigen Violoncello, zur Anſtaͤndigkeit ſchon mehr als genug habe. Leu⸗ 
ten, die nun ſolche groſſe Wirckungen der eintzeln Melodie nicht empfinden, moͤch⸗ 
te man alſo billig die Schrifft⸗Worte vorhalten: Wir haben euch gepfiffen / und 
ihr habt nicht getantzt. Ich erinnere mich hiebey einer Aria, die ich ſelber ehe⸗ 
mahls auf der Schaubuͤhne, in der Perſon eines Traͤumenden, geſungen habe, 

und fo anfieng: Erſcheine mir doch bald ꝛc. ingleichen einer andern, über die 

Worte: Alles, alles iſt vollbracht, in einer Paßion, welche beyde, ohne die 
geringſte Begleitung, mehr Aufmerckſamkeit oder Bewegung verurſachten, als 

wenn ſie mit den beſten harmoniſchen Saͤtzen waͤren verſehen geweſen. Es gehoͤ⸗ 
ret aber auch ein Sänger dazu, der keiner Inſtrumental⸗Larve braucht. Ein ge⸗ 

wiſſes Air aus dem neueſten Pariſiſchen Ballet, mit den Anfangs⸗Worten: Les 
treſors de la Fortune ne font pas un parfait bonheur, wurde neulich von einem 

vornehmen Herrn, ohne eintzige Begleitung, mit ſolcher Anmuth geſungen, daß 

es die Zuhoͤrer faſt entzuͤckte, und zwar ſolche, die ſehr wohl gewohnt ſind, was 

Vollſtimmiges zu bewundern; hernach ſpielte derſelbe Herr eben dieſe Melodie 

auf einer Alt⸗Qveer⸗Floͤte, welches in Wahrheit fo klaͤglich und beweglich heraus 
kam, daß es bey den Umſtehenden eine rechte Betruͤbniß verurſachte. Da auch 

endlich die gantze Muſic aus Melodie und Harmonie beſtehet; jene aber bey wei⸗ 
tem das vornehmſte Stuͤck, und dieſe nur eine kuͤnſtliche Verſammlung und Ver⸗ 

bindung vieler Melodien iſt, ſo kan dem einfachen Geſange wenigſtens ſein tuͤchti⸗ 
ger Antheil an der nachdruͤcklichen Bewegung empfindlicher Gemuͤther, auch nach 
den Vorſchrifften guter Vernunfft, wel nüſſgermehr mit Recht abgeſprochen wer⸗ 
den. | 8 | | 

Ä 1 
Was die Erfindung *) betrifft, von welcher der Anfang! ) aller Geſaͤnge, 

Klang⸗ und uͤbriger Reden jederzeit gemacht werden muß, (wie ſie denn gleich das 

erſte oder zweyte Capitel in den Rhetoriken einzunehmen pfleget) ſo hat dieſelbe 
in unſrer Beſchreibung der Melodie keine ſtatt: denn fie gehoͤret eigentlich ad de- 
finitionem melopœiæ. Und wie dieſe von einander unterſchieden ſind, lehret 
uns der allerbeſte Verfaſſer „) unter den Griechiſchen Melo⸗Poeten. 


= $. II. 


) Es iſt ihr im vollkommenen Capellmeiſter ein eigenes Haupt⸗Stuͤck gewidmet: und da wir 
daſſelbe allhie Kuͤrtze halber nicht einſchalten konnen; fo lehren wir doch von der Melodie 
ſelbſt ſolche Dinge, die ſchon eine reiche Erfindung an die Hand geben, und dem foͤrmlichern 
Unterricht vorgangig die Bahne brechen. | 

*) S. Orch. I. p. 40. & 202. f *“) Ariſtid. Quintll. p. 29. 


34 ER Drittes Capitel: 
95 S. ln 


Zu bewundern iſt es indeffen, daß noch Feiner, der von der Muſic geſchrie⸗ 
ben, ſo viel uns bis dieſen Tag bekannt iſt, eine rechtſchaffene umſchraͤnckte Be⸗ 
ſchreibung *) der Melodie gegeben hat. Und wenn ja etwas dergleichen zum 
Vorſchein gekommen, iſt es entweder um die Materie, Form und den Endzweck 
nicht richtig geweſen, indem es bald an dieſem, bald an jenem gefehlet; oder es 
ſind auch ſolche ungebundene Vortraͤge daraus geworden, die man mit langen 
Ellen ausmeſſen muß, und doch in vielen Worten nichts feſtes ſagen, ſondern ſich 
zu mehr als einer Sache, faſt mehr zur Maladie, als Melodie, reinen. Ich hat⸗ 
te zwar Gelegenheit, in der muſicaliſchen Critic damit heraus zu ruͤcken: denn da⸗ 
mahls war der vollkommene Capellmeiſter bereits in der Arbeit; allein ich wollte 
demſelben dieſe eigentlich dahin gehoͤrige Materie nicht gerne entziehen, und dach⸗ 
te, es wuͤrde hurtiger mit dem Verlage hergegangen ſeyn. Nun es aber an die⸗ 
ſem letztern gefehlet hat, ſind auch einige Gedancken ſeit der Zeit noch etwas reif⸗ 
fer geworden, und koͤmmt demnach dieſer Vorlaͤuffer l nicht zu ſpaͤt, 
wenn er nur was Gutes mit ſich bringet. 

e ee 5 a 

Aus obiger richtigen Beſchreibung und deren Erklaͤrung allein kan alfo ſchon 
ein guter Grund zu nuͤtzlichen melodiſchen Regeln abgenommen, und die eingebil⸗ 
dete Unmoͤglichkeit derſelben leicht gehoben werden. Denn wenn man fuͤrs erſte, 
die vier Eigenſchafften: leicht, lieblich, deutlich und flieſſend recht betrachtet, 
und zur Unterſuchung vor ſich 2. ergeben ſich von ſelbſt vier Claſſen oder 


Abtheilungen ſothaner Regeln. 
. 

Betrachten wir, fuͤrs andre, das bewegende oder ruͤhrende Weſen, (als wor⸗ 
in die wahre melodiſche Schönheit beſtehet, und dem die vier obbenannte Eigen⸗ 
ſchafften nur bedienet und behuͤlflich ſind) ſo haben wir die gantze Lehre von den 
Gemuͤths⸗Neigungen vor uns, und wird gar kein Mangel an Regeln verſpuͤret 
werden; wol aber an deren kluͤglichen Anwendung. Hier iſt der Ort nicht, Diez 
ſes letztere Stuck, welches zur Philoſophie gehoͤret, N ſondem fn Hur das 
erſte mit Fleiß durchahehen. 


en 1 0 $ 14. 


5) Heinchen ſchreibt p. 543. einer neuern Hntseifung Was Melodie % darf man einem 
Muſico wol nicht ſagen. Allein, es iſt ein groſſer Unterſchied, ein Ding überhaupt zu be⸗ 
greiffen, und ins beſondere gruͤndlich zu beſchreiben. In ber beh. Art will ein verwirrtes 
Bild nichts thun, 


Bon Derſertigung der Melodien. 35 
F. 14. 
Sulgen kan folgendes bey denen aus der Leichtigkeit flieſ⸗ 15 

ſenden Regeln einen guten Grund⸗Satz abgeben: Leicht. 
Wir koͤnnen keine Vergnuͤgung haben an einem Dinge, 
daran wir gar keinen Theil nehmen. 

Daraus ziehet man gantz natürlicher Weiſe fieben Regeln: 

1. Daß in allen Melodien etwas ſeyn muß, ſo einem jeden bekannt iſt. 
2. Alles gezwungene, weitgeholte Weſen muß vermieden werden. 

a Der Natur muß man am meiſten, dem Gebrauch in etwas folgen. 
4. Man ſetze die Kunſt auf die Seite, oder bedecke ſie ſehr. 

5. Den Frantzoſen ſoll hierin mehr als den Welſchen nachgeahmet werden. 

6. Die Melodie muß gewiſſe Rn haben, die jedermann erreichen kan. 

7. Die Kuͤrtze wird der Laͤnge auf alle A vorgezogen. 


$. 
Was nun hiernaͤchſt die Lieblichkeit betrifft, ſo koͤnte man ihr er 
mit dieſen 8 Regeln zu Hülffe kommen: e 
1. Grade und kleine Intervalle ſind jederzeit groſſen Spruͤngen vorzuziehen. 
2. Mit ſolchen Graden und kleinen Intervallen ſoll man geſcheut abwechſeln. 
3. Allerhand unſingbare Saͤtze zuſammen tragen, um ſich vor dergleichen zu huͤten. 
15 Wohlklingende hergegen zu Muſtern auserleſen und ſammlen. 
5. Den Verhalt aller Theile, Glieder und Gliedmaſſen wohl beobachten. 
6. Gute Wiederholungen, doch nicht offt, anbringen. (machen. 
7. Den Anfang t in reinen, mit der Ton⸗Art aufs befte verwandten, Klängen 
8. Mäßige Lauffer, oder lauffende Figuren (melismos) brauchen. 
„ 
Mit der Deutlichkeit wird viel geſagt, und es erfordert dieſel⸗. III. 5 
be auch mehr Geſetze, als die übrigen Eigenſchafften. Wir wollen e 
nur zehn zur Probe anführen: _ | 
1. Sollen die Ein⸗ und Abſchnitte (inciſiones) genau in acht genommen wer⸗ 
* den, nicht nur in Singe⸗Stimmen, ſondern ebenfalls in Inſtrumenten 
| (welches vielen wunderlich vorkommen wird.) 
2. Muß man ſich allemahl eine gewiſſe Leidenſchafft zum Augenmerck ſetzen. 
3. Muß keine Tact⸗Art, ohne Urſach, ohne Noth, piettüeniget ohn Unterlaß/ 
veraͤndert werden. 
4. Soll der Taͤcte Anzahl einen gewiſſen Verhalt unter ſich haben. 
1 5 Soll wieder die ordentliche Theilung des S kein Schluß gemacht een 


36 Drittes Eapitel: 


6. Soll der Accent bey den Worten richtig oba 

7. Muß man alle Verbraͤmung mit groſſer Behutſamkeit meiden. 

8. Sich eine edle Einfalt auszudruͤcken angelegen ſeyn laſſen. 

9. Die Schreib⸗Art genau einſehen, und von andern mercklich unterſcheiden. 

10. Die Abſicht nicht auf Wörter, ſondern auf deren Sinn und Verſtand richtenz 
nicht auf bunte Noten, ſondern auf redende Klaͤnge ſehen. 


$. 17. 

Die Erkaͤnntniß des Sprengels oder Umfangs einer jeden Ton⸗Art 
iſt bey dem flieſſenden Weſen unentbehrlich. Was dieſes Wort allhier 
fuͤr eine Bedeutung habe, lehret das Orcheſter. Hauptſaͤchlich koͤmmt 
das meiſte auf die ſogenannte Cadenzen, oder Ruhe⸗Stellen und Abfüge 
an, die man ſonſt nicht mit Unrecht auch Elaufulen *) heißt. Wenn nun durch 
öfftere Auf haltung eine Melodie ihre flieſſende Eigenſchafft nothwendig verlieret, ſo 
verſteht ſich von ſelbſt, daß ſolche Abſaͤtz nicht zu haͤuffig angebracht werden müſſen. 
Acht Regeln dienen hiezu: 

1. Man ſoll die Gleichfoͤrmigkeit der Ton⸗Fuͤſſe (daß ich ſo rede) ich meyne der 
Rhythmorum, fleißig vor Augen haben. 
Auch den geometriſchen Verhalt gewiſſer ähnlicher Saͤtze, nehmlich die muſica⸗ 
liſche Zahl⸗Maaſſe (numerum muficum) genau beybehalten. 
3. Je weniger foͤrmliche Schluͤſſe eine Melodie hat, je flieffender iſt ſie. 
4. Die Cadentzen muͤſſen ausgeſucht, und die Modulirung wohlherum geführet 
werden, ehe man zu den Ruhe⸗Stellen fi chreitet. 
5. Die Ruhe⸗Stellen im Lauff der Melodie muͤſſen mit dem, was darauf fol⸗ 
get, gewiſſer maaſſen verbunden werden. 
Das gar zu ſehr punctirte Weſen iſt in Sing⸗Weiſen zu fliehen; es erfordere 
denn ſolches ein eigener Umſtand. 
Die Gaͤnge und Wege nehme man nicht durch vielharte Anföfe, als chroma⸗ 
tiſche und diſſonirende Schritte. 
Keinem Themati zu Gefallen muß die Melodie in ihrem natürlichen Fortgange 
gehindert, noch mercklich ae, 9 


IV. 
Stieffend. 


89 


Ss 


ae 


Wer nun ein wenig Nachdenckens bat, kan leicht begreiffen, daß dieſe Re⸗ 
geln noch einen groſſen Zuſatz leiden wuͤrden, wenn man ſich vorgeſetzet huͤtte, ihre 
Anzahl ohne ſonderbare Noth zu vermehren. Wir haben hiemit nur den allerer⸗ 
ſten Verſuch thun wollen, und die Bahne ae des feiten Vertrauens, daß 

der⸗ 
— a claudendo viam modulationis, certo reſpectu. 


Bon Verfertigung der Melodien. 37 


derjenige, welcher die angeführten Grund⸗Saͤtze wohl inne hat, ſchon mit der Zeit 
mehr nuͤtzliche Folgen daraus ziehen, und wenn er die Erfahrung, wie billig, zu Huͤlf⸗ 
fe nimmt, die Sache je laͤnger je weiter zu ihrer Vollkommenheit treiben koͤnne. Die 
Menge der Regeln macht eine Wiſſenſchafft ſchwer; wenige und gute machen ſie 
leicht. Gar keine aber ſpielen ihr das Garaus. Weil es gleichwol auch damit noch 
nicht ausgemacht iſt, wenn man die bloſſen kurtz⸗gefaſſeten Regeln weiß, ſondern zu 
deren Ausüuͤbung hoͤchſterforderlich ſeyn will, eine Erklaͤrung darüber zu machen; 
als will ich fie nach der Reihe durchgehen, und fo kurtz als es moͤglichſt in einem 
Kern geſchehen kan, hiemit erlaͤutern. 8 


$. 19. | en 

Was ſolchemnach den Vorſatz betrifft, daß in einer jeden gu⸗ I. 
ten Melodie etwas ſeyn muͤſſe, welches ſo zu reden, der gantzen a 
Welt bekannt ſey: ſo iſt hiemit gar nicht geſagt, daß man nur fein 
viele abgenutzte Dinge, und alte verbrauchte Foͤrmelgen anbringen duͤrffe; ſondern 
vielmehr dieſes, daß man nicht zu weit mit ſeinen neuen Erfindungen fahre, und 
daruͤber ſeine Melodie nicht nur fremd, ſondern auch ſchwer mache. Denn das Ge⸗ 
hoͤr will doch immer etwas haben, das es ſchon einiger maaſſen kennet; es ſey ſo 
wenig, als es wolle; ſonſt kan ihm eine Sache weder gefallen, noch leicht vor⸗ 
kommen. Je weniger man inzwiſchen dergleichen bekannte Gaͤnge anbringet, und 
je mehr man ſie mit andern ſeltenern, doch geſchickten Einfaͤllen zu vermiſchen weiß, 
je beſſer wird das Werck gerathen. 8 
5 2 20. 

Die zweyte Regel der Leichtigkeit entſpringet aus der erſten: Denn, gleich⸗ 
wie man eines Theils alles bekannte nicht gaͤntzlich auf die Seite ſetzen darff, ſo 
muß auch hinwiederum, andern Theils, alles gezwungene, angemaaßte, und 
gar zu weitgehohlte Weſen mit Fleiß vermieden werden. Was hiemit ge⸗ 
ſagt iſt, kan man fuͤglicher aus der Arbeit affectirter Componiſten erſehen und er⸗ 
hoͤren, als mit Worten beſchreiben. Dieſenfalls ſind die Exempel verhaßt; ſonſt 
koͤnnten derſelben nicht wenig beygebracht werden. Gemeiniglich, wenn es den gu⸗ 
ten Leuten an artigen Erfindungen und am genie fehlet, und ſie doch nicht gerne 
andre Componiſten handgreiflich ausſchreiben oder berauben wollen, pflegen ſie 
rechte Sonderlinge zu werden, und ihre Zuflucht zu lauter eigenſinnigem Verfah⸗ 
ren zu nehmen; ſuchen alſo den Abgang ihrer eignen Fruchtbarkeit mit lauter Selt⸗ 
ſamkeiten zu erſetzen. So ſchwer ſolches nun den Verfaſſern werden mag, weil es 
lauter Gewalt und Zwang braucht, ſo ſchwer gehet es auch denen Zuhoͤrern ein: 
etliche wenige Stutzer ausgenommen, die ſich ſtellen, als ob ſie was rechtes da⸗ 
von verſtuͤnden. u | 6, 2r. 


38 5 Drittes Capitel = 


$. | 
Die dritte Regel, daß man der Natur am Wilke dem Gebrauch 
aber nur in etwas folgen ſoll, flieſſet ebenfalls aus den vorhergehenden Gruͤn⸗ 
den, und haͤngt richtig mit ihnen zuſammen. Das 5 natürliche Lallen eines in der 
Wiſſenſchafft unerfahrnen (der aber viel Gutes fein Tage gehoͤret haben, und eine 
angebohrne Faͤhigkeit beſitzen muß) wird die beſte Melodie abgeben, und zwar um 


ſo vielmehr, weilfie von allen künſtlichen Zwangs⸗ Mitteln entblöſſet, und nur dm 
Gebrauch in etwas verwandt iſt. Nichts kan leichter und beqvemer ſeyn, als 
was uns die Natur ſelbſt an die Hand giebt, und kein Ding wird ſchwer fallen, das 


der Gebrauch und die Gewohnheit gut heiſſen. Dannenhero muß ſich ein Com⸗ 
poniſt offtmahls hiebey, als ein bloſſer Liebhaber 1 und dieſem das na⸗ 
tuͤrliche Weſen gleichſam ablernen. 


Wenn wir viertens e a die Seite werffen ſo ſoll damit 
der wahren Kunſt nicht zu nahe geredet ſeyn; dieſe aber geſchicklich anzubringen und 
kuͤnſtlich zu verdecken oder zu bekleiden, iſt eben der ſo ſchwere Punct. Mein Rath 
hiebey waͤre, daß ſich auch der allerkunſtreicheſte ſo wenig auf die eigentliche Kuͤnſte⸗ 
ley verlieſſe, als ein eee 


$. 

Da uns die fünffte Regel auf die Frangoſenweſet, und befielet, denſelben 
mehr, als den Welſchen, in der melodiſchen Leichtigkeit zu folgen: ſo kan 
man nicht beſſer thun, als des Lully Werde, und einiger kurtz nach ihm berühmten 

Verfaſſer Arbeit, vorzunehmen: Denn die neuen Frantzoſen aͤffen den Italiaͤnern 
gar zu viel nach, und wollen trotz ihrem Naturel Kuͤnſtler ſeyn; verderben aber 
dadurch die ihnen ſonſt beywohnende und angebohrne Leichtigkeit, und machen ſo 
wol andern, als ſich ſelbſt, die Sache unnoͤthiger Weiſe ſchwer. Solches hat ihnen 
gar deutlich und nachdruͤcklich ihr eigner Landsmann, der ungenannte Verfaſſer de 
1 Hiſtoire de la Muſique, in feinen beyden letzten Binden, die nicht von Bonnet 
ſind, unter die Naſe gerieben. 

2 

Es traͤget auch ein groſſes zur Leichtigkeit bey, wenn man, zu Folge der ſech⸗ 
ſten Regel, ſeiner Melodie gewiſſe Schrancken ſetzet, die jedermann mit 
einer mäßigen Stimme beqvem erreichen kan: Denn wenn ein Gefang ent⸗ 
weder gar zu hoch, oder gar zu tieff gehet, wird er dadurch vielen Leuten ſchwer, 
und muß ſich bald fo, bald fo verſetzen laſſen, welches lauter Ubelſtand verurſacht. 
Was gute Saͤnger ſind, die werden wenigſtens eine Octav zu erreichen keine Schwie⸗ 
rig⸗ 


— 


Bon Verfertigung der Melodien. 35 


rigkeit finden; doch weiß ich nicht, welch ein ſonderbarer Vortheil offt darin ſteckt, 
wenn man ſich dieſe Graͤntzen noch enger, etwa auf eine Sept oder Sext, ſtellet: 
Denn jemehr ein Componiſt ſich hierin verſteiget, jemehr gewoͤhnt er ſich zu ſchlecht⸗ 
aneinander hangenden, zerſtreuten und zertrennten Modulationen. Da ſchwaͤr⸗ 
met man herum, unter einer angemaaßten Freyheit, und bringt nichts heraus, das 
wohl gefuͤgt oder concinne ins Gemuͤth dringe. Ich rede nicht von ſolchen geuͤb⸗ 
ten Setzern, die Meiſter der Melodie find, faͤhige Leute zur Ausführung vor ſich fin⸗ 
den, und ſich ihrer Freyheit am rechten Orte zu gebrauchen wiſſen; aber einem ange⸗ 
henden Melodien⸗Macher wollte ich rathen, daß er ſich fuͤrs erſte den Bezirck der 
Sext oder Octav zur Graͤntze waͤhlte; doch ſo, daß es der Landmann eben nicht 
merckte. Gewiß es wird ſehr viel beytragen, feine Melodien leicht und beg vem zu 
machen. Denn was iſt mir damit ſonderlich gedienet, daß nur dieſe oder jene Perſon 
allein geſchickt iſt, eine Arie, die ſich z. E uͤber zwo Octaven erſtrecket, heraus zu brin⸗ 
gen? ich wolte gerne mitſingen, und wenns nur in Gedancken waͤre, darin beſtehet 
das groͤſſeſte Vergnuͤgen; das wird mir aber nicht erlaubet. 


1 §. 25. i 

Die letzte Regel dieſer erſten Abtheilung iſt nicht die ſchlechteſte, nehmlich: 
daß man die Kuͤrtze der Laͤnge allemahl vorziehen ſoll. Es braucht dieſel⸗ 
be aber deſto weniger Erlaͤuterung, je mehr wir begreiffen koͤnnen, daß eine kurtze, 
und nicht zu weit gereckte Melodie leichter zu behalten ſey, als eine lange und aus⸗ 
gedehnte. Womit jedoch nicht geſaget wird, daß eine kurtze Arie auch leichter zu 
machen ſey: Denn bey der Kuͤrtze verſtehen wir auch die Guͤte. Das leichte gehet 
nur den Zuhörer an; nicht den Setzer: wiewol jenem nimmer ein Ding leicht duͤn⸗ 
cken wird, das dieſem ſchwer geworden iſt. 8 

| | . 25. 


Die andre Haupt⸗Eigenſchafft einer wohleingerichteten Melodie II. 
iſt die Deutlichkeit. Bey ſolcher hat die erſte Regel: Daß man die 

incifiones genau bemercke, mit wenig Worten ſehr viel geſagt. es 
iſt faſt nicht zu glauben, wie haͤuffig auch die groͤſſeſten Meiſter hierin verſtoſſen: 
maaſſen ſie gerne alle ihre Kraͤffte anwenden, bloß mit brauſenden Figuren die Oh⸗ 
ren zum Aufſtande zu bringen, dabey der Verſtand doch keines weges vergnuͤget 
wird, vielweniger das Hertz was rechtes empfinden kan. Das ſeltſamſte iſt, daß je⸗ 
dermann in den Gedancken ſtehet, man beduͤrffe zur Inſtrumental⸗Muſic Feiner ſol⸗ 
chen Anmerckungen; aber es ſoll weiter unten hell und klar erwieſen werden, daß al⸗ 
le, ſo wol groſſe, als kleine Inſtrumental⸗Melodien ihre richtige commata, cola, 
Er ' pun- 


40 Drittes Capitel: 
puncta, &c. nicht weniger, als der Geſang mit Menſchen⸗Stimmen, haben muͤſſen. 
Denn ſonſt kan unmoͤglich eine Deutlichkeit darin gefunden werden. 

2 

Zu derſelben gelanget man auch nimmermehr recht, wenn nicht die zweyte 
Richtſchnur beobachtet wird, mittelſt welcher man ſich bey einer jeden Melodie 
eine gewiſſe Gemuͤths⸗Bewegung zum Zwecke ſetzet. Denn, gleichwie ein 
geſcheuter Mahler allezeit nur die eine oder andre ſeiner Figuren (wo deren viele in 
einem Gemaͤhlde vorkommen) mit beſonders erhabenen Farben verſiehet, damit fie 
unter den übrigen Bildern mercklich hervorrage; alſo muß auch der Componiſt in 
ſeiner Melodie, auf eine oder andre Neigung ſeine Abſicht fuͤhren, und dieſelbe ſo be⸗ 
mercken oder ausdrucken, daß ſie mehr, als die uͤbrigen Neben⸗Umſtaͤnde, in die Oh⸗ 
ren falle. Wir moͤgen bey Gelegenheit der Vergleichung mit der Mahlerey noch 
dieſes bedencken, daß eines geſchickten Kuͤnſtlers Vorhaben nicht etwa bloß dahin 
gehe, ein Paar ſchwartze Augen, eine erhabene Naſe, und einen rothen Mund zu 
mahlen, ſondern er trachtet immer in ſolchen Geſichts⸗Zuͤgen die eine oder andre Re⸗ 
gung vorzuſtellen, damit z. E. der Zuſchauer ſage: in den Augen ſtecke was verlieb⸗ 
tes; an der Naſe ſey was großmuͤthiges, und am Munde was hoͤniſches. Eben ſo 
wenig muß ſich auch der Muſicus damit begnuͤgen, daß er bunte Noten hinmahle, ſei⸗ 
ne Intervalle und uͤbriges Geraͤthe wohl auskrame, und alles mit den ſchoͤnſten Bey⸗ 
Woͤrtern ſchmuͤcke; ſondern er muß ſich wircklich dahin beſtreben, daß in feinem 
Machwerck eine ausnehmende Gemuͤths⸗Bewegung herrſche. Heget er dieſe nun 
ſelber nicht, oder weiß ſie nicht nachzuahmen, wie iſt es möglich, daß er fie bey an⸗ 
dern rege mache? Wenn aber nichts dergleichen in einer Melodie ausgedruckt wird, 
ſo hat ſie ſo wenig deutliches, daß kein Zuhoͤrer was anders, als ein leeres Geklaͤn⸗ 
ge und Geſaͤnge daraus machen kan. Dieſe Regel ſchreibt uns nur die hoͤchſte Noth⸗ 
wendigkeit einer ſolchen vorzuſtellenden Leidenſchafft vor, und zeiget die dringende 
Urſachen an; wie ſie aber auszudrucken ſey, das gehoͤret an einen andern Ort. 

80 . 

Wenn die Frantzoſen in ihrem ſo genannten Recit (auch oͤffters in den Airs) 
faſt auf jeder Zeile den Tact veraͤndern, ſo nehmen ſie ſich damit zwar eine vergebliche 
Muͤhe, und koͤnten es den Welſchen viel wohlfeiler hierinn nachthun, welche, nebſt 
uns, gar keinen abgemeſſenen Tact im Recitativ beobachten: denn es iſt faſt ei⸗ 
nerley, uͤberall keine Zeitmaaſſe, oder alle Augenblick eine neue zu haben. Weil 
aber der Recit eigentlich keine Melodie heiſſen kan; hergegen in den melodioͤſen 
Sagen, dafern fie deutlich ſeyn follen, die vielfältige Veraͤnderung des Tacts zu 
meiden iſt: fo erhellet hieraus, daß die Seele der Melodie, date die 

\ Zeit⸗ 


Von Verfertigung der Melodien. 5 41 


Zeitmaaſſe, nur unica ſeyn muͤſſe. Und das war die dritte Regel zur Befoͤr⸗ 
derung der Deutlichkeit. Erfordert aber das Reim⸗Gebaͤnde eine Veraͤnderung 
hierin, ſo hat Noth zwar kein Gebot; doch ſollte meines Erachtens der Poet ſein 
Sylben⸗Maaß in einer Arie nicht gerne ändern „eg waͤre denn, daß er auch zugleich 
eine andre Leidenſchafft rege machen wollte. 5 


„ 29. 5 

3 Die vierte Regel der Deutlichkeit beruhet auf der Anzahl der Abmef 
ſungen oder Taͤcte, welche man ſonſt Menſuren nennet. Ob nun gleich derſelben 
Verhalt in groſſen und langen Saͤtzen, nicht ſo leicht von jedermann erkennet wer⸗ 
den mag, wird doch eine beqveme und begreifliche Einrichtung dieſes Artickels dem 
Geſange nicht wenig Deutlichkeit geben; in kurtzen und lebhafften Melodien aber 
(die man airs de mouvement nennet) iſt ſolche Vorſicht unausſetzlich noͤthig, 
weil ſonſt eine muntere Sang⸗Weiſe kein anders Geſchicke bekoͤmmt, als etwa ein 
Paar Arme, deren einer zwo Haͤnde, der andere aber drey oder mehr haͤtte. Nun 
iſt es zwar ein leichtes, die eigentliche Anzahl dieſer Abſchnitte in gewiſſen Stylen, 
als im hyporchematiſchen und choraiſchen, einiger maaſſen feſt zu ſtellen; in andern 
Schreib⸗Arten aber füllt es deſto ſchwerer. Wo viel Bewegung iſt, da muß die 
Melodie in dieſem Fall die allergroͤſſeſte Richtigkeit der Abtheilung haben; wo es 
hergegen traͤge und ſchleppend ausfällt, oder auch nur ernſthafft und langſam herz 
aus koͤmmt, da laͤßt ſich bey der Gleichfoͤrmigkeit mehr Ausnahme machen. Ge⸗ 
meiniglich thut man am beſten, auch in dem groͤſſeſten adagio, daß man die gerade 
Zahl der Taͤcte vor der ungeraden waͤhlet. So viel iſtB gewiß, daß ein hurtiger Ge 
ſang niemahls eine ungerade Anzahl der Menſuren haben ſollte, und eben alle dieſe 
airs de mouvement mögen wir hiebey gar ſicher zum Grunde legen: denn fie find, 

wie geſagt, unter allen Arten der Melodien, in dieſem Stuͤck die richtigſten und deut⸗ 


lichſten. 


„ | "02 80, es a 

Die Beobachtung der ordentlichen Theilung eines jeden Tacts (cæ- 
für) giebt uns die fuͤnffte Regel der Deutlichkeit an die Hand. Solche Theilung 
fuͤllt nun immer, entweder in den Nieder⸗ oder Aufſchlag, wenn die Menſur gerade 
iſt. Im ungleichen Tact aber geſchiehet dieſe Theilung niemahls anderswo als im 
Niederſchlage allein; oder beſſer zu reden, es hat vielmehr gar keine Theilung ſtatt, 
wedil die Caͤſur bloß auf der erſten Note des Abſchnittes lieget. Wieder dieſe, der 
Zeitmaaſſe Natur, (contra arſin & theſin) einen Schluß, eine Bindung, oder ſonſt 
einen betraͤchtlichen Fall und Abſatz der Stimme (chute) anzubringen, das heißt, 

in der Setz⸗Kunſt eben den Fehler begehen, — wenn ein Dichter ſeine pedes er 
| JVC 0 Den 


43 Drittes Capitel: 


—— — — TE En an 0 VER 

den Worten endiget, und alſo die Caͤſur hangen läßt. Die Haupt⸗Urſache dieſes 
haͤuffigen Ubelſtandes entſtehet in der muſicaliſchen Compoſition wohl daher, daß 
man den ſchlechten, gewoͤhnlichen Vier⸗Viertel⸗Tact mit dem, der nur zwey halbe 
hat, unvorſichtiglich vermiſchet. Jener hat augenſcheinlich vier; dieſer aber nur 
zwey Glieder, welche bey ihm eben ſo viele Theile austragen, einfolglich auch ſo viel 
Schluͤſſe oder Abſaͤtze in der Melodie zulaſſen; der vorige hergegen muß nur auf dem 
erſten und dritten Gliede, als auf welche die Caͤſur füllt, nicht auf dem zweyten und 
vierdten Schluͤſſe oder Abſaͤtze ) machen. | | 


2 1 2 9 2 1 2 
a I Al 3 4 N 7 5 N 1 | En 
N 5 EIER 85 22 BR EL ur = 
Unrecht k d- uns eo a I TB 8 
. . | 
5. 3 


1 I. 

Gleichwie der Accent in Ausſprechung der Woͤrter eine Rede deutlich und un⸗ 
deutlich machen kan, nachdem er am rechten oder unrechten Orte angebracht wird; 
alſo kan auch der Klang in der Muſic, nachdem derſelbe wohl oder uͤbel 
accentuiret wird, die Melodie deutlich oder undeutlich machen. Beyde 
Accents⸗Arten muß ein Componiſt wohl inne haben, damit er in Vocal⸗Sachen 
nicht wieder die Proſodie, noch in Inſtrumental⸗Stuͤcken wieder den muſicaliſchen 
Accent anſtoſſe: was dieſer für Bedeutung, und deſſen geſcheute Anwendung für 
Nutzen habe, kan am beruͤhrten Ort der Critick mit mehrern erſehen werden. 


0 1 
emphaſis. Hieher rechnen wir billig auch die emphaſin, oder den Nachdruck, 
weil dasjenige Wort, das damit verſehen iſt, allemahl eine gewiſſe Art 
des muſicaliſchen Accents erfordert. Nun koͤmmt es aber darauf an, 
daß man wohl zu urtheilen wiſſe, welches eben dieſe nachdruͤckliche Woͤrter ſind. 
Und da iſt kein beſſer Rath, als daß man allerhand Vortraͤge unterſuche, abſon⸗ 
derlich in ungebundener Rede, und das Rechtſchuldige etwa durch folgendes Mit⸗ 
tel zu finden trachte. 1 


Wenn ich z. E. wiſſen wollte, wo in dieſen wenigen Worten der he 
5 N ecke; 
) Siehe den erſten Band der mufisalifchen Eritick p. 32. g. | 


Von Verfertigung der Melodien: 43 


ſtecke: Unſer Leben iſt eine Wanderſchafft, fo duͤrffte ich nur den Satz in 
Frage und Antwort bringen, nehmlich: Was iſt unſer Leben? Ein? Wander⸗ 
ſchafft. Alſo entdeckt ſich hier die emphaſis, daß fie auf dem Worte Wander⸗ 
ſchafft ſey. Und wenn der Componiſt ſolches Wort auf die eine oder andre un⸗ 
gezwungene Weiſe hervorzieht, wird er deutlich ſeyn. 

1 | | 34. 

Weil vieles hierauf ankommt, werden noch ein Paar Exempel nicht misfal⸗ 
len. Z. E. Der hier auf der Welt ver meinet in ſtiller Ruhe zu ſttzen, iſt 
ſehr betrogen. Da wird es nun auf die Einrichtung der Frage ankommen, wel⸗ 
che meines Erachtens ſo lauten muͤſte: Iſt nicht derjenige betrogen, der hier ver⸗ 
meinet in ſtiller Ruhe zu ſitzen? Antw. Sehr! Alſo fiele auf das adverbium 
intendens, und ſonſt auf keinem, die wahre emphaſis; in Entſtehung aber die⸗ 
ſes adverbii, muͤſte das Wort, betrogen, den groͤſſeſten Nachdruck haben. Wo⸗ 
bey zu mercken, daß eben die adverbia in der Rede offt das meiſte zu ſagen haben, 
und der Nachdruck nicht ſelten auf ihnen lieget, inſonderheit wenn fie eine Gröffe, 
Eigenſchafft, Ausdehnung, Vergleichung, Darlegung u. ſ. w. bedeuten. 


f | §. 35. 

Noch eins: Der Weg zum Himmel iſt mit Dornen bewachſen. Da 
wird gefragt, womit iſt der Weg zum Himmel bewachſen? und geantwortet: 
mit Dornen. Denn wenn dieſes Wort weggenommen wird, bleibt gar kein 
Verſtand uͤbrig, oder der Vortrag ſagte nicht, was er ſagen wollte; bey welchem 
Abzeichen man ebenfalls den Ort des Nachdruckes mercken mag. 


| 22.90, | 

Bisweilen iſt die Stelle zweydeutig, fü daß die emphaſis bald hie, bald da 

ſeyn kan, nach Gelegenheit der Meinung. Z. E. Mein Engel, biſt du da? 
Da wird entweder nach der Perſon oder nach dem Orte gefraget, und alſo die em- 
phaſis in der erſten Abſicht auf du, in der andern aber auf da geleget. Der Zu⸗ 
ſammenhang muß daruͤber den Ausſchlag geben. Solcher Geſtalt kan ſich ein ie⸗ 
der ſelbſt weiter hierin uͤben, und ſeinen Verſtand ſchaͤrffen. > 


| Nr, N 
Die ſiebende Regel der Deutlichkeit lehret uns, alle Verbraͤmungen und 
Figuren mit groſſer Behutſamkeit anzupbenden. Was aus Hindanſe⸗ 
gung dieſes Gebots der melodioͤſen Schönheit für entſetzliche Pflaͤſterlein oder 
mouches ins Geſicht geleget werden, weiſet die tägliche Erfahrung. Ein Un⸗ 
genannter ſchrieb neulich hievon alſo: Die Arien ſind fo bunt und fo kraus, 
daß man ungedultig wird, ehe das ar kommt. Der ae 
| & | zufrie⸗ 


44 Drittes Capitel: 


zufrieden, wenn er nur unſinnige Noten ſetzt, welche die Saͤnger, durch 

tauſend Verdrehungen, noch abgeſchmackter machen. Sie lachen bey 

der betruͤbteſten Vorſtellung, und ihre Italianiſche Ausſchweiffungen 

kommen immer am unrechten Ort. Die Arien, welche der vortrefli⸗ 

che Tl geſetzet hat find viel zu ordentlich: man fuͤllet ihre Stellen alle⸗ 

zeit mit ſolchen Raſereyen aus, die ſich fir laͤcherliche Kehlen, nicht a⸗ 

ber fir die Vernunfft ſchicken. Dergleichen geſtickte Arbeit, es bringe fie ein 
am Geſchmack verderbter Setzer, oder eine uͤppige Stimme hervor, gemahnen 
mich nicht anders, als eine gar zu reiche Liberey fuͤr Edel⸗Knaben oder Trompe⸗ 
ter, wobey alles mit guͤldenen und ſilbernen Schnuͤren dermaſſen bedeckt iſt, daß 
man weder Tuch noch Tuchs⸗Farbe daran erkennen kan. Ob nun gleich dieſe U⸗ 
bertretung in den Zierathen bey einem vernuͤnfftigen Setzer billig nicht ſeyn ſollte, 
ſo findet er doch Urſachen, ſich deſto mehr dafuͤr zu huͤten, weil aus dem verdorbe⸗ 
nen Geſchmack leicht eine bofe Gewohnheit oder Mode werden kan. 


38. 5 

Da kommen wir nun auf die Einfalt, welche nicht, als etwas dummes oder 
albernes und gemeines; ſondern vielmehr als etwas edles, ungeſchmincktes und 
recht ſonderbares zu verſtehen iſt. Dieſe Einfalt macht den allerwichtigſten Punct, 
ſo wol im Schreiben und Reden, als im Singen und Spielen, ja im gantzen 
menſchlichen Umgange: und wenn jemahls angebohrne Eigenſchafften ſtatt ha⸗ 
ben ſollten, ware hier gewiß der rechte Ort für fi. So viel iſt wohl auffer 
Streits, daß die Menſchen, einer vor dem andern, auch in dieſem Stuͤck etwas 
voraus haben, nachdem des Leibes Bau und die Gebluͤts-Miſchung ordentlich o⸗ 
der unordentlich eingerichtet, folglich zum Eindruck fähig oder unfaͤhig find. Edle 
Gedancken haben immer eine gewiſſe Einfalt, und nur ein eintziges Augenmerck. 
Wer ſich nun dergleichen ohne allem Zwang, nach den bloſſen Natur-Geſetzen 
vorſtellet, der wird am beſten fortkommen. Will man Muſter und Vorbilder ha; 
ben, ſo darff nur die alte Mahlerey, Bildhauer⸗ und Muͤntz⸗Arbeit angeſehen 
werden: welche ſtarcke Zuͤge, majeſtaͤtiſche Geſichter, und nachdruͤckliche Stellun⸗ 
gen trifft man da nicht an? wobey doch faſt nicht der allergeringſte, uͤberfluͤßige 
Zierath vermacht iſt, ſondern vielmehr die hoͤchſte Einfalt und Bloͤſſe hervorra⸗ 
gen. Aber dieſe Bloͤſſe iſt nicht armſelig, ſondern edelmuͤthig und getroſt; nicht 
eckelhafft, ſondern entzuͤckend, weil fie in ihrem wahren Lichte ſtehet. Eben alſo 
ſollte es auch mit unſern Melodien beſchaffen feyn. 


9. 3. | 
Nun haben wir noch zwo Regeln von der Deutlichkeit übrig: die neun: 
te, 


Von Verfertigung der Melodien. en 45 


.. TE TE TEE TEE TEE TEE EIGENE ——— 
te, welche gebietet die Schreib-Arten wohl von einander zu unterſcheiden. 
Das will kuͤrtzlich ſo viel ſagen, man ſoll die Sing⸗Arten in der Kirche, auf der 
Schaubuͤhne und in der Kammer nicht mit einander vermiſchen; eine Supplic 
hinſetzen, wo ein Recept ſtehen ſoll; der Stimme nicht zumuthen, Dinge zu ma⸗ 
chen, die ſich nur für Geigen ſchicken; ein Werbe⸗Stuͤck nicht den Floͤten beyle⸗ 


gen, und dergleichen mehr, wovon bereits oben gehandelt worden iſt. 


| §. 40. 

5 Die zehnte Regel der Deutlichkeit iſt zwar hier von ungefehr die letzte; 

aber dem Inhalt nach faſt die wichtigſte. Denn wenn wir, ſolcher zu Folge, un⸗ 
ſere Haupt: Abſicht nicht auf die Wörter, ſondern auf den Verſtand 
derſelben, und auf die darin enthaltene Gedancken zu richten haben, ſo 
gehoͤret hiezu keine geringe Einſicht des Affects, der in ihnen ſteckt, wovon an ei⸗ 
nem andern Ort ausführlicher zu handeln nöthig ſeyn wird. Es hat ſonſt dieſe 
Regel zwey Glieder, deren eines auf die Menſchen⸗Stimmen, das andre auf die 
Inſtrumente gehet, und uns, zu mehrer Deutlichkeit, redende Klaͤnge, (des ſons 
parlans) und nicht der bunten Noten Menge empfielet. Denn daß keine eintzi⸗ 
ge Melodie ohne Verſtand, ohne Abſicht und ohne Gemuͤths⸗Bewegung ſeyn muͤſ⸗ 
ſe, ob fie gleich ohne Woͤrter ſeyn kan, wird hierdurch, und durch die Natur⸗Ge⸗ 
ſetze ſelbſt feſtgeſtellet. So viel von der zweyten Claſſe unſrer melodiſchen Grund⸗ 
Saͤtze zur Erlaͤuterung. | 


> 1 
8 Die dritte Eigenſchafft einer 155 Melodie war demnach, daß III. 
fie flieſſend ſeyn muß. Dazu hilfft erſtlich, daß man die rhythmiſche 

Ubereinſtimmung und richtige Abwechſelung des arithmetiſchen Ver⸗ 
halts gewiſſer Klang⸗Fuͤſſe ſtets vor Augen habe. Es iſt hiemit nicht geſagt, daß 
man etwa einerley rhythmum beybehalten muͤſſe, welches vielmehr einen Ubel⸗ 
ſtand und Eckel verurſachen würde; man muß nothwendig verſchiedene pedes fo- 
noros mit einander verwechſeln, eben wie ſolches in der Dichtkunſt nach ihrer Art 
geſchiehet. Aber diejenigen, ſo einmahl vorgeweſen, muͤſſen am rechten Ort wie⸗ 
derum ans Licht kommen, daß ſie ſich einander gleichſam antworten, und die Melo⸗ 

die flieſſend machen. 1 


| Die Ordnung nun, welche in ſolcher Anführung und Abwechſelung der 
Klang⸗0Fuͤſſe beobachtet wird, nennet man einen geometriſchen Verhalt. Denn, 
ſo wie der arithmetiſche dieſe Fuͤſſe, worauf die Melodie gehet, an und fi 5 

’ | 5 F 3 ER 


46 Drittes Capitel!: 


ſelbſt betrachtet „fo weiſet hergegen der geometriſche Verhalt, wie ſie zuſammen gez 
fuͤget werden, und ihre Abſonderungen ordentlich darlegen muͤſſen, z. E. 
b 0 d 


e 


a, iſt ein gewiſſer Fuß von dreyen Klaͤngen, die am Gehalt unterſchieden find. 
b, iſt wiederum einer von eben der Zahl, aber einerley Geltung: da iſt in beyden 
eine arithmetiſche Beſchaffenheit beſonders. e und d hergegen zuſammen ge⸗ 
nommen, ſtellen die richtige Abwechſelung voriger beyden Fuͤſſe dar, und machen 
einen geometriſchen Abſchnitt. | ; 


| . | | 
Bey dieſer Gelegenheit darf man wohl die Profodie zur Hand nehmen, und 

ſich ein Verzeichniß von allen Fuͤſſen in der Dichtkunſt machen, um ſolche mit den 
muſicaliſchen zu vergleichen: worunter ſich ſodann viele angeben werden, die in 
der Poeſie Fremdlinge find, weil die Mufie es ihr an Reichthum hierin zuvor thut, 
und auch alles, was jene hat, aus dieſer herruͤhret. Eigentlich gehörer dieſer Ar⸗ 
tickel ad rhythmopœiam, welche einen eignen Fleiß erfordert, wenn man fie Kunſt⸗ 
maͤßig treiben will. Im vollkommenen Capellmeiſter mehr davon. 


„S. 44. | 
Die dritte Regel zur Beförderung des flieffenden Weſens in der Melodie, 
fo wol, als die vierte, betrifft die Cadenzen oder Schluͤſſe: denn weil natürlicher 
Weiſe feſt ſtehet, daß viele Schluͤſſe und Abſaͤtze den Lauff des Geſanges hemmenz 
ſo iſt leicht zu erachten, daß eine recht flieſſende Modulirung nur wenig Cadenzen 
haben muͤſſe. Zwar iſt es an dem, daß bisweilen Themata vorkommen, die kurtz 
auf einander clauſuliren, und eine ausdruͤckliche gute Abſicht darunter führen, in⸗ 
gleichen, daß unſre Choral Lieder, deren einige doch ſehr ſchoͤne Melodien aufwei⸗ 
fer, ob fie gleich offt kaum den Sprengel der Qvint erfüllen, (wie das 
Teutſche Gloria) faſt in lauter Cadenzen beſtehen; aber davon, nehmlich von der 
Eigenſchafft des Styls, in Fugen und Oden, iſt hier die Rede nicht, ſondern von 
der Armſeligkeit, die ſich darin bloß gibt, wenn man nichts als Cadenzen zu ma⸗ 
chen weiß. | | 
| | 9. 45. . | 
Das aͤrgſte hiebey iſt, wenn gegen und wieder die vierte Regel, ſothane 
Schluͤſſe ſehr uͤbel gewaͤhlet find, und der Geſang zur unbeqvemen Ruhe 5 
W 0 tel, 


Von Verfertigung der Melodien 47 
tet, ehe er noch die geringſte Wendung verrichtet, oder einige Urſache zur Muͤdig⸗ 


keit hat. Gut, noͤthig und ſchoͤn iſt es, wenn gleich im Anfange ein Haupt⸗ 
Schluß in die Endigungs⸗Note vernommen wird. z. E. | 


| 1 tr. | 

Biere Erz: 

denn dadurch erhaͤlt der Zuhoͤrer alſobald Nachricht von der gantzen Ton⸗Art, und 
von der Weiſe, mit welcher der Setzer weiter fortzuſchreiten gedencket; wenn er 
erſt einen ſolchen feſten Fuß geſetzet hat. Aber daß die unzeitigen Schlußmacher 
dergleichen Abſicht fuͤhren ſollten, das laſſen ſie wohl an ſich kommen; ſie fallen 
den Augenblick auf eine Cadentz in die Tertz, bey weichen Ton⸗Arten, und in den 
Qvinten⸗Schluß, bey harten: Damit iſt es alle, und denn wiſſen fie ſchier nicht 
mehr, wo aus oder ein. Zu dieſer Erlaͤuterung kan man auch den Vortheil rech⸗ 
nen, welcher einer Melodie in ihrem flieſſenden Weſen daraus erwaͤchſt, wenn ſich 
bald im Anfange der getheilte Drey⸗Klang, oder die trias, hoͤren laͤßt: denn dar⸗ 
aus ſchlieſſet der Zuhoͤrer gleichfalls, in welchem Bezirck ſeine Ohren werden her⸗ 
um gefuͤhret werden; und das Vorherwiſſen iſt ihm angenehm. 

. 6 


8 f 8 H. 40. ; 
Wenn auch das gar zu ſehr punctirte Weſen, abſonderlich in Sing⸗Sachen, 
wenig oder nichts flieſſendes mit ſich führen kan, ſo raͤth uns die ſechſte Regel, 
ſolches zu verwerffen. Im praͤludiren und fantaffiren, wo keine ordentliche Me⸗ 
lodie erfordert wird, darf man es ſo genau nicht nehmen, in der gantzen Inſtru⸗ 
mental⸗Muſic uͤberhaupt auch nicht: ja in Entrees, und dergleichen hohen Tanz 
tzen, wird es mehrentheils ausdruͤcklich erfordert: es klingt ſehr friſch und leb⸗ 
hafft, druckt verſchiedene muntere, auch hefftige Gemuͤths⸗Bewegungen ſehr wohl 
aus; aber es flieſſet doch nirgend. | 


s . 

Der Zuſammenhang, oder die geſchickte connexion hilfft ein groſſes zum 
flieſſenden Weſen in einer Melodie; daher hat man fuͤnfftens, abſonderlich bey 
Abſaͤtzen oder Schlüffen dahin zu ſehen, daß nicht mit der Thür ins Haus gefal⸗ 
len, ſondern alles ohne mercklichen Aufenthalt, vermittelſt beqvemer Zugaͤnge und 
Fortſchreitungen, auf einander gepaſſet und gefolget werde, wie in einer guten 
Rede, per tranſitiones. Die Frantzoſen treiben dieſes faſt zu hoch in ihrer Mu⸗ 
fic, und geben dadurch ihren Melodien viel leyerhafftes: Derowegen auch hierin 
Maaſſe zu halten wäre: denn was allzuſehr flieſſet, das entwiſchet leicht, und iſt 
ſchluͤpfrig⸗ 0 | 8.48. 


48 Drittes Capitel: 


— — 


„ a 
Das Ziehen und Schleppen durch die halben Tone und Diſſonantzen, darin 
mancher ſo ſehr verliebt iſt, hat zwar ſeine Zeit und ſeinen Ort, nachdem es die 
Umſtaͤnde leiden, oder erfordern; allein wer was flieſſendes ſetzen will, darff e⸗ 
ben ſolche krumme Wege nicht gehen. Wo dieſe Abſicht aber nicht iſt, da hat 
ein jeder gewiſſer maaſſen freye Haͤnde. | 
| 49. 

Wie nun der gute ungezwungene Zuſammenhang, dabey man nicht zu 
aͤngſtlich verfaͤhret, einen Satz mit ſeinem folgenden durch die Verbindung nicht 
wenig flieſſend macht; fo entſtehet hergegen eine groſſe Hinderniß bey dieſer Ei— 
genſchafft, wenn man etwa, einem oder andern Themati zu Gefallen, den Geſang, 
das ſingende Weſen (chant) in ſeinem natuͤrlichen Gange, mit ungeſchickten 
Pauſen unterbricht, und die Melodie in ihrem Fortgange zuruͤck haͤlt: Denn da 
kans ja nicht wohl flieſſen. Das Thema aber verſtehen wir hier dieſesmahl von 
einer Grund⸗ oder Neben⸗Stimme; nicht von einer Haupt⸗Melodie: das iſt zu 
ſagen, wenn ſich der Baß, oder die Violine hervorthun wollte, ſo, daß daruͤber 
die vornehmſte oder Sing⸗Stimme leiden muͤſte; welches wieder alle geſunde 
Vernunfft laͤufft, und doch taͤglich geſchiehet. So viel iſt mir bey dieſer dritten 
Claſſe zur Kern⸗Erlaͤuterung eingefallen. f 


„„ . 

IV. Die Claſſe der Lieblichkeit war, unſerm erſten Entwurff nach, 
um ein Paar Stuffen hoͤher geſetzet; wir haben ſie aber mit Fleiß bey 
der Ausarbeitung zuletzt geſparet, und ihr die vierte Stelle eingeraͤu⸗ 

met: weil die andern nothwendiger ſind; ſo wie dieſe hergegen betraͤchtlicher 
iſt. In ſo fern nun die davon ertheilte acht Regeln einer kleinen Erklaͤrung be⸗ 
duͤrffen, gehet die erſte dahin: Daß man mehr Grade, oder Schritte, und 
kleine Intervalle, als groſſe Spruͤnge gebrauche, wenns lieblich klingen 
ſoll. Wer hievon Exempel aufzuſuchen, und in die Ordnung zu bringen Luſt hat, 
kan dieſelbe wie locos communes unter gewiſſe allgemeine und beſondere Titel 
ſetzen, davon kein geringer Nutz zu hoffen ſtehet. Wir wollen einen kleinen Ent; 
wurff machen, und dem fleißigen Unterſucher dadurch Anlaß geben, wie er ſich in 
dieſem Stuͤcke etwa zu verhalten hätte: N 
Erſter allgemeiner Titel, vom ſteigenden halben Ton, mit auserle⸗ 
ſenen Exempeln verſehen. 
Zweyter allgemeiner Titel, vom fallenden halben Ton ꝛc. Welchen 
beyden anzuhaͤngen wären: | | 


Zween 


Von Verfertigung der Melodien. 49 


Zween beſondere Titel, von den kleinen halben Tonen, fo wol ſteigen⸗ 
den, als fallenden. | 
Dritter allgemeiner Titel, worin ausgeſuchte Aufgaben von der ſtei⸗ 
genden kleinen Tertz enthalten. 
Vierter allgemeiner Titel, von der fallenden kleinen Tertz u. ſ. w. bis 
an die Qvart. | | 


5. Ir. | 

Wenn wir nun gleich die vorige Regel in Acht nehmen, und zur Befoͤrde⸗ 
rung der Lieblichkeit einer Melodie, mehr durch Schritte, als durch Spruͤnge 
verfahren, ſo erfordert doch der folgende Grund⸗Satz: daß man auch mit ſol⸗ 
chen Graden und kleinen Intervallen geſcheuet abwechſele, das iſt zu ſagen, 
man ſoll nicht lauter Schritte thun, lauter Tertzien, vielweniger lauter Qvarten, 
auch nicht viele von den einen und den andern, in ſteter Folge hinſetzen; ſondern 
das Gehoͤr mit öffterer Abwechſelung und Veränderung beluſtigen, wodurch dem⸗ 
ſelben eine Melodie am allerlieblichſten wird. 


§. 52. 

Von halben Tonen, z. E. werden ſchon drey oder vier auf einander (wenn 
ſonſt keine eigene Abſicht darunter verborgen iſt) zu viel ſeyn. Fuͤnff bis ſechs 
Grade ſind auch zu eckelhafft; es waͤre denn, daß die Worte oder Umſtaͤnde, o⸗ 
der wie geſagt, ein beſonderes Vorhaben, ausdruͤcklich mehr erforderten. Wir 
reden hier nur von der Lieblichkeit einer Melodie uͤberhaupt; nicht von ſonder⸗ 
baren Faͤllen, darin eine iede Regel ihre Ausnahm findet. Von Tertzien kan 
man zwo bis drey, doch nicht einerley Art, ohne Abbruch der Lieblichkeit, auf ein⸗ 
ander folgen laſſen; von Qvarten aber ſelten mehr, als eine, wenn ſie accentuirt 
ſind. Der Nieder⸗ und Aufſchlag des Tacts machen hier zwar bisweilen einiges 
Bedencken; doch iſt es nicht von der Wichtigkeit, die Regel an und fuͤr ſich ſelbſt 
zu vernichten oder zu entkraͤfften. Wer ſich die Muͤhe geben will, Muſicalien mit 
Verſtande in dieſer Abſicht durchzugehen, der wird die Wahrheit unfrer Säge vol; 
lenkommen finden. a 


H. FZ. 

Hierdurch werden wir unvermerckt auf die dritte Regel der Lieblichkeit 
gefuͤhret, vermöge welcher man ſich unmelodidſe oder unſingbare Falle mit 
Fleiß auſſuchen ſoll, ſolche unter gewiſſe Haupt⸗Stuͤcke zu bringen; ihren Ubels 
Laut, worin er beſtehe, zu bemercken; die Urſachen deſſelben zu erforſchen, und 
dergleichen vorſichtiglich zu meiden. Man darff ſolche Dinge zwar nicht weit 
hohlen: weil das Boͤſe gemeiniglich haͤuffiger et als das Gute; . bey 

enen, 


55 Drittes Capitel: | 
De N ee 
denen, die aus Contrapuncten ein Handwerck machen, trifft man vor allen einen 
ſonderbaren Schatz unartiger Gaͤnge an, und da kan einer aus ihren Fehlern ſchon 
ziemlich klug werden. 


Wenn z. E. iemand 75 ſetzte: 


re 7 288 


muͤſte iedermann, der nur irgend einen Begriff lieblicher Melodie hat, gerne geſte⸗ 
hen, daß eine ſolche ſteigende kleine Tertz h⸗d, auf welche noch ein ſteigendes, und 
accentuirtes Hemitomium folget, gar nicht natürlich, geſchweige angenehm, klin⸗ 
gen koͤnne. Nun doͤrffte einer ſagen: ich höre ſolches wohl; weiß aber keine Ur⸗ 
ſache deſſen anzugeben. Dem dienet zur Nachricht, daß die beyden Enden, h⸗ 
dis, eine harte Diſſonantz, nehmlich eine verkleinerte Qvart, gegen einander an⸗ 
geben; daß ſie beyde accentuirt ſind, und durch das vermittelnde d, wegen der 
unfoͤrmlichen Theilung noch ſchlimmer lauten, als ſonſt. Darin ſteckt die Urſache. 
Denn wenn die Zwiſchen⸗Note, d, wegbliebe, und aus dem h ein halber Schlag 
wuͤrde, merckte man den Mislaut bey weitem ſo viel nicht, weil das h alsdenn ei⸗ 
nen Abſat oder Aufenthalt bekaͤme, und deſto leichter vergeſſen werden moͤgte. Es 
thaͤte auch die Zuſammenfuͤgung beſagter ſteigenden, verminderten Qvart keine fo 
ſchlimme Wirckung, ob ſie ſchon in kuͤrtzern und gleichgeltenden Noten erſchiene; 
dafern nur beyde termini nicht accentuirt waren; ſondern ſich einer von ihnen, als 
das zweyte und letzte Glied des Aufſchlages, darſtellte. z. E. 


Doch wuͤrde auch hiebey in der Vollziehung eine gewiſſe Zierlichkeit, tirata, oder 
Schleuffer genannt, zur Bedeckung erfordert. 


55. 
Unter dem Artickel der geſcheuten Abwechſelung mit den Intervallen könnte 
folgendes unmelodiöſe Exempel mit in die böͤſe Reihe ſtehen: 
Hier 


Von Verſertigung der Melodien. 57 
en 


ea 


ſelt. Es halten nehmlich die Intervalle hier dieſe ſeltſame Ordnung: Zween ſtei⸗ 
gende Grade; eine groſſe Tertz darauf, ſo ebenfalls ſteiget; und endlich ein hal⸗ 
ber Ton, wiederum ſteigend. Daß dieſe Intervalle alle ſteigen, moͤchte mancher 
dencken, iſt ja was einfoͤrmiges und unverwerfliches; aber die Antwort auf ſol⸗ 
chen Einwurff iſt leicht zu machen, nehmlich, daß ſothanes Steigen in ſehr un⸗ 
gleichen Schritten verrichtet, und eben durch die vorgeſchuͤtzte Einfoͤrmigkeit der 
lieblichen Abwechſelung ein Stein in den Weg geworffen wird. Wenn wir die⸗ 
ſes Verfahren in mathematiſchen Figuren vorſtellig machen ſollten, wuͤrde die ab⸗ 
geſchmackte Einrichtung einem jeden noch deutlicher in die Augen fallen. 
| | „ §. 56. 

Bey ſothaner genauen Unterſuchung uͤbel eingerichteter Melodien werden 
unfehlbar eine Menge beſondrer Regeln hervorwachſen, davon wir nur itzo eine 
kleine Kern⸗Probe geben wollen. Nach obiger Anleitung ſtehet feſt: 

1. Daß ein ſteigender halber Ton, darauf eine ſteigende groſſe Tertz, mit noch 
ceinem ſteigenden halben Ton folget, keine gute Melodie mache. 
2. Daß zwo ſteigende Dvarten nicht gut klingen koͤnnen: denn es koͤmmt eine 

uͤbel vermittelte Septime heraus, z. E. 


— 


es müͤſte denn ſeyn, daß die erſte und dritte dieſer Noten nicht accentuirt, 
oder auch gantz kurtz wären. Und dieſe Ausnahm gilt ſchier bey allen an⸗ 
dern dergleichen Vorfaͤllen. | 
3 re wol fagen, daß eine Tertz und Secund, wenn fie fo auf einander 
olgen: | | 


ſehr 


52 Drittes Capitel: 


ſehr viel lahmes und unmelodiöfes haben. Ob es auch die Accente eines, 
oder die Puncte andern Theils hiebey viel beſſer machen koͤnnen, daran ſte⸗ 
het faſt zu zweiffeln. Die Urſache iſt: daß unſre Ohren nach der fallenden 
kleinen Tertzgerne noch ein fallendes groͤſſeres Intervall, und nicht ein klei⸗ 
nes hoͤren wollten, indem jenes die Lebens⸗Geiſter erweitern wuͤrde, wel⸗ 
che durch den 85 oder durch ai, Secunde ee werden, z. E. 


Eben ſolche phyſicaliſche Gründe aden auch bey dem $. 54. angeführten 


Exempel ſtatt, nehmlich, daß die Sees angenehm iſt, wenn eine Einſchraͤn⸗ 
ckung n 3. E. 


88 


wird die Folge umgekehrt, ſo iſt die . auch umgekehrt, d. i. alle Einſchraͤn⸗ 
ckung betruͤbet deſto mehr, wenn eine Erweiterung vorhergegangeniſt. Beſſer iſt 
es demnach, man huͤte ſich uͤberall davor; es waͤre denn im ungeraden Tact, mit 
einem gewiſſen er der eine Verbindung oder He d darlegte, z. E. 


oder auch 288... 
As in Betracht ja! = 
aan der Ton⸗Art 


allwo es mit Ber a: ingleichen mit dem Nieder⸗ und Aufſchlage der Menſur, 
eine gantz andre Bewandniß hat; und doch gehet das Ding ohne zierliche Bede⸗ 
ckung nicht ab. Bey allen dieſen Sachen kommt iedoch, was vorhergehet und nach 
folget, ſonderlich in Betracht. 


§. 58. 
Das zuletzt angeführte Eempe gehoͤrt zur dritten Anmerkung unmelodioͤſer 
Site, welche oben H. z. befindlich iſt. Wir wollen noch eine hinzuthun: 
4. Es werden zwo Secunden, mit einem leeren Zwiſchen⸗Raum, nach einander 


auf folgende Weiſe, weder 2 — ſich, me vor rich, nicht das geringſte in 
der Melodie taugen: 


denn 


Von Verfertigung der Melodien. 53 


— 


denn nach vernommenen Ton, g⸗f, wollte das Ohr gerne eine Erweite⸗ 
rung, oder, welches beſſer, eine Fortſetzung dieſer Art Grade zum herunter⸗ 
ſteigen haben; es folgt aber hier, ſtatt deſſen, eine Klufft oder Spaltung, die 
die Melodie in ihrem Gange zerreißt, und eine inconeinnitatem verurſacht. 
Die Aenderung der Menſur und Caͤſur dürffte hier auch nichts richten, man 
kehre und wende die Noten wie man will: es ſey denn, daß man die Oeff⸗ 
nung oder Lücke fülle. *) Dieſe wenige Exempel koͤnnen ſchon Anlaß zu 
mehren Anmerckungen geben. Wir gehen inzwiſchen weiter. 


\ . 59 | 

HGleichwie man nun die boͤſen Gänge zur Vermeidung, und zur Unterſuchung 
ihrer Urſachen, fleißig aufſuchen muß; ſo hat man hergegen die wohlklingenden 
Gaͤnge zu Muſtern anzumercken, welches die vierte Regel abgiebt, wodurch 
man feiner Melodie eine Lieblichkeit zu Wege bringen kan. Bononeini, der juͤn⸗ 
gere, iſt ein melodioͤſer Setzer, Telemann desgleichen; und wollte ich dieſe bey: 
de wol (ohne iemand zu nahe zu treten) einem Lehrbegierigen abſonderlich vor⸗ 
ſchlagen, um aus ihren Weltbekannten Wercken die anmuthigſten Gaͤnge her⸗ 
auszuziehen, und Darüber, nach genauer Unterſuchung, gewiſſe Regeln zu machen. 
Wir finden z. E. in des erſt genannten Cantaten dieſe artige Modulation: 


| N: .H0O8. 5 6 

Daraus könnte man ſich etwa folgende Regel ſtellen: Tertia compoſita 

auf einem dactyliſchen Fuß herunter; quinta hinauf und wieder herab, 
geben eine gute, ja ſchoͤne Melodie; abſonderlich wenn dabey, wie hier, die 
Endigungs⸗Note dreymahl; die Tertz und Qvint, als vermittelnde und herr⸗ 
ſchende Klänge einmahl, und der zierliche aut des untenliegenden Hemitonit gleich⸗ 
falls einmahl vernommen werden: denn ſo hat man gleich einen vollkommenen Be⸗ 
griff von der gantzen Ton⸗Art und von der Haupt⸗Ubereinſtimmung. Kommt 
nun hernach dieſer Modulus durch den . in der Tertz des . 
N | aber; 


) Vobey doch zu mercken, daß alsdenn das hinzugefügte e, und nicht das vorhergehende f, die 
anſchlagende Note ſeyn wuͤrde. % 


54 | Drittes Capitel: 


abermahl vor, ſo wird die Lieblichkeit deſſelben verdoppelt und zwar aus obi⸗ 
gem Grund⸗Saͤtze, vermoͤge deſſen die Erweiterung angenehm fällt, wenn eine 
5 vorhergegangen iſt: denn oben war die Tertz klein, hier iſt fie 
groß: 


| f §. 61. 

Hiebey koͤnnte, nebſt andern, eine neue beſondere Regel lieblicher Fuͤhrung 
des Geſanges abgenommen werden, des Inhalts: daß auf dergleichen drey und 
mehr Qvinten⸗Spruͤnge gerne und mit Luſt viele Grade, aus Liebe zur Abwechſe⸗ 
lung gehöret werden moͤgen, wie folche denn auch folgen: 


In den Telemanniſchen Wercken trifft man einen herrlichen Vorrath ſolcher 
melodibſen Gaͤnge an, davon wir nur zur Probe den bloſſen Anfang einer Arie, der 
ren Worte, wo mir recht iſt, von der himmliſchen Pracht einer ſeligen Seele han⸗ 
deln, herſetzen wollen, da in ſo wenig Noten nicht nur der völlige Begriff des mo- 
di tonici, ſondern nebſt der ausnehmenden Lieblichkeit, auch recht was praͤchti⸗ 


4 


ges und erhabenes zu ſpuͤren iſt: 


9. 65. 


Von Verfertigung der Melodien. „ 


0 §. 63. er N: 

Die fünffte Regel der Lieblichkeit beſtehet in genauer Beobachtung des 
guten Verhalts aller und ieder Theile einer Melodie: Unſre vorige Be⸗ 
muͤhung war nur auf den Verhalt der Intervallen angeſehen, welchen man von die⸗ 
ſem letztern, den die Theile mit einander haben muͤſſen, gar wohl unterſcheiden muß. 
Gegenwaͤrtige Regel zielet nicht allein dahin, daß z. E. der andre Theil einer Arie 
mit dem erſten im Bunde, oder ſo zu reden, in einem guten Vernehmen ſtehe; ſon⸗ 
dern, daß auch die kleinen Neben⸗Theile ihre gewiſſe Gleichfoͤrmigkeit darlegen. 
Hiewieder aber handeln die meiſten galanten Componiſten dergeſtalt, daß man offt 
meinen ſollte, der eine Theil ihrer Melodie gehoͤre in Japan, der andre in Maroc⸗ 
co zu Hauſe. Zwar darff niemand eben ſo ſcharff hierin verfahren, daß er Schwerdt 
und Wage, ich will ſagen, Zirckel und Maaß⸗Stab dabey zur Hand nehme; aber 
auch die Ungleichheit und der wiedrige Verhalt in den Theilen thun der Lieblichkeit 
eben ſolchen Abbruch, als ein groſſer Kopf und kurtze Beine der Schoͤnheit des Lei⸗ 
bes. Wenn z. E. im erſten Theile dieſer Modulus geweſen waͤre: 


ſo wird es leblich klingen, wenn im andern Theile etwa ſo darauf geantwortet, 
das gute Verſtaͤndniß fortgefuͤhret, und die Verwandtſchafft beyder Theile behaup⸗ 
tet wird. | 


| §. 64. 


Die ſechſte Regel erfordert, daß man angenehme Wiederholungen und 
Nachahmungen, doch nicht gar zu haͤuffig, anſtelle. Gemeiniglich haben 
die Wiederholungen im Anfange einer Melodie mehr ſtatt, als in deren Fortſetzung: 
denn dort folgen ſie offt unmittelbar, und auch ohne Verſetzung, auf einander; 
hier aber tritt immer was dazwiſchen. Von der repercuſſion, wie dieſelbe zur ge⸗ 
ſchickten Verhaͤltniß der Theile ein groſſes beytrage, haben wir ſchon oben geredet, 
und wiſſen alſo, was damit geſaget ſen. Wenn wir zu den Fugen kommen, wird 
die Sache noch mehr erlaͤutert werden. Hier mercke man ſich den Unterſchied, daß 
die bloſſe Wiederholung, repetitio, einerley Klaͤnge zum Grunde ſetzet; ere 

| 10 


8 | Drittes Capitel: 
fio aber, der Wiederſchlag oder die Nachahmung, bald hoͤher, bald niedriger am 


Klange ſeyn koͤnne. Von der erſten kan dieſes wenige ein Muſter, und zwar, wegen 
der letzten fallenden Note, ein recht gutes, abgeben: 


5 1 
HE F 
e 


Occhi ve 20 ſi, io non mi pento. 
Es wuͤrde lange ſo artig nicht ſeyn, wenn die Stimme mit dem Worte pento 
nicht herunter fiele, ſondern die genaue Wiederholung beybehielte: fo viel kan offt 
an einer eintzigen Note liegen, welches der Aufmerckſamkeit wohl werth iſt. 
8 


Nicht nur im letzten Theil einer Melodie, wenn wir ihn gegen den erſten hal⸗ 
ten, wird es lieblich heraus kommen, den Wiederſchlag geſchickt anzubringen; 
ſondern auch in den Gliedern und Gelencken eines ieden Theils vor ſich klingt es ſehr 
angenehm, wenn die Vernunfft und Beſcheidenheit dabey zu Rathe gezogen werden. 
Im vorhergehenden Abſatz iſt uͤberhaupt vom guten Verhalt gantzer Theile einer 
Melodie gelehret worden; in dieſem hergegen, und im folgenden, unterſuchen wir 
ins beſondere ein Paar Huͤlffs⸗Mittel und Umſtaͤnde, die ein groſſes dazu beytragen. 
Denn fuͤrs erſte iſt zu mercken, daß die Wiederholungen im Anfange einer Melodie 
nicht aus Mangel oder Armuth, ſondern der Anmuth und Lieblichkeit halber 
vorgenommen werden, welche deſto mercklicher fallen, wenn etwa, wie oben, die eine 
oder andere Note, gleichſam zufaͤlliger Weiſe, und doch mit gutem Vorſatz, veraͤndert 
werden. Ein ieder koͤnnte wol zu den Worten, io mi pento, etwas neues ſetzen; 
5 es wuͤrde lange nicht ſo lieblich in die Ohren fallen, als die Wiederholung hier 
thut. 

. 66. 

Hiernaͤchſt ſtehet es auch ſehr ſchoͤn, wenn fo wol im Anfange, als bey Fort⸗ 
ſetzung einer Melodie, die Wiederholungen mit den Wiederſchlaͤgen, die repetitio- 
nes und repercusſiones wohl vermiſchet werden, und davon will ich folgenden Aus⸗ 
zug des Bononcini zum Muſter vorſtellen, der Anfang iſt ſo: | 


Pi vaga e vezzofetta 
dar⸗ 


Von Verfertigung der Melodien. 57 


darnach fuͤhret er die Melodie fort, und macht einen Schluß in der Qvint; pauſirt 
ein Paar Taͤcte; nimmt darauf die Wiederholung des Anfangs vor; nachdem 
er dem Wort⸗Verſtande ſchon ein voͤlliges Genuͤgen geleiſtet; und ſchreitet zum 
Ende des erſten Theils. Den andern hebt er mit dem Wiederſchlage an, und 
bringt ihn auf zweyerley Art zum Vorſchein; erſtlich durch die Sext, hernach 
durch die Tertz, welches alles ſehr lieblich ins Gehör faͤllt, auf dieſe Art, und 
mit Reimung der) Woͤrter, zur beſſern Wirckung: 


a] c. darauf er 2 2 
| * | weiter hin = DER 
5 — — 5 22 Dreier 


| F. 57. 

Es wird keinem, der Luſt zu ſtudiren hat, an allerhand Sachen und guten 
Exempeln, bey dem itzigen Noten⸗Reichthum der Welt, fehlen; aber daran fehlt 
es, daß nicht ein ieder weiß, was er in ſolchen Sachen eigentlich zu ſeinem Zweck 
dienliches ſuchen, und unterſuchen ſoll. Dazu nun giebt dieſer Unterricht einige 
Anleitung, ohne, daß wir noͤthig haften, die Exempel ferner, zumahl in einer 
Kern⸗Schrifft, zu haͤuffen. Viele, nicht nur hoͤltzerne, alte und Wurmſtichi⸗ 
ge, ſondern auch glaͤſerne, neue und blancke Componiſten, moͤgen mirs heimlichen 
Danck wiſſen, daß ich von ihren Schaͤtzen nicht fo viel unter die Leute bringe, als 
ich oben, bey Erwehnung unmelodiöfer Saͤtze, leicht hätte thun koͤnnen; von den 
guͤldenen Gefaͤſſen aber werde, bey Gelegenheit des vollkommenen Capellmei⸗ 
ſters, mit ſolcher Enthaltung zu reden, wie hier geſchehen, weder Urſache noch 

Willen haben. | 


§. 68. 8 | 

Daß aller Anfang einer guten Melodie mit ſolchen Klängen ge⸗ 
macht werde, welche entweder die Ton Art ſelbſt vorſtellen, oder ihr 
doch nahe verwandt ſind, ſolches erheiſchet die ſiebende Regel der Lieblichkeit. 
Wir duͤrffen abermahl nach Exempeln nicht weit ſuchen; ſondern nur das eben vor⸗ 
hergehende betrachten, in welchem gleich die vier erſten Noten den volligen Accord 
des Tons, und ein uͤbriges hoͤren laſſen. Dieſes geſchiehet nun zwar allhier in lauter 
Spruͤngen, und wird nicht ſo ſittſam . Schritten geſchaͤhe; * 
Br | kan 


*) ig ein Wiederſchlag beſſer, als bey dergleichen Umſtaͤnden: vezzofette, ſempli- 
cetta, &c. f 


38 Drittes Capitel: 


kan ſolches, der Materie wegen, nicht allemahl ſo genau beobachtet werden, und 
muß man nicht nur der Liebe zur Veränderung vieles nachſehen, ſondern auch un⸗ 
terſcheiden, ob der Sinn in den Worten friſch und munter, oder ob er leidend und 
ruhig ſey. Ein Beyſpiel des letztern giebt folgendes an die Hand, wo die Bedeu⸗ 
tung des Leidens in Gedult ſehr natuͤrlich, durch lauter Grade, und zwar kleine 
Intervalle, ausgedruckt wird; dennoch aber dabey die Ton⸗Art gnugſam verraͤth. 


FE 


89. | | 

Das ſchaͤumende, ſprudelnde, brauſende, taͤndelnde und uͤppige Weſen hat 
heutiges Tages in der muſicaliſchen Setz⸗Kunſt faſt den groͤſſeſten Beyfall, und 
auch, in ſo weit, den meinigen, daß ich niemand leicht rathen wollte, wieder den 
Strohm zu ſchwimmen. Wer nun dieſe Abſicht, und ſonſt keine, heget, der muß 
bisweilen die Anmuth, und andere weſentlichere Eigenſchafften des Geſanges, 
einiger maaſſen auf die Seite ſetzen. Ich kenne etliche, die ihren Mantel ziem⸗ 
lich nach dem Winde zu richten wiſſen; doch ſchwingen ſie ſich zuletzt immer wieder 
in den Sattel, und halten dem guten Geſchmack Stand. 


. 

Dieletzte von unſern Regeln wird ſeyn, daß man zur Beförderung der Lieblich⸗ 
keit nur mäßige Melis mos gebrauche. Hier unterſuchen wir nicht die Stelle 
oder Wörter, auf welche dergleichen Zierrathen oder Laͤuffe (paſſaggi) ſich wohl o⸗ 
der uͤbel ſchicken: denn das gehöͤret zum nothwendigſten Punct der bereits abgehan⸗ 
delten Verſtaͤnd⸗ und Deutlichkeit. Anitzo betrachten wir nur die bloſſe Form der 
Melodie, ohne ſonderbare Abſicht auf deren Unterwurff, betreffend dieſe Aus⸗ 
ſchmuͤckung, und ſagen demnach, daß die Melismi, wenn ſie unmaͤßig angebracht, 
oder zu weit gerecket werden, die Lieblichkeit hindern, und Eckel erwecken. Dieſes 
Euxempel iſt gut: 


85 5 
—— — z — Pr 2 4 
2 r 


Wie⸗ 


Von Verfertigung der Melodien * 


Wiederſchlag. | 
eee 7 m 


an Gegentheilenundunlieblichen Läuffen iſt wohl eben Fein Mangel; doch will ich 
vor aller Gefahr eins herſetzen, das ſo, wie jene, von Bononcini iſt: denn groſſe 


Leute fehlen auch. 


ich habe die nichts bedeutende, und gar keinen ſolchen Schmuck werthe Woͤrter mit 
Fleiß dazu geſetzt, und glaube, es ſey hier einer von den Fallen geweſen, deſſen wir h. 
65. erwehnt haben. Mercke uͤbrigens bey den Wiederſchlaͤgen noch an, daß dieſelbe 
in Fugen oder Kirchen⸗ Styl allemahl (oder doch wenns recht zugehen ſoll) mit groſ⸗ 
ſen Ton⸗Arten auf groſſe, und mit kleinen auf kleine Ton⸗Arten antworten, welches 
im Cantaten⸗Madrigalen⸗ oder Dramatiſchen Styl willkuͤhrlich iſt: wie aus den 59, 
59. 60. 66. und 70. zu erſehen. a 
1 | K M 
Und hiemit hatten wir das Eis ein wenig gebrochen ‚ auch unſern bisherigen Re⸗ 
geln von der Melodie einige Erlaͤuterungen angehaͤnget, ſo, daß es nunmehro ein 
leichtes ſeyn duͤrffte, dieſe Materie weiter auszufuͤhren, und den erfundenen 
| au Dingen einen Zuſatz zu geben. 1 
e eee Vier⸗ 


60 BYE 0 ( RE CE 


= FLLIIENN n N , 9 W 
S U IIIIIN N S III ISIIIIIZU 


Diertes Haupt: Stüd. 


Vom Unterſchied der Vocal und Inſtrumental⸗ 
| Melodien. 5 


| 


=) 
— 
— 1 7 


zwar auf gewiſſen Werckzeugen, welche, Vorzugs⸗Weiſe, Inſtru⸗ 
5.) mente heiſſen; ob wol auch die Menfchen: Stimme nicht weniger 
5 \ ihre eigene belebte Werckzeuge hat. Hieraus folget, daß hauptfüch 
uch er Claſſen der Melodien find, nehmlich Vocal, und Inſtru⸗ 
In) mental. 


A| 


| . 2. 

Nun finden ſich zwar Leute, die da meinen, eine Melodie ſey eine Melodie, ſie 
werde geſungen oder geſpielet. Es iſt auch in ſo weit wahr, wenn man bereits ge⸗ 
machte Melodien anſiehet; aber die Frage iſt hier von ſolchen, die noch gemacht wer⸗ 
den ſollen. Andere ſprechen, es ſey ſonſt kein Unterſchied noͤthig, als den die Inſtru⸗ 
mente, wegen ihrer Einrichtung, ſelbſt an die Hand geben, und damit iſt der Sache 
treflich geholffen. Die Dritten mercken endlich wol, daß dieſe Ausflucht nichts 
hilfft, und daß freylich der Unterſchied in andern Dingen mehr ſtecken muͤſſe; wiſſen 
90 = nicht zu finden. Und dieſen muß man Licht geben, welches hiemit geſche⸗ 

en ſoll. 


8 
1. Der erſte Unterſchied zwiſchen einer Vocal⸗ und Inſtrumental⸗Me⸗ 
lodie beftehet demnach darin, daß jene, fo zu reden, die Mutter; 
deieſe aber die Tochter iſt. Mich deucht, eine ſolche Vergleichung wei⸗ 
ſet nicht nur den Grad des Unterſchiedes; ſondern auch die Art der Verwandſchafft 
ag | an. 


Viertes Capitel: Von Vocal⸗ und Inſtrumental⸗Melodien. 61 


an. Denn wie eine Mutter nothwendig Alter ſeyn muß, als ihre Tochter; ſo iſt 
auch die Vocal⸗Melodie ſonder Zweifel eher in dieſer Unter⸗Welt“) geweſen, als 
die Inſtrumental⸗Muſic. Jene hat dannenhero nicht nur den Rang und Vorzug; 
ſondern befielet auch der Tochter, ſich nach ihren muͤtterlichen Vorſchrifften beſtmöͤg⸗ 
lichſt zu richten, alles fein ſingbar und flieſſend zu machen, damit man hören möge, 
weſſen Kind ſie ſey. | | 


| 8 

Und aus dieſer Anmerckung koͤnnen wir leicht abnehmen, welche unter den In⸗ 
ſtrumental Melodien aͤchte Töchter, und welche hergegen Baſtarde ſind; nachdem 
ſie nehmlich der Mutter nacharten, oder aber aus der Art ſchlagen. Andern Theils, 
da die muͤtterliche Eigenſchafft viel ſittſames und eingezogenes erfordert, ſo wie bey 
der kindlichen hergegen mehr munteres und jugendliches ſtat findet, kan auch hier⸗ 
aus geſchloſſen werden, wie unanſtaͤndig es ſey, wenn ſich die Mutter etwa mit dem 
Putz der Tochter behaͤngen; und dieſe wiederum die Verhuͤllung einer Matron waͤh⸗ 
len will. Ein iedes an feinem Ort hat die beſte Art. | 


N | 
Aus ſothanem Grund⸗Satze flieſſet von ſelbſten der zweyte Unter; II. 
ſchied zwiſchen den Melodien, nehmlich dieſer: Daß vocalis vorgehet, 
und inſtrumentalis nachfolget. So natuͤrlich auch dieſe Regel aus⸗ 
ſiehet, fo. ordentlich wird ihr doch allemahl entgegen gehandelt. Denn wer macht 
wol den Anfang in der Setz⸗Kunſt mit einer Vocal⸗Melodie? Greifft nicht ein ie⸗ 
der erſt zu allerhand Spiel⸗Sachen, zu kleinen und groſſen Stuͤcken, zu Sonaten, 
Ouvertuͤren ꝛc. ehe und bevor er nur einen eintzigen Choral recht zu ſingen und aufzu⸗ 
ſchreiben, geſchweige kuͤnſtlich auszuarbeiten weiß. Nun aber iſt alles geſpielte eine 
bloſſe Nachahmung des Singens, wie es denn auch heißt: tibüis, fidibus, fiſtulis 
canere, weil die Menſchen den Gebrauch ihrer Kehle ehender gehabt, als ſie Inſtru⸗ 
mente nachmachen koͤnnen. Kan denn aber iemand gute Copien verfertigen, der nie 
ein rechtes Original vor ſich geſetzet hat? | | 
| 6 


Naͤchſt dieſer natürlichen Urſache find noch vier andre, warum man in der Ton⸗ 

Lehre von der Sing⸗Muſic anfangen fol welche, ob ſie wol eine lange Unterſuchung 

litten, hier nur küͤrtzlich und Kern⸗maͤßig beruͤhret werden ſollen. Die erſte ift, daß 

| 1 1 es 

) Ich ſage wohlbebächtlich in dieſer Unter⸗Welt: Denn man darf im geringſten nicht zweifeln, 

daß die Engel, vor dem Fall des Menſchen und ſeiner Beraubung des Paradieſes, an einigem 

Stuͤck, fo dem Lobe GOttes dienlich, Mangel gehabt haben, und in ſolchem Verſtande Stim⸗ 
men und Inſtrumente gleich alt ſind. ii 


62 Viertes Capitel: Von Vocal⸗ | 


es viel ſchwerer, auf Inſtrumenten etwas zu ſetzen, das recht Art habe, und guten 
Beyfall finde, d. i. die Gemuͤther der Zuhörer zu dieſer oder jener Paßion bewege: 
weil dabey keine Worte, ſondern nur eine bloſſe Ton⸗Sprache vorhanden. Denn, 
daß ein Geraͤuſche und auch eine Harmonie gehöret werde, daraus kein Menſch 
ſchlieſſen koͤnne, ob es Fiſch oder Fleiſch ſey: das macht die Sache nicht aus. 


a | | 

Die zweyte Urſache iſt, daß man, durch die groſſe Freyheit bey Inſtrumenten, 

zu lauter unfoͤrmlicher Melodie gewoͤhnet wird, und von der Sing⸗Art endlich fo weit 

abgeraͤth, daß es hernach faſt unmöglich fallt, den vorigen und erſten Geſchmack aus 

dem neuen Topf zu bringen. Dieſes werden wir taͤglich an ſolchen Componiſten 

gewahr, die entweder von der Geige, oder von einem andern beſondern Inſtrument 

ihr Handwerck machen, daß nehmlich alle ihre Sing⸗Sachen nach ſolchem riechen, 

und mehr, oder weniger melodiöſes haben, nachdem das belebte oder erwaͤhlte In; 
ſtrument mehr, oder weniger, zur Sing⸗Art geneigt iſt. 


9. 8. | 

Die dritte Urſache finden wir darin, daß man bey dem gewöhnlichen Inſtru⸗ 

menten⸗Styl die ſo noͤthigen Eintheilungen deſſelben keines weges erlernet; ſondern 

feine wilden Einfälle allein zu Geſetz⸗ Gebern annimmt: daruͤber denn hernach, wenn 

Worte in die Muſic gebracht werden ſollen, der Verſtand ſehr zu kurtz kommt. Daß 

aber die Inſtrumental⸗ ſo wol, als die Vocal⸗Melodie ihre Einſchnitte richtig, ja faſt 
richtiger denn dieſe, haben muͤſſe, wird weiter unten erhellen. 


I, 

Viertens hat man, bey folchen Inſtrumental⸗Sachen, als da find Sympho⸗ 
nien, Concerten, Ouvertuͤren ꝛc. feine Abſicht faſt allemahl mehr auf die Harmonie, 
und auf das geſchickte Gewebe der Parteyen, als auf eine flieſſende, an einander 
haͤngende Modulation gerichtet; da doch dieſe der eigentliche Zweck ſeyn ſollte: und 
das ſind die Urſachen, warum von der Vocal⸗Muſic im Lehren und Lernen der Anfang 
gemacht werden muß. 

9. 10. 

III. Gleichwie nun ein junges Frauenzimmer natuͤrlicher Weiſe mehr 
Feuer heget, und auch zuweilen blicken laßt, als eine ernſthaffte Mutter; 
alſo ſiehet man jenem auch mehr Freyheit nach, denn dieſer. Und dar⸗ 

aus flieſſet der dritte Unterſchied unſrer Melodien, daß nehmlich, melodia inftru- 
mentalis durchgehends mehr Feuer und Freyheit habe, als melodia voca- 
lis. Man ſiehet die Wahrheit dieſes Satzes nirgend klaͤrer ein, als wenn wir irgend 
eine Sing⸗Arie, die ihr heſonderes Accompagnement hat, etwa auf einem Hautbois, 

oder 


und Inſtrumental⸗Melodien. 63 


oder andern dazu beqvemen Inſtrument, moduliren, von den uͤbrigen aber ermeldte 
Begleitung dazu ſpielen laſſen. Abſonderlich will der Violin⸗Styl nicht viel ſchlaͤf⸗ 
friges (als nur zur kurtzen Abwechſelung) leiden; ſondern faſt immer eine gewiſſe 
lebhaffte Bewegung haben; dahingegen der Sanger, uͤberhaupt davon zu reden, 
die Maͤßigkeit lieber hat. V * | 
2 u 

Dieſer allgemeine Grund⸗Satz bringet deren verſchiedene beſondere IV. 
hervor. Unter andern zeiget ſich denn ferner der vierte Unterſchied 
auch darin, daß melodia vocalis feine ſolche Sprünge, als in- b 
ſtrumentalis, zulaͤßt. Man halte z. E. Vivaldi feine Concerten, inſonderheit fein 
fo genanntes Eitro armonico, mit den Cantaten des Buononcini zuſammen, ſo 
wird in dieſem Stucke kein Zweifel mehr uͤbrig bleiben. In Ermangelung beſagter 
Verfaſſer koͤnnen tauſend andre Wercke den Ausſchlag geben; nur ſind ſie vor an⸗ 
dern, der eine im Springen, der andere in melodioͤſen Gängen ausnehmend ſtarck. 
Sie haben auch in beyden Eigenſchafften, ieder fuͤr ſich, eine groſſe Vollkommenheit: 
denn Buononcini ſetzet viele ſpringende, ſprudelnde Accompagnements zu ſehr ehr⸗ 
baren Sing⸗Melodien, und weiſet alſo offt mit einer eingigen kleinen Arie dieſen Un⸗ 
terſchied der Melodien handgreiflich, im erſten Anblick. Vivaldi, ob er gleich kein 
Saͤnger iſt, hat doch aus ſeinen Singe⸗Sachen die Geigen⸗Spruͤnge ſo weit zu 
verbannen gewuſt, daß ſeine galanten Arietten manchem geuͤbten Vocal⸗Componi⸗ 
ſten ein rechter Stachel in den Augen geworden ſind. 


Nahe 


Wenn wir hierauf das Singen und Spielen an ihm ſelbſt betrach⸗ V. 
ten, ſo treffen wir gleich dieſen fuͤnfften Unterſchied an: Daß bey der 
Vocal⸗Melodie die Beſchaffenheit des Athems ungemein mehr, 
als bey den Inſtrumental⸗Sachen, beobachtet werden muß. So gerin⸗ 
ge auch dieſer Punct manchem ſcheinen möchte, fo unbedachtſam wird doch von In⸗ 
ſtrumental⸗Componiſten dawieder angeſtoſſen, wenn fie dem Sänger feine Arbeit 
ſauer machen, und ihm nicht fuͤglich Lufft zu geben wiſſen. Die meiſten Organiſten, 
ſo ſelber keine Saͤnger geweſen, liegen in dieſem Spittal kranck, und wiſſen offt nicht 
einmahl, was die Urſache der Kranckheit ſey: ſie dencken, was auf ihrer Orgel mit 
zehn Fingern und zween Fuͤſſen angehet, das laſſe ſich auch in dem eintzigen Roͤhr⸗ 
lein der Kehle wohl thun, und bemercken alſo dieſen Unterſchied ihrer Melodien gar 
ſchlecht. Es iſt nicht unſers Vorhabens, ſolchen Setzern anzuzeigen, wie, oder wenn 
fie dem Saͤnger die Arbeit erleichtern ſollen: Denn auf ſolche Weiſe wuͤrde ein ieder 


h⸗ 


64 Viertes Capitel: Von Vocal⸗ 


a 22222 —— —T—— ͤ—9—ö—B— 
Abſchnitt dieſes Kerns einen gantzen Lehr⸗ Band ausmachen muͤſſen; ſondern wir 
wollen nur küͤrtzlich zeigen, worin auch disfalls der Melodien Unterſchied beſtehe. 


. | | 

VI. Ein ieder wird ja dazu ſagen, wenn ich zum ſechſten Abzeichen fol⸗ 
gendes ſetze: Daß einige Wind⸗Inſtrumente ebenfalls ihre ei⸗ 
gene, und zwar eine andere Erſparung des Athens erfordern, 
als die uͤbrigen, und daß ihre Spiel⸗Melodien auch hierin mercklich 
von den ſingenden abgehen. Alle Leſer werden es geſtehen, in ſo fern ſie die 
Sprache nur verſtehen; aber iedermann wird es hiebevor vielleicht nicht bemercket 
haben. Wer nur immer ſo wenig von ſolchen Inſtrumenten was weiß, die ange⸗ 
blaſen werden muͤſſen, und erweget z. E. daß kein Trompeter vermoͤgend iſt, mit ei⸗ 
nem Oboe oder Baſſono auszudauren, daß dannenhero die Melodie des erſtern 
kurtz gefaßt, hin und wieder unterbrochen, einfolglich in den dahin gehörigen vie⸗ 
len Stuͤcken, von allen andern fo wol, als von der Vocal⸗Melodie, unterſchieden 

ſeyn muͤſſe, der wird in weiterer Unterſuchung deſto weniger Muͤhe finden. 

1 
VII. Was wir oben überhaupt bey dem Feuer und bey der Freyheit in 
Inſtrumental⸗Melodien zum Grunde geſetzet, und daraus eine beſondere 
Regel gezogen haben, giebt uns deren noch mehr an die Hand, die den 
vorhabenden Unterſchied darlegen: inſonderheit dieſe Anmerkung, daß die Vo⸗ 
cal⸗Melodie kein ſolches reiſſendes, punctirtes Weſen zulaſſe, als die In⸗ 
ſtrumental⸗Compoſition. Wenn die Frantzoſen, die ich für groſſe Meiſter im 
Inſtrumenten⸗Styl halte, ſich der Puncte bey den Noten begeben ſollten, wuͤrden ſie, 
wie Koͤche ohne Saltz, beſtehen. Gewiß iſt es dennoch, daß dergleichen geſchaͤrffte 
rhythmi, ſo ſchoͤn und munter fie auch bey Inſtrumenten fallen, im Halſe eines 
Saͤngers gar keine artige Wirckung thun, und gewiſſer maaſſen fuͤr Fremdlinge in 
der Vocal Melodie zu achten ſind, auch als ſolche nur, dann und wann erſcheinen; 
doch mit groſſer Maͤßigkeit. Und das waͤre der ſiebende Unterſchied. 


§. 15. 
VIII. Betrachtet man hiernaͤchſt den ambitum, den Sprengel und Be⸗ 
zirck der Menſchen⸗Stimme, die ſich ſelten weit uͤber eine Octav, in glei⸗ 
cer Staͤrcke, erſtrecket, ſo folget der achte Unterſchied richtig: daß die 
Graͤntzen bey Inſtrumenten nicht ſo enge ſind, als bey Saͤngern. Die⸗ 
ſes verholt ſich faſt wie 2 gegen 1, ja in etlichen Werckzeugen gar wie 3 gegen 1, 
wenn man die Menſchen⸗Stimmen mit ihnen vergleichet. Es koͤnnen und moͤgen 
alſo, auf ſothanem groſſen Raume gantz andere Sprünge, Laͤuffe und Wendungen 
vor⸗ 


und Inſtrumental⸗Melodien. 62 


vorgenommen werden, als in den engen Schrancken der Lufft⸗Roͤhre; folglich ge⸗ 
hoͤren gantz andere Melodien dau. 5 | 


46 | 
Ferner geben auch die Ton⸗Arten der Sache ein veraͤndertes Aus⸗ IX. 

ſehen, in dem die Vocal⸗Melodie keine Schwierigkeit bey irgend 
einer Ton⸗Art; die Inſtrumental⸗Melodie aber deren ſehr 
viele und groſſe findet. Denn ob ich einem Saͤnger ſein Stuͤck aus dem eis, 
oder aus dem e ſetze, das gilt ihm einerley: der eine Ton iſt ihm ſo leicht, als der 
andre; bey Inſtrumenten aber mit nichten, welches nicht nur ihre Eigenſchafft, ſon⸗ 
dern auch offt der Spieler Unerfahrenheit beweiſet. Wenn z. E. eine Floͤte den 
Modum gis moll, und feines gleichen, verabſcheuet, fo hat der Spieler die Schuld 
nicht; aber wenn ein Organiſt davor ſtutzet, fo iſt er zu verdencken. Demnach 

muß auch, in Erwaͤhlung der Ton⸗Arten, nach Maßgebung der Natur eines ieden 
Inſtruments, ein Unterſchied gemacht werden, welchen man bey der Vocal⸗Melodie 
zu beobachten nicht noͤthig hat. | 


N | 
Was die kuͤnſtlichen Melodien betrifft (in ſo fern ſie Melodinhit % 
ſen koͤnnen) ſo zeigen dieſelbe ebenmaͤßig den Unterſchied des Singens 
und des Spielens an, und zwar darin, daß die Inſtrumente mehr 
Kunſt⸗Wercke zulaſſen, denn die Singe⸗Stimmen. Die vielgeſchwaͤntzte 
Noten, die Arpeggie, und alle andre gebrochene Sachen, ingleichen die harmoni⸗ 
ſchen Kunſt⸗Stuͤcklein der Contrapuncten, Fugen, Canonen u. ſ. w. ſind auf In⸗ 
ſtrumente alle wohl zu bringen; erfordern aber groſſe Behutſamkeit, wenn man ſie 
mit Menſchen⸗Stimmen auffuͤhren will. Urſpruͤnglich zwar ſind die Fugen und 
Canones nur fuͤr Sing⸗Knaben in Schulen, zu ihrem Unterricht, geſetzet worden; 
die Spieler haben auch noch heute zu Tage ſo viel nicht damit zu ſchaffen, als gewiſſe 
ſingende Perſonen, bey Gelegenheit; mit den meiſten uͤbrigen aber iſt es ſo bewandt, 
daß fie gar nicht zur Vocal⸗Melodie gehören, ſondern bloß den Inſtrumenten eigen 
ſind, und alſo damit den zehnten Unterſchied machen. 


„„ 
Weil inzwiſchen, bey heutiger Art zu ſetzen, faſt immer die Men⸗ XI. 
ſchen⸗Stimmen eine Geſellſchafft an den Inſtrumenten haben wollen, 
ſo beſtehet ſonderlich ihr Unterſchied dieſen Falls darin, daß, wenn bey 
de zuſammen arbeiten, die Inſtrumente nicht hervorragen muͤſſen. Die 
Meynung iſt hier nicht, als ob die Inſtrumente, bey ſo geſtallten Sachen, ſich nie 
doͤrfften ausnehmend hoͤren laſſen; ſondern nur, Daß fie, wenn die Singe⸗Stimmen 
N 3 zu⸗ 


66 Viertes Capitel: Von Vocal⸗ 

zugleich mitgehen, eine Stuffe herunter treten; ſich nicht fo laut machen; jene er⸗ 
heben; nicht aber ſich ſelbſt empor ſchwingen ſollen. Sonſt duͤrffen ſie, bey ſolchen 
Abwechſelungen, wo die Stimmen inne halten, auch wohl nach ihrer Art, ſich herz 
vorthun; doch ſo, daß es der Haupt⸗Sache keinen Nachtheil bringe. Manches 
fchöne Gemaͤhlde wird dadurch gleichſam verfinſtert, daß es in einen groſſen, guͤlde⸗ 
nen, geſchnitzten und kuͤnſtlichen Rahm eingefaſſet iſt, welcher die Augen allein aufſich 
ziehet, und dem Bilde Abbruch thut. Die Anwendung iſt hier leicht zu machen. 8 


19 
XII. Der allerbekannteſte Unterſchied unſrer Melodien iſt wol dieſer: 
daß Melodia Inftrumentalis mit keinen Worten zu thun habe; 
wie die vocalis. Allein hiebey iſt etwas ſehr unbekanntes, oder wenig⸗ 
ſtens, was unbemercktes vermacht. Nehmlich/ daß melodlia inſtrumentalis zwar 
der Worte, aber nicht der Gemuͤths⸗Bewegungen, muͤßig gehet. Wie 
unſre meiften heutigen Concert⸗ Schmiede und Noten⸗Klecker auf dieſen Punct ant⸗ 
worten wollen, das weiß ich nicht; fie muͤſſen denn die Grund⸗Saͤtze verloͤugnen, 
und den wahren Zweck aller Muſic verruͤcken: welches ſie zwar practice, doch nicht 
theoretice thun können. | | 

720, 

Weil nun aber unſtreitig das rechte Ziel aller Melodien nichts anders iſt, als 
eine ſolche Vergnuͤgung des Gehoͤrs, dadurch die Affecten rege werden; 
ſo kan mir ja keiner dieſes Ziel treffen, der keine Abſicht darauf hat, ſelber nicht 
beweget wird, ja kaum an irgend eine Leidenſchafft gedenckt; wenn es nicht, zum 
Ungluͤck, etwa eine ſolche iſt, die er im Beutel hat. Wird er aber geruͤhrt, und 
will auch andre ruͤhren, ſo muß er alle Neigungen des Hertzens, durch bloſſe 
Klaͤnge, und deren Zuſammenfuͤgung, ohne Worten, dergeſtalt auszudrucken 
wiſſen, daß der Zuhoͤrer daraus, als ob es eine wirckliche Rede waͤre, den Trieb, 
den Sinn, die Meynung und den Nachdruck, mit allen Ein⸗ und Abſchnitten, voͤl⸗ 
lig begreiffen und verſtehen koͤnne. So iſts eine Luſt! Und dazu gehört wahrlich 
mehr Kunſt und ſtarcke Einbildungs⸗Krafft, wenns einer ohne Worte, als mit 
denſelben, zu Wege bringen ſoll. 1 . 

2L \ 


b. | 5 | 
Nun duͤrffte man ſchwerlich glauben, daß auch ſo gar in kleinen, ſchlechten 
Tantz⸗Melodien die Gemuͤths⸗Bewegungen fo ſehr unterſchieden ſeyn muͤſſen, als 
Licht und Schatten immermehr ſeyn koͤnnen. Damit ich nur eine geringe Probe 
gebe, ſo iſt Z. E. bey einer Chaconne der Affect ſchon viel erhabener und ſtoltzer, 
als bey einer Paflacaille; bey einer Courante iſt das Gemuͤth auf 2 
5 offnung 


und Inſtrutnental⸗Melodien. 67 


Hoffnung gerichtet; (ich meyne aber keine welſche Corrente) bey einer Saraban- 
da auf lauter ſteiffe Ernſthaftigkeit; bey einer Entrée auf Pracht und Eitelkeit; 
bey einem Rigaudon auf angenehmen Schertz; bey einer Bource auf Zufrieden; 
heit und ein gefaͤlliges Weſen; bey einem Rondeau auf Munterkeit; bey einem 
Paffepie auf Wanckelmuth und Unbeſtand; bey einer Gique auf Hitze und Eifer; 
bey einer Gavotte auf jauchzende Freude; bey einem Menuet auf maͤßige Lu⸗ 
ſtigkeit u. ſ. w. | 

22 


Bey Unterſuchung groͤſſerer, und anſehnlicher Inſtrumental⸗Stuͤcke wird 
ſich ſo wol dieſe Verſchiedenheit in Ausdruckung der Affecten (da z. E. ein adagio 
die Betruͤbniß; ein Lamento den Schmertz; ein lento die Erleichterung; ein An- 
dante die Hoffnung; ein affettuoſo die Liebe; ein allegro den Troſt; ein preſto 
die Begierde ꝛc. zum Abzeichen fuͤhren) als auch die Beobachtung aller und ieder 
Abſchnitte, noch deutlicher ſpuͤren laſſen, wenn die Verfaſſer rechten Schlages ſind. 
Hoͤre ich den erſten Theil einer guten Ouvertuͤr, ſo empfinde ich eine ſonderbare Er; 
hebung des Gemuͤths; bey dem zweyten breiten ſich die Geiſter in aller Wolluſt 
aus; und wenn ein ernſthaffter Schluß erfolget, ſammlen und ziehen ſie ſich wieder 
in ihren gewoͤhnlichen ruhigen Sitz. Mich deucht, da iſt eine angenehm; abwechſeln⸗ 
de Bewegung, die ein Redner ſchwerlich beſſer verurſachen koͤnnte. Vernehme ich 
in der Kirche eine feyerliche Symphonie, ſö uͤberfaͤllt mich ein andächtiger Schauder; 
arbeitet ein ſtarcker Inſtrumenten⸗Chor in die Wette, ſo empfinde ich eine hohe Ver⸗ 
wunderung; faͤngt das Orgelwerckan zu brauſen und zu donnern, fo entſtehet eine 
göttliche Furcht in mir; ſchließt ſich denn alles mit einem freudigen Hallelujah, ſo 
ſpringt mir das Hertz im Leibe; wenn ich auch gleich weder die Bedeutung dieſes 
Worts wiſſen, noch ſonſt ein anders, der Entfernung halber, verſtehen ſollte, ja, 
wenn auch gar keine Worte dabey waͤren, bloß durch Zuthun der Inſtrumente und 

redenden Klaͤnge. . 


= §. 23. | 
Ob man nun wol nicht ſagen kan, daß ein Setzer feine Abſchnitte und Ruhe⸗ 
Stellen miſſet oder zaͤhlet; noch allemahl vorher bedacht iſt, ob er hie ein muſica⸗ 
liſches Comma, dort ein Colon, u. ſ. w. anbringen ſoll (als welche Umſtaͤnde den⸗ 
noch zur Erregung der Leidenſchafften unentbehrlich ſind) fo iſt doch gewiß, daß 
es recht gewiegte Meiſter, ſchier ohne darauf zu ſtudiren, alſo treffen, wie es ſeyn 
muß, und im zierlichen Reden oder Schreiben iederzeit gehalten wird; einem Lehr⸗ 
begierigen aber wird vornemlich kein geringes Licht angezuͤndet, wenn man ihm, 
wie hier geſchiehet, Anlaß gibt, ſolche Dinge fleißig zu bemercken, und 45 ohne 
| | | 2 wang 


68 Viertes Capitel: Von Vocal⸗ 


Zwang, einen deutlichen Begriff von den Nothwendigkeiten, Theilen, zugehoͤ⸗ 
rigen Dingen und Unterſchieden der Melodien zu machen. 


en 

Es wird unten, bey Anfuͤhrung der Gattungen und Arten aller oder der 
meiſten Melodien, mehr Gelegenheit vorkommen, hievon zu handeln. Und daß 
ichs demnach hier nur kurtz faſſe, fo iſt denn auch zwoͤlfftens, wie wir geſehen 
haben, die Inſtrumental⸗Melodie darin hauptſaͤchlich von Singe⸗Sachen unter: 
ſchieden, daß jene, ohne Beyhuͤlffe der Worte und Stimmen, eben ſo viel zu ſa⸗ 
gen trachtet, als dieſe mit den Worten thun. | 8 


§. 25. 

XIII. Alle Worte, in gebundener oder ungebundener Rede, haben ihre 
rhythmos oder abgezaͤhlte Sylben⸗Fuͤſſe, ihre pedes und poetiſche 
| Maaſſe, auch auſſer der Dichterey, und dieſe find von der groͤſſeſten 
Krafft, ſo wol im Reden, als im Singen oder Spielen. Nur die metra, oder 
Reim⸗Gebaͤnde ſind in ungebundener Rede nicht vorhanden: d. i. die Abmeſſung 
gantzer Verſe, Zeilen, Reimſchluͤſſe c. Und in ſolchen Stuͤcken weiſet die Vocal⸗ 
Melodie einen abermahligen Unterſchied von der Inſtrumental⸗Melodie, die weil 
bey dieſer die Mufica metrica nicht ſo, wie bey der Vocal⸗Muſie, die tref⸗ 
lich gerne Verſe leiden mag, zu thun hat. Man moͤgte ſagen, es verſtuͤn⸗ 
de ſich ja von ſelbſten, daß die Inſtrumente, weil ſie keine Worte brauchen, auch 
keiner Verſe benoͤthiget find; dieſes iſt richtig: allein weil alle Verſe aus rhych- 
mis und Sylben⸗Maaſſen zuſammen geſetzet ſind, und unſre Inſtrumente die Ma⸗ 
terie, obgleich nicht die Form, brauchen, ſo iſt dieſer feine Unterſchied nicht zu ver⸗ 
werffen. Wiederum obgleich das rhythmiſche Weſen nirgends eigentlicher zu Hau⸗ 
ſe gehoͤret, als eben in Inſtrumental⸗Melodien, woſelbſt es faſt alles zu thun ver⸗ 
mag; ſo haben ſie doch in den metris alle Freyheit, d. i. ſie duͤrffen ſich an keines der⸗ 

ſelben binden, wie groͤſſeſten Theils die Vocal⸗Melodien thun muͤſſen. 

8 „„ 

XIV. Hingegen bemercken wir den vierzehnten Unterſchied darin, daß ei⸗ 
ne Vocal⸗Melodie ihre geometriſche Fortſchreitungen lange 
nicht fo genau beobachtet, als die Inſtrumental⸗abſonderlich die 
Tantz⸗Melodien thun muͤſſen. Dieſe Fortſchreitungen und ihre Bedeutung 
werden theils aus dem Orcheſtre II, theils auch aus dem, was bereits oben in Diez 
ſem Kern davon erinnert worden, vermuthlich bekannt ſeyn. Allhier dienet nur 
noch fo viel zum Unterricht, daß darin gleichfam der metriſche Verhalt aller In⸗ 
ſtrumental⸗Melodien beſtehet, als welchen ſonſt, wie wir ſo eben * 
| en, 


und Inſtrutmental⸗ Melodien. 5 69 


ben, die Singe⸗Stimmen eigentlich, und in gewiſſen Stuͤcken, beſonders vor ſich 
behalten. Alſo kan man ſagen, die geometriſchen progreſſiones dienen den Inſtru⸗ 
menten an ſtatt eines metri. | 
| . 

Wenn oben von nothwendiger Empfindung und Ausdruͤckung der XV. 
Gemuͤths⸗Neigungen bey den Inſtrumental⸗Melodien geredet worden; 
ſo ſtehet leicht zu erachten, daß auch die Lehre von der emphali, von dem | 
Nachdruck, hieher gehöre, nur mit dem Unterſchiede: daß die Vocal⸗Melodie 
den Nachdruck in den Worten, die Inſtrumental⸗Melodie aber denſelben 
im Klange ſuchet. Es ſcheinet gar eine niedliche Sache hierum zuſeyn. Wer 
ſich aber nur die Muͤhe nicht verdrieſſen laſſen will, gewiſſe hervorragende Klänge, in 
guten Frantzoͤſiſchen Inſtrumental⸗Sachen, auszumertzen, der wird gar bald finden, 
wo dieſer Knote zu löfen ſey, und wie er feine Klaͤnge mit gutem Nachdruck redend 
machen koͤnne. Gemeiniglich ſteckt der klingende Nachdruck im ſteigenden halben 
Ton vorzuͤglich. z. E. seinen | % rg 


und iſt was merckwuͤrdiges, daß die kleinen I 
die groſſen dazu dienen muͤſſen: faſt eben fo, wie wir in Wörtern, oben bey den ge⸗ 
ringſcheinenden adverbiis, geſehen haben. Es faͤllt hiebey auch zu betrachten, daß 
nicht ieder Accent eine emphafın enthalte; ſondern daß dieſe gleichſam einen dop⸗ 
pelten Accent habe. Denn in obigen wenigen Noten ſind deren wol 8 accentuirt, 
und doch hat eine nur den rechten Nachdruck, die mit dem Aſterisco bezeichnet iſt. 


. | 
Unterſuchen wir die muſicaliſchen Schreib⸗Arten, fo wird ſich alſo⸗ XVI. 
bald finden, daß auch dadurch ein maͤchtiger Unterſchied zwiſchen der Vo⸗ 
cal⸗ und Inſtrumental⸗Melodie entſtehe, welchen ſich ein ieder Leſer aus 
dem zweyten Capitel dieſes Kerns ſelbſt mit leichter Muͤhe vorſtellig ma⸗ 
chen, und die Style in gehoͤrige Ordnung bringen kan. 


0 §. 29. 
Endlich geben auch die Arten oder Gattungen der Melodien noch XVII. 
den allerhandgreifflichſten Unterſchied zu erkennen, fo daß melodia vo- | 


salis gantz andre genera cantionum erfordert, als melodia inſtru- 
0 | 33 men- 


70 Viertes Capitel: Von Vocal⸗ und Inſtrument. Melodien. 


mentalis. Man vermiſche dieſes nicht mit den Stylen: denn in einerley Styl kom⸗ 
men ſehr viele Gattungen der Melodien vor. Wir haben aber deſto weniger noͤthig, 
hievon an gegenwaͤrtigem Orte weitlaͤufftiger zu lehren, da weiter unten derſelben 
Materie ein eignes Haupt ⸗Stuͤck gewidmet iſt. 


§. 30. 


Es waͤre nicht ſchwer, die angemerckten Verſchiedenheiten noch weiter auszu⸗ 
fuͤhren; allein, weil ein ieder aus dem, was geſaget worden iſt, ſchon gnugſam ſie⸗ 
het, was fuͤr eine Wiſſenſchafft in gar wenigen Kern⸗Stuͤcken enthalten ſey, und 
wie noͤthig dergleichen Abſonderungen einem Muſico, der ſich hervorthun will, 
anſcheinen muͤſſen, ſo wird das uͤbrige dem fleißigen und weitern Nachſinnen der 
Studirenden, für dieſesmahl, billig anheimgeſtellet. 


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“ Hunſfes Haut- Stic. 
Von den Einſchnitten der Klang - Rede, 


> 8 * 
Deſe Lehre, de inciſionibus, welche man auch diſtinctiones, in- 


. terpunctationes, poſituras Kc. nennet, iſt die allernothwendigſte 
.in der gantzen Setz⸗Kunſt; und wird doch fü ſehr hintangeſetzet, 
Mani 8 daß kein Menſch bishero die geringſte Mage, ad nur einigen Un⸗ 
A 0 terricht, davon gegeben IM j 


Vor etlichen Jahren hat ein groſſer Dichter, als etwas ener entde⸗ 
cken wollen, daß es mit der Muſic in dieſem Stuͤcke faſt eben die Bewandniß ha⸗ 
be, als mit der Rede⸗Kunſt. Welch Wunder! Die Ton⸗Kuͤnſtler mögen ſich 
wohl ſchaͤmen, daß ſie hierin fo ſaumſelig geweſen find: Denn obgleich hie und da 
einer, aus dem Licht der Natur, auf geſunde Gedancken gekommen ſeyn mag; 
ſo ſind die guten Herren doch nur am Nande geblieben, und haben nicht bis auf 
den Kern durchdringen, vielweniger die Sache in eine gehoͤrige i Form, we⸗ 
der öffentlich noch heimlich, bringen koͤnnen. 


3» 
um nun dieſem Mangel einiger maaſſen abzuhelffen, muͤſſen wir uns die 
Mühe geben, die liebe Grammatic fo wohl, als die ſchaͤtzbare Rhetoric und Poe⸗ 
ſie, auf gewiſſe Weiſe zur Hand zu nehmen: denn ohne von dieſen ſchoͤnen Wiſ⸗ 
benſchafften die gehoͤrige Kundſchafft zu haben, great man das Werck, e 


| 72 Fuͤnfftes Capttel: 


tet alles Beſtrebens, doch nur mit ungewaſchenen Haͤnden, und gleichſam vergeb⸗ 
lich an: wie ich denn keines weges zweiffle, es ſtecke wohl die rechte Urſache der 
bisherigen Verabſaͤumung dieſer Dinge in keinem andern Winckel, als in der gro⸗ 
ben Unwiſſenheit und Ungelehrſamkeit der heutigen Muſicorum (und wenns auch 
Koͤnigl. Capellmeiſter waren) die kaum ihre Mutter⸗Sprache recht ſchreiben koͤn⸗ 
nen, und doch vom Morgen bis an den Abend componiren, ja mit Italiaͤniſchem 
und Frantzoͤſiſchem ſich breit machen wollen. 


. 

Jeder Antrag, der ſchrifftlich oder muͤndlich geſchiehet, beſtehet demnach in 
gewiſſen Sägen oder periodis; ein ieder Satz aber wiederum in kleinern Ab⸗ 
ſchnitten bis an einen Punct. Aus ſolchen Sägen erwaͤchſt ein gantzer Zuſam⸗ 
menſatz oder paragraphus, und aus verſchiedenen ſolchen Abſaͤtzen wird endlich 
ein Haupt⸗Stuͤck oder Capitel. Sodann machen ferner viele Haupt⸗Stuͤcke ein 
Buch; die Bücher einen Band oder Volumen; und etliche Bande ein gantzes 
opus oder Werck. Das iſt, aufs kuͤrtzeſte der climax und Stuffenmaͤßiger Ent; 
wurff alles deſſen, ſo geredet, geſchrieben, geſungen und geſpielet werden mag. 


. 75 
In der Ton⸗Kunſt oder Klang⸗Rede brauchen wir aufs hoͤchſte zur Zeit nur 
einen paragraphum, gantzen Ab- und Zuſammen⸗Satz, welcher gemeiniglich die 
Schrancken einer Arie einnimmt, und wie geſagt, aus verſchiedenen Saͤtzen oder 
kurtzen Vortraͤgen, wenigſtens aus zween beſtehen und an einander gefuͤget ſeyn 
muß. (Wiewol es im Lehr⸗Styl bisweilen feine Ausnahm leidet, im Fall die 
Deutlichkeit ſolche erfordert.) 
8 
Wieder dieſe nothwendige Eigenſchafft eines muſicaliſchen Satzes in einer 

Arie ſtoſſen nun diejenigen groſſen Herren Poeten (ſie nehmen mirs nicht uͤbel) 
haͤuffig an, die z. E. in einer Cantata folgende Zeilen fuͤr einen paragraphum, 
d. i. fuͤr eine Arie und gantzen Abſatz ausgeben, da doch nicht mehr, als ein eintzi⸗ 
ger Satz oder periodus darin enthalten iſt, welches eine peribole, oder ein pe- 
riodicum genannt wird. 5 

Weſen, das nicht nur die Zeiten | 

Und die Ewigkeit erfuͤllet; 

Rein, aus des Vollkommenheiten 

Selbſt das Meer der Ewigkeiten, 

Wie ein kleines Bachlein, qvillet; 

Und des Groͤſſe doch nur Gute: 

Dich verehret mein Gemuͤthe. I 


Von den Einſchnitten der Klang⸗Rede. 3 


Da ſind ſieben Zeilen; ſieben Einſchnitte, und doch nur ein eintziger vier⸗ 
gliedrigter Satz oder periodus, der wegen ſeiner Laͤnge und vielen Diſtinctionen, 
wie ein reiches Gewand ausſiehet, und doch ſeiner innerlichen groſſen Schoͤnheit 
ungekraͤnckt, gar nicht muſicaliſch iſt; weil er keinen gantzen Zuſammenſatz oder pa- 
ragraphum ausmacht, der doch deswegen unumgaͤnglich zu einer Arie erfordert 
wird, damit die Melodie irgendwo ein wenig ruhen koͤnne, ehe und bevor ſie ihr 
gaͤntzliches Ende erreichet. Zu einem ariolo, oder auſſerordentlichen Vortrage, 
duͤrfften ſich ſolche Worte gut ſchicken; aber zu einer Arie dienen ſie nicht. 


Ein periodus aber, damit wir ihn in ſeiner Ordnung als einen Satz be⸗ 
ſchreiben, it ein kurtzgefaßter Spruch, der eine völlige Meinung, oder 
einen gantzen Wort⸗Verſtand, in ſich begreifft. Was nun dieſes nicht thut, 
ſondern weniger haͤlt, das iſt kein periodus, kein Satz; und was mehr leiſtet, iſt 
ein paragraphus, Abſatz oder Zuſammenſatz, der aus verſchiedenen periodis beſte⸗ 
hen kan, und von Rechts wegen ſoll. als | 


| 9. 9. 
Wenn wir alſo oben feſtgeſetzet haben, daß ein eintziger periodus keinen 
paragraphum machen kan, weil er die zu einer Arie gehoͤrigen Theile nicht hat, ob⸗ 
gleich bekannt, daß, auſſer der Muſic, ſolche kurtze Saͤtze beſonders unterſchieden, 
und willkuͤhrlich von dem übrigen Zuſammenhang (als ein unvollkommener para- 
‚graphus ) getrennet werden, dazu ein ieder feine Urſachen haben mag; fo wird 
das Gegentheil die Regel noch beſſer erläutern. 
/ . 

Wir wollen einen Antrag waͤhlen, der eben ſo viel Zeilen, und eben ſo viel 
Einſchnitte hat, als der obige $. 6. befindliche; der aber dabey drey periodos bes 
traͤgt. Die ſingende Perſon ſitzt am Ufer eines Fluſſes, und laͤßt ſich fo vernehmen: 

Klarer Spiegel meines Leidens, | 
Nimm auch meine Zaͤhren an! 
Laß die liſpelnde Cryſtallen 
Sanffte, ſanffte nieder fallen! 
Daß zu deinen Silber⸗Wellen 
Sich mein Thraͤnen⸗Thau geſellen, on 
Und zu Perlen werden kan. da Capo. 


Ob nun gleich dieſe Worte, an Vortreflichkeit der Gedancken, jenen das 
= | R „„ . 


74 0 Fuͤufftes Capitel: 


N u en 
Waſſer nicht reichen (denn davon handeln wir ietzo nicht) fo find fie doch ſonſt ſehr 
artig und ſingbar, haben anbey die muſicaliſche Eigenſchafft eines vollkommenen 
paragraphi oder Zuſammenſatzes, welches zu zeigen und lehren unſer Vorhaben 
war, ohne iemands loͤblicher Arbeit im geringſten zu nahe zu treten. 2 
105 a 

Wenn nun viele Arien auf dieſe Weiſe, mit untermiſchtem Recitativ, nach⸗ 
und auf einander folgen, ſo wird daraus eine Cantate, ein Auftritt ꝛc. welches 
denn ein muſicaliſches Capitel oder Haupt⸗Stuͤck heiſſen mag. Eine Anzahl aber 
ſolcher Capitel zuſammen genommen, wie in einem Oratorio, in einer Paßion, oder 
in einer theatraliſchen Handlung, machen ein Buch, und ſo weiter. | 


13. e 
Die Erkenntniß eines periodi verbindet mich, ehender keinen foͤrmlichen 
Schluß zu machen, als bis der Satz aus iſt; die Erkenntniß aber eines parazra- 
phi verbietet mir, ſonſtwo, als zu Ende deſſelben, einen gaͤntzlichen Schluß an⸗ 
zubringen. Mit verſchiedenen periodis (den allerletzten ausgenommen) kan ich 
auch in verſchiedenen anverwandten Klängen foͤrmlich abſetzen und ſtille Halten; 
der paragraphus aber will endlich allein einen gaͤntzlichen Endigungs⸗Schluß ha⸗ 
ben, das iſt zu ſagen, wenn der letzte paragraphus zum letzten mahl vorkoͤmmt: 
denn ſonſt, wenn er noch wiederholet werden ſoll, hat er eben die Freyheit, als feine 


Vorgaͤnger. 


„ N 

Zu beyder Einſchnitte Bezeichnung in den Worten dienen nicht nur die Pun⸗ 
cte, (wiewol am meiſten;) ſondern auch bisweilen die Frage- und Ausruffungs⸗ 
Zeichen, welche eben ſo wol als das punctum; einen Satz, ja nicht ſelten, unver⸗ 
muthlich, einen gantzen paragraphum ſchlieſſen koͤnnen; dafern bey ihnen ein voll 
kommner Wort⸗Verſtand zugleich mit eintrifft, wie $. 10. zu ſehen, oder, dafern 
mit Fleiß nichts weiter hinzugethan werden, und die Rede abgebrochen werden fol, 
ſo, daß eine redneriſche Figur oder Blume darunter ſteckt. 


§. 15. | 

Quinctilian will den periodum oder Satz ſo eingerichtet haben, ut ſenſum 
concludat; ut ſit aperta & intelligi queat; non immodica, *) ut memoria 
contineri queat. Auf Teutſch: daß er den Wort⸗Verſtand vollende, deutlich 
und vernehmlich; nicht unmaͤßig lang ſey; auf daß man ihn im Gedaͤchtniß behal⸗ 
ten koͤnne. Putean thut hinzu: ut decore pronunciari queat, d. i. der Satz ſoll 
ſo eingerichtet ſeyn, daß man ihn mit guter Art und Anſtaͤndigkeit ausſprechen koͤn⸗ 

OR EEE ER ne, 
) S. den 6 $. dieſes Capitels. 


Von den Einſchnitten der Klang ⸗Rede. 75 


ne. Iſidor will, und ich glaube, Putean hat es auch ſo gemeinet, kein periodus 
fol länger fepn, als daß er in einem Athem ausgeſprochen werden moͤge; wol aber 
kuͤrtzer: feine eigne Worte lauten ſo: Longior eſſe non debet, quam ut uno 
ſpiritu proferatur. Das laſſe ſich ein Muſicus und muſtcaliſcher Poet geſaget 
ſeyn; es werdens ihm, daferne ers in ſeiner Arbeit in Acht nimmt, ſo wol Saͤnger, 
als Zuhörer, dancken: dieſe, wegen der Deutlichkeit; jene wegen der Erleichte⸗ 
. 1 Geſchäſftes. | 5 
10. 

Wir wollen aber, nachdem überhaupt von dem 1 1 und 03 
periodo fürs erſte gnug geſaget worden, zu den kleinern Einſchnitten | 
ſchreiten, und mit dem geringſten, nehmlich mit dem Commate ) oder Ge⸗ 
lencke () den Anfang machen, als bey welchem ein groſſes zu bemercken iſt. Dieſes 
Comma wird vom Iſidor genannt, particula ſententiæ, ein Theilgen des Satzes; 
dagegen heiſſet er das Colon, membrum, ein Glied; den periodum aber ambi- 
tum, einen Umfang, five circuitum, einen Bezirck. Lipſius druͤckt ihre Krafft 
ſo aus: Comma ſuſtinet macht einen kleinen Einhalt; Colon ſuſpendit, ſchie⸗ 
bet laͤnger auf; Periodus deponit, bringt zur Ruhe. Kurtz, das Comma iſt ein 
Stuͤcklein des Satzes, dadurch die Rede einen kurtzen Einſchnitt bekoͤmmt; ob 
gleich noch in den Worten kein völliger Verſtand iſt: Se es erfordert au ſchr 
off ein eiutzeles Wort ſein eigenes * 


Selten wird man finden, daß e oder übel unterrichtete Caen 
ſten ein Comma in der Rede überhüpffen; obs gleich geſcheutere vielmahl mit gu⸗ 
tem Bedacht thun. Aber nur gar zu haͤuffig machen. jene einen Abſatz oder Ein⸗ 
halt, eine Pauſe und Ruhe⸗Stelle, wo kein Comma zu hören oder zu ſehen iſt. Die 
Exempel hievon ſind ſo zahlreich, daß ich beſorge, man moͤchte die Anfuͤhrung eines 
eintzigen fuͤr eine Raritaͤt halten. | ee stoffe Capellmeiſter in e 
chem ann ſo verfahren 


Be 8 grere. ſegmen, a a, eædo, ſeindo, ich haue oder ſcnedde 5 Feutſch: ein n%6; 
fſthnitt, Spaͤnlein, Splitter, dem auch die Geſtalt des commatis in unſern Schrifften gleichet. 
IJIch nenne es ein Gelencke, dieweil, in Ermangelung der commatum, alle Vortraͤge ſteiff, ſtarr, 
Aunverſtaͤndlich und ungelenckig ſind, und ſehe damit mehr auf die Bedeutung der Sache, als 
des Worts. Was die bepden beruͤhmten Spanier Qvintilian, in inſtitut. orstor. und Iſidor, 
in originibus, gefchrieben haben, iſt ziemlich bekannt; Vielleicht aber weiß nicht iedermann, 
daß die beyden gelehrten Niederländer, Lipfius eine epiftolam de diſtinctionibus, und Pareanus 
ein Syntagma von eben denſelben, hinterloſſen haben, welche erſtere dem letzten beygedruckt iſt, 
und ein paar nuͤtzliche kleine Schrifften ſind. Der erſtgenannte gab ſich ſelbſt dieſen Ruhm: 
I ak) docile & capax; Fran an vid Lipſ. Epif. mifceh, ae III. eh 97. 


W 2 Woh 


76 Fuͤnfftes Capitel: 


Wohl dieſem, dem der Suͤnden Groͤſſe (eine Pauſe.) 
Nicht mehr mit ihren Centnern ſchreckt. u 
Dem unfer Hort der Fehler Blöffe (wieder eine Pauſe.) 


Mit ſeinem Purpur⸗Mantel deckt ꝛc. 
So kan man wol nicht umhin, ſich daran zu ſpiegeln, und auf die Vermeidung 
dergleichen grober Schul⸗Fehler mit Fleiß bedacht zu ſeyn. 


§. 18. 

Es kan nicht ſchaden, wenn wir gleich obigem einfaͤltigen teutſchen Exem⸗ 
pel ein nicht weniger albernes, obgleich Welſches, zum Gefaͤhrten geben. Es 
ſetzt ein guter Freund eine Arie, die ſich mit dieſen Worten anfaͤngt: 1 

Con dolce aurato ſtrale 

Un volto vezzoſetto, vezzofetto - - » | 0 
und pauſirt darauf drey gantzer Taͤcte: wenn ſolche vorbey, werden dieſelben Worte, 
mit eben derſelben Melodie, noch einmahl wiederholet, ehe was weiters koͤmmt. Es 
iſt hie nicht einmahl ein Comma, vielweniger ein ſenſus vorhanden, als welcher erſt 
aus der Folge abzunehmen iſt. Auch ein feynz wollender Koͤnigl. Capellmeiſter, 
eben wie der vorige! 


§. 19. | . 
Wir wollen doch einen Hochfuͤrſtl. dazu ſetzen, deſſen Wercke, daraus dieſer 
Auszug genommen, ebenfalls gedruckt find i 
Qual penſier tormentoſo 
D' ogni mia ſpeme il bel ſeren imbruna? | 
E a turbarmi il ripofo C (Sadens und Pauſen.) 


Gravi timor, fieri fofpetti aduna. (Bindung die ſich kuͤnfftig refolvirt.) 
E piu mia fe (lange Note mit einer Pauſe.) 

non cura ch 

ſe ben ſereni a me „(lange Note mit einer Pauſe.) 


non volgi i rai &c. | | 
Ich mag in dieſem kleinen Wercklein nicht weitlaͤufftiger ſeyn; habe aber noch einen 
artigen Vorrath dergleichen alberner Meiſter⸗Stuͤcke von verſchiedenen Capellmei⸗ 
ſtern bey der Hand: welcher bey einer beqvemern Gelegenheit dereinſt erſcheinen 


? 


konnte. 


8 b. 20. N 
Das befteift, ſich ein Muſter von Worten auszuſuchen, wo lauter vollkomme⸗ 
ne commata, d. i. ſolche, die einen rechten Einhalt erfordern, anzutreffen find, und 
dieſelbe in eine bloſſe Melodie, ohne Baß, zu bringen: da denn an den 
| Stel⸗ 


Von den Einfnittender Klang⸗ Rede. 77 


Stellen Pauſen nöthig ſeyn werden, indem alles gar fuͤglich, durch gewiſſe natüͤrli⸗ 
che Faͤlle der Stimme, (chutes de Br) auszudrücken ſtehet, und viel beſſer iſt, 
als wenn man allenthalben kleine Seuffzer ([oupirs) ſetzen wollte, z. E. im folgen: 
den Beyſpiel wird man fuͤnff vollkommene Gelencke finden, bey deren keiner die ge⸗ 
ringſte Pauſe vorhanden, und doch Gelegenheit gnug zur Schoͤpffung des Athems 
gegeben, auch bey Endigung des Satzes eine förmliche Sr in einem verwandten 
Klange gemacht wird. 

ae 


N Gero, mein Hertz, 
PT 


&c. 


UL 
Darauf folget ein anders, mit dreyen . 0 durch Pauſen ausge⸗ 
druckt ſind: damit einer die Wahl habe. | | 


Schauet, ) mein Seh iſt Roſen zu gleichen, wech 


K 3 
9 o egg. nach dem Worte, Schaue, kan perfetum & pendulum er doch das er 


78 FBauͤnfftes Capitel: 


Ro en zu gehen, | welche den 51 mit Dor nen 
Er | Ke. 


F 
umhuͤlln. 


5. 22. 

Ein gewiſſer gruͤndlicher Theoreticus will die Commata lieber im Baß, oder 
in der Grund⸗Stimme, als in der Haupt⸗Melodie, ausgedruckt wiſſen, und zwar 
alle durch Cadentzen. Ob es nun gleich ſo weit ſeine Richtigkeit hat, daß man 
3. E. die Eommata nicht unfuͤglich, durch ſolche Baß⸗Clauſuln, die auf eine unvoll⸗ 
kommene Art ſteigen oder fallen (per elauſulas imperfecte aſcendentes & deſcen- 
dentes) zur Noth wol andeuten kan; ſo ſtehet ſolches doch um ſo viel weniger zu 
rathen, ie ſchlechter und armſeliger eine Melodie durch fo viel Baß⸗Cadentzen wer⸗ 
den duͤrffte, und ie zerriſſener dieſelbe herauskommen muͤſte; da hingegen tauſend⸗ 
mahl wehr Urſachen vorhanden ſind, warum ſich das Fundament nach der Ober⸗ 
Melodie, nicht aber dieſe ſich nach jenem richten muß. Die Commata des N 
dachten Theoretict ſehen in einem MSt. 0 als | 


Comma. 5 e | 
—— ——— — —— — en 
E me 5 
Clauſula imperfecte aſcendens. 5 _ Olaufilaimperl, defgendens. 


. 
Weil aber hieraus ein ſchlechter Troſt zu holen iſt, und denn nicht 0 eine 


ede, durch die Rechtſchreibung e e der Gelencke, im Reden 
einen 


Von den Einſchnitten der Klang. Rede. 79 


einen Einhalt erfordert; ſo kan man leicht gedencken, daß ein Unterfehied zu halten, 
und nicht nur diejenigen Commata, ſo in der Ausſprache ungültig, obgleich im Schrei⸗ 
ben noͤthig find, ſondern auch noch viele andre derſelben in der Muſic uͤberhuͤpffet 
werden koͤnnen und muͤſſen. Daher denn die in der muficalifchen Eritick ehmahls 
gemachte Diſtinction, zwiſchen einem vollkommenen und unvollkommenen e 
te, inter comma perfectum K pendulum, wohl au mercken iſt. 


215 | 
Weil wir nun von dem vollkommenen Gelencke oben ſchon ein doppeltes Mu⸗ 
ſter beygebracht haben, wird wol nöthig ſeyn, von dem unvollkommenen auch eine 
kleine Probe mitzutheilen. Man laſſe ſich aber vorher nur geſagt ſeyn, daß die zwei⸗ 
felhaffte oder ſchwebende Commata theils nur einen ſehr kurtzen Einhalt, theils und 
am meiſten aber gar keinen leiden. Das erſte hat ſtatt, wenn eine traurige exclama- 
tion; oder ein ſolcher imperativus vorhanden, der wircklich einen Aufſchub andeu⸗ 
et, und ein Nachdencken erfordert. Z. E. 
Ach! daß die Hälfte € 15 Zion uͤber Iſrael kame! | 


Halt! Erſchlag ihn nit Es iſt der König, u. d. g. 


25. 

Bey den eingeſchalteten 1 aber, bey den Imperativis, das iſt, wo 
ein Ruf oder Befehl vorhanden, die eine Hitze oder hefftige Regung ausdrücken; 
ingleichen, bey den zweymahl auf einander folgenden Adverbiis ) oder Zuwoͤr⸗ 
kerne ach! ach! , nein, nein =, ja, ja u. ſ. w. wird alles, wegen des dringen⸗ 
den Eifers, noch mehr im Singen, als im Reden, üͤberhüpffet. Wir doͤrffen hie⸗ 
von kein Exempel in Noten, ſondern nur in bloſſen Worten geben: 


Loͤſche, Cupido, dein ſchmeichelndes Licht! (pundtum) 
Phlegeton ſchencke mir funckelnden Schwefel! (punctum) 
Gebt mir, ihr Sterne, Meduſens Geſicht, (eomma perfect.) 


Dia ich beſtraffe den (handlichen Frevel! (punctum) 
Laß mir, o Himmel, die Freude geſchehn, (comma perfect.) 
ene zu ſehn! (punctum.) 
5 9.25. 


9 Man wird licht mercken und beſtermaaſſen entſchuldigen, daß ich mir Mühe gebe, die gram⸗ 
maticaliſchen Kunſt⸗Woͤrter, ſamt andern, fo viel möglich, durch gleichgeltende zu erklaͤren: 
Denn ich beſorge leider! daß viele unter meinen Notenreichen Leſern find , denen es ſchwer zu ſa⸗ 
gen fallen würde, was eigentlich eine exclamatio ; ein imperativus, vocativus, adverbium &c. 


bie Es verdrießt mich, walli diele Anmerckung zu 9 f Urſoche habe. 


80 Fuͤnfftes Capitel: 
. 

Hier ſind auſſer den vier Puncten oder Saͤtzen, und zween vollkommenen Ge⸗ 
lencken, noch ſteben ſchwebende Commata, nehmlich die vier eingeſchaltete vocati⸗ 
vi: Cupido, ihr Sterne, o Himmel und Phlegeton, die herbeygerufen wer⸗ 
den; ſo dann drey hitzige Befehls⸗Woͤrter oder imperativi: Loͤſche, gebt mir, 
laß mir; die alle zuſammen, nehmlich die ſieben letzt erwehnte, gar nichts in der 
Melodie, als Einſchnitte, geachtet werden. Und ſo kan man von den uͤbrigen urthei⸗ 
len. 

. 5 

(3) Da nun ein Comma in der Rede dasjenige vorſtellet, was am 

menſchlichen Leibe der articulus oder das Gelencke iſt; alſo bedeutet 

das colon hergegen ein membrum, oder gantzes Glied, wie der Grie⸗ 

chiſche Nahme mit ſich bringet; das lemicolon aber (;) nur ein halbes. Wir wol⸗ 

len von dem letztern hier zuerſt handeln, und ſagen, daß es ein ſolcher Einſchnitt ſey, 

der die Mittel⸗Stelle zwiſchen einem Commate und Colo vertritt. Die⸗ 

ſelbe Stelle findet ſich bey disjunctivis, oppoſitis, & relativis, d. i. bey ſolchen Saͤ x 

tzen, die eine Abſonderung, einen Gegenſtand, oder etwas in ſich faſſen, das ſich auf 

in anders beziehet: abſonderlich wenn ſolche Umſtaͤnde in wenig Worten enthalten 
ind. 6 


| 28 

Hiernaͤchſt hat das Semicolon noch ein eignes Abzeichen, nehmlich dieſes, daß 
es offt Platz nimmt, ehe noch die Wortfuͤgung nach der Grammatie vollendet iſt; 
welches hingegen bey dem Colo nie geſchiehet, indem ſolches einen foͤrmlichen gram⸗ 
maticaliſchen Sinn erfordert; obgleich die voͤllige Memung des gantzen Vortrages 
oder Zuſammenſatzes noch ausgeſetzet bleibt. 

„ 

Die disjunctiva haben zwar eine Abſonderung oder Trennung, aber keinen 
Gegenſatz oder Wiederſpruch zum Grunde, und koͤnnen dannenhero in der Melodie 
mit etwas entfernten Klängen füglich ausgedruckt werden. Z. E. Bey dieſen Wor⸗ 
ten: Dich hab ich mehr geehrt; ihn aber mehr geliebt. Ingleichen: Ich 
muß den Leib dir uͤberlaſſen; doch fordre nicht das Hertz von mir. Da 
find zwar in dem erſten Satz Ehre und Liebe von einander unterſchieden; aber dar⸗ 
um keine Gegenſtaͤnde. Hertz und Leib werden in dem andern Satz gleichſam ge⸗ 
trennet, ohne iedoch einander zuwieder zu ſeyn. Alſo muß in ſolchen Faͤllen, die Me; 
lobie zwar einen mercklichen Unterſchied machen, das eine Glied der Klang⸗Rede 
von dem andern, auf gewiſſe Art, abſondern oder trennen; doch darff fie nichts gez 

| ene gen⸗ 


Von den Einſchnitten der Klang⸗Rede. 8¹ 


genſeitiges einführen, weder in den Intervallen, noch in den Klaͤngen, an und für 
ſich ſelbſt betrachtet. Das iſt, ich darff eben keine Wiederſtrebung in den Interval⸗ 
len erzwingen, eine groſſe Tertz nehmen, wo eine kleine geweſen iſt, u. d. g. noch auch 
in den Klaͤngen etwa ſteigende gegen fallende, und umgekehrt anbringen; ſondern ich 
darff nur meine Ton⸗Art mit guter Manier verändern, und in die naͤchſte treten. 2. 
E. in einem Recitativ, aus dem A ins CO. e e 


In einer Ariette, aus dem D ins F. 


Ich muß den Leib dir uͤ⸗ ber laſ ſen; doch fordre nicht das 


e eee e eee e e ee 5 5 
— . 4 


g Hertz von mir. 2 


5 $. 30. eee 

Dasjenige, wornach ſich die Melodie in dergleichen Umſtaͤnden am meiſten 
eichten muß, koͤmmt auf die emphaſin an, welche im erſten Satz auf die Vornenn⸗ 
Woͤrter (pronomina) dich, und ihn, vornehmlich; hiernaͤchſt aber auch, wiewol 
nicht ſo ſtarck, auf die verba, (Werckwoͤrter) geehrt und geliebt falt. In dem 
zweyten Satz iſt der Nachdruck auf das nomen (Nennwort,) Leib, und auf das 
Beywort, (adverbium) nicht, hauptſaͤchlich anzutreffen; etwas ſchwaͤcher aber 
auf Hertz. Inzwiſchen iſt nicht immer ein foͤmlicher Schluß noͤthig. “Er 


2 


/.) ̃— ͤ 
Bey ausdruͤcklichen Gegen⸗Saͤtzen verhaͤlt ſich die Sache gantz anders. Denn 

es erfordert daſelbſt der Worte Wiederſtand 1 ein gleiches in den Klaͤngen, 2. 

„ ſind 


82 EL La ee 
find diefe ſtreitende Vorträge fo wol im Recitativ, als in den Arien, beſtermaaſſen in 
Er 5 nehmen; doch alles ohne Zwang, z. E. im Dramatiſch⸗ſatyriſchen 
M Bi. . | 
Da ſagt man zu mit Mund und Hand, 
Kein Wort ſoll ſeyn geſprochen; 
Doch wenn der Ruͤcken nur gewandt, 
Iſt ſchon dies Wort gebrochen. N 
Da find deutliche Gegentheile: Worthalten und Wortbrechen: derowegen 
mag man auch dieſe wiedrige Handlungen durch ſolche Bewegungen in den Inter⸗ 
vallen und Klaͤngen ausdruͤcken, die dem Gehör eine Vorſtellung davon geben. 


Dean . 32. . 
Ich ſage, man mag oder man kan es thun; nicht, daß es eben eine unumgaͤng⸗ 

liche Nothwendigkeit ſey, ohne welcher die Melodie, als Melodie, nicht beſtehen 
würde, Deutlicher iſt dennoch deutlicher. Es helffen auch ſolche Anmerckungen 
der Erfindung auf die Spruͤnge: denn die Gegenſaͤtze koͤnnen auf verſchiedene Wei⸗ 
ſe ins Werck geſetzet werden, es ſey durch eine Gegen⸗Bewegung verſchiedener an⸗ 
einander haͤngender Klänge; durch Intervalle die ſich zuwiederlauffen, durch ploͤtz⸗ 
liche Veraͤnderung der Ton⸗Art ꝛc. Nur von der erften eine Probe zu geben, mag 
folgendes zur Vermeidung der Weitlaͤufftigkeit allhier genug ſeyn: A 


allegro. | - 
4 re | | | 2 
Da ſagt man zu mit Hertz und Hand, kein Wort ſoll ſeyn 


motus contrarius. 


III 


— 


dies Wort gebrochen. 


Ves den ae der Klang. Rede. | 5 


Mit den r (wohin 1 alle kurze, auf einander folgende Beſchrel 
. gehoͤren) hat es wiederum eine eigene und ſonderliche Bewandniß: denn 
da ſoll billig nichts ſtreitiges oder wiedriges, ſondern vielmehr eine gewiſſe Gleichheit 
oder Aehnlichkeit in den Intervallen angebracht werden; doch nicht in den Klaͤngen, 
| als nene . Abwechſelung Rn müſſenz E. 
Unzehlbar iſt der Sternen Heer; 

Se Unzeblbar iſt der Sand am Meer; 
Doch weichen ſie der Menge meiner Schmerzen. 


be 


get Zr u 22 . 
Meer; doch wachen fe ie her Men ge meiner r Schmerten. 3 
Wenn ſichs bey dieſem Einſchnitt ſo wf, daß die Saͤtze, welche ſich auf ein⸗ 
ander beziehen, auch eine Aehnlichkeit des Reims und ſeines Gebaͤndes e 8 
daß dergleichen in einem oder andern Satz abſonderlich 12 3 E. | 
- Laß nur alle Liebes⸗Zeichen 
von dir weichen; 
Laß der Treue Bande linden 
| | die dich binden; 
alsdenn giebt es leichte und artige Verſetzungen, in Anfegung der dehmetun, 5 


und a ee, eng Reime, e. 5 
© ‚ardito. 


5 gap nur ale Liebes, Sachen von dir weichen; > Daß! N 

% 5 Or d den Ubelſtand leich u, bey dit 0 ie 

=, er Acht hat, wird den alſtan eicht mercken, da ey diefem atz der geometriſche Ver» 
belt nicht bci it, ſondern zu kurtz koͤmmt. i a 2 s i 3 


RS Juͤnfftes Capite: 


Treue Bande ſc winden, die * binden . 


$. h 
Von den ſogenannten kleinen Beſchreibungen wird man in Arien! wenig an⸗ 
treffen, weil ſie lange Saͤtze machen; doch ſtellen ſie ſich offt im Recitativ ein, und 
thun eine gute Wirckung, wenn man ſie kluͤglich behandelt. Wir wollen eine, in 
vielen kleinen oder halben Gliedern beſtehende Beſchreibung der Verzweifflung her⸗ 
ſetzen: 
Unſaͤglich iſt mein Schmertz; unzehlbar meine Plagen; Weil find) 
Die Lufft beſeuffzt, daß fie mich hat genaͤhrt; 
Die Welt, dieweil ſie mich getragen, 
Iſt bleß darum Verbrennens werth; 
Die Sterne werden zu Cometen, 
Mich Scheuſal der Natur zu todten; 
Dem Coͤrper ſchlaͤgt die Erd ein Grab, 
Der Himmel meiner Seel den Wohn⸗Platz ab: 
Was fang ich dann, verzweifelter, verdammter Moͤrder an? 
Eh ich mich ſoll ſo unertragich 1 
Will “ Bi hencken! 


m" Den den Ginfämittender Stange , 


2 ——&44 | 7 BEE ER Lt! aan er 
mich getragen, 8 iſt bloß darumverbrennens werth; die Sterne 


4 . ul 


. © Peteege| WERSESSERBERIEEN $ — — 5 


— SPSS m —— — 


' ea den Wohnplatz ab: Was fang ich dem verzweifle, verdanken 85 


A n TCC IE 
Ale BE. —̃— 7. a 


Mr 


L 3 


"1710/1117 00 


— 


— 


IE PT 


- u — . — — 0 — 
a — 
— 
1 
— 


— 


Mörder an? eh ich mich ſoll ſo un er träg lich kraͤncken, 


— X a IN 5 
= A 8 5 W 
5 = . "BR = 
5 un z RR 5 
ne 5 Here TER: ER 
n —ñ — 6 — — — 


will ich mich hencken! 


Der Raum leidet es nicht, die Aehnlichkeit, fo ein iedes dieſer 4 bis 5 halben 
Glieder mit dem andern hat, zu unterſuchen: wer den paragraphum oder Zuſam⸗ 
menſatz recht anſiehet, wird ſchon finden, daß ein gewiſſer Fall der Stimme allemahl 
das lemicolon bemerckt; daß der Baß nicht ſaͤumet, das ſeine auch zu den Einſchnit⸗ 
ten beyzutragen, und zwar auf keine wiederſetzliche, ſondern gleichfoͤrmige Weiſe; 
daß bey den vier oder fuͤnff eommatibus gantz anders verfahren wird, und ſich die 
Grund⸗Stimme nicht einmahl zu einer unvollkommenen Clauſul beweget; daß herz 
gegen, wo das gantze Colon koͤmmt, welches hier faſt die Eigenſchafft eines Puncts 
hat, ſich ein foͤrmlicher Schluß mit Pauſen einftellet ; daß die Folge aus einem 
andern Ton gehet; daß die Frage ſich abſticht; und daß endlich mit dem Excla⸗ 
mations⸗Punct ein Endigungs⸗Schluß erſcheinet . 


Bisweilen findet ſich auch eine Antitheſis, ein Gegenſatz zwiſchen dem da Ca- 
po und dem uͤbrigen Theil einer Arie, da denn das daſelbſt ſtehende lemicolon, 
weil es hernach nothwendig in ein pundtum verwandelt werden muß, und den End; 
ſchluß macht, allerdings eine gaͤntzliche Cadentz in die Final⸗Note erfordert, z. E. in 
dieſen Worten: 5 | 1 75 | 

1970 Sol 


Von den Einschnitten der Klang⸗Rede. 37 
Soll ich ein andre liehen? 
Die Ehrſucht ſaget ja 
a Doch trag ich faſt ein Grauen, 


En zu ſchauen, 
Wie die es wird betruͤben, 

Die mich mit Gunſt anſah. 
Soll ich ein andre lieben? 

Die Ehrſucht ſaget ja. 


8 6, 38. / 

Auſſer dieſem eintzigen Fall, welchen ich doch lieber, mittelſt einer zweyfa⸗ 
chen Ausarbeitung des da Capo, vermeiden wollte, muß das ſemicolon niemahls 
eine foͤrmliche, viel weniger eine gaͤntzliche Cadentz haben. Auch darff man ſich nicht 
immer an die Poeten kehren, die offtermahls von ihren Einſchnitten gar wenig Grund 
anzuzeigen wiſſen: weil es eine ſeltene, und etwas heiſſe Sache darum iſt. 
meiſte muß bey dem Setzer auf einen geſunden, nachdenckenden Verſtand ankom⸗ 
men, wenn auch gleich der Dichter lauter Commata und Puncte gebrauchte, um ſich 
nicht zu verrathen, daß er nicht wiſſe, an welchem Ort ein Colon oder Semicolon ſte⸗ 
hen muͤſſe. Jenem ſoll durch dieſe kleine Anleitung vermuthlich geholffen werden, 
falls er ſich nur helffen laſſen will: um die andern bekuͤmmere ich mich ietzo nicht. 


Nun kommen wir an das Colon, (:) welches ſchon mehr zu bedeu⸗ (:) 

ten hat, als die vorigen Einſchnitte, indem es einen groͤſſern Theis 
der Rede begreifft, und einen volkommenen grammaticaliſchen 

Verſtand hat; obgleich ein ieder wohl mercket, daß noch ein mehres fol- 
gen fol: Und eben aus dieſer letzt⸗bemerckten Urſache, kan es zwar keine gaͤntzliche 
Endigungs⸗Cadentz, aber wohl einen Aufſchub, eine verlangende Ruhe, claululam 
deſiderantem, in der Melodie leiden. N ' 11 


5 5 ;;) 

Es hat dieſes Glied feine Stellen in Anfuͤhrung einer Urſache, einer Wirckung, 
einer Erzehlung, eines Exempels, einer Folgerung, eines Gleichniſſes, einer Uber⸗ 
ſchrifft, eines andern Worte, und dergleichen mehr. Die Urſachen fängt man ge⸗ 
meiniglich an mit den Bey⸗Woͤrtern, weil, denn ꝛc.; die Wirckungen mit dem 
Wörtlein durch; die Folgerung mit dem daraus, dahero ꝛc.; das Gleichniß, 
und zwar deſſen Anwendung mit dem alſo, auf ſolche Weiſe .; die Erzehlun⸗ 
gen, Exempel, Uberſchrifften, eines andern, oder ſonſt merckwuͤrdige Wor⸗ 
ke / binden ſich an keine Ordnung, und ſind ſonſt leicht an ihrem Inhalt zu * 


383% Baunfftes Capiteln:: 


$. 41. 

Es wuͤrde in einem Kern zu langweilig fallen, und ein eignes Haupt⸗Stüͤck 
erfordern, wenn man von allen dieſen locis und Anzeigungs⸗Stellen, poetiſche und 
muſicaliſche Beyſpiele anbringen wollte. Wer nur eu; gutes wohlgeſchriebenes 
Buch aufſchlaͤgt, der wird ihrer, nach vorher eingenommener dieſer Anleitung, genug 
A Es kan aber die fernere Ausführung an einem andern Orte geſchehen: 

denn ich fuͤrchte, daß mancher ſeine Buͤcher, die wir ihm aufzuſchlagen angerathen 
haben, wie die Kuh das neue SO Pr dürfte. 


F. 

| Nur das nothwendigſte, fo bey einer Melodie dieſerhalben zu beobachten vor⸗ 
kommt, kan allhier unberuͤhret nicht bleiben. Und da iſt zu wiſſen, daß ich bey den 
Urſachen zwar inne halten; doch nicht wohl cadentziren kan. Hergegen bey den 
Wirckungen iſt weder eines noch das andre erlaubet. Wenn aber eine Erzeh⸗ 
lung folgen ſoll, muß die Melodie in ſuſpenſo, oder im Zweifel gelaffen werden 
welches gemeiniglich in der Qvinte des Tons, ich meine des Haupt⸗Tons, durch 78 
zu geſchehen pfleget, oder auch auf andre Weiſe. Und alsdenn hat die Regel des 
Lipſii ſtatt: colon ſuſpendit, das Colon will einen Aufſchub haben. Bey Exem⸗ 
peln gewinnet es eben daſſelbe Anſehen; nicht aber bey einer Conſeqventz, oder 
Folgerung, als welche dergleichen claufülam deſiderantem nicht braucht. Die 
Gleichniſſe konnen zwar eine vorhergehende Cadentz leiden; die Uberſchrifften 
keines weges, und müffen dieſelbe durch eine Monotonie, d. i. wo einerley Klang offt 
hinter einander gebraucht wird, nemlich per uniſonum continuatum, faſt nach Art 
des gebundenen Kirchen⸗Styls ausgedrückt werden. Wo endlich eines andern 
Worte, oder ſonſt nachdenckliche Spruͤche, Anzugs⸗Weiſe vorkommen, da 
muß nicht nur die Melodie in etwas unterbrochen, ſondern auch, bey ſothanen Wor⸗ 
ten, die Ton⸗Art veraͤndert werden. | 


8. 

Weil nun der mannigfaltige Gchrauch eines ieden Enſchnites an und fuͤr 
ſich ſelbſt hieraus ſattſam erhellet, ſo mg ein Vernuͤnfftiger leicht urtheilen, ob die 
Sache damit ausgemacht ſey, (zumahl da das Colon allein 6 bis 7 Weiſen halt). 
wenn ein ſonſt berühmter und gelehrter Koͤniglicher Capellmeiſter ſein Colon und 
Semicolon unter eine eintzige Regel zu bringen denckt, und ſie beyde, ohne wei⸗ 
tere Unterſuchung, durch den bloſſen 0 des . 7 95 folgende Art, abgefer⸗ 
tiget wiſſen will? 5 


7 


Von den Einſchnitten der Klang Rede. 89 


Ich geſtehe, man koͤmmt auf fi solche Art am kuͤtzeſten dabon. Dergleichen Irrthü⸗ 
mer aber haben drey ſtarcke Qvellen, die einer tuͤchtigen Verſtopffung benoͤthiget 
ſind, damit ſie von dem Lehr⸗Stuhl nicht weiter unter die Sitz⸗Bancke einreiſſen, 
und alles uͤberſchwemmen. Die vornehmſte dieſer Qvellen iſt der pedantiſche Hohe 
W die andern ſind Mangel an 2 Wi Mangel an Nachdencken. Er 


| $. | 

Die Fragen! in der Klang⸗Rede, 2 mit dem Zeichen (2) im Tert (2 
bedeutet werden, folgen nun nach unſrer Ordnung, und ſind entweder ei⸗ 
gentliche, oder verblümte Fragen. Viele Setzer ſtehen in den Gedancken, 

es muͤſſe das Frage⸗Zeichen nothwendig allemahl im Singen durch eine oder andre 
Erhöhung der Stimme ausgedruckt werden; aber man darff eben kein Herrn⸗Gebot 
daraus machen. Zwar iſt in gemeiner Rede und Ausſprache die Erhebung der 
a Stimme iederzeit bey einer Frage vermacht; allein in der Melodie giebt es viele Um⸗ 
ſtaͤnde, die hierunter eine Ausnahm nicht nur zulaſſen, ſondern offt erheiſchen. U⸗ 
ber dies trifft man viele figuͤrliche Fragen in Verſen an, dabey gar kein Zweiffel vor⸗ 
waltet, obs ſo, oder anders ſey. Dieſer aber, nehmlich der Zweifel, iſt das wah⸗ 
ve Kennzeichen einer eigentlichen Frage. Derohalben muß ein Melodien⸗Setzer 
die eine von der andern billig unterſcheiden, und nach ern Unterſchied ae No⸗ 
ten 7 9 men E. gefraget wird: 

Kan ich Artzeney gewehren, 
Da ich ſelber ſoll vergehn? 

fo ift der Versand dieſer daß niemand einem andern zu helfen vermd⸗ 
gend ſey, der ſelbſt Huͤlffe bedarff, und das iſt eine ſolche Rede, die auffer als 
lem Zweifel iſt. Darum darf man ſich bey fo geſtalten figürlichen Fragen, ſo ge⸗ 
nau nicht an die gewohnliche Form binden; ob es gleich einem geſcheuten Componi⸗ 
ſten unverboten bleibt, mit obigen Worten eine fügliche anaſyſin melodicam ) 
oder Aufloͤſung, durch eine nachdruͤckliche Verſetzung, Fragweiſe anzuſtellen. 


45. 
Wie aber eine rechte eigentliche und ordentliche Frage, dabey noch einiger Zwei⸗ 
fel bemacht zu ſeyn ſcheinet, ohne Erhebung der Stimme, in Noten anzuſtel⸗ 
len ſey, daß Ben die lulpenſio oder 2 1 vernommen werde, 


da⸗ 
9 Von der Zerentung dess Worts def: Tom. 1 2 Crit. Mul. pe 18 22, 35. 


90 or Fuͤnfftes Capitel: 


ꝙF— ßßß———nnn.. a EL ueete  n 
davon iſt ſchon oben $.35 und 36. eine beylaͤuffige Probe at worden, welcher 
ich allhier noch dieſe Anmerckung beyfuͤgen muß: daß d ie unvollkommenen 
Eonfonangen am geſchickteſten dazu find, fie mögen nun fleigen oder fallen: 
das macht es nicht allemahl aus. * 
| 4 | 
0 ) Sollte wol iemand meinen, daß, gleichwiei in den Fragen ein zweyfa⸗ 
cher, alſo i in den Anruffungen oder Exclamationen ein dreyfaͤltiger Unter⸗ 
ſchied waͤre? welches ſich doch, bey der Unterſuchung gantz richtig befindet, 
A den Componiſten allerdings verbindet, ſothane Ausbruͤche auch auf eben fo vie⸗ 
lerley Weiſe zu bearbeiten. Die erſte Art begreifft eine e einen 
freudigen Zuruf oder einen aufmunternden Be ehl, 3. E 
1. Monarch! 
Großmaͤchtigſter! du biſt der unbeſiegte Held! 
2. Vivat! Vivat! ewig lebe, 
Ewig bluͤh Hammonia! 
3. Knalle, donnerndes Geſchuͤtz! 
Krache, mit beflammten Blitz! 
und hieben iſt die Freude allemahl Meiſter, oder paſſio i daher denn lau⸗ 
ter lebhaffte und hurtige moduli dabey gebraucht werden muͤſſen; abſonderlich aber 
rolf und weite Intervalle. 


* 


$. 47. 
Die zweyte Art der Ausbruͤche haͤlt alles Wünſchen und hertzliches Sehnen 
in ſich; alle Bitten, Anrufungen, Klagen, auch Schreckniß, Entſetzen u. d. 
g. die letztern erfordern eine Heftigkeit in der Melodie, ſo am beſten durch geſchwinde 
oder hurtige Noten auszudrücken ſtehet; das Sehnen aber und die uͤbrigen Eigen; 
ſchafften haben die Betruͤbniß zur Mutter, z. E. 
Himmel! haſt du fuͤr mich Armen 
noch Erbarmen, 
Ach! ſo ſteh mir ietzo bey! 
da muͤſſen, nach Befinden der Umftände, bald groſſe, bald kleine Intervalle ange⸗ 
bracht werden; doch herrſchet e vorzuͤglich. 


Die dritte Art der exclamation 3 ein Geſchrey ‚ fo aus aͤuſſerſter Be⸗ 
ſtuͤrtzung, Erſtaunung und ſchrecklichen, greulichen Vorfaͤllen entſtehet, die den hoͤch⸗ 
ſten Gipfel der Verzweiflung erſteigen. Z. E. wenn ein Cain rufft: 

f Eroͤffne dich, Rachen der ſchmauchenden Hole! 616 
| Mei 


Von den Einſchnitten der Klang Rede. —— 91 
RMReeiß mich zu deiner Glut hinein! 

Ich liefre dir meine verzweifelte Seele! ie. 
Zooar wuͤrde ich, für meine Wenigkeit, willig meine Stimme dazu geben, wenn der⸗ 
gleichen gresliche Vorſtellungen gar aus der lieben Muſic ausgemuſtert werden ſoll⸗ 
ten; wenn ſie aber doch aufſtoſſen, ſo muß man auch mit ihnen recht umzugehen wiſ⸗ 
fen. Das meiſte kommt auf die verſchiedene Gemuͤths⸗ Bewegungen, und deren 
Kundſchafft, an. Hier iſt nun lauter deſperates Weſen, und darff man alſo auch 
lauter verwegene Intervalle, die eine unbaͤndige Eigenſchafft wieder einander haben, 
auf die Bahn bringen, und zu dem ruchloſen Geſchrey ein wuͤtendes accompagne- 
ment waͤhlen, dazu die Dactyliſchen Vers⸗ und Klang⸗Fuͤſſe nicht unbeqvem ſind. 


‘ | . 49. 
Gleichſam per parenthefin ein Paar Worte noch de ipſa Parentheſl (). 
zu machen, duͤrffte ſich hier vielleicht, zum Beſchluß des Haupt⸗Stuͤckes, 
nicht übel chicken. Denn, obgleich dieſer Einſchnitt nicht eben ſonderlich 
muſicaliſch iſt, und meinentwegen gerne Urlaub haben moͤchte, fo koͤmmt er doch big; 
weilen in Arien, mehr und oͤffters aber im Recitativ vor, und wer mit ſolchem Ein⸗ 
ſchluß in der Melodie richtig verfahren will, darff nur erwegen, ob ſein vorhabender 
Zwiſchen⸗Satz viel, oder wenig, von dem Haupt⸗Zweck der Rede abweichet: 
maaſſen die Melodie nach ſolchen Umſtaͤnden auch viel oder wenig unterbrochen wer⸗ 
den muß. Zum Exempel einer ſolchen Einſchaltung oder parentheſeos, die ſich 
ziemlich weit von dem rechten Vortrage entfernet, mag folgendes dienen 
Wie leicht iſts dem, der fo mit Raupen handelt, 
Daß er auch unfern Staub (da ohne dem bekannt, 
Daß nichts zu nichtes wird) zu ſeinem Ruhm verwandelt. 
und da muß nothwendig der Geſang ſo weit herunter treten, als etwa aus der Mitte 
des Soprans, in die Mitte des Alts, wenigſtens eine Qvart oder Qvint, vom eins 
oder £ Denn ich rechne die Mitte nicht nach den fuͤnf Linien, ſondern nach dem 
Ort, wo die Stimmen ihre rechtmaͤßige Mittel⸗Staͤrcke haben. | 


er 3 . | | j 

Ein andres Muſter eingeſchalteter Worte, das nicht ſo weit geholet iſt, ſteckt 
im folgenden Satz: | a 
Um deine Gnade nun, o Gott, recht zu ermeſſen, 
Und der vergangnen Noth ſo bald nicht zu vergeſſen: 

So leite mir (daß ich der Kranckheit Jammer Stand, 

Und der Geſundheit Schatz 1 2 bilde) ſelbſt die Hand! 

N 2 


9.51. 


10 
2 


92 Fuͤnfftes — . : Von den Einſchnitten der dung Rede. 


b. 

Es iſt meßrentheil bew Flickerey e einigen Dichtern „mit dieſen Einſchlüͤſ⸗ 
ſen und Zwiſchen⸗Saͤtzen, ſo man die parenthefin nennet, und ziehen fie ſolche 
Schalt⸗Worte faſt allemahl handgreiflich, des Reims wegen, nur herbey. Ich 
glaube, wer frey und aufrichtiglich der Wahrheit Raum zu geben Luſt hat, wird es 
nicht laͤugnen, und wenns auch ſein eignes Werck betraͤffe. In freyen Kuͤnſten 
muß einem ieden nach ſeiner Einſicht frey ſtehen, ſeine Meinung, mit unerſchrocke⸗ 
ner Beſcheidenheit, zu ſagen: ſo lange bey der Sache geblieben, und keine Per⸗ 
ſoͤnlichkeit beruͤhret wird. In einer Arie treffe ich inzwiſchen dieſes an, ſo auf Hit 
Geiſſelung gehe: 

Dem Himmel gleicht fein buntgeſtriemter Rücken, 

Den Regenbogen ohne Zahl, 

Als lauter Gnaden⸗Zeichen ſchmuͤcken: 

Die (da die Suͤndfluth unſrer Schuld verſeiget) 
Der holden Liebe Sonnenſtrahl 

In ſeines Blutes Wolcken her. 


| $. 
| Wenn nun die Zwiſchen⸗Saͤtze noch stehen ziemlichen Zuſammenhang 
mit dem übrigen Vortrage haben, fo darff man auch die Melodie zu keiner ſonder⸗ 
lichen Trennung nöthigen oder zwingen; ſondern der natuͤrlichen Ausrede vergoͤn⸗ 
nen, hierin Geſetze vorzuſchreiben. Pauſen und Ruhe⸗Stellen ſchicken ſich gar 
nicht dabey: denn ſie hindern den Fortgang, und ſchaden dem Gebaͤnde der Reime 
ſo wol als der Klaͤnge, weit mehr, 1 a DEM enen koͤnnen. 


(.) Wie aber das 19 (. ) alles beſchlieſſet, fo ſoll es auch den An⸗ 
merckungen dieſes Haupt⸗Stuͤckes anitzo ein Ziel ſetzen. Und ob es gleich 
unter den Einſchnitten der Klang⸗Rede der groͤſſeſte iſt, ſo faͤllt doch in der Melodie das 
wenigſte dabey zu beobachten vor: denn man hat weiter nichts zu thun, als an dem 
Orte, wo das punctum befindlich, eine foͤrmliche Cadentz, eine rechte Clauſul, und 
f letztlich einen gaͤntzlichen Endigungs⸗ Schluß im Haupt. on anzubringen. Damit 
hat das Ding a0; Richtigkeit. 


Sech⸗ 


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cur EIS DE 


CN 5 n 


echſtes Baupt⸗ 
Von den Gattungen der Melodien, und ihren 
% ßbeſondern Ahzeichen. 


N | | $. I; i | 
= eichwie es in der Ton⸗Kunſt drey Haupt⸗Style und Schreib Ar 
73 ten giebt, die ihre Neben⸗Theile und Untergebne haben, wie der 
80 Inhalt des zweyten Haupt⸗Stuͤcks dieſes Kerns mit mehrern ge⸗ 
ehrt hat; alſo finde ich, wenigſtens, etliche dreyßig Gattungen 
EI der Melodien, deren 16 dem Singen, 22 aber dem Spielen eigent⸗ 
Eunm lich angehören, und faſt durchgehends ihre Abkoͤmmlinge unter ſich 
begreiffen. 185 | a aan 


FAUL TEEN 


Weil nun die Ordnung und Einrichtung ſolcher Gattungen eben fo viel zum 
Vortheil eines Componiſten, und zum klaren Begriff ſeiner Kunſt beytragen muß, 
als die Unerfahrenheit in dieſem Stuͤcke Verwirrung mit ſich bringet; ſo wollen 
wir oberwehnte Gattungen, ſamt ihrer Zubehör, kuͤrtzlich durchgehen: nicht zwar, 
als ob damit alles gehoben und vollendet ware; ſondern nur damit ein feſter Leit⸗Fa⸗ 
den ergriffen werden möge, durch deſſen Huͤlffe man hernach weiter kommen koͤn⸗ 
ne. Denn ich verlange hiedurch der Anzahl dieſer Gattungen ſo wenig Schrancken 
zu ſetzen, daß ich vielmehr mit Freuden vernehmen werde, wenn iemand ſich des 
Rechtes der Vermehrung gebrauchen ſollte. Zu wenig kan ich wol davon ſagenz 
e he ga et 


4 SechſtesCapitel: Von den Gattungen 


Der Natur Weg gehet von der Unvollkommenheit zur Vollkommenheit: wir 
wollen in ihre Fußſtapffen treten, welches uns niemand in Lehr⸗Sachen verden⸗ 


cken kan, und von dem leichteſten Geſange, von der bekannteſten Melodien⸗Gat⸗ 
tung den Anfang machen. Iſt demnach die vornehmſte, obwol einfältigfte Art aller 


Sing⸗Stuͤcke 


[Recitativum eccleſiaſticum, ſ. Aylu mliga⸗ 


I. Der Choral, cantus choralis, | tum, z. E. die Collecten vor dem Altar ꝛc. 
planus, gregorianus, &c. Antiphonam, den Wechſel⸗Geſang. 
demſelben rechnet man zu] Canticum das Lied oder die Ode. 
Pſalmum, den Pfalnt. 
Hymnum, den Lobgeſang. 


a . 

Wie es vor Alters damit zugegangen, nehmlich mit dem Choral⸗Geſange 
überhaupt, . da weder Tact noch Geltung der Noten, ſondern nur ein gewiſſer 
Sprengel der Klaͤnge dabey gebraucht worden, ſolches gehoͤrt in die Geſchichte der 
Muſic. Heutiges Tages find unfre Choraͤle mehrentheils nur rechte und ſchlechte 
Oden oder Lieder, mit verſchiedenen Geſetzen, und richten weiter auf nichts ihre Ab⸗ 


ſicht ( was die Melodien betrifft) als auf eine gewiſſe Ton⸗Art, ohne ſonderbarer 
Betrachtung der Einſchnitte, oder andrer muſicaliſchen Niedlichkeiten, und vor⸗ 


nehmlich auf die Leichtigkeit. 


§. F. | | 
| Die Schönheit aber, ſo ſich dem ungeachtet, bey etlichen unſrer Choral⸗Me⸗ 
lodien, auf eine Hertz⸗hewegende Art, hervorthut, uͤberſteiget auch die groͤſſeſte 
Kunſt, und waͤre allein zureichend, unfre vortheilhaffte Meinung von der edlen 
Einfalt im Setzen zu beſtaͤrcken. Die Hymni, welche lauter Lob⸗Spruͤche und 
groſſe Thaten Gottes begreiffen, die cantica &c. waren Anfangs, bey ihrer Ein⸗ 
führung in die Kirche, nur zum bloſſen Singen, fo wie die Altars⸗Recitative und 


Wechſel⸗Geſaͤnge noch find, verordnet; heute zu Tage erſtrecken ſich die erſtern 


weiter; die Pſalmen aber brauchten immer Inſtrumente. 
6 


Nach und nach ſind die Oden, wenn wir ſie als eine Melodien⸗Gattung be⸗ 


krachten, ſo geiſtlichen, als weltlichen Inhalts, durch die ſogenannten Arien faſt 
gantz vertrieben worden; und zwar nicht unbillig: weil die verſchiedenen Lieder⸗Ge⸗ 


ſetze auch verſchiedene Vorträge darlegen, und dannenhero ſchwerlich mit geſunder 


Vernunfft, zumahl im Madrigaliſchen Styl, auf einerley Melodie geſungen 4 
| Eh DW 


| der Melodien, und ihren Abzeichen. 95 

Be a er . — 
koͤnnen. Denn was kan wol ungereimters ſeyn, als wenn in der einen Strophe das 
Wort verſtegt ein klaͤgliches Melisma von 7 oder 8 Noten bekoͤmmt, welches herz 
nach, in einer andern Strophe, auf das Wort beſchleunigt fallt; oder wenn eben 
der Lauff von vier Taͤcten, den die Waſſerwogen herbey locken, weiter hin auf 

das Woͤrtlein plotzlich herhalten muß? Und unzehlige ) mehr dergleichen. 


. „ 
Das Geſchlecht der Arien iſt ſehr groß und weit ausbreitend, ja, es beziehet 
ſich bey heutiger Setz⸗Kunſt faſt alles darauf, und alſo folget 


| Arioſo. 
II. Die Aria, zum Singen: I Ariette. | 
wohin vornehmlich gehören J Aria, fenza Stromenti. 
col Baſſo obligato. 


con Stromenti &c. &c. 


5 8. | 
Das Wort Aria koͤmmt Zweifels⸗frey von der Lufft ) her, nicht nur, weil aller 
Klang fein Fuhrwerck darin antrifft; ſondern auch, weil eine ſchoͤne Melodie mit 
nichts angenehmers, als mit einer füffen, friſchen Lufft, zu vergleichen iſt, und eben 
ſolche Erqvickung, wo nicht eine gröffere mit ſich fuͤhret. Es iſt ſonſt die Arie, das 
mit wir ſie heſchreiben, ein wohleingerichteter Geſang, der feine gewiſſe Ton⸗ 
Art und Zeit⸗Maaſſe hat; ſich gemeiniglich in zween Theile ſcheidet, und 
in einem kurtzen Begriff eine groſſe Geminzs⸗ Bewegung ausdruckt. 
Bisweilen wird mit dem wiederhohlten erſten Theil, bisweilen auch ohne demſelben, 
geſchloſſen: im erſten Fall heiſt es da Capo, welches ſchon ein alter Davidiſcher Ge⸗ 
5 | . 9 A 15 
Das Arioſo hat nur mit der Aria ein gleiches mouvement, oder Bewegungs⸗ 
Art; ſonſt aber weder dieſelben Schrancken, noch dieſelbe Abſicht: denn es kan eine 
bloſſe Erzehlung, oder ſonſt ein nachdencklicher, lehrreicher Spruch, ohne ſonder⸗ 
barer ausdrücklichen Gemuͤths⸗Bewegung, darin enthalten und verfaſſet werden. 
Man nennets auch wohl deswegen obligato, oder gebunden; anzuzeigen, daß es ſich 
von dem Recitativ nur darin unterſcheide, daß es nach dem Tact geſungen ſeyn wolle. 


i 1 80 7 . 8. 10. | | 
Arietta iſt dag Verkleinerungs⸗Wort (diminutivum) von Aria, und hat 
| | | alle 


) Ei würde kein Copellmeiſter folche Eindifihe Febler begeben. wenn er wuͤſte was der melisma⸗ 
gi tiſche Styl mare, zu dem die Oden gehoren; und nicht zur Madrigaliſchen Schreib⸗Art. 
% Salmafii Wertforſchung, als sb atis von Ara herkomme, iſt ſehr weit geholet. . Walthers Lex? 


96 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


alle Eigenſchafften ihres Stammes; auſſer der Laͤnge und Ausfuͤhrlichkeit. Offt⸗ 
mahls leidet eine Arietta auch ſolche Wiederhohlungs⸗Theile, als die Tantz⸗Melo⸗ 
dien, und iſt ubrigens fo eingerichtet, daß ſie leicht zu faſſen ſtehet. Kurtz, alle gute 
Melodien ſi ſind, in gewiſſem Verſtande, Arien oder Arietten; und dieſer Nahm mag 
iedem geſchickten Kinde beygeleget werden; doch behalten ihn diejenigen, fo vor an⸗ 
dern an Geſtalt, Wachsthum und eee 1 e „gleichſam 
Vorzugsweiſe, zu eigen. En 


Es giebt offt bey der Poeterey ohe Site, die wegen der Gedancken 100 
Worte Menge, die Graͤntzen einer kurtzgefaßten Arie weit uͤberſchreiten: und da find 
die Herren Dichter, aus Abgang muſicaliſcher Wiſſenſchafft, augenſcheinlich verle⸗ 
gen, wohin ſie ſolche ſtarcke paragraphos rechnen, oder, wie fie dieſelbe benennen 
ſollen. Bald ſchreiben ſie daruber arioſo; hald affettuoſo; bald, und zwar am 
allerübelſten, Aria: wie ich davon ſehr viele Exempel, wenns noͤthig wäre, aufwei⸗ 
ſen koͤnnte. Bey ſo geſtalten Sachen ſtehet denn des . Verſtand gantz 
ſtill, und er weiß nicht, was er daraus 17 ſoll. | 7 


5 Ein Satz von zwölf Zeilen, der noch 155 ein Da Capo von ſachs erfordert, ob 
gleich mit groſſen Buchſtaben Aria daruͤber ſtehet, duͤnckt dem Setzer etwas unge⸗ 
ſchicktes zu ſeyn. Ein andrer Satz, von eben der Lange, mit der Überſchrifft: Ario- 
ſo, ſcheinet ein mehrers zu begreiffen, als der Titel ſagen will. Ein dritter Satz von 
funfzehen Zeilen, mit dem Worte: affertuofo, verſehen, beſchreibet die e 
heit der Sache vor der Sache ſelbſt. Wie 5 heraus zukommen? Alſo! | 


Es iſt eine beſondere Gattung u Melodien N die mit ihrem rechten wah | 
eißt: 
III. Cavata, f Madrigalelim eigentlichen Verſtande⸗) 

| zu derselben gehören die 1 euren (epigrammara) 
Kling⸗Gedichte (Sonnetten.) u. d. g. 

Eine ſolche Cavata nun iſt ein ſtarck ausgearbeiteter Geſang mit Inſtru⸗ 
menten, der keine ſolche Ein⸗oder Abtheilungen hat, wie die Arien, ſon⸗ 
dern in einem weitern Begriff, nur einen eintzigen lenſum oder Wort⸗ 
Verſtand, ohne ſonderbarer Leidenſchafft, ausdruͤcket, indem darin 
mehr auf etwas ſcharffſinniges, als auf den Affect gefehen, und uͤber⸗ 
haupt mehr eine Betrachtung, als Neigung, vorgeſtellet wird. Dieſe 
Cava will Ae eine Wee von Juſtrumenten, und zwar e ein nn ha⸗ 
benz 


der Melodien, und ihren Abzeichen 97 


ben; we elches ſich bey einem Arioſo gantz anders verhält, Exempel ) in Verſen 
finden fich haͤuffiger als man meinen follte. 
4. 
Wir kommen nun zu einer beſondern Gattung des Geſanges, welche eigent⸗ 
lich keine foͤrmliche Melodie hat, und ſonſt einen eignen Styl allein erfordert, nehm⸗ 
lich zum 
IV. Recitativo, ſohne Inſtrumenten. 
welcher zweyerley iſt 1 mit Inſtrumenten, wo er, mit einem Wort, ein 
Accompagnement, Vorzugs⸗Weiſe, heißt. 
Dieſe Art zu ſingen hat, wie geſagt / die Freyheit, daß ſie ſich nach der gemeinen 
Ausrede richtet, und mit allerhand Ton⸗Arten ſpielet, darin herum wandert, an⸗ 
faͤngt oder ſchlieſſet, wie und wo ſichs am beſten ſchickt. Der Recitativ hat wol ei⸗ 
nen Tact; braucht ihn aber nicht: d. i. der Saͤnger bindet ſich nicht daran. Wenn 
es aber ein Accompagnement iſt, ſo hat man zwar, um die Spielende im Gleichgewicht 
zu halten, noch etwas mehr Achtung fuͤr den Tact, als ſonſt; allein es muß ſolches 
im Singen kaum gemerckt werden. Dieſes iſt vom Welſchen Recitativ zu verſte⸗ 
1 und vom Teutſchen, der nach Welſcher Art geſetzt worden. 
3 
| Die Frantzoſen hergegen haben in ihrem Recit nicht nur einen, fondert 
faſt alle Taͤcte, oder ihre Alten, beyſammen, und meinen, durch deren Veraͤnde⸗ 
rung, den Wort⸗Jüſſen zu helffen, und ihrer natuͤrlichen Ausſprache deſto naͤher zu 
kommen; aber fie irren ſich, und machen den Geſang nur deſto verwirrter und ge⸗ 
zwungener, weil ſie faſt gar keine Kuͤrtze oder Laͤnge ihrer 5 beobachten, ein⸗ 
folglich dieſer Muͤhe deſto weniger beduͤrfften. 
$. 16. 
Indeſſen iſt es keine ſo geringe Sache um einen guten Recitativ, Was ein Re⸗ 
wie mancher wol meinet, denn ſeine ſeltene Eigenſchafften find dieſe: det erfor 
I. Er will gar nicht gezwungen, ſondern gantz natuͤrlich ſeyn. 
2. Der Nachdruck (emphaſis) muß vortreflich wohl dabey in Acht 
genommen werden. 
3. Der Affect muß nicht den geringſten Abbruch leiden. 
4. Es muß alles ſo leicht und begreiflich in dies Ohren fallen, als ob es geredet 
wuͤrde. 


5. Der Recitativ dringt weit ſchaͤrffer 25 die Einſchnitte, als alle Arien an 
da 


) S. Irdiſches Vergnügen, An. 172 l. p. 47. 59. 95. wo das Da Capo unnöthig, 02. 104. 107 
lauter vortreſſiche Gedancken und Ausdruͤcke. Meiſter⸗Stuͤcke, die alles übertreffen. 


98 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


da ſieht man bisweilen der angenehmen Melodie etwas nach. 
6. Eigentlich gehoͤren keine Melismata noch Wiederh hohlung im Recitativ au 
Haufe; auſſer bey einigen gar ſonderlichen und ſeltenen Faͤllen. 
7. Iſt der Accent keinen Augenblick auſſer Acht zu laſſen. 
A Die Caͤſur des Tacts, ob dieſer gleich ſelbſt Feyerabend hat, muß dennoch 
im Schreiben ihre Richtigkeit haben. 
9. Die eingeführte Schreib⸗Art muß, mit allen ihren bekannten Clauſuln, bey⸗ 
behalten werden, und doch was unbekanntes, in der Abwechſelung, darlegen. 
10. Die erſinnlichſte Veraͤnderung i in den Gaͤngen und Ton⸗Arten muß geſucht 
werden, doch ſo, als kaͤmen ſie von ungefehr. 
Kurtz, durch nichts verraͤth ſich und feine Ungeſchicklichkeit ein Componiſt mehr, 
als durch einen preshafften und hanenbüchenen Recitativ. Das iſt eine offt⸗be⸗ 
waͤhrte Wahrheit! 


. 17. 

Aus Arien, Recitativ, Arietten, Arioſo &c. erwaͤchſt die fuͤnffte Gattung 

unfrer Sing⸗ Stücke, nehmlich: 
1) Wenn ſie mit einer Aria anfaͤngt und ſchließt, 
V. Die Cantata, mdwelches ambeſten iſt. 
welche zweyerley ſeyn kan, { 2) Wenn ſie beydes mit einem Recitativ ver⸗ 
richtet, oder auch das Anfangen nur. 
Die Cantaten koͤnnen geiſtlich oder weltlich ſeyn, nach Inhalt der Worte: ſo, wie 
alle Cavaten, Arien und Recitative. Ihre i leidet keine Inſtrumente; 
ihre l uͤbrige Einrichtung aber erfordert mehr kuͤnſtliches, als die theatraliſche Muſic 
uͤberhaupt: denn weil dieſe auswendig gelernet werde muß, die Cantaten herge⸗ 
gen vom Papier hergeſungen, und zum Kammer⸗Styl gerechnet werden, ſo ſiehet 
ein ieder die Urſache leicht. 
18. 

Es muͤſſen dannenhero die Cantaten ſo wol an Arien, als Recitativen, fleißt ig 
und reinlich ausgearbeitet ſeyn; N ſaubern, ausnehmenden, und merckwuͤrdi⸗ 
gen General⸗Baß führen ; lauter nachdenck liche, ausgeſuchte Erfindungen darle⸗ 
gen, und nicht zu lange waͤhren. Wer iemahls eine Opern⸗Mahlerey bey Tage gez 
ſehen, und zugleich eine Landſchafft von Verdion dagegen gehalten hat, kan ſich 
ein Bild des Unterſchieds, zwiſchen Dramatiſchen Scenen, und Kammer⸗Canta⸗ 
ten, machen. Diejenige Art der Cantaten, woſelbſt mit einer Arie angefangen, 
vermittelt und geſchloſſen wird, iſt die gefalligſte; wiewol auch ein anfangender, 
nachdruͤcklicher Recitativ bisweilen faſt mehr Aufmerckſamkeit verurſacht; doch aber 
feine gute Wirckung am Ende thut. 5.19. 


Der Melodien und ihren Abzeichen. 8 


$. | 

Bisher haben wir mit folchen Stücken zu thun gehabt, die für eine Stimme 
allein geſetzt werden, und die man Solos nennet; nun gehen wir weiter, und he⸗ 
trachten | | 

Vl. Das Duetto, *) | 4 ſenza Stromenti. 

j con Stromenti &c. 
Diefes iſt zwar auch eine Arie; aber gantz andern Schlages: denn fi ſiehet, nebſt 
einer angenehmen Melodie, auch auf ein fugirtes oder concertirendes und ſonderbar 
harmonioͤſes Weſen. Dazu nun gehoͤret Kunſt. Das Duetto, oder die Arie mit 
Zwo Singe⸗Stimmen, wird entweder Ben „oder auf Srangbſiſche Art, ein⸗ 
4 | 

| 20, 

Die Frantzöſiſchen Airs à deux lieben den gleichen Contrapunct: das iſt zu 
ſagen, wo die eine Stimme eben die Worte, zu gleicher Zeit, ſinget, als die an⸗ 
dre, und entweder gar nichts, oder nur hie und da, etwas weniges concertirendes, 
das hinter einander herſchleicht, anzutreff en iſt. Es laſſen fich dergleichen Duo, 
en in Kirchen, ne wol hoͤren, as vornehmlich andichtig und begreif⸗ 
ich 

i 02% 
Der Welſchen Art gehet nun zwar bey dieſen Duetten viel an den erwehn⸗ 
ten guten Eigenſchafften ab, durch das fugirte, gckünſtelte und in einander gefloch⸗ 
tene Weſen; ſie erfordern aber einen gantzen Mann, und ſind ſo wol in der Kam⸗ 
mer, als Kirche, (vormahls, zu Steffant Zeiten, auch auf dem Schau⸗Platz) 
den gelehrten Ohren eine groſſe Luft, wenn ſich fertige, ſattelfeſte Saͤnger dazu fin⸗ 
den, als woran es uns anietzo weniger, als an ſolcher Arbeit ſelbſt mangelt. Be⸗ 
ſagter Steffani hat ſich in dieſer Gattung vor allen andern, die ich kenne, unver⸗ 
gleichlich hervorgethan, und verdient bis dieſe Stunde, ein Muſter zu ſeyn. 


8 
Noch eine kleine Neben⸗Art Welſcher Duetten, worin nur gefraget und ge⸗ 
antwortet wird, wie in einem Geſpraͤche, will heute zu Tage faſt, zumahl en auf 
dem Schauplatz der Opern, den Vorzug behaupten. Ich habe davon, und von 
Duetten insgemein, an einem andern Ort, *) bereits meine Gedancken zur Gnu⸗ 


1 9e entdecket. 


N 2 e 9.25. 


) G. den erſten Band der muſtcaliſchen Critick p. 131. 
**) S. den zweyten Band der le Critick p. 23. 28. 43. 44. 48. 5 15 


co Scchſtes Capitel: Von den Gattungen 


RT Ri 


L 23. 

Von den zwoſtimmigen Singe⸗Sachen leitet uns die Ordnung auf die drey⸗ 

ſtimmige, und da erſcheinet f 
VII. das Terzetto, oder die 435 ſenza Stromenti. 
Aria à 3 Voci con Stromenti &c. 

Es pflegen nun gemeiniglich die Worte zu einem folchen ſingenden Trio auch drey⸗ 
erley unterſchiedene Meinungen mit ſich zu führen, und dem Setzer zu eben fo vie⸗ 
len Subjecten, oder Fugen⸗Formuln, Gelegenheit zu geben. In ſolchem Fall 
erfordert das Terzetto noch mehr Kunſt und Geſchicklichkeit, als das Duetto. Wo 
aber ein ſolcher Umſtand nicht iſt, kan man, zumahl in der Kirche, den geraden 
oder gleichen Contrapunct dazu waͤhlen; auf der Schaubuͤhne aber muß es et⸗ 
was bunter hergehen; und in einem beſondern Concert am allerkuͤnſtlichſten. Es 
will En Meifter haben, dem die Fugen wohl fügen, quem artificium Fugarum 
non fugit. 


I 24. 
Ein Quatuor, oder Satz mit vier Stimmen, verliert ſchon einiger maaſſen 
den Nahmen einer Aria, und wird gemeiniglich | 
VIII. Ein Chor, Coro, Tutti, ſim gleichen Contrapunct. 
welcher dreyerley ſeyn kan, I mit Abwechſelungen. 
(mit Fugen oder concertirend. 
Wiewol auch eine vierſtimmige Aria, ohne Inſtrumenten, ſo eingerichtet werden 
mag, daß ſie einem Chor, der immer, bey heutiger Weiſe, accompagnirt ſeyn will, 
nicht ſo gar aͤhnlich ſiehet. Wir lernen inzwiſchen aus obiger Eintheilung, daß 
die Chöre dreyerley Art ſeyn koͤnnen. Einmahl, wenn fie in gleichen Schritten 
einhergehen, da keine Stimme was macht, das der andern nicht gewiſſer maaſſen 
gleich kommt. Zweytens, wenn ein Wechſel⸗Geſang vorfaͤllt, da eine Stimme 
allein die andern zur Nachfolge anfuͤhret; oder da die eine fragt, und die übrigen 
darauf antworten, auch wol umgekehrt; oder, wenn verſchiedene, wohlbeſetzte 
Choͤre oder Singbuͤhnen zugleich anſtimmen, und an verſchiedenen Orten der Kir⸗ 
che, mit einander abwechſeln, welches die gröffefte £uft *) von der Welt iſt. Drit⸗ 
tens, wenn ein Chor Fugenweis ausgefuͤhret wird, es ſey nun in der Kirche, oder 
auf dem Schauplatz, oder ſonſt wo. Wiewol, wegen der Schwierigkeit, ſolche 
— 4 auswendig zu lernen, man ihrer bey dem Dramatiſchen Styl lieber muͤßig 
gehet. f 
F. 25. 
S. den erſten Theil des Orcheſters, p. 158. Ig. 


der Melodien, und ihren Abzeichen 10¹ 


i 8 a, 25 8 

Die Italiaͤner halten in ihren Singe⸗Spielen gar zu wenig; die Frantzoſen 
hergegen faſt gar zu viel von Choͤren: Wenn bey jenen etwa einer vorkommt, z. 
E. am Ende der Oper, ſo machen ſie alſobald ein air de mouvement, oder ein 
Tantz⸗Lied daraus; dieſe aber imitiren und concertiren tuͤchtig und majeſtaͤtiſch in 
ihren ſtarck beſetzten Choͤren; doch taſten ſie nicht leicht eine foͤrmliche Fuge an. 
Die Teutſchen entlehnen inzwiſchen, in dieſem Stuͤcke, von dem einen und andern 
Volcke, was ihnen anſtehet. 


| | „ 726, 
Unter den weltlichen Vocal⸗Sachen hat auſſerhalb des Schauplatzes billig 
den Vorzug N | 
IX. Die Serenata, fa Voce ſola. 
oder Abend⸗Muſic, di pui voci, ſempre con Stromenti. 
Nirgend laͤßt ſich eine ſolche Serenata beſſer hören, als auf dem Waſſer, bey ſtillem 
Wetter: denn da kan man allerhand Inſtrumente in ihrer Staͤrcke dabey gebrau⸗ 
chen, die in einem Zimmer zu hefftig und uͤbertaͤubend klingen würden, als da ſind 
Trompeten, Paucken, Waldhoͤrner, ꝛc. | 


. 
Der Serenaten Haupt⸗Eigenſchafft muß allemahl die Zaͤrtlichkeit, la ten · 
dreſſe, ſeyn. Denn, wie bey den Cantaten allerhand Regungen und Leidenſchafft 
angenommen, und auf eine hiſtoriſche Art, Erzehlungsweiſe, vorgeſtellet werden; 
ſo will hergegen die Serenata von nichts anders, als von zaͤrtlicher und ſtarcker 
Liebe, ohne Verſtellung, wiſſen, und muß ſich der Componiſt allerdings, bey die⸗ 
ſer Gattung ſeiner Melodien, ſo wol als der Poet, darnach richten. Es iſt keine 
Melodie ſo klein, und kein Stuͤck ſo groß, ein gewiſſes Haupt⸗Abzeichen muß im⸗ 
mer darin herrſchen, und fie von allen andern unterſcheiden; ſonſt heißt es nichts. 

5 555 8 | | 
Be laͤufft demnach wieder die eigentliche Natur der Serenata, wenn man 
ſich ihrer, auſſer ihrem Element, (ich meine den Affect) bey Gluͤckwuͤnſchungen, 
offentlichen Gepraͤngen, Beförderungen auf hohen Schulen u. ſ. w. bedienen will. 
Staats; und Regiments⸗Sachen find ihr fremd; denn die Nacht iſt keinem Din⸗ 
ge, mit ſolcher innigen Freundſchafft zugethan, als der Liebe: jenen Haͤndeln die⸗ 
nen die Oratorien und Aubaden, oder Morgen⸗Muſicken, allerhand Art, und fuͤh⸗ 
ren eine praͤchtige, hochtrabende Eigenſchafft, in weltlichen Materien, zum beſon⸗ 
dern Abzeichen, die ſich zur Zaͤrtlichkeit und geheimen Regung ſchlecht reimet. 
Derohalben haben auch die Oratorien mehr Singe⸗Stunmen noͤthig; da es her⸗ 

8 N3 gegen 


1 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


gegen bey einer Serenata ein lolo, oder etwa ein Paar Saͤnger, gar wohl beſtellen 
koͤnnen, welches ein abermahliges gutes Abzeichen iſt. ch 
N 2 
Die kleineſte, theatraliſche piece foll vorangehen, und iſt dieſelbe 
X. Das Balletto: worunter wir aber mehr, als den alſogenannten kleinen 
Tantz verſtehen: | | 
Es iſt dieſes Balletto ein kurtzes, von Rechtswegen nur aus einer eintzigen Hand⸗ 
lung beſtehendes, zur bloſſen Luſtbarkeit erſonnenes Schauſpiel, darin faſt mehr 
getantzt, als geſungen wird; wiewol, was die Handlungen anlangt, groſſe Aus⸗ 
nahm und Freyheit ſtatt findet: denn fie koͤnnen darnach ſeyn. Sein Abzeichen 
iſt die Freud und Wonne, und ſonſt keine Haupt⸗Leidenſchafft, die nicht in lau⸗ 
ter Luſt beſtehet. Der Componiſt eines Ballets muß im Hyporchematiſchen 
Styl uͤber die maaſſen wohl gewieget ſeyn, oder ſich nach einem muſicaliſchen 
Tantzmeiſter, zur Beyhuͤlffe, umſehen; ſonſt wird er ausgelacht.) 


38, 2 

Die Arien und der Recitativ eines ſolchen Ballets haben auch, in Verglei⸗ 
chung mit andern, ein groſſes Abzeichen darin, daß ſie nur galant und natuͤrlich, 
nicht aber ſehr kuͤnſtlich und ausgearbeitet ſeyn duͤrffen. Die Arietten finden ih; 
ren Platz haͤuffig; das arioſo aber nimmer: es iſt zu ernſthafft, welches kein Bal⸗ 
let leidet; ſondern allezeit etwas freyes und munteres erfordert. Kurtz, ein Bal⸗ 
let dieſer Art will lauter Leben, Geiſt und Galanterie haben: iſt alſo eben kein 
Werck eines gelehrten Componiſten oder eines theoretiſchen Meiſters, als ſol⸗ 
cher; ſondern eines aufgeweckten Kopffes, der gar feine, natuͤrliche, und dabey 
durchdringende Verſtands⸗Gaben hat, die Welt kennet, und der Erfahrung ſeine 
meiſte Geſchicklichkeit zu dancken hat. 


Be a? 

Das erfte Ballet, fo auf dem Hamburgiſchen Schauplatz aufgefuͤhret wor; 

den, war auf des Kayſers Leopoldi Nahmens⸗Tag, und gefiel iedermann beſſer, 
als eine foͤrmliche Oper. Hernach folgte ein Koͤnigliches Preußiſches Ballet, mit 
. nicht 


1) Das neueſte Stuͤck dieſer Art, fo 1736. im Auguſt zu Paris aufgeführee worden, heiſſet: Les 
Ro vans, Ballet heroique. Es hat ein Vor ſpiel von zween Eintritten. Das Wercklein ſelbſt if 
in keine Handlungen, ſondern in drey Enerces, oder Aufzuͤge, die nicht zuſammenhangen, ein⸗ 
getheilet. Der erſte Aufzug ſtellet das verliebte Hirten Leben; der andre den irrenden Rit⸗ 
ter⸗Stand; der dritte aber die Nymphen Zauberey vor: ſofern die Romanen ſich auf ſolche 
Dinge beziehen. Hiezu iſt noch ein vierter Aufzug, vom Wunderbaren, gekommen: deſſen 
Partitur doch nicht mit den ubrigen in Kupffer geſtochen worden. Der Componiſt heiſſet Mr. 
Niel, und hat gewiß mehr gruͤndliches in dieſem Spielwerck angebracht, als man vermuthen 
ſollte, und mancher ſeichter Italiener daran wenden wurde; wenn er gleich koͤnute. 


der Melodien, und ihren Abzeichen. 103 


nicht wenigern Beyfall. Das Carnevall von Venedig iſt aus dem Frantzoͤſiſchen 
uͤberſetzt, und 1707. hier geſpielt, auch unzaͤhlige mahl mit Vergnuͤgen wiederholt 
worden. Hernach find die abgeſchmackten Intermezzi, u. d. g. Mode geworden; 
der lebhafte Frantzoͤſiſche Geiſt aber 1 ſich faſt gantz verlohren. 


a . 8 
In Franckreich haben fich dieſe kleinen, angenehmen Schauſpiele langer, als 
ſonſt wo, im Beſitz, und in dem beſten Ruf von der Welt, noch bis dieſe Stunde, 
erhalten. Le Triomphe de Amour, von Lully; ? Idylle de Paix, von eben 
demſelben, fo er nur bloß ein Divertiffement betilte; les Ballets des Saiſons, 
von Colaſſe; ! Aricie, Ballet, von Charais; ! Europe galante, Ballet, das 
allerliebſte Stuͤck, von Campra; les fees galantes, von Desmarets; Le 
Carnaval de Veniſe, von Campra; le Triomphe des Arts, von de la BAR RE; 
Arethuſe, Ballet, von Campra; les Fragmens de Lully, Ballet, von Campra; 
Les Muſes, von eben demſelben; ꝛc. ꝛc. find lauter ausnehmende Meiſter⸗Stuͤcke 
dieſer Gattung, welche ich darum anfuͤhre, weil ſie viel natuͤrlicher fallen, als gan⸗ 
tze, lange Opern; nicht ſo viele verliebte Handel und Staats⸗Sachen entweihen; 
keine Zotten zulaſſen; alles ſo einrichten, daß es ohne Zwang faſt von ſelbſten ſin⸗ 
get, ſpielet, tantzet, und dahero einer Nachahmung hoͤchſt⸗wuͤldig iſt. 


| N 3 

Diejenigen, ſo da meinen, alle dieſe Gattungen haͤtten nur in den Umſtaͤn⸗ 
den, zufälligen Dingen, und in der Einrichtung der Poeſie ihren Unterſchied; nicht 
aber in der muſicaliſchen Setz⸗Kunſt, irren ſich ſehr: denn ob es zwar alles groͤſ⸗ 
ſeſten Theils, und auf das groͤhſte zu reden, aus Recitativen und Arien beſtehet, 
ſo haben doch auch dieſe ihren weſentlichen Unterſchied in den Haupt⸗ Abzeichen 
oder Characteren, da nehmlich | 

XI. Ein Paſtorale, V tragique, heroiſch. 
| oder Schäfer⸗ Spiel, comique, Landmaͤßig. 

nicht in Frolocken und Jauchzen, nicht in praͤchtigen Aufzuͤgen, ſondern in einer 
unſchuldigen, beſcheidenen Liebe, in einer natveté (welches eine ungeſchminck⸗ 
te, angebohrne und doch angenehme Einfalt bedeutet) ſein Kennzeichen findet, 
15 . ſich alle Arten und Theile deſſelben richten muͤſſen: die Melodien in⸗ 
ſonderheit. 15 Fe | 


; \ $. 34» Er 5 
Zwar iſt es freylich wol an dem, daß die wenigſten unter den heutigen Ton⸗ 
Kuͤnſtlern ſolche abſtechende Eigenſchafften beobachten, darum ich ihnen auch hie, 
mit den Weg zeigen, und Anlaß zu mehrem Nachdencken geben will; denn ſie nd 
| | en 


* 


104 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


e U. 
ten feſt dafür, eine Aria ſey eine Aria, und ein Recitativ ein Recitativn: als wenn 
einer ſagen wollte, alle Bücher wären nur lauter Buchſtaben, fie beftünden ja alle 
aus dem Alphabet. Daher denn auch andre Leute, die eben ſo tiefſinnig ſind, 
als jene Componiſten, ſcheinbare Urſachen gnug finden, alles uͤber einen Leiſten zu 
ſchlagen. Es iſt aber beyderſeits übel gethan, und dieſem Übel moͤchte vielleicht 
die vorhabende Inſicht in die Gattungen der Melodien, einiger maaſſen zu ſteuren 
das Gluͤck haben. Wir wollen es verſuchen! 


§. 35. 

Wer demnach ein Paſtoral mit gutem Beyfall in die Muſic bringen will, der 
muß ſich überhaupt ſolcher Melodien befleiſſen, die eine gewiſſe Unſchuld und Sur; 
hertzigkeit ausdruͤcken, und dabey ſo viel Verliebtes ſelbſt empfinden, als wenn er 
die Haupt⸗Perſon im Spiel vorſtellte. Die heroiſchen Schaͤfer⸗Spiele, wo Koͤni⸗ 
ge und Printzen unter verſtellter Tracht, ingleichen Goͤtter und Lufft⸗Wagen, ein⸗ 
gefuͤhret werden, erfordern freylich einen erhabnern Styl, in denen dahin gehoͤrigen 
Vortraͤgen und Umſtaͤnden; aber der Haupt⸗Punct muß doch über alle andre herz 
vorragen. Zwar haben auch die Schaͤfer⸗Spiele ſowol ihre Luſtbarkeiten, als an⸗ 
dre; ſie ſind aber N kindiſcher, und dem Land⸗Leben gemäß : die Paſto⸗ 
rale haben auch Aufzuͤge und Spiele; aber fie find nicht praͤchtig, ſondern nur ar⸗ 
tig. Alſo muͤſſen die Melodien dazu dieſen Eigenſchafften, ſo viel moͤglich, aͤhn⸗ 
lich ſeyn. | 


§. 36. 
Endlich erſcheinet unter den theatraliſchen Gattungen die vornehmſte, ſo da iſt 
XII. Die Opera, [ Tragoedia, das Trauerſpiel. 
ſamt ihrem Anhange, J Comœdia, das Luſt⸗Spiel. 
Satyra, das Straf⸗Spiel. 

Dieſe enthaͤlt gleichſam einen Zuſammenfluß von allen uͤbrigen Schoͤnheiten des 
Schauplatzes in ſich. Die Liebe regieret faſt allemahl fo ſtarck und mit fo vielen 
verwirrten Haͤndeln darin, daß kaum andre Gemuͤths⸗Bewegungen, es ſey denn, 
daß ſie aus der Liebe entſtehen, Raum darin finden: welches, meines Erachtens, 
ein eckelhafftes Zuviel iſt, das weder Noth, noch Grund hat. Wir muͤſſen die 
re inzwiſchen nehmen, wie fie find, nicht wie fie wol ſeyn ſollten, oder muͤ⸗ 
en. | 


$. 37. 

Es hat demnach derjenige, welcher eine Opera mit Melodien verſehen will, 
auf nichts fo ſehr zu ſehen, als auf die lebhaffte Ausdruͤckung aller vorkommenden 
Gemuͤths⸗Neigungen: denn obgleich die Liebe immer der Haupt⸗Affect iſt, fo er⸗ 

reget 


der Melodien, und ihren Abzeichen. | 15 


reget He doch einen Hauffen Unruhe und Bewegungen mit der Eiferſucht, Traurig⸗ 
keit, Hoffnung, Vergnuͤgung, Zorn, Rache, Wuth, Raſerey ꝛc. ſo daß ich groſſe 
Lust hätte, den vornehmſten Character einer Opera in der Unruhe ſelbſt zu fir 
chen; wenn mirs nicht verdacht werden wollte. | | 
. 5 

Iſt der Zweck eines Singe⸗Spiels tragiſch, ſo m Me fich der Geſang auch dat⸗ 
nach richten, und müffen lauter majeſtaͤtiſche, ernſthaffte, klaͤgliche Melodien, nach 
Befinden der Umſtaͤnde, eingeführet werden. Iſt das Ende luſtig, ſo kehrt man es 
um, und bedient ſich zu rechter Zeit freudiger, frölicher und anmuthiger Melodien. 
Iſt die Abſicht ſatyriſch, ſo muͤſſen die Sang⸗Weiſen hie und da etwas laͤcherlich, 
poßierlich und ſtach licht heraus kommen. Niemand aber wird verlangen, daß ich 
ihm in einer Kern⸗Schrifft von allen dieſen Gattungen Muſter herſetzen ſoll, wel⸗ 
ches ich ſonſt leicht thun koͤnnte, und vielleicht noch dereinſt thun werde. al 
ten find kleine Opern; fonft nichts. 


$. 

Nach kurtz gefaßter, doch zu 1 Zweck hinreichlichen Betrachtung der 
weltlichen Sachen, muͤſſen wir auch derjenigen nicht vergeſſen, die eigentlich und ins 
beſondere der geiſtlichen Ton⸗Kunſt gewidmet ſind. Und da erſcheinen 

XIII. 5 Dialogi, oder Geſpraͤche, welche ſo vielerley Arten, als Materien, 

aben. 
Es find Unterredungen in ungebundenen Worten, die gemeiniglich von Schrifft⸗ 
maͤßigen Perſonen gefuͤhret, und entweder aus den Evangelien, oder aus andern 
Bibliſchen Geſchichten, von Wort zu Wort hergenommen werden. Ihr Abzei⸗ 
chen iſt hiſtoriſch, und eine bloſſe Einführung der mit einander ſprechenden Perſo⸗ 
nen, meiſtentheils in einem ſtetigen ariolo, bald mit, bald ohne Inſtrumenten. Da 
iſt weder Recitativ noch Arie; ſondern eine ungeſtörte Abwechſelung des Geſpraͤ⸗ 
ches; ohne weitere Veränderung, als daß fie ſich im Schluß pflegen zu vereinbaren. 
Es iſt eine altfraͤnckiſche Gattung der Kirchen⸗Muſicken, welche anietzo, mittelſt 
des Dramatiſchen Styls, auf einen andern Fuß geſetzet iſt. Daß auch die Orgeln 
mit verſchiedenen Clavieren, auf gewiſſe Weiſe ſolche Geſpraͤche nachahmen koͤnnen, 
iſt eine artige Anmerckung im Waltheriſchen Lexico, und ein neuer Beweis, 
daß die Klang⸗Rede auch 9 Inſtrumenten zu Hauſe gehoͤret. 
§. 40. 

Dieſen, mehrentheils aus der Mon gefommenen, Geſpraͤchen hat man billig 

vorgezogen 
0 XIV. 


206 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


die Paſſiones, oder Vorſtellungen desdeldens hrſtl. 
XIV. Das Oratorium, N „Hochzeit⸗Stuͤcke. 
deſſen Arten find „ Epicedia, Trauer⸗Muſicken. 

Epinicia, Sieges⸗Geſaͤnge cr, 
In denſelben werden entweder durch die Profopopste , da aus Dingen Perſonen ges 
macht werden, die ſonſt keine ſind; oder ohne Verbluͤmung, durch Vorſtellung ge⸗ 
wiſſer Perſonen, ſolche Vorträge gethan, die nicht nur in einem duͤrren Geſpraͤch, 
f Erzehlungstocife , fondern in beweglichen Saͤtzen von allerhand Art, ſchoͤne Ge⸗ 
dancken an den Tag legen: die Gemuͤther zur Andacht und heiliger Furcht, zum Mit⸗ 
leiden, zum Lobe Gottes und zur geiſtlichen Freude bewegen: durch Choraͤle, 
Choͤre, Fugen, Arien, Recitativ ꝛc. die artigſte Abwechſelung treffen, und ſelbige 
mit allerhand Instrumenten, nach Veranlaſſung der Umſtaͤnde, kluͤglich begleiten. 
a . 

Die Gemuͤths⸗Bewegungen ſind hier wiederum, wie man ſiehet, das vor⸗ 
nehmſte, worauf der Componiſt Acht zu geben hat; ſie haben aber ein anders und 
hoͤheres Objectum oder Vorwurff, nehmlich Gott und feine Werde, die freylich 
weit ernſthafftere und gruͤndlichere Gedancken geben, als die verſtellten oder ge⸗ 
faͤrbten Affecten des Schauplatzes. Übrigens muß die Ausdruͤckung in den Me; 
lodien eines Oratorii (welches fo viele Abzeichen als Leidenſchafften hat) zwar 
nicht ſo wild, aber wol ſo lebhafft, wo nicht lebhaffter ſeyn, als in Opern: denn 
ein Oratorium iſt gleichſam eine geiſtliche Opera, und die Materie verdient es viel⸗ 
mehr, daß man ſie nicht ſchlaͤfrig ausarbeite. Bey Opern iſt alles Schertz; in Kir⸗ 
chen iſt alles Ernſt, oder ſollte es doch ſeyn. Es giebt indeſſen auch weltliche Orato⸗ 
rien, %% und ſich in der Ausarbeitung darnach richten. 

„ 
Den nächſten Sitz nehmen ein die ſogenannten 
| XV. Concerti da Chieſa 2: 1.2.3. e, Vorl, 
| con, e ſenza, flromenti, 

Dieſe Gattung ſoll der berühmte Ludewig Viadana, Erfinder des General⸗ 
Baſſes, zuerſt aufgebracht haben; da ſonſt vor ſeiner Zeit alles verwirrt und ver⸗ 
irrt unter einander, mit Laͤrm⸗ reichen Fugen und polternden Contrapuncten, mit 
ſtarcken, aus vollem Halſe ſchreyenden Choͤren, ohne Unterſchied guter oder boͤſer 
Stimmen, ohne Manier oder Zierlichkeit, ohne Melodie und ohne Verſtaͤndlichkeit, 
in den Kirchen getrieben worden: ſo daß man mehr, als einmahl, bedacht geweſen, 
allen Geſang und Klang gantz und gar vom Gottes dienſte zu verbannen; und das 
waren die heben Moteten. 


§. . 


\ 


der Melodien, und hren Abzeichen? n N 


N 9. 43. . 

Der gute Viadana ſchreibet, in der Vorrede feiner zu Franckfurt 1613. ge 
druckten Wercke, genug von den trifftigen Urſachen, die ihn bewogen, ſtatt der ge⸗ 
wohnlichen Moteten, die Concerte einzuführen, und beziehet ſich das meiſte auf die, 
mir fo fehr ans Hertz gewachſene Deutlichkeit und Verſtaͤndlichkeit der Melo⸗ 
dien, ingleichen auf ein reines Accompagnement mit der Orgel. Der Überfluß eckel⸗ 
haffter Fugen und Contrapuncte; die unzierlichen Cadentzen und ungereimte 
Concordantzen; die Unterbrechung und Unterdruͤckung der Worte; die unfoͤrmli⸗ 
chen Intervalle, zerſtuͤmmelte Harmonien ꝛc. werden alle in beſagter Vorrede nahm⸗ 
hafft gemacht, und wie billig geſtraffet. 


| | 9. 44. . 

Man nimmt ſonſt Davidiſche Pſalmen zu ſolchen Concerten, oder auch an⸗ 
dre Spruͤche aus der H. Schrifft; iedoch ohne allerhand gute poetiſche Texte davon 
auszuſchlieſſen. Anfangs hatten die geiſtlichen Concerte keine andre Geſellſchafft, 
als die Orgeln, und wurden ſehr offt nur mit einer eintzigen Sing⸗Stimme geſetzt, 
welche ſo dann mit dem Organiſten gleichſam um den Preis ſtritte. Hernach brauch⸗ 
te man zween, drey bis vier Saͤnger dazu, und zuletzt fanden ſich auch verſchiedene 
Inſtrumente dabey ein. Dieſe Concerte waren uͤbrigens gantz kurtz, etwa von ei⸗ 
ner Qvart⸗Seite zu ieder Stimme gerechnet, und giengen in einem Satze, ohne Un⸗ 
terbrechung des General⸗Baſſes, daher. Es wurden auch, wo es an einem oder 
andern Saͤnger fehlte, ihre Partheyen bisweilen auf Zincken geblaſen, welche da⸗ 


mahls die Stelle der Hautbois vertraten; doch hat die Nachwelt hierin viel geaͤn⸗ 


dert und gebeſſert. 


| 17 d. 45. | 
Die eigentliche Abſicht bey den Concerten war, und iſt noch, die Text⸗Worte 
vernehmlich zu machen, und, bey einer oder mehr Stimmen, dennoch, durch Hulffe 
des General⸗Baſſes, eine vollige Harmonie zu Wege zu bringen. Wer nur weiß, 
was Capell⸗ und Concert⸗Stimmen heutiges Tages ſind, da nehmlich bey den erſten 
alles was Odem hat, bey den andern aber nur die beſten, ſich hoͤren laſſen, der wird 
ſich einen deſto leichtern Begriff von dieſer Melodien⸗Gattung machen koͤnnen, zu⸗ 
mahl, wenn er hinzufuͤgt, daß der Nahme von certare, ſtreiten, herkommt, und fo 
viel ſagen will, als ob in einem ſolchen Concert eine oder mehr auserleſene Singe⸗ 
Stimmen, mit der Orgel, oder unter einander, gleichſam einen Kunſt⸗Streit daruͤ⸗ 
ber fuͤhrten, wer es am lieblichſten machen koͤnne. | 
1 a a | | 
Eine gantz andre Beſchaffenheit e mit den alleraͤlteſten 1 1 
| | O 2 a⸗ 


10g Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


Sachen: denn da waren in groſſem Ruf, und immer Triumph 
XVI. Die Motetti. 

Bey denſelben wuſte man von keinem) General⸗Baß, zu der Zeit; fondern 
der Organiſt muſte alle Singe⸗Stimmen in Partitur bringen, und ſolche, wie eine 
Allemande, oder anders Hand⸗Stuͤck, voller Bocks⸗Triller und abentheuerlicher 
Laͤuffe, fo fein daher figuriren: Man wuſte dabey von keinem andern concertiren, 
als von derjenigen Jagd, welche durch die unſingbaren und unendlichen Fugen an⸗ 
geſtellet ward; alles gieng in vollen Spruͤngen da Capella, mit der gantzen Schule, 
Feld⸗ ein; und hauete getroſt fort, bis ans letzte Ende: denn ehe gab man kein Qvar⸗ 
tier. Da war keine Leidenſchafft oder Gemuͤths⸗Bewegung auf viel Meil⸗Weges 
zu ſehen; keine Einſchnitte in der Klang⸗Rede; keine rechte Melodie; keine wahre 
Zierlichkeit; ja gar kein Verſtand zu finden; ſondern lauter zerhackte Vollſtimmig⸗ 
keit und wuͤſtes Geſchrey: alles auf ein Paar lateiniſche, offt gar nichts bedeutende 
Woͤrter, als: Salve Regina miſericordiæ, &c. Und doch waren es auch nicht al⸗ 
lemahl ordentliche Fugen; ſondern mehrentheils nur ſchlechte Nachahmungen, da 
eine Stimme die andre gleichſam aͤffete, und ein groſſes Weſen machte. 


. 

Die heutigen Frantzoſen nennen zwar noch bis dieſe Stunde alle ihre Kir⸗ 
chen⸗Stuͤcke, ohne Unterſchied: des Motets; man kan ihnen auch die Freyheit ger⸗ 
ne goͤnnen; wiewol die Unwiſſenheit, in Benennung eines Dinges, keinen uͤbelge⸗ 
gruͤndeten Argwohn giebt, daß man auch das Ding, oder die Sache ſelbſt, nicht 
kenne oder verſtehe. Allein die Einrichtung iſt doch etwas beſſer, als ſie vor Alters 
war: denn es kommen gar offt Abwechſelungen dabey vor, daß nehmlich eine oder 
andre ausnehmende Stimme ſich etwa allein hören laßt, und concertiret. 


§. 48. 

Aus den angeführten Umſtaͤnden iſt leicht zu ſchlieſſen, daß zwar die eigentliche 
Moteten⸗Art nicht gantz zu verwerffen; doch aber hoͤchſt noͤthig ſey, dieſelbe allenz 
falls mit der Concerten⸗Art durchzuflechten, und dem Wort⸗Verſtande in keinem 
Stuͤcke zu nahe zu treten, es koſte auch die beſte Fuge von der Welt. Es heißt auch 
hier: Ich habe es wol alles Macht; aber es frommet nicht alles. So viel ſey 
von den ſechszehn Gattungen der Singe⸗Melodien oder Stuͤcke geſagt; doch ohne 
hierin iemand Maaß oder Ziel zu ſtecken. 


9. 49. 
Oben iſt ſchon erwehnet worden, daß bey Inſtrumental⸗Sachen alles beobach⸗ 
| tet 
) Wäre dieſer bey den Moteten Herkommens geweſen, was hatte Viadana noͤthig gehabt, ſei⸗ 


nentwegen, und mit ihm eine andre neus Gattung der Melodien einzuführen? Man muß 
die Zeiten unter ſcheiden. 


der Meledien, N ihren abzeichen 109 


— — nn nn ent 
tet werden muͤſſe, was die Setz⸗Kunſt von den Bocal-Melodien erfordert: ja offt 
ein mehres. Solches wird hiemit bekraͤfftiget: denn da hat man erſt auf die Ge⸗ 
muͤths⸗Neigung zu ſehen, die mit Inſtrumenten ausgedruckt werden ſoll; hernach 
auf die Einſchnitte der Klang⸗Rede, ohne Worte; drittens auf die emphaſin oder 
auf den Nachdruck; viertens auf den geometrischen, und fuͤnfftens auf den arithme⸗ 
tiſchen Verhalt. Man ſehe nur die allerkleineſte Melodie an, ſo wird ſichs wahr be⸗ 
finden. | ER. er 1 e 

§. 50. 
Wie nun in der gantzen Natur und allem erſchaffenem Weſen kein 1 55 
Coͤrper, ohne Zergliederung, recht erkannt werden mag; fo will ich der erſte ſeyn, 
der eine Melodie zerleget, und ihre Theile ordentlich unterſuchet. Zur Probe ſolls 
nur fuͤrs erſte ein Menuetgen ſeyn: damit iedermann ſehe, was ein ſolches kleines 

Ding im Leibe hat, wenns keine Misgeburt iſt, und damit man von Heringen auf 
wichtigere ein geſundes 9 fallen lerne. 


H. 51. 
Es hat van um Spielen, . 
I. Le Menuet, la Minuetta Jun Singen, s beſonders, 
um Tantzen, | 
Beinen andern Affect, als eine maͤßige Luſtigkeit. Wenn die Menuetten⸗Melo⸗ 
die auch nur ſechszehn Taͤcte lang iſt, (denn kuͤrtzer kan fie wol nicht ſeyn) wird fie 
wenigſtens einige Commata, ein Semicolon, ein Paar Cola, und ein Paar Puncte 
in ihrem Begriff auf uweiſen haben. Das ſollte mancher ſchwerlich dencken; und 
iſt doch wahr. An einigen Stellen, wenn die Melodie rechter Art iſt, kan man auch 
den Nachdruck deutlich vernehmen, der Accente, Fragezeichen ꝛc. zu geſchweigen. 
Der numerus ſectionalis, oder geometriſche Verhalt „und der rhythmus, oder 
arithmetiſcher Verhalt, ſind beyde unentbehrliche Dinge bey allen Tantz⸗Arten, und 
geben denſelben die rechte Maaſſe und Geſtalt. Wir wollen an der Minuetta hie⸗ 
von ein ſolches Exempel zeigen, welches bey allen uͤbrigen gnugſamen Anlaß zur ae | 
1 geben kan. | 


1 » 


2 — 


. 


— 
SR 


mr, 


or. 
* 1 


no Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


— 


| $. 52. 

Da iſt nun ein gantzer muſicaliſcher paragraphus oder Zuſammenſatz von 
16 Taͤcten, aus welchen 48 werden: dieſer beſtehet aus zweyen periodis oder Saͤ⸗ 

tzen, die ſich (gleich den folgenden Einſchnitten) durch die Wiederholungen, um 

zwey Drittel vermehren, und unter den Schluß⸗Noten mit Puncten (.) bemercket 
ſind. Es befindet ſich darin nicht nur ein Colon, oder Glied; ſondern auch ein 
Semicolon, oder halbes Glied: die man bey ihren gewöhnlichen Zeichen (:) (3 
erkennen kan. Man trifft ferner drey Commata an, daraus neun werden, und 
die mit dem bekannten Beyſtrichlein (,) verfehen find. Die dreyfache emphaſin 
aber deuten wir mit eben fo vielen Sternlein () an. Der numerus ſectionalis, 
oder geometriſche Verhalt, iſt hier, wie durchgehends bey allen guten Tantz⸗ 
Arten, 4: und hat vier Kreutzlein CH) zum Abzeichen. Die Rhythmi, oder 
Klang⸗Fuͤſſe des erſten und andern Tacts werden im fuͤnfften und ſechſten wieder an; 
gebracht, . Diejenigen, fo ſich hernach im neunten und zehnten 
Tact angeben, vv - -| - - - hoͤret man gleich im elfften und zwoͤlfften gerne noch 
einmahl, woraus denn die arithmetiſche Gleichfoͤrmigkeit erwaͤchſt. Und das mir 
re die gantze Zergliederung in acht Stuͤcken. 5 
§. 53. | 
Wer eine Menuet zum Clavier haben will, der ſchlage nur (auch andrer Urſa⸗ 
chen halber) Handels, Kuhnauens, Graupners ꝛc. Hand⸗Sachen auf, fo 
wird er, um den Unterſchied der dreyen Menuet⸗Arten zu finden, nur fragen duͤr⸗ 
fen, ob ſich die daſelbſt befindliche Melodien dieſer Gattung zum Tantzen oder zum 
Singen wohl ſchicken? Wegen der Sing⸗Menuetten nehme man Dramatiſche Arbeit 
zur Hand, abſonderlich von Teutſchen und Italiaͤnern, die gar offt ſetzen: Aria, 
tempo di Minuetta, obs gleich keine foͤrmliche Menuetten ſind. Die rechten Tantz⸗ 
Melodien dieſer Gattung und ihr wahres Kennzeichen ſind indeſſen nirgend beſſer an⸗ 
zus 


dee Melodien, und ihren Abzeichen. 11 
zutreffen, als bey den Frantzoſen und ihren geſcheuten Nachahmern, worunter Te⸗ 
llemann der vornehmſte iſt. | | 


Hiernaͤchſt betrachten wir [sum Singen, folo, tutti. 
II. Die Gavorta, 3 zum Spielen, da Cembalo, di Violini &c. 


% | deren Arten ebenfalls zum Tantzen ꝛc. abzielen. f 
Ihr Affect iſt eine rechte jauchzende Freude. Ihre Zeitmaaſſe iſt zwar gera⸗ 
der Art, aber kein Vier⸗Viertel⸗Tact, ſondern ein ſolcher, der aus zween halben 
Schlägen beſtehet, ob er ſich gleich in Viertel, ja gar in Achtel theilen läßt. Ich 
wollte, daß dieſer Unterſchied ein wenig beſſer in Acht genommen würde, und daß 
man nicht alles fo überhaupt eine ſchlechte Menſur nennen möchte, 


> eh §. 55. | 

Das huͤpffende Weſen iſt ein rechtes Eigenthum dieſer Melodien⸗Gattung; 
und keinesweges das lauffende. Die Welſchen Setzer brauchen eine Art der Ga⸗ 
votten für ihre Geigen, die offt mit ihren Ausſchweiffungen gantze Bögen erfüllen, 
und nichts weniger ſind, als was ſie ſeyn ſollen. Doch, wenn ein Welſcher nur ſeine 
Geſchwindigkeit bewundern laſſen kan; ſo macht er alles aus allem. Fuͤrs Clavier 
ſetzt man auch gewiſſe Gavotten, die groſſe Freyheiten gebrauchen; es aber doch 

nicht ſo arg machen, als die gefidelten. 
a 56 


Daß die Frantzoſen das t in der Gavote nicht verdoppeln, koͤmmt daher, weil 
ſie es in keinem andern Worte dieſer Endigung thun, und es doch hart ausſprechen: 
als z. E. capote, carote, calote, culote &c. menote, Bergamote, gelinote, no- 
te, pelote &c. das Endigungs⸗ e gilt bey ihnen in der Ausſprache fo wenig, daß das 
t dadurch mehr Krafft gewinnet, und wie ein doppeltes lautet. | 


| | 9. 57. 
Was ſonſt Menage von dem Urſprunge des Nahmens Gavote gedenckt, daß 
derſelbe von einem Berg⸗Volcke, in der Landſchafft Gap, herkomme, laͤßt ſich hören; 
mich deucht ſchon, ich ſehe ſie auf den Huͤgeln mit ihren Gapoten herum huͤpffen: und 
was mehr dabey zu beobachten vorfaͤllt, wird man im I. Orch. in Niedts Handlei⸗ 
tung, II. Th. meiner Ausgabe; im Broſſard, und endlich im Waltherſchen 
Woͤrter⸗Buche zu ſuchen haben. Daß aber in dieſem letztern vermeinet wied, es ſey 
ſo was ſeltenes, wenn eine Gavotta mit einem halben Schlage anfuͤngt, darüber 
koͤnnte man eine Menge wiederſprechender Proben aus Welſchen Verfaſſern, abſon⸗ 
derlich aus dem Steffani, wiewol nur in Sing⸗Gavotten und Choͤren, e 
N | 9. 58. 


81 


112 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


8 §. 58. | 
Eine Melodie, die mehr flieſſendes, glattes, gleitendes und aneinander 
haͤngendes erfordert, als die Gavotte, iſt f N 
III. Die Bourree, 4 zum Singen, nur im melismatiſchen Styl, 

zum Tantzen; hauptſaͤchlich. 5 ae 
Dieſe Melodien⸗Gattung hat, meines Willens, keine ſolche Neben⸗Arten, oder ſie iſt 
vielmehr noch nicht ſo ausgeartet, als die Gavotte; obwol offt in weltlichen Concer⸗ 
ten eine Sing⸗Aria, col tempo di Borea, geſetzt wird. Und warum nicht? wie ſie 
gebildet ſeyn, anfangen und auf hoͤren muͤſſe, das ſtehet ſchon an mehr, als einem Ort, 
beſchrieben und nachgeſchrieben. Doch muß ich hier ſagen, daß ihr eigentliches ub ⸗ 
zeichen auf der Zufriedenheit und einem gefaͤlligen Weſen beruhe, dabey gleich⸗ 
ſam etwas unbekuͤmmertes oder gelaſſenes, eine nonchalance, und ein wenig 
nachlaͤßiges oder gemaͤchliches, doch nichts unangenehmes, vermacht iſt. 


§. 59. > {5 
Weil ich finde, daß ſich die Woͤrter⸗Buͤcher⸗Schreiber, und die groffen Wort 
Richter felbft, bisher noch nicht an die Bedeutung der Bourrẽ gewaget haben, in: 
dem Furetiere, Richelet und ihre Ausſchreiber gantz ſtille davon ſchweigen; ſo will 
ich doch meine wenige Gedancken daruͤber kuͤrtzlich allhier eroͤffnen, aber niemand auf⸗ 
dringen. Den Anlaß dazu geben mir die wircklichen Eigenſchafften der Bourreen⸗ 
telodie, zufrieden, gefaͤllig, unbekuͤmmert, gelaſſen, nachlaͤßig, gez 
maͤchlich, und doch artig. Das Wort an ihm ſelbſt bedeutet eigentlich etwas ge⸗ 
fuͤlltes, geſtopfftes, wohlgeſetztes, ſtarckes, wichtiges und doch dabey weiches oder 
zartes, das geſchickter zum ſchieben, glitſchen “pas gliffes) oder gleiten iſt, als zum 
heben, huͤpffen und ſpringen. Da man nun einen bekannten Tantz hat, der einer 
gewiſſen Braut zu Ehren la Marièe heißt: ſo koͤnte es gar wohl ſeyn, daß die Bis⸗ 
cajer, bey denen die Bourree zu Haufe gehoͤret, und wo die feiſten, niedlichen Leiber 
ſelten zu finden ſind, etwa einem ſolchen Frauenzimmer zu gefallen, dieſen Tantz er⸗ 
funden, und ihn la Bourrée genannt hätten. Er ſchickt ſich wahrlich zu keiner Art 
der Leibes⸗Geſtalten beſſer, als zu der beſagten: Um die Wort⸗Forſchung will ich 
keinen Streit erheben, und mich gerne einer beſſern belehren laſſen, ſo bald nur eine 
beſſere zum Vorſchein koͤmmt; eher nicht. 


§. 60. 
Wir gehen weiter, und nehmen vor uns zum Spielen, 
IV. Den Rigaudon, zum Tantzen, 


5 um Singen. 
Deſſen Melodie, meines Erachtens, die artigſte von allen iſt: ihre . 2 
ehe 


N der Melodien, und ihren Abzeichen. n 


ä — — —— —— —-—¼B½4 # | e 
ſtehet in einem angenehmen und etwas ktaͤndlenden Schertz. Von Italiaͤnern 
wird der kigaudon offt zu Schluß⸗Choͤren in Dramatiſchen Sachen; von den Fran⸗ 
tzoſen aber, zu abſonderlichen Oden, und ergetzlichen Arietten, gebraucht. Seine 
Form kan aus dem Orcheſter abgenommen, dabey aber noch bemerckt werden, daß der 
dritte Abſatz gleichſam eine parenchefin, oder Einſchaltung, vorſtellen muß; als ob 
derſelbe gar nicht zum Haupt⸗Vortrage gehoͤrte, ſondern nur ſo von ungefehr dazwi⸗ 
ſchen kaͤme. Derowegen er auch die Tiefe des Klanges und keinen rechten Schluß 
liebet, damit das folgende deſto friſcher ins Gehör falle. 5 
ER 21 | b. 61. 3 
Der Rigaudon iſt ubrigens ein Zwitter, aus der Gavote und Bourre&e zuſam⸗ 
men geſetzet, und mag nicht unfuͤglich eine drey⸗ oder vierfache Bourrée heiſſen. 
Doch ſind die Umſtaͤnde und Foͤrmelgen, die Eintheilung, der Umfang, die Abwech⸗ 
ſelung gantz anders beſchaffen. Dieſe Tantz⸗Melodie hieß vor Alters im Welſchen 
nur Rigo, welches einen Fluß oder Strom bedeutet; und ich finde wircklich, daß 
ſie bey den Seeleuten nicht fremd iſt: Alſo hat faſt ein iedes Element, ja Berg und 
Thal, eigene Melodien hervor gegeben. Es iſt ein bekannter Schiffer-Rigaudon, 
den man mit dieſen Worten zu ſingen anfaͤngt: Dans nos Vaiſſeaux &c. Riche- 
let fagt, der Kigaudon komme aus der Provence her, und ich glaube es deſto 
eher, weil das Mittellaͤndiſche Meer daſelbſt die Gemeinſchafft mit Welſchland be⸗ 
foͤrdert. f J 
. 
Unſre naͤchſte Betrachtung füllt auf den Marſch, oder 
V. La Marche, welcher iſt Jernſthafft oder 
| entweder Joßierlich 
Seine rechte Eigenſchafft iſt was heldenmuͤthiges und ungeſcheutes; doch 
nichts wildes oder lauffendes. Daher iſt es unrecht gehandelt, wenn man von al⸗ 
lerhand Sachen Marches machen will. Gemeine Dutzend⸗Componiſten ſtehen in 
den Gedancken, eine Marche konne niemahls luſtig genug ſeyn; traurig und klaͤg⸗ 
lich, jaͤmmerlich und weinend darf er wol eben nicht geſetzet werden, doch auch des⸗ 
wegen nicht auf den Sprung. Friſch und munter iſt noch lange nicht luſtig und 
froͤlich. Eine Marche iſt gar kein eigentlicher Tantz: und wenn er in Schauſpie⸗ 
len zum Vorſchein koͤmmt, ſchreiten die Perſonen nur gantz langſam und ehrbar 
nach dem Tact daher, ohne tantzen, huͤpffen oder ſpringen; doch figuriren ſie un⸗ 
ter einander, welches wohl zu ſehen iſt, abſonderlich von Gewaffneten oder Krie⸗ 
. ⁵ . 
a Y d 9.63 


dia Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 
5 2 ” b. 83. 5 a N 

| Auch hindert es der Ernſthafftigkeit einer ſolchen Melodie mit nichten , wie 
manche waͤhnen, wenn ſie gleich in ungerader Tact⸗Art erſcheinet: Lully hat ſol⸗ 
ches ſehr offt gethan; ſich aber ſtets dabey die prächtigen Abzeichen und das krie⸗ 
geriſche Weſen angelegen ſeyn laſſen. Wie gar zu viel Feuer keinen rechten Helden 
macht; ſondern ein gantz unverzagtes, feſtes Gemuͤth ſchier durch nichts beweget, 
oder von ſeinem eigentlichen Sitz gebracht wird, indem es ſonſt aller klugen Ent⸗ 
ſchlieſſung gute Nacht ſagt, und der Hitze den Zügel ſchieſſen läßt; alſo kan ein 
Setzer ſich hieraus ſchon ein Bild machen, nach welchem ſeine Marches keinen lo⸗ 
dernden Brand, fondern eine muthige Warme, in ſich halten muͤſſen. 


64. f 
Nun find zwar Vorfälle, da auch die Marches ihre Eigenſchafft verändern, 
und ſich, nach gewiſſen Umſtaͤnden, einrichten laſſen muͤſſen: Denn, wenn ich 
3. E. einen Hauffen Arleqvins, oder andrer luſtiger Brüder, mit einer ernſthafften 
Melodie, auffuͤhren wolte, wuͤrde ſolches ungereimt ſeyn; ie laͤcherlicher ſie bey 
ſolcher Gelegenheit ausfaͤllt, ie beſſer iſt ſie, und dazu gehoͤret auch ein eigenes 
Abzeichen. Habe ich aber nicht mit ſatyriſchen Perſonen, ſondern mit tapffern 
Kriegs⸗Leuten zu thun, fo muß mein Marſch was geſetztes und unerſchrockenes 
darlegen. \ 
9. 65. | | 
Mit dem, auf Zug und Wachten, ſo nuͤtzlichem Spiel hat eine ziemlich nahe 
Verwandtſchafft, und doch einen beſondern Gattungs⸗Unterſchied 
VI, Die Entree. | 
Es muß bey derſelben das majeſtaͤtiſche Weſen allerdings auch Statt finden; 
aber fie darff doch fo gar hochtrabend nicht einhergehen. Hergegen hat die En- 
tree mehr ſcharffes, punctirtes und, fo zu reden, reiſſendes, an ſich, als ſonſt 
irgend eine andere Melodie, wobey denn die Ebentraͤchtigkeit der Marches fehlet 
oder in etwas abgehet. Ihre herrſchende Eigenſchafft iſt die Strenge, und der 
Zweck, daß ſie die Zuhoͤrer zu ſolcher Aufmerckſamkeit reitzet, als ob recht was 
fremdes oder neues vorgebracht werden bet 
Die zwo Abtheilungen, wo man die Saͤtze wiederholet, koͤnnen bey einer 
Entree wohl etwas laͤnger ſeyn, als bey dem Marſch: jene leidet auch die unge: 
rade Anzahl der Taͤcte, weil ihr Weſen nicht flieffend, ſondern ein wenig ſtoͤrriſch 
iſt: Dieſer hergegen gibt ſolches durchaus nicht zu, ſondern will einen genauen geo⸗ 
metriſchen Verhalt haben: Ferner macht man auch gerne die beyden 1 
ungs⸗ 


der Melodien, und ihren Abzeichen. 115 
jungs Theile der Entr&e von einerley Länge; beym Marſch aber iſt gemeiniglich dee 
erſte dieſer Theile kürtzer, als der andre, und was dergleichen, noch nie bemerckter, 
Unterſchied ſeyn mag, welchen die Gegenhaltung beyder Melodien, nach dieſer 
Anleitung deſto leichter entdecken wird. 
5 A NOT, 
| Eine iede Tantz⸗ Melodie heißt zwar fonft bey den Frantzoſen, mit einem allge⸗ 
meinen Nahmen, eine Eatrẽe; voraus wenn ſie bey Schauspielen zu Aufzuͤgen dies 
net, und die Banden einführet; aber in beſonderm Verſtande iſt es eine ſolche hypor⸗ 
chematiſche Gattung, nach welcher offt auch nur eine eintzige Perſon mit der groͤſſe⸗ 
ſten Kunſt, Staͤrcke und Geſchicklichkeit, gantz ernſthafft tantzet. Noch eines if 
hiebey, zum Abzeichen, und zum erſten mahl anzumercken, daß nehmlich der An⸗ 
fang einer Entree, um ihre Autoritaͤt deſto beſſer zu zeigen, bisweileu mit der Ober⸗ 
Stimme gantz allein gemacht, und der Baß erſt, nach einer Pauſe, nachahmend ein⸗ 
gefuͤhret wird, faſt auf die Weiſe, wie bey Ouvertuͤren zu geſchehen pfleget. Doch 
muß die Pauſe bey beyden nicht über einen Tact betragen. 
| | F. 68. 
Dieſen ernſthafften Melodien mag nun auch wiederum was friſches und hur⸗ 
tiges folgen, nemlich | | 


die gewoͤhnliche, 
VII. Die Gique, 0 die Loure, 
mit ihren Arten, welche ſind 1 die Canarie, 
| die Giga. 


Die gewoͤhnlichen oder Englaͤndiſchen Giquen haben zu ihrem eigentlichen Affeck 
einen hitzigen und fluͤchtigen Eifer, einen Zorn, der bald vergehet. Die Lou- 
res, oder langſamen und punctirten zeigen ein ſtoltzes, aufgeblaſenes Weſen an, 
deswegen fie bey den Spaniern ſehr beliebt find. Die Canarıfchen müffen groſſe 
Begierde und Hurtigkeit mit ſich führen, aber dabey ein wenig einfaͤltig ſeyn. 
Die welſchen Gige endlich, welche nicht zum Tantzen, ſondern zum Geigen (wo⸗ 
von auch ihre Benennung herruͤhren mag) gebraucht werden, zwingen ſich gleichſam 
zu der aͤuſſerſten Schnelligkeit oder Fluͤchtigkeit, doch mehrentheils auf eine 
flieſſende, und keine ungeſtuͤme Art, etwa ſo wie der Strom⸗Pfeil eines Bachs. 


| H. 9. 8 
Alle dieſe neue Anmerckungen haben nicht ſo wohl ihre Abſicht ins beſondere 
auf den völligen Begriff der bloſſen Zange, als auf die Entdeckung des darin ſtecken⸗ 
den Reichthums, und deſſen geſcheuter e bey einer Menge anderer und 
2 wich⸗ 


16 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 
wichtiger Dinge, abſonderlich bey Sing⸗Sachen und Ausdruͤckung der Leidenſchaff⸗ 


ten von allerhand Art, allwo unzaͤhlbare und unglaubliche Erfindungen, aus dieſen 


gering⸗ſcheinenden Dvellen, hervorkommen. Da gibt es, eben wie von den übrigen 


Gattungen, auch Arietten a tempo di Giga, zum Singen; vornemlich nach Maaß⸗ 


gebung der Loures, die eine artige Wirckung thun. So daß ich, z. E. mit der 
bloſſen Giquen⸗Art ſchon vier Haupt⸗Affecten ausdruͤcken kan: Den Zorn oder 


Eifer; den Stoltz; die einfaͤltige Begierde und das fluͤchtige Gemuͤth. Die 


Einfalt der canariſchen Giquen wird inſonderheit dadurch ausgedruͤckt, daß alle vier 
Abſaͤtze und Wiederkehrungen, immer im Haupt⸗Ton, und in keinem andern ſchlieſſen. 
Man dencke weiter nach. b 5 
| Ne 
Es iſt auch keinesweges hiebey zu vergeſſen | 
VIII. DiePolonoife,‘) Pain gerader Seh . 
oder der Polniſche Tantz, Lund ungerader Tact⸗Maaſſe. 
Man ſolte nicht meinen, was dieſe Melodien⸗Gattung fuͤr ſonderbaren Nutzen hat, 
wenn ſie in ſingenden Stimmen, nicht zwar in ihrer eigentlichen Geſtalt; ſondern 
nur auf die Polniſche Art und ihren Fuß, angebracht wird. | 


| | N. RE, 1 
i Zwar iſt die Tantz⸗Weiſe der Polen nicht unbekannt; doch duͤrffte iedermann 


nicht bemercken, daß ihr rhythmus, in gerader Menſur, hauptſaͤchlich der Spon- 
dæus iſt, (=) mit welchem auch fo gar geſchloſſen wird, das ſonſt bey keiner Melo⸗ 
die in der Welt geſchiehet, zumal in uniſono continuato. Bey ungerader Zeitz 
Maaſſe, verändert ſich dieſer Spondzus in den Jambum (v), fo daß, bey der 
erſten Art, zwo gleich lange Noten, oder halbe Schläge, in einem Ton, bey der an⸗ 


dern aber, eine kurtze und eine lange, nemlich ein viertel und ein halber Schlag, auch 


in einem Ton, das Regiment fuͤhren. Ich ſage hauptſaͤchlich, denn dieſe rbythmi 
werden gleichwol mit andern untermiſchet, wie aus den Exempeln am beſten zu er⸗ 
ſehen. | a | 

| 9. 72 


Der Anfang einer Polonoife, im genauen Verſtande genommen, hat darin 


gantz was eigenes, daß ſie, weder mit dem halben Schlage, im Aufheben des 


Tacts, wie die Gavotte; noch auch mit dem letzten Viertel der Zeitmaaſſe, eintritt, 
wie die Bauren; ſondern gerade zu, ohne allen Umſchweiff, und wie die Frantzoſen 
ſagen, ſans fagon, in beyden Arten, mit dem Niederſchlage getroſt anhebt. 
47 5 i 17 f 45 0 7 
) Dieſe fehlet im Walther iſchen Woͤrter⸗Buche, und ſonſt allenthalben. 


* 


der Melodien, und ihren Abzeichen: 17 


Wenn ich etwas zu ſetzen, oder ſolche Worte in Noten zu bringen hatte, darin 
eine beſondere Offenhertzigkeit und ein gar zu freyes Weſen herrſchte, wolte 
ich keine andre Melodien⸗Gattung, denn die Polniſche dazu erkieſen: Maaſſen, mei⸗ 
nes Erachtens, hierin ihr wahres Abzeichen, oder Character und Affect beruhet. 
Selten laͤßt ſich die rechte Natur und Eigenſchafft eines Volcks, bey deſſelben Luſt⸗ 
barkeiten und Taͤntzen verſtecken; ob es gleich bey andrer Gelegenheit geſchehen 
sa j 


| er 6. 74. | „ 
Wiederum eine ſonderbare, zu vielen andern Stuͤcken nuͤtziche, Melodien 
Gattung, welche zu gantz fremden Einfaͤllen Anlaß gibt, iſt 


IX. Die Angloiſe, die Country- Dances, 
der Englaͤndiſche Tantz, dahin gehoren ] Ballads, 
17 Hornpipes&c. _ 


0 | | E 
Was vortrefliches, und dabey ſeltſames, haben dieſe Taͤntze an fich, welches diejeni⸗ 
gen Büchlein bezeigen, die, von einer Zeit zur andern, in Amſterdam, bey Jeanne 
Roger zum Vorſchein kommen, und gantze Sammlungen enthalten. Daſelbſt kan 
ſich ein ieder von der Einrichtung ſolcher Melodien guten Unterricht holen, und erfah⸗ 
ren, daß ſothane Kling⸗Stuͤcke nicht eben aus ruͤckenden Noten beſtehen; ſondern 
viel weiter um ſich greiffen, ſchoͤne flieſſende Melodien führen; die Klang⸗Maaſſe 
ungemein beobachten; voller ſtarcken Bewegungen ſtecken; und in der Ton⸗Kunſt 
rechte, artige Sonderlinge ſind. a ; 


| | I. 75. . 
Die Haupt⸗Eigenſchafft der Angloiſen iſt, mit einem Wort, der Eigenſinnz 
doch von ungebundener Großmuth und edler Guthertzigkeit begleitet. Wer nun 
dieſe Gemuͤths⸗Bewegungen, abſonderlich die erſte, vorzuſtellen hat, der laſſe ſich die 
Anterſuchung ſolcher Melodien empfohlen ſeyn, die ihm dazu Anleitung geben, und 
den choraiſchen Styl, wie die beſagte country - dances, zum Grunde legen. 


SR §. 76. 8 
Was die Ballads betrifft, ſo ſiehet man leicht, daß das Wort vom ballet, oder 


Tantz insgemein, herkomme; aber eigentlich ſind es in England melismatiſche den, 


oder Lieder, mit vielen Strophen, die zwar vornemlich zum Singen geſetzt, doch auch 
bisweilen zum Spielen und Tantzen gebraucht werden, gleich den fransöfifchen Vau⸗ 
devilles, von welchem Wort Menage *) eine ſonderbare Ableitung zeiget. Man 

| | Me „ hat 


e) Der gute Mann hat offt fehl geſchoſſen, abſonderlich in Dingen, die mit der Muſie, welche er 


gantz und gar nicht verſtund, eine Gemeinſchafft haben. Sechs Fehler auf einem Hauffen, 
* 0 | 


18 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


EB ð˙¾u1l..... ñ ð n kk ] ðͤvv ĩͤ nn. ne 
hat deren eine Sammlung, unter dem Titel: Pills to purge Melancholy, d. i. Pils 
len, wieder die Traurigkeit, worin eine Menge ſolcher Lieder gedruckt ſtehen. 
. 78. | 

Die Hornpipes find Schottlaͤndiſcher Abkunfft, und haben bisweilen ſo was 
auſſerordentliches in ihren Melodien, daß man dencken moͤgte, fie waͤren von den 
Capellmeiſtern am Norder⸗ oder Suͤder⸗Pol verfertiget worden. Wer ſie indeſſen 
zu unterſuchen die Muͤhe nehmen, und was er daraus begriffen, zu rechter Zeit wohl 
anwenden will, wird auch davon feinen Nutzen ziehen koͤnnen. | 


| $. 77. 
Zu den hurtigen Melodien, gehört noch 
X. Le Paſſepied, entweder in einer Symphonie. 
Loder zum Tantzen. 


Ihr Affect koͤmmt der Leichtſinnigkeit ziemlich nahe: Denn es ſind bey ihrer Un⸗ 
ruhe und Wanckelmuͤthigkeit lange der Eifer, der Zorn oder die Hitze nicht, die ſich 
bey einer flüchtigen Gique befinden. Inzwiſchen iſt es doch auch eine ſolche Art 
der Leichtſinnigkeit, die nichts verhaßtes oder misfaͤlliges, ſondern vielmehr was arti⸗ 
ges an ſich hat: ſo wie manches Frauenzimmer, ob es gleich ein wenig volage iſt, den⸗ 
noch ihren Reitz dabey nicht verlieret. Bey den beſten Schiffleuten in Franckreich 
hat dieſe Tantz⸗Melodie ihren Urſprung, nemlich in Bretagne: Ob das unbeſtaͤndige 
und unruhige Element der See hiebey ſeinen Einfluß hat, will ich ungeſagt ſeyn 
laſſen. | | | 


| $. 78. 

Diejenige Art der Paſſepieds, welche offt in weltlichen Symphonien gebraucht 
wird, gewinnet, durch das vorhergehende und nachfolgende, eine andre Geſtalt, und 
dienet nur ſtatt eines allegro, oder hurtigen Zwiſchen⸗Satzes. Offt ſchließt ſich 
auch die Symphonie mit einer ſolchen Tanz WWeife, verſtehe bey den Italiaͤnern; 
nicht aber bey den Frantzoſen, die ſich derſelben bloß zur Regierung ihrer Fuͤſſe bedie⸗ 
nen. Uns Teutſchen mag es nicht hindern, wenn etwan Gemuͤths⸗Bewegungen 
aufſtoſſen ſolten, die mit obigen überein kaͤmen, wenigſtens den rhythmum, wo nicht 
die Form, des Paſſepieds, mit zu nehmen. | 


$. 79. 


die ihm in den Mensgianis Tomo III. p. Tıo. aufgeruͤckt werden, und ein Inſtrument, Simicum 
genannt, betreffen, find aber alle maaſſen laͤcherlich, und bringen feinen Originibus nur ſchlechtes 
Anſehen zu wege. 


der Melodien, und ihren Abzeichen. 5 


8 $. 79. 

Was 5 Sauff⸗ Helden ein Runda nennen, muß ja niemand mit derjenigen 
Gattung unſerer Melodien verwechſeln, die man, wegen ihrer in die Runde gehen⸗ 
den, Wiederkehr, b 

kl. Ein Rondeau nennet, T eine gerade, 
ſolches hat entweder Loder ungerade Zeitmaaſſe, 
und ſtellet dasjenige Ding in der Ton⸗ Kunſt vor, was durch das eben alſo genannte 
Reim⸗Geſchlecht, in der Dicht⸗Kunſt, angedeutet wird. Der 136. Pſalm iſt, nach 
feiner Art, nichts anders, als ein Rondeau. Luther nennet ihn eine Litaney. Ich 
wuͤſte nicht, daß dieſe Art der Melodien, deren Beſchreibung in meinem Niedt enthal⸗ 
ten, offt zum Tantzen gebraucht worden waͤre; wohl aber deſto mehr zum Singen, 
und hauptſaͤchlich zum Inſtrumental⸗ Concert. Meines Beduͤnckens regieret in 
einem guten Rondeau eine Standhafftigkeit, oder vielmehr ein feſtes Vertrauen; 
wenigſtens laßt ſich dieſe Gemuͤths⸗Bewegung ſehr gut dadurch 9 
. . 88. 
Anlangend zum Singen, 
XII. Die 98 mit ihren Arten Spielen und 
Li Zangen: 
So hat diefelbe keine andre Gemuͤths⸗ Bewegung, als die Ehrſucht; doch ſind die 
Species darin unterſchieden, daß ſich die Tantz Sarabande in engerern und doch da⸗ 
bey viel hochmuͤthigerer Verfaſſung befindet, als die uͤbrigen ihres Geſchlechts; daß 
ſie keine lauffende Noten zulaͤßt, weil die grande za W nicht leiden kan, ſondern 
ihre Enmſthafftigkei ſteiff und feſt behaͤlt. 


$. u 

Zum Spielen auf dem Clavier und auf der Laute erniedrigt man ſich etwas 
bey dieſer Melodien⸗Gattung, gebraucht mehr Freyheit, ja, macht wol gar doubles, 
oder gebrochene Arbeit, daraus, welche wir Variationes heiſſen. Mr. Lambert, 
des Lully Schwieger⸗Vater, pflegte dergleichen Verkleinerungen (wenn ich ſo 
reden darff) auch ſelbſt in Sing⸗Sarabanden anzuſtellen. Einem ieden bleibe 
fein Geſchmack; meiner waͤre es nicht. Sonſt ſcheinen die bekannten Folies 
d’Efpagne, auf gewiſſe Weiſe, mit zu diefer Gattung zu gehören; fie find aber 
nichts weniger, als Thorheiten, im Ernſt geſagt: Denn es iſt wahrlich mehr gutes 
in ſolcher alten Melodie, die ſich nur auf eine kleine Qvart erſtrecket, als in allen 
Mohren⸗Taͤntzen, die iemals erfunden ſeyn mögen, |. den Epborum Göttingenſ. 


7 102. 
6, 82. 


» Sehfies Capitel: Von den Sang 8 


§. 82. 
Jedermann wird gehöret haben, daß es eine Gattung von Steen, und 
Zank auch Sing Melodien gebe, mit Nahmen 


5 zum Tanten, 
XIII. Die Courante, oder g J fürs Clavier oder für die Laute, : 
Corrente; man 15 deren für die Geige, und 
(zum Singen. | 


Wem die Courante getantzt werden pol, findet fiei ihre unumſtofliche Regeln, die der 

Componiſt genau in Acht nehmen muß, wenn er fie aus dem Orcheſtre, aus dem 

Niedt ꝛe. gelernet hat. Kein F als der dreyhalbe 2, hat dabey Statt. 
83. 

Soll dieſe Melodie dem Clavier dienen, ſo wird mehr Freyheit vergoͤnnet; 
auf der Geige aber hat ſie faſt keine Schrancken, ſondern ſuchet ihren Nahmen tuͤch⸗ 
tig, mit immerwaͤhrendem Lauffen, zu behaupten; doch fo, daß es lieblich und zaͤrt⸗ 
lich zugehe. Die Sing: Eouranten kommen der Tantz⸗Art am naͤheſten; ob fie 
wol eigentlich nur das tempo di Corrente, und eben nicht die gantze Form der⸗ 
ſelben, brauchen. Der Lauteniſten Meiſterſtück, abſonderlich in Franckreich, iſt ge⸗ 
meiniglich dieſer Gattung, worauf man auch ſeine Muͤhe und Kunſt nicht übel anwen⸗ 
det. Die Leidenſchafft oder Gemuͤths⸗ Bewegung aber, ſo in einer rechten courante 
vorgeſtellet wird, iſt die ſuͤſſe Hoffnung. Denn es findet ſich was hertzhafftes, was 
verlangendes und was freudiges darin; lauter Se e alle Hoffnung zuſam⸗ 
mengeſetzet wird. 


9. 84. 

Weil dieſes noch kein Menſch geſagt, auch wol 1 8 5 gedacht haben mag, ſo 
wird mancher meinen, ich ſuchte etwas in dieſen Dingen, das nicht darin zu finden, 
ſondern in meinem eignen Gehirn jung geworden ſeyn. Aber ich kans handgreiff⸗ 
lich vor Augen legen, daß obige Stuͤcke, einfolglich der daraus beſtehende Affect, 
wircklich in einer guten Courante anzutreffen find. Laßt uns eine alte, jedem be⸗ 
kannte Melodie dazu ausſuchen: Denn fuͤrs erſte fahren die neuen aus der Glei⸗ 
ſe, 11 fürs andre mögfe man einwerffen, ich haͤtte fie ſelber nach meinem Sinn 
gemacht. 


85 


der Melodien, und ihren Abzeichen. 128 


$. 85. 

Bis an die Helffte des dritten Tacts, wodasT ſtehet, iſt was hertzhafftes in 
dieſer Melodie, abſonderlich gleich im allererſten; das wird niemand laͤugnen: Von 
da, bis an die Helffte des achten Tacts, da eben daſſelbe Zeichen befindlich iſt, aͤuſſert 
ſich ein ſehnliches Verlangen; bevorab in den drittehalb letzten Taͤcten, und mit⸗ 
telſt der wiederholten Cadentz in die Dvint unterwaͤrts: endlich erhebt ſich am Ende 
eine maͤßige Freude; ; zumal im neunten Tact. 

SEN SD, 

Eine Menge ſolcher Couranten, darunter viele noch beſſer und im geometri⸗ 
ſchen Verhalt richtiger, find von mir unterſuchet worden, alle von achten Verfaſſern; 
und es hat ſich immer die Wahrheit deſſen, was ich hier von der Gemuͤths⸗-Bewegung 
anführe, darin erwieſen. Ich koͤnte gar leicht von allen andern Gattungen der 
Melodien eben ſolche Proben beybringen; aber ſo wuͤrde mein Kern zu einem groſ⸗ 
ſen Baum werden. 


5. 7. 
In Clavier⸗Lauten⸗ und Violdagamben⸗Sachen gehet 
XIV. Die Allemanda, eine aufrichtige Teutſche Erfindung, 
vor der Courante, ſo wie dieſe vor der Sarabanda und Gique, her ꝛc. welche Melo⸗ 
dien⸗Folge man, mit einem Nahmen, die Suite nennet. Die Allemanda nun iſt eine 
gebrochene, ernſthaffte, und wohlausgearbeitete Harmonie, welche das Bild eines 
zufriedenen oder vergnuͤgtene Gemuͤths traͤgt, das in guter Ordnung und Ruhe 
ſchertzet. Man hat auch einen Tantz, der mit dieſem Nahmen beleget wird; aber 
einem Rigaudon viel ähnlicher ſiehet, als einer Allemanda. Noch eine andre, 
und er die dritte, Geſtalt gewinnet En a bey den welſchen ee 
womit 


— 


122 Secchſtes Capitel: Von den Gattunaen 


womit ſie zwar der teutſchen Art etwas naͤher kommen, als die Frautzoſen; doch weit 
vom Ziel ſchieſſen. Der Unterſchied laͤßt ſich beſſer in den Wercken ſehen, als beſchrei⸗ 
ben. Maleiti und Haͤndel können zu Muſtern dienen, deren Arbeit in Kupffer her; 
aus iſt. Geſungen werden die Allemanden nie, daß ich wuͤſte. 


beſondere ſo genannten 
XV. Aria, mit und ohne Doubles, die ſonſt auch Partite heiſſen. 

Sie hat ſo wol auf dem Clavier, als auf allerhand andern Inſtrumenten, Platz, und 
iſt gemeiniglich eine ſchlechte, kurtze, in zween Theile unterſchiedene, ſingbare Melodie, 
die nur meiſtentheils darum ſo einfaͤltig erſcheinet, daß man ſie auf unzaͤhliche Art 
verbraͤmen und veraͤndern kan, um dadurch, wiewol mit Beybehaltung der Grund⸗ 
Gaͤnge, feine Fauſt⸗Fertigkeit ſehen zu laſſen. Der Affect moͤgte mit recht die Affe⸗ 
ctation ſeyn; wiewol in der ſchlechten Melodie für ſich, verſchiedene Gemuͤths⸗Be⸗ 
wegungen angebracht werden koͤnnen. 


$. 88. | 
Die Inſtrumental⸗Muſic hat auch eine eigne Gattung der Melodien an der ins 


§. 89. a 
Zu Frobergers Zeiten war dieſer Partiten⸗Geiſt dermaſſen eingeriffen, daß 
nicht nur auf ſolche beſondere kleine Arien, z. E. auf ein fo genanntes Liedlein Lan- 
rurlu, wenigſtens ein halb Dutzend Variationen herhalten muſten; ſondern ſelbſt 
die ehrlichen Allemanden, Couranten, ꝛc. wurden damit angeſteckt, und kamen nicht 
vhne Bruͤchen, krummen Spruͤngen, und vielgeſchwaͤntzten Noten davon. Mir iſt 
es eine fonderliche Freude, daß dieſer Geſchmack ziemlich gefallen iſt, und Kuhnau 
war, meines Behalts, der erſte, der es wagte, eine harmonioͤſe Arie, wo die Mittel⸗ 
Stimmen nicht ſtille ſitzen, ohne dergleichen unbeqvemes Gefolge, im erſten Theil ſei⸗ 
ner neuen Clavier⸗Ubung, No. 63. ans Licht zu ſtellen. 


„ „ 
Noch eine gewiſſe Gattung, ich weiß nicht, ob ich ſagen ſoll, der Melodien, oder 
der muſicaliſchen Grillen, trifft man in der Inſtrumental⸗Muſic an, die von allen 
ubrigen ſehr unterſchieden iſt, in den ſo genannten 


die Boutaden, 
XVI. Fantaifies ober Fantafie, N Capricei, 
derer Arten find Toccate, 
Preludes, 


1 Ritornelli &c- 5 
Oh nun gleich dieſe alle das Anſehen haben wollen, als ſpielte man der: dem 
f tege⸗ 


der Melodien, und ihren Abꝛeichen. 123 
Stege Reife daher, ſo werden ſie doch mehrentheils ordentlich zu Papier gebracht; 


halten aber ſo wenig Schrancken und Ordnung, daß man ſie ſchwerlich mit einem an⸗ 
dern Nahmen, als guter Einfaͤlle, belegen kan. Daher ihr Abzeichen die Einbil⸗ 


dau it. 


§. 91. 
Die geöffefte unter den Tanz Melodien iſt wol 
XVII. Die Ciacona, Chaconne, mit ihrer Schweſter oder ihrem Bruder 
dem Paſſagaglio, der Paffe-caille. 
Ich finde wircklich, daß Chacon ein Familien⸗Nahme iſt, und der Befehlshaber oder 
Admiral von der Spaniſchen Flotte in America, An. 1721. Mr. Chacon geheiſſen hat: 
Mir folte dieſe Ableitung beſſer, als jene, vom Perſiſchen Schach, gefallen, die im 
Waltheriſchen Wörter: Buch ſtehet. Von der Paffe- caille wolte ichs endlich 
paßiren laſſen, daß ſie ſo viel bedeute, als paſſe· ruꝭ, wie Menage haben will; wenn 
Welt nur glaubwuͤrdig genug waͤre. \ 
92. 

Die Chaconne wird beydes geſungen und getantzt, bisweilen gar 1 geo nad | 
gibt dergleichen Luſtbarkeit, wenn fie wohl abgewechſelt wird, noch ziemliches Ver⸗ 
gnuͤgen; doch allezeit mehr Erſaͤttigung, als Anmuth; wie ich denn auch kein 
Bedencken trage, ihren eigentlichen Character mit der erſtgenannten Eigenſchafft 
auszudrucken, Man weiß, wie leicht die Erſaͤttigung den Eckel und Abſcheu gebie⸗ 
ret: und wer dieſe Gemuͤths⸗ Bewegungen bey mir aufbringen wolte, duͤrffte nur 
ein Paar Chaconnen dazu beſtellen. 

I. 93. 

Sonſt beſtehet der Unterſchied zwiſchen der Chaconne und Paffe-caille in vier 
Dingen, daruͤber man eben ſo geringe nicht hinwiſchen kan. Dieſe vier Merckmahle 
ſind folgende: Daß die Chaconne langſamer und bedaͤchtlicher einher gehet, als die 
Paſſe. caille, nicht umgekehrt; daß jene die groſſen Ton; Arten, dieſe hergegen die 
kleinen liebet; daß die Paffe-caille nimmer zum Singen gebraucht wird, wie die Cha- 

conne; ſondern allein zum Tantzen, daher auch natuͤrlicher Weiſe eine hurtigere 
Bewegung entſtehet: und endlich, daß die Chaconne ein feſtes Baß⸗Thema fuͤh⸗ 
ret, welches, ob man gleich, zur Veraͤnderung, bisweilen aus Muͤdigkeit der Ohren, 
davon abgehet, doch bald wieder zum Vorſchein koͤmmt, und ſeinen Poſten ſattſam 
behauptet; da ſich hingegen die Paffe-caille (fo muß das Wort auf fransöfifch 
geſchrieben werden, nicht Paſſacaille) an kein eigentliches Subject bindet, und ſchier 


nichts anders von 15 Chaconne behaͤlt, als 15 bloſſe, doch um etwas beſchleu⸗ 
22 nigte 


224 Sechſtes Capitel: Von den Gattungen 


nigte Mouvement. Welchen Umſtaͤnden nach man billig der Pafle-caille den Vor⸗ 
zug gönnen ſolte. | 


$. 94. 
Weil fich die Italiaͤner ungern mit Ouvertuͤren abgeben, fo 5 ſie, anderen 
ſtatt, eine andre Gattung eingefuͤhret, nemlich 
XVIII. Die Intrada. 
Der Affect, den ſie erwecken ſoll, iſt ein munteres Verlangen er 1 1 95 et fie 
gemeiniglich, als eine Einleitung, viel gutes von dem folgenden Werde verſpricht. 
Ob es allemal gehalten wird, ſtehet dahin. Die weitere Beſchreibung und Eigen; 
ſchafft einer Intrada wird uͤberfluͤßig ſeyn, alhie r zu wiederholen. Broſſard, 
Walther, das Orcheſter ꝛc. geben mare PN: 


. 
Eine weit vornehmere Stelle unter dei Gattungen d der Inſtrumental Melo⸗ 
dien bekleidet 
| ſmit verſchiedenen Violinen ꝛc. 
XIX. Die Sonata auf beſondern Inſtrumenten allein, z. E. auf der 
Qveer⸗Floͤte. 
Deren Abſicht hauptſaͤchlich fu eine allgemeine Willfaͤhrig⸗ und Gefaͤlligkeit 
gerichtet iſt, das iſt zu ſagen, es muß in den Sonaten eine gewiſſe complailance herr⸗ 
ſchen, damit einem ieden Zuhörer gedienet iſt, und die ſich zu allem beqvemet. Ein 
Trauriger wird was klaͤgliches und mitleidendes, ein Wolluͤſtiger was niedliches; 
ein Zorniger was hefftiges u. |. w. in verſchiedenen Abwechſelungen antreffen. Sol⸗ 
chen Zweck muß ſich der Componiſt, bey ſeinem adagio, andante, preſto &c. vor 
Augen ſetzen; ſo wird ihm die Arbeit gerathen. Seit einigen Jahren hat man 
angefangen Sonaten fuͤrs Clavier (da fie ſonſt nur für Violinen ꝛc. gehören) mit gu⸗ 
tem Beyfall zu ſetzen; bisher haben ſie noch die rechte Geſtalt nicht, und wollen mehr 
geruͤhret werden, als ruͤhren; d. i. fie zielen mehr auf die Bewegung der Finger, als 
der Hertzen. Doch iſt die Verwunderung, uͤber eine ungewoͤhnliche Fertigkeit, 
auch eine Art der Gemuͤths Bewegung, die nicht ſelten den Neid gebieret. Die 
Frantzoſen werden nun auch in dieſem Stuͤcke, fo. wie in Cantaten, zu lauter Italia ⸗ 
nern. Es laͤufft aber meiſt auf ein Flickwerck, auf lauter zuſammen geſuchte 
Claͤuſulgen (pieces de rapport) hinaus, und iſt nicht natuͤrlich. 
6. 


Ri Ä 
Die ſtaͤrckſte Vollſtimmigkeit erfordert, unter allen, das eigentlich ſo genannte 

XX Concerto groſſo, 
als eine Inſtrumental - piece von lauter Violinen, deren Vivaldi, Venturini und 
andre 


der Melodien, und ihren Abzeichnn 125 
andre eine Menge haben in Kupffer ſtechen laſſen, wie in dem Catalogue de Mufi- 
que, welcher zu gewiſſen Zeiten in Holland heraus kommt, mit mehren zu erſehen. 
Ihre Affecten find mancheuley und wechſeln ab, wie in der Sonata, doch nicht fo haͤu⸗ 
fig: Denn die Wolluſt fuͤhrt in den Concerten, uͤberfluͤßig die Herrſchafft. Auf die 
vollſtaͤndige Beſetzung koͤmmt, bey dieſen Concerten, ſehr viel an, ja, man pflegt fie 

ſie bis zur Unmaͤßigkeit hinauf zu treiben, ſo daß es faſt einer reichen Tafel zu verglei⸗ 
chen iſt, die nicht fuͤr den Hunger, ſondern zum Staat und zur Uppigkeit gedeckt zu 
ſeyn ſcheinet. Daß es in dieſem angenehmen Wettſtreit, davon alle Concerte ihren 
Nahmen fuͤhren, an einer ſchertzenden Eiferſucht und Rache, an einem gemachten 
Neid und Haß, ingleichen an andern ſolchen Leidenſchafften, wiewol auf eine ſpie⸗ 
lende Art, nicht fehle, kan ein ieder leicht erachten. ne 
5 Er 97. 


| da Chieſa, in der Kirche. 

XXI. Die Sinfonia, Symphonie, J di Camera, in der Kammer. 
Wann del Drama, in der Oper. 
Welche, ob fie gleich auch eine ziemliche Beſetzung (worunter Hautbois, Baſſons &c. 
mit gerechnet werden) erfordert; dennoch ſo verwehnt und lecker in ihren Moduli⸗ 
rungen nicht ſeyn darff, als das Concerto. Denn, unangeſehen die Symphonien 
den groͤſſeſten welſchen Schauſpielen zur Oeffnung dienen, ſo wie die Intraden den 
kleinern; haben ſie doch nie kein ſolch wolluͤſtiges Weſen an ſich. In Kirchen muͤſ⸗ 
fen ſie noch viel beſcheidener eingerichtet werden, als auf dem Theatro und im Zimmer. 
Ihre vornehmſte Eigenſchafft beſtehet darin, daß ſie in einem kurtzen Begriff und 
Vorſpiel eine kleine Abbildung desjenigen machen, was nachfolgen fol. Und da 
kan man leicht ſchlieſſen, daß, in ſolcher Symphonie, die Ausdruͤckung der Affecten 
ſich nach denjenigen richten muſſe, die im Wercke ſelbſt hervorragen. 


Eine maͤßigere Gattung gibt ai 


5 1 ; 98. 5 Wr 
Endlich ſoll den Hauffen unſerer Gattungen dieſesmal ſchlieſſen 
XXII. Die Ouvertuͤr, Ouverture 
deren Character die Edelmuth ſeyn muß, und die mehr Lobes verdient, als Worte 
hier Raum haben. Die Beſchreibung ſtehet im I. Orch. und im Waltheriſchen 
Lexico. Wr De, a 
Das ware denn fo, aufs kuͤrtzeſte, ein wenig mehr, als ein bloſſes Verzeich⸗ 
niß der Melodien⸗Gattungen, mit ihren Abzeichen, und zwar nur der gebraͤuch⸗ 


lichſten, vornehmſten und bekannteſten; die gleichwol noch von niemand ſonſt 8 5 
| 23 Ord⸗ 


126 Secchſtes Capitel: Von den Gattungen der Melodien ıc. 
hre Arten, Eigenſchafften, Abzeichen und Affecten 


Ordnung gebracht, vielweniger i 
beruͤhret worden find, 
| ä §. 100, 

Wenn man nun von ieder Gattung dasjenige fagen ſolte, was alles davon zu 
ſagen iſt, und dabey deren mannigfaͤltigen Nutzen, auch auſſer ihrem Kreiſe, die 
Umſtaͤnde, Misbraͤuche und Zufälle unterſuchen, ſodann die Artickel mit deutlichen 
Exempeln erläutern wolte, (welches eben keine ungereimte, oder unnoͤthige, Arbeit 
waͤre) ſo wuͤrde ein groſſes Buch aus dieſem eintzigen Haupt⸗Stuͤcke entſtehen. 

i 5 101. 

Und da es mit den andern Haupt⸗Stuͤcken (auch denen, die hier gar nicht be⸗ 
ruͤhret werden) faſt eine gleiche Bewandniß hat; unſer ietziges Vorhaben aber und 
die einmal geſetzten Schrancken, ſolche weitlaͤufftige Ausführungen weder zulaffen, 
noch erfordern; indem die gantze Abſicht nur auf einen Kern gerichtet iſt: Als wen⸗ 
den wir uns hiemit weiter, und uͤberlaſſen dem Lehrbegierigen dieſe Materie zu wei⸗ 
term Nachſinnen, und dem Bedencken, daß, wie ein Gottesgelehrter die Bibel mit 
genauen Augen lieſet, als ein Laye; ſo auch denen eine genauere Unterſuchung der 
Melodien hoͤchſtnoͤthig ſey, die Componiſten (bevorab zum Lobe GOttes) ſeyn 
wollen, als denen, die nur vom Zuhören Weſen machen. Wozu denn die bereits 
ernannte Schrifft⸗Steller zwar eine huͤlffliche Hand bieten; doch der eigne Fleiß, 
und die ernſtliche Betrachtung ſchoͤner practiſchen Wercke, abſonderlich der Tele⸗ 
manniſchen, den gröffeften Vortheil bringen koͤnnen. 


Sie⸗ 


> — I: 127 


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Siesendes Baupt- Stüc. 


Von der Einrichtung, Ausarbeitung und Zierde 
in der c a, 


F. 1. 


Archer meinet, wenn er ein wenig Vorrath an Erfindung hat, fo ſey 
es mit ſeiner Compoſition ſchon richtig. Es iſt aber weit gefehlet, 
und kan damit allein nicht beſtellet werden; wiewol es, ſicherlich, 

| faft die Helffte der Arbeit ausmacht: denn von der Erfindung muß 
angefangen werden. Allein es heißt auch wiederum: Ende gut alles gut, und dazu 
gehören Einrichtung, Ausarbeitung und Zierde, die ſonſt, mit ihren Kunſt⸗ 
Nahmen, heiſſen: diſpoſitio, elaboratio & decoratio. 


8 
Viele fangen mit ſolcher Freigebigkeit an, daß ſie es zuletzt gar nicht, in gleichen 
Schritten, ausführen koͤnnen: über ſolche Flagte ſchon Horatz zu feiner Zeit etwa 
alſo: Ein Zober ) ſolts ſeyn; und ward ein Kruͤgelein. Wir haben nicht 
wenig Exempel von Ton⸗Kuͤnſtlern, die ziemlich reich an Erfindungen ſind; denen 
aber das Feuer bald ausgehet, und die, wegen Verabſaͤumung guter Einrichtung, 
daran ſie keinmal gedencken, nichtes recht ausarbeiten, noch bis ans Ende verharren. 
Marcello iſt gantz anders geſinnet, wie wir bald ſehen werden. 9 
55 


®) - „ amphora gie 
Enit, ; curtente zota eur urcens exit? Hor, de ar 0 ee 


128 Siebendes Capitel: Von der Einrichtung. 1 


2 2 8 * * Re 


3 

Hergegen gibt es andre, die erſchnappen gerne eine fremde Erfindung aus der⸗ 
jenigen Menge Sachen, die ihnen unter die Haͤnde gerathen, davon doch offt nic 
zwo Noten ihre eigene find; fie wiſſen dieſe Entwendung aber dermaſſen geſchickt 
einzurichten, auszuarbeiten und zu ſchmuͤcken, daß es eine Luſt iſt. Wenn ich 
nun von beyden eines waͤhlen ſolte, entweder eine gluͤckliche Erfindung, oder eine gute 
Einrichtung ꝛc. nahme ich vielleicht die erſte; beyde zuſammen aber wuͤrden ſie mir 
ai lieber ſeyn. Es iſt was rares ſo wie e und Tugend, in einer Perſon. 

Was nun, zum erſten, die Difpofiion betrifft, fo iſt fie eine artige Anord⸗ | 
nung aller Theile und Umſtaͤnde in der Melodie, oder in einem gantzen 
muſtcaliſchen Wercke, faſt auf die Art, wie man ein Gebäude einrichtet, und ab⸗ 
zeichnet, einen Entwurff oder Abriß machet, einen Grund⸗Riß, um anzuzeigen, wo 
3. E. ein Saal, eine Stube, eine Kammer, und ſo weiter angeleget werden ſollen. 
Unſre muſtcaliſ che Diſpoſition iſt von der rhetoriſchen Einrichtung einer bloſſen Rede 
nur allein in dem Vorwurff, Gegenſtande oder Objecto unterſchieden: Dannen⸗ 
hero hat ſie eben diejenigen ſechs Stuͤcke zu beobachten, die einem Redner ſonſt vor⸗ 
geſchrieben werden, nemlich: den Eingang, Bericht, Antrag, die Bekraͤff⸗ 
tigung, Wiederlegung, und den Schluß, ſonſt genannt: Exordium, Nar- 
ratio, Propoſitio, Confirmatio, ia a & Peroratio. 


. 
Es iſt zwar den allererſten Conwoniſen eben ſo wenig in den Sinn gekommen, 
ihre Saͤtze nach obiger Ordnung einzurichten, als den mit natuͤrlichen Gaben verſe⸗ 
henen fertigen Rednern, ſolchen 6. Stuͤcken genau zu folgen, ehe und bevor die Wohl⸗ 
redenheit in eine foͤrmliche Kunſt und Wiſſenſchafft gebracht worden. Es wuͤrde 
auch noch, bey aller Richtigkeit, offt ſehr pedantiſch heraus kommen, wenn man ſich 
gar zu aͤngſtiglich daran binden, und fei eine Arbeit allemal nach dieſer Schnur abmeſſen 
wolte. Dennoch aber iſt nicht zu laͤugnen, daß, bey fleißiger Unterſuchung, ſowol 
guter Reden, als guter Melodien, ſich dieſe Theile, oder einige davon, in geſchick⸗ 
ter Folge, allerdings darin antreffen laſſen; ob gleich manchesmal die Berfaffer ehe 
auf ihren Tod, als auf folchen Leit⸗Faden 0 gedacht haben moͤgen. | 


So gar in den allergemeinſten Geſprſchen lehret uns die Natur ſelbſt gewiſe 
tropos oder uneigentliche Deutungen der Woͤrter, gewiſſe Argumente oder Gruͤnde, 
gebrauchen, und in denſelben eine gehoͤrige Ordnung halten; unangeſehen die 
redende niemals von einer rhetoriſchen Regel oder Su das geringſte ge 

| en. 


Ausarbeitung und Zierde in der Setz⸗Kunſt. 129 


ben. Und aus dieſem natuͤrlichen Triebe des Verſtandes, der uns locket, alles mit 
einer guten Ordnung und Zierlichkeit vorzubringen, ſind endlich, von ſinnreichen 
Koͤpffen, die Regeln erfunden und angegeben worden. Mit der Muſic allein hat 
es nun noch bis hieher finſter um dieſe Gegend ausgeſehen; wir wollen aber hof⸗ 
fen, daß es ſich, nach und nach, etwas ausklaͤren werde, und unfern Beytrag 
dazu nicht ſparen. | | | | 1 
1 8 


. g Ä 7005 | 

Das Exordium iſt der Eingang und Anfang einer Melodie, worin 
zugleich der Zweck und die gantze Abſicht derſelben angezeiget werden 
muß, damit die Zuhoͤrer dazu vorbereitet und zur Aufmerckſamkeit 
ermuntert werden. Mehrentheils, wenn wir einen Satz ohne Inſtrumente be⸗ 
trachten, ſtehet dieſer Eingang in dem Vorſpiel des Baſſes, oder in dem Ritor- 
nello, ) wenn ein groͤſſeres accompagnement dabey iſt. 

N 5 | Wal 

Die Narratio iſt gleichſam ein Bericht oder eine Erzehlung, dadurch 
die Meinung und Beſchaffenheit des Vortrages angedeutet wird. Sie 
findet ſich gleich bey dem Eintritt der Singer oder vornehmſten Concert⸗Stimme, 
und beziehet ſich auf das Exordium, welches vorher gegangen iſt, durch einen gez 
ſchickten Zuſammenhang. | | | 

| §. 9. 


Die Propoſitio oder der eigentliche Vortrag enthaͤlt kuͤrtzlich den In⸗ 
halt oder Zweck der Klang⸗Rede, und iſt zweyerley: fimplex& compoſita, 
einfach oder zuſammengeſetzet, wohin auch die variata, oder bunte und verbraͤmte, 
in der Ton⸗Kunſt, gehoͤret, von welcher die Rhetoric nichts weiß. Solche Propo- 
ſitio hat ihre Stelle gleich nach dem erſten Abſatz in der Melodie, wenn nemlich der 

Baß gleichſam das Wort fuͤhret, den Vortrag thut, und den Inhalt fo kurtz, als ein⸗ 
fach, vorleget. Darauf denn die Singe⸗Stimmen ihre propoſitionem variatam 
anheben, fich hiernaͤchſt mit dem Fundament vereinigen, und den zuſammengeſetzten 
Vortrag erfuͤllen. Wir wollen, weiter unten, eine Arie vor uns nehmen, und ſie 
nach dieſer Ordnung unterſuchen, ob ſichs ſo damit verhalte? ſo wird alles, was 
hie geſagt worden, viel deutlicher in die Augen und Ohren fallen; es mag ſo neu 
und fremd ſcheinen, als es wolle. Kan = a 9 


R | 8 $, 10, 


) Wir nennen auch dasjenige hier ein Ritornello, was mit Inſtrumenten vorher geſpielet wird, 
weil es zur Wiederkehr dienet, und damit ſo wol geſchloſſen, als angefangen wer den kan. | 


130 Siebendes Capitel: Von der . | 


§. 10. 


Die Confutatio iſt eine Aufloͤſung der Einwendungen, und mag in der 
Melodie entweder durch Bindungen, oder auch durch geſchickte Anführung und 
Wiederlegung fremd ⸗ſcheinender Falle oder Modulirungen, ausgedruckt werden: 
denn eben durch dergleichen Gegen⸗Saͤtze, wenn ſie wohl gehoben ſind, wird das Ge⸗ 
Hör in feiner Luſt geſtaͤrcket, und alles, das demſelben i in Diſſonantzen und Ruͤckungen 
zuwieder lauffen moͤgte, geſchlichtet und aufgeloͤſet. Inzwiſchen trifft man dieſes 
Stuͤck der Einrichtung nicht ſo viel, als die andern an; da es doch 1 eines der 


ſchoͤnſten iſt. 


$. 

Die Confirmatio iſt eine kuͤnſtliche Bekräftigung des Vortrages, und 
wird gemeiniglich, in den Melodien, bey wohlerſonnenen, und uͤber Vermuthen ange⸗ 
brachten Wiederholungen, angetroffen; worunter aber die gewoͤhnlichen Repr iſen 
nicht eigentlich zu verſtehen ſind; ſondern nur die mehrmalige, mit artiger Veraͤnde⸗ 
rung verſehene, Einführung gewiſſer „ modulorum. 


$. 

Die Peroratio endlich iſt der Ausgang oder Beſchluß unſrer ans 
Rede, welcher, vor allen andern Stuͤcken, eine beſonders nachdruͤckliche Bewegung 
verurſachen muß. Und dieſe findet ſich nicht allein im Lauff oder Fortgange der Me⸗ 
lodie, ſondern vornemlich indem Nachſpiel oder Kitornello, entweder allein im Fun⸗ 
dament, oder in ſtaͤrckerer Begleitung mit andern Inſtrumenten: es ſey dieſes Ritor- 
nello vorher gehöret worden, oder nicht. Die Gewohnheit aber hat es fo eingefuͤh⸗ 
ret, daß wir in den Arien faſt eben mit den Gaͤngen und Klaͤngen ſchlieſſen, darin wir 
angefangen haben: welchemnach unſer exordium, in dieſem Fall, auch die Stelle 
der Perorationis vertritt. | 


weh | 
Doch kan ein geſcheuter Setzer auch offt hierin feine Zuhörer artig uͤberraſchen, 
und ſowol in dem Schluß der Sing; Melodie, vorzüglich, als auch im wuͤrcklichen 
Nachſpiel, beylaͤufig, unvermuthete Veränderungen anbringen, die einen angeneh⸗ 
men Eindruck hinter ſich laſſen, daraus gantz eigene Bewegungen entſtehen: und 
das iſt die eigentliche Natur der perorationis. Die Schluͤſſe, fo auf einmal, gantz 
unerwarteter Weiſe, abgebrochen werden, oder, wie man redet, ex abrupto entſte⸗ 
hen, geben hier auch dienliche Mittel zur Gemuͤths⸗ Bewegung an die Hand. 
14. 
Zum Beweisthum deſſen, was bisher berichtet worden, laßt uns eine Aria von 


dem heruͤhmten und gruͤndlichen Marcello unterſuchen: nach deren EM 10 
herna 


Ausarbeitung und Zierde in der Setz⸗Kunſtt. m 

| hernach deſto leichter alle andre Melodien, in dem, was dieſen Punct der Einrich⸗ 
tung betrifft, beurtheilen kan. Denn, ob gleich die erwehnten Stuͤcke ſich eben 
nicht allemal in derſelben Reihe befinden, oder auf einander folgen; ſo werden ſie 
doch, in guten Melodien, faſt alle anzutreffen ſeyn. e . 


Das Exordium oder den Eingang unſrer Aria macht dieſer Satz oder dieſes 
Thema: 9 | aa A 


Und dieſes iſt eigentlich die Narratio, welche bis an eine Cadentz, mit völligen Wort⸗ 
Verſtande, fortgeſetzet wird. f 
| Ei Er §. 16. e 

Nachdem nun der Abſatz in der Tertz erfolget iſt, hebt der Baß die reper⸗ 
euſſionem, und gleichſam den rechten Vortrag, erſt an, allwo die propoſitie 
&implex fo erſcheinet: = 


nur ihren Grund⸗Riß zeigen wollen; fo find die folgende Syſtemata unbezeichnet gelaſſen, 
und iſt die groſſe Gert, oder das fis, nur im Lauff der Melodie, beygefuͤget worden. 


32 Siebendes Capitel: Von der Einrichtung / 


§. 17. 
Darauf fällt die Sage et mit einer Veränderung ao. ein ‚und mach 
eine propoſitionem variatam. | 


Wornaͤchſt die Melodie noch einige Taͤcte lang, auf dieſe Art, weiter gefuͤhret wird, 
bis der Wort⸗Verſtand einen abermaligen Abſatz erfordert. 

a §. 18. 
Alsdann nimmt der Baß das Thema wiederum vor, und zwar fo, wie ers im 
Eingange beruͤhret hat; ehe ers aber vollendet, tritt ihm die Sing⸗Stimme, mittelſt 
einer Nachahmung, entgegen, gibt dabey der Melodie ein gantz anders Anſehen, und 
zeiget, ſamt dem Fundament, propofitionem compoſitam, oder einen zuſammen 
N folgender Geſtalt: 


Wiederum, nach Verlauff einiger Taͤcte, vernimmt man die confirmatio- 
nem, oder Bekraͤfftigung deſſen, was bereits, auf verſchiedene Weiſe, vorgetra⸗ 
gen worden; h mit einer mercklichen und ſchönen Veranderung: 


So weit Bee die Helffte, welche denn, gewoͤhnlicher maaſſen, chen ſo geſchloſſen 
wird, 


Ausarbeitung und Zierde in der Setz Kunſt. 33 
wird, wie ſie angefangen worden, 7 damit die perorationem, oder den Schluß 
erhaͤlt. . | „each | 1 N 8 
Im zweyten Theil, nachdem der Verfaſſer ſeine neue narrationem ange⸗ 
bracht, und gleichſam eine apoftrophen *) eingeführet hat, reiſſet er, fo zu reden, ein 
Stuͤcklein von ſeinem bisherigen Themate ab, und macht ein beſonderes daraus; 
arbeitet damit, per confutationem, durch Bindungen und Gegen Sage (vers 
ſtehe diſſonirende Einwuͤrffe) ſo lange, bis er ſie gluͤcklich aufloͤſet, und ſeinen 
periodum in die Qvarte des Haupt⸗Tons, zur Ruhe bringet. Ich will lieber den 
gantzen Satz herſchreiben, und mit Anmerckungen, zu mehrer en erlaͤutern: 


— uns 


6, 28, 


Apoſtrophe iſt, wenn ſich der Redner gantz unvermuthlich zu andern Zuhörern zu wenden ſch et. 

a) Hier endiget ſich die peroratio. b) Tranſitio oder Übergang, Krafft deſſen das vor bergehende 

mit dem folgenden an einander gefuͤget, und von jenem zu dieſem hinüber getreten wird. ) An die⸗ 
ſem Ort gehet die Apoſtrophe, oder averſio, an. d) Der Wiederſchlag, oder die re. ercuſſio gez 
ſchiehet in der Sext des Haupt⸗Tons. e) Da treffen die Gegen⸗Saͤtze mit ihren Aufloͤſungen 
ein; eonfutatio, rhetoribus diffolutio ; nobis reſolutio. i 


wu. Siebendes Capitel: Von der Einrichtung, 


$. 21. 

Hiernaͤchſt ergreifft der Baß das voͤllige Thema, mittelſt eines neuen Wieder⸗ 
ſchlages in der Qvarte, drehet es gantz fremd herum, und wird darin von der Singe⸗ 
Stimme, doch mit abermahliger Veraͤnderung, gefolget; welches faſt der amplifi- 

cationi und argumentationi, einer Erweiterung und Bewährung, gleich ſichet! 
1510 deren ſich die Melodie der Dvinte nähert, 


Be 


Ferner folget ein frifcher Wiederſchlag, oder eine repercuſſio i in der Qvinte 
des Haupt⸗Tons, welche Figur in der Rede⸗Kunſt, und zwar in den Aiguris dictio- 
nis, mit dem Nahmen, refractio ſeu reverberatio, beleget wird: doch ſo, daß die 
Singe⸗Stimme dieſesmal nicht nachfolget, ſondern vielmehr eine Gegen⸗Bewegung 
vornimmt. Endlich laͤßt ſich oberwehnte, abgeſonderte Clauſul zu einer friſchen 
confutation ein, womit der zweyte Satz oder au Bei und hernach das 
Da En 15 er 


ED x 
mn] ru me 


5 ae 


7 1 7 . 
= = 22. 
— 
(7 
EEE AN TEN — TEE Mn u eo 


| Ausarbeitung und Zierde in der Setz⸗Kunſt. 35 


Est wait a 

Dass kan, mit gutem Recht, einen geſchickten Riß abgeben, der nicht nur wohl 
eingerichtet, ſondern auch, bevorab im zweyten Theil, auf das fleißigſte ausgearbei⸗ 
tet iſt, und, nebſt den ſechs vorgeſchriebenen Stuͤcken, zugleich einige Stellen auf⸗ 
weiſet, die den figuris dictionis & ſententiæ beykommen, und die wir, ob fie gleich 
zur Zierde eigentlich gehoͤren, dennoch im Vorbeygehen, unbemercket nicht haben laſ⸗ 
ſen koͤnnen. Wer Luſt hat, wird, dieſe Materie ferner zu unterſuchen, keinen Umgang 
nehmen, und ſich wundern, wie faſt in allen guten Melodien dieſe Dinge ſo deutlich 
zu finden find, als ob fie mit Vorſatz dazu beſtimmet worden waͤren. 


A. 

Es liegt inzwiſchen ein groſſes an der Einrichtung, und kommen alle Verhaͤlt⸗ 
niſſe der Theile darauf an, die ein Stuͤck aufzuweiſen haben mag: worin es denn 
gar offt vortrefliche Meiſter und Erfindungs⸗reiche Componiſten heslich zu verſehen 
pflegen. Bis weilen geluͤckt es ihnen; doch nur von ungefehr: weil ſie die rechten 
Grund⸗Saͤtze nie unterſucht, noch ſich die geringſte Regel, auffer ihrem guten Natu⸗ 
rell, von einer ordentlichen Einrichtung iemals gemacht haben. 


§. 25. 

Der Redner Gewohnheit iſt, daß fle die ſtaͤrckeſten Gruͤnde zuerſt; 
hernach die ſchwaͤchern; und zuletzt wiederum ſtaͤrckere anbringen. Das 
ſcheinet gewiß ein beſonderer Kunſt⸗Griff zu ſeyn, welchen ſich ein Muſicus eben 
ſowol, als ein Orator, zu Nutz machen kan: zumahl bey der allgemeinen Einrich⸗ 
tung ſeines Wercks. Und wiewol es das Anſehen gewinnet, als ob dieſe Richtſchnur 
das Verfahren derjenigen billige, die ihren Arien ſonſt nichts, als ein ausnehmendes 
Da Capo, zu geben wiſſen, dabey der Anfang und das Ende gleich ſtarck, das Mittel 
aber offt jaͤmmerlich ausſiehet; ſo taugt doch eine ſolche difpofition deswegen nicht, 
weil ſie mehr auf beſondere gantze Theile, als auf das allgemeine Wohlweſen des 
Vortrages gerichtet iſt, wie denn das erwehnte Kunſt⸗Stuͤck nicht ſowol von einer 
ſpecialen, oder vielmehr generalen Einrichtung zu verſtehen iſt, daß nemlich, alle 
Theile überhaupt , ein ieder vor ſich, ſolche drey Stuffen der ſchwaͤchern, ſtaͤrckern, 
und ſtaͤrckeſten Argumente zu beobachten habe. 

| ee a, 20, | | 
Gleichwol kan auch hierin Maaß und Ziel geſetzet werden, daß man, einer 
Seits, der Sache weder zu viel, noch zu wenig thue; andrer Seits aber beſagte Re⸗ 
gel in ihrer Krafft laſſe: welches alsdenn geſchiehet, wenn man ein Werck vorher 
wohl eintheilet und abreiſſet, ehe zur Ausarbeitung geſchritten wird. Die meiſten 
Componiſten, wenn nur ein guter Einfall da iſt, fahren gleich, mit e 
i 5 12 


136 Siebendes Capitel: Von der Einrichtung 


Haͤnden, zur elaboration; es gerathe nun damit, wie es wolle: da doch die Vor⸗ 
ſichtigkeit unausſetzlich erfordert, in allen Dingen einen Uberſchlag zu machen, ehe 
man Hand anleget. Rechtſchaffene Haushaͤlter“) werdens wiſſen, inſonderheit 
ſolche, die das Einmahleins, und, aus der Rechne⸗Kunſt, das Addiren, in gu⸗ 
tem Verſtande, wohl gelernet haben. 0 
5 
Bey Verfertigung groſſer Oratorien pflegt mein Gebrauch zu ſeyn, den Schluß 
des gantzen Wercks zuerſt vorzunehmen, und denſelben, bey noch friſcher und uner⸗ 
muͤdeter Krafft der Geiſter, iedoch mit einer gewiſſen Abſicht auf das uͤbrige, alſo ein⸗ 
zurichten, daß er was rechtes ſagen moͤgte. Ein ieder folge feinem Triebe: ich er⸗ 
wehne dieſes nicht aus Eitelkeit, noch zur Vorſchrifft; ſondern bloß darum, weil ich 
mich iederzeit wohl dabey befunden, und die Zuhoͤrer vor allen Dingen am Ende, wo 
es auch am noͤthigſten iſt, ohne Ruhm zu melden, fo geruͤhret habe, daß vieles davon 
in ihrem Gedaͤchtniß Wurtzel N hat,, | 
Von dem weltberühmten und Mufic- gelehrten Steffani habe mir ehmals 
fagen laſſen, daß derſelbe, ehe er noch eine Feder angeſetzet, die Opera, oder das vor⸗ 
habende Werd, eine Zeitlang beftändig bey ſich getragen, und gleichſam eine recht; 
ausfuͤhrliche Abrede mit ſich ſelbſt genommen habe, wie und welcher Geſtalt die gan⸗ 
tze Sache am fuͤglichſten eingerichtet werden moͤgte. Hernach aber hat er ſeine 
Saͤtze zu Papier gebracht. Es iſt eine gute Weiſe; ob gleich zu vermuthen, daß 
ſich heut zu Tage, wo alles auf der Flucht geſchehen ſoll, wenig finden werden, die 
Gefallen tragen, ſolche Uberlegung anzuſtellen; es ſey nun Unverſtand, oder Ge⸗ 
maͤchlichkeit (alias Faulheit) oder auch derjenige alberne Hochmuth, welchen man 
ſuffiſance nennet, Schuld daran. Ja, wenns lauter Ziegen waͤren, die, ohne ein 
Bein zu zerbrechen, von der Mauer herabklettern koͤnten, ſo holte Claus Narr 
die Leiter umſonſt. \ | - 


§. 29. | 

Wenn inzwiſchen die Gleichfoͤrmigkeit in allen Dingen ein groſſes beytraͤgt, 
daß dieſelbe nicht nur den menſchlichen Sinnen angenehm, ſondern auch eben da⸗ 
durch an ſich ſelbſt dauerhaffter werden, wie ſolches guten Baumeiſtern wohl be 
wuſt ſeyn wird; ſo iſt leicht zu erachten, warum einige Sachen, mit dem Alter, we 
nig oder nichts an ihrer innerlichen Guͤte und Feſtigkeit verlieren, ob ſie gleich von 
e | auf 
) Rechtſchaffene fage ich darum, weil es Leute giebt, die ſich einbilden Oeconomi zu ſeyn, a. 
ſie doch keine eintzige Kammer, geſchweige Kuͤche und Keller, zu eigen haben, und alle ihre Grif⸗ 
fe darin beſteben, auf andrer Unkoſten zu leben. Die Anwendung wird leicht zu machen ſeyn. 

Argliſtigkeit iſt keine Weisheit. di 2 | 


Ausarbeitung und Zierde in der Seb Kunst. a, 


auſſen einen kleinen Anſtoß bekommen moͤgten; andre hergegen, ſo ſchr ſie auch 
glaͤntzen und prahlen, alſobald in der Wiege ihr Grab finden. Das lieget gröffeften 
Theils an der guten oder uͤblen 9 5 


Wer ſich alſo, (ſeiner Serif n Ste ungeachtet) der a ben 
| Methode, auf gewiſſe ö ungezwungene Art, bedienen will, der entwerffe, etwa 
auf einem Bogen, ſein voͤlliges Vorhaben, reiſſe es auf das groͤbſte ab, und richte 
es ordentlich ein, ehe und bevor er zur Ausarbeitung ſchreitet. Meines wenigen 
Erachtens iſt es die allerbeſte Weiſe, dadurch ein Werck fein rechtes Geſchicke be⸗ 
koͤmmt, und ieder Theil ſo abgemeſſen werden kan, daß er mit den andern eine 
gewiſſe Verhaͤltniß, Gleichfoͤrmigkeit und Ubereinſtimmung darlege: 
maaſſen dem Gehoͤr auf der Welt nichts liebers iſt, denn das. 


31. 

Zeit will dazu gehoͤren, und Gedult; wer die nicht hat, der wird c 
davon kommen: wenn er nur ſo, vor der Fauſt, wegſchreibet, wie die meiſten thun, 
welche ſich, weder um das allgemeine, noch beſondere Einrichtungs⸗Weſen, nicht 
das geringſte bekuͤmmern: Daher es denn auch manchesmal im Ton, im Tact ꝛc. 
wunderliche und abentheurliche Contraſten “) gibt, die, ohne Verwirrung und , 
nicht angehoͤret werden mögen. So viel 10 der Einrichtung. 


$. | 
Die Elaboratio oder Yusarbeitung ſelbſt, nach gemachtem Uberſchlage, iſt 
um die Helffte leichter, als ſonſt; braucht dannenhero wenigen Unterricht: Denn 
man trifft einen bereits⸗ gebahnten Weg an, und weiß gewiß, wo man hinaus will. 
Von niemand wird inzwiſchen dieſe Ausarbeitung geringer geſchaͤtzet, als von ſol⸗ 
chen, die ſich mit vielen Erfindungen ſchmeicheln; welche doch, mehrentheils, auf 
leere und ſeltſame Grillen hinaus lauffen. Wo man weder an die Einrichtung, 
noch an die Ausarbeitung eines Wercks, recht denckt, da iſt auch die beſte Erfindung, 
85 . artig, huͤbſch, ſchoͤn; aber ohne Beyſtand, or und 
irm. | 


§. 33. 

Leuten, die keine taugliche ddt machen wollen, wird hernach die Aus⸗ 
arbeitung deſto ſaurer, und koſtet ihnen viel Zeit und Arbeit: das ſchreckt die gemaͤch⸗ 
lichen und wolluͤſtigen Herren ab; die Arbeit inſonderheit ſtehet ihnen gar nicht an; 
ſie nh ihre ee Fratzen a ſchon eben ſo gut en als eine wohl; 

5 ge⸗ 


\ 


n Siebendes Capitel: Von der Einrichtung, 


gegruͤndete Erfindung, die kluͤglich eingerichtet, und hernach eben ſo leicht ausgear⸗ 
beitet, als gefaͤllig angehoͤret wird. Nach den Gedancken ſolcher Poſt⸗Componi⸗ 
ſten ſtehet ein anhaltender Fleiß, und eine genaue Beobachtung nothwendiger Vor⸗ 
ſchrifften, nur ſtaubigten Schul⸗Fuͤchſen und niedertraͤchtigen Sclaven an: Wer 
wolte ſich denn feſſeln laſſen, und ſo viel Zeit auf die Ausarbeitung wenden? Ein 
feiner Schmuck, ein kuͤnſtlicher Zierrath, eine reiche Verbraͤmung ꝛc. koͤnnen dasjenige 
vollkommen erſetzen, was etwa, an einer gruͤndlichen Zuſchneidung, oder an einer 
feſten Nath, abgehet. Meine Meinung iſt ſo: 

Zwar frey; iedoch in ſteter Pflicht: 

Gebunden; aber knechtiſch nicht. 

. 

Nun iſt es freylich an dem, daß die hurtigſten und feurigſten, anbey zur Muſic, 
und zu den dahin gehörigen ſchoͤnen Wiſſenſchafften, beqvemſten Gemuͤther ſelten 
an Gedult und Zeit einen Überfluß haben. Mancher kan nichts ſetzen, es geſchehe 
denn in aller Eil, oder, wie es in einigen Brieffen zur Unzeit lautet: raptim! An⸗ 
dre hergegen, ie länger fie einem Dinge nachſinnen, ie mehr fie wegſtreichen und ein⸗ 
flicken, ie ſtumpffer werden fie, und ie kuͤnſtlicher fie ihr Werck gerne ausarbeiten 
wolten, ie ſchlechter und gezwungener geraͤth es offt: weil ſie, nehmlich, alles ohne 
vorhergegangene Überlegung angreiffen. Das erſte iſt eine Vermeſſenheit, die mit 
dem Fall in naher Verwandtſchafft ſtehet; das andre thut die Furcht, als eine ein⸗ 
faͤltige Gemuͤths⸗Bewegung, die ſich auch ſo gar bey Auſtern und Muſcheln befin⸗ 


det, wenn ein Meſſer zwiſchen ihren Schalen eindringet. Und hier muß es heiſſen: 
nec tumide, nec timide! 


| §. 35. | va 
Ein ieder pruͤffe ſich ſelbſt wohl, wie er in dieſem Stücke geartet fen, und richte 
ſich desfalls, mit gewiſſer Maͤßigung, nach ſeinem Triebe. Denn es iſt doch allemal 
beſſer, wenn einer es ja nicht ändern kan, mit anſtoͤndiger, naturlichen Art (de 
bonne grace) einen kleinen Kunſt⸗Fehler zu begehen; als denſelben, durch aͤngſt⸗ 
liches Bemuͤhen, und gezwungenen Fleiß, zu vermeiden oder zu bemaͤnteln. Ein 
ſolcher kummerloſer Schnitzer iſt einer muͤhſeligen Richtigkeit vorzuziehen; wenns 
nicht gar zu grob gemacht wird. Die Alten ſagten: Genio indulgendum, man 
muß feiner Neigung etwas nachgeben. Und es iſt recht wohl geſagt. 
§. 36. A 
Allein, es will auch nicht allemal mit dem hefftigſten Triebe ausgerichtet ſeyn. 
Bisweilen geraͤth es; ſehr offt mislinget es. So viel iſt gewiß, daß keine gute 
Ausarbeitung, ohne vorgaͤngige Einrichtung, auf dem Stutz, geſchehen 2 
9 on⸗ 


. Ausarbeitung und Zierde in der Setz Kunſt. 39 
ſondern Zelt und Gedult erfordert. Hat es aber mit der Überlegung feine Rich⸗ 


tigkeit, ſo braucht man deſto weniger Zeit und Gedult. Wenn ich dieſes auch gleich 
mehrmal ſagte, wuͤrde es doch nicht 9 | 


b. 

Die Erfindung will Feuer und Seit e die Einrichtung Ordnung und 
Maaſſe; die Ausarbeitung kalt Blut und Bedachtſamkeit. Man ſagt im gemei⸗ 
nen Spruͤch⸗Wort: Gut Ding will Weil haben. Das verſtehe ich mehr von der 
Difpofition, als Elaboration: denn wo es mit dieſer traͤge, langſam und ſchwer her⸗ 
gehet, da wirckt ſie in den Gemuͤthern der Leſer oder Zuhoͤrer eben desgleichen. 
Was in der Eil gemacht if, und gut ausfällt, hat deswegen vor andern Werden 
nichts voraus. Wiederum iſt es unbillig, daß man dem Kuͤnſtler vielmehr die Zeit, 
als die Arbeit, bezahlen fol. Doch hat die Natur nicht gewollt, daß eine groffe 
Sache, die zum Lobe Gottes, und zur Bewegung menſchlicher Leidenſchafften, ab⸗ 
zielet, auf der Flucht geendiget werden ſoll; ſondern ſie hat einem ieden herrlichen 
Wercke auch eine beſondere Schwere zugetheilet. So lauten Schuppit Worte 
im ungeſchickten Redner. 


$. 

Endlich find weder alle Perſonen, ine 00 alle Zeiten und Stunden zu einer 
guten Ausarbeitung beqvem: und da hat mancher heute zu etwas Luſt, davor ihm 
morgen grauet. Selten trifft man einen Erfindungs⸗ reichen Mann an, der ſeine 
Sachen kuͤchtig ausarbeitet; hingegen ſind die muͤhſeligſten Kuͤnſtler gemeiniglich 
die armſeligſten Erfinder. Kurtz, wer wohl diſponirt, hat halb elaborirt; es 
koſtet ihm nur wenig Zeit und Aufmerckſamkeit; keine groſſe Arbeit; wo ſich dieſe 
zu ſtarck blicken laͤßt, iſt es weit ſchlimmer, als wenn ſie gar zu Hauſe geblieben waͤre. 
55 1105 es heiſſen: Nicht zu wenig, ) nicht zu viel! Sonſt verdirbt Geſang und 1 

piel. 


§. 39. 

Wenn wir endlich noch ein Wort von der al möte, oder Deren 
tion machen muͤſſen, wird hauptſaͤchlich zu erinnern noͤthig ſeyn, daß ſolche mehr 
auf die Geſchicklichkeit und das geſunde Urtheil eines Saͤngers oder Spielers, 
d. i. des Executoris, ankoͤmmt, als auf die eigentliche Vorſchrifft eines Setzers. 

40. 

Etwas Zierrath muß man ſeinen Melodien beylegen, und dazu koͤnnen die 
haͤufigen Figuren oder Verbluͤmungen aus der Rede⸗Kunſt, wenn ſie wohl angeord⸗ 
net werden, vornehmlich gute Dienſte e Bey Leibe aber brauche man ſie He, 

Uber⸗ 
© Neu defis operæ; neve immoderatus abunden, Hor. Sat. 5. LU, 


140 Siebendes Capitel: Von der Einrichtung, 


%% . de ĩñ ( 
uͤbermaͤßiglich. Die Figure dictionis haben eine groſſe Aehnlichkeit mit den Wan⸗ 
delungen der Klaͤnge, in lange und kurtze, in ſteigende, fallende x. Die Figuræ 
ſententiæ aber betreffen gantze Paſſagen und Saͤtze oder Themata, nach ihrer Um⸗ 
ſetzung, Nachahmung, Wiederſchall ꝛc. 
AB 

Die fo genannten Manieren verderben manche ſchoͤne Melodie im Stunde, 
und kan ichs den Frantzoͤſiſchen Ton⸗Kuͤnſtlern, fo hertzlich gut ich auch ihrem In⸗ 
ſtrumenten⸗Styl bin, nimmermehr verzeihen, wenn ſie, aus uͤbermaͤßiger Liebe zu 
Zierrathen und bunten Sachen, ihre doubles oder Doppel⸗Stuͤcke dermaſſen durch? 
ſticken und durchnaͤhen, dieſelbe mit unendlichen kleinen Figuren ſolcher Geſtalt 
ausputzen, oder vielmehr verunzieren, daß man ſchier nichts mehr von der wah⸗ 
ren natürlichen Schönheit ihrer Säge vernehmen kan. Denn bey ſolchen Fıgu- 
ris ſententiæ verſchwinden alle Figuræ dictionis, die doch in der Ton⸗Kunſt 
die beſten ſind, und vor andern empor ſteigen ſollten, ſelbſt bey aller Verſetzung 
und Veraͤnderung. 


42. 

Von dem beruͤhmten Josquino, ehmahligen Capellmeiſter in Franckreich, 
erzehlet *) Printz, aus den Collectaneis T. III. eines mir unbekannten Johannis 
Manlii, eine Geſchicht, die den Unterſchied zwiſchen dem alten und neuen Geſchmack 
der) Frantzoſen, zum Nachtheil der letztern, darleget. „Als Josquinus, heißt 
„es, noch zu Cambray lebte, und einer in deſſen muſicaliſchen Stuͤcken eine unan⸗ 
ſtändige Colorature machte, die er, Josquinus, nicht geſetzet hatte, verdroß es 
„ihn dergeſtalt, daß er denſelben hefftig ausſchalt, und, daß es alle hören kunten, 
„zu ihm ſagte: Du Eſel, warum thuſt du eine Coloratur hinzu? wenn mir dieſel⸗ 
„be gefallen hätte, wuͤrde ich fie wol ſelbſt hineingeſetzt haben: wenn du willſt 
„recht⸗componirte enge corrigiren, ſo mache dir einen eignen, und laß mir mer 
> „nen ungehudelt. 8 


Wir verachten darum die deco t nicht. Woblangebrachte Ma⸗ 
nieren ſind keinesweges geringe zu ſchaͤtzen, es entwerffe ſie der Componiſt ſelber, 
wenn er ein Saͤnger, oder geſchickter Spieler iſt; oder es bringe ſie der Vollzieher, 
aus freyem Sinne, an. Wir tadeln aber den Mis brauch auf das hoͤchſte, und fo 
wol die Ungeſchicklichkeit der Singenden und Spielenden, welche ſich 1 

14197 
„4 15 ib ee Beſchr. der Sing: und Kling⸗Kunſt, 10 Cap. h. 33 


koͤmmt mir merckwuͤrdig vor, daß die gtoͤſſeſten Sapelimeifteri in Franckreich, aus der 


Sende dahin beruffen worden. Jos quin war ein Niederlaͤnder, Laſſo 1 Lully war ein 
Welſcher ꝛc. c. 


Ausarbeitung und Zierde der Setz Kunſt. 141 


fender Zierrathen, aus Mangel eines guten Geſchmacks, ja beſſer zu ſagen, einer 
gefunden Bernunfft, und gehoͤriger Wiſſenſchafft, zur Unzeit und ohne Beſcheiden⸗ 
heit bedienen; als auch die aͤrgerlichen Schwaͤrmereyen einiger gar zu fantaſtiſchen 
Componiſten mit ihren naͤrriſch⸗tollen Einfjͤllen, welche fie ſelbſt für lauter ſchoͤnen 
Schmuck und Zierrath halten, unangeſehen gemeiniglich das abgeſchmackteſte We⸗ 
ſen von der Welt daraus entſtehet; die erzwungene und allzuofft wiederholte uͤbel⸗ 
ſtimmende Abweichungen der Tone, ſamt der übrigen ungebuͤhrlichen Freyheit, der 
ſich dieſe Sonderlinge gebrauchen, um eine Katzen⸗Muſic heraus zu bringen. 


az | | 
Die geſcheuteſten unter den wahren, achten, Welſchen Setzern hegen hierin 
gantz andre Gedancken, als einige ihrer haſelirenden Vorfahren und ietzigen wilden 
Mitbruͤder. Sie lieben ein ungeſchmincktes, reines und einfaches Weſen weit mehr, 
als alles verbraͤmte Puppenwerck: zumahl in Sing⸗Sachen. Und wenn fie ja ih⸗ 
ren Einfaͤllen den Lauff nicht hemmen koͤnnen (denn am Muth gebricht es ihnen nicht) 
ſo laſſen ſie lieber die Decorationes den Inſtrumenten uͤber, welches ſehr wohl und 
kluͤglich gethan iſt, wenn z. E. die Singe⸗Stimmen mit einer zierlich⸗ſchlechten Melo⸗ 
die einhergehen, daß alsdenn die Inſtrumente dazu, und dazwiſchen, gewiſſe artige, 
lebhaffte Modulos und Ausputzungen anbringen. Von ſolchen Welſchen Setzern 
rede ich, als der vor einiger Zeit in England bluͤhende Bononcini war, welcher gar 
genau wuſte, wo die Zierrathen ihren eigentlichen Sitz haben muͤſſen: maaſſen ſei⸗ 
ne Arbeit ſolches zur Gnuͤge beweiſet. So viel iſt gewiß, daß der haͤuffige Schmuck 
in der Ton⸗Kunſt mehr den Inſtrumenten, als den Singe⸗Stimmen zukoͤmmt. 


| | . 4s. 

Wenn es der Raum und unſte Schrancken vergoͤnnten, koͤnnte man hier 
leicht die 12. figuras dictionis, ſamt den 10 figuris ſcntentiæ, der Länge nach 
einführen, und ſehen, wie viele unter ihnen ſich zur Auszierung einer Melodie, oder 
auch eines gantzen Wercks, von gewitzigten Componiſten anbringen lieſſen. Denn, 
was iſt z. E. gewoͤhnlicher, als die muſicaliſche Epe xis oder Subjunctio, da ei⸗ 
nerley Ton oder Klang, in eben demſelben Satze, mit Hefftigkeit wiederholet wird? 


eigentlich: N figürlich: 


Was iſt wol gebraͤuchlicher, als die Anaphora in der Ton⸗ und Setz⸗Kunſt, 
5 | S 3 wo 


2 Siebendes Capitel: Von der Einrichtung, 


— ſ—W —.8-—ü— —-- — — — ae 
wo eben dieſelbe Klang⸗Folge, die ſchon vorgeweſen iſt, im Anfange verſchiedener 
nächſten Clauſuln, wiederholet wird, und eine relationem oder Beziehung macht? 


— 1 — tg 
nn en 


— nn EZ — ner 53 


st 


Die Epanalepſis, Epiſtrophe, Anadiploſis, Paronomaſia, Polyptoton, Antana- 
clafis, Ploce, &c. haben ſolche natürliche Stellen in der Melodie, daß es faſt ſchei⸗ 
net, 068 haͤtten die Redner ſelbige aus der Ton⸗Kunſt entlehnet: denn ſie ſind lau⸗ 
ker, auf gewiſſe Weiſe angebrachte, repetitiones voeum, 


47. 

Betreffend die figuras [ehrentie, da das Abſehen auf gantze Modulos zie⸗ 
let, wer weiß nicht vom Gebrauch der Exclamationen, die wir ſchon oben, als einen 
Abſchnitt der Klang⸗Rede, betrachtet haben? Wo iſt die Parrheſia gröffer, als in der 
muſicaliſchen Compoſition? Die Paradoxa, oder das inopinatum, wo was unver⸗ 
meintes oder nicht vermuthetes vorkommt, kan man faſt mit Haͤnden greiffen. Die 
Correctio oder Revocatio hat faſt in allen Gegen⸗Bewegungen ſtatt. Die Præ- 
teritio, Apoſiopeſis, Apoſtrophe &c. gehören alle mit einander, gewiſſer maaffen, 
in der Muſic zu Haufe, 6 


Viele werden hiebey dencken, wir haben dergleichen Dinge und Figuren nun ſo 
lange angebracht, ohne zu wiſſen, wie ſie heiſſen, oder was ſie bedeuten; koͤnnen uns 
auch forthin wol damit behelffen, und die Rhetorick an den Nagel haͤngen, oder un⸗ 
ter die Banck werffen. Dieſe kommen mir noch laͤcherlicher vor, als der buͤrgerliche 
Edelmann beym Moliere, der vorher nicht gewuſt hatte, daß es ein pronomen ſey, 
wenn er ſagte: ich / du, er; oder, daß es ein imperativus geweſen, da er zu ſei⸗ 
nem Knecht geſprochen: Komm ar | 


49. 

Ich mag auch, die Wahrheit zu an dieſes 5 mit Fleiß nicht weitlaͤuffti⸗ 
ger hierin ſeyn: theils, weil ein ieder geſcheuter Leſer bereits aus obiger Anzeige die 
Wahrheit meines Satzes finden wird: theils, weil ich nicht als ein Neuling a 

en 


Ausarbeitung und Zierde in der Setz⸗Kunſt: a 4 142 


hen werden, noch die Sache, gleich beym erſten Antrage, zumahl in einer Kern⸗ 
Schrifft, gar zu Schulmaͤßig dhe mag. | | | 


350. 

Vor Zeiten haben unfre gelehrte Muſſci 12 eicher, in en Lehr⸗ 
Art, von puren Sing⸗Manieren (die ich figuras cantionis, ſo, wie die vorhergehen⸗ 
den, figuras cantus nenne) zuſammen getragen, welche mit den obangefuͤhrten 
gleichwol keine Gemeinſchafft haben, und mit denſelben nicht vermiſchet werden 
muͤſſen. Unter andern finden wir eine Probe davon an der Arbeit des ehmahligen 
Nüͤrnbergiſchen Capellmeiſters, Andreas Herbſt, ingleichen an dem EN 
Wolffgang Caſpar Printz, in ſeiner Mulica modulatoria vocali. 

I. 

Allein, da ſich die Sachen faſt jahrlich andern, und die alten tremoli, groppi, 
eircoli, tirate &c. nicht mehr Stich halten wollen, eine andre Geſtalt gewinnen, 
oder auch neuern Moden Plaz machen müſen: ſo ſtehet man ſolche Vorſchrifften faſt 
mitleidend an, und wuͤrde ſich, wenn man ſchon dergleichen, nach heutiger Weiſe ent⸗ 
werffen wolte, in ein paar Jahren eben fo bloß ſtellen laſſen müffen, als jene. In⸗ 
deſſen gibt es doch einige Manieren, als z. E. die Accente, die Schleifer, die Vor⸗ 
ſchlaͤge ꝛc. von ziemlicher Dauer, über welche, ſo weit fi das Clavier betreffen, 
Kuhnau, in der Vorrede ſeiner Suiten, eins und 1 das nicht 
ſonder Nutzen geleſen werden mag. | 


$. 

Noch eins, welches uns zugleich auf das naͤchſte Capitel leitet, iſt zu erinnern, 
daß nehmlich unter die groſſen Figuren der Amplificationis, derer etliche dreyßig 
ſind, und mehr zur Verlaͤngerung, zum Schmuck, Zierrath, oder Gepraͤnge, als 
zur grund lichen Überzeugung oder Bewegung der Gemuͤther dienen, nicht mit Un⸗ 
recht zu zahlen iſt das bekannte und berühmte Kunſt⸗Stuͤck der Fugen, worin die 
Mimeſis, Expolitio, Diftributio, ſamt andern Blümlein, die ſelten zu Fruͤchten 
werden, ihre Reſidentz antreffen. Wir wollen dannenhero davon im folgenden und 
letzten Haupt Stück, jedoch nur daie buen if, einigen ee ertheilen. 


Achtes 


er A v def. 50 8888 ) fe 


| DSL 


SI IN 


% Gtrüg, 


8 


e Fuge iſt eine Art Geſanges und Geſpieles, oder beyder zugleich, mit 
| N verſchiedenen Stimmen, da die eine der andern, in gewiſſen Schritten, 
N nacheilet oder nachfolget, und eben daſſelbe Thema fuͤhret. Doch 
ER duͤrffen dieſe verſchiedene Stimmen nicht allemal in groſſer Anzahl 
dabey ſeyn: denn man ſetzet auch Fugen mit zwo Stimmen. | 
8 

Solche Kunſt⸗Stuͤcke werden darum Fugen genannt, weil eine Stimme vor 
den andern gleichſam wegfliehen und entwiſchen will; von ihnen aber, als auf der 
ge verfolget wird, bis ſie ſich endlich freundlich begegnen, und am Ende alle ver⸗ 
gleichen. 


9. 3. 

Es gibt gebundene und freye Fugen. Gebundene ſind, wenn ſich der Com⸗ 
poniſt daran bindet, daß alle Noten, vom Anfange des Unterwurffs, bis zum Ende 
deſſelben, ohne Ausnahm, nachgeſungen oder nachgeſpielet werden ſollen. Und das 
find die Canones. Freye oder ungebundene Fugen aber find zwar darum ſo gaͤntz⸗ 
lich nicht ohne Einſchraͤnckung, als die bloſſen Nachahmungen oder imitationes; 
ſondern ſo beſchaffen, daß nur eine gewiſſe Clauſul, von gehoͤrigen Stimmen, nach⸗ 
geſungen werden darff. | 


ah 

Dieſe Fughe ſciolte, d. j. ungebundene Fugen, find wiederum dreyerley: ein⸗ 
fache, vielfache, und Gegen Fugen. Was einfache find, iſt leicht zu . 
Bi nehm⸗ 


ee — 


Achtes Capitel: Von Fugen. 145 


ä — — -r —ßðrßPiꝙö—p:᷑ r—r—rr5iv8ßvi85,ð5—t.ðt—. .. 
nehmlich: wenn nur ein Subjectum, ohne Verkehrung, oder andern Kunſt⸗Griffen, 

regelmaͤßig durch⸗ und ausgefuͤhret wird. Vielfache find, wo mehr Subjecta, doch 

ohne Verkehrung, vorkommen. Gegen⸗Fugen aber haben zwar nur einen eintzigen 
Unterwurff; doch wird derſelbe auf vielfaͤltige Art getummelt, herumgekehret und 
verdrehet. Dieſe letztern Gegen⸗Fugen gehören eigentlich zum doppelten Contra; 
punct; die mittelſten zu den Doppel⸗Fugen; die erſten aber find und bleiben die vor⸗ 


nehmſten, gebraͤuchlichſten und leidlichſten, aus welchen hernach alle andre ent⸗ 


ſpringen. 0 
8 
Eine iede Fuge hat zwey Haupt⸗Kaͤmpffer, welche die Sache mit einander aus⸗ 


machen muͤſſen: der eine heißt Dux, der andre Comes. Es find aber weder Herz 


tzoge noch Grafen. Der anhebende Satziſt der Fuͤhrer, oder Dux; derſelbe muß, 
wenn die Fuge recht ordentlich, und der Ton⸗Art gemaͤß ſeyn ſoll, entwe⸗ 
der im Endigungs⸗ oder auch im herrſchenden Klange (d. i. in der Qvinte) anheben. 
Andre Intervalle werden ſonſt nicht dazu gebraucht, als nur auſſerordentlich in der 
Mitten eines Stuͤckes oder Zuſammenſatzes, nachdem man ſchon das ordentliche 
Weſen vernommen und gefaſſet hat. | 


Dien Ducem oder Anführer begleitet der Comes, als ein Geführte: doch daß 
dieſe Begleitung und Folge in unterſchiedlichen Klaͤngen geſchehe, um dadurch eine 
gewiſſe Nacheiferung, oder æmulationem, anzudeuten, als worin faſt der gantze 
Unterſchied zwiſchen dem Führer und Gefährten beſtehet: Hat nun jener den herr; 
ſchenden Klang zur Anfangs⸗Note, ſo nimmt dieſer den Endigungs⸗Ton dazu, und 
umgekehrt. | 

| §. 7. 

Wenn man nun weiß, mit welchen Klaͤngen ein Thema oder Fugen⸗Satz an⸗ 
fangen koͤnne, ſo wird auch noͤthig ſeyn zu ſagen, wie deſſen Schluß oder Abbruch un⸗ 
gefehr beſchaffen ſeyn moͤge. Da iſt nun eben nicht die beſte Art, daß in dem Endi⸗ 
gungs⸗Klange, wenn damit angefangen worden, auch geſchloſſen werde, und eine 
foͤrmliche Cadentz erſcheine. Zwar geſchiehet ſolches offt mit gutem Beyfall, wenn 
ein rechter Meiſter der Vollſtimmigkeit daruͤber koͤmmt, der auch, ſo zu reden, aus 
nichts etwas machen kan; aber dieſes Verfahren ſchließt keine ſolche Verſchiedenheit 
oder Abwechſelung ein, als wenn Schluß⸗ und Anfangs⸗Noten ungleich ſind. Das 
allerartigſte iſt, wenn das Thema ſo eingerichtet wird, daß man die foͤrmlichen 
Schlüffe lieber gar dabey vermeidet, und die Schrancken deſſelben fo zu ſetzen weiß, 
damit kein rechter eigentlicher Abſatz erfolge, Zn die Ruhe⸗Stellen in Sue 

| un 


146 Achtes Capitel: Von Fugen. 


und Contrapuncten gar nicht zu Haufe gehören, ſondern ſolche Fremdlinge ſind, daß 
ſie ſich ſchwerlich eher melden, noch in eigner Geſtalt ſehen laſſen duͤrffen, als bis 
die gantze Jagd zu Ende laͤufft. Ich nehme mit Fleiß ein Gleichniß vom Jagen, 
weil daſſelbe auch wenig vom Ruhen oder ſtillehalten weiß. z. E. A | 


Da iſt zwar, wo der afterifeus ſtehet, ein kleiner Einſchnitt, wie ein Comma; aber 
nichts weniger, als ein foͤrmlicher Schluß oder Abſatz, wie ein Punctum. 
§. 8. | 
In den ordentlichen und gewoͤhnlichen Fugen heben alſo, erwehnter maaſſen, 
die Führer und Gefährten das Thema in der Qvint und Oetav an. Ein anders aber 
iſt, wenn dieſe Ordnung uͤberſchritten, und der Satz, mit Fleiß und Kunſt, ſo zu⸗ 
geſtutzet wird, daß nach dem erſten regelmäßigen Wiederſchlag (repercufiion) der 
Gefaͤhrte hernach auch in andern Klaͤngen anfangen, und doch mit dem Fuͤhrer ein⸗ 
ſtimmen kan: wobey man ſich mehrentheils auf die drey Wege, durch die Octav, 
all' ottava; durch die erhoͤhete Tertz, alla decima; und durch die erhoͤhete Qvint, 
alla dodecima; zu beziehen pfleget: welches eigentlich eine, aus dem doppelten 
Contrapunct entlehnte Erfindung iſt, eben ſo wol, als die einfachen Fugen in hypo- 
diapafon, hypodiapente und hypodiateſſaron, d. i. in der Unter⸗Octav, Unter; 
Qvint, und Unter⸗Qvart. Es gibt auch Fugen, darin der Gefaͤhrte dem Führer 
in einem diffonirenden Klange nacheilet, nehmlich in der Secund, Septima und 
Qvart; welches iedoch lauter auſſerordentliche Vorfaͤlle find, ob fie gleich unange⸗ 
zeiget nicht gelaſſen werden konnen. 1 
| 9. 


Achtes Capitel: Von Fugen. 147 


5 9. 9. 3 

Wiͤe lang etwa der Führer bey einer Fuge an Tacten ſeyn möge, iſt einiger 
maaſſen willkuͤhrlich, und wird davon zum Beſchluß dieſes Haupt⸗Stuͤcks g. 74. 
noch etwas vorkommen; doch halt man insgemein dafür, daß, ie ehender und ge⸗ 
ſchwinder der Gefaͤhrte feinem Anführer folge, ie beſſer die Fuge ſich hören laſſe. 
Man findet offt die vortreflichſten Ausarbeitungen über die wenigſten Noten: faſt fo, 
wie bisweilen die beſten Predigten auf drey oder vier Text⸗Worte gemacht werden 
koͤnnen. Wer ſollte wol dencken, daß dieſe acht kurtze Noten 


1 5 e e eee. 

ſo fruchtbar waͤren, einen Contrapunct von mehr, als einem gantzen Bogen, ohne 

ſonderbarer Ausdehnung, gantz natuͤrlich hervorzubringen? Und dennoch hat ſol⸗ 

ches der kuͤnſtliche, und in dieſer Gattung beſonders gluͤckliche Bach in Leipzig ieder⸗ 

a vor Augen geleget , ja, noch dazu den Satz, hin und wieder, ruͤcklings einge⸗ 
ühret. 8 | | 


108. 5 

Wir kehren uns, bey heutiger Setzungs⸗Kunſt, zwar nicht mehr an die alten 
Gebote, da die Fugen, gleich den Tonen, in Haupt⸗ und Neben⸗Arten, in auchenti- 
cas & plagales, getheilet wurden, deren erſte mit ſteigenden, und die andern mit fal⸗ 
lenden Saͤtzen verſehen ſeyn muſten; aber die Alten wollten gerne, daß man bey 
dem Steigen die Qvint, und nicht die Qvart, in Betracht ziehen ſollte, wenn der 
Fuͤhrer im Endigungs⸗Klange anfaͤngt. Und das iſt auch eine gute Anmerckung, 
die wir billig, in Theilung der Octav, fo wenig aus den Augen ſetzen muͤſſen, als groſ⸗ 
ee Tons, aus Hintanſetzung ſolcher Vorſchrifft, erfolger und ent⸗ 

ehet. ö 0 

| Ä . 5 
| Der ſchwache Sprung in die Qvart der Ton⸗Art, aus dem Endigungs⸗Klange 
aufwaͤrts, debilis ille ſaltus, wie ihn die Alten nannten, zumahl, wenn er gleich im 
Anfange erſcheinet, hinterlaͤßt immer einen Zweifel, daß man nicht alſobald wiſſen 
kan, aus welchem Ton geſpielet oder geſungen werde. (Welches doch ein groſſes 
zur Lieblichkeit einer Melodie beytraͤgt, wie an ſeinem Orte gemeldet worden iſt.) 
Und wenn auch die Qvart umgekehrt wird, d. i, wenn gleich ein Sprung in die Qvint 
unterwaͤrts aus ihr entſtehet, hat es doch eben die Schwierigkeit. Ein Exempel 
wird es klaͤrer machen 

| Ä T 2 6,12, 


ihn $. 12, N | 
Wenn ich diefen Fugen: Sag in feinen Anfangs; Voten betrachte, kan ich 
ſchier nicht ſagen, ob er aus dem e, oder aus dem h, gehe. Daran iſt der bloſſe Fall 
in die Unter⸗Hvint Schuld, welche nichts anders, als die Qvart der Ton⸗Art iſt, 
falls die Anfangs⸗Note auch hernach finalis werden ſoll. Denn man ſiehet aus der 
Folge (obgleich nicht aus der Bezeichnung des Syſtematis) daß H mol die Ton⸗ 
Art iſt; und es weiſen auch ſolches einem verſtaͤndigen melothetæ die weſentlichen 
Klaͤnge, oder chordæ eſſentiales, deſſelben Modi, welche gleich doppelt und drey⸗ 
fach vorhanden ſind, nehmlich h, d, fis, und alſo den Ausſchlag geben. 


I 
Indeſſen macht doch die Qvart den Zweifel, weil ſie gleich im Anfange, ohne 

Vermittelung, eintritt, und daher die Ohren (welche auf die Folge nicht mercken 
koͤnnen) alſobald auf die Ton⸗Art des E mollis fuͤhret, in welchem auch die reper⸗ 
cuflio füglich geſchehen koͤnte, ob ſie gleich im fis beffere Art hat, und zwar wegen 
beſagter weſentlichen Klaͤnge, ſowol, als auch wegen des Abſatzes und foͤrmlichen 
Schluſſes, bey dem der Comes mit dem fis, h, geſchicklich nachfolgen kan, welches 
dem e verboten iſt. 5 | 


| % 

Ungeachtet aber des erwehnten Zweifels, wegen der Ton⸗Art, welcher, bey 

Anhörung der erften Klänge dieſes Fugen⸗Satzes, erreget wird, ja, ungeachtet der⸗ 

ſelbe in dem Endigungs⸗Ton anhebt und auf hoͤret; gibt er doch ſonderbare Gelegen⸗ 

heit zur glücklichen Ausführung, und hat ſie Haͤndel, auf eine unverbeſſerliche Wei⸗ 

le ins Werck gerichtet. So gewiß iſt es, daß keine Regel ohne Ausnahm bleiben 
an. 


STE | TOM 

Der Sprung in tertiam modi iſt allemahl gut, und eben darum viel beffer, 

als in Quartam, weil die Tertz ein Intervall iſt, das zur Dreyſtimmigkeit, ad tria- 
dem, gehöret. Wir verſtehen es aber mit dieſen Spruͤngen nur ſo, wenn ſie gleich 

im Anfange vorkommen. Denn, bey fortwaͤhrender Fuͤhrung der Melodie, hat es 
ſeine geweiſete Wege, und bedarff keines eigenen Unterrichts. | 

' §. 16. | 

Der Anfang und das Ende eines thematis oder Fugen⸗Satzes und Textes 
ma⸗ 


Achtes Capitel: Von Fugen. 14. 


K ᷑ —— — ——ͤͤ — 

machen die meiſte Schwierigkeit in der repercuſſion oder im Wiederſchlage. Es 
koͤnnen auch themata geſetzt werden, die ihren gantzen Bezirck nicht weiter, als auf 
eine Tertz, erſtrecken: da dieſe nun, im Wiederſchlage, die Octav, oder Schrancken 
der Ton⸗Art, nicht erreichen, muß man ſich ſolches nicht irren laſſen: denn keine Tertz 
mag in eine Qvart, durch die repercuflion, verändert werden, wie es wol mit der 


| Bi §. 17. 8 | 
Man gibt eine Regel, daß, wenn der Dux eine Secunde ſteiget, der Comes 
ſolches, durch die Tertz, nachahmen muͤſſe. Dieſe Vorſchrifft will ich erlaͤutern, 
und zwar mit dem Zuſatze, daß ihr Inhalt nur richtig ſey, wenn der Fuͤhrer in der 
Dvint des Haupt⸗Tons anhebet; keinesweges aber, wenn es in der Endigungs⸗ 
Note geſchiehet. Wie denn auch das Steigen, uͤberhaupt, nichts entſcheidet, 
wenn noch mehr Noten hernach ebenfalls hoͤher ſteigen; ſondern nur bloß davon 
verſtanden werden muß, wenn die Melodie alſobald, nachdem ſie in die Secunde ge⸗ 
fliegen, wieder herunter füllt. Aus Mangel dieſes zwiefachen Unterſchieds, den 
noch niemand, in Lehr⸗Saͤtzen, angemercket hat, verurſacht eine ſolche Regel mehr 
Verwirrung, als Erleichterung. Und derer ſind eine ziemliche Anzahl. 
18. RR 
Es mag nun der Führer in dominante oder finali anheben, dabey auf oder 
abwaͤrts ſpringen, richtet doch der Gefaͤhrte immer feine Abſicht auf eine reine re 
percuſſion, folgender Geſtalt: 5 
Dux. | Comes, 
Quarta deſeendens per ſaltum: Repercuſſio: 


150 Achtes Capitel: Von Fugen 


Quarta aan: per ſaltum: 


Repercuſſio: | 
i 7 5 


Repercuſſio: 


| $. 19. 

Da ſiehet man, daß aus der Qvart die Qvint, und aus der Qvint die Qvart 
wird, es ſey gehend oder ſpringend. Das letzte Exempel weiſet noch uͤber dieſes, 
daß aus der fallenden Secunde, wenn der Fuͤhrer in dominante anhebet, bey dem 
Gefaͤhrten der fortgeſetzte Uniſonus entſtehe: denn die zwiſchen liegende Klaͤnge 
muͤſſen ſich, weil aus der Qvint eine Qvart wird, nach den Graͤntzen 17 


= 


$. 20. 

Was nun die weitere Ausführung der Modulation betrifft, %% 
welcher Geſtalt die Klaͤnge einander, bey dem Wiederſchlage, antworten 
muͤſſen, davon hat man neben⸗ſtehende, nicht zu verwerffende Leiter, als a 
woraus ungefehr, und Exempels⸗weiſe, abzunehmen, daß, wo der Dux 8 be- 
c hören läßt, da muͤſſe der Comes g oder f, nachdem es die Umſtaͤnde er⸗ 
fordern, angeben; wenn in jenem d vorkömmt, muß dieſer a haben ze 
wenn aber der Dux die Klaͤnge £ oder g beruͤhret, antwortet ihm der Co- [d - 
mes mit c u. ſ. w. e 


u 


en 
d n H = 


S 
» 


Achtes Capitel: Von Fugen. 1 


21. 


. 

Damit man aber recht eigentlich verſtehe, wie mit ſolcher Stellung der 
Octaven verfahren werden müffe, ſo ſetze man erſtlich den völligen vierſtimmigen 
Accord des gewaͤhlten Modi, es ſey nun welcher es wolle, alſo uͤbereinander, zur 
Richtſchnur des Fuͤhrers: - 5 


—— — — 
| te ee | 
Nun ſollte die Octave, oder der Sprengel des Gefährten, mit der Tertz, Dvint und 
Octav, wol billig gleicher maaſſen dagegen geſetzet werden, nehmlich: a ce & 
Weil aber, auf dieſe Weiſe, der guten repercuſſion und Ton⸗Art zuwieder, das 
: in a antworten muͤſte, ſo nimmt man, ſtatt der Qvinte vom a, die Qvarte 
„alſo: | „„ 


Ke 2.81 


Hierauf fuͤlle ich die leeren, und mit Puncten bemerckte Stellen beyder Octaven 
aus, und ſetze fie, auf dieſe drunter ſtehende Art, gegen einander uber, fo finde 
jch daran eine Richtſchnur des Wiederſchlages. 8 | 

; | ea 
* % See 


| | g. 23 | 1 0 
Wiewol es hiemit nicht die Meinung hat, daß man ſich allemahl ſolche Ta⸗ 
bellen machen muͤſte, weil, alles daher gehofften Vortheils ungeachtet, dennoch 
viele Schwierigkeiten dabey vermacht ſind: die am leichteſten zu heben ſtehen, 
wenn naͤchſt der gehoͤrigen regelmaͤßigen repercuslion, auf eine reine, mit der 8 
| | | a geſetz⸗ 


152 Achtes Capitel: Von Fugen. 


geſetzten Ton⸗Art wohl uͤbereinkommende, Verſetzung geſehen wird. Derjenige 
faͤhret am beſten dabey, der die Umſtaͤnde und Erforderniſſe einer guten Melodie 
wohl inne hat, und in der Vollſtimmigkeit, vor allen Dingen, Meiſter iſt, daß 
ermit der Harmonie, nach Gefallen, ſpielen konne: Denn ich muß wol geſtehen, 
daß dieſe, bey Fugen und andern dergleichen Kunſt⸗Stuͤcken, mehr Dienſte thut, 
als jene. Wer indeſſen noch ſo weit nicht gekommen iſt, und die hieher gehoͤrige 
Arbeit bewaͤhrter Verfaſſer unterſucht, dem wird obige Beyhuͤlffe zum Leit⸗Faden 
dienen koͤnnen. % 


$. 24, | 

Die General⸗Fugen⸗Regel iſt dieſe: Man ſoll die Graͤntzen der Ton Art 
(welche in einer Octav beſtehen) nicht uͤberſchreiten, weder unten noch oben: 
auch nicht mit dem Comite in einem dem Modo zuwieder lauffenden 
Klange anheben; uͤbrigens aber die Intervalle fo gleich und ahnlich mas 
chen, als nur moͤglich iſt. Wenn nun eines von dieſen dreyen Stuͤcken Ge⸗ 
fahr laͤufft, wie offt geſchiehet, darff ich wol nicht ſo genau auf die beyden letztern, als 
auf das erſte ſehen: denn die Ton⸗Art verdienet allemahl groͤſſere Achtung, als das 
uͤbrige. 1185 1 5 . 

g S. 25. | 

In Choraͤlen wollen es einige ſo genau nehmen, daß ſie auch fo gar kein Inter⸗ 
vall zulaſſen, welches nicht juſt mit denen im Duce befindlichen uͤbereinkomme, und 
fangen dannenhero zuweilen ihren Comitem in einem fremden Ton an, damit ſie, 
durch dieſes vermeinte kleine Übel, ein groͤſſeres, nehmlich die Uberſchreitung des 
Modi, vermeiden. Es iſt auch nicht bey allen Fugen⸗Saͤtzen moͤglich, die Inter⸗ 
valle, im Führer und Gefährten, gleich zu machen; im Wiederſchlage mit dem gehoͤ⸗ 
rigen Klange anzufangen; und dabey die Graͤntzen der Ton⸗Art nicht zu uͤberſchrei⸗ 
ten. Die Urſach iſt, daß iede Ton⸗Art, in dieſem Verſtande, bey der Theilung ſei⸗ 
ner Octav, eine Qvarte oben, und eine Qvint unten hat, welches ungleiche Inter⸗ 
valle find. z. E. 


1 5 f 

Wer nun die Doriſche Ton⸗Art, oder das D moll wählen, und aus dem be⸗ 

aumen Choral: Vater Unſer ꝛc. eine Fuge machen, dabey aber ſowol die 1 6 0 
. N 1 2 


Achtes Capitel: Von Fugen. en 153 


lichkeit der Intervalle, als den richtigen Anfangs⸗Klang im Wiederfihlage beob⸗ 
achten wollte, der wuͤrde dem vornehmſten Stuͤcke zu nahe treten, und die W 


A des Modi ee e überſchreiten muͤſen. 


Wil er aber nun dieses vermeiden, 0 muß er entweder in einer fremden chorda (es 
ſind aber alle hier fremd, auſſer der finali und dominante) feinen Gefährten alſo 
eintreten laſſen, daß ae Intervalle 1 werden, und das 1 eben 


ſo wenig: 


i Oder aber er muß das Intervall der ſinckenden Terzi in eine Secunde ver⸗ 
aͤndern, fo behaͤlt er die beyden Haupt⸗Eigenſchafften des Wiederſchlages, und 
bricht nur der dritten und geringſten, nehmlich der genauen Aehnlichkeit ſeiner J Inter⸗ 
valle, etwas weniges, und an einem eintzigen Orte, ab; welches ich lieber waͤhlen 
müde des Vertrauens, die meiſten Contrapunctiſten werden hierin mit mir einig 

eyn. 


7. 

Bey einigen Kirchen⸗Liedern, die nach den alten modis geſetzt ſind, muß man 
den Unterſchied zwiſchen der ſelbſt⸗ ſtaͤndigen und geborgten Ton⸗Art, inter modum 
authenticum & plagalem, welches andre Haupt⸗ und Neben⸗Modos nennen, mit 
zu Rathe nehmen: welches faſt die eintzige Gelegenheit iſt, wo dieſe Lehre, bey heu⸗ 
tiger Setz⸗Kunſt, noch ſtatt findet. Und da wird die Ton⸗Art ſo eingerichtet, daß 
die Qvint oben, und die Qvart unten koͤmmt, fo wie wir das Gegenſpiel im 25. §. an⸗ 


gezeiget en 3 E. bey dem e Hypo- -zolio: 
bart i Doint N 


— NOBEEE EEE 


2 — na — 
u — u. N 


— . — 


II o- ol S. TE i | BR en Phr ius. 
eee nicht De ens 
a dont Dost 5 
| 9.28 


154 Achtes Capitel: Von Fugen. 
— 95 — 


Aus Mangel dieſes Unterſchieds wiſſen viele Organiſten nicht, wie ſie z. E. bey 
dem Choral: Chriſtus der uns ſeelig macht ꝛc. die repercuſſion anſtellen 
ſollen. Am Ende hat er freylich die Zeichen der phrygiſchen Ton⸗Art; aber im Lauff 
der Melodie iſt er fo ſtarck mit dem Aeoliſchen Neben-Modo verſehen, daß billig hier 
die, ſonſt bey der Moden Lehre eingeführte Regel Platz nimmt: a potiori fiat de- 
nominatio d. i. die meiſten Klaͤnge geben dem Ton feinen Nahmen. Nun iſt das 
h ſieben mahl; das a aber dreyzenmahl darin; ja es wird gar eine foͤrmliche Ca⸗ 
dentz im letztern gemacht, und faſt immer in der Qvart modulirt: wobey iedoch nicht 
zu laͤugnen ſtehet, daß 3 Cadentzen im h vorkommen, fo wie ſie denn auch find. Da⸗ 
her kan man ihn, bey dem Wiederſchlage, gar wohl nach hypo⸗aͤoliſcher Art handha⸗ 
ben. Doch waͤre es deswegen nicht unrecht, bey dieſen Zeiten alſo zu verfahren: 


aber die guten Alten waren dem h feind, und nahmen lieber das a dafür: weil jenes 
keine reine Qvint bey ihnen hatte, und auch kein lis im phrygiſchen Modo ſeyn muſte. 


2 | | | 

Wenn nun beſagte Organiſten das erſte Glied dieſes Chorals fugiren wollen, 

oder ſollen, ſo ſprechen ſie: der Fuͤhrer faͤngt im e an, welches auch die Endigungs⸗ 

Note iſt; da muß der Gefaͤhrte in der dominante (worunter ſie immer die Qvint 

verſtehen, ob es wol auch hier die Qvart ſeyn kan) nachfolgen, nehmlich im h; und 

8 ferner die Richtigkeit der Intervalle beobachtet wird, ſtehet das Ding ſo zu 
uche: | 


Weil aber, bey ſolcher Einrichtung, der Gefaͤhrte in einem ſolchen Klange auf 

hoͤret, der uberall aus dieſer Ton⸗Art verbannet iſt, nemlich im fis; (maaffen die 

| | Ord⸗ 

) Dieſes Wort kan hier mit Recht gebrauchet werden; sh ich gleich der erſte bin, der es hut: 
denn es hedeutet propoſitionem⸗ ) In dieſem Aus druck habe ich Borganger- 


Achtes Capitel: Von Fugen. De 


Ordnung ſo ſtehet: ef ga he d e, es mag der Haupt⸗ oder Neben⸗Modus ſeyn, 
Labey die halben Tone im erſten und fünfften Grade liegen) auch die Octave nicht 
erfuͤllet wird, welches doch fuͤglich geſchehen kan; fo ſiehet man ſchon, daß es hier 
an dem Erkaͤnntniß der Ton⸗Art fehle: denn dieſelbe weiſet bald an, wie mit Bey⸗ 
behaltung aller Aehnlichkeit in den Intervallen, dennoch in einem Ton ⸗gemaͤſſen 
Klange angefangen, und im e geſchloſſen werden koͤnne. z. E. 5 


„„ | . = 
Und auf dieſe Weiſe muß man bey andern Choraͤlen, die eine gewiſſe Ton⸗Ark, 
nach alter Lehre, führen, auch verfahren, und wenn ja irgend ein Intervall vertau⸗ 
ſchet werden ſoll und muß, wohl zuſehen, daß es keinen halben Ton treffe, weil ſol⸗ 
cher am empfindlichſten ins Gehoͤr faͤllt. . 


| | 8 N 
Es ſtehet ferner, bey dem Fugen⸗Weſen zu erinnern, 1) daß auch wol zwo bis 
drey Stimmen, auf canoniſche Art, nach einander, ohne Wiederſchlag, alle in fina- 
li, oder alle in dominante chorda anheben moͤgen: weil man ſich, obwol im Anfan⸗ 
ge, doch bey Fortſetzung der Arbeit, nicht immer an die repercuſſion, und ihre Ord⸗ 
nung, binden darff: 2) Daß es eben nichts ſtraf bares ſey, wenn man gleich bis⸗ 
weilen den Umfang der Ton⸗Art aus den Augen ſetzet, und mit guter wohlbedaͤcht⸗ 
licher Art, verabſaͤumet, als welches auch die allergewiſſenhaffteſten Contrapun⸗ 
ctiſten (Orlando und feines gleichen) für keine Suͤnde gehalten haben. Allein 
mein Rath, bey dieſen Freyheiten, waͤre, daß man ſich ihrer nicht gerne, ohne ſonder⸗ 
bare Urſache, gleich im Anfange bediente, ehe das Thema, gewoͤhnlicher Weiſe, 
durchgeführet worden. In der Mitte aber, und bey Fortſetzung der Arbeit, darff 
ſich niemand das geringſte Bedencken daraus machen: denn es gibt eine gute Ab⸗ 
wechſelung, und groſſen Anlaß zur geſchicktern Ausarbeitung. en 


Ar 99 0 ker | ER 

Von dem erſten Punct mag folgendes eine Probe abgeben, und wird es beſto 

artiger mit dergleichen Freyheit herauskommen, wenn eine Stimme fein bald und 
kurtz auf die andre eintritt: 5 91 | er 


so Achtes Capitel: Von Fugen. 
Gewoͤhnliche Weiſe, den Gefaͤhrten einzuführen, beym Anfange. 
f e a e 


9. 34. | 
Von der zweyten Erlaubniß findet man die Vorfälle noch haͤuffiger, als von 
der erſten, etwa auf dieſe Art: ” | 


Pe 0 
2. 145. 2. 
x * X — —22 
Ei 8 IE 
Anſchlag. Wiederſchlag. Freyheit. 


Die 


Achtes Sapitet: Von Fugen. 1 5 157 


Die gewöhnliche regelmaͤßige Weiſe des Wiederſchlags nennet man "confociatio- 
nem modorum, weil ich, durch Veraͤnderung eines oder andern Intervalls (da 
nehmlich in beyden Exempel aus der Secund eine Tertz wird, wie die Zahlen 2. und z. 
anzeigen) die darin ungleichen Ton⸗Arten mit einander vereinbare: bey welcher 
conſociatione oder Zuſammengeſellung die Vertauſchung eines groffen Intervalls 
lange nicht ſo mercklich iſt, als eines kleinen. Die Freyheiten aber, ſo man ſich hie⸗ 
bey nimmt, gehören ad æquationem modorum, weil ich die eine Ton⸗Art, ſo viel 
die Intervalle betrifft, gerade auf eben dem Fuß behandle, als die andre, und alſo 
ede beſagten Intervallen, u 


Bisher haben wir mit e 3 5 Saͤtzen zu thun gehabt, ſo viel 
der Raum hat leiden wollen, nehmlich mit ſolchen, die in der Qvint oder Octav an⸗ 
heben; weil es aber, infonderheit bey gaͤntzlicher Durchfuͤhrung eines Chorals, auf 
Fugen⸗Art, viele Vorfaͤle gibt, wo die Saͤtze gantz auſſerordentlich anfangen, ſo 
wird auch hiebey verſchiedenes zu erinnern ſeyn, bevorab da doch die meiſte Abſicht 
unſers Unterrichts auf die Kirchen⸗Muſic zielet. 


§. 36. 
e ein Thema in der Secund anhebt, und fein Vorhaben de initio | 


auf die Endigungs⸗Note der Ton⸗Art führet, ſo folget der Comes auch in ei⸗ re" 
ner Secunde des verſetzten modi; zielet aber der Dux nicht auf die chor- 

dam finalem, ſondern auf die dominantem, ſo folget ihm der Comes nicht 

in der beſagten Secunde, fordern per finalem der verſetzten Ton⸗Art. Z. E. mein 
Modus waͤre G dur, und der Fugen⸗Satz finge im a, als der Secund, an; hörte aber 
im g als Endigungs⸗Note, auf: ſo iſt der verſetzte modus, natürlicher ZBeife, D dur, 
und der Comes faͤngt im e an, als in der Secund derſelben verſetzten Ton⸗ Art. 


Exempelvon e Speünktom ne: Ton. 


Achtes Capitel: Von Fugen. 


me durch die Septime 
mit der erſten. 


| F. „ | 5 
Neiget ſich hergegen die Melodie des erſten Fugen⸗ Satzes zum d, als zur 
Qvint, herunter, ſo tritt der Gefaͤhrte nicht mit der Secunde ein; ſondern mit eben 
der Qvint des Haupt⸗Tons, welche alsdann daſſelbe d iſt. 


Ein anders, von anfangender Secund zur Qvint. 
ir „ 


8) Secunda Modi, G. duri. a b) Quinta ipſius Modi, G. duni. 


8 


| { | i 15 Rn | 8 8 a En . 3 . f ; | Kr ®% | N 
Faͤngt ein Fugen⸗Satz in der Tertz, oder auch in der Sert feines Haupt⸗Tons 
e) Bemercket nur beplaͤuffg den Eintritt der vierten Stimme, da fie mit der erſten und dritten 
eine Sert macht, welches nichts taͤgliches iſe. N i 5 
) Hier wird, in gleichmaßiger Abſicht, ein neuer Eintritt der Obet⸗Stimme, und ztrar ein unver⸗ 
anthlicher, gewieſen, do fie mit dem Baß eine kleine Qvinte macht. 


an, ſo folgt der Wiederſchlag in eben dem Intervall feines verſetzten modi, dafern 
die Melodie auf den Schluß⸗Klang ſiehet. Gehet ſie aber zur dominanti, fo hat es 
zwar nicht mit der Sext, aber mit der Tertz, eine andre Bewandniß: maſſen ſich 
dieſelbe ſodann, bey dem verſetzten Modo in deſſen Secunde (welche im letzten Ex⸗ 
empel dieſer Art mit 2. bezeichnet iſt) verändert, Z. E. neine Ton⸗Art waͤre G. moll: 
Exempel von der anfangenden Tertz zum Haupt⸗Ton. 


finalis. A 


i == de ze E . = | 


| Ke. 


nn — 


Von der anfangenden Sext zur Qvint. 


dominans. 


Von der anfangenden Sert zum Haupt⸗Ton. 


finalis. a — 75 
{ — — e 
Z PH 


Hier macht es keine Aenderung. 5 


Achtes Capitel: Von Fugen! 161 
Von der anfangenden Tertz zur Qvint. 8 
JJJVV%%%%%%VꝙꝓS . ͤ 8 


i au 25 8 2 42 X 

— — 
Hier aber wohl. 
| | | L. 39. 

Was die anfangende Qvart, in auſſerordentlichen Fugen⸗Saͤtzen, betrifft, fü 
wird ſie von dem Gefaͤhrten, durch ein gleichmaͤßiges Intervall, nach der Ver⸗ 
ſetzung, beantwortet, und gleichſam für die Qvint angeſehen; fie mag die fina- 
lem, oder dominantem, zum Zeck des Thematis ſetzen. 

Von der anfangenden Qvart zum Haupt⸗Ton. 


Ein anders, zur Qvint. 2 


» und 2) deuten hier an, daß dem Unifono des Fͤͤhrers durch die Secunde des Gefährten geanm⸗ 
wWoyrtet wird, um den Sprung in die Qvart hinauf wohl zu bilden. 


162 Achtes Capitel: Von Fugen. 
g. 40. a 
In der Septima des Haupt⸗Tons einen Ducem anfangen zu laſſen, das iſt 
ſchon etwas ſehr fremdes, und wenn, bey ſolchem Vorfall, auf die finalem ges 
zielet wird, fo folgt der Comes in eben demſelben Intervall, das iſt zu ſagen, in 
der Septime des verſetzten Modi. Neiget ſich aber der Führer zur Qvint, fo 
muß der Gefaͤhrte nicht in einem gleichmaͤßigen Intervall, ſondern in der Sext 
der verſetzten Ton⸗Art, anfangen. Z. E. Mein Modus waͤre B. dur, der Fugen⸗ 
Satz finge im a, nehmlich in der Septime des Haupt⸗Tons, an, und die Melodie 
ginge zur Final⸗Saite; ſo muͤſte der Gefaͤhrte eben auch in der Septime ſeiner 
verſetzten Ton⸗Art, d. i. im e, die Nachfolge anſtellen. 


Exempel von anfangender Septime, zum Schluß⸗Ton. 


tr. tr. tr. finalis. 5 — . 
i g { j i Bu A an 2 > x 
D A UN 2 m 


Ich bemercke abermabl nur beylaͤuffig biemit den Eintritt des Baſſes, da er mit den Ober⸗Stim⸗ 
men die Sext und kleine Qvint ausmacht. 


. 4. 


Achtes Capitel: Von Fugen. 163 


— 5 5 Be 2 Far 


a er : 5. 41. f 
Lenckt ſich aber die Melodie des Führers unterwaͤrts “) zur dominanti, 
vom a zum k, ſo gehets im Gefährten gantz anders zu, und hebt er in der Tertz des 


Haupt⸗Tons an, auf dieſe Weiſe, vom d zum bz: 


dom. 


Exempel von anfangender Septime, zur Qvint: 


% . 

Es kan dieſes Thema kurt hinter einander her geführt werden, welches bey⸗ 
laͤuffig erinnert, und dabey bemercket wird, daß es nur nicht im Anfange eines Stuͤ⸗ 
ckes geſchehen muͤſſe. Z. E. ae | et, 


*) Gberwoͤrts zur Qvint bleibt es im Comite, wie bey dem vorigen Exempel; doch werden dis 
folgende Intervalle veraͤndert. Es wuͤrde zu weitlaͤufftig fallen, alles herzuſetzen. 5 


164 Achtes Capitel: Von Fugen. 
8 Kl SEN 


m. | 
de 8 Bisher haben wir von den auſſerordentlichen Anfangs⸗Klaͤngen eis 
irregular. nes Fugen⸗Satzes, der nicht nach der gewohnlichen Weiſe eingerichtet iſt, 

verſchiedenes beygebracht; Nun wird es auch Zeit ſeyn, etwas von den 
auſſerordentlichen Schluͤſſen deſſelben in die Secund, Tertz, Qvart, Qvint, Sext 
und Septime zu erwehnen. Zumahl weil es noch eine unberuͤhrte Materie iſt/ Das 
von, meines Wiſſens, niemand was geſchrieben hat. | 


. | 

Was die in der Secunde auf hoͤrende themata betrifft, fo dürffen wir nicht 
weit darnach ſuchen, oder was eigenes dazu erfinden; ſondern nur unſte Choral⸗ 
Bücher, und in ſolchen gleich das bekannteſte Abend⸗ Lied aufſchlagen, nehmlich: 
Werde munter ꝛc. deſſen erſter Abſatz in der Secunde des. Haupt⸗Tons feine Ru⸗ 
he⸗Stelle nimmt. Wenn nun ein ſolcher Abſutz zum Vorwurff einer auſſerordentli⸗ 
chen Fuge aufgegeben werden ſollte, muͤſte der Comes dem Duei folgender Geſtalt, 
Note für Note, antworten, und ſich hernach mit der Ton⸗Art wiederum vergleichen 
laſſen, weil er gleichſam mit ihr gewiſſer mgaſſen zerfallen war, 


per 


Achtes Capitel: Von Fugen. 165 


per Secundam f 


| | A 45. ä 
Eben Def, nehinlich im Choral Buche, werden uns auch Site aufſtoſſen, 
die ſich inder Tertz endigen Nur eines, aus vielen, zu erwaͤhlen, nehme man den 
Buß⸗Pſalm: Aus tiefer Noth ic. und cerfertige, zum erſten Abschnitt deſſelben, 
eineRepercuflion ; ſo wird erhellen, daß ſich die Tertz am Ende nicht fo leicht, als 
die Secunde, mit dem Haupt⸗Ton . laſe, ae wieder de gemeine 
Meinung zu lauffen ſcheinet, i 


% u per 


166 Achtes Capitel: Von Fugen. 


per Tertiam f. 


b — 
e eee 
5 ne TR Zn RE rn 


2233 


Ein Thema, das in der Doart des Haupt Tons auf! böret, kömmt i im Schluß 


des Comitis zur finali, und braucht alſo (wenn ſie se Su dur oder moll ſind) 
keiner weitern Erläuterung „ als dieſes Exempels: 3 


per Quartam 


alle in, 


: | | ce 8 5 ' 
Allein, in alten Ehoral-giedern, die ſich z. E. nach der Doriſchen Ton⸗Art richten, 
wo die Qvarte nicht, wie im Aeoliſchen a ee iſt 1 die 
groſſe Tertz zum Accompagnementhaben will, da hat es die Bewandniß, wie mit 
dem Pſalm: Durch Adams Fallıc. und zwar im fünfften Abſatze feiner Melodie, 
welche, ob ſie gleich, ſo zu reden, das D moll zum Grund⸗Ton hat, doch daſelbſt im 
G dur einen Schluß macht, und den Comitem noͤthiget, die Beantwortung durch 


die Septime, oder Cdur, zu 1 8 
per Quartam ckmm Ti. zn bewerckſtelligen. 


) Hier hat es die Quar- 
ta Modi mit ihrer groſ⸗ 
. ſen Tertz zu thun; da 
fie heꝛgegen im vorizen 
Exempel die kleine 
brauchte, und alſo moll 
war, wie der Haupt⸗ 

— Ton. Nun bat ſie a⸗ 
ber den harten Accerd; 
ob gleich die Ton⸗Art 
2 ſelbſt weich iſt. 
= Die unte ſchiedene 
— Art der ſchlieſſenden o⸗ 
Lee. der cadenzirendẽ Qvar⸗ 
„ke wird biemit angrzei⸗ 


= 


. get. ER IE BE < 
+) Man mercke beplaͤuf⸗ 

fi; die beyden Eintritte 

en. 


1686 Achtes Capitel: Von Fugen ⸗ 


§. 47. AN 

Bey der ſchlieſſenden Qvint mögte man fich wundern, warum wir dieſelbe ei; 
ner Unordnung beſchuldigen, indem alle ordentliche Fugen⸗Saͤtze darinn aufhören 
koͤnnen, ſo wohl, als in der Octave, oder im Final⸗Klange. Aber es geſchiehet eben 
dieſes Aufhören auf ſehr verſchiedene Art, wovon unter den Wörtern Cadenza und 
Clauſula in den Lexicis Unterricht zu holen ſtehet. Hier nehmen wir nur die ſoge⸗ 
nannte tenoriſirende Cadentz vor uns, welche zwar nichts unordentliches an ſich 
hat, doch im Fugen⸗Handel, bey der Rifpofta oder Beantwortung des Satzes, bis⸗ 
weilen auſſerordentliche Schwierigkeit verurſacht. | 


248. | 5 1 

Man darff inzwiſchen nur bey der gewoͤhnlichen Verſetzung der Intervalle 

richtig bleiben, und ſich nichts daran kehren, wenn gleich der Comes in einem frem⸗ 

den Klange auf hoͤret: denn es koͤmmt hier auf die Vergleichung der Ton⸗Arten wie⸗ 
derum das meiſte an. e Benfpiel u ausweiſen. 


per Quintam tenorizantem 


| | 1 
des thematis per ſeptiwam; ingleichen daß alle dieſe Aufgaben m. m. fuͤglich auf dem Clavier zu 
ſpielen ſo wol, als mit Stimmen zu ſingen ſind, wenn ſie weiter, auf dieſelbe Art, ausgefuͤhret 


werden. g 4. . „is 
8 Chorda peregriaa. ) Conciliatio Modi per Syncopen, 98. vid. fecundum exemplum %. 
feguentis.- 9.40 


Achtes Capitel: Von Fugen. We 5 169 


| ne es i 
DObnungleich, wenn mans genau nehmen wollte, die Riſpoſta alſo ſeyn mußte 
oder koͤnnte: „ n | j 


a §. 50. 

Bey den Sexten, wenn ein Fugen⸗Satz darinn aufhören ſollte, braucht es ſo 
viel Mühe nicht zur Verträglichkeit. Man wuͤrde ſchwerlich dencken, daß hievon 
eine Menge wohlausgearbeiteter Proben vorhanden ſind, wenn nicht die alten Con⸗ 
trapunctiſten uns noch einen guten Vorrath derſelben hinterlaſſen hatten: denn fie 
pflegten von dem lieben ut, re, mi, fa, ſol, la, welches, wie iedermann weiß, ein 
Thema iſt, das in der Sext auf hoͤret, einen Canto fermo zu machen, und ihn, wie 
eine Portugieſiſche Koͤnigin, zu ſchmuͤcken. Wir wollen, nach unſrer Art, ein 
Paar kleine Exempel herſetzen, deren eines ſpringend, das andre gehend, in die Sext 
geraͤth, und den Liebhabern die fernere Ausarbeitung uͤberlaſſen, nachdem ihnen der 
Weg gewieſen worden. | 4 RE 


per ſaltum ad Sextam. 


$. Fl. 

aʒãit einer ſchlieſſenden Septime möchte es etwas mehr zu ſagen haben, weil der 
Anfang nicht nur der zweyten, ſondern auch der dritten Stimme, wenn ſie bey der 
letzten Note des Comitis zugleich eintreten ſoll, ſelbſt nicht regelmaͤßig ſeyn kan. 
Man muß daher dem Gefaͤhrten ſo wol als dem Fuͤhrer, noch einen Zuſatz geben, und 
fie, mittelſt deſſelben, auf einen ſolchen Klang lencken, der ſich zur Ton⸗Art verſtehet, 
und wohl ſchicket: wie davon ſchon oben, bey andrer Gelegenheit, abſonderlich $. 
40. ein Beyſpiel gegeben worden iſt; doch nicht aus einerley Urſache. Eine ſolche 
doppelte Klufft aber hat nicht viel artiges an ſich, und die Naͤherung gehet der Ab⸗ 
ſonderung oder Trennung, in den meiften Dingen, ſo die Ton⸗Kunſt betreffen, ab⸗ 
ſonderlich in Fugen⸗Wercken, weit vor. Wir muͤſſen aber doch auch hievon ein 
Exempel geben: 


per Septimam f 


C i | . 52. OR IRRE 
Wenn nun, bey dem Eintritt der vierten Stimme, kein abermaliger leerer 
Raum bieiben ſoll, welches wircklich zu viel waͤre, ſo muß er nicht, wie die vorigen, 
in theſi oder im ioderſchlage des Tacts, fondern in arli, im Aufſchlage deſſelben 
geſchehen, wie hier k zu ſehen iſt. Es laͤßt ſich auch endlich bey der am letzten nach⸗ 
folgenden Stimme, und weiter hin, ſolche Zreyheit wol gebrauchen; doch im Ar 


fange und bey den erſten Stimmen nicht. 


N . e 
Dieengleichen Dinge ſcheinen manchem etwas neu und fremd, weil ſie noch we⸗ 
nig oder gar nicht eingefuͤhret find; aber 8 kan aus der Erfahrung feſt Ro 
. 8 8 a . MY 2 15 2 9 


172 Achtes Capitel: Von Fugen. 
daß ſolche Fugen⸗Saͤtze, die ſo auſſerordentlich anfangen und aufhören, vielmehr 


Veraͤnderungen an die Hand geben, und den Ohren lange nicht ſo eckelhafft vorkom⸗ 
men, als andre Themata, welche ihre eintzige und beſtaͤndige Abwechſelung bloß in 
der Qvint und Octave ſuchen. n 9 0 N 


8 | $. 54. . 
a Was noch weiter hiebey zu betrachten vorfallen möchte, wird ſich in 
I. folgende 7 Anmerckungen faſſen laſſen, deren erſte dieſe ſeyn mag: Daß, 
weil ein Fugen⸗Satz ſehr offt wiederholet wird, derſelbe nicht nur feine, lieb⸗ 
liche Gaͤnge und Führungen, ſondern auch, fo viel moglich, unterſchiedliche Figuren 
und Ruͤckungen haben ſoll, damit er, bey fo oͤffterm Wied erſchlage, dem Gehoͤr nicht 
verdrießlich falle. Es iſt aber nicht viel buntes und tantzhafftes hiezu noͤthig, ſon⸗ 
dern nur ein artiges, ſingbares Weſen, welches, mit ſeiner edlen Einfalt, insgemein 
die beſten Fugen abgibt; dahingegen es in andern an nichts ſo ſehr, als an der Melo⸗ 
die, fehlet. 5 e e 
| 8 i 
II. Wenn man eine Fuge, mit vier oder mehr Stimmen, nur einiger maaſ⸗ 
ſen ausfuͤhren will, muͤſſen zum wenigſten ein Paar Dutzend gewoͤhnliche 
Taͤcte dazu angewandt werden, wenn das Thema zwey bis drey lang iſt; 
es waͤre denn, daß eine gar frage Menſur dazu erwaͤhlet wuͤrde, in welchem Fall es 
auch wol mit wenigern zu beſtellen iſt: alles, nachdem es die Umſtaͤnde, die Worte, 
die Gelegenheit und die Art eee 7 
III. Merckwuͤrdig iſt es, daß man gegen hundert Fugen, die das tempus 
binarium, oder die Zeitmaaſſe, welche zween Theile hat, waͤhlen und fuͤh⸗ 
ren, kaum fuͤnf von guten Meiſtern antrifft, die in ungerader Menſur einhergehen. 
Unter den geraden Abtheilungen kommen noch bisweilen der Zwoͤlff⸗ und Sechs⸗ 
Achtel⸗Tact zum Vorſchein; Drey⸗Viertel aber, und Drey⸗Achtel ſelten: welches 
ein Zeichen iſt, daß die Fugen überhaupt, ob ſie gleich munter und friſch ſeyn mögen, 
dennoch ſo wol im Styl, als Tact, die leichte, huͤpffende und choraiſche Bewegung 
nicht lieben, ſondern, bey aller Lebhaftigkeit und Kunſt einen gerolſſen Ernſt erforz 
dern, welcher endlich auch wol in ungeraden Tat · Arcen zu beobachten ſtehet. Wer 
ſich die Mühe nimmt / guter Contrapunctiſten Arbeit zu unterſuchen, wird dieſe Anz 
merckung wahr befinden. VVV 


g. 57 
. So duͤrffen auch alle Fugen eben nicht gaͤntzlich ausgefuͤhret werden, 
wenn deren viele auf einander folgen, wie im Moteten⸗Styl zu m. 
8 pfle⸗ 


Achtes Capitel: Von Fugen. men 


pfleget. Vielweniger darf man ſich an den Gebrauch einiger Organiſten binden, 
die das Thema erſt, ohne die geringſte Verbluͤmung, fein ehrbar, und viermahl nach 
einander, in lauter Conſonantzien und frommen Laͤmmer⸗Tertzien hören laſſen; her⸗ 
nach auch wieder per Comitem, eben ſo zuͤchtig, von oben anfangen; immer einer⸗ 
ley Leyer treiben; ſonſt nichts nachahmendes, oder geſchicklich⸗ruͤckendes dazwiſchen 
zu bringen wiſſen; ſondern nur ſtets einen kahlen Accord oder General⸗Baß dazu ha⸗ 
cken. Ihr Thema iſt allezeit oben oder unten; in der Mitten, bey einer Vollſtim⸗ 
migkeit, ſoll es noch der erſte entdecket haben. So bald der Comes im Alt abgefer⸗ 
tiget worden, wird kein Augenblick verſaͤumet, gleich darauf die repercuffionem 
Ducis, im Tenor, gluͤcklich anzuheben, damit ja Cadenz auf Cadenz erfolge, und 
iedermann alles vorher wiſſe, was er zu erwarten habe; da es doch viel artiger lau⸗ 
tet, wenn, nach erſter Anhoͤrung des Gefährten ‚einige kleine Faͤlle dazwiſchen kom⸗ 
men, und der Tenor mit dem Fuͤhrer unvermuthet eintritt. Und wenn dieſer al⸗ 
ſo ein wenig verzoͤgert worden, kan der Baß hernach, wenn ſichs ſchickt, ein wenig 
vor der Zeit einfallen, damit es nicht ſo abgeredet, und aͤngſtlich⸗ordentlich ſcheine. 
Wir haben zwar oben behauptet, daß die Abſonderung oder Trennung in Fugen 
nicht viel gutes wircke; aber eine bange und furchtſame Zuſammenfuͤgung iſt noch 
ärger, als jene. | | a 


S. 58. Bu 
V. Man ſoll vielmehr trachten, fein Thema fo einzurichten, zumahl wenn 
es nach eigner Willkuͤhr erfunden wird, daß es ſich zum Eintritt des Comi- 
tis eher ſchicke, als bis es gantz zu Ende laͤufft: Denn, wie es gar armſelig klinget, 
wenn die nachahmende Stimme juſt ſo lange verziehen muß, bis der vorhergehenden 
nichts mehr zu ſagen übrig bleibt; ſo thut die gegenſeitige Einrichtung, bey den Öff? 
tern Wiederholungen, unvergleichliche Dienſte, und macht ein gantz anderes Gewe⸗ 
be davon, weil es die, den Fugen ſonſt ſehr abgehende, Veränderung ungemem bez 
fördert. Je naͤher ſich demnach, zum andern oder drittenmahl der Durchführung, 
die Stimmen auf den Ferſen folgen, (es fen nun durch die gewöhnlichen und vorge⸗ 
ſetzten Iniervalle, oder etwa per uniſonum & octavam, auf gemeine canoniſche 
Art) und ie unvermutheter dieſe Folge, bald in den Obern, bald in den Mittel⸗bald 
in den Unter⸗Stimmen, ohne ſich an die Reihe zu binden, vernommen wird; ie 
artiger wird die Juge zu hören ſeyn, daß man gleichſam zun Themare ſagen möchte: 
Siehe, biſt du ſchon wieder da! das dachte ich nicht. | 
VI. Zaum allererſten mahl, damit der Fugen⸗Satz deſto deutlicher begrif⸗ 
fen werde, inſonderheit, wenn eine foͤrmliche Cadentz dabey vermacht 10 


174 Aahtes Capitel: Von Fugen. 


ſoll und muß, laͤßt man denſelben gerne gantz nackt und bloß, vom Anfange bis zum 
Ende, rein aushoͤren; hernach aber wird, auf das ſinnreicheſte zum Comite mo⸗ 
dulirt, und ehe der Dux zum andern mahl eintritt, ein gar kleines Zwiſchen⸗Spiel 
gefuͤhret, damit Gelegenheit gegeben werde, beſagten Ducem nicht nur mit guter 
Art, ſondern als obs von ungefehr kaͤme, einzuführen. Darauf mag ſich der Co- 
mes im Baſſe, oder in der vierten Stimme, ſie ſey an welchem Ort ſie wolle, wo es 
thunlich iſt, vor der anberahmten Zeit hoͤren laſſen, und hat nicht noͤthig, die Endi⸗ 
gung des verſetzten Ducis abzuwarten, dafern es ſonſt die Umſtaͤnde der Harmonie 
zugeben. Iſt nun die erſte Durchfuhrung auf dieſe Weiſe vollbracht, alsdenn kan 
eine Tranſitio oder ein Übergang vorgenommen werden, nehmlich eine ſolche zierli⸗ 
liche Vereinbarung des vorigen mit dem folgenden, daran eigentlich das Thema 
keinen Theil hat, indeß die erſte oder Ober⸗Stimme (z. E.) ein wenig pauſiret, und 
bald darauf, bey fortgefuͤhrter Vollſtimmigkeit, per comitem wieder eintritt, falls 
fie vorher den Ducem gehabt hat, aut vice verſa. | 
§. 60, 

Bey ſothaner Gelegenheit mögen ſich denn die Themata allgemaͤhlich naher 
treten, dafern ſie, wie wir zum vorausſetzen, darnach eingerichtet ſind; die Wieder⸗ 
holung der foͤrmlichen Schlüffe aber muß alsdenn auf alle Weiſe verhuͤtet werden: 
es waͤre denn, daß eine beſondere Veranlaſſung zur elegance oder Zierlichkeit dar⸗ 
aus genommen werden koͤnnte. Darf alſo, ohne dergleichen Urſache, kein Fugen⸗ 
Satz, wenn er einmahl rein durchgefuͤhret worden, in ſeiner voͤlligen Geſtalt, von 
Anfange bis zu Ende, abermahl, oder allemahl, erſcheinen. Bey dreyſtimmigen 
Stuͤcken (denn es duͤrffen eben nicht immer vier Stimmen da ſeyn) laͤßt es gar fein, 
wenn das Thema im Alt oder Tenor, nachdem es die beyden aͤuſſerſten Stimmen 
ſchon gehabt haben, unvermuthet in die Mitte tritt, ohne daß ſich jene deswegen im 
geringſten irre machen, noch ihre angefangene melodioͤſe Gaͤnge, Bindungen und 
Ruͤckungen unterbrechen laſſen. Naͤchſt dieſem Uberfall, wenn ich fo reden darff, 
a bimprovifto, beſtehet, in Vermeidung der Cadenzen, von den Welſchen Caden- 
ze sfuggite genannt, und in der verfürgten Anbringung der Thematunt, faſt die 
gröͤſſeſte Kunſt der Fugen; wenn aber dieſe drey Stuͤcke darin nicht zu finden ſind, 
darff man ſicher gedencken, daß es nur eine Noten ⸗Kleckerey, und der Verfaſſer nicht 
weit her fen. „ 5 

„ 


| $. es 

VII. Noch ein kleiner, doch nicht auszuſetzender Kunſt⸗Griff iſt die wohler⸗ 
ſonnene Abwechſelung des Haupt⸗Satzes einer Fuge, in den verſchiedenen 
Stimmen, und die dazwiſchen anzubringende Schmuͤckungen; welche doch 

gang 


Achtes Capitel: Von Fugen. 17 


gantz kurtz ſeyn muͤſſen, damit die Einfaffung nicht mehr Achtung gewinne, als der 
Spiegel ſelbſt. Was nun dieſe Abwechſelung betrifft, ſo verſtehen wir dadurch 
nicht den alten, betretenen Weg, gerade von oben nach unten, oder von unten nach 
oben (denn viele Fugen fangen auch im Baß oder Tenor an) ſondern eine ſolche Ein⸗ 
richtung, da bald dieſe bald jene Stelle, fie ſey hoch oder niedrig, von dem Themate, 
ohne Rang noch Reihe, e | | / 

Wenn man (z. E.) vier Stimmen hat, fo kan der Haupt⸗Satz in denſelben 
ſchon viermahl ſeinen Ort veraͤndern, und eine gantz andere Folge, auch verſchiedene 
Harmonien, Bindungen und Ruͤckungen, Einhalt und Fortgang machen; neh⸗ 
men wir nun zu einer ieden Stimme die Einführung fo wol des Ducis, als Comitis, 
ſo iſt klar, daß die Stellen und Folgen acht und viertzigmahl abgewechſelt werden 
koͤnnen. Kommen hiezu die kleinen nothwendigen Zwiſchen⸗Spiele, tranſitiones, 
und Verknuͤpffungen, ſamt den verkuͤrtzten, unvermutheten Anbringungen des The- 
matis und der Aus zierung, ſo hat man ein fehr weites, geraumes Feld zur Arbeit 
vor ſich, und darf ſich des Abgangs der Materie nicht befuͤrchten. 


176 Achtes Capitel: Von Fugen. 5 


Fuͤrs andre, bey dem Eintritt der Ober⸗Stimme, da der Baß feine Cadentz 
fliehet, und fliehen muß, wenn was rechtes daraus werden ſoll, drey Taͤcte vor dem 
Ende?: | | 


. 65. | | | 2 
Drittens, in zwo Mittel⸗Stimmen, vier Taͤcte vor Endigung des Haupt⸗Sa⸗ 
tzes, welcher nur 5 lang iſt; dazu aber die Obere und Untere gar nicht ſtille ſitzen duͤrf⸗ 


fen, wenn ſie ſonſt fortzufahren gute Gelegenheit haben. 


— = 
. 5 
— a = e — — 


5 


ng 
ne 


——8— 
e 


Dieſe Annäherung hat auch in den aͤuſſerſten Stimmen, ſowol, als in der Mitten, 
ſtatt; der Satz kan aber nicht umgekehrt / ober das unterſte zu öberft gebracht werden, 
wegen der eintretenden Qvint, die bey der Verkehrung der Stimmen, zur Qvart 
wird, welche, wenn ſie nicht vorher gebunden iſt, keinen Anfang machen kan. Es 
iſt eigentlich eine Betrachtung, die zum doppelten Contrapunct gehoͤret, und hier 
nicht ſchadet. ö 1 1 

§. 66. 


Achtes Capitel: Von Fugen. 177 
a „„ 
Man mercke dabey, daß die Stimme, welche eintreten ſoll, wo moͤglich, ein 
wenig vorher pauſiren, und auf das unvermutheſte kommen muͤſſe. Durch vorher⸗ 
liegende Diſſonantzen iſts am beſten gethan, wovon deswegen oben mit Fleiß, ob⸗ 
zwar nur beylaͤuffig, eins und anders angebracht worden, damit nicht ein eigner 
Artickel daraus werden moͤgte. Es folgt indeß noch ein Exempel hier unten. 

| Ba 155 | 

Viertens kan auch das vorhabende Thema gar in dreyen Stimmen gantz 


— 


— 
— 
——— — 


— — . — — 


I 93 — 
per diſſonantiam, . 7 
I. Quartam. ee eee e 
15 6. 68. 7 
Weil wir itzo von der Ausführung handeln, nachdem vorhin eigentlich nur 
vom Anfange und Ende eines Haupt⸗Satzes in Fugen geredet worden, ſo duͤrff⸗ 
te wol manchem damn gedienet ſeyn, wenn ihm, über obiges Thema, zu ei⸗ 
ner Übung, im Ausarbeiten, der Wey gebahnet und Anlaß gegeben wuͤrde: 
Denn obzwar das Vornehmſte bey den Fugen auf die Einrichtung des Haupt⸗ 
Satzes und deſſen Nachfolge ankoͤmmt, ſo verdient doch die Ausarbeitung, daß 
man auch dabey ein Nachdencken gebrauche. Ich will verſuchen, ob eine kleine 
Beſchreibung hierunter helffen, und in 5 ein Licht anzünden koͤnne, daß man 


der⸗ 


278 Achtes Capitel: Von Fugen. 


dergleichen mehr, aus den Wercken beruͤhmter Kuͤnſtler, verfertige, und ſeine 
Übung darnach anſtelle. Eine Handleitung kan es doch abgeben, und wer ihr 
folget, wird den Nutzen bald ſpuͤren. N | 


$. 69. | 
ben Das Thema) ſoll in finali anheben, wie es oben §. 6. exem- 
ais. plo I. ſtehet; und ob man es gleich gar wohl, erwehnter maaſſen, erſt 
rein aushören laſſen könnte, fo iſt doch auch nicht unrecht gethan, wenn 
etwa der Alt, bey derjenigen Note des Fuͤhrers, die vor der letzten 
hergehet, ſeinen Eintritt macht; welches aber bey dem Tenor nicht 
wohl angehet, und um ſo viel beſſer iſt, ie eckelhaffter die gar zu groſſe Aehnlich⸗ 
keit lauten wuͤrde, wenn die Stimmen juſt in einerley Zeit⸗Maaſſe hintereinander 
herſchlenterten. 1 


e 8 
Man nehme ferner in acht, daß bey dem Eintritt des Tenors, der ſodann 

um einen Tact ſpaͤter, nach geendigtem Gefaͤhrten, erfolget, die Ober⸗Stimme ei⸗ 
ne Diſſonantz zur erſten Eintritts⸗Note des Tenors treffe und halte, welches hier 
am fuͤglichſten die Qvarte, b, ſeyn kan. Ein gleiches iſt denn auch bey dem Ein⸗ 
tritt des Baſſes zu bemercken; derſelbe aber verziehe nicht ſo lange, als ſein Vor⸗ 
gaͤnger, ſondern melde ſich nur auf eben die Weiſe, wie der Alt gethan hat, nem⸗ 
lich bey derjenigen Note des Tenor⸗Satzes, der vor der letzten hergehet. Und al⸗ 
ſo findet ſich eine geſcheute Um⸗ oder Abwechſelung hierin. v. Exempl. 2. f. 63. | 
„ 7 ; 

Iſt nun der Baß eingefuͤhret, ſo mag man den Diſcant, oder Sopran, nach 
Verflieſſung und Erfüllung eines temporis, (2 Taͤcte) etwas pauſtren laſſen; 
die übrigen Stimmen aber indeſſen auf das beqvemſte, mit geſchickten modulis 
und Ruͤckungen, ſo lange weiter fortleiten, bis der Baß das Thema zu Ende ge⸗ 
bracht hat: alsdenn kan, bey Beruͤhrung der letzten Note deſſelben, die Ober⸗ 
Stimme wiederum in der Qvint den Haupt⸗Satz anheben, und der tt, im drit⸗ 
ten Tact, nachdem er einen vorher pauſiret hat, per kinalemi, folgen; dieſem 
aber der Tenor per dominantem, nach vorher gegangener kleinen Pauſe, und 
mit oberwehnter Annaherung des Thematis, fo wie $. 67. angedeutet sa iff. 
K 72 

) Ungeachtet es im Endigungs⸗Klange anfängt und aufhoͤret, hindert ihm doch ſolches eben 
fo wenig an guter Ausführung, als dem §. 34. erwehnten Satze. Und wir wahlen es de⸗ 


ſto lieber. 


Achtes Capitel: Von Fugen. N 179 


3 a ra om 1 g. 72. ö | 

Hat der Tenor zum andern mahl, und zwar dieſesmahl in Comite, bis an 
die letzte Note ſeinen Haupt⸗Satz geendiget, ſodann, und nicht wohl eher, kan 
der Baß, nachdem er 6 oder 7 Tact pauſiret hat, per Ducem, einfallen, wie 9. 
67. gleichfalls gewieſen iſt; dabey denn der Sopran, bis etwa auf die Helffte des 
Thematis, fortgeſetzet werden, und hernach etliche Taͤcte 4 bis 5 pauſiren mag: 
auf daß er, bey erſehener Gelegenheit, das Thema zum dritten mahl, und zwar 
in finali, ergreiffe. Hiernaͤchſt kan es der Tenor wieder per dominantem neh⸗ 
men, ohne daß er pauſiren, oder ſonſt ſeine Modulation unterbrechen darff; wo⸗ 
bey aber der Baß ein paar tempora feiren mag. 


| 9% 7. | | 

So bald der Tenor penultimam beruͤhret, nehmlich d; ſo laſſe man den 
Duceem im Alt (wenn er vorher eine gantz kleine Pauſe gemacht hat) und gleich 
darauf im Baß den Comitem, bey der zweyten Alt⸗Note des Haupt⸗Satzes, 
hoͤren, indeſſen die Ober⸗Stimme ein paar Taͤcte pauſiret: nach deren Verflieſ⸗ 
ſung nehme ſie das Thema zum vierten mahl, per dominantem, oder auch per 
Comitem, wie ſichs am beſten ſchickt (ich waͤhlte das erſte); worauf endlich der 
Baß zuletzt, doch ohne fernere Unterbrechung, in finali, folgen, und, mit einem 
kleinen Zierrath, der Schluß gemacht werden kan. 


i K. 

Dieſe Durchführung iſt eine von den kuͤrtzeſten und einfaͤltigſten, die man 
haben kan, weil fie ſich nur etwa auf 30 tempora, oder 60 Taͤcte, erſtreckt, und 
wenig oder gar keine Ausſchmuͤckungen hat, mit welchen allemahl in Fugen gar 
ſparſam umgegangen werden muß, fo daß fie nur zur bloſſen tranſition dienen. 
Der Haupt⸗Satz koͤmmt darin funfzehnmahl vor, welches mit jener Zahl eine gu⸗ 
te Verhaͤltniß weiſet. Dux & Comes ſind, ieder zweymahl, abgewechſelter Wei⸗ 
ſe, im Sopran; im Alt iſt der Comes nur zum Anfange einmahl, hernach der 
Dux, zu verſchiedenen unterbrochenen Zeiten, dreymahl; der Tenor hat das The⸗ 
ma einmahl im Duce, und zweymahl im Comite; der Baß aber viermahl mit 
Umwechſelung des Führers und Gefaͤyrten. Und das waͤre fo die ſchrifftliche 
Zergliederung einer kurtzen Fuge. | Kst 5 

. ö 75. 55 i 

Von der Länge des Haupt⸗Satzes etwas zu erwehnen, fo kan man im ernſt⸗ 
hafften Kirchen⸗Styl wohl vier und mehr . „nach der allabreven- Art dazu 
A 3 2 neh, 


180 1 Achtes Capitel: Von Fugen. 


nehmen; aber nach heutiger und gebraͤuchlicherer Weiſe, wo der langſame Vier⸗ 
Viertel⸗Tact, mit beſſerer Melodie, herrſchet, nicht gerne über zween Taͤcte. In 
ungeraden und kurtzen Menſuren hat es eine andere Bewandniß, und laͤßt ſich 
disfalls nichts feſtes, oder unumſtöͤßliches, vorſchreiben: maaſſen die Worte, und 
andre Umſtaͤnde, bisweilen darnach ſeyn koͤnnen, daß fie ein etwas langes The⸗ 
ma erfordern. So will ſich auch hiebey der Eigenſinn des Setzers nicht gerne 
einſchraͤncken laſſen. Alles, was ich hierüber rathen, und für gut ausgeben kan, 
iſt dieſes: Lieber zu kurtz, als zu lang. S. H. 9. h. c. 


| | §. 7 8 | 

Vor dieſem war es eine Regel, daß man erſt, wenn die Fugen mit Singer 
Stimmen und Inſtrumenten ſeyn ſollte, den Haupt⸗Satz mit jenen allein durch⸗ 
fuͤhrete, und nachgehends mit den Inſtrumenten, auch beſonders, ein kleines Zwi⸗ 
ſchen⸗Spiel oder Ritornello machte, welches ſich auf das Thema beziehen muſte; 
doch nahm ſich die allabreven· Art hievon aus, als welche man immer alla Capel- 
la, zugleich mit Inſtrumenten und Singe⸗Stimmen anhebt, fortſetzet und endiget. 


| $. 77. 8 
Mit der Zeit iſt eine andre Weiſe eingefuͤhret worden, die faſt mehr Bey⸗ 
fall gefunden hat. Da laͤßt man, nehmlich, zwo oder drey Stimmen, nachdem 
das Stuͤck ſtarck iſt, vorangehen; wenn aber die letzte eintritt, fallen ihr zugleich 
alle Inſtrumente auf einmahl mit zu, bey denen das erſte und oͤberſte (es ſey nun 
ein Violino, oder was anders) nicht mit dem Sopran in unifono gehen, ſon⸗ 
dern eine eigene Melodie ( fo wie fie denn auch Melodie heiſſen mag) führen, und, 
wie mans nennet, reel geſetzet werden muß. Die zuletzt eintretende Sing⸗Stim⸗ 
me ſey nun der Baß oder der Diſcant, (denn eine von den beyden aͤuſſerſten iſt 
doch die beſte, obgleich den übrigen kein Verbot auferleget iſt) fo thut ſolches 
Tutti eine ſehr gute Wirckung, nicht nur im Anfange; ſondern auch gegen das 
Ende einer Fuge. | 
| EN 
Es wollen einige Contrapunctiſten haben, man fol abſonderlich den Baß, 
wenn er den Haupt⸗Satz zum erſtenmahl ergreifft, in finali anheben laſſen. Die⸗ 
ſes iſt nun zwar eine gute natuͤrliche Ordnung, wenn der Sopran vorher in do- 
minante angefangen hat, und der Stimmen vier ſind, auch der Alt und Tenor 
ſich bereits Rang⸗ und Reihenmaͤßig hoͤren laſſen: ingleichen, wenn zween So⸗ 
prane vorhanden ſind, und die Fuge aus fuͤnff Sing⸗Stimmen beſtehet, wie ich 
denn 


Achtes Capitel: Von Fugen. 8 
denn glaube, daß dieſe vorbeſagte Ordnung eine Urſache, unter andern mit gewe⸗ 
ſen ſeyn mag, warum die Alten gerne 2 Diſcaͤnte gebraucht haben. fe 


1905 % 79. a 

Allein, wenn nur vier Stimmen fingen follen, und die erſte fängt in finali 
an, und die Ordnung wird beybehalten, fü muß der Baß nothwendig do- 
minantem waͤhlen, welches gar keine Suͤnde iſt. Wird aber die Ordnung 
nicht gehalten, (wie ſolches ebenmaͤßig in des Setzers Willkuͤhr ſtehet) ſo faͤllt 
die Regel gantz und gar weg. In ſo weit koͤnnte man ſie dennoch gerne gelten 
laſſen, daß, wenn der Baß, zum allerletzten mahl, in einer Fuge das Thema 
fuͤhret, und auch, wenn er allein anfaͤngt, ſolches in finali geſchehen moͤchte: mit 
dreyen Stimmen iſt es leichter zu thun, als mit vieren. | 


* §. 80. 

Voor allen Dingen richte man fein Thema fo ein, daß es in der Melodie 
nicht zu weit um ſich greiffe, zu hoch oder zu niedrig gehe, d. i. daß es feine Graͤn⸗ 
tzen, in dieſem Verſtande, etwa an einer Qvinte, oder hoͤchſtens, an einer Sext, 
im Umfange habe, als worin man ſattſame Modulationes machen kan, und 
Raum genug dazu findet, auch deſto beqvemer dieſelben in den Mittel⸗Parteyen 
anzubringen Gelegenheit hat. Werden dieſe Graͤntzen nicht in Acht genommen, 
bey der Einrichtung eines Haupt⸗Satzes zur Fuge, ſo entſtehet in den Wieder⸗ 
ſchlaͤgen viele Schwierigkeit, abſonderlich wenn Sing⸗Stimmen dabey zu thun 
haben. Gilt dieſe Anmerckung in einer ieden Melodie, wie ſchon im dritten Car 
855 0 21. gelehret worden; wie vielmehr findet fie bey einem Fugen⸗Satze ihren 


„„ VVV 
Keines Saͤngers Stimme wird ſich, ordentlicher und gewoͤhnlicher Weiſe, 
in gleicher Staͤrcke auf zwo Octaven erſtrecken; ſelten auf zwo Sexten; allemahl 
aber auf zwo Dointen, neun oder zehn Grad: und da gehet man am ſicherſten. 
Ich rede darum von Qointen, weil eine iede Stimme das Thema wenigſtens ein 
mahl als Ducem, und einmahl als Comme, führen muß, dazu denn der er⸗ 


wehnte Sprengel noͤthig iſt. 
ER, 9. 82. | 1 | 
In Inſtrumental⸗Sachen findet eine groͤſſere Freyheit Raum; doch gibt 


es bisweilen im Spielen, noch mehr ey Gehör, keine geringe Verwirrung, 
1 33 wenn 


WW Achtes Sapitel: Von Fugen. 


wenn die Tenne einander zu ſehr ins Gehaͤge kommen, bald auf, bald nieder⸗ 
Springen muͤſſen, einfolglich nicht nur allen Zuſammenhang der Melodie, ſondern 
auch die Deutlichkeit, verlieren, ſich nicht recht ausnehmen, noch abſondern koͤn⸗ 
nen: zumahl auf dem Clavier, allwo ein weiter Umfang des Haupt ⸗Satzes an 
der Vernehmlichkeit groſſen Abbruch thut; er mag ſo kuͤnſtlich ausgearbeitet ſeyn, 
als er immer will. 


F. 83. 


Was weiter bey dieſer Materie noch in Obacht zu nehmen, laſſen wir billig 
bis zur Reiffung des Vollkommenen Capellmeiſters ausgeſetzet ſeyn, und 
ſchlagen indeſſen die Partituren der wenigen guten Contrapunctiſten zu Muſtern 
in praxi vor, deren Arbeit man fleißig, nicht nur ſpielen, (denn viele koͤnnen eine 
erlernte Fuge gut ſpielen, und wiſſen doch kaum worin fie beſtehet) ſondern ge⸗ 
nau durchgehen, fleißig unterſuchen, und, nach obiger Anleitung, in anatomiſche 
Beſchreibungen bringen muß, damit man ihnen die Kuͤnſte ablerne, ſolche nach⸗ 
ahme, und die in unſerm Kern angegebene Grund⸗Saͤtze weislich anwende. Die 
mir bekannten groſſen Meiſter in Fugen ſind, nebſt andern, Bach, Fux, Haͤn⸗ 
del, Johann Krieger, Kuhnau, zelanann, 5 ꝛc. 


EN D E. 


N TS 


2 — 
5 SEPERR N 
N, A DS 
> RE N, 2 \ 


N Regi⸗ 


Regiſter. 


a 


Aus waste 
Accent iſt wohl zu beobachten 
Acht⸗Klang in reinem Verhalt, wie er ſich auf 
dem fNlang⸗Meſſer her vor thue 4 


a 


Adagio, deſſen Affect | 3 57 
Affettuoſo, deſſen Affeet 67 
Airs à Deux 99 
Allegro, deſſen Affect | 67 
Allemande, was fie fen 121. ihre Gattungen 
121.122 


Amplificatio in einem mu taliſchen Exempel ge⸗ 


zeiget 134 
Anaphora, Exempel davon 141.142 
Andante, deſſen Affeet 6 


Z 

Anfang der Melodie iſt in reinen, mit der Ton⸗ 
Art aufs beſte verwandten, Klängen zu ma⸗ 
chen 57. Exempel davon 58 
Anfangs Klaͤnge, auſſerordentliche, 1 Si 


Angloife hat was vortreffliche und ſelſames 
117. ihre Haupt⸗Eigesſchafft 117 
Anſchlag, Bedeutung dieſes Worts 154 
Antiphona 94 
Antrag, woraus er beſtehe 72. beſchrieben 129. 
durch ein ee erlaͤutert 131. 5 5 
Apoftrophe, was fie ſey 133 
Aria, deren Wortforſchun und Beſchreibung 95 
aer einen gangen Sufammenfg 72.73 
2 3. V 100 
fee 
mit und ohne Doubles 122. an einer von Mar. 
dello wird die Einrichtung erklaͤret 130. ſq. 
Arien haben die Oden faſt gar e 94. 5 
ohne Begleitung beweget 
Arietta, was fie ſey 
Arioſo, was es ſey 95. 
Aubaden wo und wie ſie zu brauchen 101 
Ausarbeitung der Setz⸗Kunſt, iſt nach gemach⸗ 
tem Überſchlage leicht 137. 139. ohne Einrich, 


9595 


tung ſchwer 137. und ſelten gut 138. will kalt 


Blut und Bebdachtſamkeit haben 139 
Ausführung eines Fugen ⸗ Satzes, . Far 
zu beobachten 182 
Ausſchmüͤckung, worauf f 4 ſorderſich ee 


5 Manieren. 


100 


B. 3 


Bach ein N Meiſter i in Zugen 1 147. 182 
Ballads, was ſie ſeyn 117 
Balletten, ihre Beſchreibung 102. Abzeichen 

102. deren werden verſchiedene angeführet 


102. 103 
Beträftigung wird beſchrieben 130. durch eim 
Beyſpiel erlaͤutert 132 


Bericht, wird beſchrieben 129. in einem Bey⸗ 
ſpiel erlautert 


Blindgebohrner bringt auf einem Waldhorn 


mehr Klaͤnge hervor, als eine Orgel hat zo 
Bononcini, wird getadelt 5 5% 
feine Cantaten 63 


der juͤugere ein melobidfer Setzer 53 
wuſte den eigentlichen Sitz der Manieren 14 
Bourree, ihr Abzeichen 112. Wortforſchung uns 
terſucht 112. Affeet 67 
Boutaden | 122 


C. | 
Cadenzen, ob he Claufuln zu nennen 36. wie ſie 
beſchaffen ſeyn ſollen in 47 
Canarie, ihr Affect 117 
Canoniſche Styl, wie er in der Kirche zu pebrai 
chen 20. auſſerhalb der Kirche 25:8 
Cantaten, ihre Gattungen 98 und Eigenſchafften 
57 


Cantieum 
Capellmeiſter, die groͤſten in Franckreich ſind 
Auslaͤnder 140 
Capellmeiſter, der vollkommene, wird verſpro⸗ 
chen 28. 33,34 46.57. 182 
Gapell. Styl, wird der gebundene Kirchen⸗Styl 
genannt 55 | 
Capricei ö 
Cavata, deren Beſchreibung und Abkömmlinge 75 
Chaconne, eine Tantz⸗Melodie 122. Naßmens⸗ 
Ableitung ibid. Eigenſchafft 123. wie ſie von 
der Paflecaille unterſchieden 123. [g. ihr Affect 
66. richeet bey Soͤfon oͤffters mehr als 8 
Puncte aus 
Chor, kan dreyerley ſeyn 100. wie ſie bey er 
Welſchen, Frantzoſen und Teutſchen beſchaffen 
101 
Choral 94. Vater Unſer ꝛt. wie eine Fuge dar⸗ 
aus zu nn 152. 153. Chriſtus der uns 


felig 


Regiſter. 


ſelig ꝛc. wie er in eine Fuge zu bringen 154. 
155. Werde munter ꝛc. in eine Fuge gebracht 
164. 165. ingleichen: Aus tieffer Noth ꝛc. 165. 


ſq. ferner Durch Adams Fall ꝛc. 167 
Clavier : Sachen | 121 
Clauſulen, woher ſie den Nahmen haben 36 


Colon, deſſen Beſchreibung 87. Stellen 87. wie 
es auszudrucken 88.89 

Coloraturen ſ. Manieren. 

Comes f. Gefaͤhrte. 

Comma, deſſen Wortforſchung, Synonymie und 
Beſchreibung 75. rechter und unrechter Ge⸗ 
brauch in Exempeln 76. 77. von dem vollkom⸗ 
menen und unvollkommenen Exempel 78.79. 
80. ob es in der Grund - Stimme durch Ca⸗ 

denzen auszudrucken ö 78 

Componiſten, ihre Schreib⸗Art 12. ſeq. beſtehet 
in dem Kirchen⸗13⸗20. Theatraliſchen 20-24. 
und Kammer⸗Styl 34:28. ob die Gattungen 
ihrer Schreib⸗Art dereinſt nicht vermehret, 
13. 27. oder vermindert werden duͤrfften 28 

Concerten, woher der Nahme 107. ihr Erfinder 
106. deſſen Urſachen 107. ihre erſte Geſtalt 107 
Abſicht 107 


Concerti groſſi 124. deren Affect 125 
Confirmatio f. Bekraͤfftigung. 

Confutatio ſ. Widerlegung. 
Confociatiomodorum . 157 
Contraſten 


137 
Correlliſchen Wercke werden zum Muſter des 
Inſtrumenten⸗Styls in der Kammer⸗Muſic 
angewieſen 25 
Corrente ſ. Courante, 
Country. Dances 117 
Courante, ihre Gattungen 120. Affect 67. 120. 
Exempel 120.121 


. 


D. 


Decoratio ſ. Aus ſchmuͤckung. 

Deutlichkeit einer Melodie, zehn Regeln davon 
35. die Incifiones find genau zu bemercken 30. 
bey ieder Melodie iſt eine Oemͤchs⸗Bewegung 
zum Zweck zu ſetzen 40. der Tact nicht leicht 
zu aͤndern 40. der Taͤtte Anzahl ſoll ſeinen ge⸗ 
wiſſen Verhalt haben 41. wider die ordentliche 
Theilung des Tacts kein Schluß gemacht wer⸗ 
den 41. der Accent iſt wohl zu beobachten 42. 
Verbraͤmungen behutſamlich anzuwenden 43. 


eine edle Einfalt auszudrucken 44. Schreib⸗ 
Arten wohl von einander zu unkerſcheiden 45. 
die Abſicht auf den Verſtand, nicht auf die 
‚Wörter zu richten win 
Dialogi, Beſchreibung und Abzeichen 105 
Diapafon, das allervollkommenſte Intervall 5 
Diſpoſitio f. Einrichtung. 
Dohius, deffen Stelle von der Melopsie 30. von 
Erfindung der Madrigalen 16. 17 
Drama, was es ſey 20 
Dramatiſche Styl, wie er muͤſſe beſchaffen ſeyn 


| | 230.28 
Duetto, Gattungen und Eigenſchafften 99 
Dux ſ. Fuhrer. . 


. 


Einfalt, edelmuͤthige bey der Melodie 42.44.94 
Eingang 128. wird beſchrieben 129. Beyſpiel 131 
Einklang in gaͤntzlicher Gleichheit — 4 
Einrichtung der Setz : Bunft wird beſchrieben 
128. daran liegt vieles 135. [g. muß der Er⸗ 
findung zu ſtatten kommen 127. erfordert 
Zeit und Gedult 137. 138. auch Ordnung und 
Maaſſe 139. wie dabey zu verfahren 137. ob 
ein Componiſt ſich genau dran binden muͤſſe 
128. 129. 137. 138. ihre Theile find der Ein⸗ 
gang 128 Bericht 120. Antrag ibid. Bekraͤf⸗ 
tigung 130. Widerlegung ib. Schluß 130 
Einſaiter, was er ſey 4. wie man durch ihn die 
Intervalle nach ihrem Verhaͤltniß erkennen 
4: 10 


koͤnne 
Einſchaltung ſ. Parenthefis. 
Einſchluß ſ. Parentheſis. : 
Einſchnitte der Rlang: Rede 71. Synonymie 
71. deren Lehre iſt bisher verabſaͤumet 71. 
wird hier vorgetragen 7 1. 72. dieſelbe find das 
Comma 75-80. Semicolon 80-87. Colon 87. 89 
Frage⸗Zeichen 89. 90. Exclamations-Zeichen 
90. Parenthefis 91. Pun um 92 
Elaboratio ſ. Agi beitung. 
Eaptans ſ. Nachdruck. 
Enden, was ſie ſeyn — | 
Englaͤndiſcher Tantz ſ. Angloife. | 
Entrée, ihre Eigenſchafften 114. wie die Fran⸗ 
tzoſen das Wort brauchen 115. Affeet 67 
Epizeuzis in einem muſitaliſchen Exempel 131 
Erfindung, der Melodie 8 
macht den Anfang 127. wie ſie ohne “er 
ung 


tung beſchaffen ſey 137. will Feuer und Geiſt 
Exclamation ; 1 142 
Exclamations⸗Jeichen, deſſen Gattungen, wie 


ſie auszudrucken 90.91 
Exordium ſ. Eingang. 

Fantaifies, ihre Arten 122. Abzeichen 123 
Feld⸗ und Kriegs⸗Styl 28 


Figuræ dictionis 140. ſq. Sententie 140.142 
Slieſſend ſoll eine Melodie ſeyn, acht Regeln da⸗ 
von 36. Gleichfoͤrmigkeit der Rhythmorum in 
Obacht zu nehmen 45. der Numerus muſicus 


beyzubebalten 45-9. 
Folies d’Elpague 110 
Fortſchreitungen, geometriſche 68 
Frage⸗Jeichen, wie es auszudrucken 89.90 


Sranckreich iſt die erſte Tantz⸗Schule 22 
Srantzoſen find groſſe Meiſter im Inſtrumenten⸗ 
Styl 64. ihnen iſt in der melodiſchen Leichtig⸗ 
keit mehr als den Welſchen zu folgen 38 
Frantzoͤſiſche kleine Tantz⸗ ieder und Melodien 26 
Suͤhrer einer Fuge 145. wie er anhebe 146. wie 
lang er an Tacten 147 
Zuge, ihre Beſchreibung 144. woher fie den 
Nahmen habe 144. gebundene und ungebun⸗ 
dene 144. einfache 144. 145. vielfache 145. 
ihre Seele find gute Bindungen und Ruͤckun⸗ 
gen 169. hat zwey Haupt⸗Kampfer 145. Ge⸗ 
neral⸗Fugen⸗Regel 152. Freyheiten bey den⸗ 
ſelben 155. Proben davon 156. ſieben Anmer⸗ 
ckungen 1 172. ſeq. 
Fugen⸗Satz, deſſen Anfang und Ende machen 
die meiſte Schwierigkeit im Wiederſchlage 
148. wie der Anfang 145. 146. und Schluß 
ſeyn ſolle 145. ordentliche 146-157. auſſeror⸗ 
dentliche Anfangs⸗Klaͤnge 157= 104. auſſeror⸗ 
dentliche Schluͤſſe ©, | 


Fughe ſeiolte a nn 13 
Sux, ein Melſter in Fugen 182 

f . G. 7 
Gaͤnge ſ. Saͤtze. | 


Gavotta, ihre Arten 111. Affeee, Zeit ⸗Maaſſe 
und Eigenſchafft 111. warum die Frantzoſen 
nur ein t brauchen 111. Nahmens⸗Urſprung ib. 

Gebundener Kirchen⸗Styl, wo Nachricht da⸗ 


von zu finden 13. 14. hieß auch der Capell⸗ 
Styl 14. iſt bey uns nicht mehr gewohnlich 14 

Gefaͤhrte einer Fuge 145. zielet allezeit auf eine 
reine Repereuſſion f f 


149 

Gegen⸗Fugen 145 
Gelencke ſ. Comma. 5 
Gemuͤrhs⸗Bewegungen find der Endzweck der 

Melodie 32. 66. 40 

Geſchmack, ob davon Regeln gegeben werden 

koͤnnen 5 29 

Geſpraͤche ſ. Dialog. 


Giga, ihr Affect 
Gique, ihr Affect 67. 115. wie fie anzuwenden 116 
Gleichfoͤrmigkeit macht angenehm und dauer⸗ 


hafft 136 

Glied ſ. Colon. 
Graupner wird gelobt 110 
Gruͤnde, in welcher Ordnung fie anzubringen 
135 


H. 
Haͤndel wird gelobt 23. 110. 122. 192 
Balb Ton, der groſſe, im uͤbertheiligen Verhalt, 
wie ihn der Klaug⸗Meſſer angebe | 9 
Balb⸗Ton, der kleine, im uͤbertheiligen Ver⸗ 
halt, wie er auf dem Klang⸗Meſſer zu erfor⸗ 


chen N 9 
Bammerſchmidt wird gelobt 14. Probe aus 
deſſen geiſtlichen Madrigalen 18 
Sarmonie, was ſie ſey 31. wie fie mit der Melodie 
verknuͤpft die Gemuͤther ruͤhre 33 
Yeinchen wird getadelt 34 
HBochzeit:-Städe _ 3106 
Hornpipes, was fie ſeyn 117.118 
Hymnus 


94 
Byporchematiſche Styl 22. wo Unterricht da⸗ 
von zu finden 23 


| J. 
Incifiones ſind bey der Melodie genau zu bemer⸗ 
cken | 39 


e 
ſ. Einſchnitte. 


Inſtrumeninl-xnetodſe iſt die Tochter der Vo⸗ 


cal⸗Melodie 60. 61. folget dieſer 61. hat mehr 
Feuer und Freyheit 62.63. läßt mehr Spruͤn⸗ 
ge zu 63. findet viel Schwierigkeiten der Zon⸗ 
Arten 65. hat nicht mit Worten zu thun 66. 
ſoll nicht ohne Gemuͤths⸗ Bewegungen ſeyn 
66.67. dabey hat die Mufica melica nicht ſon⸗ 

Aa 2 | derlich 


derlich zu thun 68. ſucht den Nachdruck ‚m 


Klange I 
Inſtrumental⸗Muſic, was fie fey 18. ob fie 
Ineiſiones brauche | 39 
Inſtrumenten, bey ihnen ſind die Grentzen nicht 
ſo enge, als bey Saͤngern 64. laſſen mehr 
Kunſtwerck zu, als Sing⸗Stimmen 65. muͤſſen 
nicht hervor ragen, wenn ſie mit der Vocal⸗ 
Muſic zuſammen arbeiten 65.66 
Inſtrumenten⸗Melodien 109. ſeqq. 
Inſtrumenten⸗Styl 18. hat viel Gattungen 19. 
was ein Setzer dabey zu beobachten 19. 109. 
iſt aus der Paͤbſtlichen Capelle verbannet 19. 
wie er in der Kirche 19. 20. auf dem Theatro 
21. 22. bey der Kammer Muſie zu brauchen 
24. 25. wo Beyſpiele davon zu finden 25. deſſen 
Eigenſchafften 25 
Intervall, Beſchreibung 1. der klingenden In⸗ 
tervalle Verhalt 111. laſſen ſich durch Linien 
und Zahlen am beſten abbilden 1. grade und 
kleine ſind groſſen Spruͤngen vorzuziehen 35 


48. und geſcheut abzuwechſeln 40 
Intrada, ihr Affeet . 124 
140 


Josquinus, Nachricht von ihm 


K. 


Kaiſers Opern⸗Jutrada al 
Kammer-Styl begreifft den Inſtrumenten⸗ 24. 
25. Canoniſchen 25. 26. Choraiſchen 26. 27. 
Madrigalen⸗ und Melismatiſchen Styl 27 
Kirchen⸗KLieder, wie fie in eine Fuge zu brin⸗ 
gen 154 ſ. Choral. | 
Kirchen⸗Styl 13. deſſen fünff Gattungen find 
der gebundene 13.14. der Moteten⸗ 14.15.16 
Madrigalen⸗ 16. 17. 18. Inſtrumenten⸗ 18.19. 
20. und der Canoniſche Styl 20 
Klänge, einer Trompete 10. entworfen 11. wie fie 
einander im Wiederſchlage antworten muͤſſen 


5 „„ EST 
Alang. Maaſſe, ihr Weſen und Nutzen 12 
Klang⸗Meſſer ſ. Einſaiter. 


Krieger, Johann, ein Meiſter in Fugen 182 

Bubnatı wird gelobt 110. 182 

Zünfteley iſt bey der Melodie zu meiden 38 

Bur tze iſt der Lange vorzuziehen 39 
L. 

Lamento, deſſen Affe 67 


Regiſter. 


Laſſo, Orlando, Urtheil von ihm 
Laͤuffer, find mäßig zu brauchen 
Kanten: Sachen 12 
Leicht ſoll eine Melodie ſeyn, ſieben Regeln da⸗ 
von 35. ſie ſoll was bekanntes 37. nicht 
affectirtes an ſich haben 37. der Natur am 
meiſten, dem Gebrauch nur in etwas folgen 
38. Künſteley vermeiden 38. ihr find gewiſſe 
Schrancken, die iedermann erreichen kan, zu 
ſetzen 38. die Kuͤrtze iſt der Länge vorzuziehen 


7 Ne: 2 e 2 39 
Leiter, wie die Klaͤnge beym Wiederſchlage ein⸗ 
ander antworten muͤſſen 150. 15K 
Lento, deſſen Affect 7 
Lieblichkeit einer Melodie, acht Regeln davon 
35. berfelben Erläuterung 48:59 
Linien und Fahlen bilden die Intervalle und 
ihren Verhalt am beſten ab 


1 

Lippii Gedancken von der Melodie 31 
Loure, ihr Affect 5 | 115 
Lully wird gelobt at 
iſt in alle Sattel gerecht 2 22 
ſeine Wercke werden recommandirt 38.114 
Luſt⸗Spiel 104 

M. 


Madrigalen, Urſprung des Naßmens 17. Be 
ſchreibung 17. ehemalige und ietzige Beſchaf⸗ 
fenheit | 17.18 

Madrigalen.Styl 16. wie weit er ſich 1 1 

16. eq. 


Mahlerey gleicket der Muſſe 40 
Manieren verderben manche ſchoͤne Melodie 
140. wohlangebrachte verbienen ihr Lob 140. 
ſchicken ſich beſſer für Inſtrumenten, als fur 
Sing⸗Stimmen 141. ob ſie von en 


ſeyn c i 
Marſch, deſſen Eigenſchafft 173. kan auch in 
ungerader Tact⸗ Art erſeheinen 114. was ein 
Setzer daber ge veobachten 114 
Age f eie wird gelobt | „122 
Mathematiſche Zuͤlfs⸗Mittel, mozu ſie in der 
Muſic noͤchig 2. 10 
Melismatiſche Styl 24 
Melismi find mäßig zu brauchen 58. Exempel 59 
Melodie, Kunſt eine gute zu machen 29, ſeqq. 
begreifft das weſentlichſte in der gantzen Muſie 
29. ihre Stele iſt die Zeit⸗Maaſſe 40. ee 

gu 


gute iſt bey vielen Stimmen nicht anzutreffen 
30. 31. iſt gruͤndlich beſchrieben 31. und ums 
ſtaͤndlich erlautert 31. fegg. deren Materie gr. 
Form 31. Endzweck 32. 66. wie fie die Ger 
muͤther ruͤhre 32 bisher hat eine richtige Der 
ſchreibung derſelben gefehlet 34. ihre wahre 
Schönheit beſtehet in dem bewegenden und 
ruͤhrenden Weſen 34. Eigenſchafften 32. 33. 
a) daß ſie leicht ſey, ſieben Regeln 35. 37⸗30. 
b) daß fie flieſſend ſey, acht Regeln 36. 45: 
48. e) Lieblichkeit, acht Regeln 35. 48759. 
d) Deutlichkeit, zehn Regeln 35. 39:45. Un: 
terſchied der Vocal⸗ und Inſtrumental⸗Melo⸗ 
dien 60:70. ihre Gattungen und beſondere 
Abzeichen 93. ſeqq. 
Melopoͤie, wird beſchrieben 20. iſt noch von 
niemand gelehrt worden 29. Donius hat zwar 
den Mangel bemerckt, ihm aber nicht abge⸗ 
holffen 30. hier werden die erſten Regeln das 
von gegeben 30. deutete bey den Griechen die 
gantze Setz⸗Kunſt an 31 
Menage, von der Gavote 111. ſeine Origines ges 
tadelt g SITZ 
Menſchen⸗Stimme, ihr Sprengel 64 
Menuetten, ihre Gattungen 109. Uffeet log. 
Eigenſchafften 109. wo man die beſten antreffe 
110,111, eine wird zergliedert 109. 110 
Morhoffs Gedanken von Madrigalen 16 
Moteten, ihre alte Geſtalt 108. find nicht gang: 
lich zu verwerfen 108. dieſen Nahmen geben 
die Frantzoſen allen Kirchen⸗Stuͤcken 108 
Moteten Styl, wo er ſeinen Nahmen her habe 
15. deſſen Werth 15. 16. he, iger Gebrauch 


Y 


16. ob ihm der Canoniſche Si, unterworffen 


. 2 5 8 2 2 : 1 3 
Muſic hat mehr Fuͤſſe, als die Dicht⸗Kunſt 46 
Muſicus hat viel mit den Rednern gemein 135 


N. 
Nachdruck, denselben ſucht bir Bocal⸗Muſit in 


Worten, die Inſtrumente im Klange da. ves 


Worte, wie er zu finden, in etlichen Exem⸗ 
peln ge zeig | 42:43 

Narratio .. Bericht. ö N 
Natur, ihr iſt mehr zu folgen, als dem Sebrauch 
1 1 38 


3 
Note eambiate 164 


Register. 


5 O. 
Gden ſind von den Arien faſt gar verdrungen 


94. zu welcher Schreib⸗ Art ſie gehoͤnen 95 
Gperetten f 105 
Ypern, ihre Eigenſchafft 104. was ein Setzer 

dabey in acht zu nehmen 104. 105 
Gpern⸗Componiſt muß alle hohe Tantz⸗Arten 

wohl verſtehen 2 22 
Gpern⸗Styl 2 
Gratorien, ihre verſchiedene Arten 106. ihre 

Abzeichen 106. wo und wie ſie zu brauchen 

101. bey denſelben iſt der Schluß zuerſt vor⸗ 

zunehmen 13 
Grcheſter hat verſchiedenes vom Unterſchied des 

Styls beygebracht f 13 
Grgeln koͤnnen die Geſpraͤche nachahmen 105 
Orlando, ein gewiſſenhaffter Contrapunctiſte 155 
Ouvertur, ihr Character 125. Affect 6 


P. 

Paragraphus 73 
Parenthefis, wie fie auszudrucken 92. poetiſche 

Exempel 91. 92 ſind mehrenthejls Flickerey 92 
Partite, ihr Affect 5 122 
Paſſecaille 133. 124 
Paſſepied, deſſen Urſprung und Affect 118.67 
Paßion f 106 


Paftorale, ihr Kennzeichen 103. wie fie in 
0 10% 
Periodus, beſchrieben 73. wie er einzurichten 


74. 75 

Peroratio ſ. Schluß. 
Phantaſtiſche Styl, was darzu gehöre 23. wo 
er gebraucht werde 24. darinuen wird Handel 
gelobt 22 
Poeten werden getadelt un 72.96 
Polniſche Art des Choraiſchen Styls iſt at 

2 


Polozoife, iſt von vortrefflichem Nutze! 116. 
was fie beſonders an ſich hat 116. ipre Eigen⸗ 
Hafen l 


Preludes 122 

Preſto, deſſen Affeet 67 

Propoſitio ſ. Antrag. 

Palmen. 094 

Punct, wie und wo anzubringen 93 
Aa 3 pun⸗ 


Regiſter. 


punctirtes Weſen iſt in Sing⸗Sachen ſparſam 
zu brauchen 427 


2. 


Gbart kan durch die Repereuſſion in die Qvint 
verändert werden 149. 150. anfangende zum 
Haupt⸗Ton 167. anfangende zur Qvint 161. 
ſchlieſſende Qvart 166.16 

Gvart, im übertbeiligen Verhalt, wie fie der 

Klang⸗Meſſer angebe ö 5 

Mart, die groſſe, im uͤbertheilenden Verhalt, 
wie ſie auf dem Klang⸗Meſſer zu erforſchen 


9. 10 

Quatuor | 100 

Gvint, im übertbeiligen Verhalt, wie fie auf 

dem Klang⸗Meſſer zu erforſchen 5 
Gvint, die ſchlieſſende 6 


| 168 
Gvint, die verkleinerte, im uͤbertheilenden Ver⸗ 
halt, wie fie der Klang⸗Meſſer angebe 9 


R. 


Rameau meint, man koͤnne von der Melopoͤie 
keine gewiſſe Regeln geben 29 
Kechen⸗Kunſt, harmonicaliſche, ob fie einen 
Capellmeiſter hervor bringen koͤnne 2 
Xechne Meiſter arbeiten der Natur nach 10 
Kecitativ, iſt bey Welſchen und Teutſchen an 
keinen Tact gebunden 97. die Frantzoſen ha⸗ 
ben dabey faſt alle Taͤcte beyſammen 97. 16. 
aͤndern denſelben ſehr offt darinnen 40. was 


er erfordere f 97.98 
Redner, ihr Kunſtgriff 135 
Repereuſſio 55.134.149 


Rhythmi follen gleichfoͤrmig ſeyn 45 
Rhytmiſches Weſen gehoͤrt in den Inſtrumen⸗ 

tal⸗Melodien eigentlich zu Hauſe 67 
Rigaudon, deſſen Eigenſchafften 112.1 Be! 


7 
Ritornelli 12 


2 
les Romans, Ballet heroique , Nachricht deven 
102 


O 
Rondeau, was er ſey und fein Affeet 119.67 
Roſenmuͤllers Kirchen⸗ Symphonien 21 
Ruhe⸗Stellen, wie und wo fie anzubringen 36. 
47.67 gehören nicht in Fugen⸗Saͤtze 145.145 
Runda iſt vom Rondeau zu unterſcheiden 119 


Saͤtze, ſ. Unſingbare, it. Wohlklingende. 

Sarabanda, ihr Affect ü 119.67 

Scaechi, Marco, Nachricht von ihm 13. Gedan⸗ 
cken von der Eintheilung der muſicaliſchen 
Schreib⸗Art ib. vom Moteten⸗Styl 15 

Schaͤfer⸗Spiel ſ Paſtorale. 

Schluß, wird beſchrieben 130. durch ein Bey⸗ 
fpiel erläutert 134. ſoll wider die ordentliche 
Theilung des Tactes nicht gemacht werden 41 

Schlöoͤſſe, ie weniger foͤrmliche eine Melodie hat, 

ie flieſſender iſt ſie 46 
auſſer ordentliche, in einer Fuge: in der Se⸗ 
cunde 164. in der Tertz 165. in der Qvart 166. 
167. in der Qvint 168. in der Gert 169. in 
der Septime N TE TZE 

Schottlaͤndiſcher Cand⸗Tantz 26.118 

Schrancken, die iedweder erreichen kan, ſind 
einer Melodie zu ſetzen 38.39 

Schreib: Arten find wohl zu unterſcheiden 45. 
fie unterſcheiden die Boralsund Inſtrumental⸗ 
Melodie 69 


Styl. 
Secunde, anfangende zum Haupt⸗Ton 15 7. und 
zur Qvint 158. 159. ſchlieſſende 164 


Semicolon, Beſchreibung go. Stelle 80. Exempel 
bey disjunctivis go. 81. oppofitis 81.82. rela- 
tivis 83. in kleinen Beſchreibungen 84⸗86. wie 
es auszudrucken 5 86. 87 

Septime, anfangende zum Schluß: Ton 162. 
163. und zur Qvint 163. 164. ſchlieſſende 


; 170.171 

Septime, die groſſe, im uͤbertheilenden Vechalt, 
wie ſie der Klang⸗Meſſer angebe 

Septime, die kleine, im uͤbertheilenden Ver⸗ 
halt, wie ſie der Klang⸗Meſſer angebe 8 

Serenata, ihre Eigenſchafften 


| 101 
Setz ⸗Runſt, ihre Ausarbeitung 137. Ausſchmuͤ⸗ 


ckung 139. Einrichtung 27 
Sert , anfangende zum Haupt⸗Ton 160. und zur 
Qvint - 160 
Sext, die groſſe, im uͤbertheilenden Verhalt, wie 

ſie der Klang⸗Meſſer angebe 6.7 
Sext, die kleine, im uͤbertheilenden Verhalt, wie 

fie der Klang⸗Meſſer angebe 7 
Sext, die ſchlieſſende 169 
Sinfonia ſ. Symphonie. 


Sing⸗ 


Reegiſter. 


S 95 


4.108 

Sing⸗Muſic, warum 6a in der a: 15 
anzufangen 61.6 

Sonata, ihre Abſicht 5 


Sprung in die Qvart der Ton⸗Art 147. 148. 
in tertiam modi iſt allemal gut 1348 
Steffani, wie er bey ſeinem Setzen n 
13 
Straf Spiel 104 
Styl in der Ton Kunſt if cid 12. 
hatte vor hundert Jahren acht Arten 13. wird 
eingetheilet in den Kirchen 13. ſqq. Theatra⸗ 
liſchen 20. ſeqq. und Kammer ⸗Styl 24 
Subjundiof. Epizeuzis, 


Symphonie, ihre Eigenſchafft 125. Affect 67 
T. 

Tabelle ſ. Leiter. 

Tact Art iſt nicht leicht zu aͤndern AO 


Taͤcte, deren Anzahl follen einen gewiſſen = 
halt baden 

Tänzer auf Schaubühnen müffen den bier 
matiſchen Styl wohl inne haben 

Tanzen, ob darzu eine Vollſtimmigkeit ebase 
werde 

Tanz: Runſt, hohe auf Schaubühnen, hat bb 
eigenen Styl 

Tanz: Melssin haben unterfchiebene Gemüths⸗ 
Bewegungen 66. beobachten die geometrif 195 
Fortſchreitungen aufs genaueſte 

Telemann, ein Meiſter in Fugen 3 ein ie 

dioͤſer Setzer 53.3. 111. 126 

Tertz, kan durch die Repereuſſion z keine ne 
verändert werden 


149 
anfangende zum Haupt:Son 160. und 150 


Qvint 16: ſchlieſſende 165 
Tertz, die groſſe, im 8 Verhalt, wie 
ſie der Klang: Meffer angebe 6 
Tertz, die kleine, im An Su N wie 
fie der Klang⸗Meſſer angebe 6 
Terzetto 5 
CTheatraliſche Styl, deſſen Gattungen find der 
dramatiſche 20. den ech 22. 1 178 
ſtiſche 23. und melismatiſche Styl 
Ebeilung des Tactes, dawider ſoll kein Schluß 
gemacht werden d 41 
Toecato 122 


10 


Con, der groſſe, im uͤbertheiligen Verhalt, wie 
ihn der Klang⸗ Meſſer angebe 


8 
Ton, der kleine, in uͤbertheiligen Verhalt, wie er 


auf dem Klang⸗Meſſe zu erforſchen 8 
Ton⸗Art, Zweifel an derſelben hindert die Lieb⸗ 
lichkeit der Melodie 147. 148. verdienet in 
Fugen groͤſſere Achtung als das übrige 152 
Ton⸗Runſt iſt ihrem Styl nach unterſchieden 12. 
welchen Unterſchied ein e wohl zu 


beobachten hat 12. 13. 18 
Tranſitio 133 
Trauer⸗Muſic 185 


Trauer: Spiel 


1855 
Trompete, ihr Sprengel enthalt alle Klänge 
; 10. II 


U. 


Vaudeville 117 
Verbraͤmungen find behutſamlich anzuwenden 
43. eines Anonymi Gedancken hievon 43.44 
Verhalt der klingenden Intervalle, deſſen Be⸗ 
ſchreibung 1. Eintheilung 2. was der reine . 
der uͤbertheilige 2. 3 und der „ ſey 
3. geometriſcher und arithmetiſcher 45. 4 
der Intervallen 48. 40. aller und ieder Theile 
der Melodie iſt zu beobachten 55 
Viadana, Ludwig, Erfinder der Concerten 125 
107 
Vielſtimmigkeit ſchadet der Melodie 5 2: 
Biolbagamben : Eachen 
Violin⸗Styl will nicht ie ſchlaͤfriges laden 5 
Vivaldi Concerten 63 
Unſingbare Saͤtze, warum ſie zu ſammlen N 
50. Regeln und Exempel davon 50:53 
DVocal-Mielodie iſt die Mutter der Inſtrumen⸗ 
tal⸗Melodie 60. 61. gehet derſelben vor 61. 
warum von ihr in Lehren und Lernen der 
Anfang zu machen 61. 62. hat weniger Feuer 
und Freyheit als die Inſtrumental⸗ Melodie 
62. 63. laßt keine ſolche Sprünge zu 63. bey 
ihr iſt die Beſchaffenheit des Atbhems weit 
mehr, als bey Inſtrumenten zu beobachten 
63.64. leidet kein ſolch reiſſ endes, punctirtes 
Weſen, als die Inſtrumental⸗ Compoſi tion 64. 
findet keine Schwierigkeit bey irgend einer 
Ton ⸗Art 65. leidet trefflich gerne Verſe 68. 
beobachtet die geometriſche ee 
ni 


? | Regiſter. u | 
nicht genau 68. ſuchet den Nachdruck in Wor⸗ Wohlklingende Säge find zu Muſtern zu er⸗ 
ten 1 . 69 wehen 53, Regeln und Erempel davon 53.54 
Vollſtimmigkeit koͤmmt der Melodie zu Bub: ” ’ 
2 


2 * 


rung der Gemuͤther; Huͤlffe 3 8. 

; W. } Jahlen, ihr vornehmſter Nutzen bey dem Klange 
N 2 
Waldhorn bringe mehr Klänge hervor, als eine . Linien. 

Orgel hat . 10 Fahl⸗gehre, wozu fie in der Muſtc diene a 
Waltber, ein Meiſter in Fugen 182 Zeit ⸗Maaſſe iſt die Seele der Melodie 40 
Werckmeiſter wird gelobt a 10 Sergliederung einer Melodie 109. wird mit ei⸗ 
Werner, Chriſtian, Cantor in Dantzig 13 nem Menuetchen verſucht 109. 110 


Widerlegung wird beſchrieben 130. durch ein Ziegler, Caſpar, feine Beſchreibung der Madri⸗ 
Beyſpiel erlautert f 133 gale | 17 
Wiederholungen, gute find, aber nicht aß an⸗ Juſammenhang hilfft ein groſſes zum flieſſenden 
47.48 


zuſtellen 55. Exempel 56. 57 Weſen einer Melodie 
Wiederſchlag, wenn er am beſten klinget 57 Zuſammenſatz 72 73 
Wind Inſtrumente, einige erfordert ihre eigene Jwiſchen⸗Spiele der Itglisner 24 
Erſparung des Athems 64 


Folgende Nachſchrifft hat ein Ungenannter etwas 
ſpaͤt mitgetheilet, und hier anzuhaͤngen begehret; 
Seine Worte lauten alſo: 

Er wuͤrde ſich ſchwerlich die Muͤhe iemahls geben, über dem Herrn D. K, ſcheel⸗ 
füchtig oder neidiſch zu ſeyn; goͤnne ihm vielmehr, als einem grundredlichen und fleißi⸗ 
gen Mann, gerne alles gutes; kenne aber, in Beurtheilung wiſſenſchafftlicher Lehr⸗ 
Saͤtze (welches keine Heiligthuͤmer ſind) weder Platonem, noch Ariſtotelem, ſondern 
ſeine alte, beſte Freundin, die Wahrheit gantz allein. Wer in Kuͤnſten proteſtantiſch 
ſeyn will, muß ſich nicht auf gut papiſtiſch eine Unfehlbarkeit zuſchreiben. Im gelehr⸗ 
ten muſicaliſchen Neiche gilt kein Anſehen der Perſon. Auf dem Parnaß ſiehet Apollo 
bloß auf den Verſtand, und macht denjenigen nur holde Blicke, die es beſſer wiſſen, als 
andre, und ihre Sachen richtiger zu Marckte bringen, als D. K. Da lobt man ver⸗ 
nuͤnfftig, tadelt hertzhafft, und ſcheuet kein Belfern der ſchwachen oder feinen Geiſter. 
Was die verbluͤmte Redens⸗Art über B. betrifft, hat der Ungenaunte ſolche gar wohl 
begriffen, und eben darum des Herrn K. eritiſchen Geſchmack, in lauterm Ernſt, ge; 
prieſen; welches dieſer iedoch nicht verſtehen wollen, ſondern zum aͤrgſten gedeutet, und 
ſonſt keine Sylbe, die zur Sache gehoͤret, und zu ſeiner Vertheidigung die koͤnte, vorgebracht 
hat. Uebrigens ſey dem Beifall des gemeinen Mannes nicht allemahl zu trauen, wie 
aus dem Exempel des Hippomachj und feines Schülers im Aeliano zu ſehen. 


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