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Full text of "Ketzer-Lexicon : oder, Geschictliche Darstellung der Irrlehren, Spaltungen und sonderbaren Meinungen im Christenthume, vom Anbeginne desselben bis auf unsere Zeiten : in alphabetischer Ordnung"

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— —— — 
— — — ———————— —— —————— 


nu 


EA 
Keser— Lexicon, 


oder: 


Leſcichtlide Darſtellung 
der 
Irrlehren, Spaltungen und ſonderbaren Mei- 
BERN im Chriſtenthume, 
vom 
— beReiben bis auf unfere — 
in 
alphabetiſcher Ordnung. 
Aus dem Franzſiſchen Uberfetzt, 
vielfach verbeſſert und ſehr vermehrt 
von 


Peter Frittz, 


Pfarrer zu Hergolshauſen, im Unter⸗NMainkreiſe. 


Pe at 
X 
In Brei en. — — 
— Im — x v4 
x | Wh 
N 


Zweiter Band. 
Erfte Abeheilung 
A —E. 





Waͤrzburg, 
in der Eilinger’ (den Buße und Runtpentiuns. 


1828, 


we APR 7 1961 





a Bambers, 
gedruckt mit Reindl’iben Schriften. 





Inh alt 


des zweiten Bandes erſe Abtheilung. 





4 nmerkung: Die ı mit + bezeichneten Artikel find vermehrt oder 
umsearbeitet, und die mit * bezeichneten find nen. 


Irrlehre. Sabıh. ©. , rrlehre. Jabrh. S. 


A. Aphtradoketen.. A . 109 
Abdlard, 


on» 1% 1Apochariten... 3.10 

Abredair . . . 16 . 13 |Apollinarid » x»... .1409 
KHbeloniten.. . . - — » 14 |Rpollinanfien. . -. —'.ı1n 
Abyflinier. e 0 [} v 5. » 14 Apophaniten .. 0 ® 3 0 111 
Halbert. . x... & . 3 ee 0» 4% .112 
Hamit . u. 34 taftden -. » » 2% » 112 
Adelphus. 3: Bl Aquaer. 2 2. 2% .183 
Yerius o v v vd 4. “ 39 Ara.» v 0 4 . “.. 2 . 113 
Aeſchines L } “ “ “ 2% L} 43 Araber . . “ + 3 ® 113 
Aetius 4. . 4A iArchontiten - o 2 115. 
Agapeten » 2»... & . 4 Ariauismus... 4. . 115 
Agarenir . » .» » 7. 44 Armenier..... 6. . 19 
Agioniten -. - - » 7 .» 44 | Arminind . . 16. . 209 
Adern » . . . 4 „ 45 Arnold von Brescia » 212 
Agoniceliten ..2..: — . 47'Ameld von Pilmenve 1a, . 214 
Agricola. ...:... 41% „ 47| Arnold v. Montanier — , 217 
Agripinianer.. - .- 3» 48] Amoldiken - . » 14 + 97 
Aldanefer . -.. . 8, 9) Artemam » . .,.2. . 217 
Albigenſer F. .. .. .. 1% . SO |Metatyrieen .. - »" 2% » 218 
der.» 2 2 20 2%» HAalAsditten » 0» 2%. 219 
Umami. 2»... 13 . 64 | Aslodeugitn. . » 2. . 219 
Anabaptiten ... . 16 . 67 |Askophiten . ».» 2% „219 
Andromeianee . » 2 „ MijAtholiane „ . » 13. . 219 
Anomdanern on 0 A. O1 Audi » 2. 4% .30 
Anthiafiften . vo — v 90 
Autropomorphitn . 10.. 90 
Antidvifpmarianiten „. 4. . 90 B. 
Antinemianer. . 16. „ 94 Baeularier 16. < 223 
Antiohien  » » 0 4. AlBagemius. . . .’17. . 224 
Antitaten » » © 2% » 3 Baſanismus16. . 2235 
Autitrinitarir Fr. . 16 . 94 |Bardefanes . . . 2. . 250 
Appel . . .. 2 2106| Bahilids -. . - . 2% „252 

diem .- 2. 2. 2,109 | Bafilidianer - ©» — . 258 


12 


Inhaltt. 


rrlehre. 
— oder 


en —— u 
rent - on . k 
Bernard von Thüs 
ringen . +. 10% 
Berillus ‘ e . 3 
. Biderlürmr . . 8. 
Blaſtus.1. 
Bogomilen ..11. 
Bonoſus... 4. 
Browniſten . . » 12 


Brüder, arme. 
Brüder,* böhmigde re 
Brüder, mährifche, 
fieh Aunabaptiften. 
ERDE DELNLIDE . 17. 


Buce . 16 
Buddas od, Therebintus 3. 


€, — 
Eainitet. © +. .% 
Calixtiner * o Utra⸗ 


quifen . . . . 17 
Ealvin . . - . . 16% 
KSabsiniften *. x 2. — 
Camilarden - . . 1% 
Carporrated . 9. 
Cecus Afeulan . 14. 
Cerdon... —— 
Cerint uthus . . 1, 


Ehaldäer oder Neſtoria⸗ 
ner Syriens. 5 
Ehiliaften oder Mille⸗ 


natiet . 020. % 

- Ehrilomader . . 4 
Eireumeellionen . s 4 
Clancularier ._. 16. 
Claudius von Turin 9. 
Elemend . . x. . 9% 
Cleobius ... % 
Eolarbafus - -. »- 2% 
Solluthu . . .. 4 


Eophten . 


Irrlehre. Jahrh. ©. 
I|Enniter . . 0. 14. .402 
. 259 | Eyremailer . . 2. . 403 
0 
Dodo . . 4. .403 
. 285 | David von Dinant 413. . 403 
® 286 Dok eten ® ® 1. — 404 
287 Donatiſten .» 0. 4. . 404 
‘ 305 Dofithäus 0 o v . 1. ® 422 
. 306 Dualiften ee 0 0 — \. 424 
. 308 Dulein e . 0 er 0 424 
+ 308 
3008| E. 
. 308 | Ebioniten . . . . 1. „424 
J Elkeſaiten..1. . 425 
Esipand ..8.. 427 
. 315 | Enkratiten... 2. . 427 
. 315 | England Schisma von 16. . 427 
. 322 sun Religion . 16. . 449 
— — Reformation uns | 
ter Eduard VI. — „451 
. 322 | — — unter Maria — - . 457 
— — unter Elifabetb — . 462% 
. 325 | — — Seetent. . .— .472 
. 326 — — Strardie * . — 476 
„353 | Englifhe (Angelici) — „478 
. 356 | Eon de l’Etoile , . 1%. . 48 
. 361, Epipband . 2% . 482 
R 367 | Episcopalen 0 ..16& 484 
367 | Edquinifien .. . 2. . 484 
. 370 | Euchiten oder Eutys | 
| Him 2. 2.2. 4. . 484 
. 373 | Eunomiud.. .. 2... 4 484 
Eunpmiane . -» — ,487 
. 381 Eungmiveupfochianer — „487 
: 385 | Eunuchen oder Wales 
. 385 llaner =» 2 2. 3 .48 
. 389 | Eunbrated . 2... 2% .40 
. 389 ! Eupbronomiauer .. 4 . 492 
389 | Euiiatbiud ... % .492 
+ 391 | Euftatbianer .. 2... — .49 
‘ 392 | Euthches # » .o .o 5. . 493 
. 393 Eutochianisnug. 0. 504 


„ee S. 


394 | Eutochianer . 


* 


— — — — — — 


— 
. 





Abaͤlard (Peter) geboren zu Palais, in Bretagne, 
gegen das Ende des 11kem Jahrhunderts (1079); von eds 
Ver Herkufjt,wurde durch feine Lebfchaften, feine Ungluͤcks⸗ 
fälle, feine liter aͤriſchen Streitigkeiten und ſeine Irrthuͤmer 
beruͤhmt. 


ſeine Ungluͤcksfaͤlle; wir betrachten bier nur feine Bemuͤhun⸗ 
gen. um die Vervollkommnung des menfchlichen Geiſtes, vie 
Veränderungen, die er in der Art, die Theologie zu bes 
handeln, bewirkte, und die Klippen, auf welde er ſtieß. 


Seit dem Wieberaufleben der Wiffenfchaften durch Karl 
den Großen harte fich die franzoͤſiſche Natton nad) und 


nach von des Kechtfchreiblehre zur Grammatik, von da zu 


den ſchoͤnen Wiffenfchaften, zur Dichtfunft, Philoſophie, und 
Mathematif erhoben, man war gewiffermaßen . dem Wege 


gefolgt, welchen Alcuin vorgezeichnet hatte 1). 


Die Philoſophie hatte damals nur drei Theile: “die 2 Lo⸗ 


gik, Ethik und Phyſik: von dieſen drei Theilen war die 


Logik beinahe der einzige, den man 1 betrieb, und air die 
Methaphyſik in ſich. | 


Die Logik war nichts, als die Kunſt: die berſchiedenen 


Gegenſtaͤnde unſerer Kenntuiſſe unter gewiſſe Klaſſen zu 


— 





1) Alchin hatte ſich vorgenommen, die Gelehrſamkeit in 


Frankreich wieder emporzubringen, und fing damit an, 
die Rechtſchreiblehre zu empfehlen; hierauf verfaßte. er Ab⸗ 
Handlungen Aber die Grammatik, die Ryetorik, die Dialeftit 
und Matpematif, Sieht Vhistoire liter. de Franeß, T. 4. 


Keeper: Lerifon. IL _ 1. 


Jedermann kennt die Verirrungen ſeines Herjens md 


9 


⸗ 


2 0. Abdlard. 
bringen , ihnen Namen zu geben und über diefe Benennungen 
Schlüffe oder Syllogismen zu machen. 


Abaͤlard fiudierte die Dialektik mit vielem Eifer, und 
mit Erfolg; er verbefferte jene. des Arifioteles, wurde 


das Drafel der Schulen, und erwarb fich einen großen Ruf, 
weil damals der Genius der Nation und beinahe des gans 


zen Abendlandes auf die Philofophie gerichtet war. 


Nachdem. Abaͤlard— in den geiſtlichen Stand getreten 
war, widmete er ſich hauptſaͤchlich der Theologe Keime’ 
Schuͤler baten ihn, den fuͤr die Lehren der Religion aus 
der Autoritaͤt entnommenen Beweiſen Erklaͤrungen beizufuͤ⸗ 
gen, welche dieſe Lehren fuͤr die Vernunft faßlich machten. 
Sie ſtellten ihm vor: daß es unnuͤtz ſey, ihnen Worke zu ger 
ben, die ſie nicht verſtuͤnden, daß man nichts glauben koͤnne, 
ohne es zuvor verſtanden zu haben, und daß es laͤcherlich 
ſey, eine Sache zu lehren, wovon weder der Redende, noch. 
die Hoͤrenden einen Begriff haͤtten, und fuͤgten bei, daß der 
Heiland ſelbſt folche Lehrer wie Blinde, | die andere Blinde 
führten, getabelt habe 1). 


Dieß war der allgemeine Befhmad d der Nation, wel⸗ 
cher ſich aber nicht immer in den gehoͤrigen Schranken hielt. 
Einige Philoſophen, weil fie einen Eyllogismus machen 
fonnten, glaubten berechtigt zu ſeyn, Alles zu prüfen, und 
gebieterifch Über Alles zu entſcheiden; fie glaubten mit einem 
Syllogismus Alles zu ergründen, die Geheimniſſe felbft zu erhels 
len, und hatten das Dogma ber Dreieinigkett angegriffen. 

‚ Abälard, durch diefe Betrachtungen, und vieleicht 
auch durch eigene. Neigung bewogen, unternahm es, die 
Geheimniſſe und Wahrheiten der Religion zu erfiären, fie 
durch Vergleichungen anfhaulich zu machen, und die Schwie⸗ 
rigfeiten der Dialeftifer, welche der Religion zu nahe tras 
ten, durch das Anfehen der Philofophen, und die Prinzis 
pien der Philoſophie zu beſtreiten. Er behandelte dieſen 


— — 
u 1) Abälard Ep. 1. C, 5. Operum p. 20. 


} 


Abaͤlard. 3 


Gedenſtand in feiner „Einleitung in bie Theologie’ 
„und in feiner hriftlihen Theologie” 1), 


Die Methode, welche Abaͤlard befolste, war in 
Frankreich neu; er zweifelte nicht, daß ſie durch die 
Raͤnke von Menſchen, damals unter dem Namen der Cor⸗ 
nificianer bekannt, würde verſchrieen werden. Dieſe vers 
ziehen keinem Manne von Verdienſt die Achtung, in wel⸗ 
“cher er ſtand, und verkuͤndeten, daß die Wiſſenſchaften und 
die Gelehrten Religion und Staat zu Grunde richteten. 


Um dem Geſchrei dieſer Menſchen, welche, war allzeit” 
veraͤchtlich, doch oft Glauben finden, zuvorzukommen, ſtellte 
Abaͤlard als unwiderleglichen Grundſatz auf: daß jede 
Kenntniß an ſich nuͤtzlich und gut ſey, daß die Philoſophie, 

ſelbſt in der Theologie, von großem Nutzen ſey, wenn man 
nur die Wahrheit liebe, und ſie zu verbreiten ſuche. Die 
Philofopbie ift der Meligion nicht entgegen ) als nur in dem 
- Munde jener Sophiften, welche, befeffen von der Wuth, 
fich eitten Namen zu machen, unfähig find, etwas geündlich 
zu unterfichen: fie wollen von Allem fprechen , und über 
les, was fie fprechen, umerhörte Dinge ſagen: fie ſuchen 
in den Gegenftänden nicht das nuͤtzlich Belehrende, fondern 
was Staunen oder Lachen erregt. Diefe Sophiſten, oder 
vielmehr diefe Hanswurſte der Philofophte legen fich gleichs 
wohl den Namen Philoſophen bei, und die Miffenfchafs 
ten haben, nad) Abaͤlard, keine gefährlichere Feinde; fie 
halten in dee Chat die Forrfchritte des Lichtes auf, und 
. geben dem Geſchreie und ben Verlaͤumdungen ber Unwiſſen⸗ 
beit gegen die Wiffenfdjaften und Philofophte Gewiht 


Der wahre Philoſoph erkennt, nach Abälard, die 
Wahrheit der Meligion, und firebt ihren Geiſt kennen zu 
Jernen; aber wenn er bie Dunkelheit, welche ihre Geheim⸗ 


nt SEE 


4) Die Einleitung in die Zheologi⸗ finder man in de Aus⸗ 
gabe der Werke Abaälard's durch Amboiſe, und feine 
chriſtl. Theologie im ſten Bde, ded Thesaurus Anec- 

dotorum des P. Martene. 


1* 


nn Abla 
niffe umhuͤllt, nicht zerſtreuet, ſo denkt er, daß er weder 


Alles ſehen, noch Alles begreifen kann, und daß es abge⸗ 


ſchmackt ift, eine. Glaubenslehre zu vermerfen, weil man fie 


nicht begreift, fobald verjenige, welcher, fie ung verfichert, 


N 
+ 


weder irren, noch in Irrthum führen kann. 
In dieſer Geiſtes⸗Stimmung verfaßte Abaͤlard feine 
Theologie, und ſo wollte er ſie geleſen haben ). 
Die Theologie kennt, nach ihm, keinen wichtigern Ge⸗ 
genſtand, als die Dreieinigkeit: die Namen der. drei Per⸗ 


fonen begreifen das hoͤchſt vollfommene, Mefen in fih. Die .' 


Macht "Gottes iſt bezeichnet durch den Namen des Vaters, 
die Weisheit durch jenen bes Sohnes, und die Liebe Got 
les gegen die Menfchen durch jenen des hl. Geiſtes: drei 
Dinge, jagt Abaͤlard, weiche das hoͤchſte Gut, und den 
Grund unferer Pflichten in Hinficht Gottes ausmachen. ' 


Der Unterfchled diefer drei Perfonen iſt geeignet, die 
Menſchen zu vermoͤgen, Gott die Ihm ſchuldige Anbetung 
zu leiſten: denn zwei Dinge floͤßen uns Ehrerbietung ein, 


die Furcht naͤmlich und die Liebe; die Macht und Weisheit 


Gottes erregen in uns die Furcht, weil wir wiſſen, dag Er 


unfer Richter iſt, der ung ftrafen kann, feine Güte beweget 
ung zur Liebe, weil man ſchuldig ift, Denjenigen zu lieben, 


ver ung foniele Wohlthaten erwiefen hat 2). 


% 


Die Dialektiker beftritten hauptfächlich das Dogma der 


- Dreteinigfeit ; fohin war auch diefes Geheimniß der, vorzuͤg 
jichfte Gegenſtand der Unterſuchung Abaͤlard's. Chriſtus 
hat, nach ihm, das Geheimniß der Dreieinigkeit nur ent⸗ 


icielt; Abaͤlard findet ſolches ſchon in den Propheten 
und den alten Philoſophen: es iſt ihm wahrfcheinlih, daß 
diefe das Geheimmiß der Menſchwerdung, ſowie jenes ber 
Dreieinigfeit getannt haben, und daß Gott ibnen dieſe Ge⸗ 


heimniſſe zur Belohnung ihrer Tugenden geoffenbart habe. 


Von dieſem Gedanken gehet Abaͤlard darauf uͤber, die 


ſchoͤnen Eigenſchaften der Philoſophen, die Reinheit ihrer | 





1) Theol, Christ, L. 8. 
2) Ebendaſelbſt L. J. C. 2. 


Abdlard. 5 


Sitten, die Vortrefflichkeit ihrer Moral zu loben, und meint, 
daß man an ihrer Seligkeit nicht verzweiflen duͤrfe 1). 


Von da macht er den Uebergang zu den Schwierigkeiten 
der Dialektiker, welche er ziemlich gut loͤſet, indem er die 
doppelſinnigen Ausdruͤcke, welche ihre ganze Staͤrke ausma⸗ 
chen, erklärt; endlich kommt er zu einer der hauptfſaͤchlich⸗ 
‚ en: die Natur jeder Perfon und ihre Verfchiedenheit, wel; 
ches er zu erklären verfucht. 


Das Eigenthümliche des Vaters, ſagt Abdlard, ift: 

. nicht gezeugt zu feyn ; dag Eigenthuͤmliche des Sohnes: ge; 

zeugf, und weder gemacht noch gefchaffen zu ſeyn; das Eis 

genrhümliche des Hl. Geiftes: weder gemadit noch gezeugt 
zu ſeyn. 

Abaͤlard bemerkt, daß es bei den Geſchevfen kein 
Beiſpiel gebe, wo man in der naͤmlichen Weſenheit drei 
Perſonen finde; daher koͤnne man nur durch Analogien oder 
Vergleichungen es begreifen; muͤſſe aber in dieſen Verglei⸗ 
chungen keine vollkommene Aehnlichkeit finden wollen. 


Um das Geheimniß der Dreieinigkeit begreiflich zu ma⸗ 
chen, gebraucht er das Beiſpiel eines Pettſchafts, welches 
aus dem Stoffe und der darauf eingegrabenen Figur zuſam⸗ 
mengeſetzt iſt: das Pettſchaft iſt weder der Stoff allein, 
noch die Figur allein, ſondern ein von beiden zuſammenge⸗ 
ſctztes Ganzes, und doch if das Pettſchaft nichts anders, 
als der .mit einer ſolchen Figur begeichnete Stoff ohngeach⸗ 
tet der "Stoff die Figure nicht if. . 


Er unterfcheidet dag Ausgehen des hl. Geiftes von der 

Zeugung des Wortes in dDiefem, daß das Wort, als fie 
Weisheit, Theil hat an der Macht des Vaters, weil die, 
Meisheit eine Art von- Macht ift, nemlich, Pie Macht Das 
Gute von dem Bofen zu unterfceiden, und zu beflimmen, 
was gefchehen und nicht gefchehen muß 2). 





ı) Theel. Christ Lv C.2.. — 
" 3) Introduct, ad Theol. L. 1. Theol, Christ. L. 4. 


1: 


6 \ | Abalard. 


Der bt. Geiſt, bezeichnet mit dem Namen der giebe, 
welche Feine Macht ift, iſt eigentlich zu reden, die Wefens 
heit des Waters nicht, wenn gleich derfelbe doch von der 
nemlichen Wefenheit mit Ihm ift, 


Abaͤlard erffärt weiter die gleiche Ewigkeit der drei 
Perfonen durch das Beiſpiel des Sonnenlichtes, welches in 
dem nemlichen Augenblicke wie die Sonne, vorhanden ff 1). 


Nachdem er das Dogma der Dreieinigfeit dargeſtellt 
und erklärt hat. umnferfucht ee die Macht Gottes, und ob 
Er etwas andered machen könne, als mag Er gemacht hat, 


Er fühlt die ganze Schwere der Frage, Um fie aufzuloͤ⸗ 
fen, unterfucht er die Grundurfache und Ordnung der goͤtt⸗ 
lichen Rathſchluͤſſe. Er febt voraus, Daß Die Weisheit und 
Güte des hoͤchſten Weſens feine Macht leiteten; hiernach 
fchließt er: daß Alles, mag Gott hervorgebracht haf, Ihm 
von feiner ‚Weisheit und Güte ſey vorgefchrieben worden. 
Wenn es efmag Gutes. gebe, das Er nicht gemacht hat, fo 
habe feine Weisheit Ihm folches nicht geſtattet. Nierpon 
macht er den meitern Schluß, daß Gott nur das machen 
konnte, was Er gemacht hat, und dag Er dasfelbe nicht uns 
terlaffen konnte 2). | 


Dieß find. die zwei vornehmſten theologifchen Werke 
Abaͤlard's. Nebſtdem verfertigte er Erklärungen über das _ 
Gebet deg Herrn, das apoftolifche Symbolum, und jenes 
des Hl. Athanaſius, und über einige Stellen der Schrift: 


J ferner ſchrieb er ein Buch, weiches er: das Ja und 


Nein, befitelte, und das entgegengefegte Stellen aus des 
hl Schrift über verſchiedene Materien ‚enthält 3). 


Endlich verfaßte er einen Commentar uͤber den Brief 
des hl. Paulus an die Roͤmer: dieſer Commentar iſt nur 





1) Introduot. ad Theol L. 1. Theol. Christ... . 
2) Theol. Christ. L, 5. Introduct. ad Theol. L.3. 


3) Diefes Werk befindet ſich -in der Sidliothet von St. Ger- 
maın in Manuſcript. 


| aAbalarrd. 7 
eine buchſtaͤbliche Auslegung dieſes Briefes, und Abaͤlard 


will bloß den Sufanmenpang | des Vortrags Diefeg apoſtels | 


zeigen 1)., —8 
Die in den Bariften Abälard’ ° entpaftenen 
Irrthümer. 


Die theölogifchen- Werfe Abdlard’g wurden mit gro⸗ 
ßem Beifalle aufgenommen. In der That enthielten fie fehr 
gute Sachen, ausgedehntere und erhabnere Anſichten, als 
man bei den Theologen dieſes Jahrhunderts findet; allein 
man fand auch darin ungewoͤhnliche Ausdruͤcke, außerordent⸗ 


liche Meinungen, Vergleichungen, die gemißbraucht werden | 


konnten, umd felbft wirkliche Irrthuͤmer. 


Zwei Theologen von Kheims, Alberich und gu 
dolph, eiferſuͤchtig auf den Ruhm Abaͤlhard's, richteten 
ihr Augenmert nur auf jene Stellen feiner Werke, ſahen 
darinn ungeheuere Irrthuͤmer, und belangteen Abaͤllard 
vor dem Erzbifchöfe von Rheims. Man hielt ein Concis 


lium zu So iſſons, vor welches Abälard gerufen wurde. ' 


Das Volk, aufgemwiegelt duch Alberich und Eudolph, 


lief Haufenweiſe zufammen, um. Ubälard zu befchimpfen, 


und fhrie: man müffe Diefen Ketzer zernichten, ver drei. 
Götter lehre. Sichtbare Wirkung der Unwiſſenheit und lin 
reblichkeit feiner Anklaͤger! Seine Ausdrüde neigten fich 
mehr zum S abellianigmus, alg zum Tritheismus 2). 


Abaͤlard erſchien nur vor dem Concilium, um ſein Buch 
im's Feuer zu werfen. Auf den Knien lag er das Athanaſa⸗ 
niſche Glaubens⸗Bekenntniß, erklärte, daß er, feinen: andern, 
als den darinn enthaltenen Glauben habe, und wurde in 
das Alofier des hl. Medard zu Soiſſons gefperet, aus 


welchem. er bald Darauf entlafien wurde. Nach feinem Aus 


tritte nahm er ſeine theologiſchen Uebungen wieder vor. 


Zwaniis Jahre nach dem Concil von Soifſons glaubte | 


un 


9» Sammlung der Werke Abälards duch Amboife. 
a Abälard Epist, 1.C, 9 Ansgabe des Amboiſe. 





4 


8 | Abaͤlard. 
Wulhelm, Abt von St. Ehierri, in ‘den Schriften Abe 
lard's Dinge zu finden, welche der: reinen Lehre, entgegen 
ſeyen, und gog 14 Saͤtze, welche diefe Sertpümes enthiel⸗ 
tn, aus )J. nt 

1) Es giebt Stufen. in ber Dreieinigteit: "der Bater 
ift eine volfommene Macht, der Sohn iſt dieſes ‚einigermas 
gen, der hl. Geiſt iſt gar feine Macht 2) 

2) Der hl. Gelſt geht zwar vom Vater und Sohne 
aus, aber er iff weder von. ber Weſenheit des Vaters, noch 
des Sohnes 3). 


3) Der Teufel hat nie eine Macht über den Menſchen 
gehabt, und der Sohn Gottes iſt nicht Menſch geworden, 
um uns davon zu befreien, ſondern nur, um uns durch 
ſeine Reden und Beiſpiele zu belehren; Er hat nicht gelitten 
und iſt nicht geſtorben, als nur um ung feine Liebe gegen’ 
die Menfchen zu zeigen, und fie ung zu einpfehleh 4). 

4) De hl. Geift ift die Weltfeele 5), . 


x 





4) 1139; 
2) Aus verfchiedenen Stellen der Einleitung in der chriſtlichen 
+ Theol. Abälard's iſt es Mar, daß er glaubte: der Vater, 

Sohn, und Hl. Geiſt ſeyen auf gleiche Weiſe allmaͤchtig. 
Die Ausdrücke, welche man’ hier tadelt, finden fih in einer 
Stele, wo Abälard den Unterſchied des Ausgehend des 
pl. Geiſtes, und der Beugung deö Wortes erflärt; und er 
fogt ausdrücklich: daß man darum nicht ‚glauben müffe, der, 
pl. Geiſt fey nicht allmächtig. Man fehe feine Heil, Theol. 
und die Einleit. in die Theologie. 

3) Abälard hat hier nur im Ausdrucke gefehlt; denn ee eis 
kennt förmlich an, daß der Hl. Geiſt gleiches Weſens mit 
dem Vater ſey. 

4) Dieſer Satz iſt aus dem Commentar über den Brief an die 
Römer gezogen; es iſt der. Jerthum der Pelagianer und 
Abälard nahm ihn zurück. 

5). Sicher iſt dieſes hier nicht die Meinung Abälard’s, da er 
. fig vorgenpmmen Hatte, das Dogma der Dreieinigkeit bei 


— — — — — 


Abaͤlard. | 9 


5) Der Gott und Menſch, Jeſus Chriſtus, iſt nicht 
die dritte Perſon der Dreieinigkeit, oder der Menſch darf 
nicht eigentlich Gott genannt werden 1). 

6) Wir koͤnnen das Gute wollen und thun vurch un⸗ 
fern freien Willen ohne Beihuͤlfe der Gnade 2). 

7) Im Altars⸗Sacramente bleibt die Geſtalt der erſten 
Weſenheit in der Luft 3). 


8) Man uͤberkoͤmmt von Adam nicht die Schuld der 
Erbſuͤnde, ſondern die Strafe 4). 


9) Es giebt keine Suͤnde, ohne daß der Suͤnder ein⸗ 


willigt und Gott verachtet 5). 

10) Die Begierlichkeit, die Ergoͤtzung, ‚ und die uns 
wiffenheif erzeugen Feine Sünden 6). 

11) Die teuflifchen Eingebungen gehen bei. den Mens 
ſchen auf eine phyſiſche Weife vor, nemlich durch Beruͤh⸗ 
sung von Steinen, Kräutern and andern Dingen, : beren 
Kraft der Teufel kennt De 


u 





— — 


den heidniſchen Philoſophen zu finden, fo glaubte, ee, daß 
fie unter der. Weltſeele den Hl. Geift verfiänden.. 

3) Man kann nicht Iäugnen, daß Abälard wie Neſtorius 
ſpricht, aber es iſt gewiß, daß er in € hriſtus nur eine 
VPerſon annimmt. 

2) Dieſer Sag ift ein pelagianiſcher Zretgum, und wurde von 
:Abälard zutückgenommen. 

3) Hier iſt nur eine theologiſche Meinung angegeben ‚Bil 

helm von Tpierri, welder dieſen Sak widerlegt mit, 
bee Behauptung: daß die Geſtalten in dem Leibe I. €. 
enthalten find, iſt eben auch den Theologen! entgegen, welde 
die Geſtalten, „als ungebunden vorhanden annehmen. 

4) Abälard nahm dieſen Sat zurück, welcher pelagianiſch iſt. 

5) Abälard behauptet, dieſen Satz nie aufgeftent zu haben, 
„auch findet man ihn nicht in feinen. Werken. 

6) A balard nahm dieſen Satz zurück. 
7) Dieſer Sog entpält e eine von Phyſikern aus Abalat ds 


' 


. 


10 Abalard. 


12) Der Glaube iſt die Schaͤtzung ober das urtheil von 
Dingen, die man nicht ſieht 1). J 

13) Gott kann nichts thun, als was Er gethan bat, 
und thun wird 2)... . 

14) Jeſus 6 titu⸗ iſt nicht in die Vorhoͤlle hin⸗ 
abgeftiegen 3)... _- 

Wilhelm von St. Thierri ſchickte dieſe Saͤtze, und 
die Schrift, die er, gegen Abaͤlard verfaßt hatte, au 
Gottfried, Bifchof von Chartreg, und ’an den hl. 
Bernhard, Abt von Slairpaus Nach dem Briefe und 
dem Werke des Wilhelm von St. Thierri gegen Abs 
lard zweifelte der Abt von Clairvaux nicht, daß letzte⸗ 
rer in Die Irrthuͤmer, fo man ihm beimaß, verfallen ſey, 


und ſchrieb ihm: er moͤge ſeine Irrthuͤmer widerrufen, und 


ſeine Bücher verbeffern. Abaͤlard gab den Mahnungen 
des bi. Bernhard’s Fein Gehör; der Abt gerierh in Eis’ 
fer und ſchrieb an den Pabſe, an die Prälaten des römifchen 
Hofes, und an die Bifchdfe von Frankreich gegen Abds 
lard. Er malte diefen in den abfcheulichiten Zügen, und . 


berichtete dem Pabſte, daß Abälard und Arnold von 


Breſcia einen geheimen Bund gegen Chriſtus und feine 
Kirche errichtet hätten. Er nennt Abälard einen hölifchen 
Drachen, welcher vie Kirche auf eine um fo gefährlichere 
Meife verfolge ‚als fie mebr verborgen und geheim waͤre: 


Jahrhunderte angenommene Meinung, und if fein theologis 
ſcher Jrrthum. 

1) Man griff dieſen Satz an, weil man glaubte, er ſchwäche 
die Gewißheit des Glaubens. 

2) Abälard nahm dieſen Irrthum zurück, der gt Bern 
hard, welder die andern, Irrthümer, die dem Abälard 
beigemeffen werden, widerlegt, ſpricht nichts von dieſem 
(Bern. Ep. 90). 

3) Ab lard nahm diefen Irrthum zurück. Don Gervaiſe 
verſuchte es, faſt alle dieſe Säge zu entſchuldigen. Vie 
d'Abalard T. 2. L. 5. p. 162. Sieh auch Über. den 

nemlichen Gegenſtand P. Lobineau Hist. de Bretagne. 


— 


er verdirbt, fagt er, die Unſchuld der Seelen; Artus, 
Delagiug, Neftoriug find nicht fo gefährlich, weil er 
alte dieſe Ungeheuer in feiner Perfon vereinigt, wie feine 
Aufführung, und feine Buͤcher es bezeugen; er iſt der Vers , 
folger der Kirche, der Vorläufer Antichriſts 1). 

Aus dem, was wir von Abaͤlard gefagt haben, und 
aus der Gefchichte feines Lebens kann man leicht fehen, daß 
dfe Anklagen des EL Bernhard in den Augen des unpars 
theiifchen Leſers nicht nur ohne Grund, fondern aud) ohne 
Wahrfheindichfeit find, Ich mache diefe Bemerfung nicht, '. 
um die gerechte Verehrung, welche man für. diefen beruͤhm⸗ 
ten und heiligen. Ubt hat, zu mindern, ich winfchte nur, 
gewiffen Perfonen, welche ein brennender Eifer befeelt, ein 
wenig Mißtrauen in ihre eigenen Einfichten einzuflößen, und . 
fie, wenn es mögli ‚wäre, ein bischen "bedächtlicher. im . 
Verdammen zu machen. Wenn in einer fo reinen, fo er 
leuchteten Seele, mie jene des. hl. Bernhard, der Eifer 
die Schranken überfchritt, wie viel.mehr mäffen wir gegen . 
unfern Eifer auf der Huf ſeyn, wir, die wir von der Uns 
parthetlichteit "und vLiebe des hl. Bernhard fo weit abs 


ſtehen? 


Die Briefe des bi. Bernhard machten faft in der 
ganzen Kirche ven Glauben Abaͤlard's verdaͤchtig, und 
feine Perfon verhaßt. Er beklagte ſich hierüber bei. dem 
Erzbifchofe von Sens, und bat ihn, den bl. Bernhard 
zu dem Concilium von Sens, welches auf dem Punkte 
war, ſich zu verſammeln, zu berufen. 

Bernhard begab ſich zum Concilium, brachte die aus 
den Werfen Abdlard’s ausgezogenen Saͤtze zum Vor⸗ 
ſcheine, und forderte dieſen auf, ſolche zu rechtfertigen oder 
zu widerrufen. 

Unter diefen Sägen ſprachen einige, wie wir geſehen 
haben, die Meinung des Verfaſſers gar nicht aus, andere 
ließen ſich erflären, und waren durch die Ankläger unrecht 
ausgelegt worden; Uber die andern endlich verlangte Ab % 


a)'St. Bernard: Epist. 330; 351,336, 337. 








Pa | 


12 Albalard. 


lard ſich vernehmen zu laſſen. Allein der hl. Bernhard 
drang To lebhaft in ihr, und Abaͤlard bemerkte fo viel 
Hitze und Eingenommenheit. in-ben. Gemuͤthern, daß er nicht 
fuͤr gut hielt, fich in die Unterſuchung einzulaſſen, er bes 
fürchtete fogar einen Volksaufſtand. Er-ergeif daher bie 
Appellation nach Nom, wo er Freunde haste, und entfernte 
fie) nach diefer Erklärung 1). 

:Das Concilium verdammte die aus ben Werten Abd⸗ 
lard’ 8 ausgezogenen Saͤtze, ohne von feiner Perſon zul 


fprechen; und man ſchrieb an den Pabſt, um ihn von bem | 


Ausfpruche diefes Koncils- zu benachrichtigen 2). 

Der Pabſt antwortete: er habe, nach eingeholtem Gut⸗ 
achten feiner Cardinaͤle, die Haupffäße und alle Irrthuͤmer 
Abaͤl ard's verdammt, und entſchieden, daß, die Anhaͤnger 


oder Vertheidiger ſeiner Lehre von ber Kirchengemeinſchaft. 


auszuſchllegen ſeyen. 

"Abälard machte ein Giaubensbekenntniß bekannt, in 
welchem ‘er vor Gott betheuüerte: daß er fich der Irrthuͤmer, 
die man ihm aufbuͤrde, nicht ſchuldis wiſſe, daß wenn ſich 





a Otto Frisingensia, de gestis Friderici C. %8. 

2) Berengarins,-Abälard’s Schuler, in feiner Apologie 
‚ vfür feinen Lehrer: und Don G©ervaife in feinem Leben’ 
— Abälard's, haben das. Verfahren bes Concils angefirits 

. ten. Der erſte iff nur Declamator, und Don Gervaife 

beweift nicht, daß die. Väter des Concils ihre Gewalt übers: 
fhritten haben, Die Biſchoͤfe ſprachen das Urtheil Über. die 

Sätze, die man ihnen vorlegte; Fann man zweifeln, ob fie‘, 
dieſes Recht gehabt. Haben % Man Hörte die Veripeidigung 

Abälard's nicht, fagt man: allein war es nothwendig, ihn 

zu hören, um zu urtheilen, ob die. Saͤtze, die man bei'm 
Concil angab, dem Glauben gemäß, oder entgegen feyen ? 
: Nur dann. wäre ed nothwendig geweſen, ihn zu Hören, wenn 
das Eoncil die Perſon Abälard's gerichtet hätte. Giche 
d’Argentre Collect, Judicior. de novis Erroribus T. 1. 

p. 21. Martene Observat. ad Theol. Abälardi Te 5. 

‘ Thes. Anecdot. :Nat; Alexand. in saec, 12. ‚dissert. 7. - 





u . : Abecedarier. . J 13 
irgend einer in feinen Schriften fände, er entfchloffen fen, 


ihn nicht zu behaupten, und Daß er bereit fey, Alles zu vers 
beffern oder: zurückzunehmen, was er zur Ungebühr behaups 


. tet hätte; hierauf, verdammte er ale Irrthuͤmer, deren man 
‚ibn befchuldigte, und betheuerte:s daß er alle, dieſen Ir⸗ 


thuͤmern entgegengeſetzte, Wahrheiten glaube. 

Mach Bekanntmachung dieſer Lipologie trat Abalard 
Die. Reife nach Rom an, ging über dag Kloſter von Clugni, 
wo deffen Abt, Peter der Ehrwuͤrdige, ihn zurückhielt, 
und mit dem bl. Bernhard ausſoͤhnte. Hierſelbſt erbaute , 
er alle NReligiofen, und farb im Jahre 1142, drei und fechs 
zig Jahre alt, in einem zu Clugni gehörigen Haufe, wos 


hin er ſi ch ſeiner Geſundheit wegen, zuruͤckgezogen hatte 1). 


Abecedarier, ein Zweig der Anabaptiften, welche 
behaupteten: man dürfe, um ſelig zu werden, weder leſen 
noch fchreiben, ja nicht einmal der erſten Buchſtaben des 
‚Alphabets fundig fen, welches ihnen den Namen Ubeces 
darier verſchaffte. 


Nachdem Luther die Autoritaͤt der Siehe, Zredition 
und der Vaͤter offen beſtritten, und entſchieden hatte, daß 
jeder Privatmann Richter uͤber den Sinn der Schrift ſey, 


ſo lehrte Storch, fein Schüler, daß jeder Gläubige den 


Einn der Schrift eben fo gut, mie die Doctoren erfennen 
koͤnne, daß Gott felbft ung unterrichte, daß dag Studieren 
uns auf. die Stimme Gottes aufzumerken verhindere, und 
daß das einzige Mittel, dieſen Zerftreuungen borzufommen 
fen, gar nicht leſen zu lernen, und daß jene, Melde lefen 
Eönnten, in einem, dem Seelenheile gefaͤhrlichen Zuſtande 
ſich befaͤnden. 


Carlſtadt verband ſich mit dieſer Secte, entſagte der 
Univerſitaͤt und Doctors⸗ Wuͤrde, um Sacktraͤger zu werden, 
und nannte ſich Bruder Andres. Dieſe Secte breitete 
ſich in Deutſchland ziemlich weit aus. Zu allen Zeiten hatte 


x 


1) Siehe die angeführten Schriftſteller. 


14. Albeloniten. Abyffinier. 


die unwiſſenheit Ihre Vertheidiger, welche ſie zu einer chriſt⸗ | 
lichen Tugend flempelten 1). | 


Abeloniten, Bauern aus dem Bistum Hippon. 
Sie bezeigten dem Abel ihre Verehtung, und. fagten: daß 
man ſich, wie er, verehlichen, aber vom Eheſtande keinen 
Gebrauch machen müffe, Männer und Meiber. wohnten das 
ber beifammen, aber in. ber Enthaltfamteit, und nahmen 
einen fleinen Knaben oder ein Mädchen an Kindesſtatt zu 
ihren Erben an 2). I 


Abyſſinier oder Aethiopier. Afrikaniſhe Volter, 
welche eutychianiſche Jacobiten find. Die Zeit der 
Entffehung bes Chriſtenthums bei ben Aethiopiern iſt 
ſchwer anzugeben; jedoch iſt es gewiß, daß es vor dem 
Jahre 325 Dort ſchon vorhanden war, weil das Concilium 
‚von Nicda,swelhes in diefem Jahre gebalten wurde, dem 
Bifchofe von Aethiopien den fiebenten Platz nach jenem 
von Seleucka eintäumt. Die Kirche von Abyffinien ers 
kennet die Alexandriniſche für ihre Murter, und iſt 
ihr fo fonderbar unterworfen, daB es ihr nicht einmal frei 
| fiehet ‚ ihren Biſchof zu waͤhlen. Dieſe Gewohnheit, welche 
ſo alt iſt, als die Bekehrung von Abyſſinien, iſt beur⸗ 
kundet in einer Canon⸗Sammlung, welche die Abyſſinter 
eben ſo hoch, als die hl. Buͤcher ſelbſt ſchaͤtzen. | | 


Die Abyffinier folgten demnach : dem Glauben der 
NKirche von. Alerandrien, ‚und feitden Aegypten inter 
die Herrſchaft der Türken gekommen iſt, die Jacobiten 
aber fi des. Patriarchen s Stuhls von Alexandrien bemäch» 
tigt haben, wurden fie Monophyſiten oder Eut ychia⸗ 
ner. Sie haben folglich keine andere Irrthuͤmer als die 
Kopten, ihr Glaube ſtimmt mit jenem der roͤmiſchen 
Kirche in Betreff der Geheimniſſe überein; aber fie verwer⸗ 





1) Oſiander Centur 16 L..2 Stogmann Lexic. bei'm 
Worte Abecedariı. Sieh den Artikel Sartſtadt und 
Anabaptiſten. 

2) Augustin Haeres. 86. 


Moſſiuter. i 15 


fen ı das Eoncil von Chaleedon, den Brief des hl. Leo, 
und nehmen nur eine Natur in Ehriſto an, wenn fie gleich 
nicht dafiir halten, dag die göttliche und menfchliche Natur 
in feiner Derfon vermiſcht ſeyen. 1) Sie haben ſieben Sa⸗ 
cramente, wie die Katholiken, 2) glauben die wirkliche Ge⸗ 
genwart, und Transſubſtantiation: die von Ludolf mitge⸗ 
brachten Liturgien laſſen hieruͤber keinen Zweifel über, weil 
fie es foͤrmlich ausdruͤcken, 3) die Verehrung. und Aurufung 





mi 


1) Perpetuite de. la foi. T. 4. L. 1. C, 11. Mendes L. 
1. C. 6. Ludolf Hist. Aethiop. L, 3. C. 8. Voyage 
“de Lobo, par le Grand. 
2) Ludolf Hist. Aethiop. L. 5. C. 5. Diefer Schriftſteller 
— meint, die Aet hio pier Hätten die Firmung und letzte Oelung 
nicht. Wir machen hierüber folgende Bemerkungen: die 
Abyſſinier Haben ihre Biſchöfe ſtets von dem Patriarchen 
von Alexandrien erhalten, und da die Kopten ſelbſt 
nach der Eroberung der Sarazenen die Firmung und Ickte 
Delung beibehalten haben, wie man in Artikel Kopten — 
fepen kann, warum folten erflere die Firmung hinwegge⸗ 
laffen Haben? 
3) LZudoif Kügt ſich auf dg6 Zeugnif portugififher Miffios 
näre. - Allein diefe Miflionäre, mehr eifrig, als gebildet, 
Haben ſich wahrſcheinlich getäuſcht, weil dieſes Sacrament 
nicht ſo in Aethiopien, wis in Europa ertheilt wird: die 
Abyſſinier ertheilen es vermuthlich wie die Kopten, nach 
der Taufe, und die Miſſionäre haben die Fiemung für eine 
Ceremonie der Taufe angefepen 5 da fie ferner dieſes Sacrament 
den Erwachſenen nicht mitsgeilen fahen, fo haben fie geſchloſ⸗ 
fen, daß den Aetpiopierm diefed Sacrament nit befannt 
wäre. Eben daper koͤmmt auch der Irrthum dieſer Miſſio⸗ 
naͤre über die letzte Oelung. Gewiß iſt es, daß die Kop⸗ 
ten dieſes Sacrament beibehalten haben (man ſehe ihren 
Artikel) und man fi eht nicht, wie die Abyſſinier, welche 
von dieſen ihre Metropoliten erhalten, die Gewohnheit der 
koptiſchen Kirche nicht ſollten beibehalten haben. Allein die 
letzte Oelung wird bei den Kopten nicht wie bei den La⸗ 


16 | Abpffinier. 


der Heiligen, das Gebet für.die Verflosbenen, bie, Vereh⸗ 
rung der Reliquien haben ſich bei den Abyſſiniern wie bei 
den Kopten erhalten 4). 

Einige befondere Oebräuche bei den. Aopffinierm, 


28 Die Abyffinier, baben, wie die Kopten, die 


teinern auagelpendet, ferner. wird fie nd der Beiqt, und 
dem Geſunden ſowohl, als dem Kranken ertheilt. Da nun 
die, Miffionäre die Ceremonien, welde in Ser lateinifchen 
Kirche üblich find, nicht geſehen haben, und giaubten: daß 
die Oelung nus den Kranken ertheilt werden dürfe, ſo ha⸗ 
ben fie dafür. gehalten, daß die Abyſſ inier wirklich diefes 
Sarrament nicht Hätten. : Diefe Vermuthung erhält, meincs 
Dünfens Beweiskraft, wenn man auf die Weile, wie die 
Kopten ‚ die HE. Delung. ausfpenden, ' aufmerffam iſt. 
Maͤchdem der Priefter, dem ein Diakon affiffirt, dem Bü: 
ßenden die Losſprechung ertheilt hat, fängt er mit Räuche⸗ 
rungen an, nimmt.eine Lampe, deren Del er ſegnet, und 
zündet darin einen Docht an; Hierauf ſpricht ee -fieben Ges 
bete, welche durch eben fo viele Lectionen aus dem Briefe 
des Hl. Jacob, und.andern Stellen der Schrift unterbro- 
chen werden. — Der Diakon liest, endlich nimmt der Prics 
ſter das geweihte Del aus der Lampe, und macht damit 
eine Salbung auf die Stine, wobei er fage: Gott möge 
dich Heilen im. Namen des Waters, des Sohnes, und des pl. 
Geiftes! Die nemliche Salbung verrichtet er auch an allen Ge- 
genmwärtigen, aus Sucht, fagen fie, der böfe Geiſte möge liber 
einen von ihnen kommen (Nouveaux mömoires des missions 
_ de lacompagnie de Jesus dans le Levant T. 6. Letire - 
‘ du P. Bernat. Perpetuite de la Foi, T. 5.L. 5.02) 
Sollte ed denn ſchwer feyn, daß die Miffionäre, melde die 
Zeit nit Hatten, Die äthiopifehe Liturgie zu fhudieren, die 
fo. auögefpendete Hl. Delung nicht folten erfannt baden 


4) Hist, Aethiop, L. 5. C. 5. Perpet, de la Foi, T. 4 
I.. I. C. 11. Liturg. Orient. T. 2. le Grand, dias. 12. 
bei \ “uyage d’Abyssinje. von p. Lobo. 





— — — 


e * 


Aboſſinier. 17 


Ceremonien der Taufe Jeſu Eprift (Siehe den Artikel 
Kopten) 1) 

2) Sie haben, wie die Kopten, die Beſchneidung 
und einige juͤdiſche Gebraͤuche, als das Enthalten vom Blute 
und dem Fleiſche erſtickter Thiere: es iſt wahrſcheinlicher, 
daß ſie dieſe Gebraͤuche von den Kop ten her haben, als 
von den Mahomedanern und Juden, wie ſolches de la Croce 
in ſeinem Chriſtenthum von Aethiopien behauptet 2). 


1) Ludolf erkennt dieſe Punkte, aber er haͤlt fie für Miß⸗ 
bräude, welde duch die Predigten der Bilhöfe und aud - 
andern Urfachen fih in die Kirhe von Abyffinien eingeſchli⸗ 
Ken Hätten. Diefe Behauptung if grundlos: der Kalender 
der Abyffinier den Ludolf giebt, beweißt, daß dieſe Kirche 
jederzeit die Heiligen angerufen, und ihre Reliquien verehrt 

habe; ihre Liturgien enthalten Gebete für die Merfiorbenen; 
Ludolf fegt diefen Beweilen nichts Genügendes entgegen: 
er fagt, zum Erempel, daß die Anrufung der Heiligen dur 
die pathetifhen Predigten der Bilhöfe eingeführt worden 
ſey, und in Aethiopien giebt es Feinen andern Biſchof, als 
den Abuna, ber Metropoliten ; übrigens wird da niemals 
gepredigt. — Ludolf geſtehet zu, daß die Abyſſinier Für 
die Verſtorbenen beten; aber er behauptet, daß fie Feine 
Kenntniß vom Fegfeuer Haben, Diefe Behauptung ift wieder 
unwahe: es ift gewiß, daß die Abyffinier das Fegfeuer 

nicht laͤugnen, und daß fie nur über den Zuſtand der See⸗ 
ken nah dem Tode geheilt find, ohngeachtet ſie erkennen, 
daß, um die ewige Seligkeit zu erlangen, man der goͤttli⸗ 
hen Gerechtigkeit genugthun müſſe, und dad Gebet das er⸗ 
fetzte, wofür die Menſchen nicht Hätten genugthun koͤnnen. 

2) Bei den Kopten ſehen einige den Gebrauch der Be⸗ 
ſchneidung für eine Gefaälligkeit an, welche fie den Maho⸗ 
medanern haben erweiſen müſſen, andere als einen bloß 
bürgerlichen Gebrauqh. Die Abyſſinier find hieruͤber eben 

ſo wenig einig: jedoch giebt es welche, die ſie als eine re⸗ 

ligisſe und zum Heile nothwendige Ceremonie anſehen. Ein 
abyſſiniſcher Religjos erzaͤhlte dem. p. Lobo, ein Teufel 

Kenerskerifon. II. 2 


18 | Abyſſinier. 


3) Abulſelah, ein aͤghptiſcher Schriftſteller, welcher 


vor etwa vierhundert Jahren ſchrieb, ſagt, daß die Aethio⸗ 
pier, anſtatt ihre Suͤnden den Prieſtern zu bekennen, ſolche 


jährlich vor einem Rauchfaſſe, auf welchem Weihrauch anges 
zuͤndet ſey, beichteten, und ſo Nachlaſſung derſelben zu er⸗ 


halten glaubten. Michael, Metropolit von Damiette 


rechtfertiget dieſen Gebrauch in ſeiner Abhandlung gegen die 


Nothwendigkeit der Beicht, und es iſt nicht zu wundern, 


daß er unter den Patriarchen Johann und Marius, 


u welche diefen Mißbrauch begünfligten, in Aethiopien Eins 


gang gefunden habe. 


Zanzabo verfiherte jedoch, daß man in feinem Lande . 
beichte; und, nach der Kirchenordnung von Alerandrien 
mußte man es thun. Nachdem, mas Regel ift, erforſcht 


man die wahrhafte Tradition einer Kirche, und nichf nad) 


den Mifbräuchen. Perpetuite de la foi, T. 4. p. 87, 102. 
Inzwiſchen iſt der. Gebrauc ber Beicht bei ven Abyſſi⸗ 


niern nicht erlofchen; fie beichten den Prieflern und bis⸗ 


weilen dem Mefropoliten ; wenn fie fi) wegen einer großen. 
Sünde anflagen, ſtehet der Metropolit auf, giebt dem Suͤn⸗ 


der einen fcharfen Verweis, ruft feine Gerichtsdiener, wel⸗ 


giebt fich Alles, was in der Kirche iſt zu dem Metropolten, 


und bitfet um Gnade für den Sünder, welchem ſonach Dies 


fer die Abſolution ertheilt. Ludolf ebendaf. L. a. C. 6. 
4) Die Ehe if ein Sacrament bei den Abyſſiniern. 


2llvarez befchreibt Die Einfegnung einer Ehe, wobei er 


zugegen war, und bie der. Abuna oder Metsopolit verriche 


‚tete, auf. folgende Weiſe: „der Bräutigam und die Brauf 
„befanden fih am Eingange, ber Kirche, mofelbft man eine 


„Art von Bert für fie bereitet. hatte. Der Abuna bieß.fie, 





habe: fih an einem -Bronnen aufgehalten, wo er dir armen 
Mönde, wenn fie dort Waſſer ihöpfen wollten, ungemein 
gequält Hätte; Tecla Annanat, Stifter ihres Ordens, 
“ habe‘ ihn bekehrt; hierbei habe er weiter Feine Sqhwierigkeit 
gefunden, als über den Punkt der Beſchneidung. 


che den Buͤßenden aus Leibeskräften peifichen; hierauf bes . 


— 








Abyffinler. 19 


„50 darauf niederſetzen, und ging mit dem Kreuze um fie 
„herum: alsdann legte er ihnen die Hände auf, und fägte: 
fo wie fie heute ein Fleiſch wuͤrden, fo müßten fie auch 
„ein Herz und einen Willen haben; und nachdem er eine 
„kurze, diefen Worten angemeffene, Unrede an fie gehalten 
„hatte, ging er in die Kirche, Meſſe zu lefen, welcher die 
„Brautleute beimohnten ; zuletzt gab er ihnen die eheliche 

„Einſegnung 1). 
5) „Die Ehefcheidung ift bei ihnen gebraͤuchlich- Ein 
„Mann, der mit feiner Frau unzufrieden iſt, entlaͤßt und 
„nimmt fie wieder an, mit der nämlichen Leichtigkeit; Untreue 
‚der Frau oder des Mannes, Unfruchtbarkeit, oder der ges 
„ringſte Streit geben ihnen hierzu mehr als hinreichende 
„Urſache. Scheidung wegen Ehebruch hebt fich leicht wies 
‚per auf, indem man dem beleidigten Theile eine Summe " 
7, Geldes gibt. Nicht fo leicht würde die Wiedervereinigung 
;, Statt haben Tönnen, wenn Mann und Frau einen Zanf 
‚miteinander gehabt, oder fich gefchlagen hätten; in dieſem 
n Falle erlaubte ihnen der Richter fih andermweit zu verheis 
„rathen, und em Aerhiopier nimmt lieber eine Frau, wels 
„che wegen Ehebruch von ihrem Manne geſchieden if, ale 
„wegen Zanf 2). 

6) Die Prieſter heirathen bei den Abyff intern, wie 
in ganzen Drient, jedoch mit der Befchränkung', Daß es eis 
nem Prieſter oder Diakon nie erlaubt iſt, nach ihrer Weihe 
ſich zu ‚werehlihen; und die Heirath eines Mönchen ‚ oder 
einer Nonne wird wie ein Kirchenraub angefehen 3): 

7) Ein anderer Mißbrauch, welchen dfe Patriarchen 
von Alexandrien vergebens abzuftellen geſucht haben, ji die 
Vielweiberei 4). 


8) Abyſſinien. iſt das Band“ in ber wel, m. pr die 


| — nie Fu 


4) 13te — ich anhange aut Reife. 665 p. robo *. 
555» 


2) Lob am arigef. Orte p. 76. Thevenot, Pl, T. 2. 2. 
5) Perpet. de la foi, T. 4. L. 1. C. 12. Bu 
4) Esenbaf | el 

2 * 


0, . Albyſſinier. 


meien Geiſtlichen, die meiſten Kirchen und Klaͤſter gibt, 
- Man kann in einer Kirche nicht fingen, ohne in einer ans 


WR 


dern, oder oft in mehreren gehört zu werden. Sie fingen 
die Palmen David's, wovon fie in Ihrer Sprache eine 


. ganz treue Ueberfeßung haben, fo mie auch von den andern 
Buͤchern der hi. Schrift, mit Ausnahme jener der Machas 


. bier, welche fie jedoch als canonifch annehmen. 


9) Jedes Kiofter hat zwei Kirchen, die eine für Mannes 


. die andere für die FrauenssPerfonen. In jener der Mäns 


hier fingt man chorweife und immer ftehend, ohne je nieder 
sufnien, weßhalb fie verfchiedene Gemächlichkeiten haben; 
um fich anzulehnen und aufrecht zuhalten. 


Ihre muſikaliſchen Inſtrumente beſtehen in kleinen Trom⸗ 


meln, welche ihnen am Halſe haͤngen, und die ſie mit bei⸗ 


den Haͤnden ſchlagen. Die vornehmſten und ernſthafteſten 
Geiſtlichen fragen dieſe Inſtrumente. Sie haben auch Etdbe, 
mit welchen ſie mit einer Bewegung des ganzen Leibes auf 
dem Boden ſchlagen. Sie fangen ihre Muſik an, indem 
ſie mit dem Fuße ſtampfen, und leiſe auf den Inſtrumenten 


ſpielen; nach und nach gerathen ſie in Hitze, werfen das 


Inſtrument weg, fangen an, in die Haͤnde zu ſchlagen, zu 
ſpringen, zu tanzen, und aus allen Kraͤften ihre Stimmen 


zu erheben, ſo daß fie am Ende weder Takt noch Pauſe in 


ihren Gefängen mehr halten. Sie fagen, daß David vers 
ordnet hätte, fo das Lob Gottes zu verfündigen, in tem 
Pſalm, wo er ſagt: Omnes genles plaudite manibus ju= 


bilate Deo etc 1). 


1 . Das Kirchen s Regiment ber Asyffinier. ., 


Die Kirche von Atoſſinien! wird von einem Erp 
Bifchofe vegiert, melden fie Ubuna d. h. unfer Vater, 
nennen. Er bat feinen Biſchof unter fi), und wird von 
dem Patriarchen von Alerandrien ernannt und geweihet, 


| welcher, um dieſe Kitche in gıößerer eoängigkeit iu erhal⸗ 


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1) Lobo p. Ir. r 0 ur 


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Abpffinier. Ä 21 


ten, ihnen niemals einen Metropoliten aus ihrem ande 
gibt. 

So fremd und unmwiffend dieſer Metropolit gewoͤhnlich 
iſt, ſo hatte er doch ehedem ein ſo großes Anfehen, daß 
man den König nicht als folchen anerkannte, wenn er nicht 
von den Händen des Abuna gefalbt worden war; oft ber 
“diente fi) auch Diefer feines Anſehens, um die Eönigliche 
Wuͤrde jenem, dem fie von Kechts wegen gehärte, zu erhals 
ten, und um fie) Anmaffern entgegen zufeßen 1). 

Die Könige haben es mit aller Mühe dahin zubringen 
gefucht, daß mehrere Bifchdfe in Abyffinien geweiht wuͤr⸗ 
den, Allein der Patriarch von Alerandrien beforgte, man 
- möchte, wenn es mehrere Bifchdfe in Aerhiopien gebe, ends 
lich fo viele machen, daß fie fich ſelbſt einen Patriarchen 
wählten: darum mollte er nie einwilligen, außer dem Ab una 
“noch andere Biſchoͤfe in Aethiopien zu weihen. 

Der Abuna befißt mehrere große Ländereien, und in 
einem Lande, wo Alles Sflav ift, find feine Pächter von 
jeder Art Abgabe frei, oder zahlen foldhe nur an ihn, wo⸗ 
von jedoch feine Befigungen im Königreihe von Tigre 
ausgenommen find. Ueberdieß ſtellt man jährlich für ihn 
noch eine Sammlung von Leinwand und Salz an , welcheg 
ihm viel abmirft. Im Geiſtlichen erkennt ex nur den Patri⸗ 
archen von Alexandrien als Oberen. Der Abuna allein 
kann Dispenſationen ertheilen, und hat hierinn oft ſeine 
Gewalt überfchritten, denn gewoͤhnlich iſt er ſehr geitis und 

unwiſſend. 

Die erſte geiftliche Wuͤrde if der Komos ‚oder Hw 
guemos, mas mir Erzpriefler nennen. — In Abyffinien 
find die Stilimeffen unbekannt; man hat da’elft Stiftsgeiſt⸗ 
liche und Mönche, erftere verheirathen ſich, und ihre Pfruͤnde 
geht oft auf ihre Kinder über, Die Mönche bleiben unders 
ehlicht und genießen ein fehr groß. 8 Zutrauen, fo daß man 
fie oft zu den wichtigſten Gefchäften verwendet. Sie legen 
Geluͤbde ab. — Sieh Ludolf. Lobo. | 


4) Lobo. Ludolf. a. a. ©. 


— en u mie ) — — — — — — —— — = 
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22 Ä Abpſſinier. 


Bemuhungen, die man anwendete, die Kirche von 


Abyſſinien mit der röomiſchen zu vereinigen. 


In dem nun geſchilderten Zuſtande befand ſich die Kir⸗ 
che von Abyſſinten, als die Portugieſen durch das rothe 


Meer bis nach Aethiopien vordrangen. Die Koͤniginn He⸗ 


lena, Großmutter und Vormuͤnderinn David's, des Kai⸗ 


ſers von Aethiopien, welche das Reich durch ſeine Nach⸗ 
barn angegriffen, und durch innere Kriege beunruhiget ſah, 


verband ſich mit den Portugieſen und ſchickte einen Abge⸗ 
ſandten an den Koͤnig Emanuel, der ſeiner Seits auch 
einen nach Aethiopien "abgehen ließ. Man fing alsbald 
an, von der Vereinigung der abyſſiniſchen Kirche mit der 
römifchen zu forechen. Der Kaifer fchien nicht abgeneigt, 


und Bermudez, Arzt des porsugiefifchen Gefandten wurde 
von dem Patriarchen Markus zu feinem Nachfolger er ⸗ 


nannt. 


⸗ 


Um. diefe Zeit rückte ein maurifcher Prinz, ‚ Namens | 


©Grane, welcher dag Heer des Könige von Adel befehligte, - 
in Abyffinien ein, und eroberte den größten Theil degfelben. 


David, durch die Schnelligkeit diefer Eroberungen 


beuhruhiget, ſchickte Bermudez nah Europa, bei den 


chriſtlichen Fuͤrſten Huͤlfe zu ſuchen. Johann B ermudez 
begab ſich nach Rom, von da nach Liſabon, erhielt von 


dem Pabſte den Titel eines Patriarchen, und vom Koͤnige 
von Portugak Slfstzuppen für ben Kaiſer von Abyſt J 


finien. . 

Stephan von Gama ruͤſtete eine Flotte ſegelte in 
das rothe Meer, landete auf der Kuͤſte von Abyſſinien 
vierhundert Mann Portugieſen, unter dem Kommando Chris 
ſto ph von Gama's, feines Bruders, welcher Abyffi 


nien retfete, und die Krone auf dem Haupte Daoid's 


wieder befeftigte. — Nach der Erpedifion der Portugieſen ges 


gen die Mauern muthete Bermadez dem Kalfer zu, den 
Eid der Treue gegen den Pabſt in feine Hände abzulegen. 


Bermudez übereilter Eifer fiößte dem Kaiſer Abneis 
gung gegen die Fatholifche Religion und Haß gegen feine 


Perſon ein: er behanvelte ihn nicht mehr mit der Achrung, 


Abyffinier. . | 23 


welche tiefer Patriarch fordern zu innen glaubte. Das 
fchmerjte diejen fehr, und cr beflagte fich bitter daruͤber, 
Daß der Monarch feinen Segen nicht verlangte, und ihn 
nicht durch Abgeordnnefe empfangen ließ, behauptete: dag 
der Kaifer hierdurch den Nefpect verlege, welchen er Jeſu 
Chrifto fchuldig fey, den er Bermudez borfielle, und ſo, 
fagte er ihm, wirft dis verworfen, verflucht und ercommus - 
nizirt, ſeyn, wenn du zu den Keßereien der Jacobiten 
und Dioskurianer in Acgypten zurückehrf. 

Der Fuͤrſt antwortete: die Chriften von Aegypten feyen 
keine Ketzer, aber die Katholiken feyen eg, weil fie vier 
Goͤtter anbeteten, wie die Arianer, u:d fißte hinzu, wenn 
er nicht geiflicer Vater waͤre , ſo wuͤrde er ihn viertheilen 
laſſen. 

Bermud e benachrichtete die Portugieſen von ſeinen 
Streitigkeiten mit dein Koͤnige, und ſeine Raͤnke ſpannen 
einen Krieg zwiſchen dem Koͤnige von Aethiopien und 
den Portugieſen, ſeinen Rettern an. Inzwiſchen ſoͤhnte ſich 
der Kaiſer Claudius mit ihnen aus, fuͤrchtete ſie aber, 
vertheilte deßhalb die Europaͤer in verſchiedene Provinzen, 
und zwang Bermudez, Aethiopien zu verlaſſen. 

Der Pabſt, und der Koͤnig von Portugal, unterrichs 
tet von den Ereigniffen in Aethiopien, fchicften einen Pas 
triarchen und zwei Bifchsfe dahin: der Patriarch war or 
bann Nugnez Barrefo, mehr empfehlenswerth Durch 
feine Würde und Frömmigkeit, als durch Kenntniffe: die 
zwei Bifchöfe waren Melchior Cornegro, und Ans 
dreas Doviedo. . 

Diefe Prälaten nahmen zehn Jefuiten mit ſich. Der 
Erzbiſchof nahm feinen Aufenthalt zu Goa, und Optedo, 
Bischof von Hierapolig ging mit einigen Jeſuiten nach 
Abpffinien; allein der Kaiſer legte dem Erfolge ihrer -Prer 
digten Hinderniffe in: den Weg, und fein Bruder und Nach⸗ 
folger Adamas arbeitete der Vereinigung- noch mehr. ente 
geger. 

Der Patriarch Barreto farb, und Obiebo kam an 
feine Stelle. Allein ſeine weu: Wuͤrde machte: ſeine Sen⸗ 





24 | Abyſſinier. 


dung nicht gluͤcklicher; der Pabſt befahl ihm, Abyſſinien 
mit den Jeſuiten zu verlaſſen ‚ und fid anderswehin m bes 
geben. 


Doviedo antwortete, er fen bereit zu gehorchen, koͤnne 


aber nicht aus Abyſſinien entkommen, indem die Tuͤrken die 


Zugaͤnge geſperrt haͤtten: man wuͤrde beſſer thun, ihm ei⸗ 


nige Huͤlfstruppen zu ſchicken, als ihn zuruͤckzurufen: wenn 


er nur 500 Mann Portugieſen hätte, koͤnne er die Abyffie 
nier zur Ruͤckkehr bringen, und viele abgörtifche Voͤlkerſchaf⸗ 
ten unterwerfen; es gäbe viele Heiden in der Gegend von 
Mozambique und Sofola, welche nur auf Unterricht 
warteten. Er blieb demnach in Abyffinien, und verlangte 


‚bis an feinen Tod Truppen und Soldaten, überzeugt, daß - 


die Abyffinier fich ‚nicht gutwillig der römifchen Kirche uns 


terwerfen würden. Die verfchledenen Revolutionen, die fih 


in Wetbiopien ergaben, erhoben endlich Melafegud, 
der den Namen Sultan Segud annahm, aufden Thron» 


Nach der Schlacht, welche ihn zum Herrn von Abyſ⸗ | 


finien machte, kamen die Jeſuiten, welche in diefes Land 


‚ gegangen waren, ihm Gluͤck zu wuͤnſchen, und wurden fehr 
gut von ihm aufgenommen: Er rief den P. Paes zu ſich, 
behandelte ihn mit vieler Auszeichnung, und tn einer Aus 
dienz gab er ihm zu erkennen, daß er einige portugiefifche 
Truppen zu haben wuͤnſchte. P. Paes verficherte ihn, daß 
er ſolche leicht würde erhalten koͤnnen, wenn er die Fatholis 
fche Religion annehmen wollte. Der König verſprach eg, 
und P. Paez fchrieb an den Pabſt, an den König von 
Portugal und den Vize» König von Indien, drei Briefe, 
welhe Sulfan’Segud unterzeichnefe. Anfangs befand 
ſich der König nicht im ruhigen Befite des Reich; er mußte 
Factionen befchwichfigen, und Empsrungen unterdrilcten, die 

‚. beinahe zwei Jahre hindurch ausbrachen. Nachdem er fi 
auf dem Throne befeftiget hatte, gab er ein Edikt, durch 
welches er die Behauptung unterfagte, daß in Chriftug 


NS 


nur eine Nafur ſey, und die Entgegenhandelnden zum 


Tode verurtheilte. - 
. Der. Metronolit ſuchte den Kaifer auf, beklagte A 


nn 


Abyſſinier. | 25 


über die, ohne. feine Zuziehung, geſchehene Bekamtmachung 
des Edikts: die Großen und das Volk murrten, die Gemie 
ther erhitzten fih, und der Abuna fühleuderfe eine feierliche‘ 
Ercommunicafion gegen alle, welche die roͤmiſche Religion 
annehmen, Die Vereinigung mit diefer Kirche begünftigen, 
oder über Fragen, welche die römifche und abyffinifche Kirs 
che trennten, disputiren würden. — Die Kühnbeit des Pas 
friarchen erbitterte. den König, doch wagte er nicht, ihm zu 
firafen, fondern begnuͤgte fi, eine Verordnung zu erlaffen, . 
worinn er bie Freiheit geflaftef, der Religion, melche die 
Sefuiten durch ihre Dispüte und Lehren, eingeführt hätten, 
zu folgen. — Der Metropolit belegte mit einer neuen Ex⸗ 
communfcation alle jene, welche fasten, daß in Chriſtus 
zwei Naturen wären. j 

Die Heller Sehenden fahen wohl voraus, daß diefe 
Streitigkeiten große Unruhen hervorbringen würden: die 
Mutter des Könige, die Großen, der Patriarch, die Cleri⸗ 
fei, warfen fi) dem Könige zu Füßen, und bafen, er möge 
nichts in der Religion ändern. Allein diefer Fuͤrſt war uns 
erfchütterlich , die Gemuͤther wurden erbitfert, man verfams 
melte fih, und befchloß, Fir die Vertheidigung der alten 
Religion zu ſterben. Die Yefuiten ihrer Seits ließen Bis 
cher ausgeben, unterrichteten, fuchten die Abyſſinier von ih⸗ 
rem Irrthume zu überführen, ermunterten den Kaifer, und 
mahnten ihn, auf ſeinem gefaßten Entſchluße feſt zu ver⸗ 
harren. 

Nach einer gewiſſen dumpfen Gahrung im ganzen Keiche 
brach endlich die Empsrung in mehreren“ Provinzen. aus. 
Trotz diefer gab der König ein Edikt, durch welches er am 
Samftage zu arbeiten verbot. Diefes Evikt fliftefe neue 
Unruhen, über welche der König fiegte. Als er die Ges 


‚müther unterivorfen zu haben glaubte, bekannte er ſich Sffente · 


lich zur eömifchen Religion; und nachdem der Patriarch Al⸗ 
phons Mendez, den er vom Pabſte verlangt hatte, an⸗ 
gekommen war, warf ſich der Kaiſer auf die Knie, legte 
auf das Evangelium den Eid der Treue ab, durch welchen 
er Sr. Heiligkeit, dem Pabſte Urban und feinen Nachfol⸗ 
. gern verfprach: Gehorfam zu leiften, indem er mit" Demuth 


— 


26 | Abyſſinier. 


ſein⸗ Perſon und ſein Reich zu ſeinen gußen lege. Die 
Prinzen, vie Vize⸗-Koͤnige, die hohe und niedere Geiſtlich⸗ 


keit machten auf den Knien die nemliche Betheuerung. Nach 


dieſem wurde dem Kaiſer und ſeinem Sohne der Eid der 


Treue. geleiſte. Pas Scella Christos, Bruder des 


Kaijerd, legte folgenden Schwur ab: „Ich ſchwoͤre, ‚den 


„Prinzen als Erben feines Vaters im Reiche anzuerfennen, 


„aund ihm als treuer Bafal zu gehorchen ‚ inſoferne er den 
„heiligen katholiſchen Glauben erhalten und beguͤnſtigen wird, 


„auſſerdem werde ich ſein erſter und groͤßter Feind feyn”. 


Alle Oberſten des Heeres, und ſein ãlteſter Sohn 


ſchwuren unter der naͤmlichen Bedingniß dasſelbe. Gleich 
darauf ließ der Kaiſer bei dem ganzen Heere ausrufen, daß 
alle Voͤlker unter Lebensſtrafe die roͤmiſche Religion annehs 


men müßten, mit dem Befehle, allg, die den Gehorfam vers ⸗ 
- fagen würden, zu toten: — Bon’ allen Seifen ffanden die 


Voͤlker auf, wählten ſich Koͤnige oder gaben ſich Anführer 
sur Vertheidigung der Religion ihrer Väter; Das Feuer des 
Fanatismus griff allenthalben um fich, man fürchtete mit 
der Darthei des Kaifers ſich zu veruneinigen: hier ſtuͤrzten 
ſich Moͤnche und Nonnen, um den Katholiken auszuweichen, 
von der Hoͤhe furchtbarer Felſen, deren Anblick ſchon die 


herzhafteſte Einbildungskraft in Schrecken ſetzt; dort trugen 


Prieſter die Altar⸗Steine auf ihren Haͤuptern, munterten 
die Rebellen auf, verſprachen ihnen den Sieg, und ſtellten 
ſich mit Zuverſicht den Pfeilen der Soldaten entgegen. In⸗ 
deſſen aͤnderte Mendez, ruhig und allvermoͤgend, als uns 
umſchraͤnkter Herr Alles, was ihm in der Religion mißfiel; 
ſein Eifer umfaßte gleicher Weiſe die Zerſtoͤrung der Reber 
rei, und ‘die Erhaltung der Kirchengüter. | 


Ein Minifter hatte mif Butheißen des Kaiſers ſich ei⸗ | 


niger Häufer, welche die Mönche zurückgeforbert hatten, 


!ı 


bemächtiget, fogleich wurde er von Mendez ercommunizirt. : 


Der Miniſter fiel auf die Nachricht hiervon in Ohnmacht; 


der Hof, und der Keifer baten Mende; um Verzeihung für, 


den Minifter , und nad) Pangem erſt ließ er fich erweichen. 


Allein durch dieſe Errommunication wurden. ‚alle Großen tief | 











Abpffinier. | 9 
beleidigt; man Eonnte es nicht verzeihen, daß wegen einfs 
gen, mit Mönchen in Streit begrfffenen Käufern, welche 
der Kaiſer nehmen ımd geben fann, wie. er will, ein frems 
der Bifchof einen Mann ercommunicire, der durch feine Ges’ 
burt, feine Verdienfte und Tugenden gleich ehrenmerth war. 
— Die Keine des Haffes wurden durch die unäbläffige Härte 
und Strenge Mendez’s genährt, die Hofleute, die feinen 
Charakter Eennen gelernt hatten, verlangten von ihm unaufs 
hoͤrlich Kleinigkeiten, in Anfehung derer er, mie fie wohl 
- vorfahen, unbeugfam mar, und rechneten darauf, ihn damit 
gehäffig und verächtlich zu machen.. Hierdurch gelang eg 
ihnen menigftens fein Anfehen in den Augen des Kaifers 
herabzuſetzen. | : | 


Inzwiſchen nahm die Zahl der Aufwiegler mit jedem 
Tage zu, und die Vortbeile fingen ſchon an, ziwifchen ihnen 
und den faiferlichen Truppen zu ſchwanken. 

Der Hof und die Armee ſtellten dem Kaifer die Noth⸗ 
wendigfeit vor, einige Duldung gegen die Abyſſinier einfres 
ten zu daffen; dieſer zog den Patriarchen zu Rathe, welcher 
darein willigte, jedoch unter der Bedingniß, daß dieſes nur 
ftinfchweigend, und- nicht durch ein Geſetz gefchehen duͤrfe. | 


Der Kaifer reifte hierauf zur Bekämpfung der Empoͤ⸗ 
'rer ab, glaubte feine Gefinnungen für die Duldung zu ers 
Eennen geben zu müffen, ließ bei feinem Heere die Abändes 
rung efniger Kleinigkeiten befannt machen, und erlaubte ſich 
der alten Bücher zu bedienen, wenn fie von dem Patriar⸗ 
chen durchgefehen und verbeſſert fenn würden. 


Alphons Mendes fchrieb wegen 1diefes Edikts an 
den Ratfer, umd ſtellte ihm dag Beifpiel des Könige Aſias 
vor Augen, der mit dem Ausſatze befallen worden fey, weil 
er eine, nur den Leviten zuftändige Sache. unternommen 
‚hätte. Der Kaifer gab zur Antwort: als die roͤmiſche Re⸗ 
lision in feinem Neiche in Aufnahme gefommen fen, ſo fey 
diefelbe weder durch die Predigten der Jeſuiten, noch durch 
irgend ein Wunder, fondern durch feine Geſetze und Edikte, 
ımd weil er gefunden bäfte, daß Die Bücher der abyſſini⸗ 


28 | Abyſſinier. 


ſchen Bicche gang wohl mit jenen der römifchen Kirche übers 


. einfämeh, eingeführt worden 1). 
Die Schonung des Kaiſers beruhfgte bie Gemuͤther 


nicht, man mußte noch einmal ein Heer ruͤſten: die Glaͤubi⸗ 


gen ſchlugen ſich mit unglaublicher Erbitterung, und ließen 
auf dem Schlachtfelde mehr als 8000 Todte. Die Hofs 
herren führten den Kaifer dahin, und redeten fhn fo an 

„Siehe bier fo viele taufend Schlachtopfer; es find weder 
„Mahomedaner noch Heiden, es find Deine Unterthanen, 


„unſer Blut, unfere Verwandten. Du magft fiegen oder 
„beſiegt werden; jedegmal ſtoͤßt Du das Schwerd in Deine 


eigenen Eingeweide. *Diefe Leute, die Dich befriegen, has 
„ben Dir nichts vorzumerfen, fie find nur mit dem Gefege 
‚nicht zufrieden, das Du ihnen aufbringen willſt Wie viele 
„Schlachtopfer für biefen Glaubenswechfel! Diefen Leuten 
„ftehet die roͤmiſche Religion einmal nicht an, laß ihnen 
„iene ihrer Väter; außerdem wirft Du fein Reich mehr, 
vn und wir niemals Ruhe haben“ 2). 

Der Kaifer verfiel in tiefe Melancholte, -und nad) lan— 
gen innern Kaͤmpfen erließ er ein Cdikt, welches jedermann 


die Erlaubniß ertheilte, der Parthei zu folgen, welcher er 
wollte. Diefes Edikt verurfachte im ganzen Keiche eine uns _ 


Hlaubliche Freude; die römifche Religion ward beinahe von 
allen Abyſſiniern verlaffen; Alles. ertönte von Freudenliedern. 


Man verfertigte Lobgefänge zur Erhaltung des Andenfeng . 


an dieſes Ereigniß, und ſtellte darinn die Miffiondre als 
Hyänen vor, gekommen vom Abendlande, um die Schafe 
Abyſſiniens gu verfchlingen. 

Der Patriarch Mendes begab fih zum Kaifer, und 


fiellte ihm vor, daß eine folche Gewiſſens⸗Freiheit buͤrger⸗ 


liche Kriege erregen würde; dieſer antwortete ihm nur: 


Was Fann ich machen? ch habe Fein Neich mehr fir mich. 


Der Sultan Segud flarb bald hierauf und fein Sohn 
Bafilideg folgte ihm auf dem Throne. Kaum hatte er 





1) Telles p. 483. 
2) Ibidem, 


Abnffiner. - | 29 
diefen beſtiegen, fo ließ er feinen Oheim Pas Scella 
Christos wegen des geleffteten Eides gefangen feßen, 
befahl dem Patriarchen Mendez: alle Feuergewehre, die er 
befige, auszuliefern, und fi auf der Stelle nach Fre⸗ 
mone im Koͤnigreiche Tigre zu begeben. Mendez bof 
verſchiedene Befänftigungs s Mittel an, der Kaiſer ſchlug fie 
alle aus. Endlich erbot er ſich zu einer Unterredung mit 
den Gelehrten der Nation, erhielt aber vom Kaiſer zur Ant⸗ 
wort: Haft Dis durch Beweiſe Deinen Glauben eingeführt? 
Iſt es nicht durch, Gewaltthätigkeit und Tyrannei gefchehen ? 
Der Patriarch. war gezwungen, fih nah Fremone zus 
rüczuziehen, und fchicdte von da nach Indien, um von’ 
dem Bizes Könige Truppen zu verlangen. 


Allein der Kaiſer von dDiefem Vorhaben unterrichtet, bes 
fahl ihm, feine Staaten zu verlaffen, und fi) nad) Indien 
einzuſchiffen. Er mußte gehorchen. Der Kaiſer ließ einen Mes 
sropoliten aus’ Aegypten kommen, und alle fatholifche Miſ⸗ 
fiondre wurden acht Jahre nach ihrer Ankunft aus Abyſſi⸗ 
nien vertrieben. 


Der Patriarch ſtellte nach ſeiner Ankunft in Indien 
dem Vize⸗Koͤnige die Lage der Katholiken Abyſſiniens, und 
die Nothwendigkeit, ihnen zu Huͤlfe zu kommen, vor: „Er 
„ſchlug vor, fagt Le Grand, mittels einer Sees Erepedis 
„tion durch das rothe Meer fidh Macun’ 8 und Arfifo’g 
„zu bemeiſtern, daſelbſt eine gute Citadelle zu errichten, 
„und eine ſtarke Garniſon darin zu unterhalten; den Bhar⸗ 
„nagas zu gewinnen, oder zu unterwerfen, und ihn zu 
„zwingen, den Bruder. des Negug, den er in feiner Ob⸗ 
„hut hatte, den Portugiefen auszuliefern; diefen auf den 
„Thron zu fegen, und mittels feiner einen Bürgers Krieg 
„in Abyffinien zu erregen”. 


„P. Hieronymus Lobo fuͤhrte beinahe die naͤmliche 
„Sprache zu Rom; welches den Pabſt, die Cardinaͤle, und 
„alle, fo davon Kenntniß hatten, auf die Meinung brachte: 
„die Miffiondre möchten wohl in ihre Gefpräcde und ihr 
„Betragen ein wenig von jenem kriegeriſchen Geifte ges 
„miſcht Gaben, der der portugiefifehen Nation nur zu ſehr 


U 5 Abpſſinier. 


eigen iſt. Der zu Fremone und Alſa geleiſtete Wider⸗ 

„Rand, die Verſuche und thätlichen Einfchveitungen, den 

„Pas Scella Christos feiner Verbannung zu entrei⸗ 

„ben, det Ungehorfam oder vielmehr die Empsrung des Za⸗ 

„marine, diefeg eifrigen und großen Befchügers der Jeſui⸗ 

„ten, welcher, verbunden mit den Nebellen des Berges Las 

fa, mit den Waffen in der Hand gegen feinen König flarb, 

„vollendeten die Üeberzeugung ‚ daß weder die abyffinifchen 

jr Katholiken noch. die Miffiondre zu jenen Schafen gehörten, 
ndie ſich geduldig auf die Schlachtbanf führen ließen’. 

Der Pabſt und die Cardindle, eingenommen. gegen die 
Jeſuiten, trugen dieſe Miſſion den franzoͤſiſchen Kapuzinern 
auf. „Sechs wagten es, dort einzudringen, wurden erkannt, 
„und zum Tode verurtheilt, bloß weil ſie lateiniſche Miſſio⸗ 
„naͤre waren. Der Kaiſer unterhielt ſogar einen Abgeſandten 
38 Sennaguen, bloß in der Abſicht dag Eindringen der 
„Jeſuiten nach Abyſſinien zu verhindern“ 1). 
| In wiſchen gab es in Abyſſinien Perſonen, die aufrich 
tig der roͤmiſchen Kirche zugethan waren: der Kaiſer ließ 
fie forgfältig aufſuchen und hinrichten. Da er dieſe heimlis 
chen Katholiken fürchtete, fah er fich nach Allirten um, zog 
den Hyemen in fein Intereſſe; ließ ihn mwiffen, daß er die 
Ausuͤbung der mahomedanifchen Religion erlaube, und vers 
langte von ihm feldft mahomedanifche Lehrer.‘ ‚Das Vorha⸗ 
ben des Königs wurde befannt; das Volk fand im ganzen 
Reiche auf, die Mönche waren die erften, welche zu den 
Waffen griffen, und befannt machten: man müffe den Koͤ⸗ 
nig vom Throne ſtoßen „und einen Fuͤrſten an ſeinen Platz 
ſtellen, der faͤhig ſey⸗ die Religion zu erhalten und zu ver⸗ 
thetdigen. 

Es gibt keinen Souvergin, ber eine unumſchraͤnktere 
Macht uͤber das Eigenthum und Leben ſeiner Unterthanen 
hätte‘; als der Kaifer von Abyffinien, inzwiſchen feßte er 
ſich in einem. Augenblick in Sefähr, Krone und: Leben. us 
verlieren. Er' ſchickte den mahomedaniſchen Gelehrten, 


\ .J we 


2) Le Grand Suede la. Relation du;P, Lubo, ., 











⸗ 


a} 


den er herbeigerufen hatte, zuruͤck ‚ und feit diefer Zeit iſt 
: die Foptifche. Neligion oder der Eutychiantsmus die 
einzige Religion Abyſſiniens. 


Relation de V’Abyssinie par le p. Lobo Überfegt von 
Le Grand. Suito de cette relation. Lodolf Hist. 
d’Ethiopie L. 3. C.9 — ı3 Telles Hist, d’Ethiop. 
bei Thevenot T. 2. Fol. Nouvelle histoire d’Abyss. 
tirde de Ludolf,; ıamo ä Paris 1684. La Croze, 
Christianisme d’Ethiopie Diefes Wer ift nicht ‚ohne 
Fehler. Was gegen Ludolf gefagt worden iſt, fließt 
die Widerlegung der meiſten Fehler de la Croze’s in 
19. 


Ad alt ert. *) a) ein Frangofe, geboren zu Anfang des 
achten Jahrhunderts. Dieß war das Jahrhundert der Uns 
- wiffenheit und Yinfterniffe, die ſtets fruchtbar an abergläubis 
fehen und beteügerifchen Menfchen find, das Reich der Heucher 
lei. Adalbert mar von ſeiner erften Jugend an ein aus⸗ 
gezeichneter Heuchler ; er rühmte ſich, ein Engel in menſch⸗ 
licher Beftalt habe ihm vom aͤußerſten Ende der Welt Reli⸗ 
quien 'von wunderbarer Heiligkeit gebracht, Kraft derer er ' 
von Gett Alles erhalten könne, was er verlange. Durch 
diefes Mittel gewann er Tas Zutrauen des Volkes, fand 
Eingang in mehrere Häufer, und zog Weiber, und eine 
Menge Bauern in fein Gefolge, welche ihn als einen Mann 
don apoftolifeher Heiligkeit, ; und als großen Wunderthäter 
betrachteten. Alm feine Betruͤgerei auf eine Ehrfurcht erre⸗ 
gende Würde zu ſtuͤtzen, gewann er durch Geld uͤnwiſſende 
Bifchöfe, die ihm gegen alle Regeln bie biſchoͤfliche Weihe 
ertheilten. 


Dieſe neue Wuͤrde floͤßte ihm ſo viel Stolz und Din 
fel ein, daß er’ fich noch über die Apoftel., und Märtyrer 
ſtellte, Kirchen auf ihren Namen einzumeihen vermeigerte, 
und fe nur auf feinen Namen weihen wollte. Er theilte 


*) Achtes Jahrhundert. 
0) Neo Eimigen Adelbert, nad Andern Aldebert.. 


32 Adaidett. 


ſeine Nagel und Haare unter den Poͤbel aus, welcher 
nen die naͤmliche Ehrfurcht, wie den Reliquien des hl. Pe⸗ 
trus erwieß. Er errichtete auf dem Felde, nahe bei Ouel⸗ 
len, kleine Kreuze und Bethaͤuschen, und ließ daſelbſt oͤffent⸗ 
liche Gebete verrichten, fo daß das Volk die alten Kirchen 
verließ, und mit NHintanfeßung der Bifchsfe fich dort vers 
fommmelte. Endlich, wenn das Volk ſich zu feinen Füßen 
legte, um zu beichten, fagte er: Ich Eenne eure Sünden, 
eure ‚geheimften Gedanken find mir befannt, ihr braucher 
nicht zu beichten, eure Sünden find euch nachgelaffen; ges 
bet, der Nachlaffung gewiß, in eure. Haͤuſer. Das Volk 
. fund auf; und entfernte ſich mit voller Zuperficht über die 
Verzeihung feiner Sünden 1). Ä 


Adalbert Hatte feine Lebensbeſchreibung aufgeſetzt. 


Na dem Anfange diefer Schrift, den man ung aufbewahrt 


hat, scheint eg, Daß ſie nichts war, als ein Gewebe von 
Vifionen, Betrügereien und falfchen Wundern. Adalbert 
gibt an, er fey von gemeinen Eltern geboren , aber fehon im 
Mutterleibe von Bott gekroͤnt worden; ehe feine Mutter ihn 

zur Welt gebar, fen es ihr vorgekommen, fie fehe ein Kalb 
aus ihrer rechten Seite hervorfommen, welche, nach Adals 
bert die Gnade, die er durch einen Engel erhalten habe, 
andeutete. Eine andere Schrift Adalbert's ift ein Brief, 
- den er. Jeſu Chriſto zufchrieb, und von dem er behaups 
Rtete, er. fey durch den Hi. Michael vom Himmel gebracht 
worden. Die Auffchrift dieſes Briefe lautet fo: „Im Nas 
„men Gottes. Hier fängt der Brief unferes Herrn J. C. 
„an, welcher zu Jeruſalem herabgefallen, und von dem hl. 


„Erzengel Michael an der Pforte Ephrem gefunden - 


„worden ift: gelefen und abgefchrieben von der Hand eines 


„Peiefters mit Namen Johannes, melcher ihn in die. 
‚Stadt des Feremias gefchidt hat, an einen andern - 
zPriefter, Namens Talafiug, und Talafiug har ihn . 


„geſchickt nach Arabien an einen andern Priefler genannt 
„Leoban, und Leoban hat ihm gefchickt in die Stadt 


1) Bonifae. Epist, 135. 


* 


Adalbert. 33 


„Berſamia, wo er empfangen worden iſt, Son dem Prie⸗ 
„ſter Makarius, welcher ihn auf den Berg des hl. Erz⸗ 
„enges Michael gefchict hat; und ver Brief ift anger 
„Pommern durch einen Engel in. der Stadt Nom auf dem 
„Grabe des Hl, Petrus, mo die Schlüffel des Himmels 
„reihe find, und Die. zwoͤlf Prieſter, welche zu Rom. find, 
haben drei Tage mit Faſten und Beten Tag und Racht 
„dabei gewacht x 

Nach der Kenntniß, welche das Eoneiliun von Nom, - 
gehalten unter Zacharias gegen Adalbert, . von diefem 
Briefe gibt, iſt er der nämliche, welchen Baluz nach einer 
Handſchrift von Tarragona, in feinem Anbange zu. ben , 
Kapitularien der Könige von Frankreich aböruden ließ. 
Er enthält nichts unrechtes aber auch nichts Bemerkens⸗ 
werthes. 
Dieſer unnůtze. Verief, ſo laͤcherlich er bei'm erſten An⸗ 
blicke erſcheint, duͤnkt mir doch mit vieler Geſchicklichkeit 
und auf die, zur Verfuͤhrung des Volkes geeigneteſte Weiſe 
entworfen zu ſeyn. Dieſe Reihe von Engeln, Erzengeln 
und Prieſtern, die ſich einander den Brief uͤberliefern, die 
ihn in verſchiedene Länder, und endlich nach Rom bringen, 
ſtellt ſich mit einem Mahle der Einbildung des Volkes var; 
es fieht die Bewegung der Engel, das Staunen Der Prie⸗ 
ſter, es ſtellt ſich dieſes Spiel ganz lebendig vor, und ent⸗ 
wirft ſich ein unterhaltendes Gemälde, es würde es ſchmer⸗·⸗·— 

zen, wenn der Brief nicht wahr waͤre, und es iſt weit ne 
fernt, einen Betrug zu vermuthen. 

Bir haben auch ein Gebet won Adalbert, welches er 
zum Gebrauche feiner Anhänger verfaßt hatter es hebt fo 
anz „Herr, allmächtiger Gott, Vater unferes Heren 3. €. 
Alpha und Omega, der auf dem hoͤchſten Throne fißt, 
über die Cherubim und Sexaphim, ich bitte und bes . 
ſchwoͤre Di, Engel Uriel, ‚Engel Raguel, Engel Tas _- 
buel, Engel Michael, ‚Engel Inias, Engel Tabuas, 
Engel Sabaoth, Engel Simiel, u. f. m. 1), 





- 
‘ Mn. 


1). Conc. T. 6, p. PIUS en 
Ketzer⸗Lexikon. IL, en: | 


34 Aldalbert. Adamiten. 


Es war im oͤſtlichen Frankeich, wo Adalbert. eine 
fo goftlofe und ausfchweifende Role fpielte. Der bi. 3 os 
nifaciug, welcher als wahrhaft apoftolifcher Mann an der 
Vernichtung diefes Irrthums arbeitete, ließ Adalbert in - 
einem zu Sotffong gehaltenen Eoncil verdammen; dieſer 

aber, flatt fich zu unterwerfen, wurde dadurch noch unters 
nehmender. 

Der hl. Bonifactus wendete fi an den Pabft, wel⸗ 
cher ein Concilium verfammelte, worin Adalbert vers 
dammt wurde. 1) Von diefem Zeitpunkte an- fpricht die 
Geſchichte nichts mehr von Adalbert; nur erfahren wir, 
daß der bl. Bonifacius ihn Auf Befehl des Fürften Earle 
mann und Pipin einfperren lief. 

Die Einfälle der Barbaren in Das roͤmiſche eich hats 
ten die Studien zu Grunde gerichtef, die Neligion allcin 
hatte fie erhalten ; aber die Unordnung wirkte auf die geiſt⸗ 
lichen Studien zurüd. Die Verachtung, welche die Barba⸗ 

ren gegen Künfte und Wiffenfchaften hegten, die Nothwen⸗ 
digfeit, in welcher die Geiftlichen ſehr häufig, ich befanden, 
zur Gewinnung ihres Lebensunterhaltes zu arbeiten, hatten 
die Cleriſei ſehr unwiſſend gemacht; die bekehrten Barbaren 
hatten einen Theil ihres Aberglaubens beibehalten; der Ge⸗ 
ſchmack am Wunderbaren ſiegte uͤber die Liebe zur Wahr⸗ 
heit, wie dieſes immer in den Jahrhunderten der Unwiſſen⸗ 
beit gefchieht. Man verfündete von allen Seiten Mirakel 

Geiftererfcheinungen, die Froͤmmelei glaubte zuweilen 
Fi das Befte der Neligion dergleichen erdichten zu Dürfen, 
und eg war unmöglich, dag nicht der Eigennutz ſolche Beis 
spiele benuͤtzte das Volk zu verfuͤhren, wie Ad albert es 
that. 

Adamiten. Rebe} ie. in ihren Verſammlungen nackt 

erſchienen, wie es Adam und Eva im Stande ber uns 
ſchuld waren 2). 
Es ſcheint Ihrer betſchiedene Arten gegeben zu haben: 





4) Im October 746, oder 748. 
2) Epiphan, Haeres. 5ı. | 


“* 
\ | 
t 








Adamiten. | 35 
1) Carpocrates und mehrere andere Ketzer hatten ges 
lehrt: daß die menſchliche Seele ein Ausfluß der hoͤchſten 


Vernunft ſey, und daß fie von dem Welt ⸗Schoͤpfer in koͤr⸗ 
perliche Organe eingeſchloſſen worden waͤre. 


Dieſe Art, den Menfchen zu befrachten, flößfe ihren - 
.. Schülern eine hohe Meinung von fich felbft, ' große Gerings 

ſchaͤtzung des Lebens, und einen heftigen Haß gegen den 
Welt⸗Schoͤpfer ein; jedes hielt eg für Sthuldigfeit, die von 
dem Schöpfer gegebenen Geſetze zu uͤbertreten, und zu be 
tweifen, daß er die menfchliche Seele als einen Theil-der 
Gottheit betrachte, und alle Handlungen der mit dem Koͤr⸗ 
per. vereinigten Seele als folche, weldye der Weife und der 
Chriſt für an und für fich gleichgültige Bewegungen anfehe, 
welche die natürliche Würde des Menfchen auf Feine Weife 
beeinfrächtigten. ' 


Carpocrates heftiger. Charaffer, der fehr für diefe . 


Folgerung eingenommen war, machte diefes zum Grundfage, 
auf welchen er feine ganze Moral und Religion begog. 
Cr ſah nichts Gutes und Boͤſes mehr in der Welt; 


achtete fi Adam und Eva gleich, Die im Stande Der Uns. 


fchuld das Gute und Boͤſe nicht erfannten, und hielt.er für 
Schuldigkeit, dieſe Gefinnung dadurch auszudrücken, daß er 
ihre Nadtheit im irdifhen Paradiefe nachahmte; und diefe 
Nacktheit wurde der unterfcheidende Charakter der Secte, 
wovon er dag Haupt wurde. Seine Schüler bildeten die 
Secte der Adamifen. 

Diefe Secte verrichtefe Feine Gebete, und man begreift 
leicht, daß der Grundfag der Gleichgültigkeft der menfchlis 
chen Handlungen, verbunden mit dem Haſſe gegen ben 
Welt s Schöpfer, nach den verfchiedenen Charakteren und 
Temperamenten oft einander entgegengeſetzte, aber dem 
Snrpriruipe der Secte angemeſſene Sitten hervorbringen 
muͤßte. - Die einen wahren keuſch, während andere ſich al⸗ 
len Arten von Ausſchweifungen uͤberließen; und ſie hatten 
tauſend Manieren, euſch oder wollůſti zu ſeyn (1). 





(2) Clem, Alex. L. 3. Strom, p. 31. L. 1. p. 223. Epiph. 
. \ > 3 * Y' x 


m. 


36 - | Adamiten. 


| 2) Beiden. Griechen, Macedoniern und Romern war 
es üblich, das Haupt zu entbloͤßen, und ſich zum Cheile zu 


entfleiven, wenn man in tiefer Erniedrigung, Gunſtbezeu⸗ 


gungen verlangte Plutarch ſagt: Auguſt habe fich, ins 
dem er den Senat befhwor, ihn nicht zur Annahme der 
Dictatur zu zwingen, big zur Nacktheit erniedrigt, 1) Dier 
fer Gebrauch war. wahrfcheinlich zu den Chriften übergegans 
gen, tie man es an dem Beifpiele der befehrten Griechen 
fieht, von welchen Paulus fagt, daß fie den’ Juden ent⸗ 
gegen mit entbloͤßtem Haupte beteten, und prophezeiten. 


Ein eifriger, von tiefer Demuth durchdrungener Chriſt 
mochte dieſe Art zu beten, als den natuͤrlichſten Ausdruck 
der. Gott ſchuldigen Unterwerfung und der innern Huldi—⸗ 
gung, die er der goͤttlichen Majeſtaͤt zollte, anſehen; uͤbri⸗ 
gens haben Adam und Eva in ihrer Unſchuld ſo im irdi⸗ 
ſchen Paradieſe gebetet. Man begrejft leicht, daß man mit 
lebhafter Einbildungskraft und ſchwachem Verſtande aus. der 


Nacktheit im Gebete eine Schuldigkeit machen oder fie mer 


nigſtens als die Goft angenehmfte Urt zu beten anfehen 


- fonnte, Der Menfch, welcher zuerft auf dieſe Gebet » Art 


verfiel, ftieß auf phantafievolle Gemüther, welche ex erhißte, 
und bildete fo eine Secte, welche fih.Adamiten nannte, 
weil fie fich dürch das Beifpfel Adam's und Eva's rechtfer⸗ 
tigte, In der That ſcheint eg, derarfige Adamiten ges 
geben zu haben. Sie legten, nach dem: Berichte des hl, 

Epiphamius, ihre Kleider in dem Vorhofe der Kirche 
ab, gingen hierauf, nackt wie das Kind, fo aus Muttere 
Leib koͤmmt, an ihre Pläge; die geiftlichen Dbern -befanden 

fih, jeder auf dem feinem Nange. zuffändigen Mate, und 
errichteten den Gottesdienſt nackt. Die Sitten dieſer Secte 





Haer. 51. Augs. Haer. 51. Philastr. C. 49. Tsider,. his- 
pal. L. 8. Orig. C. 5. Damascen, c. 51. « Psendo- Hy- 
ron, in Jndic. Haeres, C. 14. no 


1) Alexander ab Alexandro Dierum Geniekiam. L 2. 
© 29 Plutarch, Leben Aus uſtuüs. .. 








Adamiten. 37 - 


waren anfarige untadelhaft, und ſie excoamumizirten ohne 
Verzeihung alle, welche in irgend eine, der Unſchuld, zu 
welcher ſie ſich bekannten, zuwiderlaufende Schwachheit ge⸗ 
fallen waren. Jedoch wurde dieſe Secte bald verdorben. 


3) Als das Moͤnchsleben in Palaͤſtina aufgekommen 
war, ſah man daſelbſt Wunder von Buſe, Armuth und al⸗ 
len chriſtlichen Tugenden. „Einige von den Einſiedlern“ 
ſagt Evagrius, „verfielen auf eine Lebensweiſe, welche | 
„alle Kräfte und alle Geduld der Menfchen. zu überfleigen 
„ſcheint: fie wählten eine ven heißen Sonnenftrahlen auss 
„sefegte Wüfte zur Wohnung; dort gibt eg Männer und 
„Weiber, die ganz nat, mit Ausnahme deffen, was bie 
„Schambaftigfeit gu bedecken gebietet, in allen Jahreszeiten 
vie ſtrengſte Kälte und die heftigfte Hiße verachten ; fie vers 
„ſchmaͤhen ven Gebrauch der Lebensmittel, deren fich andere 
„Menſchen bedienen, und ‚begnügen fich, wie die wilden 
„Thiere zu grafen. Darunter gibt es einige, wiewohl in 
„geringer. Zahl, die, wenn. fie durch Fange Tugendübungen 
„ſich über die Leidenfchaften erhoben haben, in die Städte 
„zuruͤckkehren, fich unter die Menfchenhaufen- miſchen, und 
„ſich den Anfchein geben, die Vernunft verloren zu haben, - 
„um den eitlen Ruhm zu gerachten,. welcher, wie Cafo 
fast, Das Unterkleid iſt, das auch die Weiſeſten zuletzt 


„ablegen“. 


„Sie find ſo gewoͤhnt, „ohne irgend eine Empfindung 
des Vergnügens zu eſſen, daß ſie, wenn es noͤthig iſt, in 
„Gaſthaͤuſern und Schenken eſſen, ohne irgend eine Ruͤck⸗ 
ſicht anf Ort oder die Gegenwaͤrtigen zu nehmen; fie ges 
„hen oft in die Öffentlichen Bäder, und badem fich ohne 
‚‚Unterfhied mit allen Gattungen von Perfonen; fie haben 
jr die Leidenfchaften. fo unterjocht, und die Natur fo befiegt, 
‚daß kein Blick und feine Berührung eine unanftändige 
„Regung in ihnen erwecken kaun. Bei den Männern find 
fie Maͤnner, und ſcheinen bei.den, Frauen Frauen- zu ſeyn: 
‚endlich um Alles mit: wenigen Worren zu fagen, ihre Zur 
„gend befolgt die der Natur entgegenftehenden Gefege, und 
„wenn fie gezwungen ſind, ſich der zum Leben unentbehr⸗ 


33: Albelphus. 


lichſten Dinge zu bebienen, fo nehmen fie niemals mehr, 
„als die Rothwendigkeit erheiſcht“ 1). | 
Diele Menfchen waren zu außerordentlich ‚ und zu febr 
in Achtung, als daß fie nicht Nachahmer gefunden hätten, 
und es iſt möglich, daß eine falfche Nachahmung dieſer Eins 
fiedler Die Nacktheif bei ihren. Nachahmern in Hebung ges 
bracht habe, und dag mit dem Verlaufe Ver Zeit fie ſich 
auf diefen Zug der Achnlichfeit, der ganz geeignet iſt, bie 
Aufmerffamkeit und Wohlthätigfeit des gemeinen Haufens 
auf ſich zu ziehen, beſchraͤnkten 2). 
Die Adamiten kamen im vierzehnfen Jahrhunderte 
wieder zum Vorſchein, ſie ſind mehr bekannt unter dem Nas 
men der Turlupius und artıen Brüder. — Ein Schwärmer, 
Namens Picard, erneuerte auch diefe Secte; deggleichen 
“ gab es unter den Anabaptiſten Adamiten. Siehe die Ars 
titel Ptcard, und Anabaptiſten. | 


Adelphus, © platoniſcher Philoſoph, welcher die Grund⸗ 
fäge rer Gnoſtiker, als Entwicklungen deg Platonismus an⸗ 





nahm. Er brachte mehrere Bücher Ale xander's von Ly⸗ 


bien, und ie vorgeblichen DOffendarungen Zoroaſt er's zus 
fammen, welche er mit den Lehren der Gnoftifer und des 
Platonismus vermifchte, und aus biefem Gemenge efne Art 
Syſtem zufammenfeßfe, womit er viele Leute im dritten 
Sahrhunderte verfilhrte. Auch behauptete er, weit fiefer in 
die Erfenntniß des hoͤchſten Weſens eingedrungen zu feyn, 
ale Plato. Platin, das Haupf der Platonifer, wieder⸗ 
legte ihn in. feinen. Vorlefungen, und fchrieb gegen ihn; 
arena, fchrieb 40 Bücher, um dag Buch Zoftrian’s - 


*) Drittes Jahthundert. 
1) Evagr. P. 4. nach der ueberſetzung des Präſ. Cousin, 
C. er. . 

2) In der That feinen dieſe Einſiedler falſche MRachahmer 
gehabt zu haben, weil der 29te Canon des Concils von 
Laodizia'nicht nur den Laien und Prieſtern, ſondern ſo⸗ 

gar auch den Monchen verbietet, mit den Weibern ſich zu 
baden. | nf j 


— — 


⸗ 
! . 





Aerius. | 39 


zu widerlegen ; Porphyr fchrieb eben fo viele, um zu geis 
gen, daß das Buch des Zoro aſter neu, und durch Adels 
phus und feine Schüler zuſammengetrggen worden ſey. 
Wir haben noch dag Werk Plotin's gegen dieſe rein phi⸗ 
loſophiſchen Gnoſtiker, wie man nach dem Glauben, den 
Plotin ihnen zuſchreibt, urtheilen muß *). 


Aerius war Mönch, hatte ſich auf die Seite ber 
Arianer gefchlagen, und war Freund des Euſtathius. 
Als aber diefer zum Bifchofe von Conftanfinopel er 
wählt worden war, wurde Aerius fein graufamfter Feind. 
Eufiathiug unterließ nichts, wegen bed Vorranges, den 
ihm feine Stelle gab, von feinem Freunde Verzeihung zu 


erhalten, er überhäufte ibn mit Achfungs s und Freunds - 


ſchafts⸗ Bezeugungen, weihte ihn zum Priefler, und übers 
trug ihm die Leitung feines Spitales. Allein er gewann 
ihn nicht. . Aerius Magte und murrte unaufhoͤrlich gegen 
feinen- Bifhof, Euſtathius drohte, fein Anfehen gegen 
ihn zu gebrauchen, um ihm Stillſchweigen aufzulegen. 

Nun griff Aeriug die bifchäfliche Gewalt an, und bes 
hauptete, ein Biſchof habe keinen Vorrang vor dem Prie⸗ 
ſter. Nach diefem erfien Unabhängigkeits s Verfuch beftritt 
Aerius Alles, was dem Euſtathius Zutrauen und bie 
Achtung des Volkes verfchaffte; er verwarf alle Eeremonien 
der Kirche, und Die Feier jener Feſte, bei welchen der Bir 
fchof in Prunf und .mit Auszeichnung erfchien, laͤugnete dag 
Gebet für die’ Verfiordenen, und behauptete, bie Kirdye 
habe feine Gewalt, Faften vorsgufchreiben. a 

Nachdem Aerius dieſen Verbeſſerungs⸗Plan entwors 
fen hatte, verließ er ſein Spital, lehrte ſeine Meinungen, 
und uͤberredete viele Perſonen beiderlei Geſchlechts, welche 


ſich aus der Kirche entfernten, ihm folgten, und die Secte 


der Aerianer bildeten. 
Als man ſie aus allen Kirchen verſtieß, verſammelten 


ſie ſich in Waͤldern, in Hoͤhlen, und auf freiem Felde, wo 


fie zuweilen ganz.mit Schnee bedeckt waren. Aerius lebte 


*) Plontinus L. 18, P. 203. 


42 Ä | Aerius. 
Macht, he. in Bolzug bringen gu laffen, und jene zu ſtraſen, 
welche fie überfreten. x 

Weil jedoch‘ ein einzelnen Bifchof nicht untruͤglich if, fo 
kann er fich binfichtlich der Vollziehung der Gefeße, ‚oder in 
ihrer Sinwendung irren, oder ihnen eine zu große Ausdeh⸗ 
mung geben.‘ Deshalb gibt es ein Tribunal, wo abgeurs 
theilt wird, ob der Biſchof fich nicht irret, wenn er dafuͤr 
hält, daß dieſe oder jene Perfon-dag:Gefeß verleße; oder 
ob er. das Geſetz und feine eigene Gewalt nicht zu weit 
ausdehne. Diefes Tribunal war flet rein kirchlich, und 
konnte ed auch.nicht anders fenn, weil die Kirche eine rein 
religioͤſe Gefelfchaft iſt, deren Gefeße auf die bloß weltlis 
chen. und: bürgerlichen Betheiligungen feinen Bezug baben. 

Da die Verbindung der Kirde mit dem Staate die 
Einrichtung und Wefentheit der Kirche nicht geändert hat, 
ſo iſt es klar, daß die geiftliche und bürgerliche Gewalt 
zwar verfchieden, aber. einander nicht entgegengefegt find. .. 


Das Gebet fürdie Verfiorbenen. 


Wir leſen im zweiten Buche der Machabaͤer, daß es 
ein heiliger und heilſamer Gedanke ſey, fuͤr die Verſtorbe⸗ 
nen zu beten, damit ſie von ihren Suͤnden aufgeloͤßt wer⸗ 
den. 1) Es gibt daher Sünden, welche in der andern 
Welt durch das Gebet der Lebenden nachgelaſſen werden 
koͤnnen. 

Da die Proteſtanten auf dieſen Beweis nicht antworten 
konnten, ſo haben ſie die Canonicitaͤt des zweiten Buches 
der Machabaͤer gelaͤugnet, aber ohne Grund, weil es faſt 
von allen Kirchen durch das Decret Innocens I und 
das vierte Concil von Carthago in die Zahl der canonis 
ſchen Bücher anfgenommen worden iſt. Der Zweifel einiger - 

‚Väter und Particuldrs Kirchen fann der allgemeinen Webers 
einftimmung der andern nicht entgegen geflelt werden. — 
Chriſtus erklärt im Evangelium, daß es gemwiffe Suͤnden 
gebe, die weder in dieſer noch in der andern Welt nachge⸗ 


— 0.00 Pa ’ 
_ 1) L. 2. Machab. C. 12. V. 46. 


\ ' 
. | Aierius. Aeſchines. 43 


laſſen werden. Hieraus ‚haben die Väter geſchloſſen, daß 
gewiſſe Suͤnden in der andern Welt nachgelaſſen wuͤrden, 
- und Daß man für die Verſtorbenen beten muͤſſe. 

Das Gebet für die Verfiorbenen war in ber Kirche 
immer üblich: vom zweiten Jahrhunderte au ward es ges 
richtet, und Tertulian feßt es in die Zahl der apoſtoli⸗ 
fchen Ueberlieferungen. Diefe Gebete für die Berfiorbenen 
wurden nicht bloß zum Trofte für die Lebenden, oder zur 
Dankfagung für die Gnaden, welche Goft den Todten ers . 
wiefen hatte, verrichtet, es gefchah, um Linderung ihrer 
Peinen zu erwirken 1). 


Die Andacht fuͤr die Verſtorbenen nahm gegen das 


Ende des zehnten und Anfangs des eilften Jahrhunderts 
. durd) den bl. Odilo, und den Orden von Elugny fehr 
zu 2). 

Diefes Gebet tft dee chriftlichen Liebe angemeffen. Uns 
fere Liebe zu Chriſtus muß ung mit feinem ganzen Leibe 
verknuͤpfen, und ung für das Wohl wie dag Wehe feiner 
Glieder Theilnahme einfloͤßen. So wie wir num an der 
Herrlichkeit der Helligen Antheil nehmen müffen, indem 
wir ung über ihre Siege und Seligfeit erfreuen, fo müffen 
wir auch die Leiden der Vollendeten zu Herzen nehmen, und 
fuͤr ſie beten. 

Der Irrthum des Aerius uͤber die Feier der Feſte 
und die Ceremonien wurde zum Theile von den Proteſtan⸗ 
ten, vorgüglih den Presbpterianern, einigen Anabaptiften 
und endlich den Dudfern erneuert. Wir werden in biefen 
Artikeln darauf zuruͤckkommen. 


Aeſchines war en Empirifer von Athen, und 
folgte den Irrthuͤmern ber Rontanifien. Er‘ lehtte, die 


1) Turtul. de Monogam. C. Io. agnet de Cura pro 
Mortuis, Oper. T. 6. p. 316. Serm. 32. De Verbis 
‘> Apost, n, 172:C, 2. Chrysost Homil. in Ep- ad Philip. 
gegen dad Ende, 
2) Mabillon, Praef. in Sext. Saec. Benedietinum p: 449. 
n. 58. 


Er 


24 0, Betind: Abshvniten 


Apoſtel ſeyen durch den hl. Geiſt, aber nicht duch ben Par 


raklet inſpircirt worden; Der verfprochene Paraklet habe 


durch den Mund Montanis mehrere und wichtigere Dinge 


geſprochen, als das Evangelium 1). 


tikel. 


Agaperen *), Diefes Wort bedeutet Perſonen, die ſich 
lieben. Man gab. diefen Namen einem Zweige der Gnoſti⸗ 


ker gegen dag Ende des vierten Jahrhunderts J. 395. Der 


bl. Hieronymus iſt der Meinung, dieſe Secten s Art fey 
vorzuͤglich aus Frauen beſtanden, welche junge Leute an ſich 
zogen, und fie lehrten, fuͤr reine Gewiſſen gaͤbe es nichts 
Unreines. Vielleicht erhielt auch dieſe gnoſtiſche Ahart ih⸗ 
ren Namen von einem Weibe, Namens Agape, die un— 
terrichtet von einem gewiſſen Markus, viele vornehme 


Aetius. Haupt der Anomaͤer. Siehe dielen Ar⸗ 


Frauen Spaniens verfuͤhrte. Einer der Lehrſaͤtze der Ag a⸗ 


peten war ehrer falſch zu alien, als das 3 Gehelnniß 


| dieſer Secte zu offenbaren 2). 


Agarenier *x«). Dieſen Namen gab man chriſten, 
die in der Mitte des ſiebenten Jahrhunderts, dem Evange⸗ 
lium entſagten, um dem Koran zu folgen. Sie laͤugneten 
die Dreieinigkeit, und behaupteten: Gott habe keinen Sohn, 
weil Er keine Frau habe. Dieſe abtruͤnnigen Chriſten wur⸗ 
den Agarenier genannt, weil fie die Religion Mah o⸗ 


. met’s ımd der Araber annahmen, weiche von. Sf mael, 


bem Sohne der Agar , abſtammten 3). 


Agioni fen Hk), Eine Secte unzuͤchtiger Menſchen, 


die die Ehe ung Keufchheit, welche fie als eine Eingebung 


des böfen Grundweſens anſahen, verwarfen. Sie degingen 


*) Viertes Jahrhundert. — — 
*5) Giebentes Jahrhundert. — | 


**) Siebented Jahrhundert. — 


ı) Ittigiws de. Haeres. p. 243. Hofmann Lexicon, 
Stokmann Lexicon. 
2) August. Haeres 70. Stokmenn Lexicon. - 
3) Stokmann Lexicon, 








Agnoeten. 45 


alle Arten von Schandthaten, erſchlenen gegen das Jahr 694 
unter Juftintan IL und Pabſt Sergius I. Im Conci⸗ 
linm von Gangres wurden ſie verdammt 1). 


Agnveten *). Dieſck Name bedeutet Unwiſſende. 
Man gab ihn 1) den Schuͤlern des Theophron, welche 
gegen das Ende des vierten Jahrhunderts behaupteten: daß 
Gott nicht Alles erkenne, ſondern noch Kenntniſſe erlange. 
Dieſer Irrthum iſt abgeſchmackt. Denn es iſt offenbar, daß 
das nothwendige Weſen eine unendliche Erkenntniß habe. 
Die einzige Schmwierigfeit gegen Die Allwiſſenheit Gottes 
fehreibt fi) von der: Freiheit herr Die Soreinianer has ' 
ben diefen Irrthum erneuert. Siehe Diefen Artikel. 2) gibt 

. man den Namen Agnoeten jenen, weilche behauptet ha; 
ben: Jeſus Chriſtus habe nicht Alles gewußt; der Tag 
Des Gerichts und der Ort, wo Lazarus begraben lag, 
ſeyen Ihm unbekannt geweſen. | 

- Die Irrthuͤmer des Neſtorius und Eutyches hate 

ten unendlich viele Fragen über die Natur Jefu, über feine 
Menfchheit und Gottheit, über die Art, wie fie vereiniger 
feyen, und die Wirkungen diefer Vereinigung erzeugt. The⸗ 
‚ miftius,"Diefon von Alexandrien, unterfuchte, ob nach 
diefer Vereinigung, Jeſus, in dem nır Eine Perfon fen, 
etwas nicht- gewußt habe? und legte. diefe Frage dem Ti⸗ 
mothaͤus, Biſchof von Alexandrien vor, welcher ihm ants 
wortete: Jeſu ſey nichts unbekannt geweſen. Themiſtius 
glaubte das Gegentheil in der hl. Schrift zu finden, weil 
Jeſus ſelbſt ſagte: weder Die Engel noch der Sohn, fons 
dern der Vater allein wifle den Tag des Gerichts. Es 
fcheint nicht, daß die Agnoeten diefe Unmwiffenheif nur der 
Seele Jefu,. Chrifti und nicht feiner Gottheit beigelet 
haben; dieſe unterſcheidung moͤgen ſie gar nicht gemacht 
haben. 

Da ſie nur Eine Perſon in Jefus erkannten, und die⸗ 

ſer geſagt hatte „Er wiſſe den Tag des Gerichts nicht, ſo 


— ee 


*) Viertes gehrhundert. | 
ı) Stokmann Lexicon, er, 


a 


46 a Agnoeten. 


ſchloſſen fie daraus, Jeſus habe etwas nicht gewußt: es 
ſcheint ſohin, daß Bellarmin ſich über die Agnoeten 


geirrt habe 1). 


Wenn. man über ben Urſſenng dieſer Secte nachdenkt, 


und die Schriftſteller, die von ihnen geſchrieben, liest: fo 
ift es leicht, fich hiervon zu übeggeugen 2), 

Der Irrthum der Agnoeten hat nur bie Stelle, in 
weicher Jeſus fage: des Menſchen Sohn wiffe den Tag 
des Gerichts nicht, zum Grunde Diefe Stelle war früher 
der Gegenfland eines: großen Streites zwiſchen den Aria⸗ 


nern und Katholiken gewefen, teil die erflern daraus 


fehloffen, Jeſus fen nicht Gott. Einige Väter, um diefer 


Scwierigteit zu begegnen, haben gefagf: der Menfd Fer 
fus miffe den Tag des Gerichted nicht; nicht daß fie ges 
glaubt hätten, Jeſus wife ald Menich etwas nicht, meil 


Kraft der hypoftatifchen Vereinigung alle Schäge der Weiss  - 


heit und Wiffenfchaften in Ihm waren, fondern nur, - daß 
die Menfchheit allein abgeföndert von der Gottheit bes 
trachtet, nicht durch ſch und ihre Einſicht dieſe Kenntniß 
habe 3). 


Andere Vaͤter ‚haben. geglaubt y der Sohn Gottes habe 


fagen wollen: Er ‚habe hierüber Feine Erfahrungs» Wiffens 
-fchaft. 4). Andere endlich fagen, daß Jeſus in einem ges 
wiſſen Sinn dag nicht wife, was Er ung zu entdeden für 
ungeeignet erachfe; Er war für ung unmiffend, und wollte, 
daß wir es nicht wiſſen ſollten. 

Die Apoſtel hatten Jeſus gefragt: wann das Ende 
der Welt kommen, und welche Zeichen ſolches ankündigen 
wuͤrden? Auf den zweiten Theil der Frage gab Er eine 
ganz befriebigende Antwort, weil dieſe Zeichen gekannt wer⸗ 


1) Bellarmin de Christ. L. 4, GT 
2) Leontius de Sect. act. prima, Jsidor. T. 3. Origincs 
C. 4 Damascen. 


3) Athan. Serm. contra Arian. Ambros, in Luc. L, 8. 


Gregor, Nazian. Or. etc, 
4) Orig, in Matth, Epiph, Haer. 69, 


Agnoeten. Agricola. | | 47 


den ſollten; hinſichtlich der Stunde und des beſtimmten Ta⸗ 
ges ſagte Er ihnen aber, dieß ſeyen Dinge, deren Kennt« 
niß der Vater ſich vorbehalten habe, und die Er den Men⸗ 
ſchen nicht offenbaren wolle, weder durch ſich ſelbſt, noch 
durd) die Engel, noch durch die Propheten, noch Durch den 
Sohn, mit Einen Worte, dag Er durch dieſes unerforſch⸗ 
liche Geheimniß ung in der Wachſamkeit, und einer beſtaͤn⸗ 
digen Erwartung erhalten ‚und in uns eine eitle Neu⸗ 
gierde, und zum Heile unnüge Nachforſchungen unterdruͤcken 
wolle 1). 

Frobeſius glaubt, daß die Menſchheit oder die Seele 
Je ſu den Tag des Gerichts wirklich nicht wiſſe. Dieſe 
Erklaͤrung iſt der Meinung der Vaͤter entgegen, jedoch keine 
Ketzerei. Die menſchliche Seele Jeſu, obgleich hypoſtatiſch 
mit dem Worte vereinigt, iſt nicht unendlich; ſie kann in 
Kraft dieſer Vereinigung, Alles was ſie verlangt, wiſſen; 
da fie aber nicht unendlich iſt, fo ſieht fie nicht Alles auf eins 
mal, folglich konnte Jeſus zur Zeit, als Er feinen Apo⸗ 
ſteln ſagte: Er wiſſe den Tag des Gerichts nicht, in dem 
Augenblicke auf die Zeit nicht aufmerkſam geweſen ſeyn, wo 

die Welt aufhoͤrte 2). 


Agoniceliten. Die Benennung jener, welche be⸗ 
haupteten: man muͤſſe ftehend beten, und es ſey aber⸗ 
glaͤubiſch, auf den Knien ſein Gebet zu verrichten 3). 


Agricola *). (Johann Eisleb) ſogenannt, weil 
er von Eisleben in der Grafſchaft Mansfeld gebuͤrtig 
war, Landsmann und Zeitgenoſſe Luther's, war auch ſein 


*) Sechs zehntes Jahrhundert. 

1) Orig. Chrys. August. L. 8. quaest. 61, L. 1. De trin, 
C. ı2. De Genesi contra Maur. C. 23. Aestius in 
loc. diff, Script. p. 442. in lib. 5, Sent. dist. 14 et 3. 
Calmet, sur: S. Matih, et S. Marc. 0 24 et 13. Nat, 
Alex. in Saec. 6. Dissert, 7. 

2) Frobes. instit. Theolog. L. 3. & ai. 


5) Stokmann. Lexicon, 


- — 


48 Agripinianer. 
Schuͤler. Er behauptete anfangs die Meinungen Lukheris 


mit. vielem Eifer, entfagfe aber fpäfer benfelben, und wurde 
Luther's Gegner. 

Nach tauſendmaligen Veränderungen in feiner Lehre 
und feinem Glauben, nach faufendfältigem Widerrufen und 
eben fo vielen Ruͤckfaͤllen erneuerte er einen Irrthum, wel» 
chen Luther aufzugeben gezwungen war, deſſen Folgeruns 
gen aber jener weiter trieb, und Häuptling der Secte der 
Anomdäaner wurde. Luther hatte Helebit: daß wir 


durch den Glauben gerechtfertigt. würden, und Die, Hufen 


maͤaner, d. h. Geſetzloſe. 


Werke zur Seligkeit nicht nothwendig wären. Agricola 


ſchloß aus dieſem Grundſatze, Daß, wenn der Menſch den 


Glauben habe, es fuͤr ihn kein Geſetz mehr gebe, weil die⸗ 
ſes ſowohl zu ſeiner Verbeſſerung, als zu ſeiner Leitung, 
nichts nuͤtze ſey; indem, wenn er gerecht iſt durch den Glau⸗ 
ben, die Werke unnoͤthig ſeyen, und wenn er nicht gerecht 
iſt, er es werde, wenn er die Uebung des Glaubens ers 


wecke. Agricola wollte daher, daß man nicht das evan⸗ 


geliſche Geſetz, ſondern nur das Evangelium predige, daß 
man die Lehren, die zum Glauben führen, und nicht die 
Regeln, die das Betragen leiten, verfündigen mäffe 1). > . 

Luther erhob fich gegen diefe. Lehre. Agricola wi⸗ 
derrief mehrmalen, nabm aber eben fo oft den Widerruf 
zurüch ‚Weit Luther feinen Grundfägen über die Nechtfers 


tigung nicht entſagen wollte, und fie mit Agricola ans 
nahm, konnte er ihn weder gründlich widerlegen, noch ihm 


feinen Irrthum benehmen. Denn die Folgerungen Agris 
cola’s" ſtanden augenſcheinlich mit Luther's Grundſaͤtzen 
uͤber die Rechtfertigung in Verbindung. Da Agricola jede 
Art von Geſetz verwarf, ſo nannte man ſeine Schüler Anos 


* 


Agripinianer. Schuͤler Agrippass, Biſchofs von 
Karthago, welche dlejenigen wieder tauften, ſo von den 


1) Stokmann Lexie. Seckendorf Historia Luth. L. 3. 
$- 82. 


aidanenſer. 46 
Ketzern waren getauft worden. (Sieh den Artikel Wie 
dertaufe der Ketzer.) 


Albanenſer *). Secte des achten Jahrhunderts; von 
dem Orte ihrer Entſtehung, Albanien, alfo genannt 1). 
Eie behaupteten: alles Schwoͤren ſey verboten, laͤugneten 
die Erbſuͤnde, die Wirkſamkeit der Sacramente und den 
freien Willen, verwarfen die Ohrenbeicht als unnuͤtz, und 
wollten die Excommunication nicht haben. Man ſagt von 
ihnen, ſie haͤtten die Welt fuͤr ewig gehalten, und die See⸗ 
lenwanderung gelehrt. Sie ſcheinen zwei ewige und entge⸗ 
gengeſetze Grundweſen angenommen, und die Gottheit Jeſu 
gelaͤugnet zu haben. Sie verwarfen den Eheſtand. 

Dieſem nach waren die Albanenſer ein Zweig der 
Manichaͤer, ber nach feiner Erloͤſchung im Morgenlande, 
fi) in Albanten erneuert hatte. Dieſe Sectirer verbrei⸗ 
seten fich allenthalben, und aller Orten fanden fie Schüler, 
welche wieder Secten bildeten. In grantteich gab es 
ihrer an unzaͤhlbaren Orten. 


Damals herrſchte eine tiefe und faſt allgemeine Unwiſ⸗ 
ſenheit. Die Geiſtlichkeit zumal war ſehr unwiſſend, und 
folglich wenig regelmaͤßig; denn es iſt nicht zu glauben, daß 
eine unwiſſende Geißlichfeit lange gut gefittet ſeyn koͤnne: 
Das Naͤmliche gilt son dem Volke. Diefe Reſte der Mani⸗ 
chaͤer, fo verbreitet duch Europa, waren felbft fehr un⸗ 
wiſſend; fie verfuͤhrten das Wolf durch einen Anſtrich don 
Megelmäßigkeit in ihren Sitten und Betragen; ſie fchrieen 
gegen die Migbräuce und Unorbnungen bes Clerus; durch - 
dieſen Kunſtgriff läßt fich ein unwiſſendes Wolf immer vers 
führen. 

Dieſer Unmwiffenheit von Bol md Clerus meß man 1 bie 
reißenden. Fortſchritte dieſer Secten gufc;reiben, welche ſeit 
dem achten, Jahrhunderte Europa uͤberſchwemmten, und 
jene. fo langwierigen and blutigen Kriege entjünbeten, die 


*) Achtes Zahrhundert. 
1) Stockmann Lexicon. Sander Baron, 
Ketzer⸗Lexikon. TI. 


N 


58 Ä ulbigenfer: 


erft im ſiebenzehnten Jahrhunderte ſich endigten. Man fehe 
die Artifel Bogomilen, Tankhelin, Peter von 
Bruizs, Arnold von. Breffia, Albigenfer, Wal 
denfer, Stadinghs, Kaputztraͤger, Begnarden, 
| Fratricellen, Wiclef, Huſſiten, Luther, An a⸗ 
baptiſten, Reformation. | 


Albigenfer. Manichaͤer, 1 welche Langue dok 
am Ende des zwoͤlfter Jahrhunderts beunruhigten. 
Die Ketzerei der Paulicianer oder Manichaͤer von 
Bulgarien war von einem alten Weibe, welches viele 
Canoniker von Orleans verfuͤhrt hatte, nach Frankreich 
gebracht worden. Andere Manichaͤer, ausgebreitet in den 
mittaͤglichen Provinzen Frankreichs, haften ihre Irrthuͤ⸗ 
mer dahin gebracht. Die Strenge, womit man fie behan⸗ 
deite, und die genauen Nachforfchungen, bie man über fie 
anftellte, machten die Keber borfichfigen ‚ kounten aber die 

Ketzerei nicht ausrotten. 

Ungeachtet der Anſtrengungen zur Wiedberherſtellung der 
Studien und Zucht in Frankreich, waren Unwiſſenheit 
und Regelloſigkeit der Sitten ausnehmend groß; ſelbſt bet 
der Geiſtlichkeit; die geiſtlichen Aemter wurden ohne Sitten 
und ohne Faͤhigkeit verwaltet; Wucher war allgemein, und 
in vielen Kirchen war’ Alles feil, Die Sacramente wie die 
Kirchen» Pfeünden, hohe und niebere Geiftlichkeit, die Cas 
nonifer und ſelbſt die Bischöfe verheiratheten fich Sffentlich, 
1) Bei den Laien wer nichts ald Mord, ‚Raub: und Unters 

druͤckung. Die Großen bemächtigten. ſich der Benefizien, vers 
ſchenkten, berfauften, ‚ oder vermachten ſie ſogar in Zeſta⸗ 
menten 2). | 

Die Geiftlichkeit war der Gegenſtand der Verachtung 

‚bei dem Rolle wie bei den: höheren: Staͤnden. Die Mas 
nichder, welche einen ımverföhnlichen Haß gegen die Geiſt; 
lichkeit, und ein brennendes ‚Verlangen hegten, füch wegen 


— 22 won um 


ı) Gallia Christ, T. 2. p- 19. Variec. mwpendicen p. 44, 
2) Hist. lit. de —R Be. \ J And! 2 ur “ 


. .. f 
unit. “oA 





_ Albigenfer. 51 


der Haͤrte, mit der fie waren behandelt worden, zu. rächen, 
benüßten biefe Stimmung, um Alles, was Letztern Achtung 
verfchaffte, zu beſtreiten: zuerft machten fie fih an die Cars - 
‚eramente und die Kirchen sCeremonien, behaupteten dann, 
man müffe feinen. Behnd-geben, und verdammten alle Geift: 
lichen, welche Grundſtuͤcke befagen. Das unwiſſende Volk 
war nur durch die Furcht vor Kirchen⸗Strafen in der Uns 
terwerfung gegen die Geiftlichen erhalten worden; jegt lieh 
es den Einflüfferiimgen ber Manichäer fehr gerne dag 
Ohr, und ging von ber Verachtung der Kirchendiener zu jes 
ner ihrer‘ Lehre, der Keremonien, und der von ihnen ges 
fpendeten Sacramente über. - = 
- Die Manihäer, im Begenfheile verbammten die 
Neichthuͤmer und vegellofen Sitten der Clerifei, jügelten 
ihre Macht, waren felbft arm, trugen ein regelmäßiges Bes 
fragen zur Schau, und wurden bald wie Apoſtel angefehen. 
Ploͤtzlich brach die manichäifche Ketzerei in Frankreich aus; 
fie hatte in derſchiedenen Provinzen eine Menge Anhänger 
und wurde von vielen Großen begünftigek, 'niejche Kirchen; 
Güter an fich geriffen haften, und von den Concikien vers 
urtheilt worden waren, ‚die angemaßten Güter unter Strafe 
der Ercommunication herauszugeben. Auf diefe Weife wur— 
den die Manich aͤer bald eine fürchtbare Secte. Ä 
Die Paͤbſte ſchickten in Die mittaͤgigen Provinzen Frank—⸗ 
reichs Legaten, um die Fortſchritte dieſes Irrthums aufs 
zuhalten: der hl. Bernhard ging dahin, und bekehrte viele 
Ketzer; allein da er ſeine Kenntniſſe, Talente, und ſeinen 
Eifer der. Geiſtlichkeit nicht mittheilte, ſo gewann nach ſei⸗ 
ner Abreiſe die Ketzerei neue Kraft .. 
Die Biſchoͤfe und einige Herrn der Provinz verſammel⸗ 
ten ſich zu Lombers, wo die Ketzer von den Einwohnern, 
worunter mehrere Edelleute waren, Schuß gefunden hatten: 
die’ Bifchöfe widerlegfen die Haͤuptlinge der Keger, welche 


* 


8 





* 
sah a - ., 


1) Hist. de Languedoc T, 2, L, 17. p. 547. T.%. L. 
19.9.2: : 2 Fr 
. _ 4 * 





52 \ ‚Ufbigenfer. 


überführt, dag fie die Irrthuͤmer der Manichaͤer erneuer⸗ 
ten, verdammt wurden. 

Die Verdammung dieſer Secticer hinderfe nicht , daß 
fie in Provence, Burgund und Flandern Pröfeliten 
machten, wo fie unter ben Benennungen: Pozelikaner, 
Publikaner, Gute Leute ıc. befannf wurden... 

Die Erzbiſchoͤfe von Narbonne und Lyon liefen ef 





nige ergreifen, und alle, die fich nicht befehren wollten, 


wurden lebendig verbrannt 1). 


Einige Jahre darnach vermehrten ſich dieſe aher ſo 
außerordentlich in Languedoc, daß die Koͤnige von Eng⸗ 
land und Frankreich die gelehrteſten Praͤlaten ihrer Staa⸗ 
ten zur Vertheidigung der Wahrheit und Religion abſchick⸗ 
ten. Sie geboten den Fuͤrſten, ihren Vafalen, den Praͤſa⸗ 
ten, und dem Legaten, welchen der Pabft zur Bekehrung 
der Ketzer abſenden wuͤrde, mit gewaffneter Hand und fonft 
allem Noͤthigen beizuſtehen. 

Der Legat und die Biſchoͤfe zogen mitten unter dem 
befshimpfenden Gefchrel des Poͤbels in Toulouſe ein, wel⸗ 
cher fie keck Ketzer, Abtrünnige,. Heuchler u. f. w. nannte. 
Inzwifchen predigte einer von den Biſchoͤfen, und widerlegte 
ihre Irrthuͤmer ſo gruͤndlich, daß die Ketzer, eingeſchuͤchtert 
durch die Stärke feiner Gründe, und die Furcht vor dem 
Grafen zu Touloufe, nicht mehr wagten, ſich zu zeigen, 
oder öffentlich su reden. 


Der Legat begnůgte ſich nicht mit diefen Vortheilen, da 
er diefer, dem Geifte der Neligion: fo angemeffenen Methode 
nicht ganz verfraufe,. ftellte. er zur Entdeckung der Ketzer 
Unferfuchungen an, und nahm allen Katholiken bag. eidliche 
Verfprechen ab, alle ihnen befannte Keger, und beren Bes 
ſchuͤtzer anzuzeigen. 

Unter den Angeklagten befanb ſich einer, Namens Pe⸗ 
ter Mauran, ein reicher Mann, welchen man fir den 
Hauptketzer hielt. Wan. vermochte ihn durch Liebkoſungen 


—N—— — 
1) Hist. de Languedoe 7 T, 3, pP. 4. Joh! 1178. 











Albignfer. . 33 
und Verſprekchen, ſich vor dem Legaten zu Relfen. Bei'm 
Verhoͤre erklärte er, daß-das. von dem Prieſter geiveihte 
Brod der Leib Jefu Chriſti nicht fey.: Die Miffiondre 
fragten ihn. nichts. weiter; fie fianden auf und konnten fich 
nicht erwehren, über die vernommene Sotteslaͤſterung, und 


Das Ungluͤck defien, ver fie ausgefprochen. hatte, Tpednen - 
zu vergießen. 


auran wurde als Ketzer erklaͤrt, dem Grafen von 
Toulouſe uͤbergeben, der ihn einkerkerte. Alle feine Guͤter 
wurden eingezogen, und feine Schloͤſſer geſchleift. Nun vers 
fprach Peter Mauran fich zu befehren, und feine Irr⸗ 
thuͤmer abzuſchwoͤren. Er ward aus dem Gefängniffe her, 
vor geführt, geigte fich im bloßen Unterfleide nackt vor dem 
Volke, warf fi dem Legaten und deſſen Eollegen zu Für 
Gen; bat unt Gnade, erfannte und ſchwur feine Irrthuͤmer 
ab, und verfprach, fich alfen Anorbnungen des Legaten zu 
unterwerfen. Des andern Tags begaben fich der- Bifchof von 
Touloufe und der Abt von St. Serntn in das Ger 
fängnid, um Peter Mauran abzuholen, welcher nadt . 
und baarfuß herausgeführt wurde. er Bifhof und ber 
Abt. peitfchten ihn unterwegs von Zeit zu Zeit mit Rus 
then, und brachten ihn an die Stufen des Altars, wo er 
ſich nieberwarf, zu den Fuͤßen des Legaten, und von Neuem 
ſeinen Itrthuͤnern entſagte. Man zog ſeine Guͤter ein, und 
legte ihm auf, innerhalb vierzig Tagen nach Jeruſalem zu 
ziehen, und daſelbſt drei Jahre lang den Armen auüfzuwar⸗ 
‚tn, mit dem Verfprechen: ihm bei: feiner Rückkehr feine 
Güter wieder zuzuſtellen, mit Ausnahme der Schloͤſſer, wel⸗ 
che zum Andenlen an feine Treuloſigkeit gefchleift bleiben 
folten. Ueberdieß wurde er zu einer Strafe von fünfhuns 
dert Pfund ſchwer Silber an den Grafen von Touloufe, 
feinen Herrn, zur Herausgabe der Kirchenguͤter, die er an 
ſich gezogen hätte, zur Wiedererflattung der Zinfen, die er 
unrechtmäßig..eingetrieben, und zur Verguͤtung des Schar 
dens, den er den Armen zugefuͤgt baͤtte, verurtheilt 1). 





1) Bist, de Languedoc T: sı L 19. p. 48. 


54 . Albigenſer. 
Das war Peter Mannan,. diefer ſo heftige Feind 


der Geiſtlichkeit, dieſer große. Eiferer für die Reformation 


,Man entdeckte noch ‚einige andere vorjuͤgliche Ketzer, 
die, des Manichaͤi smus uͤberfuͤhrt, mit den Banne bes 


legt wurden. Dieß war die ganze Frucht der: erſten ‚gegen 


die Keger ausgeſandten Miffion 1). ' 

Die Großen des Landes waren damals durch; aunnere 
Feindſeligkeiten geſpalten; Roger, Vicomte von Alby be 
guͤnſtigte die Ketzer, weil er bei ihnen Unterſtuͤtzung gegen 


‚den Grafen Raimund V. von Coulouſe, der ihr ents 


fdjtebener, Gegner war, zu finden hoffte. . Sie befeſtigten 
ſich in verſchiedenen Plaͤtzen von Roger's Beſitzungen und 
Innocenz II, unterrichtet von ihrem Wachsthume, ſchickte 
Heinrich, Abt von Clairvaux, ber eben zur Cardinals⸗ 
Würde und dem. Bisthume von Ylbano.war erhoben mots 
den,. und zwei Sahre früher, unfer Der Oberleitung des 
Cardinals Chryſoganus, bei der Miſſion angeſtellt ges 
weſen war, als feinen Legaten nach Languedoc; Hern⸗ 
rich bewog durch ſeine eindringende Beredſamkeit eine be⸗ 
thaͤchtliche Anzahl Katholiken zu ben Waffen zu greifen, 
und ihm zu folgen. Aus diefen Katholiken bildete er einen | 
Heerhaufen, rückte gegen die Befisungen des Vicomte R os 


ger an, befngerte und nahm. das Schloß von Lavaur. 


Hier war der Haupffig der Keber, -und zwei der Häupts 
linge, die man im Schloffe gefangen nahm, befchrten ſich. 
Der Legat führte hierauf fein Heer nad, Gas cogn e, wo 
er, ſowohl in Kraft feiner Predigten, als Durch Die Furcht 
vor Waffengewalt, die Meuterer sur Ordnung brachte. 
Nach diefem Feldzuge gegen bie Reber berief der Cardinal⸗ 
Legat Concitien; um die Angelegenheiten der Kuche zu ord⸗ 
nen 2). 


Kaum aber hatte der Cardinal Bein rich feine Kriegs⸗ 
unternehmung eingeſtellt, als die Voͤlker, welche die Furcht 
nun nicht mehr elgekte, ben verführerifchen ‚Einfläfterungen 


r 


1) Hist. de Languedoc. T. 2, L. 19, 


2) Hist, de. Languedoc T. 3. p. 57. W 


Abbigenfer: | 95 


der Manichder von Neuem Gehoͤr gaben, und der Irr⸗ 
thum mit verjuͤngter Kraft auftrat 1). 


Der Pabſt ertheilte jetzt zwoͤlf ciſteritenſern Aebten den 


Auftrag, bie Fortſchritte der Ketzerei durch Predigten 
aufzuhalten. Allein die Kriege, ſo die Fuͤrſten veruneinig⸗ 
ten, die Unwiſſenheit des Clerus, die Zerwuͤrfniſſe ver 


Miſſionaͤre ſelbſt mit den Biſchoͤfen machten, daß die Miſ⸗ 


ſtonen gegen die Ketzer wenig Nutzen brachten. Dieſe go⸗ 
gen vielmehr aus einem ſolchen Zuſtande der Verwirrung 
alle Vortheile, verkuͤndeten ihre Lehre oͤffentlich, und ver⸗ 
lockten eine Menge Adeliger und Herren. Man ſah dieſe 
Ketzer mit gewaffneter Hand Biſchöfe, Prieſter und Moͤn⸗ 
che verjagen, die Kloͤſter verwuͤſten, und die Kirchen nieder⸗ 
reißen. Die Miſſionaͤre mußten daher vor Allem darauf 
bedacht nehmen, die inneren. Kriege, welche Languedok 
nerheerten, zu beendigen, und die Fürften miteinander aus⸗ 
zuſoͤhnen, auf daß fie ie ibre Kriegsmacht gegen. die Keßer 
wendeten. 


Der Graf Raimund VI. von: Touloufe, Sohn des 
1194 verſtorbenen Raimund V. trat nicht in die Fußſta⸗ 


pfen ſeines fuͤr dem katholiſchen Glauben ruͤhmlich eifernden 
Vaters, ſchlug den angetragenen Frieden aus, und ertheilte 
den Albigenſern offenen Schutz; er wurde daher von der 
Kirchengemeinſchaft ausgeſchloſſen, endlich zum Frieden und 
dem Verſprechen genoͤthiget, die Feinde, der Kirche nicht 


mehr zu beguͤnſtigen „ſondern fie zu bekriegen. Allein der 


Grgf betrug fich in der Kolge nicht auf eine dem Eifer der 


Miffiondre angemeffene Weife, und wurde von Peter von. 
Caftelnau, oder Chateaumeuf, Ciſterzienſer und Le⸗ 
gaten des heiligen Stuhles foͤrmlich mit dem Lirchendanne 


belegt. 
Bald darauf wurde dieſer Legat, als er. eben bon einer 


Unferredung mit dem Grafen von Touloufe nebſt anderen . 


Miſſtonaͤren zuruͤckkehrte, am Ufer der Rhone, bei einer 


Vorſtadt von Arles (1208), gemeucelt, Der Habt, ben 


- 


yı "Hist, de Languedoe r. 3. p. 57. wehe 4504. 


56 | albigenfer. 


Grafen don Tonloufe nicht ohne Wahrſcheinlichkeit bearg | 
wohnend, an dieſem Meuchelmorde Antheil genommen zu 
haben, ercommunicirfe ihn von Neuem, belegte feine Läns 

‚ der mit dem Interdict, und entband,feine Unterthanen des 
Eines der Treue, weil man bem feine Treue ſchutdi fey, 
welcher Gott ſolche nicht hielte. 


Der Pabſt berichtete dieſe Excommunication dem 8% 
nige, Philipp Auguft vom Frankreich, mit. den Ev 
mahnen an ihn und an ſeine Großen, gegen: bie Albigens 
fer, und den Grafen von Touloufe nebf- feinen Anhän⸗ 
gern einen Kreuzzug zu unternehmen. 


Der Abt von Ciſterz, und die Religioſen ſeines Or⸗ 
dens erhielten ſofort von dem roͤmiſchen Stuhle den Befehl: 
den Kreuzzug gegen den Grafen, und die Albigenſer zu pre⸗ 
digen, welchen dieſe in dem ganzen Koͤnigreiche befolgten. 
Da der Pabſt den Kreuzfahrern den naͤmlichen Ablaß, wie 
jenen, die in das heilige Land gegen die Sarazenen zogen, 

bewilligte, fo draͤngte ſich Alles herbei, gegen den Grafen 
von Touloufe das Kreuz anzunehmen. 

Graf Raimund ſchickte Abgeordnete nad) Kom, um 
das Ungemwitter, ſo gegen ihn auszubrechen. drohte, abzu⸗ 

- wenden. Nach vielen Verhandlungen endlich verfprach ihm 
der Pabft, im Falle er unfchuldig wäre, die Losfprechung; 
jedoch wurde borgängig die Auslieferung von fieben Feſtun⸗ 
gen des Grafen an den Legaten zur Gewaͤhrleiſtung ſeiner 
Unterwuͤrfigkeit gegen den heiligen Stuhl bedungen. 


Innocenz III. ſchickte Milon, ſeinen Notar in der 
Eigenſchaft eines Legaten A Latere, um die Sache Rats 
mund's zu unferfuchen. Der Legat berief nach Montes 
limar ein Concilium, vor welchem Naimund erfchien, 

und bis an den Gürtel enffleidet, folgenden Eid ablegte: 

‚Im. zwölften Jahre des Pontificats Sr. Hefligkeit, Pabft 

„Innocenz IT. den 18ten Juni. Ich Raimund, Hers 
„zog von Narbonne, fehmäre auf das hl. Evangelium, 

‚‚Angefichts der heiligen Neliquien, der heiligen Hoftie, und 

„des „Holzes vom wahren Kreuze, daß ich Folge leiften 
„waerde allen Befehlen des Pabſtes und den eurigen, Herr 


/ 





elbigenfer: 57 


„Milon, Notar Sr. Helligkeit, umd Legaten bes bi. apo⸗ 
„‚Rolifhen Stuhles, und jedem andern Legaten des hl. 
. „Stubles in Betreff aller und jeder Artikel, wegen wel⸗ 
„Ser id) excommuniciet war oder; bin, es fey von Dem 
„Pabſt, oder von feinem Legaten, oder von andern, eg fey. 
„endlich non Rechtswegen, dergeſtalt, daß ich ohne Ges 

ufährde Alles vollziehen werde, was mir wird. befohlen 
„werden, ſowohl durch ihn ſelbſt, als durch feine Briefe 
„und feine Legaten, in Betreff beſagter Artikel, vorzüglich 
zı aber folgende “, 


Dieſe Artikel find: er habe die Unterzeichnung des Frie⸗ 
dens verweigert, die Ketzer nicht vertrieben, er habe ſich 
im Glauben verdaͤchtig gemacht, ſeinen Feinden nicht Recht 
angedeihen laſſen, er habe ungebuͤhrende Zoͤlle und Geleite 
erheben, einige Biſchoͤfe und ihre Geiſtlichen gefangen neh⸗ 
men laſſen, und ihre Güter an ſich geriſſen u. ſ. w. Der 
Graf von Toulouſe bewilligte, daß man ſeine Unterfhas 
nen vom Eide der Treue. Iosbinde, im Falle er über. alle 
diefe Artikel dem Pabfte zu gehorchen fich weigere. Sech⸗ 
zehn Baronen, Vaſallen des Grafen, verſprachen das Naͤm⸗ 
liche. Endlich befahl der Legat dem Grafen, Alles gethane 
Unrecht zu vergiiten, verbot ihm Zoͤlle zu erheben, und fich 
in bie Angelegenheiten der Kirche zu mifchen u. d. gl. 
Nachdem der Graf in. alle diefe Bedingniſſe eingegangen 
war, ließ der Legat ihm’ eine Stole um den Halg hängen, 
nahm Ddiefe an "beiden Enden, führte ihn fo in die Kirche; 
während er ihn mif einer Handvoll Ruthen peitichte. Nach 
diefer demuͤthigenden Ceremonie endlich ertheilte er ihm die 
Abſolution 1). 


Inzwiſchen verſtaͤrkte ſich das Heer der Kreuzfahrer: 
man ſah Flamlaͤnder/ , Normänner, Burgunder sc. haufens 
weiſe ankommen, angeführt don den Erzbiſchoͤfen von 
Rheims, Sen, Rouen, "den Bifchdfen von Autun, 
Elermont, Nevers, Bayeur, Lifteux, and' Char 
treg, und durch eine große Anzahl Geiftlicher. 


1) Hist. de Languedoc T. 5. p. 162, 


N 


N 


38 Albigenſe.— 


unter den welllichen herren: hlte man den Herjog 


von Burgund, Die Grafen von Nevers, von Monts 
fort u. A.; der Abt von Ciſterz, Legat des hl. Stuhls, 
wurde zum Obergeneral Der Armee emannt/⸗ welche ſich 
1209. zu Lyon verſammelte. 

Roger, Vitomte vom Bezters, | Birch Si fen furcht⸗ 
baren. Kreuzzug in Schrecken geſetzt, ging den Legaten en® 


gegen mit der‘ Erklärung! daß er Eatholifch fey; die Irrthu⸗ 


mer der" Keher verabſcheue / und fie nicht beginftige; allein 


alle feine Betheuerungen waren umſonſt y er „fand feinen Ä 


Giauben⸗ LPT ; 
Das Heer des Rrengpiges wuchs aiglich durch die ders 


| ſchledenen Abtheilungen, “welche. der Erzbiſchof von Bor⸗ 


deaur, der Biſchof von Limoges u. ſ. w. herbeifuͤhrten. 
Man nahm viele Schloͤſſer, verbrannte mehrere Ketzer. Das 
Kreuzheer kam endlich vor Beziers , und forderte die ka⸗ 
fholifchen Einwohner anf ‚ale Ketzer auszuliefern. Die 
Stadt verwarf dieſes Anſinnen, und die Kreuzſoldaten bela⸗ 


gerten und eroberten den Platz, metzelten mehr als 15,000 


Einwohner nieder, und ſteckten ihn in Brand 1). 


„Sie ließen alle Einwohner, ſagt P. Benedict, 


uͤber die Klinge ſpringen ohne Unterſchied des Alters und 
Geſchlechts, Alles verheexend und pluͤndernd. Endlich, 
‚als fie wahrnahmen, daß 7000 Menſchen ſich in die 


„Magdalenen⸗Kirche gefluͤchtet hatten, entweder um ſich da 


„zu verſchanzen oder der Wuth der Sieger zu entgehen, 
„fielen fie, da fie ohne Anführer von Gewicht waren, über 
‚‚diefe Unglüclihen her, und machten fie nieder, fo. daß 
„nicht eine Seele entkam u 2% 


Nach .der Verwuͤſtung Beziers ging der. Zug nad. 
Carcaſſone. Nach einem fehr tapfern und, moͤrderiſchen. 


Angriffe und Widerſtande mußten die Einwohner die Stadf 


ergeben, welchen man die Eros des Lebens Digeftanb. 





I) Hist. do Laskguedoo. T. 3. p. 162 . 
2) Flistoire des Albigeoi ‚ par le P. Benoit T. 3, p. 
106. 


N 


Albigenfer, BE 59 

Diefe unghuͤcklichen Einwohner bebielten nichts, als das 

Hemd. Roger wurde zuruͤckbehalten und in den Serter 

geworfen, wo er bald darauf ſtarb. 

Bei'm Abzuge erklaͤrten die Einwohner, daß fie kathe⸗ 
liſch ſeyen, mit Ausnahme von vierhundert welche verhaf⸗ 
Pet und verbrannt wurden 1). | 

Ale Beſitzungen Roger’ 8 erhielt Stmom Graf von 

Montfort PAinaurt. Die Kreuzfahrer, die nut gekom— 

men waren den Ablaß zu gewinnen, zogen wieder Ab, nach⸗ 

dem bie vierzig Tage, waͤhrend welcher fie Dienſt zu thun 
verbunden waren, abgelaufen waren. Allein die Legaten. 
und Simon von Montfork festen ben Krieg gesen‘ die 

Keger und ihre Beſchuͤtzer fort. 

u Raimund, Graf von Toulouſe, hatte Ai mit dem 
Kreuzheere vereinigt, amd nach der Einnahme von Carcaſ⸗ 
fonne zuruͤckgezogen. Kaum mar er nah Touloufe zu⸗ 
ruͤckgekehrt, fo ſchickten der. Abt von Ciſter z und Simon 
son Montforf Abgeordnete. in ihn, und bie: Buͤrgermei⸗ 
ſter von Toulouſe mit der Aufforderung: ale Einwohner, 
welche dieſe ihnen angeben wuͤrden, ſammt ihren Guͤtern, 
unter Strafe. ver Excommunication an die Baronen ber 
Armee auszuliefern, damit fie ihr Glaubens⸗Bekenntniß in 
Gegenwart ber Letztern ablegten. Simon von Momtfort 
bedrohte zugleich den Grafen, thn, im Falle er dieſen Ber 
fehlen den Gehorfam vermeigern würde, feindlich zu behan⸗ 
dein, und den Krieg in Das Herz feiner Staaten zu fpielen: 

Ungeachtet aller Vorfichtdmaßregeln, welhe Raimund: 
ergriff, einen Krieg zu vermeiden, ‚ungeachtet der Verſpre⸗ 
chungen, Die er machte, bier Reber aufzuſuchen und: zu be⸗ 
ſtrafen, ungeachtet der tauſend Betheuerungen ſeiner An⸗ 
haͤnglichkeit an die Religion und des Abſcheues vor der 

Ketzerei kehrten doch die Legaten und Simon von Mont 

fort die Macht des Kreuzzuges gegen ihn. - Der Graf von 

Toulouſe eher fi) denmach zum Kriege, und verbuͤn⸗ 
ee 
1) Hist. de Langnedoe i widem. Hist. dee Albig, Midem 

p. 106. . — 





4 


60 aidigenſer. 
bet? Rh mit den Graͤfen von Fol, Herrn. Comminge, 
Bearn und mit Peter dein Könige von Aragonien. 

Das Heer des Legaten ward wechſelweiſe vergrößert . 
und wieder verlaffen von jenen Kreuzfoldafen,. welche von 
‚allen Seften Frankreichs herbeifamen, um den Ablaß u, 
gewinnen, und :fogleich-feder ik feine Heimath- wieder zus* 
ruͤckkehrten, ſobald die. vierzig: Dienfttage verlaufen waren. 
Deshalb, waren ihre Fortſchritte weder anhaltend noch ſchnell, 
- und. diefer-Werhfel von Macht und Schwäche bei dem Heere 
erhielt zwiſchen Simon von Montfort und fetnen Fein⸗ 
den eine Urt von Gleichgemicht , welches das miftägige 
Sranfreich eine lange. Zeit. gu einem Saauslage ‚von un 
ordnungen und Gräuelthaten machte. 

..: Die Leichtigkeit, dem Ablaß gu gewinnen, Anden man 
gegen Die AI bigenfer dad. Kreut nahm, richteten die ' 
Kreussiige. des. Morgenlandes zu Grunde ;-. die verbuͤndeten 
Fuͤrſten, und hauptfächlic der König von Frankreich, ber 
es mit den. Kreusfahrern ‚gehalten hatte, wuͤnſchten ihrer 
Seits den Frieden. 

Der Graf von Tonlonſe ſchloß denfelben mit dem 
Verluſte eines Theiles ſeiner Beſitzungen, dem Verſprechen: 
die Mauern von Toulo uſe abzutragen, ſobald er. hiezu vom 
paͤbſtlichen Legaten den Befehl erhalten wuͤrde, und indem 
‚er ſchwur, daß er alle Keker auffuchen und fireng beftrafen 
wolle. Jedoch beftand man nicht Darauf, daß Raimund 
jemand auslieferte, und der Krieg. hatte für ihn feinen ans 
dern Erfolg, ale den Verluft eines Theiles feiner Laͤnder. 
Raimund begab fid nad, Paris, um über diefe Punfte 





ſchluͤßlich zu verhandeln, und nachdem Alles in's Reine ge⸗ 


bracht worden war, führte man ihn in Die Liebfrauen⸗Klr⸗ 
he, mo er am Fuße des hohen Altars im Hemde und 
Beinfleidern mit bloßen Füßen alle benannten Artikel bes 
fhwor, und die Logfprechung erhielt, 


Die Übrigen verbiindeten Zürften folgten dem Beifbiele 
des Grafen, ſchloßen Frieden, und verfprachen ‚„--mit Eifer 
‘an Ausrottung der Ketzerei zu arbeiten. Der Legat Sfelt 
mehrere Kirchenverſammlungen, unter andern eine zu Tou⸗ 





Ailigenfer 61 


louſe (J. 1229), wo die Biſchoͤſe im Einderſtͤndnit mit 
den Baronen und Herren Maßregeln gegen die Ketzer ver⸗ 
abredeten. Auch berief man zwei Buͤrgermeiſter von Tou⸗ 
louſe, welche im Namen ihrer ganzen Gemeinde ſich eid⸗ 
lich verbirgten, alle Verordnungen, die man auf dem Con, 
cilium zur Ausrotfung der Ketzerei ergehen laffen wuͤrde, zu 
halten, endlich errichtete man die Jnquifition. 
Die Inquiſttioren durchzogen ale Städte, ließen bie 
auf gemweihter-Stätte beerdigten Ketzer ausgraben, und die 
lebenden verdrennen. hr Eifer war unermuͤdlich, ihre 
Strenge aufs Hoͤchſte getrieben. Alles, was ihnen nicht 
blindlings gehorchte, wurde zum Zuge in's heilige Land 
verurtheilt, oder mit dem Kirchenbanne belegt. So folgte 
neues Unheil -auf jenes des Krieges. Die Bölfer waren 
durchgehends in einer Beſtuͤrzung, welche Empoͤrung und 
Aufruhr ankuͤndet: in. vielen Gegenden erfolgten Aufftände, 
einige inquifitören wurden ermordet, und man ward ges 
jwungen, bie. Verrichtungen der Inquifition einzuftellen, 
welche man jedoch fpäter wieder hervorſuchte. 

Oft mußte man die Wurh der Inquiſitoren befchränfen, 
und doch wurden viele Keber dem Feuer übergeben. Nah 
und nad) nahm ihre Zahl ab, und feit 1383 wurde fein 
Auto da Fe mehr gefeiert. | 

Die Inquiſitoren ſpuͤrten zwar noch immer nach, und 
fuchten nichts als Scheiterhaufen anzuzuͤnden; allein Die 
Paͤbſte, unterrichtet don der Negellofigkeit ihrer Prozeduren, 
und der Ungerechtigkeit ihrer Urtheile, legten ihnen ftrenge 
Gefege auf. Von nun an veranlaßte die Inquiſition feine 
Unruhen mehr, die Seber wurden feltener, und verſchwan⸗ 
den endlich ganz und gar. 


Waͤhrend deſſen die Inquiſition mit ſo vieler Genauigkeit 
die Ketzer aufſpuͤrten und mit ſo großer Haͤrte beſtraften, 
ergab ſich eine große Anzahl Menſchen der Magie und Zau⸗ 
berei, und von einer andern Seite ſah man Haufen niedri⸗ 
ger Hirten zuſammenlaufen, um ale Juden ohne Barmher⸗ 
zigkeit zu ermorden. 


Wie viel Unordnung, Verbrechen und unheil bietet 





62 Allbigenſer. 


dieſes Jahrhundert dem nachdenkenden Chriſten dar? In⸗ 
zwiſchen war man aͤußerſt unwiſſend. Sin feinem Jahrhun⸗ 
derte wurden mehr Bannſtrahlen geſchleudert, mehr Ketzer 
verbrennt, in keinem aber waren auch kuͤntte und d Wiſen— 
ſchaften weniger in Flor. 


Lehre der Nlbigenfer N 
Durch alle Perioden, aus allen gefchichtfichen Denkma⸗ 


| Jen zur Zeit der Albigenf er gehet hervor, daß diefe Keber 


ein Zweig der Manichäer oder Katharen waren. Als 
lein ihe Manihäismus wich von jenem des Manes ab. 
Sie behaupteten, Gott habe Eucifer mit feinen Engeln ers 
ſchaffen; diefer habe fid) gegen Gott empoͤrt und ſey mit feis 
nem Anhange aus dem Himmel verfioßen warden. Verbannt 
aus dem Himmel habe er die fichtbare Welt hervorgebracht, 
auf welcher er regiere. Die Leiber der Menfchen,. fo wie 


alle Thiere und Pflanzen feyen Gefchöpfe des boͤſen Prinzips. 


Zur MWiederherftelung dee Ordnung habe Gott. einem 
gweiten Sohne, welcher Jeſus Chriſtus fey, das De. 


- feyn gegeben, Deshalb wurden Die Albigenfer auch 


es 


Arianer genannt. Sie verwarfen die Taufe. der Heinen 
Kinder, die Anrufung der Heiligen, das Opfer für die 


Abgeſtorbenen, wie auch den Gebrauch des Eheftandes, und 


Alles, was in irgend einer Beziehung von der Vermifhung 
beider Gelchlechter herkoͤmmt, z. B. Fleifch » Milch + und Eier⸗ 
Speiſen; fie nahmen, mit Verwerfung der Bücher des Als 
ten. Tefiamentd, als welches vom böfen Grundweſen her⸗ 
fomme, nur das Evangelium an: fie verdammten die Sa⸗ 
cramente , verabfcheufen die Eucharifiie, verwarfen Das 
Prieſterthum, hielten jeden Eid fuͤr unerlaubt, kannten we⸗ 


der Beicht noch Buße, und verabſcheuten die Bilder, Cru⸗ 


cifige und Kirchens Ceremonien. Doc) theilte fich ihre Secte 


‚in zivei Klaffen: in die Vollkommnen, welche nach den 


benannten Lehrſaͤtzen ſtrenge lebten, und in die Hoͤrer oder 
Glaubenden, welche ſich in ihrer Lebens weiſe von an⸗ 


dern Menſchen nicht unterſchieden, auch nichts weniger, als 


geregelte Sitten hatten, und ſich darauf vertroͤſteten, daß 
ſie durch den Glauben der Vollkommnen ſelig wuͤrden, 





Albigenſe · — 
weil jene unntoglich· verdammt ‚werben: koͤnnten, weiche von 
den Vollkommnmen die Handauflegung erhalten haͤtten. 
Ihr Hauptkenntzeichen war die tiefe Heuchelei, mit welcher 
ſie ihren Glauben verbargen, und die es ſehr ſchwer machte, 
fie von den Rechtglaͤubigen zu unferfcheiden. Nach allem 
diefem iſt ed unbeſtreitbar, daß die Albigenfer wahre 
Manichaͤer waren; alle gleichzeitigen Schriftſteller dezen⸗ 
gen dieſes, und alle gerichtlichen Verhoͤre, die man noch ir im 
Driginal aufbewahrt ,. beglaubigen es 1). 


Wahr tft eg, daß die Baldenfer, Beguiner, und 
einige andere Reber in Languedoc eindrangen, allein eg 
ift nicht weniger gewiß, daß dieſe Ketzer ſtets von den Als 
bigenſern unterſchieden, und nicht mit dieſem Namen, 
ſondern ſchlechtweg mit „Ketzer““, bezeichnet worden ſind 2). 
Endlich ſagt Wilhelm von Puplaurent, ein gleichzeiti⸗ 
ger Schriftſteller, die in ganguedog verbreiteten Keßer 
wären nicht von einerlei Art: die einen feyen Wald en⸗ 
fer, die andern Manichaͤer; die erfiern disputirten ges 
gen die letztern, die ſich in der Folge zweifeld ohne Albis 
genfer genannt hätten. Man "muß demnach dieſe Secten 
nicht vermifchen, wie Basnage, und es iſt gewiß, daß 
die Albigenfer wahre Manicqhaet waren, wie es Sof 
ſuet geſagt bat 2). — 

Da die Albigen ſer neben den Irrthůmern der Ma⸗ 
nichaͤer auch jenen der Sacramentirer hatten, ſtuͤtzt man 
ſich hierauf, um zu behaupten: daß ſie die Vorlaͤufer der 
neuen Reformirten ſeyen. Die Irrthuͤmer der Albis 
genfer. waren nicht das Werk vernünftiger Unterſuchungen, 

3) Hist. de Languedoc T. 4. p. 183. T. 3. p. 135. 95. 
etc, Hist. des Albig. par le P. Benoit, T. 2. Pieces 

 Justificatives, 

2) D’Argentre Collet. jud, Hist, des Groisedes. contre les 
Albigepfs,:par le P. Langlois, Jesujte. Hist. de Langve- 
doc. Hist. des Albjgeois, Ä 

3) Histoire de Variat, L. 11, Baar 


6  Aloger Amauri. 


fondern "Wirkung der Schtwärmeret, Unwiſſenheit und des 
Haſſes gegen. die Katholiten. (Siehe den Art. Manichder) 


Aloger, *) Ketzer deg zweiten Jahrhunderts, von 
denen man glaubt, daß. fie die Gottheit des Wortes ges 
läugnef haben: fie verwarfen das Evangelium des hl. Jo⸗ 
hannes und die Apocalypſe 1). 


Wenn ihr Irrthum von jenem des Theodor von Bis 
gang verfchleden war, fo ging er in die Grundfäge des 
Sabellius über, welcher behauptete: das Wort fey keine 
vom Vater unterfchiedene Perfon, oder in die Meinung der. 
Artaner, welche, anerfennend, da das Wort eine vom 
- Bater unterfchiedene Perfon fey, behaupteten· es w ein 
Geſchoͤpf. 


| Amanti x*). Ein Geiſtlicher aus Bene, einem 
Dorfe der Didzefe von Charfres. Er fludierte zu Paris - 
gegen dag Ende des zwölften Jahrhunderts, machte große 
Sortfchritte im Studium der Philofophie, und lehrte mit 
Beifall im Anfange des dreisehnten Jahrhunderts 2). Zu 
diefer Zeit hatte man die Schriften des Ariſtoteles nah 
Frankreich gebracht; die arabifchen Philsfophen bevienten 
ſich derfelben als Führer im Studium der Logik, welches 
faft der einzige Zweig der Philofophie war, morauf man 
ſich verlegte. Es war ſchwer, ſich Ariſtoteles als un⸗ 
fehlbaren Fuͤhrer in Aufſuchung der Wahrheit zu denken, 
ohne vorauszuſetzen: daß er in Erkenntniß der Gegenſtaͤnde, 
die er unterſucht hatte, große Fortſchritte gemacht habe. 
Deshalb ſchritt Amauri vom Studium der Logik des 
Ariſtoteles zu jenem ſeiner Metaphyſik und Phyſik uͤber, 
und folgte dieſem Philoſophen in ſeiner Unterſuchung über 


*) Zweites Jahrhundert. 

**) Dreizehntes Jahrhundert. 

3) Epip. Haer. 51. Philast, de Haer. C. 60% Angus, 
de Haer, C. 30. Tertuli. de Piraeser, 

2) Rigord, ad ann, 1209, ee 





‚Amaurf. | 68 


die Natur und den Urſprung der Welt. Ariſtotele; 


durchgehet in feinen Büchern von der Metaphyſik alle Mei-⸗ 


sungen der vorgängigen Philoſophen ; und ‚widerlegt fie - 


ſaͤmmtlich als ungureichend: ven Pythagoras, welcher 


die Zahlen, oder vielmehr die einfachen und unausgedehnten 


Weſen als die Grundftoffe der Körper betrachtet; den Der 
mofrit,- der glaubt: Alles ſey aus Atomen zufammenger 
fest ; den Thaleg, der den Urfprung von Allem aus dem 
Waſſer herleitet; den Anarimander, melcher dafürhält: 
das Unendliche ſey die. Grundurfache aller Weſen. Nach 
Miderlegung diefer Meinungen behauptet Ariftoteleg: 
alle Wefen gingen von efnem ausgedehnten Stoffe hervor, 
welcher aber für fich weder Form noch Geftalt haͤtte, und 


welchen er den Urffoff (Materia prima) nennt. Diefer 


Urſtoff eriffist durch fich felbft, die ihn treibende Bewegung 


ift, wie ex, nothmwendig ; und wenn gleidy-Ariftoteleg die 


Geifter, als unkoͤrperliche Wefen annahm, fo fchien er Doch 


zumeilen zu behaupten, daß ſie aus der Materie hervorge⸗ | 


sangen fepen. W 


Sein Schuͤler Strato, um dieſe abweichenden Mel⸗ 
nungen des Ariſtotelèes zu vereinigen, hielt Hafär, ‚der 
Urftoff ſey hinreichend zur Erklaͤrung des Daſeyns aller 


Mefen, und wenn man die Bewegung als mit dem Urſtoffe 


verbunden annähme, fo fände man in ihm die Urfache und 
den Grund von Allem. Lange Zeit nah Strato hatten 
“arabifche Philofophen,. welche den Ariſtoteles commentir⸗ 
ten, ihm dieſe Meinung ſeines Schülers beigelegt, und ſie 
war mit den Schriften der Araber in das Abendland ge⸗ 
kommen. 


Martin von Polen berichtet, Johaun Scotus 


Erigena haͤtte dieſe Meinung angenommen und gelehrt: 
daß es in der Welt nur den Urſtoff gaͤbe, welcher Alles 


ſey, und welchem er die Benennung Gott beilegte 1). 





1) Nicolaus Trinet, in feinem Chronikon T. B. Spioel. p. 
550. D'Argentré Collect. judic. T. 1. p. 128 
Kerner: 2eriton. IT. J 5 


—8 


66. \ Amauri. | 
Mag nun Amauri das Eyſtem des Artfiofeleg 
aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, oder jenes des 
Strato angenommen haben, oder fen es, daß er den ara⸗ 
biſchen Commentatoren und Scotus Eri gena gefolgt iſt, 
genug, er glaubte: die Gottheit ſey vom dem Urſtoffe nicht 
unterſchieden. Nachdem er die Logik mit ziemlichem Ruhme 
gelehrt hatte, ergab er ſich dem Studium der hl. Schrift, 
und wollte fie auslegen. Da er fuͤr ſeine philoſophiſchen Mei⸗ 
nungen ſehr eingenommen war, fo ſuchte er ſie in der Schrift, 
wo er fie auch zu finden glaubtezer wollte in dem Berichte 
des Moſes von dem Chaos ven Urſtoff gefimden haben, 
und hielt diefen fir die fchaffende lrfache und den Grund, 
aus welchem alle Weſen auf die Weiſe, wie Moſes er⸗ 
zaͤhlt, hervorgegangen wären 
Die ganze Religion zeigte ſich ſodann dent Ant auri, 
als die Entwicklung aller Erſcheinungen, welche die Bewer 
gung und der Urſtoff hervorbringen muͤßten, und auf dieſe 
Grundlage baute er ſein Syſtem ver chriſtlichen Religion. 
Der Urftoff konnte durch feine verſchiedenen Formen 
befondere Wefen hervorbringen, und Amauri erfannte in 
demfelben', welcheit er, da er nothwendig und unendlich fen, 
Gott nannte, die drei Perſonen in der Gottheit, den Va⸗ 
ter, Sohn und hl. Geiſt, denen er die Regierung der Welt 
beilegte, und ſie als den Gegenſtand der Religion betrachtete. 
Da aber der Urſtoff in einer ununterbrochenen und 
nothwendigen Bewegung ſey, ſo muͤßten Religion und Welt 
ein Ende nehmen, und alle Weſen in den Schoos des Ur⸗ 
ſtoffes, welcher das Weſen der Weſen, das erſte und allein 
unzerſtörbare Weſen ſey, zuruͤckkehren. 


Die Religion hatte, nad Amauri, drei Epochen, 
welche gleichfam die Regierungss Epochen der drei Perfonen .. 
der Goftheit, find. Die Regierung des Vaters habe waͤh⸗ 
rend der Dauer des mofaifchen Geſetzes beftanden. Die 
- Regierung des Sohnes, oder die chriftliche Religion wirde 
nicht immermährend feyn; die Geremonien und Eacramente, 
welche, nach ihm, dag Mefentliche derjelben wären, duͤrf⸗ 
ten nicht ewig ſeyn. Es müßte eine Zeit kommen, wo Die 





Amauri. Anabaptiſten. 67 


Sacramente aufhoͤrten und dann muͤßte die Religion des 
hl. Geiſtes anfangen, in welcher. die Menſchen Feiner Sa⸗ 
cramente mehr beduͤrften, und dem hoͤchſten Weſen eine rein 
geiſtige Verehrung erwieſen. Dieſe Epoche ſey das Reich 
des br. Geiſtes , vothergeſagt in der Schrift, welches eben 
fo auf die chriſtliche Religion folgen miffe, wie diefe auf 
die möfaifche gefolgt ſey. Die chriflliche Religion wäre for 
nad das Reich Feſu Chrifki auf der Welt, und alle 
Menfchen unter diefem Gefthe müßten fi ch als Gliedet 
Chrkſti betrachten. 

Die Univerſitaͤt von Paris erhob ſich gegen die behre | 
Amauri's; er ſuchte fie zu vertheidigen, wurde aber vers 
dammt. Amauri ;appelllete an den Pabſt, weicher has 
Urtheil der Univerſitaͤt beffätigte. Hierauf widerrief er, 
und 305 fih nad St. Martin des Champs jurüd, wo 
er vor Kummer und Verdruß ſtarb. 1) Sein Schiller war 
David bon Dinant. ‚Siehe dieſen Artikel. 


Anabaptiften kWiedertaͤufer), eine Secte Schwaͤr⸗ 
mer, die einander wieder kauften, und die Kinder⸗Taufe 
verboten. Sie heißen auch Taufgeſinnke. 


urſprung der Anabaptiſten. 


Luthor hatte bei · Beſtreitung ber Ablaͤſſe die Rechtfer⸗ 
tigung des Menſchen einzig von den Verdienſten Sefu 
Chrifti, welche der Chriſt fich durch. den Glauben zueigs ' 


nete, abhängig gemucht. Sonach rechtfertigen, nach biefem | 


Haupte der Reformation, die Sacramente nicht, ſondern 
der Glaube desjentgen, der fie empfängt 2). Ä 

Einer der Schiller Luthers, Namens Storch, ſchloß 
aus dieſem Grundſatze: daß die Taufe der Kinder ſie nicht 


sechtfertigen Fönne, und. daß man at Chriſten wiedertaufen 





Guillolm Armoricts, Hin. de Vin et Gostis Philip, 
ad ann. 1209. D’Argenire, «a, O. 8, -Thom, vontr, 

,‚ Gent. O. AM. . 9 

2) Luth. de Capivit Babylon, p >35. 


Jr — 


ss Amabapfifken, ... 


miffe, weil fie, als man fie faufte, unfaͤ ig waren, den 
Glauben zu erwecken, durch welche. ber Chriſt die Verdienſte 
Jeſu ſich zueignet. 

Luther hatte feine Lehre weder auf die. Trabition, 
weder auf die Entſcheidungen der Kirchenraͤthe noch auf 
das Anſehen der Väter, ſondern allein auf die Schrift ges 
gruͤndet; nun ſagte Storch, findet man nicht in der 
Schrift, daß man die. Kinder taufen wuͤſſe; im Gegentheile 
fol man diejenigen, Die man taufet, lehren; fie müffen 
glauben. Die Kinder find feines Unterrichteg empfaͤnglich, 
noch faͤhig, uͤber das, was man, um Chriſt zu ſeyn, glau⸗ 
ben muß, einen Act des Glaubens zu erwecken. Die Kin⸗ 
der⸗Taufe iſt ſohin ein der Schrift zuwiderlaufender Ge⸗ 
brauch, und ſolche, welche in der Kindheit getauft wurden, 
haben in der That die Taufe nicht empfangen. u 

Storch trug anfangs diefe. Lehre nur als eine Folge⸗ 
rung aus den Grundſaͤtzen. Luther's vorn, welche Folge⸗ 
rung derſelbe aus Behutſamkeit oder Klugheit nicht weiter 
habe verfolgen wollen. Zuerſt war dieſer: neur Glaͤubens⸗ 
Satz bloß ein Gegenſtand der Unterhaltung ; Aald ſchlich er 
fid) in den Schulen ein, man ſetzte ihr im die Theſen, . er 
fand Verfechter in den Collegien, endlich trug man ihn auch, 
auf der Kanzel vor: 

: Stord, um feine Meinung zu: behaupien⸗ hatte ſich 
mit jenem Fundamental⸗Geſetze der Reformation bewaffnet, 
nämlich, daß man nichts als geoffenbart und zum Seelen⸗ 
heile nothwendig annehmen muͤſſe, außer, was in der 
Schrift enthalten ſey; er verwarf als aine giftige Quelle, 
die Väter, die Concilien, die Theologen, und Die ſchoͤnen 


ze Wiſſenſchaften. Das Studium der letztern, ſagte er, er⸗ 


fuͤlle das Herz mit Stolz, und den seit mit unheiligen 
und gefaͤhrlichen Kenntniſſen. | 
Durch diefes- Mittel brachte Stord die Unwiſſenben, 
die Gecken, und den gemeinen Haufen auf ſeine Seite, wel⸗ 
che ſich in feiner Secté auf gleiche Höhe mit den Theslo⸗ 
gen und Doctoren geſtellt ſahen. 
Luther hatte ‚nicht nur ‚sehe; nd die ei, die 


- 





Anabaptiſten. 69 


einzige Glauben: Kegel, und’ jeder Gläubige Nichter über 
deren Sinn fey, fondern auch zu verftehen gegeben ‚ dag 
Sfeder außerordentliche Erleuchtungen des bl. Geiſtes er: 
halte. Er behauptete, der hl. Geiſt verfage jenen, die da- 
rum baͤten, die Erleuchtungen nicht, mit welchen ſie begna⸗ 
digt zu ſeyn wuͤnſchten. Nach Storch hatten die Glaͤubi⸗ 
gen keine andere Regel ihres Glaubens und Betragens, als 
dieſe Eingebungen und innere Belehrungen des hl. Geiſtes 
Car'ioſtadt, Muͤnzer und andere Proteſtanten, nei⸗ 
diſch auf Lut her  Gewalt, und zuruͤckgeſtoßen von deſſen 
Haͤrte, nahmen Storch's Grundſaͤtze an, ‚und es bildete 
fh m Wittenberg eine mächtige Secte der An a⸗ 

baptiſten. on 
L2uther vernabm fin ‚feiner Verborgenheit auf der 
Wartburg ihre Fortſchritte, eilte nach Wittenberg, 
predigte gegen’ die nabaptiſten, und Heß Storch, 
Münzer und Carlfiadt aus der Stadf jagen. Carl 
ſtaddt begab fh nah Orlamuͤnde, von da iin die 
Schweiz, und legte daſelbſt den Grund zur Lehre der 
Sacramentirer. 


Storch und Muͤnzer durchzogen Schwaben, T huͤ⸗ 
ringen und Franken, ſtreuten uͤberall ihre Lehre aus, 
und predigten gleichmäßig gegen Luther und den Pabſt: 
dieſer erdruͤcke die Gewiſſen, nach Storch, unter einem 
Haufen zum mindeſten unnuͤtzer Gebräuche, jener beguͤnſtige 
eine dem Evangelium zu widerlaufende Schlaffheit, mit ſei⸗ 
ner Reformation ſey es nur darauf abgeſehen, eine dem 
Mahomedanismus ähnliche Zuͤgelloſigkeit einzuführen. Die 
Anabgptiften verkündeten: -Gott: babe fie geſchickt, die 
zuftrenge Religion des Pabſtes, und die ausgelaffene Ges 
 seniaft Luthers abzuſchaffen; um Chrift zu-fenn, dirfe 
man fich feinem Laſter ergeben ‚ und muͤſſe ohne Stoh; und 
Pracht leben. 

Die Nnabapsiften maßten ſich nicht an, wie Lu⸗ 
ther; vie Gewiſſen zu beherrſchen; bon Gokt "allein mäffen | 
wir, wie fir fagten, die Erleuchtung erwarten, Die ung in 

den Stand feht, die Wahrheit‘ von dem Irrthume, die 


— 


.. 70 | | Anahabniſten. 


wahre Keligion von der falichen zu unfeefcheiden ; Gott ers 
klaͤret in der Schrift, daß Er dag, um was man Ihn bittet, 
zugeſtehe; folglich ift man fiher, daß Gott nie ermangle, 
den Gläubigen untruͤgliche Zeichen zur Erfenntniß der Wahr⸗ 
beit zu geben, menn Er darum gebeten wird. Der Mille 
Gottes offenbaret fi ich verfchieben, bald durch Erfcheinungen, 
bald durch Eingebungen, iawelten: wie zur Zeit her. Pros, 


pheten duech Träume. 


Ä Storch und Minzer fanden eine Menge ſchwacher 
Koͤpfe, vol lebhafter Einbildunggfraft, die ihre Lehren gie⸗ 
rig ergriffen; fie fanden bald an der Bpitze einer Geste 
von Menfchen , die dem Bernunft«Gebrauche entfagten,. und 
nur die Sprünge einer aberwigigen Einbildungskraft oder 
die Anfälle der Leidenſchaft zu Fuͤhrern hatten. 


‚Diefe beiden Haͤuptlinge fuͤhlten wohl, daß ſie ihren 
Schuͤlern jede gewuͤnſchte Richtung geben koͤnnten , umd. 
dachten nicht mehr „Daran, Euther’n eine Secte von Com 
feoverfiften entgegenzuſtellen; ſondern zielten dahin ab, im, 
Schooße Deutfchlends eine neue Monarchie zu gruͤn⸗ 
den. Einige yon ihren Schülern gingen in die ehrgeizigen 
Plane threr Lehrer nicht ein, und waͤhrend deſſen Muͤnzer 
fi Alles für erlaubt hielt, um fein neueg Reich, iu fliften,. 





fahen dieſe friedfertigen Anabaptiſten auch die rechtmaͤ 


ßigſte Vertheidigung gegen jene, die ihre Perſonen oder ihr 
Elgenthum heeintraͤchtigten, als ein Verbrechen an, Folgen 
wie num den Fortſchritten und yerſchiedenen Standeuutten 
dieſer Secte. 


Die kriegeriſchen Anabaptiſten von der Regentäaft 
Münzer's bis zu deffen Tode, 


Ein Theil von Deutſchland, welcher die Bedruͤctungen 
ſeiner Gebieter und Obrigkeiten nicht mehr ertragen konnte, 
war aufgeſtanden und hatte ſeine Empoͤrung unter dem Na⸗ 
men des Bauernkrieges begonnen, Diefer Aufftand . 
hatte, fo zu fagen, ganz Deutfchland erfchüttert, melches: , . 
unter der Tyrannei feiner Gebieter ſeuſite/ und nur einen 
Anfuͤhrer ‚u erwarten (diem. | . 


Anabaptiſten. 71 


: Malıtger-benügte dieſe Stimmung, um ſich dad Zus 
Frauen des Volkes zu: erwerben. - n- einer Rede an den 


vorfammelten Poͤbel ſagte er: „Wir find alle Brüder, und 
„haben in Adam einen gemeinfchaftlichen Vater. Woher 
„kommt denn dieſer Unterſchied des Ranges und der Guͤ— 
„ter, welcher die Tyrannei zwiſchen uns und den Großen 
„der Welt eingefuͤhrt hat? Warum ſollen wir in der Ars 
„muth ſeufzen, und von Elend zu Boden gedruͤckt ſeyn, 
„waͤhrend deſſen jene in Wolluͤſten ſchwimmen? Haben wir 


„kein Recht an die Gleichheit der Guͤter, welche ihrer Na⸗ 


„tur nach beſtimmt ſind, unter alle Menſchen ohne Unter⸗ 
„ſchied vertheilt zu ſeyn? Gebt ung, ihr Reichen der Welt, 


„ihr geitigen Raͤuber! gebt ung die Güter wieder, die ihr 


„in ber Ungerechtigkeit zuruͤckbehaltet. Nicht allein ale 


„Menſchen haben wir das Recht auf eine gleiche Vertheis _ 


„ung ber Gluͤcksguͤter, fondern auch als Chriften. Sehen 
„wir nicht, daß die Apoſtel in. den erſten Tagen. der. Chris 
„ ſtenheit hei Vertheilung des Geldes, fo man zu. ihren. Fü 
„gen leate, nur auf die Bebürfniffe eines jeden Gläubigen 
„Bedacht ‚nahmen? Merden wir dieſe glücklichen Zeiten nie 
„wieder aufleben fehen? Und du, unglückliche Heerde Jeſu 
„Shriki!. wir du immerdar unter der Unterdruͤckung der 
„geiſtlichen, Macht feufgen? Der Almächtige erwartet von 
„alten Voͤlkern, daß fie. die Tyrannei der Obrigfeiten zer⸗ 
„ſtoͤren, daß fie ihre Sreiheit mit ven Waffen in der Hand 
„zuruͤckfordern, daß fie feine Abgaben zahlen, und ihre 


‚Güter in -Gemeinfchaft bringen. : Mir zu Füßen muß man. 


„ſie legen, wie man fie ehedem gu den Füßen der Apoftel 
„anhaͤufte. Ja, meine Brüder! kein Eigenthum zu haben, 


⸗ 


„daß iſt der Geiſt der allererſten Chriſtenheit, und die Ent⸗ 


„richtung der Abgaben, womit die Fuͤrſten uns belaſten, 


„verweigern, das heißt ſich der Knechtſchaft entziehen, wo⸗ 
„von Jeſus Chriſtus uns befreiet hat⸗ 1). 


— — 
r 27 


1) Catrou Hist. des Anabapt. Sleidan m 10. Secken- 
dorf Comment. ‚über die Geſchichte kuther 8. 


73  Amadaptifken, 


Das Volk von Muͤhlhauſen in. Thiringen be 
trachtete Muͤnzer als einen Propheten, gefandt vom Him⸗ 
mel,. es von der Unterdruͤckung zu befreien; der Magifirat 
wurde verjagt, die: Semeinfchaft aller Güter eingefühet, 
md Muͤnzer galt für ven Nichter des Volles. Dieſer 
neue Samuel ſchrieb an Staͤdte und Fuͤrſten: das Ende 
deg Unterüruckung der Voͤlker, und der Tyrannet der Gras 
gen fey angekommen, Gott habe ihm befohlen, alle Tyrasiz 
wen ausjuroffen, und Gerechte über. die Völker zu ſetzen. 

Durch feine Briefe und Apoſtel entzindete Münzen 
das Feuer des Aufruhrs im größten Theile Deutſchlands. 
Er fand ſich Bald an Der Spitze eines zahlreichen: Heeres, 
welches große Ausfchweifungen beging: die größten Unfälle 
bedrohten das Reich; die. empoͤrten Völker firömmen von . 
allen Seiten’ herbei, fih mit Muͤnzer zu verbinde. —-- -. 

Der Churfuͤrſt Johann, und Herzog Georg von 
Sachſen, ver Landgraf Philipp von Heffen, der Herr 

zog Hein rich von Braunſchweig warben Truppen, und 
griffen Muͤnzer, ehe noch die verſchiedenen Korps der 
Aufruͤhrer, die auf dem Marſche waren, ſich mit ihm ver 
einigen fonnten, an; fein Heer wurde bei Frankenhau⸗ 


- fen gefchlagen und zerſtreut; mehr als 7000 Anabaptis 


ſten famen um, Muͤnzer ‚ der ihnen Steg und Zeichen 
vom Himmel verſprochen hatte, ward gefangen und ent⸗ 
hauptet 1). 


| Die Anabaptiften von dem Tode Münzen Ban bis. 
zur Erlöſchung ihres Königroichs zu Münfter. 


Die Niederlage, und der Tod Muͤnzer's vernichtete 

| den Anabaptismus in Deutfhland nicht; er. bekam für‘ 
gar Zuwachs; jedoch bildete er feine furchtbare Parthet 
mehr, Die Anabaptiſten, gleich gehaͤig den Katholiken, 
wie den Proteftanten und Sacramentirern, wurden in gang 
Deutfchland " verfchrien und geſtraft. In der Schweiz wies 
seiten fie ohne Erfolg Die Burger und Bauern auf; die 





1) Catron, Sleidan „ Seckendorf‘ daſelbſt. 


— 


Anabaptiſten. 73 
Wachſamkeit und das Anſehen Der Madiſtrate vereitelten 
ihre Anſchlaͤge, man behandelte fie mit ſolcher Strenge, daß 
fie ſich nur gang‘ imsgeheim erhalten Fonnten. In mehrer 
ren: Kantenem hatte man. gegen fie, und afle, die ihren 3 
ſammenkuͤnften beiwohnten ‚bie Sobeöftafe verhängt, und 
eine große Zahl derſelben hingerichtet: - 

In den Micderlanden und Holland verfuhr man mit 
noch größerer Streiige gegen fie; die Gefaͤngniſſe waren ans 
gefuͤllt, und faft uͤberall Schaffote fuͤr ſie errichtet. Allein 
bei allen Todesſtrafen, die man erfand, um die Gemuͤther 
zu ſchrecken, nahm dennoch die Zahl dieſer Fanatiker zu. 
Bon Zeit zu Zelt erhoben ſich Haͤupter unter den Anabap⸗ 
tiften, Die ihnen gluͤcklichere Zeiten verſprachen: : dergleichen 
waren Hofmann, Tripnafer u. a. | 

Fohann Mathias, oder Ratthiefen, ein Bäder 
von Harlem, erfchien nach ihnen, und ſchickte Apoftel nad) 
Friesland, Münfterw f w., Luther's Lehre mar 
durch Rottmann, Jufherifchem Prediger, 1533 in Muͤn⸗ 
ft er eingedrungen ; auch die. Anabaptiſten hatten daſelbſt 
Profelyten gemacht, welche "die neuen Apoſtel annahmen. 
Ste verſammelten fich des Nachts, ımd empfingen von dem 
Giefandten des Mathias ver erwarteten apoftolifchen Geift. 
Die Anabaptiften hielten fih, big ihre Zahl hinreichend 
angewachſen tar, verborgen: Dann liefen fie in Die Straßen 
der Stadt, und fchrien: thuet Buße, und Taffet euch 
von Neuem taufen, fonft wird der Zorn Gottes 
über euch fommen. Der Poͤbel lief zuſammen, alle Uns. 
getauften liefen nun mit eben dem Gefchrei in den Straßen 
umher; mehrere verefnigten fich aus Einfalt mit den Anas 
baptiften, meil fie in der That den Zorn des Himmels, 
womit man fie bedrohte, fürchteten; andere, weil fie Plüns 
Derung beforgten. In zwet Monaten vermehrte. fich die 
Zahl der Anabaptiſten auf mehrere Taufende, und da 
der Magiſtrat ein Epifr gegen fie erlaffen hatte, griffen fie 
zu den Waffen, und erffürmten. Das Rathhaus; die zuͤrger 
ſetzten ſich in einem andern Theile der Stadt feſt. Drei 
Tage lang ſtanden ſie einander gegenuͤber; endlich wurde 
man eins, daß jeder Theil die Waffen niederlegen, "und 


\ 


74 | ‚ Anabaptitten. 

man ſich wechſelfeitig ohne Ruͤckſicht auf Veiſchedendeit der 
Religions⸗Meinungen dulden wolle. Allein die Anabapr 
tiſt en befuͤrchteten waͤhrend ihrer Eutwaffnung einen naͤcht⸗ 
lichen Ueberfall, und ſchickten insgeheim Borhen. mit Brie⸗ 
fen an ihre Anhaͤnger in verſchiedene Gegenden ab. Der 
Inhalt der Briefe war; Ein von Gott geſandter Prophet 
ſey zu Muͤnſter angekommen welcher wunderbare Ereig⸗ 
niſſe vorſagte, und die Menſchen uͤber die Wege, zur, Erlans 
gung der Seligkeit lehrte. Eine unglaubliche Menge Geſin⸗ 
del kam noch Muͤn ſter. Nun liefen die Angbaptiften 
dieſer Stadt in den Straßen umher, und. ſchrien; Entfer⸗ 
net euch, ihr Gottloſen! wenn ihr anders dem 
gaͤnzlichen Untergange entgehen wollet: denn 
man wird allen den Hals brechen, die fi nicht 
von Neuem werden taufen laſſen. Auf diefeg pers 
‚ließen bie Geiſtlichkeit und die Buͤrger die Stadt. Die 
Anabaptiften pländerten die Kirchen und verlaffenen 
Häufet, und verbrannfen 3 mit Ausnahme per Bibel, alle 
Buͤcher. 

Bald darauf wurde die Stadt vom Bifchofe yon Min 
fer. belagert ‚und Mathias verlor in einem Ausfalle dag. 
Leben *). Alles gerieth bei deſſen Tod in Beſtůͤrzuns. Als, 
fein Johann Bokhold **) lief entkleidet in den Stra⸗ 
ßen umher und ſchrie: Der Koͤnig von Sion koͤmmt! 
Nach dieſem kehrte er nach Hauſe zuruͤck, zog ſeine Kleider 
wieder an, und ging nicht mehr aus. Des andern Tages 
kam der Poͤbel in Haufen, um die Urſache ſeines Beneh⸗ 
mens zu erfahren. Johann Bokhold antwortete nichts, 
ſondern ſchrieb: Gott habe ihm auf drei Tage den Mund 
verſchloſſen. Man aweifelte nicht, deß das em 3 acearlas 





*) Er gab vor, Gott hebe ibm befohlen, Die Truppen des 

Biſchofs wegzuſchlagen; deshalb begab er ſich mit einer Ian 
gen Pike allein in das Lager, und wurde von dem näch⸗ 
ſten Soldaten ſogleich niedergemacht. 

*) Ein hollaͤndiſcher Schneider, befannter unter, ‚dem Namen: 
Iopann von Lehden. | 





- Anabaptiften. 7 


gewirkte Wunder bei dem neuen Propheten wiederholt wor⸗ 
den ſey, und erwartete mit Ungeduld das Ende ſeiner Ver⸗ 
ſtummung. Nach Verlauf der Drei Tage zeigte ſich Bok⸗ 
bald dem Volke, und erklärte im Lone eines ‚Propheten: 
dag ihm Gott befohlen habe, zwoͤlf Nichte über Iſrgel zu 
fegen, Er ernannte diefe Nichfer, und nahm in. ber Ber» 
waltung der Stadt jede beliebige Aenderung por, . | 

Nachdem er fi in der Gunſt des Volkes binlänglich ' 
befeftigt glaubte, begab fi) ein Goldſchuied (von Aa br 
rendorf) zu hen Richtern und fagfe: Hoͤret was ber Kerr, 
Gott der Emige, ſpricht; „Wie ich, vordem Saul zum 
„Könige über Jfrgel feßte, und nach ihm David, ob .er 
„gleich nur ein gemeine Hirt war, eben, fg feßte ich heute, 
„Johgnn von Leyden meinen Propheten, zum Könige 
„in Sign’, „Ein anderer Propher lief herkei, reichte 
Bokhold ein Schmerd.mit den Worten: Gott beftellt dich 
zum Könige nicht allein über Sion, fondern Über den gan⸗ 
gen Erdkreis. Entzücht rief das Volt Johann, von Ley 
den zum Könige in Sion aug; man verferfigfe ihm eine 
goldene. Krone, ‚und ſchlug in feinem Namen Münzen. 
Kaum war Bokhold zum Könige ausgerufen, ſo ſchickte 

er 28 Apoſtel aus, um fein Reich allenthalben anzukuͤndi⸗ 
gen. Diefe erregten, wo fie immer hinkamen, Unruhen, 
befonders in Holland; mo, wie Sodann von Leyden 
vorgab, Sort ihm Amflerdam und mehrere andere Staͤdte 
gegeben hatte. Die neuen Apoftel wurden in Verhaft ges 
nommen, und alle, bis auf einen melcher entfloh, nebft 
mehrern andern AUngbaptiften hingerichtet. 

Der König von Sion vernahm mit Schmerzen die 
Unfälle feiner Apoſtel, Mutblofigkeit. verbreitete fich in 
Münfter; die Stadt wurde. bald darauf von dem Biſchofe 
eingenommen, Johann von Ley den felbfi gefangen, mit. 
glühenden Zangen gezwickt, und ihm ein Schwerd durd) das. 
Herz geflogen im Jahre 1939 den 21ten Jini. 


‚Die Säidfale der Friegerifgen Anabaptiften feit! 
Erloſchung, des Königreichs Münfern 
Die Anabaptiften wurden von alen Fuͤrſten und 


70 Aluabaptifſten. 


Magiſtraten, die das Beiſpiel Muͤnſter's ſtets vor Augen 
hatten, verfolge und ſorgfaͤltig beobachtet; virgends lief 
man ihnen Ruhe. In Holland; hörten die Hinrichtungen 
mehrere Jahre lang gar nicht auf. Zehn Jahre nach der 
Unterwerfung Kn Muͤnſter führte man noch viele Ana⸗ 
baptiſten, die ihre Faktion wiederherzuſtellen ſuchten, zum 
Tode; einige entflohen, der groͤßte Theil aber ſtarb mit er⸗ 
ſtaunenswerthem Muthe; man ſah ſolche, die die moͤgliche 
Rettung dem Tode vorzogen, weil ſie ſich in einer Lage bes’ 
fanden, welche ihnen ‘alle Heffnung zur Berbefferung- ihrer 
Umſtaͤnde durch ein laͤngeres Leben entriß. | 
Mit- der nämlichen Strenge begegnete man ihnen in‘ 
England, wo fie jedoch Proſelyten machten: in Deutſchland 
und der Schweiz erſtanden fie Immer non Neuem. Das: 
war Überall das Schickſal der Anabapttften, deren 
Haupfabficht dahin ging, eim zeitlicheg Reich und ſelbſt eine 
‚ „ Univerfals Monarchie mit Untergang. aller beftehenden Maͤchte 
zu fliften. Aber zerſtreut in allen Ländern und, außer Stand, 
etwas zu unternehmen ‚ "entfägten fie dem abentheuerlichen 
Vorhaben, die Welt ihren, Meinungen. zu unterwerfen. Ihr 
Fanatismus war nicht mehr Wuth, ımd fie vereinigten ſich 
endlich mit den reinen und friedlichen Anabaptiſten. 


Die friedlichen Anabaptiſten. 


Der Geiſt der Empoͤrung und des Aufruhrs war dem 
Anabaptisgmug nicht wefentlic eigen, und Stord ſtieß 
nicht uͤberall auf ſolche Charaktere, wie jener Muͤnzer's. 
Einige ſeiner Schuͤler, ſtatt gegen die weltlichen Maͤchte 
ſich aufzulehnen, faßten den Plan, die in den verſchicdenen 
Laͤndern Deutſchlands zerſtreuten Anabaptiſten zu ſam⸗ 
meln, ſich den Verfolgungen der Magiſtrate zu entziehen, 
und eine rein religioͤſe Geſellſchaft zu bilden: folche waren 
Hutter, Gabriel und Menno Simonis, die die Ge⸗ 
ſellſchaft der maͤhriſchen Brüder, und der Dennonis | 
gen flifteten. — nei] 


Die mäpeifäden Beüßee 
"Hutter md Gabriel, beide Echuͤler Storch s/ 


Anabaptiſten. 77 


kauften in Mähren eine ziemlich ausgedehnte Strecke Lan⸗ | 
des in einer fruchtbaren jedoch oͤden Gegend. Hierauf durchs 
sen fie Schleſien, Boͤhmen, Steyermark und die 

Schweiz, und kuͤndigten allenthalben an: Gott habe ſich 
ein Volk nad) feinem Herzen augerfehen, welches in allen 
Fändern des Goͤtzendienſtes zerſtreut wäre, ber Augenblick, 
Iſrael zu fammeln, fey gekommen, die wahren Glaͤubigen 
muͤßten aus Aegypten ziehen, und, in. dag Land der Ver 
heißung übergehen. 

Nachdem Hutter eine zur Bildung einer Gelellſchaft 
ausreichende Zahl von Anabaptiſten vereinigt hatte, ent; 
warf er ein Glaubens-Bekenntniß und Gefege., Das Glaus 
beng + Befenntnif war folgendes : 

1) Gott hat fich in allen Jahrhunderten ein helliges Volk 
auserleſen, bei welchem Er ſeine wahre Verehrung hin⸗ 
terlegt hat. Die Schwierigkeit iſt, ſeine unter den Kin⸗ 
dern des Verderbens zerſt treuten Glieder zu fennen, und 

„fie in eine: Geſellſchaft zu einigen, um fie in dag verheis 
ßene Land zu führen. Diefes Volk iſt gang gewiß jeneg, 
welches Hutter fammelt, um ihm in Mähren einen 
feſten Sit anzuweiſen. Sich bon dem Haupte trennen, 
oder die Gefoge des Führers. Iſraels verachten, iſ dag 

Zeichen einer gewiſſen Verdammung, | 

2) Man muß alle Geſellſchaften als gottlos betrachten, 
welche keine Guͤtergemeinſchaft haben; man kann nicht 
perſoͤnlich reich, und zugleich ein guter Chriſt ſeyn. | 

3) Jeſus Chriſtus ffi hicht Gott, fondern ein Prophet. 

4) Chriſten dirfen außen den geiftlichen Nieten feine ans 

deren Dbrigfeiten erfennen. Ä 


5) Saft alle äußere Retigiong » Zeichen find der. Keinheit 
des Chriſtenthums zuwider, deſſen Goftesverehrung fm 


- Herzen feyn muß Bilder duͤrfen nicht beibehalten wer 


ben, weil Gott eg verboten hat. 

6) Affe, welrche nicht von Neuem getauft fi ind, fi find wahre 
Unglaͤubige, und die vor der neuen Wiedergeburt ger 
fchlofienen Ehen find durch die Verbindung, die man | 
mit Chriftug eingehet, getrennt. 


| 78 | | Anabaptiſten. 


75 Die Taufe loͤſcht die Erbſuͤnde nicht aus, und ertheilt 
keine Gnade, ſie iſt nur ein Zeichen, wodurch jeder 
Chriſt in die Kirche eintritt. | 

8) Die Meffe ift eine Erfindung des Satans, das Fegs 
feuer eine Träumerei, die Anrufung der Heiligen eine 
Gott zugefügte Unbild, ver Leib Jefu Chriſti ift in 
der Euchariſtie nicht weſentlich gegenwaͤrtig. 
Dieß find die Glaubens⸗Lehren, wozu ſich die durch 

Hutrer vereinigten Anabaptiſten bekannten, und die 

ſich den Namen der maͤhriſchen Bruͤder beilegten. 


Weil man bei ihnen die Taufe nur Perſonen don ‚reis 
ferem Alter ertheilte, fo fragte man den Profeliten: ob er- 
nie eine obrigfeftfiche Stelle begleitet babe, und ob er aller 
Hoffart und Pracht des Satans, welche mit jenen verbun⸗ 
Den wären, enffage; man unterfuchte feine Sitten, und er ' 
wurde zur Aufnahme unter die Brüder nur dann für wir 
dig erachfer, wenn man das Volk mit einhelliger Stimme 
hatte rufen hören: Mantaufeihn Dann nahm ver 
Nrediger Waſſer, goß folches über den Profeliten mit den 
‚Morten: Ich taufe Did) im Namen des Vaters, bes 
- Sohn's, und des hl: Geiſtes. 


Bei den Anhängern Hutter's sing man jährkich zwei⸗ 
mal zum Abendmahl, zu einer Zeit, welche der Vorfteher 
zur öffentlichen Communion beſtimmt hatte. Gewoͤhnlich 
verſammelte man ſich in einem Zimmer oder Saale, der den 
Brüdern zum Speiſe-Saale diente, zur Feier dieſer Ges 
heimniſſe. Die Ceremonie begann mit Ableſung des Evan⸗ 
geliums in der Mutters Sprache, dann wurde eine Anrede 
über dag Abyeleſene gehalten, nach deren Beendigung der 
Aelteſte einem jedem der Bruͤder ein Stuͤck gemeines 
Brod brachte. Alle nahmen es in ihre Haͤnde, die ſie ausge⸗ 
breitet hielten, waͤhrend dem der Prediger das Geheimniß 
erklaͤrte. Endlich ſprach er mit erhobener Stimme die Wor⸗ 
fe: Nehmet, meine Brüderl:effet, und berfündis 
get den Tod des Herrn. Hierauf verzehrten Alle das 
Brod. Der Weltefte ging nun von Reihe zu Reihe mit: dem 
Kelche, und ver ‚Prediger ſogte: Trinket im. Namen 


* 


Anabaptiften. 79 


Ehriſti zum Gedäctniffe feines Todes, Alle tranfen 
aus dem Kelch, und blieben in einer Art von Verzuͤckung, 
aus der fie nur auf die Ermahnungen des Predigers zu fich 
kamen, welcher Ihnen die Wirkungen erflärte, fo das Ges 
heimniß , an den fie Theil genommen hätten, in ihnen her: 
Vorbringen müßte, 

"Sobald das Abendmahl geendiget war, ſchickte mar 
Aus der Verſammlung Apoſtel in die benachbarten Provinzen 
ab. 


Die Ana baptiſten hatten weiter keine andere Religions⸗ | 
Abungen, als "den Empfang des Abendmahls, auffer daß 
fie alte Mittwochen und Sonntage in Abtheilungen in Pris 
vathaͤuſern zufämmenfamen, um. da öhne Ordnung und 
Vorbereitung Reden zu halten, oder zu hören. Die maͤhri⸗ 
ſchen Bruͤder wohnten ſtets auf dem Lande auf den Guͤtern 
der Edelleute, welche ihren Vortheil dabei fanden, ſolche 

einer Kolonie von Anabaptiſten in Pacht zu geben, der 
dem Herrn Immer dag Doppelfe von dem einfrug, was er 
von einem gewoͤhnlichen Paͤchter ſonſt erhielt. 
—Natten fie eine Beſitzung uͤbernommen, ſo wohnten ſie 
alle zuſammen in einem abgeſonderten, mit Palliſaden einge⸗ 
ſchloſſenem Platze; jede Haushaltung hatte ihre Huͤtte, wel⸗ 
che ohne Verzierung gebaut, aber inwendig reinlich war. 
Mitten in der Kolonie hatte man oͤffentliche Gebäude errich⸗ 
tet, welche für die Beduͤrfniſſe der Gemeinde beſtimmt wa⸗ 
ren: man ſah daſelbſt einen Speiſeſaal, wo’ ſich alle zur 
Eſſenszeit einfanden; man hätte Arbeitsſaͤle fuͤr ſolche Ge⸗ 
werbe, die nicht im. freien betrieben werben koͤnnen; man 
hatte Gemäcer , wo die Heinen Kinder der Kolonie vers 
pflegt wurden; es iſt ſchwer zu befchreiben, mif welcher Sorg⸗ 
falt die Wittwen fich diefem Gefchäfte unterzogen. An eis 
nem andern abgefonderten Orte hatte man eine öffentliche 
‚Schule zum Unterrichte der Jugend eingerichtet. Auf diefe 
Weife waren die Eltern weder mit der Verpflegung noch 
Erziehung der Kinder belafter: 


Da die Güter gemeinfchaftlich Waren, ſo hatte ein Des 
konom, der jährlich mechfelte, die Einnahme der Kolonie 


80 Aunabaptiſten. J 
und die Fruͤchte ihrer Arbeiten zu beſorgen; er mußte auch 


den Beduͤrfniſſen der Gemeinde ſteuern; der Prediger und 


der Arichimandarit hatten eine Art von Dberaufficht uͤber die 


Mertheilung der Güter, und über die gute Oebnung der 
Zucht. 

Die erſte Regel war, keine muͤßigen Bente unter den 
Brüdern zu dulden. Mit Tages s Andruch. nad) einem Ges 


bete, ‚da8 jeder im Stillen verrichtete., begaben fich die Eis 


nen auf das Feld, um eg zu bauen / die Andern verrichten 
in den Werfflätten das Handwerk, fo fie gelernt Hatten; 
niemmd war von der Arbeit ausgenommen; wenn Daher je 
mand von Stand ein Bruder geworden war, fo war cr vers 
müßigt, nach dem Befehle des Herrn, fein Brod im Schweir 
fe feines Angeſichtes zu effen. 

Alle Arbeiten wurden in der Stille verrichtet; dieſe im 


Speiſeſaale zu unterbrechen, war ein Verbrechen. Ehe man 


die Speiſen anruͤhrte, betete jeder Bruder. für. ſich, und 
blieb faft ‚eine Biertelftunde lang mit auf dem Mund zus 
fammengelegten Händen in einer Art von Verzuͤckung; man 


gieng nicht vom Tiſche, ohne eine andere Viertelſtunde im 


Stilien gebetet zu haben; nach dem Tifche. gieng jeder wie⸗ 


der an ſeine Arbeit. 


von den Kindern beobachtetz es war, als ſaͤhe man Stas 
tuͤen Yon einer Traperie; denn die Kleidungen aller Brüs 


mai wurde auch das Stillſchweigen in der Echule 


der und Schweſtern waren'von -demjelben Stoffe und Zus 


— 


ſchnitte. Die Heirathen waren nicht dag Werk der Nets 
gung oder des Eigennutzes. Der VBorfteher führte ein Res - 
gifter der heirathsfähigen Perſonen beider Geſchlechter; dee 

ältefte Juͤngling wurde nach ‚dem Nange der Kolle dem Als 

teften Mädchen zum Deanne- gegeben ; jenes von beiden Theis 
len, welches die eheliche Verbindung mit dem andern aus⸗ 

ſchlug, kam in die letzte Reihe jener, die zu Verheirathen 

waren, dann wartete man, bis der Zufall diefe Perfonen 
zuſammenfuͤgte. 


Der Hochzeittag ward mit wenig Aenßerlichkeit gefei, 


| ert; der Hausmeiſter vermehrte bloß das Mahl der Braut⸗ 


J Anabaptiſten. 81 


= 


lente mit einigen Gerichten, und dieſer einzige Tag war 
für fie «in Sefltag, wo fie von der Arbeit frei waren, dann 
wies man ihnen in einem Bezirke eine abgefonderte Hütte an, 
mit dem Bedeuten: daß die Frau ſich täglih an ihrem 
Platze in dem Arbeitsſaale einzufinden habe und der Mann 
fi), wie gewähnlih, auf das Feld oder in die Werfftätte 
bescden müßte, um feinen Verrichtungen obzuliegen. Dag 
Laſter hatte diefe. Gefellfchaften nicht verdorben ; man fah das 
felbft feine Spur von ben Unordnungen, welche man dem 
verſchiedenen Serten der Anabaptiſten vorwarf. Die Ueber⸗ 
tretungen der Geſetze wurden nur mit geiſtlichen Strafen bes 
legt, wie Das Ausſchließen vom Abentmahle; jene, die fich 
nicht befierten, ſchickte man in die Welt zuruͤck. 


Geſchah es, daß jemand in der Hitze einen Todſchlag 
begangen hatte, deſſen Ungeſtraftheit haͤtte koͤnnen gefaͤhr⸗ 
lich werden, fo ſcheute man ſich, Das Blut des Schuldigen 
zu versießenz man haffe eine gang ungewöhnliche Todes⸗ 
firafe ausgetacht, nämlich den Verbrecher zu Tode zu kigeln. 

Die Ausgaben dee mährifchen Brüder kamen unmöglich 
ihrem Erwerbe gleich; daher die Reichthuͤmer, die die Hauss 
hälter jeder Kolonie heimlich fammelten ; man legte hierüber 
nur dem Dberhaupte der ganzen Secte Nechnung, welches 
bloß den Brüdern befannt war, und das man dem Publis 
fum nicht offenbarte. Nach Anordnung dieſes Oberhauptes 
oder erſten Archemanbartten veriwendete man den Ueberfchuß 
der Kolonien zum Nutzen der ganzen Secte; oft Faufte man 
jene Ländereien, bie man nur gepachtet hatte, als Eigens 
thum an, 


Untergang der mähriſchen Brüder 


Alles fchien fih zum Echuge der mährifhen Bruͤ— 
der zu vereinigen. Der Adel fand feine Nechfiung dabei, 
feine Güter durch unermüpdliche und freue Leute gebaut zu 
fehen. Man fonnte feine Klagen gegen eine Gefellfchaft ers 
heben, deren ganze Einrichtung, wie es fchien, nur auf das 
öffentliche Wohl abzielte. Inzwiſchen gewann in ben Her; 
Ketzer⸗-Lexikon. IL | 6 


82 | Anabaptiſten. 


zen gerdinant’s der. Religionseifer über seitliche Vortheile | 


die Oberhand. Diefer Fürft, fagt P. Catrou, fah Alles 
gegeneinander gehalten, wie gefährlich es ſey, wenn fich in 
feinen Stagten eine von den bilrgerlichen Obrigkeiten unab⸗ 
haͤngige, und mit der Unterwuͤrfigkeit gegen die Souveraine 
im Widerſpruche begriffene, Republik bildete. 

Die doppelte Betheiligung der Religion und des Stda⸗ 
tes machte ihn ‚daher zum erklärten Zeinde der Hutteris 
ten inshefondere , wie er ed gegen die Anabaptiſten im 
Allgemeinen gewefen war: der Marichall von Mähren ers 
hielt den Befehl, fie zu vertreiben. Sie beriefen fi) auf den 


Schuß der Geſetze, wodurch fie rechtmäßige Beſitzer ihrer 


Wohnungen geworden waren. Der Adel und bie Städte 


von Mähren nahmen- fih ihrer an; Allein nichts fonnte 


Ferdinand beugen: er ſchickte Truppen gegen die Ands 
baptiften. „ Nun, fährt P. Catrou frrt, überließen die 
„maͤhriſchen Bräder ihre Wohnungen dem Geizelder Sol; 
„daten, ohne ihrer Seits das geringfte Zeichen von Unmwils 
„len oder Widerfland zu geben, rottenweiſe verließen fie 
„Mähren, um fich in eine, unbewohnte, unbebaute und; 
„unfruchtbare Gegend an den maͤhriſchen Grenzen sure 
„zuziehen. 

WMaͤhren fühlte bald den erlitienen Verluſt man be⸗ 
klagte ſich, daß man die ſonſt ſo fruchtbaren und durch den 
Fleiß der Anabaptiſten fo gut gebauten Felder feit ihrer 


- Vertreibung oͤde und vernachläßigt fehe: Während der Hun⸗ 


ger die Hutteriten in ihren Einoͤden aufrieb, feufzten die 


Mährer nach der Rückkehr diefer armen Verbannten; man . 


klagte, murrte, und Mähren war auf dem Yunfte, fich 
zu empoͤren. Man rief die Anabapfiften zurüc. Allein 


nach ihrer Zuruͤckkunft beunruhigte Zwietracht ihre Kolonien - 


Ste wurden von Hutter und Gabriel, Männern von 
fehr 'verfchiedenem Charakter, regiert. Hutter 509 unaufs 
hörlich gegen das Anfehen ver Obrigkeiten los, und pres 


digte mit allem Ernſte die Gleichheit der Menfchen. Der 


fanftere Gabriel wollte, daß man fich nach den bürgers 
üchen Gefegen des Landes, wo man fich befinde, fügte. 
‚Hutter und Sabri el entzweiten fich, und bildeten zwei 


% 


 Unabaptifen. . 83 


Sefondere Seiten, die Sabrieliften und Hutteriten, 
die ſich einander in den Bann thaten. Hutter und Gar 
briel errichteten jeder ‚von feiner Seite neue Niederlaffuns 
gen; ihr Pan war, ſich zu den einzigen Ackerbauern in. 
Deutſchland, und den geſchickteſten Handwerkern in den 
Städten zu machen. So fand man in den Anſiedelungen 
der Anabaptiften im Allgemeinen Alle, was zur Bes 
friedigung der Beduͤrfniſſe aller Stadte diente; daher ſagt 
P. Eatron, entfkind der. Ruin und. dag Mißvergnügen 
. der. alten Einwohner des Landes. Man bemerfte überdies 
noch), daß Hutter in den verfihiedenen Provinzen, wohin 
er Fam, die Privaten vermochte, ihre Beſitzungen für feine 
Niederlaffungen zu verkaufen, er wurde als ein Feind der 
Gefellſchaft ergriffen, und als Keber verbraunt. . - _ 

Nach) Hutter's Tode vereinigten ſich beide Seiten; 
allein Die Sitten, wurden ausgelaffener, der Farus ſchlich 
ſich ein, und zog alle Laſter herbei. u | 

Alle Geſchicklichkeit der Arkhemandariten reichte kaum | 
hin, Die Unorönungen Der Anſiedlungen zu verdecken; man 
predigfe den Brüdern mur noch politifche Gründe, um den 
Strom des Verderbniſſes aufzuhalten: es fen gefährlich, 
fagte man, ſolche nach außen bekannt werden zu laſſen; 
man unterhielt fie beinahe nicht mehr von Gott, und von 
der Strenge feiner Gerichte; die Geheimniffe der Dreieinig⸗ 
feit und der Menfchwerbung des Sohnes Gottes Tchienen 
ganz vergeffen zu ſeyn; man duldete unter ihnen alle Sec⸗ 
ten des Anabaptismug , Die Sabatarier, die Heimlts 
chen x. von melden wir in einem beſondern Artifel {pres 
chen werden. 


Gabriel widerſetzte fi ä dieſen Mordnungen aus al⸗ 
len Kraͤften, machte ſich aber bei der Secte verhaßt, welche 
ihn aus Mähren vertreiben ließ. Tr zog ſich nach Po 
Ien zuruͤck, und. endigte Dafelbit fein Leben, welches ſtets 
mif dem Wachsthume und Nuhme der Secte beſchatiget 
mar, in der trauvigſten age. 

Die Gemeinde der mährifhen. Brüder veſtaud nal der 
an Gabriſel's noch fort. Teldhalber. war einzig 
6 * 


84 Anabaptiſten. 


auf die Bereicherung der Pflanzungen bedacht, allein bie 
urfprüngliche Ordnung und Zucht wurde nicht mwiederherges 
ſtellt. Die Verrachfung der Voͤlker folgte dem Werderbnifle 
ver Annbaptiften, und diefer die Werfolgung ; endlich 
wurde gegen das Jahr 1620 .diefe ſo entartete Gemeinde 
gänzlich zerſtoͤrt. Eine große Anzahl Brüder begab fich nad) 
Siebenbürgen, mo fie ſich mit den Sozinianern 
vereinigte: Seitdem fih die Quaͤcker in Siebenbürs 
gen niedergelaffen, und ale chriftlichen Secten bei fid; auf 
‚ genommen haben, find viele Anabaptißen von Maͤhren 
dorthin gezogen. 


Die felediiden Amabaptiſten Holland, Mennonk 
ten genannt, 


Zwei Brüder, Namens Ubbo und Theodor Phi— 
lipp, Söhne eines Paflord von Leumwarden, wurden 
nach ihrem Uebertritte zu den Anabaptiften im Jahre 
1534 zu Biſchoͤfen beſtellt. 


Beide Bruͤder hatten nie weder die Meinungen noch 
die Abſichten der Anabaptiften von Muͤnſter hinſicht⸗ 
lich eines weltlichen Reiches gutgeheißen. Nach Erloͤſchung 
dieſes Reiches ſammelten ſie Ueberbleibſel der Anabaps 
tiſten, mit dem Vorhaben, 'eine neue Secte aus ihnen zu 
bilden. Sie sheilten diefen Plan einem Pfarrer in Frie s⸗ 
laud, Namens Menno Simonis mit, und vermochten 
ihn, feine Stelle zu verlaffen, und Bifchof der Unabaps 
tiften zu werden. Nachdem Menno Biſchof geworden 
war, arbeitete er mit ſo vieler Waͤrme und ſo gutem Er⸗ 
folge an der Errichtung ſeiner Secte, daß in kurzer Zeit ſeine 
Lehre von einer großen Anzahl Menſchen in Friesland, 
Weſtphälen, Geldern, Holland, Brabant und an 
verſchiedenen andern Orten angenommen wurde. Jedoch ges 
ſchah dieſes nicht ohne große Schwierigkeiten. Man ver⸗ 
kuͤndete ſtrenge Edicte gegen die Mennoniten, und viele 
‚wurden verbrannt, ja man verurtheilte einen Einwohner 
von Harliwgenin Friesland zum Tode, weil er den 


{ 


| Anabaptiſten. 85 
Benno Simonis tn ſeinem Haufe aufgenommen 
hatte. Zu | u Ä 
- Die Mennoniten wurden bald uutereinander imeing; 

es entftanden große Streitigkeiten in diefer Seete über die 
Exkommunikation, ımd man hielt zu Wismar, wo Mens 
no ſich aufhielt, eine Synode. et 
In diefer Synode verfuhr man mit Nachdruck und Hitze 
gegen diejenigen, welche die Gefege üherfraten; man vers 
oronete, daß der Ehemann feine ercommunizirte Ehefrau vers 
laſſen müffe, und umgemwandf; und daß bie Anverwandten 
einer mit dem Banne belegten Verfon keine Gemeinfchaft 
mehr ‚mit derfelben haben ſollten. Dieſe Synode wurde in 
einer Verſammlung, welche in bemfelben Jahre zu Met 
lenburg flatf hatfe, verworfen, und. man ſetzte feft, daß man 
in Betreff der des Bannes wuͤrdig erachteten Perfonen nicht 
fo firenge verfahren ſollte. Dieger Zwiſt veranlaßte in ber 
Folge noch andere Trennungen unter den-Atabaptiften, 
hervorgebracht durch mehrere Tragen Über die Mittel, ſich 
mit Hintanfegung ber Obrigkeit, der weltlichen Macht zu 
bedienen. Diefe Fragen erhitzten Vie Gemuͤther fo ſehr, daß 
nachdem Menno einen gewiſſen Anyper, Imeil er, nicht 
feiner Meinung mar, excommunizirt hatte, diefer feiner Seife 
ihn gleichfalls mit dem Banne belegte. - Dieſe Trennung ber 
Anabaptiften nahm im folgenden „jahre. befrächtlich zu, 
beſonders zu Embden, wo in Betreff eines Weides, defs 
fen. Mann man ercommunizirt hatte, große Anordnungen 
gorfielen. Da diefe Frau ſich von ihrem Manne. nicht tren⸗ 
nen wollte, fp behaupteten die Einen, man muͤſſe fie ercoms 
muniziren, die Andern ſetzten fich dagegen... Dan fehrieb An 
Menno, welcher antwortete: er tillige nie ein, Daß man, 
eine fo große Strenge in Betreff- des Bannes übe. Allein 
die firengen Anabaptiſten, bedrohten ihn. felbft mit dem 
Kirchenbanne ‚und er mußte ihrer Meinung ‚nachgeben... 
>... Bon diefen: verſchiedenen Meinutigen uͤber die Excom⸗ 
munikation entſtanden die verſchiedenen Faktionen, welche 
noch heut zu Tage die, Meynoniten trennen. Die ſtren⸗ 
gen Unnbeptifteg trennten ſich weiter in die ſtrengeren 


* 


860 | Anabaptiften. " 

und gelinderen ; alle excommunizirten 03 gegenfeitig ; 
nicht8 konnte dieſe verfchievenen Partheien. —— — — 
Nach nem Tode Menno's vermehrte ſich die Spaltung ums 
ter feinen Anhängern, hauptfächlih in Flandern und in 
der Schweiz. Zu deren Beendigung wählten beine Theile 
Schiedsrichter, mit dem Verſprechen, fih an ihren Aus⸗ 
ſpruch zu halten, Die Flamänder, welche die ffrengen Men⸗ 
“nonifen waren, wurden verurfbeilt; allein fie beſchuldig⸗ 
ten die Schiedsrichter der Partheilichkeit, unterbrachen alle 
Gemeinſchaft mit den gemäßigten Mennonften, und eg 
war ein Verbrechen, miteinander umzugehen, zu effen, zu 
ſprechen, und die geringſte Gemeinfchaft ſelbſt auf dem 
Todsbette zu haben. 


Nachdem die Niederlande ſich der Herrſchaft Spantens 
entzogen hatten, wurden die Anabaptiſten nicht mehr 
verfolgt. Wilhelm J., Prinz von Dranten, hatte zur 
Fortfegung des Krieges eine Summe Geldeg vonndthen, 
forach die Mennoniten darum an, und erhielt fie. Nach 
‚Empfang diefer Summe und Unterzeichnung. der Schuldver⸗ 
ſchreibung, fragte fie ber Prinz, wag fie für eine Gnade 
fih von ihm ausbäten. Sie baten um Duldung, welche 
fie nach Beendigung der Revolution auch wirklich erhielten. 


Raum haften die Proteſtanten den Genuß der freien 

Meligiong » Mebung in den vereinigten Provinzen erlangt, 
fo gaben fie fih ale Mühe, die Anabaptiften verhaßt 

zu machen, und ihre Verbannung zu bewirken. Alle Wider: 

wärtigfeiten „ fo Jeßtere von Seiten der reformirten Kirchen 

und der Obrigkeiten des Landes bis gegen dag Ende des 

1Tten Jahrhunderts erfuhren, hinderten fie nicht, ihre 

Trennungen forfzufeßen. Inzwiſchen hielten fie im Jahre 
1632 eine Synode zu Dortredht, um ihre Vereinigung 

gu bewirken; man ſchloß daſelbſt eine Art Frieden, welcher 

von 151 Mennonften unterzeichnet wurde: aber einige 

Jahre darauf erhoben ſich neue Schismatiter in der Secte 

des Menno. 


| Der Mennontsmug hat peufe zu Tage zwei aroße 
Verzweigungen in Holland, unter deren Namen alle-Brils \ 





Anabaptiften. 87 


‚der begriffen find; die eine find bie Materländer, die 


andern die Slaminger, unter dieſen ſind die friſiſchen 
und deutſchen Mennoniten begriffen, welche eigentlich 
die Secte der alten Anabaptiſten ausmachen, jedoch der 
That nach gemäßigrer als ihre Vorfahrern in Deutfchland 
und der Schweiz. Inter den F lamingern findet man viele 
Eorinianer. 

| Im Jahre 1664 war der Staat genoͤthigt, fein Anfes 
hen zu gebrauchen, um ihnen zu verbieten, über die. Gott 
heit Jeſu Chriſti zw ſtreiten. Man nennt fie.aud) Die 
Galeniften, von Galenus, Abrahamsfohn, einem 
Arzte, und berüchtigten mennonififchen Prediger. Mebſt 
diefen mennonitifchen Zweigen gibt eg zu Amflerdam 


verfchiebene Eleine, weniger bekannte Gefelfihaften, welche 


ſich von einander in mancherlei Punkten von wenig Bedeu⸗ 
fung unterfcheiden. Diefe Heinen. Verſammlungen bilden ſich 
ohne Geraͤuſch und im Verborgenen, in einigen Privat⸗ 
Häufern. Die Dispite, welche die Galeniſten im 3. 
1669 über die Sottheit Chriſti erregten, gab einer neuen 
Gefelfhaft von Mennoniten ihre Entftehung, welche ſich 
mit Proteflation gegen die focinianifchen Meinungen trenns 
ten. Diefe verfammeln ſich von diefer Zeit an fortwährend 
in einer befondern Kirche. 
Die Menno niten erkennen ſonach die Gottheit Jeſu, 
und behaupten: man muͤſſe weder der Kirche, noch den 


Concilien, noch einer andern kirchlichen Geſellſchaft gehor⸗ 


chen. Sie verwerfen die Kinder⸗Taufe; behaupten, keine 
Kirche koͤnne mit Ausſchluß einer andern als die wahre an⸗ 


geſehen, und die Reformation duͤrfe nicht als ein durch 
Gottes und Jeſu Chriſti Macht ausgefuͤhrtes Unterneh⸗ 
men betrachtet werden. Sie glauben nicht, daß die Kir⸗ 


chen⸗Diener eine von Gott verliehene Gewalt haben. Hier⸗ 
aus ſchließen ſie, daß die Excommunikation ſeit den Apo⸗ 
ſteln, welche allein von Gott geordnet ſeyen, nicht mehr 
Statt habe. Endlich erkennen ſie die Nothwendigkeit, der 
Obrigkeit zu gehorchen. Im Jahre 1600 unterſchrieben die 


deutſchen und elſaͤßiſchen Anabaptiſten das Glaubens⸗ 


Bekenntniß der Flaminger. Die Anabaptiſten von 


J 





. 88 j Anabaptiften. 


Hamburgs haben das Glaubens⸗Bekenntniß der Getreuns 
ten. Sie verrichten die Taufe und dag Abendmahl beinahe 
wie die maͤhriſchen. Bruͤder x). / 





Die Gecten. der Andäßtigen, die fih unter den 


Anabaptifien erhoben daben. 


Eine Hauptlehre des Anabaptismus war: daß Gott 
die Glaͤubigen unmittelbar belehre, und daß der hl. Geiſt 
ihnen eingebe, was ſie thun und glauben muͤßten; jeder 
Anabap etiſt nahm demnach alle feine Vorſtellungen, fo 
ſonderbar fie auch ſeyn mochten, für geoffenbarte MWahrheie 
gen, und man fah eine Menge anabaptiflifcher Secten, bie 
nichts gemein haften, als Die ſchon Getauften von Neuem 
zu faufen, und die bie Seligfeit von verſchiedenen Gebraͤue 
chen abhängen ließen. Dergleichen waren : 


1) Die Adamiten, die anter Zahl zu mehr alg 300 
ganz nackt auf einen hohen Berg fliegen, überzeugt, daß fie 
mit Leib und Seele in den Himmel wuͤrden aufgenommen 
werben. 


2) Die Apoftolifchen, die den. Befehl Jeſn, auf 
den Dächern zu predigen, nach dem Buchflaben erfüllten. 
Diefe hatten Eeinen andern Lehrftuhl als die Dächer der 
Häufer, welche fie mit Leichtigkeit beftfegen, und von da aus 
an die Vorübergehenden ihre Stimmen erfchallen liegen. 


.3) Die Stillfhweigenden im Gegentheile, überzeugt; | 


daß jene unglückliche vom Hl. Paulus vorhergefagte Zeit 
angekommen ſey, zu welcher das Thor des Evangeliums vers 
fchloffen werden müßte, ſchwiegen hartnäcig flile, wenn 
man fie über die Religion, und die Parthei, die man in 
dieſer fchwierigen Zeit gu ergreifen hätte, befragte. 


*) Histor. Mennonitarum , Descript. d Ameterdam. Hist. 
des Anabapt. dann eine Heine Geſchichte der Anabaptiſten 
in 12. Amſterdam, welche nach vorzügtigen. Denkfäriffen. 

abgefaßt if. 


— — 





Ynabaptien = 89 


4) Die Vollkommenen, die fh von der Melt ger - 
frennt hatten, um dag Gebot, ſich dieſer Welt nicht gleich 
zu ſtellen, nach dem Buchſtaben zu erfüllen. Eine heitere 
“oder vergnuͤgte Miene machen oder im Geringſten zu laͤ⸗ 
cheln, hieß, nach ihnen, ſich den Fluch Jeſu CEhr iſti zus 
ziehen: Wehe euch, die ihr ladet, denn ihr wex—⸗ 
Det weinen. 

5) Die uͤnfuͤndhaften, ſwelche glaubten, dag nach 
der-neuen Wiedergeburt es leicht fey, fih vor Sünden zu. 
-verwahren,. und Daß fie in der That Feine mehr begiengen ; 
deßwegen ließen. fie auß dem Gebete des Herrn die’ Wor⸗ 
fe: vergieb ung unfere Schulden, weg. forders 
ten von Niemand, fir fie zu beten. . 

. 6) Die freien Brüder, welde behaupteten, daß 
jede Dienſtbarkeit dem Geiſte des Chriſtenthum's zuwider ſey. 

7) Die Sabatarter, welche glaubten, man nuͤſſe 
ben Samſttag und nicht den Sonntag feiern. u 
' 8) Die Heimlichen, melde fagten, dag man. im. Ne⸗ 
ligionsſachen, im Offentlichen, wie die Menſchen insgemein | 
seven mäffe, und nur im Geheimen fagen dürfe, was man - 
denke. 

9) Die Oeffentlichen, welche gerade bag. Gegen⸗ 
the der Heimlichen behaupteten.. L 429* 

10) Die Weinenden,. weiche ſich einkitbeten , die 
Shränen feyen Bott. angenehm; und. deren. Befchäftigung 
‚in der Uebung befand, mit Leichtigkeit zu meirten ; fie mifchs 
sen immer ihre Thränen unter ihr Brod, und ‘man -begegs 
nete ihnen niemals als mit Seufzern in dem Munde. N 


11) Die Froͤhlichen, die zum Grundſatz annahmen; 
Sröhlichkeit und Wohlleben fey "die vollkommenfte ‚Ehre, wels 
che man dem Urheber der Natur erweiſen koͤnne. | 


12) Die: Indifferenten, welche im Bade der Res 
ligion Feine Parthei ergriffen hatten. ‚ und alle Religionen 
‘ für gleich gut bielten.. - 

43) Die Blut duͤrſtigen, di⸗ nur bas Blut, der 
Katholiken und Protefianten zu vergießen ſuchten. (= 





0 Andronicianer. Antidicomarianiten 


14) Die Antim grianer, welche alle’Chrerbietfung 
und Hochachtung der heiligen Jungfrau vetiagten. 


Androenicianer. Schüler eines gewiſſen Andres 
nicius, welcher die Irrthuͤner der Severiager ange⸗ 
nommen hatte. Sie glaubten, daß der obere Theil der 
Frauensperſonen das Werk Gottes, die untere Haͤlfe das 
Werk des Teufels ſey. (Siehe den Art, Severianer. 
Epiphan haer« 45.) | \ 


Anomianer. Sieh Eungmianern, 


Anthiaſiſten, Phllgfiriug fpricht don dieſer Sec« 
te, ohne zu wiſſen, zu welcher Zeit fie zum Vorſcheine ka⸗ 
men; ſie ſahen die Arbeit als ein Verhrechen ang und brach⸗ 
ten ihr Leben mit Schlafen zu. 


Anthropom orphiten oder Antrop h ianer, 
Reber, welche glaubten, Gott habe ginen menfchlichgeftaltee 
ten Leib, Sie beriefen fich auf eine Stelle der Genefi 8, 
wo Gott fagt: Laßt ung den Menfchen machen nach unſerm 
Bilde, und auf alle Stellen der Schrift, welche Gott Ars 
me, Züße u, dgl. beilegen. 1) Es gab foldhe Keger fm 4ten 
und Anfang deg 10fen Jahrhunderts (931). Diefeg unwife 
fende und rohe Jahrhundert brachte lauter Irrthuͤmer dieſer 
Art hervor, Man wollte von Allem ein Bild haben, und 
ſtellte fich Alles unter körperlichen Gormen vor, Die Engel 
dachte man fich als gepflägelte weißgekleidete Menfchen, wie 
man fie auf den Kirchenmänden gemalt fab; im Himmel, 
gglaubte man, gienge es etwa gerade fo her, wie auf der 
Erde, Diele Slaubten: der bi, Michael leſe alle Montage 
vor Gott Meſſe, und giengen deßhalb an dieſem Tage lie⸗ 
‚ber in ſeine Kirche, als in ‚eine andere. 2), 


Antidicomartaniten ober Antimarianer find 
jene, welche - die Amgſtauſchett der Rute year 





1) Niceph, Lı 21,0, 14, L, 13. C. 10. Iitis de Haer. 


Pp. 190, , 
- 2) Hist. Lit. de France T. 5. p. 10., 


Antinomianer. Antiochien. 9 


net, und behauptek haben: daß fie mehrere Kinder von Jo⸗ 
feph geboren habe, weil in dem Evangelium von den Bruͤ⸗ 
dern Jeſu Chrifit: geredet wird. Siehe Helvidius 
Epiph. Haer. 78.) 


Auntinomtaner d. h. Feinde des Geletes. (Siehe 
Agricola, welcher ihr Haupt war.) 


Antiochien *). Das Schisma dieſer Stadt dauerte 
83 Jahre. — Nachdem die Arianer den Euſtathius 
von Antiochien vertrieben haften, feßten fie den Eudos 
xius, einen eifrigen Arianer an feine Stelle, und viele 
Katholiken. hielten fih fortwährend an Euſt ath tus. Nach 
Euſtathius Tode und der Verfehung deg Eudoriug 
nach Conſtaͤntinopel gingen viele Nänfe und Partheiun⸗ 
gen vor, um Antiochien einen Bifhof zu geben. Jede 
Parthei beftrebte fih,. die Wahl auf einen ihr zugethanen 
Mann fallen zu laffen. Nach vielen Streitigkeiten verei⸗ 
nigfen fi die Partheien zu Gunften des Meleriug, und 
er wurde einmäthig zum Bifchofe gewählt. Meleting 
verwarf in feinen Predigten die Grundfäße der Arianer, 
ward verbannt, und die Arianer wählten an feine Stelle. 
Eufoiug, einen eifrigen Arianer; die Katholiten dem Mes 
letius zugethan, frennten fich und hielten abgefönderte 
Zufammenfünfte 1). 
Antiochien ſah fih nım in drei Partheten getheilt 1 
jene der Katholiken, die eg mit Euſtathius hielten, und 
weder mit den Arianern, noc mit den dem Meletiug 
zugethanen Katholifen, Meil fie diefen für einen ‚von der 
Parthei der Arianer ermählten Bifchof anſahen, in Ges 
meinfchaft treten wollten; die zweite Parthei machten bie 
dem Meletiuns zugethanen Katholiken, die dritte die Aria⸗ 
ner aus. Diefe drei Partheien haften die Stadt mit Spals 
tungen und Uneuben erfuut. 


| *) Viertes Jahrhundert. 
1) Philostorg. L. 5. C. 5. Sulpit. Sev. L. Io. Theod. 
L: ıı. Ä oe 


“u 


ı 


92 ... Antiochien. 


Dachdem ultan- den Kaiferthron befiegen hatte, rief 
er alle verbannte Bifchdfe zurucf. Melerius, Lucifer 
von Cagliari, Eufebtus von Verceli verließen bie 
Thebais, um in ihre Bisthümer zuruͤckzukehren. Euſe⸗ 


bius von Verceli ging nach Alerandrien, mo man 


einen Kirchenrath derſammelte. Lucifer aber von Cag⸗ 
liari, anflatt nad) Alerandrien zu gehen, begab fich nach 
Antiochien, um den Frieden zmwifchen den Euftethtas 
nern und Meletfanern wieder herzuftellen. Da er die 
Euftathigner der Vereinigung mehr entgegen fand, ale 


bie Meletianer, fo weihte er Paulinus, der damals das 


Haupt der Euſtathianer mar, ‚zum Bifchofe in der Ue⸗ 
berzeugung: die Meletianer, welde ein größeres Ders 
Tangen nad) dem Frieden zeigten, würden fich mit Pa ulin 
vereinigen. Allein er irrte fich: die Parthei.des Meletius 
blieb ihm ſtandhaft ergeben, und das Schiema, dauerte fort, 
die Bifchöfe des Morgenlandes waren file Meletius, jene 
des Abendlandes für Paulin. Diefe Trennung wurde | 
noch durch eine fheinbare Abweichung in der Lehre genaͤhrt. 
Die Deletianer, und die Morgenländifchen Biſchoͤfe ber 
haupteten: man müffe fagen, es gebe in. Bott drei Hypoffas | 


“fen, ‚indem fie durch das Wort Hppoftafle, die Perfon 


verflanden. Paulinund die Abendländifchen beforgten, 
der Ausdruck: „Hypoſtaſe medte für Natur genommen wers 


den, wie es ſonſt gefchehen fen; fie wollten alfo nicht ges 


‚‚fatterr, daß man fage: es gebe fin ber Gottheit brei 2m 
n poftafen ‚ und erkannten darinn nur eine“. « 


Henn gleich dieſes nur ein. Mortftreit war, und fie 
im Grunde Inder Lehre einig waren, fo, rcdefen, und glaubs 
fen fie Doch verfd-.cden zu denfen. 4) Diefe Trennung 
fing au, Durch eine zwiſchen Meletius und Paulinus 


getroffene Uebereinkunft beſeitiget zu werden: beide ſollten 


gemeinſchaftlich die Kirche in Antiochien regieren; nach 
dem Ableben eines von ihnen ſollte Fein Anderer an feiner 
Stelle geweihet werden, und ber Ueberlebende Bifchof bleiben. 





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3) Basil. Epist. 149, fonft 272. 


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Antiochien. Antitarten. 93 
Allein die Biſchoͤfe des Morgenlandes, ohne Ruͤckſicht 
anf dieſe Uebereinkunft, waͤhlten nach dem Tode,des Mes 
letius den Flavian, Paulin feiner Seits gab ſich in 
Evagrius, den er zum Biſchofe weihte, einen Nachfolger. 
Der Kirchenrath von Capua ernannte den Theophilus, 
und die Biſchoͤfe von Aegypten zu Schiedsrichtern; allcin 
SFlavian erkannte fie nicht an, und nach dem Tode des 
Evagrius fand er bei dem Kaifer Eingang genug, um zu 
verhindern, daß man an jenes Stelle einen andern Bifchof‘ 
ſetzte Flavian blieb fonac von der Gemeinfchaft ver 
abendlaͤndiſchen Bifchöfe gefrennf, und bereinigte ſich erſt 
im Jahre 393 mit ihnen. 


Antitacten *). Ketzer, die es ſich zur Pflicht mach⸗ 
sen, Alles das zu treiben, was in der bi. Schrift verboten 
ift. Es gibt nach diefen Ketzern ein feiner Natur nach gus » 
tes Weſen, welches eine Welt gefchaffen hat, mo Alles gut 
war, und worin die unfchuldigen und glücklichen Geſchoͤpfe 
Gott geliebt haben. Dieſe Menſchen, durch Beduͤrfniß oder 
den Reiz des Vergnuͤgens zu den Guͤtern hingetrieben, wel⸗ 
che der Urheber der Natur uͤber die Erde verbreitet hatte, 
uͤberließen ſich dem Genuſſe derſelben mit Dank und ohne 
Reue, ſie waren gluͤcklich, und der Friede thronte in ihren 

Herzen. 

Eines jener Geſchoͤpfe aber, welches das wohlthaͤtige 
Weſen hervorgebracht hatte, war boͤſe; das Gluͤck der 
Menſchen war fuͤr ſolches ein ſchmerzhafter Anblick; es nahm 
ſich vor, dieſes zu trüben; ſtudierte den Menfchen, und 
fand, dag um ihn unglücklich zu machen, weiter nichts noͤ⸗ 
thig wäre, als einige neue Vorftelungen in die Welt zu 
werfen. Es pflanzte fonach in die Gemüther die Idee des 
Boͤſen und des Unehrbaren; es verbot gewiſſe Dinge 
als unehrbar, ſchrieb Andere als chrbar vor; eg fnipfte 
eine Borftelung von Schade an dag, was die Nafur eins 
gab, und verbot es unter großen Strafen, Durch diefe Ges 


4 


*) Zweites Jahrhundert. 


\ 


94 Antitacten. Antiteinitarier 


feße wiirde die Nothwendigkeit der Befriedigung eines Be⸗ 
duͤrfniſſes, welches nach der Einrichtung des Urhebers der 
Natur eine Quelle des Vergnuͤgens war, eine Quelle der 
Uebel; die Vorſtellung des Laſters hing immer an jener des 
Guten; die Reue folgte der Luſt, und der Menſch ward 
durch die Ruͤckkehr zum Gluͤcke, das er ſich verſchaft hat⸗ 
te, erniedriget. 

Der Menſch, zwiſchen den Neigungen, die er von der 
Natur erhält, und dem Geſetze, weiches fie verdammt, einig, 
zwaͤugt, murrte gegen feinen Schöpfer; Die Welt füllte ſich mit 
Unordnungen und Ungläclichen, welche unaufhörlich.gegen die 
Natur rangen, oder ſich abquälten, daB Gefeg zu vereiteln, 
oder mit den Leidenfchaften zu Vereinbaren. Diefes iſt, 
nach den Antiracten, der.Urfprung des Böen, und ie 
Urfahe des Unglides der Menfihen. Die Untitacten 
yielten es für Pflicht, Alles zu thun, was das Geſetz um; 
terfagte; durch dieſes Mittel glaubten fie, fich fo zu fagen 
auf jenen Standpunkt der Unſchuld wieder hinaufzufchwins 


gen, von welchem der Menſch nur Durch Den lirheber des 


Gefetzes herabgegogen worden war; die Derrichaft, Der er , 


ſich über die Menfchen angemaßt Hatte, zu gernichten, amd 


fi an ihm zu rächen. 


Die Antitarten waren ein Zweig der Tainiten, 


und erſchienen gegen das Ende des ten Jahrhunderts im 
Jahre 1605 es waren wollüflige ımd oberftächliche Men 
chen. (Siehe den Artikel Cainiten. 1).) 


Antitrinitarier. Diefen Namen Tegt man im AN: 
gemeinen jenen bei, "welche das Geheimnis der Dreieinigs 


feit Jängnen. 


Die Offenbarung lehrt ung, daß es drei gomiche Per⸗ 
ſonen: den Vater, Sohn, und Heiligen Geiſt gebe; welche in 
der goͤttlichen Subftanz vorhanden find; und dieß iſt das 
Scheimniß der Dreinigteit. 


) "Tircodoret. ‚Eiserct. Sab. L. 1, C. 16. Ittigius de Haer. 
Sect. 2, C. 16. Bibl. Aut. Ecotes. Sac. 2. art. 6. 


. 





00 Antitrinitäriet. | v5 . 

Die- Vereinigung dreier Perſonen in einer und -berfels 

ben einfachen und untheilbaren Subſtanz macht die ganze 

Schwierigkeit diefed Geheimniſſes. Man kann fonach daffelbe 

baͤugnen, entweder ‚wenn man vorausfegt, daß der Vater, 

Sohn, und hl. Geift nicht drei Perfonen, fondern verſchie⸗ 

dene Benennungen find; oder durch die Behauptung, dag 
die drei Perfonen drei befondere Subſtanzen find. 


Der Abt Idachim, einige forinianifcdre Prediger, 
Sherlot, Wifthon, und Elarf waren der Meinung: man 
koͤnne es weder Abreden, daß in ver hl. Schrift von Drei 
goͤttlichen Perfonen die Rede fey, noch folche zu einer ein 
- zigen, einfachen und untheilbaren Weſenheit vereinigen , folgs - 
Ticy glaubten fie: der Vater, Sohn und hl. Geiſt ſevea 
drei verſchiedene Subſtanzen. 


Sabellius, Praxeas, Servet, Socin behaup⸗ 
keten: da Vernunft und Offenbarung nicht erlaubten, mehrere 
voͤttliche Subſtanzen anzunehmen, noch in einer emzigen einfa⸗ 
hen Subſtanz drei weſentlich unterſchiedene Perſonen zu ver⸗ 
einigen, fo müßten ‚der Väter, Sohn und hl. Beift Feine Per⸗ 
onen, ſondern verſchiedene, dem Hötttlichen Weſen nach den 
Wirfungen y die 08 hervorbringe, beigelegte Benennungen 
ſeyn. 


| Es giebt demnach zwei Arten von Antiteinitarier 

Die Tritheiften, welche behaupten: daß die Dei göttli⸗ 
hen Perſonen drei Subſtanzen find, und die Unifarier, 
‘welche die drei Perſonen für verfchiedene, dem göttlichen We⸗ 
fen beigelegte Benennungen nehmen. Der Tritheism ift in 
dem, Arfifel: Abt Joachim; widerlegt, und gegen Clark 
und Wiffhon iſt gezeigt worden, dag der Sohn und hi. 
Beift zwei goͤttliche Perſonen gleiches Weſens mit dem Rus 
ter find. (Siehe Art. Artus, Modedonius). Man hat 
weiter gegen Praread und Sabellius bewiefen, daß 
der Vater, Sohn und Hi. Geiſt drei Perfonen, und nicht 
drei einer Subſtanz beigelegte Benennungen find. Sonach 
wäre das Geheimniß der Dreteinigfeit gegen die Trith eiv⸗ 
fen und Unitarier hergeftellt. Die weitern aus Grüns 
den der Vernunft hergeholten Einwuͤrfe der Unmöglichkeit, 





. 88 i Anabaptiften. 


Hamburs haben das Glaubens⸗Bekenntniß der Getrenn⸗ 
ten. Sie verrichten die Taufe und das Abendmahl beinahe 


wie die emaͤbriſchen Bruͤder . 





Die Secten der Andädtigen, die ſich unter den 


Anabaptifien erpoben daben. 


Eine Hauptlehre des Anabaptismus war: daß Gott 
die Glaͤubigen unmittelbar belehre, und daß der hl. Geiſt 


ihnen eingebe, was fie thun und glauben müßten; jeder 
Anabap tiſt nahm demnach alle feine Vorſtellungen, fo 


fonderbar fie auch feyn mochten, für geoffenbarte Wahrheie 


fen, und man fah eine Menge anabaptiftifcher Secten, bie 
nichts gemein haften, als die fihon Getauften von Neuem 
zu faufen, und die die Seligfeit von verichiedenen Gebräus 
chen abhängen ließen. Dergleichen waren : | 


1) Die Adamiten, die anter Zahl zu mehr als 300 
ganz nackt auf einen hohen Berg fliegen, überzeugt, daß fie 
mit Leib und Seele in den Himmel wuͤrden aufgenommen 
werben. 


8— Die Apoſtolifchen— die den. Befehl Jen, auf. 


den Dächern zu predigen, nach dem Buchſtaben erfüllten. 
Diefe hatten Leinen andern Lehrftuhl als die Dächer ver 
Häufer, welche fie mit Leichtigkeit beftfegen, und von da aus 
an die DVorübergehenden ihre Stimmen erfchallen Liegen. 


.3) Die Stillfhweigenden im Gegentheile, uͤberzeugt, | 


daß jene unglücflihe vom hl. Paulus vorhergefagte Zeit 
angekommen fon, zu welcher das Thor des Evangeliums vers 
fchloffen werden müßte, ſchwiegen hartnädig file, wenn 
man fie über die Neligion, und die Parthei, die man in 
‚diefer fchwierigen Zeit gu ergreifen häfte, befragte. 


.*) Histor. Mennonitarum , Descript. d’Amsterdam. Hist. 


des Anabapt. dann eine Feine Gefhichte der Anabaptiſten 
in 12. Amfterdam, welche nad vorzügligen. Dentigriften, 
abgefaßt iſt. 


— — — — 
— — — 


Unabaptifen. 89 


A) Die Vollkommenen, die ſich von der Welt ge⸗ 
trennt hatten, um das Gebot, ſich diefer Welt nicht gleich) 
zu fielen, nach dem Buchſtaben zu erfüllen. Cine heitere 
oder vergnuͤgte Miene machen oder im Geringſten zu laͤ⸗ 
cheln, hieß, nach ihnen, ſich den Fluch Jeſu Chriſti zu⸗ 
ziehen: Wehe euch, die ihr lachet, denn ihr we x⸗ 
det weinen. 

5) Die uͤnſündhaften, welche glaubten, daß nach 
der neuen Wiedergeburt eg leicht ſey, ſich vor Sünden zu. 
verwahren, und daß ſie in der That keine mehr begiengen; 

deßwegen ließen ſie aus dem Gebete des Herrn die Wor⸗ 
te: vergieb uns unſere Schulden, weg; fi forders 
ten von Niemand, für fie zu beten. . 

6 Die freien Brüder, welde behaupteten, daß 
jede Dienſtbarkeit dem Geiſte des Chriſtenthum's zuwider ſey. 

7) Die Sabatarter, welche glaubten, man muͤſſe 
den Samſttag und nicht den Sonntag feiern. u 
j 8) Die Heimlichen, welche fagten, dag man m, NRe⸗ 
liglonsſachen, im Offentlichen, wie die Menſchen insgemein 
reden muͤſſe, und nur im Geheimen fagen dürfe, was man - 
denke. 


9) Die Oeffentlichen, welche gerade bag. Gegen⸗ 
theit der Heimlichen behaupteten. BE 

10) Die Weinenden,. ‚welche ſich einbifbeten , die 
Thraͤnen ſeyen Gott angenehm; und. deren. Befhäftigung 
fn der. Hebung beſtand, mit Leichtigkeit zu weinen; ; fie mifchs 
sen immer ihre Thränen unter ihr Brod, und ‘man begeg—⸗ 
nete ihnen niemalg als mit Seufjern in dem ‚Munde. . 

11) Die Froͤhlichen, die zum Grundſatz annahmen; 
Seöhlichkeit und Wohlleben fey "die vollkommenfte Ehre, wels 
che man dem Urheber. ver Natur erweifen time: - 

12) Die-Ihdifferenten, melde im Fade der Re⸗ 
ligion Feine Parthei ergriffen hassen ‚ und alle Neligionen 
‘ für gleich ‚gut bielfen.. - 

13) Die Blut duͤrſtigen, bie nur bag ‚Blut der 
Katholiken und Proteffanten zu vergießen fuchten. ..... (. 


0 Andronieianer, Antidieomarigniten 


14) Die Anttmarianen, welche ale’Chrerbiethung 
und Hochachtung der heiligen Jungfrau vetſagten. 


Andronicianer. Schuͤler eines gewiſſen Andro 
nicius, welcher die Irrthuͤmer der Severianer ange 
nommen hatte. Sie glaubten, daß der obere Theil. ver 
Seauengperfonen das Werf Gottes, die untere Hälfe dag 
Werk des Teufels ſey. ( Siehe den Art, Seyerianer. 
Epiphan haer. 45.) | 


Anomianer. Sieh Eyngmianer, 


Anthiaſiſten, Philgfriug ſpricht dom dieſer Sec⸗ 
te, ohne zu wiſſen, zu welcher Zeit ſie zum Vorſcheine ka⸗ 
men; fie ſahen Die Arbeit als ein Verbrechen an, und brach⸗ 
ten ihr Leben mit Schlafen zu. . 


Anthropom orphiten oder Antrop pi aner, 

Reber, melche glaubten, Gott Babe einen menſchlichgeſtaltee 

ten Leib, Sie beriefen fich auf eine Stelle der Genefis, | 
wo Soft ſagt: Laßt‘ ung den Menfchen machen nach unferw | 
Bilde, umd auf alle Stellen der Schrift, welche Bott Ars 
me, Fuͤße u, dgl. beilegen. 1) Es gab ſolche Keter {m Aten 

"und Anfang des 10fen Jahrhunderts (931). Dieſes unwife 
fende und rohe Jahrhundert brachte lauter Irrthuͤmer dieſer 
Art hervor. Man wollte von Allem ein Bild haben, und 
ſtellte ſich Alles unter koͤrperlichen Formen vor. Die Engel 
Dachte man fich als gepflägelte weißgekleidete Menſchen, wie 
man fie auf den Kirchenmänden gemalt ſah; im Himmel, 
glaubte man, gienge es etwa gerade fo her, wie auf der 
Erde, Viele Hlaubten: der bi, Michael leſe ode Montage 
vor Gott. Meffe, und giengen deßhalb an diefem Tape lies 
ber in feine" ‚Kirche , als in ‚eine andere. 2), 


Antidicomartaniten oder Antimarianer find 
jene, welche Die Iungfientänn der Dauer en serduge 





» Niceph, £, 11,0, 14, L, 13. C. 10. Ltg de Haer. 
we p- 190, . , 
- 2) Hist. Lit. de France T. 5. p. 10. , 





Antinomianer. Antiochien. on 


net, und behauptet haben: daß ſte mehrere Kinder von Jo⸗ 
feph geboren habe, weil in dem Evangelium von ben Bruͤ⸗ 
dern Jeſu Chrifti. geredet wird. Sietbe Helvidius 
Epiph. Haer. 78.) 


Antinomianes d. h. Feinde des Geſetes. (She | 
Agricola,. welcher ihr Haupt mar.) 


Antiohien *). Das Schisma diefer Stadt dauerte 
85 Jahre. — Nachdem die Arianer den Euftathiug 
von Antiochien vertrieben hatten, fetten fie den Eudos 
xius, einen eifrigen Arianer an feine Stelle, und viele 
Katholiken. hielten ſich fortwährend an Euſt ath tus. Nach 
Euſtathius ‚Tode und der Verſetzung des Eudoriug 
nad) Conſtantinopel gingen viele Nänfe und Partheiuns 
gen vor, um Antiochien einen Bifchof zu geben. - Jede 
Parthei beftrebte fih, bie Wahl auf einen ihr zugethanen 
Mann fallen zu laffen. Nach vielen Streitigkeiten verei⸗ 
nigten ſich die Partheten zu Gunften des Meleriug, und 
er wurde einmüthig zum Bifchofe gewählt. Meletiug 
verwarf in feinen Predigten die Grundfäße der Arianer, 
ward verbannt, und die Arianer wählten an feine Stelle. 
Euſoius, einen eifrigen Arianer; die Katholiten dem Mes 
letius zugethan, trennten ſich und hielten abgeſoͤnderte 
Zuſammenkuͤnfte 1). | 
Antiodien fah fi num in drei Partheten gefheilt ; ; 
jene der Katholifen, die eg mir Euſtathius hielten, und 
weder mit den Arianern, noch mit den dem Melefiug 
zugethanen Katholiten, weil fie diefen für einen -von der 
Parthei der Arianer ermählten Bifchof anfahen, in Ges 
meinfchaft treten wollten; die zweite Parthei machten bie 
dem Meletiug sugethanen Katholiken, die drifte die Aria⸗ 
mer aus. Diefe dret Partheien haften bie Stadt mit Spals 
tungen und Unruhen erfuut. 





) Viertes gahrhundert 
1) Philostorg. L. 5. C. 5. Sulpit. | Sev. L. 10. Theod. 
L: ıı. . 


* 


ı 


92 0. Antiochien. , 


Nachdem Julian ˖den Kaiſerthron beſtiegen hafte, rief 
er alle verbannte Biſchoͤfe zuruckf. Meletius, Lucifer 
von Cagliari, Euſebtus von Verceli verließen die 
Thebſais, um in ihre Bischümer zuruͤckzukehren. Euſe⸗ 


bins von Vercelt ging nad Alerandrien, mo man 


einen Kirchenrath verfammelte: Luctfer aber von Eags 
liari, anftatt nach Alerandrien zu gehen, begab fich nach 
Antiohien, um den Frieden zwifchen den Euftathtas 
nern und Meletfanern wieder herguftellen. Da er die 
Euftathigner der Vereinigung mehr entgegen fand, ale 


‚die Meletianer, fo weihte er Paulinus, der damals das 


Haupt der Euftathianer war, zum Biſchofe in der Ue⸗ 
bergeugungs die Meletianer, welde ein größeres Ders 
langen nad) dem Frieden zeigten, wuͤrden fich mit Da ulin 

vereinigen. Allein er irrte fich: die Parthei.des Meletiug 
blieb ihm -flandhaft ergeben, und das Schisma dauerte fork, 
die Bifchdfe des Morgenlandes waren für Meletius, jene 
des Abendlandes für Paulin. Diefe Trennung wurde | 
noch durch eine fcheinbare Abweichung in der Lehre genaͤhrt. 
Die Meletianer, und die morgenlaͤndiſchen Biſchoͤfe be⸗ 
haupteten: man muͤſſe ſagen, es gebe in Gott drei Hypoſta⸗ | 
fen, indem fie durch Tas Wort Hypoftafe, die Perfon 
verflanden. Paulin und die Abendländifchen beforgten, 
der Ausdruck: „Hypoſtaſe möchte für Natur genommen wer⸗ 


„den, wie es ſonſt geſchehen fen; fie wollten alſo nicht ge⸗ 


„ſtatten, daß man ſage: es gebe in ber Gottheit drei 20 
„poſtaſen, und erkannten darinn nur eine’. f 


Henn gleich. dieſes nur ein: Wortſtreit war, und ſie 
im Grunde in der kehre einig waren, ſo redeten, und glaub⸗ 
ten fie Boch verfd;-.cden zu denken. 4) Dieſe Trennung 
fing an, durch eine zwiſchen Meletius und Paulinug 


getroffene Uebereinkunft beſeitiget zu werden: beide ſollten 


gemeinſchaftlich die Kirche in Antiochien. regieren; nach 
Dem Ableben eines von ihnen ſollte Fein Anderer an feiner 
Stelle geweihet werden, und der Ueberlebende Bifchof bleiben.. 





non 
„oo. = k 
„U 3. 


3) Basil. Epist. 149, fonft 272. . J 





Antiochien. Antitacten. 93 
- Allein die Biſchoͤfe des Morgenlandes, ohne Nückficht 
anf diefe Uebereinkunft, waͤhlten nad) dem Tode,des Mes 
letius den Flavian, Paulin feiner Seits gab fi in 
Evagriug, den er zum Bifchofe weihte, einen Nachfolger. 
Der Kirchenrath von Capua ernannte den Theophilug, 
und die Bifchdfe von Aegypten zu Schiedsrichtern; allcin 
. Slavian vrfannte fie nicht an, und nach dem Tode des 
Evagrius fand cr bei dem Kaifer Eingang genug, um zu 
verhindern, daß man an jenes Stelle einen andern Biſchof 
feste. Flavian blieb ſonach von der Gemeinfchaft ter 
abendländifchen Bifchsfe getrennt, und vereinigte ſich erſt 
im Jahre 393 mit ihnen. 


Antitacten *). Ketzer, die es ſich zur Pflicht mach⸗ 
ten, Alles das zu treiben, was in der hl. Schrift verboten 
iſt. Es gibt nach diefen Ketzern ein feiner Natur nach gus - 
tes Weſen, welches eine Welt gefchaffen hat, mo Alles guf 

mar, und worin die unfchuldigen und glücklichen Geſchoͤpfe 
Gott geliebt haben. Dieſe Menſchen, durch Beduͤrfniß oder 
den Reiz des Vergnuͤgens zu den Guͤtern hingetrieben, wel⸗ 
che der Urheber der Natur uͤber die Erde verbreitet hatte, 
uͤberließen ſich dem Genuſſe derſelben mit Dank und ohne 
Reue, ſie waren gluͤcklich, und der Friede thronte in ihren 

Herzen. 

Eines jener Geſchoͤpfe aber, welches das wohlthaͤtige 
Weſen hervorgebracht hatte, war boͤſe; das Gluͤck der 
Menſchen war fuͤr ſolches ein ſchmerzhafter Anblick; es nahm 
ſich vor, dieſes zu truͤben; ſtudierte den Menſchen, und 
fand, dag um ihn unglücklich gu machen, weiter nichts noͤ⸗ 
thig wäre, als einige neue Vorftelungen in die Welt zu 
werfen. Es pflanzte fonach in die Gemuͤther die Idee deg 
Boͤſen und des Unehrbaren; es verbot gemiffe Dinge 
als unehrbar, fehrieb andere als ehrbar vor; eg fnipfte 
eine Borftelung von Schade an tag, was die Natur eins 
gab, und verbot es unfer großen Strafen, Durch diefe Ges 


*) Zweited Jahrhundert, 


v 


94 Antltkitacten. Antiteinitarier 


feße wurde Die Nothwendigkeit der Befriedigung eines Be⸗ 
duͤrfniſſes, welches nach der Einrichtung des Urhebers der 
Natur eine Quelle des Vergnuͤgens war, eine Quelle der 
Uebel; die Vorſtellung des Laſters hing immer an jener des 
Guten; die Reue folgte der Luſt, und der Menſch ward 
durch die Ruͤckkehr zum Gluͤcke, das er ſich verſchaft hat⸗ 
te, erniedriget. 

Der Menſch, zIwiſchen den Neigungen, die er von der 
Natur erhält, und dem Geſetze, weiches fie verdammt, einig, 
zwaͤngt, murrte gegen feinen Schöpfer; Die Welt füllte ſich mit 
Anordnungen und Ungläcdlichen, welche unaufhörlich.gegen die 
Natur vangen, oder fi) abquälten, daB Gefe zu vereifeln, 
oder mit den Leidenfihaften zu Vereinbaren. Dieſes ift, 


nach den Antitacten, der. Urfprung des Böen, und die 


Urfahe des Ungluͤckes der Menfihen. Die Antitacten 
hielten es für Pflicht, Alles zu thun, was das Gefeb uns 
terfagte; durch dieſes Mittel glanbten fie, fich fo zu fagen 
auf jenen Standpunkt der Unſchuld wieder hinaufzuſchwin⸗ 


gen, von welchem der Menfch. nur Durch Den Urheber Des 


Gefetes herabgezogen worden war; die Derrfchaft, der er , 


fith über die Menfchen angemaft Hatte, zu gernichten, and 


fi an ihm zu rächen. 


Die Antitarten waren ein Zweig der Tainiten, 


und effchienen gegen das Ende des Aten Jahrhunderts im 
Jahre 160; es waren wolluͤſtige und oberflaͤchliche Men 
ſchen. (Siehe den Artikel Cainiten. 1).) 


Antitrinitarier. Diefen Namen legt man im A: 
gemeinen jenen bei, welche das Gebeimnii der Dreieinigs 
feit laͤugnen. 


Die Offenbarung lehrt ung , daB es drei göttliäe Per⸗ 


ſonen: den Vater, Sohn, und Heiligen Geiſt gebe; welche in 


der goͤttlichen Subſtanz vorhanden find; und dieß ift Das 
Geheimniß der Dreinigkeit, 


1) "Tlrcodoret. ‚Hirerct. Sab. L. 1, C. 16. Ittigius dc Heer. 
Sect. 2, C. ı6. Bibl. Aut. Ecotes. Sac. 2. art. 6. 





Antitrinitarier. | 85° 

Die. Vereinigung dreier Perſonen Im einer und -derfels 

ben einfachen und untheilbaren Subſtanz macht die ganze 

Schwierigkeit diefed Geheimniſſes. Mat kann fonach daffelbe 

Hiugnen, entweder ‚wenn man vorausſetzt, daß der Vater, 

Sohn, und hl. Geift nicht drei Perfonen, fondern verſchie⸗ 

dene Benennungen find; ober durch die Behauptung, dag 
die drei Perfonen drei befondere Subftanzen find. 


Der Abt Idachim, einige ſocinianiſche Prediger, 
Sherlok, Wifthon, und Clark waren der Meinmg : man 
könne es weder abreden, daß in der hl. Schrift von Drei 
goͤttlichen Perfonen die Rede fey, noch ſolche zu einer eins 
zigen, einfachen und unfheilbaren Wefenheit vereinigen, folgs . 
lich glaubten fie: der Vater, Sohn und Hl. Geiſt feven 
Drei verfäjiedene Subſtanzen. 


Sabellius, Prareas, Server, Socin behaup⸗ 
teten: do Vernunft und Offenbarung nicht erlaubten, mehrere 
goͤttliche Subſtanzen anzunehmen, noch m einer emzigen einfa⸗ 
hen Sübſtanz drei weſentlich unterſchiedene Perſonen zu ver⸗ 
einigen, fo müßten der Väter, Sohn und hl. Geiſt keine Pers 
ſonen, ſondern verſchiedene, dem goͤtttlichen Weſen nach den 
Wirkungen, Die +8 hervorbringe, beigelegte Benennungen 
ſeyn. 


Es giebt demnach zwei Arten von Antitrinitarier. 
Die Tritheiſten, welche behaupten: daß die drei göttli⸗ 
chen Perſonen drei Subſtanzen find, und die Unifarier, 
welche die drei Perſonen für verfchiedene, dem göttlichen Wer 
fen beigelegte Benennungen nehmen. Der Tritheism ift in 
dem, Arfikel: Abt Joachim, widerlegt, und gegen Tlarf 
und Wiſthon if gezeigt worden, Daß der Sohn und hl. 
Geiſt zwei goͤttliche Perſonen gleiches Weſens mit dem Va⸗ 
ter find. (Siehe Art. Artus, Moredonius). Man hat 
weiter gegen Praread und Sabellius bewiefen, daß 
der Vater, Sohn und Hi. Brift drei Perfonen, und nicht 
drei einer Subflanz beigelegte Benennungen find. Sonach 
wäre das Geheimniß der Dreieinigkeit gegen die Trith eiv⸗ 
ten und Unitarier bergefielt. Die weitern aus Grüns 
den der Vernunft 'hergeholten Einwuͤrfe der Unmdglichkcit, 


- 


06 | Autitrinitarier. 


| daß ir. einen einzigen einfachen und untheilbaren Weſen 


drei Perſonen ſeyn ſollten, und daß ein Gegenſtand, von 


welchem die Vernunft ſich keine Vorſtellung bilden kann, 


auch. Fein Gegenſtand unſeres Glaubens ſeyn koͤnne, find 
von den katholiſchen Dogmatikern genug widerlegt, als daß 
wir uns hier damit befaſſen ſollten. Fuͤr unſern Zweck 


‚bleibt ung nur noch übrig, zu zeigen: daß das Dogma 
- der Dreieinigfeit jederzeit beffiimmt. don ber 


Kirche geglaubt worden (ey. 
Die Socinianer haben behauptet: die Lehre der 


- Dreieinigfeit, fey in den .erfien Jahrhunderten der Kirche- - 


unbefarmt geweſen. Ihre Gründe haben mir widerlegt, 


da wir von dergleichen Wefenbeit des Wortes und hl. Geis 


fies gefprochen haben, tn den Artikeln: Neue Arianer 


und Macedonius. 


Jurien erneuerte dieſen Irrthum, um die Folgerun⸗ 
gen ‚welche aus den: Veränderungen, die Boſſuet den 
Proteftauten in feiner Gefchichte der Veränderungen vors 
wirft, hervorgehen, von diefen abzulehnen. Er behauptete: 
die Kirche habe in Betreff der Myſterien Aenderungen vors 
genomizen, und man habe bis zum Kirchenrathe von Nis 


caͤa in der Kirche über die Dreieinigfeit nur einen ſehr ge⸗ 


ſtaltloſen Glauben gehabt 1). 
Wir haben in dem. Artifel Arius, bewieſen, daß 


die Gottheit und Conſubſtanzialitaͤt des Worts ſtets geglaubt 
worden iſt, und hinſichtlich der nähern Auseinanderſetzung 


auf den gelehrten Bullus, und Boffuet u. f. w. vers 


tiefen. Wir wollen bier nur bemerken, daß die Kirche, 
ſowohl jene, welche glaubten, der Vater, Sohn und hl. 


Geiſt feyen bloß drei Benennungen des göttlichen Weſens, als 


auch ‘jene, welche fie als Drei verfchiedene Subftanzen anges 
fehen haben, jederzeit verdammt habe; woraus augenfcheins 
lich folgt, daß die Kirche das Dogma der Dreicinigkeif ims 
mer fo geglaubt hat, wie wir eg glauben. 





‚ 3) Tablau da Socinienisme Lett. 6. ° 


| . Antiteinktarien. 9 
Die Schwietigfeiten ber AUntftrinitarier und So— 


tinianer in dieſer Sache find von den Vergleichungen ges 
nommen, welche man bei den Wätern über dag Geheimniß 
der Dreieinigfeit findet, Der Zweck dieſes Werkes erlaubt 
ang nicht; uns in die Einzelnheiten diefee Schwierigfeiten 
einzulaffen,, mir befchränfen ‘ung daher nur auf dag, was 
der berühmte Boffwet über diefen Gegenſtand geſagt hat: 


„Die menſchliche Sprache beginnt mit dem Sinnlichen, 
„wenn ſich der Menſch zum Geiſtigen (Ueberſinnlichen), als 
‚feiner zweiten Region erhebt, fo beingt er auch etwas von 

‚feiner erften Sprache mit hiniber, fo 5. B. ff dad Wort: 
„Geiſtes-⸗Anſpannung von einem gefpannten Bogen, 


zrabgeleitety wie der Ausdruck Faßung herkommt, von 


‚det Hand, die dag, was fie hält, eng und Eräftig umfaßt. - 


„Schreiten wir von diefer zweiten Negion zur Hoͤchſten, 
‚welche jene des Goͤttlichen iſt, hinaun, fo ift unfer Geift, 
„je reiner dieſe ift, um die richtige Benennung um fo mehe 


j verlegen, und geztvungen, die ſchwache Sprache des Sims 


lichen, um einen feften Haltpunft zu haben, mit hinuͤber 
„zu nehmen; beshalb find auc die Ausdruͤcke, welche von 
sinnlichen Dingen genommen find,-bier häufiger. Alle von 
, menfchlichen Dingen abgezogene Vergleichungen find gleichs 
„ſam nothwendige Wirkungen der Anftrengung, die unfer 
7, Seift macht, wenn er, feinen Flug gen Himmel gerichtet, 


‚und durch feine eigene Schwere auf die Materie, der er 
„ſich entfchwingen will, zurückfallen, fid) an dag, mag in - 


„dieſer das Erhabenfte, und am tenigften Unreine ift, wie 
„an Aeſte anhängt, um fein gänzliches Zurückſ nken in fie 
„zu verhindern“. 


„Wenn wir getrieben von dem Glauben, unſere Au⸗ 
„gen zur ewigen Zeugung des Wortes erheben, ſo ſtellt 


„uns der hl. Geiſt, beſorgt, wir moͤchten im Ruͤckfalle auf 


„ſinnliche Bilder, die ung umgeben, und fo zu ſagen, um⸗ 


‚lagern, uns in ben göttlichen Perfonen entweder eine Vers 
„ſchiedenheit deg Alters, oder die Unvollkommenheit eines 
„neugebornen Kindes, oder Alles andere Erniedrigende eis 


‚nee gemeinen Zeugung benfen, das, mas in ber Natur 


Ketzer⸗Lexikon. II. 7. 


98 Antitrinitarier. | _ 


„das Schönfte und Reinſte if, vor — dag Licht in der Sonne 
„als in feiner Quelle, und das Licht fm Sonnenftrahle, _ 
„als in feiner Srucht: bier. bemerft man alsbald eine Ges 
„burt ohne. Unvollfommenheif, und die mit ihrem Entfies 
„ben ſogleich befruchtefe Sonne, als das vollfonımenfte Bild 
‚‚teffen, der, da er immer ift, auch immer fruchtbar if. 
„Aufgehalten In unferm Zalle von biefem fchönen Gegens 


. „ande beginnen wir von da an einen gläckichern Flug, 


„indem wir ung ſelbſt fagen: wenn man in den Koͤrpern, 
„und der Materie eine fo ſchoͤne Zeugung erblickt, mit wie 
„viel mehr Grund dürfen wir glauben, daß der Sohn Gets 
„tes aus dem Vater bervorgehet, wie der abfirahlende 
„Glanz von feinem ewigen Lichte, wie ein fanfs 
„tes Duften feiner unendlichen Klarheit, wie 
„der fleckenloſe Spiegel feiner Majeflät, und 
‚das ab bild feiner unendlihen Kite, wie ung 
„das Buch der "Weisheit ſagt“. (Sapient VII. .25, 26). 

„Und wenn unfere Meformirten von daher diefe ſchoͤ⸗ 
‚men Ausprüce nicht annehmen wollen, fo draͤngt ſie der bi. 
„Paulus in ein einziges Wort zufammen, wenn er den 
„Sohn Gottes ven Abglanz ver Herrlichkeit, und 
„das Gepraͤge des Weſens des Vaters nennt. 1).“ 


Es giebt nichts, welches in dem Vater und Sohne die 
naͤmliche Natur, die naͤmliche Ewigkeit, die naͤmliche Macht 
beſſer bezeichnet, als die ſchoͤne Vergleichung der Sonne und 
ihrer Strahlen, welche unermeßliche Raͤume durchſtroͤmend, 
immer derſelbe Koͤrper mit der Sonne ſind, und alle ihre 
Kraft in ſich enthalten. Allein wer fühlt demungeachtet 
nicht, Daß diefe Vergleichung, wenn Auch die fchönfte aus 
allen, notbwendig, gleich jeder andern mangelhaft ift; und 
wenn man fchifanfren wollte, koͤnnte man nicht fagen, daß 
der Strahl auch. ohne Losreißung von Dem Sonnenkoͤrper 
verſchiedene Brechungen leide, oder in der Sprache der Ma⸗ 
ler, die Miſchungen des Lichtes nicht gleich lebhaft ſind? 


ı) Hebr. I, 3. on — 


f 4 


Annitrinitarier. 9 


„Um den Menfchen eine folche Vorftellung von dem 
„Sohne Gottes. gu benehmen, bietef der bi. Juſtin, der 
„erſte aus Allen, dem Geiſte eine andere Stüße dar. Es 
N„iſt in der fo lebendigen und thättgen Natur des Feuers 

‚Die ſchnelle Entflehung der Flamme einer Fackel, welche 
„ſich plößlich an einer andern entzündet. Hier erſetzt fich 
- ,‚vollfommen die‘ Ungleichheit, welche der Strahl noch zwi⸗ 
„ſchen dem Vater und Sohne fliehen zu laffen fehien. Denn 
„man fieht in den beiden Fackeln eine gleiche Flamme, und 
„die eine angezündet ohne Verminderung der andern. Diefe 
„Zertheilungen und Portionen, an melde mir ung bei 
sy. Vergleihung des Sonnenftrahles fließen, erfcheinen hier 
„nicht mehr. Der bie Juſtin bemerkt ausdruͤcklich, daß 
„hier weder Abſtufung oder Verminderung, noch Zerthei⸗ 
lung ſtatt habe“. 1) 


„Iurieu geſtehet ſelbſt ein, daß dieſer Blutzeuge die 
„Gleichheit in dem, was ehr noch abging, vollfommen 
„herſtellte. In diefer Dinfiche iſt er alfo mit ihm zufrie⸗ 
„den, um fo weniger aber zufrieden mit Tertulian wer 
„gen feiner Portionen und Theile. 2). Allein ging er 
„nicht ſtarrſinnig darauf aus, Irrthuͤmer bei den Vätern 
„zu finden, fo Dürfte man ihm nur fagen: daß Alles auf 
‚ven nämlichen Zweck abjiele, und daß man nicht, wie er 
„thut, bei Wergleichungen "auf das Grobe und Niedere, 
„hinſchielen müffe: fonft ware das angezündete Licht des hei⸗ 
„Juſtin für die untrennbare Einheit des Vaters und 
„Sohns nicht minder gefährlich, als es der Sonnenftrahl 
„des Tertulian ihrer Gleichheit zu feyn fchien: denn 
j tiefe zwei Fackellichter trennen fih; man fieht dag eine 
‚brennen, wenn das andere erlöfchf, und wir find weit 
entfernt von dem Strahle, melcher immer mit dem Koͤr⸗ 
‚per der Eonne verbunden bleibt. Mit einem Worte, man 
‚‚folte.von jeder Vergleihung nur dag Schöne und Dolls 
„fommene nehmen, und fo würde man den Sohn Gottes 





2) Lib, adv. Teypı, . 
2) Tableau du Socinian. Lat. 6. p. 219 . 
TR 


100 Antitrinitarier. 


„unzertrennbarer mit Dem Vater vereint füirden, als es 
„alle Strahlen mit der Sonne find, und gleicher mit Ihm, 
„als alle Fadelichter mit dem, an welchem man fie ans 
‚zündet, weil Er nicht allein ein Gott ift, auegegangen 
„son Bott, fondern was an den Gefchspfen ohne Beifpiel 
„iyift, ein einziger Bott, der mit jenem von dem Er ausges 
„gangen iſt, eineg bleibf. 

„Und was diefer Lehre alles Schwierige benimmf ‚if, 
„daß alle Väter Gott unveränderlich vorffelen, eben fo 
‚machen fie Ihn geiftig, untheilbar in feinem Weſen, obs 
„ne Größe, ohne Serfrennung, ohne Farbe, 
„ohne Alles, was in die Sinne fällt, und durch 
„nichts, als durd den Geift wahrnehmbar. “ 


‚Wer demnac Gott ift, fft ganz Goͤtt, von Feiner 
„Seite abweichend von Goff. Alle Väter find über die 
‚vollkommene Einfachheit der Gottheit einftimmig, und 
„ſelbſt Tertultan, ber offen zu reden, alle göttliche Dinge 
„verkörpert. Denn wenn er gleich in feiner Spracde das 
„Wort Körper, welches vielleicht Subftanz beveuren 
„fol, gebraucht ‚, fo koͤmmt er doch in feiner Schrift gegen 
'„Hermogenes gleich anfangs als über ein gemeinfameg 
„Prinzip mit ihm überein, daß Gott Feine. Theile hat, 
„und unthetlbarift, fo, daß, wenn wir ihre Vorftelluns 
",,gen nad den Prinzipien, die fie ung felbft aufgeftellt has . 
‚ben, erhöhen, ung in diefen Strahlen, in Diefen Ausdeh⸗ 
‚nungen, in diefen Portionen des Fichted und der Subs 
„ſtanz, nichts übrig bleibt, als der gemeinfame Urfprung 
„des Sohnes und hi. Geiſtes von einem unendlich mittheils 
‚baren Grundwefen, eben dag, die Wahrheit zu fagen, 
„was der Sohn, wenn Er von dem hl. Geiſte redet, ges 
„ſprochen bat: Er wird eg von dem Meinigen nebs 
„men, oder von dem, was ich habe; de meo, mie 
„ich es vom Vater nehme, mit dem ich Alles gemein habe’. 


„Man ſollte fich daher in der Lehre der Väter fein 
„ſolches Unding von Ungleichheit unter dem Vorwande jes 
„ner Ausdrüde einbilden, die fie gar wohl zu läutern, und 
„mit welchem Allen fie gar wohl ‚zu fagen mußten, Daß 





Antitrinitarier. 101 


„der Sohn Gottes hervorgegangen fey, vollfoms 


„men von dem Vollfommenen, ewig von. dem 
„Ewigen, Gott von Soft. Dieſes fagte der bi. Gre⸗ 


m, gor, der vorzugsweife der Wunberiwirfer genannt 


‚wird, und der bl. Clemens von Alerandrien fagte: 


„Er ſey das Wort, vollfommen gezeugt won dem 
„vollkommenen Vater“. 

„Er laͤßt Ihn feine Vollkommenheit nicht von einer 
‚zweiten Geburt erwarten, und fein Vater bringt Ihn voll 
„ fommen ‚ wie Ex felbft, hervor; deßhalb ift nicht nur ber 
.„Vater, fondern auch Insbefondere der Sohn ganz guf, 
„sans ſchoͤn, folglich) ganz vollkommen u. f. w. 1). _ 

„Es ift demnach heller als das Tagslicht, daß die 
„Vorſtellung von Ungleichheit ven Vätern nie in den Sinn 
„gekommen ift, im Gegentheile, wir fehen, daß fie, um 
„dieſer auszuweichen, nachdem fie nach der Ordnung den 
„Vater und Sohn genennt haben, fie auch gefliffentlich ges 
„sen die Ordnung Sohn und Vater fagen, um zu zeigen: 
‚daß, wenn der Sohn der gweite ift, Er dieſes nicht an 


„Vollkommenhett, Würbe oder Ehre fen. Weit entfernt, 


„Ihn ungleich zu-machen, machen fie Ihn in Allem und durch 
„Alles eins mit Ihm, eben fo wie den hl. Geiſt; 


„endlich damit man die erbliche Identitaͤt in ihrer Volkfoms 


„menheit nehme, wie man Alles, was Gott zukommt, 
„nehmen muß, erklärten fie: daß Gott eines und dag 
„nämlihe Wefen fey, vollkommen eins, böher 
„als Alles, was eing tft, ja Über die Einheit fe/bft‘‘ 2), 


Im weitern Verlaufe feines. Berichtes läßt fih Boffuer 


auf die einzelnen Verhandlungen des Kirchenrathes von Ni⸗ 
.  cda und auf die Fehlgriffe des Jurfews:ein, worin wir 
ibm nicht folgen koͤnnen, fondern was man felbft lefen 
muß. 3). 





I) —. Nyss. de vita Greg. Neocaes. Clem. Alex. 


Pacdag. 1. 5, 6. 3. 7. 18. — ‘Strom. 5. z 
2) Clem. Alex. Paedag. 3. c. ult. Strom. 9. Paedag, 1.C. 8 
5) Bossuet Avertiss. 6, 40. — ‚46. 








Pe 


— 


02 Anntitrinitarier. 
Bir wollen die Einwendungen, welche die Eotinia 


ner aus der Schrift ziehen, nicht mweitläufig unterfucen, 
noch es unfernehmen, die falfchen Auslegungen, welche fie 


von jenen Stellen der Schrift, auf welche nıan Das Dogma 


ber Dreteinigfeft gründet, machen, zu widerlegen. Die Theoͤ⸗ 
logen haben die ſocinianiſchen Auslegungen ſehr gut wider⸗ 
legt; niemanden iſt dieſes beſſer gelungen, als dem gelehr⸗ 
ten P. Petau, der in dieſem Punkte, wie in vielen andern, 
für alle Theologen gelten kann 1). . 


Die engliſchen Theologen haben dieſes Dogma ſehr gut 
bearbeitet. Mah ſehe unter andern jene, von welchen in 
den Artikeln: Neue Arianer, und Macedoniug bie 
Rede iſt, vorziglic; auch Jſaak Parrom 2). 


Wie. haben in dem Artikel: Neue Artaner und Mar J 


| cedonius gezeigt, daß die Gottheit und Confubflanzialitäf 


des Wortes und des hl. Geiſtes ın der hl. Schrift enrhals 
ten iſt, daß die Apoftel diefes als die Grundlage der chrifts 


lichen Religion gelehrt haben ; wir haben in den Artikeln: 


Sabelltus, Praxeas dargethan, daß die Kirche jene, 
die die Dreieinigkeit geläugnet haben, immer verdammt 


"habe. Hieraus ziehen wir drei Folgerungen: 


Die erfte HE, daß das Dogma der Dreieinigkeit nicht 
ein von den Platonikern eingeführter Glaube fey, mie fol 
ches der. Verfafler des enthälten Platonismug, und 
Le Clerc in feiner auserlefenen Bibliothek, und 
feiner allgemeinen Bibliofhef behaupfen 3). 

Die zweite, daß der Glaube der Dreieintgkeit nicht ein 
dunkler und ſchwankender Glaube war, mie diefeg Le Clerc, 
fo oft er von Diefem Geheimniffe fpricht, angibt. 

Die dritte iſt, daß der Verfaſſer der Briefe über die 


weſentliche Religion ſich dem ganzen chriſtlichen Alter⸗ 





1) Potavius Dogm. 'Theol. 7 
2) Isaaci Barrow Opnscnla. 
'3) Bibl, choisie Art. erit. Bibl. univ. T. 10, Ark 8 


Extrait de la vie @Eusche. 
rn 


Antiteinitarien 103 


thume entgegenflellt, wenn er fagt, män milffe Die Benens 
nungen: Dreieinigkeit und Perfon ganz abfchaffen, und 
wenn er diefen Glaubensſatz für unnuiß anfieht. Er würde‘ 
nicht fo gedacht haben, wenn er die Gefchichte ver chriftlis 
hen Religion und ihre Wefenheit beffer gefannt hätte. Die 
ganze Defonomie des Chriſtenthums erheifcht dieſes Geheim⸗ 
niß, und der Chrift kann nicht erfennen, was er Goft 
fchuldig ift, wenn er hicht weiß, mie die drei Perfonen in 
ber Gottheit zu dem Werfe feines Helles beitragen. Dies 
ſes Geheimniß ift ung alfo nicht geoffenbaret worden, um 
ein Gegenftand unferer Speculation gu feyn, fondern um 
uns die Liebe Gottes gegen Die Menfchen beffer begreiflich 
zu machen. Iſt eine folche Kennmiß zur Erfüllung der 
Pflichten der Religion unnüß ? 

Da das ganze Chriſtenthum als. Dffenbarung, fich 
auf die Dreteinigkeitss Lehre, befonders die auf das innigſte 
Damit verbundene Lehre von der Gottheit Chrifti, als 
auf ihre Grundpfeller fügt, die rationalifüifchen Theologen 
‚unferer Tage aber neuerdings Diefelbe für eine von den als 
ten Platonikern enflehnte Idee geltend machen möchten, fo 
finden wir noch folgende Erläuterung in dieſer Hinſicht bei⸗ 
zuſetzen/ für noͤthig. 

Es iſt außer Zweifel, daß bei den alten Philoſophen 
aus der Platonifchen Schule einige auf die Dreieinigkeits⸗ 
Lehre bezügliche Ausdruͤcke vorfommen; allein diefe find fo 
dunkel und unbeflimmf, daß man daraus auf die Annahme 
des dreieinigen Gottes nicht fchließen koͤnne. . Die jüngern 
Platoniker entnahmen einen Theil ihrer Philofophenre aus 
den Schriften der Chriften. Da die Kirchennäter die heids 
nifchen Philofophen für das Chriſtenthum zu gewinnen bes 
müht waren, fo verfüchten fie unter andern, ihnen darzu⸗ 
thun, daß die chriftliche Lehre von der Dreieinigkeit mif den 
platoniſchen Ideen gar wohl übereinfomme. Ste. verglichen 
daher dag Wort, oder den Sohn Gottes mit dem Urbilde 
aller Dinge, das in Gottes Verſtand von Ewigkeit gezeugf 
worden fey. Sie nahmen das Drei deg Plato, verbans - 
den aber damit gang andere Begriffe. Die neuern Platoni⸗ 
fer des zweiten und der folgenden Jahrhunderte ahmten die 


J 


l 


104: Antitrinitarier. 


Chriſten nach, und ſuchten zu beweiſen: daß auch fie eine 
Kenntniß von der Dreiheit hätten, welde die 
Urquelle aller Dinge fey, mithin das Chriftens 
tbum mit feinen Lehren entbehren fönnten. Dies 
ſes verleitete nun neuere Gelehrte, die mit dem Alterthume 
nicht Hinlänglich bekannt find, auf die Behauptung: Die 
hriftliche Dreietnigkeitgs Lehre fey aus ber platonifchen Schule 
entfianden. 

Unter den neuern Gegnern der Zrinitͤts⸗ Lehre des fies 
benzehnten und achtzehnten Jahrhunderts verdienen die ſo⸗ 


genannten Modaliſten bemerkt zu werden, welche unter 


Vater, Sohn und hl. Geiſt Benennungen der drei verſchie⸗ 
denen. Verhältniffe (modi) der Goftheit zu den Menfchen 
verftanden. Zu diefen gehören: unter. den Engländern, die 
orthodoren Fatitudinarier, Stepf, Nye, Nehem, 
Grev, Joh. Waliſius, unter den Hollaͤndern Herm, 
Deufing, Paul, May, Pet. Poiret, und Joh. 
Clericus; aus den Deutfhen, Dlig. Pauli, Chriſt. 
‚Chomafins, Joh. Aug. Urlfperger, und Carl. 
Fried. Bahrdt. Die Anhänger und Schüler dieſes legs 
ten unter den Profeftanten find nicht zu zählen. Zum Schlu⸗ 
ße fügen wir Die Anfichten der Fantifhen Sthule 
von der Dreteinigkfeit bei. - Nach dem Kantifchen Sys 
fleme liegt die Erfenntniß der Gottheit außer dem Bereiche 
der fpeculirenden Vernunft, und kann nur als Poſtulat der 
praktiſchen Vernunft ſtatuirt werden. Da die Bibel nur ei⸗ 
ner moraliſchen Auslegung faͤhig iſt, ſo kann nur in Be⸗ 
. tracht kommen, mas Gott als moraliſches Weſen für ung, 
nicht aber was Er an ſich iſt. Als moraliſcher Dbers 
herr muß Er daher fn dreifacher Beziehung gedacht wer⸗ 
ben: ale heiliger Gefeßgeber, als gütiger Bergelter, und 
als gerechter Dichter, weil biefe dreifache Gewalt in dem 
ethifchen,, wie in dem finatsbürgerlichen gemeinen Weſen 
noͤthig iſt. Nach der DVorfchrift der Vernunft muß es in 
der Neligion ein Glaubenspringip feyn:- Soft ift die Liebe. 
An Gott kann man verehrten den Vater, der eine mos 
ralifche Fiebe, das Wohlgefallen an Menfchen, bat, ſofern 
Er feinem heiligen Gefege folgt, den Sohn, in. fo fern 


! 


Ä Antiseinitarier. 10903 


ſich Gott das von Ihm gezeugte, und geliebte Bild der 
Menſchheit darſtellt, und den hl. Geiſt, in ſo fern er die 
Liebe des Wohlgefallens auf die Moralitaͤt mit Weisheit 
einſchraͤnkt. Hiebei darf man aber auf keine perſoͤnliche Ver⸗ 
ſchiedenheit denken, weil die Weſenseinheit dadurch leiden 
wuͤrde. 

| Dffenbar hat dieſe Erklaͤrung mit Bibel und Kirchen⸗ 
Lehre nichts gemein, als den Namen: Vater, Sohn , und 
bl. Geift. | 

Kant, wollte nur nach ber moralifchen Auslegungss 
Methode der Lehre von der Trinität einen moralifchen Sinn. 
- unterlegen. Dieſe bedarf .aber einer folchen Kruͤcke nicht, 
Da fie an und für fich ſchon einen kraͤftigen Antrieb zur Sitt⸗ 
lichkeit gewaͤhrt. 

Eine noch deutlichere Darſtellung der Kantiſchen Ideen 
verſuchte Tieftrunk im Zten Theile der Cenſur nach 
Raͤtze's Betrachtungen auf folgende Weiſe: „Das allge⸗ 
‚meine Verhaͤltniß Gottes zu den Menſchen iſt dreifach 1). 
„Das DVerhältniß der Liebe und Güte unter dem Eymbol 
des Vaters, 2) der Weisheit in dem Symbole des Soh⸗ 
„nes, oder des Logos, 3) der Seiligkeit unter dem Sym⸗ 


„bole deg Hl. Geiſtes“. 


Aber auch hierin iſt keine Ausbeute fuͤr das bibliſche 
Dogma, ſondern nur eine Anleitung, die praktiſche Seite 
für ung, und den Volksunterricht hervorzuheben. Schles 
gel:will die Dreieinigkeits⸗ Lehre von dem ſpeculativen in 
das praktiſche Gebiet hinuͤberſtellen (Vereinfachte Dar⸗ 
ſtellung der Lehre ıc.) indem er dieſelbe auf vie drei 
großen: Anftalten der Fuͤrſorgen der Gottheit für die Mens 
fchen, nämlich auf die Erſchaffung, die dem Vater, auf die 
Erleuchtung, die dem Sohne, und auf die Heiligung und 
Befferung, die dem hl Geiſte zugefchrieben werden, zurüd« 
führt. Die drei Wirkungen werden alfo im Chriftenthume 
von drei Kräften abgeleitet, die man perfonifichrt, oder nicht 


denken kann. 


Wenn es gleich nicht zu tadehn fft, daß die Kant'ſche 
Dhilofophie von der Speculation zur praftifchen Anwendung 


f 


106 0 Mpelled, 


leitet, fo kann fie dennoch nicht entſchuldiget werden, “daß 
ſie die Megeln der Epegefe verfehrend, ihre Ideen der - 
Bibel unterlegt, und die Deine | der theoretiſchen Vernunft 
beeinträchtigt. 


Apelles. *) Schuͤler des Marcion, gegen das Jahr 
145, nahm nlir ein einziges ewiges und nothwendiges Grunds 
wefen an. Diefer Meinung war Apelleg, durch eine Art 
von Inſtinkt, ſtets zugethan geblieben, worüber eraber, wie er 
ſelbſt ſagt, keinen Beweis fuͤhren konnte. Das Schwierige, den 
Urſprung des Boͤſen mit dem guten und allmaͤchtigen Grund⸗ 
weſen, deſſen Daſeyn er anerkannte, zu vereinbaren, brad)s 
te ihn auf den Gedanken, dieſes Weſen kuͤmmere ſich um 
die Dinge dieſer Erde nichts; es habe Engel erſchaffen, 
und unter andern einen, welchen er einen Engel des Feu⸗ 
ers nannte; dieſer habe unſere Welt nad) dem Vorbilde eis 
ner ‚andern höheren und vollfommeneren Welt gefchaffen. 
Da aber dieſer Schöpfer big war, fo fen feine Welt eben 
fo befchaffen gemwefen. Er erfannte in Jeſus Chriſtus 
den Sohn des hoͤchſten Gottes, welcher in den legten Zeis 
ten gekommen fey, mit dem bl. Geifte, um: jene, die an 
Ihn glaubten, zu eriöfen, und ihnen. die Erfenntniß der 
himmliſchen Dinge zu bringen, aber auch, um ihnen Vers 
achtung gegen den Schöpfer und alle feine Werke einzufloͤ⸗ 
ßen. Er näherte ſich daher dem Mar cion, glaubte aber 

nicht, wie dieſer, daß Jeſus nur einen Scheinleib ange⸗ 
nommen habe; um Ihn aber nicht von dem Weltſchoͤpfer 
abhängig. zu machen, -fagfe er: Jeſus habe, als Er auf 
die Erde herabgeftiegen, feinen Leib aus den Theilen aller, 
jener Himmel, welche Er durchwandert habe, gebildet ; und. 
bei feiner Auffahrt jedem Himmel, was Er davon genoms 
men ! zuruͤckgegeben. 


Apelles vereinigte, wie man ſieht, einen Theil der 
Ideen der Gnoftifer mit den Hauptlehren des Marcion. 


*) Zweites Jahrhundert. 








Apelles. 107 


Er ſtellte ſich vor, die Seelen ſeyen über den Himmeln 
erſchaffen worden. 


Die Seelen waren, nach Apelles teine durchaus un⸗⸗· 


koͤrperliche Subſtanzen; die geiſtige Subſtanz ber "Seele 
iſt mit einem hoͤchſtfeinen Koͤrper vereinigt, und dieſe hoͤchſte 


Feinheit ſchwebt in den Himmeln. Hier ſchauten dieſe reinen 


und unſchuldigen Vernunftweſen den hoͤchſten Gott, genießen 
einer vollkommenen Gluͤckſeligkeit / ohne ihre Slicke auf den 
Erdball niederzulaſſen. 


Allein der Weltſchoͤpfer erſchuf Fruͤchte , und Blumen, 
Deren auffteigende Wohlgerüche den zarten Organen der 


himmliſchen Geiſter behagten; ſie ſenkten ſich gegen die Erde, 
von wo dieſer Wohlgeruch aufſtieg, nieder, und der Schoͤpfer 
der ihnen dieſe Schlinge gelegt hatte, verwickelte ſie in die 
Materie, um ſie in ſeinem Reiche zuruͤckzuhalten. Die See⸗ 
len, verſtrickt in der Materie, ruͤttelten ſich, und bildeten 


durch ihre Anſtrengungen jenen feinen Körpern, welche ſie 


vor ihrem Herabſteigen jur Erde haften, ähnliche Körper. 
Der Iuftige Koͤrper, welchen die Seelen in dem Himmel 


hatten, war, nach Apelles, gleichfam das Modell, nach. 


welchem fie ihre irdifchen Leiber bildeten. Dieſe aͤtheriſchen 
Leiber haften zwei verfchiedene Gefchlechter; ſonach harten 


ſich die vom Himmel gekommenen und in die Materie vers. 


wickelten Seelen männliche und weibliche Körper, nad) dem 
_Gefchlechte, das die Seele ſelbſt hatte, gebildet. 


Tertulian nennt Apelles den Zerſtoͤrer der Keuſch⸗ 


heit Marcion’s, und fast, daß er nach Alerandrien. 


geflohen fey, um feinem Meifter zu entgehen, nachdem er 
eine Weibsperſon entehrf hatte; er fest hinzu, alg er eis 
nige Zeit darauf fo verborben, daß er faum mehr Mars 
cionit genannf werden konnte, zuruͤckkam, fey er in die 
Schlingen eineg andern Weibes gefallen, welche in Sffents 
licher Unzucht gelebt hätte. 


Dieſes Weib glaubte wunderbare Erſcheinungen u has 


FE 2 


ben, und Jeſum Chriſtum in Geftalt eines Kindes 


zu fehen; ein andermal war es der bi. Paulus, fo ihr 
erſchien. Man glaubte, ſie wirke Wunder und lebe von 


108. Apelles. 

himmliſchem Brode. Eines ihrer Hauptwunder war: ein 
großes Brod in eine Flaſche mit ſehr engem Halſe zu ſte⸗ 
cken, welches fie hernach mit ihren Fingern wieder heraugs 
zog. Apelles verfertigfe ein. Buch von ben Offenbaruns 
‚gen und Prophezeiungen Philumelen’g: er verwarf alle 
Buͤcher Moſes und der Propheten, und glaubte den Of⸗ 
fenbarungen Philumelen's. Eine ſeiner Einwendungen 
gegen die Bücher Mofes. war: Gott habe Adam, wenn 


er von der verbotenen Frucht aß, mit.dem Tode nicht. bes 


drohen können, weil diefer, Da er den Tod nicht Fannte, 
nicht wußte, dag er eine Strafe wäre 1). 


Tertulian fchrieb gegen Apelles, dieſes Merk if 


aber. verloren gegangen. NRhodomys hat gleichfalls den: 


Apelles widerlegt. Folgendes ift fein Bericht von Ihm: 


„Ich hatte, fagt er, eine Unferredung mit dieſem Greife, , 


„ehrwuͤrdig durch fein Alter, und die Änffere Negelmäßigs 


— 


„keit ſeines Wandels. Da ich ihm darthat, daß er ſich in 


„vielen Stuͤcken irre, ſagte er, man muͤſſe die Religions⸗ 
„Gegenſtaͤnde nicht ſo genau erforſchen; jeder muͤſſe auf ſei⸗ 


„nem Glauben bleiben; jene welche auf Jeſus den Ges. 


„kreuzigten hofften, würden felig, wenn fie nur gute Werke 
„verrichteten; für ihn fen nichts dunkler, ale. die Gottheit. 
„Ich ließ nicht nach, in ihn zu dringen, fährt Rhodom 
‚fort, und Ihn zu fragen, warum er nur ein Grundives 
„fen annehme, und welchen Beweis er biefür. habe; da 
zer doch die Wahrhaftigkeit der Propheten, die ung fols 
„ches verfichern, läugne? Er antwortete mir, die Prophe⸗ 
„zeiungen ſpraͤchen ſich ſelbſt das Urtheil, weil ſie nichts 
„Wahres ſagten, alle falſch waͤren, miteinander nicht uͤber⸗ 
„einkaͤmen, und ſich widerſpraͤchen; zugleich geſtand er 
„ein, er habe keinen Grund zu behaupten, daß es nur ein 
„Grundweſen gebe; er habe nur einen Inſtinkt, dieſer 


iu ſagen, und er ſchwur, daß er aufrichtig rede, und 





J 


3) Der Verfaſſer des Append. ad Tertul. de Pracscript. 
“ Ambr. L, ı. de Paradiso. Orig. L. 5. contra Cels. 


Meinung zu folgen. Ich beſchwor ihn, mir die Mahrheif 


oo. Apeltiten,- Anollinaris. 109 
,nicht Wwiſſe, wie es mur einen Sott, obne Peingtp ueber 
„daß er aber fo glaube“. a. 


„Ich für meine Verfon, fährt Rhodom fort, lachte 
- „über feine Unwiſſenheit, und verdammfe feinen’ Irrthum, 
da « nichts fo Laͤcherliches giebt, als einen Menſchen, der’ 
„ſich zum Lehrer Anderer aufwirft, ohne einen Beweis 
‚feiner Lehre angeben Lu koͤnnen 1). \ 


Apeltiten. Name der anhänger bes Apelles. 
Aphtarcedoketen, waren ei des Zulian 


von Halicarnaß, welche behaupteten i der Leib. Je(u ſey 


des Leidens unfaͤhig geweſen, weil er E unjerflöchar w war; ; fe 
erfchienen gegen Das “jahr 363 2)., 


Ä Apodchariten. Dieſer Name bedeutet im rer en. 

Grade gütig. Die Secte ſcheint ein Zweig der Man is 
chaͤer zu fenn, und erfchlen im J. 279. ie lehrte, daß 
die menjchliche Seele ein Theil der Gottheit je 3). 


Apollinaris. Bliſchof von Laodicen glaubte, 
Daß Jeſus Chriſtus Menſch gemorden, und einen 
menſchlichen Leib angenommen habe, aber Feine menfchliche 
Seele, wentgftens ſey die Seele, mit welcher das Wort 
fi) vereinigt habe, Fein Vernunftweſen, fondern eine mif 
bloßem Gefühlvermögen begabte Seele geweſen. Apolli⸗ 
naris war einer der eifrigſten Vertheidiger der" Conſub⸗ 
ſtanzialitaͤt des Wortes; er hatte ſie gegen die Arianer 
durch unzaͤhlige Stellen bewieſen, in welchen die Schrift 
Jeſu ale Eigenſchaften der Gottheit beilegt; er hielt das. 
fuͤr, eine menſchliche Seele in Jeſu ſey uni; h keine von 


1) Rhodon, apud Euseb. L. 5. c. 13. Epiph. Haer. 44. 
Aug. Haer. 93. Tertul. de Praescript. C. 30, 51. Ba- 
ron. ad ann. 146. 4; | 

2) Niceph. L. ı7. C. 29. Damascen. u u nn 

3) Stockmann Lexicon. — BEE RE 


110 .Apollinaris. 
den Handlungen, welche Vernunft und Ueberlegung erfor⸗ 
dern, ſchien ihm jene als nothwendig vorauszuſetzen; die 


Gottheit hatte bei allen feinen Handlungen den Vorſitz ‚und 
‚die Verrichtungen der. Seele verfehen. 1) | 


Aber Jeſus Chriſtus hatte Affecte berviefeng welche | 
“der Gottheit: nicht zukommen Eonnfen, alfo fegte Apollinas 
ris in Jeſus Chriſtus eine fühlbare Seele voraus. 


Dieſe Meinung hat ihren Grund in den Lehren der pytha⸗ 


goraͤiſchen Philoſophie y welche in dem Menfchen. eine vers 
Nnuͤnftige Seele annimmt, bie ein reines Vernunftweſen iſt, 
unfaͤhig, von Leidenſchaften beunruhigt zu werden, und eine 
“andere \ die des Vernunftgebrauches unfähig, rein finnlich 
De 
GEs iſt leicht, dieſen Irrthum zu widerlegen. "Dem die 
. Schrift lehrt und: daß Jeſus Chriſtus Menfh war, 
daß Er den Menſchen in Allem gleichgeworden · iſt, die 
Suͤnde ausgenommen, 2) ſi ſie ſagt uns, daß Jeſus in ſei⸗ 
ner Jugend wuchs, ſtark wurde an Geif und Weisheit, 3) 
welches man ‚nur von feiner vernuͤnftigen Seele verfichen 
kann, da dad Wort an Weisheit nicht wachſen lounte, noch 
die ſinnliche Seete an Kenntniſſen. | 


Innzwiſchen nahm Wiſthon die Meinung des Apollis 
"naris an, fagk: das Wort habe gelitten, wuͤnſcht, daß 
dieſe Meinung unter den Chriſten aufgenommen wuͤrde, und 
ſucht ſie auf Zeugniſſe der Vaͤter, die nach dem Concil von 

"Nicäa gelebt haben, zu ſtuͤtzen; jedoch findet man wenige, . 
. die Diefe fonderbare Meinung annehmen 4) 


Man ſchreibt dem Apollinarig Die Behauptung zu: 
Die Gottheit habe gelitten, ſeygeſtorben u. ſ. w. Allein 
dieſe Irrthuͤmer ſind mehr holgerungen, welche man aus 


5. 





> 


Vincent. ILirin. commonit C. 17. August. de haer. 
C. 55. 
2) Hebr. 4, 15. | 

5) Luc. ır, 40. ° 

4) Patres Apost. 


Apollinaris. Apophaniten. 111 


ſeinen Lehren zog, als die Grundſaͤtze dieſes Biſchofs. Die 
Schilderung, welche die chriſtlichen Schriftſteller von Apol⸗ 
linaris machen, erlaubt uns nicht anders zu denken. Er 
wurde in Wiſſenſchaft, Gelehrſamkeit und Froͤmm'egkeit all⸗ 
gemein als der erſte Mann ſeiner Zeit angeſehen. Wir 
ſollen alſo viel Mißtrauen in unſere eigenen Einſichten, und 
große Nachſicht gegen Maͤnner, die ſich irren, hegen, weil 
Wiſſenſchaft, Talent und Froͤmmigkeit nicht immer vor Irr⸗ 
thum bewahren. | 
Die Zeit, zu welcher Apolli naris feinen Irrthum 
lehrte, iſt ungewiß; er bluͤhte unter Julian, gegen das 
Ende des vierten Jahrhunderts. Seine Ketzerei wurde ans 
fangs in dem Concilium, welches zu Alexandrien im 
Jahre 362 unter dem hl. Athanaſius nach dem Tode 
des Conſtantius gehalten wurde, jedoch ohne den Na⸗ 
men des Apollinaris zu nennen, verdammt. Auch der 
Pabſt Damafıng verdammte in einem Concilium zu Kom 
J. 374 diefen Irrthum, ohne den Apollinaris zu nens 
nen; auf einem fpäteren Concilium aber vom J. 378, oder 
379 wurde derjelbe mit feinen vornehmſten Anhaͤngern Vi⸗ 
talis und Timotheus verdammt, und entfeßt; endlich 
wurde diefe Meinnng in dem zweiten allgemeinen zu Con⸗ 
ſt antino pel verfommelten Concilium verworfen 1). 
Apollinaris Irrthum murde von dem bl. Athanas 
fius, den bl. Gregorius von Nazianz und Nyſſa, 
Theodoret) und dem hl. Ambroſius beflritten 2). 


Apoltinarifen, Name der Anhanger Apolli⸗ 
naris. 


Apophaniten. "Anhänger N Hpopbanes, e eineg 
Schülers des Man es. 





1) Epist. Synod, Conc. Alex, 'Iheodoret. Hist. L. 9. €. 
. „25. Conc. Constantin. 

2) Athan. ep. ad Epictet. L. de Incar.' Greg. Nys. Gont. 
Apol. Theod. :Dial. de Incomprehensibili Hacret. Tab. 
L. 5. V. 13. Auct. de Myster. Incarn. 


4 


112Alpaoſtdliſche. Apotaktiken! 


Apoſtoliſſche. Dieſe Benennung gab man einem 
Zweige der, Encratiten, welche vorgaben, den Apofteln 
vollfommen nachzuahmen, ©. Apotaktiken. Es war auch 
der Gattungs⸗Name, welchen alle jene kleine Secten ver Res 
- formatoren fich beilegren, die im zwölften Jahrhundert fich 
erhoben, und in den verfchiedenen Provinzen. Sranfreiche 

ausgebreitet hatten. (Siehe Albigenfer, Walvdenfer). 


Diefe Fleinen Secten hegten enfgegengefekte Irrthuͤmer, 
amd oft widerſprechende Gebräuche ; fie wurden in mehreren 
ihrefmegen verfammelfet Concilien verdammt. Man vers 
brannte in verfchiedenen Provinzen viele. Wpoftolifiche,. 
und diefe Sectirer erlitten die Todegftrafe mit einer folchen 
Standhaftigkelt, daß Ervin nicht begreifen fonnte, wie 
die Glieder des Satans für ihre Kegereien fo viel Stand⸗ 
haftigkeit beweiſen koͤnnten, ale’ die wahren Gläubigen für 
die Wahrheit. 1) Die Secte der Apoftolifchen wurde 

"durch ‚einen Menfchen aus dem Pöbel erneuert. Dan fehe - 
die Geſchichte dieſer beſondern Secte bei dem Worte Se⸗ 
garel. Auch gab es AUnabaptiften, die fih Apoftofis 
fche nannten. (Siehe den Artikel der Secten der Ana⸗ 
baptiſten). 


Apotaktiken. (Entſagende) Zweig der Encrat it en 
oder Tatianiten, die den verſchiedenen Irrthuͤmern der 
Encratiten die Nothwendigkeit, den Guͤtern der Welt 
zu entſagen, beifuͤgten, und Alle, welche Guͤter beſaͤßen, 
fuͤr Verworfene ausgaben. Man ſah ihrer in Zilizien 
und Pamphilien gegen das Ende des zweiten Jahrhun— 
derts; fie waren aber nicht zahlreich. Niemand aus ihnen 
\ wurde verbrannt, man bedauerfe fie anfangs, in der Folge 
wurden fie verachtet, und die Secte erlofh. Nicht fo- hielt 
man es mit den Sectirern des zwölften Jahrhunderts, als 

fie diefen Irrthum ber Apotaktiken erneuerten, und oe 


4 


4 





.. 2) Bernard. Serm, In Cant. 58, 66. ‚Mabil. Analeot, T. _ 
3..p, 452. D’Argentrs Collect. Jud. T. 1. p. 35. Natal. 
‚Alex. Saec. 12. 


Aquarier. Araber. 113 | 


Namen Apoftolifche fich beilegfen: man milthefe gegen 
fie, zuͤndete Scheiterhaufen an, mußte Armeen aufftellen, 
um fie in Sranfreich auszurotten, (Sieh Apoflolifche, 
Albigenſer, Waldenfer 1). 


Agquarier. Eine den Encratiten beigelegfe Bes 
nennung, weil fie aus Abfchen vor dem Weine bei der 
Eucharifiie bloß Waſſer opferten. 


Aquatiker. Ketzer, welche behaupteten: das Wafs 
fer ſey ein wie Gott, ewiges Grundweſen. Hermog e⸗ 
nes hatte gelehrt, die Materie ſey mit Gott gleich ewig, 
damit er ſich einen Stoff vorſtellen koͤnnte, aus dem Gott 
bie ſichtbare Welt erſchaffen konnte. Seine Schuͤler woll⸗ 
ten die Beſchaffenheit dieſer Materie erforſchen, welche der 
Wirkſamkeit Gottes zum Stoffe gedient haͤtte, und nahmen 
wahrſcheinlich das Syſtem des Thales an, welcher dag 


. Waſſer als den Grundſtoff aller Dinge betrachtete. So 


wurde der menſchliche Geiſt, nachdem er ſich durch Huͤlfe 
der Religion uͤber die Syſteme der Alten erhoben hatte, 
durch feinen Vorwitz, und den Hang, Alles ausrutise- 
len, auf dieſelben zuruͤckgeworfen. 2) 


Ara, ein Keber, welcher behauptete: Jeſus Chrfs 
ſtus felbft fey von der Erbfünde nicht ausgenommen 3). 


| Araber. Diefe Benennung gibt man einer Secte, 
welche im Iten Jahrhunderte die Unfterblichfeit der Seele 
befirite, ohne jedoch zu Idugnen, daß es nach dieſem Leben 
noch ein anderes gebe. Sie behaupteten nur, die Seele 
fierbe mit dem Leibe, und werde mit ihm twiederauferweckt. 


Man hielt uͤber dieſen Punkt eine große Verſammlung 





1) Ppiphan. haer. 61. August. haer. 40. Damascen haer, 

61. 8. 

' 2) Stockmann Lexicon. 

3) Euseb. hist. L. 6, C. 37. Aug. de haer. C, 38. Ni- 
ceph. hist. L. 5, C. 25. | 

Ketzer⸗Lexicon U 8 


114 u Araber. 


in Arabien, welcher Origenes beiwohnte. Er ſprach 
daſſelbſt mit ſolcher Gruͤndlichkeit und Maͤßigung, daß die⸗ 
jenigen, welche in den Irrthum der Araber verfallen 
waren, folchen gänzlich verließen. Gewaltſtreiche machen 
. Heuchler, oder halten nur das STorffchreiten des Irrthums 
auf: während deffen man dem Geifte die Schnellfraft bes 
nimmt, und nach und nach alles Licht ausloͤſcht. Ich moͤchte 
Allen, welchen die Sorge für dag geiflige Wohl ihrer Mits 
brüder anvertraut iſt, gurufen Finnen : Belehret die Mens 
ſchen, behandelt mif Liebe diejenigen, die im Irrthume 
find, wenn fhe fie anders gründlich befehren, und den 
Serwahn zerfisren wollt. Habt ihr vergeffen, was dag 
heißt, in Keligionsfachen irren? Es heißt in einem Abs 
geunde liegen, es heißt unglücklich fenn; — und dag Uns 
glück verdient Nachficht und Achtung. Sch mochte ihnen far 
gen: Jeder, der eine Irrlehre ‚verbreitet, thut es entweder 
aus unverſtellter Ueberzeugung, oder iſt ein Betruͤger, wel⸗ 
cher redliche Seelen, die die Wahrheit aufrichtig ſuchen, 
yintergehet 
Meint es der Verbreiter des Irrthums ehrlich, ſo wer⸗ 

det ihr ihn ſicher und aufrichtig bekehren, wenn ihr ihn 
uͤber ſeinen Irrthum belehrt; die Authoritaͤt, welche ihn 
zu Boden ſchlaͤgt, ohne ihn aufzuklaͤren, wird ihn auf im⸗ 
mer in den Feſſeln ſeines Wahnes feſthalten. 


Iſt der Mann, der den Irrthum ausſtreut, ein Be⸗ 
truͤger, der darauf ausgehet, durch Verführung Proſely⸗ 
ten zu werben, ſo werdet ihr ihm unfehlbar ſein unehrli⸗ 
ches Handwerk niederlegen, wenn ihr zeigt, daß er ein 
Betruͤger und im Irrthume iſt; die Gewalt, von der ihr 
gegen ihn Gebrauch machen wuͤrdet, ohne ihn zu widerle⸗ 
gen, und die Falſchheit ſeiner Lehre klar darzuthun, wuͤrde 
ihn ſeiner Parthet nur noch werther machen, und die An⸗ 
haͤnglichkeit an ihn vermehren; ihr haͤttet alsdann den Vor⸗ 
theil verloren‘, fie eines Beſſern zu belehren; und es uͤbrigte 
euch gegen die Baction ‚Fein anderes Mittel, als Haͤrte, 
Strafen, Kerker, und Todesurtheile. 


Geſetzt auch, der Gebrauch, den ihr von ſolchen Mit⸗ 


Archontiker. Arianismus. 113 


teln machtet, Hätte Feine ſchlimme Folgen, verurſachte kei⸗ 
nen Schaden, wuͤrdet ihr wohl einen andern Erfolg erzie⸗ 
len, als den, welchen Ueberzeugung und Guͤte gehabt haͤt—⸗ 
te? Der Menſch, den ihr durch Authoritaͤt zwingen wollt, 
ſeiner Meinung zu entſagen, unterſtellt wenigſtens, daß 
ihr nicht im Stande ſeyd, ihn zu belehren, oder daß ihr 
e8 unter eurer Würde erachtet, ihn aufzuflären und zu 
überzeugen. 

Ein folher Verdacht darf nicht auf die Nachfolger der 
Apoſtel fallen. Der bl. Paulus ſagt: Wir lehren, wir 
bemweifen, wir überzeugen ! 


Archontiker, *) Secte der VBalentinianer, wos 
von Peter bee Eremit das Haupf war. Sie erfchien 
‚gegen das Jahr 160, unter der Megierung bes Anto ni⸗ 
nus Pius. 1). 


Arianismus. **) Segel des. Arius, welche 
darin beffand, Daß diefer Erzketzer die gleiche Wefenheit 
des Morfeg ,- oder der zweiten Perfon in der Gottheit mit 
dem Vater läugnete, welche er als ein Geſchoͤpf anfah. 
Wir wollen den Urfprung und Fortgang Diefes Irrthums 
bis zum Tode bes Arius augeinanderfegen; dann Dem 
.Artanigmus von da an bis zu feiner Erloͤſchung betrach⸗ 
ten. Wir werden Ihn im 15ten und 18ten Jahrhunderte 
twiederaufleben fehen, wir werden endlich feine Grundfäge 
unferfuchen und ſi e widerlegen. 





ii 


Urſprung des Arianismus und deffen Fortgang 
bis zum Tode des Arius. | 

Alexander, Patriarch von Alerandrien, erllaͤtte, 

in Gegenwart ſeiner Geiſtlichkeit, das Geheimniß der Drei⸗ 


*) 2tes Jahrhundert. 
**) 4865 Jahrhundert. 
' 1) Aug. haer. C: 20. Ppiph. haer. go. Theodor. hao- 
'ret. fab. L. 1. C. ı1. 
8 * 


16 Arianismus. 


einigkeit; er wollte die Dreiheit der Perſonen mit der Eine“ 


heit Gottes in Einklang bringen, und erflären , wie .die 


drei Perfonen in eirier einzigen und einfachen Subflanz das 
feyen ; venn Socrates berichfef, daß Alerander fagte: 
es fey eine Einheit in der Dreiheit, und daß er ſich eines 
Wortes bediente, melches nicht bloß Einheit, fondern auch 
Einfachheit bedeutet;. er fagte: Es ſey Monas in ber 
Dreiheit, und daß die Dreiheif eine Monag fey 1). 
Die Idee der Einfachheit ver Monas, und jene der 
Dreiheit ſchwebten mit Einem dem Geifte des Arius 2. 


vor, welcher bei ver Unferredung zugegen mar, 


Alerander felbft hatte in feinen Zuhörern den Vers 1 


ſuch veranlaſſet, das Geheimniß der Dreieinigkeit zu erfor⸗ 
ſchen. Arius gab ſich alle Muͤhe zu begreifen, wie drei 


verſchiedene Perſonen in einer einfachen Subſtanz vorhan⸗ 


⸗ 


* 


den ſeyen. Er konnte es nicht begreifen und hielt die Sa⸗ 


che fuͤr unmoͤglich. 
Sabellius, bei Unterſuchung des Eeheimniſſes der 


Dreieinigkeit Hatte geglaust, fie mit der Einheit Gottes 


* 





| D Soc rates. L. x. C. 4. Monadon esse in Trinitate. Dies 


ſes bedeutet nicht Vereinigung, wie 9. von Valois 
uͤberſetzt, ſondern Einfachheit. Siehe Basnage Annales 
politico -.ecelesiastiei T. 2. p. 664. . | 
2) Ariud aus Lybien, und Diakon der Kirche zu Ale⸗ 
“ zandrien, war ein eifriger Derfechter der Meletia⸗ 
niſchen Spaltung, und wurde deshalb von dem Hl. Pen 
trus, WPätriachen von Alex andrien, vom der Kir, 
chengemeinſchaft ausgefchloffen. Achillas, Nachfolger des 
Deteud, getäuſcht durch die heuchleriſche Neue des Arius, 
nahm ihn wieder in die Gemeinfhaft der Kirde auf, . 
weihte ihn zum Prieſter, und vertraute ihm die Seel⸗ 
forge in einer Pfarrkirche zu Alexandrien A melde Ä 
DBaucalis hieß. Nah des Achillas Tode wurde Ale _ 
zander zu deffen Nachfolger erwaͤhlt; woduch-Arius 
Stolz äußerſt gefränft wurde, weil er fih für den wür⸗ 
digfien zur Beſteigung des Patriarchen: Stuples Hielt. 


3 








Arianigmuss | 117 


nicht vereinbaren zu koͤnnen, außer unter der Vorausſetz⸗ 
ung: daß Vater, Sohn und hl. Geiſt nur dret, der Gott⸗ 
heit beigelegte, Benennungen und nicht drei Perſonen ſeyen; 
vor kurzem erſt war ſein Irrthum verdammt worden; 
und noch hatte er Anhänger. Arius wurde nun natuͤr⸗ 
lich getrieben, die Erklaͤrung Alexander's mit dem, was 
die Kirche gegen Sabelltus entſchieden hatte, zu ver⸗ 
gleichen: er glaubte, man koͤnne die Einfachheit der goͤttli⸗ 
chen Subſtanz mit dem Unterſchied der Perſonen, welche 
die Kirche gegen Sabellius lehrte, nicht vereinbaren. 


Man kann, nach Arius, in dem, was einfach iſt, 


nicht mehrere Perſonen unterſcheiden, oder dieſe Perſonen, 
wie der Vater und Sohn, muͤßten nur verſchiedene, der⸗ 
ſelben beigelegte Benennungen ſeyn, je nachdem fie vers 
ſchiedene Wirkungen bervorbrächten. „Das war aber an 
Sabellius verdammt worden, und gegen die. Vorfiels 


lung, welche ung. die Schrift von Vater und Cohn giebt, 


Die fie uns eben fo von einander verfchieden darſtellt, tote 
Wirkung und Urfache: der Water zeugt, der Sohn ift ers 
zeugt. Der Vater if nicht hervorgebracht, iſt ohne Ans 
fang, ber Sohn hat einen, Er iſt hervorgebradit. Sohin 


machte Arius, um. nicht in die Irr⸗Lehre des Sabels. 
Ling zu verfallen, welcher die Perfonen der Dreieinigfeif 


vermifchte, aus Vater und Sohn zwei verfchiedene We⸗ 
fen, und behauptete: der Sohn ſey ein Geſchoͤpf 1). 


Alerander gab zu erkennen, daß Artus die richfige 


Vorſtellung von der Perfon des Wortes nicht habe, welches 
ewig fen, wie der Vater, und nicht in der Zeit entflanden, 


indem dieſes die Lehre von der Gottheit Des Wortes auf⸗ 


hebe. 
Arius, voll von ſeiner Schwierigkeit, dachte nun auf 


nichts Anders mehr, als Alexandern zu verfolgen, und 
zu beweiſen, daß das Wort ein Geſchoͤpf ſey. 


1) Schreiben des Arius an Euſebius. Epiphan. haer. 
69. Athan. T. 1. p. 635. 


118 Ulrrianismus. 


Dieſe Lehre brachte die Kirche von Alexand rien aim 


Aufruhr, und wurde der Haupfgegenfland des Disputs. Sas 
bellius wurde vergeffen; Arius ſuchte nur zu bemweifen, 


daß das Wort nichts als ein Gefchöpf ſey, und feine Geg⸗ 


ner, die Ewigkeit des Wortes gegen Ihn zu behaupten. So⸗ 


phismen find immer verführerifch, wenn fie ein Geheimniß 
beſtreiten. Arius gewann Anhänger, und veranlafßte Thei⸗ 
lungen bei der Geiſtlichkeit Alexandriens. 


Alexander hielt dafür, wenn er dem Arius und 
ſeinen Anhaͤngern geſtattete, zu disputiren und ihre Ein⸗ 
wendungen vorzutragen, wuͤrde man ihnen leichter den Irr⸗ 


thum entreißen, als durch Verurtheilungen und Mactfprüs - 


che, welche, wenn fie voreilig find, der Irrthum felten bes 
"nehmen, immer erbittern, und nie belehren. 


als er aber fah, daß feine Maͤßigung verdruͤßliche Fol ⸗ 


gen haben koͤnnte, berief er im J. 321, eine aus ſeinen 


untergeordneten Biſchoͤfen beſtehende Synodal⸗Verſammlung 
nach Alexandrien, vor welcher Arius feine Lehre vers 


theidigte. Er behauptete, das Wort ſey aus dem Nichts 


zum Vorſcheine gekommen, weil es unmoͤglich ſey, daß es 
ewig waͤre, wie ſein Vater, ſo daß man auch nicht einmal 
begreifen koͤnne, daß es nach ſeinem Vater vorhanden gewe⸗ 


fen ſey. Iſt es nicht klar, ſagte er, daß der Sohn alsdann 


dejeugt, und auch nicht gezeugt wäre? Hätte der Vater ben 


Sohn nicht aus dem Nichts hervorgehen laffen, fo mißte 


Er Ihn aus feiner Wefenheit genommen haben, welches uns 
möglich if. Die Schrift, ſagte er weiter, gibt ung die 
nämliche Vorfiefung von dem Worte, das Work fagt ſelbſt 
im achten Kapitel der Spruͤchwoͤrter: daß Gott es im An⸗ 


fange ſeiner Wege geſchaffen habe; Gott ſagt, daß Er es 


gezeugt habe, und dieſe Art des Hervorbringens iſt eine 


wahre Schoͤpfung, weil die Schrift ſie eben ſo bei Men⸗ 


ſchen anwendet, als bei dem Worte, wie man in den Stel⸗ | 
Ien fiehf, two Gott ſagt: dag Er Söhne erzeugt babe, die - 


Ihn verachtet haben 1). 


sn 





- - ,ı) Sozomenes L. 2. 


* 


⸗ 


Melanie. 119 


Die Väter der Synode von Alerandrien ſtutzten 


fih anf diefe Geftändniffe oder vielmehr Grundfäße des. | 


Artus, um ihn zu verurtheilen. Wenn das Wort, fagfen 
fie ; ein Geſchoͤpf ift, fo hat es alle Unvollfommenheiten eis 
nes. Geſchoͤpfes; es iſt jedem MWechfel unterworfen, es ift 


nicht allmaͤchtig, nicht allwiſſend, denn diefe Unvollkommen⸗ 
heiten find der weſentliche Antheil eines Geſchoͤpfes, wenn 


man fich dasſelbe auch noch fo volfommen vorſtellt. 
Diefe Folgerungen waren fo augenfällig, daß Artug 


fie nicht läugnen konnte, 


Nachdem auf dieſe MWeife die Lehre des Arius erhor 
ben mar, zeigten Die verfammelten Väter ihre Falfchheit 
mit allen Stellen der Schrift, welche dem Worte Unveräns 
derlichfeit und. Allwiſſenheit beilegten, und mit jenen, wel⸗ 
che ansdruͤcklich ſagen: daß Alles durch es, und fiir eg ges 
macht iſt, und daß von Allem‘, was gemacht iſt, ohne fels 
bigeg nichts gemacht ifl, 

Diefe legten Stellen lieferten den Vaͤtern entſcheidende 
Beweiſe: denn wenn nichts von dem Geſchaffenen ohne das 
Wort geſchaffen iſt, ſo iſt offenbar, daß das Wort nicht ge⸗ 
ſchaffen iſt, weil ſonſt ohne es etwas geſchaffen worden 


waͤre, indem ein Weſen auf keine Weiſe die Urſache von 


ſich ſelbſt iſt. 

Mit dieſen augenſcheinlichen aus der Schrift entnomme⸗ 
nen Beweiſen verband man die Lehre der allgemeinen Kirche, 
welche die Gottheit des Wortes immer anerkannt und jene, 
welche ſie beſtritten, aus ihrem Schooße geſtoßen hatte. 


„Arius fand ſich nun zwiſchen der Nothwendigkeit, die 


Gottheit des Wortes anzuerkennen, und der Unmoͤglichkeit, 
einen mit ſeinem Vater gleich ewigen Sohn zu begreifen, 


gleichſam eingezwaͤngt. Er hatte ſich alle Muͤhe gegeben, 


einen mit feinem Water: gleich ewigen Sohn zu begreifen, 


und von dem Gefühle feiner Unvermoͤgenhetit, dieſes zu bes 


greifen, war er zur Ueberzeugung von der wirklichen Unmögs 


lichkeit, daß ein Sohn mit feinem Water gleich ewig fey, 
gelangt; diefe Unmsglichfeit war ihm die, Grundlage feiner 


Meinung, Sonad) glaubte er auf einer Seife, es fen ıms 


120 = Arianicmus. 


möglich ‚ daß das Wort gleich ewig mit dem Vater wäre, 
. auf der andern’ lehrte die Schrift und bie, Kirche die Gotts 
heit des Wortes fo deutlich, daß es ihm unmoͤglich war, 
ſolches in Abrede zu fielen. Hieraus fhloß nun Artug, 
daß die Erfchaffung des Wortes, und feine Gottheit zwei 
Wahrheiten feyen, die man gleichmäßig glauben müffe, und 
befannfe: daß das Wort zwar ein Geſchoͤpf, aber dennoch 
wahrer Gott, und ſeinem Vater gleich ſey. 
Auf dieſe Weiſe verwandeln Eigenliebe und Vorurtheil 
in den Augen der Menſchen die Geheimniſſe in Ungereimt⸗ 
heiten, und dfe oſſenbarſten Widerſoruͤche in augenſcheinliche 
Wahrheiten. 
Arius hatte die Dreieinigkeit, welche er nicht begriff, 
die aber keinen Widerſpruch in ſich faßt, verworfen, und 
dachte nicht daran, daß er fi) miderfpreche, wenn er in 
dem Worte die Wefenheit der Goftheif, und eines Gefchds 
pfes vereinigte, und wenn er in der Borausfegung, daß 
das Work alle moͤgliche Vollkommenheiten habe, ibm dens 
noch die erſte aller Vollkommenheiten, naͤmlich jene des 
Daſeyns durch ſich ſelbſt, abſprach⸗ \ 
Die Synode zu Alerandrien enffchied, daß das 
Wort Gott, und, mie der Vater, ewig fey, verdammte 
die Lehre des Artug, und ſchloß ihn. aus der Kirchenge⸗ 


meinſchaft aus. 


Der Ausfpruch der Synode benahbm dem Arius den 

Muth nicht; er fuhr fort, ſeine Meinung zu behaupten, und 
trug fie ohne Hehl vor; fein Glaubensbekenntniß ſchickte er 
an mehrere Biſchoͤfe ‚ mit der Bitte: ihn zu belehren, wenn 
er im Irrthume wäre ‚ ober ihn, wenn er katholiſch wäre, 
zu beſchuͤtzen und zu verfheidigen 1). Ä | 


Allen Menfchen iſt ein Mitleidsgefühl angeboren, mels 
ches ftets zu Gunſten eines Verurtheilten rege ift, befons 
ders wenn dieſer betheuert: daß er nur Belehrung verlange, 
um ſich zu unterwerfen. Arius fand daher, ſelbſt unter 


5) Söreisen des. Arius an Eufe bjus. Epiph. a. a. O. 


Arianismus. am 


den Bifchöfen, Beſchuͤtzer. Eufebius von Nikome⸗ 
dien berief die Bifchöfe von Bythinten zu einer Eys 
node, und Diefe erließ Kreisfchreiben an alle Bifchöfe des 
Drients, um fie dahin zu bemegen: den Ariug, als 
einen, der ke Wahrheit behauptete, in Ihre Gemeinſchaft 
aufzunehmen; auch an Alerander ſchrieben ſie, daß er 
den Arius wiederaufnehmen möge. 


Alexander ließ auch feiner Seits Kreisſchreiben er⸗ 
gehen, worin er den Eufebiug ſcharf tadelte, weil er den 
Arius in Schutz nahm, und andern Bifchsfen empfahl. 

Alexander s Schreiben erbitterfe den Eufebiug, 
und beide Biſhoͤfe wurden unverföhnliche Feinde, . Ä 


Arius, durch Alerander und eine Synode vers 
dammf, aber verfheidige Durch mehrere Bifchäfe, erfchien 
num nicht mehr ald ein Ungläclicher, den man verfolgte; 
er verbreitete feine Lehre, und zog felbk das Volk in fein 
Sintereffe. Ev war ein Mann von großer Statur, bager 
und abgezehrt, mit melanfolifchen Gefichtszügen, gefeßtem 
Schritte, ſtets mit einem -geiftlichen Mantel befleidet, ans. 
giehend im gefilfchaftlichen Umgange; er mar Dichter und 
Tonkuͤnſtler, ınd verferfigte geiftliche Gefänge für Hands 
werfer und adächtige Perſonen, fette feine Lehre in 
Verfe, in den Gedichte Flavia und verbreitete fie auf 
dieſem Wege unter dem Volke. Diefes Mittel hatte Bas 
lentin und Harmonius ſchon vor Arius angemender, 
und war der Kebern oft geglüct.. Apollinarig ger 
brauchte es nich Arius, ‚und erhielt feine Sertpimer mehr . 
durch dieſes, als durch fe.ne Schriften 1). Ä 

So wucs der Anhang des Arius unmerklich, und 
ungeachtet dr Zartheit der Streitfragen, nahm Alles, bis 
auf dag Vo, daran Antheil. Man.fah die Bifchofe, die 
Geiftlichkeit und das Volk getheilt; bald: erhikten fich die 
Streitigkeiten, und verbreiteten Lärmen; die Schaufpieler, 





1) Siehe Ernesti Cypriani Diss. de Propagatione hao- 
resian per Cantilenas 6. Lond. ı720. 





= * . " N . - 


122 | Arianismus 


ſo Helden waren, nahmen hievon Anlaß ſich auf der 
Buͤhne uͤber die chriſtliche Religion luſtig zu machen. 
Der Kaffer Eon ffanfin ſah anfangs .diefen Zwiſt 
bloß mit den Augen, eines Staatsmannes an, und ſchrieb 
am Alerander und Ariug: es fey thoͤricht, daß fie ſich 
wegen Dingen, die fie. nicht verſtuͤnden ‚ :und von feinem 
‚ Belange wären, entzweiten 1). 

Die Jrrlehre des Arius war aber viel zu wichtig, 
als daß die Katholiken ſo gleichguͤltig bleiben konnten, mie 
Conſtantin ihnen rieth. Alexander ſendete allenthals 
ben Briefe aus, um dem Fortſchreiten der Irrlehre zuvor⸗ 
zukommen, und deren Gefahr zu zeigen. Anderer Seits 
thaten Arius und feine Anhänger: ihr Meglichfled, Die 
Lehre Alerander’s zu verfchreien; Katholilen und Artas 
ner bürdeten fich gegenfeifig die gehäßigften Folgerungen, 
die fie aus den Grundfäßen ihrer Gegner zogen, auf. 
| Diefe immermährenden Anfälle erhißten beide Theile 
big zur Empdrung; es gab.fogar Gegenden, mo man bie 

Bildfäulen des Kaifers umſtuͤrzte, weil er haben wollte, 
‘Daß man die Arianer dulde 2). | 


Die Chriften machten damals einen greßen Theil deg 
römifcher Reiches aus, Conftantin fah ein, Daß er einer 
.. Theilnahme an ihren Zwiſten nicht ausweichen: fönne, und 
fie befchwichtigen muͤſſe. Er berief daher eine Kirchenvers 
fammlung aller Provinzen des römifchen Reihe; die Bis 
fchöfe verfammelten fih) zu Nicaͤa im Sahre 325. 


Sobald die Bifchdfe zu Nicaͤa angeforımen waren, 

“ bildefen fie befondere Verfammiungen, riefen den Artus 
vor, um feine Meinungen zu vernehmen. Sobald man diefe 
gehoͤrt hatte, ſtimmten einige Bifchdfe dahin ab, man müffe 
alle Arten von Neuerung verdammen, und fih begnügen, 
von dem Sohne jene Ausdrüde zu gebrauchen, deren ſich 





1) Bei Euſeb. in vit. Const. C. 64. Socrati L. I, 
| C. 7. / 
2) Euseb. ebendaſ. L. 3. C. &: 


\ 


Gronau 123 


ihre Vorfahren bedient hätten, andere glaubten , man duͤrfe 


die Benennungen der Alten ohne Prüfung nicht annehmen; 
fiebenzgehn von ihnen begünftigten die. neuen Auslegungen 
des Arius, und legfen ein Glaubens⸗Bekenntniß nad) ih⸗ 
rer Meinung vor. _ Allein Faum hatten fie folches in der, 
Berfammlung abgelefen, fo tief man, es fen falfch, und 
fchalt fie, als Leute, welde den Glauben verrathen wolls 


sen 1) 


Man ſchlug vor, die Ausdruͤcke, deren ſich die Aria 
mer in Anfehung Jeſu Chrifti bedienten, su verbammen; 
als die find: Er fey aus dem Nichts herporgegans, 
gen; es fey eine Zeit gewefen, wo Er nicht vor; 
handen war, und dagegen die Redensarten der Schrift 
felbft zu gebrauchen, als: Der Sohn iſt der eingige 


feiner Natur nad, Er ift die Vernunft, die 


Macht, die einzige Weisheit feines Vaters, der 
Abglanz feiner Derrlichfeit u. f. w. | 

Die Arianer erklärten fich bereitwillig, ein fn dieſen 
Ausdruͤcken abgefaßtes Glaubens-Bekenntniß anzunehmen. 
Die rechtglaͤubigen Biſchoͤfe beſorgten, jene moͤchten dieſe | 
Worte in üblem Sinne nehmen, deshalb wollten fie beis 
feten, der Sohn fey von der Wefenheit des Vaters; 
denn dieſes unterſcheidet den Sohn von den Gefchöpfen. 
Man fragte, deshalb die Arianer, ob fie glaubten: daß 
der Sohn Eein Geſchoͤpf ſey, ſondern die einzige Macht und 
Weisheit, und das Abbild des Vaters in allen Dingen, 
endlich wahrer Gott? 

Die Arianer glaubten, daß dieſe Ausdruͤcke der Vor⸗ 
ſtellung, die ſie von der Gottheit des Sohnes hatten, an⸗ 
gemeſſen ſeyn koͤnnten, und erflärten: daß fie bereit ſeyen, 
dieſes zu umnferfchreiben. Endlich da man bemerkt hatte, daß. 
Eufebiug von Nikomedien in dem Schreiben, welches 
er vorgelefen hafte, den Ausdruck: con ſubſtanzial⸗glei⸗ 
ches Weſens⸗ verwarf, fo hielt man dafür, daß man die recht | 
gläubige Lehre nicht beffer bezeichnen, und jede Zweideutig⸗ 





I) Sopomi. L. 1. C ı7, ı9, 20. Theod, L. 1. c. 7. 


124 Ariauismus. J 


keit ausſchließen koͤnne, als wenn man dieſes Wort ge⸗ 
brauchte, um ſo mehr, weil die Arianer es zu fuͤrchten 
ſchienen 1). 


Die Rechtglaͤubigen verfaßten das Glaubens⸗Bekennt⸗ 
niß in folgenden Worten: „Wir glauben an einen einzigen 
„Herrern Jeſus Chriſtus, Sohn Gottes, einzigen Sohn 
„des Vaters, Gott, geboren von Gott, Licht, ausgeſchloſſen 
„vom Lichte, wahren Gott, geboren vom wahren Gott, ges 
zeugt und nicht gemacht, gleiches Weſens mit ſeinem Va⸗ 
„ter“ 2). | 


Wenn es hieß, der Eohn ſey gleiches Weſens ( conſub⸗ 
ſtanzial) mit ſeinem Vater, ſo nahm man dieſes Wort nicht 
in dem Sinne, welchen es hat, wenn man von Körpern, 
oder ſterblichen lebenden Weſen ſpricht, "indem der Sohn 
weder durch eine Theilung Der göttlichen Subſtanz, wovon 
Er ein Theil wäre, noch durch irgend eine Veränderung 
der nämlichen Subftang dem Water konſubſtanzial iſt, man 
wollte nur ſagekk, Daß der Sohn nicht von einer andern 
Mefenheit, ald der Vater, ſey. u 


Dieß war die Entfcheidung des erften allgemeinen Kir 
chenraths von Nicda über die Irrlehre des Arius. 300. 
rechtgläubige Bifchdfe, mir Hofiug von Corduba an der 
Spitze unterfchrieben das Glaubens⸗Bekenntniß, ſiebenzehn 
derſelben verweigerten die Unterſchrift, angebend: der Aus⸗ 
druck, gleiches Weſens ſey neu, und nicht in der Schrift 
enthalten, zuletzt unterſchrieben auch dieſe bis auf fünf. Dies 
Concilium endigte ſich den 25ten Auguſt, und Conſtantin 
verbannte alle, welche ſich weigerten, ſeine Beſchluͤſſe zu 
unterſchreiben. | 

Alerander, Patriarch von Alerandrien farb bald 
darauf. Man wählte an feine Stelle Athanafius, Diakon 
dDiefer Kirche, und Conſtantin genehmigfe die Wahl. 


— 


—— — — ⸗⸗ 


1) Ambros. L. 3. de fide Capite ultimo, 
2) Socrat. L. 1. C. 8. 


Arianismus. 125 


Es foheint um diefe Zeit gewefen zu ſeyn, daß Con⸗ 
fiantin feine Verordnung gegen die Verſammlungen aller 
Keser, fie fenen geheim oder Kffentlih, gab. Durch die 
nämliche Verordnung fchenfte der Kaifer ihre Kapellen den 
Katpoliten, und 308 ihre Käufer, im welchen man fie zur 
Verrichtung des Gottesdienſtes anfreffen würte, en Eus 
febiug fügt hinzu, Das Edikt habe nebftdem enthalten, daß 
man alle iergläubige Bücher wegnehmen follte. 

Diefe Verordnung und mehrere andere ſchlugen die 
Parthei des Arius außerordentlih nieder, und faſt alle, 
Kebereien fehienen im römifchen Reiche erJofchen. Ariug- 
batte inzwifchen viele Anhänger, und unter den geheimen 
einen Priefter, welchen Conftantia, Schweſter des Con⸗ 
fantin, ihrem Bruder auf dem Sterbebgtte empfahl, alg 
einen änßerft tugenphaften, und feinem Haufe ſchr ergebes 
nen Dann. Diefer Priefter gewann bald- die Achtung und 
das Zutrauen Des Kaifers, welcher mit ibm auch von Ariug 
ſprach. Dieſer fhilderte folchen dem Kaifer 7 als einen tus 
gendhaften Mann, der unfchuldig verfolge würte, und defs 
fen Gefinnungen Feine andere, als die des Kirchenrathes 
‚wären, der ihn verdammt hatte. 


Conſtantin wurde durch dieſe Sprache dberrafcht, \ 
und gab zu verftehen, daß wenn Arius das Conzilum 
von Nicäa’unterfchreiben tollte, er ihm eine Audienz ges 
flatten, und ihn mit Ehren nach Alerandrien zuruͤck⸗ 
ſenden werde. 

Arius gehorchte, und legte dem gaiſer ein Glaubens⸗ 
Bekenntniß vor, worin er erklaͤrte: „daß der Sohn vor 
„aller Zeit vom Vater geboren ſey, und daß das Wort, 
„welches Gott iſt, alle Dinge im Himmet und auf Erden 
„gemacht habe.“ 


Wenn dieſe Erklaͤrung Conſtantin wicklich befrie— 
digte, ſo mußte er entweder ſeine Meinung geaͤndert, oder 
das Symbol von Ricda nicht verſtanden haben, oder der 
artanifche Priefter mußte in ven Gefinnungen des Kaifers, 
hinfichtlich des Arianismus, eine Aenderung bewirkt 
haben. 


N 5 Arianismus. 


J "Dem fen, 1. wie ihm wolle; er erlaubte "dem Artus. 
(5. 331) nad) Alerandrien zurücdzufehren. Don Dies 

fer Zeit an kamen die arianifchen Biſchoͤfe allmählig wies 
der in Gunſt, und die Verbannten wurden zurücgerufen. 


‚Die Verordnungen Conſtantin's gegen die Aria 
ner haften nur eine fiheinbare Ruhe erzeugt, nad) und 
nach erwachten die Streitigkeiten wieder, und waren nach 
der Zuruͤckkunft der vertriebenen Biſchoͤfe ſehr lebhaft ge⸗ 
‘worden. Durch vieles Prüfen des Wortes „Conſub ſtan⸗ 
„zial'“, fanden ſich Biſchoͤfe, die daran Aergerniß nah⸗ 


men: man disputirte, man entzweite ſich, und endlich be⸗ 


iſtritt man einander mit vieler Hitze. „Ihre Zaͤnkereien, 


Jagt Socrates, glichen nicht übel einem nächtlichen. 


Kampfe; jene, welche das Wort Conſubſtanzial vermars 
fen, glaubten: die andern fuͤhrten, dadurch die Meinung des 
. Sabellius und Montan ein, und fcalten fie Gott; 
Yofe, welche das Dafeyn des Sohnes Gottes laͤugneten: 
jene hingegen, welche dem Worte Confu bſtanzial zuge⸗ 
than waren, glaubten, die andern wollten eine Vielheit 
der Goͤtter einführen, und haffen einen folchen Abſcheu 
davor, ald wenn man Das Heidenthum twiederherftellen 
wollte. Euſtathius, Bifchof von Antiochien, befchuls 
diget Eufebiug, Biſchof von Caͤſarea, der Verfälfchung 
des Nicänifchen Glaubens; Euſebius Idugnete es, ımd 
beſchuldigte ‚entgegen Euftathbius des Sabellianis— 
mus, 1). 


Es if ſohin, relbſt nach dem Verichte des Socrates, 


gewiß, Daß unter den Vertheidigern des Arius viele mas 
een, welde die. Confubftanzialifät des Wortes nicht dns 
fritten, und das Wort conſubſtanzial, vermwarfen, nicht, 
weil es ausdrücte: Daß Jeſus Chriftus in der ndmlis 
sen Wefenheit mit dem Vater da- fey , fondern, weil fie 
glaubten, man lege Diefem Ausdrucke einen, dem Unterfchiede 


der Perſonen in der Gottheit zuwider laufenden Sinn bei, 





1) Socrat, L. J. C. 20. | . 


[0 


Ariantsmus. - 17 


weicher die Irrlehre des Sabelliug,. der die Derfonen 
‚vermifchte, begünftige. 


Zur Enticheidung des Zwiſtes zwiſchen Euſtathius 
und Eufebiug.bielt man zu Antiochien, im Sabre 
329, eine Synode. Diefe befand aus Bifchöfen, Die dag 
Concilium von Nicda nur aus Zwang unterſchrieben hats 
ten; Euftatbiugs wurde verdammt und abgefest, und 
Eufebiug für den Stuhl von Antiochien erwählt. Die 
- Stadt war zwiſchen Eufebiug und Euftathiug getheilt; 
die einen, wollten Euſtath behalten, vie andern verlangs 
fen Eufeb an feine Stelle. Beide Partheien griffen zu 
den Waffen, und man mar auf Dem Punfte, handgemein 
zu werden, als ein faiferlicher Beamte erfchien, und dem 
Volke zu verfiehen gab, daß Euſtathius die Abjegung 
verdiene, worauf der Tumult ſich legte. 


Eufeb von. Edfarea flug den Stuhl ven Antig | 
Hien-aus, und man wählte an feiner Etatt Euphros 
miug, einen Priefter von Kappadozien. Euftathiug 
wurde verbannt in eine Statt Illyriens. 

Nach Euſtath's Abfekung arbeitete die Synode das 
san, dem Arius die Ruͤckkehr nach Alerandrien auss 
zuwirken. Auf Ihe Anſuchen befahl der Kaifer dem bi, 
Athanaftug,' ven Arius aufzunehmen. Allein Athas 
nafiug antwortete unerfchroden: die Kirche koͤnne mit eis 
tter Irriehre keine Gemeinſchaft haben , welche vie Gott⸗ 
heit Jeſu Ehrifti laͤugne. 

Die Anhänglichkeit des hl. Athanaf tus an das Con⸗ 
eilium von Nicaͤa hatte die Melefianer fowohl. als die 
Artaner erbitterf.- Beide Partheien vereinigten fich gegen 
ihn. Man klagte ihn bei dem Kaifer an: er- habe, unter 
dem Vorwande des Beduͤrfniſſes für feine Kirchen, den 
Aegyptiern eine Art "Steuer aufgelegt, ımd einen gewiſſen 
Philumenus, der nach ver höchften Gewalt firebe, 
zur Erregung eines Aufruhre, eine Kiſte vol Geld zuges 
fandt. Athanaſius rechtfertigte fich vor dem Kaiſer, und 
befchämte feine Feinde, welche jedoch bald darauf zu neuen 
Verlaͤumdungen ihre Zuflucht nahmen, und den Heiligen 


12238Arrianismus. 


mehrerer Laſter, unter andern auch eines Meuchelmords an 
einem meletianiſchen Biſchofe Arſentus mit Namen, be⸗ 
ſchuldigten. Der Kaiſer, uͤber eine ſo ſchreckliche Anklage 
betroffen, befahl dem Patriarchen ſich vor einem zu Caͤſa⸗ 
rea, in Palaͤſtina zu haltenden Conzilium zu rechtfertigen. 
Der Patriarch weigerte ſich, in der Ueberzeugung: daß 
ihm die zu ſeiner Vertheidigung noͤthige Freiheit fehle, zu 
erſcheinen; und der Kaiſer berief ein anderes Conzilium 
nach Tyrus, wo er unter Androhung ſeiner Ungnade, und 
ſtrenger Beſtrafung ihm zu erſcheinen gebot. 
Dieſes Conzilium wurde im Jahre 335 eroͤffnet, und 
beſtand aus 60 meiſt arianiſchen Biſchoͤfen. Athanaſius 
erſchien in Geſellſchaft von 49 Bicchoͤfen feiner Provinz, 
nachdem die Biſchoͤfe des Conzils ſchon eine geraume Zeit 
verſammelt waren. Mit Ungeſtuͤmm ſchritt man zur Unter⸗ 
ſuchung, der gegen Athan.af ius vorgelegfen Klagepunfte- 


» Der erfte war, der Prieſter Makarius, fein Abger 
ordneter habe auf feinen Befehl, ven Kelch des I ſchiras 
während er die hi. Geheimniffe feierte, zerbrochen. Abgeords 
nete, aus arianifchen Bifchöfen beftehend, welde an Ort und 
Stelle die Thatfache erheben folten, Famen unverichteter 
Dinge zuruͤck, und man fah deutlich die Bosheit der Vers 
laͤumder. Iſchiras, der fih am Ende mit Athan a⸗ 
ſius ausfshnte, war von der Parthei der Meletianer 
aufgehest worden. Ä 


Die zweite Befchuldigung, der Heilige habe eine, Gott 
geweihte, Jungfrau gefchändet, murde von ihm auf der 
Stelle auf die augenfcheinlichfte Weife widerlegt, nachdem 
er deshalb mit einem feiner Priefter Timotheug, Abrede 
getroffen hatte. Eine beſtochene Buhlerin ward in die Vers 
ſammlung geführt, und betbeuerfe mif einem Schwur: daß 
Athanafius, den fie aus Gutherzigkeit beherbergt habe, 
ihr Gewalt angefhan, und nachher fie durch Gefchenfe zu 
befchwichtigen gefucht habe. Atbanafius fehwieg, und Tis 
motheus, fich zur Buhlerin mwendend, rief: War ichje in 
Deinem Haufe gemwefen? Habe ich je mit Dir gereder? Sa, 
ja, fehrie Die Dirne lauter: Du biſt es, mifdem Finger auf 


/ 





4 


Arianismus. 129 


Timotheus deutend, ber mich genothzuͤchtigt hat, und 
machte nun eine ſchamloſe Erzaͤhlung uͤber Zeit, Ort und 


That. So war der Betrug entdeckt, und die Anklaͤger 


ließen das feile Werkzeug ihrer Bosheit beſchaͤmt abfuͤhren. 


Dem Antrage des hl. Patriarchen, daß über die ehrlofen 


Anftifter Unterfuchung angeſtellt werde, wurde mit wils 
Dem Gefchrei begegnet, Daß man ihn noch weit größerer 
Verbrechen anzuflagen habe, von denen er fich nicht wiirde 
reinigen fönnen. Und jest Fam der vorgebliche an Arfes 
nius begangene Meuchelmord zur Sprahe. Man zeigte 


‚eine ausgedorrte Hand vor, welche Athanafiug ihm habe 


abhauen laſſen, um fich deren zu feinen Zaubereien zu bes 
dienen. Athanafius fand Mittel, den Arfeniug heims 
lich nah Tyrus fommen zu laffen, und flellte ihn Iebendig 


mit beiden Händen der Verfammlung vor. Dem ohngeachtet 


vergrößerte fi) die Wuth der Arianer gegen den bi. Pas 
friarchen fo fehr, Daß fie ihn in Stücken würden zerriſſen 
haben, wenn nicht der Faiferliche Abgeordnete ihn ihren Häns 
den entriffen hätte. Athbanafiug, der fein Leben in Gefahr 
ſah, proteflirfe gegen alle Hefchlüffe dieſes Afters Concils, 


und reifte gegen Conſtantinopel. Die Arianer, ohn⸗ 


geachtet fie ven Athanafiug feines Verbrechens uͤberwei⸗ 


fen fonnten, entſetzten ihn durch einen Urtheilsfpruch feines 


Amtes. Der Heilige begehrte zu Conftantinopel von dem 
Kaifer gehört zu werden, welches ihm aber verfagt wurde, 
weil Diefer ihn durch das Koncilium rechtmäßig entſetzt 
glaubte. 


Die zu Tyrus verſammelten Biſchoͤfe mußten auf Be⸗ 
fehl des Kaiſers ſich unverzuͤglich nach Jeruſalem bege⸗ 
ben, um der Einweihung der von ihm erbauten Kirche zum 
bi. Grabe beizuwohnen Waͤhrend dieſer Ceremonie hielt 


Euſebius von Caͤſarea mehrere Steben welche den Kai⸗ 


fer entzückten. 


° Nach der Kirchweihe nahmen die, zu Jeruſalem vers 
fammelten Bifchdfe auf Empfehlung des Kafferd, Artus, 
und den Diakon Euyotug in ihre Gemeinfchaft auf; 
Achanafiug aber wurde nach Trier verwiefen; den 

Ketzer⸗Lexikon. 11. J 9 | 








190 . Arianismus. 


Arius berief der gaiſer nach Conſtantinopel, weil er 
von feiner Gegenwart zu Alexa ndrie n Unruhen be⸗ 
ſorgte 1). 

Nach der Ankunft des A Ein 8 gu Sonfantinopel | 
frug ihm der Kaifer auf, das Concil von Nicäa zu unters 
zeichnen, und Arius unterzeichnete. Da nun der Kaifer 
von der Rechtglaͤubigkeit des Artus fi) uͤberzeugt hielt, 
‚ befahl er dem Patriarchen von Conſtantinopel dem hi. 
- Alexander, ihn ain feine Gemeinfchaft aufgunehmen, wel⸗ 

che Aufnahme feine Anhänger, mit Euſe bius von Nicos. 
medien an der Spiße, recht feierlich zu machen befchloffen 
hatten. Der Patriarch flelte dem Kaifer feine Gründe, was 
rum er nicht Kirchengerheinfchaft pflegen Eönne, mit Ariug 
vor, und erklärte freimüthig, daß er dieſes nie thun werde; 
erhielt aber den troßigen Befcheid, Daß des morgenden Tas 
geg, welches ein Sonnfag war, Ariusg in feine Kirche 
eingeführt werden müffe. Eben da der heilige Greis ſchwe⸗ 
ren Herzens den Faiferlichen Pallaft verlaffen hatte, begeg⸗ 
neten ihm Euſebius und feine Fremde, welche Arius 
fiegprangend in der Stadt umherführten, und jegt ſchon i im 
Freudentaumel in die Kirche fuͤhren wollten. 


Da Alexander mit allem Nachdrucke ſich dagegen ſetzte, 
fo fagte ihm Euſſebius hoͤhnend: „Wohlan, willſt Du 
„auch jetzt nicht ihn aufnehmen, fo werde ich ihn morgen 
„doch in die Kirche führen, und wie wilft Du es hindern 7 
Sogleich begab fich der Patriarch mit zweien Begleitern in 
die Kirche, warf fih am Fuße des Altars auf die Erde, 
und flehfe unter heißen Thränen zu Gott: „Herr! willſt Du 
„es zugeben, daß Artus morgen in die Kirche aufgenoms 
„men werde, fo nimm zuvor: Deinen Knecht aus diefer 
„Welt; willſt Du aber Deiner Kirche Dich erbarmen, ‚und 
„ich weiß, daß Du: eg willſt, fo aß, — Du hörteft die 
„, Worte des Eufebius — laß Dein Erbtheil nicht gehoͤh— 


1) Rechtfertigungs⸗ Schrift des Hl. a tpanafius. Soera- 
tes Socoment Theodoret, | 





— 


% 


Arianismus. | 131 


„net werden; nimm Arius dahin, auf daß es nicht ſcheine, 
„der Irrthum ſey eingezogen in die Kirche mit ihm“. 


Indeſſen hatte Arius in vollem Wohlſeyne ſeinen Tri⸗ 
umphzug mit ſeinen Genoſſen durch die Stadt fortgeſetzt, als 
er ploͤtzlich erblaßte; ein heftiges Schneiden in ſeinen Ein⸗ 
geweiden fuͤhlend, und nach einem Erleichterungsplatze frags 
te, deren viele in der Stadt zur Befriedigung natürlicher 
Beduͤrfniß angelegt waren; . alg er in dem, melden man 
ihm angezeigt hatte, zu lange vermweilte, gingen Einige hins 
ein, und fanden ihn, im Blute fchwimmend, mit verfchrits 
tenem Eingeweide, entfeelt daliegen. Mit Bligess Schnelle 
verbreitete fi) das Gerücht von des Arius Tode. 


Die Nechtgläubigen erkannten den Finger ter ſtrafen⸗ 
den Allmacht, und die Frucht des Gebeteg ihres frommen 
Biſchofs, und Jakob's, Bifchofs von Nifibis, der eben 
in Conffantinopel ſch aufhielt, wie auch des Faſtens 


und Betens der Gemeinde; die Arianer hingegen ſchrieben 


den plöglichen Tod ihres Hauptes bifer Zauberei Alerans 
der's zu. Lange Zeit blieb der Ort, wo Arius den Tob 
fand, ein Gegenfland Graußen erregender Neugierde, und 
des Abfcheues, bis endlich ein Artayer vdenfelben an fich 
faufte, ihn niederriß, und ein Wohnhaus an der Stätte 
erbaute, um dag Andenken an das Ereigniß, wo nicht LE 
tilgen, Doc zu mindern. . 


Conſtantin ſelbſt erkannte in dem Tode dieſes Man⸗ 
nes die Hand Gottes und die Strafe des Meineids. 





— 


Zuſtand des Arianismus, nach dem Tode des Arius. 


Conſtantin fiel in eine bedenkliche Krankheit, und da 
er ſein Ende herannahen fuͤhlte, uͤbergab er insgeheim ſeine 
letzten Willensanordnungen den Haͤnden des arianiſchen Prie⸗ 

ſters, welchen feine Schweſter Conſtantia ihm empfohlen 

hatte, und ſtarb im 64ten Jahre feines Lebens nach einer 

ein und dreißig jährigen Regierung am 22ten Mai 337. 

Dur jenes Teflament theilte Conftantin dag Reich un⸗ 
9 * 





432 Alrianismus. 


ter feine drei Sſhne. Conſtankin, der Aelteſte, erhielt 
Gallien, Spanien und Britanien, Conſtantius, 


Aften, Syrien, Aegyten und das übrige Morgenland, 
Conſtans Ilyrien, Griechenland, Italien und 


Afrika. Der arianiſche Prieſter übergab dag ihm Anper⸗ 


traute getreulich dem Conſtantius, wie eg Conſtantin 


ihm befohlen hatte, und, da der ihm zugefallene Antheil 





ſeinem Ehrgeize ſchmeichelte, bekam er große Zuneigung und 


Achtung fuͤr dieſen Prieſter, ſchenkte ihm Zutrauen, und be⸗ 
fahl ihm, ihm oͤfters aufzuwarten. Das Vertraueu des 
Kaiſers verſchaffte ihm auch die Bekanntſchaft der Kaiſerinn. 
Er ging enge Verbindungen mit den Verſchnittenen, beſon⸗ 
ders dem Oberkammerherrn des Kaiſers, Euſebius, den 
er zur Annahme des Arianismus beredete, ein, und ver⸗ 
führte die Kaiferinn ſammt ihren Hofdamen. Der bl. Athas 
naſius fagt: die Artaner hätten fich bei aller Welt 
furchtbar gemacht, weil fie auf die Gunft der Damen pod)s 
ten. — Das Gift des Arianismus fledte bald die Hofs 


Bedienten, und die Stadf Antiochien, wo Conſtantius 


gewoͤhnlich ſein Hoflager hielt, an, und etgoß ſich von da 
in alle Provinzen des Orients. Man ſah, ſagt Socrates, 
in allen Haͤuſern gleichſam einen Krieg von Dialectik, wel⸗ 


— 





cher in kurzer Zeit allgemeine Spaltung und Verwirrung | 


hervorbrachte. 


Die perſiſchen Kriege, der Aufſtand der Armenter, 


die Meutereien im Heere hemmten Anfangs den Eifer des 
Conſtantius fuͤr den Artanismug. Allein nach feiner 
Ruͤckkehr nach Conſtantinopel berief er ein, aus aria⸗ 
niſchen Biſchoͤfen beſtehendes, Concilium, welches Pau⸗ 
lus, Patriarchen zu Conſtantinopel abſetzte, und Eu⸗ 


ſebius von Nikomedien au feine Stelle erhob. 


Nach Paulus Entſetzung begab ſich Conſtantius 
im 3.341 nah Antiochien, um die Einweihung der, 
von feinem Vater erbauten, großen Kirche daſſelbſt vors 
sunehmen. Es Famen allda 90 big 97 rechfgläubige und 
arianifche Bifchöfe zufammen. Diefe hielten eine Eynodals 
Berfammlung, und verfaßten fünf und waniis Canous in 


Arianismus. 133 


Betre der gir chenzucht. AS aber bie rechtglaͤubigen Bi⸗ 
ſchoͤfe ſich entfernt hatten, benuͤtzten der Bifhof Euſe⸗ 
bius'und die Arianer dieſe Gelegenheit, den hl. Atha⸗ 
naſius von dem Patriarchen⸗Stuhle zu Alexandrien, 
auf welchen er durch Vermittlung des Conſtantin und 
Conftang zurückgekehrt war, wieder zu ſtoßen. Bu dem 
Ende fügfen fie den obigen 25 Canons noch den 26ten bet, 
morin verorbnef wurde, Daß, wenn ein Bifchof durch efn 
Concilium mit Recht oder Unrecht entfeßt worden fen, zu 
feiner Kirche zuruͤckkehyre, ohne durch ein anderes zahlreis 
cheres Concilium in feine vorige Würde eingefeßt worden 
zu feyn, er nie wieder eingefegt zu werden hoffen, auch 
keine Erlaubniß zu feiner. Rechtfertigung erhalten koͤnne; 
bierauf wurde Athanafius förmlich entſetzt, und ein ges 
wiffer Gregor von Kappadocien auf den Stuhl von 
Alexand rien erhoben; Athanaſius mußte nach Rom 
entfliehen. 

Euſebius, Häuptling m Seele des Arianismus, 
entwarf eine Glaubensformel, in welcher dag Wort (cons 
fubftantial) unterdruͤckkt war. und ſchickte fie in alle 
Städte. Nicht lange darnach machte man eine andere, bed 
Inhaltes: daß Jeſus Chriſtus unveränderlih die Gofts 
heit befige, daß Er ohne Unterfchied -das Abbild der Wes 
fenheit, des Willens, der Macht und Herrlichkeit des Va⸗ 
ters ſey. Endlich Fam eine dritfere zum Worfcheine, dunks 
ler als die vorigen, und fich weniger über die Gottheit 
J. C. auslaffend , außer daß fie jagte: der Sohn fey voll⸗ 
kommner Gott 1). 


Die Gottheit Jeſu Chriffi war alfo eine feftbeftes 

ende, allgemein in der Kirche angenommene Lehre, weil 
die Parthei des Eufebiug, fehr gut unterrichtet, - hoͤchſt⸗ 
feindſelig gegen die Rechtglaubigen und allvermoͤgend bei 
Conſtantius, es nicht wagte, ſie zu beſtreiten, und die 
Gottheit Jeſu, mit Ablaͤugnung der Conſubſtantialitaͤt, 
anerkannte. Dieſe Eufebianer nennt man Semiaria⸗ 


‘ 


ı) Soerat, L, 2. C. 10. Hilar. Synod, 


134 Arrianismus. 
ner, welche den Arianern zwar entgegenſtehend, fich 
dennoch jederzeit mit biefen gegen die Katholifen verei⸗ 
nigten. . 

| Eufebius, Bifchof. zu Conflantinopel, farb um . 
dieſe Zeit.am Ende des Jahres 341, und. das Volk fegte 
Paulus wieder auf den Patriarchen » Stuhl; die Eufes 
bianer aber weihten den Macedonius. Dieß verurs 
fachte Trennung und Bürgerkrieg, ‚welhe Conſtant i⸗ 
nopel mit Verwirrung und Blutvergiegen erfüllten. 


Hermogeneg, Dberbefehlghaber-der Keiterei, wurde 
von. Conftantiug zue Verfreibung Paul's gefandt. Als 
lein das Volk erhob fich dagegen, legte Feuer an den Pas 
laft des Hermogenes, bemächkigte fich feiner Perſon, 
und der oberfte Befehlshaber des Kriegsheeres wurde an 
einem Seile durch die Sträffen ver Stadt gefchleift und 
ermordek.” Der Kaifer zog perſoͤnlich nah Conflantinos 
pel, züctigte dag Volk, und vertrieb Paul, . welcher, 
nach Italien zum Pabfle Julius entfloh. zu 


Der hl. Athanaſius und viele Nechtgläubige hatten 
fich ‚bereits nad Rom zuruͤckgezogen, wo ſie unter dem 
Schutze des Kaiſers Conſtans ohne Beunruhigung leb⸗ 
ten. Dieſer Kaiſer, geruͤhrt durch die Spaltungen, welche 
die Kirche beunruhigten, ſchrieb an Conſtantius, um 
ihn zu bewegen, zur Wiederherſtellung des Friedens ein 
allgemeines Concilium zu veranſtalten. Der hl. Athana— 
ſius und die andern Kirchenhaͤupter baten Conſtans, 
die Haltung des Conciliums zu beſchleunigen. Erſterer er⸗ 
zaͤhlte ihm unter Thraͤnen alle die Drangfale, welche die 
Ariamer ihm angerhan haften; er unterhielt ihn von dem 
Nuhme feines Waters Conftantin,. von dem großen Cons 
cilium zu Nicda, das diefer sufammenberufen und von 
der Sorgfalt, mit welcher er die Befchläffe der Väter des 
Conciliums, dem er in eigener Perfon beigewohnt haͤtte, 
befeſtiget habe. 

Der Schmerz des hl. Athanaſius, der aus ſeinen 
Unterredungen und Klagen hervorleuchtefe, verſetzte den 
Kaiſer in tiefe Ruͤhrung, und ermunterte ihn, den Eifer 


Arianismus. 135 


feines Vaters nachzuahmen, fo fehr, daß er fogleich nach 
der Unterredung mit. dem bl. Athanaſius feinem - Brus 
der fchrieb: er möchte die Frömmigkeit, welche ihre Vater 
Conflantin in ihnen gleichfam ale. Erbtheil hinterlaſſen 


„hätte, unverlegt beibehalten, und ihm vorfielte, daß dies 


fer große Fürft, durch Froͤmmigkeit ſein Reich befeſtiget, 
die Tyranen, Feinde der Roͤmer, zernichtet ‚ und die Bars 


_ baren unterjocht habe 1). 


Conkantiug bewilligte ſeinem Bruder die Zuſam⸗ 


mienberufung eines Conciliums, und die Biſchoͤfe des Mor⸗ 


gens und Abendlandes kamen zu Sardica in Dacien, 
im J. 347, im Monate May, zuſammen. 

Die Morgenlaͤnder zogen ſich aber bald nach Philips 
popolig, einer ‚Stadt in Thracien, im Gebiethe. des 
Conflantiug zurück, weil Die Abendlaͤnder den heiligen 
Athanaſius, da er von dem Toncilium zu Kom gerich⸗ 
tet, und als unſchuldig erkannt worden war, nicht. von 
Dem Concilium ausſchließen wollten 2). 


Die zu Sardica verſammelten Vaͤter des Abendlan⸗ 


| des behielten das Symbol von Nieda bei, -ohne etwas 


daran zu ändern, erklaͤrten Die von den Arianern abges 
feßten Biichofe für unſchuldig, und. entfegten die Haͤupt⸗ 
linge der Eufebian.er ihrer Stellen. Dagegen bes 


. Rötigten die: morgentänbifchen Bifchdfe, Alles, was fie 


gegen, ven. bi. Athanafius und die andern. Tatholifchen 
Biſchoͤfe unternommen hatten, fhaten Alle, : welche mit den 
abgeſetzten Bifchäfen Gemeinfchaft gepflogen, in.den Baun, 


und verfertigten ein Glaubens⸗Bekenntniß, worin ſ e das — 


Wort (conſubſtantial) ausließen 3;. 


Die zu Sardica und Philippopolis verſanmel⸗ 
ten Biſchoͤfe kehrten nach Endigung ihrer Concilien auf 


u 1) Beben des bi. Athanaſius von Sermant. Th, 1. B. 


5. C. 28, p. 527. | , 
2) Socrat. L. 2, C. 20. 
5) Hilarius Fragm. 21, 22. 24 


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136 Arianismus. 


ihre Sie zuruͤck. Der Kaiſer Conſtans benachrichtigte 


feinen Bruder von Allem, was zu Sardica vorgegangen 
war, und verlangte von ihm Die Miedereinfegung des hl. 
Athanaſius mit. dem größtem Nachdrude, und fogar uns 


ter Androhung eines Krieges, fo Daß Conſtantius ſei⸗ 


nem Anſi innen nicht ausweichen konnte. — 


Kurz darauf wurde Conſtans von Magnentius 
angefallen und getoͤdtet; welcher ſeiner Seits von Con⸗ 


Rantiu 8 geſchlagen wurde, wmodurd) ’ diefer fih It a⸗ 


tiens und aller Beſitzungen feines Bruders Conſtans 


bemeiſterte. 


Conſtantius ſah ſein Waffengluͤck gegen Magnen— 
tius als eine Beſtaͤtigung der Reinheit ſeiner Geſinnun⸗ 
- gen an, und glaubte: Gott befchige feinen Glauben und feine 


‚Religion durch die ihm verliehenen Siege. Er berief ein 


Concilium nach Arles in Gallien (%. 353), ließ Athas 
naſius von Neuem verurfheflen, und gab ein Edict, 


"durch melches Allen, die ihm nicht verdammen würden, Die, - 


Verbannung angedroht murde. Der Pabſt Liberiug vers 


langte (zwei Jahre darauf) die Berufung eines Conciliung 


nah Mailand, welches der Kaifer bewilligte ( $. 355). 
Die Morgenländer waren in geringer Anzahl erfchienen, 
und verlangten. zum voraus, man muͤße die Verdammung 
des bi. Athanaſius unterſchreiben; von beiden Seiten 
war viel Geſchrei, und man trennte ſich ohne etwas ausge⸗ 
macht zu haben. Der Kaiſer verwies die Biſchoͤfe, die die 
Unterſuchung der Verurtheilung des hl. Athanaſius ver⸗ 
weigerten, worunter auch der Fabft tiberius ſelbſt war 
(J. 356). 


Conſtantius, all dieſer Streitigkeiten endlich mühe, 
wollte einen allgemeinen Frieden herſtellen, und beſchloß zur 
Beendigung aller Dispuͤte noch einmal ein allgemeines Con⸗ 
cil zu verſammeln, nachdem von den Arianern ſchon meh⸗ 
rere gehalten, und verſchiedene Glaubens⸗-Bekenntniſſe ger 
ſchmiedet worden waren. Allein die Echmierigfeif, die 

. Morgen sund Abendländer an vemfelben Drte zuſammenzu⸗ 


bringen, machte, daß er die Einen nah Seleuzia, in 


„! 


ur — — 





Arianismus. 137 


Saurien, die Andern nad Rimini in Italien kom⸗ 
men lief. Zu Rimini fanden ſich (Z. 359.) mehr als 
vierhundert Biſchoͤfe ein, worunter achtjig Arianer waren. 
Urfacius und Valens, , von der Parthei ver Arias 


-ner, legten der Verſammlung ein Glaubend s Befenntniß vor, . . 


welches vor der Abreife nach Selewcien zu Sirmium 
war verfertiget worden. Diefe Formel befagte, daß der Sohn 
Gottes dem Vater in Subſtanz und Natur ähnlich fey; . 
das Wort — Confubſtanzial — aber wurde befeitigct. 

Die Vaͤter von Rimini verwarfen diefes Bekenntniß, 
hielten fi) an dag Glaubens» Befenntnif von Nicda, und 
ſprachen von Neuem über die Irrlehre des Ariug dag 
Anathema Urfacius und Valens, welhe die Vers 
werfung des A riusg nicht unterzeichnen wollten, wurden 
einſtimmig von den Bilchdfen verdammt. 


Der Kaifer verwarf die Befchläffe des Conciliums, ſchickkte 
von Neuem die Formel von Sirmium an die Bifchdfe zu 
Rimini, mit dem bloßen Bedeuten, zu unterzeichnen. 
Der Praͤfectus Praͤtorio Taurus erhielt den DBefchl, die 
Praͤlaten nicht eher wieder fortgehen zu laffen, big fie alle 
‚würden unterzeichnet haben, mit der weitern Weifung: Alle, . 
bie den Gehorfam verweigern würden, in's Elend zu fchicken, 
wenn ihrer nicht mehr, als fünfzehn, feyn follten. 

Die Biſchoͤfe leifteten über vice Monate Widerſtand. 

- Ungeachtet. der üblen Behandlungen, die man ihnen wider⸗ 
fahren ließ, waren fie nicht beſiegt; aber endlich ſchienen 
fie ermattet. Urfacius und Baleng benüßten dieſe Kraft⸗ 
loſigkeit, fielten ihnen vor, daß fie zur. Ungeit litten, ihre 
Ungenaͤchlichkeiten befeitigen, und der Kirche den Frieden 
geben koͤnnten, ohne den Glauben zu verrarhen, weil die 
Glaubens; Formel, welche der Kaifer ihnen vorlegte, nicht 
arianiſch wäre, fondern ‚den Fatholifchen Glauben ausdrädte, 
und von dem nicänifchen Bekenntniffe nur durch Hinweglafs 
fung des Wortes „Conſubſtanzial“ unterfchieden wäre, deffen 
Sinn fie doch enthielte, weil fie ausdruͤcklich beſagte, daß 
ber Sohn in Allem dem Vater ähnlich fen, nicht 
nur Durch Uebereinfiimmung des Willens, fons 
bern auch in.der Wefenheit und Natur. 


\ 


’ 


138 — Ä Arianismus. 


Die Viter, niedergedruͤckt vom Elende, gaben den Ein⸗ 
fluͤſterungen des Valens Gehoͤr, ergriffen alle moͤglichen 
Vorſichts⸗Masregeln, um den Folgerungen zuvorzukommen, 
die man aus Der Aenderung, fo fie an dem Enmbol von 
Ticka vorndhmen, ziehen koͤnnte; fprachen Das Anathem 
gegen Alle und jede aus, welche nicht anerfennen würden, ' 
dag J. €. „Gott, wahrer Gott, ewig mit dem Water fey, 
oder melche fagen würden, daß eine Zeit gemwefen fen, mo 
der Sohn nicht war’’. Eden dieſes Anathem ließen fie den 
Urfacius und Valens ausfprechen. Kurz, man fprady' 
den Bannfluch über Alle, weiche bei'm Befenntniffe, daß der 
Sohn Gottes Bott fey, nicht fagten, Daß Er vor aller ges 
denkbaren Zeit. ift, fondern etwas vor Ihn ſetzten. 

Nach diefen Vorſichts-Masregeln unterzeichneten bie 
zu Rimini verfammelten Biſchoͤfe die Formel, welche Bas 
lens und Urſacius vorgelegt hatten, und erhielten die 
Erlaubniß, in ihre Bisthuͤmer zuruͤckzukehren. 

Der Kaiſer befahl den Biſchoͤfen, ſo ſich zu Seleu⸗ 
cien verſammelt hatten, die naͤmliche Formel zu unterſchrei⸗ 
ben, und verkuͤndigte die Strafe der Verweiſung gegen 
ale , die ihre Unterfchriff verweigern wuͤrden 1). 

Die  AUrfaner friumphirten' nad) dem Concilium von 
Kimi nt und: behaupteten, daß nunmehr die ganze Welt 
arianifch geworden fen; allein esrift leicht erfichtlich, mie 
eingebildet dieſer Triumph war. Die Artaner felbfl was 
ren hievon fo uͤberzeugt, Daß fie gleich. nach. dem Concilium 
die Formel von. Rimini änderten; bald darauf verlangten 
fie; Conſtantius möge ein neues Concilium berufen,. um 
die Formel von Rimini abzudändern, und gu erflären, daß 
der Sohn dem Vater in der Weſenheit ımd dem. Willen 
unähnlich. fey. Diefe Formel wäre die 49te geweſen; ſie 
wagten es aber nicht, fie zum: Vorfcheine zu bringen 2). 


‘ 
3 


1) Soꝛom. L. 4. C. 26. 


2) Ebendaſelbſt Socrat. L. 2. C. 95- Ayhanide Synod. p- 
96. rillemont T. 6. p. 621. 





Artanismus. 2439 
Der Tod des Conftantiug (am Iten November 361). 


fette ihren Entwürfen ein Ziel. Julten, fein Nachfolger, 


perfönlicher Feind der Günftlinge des Conftantiug, 


bauptfächlich des Oberfämmerers Euf ebiug, tief alle Vers 
bannte zuriick, und erlaubfe allen Chriften, ihren religigfen 
Uebergeugungen zu folgen. 1) Der Glaube von Nicäa ers 
langte fein, voriges Anfehen wieder; der Arianismus aber 


— 


verlor viele Anhaͤnger. Jovian, der dem Julian in der 


Regierung folgte, war auf nichts mehr bedacht, als den 
‚Glauben von Nicaͤa wieder herzuſtellen. Er rief den hl. 
Athanaſius zuruͤck, und wollte der Kirche den Frieden 


wieder geben. Allein die kurze Dauer ſeiner Regierung ge⸗ 


ſtatte ihm die Ausfuͤhrung ſeines Vorhabens nicht; er ſtarb, 
nachdem er ſieben Monate, und zwanzig Tage regiert hatte. 





| 1) Der Bl. Athanaſius, deffen gänzlihen Untergang Con 


ſtantius beſchloſſen Hatte, war in die ägpptiſchen Wüften 


entflopens man hatte Truppen zu feiner Öefangennehmung 
ausgelſchickt, und einen Preis auf ſeinen Kopf geſetzt. Aber der 


— 


Heilige entging, indem er ſich in die groͤßte Verborgenheit 
zurückzog, allen Nachſtellungen. Ta Julian, alle verbann⸗ 
ten Biſchöfe wieder auf ihre Sitze zurückrief, kehrte auch 


Athanaſius nah einer Abweſenheit von mehr als ſechs 
Jahren nah Alexandrien zurück, wo er mit allgemeinem 
Jubet aufgenommen wurde. Allein ſobald Julian ſich 
Öffentlih zum Heidenthume bekannt Hatte, waren es nun 
die heidniſchen Prieſter, welche den Kaifer auf das dringendfte 
um Entfernung des Athangſius aus Alexandrien 
anlagen. _ 3 ulian befapl ihm unter Androhung ſchwerer 
Strafen, die Stadt zu verlaſſen; und hatte ſogar einem 
ſeiner Hauptleute die Weiſung gegeben, 'ihn zu ermorden. 
Der Heilige flüchtete in dig Wüſte von Thebais, wo er 
ſich bis zum Tode Julian's größtentheils aufhielt. Jo⸗ 
vian, kaum auf den Kaiſerthron gelangt, nahm das Ver⸗ 
dammungs⸗ Urtheil wider Athannfius zurück, und bat 
ihn, die Leitung: feiner Kirche wieder. anzunehmen. 

- ' 4 ! . 


N 


140 Arianismus. 


Nach dem Tode Jovian' 8 wählte das Heer Valen⸗ 
tinian zum Kaiſer. Dieſer Fuͤrſt war dem Glauben von 
Nicaͤa fehr ergeben, und ein Eiferer für die chriſtliche 
Neligion. Er war noch Tribun der Leibwache, und Ffannte 
die ganze Abneigung Fulian’s gegen die Chriffen, und 
feinen großen Eifer für Wiederherſtellung des Heidenthumg ; 
dennoch ſcheute ſich Valentinian nicht, Beweiſe feiner 
Anhaͤnglichkeit an das Chriſtenthum zu geben, zur nämlis 
chen Zeit, wo Julian die Proben feines Eifers für den 
Eögenticnft zu Tage legte. Valentinian murde vers 
bannt,. und wuͤrde das Leben verloren haben, wenn ihm 
Julian die Ehre des Märtyrertodes nicht mißgoͤnnt 
hätte 1). Bald wurde er zuruͤckgerufen, und Jo vian hatte 
ihn zu dem ehrenvolen Commando, einer Schule oder Com⸗ 
pagnie der Schildfräger der Leibgarde erhoben. Nach or 
vian's Tode hatte Dad Heer den’ Balentinian zum 
Kaifer ausgerufen. Diefer, als Tribun der Leibgarde, 
wollte lieber fidh der Ungnate Julian's und der Todes⸗ 
ftrafe unterziehen, -ald eine Handlung, welche feinen Glau⸗ 
ben verdächtig machen fünnte, gutheißen. Allein fobald er 
Den Thron beftiegen hatte, glaubte cr, bie Feinde der Res 
ligion nicht verfolgen zu dürfen, und unterſchied forgfältig 
den Chriften von dem Kaifer: als: Chrift unterwarf er feis 
nen Glauben dem Ausfpruche der Kirche, und befolgte alle 
Regeln, welche fie den gemeinen Gläubigen vorfchrieb ; als 
Kaifer Eannte er fein anderes Gefeß; ale dag Gluͤck bes 
Heiches 2). ; 


Als Kaifer und Gefeßgeber hielt er ſich verbunden, 
alle Talente feiner Unterthanen zum Etaatswohle. gu bes 
nuͤtzen, und zu diefem Ende jeden brauchbaren und fugends 
haften Bürger, von welcher Religion oder Secte er ſeyn 
möge, zu beſchuͤtzen. Er gab Gefege zu Gunften der chriſt⸗ 
lichen Geiftlichleit, wie des Heidenthums. Den heidnifchen | 





: 1) $ozom. L. 6, C. 6. 
2) Soerat. L. 4, C. ı. Sozom. L. 6, C. 6. Theo- 
dor. hist, ecel. L. 4. C. 6, 8. 


Arlanismud. 1444 


Oberprieſtern wurden ihre Privilegien zuruͤckgegeben, und 
ihnen die naͤmlichen Ehrenbezeugungen, wie den Grafen zu⸗ 
erkannt 1). Er wollte weder die Kirche regieren, noch uͤber 
ihre Glaubenslehren und Geſetze entſcheiden, aber eben ſo 
wenig geſtattete er den Geiſtlichen Einfluß in die Geſchaͤfte 
Des Reihe. 

Als daher die in Illyrien verfammelten Biſchoͤfe 
"ihm ihre Entfcheivung über die Confubftantialität des Wors 
tes, und die Nothmendigkeit, das Glaubens⸗Bekenntniß von 
Nicaͤa unverletzt beisubehalten, zuſchickten, antwortete 
Valentinian: er glaube an ihre Entſcheidungen, und 
wolle, daß ihre Lehre überall vorgetragen werde, jedoch 
fo, daß man auf keine Weife jemanden, der dem Befchluffe 


des Conciliumsd feine Zuftimmung verfage, beunruhigen- 


‚fole, damit man nicht glauben möchte, jene welche der 
Lehre des Conciliums folgten, geborchten mehr dem Kais 
ker, als Gott. 

‚ Wir finden- nicht, daß bie Duldung und der Schutz, 
weichen Valentinian allen religioͤſen Geſellſchaften ans 
gedeihen ließ, dieſem Fuͤrſten den Namen eines Ketzers 


oder Feindes der Religion, oder ſonſt eine gehaͤßige Be⸗ 


nennung zugezogen habe; vielmehr dachten ihm die kirchlichen 
Schriftſteller die Ehre eines Bekenners zu. Valens (Valen⸗ 
tinian's Bruder), welcher den Orient beherrſchte, war 
den Katholiken nicht ſo guͤnſtig. Dieſer, bis zur Wuth aria⸗ 


niſch geſinnte Fuͤrſt, verwies, entfernte, ließ viele dem ni⸗ 
caͤniſchen Glauben zugethane Biſchoͤfe und Katholiken hin⸗ 


richten, und ſetzte in allen Kirchen der Praͤfektur des 


Orients Arianer auf die biſchoͤflichen Stühle. Die 


Lage des Reichs erlaubte dem Valentinian nicht, ſich 
den Grauſamkeiten des Valens entgegenzuſetzen. Auf dieſe 
Weiſe triumphirte unter dieſen beiden Fuͤrſten der Aria⸗ 
nismus im Morgenlande, der katholiſche Glaube wurde 
im Abendlande mit aller Freiheit, ohne irgend eine Ge⸗ 





1) Codex Theod. L. 15; Tit. 7. Leg. ı. Tillemont 
L. 6. 


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4 





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) 
‘ 


142 | Arianismus. 


waltthaͤtigkeit gegen die Arianer auszuuͤben, gelehrt, und 


der Ariaͤnismus erloſch beinahe gaͤnzlich. Im Morgens 
lande hingegen hatten die Arianer Valens auf ihrer 
Seite, den größten Theil des Volks aber gegen ſich, wels 
ches ftandhaft, bei tem Glauben von Nicäa beharrte; 
man ſah in dieſer Zeit die Bafiliufe und Gregoriufe 
dem Baleng feine Ungerechfigfeiten vormerfen, und mit 


heroiſcher Feftigfeit die gleiche Wefenheit des Wortes vers 


theidigen. 


Aegypten war ruhig; der hl. Athanaſius ſtarb 1) 


(%. 373) und die Arianer wollten einen Biſchof von 
ihrer Parthei auf den Patriarchen s Stuhl erheben; fie vers 
srieben Betrug, den der bl. „Athanaſius zu feinem 
Nachfolger .beffimmt hatte; das Volk beftand auf feiner Beis 
behaltung; die Arianer aber, unterflügt vpn Valens, 
bemächtigten ſich Aller. Die dem Petrus treu blieben, wars 
- fen fie in Kerker und ließen fie hinrichten; Alerans 
drien war bad Bild einer mit Sturm eroberten Stadt. 
Bald bemächtigten füh die Arianer aller Kirchen, . und 
der von ihnen aufgedrungene Zifchof (Luciug) verhielt die 


Erlaubniß: Ale, welche dem Blatıben von Nicäa freu blies . 


ben, aus Aegypten zu verjagen. 2) Während der Arias 


nismus auf diefe Art das Reich zerriß, wurde Valens 


von den Gothen und Sarazenen befriegt. Die Anftals 


‚sen zur Vertheidigung gegen diefe furchtbaren Feinde ſetzten 


der Verfolgung Schranken. Valens zog gegen die Gos 
then; fein Heer wurde gefchlagen, er felbft fand in den 
Flammen einer Hütte, wohin er fich geflüchtet hatte, den 
Tod 3). Ä 0 


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0 


1) Der Hl. Atpamafins entflief nad vielen harten Käm⸗ 


pfen und herrlichen Siegen fiber die Feinde ded wahren 


Glaubens den 2ten May 373, nachdem er ſechs und viere 


ig Jahre der Kirhe von Alerandrien vorgeflanden 


- hatte. - | 
2) Sozom. L. 6, C. 20. 
3) Ehenda C. 39, 40. 





Arianismus. 143 


Gratian murde hierauf der einzige Beherrſcher des 
Reiches, und befolgte Die ‚Negierungsgrundfäße feines Bas 
ters Balentinian. Er ließ jedermann die Freiheit, zu 
einer Neligion fich zubefennen, die ihm beliebte, mit Aus⸗ 
nahme des. Manichaͤismus, Phortiniarismug, und 


‚der Lehren deg Eunomius; und rief die, von den, ' 


Arianern vertriebenen Biſchoͤfe zurück. Mehrere vdiefer 
aus der Verbannung zurücgefehrten Bekenner bezeigten 
größere Liebe für die Einigfeit ver, Kirche ‚ als Anhänglichs 
feit an ihre Stellen; "willigten ein: daß die Arianer, 
wenn fie fih mit tem Glauben, und der Gemeinfchaft der 
Katholiken vereinigten, die bifchöflichen Stühle beibehiels 
ten, und befchworen fie, fie möchten die Spaltungen jener 
Kirche, welche Jeſus Chriſtus, und die Apoflel ihnen 
zurücgelaffen, und melde die Zänfereien und eine fchänds 
liche Herrſchbegierde in fo viele Stuͤcke zerriſſen hätten, nicht 
noch vermehren. 
Diefe Maͤßigung der katholiſchen Bifchdfe machte die 
arianifchen, welche diefe WVorfchläge verwarfen, gehäflig, 
und es gab Städte, wo man den arianifchen Bifchof von 
feinem ganzen Anhange verlaffen fah, Der, durch die Nachs 
giebigfeit des Fatholifchen gewonnen, die Wahrheit erkannte, 
und fich zu der gleichen Wefenheit des Wortes befannte 1). 


‚Da das rimifhe Reich im Innern durch Faftionen 
gerriffen, von auffen durch die Barbaren bedroht mar, 
wählte fih Sratian, um die Laſt der Regierung zu theis 
len, Theodofius zum Megierungs s Genoffen. Diefer 
Sürft, eifriger als Gratian für ven nicänifchen Glauben, 
gab ein Gefeg, in welchem er allen Unterthanen des Rei⸗ 
ches gebot, dem Glauben beizupflichten, Der von dem Pabſte 
Damafus, und von Peter von Alerandrien gelehre 
würde; er erklärte: dag diefe Unterthanen allein als Fas 
tholifch angefehen, die übrigen aber als ehrlos und irr⸗ 
gläubig behandelt, auch mit verſchiedenen Strafen belegt 
werden ſollten. 


1) Sozom.L. 7, C. 2. Socrat. L. 5.0.2. 


144 Ariauismus. 


Dieſer Verordnungen ungeachtet hielten die Arianer 
Bnfammenkünffe, und behielten felbft ‚viele Bisthuͤmer. 


Der hl. Amphilochus, Biſchof von Jconiu m, 
“drang ſehr in den Kaiſer, die, Verſammlungen der Aria⸗ 
ner nachdrücklich zu verbietben. Theodoſius wies die 
‚ Einfläfterungen feines Eifers lange von fih, bis er end» 
lich einer frommen Lift nachgab, welche der -Bifchof ans 
wandte, dem Kaifer fühlbar gu machen: man duͤrfe den 
Arianern, die Freiheit fih zu Herfammelen, nicht ges 
flotten. Arkadius, Theodofen’s Sohn, war eben 
zum Auguftus ausgerufen worden, als Amphilochus, 
der dem Kaiſer aufmwartefe, gegen Arkadius nicht das 
geringfie Merkmal von Ehrfurcht blicken lief. Iheodos 
ſius benachrichtigte ihn von der Würde feined Sohnes 
mit dem Bedeuten: daß er demſelben den gehoͤrigen Re⸗ 
ſpect zu erweiſen habe. Der hl. Amphilochus ging auf 
Arkadius zu, machte ihm, wie einem Kinde, einige Lieb⸗ 
fofungen, ohne jedoch jenes ehrfurchtsvolle Benehmen ges 
gen ihn zu aͤußern, welches man den Katfern zu bejeigen 
pflegte; dann wendete er fih an Theodofiug mit den 
Worten: Es fey genug, wenn man ihm den unterthänigften 
Reſpekt ermeife, ohne folches feinem Sohne zu thun. 


Theodofing, aufgebracht über diefe Antwort, befahl 


den Amphilochus zu entfernen, welcher im Abgehen u 


‚. fagte: Sieh, Gebiether! Du kannſt eine Deinem Sohne zuges 
fügte Unbild nicht dulden, und wirſt entrüftet gegen jene, 
welche ihm unehrerbiethig begegnen; zweifle nicht, ‚daß der 
Sort des Weltalld jene, welche Seinen einzigen Sohn läftern, 
und Ihm nicht gleiche Ehrenbezeugungen, wie hm, ers 
weiſen, verabfcheue, und daß Er fie, als gegen ihren Ers 
Iöfer und Wohlthäter Undankvare haffe 1). 


Theodofiug, dem Staatsgriinde nicht erlaubten, den Arias 
nern die Freiheif der Verſammlungen zu unferfagen, unterlag 
nun ber Vergleihung des bl. Umphilochug, und verbot durch 


ı) Sozom. L. 7, C. 6. 


Arianigmus, 145 


ein Geſetz die Zufammentünfte der Irrglaͤubigen, 1) der 
Anhang der Arianer mar zu mächtig und zu ausgedehnt, 
ale daß man diefe Gefeße genau zum Vollzuge bringen 
fonnte; fie fuhren fort, fich zu verfammeln, beunruhigten 
die Katholifen, und "wurden ſogar noch unternehmender; 
es hatten fich anderweitig neue Irrlehren erhoben, und im 
Herzen des Reiches gährte dumpfe, aber heftige Unruhe, 


Theodofiug verfuchte durch Wereinigung aller Pars 


theien die Ruhe wicder herzuſtellen; er forderte ihre Häupter 


auf, mit Beſtimmtheit die Punfte, wegen welchen fie ents 
zweit ſeyen, anzugeben, und eine gemeinſame Norm aufzuſtel⸗ 
len, die dazu dienen koͤnnte, uͤber die Wahrheit oder 
Falſchheit der gegenſeitigen Meinungeu zu urtheilen. Der 


Kaiſer ſchlug allen Partheien, beſonders den Arianern 


vor, die Schrift, und die Vaͤter vor Arius, als Regel, 
anzunehmen. 


Diefes Mittel, welches dem Kaiſer von einem Ver⸗ 
tbeidiger der Conſubſtantialitaͤt an die Hand gegeben wor⸗ 
den war, war nicht nach dem Geſchmacke der Arianer; 
und da der Kaiſer ſah, daß ſie das Anſehen der Vaͤter, welche 
dem Concilium von Nicda vorangegangen waren, vers 
warfen, und daß die mündlichen Verhandlungen nichts bes 
endigten, forderte er einen ‚jeden der Häuptlinge auf, die 
Glaubensformel, fo er bekannt miffen wolle, fchriftlich 
einzugeben. Im vierten‘ Jahrhunderte alfo meigerten fi 
die Arianer, fi) über die gleiche Wefenheit des Wortes 
auf die Lehre der Väter vor Artus zu berufen, und 
im 17ten Jahrhundert will man uns fagen: die Väter, 
tie dem Concilium von Nicdäa vorargegangen fenen, wärs 
ven Arianer, gder fie hätten Feine Kenntniß von ber 
gleichen Wefenheit deg Wortes gehabt! Hätte über die 
Art, wie die Väter fich über dieſe Blaubenslehre aus⸗ 


druͤckten, Dunkelheit geſchwebt, wuͤrden wohl die Aria⸗ 


ner, welche in der Disputirkunſt wenigſtens eben ſo ge⸗ 





1) Sozzom.- Lꝑ. C. 6.. 
Ketzer-⸗Lexikon. IL, 10 


146 Arrianismus. 


“ide waren, als die Katholiken, ihre Dogmen nicht eben To 
gut, al diefe, in den Vätern gefunden haben? 


Die Stellen der Väter der drei erſten Jahrhunderte, 
‚mit welchen man in neuerer Zeit bie gleiche Weſenheit des 
Wortes zu beftreiten vorgiebt, fonfiten alfo damals nichts 
gegen dieſes Dogma verfangen,, follten wir ung nun her⸗ 
ausnehmen, zu glauben: dag wir jene Stellen, und die 
Lehre. der drei erſten Jahrhunderte der Kirche beſſer ver⸗ 
ſtehen, als die Katholiken, und ſelbſt vie Arianer des 
dritter: nnd. vierten Jahrhunderts? Wahrlich es gab unter 
den Arianern geſchickte Männer, die dabei fehr betheis 
ligt waren, ihre Lehre bei den Vaͤtern der drei erſten 
Jahrhunderte vorzüglich unter Theodoſius zu finden, 
meil diefer Fürft den Vorfchlag gemacht hatte, nach diefer 
Authorität ale Parheien zu richten. \ 


Da nun die Parfheis Häupter in den mündlichen Vers 
handlungen über nichts übereinfommen fonnten, gab jeder 
fein Glaubens; Befennmiß fchriftlich ab. Theo doſius, nach⸗ 
dem er diefe unterfucht hatte, erklärte: fein Wille fen, 
daß man dem Glaubend,Befenntniffe von Nicda folge: : 
verbot die Zufammenfünfte der Irrlehrer, vertrieb die Eis 
nen aus den Städten, erflärte die Andern für ehrlos, und 
entzog ihnen die 'birgerlichen Rechte. Inzwiſchen wurden 
diefe Gefeße nicht firenge. befolgt. Theodoſius betrach⸗ 
tete fie ald Drohungen, feine Unterthanen einzufchichtern, 
fie zur Wahrheit zu führen, nicht fie zu beftrafen; er ers 
nexerte fie mehr als einmal, und gab noch ein Verbot, 
oͤffentlich über Religions⸗Gegenſtaͤnde zw. ſtreiten. Enplich 
ließ T.hbevdofiug gegen Ende des vierten Jahrhun⸗ 
derts alle artanifchen Biſchoͤfe und Priefler aus Eon fans 
tinopel vertreiben. 


Die Kaiferin Juftina, melde Italien, Il ly⸗ 
rien und Afrika im Namen des jungen Valentinian, 
ihres Sohnes, beherrſchte, wollte ven Arianis mus wies 
der emporbringen, und verbot unter Lebensſtrafe, jene, 
welche ſich zur Lehre des Conciliums von Rimini bekenn⸗ 
ten, zu beunruhigen. Allein ihre-Bemähungen waren ohne 





Arianismus. | . 447 


Erfolgs; der Gaͤhrungs⸗Stoff des Arianismus hatte 
verbraußt; neue Irrlehren hatten fi) erhoben, welche einen 
Theil des Faktions⸗ und Disputir s Geiftes einfogen; alle 
dieſe Partheien waren fo zu fagen, in fich gefchloffen, und 
der Arianismug, der fi) nicht mehr ausdehnen konnte, - 
ſchrumpfte gewifermaßen in fich felbft zifammen. Am dem 
unruhigen Geifte Nahrung zu geben, mwarfen die Arianer - 
unter fi neue Fragen auf, fpalteten. fich, und: bildeten 
verfchiedene Abzweigungen. So fragten fie 5. 3. ob Goft, 
der Name. Vater, zuläme, ehe Er noch den Sohn hervors 
. gebracht Habe? Da die Einen diefes bejahten, die Andern 
gerneinten, entitand eine Epaltung unter ten Arianern; 
andere Trennungen folgten diefer, und die Partheien vers 
vielfaͤltigten fi. Sie hatten unter fic) Feine Gemeinfchaft 
mehr, belegten einander mit gehäßigen Namen, machten 
fich lächerlich, endlich verächtlich, uud erlofchen unmerklich, 
fo, daß fie nach geendigtem Aten Jahrhunderte im ganzen 
roͤmiſchen Neiche weder Bifc;sfe noch Kirchen mehr hatten 1), 
Jedoch gab es noch PrivatsPerfonen, Geiftliche und 
Laien, melde fi) an die Lehre der Arianer bielten; 
fie bildeten aber feinen Verein mehr. 
‚, Der Arianismus befland noch bei den Gothen, 
wo er feit Conftantin ſich feflzufegen angefangen hatte; 
bei ven Vandalen, die ſich Afrikas bemächtigten, und 
bei den Burgundern,. welche von den Gothen ange⸗ 
ſteckt wurden. 
Die Gothen beeiferten ſich eben ſo ſehr, den Aria 
nismus auszubreiten, als ihre Herrfchaft. Ste ließen den 
größten Theil der katholiſchen Bifchsfe erwärgen, und vers 
übten gegen die fatholifche Religion Alles, mag immer der 
Fanatismus Barbaten, die weder Menſchlichteit noch Ge⸗ 
rechtigkeit kennen, eingeben mag 2). 





8 


9 Man ſehe über dieſe Thatſache Socrates, Sozome- 
nes, Theodoret, woher fie genommen finds auf 
Setollberg's Geſch. der Religion I. ©. Bo. 10 — 13. 

2) Sidonius L. 7. ep. 6. Audgabe von Sirmend p. 1023. 

40 * 


148 uUrianiemus. 


Die Burgunder, die ſich Anfangs des fünften Yan 
hunderts in Gallien niederließen, ‘und wenige Jahre zur 
vor den Fatholifchen Slauben- angenommen hatten, fielen gee 
gen die Mitte des fünften Jahrhunderts in den Artanis⸗ 
mug. Allein Diefe waren weniger Barbaren, als die &os 


then, und Brälaten, ausgezeichnet durch Kenntniſſe, wie 


durch Froͤmmigkeit, ale ein bi. Avitus, befiritten den 
Arianismug mit folhem Nachdrucke, daß fie ven Koͤnig 
der Burgunder Sigismund, befehrten, und unter dieſen 
Voͤlkern vie katholifche Religion wieder einführren 1). 

Die, Srangofen nahmen gleichfalls den Arianismus 
an, als fie dem Goͤtzendienſte entfagten. -Der Uebergang von 
der Absdtterei zum Arianismus iſt leichter, als zum 
Dogma ver Confubftantialttät. Nach Clodwiges Seteh⸗ 
rung erloſch der Arianismus unmerklich in Frautreich 


Das Wiederaufleben des Arianismus in Europa, | 


oder die neuen Atianer. 


Der Arianismus entſtieg neuerdings dem Schooße | 


des Fanatismus, deu die Reformation angefacht hatte. Fin 


anabaptiftifcher. Prediger gab fich fiir einen Enkel Gottes 
aus, läugnete die Gottheit Jeſu Chrifti, und verfchaffte 
ſich Schüler. Bald ließen fich. durch die Grundfäße der Res 
formation Theologen u dieſem Irrthume verleiten. 


Die Hl. Schrift iſt bei den Proteſtanten die einzige 
Glaubeng s Kegel, der man. fich zu unterwerfen hat; jeter 


Einzelne iſt Aus eger der Schrift, folglich auch Richter über 


entfichende Glaubens » Streite.: Vermoͤge diefes oberften 

Grundfages der Reformation hatte jeder Einzelne dag Recht, 
die Fatholifche Kirche ſowohl, als die Neformatoren felbft, 
au richten, die bei allen chriftlichen Gemeinden angenommes 
nen Glaubens⸗ Lehren zu prifen, und fie zu verwerfen, 





+ 


1) Adonis Chronic. sd ann. 2 T. 6 Biblioth. edit. 
Lus dur. 1677. ° | 


Arianismus. 149 


wnt er darin die Merkzeichen der Offenbarung nicht ent⸗ 
dechte, oder fie ungereimt fund. 

Die e Freiheit brachte bei den Proteftanten bald einen 

Theil ver alten Sfrelehren, und den Arlanismus zum _ 
Vorfcheine. Man fah, wie Capito, Cellarius, andere | 
Lutheraner, und Server, geleitet durch jene Grundfäge 
alle Gtaubengfäge ihrer Privat⸗-Pruͤfung unterftellten, dag 
Geheimniß der Dreieinigfeit verwarfen, und die Conſubſtan⸗ 
tialitaͤt des Wortes beftritten. Der Arianismus breitete 
fit) in Deutfchland und Polen aus, bildete unzählige 
Secten, Fam nad) Holland, und ward durch Dfin, Bus 
ser u. A. nad. England gebracht. 
Der Herjog von Sommerfet, Vormund Eduard‘ 
des VI. hatte fie berufen, Zwingki’d Lehre dort vorzutra⸗ 
gen, Allein Bucer und Dfin lehrten zwar den Zwinger 
liantsmus im Deffentlichen, verbreiteten aber den Arias 
nismus in Gefelfchaften und Privat: Unterhaltungen. Eis 
nige ihrer Schüler, unternehmender als ihre Lehrer, pres. 
digten denfelben oͤffentlich, und wurden durd die Apoftel 
der Keformation sum Scheiterhaufen befördert. 

Nach dem Tode Eduard's VI. vertrieb die Koͤniginn 
Maria ale Fremde aus England. Mehr als dreißig⸗ 
taufend Ausländer, von verfchiedenen Irrlehren angeſteckt, 
verließen dieſes Reich; allein fie haften den Keim und dag 
Ferment des Arianismus zurücgelaffen. Die Adniginn, 
welche die Fatholifche Religion in England twieberherftellen 
toollte, bot gegen die Profeftanten Alles auf, was nur Der 
glühendfte Eifer Strenges, und fogar Graufameg eingeben 
fonnte. Die Fatholifche und proteftantifche Parthei verſchlan⸗ 
gen, fo zu. fagen, alle Feindfeligfeiten, alle Betheiligungen, 
und ‚beinahe alle Leidenſchaften; die Arianer wurden au⸗ 
ßer Acht gelaſſen, Marten’s ganzer Eifer war gegen die 
Droteftanten gerichtet, und Cranmer, Ersbifchof von Cams 
terburi, welcher die Arianer haffe verbrennen laſſen, 
beſtieg den Scheiterhaufen als Proteſtant. ZZ 

Unter Eliſabeth erlofchen die Scheiterhaufen; fe 
“ brachte die proteflantifche Meligion wieder empor, duldete - 
jedoch Alle, welche diefe nicht anfcindeten. 


! 


190 Ä Arianismus. 

Dieſe Art von Ruhe rief den groͤßten Theil jener klei⸗ 
nen Secten, welche der heftige Sturm unter der Regierung 
Marien's gleichſam erſtickt hatte, wieder in's Leben. Eli⸗ 
ſabeth beſorgt, dieſe Secten moͤchten die oͤffentliche Ruhe 
ſtoͤren, verbannte die Entbuſiaſten, Anabaptiſten und 

Arianer, aus dem Reiche. 

Jakob J. ein Gelehrter, ſchrieb gegen ſie, und ver⸗ 
brannte Alle, die er nicht bekehren konnte, don welchem 
Stande fie feyn, und was immer für Dienfte. fie dem Staate 
geleiftet haben mochten. Diefe Etrenge brachte dem Arias 
nismug Dpfer, und vermehrte die Arianer 1). 

Die Unruhen und bürgerlichen Kriege, welche unter 
Carl I. England verwuͤſteten, verſchafften den verfchier 
denen Secten viele Freiheit. 

Nach dem Tode Carl's I. beffand dag Parlament eis. 
gentlich mr aus einer Kammer der Gemeinen, zufammenges 
fett aus einer fehr Heinen Anzahl von Gliedern, welche 
insgefammt Independenten, Anabaptiſten, oder andern 
Secten zugethan geweſen, unter welchen die Independenten 
die herrſchenden waren. Diefe. wollten dad Koͤnigthum in eine 
Republik umwandeln, und jede Kirche follte die Macht has 
ben, fich felbft zu regieren, und von der englifchen Kirche 
unabhängig feyn 2). 

° Unter dem Protectorate Cromwel's genofien die vers 
fchiedenen Secten in England Duldung. 

Dem Spfteme religisfer Duldung, die man einführen 
wollte, gemäß, gab ein Arianer einen Catechismus heraus, 
der, nad) ihm, die Fundamental; Lehren enthielt, allein, wie 
er ſagte, aus der hl. Schrift genommen, ohne Erläuterung 
ohne Gloffen und Folgefüge. Diefed Werk war feinem 
Angeben nach zu Gunſten derjenigen verfaßt, fo lieber Chris 
fien, ald von irgend einer andern Secte genannt ſeyn woll⸗ 


1) Geſchihte von” "England von Thoiras. Abrege des 
Actcs de Rynıer. oo 
2) Ebendaſelbſt. 








9 Arianismus. * 151 
ten. Dieſer Catechismus Ichrte den Arianismug, und 
brachte di: Orthedoxen auf. Sie brachten ihre Klagen vor 
KCrommel, welcher, ohngeachtet des Gefeßed, das man 
fi) gemacht hafte, alle Secten zu dulden, den DBerfaffer ers 
greifen, in ein Gefängniß werfen und dafelbft armfelig zu 
Grunde gehen ließ; jedoch fuchte er die Arianer nicht auf, 
welche fich unter Carl IL uno Jakob II. ſtillſchweigend 
in England erhielten. 

Der Arianismus hatte auch Fortfchritte in Holland 
gemacht, die arianifchen Anabaptiften brachten ihre Irr⸗ 
thümer dorthin, machten Profelyten, und hatten fich dafelbft 
gegen das Ende des ſechzehnten Jahrhunderts unter Begüns 
fligung der Duldung, welche fie fi) durch große Geldſum⸗ 
men zu verfchaffen mußten, anfehnlich vermehrt. 

Als der König Wilhelm, befhloß, die Geiftlichfeit 
von England zu einem Vereinigungss Berfuche der Pros 
teffanten zufammengurufen, glaubfe Dr. Bury, der befte 
Meg zur Erreichung diefes Zweckes fen: die Grundlehren des 
Evangeliums, durch welche man über den Belang der zwi⸗ 
fchen den Proteſtanten obmaltenden Streitpunfte enticheiden 


koͤnnte, deutlich auseinander zufegen. Zu diefem Ende uns 
terſchied er die zu glauben nothmendigen Artikel von jenen, 


die mah umgehen oder Iäugnen koͤnnte, und behauptete, 
wenn man nur die Hauptfache habe, über das Wie? fo ges 
woͤhnlich unbefannt fey, muͤſſe man nicht ffreiten. Er brachte 
Daher den, um Chrift zu feyn, nothwendigen Glauben auf 
die einfachften Punkte zurück; feiner Meinung nach fey es 
genug, wenn ein Ehrift glaube: daß Jeſus Chriffug 
ber einzige Eohn Gottes ift; er fah die gleiche Weſenheit 
des Mortes für eine, den erften Chriften unbekannte Lehre 
an, und behauptete, daß zur Zeit des hi. Juſtin man jene 
noch alg Chriften anerkannte, welche glaubten: dag I. €. 
Menfch fey, geboren von Menfchen, ımd daß man von fols 
chen Leuten ‚redete, ohne ihnen etwas Beleidigendegs zu far 
gen; allein ſeitdem man über diefe Gegenflände disputiren 
wollte, haben die Hiße des Streiteg, und die Partheien, 
die fich deshalb in der chriftlichen Kirche erhoben, dieſe Fra⸗ 
gen erft wichtig gemacht, gerade fo, wie die Mühe, die 


) 


152 NAlrianismus. 

man hak, einen Diamant zu finden und zu, ſchleifen, ihn 
- erft koſtbar macht; denn am Ende, fagt er, ob es fich gleich 
von der göttlichen Natur handelt, folgt Doch nicht Daraus, 
. dag Alles, was man davon fagt., wichtig fey 1). 

Die Univerfität von Oxford verdammte die Echrift 
des Dr. Bury, und lich fie verbrennen; allein gerade die⸗ 
fer Ausfpruch verfchaffte ihm Anhänger. 

Auf folhe Weife wurde in England über die Gott⸗ 
beit J. € viel geſtritten; Die Aufmerkſamkeit von Maͤn⸗ 
nern, welche fich den Wiffenfchaften widmeten, oder Theo⸗ 
logie fiudierfen, wurde erregt, und auf diefe wichtige Dias 
ferie geleitet. 

Loke, durch die verfchiedenen Syſteme der Theole⸗ 
gen, die er gepruͤft hatte, wenig befriedigt, ſtudierte die 
Religion, und befolgte dabet den naͤmlichen Gang, den er 
bei Unterſuchung des menſchlichen Geiſtes eingeſchlagen 
hatte. Er beſchloß, die Kenntniß der Religion nur in der 
hl. Schrift, an welche alle Proteſtanten appellirten, zu 
ſuchen, und das Reſultat war die Erneuerung der Mei⸗ 
nung des Dr. Bury 2). | \ 


Socinus und feine Anhänger hatten kuͤhn behauın, 
get: dag vor dem Koncilium von Nicda die Chriften über 
die Perfon des Sohnes Gottes den ihrigen ähnliche Mei 
mungen geheget hätten. Wenn gleih Episcopiug bie 
Gottheit Fefu gegen Socinug behauptete, fo geſtand er 
. dennoch, feine Meinung fey: die Väter von Ricda häts 

gen unter ben Streitigkeiten. und in der Verwirrung jenes 
berüchigte Glaubens; Befenntniß, das ihren Namen trägt, 
abgefaßt 3). 


—— (ee 


1) Das bloße Evangelium ze. von einem wahrhaften Sohne 
der engliſchen Kirche 1690. 4. dieſes Merk ift englifih ges 
ſchrieben. Man findet einen fehr guten Auszug in der Bibl. 

.. mmivers. T. ı9. p. 59. 
2) Pas vernünftige Chriſtenthum. 
. 8) ‚Instit. Vheol. L. 4. Sect. 2. 


| Arianismus. 153 
3 wiker hatte die Behauptung gewagt, die Väter von 
Nicaͤa feyen die Erfinder diefer Lehre: und Curcelleus 
hielt die Gruͤnde Zwiker's fir gediegen und unmiders 
legbar 1) Sandiug, der den neuen Arianismus ans 
genommen hatte, fuchte die Meinung Zwiker's zu beflärs 
fen, indem er eine Kirchenzeſchichte fchrieb, worin er die 
Meinungen der Väter der drei erſten S ahrhunderte über 
die Gottheit des Worte anführte, und zu beweifen vors 


gab, die Lehre Dr Orthodoxen fey mit jener dieſer Väter - 
im Widerſpruch 2). 


‚Bull, ein Englaͤnder, widerlegte Zwiker und Sans 
Ding, welche jedoch Verfechter in England fanden 3). 

Man fand. in diefen Schriften allen Aufwand von Ges 
lehrſamkeit und ſelbſt die Episfindigfeiten der Logik aufges 
boten , die gleiche Weſenheit des Wortes zu behaupten oder 
zu beſtreiten. So machte die Zeit diefe Frage unvermerkt 
interreffanter, und erregte die Aufmerkſamkeit der Gelehr⸗ 
ten, Theologen und Philoſophen. 

Wiſthon nahm im Anſange des 18ten Jahthunderts 
dieſe Frage in Unterſuchung, und glaubte in der Lehre der 
Kirche der drei erſten Jahrhunderte und jener der engli⸗ 
ſchen Kirche uͤber die Dreieinigkeit eine Verſchiedenheit zu 
ſehen. Im Gefühle der Wichtigkeit dieſes Punktes ent⸗ 
ſchloß er ſich, Alles aufzuſuchen, wo immer das goͤttliche 
und chriſtliche Alterthum ihm ein Licht uͤber dieſen Gegen⸗ 


ſtand anzuͤnden koͤnnte; er las das neue Teſtament zwei⸗ 


mal, alle airchenSdriſtſeler, und alle Bruchſtůcke bis zum 


1) ſrenicum Irenicorum. Curcelleus. quaternio 
Dissert. 

9) Christ. Sandii Nucleus hist. eccles. 

3) Defensio fidei Nicaenae de, primit. ei apost. tradi- 
tione etc. contra Zwikerum. Recueil des Ocuvres 
do Bull. par Grave, fol. 1709. Jugemens des 
Peres etc. opposs & la defense de la foi de Nice. 
4to 1695. 


154 Arianiemus. 


Ende des zweiten Jahrhunderts, zog alle. Stellen‘, bie Bes 
zug auf die Dreieinigfeit hatten, aus, und damit ihm. 
über diefe Materie nichts entginge, las er die Schutz ſchrift 
des Conciliums von Nicaͤa von Bullus, und verglich 
deſſen Auszuͤge mit den treffenden Schriftſtellern 1). Ehe 
er noch feine Prüfung begann, hatte Wiſthon ſchon ents 
ſchieden; er hatte geglaubt, eine DVerfchiedenheit zwifchen 
. der Lehre der drei erften Jahrhunderte und der englis 
ſchen Kirche wahrzunehmen; unvermerft. erfchien ihm Alles 
unter dem Geſichtspunkte, der feine vorgefaßte Meinung 
begünftigte, und fih, fo zu fagen, vor ihm felbft verbarg; 
und das Kefultat aller feiner Lectire mar der Artaniss 
mug, den er in feinem erneuerten Urcriftenrhume 
lehrte. Die Geiftlichfeit England's verdamnite Wit 
bon, man ſchloß ihn aus der Kirche, und nahm ihm feine 
Stellen; allein die Regierung unternahm nichts gegen ihn, 
weil er die Gefeße der bürgerlicjen Geſellſchaft nicht be⸗ 
eintraͤchtigtte. 

Bald darauf verſuchte es Clark die Lehre der Arie a⸗ 

ner über die Perſon Jeſu Chriſti mit dem nicäaniſchen 
Symbolum zu vereinbaren 2). Die zweite Kammer ver 
Geiſtlichkeit beflagte fich gegen Clark; um der Verfolgung 
zu entgehen, übergab er der Berfammlung eine Echrift, 
worin er erflärte, daß er glaube: der Sohn fen von aller 
Ewigkeit gegeugt. Die Oberfammer begnuͤgte ſich mit die⸗ 
ſer Erklaͤrung. 

In einer zweiten Ausgabe ſeines Werkes ließ Clart 
Alles weg, was er in der erſten zur Vereinbarung ſeines 
Syſtems mit dem nicaͤniſchen Glaubens⸗Bekenntniſſe geſagt 
hatte, und wollte niemals eine Pfruͤnde annehmen, die ihn 
zur Unterzeichnung deſſelben verpflichtete. Die engliſchen 


— 


ı) Wisthon, das erneuerte Urchriſtenthum. 

2) Die Lehre ber Schrift in. Betreff der Dreieinigkeit 3 Thle, 
die Hauptſtellen der Liturgie der engl. Kirche über dieſe 
.MWEehre ſind darin geſaumelt, verglichen und quseinanderge⸗ 
ra 8. London 1772. TI 





a) 


Arianismus. 155. | 


Theologen befiritten „die Meinungen Clark's, und diefer 
vertbeidigte fie 1). 


Thomas Chub verband fih mit Clark zur Beſtrei⸗ 


tung der Conſubſtantialitaͤt des Wortes; er wollte bewei⸗ 


ſen: daß der Sohn ein dem Vater untergeordnetes Weſen 
ſey, welcher allein Gott waͤre. Chub eignete ſein Werk 
der Cleriſei zu 2). | 

Die. Königinn Maria hatte den Katholicismus in 
England wieder hergeftelt‘, und die Proteftanten, welche 
die Negierung Eduard's des VI. dahingezogen hatte, vers 


brennen lafien. Eliſabeth nahm die Proteflanten wie⸗ 


der auf, ließ die Katholifen aufhängen, und verjagte die 


Arianer. Jakob der Erfie nahm die Reformation an, 
duldete die Katholiten, und verbrannte die Arianer; 
heut zu Tage werden die Arianer, welche von der englis 
fchen Kirche als Ketzer verdammt find, von der Obrigkeit 
weder aufgefucht, noch beftraft. 


Der alte Arianismug war bef feinem Urfprunge eine 


aus Vernunffgränden abgeleitete Irrlehre; er nahm feine 
Entftehung in Mitte der friedlichen Verſammlungen der 
Geiſtlichkeit Alerandrien’s; er wurde Anfangs mit Mäs 
Kigung . beftritten und vertheidigt; er machte Fortſchritte; 
die Bifchdfe verfammelten fih; Artus wurde verdammt; et 
beflagte fih; man nahm fich feiner an; er fand hißige 
Vertheidiger, eifrige Gegner. Arius und feine Anhänger 
wurden von der Kirche verdammt; fie lehnten fich gegen 
ihren Ausfpruch auf, und wurden eine Faktion. Der Far 
natismus entzündete fi unfer ihnen; fie fpalteten fich, und 
bildeten einen Haufen fanatifcher Secten. Der neue Arias 
nismug im Gegentheile, hervorgegangen aus dem Schooße 


4 


des Fanatismug, war bei feiner Entftehung die Irrlehre 


eines Haufens Enthufiaften, welche von ber Vernunft gar 


1), Geſchichte der größeren Werke und Flugſchriften, welde 
» in den Streitigkeiten Aber die Trinität von 1712 bid 1720 
von beiden Seiten erfhienen find.. 8. London 1720. 
2) Die Suprematie des Waterd x. von Thom. Chub. 


\ 


136 Arrianismus. 


keinen Gebrauch machten; Heut zu Tage iſt er eine ſyſte⸗ 
matiſche Irrlehre, welche man auf das Anſehen der 
Schrift, und die reinſten Eingebungen der Vernunft zu 
bauen vorgiebt. 

Soolchergeſtalt erzeugt dieſes Syſtem wirklich feine Far 
natiker mehr; aber es verführt Viele unter jenen, die ſich 
einbilden, Philofophen zu feyn; und der Arianismus 
har in England fo große Fortfchritte gemacht, daß man 
in neuern Zelten zur Beftreitung deffelben eine Stiftung 
machte, ähnlich derjenigen, welche ehevem Boyle zur Bes 
fämpfung des Atheismus errichtet hatte 1) 


‚Die Meinungen ber Engländer find feit langer Zeit 
auf das fee Land herüber gekommen. Die Grundfäge 
eines kofe, Wiſthon, Clarke, über die Gottheit Fefu 
Chriſti find nicht unbekannt; fie wurden von dem Vers 


faſſer ver Briefe über die wefentliche Religion anges 


nommen, und find fonach in Den Händen vieler £efer; vie 
ganze Welt ließr „das vernünftige Chriſtenthum“. 
Ich habe daher geglaubt, daß, nachdem ich den Urſprung 
und Fortgang des neuen Arianismus erzaͤhlt habe, es 
nicht unnuͤtz ſey, deſſen Grundſaͤtze zu widerlegen. 

‚Die neuen Arianer find zweierlei Art: Die Einen 
glauben, der Glaubensfag von der gleichen MWefenheit des 
Wortes ſey eine flreitige Frage, worüber im Irrthume zu 
ſeyn, das Seelenheil nicht gefaͤhrde, noch von der Kirche | 
ausfchliegen dürfe; die Andern ‚behaupten. hingegen: die 
Confubfiantialität. des Wortes fey eine gefährliche, ver Vers 
nunft, Schrift und Tradition zuwiderlaufende Irrlehre. 
Ein ſolcher war Wiſthon, der Clarken bittere Vor⸗ 
wuͤrfe macht, daß er erklaͤrt hatte: er glaube, der Sohn 
| Gottes fey von aller Ewigfeit ber gezeugt. 

Hören wir Ihre Srundfige, , und deren Widerlegung. 





) Madame Myer Hat 8. Predigten gegen den Arianide 
. mus gefliftet. Dan, fepe Bibliot. Angloise T. 7. 


Arianſsmus. 157 

24 1... + L 
u , | L.: wit oo. PER 
Orundfäge,- durch welche man deweiſen will, daß 
die gleihe Weſenheit des Wortes kein Haupt⸗ 
u Dogma {ey | oh | 


um bie Secten, melde, England theilten, zu. ger 
nigen, und die chriftliche. Religion auf einfache, alen Vers J 
einen, die ſich Chriſten nennen, gemeinfame, Punkte zuruͤck⸗ 
zuführen, unterſucht Dr, Bury, mag denn dag Evanger " 
lium ſey, welches unſer Heiland und die woſtel verkuͤn⸗ 
diget haben? RT n 

Um fich hierüber gu belehren, 7. bebarf es, ach: Bury 
weder der Logik, noch der Metaphyſik, noch anderer Wiſe 
ſenſchaften; es iſt nicht einmal noͤthig, ein thrologifheg 
Syſtem zu leſen,weil unſer Heiland jenem, der. Ihn fragte: 
was er thun: mäffe, um ſelig zu werden, nichts. antwoxy 
‚tete, als: Was ftehet im Geſetze? was liefell: Du? 
d. h. man muß nur das Evangelium leſen, wo die Geligs 
feit-bald dem Glauben, Bald dee Buße; bald beiden zugleich 
verfprochen ift; an biefe. mefenfliche Verbindung muß man 
ſich halten. 

Aber was iſt das Geſetz? was iſt deſen Gegenſtand? 
Es hat deren zwei: die Perſonen, an welche wir aiauben, 
und Die Lehre, die wir erhalten. 5 


Bei dem Glauben, den wir. an-die: perſon J. C. har 
ben muͤſſen, find zwei Stüde zu bekrachten: das vrfle, zu 
wiffen, für mag für eine Perfon unfer Heiland von uns 
will gehalten feyn; das zweite, wohl gu begreifen, mas 
Er durch das an Ihn glauben, verfiehe?. Die. Benens 
nungen, welche Jeſus Chriſtus annimmt, oder, die Apo⸗ 
ſtel Ihm beilegten, find: Menfchenfehn; der, Da-Eoms 
men foll; der Meffiag oder Chriftug; der Sohn 
Gottes u. a. Da dieſe Ausdruͤcke in diefer ſchwanken⸗ 
den. Bedeutung. auch. andern. ‚Derfonen, sufommen koͤnnen, 
nennt ſich Jeſus Chriſtus nicht nir Gottes Sohn, ſon⸗ 
dern auch ſeinen einzigen Sohn; dieſe Benennuns iſt 


— 


158 Artantsmud, 

die Salbung, melde Er, che Er auf die Welt. Fam, erhals 
ten hat; und erhebt Ihn über ale Naturen, welche die 
" Schrift Götter nennt. Mille dieſe Charaktere bezeichnen 
eine fo unermeßliche Seöße, fagt Dr. Bury, dag nad 
allen Anftrengungen, fie. zu ergründen, uns nichts übrig - 
bleibt, als die Ueberzeugung: daß wir es nicht begreifen 
koͤnnen. Weit entfernt, daß dieſe Unbegreiflichkeit uns das 
Zutrauen, das Er von ung verlangt, benehme, ſo iſt fie 
eben die Urfache unferes Glaubens an Ihn, wie wir, fo zu 
Tagen, dem Lichte verfrauen, weil eben dieſes Licht, wel⸗ 
ches, wehn wir ſtarr in feine Quelle ſehen, unfer Auge blens. 
det, die Gegenftände aber, auf welche es faͤllt, zeigt. Das 
iſt Alles, was ung ndehig if, um an Jeſus zu glauben, 
anderes brauchen wir nichts von ſeiner Perſon zu kennen, 
um an Ihn zu glauben, und Ihm zu gehorchen, wie ein 
Wanderer nicht noͤthig hat, die Ratur der Sonne zu ken⸗ 
nen, um die Vortheile von ihr zu ziehen, die er bedarf. 
Wie die Sonne die Welt nicht erleuchtet, um an einem 
Diamante zuruͤckzuſtrahlen, oder die Lobſpruͤche der Philo⸗ 
phen zu erhalten, eben fo erſcheint das Licht hvon Oben zu 
feinem andern Ende, ald Die Gefundheit der Seele herab; 
zubringen. Welche anders von Ihm denken, entehren Ihn 
mehr, und. ldäugnen zuverläßiger feine Gottheit, als die 
Keger, weil fie ein gewiſſes Verhaͤltniß. wifgen Gott und - 
den Menfchen nothwendig voraugfegen. 


Wir brauchen von- Fefus Chriftus nichts "anders 
zu wiffen, als das, ohne welches es unmoͤglich iſt, an Ihn 
zu glauben. 

Dr. Bury will dieſes durch die Antwort beweiſen, 
welche der Heiland den Juden gab, als ſie Ihm ſagten: 
Warum haͤltſt Du ung fo lange in Ungewißheit? 
wenn Du Chriftug bift, fo ſage ed ung offen. 


Statt aller Antwort fagfe ihnen J. €, daß Gott 
fein Vater fen; Er’unternimmf es nicht, ihnen feine Gerecht⸗ 
ſame auseinander zu ſetzen; Er ſagt ihnen nichts von dem, 
was Er von aller Ewigkeit her in ſich ſelbſt war, ſondern 
von dem, was Er im Verhaͤltniß zur Welt war; Er ven 


| Arianiemus. 159 
ſchwieg, was uͤber ihre‘ Faſſungskraft ging, und begnuͤgte 

ſich, ihnen zu ſagen: was hinreichend war, eine ‚beitfame 
“ Mebergeugung in ihnen hervorzubringen. 

Man wird an biefer Behaupfung „— nach Dr. Bury, 

nicht zweiflen, wenn man die Einfalt und Unwiſſenheit jes 
ner bedenkt, welchen 3. €. anfangs das Evangelium vers 
Tündete, und die Yeichtigkeit, mit welcher bie Apoftel jenen 
die Taufe ertheilfen, die fie befehrten; die Geſchichte des 
Kammerherrn der Königinn von Vethfopien r und die 
dreitaufend durch eine einzige Predigt des hl. Petrus Ber 
fehrten bemeifen: dag man, um Chrift zu feyn, ſehr wenig 
zu wiffen brauchte, und daß folglich von der Mefensgleichs 
heit des Wortes feine Rede war, welches eine zu fchiwere 
Frage ift, und die Faſſungskraft derjenigen, welchen Chris 
ſtus und feine Apoftd anfangs das Evangetium vertunda 
ten, himmelweit uͤberſteigt. 
Endlich ſah man, nach Dr. Bury zur Zeit des bl, 
Juſtinus diejenigen noch für wahre Chriften an, welche 
glaubten, Jefus Ehrifus fey Menſch, Bergen von 
Menſchen 1). 

‚ 2ofe madhte, wie Dr. Bury einen Auszug von Als 
lem dem, was Chriſtus und feine Apoſtel in dem Evans 
gelium und der Apoftelgefchichte jenen, die fie befehren wolls 
ten, fagten, und glaubte: auf diefe Weife Alles zu. finden, 
was die Apoftel von den Chriften verlangten. 

In diefer Prüfung glaubte Lofe, die Lehre von der. 
Erlöfung als Grundlage der chriftlihen Religion zu ents 
decken, und ſchloß, daß, um die chriftliche Lehre Fennen zu 
lernen, man unterfuchen muͤſſe, worinn die Erlöfung des 
mann Geſchlechtes beftehe, d. 5. den. a : en 


1) Das bloße Evangelium, mo gezeigt wird. 1) Welches dab 

Evangelium war, fo der Heiland und ‘die Apoftel predigten. 
2) Welche Zuſaͤtze und. Verfälſchungen die folgenden Jahr⸗ 
bhunderte damit vorgenommen haben. 3) Welchen Schaden 
“amd Autzen dieſes gehabt Habe. 4. Rs p- ı02. Bibl. 
' univ. T. ı9. p. 3gr. En N 


160 | Arianismus. 


die Suͤnde Adam's die Menſchen verſetzt, und wie Jeſus 
CEhriſtus ben urſpruͤnglichen Stand des menſchlichen Ger 
-fchlechteg wieder hergeſtellt habe. Er glaubte zu finden: daß 
der Stand, aus welchem Adam gefallen war, ein Stand 
des vollkommnen Gehorſams geweſen ſey, den das Neue 
Teſtament mit dem Worte „Gerechtigkeéit“ bezeichnet. 


Waͤhrend dieſes Standes der Unterwuͤrfigkeit bewohnte 
Adam dag irrdiſche Paradies, wo der Baum des Lebens 
ſich befand: ee wurde, daraus vertrieben als er Gott unge⸗ 
horſam geworden war, und verlor von dieſem Augenblicke 
an das Vorrecht der Unſterblichkeit. Der Tod kam in die 
- Melt, und auf dieſe Weiſe ſterben alle Menſchen in Adam; 
feine ganze Nachfommenfchaft, geboren außer dem irdifchen 
Paradieſe, mußte fterblich feyn. Jeſus Chriftug fam, 
den Menfchen gin Gefeß zu verkünden, deſſen Beobachtung 
fie zwar nicht gegen den Tod. (hüßte, aber ihnen das Gluͤck 
verſchaffte, vom Tode’ wieder zuerfichen, und nach Diefer Urs 
fände nicht mehr in Gefahr zu ſeyn das Vorrecht der, Uns 
ee su verlieren. 


Loke unterfucht weiter, welches” dieſes Geſetz ſey, deſſen 
Beobachtung die Unfterblichkeit nach fich ziehe, und welches 
das Weſentliche des Chriſtenthums ausmache; und glaubte, 
zu ſehen, das J. €. und feine Apoſtel jene als Chriſten ans 
fahen, welche glaubten: daß Jefus, der Sohn Mas 
riens, Ver Meffiasfey. Cr führte fonad) das We⸗ 
fentliche des Chriſtenthums auf biefen einzigen Artikel zus 
ruͤck. Dieſer hatte jedoch eine gänzliche Unterwerfung unter 
die Lehren $. C., und eine ſtrenge Verbindlichkeit, alle ſeine 
Gebote zu alten, im Gefolge; dieſe Gemüthss Stimmung 
feßt nach Lo Fe ein großes Verlangen voraus, die Lehren 
J. C. zu Fennen, und feine-@ebote zu befolgen. Allein es 
A nad) ihm klar, daß man aus der Untermürfigfeit , wels 
he die Wefenheit des Chriſtenthums ausmacht, ‚nicht her⸗ 
austrete, wenn 'man ſich in Anſehung deſſen, was Chri⸗ 
ſtus gelehrt oder befohlen hat, irrt; daß folglich derjenige, 
welcher glaubt: Je ſus Chriſtus habe gelehrt, Er ſey 
gleiches Weſens mit dem Vater, die Conſubſtantialitaͤt glau⸗ 
ben muß; jene aber, melde glauben: Er babe gelehrt, daß 





Arianismus. 461 


Er ein’ Geſchoͤpf ſey, die Conſubſtantialitat zu verwerfen 
verpflichtet feyen. 
Der Verfaffer einer Differtation, die fi) am Ende des 
vernänftigen Chriſtenthums befindet, behauptet: 
Durch dieſes Drittel ale chriſtlichen Gefelfchaften gu vereint, ° 
gen, weil alle annähmen, daß Jeſu s, der Sohn Mar 
rien 9 der Weſſias ſey 1). 


—X | IT. | 
Unrigtigkeit der. angeführten Orundfäre. 


Jeſus Chriſtus wird im Neuen Teflament vorges 
ſtellt als dee Erloͤſer des menfchlichen Gefchlechteg, als ein 
Mittler gwifchen Gott und den Menfchen, als ein Lehrer, 
der fie erleuchten, ald Geſetzgeber, ver ihnen einen 
neuen Gottesdienſt, und eine volfommmere Sittenlehre vor⸗ 
ſchreiben fol. 


Es iſt offenbar, daß zur x Vollniehung aller dieſer Auf⸗ 
traͤge es nicht genuͤgte, daß Jeſus Chriſtus die Men⸗ 
ſchen lehrte, Er ſey der Sohn Gottes oder Meſſtas. 
Nachdem Er ſich den Menſchen als Meſſias oder einzigen 
Sohn Gottes geoffenbart hatte, lehrte Er ſie unbekannte 
Wahrheiten, ſchriebd ‘ihnen eine Gottesverehrung vor, gab 





4) Dr. Johann Eduard verfaßte gegen dad vernünfe 
tige Chriſtenthum eine Schrift, unter dem Titel: Der 
tn tlarvute Socinianismus, 8. Zondon 1690. Loke 
antwortete Hierauf in feiner erften Verteidigung des vers 
nünftigen Chriſtenthums gegen die Beiyuldigungen 
Dr. Eduard’, London 1696, und in dem nämlichen 
Jahre in feiner beiten Vertheidigung Sc. Diele Vertpeidis 
gungen befinden fi in der zweiten Ausgabe des ver 
‚nünftigen Chriſtenthums von 1715. Dielen ift beige⸗ 
fügt. ine Differtation Aber die Mittel, alle Chriſten zu vers 

..: einigen, und eine Abhandlung über die Religion der Frauen. 

— I. 11 


162 Arianismus. | 
ihnen Geſetze, und es mar nicht genug , um Chriſt zu ſeyn, 
zu glauben :-daß Fefus, Marien’d Sohn, der Meffiag 
fen; man mußte überdieg die Wahrheiten glauben, die Er 
den Menfchen zu offenbaren, gefommen war, und melde 
das Wefentliche feiner Lehre, und die Grundlage des Bots. 
tesdienfties, welchen Er auf der Erbe zu fliffen gefommen 
‚war, ausmachen. | 
Der Hauptſatz Bury’s und Loke's ift fonach durchs 
aus falſch. Wir wollen nun fehen, ob die gleihe Wer 
fenheit des Wortes zu den Grundwahrheiten gehöre. 
Um diefes zu bemweifen, wollen wir zeigen: 
1) Daß die Kenntniß der Perſon Jefu Cheifti einen 
wefentlichen Theil des Chriſtenthums ausmache; 
2) dag I. ©: mirklich gelehrt habe, Tr ſey gieiches 
Veſens mit dem Vater. 


1) Die Erkenntniß der Perſon und Natur J. € 
maßte einen wiefentliden Theil der Lehre aus, 
weiche der Heiland den Menſchen mitgetheilt hat. 


Aus dem Neuen Teſtament iſt es klar, daß J. €. 
in die Welt gekommen iſt, die Menſchen, einen Gott in 
drei Perſonen kennen zu lehren, und daß die von Ihm an⸗ 
geordnete Gottesve. hrung auf die Verhaͤltniſſe der drei 
‚göttlichen Perfonen zu dem menfchlichen Gefchlechte gegrüns 
det. if. Die Erkenntniß diefer drei göttlichen Perfonen 
mar Daher weſentlich, und für den Menfchen nothwendig, 
um Chrift zu feyn; mithin hat fih 3. €. nicht. bloß. unter 


„dem ſchwankenden Namen eines Sohnes Gottes zu erken⸗ 


nen ‚gegeben; Er zeigte auch den Menſchey die Natur. oder 
Weſenheit feiner Perfon, ob Er gleich ewig, und von gleis - 
cher Wefenheit- mit feinem Vater, . oder ob er ein bloßes | 
Geſchoͤpf ſey. Hier der Beweis. | 

a) Die Gottesverehrung, welche J. C. zu ſtiften gekom⸗ 
men, iſt nicht bloß eine aͤußere, fondern. vorzuͤglich eine 
innere. Eine. innere Verehrung kam nur durch Urtheile 


Ey 


Ariantsmus. | 163 


des DBerfiandes und durch Gefühle des Herzens bei dem 

Menſchen entfliehen; er ermeifet eine Verehrung durch den 
Verfiand, wenn er die Größe, die Vortrefflichkeit und 
Bolltommenheit eines Weſens erkennet. 


Da die von J. C. angeordnete Gattesverehrung eine 
Anberhung im Geifte und in der. Wahrheit if, fo wollte Er 
nicht, daß Ihn die Menfchen fir ein Gefchöpf hielten, 
wenn es wahr iſt, dag Er mit dem Vater von gleichem 
Mefen fen, noch dag man Ihn als wahren Gott, und gleich 
ewig mit dem Vater anerkenne, wenn Er ein in der Zeit 
entſtandenes Gefchöpf iſt. 


Die Menſchen konnten alſo Jefu Chrifto durch ihr 
sen Verftand nur in fofern eine rechtmäßige Verehrung ers 

meifen, ald Er ihnen zu erfennen gab, ob Er gleiches Wes 
ſens mit dem Vater, oder ein bloßes Gefchöpf ſey. Je⸗ 

fus Chriſtus fonnte fi) demnach den Menſchen nicht 
unter der . einfachen Cigenfchaft eines Sohnes Gottes, 
. oder Meſſias barfiellen, ohne fie: der Gefahr auss 
zuſetzen, über feine Perfon in einen Grundirrthum zu vers 
fallen; indem fie Ihn entweder für ein Gefchöpf hielten, 
da Er doch Gott war, oder Indem fie Ihn als Gott vers 
ehrten, ohngeachtet Er ein bloßes Geſchoͤpf war. 


Von dem Gefühle gilt Das Nämliche, was wir von 


dem Derftande gefage haben. Der Menfch erweift eine 


Verehrung durch die Gefühle feines Herzens, wenn er 
Ehrfurcht, Liebe und Dankbarkeit empfinder ; diefe Gefühle 
in Betreff Jeſu Chriſti müffen weſentlich verfchieden ſeyn, 
je nachdem Er von gleicher Wefenbeit mit dem Vater, oder 
nur ein Geſchoͤpf iſt. 

Es waͤre eine Ruchloſigkeit, Jeſum Chriſtum den 
Sohn Gottes und wahren Gott nur als ein Geſchoͤpf zu 
ehren; und es waͤre Goͤtzendienſt, Ihn als wahren Gott, 


gleich ewig und von gleicher Weſenheit mit dem Vater zu z 


verehrten, wenn Er nichts, als ein Gefchöpf iſt. Es war 
fohin unmöglich, dag Jeſus Chriftug, der gekommen 
iR, die Menfchen die Anbetbung Gottes im Geifte und in 
der Wadhrheit zu lehren, ſich denſelben unter einer unbe⸗ 


118 


\ 


— 


164 | Arianismne. 


flimmten Benennung zu erkennen gegeben Habe, welche dies 
felben zur Abgoͤtterei oder Gottloſigkeit verleitet haͤtte, 
ohne daß derſelbe etwas gethan haͤtte, um ſie gegen dieſes 
Verbrechen zu ſichern, während Er dennoch eine, Verehrung 
forderte. 

b) Jeſus Chriftus iſt sckommen, die Menſchen 
Gott den Vater, nicht allein unter der einfachen Eigen 
fchaft eines Schöpfers und Erhalters der Melt Fennen zu 
Ichren; Er iſt auch) gekommen, ihnen feine Etbarmung gegen 


‚die Menfchen zu verkünden, und fie zu belehren: daß Gott, 


der Water, feinen Sohn auf die Welt gefchicht habe, fie von 
dem Tode und der Sünde zu erlöfen; es war das MWefents 
liche der 'chriftlichen Religion, daß fie Die ganze Fülle der 


. göttlichen Güte und Barmherzigkeit offenbarte: es war for 


bin nothwendig,. zu erfennen zu geben, ob diefer Sohn, 
zur Erlöfung des menfchlichen Gefchlechted von Gott auf die 
Erde gefandt, nur ein Gefchöpf, vollkommner zwar, als die 
andern, oder eine göftliche Perfon, von gleichem Weſen 


mit dem Water, fey. 


. Hätte Jeſus Chriſtus nur die Stelle eined Geſand⸗ 
ten an die Menfchen vertreten, der bloß gekommen wäre, 
den Menfchen einige Geremonien, mit welchen Gott wollte 
verehrt werden, zu offenbaren, fo häfte es genügt, die 
Wahrheit feiner Sendung zu beweifen: aber Fefus Chris 
ſtus ift der Mittler ver Menfhen, Er ift ihr Priefter, 
ihr Sort; fie find Ihm eine Verehrung fchuldig, die fie Ihm 
nicht ermeifen können, ohne feine Perfon zu kennen, ohne 
zu mwiffen, ob Er wahrer Gott, von gleichem Wefen -mit 
dem Vater, oder ein Geſchoͤpf iſt. Denn die Verehrung, 
welche. die Chriften Jeſu fchuldig find, iſt wefentlich vers 
fchfeven,, je nachdem derfelbe wahrer Gott, oder ein Ges 
ſchoͤpf iſt. 

Die Conſubſtantialitaͤt des Wortes iſt demnach ein Haupt⸗ 
artikel, uͤber welchen Jeſus Chriſtus ſeine Schuͤler 
nothwendig belehren mußte. Denn in einer Religion muß 
man einen Artikel als einen haupffächlichen Punkt verfelben 


‚ betrachten „. über welchen man nicht in Irrthum feyn fann, - 


Arianismus. | 165 


ohne das Wefen der ‚Religion zu ändern ‚ und ohne deffen 
‚Erfenntniß man Die Gottesverehrung, .. bie . —— 
nicht — kann. 


7 





2) Jeſus Ehritus hat den Menſchen zu erkennen ges 


geben, daß Er von gleidem Wefen mit feinem Vater 
fey, und man Hat nur jene als Epriften anerkannt, 
welde diefe Wahrheit befannten, 


J. C. hat fi halle Eigenfchaften und Vollkommenheiten 


des hoͤchſten Weſens beigelegt; dieſes geſtehen SOLEDOR und 
Clarke ein. 


Diefe Wahrheit iſt im Neuen Teſtamente in ſo vielen 
Stellen, und auf ſo vielerlei Weiſe ausgedruͤckt, daß bei⸗ 
nahe kein Punkt der Lehre oͤfter und umfaſſender angege⸗ 


ben iſt, als dieſer; man kann aber von der Wichtigkeit ei⸗ 


ner Lehre, und der Nothwendigkeit, ſie zu glauben durch 


nichts beſſer urtheilen, als durch die häufige Erwähnung, 


welche davon gefchieht, durch das Gewicht, fo man auf das, 


was man davon ſagt, ‘legt, und durch die Veiſchiedenhen 
der Wendungen, um es zu ſagen. 


Der hl. Johannes ſtellt gewiſſermaßen die Gottheit 


Jeſa Chriſti zur Grundlage der Religion und des Evan⸗ 


geliums auf. Im Anfange, ſagt er, war das Worf, 
und das Wort war, Gott. 

Dieſer Apoftel, welcher die Irrlehren des Cerinthug 
und Ebion, welche Jeſus Chriftug als einen Menfchen ‘ 


‚anfahen, entftehen ſah, feßte ihnen fein Evangelium entge⸗ 
‚gen, und. fing es mit den beſtimmteſten und förmlichften Er⸗ 


Härungen .der Ewigkeit, Allmacht, und bes. nothwendigen 
Daſeyns Jeſu Chriſti an: er weigerte ſich mit Cerin⸗ 
thus, der die Gottheit Jeſu nicht annahm, in Gemein⸗ 


ſchaft zu treten, und die Apoſtel, oder ihre unmittelbaren 


Nachfolger ſchloßen Alle, welche diefe große Wahrheiten | 
nicht anerfannten, von der dhriftlichen Kirche aus. 
Die Gottheit oder bie Confubftantialität des Wortes 


| war Ve bei dem ——— des Chriſtenthums eine 


166 | Arianiemus. 
. Lehre, an die man nothwendig glanben mußfe, um wahrs 


haft Chriſt zu ſeyn, und es reichte nicht hin, zu glauben: 


daß Jeſus, Sohn der Marta, der Meſſias fen; dem 
Cerinthus und Ebion nahmen diefen Artikel an. 


Allein die Perfonen, fagt man, welchen bie Apoflel das 
Evangelium verfündigten, waren unwiſſende und rohe Men⸗ 
ſchen, und konnten das Geheimniß der Menſchwerdung nicht 
begreifen. 

Dieſe Einwendung nimmt ihre ganze Staͤrke von der 
unwiſſenheit her, welche man den Juden uͤber die Perſon 
des Meſſias beimißt; es iſt aber falſch, bap bie Juden 
fi in diefer Unwiſſenheit befanden. 


Die Juden erwarteten den Meffiag, dag ganze Volk 
war hierbei vetheiligt; die Juden kannten feine Merkmahle, 
ſeine Eigenſchaften und Vollkommenheiten; ſie nahmen die 
Weiſſagungen, welche Ihn ankuͤndigten, in dem Sinne, wel⸗ 
chen Jeſus und die Apoſtel ihnen beilegten; nur in der 
Anwendung, die Chriſtus, und die Apoſtel Hiervon auf 
Sefus,den Sohn Marien's machten, waren fie nicht 
einig; fohin mußte man, um dieſes Wolf zu befehren, nur 
beweifen: dag in der That alle Züge, unter welchen bie 
Propheten den Meſſias ankuͤndigten, ſich in Jefus Chris 
ſtus vereinigten, und biefes Eonnte leicht in einer Predigt 
gefchehen. 

Der Meſſias war der vichtige Inhalt aller Prophe⸗ 
zeiungen, und mittels der aufeinander folgenden Weiſſagun⸗ 
gen ſtieg das Licht im Befreffe des Meffias im Verhaͤlt⸗ 
niffe mit der Zeit, wo feine Erfcheinung nahete, im zuneh⸗ 
mendem MWachsthume. Alſo mussen lange vor der Geburt 
J. €. die eigenthuͤmlichen Merkmahle, welche ben Meſſias 
augzeichneten, feftgeftelt, und den Juden: zur ‘Zeit, ald 
Jeſus feine Lehre verkündigte, bekannt feyn. Denn es ifl 
‚gewiß, Daß damals die Erwartung des Meffias lebhafter 
und allgemeiner mar, als jemals. Auch ſehen wir, daß J. 
C. und die Apoftel, wenn © von dem Meffiag reden, 
"die Orakel des Alten Teftamentes als befannte, und von 
den Juden verfiandene Ausfprüche anführen, und daß Yiefe 


Arianismus. | 167 


ſolche in. dem nämlichen Sinne nehmen , wie Jens und 
die Apoſtel ſie ihnen vortrugen. 

Es iſt gewiß, daß die Juden das Wort, oder den Lo⸗ 
908-für eine goͤttliche Perſon anfahen: der Anfang des Evans 
geliums des bi Johannes ift ein Beweis hievon (SS or 
cin bat dieſes nicht beftritten; er behaupfete nur, daß biefe 
Derfon ein bloßer Menfch ift). Iſt es nun wahrſcheinlich, 
dag der Evangelifi, der ein Jude war, und hauptfächlich 
für Juden ſchrieb, dieſen Ausdruck in einem ganz verfchier 
denen Sinne genommen habe, als den er bei feiner Nation 
vorfand ? oder , wenn dieſes feine Abficht war, warum ſagt 


er zur Berftändigung fein Wort hiervon, und warum ſpricht 


er im Gegentheile im Eingange des Evangeliums, wie ein 
Mann, der weiß, daß man ihn verfiehet, und daß er von 
Dingen redet, die Allen, für welche er fchreibt, bekannt 
find ? 

-Uebrigeng fegen es bie jädifehen Schriftſteller, wie 
Philo, und die chaldaͤiſchen Ausleger, außer Zweifel: daß 
die alten Juden das Wort für eine göttliche Perſon hiels 
ten; eben fo ift es: gewiß, daß die jüdffche Kirche glaubte, 
daß dad Wort der Meſſias fey1). 


. Alle diefe Gegenſtaͤnde waren jeboch für bie. duden 


nicht ſo klar, daß hierin nicht einige Dunkelheit und Muͤhe, 


fie zu verſtehen, obwaltete; deßhalb ſtellten fie auch hier⸗ 
uͤber Fragen an Jeſus Chriſtus. Die neuern Juden 
find von allen Grundſaͤtzen der alten juͤdiſchen Kirche ab⸗ 
gewichen; und deßhalb iſt es nicht zu wundern, daß fie‘ 
den Meffias für einen bloßen Menſchen halten; allein 
man muß ben Glauben der alten jüdifchen Kirche nicht nach 
-, jenem ber Juden fer der Zerſtoͤrung Jeruſalems be⸗ 
meſſen 1). 


8 —W 





9» Aus ſpruch der alten zadiſden aie⸗ gegen die Unitarier 
über die Dreieinigkeit “und die Gottpeit anfeeh Detandet 
(engliſch) London 1699, en 

2) Ebendaſſelbſt | 


1# 


— 


168: lrrianismus. 


Endlich ſetzt man den Orthodoxen eine Stelle aud dam 
hl. Juſtinus entgegen, welche vermuthen laͤßt, daß die 
erſte Kirche die Conſubſtantialitaͤt J. C. nicht als eine 
Grundlehre angeſehen habe. 

Da ſeit Episcopfug alle feine: Anhaͤnger dieſe Stelle 
wiederholen, ſo wird es nicht unnuͤtze ſeyn, ſie zu unterſu⸗ 


den. Diefe Stelle iſt aus dem Geſpraͤche mit Tryphon. 


genommen: „Aber, o Tryphon! (fagt ver hl. Juſti⸗ 


„nus) darand folge nicht, daß Jeſus ber Chriſtus, 


„„oder der Meſſias Gottes nicht ſey, wenn ich ſogar nicht 


„beweiſen koͤnnte, ‚daß. dieſer Sohn des Erſchaffers der 
„Welt zuvor ſchon vorhanden geweſen, daß Er Gott, und 


.„von der Jungfrau als Menſch geboren iſt, wenn es nur 


„erwieſen iſt, daß Er der Chri ſtus Gottes war, ob Er 


„gleich anders woher ſeyn ſollte; wenn ich nicht beweiſe, 


‚„baß,&r zuvor vorhanden gewefen, und als Venſch gehos 
een ift, unterworfen ben nämlichen Schwachheiten mie 
„wir, indem Er Fleiſch war, nach dem Rathſchluſſe und 
„Willen des Vaters, fo iſt Alles, was man efwa wird 
‚tagen koͤnnen, dieſes: daß ich hierin geirrt habe, und 
„man wird mit Grund nicht läugnen koͤnnen, dag Er der 


Chriſtus fey, wenn Er gleich als ein Menfch, geboren 
von Menfchen, erfcheint, - und‘ wenn man auch behauptet, 


* 


„daß Er durch Erwaͤhlung der Chriſtus geworden ifl. 


„Denn, meine lieben Freunde! es giebf einige von unferem 
„Geſchlechte ‚ welche zwar bekennen: bag Er Chriſtus iſt, 
aund dennoch behaupten, daß Er Menſch ſey, welches ganz 


mund gar meine Meinung nicht iſt; auch giebt es ihrer 


nicht viele, fo das fagen; denn fie find der nämlichen 


„Meinung wie ich; Jeſus Chriftus hat ung nicht vers 
„urtheilt, die Ueberlieferungen und Lehren der Menfchen 


„zu glauben, fondern das, was die hl. Propheten verfüns 


n Digef haben. “u h 

Diefe- Stelle des hl. Juſtinus, flatt bie Meinung 
des Epiſcopius gu beguͤnſtigen, verwirft dieſelbe. Der 
hl. Juſtinus gebraucht hier gegen Tryphon ein ſoge⸗ 


nanntes argumentum ad hominem. Es iſt klar, daß er 


ſagen will: wenn Try phon nicht annehmen wolle, baß 


ur 


. Arianismus. 169 


Jeſus Chriſtus Gott ſey, noch bie Buͤndigkeit feiner 
angefuͤhrten Beweiſe anerkennen wuͤrde, die Sache der 
Chriſten darum noch nicht verſpielt ſey, weil es eine Menge 
anderer Beweiſe, und viele Kennzeichen gebe, welche dar⸗ 
thun, daß Jeſus von Nazareth der von den Propheten 
verfündete Meffias fen, welches er durch die Meinung 
der Ebioniten und anderer Irrlehrer beftärige, welche, 
ob fie gleich in J. C. nur einen Menfchen erkennen wollen, 
dennoch feine Lehre ald jene des wahren Meſſias ats 
nehmen. .- 

Es iſt offenbar, daß dieſes der Sinn des hl. Juſti⸗ 
nud ift, und nicht, daß die Gottheit J. €. nicht ertvies 
fen ſey, weil er ausdruͤcklich verfichert: daß Die Propheten 
“und Jeſus Chriſtus felbft die Gottheit des Meſſigs 

gelehrt haben. 

Man will einen großen Vortheil daraus ziehen, daß 
der hl. Juſtinus, wenn er von denen, welche J. C. fuͤr 
einen Menſchen halten, foricht,, fie „Einige von den 
Unferigen’ nennt. Allein diefe Art zu reden, will nicht 
“ fagen, daß der Hl. Jufkin glaubte, man könne Chrift ſeyn, 
“ohne zu glauben, daß J. €. Gott iff, denn der bi. Juſtin 
konnte von denen, welche, Iäugnend die Gottheit J. €. fich 
zum Chriftenthume bekannten, fagen: fte find von den 
- Unferigen; im Gegenfaße gegen die Juden, obne fie des⸗ 
halb als wahre Ehriften anerfennen zu wollen. Eben fo fagt 
der nämliche Hl. Juſtin in feiner zweiten Apologfe, wo von 
den Schuͤlern Simon’s, Menander’s uud Marcion’g 
die Rede ift, daß man fie alle Chriften nenne, wie man dem , 
Namen Philoſoph verfchiebenen Perfonen beilegt, ohngeach⸗ 
tet ſie entgegengeſetzte Meinungen behaupten 1). 


1) Judicium ecolesiae catholicae trium priorum Sacculo- 
rum de necessitate crodendi, quod dominus noster J. 
C. sit. vergs deus, asertum contra Simonen .Episop- 
‚ pium. Auct. Bullo. Sammlung der Werke Zull’sm. 
Grabe. Go. 1703. 1 


Ra 
ne 
21 


S 


170 | | Llrianismus. 


"Einwendungen der neuen Arianer gegen die Lehre 


der Eonfubfantialität ded Wortes. . 


Die neuen Arianer nehmen an, daß es nur eine ein⸗ 
zige haͤchſte Urſache aller Dinge gebe, welche ein vernuͤnfti⸗ 
ges, unkoͤrperliches Weſen, ohne Zufammenfegung und 


| Theilung iſt. Sie geben weiter zu, daß die hl. ‚Schrift ung 


berichtet: daß es drei göttliche Perfonen, den Vater, Sohn, . 
"und bl. Geift gebe, und dag fie drei verfchiedene Perfonen 
find; behaupten aber, daß von diefen drei Perfonen der Bas 
ter allein das nothwendige Wefen, oder die höchfte Urfache 
ſey, die Alles hervorgebracht hat, und daß die andern Ders 
ſonen Geſchoͤpfe find. 

Wir werden im Artikel: Macedonius, die Einwen⸗ 
dungen in. Betreff der Perſon des hl. Geiſtes unterſuchen; 
- jest follen jene, welche die Gottheit des Sohnes beftreiten, 
der Prüfung unterworfen werden. 

1) Die neuen Arian er behaupten : daß der Son, der 
‚vom Vater ausgehet, nicht unabhängig und folglich nicht 
das höchite Wefen oder Bott fey, weil der Begriff der Gotts 
heit das nothwendige und unabhängige Dafepn, ein Seyn 
durch fich felbft, in fich ſchließt. 

2) Ste geben zu, daß der Sohn: in der Schrift, Soft, 
- genennf: wird; allein fie behaupfen: daß ſolches nicht ſowohl 

auf fein uͤbernatuͤrliches Dafeyn, fondern wegen der Vers 
haͤltniſſe gefchehe, in denen Er zu den Menſchen ſtebet, uͤber 
welche Er die Rechte der Gottheit be, 

3) Alle Handlungen des Sohnes, fowohl beider Er⸗ 

- Schaffung der Welt, als in feinem übrigen Betragen find 
Wirkungen der, Ihm vom Vater mitgefheilten Macht, umd 
der Sohn hat immer die Dbergewalt des Vaters anerkannt, 
welches feine Abhaͤngigkeit und folglich ‚ dag er nicht Sort 
iR ’ beweif’r. 

4) Jeſus Chri ſtus hatte vor feiner Menſchwerdung 
keine beſondere Verehrung; alle Anbetung leiſtete man dem 
Vater; erſt nach ſeiner Urſtaͤnde wurde Ihm eine Verehrung 
bewieſen, und ſelbſt dieſe gruͤndete ſich nur auf ſeine Ver⸗ 


„hbaͤltniſſe zu den Menſchen, auf die Eigenſchaften eines Mitt⸗ 


Arianismus. 171 
lers, Erlkoͤſers, Fuͤrſprechers; nicht aber auf die Eigenſchaft 
eines hoͤchſten, durch ſich ſelbſt vorhandenen Weſens. | 

5) Wenn der Sohn, oder die zweite Perfon, welcher 
die Schrift ven Ehrentitel Gott beilegt, von gleichem Wer 
fen mit dem Vater wäre, fo wären beide Perfonen in eis 


ner einfachen Subſtanz vereinigt; dann aber müßten fich 
dieſe Perfonen nothwendig miteinander vermifchen, und waͤ⸗ 


ren bloße dußere Benennungen des göttlichen. Weſens ‚ wie 


Sabellius behauptete.‘ 


6) Die neuen Arianer fragen? tbag für Väter der 
Drei. erften Jahrhunderte von der Conſubſtantialitaͤt des Wor⸗ 
tes redeten, und worauf ſich die Vaͤter von Nicäͤa geſtuͤtzt 
haͤtten, um das Wort Conſubſtantial zu heiligen, wel⸗ 
ches doch von den Vaͤtern des Conciliums von Antiochien 
verworfen worden waͤre. 


7 Sie fragen: wie die Gleichheit des Vaters und Soh⸗ 
nes, welche zur Zeit des Origenes ein, aus Unbedacht⸗ 
ſamkeit einiger weniger Menſchen entſprungener Irrthum 
war, und die Zeugung des Sohnes, welche im Jahrhunderte 
des Conciliums von Nicda unbefannt war, Haupislaubens⸗ | 
Artikel geworden ſeyen? 


8). Sie behaupten: daß alle Väter, die vor dem Con⸗ 
ciltum von Nicaͤa lebten, bie Unterordnung deg Sohnes 
unter den Vater lehrten. 


Wi ſt hon ſtuͤtzt ſich vorzuͤglich auf die apoſtoliſchen 
Conſtitutionen, und die Briefe des bl. Ignatius. Er bes 
hauptete: Daß die apofolifchen Conftitutionen dem bl. Cle⸗⸗ 
meng von den Apoftem, und diefen von Jeſus Chris 
ſtus ſelbſt während der 40 Tage nad) feiner Auferfiehung 
in Die Feder gefagt worden fenen ; ohne dieſes, meint Wiſt⸗ 
bon, bäfte 3. ©. feine Kirche ohne Grundgefege gelaffen. 
Wegen der Briefe des hi. Ignatius behauptet er: daß 
die langen Briefe und nicht die kurzen, welche geftümmelt 
worden feyen, das Werk dieſes Vaters wären. - 

. Bir wollen nun dieſe Einwendungen theilweiſe prüfen 
und. ID mieberlegen. “ 


no \ w ’. 


47 


Arianismus. 
Wiſth on's und Caark's Meinungift ſariftwideig. 


WMan behauptet: daß der Sohn, indem Er vom Vater 
gezengt ift, fein unabhängiges Dafeyn habe, und daß Er 
folglich der hoͤchſte Gott nicht ſey. | 

Dieſe Einwendung iſt nur ſcheinbar. 

Nichts iſt ohne eine Urſache, von welcher es das Da⸗ 
ſeyn hat, vorhanden: dieſe Urſache iſt entweder in dem Dinge 
ſelbſt, oder außer demſelben; wenn die Urſache in dem Dinge 
ſelbſt iſt, ſo iſt diefes Ding durch ſich ſelbſt da; es hat ein 
"unabhängiges Daſeyn; wenn die Urſache, welche einem. 
Dinge das Daſeyn gibt, gußer demſelben iſt, ſo iſt ſein 
Daſeyn abhaͤngig; es iſt hervorgebracht. Wenn das hervor⸗ 
gebrathte Ding ein von der Weſenheit der hervorbringen⸗ 
"Yen Urſache unterſchiedenes Weſen iſt, ſo iſt erſteres ein 
Geſchoͤpf; wenn aber das hervorgebrachte Ding kein von 
der hervorbringenden Urſache verſchiedenes Weſen iſt, wenn 
es ein nothwendig und weſentlich Hervorgebrachtes iſt, ſo 
iſt es kein Geſchoͤpf, es iſt mit feiner Grundurſache gleich 
ewig und von demſelben Weſen, und ſein, wenn gleich ab⸗ 
"hängiges Daſeyn iſt keine Unvollkommenheit, und ſetzt es 
nicht in die Reihe der Geſchoͤpfe. Die Orthodoxen alſo, 
welche die Gottheit Jeſu Chriſti vertheidigen, wenn ſie 
auch anerkennen, daß. Er vom Vater gezeugt ſey, behaupten: 
dag Er nothwendig und von Ewigkeit vom Vater gezeugt 
‚fey,. eine Zeugung, "die weder ein jüngeres Dafeyn, noch - 
‚eine Abhängigkeit, welche eine Unvollkommenheit mit fich 
‚führt, in ſich fchließt, eine Zeugung, die. folglich nicht vers 
hindert, daß ber Name des höchften Gortes dem Sobne zu⸗ 
komme. 


Es iſt alſo zur Fuͤhrung des Beweiſes X daß der Sohn 


ein Geſchoͤpf fey, nicht: Hinreichend, darzuthun: daß fein 


Daſeyn abhängig fey, man müßte zeigen, daß diefe Abhängs 
:fgBeit.'eine Unvollkommenheit nach fich zoͤge; daß der Sohn 
ein von dem Vater verſchiedenes Weſen, und nicht eine 
n der goͤttlichen Weſerheit vorhandene Perſon wäre; dag 
Er nicht ein weſentliches Erzeugniß des Vaters und folglich 
nicht eine, wie Er, ewige Perſon ſey, und deſſen Daſeyn 


Li 


% 


| Arianismud: | 173 


feine Duelle in der nämlichen unbebingten Nothwendigkeit, 


wovon der Vater dag Geinige haf, habe. 

Um aus der ‚Abhängigkeit 3. €. zu beweiſen, daß Er ein 
Geſchoͤpf fey, müßte man darthun: dag Er in der. nänzlichen 
Weſenheit, in melder der Vater das Dafeyn hat, nicht 
nothivendig von dem Vater erzeugt feyn Einnte, und nicht 
die nämlichen Vollkommenheiten, welche aus der Natur deg 


nothiwendigen Wefens fließen, befiße. Denn, wenn der 


Sohn nothwerdig „und weſentlich aus dem Water in der 


‚göttlichen Subſtanz gezeugt iſt, wenn Er. alle Vollkommen⸗ 


heiten des böchften und nothiwendigen Weſens hat, fo fann 
man Ihm das nothivendige. Dafeyn , welches die Natur des 
göttlichen Weſens ausmacht, nicht abfprechen, ohngeachtet Er 
Yon dem Water erzeugt fit. 

Clarke, in feiner Abhandlung von dem Daſeyn Got⸗ 
tes beweiſ't: daß eg ein nothwendiges, durch ſich ſelbſt, oder 
durch die Nothwendigkeit ſeiner Natur vorhandenes Weſen 
gebe, weil es unmoͤglich iſt, daB Alles, ˖was iſt, aͤus dem 
Nichts gekommen ſey. Alſo iſt nach den Grundfägen diefes 
Theologen die unbebingte Nothmendigkeit, zu feyn, dem 
abhängigen Dafeyn nur infofern entgegengeſetzt, als dag 
Weſen, welches abhängig iſt, aus.dem Nichts hervorgezos 


- gen wäre; Diefes fann man von J. C. nicht fagen; denn 


Er ift nothwendig und mefentlih ton dem Vater gegeugt 
und folglidy ewig, wie Er, und nicht aus dem Nichte hers 
vorgegangen. Sagt und die Schrift nicht, daß Nichts von 
dem, mas gemacht iſt, ohne ihn gemacht fey? Er ift alfo 
nicht gemacht, fein’ Geſchoͤpf. Man kann nach Allem diefen 


“nicht fagen, dag ver Sohn ber höchfte Sort nicht 1 rs weil 


Er ein abhängiges Dafeyn hat. 


.2) Es iſt falfch, daß die Benennung G oft, wenn fie 
die Schrift Jeſu Chriſto beilegt, nur eine zu den Func⸗ 
tionen, die Er gegen die Menfchen haf, verhältnißmäßige 
Bedeutung habe. Wird nicht der Sohn in hundert Stellen 


der Schrift auf Das Unbedingtefte, Gott genannt? Legt fie 


Ihm nicht alle Vollkommenheiten bes hoͤchſten Weſens bei? 
Clarke und feine Anhänger find gezwungen, dieſes 


! k 


174. Alrianismus. 


einzugeſtehen. Man muß ſohin annehmen, daß der Sohn 
entweder von gleicher Weſenheit mit dem Vater, oder ein 
unendliches und hoͤchſt vollkommnes Geſchoͤpf iſt. 

3) Da der Sohn alle Vollkommenheiten des hoͤchſten 
Weſens hat, fo kann man wicht ſagen: daß Er durch eine 
geborgte Macht wirke, welches Ihn als ein Gerade. dar⸗ 
ſtellt. 

4) Die ganze Harmonie der Religion gruͤndet ſich auf 
die Verhaͤltniſſe der drei Perſonen der Gottheit zu den 
Menſchen. Es iſt demnach nicht zu wundern, daß die 
- Schrift uns Jeſum Chriſtum vorzuͤglich unter dieſen 
Verhaͤltniſſen vor Augen ſtellt, und daß die Verehrung, 
welche fie Ihm erweiſet, auf dieſen Verhaͤltniſſen beruhet. 
Uebrigens iſt es gewiß, daß die Chriſten J. C. eine gleiche 
Verehrung ſchuldig ſind, wie man ſie dem Vater erweiſet. 
Dieß wäre aber wahrer Goͤtzendienſt, wenn es wahr wäre, 
dag 3. C. nicht die hoͤchſte, fondern eine untergeordnete 
Gottheit fen. 


5. Well Dr. Clarke dag gemeine Soffem nur darum 
beftreitet, weil er ſolches der Schrift und Vernunft entges 
gen findet, fo fordert der gefunde Voerſtand, zu unterfuchen: 
ob Vernunft nnd Schrift bei dem Syſteme diefeg gelehrten 
Theologen ihre Rechnung beffer finden. Das Geringfte, 
dag man erwarten, und von einem Manne_fordern fann, 
der eine Meinung, und zwar wegen ver, berfelben anfles. 


benden Schwierigkeiten vermirft, ift, daß die von ihm aufs 
geſtellte Behaupfung nicht noch taufendmal ‚größern Schwie⸗ 
rigkeiten unterliege. — Und doch iſt dieſes das Gebrechen des 
Syſtems des Dr. Clarke. Er giebt zu, tag Jeſus 
Ehrifiug die unendlichen Eigenfchaften Gottes, die Ewig⸗ 
keit, Allmacht, Alwiffenheit, mit Einem Worte, ale Voll⸗ 
fommenheiten, mit Ausnahme der Suprematie befige. 
Wie Eönnen aber, diefe unendlichen Eigenfchaften einem Ges 
ſchoͤpfe, welches nothwendig endlich ift, mitgerheilt werden? 
Man begreift nicht, daß J. C. etwas Anderes ſeyn 


Sinne, als ein Gefchäpf, aus Nichts entfianden und endlich, 
wie die andern, wenn Er nicht von gleichen Weſen mit | 





0 Arianismus. 175 


dem Vater if. Man begreift noch weniger, daß man dem 
Sohne die nämliche - Chrerbiethung, mie dem Vater, fchuls 
dig feyn fol, wenn Vater und Sohn nicht auf gleiche Weife 
der nämlichen göttlichen Natur theilhaftig find; und doch 
befiehlt ung die Schrift: Jeſu Chriſto die nämliche Vers. 

ehrung wie dem Water zu erweifen 1). 


Wie wird Clarke beweifen, daß bei feiner Behaup⸗ 
tung die Schrift keine abgoͤttiſche Verehrung vorſchreibt? — 


Clarke behauptet: daß es nur einen einzigen Gegenſtand 


goͤttlicher Verehrung gebe; er behauptet, daß man den 
Sohn anbeten muͤſſe, der nur ein Geſchoͤpf iſt; er behaup⸗ 
tet, daß es nur einen. wahren Gott gebe, ber durch fich 
feld ift, und gibt doch den Titel eines wahren Gottes 
- dem Sohne,. der nur ein Geſchoͤpf if? — Dieſe Schwies 
rigfeiten find aug den eigenen Ausdruͤcken Clark's genoms 
men; enthält wohl dag Dogma der Sonfubfkantiairät aͤhn⸗ 
liche Schwierigkeiten? 





. 2 
Die gepre der Conſubſtantialität führt niot zum 
Sabellianismus. 


Die Perſonen der Dreieinigkeit waren, nach Sabels 
lius verfchiedene Benennungen, die man der Gottheit beis 
legte nach den: verfchiedenen Werhältniffen,- unter welchen 
man fie befrachtete. So bieß Soft der. Vater, wenn man 
fit) Ihn als das Weſen vorftellte, welches in feinen ewigen 
Rathe Entfchläffe fahr, und die Menfchen zur Eeligfeit zu 
berufen befchlieht. Wenn der naͤmliche Soft fich. auf die Erde 
in den Schooß einer Jungfrau berniederließ, wenn Er am 
Kreuze litt und farb, hieß Er der Sohn; endlich) wenn 
man Gott betrachtete, wie Er feine Gnade und. Macht in - 


a 





4) Johannes 1, 19, 37. Markus a, 3, gulad 2, % 
Hebr. 1,10. Matt h. 27, 9, 30 Pſalm. 102, 25 
Badar. 11, 12. Iſai. 40, 3. Hofe. 1,7 A 


+ 


176 Arianismus. 


der Seele des Sunders zu ſeiner Belehrung enw ae, 
nannfe man Ihn den hl. Geift 1) 


Wenn ſonach die Lehre von der Conſubſtantialitaͤt zum 
Sabellianismus fuͤhren ſoll, ſo muͤßte es unmoͤglich 
ſeyn, daß in der goͤttlichen Subſtanz zwei verſchiedene Per⸗ 
ſonen, wovon der eine Der Vater, der andere ver Sohn. 
wäre, eriftirten. Denn, wenn es möglich ift, daß in der 
göttlichen Subſtanz zwei unterſchiedene Perſonen vorhanden 
ſind, ſo iſt es offenbar, daß man nicht Sabellianer iſt, 
wenn man annimmt, daß der Sohn dem Vater Conſubſtan⸗ 
tial iſt. Jetzt frage ich die neuen Arianer: ob ſie es fuͤr 
unmoͤglich halten, daß mehrere Dinge, die weder Subſtan⸗ 
zen, noch Theile einer Subſtanz ſind, in einer einfachen 
Subſtanz exiſtiren? Das iſt ein offenbarer Widerſpruch, ſich 
mehrere Subſtanzen in einer einzigen, einfachen, und ums 
theilbaren Subſtanz zu denken; aber eg ift fein Widerfpruch, 
“in einer einfachen Subflang mehrere Dinge anzunehmen, 
welche weder felbft Subflanzen noch wefentliche Theile der 
göttlichen Subſtanz find. Wir miffen nicht, es iſt w der 
wie diefe Perfonen in einer. einfachen Subftanz vorha 
find; allein wiſſen wir, wie das Anſchauungs⸗Denk⸗ und 
Willens⸗Vermoͤgen, welche eben fo viele ganz verjchiedene 
Vermoͤgen ſind, dennoch in unferer Seele, welche zweifels⸗ 
ohne eine einfache Subflang if, vorhanden ſind? 

Die Vollkommenheiten des hoͤchſten Weſens werden in 
der Schrift Jeſu Chriffo fo deutlich beigelegt, dag nur 
ein Widerfpruch_oder offenbare Ungereimtheit, an der Gofts 
beit J. €. zu zweifeln, berechtigte; nun aber ift man weit 
ertfernt, dieſen Widerfprudy oder Ungereimtheit in dem 
&laubensfage von der Gottheit Jeſu wahrzmehmen. Nur 
dann iff etwas Ungereimtes oder Widerjprechendes an einer 
Behaupfung, wenn man Ja und Nein vereiniget, wenn _ 
man die nämliche Sache bejahet und verneinef; nun kann 
Niemand zeigen, dag man in. der Lehre von der Gottheit 
3. € das Nämliche bejahet und verneinet, dag man das 


ı " ‚ 





4) Siehe den Artikel Sabellius. 


j Arianismus. . 177... 


Ya und Nein vereiniget. Die Meiften von denen, melde 
mit fo flolger Miene über diefe Fragen abfprechen, brin, 
gen feinen von dieſen Gedanken vor. Sie mögen. eg Daher 
nicht übel nehmen, wenn man ihnen bemerklich macht: daß 
die Clarke's und Wiſthon's bei Behaupfung ihrer Mei⸗ 
nung in DWerlegenheit waren, - und felbft fie nicht frei von 
Schwierigfeiten eradhtefen. Charfe und Wifthon haben 
nach einer reifen und gründlichen Prüfung der Eehre der HI. 
Schrift und der erſten Jahrhunderte über die Gottheit J. 
C. den groben -Arianismus aufgegeben, welcher Jeſum 
zu einem bloßen Gefchöpfe machet. 
. "Dr. Elarke erkennt ausdruͤcklich, daß, da die Schrift 
uns nicht ſagt: wie der Sohn fein Dafeyn vom Vater ent⸗ 
nimmt, Niemand'das Recht babe, hierüber eine Entfcheis 
dung zu wagen, und daß man gleicher Weife diejenigen ta⸗ 

deln. müffe, welche fagen: daß der Sohn aus Nichte ‚ges 
macht fey, mie jene, welche fagen, Daß Er e ein durch fich 
felbft beſtehendes Weſen ſey. 

Welch ein Abſtand zwiſchen den Elarte 8 und wife 
thon’s, und jenen, welche heut zu Tage fo haſtig gegen 

die Gottheit 3. €. entfieiden? 1). . 


\ 





ee 


Die Sonfubflantialität des Wortes war vor dem- 
Arius jederzeit eine Hauptlehre in der Kirche. 


1) Die Kirche verdammte während der drei erfien 
Sahrhunderte ſowohl jene, welche mehrere Gdtter annahs 
‚mer, als jene, melde die Gottheit Jeſu Chriſti Idugnes 
en Die chriftliche Kirche erfannte ſonach die Gottheit F. 

€., jedoch fo, daß fie jene, welche, indem fie Jefum Chris 
ſtum ald Gott erfannten, mehr als einen Goft annahmen, _ 
von ihrer Gemeinfchaft ausſchloß. Sie glaubte alfo, bei 





x ’ 
n 


4) Dan. fepe CIarke’d Lehre der Schrift Über die Dreiinige _ 


keit; Wifgons erneuierted Chriſtenthum. Gefhihtlihe Denke 
würdigfeiten Aber das Leben de Dr. Ela efe,von Bi ſthon 


Ketzer⸗Lexikon. II. J 12 


178. J Arianismus. 


dem Bekenntniß der Gottheit Jefu, nicht an mehrere götfs 
lihe Subſtanzen. Dieſemnach glaubte die Kirche, va J. €. 
confubftanfial, oder von gleichem Wefen mit dem Vater fep: 
Denn es iſt unmdglich, anzuerkennen, daß J. C. eben fo 
gut wie der Vater, Gott ſey, und daß es nicht mehrere - 
göttliche Weſen gebe, ohne ausdrücklich zu. glauben, daß 
der Vater und Sohn in dem nämlichen Wefen vorhanden 
find, und folglich ohne die gleiche Wefenheit des Sohnes zu 
glauben, wenn man gleich diefen Glauben nicht immer mit 
dem Worte Conſubſtantialitaͤt bezeichnete. 

2) Die Kirche haf während der drei Jahrhunderte 
Jeſu Chriſto die nämliche Verehrung bewieſen, die man 
‚dem wahren Gott fhuldig ift; ſie bat von ihrer Gemeins 
ſchaft alle jene ee lee welche, wie Cerinth, Theo⸗ 
dot u. a. die Gottheit J. €. laͤugneten. — 

Mit derſelben Strenge verdammte ſie diejenigen, welche 
wie Praxeas, Noetius, Sabellius, die Gottheit des 
Sohnes zwar nicht anſtritten, aber behaupteten: daß Er 
eine von dem Vater nicht unterſchiedene Perſon ſey. 

Die Kirche erkannte alſo, daß J. C. Gott, und unter⸗ 
ſchieden von dem Vater fen; dieſes konnte fie nur in ſoferne 
anerfennen, als fie glaubte, daß der Vater und Sohn ents 
weder zwei verfihiedene Wefen, oder zwei verfchiedene Ders 
fonen in derfelben Wefenheit- feyen. Ä 

Es ift ausgemacht, daß die Rirche Ale, welche meh⸗ 
rere unterſchiedene, und nothwendige Grundweſen annah⸗ 
men, verdammte, daß fie immer nur Ein ewiges, unendli⸗ 
ches, durch fich felbft vorhandenes Weſen anerkannte, und 
daß fie gegen Marcion, Hermogenes und Alle, welde 
mehrere Unendliche und nothiwendige Wefen annahmen , dag 
Anathema ausfprach. 

Die Kirche glaubfe alfo nicht, daß die Perfon des Soh⸗ 
nes eine von jener des Vaters unferfchiedene Subſtanz fen; 
fie glaubte: daß der Sohn in ver nämlichen Subftanz, mie 
der Vater vorhanden, und folglich, daß Er confubflans 
tial fev. . 

Der Irrthum des Sabellius, Noetiu 8, praxeas, 














Arianismus. 4% 
welche bie goͤttlichen werſonen vermiſchten, der Irrthum der 
Ketzer, welche mehrere ewige, unendliche Weſen annahmen, 
der Irrthum, welcher die Goftheit 3. €. angeiff, find ale 
neue Irtlehren verdammt worden ; man hat feinen Augens 
blick über ihre Verdammung angeflanden. Man’ glaubte das. 


her beſtimmt an die Confubftanfialität des Wortes: denn, 


wenn 3%. €. dem Vater nicht confubftantial ift, fo muß Er 
‚entweder nicht Gott fenn, und Cerinth, Theodor u. A. 
hatten Recht, feine Gottheit zu Iäugnen; oder, wenn Er 
Gott ift, aber nicht confubftantial, fo muß Er eine, von 
jener des Vaters unterfchiedene, Subſtanz feyn, folglich muß. 
ed mehrere nothwendige Wefen geben, wie Marcion, 
, Hermogenes und die Maniſch aͤ er behaupteten, ober 
endlich wenn J. €. weder eine von dem. Vater unterſchie⸗ 
Dene, und confubftantielle Perfon, noch eine von dem Vater 
verfchiedene Subftanz ift, fo muß Er, wie es Sabelliug 
behauptet, der nämliche Goft unter verfchievenen Verhaͤlt⸗ 
niffen betrachte, und nicht eine vom Vater unterſchiedene 
Perſon ſeyn. 

Die Kirche konnte alſo alle dieſe erlebten fogleich bei 
ihrer Entflehung und ohne Zaudern nur in foferne verdams 
° men, als dag Dogma von der Confubflantialitär foͤrm⸗ 
lich geglaubt, und ganz beſtimmt anerkannt worden iſt, wenn 





es auch nicht immer durch dieſes Wort ausgedruͤckt wurde. 


Die Kirche alſo, indem fie die Conſubſtantialitaͤt des 
Wortes befannte, war gleichweit entfernt von Sabellias 
nismus ımd Tritheismus. Le Clerc thut einen gro» 
ben Mifigriff, wenn er fagt: die Väter, welche von der 
Meinung des Artus abwichen, baben drei goͤttliche Sub⸗ 
ſtanzen augenommen 1. | 

— rneng 


Dei der Eatſtehung des Arianismus lehrte die 
Kirche beſttmmt die Conſubſtantialität des Wortes. 


Arius beſtritt Anfangs die Ausdruͤcke, deren Al exan— 





ı) Le Ciere, Biblioihek* Chois. T. 3. p. 40. 
| 12* 


. 


— 


* 


180, u Arianismus 


der fich bebienfe, wenn er von der Dreteinigkeit redete, 
‘und wollte darthun, daß Die drei göttlichen Perſonen nicht 
in einem einfachen Weſen vorhanden fenen, weil fie wie 


‚Urfache und Wirkung voneinander verfchieden wären, weis 


ches in einer einfachen Subftanz unmöglich fey. 


Alerander behaupfefe, daß des Artus, Meinung der 
Boftheit Jeſu Chrifti zu nahe sche. Arius wagte es 


‚nicht, die Gottheit Jeſu zu läugnen, nahm an, daß Er 
Gott fen, behauptete aber, daß Er in der Zeit erzeugt fey. 


An der Borausfeßnng, Jeſus Chriſtus fey in der Zeit 
erzeugt, und der Behauptung, Er fen. Gott, liegt ein offens 
darer Widerfpruch; und es ift Far, daß die Grundſaͤtze des 


Arius ihn zur Abläugnüng der Gottheit des Sohnes fühs 


"ren mußten; er konnte fonach feine Gottheit nur anerfens 
nen, weil es ihm unmsglich war, fie zu ldugnen; dem gu 
Folge wurde Die Gottheit des Sohnes gelehrt, ald Artus 
in feinen Irrthum verfiel. | 

2) Das Concilium von Alerandrien verdammte den 
Arius eben Deswegen, weil er Grundfäße aufftellte, vie 
der Gottheit des Wortes entgegen waren; eine ungereimfe 


. VBerdammung, wenn die Gottheit des Worfeg ein, in der 


Kirche unbekannter, Lehrfag geweſen wäre. 
t 


3) Niemand beftritt den Ausſpruch bes Concils von 
Alerandrien, alg führte er eine neue Slaubensiehre ein, 
fondern die Bifchöfe, welche Anfangs die Parthei des Arius 
nahmen, läugnefen die Confubftantialität des Wortes nicht, 
Hlaubten aber, getäufcht duch Artiug, dag Eoncil habe 
entfchieden, ver Sohn fey nicht gegeugt, und Ariug ſey 
verdammt worden, weil er behauptete: daß der Sohn ers 
jeugt, und Fein ohne Zeugung vorhandelies Weſen fey 1). 

4) Der Artaner Verlegenheit, zu fagen, daß ber 
‚Sohn dem Vater nicht confubftantial ſey, ihre Unredlichkeit, 
die vielen Slaubensformeln, die fie nach und nach abfaßten, 


alle ihre Raͤnke, die Unterdrücdung des Wortes Confubs 


Rantial zu erwirken,, bewelfen, daß die Conſubſtantialitaͤt 


1) Theodor. Hist edlen. L’r. 5,6 





Arianismus. | 481 


des Worte in ber Kirche gang deutlich gelehrt worden iff, 
und daß bie Lehre d des Arius unbekannt, neu, und ver⸗ 
haßt war. 


5) Die Artianer waren getheilt, die Einen wollten, 
daß das Wort ein bloßes Geſchoͤpf fen, die Andern verlang⸗ 
ten, man foltte nicht fagen, daß das Wort nur ein Geſchoͤpf 
ſey. Dieſe Theilung war unmoͤglich, wenn die Conſubſtan⸗ 
tialitaͤt nicht in der Kirche gelehrt worden waͤre. Denn die 
Arianer waren gegen die Katholiken zu feindſelig, als daß 
ſie Jeſum Chriſtum nicht unter die Geſchoͤpfe verſetzt 
haben wuͤrden, wenn ſie ſich dieſes getrauet, und nicht ge⸗ 
fuͤrchtet haͤtten, die Glaͤubigen zu empoͤren, oder wenn ſie 
nicht ſelbſt noch auf das Dogma der Conſubſtantialitaͤt ge⸗ 
halten haͤtten. 


6) Die Geſchichte des Arianismus macht es klar, daß 
man nur.-ducch viele Deuteleien und. Spitzfindigkeiten zu 
diefem Irrthume gelangte, und daß er folglich weder der 
Blaube des chriftlichen Volkes noch der Kirche war: 


- 





7 


Man Kann der Kirche keinne Wandelbarfeit üßer das 
. Dogma des Eonfubfkantialität vorwerfen. 


Die neuen Artaner fagen, daß das Concilium von 
Antiochien, welches 60 Jahre vor jenem von Nicaͤa 
gehalten wurde, Das Wort confubftanttal verworfen 
habe, welches das Conciltun von Nicda, als rechtgläubig 
geſtempelt haͤtte. Kann mohl das nämliche Wort in einem 
fo kurzen Zeitraume zwei fo vwerfhiedene Bedeutungen has 
ben? fagt Le Clerc. - Kann man fagen, daß die Väter 
von Nicda nicht mußten, mag fich zu: Antiochien zuge 
. tragen hatte? oder, fagt Wiftbon, haben fie eine neue 
. Offenbarung ‚erhalten? Diefen Eintoendungen begegnen wir - 
mit: Solgendem : . 

1) Der Canon des Conciliums von Antiochien, auf 
welhen Wiſthon und Le Elerc ihren Triumph bauen, 
fcheint unterſcheben. Wir haben die Akten des Conciliums 


182° Arianismus. 


von Antiochien nicht, die Verwerfung des Wortes, con⸗ 
ſubſtantial, durch daſſelbe wiſſen wir nur daher, daß dieſe 
Thatſache in einem Schreiben des Conciliums von Ancyra 
angefuͤhrt iſt. Das Concilium von Ancyra beſtand aus 
Biſchoͤfen, die aus Liebe zum Frieden, und aus Gefaͤllig⸗ 
feit gegen Conftantiug das Dogma der Gottheit Jeſu 
Chriſti erhalten, und das Wort „Conſubſtantial“ unters 
drücken moliten. Sie verdammten Daher die Lehre des 
Arius, und verwarfen dag Wort con ſubſtantial, benach⸗ 
richfigten: die Bifchöfe yon ihrer Entfcheidung, und in dem, 
im Namen des Conciliums erfaffenen Schreiben. heißt eg, 
das Goneilium von Antiochien hätte das Wort sonfube 
ftantial verworfen, 

Mir haben von dieſem Ausſpruche bes Conciliume don 
Antiochien keinen Beweis, als dieſes angebliche Schrei⸗ 
ben, welches auf Befehl der Biſchoͤfe des Conciliums von 
Ancyra abgefaßt iſt. Dieſes Schreiben beſagt, daß die 
Biſchoͤfe des Conciliums von Antiochien nach ber Vers 
urtheilung Paul's von Samoſata ein Schreiben erlie⸗ 
ßen, in welchem fie erklaͤrten: daß ſie Paul von Samo⸗ 
ſata verdammt haͤtten, weil er behaupte, der Sohn und 

der Vater ſey der naͤmliche Bott. Dieſes iſt mach: dem 
Verfaſſer des Briefes des Conciliums von Ancyhrta ber 
Grund, welchen die Vaͤter des Conciliums von Antios 
chien für ihre Enticheidung gegen Paul von Samos 
fata angeben, 

Eufebius hat ung ein großes Bruchſtuͤck von dem Schreis 
ben des Conciliums von Antiochien aufbewahrt, in wels 
chem die Väter defielben ſagen; Tie haften Paul von Sas 
moſata verdammt, weil er behauptefe, daß der Sohn 
von der Erde gefommen, und nicht von Gott ſey. 

Die Heiligen, Hilarius 1) md Athanaſius hats . 
ten dag Schreiben des Konciliumg von Antiochien, wıe 

es in dem Briefe des Conciliums von Ancyra angeführt 


\ — 


— 


1) Hilar, de Synod. p. 1196. 





Arianismus. 183 
iſt, nicht geſehen. Die Verwerfung des Wortes „conſub⸗ 
ſtantial“ iſt daher nur durch einen Schriftſteller angefuͤhrt, 
welcher mehr als hundert Jahre nach dieſem Concilium ge⸗ 
lebt, und beſagtes Schreiben nicht geſehen, oder verfaͤlſcht 
hat, weil er die Vaͤter von Antiochien das Gegentheil 
von dem ſagen laͤßt, was ſie in dem, uns von Euſebius 
aufbewahrten Bruchſtuͤcke ſagen. In dieſem Bruchſtuͤcke fin⸗ 
det man nichts, was der Conſubſtantialitaͤt entgegen waͤre. 
Kann man glauben, daß Euſebius in jenem Schreiben 


‚bes Conciliums von Antiochten die Verwerfuug des 
Wortes conſubſtantial nicht ſollte gefunden haben, um defs 


fen Entfernung er ſich doch ſo ſehr bemühte? oder wenn er 
diefe Verwerfung in dem mehrbefagten Schreiben gefuns 
ben bat, ift es glaublich, daß er fie unterdrückt hätte? 


Die Arianer, welhe fih ale Mühe gaben, daß 
Das Wort confubftanfial aus dem Glaubensbefenntniffe von 
Nicaͤag geftrihen würde, getrauten fi) doch nie, zu fagen, 
daß es verworfen worden wäre: wäre es möglich, daß fie 
nicht ſollten gewußt haben „, diefes Wort fen ſechzig Jahre 
vor Arius von dem Concilium zu Antiochien verdammf 
worden? Es fcheint ſonach, daß dieſes Concilium in der - 
what das‘ Wort conf ubflantial nicht verworfen hat. | 


9 Wenn es auch wahr ift, daß das Soncilium von 
Antiochien dag Wort confubftantial, verworfen hat, fo iſt 
es diefes doch nicht in dem Einne, welchen das Concilium 
von Nicäa demfelben beigelegt hat, weil die Arianer 


ſelbſt, nach. dem Schreiben des. Conciliums von Antios 


chien, von der Vermerfung dieſes Ausdrucks gegen bie 
Orthodoxen feinen Gebraud gemacht haben. In der That, 
wenn Paul von Samoſata fid) des Wortes „‚confubftans - 
tial“ bedient hat, fo war. diefeg in einer dem Sinne, wel⸗ 
chen das Eoncilium von Nicda ihm beilegte, ganz entges 


‚gengefeten Bedeutung. Wenn Paul von Samofata, 


welcher Alles aufborb, Jeſu Ehrifto den Namen Goft, 
zu entziehen, fid) des Wortes conſubſtantial bedient haf, 
fo that er Diefes nur. in folgender Bedeutung: ‚Wem der 
„Sohn dem Vater confubflantial ift, wie. ihr Katholiken 


\ 


184 oo Artanismus. 


„behauptet, ſo folgt daraus, daß die goͤttliche Sudan; in 
zwei Theile zerfchnitten iſt, wovon der eine der Water, 
„per andere der Sohn iſt, und daß eg folglich eine den 
„Vater und Sohne vorhergehende göttliche Subftanz giebt, 
‚weiche nachher in zwei Theile zerfchnitten worden ift. ” 
Die Väter von Antiochien, welche eine folche Fol⸗ 
gerung verabfcheuten, und übrigens um Ausdrücke nicht 
fehr befümmert waren, wenn fie nur das MWefentliche der 
Lehre „aufrecht hielten, glaubten, um den Nänfen dieſes 


Kegers allen Vorwand zu benehmen, müffe man den Ges 


brauch) des Wortes „conſubſtantial“ verbieten, wenn von 


| Jeſus Chriſtus die Rede waͤre. 


Hierauf erſchienen die Arianer, laͤugneten die Cache 


ſelbſt, welche durch dieſen Ausdruck bezeichnet wurde, naͤm, 


lich die Gottheit des Sohnes; und die Väter von Nicda 
hielten dafuͤr, daß es fachdienlich fen, den Gebrauch eineg 
Wortes, deffen fich die Lehrer vor dem Concilium von Ans 
tiochten bedient haften, wieder aufzunehmen, weil ſolches 


nur, um den Nänfen des Paul von Samofata allen 


Vorwand zu entgehen, ‚ verbannt worden war. 


\ ” 


———⸗ 





Die Väter des Eonsiliumd von Nicäa Baben ihr 

Urtheil über die Lehre des Arius dentlich ausge 

ſprochen, umd Über dad Wort Conſubſtanzial kei— 
ner Zweidentigfeit Raum gegeben Ä 


Cureelleus und Le Clerc behaupten, die Vaͤter 
des Conciliums von Nicaͤa hätten über die Conſubſtan⸗ 
tialität des Wortes nicht fo, wie wir heut zu Tage, ges 
dacht, und geglaubt: der Sohn fey dem Water confubftans 


tial, weil er eine dem Wefen des Vaters ähnliche Sub⸗ 
ſtanz ſey 1). 


⸗ * 





I) Curcelleus quaternio Dissert. Le ‚Clere De 
“ fense des Sentiniens des Theologiens d’Hollande,' Lett. 
3. Biblioth. chois. T. 3. Art. ı.-Crit. Ep. 3. T. 3. 


\ 





Arianismus. 185 


Dieſe Meinung des Curcelleus und’ ee Clerc if 
"probs und grundlog. 


- Lange von dem Concilium ven Nicaͤa klagten gemeine 
Glimig den heil. Dionyſtus von Alexandrien an, 
daß er nicht an die Weſensgleichheit des Sohnes mit dem 
Vater glaube: der Pabſt und das Concilium von Rom bes 
faßten fich mit ihrer Klage, und entfchieden, dag der. Sohn 
dem Vater conſubſtantial ſey. 

Der hl. Dionyſins rechtfertigte fich mit der Erklaͤ⸗ 
rung, daß man ihn verlaͤumdet habe, und er glaube, daß 
der Sohn dem Vater conſubſtantial ſey. 


Dieſer Ausbruck war ſchon damals ganz dentlich, na⸗ 
tuͤrlich, und vollkommen geeignet, den Slauben der Kirche 
anzudeuten. Euſebius ſelbſt geſtehet in einem Schreiben, 
das er. nach dem Concilium von Nicaͤa erließ: dag die 
alten Väter fich des Wortes confubftantial ‚bedient hätten, 
und der bl. Pamphilus zeigte, dag Drigenes mit 
förmlichen Worten ‚gelehrt babe, der Sohn fen dem Vater 
conſubſtantial 1). Ä 


Die Bemühungen der Urianer, das Work conſuſtantial, 
aus dem nicaͤniſchen Symbol wegzuſchaffen, beweiſen, daß es 
ganz klar und deutlich den Glauben der Kirche ausdruͤckte, 
und daß die Väter des Conciliums, wenn einige Dunfels 
heit in demfelben herrfchte, folche aufgehellet haben. . Wirk 
lich geben fie die Erklärung: „daß diefer Ausdrud: Der 
„, Sohn ifl dem Vater confuhftantial, nicht in dem 
„Sinne genommen werden dürfe, melchen er bat, wenn 
„von koͤrperlichen, oder thierifchen Wefen gefprochen wird, 
„weil diefe Zeugung weder durch Theilung, noch durch 
‚Veränderung, noch durch Verwandlung der Subftang oder 
„Kraft des Vaters, noch auf eine andere Art gefchieht, 
„welche irgend etwas Leidendes anzeigt, und daß nichts 
„von Allem dieſen einer nicht gezeugten Natur, wie jener 
des Vaters, zufemmen‘ koͤnne; Daß der Ausdruck con⸗ 


— v „or * - 
—— Sa < “ 40 x 4 ⸗ 


2) Theeder. hist. eccles.. L. 1, C. 12. 


. i “ J 


\ 


186. | Arianismus. 


„ſubſtantial nur andeute, daß der Eohn Gotter keine 
„Aehnlichkeit mit den Geſchoͤpfen habe 4), | 


Kann man das Dogma der Couſubſtantialitaͤt, wie 


‚en? und iſt es nicht augenfälig, daß, wenn der Sohn 


eine bon dem Vater verſchiedene Subſtanz wäre, ſo müßte 


Er auf eine von jenen: Arten erzeugt worden fon, weiche 
das Concilum verwirft. 


Allein, fagt ke Elerc, dad Wort confubftaütlal, iſt nie an⸗ 


ders, als um Individuen der naͤmlichen Gattung anzuzeigen, ge⸗ 
braucht worden. So ſagt das Concilium von Chalcedon, 
daß der Sohn dem Vater. confubftantial m nach der Gott⸗ 
heit, und ung nach der Menſchheit 2) 


»Es iſt wahr, daß die Profans ariftſteller das 3 Wort 
confurbflantial oft, brauchten, um Weſen der hämlichen Gat⸗ 
tung zu bezeichnen ;. aber mir haben :gefehen, daß tiefes 
Wortes fi) auch die Chriften bedient haben, um verſchie⸗ 
dene Perſonen, die in der naͤmlichen Weſenheit da ſi ind, ans 
zudeuten. | 


In dieſem doppeften Sinne wurde es vom Concilium 
Fr Chaleedon gebraucht; in dem zweiten, um die Con, 


fubftanfialttät des Sohnes auszudruͤcken, und in dem erſten, 
um anzuzeigen, daß der Leib Jeſu Chriftf von der naͤm⸗ 
lichen Natur, wie der unfrige war. Le Elerc müßte zeis 
gen, daß das Eoneilium von Chalcedon dag Wort cons 


fubftantial ne in Dem’ erſten Sinne genommen babe , wel⸗ | 


ches aber falſch iſt. 
Die Väter des Conciliums von Nicaͤa haben alſo die 
Eonfubftantialität, fo wie wir ſie glauben, gelehrt. 





Die kirchlichen Sgriftueller, welde dem Goncilium 


von. Nicäa vorhergingen,. haben die Gonfuhlaniar 


:r  „Sität ded Wortes gelehrt, 
Seit dem Eonciltum von Nicda. wurde dag Dogma 


N u . 1 
ı) Act. Conc. Nic. ‘Art. iv: vr ti Turn 
2) Le Clerc.a «O0. | 





Arianismus. 0.487 


von der Conſubſtantialitaͤt des Wortes unausgefetzt in der 
Kirche gelehrt. 

Den Socinianern kam es ungereimt vor, einen 
Glaubensſatz, der erſt in ſpaͤtern Jahrhunderten geſchmiedet 
worden waͤre, als wahr zu behaupten: deshalb verſuchten 
fie, ohngeachtet fie ſonſt fi) wenig aus der Tradition, 
und den Tätern machen, elite Epoche aufzufinden, vor wels 
het die Confubftantialität des Wortes unbekannt gemwefen 
fen, und festen foldhe vor das Eoncilium von Nicda. 
Sein, Sandius, Zwider wagfen daher die Behaupr 
tung: die Väter der drei erſten Jahrhunderte ſeyen Aria 
ner gemwefen. . s 

Clarke, Wiſthon 1), um ihre Anhänger ſtimmten 
dieſer Behauptung uͤber die Lehre der Vaͤter bei, und die 
neuen Arianer geben an: da die Vaͤter der drei erſten 
Jahrhunderte den Glaubensſatz von der Gottheit des Wor⸗ 
tes, wie ihn gegenwaͤrtig die Orthodoxen lehren, nicht ges 
fannt hätten, fo müßte entweder auf dem Concilium von 
Nicaͤa der Irrthum die Oberhand gewonnen haben, und 
folglid) wären die Sachen auf den erflen Standpunkt zurüch . 
zuführen; oder es müßte gewiß feyn, daß die Väter von 
Nicaͤga aug einer Sache einen Glaubengartifel gemacht häfs' 
ten, ohne welche ihre Vorfahren wahre Chriften und große 
Heilige gewefen feyen; folglich waͤre man nicht verbunden, 
fich einem Joche zu unterziehen, welches dem Concilium von 
Nicka, den Gewiffen aufzulegen, gefallen hätte. 

Man fieht leicht, wie wichtig eg ift, das Gewoͤlke fu 
zerſtreuen, welches man über den Glauben der Väter vor 
dem Concilium zu Nicäa zu giehen ſich bemuͤhet. Wie 
wollen ihre Nechtfertigung aus der Gefchichte des Arias 
nismus ſelbſt, und aus ihren Werken unternehmen. 


— —— 
Erſte Probe aus der Geſchichte des Arianismus. 
Die Vaͤter des Conciliums von Alexandrien ſetzten 





1) Das wiederhergeſtellte Urchriſtentzhum don Wiſthon. 


N 


188° Altianismus. | 

den Artanern die Neuheit ihrer Meinung, und den Aus⸗ 
fpruch des ganzen Alterthums entgegen. Allein Arius und 
ſeine Anhänger weigerten fich, fich diefem zu unterwerfen 1). 
Arius fühlte. indeffen, daß es für ihn von. großer 


Michtigfeit fey, daß feine Lehre nicht jene des ganzen -. 


Altertdung gegen fich habe, und behauptete daher: daß 
er nur die Lehre, welche er von den Alten und von ale 
xander ſelbſt empfangen habe, vorfrage 
Die Arianer verzichteten jedoch beld auf dieſe Be⸗ 
hauptung; und auf den Vorſchlag der Biſchoͤfe des nicaͤni⸗ 
ſchen Conciliums, Arius und deſſen Lehre nach der Tradi⸗ 
tion und den Vätern gu richten, verlangte Euſebius von 
Nicomedien, man muͤſſe ſich auf die Schrift berufen, 
. ohne fich bei ungewiffen und zweifelhaften Ueberlieferungen 
aufzuhalten 2). 


Euſebius war ſicher ſo gut, als unfere neuen Artas | 
ner im Stande, In den Vätern der drei erften Jahrhun⸗ 
berfe die Meinungen des Arius aufjufinden. Temungeachs 
tet verfchlägt er die Väter, und will, daß man den Ariug 
allein nach der Schrift richte. Es mar alfo damals Flar, 
daß die Lehre ver Väter der brei erſten Jahrhunderte dem 
Artantsmus nicht guͤnſtig war. 


As Thodoſius gegen dag Ende des vierten Jahr⸗ 
hunderts „ alle Secten, womit das Reich angefuͤllt war, vers 
einigen wollte, ließ er ihre Pauptlinge sufammentommen 
Ein Bertheidiger des nicänifchen Glaubens vermochte 
den 'Kaifer, der. Verfammlung die- Frage vorzulegen: Ob 
man bei Unterfuchung der Streitfragen anf die- Väter, wels 
he dor den Spalfungen, die das Chriftenthum beunruhig⸗ 
ten‘, gelebt haben, Mückficht nehmen, oder ihre Fehre vers 
werfen, und ihnen das Anathema fprechen wuͤrde? | 


Der Rechtglaͤubige, welcher den Rath gegeben hatte, 
war uͤberzeugt, daß Nieniand ed Magen wuͤrde, die Lehre 





1) Theod. hist. eccles. L..ı. C. 4. 
s)Sozom. L. 1. C. i. 





+ 
v 


— Arianiemus. 180 


der Vaͤter zu verwerfen, und daß folglich, um die Ewig⸗ 
keit des Sohnes zu zeigen, nur übrige, ihre Stellen anzus 
führen, welches leicht fey. 2 
Ale Sertenhäuptlinge begeugten viele Achtung für die 
Väter; der Kaifer, der in fie drang, fragte: Ob fie jene 
zu Richtern über die flrittigen Punkte 'annehmen, wollten? 
Nun zauderten fie, und gaben zu erfennen, daß fie nach 
der Lehre der Väter nicht gerichtet fAyn wollten 1). ° 


Die Urianer, der Deuflichkeit der Schrift über dag 
Dogma der Confubflantialität des Wortes ungeachtet, bes 
baupteteten, das Gegentheil darin zu finden, und wollten 
feine andere Glaubensregel: diefe nämlichen. Arianer vers 
- werfen das Anfehen der Väter und wollen nicht, Daß man 
die Frage von der Gonfubfiantialität nad) ihrer Ausfage 
entfchefde. Die Arianer waren demnach fletd der Meis 
nung, daß die Vaͤter der drei erfien Jahrhunderte die Con⸗ 
fubftantialität. geglaubt und gelehrt haben; fie find in dies 
fem Punfte mit dem nicänifchen Toncilium einverftanden ; 
und ihr harfnäcdiges Widerfircben, es auf ben Ausſpruch 
der Väter ankommen zu laſſen, erlaubt es nicht, die nicaͤ⸗ 
nifchen Väter zu verdächtigen, als ob fie fich geirrt, oder 
‚andere in Irrthum haben führen wollen, wenn fie erflärs 
ven, daß das nicänifhe Symbol mit der Lehre des gans 
zen Alterthums einftimmig ſey. 

Le Elerc behauptet, die Väter von Nicda hätten 
die Lehre ihrer Vorgaͤnger nicht verftanden, weil fie nur 
nad) langen Streitigkeiten hätten eins werden können: die⸗ 
ſes bemweißt er durch das Zeugniß des Eufebiug, welcher 
berichtet, dag nur. nady vielen mechfelfeitigen Gegenreden 
der Ausſpruch des Conciliums zu Stande gekommen fen 2). 


Bei diefer Einwendung Le Clerc's iſt erfieng ein gros 
Ger Mangel an Logif und Kritif bemerkbar. Denn Eures 
bins ſagt wohl, daß die Väter des Eonciliums ziemlich 


ı) Socrat. L. 5, C. ıo. 
2). Ensep. vita Constant: ©. 7. 


“ 


/ ' 


we Arianismus. 


lebhafte nnd lange Streitigkeiten gehabt ‚hätten; allein er 
ſagt nicht, daß diefelben die Entfcheidung betroffen haben, 
.ob die Väter vor dem nicänifchen Concilium die Conſub⸗ 
ſtantialitaͤt gelehrt haͤtten. Le Clerc behauptet dieſes ohne 
Grund, oder vielmehr es iſt ein von ihm, zu dem Berichte 
des Eufebiug gemachter Zuſatz. Zweitens iſt es gewiß, 
daß die Arianer ſich nicht auf das Zeugniß der Vaͤter 
einlaſſen wollten. Kognte dieſe Thatſache Le Clerc'n uns 
bekannt ſeyn, und wenn er ſie wußte, konnte er verſichern, 
daß die Vaͤter von Nicda lange Zeit geſtritten haben, 
“ohne,zuvor felbft gewiß zu fenn, ob die Väter der drei erſten 
Sahrhunderte dag Dogma ber Eonfuöfansialirät geglaubt 
haben? 


Ä Nach der, mit fo vieler Zuberficht gegebenen „Behaup⸗ 

tung, daß die Väter von Nicaͤa die Meinung ihrer Vor⸗ 
fahren über die Confubftantialität nicht verſtanden hätten, 
fagt Le Elerc weiter: ,‚ Allein gefet, fie bäften zu einer 
„zeit, wo man unzählige Merfe, die ung feblen, und _ 
"mehrere Hülfsquellen hatte, die wir dermalen entbehren 
„müflen , fie ohne Mühe verfianden,, fo folge daraus 
„keineswegs, daß es uns fogar leicht fey, die Lehre des 
„, Soneiliums von Nicda nnd ihrer Vorfahren zu verftes 
‚ben; Dazu müßten wir die naͤmlichen Huͤfsquellen, wie 
„damals, haben“ 1). 


Wenn wir, nad) dem Geſtaͤndniſſe Le Elerc’g, der 
nöthigen Mittel beraubt find, die Lehre der Wäter vor dem 
Concilium von Nicda deutlich zu fennen; wenn die nichts 
ſchen Vaͤter dieſe Hıllfgmittel haften, wie mag Erfterer zu 
entſcheiden wagen, daß die Väter von Nicda die Meinuns 
gen’ jener, der brei erfien Jahrhunderte, nicht verfianden 
haben ? 


Wenn Sandius, Curcelleus ꝛc. der nöthigen 
Duellen zum Verſtaͤndniß der Väter der drei erfien Jahr⸗ J 
hunderte entbehrten, koͤnnen wir ihre Behauptungen dem 


1) Deſenso des Sentimens des Theol. d’Holl. Lett. 4. 


Arianismufs. | 19 


Bergnife und Ausfpruche der Väter von Nicda ohne Uns 
gereimtheit vorziehen, welche erklärt haben, daß ihte Vor⸗ 
fahre Die Conſubſtantialitaͤt des Wortes lehrten ? 


Laͤßt es fich.denfen, daß die Arianer und ihre Vers 
theidiger, ein Eufebiug von Nicomedien z. B. nicht 
im Stande gewefen ſeyen, die Fchler der Väter von Nicaͤa, 

die fie bei Erklärung-der Werke ber ‚Ihnen vorgängigen Bär 
ter. begingen, zu gewähren? 


Und doch wirft ihnen Euſebius nicht vor, die Väter 
ſchlecht ausgelegt zu haben, fondern behauptet kur, daB 


man auf ihren Ausfpruch Feine Nückficht nehmen muͤſſe, wel⸗ 


ches offenbar vorausſetzt, daß fih die Näter von Nicda 
in Auslegung der Werke der früheren Väter über dag Dogs 
ma der. Conſubſtantialitaͤt nicht irrten 9 


Zweite Probe, aus den Werken der Väter ſelb t 
entnommen. 


Die Werke der Vaͤter der drei erſten Jahrhunderte ſind 
beſtimmt, die Gläubigen zu unterrichten, die Ketzer zu wi⸗ 
. berlegen, und die Religion gegen Juden u und Heiden zu vers 
theidigen. 


Wenn fie die Gläubigen sur Tugend ermahnen, ſo ſtel⸗ 
len ſie ihnen einen fuͤr ſie geſtorbenen Gott vor Augen, der 
einſt ihr Richter ſeyn wird, wie Er ihr Erloͤſer und Mittler 
geweſen iſt. 

Wenn Cerinth, Ebion, Theodot u. A. die Gott⸗ 
heit des Wortes anfeinden, ſo bekaͤmpfen die heiligen Ig⸗ 
naz, Polycarp, Irenaͤus, Juſtin und mehrere an⸗ 
dere Schriftſteller, unterrichtet von den Apoſteln ſelbſt, dieſe 
Irrlehrer, und widerlegen ſie mit dem Anſehen Je 5 u 
Chrifti und der Apoſtel m. 





1) Theodoret Hist. gccles. L. ı. c. 12. 


2) Euseb. Hist. L. 5. C. 20. Uyeron. adv. Helvidium 
c. 9. 


, ! 


’ 


120°: Mrlanigmue, 


Wenn Praxeas, Moetius, Sabellius die Drei⸗ 
einigfeit angreifen, und behaupten: daß die getflichen Pers - 
fonen nur verfchiedene Einem Wefen beigelegte Benennuns 
gen feyen, fo beftreiten die Väter diefe Zꝛtlehre ‚ und die 
Kirche verdammt fie. 


Die Väter, welche gleicher Weife Cerinth beſtreiten, 
der die Gottheit J. C. laͤugnete, und Praxeas, welcher 
glaubte, daß Jefus keine vom Vater unterſchiedene Perſon 
ſey, bekaͤmpfen den Hermogenes, Marcion und alle 
Haͤretiker, welche mehrere Urweſen oder nothwendige Sub⸗ 
ſtanzen annahmen: ſie beweiſen gegen dieſe Irrlehrer, daß 
es unmoͤglich mehrere nothwendige Subſtanzen, oder hoͤchſt 
vollkommne Weſen geben koͤnne. 


Dieſe Vaͤter nahmen alſo an, daß Fefus Chriſtus 
1) wahrer Gott, 2) eine vom Vater unterſchiedene Perſon, 
3) daß der Vater und Sohn in der naͤmlichen Subſtanz 
vorhanden feyen. Diefe drei Grundmwahrheiten ſchwebten 
ihrem Geiſte ganz deutlich vor, und wurden ganz befiimmt 
in’ der. Kirche gelehrt. 


Hätten fie geglaubt, daß der Vater und Sohn zwei 
wahre Götter, und zwei verfchievdene Subflangen wären, 
fo hätten fie gegen Hermogenes, Marcion, Apelleg 
und gegen die Manichaͤer micht behaupten können: daß _ 
es nicht mehrere nothiwendige und hoͤchſt vollfommene Subs 
ſtanzen gebe, ohne in einen Widerfpruch zu gerathen, wel⸗ 
cher ihren Gegnern nicht entgehen Fonnte. 


Und hätten fie gegen Cerinth, gegen Theodoret 
m 9. gelehrt, Daß der Sohn wahrer Gott, aber dem Bas 
‘ter nicht confubftantial wäre, fo wirden Theodot, Ars 
temon ꝛc. ihnen zum Vorwurfe gemacht haben, daß fie 
fi) widerfprächen, und mehrere hoͤchſt vollkommne, emige 
und nothwendige Grundmwefen. annähmen, welches fie jedoch 
für etwas Ungereimtes angefehen hätten, da fie gegen 
Hermogenes, Marcion ꝛc. gefchrieben haften. 


Auf welcher Stufe von Unmiffenheit und Dunkel 
muͤßte man ſich nicht die Vaͤter vorſtellen, welche in ſolche | 





Ariantemus. 193 


Widerſpruͤche gerathen Fonnfen, und die Haretiter, die die⸗ 
ſelben nicht wahrgenommen und aufgedeckt haͤtten? 


Doc die Väter der drei erſten Jahrhunderte waren 
gelehrte Logiker und gute Metaphyſiker; ſie verſtanden 
tief zu forſchen, und mit Genauigkeit zu unterſuchen, 
fo wie die Haͤretiker gewöhnlich feine mittelmäßige Köpfe - 
“waren. 


Diefe allgemeine ⸗ Bemerkung iſt auf alle Vaͤter ‚und 
insbefondere- auf Tertulian anmendbar , welcder die. 
Dreieinigfeit To gut gegen Praxeas vertheidiget, und die 
Confubffantialttät des Wortes in feinen Werfen gegen Dies 
fen Irrlehrer fo Deutlich dargethan, und der feine der 
nöthigen Vorſichtsmaßregeln vernachläßiget hat, um jeder 
Art von Mißbrauch feiner Ausdruͤcke vorzubeugen. 





Man ſehe die Artikel Praxeas, Hermogenes, | 


Marcion. 


Die Väter der drei erſten Jahrhunderte beweiſen gegen 
die Juden, daß J. C. der verheißene Meſſias, daß Er 
wahrer Gott iſt. Der Hl. Juſtin, Tertulian, Orige— 
nes cc. ſtellten alle die Gottheit J. C. gegen die Juden 
auf 1). 


Nachdem. der hl. Juſtin bewieſen hat, daß J e fu 
Chriſtus alfe Merfmale des Meffias vereinigt, und F 
der. Meſſias wahrer Gott iſt, iſt Tryphon nur noch 
über Die Schwierigkeit verlegen, zu begreifen: wie der Meſ—⸗ 
fiag, Gottes Sohn, und Gott felbft, — — Menü) werden, 
und für die Menfchen. fterben mochte. In diefem ganzen 
Gefpräche werfen die Juden dem Juſt in nicht vor, daß er 
die Einheit Gottes beſtreite. Alſo iſt es klar, daß Juſtin 
zwei Stuͤcke lehrte; dag eine, Daß Jeſus wahrer Gott 
- fen, das andere, daß es nicht mehrere Götter gebe. Was 
wir von dem hl. Juſtin fagten, gilt aud) senau von wer 





[1 


Ä 1) Justin. Dial. cum Tryph. Tertul. in Ind. Ori- 
gen. contra Gelsum. . | 
Ketzer⸗Lexicon IJ. 13 


194 Arianismus. 


u. eulian, und auch ibm werfen die Juden nicht vor; daß 
er mehrere Götter glaube. 


Der Jude, mit welchem Drigenes disputirt, beſtrei⸗ 
tet die chriſtliche Religion, weil es ungereimt ſey, an einen 
geſtorbenen und erniedrigten Gott zu glauben. Origenes 


entgegnet den Einwendungen des Juden mit der Behaup⸗ 


tung: daß Jeſus Chriſtus die goͤttliche und menſchliche 
Natur vereinige, ohne zu beſorgen, daß man Ihm ermwidere, 
er nähme mehrere Götter an. \ 

Uebrigeng iſt eg Flar, daß alle Eintvendungen , welche 
Celſus von der Erniedrigung. und dem Leiden J. €. bers 


nimmt, wegfielen,, wenn derfelbe nicht wahrer Gott wäre; 


und doch gibt Origenes dieſe fo ganz einfache Antwort 
nicht, fondern, beruft fi auf das Geheimniß der Menfche 
werdung. Er glaubte fonach an bie Confubftantialität des 
orte. 





m 


Ungerehtigfeit und Unhaltbarfeit der Einwendum 


sen der neuen Arianer gegen die Däter der drei ers 
fien Jahrhunderte, 


allle Vaͤter vor dem Concil von Nicaͤa haben gelehrt, 


daß J. C. ewig, Sohn Gottes, wahrer Gott ſey; ſie be⸗ 


ſtehen feſt auf die Gottheit J. C. und ſeine Conſubſtantiali⸗ 
taͤt; ſie moͤgen entweder die Irrlehrer beſtreiten, oder \die 
Religion gegen die Juden verfheidigen. Die Werehrung, die 
fie Jeſu Chriſto erweifen, hat feine Gottheit und Confubs 
fantialität zur Grundlage. 

Die neuen Artaner erkennen diefe Thaffachen, bfe 
unbeftreitbar find, an; behaupten aber, in den Vaͤtern Stels 
len zu finden, welche aus J. €. ein bloßes Geſchoͤpf zu mar 
chen fcheinen, und nach dem Geftänpniffe. Le Clerc's gehet 


die ganze Frage über diefen Gegenftand darauf hin, zu wiſ⸗ 


fen: von melchen Stellen man die Meinung der Väter 
fammeln müffe, und welches jene find, vie zur Erflärung 
der andern dienen; ob eg die Ausdruͤcke find,’ welche zu fas 


gen fcheinen, daß der Eohn Gottes nicht ewig if, auf 


Artanismus. 193 


welche man_firenge befichen milffe, ‚oder jene bie wi ders 
- fihern ſcheinen, dag Er eg ift 1). . 


Diefe Frage erhellet durch die Erflärung , weiche wir 
von der Lehre der Väter gegeben haben, als entſchieden. 
Denn weil die Väter in ihren Werfen gegen die Irrlehrer 
die Eonfubftantialität des Wortes annehmen, weil die Ver⸗ 
ehrung, fo fie J. €. erweifen, folche voraugfegt, fo ift es 
klar, daß das Dogma der Conſubſtantialitaͤt deutlich und 

beſtimmt vor ihrer Seele ſtand. | 


Wenn fie geglaubt hätten, daß J. €. ein Geſchoͤpf fen, 
fo würde ihre Religion mefentlich anders geftaltet, und ihre 
Bemeisführung gegen die Srrlehrer und Juden weſentlich 
anders geftellt feyn; es lag fohin nicht in ihrem Sinne, daß 
J. €, ein Gefchöpf fey. 

Die Stellen, in welchen fie von dem Sohne oder don 
J. .C., als von einem bloßen Gefchöpfe zu reden fcheinen, 
enthalten fodann, buchftäblich genommen, die Meinung der 
Väter nicht; man muß fie daher durch ſolche Stellen erklaͤ⸗ 
ren, in welchen ſie die Conſubſtantialitaͤt des Wortes lehren. 


So oft Jemand einen Grundſatz aufſtellt, und dieſen 

in Srundlage feiner Schriften, und zur NRichtfchnur feines 
etragens nimmt, ſo ift e8 ungerecht und .ungereimt, zu 
urtheilen: daß dieſer Menfch an feinen Grundfag nicht glau⸗ 
"be, weil ihm ein Ausdruck entwifcht ift, der frenge sgenoms 
men, jenem Grundfage entgegen if.  ' 


Die menfchliche Beſchraͤnktheit erlaubt feine fo große 
Genauigkeit in Sprache und Ausdrud, daß man nicht in ei⸗ 
nem,. auch noch fo ſyſtematiſchen, Schriftſteller Ausdruͤcke 
und Redensarten finden follte, welche buchſtaͤblich, und nad) 
srammatifalifcher Strenge genommen, auf, feinen Grunds 

fägen entgegenftehende, Folgerungen zu führen fcheinen. 


m 


3) Le Clerc Defense des Sentim. des Theolog. de Hol- 
lande, Lett. 3. p. 76. Ars. erit. T. 5 Ep. 5, p. 96, Bibl. 
‚univ. T. ı0. Art. 8. 

13 * 


196 Arianismus. 
Es waͤre aber ungerecht und ungereimt, wenn man bie 
Meinung des Schriftſtellers in ſolchen Ausdruͤcken ſuchen 
wollte, und dieſes thun die neuen Arianer himſichtlich der 
Vaͤter der drei erſten Jahrhunderte. Die Conſubſtantialitaͤt des 
Wortes iſt ein Grurdpfeiler, auf welchem die Religion der 
Väter ruhet; fie haben alle Irrthuͤmer, welche diefelbe ans 
feinden, beftritten, fie nehmen fie in all ihren Schriften an; 
und man macht fie ze Arianern, weil man in ihren 
"Schriften einige Phrafen findet, die buchfläblich genommen, 


befayen, daß J. C. geringer als der Vater, oder eine von 


Ihm verſchiedene Subſtanz ſey. 


Will man die Stellen, welche Sandius und Zwicker 


geſammelt haben, pruͤfen, ſo fordere ich, daß man eine dar⸗ 
unter ausfindig mache, worinn die Vaͤter, wenn die Rede 
vom Sohne Gottes iſt, als Grundſatz aufſtellen: daß Er 
ein Geſchoͤpf, oder eine vom Vater verſchiedene Subſtanz 
ſey. Alle dieſe Stellen ſind entweder Vergleichungen, zur 


Erklaͤrung der ewigen Zeugung des Sohnes beſtimmt; oder 
Erlaͤuterungen, ſo die Vaͤter geben, um den Schwierigkei⸗ 


- ten, die man ihnen macht, zu begegnen; oder endlich find 
es Auslegungen einiger ſchwerer Stellen der Schrift Allein 
kann man in diefen Etellen bie Lehre der Väter von der 
‚Konfubftantialität fuchen? Kann man folche den Beweiſen, 
“welche darthım, daß die Väter dieſen Glaubengfag gelehrt 
haben , entgegen ftellen ? 


Es ift hier unmöglich, eine ausführliche Rechtfertigung 
der Väter der bref erfien Jahrhunderte vorzunehmen. Man 
kann fie bei Bullug, Le Moine, Boffuet, und in eis 
- ner vorfrefflichen Abhandlung über die Gottheit J. C., 
"welche das Werk eines gelehrten Benedictiners ift, finden 1). 





Ü v 


.ı) Judiciam Ecclesiae Catholica, Trinm priorum Saecn- 
lorm ete. Defensio fidei Nicana in der Sammlung won 
Bulls Werken, von Grabe, Fol. 1705. Varia Saura 


ee. cura Steph. Le Moine 2. Vol: 4to 1685. T.ı_ 
Sixieme Avortisscment contre Jnrieu, par M. Bossnet, 


a 


Arianismus. 197 


ren wird ·auch· uͤber dieſe Materie ein Werk des Herrn 
Bayle gegen den Predieer Jurieu, welcher von den Vs 
tern der. drei exften Jahrhunderte, wie Die Ariane y ger 
- fprochen hat, mit Vergnügen lefen 1) _ 

Wiſthon glaubfe, feine Meinung in den apoftolifchen 
Eonftitutionen zu finden; alsbald machte er aug diefen Con⸗ 
fitutionen das Werk J. C., weldhes den Apofteln von dens . 
felben während ber 40. Tage, von feiner Auferftehung bie 
zur Himmelfahrt diktirt worden ſey. Er behauptet fogar, 
daß ohne diefeg Werk die chriſtliche Kirche feinen Beſtand 
‚hätte haben Finnen. Dieſe Conflitutionen nun enthalten, 
nach Wifthon, den Arianismus. i 


Wir fehen bei Wiſthon ‚wieder die fonderbare Wirs 
kung einer, .vorgefaßten Meinung. Denn erftens, ift es ges 
wiß, daß die apofloliichen Conftitutionen den Arianiss 
mus nicht enthalten; zweitens iſt es noch gemwiffer, daß 
folche das Werk eines Verfaſſers aus dem Aten Jahrhuns 
derte find. Den Beweis diefer beiden Punkte ‚findet man 
‚bei Cotelier“s apoftolifchen Vätern. Ausgabe von Le 
Clerc 2). \ Lo 

Hinſichtlich der Briefe des Bl. Ignatius, auf de⸗ 
‚gen Anfehen Wiſt hon fich beruft, iſt es ausgemacht, daß 
die von ihm citirten Stellen Zuſaͤtze der Arianer find, 
wie alle Belehrte vor Wiſthon folches anerkannt, und 
We Clerec bei Miderlegung Wiſthon's gezeigt hat 3). 

Die Beſtimmung des gegenwärtigen Werkes erlaubt 
es nicht, in dieſe Eroͤrterungen einugeben, Wir ber 





De Ja aiviniis de J. C. par D. Maran bei Colambat 
"3. Vol. ı2. 175 1. T.2. * 

I) Janua coelorum reserala cunclis religionibus, a cele- 
bri admodum viro D. Potro Jurieu.“ 

2) Cotelier' judicium de Constitutionibus apostolicis 
T. 1. PP. Apostolicorum p. 194. 


3) PP. Apostolici von Cotelier, Le Clerec’s Aus⸗ 


gabe T. 2. Bibl. ancienne ct mod. T. 22 part. 2. p. 
237. Dupin. Bibi. des Aut. eccles. T. ı, p. 47. 


nr 
Rx 


x * 


. ‘ 


198 — Ariauismus. 


merken nur, dag Le Clerc weder ein Gegner, der 


Aurianer, noch ein Freund der Väter war, und felbft bes. 


hauptete: daß die Väter dor dem‘ Concllium von Nicda 
Arianer waren. 


Schluß dieſes Artikels 


So zerfaͤllt das Gebäude des neuen Arianismus, 


wenn man ſeine Grundſaͤtze unterſucht, und dieſe großen 
Schwierigkeiten, die man mit ſo vieler Zuverſicht den Ver⸗ 
theidigern der Conſubſtantialitaͤt entgegenſtellt, ſind, gegen 
das Licht der Kritik gehalten, Sophismen, die ihre ganze 


Staͤrke von dem Mißbrauche ‚einer vortrefflichen Maxime, 


wenn fie wohl verſtanden iſt, hernehmen. Man behauptet, 
man duͤrfe nichts annehmen, was man nicht deutlich be⸗ 
greift. Da man nun nicht deutlich ſieht, wie der Sohn 
von gleicher Weſenheit mit dem Vater iſt, ſo haͤlt man ſich 
fuͤr berechtigt, den Glaubensſatz von der Conſubſtantialitaͤt 
zu verwerfen. Nach dieſem Grundſatze nimmt man alle 
“Stellen, welche von Jeſus Chriſtus, wie von einem 
Geſchoͤpfe reden, im buchſtaͤblichen Sinne, alle jene aber, 
welche feine Goftheif ausdrücken, in einem bildlichen Ver⸗ 
ſtande, fo deutlich‘ fie auch ſeyn mögen. 


Allein fieht man nicht klar ein, daß ed Dinge giebt, 


die wir nicht faffen, nicht deutlich “begreifen Fönnen, und 


“dennoch unmfderfprechlich wahr find? 


Iſt es nicht Elar, daß wenn eine unfehlbate Autori⸗ | 


. tät und gewiſſe Dinge verfichert, diefe eben fo wahr find, 
ale die Autorität felbft, welche fie bezeuget ‚ fo dunkel und 
ungugänglich fie auch unferm Verſtande fenn mögen? 

Iſt es nach biefem Satze, den Niemand anftreiten Fann, 
nicht. augenfällig, dag man die Stellen, welche von der 
Conſubſtantialitaͤt des Wortes reden, buchſtaͤblich nehmen 


muͤſſe, wenn dieſer Glaubensſatz offenbar in der Schrift 


angegeben iſt, wenn er die Grundlage der Religion auss 


- 


macht, wenn er von Jeſus Chriftus aufgefielt, und 


von den Apoftein als dag Fundament der chrifflichen Reli⸗ 





Arianismus. Armenie. 199 
gion gelehrt worden iſt; wie man es bundertmal den Aria— 
nern bewieſen hat? 

Das ganze Syſtem der chriſtlichen Religiom iſt ganz 
verſtaͤndlich, wenn man es auf die Gottheit und Conſubſtan⸗ 
tialitaͤt des Wortes ſtuͤtzet: der Arianismug im Gegen⸗ 
theile, welcher ſie laͤugnet, iſt voll Ungereimtheiten und 
Widerſpruͤche, welche der Scharfſinn eines Clarke und 
Wiſthon nicht beſeitigen konnte. Der Rechtglaͤubige, ges 


ſtuͤtzt auf die Offenbaͤrung, die gewiß iſt, nimmt die Con⸗ 


ſubſtantialitaͤt an, die er nicht faßt, und nicht deutlich be⸗ 


greift, in welcher er aber keinen Widerſpruch ſieht; und 


dieſe Glaubenslehre entfaltet ihm wunderbar das ganze 
Syſtem der chriſtlichen Religion. 

Der Arianer im Gegentheile laͤugnet die Gottheit 
Sefu Chriſti, in welcher er, fo wenig als der Recht⸗ 
gläubige etwas Widerfprechendes fieht; und fällt in, Bir 
derfprüche und Ungereimtheiten ohne Zahl. 

Man begreift daher deutlich, nicht zwar die Confubs 
ftantialität des Wortes, fondern die Wahrheit dieſes Glaus 
bensfaßes , und Die Ungereimtheit des Arianismus, der 
fie laͤugnet. 


Möge num der billige Leſer entſcheiden, wer von Bei⸗ 


den, der Arianer oder der Orthodoxe, die Maxime vers 


legt, welche fagt: der Menſch muß nur das als wabr an⸗ 
nehmen, was er deutlich begreift? 


| Armeni er, ein Zweig der Eutychianer oder. 
Monophpfiten, weihe tags Concilium von Chalcedon 
verwarfen, und fic) gegen die Mitte deg bten Jahrhunderts 
an die Jakobiten anſchloſſen. 


Die chriſtliche Religion war durch Gregor, mit dem | 


Bunahmen der Erleuchtete, noch vor Conftantin nach 
Armenten gebracht worden, und erhielt ſich daſelbſt in 


ihter ganzen Reinheit bis. zum Patriarchen Narfes, wei 


cher gegen die Mitte des fechften Jahrhunderts ein Concis 
lium-von ſechs Bifchöfen hielt, und fich für die Srrlehre 


der Monophyſiten erflärte. Er that dDiefes entweder 


* 


200 ° 2 Armenien. - 


aus Vorliebe file diefe Irrlehre, oder: weil er fich den Pers . 


fern gefällig beweifen mollte , die die Griechen und Armes 
nier, welche der gemeinfame Widerwille gegen den Goͤtzen⸗ 
. dienft der Perfer zufammenhielt, zu entzweien ſuchten 1). 


Diefer Patriarch, welchem feine Nation bie Entſtehung 


dieſes Schisma zu verdanken hat, hatte ſieben Nachfolger, 
unter welchen dieſe Spaltung waͤhrend 112 Jahren fort⸗ 
dauerte. 


Waͤhrend dieſer erſten Spaltung hatten die Armenier 
von Seiten der Perfer viel zu erdulden. Nach der Nieder⸗ 
lage. der Perſer durch Heraklius begeigten fich erftere zur 
Wiedervereinigung mit der Fatholifchen Kirche bereitwillig. 
Ein zufammengerufeneg Concilium verdammte alle Hands 


Jungen des Narfes, und föhnte tie Urmenier mit der 


Kirche aus. 


Dieſe Ausſoͤhnung dauerte 105 Jahre. Allein im Ans 
fange des Sten Sjahrhunderfd erneuerte ſich dag Schisma. 
Johann Agmenfis berief auf Befehl Omar's, Dbers 
hauptes der Sarazenen und mit Zuthun des Aulifen 


von Babylon eine Winkel⸗Synode von einigen Armenis | 


fchen, und 6 Affpeifchen Biſchoͤfen, durch melche er ben 
Berhluß faſſen ließ: dag In Fefus. CHriftus nur Eine 
Natur, Ein Wille, und Eine Wirkſamkeit ſey. So verbans 


den fie den Monothelismus mit dem. Monophys 


ſismus. 


Ein anderes Concilium verordnete‘, in Zukunft von 
den heiligen Geheimniffen den Gebrauch des Waffers hins 


wegjulafien, damit durch die Beimifchung des Waſſers zu 
dem Weine nicht die zwei Naturen in J. C. angedeutet 


wuͤrden. 


— — 





1) Oriens christianus T. 1. p. 1355. Narratio de rebus 
Armeniorum, apud Conbefis auctuar Bibliot. PP. 
T. 2. Assemann Bibliot. Or. T. 35. part. 2. p. 37, 
-Memoircs des Missions. de la Compagnie, de Jesus 
dans le Levaut. T. 3. 


‘ 


Armenier. 201 


Dieſer Patriarch, ſo verſchlagen als verſtellt, erwarb 
fih den Ruf eines Heiligen, wozu es weiter nichts - bes 
‚durfte, ale eine abgetoͤdtete Miene anzunehmen, und firenge 
Verordnungen zu geben, deren eine an Fafttagen den Ges 
‚brauch der Fifche, des Dliven + Dels und des Weines eben 
fo ſtreng, als folches früher mit dem öleifche und -Eyern 
der Fall war, unterfagte. 


Die durch diefen Patriarchen erneuerte Epaitung bau 
erte-big zum Ende des neunten Jahrhunderts. Einige Pas 
triarchen verfuchten die Wiedervereinigung und wurden ges 
. ächtet. Die VBerheerungen, welche die Türken in Armenien 
anrichteten , vermochten Kazik, feinen Sig nach Sebaſte 
zu verlegen, um fich dadurch unfer den Schuß der griechis 
ſchen Kaiſer zu fielen. Um die nämliche Zeit unternahm 
Kazif, Fürft von Armenien, die Wiederherſtellung des 
Königreiches von Klein⸗Armenien, begte fi den. Königstitel - 
bei, und eroberte Cilisien, nebft einem Theile von Kappa⸗ 
dozien. | . | 


— 


Leo, Kazi's Nachfolger, ſah ſich von Imgläubigen 
umringt, welche ihn mit einem Angriffe bedrohfen. Er 
ivendete ſich an die Lateiner, welche damals im ‚Drfent 
mit einer Heeress Macht fanden, und, um fie auf feine 
Seite zu bringen, bewarb er fi um die Gunft'des Pabs 
fies, der die Seele der Heere und Bewegungen der abends 
Jändifchen - Fuͤrſten war. Er bat den Pabſt Coͤleſtin II. 
einen Kardinal zu ſenden, der ihm die feierliche Kroͤnung ers 
theilen möchte: Diefer Fuͤrſt beginftiste die Katholiken in 
Armenien ſehr, und ermımterte feine Unterthanen zur Vers 
einigung mit der römifchen Kirche, welche jedoch nicht 
zu Stande Fam. Das Entgegenmwirken der Patriarchen und 


der Widerſtand der Schismatiker berurſachten ſogar Un⸗ 
ruhen. 


Durch dieſe Uneinigkeiten wurde aArmenien betraͤcht⸗ 
lich geſchwaͤcht, und die Tartaren, welche davon Kunde 
erhielten, brachen in das Reich ein, bemächtigten fich Ges 
orgiens und Sroß— Armeniens, und zerſtoͤrten die Stat 


202 Alrmenier. 


Daun, in welchet man über taufend Rirchen‘, und mehr 
als hundert taufend Familien zählte. Ä 
. Die Nachfolger Leo's, nachdem fie mehrere Anfälle 
der Sarazenen ausgehalfen, und, in Verbindung mit den 
Tartaren, fich felbft gegen dieſe gewendet hatten, beriefen 
“endlich im Anfange des 14ten Jahrhunderts ein Eoncilfum, 
auf welchem man erklärte, daß J. €. zwei Naturen und 
zwei Willen hätte. Diefes Concilium befand aus 26 Bis 
fhöfen, 10 Vertabjets, oder Doctoren, und aus 7 
Aebten. Die Schismatifer' erhoben fich gegen die Synode, 
und proteflirten wider Alles daſſelbſt Worgefallene; man 
behauptet fogar, daß fie Hayto “und deſſen Sohn Leo, 
‚welche die Vereinigung begunftigten, nteuchelmorden ließen. 

Um die Widerfeglichfeit gu befeitigen, ließ der Wachs 
folger Leo IIL ein neues Concilium zufammenrufen, wels 
ches: Alles, was das vorhergehende entfchieden hatte, be⸗ 
flätigte; ‚die Monopbyfiten festen fich Diefem gleicher 
Weile, wie dem‘ vorgängigen Concilium, entgegen. 

Die Vereinigung hatte daher nicht Statt; und die 
-monophpfitifhen Armenier fuhren fort, die Katholi⸗ 
Ten gu mißhandeln „und Verfolgungen gegen fie zu erre⸗ 
gen. Einige Jahre nach DSeendigung des legten Cons 
ciliums flarb Oſcin I, und die Schismatiker trafen 
wieder in bie geiftlihen Wurden ein. Nach dem Bode 
Gregor's entwendete ein Minh, Namens Ciriakus, 
der Jeidenfchaftlich der Spaltung zugethan war, die Reli⸗ 
quie der rechten Hand des hl. Gregor, aus der Stadt 
Sig, brachte fie nad) Ecemiazin, wo er die Schismati⸗ 
ker vermochte, ihn zum Patriarchen zu erwaͤhlen. Auf dieſe 
Weiſe erneuerte ſich die Spaltung des armeniſchen Patriar⸗ 
‚hen, welche noch heut zu Tage fortdauert. Denn Sig hat 
bis jegt feinen Patriarchen erhalten, deſſen Gerichtsbarkeit _ 
fih über Eilizien und Syrien erflredt: Eremiazin 
aber haf einen eigenen. | 

Ciriakus hielt fih nicht lange auf dem angemaßten 
Patriarchen » Stuhle: er wurde zwei Sjahre nach feiner Erz 
wählung, 1447, vertrieben. 





N — 


Armenier. 203 


Nun ſetzten Mich drei Bewerber un das Patriarchat in 
defien Beſitz. Einer von ihnen, Namens Zahartag, . 
brachte die genannte hi. Reliquie nach der Anfel Acht 
mor, wo er bereits Patriarch geweſen war, und errichtete 
dafelbft einen dritten Patriarchen s Stuhl, oder erneuerte 
vielmehr dDenfelben: deum dieſe Theilung des Patriarchats 
war fehr alt. | 

Diefe Patriarchen veramlaßten viele Unruhen und Zwi⸗ 
ſtigkeiten in Armenien, weil alle Die Hand des hl. Gregor 
haben wollten. Da die Patriarchen dem Koͤnige von Per⸗ 
fien eine große Summe für ihre Einſetzung, und uͤberdieß 
einen fehr beträchtlichen jährlichen Tribut zu begählen hats 
fen, fo konnten fie diefe Ausgaben ohne Hülfe diefer Reli⸗ 
quie, die ausnehmend viel eintrug, nicht beffreiten. 

Chach⸗Abas, dem die Urſache ihrer Streitigkeiten 
befannt war, ließ die Reliquie nah Iſpahan bringen, 
und übergab aus eigener Machtvollkommenheit dag Patriar⸗ 
hat an Melchiſedech, welcher ſich erbot, ihm jährlich 
zwei tauſend Thaler zu zahlen. Da dieſes weit mehr war, 
als der Patriarch leiſten konnte, entfloh er nach Conflans 
tinopel. 

Bon diefer Zeit an winfchten einige Patriarchen fich 
mit der römifchen Kirche auszufshnen, ohne jedoch die Nas 
tion dazu bereden zu können: Inzwiſchen haben die Miffionas 
rien viele Schismatifer bekehrt, und arbeiten auch jetzt noch 
mit Erfolg an der Wiedervereinigung der armenifchen Kirche 
« mit der Fatholifchen 1). 

Sie find heut zu Tage in Franken — und ſchis ma—⸗ 
tiſche — Armenier getheilt. Die Franken ſind jene, 
weiche P. Bartholomaͤus, ein Dominikaner, abgeſandt 








1) Auszug des Schreibens von P. Monnier Über Armes 
nien T. 3. des Me&moires des Mission de la Compag, 
de J. dans le Levant. Diefes Schreiben ift ſehr intereffant, 
man hat nichts Beffered Über Armenien, Der P. le Quien 


hat diefe Materie gut behandelt in feinem Oriens Chri- 
stianus. ' 


204 j Armenier. 


vom Pabſt Joha nn XXII. .zum katholiſchen Glauben 
brachte; ſie bewohnten ſieben Doͤrfer in einer fruchtbaren 
Gegend, genannt Abrenex. Es befinden ſich auch einige 
in Polen unter einem Patriarchen, der fich. dem römifchen 

Stuhle, 1616 unterwarf 1). Auf der Inſel St. Lazarus, 
bei Venedig, beftehet feit 1717 eine Congregation armenis 
fcher Mönche, von ihrem Stifter Mechitar, Mechitariften ' 
genannt, die hauptſaͤchlich durch Schriften unter ihrer Nas 
tion. eine beſſere Bildung zu verbreiten fuchen. 


Bon dem Glauben der ſhismatiſchen Armenier. 


Der Hauptirrthum der Armenierift, daß fie dag 
Concilium von Chalcedon nicht anerfennen. Diefen Irr⸗ 
thum etwa gusgenommen, weichen fie eigentlich zu reden, von 
der römifchen Kirche nur in der Liturgie ab. Jedoch herr 
ſchen noch unter fhnen einige Irrthuͤmer über das Ausge⸗ 
ben des hl. Geiftes, und den Zuftand der Seelen nach dem 
Tode; indem fie glauben, daß die Seelen erft am jingften 
Gerichtstage beftraft oder belohnt werden. Einige glauben 
auch, Gott habe alle Eeelen am Anfange der Melt gefchafs 
fen, und Jeſus Chriftug fie ale aus der Hölle gezogen; 
es gebe fein Fegfeuer; Die von dem Leibe geſchiedenen See⸗ 
len irrten in der Luft umher. 


Allein dieſe Irrthuͤmer gehoͤren nicht der Kirche von 
Armenten an, ſondern es find Privat⸗Irrthuͤmer, die ſich 
beiden Armentern durch ihre Verbindung mit Fremden“ 
eingefchlichen haben, Denn es war von ihnen nie die Rede, 
“als es fich von ihrer Bereinigung mit der roͤmiſchen Kirche 
handelte 2) nn | 


ı) La Turquie chretienne sous Ja puisanto protection de 
Leuis le Grand p, M.de la Croix, ä Paris, chcs 
Herissant. 1695. 

2) Sieh die Aften des Conciliums von Armenien von 1342, 
T. 7 Collect. du P. Martene. 


EN 4 





Armenier. 203,- 

uUebedieß find die aͤlteſten Gebete, Sefänge: und Hym⸗ 

“nen der armenifchen Kirche dieſen Irrthuͤmen entgegen 1), 

man findet in ihren Ritualen und Büchern die Gebete für 

die Verftorbenen, die DVerchrung der Heiligen, und Relis 

quien, mit Einem Worte, den ganzen Glauben der römis 

{hen Kirche, und man kann den Zeifpunft der in Diefer 
Kirche vorgegangenen DVerändernngen angeben. 


- Die römifche Kirche tft fohin Feiner Der Neuerungen 
fehuldig, welche die SProteffanten ihr vorwerfen, weil wir 
ihren Glauben in einer Kirche finden, die nicht: von bem 
Pabſte abhing; auch ft diefe Uebereinffihmung dee Glaͤu⸗ 
bens !der armeniſchen Kirche mit der Lehre der roͤmiſchen 
feine Folge deg Umganges der Armenier mit den Latei⸗ 
nern, oder der Beihülfe ver Mäbfte, deren fie zur Zeit der 
Kreussüge bedärftig waren, wie ſolches de la Crose 
glaublich machen will 2). 


Diefer Glaube der -vömifchen Kirche iſt beftätiget in 
den Kitualen und Gebeten der armenifchen Kirche, welche 
weit älter find, Aals der Umgang der Armenter mit den 
Rateinern 3). - 


Indeſſen gibt es doch einige Mitrͤuche und Spuren 
juͤdiſcher Meinungen bei den Armeniern; ſie beobachten 
die, im moſaiſchen Geſctze vorgeſchriebene Zeit fuͤr die Rei⸗ 
nigung der Frauen; fie enthalten ſich aller Thiere, welche 
das Geſetz für unrein erklaͤrt hat, wovon fie jedoch das 
Schweinenfleiſch ausnehmen, ohne einen Grund dieſer Aus⸗ 
nahme angeben zu koͤnnen: ſie halten es fuͤr Suͤnde, das 
Fleiſch eines in ſeinem Blute erſtickten Thieres zu eſſen. 
Wie die Juden, bringen ſie Gott Thieropfer dar, welche ſie 


/ 





1) Nouveanx Memoires daf. Schreiben des Abbe de vir 
lefroie. mit einee franzöfifhen Ueberfegung ‚der armenis 
ſchen Oefänge. jonrn. de Trevoux 1704. 
2) Christianisme de P’Etiopie, par la Crose part, 4. 
3) Nouveaux /Mem, daſ. Lett. de Y’abbe de Villeſoy daf. 
| | 


r N 


'206 YArmenier. 

vor dem Eingange ihrer Kirchen durch die Diener der Priefter 
fchlachten, und machen mit dem, in das Blut der Schlacht 
Opfer eingefauchten Singer , über ihre Hausthuͤren das 
Kreuzzeichen. 

Der Prieſter behaͤlt die Haͤlfte des Opfers fuͤr ſich, 
das Uebrige verzehren die Darbringer. An allen hohen 
Feſttagen bringen ſie ſolche Opfer, um Geneſung von ihren 
Krankheiten, oder andere zeitliche Wohlthaten zu erlangen. 
Gott, welcher den Juden ihre Ceremonien und Opfer 
vorgeſchrieben, hatte ihnen fuͤr die Haltung des Geſetzes 
zeitliche Guter verfprochen ; die Verheißungen Jeſu Chris 
fii Hingegen bezogen ch nur auf geifllihe MWohlthaten. 
Um nun die beiderfeitigen Vortheile zu genießen, verbinden 
die Armenier das Bekenntniß der chriſtlichen Religion 
mit Haltung des juͤdiſchen Geſetzes. 


Vom Kirchen⸗Regimente der Armenier. 


Die Armenier haben einen Patriarchen, deſſen Sig 
zu Ecemiazin iſt. Er wird von Allen als das Oberhaupt 
der armeniſchen Kirche und geiſtlichen Verwaltung aners - 
kannt, und führt den Namen und Titel eines katholiſchen 
und allgemeinen Hirten der ganzen Nation. 
Der Patriarch wird durch die Stimmen: Mehrheit der 
Biſchoͤfe, die ſich zu Ecemiazin einfinden, gemählt; der 
Wahlakt wird an den perfifchen Hof gefchicft, um die Bes 
Rätigung des Königs zu erhalten. Diefe Beflätigung wird 
unter dem fcheinbaren Namen eines Gefchenkes fiir feine 
Majeſtaͤt und deſſen Minifter erfauft. Wenn aber Ehrgeiz 
und Parfheilichkeit die Stimmen theilen, und eine zwieſpal⸗ 
fige Mahl erfolgt‘, Yo wird das Patriarchat Sffentlich aus⸗ 
geboten, und dem Meiſt⸗- und Lebtbiefenden zugefchlagen. 
Der König wartet nicht immer die Beendigung der Wahl 
ab; er kommt ihr zuvor, wann er will, und ernennt felbft, 
ohne Ruͤckſicht, nad; Gutduͤnken einen Patriarchen. _ > 
Der Patriarch "Iegt fich eine unbefchränfte Gewalt über 
die Bifchdfe und Erzbifchdfe bei, aber der That nad if 











Armenie. 207 


ſolche auf Boſtaͤtigung der Wahlen die in ben Partikular⸗ 
Kirchen vorgendnimen werden, und der Ernennungen, die 
von Seite des Monarchen gefchehen, befchränft. 

. Die, Einkünfte des Patriarchen find fehr vetedchtlic, 
. amd. belaufen fich im niedrigften Anfchlage auf hunderttau⸗ 
fend Thaler, ohne daß er für- feinen Reichthum einen koͤſtli⸗ 
chen Aufwand macht. Denn er iſt gekleidet wie ein gemei⸗ 
ner Moͤnch; genießt nur Huͤlſenfruͤchte, trinkt Waſſer, und 
lebt in einem Kloſter, wie die andern Moͤnche. 

Dieſes reiche Einkommen des Patriarchen koͤmmt einer 
Seits von den Laͤndereien, die zu ſeinem Kloſter gehoͤren, 
anderer Seits von den Abgaben des ganzen Volkes; und 
ſolches geht beinahe ganz auf, um den Schutz des Hofes 
zu erkaufen, das Kloſter zu unterhalten, die Kirchen im 
baulichen Stande zu erhalten und zu zieren, zu den Aus⸗ 
gaben der Nation beiguftenern, und den Tribut für eine 
Menge Armer zu bezahlen, deren Duͤrftigkeit eine naͤchſte 
Gelegenheit ſeyn wuͤrde, vom Glauben abzufallen. 

Ale Biſchöfe leben, wie der Patriarch, und doch fi nd 
diefe „Leute fehr ehrfüchtig; man wendet Lift und Nänfe 
an, um zu den geiftlichen Aemtern zu gelangen. 

Jede Partifulars Kirche hat ihren Rath von den anges 
fehenften Alten beftellt. Diefer wählt den Biſchof und bes 
hauptet dag Recht, folchen abzufegen, wenn er mit ihm nicht 
zufrieden iſt, welches den Bifchof in fleter Furcht Hält. 

Veberdieß giebt es in ber armenifchen Kirche Bertabs 
jet’, oder Doctoren, bie fih ohne Umflände den Vor⸗ 
rang über die Bifchdfe, fo nicht Doctoren find, beimeffen. 
Sie tragen den Bifchofsftab, und haben die ‚allgemeine 
Sendung, wo es ihnen beliebt, zu predigen. Mehrere find 
Vorſteher von Kisftern, die andern ziehen im Lande ums 
ber, und halten ihre Predigten, welche dag Volt mit Ehr⸗ 
erbiethung anhoͤrt. 

Um den Titel eines Vertabjet zu erlangen, und zu 
führen, braucht es nicht mehr, als der Schüler. eines Vers 
tabjet gemwefen zu ſeyn. Wer ihn einmal erworben hat, 
theilf denfelben fo vielen andern feiner Schüler, mit, als 


, 


208, | | Armenier. 


er für raͤthlich Hält, Wenn fie die Namen ber hl. Väter, 
und einige Stellen aus Der KHirchengefchichfe, befonderg 
. folche, die ih auf ihre irrigen Meinungen beziehen, ge⸗ 
lernt haben, ſo ſind ſie vollſtaͤndige Doctoren. | 


Diefe Vertabjet's laffen fih große Ehrenbezeigun⸗ 
gen erweiſen; ſie empfangen die Perſonen, von denen ſie 
beſucht werden, ſelbſt die Prieſter nicht ausgenommen, ſitzend: 
man nahet ſich ihnen ehrerbietig, und reicht ihnen den Hand⸗ 
kuß, und nachdem man ſich drei bis vier Schritte zuruͤck⸗ 
gezogen hat, kniet man nieder, um ihre Auftraͤge zu ver⸗ 
nehmen. Die ſchoͤnen Stellen ihrer Reden ſind fabelhafte 
Erzaͤhluagen, welche dahin abzielen, das Volk in einer 
Menge aberglaͤubiſcher Gebraͤuche zu erhalten. | 


Sie prebigen fißend; nad) Beendigung der Predigt 
wird eine Kollekte für fie angeflelt. Die Biſchoͤfe, ſo keine 
Vertabjet's find, muͤſſen ſtehend predigen. 

Dieſe Vertabjet's halten neun Monate des Jahres. 
‚bie firengfle Faften, und während ihres ganzen Lebens den 
eheloſen Stand. Es find Chrgeizige, die zu‘ herrfchen fur 
“chen, und dieſer Leidenfchaft Alles aufopfern. Durch diefe - 
firenge Auſſenſeite beherrfchen fie den rohen Poͤbel, und ers 
"halten ihn in der Unmiffenheit, welches die Grundfäße des _ 
Anfehens und der Macht der Bertabjer's find. Sie 
ſchreien wmaufhirlih gegen die Lafeiner und Miffionäre, - 
welche dad Volk aufklären koͤnnten, und erhalten, fo viel 
in- ihrer Macht fieht, Volk und Geiftlichfeit in Unwiſſen⸗ 
heit und Aberglauben. 


| Die ganze Wiffenfchaft der Priefter beſteht darin, , das 
Meßbuch gelaͤufig leſen zu koͤnnen, und die Rubriken zu 
verſtehen. Ihre ganze Vorbereitung zur Prieſterweihe be⸗ 
ſchraͤnkt ſich darauf, vierzig Tage in der Kirche zu ver⸗ 
weilen, an welchem Letztern ſie die Weihe erhalten. Noch 
am naͤmlichen Tage leſen fie Meſſe, auf welche ein gro⸗ 
ßes Gaſtmahl folgt, waͤhrend deſſen die Papodie d. h. die 
Frau des neuen Prieſters mit verbundenen Augen, zuge⸗ 
ſtopften Ohren, und geſchloſſenem Munde auf einem Sches 
mel figt,. um die Zuruͤckgezogenheit anzuzeigen, Die fie von 


Arminius. 2000 


nun an-binfichtlich der heiligen Verrichtungen, die ihrem 
Manne obliegen, zu beobachten hat. So oft ein Priefter 
Meſſe zu lefen hat, bringt er die Nacht in der Kirche zu. 

Werm die Kinder leſen gelernt Haben, - flelit fie ver 
Schulmeiſter dem Bifchofe bor, telcher ihnen vom zehnten _ 
oder zwölften Fahre an die geiftliche Weihe ertheilt. Fuͤr 
jede Ordination empfängt der Bifchof 12 Sous 1). 


Arminius *) (Jakob) geboren zu Ondewater 
in Holland 1560, dag heißt zur Zeit, wo die Reforma⸗ 
tion in hoͤchſtem Schwunge war, ſtudierte auf der Untverfir 
taͤt zu Leyden, und wurde hierauf auf Koſten des Magie 
ſtrats von Amfterdam im Jahre 1582 nad) Genf ges 
fchicht, um fih in den Studien zu vervolfommmen. Er ver⸗ 
theidigte mit vieler Wärme die Philofophie de Namus. 

Martin Lydius, Peofeffor der Theologie zu Frane⸗ 
fer, beauffragfe ihn, eine Schrift zu widerlegen, worin 
bie Prediger von Delft die Lehre des Theodor Beza 
über die Vorherbeftimmuug beftritten. 


Armi nius prüfte Das befagte Werk, wog bie Grünbe 
ab, und endlich nahm er dieſelben Meinungen, deren Wis 
derlegung er unternommen hafte, an. Er konnte ſich Gott 
nicht fo. vorſtellen, wie ihn Calvin und-Beza zu glauben 
vorfchlugen, einen Bott nämlich, der die Menſchen zur 
Sünde und Verdammniß, twie zur Tugend und ewigen &es 
ligfeit, vorherbeſtimmt. Er behauptete „daß Gott als ges 
rechter Richter und barmherziger Vater von aller Ewigkeit 
her den Unterſchied unter den Menſchen gemacht habe, daß 
diejenigen, die ihren Sünden enffagen,, ımd Ihe Vertrauen 
“auf Jeſus Chriſtus ſetßen wuͤrden, von ihren ſuͤndhaften 
Thaten losgeſprochen, das ewige Leben erlangen, die Suͤn⸗ 
den aber geſtraft wuͤrden: daß es Gott angenehm ſey, wenn 





2) Nonveaux Mémoires dat. Schreiben des Abbe de Vil- 
_ lefroi mit einer franzoͤſiſchen Meberfegung der rmenifgen 

Geſange ‚Joärn. :de Toevoux 1954 

*) Sechs zehntes Jahrhundert. er 
Keter⸗Lexikon« II. — 14 


\ 


210 Arminius. 


‚ale Menſchen ihre Sünden erkennten, und nachdem fie zur 


— 


Erkenntniß der Wahrheit gelangt ſind, darin ſtandhaft ver⸗ 
harrten; daß er aber Niemand zwinge: — die Lehre Ber 
za's und Calvin's mache Gott zum Urheber der Sünde, 
und verhärfe die Menſchen in ‚ihren bifen Gewohnheiten, 
indem. fie in ihnen die Vorftelung von einer unvermeidlichen 
Nothwendigkeit erzeugten 1). 

Go mar, Profeſſor der Theologie zu dent en, üben 
nahm die Vertheidigung ber Meinungen Calvin's und 
Beza's. Arminius und Gomar machten demnach zwei 
Parthien in Holland. 


Bei dem Artikel: Holland wird gezeigt, was file Uns 
orbnungen dieſe Entzweiungen in- den vereinigten Staaten 
geftiftet haben; hier wollen wir Arminius und feine Ans 
haͤnger nur als eine Gefellfchaft von Theologen und Philos 


ſophen in's Auge faſſen. Arminius, und ſeine Anhaͤnger 


konnten alſo die Vorſtellungen von der Guͤte Gottes mit der 
Vorherbeſtimmung und dem Fatum, welchem Calvin den 
Menfchen unterwarf, nicht, vereinbaren ; fie lehrten: Gott 
wolle, daß alle Menfchen felig werden, und daß Er ihnen 


feine Gnade ertheile ‚, mit welcher fie Die Seligkeit erwerben 


könnten. 


Wie alle Keformirten erfannten auch Arm intug und 
feine Schüler Feine unfehlbare Macht an, bei welcher die 
geoffendarten Mahrheiten hinterlegt wären, und welche den 
Glauben der ChHriften feftftellte; fie fahen die Schrift als 
die einzige Glaubens, Negel, und jeden Privaten als Rich⸗ 
ter uͤber deren Sinn an. 


Sie legten daher das, was die Schrift über die Gnade 
und Vorherbefiimmung fagt, nach den Grumdfägen der Bil⸗ 
ligfeit und des Wohlwollens, die fie im-eigenen Herzen 
und Charakter trugen, aus, befaßten fich nicht mit Der Lehre 
ber römifchen Kirche über bie Gnade und Vorherbeſtim⸗ 





1) Historie de la Reforme des Payı- Ha. T. i. L. 18. 
p. 1365. . oe ’ 


| Arminius. 211 


‚mung, erkannten weder Auserwaͤhlung noch Vorherbeſtim- 
mung, und gingen unvermerkt zu den Irrthuͤmern der Pe⸗ 
lagianer und Semipelagianer uͤber. | 

Da die Urminianer jeden Gläubigen für den natuͤr⸗ 
lichen Richter über den Sinn der Schrift anfahen, fo biels 
ten fie, vermöge ihres Charakters und Billigfeits ; Sinneg, 
ſich nicht für berechtigt, Andere zu zwingen, wie fie, zu 
denfen und zu reden; fie glaubten, mit ſolchen, welche die 
Schrift nicht, gleich ihnen, auslegten, in Srieden leben 
iu müffen. Daher fchreibt fich die allgemeine Duldung 
der Arminianer gegen alle chriftliche Partheien, und 
jene Sreiheif, die fie jedermann zugeflanden, Gott auf die 
Weiſe zu verehrten, wie er es in ber Schrift vorgeſchrie⸗ 
ben glaube, 

Da jeder einzelne Kichter über den Sinn der Schrift, 
und Niemand verbunden ift, der Tradition zu folgen, fo 
koͤmmt es der Vernunft zu, das Richteramt zu verwalten. 

Der Arminianer, melher fi der Prüfung ber 
‚Slaubenslehren des Chriſtenthums unterzog, hat alfo dies 
felben unvermerft den Vorſtellungen genähert, welche die 
Dernunft darbietet; ee hat Alles, was er nicht begriff, 
als der Schrift zumwiderlaufend, verworfen, und weil jes 
der Einzelne verbunden ift, der Schrift zu glauben, und fie 
‚auszulegen, fo fonnte er nur das glauben, was er begrei« 


fen fonnte. 


Die Armininianer, indem fie fich aͤngſtlich an die 
Lehre der Reformation, hinſichtlich des Nichterd in Glaus 
beng Streitigkeiten, hielten, haben ſich ſonach unvermerkt, 
wenigſtens zum Theile, den Socinianern angeſchloſſen. 


Au der Kenntniß, die wir von dem Armianismus 
gegeben haben, iſt es erſichtlich, daß derſelbe kein Symbol 
und feſtes Glaubens⸗Bekenntniß haben konnte; es ſey dann 
der Glaube an die Schrift, und das Haupt⸗Dogma der 
Reformation: jeder Glaͤubige iſt Richter uͤber den 
Sinnder Schrift. 

Brandt, der uns dag Glaubens ⸗Bekenntniß der Ars 
minianer gegeben bat, verfichert: I fie niemanden 

1 


So 


212 Arminius. Arnold. 


zwingen, es ſo anzunehmen, wie er es giebt, und es iſt 
ſo abgefaßt, daß der Katholik und der Socini aner ihre 
Glaubenslehren darin finden koͤnnten 1). 
Unter den Arminianern zählte man Manner von 
erſtem Range: Episcopius, Courcelleius, Grotius, 
| Le Clerc., 

Die Ealviniften haben Vieles gegen die Arminianer 
geſchrieben, und ihnen die Irrthuͤmer der Socinianer 
vorgeworfen. Dieſer Vorwurf iſt nicht grundlos, was auch 
. die Arminianer dagegen ſagen moͤgen, jedoch auch noch 

keine Widerlegung, und die Argumente der Calviniſten hal⸗ 
ten gegen die Schwierigkeiten und Einwendungen der Ar⸗ 
minianer die Probe nicht aus: nur den Katholiken koͤnmt 
ed zu, den Arminianer gründlich und ohne Widerrede 
"zu widerlegen, indem fie ihm beweiſen: daß eg der Kirche 
zuftehe, die Schrift augjulegen, und ung über dag zu bes 
lehren, was Jeſus Chriſtus geoffenbaref hat. | 
Wirr ſprechen bei dem Artikel: Holland, von dem ges 
genwaͤrtigen Buflande der Urminianer in den Nieders 
landen. Sie haben eine beträchtliche Niederlaffung in Hol⸗ 
ftein errichtet, wohin fich eine große Anzahl zuruͤckzog, 
um der Verfolgung in Holland zu entgehen. Der Koͤnig 
von Dänemark erlaubteihnen, daſelbſt eine Stadf zu bauen, 
die .anfehnlich geworden, und unter bem Namen Frie de⸗ 
richſtadt bekannt iſt 2). 


Arnold von Brescia *) kam von Italien nach 
Frankreich, um unter Abaͤlard zu ſtudieren. Nach ſeiner 
Ruͤckkehr nach Italien, trat er in einen Moͤnchsorden. Es 
fehlte ihm nicht an Verſtand und Predigers Talent, wobei er 
ein brennendes Verlangen nad) Berühmtheit befaß. Um die⸗ 
fe Ziel zu erreichen, mußte er fich einen beträchtlichen Ans 

bang verfchaffen, eine Secte ſtiften und angeſehenen Geg⸗ 





1) Brandt Hist. de la Reforme T. 5. 
2) Hofmann Lexicon-in voce Arminius. 
) 12666 Jahrhundert. | 


Ni 





\ Arnold. . 213 


nern zu Reibe gehen. Arnold befriegte die Monde, die 
Geiftlichkeit, Priefter und Biſchoͤfe, predigte: fie duͤrften 


toeder Lehen noch Grundffüce befigen, und Alle, welche 


dergleichen-bejäßen, wären verdanınt. . ’ 


Das Volk ergriff’ begierig dieſe Lehre. Die Eierifei ges 
rieth über den Erfolg in Schrecken, und der Pabſt Innos 
zens II. verbannte. Arnold von Brescia aus Italien, 
der auf die Machricht von feinem Nbleben -alebald wieder 
‚dahin zurückkehrte. - Er traf Eugen III auf vem heiligen 
Stuhle, und das Volk im Begriffe, fich gegen den Pabft 
aufzulehnen. Arnold ergriff dieſe Gelegenheit, predigte 
- gegen den hl. Water, hetzte das Volk auf, und ſchlug den 
Römern vor, die alte Negierungsform, welde ihre Vor⸗ 
fahren zu Herren der Melt gemacht hätte, wieder einzufuͤh⸗ 
sen. Die Macht des Pabſtes, lehrte er, ſey bloß auf Res 
ligionsgegenſtaͤnde zu befchränfen, und ber Senat wieder 
herzuſtellen. 

Das Volk, durch dieſe Vorſpieglung bethoͤrt, bes 
ſchimpfte und mißhandelte die Großen und Karbinäle, und 
pluͤnderte ihre Palaͤſte 1). 


Pabſt Had rian IV. belegte Arnold und feine Ans 


bäriger, mit dem Banne, und das Volk in folange mit 
dem Interdikt, big es dieſen menterifchen Minden aus der 


Stadt wilrde vertrieben haben. 


Das Volk, zwifchen die Surcht vor dem Interdikt, und 
die Verficherungen Arnold's geftellt, Eehrte, ohne Bes 
finnen zum Gehorſame zurück, und die Arnoldiſten wur⸗ 
den gezwungen, Rom zu verlaſſen. 

Sie zogen (J. 1155) gegen Toskana, wo fie bei dem 
Volke eine gufe Aufnahme fanden,. welches Arnold von 


ı 


Brescia für einen Propheten hielt 2). Inzwiſchen wurde 


MD) Oito frisigensis L. 2, de gestis Friderici C. 20. 

2) Dupin Hist. de Controv. du douzieme Siecle C. 6. 
D’Argentr& Coll. jud. de nor..error. T. ı, p- 26. 
Nat. Alex. in Saec, ı2. on . 


\ 


214 | . Arnold. 


er bald darauf don dem Cardinal Gerard ergriffen, und 
trog. der Bemühungen der Vicomtes von Campanien, die 
ihn in Freiheit gefegt hatten, nach Rom abgeführt, und. 


‚von der dorfigen Stadt » Obrigkeit verurtheilt, an einen 


Pfahl gebunden, lebendig, und zwar, aus Beſorgniß, das 
Volk moͤchte ſeinen Gebeinen eine aberglaͤubiſche Verehrung 


erweiſen, zu Aſche verbrannt zu werden. Seine Anhänger 


wurden Publikaner, oder Poplikaner genannt. 

So zwang die Furcht vor dem Interdikt das Volk, 
einen Mann verbrennen zu laſſen, den es als einen Heili⸗ 
gen verehrte. Dieſes Volk hatte Arnolden geglaubt, als 
er gegen die Macht des Pabſtes predigte, und es ließ ihn 
im Stiche, als der Pabſt die naͤmliche Macht gegen es ſelbſt 


und gegen Arnold von Brescia gebrauchte, 


Arnold von Villeneuve *), fo genannt von feis 
nem Geburtsorte, Fam gegen das Ende des 13ten Jahrhun⸗ 
derts — nach den meiften Schriftfielern — zur Welt. Nach 
Vollendung der Humanioren verlegte er fich auf die Chemie, 


worin er große Fortfchritte machte, hierauf auf die Welts 


weisheit und Arzneikunde. 


Nachdem er die Schulen Frankreichs durchwandert hatte, 
begab er ſich nach Spanien, um daſelbſt die arabiſchen Phi⸗ 
Iofophen zu hoͤren, die damals für die größten Naturfors 
ſcher galten. Dann ging er nach Italien, um ſich mit ges 
wiſſen Pythagoraͤiſchen Philoſophen zu befprechen, die in 
großem Rufe ftanden. Endlich nahm er fich vor, nach Gries 
chenland überzugehen, um mit den noch dort befindlichen 
Gelehrten in Gemeinfchaft zu treten, woran ihn aber die 
Kriege, welche diefe Gegenden unficher machten, verhinder⸗ 
ten. Er begab fich daher nach Paris zurück, woſelbſt er 


die Arzneikunſt mit Ehren’ lehrte und ausübte 1). 


. Arnold von Billeneupe, durd eine angeborne 


Mifibegierde getrieben, hatte beinahe alle Wiffenfchaften ers 


*) 14tes Jahrhundert. 
1) Niceron, Mem. T. 34. p. 82. Fabricius Bibliothek 
lat. mediae et infim, T\ 1. p. 359. 


⸗ 


Arnold. — 215 


ſchoͤpft, und ſich einen Namen erworben, der ihn auf die 
Meinung brachte, zu Allem fähig zu ſeyn, er verfiel in 
mehrere Srrthiimer. Seine Behauptungen find folgende: 
1) Die menſchliche Natur in Jeſu Chriſto iſt in Allem 
der Gottheit gleich. 


4 2) Die Seele I. €. mußte alsbald nach ihrer Vereini⸗ 
gung Alles, was die Gottheit mußte. 


3) Der Teufel hat dag ganze menſchliche Geſchlecht vers 
fuͤhrt, und den Glauben zerſtoͤrt. 

4) Die Moͤnche verfaͤlſchen die chriſtliche Lehre, und ohne 
Naͤchſtenliebe, und werden Alle verdammt. 


57 Das Studium der Philoſophie muß aus den Schulen 
verbannt werden, und die Theologen haben gefeblt, ſich 
ihrer zu bedienen. 

6) Die dem Cyrillus ertheilte Offenbarung iſt koſtba⸗ 
rer, als die hl. Schrift. | 

7) Die Werke der Barmherzigkeit find Gott angenehmer, 
als das Opfer des Altar. 


8) Die Stiftungen von Pfruͤnden und Meſſen find un⸗ 
nuͤtz. 
9 Wer viele Armen verſorgt, Kapellen oder immerwaͤh⸗ 
rende Meſſen ſtiftet, zieht ſich die Verdammniß zu. 
10) Der Prieſter, welcher das Meßopfer darbringt, und 
der es darbringen laͤßt, bringen Gott nichts von bem | 
Ihrigen dar. 
11) Daß Leiden J. €. wird beffer durch Almoſen/ als 
durch dag Meßopfer vorgeſtellt. 
12) Gott wird in dem Meßopfer nicht durch Werke, ſon⸗ 
dern bloß mit dem Munde gelobt. 
413) Die päbfilichen Verordnungen find nur Menſchen⸗ 
Werk. 
14) Gott hat mit der ewigen Verwerfung nicht diejenigen 
bedroht, w Ihe fündigen, fondern nur jene ‚ bie ein 
böfes Beifpiel geben. 


216, Arnold. 


15) Das Ende ber Welt findet im Jahre 1335. 
Statt 1). 


Dieſe Säge find aus verſchiedenen Schriften des Ars 
nold von Billeneupe gezogen, ald das Buh: Von der 
Menfchheit und der Geduld Jeſu Chriſti, jenes: 
von dem Ende der Welt; ven der chriſtlichen 
Liebe ꝛc. 2 


Wir ſehen nicht, daß dieſe verſchiedenen Saͤtze bei 
Arnold in einer Verbindung ſtanden, und ein theologi⸗ 
ſches Syſtem bildeten; es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß er den 
Moͤnchen und Geiſtlichen damit einen ſchlimmen Streich 
ſpielen wollte; nichts verbindet uns, ihn fuͤr einen gruͤnd⸗ 
lichen Theologen zu halten; wir wollen es ſonach dem 
Chaufepied nicht ſtreitig machen, daß er einer ber Bors 
laͤufer der neuen Neformirten geweſen fey 3). 

Arnold von Villeneve fliffete gewiſſermaſſen eine 
Secte, befannt unter dem Namen dee Arnoldiften. Sie 

machte, vorzüglich in Spanien, einige Hortfchritte. 

Die Erfommunicationen, die Kreuzzuͤge, das ſtrenge 
Verfahren. der Inquiſition, welches Alles im 13ten und 
14ten Sahrhundert ſe häufig vorkoͤmmt, Tonnten weder der 
‚Ausgelaffenheit im Denfen und Schreiben, noch jener der 
Prediger und Scmwärmer einen. Damm ſetzen, welche in 
diefem Jahrhunderte imzählige Secten, ald die Beguinen, 
die Apoſtoliſchen, die Frevot's, die Lollard'e u. 
ſ. w. hervorgebracht ‚haben. Eine höhere Stufe von Bils 
dung würde alle. diefe Sectirer Jächerlich gemacht, und in 
ihr Nichts zuruͤckgewieſen haben. 





2) Nie.. Emerio Direct. inquisit. p. 282. edit. 1585: Ni- 
ceron loc. tit. Cont. Magd. cent. C. 4, Hofmann Lex. \ 
Dupin. 14. Saec. 431. Nat. Alex. Saec. 13. d’Argentre 
T. 1. p. 269. 

:@) D’Argentre daſ. Trithem. Chron. Hirs. T. 2. p. 123. 
Hist. prov. Catalauniae. 

5) Pradeol. Elench. hist. haer. p. e8., Fabric. Biblie. 
med. et inf. T.ı, p. 355. 


— TAÆ 


Arnold. Arteman. 217. 
Die angefäßrten 15 Säge wurden gu Tarragona 


son dem Inquiſitor 1317 verdammt. Arnold von Ville 


neuve felbft, von dem Pabfie Clemens V. zur Verant⸗ 
mortung vorgeladen, flarb auf dem Schiffe, welches ihn 
überbringen follte, und wurde anſtaͤndig zu Genua beer⸗ 
digt. (1313) 


Arnold von Montanier, gebuͤrtig von Pui⸗ 
cerda in Katalonien, lehrte: Jeſus und feine Apoſtel 
hätfen nichts Eigenthuͤmliches, oder Gemeinfchaftliches bes 
feffen; Niemand, welcher das Ordenskleid des hl. Frans 
ciskus trage, werde verdammf: der bl. Franciskus 


ſteige jährlich einmal in das Fegfeuer hinab, erldfe ale 


feine Ordenebruͤder, welche er mit fih in den Himmel 


naͤhme: endlich der .Drden des hl. Franciskus werde 
"ewig dauern. Er wurde vor tag Inquiſi fiong » Tribimal 


gerufen, und widerrief ale feine Behauptungen. Sein 
Miderruf war jedoch Micht aufrichtig, und er kam von 


Neuem mit feinen tollen Phantafien zum Borfcheine. 


Man ergriff ihn zum zweitenmale in der Dioͤzes von 


I Urgel. Der Biſchof Eymerich verurtheilte Arnold von 


Montanier zum ewigen Gefängniffe. | 
Unwiſſenheit fichert nicht vor Irrthum, und macht we⸗ 


der. für die Wahrheit empfänglih, noch den geiftlichen 


Obern unterwürfig. Wäre Arnold beffer unterrichtet ge⸗ 
weſen, fo würde er weder feine Schwaͤrmeretien bekannt ge⸗ 
macht, noch ſeinen Obern Widerſtand geleiſtet haben: er 


haͤtte ſi ch ſeinen Irrthum benehmen laſſen. 


Arnoldiſten. Schüler des Arnolde von Ville⸗ 
neuve. 


Arteman oder Artemas, ein Ketzer, welcher die 


Gottheit J. €. käugnete, und deffen Grundfäge mit jenen 
des Theodor von Byzanz überein famen. Sieh 'dieſen 
Artikel 1). j 





3) Euseb. Hist. eceles L. 5- C. 28. Theodor. Haeret_ Fab« 
L. 2.C. 4. 


f 


218 '.  Artotoriten. 


Artotyriten, ein Zweig von Montaniſten, fo ges 
‚nannf, weil fie in ihren Myfterien Prod und Käfe opfer- 
‚ten. Gie erfheilten auch Srauenzimmern die Prieſter⸗ und 
Biſchofs⸗ Würde. 


Da Monten fi sum Neformator aufgemorfen hatte, 
fo hatten auch deffen Schüler feinen Geift eingefogen, und - 
fuchten unaufhoͤrlich die Kirchendisciplig zu vervollkommnen. 


Jeder Montantfl, der eine neue Art von Gottes⸗ 
dienſt ausgefonnen hatte, erhob. fofort diefelbe zu einem 
Grunbartifel, und ftiftefe eine Secte. 


Da einige Montaniften die Bemerkung machten, daß 
die erften Menfchen Gott Dpfer von Feldfruͤchten und den 
Erseugniffen der Schaafzücht darbrachten, glaubten fie, man 
müffe fich ‘der: Gewohnheit. der erfien Patriarchen nähern, 
und Gott Brod und Käfe opfern. 


Montan hatte in feinem Propheten s Amte fi Pris— 
eilla und Maximilla beigeſellt, hieraus ſchloſſen die Ars 
totyriten, daß auch Frauenzimmer zu den Weihen koͤnn⸗ 
‚ten beigelaſſen werden, und crfbeilen wirklich ſolchen die 
Prieſter⸗ und biſchoͤfliche Würde; fie wollten nicht, daß man 
bei'm Neligiongdienfte. zwifchen beiden Gefchlechtern einen 
‚Unterfchied mache, weil auch Gott in Ertheilung feiner Gas 
ben und Fähigkeiten, die geeignet find, die Gläubigen zu lets 
ten und die Kirche zu regieren, feinen folchen mache. 


Bufe, Abtoͤdtung, Schmerz über Gottes Beleidigung, 
waren nad) den Montaniften, die erſten Pflichten des 
Chriften; das Mefentliche des Kirchenamtes war, dieſe Ges 
fühle in dem Herzen der Chriften rege zu machen. Es fcheint, 
daß die Montaniften das weibliche Gefchlecht fir geeig⸗ 
neter hielten, diefe Gefühle ven Männern einzuflößen, und 
daß es fähiger fey, mwahrfcheinlich durch die Leichtigkeit, die 
fie an felben wahrnahmen, fich in lebhafte Affekte zu vers 

" feßen, oder wenigſtens den Schein davon anzunehmen, — bef 
den Männern tiefe Nührungen hervorzubringen; oder auch 
„teil fie bei diefen die Neigung vorausfegten, die Gefühle 
"ver Srauen anzunehmen, und von dem kooſe eines trauern⸗ 


x 


Asciten. Mtboflaner. 219 


den Weihe geruͤhrt, den Schmerz von dem eg durchdrun⸗ 
gen ſcheint, ſelbſt zu fuͤhlen. 

„Man ſah, ſagt der hl. Epiphantus, fleben weiß ge⸗ 
„kleidete Maͤdchen, mit Fackeln in in der Hand, in ihre 
„Kirchen treten, um die Prophetinnen zu machen: da wein⸗ 
„ten ſie, beklagten das Elend der Menſchen, und durch 
„dieſe Grimaſſen bewirkten ſie bei dem Volle eine Art von 
„Buße 1). 


Askiten, cin Montaniflifche Secte, welche einen 
- aufgebiafenen Ball, um welchen fie tanzten, zu ihrem Als 
tare ftellen. Diefer Ball follfe das Sinnbild des hl. Geis . 
fies feyn, von dem fie erfült wären: denn dieſes behaups 

‚ teten die Montaniften. Siehe Montan 2) 


Askodrugiten, die nämlichen, wie die Askiten. 


Astophiten, eine Art von Archontifer, ‚die die 
heiligen Gefäße aus Haß gegen die lin der Kirche darge 
brachten Opfer zerbrachen. Sie verbreiteten ihre Irrthuͤ⸗ 
mer gegen das Jahr 173. Sie verwarfen dad U. T., laͤug⸗ 
neten die Nothwendigkeit guter Werke und verachteten ſolche; 
ſie behaupteten: um heilig zu ſeyn, genuͤge es, Gott zu 
kennen; und ſagten, jeder Himmelskoͤrper werde von einem 
Engel regiert 3). 


Arthokianer, Ketzer des 13ten Jahrhunderts, welche 
glaubten, daß die Seele mit dem Leibe ſterbe, und alle 
Suͤnden gleich wären 4). 


ı) Epiphan. Haer. 49 Aug, do, Haer. C. 28. 


3) Aug. de Haer: C. 62. Autor. Praedces. C. 62. Phi- 
lastr. C. 75. 


3) Theod. Haeret. fab. L. 1, C. 10. Ittig. de Haer. 
Sect. 2. C: 14. $. 2. 


4) Cent. Magd. Cent. 13, C. 5. x 


220 | Audaͤus. 


Audbdaus, *) nach Theodoret, oder Audius nach 
dem bi. Epiphanius, von Meſopotamien, beruͤhmt 
:in feiner Provinz durch feinen Glauben und Eifer für die 
Ehre Gottes. Er ſchrieb gegen die Mitte des Aten Jahr⸗ 
hunderts. 
Wenn er in der Kirche eine Unorbnung bemerkte ‚fo 
nahm er mit Uebermuth die Priefter und ſelbſt die Bifchdfe 
darum ber; ſah er einen Prieſter oder Bifchof, der dag 
Geld liebte, oder gemächlich Iebte, fo ſprach er davon, 
klagte, und fadelte ihn bitter. 1— 


Sein Tadeln und ſeine Kuͤhnheit machten ihn endlich 
unertraͤglich. Man widerſprach ihm, 'ſchimpfte und mißs 
bandelte ihn fogar zuweilen. 

Der Eifer für das Neil des Näachften, und zwelfels⸗ 
„ohne fein Vergnügen gu tadeln, hielten ihn lange Zeit ges 
gen dieſe üblen Behandlungen aufrecht; endlich aber frennfe 
er fi) von der Kirche. _ N | 

Solde Wirkungen bringe. geMeinhin ein hoher "Grab 
von Eitelkeit bei Menfchen von ſchwachem Kopfe gepaart 
mit großer: Sittenfirenge hervor. Würde man die Urfachen 
von Audäus Spaltung zerglievert haben, fo hätte man 
vielleicht gefunden, Daß er weiter nichts als ein ſchwarz⸗ 
gallichter ſtolzer Mann, ohne Kopf und Wiffenfchaft, mel 
cher feine Obern, Die Menfchen und die Freude haßte, ges 
wefen fey. 

Eine verwegene Freimüthigkeit, welche die Dbern ans 
taſtet, übt über fchwache Charaktere, und unruhige Gemuͤ⸗ 
ther ‚eine natürliche Herrſchaft aus; daher hafte Audaͤus 
bei feiner Spaltung viele Nachahmer, felbft ein Bifchof bils 
ligte ſolches, und erhob ihn zur bifhöflichen Würde. 

Audaͤus wurde alfo Häupfling eirier Secte, deren 
Hauptmerkmal in einer unüberwindlichen Abneigung gegen 
Alles, was Nachgiebigkeit hieß, und der man den gehäßigen 
‚Namen menfchlichen Reſpectes beilegte, beſtand. 


— 


) 4625 Jahrhunderts. 


Aus diefem Grunde wollten fle die Oſtern mit den In⸗ 


den feiern, weil fie behaupteten: das Concilium von Ni—⸗ 


cäa habe den Gebrauch der Kirche aus Gefaͤlligkeit fuͤr 
Conſtantin, dem man zu fchmeideln hoffte, wenn man 


das Oſterfeſt auf ſeinen Geburtstas fallen ließ, abgeaͤn⸗ 


derf 1). 


Die Audianer hatten hinſi lic der Binden ; Vers 
gebung einen eigenen Gebrauh. Sie nahmen eine Anzahl 
kanoniſcher Bücher an, überdieß aber auch eine Menge apos 


gryphiſcher, welche fie noch für geheimnißvoller, als die HI. 


Schriften anfahen. Diefe Bücher ſtellten fie in zwei Reihen, die 
Apogryphen auf die eine, die Schriften auf die -andere 
Seite. Die Büßer mußten, im Durchgehen zwiſchen ven 
Heiden, ihre Sünden befennen, Worauf man -ihnen die 
Losſprechung ertheilte. J 


Da Audaͤus fü ſich ſtets von vielen Leuten aus dem 
Volke begleiten Kieß,-fo gaben ihn die katholiſchen Biſchoͤfe 


bei dem Kaiſer an, der ihn nach Scythien verbannte; 


von da ging er weiter vor in das Land der Gothen, 
wo er mehrere Perſonen unterrichtete, Kloͤſter ſtiftete, die 
Uebung des jungfraͤulichen Standes, und die Regeln des ab⸗ 


geſoͤnderten Lebens einfuͤhrte. 


Dieſes waͤhrte bis zum J. 372, wo alle Chriſten durch 
die Verfolgungen Atha narich's ‘aus den Beſitzungen der 
Gothen vertrieben wurden. 


Der bl. Epiphanius ſcheint das Ableben des Aus 
daͤus noch vor diefen Zeitpunkt zu ſetzen. Nach ihm wurde 
feme Secte durch verfchiedene, von ihm aufgeftelte, Bi: 
fchöfe geleitet; alfein nach deren noch vor dem Jahre 377 
erfolstem Tode fahen fih die Audianer auf eine jeher ums 


bedeutende Zahl zurückgebracht. Sie zogen ſich gegen den 


Eupbrat und Mefopotamien, vorzüglich in zwei Dr 
fchaften des Gebfeteg von Chaleis. Viele von denen, die 





1) Epiph. haeres. 70. Theodoret haeret. fab. L. 4, 
C. 19: Ä Er 


222 Audaͤus. 


aus den hothiſchen Ländern vertrieben waren, ließen ſich zu 
Chalcis nieder, und ſelbſt jene, die in den Kloͤſtern des 
Berges Taurus, in. Palaͤſtina und Arabien zerſtreut wa⸗ 
sen, vereinigten ſich mit den Audianern zu Chalcis. 

Sie wohnten in Kloͤſtern oder unter Huͤtten auf dem 
Lande und in der Naͤhe von Staͤdten, und pflogen keine 
Gemeinſchaft mit den Katholiken, weil, nach ihnen, dieſe 
Jafterhaft waren, oder mit ſolchen in Verbindung lebten; 
dergeftalt, daß nie ein Audianer mit einem Katholiken, 
‚mochte er noch fo fugendhaft und heilig feyn, redete. "Sie 
entfagten fogar dem Namen der Chriften, und nannfen ſich 
Audaͤaner oder Audianer 1). 


Daß Audaͤus Anfangs ſeiner Trennung in keinen 
Glaubens⸗Irrthum verfallen ſey, erhellet daraus, daß ſeine 
Feinde damals ihm keinen ſolchen vorwarfen. In der Folge 
ſcheinen die Audianer Gott Haͤnde, Augen und Ohren bei⸗ 
gelegt zu haben. Nach dem hl. Epiphanius behaupten 
dieſes Theodoret und der hl. Auguſtin. 


9 Petau glaubt, Theodoret und Auguſtin haͤt⸗ 
ten den hl. Epiphanius nicht recht verſtanden, weil die⸗ 
ſer ſagt: die Audianer haͤtten die Reinheit des Glaubens 
beibehalten, wenn ſie ſich gleich uͤber einen Punkt von ge⸗ 
ringer Bedeutſamkeit hartnaͤckig bezeugt haͤtten, welches man 
von der Irrlehre der Antropomorphiten nicht ſagen 
koͤnne 2). Man kann dem P. Petau antworten, daß, 
wenn gleich die Audjaner Gott eine menſchliche Geſtalt 
beilegten, ſie dennoch uͤber die Dreieinigkeit orthodox wa⸗ 
ren, ſo daß ihr Irrthum uͤber die Stellen der Schrift, 
welche Gott eine menſchliche Geſtalt beimeſſen, in ihrem 
Glauben nichts geaͤndert zu haben ſcheinet. | 
Der hl. Epiphantug finder fohin an ihnen nichts ta⸗ 
delnswerth, als ihre Kuͤhnheit, beſtimmen zu wollen: wo⸗ 
rin die Aehnlichkeit des Menſchen mit Gott beſtehe, nicht 





1) Epiphanius Haer. 70. Theodoret Haer. Fab. L. 
6. C. 10. 
2) Petau, Dogm. Theol. T. ı. L. 2. 0. 1. 6.9. 


— 


% 


u u Audaͤus. Bacularier. 223 


aber das Weſentliche der Erklaͤrung ſelbſt. Denn es iſt ge⸗ 


wiß, daß ſelbſt in dieſer Stelle die Antropomorphiten 


von dem hl. Epiphanius widerlegt werden. Vielleicht ſa⸗ 
ben die Audianer die Folgen ihres Irrthums über dieſen 
Artikel nicht ein; vielleicht ließ fich Epiphanius wegen 
ihrer firengen Sittenlehre, die er ſehr zu ſchaͤtzen ſcheint, 


verleiten, die Erklärung der Audianer mit Nachſicht aus⸗ 


zulegen. Soviel ift gewiß, daß es ungerecht iſt, wegen die⸗ 
fer Nachſicht des hl. Epiphanius gegen die Audianer, 
behaupten zu wollen: dieſer Vater beguͤnſtige die Ant ro⸗ 


pomorphiten, weil er ſie ausdruͤcklich widerlegt. 


Die Audianer verfielen noch in einige Jerthumer der 
Manichaͤer. Sie ſcheinen geglaubt zu haben: Gott habe 
Finſterniß, Teuer und Waſſer nicht geſchaffen, ſondern dieſe 
Elemente ſeyen ohne Urſache und ewig. Auch moͤgen ſie 
von ihrer erſten Strenge abgewichen ſeyn, und mit der 


Zeit ſehr regelloſe Sitten angenommen haben. (Dan fehe 


Theodoret Haeret, fab. L. 4, C. 9.) 
| B. 


Bacularier *) auch Staͤbler, (Stabtraͤger) eine Secte 
der Anapabtiſten, die im Jahre 1528 entſtand, und 
o genannt murde,. weil fie den allgemeinen Irrthuͤmern d es 
fer Secte auch den beifuͤgte: es fey Sünde, andere Wafs 
fen, ald einen Stab zu fragen, und Niemanden fey ers 
laubt, Gemalt mit Gewalt abzutreiben, weil Jeſus 
Chrifiug feinen Schilern gebiethet, die linke Wange | dem 
darzureichen, der ihn auf die rechte ſchlaͤgt. 


Die Liebe zum Frieden, den Jeſ us der Welt gebracht 


habe, ſollte nach dieſen Anapabtiſten, alle Uneinigkeiten | 


entfernen und allen Nechtöftreiten ein Ende machen; fie 
hielten eg dem Geiſte des Chriſtenthum's entgegen, jeman⸗ 
den vor Gericht zu belangen. 


) 16tes Jahrhundert. nn 


- 








296 | Boſanismus. 


ſophie, erhielt die Doctor⸗Wuͤrde 1550, und ward im fol⸗ 
genden Jahtre zum Lehrſtuhle der Hl. Schrift befoͤrdert 1). 
Die Meinungen Lüther's, Calvin's und Zwing⸗ 
li's hatten in Flandern und den Niederlanden große. Fort⸗ 
ſchritte gemacht. Die Proteſtanten erkannten nur die Schrift 
als Glaubens⸗Regel. Doch gab es auch Vaͤter, die bei 
ihnen noch im Anſehen ſtanden; ſie behaupteten ſogar: nur 
den Ausſpruͤchen des hl. Auguſtin in Anſehung der Gnade 
und Vorerwaͤhlung gü folgen. 


u Bajıs faßte ‚den Entſchluß, das Studium der Zheo⸗ 
logie baupefüchlich auf vier bl: Schrift - md die alten 
Väter, welche die Irrlehrer noch in Ehren hielten, zu bes 
ſchraͤnken, die Methode der Väter in Unterfuchung der ans 
geftrittenen Punkte zu befolgen, und jene. der ‚Schalaftifer; 
gegen welche die Proteſtanten große Abneigung batten,. i 
verlaſſen. 
Dieſer Goetiesgelehrte ſudlerte nun ‚nit. allem Ernfe 
die Schriften des hl. Auguſtin, und nahm, weil er in 
den von: ähm. bearbeiteten. Materien die groͤßte Genauigkeit 
fand, ſich folchen zum: Muſter. Ver Allem beftsebfe er ſich, 
deſſen behre von der Gnade wohl zu‘ verftehen.r 


Denn da die Proteſtanten, wie gefagt, vorgaben uͤber 
dieſen Gegenſtand der Lehre des hl. Augüſtin zu folgen, 
Ä fo Fonnte man fie nicht wirkſamer, als durch die ehre die⸗ 
ſes Vaters ſelbſt beſtreiten. | 


"Der hf. Uuguftin hatte die Nothbendigten 5 der Gnade 
- gegen bie Pelagianer bemiefen; er hatte diefe Wahrheit . 
bucch die Stellen der Hl. Schrift dargefhan, die uns lehren: 

daß wir nichts ohne Gott. vermsgen,- daß al unfer Vermoͤ⸗ 
gen von Ihm komme, daß unſere Natur verdorben ſey, und 
daß wir als Kinder des Zorns ‚geboren, werben. 


ve e Ta x i us batte biefen Beweiſen die Freiheit des 
F 


5 Baiann. Michael Bay Op. ada pert in 4to p- Igr. u 
Dupin Bibliot. 16. Siecle. ; 


% 4 1 — 
* 


Bajanismus. 227 


 Winfihen entgegengeflellt, welche zernichtet wuͤrde, wenn 


{hm die Gnade nothwendig waͤre. 


2RVAuguſtuin war der Freiheit des Menſchen nicht gu 


nahe getreten; aber er hatte behauptet: daß es ihm ſchlecht⸗ 


hin unmöglich fey, ohne Beihilfe der Gnade fein Heil zu 


bemirkenz er batre gelehret, daß Adam felbft ohne dieſen 
Gnndenbeiſtand nicht im Stande, feiner angefchaffenen Ges 
retchtigkeit habe beharren Finnen: daß folglich feit dem Falle 
des. Menſchen es nicht nur unmoͤglich fey, durch Die eigenen 


Kraͤfte, welche die Erbfünde zerfiset habe, zum Heile zu 


gelangen, fondern daß er auch roch einer flärfern Gnade 
bedürfe, ale Adam. Diefen Gefihspunkt des Hl. Augu⸗ 
fin ergriff Bajus, in der Ueberzeugung, daß die durch 
die Einde Adam's in dem Menfchen erftandene Veraͤnde⸗ 


rung den Knoken aller Schwierigfeiten über die Freiheit 
des Menfchen, und die Nothiwendigkeit der Gnade Jöße 1). 
“ Auguftin. hatte die Erbfünde und das Verderbniß der 
menſchlichen Natur aus der Begierlichfeit, der der Menfch 


vom Augenblicke feiner Geburt an unterworfen ift, aus dem 


Elende, unter dem er ſeufzt, aus dem Tode und all den 


Uebeln, die ſeit dem Fale Adam's das Erbtheil ver 


Menſchheit ſind, bewieſen; er hatte dargethan, daß der 


Menſch nicht in dem Zuſtande fen, in welchem Adanı ger 


ſchaffen motden, weil der Menfch unter einem. gerechten, 
weiſen, gürigen und heiligen Gott weder derdorben noch un⸗ 
gluͤcklich geboren werden koͤnne 2). = 


Bajus ſchloß hieraus, daß der Stand ber. Unfchuld 


nicht nur derjenige ſey, in welchem Gott die Menſchen zu 


erſchafſen beſchloſſen habe, ſondern auch, daß die Gerechtig⸗ 


keit, Weisheit und Guͤte Gottes denſelben ohne die Gna⸗ 


"den und Vollkommenheiten des Standes der Unſchuld nicht 
“babe erſchaffen koͤnnen, und daß die Gerechtigkeit Adam? 


dem Aeenſchen eigentlich nicht in dem ‚Sinne weſentlich ſey, 
BAAR EEE EEE EEE Ze BEE Be 
4) Siehe den Artikel: Pelagius. 
2) Ebendnſelbſt. Man fehe.bie Werle des bi. Am ugufie 9% 
gen die Pelagianer. BEE ar TORTEN TE re 
1585 





228 | Bajanismus. 


als waͤre fie eine Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Natur, ſo daß 
ohne fie der Menſch gar nicht vorhanden ſeyn koͤnne, fon> 
dern daß fie ihm nur in fofern weſentlich fey, damit ex 
nicht Iafterhaft, entartet, und zur Erreichung feiner Veſtim⸗ 
mung unfaͤhig waͤre. 

So, ſagte Bajus, kann ein Menſch ohne gute Sch 
oder Gehoͤr-Organe erifliren; wenn er aber Augen oder 
Dhren hat, deren Nerven unfähig find, die Eindruͤcke der 
Sarben oder Töne big zum Gehirne gelangen zu laffen , ſo 
kann er die DVerrichfungen nicht machen, zu welchen der 
Menſch beſtimmt iſt 1). 

Gott konnte daher den Menſchen, wie er jetzt iſt, das 
heißt, mit der Begierlichkeit, nicht erſchaffen, ohne 
dag er eine unbefchränfte Herrſchaft über die Sinne hatte: 
ohne diefe Herrfchaft iſt der Menſch der Sclave der Koͤr⸗ 
perwelt; welches eine Unordnung iſt, die in einem vernuͤnf⸗ 
tigen Geſchoͤpfe, das den Haͤnden Gottes entſproffen iſt, 
nicht ſtatt haben kann 2). 


Der Menſch war daher ſeit der Erbſuͤnde der urſpruͤng⸗ 
lichen Reinheit ſeiner Natur beraubt; er iſt Sclave der 
Begierlichkeit, und hat nur noch Kraft zum Suͤndigen. 


Dieſe Lehre iſt, nad) Bajus, der Freiheit nicht ent⸗ 
gegen. Dieſe wurde eben dieſem Gottesgelehrten zu Folge, 
von drei Secten vorzüglich angefeindet, von den Stoikern, 
Manichaͤern, den Schuͤlern Luther's und Calvin's. 


Die erſten unterwarfen alle menſchliche Handlungen dem 
BGeſchicke, von welchem Alles in der Welt herruͤhre; die 
zweiten geben die menfchliche Natur für weſentlich boͤſe und 
verdorben aus; Luther amd Calvin endlich lehrten: der 
: Menfch fey unter der Leitung: der Vorfehung dag, was eim 
-Automat unter den ‚Händen des Kuͤnſtlers ift: der 
Menfch, ale unfähig zu handeln, thue nichts, Gott leite 
ihn in allen feinen Handlungen burch eine unwiderſtehliche 


% 





-2 3) De prima hominia justitia C. 2. rs u. eier). 
3) Ibidem C. 3. 4. 6. 7. Zu ” : 


| Bajanismud. 229 
Macht; noch mehr, er allein und unmittelbar bringe alle _ 
menſchliche Handlungen hervor 1). 
Dieſe drei Gegner der Freiheit irrten ſich, nach Bajus, 
ihre Irrthuͤmer zu widerlegen, glaubte er fein Soſtem 
geeignet, welches folgendes war: 
Gott ſchuf den Menſchen aus fretem Antriebe, und 
ſchuf ihn mit Freiheit begabt. "Adam ſuͤndigte mit freiem 
Willen, und war fohin durch das Gefeg der Nothwendig⸗ 
Feit nicht gezwungen. . 

- Der erfte Menfch war gerecht, unfchuldig, ausgeruͤſtet 
mit Tugenden, gefchaffen; fohin war die menfchliche Natur 
nicht böfe, wie die Manichaͤer meinten: in dieſem Zur 
Rande geböt er feinem Leibe; ale Einnens Drgane waren 
feinem Willen unterthan; die fremden Eindrücke der Koͤr⸗ 
perwelt auf dieſe konnte er abweiſen oder hemmen. 

Dieſe Herrſchaft uͤber die Sinne verlor er durch die 
Suͤnde er verlor die Gnade, die ihm zum Beharren in 
der Gerechtigkeit noͤthig war; durch das Gewicht der Be⸗ 
gierlichkeit wird er mit Gewalt zum Geſchoͤpfe hingezogen; 
dieſem Hange kann er nicht mwiderfiehen 2). - 


Es iſt daher nicht Gott, welcher die Suͤnde in dem 
Menſchen erzeugt, wie Luther und Calvin zu behaupten 
mwagten; der Menfch iſt es ſelbſt, der durc, eigene Schwere 
und eigene Meigung fich zum Geſchoͤpfe hinziehen läßt: und 
hierin beftehet feine Freiheit, weil er nicht Durch eine Urs 
ſache auffer ihm geswungen iſt; der Wille ift nicht genoͤ⸗ 
thiget; der Menfch fündigef, weil er will, und er will 
nicht ohne feine Einwilligung; er gehorcht feinem Hange, 
und nicht einer fremden Urfache, mithin ift er frei. Der 
Menſch kann felbft in Angelegenheiten viefes Lebens . mit 
Ueberlegung wählen und ſich beflimmen, und auch darum 
iſt Die freie Willkuͤhr nicht erloſchen 3). 


m — — 


4) Siehe die Artikel Luther, Calvin. 
2) L. ı. de bono justitiae, 
3) De libre Arbitrie C. ıı. 





230 | Bajanismus. 


BSajus zeſtehet ſelbſt, daß die katholiſchen Doctaren 
in ihren Schriften gegen die Irrlehrer uͤber den freien Wil⸗ 
len anders denken, und ihn in dem Vermoͤgen: eine Sache 
zu thun, oder nicht zu thun, beſtehen laſſen, d. h. in ei⸗ 
ner Befreiung von aller Nothwendigkeit: meint 
jedoch, fie Hätten den Sinn des bl, Auguſtin perfehlt, 
‚welden, dem Evangelium, folgend, die Freiheit dareinfege, 
dag der Wille des Menfchen Feiner äußeren Nothwendig⸗ 
keit unterworfen ift, ohne daß er nothwendig das Vermoͤ⸗ 
gen habe, etwas nicht zu thun, mag er thut, oder jenes 
zu thun, was er nicht thut 1). 

So lehrten Bajus und Heffel über die Gnade, | 
und ‚uber die Kräfte des Merfchen zu Loͤwen. Miele 
Theologen nahmen dieſe Lehre an, | 





Wirkungen der Lehre des Bajus. 


Alls die Gottesgelehrten von Loͤwen, die zur Kirchens 
verfammlung von Trident berufen waren, zuruͤckkamen, 
wurden fie über die Meinungen des Bajus und deren 
Sortfchritte, fehr unwillig. Wer ift der bife Beift, rief eis 
ner diefer Gelehrten, der während unferer Abmefenheit in 
unfern Schulen folche- Meinungen eingeführt hat? 

Bajus Lehrmeinungen wurden nun von dem nieder ⸗ 
ländifchen Theologen angefochten ; vorzüglich gefchah dieſes 
von den Francisfanern, welche den Ausfprüchen des S cos 
tus folgten, die der Lehre des Bajus über Die Kräfte 

des Menſchen geradesu mwiderfprachen, 


.Scotus nahm an, daß der Menfch aus natürlichen 
Kräften einige gute Werke verrichten, und Gott foldhen 
einige Gnaden mittheilen koͤnne, daß aber diefe Merfe an 
fich ſelbſt nicht verdienftlich wären, weil fein Verhaͤltniß 
fey zwifchen Werfen, denen nur ein natuͤrliches Verdienſt 
infomme, und der Gnade die einer uͤbernatuͤrlichen Ord⸗ 
‚nung enfquelle. 


1) De libre arbitrie C. 8. 


Baianiemnd: 221 


Bajud Hatte ſich nicht Darauf, beſchraͤnkt, ſeine Ber 
hauptung vorzulegen; er hatte, auch die gegentheiligen Meis 
nungen .lebhaft angeftritten. Die Vertheidiger ver letzern 
hielten ſich felbft in den Vorleſungen des Bajus.mit mes 
nig Schonung herauggeforderf, ‚und. gingen ihrer Seits auch 
den Behaupfungen dieſes Theologen zu Leibe. Der Ötreif 
wurde higig, und Bajus Gegner ſchickten an Pie theolos 
giſche Farultaͤt, zu Paris achtzehn Saͤtze, die von Bajus 
oder ſeinen Schuͤlern behauptet wurden ‚ und bie. Grund⸗ 
züge der Lehre, die wir angeführt haben, enthielten „nebſt 
einigen andern Meinungen, deren Unterſuchung hier med 


- Ws iſt: z. B. daß die hl. Jungfrau der Erbſuͤnde unter⸗ 


worfen fey. 

Die theologiſche Fakultaͤt verwarf dieſe Saͤtze: Bajus 
vertheidigte die meiſten derſelben: Der Cardinal von 
Granvelle, Stadthalter der Niederlande, da er ſah, daß 
die Gemuͤther ſich erhitzten, und befuͤrchtend, dieſer Zwiſt 
moͤchte den beiden Univerſitaͤten von Loͤwen und Paris 
Unannehmlichkeiten zuziehen, erhielt vom Pabſte ein Breve, 
welches ihn zu Allem, was er zu deſſen Beilegung fuͤr noͤ⸗ 
thig erachten moͤchte, ermaͤchtigte. 

Der Cardinal legte beiden Theilen Stillſchweigen auf, 
und erließ an Philipp 1. von Spanien eine Vorſtel⸗ 
lung, tie gefährlich für Bajus und Heffel, und zus 
gleich nachtheilig für die Kirche eg fen, wenn man Durch 
ein zu ftrenges Verfahren Veranlaſſung gebe; Parthei zu 
ergreifen, welches ſehr verdrießliche Folgen nad) fi siehen 
fönnte, ind rieth, in diefer Sache bloß den Weg der Guͤte 
einzufchlagen; auch ertheilte er der Nechtgläubigfeit, Ges 
Ichrfamfeif und Froͤmmigkeit des Bajus und Qeffel 
große bobſpruͤche. or 
Philipp, II. genehnifgte. die Vetfahrungsweiſe bos 

Cardinal von Granvelle, und der Friede ſchien gu der 
Univerfitaͤt wiederhergeſtellt. | 
Bald erneuerfen die — des Bars die Feindſe⸗ 


442 


—* 


> 6 Bu Bajantsmus. 


enthielt, und die faſt alle, als des Irrthums or der Ke⸗ 
tzerei verpächtig, angeklagt wurben, 

Granvelle theilte diefe Säge bem Bajus mit, ber 
einige davon. nicht für die feinigen anerkannte, und von 
den andern behauptete: fie fenen nicht wohl verdauet, in 
jiweiheufigen Ausdruͤcken abgefaßt, und einer uͤblen Ausle⸗ 
gung, wovon er weit entfernt fen, fähig, Der Streit wurde 
nicht weiter betrichen, und Bajus mit Heffe] zur 
ſirchenverſammlung von Trident abgeordnet 1), 


Nach feiner Ruͤckkehr beendigte Bajus den Druck ſet⸗ 
ner Schriften. Die Streitigkeiten erhoben ſich von Neuem 
mit mehr Hitze als je, und man zog aus feinen Buͤchern 
mehrere Säge, die man nah Spanien ſchickte, um ihre 
Verurtheilung zu erwirfen. Die Sraneisfgner ordneten an 
ben König Philipp IL. zwei von ihren Mitprüpern ab, 
deren einer Beichtvater Marten’8 von Deflreich, ver 
andere fehr viel vermögend bei dem Herzog von Alba 
war, um ben König mif in den Streit zu gieben, 





—Ausſpretzche des Hl Stuhls in Betreff der dem Bar 
juß zugeſchriebenen Reprfäge, 


Man hatte aus Bajus Schriften, dann feinen oder 
feinee Schüler Meden fechs. und fi ebenzig Site ausgezogen, 
welche faft gaͤnzlich die Entwicklung deſſen, was wir von 
ſeiner Lehre angefuͤhrt haben, enthalten, und ſich auf fol⸗ 
gende Gruͤndzuͤge bringen laſſen; 
Der Stand der Unſchuld iſt der angeſchaffene Stand 
des Menſchen; Gott konnte ihn in keinem andern erſchaffen. 
Seine Verdienſte in dieſem Stande koͤnnen nicht mit Gna⸗ 
den genannf werben, und er konnte feiner Natur nach das 
ewige Leben verpienen,‘ | | 


» Bajen. p. 35, Tr Liitera Cardin. Granvelle, | 
aa Veronuii in Abatia 8 Vincentii asservatur. 


 Balanidinug. 238 
Seit der erſten Suͤnde find alle Werke der Menfchen, 
die ohne die:-Snade verrichtet werden, ſuͤndhaft: fo find 


‚ ale Handlungen der Ungläubigen, und felbſt der negative 
Unglaube, Suͤnde. 


Die Freiheit iſt, nach der hl. Schrift, Entiebigung von 
der Sünde, und mit der Nothwendigkeit verträglich: bie 
Negungen der Begierlichkeit, wenn gleich unfreiwillig, find 
durch dag Gefeß verboten, und bei den Gefauften, wenn 
fie in den Suͤndenſtand zuruͤckgefallen find, ſelbſt Sünde, 

‚Die Liebe kann fich bei einem Menſchen finden, wenn 
er auch noch nicht Verzeihung feiner Sünden erhalten hat. 
Die Todfünde wird durch eine vollkommne Neue, verbuns 
den mit dem Wunfche, die Taufe oder Losfprechung zu ers 
halten, nicht nachgelaffen, wenn man dieſe nicht wirklich 
empfaͤngt. 

Kein Menſch wird ohne Erblünde geboren, und die 
Leiden, welche die Mutter des Heilandes und andere Hei⸗ 
ligen erduldet haben, find Strafen der Erb⸗ oder wirkli⸗ 
hen Sünden. Man kann, ehe man zur Rechtfertigung ges 


langt ift, das ewige Eeben verdienen: — man darf nicht fagen, -. 


daß der Menfch durch Bußwerke genug thut, fondern, daß 
in Anfehung diefer Handlungen die Genugthuung Jefu 
E hrifti ung zugeeignet werde. 

Pius V. verdammte die Säge, welche dieſe Lehre - 
enthielten. „Wir verdammen biefe Säge,’ fagt er, 
„ſtrenge und im. eigentlichen Wortfinne derjenigen, bie fie 
v behauptet haben, genommen, wenn man gleich einige das 
„von gewiffermaßen gelten laſſen könnte” d.h. in 
- einem von der eigenthümlichen Wortbedeutung, und der . 
Abſicht derjenigen, die fich Ihrer bedient haben, unterſchie⸗ 
denen Verſtande 1). 





1) Die Wertpeidigee - de 8 0 ius. leſen den Eontert der 
Bulle anders; und behaupten 6 müffe « gelefen werden: 
Wir verdammen diefe Säge, wenn man gleih, einige von 
ipnen firenge, und in dem eigenthuͤmlichen Sinne der Worte , 
derjenigen, die fie vorgebracht haben, genommen, gelten 


234 Bagjanismus. 


Der Cardinal Grauvelle, beauftragt mit dem Voll 
zuge der Bulle, beorderte zu dieſem Geſchaͤfte (einen Gene⸗ 
. rals Vicar. Morilign, mit Dem Bedeuten: mit -wahrhaft 
hriftlicher Liebe zu Werke zu gehen, um den Sehler des 





J 


laſſen kann. — Der unterſchied dieſer beiden Ledarten liegt 
in einem Striche, wenn ſolcher vor oder nach dem Worte 
possint geſetzt wird, wie jedermann ſich überzeugen kann, 
wenn er die Bulle im Lateiniſchen ließt: Quas quidem 
Sententias- Stricio coram nobis examine ponderatas 
quanquam nonnulla aliquo pacto sustineri possint, 
in rigore et proprio verborum sensu "ab ' autoribus 
intento damnamug Es ift Mar, daß der Strich, der 
‚nad intento ſteht, wenn er nah possint gefegt 
"wird, einen durchaus verfhiedenen Sinn - gibt. 


Die Anhänger des Bajus behaupteten, man müſſe den 


—*— intento', und nicht nah possint Iefen: 


Wir wollen pierliber einige Bemerfungen maden. _ 


a) Eine dogmatifche Verurtheilung nimmt die Sätze ſtets 
in dem eigentlichen und natürlichen Verſtande; die Verur⸗ 
theilung des Pabſtes wäre ungerecht, ungeſetzlich und un⸗ 
gereimt, wenn ſie die 76 Sätze, und die Schriften, denen 
ſie entnommen ſind, einzig wegen einer ungewöhnligen Des 
deutung, die fie weder in der Schrift ſelbſt, no in dem 
Sinne des Verfaſſers Haben, fondern die man ihnen beit 
Icgen Fönnte, verwerfen wolle, 


b).- Der Cardinal Granvelle, von Pius V.-in der 
Sache Bajus delegiert, erflärte: daß dieſer die, in der 
Bulle verhängten Cenſuren yerwirft habe, weil er die Säge 
in dem Verſtande der Worte des Verfafferd behauptet Habe. 

c) Gregor XII. forderte von Bajus dad Belennt⸗ 
niß, daß feine Säge in dem Sinne, wie er fie gelehrt 
. habe, , verdammt feyen, "und befapt der Univerfität von‘ 2£ö* 
wer: "das GegentHeik "von allen dieſen Sägen au. lehren 
um, mit det Bulle im Eintlange zu ſeyn. 


a) Urban vm. ip. die Eonfitution Fink, Y. mit 


Bajanismus; 235 


Bajus in Guͤte zu verbeſſern. Dieſes wuͤrde, ſagt der Car⸗ 
dinal, der Unfoerfiät und ihnen ſelet mehr Ehre machen, 





t 


. Pre w: 


dem Striche nah possint, und nicht intento- “abe 
druden. - 


e) Der HL Stuhl verlangte von den Univerfi täten zu 
eöwen und Douai die unbefchränfte und einfache An⸗ 
nahme der Bulle, und verlangte bei dieſer Annahme die 
Erflärung: daß Feiner diefer Sätze, ſtrenge und im eigents. 


lichen Wortverflande genommen, gelten Fönne, 


f) Die Vertpeidiger des Bajus behaupten, daf in der 
Abſchrift dee Bulle, welche von dem Pabſte felbft geſchickt, 
und in den Archiven der Facultät von Löwen, um die 
Stelle der Urſchrift zu vertreten niedergelegt fey, weder Un⸗ 


terfheidungd Beiden, noch Abſönderung der Artikel vorkaͤ⸗ 


men, und man die Abtheilung bloß durch die großen Ans 
fangs-Buchſtaben, die am Anfange eines jeden Artifgld ers 


feinen, errathen müſſe (Dissert. sur les Bulles contre 


‚Bajus p- 58). 

Diefes nun vorausgefeht, muß man fi ch nicht in Betreff | 
des Sinned der Bulle an Urban VII und Greg o r 
XIII., und an die Grundſaͤtze der Kritik halten, die es, wie 
gezeigt, nicht erlauben, den Strich nach possint zu 
ſetzen? | 


8) Aus den Briefen, welde der Carbinal von Örans 


velle wegen Vollziehung der Bulle an Morillon fihrieb, 


erhellet, daß man zu Rom glaubte, und daß der Gardinal 
der Meinung war „ man babe die Bücher und Meinungen 
des Bajus verdammt. (unter den Werken des Bajus 
T. 2. p. 59.). 


Siehe Geſchichte des Bajan i mus mit hiſtoriſchen, 


hhronologiſchen ꝛe. Noten und Erläuterungen von P.Jean- 


Bapt. Duchesne D’ouai, in alo. 1731. 


Traite historique et dogmat. ‘sur la. dactrine de 
Bajus et sur l’äutorite des Papes, qui Vont con- 
damnde 1739: 2% Vol. 12mo. 


Li 


{ 


236 Bajanismus. 


und zum groͤßern Ruhme gereichen, als wenn ſie mit Erste 
rung zu Werfe gingen. 

| Morillon publicirte dem verfammelten Ausſchufte der 
Facultaͤt zu Loͤwen am 16ten November 1570 die Bulle 
Pius V., ohne jedoch eine Abfchrift hiervon abzugeben, 
forderte die Doctoren der Theologie zur Unterfchrift auf, 
‚und fragte, ob fie der Verordnung des Pabftes, die er ihr 
‚nen eben Fund gethan habe, Folge leiften wollten? Sechs 
Doctoren von Löwen, und Bajus felbft unterwarfen fich. 

Da Bajus in der Bulle nicht genannt war, blieb er. 
an der Univerfität, und wurde fogar im J. 1578 zum Kanz⸗ 
fer. und Schirmer ber Privilegien ber Univerfität von Loͤ⸗ 
wen ernannf. 

m nämlichen Jahre erneuerten ſich die Zaͤnkereien, die 
befchwichtiget zu feyn ſchienen. Einer Seits befchuldigte man 
Bajus, auf den verworfenen Irrthuͤmern zu beharren, ans 
derer Seits erregte man Zweifel über die Authenticitaͤt 
„ber Bulle; Einige erklärten fie für unterfchoben, Andere 
Für erfhlichen. | 
Der Koͤnig von Spanien unterſtuͤtzte das Gefuch eis 


- ‚niger Theologen von Löwen bef Gregor XIII., um Beis 


legung diefer Streitigkeiten; und der Pabft gab eine Bulle, 
worin er die ganze Bulle Piug V. einruͤckte, ohne fie aus⸗ 
druͤcklich zu beftätigen, oder die darin enthaltenen Artikel 
von Neuem zu verwerfen, fondern er erflärte nur, dag er 
dieſe Bulle in den Negiftern Pius V. gefunden habe, und 
man ihr Glauben beimeffen dürfe, 

Diefe Bulle wurde der Facultät von Löwen durch den 
‚Sefuiten P. Tolet, Gewiſſensrath Gregor's XIII. und 
mit deren Vollzuge beauftragt, bekannt gemacht. - 

Bajus erklärte, daß er bie in der Bulle angegebenen 
Artikel verdamme, und zwar in dem Sinne der Bulle, und 
in der Art, wie diefe folche verdbamme, . 

Die Doctoren von Löwen gaben die nämliche Erkla⸗ 
rung, Baju 8 unferzeichnete fogar eine Kundmachung, 
Durch welche er bekannte, daß er mehrere von den ſechs und 
flebenzig in der Bullejverdammten, ‚Sägen behauptet habe, 


Bajanismus. 87 


und daß fie in dent Sinne, in welchem er fie gelehrt, ver» 
worfen worden ſeyen. Diefe, Akte unterzeichnete er am 24tem 
Maͤrz 1580, worauf Gregor XII. ihm ein fehr verbinds 
liches Breve zufchrieh, und eine von ihm verlangte Abſchrift 
der Bulle Pius V. uͤbermachte. 


Urban VIII beſtaͤtigte die von Pins v. ausgeſpro⸗ 
chene Verdammung. 

Man hat uͤber die Guͤltigkeit dieler Bullen viel, gefttiti 
gen,’ da dieſe Unterfuchung nicht zu. unferem Zwecke gehoͤrt, 
ſo begnuͤgen wir uns, die Schrift⸗ Steller ſo hiervon ges 
handelt haben, ‚ anzuzeigen 2). | 


— 5 


Solgen der über die Lehre des Bajus entfiandenen | 
Streitigkeiten | 


Der Borfichtsmaßregeln ungeachtef, bie man zur Er 
ſticung des Geifted der Zwietracht unfer den niederlaͤndi⸗ 
ſchen Gottesgelehrten ergriffen hatte, dauerten die Streitig⸗ 
keiten zu Löwen noch fort, Bajus wurde ſtaͤts der Ans, 
haͤnglichteit an die durch die Bulle Pius V.’ verworfenen 
Meinungen verdächtiget., Man befchuldigfe ihn laut, daß 
er die Candidaten den Eid der Unterwürfigfeit unter diefe 
Bulle nicht leiſten laffe, und ſich vorzufchlagen, herausge⸗ 
nommen habe. Man möge diefen Artikel aus dem Eide, der 
ihnen, wenn fie fih zum: Empfange der Gnade meldeten, 
auferlegt wurde, wegſtreichen. | 
Dieſe Anfchuldigungen wurden dem ni Tolet üben 





1) P. Duchesne locı eit. Oinquicue Instruct. pastor. 
‘de M. Lauguet. Archeve de sens p. 877; elc: Instruct. 
pastor. de M. de Cambrai 1935. Oben angeführte piftes 
riſche Abhandlung. Disnert. über die Bullen gegen Bajus 
1737 12m0o. Dissert: sur les Bulles tontre Bajus et 
sur l’6tat de la nature pure, par le P. de Gennes. 
1722: 2 Vol. iamö. 


t 


28. = Bajanigmus. N 
macht, denen man zugleich mehrere, die Lehre und das Der 


tragen des Bajus befreffende Saͤtze anſchloß. Diefer Jar . 


fuit übertrug die Entfcheivung den Umiverfitäten von Alcas 
la md Salamanca, welde die Säpe deg Bajus cen⸗ 


ſurirten. 


Der Biſchof von Vercelli, apoſtoliſcher Nun— 
tius in Flandern, ließ, um bei der Saeultät von Loͤ⸗ 
wen Sriede zu fliften, einen Abriß der Glaubens » Lehre, 
welcher den von Pius V. verworfenen Artifeln entgegenger 
fegt war, abfaffen; und die ganze Facultaͤt von Loͤ w en 
verband fich durch einen Eid, folchen als Regel’ ihrer Vor⸗ 
träge anzunehmen 1). . \ 

Von diefer Zeit an fchien der Friede an der Univerfis 
taͤt zu Loͤwen ſo ſehr befeſtigt, daß in der Folge nichts 
ihn zu ſtoͤren vermoͤgend ſeyn wuͤrde. Allein die Lehre, wel⸗ 
che zwei Gottesgelehrte der Jeſuiten — Leſſius, und Has 
melius über die Gnade und Vorerwaͤhlung vortru⸗ 
gen, erneuerte alle dieſe Zwiſte. 


Nichts war fo ſehr das Gegentheil von den. Meinungen 
des Bajus, ald-die Behauptungen des Leſſius. Diefer 
Gelehrte nahm an, nach der Sünde Adam's gebe Gott 
jedem Menfchen hinreichende Mittel gegen bie Verſuͤndi⸗ 
gung, und feinen Beiftand, das emige Leben zu erlangen: 


die Schrift enthalte eine Menge Gebote und Anmahnungen 


gur Defehrung der Sünder, woraus Leſſius weiter fchloß, 


daß Gott ihnen genügfam beiftehe, fich befehren zu könnnen, 
weil Er nichts Unmägliches befiehlt. Leſſtus meinte, der. 


hl. Auguſtin fcheine ihm die Worte des Briefes an Ti⸗ 


motheus: Gott will, daß alle Menfhen felig 


werden, nicht in dem Sinne des Apoſtels ausgelegt zu 
haben, weil er fast, Paulus habe verfanden: Sort 
wolle, dag Ale, welche errettet find, felig werden. 
Leſſius lehrte, daß alle Stellen der hl. Schrift, die 
angeben: daß es gewiſſen Perfonen unmoͤglich fen, fich zu 


befehren, in dem Sinne genommen werben müßten, daß 





1) Bajana, ibidem. Dupin Hist. du 16. Sic. 


Bajanismus. 239 
das Wort unmoͤglich, ſoviel als außerſt ſchwer ber 
deute. Er behauptete, daß, wer ohne ſein Verſchulden den 
Glauben nicht habe, verbunden ſey, die natuͤrlichen Vor⸗ 
ſchriften, d. b: die gehn Gebote, zu halten: ein folder 
babe genügenden moralifchen Beiſtand, dieſe Borfchriften 
zu erfüllen: weil Gott Niemand zum Unmoͤglichen verbinde, 
fonft würde: man in. die Srrthümer der Ketzer verfallen, 
welche vorgeben, daß feit der erfien Sünde die Sreiheit 
sum Guten verloren worden fey: er glaubte, die Vorers 
mwählung zur Seligfeit gefchähe nicht vor der Vorher 
fehung der Verdienfte, und dußerte, daß wenn der hl. 
Auguftin einer enfgegengefeßten Meinung fey, daran nicht 
viel gelegen waͤre. 

Leſſius lehrte uͤberdieß noch Einiges in Betreff der 
hl. Schrift, das gegen die Meinungen ‚der Doctoren von 
Löwen mar, aber feinen Bezug auf den Bajanismus 
hatte. Wir werden von dieſem Gegenſtande, woruͤber man 
die. Cenſur der Facultaͤt von Loͤwen-Paris-1641 nach—⸗ 
leſen kann, nichts reden. 


Bei der Facultaͤt von Loͤwen yab eg Theologen, 
welche noch einige Anhänglichkeit an die Meinungen des 
Bajus beibehielten: anderer Seits war die Verehrung für 
den hl. Auguftin an Diefer Univerfität fo aroß, dag die 
Lehre des Leffiug Viele empörfe, welche Stimmung Bas 
jus fehr wahrſcheinlich benuͤtzte, um zur Verwerfung der 
kehre des Leſſius nach Kraͤften beizutragen. 


Die Facultaͤt von Löwen verdammte wirklich dreißig 
aus den Schriften des Leſſius gezogene Saͤtze, als ents 
hielten fie größtentheils eine Lehre, melche dem, was der 
bl. Augufin m faufend Stellen feiner Werke, betreffend 
die Snade, und. den freien Willen, gelehrt babe, zuwider⸗ 
laufe; fie: erklärte: da das Unfehen diefes bi. Waters in 
Der Kirche,‘ bei. den: Eoncilien, Paͤbſten und den berühn:s 
teften. kirchlichen Schriftfielfeen : immerdar hoͤchſt geachtet 
geweſen wäre, fo hieße ed, die einen und die andern bes 
ſchimpfen, wenn man diefem Anfehen- nicht beipflichten 
wolle; endlich riefen die Saͤte bes Leſſius alle Ars 


1 


\ 


240 0 Zu Bajanismus. 


huͤmer der Semtpelaslaner von Marfeille wieder 
in's Leben, welche doch ſo keierlich von dem hl. Stuhle 
verdammt worden ſeyen 1). 


Dieſe Verwerfung wurde yon der Facultdt zu Löwen . 
allen ‚Kirchen ver Niederlande zugeſchickt, und um ſoviel 
möglich ihren Ausfprüchen über diefe angeftrittenen Mates 
rien Beſtand zu geben, errichtete ſie zur MWiderlegung der 
Meinungen des Leffing einen oͤffenlichen Lehrſtuhl der Theo⸗ 
logie, welche Stelle ſie dem Jakob Janſon, eifrigem 
Freunde des Bajus, und Lehrer des Janſenius uͤbertrug. 


Die Univerſitaͤt von Douai, die man die Tochter 
ſener von Loͤwen nennen kann, aufgereitzt durch das Bei⸗ 
ſpiel ihrer Mutter, und vielleicht eben ſo, wie dieſe in 
feindſeliger Stellung gegen die neuen Collegien der Jeſui⸗ 
ten, entwarf, aͤhnlich jener von Loͤwen, eine Verdam⸗ 


— mung ihrer Saͤtze. Erſtere (die von Loͤwen) war von den 


Erzbiſchoͤfen von Cambrai und Mecheln, und dem Bis 
fchöfe von Gent nad Douai gefchict worden: ber Verfaffer 
dieſer noch weit kraͤftigern und ausgedehntern Verdammung 
war ber von Löwen nah Douai verſetzte Doctor Wil⸗ 
beim Eſtius. 


Die Jeſuiten fchidten Die Ldiwen’f he Verurtheilung 
nach Rom, Sixtus V. der damals den Stuhl des hl. 
Petrus inne hatte, beauftragte den Nuntius der Nieder⸗ 
lande mit Beilegung diefes Zwiſtes. Diefer begab fich nach 

Loͤwen, und berief die Facultät in feine Wohnung: zwölf 
Doctoren fanden fih ein, unter diefen Michael Baiug, 
Heinrih Granius, mb Johann von Lenz Nach 
den gewöhnlichen Formalitäten bezeigte der Nuntins den 
Wunſch, die Facultät möchte die firittigen Punkte in ges 
wiffe Artikel sufammenfaffen, Zen z that diefes mit Gras 
nius, worauf der Nuntius beiden Partheien unterfägte, 
mündlich oder fcheiftlich über dieſe Gegenflände zu dispu⸗ 
tiven; welchem Verbote ſich Beide unterworfen. Weiter 





-2) Hit. Congregat. de Anziliis L. 156. 9. 





| Bajanismus. | ‚aa 
verbot er ımter Strafe der Exkommunication lan‘, die 


es mit der. Facultät oder. den Jeſuiten hielten, weder oͤf⸗ 
fentlich, noch privat ſich hieruͤber in Streitigkeiten einzu⸗ 


laſſen, und die eine oder die andere Meinung, welche die 


römifche Kirche, die Mutter aller andern, nicht verdammt 


hätte, zu verdammen. Endlich wurden im allgemeinen Alle . 


excomunicirt, welche die Lehrfäge, der einen oder andern 
Parthei für verdächtig, ärgerlich; oder gefährlich ausgeben 
wilrden, bevor der hi. Stuhl darüber gefprochen. hätte, 


- Durch’ diefe Werfügung geſtattete der Nuntius dem 
geffius und Hamelius, ihre Lehre vorzutragen, dafern 
fie die gegentheilige Meinung. nicht widerlegen wuͤrden, und 
“ erlaubte daffelbe auch der gegnerifchen Parthei. 


In eben dieſem Jahre gab der fpanifche Jeſuit Molts 
nat, früher Profeflor der Theologie an. der Univerſitaͤt E dor 
ra-in Portugal, ſein Werk: Uebereinfiimmung 
der. Gnade und des freien Willens ic heraus. 


Die, Dominrtaner von Valladolid ließen im 
Sabre 1590, in einer. Öffentlichen Disputation: dag Gegens 
theit von Molina's Lehre vertheidigent von nun an ges 
riethen Diefe beiten Orden in Spanien gegeneingnder in 
Harniſch. Klemens VHL: kegte beiden heilen Stils 
(chweigen auf durch eine Breve vom 15ten Auguſt 1544. 
Philipp IL Hab für feine Staaten ähnliche Befehle. Als 


t 


lein dieſe Verordnungen kamen nicht zum Volzuge, und . 


der Pabſt feste, auf das Andringen beider Pürtheien, zu 


. 


Rom eine Congregatioh nieder, welche zur Beilegung 


und Verhuͤtung aller Fünftigen Streitigfeiten über ‚diefe Ma⸗ 
terie aburtheilen ſollte. ). 


Man kann den Hergang und Erfols dieſer Congrega⸗ 
tionen, die nur Bezug auf die, Jeſuiten und. Dominicaner 
haben, in. einer beſondern Schrift (Hister. Congrogat. 
de Auxiliis, von August. Le Blanc) nachleſen. 


* * 
-_ Fi 
— N N 2 x 
* Fa Su * I on s Fear 


2) Trnd. de pe gl. Kom. part. 4. p. 184. etc. | 
Renersbsriten, | a 16 





242 \ Bajanismus. 
Die Streitigkeiten über die Gnade und Vorer waͤh⸗ 
fung‘ waren fo wenig zu Löwen als in Spanien bes 
endiget. Die Anhänger des. Bajus behaupteten: die vers 
dammten Säpe enthielten, in eittem gemiffen Sinne ges 
nommen, nichts anders, als die Lehre des hl. Augüſtin; 
Leſſius und feine Anhänger biffanden ihrer Seits das 
"rauf, auch ihre Lehre fey dem bl. Auguſt in nicht entges 
gen. Der ganze Streit der Gottesgelehrten von Löwen 
drehte ſich zuletzt unvermerkt um die Frage: welches die 
Meinung des hi. Auguffin fen? Janſon, mit Widers 
legung des Leſſius beauftragt, beftritt daher denſelben 
bloß mit den Grundfägen Auguſtin's. Ä 

Leſſius nehm eine allen Menſchen verliehene Gnade 
an, um ſelig zu werden, und bei allen Unglaͤubigen einen 
moraliſchen Beiſtand zur Erfuͤllung des natürlichen Geſetzes: 
Es war wohl vorauszuſehen, daß bei irgend einem Schuͤler 
Janſon's, der die Lehrſaͤtze des Leſſius durch das An⸗ 
ſehen des hl. Auguſt in beſtritt, der Wunſch erwachen 
werde, in dieſem Vater zu finden: Gott wolle nicht, 
daß alle Menſchen felig werden, und Er gebiete 
unmoͤgliche Dinge 

Nach aller Wahrfcheinlichkeit las Janſenius, Bifchof 
von Ypern, den bi. Auguſtin im dieſer Gemuͤthsſtimmung. 
Er ſtudierte dieſen Vater mit aller Anſtrengung, zehnmal 
lag er alle feine Werke, dreißigmal deſſen Schriften gegen 
die Pelagianer und fand darin die Lehre, die er ver⸗ 
muthlich geſucht hatte 1). | 
Aullein diefe Lehre nahm unfer den Händen des Sans 
feniug eine ſyſtematiſche Geſtalt an, die fie bisher noch 
nicht gehabt hatte, und bot ſich nur als die Entwicklung 


det Wahrheiten dar, weihe Auguftih gegen die Pelas 


gianer vertheidigt und beleuchtet "habe, deren Lehrſaͤtze 
| Eerfius und. Rolina ernenert hatten. 


3J 


1) Cornelii iansenii, Episcopi Yprensis Augu- 
stinus. Synopsis vitae autoris T. 1. „Lih- ‚praemial. 
©. 10. P: 30. T. 2. J 


T yo! 


Bajanismus. 2243 


Janſenius ſtarb nöch vor Bekanntmachung ſeines 
Werkes, welches zu Paris 1640 erſchien. | 


+ Der Cardinal Richelien, Minifter Frankreichs, | 


welcher gegen Janſenius zu deſſen Lebszeiten eine Abs 
neigung gefaßt hatte, wollte fein Buch widerlegen laffen, 
1) und uͤbertrug diefe Arbeit Ifaaf Habert, Theologas 
len zu Paris, nachmaligem Biſchofe von Vavres. | 
Habert beganit diefe Wiverlegung in drei Reden, wo— 
ein er fast: der hl. Auguſtin des Janſeñius fey ein 
mißverſtandener, fchlecht erfläkfer, unrichtig 
angeführter Auguſtin und den Janfenifken ſehr übel 
mitſpielt. oo. 
> Anton Arnaud unterzsg ſich der Vertheidigung deg 
Biſchofs von Ppern, Habert antwortete in einer Schrift 
unter dem Titel! Defense de la Foi (Verteidigung 
bes Glaubens), Arnaud eriiedekte mit einer zweiten 
Schutzſchrift, worauf Habert nichts entgegnete, fondern 
In einet andern Echrift die Ausſpruͤche der griechiſchen 
Vaͤter über die Gnaͤbe auseinander fehte. 
Urban' VIII. verbot nach ſorgfaͤltiger Pruͤfung das 
Buch des Janſenftus, als einige von Pius V. und 
Gregor XII. bereits verdammte Saͤtze erneuernb. 
Janfenius machte im Verlaufe feiner Abhandlung 
oͤftere Ausfaͤlle geggen Molina, Leſſius, und Age, die, 
wie dieſe dachten; zuletzt ſtellte er eine Parallele. zwiſchen 
ihren Meinungen. und jenen der Semipelag iquer von 
Marfeille auf: 
. Lefſfius und Molina waren Mitglieder einer Gefell⸗ 
ſchaft, die, fruchtbar an Gelehrten und gründlichen Cheolo⸗ 


o. 





4) Iäanfeniud. war dee Werfaffer eine Schrift: Mars 
G.allieus betitelt. Er Veatpeidigte in diefem Warke, Supa⸗ 
nien gegen Frankreich, mit welchem erſteres damals in 
Krieg verwickelt war. Dieß ſoll die Veranlaſſung des Has 

bes, dieſes Cardinals gegen Janfſemtuns geweſen ſeyn. 


J 


Apol. des Cons. p. 144. | 
| 16% 
8 


244 Ä Bajanismus. | 


gen, die Irrthuͤmer der ‚Protefianten mit Ruhm beſtritten 
hatte. Sie fanden an ihren Mitbrädern Vertheidiger, fans 
den diefelben fogar unter ben Doctoren von Ed wen und 
Paris. , 
Man fah daher in Frankreich damals zwei Partheien, 
deren eine vorgab, die Lehre des hl. Auguſtin zu vers 
theidigen, und in ihren Gegnern die Irrthuͤmer der Pelas 
gianer und Semipelagianer zu beftreiten, während 
- deffen die andere die Freiheit des Menfchen, und Gottes 

Guͤte wider Luther's und Calvin’ 8 Irrthuͤmer zu vers 
fechten behauptete. 

: Die Köpfe erhitten fich in Frankreich ‚die Doctoren | 

theilten fih, und der Syndicus der Sarultät, Dr. Cor⸗ 
net, machte bey der Verfammlung vom ten Juli 1649, 
die Vorftellung: es. fchlichen fich gefährliche Meinungen bet 
den Baccalaciern ein, und eg fey nothmendig, insbefondere 
fieben Säge, die er ablas, zu prüfen. Die fünf erften bes 
trafen bie Lehre von der Gnade, — die nämlichen, die in 
der Folge fo viel Auffehen machten — die zwei letzten die 
Buße. 
“Han ernannte Eommiffäre, und febte ein Verwerfungs⸗ 
urtheil gegen die Säße auf. Sechszig Doctoren proteſtirten 
gegen die Verurtheilung, als widerrechtlich. Das Parla⸗ 
ment Herbst die Bekanntmachung des. Verdammungss Ente 
wurfes, und alles Disputiren über die darin. enthaltenen 
Saͤtze, bis ver Gerichts Hof anders wuͤrde verfügt haben. 
Diefe Wefordnnung: ift vom 5ten D£tober 1649. 
 Imgwilchen fegten die Vertheidiger, wie die Gegner des 
Janfſenius Alles in Bewegung; ihrer Meinung dag Ue⸗ 
bergewicht zu verſchaffen. Im Srühlinge des folgenden 
Jahres 1650 feßte der Bifchof von Vavres ein Schreis.. 
ben in Iateinifcher Sprache auf, welches die fünf Saͤtze 
enthielt, und lud alle zu Paris verſammelte Praͤlaten zur 
Unterſchrift ein, um es dann nach Non zn ſchicken, und 


| | dm Pabſte zur Entfcheidimg vorzulegen: 


Innorenz X. ließ die fünf Säbe prüfen, und gab 
an Ziten Mai 1653 eine Bulle, worin er rast! daß, 


X 


Bajanismus. 245 
da in Frankreich einige Irrungen über die Meinungen des 
Janſenius entflanden feyen, fo babe man ihn gebeten, 
darüber zu entſcheiden. Dieſe Saͤtze ſind: 

1) Die Beobachtung einiger Gebote Gottes iſt den Ge⸗ 
rechten nach ihren gegenwaͤrtigen Kräften unmoͤglich, ob fie. 
gleich folche zu halten münfchen und verfuchen. Ste ermans - 
geln der Gnade, durch welche diefes möglich iſt. 


2) In dem Zuſtande der verdorbenen Natur wider⸗ 
ſteht man niemals der inneren Gnade 

.3) Um Belohnung oder Strafe zu verdienen, iſt in 
dem Stande det verborbenen Natur die Freiheit, melde . 
die Nothwendigkeit ausſchließt, bei dem Menſchen nicht er⸗ 
forderlich, ſondern es genuͤgt eine ſolche Freiheit, welche 
den Zwang ausſchließt. 


4) Die Semipelagianer nahmen die Nothwendigs - 
feit einer innern zuvorkommenden Gnade für jede Handlung 
insbefonbere, ſelbſt bet'm Anfange des Glaubens, an, und 
waren darin Keter, daß fie behaupteten: dieſe Gnade ſey 
fo befchaffen, daß der Wille die Macht habe, ihr zu wi⸗ 
derſtehen, oder mitzuwirken. 


5) Es iſt ein Irrthum der Semtpelagianer, zu 
ſagen: Jeſus Chriſtus ſey fuͤr alle Menſchen geſtorben, 
und habe ſein Blut fuͤr Alle vergoſſen. 

Der erſte Sag wurde verworfen als vermeſſen, gott⸗ 
los, gotteslaͤſteriſch, des Fluches wuͤrdig, und ketzeriſch. 

Der zweite ketzeriſch. | 

. Der dritte fegerifch. ' ' 

Der vierte falfch und Fegepifc. 

Der fünfte falfch, vermeffen, Argerlih, und went er 
in dem Sinne genommen wird, als wenn Jeſus Chris 
ſtus alein zum Heile der Norerwählten geftorben märe, 
-fo verdammt ihn der Pabſt als gottlog, gotteslaͤſteriſch, 
fchimpflih, die Barmperzigfeit Gottes befehränfend und - 
ketzeriſch. 

Den naͤmlichen Tag, wo dieſe Bulle ausgefertigt 
wurde, ſchickte fie Innocenz mit einem Breve an den 


N‘ . 


248 , Bejanismug, 
verdammt bat, — biefes ſchwoͤre ich, fo wahr mir Got? 
helfe, und fein heiliges Evangelium, Dieſes Formular 
wurde durch eine Fönigliche Verordnung gufgeheifßen, vom 
Parlamente befräftiget. und von allen Bifchöfen angenommen. 
Jedoch muß man hievon die Bifchdfe von Alet, Par 
miez, Beauvais und Angers ausnehmen. Neunzehn 
Biſchoͤfe fchrieben zu Gunften obiger vier Biſchoͤfe an Clhe⸗ 
mens IX. und in der Solge an den König, um ihm vers 
flelig zu machen: „daß in diefee Sache keineswegs die 
„Mede vom Glauben, noch) von den koͤniglichen Verord⸗ 
mungen fenz; das ganze Vergehen der vier Bifchöfe bes 
„ſtuͤnde darin, daß fie fich einer neuen und . fehädlichen 
Lehre entgegenfeßten, welche allen Grundfägen. der Reli⸗ 
„gion, den Betbeiligungen des Königs, und der Sicher⸗ 
„ ‚heit des Staates zumwiderlaufe, wodurch man, was Gott 
„allein zuftehe, dem Pabſte zueignen molle, indem man 
„dieſen auch in Thatfachen unfehlbar machet fie bäten 
„daher allerunterthänigft, Se Majeſtaͤt möchten die Vers 
„antwortung der pier Bifchdfe zu hoͤren geruhen. !’ 


Disnys Talon, Sachwalter des Königs, fellte 

deßhalb Klage bei. dem Parlamente, und brachte vor: 
- man ſchmiede Mänfe, und: halte unerlaubte Zuſammen⸗ 
kuͤnfte, um Biſchoͤfe zur Unterſchrift eines an den Koͤnig 
gerichteten Schreibens zu vermoͤgen, worin Maximen vor⸗ 
kaͤmen, die faͤhig waͤren, den Frieden der Kirche zu ſtoͤren, 
Das Anſehen der koͤniglichen Verordnungen, und der, bei'm 
Parlamente in Unfehung der Lehre des Janfenius einre⸗ 
giſtrirten Bullen zu ſchwaͤchen. 


Auf dieſe Klage verbot das Parlament den Drua und 
Verkauf dieſer und jeder anderer aͤhnlichen Schrift unter 
der Strafe, als Störer der oͤffentlichen Ruhe behandelt 
zu werben. "Die vier Bifchöfe legten fi) mit Clemens 
IX. und Ludwig XIV, zum Ziele, und die Uuterfcheis 
dung zwifchen. dem hats und Necht8sBeftande Hatte 
in Frankreich nicht mehr Statt, (Man fehe Jaurmal de S; 
Amon, Pièces toughant. Jes quatre Eveques) 


Die Unterwerfung der: vier Biſchoͤfe ſchie die Dies 


Bajanismus. 249 


püfe gänzlich befchtwichtigt zu haben, als 1702 eine Drud⸗ 
ſchrift erſchien unter dem Titel: Der Gewiſſensfall, 
entſchieden von vierzig Doctoren der. pariſer 
Faecultaͤt, wovon mehrere in der Folge erklaͤrten, bei die 
fer Unterfchrift überrafcht worden zu feyn. ran entfchied 
vafin, daß jeder -Beichtvater fein Beichtkind losfprechen 
fönne, welches die Verurtheilung des Buches und der Säge 
des Janſenius gerade zu unterfchreiben. habe, ohne daß 
es bei'm Untergeichuen an jene Entfcheidung über die That⸗ 
fache geglaubt, fondern nur im Sinne gehabt habe, bier, 


uͤber ein ehrfurchtsvolles Stillſchweigen su beos 


badıten. 


Dieſe, Schrift wurde von Herrn von Noail les, Erp 
bifhof von Paris, und dem größten Theile der Bifchöfe- 
verdammt, und von Allen, welche die Entſcheidung des 
Gewiffensfalles unterfchrieben hatten, widerrufen, von 
einem Einzigen ausgenommen; 7 den die Sorbonne ang ihr 
rer Mitte fließ. . 


Endlich machte Clemeng XI. af diefen Zankereien 
durch eine Conſtitution vom 15ten July 1705, ein Ende, 
worin er nach Anführung der Verordnungen Innocenz 
X. und Alexander's VII. erklaͤrt: daß derjenige den 
Verordnungen der Paͤbſte uͤber gegenwaͤrtige 
Frage den ſchuldigen Gehorſam nicht leiſte, wel⸗ 
her ſie nur mit ehrfurchtsvollen Stillſchweigen 
aufnimmt, ſondern, daß alle Glaͤubige nicht 
bloß mit dem Munde, ſondern auch mit dem Her⸗ 
zen den Sinn des Buches von Janſenius, wie er 
in den fuͤnf Saͤtzen verdammt ſey, als ketze riſch 
verdammen und verwerfen muͤſſe. — 

Die päsßliche Bulle wurde auf Befehl des Königs der | 
‚gerade Unter: dem Borfige des Cardina) von Noailles zu 
Paris verfammejten Geiſtlichkeit überreicht, von derfelben 
genehmiget, und unter dem Aten September 1705 in die. 
Kegifter des Parlaments eingetragen. 


Man fehe das Weitere in dem Artikel: Janfenifen. 


250 Barbeſanes. 


Bardefſanes *) geboren aus Edeſſa, in Sp 
rien, war einer der ausgezeichneteften Vertheidiger der 
hrifflichen Religion, und lebte untere Mark Aurel, der 
fih 166 Mefopotanieng bemädtigte. Da diefer Fürft 
den Chriftenthume abgeneigt war, wollte Apolloniug,. 
deffen Ginftling, den Bardefanes bereven, feinem Glaus 
ben zu entfagen. Allein dieſer antwortete: er fürchte den 
Tod nicht, und werde ihm jedoch nicht entgehen können, 
‚wenn er auch thäte, was der Katfer von ihm verlange.. 


Dieſer Mann, ſo ausgezeichnet durch feine Renntniffe 
und Tugenden, fiel in die Kegerei der Valentinianer, 
nahm mehrere Zeugungen der Aeonen an, und läugnete 
die Auferfiehung. . 

Mir Eönnen nicht wohl angeben, welche Gedanfenreihe 
den Bardefaneg zu diefem Itrrthume verleitete, welchen 
er in der Folge verließ, fi) aber doch nicht sang davon 
Yogreißen konnte. 

Lernen wir durch dieſes Beiſpiel, daß es vielleicht kei⸗ 
nen Irrthum gibt, der nicht eine verfuͤhreriſche Seite haͤtte, 
und auch ein erleuchtetes, von Wahrheitsliebe beſeeltes, Ge⸗ 
muͤth, taͤuſchen koͤnnte; lernen wir ferner aus dieſem Bei⸗ 
ſpiele, wie groß unſere Nachſicht gegen ſolche ſeyn ſollte, die 
in Irrthum gerathen, und wie wenig wir uns darauf her⸗ 
auszunchmen haben, ihm euͤtgangen zu ſeyn. 


Bardeſanes beharrte zwar nicht in dieſem Irrthume, 
fiel jedoch in andere. Wie alle Philoſophen und Theologen 
feiner Zeit, ſuchte er. die Loͤſung der wichtigen Frage: Was 
rum gibt es Uebel auf der Welt? wobei er folgender 
Meife zu Werke ging. 

-:.. Bott zum Urheber bes Uebels machen, tft ungereimt: 

man muß Daher annehmen, daß. das Uebel feine Urfache aus 
Ger Gott babe. Diefe Urfache war, nad) Bardeſanes der 
Satan, oder bife Geiſt, welcher ein Fein d, aber kein 
Seſchoͤr f Gottes Hi 


\ * 2tes Jahrhundert. 


. Bardefanes. 251 


Bardef anes machte darum den Satan nicht au. einem 
Geſchoͤpfe Gottes, damit‘ man die Uebel, melde man auf 
‚ver Welt fieht, nicht auf Mechnung bes: hoͤchſten Weſens 
fegen möge; auch legte er ihm feine. der göttlichen Vollkom⸗ 
menheiten bei, mit Ausnahme des Dafenns dur fi 
felbft, ohne. gewahr zu werden, daß ein Wefen, welches 

durch fich felbft vorhanden iſt, alle Bollfommenpeiten haben 
muͤſſe. Er nahm fonach eine von dem hoͤchſten Weſen un⸗ 
terſchiedene Grundurſache des Uebels an, ohne mehr als 
einem Gott anzuerkennen. 


In Folge dieſer Meinung gab Bardef aneg dem Sa— 
‘tan keinen Antheil an der Weltregierung , als in fofern es 
nothwendig war, den Urſprung des Uebels zu erflären. " 

Gott fſchuf die Welt und den Menſchen. Allein der 
Menſch, den Er im Anfange gebildet hatte, war nicht mit 
Fleiſch umkleidet; es war eine menſchliche Seele mit einem 


ſubtilen, Ihrer Natur angemeſſenen, Körper 
umgeben. 


Dieſe Seele , die nach dem Bilde Gottes geſtaltet 
war; uͤbertrat, durch Die Lift des boͤſen Geiſtes verfuͤhrt 
das Geſetz Gottes. Deßhalb verſtieß fie der Schoͤpfer 

aus dem Paradieſe, und feſſelte fie an einen fleiſch⸗ 
lichen Leib, der von nun an ihr Kerfer wurde ; Diefes was. 
ren Die Kleider von Xhierfellen, womit ' Gott nach ver 

Suͤnde Adam und Eva bedeckte. Die. Vereinigung der: 
‚Seele mit einem fleifchlichen Leibe war ſonach, nach Bars 
defanes, die Folge der Sünde, woraus er folgende 
Scläffe jog: 1) Jeſus Ehriftus hat feinen menfclis 
chen Leib angenommen. 2) Mit dent Leibe, den wir auf 
Erden haben, werden wie nicht auferfiehen, fondern mit 
einem feinen und bimmlifchen Körper, welcher die Wohns 
fiätte einer reinen und unfchuldigen ‚Seele fenn muß (1). 
Bardefanes: glaubte an die Unfterblichkeit der Seele, die 
Freiheit, die Aumacht und Vorſehung Gottes (2). 


() Omigenes Dial. contra Marcion, Sect. 5, p: 19, u. 
| , (2) Eyseb.. de praep. Evang. ‚L- 6 O. 40. 


22 Wardeſanes. Bafilides. 


Dieſer Philoſoph hatte das Verhaͤngniß oder Fa⸗ 
tum in einem trefflichen Werke, wovon ung Euſebius 
ein großes Bruchſtuͤck erhalten hat, widerlegt; er glaubte, 
daß die Seelen dem Verhängniffe nicht unterworfen fcyen ; 
daß aber doch in den menfchlichen Leibern Alles den. Ges 
fegen des Gefchickes gehorchen müffe. 1). - " 


Baſilides. *) von Alerandrien, Iebte im Au⸗ 
fange‘ des zweiten Jahrhunderte. Die Philofophie des Py⸗ 
‚ tbagoras und Plato war damals gu Alerandrien. 
im’ hoͤchſten Schwunge. Die chriftlihe Religion war daſelbſt 
mit Erfolg gepredigt werden; Doch. ‚hatten ſich auch die abs 
truͤnnigen Secten eingefchlihen. . 

Die Forſchungen der Philoſophen betrafen Jhyamalg 
hauptfächlich die Entflehung der Welt, und vor allem dem 
Urfprung des Uebels in derfelben. Baſilides fah diefe 
zweite Frage als den die menfchliche Wißbegierde am mei 
ften anziehenden Gegenftand an, und fuchte hierüber in 
den Büchern. der Philofophen,, in den Schriften Sis 
- mon, bei der Schule des Menanvder und felbft bei 
den Epriften Aufſchluß; nirgends fand er uͤber dieſe große 
Schwierigkeit Befriedigung. Um ſie zu hoͤſen, errichtete 
er ſich nun ſelbſt ein Lehrgebaͤude, zuſammengefuͤgt aus den 
Grundſaͤtzen des Pythagoras, und Simon, aus den. 
Glaubens s ehren der Chriſten und Juden 2). | 
Bafilides nahm an, dag die Welt nicht unmirtels 

bar von dem hoͤchſten Wefen gefchaffen worden fey, fotts 
dern: durch, von Diefem ergeugfe Intelligenzen. Diefeg 
Syſtem war an der Tagesordnung, und die Schwierigkeit, 
ten Urfprung bes Uebels mit der Guͤte Gottes gu verein⸗ 


x 
—,— 





| *) etes Jahrhundert. 

1) Kusch. Hist, Eceles. L. 4, C. 30. "piphno, Haer. 
56. Photius Bib. .cod. 235. Euseb. praup. L. 6, C. 
10. Historia Bardesanis et Bardesantarum 4to 1710. 

- von Strunzius, Ittig. de Haer. p. 133. 

2) Fragm. L. 135. Comment. - Basilid. bei ‚GAbe Spicil, 

PP. Saecul, 2. p. I9. Clom. Alex, L, 4. Strom. p. 506. 


+ 





| Baftlided. 233 
baren, hatte alle Secten, bie die Erklaͤrung der Entſtehung 
Der Welt und des Uebels unternommen haften, an Diefe 
Vorausfegung geheftet. Stmon Menander, Satur⸗ 
nin, nahmen ale ein hoͤchſtes Weſen an, welches Intels 
ligengen ergeugt hatte, und ließen bag Uebel aus der Un⸗ 
vollfonimenheit Ddiefer unfergeorbneten - Weſen hervorgehen, 
welche ein jeder auf eine Art handeln ließ, die ihm am 
geeigneteften ſchien, die Schwierigkeit, fo ihm am meiſten 
auffiel, zu loͤſen. 

Man begnuͤgte ſich aber nicht damit, {m Allgemeinen 
zu erklaͤren, wie das phyſiſche Uebel in die Welt ge⸗ 
kommen ſey; man mußte auch Rechenſchaft geben über Nuss 
artung und das Elend der Menfchen; insbeſondere die Ge⸗ 
ſchichte der Unfaͤlle der Juden auseinanderſetzen; mußte be⸗ 
greiflich machen, wie das hoͤchſte Weſen Blicke der Erbars 
mung auf das menſchliche Geſchlecht warf, und ſeinen Sohn | 
zur Erlöfung der Menfchen auf. die Erde ſchickte. Die 
Grunpfäße des Bafilides ı über ‚alle. diefe Segenftänpt 
- waren folgende: 

. Der ewige Vater hat den Nus Verſtand) gezeugt; 
dieſer den Logos, (das Wort ),diefer die Phronefis ( Klugs 
heit) diefe gebar die Sophia, (Weisheit) und die Dyna⸗ 
mis (Mraft) aus diefen kamen die Difaiofime (Gerechtig⸗ 
keit) und die Srene ( Sriede ). Diefe Weſen geugten die 
Engel. EEE 

Die Engel waren bon verfchiedener Ordnung und AB 
Rufung, wovon die erfte, den erſten Himmel hervorbrachte, 
und dieſes ſofort bis zu dreihundert fuͤnf und ſechzig Him⸗ 
meln. 1) Die Engel im letzten Himmel haben unſere Welt 


und Erde gemacht; weshalb nicht zu wundern iſt, Daß man 
da Gutes’ und Boͤſes ſieht. Sie theilten die Regierung - 


der Welt unter fi, und. der. Fürfk! der. Engel unter deren 
Himmel fich die Erde befindet, bekam die Juden zu feinem 
Antheile, denen zu Gefallen er fo viele Wunder wirkte. Als 





4) Die philoſophiſchen Peinzipien dieſes Syſtemo ſind in den 
Artifeln: Simon, Saturnin, angegeben. 2 


— 


254 7 Bafilived. 
lein dieſen ehrgeizigen Engel wollte alle Natlonen den Im 


den unterwerfen, um über den ganzen. Erdkreis zu herr⸗ 
ſchen; die andern Engel verbuͤndeten fich gegen ion, und 


‚alle Nationen wurden der Juden Feinde, 


Diefe Ideen flimmten zum Theile mit. dem Staiben 
ber alten Hebräer überein, die überzeugte waren, daß jede 
der verfchiedenen Nationen unter bem Sohutze eines En⸗ 


gels ſtuͤnde 1). 


Seitdem die Herrſchlucht der Engel die Natlonen bes 


waffnet hatte, waren die Menſchen ungluͤcklich und ſeufzten 


unter ihrer Tyrannei. Das hoͤchſte Weſen, von ihrem 
Schickſale gerührt, ſchickte ‚feinen Erſtgebornen, den Nus 
(Verftand) Jeſus oder den Ehriſtus, die Drenfchen, 
die an Ihn glauben färben, der Macht der ſhaffenden En 
Ri zu entreißen. 


Der Heiland. hatte; na Sailides, de, Wunder 
welche ‚die: Chriſten von Ihm erzählten, gewirkt: jedech 
glaubte er nicht, daß Jeſus Chriſtus Menſch gewarden 
fey. Wahrſcheinlich mar es die Schwierigkeit, den ‚Stand 


der: Niedrigfeit und des Leidens, womit die. Erfcheiniiäg 
Jeſu verknuͤpft war, zu entraͤthſeln, was den. Bafilie 


Des betung „. zu behaupten: Ehr iſtus babe nur Die Schein; 
geftalt, eines Menfchen- gehabt ;. ‚bei ſeinem Kreuztode habe — 
Cr die Geſtalt des Simon von Cyrene angenommen, 
und dieſem die ſeinige geliehen; ſo ‚hätten. die Juden den 


Simon ſtatt Jeſus gekreuziget, diefer habe dabei fügefer 


hen, und die Juden unbemerkt oltſpottet, endlich ſeh Chris 
ſtus zu feinem Vater gen Himmel gefahren ,. ohne je, von 


itgend Jemanden gekannt au“ feyn De 


‚Bofflideg- glaubte, - man duͤrfe den Top. fir Yefus 
Ehrißus nicht Iinen, weil: nicht Er, ſondern Simon 


3* RK a ‘ 
’ er 7 ⸗ 





hr .. " D 24 ra ’ Li 
! ft, & 'a * ä 24 


1 Deuteron. 32, 8. Daniol 10, 26, au, —92 Im Ar 
tikel Eugliſche. eo ra 
2) Epiph, Haer. 24 os 


— 


Baſtlides. 25 
von Cyrene geſtorben fen, die Martyrer ſtuͤrben alſo nicht 
für Chriſtus, ſondern für diefen Simon 1). oo. 

Die Abhängigkeit, unter welcher die Menfchen von den 
Engeln lebten, war ein Einwurf gegen die Güte, Gottes. 
Bafilkdes Idste ihn fo: Die Seelen - fündigen in einem 
- der Vereinigung mit dem Leibe vorhergehenden Leben. Dieſe 
Vereinigung ift ein Zuftand der Entfündigung, aus welchem 
die Seele nicht eher berausgehet, als bie fie in einer anfs 
einanderfolgenden Wanderung von einem Leibe in den ans 
dern fö lange gereiniget wird, bis fie der göttlichen Gerech⸗ 
tigkeit, die feine andere Strafen auflegt, genuggethan hats 
jedoch werben nur unmwilltührliche Fehler nachgelaffen 2). : 

Bafilides: glaubte, nach den Fehren der Pythago⸗ 
raer! der Menſch habe zwei Seelen, um den Widerftreif 
der Vernunft und der Leidenſchaften zu erklären 3) 

Er hatte fich viel auf Magie verlegt, und. fcheint von 
den Träumereien der Kabale fehr eingenommen getvefen zu 
feyn. . In das Wort Abraſas oder Abraras legte er eine 
‚ ausnehmend große Kraft. Der Urfprung dieſer fonderbaren 
Meinung, wodurch Bafilides am meiften berühmt gemwors 


x 


den iff, mag folgender gemefen feyt. | 
Pythagoras, deffen Grundfäge er angenommen hatte, 
erfannte das Daſeyn eines hoͤchſten Vernunft ⸗Weſens von 
welchem die Welt geſchaffen wurde. Diefer Philofopf, um 
den legten Zweck der Erfchaffung der Welt zu erfehnen, 
richtete ein aufmerkfanies Auge auf die Natur, auf daß er 
die Geſetze, nach welchen ihre "Erfcheinungen vorgehen, und 
den geheimen Faden, der die Ereigniffe verfnüpfet, entdecke. 
Seine erfien Blicke waren nach dem Himmel gerichtet, wo 
der Urheber der Natıtr ſeinen Zweck am deutlichſten zu of 
fenbaren ſcheint. Hier gewahrte er. Eine bewundernswerthe 
Ordnung und unwandelbare Harmonie: er urtheilte, dieſe am 





1) Iracn. L. 1.0.22 0 00 
'2) Clem. Alex. Sirom. S. 4. pP. Bög. L. 5. p. 308. oris. 
in Math. Tract. S. | . 
3) Clom. Alex. Strom. L. 2. p. 299. 


f 


J 


— — 


256 Baſtlides. 


Himmel herrſchende Drönung ‚und Harmonie {onen nichts, 
als die Verhältniffe, Die mar zwiſchen den Entfernungen 
ben Himmelds Körper, und Ihren gegenfeitigen Bewegungen 


wahrnehme. 


Entfernung und Bewegung find Größen; dieſe 
haben Theile, und die groͤßten find: nichts, weiter, als die 


kleinſten, mit einer gemwiffen. Zahl vervielfältigt, Sonadh _ 


laffen ſich Abſtand und. Bewegung der Himmelskoͤrper durch 
Zahlen. auspräden; und. die- böchfle Intelligenz erkannte 
fie. nur vor der Weltſchoͤpfung durch bloß, erfennbare Zah⸗ 
len, und nach dem Verhaͤltniſſe dieſex Zahlen ward von der 
Gottheit der Weltenplan entworfen und vollfuͤhret. 

Die Beziehung der Zahlen aufeinander iſt nicht will⸗ 
kuͤhrlich. Das. Verhaͤitniß z. B. der Gleichheit zwiſchen 
zweimal zwei, und vier iſt nothwendig, unabhängig, 


unveraͤnderlich. Aus dieſem Grunde, und weil die Ord⸗ 
nung in den Erzeugungen des hoͤchſten Weſens von der Ver⸗ 


wandtſchaft der Zahlen untereinander abhängt, ſo tft es 
klar, daß es Zahlen giebt, die mit der Ordnung und Har⸗ 


maonie in einer natürlichen. Beziehung ftehen, und daß dies 


ſes Wefen, welches Ordnung und Harmonte liebt, in ſei⸗ 
ner Thätigfeit von dieſen Beziehungen geleitet wird, und 
davon nicht abweichen kann. 

Das Erkennen dieſer Verwandtſchaft, oder ſie ſelbſt 
it das Geſetz der Gottheit in ihren Erzeugungen, und da 


dieſe Verwandtſchaften ſich ſelbſt durch Zahlen ausſprechen, 


fo legte man den Zahlen eine. Kraft oder Gewalt bei, wel⸗ 
che die Gottheit zur - Hervorbringung genifee, Wirkungen 
vorzugsweiſe bewegen Eönhte, - 


Nach dieſen Vorausſetzungen ſuchte man nun die Zah⸗ 
In auf, welche der Gottheit am wohlgefaͤlligſten ſeyn moͤch⸗ 
ken... Man fah 4. 3. Eine Sonne und fteben Planeten, 
imd fchloß hieraus, daß dag hoͤchſte Weſen an Eins und 


Sieben Wohlgefallen finde, 


Dieſe pythagoreifche Philoſophemen, welche in den wei 
erſten Jahrhunderten des Chriſtenthums und nach geraumer 
Zeit darnech, im Morgenlande..itn Umlaufe waren, ‚hätte 


\ 





Baſiltdes. 257 


ſich auch Barilideg angeeignet, und. füchte, wie Andere, 


die Zahlen, welche der Bortheit am angenehmften feyn 


moͤchten. Das. Jahr beftehet aus 365 Tagen, melde von 


den eben fo oft aufeinanderfolgenden Ummälzungen der Son⸗ 
ne um die Erde entfichen, und nad) Vollendung diefer 365 
Ummälzungen beginnt- ein newer Sonnenlauf. Hieraus 


ſchloß Baſilides, daß die Zahl dreihundert fünf 
und ſechszig die Soft mohlgefäligfte fey, 

Nach Pythagoras wohnte der Weltenfchöpfer in der 
Sonne, von mo Er feine Augfläffe über Die ganze Natur 
ergießt. Baſilides hielt daher nichts für mehr geeignet, 


diefe wohlthätigen Ergießungen auf fich herniederzuziehen, 


als den Ausdrud der Zahl 365; und da man die Zahlen 
mit Buchftaben des Alphabets bezeichnete, fo wählte er aus 
dem Alphabet die Buchftaben, , deren Aufeinanderfolge 365 
bedeutete, und dieſe Zufammenfügung der Buchſtaben bildete 
das Wort Abraras 1). 

Da das Wort. Abrarag die Kraft hätte, bie Seg⸗ 
nungen des Schoͤpfers mit Macht herbeizuziehen, ſo grub 
man ſolches in Steine, die man Abraxas nannte, und 
wovon in den Kabineten Europens ſehr viele anzutreffen 
ſind. 


Da Pothagoras den Wohnſitz des hoͤchſten Weſens 


in die Sonne verſetzte, fügte man zum Worte Abraxas 


das Bild der Sonne, um die Kraft zu erflären, die man 
ihm zumaß. Man war damals feht für bie Taligmane 
‚ eingenommen; weshalb die Abraras fi) aller Orten vers 
breiteten; flatt der Sonne grud man-auch andere charaftes 


riftifhe Sinnbilder, fo die verſchiedenen Begünftigungen, die - 


man von ihnen erwartete, oder zu erhalten wünfchte, bes 
zeichnen follten, ein; tie man dieſes an einem Abraras 


fieht, welcher einen Menfchen auf einem Stiere reitend vor ⸗ 


ſtellt mit der Inſchrift: Lege die Baͤhrmutter dieſes 
Weibes an ihren Ort zuruͤc, der du den Lauf 





* 
1) —R 4, L.. ß, 2, s 100. %, 1. $, 60, 8: 1. 63 
200 — 365 
KeterLexikon. IL | u 17 


— 





258 Baſilides. Baſllidianer. 


der Sonne ordnefl. — Daher koͤmmt meines Duͤnkens, 
die außerordentliche Deanigfaltigkeit der Abrarag, wovon 
uns P. Montfaucon die Abbildungen geliefert baf. (An- 
tiquite expliquee T. 2. L. 3. p, 353. 


Da die Ehriften glaubten, daß Jeſus Gott der Schoͤ⸗ 
pfer fen, fo, meinten diejenigen, bie Dem pythagoraͤiſchen 
Syſteme anhingen „Jeſus wohne in der Sonne, und die 
Abraxas koͤnnten die Gnaden Jeſu auf folche, die fie 
trügen, herabziehen; um fich aber von den Bafilidias 
nern und andern Cabhaliſten zu unterfcheiden, gruben 
fie ihren Abraras.die Geſtalt Jeſu ein, dein die Chris 
ften glaubten au) an Taligmane, und zur Zeit des hl. 
Chryſoſtomus gab es welche, fo Münzen von Alerans 

ber dem Großen trugen, in der Ueberzeugung: Daß fie eine 
vorbeugende Kraft hätten 1). | 

Die Zahl der Ummälzungen der Sonne um die Erde 
fchien die Gränge, die ſich die fchaffende Allmacht felbft ger 
ſteckt hatte, zu fen, und dieſes Wort fchien geeigenfchafter, 
die Natur und Wefenheit des hoͤchſten Wefens zu bezeichnen, 
weswegen Baſilides demſelben auch dieſen Namen bei⸗ 
legte, wie man anfaͤnglich die Benennungen der Menſchen 
nach ihren perſoͤnlichen Eigenſchaften bildete. 

Baſilides verfertigte vier und zwanzig Buͤcher über | 
das Evangelium , felbft auch ein Evangelium, das feinen 
Namen führte; auch von Weiffagungen war er Derfaffer, 
die er einem Menfchen, der nie gelebt har, mit Namen 
Bacobas oder Barcopb sufchrieb 2). 

Baftlides wurde von Agrippa jugenannt Caſtor, 
widerlegt, ſein Sohn Iſidor folgte ihm. 


DB afilidianer, des Bafilides Schüler, Sie feier, 
 ten.die Taufe Jefu, als ein großes Gef. Es gab ihrer 
noch zur Seit des bl. Epiphanius; 'man gab fih aber 


I) Chrysost. Catech. 'secunda 
) Grabe Spicileg. Saec. 2. P. 38. Euseb. L. 4. C. 7 


4 





Baſilidianer. Beaharden. 239 


die Muͤhe nicht, fie zu widerlegen, und begegnete ihnen wie 
Befeffenen 1). | u u | 
Die Bafitidiamer verbreiteten fi nach Spanien 
und Gallien, wohin fie ihre Abraxas brachten ; Schwach, 
beit und Aberglauben nahmen fie an, und beluden fie mir 
einer Menge Embleme, bie nur in der Einbilvung jener, 
die fie trugen, einen Grund haften. Einige Gelehrte ſuch— 
ten darin die Geheimmiffe des Chriſtenthums; ihre Muth⸗ 
maſſungen fanden aber nirgends Eingang, und die Kritiker 
bewieſen ihre Unrichtigkeit. Man ſehe Basnagc Hist. des 
Juifs. T. 2. L. 3. C. 26. Montfaucon. Antiquits ex- 
pliquee T. æ. 


Begharden *) oder Beguarden, Andaͤchtler 
in Deutſchland zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts. 


Nichts hatte die Fortſchritte der Albigenſer, Waldens 


fer ‚und anderer Secten, die im swölften ‚und dreizehnten 
Jahrhunderte entfianden waren, mehr begünftiget, als der 
äußerlich ehrbare Wandel diefer Sectirer, und. die. Ausge⸗ 
laſſenheit der meiſten Katholiken, und eines Theiles der 
Geiſtlichkeit. Man fühlte die Nothwendigkeit, ihnen Tu— 
gendmuster entgegenzuftellen, und zu zeigen, daß diefelben 
Tugenden, womit die Sectirer ſich brüfteten, auch bei den 
Katholiken geuͤbt wurden; die Entäußerung von allen irbis 
(hen Gütern, und dürftige Lebensweiſe, die Uebungen {m 
Gebete, in Betrachtungen und Lefen der hl. Echrift, die 
buchftäbliche Befolgung der evangelifchen Raͤthe — bewog auch 
eifrige Katholiken, ihre Güter unter die Armen zu verthei⸗ 

len, durch Handarbeit ihre Lebſucht zu erwerben, die Schrift 
zu leſen, gegen bie Ketzer zu predigen, Zehnden und Abga⸗ 
ben zu entrichten, enthaltſam zu leben ꝛc. und zu Diefem ' 

Ente in befondere Vereine zu fretin, wie die armen Kar 
tholifen, die Demüthigen u. f. fl | — 





1) Lpiph. Hacres. 34. Darhäscen. de Hier: .24. 9p u 
*) 14tes Jahrhundert. idle “ 
nt 17 * 


J te - 


/ 
/ 2 


250 Begharden. 


Dieſe von den Paͤbſten gerne geſehenen Vereine legten 
bald den Grund zur Stiftung neuer religioͤſer Genoßenſchaf⸗ 
ten, deren jede, im Stande größerer Vollkommenheit zu les 
beſn, ſich rühmte: in diefem Jahrhunderte erhielten die vier 

MedicanfensDrden, der Orden von Eridfung der 
Gefangenen, — der von der hl. Maria, — die Orden 
der Serviten, Eoeleftiner u. 9. ihr Dafeyn. Noch 
‚mehrere würden zum Vorſcheine gekommen feyn, wenn dag 
Concilium von Lateran nicht Einhalt gethan hätte. 

Diefer Wetteifer, fich durch irgend eine außergewoͤhn⸗ 
liche Andachtsuͤbung auszuzeichnen, berrfchte noch im viers 
zehnten Fahrhunderte, und man fah eine Menge ‚Privats 
perfonen fich in Habite von verfchtedenem Zufchnitte ſtecken, 
und fi) Gebräuchen unterwerfen,‘ die ihren Neigungen oder 
den Vorſtellungen, die fie fi) von chriftlicher Vollkommen⸗ 
heit machten, anpaſſend waren. 

Aus Neigung oder Klugheit traten dieſe Andaͤchtler zu⸗ 
ſammen, , fund bildeten in verſchiedenen Gegenden beſondere 
Vereine: man ſah dergleichen in Teutſchland, Frankreich 
und Italien, wo man ſie unter den Namen Begharden, 
Frerots oder Fratricellen, Dulciniſten, Apoſtoli⸗ 
ſchen ꝛc. kannte. 


Alle dieſe Secten ſtanden vereinzelt, ohne durch ein 
gemeinſames Haupt verbunden zu ſeyn: die Frerots und 
Dul ciniſten ſchienen zwar jede einen Oberen zu haben; die 
Begharden aber -beftanden aus einem Vereine verfchies 
dener Perſonen beiderlei Gefchlechteg, die eine hoͤhere Voll⸗ 
kommenheit, als die anderen Släubigen y iu erſtreben vor⸗ 
gaben. 

Nach ihnen hatte die Vollkommenheit eine Stufe, die 
alle Chriſten zu erſteigen ſuchen muͤßten, die aber von Nie⸗ 
manden uͤberſchritten werden koͤnnte; denn waͤre dieſes, ſo 
muͤßte man ein Fortſchreiten in's Unendliche in der Voll⸗ 
kommenheit annehmen; und es koͤnnte vollkommnere Weſen 
geben als Jeſus Chriſtus, deſſen Volltonmenheit als 
Menſch nur beſchraͤnkt war. | us 


hy 


UU Sezharden. | ‚261 
Mar man zu. der den Menfchen moͤglichſt hoͤchſten Stufe 


der Vollkommenheit gelangt, fo brauchte man nicht mebr 


weder um die Gnade zu bitten, noch Tugendwerke zu üben; . 


man war unfündhaft‘ geworden, und genoß in diefem 


Leben ſchon, ſo viel möglich, das Gluͤck der Seligen. 


‚Die Beguarden firebend oder gelangt zur Unſuͤnd⸗ 
haftigkeit bildeten ‘eine Geſellſchaft, die einander mit 
innigfter Liebe zugefhan maren. Sie mußten jedoch, wie 
andere Menſchen, die Bemerkung machen, daß, fie in einem 


Leibe wohnten, der von der Herrfchaft ſder Leidenfchaften 


noch nicht frei fey und dieſe Leidenfchaften: ſtuͤrmten mit 


- Heftigkeit, wie e8 immer bei fanatifchen Verbindungen der 
Fall if; man mußte dem Strome weichen, und einen Ents 


fhuldigimgsgrund für feine Niederlage auffuchen. 


Sie unterfchieden bei ter Gefchlechtd+ Liebe die ſinn⸗ 
liche Luft, und das Berärfniß ; dieſes war, nach; ihnen, 


Naturerfordernig, dem man unbedenklich Befriedigung ger 


währen durfte, aber jenfeits dieſes Beduͤrfnißes war jedes 
Vergnuͤgen im Geſchlechts⸗Umgange ein Verbrechen. So 


war Unzucht eine zu belobende oder wenigſtens, beſonders, 


wenn man verſucht wurde, unſchuldige Handlung; 


aber ein Kuß-eine ſchwere Todfuͤnde. 


Dieſe Irrthuͤmer wurden auf einem Concilium zu Bir 
enne 1311 unter Clemens V. verdammt. 


Man brachte ihre Lehre auf acht Artikel, die alle aus ih⸗ 
rem Hauptgrundſatze folgen, daß naͤmlich der Menſch in dieſem 
Leben ſchon auf die, unſerm Geſchlechte moͤglichſt hoͤchſe, 
Stufe von Vollkommenheit gelangen koͤnne: | 


1) Der Menſch Fann in diefem Leben zu einer Voll⸗ 
kommenheit ſich erſchwingen, in der er des Suͤndigens 
und eines Wachsthums der goͤttlichen Gnadeunfaͤhig wird. 

2) Wer dieſe Stufe erreicht hat, braucht nicht mehr zu 
faſten, oder zu beten, weil in dieſem Zuſtande die 
Sinne dem Geiſte und der Vernunft dergeſtalt unter⸗ 
worfen ſind, daß der Menſch ſeinem Leibe, was ihm 

immer beliebt, ungehindert geſtatten darf. 


202 .. Boaegharden. 


8 Welche ‚gu dieſem Grade -von . Freiheit gelangt find, 
‚find nicht mehr fehuldig zu geborchen, noch an die 
Gebote der Kirche gebunden. 

Der Menſch kann In dieſem Leben. das Gluͤck der Ser 
ligen und jene Stufe von Vollkommenheit, die er im 
kuͤnftigen haben wird, ‚erreichen, . 

5) Jedes geifkige Geſchoͤpf iſt ſeiner Natur nad. ſelig, 

und die Seele bedarf des Lichtes der Glorie nicht. um 
ſich zur Anſchauung und dem: Genuſſe Gottes hinan⸗ 
zuſchwingen. 

6) Tugendübungen find für unbollkommene Menſchen— 

der Vollkommene ſpricht ſich davon Ing, 


7) Eine Frauensperſon kuͤſſen iſt eine Todſuͤnde; aber 
fleiſchliche Vermiſchung mit ihr iſt gar nicht Euͤnde. 

8) Bei Aufhebung des Leibes Jeſu Chrifti.ift es nicht 
nothmwendig,daß die Bolfommnen aufftehen, oder irgend: 
Ehrerbietung bezeigen, weil es fuͤr ſie eine Unvoll⸗ 
kommenheit waͤre, wenn ſie von der Reinh eit und‘ 
Höhe ihrer Betrachtungen ſich zu dem Gedanken an dag 
Saframent der Euchariftie oder an dag Leiden Chris 
fit ernfedrigten 1). 

| Die Verdammung Der Beguard, en rottete ihre Seete 

nicht aus: ein gewiſſer Berthold brachte ſie zu Speier 

und in verſchiedenen Gegenden Teutſchlands nochmals 

empor 2). 

Einen Theil dieſer Irrthuͤmer hatten auch die F re⸗ 
roten und Dulciniſten, nicht als wenn fie ſelbe von 
‚ ben. Besuarden angenommen häften, fondern weil dieſe 
Arten von Secten ſtets auf Befriedigung der Sleifchestuft 
hinauslaufen. Die Freroten hatten noch ihre eigenthüms“ 
lichen Irrthuͤmer: man ſehe dieſen Artikel. | 





) Dupin, 14me Siecla p.. 566. Dargentrs Colteet, elc. 
Jud. F. 1, p: 276. Nat. Alex. in, Saece. 14. 
3) Trithem. in Chron. Hissau gjensi T. 2. p- az 
D’argentre loc, cit, - E | 


a 





Berengar. | 963 


Mit dleſen Beguarden muß man die Beguinen 
beiderlei Geſchlechtes, die den dritten Orden des bi Frans 
ciskus ausmachen, nicht vermifhen. In Fliandern, Loth⸗ 
ringen und der Picardie lebten, beſonders unter dieſem 
Namen, fromme Frauensperſonen, die ohne Geluͤbde ge⸗ 
than zu haben, in einem erbaulichen gemeinſchaftlichen Le⸗ 
ben, ſich mit Handarbeit naͤhtten, und zwiſchen weltlichen 
und Kloſterfrauen, ſo zu ſagen, einen Mittelſtand bildeten. 


| Berengar. *) zu Angers gegen Ende des zehn⸗ 
ten Jahr hunderts geboren, geſtorben 1088. Nach beendigs 
ten Studien umter Fulbert ju Chartres kam er nach 
Tours, wo er eine Lehrfiche an der öffentlichen Schule’ 
des bi. Martin erhielt, und Scagmeifter der daſigen 
Kirche, würde, in der Folge. ward er Archidiakon zu Ans 
gers, ohne jedoch feine Stelle-an der Schule gu: Tourg 
aufzugeben. Er griff den Glaubensſatz von der, Ver wand⸗ 
lung des Brod's und Wein's in den Leib und Das Blut 
Hefu Chriſti (Transſubſtantiation) an, ſchwur feis 
nen Irrthum ab, nahm ihn wieder-an, widerrief mehrere 
Male, und ſtarb endlich im Schooße der Kirche. 
Um auf die erſte Entſtehung dieſer Irrlehre zu kommen,“ 
muß man auf die om Ende des neunten Jahrhunderts ent⸗ 
ftandenen Wortftreite über die Euchariftie zuruͤckgehen. Pa⸗ 
ſchaſius Rodbert, Mind, fpdter Abt von Corbte ver⸗ 
faßte um die ‚Mitte des neunten Jahrhunderts zur Beleh⸗ 
rung. ben Sachſen, eme Abhandlung von dem Leibe. und: 
Blute unferes. Herrn; er flelte darin die Lehre omn: 
der wefentlichen ‚Gegenwart auf, und brehaupicte: daß. dent 
geib, den wir in Der Euchariftie empfangen, der nimliche. 
ſey, den die Jungfrau Maria zur Welt geboren habe. : 
Paſchaſius war in f-inet Schrift der Lehre der’ ai 
che gefolgt; alle Katholiken Bor ihm hatten geglaubt : daß 
ver Leib und das Blut Jefſu Chriſti in ver Euchariſtie 
wahrhaft gegenwärtig feven ; ‚ umd daß. Brod und Wein in 


*) 11tes Jahehundert. 


204 Berengar, 


den Leib und has Blut des Herrn verwandelt wuͤrden; je⸗ 
doch war. man nicht gewoͤhnt, fo ausdruͤcklich su fagen, Taf 
- der Leib Chriſti in der Euchariftie derfelbe fey., den Mar 
ria geboren babe. 1) Diefer Ausdruck mißfiel; „er wurde 
angeftritfen, von Pa ſ dafiug vertheidigt, und dieſer 
Streit mochte Aufſehen. Die beruͤhmteſten Männer zu Ende 
des neunten Jahrhunderts entzweiten ſich hierüber, und 
man ſah viele Schriften erſcheinen, die dieſen Ausdruck des 
Paſchaſius beſtritten oder vertheidigten; denn über dag 
Dogma war man einig. . 

Streitigkeiten, die ſich gwifchen beruͤhmten Mannern 
erheben ‚ beunrubigen und beherrſchen die Koͤpfe noch lange 
Zeit nach Ihrer Entſtehung. Berengar, welcher zu Tours 
die Theologie lehrte, unterſuchte die Schriften des Paſcha⸗ 
fing, und die Einwendungen, bie man ihm gemacht hatte. 

Paſchaſius fagte, wie empfinden den Leib und das 
Blut Jeſu Chrifti, denfelben Leib, ven bie Jungfrau ges 
boren hätte, wir genoͤßen diefen Leib; wenn auch noch 
fheinbar Brob zuruͤckbliebe, {6 könnte man doc) fagen, Daß 
Res der Leib und: dag Blut Ebrifti fey,' fo wir in dem 
Brode empfingen; wir gendßen den Leib, der an Das Kreuz 


geheftet geweſen, und tränfen in dem Kelche dag Slut,ſ fo. 


aus der Seite Jeſu geflogen fey 2). 

Berengar, beit die Sinne bezeugten, daß nach ges 
fprochenen Einſetzungs⸗Worten Brod und Wein rioch die 
Eigenthuͤmlichkeit und Beſchaffenheit, wie zuvor haben, und 
noch bie nämlichen Wirkungen hervorbringen, ſchloß hier⸗ 
aus, daß Brod und Wein nicht der Leib und dus Blut 
ſeyen; fo von der Jungfrau geboren und am Kreise. aufges 
hängt worden; er lehrte daher, daß Brod und- Wein nicht 


"in den Leib und das Blut Chrifki verwandelt. wiÄrben;.a 


lein. die wefentlihe Gegenwart griff er nicht an; er: 
gab zu, Daß Schrift und Ueberlieferung den Zweifel nicht 





3) Mabillon. Praefat. in 4. Saec, Bencdict. p. 2. C. ĩ.-.. 


6. + 
3) Trast. de Corp. Demini. Ep. ad Srodegard. 


Berengar. 2685 
. geflatteten;, od die Euchariſtie wahrhaft und weſent⸗ 
lich nen Leibrnund das Biut Jeſu Chreſti ent hatte, 
oder ob fie fein wahrer Leib ſey; ſondern er glaubte: 
ver Sohn Gottes vereinige fich mit .dem Brode und Weine, 
und dur) dieſe Bereinigung. würden fie der. Keib und das 
Blut. Je fu, ohne. ihre, Natur oder phyſiſche Weſenheit 
zu serändern , ‚und ohne aufzuhoren, Brod und Wein zu 
ſeyn 1). 

Da Berengar dieſs in‘ der Schule iu "Tours: jehr⸗ 
te, gerieth Alles in Bewegung; man brachte einen Jeiner 
Briefe an Lanfrank, worin er ſeine Meinung behaup⸗ 
tete, nah Rom. Der Brief wurde in einer von Leo IX. 
im Jahre 105% gehältenen Synode nerlefen,' worauf: bie 
Lehre :Berengar’g verdammt, und feine Perfon mit: Dem 


Banne belegt.murde. . F 


Berengar: von feiner Verurtheilung benachrichtigt, 
zog ſich in die Abtei von Preaux zuruͤck, und fuchte Wil⸗ 
helm, Herzog der Normandie, auf'feine Seite zu brin⸗ 


- gen; allein dieſer Fuͤrſt ließ „die Bifchöfe der Provinz fid) 


verfammeln, und Berengar ward abermals verurtheilt. 
Berengar beftritt ein der Vernunft urzugaͤngliches 
Gcheimniß ; dem Glauben feßte er. die Sinne und Einbils 


dungskraft entgegen, — was. Wunder? wenn er Anhänger 


fand. Es ift ein unbegreiflicher Verſtoß gegen die Denfges 
f £e, wenn man hieraus fchließen wil, daß es damals in 
der Kirche viele gab, welche die Lehre von der Transs 
fubfiantiafion verwarfen. Denn fürs erfte-ift jede neue 
Irrlehre, die ein. Religions » Geheimnig anfeindet, anziehend 
‚ genug, um beiim erfien Anblicke unwiſſende und keichtfinnige 
Menſchen zu bethören; und wenn man fagen daärfte, daß 


> eine Meinung Lehre der Kirche geweſen fen,. weil derjenige, - 


der fie aufgebracht hat, Anhaͤnger fand, fo müßte man auch. 


fagen dürfen, daß alle Ketereien und Srrthiimer immerdar _ 


in der Kirche gelehrt. worden- find, weil es in. der That kei⸗ 
ten rthum gibt, der nicht Anhaͤnger gefunden haͤtte. 


J 





1) Mabill. Praef. in 6. Saee. Benedict. $. 3. p.\473- 


— 


266 Ä Berengar. 
Fuͤrs sondere’ begemgen alle @efchichtfchreiber ; daß die Meir 
mg. Berengar’s für etwas Neues gehalten wurde, 
und die Gegner koͤnnen feinen alten Schriftfteller anfuͤhren; 
der auf irgend eine Weiſe bezeuget, daß Berengar in der 
Kirche Perfonen: angetroffen habe, die fruͤher ſeiner Mei⸗ 
nung. geweſen ſeyen, noch daß fein Irrihum durch irgend 
Jemand, der ſolchen von. einem: andern, außer Berengar 
gehoͤrt haͤtte, unterſtuͤtzt worden ſey; Alle bezeuten, daß er 
den einzige ‚Urheber. ber Unruhen ſey 1). 

Der Irrthum Berengar's wurde in allen Concilien, 
wo dagegen Klage gefuͤhrt wurde, als in jenen zu Ver⸗ 
ceil, Tours und Paris, verdammt. In jenem von 
Tonrs.erfchien er, -und-verwarf feinen Irrthum: aber er 
handelte nicht: aufrichtig; denn auüch nachher‘ tehrte er den⸗ 
ſelben fort. Nicolaus Il. berief einen Kirchenvath, wo⸗ 
rin Berengar -feine Meinungen vertheidigte; aber von 
Abbon und Fanfranf widerlegt wurde; abermals ſchwur 
er ſeinen Irrthum ab, und verbrannte feine: Schriften: 
Diefes Glaubens ; Befennmiß ſchien aufrichtig; allein 
faum mar Berengar nad - Franfreich zuruͤckgekommen, 
als er es berente, feine Schriften verbrannt und feine Meis 
nung verdammf; zu haben; -er profeflirte gegen feinen letz⸗ 
ten Widerruf, gab vor, er fen ihm von Humbert diktirt 
worden, und nur aus Furcht. habe er > unterzeichnet ; er 
fuhr alfo fort, ‚thn zu. lehren. 2 

Endlich hielt Gregor: VII. 1079 zu Rom ein Cons 
cilium, wo Berengar noch einmal feinen. Frrthum ers 
faunte und verwarf; ter Pabſt behandelte ihn mit Güte 
und Nachficht, ſchrieb fogar für ihn an den Erzbischof von 
Tours, und den Biſchof von Angers. Nach dieſem 
Concilium zog er, ſich auf die Inſel Saint⸗Come bei der 
Stadt Tours zuruͤck, wo er im Anfange des Jahtes 1088 
nach Sjähriger Buße ſtarb. a 

Die Widerrüfe und: Buße Berengar’s hinderten je⸗ 
doch nicht, daß mehrere ſeiner Schuͤler bei Ihrem Irrthume 


1) Ferpéluité de laFoi. T. 1. L. 9. €. 7. p. 657. 


J 


—xXX 


Berengar. 2uT. 


uͤber diefe Materie beharrten; jedoch “waren biefe bei weis 


tem nicht fo zahlreich, aldE 8 Claude, la Roque, Bass 
wage behaupten; jene Gefehichtfchreider, welche Berens 
gar’n eine große Zahl von Schilern geben, fi nd uͤberdießz 
den gleichzeitigen Schriftſtellern entgegen.“ ee" 
Guimond,-Erpbifchof von -Averfe, “ehr Beitgemöffe, 
bezeugt ausdrüclic), daß Berengar nicht einmal einen 
Marktflecken auf feiner Seite, and nur Unwiſſende 5B Ans 
hängern gehabt habe: alle ung uͤbrigende hiftorifche Denks 
male jener. Zeit flimmen- mit Dem -Zeugniffe Guimpudes 
überein;. folte man diefem. einen Wilhelm: ven. Mal 
mesbuͤry, der .erft 1242 lehte, und eigen Mattniud 


von Beſtmaͤnſter, aus dem en, Jehrhundert vor⸗ 
ziehen? 1). Jg 


Man findet, wahr iſt es , im Wwölften— ahthunder 
Perſonen, welche die Tranfubflantiation- aͤugneten, man 
kann aber nicht fagen, daß dieſe eher Schuͤler Berrn« 
gar's ald der Manichder waren, die in Frankreich wie⸗ 
der erfchienen waren, ‚und wie Berengar, die. Trans 
fubflatiafion verwarfen. Die. gefrhichtlichen Urkunden 


durch welche wir diefe Seinde der Tranfubflantiatiow - 


fennen, laffen ung. Letzteres vermuthen: Dean ‚man erficht: 
daraus, daß dieſe Steger noch andere Irrthuͤmer hatten, 
wovon zu reden, der Geſchichtſchreiber für unfchicklich haͤht; 
welches aber nicht auf die Schuͤler Be rengar's paßt 2. 

uUebrigens iſt das angebliche Fortbeſtehen. der Lehre 
Berengaͤr's vom. neunten: Jahrhunderte an bis zur Re⸗; 
formation, warum ſich Basnage ſo ſehr abmuͤhet, nicht 
jenes ununterbrochene Fortbeſtehen, wie ſolches in der wah⸗ 
ren Kirche anzutreffen iſt, und das Kennitichen der. Babe, 
heit ausmacht. einst . 


Es ift nicht zu wundern, uf ein Irrthum , meter. 





- don x 

ı) Perpetuit& de. la. Foi. T. 1, L. 9. C. 7: p. 657. : 

2) Spicil. d’Acheri, T. 2. p. 243. Leibnitz Access. 
Ristor. C. 6, 8, ann. 1262. 


a 4 


18. Brrengar. 
wie jener Berengar’s fo viel Laͤrmen machte, Beſtand ers 
halten habe, und es. mag wohl keine. Irrlehre geben, für 


die man nicht mittels angeflellter Nachforſchungen, Folger 


rungen und Sophismen, in den, ihrer Entfichung vorher⸗ 
‘gehenden , Jahrhunderten Anhänger finden follte: traf nicht 
Sandius in allen Jahrhunderten ber *iede Aria 


ner an? 1). 


Eine * Fortvauer iſt es aber nicht, welche die Lehre 


. ber wahren Kirche bezeichnet. Dieſes Fortbeſtehen muß 
von der Art fenn, daß man feinen Zeitpunkt angeben fan, 


wo eine gewiſſe Lehre in der Kirche unbefannt geweſen ſey, 
wie der Irrthum Berengar' 8, der, als man” ihm den 
Widerſpruch der ganzen Kirche gegen feinen. Irrthum vor⸗ 
hielt, antwortete, die ganze Kirche ker su Grund 
gegangen 2). ' 


Da ferner bie wahre Rice eine ſichtbate und katholiſche, 
d. h. allgemein verbreitete Geſellſchaft iſt und ſeyn muß, 
koͤnnen wohl einige namenloſe Sectirer, die ihre Irrthuͤmer 
im Geheimen lehren und fortpflanzen, die allen Glaͤubigen 
verhaßt, und von allen Kirchen verworfen ſind, die weder 
Kirche noch Lehramt, weder Gerichtsbarkeit, noch Sendung 
haben, die Kirche Jefu Chriſti vorſtellen? | 

Die Berengarier waren aber auch nicht beſtaͤndig 
und einhellig der Lehre ihres Meifters zugefhan, alle gas 


ben zu, daß Brod und Wein nicht verwandelt werde 


in den. Leib und das Blut J. C., einige aber Fonnten nicht 
begreifen, daß der Sohn Gottes ſich mit Brod und Wein 
verbinde, und ſchloſſen: daß dieſe nicht den Leib und 
das Blur J. €. enthielten, ſondern nur bildlicher Weiſe 
und weil fie den Leid und: das Blut bed Heren vorfiels 
ten, fo genannt wuͤrden. 


J 


1) Sandins hist. Ytccles. 
2) Borengarius apud Lau efraney € 23. ‚Perpet. 
J de In Foi. L. 1,9. 


[a 


‘ 


Mithin laͤuggneten Berengar ımb feine Scaler die. 
Verwandlung, allein erfterer glaubte, das Brod werde 
der Leib des Herrn, legtere, es fey nur die Vorflels 
Yung. davon. Diefe lebte Meinung wurde von den meiften 


Keterhäuptlingen und Sectirern, die nah Berengar 


- quffrafen, und diefen Irrthum mit alten Ketzereien in Vers 


bindung - brachten, angenommen; folche. waren Peter von 


Bruvs, Heinrich von Toulouſe, Arnold von 


Brefcia, die Albigenfer, Amauri von Chartresg, 
und lange darnach Wiclef, die gollarden, die Tha⸗ 
boriten, endlich erneuerten Karlſtadt. Zwingli, 
Calvin bie Irrlehre der Berengarier, und Luther, 
der Berengar's Meinung folgte, behauptete die Im 
panafion. 


Da dieſe zwei Punkte der. Ruͤclkehr der proteftantifchen — 


Kirchen ein Haupthinderniß in den Weg legen, ſo halten 
wir es fuͤr iweckmaͤßig, gegenwaͤrtig ſie zu 1 verpandlen. | 





ð 


Von der Ölaubenslchre der weſentlichen oh 


wart Jeſu Chriſti im HL Abendmaple, 


Es wird nicht Teiche über ‚einen Gegenſtand der Reli⸗ 
gionslehre ſoviel geſchrieben worden ſeyn, als uͤber dieſen. 


Schon die Anfuͤhrung der hierüber etſchienen Schriften 
duͤrfte einen Band ausmachen: Wir wollen die Gruͤnde 
für und die Einwendungen gegen dieſen Lehrſatz auf ein⸗ 


fache Punkte bringen: : 


— — — 





Die Lehre von der weſentlichen Gegenwart ik in. 


der Hl. Sqhrift enthalten. 
Als Jeſus Chriſtus das hl. Abendmahl einfepte, 


nahm Er Brod in die Hände und fagte: Das jſt mein . 


Leid. Die Echrift redet nie vondiefem Gcheimniffe als in 


Ausdrüden, welche im natürlichen und buchftäblichen Sinne 


genommen, die wirkliche Gegenmart des Leibe und 


Blutes des Herrn bezeichnen; und nicht, daß Brod und 


- 


„. 


270 7 Zerengar. 


- Mein eine bildlidye Vorſtellung des Leibes und Blu⸗ 


tes J. C. ſeyen. 


Um berechtigt zu ſeyn, die Worte ber Schrift in einem 
hifdlichen DVerfiande zu nehmen, und zu ‚behaupten: Daß 


vie · Euchariftie. eine Vorftellung des Leibs und Bluts 


Ehrifi fen, müßte und entweder Jeſus ſelbſt belehrt 
haben, daß Er die von Ihm gebrauchten Ausdruͤcke nicht in 
einem natürlichen Sinne nehme, oder diefer natürliche Sinn 
müße eine fo handgreifliche und grobe Ungereimtheit enthals 
ten, daß auch der Dümmfte fühlen müßte, Jefu habe jene 


., Worte nicht in ihrem nasürlichen und buchftäblichen Ders 


ſtande nehmen können, 


Allein für's Erfte iſt es gewiß, dag Je ſus feine Juͤnger 
nicht darauf dorbere itet hatte, die Worte, deren Er ſich bei 


Einſetzung des hi. Abendmahls bediente, in einem uneigent⸗ 


lichen Verftande zu nehmen; im Gegentheile hatte Er vor 
dieſer Einfeßung ihnen gefagt, fein Fleiſch fey wahrhaft 
Speife, und fein Blut wahrhaft Trank. Wer fein 

Fleiſch effe, und fein Blut trinfe, werde dag ewige Leben 
haben. Er: hatte verfprochen, ihnen dieſes Brod des Lebeng 
zu geben. Die Juden, die dieſes Hirten, fragten einander: 
wie Er ihnen fein Fleifch zu effen geben tinne? und 
Jeſus antwortete ihrer Beichwerde nur mit der Wieders 


| holung,, daß fein Fleiſch wahrhaft Speife, und fein Blut 


wahrhaft Trank fey; und wenn fie das Fleifch des Mens 
ſchen⸗ Sohnes nicht effen, und fein Blut nicht trinken wuͤrden, 


ſie das Leben nicht in ſich haͤtten. 


| Bei diefer Gelegenheit verfprach Jeſus feinen Sins 
gern, ihnen fein Fleifh, und zwar fein wahrhaftes 


Fleiſch zu effen zu geben: alle Gegner kommen überein, dag 


im fechsten Kapitel des Evangeliumd Johannes durchaug 
die Mede von dem wahrhaften Fleiſche Jeſu fen. 3 
Die Juͤnger erwarteten alſo, Jefus werde ihnen 
wahrhaftig fein Fleiſch zu eſſen, und fein Blut zu trin⸗ 


ten geben; nur wußten fie ie nicht, wie Er dieſes Verſpre⸗ 


a erfüllen’ werde. 
Bel Einſctzung des Abendmahls beftehlt ihnen Jeſus 


i 


Berengafi Tl 


das Brod, fo Er gefegnet, zu effen, und serfichert fie, taß 
dieſes fein Leib fey: mithin, weit entfernt, die Apo⸗ 
ftel belehrt zu haben, daß fie die Einfegungs; Worte des 
Abendmahls in einem bilvlichen Verſtande zu nehmen haͤt⸗ 
ten, hatte Er fie darauf vorbereitet, folche im natürlichen 
und buchftäblichen Sinne zu nehmen... | 

Sp fonnten die Allegorien und Bilder, unter welchen 
Jeſus ſich hie nnd, da norflellte, die Jünger nicht auf ven 
Gedanken bringen, die Einfeßungs s Worte im uneigentlichen 
Sinne auszulegen. Jeſus hatte verfprochen,. feinen Leib, 
feinen wahren Leib ihnen zu effen zu geben; an den Ges 


nuß diefes Leibes hatte Er dag ewige Leben geknüpft; jetzt, 


da ihnen der Meiſter feinen nahen Tod angekuͤndet hatse, 
ſtanden fie eben in Erwartung Der Erfüllung dieſes Ver⸗ 
ſprechens. 
Die Wichtigkeit desſelben, ſtets ihrem Geiſte hegenwaͤr— | 
fig, geflattete ihnen fohin nicht, bei Einfegung des Abend» 
mahls weder die jetzt eingetretene Erfüllung der Verheißung 
zu mißfennen, noch gu glauben, daß der Herr ihnen in tem 
Brode des. Abendmahls die bildliche- Vorſtellung feines Feis 
bes reiche; fie Fonnten Daher die EinfegungssWorte nicht 
anders, als in ihrem eigenthuͤmlichen und natürlichen Sinne 
nehmen, und Jeſus ſtatt fie belehrt zu haben, daß Er im 


- Bilde rede, hatte fie vielmehr gewiffermaffen vorbereitet, 


feine Worte im buchftäblichen. Sinne zu nehmen. 
Jeſus, und die Evanheliſten fagen alfo nicht, daß die 


Einſetzungs⸗Worte des Hl. Abendmahls in einem bildlichen 


Sinne gu nehmen ſeyen. 


Ferner kann man nicht ſagen, daß der buchſtaͤbliche und 
natuͤrliche Sinn der Worte der Einſetzung einen augenfaͤlli— 
gen. Widerſpruch, oder handgreifliche Ungereimfheit enthal⸗ 
ten, fo daß der Verſtand bei'm Vernehmen dieſer Worte 
fogleich die natürliche Bedeutung verlaͤßt, und die bildliche 


“annimmt: denn fonft wäre die. Blaubenslehre von ver 


wefentlichen Gegenwart dey Apoſteln und Chriften 


nie eingefallen, noch mehr, fie häfte nie auffommen können, 


oder man hätfe wenigſtens in der hriſlichen Kirche gegen 


I y 


272 Berengar. | 
‚diefe Lehre Widerſpruch eingelegt, und die Mehrzahl wuͤrde 


den figuͤrlichen Sinn beibehalten haben. 


Inzwiſchen, als Berengar die Lehre von der Bers 


wandlı ng anfitift, glaubte die ganze Kirche an Die m es 


fentlihe Gegenwart, und die Gegner der Katholifen 


konnten bis hieher noch Feine Zeit angeben, wo fie nicht ges 


glaubt wurde, noch ein Jahrhundert, in welchem die Kirche - 


dafür hielt, die Euchariſtie ſey nichts, als die Vorſtel⸗ 


| fung des Leibes Chrifti. 


Wenn der bildliche Sinn derjenige if, der ſich dem 
Verſtande darbietet, ſobald man die Einſetzengs⸗Worte ver⸗ 
nimmt, warum wurde Karlſtadt von aller Welt verlaſſen, 
als er dieſen vorbrachte? Warum brauchte Zwingli mehr 
als vier Jahre, um zu finden, die Worte: Das iſt mein 
Leib, fenen gleichbedeutend mit jenen: Das ſtellt mei⸗ 
nen feib vor? 1) Warum haben Luther und alle feine 


- Schüler, fo gut wie die Katholiken, die Einfeßungemorte 
unausgeſetzt in dem natürlichen und buchftäblichen Sinne 


angenommen? Warum fah fih_Luther genoͤthigt, um bie, 
protcftantifchen deutfchen Sürften für die vier Reichsſtaͤdte, 
welche der Lehrmeinung Zwingli's zugethan waren, zu ges 
winnen, für dieſe ein Glaubens s Bekenntniß abzufaſſen, wos 


tin er anerkennt: daß Jeſus feinen wahren Leib und fein 


wahres Blut feinen Schilern wahrhaftig zu effen und zu 
trinken gab? Warum. betheuerte er in einem: Echreiben an 


den Herzog von Braunſchweig⸗Luͤneburg, baßer gegen 


Zwingli und Defolampad glaube, ver wahre Leib und 
das mahre Blut Jeſu Chriſti ſeyen in dem Abendtahle 
gegenwaͤrtig? 2) 

Endlich wenn es wahr waͤre, daß die bildliche Bedeu⸗ 
tung ſich natuͤrlich dem Verſtande darboͤte, warum griffen 


x 


1) —R de vera religione p. 202 Resp. ad Lu- 
ther. p- 400 Epist. ad Pomeran. p. 256. Perpet. de 
la Fo’ T. 2. L. 1,02. 


» ep part. 2. p. 222. Perpet, de la Foi. T. 2 . 
‚X. 4 “ . 


N 


Berengar. 273 


die Voͤlter, welchen Bucer dieſe Bedeutung vorgepredigt 
hatte, alsbald wieder zur Lehre. der wirklichen Gegenwart, 
ba dieſer und Cazito aus Schonung für die Lutheriſchen 
aufhoͤrten, obige Bedeutung unablaͤßig in ihren Ohren er⸗ 
tönen zu laffen? 1) 


Aber fahen denn, mender matt ein, die Apoſtel nicht 
ganz deutlich, daß, Indem fie das -Brod, fo Jeſus geſegnet 
hatte, genoffen, fie den Leib, den fie vor Augen hatten, 
hicht genießen Eonnten? . 

Die Apoftel kannten bie Allmacht und hoͤchſte Wahr⸗ 
haftigteit ihres Meifters; ihnen war es nicht noͤthig, die 
Möglichkeit von dem, was er ihnen fagte, ju begreifen, 
um feinen Werfen eine natürliche und buchftäbliche Ausle⸗ 
gung zu geben. Sie glaubten, daß das Brod in der That 
ber Leib Jeſu geworden fen, wenn fie auch dag Wie? 
nicht faßten. — Verhinderte die Unmdglichkeit , das Geheim⸗ 
niß der Dreieinigfeit zu. begreifen, den Glauben daran ? 

Ueberdieß findet der Verſtand nur das unmöglich, was. 
einen logifchen Wiverfpruch in fic) faßt, d. h. was befagt, 
Daß ein Ding zu gleicher Zeit iſt, und nicht if, Diefer 
Widerfpruch, ift aber in bem Lehrſatze van ber weſent⸗ 
lichen Gegenwart nicht zu finden. 


— 4 


Die Bene von ber iwefentlihen Gegenwart hatte 
immer in der Kirche Beſtand. 


Set dem Beginnen der Kirche machte bie Fefet bes 
Abendmahle den wichtigſten Beſtandtheil des Gottesdienſtes 
der Chriſten aus. Die Apoſtel feierten daſſelbe bey ihren 
Zuſammenkuͤnften, und verordneten dieſe Feier fuͤr die kuͤnf⸗ 
tigen Zeiten der Kirche. (Apoſt. Geſch. 2, 42, 46.) 
Bei dieſer Feier ſegneke man Brod und Wein mit den 

Worten: Di m der Leib und das ut des Hm. Anf 


o 


1) Hospin. pi. 2. p. 122: Perp. de la Foi. 1: 2. 1. 1, 
©: 4: u | 
KenersBeriton. IL 48 


! * — 


274 | Berengar. 


dieſer Gegenwart des Leibes Jeſu beruhte für die Chris 


ſten die ganze Wichtigkeit dieſes Geheimniffes. Hierauf grins 


N 


dete ſich ihre tiefe Ehrfurcht gegen die Euchariflie, und 
nichts war ihnen angelegener, als ben Grad von Ehrerbies 
tung, die man dieſem Geheimniffe fchuldig iſt, genau zu 


fennen, weil der Verluft des ewigen Lebens auf dem Spiele 


„ſtand für den, der es unwuͤrdig genoß. 


Unm dieſem Geheimniſſe die gebuͤhrende Ehrerdietung 
zu erweiſen, und zur wuͤrdigen Genießung deſſelben, mußte 
man nothwendig wiſſen: ob man Jeſum wirklich empfange, 


ob man wahrhaft feinen Leib und fein Blut, oder nur 


die Vorſtellung und das Symbol von beiden empfange. 
Die Apoftel und erſten Chriften. fonnten daher über die 
Gegenwart des Leibes Jeſu im Abendmahle nicht unges 
wiß und im Zweifel bleiben; fie glaubten entweder an die 

wirkliche Anweſenheit oder an die wirkliche Ab we—⸗ 


“fe nheit des Leibes Jeſu in der Euchariftie. 


‚ diefefelbe noch heut zu Tage am. 1) Alle Katholiken glaubs . 


Alle von ber römifchen Kirche getrennte chriſtliche 
Vereine, vom vierten Jahrhunderte an bis zu Berengar, 
glaubten an die weſentliche Gegenwart des Leibes Jeſu in 


der Fuchariftie; die Neftorianer, Armenier, Jacobis 


ten, Copten, Aethiopier-und Griechen erkennen eben 


ten dielbe ebenfalls, als Die Berengarier fie zu befiteis 
ten Anfingen. 

Da dieſer Glaube zu Berengar’s Zeit unter den 
Chriſten allgemein war, fo folgt nothwendig, daß er fo alt 


‚als die Kirche felbft fen, eder daß alle. chriftlichen Kirchen 


von dem Glauben an die wirklihe Abmerenheit zu Dem 
Slauben an die wahrbafte Anweſenheit des Leibes J ef u 


im Abendmahle übergegangen ſeyen. 


Menn es wahr ift, daß Die Kirche von dem’ Blauben 


an die wirflihe Abwefenheit zu jenem der wahren. 


Gegenwart nicht übergehen konnte, fo iſt es auch ers 





1) Mon fehe diefe verſhiedenen Artitei 


4 


: Berengar. | 95 


wieſen, daß die weſentliche Gegenwart von den Zeiten 
ber Apoſtel an bis zu Berengar ſtaͤts in der Kirche ges 
Ichrt und befannt worden iſt. Jenes aber iſt ausgemacht, 


Denn der Uebergang im Glauben der Chriften von eis 
nem zum andern fonnte nur auf zweifache Weife gefchehen, 
entweder plöklich, oder nach und rad). 

' Die erffe Vorausſetzung iſt unmoͤglich; denn ſonſt muͤß⸗ 
ten alle Chriſten, nachdem ſie bis daher insgeſammt geglaubt 
hatten: der Leib Jeſu ſey in dem Abendmale nicht zuge⸗ 
gen, mm miteinander auf einmal angefangen haben zu 
glauben, daß Der darin anwefend fey, dergeffalt, daß, 
wenn fie mit dem Glauben, die Euchariftie fey nur die Bors 
ftellung des Leibes Fefu, fich des Abends zur Ruhe ber 

. geben hätten, fie des andern Morgens alle in ber Ueber⸗ 

zeugung erwacht wären: fie enthalte wirklich den Leib 
- und Dad Blut Jeſu Chriſti. 
| Es iſt unmoͤglich, daß eine Vielheit auſſer Gemein⸗ 
ſchaft ſtehender Kirchen, gegen alle Himmelsgegenden hin 
zerſtreut, feindſelig und ohne Verbindung untereinander, 
uͤbereingekommen ſeyn ſollte, den Glauben an die we ſent⸗ 
liche Nichtgegenwart, der immer angenommen war, 
zu verwerfen, und ihn mit jenem am die weſentliche 
Gegenwart, an die bisher Niemand glaubte, zu vertaus 
(hen, wie es unmoͤglich iſt, Daß man ohne gegenfeitige Vers 
abredung in diefem Punfte follte übereingefroffen haben, ohne 
daß diefe Veränderung in ber Lehre einen Widerſpruch er⸗ 
zeugt hätte. — 

Der Uebertritt von dem Glauben an die Nichtanwe⸗ 
ſenheit zu jenem an die wirkliche Anweſenheit, 
muͤßte ſonach, wenn er ſtatt gehabt. hätte, ſtufenweiſe 
gefchehen ſeyn; und dann müßte zuerft, namlich bei dem 
Entfiehen der Meinungs s Uenderung eine Zeit gemefen 
ſeyn, wo Diefer nur fehr wenige Perfonen zugefhan waren; 
in einem andern Zeitpunkte müßte. diefe Zahl ſich ſchon ſehr 
vermehrt, haben, und der Zahl der Glaͤubigen, die ſich zur 
Nichtgegenwart befannfen y gleichgefommen feyn; in einer 


13H N 


270 _ Berengar. 


mweitern Periode hätte fich. diefe Meinung des großen Hau⸗ 

feng bemaͤchtigt, wenn gleich unter vielfaͤltigem Widerſpruche 
Anderer, die der alten Lehre noch treu blieben, und endlich 
müßte die Zeit gefommen ſeyn, wo dieſer Glaube friedlich 
und ohne Gegenrede herrfchte, und die war, wie die Cals 
piniften eingeftehen müffen, der Zufland der Chriftenheit, als 


Berengar anfing, über diefe Materie Streitigkeiten zu ers . 


regen. 1) 

In allen diefen Fällen iſt ed unmoͤglich, daß nicht in 
der Kirche zwiſchen denen, die an die Nichtanweſenheit, 
und denen, die an die wirkliche Anweſenheit glaubten, 
ſich ſollten Zwiſtigkeiten erhoben haben. Die kleinſten Ver⸗ 
aͤnderungen in der Kirchenzucht, die leiſeſten Abweichungen 
von den weniger entwickelten und bekannten Glaubensſaͤtzen 
erweckten ſogleich in der Kirche Widerſpruch: alle Irrthuͤ⸗ 
mer, alle Ketzereien wurden gleich bei ihrer Geburt ange⸗ 
geftri..en, wie follte der Glaube an die wahrhafte Ge 

. genwart, in einer Kirche, wo die Nichtgegen waͤrt ges 
glaubt wurde, ohne Widerrede haben eingeführt werden 
koͤrnen? wie konnte man den ganzen Gottesdienſt und alle 
Ceremonien abändern, ohne daß jemand ſich dagegen gefet 
haͤtte? 

Inzwiſchen findet man von den Apoſteln an bis zu Bes 
rengar, wo der Glaube an die weſentliche Gegeus 
wart der in der Kirche allgemein herrfchende war, feine 
Epur, daß Jemand mit Verkündung der wefentlichen 
Gegenwart des Leibes Jeſu in der Euchariflie dafiir ges 
halten hätte, eine von dem gemeinfammen Glauben feiner 
Zeit, oder der alten ‚Kirche unterſchiedene Meinung aufjus 
dringen. Man findet nicht, daß irgend Jemand bei Bifchds 
fen oder Coneilien angeklagt worden fey, weil er mündlich 

. oder fchriftlich gelehrt Habe: Jeſus Chriſtus befinde fich 
wahrhaftig im Munde desjenigen, der dag Abendmahl ems 
pfange; man finder nicht, daß ein Vater, ein Bifchof, eine 
Kirchenverfammlung fi fi ch die Muͤhe gegeben habe, dieſen 


—N — 


1) Perpstuits de la Foi. 12mo. p. 19 





Berengar. Bu 977 


Glauben zu widerlegen, oder zu bezeugen, daß einige aus 
dem Volke in einem groben und gefährlichen Irrthume ſtuͤne 
den, da fie glaubten, Jeſus fen auf Erden eben fo, wie 
- im Himmel gegenwärtig. Endlich findet man nirgends, daß 
ein Kirchenlehrer oder Prediger fich je beklagt Habe, daß zu 
feiner Zeit ſich ein fchädlicher. und verdammlicher Goͤtzendienſt 
dadurch einfchleichen wolle, daß mehrere Jefum Chriftum, 
als unter den Geftalten des Brodes und Weines wahrhaft 
gegenmwärfig, darin anbeteten. 


Diefe Gründe, koͤnnte man etwa fagen, jeigen zwar, 
daß der Glaube an die weſentliche Gegenwart nicht 
durch Widerſtreite, noch durch Maͤnner, die ihre Ueberzeu⸗ 
gung geaͤndert, gefliſſentlich Neuerungen aufbringen, und 
den Glauben der Kirche faͤlſchen wollten, eingefuͤhrt wor⸗ 
den ſey; hiermit iſt aber noch nicht erwieſen, daß er ſich 
nicht auf eine weit unmerklichere Weiſe einſchleichen konnte, 
fo naͤmlich, daß die Kirchen » Vorflände, für ihre Perſonen 
in der Uebergeugung: daß der Leib Jeſu nur in der Fis 
gur im Abendmahle vorhanden fey, demnach in’ ihren oͤf⸗ 
fentlichen Vorträgen ſich folcher gweideufigen Augdrüde 
bedient hätten, daß Einfältige ihre Worte in einem ber 
Wahrheit und ihrer Abſicht entgegefegten Sinne genoms 
men hätten und auf die Meinung von der wirflihen Ge⸗ 
genwart, als wäre biefes die Lehre ihrer Seelenhirten, 


verfallen wären. 


Alllein, wenn auch eine ſolche Zweideutigkeit im Aus⸗ 
drucke, einige wenige einfaͤltige Perſonen auf Irrwege brin⸗ 
gen konnte, ſo waͤre es die hoͤchſte Abgeſchmacktheit, wenn 
man ſich oder Andere uͤberreden wollte, daß auf dieſe Weiſe 
die ganze- Chriſtenheit auf Erden in Irrthum gefuͤhrt wor⸗ 
den ſey. 

| Denn „ kann man, ohne Tolfinn, Ä ch einbilden, daß 
wenn die Worte der Kirchenvorſteher von ſehr vielen Glaͤu⸗ 
bigen aus allen Theilen der Welt unrichtig verſtanden wor⸗ 
den find, keincr von dieſen Seelenhirten eine fo grobe Täns 
ſchung follte gewahrt, und erflere dem aus diefen Worten 
antnommenen Irrwahn entriffen haben? Kann man fich vors 


278 Berengar. 


fielen, daß ‚alle Seelenhirten fo blind. und unklug ſollten 
geweſen ſeyn, ſich ſolcher Ausdruͤcke zu bedienen, die die 
Voͤlker irre lelten koͤnnten, ohne jemals ſo gefaͤhrlich dop⸗ 
peltſinnige Worte zu erklaͤren? 

Wenn aber dieſe Worte nicht an ſich einer uͤblen Deu⸗ 
tung faͤhig waren, und nur von wenigen unwiſſenden Men⸗ 
ſchen unrichtig ausgelegt wurden, wie ſollten die Gebilde⸗ 
"teren unter den Gläubigen, die doch durch Umgang mit 
den Einfältigen täglich in Berührung kamen, durch irgend 
eine Thatſache oder Rede nichr auf. die Entdeckung des 
ſchändlichen Irrthums, in den ſie verſtrickt waren, gekom⸗ 
men ſeyn? welches nothwendig zu Erlaͤuterungen gefuͤhrt, 
und unfehlbar die Kirchenobern hievon in Kenntniß geſetzt 
haͤtte, deren Pflicht es ſo fort ſeyn mußte, oͤffentlich kund 
gu thun, daß man ihre Worte mißverſtanden, und in eis 
nem böchft falfchen, ihrer Meinung durchaus zuwiderlau⸗ 
‚ fenden Sinne genommen habe? Wie follten endlidy _ diefe 
Zweideutigkeiten erſt gegen das neunte oder zehnte Jahr: 
- Hundert die Welt zu täufchen angefangen haben, wie vie 
Meformirten angeben, ohngeachtet man fich bei ver Feier 
diefes Gchrimniffes, und Verkündung des Wortes Gottes 
‚keiner andern Ausdrücke bediente, als folcher, die man von 
jeher hiebei gebraucht hatte? und mas Kann lächerlicher ers 
dacht werden; ale zu fagen: Die nämlihen Worte 
feyen zu einer gewiffen Zeif allgemein in vdiefem, und zu 
einer andern Zeit wieder allgemein in einem andern Sinne 
verftanden worden, ohne daß jemand dag Mißverſtaͤndniß 
oewabt worden waͤre? 


Alle Väter Haken die weſentliche rgeamart ge— 
lehrt. 


Da die Vaͤter ihre Lehre uͤber die Euchariſtie bon: dem 
Unferrichte der Apoſtel hernahmen, fo braucht eg zur Er; 
hebung ihrer Meinung über dieſen Punkt weiter nichts ale 
su wiffen, ob fie die Worte: das tft mein Keib, im 
buchftäplichen oder figuͤrlichen Sinne verſtanden haben? Ge⸗ 





Berengar. 979 


wig iſt eg, daß die. eine. und andere diefer beiden Bedeu⸗ 


. tungen Ihre eigenthümlichen Merkmale und Kennzeichen habe,- 


die fih in den Ausdruͤcken der Täter he nachdem ihnen der 
eine, oder der andere Sinn vorſchwebte, veroffenbaren 
mußten. 

‚Wenn man glaubt, daß die Einſetzungs⸗ Worte ſagen 
wollen: der Leib Jeſſu ſey wirklich gegenwaͤrtig, fo nimmt 
man fie in einem nafirlichen Sinne, der ſogleich Jedermann 


einteuchtet ; allein, fo genommen, drücken fie eine unbegreifs 


lihe Sache aus: mithin ift der buchftäbliche, die weſentliche 
Gegenwart befagende, Sinn leicht, die Sache aber, die 
er bezeichnet, ſehr ſchwer zu verſtehen. Hält man aber 
bie Worte: das ift mein Leib, gleichbedeutend mit: dag 
ift die Vorftellung meines Leibeg, fo ift diefer Sinn 
ſehr ſchwer zu entdecken, und der Verſtand firäubt fich Dages 
gen ; wir innen Zwingli felbft zum Beweife hievon auffühs 
ren, der 4Jahre dazu brauchte, big er herausbrachte, Die Worte, 
dag ift mein Leib, feyen gleichfagend dem: das bedeutet meis 
nen keib. Der figirliche Sinn der Worte Jeſu ift daher 
ficher fehr fchwer und gefünftelt. Aber eben fo zuverläßig iſt 
eg, daß er eine leicht begreifliche Sache bezeichnet; namlich, 
daß Brod und Wein Symbole des Leibs und Bluts es 
fu find, und auf dfe Seele heilfame Eindräce machen Eins 


nen, welches eben fo unfchwer zu begreifen tft, als die Mit⸗ 


- theilung der Gnade in der Taufe. Mithin ift der Sinn der 

Katholiken fehr leicht im Ausdrucke, bezeichnet aber eine 
fchwer begreifliche Sache ; jener der Neformirten im Gegens 
theile ift gegen die Megeln des Sprachgebrauches, und folgs 


lich ſehr ſchwer zu verfichen, druͤckt aber ı eine ſehr leicht be⸗ 


greifliche Sache aus. 

Die Vaͤter unterzogen ſich nie, die Bedeutung der 
Worte: Das iſt mein Leib, zu erklaͤren, ohngeachtet ſie 
ſonſt mit vieler Sorgfalt ale bildlichen Ausdruͤcke der 
Schrift zu erflären flrebten; fie fchrieben nie ein Wort, um 
zu verhindern, daß die Gläubigen jene Ausdrüce in dem 
Einne der Katholiken nähmen; fie glaubten daher, daß die 
Einfegungsworte in ihrer natürlichen und buchftäblichen Be 
deutung zu verſtehen ſind. J 


230 Berengar. 


Zum andern {ff ed gewiß, daß affe Väter die Eucka⸗ 
riſtie als ein unbegreiflihes Geheimniß, ald einen Glau—⸗ 
benspunft angefehen baben, zu deſſen Beweiſe fie fid auf 
die göttliche Allmacht beriefen, welches bei Annahme der 
gegnerifchen Hedeutung unnöthig geweſen wäre Eben fo 
fprachen fie fletd von dem hi. Abendmahle, ald von einem 
Sacramente, welches wahrhaft den Leib und das Blut 
Jefu enthält, und die Gnade mittheilt, deren Wirkſamkeit 
ſte dieſer wefentlichen Gegenwart zufchreiben. Die folches 
beweiſenden Stellen anzuführen, würde zu weitläufig fenn 1). - 

Um die Meinungen der Vaͤter über die weſentliche Ges 
genmwart Eennen zu Jernen, darf man nicht bei wenigen eins 
zelnen Stellen ftehen bleiben, fondern fie_ alle, wa von Dies 
fer Materie gehandelt wird, im Ganzen beräcffichtigen: 
aus einer großen Menge von Stellen und Bemeifen, wels 
he efne vollkommne Gewißheit gewähren, gehet aber hers 
bor, daß die Väter der ſechs erſten Jahrhunderte die Eins 
ſetzungs⸗ Worte in dem natürlichen und buchſtaͤblichen Sinne 
nahmen, fo wie ed gewiß iſt, daß fie nie an eine kilbliche 
Bedeutung dachten, fondern eine. wirkliche Verwandlung der 
Weſenheit des Brods in jene_ des Leibes Jeſu glaubten, 


Sollte man daher bei fhnen einige Stellen finden, wos 
rin fie der Euchariflig Die Benennungen; Zeichen, Bild, 
Figur, beilegten , fo berechtigt diefed nicht zu dem Schluffe, 
- Daß fie nicht an Die wirkliche Gegenwart geglaubt has 
ben, Denn, ba die Geftalten von Brop und Wein nad) der 
Eonfecration zurück bleiben, fo fft eg nicht unmöglich, daß 
die Väter auch nach der Wandlung noch die Ausdrücke, 
Brod und Wein gebraucht haben, indem fie die Eucharis 
ftifchen Symbole nicht mit philefophifchen fondern populären 
Benennungen bezeichneten; und man fieht deutlich, daß fie 
fich nur nad) der Volksſprache bequemten, wenn fie fich diefer 
Alusdruͤcke bedienen, weil fie unausgeſetzt verfichern: daß Brod 
und Wein in den Leib und‘ Das Blut Jefu verwandelt find. 


y: Dan eehe Perpetuite de la Fei. T. 2. L. 1, C. ı. L. 
35 4, 5. Natal. Alex. Dissert. in Sacc. I1. 2, 


es 


Berengar. | 281 


Nach ausgefprochenen Segens⸗ Worten iſt das Weſen 
des Brods und Weins verwandelt in dag Weſen des Leibs 
und Bluts des Herrn; allein man ſieht nicht unmittelbar 
den Leib, unſere Sinne gewahren nur die Geſtalten des 
Brods und Weins, mithin find nach der Wandlung die Ger 
ftalten die Zeichen oder der Typus des Feibeg Je ſu. Die 
Vaͤter konnten daher den Euchariſtiſchen Symbolen die Be⸗ 
nennung Zeichen des Leibes und Blutes des Herrn beilegen, 
ohne daß man daraus ſchließen darf, daß ſie nicht an die 
weſentliche Gegenwart glaubten. 1) 


Die Transſubſtantiation oder Verwandlung. 


‚ Mit Ausfprechung der heiligen Segnungs s Worte find 
Brod und Wein verwandelt in den Leib und das Bluf 
Jeſu Chriſti, weil durch Diefe der Leib und das Blut 
des Herrn in der Euchariftie wahrhaftig gegenmwärfig mers 


den, dergeſtalt, daß Brod und Wein der keib und das 


Blut Jeſu werden. 
Der Leib und das Blut des Herrn, in welche Brod 


und Wein umgewandelt worden find, find der naͤmliche Leib 


und daffelbe Blut, welche am Kreuze dargegeben und 
vergoßen wurden zur Vergebungder Sünden 
Diefes aber von dem Brode zu fagen, wäre abfurd. 2) 
Mithin find nach gefprochenen Einſetzungs⸗ Worten in’ _ 
dem heil. Abendmahle nicht mehr Brod und Wein , fie- find 


umgewandelt in den Leib und dag Blut dee Herrn. 


Diefe Verwandlung der Weſenheit des Brods und 
eins in den Leib und dag Bluf Jeſu, heißt Transfabs 
ſtantiation; und-ob man’ gleich die Berwandlung erft in 


n den letzten Jahrhunderten mit dieſem Worte bezeichnet hat, 


1) Perpetnits de la Foi. Ti, L. 8, C. 2, T. 5. L- 3. 
C. 5. Natal. Alex. Dis. 12. in Saec, 11, 
2) Matth. C. 26, 28. Marc. C. 14, 24. Lue. C. 22: 19: 


20. 1. Corinth. 11, 24. 


-_ 


282 . Berengar. 


fo mar doch. dieſe Glaübenslehre in der. Kirche eben fo lange 
bekannt, und ift fo alf, ale vie Lehre von der wefentlis 
hen Gegenwart. Die vierte Eateranenfifhe Kir—⸗ 
hens VBerfammlung im Sahre 1215, die von Kons 
ftang, 1414, jene von Florenz und Trident haben hiers 
über entfchieden. 

Alle Väter, alle Riturgien ferechen von der Verwandlung 
des Brods und Weins in den Leib und dag Blut Jeſu; 
alle Gebete der Mefie drücken die Bitte aus: daß Brod und 


Mein der Leib und dag Bluf unferes Herrn, Jeſ u Chriſti 


werden möchten. 1) 
Das Wort Transſubſtantiation drück diefe Ums 


wandlung volfommen aus, und man kann feinen Gebrauch 


nicht deshalb. verwerfen, weil man eg nicht in ber Schrift 
findet: denn die Worte Dreieinigfeit und Konſub⸗ 
ffanzial werden eben fo wenig in ber Schrift gelefen, und 


doch Laffen fich die Proteftanten folche gefallen; der Kirchen⸗ 


Kath von Lateran Fonnte fonach dem Worte Transfubs 
ffantiation, fo gut wie jener von Nicda dem Worte 
Konſubſtanzial die Senction ertheilen. \ 

Die Glaubensneuerer , fo fehr fie in Hinficht . der we 
fentlihen Gegenmwarf miteinander im Wivderfpruche flehen, 
vereinigen fich gegen die Transfubftantiation: fie has 
ben diefen Glaubensſatz durch unzählige logifche und grams 
marifche Sophismen ꝛc. angeflritten, in deren Unterfuchung 
einzugehen, eben fo unniß als langweilig feyn würde, und 
die fie felbft fehon größtenrheild aufgegeben haben. Wir 
tollen ung daher nur auf die Beleuchtung eines einzigen 
Einwurfes, auf den fie als ein unüberfteiglicheg Bollwerk 
pochten, einlaffen. Dan will nämlich behaupten, der Lehr⸗ 
faß von der Transfubflantiation untergrabe alle Srunds 
lagen der Offenbarung. 

Die Dffendarung, ſagt man, gründet fi ch auf Runder 
und Thatiachen, die nur durch finnliche Wahrnehmungen 
erkannt werden. Diefe Grundlage der Dffenbarung aber 


1) Perpetuite de la Foi T. 2. L. 6. 


% 


| Berengae. 283 
wird erfchiltterf, wenn man annimmf, daß das einſtimmige 


und unausgefegte Zeugniß der Sinne täufchen könne; und . | 


daß dem fo fey, müffen die Katholiken bei Annahme. der 
Transſubſtantiation zugeflehen. Denn, Daß nad) der Conſec⸗ 
ration die Euchariftie noch Brod und Wein ift, bezeugen die 
Einne einhelig und fortwährend allen Menfchen, wo hinges 
gen das Dogma der Transfubflanfiation fie belehrt, dag 
in der. That weder Brod noch Wein vorhanden find. 


Auf diefe von den gelehrteften Proteftanten für unwi⸗ 
terleglich erachtete Einwendung 1) laͤßt fich Folgendes ants, 
worten: Die Wahrnehmungen von Gegenfländen der aͤuße⸗ 
ren Sinnenmelt gefchehen nur durch Eindräce, die auf uns 
fere Seele hervorgebrachg werden; folche Eindrücke Finnen 
. aber auch, unabhängig von Eörperlihen Dbjecten durch uns 
mittelbare Einwirfung der Gottheit auf unfere Seele ges 
macht werden: es gibt daher Feine nothwendige Verbindung 
zwiſchen dem Zeuaniffe ımjerer Sinne, und dem Daſeyn 
-terjenigen Objecte, welches fie ung fund thım. "Die Ges - 
wißheit des Sinnenzeugniffed hängt fonach von Der ung ges 
wordenen Gemwißbeit ab, daß nicht Eindruͤcke, melde wir 
förperlichen Objekten zufchreiben, von der Gottheit felbft, 
oder, durch ihr Zulaſſen, von böheren Geiftern, auf unfere 
Seele gemacht werden, folglich iſt es möglich, daß die Eindrüs 
de, welche wir von Brod und Wein zu erhalten glauben, 
ohngeachtet Diefe Materien nicht vorhanden find, von Gott in 
unſerer Seele erzeugt werden; und derjenige, welcher dieſes 
annähme, würde die Zuverläßigfeit des Sinnengeugniffes feis 
neswegs ſchwaͤchen; wenn er unterftellte, daß Gott. ung bes 
lehrt hätte, wir dürften in diefem Falle unferen finnlichen Ges 
fühle nicht glauben : und das ift ed, was die Katholiken bes 





1) Claude, Reponse au second '[Trait6 de la Perpe- 
tuite de la Foi. prem. part. C. 5. p. 75. Abbadie R& 
flex. sur la presence Reelle ı685. Trait6 de la Rel. 
Reformee, T. ı, Sect. ı. Tillotson Serm. T. 5. 
Reflexions auciennes et nouvelles sur V’Eucharistie> 
1718. Geneve. 


284 Berengar. 
haupfen. Denn, fagen fie, da ung Soft zu erkennen gege⸗ 
ben hat, dag durch die Conſecration Brod und Wein in den 
£eib und ‚In das Blut Jeſu Chriſti verwandelt werden, 
fo bat er/ung hinreichend belehrt, diesfalls der Augfage 
unfeter Sinne nicht zu frauen. Allein diefer Tal, in wels 
chem ung Gott benachrichtigt, unfern Sinnen nicht zu glaus 
ben, weit‘ enffernf, bie Zuverlöfigkeit ihrer Zeugniffe zu 
ſchwaͤchen, dient vielmehr zur Beftätigung derfelben in Bes 
ziehung auf alle Gegenftände, bei welchen die Menfchen 
keine befondere göttliche Belehring haben, daß eine Sin» 
nentäufchung flat finde: als da find das Dafeyn ver Koͤr⸗ 
‚per, die,Geburf, die Wunder, das Leiden und die Aufers 
ſtehung unferes Heilandes, Gegenftände, melche, auch bei 
der Lehre der "Katholiken von der Transfubflantiation, den⸗ 
noch den hoͤchſten Grad von Gewißheit behalten. 

Terner anfmwortet man: das Zeugniß der Sinne über 
die euchariflifchen Enmtole ift weder an ſich falſch, noch 
das Dogma der Transjubflantiation beeinträchtigend. Die 


- Sinne bezeugen ung, taß nach der Confecration fi) vor uns 


feren Augen, und in unfern Händen ein Dbject befinde, 
welches alle Eigenfchaften von Brod und Wein hat; allein 
fie fagen und nicht, daß in der Subftang des Brodes und 
Weines eine innere Ummandlung in den Leib und dag Blut 
. des Heren habe -vorgehen Finnen, oder nicht wirklich vors 
gegangen fey: diefe Umwandlung liegt außer Dem Bereiche der 
Sinne; ihr Zeugniß befagt davon nicht, ift folglich dem Lehr⸗ 
fate der Transfubfluntiation nicht entgegen:- Wag fagen ung 
denn nun mit Beftimmtheit die Sinne über die Euchariftie 
nach der Conſecration? Nichts Anderes, als dag wir ein 
Dbject vor Augen haben, weldes die KEigenfchaften von 
Brod und Wein befißt; allein ift es: denn Gott unmöglich, 
su machen , daß in dem Raume, welchen Brod und Wein 
einnehmen, "die Lichfftrahlen eben fo nach der Confecrafion 
reflectirt werden, tie vor derfelben? Iſt es unmsglich, daß 
die Ausduͤnſtung jener durch die Sinne nicht wahrnehmbas 
ren Theile, welche vor der Confecrafion den Geruch des 
Drodes und Weines hervorbrachten, fich, ohne zu verflie⸗ 
gen, erhalten haben? ift eg unmsglich, daß eine um ven Leib 


rw 


- 





> Berengar. Bernard, 285 


und das Blut J. C. gezogene Repulſitionskraft den euchas 
riftifchen Geftalten die Form erhält, und die Dichtigfeit, 
- welche unfere Sinne gewahren, hervorbringt? 

Nein, wahrlich, diefe Dinge find nicht unmdalich; 
und dafern fie wirklich find, fo werden fie ein Object bils 
den, mie unfere Sinne ſolches darfielen. Es iſt daher 
feine Sinnentäufhung, wenn ein Object vor unſern Aus 
gen ftehet, welches auf unfere Organe, wie wirkliches Brod 

und Wein, einwirkt. Aber wir würden ung felbft täufchen, 
wenn wir diefes Objekt für Brod hielten, weil unfere Sirme 
ung nicht bezeugen Eönnten, daß es nicht auch eine andere 
Sache ſeyn koͤnne. 

"Durch das Dogmaq der Transfubfantiation wird daher, 

- nicht unterſtellt, daß unfere Sinne über die Exiſtenz der 
Dinge ung trügen; und diefer Lehrfag. beeinträchfiget die 

Wahrheit ihres Zeugnißes in Berreff der Wunder und jener. 


Thatfachen, welche der Religion zu Beweisgruͤnden dienen, - 


auf Feine Weiſe. 1) 


L wur; 


Bernarb *) von Thauringen, ein Einſiedler, der 
gegen Die Mitte des zehnten Jahrhunderts d das nahe bevor⸗ 
ſtehende Weltende ankuͤndigte. 

Seine Meinung ſtuͤtzte er auf eine Stelle der Offen⸗ 
barung Johannis, daß nach kauſend Jahren die alte Schlange 
losgelaſſen, Die Seelen der Gerechten in's Leben zuruͤckteh⸗ 
ren und mit Jeſus herrſchen wuͤrden. 

"Bernard von Thuͤringen gab vor, dag die Schlange 
der Anticheift, nach Ablauf des Jahres 960 deffen, Ans 
kunft, und mithin auch das Ende der Welt nahe fey. 
Um feinem Vorgeben mehr Glauben zu: verfchaffen, ums 
terſtuͤtzte er es mit einem lächerlichen, Vielen aber ganz übers 
jeugenden Argument; er behauptete nämlich: wenn das Feſt 





.4) Mon fehe Über. die Euchariſtie Joſ. Ign. Döllinger, 

Prof. zu Aſchaffenburg (jetzt Münden.) Die Lehre von der 

Euchatiſtie in dent 3 seften Jahrß. Mainz 1826. bei Sten⸗ 
10tes Jabrhundert. | | 


26 Bernard. Berillus. 


Martä Verfindigung mit dem Charfreifage zufammenträfe: 
fo fey dieſes ein ficheres Zeichen, dag das Ende der Welt 
herannahe. Endlich betheuerte Bernard, von Gott felbft 
die. Offenbarung diefes bevorſtehendeüũ Weltendes erhalten 
zu haben. 

Das ſchauerliche Gemaͤlde von dem Unterange der Welt; 
die Stelle der Apofalypfe, die Zuverficht mit tmelcher der 
Einfiedler von der - erhaltenen Offenbarung fprach , überres 
defe er unzählig viele Perfonen aus allen Saͤnden von ber 
Wahrheit der Sache ; die Prediger verkuͤndeten es von der 
Kanzel, und beaͤngſtigten alle Gemuͤther. 


Als eben um dieſe Zeit eine Sonnenfinſterniß eintrat, 
glaubte alle Welt, nun ſey es um ſie geſchehen, der juͤngſte 
Gerichtstag ſey angebrochen, Alles floh und ſuchte fi ſi ch zwi⸗ 
ſchen Felſen, in- Höhlen, Kellern Faͤſſern u. Re w. zu ver⸗ | 
ſtecken. 

Das wieder hervorbrechende Sonnenlicht konnte die Be 

muͤther nicht beruhigen. Gerberg, Gemahlinn des Koͤnigs 
von Frankreich, unwiſſend, woran ſie ſich zu halten habe, 
erſuchte die Gottesgelehrten, dieſe Materie aufzuhellen; ver⸗ 
ſchiedene hieruͤber erſchienene Schriften zeigten, daß die Zeit, 
des Antichriſt noch weit entfernt ſey. 
Endblich ſah man im Anfange des eilften Jahrhunderts 
die Welt noch ſtehen, wie im zehnten, und der von dem 
Einſiedler Bernard. verbreitete e rrthum verſchwand von 
ſelbſt. 1). 


Berillus 5 Siſcho von Boſtra in Arabien, fiet, 
nachdem.er eine Zeit lang feiner Kirche mit vielem Ruhme 


vorgeſtanden war, in Irrthum. Er glaubte: Jeſus Chris 
ſt us fen vor der Menſchwerdung nicht vorhanden geweſen, 
und habe erſt angefangen, Gott. zu werden, als Er. von der 


ı) Martene, ampliss. Collect. T. 4.:Abbo, Apologet ad 
calcem codicis.canonum veteris Eecles. Rom. a Fran- 
; cisep. Pithzo..p. 401. Hist. Lit. de France. T, 5. P. 22. 
* 3ted Jahrhundert. 


— 


dem Irrthume, und gewannen ihn der Wahrheit. 


Berillus. Bilderſtuͤrmer 287 


Jungfrau geboten: ward; diefem fügte er bey, Jeſus (ev 
nur Gott geweſen, weil ver Vater in ihm, wie in den Bros 
pheten gewohnt habe, dieß iſt Artemon's Irrlehre. Man 
lud Origenes ein, fih mit Berillug zu befprechen; jes 


ner fam nad) Sofra ‚ erforfchfe im gepflogener Unterhäfs 


tung feine ganze Meinung, wiederlegte fie ‚ und Berillus 
durch des Origenes Gruͤnde überzeugt, entfagte auf bet 
Stelle feinem Irrthume. 1) 


So behauptet die Wahrheit ihre Rechte auf das menſch⸗ 


liche Gemuͤth: wenn ſie uns durch — rnunft, Guͤte und 


Liebe dargeboten wird Mit eben diefen Waffen befiegte - 
Drigenes den Irrthum per Araber, die die Unfterbs 
lichkeit der Seele laͤugneten; hitziger, ungeflämmer und 
blinder Eifer hätte Berillus aufgebracht; die Kenuts 
niffe und fanffe Behandlung des Drigeneg entriſſen ihn 


Bilderſtuͤrmer. *) Der griechifihe Kaifer, Leo 
der Sfaurier, war das Haupf dieſer Secte. 

Seit Eonftantin dem Großen: hatten fi fich beinahe. alle 
Kaifer theils aus Staatsklugheit, theild auf Anleitung ihrer 
Beamten und Verjchnittenen, in die unter den Cheiften entfinn: 
denen Streitgfeiten gemifcht; man fab fie beinahe immer, je ' 
nachdem fie. von ihren Miniftern_oder Guͤnſtlingen geſtimmt 
wurden, die Wahrheit vertheidigen, oder den Irrthum beſchuͤ⸗ 

Ben. Ihre Theilnahme an den Keltgiong » Streitigkeiten, die 
onen von der beguͤnſtigten Parthei ertheilten Lobfprüche hatte 


‚ ihnen einen Geſchmack an Befchäftiguugen diefer Art beiges 


bracht. Die Höflinge, welche fie für eine Parthei gewinnen 
wollten, ftellten ihnen vor, wie ſchoͤn es ſey, ihr Anfehen auch 
in Religiong » Ungelegenheiten geltend zu machen, und behans 
belten die Zwiſte der Gottesgelchrten als Gefchäfte vom 
hoͤchſten Belange, geeignet, die Kaiſer mit unſterblichem 
Nuhme zu kroͤnen, bergefalt, daß fi ch ein Kaifer Süd zu 





1) Busch, L.6,C. 20, 35. 
*) 8te& Jahrhundert. 





288... ‚ Biderfärmer. 


wiünfchen Babe, wenn unter. feiner Regierung eine Ketzerei, 
oder ein theologiſcher Disput, der in der Welt Aufſehen 
machte, entſtand. 

Als z. B. unter der Regierung Ju ſtinian's nach 


Verurtheilung des Eutiches und wiederhergeſtellter Ruhe, 


Moͤnche von Jeruſalem nad Conſtantinopel zuruͤck— 
kamen, welche aus den Werken des Origenes einige 
Saͤtze, um ſie verdammen zu laſſen, ausgezogen hatten, 
ergriff der Kaiſer ſogleich dieſe Gelegenheit den Richter in 
kirchlichen Angelegenheiten zu machen, verdammte in einem 
Edicte den Origenes, Theodoret und Ibas und berief 
zu deſſen Beſtaͤtigung einen Kirchenrath 1). 
Philippitus hatte nicht ſobald den Thron beſtiegen, 
als er ſich zu den Monotheliten ſchlug, und inzwiſchen 
die Laͤnder des Reich's von den Bul garen verwuͤſten 
ließ. 
Aunaſtaſius, ein Gelehrter, den das Volk an dle 
Stelle des enthronten Philippicus erhob, miſchte ſich 
nicht weniger in die kathol. kirchlichen Angelegenheiten, und 
ward von Theodos der Krone beraubt. 

Leo von Iſaurien, von Anaſtaſius zum oberſten 
Befehlshaber der Reichsheere ernannt, widerſetzte ſich der 
Anerkennung Theodoſens, ließ ſich zum Kaiſer ausrufen, 
und Theodos ermorden. 

Leo, von unbekannter Herkunft aus Iſaurien, war 
als gemeiner Soldat in Kriegsdienſte getreten, ward am 
2. Maͤrz 716 zum Kaiſer gekroͤnt, und legte in die Haͤnde 
des Patriarchen von Konſtantinopel, des bl, Germanus, 
ben Eid ab, die kathol. Religion zu erhalten und zu ſchuͤtzen. 

£eo, der feine Erziehung genoffen hatte, war unfähig 
einer Theilnahme an theologifchen Efreitfragen ; wollte jes 
doch gleih ‚feinen Vorfahren fich damit befaffen, damit 
man ſagen koͤnnte, er habe die Kirche geſchuͤtzt, Anordnuns 
gen über die Religion getroffen, und den Glauben erhalten, 


* 





1) Dieſe Begebenheit iſt bekannt unter dem Namen des 
Streites der drei Kapitel, und wurde in dem sten 


allgemeinen Concilium beendiget. | 
RR 


Bilderſtuͤrmer. 2889 


Leo wat mit Juden und Mahometanern in ſtarken Ver⸗ 
| Bindungen geffanden ‚ die beide Feinde der Bilder waren, 
und ‚welche er hievon, als von einer Abgoͤtterei hatte reden 
gehört. Diefe Vorſtellung, faßlicher für einen Soldaten, 
als theologifche Subfilitäten, fanden bei £eo Eingang, und 
er glaubte: fid) einen. Namen zu machen, wenn er die Bils 
der abſchaffte. Beſtaͤtiget hierin durch die Graufamfeit eis 
nes phrygiſthen Biſchafs, Namens Conftantin, mit wels 
cher diefer die Bilder + Verehrer als Goͤtzendiener verfolgte, 
gab er im zehnten Jahre feiner Regierung ein Edikt, worin 

er die. Hinwegnahme der Bilder verordnete, 1). | 


Bei Bekanntmachung dieſes Edikts erregte Das Volk von . 
Conftantinopel einen Aufſtand, und der Patriarch feßte 
fich gegen deffen Vollzug. Allein Leo lieh das Volk auds 
einander treiben; die Bildniffe wurden zertrümmert, und 
der. heil. German feines Stuhles enffegt. 


Leo fchichte fein Edift nah Rom, um ed auch dort in 
Vollzug zu bringen. Der Pabſt Gregor IL ſchrieb ihm 
mit vieler Feſtigkeit, und verſicherte: daß die Voͤlker Den 
Bildniffen keine abgättifche Verehrung ermwiefen ; e8 ſey Sache 
der Bifchdfe und nicht der Kaifer, in Glaubensichren zu 
richten ; wie die Bifchdfe nicht in weltliche Angelegenheiten 
ſich mifchten,, ſo müßten auch Die Kaifer fich der Einmifchung 
‘in Kirchenſachen enthalten. 2). | 


Leo, aufgebracht über Gregor’s Widerftand, ſchickte 
Meunche inorder gegen ihn nach Rom, welche aber von dem 
Volke antdeckt und hingerichtet wurden. Ganz Italien er⸗ 
bob fi) nun gegen Leo, deſſen harte und tyranniſche Re⸗ 
sierung die Gemüther zum Aufruhr gereist. hatte. 

Dieſe: Unruhen wegen eines Gebrauches, deſſen Verur⸗ 
theilung, wenn er auch verwerflich gewefen wäre, doch der 
weltlichen Macht nicht zuſtand, änderten nichts im dem Ents 





[U 
J r 


1) Gedrenus, Zonaras, Constantin Manasses. 
2). Greg. Il. Ep. 1. Conc, T. 7. Baron, ad ann. 726. 

n. 28 u 
Ketzer-Lexikon. IH. 19 


2 


| 20 | u Zinerirmer 


fchluffe des Kaiſers, die Bilder abzuſchaffen; alle, feine übr 
rigen Lebenstage waren dem Beſtreben, fein Edikt durchzu⸗ 
ſetzen, gewidmet, welches ihm aber in Italien nicht gelang. 

Conſtantin Copronymus, Leo's Sohn, trat in 
ſeines Vaters Fußſtapfen, und berief, um ſeine Abſicht hin⸗ 
ſichtlich der kirchlichen Anordnungen, die er zu machen ge⸗ 
dachte, ſicherer zu erreichen, ein Concilium nah Conftans 
nopel, % 754, fofelbft ſich mehr als dreihundert Biſchoͤfe 
einfanden. 1). 

Die Biſchoͤfe dieſes Conciliums anerkannten die ſechs 
erſten Kirchenraͤthe, und behaupteten, daß, wer die Ver⸗ 
ehrung der Bilder gut heiße, das Anſehen jener Kirchen⸗ 
Käthe untergruͤbe. Die Bilder. ſtammten nicht aus der 
Weberlieferung von Jeſus, den Apofteln, ‚oder. den Gries 
chen; es gäbe in der Kirche fein Gebet, wodurch ſie geheis 
liget wuͤrden, endlich wer fie. verehre, fiel in dag Heiden⸗ 
thum qurüd. 
| Don Bernunffgriinden famen ſie zu Autoritaͤten fuͤhr⸗ 
ten die Schriftſtellen an, wo es heißt: Gott iſt ein Geiſt, 
und die Ihn anbeten, muͤſſen Ihn anbeten im Geiſte und in 
Wahrheit; Gott hat Niemand geſehen, und Er hat ſeinem 
Volke verboten, geſchnitzte Bilder zu machen. 


Endlich berief man ſich auf die Ausſagen der Vaͤter; 
allein die von ihnen angefuͤhrten Stellen beweißen nichts 
gegen den Gebrauch der Bilder, wie ihn die Ketholiten zu⸗ 
ofen ‚ oder find verfälfcht und geſtuͤmmelt. I 


Nach dieſen Gründen und. Autoritäten verbok diefeg 
Concilium Sedermann, die Bilder zu verehren, md fin den 
Kirchen oder Privathäufern aufguftellen, unter der Strafe 
der Abfegung, wenn eB ein Priefter oder Diacon und ver 
Cyxcommunikation, wenn er ein Mönch oder Laie if. Sie. 
folfen überbieß nad) der Strenge der Faiferlichen Geſetze als 
Uebertreter der göttlichen Gebote und- deinde des Glaubend. 
der Altvordern bebandelt werden. 


1) Cone. P. 


Bilderſtuͤrmer. 291 


Dieſes Concillum wurde von den Mömern verworfen; 
die Macht des Kaiſers aber erzwang deſſen Annahme und 
Vollzug in einem großen Theile der morgenlaͤndiſchen Kir⸗ 
chen ; mer fich Demfelben und dem Edifte des Kaiſers gegen 
‚ „bie Bilder widerſetzte, wurde vertrieben, des Landes ver 
wieſen, und mif dem Tode beftraft. E 

Da die Moͤnche die higigften Verfechter der Bilder, 
Berehrung waren, verbot der Kaiſer in einer Verordnung; 
jedem, ter es immer fey, in den Moͤnchsſtand zu treten ; 
die meiften Klöfter in der Hauptſtadt wurden eingegogen; 
die Mönche gezwungen, ſich zu verehlichen, ja fogar ihre 
Bräute auf Sffentlichen Straſſen umberzuführen 1). 
Conſtan tin ſtarb im Jahre 775; Leo IV. fein Sohn, 


folgte ihm auf dem Throne. Der neue Kaiſer war anfangs 


durch die Kriege mit den Sarazenen, und durch Verſchwoͤ⸗ 
rungen hinlaͤnglich beſchaͤftigt, ſobald es aber ruhig gewor⸗ 


den war, erneuerte er die Verordnungen ſeines Vaters und 


Großvaters gegen die Bilder, und ließ die ſich dagegen 
Verfehlenden mit der aͤußerſten Strenge beſtrafen. Der 
Haß dieſes Kaiſers gegen die Dilder » Verehrer war big zur 
Muth gefleigert; er unterbrach fogar die Verbindung mit 
der Kaiferinn, weil er in ihrem Gemache NHeiligenbilder 


gefunden hatte; er wollte wiffen, von wem fie folde erhals 


ten hätte, und Diefe mußten auf der Folter ihren Geift 
aufgeben 2). | 

Leo farb Furz darauf und Conflantin Porphpros 
geneta beflieg nach ihm den Thron; da er aber erſt zehn 
Jahre alt war, ergriff feine Mutter Irene, die Zügel 


der Regierung. Irene, welche ihre Andacht‘ für die Bil - 


der beibehalten hatte, wuͤnſchte deren oͤffentliche Verehrung 


wieder einzuführen, und lud den Pabſt Hadrian I. ein, 


einen- Kirchenrath nach Nicda zu berufen. Diefer wurde 
im Jahre 787 eröffnet, und beftand: aus dreihundert fieben 


- 





+) Theophan. Cedren. ad ann. Const. 19, 23. 
2) Theophan. ad ann. & Leonis. Cedern. 
, 19 * 


— 


292 Bilderſtuͤrmer. 
und ſiebenzig Biſchoͤfen oder Erzbiſchoͤfen; ſaͤmmtlich aus 
dem Gebiete des Kaiſers von Conſtantinopel. 
Man verlas znerſt Die Schreiben ded Kaiſers und der 
Kaiſerinn, welche erklärten: daß fie mit Zufimmung der . 
Patriarchen diefen Kirchenrath verfammelt hätten, und den 
Biſchoͤfen volfommme Sreiheit geftatteten, ihre Meinungen 
zu eröffnen. | 
Mehrere der Biſchofe, welche die Bilderverehrung ver⸗ 
dammt hatten, erkannten ihren Fehler, und wurden in dem 
Concilium aufgenommen. Man zeigte bei dieſer Verſamm⸗ 
lung, daß der Gebrauch der Bildniſſe nicht religionswidrig 


ſey, wie dag After s Eonciliunt von Conftantinopel ats 


gegeben hatte, und dag er nuͤtzlich feyn inne. Man bes 
wies dieſes Durch das Beifpiel der Cherubine an der Buns 
deslade, Dusch Stellen der heiligen Gregoriug, Bafis 
liug und Cyrillus, welche vorausfesten, daß die Bilder 
zur Zeit dieſer Väter in der Kirche im Gebrauche waren, 
daß folglich die Väter des falfchen Conciliums von Con⸗ 
fiantinopel die Stellen der Schrift, melde Bildniffe zu 
machen verbieten, unrichtig ausgelegt haben, ment fie das 
33 ſchloſſen, daß die Fertigung der Bilder verbrecheriſch 
waͤre. 


Nach dieſem wurde. gezeigt, daß die Ueberliefetung von 
unvordenklichen Zeiten den Gebrauch der: Bilder rechtfertige, 


.. und daß Die Chriften folche nicht, wie Gott, anbeten, fons 


dern fie ümarmen, begrüßen, und in der, ihnen bezeugten 
Verehrung nur ihre Hochachtung für die Urbilder beurfuns 
den, deren Nachbilder fie wären. Ferner zeigten Die Väter 
des Conciliums, dag die von dem After » Concilium zu Cons 
ffantinopel angeführten Stellen der Schrift nur die ab» 
söttifche Verehrung, und nicht jene, welche die chriftliche 
Kirche den Bildern erweiſe verdammet; tie auch, daß die aus 
den Vätern entnommenen Stellen häufig verfälfcht feyen. 


Der Kirchenrath von Nicaͤa erklärte daher, daß es 
erlaubt fey, in den Kirchen und Haͤuſern ſelbſt auf den 
Straſſen Kreuze und Bilder, naͤmlich die Abbildungen des 

Erloͤſers, der heiligen Jungfrau, der Engel. und Heiligen 


Bilderfiärmer. | 293 


aufsuftelen, die dazu dienten, ihr Andenken gu erneuern, 
und zur Nachahmung ihrer Beifpiele aufjumuntern; daß 
man fie kuͤſſen und in Ehren halten duͤrfe, ohne ihnen je⸗ 
‘doch die, Gott allein gebührende, Anbethung zu erweifen; 
Daß es fie auszuſchmuͤcken geftattet ſey, weil die Ehre, die 
man ihnen erzeigt, auf das Arbild uͤbergehe 1).- 

Dieſes Conciltum, das fiebente allgemeine, 
fand nicht überall gleiche ‚Aufnahme, Mir werben noch bes 
fonders zeigen, wie es im Abendlande aufgenommen wurde. 

Conſtantin, ber feiner Mutter die Vermählung, die 
fie ihn mit: einem Srauenzimmer von niederem Stande haffe 
ſchließen laſſen, nicht verzeihen Eonnte, entzog ihr allen Eins 
flug, und verbot, dem Concilium bon Nicaa Gehorfam zu 
leiften. 

Nicephorug I, der anf Eonftanfin und Irene 
folgte, war der monotheletiſchen Irrlehre ergeben; da ihm 
die auswaͤrtigen Feinde vollauf zu thun gaben, vergaß er 
des Bilderſtreites. 

Leo V., welcher nach Nicephorus J. und Michael 
J. den Thron beſtieg, hatte den Krieg mit den Bulgaren 
und Sarazenen kaum beendigt, als ihn die Abſchaffung 
der Bilder beſchaͤftigte, indem er verordnete, ſie aus den 
Kirchen zu ſchaffen, und ihre Verehruug verbot. 

Michael II., der Stammler, welcher Leo den Ars 
menier enttbronte, war don Armorium, einer Stadt 
Phrygiens, welche groͤßtentheils von Juden, und der Ke⸗ 
tzerei wegen vertriebenen Chriſten bewohnt war, abſtam⸗ 
mend, hatte viele von ihren irrigen Meinungen eingeſogen; 


er feierte den Sabath der Juden, Iäugnefe die Auferfiehr 
ung der Toden u. f. w. Dieſer mollfe neuerdings Den 


Bilderfireit unterfuchen laffen, woran ihn aber die im Rei⸗ 
che ausgebrochenen Unruhen hinderten 2). | 

Theophilug, defien Sohn, verfolgte die Wertheidis 
gen der Bilder. Allein die Kaiferinn Theodora, welche 


1) Cone. T. 7. 
2) Cedren. in Michach- 


—3 


294 Bilderſtuͤrmer. — 
nach deſſen Tode-mit ihrem Sohne, Michael III, regiers 
te, tief, ale Freunde der Bilderverehtung zuruͤck, ‚und ver⸗ 
trieb dagegen die Bilderffürmer; Johann, Patriarch 
von Conflantimopel, wurde des Stuhles entfeßt, und 
Methodius, ein für die Bilder eifernder Mönch ,. darauf 
erhoben. Das zweite Concil von Nicaͤa erhielt im ganzen 
Neiche Gefegesfraft. Die Parthei der Bilderftärmer - wurde 
unter ber Staiferinn Theodora, nacbem fie 120 Jahtze 
beftanden batte, gänzlich erdruͤckt. 1). 

Nach Ausrottung der Bilderflürmer sing die Kaiſerinn 
den Manichaͤern, bie ſich außerordentlich vermehrt. hat⸗ 
ten, zu Leibe. Man wird bei dem Artikel Maniſch der 

finden, weiche Mittel Theodora gegen biefe Ketzer an⸗ 
wandte, und mit ! weichem Erfolge. . 





Was man im Lbendlande wäprend dieſer unruhen 
im Morgenlande von der Bilder⸗Ver—⸗ 
ehrung hielt? 


Der Gebrauch der Bilder war im Abendlande fo gut, 
sie im Morgenlande eingeführt, jedoch erwies man ihnen 
Seine Verehrung. 

Mabillon vermuthet, die ungleiche Denfungsart iiber 
biefen Punkt zwiſchen den Morgenländern und Sranzofen 
rühre von der DVerfchiedenheit der Ehrenbezeugungen, die 
man den Saifern und Herrſchern im Morgen s und Abend⸗ 

Jande erwies. 2). 


Im .Drient und durchweg im römifchen Neiche beging 
man $efte zu Ehren der Kaifer, die fih um das Staates 
Wohl verdient gemacht hatten; das Andenken an ihre Zus 
genden und Wohlthaten ermuthigte die Voͤlker. Die Dank⸗ 
barkeit ſchmuͤckte ihre Statien, richtete an fie Dankſagungen 
und Eobpreifungen; ; umgab fie mit Beleuchfungen. _ Derglci, 





1) Cedren. Zonaras, Glycas. 
2) Mabillon prætat. in 4. Sac. Bened.. 


Bilderftürmer 295 


chen Ehren erwies man jährlich der Statue Conſtaͤntin's 
des Großen, welches auch Julian den Chriften ale eis 
nen Akt Des Gögendienftes vorwarf. 1). 


\ Nachdem alfo der Gebrauch der Bilder bei der morgens 
Jändifchen Kirche eingeführt war, fo war es natürlich, dag 
die Gläubigen vom Anbliche der Nachbilder zum Gefühle det . 
Ehrfurcht für die Urbilder,, die fie vorfiellen, und zu aͤuße— 
rer Bethaͤtigung dieſer Gefühle übergfngen. - 


Im Abendlande, wo die Künfte noch in der Kindheit; 
die Fürften milde Eroberer, beinahe auf gleicher Stufe mit 
ihren Soldaten waren, erwies man den Gebiefern minder 
Ehre; da gab eg Feine Statien, den Fürften oder Kriegs⸗ 
Dberften errichtet ; dieſe Huldigungsmeife war den Galliern 
gänzlid) unbekannt, und die religisfen Bildniffe dienten nur 
dem Volke die wichtigfien Punkte Der Neligion zu verans 
fchaulichen; blog dem Kreuze erzeigte man aͤußere Ber 
ehrung. 2). 

Die galliſchen Biſchoͤfe konnten ſich nicht darin finden, 
daß die Vaͤter des Concils von Nicaͤa eine aͤhnliche Ver⸗ 
ehrung fuͤr die Bilder gut hießen. Ueberdies ſtieß man ſich 
"gar ſehr an dem Worte: Anbetung (Adoration) wel⸗ 
- ches die Väter des Concils zu Nicda zur Bezeichnung der 
Verehrung, die man den Bildern erwies, gebrauchten. Dies 


7) Theodoret Hist. L. 2. C. 34. Philostorg. L.2.C.ı8 


2) Als Pabſt Hadrian die Beſchluſſe des zweiten Concild von 
Nicäa nach Frankreich ſchickte, wurden die Biſchoſe über 
die Ehrenbezeugungen, die man im Orient den S tatügn 
der Kaiſer erwies, betroffen: fie fanden ed unrecht, daß 
Epnftantin und Irene in ihrem Ausſchreiben zur Zus 
fammenberufung des Eoncild "fi fo pomphafte Titel beilege 
ten, tatelten ihren gebtauchten Ausddruck: durch den, des 

mit und herrſcht, mit dem Bemerken, daß «5 von Für« 
‘fien unerträgli fey, ihre Megierung mit jener _Biotted zu 
vergieichen. Lib. Carolini przfat. Dupin Bibl. V. 7. 
P- 472. - on J | 


296, | Bilderfärmer. 

ſes Wort, als Benennung des Zeichens der Unterwuͤrfigkeit 
und Ehrfurcht im Orient üblih, war im Abendlande nur 
alg der Ausdruck der tiefften Unterwuͤrfigkejit, die man ges 
gen das hoͤchſte Wefen hat, im Brauche. 


Man glaubte daher, das Wort: Anbetung; 9— in 
Aunbetracht der Bilder Feiner guten Bedeutung fähig, und 
das Concilium von Frankfurt am Maine vom Jahre 
794, auf welchem ſich die Biſchoͤfe von Deutſchland, Gal⸗ 
lien, Aquitanien, und zwei paͤbſtliche Legaten einfanden, | 
verwarfen jenes von Nicde nur deßhalb, weil man im 
Albendlande glaubte: deffen Vaͤter ‚verftänden Inter dem 
Anbeten der Bilder eine Verehrung, wie man fie Bott 
erweißt, welches man aus dem zweiten Canon jenes Cons 
ciliums abnehmen fann, welcher fo lautet: „Man bat die 
„Frage über dag neue Coneilium der Griechen, gehalten. zu 
Nicaͤa, wegen Anbetung der Bilder vorgelegt, in wel⸗ 
„chem gefchrieben ift: Wer den Bildern der Heiligen den 
„Dienft oder die Anbethung, wie der Dreieinigfeit nicht ers 
„weißt, fey Anathema. Unſere Väter bed Conciliums, feis 
—„neswegs der Anbetung oder Dienftbarfeit beiftimmend, 
„haben einhellig dieſes Concilium verworfen ’° 1). 


Sn den Akten des Conciliums von Nicaͤa findet man 

nicht, daß verordnet worden ſey, die Bilder der Heiligen . 
wie bie Dreteinigfeit anzubeten; biefe Worte fcheis 
nen daher in dem Concilium zu Frankfurt erflärungss 
weiſe beigefügf worden zu .feyn, um gu erkennen zu geben, 
daß man die in dem Concilium zu Nicaͤa gufgeheißene Vers 
ehrung der Bilder nur in fo weit verwerfe, als unter dem 
Worte Adoration, die der Gottheit ſchuldige Verehtung, 
(Cultus latriae) verſtanden werde. 


Das Loncilium von Frabekfurt ſah es daher nicht 
fuͤr Goͤtzendienſt an, wenn man den Bildniſſen eine von der 
gottesdienſtlichen (Cultus latriaticus ) verfchiedene Vereh⸗ 
Fung bejezte man ſieht auch nicht, De die galliſchen Bi⸗ 
5) llemundı Concil. aan a — 





, Bllderſtuͤrmer. | 297 


fchöfe jene von Italien und dem Morgenlande, welche die 
Bilder verehrten, fuͤr Goͤtzendiener gehalten haben. 
In der That ‚ ald man die Streitfrage über die Bilder 


nach Gallien gebracht hatte, theilten fich hierüber. die Meis 


wungen. Die Einen behaupteten, man duͤrfe ihnen | gar feine 
Art von Verhrung erweifen, die Andern waren für die Ver⸗ 
ehrung geſtimmt 1). 


Auf dem Concilium von Frankfurt hatte man noch 
uͤberdies beſondere Gruͤnde, warum man der Verehrung der 
Bilder, die man fuͤr eine Neuerung hielt, entgegen war. 
Die Deutſchen, deren Biſchoͤfe ſich in großer Anzahl daſelbſt 


befanden, waren durch den heil. Bonifaz, Erzbiſchof von 


Mainz unter Fizin, Vater Carl's des Großen, erſt 
zum Chriſtenthume bekehrt worden. Ihre Biſchoͤfe beſorg⸗ 
ten, dieſe Neubekehrten moͤchten bei'm Anblicke der Bilder, 
denen man eine Verehrung erweiſe, in die Abgoͤtterei zus 
rücfallen. Deßhalb begnügten fie fich, ihnen einzufchärfen, 
die Bilder nicht zu entheiligen, ohne fie eben zu beren Bers 
ehrung aufzumuntern. 


Es iſt demnach gewiß, daß das Benehmen der Vaͤter 
des Concils zu Frankfurt dem Geiſte des zweiten Wis 
caͤn'ſchen nicht entgegen ift, und daß fie die Verehrung, 
welche die Kirche den Bildern erweißt, nicht als einen Att 
des Goͤtzendienſtes verwarfen. 


Anfangs des neunten Jahrhunderts (825) hatte zu Pa⸗ 


zig eine Zuſammenkunft der gelehrteſten Biſchoͤfe Frank: 


reiche ftatf, welche die Entfcheidung gaben: der Gebrauch 
der Bilder ſey nicht su verbieten, doc feyen fie nicht zu 
verehren. Diefe Entfchefdung des Koncild von Parts tft 
feine unbedingte Verwerfung der Bilders Verehrung, wie 
es leicht aus den: Akten zu erfehen ift; die Biſchoͤfe beſtrei⸗ 
ten die Entfcheidung des zweiten Concils von Nicda, wel⸗ 
ches die Verehrung. der Bilder verordnet, fprechen aber kei⸗ 
neswegs aus, daß ſolche Goͤtzendienſt ſey, wie man aus. 





. 1) Mabillon Pref. in 4. Saec. Bened. , 


=. 


298 5 Bilder Kärmer. 


den Schreiben fieht, die den Abgeordneten an den Vabſt ge⸗ 
geben wurden. 

Dieſes Concil beguͤnſtigte keineswegs die Bilderfilrs 
mer, e8 verdammte fie vielmehr, und verwarf die Zulaffung 
ber Bilder s Verehrung nur als einen Digcıplinar s Punft, 
weil eg ſich von der ‚Einheit jener Kirchen, die folche ans 
nahmen, nicht‘ trennte, 

Die franzoͤſiſchen und deutſchen Biſchofe beherrten noch 
eine Zeitlang bei dieſem Gebrauche; endlich aber, als man 
ſich über die Bilder⸗Verehrung hinlaͤnglich verſtaͤndiget 
hatte, und kein Goͤtzendienſt mehr zu befuͤrchten war, ward 
ſie allgemein und in kurzer Zeit eingefuͤhrt. 

Die Waldenſer, welche im .Anfange des zwoͤlften 
Jahrhunderts die Kirche verbeſſern wollten, die Albigens 
fer, imd jenes Heer von Schwärmern, fo Sranfreich übers 
ſchwemmte, erneuerten die Irrthuͤmer der Bilderſtuͤrmer; nach 


ihnen haben Wiclef, Calvin und die andern Reformir⸗ 


ten die Bilder s Verehrung angefeindet, und die roͤmiſche 
‚ Kirche des Goͤtzendienſtes bezüchriget ; alle ihre Streit» Schrifs, 
fen find mit diefem Vorwurfe angefüllt, und vie ausgezeichs 
neteften Männer unter ihnen haben ſich bemuͤht, ihn zu 
beweiſen. 1) | BL 


—— 


1) Dan fehe: Dallacus L. 4. De Imaginibus Spanheim. 
Exercitationes historicae, de orig.,et progressu con- 
- troversiao Iconomachiae Sae. 8. 'opposita Maimburgio et 
Natal. Alex. 1685. 4to. Forbesius institut. T. 2, L. 7. 


Basnage Hist. Eccles. T. ı, L. 22, 23. Preservatif con- . 


tre la reunion avec Veglise romaine, pas Lenfant T. 
2. p. 3. Lettre 1. De Jidolatrie de l’eglise romaine: 
ı2mo. Rival. Dissert. Hist. Dissert. 4. . 

Dieſer Gegenſtand, der fürs die Proteftanten nebſt andern 
ein. Beweggrund zur Abtrennung von der Kirche war, ſollte 
nah Heren von Beauſobré's Behauptung. nur fpottweife 
behandelt werden: dad Lächezliche meint er, ſey mehr geeigs 
net, diefe Frage zu entfiheiden, ald der Ernſt. Won dielem 
Grundſatze ausgehend, -gibt er uns jeme gedehnien “und 


Biderfilrme. ‚289 
‚> Um ben ®efer in Stand zu feßen,. über ben Grund oder 
Ungrund dieſes Vorwurfes su urtheilen,; braudt man nur 
tag, was wir über. den Urfprung und die Natur deg Goͤ⸗ 
tzendienſtes geſagt haben, mit der Beſchaffenheit und dem 
Urſprunge der Verehrung, welche die roͤmiſche Kirche den 
Bildern erweißt, zu vergleichen. 


Aug. dem, was wir in.der erſten Abhandlung dieſes 
Werkes über den Urſprung der. Abdoͤtterei geſagt haben, iſt 
erſi chtlich, dag Alles auf Erden. Gegenftand der Anbetung 
war, der wahre Gott ausgenommen. Die Menfchen ,. niey 
dergeworfen zu den Süßen der Goͤtzen, erwarteten ihr Heil 
nur von eingebildefen Mächten, die fie ihnen innetochnend 
waͤhnten, und als die wahren Urfachen von Ihrem Wohl 
und Wehe anſahen. Das hoͤchſte Weſen, die Urquelle alles 
Guten, war ihrem Geiſte verborgen. 

Das Verbrecheriſche des Goͤtzendienſtes war , daß er 
die Vorſehung zernichtete, und den Aufſchwung des Men⸗ 
ſchen zu Gott verhinderte, die Menſchen, mit dem Gifte 


des Goͤtzendienſtes angeſteckt, bezogen nicht auf Gott, als ih⸗ 


rer wahren Quelle die Guͤter, womit Er ſie uͤberhaͤufte, 
und die Widerwaͤrtigkeiten, beſtimmt, fie zu Gott zuruͤckzu⸗ 
fuͤhren, warfen ſie vor den Fuͤßen der Goͤtzen nieder; nicht 
Gott war ihr letztes Ziel ſondern Befriedigung der Sin 
nenluſt. 


Der Goͤtzendienſt hielt alfo den Menfchen. von der Vers 
ehrung ab, die er Gott fchuldet, und diefer von ihm vers 
langt ; zerfiörte überdies die Sittlichkeit, weil er alle Lafter 
und Verbrechen diefen uͤbernatuͤrlichen Wefen,_die der Ges ' 
genſtand der Huldigung und Ehrfurcht des Menfhen waren, 
beilegte. Sehen wir num auch den Urfprung und dag Mes 
fen der Bilder» Berehrung In’ der Eatholifchen Kirche, 


langweilenden Poffen von den falſchen Bildniffen Jeſu, von 
der Junfrau, Königinn von Polen, zum Bellen. Die Lang⸗ 
weile, die fie jedem der ſich, fie zu leſen, entſchließen kann, 
verurſachen werden, überhebt "und darauf zu antworten; 
Man ſehe die dentiche Bidliothel. T. 18. 


—3 


‘300 | Biverfkirmer. 


| Uefpeung und Beihaffenpeit der Verehrung, fo die 
| romiſche Kirche den Bildern’ ermeißt. 


Aus dem allgemeinen erderbniffe, dag auf Erden 
herrfchte, erfah fich bie Gottheit ein Volk aus, beftimmt, 
ihre Erfenntniß und 'rechfmäßige Berehrung zu erhalten. 
Mährend deffen die Nationen in den Finfternißen der Abgoͤt⸗ 
terei vergraben lagen, erfannten die Juden ein allmaͤchtiges 
und allweifes geiſtiges Weſen als Urheber des Weltalls; 
mur diefeg einzige hoͤchſte Weſen beteten fie an; und Goͤtzen⸗ 
dienft war in ihren Augen der größte Gräuel. 


Das Chriſtenthum gab dem menfchlichen Geiſte einen 

noch höheren Schwung; es verkuͤndete eine erhabene Sit⸗ 
tenlehre, ſchuff eine Umwandlung in allen Vorſtellungen und 
Anſichten der Menſchen, belehrte ſie mit unendlich. mehr 
Klarheit und Ausdehnung über die Gottheit, und deren 
höchfte Vollkommenheiten ‚und über die Beſtimmung ihres 
Geſchlechtes zu einem ewig ſeligen Daſeyn; es verkuͤndete: 

daß Alles nach dem Willen dieſes hoͤchſten Weſens geſchehe, 
ohne ſeine Anordnung kein Haar vom Haupte falle, und 
daß es alle Ereigniſſe nach efnem Ziele leite. Das Chri—⸗ 
ſtenthum bewies das Unnuͤtze, Thoͤrichte und Ruchloſe des 
Goͤtzendienſtes, und unterrichtete die ganze Welt, daß man 
Gott im Geiſte und in der Wahrheit anbeten muͤſſe. Aus 
dieſem Grunde behandelten die Heiden die erſten Chriſten 
als Menſchen ohne Religion, und als Atheiſten. 


Inzwiſchen iſt es gewiß, daß von Zeiten der Apoſtel 
an die Chriften einen fiihtbaren Gottesdienſt, und Derter 
haften, mo fie ſich sum Gebete und zur Darbringung der 
Euchariftie verfammelten 1). .Die Väter der drei erfien 
Sahrhunderfe reden von Plägen,. wo die Chriften fich vers 
fammelten, von ihren Bifchdfen oder. Aelteften, Diaconen, 
_ und Kiedhen 2). 


1) Act. C. 2, v. 26, 06, C: 20, v 7.. Br u 
2)ignat-Ep. ad Magnes. :ad Pinladelph; C em. 
Alex. Jert. de Idol, .7.. advorsus: Wäleyt, C. 2. d 


' 


. 


Bierfilemer. 301 


Wenn' Origines, Lactantius, Minuting Zu 
‚Kir, Arnobius fagen: die Chriften hätten Feine Altäre, 
fo meinten fie die mit den Goͤtzen der Heiten gefchmickten 
Altäre , oder folche, auf welchen mie bei Heiden und Juden, 
blutige Opfer dargebracht wurden. 

Die alte Kirche hatte ihrer Einrichtung nach weder 
Bildniffe nor Reliquien auf den Altären, wenigfiens has 
ben mir hievon feine beglaubten, Proben, und das Still⸗ 
fchweigen der Juden und Heiden, wenn die Ehriften: das 
Abgefchmackte der Gögenbilder Ihnen vorwerfen, berechfigef 
zu der Annahme, daß die erſten Chriften Feine Bilder 
haften. 

Wirklich machen fie feinen weſentlichen Beſtandtheil der R⸗ 
ligion, und zu einer Zeit, wo noch Alles voll Idole war, woll⸗ 
ten die erſten Hirten den Glauben ihrer neubekehrten Heerde 
nicht dadurch gefährden, daß fie vor ihren Augen Bildniſſe 
aufftelten, und ihnen eine Werehrung bezeisten. Wohl 
mochten fie auch beforgen', die Werfechter des Heidenthums 
fönnten das Chriſtenthum für eine neue Art des Goͤtzen⸗ 
Dienfted ausgeben, und bei dem unmiffenden Volke lau 
ben finden, welches leicht irre zu leiten war, zu einer Zeit, 
wo die chriftlihe Religion noch nicht genug befannt war, 
als daß die Verläumdungen der Heiden in dieſem Betreffe 
nicht günftige Aufnahme hätren finden follen, wenn die 
Chriften in jenen Orten, wo fie fich zum Gebete und zur 
Darbringung bes bi, Opfers verſammelten y Bilder gehabt. 
haͤtten. J 

Es war ſohin eine weisheitsvolle umficht, wenn in den 
erſten Jahrhunderten die Ehriften | in ihren Tempeln keine 
Bildniſſe zuließen. 

Die chriſtliche Religion breitete ſich ſchnell aus; ihre 
Slaubenslehren wurden oͤffentlich geprediget und anerkannt; 


Coron Mil. C. 5. Cyprian de Oper. et Eleem. p. 
205. Ep. 54, ad Coınel Arnob 1]. 4, p. 132. Siehe 
die ausführlichern Beweife bey Bing ham Antig. Eccles. 
. L. 8. dei Tillemont Hist,. des Emper. T. 5, art. 6. 


’ 


\ ! 


302. Bilderſtuůͤrmer. 


die Vaͤter und Kirchenvorſteher belehrten die Chriſten und 
die ganze Welt, daß Alles den Rathſchluͤſſen des hoͤchſten 
Mefens unterworfen fen, daß die Menschen durch fih nicht 
find, daß fie nichts haben, was fie.nicht empfangen hätten, 
und deffen fie fih ruͤhmen Eönnten. 


Man fürchtete num nicht mehr, daß die Chriſten in — 


den Goͤtzendienſt verfallen und glauben koͤnnten, daß Gei⸗ 
ſter die Welt regierten, und der Leinwand, auf welcher 
man Figuren abgezeichnet hätte, innewohnen Fönnten. Bon 
jetzt an geftattefe man im den Kirchen Abbildungen von den 
Kämpfen der Märtyrer, und heiligen Gefchichten zum Uns 
terrichte der Unpiffenden; diefe Bilder waren gleichfam Buͤ⸗ 
cher, worin alle Chriften die Geſchichte des Chriftenthumg 
lefen konnten; und Died war Anfangs der einzige Gebrauch, 
den man von den Bildniffen in den Kirchen machte. 


Die Gläubigen, von den Gegenftänden, deren Vorſtel⸗ 
Jungen vor ihren Augen flanden, gerährt, gaben ihre Vers 
ehrung für Jene, die in den Bildniffen vorgeftelt wurden, 
durch dußere Zeichen zu erkennen. Diefe Ehrfurchtsbezens 
gungen wurden aber nicht allgemein gebilligt ; manche Bis 
fchöfe fahen die Bilder als Keime des Aberglaubens an; 
andere achteten fie zu Unterweiſung der Gläubigen. für nuͤtz⸗ 
lich; noch andere ‚betrachteten die den Bildern bezeigte Vers 
ehrung als Ergüffe einer Iöblichen Frömmigkeit, dafern fie 
fi) nur auf die Urbilder und Heiligen bessge. Der Ges 
brauch und die Verehrung der Bilder war alfo anfangs nicht in 
allen Kirchen uͤblich; er ward geflattet oder verboten, je 
nachdem die Bifchöfe aus befonderen Gründen ihn für nuͤtz⸗ 
lich oder ſchaͤdlich erachteten. 

Man ſieht aus dem neunten Homnus des Pruden— 
tiug, aus den’ Meden des heil. Gregortus von Nyſſa, 
aus dem hi. Baffiliug und aus allen in dem ten Kir - 
chenrathe von Nicda angeführten Vätern, daß vom Aten 
Jahrhunderte an die Bilder im Driente eingeführt waren. 1). 


| 1) Bingham antiquit. Fecles. L. 8, c. 8. 


Bilderſtͤmer. 303 

Es iſt ſonach gewiß, daß der Gebrauch der Bilder und 
ihre Verehrung im vierten Jahrhunderte in der Kirche 
siemlich allgemein war, ohne für Goͤtzendtenſt gehalten zu 


werden, und daß Jene, welche ihn verboten, die Anderm 
ſo ihn geſtatteten, nicht verdammten. 


Uebrigens iſt diefe Verehrung dem Verbote, etwas auſ⸗ 


ſer Gott anzubeten, nicht entgegen; denn es widerſtreitet 


weder der Vernunft, noch der Froͤmmigkeit, die bildliche 
Vorſtellung eines tugendhaften und achtbaren Menſchen zu 
ehren, und man fuͤrchtete nicht, daß jene Chriſten, denen 
man die Bilder⸗Verehrung geſtattete, ihnen abgoͤttiſche Ehre 
erwieſen; man belehrte ſie, daß dieſe Heiligen nichts durch 
ſich ſeyen, daß ihre Tugenden nur Wirkungen der göttlichen 
Gnade gemwefen, und daß die ihnen ertpeilte Ehre ſich zu⸗ 
letzt nur auf Gott beziehe. 


| Die Kirche lehrte nicht, daß die Geiſter der Seligen 
in den Bildern eine Wohnſtaͤtte aufgefchlagen’ hätten, wie 
dies Die Heiden von ihren Göttern glaubten; fie lehrte, 
daß die fin den Bildern vorgeſtellten Heiligen ihre Tugen⸗ 
den und Verdienſte Gott verdankten, welcher allein die Urs 
ſache und das Prinzip der Tugenden ſey, die wir an den 
Heiligen verehren. 


Die Geſtattung der BildersVerchrung- hing von der 
Stufe der Eultur ab, welche die Kirchen: Obern an den 
Glaubigen . gewahrten, und von der Kenntniß, die fie von 
ihren befondern Gemuͤths⸗ Stimmungen, hatten. 


So zerriß Serenus, Biſchof von Marfeille die 
Helligen s Bilder feiner Kirche, weil er bemerft hatte, daß 
rohe, erfi vor kurzem aus dem Heidenthume befehrte Sem 


fchen ihnen eine abergläubifche Verehrung ermwiefen; der Kabf 
. Gregorius der Große belobte feinen Eifer, tavelte ihn. 
aber zugleich, weil er das Volk geaͤrgert, und den Einfaͤl⸗ 


tigen ein ſehr nuͤtzliches und altes Unterrichts⸗ Mittel ent⸗ 
zogen hätte. 1) ö 


U U 0 


r) Gregor. M. L. 11, Ep. 13. 0 nu 





. x 


304 J ‚ Bilverflärmer. 


Diefe Sprache führte der heil, Gregortus am Ende 
des ſechſten Jahrhunderts. 

Nachdem alſo die Voͤlker uͤber die Veſchaffenheit der 
Verehrung, welche die Kirche hinſichtlich der Heiligen⸗Bil⸗ 
der geſtattete, hinlaͤnglich unterrichtet waren, breitete ſich 
dieſelbe ſeit dem zweiten Concil von Nicda faſt in der gan⸗ 
zen Kirche aus. 


Mithin iſt die Verehrung, welche die tatholiſche Kirche 
gegen die Bildniſſe hegt, richt abgoͤttiſch zu nennen. Die Ent⸗ 
ſcheidung des Kirchenraths von Trident, und die Sorgfalt, 
womit er die Mißbraͤuche, die ſich etwa in dieſe Verehrung 
konnten eingeſchlichen haben, abzuſtellen bemuͤht iſt, bewei⸗ 
ſen dieſes audenfaͤllig; um ſich hievon zu uͤberzeugen, werfe 
man einen. Blick auf die Geſchichte des Tridentiner Kir⸗ 
chenraths, ſelbſt Frapaolo, und die Noten des P. Le Cou- 

rayer. 1). 
Da dieſe Verehrung nun eingefuͤhrt iſt, ſo iſt es eine 
große Kuͤhnheit von einen Privatmann, oder ſelbſt von ei⸗ 
nigen Einzel⸗Kirchen, dieſem Gebrauche nicht folgen, und Jene, 
welche. vie religioͤſen Bilder verehren, verdammen zu wollen, 
Die Reformirten waren daher nicht berechtigt, ſich von der 
roͤmiſchen Kirche zu trennen, weil ſie die Verehrung der 
Bilder gut hieß, da ſie hiemit keine abgoͤttiſche Verehrung 
billigte. Die Gottesgelehrten von Saum uͤr verwerfen die, 

von den Katholiken angenommene, Bilder⸗-Verehrung nur 
deßhalb, weil Gott jede. Abbildung verbietet, und fie be; 
haupten: dieſes Verbot fey für‘ die Chriften fo gut wie fir 
die Juden gegeben. Allein eg ift Har, daß dieſe Gottegges 
lehrten dem, den Juden gemachten Verbote eine zu weite 

Ausdehnung geben, weil folches nicht fchlechfmeg eine jede, 
fondern nur die abgöttifche Bilder + Verehrung unterſagt; 
die auf der Bundeslade angebrachten Cherubine und vie 
ährene Schlange beweifen dieſes fattfam. Um ver Fathol. 
Kirche aus der Bilder s Verehrung ein Berbrechen zu mas 
hen, muß man zeigen, daß folche der Religion, der wahren 


4) Londoner Audgabe T. 2. p. 635. 646, 647. Note 2. 


⁊ 


| Bilderſtuͤrmer. | Blaſtus. 403 
Gottes s Verehrung ‚oder dem Glauben enfgegen iſt, welches 


man aber nicht fan. Deshalb verdammen die englifche 


Kirche, die Lutheraner und berühmte Calviniften den Ges 
brauch der Bilder nur ald Gefahr bringend den Einfältigen. 1) 

Aber,.fagt man, wenn eine Sache weder nach. göttli» 
chem noch nad) menſchlichem Geſetze nothwendig, und übers 
dieß gefährlichen Mißbräuchen untermorfen- iſt, wie der Ger 


brauch und die Verehrung der Bilder, fordert es dann nicht 


die Vernunft, dag man diefes abfchaffe? 2) 


Diefe Abfchaffung ſtehet aber, wein fie vernünftig gu 
fordern wäre, nicht einem Einzelnen, fondeh der Kirche 
zu, oder man müßte allen Begriff. von Hirarchie oder kirch⸗ 
licher Unterordnung aufheben. Dann kann man auch dem 


Mißbrauche der Bilder s Verehrung leicht vorbeugen, und. . 


es ift nicht-fchwer, auch dem Cinfältigften unser. den Gläus 
bigen begrefflich zu. machen, was es für ein. Bewandniß 
mit der, von der Kirche geflatteten Bilder Berehrung habe. 

uebrigens ſchließt die katholiſche Kirche Niemand von 
ihrem Schooße aus, der auch: ohne Verehrung der, in ih⸗ 


“ren Tempeln aufgeſtellten, bildlichen Vorſtellungen - der: hi. 


Geheimniſſe oder der glorwuͤrdigen Kaͤmpfer ir die Sache 


Gottes ſein Ziel zu erteichen glaubt 3). 


Blaſtus, ein Jude, ging zur Secte der Valenti⸗ 
nianer uͤber, und fuͤgte zu dem Syſteme Valentin's 


‚einige juͤdiſche Gebräuche, denen er zugethan. war, z. B. 


die Beier des Oſterfeſtes auf den 14ten min 2 


m 





1) Hist. du vieux et du nouveau Tertam. par Rasnage. 
Dissertat. Hist, pär P. Rival. Dissert. 4, P. 277. 

2) Rival ibidem p. 237. . 

3). Ueber die Bilder» Wereprüng Kann man nachſehen; Per- 
sius.de traditionibus par. T. 5. Lindanus Panopl. 
L. 3, C. 23. Alanus Copus conixa Magdeburgen- 
ses; dial. 4 et 5. Bellarmin.. Natal, Alex. 5 
Saec. 8 diss. 6. Hist. des Conc.:gener. . 

4) Autor Append. apud tert. de s. Praescript, C. 53. 

Ketzer-Lexikon. I. 2020 


306 | Bogomilen. 


Bogomilen. *) Dieſe Benennung iſt aus zwet 
Slavoniſchen Worten zuſammengeſetzt, welche Anrufer 
der. goͤttlichen Barmherzigkeit bedeuten. Man gab 
fie gewiſſen bulgarifchen Kegern, Schülern eines Arztes, 
Namens Bafilius, welcher unter dem Kaifer Alexis 
Comnenes die Irrthuͤmer der Paulicianer erneuerte. 
Die Kriege der Barbaren, und bie Berfolgungen der Bil⸗ 


dvderſtuͤrmer hatten im griechifchen Reiche die Leuchte der Wis 


fenfchaften faft ganz ausgeldfcht; durch die Bemühungen des 
Photius unter Bafilius I. dem Macedoner, unter Leo. 
VI, dem Philoſophen und feinen. Nachfolgern wurde ſie 
wieder etwas angefacht. 

Allein der Ruͤcktritt in's wiſſenſchaftliche geben gehet 
langfanter, als bie erfien Vorſchritte zur Erkenntniß; Rede 
und Schrift waren beſſer, als in den vorigen Jahrhunder⸗ 
ten, aber Aberglaube und Wunderfucht, unzertrennlich von. 
Unwiffenheit., ſpuckten beinahe in allen Köpfen; immer im. 
Golge einer Vorperbedeutung wurde der. Thron befegt, oper 
erlebiget; immer fand fich irgend ein, auf einem entleges - 
nen Eilande, durch Siftenftrenge,. berüchtigter Caloyer, 
der den Thron: einem berähmten Kriegsoberften verhieß, 
den alsdann ver neue Kaiferauf einen der angeſehenſten 
Biſchofsſtuͤhle erhob. Diefe vorgeblihen Propheten waren 

oft große Betrüger: denn es if ſchwer für unwiſſende Mens 
fchen, dieſes lange in’ Unſchuld zu ſeyn; fie werben Betruͤ⸗ 
ger, fobald {pr Gewerbe ihnen Ausficht zur Erhöhung ers . 
. öffne. 

In diefen Zeiten der Unmiffenheit und des Aberglaus 
bens entiwicelten ſich einige Keime der, Irrlehre der Paus 
| licfaner, die noch vorhanden waren, und vermengten fich 
mit den Irrthuͤmern der Meſſalianer. 

Der Arzt Bafiliug vereinbarte diefe Irrthuͤmer; er 
war ein Greis mit abgelebten Geſichtszuͤgen, der im Moͤnchs⸗ 
kleide einherging. Anfangs waͤhlte er ſich zwoͤlf Schuͤler, 
die er ſeine Apoſtel nannte, und die ſeine Lehre, jedoch mit 
vieler Sorgfalt und Umſicht verbreiteten. | 
rn 11tes Zahryundert. B 


Sogomilen, 307 


Der Katſer Alextus Comnenes begierig, ihn ken⸗ 
nen zu lernen, ſtellte ſich, fein, Schuͤler werden zu wollen, 
und entlockte ihm feine ganze Lehre. 


Alexius hatte hinter einem Morhange einen Geſchwind⸗ 


ſchreiber verſteckt, der Alles, was Baſilius ſagte, nies 
derſchrieb. Der Kunſtgriff gelang, und Baſil ius eroͤff⸗ 
nete ohne Hehl feine ganze Lehrmeinung. 

Der Kaifer berief nun den Senat, bie Militär s Behör 
den, den Patriarchen, und die Geiftlichkeit gufammen; und 
ließ ihnen die Schrift, welche des Baſilius Lehre ent⸗ 
hielt, vorleſen. Dieſer laͤugnete ſie nicht ab, ſondern er⸗ 
bot ſich zur Behauptung von Allem, was er geſattt habe, 
mit der Erklaͤrung: daß er bereit. ſey, das Feuer, die graus 
famften' Dualen, felbft den Tod dafür zu erdulden: er 
fchmeichelte fi), die Engel wuͤrden ihm befreien. | 
Mm wendete Alles an, ' ihm feinen Irrthum zu bes 
nehmen‘, aber umfonft; er wurde zum Feuer verdammt. 
Der Kaifer genehmigte das lirtheil, und ließ nach: neuen 
vergeblichen. Werfuchen, ihn zu .geminnnen, mitten im Hyp⸗ 


podrom einen großen Scheiterhaufen anzuͤnden: auf der ans 


dern Seite ward ein Kreuz .aufgerichtet, und. Baftliug, 
die Wahl zwiſchen diefem "und dem Seheiterpaufen überlafs 
fen: er wählte den legten. 


Das Volk verlangte die naͤmliche Todesſtrafe fuͤr ſeine 


Anhänger. Allein Alexius ließ fie einkerkern; einige ent⸗ I 


ſagten ihrem Irrthume, andere konnten durch nichts son 
demſeiben abgebracht werden. Es iſt wohl möglich, daß: die 
gif des Kaiſers gegen Baſilius, die Strenge, womit er 
verurtheilt, und hingerichtet würde, zur Halsſtaärrigkeit feis 
‚ner Schälge beitrugen, und es iſt ungewiß, ob jelte, die 
ihre Irrthuͤmer abſchwuren, aufrichtig hierin warrn. Ein 
Profeſſor von Wittenberg hat eine Seſchichte der DB 
gomtlen i. J. 1711 herausgegeden. 2 | 


AN 





1) Man fee” Ducang ©’ Glossar. Batymis Panopl. 


p- 2. tit. 25. Anna Comnena Baronius et 
Spond, ad ann. 1118. EP Se, 
| 20 * 


N 


\ 


l 


308... Bonofus. Bruͤder, Bößmifche. 


Bonoſus, *) Biſchof von Saͤrdica, beſtritt, wie 
Jov inian, die immerwaͤhrende Yungfraufchaft der Muts 
fer des Herrn, indem er behauptete: daß ſie nach Jeſus 
Chriſtus noch andere Kinder gehabt habe, deffen Börtheit 
er fogar mie Photin läugnete, fo dag die Photinianer 
‚feitdem Bonofiafen genannt wurden. Cr wurde zu Ca⸗ 
pua auf einem Concil, das zur Beilegung der Spaltung 
von Antiochien, zufammengefommen war, verdammt. 


Bromwniften. Zweig der Presbpterfaner, 
Bromn’s Schüler. (Siehe Presbpterianer.) 


| Brüder, arme. Diefen Namen legten ſich die Schů⸗ 
ler Dulcius bei, weil ſie vorgaben ſie haͤtten Allen ent⸗ 
ſagt, um ein apoſtoliſches Leben zu fuͤhren. | | 


| Brüder, Boͤhmiſche auch Maͤhriſche Adtömm— 
linge der Huſſitiſchen Caliſtiner in Boͤhmen. Nachdem 
die boͤhmiſchen Huſſiten durch die mit dem Concilium von 
Baſel abgeſchloſſenen ſogenannten Prager Compaktaten 
vom Jahre 1433 mit der roͤmiſchen Kirche wieder: in: Vers 
bindung getreten waren, fo wurde das heil. Abendmahl jes 
dem, der es verlangfe, unter beiden Geftalten . mitgetheilt, 
ohne dag jedoch die beigefügfe Bedingniß, dag Belt gu .bes 
lehren, daß die Kommunion unter beiden Geftalten nicht zur 
Geligfeit. nothwendig, und daß der ganze Chriſtus auch’ un⸗ 
ter einer Geſtalt zugegen ſey, duchaus eingehalten: wurde. 
Die Utraquiſiten, fo nannten fich nun die vormali⸗ 
gen Calixtiner — beharrten immer mehr auf der, Noth⸗ 
org Modiehrad, einen vorzüglichen Befnäger. Yohann: | 
Motefen, ein Huffitifcher Prieſter, der, an.der Spitze der 
sim Concil von Bafel abgeordneten Friedeng.s Unterhänds 
ler geftanden war, ein ehrgeiziger und raͤnkeſuͤchtiger Mann, 
deſſen Hoffnung fehlgeſchlagen war, auf den erzbiſchoͤflichen 
Stuhl von Prag, zur Vergeltung feiner. Verdienſte, erho⸗ 


Fin 


we | J zit, a EB q 
*) 4tes Jahrhundertt. 


Brüder, Boͤhmiſche. | 309 


ben zu werben, ſuchte fh nun dafür an der römifchen Kirche 
zu vächen. Pogiebrad, der den Nänfen Rokeſan's die 
Koͤnigskrone zu verdanken hırte , mußte ſich feinen herrfchs 


füchtigen Planen fügen. Rokeſan erhob. fih, dem Pabſte 


zum Troß, zum Erzbiſchofe von Prag, oder vielmehr zu eis 
nem boͤhmiſchen Pabſte. Man fuchte den Haß .gegen die 
sömifche Kirche neuerdings bei Dem Wolfe aufjuregen, und 
Leute aus dem Gewerbsſtande brachten die Verbefferung der 
Kirche abermals unter pur Sprache. Die Meffe, die 
. Brodverwandlung, dag Geber für die Verfiorbenen, die 
Merehrung der Heiligen, und vorzüglich die Gemalt des 
Pabſtes waren die Gegenftände, woran fie fid) fließen. Ueber 
die Calixtiner Flagten fie, dag fie in Allem, den Kelch 
ansgenommen, zu fehr roͤmiſch gefinnt wären, und wende⸗ 
ten fi) anfangs mit ihren Verbefferungs s Anträgen an Ros 
fefan. Allein von diefem Prälaten mit Uebermuth abger 
wiefen, wählten fie einen Schuhmachermeifter, Keleſisky 
mit Namen, einen unwiſſenden, von ſich hoͤchſt eingenom- 
menen Menfchen zu ihrem Haupte. Er fette ihre Glaubens, 
Punkte auf, welche man ven Kelefisty’fhen Leiſten 
nannte. Weiterhin erforen fie den Mathias Conwald, 
einen ungebildeten Laten zu ihrem Prediger. Endlich im 
Jahre 1467 trennten fie fich Hffentlih von den Calirtis 
nern, wie fich diefe von der römifchen Kirche getrennt 


hatten, eine Heine Secte von einer andern Fleinen Secte, 


und errichteten unfer der Benennung Brüder, einen eiges 
nen religidfen Verein. Ihr kleiner Haufe, aus Leuten der 


untern Volksklaſſe und einigen unwiſſenden boͤhmiſchen Prie⸗ 


ſtern zuſammengeſetzt, ruͤhmte ſich der Reſt von Huſſen's 
Schuͤlern zu ſeyn, den ſie als ihren Meiſter und Apoſtel 
Boͤhmen's, ja als einen heiligen Martyrer verehrten, deſſen 
Martertod fie als ein jährliches Heft feierten, ohngeachtet 
fie, in ſehr wefentlichen Punkten won feiner Lehre abmichen. 

Da fie behaupteten, die wahre Kirche ſey wenigſtens 
im Abendlande, außer der ihrigen, nicht mehr vorhanden, 


fo .famen fie, gleich bei'm. Anfange ihrer Abfonderung, auf 


den Einfall, das wahre Chriftenthum in irgend einem Lande 
der Welt, in. Griechenland, Armenien, oder mo immer im 


m 


310 | Bruͤder, Schmifhe. 
Orient, aufſuchen zu lafien. Die eben damals aus ben 
Ruinen der von den Türken erſtuͤrmten Stadt Conflantis 
nopel nach Boͤhmen gefluͤchteten griechiſchen Prieſter verſicher⸗ 
ten ſie vergebens, daß ſie in ganz Griechenland keine Chri⸗ 
ſten von ihrer Mache finden wuͤrden. Die Bruͤder waͤhlten 
die Gewandteſten und Verſtaͤndigſten aus ihrer Mitte, von 
denen einige den Orient durchwanderten, andere gegen Nor⸗ 
den in's Moscowitiſche, wieder andere gegen Palaͤſtina und 
Aegypten zogen, um ihre Gla Ins/-Verwandten aufzu⸗ 
fuchen. Nach vollendeter. Wanderung in Conſtantinopel, 
der Abrede gemäß, eingetroffen, Eehrten fie nad) Boͤhmen 
zuruͤck mit der niederſchlagenden Antwort an die Bruͤder: 
daß auf dem ganzen Erdenkreiſe Niemand ihres Glaubens 
anzutreffen ſey. 


Verwaiſt, und einſam ſtehend in der Welt, graute ihnen 


ſelbſt vor ihrer Unfruchtbarkeit, und dem Mangel an geſetz⸗ 


licher Vollmacht zum Kirchenamfe, fo daß fie noch. zu Rus 
ther’s Zeiten einige der Jhrigen, verſtohlener Weife zum 
Empfang der Meihen bei den Katholiſchen, abfendeten. 


Die boͤhmiſchen Brüder, ihrer unterwuͤrfigen und 
ehrfurchtsvollen Sprache gegen die weltliche Macht ungeachs 
fet, nahmen, feitvem fie in ihren Lehrmeinungen ſich dem 
Lutherifchen anzufchliegen angefangen ‚hatten, auch Theil an 
ihren polititiſchen Sehden; und Da. fie Ferdinand in der 
Kebellion des Churfürfien von Sachſen gegen Carl V. 
verwickelt fand, jagte er fie, in der Mitte des fechgzehnten 
Jahrhunderts aus Böhmen, von wo aus fie ſich nach Pos 
len flüchteten. 


Im Jahre 1570 kam die Bereinigung der drei protes 
ftantifchen Secten in Polen, der Lurherifchen, Zwingli⸗ 
ſchen und böhmifchen Brüder auf der Spnode zu Sendomir 

‚gu Stande. Getrennt feit vierzig bis fünfzig Jahren von 
der fatholifchen Kirche, gezwungen zu dem Geftänpniffe: dag 
Chriſtenthum blog in dem Winkel Boͤhmens, den fie bes 
wohnt haften, zu ‚finden, waren fie froh, bei'm Aufteben 
bes Proteſtantismus, an diefem einen ſichern Stüßpunft zu 
finden, und mußten durch gefchmeidige Nachgiebigkeit ſich 


\ 





— nen 


2 Beiden, Bbhmiſche. 311 


bald die Buneigung Luther's zu verfchaffen. Bucer’g 
Zweideutigkeiten haften ihnen einen fichern Ruͤckhalt eräffs ' 


nef, und die Eonfeffion von Sendomir war fo abgefaßt, 
daß die drei verfchiedenartigen profeftantifchen Secten Dos 


lens ihre Rechnung dabei fanden, daß auch die boͤhm i⸗ 


{hen Brüder diefelbe ohne Bedenken unferfchrieben. 


ı 
\ 





Eigentpämlige Glaubenslehre der bsohmiſchen 
Brüder. 


um die den boͤhmiſchen Brüdern eigenen Dogmen 
auszumitteln, muß man die Zeit, in welcher ſie, von den 
Calixtinern und der katholiſchen Kirche abgeſoͤndert, 


allein ſtanden, von jener, wo fie ſich mit Luther und . - 


feinen Anhängern in Verbindung geſetzt hatten, unter; 
fcheiden. ' 

Man wollte die höhmifchen Brüder von den als 
ten Waldenfern abftammen laffen. Diefer Ehre wies 
derfprachen fie aber in der Vorrede zu Ihrem Glaubensbes 


. Eenntniffe von 1572 1), auch nennen fie fi) in allen ihren 


Spnoden und oͤffentlichen Acten „Boͤhmiſ che Brüder, 
„faͤlſchlich Waldenſer genannt“ 2. - 

Noch "mehr verabfcheuten fie den Namen Picarden, 
von Nicard, der zur Zeif der Entftehung ihrer. Secte die 
Schamloßgkeit der Adamifen erneuert haffe 3). 

Eine ihrer auffallendften und fonderbarften Abweichuns 
gen von allen andern chriftlihen Gemeinden war, daß fie 
diejenigen, welche zu ihnen übertrafen, umtauften, weil 
ihrem Vorgeben nad) die wahre Taufe in der ganzen Chris 





I) De origine Eccles. Boh. et confese. ab iis editis, 
Heidel. 1605. Joan. Camerarii de eccl. fratr. in Boh. 

... et Mor. Ristor. Fleidel. 1609: p. 173. 

2) In Synod. Sendomir. — Sym. Gen. T.2. p. 219 

3) Rudiger de Eccl. in, Boh. et Mor. p. 248. , 


| 312 e rüber; Boͤhmiſche. 


ſtenheit verloren gegangen, und nur bei den Brüdern ans 


zutreffen ſey, fich feibft aber ließen fie nicht wieder taufen, 


weil ihnen Niemand diefen Dienft erweiſen fönne, da die 
Taufe, wo immer fie berfommen möge, gleich ungültig fey. . 
Diefer Gebrauch wurde beinahe hundert Jahre lang von 

der Zeit ihrer Trennung an von ihnen beibehalten 1). 


Und son dieſem Fleinen Häuflein unmwiffender Leute 
behaupteten die Lutheraner fn der, der Apologie der 
Brüder, melde zur Zeit Luther's zu Wittenberg 
erfchien, vorgedructen Vorrede: daß beivihnen die Kirche 


Gottes, ie man ſchon ganz für verloren gehalten habe, no) - - 


erhalten worden fey 2).. . 


Die Rechtfertigung fegten fe, wie vor Luther 
die ganze Kirche, in den Glauben verbunden mit den Wer⸗ 
fen. Um aber dem großen NMeformator fich gefällig zu ers 
meifen, raͤumten fie mehr. ein, als er felbft verlangte. ° 
Wenn Luther fagte: wir werden ohne .unfere Mitwirkung 
und Theilnahme gerechtferfiget, fo feßte fie hinzu: ſelbſt 
ohne es gu wiffen, und zu fühlen, wie der Ems 
brio im Mutterfhoofe allmäplig belebt wird; 
wenn Erflerer wollte, daß. man feiner Rechtfertigung voͤl⸗ 
lig gewiß fen, fo. behaupteten fie überdieß, daß man ganz 
ungezweifet der Beharrlichfeit, und bed ewigen | 
Heils vwerfichert fen; ja die groͤbſten Sünden feyen nur 
laͤßliche, dafern man ſie mit Widerſtreben begehe: denn von 
ſolchen Suͤnden ſage der hl. Paulus: fuͤr jene, ſo in 
Jeſus Chriſtus ſind, gebe es keine Verdam⸗— 
mung. (Roͤm. 8, 1.) 3). 

In dem Glaubensbekenntniſſe von 1504 , welches dem 
Könige Ladislav eingereicht wurde, nehmen die Brüs 
. der fieben Sacramente an, bei kuther mußte die Confeſ⸗ 
ur 

1) Confes. fid. de 1558. u 
2) Joh. Eisleb in orat. prachx. Apol. fratr: sub koe 

-tit> Oeeonomiactz. ap. Lydium T. 2: P. 95: | u 

. 83 Apoi' part .4. ap. Lid, T. 2. — 3J 


Brüder, Boͤhmiſche. 313 


fion verbeſſert, und nach dem Befehle des Meiſters, die 
Eacramentenzahl auf zwei, die Taufe und dag Abends 
mahl, berabgefeßt werden; die Losfprechung: wurde. beibes 
halten, aber nicht ald Sacrament. Im %. 1504 wurde 
das Sündenbefennfniß, ald im Gewiſſen verbindend: ans 
erkannt: In der verbefferten Confeffion heißt es bloß: men 
muͤſſe bei dem Prieſter die Losfprechung von Suͤnden ges 
mäß der. Schlüffelgewalt der Kirche nachfuchen, und die 
Nachlaffung kraft diefeg, von Jeſus Chriſtus u dies 
ſem Ende eingeſetzten Amtes erlangen. 

Die Euchariſtie anlangend, erklaͤren ſie in einem an 
Rokſfan erlaffenen Schreiben, und in dem Glaubensbe⸗ 
kenntniſſe von 1504 ihren Glauben an die wahre und we⸗ 
ſentliche Gegenwart des Leibes und Blutes Jeſu Chris 


Ati unter den Geftalten des Brodes und Weines, fobald die _ | 


Worte ausgefprochen find, ohne einen fi guͤrlichen Sinn 
zu geſtatten, haben aber dabei das Eigene, daß fie die eo - 
genwart des. Leibes Jeſu von der Wuͤrdigkeit des conſe⸗ 
crirenden Prieſters abhaͤngig machen, eine Lehre, die ſie 
aus der Schule Wiclef's, und Johann Huß heruͤber 
genommen haben 1). Auch wollen ſie nicht, daß man Je⸗ 
ſus ehe in der Euchariftie anbete, theils weil Er eg 
nicht befohlen habe, theilg weil feine Gegenwart von zwei⸗ 
facher Art fey, einmal perſoͤnlich, koͤrperlich und fühlbar, 
welcher allein unfere Anbetung gebuͤhre, das anderemal geis 
fig und facramentalifch, die keine Anbetung erfordere. Sie 
fprechen immer von der Wefenheit des Leib's Chriffi im. 
. Sacramente: Es ift ung nicht befohlen, fagen fie, dieſe Sub⸗ 
-  flang-des confecrirten Leibes Jeſu Chriſti anzubeten, fons 
dern die Subſtanz .deffelben , welche zur Nechten des Waters 
ift; fie erkennen demnach in dem Saframente, tie in dem 
Himmel die Subflanz des Leibes Jeſu Chrifti, aber ans 


betungswuͤrdig im Himmel, nicht aber im Sakramente. Bis - 


hieher fprechen fich die Brüder ganz beſtimmt und deut⸗ 


1) Apolog. 1532." ap! Lyd. T. 4, p. 297: Prof: fid. ad 
Ladis. ap. Lyd. T. 2. p. 10: Apol. T. 4,’ p. 12, 296 ete. 


314 .Sruͤder, Boͤhmiſche. 


lich fuͤr die weſentliche Gegenwart aus, aber weiterhin ver⸗ 
wicein fie. ſich in Duntelheiten, und fo fonderbare Zwei⸗ 
deutigkeiten, daß ſie nichts ſo ſehr befuͤrchtet zu haben ſchei⸗ 
nen, als ein klares und unzweifelhaftes Zeugniß ihres Glau⸗ 
bens abzulegen. Haben ſie einmal offen ihre Ueberzeugung 
ausgefprochen,, fo ſpringen fie ſogleich wieder auf verfaͤng⸗ 
liche Ausdruͤcke ab, ſo daß man ihnen das Schwankende 
und Unſtaͤte ihres Ieenganges anſieht, wodurch ſie beide 
Haupttheile der proteſtantiſchen Parthei zufrieden ſtellen zu 
wollen ſcheinen. | 


a“ Endlich gewinnt doch Luther's Anſi cht das Ueberg ⸗ 
wicht und im Jahre 1558 erklaͤren fie: man muͤſſe ans 
ertennen, daß das Brod der wahre Leib J. C. ſey, 
und der Kelch fein wahres Blut enchalte, nur 
ſollte man feinen Worten fein.andereg beife 
ben. Und doch fuͤgen fie die Worte: das Brod, wahr, 
„hinzu. Endlich um zu zeigen, wie fehr es ihnen mit dem- 
. Glauben an die wirflihe Gegenwart Ernft fey, verordnefen 
fie: daß ihre Prediger beiim Ausfpenden des Sakraments 
und bei Ausfprechung der Worfe de3 Herrn das Volk ers 
mahnen ſollten zu glauben, daß die Gegenwart Sefu 
Chriſti gegenwärtig. fey (ein fonderbarer Musdruck) 
und daß man, fo, wenig fie der Anbetung geneigt waren, 
Das Saframent fnieend empfangen fol. Diefe Erläutes 
‚rungen und Milderungen fanden‘ fo ſehr Luther's Beifall, 
daß er einer von ihnen herausgegebenen Confeſſion ſeine 
Sutheilung vorſetzte. 


Uebrigens ließen es die Proteſtanten den böbmiſchen | 
‚Brüdern. ganz nachfichtig hingehen, dag fie zu gewiſſen Zeis 
ten firenge fafteten, nicht nur zur Ehre des Herrn, fondern 
auch der Jungfrau Maria, mit Unterfagung aller Arbeit 
Feſttage beginnen, die Mutter Jeſu vor und nad) der Ges 
burt Jungfrau nannten, unter Anrufung ihres und anderer 
Heiligen, Namen Kirchen bauten und weihten, ihren: Prices 
‚fern ‚den ehelofen Stand geboten, und die dawider Dans 
delnden ihrer Stellen - entſetzten. Das Alles war unſchul⸗ 


Brüder Mäpr. Dr. Polniſche. Bucer. 315 


dig, bei den Brüdern, m Abgötta und Gift bei den 
Pabiſten! 1). 


| Bruder maͤhrifch. (eich diefe in dem Artikel 
Anabaptifter.) 


Brüder, Polniſche. Eine Benennung, welche die 
Socinianer annahmen, um zu zeigen: daß die Fiebe uns 
ter. ihnen herrſche und ihre Verbruͤderung unverbruͤchuch 
ſey. 


Bucer, M Martin, geboren. zu u Sqleteſtadt 14, 
ein Haͤuptling der Reformation des 16ten Jahrhunderis, 
und proteſtantiſcher Pfarrer zu Straßburg Cr muß von 
einem andern Gerfomns Bucer, einem Niederländer, 
und Schüler Calvin’s, der ald Paſtor im Zeeländifchen 
1631 flarb, unterfchieden werden. 

Martin Bucer befaß nicht gemeine Gelehrſamkeit, 
war von geſchmeidigem Weſen, fruchtbarer an Diſtinctionen 
als die ſpitzfindigſten Scholaſtiker, ein angenehmer Predi⸗ 

ger mit: einem etwas ſchwerfaͤlligen Stile, imponirend aber _ 
- Durch feine Figur und angenehme Stimme Er war Domi⸗ 
nicaner, und hatte ſich verehelicht, wie die andern, ja, fb 
gu fagen, mehr als die andern - Coryphaͤen der neuen 
‚Lehre. Denn nach dem Tode feiner Frau ging er zur zwei⸗ 


fen und dritten Ehe über. Mit Zwingli nahm er den 


figuͤrlichen Sinn in der, Eucharifie an; er und feine 
Anhänger Eonnten fich in dieſem Punkte auf dem Reichstage 
zu Augsburg, 1530, mit den Lutheriſchen nicht verei⸗ 
nigen; fie legten daher im Namen der vier Reich, 
Städte. Straßburg, Memmingen, Lindau und 
Conftanz, dem Kalfer ein eigenes Glaubens s Befenntnif 
vor. So fah man ſchon im Anbeginne der Reformation in 
Deutfchland zwei durch ihre Glaubens» Befenntniffe fichtbar 
getrennte Partheien unter den Proteflanten. Auch in der 
Lehre von dem Verdienflichen der guten Werfe ging Bucer 


\ 


ı) Bossuet Hist. des Variat. T. 2. Lr 1. 





v 


- 
x 


316. Bucer. | 
ganz von Luther ab, und hielt fih an den Fatholifchen 


Lehrbegriff; eben fo vertheidigte cr. die Anrufung der Hei⸗ 
ligen, und behauptete ihre Fuͤrbitten 1). 

Nach dem Neichstage zu Augsburg fannen die Pro⸗ 
teſtanten ernſtlich auf eine engere Verbuͤndung gegen die 
Katholiken. Allein ihre Uneinigkeit in der Lehre vom Abend⸗ 
mahle, welche ſich auf eben dieſem Reichſtage nur zu eins 


Nleuchtend dargethan hatte, ſetzte der Vereinigung aller. ein 


unuͤberſteigliches Hinderniß entgegen. Luther und der 
Churfuͤrſt Johann Friederich von Sachſen beſtanden da⸗ 
rauf, mit denen von Baſel, Zuͤrich, und Straßburg 
keinen Bund einzugehen. Daher erhielt Bucer, als der 
Hauptunterhaͤndler der damaligen Zeit, von dem Landgrafen 
Phaͤlipp von Heſſen den Auftrag, mit Luther und 
Zwingli ein Abfommen zu treffen. Wirklich traf Bucer 


Luther'n bei fo guter Faune, daß er zur "Ausfshnung mit 


Zwingli Hoffnung gab: un reifte fogleich: zu legterm ab. 
Allein der Rrieg,der eben zwifchen den Eatholifchen und pros 


teftantifchen Cantonen der Schweig ausgebrochen war, und _ 
worin Zwingli umkam, machte die Unterhandlung fcheis 
dern. Doc ließ er fih hiedurch nicht irre machen. De - 
beide Theile zur mechfelfeitigen Duldung ſich nicht entfchlies 


- sen wollten, fo nahm er feine Zuflucht zu Zweideutigkeiten, 
und erklaͤrte die abweichenden Anſichten der Sakramen⸗ 


tirer und Luther's über die Gegenwart des Leibes Jeſu 


in der Euchariftie für einen bloßen, Wortftreit. Allein alle 
- feine gefchichten Wendungen, und Wortfpiele fanden weder 


den Beifall der Lutperifchen noch der Schweiger, die ſich 
fogar. feierfich dagegen verwahren, ſo daß die Bereinigung 


für diesmal unterblieb. 2) | 
Im Jahre 1556 gaben die Bafler Proteffanten auf 

Bucer’s Betrieb ein zweites Glaubens » Bekenntniß an's 

eicht, worin fie fagten: der Leib und das Shit feven nicht 





» Disp. Lips. a. 1539. Resp. ad Abrine, Confer. Re- 
tisbon. d. a. 1546. | | 
2) Hospin. ad ann. 3551. * — 


Bucer. | 37 


natärlich mit dem Brode und Weine vereinigt, ſondern 
‚biefe feyen die Symbole, wodurch Jeſus Chriftug felbſt 
ung feinen Leib und Blut, wahrhaft mittheilt, nicht um dem 
Koͤrper eine. vergängliche Nahrung zu geben, fondern um 
eine Spetfe des ewigen Lebens zu ſeyn. 1). Die Züridher, 
welche von Zwingli's Lehrmeinung. nicht abmweichen wolls 
sen, liegen ſich auf feinen Vergleich em; Die. Lutherifchen 
* aber fanden an obiger Erklärung eben nicht viel auszuſtellen, 
und da überdieß Bucer was nur in Anfehung der wirklichen, 
weſentlichen, fubftantielen, felbft natürlichen Gegenwart sy 
wuͤnſchen war, einrdumte, auch fich Dazy verſtand, daß vie 
Gläubigen, wenn fie auch unwuͤrdig zum Abendmahle 


. gingen, dennoch den wahren Leib Jeſu Chriſti empfingen, 


fo both endlich der bisher. unverfShnliche Luther die Hand 
zum Frieden. Noch in demſelben Fahre famen die Abgeords 
nefen der Kirchen von Deuffchland aus beiden Partheien: in 
Mittenberg zufammen, wo Luther ‚folgende. ſechs von 
Bucer und den Seinigen abgegebene Artikel als wahren 
Miderruf annahm: Art. 1.. Nach dem. Ausfpruche des HL 
Srendug enthält die Euchariftie zwei Theile, einen irdifchen 
und einen. himmliſchen Theil, folglich find der Leib und das 
Blut Jefu wahrhaftig und mefentlich gegenwärtig, gegeben 
und empfangen mit dem Brode und Weine , Art, 2. Ohne 
eine Verwandlung anzunehmen, iſt auch der Leib Jeſu nicht 
örtlich im Brode eingefchloffen, und feine Verbindung mit 
dieſem außer dem Gebrauche des Sakraments nicht von lan⸗ 
ger Daiter ; doch muß man zugeben ‚daß dag Brod durch 
eine ſatramentauſche Vereinigung der Leib Jer u CEhriſti iſt, 
d. h. wenn das Brod dargereicht wird , fo iſt der ‚Leib zus 
gleich mit gegenwärtig, und wahrhaft gegeben, Art. 3. 


Auſſer dem Gebrauche des Sakraments, waͤhrend es im Ci⸗ 


borium aufbewahrt, oder in Progeflonen gezeigt‘ wird, iſt 
es nicht der Leib Jeſu. Art.‘ 4. Die Wirkſamkeit dieſes 
Satraments haͤngt nicht von der Wirvigfeit oder unwuͤr⸗ 


Se x a | x. 
» Conf Basil. 1556, art. 22. —28 Confens: ; Hp 
Part. ı, p. 70. 


x 


318 Bucer. 
digkett des. Ausſpenders oder Empfaͤngers ab. Art. 5. Den 


Unwuͤrdigen, die nach dem hl. Paulus dieſes Sakrament 


- 
Pr 


wirklich genießen, wirb der Leib Jeſu wahrhaft mitges 
theilt, fie empfangen ihn in der That, wenn die 
Einfeßungs » Worte gebraucht werden. Art. 6. Aber fie efr 
fen fich felbft das‘ Gericht, wie eben der bl. Paulus fagt, 
weil ſie das Sakrament, wenn fie ohne Buſe und ohne 
Glauben hinzugehen, entheiligen. 1). 

Dieſe Artikel wurden zu Ende May's 1536 von beiden 


Theilen ‘der Proteſtanten unterzeichnet, jedoch ſollte dieſe 


Uebereinkunft alsdann erſt Guͤltigkeit haben, wenn ſie von 
den Kirchen gutgeheißen wuͤrde. Bucer und die Seinigen 
zweifelten hieran ſo wenig, daß ſie alsbald noch der Unter⸗ 
fertigung zum Zeichen des immerwaͤhrenden Friedens mit 
Luther das Abendmahl hielten. Die Lutheriſchen ertheils 
ten dieſer Uebereinkunft ſtaͤts ihren Beifall, und die Sac⸗ 
ramentirer betrachten’ fie als einen rechtskraͤftigen Ver⸗ 


krag, der alle Proteſtanten vereinigt haͤtte. Wirklich gehoͤrt 


dfefem Vertrage eine der erſten Stellen unter den oͤffentli⸗ 
hen Akten der neuen Neformation: den er enthält die Ger 
finnungen. des ganzen Profeftantifchen Deutſchland's und 
bemahe der ganzen Reformation, 2). | 
Nun gab ſich Bucer alle Muͤhe, die Anhänger Swing 
tes gu Zürich zur Annahme dieſer Uebereinkunft zu bewegen. 
Allein trotz allen Schlangenwendungen ſeiner ueberredungs⸗ 
Kunſt, die er zwei Jaͤhre lang an fie verfchwendete, beharr⸗ 
ten fie auf ber Behauptung: daß weder von einer phyſiſchen 
oder natuͤrlichen, noch von einer weſentlichen Gegenwart die 
Rede ſeyn koͤnne, ſondern der Leib Jeſu ſey nur durch den 
Glauben und den heiligen Geiſt gegenwärtig. 
Inzwifhen hielt Bucer für die Folge feft an bie 
Mittenberger Uebereinfunft, fo daß er von den Augsburs 


ger. Eonfeffions; Bermandten von. num an fletd für 


» Cone. p. 729, Host. „port. 2; p. 145. Chyer Hist. 
: Gonf, August. " t 
2) Bossuct Hi.t, des Variat. L i 7, | 


Bucern. | | 319 


einen der Ihrigen angeſehen wurde, und durchaus im Ein⸗ 
klange mit ihnen handelte. Auch die Reichs⸗Etaͤdte, wels 


de zu Augsburg ſich an ihn angefchloffen hatten, Fehr; 


ten nun. zum Glauben an die mwefentliche Gegenwart zuruͤck. 


ALS der gewandtefte Unterhaͤmdler damaliger. Zeit ers 
hielt Bucer von dem Landgrafen Philipp den. Auftrag, 


“bei Luther, und deffen” Mithäuptlingen die Erfaubniß zu 


erwirken, fi neben feiner noc lebenden rechtmäßigen Ge 
mablinn mit einer gmeiten zu verehelichen. M sit, der von Dem 
Landgrafen erhaltenen ſchriftlichen Inſtruction, worin dieſer 


ſelbſt die Gründe der Nothwendigkeit dieſer Erlaubniß fuͤr 


® 


feine Perfon angab, und momif er lockende Verheißungen, 
im Falle man ſich willfaͤhrige gegen ihn begeigte, aber au 
die Sache der Reformation gefaͤhrdende, ‚. Drohungen bei 
einer mißliebigen Enticheidung, . verband, knuͤpfte Bucer mit 
Luther'n die deßfallſigen unterhandlungen an, und erhlelt eine 
foͤrmliche Lehrentſcheidung, worin nach dem Evangelium, 
jedoch nur ale Dispenfe für dDiefen Fall und unter der 
Bedingung, Die Sade, geheim zu halten, dem Landgra— 


fen geſtattet ward, feiner hoch lebenden Gattinn eine zweite beis 


zugefellen. — Das erſtemal ſeit Stiftung des Chriſtenthums, 
daß man von Maͤnnern, die ſich fuͤr Lehrer der chriſtlichen 
Kirche ausgaben, den Ausſpruch hoͤrte: Chriftus habe die 
Polygamie nicht unterfagt ; Er, der gekommen war, das ge 
fallene Menfchen s Gefchleht auf feine urſpruͤngliche Beftims 
mung zuruͤckzufuͤhren, , und dem Worte des Schöpfers: Es 
werden’ zwei feyn in Einem Sleifche, feine erfte Be: 


deutung wieder zu geben! Das‘ in deutſcher Sprache abges 
faßte, und von Melanchton eigenhändig gefchriebene Dris - 


ginal diefer Urkunde ift ‚von Luther, Mela nchfon und 


Bucer unterzeichnet; die lateiniſche Ugberfegung von Wit⸗ 


fenberg im Dezember 1539 fügt noch die Unterfchriff 
zweier Doctoren, morunfer Melander, Hofprediger des 
Landgrafen, bei. 


Eine a von ſolcher Wchrig⸗ieit EC — — 


mie) von einer Parthei, die gegen die Dispenſen des roͤ⸗ | 
miſchen Hof's ihre ganze Wuth ausgelaſſen hatte, ... 


, 


chen ·man fm Perlaufe der vergangenen Jahrhunderte des 
vorgeblichen Verderbniſſes der Kirche fein Bei’piel aufzus 
weifen bat! 1) 


/ * 





1) Ibidem L. 6. n. 6. Die Inſtruction des Landgrafen 
an Bucer, die erfolgte Lehrentſcheidung, nebſt dem In⸗ 
ſtrumente der Verehelichung des erſten mit Margaretha 
von Saal findet man in Bossuet’s Hist. des Variat. 
am Ende des 6ten Buches abgedrudt. So lange Phis 

‚ Iipp, 2andgraf von Heſſen lebte, wurde dad Geheimniß 
treu bewahrt. Erft im Jahre 1679 wurde die ganze Ges 
ſchichte duch folgende Veranlaffung dem Publikum befannt 
gemadt: Earl Ludwig, Churfürk von der Pfalz hatte 
no zu Lebözeiten feiner Gemaplinn mit Frau v. Egen: 
feld ein öffentlichs und Tirdfbares Liebes + Verfländnif. 
Um fih in den Augen feiner ihn darüber beläftigenden Pre⸗ 
diger, und der Welt zu rechtfertigen, feßte ex ihnen die 

weit nachſichtigere Tpeologie Luther's mit der Folgerung 

entgegen, ihm, old einem Churfürften müffe wohl auch 
geftattet werden, nebſt feiner Gemaplinn eine Beiſchläͤfe⸗ 
rinn zu haben, wenn Luther einem Landgrafen er 
laubt hätte, ſich zu einer Zeit zwei rechtmäßige Ehefrauen 
beizulegen. Zu dieſem Ende ließ ee durch einen feiner Räs 
the, Lorenz Böger, unter dem latinifirten Namen: 

Daphnaeus Arcuarius, eine Druckſhrift unter dem 

Titel verfaffen: Betrachtungen, oder gewiſſen⸗ 

hafte Bemerkungen über die Ehe, in fo fern 

fie auf dem göttliden Rechte, und auf.dem 
Rechte der Natur berupet, nebft einer Beleuch⸗ 
tung mander dahin einfhlagenden Fragen 
binfihtlih des Ehebruches, der Scheidung 
und beſonders der Polygamie. Am Ende des Item 

Kapitels, Aten Theils ift num die angefuͤhrte Lehrentſchei⸗ 
dung Luther's, Bucer's und Melanchton's, Wie 
auch der Eherennng des Landgrafen deutſch und lateiniſch, 
"wörtlid.. angeführt. Auch hat nicht gar lange nachher ein 

 Molöumling .ded Landgrafen, Prinz Ernft, von Def 





Bucer. 321 


Bei dem auf dem Reichsſtage zu Regensburg, 1541, 
‚gehaltenen Religivns⸗Geſpraͤche zur Vereinigung der Ka— 
tholiken und Proteſtanten befand ſich Bucer unter den 
Theologen, welche ſelbſt auf Vorſchlag Kaiſer Karl's V. 
das Wort führen folten: allein, da man ſich nur in ſehr 
mwenigen Punkten, und: das nicht ohne Widerfpruch des fa, 
tholifhen Theologen, Johann Eck, vereinigen Fonnte, 
‚endigte fih Die ganze Verhandlung unverrichteter Dinge. 
Während dem der Kaifer das Interim zu Straßburg 
‚ angenommen miffen wollte, ‘brachte Bucer abermals efn 
Glaubens s Bekenntniß zum Worfcheine, worin die Stadt 
Straßburg erklärte: daß fie unabänderlic auf ihrem 
1530 zu Augsburg abgegebenen GlaubendsBefenntniffe _ 
beſtehe, jedoch) auch die zu Wittenberg mit Luther’n 

‚getroffene Uebereinkunft beibehalte, worin nämlich erklärt 
murde, daß diejenigen, welche Eeinen Glauben hätten, und 
"Das Sacramenf entheiligten, dennoch die wahre MWefenbeit 
des Leib's und Blut's Jeſu Chriſti empfingen. Eine 
Behauptung, bie mit der zu Augsburg binterlegten Con⸗ 
feffion im offentarften Widerfpruch ſtehet. Hiemit endigte 
ſich Bucer’s sffentliches Leben in Teutſchland. Während 
den Unruhen des Interim's fand er eine Zufluchts⸗ 
Stätte in England unter deit neuen Proteflanten, die das 
felbft unter Eduard fich fefkfesten. Peter Martpr von 
Florenz, einer von den zur Einführung der Reformation 
nad) England berufenen Proteflanten, ein harmaͤckiger 
Zwinglianer, ſtellte über die Euchariftie bie Behaupfung 
auf: daß der Leib und das Blut Jeſu Chriſti in berfels 
ben nicht Eörperlich zugegen fen (1449.)' Aller Bemuͤ⸗ 
hungen Bucer’s, und der hohen Achtung, in der er bei 
jenem ſtand, ungeachtet , gelang: es ihm nicht, eine Aendes 
‚zung im diefem Artikel zu bewirken, und er flarb daſelbſt 
. gefchägt und. betrauert von feiner Parthet. 


fen, nad feinem Weberteitte zur katholiſchen Kirche, ale 

Driginals Urkunden diefed in feiner Ark einzigen theologie 

Shen Bedenkens dem Publicum wor Augen gelegt. 
Keger-teriton. II. .21 


\ \ a 


322 . Buddas. Eainiten. . | 


’ 


| Buddas, auch Therebintug genannt, war ber 
Lehrer des Manes: (Man fehe diefen Artikel.) 


8, 


Cainiten *): Neger, fo genannt wegen ber Vereh⸗ 
rung, die fie Cain erwiefen. Sie erfchienen gegen dag 
Jahr 159. Ihr Urfprung iſt folgender: 

Waͤhrend des erſten und Anfangs des imeiten Jahr⸗ 
hunderts gab man ſich ſehr mit Unterſuchung der Schoͤpf⸗ 
ungs⸗Geſchichte und Erklaͤrung, des Urſprung's des Uebel's 


ab man hatte bald das Syſtem der Emanationen, bald u 


das der zwei Grundweſen angenommen. 

Eine Hypotheſe, auf fo ſchwachen Füßen fie auch fies 
ben mag, erhebt fich unmerklic in den Köpfen derjenigen, 
die fie annehmen, zu einem Principe; ohne fich weiter um 
ihre Begründung oder Erprobung zu befümmern, nimmt 
. man, fie unbedenklich, als eine ermwiefene Wahrheit an, um 
| bamif die Erfcheinungen zu erklären. 

Dag Syſtem der Emanationen, und die Annahme eis 
ned guten und boͤſen Grundwefens galten bei Bielen ale 
unbeftreitbare Wahrheiten, von welchen man zur Erklärung 
dee Erfcheinungen ausging; jeder behauptete für fich das 
echt, mehr oder weniger Geiſter, oder Grundweſen anzus 
nehmen, und ihren Erzeugungen, ihrer. Macht und Hands 
lungsmweife alle die Verſchiedenheit zugufchreiben, die er fir 
nöthig errachfefe, um eine Erfcheinung ‚ die ihm am meiften 
auffiel, oder deren. Erklärung 'man bisher vernachläffige 
‚hatte, fich begreiflich zu machen. 

Die meilten vor den Cainiten vorhandenen Secten 
hatten den Urſpruug des Guten und Boͤſen dadurch erklaͤr⸗ 
bar machen wollen: daß ſie ein hoͤchſt guͤtiges Weſen an⸗ 
nahmen, welches glückliche und unſchuldige Geifter.aus ſeit⸗ 
nem Schooße ergeugfe, bie aber durch den Weltſ choͤp⸗ 


14 


*) 2tes Söprhundent: 


* 


⸗ 


Cainiten. 2323 


fer, der boͤſe iſt, in koͤrperliche Organe eingekerkert wur⸗ 
den. Sie hatten aber nicht auf eine Allen genuͤgende Weiſe 
gezeigt, woher der Unterſchied, den man unter den geiſtigen 
Anlagen der Menſchen bemerkte, kam. Unter den Anhaͤn⸗ 


gern der Lehre von zwei Grundweſen trat daher einer auf, 


der es uͤber ſich nahm, die Verſchiedenheit der Geiſtesfaͤhig⸗ 
keiten und des Charakters im Menſchen zu erklaͤren. Dieſer 
nahm an, Adam und Eva ſeyen von den beiden Grund⸗ 
wefen oder Mächten erichaffen worden ; jedes von ihnen habe 


in der Folge ſich einen Leib beigelegt, und fleiſchlichen Ums 


gang mit Eva. gepflogen ;. die aus diefem Umgange erzeugten 
Kinder haben jedes den Charakter der Macht, dem es fein - 
Dafeyn verdanfte, bekommen: auf diefe Weife erklärte man 


die Verfchiedenheit in der Gemäthsart Cain's und Abel’g 


und überhaupt aller Menfchen.. Da Abel dem weltfchafs 
fenden Gott große Unterwuͤrfigkeit erwieß, fo fah man ihn 


als die Erzeugung eines Gottes an, den man Hiſt eros hieß, 


Cain hingegen, weil er Abel, der dem Weltſchoͤpfer 


- diente, erfchlagen hatte, war das Werk der Weisheit und 


des hoͤchſten Grundweſens; mithin war Cain der erfte uns 

ser den Weifen und der Haupfgegenfland der Verehrung dies 

fer Seftirer. | 
Vermoͤge einer natürlichen Folge ihres Hauptgrundſa⸗ 


| tes erwiefen fie allen denen eine Verehrung, welche das 


alte Teftament verworfen hafte, dem Cain, . Efau, Core, 
Dathan, den Sodomiten, welche fie für Kinder der 


Weisheit, und Feinde des weltſchaffenden Urweſens anfahen. 


Aus eben diefem Grunde verehrten fie auch Judas, dem 
Verraͤther. Nac den Cainiten wußte Judas allein das 
Geheimniß der Erfchaffung der Menfchen, und hatte deß⸗ 


“halb Jeſum verrathen: fey es, fagten die Ruchlofen, daß 


Judas bemerfte, daß Jeſus die Tugend und die Gefühle 
des Muthes, welche den Menfchen zur Bekämpfung des 
Schoͤpfers anfeuern, erſticken wollte, oder ſey es, daß Er 
dem menſchlichen Geſchlechte die großen Wohlthaten, die ihm 
aus dem Tode des Erloͤſers zuftoßen berſchaffen wollte, welche 
Wolthaten die dem Schöpfer befreundeten Mächte hintertreiben 
wollten, indem fie ſich feinem Tode-widerfegten. So erhoben 
21 Ze 


— 


h 


324. Cainiten. 


dieſe Ketzer In das als einen bewunderungswuͤrdigen Wan, | 
und ‚richteten an ihn Dank⸗ Gebete. 1), 

Um felig zu werden, behaupteten fie, muͤſſe man’ $revel . 
aller Art begehen, und fegten die Vollkommenheit der Vernunft 
darein, fich keck allen erdenklichen Abſcheulichkeiten zu uͤberlaſſen; 
ſie ſagten: jede ſchandbare Handlung habe einen Echugengel, 
und riefen bei Veruͤbung derfelben diefen Engel an. 2). 

Die Cainiten hatten apogryphiſche Hücher , wie dag 
Evangelium des Judas; einige andere Schriften, verfaßt 
zur Ermunterung, die Werke des Schoͤpfers zu zernichten; 
ein Werk, betitelt: die Himmelfuhrt des bl. Paulug, 

welches von der Entzuͤckung dieſes Apoſtels handelte, und 

graͤuliche Dinge enthielt. J 

Ein Weib aus dieſer Secte, Namens Quintilla, welches 
zur Zeit Tertulian's nach Afrika gekommen war, verfuͤhrte 
daſelbſt viele Leute, beſonders dadurch, daß es die Taufe 
verwarf. Die Anhänger dieſes Weibes wurden Quintil⸗ 
lianiſten genannt. Dieſe Betruͤgerinn ſcheint den Schand⸗ 
thaten der Cainiten noch andere abſcheuliche Gebraͤuche 
beigeſellt zu haben. 3). 

Philaſtrius macht jene, welche Judas verehrten, 
Ar einer beſondern Secte. 4). 

Der Kaiſer Michael hegte eine beſondere Verehrung 
fuͤr Judas, und wollte ihn unter die Heiligen verſetzen 
laſſen. 5). 

Hornebeck foricht von einem Anapaptiſten, welcher 
wie die Cainiten über Judas dachte, 6). uud nannte 
man Die Sainiten: Judaiten, 7). 





1) Iraen. DL I, C. 35, alias 38. 

2) Theodoret. Heret. Fab.. L. ı, C. ı5. Tertul. 
de Prescript. 59. Iraen. et Epiph. L.C. August. 
de Hear. C. 18. , 

3) Tertul. de’ Bapt. . . 

4) De Her. C. 34, 36. 

5) Theoph. Raynaud de Juda Prodit. p. 689. 

6) Contrer. Hornebec, 390. 

7) Ittigius de Hær. Seet, 2 $. 4,5 


| Calix 7 325 
— Ealirtiwer oder Utr aquiſten, ein Zweig der 
Huſſitiſchen Secte in Boͤhmen, welche die Ceremonien ber 
roͤmiſthen Kirche beibehielten, die Spendung des Abend⸗ 


mahls aber unter beiden Geſtalten, mithin die Beibehal⸗ 


tung des Kelches (Calix) fuͤr die Laien fuͤr nothwendig 
hielten. Georg von Podiebrad, der von 1450 big 


1471 die Böhmen beherrfchte, beguͤnſtigte vorzüglich diefe 


Parthet, und verfchaffte ihr eine -Ueberlegenheit über die 
andern Religions + Theile; unter Wladislam blieben fig ° 
im Beſitze ihrer Religiong » liebungen, und feit der Nefore 
mafion des fechszehnten Jahrhunderts hielten fie ſich zur 
Darthei der Proteflanten, mit welchen fie gleide Schickſale 
erfuhren. Da fie im fchmalfaltifchen Kriege tie Waffen ges 
gen ihre Gtlaubengs Brüder. zu tragen fich meigerten, sogen 
fie ſich Harte Verfolgungen zu. Doc ließ fie Ferdinand lJ. 
an den Mobirhaten des Neligiond s Friedens Theil nehs 
men, und unter Maximilian Il. erhielten fie völlige Re⸗ 


Uligions⸗Freiheit; härter erging es ihnen wieder unter Mus 


dolf IT, der envlich den Utraquiften,, die nun fchon größs 


‚tentheilg mit den lutheriſchen und. jchweigerifchen Religions⸗ 


Verwandten vermifcht waren, ımd den bshmifchen Bruͤ— 
dern, durch Die drohende Stellung, welche die boͤhm. Stände. 
gegen: ihn genemmen hasten, gezwungen, vermittels des am 
9. Juli ausgefertigten Religions s Briefe gleiche Neligiongs 
Sreiheit md Mechte mit den Katholiken zuſagte, und ihre 
Kirchen »s Ordnung, den Beſitz ihres Conſiſtoriums zu 
Prag, die. ihnen von Alters ber zugehörige Akademie, die 


freie Wahl ihrer Kirchendiener, die Beibehaltung ihrer Schw 


len und Kirchen. beftättigte ; auch follte e8 ihnen unverwehrt 
feyn, noch mehr Kirchen zum Goftesdienfte und Schulen ' 
zum Unterrichte der Jugend aufzubauen. Da indeß Mas 
thias Eingriffe in die Freiheiten des Majeſtaͤts⸗Briefs 
geflattete, griffen die Proteſtanten 1617 unter Anführung 
des Mathras von Thurn zu ven Waffen. Diefe Ems 
pörung war der Zunder Des verheerenden dreißigjährigen 
Krieges ; nach einem kurzen Zriumphe unter dem von ihnen 
felbft zum Stönige erwählten Friederich von der Pfalz 
nnd der bei. Drag 1620 erfolgten Niederlage dieſes uͤbelbe⸗ 


) 


326 . © Calixtiner. alpin. 


rathenen Fuͤrſten mußte der Proteſtantismus in 33 5 men 
sÄnzlic unterliegen. 


Serdinand IT. ließ viele Galirtiner, euthera— 
ner und Reformirte als Rebellen hinrichten, viele an⸗ 
dere wanderten aus, Unter den folgenden Regierungen wur⸗ 
den die Proteſtanten nicht mehr beguͤnſtiget. Endlich ge⸗ 
ſtattete Joſeph IT. durch ſein Toleranz⸗Edikt von 1782 
den Reformirten und Lutheriſchen, unter welche ſich die Reſte 
der alten Calirtiner verloren haben, wieder freie Reli⸗ 
gions⸗ Uebung, 


Calvin Johann) ward zu Noyon im Anfange des 
ſechszehnten Jahrhunderts ( 1509 den 10ten Juli) geboren, 
Seine erften Studien machte.er zu Paris im ‚Collegium 
La Marche, und hörte die Philofophie unfer einem Spas 
nier im Collegium Montaigu. Hier mache er Befannts 
fehaft mit feinem Landsmanne Olivetan, ber ihm bie 
erften Keime der neuen Lehre, welche ſich in Franlreich zu 
verbhreiten begann, beihrachte. 


Anfangs zum geiſtlichen Stande beſtimmt, entſagt er nun 
der Theologie und ſtudierte unter Peter de lEtoile 
su Orleans, dann zu Bourges unter Alicat Die Rechte. 
Sin leßterer Stadt erlernte er auch das Griechifche, Syri⸗ 
fche und Hebräifche unter Melchior DBolmar, einem 
Deutfehen, und Profeffor ber griechifchen Sprache, ber, 
ein geheinter Anhänger der neuen Lehre, die in Calvin 
bereit8 erweckte Neigung zu derfelben noch verftätfte Der 
Tod feines Vaters rief ihn nach Noyon zurück, von wo 
er nach einem: kurzen Aufenthalt fich wieder nad Paris 
begab, und 1532 über die beiden Bücher Senefa’g „de Cle- 
mentia“ einen lafeinifchen Commentar herausgab. Bald gab 
er fid) denen gy erfennen, Die im Geheim der Reformation 
sugethan waren, ahmte aber ihrem umfichtigen Verhalten 
nicht. nach ; fein Eifer wurde ausbruͤchig; nur Durch die 
Flucht entging er der Werhaftung, und verbarg ſich eine 
Zeitlang bei Dutillet, Canonicus von Angouleme Won 
da begab er ih nah Nerac, zur Schweſter Franz -l. Abs. 





\ 


\ Calvin. 327 


niginn von Navarra ,' welche aus Liebe zu den Wiſſenſchaf⸗ 
ten mehrern ihrer Neuerungsſucht wegen aus Frankreich 
flüchtigen Gelehrten eine Zufluchts⸗Staͤtte an ihrem Hofe 
gewährte. Hier lernte er mehrere Männer kennen, die in 
der Folge feiner Parthet großen Vorſchub leiftefen. Nach 
Paris zurückgekehrt, mußte er abermals fliehen, und bes 
sab ſich nach Baſel, wo er fich zum Vertheidiger der Re⸗ 
formation meihte. 

Unter Reformatoren und Reformirten begriff man da⸗ 
mals jenen Schwarm von unruhigen und Neuerungsſuͤchtigen 
Köpfen, Lutheranern, Karlſtadtianern, Anapaps 
tiften, Zwinglianern ꝛc. wovon Deutſchland voll lief, 
und die auch in Italien, Frankreich, England und die Nieder⸗ 
kanden ausgeſtroͤmt waren: ihte ganze Lehre beftand in Decs 
Iamationen gezen Pabft und Geiftlichfeit, gegen Mißbräuche, 
gegen alle weltliche und geiftlihe Gewalt. Cie hatten Feine 
folgerechte Grundfäge , Fein Syſtem, fie waren ohne Diss 
eiplin, ohne Symbol. 

Calvin entfchloß ſich, die Reformation auf theologiihe _ 
©rundfäge zu bauen, und eine Neligiong s Theorie zu ent⸗ 
- werfen, worin alle Glaubens + Lehren, die er in feinen Ver⸗ 
beſſerungs⸗ Plan aufgenommen hatte, verbunden waͤren, 
und wie Folges Säge aus dem allgemeinen Prinzip des Chris 
ſtenthums hervorgingen, kurz er wollte fuͤr die Deformirten 
ein Symbol aufſtellen. 

Dieß war das einzige Mittel ‚ die Neformation zu eis 
ner der Vernunft zufagenden Religion zu erheben. Diefen- 
Entfhluß führte er in dem Werke: Chriftlihe Unter 
weifung aug, welches’ er in Bafel-herausgab 1). 

Calvin ging hierauf nach Italien, wo er bei ber 
Herzoginn von Ferrara, Renata, Tochter Ludwig's 


1) Diefe Schrift erfhien unter dem Zitel: Inslitutio chris- 
tianae Religionis anfangs lateiniſch, dann franzöfifh, und 
wurde faft alle Jahre von ihm vermehrt und verbeffert her⸗ 
ausgegeben, Die vollftändigfte, Ausgabe ift von R oben 
tus Stephanus 1559. 


u 11777 799 


XIL, und. Gemahlinn Herkules von. Efte, eine gute 
Aufnahme fand. . Da aber der Herzog befürchtete, Cals 
vin?’s Aufenthalt an feinem Hofe möchte ihm. bei dem 
Pabſte Unannchmlichkeiten zuziehen, entfernte er ihn aus 
feinen Staaten, und Calvin fam um die Mitte des J. 
1536 nad) Paris zurück. Bald verließ er Frankreich wies 
der, um nach Bafel zugehen, nahm den Meg über Genf, 
mo Farel und Viret die proteftanfiihe Neligion einges 
führt hatten. Der Magiſtrat von Genf machte ihm den 
Antrag, theologifchen Unterricht zu ertheilen. Zwei Jahre 
darauf verfaßte Calvin eine Gläubends Formel, und einen 
Catechismug, melden. er zu Genf einführen ließ, wo er 
auch die Fatholifche Neligion feierlich abfchmwur:, alles Volk 
ſchwur, die Glaubens; Artifel, die Calvin vorgelegt hatte, 
u halten. 

Die Keformation hatte in.den ſchweizeriſchen Städten 
Bern, Lauſanne, Zürich, u. a, Eingang gefunden, Die 
gaufanner Synode perordnefe; 1) dag man fich bei’m 
Abendmahle des ungefäuerten Mrodeg ‚zu bedienen babe, 2) 
daß die Taufftefne nicht aus den Kirchen gu entfernen, und 
3) alle Feſttage, wie ber Epnntag ‚ 5u feyern feyen. 


Der neue Neformator hatte in ſeiner chriſtlichen Unter⸗ 
weiſung alle Ceremonien der roͤmiſchen Kirche verworfen, 
wollte gar keine Spur mehr davon beibehalten wiſſen, hatte 
deshalb Das Gegentheil von dem, in der Lauſanner Sys 
nore Verordneten, in der Genfer Kirche eingeführt, und 
weigerte fi num auch, jener Verordnung Folge zu Heben. 
Calvin's Feinde benügten diefen Anlaß, Ihn und Farel 
zu ſtuͤrzen: fie fielfen dem Rathe vor, Genf habe in feiner 
Perſon nicht einen Verbefferer, fondern einen Gebieter, ver 
. zwar in feinen Schriften bie chriftliche Freiheit anfpreche 
tn feinem Betragen aber ein unbeugfamer Despot fen. 
Calvin und Farel mußten mit Ihrem Anhange in drei 
Tagen Genf raͤumen. 

Caloin begab ſich nad) Straßburg, wo er eine 
franzoͤſiſche Kirche errichtete, die bald durch den Zufluß vie 
ler aus Frankreich geflüchterer Proteſtauten, wo man ſehr 
fcharf gegen fie verfuhr, ſehr bedeutend wurde. Waͤhrend 


Gain. 32% 


feines Aufenthalted in Straßburg verheilathefe er ſich 
mit einer anabaptiftifchen Wittwe, die er befehrt hatte, . 
Idelette von Burie. Calvin fland feiner Talente wer 
gen in hoher Achtung gu Stragburg, und die Proteftan, 
ten diefer Stadt wählten ihm zu ihrem Deputirten auf dem 
-Meichstage zu Frankfurt, umd nachher bei der Berath⸗ 
ſchlagung zu Regensburg. 


Genf war ſeit Calvin's Verbannung nicht ruhig; 
eine mächtige Parthei gewann die Oberhand über feine 


Feinde, und er ward drei. Fahre nach feiner Verweiſung das 
bin zurücgerufen. 


Jetzt legte fich Galvin eine unumfchränfte Herrſchaft 


Aber die Genfer bey, die ihm bis zu feinem Tode blicke - 
Er ordnete die Kirchen s Disciplin faft gang auf Die Weife, 
wie fie noch heut zu Tage bei den reformirsen Kirchen ans 
zutreffen ift, errichtete, Eonfiftorien, Eolloquien, Sy 
noden, feste Aelteſte, Diaconen ımd Auffeher, 
ordnete Die Gchets s Formen und Predigten, die Feier des 
Abendmahles, die Taufs s und. Begräbnißmeife, fehte eine 
Confiftorials Gerichtsbarkeit feft, welche halb aus Beiftlis 
chen., halb aus Faien beftand, und über die Erhalfung. der 
fogenannten reinen Lehre, und die Sıtten zu wachen hatte. 
Diefe hafte dag Recht, Jedermann ohne Ausnahme über die 
. geringften Handlungen und Neden zur.Nechenfchaft zu ziehen, 
Kirchen s Bufen aufzulegen, felbft zu ercommuniziren, und 
wo dieſes nicht Hinreichte, mit Gutachten an den Rath zu 
berichten. Hierauf. verfaßte er einen Jateinifchen und franzoͤ⸗ 
ſiſchen Catechismug, ganz abweichend ‚von dem früher. verfers 
tigten, und machte den Math und dag Volk zu deffen ummers 
“ währenden Beibehaltung verbindlih. So warf fih Calvin 
sum Herrn über ale Meinungen und Handlungen der Gens 
fer auf. 

Die Strenge, mit welcher er feine unbegraͤnzte Gewalt. 
übte, wie die Uebermacht feines Confifloriums zogen ihm 
viele Feinde zu, und veranlaßten einigemal Unruhen in der 
Stadt ; allein fein hervorragender Geiſt und: feine Feſtigkeit 
triumphirten über feine Gegner, Unbeugſam in feinen. Bes 
bauptungen that er nic einen Schritt zuruͤck, und war im 


— 


Stande, zur Feſthaltung eines gleichgifftigen Bebraudes, 


fo gut, wie zur Vertheidigung der wichtigften Wahrheiten der 
Neligion, Alles aufzuopfern. Ein Mann von diefem Charaks 
fer mit großen Talenten und firengen Sitten bringt Alles 
zu Stande, und unterwirft fich unfehlbar den großen Haus 


- fen und ſchwachen Gemüthern, die am Ende fich doch lieber 


Alles gefallen laffen, um nicht ohne Unterlaß gegen eine mit 
Beredſamkeit und Wiſſenſchaft bewaffnete Uebermacht an⸗ 


kaͤmpfen zu muͤſſen. 


Jedoch genoß Calvin feine Triumphe nicht ruhig; 
kaum war eine Faktion erdruͤckt, fp flanden ſchon wieder 
neue Feinde auf: man machte fih an feine Lehre. Bolſec, 
ein abtruͤnn iger Carmelit, befchuldigte ihn: er mache Gott 
zum Urheber der Sünde, und erboth fi) zum Beweiſe. 
Calvin flattete ihm einen Beſuch ab, und wendete Alles 
an, ihn zu gewinnen, jedoch vergeblich; man fing an, Bols 
fec gerne zu hören. Calvin, welcher einer feiner Con⸗ 
ferengen in's Gcheim beigewohnt hafte, frat, fobold fie ger 
endigf war, hervor, nahm das Wort, um ihn zu widerle⸗ 
gen, führte ale Stellen der Schrift und des hl. Auguſtin 
an, die feine Meinung über die Borerwählung zu begüns 


ſtigen fchienen , deutete aber diefe Stellen unrichtig, und 
diie Leidenſchaftlichkeit, womit er fprach, fonnte in den Ges 
muͤthern der Zuhörer den Eindruck nicht erlöfchen, den die 


Fefhuldigung Bolfec’8 gemacht hafte.. Der Rath mußte, 
daher Bolfec verhaften, der in dem Gefängniffe unter dem 
Vorwande, er habe Plergerniß gegeben, und den Frieden 
der Kirche geſtoͤrt eine ſehr uͤble Behandlung erlitt. 


Der Apoſtel von Genf trieb ſeine Rache oder ſeine 
Vorſichts masregeln noch weiter, indem er an die Schweizer⸗ 
Cantone ſchrieb, man muͤſſe die Welt von dieſem gefaͤhrli⸗ 
chen Menſchen befreien, damit er nicht alle benachbarten 
kaͤnder mit ſeinem Gifte anſtecke. 


Ein Here Falais, der in großem Anſehen ſtand, und. 
von Ealvin zur Annahme‘ der Reformation war verleitet 
worden, mit Recht entruͤſtet über dag Betragen Calvin’g, 


fegte die Cantone von ben Abfichten deſſelben in Kennmig, 


a 


Ealvin. 331 


nnd der —— —— begnuͤgte ſich mit der Verbannung 
Bolſec's, der angeblich als des Aufruhrs und des Pela— 
gianismus uͤberwieſen, Genf verlaffen mußte. 1). 


Sp war man ein Empoͤrer, ein Feind der oͤffentlichen 
Muhe, wenn man eg wagte, Calvin gu widerfptechen ; 
. man war Pelagianer, und hatte den Tod verdient, meil 
man glaubte, aus. feinen Grundfägen folgern zu Finnen, 
Gott fen der Urheber der Sünde. Das ift der Neformator, 
der gegen die angebliche Tyrannei der roͤmiſchen ande mit 
Muth loszog! 

Die Verbannung Bolfec’g — Calbin's Fries 
de; man fand nicht, daß er gegen die gehaͤßige Anſchuldi— 
gung, als mache er Gott zum Urheber der Suͤnde, ſich 
gerechtfertigt habe, man ſprach laut gegen ſeine Vorherer— 
waͤhlungs⸗ Lehre; zu Bern gab es ſogar Prediger, die Ihn 
dieſes Punktes halber gerichtlich Belangen wollten; Bolſec 
ernenerte dafelbft feine Befchuldigungen, und Safilio, den 
Calvin ebenfalls, Genf zu verlafien, N hatte, 
verfchrie ihn zu Bafel. (1552) | 
| Michael Server, der in einer Schrift das Geheim⸗ 

niß der Dreieinigkeit angegriffen- hatte, mar der gefaͤngli⸗ 
hen Haft aus Frankreich entflohen, und nach Genf 1553 
gekommen, auf Calvin's Befehl warb er ergriffen, und 
mit aͤußerſter Strenge gegen:ihn verfahren. Der Rath von 
Bafel, Bern, Zuͤrich, Schafhaufen wurde um dag 
gegen diefen Antitrinifarier zu faͤllende Urtheil befragt: 
die einhellige Antwort, er babe den Tod verdient, mar 
eben das Butachten ‚Lalvin’s „und die Genfer verurs 
theilten Servet, lebendig verbrannt zu werben. | 

Wie fonnten obrigfeitlihe Perfonen, die doch über den 
Sinn der hl. Schrift feinen unträglichen Schiedsrichter ans 
nahmen, Serdet verbrennen, weil er darin einen andern 

Sinn fand, ald Calvin, oder fie felb? 


ı) Spondan ad ann. 1545. Hist. de Geneve T. 2: p. 33. 
Vorrede zu Ealvin’s Briefen an Falaid. 





332 | Ealpin. 


Man fehe bier die Logik und die Biligkeit d der erſten 
Verfechter der Reformation. 

Calvin, und die proteſtantiſchen Prediger, welche als 
Grundlage der Reformation den Satz aufgeſtellt hatten: die 
Schrift fen einzige Glaubens⸗-Norm, und jeder ſey Richter 
Uüber ihren Sinn, ließen Servet verbrennen, der die 
‘ Schrift durch ein anderes Glas fah, als fie, liefen Sers 
vet verbrennen, der in Wahrheit ſich irrte, und zwar 
groͤblich, und zwar über ein Grund s Dogma irrte, der aber 
ohne Vergehen nicht auf den Ausſpruch Calvin's umd 
der Prediger compromittiren konnte, weil. weder fie noch 
ihre Conſiſtorien untruͤglich waren, und weil nicht ihnen 
der Herr geſagt hatte: wer euch hoͤret, hoͤret mich! wie 
konnten fie Serpet verbrennen, der als ein Fremder auf 
der Durchreffe nicht unter ihrer Gerichtsbarkeit fand, und 
fein Buch det ihnen weder gefchrieben, noch hatte drucken 
laſſen? 

Calovin hatte die Kuͤhnheit, ſein Benehmen gegen 
Server zu rechtfertigen, und beweiſen zu wollen, daß 
man die Keger mit dem Tode beftrafen müffe. 1). - 

kelio Socinug und Caſtalio fchrieben gegen Cals 
sin, und wurden ihrer Seltd von Theodor Seta wi⸗ 
derlegt. 2). 

Und doch zogen dieſe Reformatoren unbändig [08 gegen 
die harte Behandlung, die man ihnen in Fatholifchen Staas 
ten widerfahren Tieß, mo man bie Proteftanten nur darum 
ſtrafte, weil fie ‘von einer untruͤglichen Macht, der Kirche, 
waren verurtheilt worden. Hierauf achten jene zu wenig, die 
Calvin zu entſchuldigen glauben mit dem Angeben, er babe 
nur dem Vorurtheile ſeines Zeitalters uͤber die Beſtrafung 
der Ketzer gehuldigt. Uebrigens iſt es gewiß, daß Cal⸗ 


‚? 
+ 





ı) Fidelis expositio errorum Mich. $erveti, et brevis eo- 
rundem refutatio, ubi docetur,, jure gladii coereendos 
esse Haereticos. 

2) De Haereticis a Magistratu puniendie. 


Calvin. 333 
vin dem Bolfec dag nämliche Loos würde bereitet haben, 
wenn er es hätte wagen duͤrfen; und doch dachte diefer über 
die Vorermählung nicht anders, als viele Iutheritche Iheos 
logen. Server’ 8 Hinrichtung feßte dem Strome des freien 
Denkens zu Genf feinen Damm. Die Staliener, welche . 


Calvin’s Irrlehren angenommen, und fi dayin zuruͤck 


gezogen haften, gründeten da eine italienifche Kirche, mo 
Gentilis, Blandrat u. A. 1558 den Arianismus ers 
neuerten. 


Gentilis ward verhaftet,. und wäre, umgefommen wie . 
Servet, wenn er nicht widerufen hätte: er: ging von 
Genf auf dag Berner Gebiet, wo er feinen Irrthum von 
Neuem verbreitete, und 1566 enthauptet wurde. 

Dfin erfuhr von Calvin feine beffere Behandlung, 
als Gentilig; er fchien fi gegen den Artanismus zu nei⸗ 
gen und Calvin lich ihn von Genf wegjagen. 


Calvin war nicht allein mit Befeſtigung der Neformas 
tion zu Genf beſchaͤftigt; er führte auch eine ſehr ausges 
breitete Correfpondenz; nach Srankreih, 3 Deutfchland,, Pos 
Ien, gegen die Anabaptiften, Antitrinitarier, und 
Katholiken, verfaßte zur Vertheidigung feiner Meinuns . 
gen mehrere Schriften, wovon feine Commentare über 
die Bibel die, mwichtigften find. Dieſes Meformationgs | 
Haupt befaß eine unbefchreibliche Geiftesthätigfeit; übrigens . 
war er von einer fraurigen, unbeugfamen und fprannifchen 
Gemürhss Stimmung; und ein Gelehrter, deffen Schriften 
- mit Methode und Correctheit abgefaßt waren; Niemand vers 
fand in einem fo hohen Grade die Kunſt, die Lichtfeite eis 
ner Meinung mit Scharflinn zu erfaffen und darzuftellen. 
Die Vorrede feiner hrifflihden Unterweiſung ift ein 
Meiſterſtuͤck von Gefchicklichkeit, 1) kurz man kann ihm große 
Faͤhigkeiten ſo wenig abfprechen, ale an ihm große Fehler 
"und gehäffige Charakters Züge zu verfennen find. | 





1) Praefitio ad Christianissimum regem 2 qua hie ei liber 
pro "soufessione fidei offertur. 


34 Calvin. 

Er war der erſte, der die theologiſchen Materien in 
einem correcten Style mit Beſeitigung der ſcholaſtiſchen For⸗ 
men behandelte; er war ein trefflicher Theolog, guter Lo⸗ 
giker, ein großer Rechtsgelehrter und geſchickter Politiker; 
ſeine Dispute gegen Servet, Gentilis, die Antitri— 
nitarier und Anabaptiſten, laſſen den Mißbrauch, den 
er von ſeinen Faͤhigkeiten machte, wenn Partheigeiſt ihn 
blendete, bedauern. Cal vin ſtarb mitten unter Arbeiten und 
Kämpfen in feinem fünf und fünfzigften Lebensjahre den 27ten 
Mai 1564. Seine Werke erſchienen zu Amſterdam 1671 
in 9 Folio⸗Baͤnden. 


Wenn gleich Calvin in weſentlichen Punkten von 
Luther abwich, ſo wurden ſeine Anhaͤnger lange Zeit doch 
nicht von den Lutheranern unterſchieden. Sie ſelbſt be⸗ 
trachteten zwar Calvin als ihr Haupt, ohne jedoch als 
verfchieden von Luther's Anhängern angefehen werden zu 
wollen. Erft nach dem Colloquium von Poiffy, 1561, 
wo fie nebft andern haupıfächlich den 10ten Artikel der 
Augsburger Confeffion verwarfen, legten fie fih den 
Namen Calvinifen bei. (Vergl. den Artikel : Zwingli.) 


Calvinismus. Calvin’ Lehre. Wir wollen fie 
aus feiner hrifflihen Unterweifung ausheben. Wir 
haben fm vorigen Artikel gefehen, was Calvin zu Abfafs 
fung dieſes Werkes bewog: eg ift in vier Bücher geheilt, 
welche folgenden Inhaltes find. 


Erſtes Buch der chriſtlichen Unterweifung. | 


Religion fett. die Erfenntniß Gottes und des Menfchen 
voraus,’ Die ganze Natur verfünder dag Dafenn, die Voll⸗ 
fommenheiten und Wohlthaten eines höchften Wefeng; uns 
fere Schwachheiten und Beduͤrfniſſe meifen ung immer auf 
Sort Hin: die Vorſtellung von Ihm iſt in unfer Herz gefchries 
- ben, NRiemanden bleibt Er verborgen ; alle Voͤlker erkennen 
eine Gottheit. Allein Unmwiffenheit, Leidenfchaften und Eins 
bildung fchufen fih Götter, und das hoͤchſte Weſen war 
faſt auf dem ganzen Erdkreiſe unbekannt. 


Calvin. 335 


Es bedurfte daher, um die Menſchen zu Gott zu fuͤh⸗ 

ren, eines zuverlaͤſſigern Mittels, als der Schauplatz der 

Natur und die menſchliche Vernunft. Gottes Güte gewaͤhrte 

den Menſchen dieſes Mittel: Er ſelbſt offenbarte uns, was 
uns von Ihm zu wiſſen noͤthig war. 


Seit langer Zeit ertheilt Gott den Menſchen keine 
Offenbarungen mehr, ſeit Langem hat Er keine Propheten, 
noch, von Ihm begeiſterte Maͤnner geſchickt, jedoch hat 
ſeine Vorſehung die von ihm ertheilten Offenbarungen er⸗ 
halten, ſie ſind in der hl. Schrift aufbewahrt. 


Wir haben demnach im alten und neuen Teſtamente 
Alles, was zur Erkenntniß Gottes, feines Weſens, feiner _ 
Vollkommenheiten, der Ihm fehuldigen Verehrung, und uns 
ferer Verbindlichkeiten gegen andere Menſchen nothwen⸗ 
dig iſt )J. 

Allein wie wiſſen wir, daß Haß‘, was wir hl. Schrift 
nennen, wirklich göttliche Offenbarung fen? Wie wiſſen wir, 
daß ihre Inhalt nicht verfälfcht worden iſt? Wie.unterfcheis 
den wir die canonifchen Bücher von den Apogenphen? Stes 

het es nicht der Kirche zu, unfern Glauben über dieſe Punkte 
zu fihern? 

Hier geraͤth Calvin in Born. ‚und bricht in ziemlich 
grobe Schmaͤhungen gegen die Kathplifen aus: diefe gottes⸗ 
fchänderifchen Menfchen, fagt er, wollen, daß man fich auf 
fie berufe, nur darum, um der Kirche eine unbegrängte 
Macht. beisulegen, und alle Menfchen, alle Fuͤrſten, ale 
Gewiſſen ihr zu unferwerfen. 


So fpricht der, welcher Servet ben Flammen übers 
lieferte; weil er fich feinem Ausſpruche nicht unterwarf, 
und auch Bolfec, wenn er hätte trauen dürfen, hätte vor ⸗ 
brennen laffen, weil biefer die Kühnheit hatte, zu fagen: - 

Calvins Meinungen über die Vorerwaͤhlung mache Gott . 





1) Damit fangen feit den Albigenfern alle Reformatoren 
en. Calvin hat hierüber nicht mehr, old Diele, gefagt. 


336 | Calvin. 


zum Ucheber der Sünde. — Dann töͤmmt Calvin auf feine 

- Einwendung zuruͤck. Das Anſehen der Kirche ift nur ein 
menfchliches Zeugniß, dag irren kann, und zur Beruhigung 

der Gewiſſen nicht zureichend ift: der bi. Geiſt muß dieſes 

äufiere Zeugniß der Kirche durch ein inneres beftätigen ; der 
nämliche Geift, ver durch vie Propheten geredet bat, muß 
in unfere Herzen einfchren, um ung zu verfihern, daß die 

Propheten nichts gefagt haben, als was ihnen Gott geoffens 
« baret hat. Diefe ‚Art von befonderer Eingebung vergewifs 

fert ung die. Wahrheif der Schrift. Diefe Inſpiration, Die 
ung verfichert: daß die Schrift die göttliche‘ Offenbarung 

enthalte, ift übrigeng nur für die Gläubigen. Denn Cals 
vin läugnet nicht, daß die Autorität der Kirche dag eins 
zige und fihere Mittel fen, dem Ungläubigen die Goͤttlich⸗ 

keit der Schrift darzuthun 1). 

Die Beweiſe für die Goͤttlichkeit der Schrift giebt er 
‚sang gut, behauptet aber, daß fie ohne das innere Zeugniß 
‚des hl. Geiftes feine vonfländige Gemißheit gewähren 2). 

Weil die hi. Schrift geoffenbart iſt, und der hl. Geiſt 
uns unterrichtet, ihren Sinn zu erkennen, und ihre Wahr⸗ 
heiten zu entdecken, ſo muß man als Schwaͤrmer und Un⸗ 
finnige jene Sectirer anſehen, die dag Leſen der Schrift vers 
werfen, und vorgeben: der hl. Geiſt habe ihnen auf unmits 
telbarem und außerordentlichem Wege Alles, was man thun 
und glauben muß, geoffenbaret; gleichſam "als wäre die 

Schrift nicht zulänglich, und als hätten ber hl. Paulus 

und die’ Apoftel dag efen ber Propheten nicht anempfoh— 

len 3). 

Rach Aufſtellung der Schrift als einziger Glaubens⸗ 
Norm ſtellt Calvin deren Lehre von Bott auf. Er findet 
zuerſt, daß fie überall dem Heidengotte die wahre Gottheit 
entgegenftele, und ung ihre Vollkommenheiten, die Emwigs 


unten mu ‘ 


1) Institat- L. 1, 0.7. 
2) Ibidem C. 8. Bir zeigen in dem Art. Re ormation,“ 


wie gefährlich, falſch und d ſhuiſtwideie dieſe Behauptung fen. 
3) Ibidem C.: 9. 





\. | 
Calvin. | 337 


keit, Gerechtigkeit, Güte, Allmacht, Barmherzigkeit, Ein 
heit Iehre. Die Schrift verbieter, Sort abzubilden, Bth 
der oder Idole zu machen; nichts verbietet fie firenger; 
hieraus folgert Calvin, daß die Katholifen ‚ indem fie vie 
Verehrung ber Bilder gutheißen, in den Goͤtzendienſt zurück, 
gefallen find, weil Gott nur darum fo nachdrücklich die Bil, 
ver verbannt habe, damit Er allein verehrt wiirde 1) 
Obgleich die Schrift nur von der Einheit Gottes fpriche, 
fo findet man dennoch darin, daß in diefem Gott drei Per⸗ 
ſonen, der Vater, Sohn und hl. Geiſt begriffen feyen, 
welches aber nicht drei Subſtanzen find. Auch dieſen Artis 
kel behandelt Calvin mit vieler Gefchicklichkeit. 2): 
Dieſer Gott in drei Perfonen iſt der Schöpfer imd 
Ordner der ſichtbaren Welt, der Engel und Menfchen. Cals 
Bin handelte insbeſondere von dem Menfchen , feinen geiſti⸗ 
gen Verrichtungen, feinem urſpruͤnglichen Stande, Sale, und 
dem Verluſte ver Freiheit, der er im Stande der Unſchuld 
genoß, — Alle Geſchoͤpfe Eottes ſtehen unter ſeiner Vor⸗ 
ſehung; hier widerlegt. Calvin die Sophismen ber Epikuxr⸗ 
aͤer und der Anhaͤnger des Fatum's. 5. | | 
Er finder in der Schrift, daß Gott Allee angeordnet 
bat, daß Er in der fittlichen, wie in der phyſiſchen Melt 
Alles hervorbringt, daß Er im Himmel und auf Erden, Al, 
leg gemacht hat, was Er wollte; hieraus ſchließt er daß 
bie Laſter, wie die Tugenden des Menſchen dag 
Werk feines Willens find : würde Gott in unferen Seas 
len nicht alle. unfere Entfchließungen wirken, fo würde ung 
die Schrift täufchen, wenn fie ſagt: Gott nimmt die Weis⸗ 
‚heit den Alten, Er verkehrt die Kerzen der Fuͤrſten. Be⸗ 
haupten, daß Gott dieſe Uebel bloß zulaſſe, daß Er fie nicht 





1) Ibidem C. 16, 11, 12. Die Bilderſtürmer vor Calvin 

— befanpteten . daffelbe: die Ealviniften machten Hieraus 
eine der Hauptgrundlagen ihren Reformation: fie find im 
Art. Bilderſtürmer, widerlegt, u 

2) C. 13, 5 Ä 

3)C 14 — 19: oo 

Kepers Segißon. IL. 222 


338 Calvin. 


will, nicht erzeugt, hieße alle Sprachtegeln, und alle BGrund⸗ 
ſaͤtze der Schrift / Auslegung umkehren. 1). 





Zweites Bud. 


Am zweiten Buche unferfucht Calvin den. Stand des 
Menſchen auf der Erde. Die Schrift fagt ihm, daß Adam 
der Stammvater aller Menſchen im Stande der Unfchuld 
gefchaffen worden, Daß er gefündigef, und feine Sünde auf 
die ganze Nachkonimenfchaft fortgeerbt habe, fo daß alle 
Menfchen als Sünder und Kinder des Zorns geboren wer⸗ 
den; alle ihre geiftigen Kräfte find dnech diefe Suͤnde ges 
ſchwaͤcht; eine lafterhafte Begierlichkeit liegt allen ihren 
- Handlungen zu Grunde, und ift die Quelle ah Ihrer | Ents 

fhließungen. 2). 

Der Menfch iſt ohne Kraft, der Begierlichfeit Wider⸗ 
ſtand zu leiſten: die Freiheit „womit er prahlt, iſt eine 
Hirngeburt: er verwechſelt das Freiſeyn mit der Willkuͤhr, 
und glaubt frei zu waͤhlen, weil er nicht gezwungen iſt, 
und das Boͤſe, was er thut, thun will. Dieſes Unvermoͤ⸗ 
gen zum Guten gründete Calvinaufalle Stellen der Schrift, 
wo es heißt: daß der Menfch nicht zu Gott kommen kann, 
als durd) Chriſtum, daß Gott es iſt, der das Gute in ihm 
wirkt, daß er nichts kann, ohne Gott. 3). 


Well alle geiſtige Anlagen des Menſchen verdorben find 
und er Feine Kraft hat, der ſuͤndhaften Begierlichkeit, die 
ihn immerdar beherrſcht, zu widerſtehen, fo iſt es klar, daß 
der Menſch durch ſich ſelbſt nur fehlerhafte Handlungen und 


Suͤnden hervorbringen kann: auch‘ diefe Folgerung ſucht 


Calvin aus der Schrift darzuthun, welche verſichert: daß 


\ 





) Ibidem, C. 18. Die Veidefinatine — * dieſes vor 
Ealvin behauptet. nn | 

2) L. 2, C. 1. | | 

5) Ibidem C. 2. . 


\ 


I - 


Calbin. 306 


die Menſchen ſich alle von dem Wege der Tugend verirrt 
haben, daß ihr Mund voll Graͤuel iſt. 1). 


Obgleich der Menſch ſchon in ſich ſelbſt den Keim des 
Verderbens traͤgt, ſo hat der Teufel doch auch viel Antheil 
an feinen Verirrungen. 2). So den Calvin über den Eins 
flug des Teufels auf‘ unfere Handlungen; ein Jahrhundert 
nach ihm ‚behauptete der Calviniſt Beder, der Teufel habe 
feine Macht in der Welt, und Becker machte fo gut, wie 
"Kaldin Anfpruch ‚die Schrift recht zu verſtehen. 3): 

Gott ließ den Menfchen . nicht. in diefem unglücklichen 
Zuflande ; fein Sohn fam auf die Erde, die Menfchen zu 
erlöfen, fi fie genug zu thun. Calvin ſtellt im weitern 
Verlaufe des zweiten Buches die Beweiſe auf: daß Jefus 
der Mittler zwiſchen Gott und den Menfchen, daß Er Gott 
und Menſch zugleich, in Ihm nur eine Perfon, und in. dies 
few zwei Naturen find. Er, unterfucht, worin das Mittlers 
Amt Jeſu beftehe, wie Er. ung die Grade verdient hat? er 
. finder in Jeſus einen dreifachen Charakter, der ung über 
dieſen wichtigen Punkt Aufſchluß gibt, den eines Propheten, 

eines Könige, und eines Prieſters. 





mh 


Das dritte Yus handelt von den Mitteln, fi die 
Verdienſte Ehriſti zuzueignen. 


Die hl. Schrift belehrt uns, daß ‚um der Gnaden des 
Erloͤſers theilhaftig zu werden, wir uns.mit Ihm vereinigen, 
und ſeine Glieder werden miffen. Die Einwirkung des hl. 
Gelftes und hauptſaͤchlich der Glaube führt ıms zu Jeſus, 
und macht ung zu feinen Gliedern.‘. Um vereint zu ſeyn mit 
Jeſus muß man glauben; aber nicht Fleifh und Blut 
‚gibt ung diefen nothwendigen Glauben; er iſt eine Gabe des 
Himmels, tie Jeſus fast: ‚Sehg sr du/ Simon! ben. 


] ’ 74 ” 





Be BE BE ren BEE BED EEE Berge 
ı) C. 5, 
2) o 4 r ⸗ 
3) Die bezauberte Welt. Bus En 


. 349 | . Calvin. 


Fleiſch und Blut hat es dir nicht geoffenbaret, wer Ich bin, 
fondern der himmliſche Vater u. ſ. w. Der bi. Paulus ſagt: 
die Epheſer ſeyen durch den Geiſt der Verheißung Chriſten 
geworden, welches beweiſt, daß ein innerer Lehrer da iſt, 
durch deſſen Einwirkung die Verheißung des Heils in unſere 
Seelen dringt, und ohne welchen dieſe Verheißung nur ein 
leerer Schall waͤre, der an das Ohr anſchlaͤgt, ohne unſere 
Seele zu beruͤhren und zu durchdringen, der naͤmliche Apo⸗ 
ſtel ſagt: daß Gott die Theſſalonicher ermäßlte zur Selig 
feit durch Heiligung des Geiſtes und durch den Glauhen an 
die Wahrheit, woraus Calvin ſchloß: Paulus habe uns 
belehren wollen, daß ver Glaube von dem hi. Geiſte kommt, 
und wir durch ihn Glieder Jefu Chriſti werden; deshalb 
verſprach Der Heiland den Fingern den hi, Geift zu ſchicken; 
damit fie erfüllt würden mit jener göttlichen Weisheit, wel⸗ 
che die Welt nicht erkennen kann; Darum heißt es von Dies 
ſem Geiſte: daß er die Apeſtel an Alles etinnern werde, 
was Jeſus fie gelehrt hätte, 1): um des willen empfiehlt 
Paulus fo ſehr das Geheimniß des hl. Geiſtes, weil die 
Apoftel und Prediger wergeblich die Wahrheit verkuͤndigen 
würden, wenn der bl. Geift nicht NE, die ihm von dem 
Bater gegeben find, zu ſich heranzoͤge. 
"Der Glaube, der und mit Jeſus vereinigt, und pr 
fefnen Gliedern macht, iſt nicht ein Bloger Verſtandes⸗Be⸗ 
griff, wodurch wir erklaͤren: daß Gott ſich weder irren, 
noch ung hinfergehen könne, und daß Alles, was Er geofs 
fenbart, wahr iftz er iſt kein bloßer Ausfpruch unferer Ers 
kenntniß, daß Er, gerecht fey, und das after beflrafe — eis 
ne Anficht, melde ung Widerwillen gegen Gott einfloͤßen 
koͤnnte. — Eben fo wenig iſt er ein Urtheil, dag wir über 
die Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit Gottes fällen ; 
— ſondern er iſt eine ſichere Erkenntniß des Wohlgefallens 
Sottes an ung, gegtuͤndet auf die Wahrheit der unverdien⸗ 
ten Verheißung Chrifti, und erzeugt in unſerer Seele durch 
‚den hl. Geiſt. Es gibt feinen wahren Gläubigen ohne diefe, 


1) L. 3. Cr 





. Calvin. N ‚34 


fefte, auf die Verheißungen Chriſti gegruͤndete Uebergeugung 
unferes Heiles; der. wahrhaft Gläubige muß mit Paulus 
gewiß ſeyn, Daß weder Tod nod) Leben, ‚noch irgend eine 
Macht ihn fcheiden Einne von der. Liebe Jeſu Ehrifi. 


Dieſes ift die beftändige Lehre des Apoſtels. 1). 


. Diefe Gewißheit unſeres Heil's ift nicht unverträglich 
nit den Anfechtungen gegen unſern Glauben. Neemand hatte . 


_ einen :lebendigern Glauben, als David, und doch erbit 


N 


den wir ihn in tauſend Stellen‘ wanfend, oder vielmehr wie 
angefochten im Vertrauen. Diefe Verfuchungen find: feine 
Zweifel, fondern eine Unruhe, die aus der Dunkelheit dee 
&laubeng ſelbſt entſtehet; wir ſehen nicht helle genug, als 


daß uns nicht. viele Dinge verborgen bleiben follten; allein 


diefe Unmiffenheit kann die Ueberzeugung des wahren Gläus 
bigen nicht ſchwaͤchen 2). | 

Die letzte Ueberzeugung des Gläubigen von feinem Heile 
ſtehet mit der Erkenntniß ımd dem Gebraiche der Mittel, 
durch welche Gott die Seligmachung des Menfchen befchlofe 
fen hat; in Verbindung: Der Gläubige alfo, welcher glaubt, 
daß er ſelig werde, glaubt auch, daß ‚er Die Seltgkeit durch . 
Buß sUebung erlange; die Buße iſt daher nothwendig mit. 
dem Stauben , wie die MWirfung mit- ber Urfache verbun⸗ 
den 3). 

Die Buße iſt, nach Calvin, die Küdtehr. des ‚Sin 


derxs zu Gott, erzeugt: durch die heilſame Furcht. feiner Ger 


richte. Diefer Beweggrund wurde von den Propheten und. ° 
Apofteln angegeben: die Furcht aͤndert dag Leben des Suͤn⸗ 
ders, macht ihn aufmerkſam auf ſeinen Wandel und ſeine Geſin⸗ 
nungen, erregt ein aufrichtiges Verlangen, der goͤttlichen Gerech⸗ 
tigkeit Genuͤge zu thun; fuͤhrt zur Abtoͤdtung des Fleiſches, zur 
Liebe Gottes und des Naͤchſten — Dieſen Begriff giebt und 

bie Schrift von der Buße 4)- . 


1) Dieß find im Grunde die Srundfäge zutpers über die 
Rechtfertgung. 

2) L. 3, C. 2. 

3) C. 4. 

4) C. 3. 


KT v Calvin, 


Die Kuthobliken verfehlen weit bie Wahrheit, meint 
Calvin, da. fie bie Buße in dem Suͤnden⸗Bekenntniſſe 
und ber Genugthuung befichen Jaften, Die Nothwendigkeit 
einer reuevollen Herzens» Zerfnirfchung, ( Contritio ſtuͤrzt 
nach Diefem Meformator, den Menſchen In Derzweiflung ; 
man kann nie wiſſen, ob fie Die zur Verzeihung der Sfinde 
notwendigen Eigenjchaften oder Ausdehnung habe, und 
man iſt deßhalb nie gewiß, ob Die Sänden wirklich nachge⸗ 
laſſen find; eine Ungemwißheit, welche das ganze Syſtem 
Calvin's über das Prinzip ber Rechtfertigung, weiche 
vor ber Buße, wie die Urfache por ber Wirtung hergehet, 
umſtoͤßt, 


Was die Beicht betrifft, ſo ik folde, nah Calvin, 
nicht in der Schriff gegründet, und Jebiglich eine menfchs 
liche Erfindung, um bie Gewiſſen zu syranntfiren 1), 


Endlich fieben die Katholiken in einem gefährlichen Irr⸗ 
thum, wenn fie die Nachlaſſung ber Suͤnden von ber Ge⸗ 
nugthuung abhängig machen, weil fie dann den menfchlichen 
Handlungen ein Verdienft beilegen, bag fählg wäre, ber 
göttlichen Gerechtigkeit genug zu shun, welches Die freie 
(unverdtente) Ertheilung der Gnade amd Barmpersigt 
keit Gottes zerſtoͤrt. 


Aus dieſen Grupdſaͤtzen sieht Cal vin den Schluß: daß 


die Ablaͤſſe und das Fegfener, melde die Katholiken als 
- Ergänzung der Genugthuung befehrter oder - gerechfertigter 


Sünder anfehen, Menfehens Erfindung fen, welche in dem 
Gemüthe des Chrifien den Werth der Erlöfung Jeſu auf⸗ 
hebt 2). 


Nach Aufſtellung der Lehre von der Rechtfertigung und 


ihren Wirkungen koͤmmt Calvin auf die Weiſe, wie der 


Ehriſt nach feine Rechtfertigung ſich zu verhalten habe: er 


1) Calvin erneuert "die Irrlehre Dfina’s. Sich die 
fen Art. 


2) C, s. Wiederum eine Meinung euther's. | 





Celbin — | 343 


- fpricht von Selbſtverleugnung, Erduldung der Leiden, und 


der Nothwendigkeit, über das andere Leben nachzudenken 1). 
Nod einmal kommt er in den folgenden Kapiteln auf die 
Rechtfertigung, erweitert und entwickelt feine Grundſaͤtze, 


antwortet auf die Einwendungen, und beſtreitet das Ver⸗ 


dienſtliche der Werke 2). 

Inm neunzehnten Kapitel ſpricht er von der chrfftiichen 
Freiheit. Die Vortheile, die ung aus dieſer ermachfen find, 
Itens Entbindung von dem Joche des Geſetzes, und der 
Geremonien ;. nicht als feyen -die Gebote ber Religior abzu⸗ 
fchaffen, fondern der Chriſt muß miffen, daß er feine Ger 
wechtigfeit nicht der Haltung des Geſetzes verdankt, 2tens 
Erfuͤllung des Geſetzes nicht aus Achtung für dieſes, fons 
- dern aus Gehorfam gegen den Willen Gottes. Bteng In 
gleichgütigen Dingen nach Gutduͤnken verfahren su können. 
So z. 3. behauptet Calvin; die Chriften von der Gewalt 
des Aberglaubens zu befreien, das Gewiſſen Unzaͤhliger zu 
beruhigen, welche durch Scrupel uͤber einen Schwall von 
Geſetzen gequaͤlt ſind, die Dinge gebiethen, oder unterſa⸗ 
gen, ſo an ſich weder gut noch boͤſe ſind 3). 


> Fin zwangigſten Kapitel iſt die Rede von der Nothwen⸗ 


digkeit des Gebetes, und der hierzu erforderlichen Gemuͤths⸗ 
Stimmung: nur zu Gott muß man beten; die Anrufung der 
Heiligen iſt eine Gottloſigkeit. 4), 

: Rad) Erörterung der Hrfachen und Wirkungen der, Recht⸗ 
fertigung, wirft Calvin die Frage auf: warum nicht alle 
Menſchen dieſen rechtfertigenden Glauben haben haben? und 
findet die Antwort in der Wahl, die Gott zwiſchen den 
Auserleſenen zum ewigen Leben, und den Verworfenen zur 


Verdammniß getroffen hat. Bei Aufſuchung des Grundes 


dieſer Wahl findet er in der Schrift, Daß Soft den Fakob 





)C.6,— 10. “ Ä . 
2) C. 11 — 18. Eben fo wie Luther” 


3) Der Irrthum des Audäns, der in diefem Artikei wider⸗ 


legt iſt. 
4) Man hat dieſen Zerthum be Figil antiud auſgedect. 


[ 


344 Calvin. 


geliebt, den Efau aber gehaßt habe, noch ehe fie Sutes oder 
Boͤſes thun konnten, woraus er ſchließt: paß man die Ur⸗ 
ſache dieſes Vorzuges nicht auſſer Gott zu ſuchen habe, wel⸗ 
cher wollte, daß einige Menſchen ſelig, andere verdammt 
werden ſollten; nicht das Vorherſehen ihrer Unbußfertigkeit 
oder Adams⸗Suͤnde iſt der Grund ihrer Verwerfung. 

Gott wollte, daß es Auserwaͤhlte und Verwor⸗ 
fene gebe, um Gegenftände gu haben, an welchem fich feine 
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit veroffenbaren könne: wie 
Er den Ausermählten den Glauben, der rechrfertiget, bereis 
tet und gegeben hat, fo hat Er-auch Alles weranflaltet, jene, 


die Er zu Opfern feiner Nahe beftimmt, von Der Theils 


nahme an den Gnaden der Erloͤſung auszuſchließen; Er bat 
fie verblendet und verhärtef, dergeftalt, daß die Berfüns 
dung des göttlichen Wortes, welche Die Ermählten befehrre, 


jene, die Er beftrafen wollte, in den Abgrund Des Laſters 


hinabſtieß. Dieß iſt das Syſtem Calvin's über Das Loos 


# 


ber Menfchen im anderen Eeben, und nach der Aufer ſtehung/ 


weiche gewiß iſt. 1), 


t 





P2 


u Bierteb Bud, 


: . Die Gläubigen nehmen daher Antheil an den. Verdienſten 


u Chriſti, indem fie fich mir Ihm vereinigen,. ımd Das Band 
Diefer Bereinigung ift der Glaube. Die fg wit Chriſtus verr 
einigten Gläubigen bilden eine Hirche, welche ale Auserleſene 


als Vorerwaͤhlte, alle Glaͤubige in fich ſchließt. Diefe Kirche if _ 


fonach allgemein oder katholiſch; fie. if Der Verein aller 
Heiligen, außer welchem Fein Heil ift, und in welchem allein 
man den Glauben, der mit Chriftug einiger ,,. empfängt. 

Aein alle chriſtliche Kirchen machen ausfchläßig auf Diefe 
Eigenfchaft Anſpruch, wie iſt bie, in der That, wahre auss 
zufcheiden? welches fi ſind ihre Meitmale, ihre Polizei, ihre 
Sakramente? 


) Ss bier bie großeſte Pradeſtinations ⸗ kp, ober den 


wapren Manichaism. - 


Calvin. 0 345. 


Diefer Unterſuchung unferzicht fich Calvin im Aten Buche 
feiner Unterweiſung, welches die Auffchrife führt: Bon den 
‚ sußeren Mitteln, durd welde Gott ung in die 
Gemeinfhaft Fefu Chrifti aufnimmt und erhält. 
Der bl. Paulus fagt: Damft Jeſus Chriſtus Alles 
| erfiälle, verordnete Er einige zu Apofteln, andere zu Propheten, 
andere zu Evangeliften, andere zu Hirten und Lehrern, das 
mit die Heiligen Die Einrichtung erhalten zur Verrichtung des 
Lehramtes, zur Erbauung des Leibs Chriſti, bis wir alle ge⸗ 
langen zur Einheit im Glauben, und in der Erkenntniß des 
Sohnes ˖Gottes zur maͤnnlichen Reife, und zum vollen er⸗ 
wachſenen Alter Chriſti — Gott, der durch einen inzigen 
Akt ſeines Willens alle Auserwaͤhlte Heiligen konnte, wollte, 
daß fie durch die Kirche und in der Kirche unterrichtet und 
vervollkommnet wuͤrden, und hat deghalb eine ſichtbare Kirche 
geſtiftet, welche die Verkündigung feiner Lehre, und die 
ESakramente, fo Er zur Heiligung der Vorerwaͤhlten einge⸗ 
| geſetzt hat, bewahre. Die Elteder diefer Kirche find dem⸗ 
nach vereinigt durch diefelbe Lehre, und die Theilnahme an 
den nämlichen Sarramenten; man fieht aus Paulus, daß 
darin das Wefentliche der Kirche beſtehet: die Ausſpendung 
der Sakramente, und die. Verkuͤndung des Wortes Gottes 
find alſo die Kennzeichen und Merkmale der wahren Kirche. 
Aus diefem, der Schrift entnommenen, Begriffe der Kirche 
erhellt, ſagt Calvin, daß fie auch Sünder fir fich fchließe, und 
verfchiedene Meinungen darin vorgetragen werden formen, 
wenn fie nur die Lehre Chrifti und der Apoftel richt aufheben. 
| Man karn ſich darum von diefer Kirche nicht tremmen 
aus dem Grunde, weil man darin verfchiedene Meinungen 
! behauptet, oder wer ihre Glieder nicht Heilig: und vols 
fommen fin» Diefem zu Folge giebt Calvin zu verſte⸗ 
ben: daß die Donatiften, Katharen, Anabaptiften 
ꝛc. die Einheit der Kirche zerſtuͤckeln, und gegen die chrifts 
„liche Liebe fündigen , wenn fie behaupten, daß die fichtbare 
Kirche bloß aus volltommmen und vorerwaͤhlten Menſchen 
zuſammengeſetzt ſey 1). 


») L. 4,C. 1. 


— —— rn —— 








341606 CLalvin. 


Wenn aber eine Geſellſchaft Irrthuͤmer vortraͤgt, welche 
die Fundamente der Lehre‘ Jeſu und der Apoſtel untergra⸗ 
ben, wenn fie die von Chriſtus angeordnete Gottesvereh⸗ 
rung verfäfcht, dann muß man fich von ihr trennen, fo 
ausgebreitet und alt fie auch ſeyn mag, weil man in ihr die 
Seligkeit verfehlt, und die von Jeſus verordneten dußern 
Heilsmittel, nämlich die Verkündung des Wortes, und die 
Ausfpendung der Sacramente nicht antrifft. 


Nun maht Calvin den Schluß: die roͤmiſche Kirche 


iſt nicht die wahre, denn fie iſt in Goͤtzendienſt verfallen; 


dag Abendmahl iſt ber ihr zum Goftesraub geworden, fie 
bat unter ‚einem Schwall von aberglaͤubiſchen Gebraͤuchen 
den von Jeſus und ‚ben Apoſteln gefifteten Gottesdienſt 
erſtickt. 

Vergeblich giebt man vor, daß die katholiſche Kirche 
unmittelbgre Nachfolgerinn der Apoſtel iſt: wahr iſt es; allein 
ſie hat die Hinterlage des Glaubens verfaͤlſcht; jedoch hat 
Gott ain eben dieſer Kirche zu allen Zeiten Perſonen erhal⸗ 
ten, welche jene Hinterlage in ihrer Reinheit bewahrten, 
und den rechten Gebrauch der Sacramente beibehielten. 

Die roͤmiſche Kirche hat dieſe aus ihrem Schooße ver⸗ 
ſtoßen, fie ſelbſt haben ſich von ihr getrennt, weil ſie das 
Ververbniß dieſer Kirche nicht mehr dulden konnken; Die rs- 
mifche Kirche hat daher Fein legitimes Hirfenamt mehr, . 
Feine Ausfpendung der Sacramente, Feine Berhlupigung | 
des reinen: Wortes Gottes 1). 

Beim Anbeginne der Kirche wurden thre Diener von 
Jeſus Chriſtus ſelbſt gewaͤhlt: die Apoſtel ſtellten Ael⸗ 
teſte und Diaconen auf, Riemand:frat In den Kirchendienſt, 
ohne dazu berufen zu ſeyn, und die Berufung war von der 
Wahl der andern Kirchendiener und der Zuſtimmung des 
Volkes abhaͤngig: durch Auflegung der Haͤnde, offenbarte ſich 


3) Ibidem, C. 7. Calvin fänt hier wieder in den Jrrthum 
de Donatiften, Wiclef’s, Hußen’s und Zuthr’ö 
über das Weſen der Kirche. Sieh den Art, Reform a⸗ 


tion. 


Calvin. u | 347 


diefer Beruf. Calvin will, daß man dieſes beibehalte, 
weil er glaubte: Nichts von dem, was bei den Apoſtein 
üblich war, fen gleichgültig oder unnüß 1). 


Calvin unterfucht num die Veränderungen, bie in 
der Art, zu Kirchenaͤmtern zu gelangen, vorgegangen find: 
er entrüftet fich gegen die roͤmiſche Kirche und den Pabſt, 
die nach ihm, Die ganje Ordnung der erſten Kirche verkehrt 
haben. 2). i 

Er beſtreitet die- Primatie des Pabſtes, und unterſucht, 
wie er fufenweife zu feiner gegenwärtigen: Macht gelangt 
ev. 3). ; 


Nachdem er die Rothwendigkeit eines Hirkena aites in 
der Kirche dargethan hat, fragt er: Worin die Gewalt des⸗ 
ſelben beſtehe, und bringt fie auf drei Punkte: die Lehre, die 
Gerichtsbarkeit, und die Geſetzgebung. | 


Das kirchliche Lehramt kann nur das vorfragen, mag 
in dee Schrift enthalten iſt: die Enticheidungen. Der Concis 
lien find für Niemand verbindlid, und diefe Verfammlungen 
legen ſich mit unrecht Untruͤguchleit in ihren Ausſpruͤchen 
bei. A) 


Das Hirtenamt tann in Kirchenpolizei⸗Sachen zur Er⸗ 
haltung des Friedens u. ſ. w. Geſetze machen, aber im Ge⸗ 
wiſſen verbindliche Verordnungen uͤber Cultus oder Disci⸗ 
plin liegen außer ihrem Bereiche, und Calvin gibt die ge⸗ 
feglichen Anordnungen, melde. die Kirche im Betreff der 


4 1 





4) C, 3. 
2) 0. 4, 5 
3) 0. 6, 7. Im Grunde find es die Lehren der Griechen, 
. über die Primatie des Pabſtes; nur daß Ealvin unend⸗ 
lich weiter gepet: mit Ausnahme der Schimpfworte, die 
nur Verachtung verdienen, ‚haben wir Calvin's Irrthum 
. über den Pabſt im Art, Grie hen Miderlegt. 
203,9 Die Donatiften, Montaniſten, Albi: 
genfer, kurz alle Ketzer brachten immer die nämlichen Ber 


N 


348 | Calvin. 


Beicht des Gottesdienſtes und der Ceremonien trifft, fuͤr ge⸗ 
haͤßige Tyranei aus. 1). 


Die Gerichtsbarkeit der Kirche hat daher nur die Sit⸗ 
ten und Handhabung der Ordnung zum Gegenſtande, ſie 
kann nur bloß geiſtliche Strafen verhaͤngen, und diejenigen, 
welche nad) vorgängigen Ermahnungen fich nicht beffern, die 
Glaͤubigen ärgern und verführen, mit dem Kirchenbanne bes 


“ Jegen. In diefem Punkte, vorzüglich in Betreff der Kles 


fiergelübde, toirft Cal vin abermals der roͤmiſchen Kirche 
Gewalts⸗VMißbraͤuche vor. 2). 

Nachdem Calvin von Verfündigung des Wortes und 
der Kirche gehandelt hat, koͤmmt er zu den Sacramenten, 


als dem zweiten Merkmale der wahren Kirche: 


Alte Religionen haben ihre Sacramente, d. h. äußere 


- Zeichen als. Ausdruck der Verheigungen oder Wohlthaten 


der Gottheit: die wahre Religion hatte ſtaͤts die ihrigen. 


Ein folches war der kebensbaum fir den Stand det 
Unſchuld; der Regenbogen für Noah und feine Nachkom⸗ 
men, die Befchneidung feit Abrahamss Berufung, und die 
Zeichen, welche Gott dem jüdifchen Volke gab zur Beſtaͤtigung 
dee ihnen gemachten Verheifungen und Befeſtigung ihres 
Slaubeng ; ‚dergleichen waren die dem Gideon ‚gegebenen 
Seihen. Der Here wollte, daß auch die Chriften ihre Zeis 
chen oder Sacramente hätten, d. h. Zeichen, welche fie in 
dem Glauben an Me erhaltenen Verheißungen beftärfen. 


Da Calvin die Bemirkung des. Heils dem Glauben 


beimißt, fo find ihm die Sacramente nur in fo fern Heils⸗ 


mittel, als fie zur Erweckung und Beflärfung des Glau⸗ 
— . , . 5. 


hauptungen zum Vorſcheine. Wie geigen das Unſtatt hafte 
im Art Reformation. 

1) C. 10. 

3) C. ır — 13. Bigilantius hatte vor Calvin die Ge⸗ 
lübde angegriffen; er wurde verdammt. Sieh diefen Wet. 


. Calvin. 349 — 


bens / beitragen. Seine Definition iſt daher folgende: die 
Sacramente ſind äußere Symbole, durd welche 
Gott die Berheißungen feines Wohlwollens ges- 
gen uns unferm Bewußtſeyn efnprägt, um un 
fern Glauben gu unterflüßen, und wodurd mir. 
in Gegenwart der Engel und Menſchen unfere 
kindliche Unterwerfung gegen Gott bezeugen. 


Die Sacramente find weder leere und unwirkſame Zeis 
chen‘, beftinmt, uns die Verheißungen Jeſu vor Augen 
zw fielen, noch Zeichen, die in fich felbfl eine geheime und 
verborgene Kraft enthalten, fie find um deßwillen wirkfam, 
weil, wenn fie ung angeeignet werden, Gott auf unfere 
Seelen einwirkt. 


Calvin will hier den Mittelweg zwiſchen den Katho⸗ 
Utken und Luhteranern einſchlagen; er iſt aber dunkel, vers 
legen, und ſcheint den katholiſchen Lehrbegriff von den Sacs 
ramenfen und ihrer Wirkfamfeit nicht rechf verfianden zu 
haben: bald mirft er der Farholifchen Kirche Irrthum vor, 
‘weil fie, ich weiß nicht, welche gebeime Kraft, die wie ein Zaus 
berſchlag wirkt, den Elementen der Sacramente zuſchreibt; 
bald befchuldige er fie, ihre Wirfungen zu übertreiben, weil 
:fie ſolche fchon in unfern Seelen hervorbringen , wenn wie 
nur’ keine Hinderniffe entgegen fielen, eine abentheuerliche 
euflifche Lehre, fagt er, melde unzählige Menſchen ins 
ewige VBerderben flürzt, weil fie von einem materiellen Zeichen 
das Heil erwarten läßt, welches allein von Gott koͤmmt. 


Aus dem, daß die Sacramente nur Zeichen find, durch 
welche Gott die Verheißungen feined Wohlmelleng unferm 
Gemüthe einprägt, um unfern. Glauben zu unterftägen, und 
wodurch wir unfere kindliche Unterwerfung gegen Gott be⸗ 

zeugen, folgert Calvin, daß die Katholiken mit Unrecht 
einen Unterſchied zwiſchen den Sacramenten des alfen- und 
neuen Bundes machen, als wenn jene des alten Geſetzes “oo 
‚nur das verfprochen hätten, was die Sacramente des neuen 
uns geben. 


— 


350 Ä Calvin. | 

Er nimmt nur zwei Saeramente an: die Taufe und bag 
Abendmahl, weil dtefe zwei allen Gläubigen allein gemein⸗ 
ſam umd zur Verfaffung der Kirche nothwendig find. 1) 

Die Taufe ift dag Zeichen unferer Weihe und Aufnahme. 
in die Kirche , oder das aͤußere Merkmal unferer Vereinis 
gung mit Chriſtus. Durch dieſes Sacranient werden wir 
gerechtferfiget, und ung die Verdienſte der Erloͤſung zuge⸗ 
eignet. Calvin verfichert daher, daß die Taufe ein Heil⸗ 
mittel ſey, nicht nur gegen die Erb- und ale vor Empfang 
derfelben begangene Sünden, fondern auch ‚gegen alle, Die 
man nach der Taufe noch begehen kann, dergeſtalt, daß bie 
Erinnerung an unfere Taufe die Sünden ausloͤſcht. 

- Die Kraft oder Wirkung der Taufe kann nicht durch 
die Sünden, Die man nach derſelben begeher, zerſtoͤrt wer⸗ 
den: mithin verliert ein Menſch, der einmal durch die Taufe 
gerechtfertiget ift, nimmernehr die Gerechtigkeit. 2). 
Hiermit meinte Calvin fchüchterne Gewiſſen aufzurich⸗ 
ten, und vor. Verzweiflung zu fchügen, nicht aber dem Lafter 
den Zügel zu laſſen. 

Der Taufe Johannes lest er die nämliche Wirkung 
bei, wie jener Jeſu und der Apoftel: Ä 

Bei Ausſpendung der Taufe verwitft er alle Eroreiss 
men und Geremonien der Eatholifchen Kirche, will, daß man 
auch die Kisidertaufe, und widerlegt die Anabaptiſten, 
insbeſondere auch Servet, die die Kinder Taufe verbo⸗ 
ten hoben. 

Das Abendmahl iſt das zweite Sacrament, ſo Calbin | 
annimt. Diefes Sacrament iſt nicht allein eingefebt, um 
ung- dag Feiden und Sterben Jeſſu vorzugtellen, wie 
Zwingli, Defolampad u. W behaupten, fondern um 
uns wirklich, des ‚Leibes und Blutes des Herrn Fheilhaftig 


Er 0 " J 
D.C 14. Die Waldenfer und Albigenſer haben den 
u naͤmlichen Irrthum vor Calvin und euther behauptet. 


. 2) Abermals iſt Calvin nur der Widerhail der Ketzer vor 
"ihm. | 


6 








N 


Calvin. . 35l 


zu machen Calvin erklärt es für-abfurd, und fchriftmids 
rig, wenn man in der Euchariftie nur die Figur des Leibes 
Jefu anerkennen wolle. Der Heiland verfpricht: zu augs 
druͤcklich, dag Er fein Fleiſch zu effen und ſein Blut: zu grins 
fen geben werde, er fchreibt diefem Genuffe Wirkungen zu, 
die einer bloßen Vorſtellung nicht zufommen fünnen. Hier 
mit verwirft er die Meinung Zwingli’s, und glaubt: daf- 
wir wirklich den Leib oder das Fleiſch Chriſti effen, aber 
nicht in dem Brode und Weine iſt der. Leib und das Blur 
befindlich, ſondern wenn mir die euchariftifhen Symbole 

empfangen, fo vereinigt fich | der Leib Chrifti mitung; oder 
vielmehr wir werden mit feinem Geiſte vereinigt . 


Diefer Lehre kann die Einmwendung nicht enfgegenges 
flelt werben, mie es zu begreifen fey, daß der Leib Yes 
ſu, der im Himmel ift, ſich mit ung vereiniget; laffen ſich 
Gottes Merfe nach unfern Begriffen meffen ? Iſt die Macht 
Gottes nicht unendlich über unfer Verſtehen? 


Cal vin anerkennt alſo, daß wir wahrhaft den Leib 
Jeſu eſſen, glaubt Ihn aber nicht gegenwaͤrtig im Brode 
und Weine, wie Luther, auch nicht unter den Geſtalten 
des Brod's nnd Wein's durch die Verwandlung vorhanden, 
wie die Katholiken. Wir fehen fohin feit der Trennung ver 
angeblich Reformirten. big auf Calvin drei verfchiedene Er⸗ 
klaͤrungs⸗ Weiſen über dag, was die Schrift ung über das 
Sacrament der Euchariflie ſagt. Diefe Drei enfgegenges 
fegte Erklärungen ‘werden von drei Partheihäuptern geges 
ben, die alle drei nur der Schrift zu folgen behaupten, und 
vorgeben: daß fie Har genug ſey, um auch gemeine Gläus 
bige in den Etand zu fegen, bei fich erhebenden Fragen in 
Neligiong s Sachen das Wahre oder Salfche darin aufzufinden ? 


Die Katholiken zerſtoͤren dieſes Sacrament durch die 
Meſſe, welche Calvin für einen Gottesfrevel ausgibt 1). 


1) C. 18. Calvin iſt auch hier das Verdienſt der Neuheit 
abzuſprechen. Im Art. ruther iſt der tatholiſce Lehrbe⸗ 
se gegeben. | 





ur Calvin. 


| Calvin geftehet ein, daß vor der Seformation alle 
hriftlichen Kirchen nebft der Taufe und dem Abendmahle noch 
fünf andere. Sacramente annahmen; erklärt aber diefe für 
bloße Ceremonien menfchlicher Anordnung, weiche nicht im 
der Schrift gefunden, und ale Saframente angefehen ters 
den koͤnnen, weil Gott allein die Macht hat, Eacramente 
als Zeichen, wodurd Er feine Verheißungen unferen Sees. 
den einprägf, anzuordnen 1 ). 


Im zwanzigften und legten Kapitel befämpft Calvin 
die Lehre der Anabaptiften über die chriftliche Freiheit; 
er zeigt, daß das Chriſtenthum der bürgerlichen Regierung 
nicht entgegenftehe , daß der Chrift ein gerechter Richter, ein 
mächtiger und guter Koͤnig feyn inne, daß die Chriften 
der Obrigkeit Ehrerbiethung, den bürgerlichen und zeiflichen 
Gewalten Gehorfam ſchuldig find; daß es feinem Privats 
manne zuftehe, über ihr Betragen abzufprechen, daß fie ih⸗ 
nen in weltlichen Angelegenheiten, und in allen Anordnuns 
gen, welche der Religion nicht entgegen find ‚ unbegränzte 
Unterwuͤrfigkeit zu leiften haben ; bei religionsmwidrigen Ans 
läffen’ aber nruß man der orte des hl. Petrus geden⸗ 
fen: man fol Gott mehr, als den Menfchen gehorchen. 

Den hier ausefnandergefegten Irrthuͤmern fügt Cals 
vin in feinen übrigen Werfen einige andere bei, bei denen 
wir ung aufzuhalten, nicht der Mühe werth erachten. 





Müslid auf Calvin's Syſtem. . 


Aus der Darftellung von Calvin's Lehrgebäude und 
ben beigefiigten Noten gehet hervor, daß die von Calvin 
beftrittenen Lehrfäge der Fatholifchen Kirche von verfchieder 
nen Secten bereitd geläugnet und angefeindet worden was 
ten; alle diefe Secten waren, nach Maaßgabe ihrer Ents 
fehung verdammt worden, und hatten durchaus von einans 
der getrennt Vereine gebildet, ihre Irrthuͤmer waren mit 





WV 


1) c. 19. Sieh den Art. Luther. = 


Ealoin: Celviniſten. 333 


WE fechjehnte‘ gahrhundert uͤbergegangen, theils durch die 

zerſtreuten Ueberbleiſel dieſer Secten, theils durch die Ur 
tunden der Kirchengeſchichte. Die Zeit, melde die Irtthů⸗ 
net, wie die, Mührheiten; (6 zu fügen, an einander ruͤckt 
und zuſainmendraͤngt, hatte alle Irrlehren der Bilder 
Rürmer, der Donatiften, Berengar’g, der Pr 
defftnatianer, des Vigilantius n. f. w. in den AL 
bigenfern, Waldenfert, Beguwarben,Sratrivelten, 
in. Wirleff, Johan Huf, ben döhmiſchen Bru⸗ 


bern, Lkuther, den Anabaptiſten, Karlſtadt, 


Zivingli re, zuſammengeruͤckt; dabei aber mar es gedlfeben, 
Luther nahm einen Theil an, den andern verwärf er, fie 
waren daher weder vereinigt, noch zuſammengeknuͤpft. Cal⸗ 
vin erſchien; ſein methodiſcher Geiſt unternahm es, fie zu 
verbinden, und aligemeine Grundſaͤtze aufzuſtellen, weraus 
er die der roͤmiſchen Kirche enfgegengefcgten Irrthuͤmer 
sichen konnte. Zur Grundlage feines Syſtems flellte er die 
Schrift ald die einzige, Glaubens⸗ Norm auf. 
Wir Gaben, ihn nach dieſem Grundfage fein ganzes Re⸗ 
ligionsgebaͤude aufrichten geſehen. Die Kathboliken griffen 
die. einzelnen Theile defielben an, und Calvin’ Schuͤler 


"Übernahmen die: Vertheidigung der verſchiedenen Meinungen 


ihres Meiſters. Jeder Irrthum deſſelben wurde, ſo zu fageny 


-ifoliet, ein. Heer don Kämpfern aus beiden Confeſſionen, 


309 gegen einander zu Felde, imd diefe Polemik verfchlang 
zwei Jahrhunderte über einen großen "Theil der Anitrengs 


imgen des menſchlichen Geiftes in Europa. Nicht zu zaͤhlen 


find die Schriften , fo über Die mefentlihe Gegenwart, bie 
Kirche, den Richter in Glaubensſachen, über die Beidt, 
das Gebet fuͤr die Verfiorbenen, über Ablaͤſſe und den Pabſt 
erſchienen finds Man ſehe den Artikel Refo rwativn und 


den Ar, 3wins li 


Eale turen. kat ine Sqhllerne & [Hin’s Lehre 
fand beinahe Ih ganz Europa Anhänger. Sie ward von den Re⸗ 
formirten Fraukreichs angenommen, feßte ſich in Den Niederlan⸗ 
den, in ber Schweis) in England und einen Theile von Deutſch⸗ 
land, Poten und’ ungarn feſt. Borna | in Sränfeic 

Kenner: Leriton IT: | 


356 . 0 Kalsiniften. . Camiſarden. 


nicht erwähnen wollten. Des Preis auf die beſte — 


der Frage, geſtellt zu Harlem. im Jahre 1792: „Ob im 
glten Teſtamente wirklich Weiſſagungen auf Chriſtus vors 
kommen?““ wurde dem Johann Kanynenburs, welcher 


dieſelbe verneinend beantwortete/ zuerkaͤnnt. 


Die Armintaͤner find in der Trinitaͤtslehre dem 
Arianidmius oder Gociniähisinng ergeben, und naͤt, 


“ern fih in der Lehre von der Erloͤſung und Verehrung bei 


r 


Denfchen, dem Pelagianismus. 1). 

Was der. vielfältigen . Verſuche im 16ten und 17ten 
Jahrhunderte ungeachtet, nicht zu Stande gebracht werden 
konnte: die Vereinigung der Calviniſten mit den Lutheranern, 


war dem 19ten Jahrhunderte vorbehalten, indem dieſe jetzt 


ohne jedoch etwas uͤber das Dogma zu entſcheiden ‚ mithin 
nur im dußerlichen Cultus, mit leichter Muͤhe unter dem 


‚gemeinfchaftlichen Namens der Evangelif hen, zu Stande 


kam; wobei Das Merkwuͤrdigſte iſt, daß ihre Prediger bei 
Auscheilung der Euchariſtie ein noch größeres Wunder, als 
Jeſus Chriſtus felbft bei'm heiligen Abendmale wirken, 
da fie den Eutheranern in einer Stunde im. Brode den’ 
wahren feib Chriſti, und in ber andern den Calvis 
niften nichts als das Symbol biefeg keibes reichen: 


Camifarden. *) Bertenining von Schw aͤrmern in 
den Cevennen', alſo benannt von einem leinenen Ober⸗ 


hemde, welches fie über den Kleidern trugen, wie ſolches 


bei den Gebirgsbewohnern Languedof’s‘ üblich iſt, und 
das in der Landes⸗ Mundarf Camise heißt. Sie erhoben 
ſich Anfangs des achtzehnten Jahrhunderts, 1703. Seit 
dem Widerrufe des Edicts von Nantes bar der Ealvis 


4 


4) Kirchengeſchichte des 18ten Sapepimbee?, von € sei von 
. Einem. 

- Dad Neuefte über die dermalige Beldaffenheit det vejormirten 
- Kiche Tann man nadlefen in dem Supplemente der Seit: 
ſchrift: Der Katholik von 1822. ° _ Bo 

*) 18t«6. Jahrhundert. — —. 


Eamifarben. 357. 


atsmus in Frankreich wie erſtorben die Ueberrefte dieſer 
Parthei gegen alle Provinzen Frankreichs hin zerſireut, und 
gezwungen, ſich verborgen zu halten, fanden Fein menſchli⸗ 
ches Auskunftsmittel mehr, Ludwig XIV. zum Zugeſtaͤnd⸗ 
niſſe der Privilegien und Gewiſſensfreiheit, deren fie unter 
feinen Vorfahren genoſſen hatten, ‘fi vernidgen. "Um dag 
ſchwache Glaubensſtaͤmmchen dieſer zerſtrenten Heerde zu, 
naͤhren, bedurfte es außerordentlicher Mittel der Wunder. 
Wirklich wurden deren in den vier erſten auf ben Wider⸗ 
ruf des Nantefer Edicts folgenden Fahren unter den 
. Reformirten ruchbars man vernahm, im Behtrte der Plaͤtze, 
wo früher ihre Tempel geſtanden waren, Ir Beh Lüften 
Pſalmen⸗Geſang, vollfommen ähnlich dem unter beit Pro⸗ 
teſtanten üblichen, daß man ihn fuͤr nichts anderes nehmen 
konnte. In himmliſchen Melodien fangen dieſe Engelsſtimmen 
die Pſalnnen nach Elemens Marot's, und Theodor 
Beza's Ueberſetzung. Dieſe Geſaͤnge ließen ſich in Bearn, 
den Cevennen, zu Vaſy ꝛe. vernehmen; fluͤchtig umher⸗ 
ixtende Prediger wanderten ug Geleite dieſer goͤttlichen 
Pſalmodie, und. ſelbſt Arempetenruf verlleß fie nicht eier, 
als bis ſie jenſeits der Granie im Sande ber Siqherbait nr 
langt Ware un 1. 
DODer reformirte Heediher Ju rieu ——* ſergfaitig 
dieſe Wunder⸗Erzaͤhlungen, und "sog den Schluß hieraus: 
Ba: Sott.niltten in den. Luͤften feinen Mund- geoͤffnet habe, 
fo fen dieß ein: indirecter Verweis der Vorſehung: für Die 
Proteſtanten, daß fie ſo feigherzig geſchwiegen haͤtten 1). 


Wunder und Geſichte bei einer unterdruͤdten Parthei ind 

beinahe immer die Vorläufer: von ‚Propheian „. beſtimmt den: 
‚: Glauben: durch Ausfiehe auf’ eine gluͤckliche⸗ Befrecung auf 
recht. gu haiten: aller Orten, wo gegen Die Reugions⸗ ue⸗ 
bungen ber Reformirten, und gr Verbannumg ber Wibder⸗ 
ſpenſtigen Geſetze erſchienen waren, ſtanden Propheten auf, 
die das nabe Ende. ihrer unterdruͤcung derknpeten. , ' 





ar ec ws -_ 


341 seRd: ( 


1) Lettre paatoral Re J ürie a an. 1686. 


358 | | Camifarben. 


Juͤrieu, der eifriger als irgend ein Vroteſtant nach 
tem AUntergang der roͤiniſchen Kirche verlangte, ſah in all 
dieſen Schwaͤrmern von Gott begeiſterte Menſchen: das Zus 
ſammentreffen dieſer neuen Propheten ließ ihn nicht zweifeln, 
daß Gott die, Bernichtung des Pabſtthumes befchloffen - habe. 
ur Allein, ex fand in den Prophezeihungen von diefen neuen 


Propheten fo. manches Anfisgige, das nicht zur Beſtaͤrkung 


feines, Glaubeng an fie diente; und befhloß daher die götts 
lichen Ausſpruͤche felbft zu befragen, ob er nicht etwas Ge⸗ 


nayeres Huber den Triümph Der ‚protefkäntifchen Keligion . 


darin ei moͤge, ſuchte ſolche Aufſchluͤſſe in den Weiſſa⸗ 


ur de 


Untersungeg des — 1).-- 


"4 Diefen Meediger that‘ fodann dem ganzen Eietrehſe d Die 

| gerkdung der roͤmiſchen Religſon ımd das Reich des Cals 
virismug fuhdı ",‚DBald werden wir,“ fagte er, „die 
. Wahrheit über deu Thron der Lüge erheben; und die Ers 
bebung bes zu Boden Geworfenen wird auf eine fo glor⸗ 
reiche Weiſe geſchehen, daß: die, ganze. Weit darüber ſtau⸗ 
nat wird 

Dieſe glorreiche Wiederherſtellung der NReformirten fohte, nach 
Juͤwien) ahne,;oher mir mit geringem, Blutvergießen vor 
ſich geben 5 ‚fie. werde fogar weder. durch Waffengewalt, noch 
durch die dr Frankreich ‚gerfireusen Prediget,, ſondern durch 
Ausgießung des Geiſtes Gottes Statt haben 2). ..: 


Dieſe Meinungen 'wurden unter die Bewohner der 
Cedbennen von. proteſtautiſchen Religionslehrern Asge⸗ 
ſtreut, nachdem dieſe ſich ſelbſt davon überzaugt hatten, oder 
ermuthiges, ren durch ıDie Feinde Fraukreichs, welche. die 
Schwer Der Calviniſten zur a esıımg aines Der. 

gers. und Feliciono. arleges ‚beugen wollten. 


| 8 Li CH .1n* ”.. ira | — » 
ud ra Y an — .. Nie 1,47 Pr .- du wu "Zur. 9 LE Er Pe BE 


. 
4 u 3 


I) ned des phcu.. Brüeye Kst. An 
Fanat. L. I, P- 400. * — 


2) Ibidem Part. 2. Vnits de ‚PEglise, pedlacn 4 i ia 


« 


Eantffatden. rg 

IE te Ckivin iſt; Namens di Serre; waͤhlte 

aus ſeiner Nachbarſchaft fuͤnfzehn Knaben, welche ihm die 

Eltern: gutwerig Wetließen, und: ließ ſeinem Weibe, tel 

ches er ger feiner: nm machte, eine gleiche m 
— een, — 


;ch 


eine —— Ankage sur an ibrigeng lebton 
in bet. drößlen Unwiſſenheit, eingeſchloſſen in, die Gebirge 
der. Dawphine, in dichten Wäldern berſteckt, umtingf von 
Feiſen und Schluͤnden. abgeſchnitten von. aller menfchlis 
hen Gemeinfchäft „und erfünt mit tiefer Ehrfurcht für bu 
Serre, welchen alle Proteſtanten ver Umdegend 019. einen 
Der Herven ihrer Parthei verehrken. | 
Duͤ Serre ſagte ihnen: Gott habe ibm feinen Geiſt 
gegeben7 ver‘ er Macht habe, tmitzueheilen ,. "dem‘ er wolle ; 
fie feyyert von ihm erfohren, Propheten md Yropfetiien 
su werben,’ fenn fie ſich zum Empfange einer fo großen 
Gabe auf bie Weile, wie Gott ihm vorgeſchrieben habe, 
vorbereiten wollten Die’ Kinder, entzuͤckt über, dieſen Be⸗ 
ruf unterwarfen ſich Allem, was DU Serre vorſchrieb. 


Die erſte Vorbereitung zum Propheten⸗Amte war ein 
dreitaͤglges Faſten, nach welchem der Meiſter ſie von Er⸗ 
ſcheinungen, Geſichten und Eingebungen ‚unterhielt; ihre 
Phantaſie fuͤllte er mit den furchtbarſten Bildern und glaͤn— 
zendſten Hoffnungen; die. Stellen der Apokalypſe, worin 
vom Untichriſt, dem untergange ſeines Reiches, und Be— 
freiung der Kirche die Rede iſt, ließ er fie auswendig lers 
sten erklaͤrte ihnen: der ——— ſey der Pabſt, dag Reich 
fo zu Grunde geben müßte, a8 Pabſtthum, und die Bes 
frtenng der Mircher 102 Bieperherftelung der’ Neforntätton. 

' DE Serre richtete zugleich, ‚feine "Propheten; 3sglingg 
ab, ihre Neden mir Gebähtdeg Mad Leiden; Sfellungen zu 
begleiten‘, die die Einfaͤltigen MR mußten; ſtutzten 
ritflings Nieder, ſchloſſen die Hifgen‘," blaͤhten den Leib ind‘ 
und Hals auf, IA im tiefen Schluminer, erwachten ploͤtz⸗ 


360 . i Eamifrden. W 
lich, und kramten in tühnem Tone Alleg ER ‚mas ſich ib⸗ 


ser Einbildung darſtellte. 


War einer der Propheten ⸗ Schiller zu — „Hoffe hin⸗ 

laͤnglich abgerichtet, ſo ließ der Meiſter die kleine Schaar 
jzuſammenkommen, ſtellte den Erkohrnen in die Mitte, mit 
der Erklaͤrung, daß nun die Zeit ſeiner Begeiſterung heran⸗ 
gekommen ſey, worauf er ihn mit ernſthafter und geheim⸗ 
nißvoller Miene umarmte, in den Mund hauchte und ans 
kuͤndtgte, daß er den Geifl det Propheieibung empfangen 
habe, während dem die andern vor Staunen ergriffen, die . 
‚Geburt des neuen Propheten erwarteten; und. heimlich nach 
dem Augenblicke, threr eigenen Einweihung feufzten. Bald 
konnte Di Serre.die Glut, welche er in feinen Schuͤleru 
entzündet hatte, nicht mehr zuruͤckhaiten; er verabfchiebete 
und ſchickte fie in jene Gegenden, wo er ‚hoffte, daß ſie eis 
nen größeren Glanz verbreiten wuͤrden. 


Bei ihrer Abreiſe einabnte er fie, dig prophetiſche Gabe 
Allen mitzutheilen, die ihrer wuͤrdig befunden. wirden; 
nachdem fie. folche auf die nämliche Weiſe, wie bei ihnen 
geſchah, wuͤrden vorbereitet haben, "und. wiederholte ihnen 
die gemachten Verſi icherungen, daß alle ihre Wrberfagungen 
unfehlbar. eintreffen wuͤrden. — 

Die Leute „gu denen ‚fie fich wendeten, waren geneigt, 
die neuen Propheten mir“aller Achtung anzuhdren, ihre Vor⸗ 
urtheile, das Leſen der Paftoral; Schreiben Jılriey’g, die 
Einfamfeit worin fie lebten, die Selfen und Gebuͤrge die fie 
bewohnien, ihr Haß gegen die Katholiken, und. die aͤußerſte 
Strenge die man gegen fie veräbte, haften fie vorbereitet, 
jeden als Propheten‘ anzuerkennen, wer immer mit Enthu⸗ 
ſtasmus und auf ungewoͤhnte Weiſe ihnen den ‚Untergang 
ber tatholifthen Religion ‚verfünbigte, 


give Schüler Di Serze’g zeichneten Ach unterane, 
dern aus: Das Schäfer »Mäpchen von Erefi, genannt die 
ſchoͤne tabelle, und Gabriel Aſtier von dem Dorfe 
Elien n der Dauph ind, Erſtere begab ſich nah. Öres, 
noßle, wo man fie, nachdem, fie eine Zeitlang. ihre, Kolle.. 
geſpielt hafte f berhaftefe, und bald darauf befehrte, Ihr. 


2 





Camiſarden⸗ 361 


ot daͤmpfte jedoch: das hrophetiſche Feuer nicht. Die 
andern Zoglinge Di Serre's verbreiteten ſich über das 
Delphinat und das Bivardifche, und der prophetiſche 
Geiſt verotelfaͤltigte ſich ſo wunderbar, daß es: Doͤrfey gab, 
die nichts als Propheten zu Einwohnern Batten:!in dmer 


Nacht ſah man Schaaren von zwei bis dreihundert feinem 


Propheten entſtehen, die ofme-Unserlaß vor dem Volke, in 
Mitte her Doͤrfer predigten, prophezeißten, und won denen 
eine Menge Zuhoͤrer a den Seien, ihte ‚Dvakeipriihe 


vernahmen. 


Wenn unter den Berfaninelten ſch ein größerer Ein 
der ald die uͤbrigen befand, fo rief der Prediger ihn zu fich, 


= fogleich fiel er in furchtbare Zuckungen, bis der Brophet fih 
ihm genaͤhert hatte: dann legte diefer dem Saunder 


die Hände auf, ſchrie uͤber ſein Haupt: Bariüherzigs 
keit und Gnade! ermahnte ihn zur Buſe, und die An⸗ 
weſenden ‚zum Gebete, Daß "Gott: ihm verjzeihen möge: ‚hafte: 


ber Suͤnder aufeichtige Reue, fo fiel auch et zur Erde, wie’ 


tode, and empfand, wieder ju fi ſic gelommen— unartſotenucche 


GSeligkett. 


Diefe Art geffttichen "Amtes ward nicht nur von "Der ' 
fonen eines reifen Alters und achtungswerthen Charaktere > 
geäbt., ſondern ach von Hirtenjungen von’ 15 bis 16, zu⸗ 
weilen von 8bis 9 Jahren, welche zuſammenkanten, Con⸗ 
ſiſtorien hielten, "und darin fünfzig bis ſechtig Buͤßern Wi⸗ 


derruf ihres Abfalls, das Heißt, ihrer: Ruͤckkehnzur roͤmt⸗ 


ſchen Kirche thun ließen; dieſe Kinder entledigten ſich die⸗ 
fer Verrichtungen mit Lehrerd:s Anfehen, forſchten die Suͤn⸗ 
der ‚mit „Schärfe eug ‚legten hnen Bußgebete auf, und 
endigten mit · der Losſprechuns Buch: Bee vers‘ 
jeibe Die. ERBE 
 : Die prophetiichen Anfälle twechfekten: die Negei war, 
hingufolleh und eingufchlafen ‚ sber..von einer Betäubung übers! 


‚fallen zu werden, wozu ſich konvulſiviſche Bewegungen gefells 


ten; die Ausnahme von der Regel aber war, wachend uns 
ter Rarken arpe Beweg mgen, hismeilen ineriner bloßen 
Entzucurga oft guch mit viztigen Kondulſionen au propheteihen . 


- 


\ 


EN 


a62 Cauiſtuden, 
Die: Weiſſagungen dieſer Propheten waren vermwirkt,sin 
uchen Franzoͤſiſchen niedern und gemeinen. Ausdruͤchen 
vorgetragen, oft ſchwer verſtaͤndlich Jedem, deſſen Ohr nicht 
an. ben: veddorbenen im Oelphinate und dem Vivaräi⸗ 
feheh üblichen Dialekte gewöhnt war. Ihre Predigten wa⸗ 
mn. son gleichem⸗ Schlage, uͤber Kreuz und Quer kramten 
ſie Alles aus, was ſie an Worten und: Stellen det. Bibel 
im ⸗Geduͤchtmiſſe behalten hatten, und. das nannten! ihre Zue 
hoͤrer heine Ermahnungen, die ihnen Thraͤnen erpreßen. 
Ehe die Propheten auftraten, nahmen fie drei big vier 
Tage, gar, feine Nahrung zu ſich und darauf nur fehr wer 
nig.: Die. ‚Kinder waren vor dem Empfange des prephefis 
ſchen Geiftes mif einer- Krankheit befallen , meßhalb:.man. ihr 
nen zur Ader ließ. Die Heinen. Prophetinnen ſagten: fie 
fuͤhlten ‚ehe fie in den, letharsifchen Schlaf. fielen, ‚etwas, 
das ſich allmaͤhlig son.den. Füßen big an Den Hald-hinaufe . 
zöge,. Nach dem Einfphlummern waren fie ganz gefuͤhllas mehr 
rere Zeugen fagten ans: daß man während. der Prophezeih⸗ 
ung, die fo. lange als der Schlaf dauerte, ‚die; Peonheten 
und Prophetinnen mit nichts ‚ weder url Stechen ‚nö Nas 


are, 


entbechte ig: Weile, wie man fe ‚Heinen. 3 ab⸗ 
richtete „..uuhsihnen zufluͤſterte. Sie wurden ſelbſt zu Genf 
bes Betrugs uͤperwieſen, wo zwei Propheten aus dem 
Delphinat und Viparaig. im Jahre 1089 ihre Prophe⸗ 
jeihungen foxtzuſetzen verſuchtenn. 2 nu .. 
Diefe Propheten hatten im Delpdtnate Hd: Viva⸗ 
ra is Volks s Aufläufe veranlagt, welche von 'Dam Gene⸗ 
rat » Lieutettant. von Binodkfe, “und. ‚Dem Inendanten der 
Provinz— Herrn von Basville gedaͤmpft wurden 
Das · Feuer dieſer: Schwuͤrmerei wurde "jene nicht ges 
—* ſondern glenute im Gehen fort u“ d mabrte Bei 
Ska de Bra waaımn 
9 Ein-Beepzu Senf: ——8* 1689: ——— reife 
: gleusasiT.! ip: aba, grchrer Ba, Sour 1. 


- 


/ 


. Gamifarhes: er. 368 


Sn 


den Cal oiniften % Hoffnung . Dee. REN ihrer 
Sekte. Die Bewohner dieſer Provinzen waren : meift ‚Pros, 
teftanten,. roh erzogen und ‚genährt. Die Idee gaͤttlicher. 
Eingebungen fpuckte immerdar im-ibpin.: Köpfen, worin fe 
durch die Einfamfeit, ihre Lebensart; wohl auch durch die: 
ruͤchſichtsloſe Haͤrte der Katholiken gegen fie, noch moehr bes 
ſtaͤrkt wurden; dergeſtalt, daß in dieſen Gegenden Enthu⸗. 
ſiasmus und, Schwaͤrmerel nur eine ſchickliche; Veraulaſſung 
‚erwarteten, um zu Thaͤtlichkeiten uͤberzugehen.“ Dag angebs, 
liche oder wirkliche Unvermägen, die Kopffteuer gu eutriche * 
ten, war die Urſache oder Gelegenheit, wodurch die Schwärs. 
merei und dag Mißvergnuͤgen dieſer Leute ſich Luft machte; 
fie empoͤrten ſich, und alsbald erſchienen die Propheten auf 
der Buͤhne. Die mit Frankreich im Kriege begriffenen 
Mächte unterſtuͤtzten die Meuterer, und Languedok 
wurde der Schaͤuplatz eines der graufamften und furchtbar, 
ſten Buͤrgerkriege, die man je gefehen bat. 


Dieſe neuen Propheten waren die Cami ſarden, bie, 
ſich zu geſchwornen Feinden von Lilem, was den: Namen, 
katholiſch trug, aufwarfen, und dieſes ſogar zu ihre. 
erſten Glaubens⸗Artikel machten, in der Ueberzeugung: daß, 
fie durch) Ermordung der Priefter und Eindfcherung der Kir⸗ 
chen fich bei ‚Gott Verdienſte fammelten:- mit. dieſen Graͤu⸗ 
eln verbanden ſie bad. en der en ’ PACK: und! | 
Gebete. — 


Der Aufruhr der — rden wurde erſ 1709 ge⸗ 
ſteut. Man kann in der Geſchichte der Schwärme⸗ 
reien unſerer Zeit von Bruͤe vs alle Ausſchweifungen 
dieſer Empoͤrung ausführlicher lefen. Bei 


Am Jahre 1706 famen drei Camt farden Propheten, 
waren Rage, und Cavalier nad) England, wo fie, 
prophegeiten: Mur iom, dee die Hauptrolle fpielte, war ernſt⸗ 
haft: fein treues Gedaͤchtniß befaͤhigte ihn, große Rollen 
zu. fernen und gi ſpielen; Cavabfet, der jaͤngſte und mun⸗ 
terſte·, war Da, Wr 8 af bloße Foͤrpersgewandtheif ans 
fam, befonders glücklich; weniger gefeßt ald Marion, 
fonnte er fih zumeilen am. Ende feinen Begeiſterung dei’ 


⸗ 


364: Eamtfarben.: " Ehrpocratet, 


Lachens nicht enthalten: Fage war ein geiſloſer Menſch. 
Sobald ſte im Eondon zu prophezeien angefangen haften, 
nahm fie Fatto, ein Mitglied "der koͤnigl. Societät von 
London, und berühmter Mafpemofifer unter ſeinen Schutz 
und ward ihr Dolmetſcher. 
Marivoms Prophezelhungen wurden gedruckt; fie ent⸗ 
halten nichts als Schmaͤhungen gegen das Verderbniß der 


Zeit, der Köche, und ihrer Diener; Drohungen gegen 


Ä England, London u. d. gl. 

Die Camtſarden fanden bald ſe giele. Unhänger, daß 
die Regierung aufmerkſam gemacht, ſie ergreifen ließ, bei 
mehrmäligem Verhoͤr geſtand Fage, daß er. lediglich aus 
Antrieb des bi. Geiſtes ‚mehrere Menſchen getoͤdtet habe, 
| "auch wiirde er feinen Anftand. genommen haben, feinen: eis 

genen Vater zu tödfen, wenn er hiezu Befehl erhalten haͤtte. 
Die Propheten mit ihrem Seckretaͤre Fatio wurden 
zu einer Gelvftrafe von 20 Mark veruttheilt, und auf 
vem Plage Charrin⸗ Groffe an den - Pränger geſtellt, 
ben ten Dejember" 1707 : (Steh Clavis Proph. von 
Marion. Dad Journal ‚des Sayans 1707; und la Re- 
pub. ‚des Lettres.) ' 


Coarpocrates 9 gnoſtiſcher getlehrer aus iera ns 
drien ‚lebte um die Zeit des Baftlides und Saturnin. 
Wie fie, ſchrieb er den Urſprung der Welt Engeln zu, und 
war allen Träumergien der Magie ‚ergeben; jedech unters 
nahm gr es, die. Entffehung des Uebeld, die Klippe an. der- 
bie ſchwache Vernunft faſt aller Haͤretiker dieſes Jahrhun⸗ 
derts ſcheiderte, auf eine einfachere Weiſe zu erklaͤren. 


Bei, den — ſcheint er die — dieſer wich⸗ 


vor 4. 


unterwerfen. 


Nach ſatonlſthen vihre "Bam A, Wr die: menſch⸗ 
che, Seele in. den Körper verbannt wurde, weil ne. Son 


2 1* ⸗ Tor, u e' 125 3’ ‚ 
u , 


8 ish EEE Er 


\ 


beigeffen Hatte? ihrer urſptuͤnglichen Worde entſunden, hatte 


fie das Vorrecht seiner. Geiſter verloren, und, ward auf die 
Koͤrperwelt verfegt, die den Engeln, deren Schoͤpfern, unter⸗ 


than war. Alle Erfenntniffe, mit welchen die Seelen in 


ihrem Urſtande ausgeruͤſtet waren, waren verſchwinden 


welches nunmehr der Grund der Unwiſſenheit iſt, in wel⸗ 
cher alle Menſchen ‚geboren werden: die ſchwachen Einſich⸗ 
ten, gu denen fie ſich mit fo vieler Anſtrengung emporar 


Karpotrateh " 385 


. beiten, find nach Carpoc rates, Kai alg Nlkerinner 


zungen: 


“weniger, als die übrigen, Soft, vergeffen hatte, konnte mit 


mehr Leichtigfeit fich. dee Unmiffenheit, morein. die Suͤnde 


die Menfchen geſtuͤrzt hatte, entwinden: ſeine Beſtrebungen 
hiezu erwarben Ihm die befondere. Gunft des hoͤchſten We⸗ 
fens, ‚und Gort crtheilte Ihm die Kraft, den. Engeln u 


widerſtehen und ihrer ntgegentwirfung ungeachtet, fie) in 


den Himmel, zurückzuerbeben., 


Ehen diefe Gnade gibt auch Gott genen, welche Jeſu 


nachahmen, und auerkennen: daß fie unendlich uͤber die 


Koͤrperwelt erhabene Geiſter ſind. Mit dieſer Erkenntniß 


erhebt ſich der Menſch über. die Schwaͤchen ſeiner Natur; 
ſein Koͤrper kann zwar beunruhiget werden, jedoch ohne zu 


Die Seel⸗ Sei Chriki, de: in: dem andern Beben 


-. 


leiden; Die Einwirkungen, fremder, Gegenftähbe auf feine 


Organe machen ihit nicht abhängig; er duldet Öhne Schwach 
heit; in Mitte finnlicher Genüffe bleibt er ſich gleich, weil 
fie ihm nur für Regungen: des irrdiſchen Stoffes gelten, bie 
ber Beifl, überzeugt. von feiner Größe, fieht, ohne davon 
abhängig ju ſetzn. Bei allen Ereigniffen, die die. Menfchen 


— 


— Engel gegen ſoiche Menſchen? 


— In diefer Anerkennung feiiter Wuͤrde beſteht die Voll⸗ 


beunruhigen, unerſchuͤtterlich wie ein Fels gegen den An⸗ 
drang der Wogen — was vermoͤgen die weltſchaffenden 


kommenheit des Menſchen. Feſus Chriſtus hatte nichts 


zum Voraus, Ale, fönnen, es Ihm nachthun; ja felbft Ihm 
gleich werden, und die Herrlichteit verdienen, deren Er ſich 
‚erfreuen 


3866 Carpocrales. 

Dieſen Begriffen zu Folge ſahen Bie Carpocratlaner | 
in den koͤrperlichen Handlungen, weder etwas Gutes noch 
Boͤſes, Temparament oder Erziehung enffchied allein. über 
das fttliche Verhalten; welches gewoͤhnlich ſehr fchlecht war, 
wie dieſes bei allen Sekten der Salt iſt, welche Beine ans 
dere Eittenlehre befiten. 

Es gab Carpocratianer, welche die unehrbarſten 
Vergnuͤgen wie einen gewiſſen, den Engeln ſchuldigen, Tris 
but anfahen, den die Seele ihnen entrichten müßte, um 
zur urfprünglichen Freiheit zuruͤck zu gelangen; hierdurch wur⸗ 
den die ehrloſeſten Thaten zu Tugendhandlungen erhoben. 
ESie gaben vor, ſich hierin an eine Stelle des Evangeliums 
zu halten, wo es heißt: Werteage dich. mit deinem Gegner, 
wenn du noch auf dem. Wege mit ihm bift, ſonſt möchte er 
dich dem Nichter und’ diefer- dem: Gerichtsdiener übergeben, 
um dich in's Gefaͤngniß zu werfen: Wahrlich du wirſt nicht 

Ketommen, bie du auch den legten Heller besahlt Haft. 

‚ Diefe Sectirer betrachteten die fchöpferifchen Engel als 
Feinde/ deren Vergnuͤgen es war, wenn fie Die Menſchen 
ſinnlichen Ergoͤtzungen nachgehen, und. ſich ihnen uͤberlaſſen 
ſahen. Am ſich Die Muͤhe ihren Nachſtellungen zu eutseben 

ar exſparen, ergaben fie ſich allen Luͤſen. ‚ 


. Die Carpoctatfaner haften ihre Vejauderungen, 
Geheimniſſe und Magie, wie alle Secten, welche die Ent⸗ 
ſtehung der Welt, und die Ereigniſſe, wobei die Menſchen 
betheiliget ſind, Genien zuſchreiben, welche allen menſchli⸗ 
chen Leidenſchaften und Schwachheiten unterworfen find. 
Ihre Anhaͤnger wurden an dem Ohre gezeichnet: ſie hatten 
den Unwillen der Heiden erregt, und viele Verlaͤumdungen 
gegen die Ehriſten veranlaßt, welche erſtere mit dieſen Ser, 
tirern verwechfelten. 1) ’ 





P\ 


1) Dan ſehe Clem: Alex. L. 5. Stkor, 2 312. Philästr. 
de Hacres. Iraen. L. 1, C. 2. "Enseb L. 4 L. 7.. 
Hist: Eccles, Epiph. Haer. 27!: nn J 





” 


l 
\ 


Cecus Acqkban Cerdon. 3 
Cecus Aoculan, ) Sterndeuter des Herzogs von 


Kalabrien, behauptete: in den Himmelsraͤumen erzeugten ſich 
boͤſe Geifter, Die man vermoͤge des Standes der. Geftirne 


gegen einander zu Hervorbringung numberbarer Dinge win 
gen koͤnne, und verficherte, die Sterne legten. den Körpern 
und Geiftern auf der Erde eine unnermeibliche Nothwendig⸗ 


keit auf: ſolcher Geſtalt fey Jeſus nur deßhalb det ge⸗ 


weſen, und, eines ſchmaͤhlichen Todes geflorkenl, weil Er 
unfer einer Conſtellation, die ſolches nothwendig ermwirfen 
mußte, zur Welt gekommen waͤre: der Antichriſt dagegen 
wuͤrde reich und maͤchtig ſeyn, weil er unter der entgegen⸗ 
geſetzten Einwirkung der Geſtirne geboren werden wuͤrde. 


Dieſer Sterndeuter wurde 1327 verbrannt. ( Dapin. B Bibl. 14 | 


Je Spondan. ad ann. 1327.):. 


Cerdon. +) ein Syr er. von Geburt, hatte Au⸗ 
fangs die Grundſaͤtze Simon's und Saturnin's ſich 
angeeignet; er erkannte, gleich ihnen das Daſeyn eines hoͤch⸗ 
ſten Weſens, welches minder vollkommene Geiſter hervorge⸗ 
bracht habe; dieſe, wie der Vater aller Dinge, fruchtbaren 
Geiſter hatten ſi ch in unzaͤhligen verſchiedenen Zeugungen 
fortgepflanzt, deren immmer abnehmende Macht die Welt 
geſtaltet hatte , und alle Erſcheinungen auf der Erde hervor⸗ 
brachte. | 

So fand man, aufſteigend von den Wirkungen au den | 
Urfachen im hoͤchſten Wefen die Grundurfache von Allem. 

‚Wären Die Erfcheinungen, die die ‚Welt. ung zeigt, 
nichts, als Verſetzung der Materie, Iufammenfloß der Koͤr⸗ 
per, Bewegungen, fo begriffe man leicht, daß die Aus⸗ 


- Rüffe von der erften Urfache, Genien „ oder bewegende Kraͤf⸗ 


te, Alles in der Welt hervorbraͤchten; allein es ‚giebt auch 


in derfelben geiflige MWefen, die ein trauriges, geplagtes 
und ungluͤckliches Daſeyn haben. Weiter, da das hoͤchſte 
Weſen ein unendlich volltommener, weiſer und gutiger Geiſt 


1 


*) zates Jahehundert. = 


368 1; 7° n 
iſt, wie ſoͤllte man in dieſem ben Urheber ber Uebel; die die 
Menſchen befallen, auffuchen? 
BSimon und Satuenin fahen Alles hieſer wohl ein, 
ohne die Schwierigkeit ‘zu achten, mie. das Daſeyn boͤſer 
Geiſtet mit dem: Syſteme, welches Alles auf dem Wege der 
Ausfluͤſſe von dem: hoͤchſten Weſen herkommen jap, au vers 
einbaren ſey. 


Cordon gewährte‘ bie ſchwache Seite Saturnin’s; 
und glaubte, dag er, Simon, und ale Anhänger ded 
Emanation’d  Snftem’8 Yeirrt haben indem fie das hoͤchſte 
Weſen zum Urkeber von Allem: machten: Seiner Meinung 
nach mußte. man in der Nafur zwei Grundweſen, ein gutes 
und ein boͤſes annehmen: denn da es; mehr und weniger 
vermögende, böfe Geiſter gäbe, fo müßte man, bei'm Zu⸗ 
ruͤckgehen zu dem Urſprunge nothwendig auf eine Urſache 
kommen, worin man den erſten Keim des Uebels, der ſich 


in der Zeiten⸗Folge eniwickelt, auffindet, welches aber im 


Widerſpruche mit der Natur des hoͤchſten Weſens ſtuͤnde. 
Wirtlich nahm ſich, nah Simon's und Satur—⸗ 
nin's Lehre, das hoͤchſte Weſen, welches fie als den Er⸗ 
zeuger aller Dinge anſahen, des Looſes der Menſchen ſo 
ſehr an, daß es ſeinen einigen Sohn ſchickte, das Reich der 
boͤſen Daͤmonen zu zerſtoͤren. Das hoͤchſte Weſen, welches 
fuͤr den Urheber und die Urſache aller Dinge galt, haßte 
ſphin die boͤſen Geiſter, dieſes vorausgeſetzt, wie Mech es 
ſolche beſtehen, wenn eg fie zernichten konnte; wie konnke 
es ihre verderblichen Einwirkungen geſtatten, wenn ihr Da⸗ 
ſeyn und ihre Macht nicht unabhängig bon ihm wire? 
Man mußte daher, nah Cerdon zwei, nothwendig 
unabhaͤngige Grundweſen in der Welt annehmen, ein gutes, 


welches die guten, und ein boͤſes, das die voͤſen Geiſter 


hervorgebracht hat. 
Cerdon, welcher die Natur bloß unter bein Geſichts⸗ 


punkte der Beziehungen; ſo ihre Erſcheinungen auf dad 


Schickſal der Menfchen haben, betrachtet hatte, glaubte in 
dieſen zwei Grundweſen den Grund und die Erklärung vor 
Allem, was man von den mancherlei Verhältniffen des Mens 


- 


- — — —— 


* 4 


ſchengeſchlechts erzaͤhlte, gefunden zu haben; denn bierauf 
nahmen faft: alle Lehrgebäude, die man bisher erfunden 
hatte, ihren Hanptbesug. = 

Da nun dag Gute ſowohl ald das Boͤſe ihre von eis 
nander verſchiedene Grundurſachen hatten, fo kam alles 
Gute von dem guten’, wie alles Boͤſe von dem boͤſen Ur⸗ 


weſen. Die des Vergnuͤgens faͤhigen und unablaͤßig dem 


Wohlbefinden entgegenſtrebenden Geiſter waren dag Werk 
des wohlthaͤtigen Urgeiſtes, der Körper hingegen, mit mels 
chem die menfchlihe Eeele verbunden ift, und der fie auf 
taufenderlei Weiſe beunruhiget, dag Erzeugniß eines übels 
wollenden Princip’s. | | 


Aunch das jübifche Geſetz erſchien dem Cer don bioß als ei⸗ 


ne Anhaͤufung beſchwerlicher und muͤhſamer Uebungen, welche 


nur von einem bösartigen Weſen angeordiret ſehn konnten. 
Ein ſolches hatte dieſem Volke die grauſamen Kriege, die 
es gegen Palaͤſtina's Voͤlker fuͤhrte, 
Juden, ſagt bei Jſaias: Ich bin es, der dag Uebel 
erſchafft. 


Im Chriſtenthume dagegen athmet alles Wohlwollen, 
Nachficht, Güte und Barmherzigkeit; mithin war das Ges 


feß ‚der Chrifteg Das Werk eines - guten Grundweſens, und 
Chriſtus, der ed verfündigte, wahrhaft deſſen Sohn. 
.; Diefes mohlwollende Wefen hafte feinen Sohn den 


Leiden der Menſchheit nicht bloßgeſtellt; feine Güte ‘geftats 


tete dieſes nicht. Zur Belehrung der-Menfchen war eg bins 
reichend, daß Er nuf einen Echeinleib annahm, und die Wirk 


lichkeit der Leiden Jeſu wäre nur ein Schauſpiel gewefen, 
weiches das gute Urweſen fich felbft gegeben hätte, und dies 
ſes wiverfpricht ſeiner Natur. 1.. U 5 


Cerdon. 369 


befohlen: der Gott der 


Cerdon, eingenommen für dieſe Vorfiellimgen, ver 


warf dag alte Teflament, und nahm von dem Neuen nur 


1 
f —— — 
‘ 
r 
r — 


1) Iraen. L 1. C. 28, 37. L.3, C. 4. Tertul. d$ praes- 


. sefipt. C. 5ı. Philastr. de Haer. C. 44. Epiphdn. Hier. 


41. Aug. de Haer. C. aı. Theodor. Haer; Fab. L. ı, 


C. 24 j 
Kenenz Eeriton. I . 24 


! 
370 Cerdon. Cerinthus. 


das Evangelium von Lukas, und auch dieſes nicht ganz an, 
auch laͤugnete er die Auferſtehung der Todten. 

Cerdon kehrte zur Kirche zuruͤck, ſagt der heil. Ire⸗ 
naͤus, bat um Verzeihung fuͤr ſeine Irrthuͤmer, und brachte 
ſo einige Zeit hin, indem er die Ketzerei, die er abgeſchwo⸗ 
ren hatte, bald heimlich wieder lehrte, bald von Neuem 
abſchwur, bald des Beharrens im Irrthume uͤberfuͤhrt, aus 
der Gemeinſchaft der Gläubigen vom Pabſte Hyginus aus⸗ 
geſchloſſen wurde. Er hatte Marcion zum Schuͤler, der 
ſelbſt ein Secten⸗ Haͤuptling wurde. Man kann, wenn man 
den Artikel: Marcion nachſchlagen will, die verſchiedenen 
Geftalten feben, welche Cerdon's Irrlehre nahm. : Diefe 
Verkettung der menfchlichen Verirrungen iſt das hauptfaͤch⸗ 
lich Anziehende in der Geſchichte. 


Cerinthuͤs oder Kerinthos *) ein Jude von An⸗ 
tiodhien, der fich ſehr mit Philoſophie abgab. Zu der Apo⸗ 
fiel Zeiten war er in Jeruſalem. 

Die damals im Morgenlande herrſchende Philoſophie 
war eine Verſchmelzung der chaldaͤiſchen Lehrſaͤtze mit Pytha⸗ 
goraͤiſchen und Platoniſchen Ideen. Man nahm ein hoͤchſtes 
‚ Wefen an, welches Genien und Mächte erzeugte, die fähig 
waren, mieder andere Genien und Geifter hervorzubringen : 
man bevslferte die Welt damit, und überall, wenn man efs 
was erklaͤren wollte, kam ein Gott ex Machina zu Vor⸗ 
ſcheine. a 

Cerinth vereinfachte diefe Philofopheme, um fie auf 
die Gefchichte der Welt anzuwenden: er nahm ein höchftes 
Weſen, als Urauelle alles Daſeyns an, welches Geiſter, 
Mächte oder Genien mit verfchiedenen Stufen von Vollfoms 
menbeit ‚erzeugt hatte. Unter diefen Erzeugniffen befand ſich 
eine gewiſſe Macht oder Kraft, dem hoͤchſten Wefen an 
Vollkommenheit unendlich nachſtehend, und - gewiffermaßen 
in unermeßlichen Räumen von demfelben entfernt, und nich 
einmal den Urheber ihres Seyns erkennend: wahrfcheinlich 
war dieſes die letzte Zeugung des Urweſens, eine Art von 





*) Iſtes Jahrhundert. 


4 


\ J Cerinthus. J .. 971 


bewegenber Kraft, ober bildender Form faͤhig ‚.die Materie 
zu ordnen, und eine Welt zu geftalten. 1). . 

Lluſſer diefer Macht waren mit unferer Welt die irdi⸗ 
{chen Engel oder Genien entſproſſen, die die’ Meltbeherrs 
(hung und Regierung der Menſchen an. fich geriffen hatten. 
Einer diefer Genien hatte die Geſetze der Juden erlaffen. 


- Hiermit glaubte Cerinth die ganze Geſchichte dieſer Na⸗ 


tion erklaͤren zu koͤnnen. 
Jeſus Chriſtus verſicherte: Er ſey gekommen dag 


Geſetz abzuſchaffen, und die Menſchen der Gewalt der bis . 


ßen Engel zu entreißen; feine, Sendung bewieß Cr durch 


Wunder, welche die- Apoftel bezeugten, und thr Zeugniß 
ſelbſt durch Wunder bethaͤtigten. | 


Cerinth war diefemnad) genoͤthiget, anzunehmen: daß 


das hochſte Weſen ſich wirklich der Menſchen annehme, und 


ſeinen einzigen Sohn Jeſus Chriſtu s, zu deren Beleb⸗ 


rung und Erloͤſung geſchickt habe. 


Allein wie iſt es zu begreifen, daß der einzige Sohn 
bes hoͤchſten Weſens, der die Völle ber Gottheit in ſich 
hatte, aus Maria geboren ſey? Nichte war: den’ Philoſophe⸗ 
men Cerinth's mehr entgegen; ihm kam es ungereimt 
vor, zu ſagen: Der einzige Sohn der Gottheit ſey geboren 


| worden, habe gelitten. 


Inzwiſchen hatte Jeſus verfichert, Er ſey Chriſtus, 
Gottes Sohn, Um dieſen Widerſpruch zu heben, ſagte 


Cerinth: Jeſus iſt gezeugt von Joſeph und Maria, 


wie andere Menſchen, ragte aber in Weisheit und Gerech⸗ 


— tigkeit über ale hervor; bei feiner Taufe flieg ber Chris 


ſtus oder der einzige Sohn Gottes in, Beftalt einer Taube 
auf Ihn herab; offenbarte Ihm feinen Mater, der - bisher 
noch unbekannt war, und Hierdurch machte Er Ihn auch den 
Menfchen bekannt. Durch Kraft des innetwohnenden Chris 
Rus wirkte Jefus feine Wunder, Als Er nachher. bon den 


% 





J 1a) an > eg 5 
‘ı) Theudor. Hist. 42, Con —R& 23, L. 
3, C. 11. Epiph. „klaes: 28. .44 PER: “ 2 | 

| 24 * 


* 


372 Cerinthuẽ. 


Juden verfolgt, und Henkers-Haͤnden uͤberliefert wurde, 


erennte fih Chriſſtus von-Jhm, und fehrte zum Water zus 

rück ohne zu leiden, — Jeſus aber wurde gekreuziget, 

ſtarb und ſtand wieder auf. 1). 
Cerinth ſchrieb zu Gunſten ſeiner Lehre Offenbarun⸗ 


gen, die er angeblich von einem Engel erhalten hatte: er 


ertannte die Nothwendigkeit der Taufe; um felig zu wers 


den, und glaubte, daß man nad) Erſtehung von dem Tode 


x 


genießen werde 2). | 
Wir wollen über Cerinth's Irrlehre einige Bemer⸗ 
kungen machen: | 
Ateng Cerinthus war ein großer Feind, und hefti⸗ 
ger Gegner der Lehre der Apoftel: ‚ale ihr Zeifgenofie mar 


taufend Fahre lang auf. Erben alle finnlihe Vergnuͤgungen 


“er im ‚Stande, fie des Betruges zu zeihen, wenn fie ſich 


folchen bätten ‚gu Sphulden fommen Jaffen: demungeachtet 
gab er zu, daß Jeſ us Wunder gethban habe; diefe hatten 
fohin damals einen Grad von Gewißheit und Augenfäligs 
feit; der ihre Wahrheit anzuflreiten nicht geſtattete. 

 Itend Um mit dem Stande der Erniedrigung, in welcher 
Jefus erfchien, ‚die Vollfommenheiten des einigen Gottes 


Sohnes zu vereinbaren, nahm Cexinth in, ihm zwei vers 
-fchiedene Wefen an, Jeſus, den Sohn Marien’g, und 


den,. dem Himmel entfliegenen, ‚Chrifius: mithin iſt es 
offenbar, daß Jeſus gelehrt hat, er fey der eingeborne 
Sohn ded Vaters, und dag Er diefe. Lehre durch Wunder 
befräftiget hat, fo daß Cerinth weder ber Lehre, noch 
den. Wundern etwas anhaben konnte, weil er zu ers 
Hären verfuchte, wie Jeſus der eingeborne Sohn Got⸗ 


tes ſey. | 


Ztens. Die Apoſtel ſchloſſen Cerinth aus der Kirchen⸗ 


gemeinſchaft und betrachteten thn als einen Verkaͤlſcher ber 





1) Iran. L. 1, C. 26. Epiph. -Haer. 28. Aug. de Haer. 
OD: 8: Text. de.praeseript. AG oO. 
eg) Euseb. Hist. eoeles. L. 5..C. 28.4: 


/ 


‘ 





u Cerinthus. Chaldder. 373 


Lehre Jeſu; folglich fah man die Gottheit Jeſu zu Zeiten 
der Apoſtel für eine Grundlehre des Chriftenthum’s an, 
was auch dagegen die Socinianer, und nach ihnen Bu 
Ey, Loke u. a. ſagen moͤgen 1). 
Chaldaͤer *) oder Neftorianer Syrien's. Die - 
ſen Namen legte man den morgenlaͤndiſchen Neftos 
rianern bei, um fie von den abendlaͤndiſchen zu unters 

ſcheiden, die im römifchen Reiche nur bis zum flebenten 
Jahrhunderte beſtanden. 

‘Der Usfprung des Neſtorianismus bei den Chals 
daͤern geht bis zur Zeit des Neſtorius felbft hinauf. 
Diefer Patriarch von Conftantinopgel, von ben Dis, 
fchöfen des Abendlandes im Concilium von Ephefug vers 
dammt, und feines Stuhles entfeßt; ward losgeſprochen 
und beſchuͤtzt von den Bifchöfen des Morgenlandes, welche 
den bl. Cyrillus entfegten, und feinen Anathematismen 
oder Schriften gegen Neflorius das Verdammungg Urs 

Rtheil fprahen. Alle morgenlaͤndiſche Kirchen, unter andern 
jene von Edeſſa, folgten dem Ausſpruche des Johann von 
Antiochien und jener Biſchoͤfe, welche ven bl. Cyrill vere 
damint und den Frieden mit Ne ſto rius beibehalten batten. 


Zu Edeſ f a beſtand eine Chriſten⸗Schule zum unterrichte 
der Perſer, deren Schuͤler man einen heftigen Haß gegen 
Cyrill, und guͤnſtige Gefinnungen-für Neſtorius und 
‚feine Lehre einfloͤßte: ſeine urd des Theodor von Mops⸗ 
veftia Werke, worin Erſterer das Gift feiner Irrlehre 
ausgegoſſen hatte, wurden daſelbſt vorgeleſen. 


„Ibas ſelbſt Hatte durch feinen Brief an Maris uns 
ter die Perfer den Saamen oder Schein des Neſt ori a⸗ 
nismus ausgeſtreut. 


1) Bury Cluistianisme end. Loke das vernünftige Epri, 
ſtentzum. Diefe Jrrthuͤmer And in dem Artilel. Ariane 
ner widerlegt. 

) stes Jahrhundert. 


374 Chaldaͤer. 


Rabulas, Biſchof von Edefſa verſoͤhnte ſich mit dem 


‚Hl. Cyrillus, und vertrieb alle dem. Neſtorfus ergebene 


Perſer aus Edeſſa. Barſumas, einer dieſer vertriebenen 
Perſer, ward Biſchof von Niſ ibis in Perſien, und faßte 


den Entſchluß, den Neſtorianis mus daſelbſt zu gruͤnden. 


Zwiſchen den Koͤnigen von Perfien und den roͤmiſchen Kai⸗ 
fern herrfchte ein angeerbter Haß und graͤnzenloſes Miß⸗ 
frauen, Alles was man in einem dieſer beiden Reiche guts 
hieß, mar gehäßig oder verbächtig in. dem andern, und 


dieſer gegenfeitige Abfchen mar zuweilen den roͤmiſchen Rats 


fern oder perfifchen Koͤnigen ſchon hinreichender Beweggrund, 


eine Parthei zu beguͤnſtigen oder zu verfolgen, 


Barfumas wußte diefe Stimmung ſehr gefchicht zu 
benügen, die Katholifen bei Pheroſus, dem damaligen: 
Beherrfcher Perfiens verbächtig und‘ verhaßt zu wachen. 
„Beherrſcher! .fagte diefer dem Könige, „Du baft viele 


„Chriſten in Deinen Staaten, welche den Römern und ſelbſt 


‚ihrem Kaifer ſehr zugethan find. Ihre Anhaͤnglichkeit 


| „an diefe bat Die Meligion. zur Quelle. Ihre Liebe für 


„Fuͤrſt und Vaterland iſt nichts im Vergleiche mit den Eins 


„verſtaͤndniſſen, welche bie Meligion bildet, und dem. ‚Bande, 


„das ein gemeinfamer Glaube knuͤpft. Die Chriften_Deiner 
„Länder find daher Fremde ver Roͤmer, ihre Späher und un⸗ 
„ſere Feinde. Alle wuͤnſchen fie unter einem Fuͤrſten zu le⸗ 


ben, ber eines Glaubens mit ihnen iſt; willſt Du Dich ih⸗ 


„ren Treue verſichern, allen Verband zwiſchen ihnen und den 


„Römern abſchneiden, und Deinen chriſtlichen unterthanen ei⸗ 


„nen unverſoͤhnlichen Haß gegen die Feinde Deiner Macht 'ein⸗ 
„flößen, fo ſtreue Religions⸗Spaltungen unter ihnen aus, 
„laß alle Chriſten Deines Reiches Neſtorianer werben, 
„und ſicher wirft Du von dieſen Unterthanen weber Treu⸗ 
„loſigkeit noch Abfall zu den Römern zu fuͤrchten haben? 

„Die Neftorianer find den perfifchen Koͤnigen ganz beſon⸗ 
„ders zugethan; biefer Punkt ihrer Lehre regte vorzüglich Den 
ned der Römer gegen fe af, und war bie Arſache der 

Fe Dr 
m 


. 
⸗⸗ 


aA 


Chaldder. 375 


„unmenſchlichen Verfolgungen, welche die Kaiſer über ale 


„Neſtorianer ihres Reiches verhänzt haben.” 1). - 


Pheroſus entzuͤckt von dem Vorſchlage des Barfı us 
mag, verfprach ihm alle Unterflügung. 


Der Biſchof von Niſibis wählte einige Biſchoͤfe und | 


feine ‚ehemaligen Studien s Genoffen zu Gefährden feineg 
Unternehmens, hielt Concilien, bewirkte die Annahme deg 
Neftorianismug, traf mit der Kirchenzuicht alle Abaͤn⸗ 


derungen, fo dem Perfer > Könige gefallen, Die Ungebuns 
denheit begünftigen, und die Geiftlichfeit auf feine Seite 


bringen konnten. Man geflattete den Mönchen, NPrieftern 
und niederen Geifllichen fich zit fiebenmal zu verehelichen, 
doch fo, daß das fiebentemal fie nur eine Wittwe ehelicdyen 


koͤnnten, welche nur als eine halbe Fran angeſehen / wurde. 2). 


Barſumas fand Abſtand, und viele Chriften fleif auf 
- die Lehre des Concils von Epheſus beharrend, und ers 


hielt deßhalb von dem Könige eine zahlreiche bewaffnete Bes 
deckung, womit er aller Orts Schredien und Zerſtoͤrung 


verbreitete; er ſchonte weder Biſchoͤfe, weder Prieſter und 
Mönche, noh der Gläubigen aus dem Laienſtande, wenn ſie 


fich feiner Lehre zu fügen meigerten: mehr als fiebentaufend j 


Ehriften verloren bei Barfumas furdtbarer Sendung das 
geben; Unzaͤhlige ergriffen die Flucht, umd verließen ihre 
Kirchen fammt ihrem Waterlande. 3). Alle Kirchenſtellen 


der Provinzen, die er durchzog, wurden mit den Creaturen 


des Vaͤthelich's befegf, " 
Nachdem Barſumas durch Mord und Gewalt wie 


durch Umfturz der. Kirchenzucht den Neſtorianismus 


eingeführt hatte, errichtete er Schulen zum Unterrichte in 


| dieſer Irrlehre 1 und ſtarb. 


adr 
+ 





| 1) Asserrann. Bibl. Drient, T. 1. p. 351, T. 2. p. 405. 
T. 3, p. 68. ibidem part. 2.0.3. |. 2. C. 4. C..7: 


2) Assemann. T. 2. part, 2. C. 6... 


R\ 


- 3) Derfelbe ibidem part. 7, p- 393. part. 2, C. 4. ' 


N 


J 


— 


na wen 


376 Chaldder. 


Die Neſtorianer ſahen ſich nach einem andern An⸗ 
fuͤhrer um, und ſetzten Babaͤus auf den Stuhl von Se— 
leucien. 


Babaͤns war ein verehelichter Laie, ſchon bei Jah⸗ 
ren und hatte Kinder. Die Beſteigung des biſchoͤflichen 
Stuhles machte er durch ein Concilium bemerklech, worin 
den Prieſtern, und in der Welt lebenden Glaͤubigen die 


WVerbindlichkeit aufgelegt würde, ſich zu verehelichen; daſſelbe 


beſtaͤttigte die Lehre des Neſtorius, und genehmigte Als 
les, was Barſumas angeordnet hatte. 


Bald erſchien ein Schwarm von Schriften zur Rechts | 
fertigung der Ne foriani (chen Irrlehre, und des Veneb⸗ 
mens ihrer erſten Apoſtel in Perſien. 


Die Zeit, Betrug, Sophismen, Frechheit, Raͤnke und 
das Anſehen der Neſtorianer umwoͤlkten die Wahrheit, 
beſetzten alle biſchoͤlichen Stühle mit Perſonen von ihrer 
Parthei, und der Neſtorianis mus breitete ſich, uͤber Sy⸗ 
rien, Meſopotamien, Chaldaͤen, und uͤber das ganze 
Reich des Chosroes aus, der dieſe Sekte duͤldete und 


alle Katholiken, die fich nicht zu derſelben befennen wollten, 


graufam verfolgte. Der nämlichen Gunſt hatten ſich Die. 
Neſtorianer unter den Nachfolgern dieſes Monarchen iu 
erfreuen, fo daß fie fih in allen Kirchen, die fie inne hats : 
ten, gaͤnzlich feftfegten. Unter Muhamed's, Dmar’g 

und der Califen Herrſchaft, welche dem roͤmiſchen Meiche 


‚mehrere Provinzen entriffen, waren fe nich mehr minder ” 


mächtig. ö 
Um die Mitte des fiebenten Sabrbunderte Hatte ſich 
der Neſtorianismus nach Arabſen, Aegypten, Me⸗ 
dien, Lactrianien, Hircanjien und Indien erſtreckt. 
Die Neſtorianer ſtifteten Kirchen ii’ allen Laͤndern, fchids ' 
ten Bifchdfe und Miffiondre in bie große Tartarei, 


| drangen bie nad) China vor, umd dehnten fid) längs der 
ganzen Käfe von Malabar aus. 2. 


1) Assemann. T. 2. part. 2. p. 410. 


\ 


. Ehaldder. 0877. 


Derfien’s Biſchoͤfe waren den Patriarchen von Uns 
tiochien untergeordnet; die Chaldder oder Neſtoria— 
mer gaben ſich nach ihrer Spaltung einen Patriarchen, defs 
fen Gerichtöbarkeit: über alle chriſtliche Kirchen der uners 
meßlichen Länder, wo diefe Secte Fuß gefaßt hatte, aus⸗ 
gedehnt war. | | 
Als die Tartaren den Thron der Califen umſtuͤrz⸗ 

ten, geſtatteten fie den Chriſten Freie Religions⸗Uebung, 
und dem Neſtorianis mus verblieben alle feine Vorzüge 
. unter der Regierung der Tartaren. 

Seit der Verdrängung der Tartaren durch die Tur— 
fen haben. fich die Neftorianer im Sprien, Chals 
dien und Perfien. erhalten , doc aber: viche Kirchen vers 
loren. Die Ummälzungen , die in den Morgenkändern durch 
die Sriege dee Sarazenen, die Einfälle der Tarstaren, 
und ie Eroberungen der Türken nach und nach vorgins 
gen, gerfiscten ihre Schulen, umterbrachen die Verbindung 
des Patriarchen mit den ihm unferworfepen Kirchen, fpals 
- teten alle Neſtoria ner des Orients in vereinzelte Vereine, 
verfaͤlſchten ihre Lehrſaͤtze, und veraͤnderten ihre wien 
sucht. . 

Da die Neftorianer ihre. Biſchoͤfe nicht andere y als 
durch den Patriarchen erhalten Fonnten, fo.mußte man bei 
dem Ableben des Biſchofes in einem Lande bei dem Patri⸗ 
archen um einen andern nachſuchen. Waͤre es nicht moͤglich, 
daß bei der aͤußerſten Schwierigkeit, aus der tiefen Tartas _ 
rei Abgeordnete um Erlangung eineg Bifchofes nah Sys 
‚zien gu fchicken, die-Nefforfanifchen Prieſter auf die 
Erdichtung gelommen wären, ihr Bifchof fen unfterblich, und 
Nließ ſich Hieraus nicht die Entkehung des Dalay Lama 

erklaͤren? Da ferner nach dem unter: Babaͤus abgehaltenen 
Concilium die Neftorianifchen Biſchoͤfe fich verheirathen 
konnten, foßte nicht ein- Neftorianifcher Fuͤrſt auf den 
Gedanken gekommen ſeyn: das Prieſterthum mit dem Throne zu 


verbinden, und daher das Reich des Prieſters Johannes 


ſeinen Urſprung genommen haben? Doc, dieß find bloß Vers 
muthungen, möge Der geneigte keſer ihnen eine beitebige 
Vahrſchemlichteit beilegen. 


j 


378 ' Chaldaͤer. 


Meifende ſtießen in der großen Tartarei auf hie und 


da zerſtreute Neſtorian er, welche in der tiefſten Unwiſ⸗ 


ſenheit leben; ſie haben weder Schulen, noch Biſchoͤfe, noch 
unterrichtete Seelen⸗Hirten, werden bloß etwa von fuͤnf⸗ 


sig zu fünfzig Jahren von einem Biſchofe beſucht, der dann. 


ganzen Familien, felbft Kindern in der Wiege, die Pries 
fiermeihe ertheilt 1. 


In Malabar war ihre beruͤhmteſte Kirche, welche 


aber heut zu Tage zum »großen Theile unter. der Leituns 
| römifch + tatholiſcher Viſchofe ſtehet 2). 





— 


Bepred der Eh a Idäen, 


tens. Die Neſtorianer Sprien’s oder Chal⸗ 
daͤer laͤugnen die hypoſtatiſche Vereinigung des Wortes 


mit der menſchlichen Natur, und nehmen in Chriſtus zwei 


Perſoner an. Dieſer Irrthum iſt ganz deutlich in ihren Buͤ⸗ 


chern ausgeſprochen. Die Verfaſſer der Unveraͤnderl ichs 


keit des Glaubens, und Affemann haben diefeg ers 
tiefen 3). Sie führen Werfe ar, melde Simou, Geds 


ves,de la Eroze nicht kannten, und bie folglich ohne: | 


Grund behaupteten: daß: die Irrlehre der Neftorianer 


Syrien's ein Hirngefpinnft oder bloßer Wortſtreit fey 4): 


2tens. Sie glauben die Dreiefnigkeit; felgen aber Aber 





das Ausgehen des bl. Geiftes dem Irrthume der Griechen, ' 


und glauben, dag er nur vom Vater ausgehe. 


— 


| , Voage, de Rubraqnis p. 60. Description de la Tarta- 


rie. Hist. des Hupe. par M. de Guignes.  . .. 


2) La Croze Christianisme des Indes: | Bu 
3) Perpetuite de la Foi, T. 4. L. 1. C. 57 Assemann 
bibl. orient. T. 3, p. 2. °C. 7. $. 4: p- 210. 
‚4) Simen Meberfegung der Reiſe des P.; BDaurlini. auf den 

Berg Libanon, p. 382. Geddea lieberſetn der Synode vom 


Diamper. Kurze Geſchichte der Kirche von Maldbar. : Die⸗ 


fee Schriftſteller verdient das große ßutraucn mot, wel⸗ 
ches ihm de la Croxe beilegt. 


Chaldͤe. 379 
ziens. Sie laͤugnen die. Erbſuͤnde. 
Atens. Die Seelen find, nach ihnen, mit der Welt ge⸗ 
chaffen worden, und vereinigen ſich mit dem Koͤrper nach 
Maaßgabe ſeiner Entſtehung im Mutterſchooße. | 
ztens. Nach dem Tobe find die Seelen aller Empfindung 
beraubt, und in dag frrdifche Paradies verbannt. Am juͤng⸗ 
ſten Gerichtstage kehren die Seelen der Gerechten in ihre 
Leiber zurücd, und fleigen gen Himmel, während deffen die 
Seelen: der Verdammten nad) Wiederannahnie hrer Leiber 
auf der Erde bleiben werden. 


btens. Die Seeligkeit der Heiligen beſtehet im Anblicke 
ber Menſchheit Jeſu Chriſti, und in Offenbarungen, die 
ihnen zu Theile werden, nicht aber in unmittelbarer An⸗ 
ſchauung der Gottheit. 

7tens. Die Peinen ber’ verworfenen Engel un de J 
Verdammten werden ein Ende nehmen 1) 


Worin die ehaidaer mit der sömifgen Kieden Böck 
' einfonmen? 


Die N eſto rianer haben den Glauben. der römifchen 
Kirche. über die Euchariftie und die. Sacramente beibehal- 
ten: man findet hierüber überzeugende Bemeife in der Ins 
veränderlidfeitdesßlaubens und bei Affemann?. 


ta Croze hat ſich in dieſem Betreffe große Mißgriffe 
zu Schulden kommen laſſen, wenn er 1teng behauptet, in der 
Kirche „von Malabar eine Kirche zu finden, die obgleich 
fie feit zwoͤlfhundert Jahren mit den. Kirchen von Rom, 
Sonflanfinopel, Alerandrien und Antiochien in 
gar feiner Gemeinfchaft mehr ffand, den größten Theil ver 
von den Proteftanten ‚angenonimenen Glaubenslehren beibe⸗ 
“halten Habe, da doch jene der Neſtorianer ganz, oder 


‚e 
1) Assemann ibidem. 


2) Peıpet. de la Foi. T. 4, L. 1. C. 7. L. 10, C. B, ‚Bi- | 
blioth.: Oriuntalis d’Assem.. T. 3. part. 2. 


\ 


380 Ehaldder. 


zum Theile von proteflantifchen Kirchen verworfen worden 


N 


find. 1) Menn er tens behauptet: daß in dem ganzen Chris 
ftenthume feine Secte zu finden fey, welche der Wahrheit 
näher fomme, als die Neftorianifche, die nur durch die 


die Umgerechtigkeit ihrer Feinde verfchrien worden fen. 2) 
‚ Wenn er Itend dag Alterthiimliche der Gebräuche der protes 


ſtantiſchen Kirchen hieraus darzuthun gedenkt. 

In der That, alle Buͤcher und Ritualien der Chal⸗ 
daͤer laffen glauben, daß fie ale Bücher der hl. Schrift 
für canonifch anerkennen, weldfe die römifche Kirche als 
fölche annimnit: man findet darin die tefentliche Gegen⸗ 
wart gelehrt, und wenn einige hievon abweichen, fo iſt es 
nur in der Erklärung, die fie uͤber dieſes Geheimniß geben 


wollten. 3). 


Wenn Übrigens 28 wahr wäre, dag die Kirche von 


- Malabar bdiefen Glauben. nicht: gehabt "hätte,.:fv würde 


daraus weiter nichts folgen, ale ‚daß fie die Uebergabe des 
Glaubens verfälfcht habe, Meil die Bücher, die fie aufber 
wahrt, biefe Lehre enthalten, und ſolche ſich bet den Chal⸗ 
daͤern ſeit ihrer Abſoͤnderuns von der roͤmiſchen Kirche ers 
halten hat. 4). | 

Diefe Bücher der Chal daͤer geben eine unwiderleg⸗ 
liche Probe, daß vor der Trennung der Neftorianer die 
Lehre der ganzen Kirche im Einflange war. mit dem, mag 
vie römifche noch heut su Tage lehrt, und daß folche ale 
die Uebergabe Jeſu und der Apoftel angefehen wurde, weil 
die Neftorianer hieran nichts zu aͤndern wagten. 

Man kann bei Aſſemann Alles finden, was die Ge⸗ 
braͤuche, Ceremonien uud Liturgie der: Chaldaͤer, ihr⸗ 
Patriarchiſchen Metropoliten, Kloͤſter und Schulen betrifft. 5) 





1) Christianism des Indes; Vorrede und / im Werle P.- 341, 
342, Holländer Ausgabe, | 
2) Diss. hist. sur divers Sujet, T. ı. Recherches sur la 
#- religion chret. dans les Indes. So 
3) Assemann Loc. cit.$. 12. EEE 
4) Ibidem $. 23. 
5) Asscmann T. 5. part. 8: C. 11, 12, 13. 14, etc.’ 


— 





Chillaſten. 381 


Chiliasten eder Millenarier. Man giebt die⸗ 
fen Namen: jenen, welche glaubten: Jeſus Chraſtus 
werde auf Erden mit ſeinen Heiligen in einem neuen Jeru⸗ 
ſalem tauſend Jahre lang vor dem juͤngſten Gerichte 
herrſchen. Folgendes gab dieſer Meinung ihre Entfichung: 
| Die. Propheten hatten den Juden verheißen, Gott werde. 
ſie aus allen Nationen fammeln, und nachdem Er über ihre 
Feinde feine Gerichte werpe haben ergehen laſſen, fo würs 
den fie auf Erden eine vollfommene Glückeligkeit genießen. 
Gott kuͤndigte durch Iſaias an, dag Er einen neuen 
Himmel; und eine neue Erde (haffen werde. 

„Des Vorigen wird man nicht mehr gedenken noch zu 
„Herzen nehmen“ ſpricht der Herr durch den Mund des 
Ptopheten, ſondern ſie werden ſich ewiglich freuen und froͤh⸗ 
lich ſeyn uͤber dem, das Ich ſchaffe. Denn ſiehe, Ich will 
Jeruſalem ſchaffen zur Wonne, und ihr Volk zur Freude. 
Ich will froͤhlich ſeyn uͤber Jeruſalem und mich freuen uͤber 
mein Volk, und ſoll nicht mehr darin gehoͤrt werden die 
Stimme des Weinens, noch die Stimme des Klagens. — 
Sie werden Haͤuſer bauen und bewohnen, ſie werden Wein⸗ 
berge pflanzen und derſelben Fruͤchte eſſen: ſie ſollen nicht 
bauen, daß ein Anderer bewohne, und nicht pflanzen, daß 
ein Anderer eſſe. Denn die Tage meines Volkes werden 
ſeyn, wie die Tage eines Baumes, und das Werk ihrer 


Hände wird’ alt werden bei meinen Auserwählten. - Sie 


ſollen nicht umfonft arbeiten, noch mzeitige Geburt gebären, 
denn fie find Der Saame der Gefegneten des Herrn, und 
ihre Nachkommen mit ihnen: Und es ſoll gefchehen: ehe 
fie rufen, will Ich antworten; wenn fie noch reden, will 
Ich Hören. Wolf und Lamm follen meiden zugleich; der 
Löwe wird Stroh effen, wie ein Rind, und die Schlange 
fell Erde effen; fie werden nicht fchaden noch verderben auf 
meinem ganzen heiligen Berge, fpricht der Herr 1) | 
j Ezechiel gibt. nicht minder herrliche Verheißungen: 

„So ſpricht der Herr: Siche Ih will eure Gräber aufs 





) Isaias. 65, 17. ffl. 


382 —W Ehlllaten. 


„thun, und will euch mein Volk, aus denſelben herausho⸗ 
„len, und euch in's Land Ifrael bringen; und ihr ſollt 
„erfahren, daß Ich der Herr bin. Ich will die Kinder 
„Iſrael holen, aus den Heiden, dahin ſie gezogen ſind, und will 
„ſie allenthalben ſammeln, und ſie wieder in ihr Land brin⸗ 
„gen, und fie ſollen wieder im Lande wohnen, das Ich meinem 
„Knecht Jakob gegeben habe, darin eure Vaͤter gewohnt ha⸗ 
„ben; und mein Knecht David ſoll ewig ihr Fuͤrſt ſeyn“ 2) 
Die Juden, welche Jeſum fuͤr den Meſſias erkannten, 
verloren dieſe herrlichen Verheiſtungen nicht aus dem Augen, 
- und glaubten, daß fie bei der zweiten Ankunft: Jeſu in 
Erfüllung gehen würden. . Diefe Menfchen, halb Juden 
halb Chriſten, glaubten, daß nach dem Erfcheinen des Ans 
kichriſt's und dem darauf folgenden Untergange aller Voͤlker 
eine erſte Auferſtehung der Todten, welche nur die Gerech⸗ 


ten begreife, vor ſich gehen werde, jedoch würden bie noch 


J auf Erden Ueberbleibenden, Gute und. Boͤſe, am Lehen ers 


holten werden, bie erfien um den erfiandenen Gerechten wie 
+ ihren Fuͤrſten, gu gehorchen, bie legten, um von den Ges 


u Ye befiegt und unterjocht zu werden. Alsdann wird 
efus Chriſtus in feiner Herrlichkeit vom Himmel her⸗ 
niederkommen, die Stadt Jeruſalem wird von Neuen ers 
bauet, erweitert ‚und verichönert, auch der Tempel wieder 
‚hergeftelt werden. Die Chiliaften gaben beffimmt den 
Platz an, wo Beide zu fliehen fommen, und den Umfang, 
- den fie einnehmen würden. Die Mauern Jeruſalems wir 
den von den freinden Nationen unter Leitung ihrer. Könige 
aufgeführt ; Alles was verwüflet war, und vorzüglich ber 
- Tempel würde mit Copreffen » Fichten s und Cedernhols vers 
fleidet werben; die Thore der Stadt flünden immer offen, 
und Tag und Nacht würden Reichthuͤmer aller Art dafelbft 
sufammenfließen. Auf diefeg Jeruſalem wendeten fie an, 
wos im 2iten Kapifel der Apokalypfe, und auf den Tem⸗ 
pel, was bei Ezechiel ſtehet: hier nun würde Jeſus Chri⸗ 
fing taufend Jahre lang als irrdiſcher König. bereichen, und 


2) Ezechiel 37, 12, 21, 25. 


Ehiaften. vn 383 


mit hm bie Heiligen, Patriarchen und Propheten diefe tau⸗ 
fend Jahre hindurch im vollfommenften Vergnügen dahin 
Teben: jetzt bofften fie, werde Jeſus feinen Freunden dag 
hundertfältig erfeßen, was fie um feinetwillen verlaffen hats - 
ten. Einige behaupteten, die: Heiligen würden dieſe Zeit 
in Sreudenniahlen verleben, felbft im Genuffe von Speis 
und Trank wuͤrden fie die Schranten der Mäßigung wett 
überfchreiten, ja fich unglaublicheg Uebermaß erlauben; in 
diefem Reiche fen es, wo Yefus von dem neuen Weine 
trinken werde, wovon Er bei’m letzten Aberrdmahle fprach : 
weiter behaupteten fie: es wuͤrden auch Verehelichungen 
Statt finden, mwenigftens für Jene, die bei der Wiederkunft - 
Jeſu noch am Leben ſeyen befunden worden, auch Kin 
der würden geboren werden : ale Nationen würden Iſrael 
gehorchen, alle Gefchöpfe den Gerechten: mit "größter Wills - 


fährigkeit dienen; doch gäbe es auch Kriege, Triumphe, ° 


- Sieger und Befiegte, die den Tod würden erleiden muͤſſen. 
Sie verfprachen fich in dieſem neuen Jeruſalem einen uhers 


ſchoͤpflichen Ueberfluß an Gold, Silber, Thieren, Gütern 


aller Art, mit einem orte Alles, was Chriſten, aͤhnlich 
den Juden, die nur koͤrperliche Wolluſt fuchen, ſich erdens 
fen und wünfchen koͤnnen. Dem figten fie bei, daß die Bes .. 
fchneidung ein immermwährender Sabat und Schlacht s Opfer 
Statt haben würden; alle Menfchen würden Gott zu Jes 
rufalem anzubeten, kommen, ein Theil alle Sabate, andere 
alle Monate; die enifernteften einmal des Jahres; das - ganze 
Geſetz würde gehalten, und anſtatt die Juden in Ehriften, 
wuͤrden dieſe ſich in Juden umwandeln. Deshalb nennt 
- ber hl Hieronymus die Meinung der Chiltaffen’eine - 
| jüpifche Ucberlieferung und Fabel, und die Chriften /ſo das 
ran glaubten, iudaizirende Chriften und Halbjuden. Sie - 
erzählten Wunderdinge von der Fruchtbarkeit der Erde, die 


allerorts ihre Erzeugniffe ohne Anbau bervorbringe. Nach 


Verlauf des.taufendjährigen Reiches, fagten fie, werde der 
Teufel die Völker Scythimus in der Schrift unter dem Na⸗ 
men Gog und Magog befannt, verfammeln, welche mit 
andern · ungläubigen Nationen, die an den dußerften 
Grängen der Erde wohnten auf Anfliften. des boͤſen Geiſtes 


384 | Zn Chiliaſten. 
die Heiligen in Judaͤa bekriegen würden; Gott aber werde 


fie zuruͤckhalten und durch einen Feuerregen toͤdten. Nach 


Pr 


allem diefen werden die Bien auferfichen.. Mit dem Ende 
des taufendjährigen Reiches erfolgt daher Die allgemeine 
Auferftehung und dag Weltgericht, nun wird fi das Wort 
des Heilandes erwahren: „daß fie nicht mehr freyen und 


„freyen laffen werden ; ‚denn fie find den ‚Engeln gleich, 


„weil fie Kinder der Auferfiehung find.“ 1). 


Dieſe Meinung, welche der Phantafie zu wohl thut, 
um nicht Unhänger zu finden, ſcheint Cerinfhus in 


Schwung gebracht zu haben: man glaubte fie. in der Offen⸗ 


barung Johannis zu Iefen, wo es heißt: Die Gerechten 
werden faufend Jahre mit Jeſus Chriſtus auf Er 
den herrichen. Diefer Apoftel, meinte man, babe nur 
Ezechiel's Weiſſagung erläutert. Mehrere fchieden bag 
Wohlluͤſtige, welches rohere Ehriften der Gluͤckſeligkeit ver 
Heiligen beimifchen,, von dieſem Neiche aus: auf viefe Weis 
fe erklärte Papias das 2Lte K. der AUpofalypfe. 

Diefe von den grobfinnlichen Vorſtellungen entEleidete 
Meinung wurde vom verichievenen Vätern, wie dem hl. 
Juſtin, dem hl. Irenaͤus u. A. angenommen. „Die 
geoße Zahl der Kirchen s Schriftfieller und Märtyrer, toels 
che der Meinung der Chiltaften anhingen, erlaubte dem 
bi. Hieronymus nicht, fie fchlechthfn zu verdammen, fons 


- dern will die, Entfcheidung ‚hierüber dem Urtheile Gottes 


an 


vorbehalten, und geflatten, daß jeder feiner Uebergeugung 
lebe; jedoch verwirft er fie als eine der Echrift gumiders 
laufende Unmwahrheif, als eine gefährliche und Lächerliche 


Maͤhre, welche für jene, Die ihr unbedingt Glauben beis 


meffen, ein Stein des Anſtoßes werden fann. Philaſt ri⸗ 
us feßt fie fogar unter die Ketzereien. Die Morgen: 
Länder, welche gegen den hi. Cyrillus fchrieben, geben bie 
taufend Jahre Apollinar’s für Fabeln und Poffen aus, 
und Eyrill erklärt in feiner Antwort, daß er fid) bei dem 
was Apollinar geglaubt habe, gar nicht aufbalte. Die 





u Tacı 20, 35, 56. 


Chiliaſten. Circumcellivnen. | 385 


meiſten Vaͤter, insbefondere der römifche Presbyter Cajus, 
Drisgines, Dionyfiug von Alerandrien, die heilis 
‚gen Baftliug, Gregorius von Nazianz, Hieronymus 
und Auguſtinus haben dieſen Irrthum beſtritten, wel⸗ 
cher auch zur Zeit des hl. Hieronymus und Auguſti⸗ 
nug feine befannte Anhänger mehr hatte 1). 


Diefe Meinung kam unfer den Dietifen Deutſch⸗ 
land's wieder zum Vorſcheine 2). 


Criſtomacher. Der Gattungs⸗Name, unter welchem 
der hi. Athanaſius die Ketzer begreift, ‚welche über die 
Natur, und Perfon Jefu Ebriſti im Srerbume befangen 
"waren 3). 


Circumcellionen ®), Benennung einer unter ben _ 
Donatiften entfiandenen wuͤthenden Secte gegen das Jahr 
‚347, alfo genannt: weil fie, ohne feften Wohnort umher 
irrend an den Bauernhäufern (Circum Cellas.) ihren: Uns 
halt fuchten. Der heil. P hil aſt rius nennt fie Cir⸗ 
cuitores. Dieſe Secte bildete ſich aus einem Haufen roher 
und unwiſſender Landleute, die kaͤmpfend fuͤr ihre Parthei, 
Martyrer zu werden wäahnten.: Sie waren ſtatt mit Schwer⸗ 
tern mit Stöcken bemafinet, weil Jefus dem Petrus das 

Schwert verboten hatte. Mit dieſen Stöden fchlugen fie 
einem Menfchen die Beine.entzwei, und wollten fie einem 
Gnade widerfahren laſſen, fo ſireckten fie ihn mit einem 
. Schlage zu Boden. Diefe Stöcke nannten fie Iſraeliten. 4). 

Auf ihren Feldzuͤgen gegen die Katholiken ſangen ſie: 

Gelobt ſey Gott. Dies war das Signal zum Blutver⸗ 





1) Man ſehe Tillemont T. 2. art. Millenaires p. 300. 
und Herrm. Klec dissert. de Chiliasıno prim. Saecul. 
Herbipoli. 1825. 

3) Stokmann Lexicon. _ 

3) Athanas. 1, Decret. Synod. Nicaen, 

*) Atcd Jahrhundert. 

4) August. de Haer, C. 69, Theod. L. 4, C. 5, Optat 
L. 5. 

Ketzer⸗Lexrikon. I. 28 


“ 
— 


386 Circumcellionen. 


gießen, Alles entfloh bei ihrer Annaͤherung; die Donati⸗ 
ſtiſchen Biſchoͤfe, unterſtuͤtzt von dieſer furchtbaren Hee⸗ 
resmacht, verbreiteten allſeits, wo ſie wollten, Verwuͤſtun⸗ 
gen, und vertrieben die Katholiken aus ihren Kirchen. 1. 


Nicht allein die Katholiten waren ihren wuͤthenden 
Angriffen blosgeſtellt; audy gegen die Heiden ſah man fie 
Schaarenmeife bei Feier ihrer Feſte heranziehen, um von 
ihnen den Tod zu erleiden; unerfchrocken flellten fie fich den 


Pfeilen, die man gegen fie abdruͤckte, entgegen, tie die 


Heiden ihrer Seits die Götter zu ehren glaubten, menn fie 
ihnen diefe Elenden opferten. 2). 


. Schite es an einer folchen Gelegenheit, fo gaben fie ol | 
ihr Geld her, um getoͤdtet zu werden ; konnten fie fich Die 


Ehre des Marterthums nicht erfaufen, fo ſtellten fie ſich 


auf die Straßen und zwangen die Vorübergehenden, fie 
niederzumeßeln. Wer ſich weigerte, ihnen diefen gräßlichen 
Dienft zu erweifen, mußte es gewoͤhnlich mit dem Leben 
bißen. Theodoret berichtet: daß die Katholiken eine 
fromme Lift gebrauchten, um nicht gezwungen zu ſeyn, das 
Blut diefer Wahnfinnigen zu vergießen; fie ſtellten ihnen 
nämlich. vor, fie müßten fich vorerft binden laffen, um fo 
ale Opfer defto ficherer ihren Zweck zu erreichen. Waren 
fie gebunden, fo fchlugen die Katholiten fo lange auf fie, 
big fie fich eines Beſſeren befinnenn, von ihrer Wuth ge⸗ 
heilt wurden. 3). 

Manche wandten eine gewiſſe Zeit darauf, um ſich gut 
zu naͤhren, worauf ſie als gemaͤſtete Schlachtopfer von hohen 
Felſen ſich herabſtuͤrzten, in Fluͤſſe ſprangen, oder auf an⸗ 
dere Weiſe eines freiwilligen Todes ſtarben. Zuweilen, 
ihrer eigenen Schwachheit mißtrauend, oder aus Furcht, 
man möchte fie zwingen, mit den Katholiken in Gemeins 


— 


1) Ibidem, 

3) August, cont, Lit. Parmen, L. 2, C. 20, in Johan. 
om. LI. 

3) Theod. Haeret, Fab. 


— 





Circumcellionen. 387 


(daft zu trefen, zuͤndeten fie Scheiterhaufen an, ſtuͤrzten 
ſich hinein, und ſtarben mit Freuden. Tagtaͤglich ſah man 
die Erde mit dem Blute dieſer Ungluͤcklichen gefärbt; tagtäglich 
erblickte man Schaaren von Männern und Weibeen, die 
fleilften Berghoͤhen hinanklimmen, ‚und ſich von Felſenſpi⸗ 
tzen in Abgruͤnde ſtuͤrzen. 

Das Volk erwies ihren entſeelten Leichnamen dieſelbe 
Ehre, welche die Kirche den irdiſchen Huͤllen der Martyrer 
beweiſt; das Jahrgedaͤchtniß ihres Todes wurde feſtlich 
begangen. 

Dieſe Verirrten ſuchten ihre Selſtentleibung durch das 
Beiſpiel des Razis zu rechtfertigen 1), und ſtarben in 
der Ueberzeugung, hiedurch die Krone des Martyrthum's m 
“erlangen. (Siehe den Art. Donatiften. 





I \ 


4) Rasid, ein eifernder Jude für den Glauben feiner Vaͤ⸗ 
tee zur Beit dee Maccabäer, wurde von Nicanor mit 
500. Mann in einer Burg belagert. Da die Feinde bie 
Burg. befifirmten,. und ce ohne Doffnung war, dur die 
Flucht zu entfommen, wollte er lieber ehrenvoll flerben, als 
den ©ottlofen in die Hände fallen, und von ihnen Hohn . 
und Beſchimpfung dulden: er fiel in fein Schwert, da aber 
die Wunde nicht auf der Stele tödtlih war, und die feinds 
liche Schaar durch dad Thor hereinſtürmte, entfioh er mit 
mannhaftem Muthe auf. die Sinne, ſtürzte fi hinab uns 
ter das Volk, erflimmte, fih aufraffend, einen fleilen Fel⸗ 
fen, riß verblutend, das Gedärm aus feinem Leibe, warf 
ed unter den Haufen, rief den Heren Über Leben und Tod 
an, Er möge ipm Alles das dereinft wiedergeben und ſtarb. 
2. Marcab. 14. Die Juden zählen Razis unter ipre 
“ berüpmteflen Märtyrer, und wollen dur fein Beifpiel, wie 
durch jenes von Saul und Samſon bemeifen, daß es 
Säle gebe, wo ein freiwilliger Tod nicht nur erlaubt, fons 
dern ſelbſt 10blich und verdienftlih fey, nämlih 1) gerechtes 
Mißtrauen auf eigene Kräfte, und Furt der Verfolgung 
zu unterliegen. 2) wenn man vorperfieht, daß die Feinde, 
in deren Hände man fällt, Hieraus Vetanlaſſung nehmen 
25 * 


/ 


388 Circumcellionen. 


Den Namen (Circumcelionen) legte man auch ei⸗ 
ner beſondern Art von Predigern bei, die ſich um die Mitte 
des 13ten Jahrhunderts (1248) in Deutſchland erhoben. 
Jedermann kennt die langwierigen Fehden des Kaiſers Frie⸗ 
derich mit den Paͤbſten, und den Bannfluch, welchen In⸗ 
nocenz IV. auf dem Concilium zu Lyon gegen ihn ergehen 
ließ. Während der Hitze dieſer Zwiſtigkeiten entſtand in Deutſch⸗ 
land ein Verein, der unter dem Vorwande, die Sache des Kai⸗ 
ſers zu verfechten, predigte, der Pabſt, die Biſchoͤfe, und 
die andern Praͤlaten ſeyen Ketzer und Simonfafer; jeder 
Priefter der eine Todfünde auf fi habe, habe die Gewalt 
verloren, die Euchariffie zu confecriven; und fey ein Vers 
“führer ; weder der Pabſt, noch die Bifchöfe, noch fonft ein 
jebender Menfch habe das Recht, den Sffentlichen Gottesdienſt gu 
verbieten ; und jene fo es thären, feyen Keger und Betrüger; 
die MindernsBrüder und jche des Predigers Ordens 
verfehrten die Kirche durch ihre falfchen Predigten; außer 
ver Gefellichaft der Circumcellionen lebe Niemand dem 
Evangelium gemäß. | \ 


Weceaeann ſie diefe Grundſaͤtze geprediget hatten, ſo erklaͤr⸗ 
ten ſie ihren Zuhoͤrern, daß ſie ihnen Ablaß geben wollten, 
der nicht von der Erfindung des Pabſtes und der Biſchoͤfe 
fen, fondern unmittelbar von Goft komme. 





— 


Fönnten, Gott und feinen heiligen Namen zu laͤſtern. Eis 
nige Theologen meinen den Razis mit dem Borgeben zu 
rechtfertigen, daß er aus befonderer Eingebung gehandelt 
Habe; und beflättigen diefed durch das Beiſpiel einiger Jung⸗ 
frauen, die, um ihre Ehre zu retten, fi getödtet haben. 
Lyran. tirin. Serrar. in 2. Maccab. ı4. Auguftin 
und Thomas fagen: da die That des Razid in 
der Schrift nicht gutgeheiſen, ſondern nur angefuͤhrt ſey, 
ſo koönne aus derſelben zur Rechtfertigung der Selbſtentlei⸗ 
bung in der Sittenlehre nichts gefolgert werden. A uguat. 

ep. 21, alias 204. lb. cont. Gaud, C. 31. P. Thom. prim. 
adae art. 5, ad 5. 











| 


‚ Eircumcelionen. Elemene. 389 
Diefe Circumcellionen fügten ber Parthei Frie⸗ 


derich's großen Schaden zu; und machten mehrere Kar 


tholifen von ihm abwendig. 1) 


Clancularier. Benenung einer Secte der Anas 
baptiften, welche fagten: man milffe im Deffentlichen efne 
Sprache führen, wie fie gemeinhin unter den Leuten uͤb⸗ 
lich fey; wenn von Neligionsfachen die Rede wäre, und- 
feine eigentlichen Gefinnungen geheim halten. 2), Ä 


Claudius von Turin. *) verfiel zu Anfang des 
neunten Stahrhunderts in die Irrlehre der Bilderfiürs 
wer, und des Vigilantiug, 

Gewiſſe Mißbräuche ,. die er bei der Andacht der Gläus 
bigen in dieſem Betreff gewahrte,, bewogen ihn, die Vers 
ehrung der Reliquien und der Bilder anzuſtreiten. j 

Claudius war einer der.eifrigften Chriften feines Jahr⸗ 
bunderts; aber es fehlte ihm an richtiger Urtheilstraft, 


. oder an Mäßigung im Punfte der Verehrung der Reliquien 
und der Bilder: er wurde von Dungal und Jonas von 


Drlean’g widerlegt, und in einem Concilium von Paris 
verdammt, welches erklärte: die Bilder ſeyen in den Kir 
chen zum Unterrichte des Volkes beizubehalten, nicht aber, 
um fie anzubeten, oder ihnen eine abergläubige Verehrung 
zu erweiſen. 3). 


Clemens **), aus Schottland ſtammend, verwarf 
die Kirchenſatzungen und Concilien, die Abhandlungen der 
Vaͤter über Religions⸗Materien, und ihre Erklaͤrungen der 
hl. Schrift; auch nahm er die Werke des hi. Hieronys 


1) Dan ſehe Dupin 13 Siscle p 198. D’Argentre. 

2) Sieh den Artifel Anabaptiften und ihre Gecten. 

*) 9tes Jahrhundert. 

3) Mabillon Annal.Ord Benedict. J. 29, n. 52. 60, 61, 
Conc, T. 7, p. 1943, Hist, lit, de france T.4p 
256, 490. | | 

**), geh Jahrhundert. 


390 | Elemens. 


mus, Auguftinus, Gregorius u. a. nicht an; behaupte⸗ 


te, er koͤnne Bifchof feyn, wenn er auch zwei Kinder im Ches 


bruche gezeugt hätte: ein Chrift dürfe feines Bruders Wittwe 
ehelichen. Jeſus habe bei'm Abfteigen zur Hölle, alle Vers 


dammte, auch Die Ungläubigen und Goͤtzendiener erlöst: übers 


dieß beste er verfchiedene Irrthuͤmer über die Borerwählung. 


Er wurde mit Adalbert im Concilium von Sofffong und 


einem andern gu Nom gehaltenen Kirchenrafhe verdammt 1) 
Die gelehrten Herausgeber der Literar s Gefchichte von 
Sranfreich fcheinen diefen Clemens unfer die Zahl jener 
Gelehrten zu fegen, welcher unter Carl dem Großen an 
Miederberftellung der Wiffenfchaften arbeiteten, und ihn 
für den Lehrer Heito's zu halten, welcher Abt des Klos 
fter 8 Nihemont im Bishbume Conſtanz, in der 
Solge Befandter Carl’sg des Großen zu Conffans 
tinopel, und Biſchof zu Baſel gemefen mar. 
Auch glaubt man, dag bie Studien des Pallaftes unter feis 
ner geitung geſtanden ſeyen; im Ganzen weiß man ſehr we⸗ 
nig von ihm 2). 
Es iſt nicht unmoͤglich, daß in einem Jahrhunderte, wo man 

ſo viele Werke der Vaͤter unterſchoben und verfaͤlſcht hatte, 
ein Mann, der die Theologie mit der Fackel der Kritik zu 
beleuchten anfing, jene Schriften als nichts beweiſend vers 


- worfen habe, und auf Abwege gerathen fey. Diefe Verir⸗ 


rung hätfe ihrer Natur nach den Gelft dem Studium ver 
Kritif zulenken follen; allein das Sahrhundert war zu un⸗ 
wiffend, um dieſes zu erwirken. Der Irrthum deg Clemens 
mar weder nüßlich noch gefährlich; er wurde verdammt, und 
fand Feine DVertheidiger und Schüler. _ j - 


Mögen die. Freunde der Unmiffenheit dieſes Beifpiel 


‚nicht als Waffen gegen die Wiffenfchaft gebrauchen. In dies 
>. fem ‚fo unwiffenden Zeitraume, wo Clemenf’ens Irr—⸗ 
- thümer nicht einmal Anhänger fanden, , mißbrauchte ein 


1) Conc. 7. 4. Bonil. Ep. 135: 
2, Flist. literairce de France. T. 4. p. 8, 15. 


— 


| Clemens. leo. — 31 
Schwarm von. Belrügern das Bolt: die abgefchmackteften 
Irrlehren würden von unwifienfchaftlihen Schwärmern ges . 
pecdigef, und gierig aufgefaßt; das GittensVerderbniß 
war fo groß, als tiefgetwurgelt die Unmwiffenheit war; Aus⸗ 
fchweifungen und Aberglaube mwuchfen ſtets im Verhältniffe - 
mit der Abnahme des Lichfed. Man vergleiche mit diefem. 
den Artikel Adalbert. Diefe beiden Maͤnner wurden von 
Einem Concilium verdammt. 


Eleobiug oder Eleobulug, *) ein eitgenoffe | 
„Simon's, befeindefe die chriftliche Religion, und ward 
Häuptling der Secte der Cleobianer. 

Cleobulus verwarf das Anfchen der Propheten, die 
Allmacht Gottes, und die Auferſtehung; die Schöpfung der 
Walt fchrieb er Engeln zu, und Idugnete Die Geburt Jefu 
von einer Jungfrau 1). . 7 
So fanden die Apoſtel und erften Verfünder des Evans . 
‚gelium’s in ganz Palaͤſtina Widerfäger , und dieß waren 
gebildete Männer, gebt im Digputiren, ausgerüftet mit 
Ueberredungg » Runft, befeelt von Syſtem's⸗Sucht, wenn 
id fo ſagen darf, und von heftigem Verlangen nach Ber 
rühmtheit, welches die gewöhnliche keidenſchaft der Ketzer⸗ 
Haͤuptlinge war. 

Gegner dieſer Art legten den Apoſteln alle nur moͤgliche 
Schwierigkeiten in den Weg, und unterließen nichts, fie 
auffallend und obfiegend zu machen. Die Thaffachen, wel 
che zur Grundlage des Chriſtenthum's dienen, wurden Das ' 
ber damals mit der forgfältigften Genauigkeit unterſucht, 
und der ſtrengſten Pruͤfung unterworfen. 
Die geringſte Untreue, deren ſich die Apoſtel ſchuldig 
gemacht haͤtten, wuͤrde von ihren Feinden an's Licht ge⸗ 
bracht worden ſeyn, und eine ſolche wohl erwieſene Untreue 
hätte unfchlbar jedes Vorſchreiten einer Religion gehemmt, 


*) 166 Dahrhundert. 
3). Constit. Apost. 1. 6,.C. 3. Theodor. haeret. fab. 
L. 2. Praof. Euseb. Hist, Eccles, L. 4. C. at. 


4 


I “ 


392 . Cleobius. Colarbaſſus. 
deren Sittenlehre die Leidenſchaften bekriegte, und die, ber 


Vernunft unzugaͤngliche, Geheimniffe vortrug. 

Machen wir vor unferer Zeit einen Schluß auf jene, 
Wenn heut zu Tage Leidenfchaften und Vorurtheile jenen 
Schwall von, fpöttifchen Ausfällen auf die Religion, jene 


geſchraubten Phrafen, die ihres Schwulſtes entfeidet, der 


Vernunft weiter nichts, als abgetretene und flache Poffen 
darbieten, fchon für ermwiefene Wahrheiten möchten gelten 
laffen,, welchen Eindruck mußten nicht die Feinde der Apo⸗ 
fiel auf die Gemüther machen, wenn fie ihnen mit Grund 
irgend einen Trug oder eine Unrichfigfeif ihrer Angaben 
häften vorwerfen Finnen. 


So aber macht die chriſtliche Religion gerade zu dieſer 
Zeit ihre reißendſten und ſchreiendſten Fortſchritte, wogegen 
alle Secten, die ſie anfeinden, verſchwinden und zerſtaͤu⸗ 


ben. 1). 


-Die Bewißhett der Tharfachen, welche die Apoſtel be⸗ 
zeugten, ſtehet daher mit den Fortſchritten des Chriſten⸗ 
thums, und Erloͤſchung der Secten, welche ſolches bei ſeinen 
Beginnen anſtritten, im offenbarſten Zuſammenhange. 


Wir haben alſo vor unſern Augen feſtſtehende Thatſa⸗ 


| "hen, die mit der Wahrheit des Zeugniffes der Apoſtel eben 


fo nothwendig verknüpft find, als die glaubwuͤrdigſten Denks 
male mit den unwiderfprechlichften Begebenheiten. Der Vers 
lauf Der Zeit, und freulofe Zeugniffe Eonnten dieſe mit der 
Wahrheit der Predigt der Apoſtel sufammenhängenden Thats 
fachen nicht entftellen; fie halten die Probe gegen alle Eins 
mendungen und Bedenklichfeiten des Eceptrusmus. Die 


Gewißheit derſelben für ung gleicht jener der Zeitgenoffen 


der Apoſtel. | 
Colarbaffug, berühmter Balentinfaner, welcher dem 


Syſteme Valentius die Grundfäße der Cabbale und 
Alſtrologie angepaßt zu haben ſcheint. 2). 








5) Theodoreti Ibidem. | | 
5)Auter Append. ad Tert. de Prascript C. 55. 








Colluthus. 393 


Colluthus. *), Priefter zu Alerandrien , Pfarrer in 
einer der Abtheilungen dieſer Stadt, lehrte nicht nur, daß 
Gott nicht der Urheber des Uebels ſey, ſondern auch, daß 
es fein Uebel gebe, welches von Gott komme. 


Der HI Epiphaniug fagt: taß, waͤhrend Arius 
einer Seits feine Gortlofigkeit; predigte, man andere Seelſor⸗ 
ger fah, die, wie Colluthus Sarmathugxc. bald dieß 
bald jenes dem Wolfe vortrugen, welches in feinen Meinungen 
und Lobpreifungen getheilt fi), die einen Arianer, bie 
andern Colluthianer nannten. 1). 

Die Begierde, fi) einen Namen zu machen, verleitete 
Colluthus zur Irrlehre. Da er nur ein mittelmaͤßiger 
Kopf war und in einem erleuchteten Zeitalter lebte, fand 
er wenig Schuͤler. 

Herrſucht iſt das gewoͤhnliche Erbtheil der Mittelmaͤßig⸗ 
keit, und die Halbheit bedient ſich nie anderer als kleinlich⸗ 
tee Mittel. Colluthus trennte ſich von Alexander, feis 
nem Biſchofe, unter dem Vorwande: dieſer Patriarch zeige zu 
viele Schonung gegen Artus. Hierzu bedurfte es von feis 
ner Seite weder Talente, weder Kenntniffe noch Verdienſte. 
Allein unmiffente Ehrgeizige willen Feinen andern Weg eins 
sufchlagen, um Aufſehen zu erregen, welder fin Zeiten der 


Unmiffenheit immer zum Ziele führt, in einem aufgeklaͤrten 


Zeitalter aber nur lächerlich macht. Colluthus hatte fich 
nach feiner Trennung von Alerander aug. eigener Macht⸗ 
Voͤlle zum Bifchofe erhoben. Das Concil von Alerandrien 
entkleidete ihn von feiner eingebildeten Bifchofs » Würde, 
und wies ihn fn den Priefterffand zurück. 


Auf dieſe Weife fiel Col luthus in die Vergeſſenheit mit 


allen jenen fchwachen Brauſekoͤpfen, welche die Sucht nah 


einem Namen zu Sectenftiftern machte. In den finftern 
Jahrhunderten hätten fie gefährliche Spaltungen veranlagt; 
Adalbert, Waldo, Arnold von Brefcia, und fo 





”) 4ted Jahrhundert. 
ı) Epiph. Haer. 69. Rbilast, Haer, 78. 


N 


394 Colluthus. Cophten. 


viele andere, welche die Kirche verwuͤſteten, waren um nichts 
beſſer als Colluthus; allein ſie traten in einem Zeitpunkte 
auf, wo ein Theil der Geiſtlichkeit Sitten⸗ und Kenntniß⸗ 
los Alles beherrſchen wollte, und die Religion nur durch 
Machtſpruͤche vertheidigte. | | 


Cophten. So heißen die Fakobitifchen ‚oder 
Monophyfitifchen Chriften in Aegypten, mit Ausſchluß 
-der übrigen Einwohner diefes Landes. Zur befferen Ers 
fenntniß ihres Urfprunges muß man bie auf die Zeit des 
Dioscorus zuräcgehen. 

Dios cor, Patriarch von Alerandrien, mar der eifr 
rigfte Verfechter des Euthchianismus. Das Anfehen, ' 
welches ihm feine Wuͤrde verlieh, feine große Freigebigkeit, 
die ihm die Herzen des Volfes gewann, Der Abfcheu, den 
er gegen die Gefchicklichkeit hatte, allen Aegyptiern gegen die 
Feinde des Eutyches einzuflößen, welche er ald Neftos 
rianer bezeichnete, ſtreuten Den Eutychianismus in ganz 
Aegypten aus. 

Das Concilium von Chalcedon, welches Dioscor’ n 
feines Stuhles entfehte, empoͤrte ale Gemüther, und ents 


uͤndete das Feuer der Schwaͤrmerei in ganz Aegypten. Die 


ſtrengen Geſetze der Kaiſer gegen die Feinde des Conciliums 
von Chalcedon, und die Kunſtgriffe der Anhänger Dis 
cor's gaben demfelben Nahrung, und das ganze fand ward 
mit Unruhe, Zmiefpalt und Aufruhr erfüllt. 

| Die Faiferliche Macht verfchaffte endlich den Ausfpris 
ten jenes Conciliums fn ganz Aegypten die Dberhand: man 
ichicfte von Conftantinopel Patriarchen, Bifchdfe, Beamten, ' 
Statthalter, und die Landegeingebornen wurden von allen 
bürgerlichen, mititärifchen und Firchlichen Stellen ausge⸗ 
ſchloſſen. Jedoch dampfte man hierdurch die Schwärmerei 
nid. Ein Theil der Gegner des Concils von Chalces 
don zog fich nach. Ober⸗Aegypten zurück, andere verließen die 
Meichsländer, und begaben fich nach Afrifa, und zu den 
Arabern, wo alle, Neligionen geduldet waren. 1). 


G 


5 Epiph. Haer. 79. Hist. Patriarch. Alex. p. 164. 


* 


Caphten. | 395 


Die in Aegypten zuruͤckgebliebenen unterlagen zwar der 


Gewalt, naͤhrten aber im Herzen einen unverſoͤhnlichen Haß 


gegen die roͤmiſchen Kaiſer; dag harte Verfahren ver Etat 


halter und kaiſerlichen Beamten, die Demuͤthigungen und 
Beſchimpfungen, die man ſie fuͤhlen ließ, mehr als hundert 
tauſend bei verſchiedenen Veranlaſſungen wegen Nichtannahme 
des Concils von Chalcedon dargebrachte Schlachtopfer der 
Ihrigen hatten ihre Gemuͤther, nebſt unausloͤſchlichem Haſſe, 
mit brennender Begierde nad) Rache erfuͤllt. 1). 


Die Patriarchen ihrer Secte ſchickten ihre Vicarien, ſie 


in dieſer Stimmung und ein Auflehnen gegen die Geſetze 


der Kaiſer zu erhalten. 


Unter dem Kaiſee Heraclius ſandte der Patriarch 
Benjamin aus den tiefen Wuͤſteneien Unter⸗Aegypten's 
feinen Bicar Agatbo, der als Drechsler- verflefvet, den 
Aegyptiern dre Satramente, und das hl. Abendmal ſpen⸗ 
dete. 


So ſchloß nun Aegyten zwei Voͤlkerſchaften in ſich, die 
ſich toͤdtlich haßten, die Griechen oder Roͤmer, die alle Stel⸗ 


Nlen und Würden des Staates inne hatten, und woraus der 


größte Theil der Heeresmacht beftand ; und die Aegpptier, 
unendlich an Zahl jenen überlegen, welche die Bürgerfchaft, 


das Landvolf und die Gewerfer in fich begriff. 


Während dieſes Standes der Dinge in Aegypten bes 
mächtigten fi) die Sarazenen Palaͤſtinen's und Sys 
rien's. Die Aegyptier riefen fie in's Land, fchloffen 
Bundnig mit Amon, Omar's, Feldoberſten gegen Die Roͤ⸗ 


D 


2 Die Statthalter, wenn ſie fpeiten, ließen ſich die Tafel 
von vier Aegytiern Halten, und wiſchten ihre Hände an ih: 
vem Barte, die unerträglichfte Belhimpfuug , die ihnen 
widerfahren konnte, und welche noch heut zu Tage ihren 
Zorn und ihre Rachgierde gegen die römifhen Kaifer aufregt. 
Dad Andenken an die begangenen Gräueltpaten und der 
‚ Annopme des Goncilium’s von Ealcedon Willen ſiehet 


| jetzt neh vor ihren Angen. 


4 


- 
4 


396 ECophten. 


mer, und ſpielten fomit Uegypten den Sar azenen in die 
Haͤnde. Alle Griechen oder Roͤmer entflohen; und Aegypten 
wurde von nun an bloß von Eingebornen u. Sarazenen bewehnt, 
weiche erftern eine Kopffleuer auflegten, und ben Patriar⸗ 
chen Benjamin auf den biſchoͤflichen Stuhl von Alera ns 
drien mif allen Gerechtſamen wieder einfegten. Da num. 
die Jakobiten fa aus lauter eingebornen Aegyptiern bes 
ftanden, fo terlor fich in kurzer Zeit der Gebrauch der gries 
chifhen Sprache, und der Gottesdienft ward in der Lan⸗ 
des s Sprache gehalten, wie folches auch noch heut zu Tage 
üblich iſt. 

Die Cophte n find demnach alle: jene Aegyptier, welche 
dem Glauben der Jakobiten zugethan, unter dem Pa⸗ 
triarchen von Alerandrien ſtehen, und den Gottesdienſt 
in ägnpptifcher Sprache verrichten 1). | | 
Die Cophten genoßen Anfangs aller Son Omar’s 
Seldheren dem fi) Aegypten ergeben hatte, zugeftandenen 
Vorrechte: uͤberdieß beforgten die Sarazenen, die Aegyp⸗ 
ter moͤchten, wenn ſie eine uͤble Behandlung erlitten, die 
Roͤmer zuruͤck rufen. Allein kaum hatten die Sarazeniſchen 
Statthalter von dem Aufſtande Leo's gegen Juſtinian 
und der willkuͤhrlichen Abs und Einſetzung der Kaiſer durch 
die Roͤmer Kunde erhalten, ſo verboten ſie die oͤffentliche 
Uebung der chriſtlichen Religion 2). Nun mußte man die ſti⸗ 
pulirte Duldung erkaufen, und die Sarazenen wurden un⸗ 


„barmherzige Tyrannen und Verfolger ver Chriſten, welche 


bloß zu dem Ende geduldet wurden, um willkuͤhrliche Auf⸗ 
lagen, und übermäßige Erpreſſungen von ihnen zu ziehen. 
Die Cophten erhielten fi) mitten unter diefen Vers 
folgungen und trog der fie entzweyenden Spaltungen: fie 
rähmen fi) fogar in all dieſen Zeiten Blutzeugen, Beken⸗ 
ner, Heilige und Wunder gehabt zu baben, und durch diefe 


1) Renaudot. Perpet. de la Foi, T. 4. L. 1, C. 9% 
‚ Hist. Patriarch, Alex. part. Cont. do Bollandus, ju- I 


ny p. 79 etc. 
2) Hist. Patr. Alex, P. 13. 


Ä 








Copheen. 397 


Wetrlgerrien wird noch jetzt das unwiſſende und leichtglaiu- 
bige Volk in der Spaltung erhalten 1). 
Die mit der Herrſchaft der Califen vorgegangenen Ver⸗ 
anderungen konnten das Loos der Cophten und Chriſten 
nicht verbeſſern, und ſo vieler widrigen Schickſale ungeach⸗ 
tet, beſtehen fie noch zu unſern Tagen in Aegypten. In 
dieſem Lande wird keine Nation mehr tyranniſirt, als die 
Cophten, weil unter ihnen Niemand ſich befindet, der bei 
den Türken durch feine Kenntniffe Achtung, oder duch 
Macht Furcht erzwingen koͤnnte. Site gelten für den Aus⸗ 
wurf der Menſchheit. Ihre Zahl ift heutzutage fehr ger 
ſchwunden, mehr ale fechgmalhundert taufend Köpfe zahlten 
Tribut, als Amon Acgypten eroberte: dermalen zählt man 
ihrer nur. noch fünzehntaufend. 2) 

Wir wollen ven gegenwärtigen, Zuſtand dieſer Secte 
in Hinſicht auf Religion etwas ‚näher in Augenſchein neh⸗ 
men. | 


Religions: echte der ECophten. 


Die Cophten verwerfen das Concil von Chalcedon, | 
und das Schreiben des hl. Leo an Flavian; fie leugnen: 
Die zwei Maturen in Jeſus Chriſtus, ob fie gleich aners 
kennen, daß die Gottheit und. Menfchheit in feiner Perſon 
nicht vermifcht find, und mit Ausnahme diefer Art ‚von 
Monophyſis mus find fie feiner befondern Irrlehre zus 
gethan, in allen übrigen, die Keligion betreffenden Punkten 
kommen fie mit den Katholiken, wie auch den Drthodoren 
und ſchismatiſchen Griechen überein. 3): 


1) Ibidem. | 
2) Nouvelle Relation d’un voyage fait en Eeypte par 
Vausleb. p. ı5. - 288. 
5) Renaudot. Hist. Patr. Alex. p. 356. part. 2. Pepét. 
‘de la Foi. T. 4. L ı, C. 9. Bolland Juny T. 5. 
Nonveaax M&moires de la Compagnie de Jesus, dans le 
Levant T. 2. Soreiben des P. du Bernat. an P. Fleu- 


ria.u 





398 . . Eophten. 


-Aus allen Buͤchern der Cophten, aus ihren Glaubens⸗ 
Bekenntniffen und Ritualen geht hervor, daß fie die wefents 
liche Gegenwart in der Euchariftte annehmen, die Vereh⸗ 
rung der Bilder, das Gebet für die Verſtorbenen, und alle _ 
jene Gehraͤuche haben, die den angeblich Reformirten zum 
Vorwande ihrer Trennung dienten. 


Indeſſen iſt diefe cophtifche Kirche ſeit mehr als zwoͤlf 
Jahrhunderten von der roͤmiſchen getrennt; alles was dieſe 
Kirche heutzutage von der Euchariſtie, den Sakramenten, dem 
Reinigungsorte, den Bildniſſen der Heiligen glaudt, und uͤbt, 
war ſohin Lehre und in Uebung bet jener Kirche, wovon 
die Cophten fo gut wie die lateiniſche Kirche vor der 
Spaltung des Dioscorus einen Theil ausmachten, oder 
es’müßte der Fall ſeyn, dag die fpäter coptifche und 
roͤmiſche Kirche diefe Veränderung in ihrem Glauben, 
ihrer Liturgie, und in dem Gottesdienſte getroffen hätten. 


Es iſt unmoͤglich, daß dieſe beiden Kirchengemeinden 
zugleich auf den Gedanken ſollten gekommen ſeyn, in ihrer 
Lehre und ihrem Cultus gerade dieſelben Abaͤnderungen vor⸗ 
zunehmen über ‚fo viele Gegenſtaͤnde, woruͤber ſich zu verei⸗ 
nigen gar Fein nöthigender Grund vorhanden war. Es muß 
daher die Fatholifche Kieche vor der Spaltung des Eutiches 
daſſelbe was fie noch ‚heutzutage über die Euchariftie, bie 
Sacramente, bie Heiligen s Verehrung und bag Gebet für 
bie Verfiorbenen lehrt und ausübt., fchon gelehrt und in 
Uebung gehabt haben : mithin ging die Abänderung im Glau⸗ 
ben noch vor Eutyches vor, wenn eg wahr ift, daß dasjenige, 
was die Katholiken dermalen glauben, nicht jederzeit Glaube der 
- Kirche gemefen fenn Toll, gewiß aber tft es, daß die ganze 
Kirche vor dem Concil von Chalcedon das glaubte und 
übte, was bei der römifchen Kirche über - alle dieſe Gegens 
Rände in unfern Zeiten Glaubensfag und fin Uebung if. 


Mir haben. bei dem Artikel: Neftoriug ertviefen, 
- Daß diefer Glaube vor dem erſten Concilium von Ephefug, 
felbft vor jenem von Nicda, allgemein wär, und daß 
folcher. damals in der Kirche unmöglich neu feyn konnte. 





. Eophten. | 399 


— Der Glaube der roͤmiſchen Kirche iR fotglich Glaube der 
erfien Kirche, warum alfo haben fi) die erften Refor⸗ 
matoren Davon gefrennt? und warum follten die getrennten 
Brüder unferer Tage nicht zu efner Kirche zuruͤckkehren 

tollen, welche nichts anders glaubt, -ald was die Kirche 
. der erften Jahrhunderte glaubte, jener Jahrhunderte, die, 
‚fo fruchtbar an Tugend⸗Wundern, fo viele Blutzeugen und 
Hetlige herugrgebracht haben? 


Die Proteſtanten haben . vorgegeben, der Patriarch 
Macarius habe. in der Eflurgie der Cophten Abändes 
rungen gemacht, und weiten durch diefe Die Moͤglichkeit bewei⸗ 
fen, daß ein Patriarch eine neue Lehre in der Kirche auf 
geftelt habe, ohne MWiderfpruch zu finden, und folglich ohne 
den Zeitpunkt hievon angeben zu koͤnnen. 


Allein das Beiſpiel des Macarius iſt nicht geeignet, 
ihre Angabe darzuthun. Denn da die Cophten viele Ges 
bräuche hatten, die fich nicht auf die llebergabe gründeten, fo - 
fand e8 in der Gewalt des Patriarchen hierin zu ändern, ohne 
daß diefe Aenderung in der coptiſchen Kirche einer Schwierig, 
unterlag; aber gang anders verhält es fich in Anbetracht 
der Euchariftie und dee Sacramente: die Patriarchen wag⸗ 
ten nie, in diefen Punkten etwas abzuändern, und anmaß, 
liche Veränderungen in Dingen, die nicht Lediglich bie Li⸗ 
turgie betrafen erregten jederzeit Unruhen 2). 


Riesen: ⸗ Regiment der Cophten. 


Die cophrifche Kirche hat ihre Verwaltung, wie loiche 
bei deren Entſtehung war, beibehalten, und fich weniger 
als jede andere, hievon entfernt. 

Das Kirchen⸗ Oberhaupt iſt der Patriarch von Ale⸗ 
randrien, Nachfolger des bl. Markus; nach ihm kom⸗ 
men die Zifchöfe, eilf oder smölf an der Zahl; dann die 


2) Renaudot loc. eit. p- ‚496. 


400 Cophten. 


Prieſter, Diaconen, niedere Geiſtlichkeit, Mönche, und end⸗ 
lich die Laien. 

Die Biſchoͤfe, Prieſter und die Vornehmſten des Vol⸗ 
kes verſammeln ſich zur Wahl des Patriarchen, welche zu 
Cairo vorgenommen wird: dieſer wird jederzeit aus den 
Moͤnchen erwaͤhlt, weil ein Patriarch ſein ganzes Leben in 
der Enthaltſamkeit zuruͤckgelegt haben muß‘ 

"Die Biſchoͤfe ſtehen in der größten Ahpaͤngigkeit von 
dem Erzbifchofe: er wählt fie, kann fie abfegen und aug der 
Kirche verftoßen; in den Provinzen find fie die Einehmer, 
der erzbifchöflichen Nenten, welche in einem, zu feinem Un⸗ 
terhalte beſtimuten, Zehenden, beflehen. _ 

Wenn gleich der ehelofe Stand den Prieftern nicht zur 
Pflicht gemacht ift, fo gibt es deren dennoch, die nicht vers 
ehelichet find, und eg nie waren. 

Die Cophten bewerben fich eben nicht ſehr um die 
Prieſterwuͤrde; oft muß man ſie hiezu zwingen. Da ſie aus 
dem gemeinen Stande, der von der Handarbeit lebt, ge⸗ 
nommen werden, ſo erwaͤgen ſie, daß dieſe neue Wuͤrde 
den groͤßten Theil ihrer Zeit hinwegnehmen, und ſie an dem 
Betriebe ihrer Handthierungverhindern werde, wobei fie 
denn doch fuͤr den Unterhalt einer Familie ſorgen muͤſſen, 
da ihnen die Kirche beinahe gar nichts abreicht. 

Oft ſieht man Leute ‚von dreißig Jahren aus’ der Werks 
ffatt treten, um zum Prieſterthum -erhoben gu werden. 

Waren fie bisher Leinenweber, Kleidermacher, Gold» 
arbeiter oder Kupferftecher, genug, innen fie nur das 
coptifhe leſen, fo erhalten fie Die Weihe, weil die Meſſe 
und bie Tagegzeiten in diefer Sprache gehalten werden, 
welche die meilten unter ihnen nicht verſtehen. | 

Die Priefter predigen nie; dennoch ſtehen fie bei dem 
Bolfe in hoher Achtung; auch die Angefehenften und Ausge⸗ 
zeichneteften verbeugen fich vor ihnen, kuͤſſen ihre Sand, und 
bitten, ihnen folche aufzulegen. 





Die Faften der Eoppten. 


Die Cophten hatten, wie alle Ehriften des Morgen 
landes, ſehr ſtrenge uͤber das Faſten, ſie haben im Jahre 





— 


8* 


vier Faſtenzeiten: die erſte fällt vor Oſtern, und nimmt. 


neun Tage vor jener der Lateiner ihren Anfang, bei diefer 


. enthalten fie ſich alles Trinkens, Effend und Tabard s Raw 


thens big nach dem Gottesdienſte, der fi) gegen ein hr 
endiget. Die zweite, welche vor Weihnachten eintritt, 
dauerf drei und vierzig. Tage für die Geiſtlichkeit, und drei 


und zwanzig für Die Hebrigen. Die dritte Faſten ift vor ' 


dem Feſte der Hl. Apoßel Peter und Paul üblich, fie Dauert 


gegen dreisehn Tage, und fängt die Woche nach Pfingfien 


an. Die vierte iſt vor dem Feſte Mariä Himmelfahrt, viers 


gehn Tage dauernd. 


Fuͤr das Faſten iſt Fein Alter vorgefchrichen: es iſt 
nicht zu ſagen, zu welch hohem Verdienſte ſie ſich ihr Safer 
anrechnen.. 


Einige beföndere Öchbräuge der Coppten. 
1. Die Cophten ertheiln das Eacrament der legten 


Delung mit der Buſe- Sie geben zwar zu, daß der hi. 


Jakobus dieſes Sacrament für die Kranken angeordnet 
habe, unterfcheiden aber drei Arten von Krankheit, Koͤr⸗ 


pers s Kranfheiten, Seelen + Krankheiten, welche die Suͤn⸗ 
den find, und Gemüthg s Krankheiten, welche von Truͤb⸗ 


falen berrühren, fie halten die Delung für alle gut. Die 
Art der Ausſpendung dieſes Sacraments ift folgende: 


Nachdem der Priefter dem Buͤßer die: Losfprechung ers ' 


theilt bat, beginnt er mit Näucherungen, fegnef dann dag 
Oel in einer Lampe unter. Beiftand, eines Diacon, und zuͤn- 


det deren Docht an; verrichtet bierauf fieben Gebete, und 
fieben Leſe⸗ Stuͤcke ads dem Briefe des hi. Jakobus, 


nimmt aus der gefegneten Lampe Del, und macht damit eis 


ne Salbung auf die Stirne, mit den Worten: Gott verleihe 


dir Geneſung im Namen des Vaters und des Sohnes: auf 


ähnliche Weife werden alle Anmefende gefalbt, aus Beforgs 


niß, der böfe Geiſt möge fonft über einen aus ihnen kommen. 


2. An ihren Kirchen befinden fich große Waſſerbehaͤlter 


oder Becken, welche am Tage der Erſcheinung des Herrn 
Kenn: geritom II. 26 


_ 


— 


402 | Cophten. Cynifte. 

mit Waſſer gefuͤllt werden, nachdem der Prieſter ſolches ge⸗ 
ſegnet hat, taugt er die Kinder darein, worauf ſich auch 
die Erwachſenen hineinwerfen. Auf dem Lande und an den 
Ufern des Nils geſchieht die Segnung uͤber den Fluß 
ſelbſt, worin ſich darauf das Volk badet. Dieſer Gebrauch 
findet auch bei den Abyſiniern ſtatt. 

Sollte es nicht dieſe Ceremonie ſeyn, welche auf die 
Meinung führte, dag die Cophten den Nil als eine Gott⸗ 
heit verehren? 

3. Die Loͤſung des Ehebandes iſt bei den Copbten 
üblich, nicht allein im Falle des Ehebruches, fondern auch 
wegen langwierigen Krankheiten, wegen Widerwillen, haͤus⸗ 
lichen Zänfereien, oft auch aus. Ueberdruß. 

Der die Ehefcheidung betreibende Theil wendet fich zus 


erſt an den Patriarchen, oder feinen Bifchof ;. findet Diefer 


nicht8 Dagegen einzuwenden, fo wird fie ohne Weiters vors 
genommen. Verweigert der Kirchenobere die Echeidung, fo 
geht man zu dem Cadi, oder dem türfifhen Nichter, läßt 


die Ehe auflöfen, und gehef eine andere auf türkifche Weife 


ein, welche man dann eine gerichtliche Ehe nennt. 


4. Sie haben den Gebrauch der Befchneidung, welche 
fie von den Mahomedanern oder Juden angenommen haben, 


“aber mehr Fandes s Sitte, als eine religisfe Cermonie feyn 


mag, obgleich in ihren Ritualen hiervon Meldung gefchieht ; 
fie fcheinen diefe Gewohnheit bloß den Mahomedanern zu 


- Gefallen fi) angeeignet zu haben. Auch enthalten ſie ſich 


des Blutes und Fleiſches erſtickter Thiere. 1). 


Cyniker. So nannte man die Anhänger der philos 
fophifchen Secte des Antiſthenes, welche alle Gefege der 
Gefittetheit und des Wohlftandes mit Füßen traten. Diefe 
Henennung legte man auch den Turlupinen bei, die fi 
Öffentlich und ohne Scheu ten fchandbarften Ausſchweifungen 
uͤberließen. 





— — 


1) Nouveaux Mémoires des Missions de la Compagnie 
de Jesus, dans le Lovant, T. 2, Loc. cit. 





Eprenaiker, Dadoes. David. _ 403 _ 
Cyrenaiker, fie erſchienen gegen das Jahr 175 und 


behaupteten, man brauche nicht zu beten, weil Jeſus ges 


fagt Habe: Gott wiſſe Allee, was wir bedürfen. 1). 


‘ 
D 
® . 
1 has 


Dev oes. —2 der Meſſalianer. eich dies 
je Artikel.) : 


ı Dapvid.von Dinant *) hatte die Grundfäge 


Amauris angenommen, und zu ihrer Rechtfertigung‘ die 


Feder ergriffen. 


Damalg gab eg. in Frankreich noch Reſte von Cath a⸗ 
zen, oder Manichaͤern, die aus Italien heruͤbergekom⸗ 


- men woren: fie befeindeten bag Alnfehen ver Firthlichen Bes 


hoͤrden, die Ceremonien, und . Sacramenfe, läugnefen Die. 
Auferftehung, den Interfchied ‚gwifchen Tugend und Lafter 
ıc. Da fie in Amauris Syſtem eine Stüge für ihre Meis 
nungen. fanden, eigneten fie fich folches an; fie behaupte 
ten: Gott der Vater ſey Menfch geworden in Abraham, 
Bott der Sohn in Jeſus Chriftug;. des Letzten Neich 


.. fey vorüber, folglich die Sacramente "außer Wirkfamfeit, 


“ 


die Kirchendiener ohne Gerichtsbarkeit, und legitime Ge⸗ 


walt; dafuͤr ſey nun das Reich des hl. Geiſtes eingetreten, 
deſſen Religion eine ganz innerliche waͤre. 

Hieraus ſchloßen dieſe Sectirer, Daß alle förperliche, 
Handlungen gleichgültig feyen, ımd das chriſtliche Gefeg, 
welches gewiſſe Gattungen derſelben verbiete, andere aber 


anordne, nad) erfolgtem Eintritte des Reiches des hl: Geiſtes 


fuͤr Niemand mehr verbindende Kraft habe; dieſem zu Folge 


uͤberließen ſie ſich den groͤbſten ſinnlichen Ausſchweifungen; 


eine Zeitlang trieben ſie ihr Weſen im Verborgenen, wurden 
aber durch falſche Proſelyten entdeckt. 


149 Hofmann Lejikon. 


*) 13tes Jahrhundert. 
_ 26 * 


404 | David. Doketen. Donatiſten. 


An der Epige. diefer Secte fland ein Goltarbeiter, 


Namens Wilhelm, der fi für einen Gefandten Gottes 
ausgab, und prophezeite: daß noch vor Verlauf von fünf 
Jahren eine vierfahe Strafruthe die Welt züchtigen werde; 
Hunger für das Volf, dag Schwert für die Fuͤrſten, 
Erdbeben, welche die Städte verfchlingen, und Feuer 


fuͤr die Präfaten der Kicche: den Pabft nannte er den Ans 


tichriſt, Rom, Babylon, und alle Geiſtliche die Glieder 
des Antichriften. Auch hatte er. vorhergefagt, daß der Koͤnig 


Philipp Auguft und fein Sohn, bald alle Nationen uns 


tee die Herrfchaft des hl. Geiſtes bringen werden. 
Vierzehn dieſer Sectirer wurden ergriffen, und vor 
das Concilium dad eben zu Parts gehalten wurde, ge 
führt; man fuchte fie zu belehren; fie beharrten aber auf 
ihren Sjrrthümern, und zehn wurden verbrannt ‘int Des 
zember 1210. Daffelde Cöncilium“ verdammte auch die 


Bücher von der Phyſik und Metaphyſik des Ariſtote⸗ 


les, die man als die Duelle von Amauris Irrthuͤmern 
anfah. Amauris Name wurde verdammt, feine Gebeine 
ausgegraben und verbrannt. Die Schriften David's von 
HDinant wurden dem Feuer übergeben. 

Diefe Seite war nichts ald eine Horde licherlicher 
Schwaͤrmer, die auch nicht einen ehrbaren Grundſatz hatten: 
da Niemand ſie fuͤr Religions-Vertheidiger oder Verbeſſe⸗ 
rer halten konnte, fo fah man ihre Hinrlchtung ohne Theil⸗ 

nahme, und ihr Anhang erloſch 1). 

| Doketen. Reber, welche laͤugneten, daß Jefus eis 
nen wahrhaften Leib angenommen habe. und Ihm nur eis 
men Schein⸗Leib gaben 2). Ihre Benennung Rammt von 
dem griechifhen Wort dom, ab. . 


Donatiſten. *)Schigmatifer, die fich erſt von der 
Gemeinſchaft mit Caͤ cilian, Siſchof von Carthago trenn⸗ 
N) D’Argentre Coll. jud, T. I. 
*) ates Jahrhundert. 
2) Clemens Alex. Strom. L. F Tkesdoret. L. 3. 
Hlaeret iab. | win ons . 


— 


*1 








i — —— — 
— —— — — — ——— —— — ü — 


Donatfien. 405 


ten, weil er von Felix von Aptungum, der ihrem Ans 
geben nach. während. der .Werfo'gung: die Kirchengefäe und 
heiligen Schriften. an die Heiden ausgeliefert hafte, die 
Weihe. erhielt, dann die Verbindung - mit Der ganzen Kirche 
abbrachen, weil die ganze Kirche mit Caͤcilian, nicht aber 
mit Majorin und. deffen Vachfolger Donatus in Fries 
den ‚geblieben: war. - 

Diefe Spaltung, entfponnen durch eine Fleinlichte Pri⸗ 
vat⸗Rache, zerfleiſchte uͤber ein ganzes Jahrhundert lang 
den Schovs der Kirche, erfuͤllte Afrika mit, Drangſalen und 
Schreden, erfchöpfte die Geduld und Strenge dreier Kai⸗ 
fer, und wich endlich nur der Zeit, gleich einem Vulkane, 
deffen Glut, durch einen unvorfichtigen Bergmann entzündet, 
nur dann erlöfcht, wenn vie Harz⸗und Schmwefelhaltige 
Materie, die er in feinen Eingeweiden birgt, ausgebrannt 
hat. 

Es iſt wichtig, die Entſtehung und das Fortſchreiten ei⸗ 
ner ſolcher Spaltung zu kennen, und deren Erfolge genau 
imn's Auge zu faſſen. 


Entſtehung der Donatiſtiſchen Spaltuas. 


Das Chriſtenthum wurde zwar nicht ven den Apoſteln 
nach Afrika verpflanzet, breitete ſich aber doch im zwei⸗ 
ten Jahrhunderte daſelbſt aus, und ſeine Betkenner beſa⸗ 
ßen, der Verfolgungen ungeachtet, viele Kirchen. Dieſe 
Kirchen wurden unter Diocletian, Galerius und Mas 
xent ius graufam verfolgt. Während der Verfolgung wurde , 
Menfurius, Bifchof von Carthago, vor Maren 
tiug berufen. Che er abreifte, vertraute er die Kirchen, 
Gefäße einigen Welteften feiner Geiftlichkeit, und übergab 
einer alten Matrone ein Verzeichniß Bicvon, welches fie, 
wenn er auf der Reiſe flerben folte, feinem Nachfolger 
einhändigen möchte. 

Wirklich ftarb Menfurius (J. 311. ) waͤhrend der 
Ruͤckkehr nah Carthago, und Marentiug ſtellte zu 
gleicher Zeit die Chriſten⸗ Verfolgung ein 1). 





1) Optat. L. 1. Augusti n. lit. Petili L. 2. €. 87. 





406 Donatiften. 


Die Biſchoͤfe der Provinz von Afrika verfammelten fich 
su Carthago, um Menfuriug einen Nachfolger zu ges 
ben. Die einfiimmige Wahl fiel auf Edcilian, Archidia⸗ 
con der Kirche, welcher von Selir von Aptu ngum die 
Weihe erhielt 1). 

Man ftelte Caͤcilian das Veizeichniß der heiligen 
Gefaͤße zu, welche ſein Vorfahrer den Aelteſten uͤbergeben 
hatte. Dieſe, der Meinung, Niemanden ſey etwas von dem 
Afnferlegen befannt, wurden auf's dußerfle über Caͤci⸗ 

Lian aufgebracht 2 da er fie zur Herausgabe der Gefäße 
noͤthigte. 

Zwei anſehnliche Geiſtliche von Carthago, Bote 
rus und Celeuſinus, die beide um die biſchoͤfliche Wuͤr⸗ 
de gebuhlt hatten, ergrimmt uͤber den Vorzug, den man 
Caͤcil ian gegeben, geſellten ſich zu jenen geizigen Prieſtern 
und verſchwaͤrzten den neuen Biſchof. 

Als Caͤcilian noch Archidiacon war, pflegte eine rei⸗ 
che und maͤchtige Frau zu Carthago, Ramens Lucilla, 
bevor fie den Leib und das Blut Jeſu empfing, den Mund 
eines unbefannten Todten, den fie für einen Märtyrer 
hielt, welcher ater dafür von der Kirche nicht anerfannt 
war, zu kuͤſſen. Caͤcilian tadelte diefen Gebrauch, und 
verwieß ihn der Frau, melde 'fih hiedurch fuͤr befchimpff 
hielt, und von Ddiefer Zeit an, mie von ber Kirche ausges 
ſchieden, lebte 2). 

Diefe Lucilla frat mit den Feinden’ Gäcittan’ 8 in 
einen Bund; die Parthei gegen ihn wuchs an, erhißte fich, 
‚Cäcilian’s Untergang wurde befchloffen, und man fann 
auf Mittel, feine Weihe für ungültig erklären zu laſſen. 


Numidien’s Biſchoͤfe maren zu feiner Wahl nicht 
‚ beigegogen worden; diefer Umftand, verbunden mit der durch 
Belir von Uptungum ertheilten Weihe, welcher angebs 
-sich zur Zeit der Verfolgung die heiligen Gefäße und Bus 


1) Optat. ibidem. 
2) Optat. ibidem August. in: Parmen. 


” 


Donatiken. 407 
cher ausgeliefert hatte, gab feinen Feinden die Waffen ge⸗ 
gen ihn in die Hand. 

Die Auslieferung wurde in der Kirche von Ca rthago 
als eine Art von Glaubens⸗Abfall angeſehen, und die von 
den fogenannten Traditoren gefpendeten Saeramente für 
nichtig gehalten. 
| Die Feinde Gäciliau: 8 glaubten num gu feinem Vers 

derben zwei fichere Mittel aufgefuuden zu haben; fie bertes 
fen die Bifchdfe von Numidien nah Carthago, wo fie 
von Lucilla koͤſtlich bewirthet und mit Gefchenfen übers 
häyft wurden. Cäcilian murde in ihrer Verſammlung 
zu erfcheinen, vorgeladen, Das Volk geftattete dieſes feinem 
Bifchofe nicht, welcher feiner Seits Den Abgeordneten, der 
numidifchen Bifchdfe erklärte: menn jene, von welchen: er 
die Weihe empfangen habe, Auslieferer wären, die der That 
‚nach ihn nicht hätten weihen Eönnen , fo brauche es weiter 
nichts, als ihn von Neuem zu weihen. | 


Caͤctlian hielt wirklich den Felix nicht. fir einen 
Auslieferer; er fuchte fi nur durch Diefe Antwort einen 
Weg der Ausfshnung zu Sffnen, und feine Gegner zur Ruhe. 
zu bringen. Allein diefe nahmen feine Antwort für ein 
Eingeftänoniß des dem Selir angefäuldigten Verbrechens, 
erklaͤrten den Stuhl von Carthago für erledige, ſchritten 
zu einer neuen Wahl, und ernannten Majorin, einen 
Hausgenoſſen Lucilien's, der in der Kirche Caͤcilian's 
Borlefer gewefen war, zum Bifchofe. 1). . 
Des Ausfpruches der Bifchsfe von Numidien unge 
achtet, blieb die ganze Kirche in Gemeinfchaft mir Cacilian; 
an ihn, nicht an Majorin murden die Anſchreiben der 
Kirche jenſeits des Meeres gerichtet. 

Der angreifende Theil iſt in gewiſſer Art der feindliche, 
thaͤtiger und unternehmender, als der Angegriffene, der ſich 
in den Schranken der Vertheidigung halt; Majorin’s Uns _ 


1) Opt. ibidem. August. ibidem et ın Gaud. in Prim. 


— 


in Crescens, 





408 | oo Donatifre. = 


haͤnger fchrieben gegen Caͤcilian an alle Kirchen, verldums 
deten ihn, erhittten die Gemüther und veranlaßten- einige | 
Volksauflaͤufe. 

Conſtantin der Große, der fit der - Niederlage des 
Maxentius Italien und Afrika beherrſchte, bekam 
hievon Kunde; er befahl dem Proconſul dieſer Provinz, und 
dem Praͤfektus Praͤdorio jenen, die den Frieden der Kirche ſtoͤr⸗ 
ten, nachzuforſchen, und ihnen Einhalt zu thun. 

Majorin’s Parthei, von den Befehlen Conſtantin's 
unterrichtet, gab eine Denkſchrift ein, worin Cäcilian 
mehrerer Verbrechen angeflagt wurde, 

Eonftantin, der in einer neu eroberten Hrovinz die 
Folgen eines Religionsſtreites fuͤrchtete, wollte es mit Fei« 
ner der beiden Partheien verderben, weigerte ſich in der 
Sache zu entſcheiden, und verwies fi fie an den Richterſtuhl 
der Biſchoͤfe. 

Caͤcilian hegab ſich mit zehn Siſchoſen, die auf ſei⸗ 
. ner Seite waren, nach Rom, wohin auch Donatus von 

 Eafd Nigrä mit zehn andern Sifhöfen von Majorin’s 
Anhange fich aufmachte. 
Da dieſe letzten auch nicht eines ber dem Caͤciltan 
zur Laſt gelegten Verbrechen erweiſen fonnten, ſo wurde 
dieſer für unſchuldig erkannt. | 

Die Freiſprechung Caͤcilkan's zog die Verurtheilung 
feiner Anklaͤger keineswegs nach fi. Vielmehr erboth ſich 
der Pabſt Miltiades, der auf dieſem zu Rom gehaltenen 
Coneilium den Vorſitz hatte, Schreiben der Kirchen⸗Ge⸗ 
meinſchaft an jene, die von Major in waren geweiht wor⸗ 
den, zu erlaſſen, und fie als Biſchoͤfe anzuerkennen; endlich 
wurde feſtgeſetzt, daß, wo immer ſich zwei Biſchoͤfe, deren 
einer von Majorin, der andere von Caͤcilian geſetzt 
wäre, befinden ſollten, der früher geweihte im Beſitze zu 
verbleiben habe; für den legten aber andermeirig Verſorge 
zu treffen ſey 1). 


J —7 7 — * 


3) Opt. L. ı. Collat. Carili. apud Aug. et Ep. 43. 








\ 


Donatiſten. 4009 


Diefes Concilium ' entfchied weder ber den Ausſpruch | 
der numidiſchen Bifchdfe, noch ließ es ſich auf die. Sa⸗ 
che bes Felir von, Aptungum ein. Die Anhänger Mas 


jorin’s warfen. dem Concilium vor, e8 habe mit Hebereis 


lung, und ohne hinlängliche Unterfuchung gefprochen, weil 
c8 von der Angelegenheit des Felir von Aptungum gar ' 
feine Kenntnig genommen habe, welches der Haupt⸗ Streits 
‚punkt gemwefen ſey. 

Conftantin berief (3. 314) ein weit zahlreicheres 
Concilium nach Arles, wobei ſich Biſchoͤfe aus allen Pro⸗ 
vpinzen des abendlaͤndiſchen Reiches einfanden. Abermals 
wurde Caͤcilian für unſchuldig, und die Anklagen feiner 
Gegner fuͤr Verlaͤumdung erklaͤrt. Auch wurde uͤber die 
Entſcheidung des Concilium's und die Halsſtaͤrrigkeit der 
Feinde Caͤcilian's Bericht an den Kaiſer- erſtattet 1). 

Dieſer befchied die dem Majorin zugethanen Biſchoͤfe 
an ſein Hoflager; wo ſie bald Goͤnner fanden, welche den 
Kaiſer erſuchten, in dieſer Sache ſelbſt den Ausſpruch zu 
geben. Der Kaiſer entweder r aus Ueberdruß oder aus Ge⸗ 
faͤlligkeit fuͤr die ihn umlagernden Schmeichler, bewilligte 
endlich die Uebernahme einer Reviſion dieſer Streitſache mit 
dem Verſprechen: daß Caͤcilian verdammt werden ſollte, 
wenn man-ein einziges der Verbrechen, deren er begzuͤchti⸗ 
get war, darthun koͤnnte. Und zum drittenmale wurde die 
Unſchuld Caͤcilian's anerkannt, ſeine Gegner aber als 
Verlaͤumder dargeſtellt. Dieſe letztern ſprengten nun aus, 
der Kaiſer babe ſich von Hoſtus, Biſchof von Corduba, 
hintergehen laſſen, der ihm dieſes Urtheil eingefluͤſtert haͤtte: 
die Spaltung dauerte fort, bald darauf ſtarb Maforin 
(3 314.) 


Die Spaltung der Donatiften von Erhebung Dos 
nat's auf den biſchöflichen Stuhl Bis zu feinem 
Tode. 

Nach Majorin's Tode ermählten die Biſchoͤfe ſeiner 
Parthei Donat an ſeine Stelle; nicht den Donat von 





— U 


») Euseb. 1. 10, C. 5, 


410 | Donatifen. . 


Caſaͤ Nigrd, fondern einen andern Donat, von der 
Darthei der Große genannt, der mit vielen: Kenntniffen 
große Nedners Talente verband, und. ſich durch firenge Sit⸗ 
fen und Uneigennuͤtzigkeit empfahl; jedoch war er hichft eis 
tel und ehrfüchtig. Er weihte alle feine Talente dem Schuge 
feiner. Parthei, verfaßte zu deren Rechtfertigung viele Schrifs 
ten, imd wußte fi) einen großen Anhang zu verfchaffen. 

Der größte Theil von Afrika erkannte die von den 
Ketzern und Sundern ertheilten Sacramenfe für ungültig. 
Siebenzig Bifchöfe haften in einem Concilium zu Cirta 
ben Felir von Aptun gum,. als der Auslieferung der Hl. 
Bücher überführt, verdammt; Caͤcilian fehien felbft dieſes 
anerkannt zu haben, weil er, von neuem gemweihet zu wer⸗ 
den , verlangt hatte; das Concilium zu Rom, welches bie 
Weihe Caͤcilian's beftättigt hatte, wollte über den Aus⸗ 
fpruch der Bifchdfe von Numidien keine Entfcheidung ges 
ben, nicht, teil e8 den Felix für unſchuldig hielt, fondern 
weil die läteinifche Kirche die von Ketzern erfheilten Sacras 
mente als gültig anerfannte, Die Unfchuld des Felix an 
dem ihm aufgebürdefen Verbrechen konnte daher in Zwei⸗ 
fel gegogen werden, und Eäcilian als ein von einem Aus⸗ 
lieferee Geweihter erfcheinen. Nach dem oben angeführten 
Wahne der Afrikaner von Unguͤltigkeit der durch Ketzer ges 
fpendefen Sacramente ift e8 leicht begreiflich, daß ein ta⸗ 
lentvoller Dann, wie Donat, die Gründe der Parthei des 
Maiorin als vollwichtig geltend machen konnte, und wirk⸗ 
lich ließen ſich auch Viele durch ihn verführen. 

Maſorin's Anhang kraft durch feinen neuen Verfech⸗ 
fer gleichfam von Neuem in’s Leben, und legte fih deſſen 
Namen bei; ale, die zur Parthei Donat’g gehörten, 
nannten fih Donatiften. 

Ueber eine Yarthei, der man feinen Namen giebt, iſt 
es leicht, eine unumſchraͤnkte Herrſchaft zu erringen. In 
Kurzem war Donat der Goͤtze und der Tyrann der Dona 
tiſten; ſie wurden unter feinen Händen eine Art von Aus 

tomaten, denen er eine willkuͤhrliche Richtung und Bewe⸗ 
gung gab 1). 


ı) Optat. L. 3. August. in Crescent. in Parmen. 





Donatiſten. u 411 


Donat hegte die hoͤchſte Meinung von feiner Perſon, 
und die tiefſte Verachtung gegen die Menfchen, die Obrigs 
keiten, felbft gegen den Kaifer ; dieſe Geſinnungen floͤßte er 
auch feinee Secte ein: die Donatiften fahen Niemand 


über fih, als ihren Meifter, glaubten geboren zu ſeyn, 


über alle Beifter zır herrſchen, und ber ganzen Menfchheit 
Gefege vorzufchreiben. 

Diefe Schismatiker, befeelt von ſelbſtſüchtiger Schwaͤr⸗ 
merei, die ſich hinter den Schein des Eifers, und den 
Schleier der Religion barg, zogen eine Menge Menſchen 
in ihr Unheil bringendes Netz, und Conſtantin ſah ſich 
gezwungen, um dem Uebel Einhalt zw thun ihre Kirchen 
sum Beſten des Fiskus einzuziehen. 


Dieſer Gewalts⸗Akt ſetzte die Donatiſten in Wuth, 


die nun weder Schranken, noch Geſetze mehr kannten; ſie 


jagten die Katholiken aus mehreren Kirchen, und wollten 


gar Feine Gemeinfchaft mehr mit ihnen haben. u 


Conſtantin, die Folgen. feiner Strenge befürchten, 
ſchrieb an die afrifanifchen Bifchdfe, fie mochten die Donas 
tiften mit Güte behandeln, und die Beftrafung diefer Wüs 
therige Soft anheimſtellen. Diefer Kaiſer verabfcheufe die 


Donatiften, und nur die Furcht vor Unruhen in Afrifa 


zwang ihn zur Einflellung feiner ſtrengen Maßregeln 1). 
Donat fuͤhlte das Bedenkliche ſeiner Lage, und glaub⸗ 
te, ſich nur dadurch gegen den Eifer der Katholiken ſicher 
zu ſtellen, wenn er ſeinen Schuͤlern eine Ueberzeugung und 
Zuverſicht einfloͤßte, welche ſie gegen Gewalt, Waprpeit, 
und Todes: Furcht unempfindlich machte. 

Einige Gaufeleien, die er für Wunder ausgab, fanden 
Glauben, und mehrere Donatiſten rühmfen fich, durch 
ihr Gebet über den Gräbern der Ihrigen r. Wunderdinge 
hervorgebracht zu haben. 

Nicht Iange nad) diefem gab fi) jeder Bifchof für ums 
truͤglich und unfündhaft aus; auch dieſes wurde geglaubt, 


1) Euseb. Vit. Const. L. 1. C. 45. 


— 





412 . Donatiften. 


und die Spaltung erweiterte fich zu, einem imbeflbaren Uebel. 
- Die Donatiften waren überzeugt, daß fie ,- indem fie ih⸗ 
ren Biſchoͤfen folgten, ihres Heils nicht verluftig gehen koͤnn⸗ 
‚ten, und wenn man fie. durch die Gewalt der Wahrheit übers 
führte antmworteten fie: fie feyen ihrer. Sache ganz gemiß, 
weil fie als Schaafe ihren Hirten folgten, bie für fie vor 
Gott Rechenfchaft ablegtem 1). 

Von diefer Stufe der Zuverfiht ging man bald zu der 
Uebergeugung über, daß es nothwendig ſey, die Vartbei 
Donat's mit gewaffneter Hand zu verfechten. Scaarens 
weiſe fab man Donntiften thre Gewerbe verlaffen, dem 
Feldbaue entfagen, und- zum Schutze der ihrigen ausruͤcken: 
fie nannte fi) Agoniftd, d. h. Kämpfer, meil fie, wie 
fie fagten, die Soldaten Jeſſu gegen den Teufel wären: 
Da fie ohne ‚bleibende MWohnflätte waren, und der Lebfucht 
halber, fich bei den Häufern der Landleute aufhielten, bes 
famen fie Die Benennung Cireumcellionen. 2). 

Nah Conftantin’ Tode ſchickte Conſtantius, 
dem Afrifa zugefallen war, Paulus und Macarius dar 
bin, mit milden Gaben, und dem Ermahnen an alle Eins 
wohner: fich friedlich mit einander zu vertragen... Donatug 
verfchmähte des Conſtantius Gefchenfe, die Stadt Bey 
gia oder Beja verfchloß vor Macarius die Thore;'bald fah 
er fi von den Circumcellionen angegriffen, welche ale 
Macarius Verftärfung an ſich gezogen hatte, mit aller 
Erbitterung Obſtand leiſteten, big fie endlich zerftreuf, und 
tie Donatiften von dem gereisten Macariug mit aller 
Strenge behandelt wurden. 

Sogleich erhoben die Donatiften Rlagen über Vers 
folgung und fprengfen aus: Marculph fey von der Spige 
eines Selfen, und Donatus in einen Brunnen geſtuͤrzt 
worden. Beide wurden fofort zu Martyrer erhoben, und 
die Ehre des Martyrthums wurde eine Hauptleidenſaeft 
der Circumcellionen. 


> \ 





1) Aug. in Parmen. L. 2. C. io. | 
2) Die Wopnungen der Landleute hießen Cella. - Siehe das 
Miprere im Art. Circumcellionen. 








rL 


ODonatiſten. | 413 

Macar's Strenge und die faiferlichen Geſetze verfin⸗ 
gen nichts gegen die Circumcellionen und die Donas 
tiſten, nichts Fonnte fie bewegen, mit. den Katbolifen Ges 
meinfchaft zu pflegen, lieber gaben fie ſich den Tod. 

Jedoch wurde die Zahl von Donat’s Anhänger durch 
Macamg gewaltfame Maasregeln fehr verduͤnnt; fie behiels 
ten nur noch einige Kirchen; die Bifchdfe ‚wurden zerſtreut, 
Donat flarb in der kandes-Verweiſung, und Marimian 
ward ſein Nachfolger. 





Die Donatiſten feit Donat's Tode bis zur sanzli⸗ 
hHen Erloͤſchung des Schisma. 


Als Julian den Thron beſtiegen hatte, rief er alle 
um der Religion willen Verbannte zuruͤck, und erlaubte den 
donatiſtiſchen Biſchoͤfen, ihre Stuͤhle wieder in Beſitz 
zu nehmen. 1% Die Donatiſten wollten in, ihre Kirchen, 
deren fich die Katholifen bemächtigt hatten, mieder einprins 
gen; dieſe widerſetzten fi, man wurde handgemein, faft 
ale Kirchen wurden mit zerftüchten Leichnamen, erdruͤckten 
Weibern, unzeitigen Geburten, gemordeten Kindern, ange⸗ 
fuͤllt. 

Die Donatiſten, von den Statthaltern unterſütt, | 
vertrieben endlich die Katholifen, und wurden in Afcifa 
allvermögend; Alles beugfe den Nacen unter diefe furchts - 
bare Secte, ihre Bifchöfe hielten ein Concil von mehr als 
dreihundert gehn Biſchoͤfen, und. belegten ganze Voͤlkerſchaf⸗ 
fen mit Rirchenbußen, weil fie ſich von den Latholiten nicht 
getrennt hatten. 2). 

Einige Jahre darauf trennte ſich Nogatus, Biſchof in 
Mauritanien von den Donatiſten vermuthlich, weil 
ihm der Unfug der. Circumcellionen mißfiel; die Dos 
natiſten fahen diefe Abfönderung mit vielem Widerwillen, 


ı) Opt. L. 2. 
2)-1bidem. 


414 Oonatiſten. 
hetzten die weltliche Macht gegen die Rogatiſten ‚und ers 
druͤckten dieſe Parthei.. 

um dieſe Zeit, und mitten unter den Verlaͤumdungen, 
womit die Donatiſten die Kirche uͤberdeckten, war es, 
daß Parmenian, ‚he Biichof zu Carthago, in einem 
Werte in fünf Büchern bie Bertheidigung feiner Secte 
uͤbernahm, worin er zu beweiſen verſuchte: daß die Taufe 
der Keger ungültig, und daß die von ihnen Getauften von 
der Kirche ausgefchloffen find. 
Der bl. Dptatus, Bifchof von Milevis, wider 
legte in einem in ſechs Bücher getbeilten. Merfe (5. ‚370. ) 
‚Barmenian’s Schrift. 


Die Schwaͤrmerei legte fich bei deu Donatiften, und 
einigen fing das Licht der Wahrheit an, aufzugehen. Ty⸗ 


conius bewies die Guͤltigkeit der Ketzertaufe, verwarf das 


Wiedertaufen, und zeigte, daß man Mißbraͤuche und Laſter, 
wenn man ſie nicht abſtellen koͤnnte, unter den Gliedern der 
Kirche dulden, und deshalb die Einheit nicht brechen muͤſſe. 

Parmenian beſtritt die Grundſaͤtze des Tyconius; 
der hl. Au guſtin widerlegte den Brief des Parmenian. 

Da nur die Nothwendigkeit, ſich gegen die Katholi⸗ 
ken aufrecht zu halten, die Donatiſten zuſammenhielt, 
ſo ſpalteten ſie ſich, ſobald ſie einiges Anſehen erlangt hat⸗ 
ten, in eine Menge Secten und Zweige 1). 


Primian, dem Donatus vielen Verbruß gemacht 


Hhatte, wollte deshalb, als er Biſchof von Carhago ge 


worden war, an dem Diacon Maximian, Donat's 


Anverwandten, Rache uͤben, und verhaͤngte gegen ihn ein 
Urtheil. 


Maximian vertheidigte ſich, mehrere zu Carthago 
verſammelte Biſchoͤfe erkannten Primian's Spruch fuͤr 
unguͤltig, unterſuchten ſeine Auffuͤhrung, fanden ihn abſcheu⸗ 


licher Verbrechen ſchuldig, feöten ihn. ad ‚und Marimian 
an feine Stelle. Ä 


2). August. Ep. 48, 


\ 


% 


Donatiſten. 4135 


Primian berief ein Concilium von 310 Biſchoͤfen, 
das ihn fuͤr unſchuldig erklaͤrte, und Maximian nebſt als 
len, die an ſeiner Einſetzung Theil hatten, verdammte. 
Primian berichtete die Entſcheidung des Concilium's von‘ 
Beggia an die Proconfuln, trug auf Vollziehung ver 
Staats⸗Geſetze gegen- die Ketzer an, ließ alle, vie in ſei— 
nem Koncilium verdammt worden Maren, aus ihren Kirchen 
verjagen, und zerfiözte die Kirche des Warimian. Die Stieis 
figfeiten Diefer zwei Partheien dauerten durch die Verwal⸗ 


tungs⸗Zeit von vier Proconfuln., 


Optatus, Biſchof von Tamgad, Alles vermoͤgend 


bei Gildo, dem Befehlshaber Afrika's, verwendete ſein gan⸗ 


zes Anſehen zur Verfolgung der Katholiken, Rogatis 
ften, und Maximianiſten: gehn Jahre hindurch hieß er 
die Weheklage Afrika's, feine Graufamfeiten endigten fich 
nur mit Gildo's Tode, der, als er fich unabhängig mas 
hen wollte, nach erliftener Niederlage, fich erdroffelte. 

Der Kaiſer Honorius, dem diefe Unordnungen bins 
terbracht wurden, fprad) ‘in einem Gefege dag Todes; Ur; 
theil über Alte, die uͤberwieſen wuͤrden, bie "Fischen ber 
Katholiken angegriffen , oder beunruhiger zu haben. 

Nun fingen die Katholiken au, Concilien zu halten ‚au 
ſchreiben, und gu predigen. 

Der ven Katholifen bewilligte, Schug entzuͤndete neus 
erdings die ganze Wurh, und 'alen Haß der Donatiften; 
feine Eatholifche Kirche war vor ihren Anfällen ficher,- fie 
ergriffen auf den Straßen alle Katholifen, bie ausgegangen 
waren, Einigkeit und Triebe zu predigen, ihr wilder Eis 
_fer achtete auch der Bifchdfe nicht; die Ci reumcellionen 
die auf den Feldern umherſteiften, verübten taufend Graus 
famfeiten gegen foldhe, die es wagten, Friede anzubieten, 
und die Donatiften zur Ruͤckkehr einzuladen. 

Das Eoncilium von Cartbago lieg den Kaifer durch) 
Abgeordnete bitten: er möge die, Katholifen, welche die 
Mahrheit predigten , oder zu ihrer Vertheidigung fchrieben, 
gegen die Beleidigungen der Donatiften fichern. 

Der hl. Auguftin und andere: Bifchofe hielten dafür, 


man müffe bei dem Kaifer nicht um firenge Maaßregeln ge⸗ 


416 Donatiſten. 


gen die Donatiſten nachſuchen. Erſterer glaubte, Nies 
mand müffe-zur Vereinigung gezwungen werden; man follte 
ven Weg der Unterredung einfchlagen, durch Disputtren 
tämpfen, durch die Wahrheit‘ fiegen: aufferdem fey zu bes 
forgen aus offenbaren Kegern verfiellte Katholifen zu machen. 
Allein die Donatfften haften den Staat mit Unords 
nungen erfült, waren Störer der Öffentlichen Ruhe, Meu⸗ 
chelmoͤrder, Brandflifter, Empsrer; der Kalfer war Dem 
. Meiche firengere Gefebe gegen fo gefährliche Unterthanen 
‘schuldig, man konnte weder die birgerliche noch religioͤſe 
Duldung für fie anfprechen, mithin hielt fi) das Staats⸗ 
Oberhaupt verpflichtet, unter den haͤrteſten Beftrafungen 
dieſen Schismatikern die Rückkehr zur Kirche zu gebieren 1). 
Donatiſten und Katholiken frugen endlich auf eine 
Conferenz an; Honorius veranffaltefe durch ein Edikt im 
J. 410 eine Zufammenkunft der Biſchoͤfe beider Theile. 
Die Eonferenzen wurden im folgenden jahre eröffnet, 
der fatholifchen Bifchdfe waren 281, der donatiftifchen 279. 
von. jeder Seite wählte man fieben Bifchdfe zum Disputiren. 
Nach dreitägigem Dispüten entfchied der Comes Marces 
Llinus zu Gunften der Katholiten,, und erftattete hierüber 
den Bericht an den Kaifer, welcher durch ein Gefeß pom 
Jahre 412 den Donatiften ſchwere Geldbuſen auflegte, 
ihre Bifchäfe verbannte, und ihre Lirchengůter den Katho⸗ 
liken zuerkannte. 

Dieſer Schlag entzuͤndete, gleich einem Blitz⸗ ⸗Strahle 
der in eine Pulvertonne faͤllt, die Wuth der Do natiſten 
von Neuem; fie liefen zu den Waffen, meuchelten die Ka 
tholiken, tödteten fich felbft, ia fie wollten lieber Hand an 
fich legen, als in die Fatholifche Kirche zurücktreten; jedoch 
wurde durd) die Klugheit und Feftigkeit des Comes Mar 
cellinuB das Feuer bald niedergelegt. 2). 


‚ı) Aug. Ep. 50, Codex Theodos. 16, T. 6, L. 3. p. 195: 

2) Collat, Carthag. an. 4tı. habit. Vid. nov. Collect. 
Tone; Baluzii, apıd Aug. Brelliculus Collat. eum Do- 
natislis addit. Benedict. T. 9. p: 545. 


_ Donatiflen, Ä 417 


"Die donatiſtiſchen Biſchoͤfe ſprengten aus: Marcel 
Lin, durch große Geldſummen von den Katholiken befiochen, 
habe ihnen nicht geſtattet, fich zu vertheidigen, welche Vers 
‚Ikumdungen von dem hl. Auguſtin ohne Mühe widerlegt 
wurden. - 

Theodofiug der Jangere erneuerte die Geſetze des 
Honorius gegen die Donatiſten, und verminderte ihs 
ren Anhang noch mehr, Bald darauf bemiächtigfen fich die 
Vandalen Afrikas, und mifhandelten Katholiken wie 
Donatiften. Allmaͤhlig legte fiih ihr Fanatismus, mod 
einmal zuckte er unter dem Kaifer Mauritius auf, weis. 
‚cher aber die Gefeße gegen die Donatiften in Vollzug 
brachte. Zerſtreut in verfchiedenen Winfeln‘ Aftila's bonn 
ten ſ ie feine Parthei mehr bilden. | 


Die Irespäner der Donatifen. 


Spal tung iſt jederzeit das Rind oder die Mutter des 
Irrthums. Die Donatiften trennten ſich von der Kirche, 
weil fie die Weihe Caͤcilian's als ungültig angaben , uns 
ter ver Vorausſetzung: daß Felix, Biſchof von Aptungum, 
der fie ihm ertheilt hatte, ein Auslieferer ſey. Dieſes 
leitete ſie natuͤrlich auf die Behauptung: die von Ketzern 
und Suͤndern geſpendeten Sacramente ſind ungültig. 

. Hieraus zogen fie die weiteren Folgerungen: die Kirche 


beſtehet nur aus Gerehten; Käcilian, Felix, der ihn ges 


weiht, der Pabft Miltiades, der ihn loggefpeochen hatte, 
und mehrere ihrer Mitbrüder, mäffen, als des Verbrechens 
uͤberfuͤhrt ‚ihrer Stellen entfegt, und aus der Kirche geflos 
gen werden ; Da fie ihrer Verbrechen wegen aufgehört haben, - 
Glieder derfelben zu ſeyn; alle, fo fie unferflügf, und mit. 
ihnen Kirchen s Gemeinfchaft gepflogen haben, find durch 
"Sutheißen Diefer Vergehen ihre Mirfchuldigen geworden, 
mithin Haben ſich nicht nur Die Kirche von Afrika, Tons 
dern auch alle Kirchen der Melt, die durch dee Band 
der Einheit mit Caͤdilian und feinem Unhange. ver⸗ 
knuͤpft blieben, befleckt, und haben autgehont einen Theil 
KetzerLexikon. IE Ä 


1 x 


418 Dmatiften. 


der wahren. Kirche Jeſu Chrifti aussumachen, welche nur 
auf die Fleine Zahl derjenigen, die feinen Theil mit den 
Treulofen haben wollten, defchränft iſt, und ſich in ver 
Reinheit erhalten hat. Sie glaubten fohin, die wahre Kirche 
fen nur aus Gerechten zufammengefegt, und fie [even dieſe 
Kirche. 

Der ganze Streit der Katholiken und Donatiſten 
drehet fih um die drei Fragen: Iſtens) Ob Felix des ihm 
aufgebürderen Verbrechens fchuldig war? Atens) Ob er, wenn 
er fhuldig war, Caͤcilian habe guͤltig weihen können? 
3tens) Ob nur Heilige und Gerechte Glieder der Kirche feyn 
koͤnnten, oder ob fie aus Guten und Boͤſen sufammen ges 
fegt ſey? 

Es erhellet aus der Gefchichte der Spaltung der Du 
-  natiften, daß fie gegen Felix und Caͤcilian nie eines 
der Verbrechen ermweißen konnten, welche fie ihnen Schuld 

- gaben. In dem Artikel: Wiedertaufe der Keger 
werden wir zeigen, daß die von Kegern und Sündern ers 
theilten Sackamente gültig find. Gegenwärtig wollen wir 
den Irrthum der Donatiften über vie Kirche prüfen. 

‚. Die Donatiften behaupteten: die Kirche beſtehe nur 
aus Gerechten, und bewießen es durch die Kennzeichen, 
'die die Propheten ihr geben, und die Bilder, unter welchen 
ſie lie anfündigen. 

| Iſaias, fagen fie, flelt ung die Kirche vor wie eine. 
heilige Stadt, in welcher Fein Unreiner und Unbefchnittener 
sirgelaffen wird, fie muß -ein heiliges Volk enthalten. (Isai. 
‚c. 52, 1. 62, 12. . 

Das hohe Lied ſchildert ſie uns under dem Bilde ei⸗ 
nes fleckenloſen Weibes, an dem nichts auszuſtellen if, 
C(Cont. C. 4.) 

Das N. T. ſpricht noch deutlicher und beſtimmter. Der 
heilige Paulus ſagt ausdruͤcklich: daß Jeſus ſeine Kirche 
geliebt, und geheiliget hat, daß ſie rein iſt und ohne Fehler. 
(Ephes. 5, 25 - 27. 2 Cor. 11, 2) \ 

Man gab vor: die wahre Kirche beftehe nur aus einer 
Heinen Zahl Gerechten, daß eine ‚große Ausdehung derfelben 


N 





Donatifien. "419 


nicht weſentlich ſey, daß fie auf Abrabam, Iſaak und 
Jafob befchränft, gewefen, und in der Schrift unter dem 
. Gleichniffe einer engen Pforte, durch welche Wenige eingins 
gen, vorgeftellt werde, m. f. mw. 1). 

Sie rechtfertisten ihre Spaltung mit dem Beifpiele des 
Elias und Eliſaͤus, die mit den Samaritanern Feine 
Gemeinſchaft gepflogen haͤtten, und ſtuͤtzten ſich auf das, 
was Gott durch den Mund des Haggaͤus ſpricht, dag Er 
ein durch die Suͤnde verunreinigtes Volk verabſcheue, und 
daß Alles, "was es opfert, unrein ſey. (O. 2, 14, 15.) 


Die Katholiken zeigten, daß die Donatiſten uͤber 
die Beſchaffenheit und Ausdehnung der Kirche im Irrthume 
ſeyen. Man bewies ihnen, daß fie in der Schrift als eine 
Gefenfchaft dargeftellt wird, welche Gute und Boͤſe enthalte, 


daß fie Jeſus Chriſtus ſebſt unter dieſen Zuͤgen darge⸗ 


ſtellt habe. 

Bald iſt ſie ein Netz, in das Meer geworfen, welches 
alle Gattungen von Fiſchen einſchließt, bald ein Acker, auf 
welchen der Feind Unkraut ausſaͤet; ein andermal eine Ten⸗ 
ne, auf welcher Stroh mit gutem Waizen vermiſcht liegt. 
(Math. 13.) 

Die alte Kirche duldete auch die Suͤnder in ihrem 
Schooße: Aaron und Moſes machten keine Spaltung, 
obgleich Iſrael's Kirche Goftesräuber enthielt; Saul und 
David gehörten zur Kirche Juda, ed gab fchlechte' Pries 
fter und fchlechfe Suden in eben der Geſellſchaft, wovon 


Seremias, Iſaias, Daniel und Ezechiel Glieder - 


‚Waren. 2). 

Der hl. Paulus trennte ſich nicht von der Gemeinſchaft 
der Suͤnder, er ſah ſie, ihrer Suͤnden ungeachtet, noch als 
in der Kirche befindlich, an. Djeſen Begriff gibt und Pau⸗ 


lus von der Kirche, und ber, Gottesdienſt, bie Gebete, die 


1) Aug. de Unitate Eecles.; 3 coua. Carthag. T. 9. edict. 
Bened. Collect- Baluz. 


2) Aug. cont. Ep. Parmen. L. 2. C. 7. De Unit. Eecles. 


C. ı3. 
27 * 


— 


420 . Donatiſten. | 


Eeremonien, fo alt, als die Kirche ſelbſt, fehen voraus, daß 
fie Sünder in fi) faßt. (Rom. 4, 34. Hebr. 9, 12. 1 
Timoth. C. @. 

Ale Schriftſteller, in welchen die Rirche als ein reine 
Sefellfchaft vorkoͤmmt, von welcher die Suͤnder ausgefchlofs 
fen find, müffen nach dem hl. Wuguftin, von der trium⸗ 
phirenden Kirche verflanden werden. 1) | 

Auf der Erde iſt fie eine religioͤſe Geſellſchaft, beſtehend 
aus Menſchen, die mit einander verbunden ſind, aͤußerlich 
durch die Gemeinſchaft der naͤmlichen Sacramente, und der 
Unterwuͤrfigkeit unter die rechtmaͤßigen Oberhirten; innerlich 
durch den Glauben, die Hoffnung, und die Liebe. 

Man kann daher in der ‚Kirche einen dußern und fichts 
baren Theil, der gleichfam der geib derfelben tt, und einen 
innern unfichebaren, als die Seele derfelben unterſchei⸗ 
den.. In Unbetracht des bloß innern Thelles ver Kirche 
kann man alfo fagen: daß Ketzer und Sünder ihre nicht ans 
gehören; aber hicht weniger wahr iſt es, daß ſie zum Feibe 
derfelben gehören, und fo bat man die verfchiedenen Stellen, 
in welchen der hl. Auguftin, und nach fhm mehrere Gots 
tesgelehrte fagen, dag die Sünder eine Glieder der Kirche 
ſeyen, auszulegen. 

Der Eardinal Bellarnim bat die fung aller Schwie⸗ 
rigkeiten durch die Vergleichung mit einem Menſchen gege⸗ 
ben, der aus Leib und Seele beſtehet, und deſſen Arm, 
wenn gleich gelaͤhmt, nicht aufhört, ein Theil von ihm zu 


ſeyn. 
Die Katholiken bewieſen mit nicht weniger Stärke und 
einleuchtender Wahrheit, daß ein religidfer Verein, in einem 
Winkel Afrika's verfteckt, Die wahre Kirche nicht ſeyn koͤnne. 
Alle Propheten verkünden, daß die Kirche Jeſu fih 
über den ganzen Erdfreiß verbreiten müfle. (Genes, zz, 
Isai. 49, 54. Malach. ı. Ps. 2, 29. 49, 55,.7ı.) 
Jeſus felbft deutet diefe Prophezeihungen auf fih, Cr 
ſagt: Alfo iſt's gefchrieben, und alfo mußfe Chriftug lei⸗ 
ven und predigen laffen In feinem Namen Buße und Ders ' 


— — 


(1 Aug. L. 2. Retract. C. 18 











. 2) Aug. cont. Cregoent. 


Donatiſten. | 421- 


gebung der Sünden unfer allen Voͤlkern, anhebend. von Jes 


| rufalem. (Luc. 24. 46, 47.) 


Ale Väter vor den Donafiften waren der Meinung: 


daß die wahre Kirche Jeſu katholiſch (allgemein) feyn 
muͤſſe; durch dieſe Benennung unferfchled man fie, von dem 


bl. Polycarpus am, von den Secten, die fi) im Chris 
ſtenthume erhoben 1). Endlid war dieſes die Lehre der 
ganzen Kirche gegen die Donatiften 2), 

Sonach iſt e8 nie erlaubt, ſich von der Fatholifchen 
Rirche zu trennen, weil fie die. wahre Kirche ift: man kann 
ftets in ihr fein Heil erwirken; man hat folglich nie eine 


‚ rechtmäßige Urſache, das Band der Einigkeit mit ihr zu 


zerreißen, und alle Geſellſchaften, die fich von ihr frennen, 

find Schigmatifer. Ä 
. Bor den Streitigfeiten, welche die Reformatoren deg 

fechszehnten Jahrhunderts im Abendlande erregfen, war die 


roͤmiſche Kirche ungezweifelt die Karholifche, und Ale, wels 


che die Reformation annahmen, waren in ihrem Schooße: 
fie Eonnten fich daher von ihr nicht lostrennen, ohne Schi gs 
matiker zu ſeyn: denn fie koͤnnen der katholiſchen Kirche 
nicht vormwerfen, daß fie ein einziges Dogma lebre, welches 
nichf auch, von großen Heiligen geglaubt worden ſey; folgs 
li) fonnte man gu allen Zeiten in der roͤmiſchen Kirche zur 


Seligkeit gelangen, und deshalb war auch zu Zeiten 


Zwingli’s Luther's und Calvin’s Fein gefeklicher 
Grund vorhanden, fich von der römifchen Kirche zu trennen, ' 
wie folches die Urheber der angeblichen Neformation thaten 


Die proteftantifche Kirche iſt alfo nicht Die wahre Kirche, 


und jene, die in ihre Gemeinfchaft getreten find, haben Feine 


Urfache, in der Abfönderung von der römifchen Kirche zu 
verbarren. Möchten biefes unfere getrennten Glaubens⸗ 


1) Euseb. hist. eccl. 4, Q. 15. Cyril. Catech. 18. circa 
ſinem. Ang. cont. Ep. fundam. C. 7. Cypr. de unit. 


eccles. 


# 


422 Donatiften. Dofithäus. 


Brüder ruhig und leidenſchaftslos erwägen, möchten fie nicht, 
ſtatt deffen die Katholiken haſſen, fie auf alle Art veruns 
glimpfen und verläumden, möchten: fie den Wahn aufger 
ben, als wolle man fie despotifiren, und nicht, belehren. 


Die Trage über des Schisma ver Proteflanten iſt 
von Heren Nicole entfchöpfend beantwortet worden 1). 


Dofithäus *). war ein Zauberer aus Samarien, 
der fich fir den Meſſias ausgab; man Hält. ihn fuͤr den 
erſten Ketzer⸗Haͤuptling. 
Die Samaritanen hatten das moſaiſche Geſetz, wie 
die Juden, und erwarteten gleich dieſen den Meſſias. 
Deer menſchliche Ehrgeiz kannte kein höheres Ziel, als 
bie Ehre der Meſſias⸗Wuͤrde, und bei den Nationen, wel⸗ 
‚he Ihn erwarteten, konnte es nie an Ehrgeizigen fehlen, die 
fich diefen Titel anmaßten, und defien Merkmale nachäfften. 


Der Meſſias, den die Propheten vorhergefagt hatten, 
ſollte feine Hoheit durch die auggegeichnieteften Wunder dars 
thun: man mußte fich alfo viel mit der Kunſt, fogenannte 
Munderzeichen zu wuͤrken, abgeben: diefen Anfichten, vers 
bunden mit. der herrfchenden pythagoräifchen, platonifchen und 
Tabbaliftifchen Philofophie, kann man vielleicht den Ges 
ſchmack an Zauberei, der bei den Juden und Samaritanen 
vor Entflehung des Chrifientpum’s fo ausgebreitet. war, 
uuſchreiben. 

Dem ſey, wie ihm wolle, gewiß iſt es: dag Dofis 
thäus fich viel mit magifchen Kınften abgab, und durch 
Gaukeleien, Bezauberungen und Taſchenſpieler⸗Poſſen die 
Dhantafie blendete. — Er gab fich für den Meſſias aug, 
‚und fand Glauben. 


Da die Propheten den Meffiag unter Merkmalen, 
die Je ſu allein zukommen konnten, ankuͤndigten, ſo faͤlſchte 





1) Man (ehe feine Schrift: Les Preiondu Reformes con- 
vaincus'de Schisme. 


,*) 1tes Jahrhundert. \ 











. Dofithäus. 2423 


Doſithaͤus die Weiſſagungen, und‘ wand fie auf fih an: 
feine Schüler gaben ihn für diefen von den Propheten ver 
heißenen Mefftag gus. Im Gefolge.des Betrügers mas 
ren dreißig Jünger, fo viele, als Tage im Mopnate find; 
mehr wollte er nicht; unter diefen befand fich auch ein Weib, 
das er Luna (den Mond) ‚nannte. Er verordnefe die Ber 
fchneidung, und faflete viel. Um das Volk zu überreden, 
daß er gen Himmel gefahren fen, enfzog er fich-den Augen 
der Welt in eine entlegene ‚Grotte, und hungerte fi) aus. - 


Die Secte der Dofitbäaner hielt viel auf den jungs 
fräulichen Stand, eingenommen von ihrer Keufchheit,, fah 
fie .auf die übrigen Menfchen mit Verachtung herab. Ein 
Dofitbäaner nahete fih Niemanden, der nicht dachte, 
und lebte, wie er. Auf ihre fonverbaren Gebräuche waren 
fie fehr verfeffen; fo 3. DB. beharrten fie vier und zwanzig 
,‚ Stunden lang in berfelben Stellung , Die fie eingenommen 
hatten, als der Sabat anbrach. Die Pflicht dieſer Unbe⸗ 
weglichkeit folgerten ſie aus dem Verbote, am- Sabate zu 
arbeiten. 

Mit dieſen Uebungen glaubten fich die Doſithaͤaner 
hoch erhaben uͤber die erleuchteſten Maͤnner, uͤber die tu⸗ 
gendhafteſten und wohlthaͤtigſten Buͤrger; wenn ſie 24 Stun⸗ 
den lang mit ausgeſtreckter Rechten oder Linken, wie ein⸗ 
gewurzelt im Boden, ſtanden, waͤhnten ſie: Gott mebr zu 
gefallen, als ein Menſch, ber zum Troſte der Bettuͤbten, 
und zur Unterſtuͤtzung Unglüdlicher fih noch fo fehr in Ber . 
mwegung feßte. 

Diefe Secte beſtand in Aeghpten bis zum 6ten Jahr⸗ 
hunderte. Ein Schuͤler des Doſithaͤus beſtimmte nach 
deſſen Tode Simon zu feinem Nachfolger, der feinen Mei⸗ 
fter bald übertraf, und Secten- Häuptling wurde: dieſer war 
. Simon, der Zauberer 1). 


1) Euseb. Hist. eccl. L. 5, C. 12. Origen. tract. 27. in 
Matth. L. 1, cont. Cels. C. 44..L. 6, p. 282. edit. 
‘ Spenceri. Photius Bibl. cod. 250, p. 466. edit. graec, 


424 Dualiſten. Dulcin. Ebioniten. 


Dualiſten. Die Benennung derjenigen , welche be⸗ 
haupten: daß es in der Welt zwei ewige und nothwendige 
Grundweſen gebe, wovon dag eine Urheber alles Guten, 
das andere Urheber alles Boͤſen ſey. (Man fehe die Arfis 
tel: Marcion, Mannes) 


Dul cin, ein Laie von Navarra in der Kompbarbie, 
war Segarel’s Schüler und wurde nach dem Tode feines 
Meifters das Haupt einer Secte, welche den Namen Apos 

ftolifche annahm. (Sieh den Artikel Segarel.) 


E. 


Ebioniten. *) Dieſe hebraͤiſche Benennung, zu Deutſch 
Bettler, wurde einer Ketzer⸗Sekte beigelegt, welche 
die irrigen Meinungen dee Nazarder angenommen hatte, 
und denen fie noch einige eigenthümliche Gebräuche und Irr⸗ 
thuͤmer beifügten. Die Nazarder 5.3. nahmen die ganze 
hl. Schrift an, wie fie der Canon der Juden enthält: vie 
Ebioniten dagegen verwarfen die Propheten, die Nas 
men: David, Salomon, Jeremias, Ezechias was 
ren ihnen ein Abſcheu; allein die fünf Bücher Mofeg gals 
ten ihnen für goͤttliche Schrift. 

Drigenes unterfcheidet zwei Sorten von Ebioniten: 
. die einen glaubten, wie die Nazarder, daß Jeſus von 
einer Jungfrau geboren fen, die andern legten Som eine 
ganz menſchliche Herkunft bei. | 

Einige Ebioniten lebten nuůͤchtern und enthaltſam, 
andere nahmen Niemanden in ihre Secte auf, der nicht 
ſelbſt noch vor Eintritt der mannbaren Jahre, verheirathet 
war; uͤberdieß geſtatteten ſie die Eheſcheidung und Vieh 
weiberei, fi fie aßen fein Thier, noch dag, was von ihm 
koͤmmt, ale: vun, Eyer ıc. | 


P. 321. ed. Iat. ‚Epiphan. Haer. 13. Hyeron. adv. Lu- 
cifer. C. 8, Tertull. de Praeserip. c. Br Philastr.-de 
Haeres. C. 4. 


) aſtes Iapspundert, 











Ebioniten. Elkeſaiten. 425 
Sie bedienten ſich, wie die Nazarder, deg Evanges | 
lium’8 des Matthäng, hatten es aber an vielen Stellen - 
verftümmelt: das Gefchlechts:Negifter Jeſu, das die Nas 
zaraͤer beibehalten Hatten, ließen fie ganz weg. Nebſt dem 
bebräifchen Evangelium des Matthäus hatten fi e mehrere 
andere Schriften unter- dem Namen Jakobus, Fohbans 
nes, und anderer Apoſtel, auch machten fie Gebrauch bon 
ben Reifen des bl. Petrus. 
Einige Schriftfteller geben bie Ebi oniten als einen. 
Zweig det Nazaraͤer an, andere .hielten fie für eine ganz 
befondere Secte; biefe wenig wichfige und vieleicht ſchwer zu 
enffcheidende Frage wurde von P. Le Quien in feinen Difs 


ſertationen Über den hl. Johannes Damafcenus uns 


terfucht. Drigenes, Joh. Damafcenug, Eufebiug, 
Irenaͤus haben von der Kegerei der Ebioniten ung 
Nachrichten hinterlaſſen 1). 
Die Ebioniten um Nazarder, die alſo verſchie⸗ 
dene Secten ausmachten, und ſich im Glauben und Sitten 
widerſprachen, kamen doch in einem Punkte uͤberein: beide 
naͤmlich erkannten in Jeſus den Meſſias: es iſt demnach 
gewiß, daß Er die Merkmale in ſich verband, unter welchen 
Er angekuͤndigt war. 


Eltkeſaiten. *) Sie hießen auch Ofſonianer, 
md Sampſaͤaner. Es mar eine Secte von Schwaͤr⸗ 
mern, die mit einigen Lehren des Chriſtenthums die Irrthuͤ⸗ 
mer der Ebioniten, Sterndeutung, magifche Gebräuche, 
Anrufung der Dämonen, Bezauberungen und Beobadytung 
der jüdifchen Ceremonien, verbanden. Bei diefen Kegern 
"darf man weder Zufammenhang noch Verbindung fuchen. 
Sie beteten nur Einen Gott an, bildeten fich ein, durch ofts 
1) Origenes cont. Cels. Epiph. Haer. 20. Iraen, L. 1, 
C. 20. Euseb. Hist. ecel. L. 3, GC. 27. Unter den Neus 
een frage man Le Clero hist. eccl. p. 477. an. 72. 
Ittigius Dis. de haeres. Sacc. I, c. 6. P. Le Quien. 
 Dissert. sur S. Jean Damasc, 
*) Ites Jahrhundert. 





‚426 nr Ä Eikefaiten. Ä 


malg des Tages wiederholtes Baden Ihn vorzuͤglich zu ver⸗ 

ehren, und nahmen einen Chriſtus oder Meſſias an. Es 
iſt ungewiß, ob fie Jeſus für den Meſſias hielten, oder. 
ob fie einen andern, der ‘noch fommen follfe, erwarteten; 
fie gaben Ihm eine menfchliche doch unfichtbare Geftalt, die 
gegen 33 Meilen Hoch wäre, und deſſen Gliedmaſſen viefer 
Höhe anpaßten; den bl. Geiſt hielten ſie für ein Weib, 
weil dag hebräifhe Wort, womit berfelbe bezeichnet wird— 
weiblichen Gefchlechtes ift, villeicht auch weil der hl. Geiſt, 
als er unter der Geftalt einer Taube bef der Taufe Jeſu 
erfhien, die Stimme hören ließ: Dieß fen fein geliebter 
Sohn, woraus: fie fhloffen, Er fei weiblichen Geſchlechts, 
um Jeſu nicht zwei Vaͤter geben zu muͤſſen. 1). 

Unter Trajan's Regierung verband ſich ein Jude mit 
ihnen, Namens Elxai: diefer verfaßte ein Buch ‚welches 
ihrem Angeben nach, Prophezeihungen und göttliche Weis⸗ 
heit enthielt. Die Elkeſaiten gaben vor, er ſey vom Him⸗ 
mel gekommen. 

Dieſer Elxai wurde von ſeinen Anhaͤngern als ein, 
von den Propheten geoffenbartes, Weſen höherer Art ans 
geſehen, weil fen Name im Hebraͤiſchen: der Geoffen⸗ 
barte, bedeutef, und ermwiefen fogar allen su feinem Stam« 
me Gchörigen eine an Anbetung grenzende Verehrung, ja 
machten es fich zur Pflicht, für fie zu ſterben. 

Noch zur Zeit des Kaiſers Valens gab es zwei 
Schweſtern von Elxai's Familie, oder dem gefegneten 
Gefchlechte, wie fie e8 nannten ; fie hießen Martha und 
Martena. Die Elfefaiten ehrten fie wie Goͤttinnen'; 
‚wenn fie außgingen, ‚hatten fie ganze Schaaren von Bes 
gleitern; man fammelfe den Staub ihrer Füße, und den 
. Speichel, den fie ausmwarfen, verwahrte diefe Dinge in 
Buͤchſen, die man bei fi frug, und als Haupt⸗ Praͤſerva⸗ 
tive. gegen Krankheiten anſah 2) 

Sie hatten einige hebraͤiſche Gebete, die, auch ohne 
verſtanden zu ſeyn; hergeſagt werden ſouten. Zasnase 

1) Grab. Spicil, P. P. Ecel. T. ı. 
. 2) Epiphan. Haer. 19. 











= 


Elteſaiten. Elipand. England. 427 


hat bewieſen, daß die Elkeſaiten nicht von den Eite > 
niern abſtammten 1). 1 

Elipand, ein ſpaniſcher Siſchof, der mit Self; von 
Urgel lehrte: Chriſtus, als Menfch, fen. nicht der nas 
türliche, fondern nur der angenommene Sohn Gottes, wo⸗ 
durch in Ihm die Einheit der Perſon aufgehoben wuͤrde. 


Encratiten oder Enthaltſame. Tatian's Schuͤ⸗ 
ler, welche ſich des ehelichen Standes enthielten, weil ſol⸗ 
cher nach der Lehre ihres Meiſters ſo verdammlich ſey, wie 
der Ehebruch. Man heißt ſie auch Hydroparaſtaten, oder 
Aquarier, weil fie beim Abendmahl Waſſer, ſtatt Wein 
gebrauchten. Eben ſo verſagten fie fi) den Genuß des 
Fleiſches. (Sieh Tatian). | 


England *) (Schisma von). Die Abtrennung die⸗ 
ſes Koͤnigreiches von dem roͤmiſchen Stuhle, veranlaßt 


durch die Scheidung Koͤnig's Heinrich' s VIII. von Ka⸗ 


tharina von Arragonien. 


Die Wichtigkeit dieſes Artikel's fodert, zur Erleichte 
rung der Ueberſicht, ihn in Abſchnitte zu theilen. 


6. 1. Bermäplen g Heinrig’ $ VIII. mit Katharina 

von Arragonien; deffen Bemühungen, kine. 

. Trennnng diefer Ehe zu Rom zu bewirden; 
und entgegenfiehende Hinderniffe 


König Heinrich VI. von England hatte zwei Prin- 
zen: Arthus und Heinrich. Arthus verehelichte ſich 
mit Katharina von Arragonien, Tochter Fer di⸗ 
nand's und Iſabellen's, die auf dem. Throne von 
Caftillien und Arragonien faßen. 


Katharinen's ältere Schwefler war an Philipp 
Herzog von Burgund, und Grafen von Flandern, 


vermaͤhlt. 





1) Basnage Annales eccles. T. 1. 


2) 16tes Jahrhundert. 


428 England. 


Heinrich's VII. Plan war, durch dieſe Heirath die 
mif Ferdinand, und dem Haufe Burgund gegem 


Frankreich eingegangene Verbindung feſter zu Fnüpfen. 


Die Vermählungs + Feier Arthus und Katharinen’s 


hatte 1501, den 14ten November ' ſtatt; der Prinz aber 


ſtarb etliche Monate darauf. 

England's Betheiligung forderte die Aufrechthaltung 
des Buͤndniſſes gegen Frankreich; uͤberdieß mußte man Ka⸗ 
tharinen ein anſehnliches Wittwen⸗-Gehalt ausſetzen, und 


‚she zweihundert tauſend Dukaten, die fie als Brautſchatz 


eingebracht hatte, zuruͤckſtellen. Heinrich VII. konnte ſich 


nicht entſchließen, ſo betraͤchtliche Summen aus dem Reiche 


gehen zu laſſen; und warb daher um die Hand der Prins 
zeffin für Heimeich, feinen zweiten Sohn, welcher durch 
den Tod Arthus, der Finderlog geftorben, Pring von Wals 
lis gemorden: wär. 

Heinrich und Ratharina' Überreichten ein Geſuch 
um Dispenſation des Inhaltes: Katharina habe mit dem 


Prinzen Arthus in der That eine eheliche Verbindung ein⸗ 


gegangen, und vielleicht auch vollzogen: nach erfolgtem Ab⸗ 
leben des Arthus aber wuͤnſchten nun Hetnrich und 
fte zur feſtern Begruͤndung eines dauerhaften Friedens zwi⸗ 


ſchen beiden Reichen, ſich mit einander ehelich zu verbinden. 


Die paͤbſtliche Dispenſe erfolgte in einer Bulle vom 


- 26ten Dezember 1502, welcher auch die Beſtaͤttigung der 


Ehe, im Falle fie fchon gefchloffen wäre, beigefegt war. 
Heinrich, Prinz von Wallis, ehelichte fonach Ras . 
tharinen. Allein fein Vater, der König, dem man 
Gewiffens-Aengfllichkeiten beigebracht hatte, ließ durch feinen 
Sohn eine Proteftation gegen diefe Heirath einlegen. 
Die Proteſtation enthielt: da Heinrich, Bring von 
Wallis, noch minderjährig, die Gattin des Arthus ger 
heirathet habe, fo widerrufe er num, großjährig geworden, 
diefe Heirath, und erkläre fie, ſtatt zu beftättigen, für nich⸗ 
tig; da er in diefer Verbindung mit Ratbarina nicht les 
ben könne, fo trage er nach den Gefegen, auf ihre Auflds 


x 


- 





erglaud. 429. 


fung an; dieſe ſeine Erklaͤrung ſey nicht erzwungen, ſondern 
geſchehe von ihm eigenwillig und mit voller Freiheit. 


Dieſe Proteſtation wurde im Geheim eingelegt, wobei 
es auch ſein Verbleiben hatte. 


Nach Heinrich's VII. Tode wurde im Staatsrathe der 


| Vorſchlag gemacht, die Ehe Hei nrich’s VIII. entweder aufs 


zulöfen, oder zu beflätfigen; der König beſtimmte fih fir 
das Lebte: ſechs Wochen nad) der Thronbeſteigung ließ fich 
Heinrich feterlich mit Katharinen einfegnen, und ſechs 
Wochen darauf wurden Beide gekroͤnet. 


Heinrich VIII zeugte aus dieſer Ehe drei Kinder, 


zwei Prinzen, die bald nach der Geburt ſtarben, und eine 


Prinzeſſin, die am Leben blieb. Da die Koͤniginn nicht mehr 
gefegnet wurde, und Heinrich die Hoffnung zu meiterer 
Nachtommenfchaft aufgegeben hatte, ertheilte er Marien 
den Titel: Prinzeffin von Wallis. 

Heinrich VIII lebte mit Katbarinen im Selten 
Vernehmenz alein den Zerfireuungen und Vergnuͤgungen 


‚ ergeben, überlich er die Leitung der. Gefchäfte und des 


Staats s Nuders den Händen des Thomas Volfey, eis 
nes Mannes, der fi) von niederer Herkunft zum Erzbis⸗ 
thume von Dorf, und jur Cardinals⸗Wuͤrde emporgeſchwun⸗ 

gen hatte. 
Kaifer Carl V., ber einfah, von welcher Wichtigkeit 
für ihn fey, die alte Verbindung England’s mit dem Haufe 
‚ Burgund. aufrecht zu halten, hatte nichts. verfäumt, ben 
Cardinal Bolfey zu gewinnen: er fehrieb ihm jederzeit eis 
‚genhändig, nannte fid) feinen Sohn und Vetter, endlich um 


Allles von ihm erlangen zu koͤnnen, machte er ihm Hoffnung: 


daß nach dem Tode Leo's X. die Stimmen der Cardinaͤle 
ihn auf den paͤbſtlichen Stuhl erheben wuͤrden. 

»Leodo X, ſtarb früher, als es Carl V. erwartet hatte, 
und Bolfey wurde nicht Pabſt. Abermals wurde feine 
Hoffnung - gefäufcht, nach ‚dem: Ableben des. Nachfolgers 
Leo's X. Hadrians VI. 

Nun kehrte Volſe y feinen ganzen Einfluß gegen Carl V. 
ſetzte dem Beichtvater des Koͤnigs, einem ſchwachen Manne, 


430 — England, 


Zweifel über die Gültigkeit der Ehe mit Katharina von 
Yrragonien in den Kopf; der Beicht vater beaͤngſtigte das 
Gemuͤth des Koͤnigs mit dieſen Zweifeln: der Cardinal 
wurde zu Rathe gezogen, welcher dieſe Bedenklichkeiten bes 
ſtaͤrkte, und mit dem franzoͤſiſchen Gefandten, Biſchof vor 
Tarbeg wegen Vermählung Margarethen's, Franz J. 
Scwefter und Wittwe des Herzogs von- Alencon mit 
Heinrich Unterhandlungen anfnüpfte. Der König bilfigte 
diefen Vorſchlag, und ſchickte Wolfen als Unterhändler nad) 
Frankreich, allein faum war diefer zu Calais angekommen, 
fo erhielt er Befehl, die Heirat mit der NHerzoginn von 
"Hlencon nicht in Vorfchlag zu bringen. Privatbriefe mels 
deten ihm: der König fey in Anna von Boulen verliebt, 
Tochter des Chevalier Thomas Boulen, und Ehren 
Dame der Koͤniginn. 


Anna von Boulen war die Geliebte des Bord Per— 
.cey, Sohn des Grafen von Porthumberland: Volſey 
mußte diefe Verbindung auf Befehl bes Königs hinterſtel⸗ 
len, und nun machte man fich ernſtlich an die Sache der 
Eheſcheidung. 

Die Umſtaͤnde zeigten ſi ch für Heinrich vm. günftig. 
Earl V. bielt damals den Pabſt Elemeng VII. in ber 
Engelsburg gefangen; der Pabſt bedurfte Hein rich's Bei⸗ 
ſtand, welcher ſeinen Einfluß und feine Waffen für ihn zu 
verwenden fich erboth. 


 Der-Babft hegte weder über die Nothwendigkeit des 
Beiſtandes Heinrich's, noch uͤber die Aufrichtigkeit ſeiner 
Anerbiethungen einigen Zweifel, auch verkannte er die von 
ihm erhaltenen Dienſte nicht; allein er kannte die Sonder 
barkeiten und den ungeſtuͤmmen Charakter Heinrich's: wohl 
wiſſend, daß die Leidenſchaft dieſes Fuͤrſten eine Krankheit 
ſey, die die Zeit allein heilen koͤnne, hielt er fuͤr gut, dieſes 
wichtige Gefchäft zwar anzuknuͤpfen, jedoch in die Laͤnge zu 
iehen. 

Er erlaubte daher dem Könige, , ‚eine Saftinn zu neh⸗ 
men, bie ihm beliebte, jedoch mit der Bedingniß: daß zur 
vor entſchieden werden müfle, ob die erſte Ehe gültig fey, 


d 





England. 431 


oder nicht. Zu diefer Unterfuchung ernannte der Pabſt Com⸗ 
miffäre,, deren Auswahl er dem Könige überließ: die Wahl 
fit auf Wolfey, und den Gardinal Campege. 
Campege wendefe Alles an, Heinrichen zur Beis 
behaltung Katharinen's zu bewegen, von der andern 

Seite beſchwur er die Koͤniginn, nachzugeben: das Ungläc, 
welches England, und vielleicht die ganze Kirche bedrohte, 
wenn fie hartnäcdig auf Behaupfung ihrer Ehe befinde, 
abzuwenden. Allein von feinem Theile konnte er etwas er 
langen: Heinrich, von feiner Leinenfchaft hingerfffen, drang 
auf Entfcheidung, Katharina, auf ihe Recht fußend, ver 
langte daſſelbe; Beide waren uͤberzeugt daß man ſie nicht 
verurtheilen koͤnne 1). 

Die Einleitungen des Prozeſſes wurden unter den er⸗ 
forderlichen Foͤrmlichkeiten getroffen, der Koͤnig und die Koͤ— 
niginn vorgeladen: bei den erſten Vernehmlaſſungen legte die 
Koͤniginn die Abſchrift einer Diſpenſe vor, die etwas aus⸗ 
gedehnter war; als jene, nad) welcher die kegaten ſprechen 
wollten 2). 

Der Koͤnig widerſprach gleich Anfangs der Aechtheit 
dieſer Abſchrift und beſtand auf Vorzeigung des Original's; 
dieſes befand ſich in Spanien, und wurde dem großbritta⸗ 
niſchen Botſchafter verweigert. Man brachte fuͤr und wi⸗ 


der die Aechtheit der Diſpenſe, juridiſche und kritiſche 


Gruͤnde vor, welches die Commiſſarien in Verlegenheit ſetz⸗ 
te, und ihnen den Muth benahm, in einem ſo heiklen 
Punkte zu entſcheiden. Sie ſchlugen daher dem Pabſte 
vor, anſtatt die Streitſache vor ſeinen Richtſtuhl zu berufen, 
lieber nach beigelegtem Entwurfe ein Decretale zu erlaſſen; 
„ und fügten bei: daß während dem man Die Aufſuchung des 
Breve niederfchlüge, man eg verfuchen wolle, die Königinn 
zu bereden, den Schleier zu nehmen: vieß fen das befte 


1) Alten von Rymer T. 14. Auszug diefer Alten in 4t0 
p- 359. Le Grand. Hist. du Divorce de Henri VII. 
Burnet. Hist. de la Refor. d’Anglet. T. ı, L. 2. 

e) Hist. du Divorce. T. ı, p. 100 etc. 


432 England, 
eluskunftsmittel, den Prozeß in Güte beizulegen, und einen 


‚großen König nicht vor den Kopf zu floßen, der feit mebs 


reren Jahren fein Gemiffen von Vorwürfen zerriffen fühle, 
welche noch täglich durch die Difpute der Theologen und Cas 


| noniſten vermehrt wuͤrden; kurz ſie ſagten Alles, was zu 
Gunſten des Koͤnig's zu ſagen war 1) 


Der Pabſt „ beſorgt, fein Legat möge ſich aͤberraſchen 
laſſen, ſchrieb ihm: „ob er gleich alles Moͤgliche fir den 


Koͤnig thun wolle, fo könne er doch weder an feinen Ge⸗ 


wiſſen zum Verraͤther werden, noch die Geſetze der Gerech⸗ 
tigkeit offenbar verletzen; alle Foderungen des Koͤniges ſeyen 
ſo ungerecht, daß man ihm nichts zugeſtehen koͤnne, ohne 
der ganzen Chriſtenheit Aergerniß zu geben: der Kaiſer und 
der Koͤnig von Ungarn haͤtten bereits Proteſtationen einge⸗ 
legt, und. verlangten die Berufung der Streitfähe vor den 
roͤmiſchen Stuhl, er habe fich mit feiner Unpäßlichkeit ent 


| ſchuldigt, und Beiden zu erkennen gegeben: feine Gefundheit 


erlaube ihm nicht, ihr Gefuch zu prüfen, oder etwas zu um 
terzeichnen; übrigens gebe er nur darum Aufichub, um das 


Gemuͤth des Koͤnig's nicht zu erbittern; auch er muͤſſe die 


& 


Sache fo weit, als moͤglich, Hinaugfchieben 
Dieß waren die Gefinnungen Clemens VII. über die 
Eheſcheidungs⸗Sache Heinrich's VIIT., det er vor fein 


„Gericht rief: Heinrich. hielt es nicht. für. gut, der Vorla⸗ 


vung Fplge zu leiften, und der Pabft beeilte fi nicht, dies 


ſes Gefchäft zu beemdigen, 


Zu Sam brai-mward ben Sten Auguſt 1329 der Friede 
zwiſchen dem Kaiſer und Frankreich geſchloſſen, die franzoͤfi⸗ 


ſchen Prinzen wurden im folgenden Jahre freigegeben: der 


Kaiſer begab ſich hierauf nach Bologna, wo er die Ange⸗ 
legenheiten Italien's ſchlichtete: Franz Sforza wurde in 
Mailand wieder eingeſetzt, und das Haus Medicis ers 
erhielt die Oberherrſchaft über Florenz. So ſah ſich 
Heinrich mit einem Male der Huͤlfe Frankreichs beraubt, 
wie der Hoffnung, die kaiſerlichen Waffen in Italien zu be⸗ 


4 





1) Hist. da Divorce. T. ı. p. 120. 


4 





England. | 433 


fchäftigen. Er zweifelte nicht, ber Pabſt werde ein Urteil 
gegen ihn fprechen, und den Kaifer mit deffen Vollzug bes 
auftragen; überdieß fah er fi ohne Freunde und Verbin | 
Dete. 

Anderer Seits ließen bie Bewegungen der Proteſtan⸗ 
ten in Deutſchland, und die Anſtalten der Tuͤrken gegen 
Ungarn den Kaiſer nicht an England denken: ver Pabſt bes 
folgte noch immer feinen erfien Plan, die Sache in die 
Länge zu ziehen, und fchien das Gefchäft im Wege der Gifte ı 
beendigen zu wollen. Heinrich ſchickte daher Gefandte an 
den Pabſt und Kaifer, die fich in Bologn a befanden, um. 
noch einen letzten Verſuch zu machen y welcher aber ſo un⸗ 
wirkſam war, als die vorigen. 


$. 2. Heineich läßt ſich als Oberhaupt der Kirche 
anerkennen, und feine Ehe als ungültig. er 
klären. Seine Borlihtömaafregeln gegen 
Kaifer und Pabfi. 


Heinrich beſchloß, die Erfüllung feiner, Wuͤnſche, die 
er su Nom nicht erhalten konnte, in feinen Ligenen Staa⸗ 
‘ten zu fuchen. Diefer Weg hatte aber feine Schwierigkeiten 
und Gefahren. Der Koͤnig konnte die Nichtigmachung feiner 
Che nur von der Geiſtlichkeit, die dem hi. Stuhle ſehr zus. 
gethan war, erhalten. Geſetzt auch, dieſe zeige ſich ihm 
willfaͤhrig, fo war zu fuͤrchten, der Pabſt werde Kirchen 
firafen gegen ihn verhängen, melde wegen der Ehrfurcht 
der Voͤlker für das Kirchen » Oberhaupt, und des Schre⸗ 
ckens, welchen feine Anatheme einfloͤßten, für ihn ſehr nach⸗ 
theilig ausfallen konnten: es war ihm bekannt, wie ver⸗ 
derblich dieſe Bannſtrahlen Heinrich IT. und Johann ges 
worden waren. Er faßte daher den Entſchluß, die Grund⸗ 
füge der Unterwuͤrfigkeit und der Ehrfurcht für den roͤmi⸗ 
fchen Stuhl aus den Gemüthern zu verbannen, das Volk 
zu gewinnen, ſich die Geiftlichfeit unterwärfig zu machen, 
und fin die Nothwendigkeit zu feßen, feine Chefcheidung 
zu genchmigen, endlidy die Verfügungen des Pabſtes und 
Kaiſers gegen ihn zu vereiteln. 

Kepers Lerifon. IL 28 


[7 Englant. 


MWiclefrs Lehre war noch nicht ganz in Ensland er⸗ 
loſchen; die Wichefiten und Lollarden hatten ſich in 
Geheim forterhalten, ungeachtet der Strenge der Regierung 
und der Bemühungen der Geiſtlichkeit. Die neuen Refor⸗ 
matoren haften dafelbft Proſelyten, ihre Bücher, vorzüglich 
jene Luther's, maren hinuͤber gefommen. 

Wie die Ehefcheidungs » Gefchichte immer Iebhafter wurs 
de, griffen die Feinde Rom's den Pabft mit weniger Zu: 
ruͤckhaliung an; viele Katholifen, aus Patriotismus Gegner 
der päbftlichen Macht, und der Privilegien der Clerifei vers 
banden fi) mif ihnen, und Der Hof unterflügfe Beide. Da 
nun der König gewahrte, daß die Engländer jene den RE 
nigen fo furchtbare Verehrung für den Pabſt nicht mehr 
hegten, ließ er eine Proclamation verkünden, welche verbot: 
irgend eine paͤbſtliche Bülle, welche den Kechten der Krone 
entgegen fen, anzunehmen; hierauf ließ er feine Gründe, aus 
welchen er die Anullirung feiner Ehe verlange, drucken, 
und im Publifum verbreiten, berief das Parlament , theilte 
ihm feine Abficht und Beweggründe mit, und fchickte fie 
der verfammelten Geiftlichkeit' zu, welche entfchied , daß 
die Heirath des Königs gegen dag Naturs Gefeg fey. 
"Mehr wollte der König für diesmal nicht. haben. 

Seit larger Zeit war das englifche Volt mißvergnüngt. 
Heinric glaubte ihm, um es zu gewinnen, ein Dpfer 
bringen zu muͤſſen, und dag angenehmſte, daß er ihm ge⸗ 
ben koͤnne, ſey Volſey. 

Der koͤnigliche General⸗Procurator brachte im Ober⸗ 
hauſe gegen dieſen Cardinal die Anklage an, daß er ſich ha⸗ 
‘be beigehen laſſen, die Gewalt eines paͤbſtlichen Legaten aus⸗ 
zuuͤben, ohne ein koͤnigliches Patent hierüber erhalten zu 
haben, wodurch er Die Statuten Provisor es und Prae- 
munire verlegt habe. 


Die Unterlaffung diefer fo wefentlichen Foͤrmlichkeit war 
der Vorwand zu feinem befchloffenen Untergange. Der Rs 
nig nahm ihm dag Staats⸗ Siegel, und auf eine mieders 
holte Anklage des General s Procuratord wurde er verurs 
theilt, und feine Güter für den Fiscus eingezogen: endlich 











England. 435 


des Hochverraths angeklagt, ſtard er, old man Ihn nach 
London in den Towre abführen wollte. 

- Die Ungnade Bolfey’s ‚gefiel dem Volke, und: der. 
König ſah fi) in den Stand gefest, eine -wichtige Unfers 
nehmung gegen die Geiſtlichkeit auszufuͤhren. Sie wurde 
angeflagt, die Stafuten: Provisores und Praemu- 
nire überfreten zu haben, da. fie. die..Gewalt eines. Legas 
ten, welche der Cardinal Volſey, phne geſetzlichen Auftrag 
des Königs ſich beigelegt, anerkannt habe. Die Geiſtlichkeit 
traf das Loos Volſey's; ihre ( Güter murden dem koͤnigli⸗ 
chen Fiscus zuerkannt. 


Der Clerus England's war damals ohne Schutz und 
Stuͤtze; der Koͤnig mit dem Pabſte entzweit, hatte ſeinen 
Bullen den Eingang in's Koͤnigreich verſagt, die Nation 
ſelbſt war nicht geneigt, ſich einer Geiſtlichkeit anzunehmen, 
mit der fie nicht zufrieden war, noch ſich den Befehlen des 
Kirchen» Haupteg zu fügen, wenn ſolches ſich auch in's Mittel 
gelegt haͤtte; deßhalb entſchloß ſich der Kirchenſprengel von 
Cantorbury in einer Synode, dem Könige das Anerbie⸗ 


ten eines Gefchenfes von hundert tauſend Pfund Sterling 


zu machen, und feine Einkünfte zu retten. Dem zu Folge 
wurde e.n Ausſchuß niedergeſetzt, um eine Urkunde aufzus 
feßen, Fraft welcher die Berfammlung der Geiſtlichkeit dem 
Koͤnige 100,000 Pfund Sterling zum Geſchenke macht, Iſtens 
wegen feiner großen Verdienſte, Atens aus Dankbarkeit für 
die Vortheile, die er der Kirche durch ſeine Waffen und 
ſeine Feder verſchafft hat, Ztens wegen ſeines Eifers gegen 
die Lutheriſchen, die mit dem Umſturze der engliſchen Kirche 
umgingen, als deren Oberhaupt die Geiſtlichkeit 
ihn, den Koͤnig anerkennen; Atens in der Hoffnung: 
der König werde dem Clerus wegen ullen Fehlern, worein 
er binfichtiich‘ der Statuten Provisores und Praemu- 
'nire_ gefallen wäre, allergnaͤdigſte Verzeihung angedeihen 
laſſen. | 
28 der. Entwurf in ber Verfammlung vorgelefen murs 
de , fand er. vielen Widerfpruch, wegen. der Claufel, die 
‚den König, zym Oberhaupte der - Feliſcen Kirche machte: 


436. — England. 


allein der Koͤnig ließ ſie wiſſen, daß er die Urkunde ver⸗ 
werfen werde, wenn die Clauſel von ber koͤniglichen Su⸗ 
prematie weggelaſſen wuͤrde; und man war gezwungen, fie | 
fiehen zu laſſen. 

Die Derfammlung des Sprengel von York ahmte jes 
ner don Cantorburn nach, indem fie eine ähnliche Akte aus⸗ 
fertigte,ohme fich von der Unerfennung der kirchlichen Dbers 
gewalt des Koͤnig's losſagen zu koͤnnen. 


So erpreßte Heinrich VIII. von der Kirche Eng, 

land'es die Anerkennung der Suprematie. Nach dieſem 
Siege ging ſein Beſtreben dahin, die Koͤniginn zur Aner⸗ 
kennung der Unguͤltigkeit ihrer Ehe zu vermoͤgen; da aber 
:alle feine Bemühungen fruchtlos waren, ſah er die Koͤni⸗ 
ginn nicht mehr, und wies ihr einen der föniglichen Pallaͤſte 
zum Aufenfhalte am. 

Diefe Vorfälle ini’ Parlamente und bei der Geiftlichfett 
fachten den Eifer der Reformirten, die in England Fuß 
gefaßt hatten, an; fie verbreiteten ihre Glaubensfäße mit 
"mehr Freiheit; Keltgfond» Dispüte wurden häufiger und dfs 
fentlicher, al8 bisher. Bei Heinrich war in feinem Glaus 
ben noch Feine Aenderung vorgegangen: nur fing er an, ſich 
zu überrcsen, daß die Religion, auch ohne Untermürfigfeif 
der Völker unter den Pabſt, wohl beftehen koͤnne: übrigeng 
follfe die Meinung nicht auffommen, als wolle er die fas 
fholifche Rellkgion, und die Mahrheiten,. fo die englifche 
Kirche ſtets befannt haffe, beeinträchtigen; er defahl daher 
die Handhabung der’ Gefeke gegen die Keber, und im Kaufe 
des nämlichen Jahres berbrannte man noch drei Proteftan 
ten (15491). 

Das im folgenden Jahre verfammelte Parlament übers 
gab eine Addreffe an den König, um ihn um feine Eins 
willigung zu bitten:- daß man an Abftellung gewiffer, in 
die kirchlichen Freiheiten eingefchlichener, Mißbräuche arbeir 
ten möge. Der König felbft war es, der durch feine Emifs 
ſaͤre das Parlament zut Eingabe dieſer Addreſſe wermocht 
hatte, wodurch er dem Clerus die Nothwendigkeit des koͤ⸗ 
niglichen Schuges fühlber machen wollte, damit er um fo 


England. 437 


weniger Schwierigkeit mache, ihm den Titel eined Ober, 
hauptes der Kirche zu beftästigen. u 

Auf diefe Atdreffe ließ Heinrich einige unbedeutende 
 Mißbräuche verbeffern, und damit die Geiſtlichkeit ſich in 
ibm einen Schugheren verfprechen möge, ließ er Durch eine 
Parlaments» Akte die Annaten abichaffen, und den Preis der 
Bullen für Bisthilmer feſtſetzen: durch eben dieſe Acte wurde 
verordnet: daß, wenn der Pabſt die weitere Ausfertigung 
von Bullen verweigern wuͤrde, man daruͤber hinausgehen, 
und die biſchoͤfliche Einſetzung auf andern Wegen vorgenom⸗ 
men werden ſollte. 

Im folgenden Jahre herſammelte ſich das Parlament 
im Sebruar, (1533) und verbof. durch ein Gefeg die Bes 
rufungen an den römifchen Hof. Nach dieſem ließ der Ads 

nig feine Vermählung mit Unna von Boulen Öffentlich . 
befannt machen, obgleich feine erfte Ehe noch nicht aufges 
löst war. Diefe vorzeitige Bekanntmachung war nothwen⸗ 
dig geworden, weil die neue Koͤniginn ſich gefegneten Leibes 
fühlte. Fe 

Eranmer, welcher Erzbiſchof von Cantorburry ger 
worden war, ließ Catharinen vorladen vor ihm zu ers 
feheinen ; da dieſe wicht gehorchte, erklärte er durch richterlichen 
Ausfpeuch die erfte Ehe des Koͤnig's als nichtig, und ber 
Rättigte, und durch einen anderweitigen einige Tage darauf ers 
folgten, deflen zweite Ehe mit Auna von Boulen, melde 
fofort am iten Juni 1533, gefrönt wurde. Dieß war dag 
Benehmen Heinrich’s VIIL in der Angelegenheit feiner 
Eheſcheidung. Man urtheile nach diefen gefchichtiichen Das 
sen ob fie das Werf der Gewiſſens⸗ Beaͤngſtigung dieſes 
Fuͤrſten war? 

Sobald die erſte Ehe des Koͤnig's vernichtet war, ließ 
er Catharinem hievon benachrichtigen, und verſuchte, fie 
zur Unterwuͤrfigkeit gegen jenen Ausſpruch zu bewegen; aber 
vergebens: Catharina wurde daher fortan bloß als ver⸗ 
wittwete Prinzeſſinn von Wallis anerkannt. | 





438 Englanb. 


5 3. Der Pabfl: Trrommmaniciet: Heinrich VIII., 
und England trennt ns bon der römifhen 
Kirche. wird) * 


Auf den Bericht, den der Pabſt auber Yiefe Ereigniffe ft 
England erhielt, erflärte er die beiden Urtheils⸗Spruche 
des Erzbiſchofs von Cantorbury fuͤr unguͤltig und er⸗ 
ließ eine Mahnung unter angedrohter Strafe an den Koͤnig, 
wenn er in einer gewiſſen Zeitfrift, die Sachen fn ven Stand 
nicht wiederherſtellen würde, in welchem fie vor den befden 
Mechtsfprüchen des Erzbiſchofs geweſen Maren. Allein Der 
König und der Ergbifchof appellirten an ein kuͤnftiges allge» 
meines Concilium 1). 

Franz I. verfuchfe eg, wiewohl· vergeblich, den Folgen 
dieſes Bruches Einhalt zu thun. Heinrich wuͤnſchte nicht 
aufrichtig, ſich mif dem Pabſte auszuſoͤhnen, und diefer, 
welcher Heinrich's Unredlichkeit Fannte, publizierte fein Ur⸗ 

theil. Durch diefes wurde Heinrich's Ehe mit Cathas 
titten als rechtmäßig: beftättigt, and Heinrichen unter 
Androhung der härkeften Strafen befohlen, feine rechtmäßige 
Gattinn wieder zu fih nehmen 2). 

In der Zwiſchenzeit entzog dag Parlament den Biſchs⸗ 
fen die richterliche Unterſuchuig in Verbrechen der Ketzerei, 
ohne jedoch die, gegen die Ketzer angeordneten, Strafen zu 
mildern, eine smeite Alte verordnete: die Muſterung ver 
Kirchen» Gefege, um jene, die noch noͤthig "erachtet wurden, 
beizubehalten , die andern aber abzuſchaffen; zu diefem Ende 
follte dee König zwei und dreißig Commiſſarien zu gleichen 
Theilen aus dem Elerus und dem Parlamente ernennen. - 

Endlich, ale man Nachricht von dem in.Ro m Vorgefallenen 
erhielt, beftätfigte das Parlament die Abfchaffung. der Ans 
naten, und machte der Gewalt des Pabfles in England ganz 
und gar ein Ende: man orbnete die Weile, wie in Zufunft 
die Weihe der Biſchoͤfe ohne Dazwifchenfunft des Pabfleg 
vor fi geben follte, bob. den Peters⸗Pfenning, und. alle 


ır — 
ud 


1) Auszüge aus Nymer’s Alten p. 357. 
2) lbidem p. 5y2, 373. 








DE SE en a ne ii re ne 
x ——N ——⸗ 


England, | | 439 


Arten von Bullen, Mandaten ıc., die don Rom audgingen, 


auf: man erklärte die Che Heinrih’s mit Catharina 


von Arragonien für nichtig, und feine zweite Ehe mit 
Anna Boulen für giltig: endlich wurde befohlen, daß, 
alle Unterthanen, ohne Ausnahme, die Defolgung diefer 


Akte unter der Strafe, deg Hochverrath's ſchuldiz zu ſeyn, 


beſchwoͤren ſollten. 

‚Den 23ten November verſammelte ſich dag Parlament 
neuerdings, und gab verſchiedene Geſetze, die dahin zielten: 
alle Bande, die die Englaͤnder noch an den Pabſt knuͤpften, 
vollends zu zerreißen: Dem Könige beſtaͤttigte man die Ber 
nennung eines Oberhaupt's der englifhen Kirche, 
und führte die Annafen, die man dem Pabfle genommen 
hatte, zu feinen Gunften wieder ein 1). 

Nah Aufloͤßung des Parlamens ließ der gKonig einen 
öffentlichen Aufruf ergehen, daß der Name des Pabfted aus 

-alien Büchern, wo er fich fände, ausgeſtrichen würde, auf 
daß, wenn es möglich wäre, auch fein Andenken verfilget 
werde; endlich legte er den Bifchöfen auf, dem Pabſt allen 
Gehorſam aufzukuͤndigen. 


——— Spaltung England's für Staat und 
Kirche. 


Der Loͤnig fand, dag der Zuſtand, in welcher die Res 
ligion fich feit dem Bruche mit Rom befand, ihm ungebuns 
‚denere Gemalt verfchaffe : Einige wuͤnſchten, daß ber Riß 
noch mehr erweitert würde, Andere fuͤrchteten dieſes. Da 

“ niemand fich überzeugen fonnte, daB der König Tange in 
diefer Stimmung bleiben werde, fo ſuchte jede Parthet. Durch 
blinde Willfaͤhrigkeit fih bei ihm in Gunſt zu fegen, wos 
durch der König eine Stufe von Macht ertang, welche kei⸗ 
ner feiner Vorfahren fe. erreicht hatte, und die er fich unter 
feinem andern Umſtand hätte anmaßen können, ohne feine 


1) Ibidem p. 374. 


\ 


440 England. 
Exiſtenz auf das Spiel zu ſetzen. Allein Beide Theile taͤuſchten 
ſich. Heinrich hielt ſich Die übrige Zeit ſeines Lebens ſtets 
in derſelben Mitte, und ließ jedem die furchtbaren Wirkun⸗ 
gen einer unumſchraͤnkten Gewalt, die man ihm in die Haͤnde 
geſpielt hatte, fuͤhlen. | 

Die oberfte Kirchen⸗Gewalt, mit der er bekleidet war, 


ſetzte ihn in den Stand, die Geiftlichfeit zu demüthigen, die 


nicht mehr, wie fonft, im Pabſte eine Stüße fand. Mer 
immer die Anerkennung dieſer Suprematie verweigerte, mußs 
te es hart büßen, und Mönche, die es wagten, in oͤffent⸗ 
lichen Vorträgen die Zuneigung feiner Untertanen zu ſchwaͤ⸗ 
chen, mußten den Frevel mit dem Leben bezahlen. 

In der Folge, (J. 1535) veranfaltete der König eine 
allgemeine Unterfuchung der Klöfter, womit er Cromm el,als 
feinen General: Bifar in geiftlihen Angelegenheiten beaufs 
tragfe, melcher feiner Seits allein die Vifitatoren beftellte. 

Diefe wollten in den Klöftern viele Unordnungen gefunden 
‚haben, beredeten die Oberen und Prioren, fi der Gnade des 
Koͤnig's zu unterwerfen, und ihm ihre Häufer fammt Eins 
fünften zu uͤberlaſſen, wozu ſich einige verftanden. 


Den Bericht uͤber dieſe Unterſuchung ließ der Koͤnig 


bekannt machen, damit die Ehrerbietung, die das Volk 
gegen die Religioſen hegte, ſchwände, wenn ihm das Ges 


maͤhlde der Unordnungen, die man in den Kloͤſtern entdeckt 
hatte, welche aber gar ſehr uͤbertrieben waren, zur Schau 
ſtellte 1). Der Bericht hatte eine Verordnung zur Folge, 
wodurch der König in. Gewalt eines Kirchen⸗Hauptes dem 
Mönchen erlaubte, ihre Ordens⸗Haͤuſer zu verlaſſen, und 
fie ihrer Geluͤbde entband. 

Dieſe Verordnung hatte zwar den. gehofften Erfolg 
wicht ;- inzwifchen befand fich die Geiftlichfeit ftetd vom Koͤ—⸗ 
nige abhängig, da dieſer mit Ernennung der Commiffarien, 
welche unter den beisubehaltenden Sichen Geſetzen die Aus⸗ 
wahl treffen ſollten, iͤgerte. 


fs z 
1) Ibidem p. 575. 











‚England. 441 


| Die Gewalt des Pabſtes wär durch eine Parlaments, 
Akte aufgehoben, Demungenchtet beftand fie noch in den Kits 
chenſatzungen; dieſes feßte Die Geiftlichen in die größte Ver⸗ 
legenheit, weil man in mehreren Fällen entweder die kirchlichen 
Statuten, oder die neuen Gefeße verlegen mußte; hiedurch 
fahen fich diefe ganz der Willkuͤhr des Koͤnig's bloß geges 
ben, der ihnen von der einen oder der andern Seite, wie: 
es ihm gut duͤnkte, beifommen konnte. 
Die Koͤniginn Catharina farb im Laufe des Jahres 
- 1536, und einige Monate nad ihrem Ableben wurde Ans 
na Boulen durch einen Urtheils⸗Spruch der Pair» Sans 
mer zum Tode verurtheilf und enthauptet. Heinrich vers 
ehelichte fich mit Johanna von Seymour’ 8; die Geiſt— 
lichkeit beſtaͤttigte dieſe Ehe. 

Auf Anſinnen des Koͤnig's wurden von dem Parla⸗ 
mente alle Kloͤſter, welche ein Einkommen von weniger als 
zweihundert Pfund haften, aufgeldst, und ihre Guͤter der 
Krone zuerfannt, wodurch der. König eine Einnahme von 
zwei und dreißig faufend Pfund Sterling an. Silbergefchirr 
und andern Wertbfchaften befam. 

> Die Aufldfung der Kloͤſter wurde von vielen Engländern 
mit Mißvergnuͤgen aufgenommen: die Großen und den Adel 
verdroß ed, dag man die Güter diefer Kloͤſter, die doch 
größtentheild von ihren Vordltern gefiiftet waren, dem Rh - 
nige überließ, anderer Seits fahen fie fich des Vortheiles 
- beraubt , ihre Kinder, wenn fie deren gu viel hatten, un⸗ 
terzubringen,, und auf ihren Neifen in folchen Häufern, wo 
fie gute Bewirthung fanden, Abfteig» Duartier zu nehmen. 
: Die Urmen murrten noch lauter, weil fehr viele von ihnen, 
von den Almofen, die täglich daſelbſt gefpendet wurden, 
lebten; endlich fahen viele Katholifen Die fe aufsßung als 
einen Angriff auf die Religion ſelbſt an. 


Das Mißvergnigen Fam bald zum Ausbruche; dag ers 
ſte Feuer zeigte fich in der Provinz Lincoln, wo ein Docs 
for der Theologie, Prior eines Klofterg, einen Volfshaufen 

verſammelte, an deren Spike er ſich unter dem Namen des 
Capitain Eabler d. h. Capitain Schuhflicker, ſtellte. 





442 | England. 


‚Anfangs ſchicten die Aufwiegler dem Koͤnige ihre Be⸗ 
ſchwerden in ſehr unterwuͤrfigem Tone zu: ſie erkannten 
ſeine Suprematie, erklaͤrten ſich ganz, damit einyerſtanden, 
daß er die Zehenden und erſten Einfinfte der Benefizien 
beziehe: bafen aber, unterthänigft, ihren Beſchwerden abzu⸗ 
helfen, und ſeinen Adel su. Nathe zu ziehen. 

Die Beſchwerden euthielten: er habe zu viele gloͤſter 
aufgehoben, und ſich von dem Parlamente. ‚ohne einige Noth⸗ 
wenpdigfeit gu große Steuern bewilligen laffen; er habe in 
feinem Staats⸗Rathe Leute von niedrigem Herkommen, Die ſtatt 
des Staats⸗Wohles nur ihre Bereicherung, im Auge haͤt⸗ 
ten; mehrere Biſchoͤfe hätten den alten Glauben verlaffen, 
und hingen neuen Lehrmeinungen an, welche. zu allen Zeiten 
‚von der Kirche verdammt worden wären: nachdem die Aus⸗ 
plünderung fo vieler Klöfter vor ihren Augen vorgegangen, 
glaubten fie mit Necht befürchten zu miffen, daß Die Kir 
chen das nämliche Loos erfahren würden, 

Der König ſchickte den Herzog von Suff olf mit eis 
nem unbedeutenden Heerbaufen gegen die Meuterer, und 
ſchlug den Aufruhr durch eine Amneſtie nieder, 


Zur nänlichen Zeit gerieth auch die Provinz York in 
Aufftand, welcher weis ausfehender war, ald der von Lins 
coln. Diefer fchien ein. Werk des Zufall's und einer 

plöglichen Aufwallung zu feyn, jener war die Folge eines 
verabredeten Planes, an welchem mehrere Perſonen von Ges 
wicht Theil hatten, weldhe, um offen aufzutreten, nichts 
abmarteten, als eine hellere Einficht in pie allgemeine Volks⸗ 
Stimmung zu befommen. 


Die Nachbarfchaft Schottland’s, die Entfernung des 
Hofes, das Anſehen, in dem die Mönche und Geiftlichen 
in dieſer Provinz ffanden, machten dieſe Empoͤrung gefährs 
lid. Die Mißverguägten fammelten fi fehr zahlreich ger. 
gen Ende Auguſt's; fobald fie fich ſtark genug fahen, ‚ließen 
fie den Edeleuten die Freiheit nicht mehr, neutral zu bleis 
ben; fie mußten entweder die Flucht ergreifen, "oder fih an 
fie anfchließen und ſchwoͤren: der Sache getreu zu bleiben — 
für welche fie die Bafen ergriffen hatten; dieſe Sache war 








Englaue. — 443 


eigentlich die Religion, welches ſie denelich dadurch teigten, 
daß : fie das Bild des Gekreuzigten in. ihre Fahnen un 
Standarten fegfen: aud) fegten fie in..einigen aufgeloͤßten 
Kloͤſtern die Keligiofen wieder ein. 
Der Koͤnig hob Truppen aus, und ſchickte den Herzog 
pon No rfolk gegen die 'Empörer; alfein die koͤnigliche Macht 
war nicht im Stande, ihnen die Spitze zu bieten. 
Aſke, ihr Anfuͤhrer, bemeifterte ih Hull’ in 
NPork's und zwang den’ ganzen Adel der ze mit ihm 
gemeinſchaftliche Sache zu machen. 
Die Empoͤrung im' Norden ˖wurde Daher von Tage zu Tage 
ernſtlicher, und man fing’ an, zu beſorgen, dag! ganze Koͤ⸗ 
nigreich möchte dem Beiſpiele der nördlichen Provinzen fols 
gen. AUnvorgefehene Gluͤcksfaͤlle refteten mehr als eim 
mal das Hecr des Koͤnig's, und der Herzog von, Norfolk 


mußte fich noch gluͤcklich ſchaͤtzen, mit den Gegnern eine Unter⸗ 


handlung anfnüpfen, zu können. Die Empsrer machten Vor⸗ 
. Schläge, die Sache zog ſich in die Fänge, und der Koͤnig 
gewährte eine Amneſtie mit dem Verfprechen: ihre Beſchwer⸗ 
ben abzuftellen, hielt ‚aber, unter allerlei Vorwaͤnden, nicht 
Mort. Kurz darauf ſtellten ſich zwei nordifche Adeliche an 
die. Spige von 8000. Unzuftiedenen, und erfchienen vor 
Karlisle; der Herzog von Norfolk vereitelte ihre An⸗ 
ſchlaͤge, nahm, ihre Anführer gefangen, und: ‚lieg fie mit u 
geren Nebellen hinrichten... 

' Der. König, überzeugt: daß die Rene den Mißmuth 
bes Volkes ſtets in Gaͤhrung braͤchten, ließ in den noch. bes 
fiehenden Klöftern eine "Unterfuchung. anftellen, den Bericht 
hievon .befannt machen, und falfche Meliguien, die man in 
Den Klöftern aufgefunden hatte, dem Publifum zur Schau 
ausfegen ;-. das verborgene Triebwerk deſſen man fich ‘ber 
diente, um den Statuen, melde Chriſtum, die heilige 


Jungfrau, oder . andere Heilige norfiellen, Bewegungen zu 


geben; die ſolchen, welche mit der Vorrichtung unbekannt waren, 
für übernatürlich galten,’ wurde dem Volke vor Augen ge⸗ 
lest ;.ımd die Werkzeuge dieſer frommen ‚Täufchungen vers 
brannt; felbft die Reliquien des Hl. Thomas von Cam 
— wurden den Flammen ee 


i 


444 | England. 
Der Pabſt konnte den Berirrungen Heinrich’s nicht 
länger ziriehen, ohne am feiner Werpflichtung fir die Reli⸗ 
gion treulos zu feym. 

Er machte daher die Frcommunicafion, die im Sabre 


3535 aufgefegt und unterzeichnet war, der Welt befannt, 


fuchte allen chriftlichen Fürften feinen Eifer gegen Heinrich 


VIII. einzufloͤßen, und bot fogar dem Könige von Schott⸗ 


land die Krone Großbritanieng an. 


Der von Paul III. gefchleuderte Bannſtrahl brachte 
in England feine Veraͤnderung zuwege. Auf die Nachricht 
deſſelben nahm der Kanig den Bifchöfen und Achten von 
Neuem den Eid der Zreue ab, wodurch fie der Unterwuͤr⸗ 


figkeit des Pabſtes entfagten. 


Die neuen Reformirten hatten Anhaͤnger, die Alles 
thaten, den Koͤnig fuͤr ſich zu gewinnen; auch die Katholi⸗ 
ken ſetzten alle Springfedern in Bewegung, die Proteſtan⸗ 
ten gehaͤßig zu machen. Dieſe hofften, der Koͤnig werde 
ſich mit dem Pabſte wieder ausſoͤhnen, jene firebten ihn zur 
Annahme der Grundfäge der Keformation zu vermögen. 
Keine von beiden Parfheien erreichte ihr Ziel. Heinrich 
bifeb mit der Neformation auf halbem Wege fiehen, und 
verföhntefich nie mit Nom: Da er unumfihränfter Here 
war, wollte er feine Unterthanen niemals weiter geben lafs 


fen, als er; andern Theils zwang er fie, mit ihm ſoweit 


gleichen Schritt zu halten, als wo es ihm zweckmäßig 
fhien, ftehen zu bleiben, gleich firenge, ‘oder vielmehr ums 
darmhersig gegen jene, die ihm nicht folgen, wie gegen jes 
ne, die ihm vorfchreifen wollten. Jeder Theil, in der Hoff 
nung den König auf feine Seite zu bringen, begünftigte alle 
feine Entwuͤrfe: fo ließ er, einiger Gegner ungeachtet, alle 
Klöfter eingehen, und zog Ihre Einkünfte an ih. Er lie 
Das Gericht augfprengen, als fiehe dem Reiche ein feindlis 
her Anfall bevor, bereifte die, Kiffen, und erfheilte Ber 
fehle: daß die Truppen auf den erſten Wink ſich marfd;fers 
tig halten follten; der Zweck dieſer Kunftgriffe war,: dem 
Volke begreiflich zu machen, das‘ Parlament wuͤrde vermuͤ⸗ 
Giger ſeyn, zur Wbtzeibung des vorgeblichen feindlichen uns 


’ England. 445 
griffes, große Taren aufzulegen, nun aber beduͤrfe der Koͤ⸗ 
nig dermalen keine Subfidien, weil durch Einziehung der 
Kiöfter fein Einkommen einen beträchtlichen Zuwachs erhals 
ten hätte. | 

Heinrich wollte zeigen, daß en\ mit Abfchaffıng der 
päbftlichen Gemalt und Zerſtoͤrung der Klöfter in feinem 
Reiche in der Religion ſelbſt nichts verändert habe, deßhalb 
ließ er im Jahre 1539 ein Gefeg unter dem Titel: „Die 
Statuten,’ ergeben, um die Meinungs » Verfchiedenheit 
über gewiffe Glaubens s Artifel zu prüfen. Es ift dies dag 
Geſetz, das allgemeiner unter der Benennung des Geſetzes 
Der ſechs Artifel-befannt iſt. Scheiterbaufen oder Gal⸗ 
gen wurden jenen zuerkannt: 1fleng). welche mündlich oder - 
fchriftliih die Transſubſtantiation laugnen. 2tens) welche 
die Nothivendigkeit der Communion unter beiden Geftalten 
behaupten. Steng) welde vorgeben: es ſey den Prieftern 
erlaubt, fic) zu verehelichen. 4tens) welche behaupten: dag 
Geluͤbde der Keufihheit dürfe gebrochen werden. 5teng) 
. welche fagen: die Privat» Meffen ſeyen unnuͤtz. Gtens.) wels 
che die Nothwendigfeit der Hhrenbeicht laͤugnen. 


Heinrich herrfchte über die britfifche Nation mit oriens 
taliſchem Despotismug: nad) Laune entſetzte er Biſchoͤfe und 
Beiftlihe ihres Amtes, ließ feine Ehen aufldfen und feine 
Gemahlinnen auf dag Blutgeruͤſt fehleppen. Er hatte die 
Prinzeſſinn von Cleve geheirathet, und ließ die Ehe vers 
nichten, um fi) mit Catharina Houard gu vermählen. 
&r erhielt vom Parlamente eine Afte, worin man Allem, 
was der König in Sachen der Religion entfcheiden wuͤrde, 
@efegestraft erfheilte; man geftattete ihm das Privilegium 
der Unträglichkeit, welches man dem Pabſte abfpradı, 
und legte Heinrich VIII. die Bewiffen, wie das Leben 
Der Engländer, zu Füßen. 


Der König ließ mehrere Bifchöfe und Gottesgelehrte 
zuſammenkommen, welche die Artikel eines Glaubens⸗Be⸗ 
kenntniſſes abfaſſen ſollten, das als Richtſchnur für ganz 
Britanien gelten ſollte: es war mit den ſechs Artikeln übers 
einſtimmend, und enthielt nichts Verfaͤngliches, als die Lehre 


446 England. 


von der Suprematie des. Koͤnigs, und die Weigerung, ben 
Pabſt ale Dberhaupt Der Kirche anzunehmen. 


Die übermäßige Gewalt, mit welcher man Heinri— 

chen bewaffnet hatte, wurde vielen Engländern verderblich: 
er ließ mehrere Perfonen zum Tode verurtheilen und bins 
richten, die einen, teil ſie Die geififiche Obergewalt des Koͤ⸗ 
nig's läugneten, Die:andern, weil fie dem Lehrbegriffe Lu— 
ther's anhingen, einige, weil fie der Gewalt des Pabſtes 
das Wort gefprochen hatten. Diefer Fürft mar einzig mit 
den Mitteln boſchaͤftigt, feine bereits erworbene Macht zu 
erweitern, und ſeine Wachſamkeit war ohne Unterlaß dahin 
gerichtet, daß fn der Religion Feine andere Veraͤnderung 
vorgenommen werde, als die er ſelbſt fuͤr nuͤtzlich und recht⸗ 
mäßig erachte. 
Da er uͤber dieſe beiden Punkte eine unbeugſame Ent⸗ 
ſcheidenheit zeigte, und das Parlament ſeinen Entſchließun⸗ 
gen keinen Obſtand zu leiſten wagte, ſo hatte auch keiner 
ſeiner Miniſter die Feſtigkeit, ihm zu widerſprechen, mithin 
war er ed allein, der Alles nach feinem Sinne orinete, 
während dem fein Staats’ s Math Fein anderes Geſchaͤft 
hatte, als ſeine Vorſchlaͤge gut zu heißen. 


Inzwiſchen gab es im Staats⸗Rathe, wie im ganzen 
Koͤnigreiche im Betreffe der Religion zwei entgegenſtehende 
Partheien; allein beider Augen waren immer nur auf den 
Koͤnig gerichtet, um ſeine Neigung abzulauſchen, damit man 
ſich ja der Gefahr nicht aüsſetze, ihr entgegen zu ſeyn. 
Die Anhänger der neuen Lehre hofften immer, der neue Kds 
nig werde die begonnene Verbefferung weiter treiben: in dies 
fer Meinung ſchien es ihnen, der Klugheit angemeffen, ihn 
nicht zu reisen. Aus gleichem Grunde getrauten fich Die Ka⸗ 
tholiken nicht, auf geradem Wege ſich zu widerſetzen, aus 
Furcht, ihre Widerftand mochte ihn verleiten‘, die Schranken 
zu überfchreiten, die er fich geſetzt zu haben ſchien; das Res 
fultat hiervon war, daß man allen Tinfälen des Königs 
blindlings und allgemein huldigte, und ihm eine fo gränzens 
Iofe Gewalt über feine Unterthanen einräumte, von ber er 
einen furchtbaren Gebrauch big zu feinem Tode machte, der 








England, 447 


den 28. oder 29. Januar 1547 im 36ſten Jahre ſeines 
Alters erfolgte. 

Heinrich VIII. hinterließ drei Kinder: Maria, Tochter 
der Catharina von Arragonien; Elifabeth, Tochs 
ter der Anna von Boulen, und Eduard, Sohn der 
Johanna von Seymour. Die Thronfolge hatte er, zus 
folge der ihm vom Parlamente eingeräumten Gewalt folgens 
dermaßen feftgefeßt: den erften Rang hatte Eduard VL, 
und feine Nachkommen, den zweiten Plag erhielt‘ die Prin 
zeſſinn Maria, und den dritten Eliſabeth, unter dem Be⸗ 
dinge: daß dieſe ſich im Einverſtaͤndniſſe mit feinen Teftas 
ments s Volziehern verehelichen follten. Nach feinen Toͤch⸗ 
fern beſtimmte er die Krone für Franziska Brandon, 
älteften Tochter feiner Schwefter, und des Herzogs von Suf⸗ 


fol, mit Augfchluß der Kinder Margarethen's Kdnis 


ginn von Schottland, feiner dltern Schwefter. 1). 


Scundiäne, worauf ſich Heinrich's VIII. Sois ma 
ſtützt e. 


Bei Cranmer erwachte zuerſt die Idee, das Koͤnig⸗ 
thum mit der Wuͤrde eines Kirchenhauptes zu verſchmelzen. 

Der chriſtliche Regent iſt, ſeiner Meinung nach, un⸗ 
mittelbar von Gott geſetzt als deſſen Verwalter, ſowohl in 
den religioͤſen als buͤrgerlichen Verhaͤltniſſen; in beiden 
Verwaltungs⸗Zweigen bedarf er Diener, Die er ſich unters 
ordnet, als zum Beifpiele einen Kanzler, Schagmeifter, Raͤ⸗ 
the, Nichter und andere Beamte im Bürgerlichen; Biſchoͤfe, 
Pfarrer, Hülfspriefter u. f. w. im Geiftlichen, deren Ans 
ſtellung als Religion » Diener ein Ausfluß der Majeſtaͤts⸗ 
Kechte iſt; alle Staafds Diener von einer und der andern 
Elaffe müffen auf Vorſchub und Befehl des Kegenten bes 





1) Rymer’s Aften Tom. 15. Auszug daraus p. 392. Hist. 
de l’Anglet. par Thoiras. T. 5. Hist. de la Reform. 
T. 2. 


‘ 





⸗ 


448 England. 


ſtimmt, ernannt und angewieſen werden unter mannichfachen 
Feierlichkeiten; die nicht fomohl als etwas MWefentliches, 
fondern Wohlſtands halben eingeführt find, dergeftalt daß, 
wenn diefe Stellen auch ohne diefe Eolennitäten von der 
oberften. Staatd s Behörde ertheilt werben, fie Dennoch ihre . 
volle Gültigkeit haben, und es iſt Fein göttliches Verſpre⸗ 
chen vorhanden, daß die Gnade mehr mit der Einfegung in 
ein Kirchenamt, als mit jener zu einer bürgerlichen Bedie⸗ 
nung verfnüpft fey. 

Nachdem auf biefe. Weiſe Cranmer die Religions⸗ 
Diener zu bloßen Delegaten der Fuͤrſten geſtempelt hatte, 
ohne daß die kirchliche Einſetzung oder Weihe nothwendig 
ſey, begegnet er einer Einwendung, die ſogleich in die Au⸗ 
gen fällt, naͤmlich: wie die Kirchen⸗ Hirten unter unglau⸗ 
bigen Fürften ihre Gewalt ausüben könnten? Seinen Grunds 
fägen gemäß hört alsdann in der Kirche alle wirfihe Ges 
walt oder Herrfchaft auf, und das Vol nimmt jene, Die 
ihm von Apofleln, oder andern Männern, fo es mit Dem 
göttlichen Geifte befeelt glaubet, vorgefchlagen werden, bloß 
aus gutem Willen auf, und gibt ihnen, als ein gutes Volk 
Gehör, mit Bereitwilligfeit ihren wohlmeinenden Rathſchlaͤ⸗ 
gen Folge zu leiſten. 

So aͤußerte ſich Cranmer in einer Verſammlung von 
Biſchoͤfen, und dieſe Vorſtellung hegte er von der goͤttli⸗ 
chen Sendung, welche Jeſus Chriſtus ſeinen Dienern 
verliehen bat. 

Es iſt unnoͤthig, eine Meinung zu widerlegen, die auch 
von den Proteſtanten verworfen wird, und uͤber die ſelbſt 


Burnet fuͤr Cranmer erroͤthet. 


Wohl gab Cranmer zu, daß die Biſchoͤfe hoͤttlicher 
Anordnung ſeyen, behauptete aber zugleich: Chriſtus habe. 
feiner Kirche Hirten -gefegt, aber nur um ihre Gewalt, als 
in allen Berrichtungen abhängig von dem Fuͤrſten, zu üben. 
Unffreitig, fagt Boſſuet, die unerhörtefte und ärgerlichfte 

Schwärmerei, die je einem Menfchen in den Sinn ges 
fommen if. 1). 


1) Bossuet, Histoire des Variat. L. 7. Art. "44. 








England. Englifche Religion. 449. 


Geſtuͤtzt auf diefe Grundfäge, ertheilte Hetnrich VIII. 
den Bifchdfen die Vollmacht, ihre Kirchen » Sprengel zu vis 
fitiren ; die Ausfertigung derſelben hatte einen Worbericht 
an ber Spige des Inhaltes: daß alle Gerichtsbarkeit, fos 
wohl geiftliche als weltliche in jedem Reiche . von der koͤnig⸗ 
lichen Oberherrlichkeit, als der Urquelle aller Staats s Ges 
walten ausfließe. Solche Grundſaͤtze anführen, beißt fchon 
‚nad Boffuet, fie widerlegen. Es ift offenbar, daß unter 
diefen Vorausfegungen bie chriſtliche Neligion gar nicht göfts 
lichen Urfprungg , fondern lediglich eine bürgerlihe Anftalt 
iſt, deren Glaubens s Säße und Gebräuche von der Staates 
Gewalt angeordnet werden. 


Engliſche Religion. Die fogenannte verbefferte 
Religion, wie fie heut zu Tage in der englifchen Kirche 
eingeführt tft, und befennt wird, Wir wollen ihre Ents 
ftehung, ihe Sortfchreiten, und ihre gegenwärtige Beſchaf⸗ 
fenheit durchsehen. 





Die reformirte Religion in England feit der Spal⸗ 
tung Luther's bid auf Eduard VL Ä 


Sweihundert Jahre vor Luther hatte ſchon Wiclef 
die päbftlihe Gewalt und die Glaubenslehren der römifchen 
- Kirche. angeftritten, und unter dem Volke, den obrigkeitlichen 
Derfonen, und bei den Großen Profelyten gefunden. Der 
Eifer der Geiſtlichkeit, unterftüßt von dem Anfehen der Koͤ⸗ 
nige hatte der Verführung Schranfen gefegt: allein Keime 
des Irethums waren zuruͤcke geblieben, welche die Wachs 
famfeit und Etrenge der Kirchenhirten nicht ausrotten konn⸗ 
ten, und durch Die Streitigfeiten Nahrung fanden, bie fich 
in England über die Rechte des Pabſtes in diefem Reiche, 
über die Kirchen s Güter, und die Vorrechte der Geiſtlich⸗ 
keit ohne Unterlaß erneuerten. 

Als Luther's Spaltung ausbrach, wurden feine und 
feiner Anhänger Schriften von den Wiclefiten und Lol⸗ 
farden, deren Gefinnungen mit jenen Luther's vielfäls 


tig im Einklange flanden, gierig geleſen ſie Aberſetten ſie 
Kenn: terifon. 11. 


450 Englifche Religion. 


in's Englifhe, und bald fah man zu Yondon, Drfortf, 
Cambridge, ganze Mereine, die der neuen Lehre deipflich⸗ 
teten. 

Die Seiſtlichkeit hielt Zuſanimenkuͤnfte, die Reformato⸗ 
ren wurden ſorgſam aufgeſucht, ſtrenge geſtraft, der Irr⸗ 
lehre aber nicht geſteuert; die Verbreiter der Neuerungen 
wurden umſichtiger, mißtrauiſcher, zuruͤckhaltender und folg⸗ 
lich der Belehrung unzugaͤnglicher; die Vorſicht, mit der ſie 
nun ihre Lehren ausſtreuten, ſicherte ihren Erfolg, ſo daß 
fie viele Menſchen verfuͤhrten, und in dem Geiſte der Na 
tion die Achtung und Unterwuͤrfigkeit gegen Pabſt und Ele 
rus dergeftalt fchmwächten, daß eg Heinrich VIII. leicht 
wurde, der Bannſtrahlen Rom ’s- zu fpotten und die Geiſt⸗ 
lichkeit zu unterjochen. 

Dieſer Fuͤrſt hatte fich smar von den Irrthuͤmern der 
Proteſtanten nicht beſtricken laſſen, da er aber ihrer gegen 
ſeine Geiſtlichkeit bedurfte, ſo verfuhr er Anfangs mit 
Nachſicht gegen dieſe Parthei, welche er genug erſtarken 
ließ, um erſtere immer in der Beſorgniß zu erhalten: er 
moͤge ſich fuͤr die Reformation erklaͤren, und wobei er durch 
ſeine Eingriffe in der geiſtlichen Rechte die Hoffnung der 
Proteſtanten naͤhrte, er werde ſich noch zur Annahme ihrer 
Lehrmeinungen entſchließen. 

Durch dieſe Politik fand ſich die britiſche Nation zwi⸗ 
ſchen Reformation und Katholicismus getheilt, und zwei 

Partheien ſtanden einander gegenüber, welche der König uns 
umfchränft beherrfchte. 

Da aber die Katholifen bei weitem die Mehrzahl augs 
mächfen, und dem Könige daran lag, daß Ihn feine Unter 
thanen für Fatholifch anfehen follten, fo erneuerfe er bie 
Geſetze gegen die Ketzer, und lic mif dußerfier Strenge 
ale beftrafen, welche die ſechs Artifel nicht unterfchrieben, 
und der neuen Lehre zugefhan waren. (Sieh den vorher 
gehenden Artikel.) 

„Allein was vermögen „ſagt Boffuet‘’ über die Ger 
„wiſſen Neligiongs Decrete,, die, indem fie ihre Kraft von 
„der föniglichen Gemalt ableiten, die von Gott feinen fols 
„hen Auftrag erhalten hat, ‚weiter nichts als Staats Mas 





—X 


Engliſche Religion. 451 


„ximen ſind? Waͤhrend dem Heinrich VIII. ſolche durch 
„unzaͤhlige Hinrichtungen durchzuſetzen ſtrebte, waͤhrend dem 


er nicht nur die Katholiken, die feine kirchliche Obergewalt 


„verabſcheuten, ſondern auch die Lutheraner und Zwing⸗ 
„lianer, die feine Glaubens⸗Artikel beſtritten, grauſam hin⸗ 
„ſchlachten ließ, ſchlichen unbemerkt Irrthuͤmer aller Art in 
„England umher, und die Voͤlker hatten keinen feſten Ans 
„halts⸗Punkt mehr, als fie ſahen, daß der Lehrſtuhl des 
bl. Petrus der. Vernichtung Preis gegeben war, von dem 
‚doch, wie fie wußten, der Glaube auf ihr großes Eiland 
„gekommen war.“ 1. 

So war England’s Rage befchaffen, als Heinrich VII. 
farb. 





un 


Die Reformation unter Eduard VI. 


Eduard VL folgte Heinrich VII. und ber Graf 
von Seymour, nacmaliger "Herzog von Sommerfet, 
wurde zum Protector des ganzen Neiches und Vormund des 
jungen Könige, der erft zehn Jahre alt war, ernannt. 

Eduard war der Neformation nicht abgeneigt, und der 
Herzog von Sommerfet, Iwinglianer im Herzen: die zwei 
Erzbifchdfe, verfchiedene Bifchsfe, mehrere aus den bornehmften 
Gliedern der GBeiftlichfeit, viele Großen, und ein beträchts ' 
licher Theil des Volkes hatten fi) auf die Seite der Re⸗ 
formation ‚geneigt; folglich fand fich Das gange Uebergemicht 
bei der proteffantifchen Parthei. Ihr Eifer wurde in Tri 
vat » Unterhaltungen und dffentlihen Vortraͤgen bald laut. 
Cranmer, der feine Anhänglichfeit an die Keformation. 
unter Heinwich VIII. verheimlicht hatte, verband ſich mit 
dem Protector, um dieſe, da der Koͤnig nicht mehr mar, 
in England einzuführen. 

Das Parlament gab im Jahre 1549 ein Gefek, welches 
den Verordnungen Heinrich’s. VIL. volle Gültigkeit er; 
theilte, und die Raͤthe ſeines Sohnes ermaͤchtigte, waͤhrend 


* 





) Bossuet Hist. 5. de Variat. L. 7. Art. 71. 
29% 


452 Englifche Keligion, 


deffen Minderjährigkeit Anordnungen zu freffen, die diefelbe 
Kraft, wie jene des Vaters haben follten. Auf diefen Grund 
fhlug man vor, nad) dem Beipiele Heinrich VII. im gans 
zen Reiche Kirchen » Vifitatoren mit Kirchengefegen und 
Glaubens s Urtifeln umbherzufenden: man .theilte zu dem 
Ende ganz England In ſechs Diftrikte, in deren jedem die 
Commiffiondre aus zwei Adeligen,. einem Nechtögelehrten, 
einem Gottedgelehrten, und einem Sekretaͤre beftand. Der 
König unterfagte während der Dauer der Vifitation den 
Erzbiſchoͤfen, und allen andern die Ausübung jeder‘ geiſt⸗ 
lichen Gerichtsbarkeit; und da das Volk zwiſchen entgegen 
gefeßten Meinungen ſchwankte, weil die Prediger widerfpres 
chende Lehren bortrugen, und einander auf den Kanzeln wis 
verlegten, fo verbot Eduard den Bifchdfen, auffer ihren 
bifheflihen Sigen, und den übrigen Geiftlichen anderswo, 
als in ihren Kirchen zu predigen, es fey denn, daß fie hie⸗ 
zu böchften Orts beauffragt milrden. Dieß war ein fiches 
res Mittel die Prediger, dic die Reformation unterfläßten, 
von ihren Gegnern zu imterfchelden, umd zu verhüten, dag 
diefe Letztern auffer ihren Pferrfpielen predigten, während 
dem die erfien die Freiheit, uͤberall zu predigen, leicht ers 
halten konnten. 1). 

Die Bifitatoren waren für verfhichene Punkte der Kirs 
henzucht, und für Abfchaffung der Heiligen « Bitbniffe und 
der pädfilichen Gewalt mit Kirchenverordnungen verfehen. 
Die Katholiken, flatt fih für Abänderung deffen, was tms 
tee Heinrfd VIII. gefchehen war, zu verwenden, bes 
- fhränften ihre Anfprüce dahin, zu verhindern, daß nicht. 
noch größere Eingriffe gefchähen. Deßhalb behaupteten fie, 
daß während einer Minderjährigfeit in Hinfldr der Reli⸗ 
gion nichts Entfcheidendes vorgenommen werden fönne, weil 
forches nur in Kraft der kirchlichen Obergewalt des Koͤnigs 
gefchehen dürfe. 

Aber die Regentſchaft huͤtete ſich, eine Maxime gelten 
zur laſſen, welche auch auf die andern Regierungs⸗gZwei⸗ 


1) Burnet. T. 3, p. 63, 63. 





Englifche Religion. | 453 
ge Einfluß haben Fonnte, und erklärte: die koͤnigl. Gewalt 
fey ſtets Diefelbe, der Koͤnig möge voll s oder minderjähs 
rig.feyn. Unter den Biſchoͤfen waren die von London und 
Wincheſter die einzigen, welche ſich den Anordnungen der 
Viſitatoren entgegen ſebten, und wurden zur gefaͤnglichen 
Haft gebracht. 


Das Parlament, welches den 4. November 1554 er⸗ 
oͤffnet wurde, ging in der Reformation um einige Schritte 
weiter, als Heinrich VII. Es fehaffte gewiſſe Geſetze ab, 
die vor dem gegen die Lollarden ergangen waren, wis 
berrief das Gefeß der ſechs Artikel, und beftätfigte die Firchs 
liche Oberherrſchaft des Könige, es hob die Privat s Meflen 
anf, und lieg die, Communion unter beiden Geflalten ertheis 
len. Ferner wurde dem Könige das Ernennungsrecht zu 
erledigten Bisthuͤmern geſtattet, und die Wahlen abgeſchafft; 
auch beengte man den Wuͤrkungskreis der geiſtlichen Gerichts⸗ 
hoͤfe: endlich bewilligte das Parlament dem Koͤnige, die zum 
Unterhalte der Kirchen⸗Muſik beſtimmten Gefaͤlle, jene, die 
zur Unterhaltung der Lampen verwendet wurden, und das 
Einkommen der Bruͤderſchaften u. ſ. w. 


Da Koͤnig, Protektor und Parlament auf dieſe Weiſe 
ihre Geneigtheit zur Einfuͤhrung der Reformation ſattſam 
zu Tage gelegt hatten, ſah man die Proteſtanten in Schaa⸗ 
ren aus Deutſchland nad) England hinuͤber wandern, und 
der Proteftor berief Theologen und Prediger, denen er Jah⸗ 
resgehalte und Benefizien zuerfannte: dergleichen waren P es 
ter Martyr, ein Slorentiner, Bernardin Dchin, Dur 
cer u, U. Alles verfchwor ſich daher zur Unterdrückung des 
Katholizismus, und Einführung der neuen Lehre in England. 
Da aber Eranmer, der die ganze Unternehmung leitete, 
ein größereß Auffehen gerne vermieden häfte, ging damit 
um, erfieren vor der Hand zu untergraben. 


Man. ernannte Bifchdfe und Theologen, die die gottes⸗ 
dienftlichen Einrichtungen prüfen und verbeffern ſollten: dieſe \ 
Commiffarien entwarfen eine den Proteſtanten ähnliche Litur⸗ 
gie. Das Parlament, welches den 2dten November zuſam⸗ 
men kam , befchäftigte fich neuerdings mit der Reformationg: 








. 


454 | Engliſchen Religion: 


Sache, , geftaftete die Prieſter⸗ Ehe, und genchmigte die neue 
fiturgie 1). 

Diefe gefroffenen und noch zu freffenden albänderungen, 
verurſachten auf allen Seiten Mißvergnuͤgen, die Kanzeln 
ertönten von Dispiten; man geftattete ven Biſchoͤfen nicht 


‚mehr, Prediger aufzuftellen, und räumte diefe Gewalt unter 


dem Vorwande: die Semüther zu beruhigen, dem Koͤni⸗ 
ge, und dem. Erzbifchofe von Kantorbury ein; jedoch 
batte diefe Borficht den erwuͤnſchten Erfolg nicht. Der Hof 
verbot nun allen Geifilichen das Predigen, und ließ in den 
Kirchen Homilien, die man für die Viſitatoren hatte abs 
faffen laffen ; verlefen 2). 

Alsbald nad Kundmachung des Gefehes, wodurch Eins 
förmigfeit im Gottesdienfte hergeftelt werben follte, befahl 
der Koͤnig eine neue Viſitation im Reiche. 


Inzwiſchen ſtieß die Reformation auf große Hinderniſſe 
Die Katholiken gingen den neuen Glaubensſaͤtzen mit Nach⸗ 
druck zu Leibe, und vertheidigten die Lehre der katholiſchen 
Kirche mit gutem Erfolge; zu dem hing noch der betraͤcht⸗ 
lichſte Theil der Nation dem alten Glauben an; die Refor⸗ 
matoren waren hinſichtlich der, zwiſchen den Katholiken 
und Proteſtanten ſtrittigen, Hauptpunkte ſelbſt noch nicht im 
Klaren; die letztern vertheidigten ihre Meinungen ſehr ſeicht, 
ſelbſt angenommen, daß fie in ihren Dispuͤten ſich der Gruͤn⸗ 
de, die ihnen Burnet in den Mundlegt, bedient haben 3). 


Seit Heinrich’ 8 VIII. Regierung hatte fich eine gros 
Ge Anzahl Ana bapfiften nach England geflüchtet. Die 
Regierung wurde hievon benachricter, und feßte eine Com⸗ 
miſſion nieder, ſie aufzuſuchen, und zu richten. Diefe bes 
fand aus Biſchoͤfen, Rittern und Doctoren unter dem Vor⸗ 
ſitze Cranmer's, Erzbiſchof's von Cantorbury. 


) Alten von Rymer T. 15. Auszug d. am. T. 4. Art. 
4.p. 197. . 
2) Buruct. T. 3. p. 203. 
3) Ibidein p. 280. 


ı 











Euglifche Keligion. | 455 


fr ergab fich, Daß viele von den Anabaptiſten die 

Dreieinigkeit, die Nothwendigkeit ver Gnade, das Geheimniß 
der. Menfchwerbung läugneten. Mehrere fchwuren ihre Irr⸗ 
thuͤmer vor den Commiſſarien ab, andere blieben unbeugs 
fam, unter diefen Johanna von Kent, welde dem welts 
lichen Arme übergeben wurde. 
. Die Regierung bat den König, ihr Todes, Urtheil u 
unterzeichnen. Der junge Prinz verweigerte es, indem er, 
nad) Burnet’e Angabe, erklärte: Unglüctiche in Sachen 
des Gewiſſens zum Feuer verdammen, hieße, ſich der näms 
lichen Grauſamkeit ſchuldig machen, die man der roͤmiſchen 
Kirche vorwerfe. 

Cranmer ſtellte dem Koͤnige vor, dag im Geſetze Mor 
fig die Gotteslaͤſterer ſeyen geftefnigt worden: es fey ein 
großer Unterfchien unter Irrthuͤmern, welche, die in dem 
apoftolifchen Glaubens s Befennsniffe enthaltenen Grundlagen 
untergrüben, und ſolchen, welche nur Gegenftände der Theo⸗ 
logie beträfen ; wenn die legtern zu dulden wären, fo feyen 
die erſten offenbare Gottlofigkeiten , die ein jeder Fuͤrſt in 
der Eigenichaft eines Statthalters Gottes zu beftrafen vers 
bunden fey, wie die Statthalter der Regenten die ‚Mae 
fläts s Verbrecher züchtigen müßten: 

Der König eingefchüchtert, aber nicht überzeugt, unters 
ſchrieb das Urtheil, mit dem Beifage an Cranmer: went 
en Unrecht thue, ſo habe es der Erzbifchof vor Gott zu ver‘ 
antworten, weil. eg auf fein Anſehen und Zureden gefchehe 1) 

Dieſe Worte, fagt Burner, haben bei Cranmer cis 
nen folchen Schauder erregt, dag er in Vollziehung des Tos 
des sUrtheild nicht babe wilkigen koͤnnen: ein Gemiflens; 
big, den man bei dieſem Manne nach feinen Gefpräche mis 
dem Koͤnige' nicht haͤtte erwarten follen; ter. aber, mie ein 
Blitz wieder verſchwand: denn Johanna von Kent wurde 
Serdrannt. : 

Wenn wir eben ſo wenig beſcheiden, wie Burnet in 
den Urtheilen, die er über die geheimen Beweggründe der, 


ı) Ibidem. p. 284. | cd 


_ 


1 


456 Englifche Keligion. 


Katholiken faͤllt, ſeyn wolten, was ließe ſich nicht über das 
Erfchaudern Cranmer's fagen, das ihn erft nach dem dus 
Gerfien Sträuben des Koͤnig's, einen Befehl zu unterzeichs 
nen, der ihm ungerecht und graufam fcheint, befällt? 

Burner glaubt dennoh Cranmer rechtfertigen zu 
koͤnnen: „Wir können enfgegnen, fagt er, daß Cranmer 
fiher Peine Anlage zur Grauſamkeit hatte, und folglich, 
was er that, auf Feinem fo üblen Grunde beruhte: aber 
man muß auch bekennen, daß er durch einige Grundfäge 
bingeriffen wurde, von welchen er fich in feinem Betragen 
leiten ließ.’ 1). Eine Vertheidigung, die den Beweis von 
Burnet’g Verlegenheit, und ihre Widerlegung in ſich 
ſich traͤgt. 

Die Beſtrafung dei Anabaptfiften hemmte hie Denk⸗ 


Ausgelaſſenheit nicht: Alles war in ſonderbarer Verwirrung. 


Sin mehreren Drten entfianden Volks s Aufläufe, welchen die 
in Religions s Sachen getroffenen Veränderungen nicht frems 
de waren. 


Die Unruhen legten fh, und dad Neformiren wurde 
fortgefeßt; man enffeßte ‚die Biſchoͤfe , die die Abſichten der 
Regierung nicht beguͤnſtigten; ohne Unterlaß wurden zu den 
Liturgien und Glaubens⸗Bekenntniſſen bald Zuſaͤtze gemacht, 
bald davon abgeſchnitten. 


Die Ungnade des Herzog's von Sommerf et änderfe 
nichts in dem Neformationd» Plane. Der Graf von Ware 
wich, der 1552 die Zügel der Regierung an fih eig, und 
die Religion zum Werkzeuge feined Ehrgeiges machte, hielt 


‘es, um ſich zu halten, für angemeffener, wenn er ſich den 


Neigungen des Koͤnig's, und den Wuͤnſchen eines: großen 
Theild der Nation anfchmiegte, als wenn er denfelben Obſtand 
bielt; man fuhr daher mit Entfernung der der Reformation 
enfgegenftrebenden Bifchsfe fort, immer .famen neue Glau⸗ 
beng » Bekenntniffe zum Dorfcheine ; immer wurbe etwas von 
dieſen meggenommen, oder hinzugefügt, und mif den Litur⸗ 
gien gewechſelt; es bedurfte nur der Anordnungen des Loͤ⸗ 


ı) Ibidem. - i Le 








Engliſche Religion. = 457 


nig’s und des Parlaments, um es zur Pflicht zu machen, 
das Eine zu glauben, das Andere nicht zu glauben; um 
den Ritus bei den Weihen, den Umfang der biſchoͤflichen 
und prieſterlichen Gewalt vorzuſchreiben. 
So weit war es mit der Reformation in England 
gekommen, als Eduard VI. im Jahre 1553 ſtarb. 
Das neue Glaubens⸗-Bekenntniß enthielt die Irrthuͤ⸗ 
mer der Proteflanten über die Rechtfertigung, die Eucha⸗ 
iftie, die Sacramenfe, die Kirche, vie hl. Schrift, den 
einigungs + Zuftand, die Abläffe, die Verehrung der Bilds 


niſſe und Reliquien, über Anrufung der Heiligen, und das 


Gebet für die Verfiorbenen; man beffättigte darin bie obers - 
fie Kirchengewalt des König’s, und serbammfe die Irrthuͤ⸗ 
mer der Anabaptiſten. 

Was die Liturgie anbelangt, formte man ſie ſo viel wie 
moͤglich, nach der proteſtantiſchen; man entfernte aus den 
Kirchen die Altaͤre, die Bildniſſe, die zum Gottesdienſte uͤb⸗ 
lichen Verzierungen; man ſchaffte bei der letzten Oelung den 
Gebrauch des Oels ab, u. f w. \, \ 





Die Refosmation in England unter der Königin 
| Marin. 


Nach dem Tode Eduard's VI. beſtieg Maria Tochter 
Heinrich's VINL. und Katharinen's von Arragonien, 
den Thron. Dieſe Fürftinn war dem heiligen Stuhle mitten- 
in der Spaltung unerfchüfterlich treu geblieben, welcher die 
echte ihrer Geburt mit unbeugfamer Feſtigkeit vertheidige 
hatte. Unter Eduard ’s Regierung widerſetzte fie fich aus 
allen Kräften den Reformatoren, deren vornehmfte Haͤupter 
‘in die Eheſcheidungsſache verflochten waren. Zum Throne 
gelangt, überließ fie ſich ihrem ganzen Feuer⸗Eifer zur Wir 
derherſtellung des Katholizismus. 

Um dieſes durchzuſetzen, mußte der von dem Parlamente 
genehmigte, und von einem großen Theile der Nation an⸗ 
genommene Proteſtantismus geſtuͤrzt werden. | 





458 Engliſche Religion. 

Gardiner, Bifhof von Windefler, umd die vor⸗ 
nehmſten Katholiken waren der Meinung: man folte zuerſt 
den Glauben auf den Standpunkt zurädfählien, auf Dem er 
bei dem Tode Heinrich's VIE. war, und dann fiufenweife, 
Alles, was feit dem Bruche mit Rom Beränderung erlit 
ten oder. abgewuͤrdigt wurde, wiederherftellen. Die Koͤ⸗ 
niginn dagegen war, geneigt, vor andern. fi) mit der fathos 
liſchen Kirche auszufshnen, und hielt Gardinern für eis 
nen Stantsmanne, der dem Zeifgeiffe huldige. Um fich. jes 
‚doch bei ihrem Vorhaben den Schein ber, Klugheit zu geben, 
erklärte fie im. Staats+ Rathe: ſo fehr fie für ihre Perfon 
in Hinſicht der Religion entfchieden fey, wolle fie doch Nie⸗ 
manden zwingen, fie überlaffe ed der Vorſehung, Die im 
Irrthume Befangenen zu erleuchten, und hoffe ihre Bekeh⸗ 
zung, fo bald das Evangelium rein feyn und von Gottesge⸗ 
lehrten, die mit Froͤmmigkeit „Tugend und Kenntniſſen aus⸗ 
geruͤſtet waͤren, geprediget wuͤrde. 

Bald darauf nahmen die entſetzten. Biſchoͤfe wieder Ne; 
fig von ihren Stühlen: der Bifhof von Lon don begab fich 
in feine Kathedrale, wo er die Predigt feines Kapellan’ 8 
hörte. Da diefer Prediger feinen Bifchof himmelan erhob, 
und über jene, die ihn mißhandelt hatten, loszog, entſtand 
Unruhe unter den Zuhörern; Steine werden. nach Ihm ge⸗ 
morfen, und ein Dolch mit folder Gewalt gegen ihn ges 
fchleudert, daß er, bei'm Aysmweichen des Predigers, ir in das 
Holz der Kanzel fuhr, und ſtecken blieb. 


Um den Unordnungen, die aus der Unbeſcheidenheit der 
Prediger erfolgen koͤnnten, vorzubeugen, befahl: die Koͤni⸗ 
‚ginn GBardiner’n: Theologen, auf deren Weisheit, Eins 
fichten, Klugheit und Sähigfeit, das Wort Gottes anpaffend 
vorzufragen, er vertraue, Erlaubniß⸗ Scheine zu predigen, 
unter Beidruͤckung des Staats s Siegefs,, ausjuftellen. 

Diefe Prediger haften Das Necht, wo immer der Kanzs 
ler fie hinfchickte, fey e2 in. den Haupt s oder Pfarr » Kir: 
chen den Predigtſtuhl u befteigen, 
Die Proteſtanten fuhren des Verbotes ungeachtet, mei 
fiens fort, zu predigent' und’ Burst, der Diefen Ungehor⸗ 











Eagiſche Meligion: | 459 


fam bey den Katholiken unter Eduard: VL tadelte ‚ vers 
fest die Proteftanten unter Maria ımter die Heiligen. 1), 


Die Fremden, die unter Ednard fi) nah England 
geflüchtet hatten, oder die man berufen hatte, bekamen Be⸗ 
fehl, das Reich zu verlaſſen. 

Die Koͤniginn berief hierauf das Parlament, und be⸗ 
hielt in dem Berufungs⸗Schreiben den Titel: Oberhaupt 
der englifchen Kirche, bey. Sie ließ die Scheidung 
ihres Vaters, Heinrich’s, von. Katharina von Arras 
gonien für unrechtmäßig erflären (den 1. Oktober 1553.) 
man widerrief die Gefege Eduard’s in Religions + Sachen, 
und verordnete, daß auffer jener gottesdienftlichen Einrichs 
tung, welche zu Ende der Regierung Heinrich's VIIL 
gebräuchlich war, nach dem 20. Dezember jede andere iy 
England einzuftellen fey. .. 

Zur Sicherung des Wolzug’s dieſes Geſetzes wurde ein 
anderes, welches die Reformatoren unter Eduard gegen 
die Katholiſchen hatten ergehen laſſen, erneuert: man er⸗ 
klaͤrte als des Verrathes, folglich des Todes ſchuldig, die⸗ 
jenigen, welche, wenn ſie ſich in der Zahl zu zwoͤlf Koͤpfen 
oder daruͤber verſammeln, um Aenderungen in der oͤffent⸗ 
lich eingefuͤhrten Religion zu treffen, auf die Aufforderung 
der Orts⸗ Obrigkeit, oder einer von der Koͤniginn beauf⸗ 
tragten Perſon, nicht ſpaͤteſtens in einer Stunde auseinan⸗ 
der gingen. 
Die Verheirathung ber Koͤniginn mit Philipp IL. von 
Spanien gab dem Hofe einige Zeit Befchäftigung ‚und vers 
anlaßte Bewegungen in den Provinzen. Nachdem die Ruhe 
altenthalben wieder hergeftellt war, ſchickte die Koͤniginn 
Befehl an die Biſchoͤfe, baldmeglichft ihre Sprengel zu bes 
reifen, auf Haltung der Kirchengefeße, die zu Lebszeit ih⸗ 
res Vaters üblich waren, zu beſtehen, den koͤniglichen Nas 
men in den Akten der geiſtlichen Gerichte auszulaſſen, den 
Eid auf die oberſte Kirchengewalt des Regenten nicht mehr 
abzufordern, feinem der Ketzerei Verdaͤchtigen die Weihen 





— 


ı) Burnet. T. 5. p. 420. 





su ertheilen, und die Ketzer zu befirafen: weiter derordnete 
fie, daß die verheiratheten Geiftlichen vertrieben, und von 
ihren Weibern getrennt würden , endlich wollte fie, daß, da 
‚die Weihen, welche Eirchlichen Verfonen nach dem Ks 
> tuale Eduard’s VI. ertheilt worden, ungültig ſeyen, dit 
treffende Bifchof dag Fehlende zu ergänzen babe. 
- In Folge dieſer Verordnung wurden vier verehelihte 
Biſchoͤfe vertrieben, Die neue Liturgie abgefchafft, und die‘ 
Meſſe durchgehends wieder eingeführt. 1) 

Das Parlament hob alle Gefebe gegen ben roͤmiſchen 
Stuhl auf, erneuerte dagegen alle jene, die unter Richard 
I, und Heinrich IV. gegen die Keger ergangen waren. 

Der Cardinal Polus wurde zum päbftlichen Legaten 
fn England ernannt. Dafelbft angefonmenr, miderfeste er 

ſich den gewaltfamen Maagregeln einiger Minifter der Rd 
niginn: er wollte, die Hirten follten ein Herz voll Mitleid 
felbft gegen ihre verlornen Schaafe haben, als geiftliche Vaͤ— 
fer folfen fie ihre verirrten Kinder wie Kranke anfehen, 
die man heilen , nicht tddten miüffe: er ſtellte vor, daß zu 
‚große Strenge nur Uebel Ärger machen wuͤrde; dag man um 
terfcheiden muͤſſe zwiſchen einem reinen Efaate, wo fi nut 
einige Irrlehrer einfchleichen, und einem Reiche, im welchem 
Beiftlihe und Laien in einen Abgrund von Irrthuͤmern der’ 
funfen find; ſtatt, fie gemaltthätig mit der Wurzel auszu⸗ 
reißen, müffe man dem Volke Zeit laſſen, ſich ihrer nad 
und nach zu entfchlagen. 

Dagegen behauptete ber Kanzler Bardiner, um die 
Proteſtanten zuruͤckzufuͤhren , koͤnne man nur auf die Strenge 
der gegen die Kollarden ergangenen Gefege rechnen. 

Die Koͤniginn ſchlug zwiſchen Polus und Gardiner 
den Mittelweg ein, oder vielmehr fie folgte dem einen und 
dem andern nur theilweife: fie erfuchte ben Legaten, an De 

Verbeſſerung der Geiftlichkeit zu arbeiten, und befahl Gar‘ 
diner'n, gegen bie Leter einzuſchreiten. Dieſer ließ eine 


1) Burnet, T. 3. p. 105, 110. 


/ 


Englifche Keltgion. 461 


ziemliche Anzahl einferfern, wovon man einen Theil ver; 
brannte. 

Ganz England gerieth in Erftaunen bei dem Andlicke 
ſo vieler auflodernder Feuer; die Gemuͤther wurden uͤber 
dieſe furchtbaren Strafen erbittert: wer ſich der Reforma⸗ 
tion anneigte, bekam jetzt eine noch hoͤhere Meinung von 
derſelben; der feſte Muth, mit welchem die Proteſtanten in 
den Tod gingen, hauchte Verehrung fuͤr ihre Religion ein, 
und Abneigung gegen die Geiſtlichen und Katholiſchen, die 
ſie doch ohne Gewinnung ihres Zutrauens nicht wahrhaft 
bekehren konnten. 

Die rauchenden Echeiterhaufen entflammten allmaͤhlig 
den Fanatismus in den Herzen der Englaͤnder; die Refor⸗ 
mirten bekannten ihre Religion mit mehr Freiheit, und 
machten Proſelyten. | 

Auf die eingeholte Kunde, dag England mit Eeßerifchen 
und aufrührerifhen Büchern uͤberſchwemmt ſey, gab bie 
goͤniginn ein Edikt, des Inhaltes: „wer immer im Befſitze 
ſolcher Buͤcher ſey, und ſie nicht baldmoͤglichſt verbrenne, oh⸗ 
ne ſie zu leſen, und Jemanden zu zeigen, ſollte als Rebelle 
erachtet, und auf der Stelle nach Kriegs⸗Recht gerichtet 
werden; ferner verbot ſie: mit den Proteſtanten, ſo zum 
Gerichte gefuͤhrt wuͤrden, zu ſprechen, fuͤr ſie zu beten, ſelbſt 
nicht einmal nachzurufen: Gott habe ſie ſelig!“ 


Mehr als zweihundert Proteſtanten endigten in den 
Flammen, mehr als ſechzig ſtarben im Kerker; viele verlie⸗ 
"Gen England; noch mehrere verheimlichten ihre Meinungen, um 
Freiheit und Vermögen zu retten: die lebten machten fich 
die graufamften Vorwürfe, und hegten toͤdtlichen Haß gegen 
die Katholiken, welche fie zu diefer hoͤchſten Noth getrieben 
haften. 

Während dem man die Proteflanfen’ auffuchte und vers 
brannte, ſchienen fich die Elemente und Seuchen gegen Engs 
fand verſchworen zu haben: es erlitt Drangfale und be— 
denfliche Unfälle; das Volk faßte Abneigung gegen die Res 
sierung. Die Koͤniginn Tieß den Kammern die mißliche 
Lage des Reiches vorftellen; allein dag Unterhaus mar auf 


— 





462 Englifche Religion. 


das: Miniſterium fo übel zu fprechen, daß es den Auffode⸗ 
zungen der Königinn gar nichts bemilligte. Diefe Fürftinn, 
von Schwermuth verzehrt, dem Kummer unterliegend , ſtarb 
den 17ten November 1558, in einem Alter von 43 Fahren. 
„Eine Negentinn, eines umnfterblichen Andenkens werth, 
nah P. d'Orleans, wenn fie mehr dem Geifte der Sir 
de, als jenem der Nation gefolgt wäre, wenn .fie in ei⸗ 
ner Revolution der Religion weniger die Härte ihrer Vor⸗ 
fahren in Staates Revolutionen nachgeahmt häffe, mif ei; 
nem Worte, wenn fie Menfchens Blut mehr gefchont, und 
fi hierin von einem Heinrih, Eduard, und einer Elis 
faberh unterfchieden hätte; wenn fie endlich bedacht hätte: 

daß zu gemaltfame Wege, ein Volk zur Umkehr zu lenken, 
dem Irrthume zukommen, der nichts von Gnade meiß, 
nicht aber dem wahren Glauben, der die nöthigen Mittel, 
freiwilligen Gehorfam zu ertwirfen ; .in feinem Gefolge hat“ 1). 





Die Reformation unter Elifabetg. 


Nah Marien’s Tode kam tie englifche Krone auf 
das Haupt Eliſabeth's, Tochter Heinrich's VII, 
md Anne von Boulen. Diefe Fürfinn. war gemwiffermas 
fen als Feindinn Rom's, und des Pabftes geboren. Diefe 
fetndfelig Stimmung wurde durch die Antwort, welche der 
Pabſt dem englifchen Reſidenten der verftorbenen Koͤniginn 
zu Rom, auf deflen Anzeige von Eliſabethen's Throns 
Befteigung ertheilte, noch verſtaͤrft. Paul IV., der das 
mals auf dem apoftolifchen Stuhle faß, erflärte, nah Burs 
net's Angabe: ‚‚England fey ein Lehen des hl. Stuhles; 
Elifabeth habe, als ein unehelicher Sproffe, feinen rechts 
lichen Anſpruch auf den Thron, er feiner Seits, Eönne die 
Urtheild s Sprüche Clemens VII und Paul's IIL feiner 
Vorfahren, nicht widerrufen, es fen von ihr eine außeror⸗ 
dentliche Kuͤhnheit gemefen „ ohne feine Zuftimmung nach der 
Krone zu greifen, wodurch fie fich auch der mindeften Gnade 


ı) Hist. des Revol. d’Anglet. T. 3, 286. 








Engliſche Meligion. 463 


unwuͤrdig gemacht habe; wenn fie jedoch ihren Anfprüchen 
entfagen, und dem lrtheile des, heil. Stuhles fi unters 
werfen würde, fo molle er ihr mit baͤterliche m Wohlwollen 
zugethan ſeyn, und Alles erdenkliche Gute erweiſen, dafern 
nur die Wuͤrde des Statthalters Jeſu Chriſti nicht ver⸗ 
letzt würde 1). 

- Solche Reden waren aderdinge/ ni geeignet, eine a 
niginn zu gewinnen, Ä 

Indeß war Elifabeth entfehloffen, England. der Uns 
terwuͤrfigkeit gegen Rom "gänzlich zu entziehen, zu welcher 
Maria es zurfchgebracht: hatte. Sie wußte, daß der ge⸗ 
theilte Zuftand igrer Länder ihrem Vater Heinrich, umd 
Eduard, ihrem Bruder, tn Ausführung ihrer. Enewuͤrfe 
fehr Hinderlih war, daß an derfelben Klippe ihre Schweſter 
Maria ſcheiderte, welche nie das Gluͤck hatte, zu ſehen: 
daß ihr Volk zur Vertheidigung Calais ‚ und zur Wieder⸗ 
eroberung dieſes Platzes ihr huͤlfreiche Hand both. Die 

neue Koͤniginn machte daher den Entwurf, nicht nur ſich 
von Rom unabhängig zu machen, ſondern auch ein Reli⸗ 
gions s Spftem und einen Cultus einzuführen, ber alle ihre 
Unterthanen zufrieden flelen, Und in dem Bekenntniſſe zu 
Einem Glauben. vereinigen follte. 

. Die Ausführung dieſes Planes machte indeß eine glor⸗ 
reiche Epoche in ihrer Negierung ;-fie ficherte die Ruhe ihrer 
Laͤnder, und machte fich furchtbarer bei den Nachbar. Stans 
ten. Zur Erreichunng ihres Zieles beſchloß fie, einen Mits 
telmeg einzufchlagen , wobei jede Parthet ſo ziemlich ihre 
Rechnung finden koͤnnte. 

Da fie die Gefchmeidigfeit des Clerus, die Herabſetz⸗ 
ung des paͤbſtlichen Anſehens, und Aenderungen in der Re⸗ 
ligion ſich gefallen zu laſſen, kennen gelernt hatte, nahm fie 
ſich vor, auf dieſer ſchon gebahnten Straße zu bleiben, 
ohne jedoch zu eflig zu feyn. 
Eliſabeth beforgte, der Pabft möge fie excommuni⸗ 
ciren , ihres Thrones entſetzen, und ganz Europa gegen ſie 


1)-Burnei Tom. 4. p. 5. 50. 


⸗ 


464 | Englifche Keligion. 


bewaffnen. Es mar möglich, daß Frankreich diefe Gelegen⸗ 
it ergeiff, England zu beunruhigen, und Dafelbft, unters 
ügt von den Schotten und Irrlaͤndern, Volks⸗Bewegun⸗ 
gen zu erregen, welde durch die englifhen Biſchoͤfe und 
Katholiken, wenn fie Das Volk aufreizten „ hoͤchſt verderb⸗ 


lich für fie werden könnten. 


Um diefer Gefahr vorzubeugen, fchloß die Koͤniginn mit 
&ranz II, Könige von Franfreih, Frieden, leiflete den 
nn dieſes Reiches heimlich Unterſtuͤtzung, nahm 

Schotten, welche die Reformation wuͤnſchten, in Schutz, 
endete Geld an die Großen Irrland's, unfergrub im Stils 
Yen das Anfehen der vornehmſten Guͤnſtlinge Marien ’s, 
ließ von dem. Parlarmente, weldyes den 25ten Januar 1559 
eröffnet wurbe, ihre Anfpriche an die Krone, und fich als 
rechtmäßige Koͤniginn nad) göttlichen und des Landes 
Rechten ‚anertennen 1). 


Hierauf beftättigte dag Parlament die unter e duard 
VL hinſichtlich der Religion getroffenen Anordnungen. 


Vier Tage darnach ſchlug man vor, der Königinn die Er⸗ 


nennung der Bifchsfe, wie ihr Bruder fie uͤbte, wieder eins 
zuraͤumen, das Geſetz fiir den kirchlichen Primat ward im 


Oberhauſe angenommen: den 18ten März erneuerte man bie 


Gefege Heinrich's VIIL gegen bie päbftliche Gerichtsbar⸗ 
fett, und nahm jene Marten’s, die Dagegen waren, zus 
ruͤck; man erklärte: daß dad Recht, Kirchen Bifitationen 
anzuftellen, und Mißbräuche zu verbeſſern oder abzufchaffen, 
für je und allzeit der Krone anhängig ſey, desgleichen, daß 
es der Koͤniginn und ihren Nachfolgern frei ſtehe, diefe Ger 


- walt Perſonen zu übertragen, welche fie, hiezu zu verwenden, 


für gut fänden. Ueberdieß warb deſchloſſen, daß alle, welche buͤr⸗ 
gerliche, militärifche oder -geiftliche Stellen befleideten, ſchwoͤ⸗ 
ven folten: die Koͤniginn als hoͤchſte Regentinn im 
‚ganzen Königreiche in allen weltlichen und geift 
Jihen Sachen anguerfennen ; wer immer diefen Eid vers 


Di 





ı) Burnet, T. 4. p. 350, 


‚ 








Engliſche Religion. . 465 


. weigerte, ſollte feiner Stelle entſett, und unfaͤhig ſeyn, 
eine andere zu begleiten. 

Das Recht, welches das Parlament der Koͤniginn ge⸗ 
ſtattete, den kirchlichen Primat durch Abgeordnete auszuuͤben, 
gab einer Viſitations-Commiſſion ihre Entſtehung. 

Da die Koͤniginn ſich von dem Gehorſame gegen den 
roͤmiſchen Stuhl logſagte, wollte fie doch, ſoviel wie moͤg⸗ 
lich, ihre Unterthanen in ainem religioͤſen und gottesdienſt⸗ 
lichen Vereine zuſammenhalten, und vererdnete Religions⸗ 
Geſpraͤche zwiſchen den katholiſchen Biſchoͤſen und reformir⸗ 
ten Theologen. Sie, fuͤr ſich, hatte ſchon ihren Entſchluß 
gefaßt; Die Conferenzen ſollten nur Dazu dienen: die Ka⸗ 
$holifchen zu gemwinnen,: oder den Schein der Gerechtigkeit 
auf ihre Seite zu neigen, und @ zeigen, daß fie die Wahr 
heit gefucht habe,die” Katholiten ‚aber , bei Prüfung, ihres 
Lehrbegriffes unterlegen ſcyen. ® 
Die Conferenzen führten daher Niemanden zum Katho⸗ 
Jieismus zuruͤck; das Pariament aber gab in Betreff der 
Einfoͤrmigkeit der Kirchen⸗Ordnung ein Geſetz. 


Nach geſchloſſenen Parlaments⸗ Sitzungen erging Be⸗ 
fehl an die Biſchoͤfe und uͤbrige Geiſtlichkeit, den Eid uͤber 
die koͤnigliche Ober⸗Kirchen⸗Herrſchaft abzulegen, d. h. 
den Primat der KLoͤniginn anzuerkennen, und jenem. des 
Pabſtes zu entſagen. Da ſie ſich deſſen weigerten, warden 
fie eingekerkert, und entfeßt. 

Elt ſabeth Heß ferner eine Kirchen s Pifitatione „Orb: 
nung und Mandate ergehen , worin fe noch weiter. vor⸗ 
ſchritt, als Eduard VI. 1) 

Aus dem Berichte, den die Lommiſire i. J. 1550 
uͤber den Erfolg ihrer Viſitation abftaffeten;; ging hervor, 
daß das ganze Königreich die Gefege des Parlaments’ und. 
die Mandate der Koͤniginn, mit Unterwuürfigfeit genchmige, 
amd daß nach gezogenem Kalkuͤl, -bei den annoch in Engs 
land beftehenden geiftlichen Pfränden. in ber Zahl von 9400 





# r ' 
. N 


ı) Ibidenm p- 407.: 
Ketzer-Lexikon. II 30 


4606 Engliſche Religion. 


llles der Reformation beipflichte, mit Ausnahme von 14 
Biſchoͤfen, 6 Decanen, 12 Archidiaconen, 15 Collegien⸗ 
Vorſiehern, 50 Eanonifern, und 80 Pfarrern. 


Alſo mittels des Parlaments ſtellte Heinrich VIII. in 
Enöland eine gemifchte Religion auf, die weder ganz rds 
mifch, noch ganz proteſtantiſch, fondern von beiden etwas 
war: dieſer Zürft that ‚in dieſem Betreffe, was er rathſam 
fand, er fegte zu, und nahm weg, und er brauchte nur 
feine Gefinnungen zu erfennen zu geben, fo bewilligte fie 
gleichfam, als wäre er unfehlbar, das Parlament, und gab 
{hnen- gefeliche Kraft. Auf dem nämlichen Wege ließen die 
Vormuͤnder Eduard's VI. die Geſetze Heinrich's mis 
derrufen, welche ihnen mißfelen, und führten: die Re 
formation ein. 


"Maria betienfe ſich gen dieſes Mittels zur Abſchaf⸗ 
fung der Reformation, und Zuruͤckfuͤhrung des Katholizis⸗ 
mus auf den Standpunkt, wo er ſich vor der Spaltung 
Heinrich's VIII. ‘befand: endlich "fand Elifaberh die 
nämliche Leichtigkeit, die Reformation durch das Parlament 
wieder. berguftelen. Kann man fagen, daß die Engländer 
auf diefe Weife unter jedweder Regierung, wie es ihten 
Beherrfchern einfiel, freiwillig Weiß im Schwarz verkehr 
ten? Gewiß nicht, Tags Tholrag: allein, fährt er fort, 
die Meinungen ber ‚Mehrzahl dor Abgeordneten des Unters 
Baufes hatte man zu Geſetzen erhoben, die für Die Gefinnuns 
gen der Nation ‚ausgegeben wurden: hiedurch waren Alle, 
- ‚die fie mißbilligten, gezwungen, mit ihrer Ueberzeugung zu 
ruͤckzuhalten, und unter den vier genannten Regierungen 
fah man in Zeif von dreißig Jahren diefelben Perfonen ſich 
zu vier einander folgenden Neligiongs Abänderungen beque 
men, je nachdem es den Königen, Königinnen, und -den 
KSammern gefiel. 

Der groͤßte Theil von denen, die die Reformation an⸗ 
nahmen, blieb bei feinen Meinungen, weil man fie gezwun⸗ 
gen, nicht überzeugt hatte; wäre Die Negierung Elifaberh’s 
nicht von einer fo langen Dauer geweſen, und ihr, noch vet 
dem Ableben aller Katholiken, ein Eatholifcher Prinz auf 





* 


Engliſche Religion. 467 


dem brittiſchen Throne gefolgt, fo. wuͤrde es leicht geweſen 
fepn, die Refoͤrmation zu zerſtaͤuben. Daher entſpannen ſich 
ſo viele Entwuͤrfe, England durch eine fremde Macht, et⸗ 
wa von Schottland aus oder ſonſt woher, anzugreifen, weil 


die Urheber derfelben nicht zweifelten, die, Katholiken. Engs 
lands wuͤrden mit den Fremden gemeinfhaflich Sache ma⸗ 


Sen. 4 —F 9 


vo 4 “ 





‚Die vdurd Elifaserg eingefüprte und vefeſtigte 
. Reformation ’ 


\ elir abeth um die Reformation “auf feſten Srumdlas 
gen zu. bauen, beſchloß iſtens) ein Religions⸗Syſtem auf⸗ 


zuſtellen, wie man es ſchon unter Eduard VI. gethan 


hatte, Atens) eine neue Ueberfegung der Bibel dem Volke 
in die Hände zu. geben „Ztens) eine ernenerte geiſtliche Se 
richte » Drönung "einzuführen. —— 


. Der Lehrbegriff, mie er unter Elifabeth von im 


Bischöfen entivorfen worden, mar von dem, unter Son 
“rd’8 Kegierumg erfchienenen,, verfchieden. ; 
= „Unter dieſen Regenten. hatten die. Bwinglianer and 
Lutheraner auf die, in der Liturgie getroffenen Abändes 
sangen den meiften. EinAuf; fo haften fie auch den unter 
Heinrich VIII. ablichen Enltug beinahe ganz beſeitigt. F 
Eliſabeth, im Haſſe gegen den Pabſt erzogen, und 
vol ers für die Reformation, Itebte doch noch die von 
ihrem Vater beibehaltenen Terenronien: ihre Neigung zu 
äußerer Pracht dehnte fich fogar anf den! Gpttesvienft aus. 
Die Miniſter ihres Bruders hatten, ihres Dafaͤrhaltens, 
die Reform im Aeußerlichen des Cultus zu weit getrieben, 
bie Religion zu ſehr entkleidet, und die Verzierungen Bei 
hen goffegdichftlichen Verrichtungen zu ſehr beſchnitten; fie 


alaible, manche Glaubens + Begriffe ſeyen zu enge begraͤmt, 





— mn un. 


1) Auszug aus Rymer's Alten p. 446. 
30 * 





468 | Engliſche Religion: 


und in zit gemeffenen Ausdruͤcken aufgeſtellt; “man mage 
mehr im Allgemeinen ſprechen, damit jeder Religionsthei 
ſeine Rechnung finde: vorzuͤglich war ihre Abſicht, die Bild⸗ 
niſſe in den Kirchen beizubehalten, und die Art der Ge⸗ 
genmwart Jefwin der Eucariftie in etwas ſchwan⸗ 
kenden Ausdruͤcken abfaffen zu Taffen; fie fand 
es fehr ungeeignet, daß man wegen fo ſubtilen Ertidrungen, 
jene, die an.die Eörperliche Gegenwart glaubten, aus 
dem Schooße der Kirche geftößen habe. 

. Weiter mißfiel ihe ‚die Benennung eince titchlichen 
O berhauptes ; weil. ‚Diefe Gewalt ihr zu weit greifend, 
und der Macht Jeſu Ehriſti iu nahe — ‚vor 
‚tom. 1). = 

Inzwiſchen kam ber ganze Plan der Königin zur 
Ausführung; ſie bewilligte die MWegnahme der Bildniffe aus 


“ den Kirchen, und ihres anfänglichen Widerſtrebens nırgeach 


tet, blieb es bei der koͤniglichen Praͤrogative in Kirchenſathen 
ihrer ganzen Ausdehnung nach ; das Parlament ließ ſich die 
Entſcheidung uͤber Die Euchariftie nicht nehmen, -und dieſer 
Sauptpunkt der :Neformation Eduard's VL wurde vers 


ändert: endlich flelite man ein Glaubens ⸗ Bekenntniß "der 
engliſchen Kirche auf, welches in einer im Jahre 1562 zu 


London gehaltenen Synode fanctionirt wurde: 
Dieſẽs Glaubens⸗Bekenntniß enthält 39 Artikel. e 
den. fünf. erften- erfennt man das Daſeyn und die Eigenfchafs 


"sen. Gottes, die Dreieinigkeit, die Menfchwerdung, die Abs 
sahet- Yefu Chrifti. zur Hoͤlle, feine Urftänpe, und die 


— des heit. Geiftes. | 
Art. 6 — 7 — 8 wird gefagt: daß Die bi. Schrift — 
den Glauben und Eultus zu beftimmen, man feßt die Zahl 
der canoniſchen Bücher feſt, und erfennt an das Nicaͤniſche, 
Dan Atyanaistanifche, und das Apoftolifche Symbolum. 
Art, 9 — 18 wird gehandelt von ver Erbfünde, dem 
—* aus der m den sufen Werfen, ben 


ı) Burnet. T. 4, L. 5. 














Engliſche Religion. 469 


freiwilligen Werken, von der nad) der Taufe begangenen 
‚Sünde, vonder Vorerwaͤhlung, und der Unmöglichkeit, obs 
ne Euͤnde zu ſeyn. 

Bei all diefen Punkten Tehlägt die englifche Kirche zwi⸗ 
ſchen Proteſtantismus und Katholizismus den Mittelweg 
ein; man verdammt den Pelagianismus und Halb⸗Pelagia⸗ 
nismus, fagt ober nicht, Daß die Begierlichfeit Suͤnde fey; 
man läugner den freien Willen nicht ; verwirft auch die, gufen 
Werke nicht; man fagf nicht, daß die der Merhrfertigung . 
vorangehenden Handlungen Sünden feyen; doc aber auch 
Gott nicht angenehm feyn, noch auf irgend eine Weiſe 
die Gnade verdienen koͤnnen, weil. fie nicht durch den Glaus 
ben an Jeſus gefihehen; im Gegentheile wird behauptet: - 
dag diefe Handlupgen etwas von dem Wefen der Suͤnde an 
fih haben, va fie nicht. ſo verrichtet werben, wie Sort es 
haben will. 

Man nimmt an, daß Feſus Chriſtus allein von der 
Sünde ausgenommen iſt, die Menſchen aber, auch nach der 
Taufe noch fündigen, und fid) wieder mit Gott verföhnen 
fönnen; man vermwirft nach diefem den Lehrſatz von Der 
Unverlierbarfeit der Gnade ; man lehrt die unverdiente Aus⸗ 
erwählung, und fpricht nicht von Euther's und Ealvin’s 
Verwerfung. 

Art. 10 — 24 iſt die Rede von der. Kirche, ihrer 
Macht, ihren Dienern, den Kirchen s Berfammkmgen, dem 
Seofeuer, und van der Nothwendigfeit, den Gottesdienſt in 
der Landesiprache abzuhalten. 
| Die Kirche mird angegeben als der ſichtbare Verein der 
Glaͤubigen, in welchem das reine Wort Gottes gelehrt, und 
die Sacramente. nach der Einſetzung Jeſu Chriſti gefpens 
det werden: man nennt die Kirche nicht eine Verſammlung 
von Vorerwaͤhlten, und eine unſichtbare Geſellſchaft; erklaͤrt 
*aber, daß die roͤmiſche Kirche über Cultus und Dogma in 
Irrthum gefallen ſey. 

Dieſe ſichtbare Kirche hat das Recht nicht J Jemanden 
zu verbinden, etwas zu glauben, was nicht im Worte Got⸗ 
tes enthalten iſt; aber bei ihr, als der Aufbewahrerin und 
Schuͤtzerinn des zoͤttlichen Wortes, muß man (8 ſuchen. 


— 


470 Engliſche Religion. 


Gelaͤugnet und verworfen werden die Unfehlbarkeit der 
allgemeinen Concilien, der Reinigungsort, die Ablaͤſſe, die 
Verehrung der Reliquien und Bilder, die Anrufung der 
Heiligen; jedoch werden fie mir als unnuͤtz und dem Worte 
Set entgegen laufend, verworfen, ohne zu ſagen, daß 
diefe Gebräuche abergläubifch oder gößendienftlich ſeyen. 

Hinſichtlich der Kirchendiener glaubt man, dag ihnen 
nur dann diefe Eigenfchaft zufomme, wenn fie ihre. Berus 
fung von Seiten jener Diener erhalten, welche Gott anges 
ordnet hat, Die Prediger zu erwählen und zu unterrichten. 
Durch diefen Artikel zeigt die englifhhe Kirche dag Vers 
werfungssUrtheil über die Apoftel der Reformation: Denn 
Luther, Calvin, ıc. wurden ficher nicht mit dem Lehr⸗ 
amte beauftragt von jenen Dienern der fichtbaren Kirche, 
welchen es doc, zuftand fie zu berufen. 

Art. 25 — 30 handeln. von den Sacramenten , ihren 
Wirkungen, der Zaufe, dem Abendmahle, und dem Meß⸗ 
Dpfer. Die englifhe Kirhe nimmt die Sacramente nicht 
als Zeichen an, beſtimmt: dußerlich gu veroffenbaren,, daß 
wir Chriſten find, fondern als Eräftige Zeichen der Güte 
Gottes, vermitteld welcher Er in ung wirkfam ift ‚und uns 
fern Glauben. befeftiget. 

Es werden nur zwei Sacramente, die Taufe unb dag’ 
Abendmahl; anerfannt, deren -Wirkfamkeit von dem Glau⸗ 
ben, oder der Froͤmmigkeit des Ausſpenders unabhängig iſt; 
doch foll die Kirche wachen, daß man Die Bermwaltuug der 
Sacramente nur folhen Perfonen anvertraue, deren Froͤm⸗ 
migkeit und Wandel ſie eines ſo heiligen Dienſtes wuͤrdig 
macht. 

Die engliſche Kirche erklaͤrt die Taufe nicht fuͤr ein blo⸗ 
ßes Zeichen der Einverleibung zum Chriſtenthume, fondern ® 
als dag Zeichen, wodurd wir Kinder der Kirche werben, 
und das in ung den Glauben und die Gnade hervorbringt. 

Das Abendmahl nimmt man als ein wahres Sacra—⸗ 
ment, und ale die Gemeinfchaft des Leib's und Blut's er 
fu Chriſti an! Jeſus wird geiſtlicher Weiſe darin em—⸗ 
pfangen, und das Mittel, wodurch wir Ihn empfangen, iſt 


Engllſche Religion, 471. 


der. Slaude;— man empfängt. wahrhaft den Leib und dag 
Blut Jeſu Chriſti; doch mng man. darum nidt glauben, 
daß das Wefen des Brodes zerſtoͤrt werde, noch die Vers 
wandlung anneßmen, weil man tiefe nicht aus der Schrift 
beweifen fanıt, der Natur des Sacramentes zuwider läuft, 
und einen Duelle des Aberglaubens if. Man fieht. aus der 
Weiſe, wie die englifhe Kirche fich erklärt, wie verlegen 
"fie ift, der Behauptung der Eörperlichen "Gegenwart auszu⸗ 
weichen, umd mit welcher Beforgtheit fie Ausdruͤcke aufjucht, 
welche diefem Lehrfage auch nicht widerfprechen 1). 


Die englifhe Kirche erflärt fich für die Communion un« 
ter beiden Geftalten, und. läugnet, daß die Eucharifiie ein 
Opfer fey. (Art. 32 bis 39.) Man vertammt. den ehelofen 
Stand der &kiftlicjen, räumt. der Kirche die Gewalt zu ers 
communtjiren, ein, verwirft die Nothiwendigfeit der Erbs 
lehre, und dag Unfehen, welches die Katholischen ihr beiles 
gen; erflärt aber auch, daß Fein Privatmann das Recht hat, . 
die durch Ueberlieferung eingeführten. Ceremonten und Culs 
tus⸗ Anftalten ‚abzuändern; die befondern Kirchen‘ ‚haben 
allein dieſes Necht; jedoch gilt auch: diefeg nur von ſolchen 
Cexemonien, welche bloß menſchlicher Anordnung find, und 
wenn die daran vorgenommene Augfchefdung zur Erbauung 
der Glaͤubigen beitraͤgt. Man beſtaͤttigt die Conſecration 
der Biſchoͤfe und die Prieſter⸗ vnd Diaconens Weihe nach 
dem Kitual Eduard's VL; endlich‘ wird Alles befräftigt, 
was binfichtlih der oberften Kirchengemalt des Regenten, 
und gegen den Pabſt geſchehen iſt. 

Die Anordnungen und Canonen für die Kirchen⸗ Dis⸗ 
ciplin kamen ſpaͤter zum Vorſcheine, einige naͤmlich 1571, 
mehrere noch 1597; eine noch reichhaltigere Sammlung ward 
1603 ‚zu Anfang der Regierung Jakob's J. bekannt ges 
macht. Die Augeinanderfegung hievon gehört der Gefchichte 
der englifchen Kirche an: wir begnügen ung mit Anführung 


4) Sieh Corpus confessionum fidei. Genevae 1654. die 
Aufſchrift Confessio Anglicana p. 9%, 95, und 109. 


* 
Fr 


. 
- 


472 Engliſche Religion. 


Deffen, was 5 urnet von all diefen Anoͤrdnungen hält, ‚„Die 
„Wahrheit zu fagen, haf man auf einen fo wichtigen. Zweck 
„noch nicht den noͤthigen Nachdruck gelegt; die Buß⸗Cano⸗ 
„nen find noch nicht wieder eingeführt: die Verwaltung der 
„engliſchen Kirche iſt noch nicht in den Haͤnden der Geiſtli⸗ 
„Sen, und die Reformation big jest noch unvollkommen 
„in dem, was dag Verhalten der ‚Kirche, und die Discis 
„plin betrifft“ 1). 

Demungeachtet giebt ſich Burnet alle Miße, die Mes 
formation als ein Werk der Erleuchtung dDarzuftellen. 

Wir haben die Lehrfäge der englifchen ‚Kirche über die 
tweientliche Gegenwart und Transfubfiantiation im Artikel: 
Berengar, ihre Meinung über Anrufung der Heiligen, 
über die Bilder und den Coͤlibat der Priefter im Art. Bis 
gtlantiug widerlegt: die Widerlegung der Fehlbarkeit der 
Concilien folgt im Art. Reformation : 


Die Seeten, welche die Reformation in England 
erzeugte, 


Die Reformation, dieſes Werf der Erleuchtung, nach) 
Burnet, wurde bald in England ein Werf der Verwir, 
zung: Mehrere Engländer, die unter Maria ihr Land vers 
laffen hatten, Famen unter. Eliſabeth, angefüllt mit pen 
Ideen der Neformation in Genf, in der Schweij und 
in Sranfreich, nach Haufe zuräd; konnten fich aber mit 
der Reformation in. ihrem DVaterlande, welche, ihrem Duͤn⸗ 
fen nach, nicht weit genug mar getrieben worden, zufrie— 
den geben. 

Dieſe hitzigen Reformirten trennten ſich von der herr⸗ 
ſchenden engliſchen Kirche ab, und hielten unter ſich Pris 
nat» Zufammenfünfte, denen man Anfangs den Namen: 
Conventifeln beilegte. Auch nannte man die fo Abges 
trennten Presbyferianer, weil fie fi ſich der Gerichtsbar— 


— om 


1) Burnet T. A. p. 451. 


Pf, 








Englifce Religion. 473 


keit der Viſchoͤfe nicht unterwerfen wollten, und behaupte⸗ 
ten: alle Prieſter oder Prediger haͤtten eine gleiche Gewalt, 
die Kirche aber muͤßte durch Presbyterien oder Con⸗ 
fiftorien, beſtehend aus den Predigern, und einigen Als 
‚ ten. aus dem Faiens Stande, wie foldhes Calvin u Genf 
eingeführt hatfe, regiert werden.  . 

Es bildeten fi) fonach über diefen Punkt zwei Partheien, 

die, ſtatt ein friedliches Ausfommen mit einander ju treffen, 
ich durch mündliche und fehriftliche Dispuͤte segenfeitig bes 
unruhigfen. - 

Die Anhänger der. engliſchen Kirche nahmen «€ ſehr 
uͤbel, daß Privat⸗ Perſonen ſich anmaßten, was von Nas 
tionals Synoden und dem Parlamente oͤffentlich eingeführt 
war, reformiren zu wollen. Anderer Seits fanden es bie 
Presbyterianer nicht minder befremdend , daß man fie 
zur Uebung von Gebräuchen mit." Gewalt anhalten - wollte, 
die der Neinheit der Religion entgegen feyen; und man 
nannfe fie aus dieſem Grunde Puritaner. 


Man fah demnach die Biſchoͤfe und dag Parlament: die 
Reformirten, welche fid) der ‚ durch Elifaberh eingeführs 
ten, Liturgie nicht fügen wollten, als Ketzer behandeln; ins 
- be ein anderer Theil der englifchen Nation, wenn er eis 
nen Geiftlihen im Chor» Hemde Gottesvienft hafteh fah, 
nicht minder Aergerniß nahm, ale wenn er eine Ketzerei 
prediger hörte, und der alle. "Ceremonien ; welche die eng⸗ 
liſche Kirche beibehalten hatte fir Heibnifchen Aberglauben 
erachtete. 

Die Anhaͤnger der Liturgie hieß man Epiſcopalen, 
weil fie ſich zum Kirchen-Regimente der Biſchoͤfe oder ber 
hohen Kirche hielten: auch würden fie Conformiften 
- genannt, weil fie im Kultus mit den Anordnungen der Bis 
fhöfe und des Parlaments übereinftamen. Die Presbyte⸗ 
rianer dagegen nannten fih Niht-Conformiften oder 
Yuritaner. Die Hierarchie iſt der Hauptpunkt, woruͤber 
ſie entzweit ſind. 

Seit Trennung dieſer beiden Partheien, beeiferte ſich 
jede, die Oberhand über die andere zu’ gewinnen. Die 


474 Engliſ de Keligion. 


verfchiedenen politifchen PartheisMeinmgen, die fi) fuͤr oder 
wider Die Authorität des Koͤnig's bildeten, fuchten jene 
beiden Theile’ in ihre Intereſſe zu ziehen; und da Anfang 
die Presbyterianer oder Puritaner unterliegen muß⸗ 
ten, weil die koͤnigliche Macht mit jener der Geiſtlichkeit ges 
gen fie verbindet war, fo fchlugen fih die Dresbyterias 
ner zu den Gegnern der Krone, wie es die Epifcopas 
fen mit ven Roy aliſten hielten. Diefe beiden Eecten 
hatten großen Antheil. an den Unruhen, melde England 
gerfleifchten: Die Puritaner waren die Haupt s. Urfache au 
der Nevolution, welche unter Earl I. vorfiel; und feit Dies 
fer Zeit machen fie den zahlreichſten Theil aus 1). 
| Die Soeinianer, Anabaptiften, und Arianer 
benügten die Verwirrung, welche die Reformation in Engs 
land im Gefolge hatte, um ſich da feflzufegen, und machten 
Profelyten; endlich gingen aus dem Schooße derfelben Res 
formation die Quaͤccker hervor: alle dieſe Secten erfreuen 
fi) in Grofbritanien der‘ Duldung, und werden zum Ges 
genfage der herrfchenden Epifcopals Kirche Diff enter ’8 ges 
nannt. 

Wir werden von den Epiſcopalen und Presbyte⸗ 
rianern in den Artikeln: Epiſcopalen, Presbote— 
rianer ein Weiteres reden. | 
... Der Rationalismus ‚ zu ‚dem fndeffen: alle von dem 
Mutterfiomme abgeriffene Aeſte einfchrumpfen, hatte ſich 
gleichfals fchon. im Anfange des 18ten Jahrhunderts unter 
vielen Predigern der hohen englifhen Kirche verbreitet, fo 
daß man in ihren Kangelvorträgen weiter nichts, denn eine 
trockne philofophifche Moral, ‚mit Umgehung aller pofitiven 
chriftlichen Lehrfage vernahm. Dieß bewog eine Gefellfchaft 
junger Theologen, fi) von der Landes s Kirche gänzlich zu 
. trennen, und eine neue religidfe Secte zu fliften, die fich 
die Aufrechthaltung des pofitiven .Chriftenthum’s, und Eins 


1) Thoiras Hist. d’Angleterre T. 8. Regierung Carl's I. 
dafelbit. Dissert. sur les Wighis et sur les Toris. Re- 
volution. d’Anglet. T. 5, L. 9. 


J 


8 








Engliſche Keligion. 0845 
führung reinerer, dem Urbilde ber erſten Chriſten nachfires 


benderer Sittlichkeit zum Ziele ſetzte. Dieſe Secte, die den 


Namen Methodiſten, bekam, machte gegen die Mitte 
des vorigen Jahrhunderts in England große Fortſchritte, 


und dehnte ihre Verzweigungen bie nach Nordam erica 


. und in die Schweiz aus. (Siehe. diefen Artikel. ). 


Aber deffen ungeachtet nimmt. die Gleichgiltigfeit gegen 
‚ das Chriftenthum, befonderd unter den hoͤhern Ständen 


mit jedem Tage in Großbrifanien zu, und während dem _ 


die barbarifchen Geſetze gegen die Fatbolifche Religion in dies 
fem Reiche noch in aller Wirffamfeit beffehen, fo daß ein ka⸗ 
tholiſcher Priefter, wenn er uͤberwieſen - if, oͤffentlich Meffe 
gelefen zu haben, dieſes Verbrechen mit dem Leben büßen 
muß, fo bilden fich unter dem Schutze eben dieſer Geſetze, 
Geſellſchaften, die oͤffentlich dahin abzielen, die Grundlage 
jedes Glaubens, folglich des ganzen geoffenbarten religio⸗ 
ſen Gebaͤudes zu zerſtoͤren. 
Zum Beweiſe hievon diene nur ein einziges Beiſpiel 
aus unſern Tagen: 


Im November des Jahres 1824 bildete fih zu Lon⸗ 


don ein Verein unter dem Namen: Sefellfhaft chriſt⸗ 
licher Evidenz, welcher jede Woche am Dienſttage Abends | 


um fieben Uhr gehalten wird. 


Der von den Stiftern felbft angegebene Zweck iſt: 
„den menfchlichen Geiſt von den Feſſeln des Aberglaubens 
„und des Irrthum's zu befreien, und die nackte Wahrheit 
„zu enthuͤllen.“ . Geiftliche -von .jeder chriftitchen Eonfeffion 
find eingeladen, an den Erdrterungen Theil zu nehmen, die 
Beweggründe ihres Glaubens anzugeben, die an fie geftells 
. ten Fragen zu beanfmorten, und dann die Entſcheidung ab⸗ 

zuwarten. | 

Wie es aber mit dieſen Forſchungen nach chriſtlicher 
Evidenz und nackter Wahrheit gemeint iſt, erhellet aus einem 
Manifeſtean alle Geiſtliche, Diener, und Pres 
diger des Evangelium's, morin die Gefelfchaft das 
einſtweilige Refultat ihrer Forſchungen der Weit vor Als 
gen legt, welches if: 


J 


476 | Englifche- Religion. 


„Ale Argumente, welche bisher zu Gunſten des Ehris 
„ſtenthum's angeführt worden, find falſch, und fophiftifch, 
„und der ehrwürdige Secretaͤr der Geſellſchaft (Robert 
„Taylor) bat in Widerlegung jener Argumente und Eos 
„phiſmen vollftändig erwieſen, Daß 1tens) die Echriften 
„des neuen Teflaments nicht die Werfe jenet Perfonen find, 
‚deren Namen fie führen; 2teng) daß fie nicht in jenen Epos 
„Sen, welde fie angegeben ‚ erichicnen find; 3tens) daß 
„die Perſonen, deren fie erwaͤhnen, niemals exiſtirt haben; 
„Atens) daß die Thatſachen, welche ſie erzaͤhlen, ſich nie⸗ 
„mals zutrugen.“ 

Neben dieſem wird in dem Manifeſte behauptet: daß 
die Prediger des Evangelium's ſelbſt nicht an daſſelbe glau⸗ 
ben, weil fie es nicht wagen, die Vertheidigung ihrer Reli⸗ 
gion anderswo, als auf den Kanzeln ihrer Kirchen zu uns 
ternehmen, wo fie fiher find, keinen Widerſpruch erleiden 
zu müffen, und wo fie fi) ohne Beſorgniß au jenen Theil 
ihrer Zuhörer ‘wenden fönnten, die in Unwiſſenheit und 
Taͤuſchung zu beharrren, für ein Gluͤck erachten. 

Hierauf werden die Prediger wiederholt eingeladen, bei 
den Berfammlungen zu erfcheinen, und ihre Beweiſe darzu⸗, 
legen; widrigenfalls follte ihr Ausbleiben dahin gedeutet 
werden: als gäben fie eine fchlechte und bife' Sache auf, 
und geſtuͤnden ihre Ueberzeugung ein, daß das Evangelium 
nicht durch vernuͤnftige Gruͤnde vertheidigt werden koͤnne 
u. ſ. w. 

unmaßgeblich duͤrfte wohl Niemanden, dem ſeine heile 
Haut lieb iſt, zu rathen feyn, gegen die ſchon vollſtaͤndig 
erwieſenen Praͤliminarpunkte des ehrenwerthen Herrn Tay⸗ 
log -aufzufreten. 1). | 


Dermalige dirarguſse Ordnung der hohen oder 
Epiſcopal⸗ Kirche in Großbritanien. 


Die Koͤniginn EI ifabeth ernannnie ihren Lehrer, umd 
vormaligen Almoſenier ihrer Mutter, Matthias Parker, 
ö— — 57 Zr , 

1) Staatömann, von Dr. Pfeilfhifter. Oftoberheft 1925. 


Engliſche Reigen. 2 477 


zur Wiederbefetzung des erledigten erlbiſchötichen Stuhles 
von Cantorbury, und ertheilte Vollmacht zu feiner Weihe 
Da aber Eein Fatholifcher Bifhof fich hiezu verftehen wollte; 
fo nahm die Kdniginn- ſich heraus, Eraft der ihr beimohnen- 
den oberſten Kirdyengemalt, die Weihe zu firppliren , morauf 
er von Barlam, einem Bifchofe der. englifchen Kirche ges 
weiht wurde. Da Die Formeln des Sacraments ver 
Weihe, und die Confecrirung- der’ Biſchoͤfe von der melty 
lichen Macht. auf diefe: Weiſe geändert. wurde, fo.:ik die 
apoftolifche Stufenfolge des‘ Prieſterthums in der, ‚Hirayr 
chie der englijchen ‚Kirche, weiche mit biefer Epoche beginnt, 


urterbrechen, fo wie die katholiſche Kirche ihee.,, Gnit gteit 


"pie anerfennen wollte: - 4 REES E WER FRRRETI | 


Die höhe Episcopal⸗ Kirche veſchet dermalen in Eng⸗ 
land aus zwei Erzbiſchoͤfen, dem von :Cantorburn, weh 
ther Primas von England iſt, und den Rang gleich nad; dee 
Föniglichen Familie hat, und dem vn Msrf, der dem Kanzı 
ler von England unmittelbar nachgehet; dann Ai8:24 Br 
fchöfen, die den Titel der Barone führen, und Pairs ded 
Reiches find: Irland har 4 Erzbiſchoͤſe, von welchen der 
von Armagh Ptimas iſt, und 18 Biſchoͤfe, Deren 4. im 
Parlamente fitzen. In Schottland find :7 Bifchäfe, die 
über bloß geduldet find, da «Die herrſchende Religion daſelbſt 
der Calvinismus fft. Dieſer engliſchen Kirche gehsren 
in England zwei Univerfitäsen, Drford und Cambrid— 
ge, in Irrland eine Dublin; in Schottland haken- Die 
Calviniften vier. In der englifchen Kirche gibt eg Kapitel, 
Srz⸗ Diacönen, Land s Dechante , Pfarrer ober. Rectoren, 
Vichende Vicarien und Amtsverweſer, ‚Pfarrer ‚genannt. 
Die Kirche beſitzt die" Zehnden, md, ‚befoldet die niedere 
Geiſtlichkeit aus dem Ertrage derſelben; die: Me nnigen 
Geiſtlichen werden. von. ihren Pfarrgenoffen unterhalten. :- 


In England koͤmmt auf die Bevoͤlkerung von eilf ER 
tionen eine halbe Milton Katholiken ; in Schottland auf 
. 1,800,000 Seelen, etwa 60,000 ; ımd in Irland befins 
den fich ſechs Millionen Katholifen gegen eine Million Pros 
teftanten. Der irländifche katholiſche Clerus wird von den 





418 Englifche Religion. Englifche. 


katholiſchen Pairs, 18 au der Zahl, von den Baronets 
und wohlhabenden Samilien, oder durch Unterzeſchnungen | 
unterhalten. | 

Zu Mayonth, drei Meilen von Dublin iſt derma⸗ 
len eine von der Regierung gegruͤndete, und mit 100,000 fl. 
Einkommens dotirte Studien⸗Anſtalt für die Katholiken. x 

Die Angelegenheiten der katholiſchen Kirche in England 
werden zur Zeit von vier apoſtoliſchen Vicarien, die Bis 
ihöfe in -partibus infidelium find, beforgt. In Schottland 
find- zwei Biſchoͤfe, der eine für Norden, der andere Fir. 
Süden. In Hreland ſind vier Erzbiſchoͤfſe und achtzehn 
Biſchoͤfe, welche ihre Titel und alte hirarchiſche Einrichtuus 
bis auf dieſen Tag ſtandhaft behauptet haben. 

In einer zu Dublin, am 26. Sehr. 1810 abgehaltenen 
allgemeinen Verſammlung, ward der einmuͤthige Beſchluß ger 
faßt: daß weder die Krone noch die Miniſter einigen Eins 
fluß auf- die Wahl der Biſchoͤfe haben ſollten; fo wie in 
der neueſten Zeit fich alle Fatholifche Neligiong + Diener ans 
heiſchig machten, von der Regierung feine Beſoldung anzu; 
nehmen, bis nicht ihre fchon fe. lange und dringend nachge⸗ = 
farhte Emancipation erfolgt ſeyn wuͤrde. Wie es mit 
der Duldung der Katholiken im. britifchen Reiche, befonders 
m Irtand ſtehet, ift zu weitbefannt, ale daß wi ein 
Erwaͤbnung hievon, noͤthig haͤtten. 

: (&iehe den dNaliglonsfteund, 5ten Zubn Are Sans 
dt Det Neo. 17. ) 


\ - Enstifi the *) ( Angelii ). Diefe Secte ſcheiat ſchon 
zu Zeiten der Apoſtel vorhanden geweſen zu ſeyn; und auf 
fie ſcheint der Apoftel Paulus gedeutet zu haben / wenn 
er im Briefe an bie Koloſſer fagt: „Laſſet euch von Nies 
„mand irre führen, der fich in. Demuth und Verehrung der 
‚Engel gefaͤllt; der ſich mit Dingen befaßt, die er nicht ges 
„ſehen hat, und vergebens fich bläpet mit Begriffen feines 
„SFSleiſches? (Coloss. 2, 18° .) a 





* ) ate Jahehundert. 





Engliſche. | 478 J 


Weder in dem ubiſa⸗ Geſetze ; noch bei den. Prophe⸗ 
ten, noch beiden religföfen Uebamgen .der Heiligen des ads 
ten Teftaments findet man etwas, das auf Verehrung ber 
Engel Bezug hätte: wahr iſt es zwar, Daß, -wenn Engel 
erfhienen , und im Namen, als: Repräfentanten, der Gotte 
heit fprachen ; fie eine gewiſſe Huldigung und Anbetung er 
hielten ; diefe Verehrung ‘aber bezog ſich auf Gott, deſſen 
Diener und. Abgefandte die Engel in diefem Momente var 
ren. (Exod. 5, 4, 5. Josue 5, 26, Genes: 18,2.) : 


Nach der Nüctehr aus der Gefangenfchaft forfchten'die 
Juden mit mehr Vorwig nad) der Erfenntniß, den verfchtes 
denen Verrichtungen und Namen der Engel, und nad) ımd 
nach kam es fo weit, daß fie ihnen eine gewiſſe Verehrung 
erwieſen 1). 

Der menſchliche Verſtand erweitert gerne den Gegen⸗ 
| ſtand ſeiner Verehrung, feigent u und veredelt‘ alles dahin 





En 21 


1). Dan. findet sei py ilo Abhonbimgen aber de Natur, 
die Obtiegenpeiten, und Über den Umerſchied zwilgen gus 
ten und Höfen Engein. Jo ſophus, und nach ibm Pay . 
pbyrius verſichern: daß die Ef fener in ihren Befennt- 
niffen fih verbanden zur gewiſſen haften Beibehaltung der 
"Bücher inter‘ Secte, wahrſcheinlich der Heiligen Schriften und 
der Namen der- ‚Engel, welches muthmaßen läßt, daß ſie 
Ihnen eine religidfe Verehrung erwieſen. Der Verfaffer der 
Predigt des Heiligen Petrus, eines fehr Alten Buches, 
welches auch der Heil. Tlemens von Alerandrien an 
fuührt, fagt, daß die Juden den Engeln und Erzengeln, 
ſelbſt dem Monde und den Monaten religidfe Verehrung 
erwieſen. Celfus beſchuldigt die Juden, daß fie nicht 
nur die Engel, ſondern auch den Himmel anbeten. Bauk 
main in den Noten über die mofoifhe Geſchichte (C. 4, 
Pp. 3or.) citiet ein vom Rabi Abraham Salomon. 
verfaßtes Buch, worin ein unmittelbar an den Erzengel 
Michael geriäteted Gebet vorkömmt. . Sieg Calmets 
Commentar über Pauli Brief. an die Koloſſer K. 2, V. 
‚18. und feine Differtation Über die guten, und böfen Engel, 


. \ 


[1 Engliſche. 


Bezuͤgliche: fo ſtand bei dieſen Engelsverehrern das moſaiſche 
Gefetz in.hoher Achtung, weil Gott ſolches durch Vermitt⸗ 
lung der Engel den Menſchen gegeben hatte, und ſie hiel⸗ 
ten die Beobachtung deſſelben zur Erlangung der Seligkeit 
fuͤr unumgaͤnglich nothwendig: endlich glaubten ſie, da Gott 
durch Dazwiſchenkunft dee Engel den Menſchen feinen Wil⸗ 
len kund gethan habe, ſo muͤßten dieſe durch daſſelbe Or⸗ 
gan ihre Bitten zu der Gottheit gelangen laſſen, deren Ma⸗ 
jeſtaͤt unſichtbar ſey, und. unzugaͤnglich den Sterblichen; 
wir haͤtten keine vermoͤgendere Fuͤrſprecher, ja, ſie ſeyen 


mehr, als Jeſus Chriſtus geeigenſchaftet, uns mit Gott 


auszuſoͤhnen. 1). 

Unter der Kepierung des Kaiſers Severus * big 
zum Jahre 260 fand man’ noch Anhänger diefer Secte; aber 
zur Zeit dee hl. Epiphanius waren deren feine mehr 
vorhander. Der Heilige kannte nur Den Namen dieſer Haͤ⸗ 
retiker, ohne angeben zu koͤnnen, worinn ihre Ketzerei bes 
ſtehe, oder wovon ihre Benennung abſtamme. >’ 


„ Der heil. Auguftin iſt ver Meinung, daß dieſe Sec; 
tirer ſich die Engliſchen nannten, weil fie ‚einen engel 
reinen Wandel - zu führen. vorgaben. 3). 


Theodoret führt an, der Engeldienf ‚von den fal⸗ 
ſchen Propheten in Phrygien und Piſ udien eingefuͤhrt, 
habe ſo tiefe Wurzeln geſchlagen, daß das Concilium von 
Laodicea, gehalten im Jahre 366 oder 367, ausdruͤck⸗ 
lih verbot, Gebete unmittelbar an die Engel zu richten; 
und heute noch, fuͤgt Theodoret ‚bey, finder man bei ih⸗ 
nen Bethäufer, die dem bh "Michael. geweiht find. Je⸗ 
doch ſagt dieſes Concilium nichts weiter, denn daß die 
| PlAUDOEN bie Kirche ‚Gottes nicht — und But in 





1) Teodorär J—— EN Menoch. Chry- 
sost. Tom. 7. ad Col, 2. Stockmann ‚Lexicon 
.2) Epiphan. Haer. 60. | — 
- 5) Aug. Hacr. C. .59. u en 


| 








\ _ Eon ‚de: l’Etaile. 481 


Winkel: Werſammlangen, zur Aurufuns der Engel zuſam⸗ | 
nen fommen ſollen. 1). 


Eon de l’Etoile *). Ein Edelmann aus Bre⸗ 
tagne im. 12te Jahrhunderte. Man pflegte das Lateiniſche 
damals ſehr ſchlecht auszuſprechen z. B. eum wie eon. Da 
nun Eon de l’Etoile in der Kirche die Stelle aus dem 
Glaubens + Bekenntniß: per eum, qui veniurus est, judi- 
care Vivos et mortnos, wie per eon, qui etc. fingen 
börte, fegte er fich in den Kopf, er fey in dem Symbo⸗ 
lum angedeutet ald Derjenige, der da kommen foll, zu rich⸗ 
ten die Ledendigen und die Todten: dieſe Grille gefiel ihm, 
ſeine Phantaſie ward erhitzt; endlich uͤberredete er ſich, wirk⸗ 
lich der Richter der Lebendigen und Todten, mithin der 
Sohn Gottes zu feyn. Er brachte es unter die Leute; der 
Poͤbel glaubte ihm, rottete ſich zuſammen, und durchzog mit 
ihm ſchaarenweis verſchiedene Provinzen Frankreich's, wo er 
die Haͤuſer, und haupfſaͤchlich die AKloͤſter pluͤnderte. 


Seinen Schuͤlern enfbeilte er verfgichene Wuͤrden, 
einige waren Engel, andere Apoſtel. Der Eine hieß das 
Gericht, der Andere die Weisbeit; ein Anderer bie 
Herrſchaft oder die Wiffenfchaft u. dgl. 


Mehrere Großen wollten ſich feiner Perfon bemächtis 
gen; da er aber die gegen ihn Auggefandten gut bewiethete, 
ihnen Geld ſchenkte, wollte Niemand "Hand an ihn legen, 
fondern man fprengte aus‘, Eom fey ein Zauberer, der die 
Leute banne, fo daß Niemand feiner habhaft werden koͤnne. 
Dieſer Spuck wurde allgemein geglaubt, und als endlich 
doch der Erzbiſchof von Rheims ihn einſetzen ließ, meinte 
man, bet -böfe Feind habe ’iän damals im Stiche gelaſſen. 
Der Erzbiſchof ſtellte ihn vor das Concillum, welches zu 
Rheims von Eugen FIT. gegen die Jtrthuͤmer Gilbert's 
vor Porde verſammelt war. In dem mit Eon angeſtell⸗ 





ı) Calmet loc: citı . 
*) 12tes Jahrhundert . 
Ketzer⸗Lexikon IL 31 


482 Eon de PEtoile, 


ten Verhoͤre fand man, daß: er weiter nichts ale ein Wahns 
finniger war, nnd verurtheilte ihn zur lebenslänglichen Eins 
fperrung, dag Gericht aber, die Wiffenfhaft, und 
einige andere feiner Schüler , welche die Salfchheit der An⸗ 
gäben Eon's nicht annehmen wollten, wurden verbrannt. 1). 
In eben biefem Jahrhunderte, mo ein Theil des Volkes 
fi) von Eon de l’Etoile bethoͤren ließ, freuten Peter 
von Bruy, Tanchelin, Heinrich und andere Fanatiker 
imancherlei Irrthuͤmer unter dem Volke aus, und beßten 
es gegen die Geiftlichkeit auf: anderer Seits entzweiten fich 
die Theologen in den Schulen, warfen die fubtilften Fra⸗ 
gen über Glaubensfäge auf, und ſtellten ſich feindfelig eins 
ander gegenüber, woran jedoch die Laien ihrer zu großen 
nwiſſen heit wegen, keinen Antheil nahmen. 

Da Aufklärung oder Unwiſſenheit eines Volkes gemein⸗ 
hin mit der Bildung und Unwiſſenheit ſeiner geiſtlichen Fuͤh⸗ 
rer gleichen Schritt zu halten pflegt, ſo konnte dieſes in 
Religionsſachen ſo vernachlaͤßigte Volk an den theologiſchen 
Zaͤnkereien feinen, Geſchmack finden, ließ ſich aber von dem 
nächften beſten Betrüger, der ſich nur die Muͤhe geben wolls 
te, e8 zum Beften zu haben, entzuͤnden und verführen, und 
nie fehlte es in den: Aufern —— an ſolchen Volks⸗ 
Verfuͤhre. 


Epiphanes, des Carpocrates Sohn, unterwie⸗ 
fen in der Platoniſchen Plloſophie, glaubte er durch deren 
Grundſaͤtze die Entſtehung des Uebels erklären und die Sit 
tenlehre feines Waters rechtfertigen zu koͤnnen. 

Er nahm ein ewiges, unendliches, unbegreiflihes Urs 
mwefen an, mit welchem er das Syſtem des Valentin 
verſchmolz. Um die Entitehung des Uebels begreiflich zu 
machen, ging er bis zu.den urfprünglichen Begriffen von 
Gut und Big, Necht und, Unrecht zuruͤck, und ſchloß, daß 
die Guͤte des hoͤchſten Weſcit von ſeiner Gerechtigkeit nicht 


des 9 — 





1) D’Argentre Coll. Jud. Nat. Alex... in Sae. 12 Da- 
pin Bibl. 12mo. Siecle. - 


x « 3 a Vor Zn. 
x —— — 








Epiphanes. 42 
unterſchieden ſey. Das. Weltall, aus dieſem Geſichtspunkte 


befenchtet , bot dem Epiphbaneg nichts dar, das mit 
Gottes Büte ſtreite. Die Sonne gehet für alle, lebende 
Mefen auf, die Erde fpendet Aus ihrem Schooße fuͤr 
Alle auf gleiche Weiſe ihre Erzeugniſſe und Wohlthaten; 


Alle koͤnnen ihre Beduͤrfniſſe befriedigen, folglich bietet die 


Natur Allen einen gleichen Stoff von Gluͤckſeligkeit dar; 
Alles, was athmet auf Erden, iſt gleichſam eine große Fa⸗ 


milie, fuͤr deren Beduͤrfniſſe der Urheber der Natur im 


Ueberfluſſe Vorſorge trifft. Unwiſſenheit und Leidenſchaft 


find es, die, indem fie das Band dieſer Gleichheit und urs 


ſpruͤnglichen Gemeinſchaft der Natur s Güter jerreißen, dag 
Uebel in der Welt zum Vorſcheine Bringen. 


"Sobald die Menſchen Gefeße aufbrachten,, find fie ang 
biefem Natur s Stande herausgefreten, um zurüdzufehren, 


müffen dieſe Gefege abgefchafft,. und der Stand ber Gleich 


heit, in welchem die Welt ‚gefchaffen worden, wieder herge⸗ 
ſtellt werden. 
Hieraus ſchloß Epiphanes: daß in der Gemeinſchaft 


der Weiber, wie in jener der Erd⸗Erzeugniſſe die Wieder⸗ 


herftellung der Ordnung zu finden fey: die von der Natur 
ung eingepflanzten Triebe find unfere Rechte und Unfprüche, 
gegen welche feine Verjährung gelten kann. Diefe Behaups 


befagen: daß vor dem Geſetze die Sünde unbekannt gewe⸗ 
fen ſey, und daß es ohne Geſetz Feine Sünde gebe: 
Nach dieſem rechtfertigte Epiphanes Die Sittenlehre 


der € Carpocrationes, und verwarf jene der Kirche, 


Er ſtarb in der Blüthe feiner. Jahre, und ward tie 
wind Gottheit verehrt; zu Samä auf Cephalonien ers 


baute man ihm einen. Tempel, weihte ihm Wltäte, und- flifs 


tete anf feinen Namen eine Akademie. Am erfien Tage jes 
den Monats verfammelten fih die Cephalnnier zur Feier 
feiner Apstheofe: in 'feinem Tempel, "brachten ihm: —— 
hielten Feſtmahlzeiten und ſangen Lobhomnen. 1). 


1) Theod. Haer. Fab. L.1,C,5. Epiph. Haer. 52: Iraen. 


tungen vehärtete er durch die Stellen des hl. Paulus, die 


* 


L I, C. 11. Clem. Alex. Strom. L. 3. Grab, Spic, P. P. | 


31 * 


484 Episcopalen. Eunomius. 


Epifcopalen nennt man jenen -Meligiond + Theil der 
Meformirten in England, welche der unter der Königinn 
Slifabeth eingefährten Aturgie daſelbſt zugethan ſind. 
(Eich Presbyterianer.) 


Esquiniſten, Secte der Montaniſten, die die 
Perſonen der Dreieinigkeit vermiſchten. (Sieh den Art. 
Montan.) Dieſe Meinung wurde durch Sabellius be⸗ 
ruͤhmt. (Man ſehe dieſen Attikel.) 


Euchiten oder Eutichiten, Schiller Simons, 
weiche Tehrten: die Seele ſey mit dem Leibe vereinigt, um 
fih darin in alen Arten von Wolluͤſten zu uͤberlaſſen. Diefe 
Meinung fam mit Jener der Untitacten und Kainiten 


überein. (Sieh diefe Artikel.) 


Eunomtus. *) Dieſer Irrlehrer ſtammte aus Ban 
padocien, und befaß viel natuͤrlichen Scharffin. E ws 
doxius, arianifcher Patriarch) von Antiocien- haffe ihn 
zum Diacon geweiht; er ward eifriger Artaner, und ſtand 
bei diefer Parthei in noch höherem Anſehen, als Aetius, 
deffen Schüler er gewefen war. Um den Arianismug 
zu vertheidigen, fiel er in den Sabellianismus, woge⸗ 
gen doch Artus. fih nicht ficherer verwahren zu Finnen 
glaubte, als wenn er die Gottheit des Wortes Idugnete. 

Diefer nämlich, um nicht in die Ketzerei des Sabel⸗ 
lius zu fallen, welcher die Perſonen der Dreieinigkeit ver⸗ 
miſchte, machte aus Vater und Sohn zwet verfchietene We⸗ 
fen, und behauptete: der Sohn fey ein Geſchoͤpf. 

Die Gottheit Jeſu mar demnach die Are geworben, 
um die fie die Streitigkeiten der Katholiken und Arianer 
drehten. 

Die Katholiken nahmen in dem goͤttlichen Weſen einen 
Vater an, der nicht gezeugt, und einen Sohn, der, wenn 
ſchon gezeugt, gleichweſenheitlich und ewig mit dem Vater iſt. 


**,Ates Jahrhundert. 


Eunomius: i 485 


Die Sottheit Jeſu iſt fo augenfälig in der Schrift 
angegeben, daß die Artaner das Bılndige der ihnen von 
den Katholiken vorgehaltenen N nicht abwei⸗ 
fen konnten. 

Eunomiug meinte, man muͤſſe diefen Beprfag für ſich 
allein betrachten, und ſehen, ob man wirklich in der gött⸗ 
lichen Subſtanz zwei Grundweſen annehmen tkoͤnne, deren 
eines gezeugt, das andere unerzeugt waͤre. | 

Zur Entſcheidung dieſer Frage ging er bon einem bei 
Katholiken und Arianern angenommenen Punkte aus, 
naͤmlich von der Einfachheit Gottes. - In einem einfachen 
Dinge ließen fi), feines Dafuͤrhaltens, nicht zwei Grund⸗ 
Dinge annehmen, deren eineg gezeugt, das andere. zeugend 
wäre; das Einfache koͤnne zwar verfchiedene Beziehungen, 
aber nicht perfchiedene Grundurfachen haben. 

Aug diefem Srunde hatte Arius gefchloffen, um dem 
Sabellignigmus ausjumeichen, baß der Vater umd 
Sohn zwei verſchiedene Weſen ſeyen; da man aber eine 
Mehrheit. der Götter nicht annehmen koͤnne, ſo müffe das 
Wort pder ber Sohn nicht Gott, ſondern ein vom Vater 
arzeugtes Geſchoͤpf · eyy. 

Llus eben dieſem Grunde folgerte Eu AT, ‚ daß 
man in dem goͤttlichen Weſen nicht nur keinen Vater und 
Sohn, ſondern auch nicht einmal mehrere Vollkommenheiten 
annehmen koͤnne; daß die Weisheit, Wahrhaftigkeit, Ges 


rechtigkeit nichts ſeyen, als das Weſen der Gottheit, aus 


verſchiedenen Geſichts⸗Punkten betrachtet, und nur beſondere 
Benennungen, die einem und bemfelben‘ Dinge nad) den 
Beziehungen, die eg zu äußern Gegenftänden habe, beige 
legt puͤrden. 1) 
Dieſen Irrthum fuͤgte Eunomius dem Arianismus 
bei; er beruhte aber auf einer falſchen Vorausſetzung. 
Denn eine einfache Subſtanz kann zwar nicht mehrere Prin⸗ 
zipien enthalten, welche Gubſtanzen oder theile davon ſind. 


1) Greg. Nyss; Orat. 12. 








486 oo Eunomius. | 

Diefed behaupten u wollen, wäre ein offenbarer Wis 
derfpruch — ober man fiehf nicht ab, Daß eine einfache Sub⸗ 
flang ‚nicht mehrere Dinge in fich. ſchließen inne, welche we⸗ 
der Subflanzen, noch Theile derfelben find, Da bie göttliche 
Weſenheit unendlich iſt, welcher Wenſch duͤrfte ſagen, daß 
fie in der That nicht verſchiedene —*3** enthalte, die 
weder Subflangen, noch deren Xheile find? Um. diefes fas 
gen zu dürfen, müßte man nicht die Natur der Gottheit 
deutlich. anfchauen, fie vollfommen begreifen, J und Gott fo, 
wie Er ſich felbft, erkennen? 


Deßhalb ſetzten die Väter, die Eun omigs widerlegten 
wie der hl. Baſilius, der bl. Chryſoſtomus, um vie 
Unbegreiſlichteit der Gottheit entgegen. . 


Eunomius erfanrife einen Vater, einen ESehn, und 
einen heiligen Geiſt, wie die Katholiſchen; allein den Sohn 
und den hi. Geift fah er für Geſchoͤpfe, und diefen, den Hl. 

Geift, alg eine Erzeugung des Sohnes an: diefen Glauben 
drückte er in feiner Taufe aus, die er Allen, fo gu ihm uͤber⸗ 

gingen, erheilte im Namen des unerfchaffenen "Waters , des 

Sohnes, der .erihaffn ift, und Des heiligenden Geiſtes, 

der von dem Sohne erſchaffen worden. Das dreimalige Nm 

dertauchen ſchaffte er ab, eine Folge ſeiner Meinung von ' 
den drei göttlichen Perſonen; nur das Haupf.und die Bruf 
jener, die er taufte, lieh ee in das Waſſer tauchen, weil 
er die untern Theile des Körpers als ſchandlich, und der 
Taufe unwuͤrdig betrachtete. Eur 


Des Eunomiu.g Irrlehre war eine Speculation, ,we⸗ 
nig geignet, den großen Haufen zu intereſſiren. Um Proſeli⸗ 
ten zu werben, glaubte er irgend eine gemaͤchtliche Sitten⸗ 

lehre ſeinen Irrthuͤmern beifügen zu muͤſſen. Deßhalb lehrte 
er, daß, wer ſeiner Lehre treulich nachkommen würde, 


/ 





ı) Basil. Epis, 166. Chrysost. de incomprehens. 
Dei natura, Bafilius gab gegen Eunomius ein eis 
genes Wert in 5 Büchern heraus, a. .Basil. per. T. ı. 





Eunomius. Eunuchen. 487 


die Gnade wicht verlieren. ioͤnne, was @ ‚auch. immer für 
eine Sünde begehen möchte. 1)... _ | 
Diefer Kunftgriff, von deu Secten⸗ Häuptlingen fo oft 
gebraucht, gluͤckte nicht immer. Eunomius murde von 
dem Kaiſer Theodoſius nah Halmyride, in Moͤ⸗ 
fien an der Donau, verbannt, von, wo er jedoch nad) Caͤ⸗ 
ſarea in Kappadocien zuruͤckkehren durfte, er farb auf. eir 
‚nem Lanbgute in dem Dorfe. Dacora J. 393, und mit ion 
‚feine Secte, J er | 


Eunomianer, Schüler des Eunomius; — 
auch An omaͤer, vom Griechiſchen Anomion, Ungleich, weil 
ſie ſagten: der Sohn und hl. Geiſt ſeyen in Allem vom 
Vater verſchieden auch X roglod iten wurden fie genannt. 


Eunomtoeupſychtaner, ein Zweig der Eunomias 
ner „ die ſich wegen der Frage’ über‘ ‘die Erkenntniß oder 
das Wiſſen Jeſſu trennten: doch waren ihnen die Haupt⸗ 
Irrthuͤmer des Eunomfwsg- eigen. - Ste hatten nah Nis 
cephoru s, einen gewiſſen Eupſyches zum Verfechter 2). 

Dieſe Eunomioeupſychianer find’ dieſelben, "welche 
Sozomenus Eutihaner nennt, und welchen er einen Eus 
tyches zum Haupte giebt; gewiß iſt indeſſen, daß Nices 
pborus und Sozom enus von derfelben Secte fprechen, 
weil erſterer letztern nachgefchrieben; über den Namen dee 
Haͤuptling's det Serte — ein 0 , der noch) uns 

entſchteden iſt 3). 


ECEunuchen.*) oder Balerlaner Ketzer, die ſich 
entmannten, und ihren Schuͤlern nicht erlaubten, etwas, 
was Leben hat, zu genießen, ehe ſie ſich in dem die 
Zuſtande befanden. 





» Theod. haer. fab. L. 4, C. 3. August. de Haeren 
‚Epiphan, Haer, 76. Baron. ad ann. 556. 

2) Niesphor. L. 22, ©. 30. 

3) Sozom. L. 7, €: ıy. 

*) gtes Jahrhundert. . 


\ 


488 Eunuchen. 

DOrtgenes, un bie Berfdumdimg zu beſchwichtigen, 
welche ihm nachtheilige Gerüchte verbreitete, daß er jun 
gen Frauenztmmern den Zutrut zu feiner Schule geſtattete, 
entmannte ſich, ad entfernte er jede‘, feine Zugend 
befledtende, Nachrede. 

Diefes Zartgefühl des Origenes für feine Ehre wur⸗ 
de von Einigen ale beroffcher Tugend Akt bewundert z von 
Andern als ein Anfall eines umgehdrigen und ausgkfallenen 
Eifers get@delt. Die Unbefcholtenheit feined Wandels umd 
das Ueberragende feiner Derbienfte waren die Urſache 
diefer getheilten Meinungen. Demetriu s, Patriarch von 
Alexandrien bewunderte die That des Origenes, und 
der Vatriarch von Jeruſalem ertheéilte Ihm die Prieſter⸗ 
Weihe. — Andere bezuͤchtigten dieſe Handlung als etwas 
Barbariſches, und mißbilligten, daß man einen Kann zur 
Priefters Würde erhoben habe, den die Verſtuͤnmlung bfezu 
unfähig mohe . . . 

Valeſius, mit einem Fasten. Hange zum andern Ge 
fehhlechte geboren, und unter dem brennenden Himmel. Aras 
bieng, lebend, kannte feinen größern Feind feines. Heilg, 
als fein Temperament , uud, fein angemeffeneres Mittel zur 
Erhaltung feiner Tugend - und Sicherung feines Heils, ald 
jenes, welches Drigenes zur. Deſchwichtiguns der Der 
läumdung anwendete. 


Valeſius entmaͤnnte fich daher, ‚ und Schauptete: daß 
eine ſolche kluge, um der Tugend willen unternommene 
Handlung nicht von den kirchlichen Wuͤrden ausſchließen 
koͤnne. Anfangs hegte man gegen dieſe Verirrung Nachſicht: 
als ſie aber um ſich griff, verſtieß die Kirche Valeſius 
und ſeine Schuͤler, die ſich in eine bet Steppen Arabiens 
zuruͤckzogen. 


Valeſius hatte nur, Menſchen von heftigem Tempe⸗ 

ramente und lebhafter Einbildungs + Kraft gu Schuͤlern, web 
che ohne Unterlaß mit dem Verſucher im Kampfe, die Ent⸗ 
mannung fuͤr das ſicherſte Mittel hielten, dem Laſter zu ent⸗ 
rinnen, und ihre Seligkeit zu ſichern; Menſchen von einer 
gewaltſamen Leidenſchaft beſeelt, oder von Temperaments⸗ 





Eunuchen. 469 


Ungeſtlmm⸗e beherrſcht, legen den Abrigen feine andere Grund⸗ 
fäße oder Gefühle bei, als folche, welche fie felbft zum Hans 
Dein beffimmen. Deshalb glaubten die Valeſtaner, daß 
Alle, die ihrer Mannheit nicht beraubt wären, auf der Stra⸗ 


Be des Laſters, und in den Armen des Verbrechens wars | 
delten. 


Da das Evangelium beflehle, daß alle Chriſten an dem | 
Seelen s Heile des Nächften arbeiten folten, fo gab es in 
den Augen ber Valefianer Fein unfehlbareres Mittel zur 
Erfülung diefer Pflicht, als den Naͤchſten, ſo viel ihnen 
möglich, fn einen ihnen gleichen Zuſtand zu verfegen: zu bem 
Ende wendete fie Alles an, ihre Mitmenſchen von der 
Nothwendigkeit der Selbſtſtuůmmelung zu überzeugen, : gelang 
ihnen die Ueberredung nicht, fo galten ihnen folche, als Kins 
der, oder Fieber» Kranke, und deren. Widerfeglichkeit gegen 
ein umteigliches, wenn gleich umangenehmes Heilmittel zu . 
achten, Grauſamkeit wäre. Darum bielten fie es für un⸗ 
abweisliche Pflicht chriftlicher Mächftens Liebe, alle Manns⸗ 
perfonen, deren fie habhaft werden konnten, zu .enfmannen, 
und fie ermangelten nicht, diefe Operation mit allen vorzu⸗ 
nehmen, die ſich auf ihrem Gebiete betreten ließen, welches 
das Schrecken der Wanderer wurde, die nichts ſo ſehr fuͤrcht 
teten, als ſich unter die Valeſian er zu verirren. 


Aus dieſer Urſache vermuthlich ſprach man haͤufig son 
dieſen Ketzern, nach. dem hi. Epiphantus ohne viel os 
ihnen bekannt zu ſeyn. 

Dieſe Ketzer veranlaßten auch den Yten Canon des Gene 
eil’8 von Nicaͤa, welcher für jene, die fich felbft: entman⸗ 
nen, die Aufnahme in den geiftlichen. Stand verbietet. 


‚Wie fonderbar doch der Menfch iſt! Das Conkil, wel 
ches diefen Canon gegen die Balefianer abfaßte, machte 
einen andern gegen folche Priefter, welche vermöge geiftlis 
her Verwandtſchafts⸗ Vertraͤge eine Wittwe oder Jung⸗ 
frau, unter dem Namen geiſtlicher Schweſter, oder: Nichte, 
zu ſich in's Haus nahmen. Die Einführung diefer geiſtli⸗ 
hen Familien war auf das Beifpiel Jeſu gegründet, der 
von Zeit zu Zeit bei Martha und Marta Einkehr. nahm, 


‚AN Eunuchen. Euphrates. 


und auf jenes des hl. Paulus, der eine Schweſterfrau mit 
fich führte, und in den. erſten Jahrhunderten der Kirche 
aufgekommen. Es war nichts felteneg, zu fehen, daß junge 
Perſonen beiderlei Geſchlechtes zufammen lebten, und, um 
glorreicher über das Fleiſch gi fiegen,; fi in. die hoͤchſte Ger 
fahr ſtuͤrzten, indeß Die Valeſtaner fih nur dann rets 
ten: zu können glaubten, wenn fe fi die Voͤglichteit der 
Verſuchung raubten. | 
Mit Recht zeihen wir dieſe beiden Seeten des Unſin⸗ 
nes; was ſollen wie. aber von der Duldung denken, die un⸗ 
ſere Zeiten gegen eine weit barbariſchere und veraͤchtlicher⸗ 
Gattung von Baleftanern hegen, die bei der Stuͤmmelung 
bloß die Vervollkommnung der "Stimme der PIE: tpwes 
Bes beabfictigen. E Er 


ey Euphrates von Hera in Eilicien, — in 
der Gottheit "eine Dreiheit an, und war einen breifachen 
Bater, Sohn, ımd Hl. Geiſt. | 
Unter den Philoſophen, welche uͤber das Weſen der 
Welt nachforſchten, hatten einige dieſelbe als ein großes 
Ganze, deren Theile in einander gefuͤgt ſeyen, ſich vorge⸗ 
ſtellt; ſo daß nur eine, wie Ocellus von Lucanien 
lehrte, und nicht mehrere Welten, wie Leuzipp, Epicur, 
und andere Philoſophen behaupteten, anzunehmen ſey. Eu⸗ 
phrates folgte in dem Hauptſaͤchlichen dieſem Syſteme, 
wovon er jene Reihenfolge von Welten, auf die ſich die mei⸗ 
ſten Secten⸗ Stifter, um die Philoſophie mit der Religion 
zu paaren, beworfen hatten, aus ſchloß. Er dachte ſich eine 
einzige. Welt, und unterſchied darin drei Theile, welche 
drei ganz und gar verfühiebene ‚Ordnungen von Wefen in. 
fich begriffen. = : 
: Der erſte Theil ber Welt umfchloß dag ie | 
und ımerfchaffene Wefen, das er fich als einen großen Born 
vorſtellte, aus deffen Tiefe drei Väter, drei Söhne ‚und drei 
heilige Geifter —— 


tes ra A RD 


l 2ted Jahrhundert. — 2 . 





Euphrates. 401 


Da Jeſus, als der: Sohn Gottes Menſch war, fo was 
ren nach Euphrau die drei Soͤhne auch Drei Menſchen. 

Der zweite Theil der Welt begriff eine eee — 
se verſchiedener mächtiger Geifter in ſich. 

—z3um deitfen Theile. bes Alls endfich gehörte das, was 
die Menfchen gemeinhin die Melt nennen. | = 
Alle diefe Theile des Weltganzen waren durchaus ohne 
Verkehr und. von einander abgeſchieden: allein die Geiſter 
der dritten Weltabtheilung haften jene der zweiten im ihre 
Sphäre herabgezogen, und angefchmieder. 
... Aut Zeit des Herodes war der Sohn Gottes von 
dem Aufenthalte der Dreiheif herabgeftiegen , um die in die 
Schlingen des dritten Weltthells gefallenen Geiſter zu erle— 
digen. Diefer vom Himmel auf die Erde herabgefommene 
Gottes s Sohn war ein Menfch mit dreifacher Natur, drei⸗ 

fachem Leibe, und dreifacher Gewalt begabt. 

Vermuthlich glaubte Euphrat: der Sohn Gottes 
muͤſſe dieſe drei Weſenheiten oder Naturen haben, um das 
Ymt eines Erldſers der gefallenen Geiſter zu übernehmen; 
vieleicht meinte er auch hieburch zır erklären, warum dei 
Sohn Jeſus Chriſtus vor den andern Perfonen der goͤtt⸗ 
lichen Dreiheit zum Etloͤfer ber gefallenen Geiſter erforen 
worden iſt. 

Nachdem bie Geiſter der zweiten Welts Abthellung ſi ch 
in ihr Vaterland wieder werden emporgeſchwungen haben, 
ſo muß nach Euphrat, was wir unſere Welt nemen, zu 
Grunde gehen 15. ' | 
P. Harduin iſt dere Meinung: daß der Adfte unter 
den apoftolifchen Canonen gegen die Schuler Euphrat' 8 
gerichtet fen, und daß dag Athanaſſaniſche Symbolum dfefe 
Ketzer im Auge habe in dem Derfe, daß es einen Vater 
und nicht drei — einen eh um u drei a. 
w..gebe 2). 


⸗ 





1) Theodoret. Haeret. fab. L. 1,6: 18. Philastr. 
2) Harduin de triplici Baptismo. 


492 Euphrated. Euſtathius. 


Unfered Dafärhältend nahmen Ehyhrat’s und Ada 
mas bag, philofophtfche Syſtem des Dcellug an, und 
ſuchten ſolches mit den Lehrfägen- von der Dreieinigkeit, 
der Gottheit Jefu, und deffen Mittletamte zu vereinbaren, 
deshalb fügten fie auch den allgemeinen Grundfägen des 
Ocel lus einige Pothagoraͤiſche Ideen son ber Wirkſan⸗ 
Seit. den Zahlen bei 1); . 
Woie ausgemacht: mußten biefe @laubend s kehren bei den 
Chriſten ſeyn, weil man ſogar verſuchte, ſie dem Syſteme 
“eines Ocellus anzupaſſen, mit dem fie in feiner Analogie, 
ja ſogar im Widerſpruche ſtehen. Was werden dieſer Fol⸗ 
gerung jene antworten, welche die Dogmen des Chriſten⸗ 
thum's für ein Machwerk der Platoniker ausgeben ? 
Eupbrates hatte Schüler, welche die Secte der Per 
raͤer oder Pergtiker von dem Namen ber Stadt Pera, 
wo dieſer lehrte ſtifteten. — 
7 
Eu p 5: con omiene r *), Roger des Aten Jahrhundercs, 
welche die Irrthuͤner des Eunomiud und Theophron 
miteinander verbanden... Socrates fagt: Der Unterfchied 
zwiſchen Thepphron und. Eunomiug: ſey fo unbedeus 
send, daß er faum erwähnt gu. werden verdiene 2). 


Euſtathius. *) Baronius meint, dieß fen der 
Name, eines Moͤnches den der. hl. Epiphanius Ew 
tactus nennt. Er lebte im vierten Jahrhunderte 3). | 

Diefer Mind) war ſo naͤrriſch fuͤr ſeinen Stand einge⸗ 
nommen, daß er jeden andern verdammte. Zu dieſer = 
hauptung gefellte er noch andere Irrthuͤmer. itens) Er 
verwarf den Eheftand und frennte die Weiber von ihren 
Männern, weil berbeiratbete Perfonen nicht felig werden 


9 ueber die den HZahlen beigelegte Kraft, ſehe man die Art, 
Baſilides, Maned. | 
2) Socrat. L. 5, C. 24. 
*) Ates Jahrhundert. 
3) Baron. ad ann. 319. 


\ 


Cuſtathius. Eutyche.. 463 


koͤnnten; 2tens) verbot feinen Anhaͤngern in den Haͤuſern 
zu beten; Ztens) begte ihnen bie Verbindlichkeit auf, ihre 


- Güter als unverträglich. mit der Hoffnung des Himmels, zu 
verlaffen; Atens) hielt fie von der Verfammlung der andern 


Glaͤubigen ab, um fie zu geheimen Zuſammenkuͤnften zu bes 
rufen ,. und ließ. fie ausgezeichnete Kleidung tragen; 3tens) 
am Sonntage ſollte man faſten, die in der Kirche uͤblichen 
Faſten ſeyen unnuͤtz, ſobald man zu einem gewiſſen, von ihm 
erfundenen, Grade von Reinheit gelangt ſey; 6tens) er hatte 
einen Abſcheu gegen. die: zu Ehren der Martprer erbauten 
Kapellen, und in folchen ſtatthahenden Zufammenfünfte, 
Mehrere Frauen durd) feine Reden verführt, verließen 
ihre Männer, und viele Schaven entliefen Ihren Herren, 
Des Euftathiug Lehre, bei dem Eoncil von Gang⸗ 


res angebracht, wurde von demſelben im Jahre 342 ver⸗ 


dammt. 1). 
Nichts iſt dem. Seife ber Neligion mehr enfgegen, nichts 
wirkt der unterwuͤrfigkeit der Gläubigen unter ihre geſetz⸗ 


mäßigen Hirten fidrender entgegen, als Zuſammenkuͤnfte, 


wie jene des Euſtathius; und Menſchen, wie diefer 
Mönch, verdienen in gleichem Maaße die Aufmerkſamkeit 
der Regierungen ind der kirchlichen Oberhirten. 


Euſtathianer. Dieſe Benennung gab man den an— 
haͤngern des Moͤnchs Euſtakhius, von dem im vorigen 


Artikel die Rede war. 


Eutyches, *) ‚Abt eines Kloſters bei Cenftanti 
nopel. ‚Ex lehrte, daß Die goͤttliche und menſchliche 
Natur in Ehriſtus ſich vermiſcht hätten, und 
nach der Menſchwerdung nur eine Natur aus—⸗ 
machten, wie ein Waffertropfen in den Ocean sefallen, 
ſich mit Meeres⸗ Woen vermiſche. 


4 





l 


. N Epipban. } Haeres. gar Socrat. Li 2, C. 23, Sozom. 
L. 3, C. 3. Basil. Ep: 74., 8 Niceph, L. 9. C. 16. 


| 2: sted Jahrhundert. 


\ 


| - 





494 Eurtyches. 


Das Concliiium von Ephefu 8, und des Johannes 
von Ankiochien, nach ſeiner Ausſoͤhnung mit dem heil. 
Eyrillus, Anſtrengungen, dieſem Concilium Aufnahme 
zu verſchaffen, hatten den Neftortanfsmug nicht vertilgt. 
Die Abferungen und Landes » Vermeifingen hatten im 
Driente eine Menge geheimer Neftortaner hervorgebracht, 
die bloß dem Ungewitter auswichen, und glühende Rach⸗ 
gierde gegen den hi. Cyrill und feine Freunde im Buſen 
hährten ;. wogegen bie Vertheidiger des Concils von Ephe⸗ 
fus die Neftorianer-und jene, die noch einige Nachficht 
gegen: biefe Parthet hegten ‚nicht wenig haften. _ 


Es beftanden demnach nach dem Concilium von Epbes 
ſus in der That pi Religions s» Partheien, wovon Die 
eine als bie unterliegende, dem Meineide auszuweichen, und 
fich gegen die Gewaltthaͤtigkeiten der Hrthodereni durch "der: 
faͤngliche, zweibeutige und jenen bes hl. Cyrillus wider 
fprechende Glaubens » Formeln zu ſchuͤtzen ſuchte, die andere 
als vbfiegend, den Neftorianern in allen ihren Schlan⸗ 
gen s. Wendungen folgte» und fie aus all ihren Verſchanzun⸗ 
gen. su vertreiben. fich bemühte, J 


uUebertriebener Eifer und blindes Mißtrauen mußten 
daher, um ſich der Aufrichtigkeit derjenigen, denen man das 
Eoneilium von Epheſus aufdrang, zu verfichern, verſchie⸗ 
bene Manieren, fie auszuforſchen, ‚erfinden, und in ihren 
Unterredungen Ausdruͤcke gebrauchen ‚- die dem Unterfähicde, 
den Neftorius zwiſchen der göttlichen und menfchlichen 
Perſon machte, ſchnurgerade entgegen waren; fit mußten 
natuͤrlich auf Ausdruͤcke verfallen, welche nit nur die Eh 
nigung der beiden Naturen in einer Perſen, fondern auch 
bie Vermiſchung beider Naturen bezeichnen konnten. 


' Mebrigens ift.die Vereinigung ber göttlichen und menſch⸗ 
lichen Natur, welche in Jeſus Chrikug nur eine Petr 
fon ausmacht, ein Religions⸗Geheimniß; und wird das 
Dogma , welches ung belehrt: daß die göttliche und menfch, 
. Be Natur dergeflalt bereinigt fi nd, tag fie nur eine Pers 

fon bilden, nur um eine Linie uͤberſchritten, fo iſt es Teicht, 
die Naturs Einheit für Perſon / Einheit zu nehmen, und die 








| Eutyches. 498 
beiden Naturen in eine zu verſchmelzen, damit man ihre Ei⸗ 
nigung ja nicht verfehle, und in Chriſtus nur eine, nicht 
sivei Perfonen, wie Neſtorius, anerkenne. 

Anderer Seits blickten die Neſtorianer und ihre 
Schiger mit Unwillen auf Eyrili’s und "feiner Anhänger 
Triumph; fie befcehuldigten ihn, daß er den- Apollinaris⸗ 
mug erneuere, und in Chriſtus nur eine Natur annehme. 
Es konnte daher nicht fehlen, daß fie alle Ausdrücke ihrer 
Gegner abwogen und firenge richteten, gegen fie Josbrachen 
und fie als Apollinar iſt en verfchrien, fobald, wenn von 
der Vereinigung der zwei Naturen die Rede war, in ihren 
Morten nicht die genaueſte Beſtimmtheit aufzufinden war, 

Auf. diefe Weiſe mar nach Verdammung des Ne ft os 
rianismus, Mlled zu einer entgegengefehten Ketze⸗ 
rei, und zur Entftehung einer hartnädigen, ſchwaͤrmeriſchen 
und gefährlichen Secte in der Kirche vorbereitet; fie bes 
durfte nur, um zum Ausbruche zu kommen, eines Mannes, 
der: eifernd Yegen den Neftorianismug,' mit wenig 
Kenntniſſen, Sittenftrenge, eigenfinniges Beſtehen auf feine 
Meinungen, und einigen Ruf verband. - 

Eutyches mwar-diefer Mann! er hatte, wie alle Moͤn⸗ 
che, Parthei gegen Neſtorius genommen. Da er im Rufe 
der Heiligkeit ſtand, und am Hofe Gewicht hatte, ſo hatte 
ihm Cyrillus geſchmeichelt, und ihn gebeten, fein gan⸗ 
zes Anſehen bei der Kaiſerinn sum Dienſte der. Wahrheit 
zu verwenden 1). 

Eutyches ward eben dadurch zum Haſſe gegen die 
Neftorianer entflammt, und er ſcheint ſogar der erſte 
Urheber der Haͤrte, die man gegen ſie im Morgenlande 
veruͤbdte, geweſen zu ſeyn 2). 

Das Alter hatte feinen Eifer nicht geinaͤßigt, und gebeugt 
unter dem Drucke der Jahre ſah diefer Abt uͤberall nichts 


n Synod. Can. Cap ‚20. Balutz, nova Collect, Cone. 
P. 909. 
2) 'Tillemont. T. 15. p. 482. 


Y..0» 





496 | Eutaches: 

old Nefierianismns, betrachtete als Feinde der Wahr⸗ 
beit alle, die irgend eine Schonung oder Nachficht gegen die 
Neſtorianer besigten, und ‚rebte den Eifer, von dem 
er befeelt war, allen Perfonen Bon Einfluß, einzuhauchen 1). 


Er bediente ſich zur Beſtreitung DEN efloriani 8 mug 
der ſtaͤrkſter Ausprücde, und um nicht in⸗dieſen Irrthum zu 
faßen, weicher Chriſtus zwei Perfonen, wie zwei Natu⸗ 
ren beilegt, fo behauptete et: die zwei Naturen ſeyen fe 
vereinigt, daß fie nur eine ausmachten, und verſtchmolz die 
zwei Naturen zu einer einzigen, um nur ganz gewiß zu 
ſeyn, Jeſus Chriſtus nicht zwei Perfonen, wie Neftor 
rius, einzuräumen. Leidenfchaft mit Immiffenheit gepaart, 

eht nue Extreme; die Mitte, welche fie trennt, und wo 
die Wahrheit liegt, iſt nur einem unferrichteten, fcharffichs 
tigen und gemäßigten Geiſte erfichtlich. 

Eutyches lehrte daher feine Mönche, in Chriftug 
fen nur eine Natur; ee wollte nicht, bag man fage: Je⸗ 
fus fen der ‚göttlichen Natur nach mit dem Vater, und nach 
der menfchlichen mit ung gleiches Weſens; die menfchliche 
Natur fey von der göttlichen verfchlungen worden, wie ein 
Wafler s Tropfen vom Meere, oder der brennbare Stoff 
im Seuers Dfen von der Flamme verfchlungen wird; fo daß 
nichts Menſchliches mehr in Chriſtus ſey, und die menſch⸗ 
liche Ratur gewiſſermaſſen in die göttliche verwandelt märe2). 

Der Irrthum des Eut yches, war demnach, wie Neu⸗ 

ere behaupten wollten, mehr als ein Wortſtreit. | 

Denn die Behauptung des Cutyches daß bie menfchs 
liche Natur von der göttlidien verfchlungen , und hergeftalt 

fn fie verwebt fen, daß fie mit erfierer nur eine Natur aus 
mache, beraubt Jeſum der Eigenfchaft eines Mittlere, 
und gernichtet Die Wahrheit feiner Leiden, feines Todes, 
feiner Auferftehung, weil alle diefe Dinge der menfchlichen 
Natur, und dem wirklichen Vorhandenſeyn einer menſchli⸗ 


* 





3) Leo Ep. 19: Theodor. Ep: 82. 
4) Theodor.: Dial, in sonfus, Conc. Constant. act. 3. 


Euthches. 497 


chen Seele und eines menſchlichen Leibes vereinigt mit der 


VPerſon des Wortes, nicht aber dem Worte zukommen. 
Wenn das Wort unfere Natur nicht angenommen haf, fo 


. find alle Siege über Tod und Hoͤlle nicht, als Suͤhne fifr 


ung, errungen. 1). ER 

Mit einem Worte, wenn die menfchliche Natur vom 
der görtlihen dermaßen verfchlungen iſt, daß in Jeſus 
Chriſtus nur die goͤttliche Natur vorhanden iſt, fo, faͤllt 
Eutyches in die Irrlehre des Cerinth „Baſilides, 
Saturnin, und der Gnoſtiker zuruͤck, nach Deren Bes 
hauptung Jeſus Chriſtus nicht Menſch geworden, fonx 
dern nur mit einem Scheinleibe umkleidet war.. 


Eutych es fireute feinen Irrthum anfangs unter: den 


‚drei hundert Mönchen , deren Vorſteher er war, dann Bef 


Auswärtigen, die auf Befuch zu ihm kamen, aus, und ſteckfe 
viele unwiſſende Perfonen damit an: er. verbreitete: ſich in 
Aegypten und in jenen Gegenden des Morgenlandes;- we 
die Neftorianer.noc Gönner Hatten, und wo des Eutys 
ches Eifer ihn, felbft unter folchen, die dem. Somilium von 
Ephefus zugethan waren, Feindſchaft erregt Hatte, - Die 


Biſchoͤfe des Deientd waren die erfien, ‚welche den Irrthum 


bes Eutyches anſtritten, und über dieſe new. entſtehen⸗ 


J 


de Ketzerei an den Kaiſer Bericht erſtatteten. J. 


Euſebiuns, Biſchof von Dorylaͤum, der einer.der 
Erſten war, die fich gegen Eutyches erhoben, friiher fein . 
Freund, fuchte ihn zu belehren, aber umſonſt. Um alſo 
ben Umgriffen des Irrthums zu feuern, reichte er. dem Das 
mals, zus Sthlichfung eines zwifhen Florenti us, Die 
tropoliten von Lydien, und zwei feiner Süffragane entſtan⸗ 
denen Zwiſtes zu Confiantinopel verfammelten Biſchafen 
eine Klagefchrift gegen Eutyches ein. (3.448.) 
In diefer befihuldigte er letztern, jedoch ohne beſtimmte 
Angabe der Ketzerei, mit dem Erbieten, ſolches zu erwei⸗ 





—) Leo Ep. 25, C. 1, 2. Theod. Zi 29023.. 
2) Isidor. Polus. L. ı. Ep. 419 — Come. T. 4. Facund- 
Le, C. 5.. Zee EEE PER Por EEE EEE 
Kegere Rerifon U 32 


- 





488 | Eutyches. 


‚fen, und beſchwor den hl. Flavian, Erzbiſchof von Con 
ffantinopel und das Concilium auf dag dringendſte, man 
möge dieſe Sache nicht zu leicht nehmen, fondern Eutyces 
vorrufen, und zur Rebe ſtellen. | 


Eutyches weigerte zu cefcheinen, unter dem or 
wande eines Geluͤbdes, das ihm fein Kloſter zu berlaffen 
‚nicht geſtatte. Unter der Hand ſchickte er zwei von feinen 
Mönchen in verfchtedene Kloͤſter Conſtantinopels, um 
fie. gegen Fla vian aufzuwiegeln. Die Abgeordneten ſtellten 
dieſen Moͤnchen vor: fie wuͤrden bald von dem Erzbifchofe 
unterdrückt werden, wenn. fie fich nicht mit Eut yches ge 
gen ihn verbänden ; auch legten fie ihnen ein Schreiben zur 
Unterfchrift vor, deffen Inhalt eine Art Glaubens⸗Bekennt⸗ 
sig war. Diefe aber fchickten die Schrift ohne Unterzeich⸗ 
nung u | 

Nach nochmaliger Norladung drohte das Concilium mit 
‚Abfegung. : Nun lieh Eutyches fagen: er ſey frank, und 
koͤnne nicht ausgehen. Nach taufenderlei Lügen erſchien er 
endlich, aber in Begleitung zweier Hofbeamten, und einer 
Schaar Soldaten, und wurde übermwicfen, dag er nut eine 
Natur in Chriſto anerfenne Da man ihm weder feinem 
Irrthume entreißen, noch feine Hartnaͤckigkeit befiegen Font 
te, entfegte ihn das Eoncilium feiner geiftlichen Würde 
nebft der Leitung feines Klofters, und ſprach den Bannfluch 
‚über ihn aus, . 


Die Verurtheilung des Eutyches Marb von zwei und 
dteißig Biſchoͤfen und acht und zwanzig Achten unterſchrieben. 
Nach gefaͤlltem Urtheile ſagte Eut ych es leiſe zu feinen Ve⸗ 
gleitern, daß er ſich auf die Biſchoſe von Nom, Jeruf® 
Tem und Alexandrien berufe. Zu gleicher Zeit ſchrieb 
er an den hl. Leo. von Rom, um ihn gegen dag Concilum 
von Eonftanstinopel einzunehmen, welches aber nicht ge⸗ 
hang. BEBERE —— 
Eutyches, der am Hofe wich galt, und beſondert 
den Eunuchen Chryſaphas, Kämmerer T heodofin® 
des Juͤngern, zum Freunde harte, ;gab bei dem Kalt 
eine Klagſchrift, vol Verläumdungen gegen dad Conciliun 


c 
‘ 


' 





Eutyches. 499 


das ihn verdammt hatte, ein, und feug darauf an, daß er 
von einem andern Concilium gerichtet werden moͤchte. In 
einer des folgenden Jahres auf Befehl des Kaiferd gehals 
tenen Synode; worauf Thalaffius von Cdfarea den 


Vorſitz hatte, wurden die Akten gegen Eutyches durchge⸗ 
fehen, und der Ausfpruch des im vorigen Jahre unter las 


vius DVorfige gehaltenen Concils beſtaͤttigt. Endlich auf 
wiederholfes Andringen des Eutyches und feiner Goͤnner 
ward von Theodog ein Concilium nach Epheſus berus 
fen, und deffen ganze Leitung dem Dioscorus, Patriars 
chen von Alerandrien, einem flürmifchen und gewalttpäs 
tigen Manne, der zum Voraus von Ebrvſap as war 

gewonnen worden, uͤbergeben. | 


Die Bischöfe, am der Zahl ein hundert dreißig aus Aer 


gypten und dem Drien*e, und zwei Legaten des Pabſtes 


Leo, (der dritte war unter Wegs geftorben) fanden. ſich 
zu Epbefus ein; auch Eutyches erfchien mit zwei kai⸗ 
ferlihen Befehlshabern und einer Schaar Bewaffneter. 

Als das Eoncilium den 8. Auguft.449 eröffnet wurde, 
wollte man die päbfllichen Legaten gar nicht annehmen, uns‘ 
ter dem Borwande: daß fie auf ihrer Meife bei Flavian, 
des Eutyches Gegner, eingekehrt ſeyen: auch geflattete 
man ihnen nicht, die mitgebrachten Briefe abzulefen, fo wie 
man den Eufebiug von Dorpldum zu vernehmen vers 
weigerte; fondern man fing das Eoncilium mit Ablefung der 
Alten jenes von Eonflantinopel an. 


Als man bei’m Ablefen an die Stelle fam, wo Eufe e⸗ 
bius in Eutyches drang: zwei Naturen auch mach der 


 Menfchwerdung in Chriſtus anzuerkennen, ricfen die Bis 


(höfe, man. müfe Euſebius lebendig verbrennen, und 
in Stüde zerreißen, weil er Jeſum Chrifium zerreiße. 


« Dioscorug, der den Vorſitz hatte, nicht zufrieden 
mit dieſem Gefchrei, verlangte: wer feine Stimme nicht 
koͤnne hören laſſen, fole die Hände emporheben, um feine 
Zuftimmung zur Verwerfung der zwei Naturen zu erfennen 
zu geben; aliobald fchrien Alle mit emporgehobenen Hdns 
ven: Wer Jeſus Chriftus zwei Natııren gibt, fey Ana⸗ 


500 j Eutyches. 


thema, man verjage, man zerreiße. man ermügge Alle, die 
jwei Nafuren wollen. 1) 

Nach diefem wurde Eutyches für rechtglaͤubig erklaͤrt, 
in die Prieſter⸗ Würde und keitung ſeines Kloſters wieder 
eingeſetzt und beſtaͤttigt. 


Dios corus lad den Entwurf cities Synodal s Ber 
ſchluſſes ab, worin geboten wurde: Tein anderes, als Das 
Nicaͤniſche Symbolum zu gebrauchen, und bat die Bis 
ſchoͤfe, zu erflären: ob derjenige, welcher darüber hinaus⸗ 
‘ginge, nicht in die von dem Conchium zu Epheſus ver; 
bängte Strafe verfallen fey. Da’ Niemand widerfprach, bes 
nuͤtzte er dieſen Augenblick der Stille, und ließ das Ent 
ſetzungs⸗ Urtheil gegen. Flavian und Eufebiugvon Do 
rylaͤum verlefen. 
Die Legaten des hl. Leo thaten Einrede gegen biefen 

Spruch; einer davon Hilarius, rief mit lauter Stimme: 

Uontradicitur (wir widerfprechen.) Mehrere Bifchöfe warfen 
ſich Dioscorus gu Füßen, und befchworen ihn, das Urs 
theil zurückzunehmen, Er aber anftwortete ::und ſollte man 
ihm die Zunge abfchneiden, fo werde er das Befagte nicht 
zuruͤcknehmen, und da fie noch immer auf den Knien blieben, 
erheb er fich von feinem Eike, und rief den Proconfeil 
Proklus mit einer Abtheilung Soldaten, die mit Ketten, 
Schwertern und Stoͤcken erfchienen, fn vie Kirche. Die 
meiften. Bifchdfe, in Schrecken geſetzt, unterfchrieben Alles, 
was Dioscorus und feine Anhänger verlangten. Der 
Tumult war allgemein, man fprach von nichts ale von Abs 
ſctzung und Verbannung aller, die Dioscorus nit ge 
horchen würden; man fchloß die Kirchenthiiren, man drohfe 
und fchlug jene, welche Fla vian's Verdammung nicht uns 
terzeichnen, oder gelindere Maasregeln gebrauchen wollten: 
einer ſogar von den Biſchoͤfen erklaͤrte: daß Flavi an und 
Euſebius nicht nur entſetzt werden müßten, ſondern vcr 
urteilte fie förmlich, den Kopf zu verlieren... 2). 


5 Conc. T. 4. Conc. Const. - 4 
3) Ibidem. 








Eutyches. | | sol 


Die Legaten des Pabſtes blieben allein unerfchäfterlich 
auf ihrem Widerſpruche gegen all diefe Gewaltthaͤtigkeiten; 
und reisten: noch in der Nacht, um Freiheit und Leben zu 
retten, mit Hinterlaſſung alles Gepaͤckes, von Epheſus ab. 


Flavian berief fich auf Das Urtheil des heil. Stuhls, 


und übergab den Legaten eine fchriftliche Erklärung. Die 
oscorus ward darüber fo müthig, daß er "mit dem. Abte 
. Barfumas und andern feiner Parthei, Fla vian zu Bo⸗ 


den warf, mit Füßen trat, und durch Schläge fo graufam 


mißhandelte, daß er kurze Zeit darauf zu Epyrus in Ly⸗ 


dien auf dem Wege zu feinem: Verbannngsorte fiarb. 1). 

Hierauf entſetzte Dioscorus die ehrwuͤrdigſten und 
erleuchteteften Bifchdfe ihrer Stuͤhle, und ſetzte die früher 
abgewuͤrdigſten Nichtswuͤrdigen wieder ein. Theodoret 
von Cyrus wurde ale ein Ketzer verdammt, und verboten, 
ihm Lebensmittel und Aufenthalt zu geftatten. 

Sp endigte fi) das zweite Concil von Ephefug, in 
der Sefchichte mit dem Namen: Räuber » Concilium's 
gebrandmarkt. 

Theodos, durch Chryſaphas, ſeinen Gunftling 
mißleitet, belobte und beſtaͤttigte durch ein Geſetz dieſe Af⸗ 
ter⸗ Synode. 

"Der hl. Leo verwendete umfonft fein Anfehen und feine 
Talente, den Kaifer zu bewegen, ein allgemeines Concilium 
nad) Italien zu berufen, mo die Cadıe Flavian's und Eu⸗ 


‚tycheg unterſucht werden ſollte; Theodos antwortete: er 


habe ein Concil zu Epheſus halten laſſen, wo Alles ſchon 
unferfücht worden fen; eg fey unnuͤtz, ja felbft unmöglich, 
eine ſchon abgeurtheilte Sache noch einmal vorzunehmen. 
Marcian, Theodoſen's Nachfolger, (J. 450) hegte 
beſſere Geſinnungen, weil Pulcheria, die mit ihrer Hand 
ihm auch den Purpur gegeben hatte, mit hoher Achtung 
gegen den hi. Bifchof von Rom erfüllt war. Die verbanns 
ten Bifchsfe wurden zuruͤckgerufen, Eutyches aus Con⸗ 
fkantinopel verwiefen, und der Fatholifche Lehrbegriff in 


ı)L. Evagoras_L. 8, C. 11. Conc. Chalced. Ari. 4. 


502 Euthches. 


Syrien und dem ganzen Oriente ohne Beſchraͤnkung q gepre⸗ 
diget. Der Brief Des hl. Leo, noch vor Eroͤffnung der 
Epheſiniſchen Raͤuber⸗ Synode an den hl. Flav ian uͤber 
die Menſchwerdung geſchrieben, worin der allgemeine Vater 
der Gläubigen- Die entgegengeſctzten Irrthuͤmer des- Neflos 
eius und Eutyches widerlegt, und dad Geheimniß der 
Menfhwerdung Des ewigen Wortes aus dem Evans 
gelium und der Lehre der Apoftel mit entſchoͤpfender Gruͤnd⸗ 
lichkeit darthuf, wurde im Morgen s und Abendlande vers 
breitet, und mit Ehrfurcht aufgenommen. In Gallien vers 
ehrte man ihn, nach Tilemont’s Berichte, wie ein Glau⸗ 
bens⸗ Symbol Über die Menfchwerdung ; Ale, melde big 
daher über dieſes Geheimniß noch gründlicher Belehrung er+ 
mangelten, fahen ihn ale eine Leuchte an, die alle Dunkel 


‚beiten erhellte ; man las ihn oͤffentlich in den Kirchen vor, 


verbreitete eine Menge Abfchriften,. Manche lernten ihn ſo⸗ 
gar auswendig. 

Da indeſſen der hi. Leo, um die Wunder der Kirche 
von Grund aus zu heilen, fortwaͤhrend auf ein oͤkumeniſches 
Concilium beſtand, ließ Marcian ein ſolches nah Nicaͤa 
ausſchreiben, mit dem Verſprechen: in eigener Perſon ſich 
dabei einzufinden. Allein, die in Illyrien ausgebrochenen 
Unruhen geſtatteten dem Kaiſer nicht, ſich von Conſtanti⸗ 
nopel zu entfernen, und der Verſammlungs⸗Ort des Con⸗ 
cil's wurde nach Chalcedon verlegt, welches von der 
Hauptſtadt bloß durch den Bosphorus getrennt war. 
Wirklich kamen die Biſchoͤfe gegen Ende Septembers des 
Jahres 451 daſelbſt an, und zwar in großer Zahl: denn 
man zaͤhlt gewoͤhnlich deren, außer den paͤbſtlichen Legaten, 
gegen ſechs hundert und dreißig. Dieſes Concilium, unter 
dem Namen des vierten Allgemeinen bekannt, wurde in 
der großen St. Euphemien⸗Kirche, in Gegenwart den vor⸗ 
nehmſten faiferlichen Staats s Beamten, und unter dem 
Vorſitze der päbftlichen Legaten, am Sten Dftober eröffnet. 
Alles, was zu Epheſus befchloffen worden war, murde 
als nichtig verworfen, alle entfeßten Bifchdfe wurden ihren 
Kirchen wieder gegeben, Dioscorus verbannt, der 
fm Drte feiner Verbannung zu Gangres in Paplagonien, 








e 


} 


Eutyches. 503 


454, ohne die Irrthuͤmer des Eutyches widerrufen zu 
haben, ſtarb. 


Endlich verfaßten die zu Chal cedon verſammelten 
Vaͤter eine Glaubensformel, die Menſchwerdung betreffend, 
folgenden Inhalts: „Wir erklaͤren einſtimmig, daß man 
„rekennen muͤſſe, einen und denſelben Jeſus Chriſtus, 
„unſern Herrn, vollkommen in der Gottheit, und vollkommen 
„in der Menſchheit, beſtehend aus einer vernuͤnftigen 
„Seele, und ejnem Leibe; gleiches Weſens mit dem Va⸗ 
„ter nach der Gottheit, und gleiches Weſens mit uns nach 
„der Menſchheit; in Allem uns gleich, . die Ende augges 
„mommen; erzeugt von dem Water von Emigfeit nach der 
„Gottheit, und in der Zeiten «- Fülle,geboren von Marta, 
‚rer Jungfrau, Mutter Gottes nach der Menfchheit, für 
„uns und zu unferem Seile, denfelben und einzigen $ es 
„ſus Chriftug, einigen Sohn, Herrn in zwei Nas 
„turen, ohne DVermifchung, ohne Weränderung, ohne 
„Theilung, ohne Trennung, ohne daß die Vereinigung Den 
‚‚Anterfchied der Naturen aufhebt; im Gegentheile das Eis 
„‚genthümliche einer jeden erhält, und fich vereinigt in eis 
‚mer Paar und in einer Hypoſtaſe, fo daß er nicht ges 
—e— iſt in zwei Perſonen, ſondern da iſt 
„ein einziger und derſelbe einige Sohn, Sort, Wort, unfer 
„Herr Jeſus Chriftu 8. 

Diefe Formel enspält nebft dem bie Genehmhaltung 
der Symbole von Nicaͤa und Conſtantinopel, die Sys 
nodal s Schreiben des bi. Eyrillus an Neftoriug und 
die Drientalen, und des Briefes des HI. Leoz alle 
diefe wurden einmüthig angenommen. . | 


Auf folche Weiſe lehrte die Kirche: dag in Jeſus. 
Chriſtus nur eine Perfon fey, gegen Neſtorius, und 
daß er zwei Naturen habe, gegen Eutyches. 


Nach Beendigung des Conciliums von Ehalcedon 
am 1iften November 451, verorbnete Marcian, daß jes 
dermann die Befchläffe des Concils zu befolgen habe, wels 
chen Befehl er durch ein zweites Edikt erneuerte und bes 
yättigte; auch erging ein fehr ſtrenges Geſetz gegen die Ans 


504 Eutyches. Eutychianer. 


haͤnger des Eutyches, und die Moͤnche, welche faſt allein 
Schuld an allen Berwirrungen hatten. | 

Dieſes Coneil beftättigte Alles, was das Conſtant i⸗ 
nopolitanifche gegen Eutyches verhängt hatte, und 
tiefer Reber» Häuptling entfegt, aus feinem Klofter vertries 
ben, und geächtet, vertheidigte noch eine Weile feinen Irr⸗ 
thum, bie er endlich in die Wergeffenheit und das Dunkel 
zuruͤckſank, woraus er ohne feine fanatiſche Wuth nie ges 
freten wäre. Die Gefchichte thut feit 454 Feine Erwähnung 
mehr von ihm. Tod oder verfchollen fand er doch noch Ans 
bänger, die neue Unruhen ſtifteten. Wir werden bievon 
unter dem Namen Eutychianer reden. 1). 


Eutychtanismus. Irrlehre des Eutyches, wels 
che darin beſtand, daß in Jeſus Chriſtus nicht zwei 
Naturen, ſondern die menſchliche Natur von der goͤttlichen 
verſchlungen ſey. (Sieh vorigen Art.) 


Eutychianer. Anhänger der Irrlehre des Eut y⸗ 
ches. Das Concilium von Chalcedon ſtellte den Frie⸗ 
den der Kirche nicht fo dauerhaft her, dag nicht noch Arts 
hänger des Eutyches übrig geblichen wären, melde in 
Palaͤſtina große Unruhen und Verwirrung anrichteten. 

Ein Minh, Namens Theodofius, welder dem 
Soncilium von Ehalced on. beigewohnt hatte, wollte ſich 
deſſen Ausſpruͤchen nicht unterwerfen, und zog noch einige 
andere Mönche, zur Theilnahme an feine Widerfeglichkeit, 
mit denen er Paldftina gegen das Concilium aufwiegelte. 

Theodofius und feine Anhänger fprengten aus: dag 
Goncilium babe Verrath an der Wahrheit. begangen, indem 
es bie gottloſe Lehre des Neftortug genehmige, fie in der 
Kirche wieder einführe, und den Glauben von Nicda vers 
letze: eg made zur Pflicht, durch Aufftellung des Glaubens 
an zwei Daturen in Jeſus zwei Söhne, zwei Chriſtus, 
und zwei Perſonen anzubeten. Um dieſen Verlaͤumdungen 
Eingang zu verſchaffen, ſchmie dete Theodoſins zwei fal⸗ 





2) Tillemont T. 15, p. 71. 


— 








Eurychianer. 505 


ſche Conciliar⸗Akten worin ſeine Sehauptung gegen das 
Concilium zu leſen war. 


Eudoxia, Wittwe des Kaiſers Theodoſius II., 
hatte ihren Auffenthalt in Palaͤſtina genommen, intereffitte 
‚fich lebhaft fir den von dem Concilium entfeßten Dioscos 
rug, und blieb der Parthei des Eut yches noch immer ges 
neigt, welcher auch der Kaiſer Theodoſtus big an fein 
Ende zugethan- war. Ste nahm den Mönchen Theodor 
fiug in ihrem Palafte auf, und unterfiigte ihn in feinen 
Entwürfen gegen das Eoncilium: mit ihm verband fich ein 
- Haufe von Mönchen, welcher von der Kaiferinn Wobltha⸗ 
ten lebte. 


Einfaͤltige und ſchlecht unterrichtete Perſonen glaubten 
Theodoſens Verlaͤumdungen, und bald ſah man gang 
Paläftina gegen das Concilium von Ehalcedon im Aufs 
ffante, ımd zur Wertheidigung des meuterifchen Moͤnches 
unter Waffen, der das Aufwallen des Volkes benuͤtzend, 
ſich auf den biſchoͤflichen Stuhl von Jeruſalem ſetzte, von 
welchem er den legitimen Bifchof Juvenalis ſtieß. 


Die neue Wuͤrde fammelte um Theodofius. alles 
Kaubgefindel Palaͤſtinens, und mit dem Beiftande einer fol 
chen Leibwache verfolgte, entfegfe, verbannte der neue Apo⸗ 
fiel alle Bifchöfe, die feine Ausfchweifungen nicht guthießen. 


Ein Schwarm Mönche, in allen Häufern umherziehend, 
kuͤndete an: der Kaiſer wolle ven Neſtorianismus mie 
deraufbringen. Durch dieſe Lift verführt, erregte das Volk 
an ganz Paldftina Aufkände: man. pluͤnderte, und. vers 
brannte die Häufer jener, welche den Glauben von Chalces 
don vertheikigten, und mit Theodoftug in Gemeinfchaft 
su.trefen, verweigerten: e8 war, ale wäre ein Heer von 
Barbaren in diefe Provinz des Neiches eingebrochen.  . 


Der Schandthaten ungeachtet , die Diefer Mond in Pas 
läftina veräbte, waren die Völker von dem falfchen Eifer 
Diefed Betruͤgers doch fo unglaublich) verblendet, daß viele 
Städte aus eigenem ‚Antriebe bei ihm um Siſchoͤfe nach⸗ 
ſuchten. | 


506 Eutychianer. 


Dorothäus, Statthalter von Palaäſtina, der eben 
auf einer friegerifchen Unternehmung in Arabien ſtand, eilte 
auf die Nachricht von dieſen Graͤueln herbei, fand aber Die 
Shore Ferufalem’s auf Befehl der Eudoria vers 
fchloffen, die fi) ihm erſt, nad abgelegtem Berfprechen, 
öffneten: daß er fih der Parthei, welche alle Mönche und 
die Einwohner der Stadt ergriffen haften, anfchließen wolle. 

Der Kaifer Marcian aber legte eine flarfe Befagung 
in die Stadt; vertsieb den Minh Theodoſius, und 
fchaffte Frieden, die bei den Mönchen einquartirten Soldas 
- sen mißhandelten diefe. Die Mönche gaben eine Klagfchrift 
bei der Raiferinn Pulderia ein, worin fie, minder als 
Bittende, denn als Meuterer, und Feinde der Gefeße Gots 
tes und des Staates fich Darthaten. Denn flatt in Flöfterlis 
cher Zuruͤckgezogenheit und als demüthige Schüler der Bi⸗ 
ſchoͤfe zu leben, marfen fie fih zu Herrn und Meiftern der 
Kirche und ihrer Lehre auf, und erfrechten fich fogar, alle 
Schuld an den vorgefallenen Unthafen von fi abzuwaͤlzen. 

Der Kaiſer behandelte dieſe nichtswuͤrdigen Moͤnche 
mit fchonender Milde, ließ das Volk dem Irrthume, wo⸗ 
rein es von ihnen geſtuͤrzt worden, entreißen, und ſtellte 
die Ruhe wieder ber 1). 

In Aegypten entſtand nicht minder große Verwir⸗ 

rung. An die Stelle des entſetzte Dioscorus war der 
bi. Proteriug gewählt werden. War gleich feine Wahl 
ganz nach canonifchen Regeln vor fich gegangen, fo hatte fie 
doch große Unruhen zur Folge. 
Das Bolt von Alerandrien empoͤrte fich gegen die 
Obrigkeit, und da die bewaffnefe Macht den Aufſtand fitls 
len wollte, wurde der Poͤbel wuͤthend, zog gegen bie Sol 
Daten aus, fehlug fie in die Flucht, verfolgte fie bis in die 
‚Kirche des hl. Johannes des Täufers, welche es erſtuͤrm⸗ 
te, und die Befagung lebendig verbrannte 2). 





.3) Concil. T. 4. Leo Ep. 87. Cotelier Monum. Eccles. 


Graec. 
2) Evagr. L. 2,0.5.L. 3. c. 31. Leo Ep. 93. 








Eutychianer. 507 


Marcian verhängte ein ſtrenges Etrafgericht uͤber die 
Alerandriner, und Die Meuterer mußten fich zur Ruhe 
geben: allein bie Einwohner diefer Hauptſtadt beharrten fo 
harnäcig in den Srrthümern des Eutyches, daß der 
Kaifer jene: fcharfen Maagregeln, die er vor drei Jahren 


- gegen diefe Secte hatte ergehen laſſen ‚om lten Auguſt 


455 erneuerte. 


Dieſe Geſetze brachten indeß die Anhaͤnger des Dios⸗ 


corus nicht auf andere Geſinnungen: dieſer mit allen Ver⸗ 
brechen befleckte Biſchof war von ſeiner Parthei waͤhrend 
ſeines Lebens angebetet, und ward nach ſeinem Tode: alg 
ein großer Heiliger verehrt 1). 

Der Kaifer beftand ingwifchen auf die Annahme des 
Conciliumss von: Chalcedon, und Alles ſchien ſich ihm 
unterworfen zu haben. 

Timotheus, mit dem Beinamen Eburus fammt 
vier oder fuͤnf Biſchoͤfen und einer kleinen Anzahl 
Apollinariſten und Eutychianer blieben der Parthei 
des Dioscorus noch getreu. Dieſe Schismatiker, von 
Der Kirche verdammt und von Marcian geächtet, reiz⸗ 
fen nach dieſes Kaiferd Tode das Volt von Aleranpdrien 
zum abermaligen Aufſtande. Eluru® hieß den hl. Pros 
terius meucheln, fich zum Patriarchen ernennen, weihte 
Driefter,, erfüllte Aegypten mit. Gewaltthaͤtigkeiten, gewann 
den Patrisier Afpar, und erbielt fih fo eine Zeitlang 2). 

Endlich oͤffnete der hl. Gennadius Dem Kaifer Leo 
J., der auf Marcian folgte, die Augen, erwirkte ein 


Edict gegen Elurus, der aus Alexandrien vertrieben, 


nach Gangres verwieſen, dann in den Cherſones 
abgeführt wurde, weil er auch zu Gangres ſchismatiſche 
Zuſammkuͤnfte gehalten hatte. 

Nach Leo's J. Tode fam Elurus aus der Verban⸗ 
zung gzuruͤck, und drang bei dem Kaifer Zeno, wiewohi 





-DEvagr. L. 2, C. 5. L. 3, C.-3r, Leo Ep.. 93 
2) Cotelier Monum. Eccles. Grace. T. 5. Baluz. Apend. 


Cone. P. 4. P. 894. 


3 


. 508 Eutmchianer. 


umfonft, auf Einberufung eines Conciliums ‚ um jenes von 
Ealcedon zn verurtheilen. 


Baſiliskus, der Zeno enthronte, und ſich des Yun 
purs bemächtigte, war dem Elurug günftiger: durch ein 
Edift ward Alles zu Chalcedon Verhandelte für ungültig 
erklärt, und dag Unathema gegen den Brief des hl. Leo 
zu fprechen verordnet: wer immer den Gehorfam verfagte, 
litt Verbannung, Entfegung und Verfolgung; mehr ale fuͤnf⸗ 
hundert Perfonen unterfchrieben die Verwerfung des Cons 
cilium's von Chalcedon 1). 


Acacius, Patriarch) von Conſtantinopel fehte fich 
der. Verfolgung entgegen, die Einwohner wurden rührig, 
und drohten Confiantinopel anzuzünden, wenn ihrem 
Partriarchen ein Leid gefchähe. Bafiliug, eingefchüchtert, 
widerrief fein Edift, fette durch ein anderes die vertriebes 
nen oder verbannten Biſchoͤfe wieder ein, und verdammte 
Neftorins und Eutyches. 


Baſiliskus blieb nicht lange an der Negierung. Nach 
wieder beftiegenem Throne vernichtete Zeno Alles, was uns 
ter dem vorigen Kaifer geſchehen war, und die Unruhen 
begannen von Neuem. Jede Parthei feste Biftöfe ab und 
ein, und die angefehenften Stähle wurden die Beute der 
Frechheit, oder die Frucht der Vaͤnke, der Niedertraͤchtiglett, 

und des Meineid's 2) 


Zeno, mit Erbrädung der politifchen Baciionen ind 
dem Dbftande gegen die Feinde des Reich's befchäftigt, wollte 
an den Zwiftigfeiten der Katholifen und Eutychianer 
nicht Parthei nehmen, fondern verfuchte vielmehr, einen 
friedlichen Vergleich zu Fliften. Beide Theile waren haupt⸗ 
fächlich wegen des Conciliums von Chalcedon entzweit. 
Die Eutpihianer vermarfen ed als unregelmäßig, und 
den Irrthum des Neſtorius ernenernd; die Katholiken 
dagegen beftanden unverweigerlich darauf, daß es von Allen 





1) Lab. Conc. T. 5, p. 1081. 
a) Evagr. L.3.C.8 


Eutychiauer. | 509 


unterzeichnet, und ale nothwendig gehen Den Eutogia 
nis mus aufrecht erhalten werden müßte. 


Beide Partheien fchienen demnach zu münfchen: daß die 
Vereinigung der zwei Naturen, ohne ihre WVermifchung ans 
zunehmen, Helehrt würde. Die Katholifen nahmen das 
Concilium von, Chalcedon, als nothwendig zur- Entfers 
nung des Eutyhianismug, in Schuß; die. Eutycht a⸗ 
ner wollten es zur Abhaltung des Neſto rianismug vers 
| worfen wiſſen. | 
Zeno glaubte, wenn er dem Neſtorius und Euty— 
ch es das Anathema ſpraͤche, den Anſpruͤchen jeder Parthei Ge⸗ 
nuͤge zu thun, fo daß alsdann dag Concilium von Chalces 
don den Katholiken nicht mehr nothwendig erfcheinen, und fie 
‚folglich. geneigt würden, die Unterdrückung deffelben fich ges 
fallen zu laffen, und durch dDiefes Mittel beide Partheien 
zu vereinigen. Dieſes verfuchte er in feinem Henotifon 
d. i. Eintgungs-Edikt. Ein Edift, welches feine Irr⸗ 
lehre enthielt PR indem eg den Glauben des Concillum's von 
Chalcedon beflättigte, umd in der That den Nefkorias 
nis,mus und Eutychianismus verdammte 1). 


Zeno's Henotikon ſchaffte keinen Frieden. Von 
einigen, unterfchrieben, ward es durchweg von Eutichia 
nern und Katholiken, als dag Sortfchreiten des Irrthum's 
‚nicht bemmend, verworfen. Diefe wollten von der Noth⸗ 
wendigkeit das Concilium von Chalcedon zu unterzeich⸗ 


nen, nicht abgehen, jene wollten in der Forderung um Vers 


werfung dDeffelben nichts nachgeben, und beſtanden darauf 
bei dem Kaiſer 2). 


Der Kaiſer befahl die Annahme feines Edikts, und 
entſetzte viele Metropoliten und. Biſchoͤfe , die ihre Unter⸗ 
ſchrift verweigerten 3). 

Nun entſtanden drei Parkheien, die gegeneinander ſehr 
ereifen waren,. als. Anaſtaſius dem sene auf dem . 





1) Evagr. L. 2. c 10. Leo Byzant. act. 5. 6. 
2) Cone. T. 4. | 
3) Ibidem. 


Ketzer-Lexikon. 1. 33 





510 | Eutrtyhchianer. 


Throne folgte. Um ſie zu beſchwichtigen, beſtrafte dieſer 
ſowohl jene, welche da, wo das Coͤncilium von Chalce⸗⸗ 
don noch) feine Aufnahme gefunden hatte, folches angenoms 
men wiffen wollten, ale jene, welche es verwarfen, und feine 
Annerfennung als unndthig erklärten 1). 

Anaftafiug gehörte daher zur dritten Parthei, die 
man bie unſchluͤßigen nannte. 

Von diefen drei maͤchtigen Partheien im Reiche wollte 
eine jede die beiden andern niederdruͤcken. Anaſtaſius, 
von Furchtbaren Feinden umringt, behandelte alle drei, bes 
fonders die Katholiken, deren Eifer er (heute, mit Glimpf: 
aber die Beforsniß ging bald in Haß über, und nach geens 
digtem Perfers Kriege erflärte er fich unverholener zu Guns 
fien der Eutychianer: feine Leibwache, und alle, die er 
der Anhänglichfeit an das Koncilium von Chalcedon vers 
vächtigte, mußten das Einigungss Edift des Kaiſers 
Zeno annehmen, und alle Beamten wurden aus den Eus 
tychianern gewählt. 

Macedonius, Patriarch von Conftantinopel, firebte 
aug allen Kräften den Abfichten des Kaifers entgegen: das 
Volk betefe feinen Bifchof an; der Kaifer glaubte feine 
Sicherheit in der Hauptſtadt gefährdet, lief Macedoniug 
enffernen, eften gewiffen Timotheus an feine Gtelfe 
feßen, die eifrigften Anhänger des Patrtiarchen verbannen, 
und die Aften des Concilium's von Chalcedon in's Feuer 
werfen. 

Wenn der Prieſtet zur Entkichtung des hl. Opfers den 

Altar befrat, fang das Volk nach Brauch der morgenlaͤn⸗ 
difchen Kirche: Heiliger Bott, ſtarker Gott, um 
ſterblicher Gott! welches man dag Trishagion (drei⸗ 
mal heilig ) nannte. 

- Peter Gnapheus, genannt Fullo, ein Euty chia— 
ner, der ſich auf den Patriarchen⸗ Stuhl von Antiochien 


eingedrungen hatte, fügte dem Tris hagion die Worte bei: 
. er 


ı) Evagr. L. 3, C. 30. 





Eutychianer. 511 


„der Du fir ung. bift gefreugiget worden, er 
„barme Did unſer“. 

Diefer Zufaß, der eine gute Bereutung haben konnte, 
mißfiel den Katholiken, welche der Meinung waren: er ents 
halte die Lehre der theopaschitiſchen Eutpchianer, 
welche vorgaben, bie Gottheit habe gelitten. 0 

Spimothens hatte nicht fohald den Stuhl von Con 
Kantinopel beftiegen, alg er befahl: das Trishagion 
mit dem befagten Zufage zu fingen. Diefe Neuerung mißs 


‚ fiel zwar den Gläubigen zu Eonftanfinopel, jedoch) lie« 


Ben fie ſich es, aus Furcht, den Kaiſer vor den Kopf zu 
ſtoßen, gefallen. 

Allein, als eines Tages Moͤnche in die Kirche traten, 
und anſtatt jenes Zuſatzes einen Vers aus dem Pſalter ab⸗ 
ſangen, rief das Volk ſogleich: "Die Orthodoxen kommen 
eben recht und alle Anhaͤnger des Concclium's von Chal⸗ 
cedon fangen mit den Mönchen den Vers des Pfalmen.. 
Die Eutychianer nahmen diefeg übel auf; der Gottes⸗ 
dienft ward unterbrochen, und fchon fin der Kirche wurde 
man bandgemein; Faum aber hatte das Wolf diefe verlaffen, 
als es zu den Waffen griff, Mord und Feuer über die Stadt 


‘ - verbreitete, und fich nicht eher zur Ruhe gab, ale bis es 


über zehn taufend Meenfchen feiner Wuth zum Opfer 96 
bracht hatte. 1). 


Nach diefem Aufruhre dachte nun Anaftafiug eruſ— 
licher als je, an Unterdruͤckung einer ſo furchtbaren Parthei, 
und beſchloß, das Concilium von Chalcedon verdammen 
zu laſſen: er bot Alles auf, zum Ziele zu gelangen; er ſchmei⸗ 
chelte, drohte, verfolgte, und vermochte endlich viele Bi⸗ 
ſchoͤfe zur bezielten Verwerfung. Nachdem er durch. dieſe 
Mittel ſich ihrer verſichert hatte, berief er eine Verſamm⸗ 
lung von SO Biſchoͤfen nah Sidon in Palaͤſtina (3. 
511.) welche das Concil von Chalcedon verdammten, und 


das Henotikon unterſchrieben, mit Ausnahme des Patri⸗ 





ı) Evagr. L. 5. C. 35, Vita Theodos. 
33 * 





512 Eutychianer. 


archen Flavian von Antiochien, und noch eines Bi⸗ 

ſchof's, welche den Beſchluß verwarfen, und entſetzt wurden. 

Flavian wich indeſſen nicht von Antiochien; man 
- fandte Mönche, um ihm die Unterfchrift des Concil's von 
Sidon, — felbft mit Gewalt — abzundthigen; orthodore 
Moͤnche eilten zum Beiftande Flavian’s herbei, zu dieſen 
ſchlug ſich Das Wolf, vertheidigte feinen Bifchof, fiel über 
die eut ychianiſchen Moͤnche her, und richtete unter ihnen 
ein ſchreckliches Blutbad an. 1).- 

Der Kaifer, deffen Umgebung lediglich aus Eutychias 
nern beſtand, vertrieb Flavian, und fehte Severus, 
einen heftigen und berühmten Eutychianer, auf Antios 
chien's Stuhl; unter diefem Eingedrungenen wurden die 
Katholiſchen im ganzen: ergbisthümlichen Sprengel verfolgt. 

Während dem Anaſtaſtus fein ganzes Anſehen aufs 
bot, die Katholiken zur Verwerfung des Conci’8 von Chal⸗ 
cedon zu zwingen, warf ſich einer ſeiner Heerfuͤhrer zum 
Beſchuͤtzer der Katholiken auf. Vitalian, fo hieß er, hatte 
in drei Tagen ein furchtbares Heer auf den Beinen, be⸗ 
maͤchtigte ſich auf Verweigerung des Kaiſers, die von ihm 
vertriebenen Biſchoͤfe der Katholiſchen auf ihre Stuͤhle wie⸗ 
der einzuſetzen, Moͤſtens und Thraziens, ſchlug die 
kaiſerlichen Truppen, und rückte „mit ſiegendem Heere vor 
Conſtantinopel's Mauern. 

Anaſtaſius ſaͤnftigte Vitalian mit einer großen 
Geldfumme, verſprach Die verbannten Biſchoͤfe zuruͤckzuru⸗ 
fen, und in einem Concil die Religions s Zwifte beilegen zu 
laſſen, worauf Vitalian von Eonflantinppel abzog, 
und fein Heer verabfchiedete. 

Eine Zeit lang gab der Kaifer Hoffnung zw, Erfüllung 
feiner Verheißungen, beftrebte fih, die Volks s Neigung zu 
gewinnen, erhob Vitalian zu Ehrenſtellen, und als er 
von dieſem nichts mehr zu befahren. zu haben glaubte, erneus 
erte er die Berfuche, das Anfehen des Concil's von Chalces 
don zu vernichten, ſiarb aber, ohne zum Ziele zu kommen. 2). 


ı) Ibidem. 
3) Ibidem. 


4‘ 


Eufychianer. ' _ 513 


Juſtin, Präfeftus Pretorio, ward von dem Heere 
Anaftafius zum Nachfolger gegeben. Der neue Kaifer . 
ftieß die Eutychianer von den bifchäflichen Stühlen, auf 
die fie fich eingedrungen haften, ſetzte die Rechtglaͤubigen 
wieder ein, und befahl die Anhahme des Concil's von Chal⸗ 
cedon im ganzen Reiche. Die Fatholifchen Bifchöfe beeis 
ferten fih, die Wunden, der Kirche zu heilen, man hielt 
Verfammlungen, und ſetzte die Eutychianer ab, ſie 
wurden vertrieben, verbannt, beſtraft, gerade wie es den 
Katholiken unter An aſt aſius ergangen war. 


Juſtinian, ſeines Oheim's, Juſtin, Nachfolger, 
erklaͤrte ſich fuͤr die Rechtglaͤubigen; die Kaiſerinn dagegen 
beguͤnſtigte die Eutychtaner, und brachte es bei dem Kai⸗ 
ſer dahin: daß Unterredungen angeſtellt wurden, wodurch, 
ſo viel moͤglich, beide Partheien vereiniget werden ſollten, 
welches aber fehlſchlug, und ein weiteres aͤußerſt ſtrenges 
Geſetz gegen die Eutychianer zur Folge’ hatte, die von 
nun an hloß noch geduldet wurden. 


Inzwiſchen waren dieſe noch ſehr zahlreich. Seberus, 
der unter Anaftafius Patriarch von Antiochien gewe— 
fen war, hatte daſelbſt die Eutychianer, oder Akepha⸗ 
len, Hauptloſe, weil ſie ohne Haͤuptling waren, welche das 
Concil von Chalcedon verwarfen, vermehrt: er hatte 
den Jakob Barodaeus oder Zanzalus auf den biſchoͤf⸗ 
lichen Stuhl von Edeffa erhoben, der von den römifchen 
Kaifern, vertrieben, ſich in dag perfifche Gebiet zuruͤckzog, ganz 
Orient durchwanderte, Prieſter weihte, Biſchoͤfe einſetzte, 

. und die Secte der Jacobiten ſtiftete. Severus, aus 
Antiochien vertrieben, und gezwungen, ſich verborgen zu 
halten, ordnete von feiner Zufluchts⸗ Stätte aus Ser⸗ 
gius zu feinem Nachfolger, und die Eutychianer hafs 
ten ſtaͤts insgeheim einen Patriarchen von, Antiochien. 


Endlich, nach dem Tode Theodofen’s, Patriarch von 
Alerandrien, den ver Kaifer exilirt hatte, weihfen drei 
eutychianifche Bilchsfe, die in den Steppen Aegyptens 

verftecht waren, den Peter Zejagesan feine Stelle, und 


514 Cutychianer. 


pflanzten ſo, ganz im Stillen, ihre Patriarchen biszu An— 
fang des ſiebenten Jahrhunderts fort. 

Neue theologiſche Zaͤnkereien erhoben ſich unter den 
aͤgyptiſchen Moͤnchen über die Lehre des Origines. Ju⸗ 


ſtinian, ſei es Gewohnheit oder Neigung, miſchte ſich da⸗ 


rein, und gab ein Edikt gegen den Lehrbegriff des Orige⸗ 
nes: feine Anhänger, welche eigentlich dem Eoncilium von 
Chalcedon entgegen waren, das die Feinde des Driges 
nes in Schutz nahm, überredeten den Kaifer: daß, wenn 
er den Theodor von Mopsveſtia, Theodoret und 
Ibas, eben fo wie den Drigenes verdammte, alle Eut y⸗ 
hianer fich mit der Kirche verföhnen würden, welche dag 
Concilium von Chalcedon nur deßhalb verwürfen, weil 
es die Schriften diefer drei Bifchdfe gutgeheißen babe. 


Suftinian, dem nichts licher war, als verbammen, 
erließ gegen dieſe drei, wenn gleich verftorbenen Biſchoͤſe, 
ein Edikt. 

Dieſes Edikt veranlaßte einen langwierigen Streit, in⸗ 
dem man glaubte, es werde dadurch dem Anſehen des Con⸗ 
cilium’8 von Chalcedon zu nahe getreten: eine neue Kir⸗ 
chen Berfammlung wurde erfoderf,, dieſe Angelegenheit zu 
beendigen; und dieſes geſchah in dem Sten allgemeinen Con⸗ 
cilium der Kirche und dem zweiten allgemeinen von Con ſtan⸗ 
tinopel im Jahre 553. 


Auf dieſer Kirchen» Verfammlung wurden die Schriften _ 


des Theodor von Mopgveftia, der Brief des Ibas 
on Marig, den Perſer, und dag Werk Theodoret’g 
gegen die zwölf Anathematismen des bi. Eyrils 
lus, alle drei befannt unfer dem Namen der drei Kapis 
tel, verdammt. 


Auftinian, der auf Anfliften des Theodor von 


Cäfarea, welcher im Herzen Eutychianer war, die 
dret Kapztel verworfen hatte, fiel enplich felbft in den 
Eutychia niſchen Irrthum der SIncoruptibeln, wel 
. he behaupteten: Jeſus Chriftus habe einen unnerleglis 
chen Keib, der den Gebrechlichkeiten der menfchlichen Natur 
nicht unterworfen fey, angenommen. 


9 


Eutychianer. | 515. 


- Um diefem Irrthume Eingang zu berfchaffen, wendete 
er Alle jeng Mittel an,:deren er fi, um die Annahme des 
Concillums von Chalcedon zu erzwingen, bedient hatte: 
allein der Tod vereitelte feine Entwürfe. 1). 


Die Eutychianer twurden demnach zu Ende ber Res 
gierung Juftinian’s und unter feinen Nachfolgern etwas 
mehr begünftigef, melche fie mit den Zatholifen aus zuſoͤhnen 
ſtrebten: allein dieſe Ausgleichungs-Verſuche, erzeugten 
eine nee: Ketzerei, welche man für eine Sproſſe des Eu⸗ 
tychia dismus anfehen faun, fie fegte alle Köpfe in Ber 
mwegung, und fie ifE der Monotheismus. 


Der Eutychianismus ſchien in allen Prodinzen des 


roͤmiſchen Reiches gänzlich erlofchen, als er durch die Eros 


derungen der Sarazenen im Morgenlande und Aegypten 
wieder neu auflebte, von wo aus er fih nach) Armenien 
und Abyſſinten zog. | 

(Man fehe die Art. Cophten, Zacobiten, Ar⸗ 
menier, Abyffinier.) - 


Die Eutyihianer warfen mitten unfer den Bedraͤng⸗ 
niſſen, worein ſie das Reich verſetzten, tauſend kleinliche 
Fragen auf, ſpalteten ſich uͤber deren Beantwortung, und 
verfolgten einander auf das Grauſamſte. Hieher gehoͤrt die 
Frage von der Unverleglichkeit des Leibes Jeſu vor feiner 
Auferfiehung: (das Volf von Alerandrien empoͤrte ſich 
‚gegen feinen Bifchof, welcher fie bejahet hatte). Die Ake⸗ 

phaler, welche zwei Naturen in Jeſus annahmen, aber 
das Condilium von Chalcedon nicht unterfchreiben wollten ; 
die Theopaschiten, welche glaubten: die Gottheit fen ger 


-  Freuzigt worden, und Peter. Fullo zum Haupte hatten. 


(Sieh Nicephorus Hist. eccles L. 18, C. 5% Le- 
ontius de Sectis Eutych.) 

Der Eutyihlanigmug wurde widerlegt ı von Theos 
doret, Biſchof von Cyrus in 27 Büchern, wovon man 


— 


1) Evagr. L. 4, C. 359, 40, 4ı, Baron. ad ann. 
563, Fasi, ad ann. 5653. 


—8 - 


- 


516 Euthchianer. . 


in der Bibliothek des Photius (Cod. 46.) elllen Aus⸗ 
zug findet, und in 3 Geſpraͤchen, betitelt: der Ungerdy 
Derliche, der Unvermifchte, der keidensunfähige; 
von Gelafiug in einem Buche: von den zwei Natıw. 
ren; von Vigiliug, der fünf Bücher gegen Neftorius 
und Eutyhes fchrieb, von Märentiug, Ferrand und 
vielen Andern, welche Leontius in feinem Werke gegen 
die Eutychianer ı2.d Neftortaner anführf. 


(Sich die Sammlung von Canifius, Ausgabe 
des Basnage, und die Bibliothet des Photius Cod. 
29, 30.) 


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