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— —— —
— — — ———————— —— ——————
nu
EA
Keser— Lexicon,
oder:
Leſcichtlide Darſtellung
der
Irrlehren, Spaltungen und ſonderbaren Mei-
BERN im Chriſtenthume,
vom
— beReiben bis auf unfere —
in
alphabetiſcher Ordnung.
Aus dem Franzſiſchen Uberfetzt,
vielfach verbeſſert und ſehr vermehrt
von
Peter Frittz,
Pfarrer zu Hergolshauſen, im Unter⸗NMainkreiſe.
Pe at
X
In Brei en. — —
— Im — x v4
x | Wh
N
Zweiter Band.
Erfte Abeheilung
A —E.
Waͤrzburg,
in der Eilinger’ (den Buße und Runtpentiuns.
1828,
we APR 7 1961
a Bambers,
gedruckt mit Reindl’iben Schriften.
Inh alt
des zweiten Bandes erſe Abtheilung.
4 nmerkung: Die ı mit + bezeichneten Artikel find vermehrt oder
umsearbeitet, und die mit * bezeichneten find nen.
Irrlehre. Sabıh. ©. , rrlehre. Jabrh. S.
A. Aphtradoketen.. A . 109
Abdlard,
on» 1% 1Apochariten... 3.10
Abredair . . . 16 . 13 |Apollinarid » x»... .1409
KHbeloniten.. . . - — » 14 |Rpollinanfien. . -. —'.ı1n
Abyflinier. e 0 [} v 5. » 14 Apophaniten .. 0 ® 3 0 111
Halbert. . x... & . 3 ee 0» 4% .112
Hamit . u. 34 taftden -. » » 2% » 112
Adelphus. 3: Bl Aquaer. 2 2. 2% .183
Yerius o v v vd 4. “ 39 Ara.» v 0 4 . “.. 2 . 113
Aeſchines L } “ “ “ 2% L} 43 Araber . . “ + 3 ® 113
Aetius 4. . 4A iArchontiten - o 2 115.
Agapeten » 2»... & . 4 Ariauismus... 4. . 115
Agarenir . » .» » 7. 44 Armenier..... 6. . 19
Agioniten -. - - » 7 .» 44 | Arminind . . 16. . 209
Adern » . . . 4 „ 45 Arnold von Brescia » 212
Agoniceliten ..2..: — . 47'Ameld von Pilmenve 1a, . 214
Agricola. ...:... 41% „ 47| Arnold v. Montanier — , 217
Agripinianer.. - .- 3» 48] Amoldiken - . » 14 + 97
Aldanefer . -.. . 8, 9) Artemam » . .,.2. . 217
Albigenſer F. .. .. .. 1% . SO |Metatyrieen .. - »" 2% » 218
der.» 2 2 20 2%» HAalAsditten » 0» 2%. 219
Umami. 2»... 13 . 64 | Aslodeugitn. . » 2. . 219
Anabaptiten ... . 16 . 67 |Askophiten . ».» 2% „219
Andromeianee . » 2 „ MijAtholiane „ . » 13. . 219
Anomdanern on 0 A. O1 Audi » 2. 4% .30
Anthiafiften . vo — v 90
Autropomorphitn . 10.. 90
Antidvifpmarianiten „. 4. . 90 B.
Antinemianer. . 16. „ 94 Baeularier 16. < 223
Antiohien » » 0 4. AlBagemius. . . .’17. . 224
Antitaten » » © 2% » 3 Baſanismus16. . 2235
Autitrinitarir Fr. . 16 . 94 |Bardefanes . . . 2. . 250
Appel . . .. 2 2106| Bahilids -. . - . 2% „252
diem .- 2. 2. 2,109 | Bafilidianer - ©» — . 258
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Bernard von Thüs
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Bogomilen ..11.
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Brüder, mährifche,
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I|Enniter . . 0. 14. .402
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. 322 | — — unter Maria — - . 457
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. 325 | — — Seetent. . .— .472
. 326 — — Strardie * . — 476
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. 356 | Eon de l’Etoile , . 1%. . 48
. 361, Epipband . 2% . 482
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367 | Edquinifien .. . 2. . 484
. 370 | Euchiten oder Eutys |
| Him 2. 2.2. 4. . 484
. 373 | Eunomiud.. .. 2... 4 484
Eunpmiane . -» — ,487
. 381 Eungmiveupfochianer — „487
: 385 | Eunuchen oder Wales
. 385 llaner =» 2 2. 3 .48
. 389 | Eunbrated . 2... 2% .40
. 389 ! Eupbronomiauer .. 4 . 492
389 | Euiiatbiud ... % .492
+ 391 | Euftatbianer .. 2... — .49
‘ 392 | Euthches # » .o .o 5. . 493
. 393 Eutochianisnug. 0. 504
„ee S.
394 | Eutochianer .
*
— — — — — —
—
.
Abaͤlard (Peter) geboren zu Palais, in Bretagne,
gegen das Ende des 11kem Jahrhunderts (1079); von eds
Ver Herkufjt,wurde durch feine Lebfchaften, feine Ungluͤcks⸗
fälle, feine liter aͤriſchen Streitigkeiten und ſeine Irrthuͤmer
beruͤhmt.
ſeine Ungluͤcksfaͤlle; wir betrachten bier nur feine Bemuͤhun⸗
gen. um die Vervollkommnung des menfchlichen Geiſtes, vie
Veränderungen, die er in der Art, die Theologie zu bes
handeln, bewirkte, und die Klippen, auf welde er ſtieß.
Seit dem Wieberaufleben der Wiffenfchaften durch Karl
den Großen harte fich die franzoͤſiſche Natton nad) und
nach von des Kechtfchreiblehre zur Grammatik, von da zu
den ſchoͤnen Wiffenfchaften, zur Dichtfunft, Philoſophie, und
Mathematif erhoben, man war gewiffermaßen . dem Wege
gefolgt, welchen Alcuin vorgezeichnet hatte 1).
Die Philoſophie hatte damals nur drei Theile: “die 2 Lo⸗
gik, Ethik und Phyſik: von dieſen drei Theilen war die
Logik beinahe der einzige, den man 1 betrieb, und air die
Methaphyſik in ſich. |
Die Logik war nichts, als die Kunſt: die berſchiedenen
Gegenſtaͤnde unſerer Kenntuiſſe unter gewiſſe Klaſſen zu
—
1) Alchin hatte ſich vorgenommen, die Gelehrſamkeit in
Frankreich wieder emporzubringen, und fing damit an,
die Rechtſchreiblehre zu empfehlen; hierauf verfaßte. er Ab⸗
Handlungen Aber die Grammatik, die Ryetorik, die Dialeftit
und Matpematif, Sieht Vhistoire liter. de Franeß, T. 4.
Keeper: Lerifon. IL _ 1.
Jedermann kennt die Verirrungen ſeines Herjens md
9
⸗
2 0. Abdlard.
bringen , ihnen Namen zu geben und über diefe Benennungen
Schlüffe oder Syllogismen zu machen.
Abaͤlard fiudierte die Dialektik mit vielem Eifer, und
mit Erfolg; er verbefferte jene. des Arifioteles, wurde
das Drafel der Schulen, und erwarb fich einen großen Ruf,
weil damals der Genius der Nation und beinahe des gans
zen Abendlandes auf die Philofophie gerichtet war.
Nachdem. Abaͤlard— in den geiſtlichen Stand getreten
war, widmete er ſich hauptſaͤchlich der Theologe Keime’
Schuͤler baten ihn, den fuͤr die Lehren der Religion aus
der Autoritaͤt entnommenen Beweiſen Erklaͤrungen beizufuͤ⸗
gen, welche dieſe Lehren fuͤr die Vernunft faßlich machten.
Sie ſtellten ihm vor: daß es unnuͤtz ſey, ihnen Worke zu ger
ben, die ſie nicht verſtuͤnden, daß man nichts glauben koͤnne,
ohne es zuvor verſtanden zu haben, und daß es laͤcherlich
ſey, eine Sache zu lehren, wovon weder der Redende, noch.
die Hoͤrenden einen Begriff haͤtten, und fuͤgten bei, daß der
Heiland ſelbſt folche Lehrer wie Blinde, | die andere Blinde
führten, getabelt habe 1).
Dieß war der allgemeine Befhmad d der Nation, wel⸗
cher ſich aber nicht immer in den gehoͤrigen Schranken hielt.
Einige Philoſophen, weil fie einen Eyllogismus machen
fonnten, glaubten berechtigt zu ſeyn, Alles zu prüfen, und
gebieterifch Über Alles zu entſcheiden; fie glaubten mit einem
Syllogismus Alles zu ergründen, die Geheimniſſe felbft zu erhels
len, und hatten das Dogma ber Dreieinigkett angegriffen.
‚ Abälard, durch diefe Betrachtungen, und vieleicht
auch durch eigene. Neigung bewogen, unternahm es, die
Geheimniſſe und Wahrheiten der Religion zu erfiären, fie
durch Vergleichungen anfhaulich zu machen, und die Schwie⸗
rigfeiten der Dialeftifer, welche der Religion zu nahe tras
ten, durch das Anfehen der Philofophen, und die Prinzis
pien der Philoſophie zu beſtreiten. Er behandelte dieſen
— —
u 1) Abälard Ep. 1. C, 5. Operum p. 20.
}
Abaͤlard. 3
Gedenſtand in feiner „Einleitung in bie Theologie’
„und in feiner hriftlihen Theologie” 1),
Die Methode, welche Abaͤlard befolste, war in
Frankreich neu; er zweifelte nicht, daß ſie durch die
Raͤnke von Menſchen, damals unter dem Namen der Cor⸗
nificianer bekannt, würde verſchrieen werden. Dieſe vers
ziehen keinem Manne von Verdienſt die Achtung, in wel⸗
“cher er ſtand, und verkuͤndeten, daß die Wiſſenſchaften und
die Gelehrten Religion und Staat zu Grunde richteten.
Um dem Geſchrei dieſer Menſchen, welche, war allzeit”
veraͤchtlich, doch oft Glauben finden, zuvorzukommen, ſtellte
Abaͤlard als unwiderleglichen Grundſatz auf: daß jede
Kenntniß an ſich nuͤtzlich und gut ſey, daß die Philoſophie,
ſelbſt in der Theologie, von großem Nutzen ſey, wenn man
nur die Wahrheit liebe, und ſie zu verbreiten ſuche. Die
Philofopbie ift der Meligion nicht entgegen ) als nur in dem
- Munde jener Sophiften, welche, befeffen von der Wuth,
fich eitten Namen zu machen, unfähig find, etwas geündlich
zu unterfichen: fie wollen von Allem fprechen , und über
les, was fie fprechen, umerhörte Dinge ſagen: fie ſuchen
in den Gegenftänden nicht das nuͤtzlich Belehrende, fondern
was Staunen oder Lachen erregt. Diefe Sophiſten, oder
vielmehr diefe Hanswurſte der Philofophte legen fich gleichs
wohl den Namen Philoſophen bei, und die Miffenfchafs
ten haben, nad) Abaͤlard, keine gefährlichere Feinde; fie
halten in dee Chat die Forrfchritte des Lichtes auf, und
. geben dem Geſchreie und ben Verlaͤumdungen ber Unwiſſen⸗
beit gegen die Wiffenfdjaften und Philofophte Gewiht
Der wahre Philoſoph erkennt, nach Abälard, die
Wahrheit der Meligion, und firebt ihren Geiſt kennen zu
Jernen; aber wenn er bie Dunkelheit, welche ihre Geheim⸗
nt SEE
4) Die Einleitung in die Zheologi⸗ finder man in de Aus⸗
gabe der Werke Abaälard's durch Amboiſe, und feine
chriſtl. Theologie im ſten Bde, ded Thesaurus Anec-
dotorum des P. Martene.
1*
nn Abla
niffe umhuͤllt, nicht zerſtreuet, ſo denkt er, daß er weder
Alles ſehen, noch Alles begreifen kann, und daß es abge⸗
ſchmackt ift, eine. Glaubenslehre zu vermerfen, weil man fie
nicht begreift, fobald verjenige, welcher, fie ung verfichert,
N
+
weder irren, noch in Irrthum führen kann.
In dieſer Geiſtes⸗Stimmung verfaßte Abaͤlard feine
Theologie, und ſo wollte er ſie geleſen haben ).
Die Theologie kennt, nach ihm, keinen wichtigern Ge⸗
genſtand, als die Dreieinigkeit: die Namen der. drei Per⸗
fonen begreifen das hoͤchſt vollfommene, Mefen in fih. Die .'
Macht "Gottes iſt bezeichnet durch den Namen des Vaters,
die Weisheit durch jenen bes Sohnes, und die Liebe Got
les gegen die Menfchen durch jenen des hl. Geiſtes: drei
Dinge, jagt Abaͤlard, weiche das hoͤchſte Gut, und den
Grund unferer Pflichten in Hinficht Gottes ausmachen. '
Der Unterfchled diefer drei Perfonen iſt geeignet, die
Menſchen zu vermoͤgen, Gott die Ihm ſchuldige Anbetung
zu leiſten: denn zwei Dinge floͤßen uns Ehrerbietung ein,
die Furcht naͤmlich und die Liebe; die Macht und Weisheit
Gottes erregen in uns die Furcht, weil wir wiſſen, dag Er
unfer Richter iſt, der ung ftrafen kann, feine Güte beweget
ung zur Liebe, weil man ſchuldig ift, Denjenigen zu lieben,
ver ung foniele Wohlthaten erwiefen hat 2).
%
Die Dialektiker beftritten hauptfächlich das Dogma der
- Dreteinigfeit ; fohin war auch diefes Geheimniß der, vorzuͤg
jichfte Gegenſtand der Unterſuchung Abaͤlard's. Chriſtus
hat, nach ihm, das Geheimniß der Dreieinigkeit nur ent⸗
icielt; Abaͤlard findet ſolches ſchon in den Propheten
und den alten Philoſophen: es iſt ihm wahrfcheinlih, daß
diefe das Geheimmiß der Menſchwerdung, ſowie jenes ber
Dreieinigfeit getannt haben, und daß Gott ibnen dieſe Ge⸗
heimniſſe zur Belohnung ihrer Tugenden geoffenbart habe.
Von dieſem Gedanken gehet Abaͤlard darauf uͤber, die
ſchoͤnen Eigenſchaften der Philoſophen, die Reinheit ihrer |
1) Theol, Christ, L. 8.
2) Ebendaſelbſt L. J. C. 2.
Abdlard. 5
Sitten, die Vortrefflichkeit ihrer Moral zu loben, und meint,
daß man an ihrer Seligkeit nicht verzweiflen duͤrfe 1).
Von da macht er den Uebergang zu den Schwierigkeiten
der Dialektiker, welche er ziemlich gut loͤſet, indem er die
doppelſinnigen Ausdruͤcke, welche ihre ganze Staͤrke ausma⸗
chen, erklärt; endlich kommt er zu einer der hauptfſaͤchlich⸗
‚ en: die Natur jeder Perfon und ihre Verfchiedenheit, wel;
ches er zu erklären verfucht.
Das Eigenthümliche des Vaters, ſagt Abdlard, ift:
. nicht gezeugt zu feyn ; dag Eigenthuͤmliche des Sohnes: ge;
zeugf, und weder gemacht noch gefchaffen zu ſeyn; das Eis
genrhümliche des Hl. Geiftes: weder gemadit noch gezeugt
zu ſeyn.
Abaͤlard bemerkt, daß es bei den Geſchevfen kein
Beiſpiel gebe, wo man in der naͤmlichen Weſenheit drei
Perſonen finde; daher koͤnne man nur durch Analogien oder
Vergleichungen es begreifen; muͤſſe aber in dieſen Verglei⸗
chungen keine vollkommene Aehnlichkeit finden wollen.
Um das Geheimniß der Dreieinigkeit begreiflich zu ma⸗
chen, gebraucht er das Beiſpiel eines Pettſchafts, welches
aus dem Stoffe und der darauf eingegrabenen Figur zuſam⸗
mengeſetzt iſt: das Pettſchaft iſt weder der Stoff allein,
noch die Figur allein, ſondern ein von beiden zuſammenge⸗
ſctztes Ganzes, und doch if das Pettſchaft nichts anders,
als der .mit einer ſolchen Figur begeichnete Stoff ohngeach⸗
tet der "Stoff die Figure nicht if. .
Er unterfcheidet dag Ausgehen des hl. Geiftes von der
Zeugung des Wortes in dDiefem, daß das Wort, als fie
Weisheit, Theil hat an der Macht des Vaters, weil die,
Meisheit eine Art von- Macht ift, nemlich, Pie Macht Das
Gute von dem Bofen zu unterfceiden, und zu beflimmen,
was gefchehen und nicht gefchehen muß 2).
ı) Theel. Christ Lv C.2.. —
" 3) Introduct, ad Theol. L. 1. Theol, Christ. L. 4.
1:
6 \ | Abalard.
Der bt. Geiſt, bezeichnet mit dem Namen der giebe,
welche Feine Macht ift, iſt eigentlich zu reden, die Wefens
heit des Waters nicht, wenn gleich derfelbe doch von der
nemlichen Wefenheit mit Ihm ift,
Abaͤlard erffärt weiter die gleiche Ewigkeit der drei
Perfonen durch das Beiſpiel des Sonnenlichtes, welches in
dem nemlichen Augenblicke wie die Sonne, vorhanden ff 1).
Nachdem er das Dogma der Dreieinigfeit dargeſtellt
und erklärt hat. umnferfucht ee die Macht Gottes, und ob
Er etwas andered machen könne, als mag Er gemacht hat,
Er fühlt die ganze Schwere der Frage, Um fie aufzuloͤ⸗
fen, unterfucht er die Grundurfache und Ordnung der goͤtt⸗
lichen Rathſchluͤſſe. Er febt voraus, Daß Die Weisheit und
Güte des hoͤchſten Weſens feine Macht leiteten; hiernach
fchließt er: daß Alles, mag Gott hervorgebracht haf, Ihm
von feiner ‚Weisheit und Güte ſey vorgefchrieben worden.
Wenn es efmag Gutes. gebe, das Er nicht gemacht hat, fo
habe feine Weisheit Ihm folches nicht geſtattet. Nierpon
macht er den meitern Schluß, daß Gott nur das machen
konnte, was Er gemacht hat, und dag Er dasfelbe nicht uns
terlaffen konnte 2). |
Dieß find. die zwei vornehmſten theologifchen Werke
Abaͤlard's. Nebſtdem verfertigte er Erklärungen über das _
Gebet deg Herrn, das apoftolifche Symbolum, und jenes
des Hl. Athanaſius, und über einige Stellen der Schrift:
J ferner ſchrieb er ein Buch, weiches er: das Ja und
Nein, befitelte, und das entgegengefegte Stellen aus des
hl Schrift über verſchiedene Materien ‚enthält 3).
Endlich verfaßte er einen Commentar uͤber den Brief
des hl. Paulus an die Roͤmer: dieſer Commentar iſt nur
1) Introduot. ad Theol L. 1. Theol. Christ... .
2) Theol. Christ. L, 5. Introduct. ad Theol. L.3.
3) Diefes Werk befindet ſich -in der Sidliothet von St. Ger-
maın in Manuſcript.
| aAbalarrd. 7
eine buchſtaͤbliche Auslegung dieſes Briefes, und Abaͤlard
will bloß den Sufanmenpang | des Vortrags Diefeg apoſtels |
zeigen 1)., —8
Die in den Bariften Abälard’ ° entpaftenen
Irrthümer.
Die theölogifchen- Werfe Abdlard’g wurden mit gro⸗
ßem Beifalle aufgenommen. In der That enthielten fie fehr
gute Sachen, ausgedehntere und erhabnere Anſichten, als
man bei den Theologen dieſes Jahrhunderts findet; allein
man fand auch darin ungewoͤhnliche Ausdruͤcke, außerordent⸗
liche Meinungen, Vergleichungen, die gemißbraucht werden |
konnten, umd felbft wirkliche Irrthuͤmer.
Zwei Theologen von Kheims, Alberich und gu
dolph, eiferſuͤchtig auf den Ruhm Abaͤlhard's, richteten
ihr Augenmert nur auf jene Stellen feiner Werke, ſahen
darinn ungeheuere Irrthuͤmer, und belangteen Abaͤllard
vor dem Erzbifchöfe von Rheims. Man hielt ein Concis
lium zu So iſſons, vor welches Abälard gerufen wurde. '
Das Volk, aufgemwiegelt duch Alberich und Eudolph,
lief Haufenweiſe zufammen, um. Ubälard zu befchimpfen,
und fhrie: man müffe Diefen Ketzer zernichten, ver drei.
Götter lehre. Sichtbare Wirkung der Unwiſſenheit und lin
reblichkeit feiner Anklaͤger! Seine Ausdrüde neigten fich
mehr zum S abellianigmus, alg zum Tritheismus 2).
Abaͤlard erſchien nur vor dem Concilium, um ſein Buch
im's Feuer zu werfen. Auf den Knien lag er das Athanaſa⸗
niſche Glaubens⸗Bekenntniß, erklärte, daß er, feinen: andern,
als den darinn enthaltenen Glauben habe, und wurde in
das Alofier des hl. Medard zu Soiſſons gefperet, aus
welchem. er bald Darauf entlafien wurde. Nach feinem Aus
tritte nahm er ſeine theologiſchen Uebungen wieder vor.
Zwaniis Jahre nach dem Concil von Soifſons glaubte |
un
9» Sammlung der Werke Abälards duch Amboife.
a Abälard Epist, 1.C, 9 Ansgabe des Amboiſe.
4
8 | Abaͤlard.
Wulhelm, Abt von St. Ehierri, in ‘den Schriften Abe
lard's Dinge zu finden, welche der: reinen Lehre, entgegen
ſeyen, und gog 14 Saͤtze, welche diefe Sertpümes enthiel⸗
tn, aus )J. nt
1) Es giebt Stufen. in ber Dreieinigteit: "der Bater
ift eine volfommene Macht, der Sohn iſt dieſes ‚einigermas
gen, der hl. Geiſt iſt gar feine Macht 2)
2) Der hl. Gelſt geht zwar vom Vater und Sohne
aus, aber er iff weder von. ber Weſenheit des Vaters, noch
des Sohnes 3).
3) Der Teufel hat nie eine Macht über den Menſchen
gehabt, und der Sohn Gottes iſt nicht Menſch geworden,
um uns davon zu befreien, ſondern nur, um uns durch
ſeine Reden und Beiſpiele zu belehren; Er hat nicht gelitten
und iſt nicht geſtorben, als nur um ung feine Liebe gegen’
die Menfchen zu zeigen, und fie ung zu einpfehleh 4).
4) De hl. Geift ift die Weltfeele 5), .
x
4) 1139;
2) Aus verfchiedenen Stellen der Einleitung in der chriſtlichen
+ Theol. Abälard's iſt es Mar, daß er glaubte: der Vater,
Sohn, und Hl. Geiſt ſeyen auf gleiche Weiſe allmaͤchtig.
Die Ausdrücke, welche man’ hier tadelt, finden fih in einer
Stele, wo Abälard den Unterſchied des Ausgehend des
pl. Geiſtes, und der Beugung deö Wortes erflärt; und er
fogt ausdrücklich: daß man darum nicht ‚glauben müffe, der,
pl. Geiſt fey nicht allmächtig. Man fehe feine Heil, Theol.
und die Einleit. in die Theologie.
3) Abälard hat hier nur im Ausdrucke gefehlt; denn ee eis
kennt förmlich an, daß der Hl. Geiſt gleiches Weſens mit
dem Vater ſey.
4) Dieſer Satz iſt aus dem Commentar über den Brief an die
Römer gezogen; es iſt der. Jerthum der Pelagianer und
Abälard nahm ihn zurück.
5). Sicher iſt dieſes hier nicht die Meinung Abälard’s, da er
. fig vorgenpmmen Hatte, das Dogma der Dreieinigkeit bei
— — — — —
Abaͤlard. | 9
5) Der Gott und Menſch, Jeſus Chriſtus, iſt nicht
die dritte Perſon der Dreieinigkeit, oder der Menſch darf
nicht eigentlich Gott genannt werden 1).
6) Wir koͤnnen das Gute wollen und thun vurch un⸗
fern freien Willen ohne Beihuͤlfe der Gnade 2).
7) Im Altars⸗Sacramente bleibt die Geſtalt der erſten
Weſenheit in der Luft 3).
8) Man uͤberkoͤmmt von Adam nicht die Schuld der
Erbſuͤnde, ſondern die Strafe 4).
9) Es giebt keine Suͤnde, ohne daß der Suͤnder ein⸗
willigt und Gott verachtet 5).
10) Die Begierlichkeit, die Ergoͤtzung, ‚ und die uns
wiffenheif erzeugen Feine Sünden 6).
11) Die teuflifchen Eingebungen gehen bei. den Mens
ſchen auf eine phyſiſche Weife vor, nemlich durch Beruͤh⸗
sung von Steinen, Kräutern and andern Dingen, : beren
Kraft der Teufel kennt De
u
— —
den heidniſchen Philoſophen zu finden, fo glaubte, ee, daß
fie unter der. Weltſeele den Hl. Geift verfiänden..
3) Man kann nicht Iäugnen, daß Abälard wie Neſtorius
ſpricht, aber es iſt gewiß, daß er in € hriſtus nur eine
VPerſon annimmt.
2) Dieſer Sag ift ein pelagianiſcher Zretgum, und wurde von
:Abälard zutückgenommen.
3) Hier iſt nur eine theologiſche Meinung angegeben ‚Bil
helm von Tpierri, welder dieſen Sak widerlegt mit,
bee Behauptung: daß die Geſtalten in dem Leibe I. €.
enthalten find, iſt eben auch den Theologen! entgegen, welde
die Geſtalten, „als ungebunden vorhanden annehmen.
4) Abälard nahm dieſen Sat zurück, welcher pelagianiſch iſt.
5) Abälard behauptet, dieſen Satz nie aufgeftent zu haben,
„auch findet man ihn nicht in feinen. Werken.
6) A balard nahm dieſen Satz zurück.
7) Dieſer Sog entpält e eine von Phyſikern aus Abalat ds
'
.
10 Abalard.
12) Der Glaube iſt die Schaͤtzung ober das urtheil von
Dingen, die man nicht ſieht 1). J
13) Gott kann nichts thun, als was Er gethan bat,
und thun wird 2)... .
14) Jeſus 6 titu⸗ iſt nicht in die Vorhoͤlle hin⸗
abgeftiegen 3)... _-
Wilhelm von St. Thierri ſchickte dieſe Saͤtze, und
die Schrift, die er, gegen Abaͤlard verfaßt hatte, au
Gottfried, Bifchof von Chartreg, und ’an den hl.
Bernhard, Abt von Slairpaus Nach dem Briefe und
dem Werke des Wilhelm von St. Thierri gegen Abs
lard zweifelte der Abt von Clairvaux nicht, daß letzte⸗
rer in Die Irrthuͤmer, fo man ihm beimaß, verfallen ſey,
und ſchrieb ihm: er moͤge ſeine Irrthuͤmer widerrufen, und
ſeine Bücher verbeffern. Abaͤlard gab den Mahnungen
des bi. Bernhard’s Fein Gehör; der Abt gerierh in Eis’
fer und ſchrieb an den Pabſe, an die Prälaten des römifchen
Hofes, und an die Bifchdfe von Frankreich gegen Abds
lard. Er malte diefen in den abfcheulichiten Zügen, und .
berichtete dem Pabſte, daß Abälard und Arnold von
Breſcia einen geheimen Bund gegen Chriſtus und feine
Kirche errichtet hätten. Er nennt Abälard einen hölifchen
Drachen, welcher vie Kirche auf eine um fo gefährlichere
Meife verfolge ‚als fie mebr verborgen und geheim waͤre:
Jahrhunderte angenommene Meinung, und if fein theologis
ſcher Jrrthum.
1) Man griff dieſen Satz an, weil man glaubte, er ſchwäche
die Gewißheit des Glaubens.
2) Abälard nahm dieſen Irrthum zurück, der gt Bern
hard, welder die andern, Irrthümer, die dem Abälard
beigemeffen werden, widerlegt, ſpricht nichts von dieſem
(Bern. Ep. 90).
3) Ab lard nahm diefen Irrthum zurück. Don Gervaiſe
verſuchte es, faſt alle dieſe Säge zu entſchuldigen. Vie
d'Abalard T. 2. L. 5. p. 162. Sieh auch Über. den
nemlichen Gegenſtand P. Lobineau Hist. de Bretagne.
—
er verdirbt, fagt er, die Unſchuld der Seelen; Artus,
Delagiug, Neftoriug find nicht fo gefährlich, weil er
alte dieſe Ungeheuer in feiner Perfon vereinigt, wie feine
Aufführung, und feine Buͤcher es bezeugen; er iſt der Vers ,
folger der Kirche, der Vorläufer Antichriſts 1).
Aus dem, was wir von Abaͤlard gefagt haben, und
aus der Gefchichte feines Lebens kann man leicht fehen, daß
dfe Anklagen des EL Bernhard in den Augen des unpars
theiifchen Leſers nicht nur ohne Grund, fondern aud) ohne
Wahrfheindichfeit find, Ich mache diefe Bemerfung nicht, '.
um die gerechte Verehrung, welche man für. diefen beruͤhm⸗
ten und heiligen. Ubt hat, zu mindern, ich winfchte nur,
gewiffen Perfonen, welche ein brennender Eifer befeelt, ein
wenig Mißtrauen in ihre eigenen Einfichten einzuflößen, und .
fie, wenn es mögli ‚wäre, ein bischen "bedächtlicher. im .
Verdammen zu machen. Wenn in einer fo reinen, fo er
leuchteten Seele, mie jene des. hl. Bernhard, der Eifer
die Schranken überfchritt, wie viel.mehr mäffen wir gegen .
unfern Eifer auf der Huf ſeyn, wir, die wir von der Uns
parthetlichteit "und vLiebe des hl. Bernhard fo weit abs
ſtehen?
Die Briefe des bi. Bernhard machten faft in der
ganzen Kirche ven Glauben Abaͤlard's verdaͤchtig, und
feine Perfon verhaßt. Er beklagte ſich hierüber bei. dem
Erzbifchofe von Sens, und bat ihn, den bl. Bernhard
zu dem Concilium von Sens, welches auf dem Punkte
war, ſich zu verſammeln, zu berufen.
Bernhard begab ſich zum Concilium, brachte die aus
den Werfen Abdlard’s ausgezogenen Saͤtze zum Vor⸗
ſcheine, und forderte dieſen auf, ſolche zu rechtfertigen oder
zu widerrufen.
Unter diefen Sägen ſprachen einige, wie wir geſehen
haben, die Meinung des Verfaſſers gar nicht aus, andere
ließen ſich erflären, und waren durch die Ankläger unrecht
ausgelegt worden; Uber die andern endlich verlangte Ab %
a)'St. Bernard: Epist. 330; 351,336, 337.
Pa |
12 Albalard.
lard ſich vernehmen zu laſſen. Allein der hl. Bernhard
drang To lebhaft in ihr, und Abaͤlard bemerkte fo viel
Hitze und Eingenommenheit. in-ben. Gemuͤthern, daß er nicht
fuͤr gut hielt, fich in die Unterſuchung einzulaſſen, er bes
fürchtete fogar einen Volksaufſtand. Er-ergeif daher bie
Appellation nach Nom, wo er Freunde haste, und entfernte
fie) nach diefer Erklärung 1).
:Das Concilium verdammte die aus ben Werten Abd⸗
lard’ 8 ausgezogenen Saͤtze, ohne von feiner Perſon zul
fprechen; und man ſchrieb an den Pabſt, um ihn von bem |
Ausfpruche diefes Koncils- zu benachrichtigen 2).
Der Pabſt antwortete: er habe, nach eingeholtem Gut⸗
achten feiner Cardinaͤle, die Haupffäße und alle Irrthuͤmer
Abaͤl ard's verdammt, und entſchieden, daß, die Anhaͤnger
oder Vertheidiger ſeiner Lehre von ber Kirchengemeinſchaft.
auszuſchllegen ſeyen.
"Abälard machte ein Giaubensbekenntniß bekannt, in
welchem ‘er vor Gott betheuüerte: daß er fich der Irrthuͤmer,
die man ihm aufbuͤrde, nicht ſchuldis wiſſe, daß wenn ſich
a Otto Frisingensia, de gestis Friderici C. %8.
2) Berengarins,-Abälard’s Schuler, in feiner Apologie
‚ vfür feinen Lehrer: und Don G©ervaife in feinem Leben’
— Abälard's, haben das. Verfahren bes Concils angefirits
. ten. Der erſte iff nur Declamator, und Don Gervaife
beweift nicht, daß die. Väter des Concils ihre Gewalt übers:
fhritten haben, Die Biſchoͤfe ſprachen das Urtheil Über. die
Sätze, die man ihnen vorlegte; Fann man zweifeln, ob fie‘,
dieſes Recht gehabt. Haben % Man Hörte die Veripeidigung
Abälard's nicht, fagt man: allein war es nothwendig, ihn
zu hören, um zu urtheilen, ob die. Saͤtze, die man bei'm
Concil angab, dem Glauben gemäß, oder entgegen feyen ?
: Nur dann. wäre ed nothwendig geweſen, ihn zu Hören, wenn
das Eoncil die Perſon Abälard's gerichtet hätte. Giche
d’Argentre Collect, Judicior. de novis Erroribus T. 1.
p. 21. Martene Observat. ad Theol. Abälardi Te 5.
‘ Thes. Anecdot. :Nat; Alexand. in saec, 12. ‚dissert. 7. -
u . : Abecedarier. . J 13
irgend einer in feinen Schriften fände, er entfchloffen fen,
ihn nicht zu behaupten, und Daß er bereit fey, Alles zu vers
beffern oder: zurückzunehmen, was er zur Ungebühr behaups
. tet hätte; hierauf, verdammte er ale Irrthuͤmer, deren man
‚ibn befchuldigte, und betheuerte:s daß er alle, dieſen Ir⸗
thuͤmern entgegengeſetzte, Wahrheiten glaube.
Mach Bekanntmachung dieſer Lipologie trat Abalard
Die. Reife nach Rom an, ging über dag Kloſter von Clugni,
wo deffen Abt, Peter der Ehrwuͤrdige, ihn zurückhielt,
und mit dem bl. Bernhard ausſoͤhnte. Hierſelbſt erbaute ,
er alle NReligiofen, und farb im Jahre 1142, drei und fechs
zig Jahre alt, in einem zu Clugni gehörigen Haufe, wos
hin er ſi ch ſeiner Geſundheit wegen, zuruͤckgezogen hatte 1).
Abecedarier, ein Zweig der Anabaptiften, welche
behaupteten: man dürfe, um ſelig zu werden, weder leſen
noch fchreiben, ja nicht einmal der erſten Buchſtaben des
‚Alphabets fundig fen, welches ihnen den Namen Ubeces
darier verſchaffte.
Nachdem Luther die Autoritaͤt der Siehe, Zredition
und der Vaͤter offen beſtritten, und entſchieden hatte, daß
jeder Privatmann Richter uͤber den Sinn der Schrift ſey,
ſo lehrte Storch, fein Schüler, daß jeder Gläubige den
Einn der Schrift eben fo gut, mie die Doctoren erfennen
koͤnne, daß Gott felbft ung unterrichte, daß dag Studieren
uns auf. die Stimme Gottes aufzumerken verhindere, und
daß das einzige Mittel, dieſen Zerftreuungen borzufommen
fen, gar nicht leſen zu lernen, und daß jene, Melde lefen
Eönnten, in einem, dem Seelenheile gefaͤhrlichen Zuſtande
ſich befaͤnden.
Carlſtadt verband ſich mit dieſer Secte, entſagte der
Univerſitaͤt und Doctors⸗ Wuͤrde, um Sacktraͤger zu werden,
und nannte ſich Bruder Andres. Dieſe Secte breitete
ſich in Deutſchland ziemlich weit aus. Zu allen Zeiten hatte
x
1) Siehe die angeführten Schriftſteller.
14. Albeloniten. Abyffinier.
die unwiſſenheit Ihre Vertheidiger, welche ſie zu einer chriſt⸗ |
lichen Tugend flempelten 1). |
Abeloniten, Bauern aus dem Bistum Hippon.
Sie bezeigten dem Abel ihre Verehtung, und. fagten: daß
man ſich, wie er, verehlichen, aber vom Eheſtande keinen
Gebrauch machen müffe, Männer und Meiber. wohnten das
ber beifammen, aber in. ber Enthaltfamteit, und nahmen
einen fleinen Knaben oder ein Mädchen an Kindesſtatt zu
ihren Erben an 2). I
Abyſſinier oder Aethiopier. Afrikaniſhe Volter,
welche eutychianiſche Jacobiten find. Die Zeit der
Entffehung bes Chriſtenthums bei ben Aethiopiern iſt
ſchwer anzugeben; jedoch iſt es gewiß, daß es vor dem
Jahre 325 Dort ſchon vorhanden war, weil das Concilium
‚von Nicda,swelhes in diefem Jahre gebalten wurde, dem
Bifchofe von Aethiopien den fiebenten Platz nach jenem
von Seleucka eintäumt. Die Kirche von Abyffinien ers
kennet die Alexandriniſche für ihre Murter, und iſt
ihr fo fonderbar unterworfen, daB es ihr nicht einmal frei
| fiehet ‚ ihren Biſchof zu waͤhlen. Dieſe Gewohnheit, welche
ſo alt iſt, als die Bekehrung von Abyſſinien, iſt beur⸗
kundet in einer Canon⸗Sammlung, welche die Abyſſinter
eben ſo hoch, als die hl. Buͤcher ſelbſt ſchaͤtzen. | |
Die Abyffinier folgten demnach : dem Glauben der
NKirche von. Alerandrien, ‚und feitden Aegypten inter
die Herrſchaft der Türken gekommen iſt, die Jacobiten
aber fi des. Patriarchen s Stuhls von Alexandrien bemäch»
tigt haben, wurden fie Monophyſiten oder Eut ychia⸗
ner. Sie haben folglich keine andere Irrthuͤmer als die
Kopten, ihr Glaube ſtimmt mit jenem der roͤmiſchen
Kirche in Betreff der Geheimniſſe überein; aber fie verwer⸗
1) Oſiander Centur 16 L..2 Stogmann Lexic. bei'm
Worte Abecedariı. Sieh den Artikel Sartſtadt und
Anabaptiſten.
2) Augustin Haeres. 86.
Moſſiuter. i 15
fen ı das Eoncil von Chaleedon, den Brief des hl. Leo,
und nehmen nur eine Natur in Ehriſto an, wenn fie gleich
nicht dafiir halten, dag die göttliche und menfchliche Natur
in feiner Derfon vermiſcht ſeyen. 1) Sie haben ſieben Sa⸗
cramente, wie die Katholiken, 2) glauben die wirkliche Ge⸗
genwart, und Transſubſtantiation: die von Ludolf mitge⸗
brachten Liturgien laſſen hieruͤber keinen Zweifel über, weil
fie es foͤrmlich ausdruͤcken, 3) die Verehrung. und Aurufung
mi
1) Perpetuite de. la foi. T. 4. L. 1. C, 11. Mendes L.
1. C. 6. Ludolf Hist. Aethiop. L, 3. C. 8. Voyage
“de Lobo, par le Grand.
2) Ludolf Hist. Aethiop. L. 5. C. 5. Diefer Schriftſteller
— meint, die Aet hio pier Hätten die Firmung und letzte Oelung
nicht. Wir machen hierüber folgende Bemerkungen: die
Abyſſinier Haben ihre Biſchöfe ſtets von dem Patriarchen
von Alexandrien erhalten, und da die Kopten ſelbſt
nach der Eroberung der Sarazenen die Firmung und Ickte
Delung beibehalten haben, wie man in Artikel Kopten —
fepen kann, warum folten erflere die Firmung hinwegge⸗
laffen Haben?
3) LZudoif Kügt ſich auf dg6 Zeugnif portugififher Miffios
näre. - Allein diefe Miflionäre, mehr eifrig, als gebildet,
Haben ſich wahrſcheinlich getäuſcht, weil dieſes Sacrament
nicht ſo in Aethiopien, wis in Europa ertheilt wird: die
Abyſſinier ertheilen es vermuthlich wie die Kopten, nach
der Taufe, und die Miſſionäre haben die Fiemung für eine
Ceremonie der Taufe angefepen 5 da fie ferner dieſes Sacrament
den Erwachſenen nicht mitsgeilen fahen, fo haben fie geſchloſ⸗
fen, daß den Aetpiopierm diefed Sacrament nit befannt
wäre. Eben daper koͤmmt auch der Irrthum dieſer Miſſio⸗
naͤre über die letzte Oelung. Gewiß iſt es, daß die Kop⸗
ten dieſes Sacrament beibehalten haben (man ſehe ihren
Artikel) und man fi eht nicht, wie die Abyſſinier, welche
von dieſen ihre Metropoliten erhalten, die Gewohnheit der
koptiſchen Kirche nicht ſollten beibehalten haben. Allein die
letzte Oelung wird bei den Kopten nicht wie bei den La⸗
16 | Abpffinier.
der Heiligen, das Gebet für.die Verflosbenen, bie, Vereh⸗
rung der Reliquien haben ſich bei den Abyſſiniern wie bei
den Kopten erhalten 4).
Einige befondere Oebräuche bei den. Aopffinierm,
28 Die Abyffinier, baben, wie die Kopten, die
teinern auagelpendet, ferner. wird fie nd der Beiqt, und
dem Geſunden ſowohl, als dem Kranken ertheilt. Da nun
die, Miffionäre die Ceremonien, welde in Ser lateinifchen
Kirche üblich find, nicht geſehen haben, und giaubten: daß
die Oelung nus den Kranken ertheilt werden dürfe, ſo ha⸗
ben fie dafür. gehalten, daß die Abyſſ inier wirklich diefes
Sarrament nicht Hätten. : Diefe Vermuthung erhält, meincs
Dünfens Beweiskraft, wenn man auf die Weile, wie die
Kopten ‚ die HE. Delung. ausfpenden, ' aufmerffam iſt.
Maͤchdem der Priefter, dem ein Diakon affiffirt, dem Bü:
ßenden die Losſprechung ertheilt hat, fängt er mit Räuche⸗
rungen an, nimmt.eine Lampe, deren Del er ſegnet, und
zündet darin einen Docht an; Hierauf ſpricht ee -fieben Ges
bete, welche durch eben fo viele Lectionen aus dem Briefe
des Hl. Jacob, und.andern Stellen der Schrift unterbro-
chen werden. — Der Diakon liest, endlich nimmt der Prics
ſter das geweihte Del aus der Lampe, und macht damit
eine Salbung auf die Stine, wobei er fage: Gott möge
dich Heilen im. Namen des Waters, des Sohnes, und des pl.
Geiftes! Die nemliche Salbung verrichtet er auch an allen Ge-
genmwärtigen, aus Sucht, fagen fie, der böfe Geiſte möge liber
einen von ihnen kommen (Nouveaux mömoires des missions
_ de lacompagnie de Jesus dans le Levant T. 6. Letire -
‘ du P. Bernat. Perpetuite de la Foi, T. 5.L. 5.02)
Sollte ed denn ſchwer feyn, daß die Miffionäre, melde die
Zeit nit Hatten, Die äthiopifehe Liturgie zu fhudieren, die
fo. auögefpendete Hl. Delung nicht folten erfannt baden
4) Hist, Aethiop, L. 5. C. 5. Perpet, de la Foi, T. 4
I.. I. C. 11. Liturg. Orient. T. 2. le Grand, dias. 12.
bei \ “uyage d’Abyssinje. von p. Lobo.
— — —
e *
Aboſſinier. 17
Ceremonien der Taufe Jeſu Eprift (Siehe den Artikel
Kopten) 1)
2) Sie haben, wie die Kopten, die Beſchneidung
und einige juͤdiſche Gebraͤuche, als das Enthalten vom Blute
und dem Fleiſche erſtickter Thiere: es iſt wahrſcheinlicher,
daß ſie dieſe Gebraͤuche von den Kop ten her haben, als
von den Mahomedanern und Juden, wie ſolches de la Croce
in ſeinem Chriſtenthum von Aethiopien behauptet 2).
1) Ludolf erkennt dieſe Punkte, aber er haͤlt fie für Miß⸗
bräude, welde duch die Predigten der Bilhöfe und aud -
andern Urfachen fih in die Kirhe von Abyffinien eingeſchli⸗
Ken Hätten. Diefe Behauptung if grundlos: der Kalender
der Abyffinier den Ludolf giebt, beweißt, daß dieſe Kirche
jederzeit die Heiligen angerufen, und ihre Reliquien verehrt
habe; ihre Liturgien enthalten Gebete für die Merfiorbenen;
Ludolf fegt diefen Beweilen nichts Genügendes entgegen:
er fagt, zum Erempel, daß die Anrufung der Heiligen dur
die pathetifhen Predigten der Bilhöfe eingeführt worden
ſey, und in Aethiopien giebt es Feinen andern Biſchof, als
den Abuna, ber Metropoliten ; übrigens wird da niemals
gepredigt. — Ludolf geſtehet zu, daß die Abyſſinier Für
die Verſtorbenen beten; aber er behauptet, daß fie Feine
Kenntniß vom Fegfeuer Haben, Diefe Behauptung ift wieder
unwahe: es ift gewiß, daß die Abyffinier das Fegfeuer
nicht laͤugnen, und daß fie nur über den Zuſtand der See⸗
ken nah dem Tode geheilt find, ohngeachtet ſie erkennen,
daß, um die ewige Seligkeit zu erlangen, man der goͤttli⸗
hen Gerechtigkeit genugthun müſſe, und dad Gebet das er⸗
fetzte, wofür die Menſchen nicht Hätten genugthun koͤnnen.
2) Bei den Kopten ſehen einige den Gebrauch der Be⸗
ſchneidung für eine Gefaälligkeit an, welche fie den Maho⸗
medanern haben erweiſen müſſen, andere als einen bloß
bürgerlichen Gebrauqh. Die Abyſſinier find hieruͤber eben
ſo wenig einig: jedoch giebt es welche, die ſie als eine re⸗
ligisſe und zum Heile nothwendige Ceremonie anſehen. Ein
abyſſiniſcher Religjos erzaͤhlte dem. p. Lobo, ein Teufel
Kenerskerifon. II. 2
18 | Abyſſinier.
3) Abulſelah, ein aͤghptiſcher Schriftſteller, welcher
vor etwa vierhundert Jahren ſchrieb, ſagt, daß die Aethio⸗
pier, anſtatt ihre Suͤnden den Prieſtern zu bekennen, ſolche
jährlich vor einem Rauchfaſſe, auf welchem Weihrauch anges
zuͤndet ſey, beichteten, und ſo Nachlaſſung derſelben zu er⸗
halten glaubten. Michael, Metropolit von Damiette
rechtfertiget dieſen Gebrauch in ſeiner Abhandlung gegen die
Nothwendigkeit der Beicht, und es iſt nicht zu wundern,
daß er unter den Patriarchen Johann und Marius,
u welche diefen Mißbrauch begünfligten, in Aethiopien Eins
gang gefunden habe.
Zanzabo verfiherte jedoch, daß man in feinem Lande .
beichte; und, nach der Kirchenordnung von Alerandrien
mußte man es thun. Nachdem, mas Regel ift, erforſcht
man die wahrhafte Tradition einer Kirche, und nichf nad)
den Mifbräuchen. Perpetuite de la foi, T. 4. p. 87, 102.
Inzwiſchen iſt der. Gebrauc ber Beicht bei ven Abyſſi⸗
niern nicht erlofchen; fie beichten den Prieflern und bis⸗
weilen dem Mefropoliten ; wenn fie fi) wegen einer großen.
Sünde anflagen, ſtehet der Metropolit auf, giebt dem Suͤn⸗
der einen fcharfen Verweis, ruft feine Gerichtsdiener, wel⸗
giebt fich Alles, was in der Kirche iſt zu dem Metropolten,
und bitfet um Gnade für den Sünder, welchem ſonach Dies
fer die Abſolution ertheilt. Ludolf ebendaf. L. a. C. 6.
4) Die Ehe if ein Sacrament bei den Abyſſiniern.
2llvarez befchreibt Die Einfegnung einer Ehe, wobei er
zugegen war, und bie der. Abuna oder Metsopolit verriche
‚tete, auf. folgende Weiſe: „der Bräutigam und die Brauf
„befanden fih am Eingange, ber Kirche, mofelbft man eine
„Art von Bert für fie bereitet. hatte. Der Abuna bieß.fie,
habe: fih an einem -Bronnen aufgehalten, wo er dir armen
Mönde, wenn fie dort Waſſer ihöpfen wollten, ungemein
gequält Hätte; Tecla Annanat, Stifter ihres Ordens,
“ habe‘ ihn bekehrt; hierbei habe er weiter Feine Sqhwierigkeit
gefunden, als über den Punkt der Beſchneidung.
che den Buͤßenden aus Leibeskräften peifichen; hierauf bes .
—
Abyffinler. 19
„50 darauf niederſetzen, und ging mit dem Kreuze um fie
„herum: alsdann legte er ihnen die Hände auf, und fägte:
fo wie fie heute ein Fleiſch wuͤrden, fo müßten fie auch
„ein Herz und einen Willen haben; und nachdem er eine
„kurze, diefen Worten angemeffene, Unrede an fie gehalten
„hatte, ging er in die Kirche, Meſſe zu lefen, welcher die
„Brautleute beimohnten ; zuletzt gab er ihnen die eheliche
„Einſegnung 1).
5) „Die Ehefcheidung ift bei ihnen gebraͤuchlich- Ein
„Mann, der mit feiner Frau unzufrieden iſt, entlaͤßt und
„nimmt fie wieder an, mit der nämlichen Leichtigkeit; Untreue
‚der Frau oder des Mannes, Unfruchtbarkeit, oder der ges
„ringſte Streit geben ihnen hierzu mehr als hinreichende
„Urſache. Scheidung wegen Ehebruch hebt fich leicht wies
‚per auf, indem man dem beleidigten Theile eine Summe "
7, Geldes gibt. Nicht fo leicht würde die Wiedervereinigung
;, Statt haben Tönnen, wenn Mann und Frau einen Zanf
‚miteinander gehabt, oder fich gefchlagen hätten; in dieſem
n Falle erlaubte ihnen der Richter fih andermweit zu verheis
„rathen, und em Aerhiopier nimmt lieber eine Frau, wels
„che wegen Ehebruch von ihrem Manne geſchieden if, ale
„wegen Zanf 2).
6) Die Prieſter heirathen bei den Abyff intern, wie
in ganzen Drient, jedoch mit der Befchränkung', Daß es eis
nem Prieſter oder Diakon nie erlaubt iſt, nach ihrer Weihe
ſich zu ‚werehlihen; und die Heirath eines Mönchen ‚ oder
einer Nonne wird wie ein Kirchenraub angefehen 3):
7) Ein anderer Mißbrauch, welchen dfe Patriarchen
von Alexandrien vergebens abzuftellen geſucht haben, ji die
Vielweiberei 4).
8) Abyſſinien. iſt das Band“ in ber wel, m. pr die
| — nie Fu
4) 13te — ich anhange aut Reife. 665 p. robo *.
555»
2) Lob am arigef. Orte p. 76. Thevenot, Pl, T. 2. 2.
5) Perpet. de la foi, T. 4. L. 1. C. 12. Bu
4) Esenbaf | el
2 *
0, . Albyſſinier.
meien Geiſtlichen, die meiſten Kirchen und Klaͤſter gibt,
- Man kann in einer Kirche nicht fingen, ohne in einer ans
WR
dern, oder oft in mehreren gehört zu werden. Sie fingen
die Palmen David's, wovon fie in Ihrer Sprache eine
. ganz treue Ueberfeßung haben, fo mie auch von den andern
Buͤchern der hi. Schrift, mit Ausnahme jener der Machas
. bier, welche fie jedoch als canonifch annehmen.
9) Jedes Kiofter hat zwei Kirchen, die eine für Mannes
. die andere für die FrauenssPerfonen. In jener der Mäns
hier fingt man chorweife und immer ftehend, ohne je nieder
sufnien, weßhalb fie verfchiedene Gemächlichkeiten haben;
um fich anzulehnen und aufrecht zuhalten.
Ihre muſikaliſchen Inſtrumente beſtehen in kleinen Trom⸗
meln, welche ihnen am Halſe haͤngen, und die ſie mit bei⸗
den Haͤnden ſchlagen. Die vornehmſten und ernſthafteſten
Geiſtlichen fragen dieſe Inſtrumente. Sie haben auch Etdbe,
mit welchen ſie mit einer Bewegung des ganzen Leibes auf
dem Boden ſchlagen. Sie fangen ihre Muſik an, indem
ſie mit dem Fuße ſtampfen, und leiſe auf den Inſtrumenten
ſpielen; nach und nach gerathen ſie in Hitze, werfen das
Inſtrument weg, fangen an, in die Haͤnde zu ſchlagen, zu
ſpringen, zu tanzen, und aus allen Kraͤften ihre Stimmen
zu erheben, ſo daß fie am Ende weder Takt noch Pauſe in
ihren Gefängen mehr halten. Sie fagen, daß David vers
ordnet hätte, fo das Lob Gottes zu verfündigen, in tem
Pſalm, wo er ſagt: Omnes genles plaudite manibus ju=
bilate Deo etc 1).
1 . Das Kirchen s Regiment ber Asyffinier. .,
Die Kirche von Atoſſinien! wird von einem Erp
Bifchofe vegiert, melden fie Ubuna d. h. unfer Vater,
nennen. Er bat feinen Biſchof unter fi), und wird von
dem Patriarchen von Alerandrien ernannt und geweihet,
| welcher, um dieſe Kitche in gıößerer eoängigkeit iu erhal⸗
! \ x j en , ° . > “ % . . w
\ . 7
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1 R W X
1) Lobo p. Ir. r 0 ur
£ Fu * .
Abpffinier. Ä 21
ten, ihnen niemals einen Metropoliten aus ihrem ande
gibt.
So fremd und unmwiffend dieſer Metropolit gewoͤhnlich
iſt, ſo hatte er doch ehedem ein ſo großes Anfehen, daß
man den König nicht als folchen anerkannte, wenn er nicht
von den Händen des Abuna gefalbt worden war; oft ber
“diente fi) auch Diefer feines Anſehens, um die Eönigliche
Wuͤrde jenem, dem fie von Kechts wegen gehärte, zu erhals
ten, und um fie) Anmaffern entgegen zufeßen 1).
Die Könige haben es mit aller Mühe dahin zubringen
gefucht, daß mehrere Bifchdfe in Abyffinien geweiht wuͤr⸗
den, Allein der Patriarch von Alerandrien beforgte, man
- möchte, wenn es mehrere Bifchdfe in Aerhiopien gebe, ends
lich fo viele machen, daß fie fich ſelbſt einen Patriarchen
wählten: darum mollte er nie einwilligen, außer dem Ab una
“noch andere Biſchoͤfe in Aethiopien zu weihen.
Der Abuna befißt mehrere große Ländereien, und in
einem Lande, wo Alles Sflav ift, find feine Pächter von
jeder Art Abgabe frei, oder zahlen foldhe nur an ihn, wo⸗
von jedoch feine Befigungen im Königreihe von Tigre
ausgenommen find. Ueberdieß ſtellt man jährlich für ihn
noch eine Sammlung von Leinwand und Salz an , welcheg
ihm viel abmirft. Im Geiſtlichen erkennt ex nur den Patri⸗
archen von Alexandrien als Oberen. Der Abuna allein
kann Dispenſationen ertheilen, und hat hierinn oft ſeine
Gewalt überfchritten, denn gewoͤhnlich iſt er ſehr geitis und
unwiſſend.
Die erſte geiftliche Wuͤrde if der Komos ‚oder Hw
guemos, mas mir Erzpriefler nennen. — In Abyffinien
find die Stilimeffen unbekannt; man hat da’elft Stiftsgeiſt⸗
liche und Mönche, erftere verheirathen ſich, und ihre Pfruͤnde
geht oft auf ihre Kinder über, Die Mönche bleiben unders
ehlicht und genießen ein fehr groß. 8 Zutrauen, fo daß man
fie oft zu den wichtigſten Gefchäften verwendet. Sie legen
Geluͤbde ab. — Sieh Ludolf. Lobo. |
4) Lobo. Ludolf. a. a. ©.
— en u mie ) — — — — — — —— — =
F \ -
/
22 Ä Abpſſinier.
Bemuhungen, die man anwendete, die Kirche von
Abyſſinien mit der röomiſchen zu vereinigen.
In dem nun geſchilderten Zuſtande befand ſich die Kir⸗
che von Abyſſinten, als die Portugieſen durch das rothe
Meer bis nach Aethiopien vordrangen. Die Koͤniginn He⸗
lena, Großmutter und Vormuͤnderinn David's, des Kai⸗
ſers von Aethiopien, welche das Reich durch ſeine Nach⸗
barn angegriffen, und durch innere Kriege beunruhiget ſah,
verband ſich mit den Portugieſen und ſchickte einen Abge⸗
ſandten an den Koͤnig Emanuel, der ſeiner Seits auch
einen nach Aethiopien "abgehen ließ. Man fing alsbald
an, von der Vereinigung der abyſſiniſchen Kirche mit der
römifchen zu forechen. Der Kaifer fchien nicht abgeneigt,
und Bermudez, Arzt des porsugiefifchen Gefandten wurde
von dem Patriarchen Markus zu feinem Nachfolger er ⸗
nannt.
⸗
Um. diefe Zeit rückte ein maurifcher Prinz, ‚ Namens |
©Grane, welcher dag Heer des Könige von Adel befehligte, -
in Abyffinien ein, und eroberte den größten Theil degfelben.
David, durch die Schnelligkeit diefer Eroberungen
beuhruhiget, ſchickte Bermudez nah Europa, bei den
chriſtlichen Fuͤrſten Huͤlfe zu ſuchen. Johann B ermudez
begab ſich nach Rom, von da nach Liſabon, erhielt von
dem Pabſte den Titel eines Patriarchen, und vom Koͤnige
von Portugak Slfstzuppen für ben Kaiſer von Abyſt J
finien. .
Stephan von Gama ruͤſtete eine Flotte ſegelte in
das rothe Meer, landete auf der Kuͤſte von Abyſſinien
vierhundert Mann Portugieſen, unter dem Kommando Chris
ſto ph von Gama's, feines Bruders, welcher Abyffi
nien retfete, und die Krone auf dem Haupte Daoid's
wieder befeftigte. — Nach der Erpedifion der Portugieſen ges
gen die Mauern muthete Bermadez dem Kalfer zu, den
Eid der Treue gegen den Pabſt in feine Hände abzulegen.
Bermudez übereilter Eifer fiößte dem Kaiſer Abneis
gung gegen die Fatholifche Religion und Haß gegen feine
Perſon ein: er behanvelte ihn nicht mehr mit der Achrung,
Abyffinier. . | 23
welche tiefer Patriarch fordern zu innen glaubte. Das
fchmerjte diejen fehr, und cr beflagte fich bitter daruͤber,
Daß der Monarch feinen Segen nicht verlangte, und ihn
nicht durch Abgeordnnefe empfangen ließ, behauptete: dag
der Kaifer hierdurch den Nefpect verlege, welchen er Jeſu
Chrifto fchuldig fey, den er Bermudez borfielle, und ſo,
fagte er ihm, wirft dis verworfen, verflucht und ercommus -
nizirt, ſeyn, wenn du zu den Keßereien der Jacobiten
und Dioskurianer in Acgypten zurückehrf.
Der Fuͤrſt antwortete: die Chriften von Aegypten feyen
keine Ketzer, aber die Katholiken feyen eg, weil fie vier
Goͤtter anbeteten, wie die Arianer, u:d fißte hinzu, wenn
er nicht geiflicer Vater waͤre , ſo wuͤrde er ihn viertheilen
laſſen.
Bermud e benachrichtete die Portugieſen von ſeinen
Streitigkeiten mit dein Koͤnige, und ſeine Raͤnke ſpannen
einen Krieg zwiſchen dem Koͤnige von Aethiopien und
den Portugieſen, ſeinen Rettern an. Inzwiſchen ſoͤhnte ſich
der Kaiſer Claudius mit ihnen aus, fuͤrchtete ſie aber,
vertheilte deßhalb die Europaͤer in verſchiedene Provinzen,
und zwang Bermudez, Aethiopien zu verlaſſen.
Der Pabſt, und der Koͤnig von Portugal, unterrichs
tet von den Ereigniffen in Aethiopien, fchicften einen Pas
triarchen und zwei Bifchsfe dahin: der Patriarch war or
bann Nugnez Barrefo, mehr empfehlenswerth Durch
feine Würde und Frömmigkeit, als durch Kenntniffe: die
zwei Bifchöfe waren Melchior Cornegro, und Ans
dreas Doviedo. .
Diefe Prälaten nahmen zehn Jefuiten mit ſich. Der
Erzbiſchof nahm feinen Aufenthalt zu Goa, und Optedo,
Bischof von Hierapolig ging mit einigen Jeſuiten nach
Abpffinien; allein der Kaiſer legte dem Erfolge ihrer -Prer
digten Hinderniffe in: den Weg, und fein Bruder und Nach⸗
folger Adamas arbeitete der Vereinigung- noch mehr. ente
geger.
Der Patriarch Barreto farb, und Obiebo kam an
feine Stelle. Allein ſeine weu: Wuͤrde machte: ſeine Sen⸗
24 | Abyſſinier.
dung nicht gluͤcklicher; der Pabſt befahl ihm, Abyſſinien
mit den Jeſuiten zu verlaſſen ‚ und fid anderswehin m bes
geben.
Doviedo antwortete, er fen bereit zu gehorchen, koͤnne
aber nicht aus Abyſſinien entkommen, indem die Tuͤrken die
Zugaͤnge geſperrt haͤtten: man wuͤrde beſſer thun, ihm ei⸗
nige Huͤlfstruppen zu ſchicken, als ihn zuruͤckzurufen: wenn
er nur 500 Mann Portugieſen hätte, koͤnne er die Abyffie
nier zur Ruͤckkehr bringen, und viele abgörtifche Voͤlkerſchaf⸗
ten unterwerfen; es gäbe viele Heiden in der Gegend von
Mozambique und Sofola, welche nur auf Unterricht
warteten. Er blieb demnach in Abyffinien, und verlangte
‚bis an feinen Tod Truppen und Soldaten, überzeugt, daß -
die Abyffinier fich ‚nicht gutwillig der römifchen Kirche uns
terwerfen würden. Die verfchledenen Revolutionen, die fih
in Wetbiopien ergaben, erhoben endlich Melafegud,
der den Namen Sultan Segud annahm, aufden Thron»
Nach der Schlacht, welche ihn zum Herrn von Abyſ⸗ |
finien machte, kamen die Jeſuiten, welche in diefes Land
‚ gegangen waren, ihm Gluͤck zu wuͤnſchen, und wurden fehr
gut von ihm aufgenommen: Er rief den P. Paes zu ſich,
behandelte ihn mit vieler Auszeichnung, und tn einer Aus
dienz gab er ihm zu erkennen, daß er einige portugiefifche
Truppen zu haben wuͤnſchte. P. Paes verficherte ihn, daß
er ſolche leicht würde erhalten koͤnnen, wenn er die Fatholis
fche Religion annehmen wollte. Der König verſprach eg,
und P. Paez fchrieb an den Pabſt, an den König von
Portugal und den Vize» König von Indien, drei Briefe,
welhe Sulfan’Segud unterzeichnefe. Anfangs befand
ſich der König nicht im ruhigen Befite des Reich; er mußte
Factionen befchwichfigen, und Empsrungen unterdrilcten, die
‚. beinahe zwei Jahre hindurch ausbrachen. Nachdem er fi
auf dem Throne befeftiget hatte, gab er ein Edikt, durch
welches er die Behauptung unterfagte, daß in Chriftug
NS
nur eine Nafur ſey, und die Entgegenhandelnden zum
Tode verurtheilte. -
. Der. Metronolit ſuchte den Kaifer auf, beklagte A
nn
Abyſſinier. | 25
über die, ohne. feine Zuziehung, geſchehene Bekamtmachung
des Edikts: die Großen und das Volk murrten, die Gemie
ther erhitzten fih, und der Abuna fühleuderfe eine feierliche‘
Ercommunicafion gegen alle, welche die roͤmiſche Religion
annehmen, Die Vereinigung mit diefer Kirche begünftigen,
oder über Fragen, welche die römifche und abyffinifche Kirs
che trennten, disputiren würden. — Die Kühnbeit des Pas
friarchen erbitterte. den König, doch wagte er nicht, ihm zu
firafen, fondern begnuͤgte fi, eine Verordnung zu erlaffen, .
worinn er bie Freiheit geflaftef, der Religion, melche die
Sefuiten durch ihre Dispüte und Lehren, eingeführt hätten,
zu folgen. — Der Metropolit belegte mit einer neuen Ex⸗
communfcation alle jene, welche fasten, daß in Chriſtus
zwei Naturen wären. j
Die Heller Sehenden fahen wohl voraus, daß diefe
Streitigkeiten große Unruhen hervorbringen würden: die
Mutter des Könige, die Großen, der Patriarch, die Cleri⸗
fei, warfen fi) dem Könige zu Füßen, und bafen, er möge
nichts in der Religion ändern. Allein diefer Fuͤrſt war uns
erfchütterlich , die Gemuͤther wurden erbitfert, man verfams
melte fih, und befchloß, Fir die Vertheidigung der alten
Religion zu ſterben. Die Yefuiten ihrer Seits ließen Bis
cher ausgeben, unterrichteten, fuchten die Abyſſinier von ih⸗
rem Irrthume zu überführen, ermunterten den Kaifer, und
mahnten ihn, auf ſeinem gefaßten Entſchluße feſt zu ver⸗
harren.
Nach einer gewiſſen dumpfen Gahrung im ganzen Keiche
brach endlich die Empsrung in mehreren“ Provinzen. aus.
Trotz diefer gab der König ein Edikt, durch welches er am
Samftage zu arbeiten verbot. Diefes Evikt fliftefe neue
Unruhen, über welche der König fiegte. Als er die Ges
‚müther unterivorfen zu haben glaubte, bekannte er ſich Sffente ·
lich zur eömifchen Religion; und nachdem der Patriarch Al⸗
phons Mendez, den er vom Pabſte verlangt hatte, an⸗
gekommen war, warf ſich der Kaiſer auf die Knie, legte
auf das Evangelium den Eid der Treue ab, durch welchen
er Sr. Heiligkeit, dem Pabſte Urban und feinen Nachfol⸗
. gern verfprach: Gehorfam zu leiften, indem er mit" Demuth
—
26 | Abyſſinier.
ſein⸗ Perſon und ſein Reich zu ſeinen gußen lege. Die
Prinzen, vie Vize⸗-Koͤnige, die hohe und niedere Geiſtlich⸗
keit machten auf den Knien die nemliche Betheuerung. Nach
dieſem wurde dem Kaiſer und ſeinem Sohne der Eid der
Treue. geleiſte. Pas Scella Christos, Bruder des
Kaijerd, legte folgenden Schwur ab: „Ich ſchwoͤre, ‚den
„Prinzen als Erben feines Vaters im Reiche anzuerfennen,
„aund ihm als treuer Bafal zu gehorchen ‚ inſoferne er den
„heiligen katholiſchen Glauben erhalten und beguͤnſtigen wird,
„auſſerdem werde ich ſein erſter und groͤßter Feind feyn”.
Alle Oberſten des Heeres, und ſein ãlteſter Sohn
ſchwuren unter der naͤmlichen Bedingniß dasſelbe. Gleich
darauf ließ der Kaiſer bei dem ganzen Heere ausrufen, daß
alle Voͤlker unter Lebensſtrafe die roͤmiſche Religion annehs
men müßten, mit dem Befehle, allg, die den Gehorfam vers ⸗
- fagen würden, zu toten: — Bon’ allen Seifen ffanden die
Voͤlker auf, wählten ſich Koͤnige oder gaben ſich Anführer
sur Vertheidigung der Religion ihrer Väter; Das Feuer des
Fanatismus griff allenthalben um fich, man fürchtete mit
der Darthei des Kaifers ſich zu veruneinigen: hier ſtuͤrzten
ſich Moͤnche und Nonnen, um den Katholiken auszuweichen,
von der Hoͤhe furchtbarer Felſen, deren Anblick ſchon die
herzhafteſte Einbildungskraft in Schrecken ſetzt; dort trugen
Prieſter die Altar⸗Steine auf ihren Haͤuptern, munterten
die Rebellen auf, verſprachen ihnen den Sieg, und ſtellten
ſich mit Zuverſicht den Pfeilen der Soldaten entgegen. In⸗
deſſen aͤnderte Mendez, ruhig und allvermoͤgend, als uns
umſchraͤnkter Herr Alles, was ihm in der Religion mißfiel;
ſein Eifer umfaßte gleicher Weiſe die Zerſtoͤrung der Reber
rei, und ‘die Erhaltung der Kirchengüter. |
Ein Minifter hatte mif Butheißen des Kaiſers ſich ei⸗ |
niger Häufer, welche die Mönche zurückgeforbert hatten,
!ı
bemächtiget, fogleich wurde er von Mendez ercommunizirt. :
Der Miniſter fiel auf die Nachricht hiervon in Ohnmacht;
der Hof, und der Keifer baten Mende; um Verzeihung für,
den Minifter , und nad) Pangem erſt ließ er fich erweichen.
Allein durch dieſe Errommunication wurden. ‚alle Großen tief |
Abpffinier. | 9
beleidigt; man Eonnte es nicht verzeihen, daß wegen einfs
gen, mit Mönchen in Streit begrfffenen Käufern, welche
der Kaiſer nehmen ımd geben fann, wie. er will, ein frems
der Bifchof einen Mann ercommunicire, der durch feine Ges’
burt, feine Verdienfte und Tugenden gleich ehrenmerth war.
— Die Keine des Haffes wurden durch die unäbläffige Härte
und Strenge Mendez’s genährt, die Hofleute, die feinen
Charakter Eennen gelernt hatten, verlangten von ihm unaufs
hoͤrlich Kleinigkeiten, in Anfehung derer er, mie fie wohl
- vorfahen, unbeugfam mar, und rechneten darauf, ihn damit
gehäffig und verächtlich zu machen.. Hierdurch gelang eg
ihnen menigftens fein Anfehen in den Augen des Kaifers
herabzuſetzen. | : |
Inzwiſchen nahm die Zahl der Aufwiegler mit jedem
Tage zu, und die Vortbeile fingen ſchon an, ziwifchen ihnen
und den faiferlichen Truppen zu ſchwanken.
Der Hof und die Armee ſtellten dem Kaifer die Noth⸗
wendigfeit vor, einige Duldung gegen die Abyſſinier einfres
ten zu daffen; dieſer zog den Patriarchen zu Rathe, welcher
darein willigte, jedoch unter der Bedingniß, daß dieſes nur
ftinfchweigend, und- nicht durch ein Geſetz gefchehen duͤrfe. |
Der Kaifer reifte hierauf zur Bekämpfung der Empoͤ⸗
'rer ab, glaubte feine Gefinnungen für die Duldung zu ers
Eennen geben zu müffen, ließ bei feinem Heere die Abändes
rung efniger Kleinigkeiten befannt machen, und erlaubte ſich
der alten Bücher zu bedienen, wenn fie von dem Patriar⸗
chen durchgefehen und verbeſſert fenn würden.
Alphons Mendes fchrieb wegen 1diefes Edikts an
den Ratfer, umd ſtellte ihm dag Beifpiel des Könige Aſias
vor Augen, der mit dem Ausſatze befallen worden fey, weil
er eine, nur den Leviten zuftändige Sache. unternommen
‚hätte. Der Kaifer gab zur Antwort: als die roͤmiſche Re⸗
lision in feinem Neiche in Aufnahme gefommen fen, ſo fey
diefelbe weder durch die Predigten der Jeſuiten, noch durch
irgend ein Wunder, fondern durch feine Geſetze und Edikte,
ımd weil er gefunden bäfte, daß Die Bücher der abyſſini⸗
28 | Abyſſinier.
ſchen Bicche gang wohl mit jenen der römifchen Kirche übers
. einfämeh, eingeführt worden 1).
Die Schonung des Kaiſers beruhfgte bie Gemuͤther
nicht, man mußte noch einmal ein Heer ruͤſten: die Glaͤubi⸗
gen ſchlugen ſich mit unglaublicher Erbitterung, und ließen
auf dem Schlachtfelde mehr als 8000 Todte. Die Hofs
herren führten den Kaifer dahin, und redeten fhn fo an
„Siehe bier fo viele taufend Schlachtopfer; es find weder
„Mahomedaner noch Heiden, es find Deine Unterthanen,
„unſer Blut, unfere Verwandten. Du magft fiegen oder
„beſiegt werden; jedegmal ſtoͤßt Du das Schwerd in Deine
eigenen Eingeweide. *Diefe Leute, die Dich befriegen, has
„ben Dir nichts vorzumerfen, fie find nur mit dem Gefege
‚nicht zufrieden, das Du ihnen aufbringen willſt Wie viele
„Schlachtopfer für biefen Glaubenswechfel! Diefen Leuten
„ftehet die roͤmiſche Religion einmal nicht an, laß ihnen
„iene ihrer Väter; außerdem wirft Du fein Reich mehr,
vn und wir niemals Ruhe haben“ 2).
Der Kaifer verfiel in tiefe Melancholte, -und nad) lan—
gen innern Kaͤmpfen erließ er ein Cdikt, welches jedermann
die Erlaubniß ertheilte, der Parthei zu folgen, welcher er
wollte. Diefes Edikt verurfachte im ganzen Keiche eine uns _
Hlaubliche Freude; die römifche Religion ward beinahe von
allen Abyſſiniern verlaffen; Alles. ertönte von Freudenliedern.
Man verfertigte Lobgefänge zur Erhaltung des Andenfeng .
an dieſes Ereigniß, und ſtellte darinn die Miffiondre als
Hyänen vor, gekommen vom Abendlande, um die Schafe
Abyſſiniens gu verfchlingen.
Der Patriarch Mendes begab fih zum Kaifer, und
fiellte ihm vor, daß eine folche Gewiſſens⸗Freiheit buͤrger⸗
liche Kriege erregen würde; dieſer antwortete ihm nur:
Was Fann ich machen? ch habe Fein Neich mehr fir mich.
Der Sultan Segud flarb bald hierauf und fein Sohn
Bafilideg folgte ihm auf dem Throne. Kaum hatte er
1) Telles p. 483.
2) Ibidem,
Abnffiner. - | 29
diefen beſtiegen, fo ließ er feinen Oheim Pas Scella
Christos wegen des geleffteten Eides gefangen feßen,
befahl dem Patriarchen Mendez: alle Feuergewehre, die er
befige, auszuliefern, und fi auf der Stelle nach Fre⸗
mone im Koͤnigreiche Tigre zu begeben. Mendez bof
verſchiedene Befänftigungs s Mittel an, der Kaiſer ſchlug fie
alle aus. Endlich erbot er ſich zu einer Unterredung mit
den Gelehrten der Nation, erhielt aber vom Kaiſer zur Ant⸗
wort: Haft Dis durch Beweiſe Deinen Glauben eingeführt?
Iſt es nicht durch, Gewaltthätigkeit und Tyrannei gefchehen ?
Der Patriarch. war gezwungen, fih nah Fremone zus
rüczuziehen, und fchicdte von da nach Indien, um von’
dem Bizes Könige Truppen zu verlangen.
Allein der Kaiſer von dDiefem Vorhaben unterrichtet, bes
fahl ihm, feine Staaten zu verlaffen, und fi) nad) Indien
einzuſchiffen. Er mußte gehorchen. Der Kaiſer ließ einen Mes
sropoliten aus’ Aegypten kommen, und alle fatholifche Miſ⸗
fiondre wurden acht Jahre nach ihrer Ankunft aus Abyſſi⸗
nien vertrieben.
Der Patriarch ſtellte nach ſeiner Ankunft in Indien
dem Vize⸗Koͤnige die Lage der Katholiken Abyſſiniens, und
die Nothwendigkeit, ihnen zu Huͤlfe zu kommen, vor: „Er
„ſchlug vor, fagt Le Grand, mittels einer Sees Erepedis
„tion durch das rothe Meer fidh Macun’ 8 und Arfifo’g
„zu bemeiſtern, daſelbſt eine gute Citadelle zu errichten,
„und eine ſtarke Garniſon darin zu unterhalten; den Bhar⸗
„nagas zu gewinnen, oder zu unterwerfen, und ihn zu
„zwingen, den Bruder. des Negug, den er in feiner Ob⸗
„hut hatte, den Portugiefen auszuliefern; diefen auf den
„Thron zu fegen, und mittels feiner einen Bürgers Krieg
„in Abyffinien zu erregen”.
„P. Hieronymus Lobo fuͤhrte beinahe die naͤmliche
„Sprache zu Rom; welches den Pabſt, die Cardinaͤle, und
„alle, fo davon Kenntniß hatten, auf die Meinung brachte:
„die Miffiondre möchten wohl in ihre Gefpräcde und ihr
„Betragen ein wenig von jenem kriegeriſchen Geifte ges
„miſcht Gaben, der der portugiefifehen Nation nur zu ſehr
U 5 Abpſſinier.
eigen iſt. Der zu Fremone und Alſa geleiſtete Wider⸗
„Rand, die Verſuche und thätlichen Einfchveitungen, den
„Pas Scella Christos feiner Verbannung zu entrei⸗
„ben, det Ungehorfam oder vielmehr die Empsrung des Za⸗
„marine, diefeg eifrigen und großen Befchügers der Jeſui⸗
„ten, welcher, verbunden mit den Nebellen des Berges Las
fa, mit den Waffen in der Hand gegen feinen König flarb,
„vollendeten die Üeberzeugung ‚ daß weder die abyffinifchen
jr Katholiken noch. die Miffiondre zu jenen Schafen gehörten,
ndie ſich geduldig auf die Schlachtbanf führen ließen’.
Der Pabſt und die Cardindle, eingenommen. gegen die
Jeſuiten, trugen dieſe Miſſion den franzoͤſiſchen Kapuzinern
auf. „Sechs wagten es, dort einzudringen, wurden erkannt,
„und zum Tode verurtheilt, bloß weil ſie lateiniſche Miſſio⸗
„naͤre waren. Der Kaiſer unterhielt ſogar einen Abgeſandten
38 Sennaguen, bloß in der Abſicht dag Eindringen der
„Jeſuiten nach Abyſſinien zu verhindern“ 1).
| In wiſchen gab es in Abyſſinien Perſonen, die aufrich
tig der roͤmiſchen Kirche zugethan waren: der Kaiſer ließ
fie forgfältig aufſuchen und hinrichten. Da er dieſe heimlis
chen Katholiken fürchtete, fah er fich nach Allirten um, zog
den Hyemen in fein Intereſſe; ließ ihn mwiffen, daß er die
Ausuͤbung der mahomedanifchen Religion erlaube, und vers
langte von ihm feldft mahomedanifche Lehrer.‘ ‚Das Vorha⸗
ben des Königs wurde befannt; das Volk fand im ganzen
Reiche auf, die Mönche waren die erften, welche zu den
Waffen griffen, und befannt machten: man müffe den Koͤ⸗
nig vom Throne ſtoßen „und einen Fuͤrſten an ſeinen Platz
ſtellen, der faͤhig ſey⸗ die Religion zu erhalten und zu ver⸗
thetdigen.
Es gibt keinen Souvergin, ber eine unumſchraͤnktere
Macht uͤber das Eigenthum und Leben ſeiner Unterthanen
hätte‘; als der Kaifer von Abyffinien, inzwiſchen feßte er
ſich in einem. Augenblick in Sefähr, Krone und: Leben. us
verlieren. Er' ſchickte den mahomedaniſchen Gelehrten,
\ .J we
2) Le Grand Suede la. Relation du;P, Lubo, .,
⸗
a}
den er herbeigerufen hatte, zuruͤck ‚ und feit diefer Zeit iſt
: die Foptifche. Neligion oder der Eutychiantsmus die
einzige Religion Abyſſiniens.
Relation de V’Abyssinie par le p. Lobo Überfegt von
Le Grand. Suito de cette relation. Lodolf Hist.
d’Ethiopie L. 3. C.9 — ı3 Telles Hist, d’Ethiop.
bei Thevenot T. 2. Fol. Nouvelle histoire d’Abyss.
tirde de Ludolf,; ıamo ä Paris 1684. La Croze,
Christianisme d’Ethiopie Diefes Wer ift nicht ‚ohne
Fehler. Was gegen Ludolf gefagt worden iſt, fließt
die Widerlegung der meiſten Fehler de la Croze’s in
19.
Ad alt ert. *) a) ein Frangofe, geboren zu Anfang des
achten Jahrhunderts. Dieß war das Jahrhundert der Uns
- wiffenheit und Yinfterniffe, die ſtets fruchtbar an abergläubis
fehen und beteügerifchen Menfchen find, das Reich der Heucher
lei. Adalbert mar von ſeiner erften Jugend an ein aus⸗
gezeichneter Heuchler ; er rühmte ſich, ein Engel in menſch⸗
licher Beftalt habe ihm vom aͤußerſten Ende der Welt Reli⸗
quien 'von wunderbarer Heiligkeit gebracht, Kraft derer er '
von Gett Alles erhalten könne, was er verlange. Durch
diefes Mittel gewann er Tas Zutrauen des Volkes, fand
Eingang in mehrere Häufer, und zog Weiber, und eine
Menge Bauern in fein Gefolge, welche ihn als einen Mann
don apoftolifeher Heiligkeit, ; und als großen Wunderthäter
betrachteten. Alm feine Betruͤgerei auf eine Ehrfurcht erre⸗
gende Würde zu ſtuͤtzen, gewann er durch Geld uͤnwiſſende
Bifchöfe, die ihm gegen alle Regeln bie biſchoͤfliche Weihe
ertheilten.
Dieſe neue Wuͤrde floͤßte ihm ſo viel Stolz und Din
fel ein, daß er’ fich noch über die Apoftel., und Märtyrer
ſtellte, Kirchen auf ihren Namen einzumeihen vermeigerte,
und fe nur auf feinen Namen weihen wollte. Er theilte
*) Achtes Jahrhundert.
0) Neo Eimigen Adelbert, nad Andern Aldebert..
32 Adaidett.
ſeine Nagel und Haare unter den Poͤbel aus, welcher
nen die naͤmliche Ehrfurcht, wie den Reliquien des hl. Pe⸗
trus erwieß. Er errichtete auf dem Felde, nahe bei Ouel⸗
len, kleine Kreuze und Bethaͤuschen, und ließ daſelbſt oͤffent⸗
liche Gebete verrichten, fo daß das Volk die alten Kirchen
verließ, und mit NHintanfeßung der Bifchsfe fich dort vers
fommmelte. Endlich, wenn das Volk ſich zu feinen Füßen
legte, um zu beichten, fagte er: Ich Eenne eure Sünden,
eure ‚geheimften Gedanken find mir befannt, ihr braucher
nicht zu beichten, eure Sünden find euch nachgelaffen; ges
bet, der Nachlaffung gewiß, in eure. Haͤuſer. Das Volk
. fund auf; und entfernte ſich mit voller Zuperficht über die
Verzeihung feiner Sünden 1). Ä
Adalbert Hatte feine Lebensbeſchreibung aufgeſetzt.
Na dem Anfange diefer Schrift, den man ung aufbewahrt
hat, scheint eg, Daß ſie nichts war, als ein Gewebe von
Vifionen, Betrügereien und falfchen Wundern. Adalbert
gibt an, er fey von gemeinen Eltern geboren , aber fehon im
Mutterleibe von Bott gekroͤnt worden; ehe feine Mutter ihn
zur Welt gebar, fen es ihr vorgekommen, fie fehe ein Kalb
aus ihrer rechten Seite hervorfommen, welche, nach Adals
bert die Gnade, die er durch einen Engel erhalten habe,
andeutete. Eine andere Schrift Adalbert's ift ein Brief,
- den er. Jeſu Chriſto zufchrieb, und von dem er behaups
Rtete, er. fey durch den Hi. Michael vom Himmel gebracht
worden. Die Auffchrift dieſes Briefe lautet fo: „Im Nas
„men Gottes. Hier fängt der Brief unferes Herrn J. C.
„an, welcher zu Jeruſalem herabgefallen, und von dem hl.
„Erzengel Michael an der Pforte Ephrem gefunden -
„worden ift: gelefen und abgefchrieben von der Hand eines
„Peiefters mit Namen Johannes, melcher ihn in die.
‚Stadt des Feremias gefchidt hat, an einen andern -
zPriefter, Namens Talafiug, und Talafiug har ihn .
„geſchickt nach Arabien an einen andern Priefler genannt
„Leoban, und Leoban hat ihm gefchickt in die Stadt
1) Bonifae. Epist, 135.
*
Adalbert. 33
„Berſamia, wo er empfangen worden iſt, Son dem Prie⸗
„ſter Makarius, welcher ihn auf den Berg des hl. Erz⸗
„enges Michael gefchict hat; und ver Brief ift anger
„Pommern durch einen Engel in. der Stadt Nom auf dem
„Grabe des Hl, Petrus, mo die Schlüffel des Himmels
„reihe find, und Die. zwoͤlf Prieſter, welche zu Rom. find,
haben drei Tage mit Faſten und Beten Tag und Racht
„dabei gewacht x
Nach der Kenntniß, welche das Eoneiliun von Nom, -
gehalten unter Zacharias gegen Adalbert, . von diefem
Briefe gibt, iſt er der nämliche, welchen Baluz nach einer
Handſchrift von Tarragona, in feinem Anbange zu. ben ,
Kapitularien der Könige von Frankreich aböruden ließ.
Er enthält nichts unrechtes aber auch nichts Bemerkens⸗
werthes.
Dieſer unnůtze. Verief, ſo laͤcherlich er bei'm erſten An⸗
blicke erſcheint, duͤnkt mir doch mit vieler Geſchicklichkeit
und auf die, zur Verfuͤhrung des Volkes geeigneteſte Weiſe
entworfen zu ſeyn. Dieſe Reihe von Engeln, Erzengeln
und Prieſtern, die ſich einander den Brief uͤberliefern, die
ihn in verſchiedene Länder, und endlich nach Rom bringen,
ſtellt ſich mit einem Mahle der Einbildung des Volkes var;
es fieht die Bewegung der Engel, das Staunen Der Prie⸗
ſter, es ſtellt ſich dieſes Spiel ganz lebendig vor, und ent⸗
wirft ſich ein unterhaltendes Gemälde, es würde es ſchmer⸗·⸗·—
zen, wenn der Brief nicht wahr waͤre, und es iſt weit ne
fernt, einen Betrug zu vermuthen.
Bir haben auch ein Gebet won Adalbert, welches er
zum Gebrauche feiner Anhänger verfaßt hatter es hebt fo
anz „Herr, allmächtiger Gott, Vater unferes Heren 3. €.
Alpha und Omega, der auf dem hoͤchſten Throne fißt,
über die Cherubim und Sexaphim, ich bitte und bes .
ſchwoͤre Di, Engel Uriel, ‚Engel Raguel, Engel Tas _-
buel, Engel Michael, ‚Engel Inias, Engel Tabuas,
Engel Sabaoth, Engel Simiel, u. f. m. 1),
-
‘ Mn.
1). Conc. T. 6, p. PIUS en
Ketzer⸗Lexikon. IL, en: |
34 Aldalbert. Adamiten.
Es war im oͤſtlichen Frankeich, wo Adalbert. eine
fo goftlofe und ausfchweifende Role fpielte. Der bi. 3 os
nifaciug, welcher als wahrhaft apoftolifcher Mann an der
Vernichtung diefes Irrthums arbeitete, ließ Adalbert in -
einem zu Sotffong gehaltenen Eoncil verdammen; dieſer
aber, flatt fich zu unterwerfen, wurde dadurch noch unters
nehmender.
Der hl. Bonifactus wendete fi an den Pabft, wel⸗
cher ein Concilium verfammelte, worin Adalbert vers
dammt wurde. 1) Von diefem Zeitpunkte an- fpricht die
Geſchichte nichts mehr von Adalbert; nur erfahren wir,
daß der bl. Bonifacius ihn Auf Befehl des Fürften Earle
mann und Pipin einfperren lief.
Die Einfälle der Barbaren in Das roͤmiſche eich hats
ten die Studien zu Grunde gerichtef, die Neligion allcin
hatte fie erhalten ; aber die Unordnung wirkte auf die geiſt⸗
lichen Studien zurüd. Die Verachtung, welche die Barba⸗
ren gegen Künfte und Wiffenfchaften hegten, die Nothwen⸗
digfeit, in welcher die Geiftlichen ſehr häufig, ich befanden,
zur Gewinnung ihres Lebensunterhaltes zu arbeiten, hatten
die Cleriſei ſehr unwiſſend gemacht; die bekehrten Barbaren
hatten einen Theil ihres Aberglaubens beibehalten; der Ge⸗
ſchmack am Wunderbaren ſiegte uͤber die Liebe zur Wahr⸗
heit, wie dieſes immer in den Jahrhunderten der Unwiſſen⸗
beit gefchieht. Man verfündete von allen Seiten Mirakel
Geiftererfcheinungen, die Froͤmmelei glaubte zuweilen
Fi das Befte der Neligion dergleichen erdichten zu Dürfen,
und eg war unmöglich, dag nicht der Eigennutz ſolche Beis
spiele benuͤtzte das Volk zu verfuͤhren, wie Ad albert es
that.
Adamiten. Rebe} ie. in ihren Verſammlungen nackt
erſchienen, wie es Adam und Eva im Stande ber uns
ſchuld waren 2).
Es ſcheint Ihrer betſchiedene Arten gegeben zu haben:
4) Im October 746, oder 748.
2) Epiphan, Haeres. 5ı. |
“*
\ |
t
Adamiten. | 35
1) Carpocrates und mehrere andere Ketzer hatten ges
lehrt: daß die menſchliche Seele ein Ausfluß der hoͤchſten
Vernunft ſey, und daß fie von dem Welt ⸗Schoͤpfer in koͤr⸗
perliche Organe eingeſchloſſen worden waͤre.
Dieſe Art, den Menfchen zu befrachten, flößfe ihren -
.. Schülern eine hohe Meinung von fich felbft, ' große Gerings
ſchaͤtzung des Lebens, und einen heftigen Haß gegen den
Welt⸗Schoͤpfer ein; jedes hielt eg für Sthuldigfeit, die von
dem Schöpfer gegebenen Geſetze zu uͤbertreten, und zu be
tweifen, daß er die menfchliche Seele als einen Theil-der
Gottheit betrachte, und alle Handlungen der mit dem Koͤr⸗
per. vereinigten Seele als folche, weldye der Weife und der
Chriſt für an und für fich gleichgültige Bewegungen anfehe,
welche die natürliche Würde des Menfchen auf Feine Weife
beeinfrächtigten. '
Carpocrates heftiger. Charaffer, der fehr für diefe .
Folgerung eingenommen war, machte diefes zum Grundfage,
auf welchen er feine ganze Moral und Religion begog.
Cr ſah nichts Gutes und Boͤſes mehr in der Welt;
achtete fi Adam und Eva gleich, Die im Stande Der Uns.
fchuld das Gute und Boͤſe nicht erfannten, und hielt.er für
Schuldigkeit, dieſe Gefinnung dadurch auszudrücken, daß er
ihre Nadtheit im irdifhen Paradiefe nachahmte; und diefe
Nacktheit wurde der unterfcheidende Charakter der Secte,
wovon er dag Haupt wurde. Seine Schüler bildeten die
Secte der Adamifen.
Diefe Secte verrichtefe Feine Gebete, und man begreift
leicht, daß der Grundfag der Gleichgültigkeft der menfchlis
chen Handlungen, verbunden mit dem Haſſe gegen ben
Welt s Schöpfer, nach den verfchiedenen Charakteren und
Temperamenten oft einander entgegengeſetzte, aber dem
Snrpriruipe der Secte angemeſſene Sitten hervorbringen
muͤßte. - Die einen wahren keuſch, während andere ſich al⸗
len Arten von Ausſchweifungen uͤberließen; und ſie hatten
tauſend Manieren, euſch oder wollůſti zu ſeyn (1).
(2) Clem, Alex. L. 3. Strom, p. 31. L. 1. p. 223. Epiph.
. \ > 3 * Y' x
m.
36 - | Adamiten.
| 2) Beiden. Griechen, Macedoniern und Romern war
es üblich, das Haupt zu entbloͤßen, und ſich zum Cheile zu
entfleiven, wenn man in tiefer Erniedrigung, Gunſtbezeu⸗
gungen verlangte Plutarch ſagt: Auguſt habe fich, ins
dem er den Senat befhwor, ihn nicht zur Annahme der
Dictatur zu zwingen, big zur Nacktheit erniedrigt, 1) Dier
fer Gebrauch war. wahrfcheinlich zu den Chriften übergegans
gen, tie man es an dem Beifpiele der befehrten Griechen
fieht, von welchen Paulus fagt, daß fie den’ Juden ent⸗
gegen mit entbloͤßtem Haupte beteten, und prophezeiten.
Ein eifriger, von tiefer Demuth durchdrungener Chriſt
mochte dieſe Art zu beten, als den natuͤrlichſten Ausdruck
der. Gott ſchuldigen Unterwerfung und der innern Huldi—⸗
gung, die er der goͤttlichen Majeſtaͤt zollte, anſehen; uͤbri⸗
gens haben Adam und Eva in ihrer Unſchuld ſo im irdi⸗
ſchen Paradieſe gebetet. Man begrejft leicht, daß man mit
lebhafter Einbildungskraft und ſchwachem Verſtande aus. der
Nacktheit im Gebete eine Schuldigkeit machen oder fie mer
nigſtens als die Goft angenehmfte Urt zu beten anfehen
- fonnte, Der Menfch, welcher zuerft auf dieſe Gebet » Art
verfiel, ftieß auf phantafievolle Gemüther, welche ex erhißte,
und bildete fo eine Secte, welche fih.Adamiten nannte,
weil fie fich dürch das Beifpfel Adam's und Eva's rechtfer⸗
tigte, In der That ſcheint eg, derarfige Adamiten ges
geben zu haben. Sie legten, nach dem: Berichte des hl,
Epiphamius, ihre Kleider in dem Vorhofe der Kirche
ab, gingen hierauf, nackt wie das Kind, fo aus Muttere
Leib koͤmmt, an ihre Pläge; die geiftlichen Dbern -befanden
fih, jeder auf dem feinem Nange. zuffändigen Mate, und
errichteten den Gottesdienſt nackt. Die Sitten dieſer Secte
Haer. 51. Augs. Haer. 51. Philastr. C. 49. Tsider,. his-
pal. L. 8. Orig. C. 5. Damascen, c. 51. « Psendo- Hy-
ron, in Jndic. Haeres, C. 14. no
1) Alexander ab Alexandro Dierum Geniekiam. L 2.
© 29 Plutarch, Leben Aus uſtuüs. ..
Adamiten. 37 -
waren anfarige untadelhaft, und ſie excoamumizirten ohne
Verzeihung alle, welche in irgend eine, der Unſchuld, zu
welcher ſie ſich bekannten, zuwiderlaufende Schwachheit ge⸗
fallen waren. Jedoch wurde dieſe Secte bald verdorben.
3) Als das Moͤnchsleben in Palaͤſtina aufgekommen
war, ſah man daſelbſt Wunder von Buſe, Armuth und al⸗
len chriſtlichen Tugenden. „Einige von den Einſiedlern“
ſagt Evagrius, „verfielen auf eine Lebensweiſe, welche |
„alle Kräfte und alle Geduld der Menfchen. zu überfleigen
„ſcheint: fie wählten eine ven heißen Sonnenftrahlen auss
„sefegte Wüfte zur Wohnung; dort gibt eg Männer und
„Weiber, die ganz nat, mit Ausnahme deffen, was bie
„Schambaftigfeit gu bedecken gebietet, in allen Jahreszeiten
vie ſtrengſte Kälte und die heftigfte Hiße verachten ; fie vers
„ſchmaͤhen ven Gebrauch der Lebensmittel, deren fich andere
„Menſchen bedienen, und ‚begnügen fich, wie die wilden
„Thiere zu grafen. Darunter gibt es einige, wiewohl in
„geringer. Zahl, die, wenn. fie durch Fange Tugendübungen
„ſich über die Leidenfchaften erhoben haben, in die Städte
„zuruͤckkehren, fich unter die Menfchenhaufen- miſchen, und
„ſich den Anfchein geben, die Vernunft verloren zu haben, -
„um den eitlen Ruhm zu gerachten,. welcher, wie Cafo
fast, Das Unterkleid iſt, das auch die Weiſeſten zuletzt
„ablegen“.
„Sie find ſo gewoͤhnt, „ohne irgend eine Empfindung
des Vergnügens zu eſſen, daß ſie, wenn es noͤthig iſt, in
„Gaſthaͤuſern und Schenken eſſen, ohne irgend eine Ruͤck⸗
ſicht anf Ort oder die Gegenwaͤrtigen zu nehmen; fie ges
„hen oft in die Öffentlichen Bäder, und badem fich ohne
‚‚Unterfhied mit allen Gattungen von Perfonen; fie haben
jr die Leidenfchaften. fo unterjocht, und die Natur fo befiegt,
‚daß kein Blick und feine Berührung eine unanftändige
„Regung in ihnen erwecken kaun. Bei den Männern find
fie Maͤnner, und ſcheinen bei.den, Frauen Frauen- zu ſeyn:
‚endlich um Alles mit: wenigen Worren zu fagen, ihre Zur
„gend befolgt die der Natur entgegenftehenden Gefege, und
„wenn fie gezwungen ſind, ſich der zum Leben unentbehr⸗
33: Albelphus.
lichſten Dinge zu bebienen, fo nehmen fie niemals mehr,
„als die Rothwendigkeit erheiſcht“ 1). |
Diele Menfchen waren zu außerordentlich ‚ und zu febr
in Achtung, als daß fie nicht Nachahmer gefunden hätten,
und es iſt möglich, daß eine falfche Nachahmung dieſer Eins
fiedler Die Nacktheif bei ihren. Nachahmern in Hebung ges
bracht habe, und dag mit dem Verlaufe Ver Zeit fie ſich
auf diefen Zug der Achnlichfeit, der ganz geeignet iſt, bie
Aufmerffamkeit und Wohlthätigfeit des gemeinen Haufens
auf ſich zu ziehen, beſchraͤnkten 2).
Die Adamiten kamen im vierzehnfen Jahrhunderte
wieder zum Vorſchein, ſie ſind mehr bekannt unter dem Nas
men der Turlupius und artıen Brüder. — Ein Schwärmer,
Namens Picard, erneuerte auch diefe Secte; deggleichen
“ gab es unter den Anabaptiſten Adamiten. Siehe die Ars
titel Ptcard, und Anabaptiſten. |
Adelphus, © platoniſcher Philoſoph, welcher die Grund⸗
fäge rer Gnoſtiker, als Entwicklungen deg Platonismus an⸗
nahm. Er brachte mehrere Bücher Ale xander's von Ly⸗
bien, und ie vorgeblichen DOffendarungen Zoroaſt er's zus
fammen, welche er mit den Lehren der Gnoftifer und des
Platonismus vermifchte, und aus biefem Gemenge efne Art
Syſtem zufammenfeßfe, womit er viele Leute im dritten
Sahrhunderte verfilhrte. Auch behauptete er, weit fiefer in
die Erfenntniß des hoͤchſten Weſens eingedrungen zu feyn,
ale Plato. Platin, das Haupf der Platonifer, wieder⸗
legte ihn in. feinen. Vorlefungen, und fchrieb gegen ihn;
arena, fchrieb 40 Bücher, um dag Buch Zoftrian’s -
*) Drittes Jahthundert.
1) Evagr. P. 4. nach der ueberſetzung des Präſ. Cousin,
C. er. .
2) In der That feinen dieſe Einſiedler falſche MRachahmer
gehabt zu haben, weil der 29te Canon des Concils von
Laodizia'nicht nur den Laien und Prieſtern, ſondern ſo⸗
gar auch den Monchen verbietet, mit den Weibern ſich zu
baden. | nf j
— —
⸗
! .
Aerius. | 39
zu widerlegen ; Porphyr fchrieb eben fo viele, um zu geis
gen, daß das Buch des Zoro aſter neu, und durch Adels
phus und feine Schüler zuſammengetrggen worden ſey.
Wir haben noch dag Werk Plotin's gegen dieſe rein phi⸗
loſophiſchen Gnoſtiker, wie man nach dem Glauben, den
Plotin ihnen zuſchreibt, urtheilen muß *).
Aerius war Mönch, hatte ſich auf die Seite ber
Arianer gefchlagen, und war Freund des Euſtathius.
Als aber diefer zum Bifchofe von Conftanfinopel er
wählt worden war, wurde Aerius fein graufamfter Feind.
Eufiathiug unterließ nichts, wegen bed Vorranges, den
ihm feine Stelle gab, von feinem Freunde Verzeihung zu
erhalten, er überhäufte ibn mit Achfungs s und Freunds -
ſchafts⸗ Bezeugungen, weihte ihn zum Priefler, und übers
trug ihm die Leitung feines Spitales. Allein er gewann
ihn nicht. . Aerius Magte und murrte unaufhoͤrlich gegen
feinen- Bifhof, Euſtathius drohte, fein Anfehen gegen
ihn zu gebrauchen, um ihm Stillſchweigen aufzulegen.
Nun griff Aeriug die bifchäfliche Gewalt an, und bes
hauptete, ein Biſchof habe keinen Vorrang vor dem Prie⸗
ſter. Nach diefem erfien Unabhängigkeits s Verfuch beftritt
Aerius Alles, was dem Euſtathius Zutrauen und bie
Achtung des Volkes verfchaffte; er verwarf alle Eeremonien
der Kirche, und Die Feier jener Feſte, bei welchen der Bir
fchof in Prunf und .mit Auszeichnung erfchien, laͤugnete dag
Gebet für die’ Verfiordenen, und behauptete, bie Kirdye
habe feine Gewalt, Faften vorsgufchreiben. a
Nachdem Aerius dieſen Verbeſſerungs⸗Plan entwors
fen hatte, verließ er ſein Spital, lehrte ſeine Meinungen,
und uͤberredete viele Perſonen beiderlei Geſchlechts, welche
ſich aus der Kirche entfernten, ihm folgten, und die Secte
der Aerianer bildeten.
Als man ſie aus allen Kirchen verſtieß, verſammelten
ſie ſich in Waͤldern, in Hoͤhlen, und auf freiem Felde, wo
fie zuweilen ganz.mit Schnee bedeckt waren. Aerius lebte
*) Plontinus L. 18, P. 203.
42 Ä | Aerius.
Macht, he. in Bolzug bringen gu laffen, und jene zu ſtraſen,
welche fie überfreten. x
Weil jedoch‘ ein einzelnen Bifchof nicht untruͤglich if, fo
kann er fich binfichtlich der Vollziehung der Gefeße, ‚oder in
ihrer Sinwendung irren, oder ihnen eine zu große Ausdeh⸗
mung geben.‘ Deshalb gibt es ein Tribunal, wo abgeurs
theilt wird, ob der Biſchof fich nicht irret, wenn er dafuͤr
hält, daß dieſe oder jene Perfon-dag:Gefeß verleße; oder
ob er. das Geſetz und feine eigene Gewalt nicht zu weit
ausdehne. Diefes Tribunal war flet rein kirchlich, und
konnte ed auch.nicht anders fenn, weil die Kirche eine rein
religioͤſe Gefelfchaft iſt, deren Gefeße auf die bloß weltlis
chen. und: bürgerlichen Betheiligungen feinen Bezug baben.
Da die Verbindung der Kirde mit dem Staate die
Einrichtung und Wefentheit der Kirche nicht geändert hat,
ſo iſt es klar, daß die geiftliche und bürgerliche Gewalt
zwar verfchieden, aber. einander nicht entgegengefegt find. ..
Das Gebet fürdie Verfiorbenen.
Wir leſen im zweiten Buche der Machabaͤer, daß es
ein heiliger und heilſamer Gedanke ſey, fuͤr die Verſtorbe⸗
nen zu beten, damit ſie von ihren Suͤnden aufgeloͤßt wer⸗
den. 1) Es gibt daher Sünden, welche in der andern
Welt durch das Gebet der Lebenden nachgelaſſen werden
koͤnnen.
Da die Proteſtanten auf dieſen Beweis nicht antworten
konnten, ſo haben ſie die Canonicitaͤt des zweiten Buches
der Machabaͤer gelaͤugnet, aber ohne Grund, weil es faſt
von allen Kirchen durch das Decret Innocens I und
das vierte Concil von Carthago in die Zahl der canonis
ſchen Bücher anfgenommen worden iſt. Der Zweifel einiger -
‚Väter und Particuldrs Kirchen fann der allgemeinen Webers
einftimmung der andern nicht entgegen geflelt werden. —
Chriſtus erklärt im Evangelium, daß es gemwiffe Suͤnden
gebe, die weder in dieſer noch in der andern Welt nachge⸗
— 0.00 Pa ’
_ 1) L. 2. Machab. C. 12. V. 46.
\ '
. | Aierius. Aeſchines. 43
laſſen werden. Hieraus ‚haben die Väter geſchloſſen, daß
gewiſſe Suͤnden in der andern Welt nachgelaſſen wuͤrden,
- und Daß man für die Verſtorbenen beten muͤſſe.
Das Gebet für die Verfiorbenen war in ber Kirche
immer üblich: vom zweiten Jahrhunderte au ward es ges
richtet, und Tertulian feßt es in die Zahl der apoſtoli⸗
fchen Ueberlieferungen. Diefe Gebete für die Berfiorbenen
wurden nicht bloß zum Trofte für die Lebenden, oder zur
Dankfagung für die Gnaden, welche Goft den Todten ers .
wiefen hatte, verrichtet, es gefchah, um Linderung ihrer
Peinen zu erwirken 1).
Die Andacht fuͤr die Verſtorbenen nahm gegen das
Ende des zehnten und Anfangs des eilften Jahrhunderts
. durd) den bl. Odilo, und den Orden von Elugny fehr
zu 2).
Diefes Gebet tft dee chriftlichen Liebe angemeffen. Uns
fere Liebe zu Chriſtus muß ung mit feinem ganzen Leibe
verknuͤpfen, und ung für das Wohl wie dag Wehe feiner
Glieder Theilnahme einfloͤßen. So wie wir num an der
Herrlichkeit der Helligen Antheil nehmen müffen, indem
wir ung über ihre Siege und Seligfeit erfreuen, fo müffen
wir auch die Leiden der Vollendeten zu Herzen nehmen, und
fuͤr ſie beten.
Der Irrthum des Aerius uͤber die Feier der Feſte
und die Ceremonien wurde zum Theile von den Proteſtan⸗
ten, vorgüglih den Presbpterianern, einigen Anabaptiften
und endlich den Dudfern erneuert. Wir werden in biefen
Artikeln darauf zuruͤckkommen.
Aeſchines war en Empirifer von Athen, und
folgte den Irrthuͤmern ber Rontanifien. Er‘ lehtte, die
1) Turtul. de Monogam. C. Io. agnet de Cura pro
Mortuis, Oper. T. 6. p. 316. Serm. 32. De Verbis
‘> Apost, n, 172:C, 2. Chrysost Homil. in Ep- ad Philip.
gegen dad Ende,
2) Mabillon, Praef. in Sext. Saec. Benedietinum p: 449.
n. 58.
Er
24 0, Betind: Abshvniten
Apoſtel ſeyen durch den hl. Geiſt, aber nicht duch ben Par
raklet inſpircirt worden; Der verfprochene Paraklet habe
durch den Mund Montanis mehrere und wichtigere Dinge
geſprochen, als das Evangelium 1).
tikel.
Agaperen *), Diefes Wort bedeutet Perſonen, die ſich
lieben. Man gab. diefen Namen einem Zweige der Gnoſti⸗
ker gegen dag Ende des vierten Jahrhunderts J. 395. Der
bl. Hieronymus iſt der Meinung, dieſe Secten s Art fey
vorzuͤglich aus Frauen beſtanden, welche junge Leute an ſich
zogen, und fie lehrten, fuͤr reine Gewiſſen gaͤbe es nichts
Unreines. Vielleicht erhielt auch dieſe gnoſtiſche Ahart ih⸗
ren Namen von einem Weibe, Namens Agape, die un—
terrichtet von einem gewiſſen Markus, viele vornehme
Aetius. Haupt der Anomaͤer. Siehe dielen Ar⸗
Frauen Spaniens verfuͤhrte. Einer der Lehrſaͤtze der Ag a⸗
peten war ehrer falſch zu alien, als das 3 Gehelnniß
| dieſer Secte zu offenbaren 2).
Agarenier *x«). Dieſen Namen gab man chriſten,
die in der Mitte des ſiebenten Jahrhunderts, dem Evange⸗
lium entſagten, um dem Koran zu folgen. Sie laͤugneten
die Dreieinigkeit, und behaupteten: Gott habe keinen Sohn,
weil Er keine Frau habe. Dieſe abtruͤnnigen Chriſten wur⸗
den Agarenier genannt, weil fie die Religion Mah o⸗
. met’s ımd der Araber annahmen, weiche von. Sf mael,
bem Sohne der Agar , abſtammten 3).
Agioni fen Hk), Eine Secte unzuͤchtiger Menſchen,
die die Ehe ung Keufchheit, welche fie als eine Eingebung
des böfen Grundweſens anſahen, verwarfen. Sie degingen
*) Viertes Jahrhundert. — —
*5) Giebentes Jahrhundert. — |
**) Siebented Jahrhundert. —
ı) Ittigiws de. Haeres. p. 243. Hofmann Lexicon,
Stokmann Lexicon.
2) August. Haeres 70. Stokmenn Lexicon. -
3) Stokmann Lexicon,
Agnoeten. 45
alle Arten von Schandthaten, erſchlenen gegen das Jahr 694
unter Juftintan IL und Pabſt Sergius I. Im Conci⸗
linm von Gangres wurden ſie verdammt 1).
Agnveten *). Dieſck Name bedeutet Unwiſſende.
Man gab ihn 1) den Schuͤlern des Theophron, welche
gegen das Ende des vierten Jahrhunderts behaupteten: daß
Gott nicht Alles erkenne, ſondern noch Kenntniſſe erlange.
Dieſer Irrthum iſt abgeſchmackt. Denn es iſt offenbar, daß
das nothwendige Weſen eine unendliche Erkenntniß habe.
Die einzige Schmwierigfeit gegen Die Allwiſſenheit Gottes
fehreibt fi) von der: Freiheit herr Die Soreinianer has '
ben diefen Irrthum erneuert. Siehe Diefen Artikel. 2) gibt
. man den Namen Agnoeten jenen, weilche behauptet ha;
ben: Jeſus Chriſtus habe nicht Alles gewußt; der Tag
Des Gerichts und der Ort, wo Lazarus begraben lag,
ſeyen Ihm unbekannt geweſen. |
- Die Irrthuͤmer des Neſtorius und Eutyches hate
ten unendlich viele Fragen über die Natur Jefu, über feine
Menfchheit und Gottheit, über die Art, wie fie vereiniger
feyen, und die Wirkungen diefer Vereinigung erzeugt. The⸗
‚ miftius,"Diefon von Alexandrien, unterfuchte, ob nach
diefer Vereinigung, Jeſus, in dem nır Eine Perfon fen,
etwas nicht- gewußt habe? und legte. diefe Frage dem Ti⸗
mothaͤus, Biſchof von Alexandrien vor, welcher ihm ants
wortete: Jeſu ſey nichts unbekannt geweſen. Themiſtius
glaubte das Gegentheil in der hl. Schrift zu finden, weil
Jeſus ſelbſt ſagte: weder Die Engel noch der Sohn, fons
dern der Vater allein wifle den Tag des Gerichts. Es
fcheint nicht, daß die Agnoeten diefe Unmwiffenheif nur der
Seele Jefu,. Chrifti und nicht feiner Gottheit beigelet
haben; dieſe unterſcheidung moͤgen ſie gar nicht gemacht
haben.
Da ſie nur Eine Perſon in Jefus erkannten, und die⸗
ſer geſagt hatte „Er wiſſe den Tag des Gerichts nicht, ſo
— ee
*) Viertes gehrhundert. |
ı) Stokmann Lexicon, er,
a
46 a Agnoeten.
ſchloſſen fie daraus, Jeſus habe etwas nicht gewußt: es
ſcheint ſohin, daß Bellarmin ſich über die Agnoeten
geirrt habe 1).
Wenn. man über ben Urſſenng dieſer Secte nachdenkt,
und die Schriftſteller, die von ihnen geſchrieben, liest: fo
ift es leicht, fich hiervon zu übeggeugen 2),
Der Irrthum der Agnoeten hat nur bie Stelle, in
weicher Jeſus fage: des Menſchen Sohn wiffe den Tag
des Gerichts nicht, zum Grunde Diefe Stelle war früher
der Gegenfland eines: großen Streites zwiſchen den Aria⸗
nern und Katholiken gewefen, teil die erflern daraus
fehloffen, Jeſus fen nicht Gott. Einige Väter, um diefer
Scwierigteit zu begegnen, haben gefagf: der Menfd Fer
fus miffe den Tag des Gerichted nicht; nicht daß fie ges
glaubt hätten, Jeſus wife ald Menich etwas nicht, meil
Kraft der hypoftatifchen Vereinigung alle Schäge der Weiss -
heit und Wiffenfchaften in Ihm waren, fondern nur, - daß
die Menfchheit allein abgeföndert von der Gottheit bes
trachtet, nicht durch ſch und ihre Einſicht dieſe Kenntniß
habe 3).
Andere Vaͤter ‚haben. geglaubt y der Sohn Gottes habe
fagen wollen: Er ‚habe hierüber Feine Erfahrungs» Wiffens
-fchaft. 4). Andere endlich fagen, daß Jeſus in einem ges
wiſſen Sinn dag nicht wife, was Er ung zu entdeden für
ungeeignet erachfe; Er war für ung unmiffend, und wollte,
daß wir es nicht wiſſen ſollten.
Die Apoſtel hatten Jeſus gefragt: wann das Ende
der Welt kommen, und welche Zeichen ſolches ankündigen
wuͤrden? Auf den zweiten Theil der Frage gab Er eine
ganz befriebigende Antwort, weil dieſe Zeichen gekannt wer⸗
1) Bellarmin de Christ. L. 4, GT
2) Leontius de Sect. act. prima, Jsidor. T. 3. Origincs
C. 4 Damascen.
3) Athan. Serm. contra Arian. Ambros, in Luc. L, 8.
Gregor, Nazian. Or. etc,
4) Orig, in Matth, Epiph, Haer. 69,
Agnoeten. Agricola. | | 47
den ſollten; hinſichtlich der Stunde und des beſtimmten Ta⸗
ges ſagte Er ihnen aber, dieß ſeyen Dinge, deren Kennt«
niß der Vater ſich vorbehalten habe, und die Er den Men⸗
ſchen nicht offenbaren wolle, weder durch ſich ſelbſt, noch
durd) die Engel, noch durch die Propheten, noch Durch den
Sohn, mit Einen Worte, dag Er durch dieſes unerforſch⸗
liche Geheimniß ung in der Wachſamkeit, und einer beſtaͤn⸗
digen Erwartung erhalten ‚und in uns eine eitle Neu⸗
gierde, und zum Heile unnüge Nachforſchungen unterdruͤcken
wolle 1).
Frobeſius glaubt, daß die Menſchheit oder die Seele
Je ſu den Tag des Gerichts wirklich nicht wiſſe. Dieſe
Erklaͤrung iſt der Meinung der Vaͤter entgegen, jedoch keine
Ketzerei. Die menſchliche Seele Jeſu, obgleich hypoſtatiſch
mit dem Worte vereinigt, iſt nicht unendlich; ſie kann in
Kraft dieſer Vereinigung, Alles was ſie verlangt, wiſſen;
da fie aber nicht unendlich iſt, fo ſieht fie nicht Alles auf eins
mal, folglich konnte Jeſus zur Zeit, als Er feinen Apo⸗
ſteln ſagte: Er wiſſe den Tag des Gerichts nicht, in dem
Augenblicke auf die Zeit nicht aufmerkſam geweſen ſeyn, wo
die Welt aufhoͤrte 2).
Agoniceliten. Die Benennung jener, welche be⸗
haupteten: man muͤſſe ftehend beten, und es ſey aber⸗
glaͤubiſch, auf den Knien ſein Gebet zu verrichten 3).
Agricola *). (Johann Eisleb) ſogenannt, weil
er von Eisleben in der Grafſchaft Mansfeld gebuͤrtig
war, Landsmann und Zeitgenoſſe Luther's, war auch ſein
*) Sechs zehntes Jahrhundert.
1) Orig. Chrys. August. L. 8. quaest. 61, L. 1. De trin,
C. ı2. De Genesi contra Maur. C. 23. Aestius in
loc. diff, Script. p. 442. in lib. 5, Sent. dist. 14 et 3.
Calmet, sur: S. Matih, et S. Marc. 0 24 et 13. Nat,
Alex. in Saec. 6. Dissert, 7.
2) Frobes. instit. Theolog. L. 3. & ai.
5) Stokmann. Lexicon,
- —
48 Agripinianer.
Schuͤler. Er behauptete anfangs die Meinungen Lukheris
mit. vielem Eifer, entfagfe aber fpäfer benfelben, und wurde
Luther's Gegner.
Nach tauſendmaligen Veränderungen in feiner Lehre
und feinem Glauben, nach faufendfältigem Widerrufen und
eben fo vielen Ruͤckfaͤllen erneuerte er einen Irrthum, wel»
chen Luther aufzugeben gezwungen war, deſſen Folgeruns
gen aber jener weiter trieb, und Häuptling der Secte der
Anomdäaner wurde. Luther hatte Helebit: daß wir
durch den Glauben gerechtfertigt. würden, und Die, Hufen
maͤaner, d. h. Geſetzloſe.
Werke zur Seligkeit nicht nothwendig wären. Agricola
ſchloß aus dieſem Grundſatze, Daß, wenn der Menſch den
Glauben habe, es fuͤr ihn kein Geſetz mehr gebe, weil die⸗
ſes ſowohl zu ſeiner Verbeſſerung, als zu ſeiner Leitung,
nichts nuͤtze ſey; indem, wenn er gerecht iſt durch den Glau⸗
ben, die Werke unnoͤthig ſeyen, und wenn er nicht gerecht
iſt, er es werde, wenn er die Uebung des Glaubens ers
wecke. Agricola wollte daher, daß man nicht das evan⸗
geliſche Geſetz, ſondern nur das Evangelium predige, daß
man die Lehren, die zum Glauben führen, und nicht die
Regeln, die das Betragen leiten, verfündigen mäffe 1). > .
Luther erhob fich gegen diefe. Lehre. Agricola wi⸗
derrief mehrmalen, nabm aber eben fo oft den Widerruf
zurüch ‚Weit Luther feinen Grundfägen über die Nechtfers
tigung nicht entſagen wollte, und fie mit Agricola ans
nahm, konnte er ihn weder gründlich widerlegen, noch ihm
feinen Irrthum benehmen. Denn die Folgerungen Agris
cola’s" ſtanden augenſcheinlich mit Luther's Grundſaͤtzen
uͤber die Rechtfertigung in Verbindung. Da Agricola jede
Art von Geſetz verwarf, ſo nannte man ſeine Schüler Anos
*
Agripinianer. Schuͤler Agrippass, Biſchofs von
Karthago, welche dlejenigen wieder tauften, ſo von den
1) Stokmann Lexie. Seckendorf Historia Luth. L. 3.
$- 82.
aidanenſer. 46
Ketzern waren getauft worden. (Sieh den Artikel Wie
dertaufe der Ketzer.)
Albanenſer *). Secte des achten Jahrhunderts; von
dem Orte ihrer Entſtehung, Albanien, alfo genannt 1).
Eie behaupteten: alles Schwoͤren ſey verboten, laͤugneten
die Erbſuͤnde, die Wirkſamkeit der Sacramente und den
freien Willen, verwarfen die Ohrenbeicht als unnuͤtz, und
wollten die Excommunication nicht haben. Man ſagt von
ihnen, ſie haͤtten die Welt fuͤr ewig gehalten, und die See⸗
lenwanderung gelehrt. Sie ſcheinen zwei ewige und entge⸗
gengeſetze Grundweſen angenommen, und die Gottheit Jeſu
gelaͤugnet zu haben. Sie verwarfen den Eheſtand.
Dieſem nach waren die Albanenſer ein Zweig der
Manichaͤer, ber nach feiner Erloͤſchung im Morgenlande,
fi) in Albanten erneuert hatte. Dieſe Sectirer verbrei⸗
seten fich allenthalben, und aller Orten fanden fie Schüler,
welche wieder Secten bildeten. In grantteich gab es
ihrer an unzaͤhlbaren Orten.
Damals herrſchte eine tiefe und faſt allgemeine Unwiſ⸗
ſenheit. Die Geiſtlichkeit zumal war ſehr unwiſſend, und
folglich wenig regelmaͤßig; denn es iſt nicht zu glauben, daß
eine unwiſſende Geißlichfeit lange gut gefittet ſeyn koͤnne:
Das Naͤmliche gilt son dem Volke. Diefe Reſte der Mani⸗
chaͤer, fo verbreitet duch Europa, waren felbft fehr un⸗
wiſſend; fie verfuͤhrten das Wolf durch einen Anſtrich don
Megelmäßigkeit in ihren Sitten und Betragen; ſie fchrieen
gegen die Migbräuce und Unorbnungen bes Clerus; durch -
dieſen Kunſtgriff läßt fich ein unwiſſendes Wolf immer vers
führen.
Dieſer Unmwiffenheit von Bol md Clerus meß man 1 bie
reißenden. Fortſchritte dieſer Secten gufc;reiben, welche ſeit
dem achten, Jahrhunderte Europa uͤberſchwemmten, und
jene. fo langwierigen and blutigen Kriege entjünbeten, die
*) Achtes Zahrhundert.
1) Stockmann Lexicon. Sander Baron,
Ketzer⸗Lexikon. TI.
N
58 Ä ulbigenfer:
erft im ſiebenzehnten Jahrhunderte ſich endigten. Man fehe
die Artifel Bogomilen, Tankhelin, Peter von
Bruizs, Arnold von. Breffia, Albigenfer, Wal
denfer, Stadinghs, Kaputztraͤger, Begnarden,
| Fratricellen, Wiclef, Huſſiten, Luther, An a⸗
baptiſten, Reformation. |
Albigenfer. Manichaͤer, 1 welche Langue dok
am Ende des zwoͤlfter Jahrhunderts beunruhigten.
Die Ketzerei der Paulicianer oder Manichaͤer von
Bulgarien war von einem alten Weibe, welches viele
Canoniker von Orleans verfuͤhrt hatte, nach Frankreich
gebracht worden. Andere Manichaͤer, ausgebreitet in den
mittaͤglichen Provinzen Frankreichs, haften ihre Irrthuͤ⸗
mer dahin gebracht. Die Strenge, womit man fie behan⸗
deite, und die genauen Nachforfchungen, bie man über fie
anftellte, machten die Keber borfichfigen ‚ kounten aber die
Ketzerei nicht ausrotten.
Ungeachtet der Anſtrengungen zur Wiedberherſtellung der
Studien und Zucht in Frankreich, waren Unwiſſenheit
und Regelloſigkeit der Sitten ausnehmend groß; ſelbſt bet
der Geiſtlichkeit; die geiſtlichen Aemter wurden ohne Sitten
und ohne Faͤhigkeit verwaltet; Wucher war allgemein, und
in vielen Kirchen war’ Alles feil, Die Sacramente wie die
Kirchen» Pfeünden, hohe und niebere Geiftlichkeit, die Cas
nonifer und ſelbſt die Bischöfe verheiratheten fich Sffentlich,
1) Bei den Laien wer nichts ald Mord, ‚Raub: und Unters
druͤckung. Die Großen bemächtigten. ſich der Benefizien, vers
ſchenkten, berfauften, ‚ oder vermachten ſie ſogar in Zeſta⸗
menten 2). |
Die Geiftlichkeit war der Gegenſtand der Verachtung
‚bei dem Rolle wie bei den: höheren: Staͤnden. Die Mas
nichder, welche einen ımverföhnlichen Haß gegen die Geiſt;
lichkeit, und ein brennendes ‚Verlangen hegten, füch wegen
— 22 won um
ı) Gallia Christ, T. 2. p- 19. Variec. mwpendicen p. 44,
2) Hist. lit. de —R Be. \ J And! 2 ur “
. .. f
unit. “oA
_ Albigenfer. 51
der Haͤrte, mit der fie waren behandelt worden, zu. rächen,
benüßten biefe Stimmung, um Alles, was Letztern Achtung
verfchaffte, zu beſtreiten: zuerft machten fie fih an die Cars -
‚eramente und die Kirchen sCeremonien, behaupteten dann,
man müffe feinen. Behnd-geben, und verdammten alle Geift:
lichen, welche Grundſtuͤcke befagen. Das unwiſſende Volk
war nur durch die Furcht vor Kirchen⸗Strafen in der Uns
terwerfung gegen die Geiftlichen erhalten worden; jegt lieh
es den Einflüfferiimgen ber Manichäer fehr gerne dag
Ohr, und ging von ber Verachtung der Kirchendiener zu jes
ner ihrer‘ Lehre, der Keremonien, und der von ihnen ges
fpendeten Sacramente über. - =
- Die Manihäer, im Begenfheile verbammten die
Neichthuͤmer und vegellofen Sitten der Clerifei, jügelten
ihre Macht, waren felbft arm, trugen ein regelmäßiges Bes
fragen zur Schau, und wurden bald wie Apoſtel angefehen.
Ploͤtzlich brach die manichäifche Ketzerei in Frankreich aus;
fie hatte in derſchiedenen Provinzen eine Menge Anhänger
und wurde von vielen Großen begünftigek, 'niejche Kirchen;
Güter an fich geriffen haften, und von den Concikien vers
urtheilt worden waren, ‚die angemaßten Güter unter Strafe
der Ercommunication herauszugeben. Auf diefe Weife wur—
den die Manich aͤer bald eine fürchtbare Secte. Ä
Die Paͤbſte ſchickten in Die mittaͤgigen Provinzen Frank—⸗
reichs Legaten, um die Fortſchritte dieſes Irrthums aufs
zuhalten: der hl. Bernhard ging dahin, und bekehrte viele
Ketzer; allein da er ſeine Kenntniſſe, Talente, und ſeinen
Eifer der. Geiſtlichkeit nicht mittheilte, ſo gewann nach ſei⸗
ner Abreiſe die Ketzerei neue Kraft ..
Die Biſchoͤfe und einige Herrn der Provinz verſammel⸗
ten ſich zu Lombers, wo die Ketzer von den Einwohnern,
worunter mehrere Edelleute waren, Schuß gefunden hatten:
die’ Bifchöfe widerlegfen die Haͤuptlinge der Keger, welche
*
8
*
sah a - .,
1) Hist. de Languedoc T, 2, L, 17. p. 547. T.%. L.
19.9.2: : 2 Fr
. _ 4 *
52 \ ‚Ufbigenfer.
überführt, dag fie die Irrthuͤmer der Manichaͤer erneuer⸗
ten, verdammt wurden.
Die Verdammung dieſer Secticer hinderfe nicht , daß
fie in Provence, Burgund und Flandern Pröfeliten
machten, wo fie unter ben Benennungen: Pozelikaner,
Publikaner, Gute Leute ıc. befannf wurden...
Die Erzbiſchoͤfe von Narbonne und Lyon liefen ef
nige ergreifen, und alle, die fich nicht befehren wollten,
wurden lebendig verbrannt 1).
Einige Jahre darnach vermehrten ſich dieſe aher ſo
außerordentlich in Languedoc, daß die Koͤnige von Eng⸗
land und Frankreich die gelehrteſten Praͤlaten ihrer Staa⸗
ten zur Vertheidigung der Wahrheit und Religion abſchick⸗
ten. Sie geboten den Fuͤrſten, ihren Vafalen, den Praͤſa⸗
ten, und dem Legaten, welchen der Pabft zur Bekehrung
der Ketzer abſenden wuͤrde, mit gewaffneter Hand und fonft
allem Noͤthigen beizuſtehen.
Der Legat und die Biſchoͤfe zogen mitten unter dem
befshimpfenden Gefchrel des Poͤbels in Toulouſe ein, wel⸗
cher fie keck Ketzer, Abtrünnige,. Heuchler u. f. w. nannte.
Inzwifchen predigte einer von den Biſchoͤfen, und widerlegte
ihre Irrthuͤmer ſo gruͤndlich, daß die Ketzer, eingeſchuͤchtert
durch die Stärke feiner Gründe, und die Furcht vor dem
Grafen zu Touloufe, nicht mehr wagten, ſich zu zeigen,
oder öffentlich su reden.
Der Legat begnůgte ſich nicht mit diefen Vortheilen, da
er diefer, dem Geifte der Neligion: fo angemeffenen Methode
nicht ganz verfraufe,. ftellte. er zur Entdeckung der Ketzer
Unferfuchungen an, und nahm allen Katholiken bag. eidliche
Verfprechen ab, alle ihnen befannte Keger, und beren Bes
ſchuͤtzer anzuzeigen.
Unter den Angeklagten befanb ſich einer, Namens Pe⸗
ter Mauran, ein reicher Mann, welchen man fir den
Hauptketzer hielt. Wan. vermochte ihn durch Liebkoſungen
—N—— —
1) Hist. de Languedoe 7 T, 3, pP. 4. Joh! 1178.
Albignfer. . 33
und Verſprekchen, ſich vor dem Legaten zu Relfen. Bei'm
Verhoͤre erklärte er, daß-das. von dem Prieſter geiveihte
Brod der Leib Jefu Chriſti nicht fey.: Die Miffiondre
fragten ihn. nichts. weiter; fie fianden auf und konnten fich
nicht erwehren, über die vernommene Sotteslaͤſterung, und
Das Ungluͤck defien, ver fie ausgefprochen. hatte, Tpednen -
zu vergießen.
auran wurde als Ketzer erklaͤrt, dem Grafen von
Toulouſe uͤbergeben, der ihn einkerkerte. Alle feine Guͤter
wurden eingezogen, und feine Schloͤſſer geſchleift. Nun vers
fprach Peter Mauran fich zu befehren, und feine Irr⸗
thuͤmer abzuſchwoͤren. Er ward aus dem Gefängniffe her,
vor geführt, geigte fich im bloßen Unterfleide nackt vor dem
Volke, warf fi dem Legaten und deſſen Eollegen zu Für
Gen; bat unt Gnade, erfannte und ſchwur feine Irrthuͤmer
ab, und verfprach, fich alfen Anorbnungen des Legaten zu
unterwerfen. Des andern Tags begaben fich der- Bifchof von
Touloufe und der Abt von St. Serntn in das Ger
fängnid, um Peter Mauran abzuholen, welcher nadt .
und baarfuß herausgeführt wurde. er Bifhof und ber
Abt. peitfchten ihn unterwegs von Zeit zu Zeit mit Rus
then, und brachten ihn an die Stufen des Altars, wo er
ſich nieberwarf, zu den Fuͤßen des Legaten, und von Neuem
ſeinen Itrthuͤnern entſagte. Man zog ſeine Guͤter ein, und
legte ihm auf, innerhalb vierzig Tagen nach Jeruſalem zu
ziehen, und daſelbſt drei Jahre lang den Armen auüfzuwar⸗
‚tn, mit dem Verfprechen: ihm bei: feiner Rückkehr feine
Güter wieder zuzuſtellen, mit Ausnahme der Schloͤſſer, wel⸗
che zum Andenlen an feine Treuloſigkeit gefchleift bleiben
folten. Ueberdieß wurde er zu einer Strafe von fünfhuns
dert Pfund ſchwer Silber an den Grafen von Touloufe,
feinen Herrn, zur Herausgabe der Kirchenguͤter, die er an
ſich gezogen hätte, zur Wiedererflattung der Zinfen, die er
unrechtmäßig..eingetrieben, und zur Verguͤtung des Schar
dens, den er den Armen zugefuͤgt baͤtte, verurtheilt 1).
1) Bist, de Languedoc T: sı L 19. p. 48.
54 . Albigenſer.
Das war Peter Mannan,. diefer ſo heftige Feind
der Geiſtlichkeit, dieſer große. Eiferer für die Reformation
,Man entdeckte noch ‚einige andere vorjuͤgliche Ketzer,
die, des Manichaͤi smus uͤberfuͤhrt, mit den Banne bes
legt wurden. Dieß war die ganze Frucht der: erſten ‚gegen
die Keger ausgeſandten Miffion 1). '
Die Großen des Landes waren damals durch; aunnere
Feindſeligkeiten geſpalten; Roger, Vicomte von Alby be
guͤnſtigte die Ketzer, weil er bei ihnen Unterſtuͤtzung gegen
‚den Grafen Raimund V. von Coulouſe, der ihr ents
fdjtebener, Gegner war, zu finden hoffte. . Sie befeſtigten
ſich in verſchiedenen Plaͤtzen von Roger's Beſitzungen und
Innocenz II, unterrichtet von ihrem Wachsthume, ſchickte
Heinrich, Abt von Clairvaux, ber eben zur Cardinals⸗
Würde und dem. Bisthume von Ylbano.war erhoben mots
den,. und zwei Sahre früher, unfer Der Oberleitung des
Cardinals Chryſoganus, bei der Miſſion angeſtellt ges
weſen war, als feinen Legaten nach Languedoc; Hern⸗
rich bewog durch ſeine eindringende Beredſamkeit eine be⸗
thaͤchtliche Anzahl Katholiken zu ben Waffen zu greifen,
und ihm zu folgen. Aus diefen Katholiken bildete er einen |
Heerhaufen, rückte gegen die Befisungen des Vicomte R os
ger an, befngerte und nahm. das Schloß von Lavaur.
Hier war der Haupffig der Keber, -und zwei der Häupts
linge, die man im Schloffe gefangen nahm, befchrten ſich.
Der Legat führte hierauf fein Heer nad, Gas cogn e, wo
er, ſowohl in Kraft feiner Predigten, als Durch Die Furcht
vor Waffengewalt, die Meuterer sur Ordnung brachte.
Nach diefem Feldzuge gegen bie Reber berief der Cardinal⸗
Legat Concitien; um die Angelegenheiten der Kuche zu ord⸗
nen 2).
Kaum aber hatte der Cardinal Bein rich feine Kriegs⸗
unternehmung eingeſtellt, als die Voͤlker, welche die Furcht
nun nicht mehr elgekte, ben verführerifchen ‚Einfläfterungen
r
1) Hist. de Languedoc. T. 2, L. 19,
2) Hist, de. Languedoc T. 3. p. 57. W
Abbigenfer: | 95
der Manichder von Neuem Gehoͤr gaben, und der Irr⸗
thum mit verjuͤngter Kraft auftrat 1).
Der Pabſt ertheilte jetzt zwoͤlf ciſteritenſern Aebten den
Auftrag, bie Fortſchritte der Ketzerei durch Predigten
aufzuhalten. Allein die Kriege, ſo die Fuͤrſten veruneinig⸗
ten, die Unwiſſenheit des Clerus, die Zerwuͤrfniſſe ver
Miſſionaͤre ſelbſt mit den Biſchoͤfen machten, daß die Miſ⸗
ſtonen gegen die Ketzer wenig Nutzen brachten. Dieſe go⸗
gen vielmehr aus einem ſolchen Zuſtande der Verwirrung
alle Vortheile, verkuͤndeten ihre Lehre oͤffentlich, und ver⸗
lockten eine Menge Adeliger und Herren. Man ſah dieſe
Ketzer mit gewaffneter Hand Biſchöfe, Prieſter und Moͤn⸗
che verjagen, die Kloͤſter verwuͤſten, und die Kirchen nieder⸗
reißen. Die Miſſionaͤre mußten daher vor Allem darauf
bedacht nehmen, die inneren. Kriege, welche Languedok
nerheerten, zu beendigen, und die Fürften miteinander aus⸗
zuſoͤhnen, auf daß fie ie ibre Kriegsmacht gegen. die Keßer
wendeten.
Der Graf Raimund VI. von: Touloufe, Sohn des
1194 verſtorbenen Raimund V. trat nicht in die Fußſta⸗
pfen ſeines fuͤr dem katholiſchen Glauben ruͤhmlich eifernden
Vaters, ſchlug den angetragenen Frieden aus, und ertheilte
den Albigenſern offenen Schutz; er wurde daher von der
Kirchengemeinſchaft ausgeſchloſſen, endlich zum Frieden und
dem Verſprechen genoͤthiget, die Feinde, der Kirche nicht
mehr zu beguͤnſtigen „ſondern fie zu bekriegen. Allein der
Grgf betrug fich in der Kolge nicht auf eine dem Eifer der
Miffiondre angemeffene Weife, und wurde von Peter von.
Caftelnau, oder Chateaumeuf, Ciſterzienſer und Le⸗
gaten des heiligen Stuhles foͤrmlich mit dem Lirchendanne
belegt.
Bald darauf wurde dieſer Legat, als er. eben bon einer
Unferredung mit dem Grafen von Touloufe nebſt anderen .
Miſſtonaͤren zuruͤckkehrte, am Ufer der Rhone, bei einer
Vorſtadt von Arles (1208), gemeucelt, Der Habt, ben
-
yı "Hist, de Languedoe r. 3. p. 57. wehe 4504.
56 | albigenfer.
Grafen don Tonloufe nicht ohne Wahrſcheinlichkeit bearg |
wohnend, an dieſem Meuchelmorde Antheil genommen zu
haben, ercommunicirfe ihn von Neuem, belegte feine Läns
‚ der mit dem Interdict, und entband,feine Unterthanen des
Eines der Treue, weil man bem feine Treue ſchutdi fey,
welcher Gott ſolche nicht hielte.
Der Pabſt berichtete dieſe Excommunication dem 8%
nige, Philipp Auguft vom Frankreich, mit. den Ev
mahnen an ihn und an ſeine Großen, gegen: bie Albigens
fer, und den Grafen von Touloufe nebf- feinen Anhän⸗
gern einen Kreuzzug zu unternehmen.
Der Abt von Ciſterz, und die Religioſen ſeines Or⸗
dens erhielten ſofort von dem roͤmiſchen Stuhle den Befehl:
den Kreuzzug gegen den Grafen, und die Albigenſer zu pre⸗
digen, welchen dieſe in dem ganzen Koͤnigreiche befolgten.
Da der Pabſt den Kreuzfahrern den naͤmlichen Ablaß, wie
jenen, die in das heilige Land gegen die Sarazenen zogen,
bewilligte, fo draͤngte ſich Alles herbei, gegen den Grafen
von Touloufe das Kreuz anzunehmen.
Graf Raimund ſchickte Abgeordnete nad) Kom, um
das Ungemwitter, ſo gegen ihn auszubrechen. drohte, abzu⸗
- wenden. Nach vielen Verhandlungen endlich verfprach ihm
der Pabft, im Falle er unfchuldig wäre, die Losfprechung;
jedoch wurde borgängig die Auslieferung von fieben Feſtun⸗
gen des Grafen an den Legaten zur Gewaͤhrleiſtung ſeiner
Unterwuͤrfigkeit gegen den heiligen Stuhl bedungen.
Innocenz III. ſchickte Milon, ſeinen Notar in der
Eigenſchaft eines Legaten A Latere, um die Sache Rats
mund's zu unferfuchen. Der Legat berief nach Montes
limar ein Concilium, vor welchem Naimund erfchien,
und bis an den Gürtel enffleidet, folgenden Eid ablegte:
‚Im. zwölften Jahre des Pontificats Sr. Hefligkeit, Pabft
„Innocenz IT. den 18ten Juni. Ich Raimund, Hers
„zog von Narbonne, fehmäre auf das hl. Evangelium,
‚‚Angefichts der heiligen Neliquien, der heiligen Hoftie, und
„des „Holzes vom wahren Kreuze, daß ich Folge leiften
„waerde allen Befehlen des Pabſtes und den eurigen, Herr
/
elbigenfer: 57
„Milon, Notar Sr. Helligkeit, umd Legaten bes bi. apo⸗
„‚Rolifhen Stuhles, und jedem andern Legaten des hl.
. „Stubles in Betreff aller und jeder Artikel, wegen wel⸗
„Ser id) excommuniciet war oder; bin, es fey von Dem
„Pabſt, oder von feinem Legaten, oder von andern, eg fey.
„endlich non Rechtswegen, dergeſtalt, daß ich ohne Ges
ufährde Alles vollziehen werde, was mir wird. befohlen
„werden, ſowohl durch ihn ſelbſt, als durch feine Briefe
„und feine Legaten, in Betreff beſagter Artikel, vorzüglich
zı aber folgende “,
Dieſe Artikel find: er habe die Unterzeichnung des Frie⸗
dens verweigert, die Ketzer nicht vertrieben, er habe ſich
im Glauben verdaͤchtig gemacht, ſeinen Feinden nicht Recht
angedeihen laſſen, er habe ungebuͤhrende Zoͤlle und Geleite
erheben, einige Biſchoͤfe und ihre Geiſtlichen gefangen neh⸗
men laſſen, und ihre Güter an ſich geriſſen u. ſ. w. Der
Graf von Toulouſe bewilligte, daß man ſeine Unterfhas
nen vom Eide der Treue. Iosbinde, im Falle er über. alle
diefe Artikel dem Pabfte zu gehorchen fich weigere. Sech⸗
zehn Baronen, Vaſallen des Grafen, verſprachen das Naͤm⸗
liche. Endlich befahl der Legat dem Grafen, Alles gethane
Unrecht zu vergiiten, verbot ihm Zoͤlle zu erheben, und fich
in bie Angelegenheiten der Kirche zu mifchen u. d. gl.
Nachdem der Graf in. alle diefe Bedingniſſe eingegangen
war, ließ der Legat ihm’ eine Stole um den Halg hängen,
nahm Ddiefe an "beiden Enden, führte ihn fo in die Kirche;
während er ihn mif einer Handvoll Ruthen peitichte. Nach
diefer demuͤthigenden Ceremonie endlich ertheilte er ihm die
Abſolution 1).
Inzwiſchen verſtaͤrkte ſich das Heer der Kreuzfahrer:
man ſah Flamlaͤnder/ , Normänner, Burgunder sc. haufens
weiſe ankommen, angeführt don den Erzbiſchoͤfen von
Rheims, Sen, Rouen, "den Bifchdfen von Autun,
Elermont, Nevers, Bayeur, Lifteux, and' Char
treg, und durch eine große Anzahl Geiftlicher.
1) Hist. de Languedoc T. 5. p. 162,
N
N
38 Albigenſe.—
unter den welllichen herren: hlte man den Herjog
von Burgund, Die Grafen von Nevers, von Monts
fort u. A.; der Abt von Ciſterz, Legat des hl. Stuhls,
wurde zum Obergeneral Der Armee emannt/⸗ welche ſich
1209. zu Lyon verſammelte.
Roger, Vitomte vom Bezters, | Birch Si fen furcht⸗
baren. Kreuzzug in Schrecken geſetzt, ging den Legaten en®
gegen mit der‘ Erklärung! daß er Eatholifch fey; die Irrthu⸗
mer der" Keher verabſcheue / und fie nicht beginftige; allein
alle feine Betheuerungen waren umſonſt y er „fand feinen Ä
Giauben⸗ LPT ;
Das Heer des Rrengpiges wuchs aiglich durch die ders
| ſchledenen Abtheilungen, “welche. der Erzbiſchof von Bor⸗
deaur, der Biſchof von Limoges u. ſ. w. herbeifuͤhrten.
Man nahm viele Schloͤſſer, verbrannte mehrere Ketzer. Das
Kreuzheer kam endlich vor Beziers , und forderte die ka⸗
fholifchen Einwohner anf ‚ale Ketzer auszuliefern. Die
Stadt verwarf dieſes Anſinnen, und die Kreuzſoldaten bela⸗
gerten und eroberten den Platz, metzelten mehr als 15,000
Einwohner nieder, und ſteckten ihn in Brand 1).
„Sie ließen alle Einwohner, ſagt P. Benedict,
uͤber die Klinge ſpringen ohne Unterſchied des Alters und
Geſchlechts, Alles verheexend und pluͤndernd. Endlich,
‚als fie wahrnahmen, daß 7000 Menſchen ſich in die
„Magdalenen⸗Kirche gefluͤchtet hatten, entweder um ſich da
„zu verſchanzen oder der Wuth der Sieger zu entgehen,
„fielen fie, da fie ohne Anführer von Gewicht waren, über
‚‚diefe Unglüclihen her, und machten fie nieder, fo. daß
„nicht eine Seele entkam u 2%
Nach .der Verwuͤſtung Beziers ging der. Zug nad.
Carcaſſone. Nach einem fehr tapfern und, moͤrderiſchen.
Angriffe und Widerſtande mußten die Einwohner die Stadf
ergeben, welchen man die Eros des Lebens Digeftanb.
I) Hist. do Laskguedoo. T. 3. p. 162 .
2) Flistoire des Albigeoi ‚ par le P. Benoit T. 3, p.
106.
N
Albigenfer, BE 59
Diefe unghuͤcklichen Einwohner bebielten nichts, als das
Hemd. Roger wurde zuruͤckbehalten und in den Serter
geworfen, wo er bald darauf ſtarb.
Bei'm Abzuge erklaͤrten die Einwohner, daß fie kathe⸗
liſch ſeyen, mit Ausnahme von vierhundert welche verhaf⸗
Pet und verbrannt wurden 1). |
Ale Beſitzungen Roger’ 8 erhielt Stmom Graf von
Montfort PAinaurt. Die Kreuzfahrer, die nut gekom—
men waren den Ablaß zu gewinnen, zogen wieder Ab, nach⸗
dem bie vierzig Tage, waͤhrend welcher fie Dienſt zu thun
verbunden waren, abgelaufen waren. Allein die Legaten.
und Simon von Montfork festen ben Krieg gesen‘ die
Keger und ihre Beſchuͤtzer fort.
u Raimund, Graf von Toulouſe, hatte Ai mit dem
Kreuzheere vereinigt, amd nach der Einnahme von Carcaſ⸗
fonne zuruͤckgezogen. Kaum mar er nah Touloufe zu⸗
ruͤckgekehrt, fo ſchickten der. Abt von Ciſter z und Simon
son Montforf Abgeordnete. in ihn, und bie: Buͤrgermei⸗
ſter von Toulouſe mit der Aufforderung: ale Einwohner,
welche dieſe ihnen angeben wuͤrden, ſammt ihren Guͤtern,
unter Strafe. ver Excommunication an die Baronen ber
Armee auszuliefern, damit fie ihr Glaubens⸗Bekenntniß in
Gegenwart ber Letztern ablegten. Simon von Momtfort
bedrohte zugleich den Grafen, thn, im Falle er dieſen Ber
fehlen den Gehorfam vermeigern würde, feindlich zu behan⸗
dein, und den Krieg in Das Herz feiner Staaten zu fpielen:
Ungeachtet aller Vorfichtdmaßregeln, welhe Raimund:
ergriff, einen Krieg zu vermeiden, ‚ungeachtet der Verſpre⸗
chungen, Die er machte, bier Reber aufzuſuchen und: zu be⸗
ſtrafen, ungeachtet der tauſend Betheuerungen ſeiner An⸗
haͤnglichkeit an die Religion und des Abſcheues vor der
Ketzerei kehrten doch die Legaten und Simon von Mont
fort die Macht des Kreuzzuges gegen ihn. - Der Graf von
Toulouſe eher fi) denmach zum Kriege, und verbuͤn⸗
ee
1) Hist. de Langnedoe i widem. Hist. dee Albig, Midem
p. 106. . —
4
60 aidigenſer.
bet? Rh mit den Graͤfen von Fol, Herrn. Comminge,
Bearn und mit Peter dein Könige von Aragonien.
Das Heer des Legaten ward wechſelweiſe vergrößert .
und wieder verlaffen von jenen Kreuzfoldafen,. welche von
‚allen Seften Frankreichs herbeifamen, um den Ablaß u,
gewinnen, und :fogleich-feder ik feine Heimath- wieder zus*
ruͤckkehrten, ſobald die. vierzig: Dienfttage verlaufen waren.
Deshalb, waren ihre Fortſchritte weder anhaltend noch ſchnell,
- und. diefer-Werhfel von Macht und Schwäche bei dem Heere
erhielt zwiſchen Simon von Montfort und fetnen Fein⸗
den eine Urt von Gleichgemicht , welches das miftägige
Sranfreich eine lange. Zeit. gu einem Saauslage ‚von un
ordnungen und Gräuelthaten machte.
..: Die Leichtigkeit, dem Ablaß gu gewinnen, Anden man
gegen Die AI bigenfer dad. Kreut nahm, richteten die '
Kreussiige. des. Morgenlandes zu Grunde ;-. die verbuͤndeten
Fuͤrſten, und hauptfächlic der König von Frankreich, ber
es mit den. Kreusfahrern ‚gehalten hatte, wuͤnſchten ihrer
Seits den Frieden.
Der Graf von Tonlonſe ſchloß denfelben mit dem
Verluſte eines Theiles ſeiner Beſitzungen, dem Verſprechen:
die Mauern von Toulo uſe abzutragen, ſobald er. hiezu vom
paͤbſtlichen Legaten den Befehl erhalten wuͤrde, und indem
‚er ſchwur, daß er alle Keker auffuchen und fireng beftrafen
wolle. Jedoch beftand man nicht Darauf, daß Raimund
jemand auslieferte, und der Krieg. hatte für ihn feinen ans
dern Erfolg, ale den Verluft eines Theiles feiner Laͤnder.
Raimund begab fid nad, Paris, um über diefe Punfte
ſchluͤßlich zu verhandeln, und nachdem Alles in's Reine ge⸗
bracht worden war, führte man ihn in Die Liebfrauen⸗Klr⸗
he, mo er am Fuße des hohen Altars im Hemde und
Beinfleidern mit bloßen Füßen alle benannten Artikel bes
fhwor, und die Logfprechung erhielt,
Die Übrigen verbiindeten Zürften folgten dem Beifbiele
des Grafen, ſchloßen Frieden, und verfprachen ‚„--mit Eifer
‘an Ausrottung der Ketzerei zu arbeiten. Der Legat Sfelt
mehrere Kirchenverſammlungen, unter andern eine zu Tou⸗
Ailigenfer 61
louſe (J. 1229), wo die Biſchoͤſe im Einderſtͤndnit mit
den Baronen und Herren Maßregeln gegen die Ketzer ver⸗
abredeten. Auch berief man zwei Buͤrgermeiſter von Tou⸗
louſe, welche im Namen ihrer ganzen Gemeinde ſich eid⸗
lich verbirgten, alle Verordnungen, die man auf dem Con,
cilium zur Ausrotfung der Ketzerei ergehen laffen wuͤrde, zu
halten, endlich errichtete man die Jnquifition.
Die Inquiſttioren durchzogen ale Städte, ließen bie
auf gemweihter-Stätte beerdigten Ketzer ausgraben, und die
lebenden verdrennen. hr Eifer war unermuͤdlich, ihre
Strenge aufs Hoͤchſte getrieben. Alles, was ihnen nicht
blindlings gehorchte, wurde zum Zuge in's heilige Land
verurtheilt, oder mit dem Kirchenbanne belegt. So folgte
neues Unheil -auf jenes des Krieges. Die Bölfer waren
durchgehends in einer Beſtuͤrzung, welche Empoͤrung und
Aufruhr ankuͤndet: in. vielen Gegenden erfolgten Aufftände,
einige inquifitören wurden ermordet, und man ward ges
jwungen, bie. Verrichtungen der Inquifition einzuftellen,
welche man jedoch fpäter wieder hervorſuchte.
Oft mußte man die Wurh der Inquiſitoren befchränfen,
und doch wurden viele Keber dem Feuer übergeben. Nah
und nad) nahm ihre Zahl ab, und feit 1383 wurde fein
Auto da Fe mehr gefeiert. |
Die Inquiſitoren ſpuͤrten zwar noch immer nach, und
fuchten nichts als Scheiterhaufen anzuzuͤnden; allein Die
Paͤbſte, unterrichtet don der Negellofigkeit ihrer Prozeduren,
und der Ungerechtigkeit ihrer Urtheile, legten ihnen ftrenge
Gefege auf. Von nun an veranlaßte die Inquiſition feine
Unruhen mehr, die Seber wurden feltener, und verſchwan⸗
den endlich ganz und gar.
Waͤhrend deſſen die Inquiſition mit ſo vieler Genauigkeit
die Ketzer aufſpuͤrten und mit ſo großer Haͤrte beſtraften,
ergab ſich eine große Anzahl Menſchen der Magie und Zau⸗
berei, und von einer andern Seite ſah man Haufen niedri⸗
ger Hirten zuſammenlaufen, um ale Juden ohne Barmher⸗
zigkeit zu ermorden.
Wie viel Unordnung, Verbrechen und unheil bietet
62 Allbigenſer.
dieſes Jahrhundert dem nachdenkenden Chriſten dar? In⸗
zwiſchen war man aͤußerſt unwiſſend. Sin feinem Jahrhun⸗
derte wurden mehr Bannſtrahlen geſchleudert, mehr Ketzer
verbrennt, in keinem aber waren auch kuͤntte und d Wiſen—
ſchaften weniger in Flor.
Lehre der Nlbigenfer N
Durch alle Perioden, aus allen gefchichtfichen Denkma⸗
| Jen zur Zeit der Albigenf er gehet hervor, daß diefe Keber
ein Zweig der Manichäer oder Katharen waren. Als
lein ihe Manihäismus wich von jenem des Manes ab.
Sie behaupteten, Gott habe Eucifer mit feinen Engeln ers
ſchaffen; diefer habe fid) gegen Gott empoͤrt und ſey mit feis
nem Anhange aus dem Himmel verfioßen warden. Verbannt
aus dem Himmel habe er die fichtbare Welt hervorgebracht,
auf welcher er regiere. Die Leiber der Menfchen,. fo wie
alle Thiere und Pflanzen feyen Gefchöpfe des boͤſen Prinzips.
Zur MWiederherftelung dee Ordnung habe Gott. einem
gweiten Sohne, welcher Jeſus Chriſtus fey, das De.
- feyn gegeben, Deshalb wurden Die Albigenfer auch
es
Arianer genannt. Sie verwarfen die Taufe. der Heinen
Kinder, die Anrufung der Heiligen, das Opfer für die
Abgeſtorbenen, wie auch den Gebrauch des Eheftandes, und
Alles, was in irgend einer Beziehung von der Vermifhung
beider Gelchlechter herkoͤmmt, z. B. Fleifch » Milch + und Eier⸗
Speiſen; fie nahmen, mit Verwerfung der Bücher des Als
ten. Tefiamentd, als welches vom böfen Grundweſen her⸗
fomme, nur das Evangelium an: fie verdammten die Sa⸗
cramente , verabfcheufen die Eucharifiie, verwarfen Das
Prieſterthum, hielten jeden Eid fuͤr unerlaubt, kannten we⸗
der Beicht noch Buße, und verabſcheuten die Bilder, Cru⸗
cifige und Kirchens Ceremonien. Doc) theilte fich ihre Secte
‚in zivei Klaffen: in die Vollkommnen, welche nach den
benannten Lehrſaͤtzen ſtrenge lebten, und in die Hoͤrer oder
Glaubenden, welche ſich in ihrer Lebens weiſe von an⸗
dern Menſchen nicht unterſchieden, auch nichts weniger, als
geregelte Sitten hatten, und ſich darauf vertroͤſteten, daß
ſie durch den Glauben der Vollkommnen ſelig wuͤrden,
Albigenſe · —
weil jene unntoglich· verdammt ‚werben: koͤnnten, weiche von
den Vollkommnmen die Handauflegung erhalten haͤtten.
Ihr Hauptkenntzeichen war die tiefe Heuchelei, mit welcher
ſie ihren Glauben verbargen, und die es ſehr ſchwer machte,
fie von den Rechtglaͤubigen zu unferfcheiden. Nach allem
diefem iſt ed unbeſtreitbar, daß die Albigenfer wahre
Manichaͤer waren; alle gleichzeitigen Schriftſteller dezen⸗
gen dieſes, und alle gerichtlichen Verhoͤre, die man noch ir im
Driginal aufbewahrt ,. beglaubigen es 1).
Wahr tft eg, daß die Baldenfer, Beguiner, und
einige andere Reber in Languedoc eindrangen, allein eg
ift nicht weniger gewiß, daß dieſe Ketzer ſtets von den Als
bigenſern unterſchieden, und nicht mit dieſem Namen,
ſondern ſchlechtweg mit „Ketzer““, bezeichnet worden ſind 2).
Endlich ſagt Wilhelm von Puplaurent, ein gleichzeiti⸗
ger Schriftſteller, die in ganguedog verbreiteten Keßer
wären nicht von einerlei Art: die einen feyen Wald en⸗
fer, die andern Manichaͤer; die erfiern disputirten ges
gen die letztern, die ſich in der Folge zweifeld ohne Albis
genfer genannt hätten. Man "muß demnach dieſe Secten
nicht vermifchen, wie Basnage, und es iſt gewiß, daß
die Albigenfer wahre Manicqhaet waren, wie es Sof
ſuet geſagt bat 2). —
Da die Albigen ſer neben den Irrthůmern der Ma⸗
nichaͤer auch jenen der Sacramentirer hatten, ſtuͤtzt man
ſich hierauf, um zu behaupten: daß ſie die Vorlaͤufer der
neuen Reformirten ſeyen. Die Irrthuͤmer der Albis
genfer. waren nicht das Werk vernünftiger Unterſuchungen,
3) Hist. de Languedoc T. 4. p. 183. T. 3. p. 135. 95.
etc, Hist. des Albig. par le P. Benoit, T. 2. Pieces
Justificatives,
2) D’Argentre Collet. jud, Hist, des Groisedes. contre les
Albigepfs,:par le P. Langlois, Jesujte. Hist. de Langve-
doc. Hist. des Albjgeois, Ä
3) Histoire de Variat, L. 11, Baar
6 Aloger Amauri.
fondern "Wirkung der Schtwärmeret, Unwiſſenheit und des
Haſſes gegen. die Katholiten. (Siehe den Art. Manichder)
Aloger, *) Ketzer deg zweiten Jahrhunderts, von
denen man glaubt, daß. fie die Gottheit des Wortes ges
läugnef haben: fie verwarfen das Evangelium des hl. Jo⸗
hannes und die Apocalypſe 1).
Wenn ihr Irrthum von jenem des Theodor von Bis
gang verfchleden war, fo ging er in die Grundfäge des
Sabellius über, welcher behauptete: das Wort fey keine
vom Vater unterfchiedene Perfon, oder in die Meinung der.
Artaner, welche, anerfennend, da das Wort eine vom
- Bater unterfchiedene Perfon fey, behaupteten· es w ein
Geſchoͤpf.
| Amanti x*). Ein Geiſtlicher aus Bene, einem
Dorfe der Didzefe von Charfres. Er fludierte zu Paris -
gegen dag Ende des zwölften Jahrhunderts, machte große
Sortfchritte im Studium der Philofophie, und lehrte mit
Beifall im Anfange des dreisehnten Jahrhunderts 2). Zu
diefer Zeit hatte man die Schriften des Ariſtoteles nah
Frankreich gebracht; die arabifchen Philsfophen bevienten
ſich derfelben als Führer im Studium der Logik, welches
faft der einzige Zweig der Philofophie war, morauf man
ſich verlegte. Es war ſchwer, ſich Ariſtoteles als un⸗
fehlbaren Fuͤhrer in Aufſuchung der Wahrheit zu denken,
ohne vorauszuſetzen: daß er in Erkenntniß der Gegenſtaͤnde,
die er unterſucht hatte, große Fortſchritte gemacht habe.
Deshalb ſchritt Amauri vom Studium der Logik des
Ariſtoteles zu jenem ſeiner Metaphyſik und Phyſik uͤber,
und folgte dieſem Philoſophen in ſeiner Unterſuchung über
*) Zweites Jahrhundert.
**) Dreizehntes Jahrhundert.
3) Epip. Haer. 51. Philast, de Haer. C. 60% Angus,
de Haer, C. 30. Tertuli. de Piraeser,
2) Rigord, ad ann, 1209, ee
‚Amaurf. | 68
die Natur und den Urſprung der Welt. Ariſtotele;
durchgehet in feinen Büchern von der Metaphyſik alle Mei-⸗
sungen der vorgängigen Philoſophen ; und ‚widerlegt fie -
ſaͤmmtlich als ungureichend: ven Pythagoras, welcher
die Zahlen, oder vielmehr die einfachen und unausgedehnten
Weſen als die Grundftoffe der Körper betrachtet; den Der
mofrit,- der glaubt: Alles ſey aus Atomen zufammenger
fest ; den Thaleg, der den Urfprung von Allem aus dem
Waſſer herleitet; den Anarimander, melcher dafürhält:
das Unendliche ſey die. Grundurfache aller Weſen. Nach
Miderlegung diefer Meinungen behauptet Ariftoteleg:
alle Wefen gingen von efnem ausgedehnten Stoffe hervor,
welcher aber für fich weder Form noch Geftalt haͤtte, und
welchen er den Urffoff (Materia prima) nennt. Diefer
Urſtoff eriffist durch fich felbft, die ihn treibende Bewegung
ift, wie ex, nothmwendig ; und wenn gleidy-Ariftoteleg die
Geifter, als unkoͤrperliche Wefen annahm, fo fchien er Doch
zumeilen zu behaupten, daß ſie aus der Materie hervorge⸗ |
sangen fepen. W
Sein Schuͤler Strato, um dieſe abweichenden Mel⸗
nungen des Ariſtotelèes zu vereinigen, hielt Hafär, ‚der
Urftoff ſey hinreichend zur Erklaͤrung des Daſeyns aller
Mefen, und wenn man die Bewegung als mit dem Urſtoffe
verbunden annähme, fo fände man in ihm die Urfache und
den Grund von Allem. Lange Zeit nah Strato hatten
“arabifche Philofophen,. welche den Ariſtoteles commentir⸗
ten, ihm dieſe Meinung ſeines Schülers beigelegt, und ſie
war mit den Schriften der Araber in das Abendland ge⸗
kommen.
Martin von Polen berichtet, Johaun Scotus
Erigena haͤtte dieſe Meinung angenommen und gelehrt:
daß es in der Welt nur den Urſtoff gaͤbe, welcher Alles
ſey, und welchem er die Benennung Gott beilegte 1).
1) Nicolaus Trinet, in feinem Chronikon T. B. Spioel. p.
550. D'Argentré Collect. judic. T. 1. p. 128
Kerner: 2eriton. IT. J 5
—8
66. \ Amauri. |
Mag nun Amauri das Eyſtem des Artfiofeleg
aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, oder jenes des
Strato angenommen haben, oder fen es, daß er den ara⸗
biſchen Commentatoren und Scotus Eri gena gefolgt iſt,
genug, er glaubte: die Gottheit ſey vom dem Urſtoffe nicht
unterſchieden. Nachdem er die Logik mit ziemlichem Ruhme
gelehrt hatte, ergab er ſich dem Studium der hl. Schrift,
und wollte fie auslegen. Da er fuͤr ſeine philoſophiſchen Mei⸗
nungen ſehr eingenommen war, fo ſuchte er ſie in der Schrift,
wo er fie auch zu finden glaubtezer wollte in dem Berichte
des Moſes von dem Chaos ven Urſtoff gefimden haben,
und hielt diefen fir die fchaffende lrfache und den Grund,
aus welchem alle Weſen auf die Weiſe, wie Moſes er⸗
zaͤhlt, hervorgegangen wären
Die ganze Religion zeigte ſich ſodann dent Ant auri,
als die Entwicklung aller Erſcheinungen, welche die Bewer
gung und der Urſtoff hervorbringen muͤßten, und auf dieſe
Grundlage baute er ſein Syſtem ver chriſtlichen Religion.
Der Urftoff konnte durch feine verſchiedenen Formen
befondere Wefen hervorbringen, und Amauri erfannte in
demfelben', welcheit er, da er nothwendig und unendlich fen,
Gott nannte, die drei Perſonen in der Gottheit, den Va⸗
ter, Sohn und hl. Geiſt, denen er die Regierung der Welt
beilegte, und ſie als den Gegenſtand der Religion betrachtete.
Da aber der Urſtoff in einer ununterbrochenen und
nothwendigen Bewegung ſey, ſo muͤßten Religion und Welt
ein Ende nehmen, und alle Weſen in den Schoos des Ur⸗
ſtoffes, welcher das Weſen der Weſen, das erſte und allein
unzerſtörbare Weſen ſey, zuruͤckkehren.
Die Religion hatte, nad Amauri, drei Epochen,
welche gleichfam die Regierungss Epochen der drei Perfonen ..
der Goftheit, find. Die Regierung des Vaters habe waͤh⸗
rend der Dauer des mofaifchen Geſetzes beftanden. Die
- Regierung des Sohnes, oder die chriftliche Religion wirde
nicht immermährend feyn; die Geremonien und Eacramente,
welche, nach ihm, dag Mefentliche derjelben wären, duͤrf⸗
ten nicht ewig ſeyn. Es müßte eine Zeit kommen, wo Die
Amauri. Anabaptiſten. 67
Sacramente aufhoͤrten und dann muͤßte die Religion des
hl. Geiſtes anfangen, in welcher. die Menſchen Feiner Sa⸗
cramente mehr beduͤrften, und dem hoͤchſten Weſen eine rein
geiſtige Verehrung erwieſen. Dieſe Epoche ſey das Reich
des br. Geiſtes , vothergeſagt in der Schrift, welches eben
fo auf die chriſtliche Religion folgen miffe, wie diefe auf
die möfaifche gefolgt ſey. Die chriflliche Religion wäre for
nad das Reich Feſu Chrifki auf der Welt, und alle
Menfchen unter diefem Gefthe müßten fi ch als Gliedet
Chrkſti betrachten.
Die Univerſitaͤt von Paris erhob ſich gegen die behre |
Amauri's; er ſuchte fie zu vertheidigen, wurde aber vers
dammt. Amauri ;appelllete an den Pabſt, weicher has
Urtheil der Univerſitaͤt beffätigte. Hierauf widerrief er,
und 305 fih nad St. Martin des Champs jurüd, wo
er vor Kummer und Verdruß ſtarb. 1) Sein Schiller war
David bon Dinant. ‚Siehe dieſen Artikel.
Anabaptiften kWiedertaͤufer), eine Secte Schwaͤr⸗
mer, die einander wieder kauften, und die Kinder⸗Taufe
verboten. Sie heißen auch Taufgeſinnke.
urſprung der Anabaptiſten.
Luthor hatte bei · Beſtreitung ber Ablaͤſſe die Rechtfer⸗
tigung des Menſchen einzig von den Verdienſten Sefu
Chrifti, welche der Chriſt fich durch. den Glauben zueigs '
nete, abhängig gemucht. Sonach rechtfertigen, nach biefem |
Haupte der Reformation, die Sacramente nicht, ſondern
der Glaube desjentgen, der fie empfängt 2). Ä
Einer der Schiller Luthers, Namens Storch, ſchloß
aus dieſem Grundſatze: daß die Taufe der Kinder ſie nicht
sechtfertigen Fönne, und. daß man at Chriſten wiedertaufen
Guillolm Armoricts, Hin. de Vin et Gostis Philip,
ad ann. 1209. D’Argenire, «a, O. 8, -Thom, vontr,
,‚ Gent. O. AM. . 9
2) Luth. de Capivit Babylon, p >35.
Jr —
ss Amabapfifken, ...
miffe, weil fie, als man fie faufte, unfaͤ ig waren, den
Glauben zu erwecken, durch welche. ber Chriſt die Verdienſte
Jeſu ſich zueignet.
Luther hatte feine Lehre weder auf die. Trabition,
weder auf die Entſcheidungen der Kirchenraͤthe noch auf
das Anſehen der Väter, ſondern allein auf die Schrift ges
gruͤndet; nun ſagte Storch, findet man nicht in der
Schrift, daß man die. Kinder taufen wuͤſſe; im Gegentheile
fol man diejenigen, Die man taufet, lehren; fie müffen
glauben. Die Kinder find feines Unterrichteg empfaͤnglich,
noch faͤhig, uͤber das, was man, um Chriſt zu ſeyn, glau⸗
ben muß, einen Act des Glaubens zu erwecken. Die Kin⸗
der⸗Taufe iſt ſohin ein der Schrift zuwiderlaufender Ge⸗
brauch, und ſolche, welche in der Kindheit getauft wurden,
haben in der That die Taufe nicht empfangen. u
Storch trug anfangs diefe. Lehre nur als eine Folge⸗
rung aus den Grundſaͤtzen. Luther's vorn, welche Folge⸗
rung derſelbe aus Behutſamkeit oder Klugheit nicht weiter
habe verfolgen wollen. Zuerſt war dieſer: neur Glaͤubens⸗
Satz bloß ein Gegenſtand der Unterhaltung ; Aald ſchlich er
fid) in den Schulen ein, man ſetzte ihr im die Theſen, . er
fand Verfechter in den Collegien, endlich trug man ihn auch,
auf der Kanzel vor:
: Stord, um feine Meinung zu: behaupien⸗ hatte ſich
mit jenem Fundamental⸗Geſetze der Reformation bewaffnet,
nämlich, daß man nichts als geoffenbart und zum Seelen⸗
heile nothwendig annehmen muͤſſe, außer, was in der
Schrift enthalten ſey; er verwarf als aine giftige Quelle,
die Väter, die Concilien, die Theologen, und Die ſchoͤnen
ze Wiſſenſchaften. Das Studium der letztern, ſagte er, er⸗
fuͤlle das Herz mit Stolz, und den seit mit unheiligen
und gefaͤhrlichen Kenntniſſen. |
Durch diefes- Mittel brachte Stord die Unwiſſenben,
die Gecken, und den gemeinen Haufen auf ſeine Seite, wel⸗
che ſich in feiner Secté auf gleiche Höhe mit den Theslo⸗
gen und Doctoren geſtellt ſahen.
Luther hatte ‚nicht nur ‚sehe; nd die ei, die
-
Anabaptiſten. 69
einzige Glauben: Kegel, und’ jeder Gläubige Nichter über
deren Sinn fey, fondern auch zu verftehen gegeben ‚ dag
Sfeder außerordentliche Erleuchtungen des bl. Geiſtes er:
halte. Er behauptete, der hl. Geiſt verfage jenen, die da-
rum baͤten, die Erleuchtungen nicht, mit welchen ſie begna⸗
digt zu ſeyn wuͤnſchten. Nach Storch hatten die Glaͤubi⸗
gen keine andere Regel ihres Glaubens und Betragens, als
dieſe Eingebungen und innere Belehrungen des hl. Geiſtes
Car'ioſtadt, Muͤnzer und andere Proteſtanten, nei⸗
diſch auf Lut her  Gewalt, und zuruͤckgeſtoßen von deſſen
Haͤrte, nahmen Storch's Grundſaͤtze an, ‚und es bildete
fh m Wittenberg eine mächtige Secte der An a⸗
baptiſten. on
L2uther vernabm fin ‚feiner Verborgenheit auf der
Wartburg ihre Fortſchritte, eilte nach Wittenberg,
predigte gegen’ die nabaptiſten, und Heß Storch,
Münzer und Carlfiadt aus der Stadf jagen. Carl
ſtaddt begab fh nah Orlamuͤnde, von da iin die
Schweiz, und legte daſelbſt den Grund zur Lehre der
Sacramentirer.
Storch und Muͤnzer durchzogen Schwaben, T huͤ⸗
ringen und Franken, ſtreuten uͤberall ihre Lehre aus,
und predigten gleichmäßig gegen Luther und den Pabſt:
dieſer erdruͤcke die Gewiſſen, nach Storch, unter einem
Haufen zum mindeſten unnuͤtzer Gebräuche, jener beguͤnſtige
eine dem Evangelium zu widerlaufende Schlaffheit, mit ſei⸗
ner Reformation ſey es nur darauf abgeſehen, eine dem
Mahomedanismus ähnliche Zuͤgelloſigkeit einzuführen. Die
Anabgptiften verkündeten: -Gott: babe fie geſchickt, die
zuftrenge Religion des Pabſtes, und die ausgelaffene Ges
seniaft Luthers abzuſchaffen; um Chrift zu-fenn, dirfe
man fich feinem Laſter ergeben ‚ und muͤſſe ohne Stoh; und
Pracht leben.
Die Nnabapsiften maßten ſich nicht an, wie Lu⸗
ther; vie Gewiſſen zu beherrſchen; bon Gokt "allein mäffen |
wir, wie fir fagten, die Erleuchtung erwarten, Die ung in
den Stand feht, die Wahrheit‘ von dem Irrthume, die
—
.. 70 | | Anahabniſten.
wahre Keligion von der falichen zu unfeefcheiden ; Gott ers
klaͤret in der Schrift, daß Er dag, um was man Ihn bittet,
zugeſtehe; folglich ift man fiher, daß Gott nie ermangle,
den Gläubigen untruͤgliche Zeichen zur Erfenntniß der Wahr⸗
beit zu geben, menn Er darum gebeten wird. Der Mille
Gottes offenbaret fi ich verfchieben, bald durch Erfcheinungen,
bald durch Eingebungen, iawelten: wie zur Zeit her. Pros,
pheten duech Träume.
Ä Storch und Minzer fanden eine Menge ſchwacher
Koͤpfe, vol lebhafter Einbildunggfraft, die ihre Lehren gie⸗
rig ergriffen; fie fanden bald an der Bpitze einer Geste
von Menfchen , die dem Bernunft«Gebrauche entfagten,. und
nur die Sprünge einer aberwigigen Einbildungskraft oder
die Anfälle der Leidenſchaft zu Fuͤhrern hatten.
‚Diefe beiden Haͤuptlinge fuͤhlten wohl, daß ſie ihren
Schuͤlern jede gewuͤnſchte Richtung geben koͤnnten , umd.
dachten nicht mehr „Daran, Euther’n eine Secte von Com
feoverfiften entgegenzuſtellen; ſondern zielten dahin ab, im,
Schooße Deutfchlends eine neue Monarchie zu gruͤn⸗
den. Einige yon ihren Schülern gingen in die ehrgeizigen
Plane threr Lehrer nicht ein, und waͤhrend deſſen Muͤnzer
fi Alles für erlaubt hielt, um fein neueg Reich, iu fliften,.
fahen dieſe friedfertigen Anabaptiſten auch die rechtmaͤ
ßigſte Vertheidigung gegen jene, die ihre Perſonen oder ihr
Elgenthum heeintraͤchtigten, als ein Verbrechen an, Folgen
wie num den Fortſchritten und yerſchiedenen Standeuutten
dieſer Secte.
Die kriegeriſchen Anabaptiſten von der Regentäaft
Münzer's bis zu deffen Tode,
Ein Theil von Deutſchland, welcher die Bedruͤctungen
ſeiner Gebieter und Obrigkeiten nicht mehr ertragen konnte,
war aufgeſtanden und hatte ſeine Empoͤrung unter dem Na⸗
men des Bauernkrieges begonnen, Diefer Aufftand .
hatte, fo zu fagen, ganz Deutfchland erfchüttert, melches: , .
unter der Tyrannei feiner Gebieter ſeuſite/ und nur einen
Anfuͤhrer ‚u erwarten (diem. | .
Anabaptiſten. 71
: Malıtger-benügte dieſe Stimmung, um ſich dad Zus
Frauen des Volkes zu: erwerben. - n- einer Rede an den
vorfammelten Poͤbel ſagte er: „Wir find alle Brüder, und
„haben in Adam einen gemeinfchaftlichen Vater. Woher
„kommt denn dieſer Unterſchied des Ranges und der Guͤ—
„ter, welcher die Tyrannei zwiſchen uns und den Großen
„der Welt eingefuͤhrt hat? Warum ſollen wir in der Ars
„muth ſeufzen, und von Elend zu Boden gedruͤckt ſeyn,
„waͤhrend deſſen jene in Wolluͤſten ſchwimmen? Haben wir
„kein Recht an die Gleichheit der Guͤter, welche ihrer Na⸗
„tur nach beſtimmt ſind, unter alle Menſchen ohne Unter⸗
„ſchied vertheilt zu ſeyn? Gebt ung, ihr Reichen der Welt,
„ihr geitigen Raͤuber! gebt ung die Güter wieder, die ihr
„in ber Ungerechtigkeit zuruͤckbehaltet. Nicht allein ale
„Menſchen haben wir das Recht auf eine gleiche Vertheis _
„ung ber Gluͤcksguͤter, fondern auch als Chriften. Sehen
„wir nicht, daß die Apoſtel in. den erſten Tagen. der. Chris
„ ſtenheit hei Vertheilung des Geldes, fo man zu. ihren. Fü
„gen leate, nur auf die Bebürfniffe eines jeden Gläubigen
„Bedacht ‚nahmen? Merden wir dieſe glücklichen Zeiten nie
„wieder aufleben fehen? Und du, unglückliche Heerde Jeſu
„Shriki!. wir du immerdar unter der Unterdruͤckung der
„geiſtlichen, Macht feufgen? Der Almächtige erwartet von
„alten Voͤlkern, daß fie. die Tyrannei der Obrigfeiten zer⸗
„ſtoͤren, daß fie ihre Sreiheit mit ven Waffen in der Hand
„zuruͤckfordern, daß fie feine Abgaben zahlen, und ihre
‚Güter in -Gemeinfchaft bringen. : Mir zu Füßen muß man.
„ſie legen, wie man fie ehedem gu den Füßen der Apoftel
„anhaͤufte. Ja, meine Brüder! kein Eigenthum zu haben,
⸗
„daß iſt der Geiſt der allererſten Chriſtenheit, und die Ent⸗
„richtung der Abgaben, womit die Fuͤrſten uns belaſten,
„verweigern, das heißt ſich der Knechtſchaft entziehen, wo⸗
„von Jeſus Chriſtus uns befreiet hat⸗ 1).
— —
r 27
1) Catrou Hist. des Anabapt. Sleidan m 10. Secken-
dorf Comment. ‚über die Geſchichte kuther 8.
73 Amadaptifken,
Das Volk von Muͤhlhauſen in. Thiringen be
trachtete Muͤnzer als einen Propheten, gefandt vom Him⸗
mel,. es von der Unterdruͤckung zu befreien; der Magifirat
wurde verjagt, die: Semeinfchaft aller Güter eingefühet,
md Muͤnzer galt für ven Nichter des Volles. Dieſer
neue Samuel ſchrieb an Staͤdte und Fuͤrſten: das Ende
deg Unterüruckung der Voͤlker, und der Tyrannet der Gras
gen fey angekommen, Gott habe ihm befohlen, alle Tyrasiz
wen ausjuroffen, und Gerechte über. die Völker zu ſetzen.
Durch feine Briefe und Apoſtel entzindete Münzen
das Feuer des Aufruhrs im größten Theile Deutſchlands.
Er fand ſich Bald an Der Spitze eines zahlreichen: Heeres,
welches große Ausfchweifungen beging: die größten Unfälle
bedrohten das Reich; die. empoͤrten Völker firömmen von .
allen Seiten’ herbei, fih mit Muͤnzer zu verbinde. —-- -.
Der Churfuͤrſt Johann, und Herzog Georg von
Sachſen, ver Landgraf Philipp von Heffen, der Herr
zog Hein rich von Braunſchweig warben Truppen, und
griffen Muͤnzer, ehe noch die verſchiedenen Korps der
Aufruͤhrer, die auf dem Marſche waren, ſich mit ihm ver
einigen fonnten, an; fein Heer wurde bei Frankenhau⸗
- fen gefchlagen und zerſtreut; mehr als 7000 Anabaptis
ſten famen um, Muͤnzer ‚ der ihnen Steg und Zeichen
vom Himmel verſprochen hatte, ward gefangen und ent⸗
hauptet 1).
| Die Anabaptiften von dem Tode Münzen Ban bis.
zur Erlöſchung ihres Königroichs zu Münfter.
Die Niederlage, und der Tod Muͤnzer's vernichtete
| den Anabaptismus in Deutfhland nicht; er. bekam für‘
gar Zuwachs; jedoch bildete er feine furchtbare Parthet
mehr, Die Anabaptiſten, gleich gehaͤig den Katholiken,
wie den Proteftanten und Sacramentirern, wurden in gang
Deutfchland " verfchrien und geſtraft. In der Schweiz wies
seiten fie ohne Erfolg Die Burger und Bauern auf; die
1) Catron, Sleidan „ Seckendorf‘ daſelbſt.
—
Anabaptiſten. 73
Wachſamkeit und das Anſehen Der Madiſtrate vereitelten
ihre Anſchlaͤge, man behandelte fie mit ſolcher Strenge, daß
fie ſich nur gang‘ imsgeheim erhalten Fonnten. In mehrer
ren: Kantenem hatte man. gegen fie, und afle, die ihren 3
ſammenkuͤnften beiwohnten ‚bie Sobeöftafe verhängt, und
eine große Zahl derſelben hingerichtet: -
In den Micderlanden und Holland verfuhr man mit
noch größerer Streiige gegen fie; die Gefaͤngniſſe waren ans
gefuͤllt, und faft uͤberall Schaffote fuͤr ſie errichtet. Allein
bei allen Todesſtrafen, die man erfand, um die Gemuͤther
zu ſchrecken, nahm dennoch die Zahl dieſer Fanatiker zu.
Bon Zeit zu Zelt erhoben ſich Haͤupter unter den Anabap⸗
tiften, Die ihnen gluͤcklichere Zeiten verſprachen: : dergleichen
waren Hofmann, Tripnafer u. a. |
Fohann Mathias, oder Ratthiefen, ein Bäder
von Harlem, erfchien nach ihnen, und ſchickte Apoftel nad)
Friesland, Münfterw f w., Luther's Lehre mar
durch Rottmann, Jufherifchem Prediger, 1533 in Muͤn⸗
ft er eingedrungen ; auch die. Anabaptiſten hatten daſelbſt
Profelyten gemacht, welche "die neuen Apoſtel annahmen.
Ste verſammelten fich des Nachts, ımd empfingen von dem
Giefandten des Mathias ver erwarteten apoftolifchen Geift.
Die Anabaptiften hielten fih, big ihre Zahl hinreichend
angewachſen tar, verborgen: Dann liefen fie in Die Straßen
der Stadt, und fchrien: thuet Buße, und Taffet euch
von Neuem taufen, fonft wird der Zorn Gottes
über euch fommen. Der Poͤbel lief zuſammen, alle Uns.
getauften liefen nun mit eben dem Gefchrei in den Straßen
umher; mehrere verefnigten fich aus Einfalt mit den Anas
baptiften, meil fie in der That den Zorn des Himmels,
womit man fie bedrohte, fürchteten; andere, weil fie Plüns
Derung beforgten. In zwet Monaten vermehrte. fich die
Zahl der Anabaptiſten auf mehrere Taufende, und da
der Magiſtrat ein Epifr gegen fie erlaffen hatte, griffen fie
zu den Waffen, und erffürmten. Das Rathhaus; die zuͤrger
ſetzten ſich in einem andern Theile der Stadt feſt. Drei
Tage lang ſtanden ſie einander gegenuͤber; endlich wurde
man eins, daß jeder Theil die Waffen niederlegen, "und
\
74 | ‚ Anabaptitten.
man ſich wechſelfeitig ohne Ruͤckſicht auf Veiſchedendeit der
Religions⸗Meinungen dulden wolle. Allein die Anabapr
tiſt en befuͤrchteten waͤhrend ihrer Eutwaffnung einen naͤcht⸗
lichen Ueberfall, und ſchickten insgeheim Borhen. mit Brie⸗
fen an ihre Anhaͤnger in verſchiedene Gegenden ab. Der
Inhalt der Briefe war; Ein von Gott geſandter Prophet
ſey zu Muͤnſter angekommen welcher wunderbare Ereig⸗
niſſe vorſagte, und die Menſchen uͤber die Wege, zur, Erlans
gung der Seligkeit lehrte. Eine unglaubliche Menge Geſin⸗
del kam noch Muͤn ſter. Nun liefen die Angbaptiften
dieſer Stadt in den Straßen umher, und. ſchrien; Entfer⸗
net euch, ihr Gottloſen! wenn ihr anders dem
gaͤnzlichen Untergange entgehen wollet: denn
man wird allen den Hals brechen, die fi nicht
von Neuem werden taufen laſſen. Auf diefeg pers
‚ließen bie Geiſtlichkeit und die Buͤrger die Stadt. Die
Anabaptiften pländerten die Kirchen und verlaffenen
Häufet, und verbrannfen 3 mit Ausnahme per Bibel, alle
Buͤcher.
Bald darauf wurde die Stadt vom Bifchofe yon Min
fer. belagert ‚und Mathias verlor in einem Ausfalle dag.
Leben *). Alles gerieth bei deſſen Tod in Beſtůͤrzuns. Als,
fein Johann Bokhold **) lief entkleidet in den Stra⸗
ßen umher und ſchrie: Der Koͤnig von Sion koͤmmt!
Nach dieſem kehrte er nach Hauſe zuruͤck, zog ſeine Kleider
wieder an, und ging nicht mehr aus. Des andern Tages
kam der Poͤbel in Haufen, um die Urſache ſeines Beneh⸗
mens zu erfahren. Johann Bokhold antwortete nichts,
ſondern ſchrieb: Gott habe ihm auf drei Tage den Mund
verſchloſſen. Man aweifelte nicht, deß das em 3 acearlas
*) Er gab vor, Gott hebe ibm befohlen, Die Truppen des
Biſchofs wegzuſchlagen; deshalb begab er ſich mit einer Ian
gen Pike allein in das Lager, und wurde von dem näch⸗
ſten Soldaten ſogleich niedergemacht.
*) Ein hollaͤndiſcher Schneider, befannter unter, ‚dem Namen:
Iopann von Lehden. |
- Anabaptiften. 7
gewirkte Wunder bei dem neuen Propheten wiederholt wor⸗
den ſey, und erwartete mit Ungeduld das Ende ſeiner Ver⸗
ſtummung. Nach Verlauf der Drei Tage zeigte ſich Bok⸗
bald dem Volke, und erklärte im Lone eines ‚Propheten:
dag ihm Gott befohlen habe, zwoͤlf Nichte über Iſrgel zu
fegen, Er ernannte diefe Nichfer, und nahm in. ber Ber»
waltung der Stadt jede beliebige Aenderung por, . |
Nachdem er fi in der Gunſt des Volkes binlänglich '
befeftigt glaubte, begab fi) ein Goldſchuied (von Aa br
rendorf) zu hen Richtern und fagfe: Hoͤret was ber Kerr,
Gott der Emige, ſpricht; „Wie ich, vordem Saul zum
„Könige über Jfrgel feßte, und nach ihm David, ob .er
„gleich nur ein gemeine Hirt war, eben, fg feßte ich heute,
„Johgnn von Leyden meinen Propheten, zum Könige
„in Sign’, „Ein anderer Propher lief herkei, reichte
Bokhold ein Schmerd.mit den Worten: Gott beftellt dich
zum Könige nicht allein über Sion, fondern Über den gan⸗
gen Erdkreis. Entzücht rief das Volt Johann, von Ley
den zum Könige in Sion aug; man verferfigfe ihm eine
goldene. Krone, ‚und ſchlug in feinem Namen Münzen.
Kaum war Bokhold zum Könige ausgerufen, ſo ſchickte
er 28 Apoſtel aus, um fein Reich allenthalben anzukuͤndi⸗
gen. Diefe erregten, wo fie immer hinkamen, Unruhen,
befonders in Holland; mo, wie Sodann von Leyden
vorgab, Sort ihm Amflerdam und mehrere andere Staͤdte
gegeben hatte. Die neuen Apoftel wurden in Verhaft ges
nommen, und alle, bis auf einen melcher entfloh, nebft
mehrern andern AUngbaptiften hingerichtet.
Der König von Sion vernahm mit Schmerzen die
Unfälle feiner Apoſtel, Mutblofigkeit. verbreitete fich in
Münfter; die Stadt wurde. bald darauf von dem Biſchofe
eingenommen, Johann von Ley den felbfi gefangen, mit.
glühenden Zangen gezwickt, und ihm ein Schwerd durd) das.
Herz geflogen im Jahre 1939 den 21ten Jini.
‚Die Säidfale der Friegerifgen Anabaptiften feit!
Erloſchung, des Königreichs Münfern
Die Anabaptiften wurden von alen Fuͤrſten und
70 Aluabaptifſten.
Magiſtraten, die das Beiſpiel Muͤnſter's ſtets vor Augen
hatten, verfolge und ſorgfaͤltig beobachtet; virgends lief
man ihnen Ruhe. In Holland; hörten die Hinrichtungen
mehrere Jahre lang gar nicht auf. Zehn Jahre nach der
Unterwerfung Kn Muͤnſter führte man noch viele Ana⸗
baptiſten, die ihre Faktion wiederherzuſtellen ſuchten, zum
Tode; einige entflohen, der groͤßte Theil aber ſtarb mit er⸗
ſtaunenswerthem Muthe; man ſah ſolche, die die moͤgliche
Rettung dem Tode vorzogen, weil ſie ſich in einer Lage bes’
fanden, welche ihnen ‘alle Heffnung zur Berbefferung- ihrer
Umſtaͤnde durch ein laͤngeres Leben entriß. |
Mit- der nämlichen Strenge begegnete man ihnen in‘
England, wo fie jedoch Proſelyten machten: in Deutſchland
und der Schweiz erſtanden fie Immer non Neuem. Das:
war Überall das Schickſal der Anabapttften, deren
Haupfabficht dahin ging, eim zeitlicheg Reich und ſelbſt eine
‚ „ Univerfals Monarchie mit Untergang. aller beftehenden Maͤchte
zu fliften. Aber zerſtreut in allen Ländern und, außer Stand,
etwas zu unternehmen ‚ "entfägten fie dem abentheuerlichen
Vorhaben, die Welt ihren, Meinungen. zu unterwerfen. Ihr
Fanatismus war nicht mehr Wuth, ımd fie vereinigten ſich
endlich mit den reinen und friedlichen Anabaptiſten.
Die friedlichen Anabaptiſten.
Der Geiſt der Empoͤrung und des Aufruhrs war dem
Anabaptisgmug nicht wefentlic eigen, und Stord ſtieß
nicht uͤberall auf ſolche Charaktere, wie jener Muͤnzer's.
Einige ſeiner Schuͤler, ſtatt gegen die weltlichen Maͤchte
ſich aufzulehnen, faßten den Plan, die in den verſchicdenen
Laͤndern Deutſchlands zerſtreuten Anabaptiſten zu ſam⸗
meln, ſich den Verfolgungen der Magiſtrate zu entziehen,
und eine rein religioͤſe Geſellſchaft zu bilden: folche waren
Hutter, Gabriel und Menno Simonis, die die Ge⸗
ſellſchaft der maͤhriſchen Brüder, und der Dennonis |
gen flifteten. — nei]
Die mäpeifäden Beüßee
"Hutter md Gabriel, beide Echuͤler Storch s/
Anabaptiſten. 77
kauften in Mähren eine ziemlich ausgedehnte Strecke Lan⸗ |
des in einer fruchtbaren jedoch oͤden Gegend. Hierauf durchs
sen fie Schleſien, Boͤhmen, Steyermark und die
Schweiz, und kuͤndigten allenthalben an: Gott habe ſich
ein Volk nad) feinem Herzen augerfehen, welches in allen
Fändern des Goͤtzendienſtes zerſtreut wäre, ber Augenblick,
Iſrael zu fammeln, fey gekommen, die wahren Glaͤubigen
muͤßten aus Aegypten ziehen, und, in. dag Land der Ver
heißung übergehen.
Nachdem Hutter eine zur Bildung einer Gelellſchaft
ausreichende Zahl von Anabaptiſten vereinigt hatte, ent;
warf er ein Glaubens-Bekenntniß und Gefege., Das Glaus
beng + Befenntnif war folgendes :
1) Gott hat fich in allen Jahrhunderten ein helliges Volk
auserleſen, bei welchem Er ſeine wahre Verehrung hin⸗
terlegt hat. Die Schwierigkeit iſt, ſeine unter den Kin⸗
dern des Verderbens zerſt treuten Glieder zu fennen, und
„fie in eine: Geſellſchaft zu einigen, um fie in dag verheis
ßene Land zu führen. Diefes Volk iſt gang gewiß jeneg,
welches Hutter fammelt, um ihm in Mähren einen
feſten Sit anzuweiſen. Sich bon dem Haupte trennen,
oder die Gefoge des Führers. Iſraels verachten, iſ dag
Zeichen einer gewiſſen Verdammung, |
2) Man muß alle Geſellſchaften als gottlos betrachten,
welche keine Guͤtergemeinſchaft haben; man kann nicht
perſoͤnlich reich, und zugleich ein guter Chriſt ſeyn. |
3) Jeſus Chriſtus ffi hicht Gott, fondern ein Prophet.
4) Chriſten dirfen außen den geiftlichen Nieten feine ans
deren Dbrigfeiten erfennen. Ä
5) Saft alle äußere Retigiong » Zeichen find der. Keinheit
des Chriſtenthums zuwider, deſſen Goftesverehrung fm
- Herzen feyn muß Bilder duͤrfen nicht beibehalten wer
ben, weil Gott eg verboten hat.
6) Affe, welrche nicht von Neuem getauft fi ind, fi find wahre
Unglaͤubige, und die vor der neuen Wiedergeburt ger
fchlofienen Ehen find durch die Verbindung, die man |
mit Chriftug eingehet, getrennt.
| 78 | | Anabaptiſten.
75 Die Taufe loͤſcht die Erbſuͤnde nicht aus, und ertheilt
keine Gnade, ſie iſt nur ein Zeichen, wodurch jeder
Chriſt in die Kirche eintritt. |
8) Die Meffe ift eine Erfindung des Satans, das Fegs
feuer eine Träumerei, die Anrufung der Heiligen eine
Gott zugefügte Unbild, ver Leib Jefu Chriſti ift in
der Euchariſtie nicht weſentlich gegenwaͤrtig.
Dieß find die Glaubens⸗Lehren, wozu ſich die durch
Hutrer vereinigten Anabaptiſten bekannten, und die
ſich den Namen der maͤhriſchen Bruͤder beilegten.
Weil man bei ihnen die Taufe nur Perſonen don ‚reis
ferem Alter ertheilte, fo fragte man den Profeliten: ob er-
nie eine obrigfeftfiche Stelle begleitet babe, und ob er aller
Hoffart und Pracht des Satans, welche mit jenen verbun⸗
Den wären, enffage; man unterfuchte feine Sitten, und er '
wurde zur Aufnahme unter die Brüder nur dann für wir
dig erachfer, wenn man das Volk mit einhelliger Stimme
hatte rufen hören: Mantaufeihn Dann nahm ver
Nrediger Waſſer, goß folches über den Profeliten mit den
‚Morten: Ich taufe Did) im Namen des Vaters, bes
- Sohn's, und des hl: Geiſtes.
Bei den Anhängern Hutter's sing man jährkich zwei⸗
mal zum Abendmahl, zu einer Zeit, welche der Vorfteher
zur öffentlichen Communion beſtimmt hatte. Gewoͤhnlich
verſammelte man ſich in einem Zimmer oder Saale, der den
Brüdern zum Speiſe-Saale diente, zur Feier dieſer Ges
heimniſſe. Die Ceremonie begann mit Ableſung des Evan⸗
geliums in der Mutters Sprache, dann wurde eine Anrede
über dag Abyeleſene gehalten, nach deren Beendigung der
Aelteſte einem jedem der Bruͤder ein Stuͤck gemeines
Brod brachte. Alle nahmen es in ihre Haͤnde, die ſie ausge⸗
breitet hielten, waͤhrend dem der Prediger das Geheimniß
erklaͤrte. Endlich ſprach er mit erhobener Stimme die Wor⸗
fe: Nehmet, meine Brüderl:effet, und berfündis
get den Tod des Herrn. Hierauf verzehrten Alle das
Brod. Der Weltefte ging nun von Reihe zu Reihe mit: dem
Kelche, und ver ‚Prediger ſogte: Trinket im. Namen
*
Anabaptiften. 79
Ehriſti zum Gedäctniffe feines Todes, Alle tranfen
aus dem Kelch, und blieben in einer Art von Verzuͤckung,
aus der fie nur auf die Ermahnungen des Predigers zu fich
kamen, welcher Ihnen die Wirkungen erflärte, fo das Ges
heimniß , an den fie Theil genommen hätten, in ihnen her:
Vorbringen müßte,
"Sobald das Abendmahl geendiget war, ſchickte mar
Aus der Verſammlung Apoſtel in die benachbarten Provinzen
ab.
Die Ana baptiſten hatten weiter keine andere Religions⸗ |
Abungen, als "den Empfang des Abendmahls, auffer daß
fie alte Mittwochen und Sonntage in Abtheilungen in Pris
vathaͤuſern zufämmenfamen, um. da öhne Ordnung und
Vorbereitung Reden zu halten, oder zu hören. Die maͤhri⸗
ſchen Bruͤder wohnten ſtets auf dem Lande auf den Guͤtern
der Edelleute, welche ihren Vortheil dabei fanden, ſolche
einer Kolonie von Anabaptiſten in Pacht zu geben, der
dem Herrn Immer dag Doppelfe von dem einfrug, was er
von einem gewoͤhnlichen Paͤchter ſonſt erhielt.
—Natten fie eine Beſitzung uͤbernommen, ſo wohnten ſie
alle zuſammen in einem abgeſonderten, mit Palliſaden einge⸗
ſchloſſenem Platze; jede Haushaltung hatte ihre Huͤtte, wel⸗
che ohne Verzierung gebaut, aber inwendig reinlich war.
Mitten in der Kolonie hatte man oͤffentliche Gebäude errich⸗
tet, welche für die Beduͤrfniſſe der Gemeinde beſtimmt wa⸗
ren: man ſah daſelbſt einen Speiſeſaal, wo’ ſich alle zur
Eſſenszeit einfanden; man hätte Arbeitsſaͤle fuͤr ſolche Ge⸗
werbe, die nicht im. freien betrieben werben koͤnnen; man
hatte Gemäcer , wo die Heinen Kinder der Kolonie vers
pflegt wurden; es iſt ſchwer zu befchreiben, mif welcher Sorg⸗
falt die Wittwen fich diefem Gefchäfte unterzogen. An eis
nem andern abgefonderten Orte hatte man eine öffentliche
‚Schule zum Unterrichte der Jugend eingerichtet. Auf diefe
Weife waren die Eltern weder mit der Verpflegung noch
Erziehung der Kinder belafter:
Da die Güter gemeinfchaftlich Waren, ſo hatte ein Des
konom, der jährlich mechfelte, die Einnahme der Kolonie
80 Aunabaptiſten. J
und die Fruͤchte ihrer Arbeiten zu beſorgen; er mußte auch
den Beduͤrfniſſen der Gemeinde ſteuern; der Prediger und
der Arichimandarit hatten eine Art von Dberaufficht uͤber die
Mertheilung der Güter, und über die gute Oebnung der
Zucht.
Die erſte Regel war, keine muͤßigen Bente unter den
Brüdern zu dulden. Mit Tages s Andruch. nad) einem Ges
bete, ‚da8 jeder im Stillen verrichtete., begaben fich die Eis
nen auf das Feld, um eg zu bauen / die Andern verrichten
in den Werfflätten das Handwerk, fo fie gelernt Hatten;
niemmd war von der Arbeit ausgenommen; wenn Daher je
mand von Stand ein Bruder geworden war, fo war cr vers
müßigt, nach dem Befehle des Herrn, fein Brod im Schweir
fe feines Angeſichtes zu effen.
Alle Arbeiten wurden in der Stille verrichtet; dieſe im
Speiſeſaale zu unterbrechen, war ein Verbrechen. Ehe man
die Speiſen anruͤhrte, betete jeder Bruder. für. ſich, und
blieb faft ‚eine Biertelftunde lang mit auf dem Mund zus
fammengelegten Händen in einer Art von Verzuͤckung; man
gieng nicht vom Tiſche, ohne eine andere Viertelſtunde im
Stilien gebetet zu haben; nach dem Tifche. gieng jeder wie⸗
der an ſeine Arbeit.
von den Kindern beobachtetz es war, als ſaͤhe man Stas
tuͤen Yon einer Traperie; denn die Kleidungen aller Brüs
mai wurde auch das Stillſchweigen in der Echule
der und Schweſtern waren'von -demjelben Stoffe und Zus
—
ſchnitte. Die Heirathen waren nicht dag Werk der Nets
gung oder des Eigennutzes. Der VBorfteher führte ein Res -
gifter der heirathsfähigen Perſonen beider Geſchlechter; dee
ältefte Juͤngling wurde nach ‚dem Nange der Kolle dem Als
teften Mädchen zum Deanne- gegeben ; jenes von beiden Theis
len, welches die eheliche Verbindung mit dem andern aus⸗
ſchlug, kam in die letzte Reihe jener, die zu Verheirathen
waren, dann wartete man, bis der Zufall diefe Perfonen
zuſammenfuͤgte.
Der Hochzeittag ward mit wenig Aenßerlichkeit gefei,
| ert; der Hausmeiſter vermehrte bloß das Mahl der Braut⸗
J Anabaptiſten. 81
=
lente mit einigen Gerichten, und dieſer einzige Tag war
für fie «in Sefltag, wo fie von der Arbeit frei waren, dann
wies man ihnen in einem Bezirke eine abgefonderte Hütte an,
mit dem Bedeuten: daß die Frau ſich täglih an ihrem
Platze in dem Arbeitsſaale einzufinden habe und der Mann
fi), wie gewähnlih, auf das Feld oder in die Werfftätte
bescden müßte, um feinen Verrichtungen obzuliegen. Dag
Laſter hatte diefe. Gefellfchaften nicht verdorben ; man fah das
felbft feine Spur von ben Unordnungen, welche man dem
verſchiedenen Serten der Anabaptiſten vorwarf. Die Ueber⸗
tretungen der Geſetze wurden nur mit geiſtlichen Strafen bes
legt, wie Das Ausſchließen vom Abentmahle; jene, die fich
nicht befierten, ſchickte man in die Welt zuruͤck.
Geſchah es, daß jemand in der Hitze einen Todſchlag
begangen hatte, deſſen Ungeſtraftheit haͤtte koͤnnen gefaͤhr⸗
lich werden, fo ſcheute man ſich, Das Blut des Schuldigen
zu versießenz man haffe eine gang ungewöhnliche Todes⸗
firafe ausgetacht, nämlich den Verbrecher zu Tode zu kigeln.
Die Ausgaben dee mährifchen Brüder kamen unmöglich
ihrem Erwerbe gleich; daher die Reichthuͤmer, die die Hauss
hälter jeder Kolonie heimlich fammelten ; man legte hierüber
nur dem Dberhaupte der ganzen Secte Nechnung, welches
bloß den Brüdern befannt war, und das man dem Publis
fum nicht offenbarte. Nach Anordnung dieſes Oberhauptes
oder erſten Archemanbartten veriwendete man den Ueberfchuß
der Kolonien zum Nutzen der ganzen Secte; oft Faufte man
jene Ländereien, bie man nur gepachtet hatte, als Eigens
thum an,
Untergang der mähriſchen Brüder
Alles fchien fih zum Echuge der mährifhen Bruͤ—
der zu vereinigen. Der Adel fand feine Nechfiung dabei,
feine Güter durch unermüpdliche und freue Leute gebaut zu
fehen. Man fonnte feine Klagen gegen eine Gefellfchaft ers
heben, deren ganze Einrichtung, wie es fchien, nur auf das
öffentliche Wohl abzielte. Inzwiſchen gewann in ben Her;
Ketzer⸗-Lexikon. IL | 6
82 | Anabaptiſten.
zen gerdinant’s der. Religionseifer über seitliche Vortheile |
die Oberhand. Diefer Fürft, fagt P. Catrou, fah Alles
gegeneinander gehalten, wie gefährlich es ſey, wenn fich in
feinen Stagten eine von den bilrgerlichen Obrigkeiten unab⸗
haͤngige, und mit der Unterwuͤrfigkeit gegen die Souveraine
im Widerſpruche begriffene, Republik bildete.
Die doppelte Betheiligung der Religion und des Stda⸗
tes machte ihn ‚daher zum erklärten Zeinde der Hutteris
ten inshefondere , wie er ed gegen die Anabaptiſten im
Allgemeinen gewefen war: der Marichall von Mähren ers
hielt den Befehl, fie zu vertreiben. Sie beriefen fi) auf den
Schuß der Geſetze, wodurch fie rechtmäßige Beſitzer ihrer
Wohnungen geworden waren. Der Adel und bie Städte
von Mähren nahmen- fih ihrer an; Allein nichts fonnte
Ferdinand beugen: er ſchickte Truppen gegen die Ands
baptiften. „ Nun, fährt P. Catrou frrt, überließen die
„maͤhriſchen Bräder ihre Wohnungen dem Geizelder Sol;
„daten, ohne ihrer Seits das geringfte Zeichen von Unmwils
„len oder Widerfland zu geben, rottenweiſe verließen fie
„Mähren, um fich in eine, unbewohnte, unbebaute und;
„unfruchtbare Gegend an den maͤhriſchen Grenzen sure
„zuziehen.
WMaͤhren fühlte bald den erlitienen Verluſt man be⸗
klagte ſich, daß man die ſonſt ſo fruchtbaren und durch den
Fleiß der Anabaptiſten fo gut gebauten Felder feit ihrer
- Vertreibung oͤde und vernachläßigt fehe: Während der Hun⸗
ger die Hutteriten in ihren Einoͤden aufrieb, feufzten die
Mährer nach der Rückkehr diefer armen Verbannten; man .
klagte, murrte, und Mähren war auf dem Yunfte, fich
zu empoͤren. Man rief die Anabapfiften zurüc. Allein
nach ihrer Zuruͤckkunft beunruhigte Zwietracht ihre Kolonien -
Ste wurden von Hutter und Gabriel, Männern von
fehr 'verfchiedenem Charakter, regiert. Hutter 509 unaufs
hörlich gegen das Anfehen ver Obrigkeiten los, und pres
digte mit allem Ernſte die Gleichheit der Menfchen. Der
fanftere Gabriel wollte, daß man fich nach den bürgers
üchen Gefegen des Landes, wo man fich befinde, fügte.
‚Hutter und Sabri el entzweiten fich, und bildeten zwei
%
Unabaptifen. . 83
Sefondere Seiten, die Sabrieliften und Hutteriten,
die ſich einander in den Bann thaten. Hutter und Gar
briel errichteten jeder ‚von feiner Seite neue Niederlaffuns
gen; ihr Pan war, ſich zu den einzigen Ackerbauern in.
Deutſchland, und den geſchickteſten Handwerkern in den
Städten zu machen. So fand man in den Anſiedelungen
der Anabaptiften im Allgemeinen Alle, was zur Bes
friedigung der Beduͤrfniſſe aller Stadte diente; daher ſagt
P. Eatron, entfkind der. Ruin und. dag Mißvergnügen
. der. alten Einwohner des Landes. Man bemerfte überdies
noch), daß Hutter in den verfihiedenen Provinzen, wohin
er Fam, die Privaten vermochte, ihre Beſitzungen für feine
Niederlaffungen zu verkaufen, er wurde als ein Feind der
Gefellſchaft ergriffen, und als Keber verbraunt. . - _
Nach) Hutter's Tode vereinigten ſich beide Seiten;
allein Die Sitten, wurden ausgelaffener, der Farus ſchlich
ſich ein, und zog alle Laſter herbei. u |
Alle Geſchicklichkeit der Arkhemandariten reichte kaum |
hin, Die Unorönungen Der Anſiedlungen zu verdecken; man
predigfe den Brüdern mur noch politifche Gründe, um den
Strom des Verderbniſſes aufzuhalten: es fen gefährlich,
fagte man, ſolche nach außen bekannt werden zu laſſen;
man unterhielt fie beinahe nicht mehr von Gott, und von
der Strenge feiner Gerichte; die Geheimniffe der Dreieinig⸗
feit und der Menfchwerbung des Sohnes Gottes Tchienen
ganz vergeffen zu ſeyn; man duldete unter ihnen alle Sec⸗
ten des Anabaptismug , Die Sabatarier, die Heimlts
chen x. von melden wir in einem beſondern Artifel {pres
chen werden.
Gabriel widerſetzte fi ä dieſen Mordnungen aus al⸗
len Kraͤften, machte ſich aber bei der Secte verhaßt, welche
ihn aus Mähren vertreiben ließ. Tr zog ſich nach Po
Ien zuruͤck, und. endigte Dafelbit fein Leben, welches ſtets
mif dem Wachsthume und Nuhme der Secte beſchatiget
mar, in der trauvigſten age.
Die Gemeinde der mährifhen. Brüder veſtaud nal der
an Gabriſel's noch fort. Teldhalber. war einzig
6 *
84 Anabaptiſten.
auf die Bereicherung der Pflanzungen bedacht, allein bie
urfprüngliche Ordnung und Zucht wurde nicht mwiederherges
ſtellt. Die Verrachfung der Voͤlker folgte dem Werderbnifle
ver Annbaptiften, und diefer die Werfolgung ; endlich
wurde gegen das Jahr 1620 .diefe ſo entartete Gemeinde
gänzlich zerſtoͤrt. Eine große Anzahl Brüder begab fich nad)
Siebenbürgen, mo fie ſich mit den Sozinianern
vereinigte: Seitdem fih die Quaͤcker in Siebenbürs
gen niedergelaffen, und ale chriftlichen Secten bei fid; auf
‚ genommen haben, find viele Anabaptißen von Maͤhren
dorthin gezogen.
Die felediiden Amabaptiſten Holland, Mennonk
ten genannt,
Zwei Brüder, Namens Ubbo und Theodor Phi—
lipp, Söhne eines Paflord von Leumwarden, wurden
nach ihrem Uebertritte zu den Anabaptiften im Jahre
1534 zu Biſchoͤfen beſtellt.
Beide Bruͤder hatten nie weder die Meinungen noch
die Abſichten der Anabaptiften von Muͤnſter hinſicht⸗
lich eines weltlichen Reiches gutgeheißen. Nach Erloͤſchung
dieſes Reiches ſammelten ſie Ueberbleibſel der Anabaps
tiſten, mit dem Vorhaben, 'eine neue Secte aus ihnen zu
bilden. Sie sheilten diefen Plan einem Pfarrer in Frie s⸗
laud, Namens Menno Simonis mit, und vermochten
ihn, feine Stelle zu verlaffen, und Bifchof der Unabaps
tiften zu werden. Nachdem Menno Biſchof geworden
war, arbeitete er mit ſo vieler Waͤrme und ſo gutem Er⸗
folge an der Errichtung ſeiner Secte, daß in kurzer Zeit ſeine
Lehre von einer großen Anzahl Menſchen in Friesland,
Weſtphälen, Geldern, Holland, Brabant und an
verſchiedenen andern Orten angenommen wurde. Jedoch ges
ſchah dieſes nicht ohne große Schwierigkeiten. Man ver⸗
kuͤndete ſtrenge Edicte gegen die Mennoniten, und viele
‚wurden verbrannt, ja man verurtheilte einen Einwohner
von Harliwgenin Friesland zum Tode, weil er den
{
| Anabaptiſten. 85
Benno Simonis tn ſeinem Haufe aufgenommen
hatte. Zu | u Ä
- Die Mennoniten wurden bald uutereinander imeing;
es entftanden große Streitigkeiten in diefer Seete über die
Exkommunikation, ımd man hielt zu Wismar, wo Mens
no ſich aufhielt, eine Synode. et
In diefer Synode verfuhr man mit Nachdruck und Hitze
gegen diejenigen, welche die Gefege üherfraten; man vers
oronete, daß der Ehemann feine ercommunizirte Ehefrau vers
laſſen müffe, und umgemwandf; und daß bie Anverwandten
einer mit dem Banne belegten Verfon keine Gemeinfchaft
mehr ‚mit derfelben haben ſollten. Dieſe Synode wurde in
einer Verſammlung, welche in bemfelben Jahre zu Met
lenburg flatf hatfe, verworfen, und. man ſetzte feft, daß man
in Betreff der des Bannes wuͤrdig erachteten Perfonen nicht
fo firenge verfahren ſollte. Dieger Zwiſt veranlaßte in ber
Folge noch andere Trennungen unter den-Atabaptiften,
hervorgebracht durch mehrere Tragen Über die Mittel, ſich
mit Hintanfegung ber Obrigkeit, der weltlichen Macht zu
bedienen. Diefe Fragen erhitzten Vie Gemuͤther fo ſehr, daß
nachdem Menno einen gewiſſen Anyper, Imeil er, nicht
feiner Meinung mar, excommunizirt hatte, diefer feiner Seife
ihn gleichfalls mit dem Banne belegte. - Dieſe Trennung ber
Anabaptiften nahm im folgenden „jahre. befrächtlich zu,
beſonders zu Embden, wo in Betreff eines Weides, defs
fen. Mann man ercommunizirt hatte, große Anordnungen
gorfielen. Da diefe Frau ſich von ihrem Manne. nicht tren⸗
nen wollte, fp behaupteten die Einen, man muͤſſe fie ercoms
muniziren, die Andern ſetzten fich dagegen... Dan fehrieb An
Menno, welcher antwortete: er tillige nie ein, Daß man,
eine fo große Strenge in Betreff- des Bannes übe. Allein
die firengen Anabaptiſten, bedrohten ihn. felbft mit dem
Kirchenbanne ‚und er mußte ihrer Meinung ‚nachgeben...
>... Bon diefen: verſchiedenen Meinutigen uͤber die Excom⸗
munikation entſtanden die verſchiedenen Faktionen, welche
noch heut zu Tage die, Meynoniten trennen. Die ſtren⸗
gen Unnbeptifteg trennten ſich weiter in die ſtrengeren
*
860 | Anabaptiften. "
und gelinderen ; alle excommunizirten 03 gegenfeitig ;
nicht8 konnte dieſe verfchievenen Partheien. —— — —
Nach nem Tode Menno's vermehrte ſich die Spaltung ums
ter feinen Anhängern, hauptfächlih in Flandern und in
der Schweiz. Zu deren Beendigung wählten beine Theile
Schiedsrichter, mit dem Verſprechen, fih an ihren Aus⸗
ſpruch zu halten, Die Flamänder, welche die ffrengen Men⸗
“nonifen waren, wurden verurfbeilt; allein fie beſchuldig⸗
ten die Schiedsrichter der Partheilichkeit, unterbrachen alle
Gemeinſchaft mit den gemäßigten Mennonften, und eg
war ein Verbrechen, miteinander umzugehen, zu effen, zu
ſprechen, und die geringſte Gemeinfchaft ſelbſt auf dem
Todsbette zu haben.
Nachdem die Niederlande ſich der Herrſchaft Spantens
entzogen hatten, wurden die Anabaptiſten nicht mehr
verfolgt. Wilhelm J., Prinz von Dranten, hatte zur
Fortfegung des Krieges eine Summe Geldeg vonndthen,
forach die Mennoniten darum an, und erhielt fie. Nach
‚Empfang diefer Summe und Unterzeichnung. der Schuldver⸗
ſchreibung, fragte fie ber Prinz, wag fie für eine Gnade
fih von ihm ausbäten. Sie baten um Duldung, welche
fie nach Beendigung der Revolution auch wirklich erhielten.
Raum haften die Proteſtanten den Genuß der freien
Meligiong » Mebung in den vereinigten Provinzen erlangt,
fo gaben fie fih ale Mühe, die Anabaptiften verhaßt
zu machen, und ihre Verbannung zu bewirken. Alle Wider:
wärtigfeiten „ fo Jeßtere von Seiten der reformirten Kirchen
und der Obrigkeiten des Landes bis gegen dag Ende des
1Tten Jahrhunderts erfuhren, hinderten fie nicht, ihre
Trennungen forfzufeßen. Inzwiſchen hielten fie im Jahre
1632 eine Synode zu Dortredht, um ihre Vereinigung
gu bewirken; man ſchloß daſelbſt eine Art Frieden, welcher
von 151 Mennonften unterzeichnet wurde: aber einige
Jahre darauf erhoben ſich neue Schismatiter in der Secte
des Menno.
| Der Mennontsmug hat peufe zu Tage zwei aroße
Verzweigungen in Holland, unter deren Namen alle-Brils \
Anabaptiften. 87
‚der begriffen find; die eine find bie Materländer, die
andern die Slaminger, unter dieſen ſind die friſiſchen
und deutſchen Mennoniten begriffen, welche eigentlich
die Secte der alten Anabaptiſten ausmachen, jedoch der
That nach gemäßigrer als ihre Vorfahrern in Deutfchland
und der Schweiz. Inter den F lamingern findet man viele
Eorinianer.
| Im Jahre 1664 war der Staat genoͤthigt, fein Anfes
hen zu gebrauchen, um ihnen zu verbieten, über die. Gott
heit Jeſu Chriſti zw ſtreiten. Man nennt fie.aud) Die
Galeniften, von Galenus, Abrahamsfohn, einem
Arzte, und berüchtigten mennonififchen Prediger. Mebſt
diefen mennonitifchen Zweigen gibt eg zu Amflerdam
verfchiebene Eleine, weniger bekannte Gefelfihaften, welche
ſich von einander in mancherlei Punkten von wenig Bedeu⸗
fung unterfcheiden. Diefe Heinen. Verſammlungen bilden ſich
ohne Geraͤuſch und im Verborgenen, in einigen Privat⸗
Häufern. Die Dispite, welche die Galeniſten im 3.
1669 über die Sottheit Chriſti erregten, gab einer neuen
Gefelfhaft von Mennoniten ihre Entftehung, welche ſich
mit Proteflation gegen die focinianifchen Meinungen trenns
ten. Diefe verfammeln ſich von diefer Zeit an fortwährend
in einer befondern Kirche.
Die Menno niten erkennen ſonach die Gottheit Jeſu,
und behaupten: man muͤſſe weder der Kirche, noch den
Concilien, noch einer andern kirchlichen Geſellſchaft gehor⸗
chen. Sie verwerfen die Kinder⸗Taufe; behaupten, keine
Kirche koͤnne mit Ausſchluß einer andern als die wahre an⸗
geſehen, und die Reformation duͤrfe nicht als ein durch
Gottes und Jeſu Chriſti Macht ausgefuͤhrtes Unterneh⸗
men betrachtet werden. Sie glauben nicht, daß die Kir⸗
chen⸗Diener eine von Gott verliehene Gewalt haben. Hier⸗
aus ſchließen ſie, daß die Excommunikation ſeit den Apo⸗
ſteln, welche allein von Gott geordnet ſeyen, nicht mehr
Statt habe. Endlich erkennen ſie die Nothwendigkeit, der
Obrigkeit zu gehorchen. Im Jahre 1600 unterſchrieben die
deutſchen und elſaͤßiſchen Anabaptiſten das Glaubens⸗
Bekenntniß der Flaminger. Die Anabaptiſten von
J
. 88 j Anabaptiften.
Hamburgs haben das Glaubens⸗Bekenntniß der Getreuns
ten. Sie verrichten die Taufe und dag Abendmahl beinahe
wie die maͤhriſchen. Bruͤder x). /
Die Gecten. der Andäßtigen, die fih unter den
Anabaptifien erhoben daben.
Eine Hauptlehre des Anabaptismus war: daß Gott
die Glaͤubigen unmittelbar belehre, und daß der hl. Geiſt
ihnen eingebe, was ſie thun und glauben muͤßten; jeder
Anabap etiſt nahm demnach alle feine Vorſtellungen, fo
ſonderbar fie auch ſeyn mochten, für geoffenbarte MWahrheie
gen, und man fah eine Menge anabaptiflifcher Secten, bie
nichts gemein haften, als Die ſchon Getauften von Neuem
zu faufen, und die bie Seligfeit von verſchiedenen Gebraͤue
chen abhängen ließen. Dergleichen waren :
1) Die Adamiten, die anter Zahl zu mehr alg 300
ganz nackt auf einen hohen Berg fliegen, überzeugt, daß fie
mit Leib und Seele in den Himmel wuͤrden aufgenommen
werben.
2) Die Apoftolifchen, die den. Befehl Jeſn, auf
den Dächern zu predigen, nach dem Buchflaben erfüllten.
Diefe hatten Eeinen andern Lehrftuhl als die Dächer der
Häufer, welche fie mit Leichtigkeit beftfegen, und von da aus
an die Vorübergehenden ihre Stimmen erfchallen liegen.
.3) Die Stillfhweigenden im Gegentheile, überzeugt; |
daß jene unglückliche vom Hl. Paulus vorhergefagte Zeit
angekommen ſey, zu welcher das Thor des Evangeliums vers
fchloffen werden müßte, ſchwiegen hartnäcig flile, wenn
man fie über die Religion, und die Parthei, die man in
dieſer fchwierigen Zeit gu ergreifen hätte, befragte.
*) Histor. Mennonitarum , Descript. d Ameterdam. Hist.
des Anabapt. dann eine Heine Geſchichte der Anabaptiſten
in 12. Amſterdam, welche nach vorzügtigen. Denkfäriffen.
abgefaßt if.
— —
Ynabaptien = 89
4) Die Vollkommenen, die fh von der Melt ger -
frennt hatten, um dag Gebot, ſich dieſer Welt nicht gleich
zu ſtellen, nach dem Buchſtaben zu erfüllen. Eine heitere
“oder vergnuͤgte Miene machen oder im Geringſten zu laͤ⸗
cheln, hieß, nach ihnen, ſich den Fluch Jeſu CEhr iſti zus
ziehen: Wehe euch, die ihr ladet, denn ihr wex—⸗
Det weinen.
5) Die uͤnfuͤndhaften, ſwelche glaubten, dag nach
der-neuen Wiedergeburt es leicht fey, fih vor Sünden zu.
-verwahren,. und Daß fie in der That Feine mehr begiengen ;
deßwegen ließen. fie auß dem Gebete des Herrn die’ Wor⸗
fe: vergieb ung unfere Schulden, weg. forders
ten von Niemand, fir fie zu beten. .
. 6) Die freien Brüder, welde behaupteten, daß
jede Dienſtbarkeit dem Geiſte des Chriſtenthum's zuwider ſey.
7) Die Sabatarter, welche glaubten, man nuͤſſe
ben Samſttag und nicht den Sonntag feiern. u
' 8) Die Heimlichen, melde fagten, dag man. im. Ne⸗
ligionsſachen, im Offentlichen, wie die Menſchen insgemein |
seven mäffe, und nur im Geheimen fagen dürfe, was man -
denke.
9) Die Oeffentlichen, welche gerade bag. Gegen⸗
the der Heimlichen behaupteten.. L 429*
10) Die Weinenden,. weiche ſich einkitbeten , die
Shränen feyen Bott. angenehm; und. deren. Befchäftigung
‚in der Uebung befand, mit Leichtigkeit zu meirten ; fie mifchs
sen immer ihre Thränen unter ihr Brod, und ‘man -begegs
nete ihnen niemals als mit Seufzern in dem Munde. N
11) Die Froͤhlichen, die zum Grundſatz annahmen;
Sröhlichkeit und Wohlleben fey "die vollkommenfte ‚Ehre, wels
che man dem Urheber der Natur erweiſen koͤnne. |
12) Die: Indifferenten, welche im Bade der Res
ligion Feine Parthei ergriffen hatten. ‚ und alle Religionen
‘ für gleich gut bielten.. -
43) Die Blut duͤrſtigen, di⸗ nur bas Blut, der
Katholiken und Protefianten zu vergießen ſuchten. (=
0 Andronicianer. Antidicomarianiten
14) Die Antim grianer, welche alle’Chrerbietfung
und Hochachtung der heiligen Jungfrau vetiagten.
Androenicianer. Schüler eines gewiſſen Andres
nicius, welcher die Irrthuͤner der Severiager ange⸗
nommen hatte. Sie glaubten, daß der obere Theil der
Frauensperſonen das Werk Gottes, die untere Haͤlfe das
Werk des Teufels ſey. (Siehe den Art, Severianer.
Epiphan haer« 45.) | \
Anomianer. Sieh Eungmianern,
Anthiaſiſten, Phllgfiriug fpricht don dieſer Sec«
te, ohne zu wiſſen, zu welcher Zeit fie zum Vorſcheine ka⸗
men; ſie ſahen die Arbeit als ein Verhrechen ang und brach⸗
ten ihr Leben mit Schlafen zu.
Anthropom orphiten oder Antrop h ianer,
Reber, welche glaubten, Gott habe ginen menfchlichgeftaltee
ten Leib, Sie beriefen fich auf eine Stelle der Genefi 8,
wo Gott fagt: Laßt ung den Menfchen machen nach unſerm
Bilde, und auf alle Stellen der Schrift, welche Gott Ars
me, Züße u, dgl. beilegen. 1) Es gab foldhe Keger fm 4ten
und Anfang deg 10fen Jahrhunderts (931). Diefeg unwife
fende und rohe Jahrhundert brachte lauter Irrthuͤmer dieſer
Art hervor, Man wollte von Allem ein Bild haben, und
ſtellte fich Alles unter körperlichen Gormen vor, Die Engel
dachte man fich als gepflägelte weißgekleidete Menfchen, wie
man fie auf den Kirchenmänden gemalt fab; im Himmel,
gglaubte man, gienge es etwa gerade fo her, wie auf der
Erde, Diele Slaubten: der bi, Michael leſe alle Montage
vor Gott Meſſe, und giengen deßhalb an dieſem Tage lie⸗
‚ber in ſeine Kirche, als in ‚eine andere. 2),
Antidicomartaniten ober Antimarianer find
jene, welche - die Amgſtauſchett der Rute year
1) Niceph, Lı 21,0, 14, L, 13. C. 10. Iitis de Haer.
Pp. 190, ,
- 2) Hist. Lit. de France T. 5. p. 10.,
Antinomianer. Antiochien. 9
net, und behauptek haben: daß fie mehrere Kinder von Jo⸗
feph geboren habe, weil in dem Evangelium von den Bruͤ⸗
dern Jeſu Chrifit: geredet wird. Siehe Helvidius
Epiph. Haer. 78.)
Auntinomtaner d. h. Feinde des Geletes. (Siehe
Agricola, welcher ihr Haupt war.)
Antiochien *). Das Schisma dieſer Stadt dauerte
83 Jahre. — Nachdem die Arianer den Euſtathius
von Antiochien vertrieben haften, feßten fie den Eudos
xius, einen eifrigen Arianer an feine Stelle, und viele
Katholiken. hielten fih fortwährend an Euſt ath tus. Nach
Euſtathius Tode und der Verfehung deg Eudoriug
nach Conſtaͤntinopel gingen viele Nänfe und Partheiun⸗
gen vor, um Antiochien einen Bifhof zu geben. Jede
Parthei beftrebte fih,. die Wahl auf einen ihr zugethanen
Mann fallen zu laffen. Nach vielen Streitigkeiten verei⸗
nigfen fi die Partheien zu Gunften des Meleriug, und
er wurde einmäthig zum Bifchofe gewählt. Meleting
verwarf in feinen Predigten die Grundfäße der Arianer,
ward verbannt, und die Arianer wählten an feine Stelle.
Eufoiug, einen eifrigen Arianer; die Katholiten dem Mes
letius zugethan, frennten fich und hielten abgefönderte
Zufammenfünfte 1).
Antiochien ſah fih nım in drei Partheten getheilt 1
jene der Katholiken, die eg mit Euſtathius hielten, und
weder mit den Arianern, noc mit den dem Meletiug
zugethanen Katholifen, Meil fie diefen für einen ‚von der
Parthei der Arianer ermählten Bifchof anſahen, in Ges
meinfchaft treten wollten; die zweite Parthei machten bie
dem Meletiuns zugethanen Katholiken, die dritte die Aria⸗
ner aus. Diefe drei Partheien haften die Stadt mit Spals
tungen und Uneuben erfuut.
| *) Viertes Jahrhundert.
1) Philostorg. L. 5. C. 5. Sulpit. Sev. L. Io. Theod.
L: ıı. Ä oe
“u
ı
92 ... Antiochien.
Dachdem ultan- den Kaiferthron befiegen hatte, rief
er alle verbannte Bifchdfe zurucf. Melerius, Lucifer
von Cagliari, Eufebtus von Verceli verließen bie
Thebais, um in ihre Bisthümer zuruͤckzukehren. Euſe⸗
bius von Verceli ging nach Alerandrien, mo man
einen Kirchenrath derſammelte. Lucifer aber von Cag⸗
liari, anflatt nad) Alerandrien zu gehen, begab fich nach
Antiochien, um den Frieden zmwifchen den Euftethtas
nern und Meletfanern wieder herzuftellen. Da er die
Euftathigner der Vereinigung mehr entgegen fand, ale
bie Meletianer, fo weihte er Paulinus, der damals das
Haupt der Euſtathianer mar, ‚zum Bifchofe in der Ue⸗
berzeugung: die Meletianer, welde ein größeres Ders
Tangen nad) dem Frieden zeigten, würden fich mit Pa ulin
vereinigen. Allein er irrte fich: die Parthei.des Meletius
blieb ihm ſtandhaft ergeben, und das Schiema, dauerte fort,
die Bifchöfe des Morgenlandes waren file Meletius, jene
des Abendlandes für Paulin. Diefe Trennung wurde |
noch durch eine fheinbare Abweichung in der Lehre genaͤhrt.
Die Deletianer, und die Morgenländifchen Biſchoͤfe ber
haupteten: man müffe fagen, es gebe in. Bott drei Hypoffas |
“fen, ‚indem fie durch das Wort Hppoftafle, die Perfon
verflanden. Paulinund die Abendländifchen beforgten,
der Ausdruck: „Hypoſtaſe medte für Natur genommen wers
den, wie es ſonſt gefchehen fen; fie wollten alfo nicht ges
‚‚fatterr, daß man fage: es gebe fin ber Gottheit brei 2m
n poftafen ‚ und erkannten darinn nur eine“. «
Henn gleich dieſes nur ein. Mortftreit war, und fie
im Grunde Inder Lehre einig waren, fo, rcdefen, und glaubs
fen fie Doch verfd-.cden zu denfen. 4) Diefe Trennung
fing au, Durch eine zwiſchen Meletius und Paulinus
getroffene Uebereinkunft beſeitiget zu werden: beide ſollten
gemeinſchaftlich die Kirche in Antiochien regieren; nach
dem Ableben eines von ihnen ſollte Fein Anderer an feiner
Stelle geweihet werden, und ber Ueberlebende Bifchof bleiben.
L . D ; > k
.1 22 2 .ı u Fr ’ Da |
3) Basil. Epist. 149, fonft 272.
r
Antiochien. Antitarten. 93
Allein die Biſchoͤfe des Morgenlandes, ohne Ruͤckſicht
anf dieſe Uebereinkunft, waͤhlten nach dem Tode,des Mes
letius den Flavian, Paulin feiner Seits gab ſich in
Evagrius, den er zum Biſchofe weihte, einen Nachfolger.
Der Kirchenrath von Capua ernannte den Theophilus,
und die Biſchoͤfe von Aegypten zu Schiedsrichtern; allcin
SFlavian erkannte fie nicht an, und nach dem Tode des
Evagrius fand er bei dem Kaifer Eingang genug, um zu
verhindern, daß man an jenes Stelle einen andern Bifchof‘
ſetzte Flavian blieb fonac von der Gemeinfchaft ver
abendlaͤndiſchen Bifchöfe gefrennf, und bereinigte ſich erſt
im Jahre 393 mit ihnen.
Antitacten *). Ketzer, die es ſich zur Pflicht mach⸗
sen, Alles das zu treiben, was in der bi. Schrift verboten
ift. Es gibt nach diefen Ketzern ein feiner Natur nach gus »
tes Weſen, welches eine Welt gefchaffen hat, mo Alles gut
war, und worin die unfchuldigen und glücklichen Geſchoͤpfe
Gott geliebt haben. Dieſe Menſchen, durch Beduͤrfniß oder
den Reiz des Vergnuͤgens zu den Guͤtern hingetrieben, wel⸗
che der Urheber der Natur uͤber die Erde verbreitet hatte,
uͤberließen ſich dem Genuſſe derſelben mit Dank und ohne
Reue, ſie waren gluͤcklich, und der Friede thronte in ihren
Herzen.
Eines jener Geſchoͤpfe aber, welches das wohlthaͤtige
Weſen hervorgebracht hatte, war boͤſe; das Gluͤck der
Menſchen war fuͤr ſolches ein ſchmerzhafter Anblick; es nahm
ſich vor, dieſes zu trüben; ſtudierte den Menfchen, und
fand, dag um ihn unglücklich zu machen, weiter nichts noͤ⸗
thig wäre, als einige neue Vorftelungen in die Welt zu
werfen. Es pflanzte fonach in die Gemüther die Idee des
Boͤſen und des Unehrbaren; es verbot gewiſſe Dinge
als unehrbar, ſchrieb Andere als chrbar vor; eg fnipfte
eine Borftelung von Schade an dag, was die Nafur eins
gab, und verbot es unter großen Strafen, Durch diefe Ges
4
*) Zweites Jahrhundert.
\
94 Antitacten. Antiteinitarier
feße wiirde die Nothwendigkeit der Befriedigung eines Be⸗
duͤrfniſſes, welches nach der Einrichtung des Urhebers der
Natur eine Quelle des Vergnuͤgens war, eine Quelle der
Uebel; die Vorſtellung des Laſters hing immer an jener des
Guten; die Reue folgte der Luſt, und der Menſch ward
durch die Ruͤckkehr zum Gluͤcke, das er ſich verſchaft hat⸗
te, erniedriget.
Der Menſch, zwiſchen den Neigungen, die er von der
Natur erhält, und dem Geſetze, weiches fie verdammt, einig,
zwaͤugt, murrte gegen feinen Schöpfer; Die Welt füllte ſich mit
Unordnungen und Ungläclichen, welche unaufhörlich.gegen die
Natur rangen, oder ſich abquälten, daB Gefeg zu vereiteln,
oder mit den Leidenfchaften zu Vereinbaren. Diefes iſt,
nach den Antiracten, der.Urfprung des Böen, und ie
Urfahe des Unglides der Menfihen. Die Untitacten
yielten es für Pflicht, Alles zu thun, was das Geſetz um;
terfagte; durch dieſes Mittel glaubten fie, fich fo zu fagen
auf jenen Standpunkt der Unſchuld wieder hinaufzufchwins
gen, von welchem der Menſch nur Durch Den lirheber des
Gefetzes herabgegogen worden war; die Derrichaft, Der er ,
ſich über die Menfchen angemaßt Hatte, zu gernichten, amd
fi an ihm zu rächen.
Die Antitarten waren ein Zweig der Tainiten,
und erſchienen gegen das Ende des ten Jahrhunderts im
Jahre 1605 es waren wollüflige ımd oberftächliche Men
chen. (Siehe den Artikel Cainiten. 1).)
Antitrinitarier. Diefen Namen Tegt man im AN:
gemeinen jenen bei, "welche das Geheimnis der Dreieinigs
feit Jängnen.
Die Offenbarung lehrt ung, daß es drei gomiche Per⸗
ſonen: den Vater, Sohn, und Heiligen Geiſt gebe; welche in
der goͤttlichen Subftanz vorhanden find; und dieß iſt das
Scheimniß der Dreinigteit.
) "Tircodoret. ‚Eiserct. Sab. L. 1, C. 16. Ittigius de Haer.
Sect. 2, C. 16. Bibl. Aut. Ecotes. Sac. 2. art. 6.
.
00 Antitrinitäriet. | v5 .
Die- Vereinigung dreier Perſonen in einer und -berfels
ben einfachen und untheilbaren Subſtanz macht die ganze
Schwierigkeit diefed Geheimniſſes. Man kann fonach daffelbe
baͤugnen, entweder ‚wenn man vorausfegt, daß der Vater,
Sohn, und hl. Geift nicht drei Perfonen, fondern verſchie⸗
dene Benennungen find; oder durch die Behauptung, dag
die drei Perfonen drei befondere Subſtanzen find.
Der Abt Idachim, einige forinianifcdre Prediger,
Sherlot, Wifthon, und Elarf waren der Meinung: man
koͤnne es weder Abreden, daß in ver hl. Schrift von Drei
goͤttlichen Perfonen die Rede fey, noch folche zu einer ein
- zigen, einfachen und untheilbaren Weſenheit vereinigen , folgs -
Ticy glaubten fie: der Vater, Sohn und hl. Geiſt ſevea
drei verſchiedene Subſtanzen.
Sabellius, Praxeas, Servet, Socin behaup⸗
keten: da Vernunft und Offenbarung nicht erlaubten, mehrere
voͤttliche Subſtanzen anzunehmen, noch in einer emzigen einfa⸗
hen Subſtanz drei weſentlich unterſchiedene Perſonen zu ver⸗
einigen, fo müßten ‚der Väter, Sohn und hl. Beift Feine Per⸗
onen, ſondern verſchiedene, dem Hötttlichen Weſen nach den
Wirfungen y die 08 hervorbringe, beigelegte Benennungen
ſeyn.
| Es giebt demnach zwei Arten von Antiteinitarier
Die Tritheiften, welche behaupten: daß die Dei göttli⸗
hen Perſonen drei Subſtanzen find, und die Unifarier,
‘welche die drei Perſonen für verfchiedene, dem göttlichen We⸗
fen beigelegte Benennungen nehmen. Der Tritheism ift in
dem, Arfifel: Abt Joachim; widerlegt, und gegen Clark
und Wiffhon iſt gezeigt worden, dag der Sohn und hi.
Beift zwei goͤttliche Perſonen gleiches Weſens mit dem Rus
ter find. (Siehe Art. Artus, Modedonius). Man hat
weiter gegen Praread und Sabellius bewiefen, daß
der Vater, Sohn und Hi. Geiſt drei Perfonen, und nicht
drei einer Subſtanz beigelegte Benennungen find. Sonach
wäre das Geheimniß der Dreteinigfeit gegen die Trith eiv⸗
fen und Unitarier hergeftellt. Die weitern aus Grüns
den der Vernunft hergeholten Einwuͤrfe der Unmöglichkeit,
. 88 i Anabaptiften.
Hamburs haben das Glaubens⸗Bekenntniß der Getrenn⸗
ten. Sie verrichten die Taufe und das Abendmahl beinahe
wie die emaͤbriſchen Bruͤder .
Die Secten der Andädtigen, die ſich unter den
Anabaptifien erpoben daben.
Eine Hauptlehre des Anabaptismus war: daß Gott
die Glaͤubigen unmittelbar belehre, und daß der hl. Geiſt
ihnen eingebe, was fie thun und glauben müßten; jeder
Anabap tiſt nahm demnach alle feine Vorſtellungen, fo
fonderbar fie auch feyn mochten, für geoffenbarte Wahrheie
fen, und man fah eine Menge anabaptiftifcher Secten, bie
nichts gemein haften, als die fihon Getauften von Neuem
zu faufen, und die die Seligfeit von verichiedenen Gebräus
chen abhängen ließen. Dergleichen waren : |
1) Die Adamiten, die anter Zahl zu mehr als 300
ganz nackt auf einen hohen Berg fliegen, überzeugt, daß fie
mit Leib und Seele in den Himmel wuͤrden aufgenommen
werben.
8— Die Apoſtolifchen— die den. Befehl Jen, auf.
den Dächern zu predigen, nach dem Buchſtaben erfüllten.
Diefe hatten Leinen andern Lehrftuhl als die Dächer ver
Häufer, welche fie mit Leichtigkeit beftfegen, und von da aus
an die DVorübergehenden ihre Stimmen erfchallen Liegen.
.3) Die Stillfhweigenden im Gegentheile, uͤberzeugt, |
daß jene unglücflihe vom hl. Paulus vorhergefagte Zeit
angekommen fon, zu welcher das Thor des Evangeliums vers
fchloffen werden müßte, ſchwiegen hartnädig file, wenn
man fie über die Neligion, und die Parthei, die man in
‚diefer fchwierigen Zeit gu ergreifen häfte, befragte.
.*) Histor. Mennonitarum , Descript. d’Amsterdam. Hist.
des Anabapt. dann eine Feine Gefhichte der Anabaptiſten
in 12. Amfterdam, welche nad vorzügligen. Dentigriften,
abgefaßt iſt.
— — — —
— — —
Unabaptifen. 89
A) Die Vollkommenen, die ſich von der Welt ge⸗
trennt hatten, um das Gebot, ſich diefer Welt nicht gleich)
zu fielen, nach dem Buchſtaben zu erfüllen. Cine heitere
oder vergnuͤgte Miene machen oder im Geringſten zu laͤ⸗
cheln, hieß, nach ihnen, ſich den Fluch Jeſu Chriſti zu⸗
ziehen: Wehe euch, die ihr lachet, denn ihr we x⸗
det weinen.
5) Die uͤnſündhaften, welche glaubten, daß nach
der neuen Wiedergeburt eg leicht ſey, ſich vor Sünden zu.
verwahren, und daß ſie in der That keine mehr begiengen;
deßwegen ließen ſie aus dem Gebete des Herrn die Wor⸗
te: vergieb uns unſere Schulden, weg; fi forders
ten von Niemand, für fie zu beten. .
6 Die freien Brüder, welde behaupteten, daß
jede Dienſtbarkeit dem Geiſte des Chriſtenthum's zuwider ſey.
7) Die Sabatarter, welche glaubten, man muͤſſe
den Samſttag und nicht den Sonntag feiern. u
j 8) Die Heimlichen, welche fagten, dag man m, NRe⸗
liglonsſachen, im Offentlichen, wie die Menſchen insgemein
reden muͤſſe, und nur im Geheimen fagen dürfe, was man -
denke.
9) Die Oeffentlichen, welche gerade bag. Gegen⸗
theit der Heimlichen behaupteten. BE
10) Die Weinenden,. ‚welche ſich einbifbeten , die
Thraͤnen ſeyen Gott angenehm; und. deren. Befhäftigung
fn der. Hebung beſtand, mit Leichtigkeit zu weinen; ; fie mifchs
sen immer ihre Thränen unter ihr Brod, und ‘man begeg—⸗
nete ihnen niemalg als mit Seufjern in dem ‚Munde. .
11) Die Froͤhlichen, die zum Grundſatz annahmen;
Seöhlichkeit und Wohlleben fey "die vollkommenfte Ehre, wels
che man dem Urheber. ver Natur erweifen time: -
12) Die-Ihdifferenten, melde im Fade der Re⸗
ligion Feine Parthei ergriffen hassen ‚ und alle Neligionen
‘ für gleich ‚gut bielfen.. -
13) Die Blut duͤrſtigen, bie nur bag ‚Blut der
Katholiken und Proteffanten zu vergießen fuchten. ..... (.
0 Andronieianer, Antidieomarigniten
14) Die Anttmarianen, welche ale’Chrerbiethung
und Hochachtung der heiligen Jungfrau vetſagten.
Andronicianer. Schuͤler eines gewiſſen Andro
nicius, welcher die Irrthuͤmer der Severianer ange
nommen hatte. Sie glaubten, daß der obere Theil. ver
Seauengperfonen das Werf Gottes, die untere Hälfe dag
Werk des Teufels ſey. ( Siehe den Art, Seyerianer.
Epiphan haer. 45.) |
Anomianer. Sieh Eyngmianer,
Anthiaſiſten, Philgfriug ſpricht dom dieſer Sec⸗
te, ohne zu wiſſen, zu welcher Zeit ſie zum Vorſcheine ka⸗
men; fie ſahen Die Arbeit als ein Verbrechen an, und brach⸗
ten ihr Leben mit Schlafen zu. .
Anthropom orphiten oder Antrop pi aner,
Reber, melche glaubten, Gott Babe einen menſchlichgeſtaltee
ten Leib, Sie beriefen fich auf eine Stelle der Genefis, |
wo Soft ſagt: Laßt‘ ung den Menfchen machen nach unferw |
Bilde, umd auf alle Stellen der Schrift, welche Bott Ars
me, Fuͤße u, dgl. beilegen. 1) Es gab ſolche Keter {m Aten
"und Anfang des 10fen Jahrhunderts (931). Dieſes unwife
fende und rohe Jahrhundert brachte lauter Irrthuͤmer dieſer
Art hervor. Man wollte von Allem ein Bild haben, und
ſtellte ſich Alles unter koͤrperlichen Formen vor. Die Engel
Dachte man fich als gepflägelte weißgekleidete Menſchen, wie
man fie auf den Kirchenmänden gemalt ſah; im Himmel,
glaubte man, gienge es etwa gerade fo her, wie auf der
Erde, Viele Hlaubten: der bi, Michael leſe ode Montage
vor Gott. Meffe, und giengen deßhalb an diefem Tape lies
ber in feine" ‚Kirche , als in ‚eine andere. 2),
Antidicomartaniten oder Antimarianer find
jene, welche Die Iungfientänn der Dauer en serduge
» Niceph, £, 11,0, 14, L, 13. C. 10. Ltg de Haer.
we p- 190, . ,
- 2) Hist. Lit. de France T. 5. p. 10. ,
Antinomianer. Antiochien. on
net, und behauptet haben: daß ſte mehrere Kinder von Jo⸗
feph geboren habe, weil in dem Evangelium von ben Bruͤ⸗
dern Jeſu Chrifti. geredet wird. Sietbe Helvidius
Epiph. Haer. 78.)
Antinomianes d. h. Feinde des Geſetes. (She |
Agricola,. welcher ihr Haupt mar.)
Antiohien *). Das Schisma diefer Stadt dauerte
85 Jahre. — Nachdem die Arianer den Euftathiug
von Antiochien vertrieben hatten, fetten fie den Eudos
xius, einen eifrigen Arianer an feine Stelle, und viele
Katholiken. hielten ſich fortwährend an Euſt ath tus. Nach
Euſtathius ‚Tode und der Verſetzung des Eudoriug
nad) Conſtantinopel gingen viele Nänfe und Partheiuns
gen vor, um Antiochien einen Bifchof zu geben. - Jede
Parthei beftrebte fih, bie Wahl auf einen ihr zugethanen
Mann fallen zu laffen. Nach vielen Streitigkeiten verei⸗
nigten ſich die Partheten zu Gunften des Meleriug, und
er wurde einmüthig zum Bifchofe gewählt. Meletiug
verwarf in feinen Predigten die Grundfäße der Arianer,
ward verbannt, und die Arianer wählten an feine Stelle.
Euſoius, einen eifrigen Arianer; die Katholiten dem Mes
letius zugethan, trennten ſich und hielten abgeſoͤnderte
Zuſammenkuͤnfte 1). |
Antiodien fah fi num in drei Partheten gefheilt ; ;
jene der Katholifen, die eg mir Euſtathius hielten, und
weder mit den Arianern, noch mit den dem Melefiug
zugethanen Katholiten, weil fie diefen für einen -von der
Parthei der Arianer ermählten Bifchof anfahen, in Ges
meinfchaft treten wollten; die zweite Parthei machten bie
dem Meletiug sugethanen Katholiken, die drifte die Aria⸗
mer aus. Diefe dret Partheien haften bie Stadt mit Spals
tungen und Unruhen erfuut.
) Viertes gahrhundert
1) Philostorg. L. 5. C. 5. Sulpit. | Sev. L. 10. Theod.
L: ıı. .
*
ı
92 0. Antiochien. ,
Nachdem Julian ˖den Kaiſerthron beſtiegen hafte, rief
er alle verbannte Biſchoͤfe zuruckf. Meletius, Lucifer
von Cagliari, Euſebtus von Verceli verließen die
Thebſais, um in ihre Bischümer zuruͤckzukehren. Euſe⸗
bins von Vercelt ging nad Alerandrien, mo man
einen Kirchenrath verfammelte: Luctfer aber von Eags
liari, anftatt nach Alerandrien zu gehen, begab fich nach
Antiohien, um den Frieden zwifchen den Euftathtas
nern und Meletfanern wieder herguftellen. Da er die
Euftathigner der Vereinigung mehr entgegen fand, ale
‚die Meletianer, fo weihte er Paulinus, der damals das
Haupt der Euftathianer war, zum Biſchofe in der Ue⸗
bergeugungs die Meletianer, welde ein größeres Ders
langen nad) dem Frieden zeigten, wuͤrden fich mit Da ulin
vereinigen. Allein er irrte fich: die Parthei.des Meletiug
blieb ihm -flandhaft ergeben, und das Schisma dauerte fork,
die Bifchdfe des Morgenlandes waren für Meletius, jene
des Abendlandes für Paulin. Diefe Trennung wurde |
noch durch eine fcheinbare Abweichung in der Lehre genaͤhrt.
Die Meletianer, und die morgenlaͤndiſchen Biſchoͤfe be⸗
haupteten: man muͤſſe ſagen, es gebe in Gott drei Hypoſta⸗ |
fen, indem fie durch Tas Wort Hypoftafe, die Perfon
verflanden. Paulin und die Abendländifchen beforgten,
der Ausdruck: „Hypoſtaſe möchte für Natur genommen wer⸗
„den, wie es ſonſt geſchehen fen; fie wollten alſo nicht ge⸗
„ſtatten, daß man ſage: es gebe in ber Gottheit drei 20
„poſtaſen, und erkannten darinn nur eine’. f
Henn gleich. dieſes nur ein: Wortſtreit war, und ſie
im Grunde in der kehre einig waren, ſo redeten, und glaub⸗
ten fie Boch verfd;-.cden zu denken. 4) Dieſe Trennung
fing an, durch eine zwiſchen Meletius und Paulinug
getroffene Uebereinkunft beſeitiget zu werden: beide ſollten
gemeinſchaftlich die Kirche in Antiochien. regieren; nach
Dem Ableben eines von ihnen ſollte Fein Anderer an feiner
Stelle geweihet werden, und der Ueberlebende Bifchof bleiben..
non
„oo. = k
„U 3.
3) Basil. Epist. 149, fonft 272. . J
Antiochien. Antitacten. 93
- Allein die Biſchoͤfe des Morgenlandes, ohne Nückficht
anf diefe Uebereinkunft, waͤhlten nad) dem Tode,des Mes
letius den Flavian, Paulin feiner Seits gab fi in
Evagriug, den er zum Bifchofe weihte, einen Nachfolger.
Der Kirchenrath von Capua ernannte den Theophilug,
und die Bifchdfe von Aegypten zu Schiedsrichtern; allcin
. Slavian vrfannte fie nicht an, und nach dem Tode des
Evagrius fand cr bei dem Kaifer Eingang genug, um zu
verhindern, daß man an jenes Stelle einen andern Biſchof
feste. Flavian blieb ſonach von der Gemeinfchaft ter
abendländifchen Bifchsfe getrennt, und vereinigte ſich erſt
im Jahre 393 mit ihnen.
Antitacten *). Ketzer, die es ſich zur Pflicht mach⸗
ten, Alles das zu treiben, was in der hl. Schrift verboten
iſt. Es gibt nach diefen Ketzern ein feiner Natur nach gus -
tes Weſen, welches eine Welt gefchaffen hat, mo Alles guf
mar, und worin die unfchuldigen und glücklichen Geſchoͤpfe
Gott geliebt haben. Dieſe Menſchen, durch Beduͤrfniß oder
den Reiz des Vergnuͤgens zu den Guͤtern hingetrieben, wel⸗
che der Urheber der Natur uͤber die Erde verbreitet hatte,
uͤberließen ſich dem Genuſſe derſelben mit Dank und ohne
Reue, ſie waren gluͤcklich, und der Friede thronte in ihren
Herzen.
Eines jener Geſchoͤpfe aber, welches das wohlthaͤtige
Weſen hervorgebracht hatte, war boͤſe; das Gluͤck der
Menſchen war fuͤr ſolches ein ſchmerzhafter Anblick; es nahm
ſich vor, dieſes zu truͤben; ſtudierte den Menſchen, und
fand, dag um ihn unglücklich gu machen, weiter nichts noͤ⸗
thig wäre, als einige neue Vorftelungen in die Welt zu
werfen. Es pflanzte fonach in die Gemuͤther die Idee deg
Boͤſen und des Unehrbaren; es verbot gemiffe Dinge
als unehrbar, fehrieb andere als ehrbar vor; eg fnipfte
eine Borftelung von Schade an tag, was die Natur eins
gab, und verbot es unfer großen Strafen, Durch diefe Ges
*) Zweited Jahrhundert,
v
94 Antltkitacten. Antiteinitarier
feße wurde Die Nothwendigkeit der Befriedigung eines Be⸗
duͤrfniſſes, welches nach der Einrichtung des Urhebers der
Natur eine Quelle des Vergnuͤgens war, eine Quelle der
Uebel; die Vorſtellung des Laſters hing immer an jener des
Guten; die Reue folgte der Luſt, und der Menſch ward
durch die Ruͤckkehr zum Gluͤcke, das er ſich verſchaft hat⸗
te, erniedriget.
Der Menſch, zIwiſchen den Neigungen, die er von der
Natur erhält, und dem Geſetze, weiches fie verdammt, einig,
zwaͤngt, murrte gegen feinen Schöpfer; Die Welt füllte ſich mit
Anordnungen und Ungläcdlichen, welche unaufhörlich.gegen die
Natur vangen, oder fi) abquälten, daB Gefe zu vereifeln,
oder mit den Leidenfihaften zu Vereinbaren. Dieſes ift,
nach den Antitacten, der. Urfprung des Böen, und die
Urfahe des Ungluͤckes der Menfihen. Die Antitacten
hielten es für Pflicht, Alles zu thun, was das Gefeb uns
terfagte; durch dieſes Mittel glanbten fie, fich fo zu fagen
auf jenen Standpunkt der Unſchuld wieder hinaufzuſchwin⸗
gen, von welchem der Menfch. nur Durch Den Urheber Des
Gefetes herabgezogen worden war; die Derrfchaft, der er ,
fith über die Menfchen angemaft Hatte, zu gernichten, and
fi an ihm zu rächen.
Die Antitarten waren ein Zweig der Tainiten,
und effchienen gegen das Ende des Aten Jahrhunderts im
Jahre 160; es waren wolluͤſtige und oberflaͤchliche Men
ſchen. (Siehe den Artikel Cainiten. 1).)
Antitrinitarier. Diefen Namen legt man im A:
gemeinen jenen bei, welche das Gebeimnii der Dreieinigs
feit laͤugnen.
Die Offenbarung lehrt ung , daB es drei göttliäe Per⸗
ſonen: den Vater, Sohn, und Heiligen Geiſt gebe; welche in
der goͤttlichen Subſtanz vorhanden find; und dieß ift Das
Geheimniß der Dreinigkeit,
1) "Tlrcodoret. ‚Hirerct. Sab. L. 1, C. 16. Ittigius dc Heer.
Sect. 2, C. ı6. Bibl. Aut. Ecotes. Sac. 2. art. 6.
Antitrinitarier. | 85°
Die. Vereinigung dreier Perſonen Im einer und -derfels
ben einfachen und untheilbaren Subſtanz macht die ganze
Schwierigkeit diefed Geheimniſſes. Mat kann fonach daffelbe
Hiugnen, entweder ‚wenn man vorausſetzt, daß der Vater,
Sohn, und hl. Geift nicht drei Perfonen, fondern verſchie⸗
dene Benennungen find; ober durch die Behauptung, dag
die drei Perfonen drei befondere Subftanzen find.
Der Abt Idachim, einige ſocinianiſche Prediger,
Sherlok, Wifthon, und Clark waren der Meinmg : man
könne es weder abreden, daß in der hl. Schrift von Drei
goͤttlichen Perfonen die Rede fey, noch ſolche zu einer eins
zigen, einfachen und unfheilbaren Wefenheit vereinigen, folgs .
lich glaubten fie: der Vater, Sohn und Hl. Geiſt feven
Drei verfäjiedene Subſtanzen.
Sabellius, Prareas, Server, Socin behaup⸗
teten: do Vernunft und Offenbarung nicht erlaubten, mehrere
goͤttliche Subſtanzen anzunehmen, noch m einer emzigen einfa⸗
hen Sübſtanz drei weſentlich unterſchiedene Perſonen zu ver⸗
einigen, fo müßten der Väter, Sohn und hl. Geiſt keine Pers
ſonen, ſondern verſchiedene, dem goͤtttlichen Weſen nach den
Wirkungen, Die +8 hervorbringe, beigelegte Benennungen
ſeyn.
Es giebt demnach zwei Arten von Antitrinitarier.
Die Tritheiſten, welche behaupten: daß die drei göttli⸗
chen Perſonen drei Subſtanzen find, und die Unifarier,
welche die drei Perſonen für verfchiedene, dem göttlichen Wer
fen beigelegte Benennungen nehmen. Der Tritheism ift in
dem, Arfikel: Abt Joachim, widerlegt, und gegen Tlarf
und Wiſthon if gezeigt worden, Daß der Sohn und hl.
Geiſt zwei goͤttliche Perſonen gleiches Weſens mit dem Va⸗
ter find. (Siehe Art. Artus, Moredonius). Man hat
weiter gegen Praread und Sabellius bewiefen, daß
der Vater, Sohn und Hi. Brift drei Perfonen, und nicht
drei einer Subflanz beigelegte Benennungen find. Sonach
wäre das Geheimniß der Dreieinigkeit gegen die Trith eiv⸗
ten und Unitarier bergefielt. Die weitern aus Grüns
den der Vernunft 'hergeholten Einwuͤrfe der Unmdglichkcit,
-
06 | Autitrinitarier.
| daß ir. einen einzigen einfachen und untheilbaren Weſen
drei Perſonen ſeyn ſollten, und daß ein Gegenſtand, von
welchem die Vernunft ſich keine Vorſtellung bilden kann,
auch. Fein Gegenſtand unſeres Glaubens ſeyn koͤnne, find
von den katholiſchen Dogmatikern genug widerlegt, als daß
wir uns hier damit befaſſen ſollten. Fuͤr unſern Zweck
‚bleibt ung nur noch übrig, zu zeigen: daß das Dogma
- der Dreieinigfeit jederzeit beffiimmt. don ber
Kirche geglaubt worden (ey.
Die Socinianer haben behauptet: die Lehre der
- Dreieinigfeit, fey in den .erfien Jahrhunderten der Kirche- -
unbefarmt geweſen. Ihre Gründe haben mir widerlegt,
da wir von dergleichen Wefenbeit des Wortes und hl. Geis
fies gefprochen haben, tn den Artikeln: Neue Arianer
und Macedonius.
Jurien erneuerte dieſen Irrthum, um die Folgerun⸗
gen ‚welche aus den: Veränderungen, die Boſſuet den
Proteftauten in feiner Gefchichte der Veränderungen vors
wirft, hervorgehen, von diefen abzulehnen. Er behauptete:
die Kirche habe in Betreff der Myſterien Aenderungen vors
genomizen, und man habe bis zum Kirchenrathe von Nis
caͤa in der Kirche über die Dreieinigfeit nur einen ſehr ge⸗
ſtaltloſen Glauben gehabt 1).
Wir haben in dem. Artifel Arius, bewieſen, daß
die Gottheit und Conſubſtanzialitaͤt des Worts ſtets geglaubt
worden iſt, und hinſichtlich der nähern Auseinanderſetzung
auf den gelehrten Bullus, und Boffuet u. f. w. vers
tiefen. Wir wollen bier nur bemerken, daß die Kirche,
ſowohl jene, welche glaubten, der Vater, Sohn und hl.
Geiſt feyen bloß drei Benennungen des göttlichen Weſens, als
auch ‘jene, welche fie als Drei verfchiedene Subftanzen anges
fehen haben, jederzeit verdammt habe; woraus augenfcheins
lich folgt, daß die Kirche das Dogma der Dreicinigkeif ims
mer fo geglaubt hat, wie wir eg glauben.
‚ 3) Tablau da Socinienisme Lett. 6. °
| . Antiteinktarien. 9
Die Schwietigfeiten ber AUntftrinitarier und So—
tinianer in dieſer Sache find von den Vergleichungen ges
nommen, welche man bei den Wätern über dag Geheimniß
der Dreieinigfeit findet, Der Zweck dieſes Werkes erlaubt
ang nicht; uns in die Einzelnheiten diefee Schwierigfeiten
einzulaffen,, mir befchränfen ‘ung daher nur auf dag, was
der berühmte Boffwet über diefen Gegenſtand geſagt hat:
„Die menſchliche Sprache beginnt mit dem Sinnlichen,
„wenn ſich der Menſch zum Geiſtigen (Ueberſinnlichen), als
‚feiner zweiten Region erhebt, fo beingt er auch etwas von
‚feiner erften Sprache mit hiniber, fo 5. B. ff dad Wort:
„Geiſtes-⸗Anſpannung von einem gefpannten Bogen,
zrabgeleitety wie der Ausdruck Faßung herkommt, von
‚det Hand, die dag, was fie hält, eng und Eräftig umfaßt. -
„Schreiten wir von diefer zweiten Negion zur Hoͤchſten,
‚welche jene des Goͤttlichen iſt, hinaun, fo ift unfer Geift,
„je reiner dieſe ift, um die richtige Benennung um fo mehe
j verlegen, und geztvungen, die ſchwache Sprache des Sims
lichen, um einen feften Haltpunft zu haben, mit hinuͤber
„zu nehmen; beshalb find auc die Ausdruͤcke, welche von
sinnlichen Dingen genommen find,-bier häufiger. Alle von
, menfchlichen Dingen abgezogene Vergleichungen find gleichs
„ſam nothwendige Wirkungen der Anftrengung, die unfer
7, Seift macht, wenn er, feinen Flug gen Himmel gerichtet,
‚und durch feine eigene Schwere auf die Materie, der er
„ſich entfchwingen will, zurückfallen, fid) an dag, mag in -
„dieſer das Erhabenfte, und am tenigften Unreine ift, wie
„an Aeſte anhängt, um fein gänzliches Zurückſ nken in fie
„zu verhindern“.
„Wenn wir getrieben von dem Glauben, unſere Au⸗
„gen zur ewigen Zeugung des Wortes erheben, ſo ſtellt
„uns der hl. Geiſt, beſorgt, wir moͤchten im Ruͤckfalle auf
„ſinnliche Bilder, die ung umgeben, und fo zu ſagen, um⸗
‚lagern, uns in ben göttlichen Perfonen entweder eine Vers
„ſchiedenheit deg Alters, oder die Unvollkommenheit eines
„neugebornen Kindes, oder Alles andere Erniedrigende eis
‚nee gemeinen Zeugung benfen, das, mas in ber Natur
Ketzer⸗Lexikon. II. 7.
98 Antitrinitarier. | _
„das Schönfte und Reinſte if, vor — dag Licht in der Sonne
„als in feiner Quelle, und das Licht fm Sonnenftrahle, _
„als in feiner Srucht: bier. bemerft man alsbald eine Ges
„burt ohne. Unvollfommenheif, und die mit ihrem Entfies
„ben ſogleich befruchtefe Sonne, als das vollfonımenfte Bild
‚‚teffen, der, da er immer ift, auch immer fruchtbar if.
„Aufgehalten In unferm Zalle von biefem fchönen Gegens
. „ande beginnen wir von da an einen gläckichern Flug,
„indem wir ung ſelbſt fagen: wenn man in den Koͤrpern,
„und der Materie eine fo ſchoͤne Zeugung erblickt, mit wie
„viel mehr Grund dürfen wir glauben, daß der Sohn Gets
„tes aus dem Vater bervorgehet, wie der abfirahlende
„Glanz von feinem ewigen Lichte, wie ein fanfs
„tes Duften feiner unendlichen Klarheit, wie
„der fleckenloſe Spiegel feiner Majeflät, und
‚das ab bild feiner unendlihen Kite, wie ung
„das Buch der "Weisheit ſagt“. (Sapient VII. .25, 26).
„Und wenn unfere Meformirten von daher diefe ſchoͤ⸗
‚men Ausprüce nicht annehmen wollen, fo draͤngt ſie der bi.
„Paulus in ein einziges Wort zufammen, wenn er den
„Sohn Gottes ven Abglanz ver Herrlichkeit, und
„das Gepraͤge des Weſens des Vaters nennt. 1).“
Es giebt nichts, welches in dem Vater und Sohne die
naͤmliche Natur, die naͤmliche Ewigkeit, die naͤmliche Macht
beſſer bezeichnet, als die ſchoͤne Vergleichung der Sonne und
ihrer Strahlen, welche unermeßliche Raͤume durchſtroͤmend,
immer derſelbe Koͤrper mit der Sonne ſind, und alle ihre
Kraft in ſich enthalten. Allein wer fühlt demungeachtet
nicht, Daß diefe Vergleichung, wenn Auch die fchönfte aus
allen, notbwendig, gleich jeder andern mangelhaft ift; und
wenn man fchifanfren wollte, koͤnnte man nicht fagen, daß
der Strahl auch. ohne Losreißung von Dem Sonnenkoͤrper
verſchiedene Brechungen leide, oder in der Sprache der Ma⸗
ler, die Miſchungen des Lichtes nicht gleich lebhaft ſind?
ı) Hebr. I, 3. on —
f 4
Annitrinitarier. 9
„Um den Menfchen eine folche Vorftellung von dem
„Sohne Gottes. gu benehmen, bietef der bi. Juſtin, der
„erſte aus Allen, dem Geiſte eine andere Stüße dar. Es
N„iſt in der fo lebendigen und thättgen Natur des Feuers
‚Die ſchnelle Entflehung der Flamme einer Fackel, welche
„ſich plößlich an einer andern entzündet. Hier erſetzt fich
- ,‚vollfommen die‘ Ungleichheit, welche der Strahl noch zwi⸗
„ſchen dem Vater und Sohne fliehen zu laffen fehien. Denn
„man fieht in den beiden Fackeln eine gleiche Flamme, und
„die eine angezündet ohne Verminderung der andern. Diefe
„Zertheilungen und Portionen, an melde mir ung bei
sy. Vergleihung des Sonnenftrahles fließen, erfcheinen hier
„nicht mehr. Der bie Juſtin bemerkt ausdruͤcklich, daß
„hier weder Abſtufung oder Verminderung, noch Zerthei⸗
lung ſtatt habe“. 1)
„Iurieu geſtehet ſelbſt ein, daß dieſer Blutzeuge die
„Gleichheit in dem, was ehr noch abging, vollfommen
„herſtellte. In diefer Dinfiche iſt er alfo mit ihm zufrie⸗
„den, um fo weniger aber zufrieden mit Tertulian wer
„gen feiner Portionen und Theile. 2). Allein ging er
„nicht ſtarrſinnig darauf aus, Irrthuͤmer bei den Vätern
„zu finden, fo Dürfte man ihm nur fagen: daß Alles auf
‚ven nämlichen Zweck abjiele, und daß man nicht, wie er
„thut, bei Wergleichungen "auf das Grobe und Niedere,
„hinſchielen müffe: fonft ware das angezündete Licht des hei⸗
„Juſtin für die untrennbare Einheit des Vaters und
„Sohns nicht minder gefährlich, als es der Sonnenftrahl
„des Tertulian ihrer Gleichheit zu feyn fchien: denn
j tiefe zwei Fackellichter trennen fih; man fieht dag eine
‚brennen, wenn das andere erlöfchf, und wir find weit
entfernt von dem Strahle, melcher immer mit dem Koͤr⸗
‚per der Eonne verbunden bleibt. Mit einem Worte, man
‚‚folte.von jeder Vergleihung nur dag Schöne und Dolls
„fommene nehmen, und fo würde man den Sohn Gottes
2) Lib, adv. Teypı, .
2) Tableau du Socinian. Lat. 6. p. 219 .
TR
100 Antitrinitarier.
„unzertrennbarer mit Dem Vater vereint füirden, als es
„alle Strahlen mit der Sonne find, und gleicher mit Ihm,
„als alle Fadelichter mit dem, an welchem man fie ans
‚zündet, weil Er nicht allein ein Gott ift, auegegangen
„son Bott, fondern was an den Gefchspfen ohne Beifpiel
„iyift, ein einziger Bott, der mit jenem von dem Er ausges
„gangen iſt, eineg bleibf.
„Und was diefer Lehre alles Schwierige benimmf ‚if,
„daß alle Väter Gott unveränderlich vorffelen, eben fo
‚machen fie Ihn geiftig, untheilbar in feinem Weſen, obs
„ne Größe, ohne Serfrennung, ohne Farbe,
„ohne Alles, was in die Sinne fällt, und durch
„nichts, als durd den Geift wahrnehmbar. “
‚Wer demnac Gott ift, fft ganz Goͤtt, von Feiner
„Seite abweichend von Goff. Alle Väter find über die
‚vollkommene Einfachheit der Gottheit einftimmig, und
„ſelbſt Tertultan, ber offen zu reden, alle göttliche Dinge
„verkörpert. Denn wenn er gleich in feiner Spracde das
„Wort Körper, welches vielleicht Subftanz beveuren
„fol, gebraucht ‚, fo koͤmmt er doch in feiner Schrift gegen
'„Hermogenes gleich anfangs als über ein gemeinfameg
„Prinzip mit ihm überein, daß Gott Feine. Theile hat,
„und unthetlbarift, fo, daß, wenn wir ihre Vorftelluns
",,gen nad den Prinzipien, die fie ung felbft aufgeftellt has .
‚ben, erhöhen, ung in diefen Strahlen, in Diefen Ausdeh⸗
‚nungen, in diefen Portionen des Fichted und der Subs
„ſtanz, nichts übrig bleibt, als der gemeinfame Urfprung
„des Sohnes und hi. Geiſtes von einem unendlich mittheils
‚baren Grundwefen, eben dag, die Wahrheit zu fagen,
„was der Sohn, wenn Er von dem hl. Geiſte redet, ges
„ſprochen bat: Er wird eg von dem Meinigen nebs
„men, oder von dem, was ich habe; de meo, mie
„ich es vom Vater nehme, mit dem ich Alles gemein habe’.
„Man ſollte fich daher in der Lehre der Väter fein
„ſolches Unding von Ungleichheit unter dem Vorwande jes
„ner Ausdrüde einbilden, die fie gar wohl zu läutern, und
„mit welchem Allen fie gar wohl ‚zu fagen mußten, Daß
Antitrinitarier. 101
„der Sohn Gottes hervorgegangen fey, vollfoms
„men von dem Vollfommenen, ewig von. dem
„Ewigen, Gott von Soft. Dieſes fagte der bi. Gre⸗
m, gor, der vorzugsweife der Wunberiwirfer genannt
‚wird, und der bl. Clemens von Alerandrien fagte:
„Er ſey das Wort, vollfommen gezeugt won dem
„vollkommenen Vater“.
„Er laͤßt Ihn feine Vollkommenheit nicht von einer
‚zweiten Geburt erwarten, und fein Vater bringt Ihn voll
„ fommen ‚ wie Ex felbft, hervor; deßhalb ift nicht nur ber
.„Vater, fondern auch Insbefondere der Sohn ganz guf,
„sans ſchoͤn, folglich) ganz vollkommen u. f. w. 1). _
„Es ift demnach heller als das Tagslicht, daß die
„Vorſtellung von Ungleichheit ven Vätern nie in den Sinn
„gekommen ift, im Gegentheile, wir fehen, daß fie, um
„dieſer auszuweichen, nachdem fie nach der Ordnung den
„Vater und Sohn genennt haben, fie auch gefliffentlich ges
„sen die Ordnung Sohn und Vater fagen, um zu zeigen:
‚daß, wenn der Sohn der gweite ift, Er dieſes nicht an
„Vollkommenhett, Würbe oder Ehre fen. Weit entfernt,
„Ihn ungleich zu-machen, machen fie Ihn in Allem und durch
„Alles eins mit Ihm, eben fo wie den hl. Geiſt;
„endlich damit man die erbliche Identitaͤt in ihrer Volkfoms
„menheit nehme, wie man Alles, was Gott zukommt,
„nehmen muß, erklärten fie: daß Gott eines und dag
„nämlihe Wefen fey, vollkommen eins, böher
„als Alles, was eing tft, ja Über die Einheit fe/bft‘‘ 2),
Im weitern Verlaufe feines. Berichtes läßt fih Boffuer
auf die einzelnen Verhandlungen des Kirchenrathes von Ni⸗
. cda und auf die Fehlgriffe des Jurfews:ein, worin wir
ibm nicht folgen koͤnnen, fondern was man felbft lefen
muß. 3).
I) —. Nyss. de vita Greg. Neocaes. Clem. Alex.
Pacdag. 1. 5, 6. 3. 7. 18. — ‘Strom. 5. z
2) Clem. Alex. Paedag. 3. c. ult. Strom. 9. Paedag, 1.C. 8
5) Bossuet Avertiss. 6, 40. — ‚46.
Pe
—
02 Anntitrinitarier.
Bir wollen die Einwendungen, welche die Eotinia
ner aus der Schrift ziehen, nicht mweitläufig unterfucen,
noch es unfernehmen, die falfchen Auslegungen, welche fie
von jenen Stellen der Schrift, auf welche nıan Das Dogma
ber Dreteinigfeft gründet, machen, zu widerlegen. Die Theoͤ⸗
logen haben die ſocinianiſchen Auslegungen ſehr gut wider⸗
legt; niemanden iſt dieſes beſſer gelungen, als dem gelehr⸗
ten P. Petau, der in dieſem Punkte, wie in vielen andern,
für alle Theologen gelten kann 1). .
Die engliſchen Theologen haben dieſes Dogma ſehr gut
bearbeitet. Mah ſehe unter andern jene, von welchen in
den Artikeln: Neue Arianer, und Macedoniug bie
Rede iſt, vorziglic; auch Jſaak Parrom 2).
Wie. haben in dem Artikel: Neue Artaner und Mar J
| cedonius gezeigt, daß die Gottheit und Confubflanzialitäf
des Wortes und des hl. Geiſtes ın der hl. Schrift enrhals
ten iſt, daß die Apoftel diefes als die Grundlage der chrifts
lichen Religion gelehrt haben ; wir haben in den Artikeln:
Sabelltus, Praxeas dargethan, daß die Kirche jene,
die die Dreieinigkeit geläugnet haben, immer verdammt
"habe. Hieraus ziehen wir drei Folgerungen:
Die erfte HE, daß das Dogma der Dreieinigkeit nicht
ein von den Platonikern eingeführter Glaube fey, mie fol
ches der. Verfafler des enthälten Platonismug, und
Le Clerc in feiner auserlefenen Bibliothek, und
feiner allgemeinen Bibliofhef behaupfen 3).
Die zweite, daß der Glaube der Dreieintgkeit nicht ein
dunkler und ſchwankender Glaube war, mie diefeg Le Clerc,
fo oft er von Diefem Geheimniffe fpricht, angibt.
Die dritte iſt, daß der Verfaſſer der Briefe über die
weſentliche Religion ſich dem ganzen chriſtlichen Alter⸗
1) Potavius Dogm. 'Theol. 7
2) Isaaci Barrow Opnscnla.
'3) Bibl, choisie Art. erit. Bibl. univ. T. 10, Ark 8
Extrait de la vie @Eusche.
rn
Antiteinitarien 103
thume entgegenflellt, wenn er fagt, män milffe Die Benens
nungen: Dreieinigkeit und Perfon ganz abfchaffen, und
wenn er diefen Glaubensſatz für unnuiß anfieht. Er würde‘
nicht fo gedacht haben, wenn er die Gefchichte ver chriftlis
hen Religion und ihre Wefenheit beffer gefannt hätte. Die
ganze Defonomie des Chriſtenthums erheifcht dieſes Geheim⸗
niß, und der Chrift kann nicht erfennen, was er Goft
fchuldig ift, wenn er hicht weiß, mie die drei Perfonen in
ber Gottheit zu dem Werfe feines Helles beitragen. Dies
ſes Geheimniß ift ung alfo nicht geoffenbaret worden, um
ein Gegenftand unferer Speculation gu feyn, fondern um
uns die Liebe Gottes gegen Die Menfchen beffer begreiflich
zu machen. Iſt eine folche Kennmiß zur Erfüllung der
Pflichten der Religion unnüß ?
Da das ganze Chriſtenthum als. Dffenbarung, fich
auf die Dreteinigkeitss Lehre, befonders die auf das innigſte
Damit verbundene Lehre von der Gottheit Chrifti, als
auf ihre Grundpfeller fügt, die rationalifüifchen Theologen
‚unferer Tage aber neuerdings Diefelbe für eine von den als
ten Platonikern enflehnte Idee geltend machen möchten, fo
finden wir noch folgende Erläuterung in dieſer Hinſicht bei⸗
zuſetzen/ für noͤthig.
Es iſt außer Zweifel, daß bei den alten Philoſophen
aus der Platonifchen Schule einige auf die Dreieinigkeits⸗
Lehre bezügliche Ausdruͤcke vorfommen; allein diefe find fo
dunkel und unbeflimmf, daß man daraus auf die Annahme
des dreieinigen Gottes nicht fchließen koͤnne. . Die jüngern
Platoniker entnahmen einen Theil ihrer Philofophenre aus
den Schriften der Chriften. Da die Kirchennäter die heids
nifchen Philofophen für das Chriſtenthum zu gewinnen bes
müht waren, fo verfüchten fie unter andern, ihnen darzu⸗
thun, daß die chriftliche Lehre von der Dreieinigkeit mif den
platoniſchen Ideen gar wohl übereinfomme. Ste. verglichen
daher dag Wort, oder den Sohn Gottes mit dem Urbilde
aller Dinge, das in Gottes Verſtand von Ewigkeit gezeugf
worden fey. Sie nahmen das Drei deg Plato, verbans -
den aber damit gang andere Begriffe. Die neuern Platoni⸗
fer des zweiten und der folgenden Jahrhunderte ahmten die
J
l
104: Antitrinitarier.
Chriſten nach, und ſuchten zu beweiſen: daß auch fie eine
Kenntniß von der Dreiheit hätten, welde die
Urquelle aller Dinge fey, mithin das Chriftens
tbum mit feinen Lehren entbehren fönnten. Dies
ſes verleitete nun neuere Gelehrte, die mit dem Alterthume
nicht Hinlänglich bekannt find, auf die Behauptung: Die
hriftliche Dreietnigkeitgs Lehre fey aus ber platonifchen Schule
entfianden.
Unter den neuern Gegnern der Zrinitͤts⸗ Lehre des fies
benzehnten und achtzehnten Jahrhunderts verdienen die ſo⸗
genannten Modaliſten bemerkt zu werden, welche unter
Vater, Sohn und hl. Geiſt Benennungen der drei verſchie⸗
denen. Verhältniffe (modi) der Goftheit zu den Menfchen
verftanden. Zu diefen gehören: unter. den Engländern, die
orthodoren Fatitudinarier, Stepf, Nye, Nehem,
Grev, Joh. Waliſius, unter den Hollaͤndern Herm,
Deufing, Paul, May, Pet. Poiret, und Joh.
Clericus; aus den Deutfhen, Dlig. Pauli, Chriſt.
‚Chomafins, Joh. Aug. Urlfperger, und Carl.
Fried. Bahrdt. Die Anhänger und Schüler dieſes legs
ten unter den Profeftanten find nicht zu zählen. Zum Schlu⸗
ße fügen wir Die Anfichten der Fantifhen Sthule
von der Dreteinigkfeit bei. - Nach dem Kantifchen Sys
fleme liegt die Erfenntniß der Gottheit außer dem Bereiche
der fpeculirenden Vernunft, und kann nur als Poſtulat der
praktiſchen Vernunft ſtatuirt werden. Da die Bibel nur ei⸗
ner moraliſchen Auslegung faͤhig iſt, ſo kann nur in Be⸗
. tracht kommen, mas Gott als moraliſches Weſen für ung,
nicht aber was Er an ſich iſt. Als moraliſcher Dbers
herr muß Er daher fn dreifacher Beziehung gedacht wer⸗
ben: ale heiliger Gefeßgeber, als gütiger Bergelter, und
als gerechter Dichter, weil biefe dreifache Gewalt in dem
ethifchen,, wie in dem finatsbürgerlichen gemeinen Weſen
noͤthig iſt. Nach der DVorfchrift der Vernunft muß es in
der Neligion ein Glaubenspringip feyn:- Soft ift die Liebe.
An Gott kann man verehrten den Vater, der eine mos
ralifche Fiebe, das Wohlgefallen an Menfchen, bat, ſofern
Er feinem heiligen Gefege folgt, den Sohn, in. fo fern
!
Ä Antiseinitarier. 10903
ſich Gott das von Ihm gezeugte, und geliebte Bild der
Menſchheit darſtellt, und den hl. Geiſt, in ſo fern er die
Liebe des Wohlgefallens auf die Moralitaͤt mit Weisheit
einſchraͤnkt. Hiebei darf man aber auf keine perſoͤnliche Ver⸗
ſchiedenheit denken, weil die Weſenseinheit dadurch leiden
wuͤrde.
| Dffenbar hat dieſe Erklaͤrung mit Bibel und Kirchen⸗
Lehre nichts gemein, als den Namen: Vater, Sohn , und
bl. Geift. |
Kant, wollte nur nach ber moralifchen Auslegungss
Methode der Lehre von der Trinität einen moralifchen Sinn.
- unterlegen. Dieſe bedarf .aber einer folchen Kruͤcke nicht,
Da fie an und für fich ſchon einen kraͤftigen Antrieb zur Sitt⸗
lichkeit gewaͤhrt.
Eine noch deutlichere Darſtellung der Kantiſchen Ideen
verſuchte Tieftrunk im Zten Theile der Cenſur nach
Raͤtze's Betrachtungen auf folgende Weiſe: „Das allge⸗
‚meine Verhaͤltniß Gottes zu den Menſchen iſt dreifach 1).
„Das DVerhältniß der Liebe und Güte unter dem Eymbol
des Vaters, 2) der Weisheit in dem Symbole des Soh⸗
„nes, oder des Logos, 3) der Seiligkeit unter dem Sym⸗
„bole deg Hl. Geiſtes“.
Aber auch hierin iſt keine Ausbeute fuͤr das bibliſche
Dogma, ſondern nur eine Anleitung, die praktiſche Seite
für ung, und den Volksunterricht hervorzuheben. Schles
gel:will die Dreieinigkeits⸗ Lehre von dem ſpeculativen in
das praktiſche Gebiet hinuͤberſtellen (Vereinfachte Dar⸗
ſtellung der Lehre ıc.) indem er dieſelbe auf vie drei
großen: Anftalten der Fuͤrſorgen der Gottheit für die Mens
fchen, nämlich auf die Erſchaffung, die dem Vater, auf die
Erleuchtung, die dem Sohne, und auf die Heiligung und
Befferung, die dem hl Geiſte zugefchrieben werden, zurüd«
führt. Die drei Wirkungen werden alfo im Chriftenthume
von drei Kräften abgeleitet, die man perfonifichrt, oder nicht
denken kann.
Wenn es gleich nicht zu tadehn fft, daß die Kant'ſche
Dhilofophie von der Speculation zur praftifchen Anwendung
f
106 0 Mpelled,
leitet, fo kann fie dennoch nicht entſchuldiget werden, “daß
ſie die Megeln der Epegefe verfehrend, ihre Ideen der -
Bibel unterlegt, und die Deine | der theoretiſchen Vernunft
beeinträchtigt.
Apelles. *) Schuͤler des Marcion, gegen das Jahr
145, nahm nlir ein einziges ewiges und nothwendiges Grunds
wefen an. Diefer Meinung war Apelleg, durch eine Art
von Inſtinkt, ſtets zugethan geblieben, worüber eraber, wie er
ſelbſt ſagt, keinen Beweis fuͤhren konnte. Das Schwierige, den
Urſprung des Boͤſen mit dem guten und allmaͤchtigen Grund⸗
weſen, deſſen Daſeyn er anerkannte, zu vereinbaren, brad)s
te ihn auf den Gedanken, dieſes Weſen kuͤmmere ſich um
die Dinge dieſer Erde nichts; es habe Engel erſchaffen,
und unter andern einen, welchen er einen Engel des Feu⸗
ers nannte; dieſer habe unſere Welt nad) dem Vorbilde eis
ner ‚andern höheren und vollfommeneren Welt gefchaffen.
Da aber dieſer Schöpfer big war, fo fen feine Welt eben
fo befchaffen gemwefen. Er erfannte in Jeſus Chriſtus
den Sohn des hoͤchſten Gottes, welcher in den legten Zeis
ten gekommen fey, mit dem bl. Geifte, um: jene, die an
Ihn glaubten, zu eriöfen, und ihnen. die Erfenntniß der
himmliſchen Dinge zu bringen, aber auch, um ihnen Vers
achtung gegen den Schöpfer und alle feine Werke einzufloͤ⸗
ßen. Er näherte ſich daher dem Mar cion, glaubte aber
nicht, wie dieſer, daß Jeſus nur einen Scheinleib ange⸗
nommen habe; um Ihn aber nicht von dem Weltſchoͤpfer
abhängig. zu machen, -fagfe er: Jeſus habe, als Er auf
die Erde herabgeftiegen, feinen Leib aus den Theilen aller,
jener Himmel, welche Er durchwandert habe, gebildet ; und.
bei feiner Auffahrt jedem Himmel, was Er davon genoms
men ! zuruͤckgegeben.
Apelles vereinigte, wie man ſieht, einen Theil der
Ideen der Gnoftifer mit den Hauptlehren des Marcion.
*) Zweites Jahrhundert.
Apelles. 107
Er ſtellte ſich vor, die Seelen ſeyen über den Himmeln
erſchaffen worden.
Die Seelen waren, nach Apelles teine durchaus un⸗⸗·
koͤrperliche Subſtanzen; die geiſtige Subſtanz ber "Seele
iſt mit einem hoͤchſtfeinen Koͤrper vereinigt, und dieſe hoͤchſte
Feinheit ſchwebt in den Himmeln. Hier ſchauten dieſe reinen
und unſchuldigen Vernunftweſen den hoͤchſten Gott, genießen
einer vollkommenen Gluͤckſeligkeit / ohne ihre Slicke auf den
Erdball niederzulaſſen.
Allein der Weltſchoͤpfer erſchuf Fruͤchte , und Blumen,
Deren auffteigende Wohlgerüche den zarten Organen der
himmliſchen Geiſter behagten; ſie ſenkten ſich gegen die Erde,
von wo dieſer Wohlgeruch aufſtieg, nieder, und der Schoͤpfer
der ihnen dieſe Schlinge gelegt hatte, verwickelte ſie in die
Materie, um ſie in ſeinem Reiche zuruͤckzuhalten. Die See⸗
len, verſtrickt in der Materie, ruͤttelten ſich, und bildeten
durch ihre Anſtrengungen jenen feinen Körpern, welche ſie
vor ihrem Herabſteigen jur Erde haften, ähnliche Körper.
Der Iuftige Koͤrper, welchen die Seelen in dem Himmel
hatten, war, nach Apelles, gleichfam das Modell, nach.
welchem fie ihre irdifchen Leiber bildeten. Dieſe aͤtheriſchen
Leiber haften zwei verfchiedene Gefchlechter; ſonach harten
ſich die vom Himmel gekommenen und in die Materie vers.
wickelten Seelen männliche und weibliche Körper, nad) dem
_Gefchlechte, das die Seele ſelbſt hatte, gebildet.
Tertulian nennt Apelles den Zerſtoͤrer der Keuſch⸗
heit Marcion’s, und fast, daß er nach Alerandrien.
geflohen fey, um feinem Meifter zu entgehen, nachdem er
eine Weibsperſon entehrf hatte; er fest hinzu, alg er eis
nige Zeit darauf fo verborben, daß er faum mehr Mars
cionit genannf werden konnte, zuruͤckkam, fey er in die
Schlingen eineg andern Weibes gefallen, welche in Sffents
licher Unzucht gelebt hätte.
Dieſes Weib glaubte wunderbare Erſcheinungen u has
FE 2
ben, und Jeſum Chriſtum in Geftalt eines Kindes
zu fehen; ein andermal war es der bi. Paulus, fo ihr
erſchien. Man glaubte, ſie wirke Wunder und lebe von
108. Apelles.
himmliſchem Brode. Eines ihrer Hauptwunder war: ein
großes Brod in eine Flaſche mit ſehr engem Halſe zu ſte⸗
cken, welches fie hernach mit ihren Fingern wieder heraugs
zog. Apelles verfertigfe ein. Buch von ben Offenbaruns
‚gen und Prophezeiungen Philumelen’g: er verwarf alle
Buͤcher Moſes und der Propheten, und glaubte den Of⸗
fenbarungen Philumelen's. Eine ſeiner Einwendungen
gegen die Bücher Mofes. war: Gott habe Adam, wenn
er von der verbotenen Frucht aß, mit.dem Tode nicht. bes
drohen können, weil diefer, Da er den Tod nicht Fannte,
nicht wußte, dag er eine Strafe wäre 1).
Tertulian fchrieb gegen Apelles, dieſes Merk if
aber. verloren gegangen. NRhodomys hat gleichfalls den:
Apelles widerlegt. Folgendes ift fein Bericht von Ihm:
„Ich hatte, fagt er, eine Unferredung mit dieſem Greife, ,
„ehrwuͤrdig durch fein Alter, und die Änffere Negelmäßigs
—
„keit ſeines Wandels. Da ich ihm darthat, daß er ſich in
„vielen Stuͤcken irre, ſagte er, man muͤſſe die Religions⸗
„Gegenſtaͤnde nicht ſo genau erforſchen; jeder muͤſſe auf ſei⸗
„nem Glauben bleiben; jene welche auf Jeſus den Ges.
„kreuzigten hofften, würden felig, wenn fie nur gute Werke
„verrichteten; für ihn fen nichts dunkler, ale. die Gottheit.
„Ich ließ nicht nach, in ihn zu dringen, fährt Rhodom
‚fort, und Ihn zu fragen, warum er nur ein Grundives
„fen annehme, und welchen Beweis er biefür. habe; da
zer doch die Wahrhaftigkeit der Propheten, die ung fols
„ches verfichern, läugne? Er antwortete mir, die Prophe⸗
„zeiungen ſpraͤchen ſich ſelbſt das Urtheil, weil ſie nichts
„Wahres ſagten, alle falſch waͤren, miteinander nicht uͤber⸗
„einkaͤmen, und ſich widerſpraͤchen; zugleich geſtand er
„ein, er habe keinen Grund zu behaupten, daß es nur ein
„Grundweſen gebe; er habe nur einen Inſtinkt, dieſer
iu ſagen, und er ſchwur, daß er aufrichtig rede, und
J
3) Der Verfaſſer des Append. ad Tertul. de Pracscript.
“ Ambr. L, ı. de Paradiso. Orig. L. 5. contra Cels.
Meinung zu folgen. Ich beſchwor ihn, mir die Mahrheif
oo. Apeltiten,- Anollinaris. 109
,nicht Wwiſſe, wie es mur einen Sott, obne Peingtp ueber
„daß er aber fo glaube“. a.
„Ich für meine Verfon, fährt Rhodom fort, lachte
- „über feine Unwiſſenheit, und verdammfe feinen’ Irrthum,
da « nichts fo Laͤcherliches giebt, als einen Menſchen, der’
„ſich zum Lehrer Anderer aufwirft, ohne einen Beweis
‚feiner Lehre angeben Lu koͤnnen 1). \
Apeltiten. Name der anhänger bes Apelles.
Aphtarcedoketen, waren ei des Zulian
von Halicarnaß, welche behaupteten i der Leib. Je(u ſey
des Leidens unfaͤhig geweſen, weil er E unjerflöchar w war; ; fe
erfchienen gegen Das “jahr 363 2).,
Ä Apodchariten. Dieſer Name bedeutet im rer en.
Grade gütig. Die Secte ſcheint ein Zweig der Man is
chaͤer zu fenn, und erfchlen im J. 279. ie lehrte, daß
die menjchliche Seele ein Theil der Gottheit je 3).
Apollinaris. Bliſchof von Laodicen glaubte,
Daß Jeſus Chriſtus Menſch gemorden, und einen
menſchlichen Leib angenommen habe, aber Feine menfchliche
Seele, wentgftens ſey die Seele, mit welcher das Wort
fi) vereinigt habe, Fein Vernunftweſen, fondern eine mif
bloßem Gefühlvermögen begabte Seele geweſen. Apolli⸗
naris war einer der eifrigſten Vertheidiger der" Conſub⸗
ſtanzialitaͤt des Wortes; er hatte ſie gegen die Arianer
durch unzaͤhlige Stellen bewieſen, in welchen die Schrift
Jeſu ale Eigenſchaften der Gottheit beilegt; er hielt das.
fuͤr, eine menſchliche Seele in Jeſu ſey uni; h keine von
1) Rhodon, apud Euseb. L. 5. c. 13. Epiph. Haer. 44.
Aug. Haer. 93. Tertul. de Praescript. C. 30, 51. Ba-
ron. ad ann. 146. 4; |
2) Niceph. L. ı7. C. 29. Damascen. u u nn
3) Stockmann Lexicon. — BEE RE
110 .Apollinaris.
den Handlungen, welche Vernunft und Ueberlegung erfor⸗
dern, ſchien ihm jene als nothwendig vorauszuſetzen; die
Gottheit hatte bei allen feinen Handlungen den Vorſitz ‚und
‚die Verrichtungen der. Seele verfehen. 1) |
Aber Jeſus Chriſtus hatte Affecte berviefeng welche |
“der Gottheit: nicht zukommen Eonnfen, alfo fegte Apollinas
ris in Jeſus Chriſtus eine fühlbare Seele voraus.
Dieſe Meinung hat ihren Grund in den Lehren der pytha⸗
goraͤiſchen Philoſophie y welche in dem Menfchen. eine vers
Nnuͤnftige Seele annimmt, bie ein reines Vernunftweſen iſt,
unfaͤhig, von Leidenſchaften beunruhigt zu werden, und eine
“andere \ die des Vernunftgebrauches unfähig, rein finnlich
De
GEs iſt leicht, dieſen Irrthum zu widerlegen. "Dem die
. Schrift lehrt und: daß Jeſus Chriſtus Menfh war,
daß Er den Menſchen in Allem gleichgeworden · iſt, die
Suͤnde ausgenommen, 2) ſi ſie ſagt uns, daß Jeſus in ſei⸗
ner Jugend wuchs, ſtark wurde an Geif und Weisheit, 3)
welches man ‚nur von feiner vernuͤnftigen Seele verfichen
kann, da dad Wort an Weisheit nicht wachſen lounte, noch
die ſinnliche Seete an Kenntniſſen. |
Innzwiſchen nahm Wiſthon die Meinung des Apollis
"naris an, fagk: das Wort habe gelitten, wuͤnſcht, daß
dieſe Meinung unter den Chriſten aufgenommen wuͤrde, und
ſucht ſie auf Zeugniſſe der Vaͤter, die nach dem Concil von
"Nicäa gelebt haben, zu ſtuͤtzen; jedoch findet man wenige, .
. die Diefe fonderbare Meinung annehmen 4)
Man ſchreibt dem Apollinarig Die Behauptung zu:
Die Gottheit habe gelitten, ſeygeſtorben u. ſ. w. Allein
dieſe Irrthuͤmer ſind mehr holgerungen, welche man aus
5.
>
Vincent. ILirin. commonit C. 17. August. de haer.
C. 55.
2) Hebr. 4, 15. |
5) Luc. ır, 40. °
4) Patres Apost.
Apollinaris. Apophaniten. 111
ſeinen Lehren zog, als die Grundſaͤtze dieſes Biſchofs. Die
Schilderung, welche die chriſtlichen Schriftſteller von Apol⸗
linaris machen, erlaubt uns nicht anders zu denken. Er
wurde in Wiſſenſchaft, Gelehrſamkeit und Froͤmm'egkeit all⸗
gemein als der erſte Mann ſeiner Zeit angeſehen. Wir
ſollen alſo viel Mißtrauen in unſere eigenen Einſichten, und
große Nachſicht gegen Maͤnner, die ſich irren, hegen, weil
Wiſſenſchaft, Talent und Froͤmmigkeit nicht immer vor Irr⸗
thum bewahren. |
Die Zeit, zu welcher Apolli naris feinen Irrthum
lehrte, iſt ungewiß; er bluͤhte unter Julian, gegen das
Ende des vierten Jahrhunderts. Seine Ketzerei wurde ans
fangs in dem Concilium, welches zu Alexandrien im
Jahre 362 unter dem hl. Athanaſius nach dem Tode
des Conſtantius gehalten wurde, jedoch ohne den Na⸗
men des Apollinaris zu nennen, verdammt. Auch der
Pabſt Damafıng verdammte in einem Concilium zu Kom
J. 374 diefen Irrthum, ohne den Apollinaris zu nens
nen; auf einem fpäteren Concilium aber vom J. 378, oder
379 wurde derjelbe mit feinen vornehmſten Anhaͤngern Vi⸗
talis und Timotheus verdammt, und entfeßt; endlich
wurde diefe Meinnng in dem zweiten allgemeinen zu Con⸗
ſt antino pel verfommelten Concilium verworfen 1).
Apollinaris Irrthum murde von dem bl. Athanas
fius, den bl. Gregorius von Nazianz und Nyſſa,
Theodoret) und dem hl. Ambroſius beflritten 2).
Apoltinarifen, Name der Anhanger Apolli⸗
naris.
Apophaniten. "Anhänger N Hpopbanes, e eineg
Schülers des Man es.
1) Epist. Synod, Conc. Alex, 'Iheodoret. Hist. L. 9. €.
. „25. Conc. Constantin.
2) Athan. ep. ad Epictet. L. de Incar.' Greg. Nys. Gont.
Apol. Theod. :Dial. de Incomprehensibili Hacret. Tab.
L. 5. V. 13. Auct. de Myster. Incarn.
4
112Alpaoſtdliſche. Apotaktiken!
Apoſtoliſſche. Dieſe Benennung gab man einem
Zweige der, Encratiten, welche vorgaben, den Apofteln
vollfommen nachzuahmen, ©. Apotaktiken. Es war auch
der Gattungs⸗Name, welchen alle jene kleine Secten ver Res
- formatoren fich beilegren, die im zwölften Jahrhundert fich
erhoben, und in den verfchiedenen Provinzen. Sranfreiche
ausgebreitet hatten. (Siehe Albigenfer, Walvdenfer).
Diefe Fleinen Secten hegten enfgegengefekte Irrthuͤmer,
amd oft widerſprechende Gebräuche ; fie wurden in mehreren
ihrefmegen verfammelfet Concilien verdammt. Man vers
brannte in verfchiedenen Provinzen viele. Wpoftolifiche,.
und diefe Sectirer erlitten die Todegftrafe mit einer folchen
Standhaftigkelt, daß Ervin nicht begreifen fonnte, wie
die Glieder des Satans für ihre Kegereien fo viel Stand⸗
haftigkeit beweiſen koͤnnten, ale’ die wahren Gläubigen für
die Wahrheit. 1) Die Secte der Apoftolifchen wurde
"durch ‚einen Menfchen aus dem Pöbel erneuert. Dan fehe -
die Geſchichte dieſer beſondern Secte bei dem Worte Se⸗
garel. Auch gab es AUnabaptiften, die fih Apoftofis
fche nannten. (Siehe den Artikel der Secten der Ana⸗
baptiſten).
Apotaktiken. (Entſagende) Zweig der Encrat it en
oder Tatianiten, die den verſchiedenen Irrthuͤmern der
Encratiten die Nothwendigkeit, den Guͤtern der Welt
zu entſagen, beifuͤgten, und Alle, welche Guͤter beſaͤßen,
fuͤr Verworfene ausgaben. Man ſah ihrer in Zilizien
und Pamphilien gegen das Ende des zweiten Jahrhun—
derts; fie waren aber nicht zahlreich. Niemand aus ihnen
\ wurde verbrannt, man bedauerfe fie anfangs, in der Folge
wurden fie verachtet, und die Secte erlofh. Nicht fo- hielt
man es mit den Sectirern des zwölften Jahrhunderts, als
fie diefen Irrthum ber Apotaktiken erneuerten, und oe
4
4
.. 2) Bernard. Serm, In Cant. 58, 66. ‚Mabil. Analeot, T. _
3..p, 452. D’Argentrs Collect. Jud. T. 1. p. 35. Natal.
‚Alex. Saec. 12.
Aquarier. Araber. 113 |
Namen Apoftolifche fich beilegfen: man milthefe gegen
fie, zuͤndete Scheiterhaufen an, mußte Armeen aufftellen,
um fie in Sranfreich auszurotten, (Sieh Apoflolifche,
Albigenſer, Waldenfer 1).
Agquarier. Eine den Encratiten beigelegfe Bes
nennung, weil fie aus Abfchen vor dem Weine bei der
Eucharifiie bloß Waſſer opferten.
Aquatiker. Ketzer, welche behaupteten: das Wafs
fer ſey ein wie Gott, ewiges Grundweſen. Hermog e⸗
nes hatte gelehrt, die Materie ſey mit Gott gleich ewig,
damit er ſich einen Stoff vorſtellen koͤnnte, aus dem Gott
bie ſichtbare Welt erſchaffen konnte. Seine Schuͤler woll⸗
ten die Beſchaffenheit dieſer Materie erforſchen, welche der
Wirkſamkeit Gottes zum Stoffe gedient haͤtte, und nahmen
wahrſcheinlich das Syſtem des Thales an, welcher dag
. Waſſer als den Grundſtoff aller Dinge betrachtete. So
wurde der menſchliche Geiſt, nachdem er ſich durch Huͤlfe
der Religion uͤber die Syſteme der Alten erhoben hatte,
durch feinen Vorwitz, und den Hang, Alles ausrutise-
len, auf dieſelben zuruͤckgeworfen. 2)
Ara, ein Keber, welcher behauptete: Jeſus Chrfs
ſtus felbft fey von der Erbfünde nicht ausgenommen 3).
| Araber. Diefe Benennung gibt man einer Secte,
welche im Iten Jahrhunderte die Unfterblichfeit der Seele
befirite, ohne jedoch zu Idugnen, daß es nach dieſem Leben
noch ein anderes gebe. Sie behaupteten nur, die Seele
fierbe mit dem Leibe, und werde mit ihm twiederauferweckt.
Man hielt uͤber dieſen Punkt eine große Verſammlung
1) Ppiphan. haer. 61. August. haer. 40. Damascen haer,
61. 8.
' 2) Stockmann Lexicon.
3) Euseb. hist. L. 6, C. 37. Aug. de haer. C, 38. Ni-
ceph. hist. L. 5, C. 25. |
Ketzer⸗Lexicon U 8
114 u Araber.
in Arabien, welcher Origenes beiwohnte. Er ſprach
daſſelbſt mit ſolcher Gruͤndlichkeit und Maͤßigung, daß die⸗
jenigen, welche in den Irrthum der Araber verfallen
waren, folchen gänzlich verließen. Gewaltſtreiche machen
. Heuchler, oder halten nur das STorffchreiten des Irrthums
auf: während deffen man dem Geifte die Schnellfraft bes
nimmt, und nach und nach alles Licht ausloͤſcht. Ich moͤchte
Allen, welchen die Sorge für dag geiflige Wohl ihrer Mits
brüder anvertraut iſt, gurufen Finnen : Belehret die Mens
ſchen, behandelt mif Liebe diejenigen, die im Irrthume
find, wenn fhe fie anders gründlich befehren, und den
Serwahn zerfisren wollt. Habt ihr vergeffen, was dag
heißt, in Keligionsfachen irren? Es heißt in einem Abs
geunde liegen, es heißt unglücklich fenn; — und dag Uns
glück verdient Nachficht und Achtung. Sch mochte ihnen far
gen: Jeder, der eine Irrlehre ‚verbreitet, thut es entweder
aus unverſtellter Ueberzeugung, oder iſt ein Betruͤger, wel⸗
cher redliche Seelen, die die Wahrheit aufrichtig ſuchen,
yintergehet
Meint es der Verbreiter des Irrthums ehrlich, ſo wer⸗
det ihr ihn ſicher und aufrichtig bekehren, wenn ihr ihn
uͤber ſeinen Irrthum belehrt; die Authoritaͤt, welche ihn
zu Boden ſchlaͤgt, ohne ihn aufzuklaͤren, wird ihn auf im⸗
mer in den Feſſeln ſeines Wahnes feſthalten.
Iſt der Mann, der den Irrthum ausſtreut, ein Be⸗
truͤger, der darauf ausgehet, durch Verführung Proſely⸗
ten zu werben, ſo werdet ihr ihm unfehlbar ſein unehrli⸗
ches Handwerk niederlegen, wenn ihr zeigt, daß er ein
Betruͤger und im Irrthume iſt; die Gewalt, von der ihr
gegen ihn Gebrauch machen wuͤrdet, ohne ihn zu widerle⸗
gen, und die Falſchheit ſeiner Lehre klar darzuthun, wuͤrde
ihn ſeiner Parthet nur noch werther machen, und die An⸗
haͤnglichkeit an ihn vermehren; ihr haͤttet alsdann den Vor⸗
theil verloren‘, fie eines Beſſern zu belehren; und es uͤbrigte
euch gegen die Baction ‚Fein anderes Mittel, als Haͤrte,
Strafen, Kerker, und Todesurtheile.
Geſetzt auch, der Gebrauch, den ihr von ſolchen Mit⸗
Archontiker. Arianismus. 113
teln machtet, Hätte Feine ſchlimme Folgen, verurſachte kei⸗
nen Schaden, wuͤrdet ihr wohl einen andern Erfolg erzie⸗
len, als den, welchen Ueberzeugung und Guͤte gehabt haͤt—⸗
te? Der Menſch, den ihr durch Authoritaͤt zwingen wollt,
ſeiner Meinung zu entſagen, unterſtellt wenigſtens, daß
ihr nicht im Stande ſeyd, ihn zu belehren, oder daß ihr
e8 unter eurer Würde erachtet, ihn aufzuflären und zu
überzeugen.
Ein folher Verdacht darf nicht auf die Nachfolger der
Apoſtel fallen. Der bl. Paulus ſagt: Wir lehren, wir
bemweifen, wir überzeugen !
Archontiker, *) Secte der VBalentinianer, wos
von Peter bee Eremit das Haupf war. Sie erfchien
‚gegen das Jahr 160, unter der Megierung bes Anto ni⸗
nus Pius. 1).
Arianismus. **) Segel des. Arius, welche
darin beffand, Daß diefer Erzketzer die gleiche Wefenheit
des Morfeg ,- oder der zweiten Perfon in der Gottheit mit
dem Vater läugnete, welche er als ein Geſchoͤpf anfah.
Wir wollen den Urfprung und Fortgang Diefes Irrthums
bis zum Tode bes Arius augeinanderfegen; dann Dem
.Artanigmus von da an bis zu feiner Erloͤſchung betrach⸗
ten. Wir werden Ihn im 15ten und 18ten Jahrhunderte
twiederaufleben fehen, wir werden endlich feine Grundfäge
unferfuchen und ſi e widerlegen.
ii
Urſprung des Arianismus und deffen Fortgang
bis zum Tode des Arius. |
Alexander, Patriarch von Alerandrien, erllaͤtte,
in Gegenwart ſeiner Geiſtlichkeit, das Geheimniß der Drei⸗
*) 2tes Jahrhundert.
**) 4865 Jahrhundert.
' 1) Aug. haer. C: 20. Ppiph. haer. go. Theodor. hao-
'ret. fab. L. 1. C. ı1.
8 *
16 Arianismus.
einigkeit; er wollte die Dreiheit der Perſonen mit der Eine“
heit Gottes in Einklang bringen, und erflären , wie .die
drei Perfonen in eirier einzigen und einfachen Subflanz das
feyen ; venn Socrates berichfef, daß Alerander fagte:
es fey eine Einheit in der Dreiheit, und daß er ſich eines
Wortes bediente, melches nicht bloß Einheit, fondern auch
Einfachheit bedeutet;. er fagte: Es ſey Monas in ber
Dreiheit, und daß die Dreiheif eine Monag fey 1).
Die Idee der Einfachheit ver Monas, und jene der
Dreiheit ſchwebten mit Einem dem Geifte des Arius 2.
vor, welcher bei ver Unferredung zugegen mar,
Alerander felbft hatte in feinen Zuhörern den Vers 1
ſuch veranlaſſet, das Geheimniß der Dreieinigkeit zu erfor⸗
ſchen. Arius gab ſich alle Muͤhe zu begreifen, wie drei
verſchiedene Perſonen in einer einfachen Subſtanz vorhan⸗
⸗
*
den ſeyen. Er konnte es nicht begreifen und hielt die Sa⸗
che fuͤr unmoͤglich.
Sabellius, bei Unterſuchung des Eeheimniſſes der
Dreieinigkeit Hatte geglaust, fie mit der Einheit Gottes
*
| D Soc rates. L. x. C. 4. Monadon esse in Trinitate. Dies
ſes bedeutet nicht Vereinigung, wie 9. von Valois
uͤberſetzt, ſondern Einfachheit. Siehe Basnage Annales
politico -.ecelesiastiei T. 2. p. 664. . |
2) Ariud aus Lybien, und Diakon der Kirche zu Ale⸗
“ zandrien, war ein eifriger Derfechter der Meletia⸗
niſchen Spaltung, und wurde deshalb von dem Hl. Pen
trus, WPätriachen von Alex andrien, vom der Kir,
chengemeinſchaft ausgefchloffen. Achillas, Nachfolger des
Deteud, getäuſcht durch die heuchleriſche Neue des Arius,
nahm ihn wieder in die Gemeinfhaft der Kirde auf, .
weihte ihn zum Prieſter, und vertraute ihm die Seel⸗
forge in einer Pfarrkirche zu Alexandrien A melde Ä
DBaucalis hieß. Nah des Achillas Tode wurde Ale _
zander zu deffen Nachfolger erwaͤhlt; woduch-Arius
Stolz äußerſt gefränft wurde, weil er fih für den wür⸗
digfien zur Beſteigung des Patriarchen: Stuples Hielt.
3
Arianigmuss | 117
nicht vereinbaren zu koͤnnen, außer unter der Vorausſetz⸗
ung: daß Vater, Sohn und hl. Geiſt nur dret, der Gott⸗
heit beigelegte, Benennungen und nicht drei Perſonen ſeyen;
vor kurzem erſt war ſein Irrthum verdammt worden;
und noch hatte er Anhänger. Arius wurde nun natuͤr⸗
lich getrieben, die Erklaͤrung Alexander's mit dem, was
die Kirche gegen Sabelltus entſchieden hatte, zu ver⸗
gleichen: er glaubte, man koͤnne die Einfachheit der goͤttli⸗
chen Subſtanz mit dem Unterſchied der Perſonen, welche
die Kirche gegen Sabellius lehrte, nicht vereinbaren.
Man kann, nach Arius, in dem, was einfach iſt,
nicht mehrere Perſonen unterſcheiden, oder dieſe Perſonen,
wie der Vater und Sohn, muͤßten nur verſchiedene, der⸗
ſelben beigelegte Benennungen ſeyn, je nachdem fie vers
ſchiedene Wirkungen bervorbrächten. „Das war aber an
Sabellius verdammt worden, und gegen die. Vorfiels
lung, welche ung. die Schrift von Vater und Cohn giebt,
Die fie uns eben fo von einander verfchieden darſtellt, tote
Wirkung und Urfache: der Water zeugt, der Sohn ift ers
zeugt. Der Vater if nicht hervorgebracht, iſt ohne Ans
fang, ber Sohn hat einen, Er iſt hervorgebradit. Sohin
machte Arius, um. nicht in die Irr⸗Lehre des Sabels.
Ling zu verfallen, welcher die Perfonen der Dreieinigfeif
vermifchte, aus Vater und Sohn zwei verfchiedene We⸗
fen, und behauptete: der Sohn ſey ein Geſchoͤpf 1).
Alerander gab zu erkennen, daß Artus die richfige
Vorſtellung von der Perfon des Wortes nicht habe, welches
ewig fen, wie der Vater, und nicht in der Zeit entflanden,
indem dieſes die Lehre von der Gottheit Des Wortes auf⸗
hebe.
Arius, voll von ſeiner Schwierigkeit, dachte nun auf
nichts Anders mehr, als Alexandern zu verfolgen, und
zu beweiſen, daß das Wort ein Geſchoͤpf ſey.
1) Schreiben des Arius an Euſebius. Epiphan. haer.
69. Athan. T. 1. p. 635.
118 Ulrrianismus.
Dieſe Lehre brachte die Kirche von Alexand rien aim
Aufruhr, und wurde der Haupfgegenfland des Disputs. Sas
bellius wurde vergeffen; Arius ſuchte nur zu bemweifen,
daß das Wort nichts als ein Gefchöpf ſey, und feine Geg⸗
ner, die Ewigkeit des Wortes gegen Ihn zu behaupten. So⸗
phismen find immer verführerifch, wenn fie ein Geheimniß
beſtreiten. Arius gewann Anhänger, und veranlafßte Thei⸗
lungen bei der Geiſtlichkeit Alexandriens.
Alexander hielt dafür, wenn er dem Arius und
ſeinen Anhaͤngern geſtattete, zu disputiren und ihre Ein⸗
wendungen vorzutragen, wuͤrde man ihnen leichter den Irr⸗
thum entreißen, als durch Verurtheilungen und Mactfprüs -
che, welche, wenn fie voreilig find, der Irrthum felten bes
"nehmen, immer erbittern, und nie belehren.
als er aber fah, daß feine Maͤßigung verdruͤßliche Fol ⸗
gen haben koͤnnte, berief er im J. 321, eine aus ſeinen
untergeordneten Biſchoͤfen beſtehende Synodal⸗Verſammlung
nach Alexandrien, vor welcher Arius feine Lehre vers
theidigte. Er behauptete, das Wort ſey aus dem Nichts
zum Vorſcheine gekommen, weil es unmoͤglich ſey, daß es
ewig waͤre, wie ſein Vater, ſo daß man auch nicht einmal
begreifen koͤnne, daß es nach ſeinem Vater vorhanden gewe⸗
fen ſey. Iſt es nicht klar, ſagte er, daß der Sohn alsdann
dejeugt, und auch nicht gezeugt wäre? Hätte der Vater ben
Sohn nicht aus dem Nichts hervorgehen laffen, fo mißte
Er Ihn aus feiner Wefenheit genommen haben, welches uns
möglich if. Die Schrift, ſagte er weiter, gibt ung die
nämliche Vorfiefung von dem Worte, das Work fagt ſelbſt
im achten Kapitel der Spruͤchwoͤrter: daß Gott es im An⸗
fange ſeiner Wege geſchaffen habe; Gott ſagt, daß Er es
gezeugt habe, und dieſe Art des Hervorbringens iſt eine
wahre Schoͤpfung, weil die Schrift ſie eben ſo bei Men⸗
ſchen anwendet, als bei dem Worte, wie man in den Stel⸗ |
Ien fiehf, two Gott ſagt: dag Er Söhne erzeugt babe, die -
Ihn verachtet haben 1).
sn
- - ,ı) Sozomenes L. 2.
*
⸗
Melanie. 119
Die Väter der Synode von Alerandrien ſtutzten
fih anf diefe Geftändniffe oder vielmehr Grundfäße des. |
Artus, um ihn zu verurtheilen. Wenn das Wort, fagfen
fie ; ein Geſchoͤpf ift, fo hat es alle Unvollfommenheiten eis
nes. Geſchoͤpfes; es iſt jedem MWechfel unterworfen, es ift
nicht allmaͤchtig, nicht allwiſſend, denn diefe Unvollkommen⸗
heiten find der weſentliche Antheil eines Geſchoͤpfes, wenn
man fich dasſelbe auch noch fo volfommen vorſtellt.
Diefe Folgerungen waren fo augenfällig, daß Artug
fie nicht läugnen konnte,
Nachdem auf dieſe MWeife die Lehre des Arius erhor
ben mar, zeigten Die verfammelten Väter ihre Falfchheit
mit allen Stellen der Schrift, welche dem Worte Unveräns
derlichfeit und. Allwiſſenheit beilegten, und mit jenen, wel⸗
che ansdruͤcklich ſagen: daß Alles durch es, und fiir eg ges
macht iſt, und daß von Allem‘, was gemacht iſt, ohne fels
bigeg nichts gemacht ifl,
Diefe legten Stellen lieferten den Vaͤtern entſcheidende
Beweiſe: denn wenn nichts von dem Geſchaffenen ohne das
Wort geſchaffen iſt, ſo iſt offenbar, daß das Wort nicht ge⸗
ſchaffen iſt, weil ſonſt ohne es etwas geſchaffen worden
waͤre, indem ein Weſen auf keine Weiſe die Urſache von
ſich ſelbſt iſt.
Mit dieſen augenſcheinlichen aus der Schrift entnomme⸗
nen Beweiſen verband man die Lehre der allgemeinen Kirche,
welche die Gottheit des Wortes immer anerkannt und jene,
welche ſie beſtritten, aus ihrem Schooße geſtoßen hatte.
„Arius fand ſich nun zwiſchen der Nothwendigkeit, die
Gottheit des Wortes anzuerkennen, und der Unmoͤglichkeit,
einen mit ſeinem Vater gleich ewigen Sohn zu begreifen,
gleichſam eingezwaͤngt. Er hatte ſich alle Muͤhe gegeben,
einen mit feinem Water: gleich ewigen Sohn zu begreifen,
und von dem Gefühle feiner Unvermoͤgenhetit, dieſes zu bes
greifen, war er zur Ueberzeugung von der wirklichen Unmögs
lichkeit, daß ein Sohn mit feinem Water gleich ewig fey,
gelangt; diefe Unmsglichfeit war ihm die, Grundlage feiner
Meinung, Sonad) glaubte er auf einer Seife, es fen ıms
120 = Arianicmus.
möglich ‚ daß das Wort gleich ewig mit dem Vater wäre,
. auf der andern’ lehrte die Schrift und bie, Kirche die Gotts
heit des Wortes fo deutlich, daß es ihm unmoͤglich war,
ſolches in Abrede zu fielen. Hieraus fhloß nun Artug,
daß die Erfchaffung des Wortes, und feine Gottheit zwei
Wahrheiten feyen, die man gleichmäßig glauben müffe, und
befannfe: daß das Wort zwar ein Geſchoͤpf, aber dennoch
wahrer Gott, und ſeinem Vater gleich ſey.
Auf dieſe Weiſe verwandeln Eigenliebe und Vorurtheil
in den Augen der Menſchen die Geheimniſſe in Ungereimt⸗
heiten, und dfe oſſenbarſten Widerſoruͤche in augenſcheinliche
Wahrheiten.
Arius hatte die Dreieinigkeit, welche er nicht begriff,
die aber keinen Widerſpruch in ſich faßt, verworfen, und
dachte nicht daran, daß er fi) miderfpreche, wenn er in
dem Worte die Wefenheit der Goftheif, und eines Gefchds
pfes vereinigte, und wenn er in der Borausfegung, daß
das Work alle moͤgliche Vollkommenheiten habe, ibm dens
noch die erſte aller Vollkommenheiten, naͤmlich jene des
Daſeyns durch ſich ſelbſt, abſprach⸗ \
Die Synode zu Alerandrien enffchied, daß das
Wort Gott, und, mie der Vater, ewig fey, verdammte
die Lehre des Artug, und ſchloß ihn. aus der Kirchenge⸗
meinſchaft aus.
Der Ausfpruch der Synode benahbm dem Arius den
Muth nicht; er fuhr fort, ſeine Meinung zu behaupten, und
trug fie ohne Hehl vor; fein Glaubensbekenntniß ſchickte er
an mehrere Biſchoͤfe ‚ mit der Bitte: ihn zu belehren, wenn
er im Irrthume wäre ‚ ober ihn, wenn er katholiſch wäre,
zu beſchuͤtzen und zu verfheidigen 1). Ä |
Allen Menfchen iſt ein Mitleidsgefühl angeboren, mels
ches ftets zu Gunſten eines Verurtheilten rege ift, befons
ders wenn dieſer betheuert: daß er nur Belehrung verlange,
um ſich zu unterwerfen. Arius fand daher, ſelbſt unter
5) Söreisen des. Arius an Eufe bjus. Epiph. a. a. O.
Arianismus. am
den Bifchöfen, Beſchuͤtzer. Eufebius von Nikome⸗
dien berief die Bifchöfe von Bythinten zu einer Eys
node, und Diefe erließ Kreisfchreiben an alle Bifchöfe des
Drients, um fie dahin zu bemegen: den Ariug, als
einen, der ke Wahrheit behauptete, in Ihre Gemeinſchaft
aufzunehmen; auch an Alerander ſchrieben ſie, daß er
den Arius wiederaufnehmen möge.
Alexander ließ auch feiner Seits Kreisſchreiben er⸗
gehen, worin er den Eufebiug ſcharf tadelte, weil er den
Arius in Schutz nahm, und andern Bifchsfen empfahl.
Alexander s Schreiben erbitterfe den Eufebiug,
und beide Biſhoͤfe wurden unverföhnliche Feinde, . Ä
Arius, durch Alerander und eine Synode vers
dammf, aber verfheidige Durch mehrere Bifchäfe, erfchien
num nicht mehr ald ein Ungläclicher, den man verfolgte;
er verbreitete feine Lehre, und zog felbk das Volk in fein
Sintereffe. Ev war ein Mann von großer Statur, bager
und abgezehrt, mit melanfolifchen Gefichtszügen, gefeßtem
Schritte, ſtets mit einem -geiftlichen Mantel befleidet, ans.
giehend im gefilfchaftlichen Umgange; er mar Dichter und
Tonkuͤnſtler, ınd verferfigte geiftliche Gefänge für Hands
werfer und adächtige Perſonen, fette feine Lehre in
Verfe, in den Gedichte Flavia und verbreitete fie auf
dieſem Wege unter dem Volke. Diefes Mittel hatte Bas
lentin und Harmonius ſchon vor Arius angemender,
und war der Kebern oft geglüct.. Apollinarig ger
brauchte es nich Arius, ‚und erhielt feine Sertpimer mehr .
durch dieſes, als durch fe.ne Schriften 1). Ä
So wucs der Anhang des Arius unmerklich, und
ungeachtet dr Zartheit der Streitfragen, nahm Alles, bis
auf dag Vo, daran Antheil. Man.fah die Bifchofe, die
Geiftlichkeit und das Volk getheilt; bald: erhikten fich die
Streitigkeiten, und verbreiteten Lärmen; die Schaufpieler,
1) Siehe Ernesti Cypriani Diss. de Propagatione hao-
resian per Cantilenas 6. Lond. ı720.
= * . " N . -
122 | Arianismus
ſo Helden waren, nahmen hievon Anlaß ſich auf der
Buͤhne uͤber die chriſtliche Religion luſtig zu machen.
Der Kaffer Eon ffanfin ſah anfangs .diefen Zwiſt
bloß mit den Augen, eines Staatsmannes an, und ſchrieb
am Alerander und Ariug: es fey thoͤricht, daß fie ſich
wegen Dingen, die fie. nicht verſtuͤnden ‚ :und von feinem
‚ Belange wären, entzweiten 1).
Die Jrrlehre des Arius war aber viel zu wichtig,
als daß die Katholiken ſo gleichguͤltig bleiben konnten, mie
Conſtantin ihnen rieth. Alexander ſendete allenthals
ben Briefe aus, um dem Fortſchreiten der Irrlehre zuvor⸗
zukommen, und deren Gefahr zu zeigen. Anderer Seits
thaten Arius und feine Anhänger: ihr Meglichfled, Die
Lehre Alerander’s zu verfchreien; Katholilen und Artas
ner bürdeten fich gegenfeifig die gehäßigften Folgerungen,
die fie aus den Grundfäßen ihrer Gegner zogen, auf.
| Diefe immermährenden Anfälle erhißten beide Theile
big zur Empdrung; es gab.fogar Gegenden, mo man bie
Bildfäulen des Kaifers umſtuͤrzte, weil er haben wollte,
‘Daß man die Arianer dulde 2). |
Die Chriften machten damals einen greßen Theil deg
römifcher Reiches aus, Conftantin fah ein, Daß er einer
.. Theilnahme an ihren Zwiſten nicht ausweichen: fönne, und
fie befchwichtigen muͤſſe. Er berief daher eine Kirchenvers
fammlung aller Provinzen des römifchen Reihe; die Bis
fchöfe verfammelten fih) zu Nicaͤa im Sahre 325.
Sobald die Bifchdfe zu Nicaͤa angeforımen waren,
“ bildefen fie befondere Verfammiungen, riefen den Artus
vor, um feine Meinungen zu vernehmen. Sobald man diefe
gehoͤrt hatte, ſtimmten einige Bifchdfe dahin ab, man müffe
alle Arten von Neuerung verdammen, und fih begnügen,
von dem Sohne jene Ausdrüde zu gebrauchen, deren ſich
1) Bei Euſeb. in vit. Const. C. 64. Socrati L. I,
| C. 7. /
2) Euseb. ebendaſ. L. 3. C. &:
\
Gronau 123
ihre Vorfahren bedient hätten, andere glaubten , man duͤrfe
die Benennungen der Alten ohne Prüfung nicht annehmen;
fiebenzgehn von ihnen begünftigten die. neuen Auslegungen
des Arius, und legfen ein Glaubens⸗Bekenntniß nad) ih⸗
rer Meinung vor. _ Allein Faum hatten fie folches in der,
Berfammlung abgelefen, fo tief man, es fen falfch, und
fchalt fie, als Leute, welde den Glauben verrathen wolls
sen 1)
Man ſchlug vor, die Ausdruͤcke, deren ſich die Aria
mer in Anfehung Jeſu Chrifti bedienten, su verbammen;
als die find: Er fey aus dem Nichts herporgegans,
gen; es fey eine Zeit gewefen, wo Er nicht vor;
handen war, und dagegen die Redensarten der Schrift
felbft zu gebrauchen, als: Der Sohn iſt der eingige
feiner Natur nad, Er ift die Vernunft, die
Macht, die einzige Weisheit feines Vaters, der
Abglanz feiner Derrlichfeit u. f. w. |
Die Arianer erklärten fich bereitwillig, ein fn dieſen
Ausdruͤcken abgefaßtes Glaubens-Bekenntniß anzunehmen.
Die rechtglaͤubigen Biſchoͤfe beſorgten, jene moͤchten dieſe |
Worte in üblem Sinne nehmen, deshalb wollten fie beis
feten, der Sohn fey von der Wefenheit des Vaters;
denn dieſes unterſcheidet den Sohn von den Gefchöpfen.
Man fragte, deshalb die Arianer, ob fie glaubten: daß
der Sohn Eein Geſchoͤpf ſey, ſondern die einzige Macht und
Weisheit, und das Abbild des Vaters in allen Dingen,
endlich wahrer Gott?
Die Arianer glaubten, daß dieſe Ausdruͤcke der Vor⸗
ſtellung, die ſie von der Gottheit des Sohnes hatten, an⸗
gemeſſen ſeyn koͤnnten, und erflärten: daß fie bereit ſeyen,
dieſes zu umnferfchreiben. Endlich da man bemerkt hatte, daß.
Eufebiug von Nikomedien in dem Schreiben, welches
er vorgelefen hafte, den Ausdruck: con ſubſtanzial⸗glei⸗
ches Weſens⸗ verwarf, fo hielt man dafür, daß man die recht |
gläubige Lehre nicht beffer bezeichnen, und jede Zweideutig⸗
I) Sopomi. L. 1. C ı7, ı9, 20. Theod, L. 1. c. 7.
124 Ariauismus. J
keit ausſchließen koͤnne, als wenn man dieſes Wort ge⸗
brauchte, um ſo mehr, weil die Arianer es zu fuͤrchten
ſchienen 1).
Die Rechtglaͤubigen verfaßten das Glaubens⸗Bekennt⸗
niß in folgenden Worten: „Wir glauben an einen einzigen
„Herrern Jeſus Chriſtus, Sohn Gottes, einzigen Sohn
„des Vaters, Gott, geboren von Gott, Licht, ausgeſchloſſen
„vom Lichte, wahren Gott, geboren vom wahren Gott, ges
zeugt und nicht gemacht, gleiches Weſens mit ſeinem Va⸗
„ter“ 2). |
Wenn es hieß, der Eohn ſey gleiches Weſens ( conſub⸗
ſtanzial) mit ſeinem Vater, ſo nahm man dieſes Wort nicht
in dem Sinne, welchen es hat, wenn man von Körpern,
oder ſterblichen lebenden Weſen ſpricht, "indem der Sohn
weder durch eine Theilung Der göttlichen Subſtanz, wovon
Er ein Theil wäre, noch durch irgend eine Veränderung
der nämlichen Subftang dem Water konſubſtanzial iſt, man
wollte nur ſagekk, Daß der Sohn nicht von einer andern
Mefenheit, ald der Vater, ſey. u
Dieß war die Entfcheidung des erften allgemeinen Kir
chenraths von Nicda über die Irrlehre des Arius. 300.
rechtgläubige Bifchdfe, mir Hofiug von Corduba an der
Spitze unterfchrieben das Glaubens⸗Bekenntniß, ſiebenzehn
derſelben verweigerten die Unterſchrift, angebend: der Aus⸗
druck, gleiches Weſens ſey neu, und nicht in der Schrift
enthalten, zuletzt unterſchrieben auch dieſe bis auf fünf. Dies
Concilium endigte ſich den 25ten Auguſt, und Conſtantin
verbannte alle, welche ſich weigerten, ſeine Beſchluͤſſe zu
unterſchreiben. |
Alerander, Patriarch von Alerandrien farb bald
darauf. Man wählte an feine Stelle Athanafius, Diakon
dDiefer Kirche, und Conſtantin genehmigfe die Wahl.
—
—— — — ⸗⸗
1) Ambros. L. 3. de fide Capite ultimo,
2) Socrat. L. 1. C. 8.
Arianismus. 125
Es foheint um diefe Zeit gewefen zu ſeyn, daß Con⸗
fiantin feine Verordnung gegen die Verſammlungen aller
Keser, fie fenen geheim oder Kffentlih, gab. Durch die
nämliche Verordnung fchenfte der Kaifer ihre Kapellen den
Katpoliten, und 308 ihre Käufer, im welchen man fie zur
Verrichtung des Gottesdienſtes anfreffen würte, en Eus
febiug fügt hinzu, Das Edikt habe nebftdem enthalten, daß
man alle iergläubige Bücher wegnehmen follte.
Diefe Verordnung und mehrere andere ſchlugen die
Parthei des Arius außerordentlih nieder, und faſt alle,
Kebereien fehienen im römifchen Reiche erJofchen. Ariug-
batte inzwifchen viele Anhänger, und unter den geheimen
einen Priefter, welchen Conftantia, Schweſter des Con⸗
fantin, ihrem Bruder auf dem Sterbebgtte empfahl, alg
einen änßerft tugenphaften, und feinem Haufe ſchr ergebes
nen Dann. Diefer Priefter gewann bald- die Achtung und
das Zutrauen Des Kaifers, welcher mit ibm auch von Ariug
ſprach. Dieſer fhilderte folchen dem Kaifer 7 als einen tus
gendhaften Mann, der unfchuldig verfolge würte, und defs
fen Gefinnungen Feine andere, als die des Kirchenrathes
‚wären, der ihn verdammt hatte.
Conſtantin wurde durch dieſe Sprache dberrafcht, \
und gab zu verftehen, daß wenn Arius das Conzilum
von Nicäa’unterfchreiben tollte, er ihm eine Audienz ges
flatten, und ihn mit Ehren nach Alerandrien zuruͤck⸗
ſenden werde.
Arius gehorchte, und legte dem gaiſer ein Glaubens⸗
Bekenntniß vor, worin er erklaͤrte: „daß der Sohn vor
„aller Zeit vom Vater geboren ſey, und daß das Wort,
„welches Gott iſt, alle Dinge im Himmet und auf Erden
„gemacht habe.“
Wenn dieſe Erklaͤrung Conſtantin wicklich befrie—
digte, ſo mußte er entweder ſeine Meinung geaͤndert, oder
das Symbol von Ricda nicht verſtanden haben, oder der
artanifche Priefter mußte in ven Gefinnungen des Kaifers,
hinfichtlich des Arianismus, eine Aenderung bewirkt
haben.
N 5 Arianismus.
J "Dem fen, 1. wie ihm wolle; er erlaubte "dem Artus.
(5. 331) nad) Alerandrien zurücdzufehren. Don Dies
fer Zeit an kamen die arianifchen Biſchoͤfe allmählig wies
der in Gunſt, und die Verbannten wurden zurücgerufen.
‚Die Verordnungen Conſtantin's gegen die Aria
ner haften nur eine fiheinbare Ruhe erzeugt, nad) und
nach erwachten die Streitigkeiten wieder, und waren nach
der Zuruͤckkunft der vertriebenen Biſchoͤfe ſehr lebhaft ge⸗
‘worden. Durch vieles Prüfen des Wortes „Conſub ſtan⸗
„zial'“, fanden ſich Biſchoͤfe, die daran Aergerniß nah⸗
men: man disputirte, man entzweite ſich, und endlich be⸗
iſtritt man einander mit vieler Hitze. „Ihre Zaͤnkereien,
Jagt Socrates, glichen nicht übel einem nächtlichen.
Kampfe; jene, welche das Wort Conſubſtanzial vermars
fen, glaubten: die andern fuͤhrten, dadurch die Meinung des
. Sabellius und Montan ein, und fcalten fie Gott;
Yofe, welche das Dafeyn des Sohnes Gottes laͤugneten:
jene hingegen, welche dem Worte Confu bſtanzial zuge⸗
than waren, glaubten, die andern wollten eine Vielheit
der Goͤtter einführen, und haffen einen folchen Abſcheu
davor, ald wenn man Das Heidenthum twiederherftellen
wollte. Euſtathius, Bifchof von Antiochien, befchuls
diget Eufebiug, Biſchof von Caͤſarea, der Verfälfchung
des Nicänifchen Glaubens; Euſebius Idugnete es, ımd
beſchuldigte ‚entgegen Euftathbius des Sabellianis—
mus, 1).
Es if ſohin, relbſt nach dem Verichte des Socrates,
gewiß, Daß unter den Vertheidigern des Arius viele mas
een, welde die. Confubftanzialifät des Wortes nicht dns
fritten, und das Wort conſubſtanzial, vermwarfen, nicht,
weil es ausdrücte: Daß Jeſus Chriftus in der ndmlis
sen Wefenheit mit dem Vater da- fey , fondern, weil fie
glaubten, man lege Diefem Ausdrucke einen, dem Unterfchiede
der Perſonen in der Gottheit zuwider laufenden Sinn bei,
1) Socrat, L. J. C. 20. | .
[0
Ariantsmus. - 17
weicher die Irrlehre des Sabelliug,. der die Derfonen
‚vermifchte, begünftige.
Zur Enticheidung des Zwiſtes zwiſchen Euſtathius
und Eufebiug.bielt man zu Antiochien, im Sabre
329, eine Synode. Diefe befand aus Bifchöfen, Die dag
Concilium von Nicda nur aus Zwang unterſchrieben hats
ten; Euftatbiugs wurde verdammt und abgefest, und
Eufebiug für den Stuhl von Antiochien erwählt. Die
- Stadt war zwiſchen Eufebiug und Euftathiug getheilt;
die einen, wollten Euſtath behalten, vie andern verlangs
fen Eufeb an feine Stelle. Beide Partheien griffen zu
den Waffen, und man mar auf Dem Punfte, handgemein
zu werden, als ein faiferlicher Beamte erfchien, und dem
Volke zu verfiehen gab, daß Euſtathius die Abjegung
verdiene, worauf der Tumult ſich legte.
Eufeb von. Edfarea flug den Stuhl ven Antig |
Hien-aus, und man wählte an feiner Etatt Euphros
miug, einen Priefter von Kappadozien. Euftathiug
wurde verbannt in eine Statt Illyriens.
Nach Euſtath's Abfekung arbeitete die Synode das
san, dem Arius die Ruͤckkehr nach Alerandrien auss
zuwirken. Auf Ihe Anſuchen befahl der Kaifer dem bi,
Athanaftug,' ven Arius aufzunehmen. Allein Athas
nafiug antwortete unerfchroden: die Kirche koͤnne mit eis
tter Irriehre keine Gemeinſchaft haben , welche vie Gott⸗
heit Jeſu Ehrifti laͤugne.
Die Anhänglichkeit des hl. Athanaf tus an das Con⸗
eilium von Nicaͤa hatte die Melefianer fowohl. als die
Artaner erbitterf.- Beide Partheien vereinigten fich gegen
ihn. Man klagte ihn bei dem Kaifer an: er- habe, unter
dem Vorwande des Beduͤrfniſſes für feine Kirchen, den
Aegyptiern eine Art "Steuer aufgelegt, ımd einen gewiſſen
Philumenus, der nach ver höchften Gewalt firebe,
zur Erregung eines Aufruhre, eine Kiſte vol Geld zuges
fandt. Athanaſius rechtfertigte fich vor dem Kaiſer, und
befchämte feine Feinde, welche jedoch bald darauf zu neuen
Verlaͤumdungen ihre Zuflucht nahmen, und den Heiligen
12238Arrianismus.
mehrerer Laſter, unter andern auch eines Meuchelmords an
einem meletianiſchen Biſchofe Arſentus mit Namen, be⸗
ſchuldigten. Der Kaiſer, uͤber eine ſo ſchreckliche Anklage
betroffen, befahl dem Patriarchen ſich vor einem zu Caͤſa⸗
rea, in Palaͤſtina zu haltenden Conzilium zu rechtfertigen.
Der Patriarch weigerte ſich, in der Ueberzeugung: daß
ihm die zu ſeiner Vertheidigung noͤthige Freiheit fehle, zu
erſcheinen; und der Kaiſer berief ein anderes Conzilium
nach Tyrus, wo er unter Androhung ſeiner Ungnade, und
ſtrenger Beſtrafung ihm zu erſcheinen gebot.
Dieſes Conzilium wurde im Jahre 335 eroͤffnet, und
beſtand aus 60 meiſt arianiſchen Biſchoͤfen. Athanaſius
erſchien in Geſellſchaft von 49 Bicchoͤfen feiner Provinz,
nachdem die Biſchoͤfe des Conzils ſchon eine geraume Zeit
verſammelt waren. Mit Ungeſtuͤmm ſchritt man zur Unter⸗
ſuchung, der gegen Athan.af ius vorgelegfen Klagepunfte-
» Der erfte war, der Prieſter Makarius, fein Abger
ordneter habe auf feinen Befehl, ven Kelch des I ſchiras
während er die hi. Geheimniffe feierte, zerbrochen. Abgeords
nete, aus arianifchen Bifchöfen beftehend, welde an Ort und
Stelle die Thatfache erheben folten, Famen unverichteter
Dinge zuruͤck, und man fah deutlich die Bosheit der Vers
laͤumder. Iſchiras, der fih am Ende mit Athan a⸗
ſius ausfshnte, war von der Parthei der Meletianer
aufgehest worden. Ä
Die zweite Befchuldigung, der Heilige habe eine, Gott
geweihte, Jungfrau gefchändet, murde von ihm auf der
Stelle auf die augenfcheinlichfte Weife widerlegt, nachdem
er deshalb mit einem feiner Priefter Timotheug, Abrede
getroffen hatte. Eine beſtochene Buhlerin ward in die Vers
ſammlung geführt, und betbeuerfe mif einem Schwur: daß
Athanafius, den fie aus Gutherzigkeit beherbergt habe,
ihr Gewalt angefhan, und nachher fie durch Gefchenfe zu
befchwichtigen gefucht habe. Atbanafius fehwieg, und Tis
motheus, fich zur Buhlerin mwendend, rief: War ichje in
Deinem Haufe gemwefen? Habe ich je mit Dir gereder? Sa,
ja, fehrie Die Dirne lauter: Du biſt es, mifdem Finger auf
/
4
Arianismus. 129
Timotheus deutend, ber mich genothzuͤchtigt hat, und
machte nun eine ſchamloſe Erzaͤhlung uͤber Zeit, Ort und
That. So war der Betrug entdeckt, und die Anklaͤger
ließen das feile Werkzeug ihrer Bosheit beſchaͤmt abfuͤhren.
Dem Antrage des hl. Patriarchen, daß über die ehrlofen
Anftifter Unterfuchung angeſtellt werde, wurde mit wils
Dem Gefchrei begegnet, Daß man ihn noch weit größerer
Verbrechen anzuflagen habe, von denen er fich nicht wiirde
reinigen fönnen. Und jest Fam der vorgebliche an Arfes
nius begangene Meuchelmord zur Sprahe. Man zeigte
‚eine ausgedorrte Hand vor, welche Athanafiug ihm habe
abhauen laſſen, um fich deren zu feinen Zaubereien zu bes
dienen. Athanafius fand Mittel, den Arfeniug heims
lich nah Tyrus fommen zu laffen, und flellte ihn Iebendig
mit beiden Händen der Verfammlung vor. Dem ohngeachtet
vergrößerte fi) die Wuth der Arianer gegen den bi. Pas
friarchen fo fehr, Daß fie ihn in Stücken würden zerriſſen
haben, wenn nicht der Faiferliche Abgeordnete ihn ihren Häns
den entriffen hätte. Athbanafiug, der fein Leben in Gefahr
ſah, proteflirfe gegen alle Hefchlüffe dieſes Afters Concils,
und reifte gegen Conſtantinopel. Die Arianer, ohn⸗
geachtet fie ven Athanafiug feines Verbrechens uͤberwei⸗
fen fonnten, entſetzten ihn durch einen Urtheilsfpruch feines
Amtes. Der Heilige begehrte zu Conftantinopel von dem
Kaifer gehört zu werden, welches ihm aber verfagt wurde,
weil Diefer ihn durch das Koncilium rechtmäßig entſetzt
glaubte.
Die zu Tyrus verſammelten Biſchoͤfe mußten auf Be⸗
fehl des Kaiſers ſich unverzuͤglich nach Jeruſalem bege⸗
ben, um der Einweihung der von ihm erbauten Kirche zum
bi. Grabe beizuwohnen Waͤhrend dieſer Ceremonie hielt
Euſebius von Caͤſarea mehrere Steben welche den Kai⸗
fer entzückten.
° Nach der Kirchweihe nahmen die, zu Jeruſalem vers
fammelten Bifchdfe auf Empfehlung des Kafferd, Artus,
und den Diakon Euyotug in ihre Gemeinfchaft auf;
Achanafiug aber wurde nach Trier verwiefen; den
Ketzer⸗Lexikon. 11. J 9 |
190 . Arianismus.
Arius berief der gaiſer nach Conſtantinopel, weil er
von feiner Gegenwart zu Alexa ndrie n Unruhen be⸗
ſorgte 1).
Nach der Ankunft des A Ein 8 gu Sonfantinopel |
frug ihm der Kaifer auf, das Concil von Nicäa zu unters
zeichnen, und Arius unterzeichnete. Da nun der Kaifer
von der Rechtglaͤubigkeit des Artus fi) uͤberzeugt hielt,
‚ befahl er dem Patriarchen von Conſtantinopel dem hi.
- Alexander, ihn ain feine Gemeinfchaft aufgunehmen, wel⸗
che Aufnahme feine Anhänger, mit Euſe bius von Nicos.
medien an der Spiße, recht feierlich zu machen befchloffen
hatten. Der Patriarch flelte dem Kaifer feine Gründe, was
rum er nicht Kirchengerheinfchaft pflegen Eönne, mit Ariug
vor, und erklärte freimüthig, daß er dieſes nie thun werde;
erhielt aber den troßigen Befcheid, Daß des morgenden Tas
geg, welches ein Sonnfag war, Ariusg in feine Kirche
eingeführt werden müffe. Eben da der heilige Greis ſchwe⸗
ren Herzens den Faiferlichen Pallaft verlaffen hatte, begeg⸗
neten ihm Euſebius und feine Fremde, welche Arius
fiegprangend in der Stadt umherführten, und jegt ſchon i im
Freudentaumel in die Kirche fuͤhren wollten.
Da Alexander mit allem Nachdrucke ſich dagegen ſetzte,
fo fagte ihm Euſſebius hoͤhnend: „Wohlan, willſt Du
„auch jetzt nicht ihn aufnehmen, fo werde ich ihn morgen
„doch in die Kirche führen, und wie wilft Du es hindern 7
Sogleich begab fich der Patriarch mit zweien Begleitern in
die Kirche, warf fih am Fuße des Altars auf die Erde,
und flehfe unter heißen Thränen zu Gott: „Herr! willſt Du
„es zugeben, daß Artus morgen in die Kirche aufgenoms
„men werde, fo nimm zuvor: Deinen Knecht aus diefer
„Welt; willſt Du aber Deiner Kirche Dich erbarmen, ‚und
„ich weiß, daß Du: eg willſt, fo aß, — Du hörteft die
„, Worte des Eufebius — laß Dein Erbtheil nicht gehoͤh—
1) Rechtfertigungs⸗ Schrift des Hl. a tpanafius. Soera-
tes Socoment Theodoret, |
—
%
Arianismus. | 131
„net werden; nimm Arius dahin, auf daß es nicht ſcheine,
„der Irrthum ſey eingezogen in die Kirche mit ihm“.
Indeſſen hatte Arius in vollem Wohlſeyne ſeinen Tri⸗
umphzug mit ſeinen Genoſſen durch die Stadt fortgeſetzt, als
er ploͤtzlich erblaßte; ein heftiges Schneiden in ſeinen Ein⸗
geweiden fuͤhlend, und nach einem Erleichterungsplatze frags
te, deren viele in der Stadt zur Befriedigung natürlicher
Beduͤrfniß angelegt waren; . alg er in dem, melden man
ihm angezeigt hatte, zu lange vermweilte, gingen Einige hins
ein, und fanden ihn, im Blute fchwimmend, mit verfchrits
tenem Eingeweide, entfeelt daliegen. Mit Bligess Schnelle
verbreitete fi) das Gerücht von des Arius Tode.
Die Nechtgläubigen erkannten den Finger ter ſtrafen⸗
den Allmacht, und die Frucht des Gebeteg ihres frommen
Biſchofs, und Jakob's, Bifchofs von Nifibis, der eben
in Conffantinopel ſch aufhielt, wie auch des Faſtens
und Betens der Gemeinde; die Arianer hingegen ſchrieben
den plöglichen Tod ihres Hauptes bifer Zauberei Alerans
der's zu. Lange Zeit blieb der Ort, wo Arius den Tob
fand, ein Gegenfland Graußen erregender Neugierde, und
des Abfcheues, bis endlich ein Artayer vdenfelben an fich
faufte, ihn niederriß, und ein Wohnhaus an der Stätte
erbaute, um dag Andenken an das Ereigniß, wo nicht LE
tilgen, Doc zu mindern. .
Conſtantin ſelbſt erkannte in dem Tode dieſes Man⸗
nes die Hand Gottes und die Strafe des Meineids.
—
Zuſtand des Arianismus, nach dem Tode des Arius.
Conſtantin fiel in eine bedenkliche Krankheit, und da
er ſein Ende herannahen fuͤhlte, uͤbergab er insgeheim ſeine
letzten Willensanordnungen den Haͤnden des arianiſchen Prie⸗
ſters, welchen feine Schweſter Conſtantia ihm empfohlen
hatte, und ſtarb im 64ten Jahre feines Lebens nach einer
ein und dreißig jährigen Regierung am 22ten Mai 337.
Dur jenes Teflament theilte Conftantin dag Reich un⸗
9 *
432 Alrianismus.
ter feine drei Sſhne. Conſtankin, der Aelteſte, erhielt
Gallien, Spanien und Britanien, Conſtantius,
Aften, Syrien, Aegyten und das übrige Morgenland,
Conſtans Ilyrien, Griechenland, Italien und
Afrika. Der arianiſche Prieſter übergab dag ihm Anper⸗
traute getreulich dem Conſtantius, wie eg Conſtantin
ihm befohlen hatte, und, da der ihm zugefallene Antheil
ſeinem Ehrgeize ſchmeichelte, bekam er große Zuneigung und
Achtung fuͤr dieſen Prieſter, ſchenkte ihm Zutrauen, und be⸗
fahl ihm, ihm oͤfters aufzuwarten. Das Vertraueu des
Kaiſers verſchaffte ihm auch die Bekanntſchaft der Kaiſerinn.
Er ging enge Verbindungen mit den Verſchnittenen, beſon⸗
ders dem Oberkammerherrn des Kaiſers, Euſebius, den
er zur Annahme des Arianismus beredete, ein, und ver⸗
führte die Kaiferinn ſammt ihren Hofdamen. Der bl. Athas
naſius fagt: die Artaner hätten fich bei aller Welt
furchtbar gemacht, weil fie auf die Gunft der Damen pod)s
ten. — Das Gift des Arianismus fledte bald die Hofs
Bedienten, und die Stadf Antiochien, wo Conſtantius
gewoͤhnlich ſein Hoflager hielt, an, und etgoß ſich von da
in alle Provinzen des Orients. Man ſah, ſagt Socrates,
in allen Haͤuſern gleichſam einen Krieg von Dialectik, wel⸗
—
cher in kurzer Zeit allgemeine Spaltung und Verwirrung |
hervorbrachte.
Die perſiſchen Kriege, der Aufſtand der Armenter,
die Meutereien im Heere hemmten Anfangs den Eifer des
Conſtantius fuͤr den Artanismug. Allein nach feiner
Ruͤckkehr nach Conſtantinopel berief er ein, aus aria⸗
niſchen Biſchoͤfen beſtehendes, Concilium, welches Pau⸗
lus, Patriarchen zu Conſtantinopel abſetzte, und Eu⸗
ſebius von Nikomedien au feine Stelle erhob.
Nach Paulus Entſetzung begab ſich Conſtantius
im 3.341 nah Antiochien, um die Einweihung der,
von feinem Vater erbauten, großen Kirche daſſelbſt vors
sunehmen. Es Famen allda 90 big 97 rechfgläubige und
arianifche Bifchöfe zufammen. Diefe hielten eine Eynodals
Berfammlung, und verfaßten fünf und waniis Canous in
Arianismus. 133
Betre der gir chenzucht. AS aber bie rechtglaͤubigen Bi⸗
ſchoͤfe ſich entfernt hatten, benuͤtzten der Bifhof Euſe⸗
bius'und die Arianer dieſe Gelegenheit, den hl. Atha⸗
naſius von dem Patriarchen⸗Stuhle zu Alexandrien,
auf welchen er durch Vermittlung des Conſtantin und
Conftang zurückgekehrt war, wieder zu ſtoßen. Bu dem
Ende fügfen fie den obigen 25 Canons noch den 26ten bet,
morin verorbnef wurde, Daß, wenn ein Bifchof durch efn
Concilium mit Recht oder Unrecht entfeßt worden fen, zu
feiner Kirche zuruͤckkehyre, ohne durch ein anderes zahlreis
cheres Concilium in feine vorige Würde eingefeßt worden
zu feyn, er nie wieder eingefegt zu werden hoffen, auch
keine Erlaubniß zu feiner. Rechtfertigung erhalten koͤnne;
bierauf wurde Athanafius förmlich entſetzt, und ein ges
wiffer Gregor von Kappadocien auf den Stuhl von
Alexand rien erhoben; Athanaſius mußte nach Rom
entfliehen.
Euſebius, Häuptling m Seele des Arianismus,
entwarf eine Glaubensformel, in welcher dag Wort (cons
fubftantial) unterdruͤckkt war. und ſchickte fie in alle
Städte. Nicht lange darnach machte man eine andere, bed
Inhaltes: daß Jeſus Chriſtus unveränderlih die Gofts
heit befige, daß Er ohne Unterfchied -das Abbild der Wes
fenheit, des Willens, der Macht und Herrlichkeit des Va⸗
ters ſey. Endlich Fam eine dritfere zum Worfcheine, dunks
ler als die vorigen, und fich weniger über die Gottheit
J. C. auslaffend , außer daß fie jagte: der Sohn fey voll⸗
kommner Gott 1).
Die Gottheit Jeſu Chriffi war alfo eine feftbeftes
ende, allgemein in der Kirche angenommene Lehre, weil
die Parthei des Eufebiug, fehr gut unterrichtet, - hoͤchſt⸗
feindſelig gegen die Rechtglaubigen und allvermoͤgend bei
Conſtantius, es nicht wagte, ſie zu beſtreiten, und die
Gottheit Jeſu, mit Ablaͤugnung der Conſubſtantialitaͤt,
anerkannte. Dieſe Eufebianer nennt man Semiaria⸗
‘
ı) Soerat, L, 2. C. 10. Hilar. Synod,
134 Arrianismus.
ner, welche den Arianern zwar entgegenſtehend, fich
dennoch jederzeit mit biefen gegen die Katholifen verei⸗
nigten. .
| Eufebius, Bifchof. zu Conflantinopel, farb um .
dieſe Zeit.am Ende des Jahres 341, und. das Volk fegte
Paulus wieder auf den Patriarchen » Stuhl; die Eufes
bianer aber weihten den Macedonius. Dieß verurs
fachte Trennung und Bürgerkrieg, ‚welhe Conſtant i⸗
nopel mit Verwirrung und Blutvergiegen erfüllten.
Hermogeneg, Dberbefehlghaber-der Keiterei, wurde
von. Conftantiug zue Verfreibung Paul's gefandt. Als
lein das Volk erhob fich dagegen, legte Feuer an den Pas
laft des Hermogenes, bemächkigte fich feiner Perſon,
und der oberfte Befehlshaber des Kriegsheeres wurde an
einem Seile durch die Sträffen ver Stadt gefchleift und
ermordek.” Der Kaifer zog perſoͤnlich nah Conflantinos
pel, züctigte dag Volk, und vertrieb Paul, . welcher,
nach Italien zum Pabfle Julius entfloh. zu
Der hl. Athanaſius und viele Nechtgläubige hatten
fich ‚bereits nad Rom zuruͤckgezogen, wo ſie unter dem
Schutze des Kaiſers Conſtans ohne Beunruhigung leb⸗
ten. Dieſer Kaiſer, geruͤhrt durch die Spaltungen, welche
die Kirche beunruhigten, ſchrieb an Conſtantius, um
ihn zu bewegen, zur Wiederherſtellung des Friedens ein
allgemeines Concilium zu veranſtalten. Der hl. Athana—
ſius und die andern Kirchenhaͤupter baten Conſtans,
die Haltung des Conciliums zu beſchleunigen. Erſterer er⸗
zaͤhlte ihm unter Thraͤnen alle die Drangfale, welche die
Ariamer ihm angerhan haften; er unterhielt ihn von dem
Nuhme feines Waters Conftantin,. von dem großen Cons
cilium zu Nicda, das diefer sufammenberufen und von
der Sorgfalt, mit welcher er die Befchläffe der Väter des
Conciliums, dem er in eigener Perfon beigewohnt haͤtte,
befeſtiget habe.
Der Schmerz des hl. Athanaſius, der aus ſeinen
Unterredungen und Klagen hervorleuchtefe, verſetzte den
Kaiſer in tiefe Ruͤhrung, und ermunterte ihn, den Eifer
Arianismus. 135
feines Vaters nachzuahmen, fo fehr, daß er fogleich nach
der Unterredung mit. dem bl. Athanaſius feinem - Brus
der fchrieb: er möchte die Frömmigkeit, welche ihre Vater
Conflantin in ihnen gleichfam ale. Erbtheil hinterlaſſen
„hätte, unverlegt beibehalten, und ihm vorfielte, daß dies
fer große Fürft, durch Froͤmmigkeit ſein Reich befeſtiget,
die Tyranen, Feinde der Roͤmer, zernichtet ‚ und die Bars
_ baren unterjocht habe 1).
Conkantiug bewilligte ſeinem Bruder die Zuſam⸗
mienberufung eines Conciliums, und die Biſchoͤfe des Mor⸗
gens und Abendlandes kamen zu Sardica in Dacien,
im J. 347, im Monate May, zuſammen.
Die Morgenlaͤnder zogen ſich aber bald nach Philips
popolig, einer ‚Stadt in Thracien, im Gebiethe. des
Conflantiug zurück, weil Die Abendlaͤnder den heiligen
Athanaſius, da er von dem Toncilium zu Kom gerich⸗
tet, und als unſchuldig erkannt worden war, nicht. von
Dem Concilium ausſchließen wollten 2).
Die zu Sardica verſammelten Vaͤter des Abendlan⸗
| des behielten das Symbol von Nieda bei, -ohne etwas
daran zu ändern, erklaͤrten Die von den Arianern abges
feßten Biichofe für unſchuldig, und. entfegten die Haͤupt⸗
linge der Eufebian.er ihrer Stellen. Dagegen bes
. Rötigten die: morgentänbifchen Bifchdfe, Alles, was fie
gegen, ven. bi. Athanafius und die andern. Tatholifchen
Biſchoͤfe unternommen hatten, fhaten Alle, : welche mit den
abgeſetzten Bifchäfen Gemeinfchaft gepflogen, in.den Baun,
und verfertigten ein Glaubens⸗Bekenntniß, worin ſ e das —
Wort (conſubſtantial) ausließen 3;.
Die zu Sardica und Philippopolis verſanmel⸗
ten Biſchoͤfe kehrten nach Endigung ihrer Concilien auf
u 1) Beben des bi. Athanaſius von Sermant. Th, 1. B.
5. C. 28, p. 527. | ,
2) Socrat. L. 2, C. 20.
5) Hilarius Fragm. 21, 22. 24
=
J
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. —
136 Arianismus.
ihre Sie zuruͤck. Der Kaiſer Conſtans benachrichtigte
feinen Bruder von Allem, was zu Sardica vorgegangen
war, und verlangte von ihm Die Miedereinfegung des hl.
Athanaſius mit. dem größtem Nachdrude, und fogar uns
ter Androhung eines Krieges, fo Daß Conſtantius ſei⸗
nem Anſi innen nicht ausweichen konnte. —
Kurz darauf wurde Conſtans von Magnentius
angefallen und getoͤdtet; welcher ſeiner Seits von Con⸗
Rantiu 8 geſchlagen wurde, wmodurd) ’ diefer fih It a⸗
tiens und aller Beſitzungen feines Bruders Conſtans
bemeiſterte.
Conſtantius ſah ſein Waffengluͤck gegen Magnen—
tius als eine Beſtaͤtigung der Reinheit ſeiner Geſinnun⸗
- gen an, und glaubte: Gott befchige feinen Glauben und feine
‚Religion durch die ihm verliehenen Siege. Er berief ein
Concilium nach Arles in Gallien (%. 353), ließ Athas
naſius von Neuem verurfheflen, und gab ein Edict,
"durch melches Allen, die ihm nicht verdammen würden, Die, -
Verbannung angedroht murde. Der Pabſt Liberiug vers
langte (zwei Jahre darauf) die Berufung eines Conciliung
nah Mailand, welches der Kaifer bewilligte ( $. 355).
Die Morgenländer waren in geringer Anzahl erfchienen,
und verlangten. zum voraus, man muͤße die Verdammung
des bi. Athanaſius unterſchreiben; von beiden Seiten
war viel Geſchrei, und man trennte ſich ohne etwas ausge⸗
macht zu haben. Der Kaiſer verwies die Biſchoͤfe, die die
Unterſuchung der Verurtheilung des hl. Athanaſius ver⸗
weigerten, worunter auch der Fabft tiberius ſelbſt war
(J. 356).
Conſtantius, all dieſer Streitigkeiten endlich mühe,
wollte einen allgemeinen Frieden herſtellen, und beſchloß zur
Beendigung aller Dispuͤte noch einmal ein allgemeines Con⸗
cil zu verſammeln, nachdem von den Arianern ſchon meh⸗
rere gehalten, und verſchiedene Glaubens⸗-Bekenntniſſe ger
ſchmiedet worden waren. Allein die Echmierigfeif, die
. Morgen sund Abendländer an vemfelben Drte zuſammenzu⸗
bringen, machte, daß er die Einen nah Seleuzia, in
„!
ur — —
Arianismus. 137
Saurien, die Andern nad Rimini in Italien kom⸗
men lief. Zu Rimini fanden ſich (Z. 359.) mehr als
vierhundert Biſchoͤfe ein, worunter achtjig Arianer waren.
Urfacius und Valens, , von der Parthei ver Arias
-ner, legten der Verſammlung ein Glaubend s Befenntniß vor, . .
welches vor der Abreife nach Selewcien zu Sirmium
war verfertiget worden. Diefe Formel befagte, daß der Sohn
Gottes dem Vater in Subſtanz und Natur ähnlich fey; .
das Wort — Confubſtanzial — aber wurde befeitigct.
Die Vaͤter von Rimini verwarfen diefes Bekenntniß,
hielten fi) an dag Glaubens» Befenntnif von Nicda, und
ſprachen von Neuem über die Irrlehre des Ariug dag
Anathema Urfacius und Valens, welhe die Vers
werfung des A riusg nicht unterzeichnen wollten, wurden
einſtimmig von den Bilchdfen verdammt.
Der Kaifer verwarf die Befchläffe des Conciliums, ſchickkte
von Neuem die Formel von Sirmium an die Bifchdfe zu
Rimini, mit dem bloßen Bedeuten, zu unterzeichnen.
Der Praͤfectus Praͤtorio Taurus erhielt den DBefchl, die
Praͤlaten nicht eher wieder fortgehen zu laffen, big fie alle
‚würden unterzeichnet haben, mit der weitern Weifung: Alle, .
bie den Gehorfam verweigern würden, in's Elend zu fchicken,
wenn ihrer nicht mehr, als fünfzehn, feyn follten.
Die Biſchoͤfe leifteten über vice Monate Widerſtand.
- Ungeachtet. der üblen Behandlungen, die man ihnen wider⸗
fahren ließ, waren fie nicht beſiegt; aber endlich ſchienen
fie ermattet. Urfacius und Baleng benüßten dieſe Kraft⸗
loſigkeit, fielten ihnen vor, daß fie zur. Ungeit litten, ihre
Ungenaͤchlichkeiten befeitigen, und der Kirche den Frieden
geben koͤnnten, ohne den Glauben zu verrarhen, weil die
Glaubens; Formel, welche der Kaifer ihnen vorlegte, nicht
arianiſch wäre, fondern ‚den Fatholifchen Glauben ausdrädte,
und von dem nicänifchen Bekenntniffe nur durch Hinweglafs
fung des Wortes „Conſubſtanzial“ unterfchieden wäre, deffen
Sinn fie doch enthielte, weil fie ausdruͤcklich beſagte, daß
ber Sohn in Allem dem Vater ähnlich fen, nicht
nur Durch Uebereinfiimmung des Willens, fons
bern auch in.der Wefenheit und Natur.
\
’
138 — Ä Arianismus.
Die Viter, niedergedruͤckt vom Elende, gaben den Ein⸗
fluͤſterungen des Valens Gehoͤr, ergriffen alle moͤglichen
Vorſichts⸗Masregeln, um den Folgerungen zuvorzukommen,
die man aus Der Aenderung, fo fie an dem Enmbol von
Ticka vorndhmen, ziehen koͤnnte; fprachen Das Anathem
gegen Alle und jede aus, welche nicht anerfennen würden, '
dag J. €. „Gott, wahrer Gott, ewig mit dem Water fey,
oder melche fagen würden, daß eine Zeit gemwefen fen, mo
der Sohn nicht war’’. Eden dieſes Anathem ließen fie den
Urfacius und Valens ausfprechen. Kurz, man fprady'
den Bannfluch über Alle, weiche bei'm Befenntniffe, daß der
Sohn Gottes Bott fey, nicht fagten, Daß Er vor aller ges
denkbaren Zeit. ift, fondern etwas vor Ihn ſetzten.
Nach diefen Vorſichts-Masregeln unterzeichneten bie
zu Rimini verfammelten Biſchoͤfe die Formel, welche Bas
lens und Urſacius vorgelegt hatten, und erhielten die
Erlaubniß, in ihre Bisthuͤmer zuruͤckzukehren.
Der Kaiſer befahl den Biſchoͤfen, ſo ſich zu Seleu⸗
cien verſammelt hatten, die naͤmliche Formel zu unterſchrei⸗
ben, und verkuͤndigte die Strafe der Verweiſung gegen
ale , die ihre Unterfchriff verweigern wuͤrden 1).
Die AUrfaner friumphirten' nad) dem Concilium von
Kimi nt und: behaupteten, daß nunmehr die ganze Welt
arianifch geworden fen; allein esrift leicht erfichtlich, mie
eingebildet dieſer Triumph war. Die Artaner felbfl was
ren hievon fo uͤberzeugt, Daß fie gleich. nach. dem Concilium
die Formel von. Rimini änderten; bald darauf verlangten
fie; Conſtantius möge ein neues Concilium berufen,. um
die Formel von Rimini abzudändern, und gu erflären, daß
der Sohn dem Vater in der Weſenheit ımd dem. Willen
unähnlich. fey. Diefe Formel wäre die 49te geweſen; ſie
wagten es aber nicht, fie zum: Vorfcheine zu bringen 2).
‘
3
1) Soꝛom. L. 4. C. 26.
2) Ebendaſelbſt Socrat. L. 2. C. 95- Ayhanide Synod. p-
96. rillemont T. 6. p. 621.
Artanismus. 2439
Der Tod des Conftantiug (am Iten November 361).
fette ihren Entwürfen ein Ziel. Julten, fein Nachfolger,
perfönlicher Feind der Günftlinge des Conftantiug,
bauptfächlich des Oberfämmerers Euf ebiug, tief alle Vers
bannte zuriick, und erlaubfe allen Chriften, ihren religigfen
Uebergeugungen zu folgen. 1) Der Glaube von Nicäa ers
langte fein, voriges Anfehen wieder; der Arianismus aber
—
verlor viele Anhaͤnger. Jovian, der dem Julian in der
Regierung folgte, war auf nichts mehr bedacht, als den
‚Glauben von Nicaͤa wieder herzuſtellen. Er rief den hl.
Athanaſius zuruͤck, und wollte der Kirche den Frieden
wieder geben. Allein die kurze Dauer ſeiner Regierung ge⸗
ſtatte ihm die Ausfuͤhrung ſeines Vorhabens nicht; er ſtarb,
nachdem er ſieben Monate, und zwanzig Tage regiert hatte.
| 1) Der Bl. Athanaſius, deffen gänzlihen Untergang Con
ſtantius beſchloſſen Hatte, war in die ägpptiſchen Wüften
entflopens man hatte Truppen zu feiner Öefangennehmung
ausgelſchickt, und einen Preis auf ſeinen Kopf geſetzt. Aber der
—
Heilige entging, indem er ſich in die groͤßte Verborgenheit
zurückzog, allen Nachſtellungen. Ta Julian, alle verbann⸗
ten Biſchöfe wieder auf ihre Sitze zurückrief, kehrte auch
Athanaſius nah einer Abweſenheit von mehr als ſechs
Jahren nah Alexandrien zurück, wo er mit allgemeinem
Jubet aufgenommen wurde. Allein ſobald Julian ſich
Öffentlih zum Heidenthume bekannt Hatte, waren es nun
die heidniſchen Prieſter, welche den Kaifer auf das dringendfte
um Entfernung des Athangſius aus Alexandrien
anlagen. _ 3 ulian befapl ihm unter Androhung ſchwerer
Strafen, die Stadt zu verlaſſen; und hatte ſogar einem
ſeiner Hauptleute die Weiſung gegeben, 'ihn zu ermorden.
Der Heilige flüchtete in dig Wüſte von Thebais, wo er
ſich bis zum Tode Julian's größtentheils aufhielt. Jo⸗
vian, kaum auf den Kaiſerthron gelangt, nahm das Ver⸗
dammungs⸗ Urtheil wider Athannfius zurück, und bat
ihn, die Leitung: feiner Kirche wieder. anzunehmen.
- ' 4 ! .
N
140 Arianismus.
Nach dem Tode Jovian' 8 wählte das Heer Valen⸗
tinian zum Kaiſer. Dieſer Fuͤrſt war dem Glauben von
Nicaͤa fehr ergeben, und ein Eiferer für die chriſtliche
Neligion. Er war noch Tribun der Leibwache, und Ffannte
die ganze Abneigung Fulian’s gegen die Chriffen, und
feinen großen Eifer für Wiederherſtellung des Heidenthumg ;
dennoch ſcheute ſich Valentinian nicht, Beweiſe feiner
Anhaͤnglichkeit an das Chriſtenthum zu geben, zur nämlis
chen Zeit, wo Julian die Proben feines Eifers für den
Eögenticnft zu Tage legte. Valentinian murde vers
bannt,. und wuͤrde das Leben verloren haben, wenn ihm
Julian die Ehre des Märtyrertodes nicht mißgoͤnnt
hätte 1). Bald wurde er zuruͤckgerufen, und Jo vian hatte
ihn zu dem ehrenvolen Commando, einer Schule oder Com⸗
pagnie der Schildfräger der Leibgarde erhoben. Nach or
vian's Tode hatte Dad Heer den’ Balentinian zum
Kaifer ausgerufen. Diefer, als Tribun der Leibgarde,
wollte lieber fidh der Ungnate Julian's und der Todes⸗
ftrafe unterziehen, -ald eine Handlung, welche feinen Glau⸗
ben verdächtig machen fünnte, gutheißen. Allein fobald er
Den Thron beftiegen hatte, glaubte cr, bie Feinde der Res
ligion nicht verfolgen zu dürfen, und unterſchied forgfältig
den Chriften von dem Kaifer: als: Chrift unterwarf er feis
nen Glauben dem Ausfpruche der Kirche, und befolgte alle
Regeln, welche fie den gemeinen Gläubigen vorfchrieb ; als
Kaifer Eannte er fein anderes Gefeß; ale dag Gluͤck bes
Heiches 2). ;
Als Kaifer und Gefeßgeber hielt er ſich verbunden,
alle Talente feiner Unterthanen zum Etaatswohle. gu bes
nuͤtzen, und zu diefem Ende jeden brauchbaren und fugends
haften Bürger, von welcher Religion oder Secte er ſeyn
möge, zu beſchuͤtzen. Er gab Gefege zu Gunften der chriſt⸗
lichen Geiftlichleit, wie des Heidenthums. Den heidnifchen |
: 1) $ozom. L. 6, C. 6.
2) Soerat. L. 4, C. ı. Sozom. L. 6, C. 6. Theo-
dor. hist, ecel. L. 4. C. 6, 8.
Arlanismud. 1444
Oberprieſtern wurden ihre Privilegien zuruͤckgegeben, und
ihnen die naͤmlichen Ehrenbezeugungen, wie den Grafen zu⸗
erkannt 1). Er wollte weder die Kirche regieren, noch uͤber
ihre Glaubenslehren und Geſetze entſcheiden, aber eben ſo
wenig geſtattete er den Geiſtlichen Einfluß in die Geſchaͤfte
Des Reihe.
Als daher die in Illyrien verfammelten Biſchoͤfe
"ihm ihre Entfcheivung über die Confubftantialität des Wors
tes, und die Nothmendigkeit, das Glaubens⸗Bekenntniß von
Nicaͤa unverletzt beisubehalten, zuſchickten, antwortete
Valentinian: er glaube an ihre Entſcheidungen, und
wolle, daß ihre Lehre überall vorgetragen werde, jedoch
fo, daß man auf keine Weife jemanden, der dem Befchluffe
des Conciliumsd feine Zuftimmung verfage, beunruhigen-
‚fole, damit man nicht glauben möchte, jene welche der
Lehre des Conciliums folgten, geborchten mehr dem Kais
ker, als Gott.
‚ Wir finden- nicht, daß bie Duldung und der Schutz,
weichen Valentinian allen religioͤſen Geſellſchaften ans
gedeihen ließ, dieſem Fuͤrſten den Namen eines Ketzers
oder Feindes der Religion, oder ſonſt eine gehaͤßige Be⸗
nennung zugezogen habe; vielmehr dachten ihm die kirchlichen
Schriftſteller die Ehre eines Bekenners zu. Valens (Valen⸗
tinian's Bruder), welcher den Orient beherrſchte, war
den Katholiken nicht ſo guͤnſtig. Dieſer, bis zur Wuth aria⸗
niſch geſinnte Fuͤrſt, verwies, entfernte, ließ viele dem ni⸗
caͤniſchen Glauben zugethane Biſchoͤfe und Katholiken hin⸗
richten, und ſetzte in allen Kirchen der Praͤfektur des
Orients Arianer auf die biſchoͤflichen Stühle. Die
Lage des Reichs erlaubte dem Valentinian nicht, ſich
den Grauſamkeiten des Valens entgegenzuſetzen. Auf dieſe
Weiſe triumphirte unter dieſen beiden Fuͤrſten der Aria⸗
nismus im Morgenlande, der katholiſche Glaube wurde
im Abendlande mit aller Freiheit, ohne irgend eine Ge⸗
1) Codex Theod. L. 15; Tit. 7. Leg. ı. Tillemont
L. 6.
y _ —
t
4
'
)
‘
142 | Arianismus.
waltthaͤtigkeit gegen die Arianer auszuuͤben, gelehrt, und
der Ariaͤnismus erloſch beinahe gaͤnzlich. Im Morgens
lande hingegen hatten die Arianer Valens auf ihrer
Seite, den größten Theil des Volks aber gegen ſich, wels
ches ftandhaft, bei tem Glauben von Nicäa beharrte;
man ſah in dieſer Zeit die Bafiliufe und Gregoriufe
dem Baleng feine Ungerechfigfeiten vormerfen, und mit
heroiſcher Feftigfeit die gleiche Wefenheit des Wortes vers
theidigen.
Aegypten war ruhig; der hl. Athanaſius ſtarb 1)
(%. 373) und die Arianer wollten einen Biſchof von
ihrer Parthei auf den Patriarchen s Stuhl erheben; fie vers
srieben Betrug, den der bl. „Athanaſius zu feinem
Nachfolger .beffimmt hatte; das Volk beftand auf feiner Beis
behaltung; die Arianer aber, unterflügt vpn Valens,
bemächtigten ſich Aller. Die dem Petrus treu blieben, wars
- fen fie in Kerker und ließen fie hinrichten; Alerans
drien war bad Bild einer mit Sturm eroberten Stadt.
Bald bemächtigten füh die Arianer aller Kirchen, . und
der von ihnen aufgedrungene Zifchof (Luciug) verhielt die
Erlaubniß: Ale, welche dem Blatıben von Nicäa freu blies .
ben, aus Aegypten zu verjagen. 2) Während der Arias
nismus auf diefe Art das Reich zerriß, wurde Valens
von den Gothen und Sarazenen befriegt. Die Anftals
‚sen zur Vertheidigung gegen diefe furchtbaren Feinde ſetzten
der Verfolgung Schranken. Valens zog gegen die Gos
then; fein Heer wurde gefchlagen, er felbft fand in den
Flammen einer Hütte, wohin er fich geflüchtet hatte, den
Tod 3). Ä 0
j
0
1) Der Hl. Atpamafins entflief nad vielen harten Käm⸗
pfen und herrlichen Siegen fiber die Feinde ded wahren
Glaubens den 2ten May 373, nachdem er ſechs und viere
ig Jahre der Kirhe von Alerandrien vorgeflanden
- hatte. - |
2) Sozom. L. 6, C. 20.
3) Ehenda C. 39, 40.
Arianismus. 143
Gratian murde hierauf der einzige Beherrſcher des
Reiches, und befolgte Die ‚Negierungsgrundfäße feines Bas
ters Balentinian. Er ließ jedermann die Freiheit, zu
einer Neligion fich zubefennen, die ihm beliebte, mit Aus⸗
nahme des. Manichaͤismus, Phortiniarismug, und
‚der Lehren deg Eunomius; und rief die, von den, '
Arianern vertriebenen Biſchoͤfe zurück. Mehrere vdiefer
aus der Verbannung zurücgefehrten Bekenner bezeigten
größere Liebe für die Einigfeit ver, Kirche ‚ als Anhänglichs
feit an ihre Stellen; "willigten ein: daß die Arianer,
wenn fie fih mit tem Glauben, und der Gemeinfchaft der
Katholiken vereinigten, die bifchöflichen Stühle beibehiels
ten, und befchworen fie, fie möchten die Spaltungen jener
Kirche, welche Jeſus Chriſtus, und die Apoflel ihnen
zurücgelaffen, und melde die Zänfereien und eine fchänds
liche Herrſchbegierde in fo viele Stuͤcke zerriſſen hätten, nicht
noch vermehren.
Diefe Maͤßigung der katholiſchen Bifchdfe machte die
arianifchen, welche diefe WVorfchläge verwarfen, gehäflig,
und es gab Städte, wo man den arianifchen Bifchof von
feinem ganzen Anhange verlaffen fah, Der, durch die Nachs
giebigfeit des Fatholifchen gewonnen, die Wahrheit erkannte,
und fich zu der gleichen Wefenheit des Wortes befannte 1).
‚Da das rimifhe Reich im Innern durch Faftionen
gerriffen, von auffen durch die Barbaren bedroht mar,
wählte fih Sratian, um die Laſt der Regierung zu theis
len, Theodofius zum Megierungs s Genoffen. Diefer
Sürft, eifriger als Gratian für ven nicänifchen Glauben,
gab ein Gefeg, in welchem er allen Unterthanen des Rei⸗
ches gebot, dem Glauben beizupflichten, Der von dem Pabſte
Damafus, und von Peter von Alerandrien gelehre
würde; er erklärte: dag diefe Unterthanen allein als Fas
tholifch angefehen, die übrigen aber als ehrlos und irr⸗
gläubig behandelt, auch mit verſchiedenen Strafen belegt
werden ſollten.
1) Sozom.L. 7, C. 2. Socrat. L. 5.0.2.
144 Ariauismus.
Dieſer Verordnungen ungeachtet hielten die Arianer
Bnfammenkünffe, und behielten felbft ‚viele Bisthuͤmer.
Der hl. Amphilochus, Biſchof von Jconiu m,
“drang ſehr in den Kaiſer, die, Verſammlungen der Aria⸗
ner nachdrücklich zu verbietben. Theodoſius wies die
‚ Einfläfterungen feines Eifers lange von fih, bis er end»
lich einer frommen Lift nachgab, welche der -Bifchof ans
wandte, dem Kaifer fühlbar gu machen: man duͤrfe den
Arianern, die Freiheit fih zu Herfammelen, nicht ges
flotten. Arkadius, Theodofen’s Sohn, war eben
zum Auguftus ausgerufen worden, als Amphilochus,
der dem Kaiſer aufmwartefe, gegen Arkadius nicht das
geringfie Merkmal von Ehrfurcht blicken lief. Iheodos
ſius benachrichtigte ihn von der Würde feined Sohnes
mit dem Bedeuten: daß er demſelben den gehoͤrigen Re⸗
ſpect zu erweiſen habe. Der hl. Amphilochus ging auf
Arkadius zu, machte ihm, wie einem Kinde, einige Lieb⸗
fofungen, ohne jedoch jenes ehrfurchtsvolle Benehmen ges
gen ihn zu aͤußern, welches man den Katfern zu bejeigen
pflegte; dann wendete er fih an Theodofiug mit den
Worten: Es fey genug, wenn man ihm den unterthänigften
Reſpekt ermeife, ohne folches feinem Sohne zu thun.
Theodofing, aufgebracht über diefe Antwort, befahl
den Amphilochus zu entfernen, welcher im Abgehen u
‚. fagte: Sieh, Gebiether! Du kannſt eine Deinem Sohne zuges
fügte Unbild nicht dulden, und wirſt entrüftet gegen jene,
welche ihm unehrerbiethig begegnen; zweifle nicht, ‚daß der
Sort des Weltalld jene, welche Seinen einzigen Sohn läftern,
und Ihm nicht gleiche Ehrenbezeugungen, wie hm, ers
weiſen, verabfcheue, und daß Er fie, als gegen ihren Ers
Iöfer und Wohlthäter Undankvare haffe 1).
Theodofiug, dem Staatsgriinde nicht erlaubten, den Arias
nern die Freiheif der Verſammlungen zu unferfagen, unterlag
nun ber Vergleihung des bl. Umphilochug, und verbot durch
ı) Sozom. L. 7, C. 6.
Arianigmus, 145
ein Geſetz die Zufammentünfte der Irrglaͤubigen, 1) der
Anhang der Arianer mar zu mächtig und zu ausgedehnt,
ale daß man diefe Gefeße genau zum Vollzuge bringen
fonnte; fie fuhren fort, fich zu verfammeln, beunruhigten
die Katholifen, und "wurden ſogar noch unternehmender;
es hatten fich anderweitig neue Irrlehren erhoben, und im
Herzen des Reiches gährte dumpfe, aber heftige Unruhe,
Theodofiug verfuchte durch Wereinigung aller Pars
theien die Ruhe wicder herzuſtellen; er forderte ihre Häupter
auf, mit Beſtimmtheit die Punfte, wegen welchen fie ents
zweit ſeyen, anzugeben, und eine gemeinſame Norm aufzuſtel⸗
len, die dazu dienen koͤnnte, uͤber die Wahrheit oder
Falſchheit der gegenſeitigen Meinungeu zu urtheilen. Der
Kaiſer ſchlug allen Partheien, beſonders den Arianern
vor, die Schrift, und die Vaͤter vor Arius, als Regel,
anzunehmen.
Diefes Mittel, welches dem Kaiſer von einem Ver⸗
tbeidiger der Conſubſtantialitaͤt an die Hand gegeben wor⸗
den war, war nicht nach dem Geſchmacke der Arianer;
und da der Kaiſer ſah, daß ſie das Anſehen der Vaͤter, welche
dem Concilium von Nicda vorangegangen waren, vers
warfen, und daß die mündlichen Verhandlungen nichts bes
endigten, forderte er einen ‚jeden der Häuptlinge auf, die
Glaubensformel, fo er bekannt miffen wolle, fchriftlich
einzugeben. Im vierten‘ Jahrhunderte alfo meigerten fi
die Arianer, fi) über die gleiche Wefenheit des Wortes
auf die Lehre der Väter vor Artus zu berufen, und
im 17ten Jahrhundert will man uns fagen: die Väter,
tie dem Concilium von Nicdäa vorargegangen fenen, wärs
ven Arianer, gder fie hätten Feine Kenntniß von ber
gleichen Wefenheit deg Wortes gehabt! Hätte über die
Art, wie die Väter fich über dieſe Blaubenslehre aus⸗
druͤckten, Dunkelheit geſchwebt, wuͤrden wohl die Aria⸗
ner, welche in der Disputirkunſt wenigſtens eben ſo ge⸗
1) Sozzom.- Lꝑ. C. 6..
Ketzer-⸗Lexikon. IL, 10
146 Arrianismus.
“ide waren, als die Katholiken, ihre Dogmen nicht eben To
gut, al diefe, in den Vätern gefunden haben?
Die Stellen der Väter der drei erſten Jahrhunderte,
‚mit welchen man in neuerer Zeit bie gleiche Weſenheit des
Wortes zu beftreiten vorgiebt, fonfiten alfo damals nichts
gegen dieſes Dogma verfangen,, follten wir ung nun her⸗
ausnehmen, zu glauben: dag wir jene Stellen, und die
Lehre. der drei erſten Jahrhunderte der Kirche beſſer ver⸗
ſtehen, als die Katholiken, und ſelbſt vie Arianer des
dritter: nnd. vierten Jahrhunderts? Wahrlich es gab unter
den Arianern geſchickte Männer, die dabei fehr betheis
ligt waren, ihre Lehre bei den Vaͤtern der drei erſten
Jahrhunderte vorzüglich unter Theodoſius zu finden,
meil diefer Fürft den Vorfchlag gemacht hatte, nach diefer
Authorität ale Parheien zu richten. \
Da nun die Parfheis Häupter in den mündlichen Vers
handlungen über nichts übereinfommen fonnten, gab jeder
fein Glaubens; Befennmiß fchriftlich ab. Theo doſius, nach⸗
dem er diefe unterfucht hatte, erklärte: fein Wille fen,
daß man dem Glaubend,Befenntniffe von Nicda folge: :
verbot die Zufammenfünfte der Irrlehrer, vertrieb die Eis
nen aus den Städten, erflärte die Andern für ehrlos, und
entzog ihnen die 'birgerlichen Rechte. Inzwiſchen wurden
diefe Gefeße nicht firenge. befolgt. Theodoſius betrach⸗
tete fie ald Drohungen, feine Unterthanen einzufchichtern,
fie zur Wahrheit zu führen, nicht fie zu beftrafen; er ers
nexerte fie mehr als einmal, und gab noch ein Verbot,
oͤffentlich über Religions⸗Gegenſtaͤnde zw. ſtreiten. Enplich
ließ T.hbevdofiug gegen Ende des vierten Jahrhun⸗
derts alle artanifchen Biſchoͤfe und Priefler aus Eon fans
tinopel vertreiben.
Die Kaiferin Juftina, melde Italien, Il ly⸗
rien und Afrika im Namen des jungen Valentinian,
ihres Sohnes, beherrſchte, wollte ven Arianis mus wies
der emporbringen, und verbot unter Lebensſtrafe, jene,
welche ſich zur Lehre des Conciliums von Rimini bekenn⸗
ten, zu beunruhigen. Allein ihre-Bemähungen waren ohne
Arianismus. | . 447
Erfolgs; der Gaͤhrungs⸗Stoff des Arianismus hatte
verbraußt; neue Irrlehren hatten fi) erhoben, welche einen
Theil des Faktions⸗ und Disputir s Geiftes einfogen; alle
dieſe Partheien waren fo zu fagen, in fich gefchloffen, und
der Arianismug, der fi) nicht mehr ausdehnen konnte, -
ſchrumpfte gewifermaßen in fich felbft zifammen. Am dem
unruhigen Geifte Nahrung zu geben, mwarfen die Arianer -
unter fi neue Fragen auf, fpalteten. fich, und: bildeten
verfchiedene Abzweigungen. So fragten fie 5. 3. ob Goft,
der Name. Vater, zuläme, ehe Er noch den Sohn hervors
. gebracht Habe? Da die Einen diefes bejahten, die Andern
gerneinten, entitand eine Epaltung unter ten Arianern;
andere Trennungen folgten diefer, und die Partheien vers
vielfaͤltigten fi. Sie hatten unter fic) Feine Gemeinfchaft
mehr, belegten einander mit gehäßigen Namen, machten
fich lächerlich, endlich verächtlich, uud erlofchen unmerklich,
fo, daß fie nach geendigtem Aten Jahrhunderte im ganzen
roͤmiſchen Neiche weder Bifc;sfe noch Kirchen mehr hatten 1),
Jedoch gab es noch PrivatsPerfonen, Geiftliche und
Laien, melde fi) an die Lehre der Arianer bielten;
fie bildeten aber feinen Verein mehr.
‚, Der Arianismus befland noch bei den Gothen,
wo er feit Conftantin ſich feflzufegen angefangen hatte;
bei ven Vandalen, die ſich Afrikas bemächtigten, und
bei den Burgundern,. welche von den Gothen ange⸗
ſteckt wurden.
Die Gothen beeiferten ſich eben ſo ſehr, den Aria
nismus auszubreiten, als ihre Herrfchaft. Ste ließen den
größten Theil der katholiſchen Bifchsfe erwärgen, und vers
übten gegen die fatholifche Religion Alles, mag immer der
Fanatismus Barbaten, die weder Menſchlichteit noch Ge⸗
rechtigkeit kennen, eingeben mag 2).
8
9 Man ſehe über dieſe Thatſache Socrates, Sozome-
nes, Theodoret, woher fie genommen finds auf
Setollberg's Geſch. der Religion I. ©. Bo. 10 — 13.
2) Sidonius L. 7. ep. 6. Audgabe von Sirmend p. 1023.
40 *
148 uUrianiemus.
Die Burgunder, die ſich Anfangs des fünften Yan
hunderts in Gallien niederließen, ‘und wenige Jahre zur
vor den Fatholifchen Slauben- angenommen hatten, fielen gee
gen die Mitte des fünften Jahrhunderts in den Artanis⸗
mug. Allein Diefe waren weniger Barbaren, als die &os
then, und Brälaten, ausgezeichnet durch Kenntniſſe, wie
durch Froͤmmigkeit, ale ein bi. Avitus, befiritten den
Arianismug mit folhem Nachdrucke, daß fie ven Koͤnig
der Burgunder Sigismund, befehrten, und unter dieſen
Voͤlkern vie katholifche Religion wieder einführren 1).
Die, Srangofen nahmen gleichfalls den Arianismus
an, als fie dem Goͤtzendienſte entfagten. -Der Uebergang von
der Absdtterei zum Arianismus iſt leichter, als zum
Dogma ver Confubftantialttät. Nach Clodwiges Seteh⸗
rung erloſch der Arianismus unmerklich in Frautreich
Das Wiederaufleben des Arianismus in Europa, |
oder die neuen Atianer.
Der Arianismus entſtieg neuerdings dem Schooße |
des Fanatismus, deu die Reformation angefacht hatte. Fin
anabaptiftifcher. Prediger gab fich fiir einen Enkel Gottes
aus, läugnete die Gottheit Jeſu Chrifti, und verfchaffte
ſich Schüler. Bald ließen fich. durch die Grundfäße der Res
formation Theologen u dieſem Irrthume verleiten.
Die Hl. Schrift iſt bei den Proteſtanten die einzige
Glaubeng s Kegel, der man. fich zu unterwerfen hat; jeter
Einzelne iſt Aus eger der Schrift, folglich auch Richter über
entfichende Glaubens » Streite.: Vermoͤge diefes oberften
Grundfages der Reformation hatte jeder Einzelne dag Recht,
die Fatholifche Kirche ſowohl, als die Neformatoren felbft,
au richten, die bei allen chriftlichen Gemeinden angenommes
nen Glaubens⸗ Lehren zu prifen, und fie zu verwerfen,
+
1) Adonis Chronic. sd ann. 2 T. 6 Biblioth. edit.
Lus dur. 1677. ° |
Arianismus. 149
wnt er darin die Merkzeichen der Offenbarung nicht ent⸗
dechte, oder fie ungereimt fund.
Die e Freiheit brachte bei den Proteftanten bald einen
Theil ver alten Sfrelehren, und den Arlanismus zum _
Vorfcheine. Man fah, wie Capito, Cellarius, andere |
Lutheraner, und Server, geleitet durch jene Grundfäge
alle Gtaubengfäge ihrer Privat⸗-Pruͤfung unterftellten, dag
Geheimniß der Dreieinigfeit verwarfen, und die Conſubſtan⸗
tialitaͤt des Wortes beftritten. Der Arianismus breitete
fit) in Deutfchland und Polen aus, bildete unzählige
Secten, Fam nad) Holland, und ward durch Dfin, Bus
ser u. A. nad. England gebracht.
Der Herjog von Sommerfet, Vormund Eduard‘
des VI. hatte fie berufen, Zwingki’d Lehre dort vorzutra⸗
gen, Allein Bucer und Dfin lehrten zwar den Zwinger
liantsmus im Deffentlichen, verbreiteten aber den Arias
nismus in Gefelfchaften und Privat: Unterhaltungen. Eis
nige ihrer Schüler, unternehmender als ihre Lehrer, pres.
digten denfelben oͤffentlich, und wurden durd die Apoftel
der Keformation sum Scheiterhaufen befördert.
Nach dem Tode Eduard's VI. vertrieb die Koͤniginn
Maria ale Fremde aus England. Mehr als dreißig⸗
taufend Ausländer, von verfchiedenen Irrlehren angeſteckt,
verließen dieſes Reich; allein fie haften den Keim und dag
Ferment des Arianismus zurücgelaffen. Die Adniginn,
welche die Fatholifche Religion in England twieberherftellen
toollte, bot gegen die Profeftanten Alles auf, was nur Der
glühendfte Eifer Strenges, und fogar Graufameg eingeben
fonnte. Die Fatholifche und proteftantifche Parthei verſchlan⸗
gen, fo zu. fagen, alle Feindfeligfeiten, alle Betheiligungen,
und ‚beinahe alle Leidenſchaften; die Arianer wurden au⸗
ßer Acht gelaſſen, Marten’s ganzer Eifer war gegen die
Droteftanten gerichtet, und Cranmer, Ersbifchof von Cams
terburi, welcher die Arianer haffe verbrennen laſſen,
beſtieg den Scheiterhaufen als Proteſtant. ZZ
Unter Eliſabeth erlofchen die Scheiterhaufen; fe
“ brachte die proteflantifche Meligion wieder empor, duldete -
jedoch Alle, welche diefe nicht anfcindeten.
!
190 Ä Arianismus.
Dieſe Art von Ruhe rief den groͤßten Theil jener klei⸗
nen Secten, welche der heftige Sturm unter der Regierung
Marien's gleichſam erſtickt hatte, wieder in's Leben. Eli⸗
ſabeth beſorgt, dieſe Secten moͤchten die oͤffentliche Ruhe
ſtoͤren, verbannte die Entbuſiaſten, Anabaptiſten und
Arianer, aus dem Reiche.
Jakob J. ein Gelehrter, ſchrieb gegen ſie, und ver⸗
brannte Alle, die er nicht bekehren konnte, don welchem
Stande fie feyn, und was immer für Dienfte. fie dem Staate
geleiftet haben mochten. Diefe Etrenge brachte dem Arias
nismug Dpfer, und vermehrte die Arianer 1).
Die Unruhen und bürgerlichen Kriege, welche unter
Carl I. England verwuͤſteten, verſchafften den verfchier
denen Secten viele Freiheit.
Nach dem Tode Carl's I. beffand dag Parlament eis.
gentlich mr aus einer Kammer der Gemeinen, zufammenges
fett aus einer fehr Heinen Anzahl von Gliedern, welche
insgefammt Independenten, Anabaptiſten, oder andern
Secten zugethan geweſen, unter welchen die Independenten
die herrſchenden waren. Diefe. wollten dad Koͤnigthum in eine
Republik umwandeln, und jede Kirche follte die Macht has
ben, fich felbft zu regieren, und von der englifchen Kirche
unabhängig feyn 2).
° Unter dem Protectorate Cromwel's genofien die vers
fchiedenen Secten in England Duldung.
Dem Spfteme religisfer Duldung, die man einführen
wollte, gemäß, gab ein Arianer einen Catechismus heraus,
der, nad) ihm, die Fundamental; Lehren enthielt, allein, wie
er ſagte, aus der hl. Schrift genommen, ohne Erläuterung
ohne Gloffen und Folgefüge. Diefed Werk war feinem
Angeben nach zu Gunſten derjenigen verfaßt, fo lieber Chris
fien, ald von irgend einer andern Secte genannt ſeyn woll⸗
1) Geſchihte von” "England von Thoiras. Abrege des
Actcs de Rynıer. oo
2) Ebendaſelbſt.
9 Arianismus. * 151
ten. Dieſer Catechismus Ichrte den Arianismug, und
brachte di: Orthedoxen auf. Sie brachten ihre Klagen vor
KCrommel, welcher, ohngeachtet des Gefeßed, das man
fi) gemacht hafte, alle Secten zu dulden, den DBerfaffer ers
greifen, in ein Gefängniß werfen und dafelbft armfelig zu
Grunde gehen ließ; jedoch fuchte er die Arianer nicht auf,
welche fich unter Carl IL uno Jakob II. ſtillſchweigend
in England erhielten.
Der Arianismus hatte auch Fortfchritte in Holland
gemacht, die arianifchen Anabaptiften brachten ihre Irr⸗
thümer dorthin, machten Profelyten, und hatten fich dafelbft
gegen das Ende des ſechzehnten Jahrhunderts unter Begüns
fligung der Duldung, welche fie fi) durch große Geldſum⸗
men zu verfchaffen mußten, anfehnlich vermehrt.
Als der König Wilhelm, befhloß, die Geiftlichfeit
von England zu einem Vereinigungss Berfuche der Pros
teffanten zufammengurufen, glaubfe Dr. Bury, der befte
Meg zur Erreichung diefes Zweckes fen: die Grundlehren des
Evangeliums, durch welche man über den Belang der zwi⸗
fchen den Proteſtanten obmaltenden Streitpunfte enticheiden
koͤnnte, deutlich auseinander zufegen. Zu diefem Ende uns
terſchied er die zu glauben nothmendigen Artikel von jenen,
die mah umgehen oder Iäugnen koͤnnte, und behauptete,
wenn man nur die Hauptfache habe, über das Wie? fo ges
woͤhnlich unbefannt fey, muͤſſe man nicht ffreiten. Er brachte
Daher den, um Chrift zu feyn, nothwendigen Glauben auf
die einfachften Punkte zurück; feiner Meinung nach fey es
genug, wenn ein Ehrift glaube: daß Jeſus Chriffug
ber einzige Eohn Gottes ift; er fah die gleiche Weſenheit
des Mortes für eine, den erften Chriften unbekannte Lehre
an, und behauptete, daß zur Zeit des hi. Juſtin man jene
noch alg Chriften anerkannte, welche glaubten: dag I. €.
Menfch fey, geboren von Menfchen, ımd daß man von fols
chen Leuten ‚redete, ohne ihnen etwas Beleidigendegs zu far
gen; allein ſeitdem man über diefe Gegenflände disputiren
wollte, haben die Hiße des Streiteg, und die Partheien,
die fich deshalb in der chriftlichen Kirche erhoben, dieſe Fra⸗
gen erft wichtig gemacht, gerade fo, wie die Mühe, die
)
152 NAlrianismus.
man hak, einen Diamant zu finden und zu, ſchleifen, ihn
- erft koſtbar macht; denn am Ende, fagt er, ob es fich gleich
von der göttlichen Natur handelt, folgt Doch nicht Daraus,
. dag Alles, was man davon fagt., wichtig fey 1).
Die Univerfität von Oxford verdammte die Echrift
des Dr. Bury, und lich fie verbrennen; allein gerade die⸗
fer Ausfpruch verfchaffte ihm Anhänger.
Auf folhe Weife wurde in England über die Gott⸗
beit J. € viel geſtritten; Die Aufmerkſamkeit von Maͤn⸗
nern, welche fich den Wiffenfchaften widmeten, oder Theo⸗
logie fiudierfen, wurde erregt, und auf diefe wichtige Dias
ferie geleitet.
Loke, durch die verfchiedenen Syſteme der Theole⸗
gen, die er gepruͤft hatte, wenig befriedigt, ſtudierte die
Religion, und befolgte dabet den naͤmlichen Gang, den er
bei Unterſuchung des menſchlichen Geiſtes eingeſchlagen
hatte. Er beſchloß, die Kenntniß der Religion nur in der
hl. Schrift, an welche alle Proteſtanten appellirten, zu
ſuchen, und das Reſultat war die Erneuerung der Mei⸗
nung des Dr. Bury 2). | \
Socinus und feine Anhänger hatten kuͤhn behauın,
get: dag vor dem Koncilium von Nicda die Chriften über
die Perfon des Sohnes Gottes den ihrigen ähnliche Mei
mungen geheget hätten. Wenn gleih Episcopiug bie
Gottheit Fefu gegen Socinug behauptete, fo geſtand er
. dennoch, feine Meinung fey: die Väter von Ricda häts
gen unter ben Streitigkeiten. und in der Verwirrung jenes
berüchigte Glaubens; Befenntniß, das ihren Namen trägt,
abgefaßt 3).
—— (ee
1) Das bloße Evangelium ze. von einem wahrhaften Sohne
der engliſchen Kirche 1690. 4. dieſes Merk ift englifih ges
ſchrieben. Man findet einen fehr guten Auszug in der Bibl.
.. mmivers. T. ı9. p. 59.
2) Pas vernünftige Chriſtenthum.
. 8) ‚Instit. Vheol. L. 4. Sect. 2.
| Arianismus. 153
3 wiker hatte die Behauptung gewagt, die Väter von
Nicaͤa feyen die Erfinder diefer Lehre: und Curcelleus
hielt die Gruͤnde Zwiker's fir gediegen und unmiders
legbar 1) Sandiug, der den neuen Arianismus ans
genommen hatte, fuchte die Meinung Zwiker's zu beflärs
fen, indem er eine Kirchenzeſchichte fchrieb, worin er die
Meinungen der Väter der drei erſten S ahrhunderte über
die Gottheit des Worte anführte, und zu beweifen vors
gab, die Lehre Dr Orthodoxen fey mit jener dieſer Väter -
im Widerſpruch 2).
‚Bull, ein Englaͤnder, widerlegte Zwiker und Sans
Ding, welche jedoch Verfechter in England fanden 3).
Man fand. in diefen Schriften allen Aufwand von Ges
lehrſamkeit und ſelbſt die Episfindigfeiten der Logik aufges
boten , die gleiche Weſenheit des Wortes zu behaupten oder
zu beſtreiten. So machte die Zeit diefe Frage unvermerkt
interreffanter, und erregte die Aufmerkſamkeit der Gelehr⸗
ten, Theologen und Philoſophen.
Wiſthon nahm im Anſange des 18ten Jahthunderts
dieſe Frage in Unterſuchung, und glaubte in der Lehre der
Kirche der drei erſten Jahrhunderte und jener der engli⸗
ſchen Kirche uͤber die Dreieinigkeit eine Verſchiedenheit zu
ſehen. Im Gefühle der Wichtigkeit dieſes Punktes ent⸗
ſchloß er ſich, Alles aufzuſuchen, wo immer das goͤttliche
und chriſtliche Alterthum ihm ein Licht uͤber dieſen Gegen⸗
ſtand anzuͤnden koͤnnte; er las das neue Teſtament zwei⸗
mal, alle airchenSdriſtſeler, und alle Bruchſtůcke bis zum
1) ſrenicum Irenicorum. Curcelleus. quaternio
Dissert.
9) Christ. Sandii Nucleus hist. eccles.
3) Defensio fidei Nicaenae de, primit. ei apost. tradi-
tione etc. contra Zwikerum. Recueil des Ocuvres
do Bull. par Grave, fol. 1709. Jugemens des
Peres etc. opposs & la defense de la foi de Nice.
4to 1695.
154 Arianiemus.
Ende des zweiten Jahrhunderts, zog alle. Stellen‘, bie Bes
zug auf die Dreieinigfeit hatten, aus, und damit ihm.
über diefe Materie nichts entginge, las er die Schutz ſchrift
des Conciliums von Nicaͤa von Bullus, und verglich
deſſen Auszuͤge mit den treffenden Schriftſtellern 1). Ehe
er noch feine Prüfung begann, hatte Wiſthon ſchon ents
ſchieden; er hatte geglaubt, eine DVerfchiedenheit zwifchen
. der Lehre der drei erften Jahrhunderte und der englis
ſchen Kirche wahrzunehmen; unvermerft. erfchien ihm Alles
unter dem Geſichtspunkte, der feine vorgefaßte Meinung
begünftigte, und fih, fo zu fagen, vor ihm felbft verbarg;
und das Kefultat aller feiner Lectire mar der Artaniss
mug, den er in feinem erneuerten Urcriftenrhume
lehrte. Die Geiftlichfeit England's verdamnite Wit
bon, man ſchloß ihn aus der Kirche, und nahm ihm feine
Stellen; allein die Regierung unternahm nichts gegen ihn,
weil er die Gefeße der bürgerlicjen Geſellſchaft nicht be⸗
eintraͤchtigtte.
Bald darauf verſuchte es Clark die Lehre der Arie a⸗
ner über die Perſon Jeſu Chriſti mit dem nicäaniſchen
Symbolum zu vereinbaren 2). Die zweite Kammer ver
Geiſtlichkeit beflagte fich gegen Clark; um der Verfolgung
zu entgehen, übergab er der Berfammlung eine Echrift,
worin er erflärte, daß er glaube: der Sohn fen von aller
Ewigkeit gegeugt. Die Oberfammer begnuͤgte ſich mit die⸗
ſer Erklaͤrung.
In einer zweiten Ausgabe ſeines Werkes ließ Clart
Alles weg, was er in der erſten zur Vereinbarung ſeines
Syſtems mit dem nicaͤniſchen Glaubens⸗Bekenntniſſe geſagt
hatte, und wollte niemals eine Pfruͤnde annehmen, die ihn
zur Unterzeichnung deſſelben verpflichtete. Die engliſchen
—
ı) Wisthon, das erneuerte Urchriſtenthum.
2) Die Lehre ber Schrift in. Betreff der Dreieinigkeit 3 Thle,
die Hauptſtellen der Liturgie der engl. Kirche über dieſe
.MWEehre ſind darin geſaumelt, verglichen und quseinanderge⸗
ra 8. London 1772. TI
a)
Arianismus. 155. |
Theologen befiritten „die Meinungen Clark's, und diefer
vertbeidigte fie 1).
Thomas Chub verband fih mit Clark zur Beſtrei⸗
tung der Conſubſtantialitaͤt des Wortes; er wollte bewei⸗
ſen: daß der Sohn ein dem Vater untergeordnetes Weſen
ſey, welcher allein Gott waͤre. Chub eignete ſein Werk
der Cleriſei zu 2). |
Die. Königinn Maria hatte den Katholicismus in
England wieder hergeftelt‘, und die Proteftanten, welche
die Negierung Eduard's des VI. dahingezogen hatte, vers
brennen lafien. Eliſabeth nahm die Proteflanten wie⸗
der auf, ließ die Katholifen aufhängen, und verjagte die
Arianer. Jakob der Erfie nahm die Reformation an,
duldete die Katholiten, und verbrannte die Arianer;
heut zu Tage werden die Arianer, welche von der englis
fchen Kirche als Ketzer verdammt find, von der Obrigkeit
weder aufgefucht, noch beftraft.
Der alte Arianismug war bef feinem Urfprunge eine
aus Vernunffgränden abgeleitete Irrlehre; er nahm feine
Entftehung in Mitte der friedlichen Verſammlungen der
Geiſtlichkeit Alerandrien’s; er wurde Anfangs mit Mäs
Kigung . beftritten und vertheidigt; er machte Fortſchritte;
die Bifchdfe verfammelten fih; Artus wurde verdammt; et
beflagte fih; man nahm fich feiner an; er fand hißige
Vertheidiger, eifrige Gegner. Arius und feine Anhänger
wurden von der Kirche verdammt; fie lehnten fich gegen
ihren Ausfpruch auf, und wurden eine Faktion. Der Far
natismus entzündete fi unfer ihnen; fie fpalteten fich, und
bildeten einen Haufen fanatifcher Secten. Der neue Arias
nismug im Gegentheile, hervorgegangen aus dem Schooße
4
des Fanatismug, war bei feiner Entftehung die Irrlehre
eines Haufens Enthufiaften, welche von ber Vernunft gar
1), Geſchichte der größeren Werke und Flugſchriften, welde
» in den Streitigkeiten Aber die Trinität von 1712 bid 1720
von beiden Seiten erfhienen find.. 8. London 1720.
2) Die Suprematie des Waterd x. von Thom. Chub.
\
136 Arrianismus.
keinen Gebrauch machten; Heut zu Tage iſt er eine ſyſte⸗
matiſche Irrlehre, welche man auf das Anſehen der
Schrift, und die reinſten Eingebungen der Vernunft zu
bauen vorgiebt.
Soolchergeſtalt erzeugt dieſes Syſtem wirklich feine Far
natiker mehr; aber es verführt Viele unter jenen, die ſich
einbilden, Philofophen zu feyn; und der Arianismus
har in England fo große Fortfchritte gemacht, daß man
in neuern Zelten zur Beftreitung deffelben eine Stiftung
machte, ähnlich derjenigen, welche ehevem Boyle zur Bes
fämpfung des Atheismus errichtet hatte 1)
‚Die Meinungen ber Engländer find feit langer Zeit
auf das fee Land herüber gekommen. Die Grundfäge
eines kofe, Wiſthon, Clarke, über die Gottheit Fefu
Chriſti find nicht unbekannt; fie wurden von dem Vers
faſſer ver Briefe über die wefentliche Religion anges
nommen, und find fonach in Den Händen vieler £efer; vie
ganze Welt ließr „das vernünftige Chriſtenthum“.
Ich habe daher geglaubt, daß, nachdem ich den Urſprung
und Fortgang des neuen Arianismus erzaͤhlt habe, es
nicht unnuͤtz ſey, deſſen Grundſaͤtze zu widerlegen.
‚Die neuen Arianer find zweierlei Art: Die Einen
glauben, der Glaubensfag von der gleichen MWefenheit des
Wortes ſey eine flreitige Frage, worüber im Irrthume zu
ſeyn, das Seelenheil nicht gefaͤhrde, noch von der Kirche |
ausfchliegen dürfe; die Andern ‚behaupten. hingegen: die
Confubfiantialität. des Wortes fey eine gefährliche, ver Vers
nunft, Schrift und Tradition zuwiderlaufende Irrlehre.
Ein ſolcher war Wiſthon, der Clarken bittere Vor⸗
wuͤrfe macht, daß er erklaͤrt hatte: er glaube, der Sohn
| Gottes fey von aller Ewigfeit ber gezeugt.
Hören wir Ihre Srundfige, , und deren Widerlegung.
) Madame Myer Hat 8. Predigten gegen den Arianide
. mus gefliftet. Dan, fepe Bibliot. Angloise T. 7.
Arianſsmus. 157
24 1... + L
u , | L.: wit oo. PER
Orundfäge,- durch welche man deweiſen will, daß
die gleihe Weſenheit des Wortes kein Haupt⸗
u Dogma {ey | oh |
um bie Secten, melde, England theilten, zu. ger
nigen, und die chriftliche. Religion auf einfache, alen Vers J
einen, die ſich Chriſten nennen, gemeinfame, Punkte zuruͤck⸗
zuführen, unterſucht Dr, Bury, mag denn dag Evanger "
lium ſey, welches unſer Heiland und die woſtel verkuͤn⸗
diget haben? RT n
Um fich hierüber gu belehren, 7. bebarf es, ach: Bury
weder der Logik, noch der Metaphyſik, noch anderer Wiſe
ſenſchaften; es iſt nicht einmal noͤthig, ein thrologifheg
Syſtem zu leſen,weil unſer Heiland jenem, der. Ihn fragte:
was er thun: mäffe, um ſelig zu werden, nichts. antwoxy
‚tete, als: Was ftehet im Geſetze? was liefell: Du?
d. h. man muß nur das Evangelium leſen, wo die Geligs
feit-bald dem Glauben, Bald dee Buße; bald beiden zugleich
verfprochen ift; an biefe. mefenfliche Verbindung muß man
ſich halten.
Aber was iſt das Geſetz? was iſt deſen Gegenſtand?
Es hat deren zwei: die Perſonen, an welche wir aiauben,
und Die Lehre, die wir erhalten. 5
Bei dem Glauben, den wir. an-die: perſon J. C. har
ben muͤſſen, find zwei Stüde zu bekrachten: das vrfle, zu
wiffen, für mag für eine Perfon unfer Heiland von uns
will gehalten feyn; das zweite, wohl gu begreifen, mas
Er durch das an Ihn glauben, verfiehe?. Die. Benens
nungen, welche Jeſus Chriſtus annimmt, oder, die Apo⸗
ſtel Ihm beilegten, find: Menfchenfehn; der, Da-Eoms
men foll; der Meffiag oder Chriftug; der Sohn
Gottes u. a. Da dieſe Ausdruͤcke in diefer ſchwanken⸗
den. Bedeutung. auch. andern. ‚Derfonen, sufommen koͤnnen,
nennt ſich Jeſus Chriſtus nicht nir Gottes Sohn, ſon⸗
dern auch ſeinen einzigen Sohn; dieſe Benennuns iſt
—
158 Artantsmud,
die Salbung, melde Er, che Er auf die Welt. Fam, erhals
ten hat; und erhebt Ihn über ale Naturen, welche die
" Schrift Götter nennt. Mille dieſe Charaktere bezeichnen
eine fo unermeßliche Seöße, fagt Dr. Bury, dag nad
allen Anftrengungen, fie. zu ergründen, uns nichts übrig -
bleibt, als die Ueberzeugung: daß wir es nicht begreifen
koͤnnen. Weit entfernt, daß dieſe Unbegreiflichkeit uns das
Zutrauen, das Er von ung verlangt, benehme, ſo iſt fie
eben die Urfache unferes Glaubens an Ihn, wie wir, fo zu
Tagen, dem Lichte verfrauen, weil eben dieſes Licht, wel⸗
ches, wehn wir ſtarr in feine Quelle ſehen, unfer Auge blens.
det, die Gegenftände aber, auf welche es faͤllt, zeigt. Das
iſt Alles, was ung ndehig if, um an Jeſus zu glauben,
anderes brauchen wir nichts von ſeiner Perſon zu kennen,
um an Ihn zu glauben, und Ihm zu gehorchen, wie ein
Wanderer nicht noͤthig hat, die Ratur der Sonne zu ken⸗
nen, um die Vortheile von ihr zu ziehen, die er bedarf.
Wie die Sonne die Welt nicht erleuchtet, um an einem
Diamante zuruͤckzuſtrahlen, oder die Lobſpruͤche der Philo⸗
phen zu erhalten, eben fo erſcheint das Licht hvon Oben zu
feinem andern Ende, ald Die Gefundheit der Seele herab;
zubringen. Welche anders von Ihm denken, entehren Ihn
mehr, und. ldäugnen zuverläßiger feine Gottheit, als die
Keger, weil fie ein gewiſſes Verhaͤltniß. wifgen Gott und -
den Menfchen nothwendig voraugfegen.
Wir brauchen von- Fefus Chriftus nichts "anders
zu wiffen, als das, ohne welches es unmoͤglich iſt, an Ihn
zu glauben.
Dr. Bury will dieſes durch die Antwort beweiſen,
welche der Heiland den Juden gab, als ſie Ihm ſagten:
Warum haͤltſt Du ung fo lange in Ungewißheit?
wenn Du Chriftug bift, fo ſage ed ung offen.
Statt aller Antwort fagfe ihnen J. €, daß Gott
fein Vater fen; Er’unternimmf es nicht, ihnen feine Gerecht⸗
ſame auseinander zu ſetzen; Er ſagt ihnen nichts von dem,
was Er von aller Ewigkeit her in ſich ſelbſt war, ſondern
von dem, was Er im Verhaͤltniß zur Welt war; Er ven
| Arianiemus. 159
ſchwieg, was uͤber ihre‘ Faſſungskraft ging, und begnuͤgte
ſich, ihnen zu ſagen: was hinreichend war, eine ‚beitfame
“ Mebergeugung in ihnen hervorzubringen.
Man wird an biefer Behaupfung „— nach Dr. Bury,
nicht zweiflen, wenn man die Einfalt und Unwiſſenheit jes
ner bedenkt, welchen 3. €. anfangs das Evangelium vers
Tündete, und die Yeichtigkeit, mit welcher bie Apoftel jenen
die Taufe ertheilfen, die fie befehrten; die Geſchichte des
Kammerherrn der Königinn von Vethfopien r und die
dreitaufend durch eine einzige Predigt des hl. Petrus Ber
fehrten bemeifen: dag man, um Chrift zu feyn, ſehr wenig
zu wiffen brauchte, und daß folglich von der Mefensgleichs
heit des Wortes feine Rede war, welches eine zu fchiwere
Frage ift, und die Faſſungskraft derjenigen, welchen Chris
ſtus und feine Apoftd anfangs das Evangetium vertunda
ten, himmelweit uͤberſteigt.
Endlich ſah man, nach Dr. Bury zur Zeit des bl,
Juſtinus diejenigen noch für wahre Chriften an, welche
glaubten, Jefus Ehrifus fey Menſch, Bergen von
Menſchen 1).
‚ 2ofe madhte, wie Dr. Bury einen Auszug von Als
lem dem, was Chriſtus und feine Apoſtel in dem Evans
gelium und der Apoftelgefchichte jenen, die fie befehren wolls
ten, fagten, und glaubte: auf diefe Weife Alles zu. finden,
was die Apoftel von den Chriften verlangten.
In diefer Prüfung glaubte Lofe, die Lehre von der.
Erlöfung als Grundlage der chriftlihen Religion zu ents
decken, und ſchloß, daß, um die chriftliche Lehre Fennen zu
lernen, man unterfuchen muͤſſe, worinn die Erlöfung des
mann Geſchlechtes beftehe, d. 5. den. a : en
1) Das bloße Evangelium, mo gezeigt wird. 1) Welches dab
Evangelium war, fo der Heiland und ‘die Apoftel predigten.
2) Welche Zuſaͤtze und. Verfälſchungen die folgenden Jahr⸗
bhunderte damit vorgenommen haben. 3) Welchen Schaden
“amd Autzen dieſes gehabt Habe. 4. Rs p- ı02. Bibl.
' univ. T. ı9. p. 3gr. En N
160 | Arianismus.
die Suͤnde Adam's die Menſchen verſetzt, und wie Jeſus
CEhriſtus ben urſpruͤnglichen Stand des menſchlichen Ger
-fchlechteg wieder hergeſtellt habe. Er glaubte zu finden: daß
der Stand, aus welchem Adam gefallen war, ein Stand
des vollkommnen Gehorſams geweſen ſey, den das Neue
Teſtament mit dem Worte „Gerechtigkeéit“ bezeichnet.
Waͤhrend dieſes Standes der Unterwuͤrfigkeit bewohnte
Adam dag irrdiſche Paradies, wo der Baum des Lebens
ſich befand: ee wurde, daraus vertrieben als er Gott unge⸗
horſam geworden war, und verlor von dieſem Augenblicke
an das Vorrecht der Unſterblichkeit. Der Tod kam in die
- Melt, und auf dieſe Weiſe ſterben alle Menſchen in Adam;
feine ganze Nachfommenfchaft, geboren außer dem irdifchen
Paradieſe, mußte fterblich feyn. Jeſus Chriftug fam,
den Menfchen gin Gefeß zu verkünden, deſſen Beobachtung
fie zwar nicht gegen den Tod. (hüßte, aber ihnen das Gluͤck
verſchaffte, vom Tode’ wieder zuerfichen, und nach Diefer Urs
fände nicht mehr in Gefahr zu ſeyn das Vorrecht der, Uns
ee su verlieren.
Loke unterfucht weiter, welches” dieſes Geſetz ſey, deſſen
Beobachtung die Unfterblichkeit nach fich ziehe, und welches
das Weſentliche des Chriſtenthums ausmache; und glaubte,
zu ſehen, das J. €. und feine Apoſtel jene als Chriſten ans
fahen, welche glaubten: daß Jefus, der Sohn Mas
riens, Ver Meffiasfey. Cr führte fonad) das We⸗
fentliche des Chriſtenthums auf biefen einzigen Artikel zus
ruͤck. Dieſer hatte jedoch eine gänzliche Unterwerfung unter
die Lehren $. C., und eine ſtrenge Verbindlichkeit, alle ſeine
Gebote zu alten, im Gefolge; dieſe Gemüthss Stimmung
feßt nach Lo Fe ein großes Verlangen voraus, die Lehren
J. C. zu Fennen, und feine-@ebote zu befolgen. Allein es
A nad) ihm klar, daß man aus der Untermürfigfeit , wels
he die Wefenheit des Chriſtenthums ausmacht, ‚nicht her⸗
austrete, wenn 'man ſich in Anſehung deſſen, was Chri⸗
ſtus gelehrt oder befohlen hat, irrt; daß folglich derjenige,
welcher glaubt: Je ſus Chriſtus habe gelehrt, Er ſey
gleiches Weſens mit dem Vater, die Conſubſtantialitaͤt glau⸗
ben muß; jene aber, melde glauben: Er babe gelehrt, daß
Arianismus. 461
Er ein’ Geſchoͤpf ſey, die Conſubſtantialitat zu verwerfen
verpflichtet feyen.
Der Verfaffer einer Differtation, die fi) am Ende des
vernänftigen Chriſtenthums befindet, behauptet:
Durch dieſes Drittel ale chriſtlichen Gefelfchaften gu vereint, °
gen, weil alle annähmen, daß Jeſu s, der Sohn Mar
rien 9 der Weſſias ſey 1).
—X | IT. |
Unrigtigkeit der. angeführten Orundfäre.
Jeſus Chriſtus wird im Neuen Teflament vorges
ſtellt als dee Erloͤſer des menfchlichen Gefchlechteg, als ein
Mittler gwifchen Gott und den Menfchen, als ein Lehrer,
der fie erleuchten, ald Geſetzgeber, ver ihnen einen
neuen Gottesdienſt, und eine volfommmere Sittenlehre vor⸗
ſchreiben fol.
Es iſt offenbar, daß zur x Vollniehung aller dieſer Auf⸗
traͤge es nicht genuͤgte, daß Jeſus Chriſtus die Men⸗
ſchen lehrte, Er ſey der Sohn Gottes oder Meſſtas.
Nachdem Er ſich den Menſchen als Meſſias oder einzigen
Sohn Gottes geoffenbart hatte, lehrte Er ſie unbekannte
Wahrheiten, ſchriebd ‘ihnen eine Gottesverehrung vor, gab
4) Dr. Johann Eduard verfaßte gegen dad vernünfe
tige Chriſtenthum eine Schrift, unter dem Titel: Der
tn tlarvute Socinianismus, 8. Zondon 1690. Loke
antwortete Hierauf in feiner erften Verteidigung des vers
nünftigen Chriſtenthums gegen die Beiyuldigungen
Dr. Eduard’, London 1696, und in dem nämlichen
Jahre in feiner beiten Vertheidigung Sc. Diele Vertpeidis
gungen befinden fi in der zweiten Ausgabe des ver
‚nünftigen Chriſtenthums von 1715. Dielen ift beige⸗
fügt. ine Differtation Aber die Mittel, alle Chriſten zu vers
..: einigen, und eine Abhandlung über die Religion der Frauen.
— I. 11
162 Arianismus. |
ihnen Geſetze, und es mar nicht genug , um Chriſt zu ſeyn,
zu glauben :-daß Fefus, Marien’d Sohn, der Meffiag
fen; man mußte überdieg die Wahrheiten glauben, die Er
den Menfchen zu offenbaren, gefommen war, und melde
das Wefentliche feiner Lehre, und die Grundlage des Bots.
tesdienfties, welchen Er auf der Erbe zu fliffen gefommen
‚war, ausmachen. |
Der Hauptſatz Bury’s und Loke's ift fonach durchs
aus falſch. Wir wollen nun fehen, ob die gleihe Wer
fenheit des Wortes zu den Grundwahrheiten gehöre.
Um diefes zu bemweifen, wollen wir zeigen:
1) Daß die Kenntniß der Perſon Jefu Cheifti einen
wefentlichen Theil des Chriſtenthums ausmache;
2) dag I. ©: mirklich gelehrt habe, Tr ſey gieiches
Veſens mit dem Vater.
1) Die Erkenntniß der Perſon und Natur J. €
maßte einen wiefentliden Theil der Lehre aus,
weiche der Heiland den Menſchen mitgetheilt hat.
Aus dem Neuen Teſtament iſt es klar, daß J. €.
in die Welt gekommen iſt, die Menſchen, einen Gott in
drei Perſonen kennen zu lehren, und daß die von Ihm an⸗
geordnete Gottesve. hrung auf die Verhaͤltniſſe der drei
‚göttlichen Perfonen zu dem menfchlichen Gefchlechte gegrüns
det. if. Die Erkenntniß diefer drei göttlichen Perfonen
mar Daher weſentlich, und für den Menfchen nothwendig,
um Chrift zu feyn; mithin hat fih 3. €. nicht. bloß. unter
„dem ſchwankenden Namen eines Sohnes Gottes zu erken⸗
nen ‚gegeben; Er zeigte auch den Menſchey die Natur. oder
Weſenheit feiner Perfon, ob Er gleich ewig, und von gleis -
cher Wefenheit- mit feinem Vater, . oder ob er ein bloßes |
Geſchoͤpf ſey. Hier der Beweis. |
a) Die Gottesverehrung, welche J. C. zu ſtiften gekom⸗
men, iſt nicht bloß eine aͤußere, fondern. vorzuͤglich eine
innere. Eine. innere Verehrung kam nur durch Urtheile
Ey
Ariantsmus. | 163
des DBerfiandes und durch Gefühle des Herzens bei dem
Menſchen entfliehen; er ermeifet eine Verehrung durch den
Verfiand, wenn er die Größe, die Vortrefflichkeit und
Bolltommenheit eines Weſens erkennet.
Da die von J. C. angeordnete Gattesverehrung eine
Anberhung im Geifte und in der. Wahrheit if, fo wollte Er
nicht, daß Ihn die Menfchen fir ein Gefchöpf hielten,
wenn es wahr iſt, dag Er mit dem Vater von gleichem
Mefen fen, noch dag man Ihn als wahren Gott, und gleich
ewig mit dem Vater anerkenne, wenn Er ein in der Zeit
entſtandenes Gefchöpf iſt.
Die Menſchen konnten alſo Jefu Chrifto durch ihr
sen Verftand nur in fofern eine rechtmäßige Verehrung ers
meifen, ald Er ihnen zu erfennen gab, ob Er gleiches Wes
ſens mit dem Vater, oder ein bloßes Gefchöpf ſey. Je⸗
fus Chriſtus fonnte fi) demnach den Menſchen nicht
unter der . einfachen Cigenfchaft eines Sohnes Gottes,
. oder Meſſias barfiellen, ohne fie: der Gefahr auss
zuſetzen, über feine Perfon in einen Grundirrthum zu vers
fallen; indem fie Ihn entweder für ein Gefchöpf hielten,
da Er doch Gott war, oder Indem fie Ihn als Gott vers
ehrten, ohngeachtet Er ein bloßes Geſchoͤpf war.
Von dem Gefühle gilt Das Nämliche, was wir von
dem Derftande gefage haben. Der Menfch erweift eine
Verehrung durch die Gefühle feines Herzens, wenn er
Ehrfurcht, Liebe und Dankbarkeit empfinder ; diefe Gefühle
in Betreff Jeſu Chriſti müffen weſentlich verfchieden ſeyn,
je nachdem Er von gleicher Wefenbeit mit dem Vater, oder
nur ein Geſchoͤpf iſt.
Es waͤre eine Ruchloſigkeit, Jeſum Chriſtum den
Sohn Gottes und wahren Gott nur als ein Geſchoͤpf zu
ehren; und es waͤre Goͤtzendienſt, Ihn als wahren Gott,
gleich ewig und von gleicher Weſenheit mit dem Vater zu z
verehrten, wenn Er nichts, als ein Gefchöpf iſt. Es war
fohin unmöglich, dag Jeſus Chriftug, der gekommen
iR, die Menfchen die Anbetbung Gottes im Geifte und in
der Wadhrheit zu lehren, ſich denſelben unter einer unbe⸗
118
\
—
164 | Arianismne.
flimmten Benennung zu erkennen gegeben Habe, welche dies
felben zur Abgoͤtterei oder Gottloſigkeit verleitet haͤtte,
ohne daß derſelbe etwas gethan haͤtte, um ſie gegen dieſes
Verbrechen zu ſichern, während Er dennoch eine, Verehrung
forderte.
b) Jeſus Chriftus iſt sckommen, die Menſchen
Gott den Vater, nicht allein unter der einfachen Eigen
fchaft eines Schöpfers und Erhalters der Melt Fennen zu
Ichren; Er iſt auch) gekommen, ihnen feine Etbarmung gegen
‚die Menfchen zu verkünden, und fie zu belehren: daß Gott,
der Water, feinen Sohn auf die Welt gefchicht habe, fie von
dem Tode und der Sünde zu erlöfen; es war das MWefents
liche der 'chriftlichen Religion, daß fie Die ganze Fülle der
. göttlichen Güte und Barmherzigkeit offenbarte: es war for
bin nothwendig,. zu erfennen zu geben, ob diefer Sohn,
zur Erlöfung des menfchlichen Gefchlechted von Gott auf die
Erde gefandt, nur ein Gefchöpf, vollkommner zwar, als die
andern, oder eine göftliche Perfon, von gleichem Weſen
mit dem Water, fey.
. Hätte Jeſus Chriſtus nur die Stelle eined Geſand⸗
ten an die Menfchen vertreten, der bloß gekommen wäre,
den Menfchen einige Geremonien, mit welchen Gott wollte
verehrt werden, zu offenbaren, fo häfte es genügt, die
Wahrheit feiner Sendung zu beweifen: aber Fefus Chris
ſtus ift der Mittler ver Menfhen, Er ift ihr Priefter,
ihr Sort; fie find Ihm eine Verehrung fchuldig, die fie Ihm
nicht ermeifen können, ohne feine Perfon zu kennen, ohne
zu mwiffen, ob Er wahrer Gott, von gleichem Wefen -mit
dem Vater, oder ein Geſchoͤpf iſt. Denn die Verehrung,
welche. die Chriften Jeſu fchuldig find, iſt wefentlich vers
fchfeven,, je nachdem derfelbe wahrer Gott, oder ein Ges
ſchoͤpf iſt.
Die Conſubſtantialitaͤt des Wortes iſt demnach ein Haupt⸗
artikel, uͤber welchen Jeſus Chriſtus ſeine Schuͤler
nothwendig belehren mußte. Denn in einer Religion muß
man einen Artikel als einen haupffächlichen Punkt verfelben
‚ betrachten „. über welchen man nicht in Irrthum feyn fann, -
Arianismus. | 165
ohne das Wefen der ‚Religion zu ändern ‚ und ohne deffen
‚Erfenntniß man Die Gottesverehrung, .. bie . ——
nicht — kann.
7
2) Jeſus Ehritus hat den Menſchen zu erkennen ges
geben, daß Er von gleidem Wefen mit feinem Vater
fey, und man Hat nur jene als Epriften anerkannt,
welde diefe Wahrheit befannten,
J. C. hat fi halle Eigenfchaften und Vollkommenheiten
des hoͤchſten Weſens beigelegt; dieſes geſtehen SOLEDOR und
Clarke ein.
Diefe Wahrheit iſt im Neuen Teſtamente in ſo vielen
Stellen, und auf ſo vielerlei Weiſe ausgedruͤckt, daß bei⸗
nahe kein Punkt der Lehre oͤfter und umfaſſender angege⸗
ben iſt, als dieſer; man kann aber von der Wichtigkeit ei⸗
ner Lehre, und der Nothwendigkeit, ſie zu glauben durch
nichts beſſer urtheilen, als durch die häufige Erwähnung,
welche davon gefchieht, durch das Gewicht, fo man auf das,
was man davon ſagt, ‘legt, und durch die Veiſchiedenhen
der Wendungen, um es zu ſagen.
Der hl. Johannes ſtellt gewiſſermaßen die Gottheit
Jeſa Chriſti zur Grundlage der Religion und des Evan⸗
geliums auf. Im Anfange, ſagt er, war das Worf,
und das Wort war, Gott.
Dieſer Apoftel, welcher die Irrlehren des Cerinthug
und Ebion, welche Jeſus Chriftug als einen Menfchen ‘
‚anfahen, entftehen ſah, feßte ihnen fein Evangelium entge⸗
‚gen, und. fing es mit den beſtimmteſten und förmlichften Er⸗
Härungen .der Ewigkeit, Allmacht, und bes. nothwendigen
Daſeyns Jeſu Chriſti an: er weigerte ſich mit Cerin⸗
thus, der die Gottheit Jeſu nicht annahm, in Gemein⸗
ſchaft zu treten, und die Apoſtel, oder ihre unmittelbaren
Nachfolger ſchloßen Alle, welche diefe große Wahrheiten |
nicht anerfannten, von der dhriftlichen Kirche aus.
Die Gottheit oder bie Confubftantialität des Wortes
| war Ve bei dem ——— des Chriſtenthums eine
166 | Arianiemus.
. Lehre, an die man nothwendig glanben mußfe, um wahrs
haft Chriſt zu ſeyn, und es reichte nicht hin, zu glauben:
daß Jeſus, Sohn der Marta, der Meſſias fen; dem
Cerinthus und Ebion nahmen diefen Artikel an.
Allein die Perfonen, fagt man, welchen bie Apoflel das
Evangelium verfündigten, waren unwiſſende und rohe Men⸗
ſchen, und konnten das Geheimniß der Menſchwerdung nicht
begreifen.
Dieſe Einwendung nimmt ihre ganze Staͤrke von der
unwiſſenheit her, welche man den Juden uͤber die Perſon
des Meſſias beimißt; es iſt aber falſch, bap bie Juden
fi in diefer Unwiſſenheit befanden.
Die Juden erwarteten den Meffiag, dag ganze Volk
war hierbei vetheiligt; die Juden kannten feine Merkmahle,
ſeine Eigenſchaften und Vollkommenheiten; ſie nahmen die
Weiſſagungen, welche Ihn ankuͤndigten, in dem Sinne, wel⸗
chen Jeſus und die Apoſtel ihnen beilegten; nur in der
Anwendung, die Chriſtus, und die Apoſtel Hiervon auf
Sefus,den Sohn Marien's machten, waren fie nicht
einig; fohin mußte man, um dieſes Wolf zu befehren, nur
beweifen: dag in der That alle Züge, unter welchen bie
Propheten den Meſſias ankuͤndigten, ſich in Jefus Chris
ſtus vereinigten, und biefes Eonnte leicht in einer Predigt
gefchehen.
Der Meſſias war der vichtige Inhalt aller Prophe⸗
zeiungen, und mittels der aufeinander folgenden Weiſſagun⸗
gen ſtieg das Licht im Befreffe des Meffias im Verhaͤlt⸗
niffe mit der Zeit, wo feine Erfcheinung nahete, im zuneh⸗
mendem MWachsthume. Alſo mussen lange vor der Geburt
J. €. die eigenthuͤmlichen Merkmahle, welche ben Meſſias
augzeichneten, feftgeftelt, und den Juden: zur ‘Zeit, ald
Jeſus feine Lehre verkündigte, bekannt feyn. Denn es ifl
‚gewiß, Daß damals die Erwartung des Meffias lebhafter
und allgemeiner mar, als jemals. Auch ſehen wir, daß J.
C. und die Apoftel, wenn © von dem Meffiag reden,
"die Orakel des Alten Teftamentes als befannte, und von
den Juden verfiandene Ausfprüche anführen, und daß Yiefe
Arianismus. | 167
ſolche in. dem nämlichen Sinne nehmen , wie Jens und
die Apoſtel ſie ihnen vortrugen.
Es iſt gewiß, daß die Juden das Wort, oder den Lo⸗
908-für eine goͤttliche Perſon anfahen: der Anfang des Evans
geliums des bi Johannes ift ein Beweis hievon (SS or
cin bat dieſes nicht beftritten; er behaupfete nur, daß biefe
Derfon ein bloßer Menfch ift). Iſt es nun wahrſcheinlich,
dag der Evangelifi, der ein Jude war, und hauptfächlich
für Juden ſchrieb, dieſen Ausdruck in einem ganz verfchier
denen Sinne genommen habe, als den er bei feiner Nation
vorfand ? oder , wenn dieſes feine Abficht war, warum ſagt
er zur Berftändigung fein Wort hiervon, und warum ſpricht
er im Gegentheile im Eingange des Evangeliums, wie ein
Mann, der weiß, daß man ihn verfiehet, und daß er von
Dingen redet, die Allen, für welche er fchreibt, bekannt
find ?
-Uebrigeng fegen es bie jädifehen Schriftſteller, wie
Philo, und die chaldaͤiſchen Ausleger, außer Zweifel: daß
die alten Juden das Wort für eine göttliche Perſon hiels
ten; eben fo ift es: gewiß, daß die jüdffche Kirche glaubte,
daß dad Wort der Meſſias fey1).
. Alle diefe Gegenſtaͤnde waren jeboch für bie. duden
nicht ſo klar, daß hierin nicht einige Dunkelheit und Muͤhe,
fie zu verſtehen, obwaltete; deßhalb ſtellten fie auch hier⸗
uͤber Fragen an Jeſus Chriſtus. Die neuern Juden
find von allen Grundſaͤtzen der alten juͤdiſchen Kirche ab⸗
gewichen; und deßhalb iſt es nicht zu wundern, daß fie‘
den Meffias für einen bloßen Menſchen halten; allein
man muß ben Glauben der alten jüdifchen Kirche nicht nach
-, jenem ber Juden fer der Zerſtoͤrung Jeruſalems be⸗
meſſen 1).
8 —W
9» Aus ſpruch der alten zadiſden aie⸗ gegen die Unitarier
über die Dreieinigkeit “und die Gottpeit anfeeh Detandet
(engliſch) London 1699, en
2) Ebendaſſelbſt |
1#
—
168: lrrianismus.
Endlich ſetzt man den Orthodoxen eine Stelle aud dam
hl. Juſtinus entgegen, welche vermuthen laͤßt, daß die
erſte Kirche die Conſubſtantialitaͤt J. C. nicht als eine
Grundlehre angeſehen habe.
Da ſeit Episcopfug alle feine: Anhaͤnger dieſe Stelle
wiederholen, ſo wird es nicht unnuͤtze ſeyn, ſie zu unterſu⸗
den. Diefe Stelle iſt aus dem Geſpraͤche mit Tryphon.
genommen: „Aber, o Tryphon! (fagt ver hl. Juſti⸗
„nus) darand folge nicht, daß Jeſus ber Chriſtus,
„„oder der Meſſias Gottes nicht ſey, wenn ich ſogar nicht
„beweiſen koͤnnte, ‚daß. dieſer Sohn des Erſchaffers der
„Welt zuvor ſchon vorhanden geweſen, daß Er Gott, und
.„von der Jungfrau als Menſch geboren iſt, wenn es nur
„erwieſen iſt, daß Er der Chri ſtus Gottes war, ob Er
„gleich anders woher ſeyn ſollte; wenn ich nicht beweiſe,
‚„baß,&r zuvor vorhanden gewefen, und als Venſch gehos
een ift, unterworfen ben nämlichen Schwachheiten mie
„wir, indem Er Fleiſch war, nach dem Rathſchluſſe und
„Willen des Vaters, fo iſt Alles, was man efwa wird
‚tagen koͤnnen, dieſes: daß ich hierin geirrt habe, und
„man wird mit Grund nicht läugnen koͤnnen, dag Er der
Chriſtus fey, wenn Er gleich als ein Menfch, geboren
von Menfchen, erfcheint, - und‘ wenn man auch behauptet,
*
„daß Er durch Erwaͤhlung der Chriſtus geworden ifl.
„Denn, meine lieben Freunde! es giebf einige von unferem
„Geſchlechte ‚ welche zwar bekennen: bag Er Chriſtus iſt,
aund dennoch behaupten, daß Er Menſch ſey, welches ganz
mund gar meine Meinung nicht iſt; auch giebt es ihrer
nicht viele, fo das fagen; denn fie find der nämlichen
„Meinung wie ich; Jeſus Chriftus hat ung nicht vers
„urtheilt, die Ueberlieferungen und Lehren der Menfchen
„zu glauben, fondern das, was die hl. Propheten verfüns
n Digef haben. “u h
Diefe- Stelle des hl. Juſtinus, flatt bie Meinung
des Epiſcopius gu beguͤnſtigen, verwirft dieſelbe. Der
hl. Juſtinus gebraucht hier gegen Tryphon ein ſoge⸗
nanntes argumentum ad hominem. Es iſt klar, daß er
ſagen will: wenn Try phon nicht annehmen wolle, baß
ur
. Arianismus. 169
Jeſus Chriſtus Gott ſey, noch bie Buͤndigkeit feiner
angefuͤhrten Beweiſe anerkennen wuͤrde, die Sache der
Chriſten darum noch nicht verſpielt ſey, weil es eine Menge
anderer Beweiſe, und viele Kennzeichen gebe, welche dar⸗
thun, daß Jeſus von Nazareth der von den Propheten
verfündete Meffias fen, welches er durch die Meinung
der Ebioniten und anderer Irrlehrer beftärige, welche,
ob fie gleich in J. C. nur einen Menfchen erkennen wollen,
dennoch feine Lehre ald jene des wahren Meſſias ats
nehmen. .-
Es iſt offenbar, daß dieſes der Sinn des hl. Juſti⸗
nud ift, und nicht, daß die Gottheit J. €. nicht ertvies
fen ſey, weil er ausdruͤcklich verfichert: daß Die Propheten
“und Jeſus Chriſtus felbft die Gottheit des Meſſigs
gelehrt haben.
Man will einen großen Vortheil daraus ziehen, daß
der hl. Juſtinus, wenn er von denen, welche J. C. fuͤr
einen Menſchen halten, foricht,, fie „Einige von den
Unferigen’ nennt. Allein diefe Art zu reden, will nicht
“ fagen, daß der Hl. Jufkin glaubte, man könne Chrift ſeyn,
“ohne zu glauben, daß J. €. Gott iff, denn der bi. Juſtin
konnte von denen, welche, Iäugnend die Gottheit J. €. fich
zum Chriftenthume bekannten, fagen: fte find von den
- Unferigen; im Gegenfaße gegen die Juden, obne fie des⸗
halb als wahre Ehriften anerfennen zu wollen. Eben fo fagt
der nämliche Hl. Juſtin in feiner zweiten Apologfe, wo von
den Schuͤlern Simon’s, Menander’s uud Marcion’g
die Rede ift, daß man fie alle Chriften nenne, wie man dem ,
Namen Philoſoph verfchiebenen Perfonen beilegt, ohngeach⸗
tet ſie entgegengeſetzte Meinungen behaupten 1).
1) Judicium ecolesiae catholicae trium priorum Sacculo-
rum de necessitate crodendi, quod dominus noster J.
C. sit. vergs deus, asertum contra Simonen .Episop-
‚ pium. Auct. Bullo. Sammlung der Werke Zull’sm.
Grabe. Go. 1703. 1
Ra
ne
21
S
170 | | Llrianismus.
"Einwendungen der neuen Arianer gegen die Lehre
der Eonfubfantialität ded Wortes. .
Die neuen Arianer nehmen an, daß es nur eine ein⸗
zige haͤchſte Urſache aller Dinge gebe, welche ein vernuͤnfti⸗
ges, unkoͤrperliches Weſen, ohne Zufammenfegung und
| Theilung iſt. Sie geben weiter zu, daß die hl. ‚Schrift ung
berichtet: daß es drei göttliche Perfonen, den Vater, Sohn, .
"und bl. Geift gebe, und dag fie drei verfchiedene Perfonen
find; behaupten aber, daß von diefen drei Perfonen der Bas
ter allein das nothwendige Wefen, oder die höchfte Urfache
ſey, die Alles hervorgebracht hat, und daß die andern Ders
ſonen Geſchoͤpfe find.
Wir werden im Artikel: Macedonius, die Einwen⸗
dungen in. Betreff der Perſon des hl. Geiſtes unterſuchen;
- jest follen jene, welche die Gottheit des Sohnes beftreiten,
der Prüfung unterworfen werden.
1) Die neuen Arian er behaupten : daß der Son, der
‚vom Vater ausgehet, nicht unabhängig und folglich nicht
das höchite Wefen oder Bott fey, weil der Begriff der Gotts
heit das nothwendige und unabhängige Dafepn, ein Seyn
durch fich felbft, in fich ſchließt.
2) Ste geben zu, daß der Sohn: in der Schrift, Soft,
- genennf: wird; allein fie behaupfen: daß ſolches nicht ſowohl
auf fein uͤbernatuͤrliches Dafeyn, fondern wegen der Vers
haͤltniſſe gefchehe, in denen Er zu den Menſchen ſtebet, uͤber
welche Er die Rechte der Gottheit be,
3) Alle Handlungen des Sohnes, fowohl beider Er⸗
- Schaffung der Welt, als in feinem übrigen Betragen find
Wirkungen der, Ihm vom Vater mitgefheilten Macht, umd
der Sohn hat immer die Dbergewalt des Vaters anerkannt,
welches feine Abhaͤngigkeit und folglich ‚ dag er nicht Sort
iR ’ beweif’r.
4) Jeſus Chri ſtus hatte vor feiner Menſchwerdung
keine beſondere Verehrung; alle Anbetung leiſtete man dem
Vater; erſt nach ſeiner Urſtaͤnde wurde Ihm eine Verehrung
bewieſen, und ſelbſt dieſe gruͤndete ſich nur auf ſeine Ver⸗
„hbaͤltniſſe zu den Menſchen, auf die Eigenſchaften eines Mitt⸗
Arianismus. 171
lers, Erlkoͤſers, Fuͤrſprechers; nicht aber auf die Eigenſchaft
eines hoͤchſten, durch ſich ſelbſt vorhandenen Weſens. |
5) Wenn der Sohn, oder die zweite Perfon, welcher
die Schrift ven Ehrentitel Gott beilegt, von gleichem Wer
fen mit dem Vater wäre, fo wären beide Perfonen in eis
ner einfachen Subſtanz vereinigt; dann aber müßten fich
dieſe Perfonen nothwendig miteinander vermifchen, und waͤ⸗
ren bloße dußere Benennungen des göttlichen. Weſens ‚ wie
Sabellius behauptete.‘
6) Die neuen Arianer fragen? tbag für Väter der
Drei. erften Jahrhunderte von der Conſubſtantialitaͤt des Wor⸗
tes redeten, und worauf ſich die Vaͤter von Nicäͤa geſtuͤtzt
haͤtten, um das Wort Conſubſtantial zu heiligen, wel⸗
ches doch von den Vaͤtern des Conciliums von Antiochien
verworfen worden waͤre.
7 Sie fragen: wie die Gleichheit des Vaters und Soh⸗
nes, welche zur Zeit des Origenes ein, aus Unbedacht⸗
ſamkeit einiger weniger Menſchen entſprungener Irrthum
war, und die Zeugung des Sohnes, welche im Jahrhunderte
des Conciliums von Nicda unbefannt war, Haupislaubens⸗ |
Artikel geworden ſeyen?
8). Sie behaupten: daß alle Väter, die vor dem Con⸗
ciltum von Nicaͤa lebten, bie Unterordnung deg Sohnes
unter den Vater lehrten.
Wi ſt hon ſtuͤtzt ſich vorzuͤglich auf die apoſtoliſchen
Conſtitutionen, und die Briefe des bl. Ignatius. Er bes
hauptete: Daß die apofolifchen Conftitutionen dem bl. Cle⸗⸗
meng von den Apoftem, und diefen von Jeſus Chris
ſtus ſelbſt während der 40 Tage nad) feiner Auferfiehung
in Die Feder gefagt worden fenen ; ohne dieſes, meint Wiſt⸗
bon, bäfte 3. ©. feine Kirche ohne Grundgefege gelaffen.
Wegen der Briefe des hi. Ignatius behauptet er: daß
die langen Briefe und nicht die kurzen, welche geftümmelt
worden feyen, das Werk dieſes Vaters wären. -
. Bir wollen nun dieſe Einwendungen theilweiſe prüfen
und. ID mieberlegen. “
no \ w ’.
47
Arianismus.
Wiſth on's und Caark's Meinungift ſariftwideig.
WMan behauptet: daß der Sohn, indem Er vom Vater
gezengt ift, fein unabhängiges Dafeyn habe, und daß Er
folglich der hoͤchſte Gott nicht ſey. |
Dieſe Einwendung iſt nur ſcheinbar.
Nichts iſt ohne eine Urſache, von welcher es das Da⸗
ſeyn hat, vorhanden: dieſe Urſache iſt entweder in dem Dinge
ſelbſt, oder außer demſelben; wenn die Urſache in dem Dinge
ſelbſt iſt, ſo iſt diefes Ding durch ſich ſelbſt da; es hat ein
"unabhängiges Daſeyn; wenn die Urſache, welche einem.
Dinge das Daſeyn gibt, gußer demſelben iſt, ſo iſt ſein
Daſeyn abhaͤngig; es iſt hervorgebracht. Wenn das hervor⸗
gebrathte Ding ein von der Weſenheit der hervorbringen⸗
"Yen Urſache unterſchiedenes Weſen iſt, ſo iſt erſteres ein
Geſchoͤpf; wenn aber das hervorgebrachte Ding kein von
der hervorbringenden Urſache verſchiedenes Weſen iſt, wenn
es ein nothwendig und weſentlich Hervorgebrachtes iſt, ſo
iſt es kein Geſchoͤpf, es iſt mit feiner Grundurſache gleich
ewig und von demſelben Weſen, und ſein, wenn gleich ab⸗
"hängiges Daſeyn iſt keine Unvollkommenheit, und ſetzt es
nicht in die Reihe der Geſchoͤpfe. Die Orthodoxen alſo,
welche die Gottheit Jeſu Chriſti vertheidigen, wenn ſie
auch anerkennen, daß. Er vom Vater gezeugt ſey, behaupten:
dag Er nothwendig und von Ewigkeit vom Vater gezeugt
‚fey,. eine Zeugung, "die weder ein jüngeres Dafeyn, noch -
‚eine Abhängigkeit, welche eine Unvollkommenheit mit fich
‚führt, in ſich fchließt, eine Zeugung, die. folglich nicht vers
hindert, daß ber Name des höchften Gortes dem Sobne zu⸗
komme.
Es iſt alſo zur Fuͤhrung des Beweiſes X daß der Sohn
ein Geſchoͤpf fey, nicht: Hinreichend, darzuthun: daß fein
Daſeyn abhängig fey, man müßte zeigen, daß diefe Abhängs
:fgBeit.'eine Unvollkommenheit nach fich zoͤge; daß der Sohn
ein von dem Vater verſchiedenes Weſen, und nicht eine
n der goͤttlichen Weſerheit vorhandene Perſon wäre; dag
Er nicht ein weſentliches Erzeugniß des Vaters und folglich
nicht eine, wie Er, ewige Perſon ſey, und deſſen Daſeyn
Li
%
| Arianismud: | 173
feine Duelle in der nämlichen unbebingten Nothwendigkeit,
wovon der Vater dag Geinige haf, habe.
Um aus der ‚Abhängigkeit 3. €. zu beweiſen, daß Er ein
Geſchoͤpf fey, müßte man darthun: dag Er in der. nänzlichen
Weſenheit, in melder der Vater das Dafeyn hat, nicht
nothivendig von dem Vater erzeugt feyn Einnte, und nicht
die nämlichen Vollkommenheiten, welche aus der Natur deg
nothiwendigen Wefens fließen, befiße. Denn, wenn der
Sohn nothwerdig „und weſentlich aus dem Water in der
‚göttlichen Subſtanz gezeugt iſt, wenn Er. alle Vollkommen⸗
heiten des böchften und nothiwendigen Weſens hat, fo fann
man Ihm das nothivendige. Dafeyn , welches die Natur des
göttlichen Weſens ausmacht, nicht abfprechen, ohngeachtet Er
Yon dem Water erzeugt fit.
Clarke, in feiner Abhandlung von dem Daſeyn Got⸗
tes beweiſ't: daß eg ein nothwendiges, durch ſich ſelbſt, oder
durch die Nothwendigkeit ſeiner Natur vorhandenes Weſen
gebe, weil es unmoͤglich iſt, daB Alles, ˖was iſt, aͤus dem
Nichts gekommen ſey. Alſo iſt nach den Grundfägen diefes
Theologen die unbebingte Nothmendigkeit, zu feyn, dem
abhängigen Dafeyn nur infofern entgegengeſetzt, als dag
Weſen, welches abhängig iſt, aus.dem Nichts hervorgezos
- gen wäre; Diefes fann man von J. C. nicht fagen; denn
Er ift nothwendig und mefentlih ton dem Vater gegeugt
und folglidy ewig, wie Er, und nicht aus dem Nichte hers
vorgegangen. Sagt und die Schrift nicht, daß Nichts von
dem, mas gemacht iſt, ohne ihn gemacht fey? Er ift alfo
nicht gemacht, fein’ Geſchoͤpf. Man kann nach Allem diefen
“nicht fagen, dag ver Sohn ber höchfte Sort nicht 1 rs weil
Er ein abhängiges Dafeyn hat.
.2) Es iſt falfch, daß die Benennung G oft, wenn fie
die Schrift Jeſu Chriſto beilegt, nur eine zu den Func⸗
tionen, die Er gegen die Menfchen haf, verhältnißmäßige
Bedeutung habe. Wird nicht der Sohn in hundert Stellen
der Schrift auf Das Unbedingtefte, Gott genannt? Legt fie
Ihm nicht alle Vollkommenheiten bes hoͤchſten Weſens bei?
Clarke und feine Anhänger find gezwungen, dieſes
! k
174. Alrianismus.
einzugeſtehen. Man muß ſohin annehmen, daß der Sohn
entweder von gleicher Weſenheit mit dem Vater, oder ein
unendliches und hoͤchſt vollkommnes Geſchoͤpf iſt.
3) Da der Sohn alle Vollkommenheiten des hoͤchſten
Weſens hat, fo kann man wicht ſagen: daß Er durch eine
geborgte Macht wirke, welches Ihn als ein Gerade. dar⸗
ſtellt.
4) Die ganze Harmonie der Religion gruͤndet ſich auf
die Verhaͤltniſſe der drei Perſonen der Gottheit zu den
Menſchen. Es iſt demnach nicht zu wundern, daß die
- Schrift uns Jeſum Chriſtum vorzuͤglich unter dieſen
Verhaͤltniſſen vor Augen ſtellt, und daß die Verehrung,
welche fie Ihm erweiſet, auf dieſen Verhaͤltniſſen beruhet.
Uebrigens iſt es gewiß, daß die Chriſten J. C. eine gleiche
Verehrung ſchuldig ſind, wie man ſie dem Vater erweiſet.
Dieß wäre aber wahrer Goͤtzendienſt, wenn es wahr wäre,
dag 3. C. nicht die hoͤchſte, fondern eine untergeordnete
Gottheit fen.
5. Well Dr. Clarke dag gemeine Soffem nur darum
beftreitet, weil er ſolches der Schrift und Vernunft entges
gen findet, fo fordert der gefunde Voerſtand, zu unterfuchen:
ob Vernunft nnd Schrift bei dem Syſteme diefeg gelehrten
Theologen ihre Rechnung beffer finden. Das Geringfte,
dag man erwarten, und von einem Manne_fordern fann,
der eine Meinung, und zwar wegen ver, berfelben anfles.
benden Schwierigkeiten vermirft, ift, daß die von ihm aufs
geſtellte Behaupfung nicht noch taufendmal ‚größern Schwie⸗
rigkeiten unterliege. — Und doch iſt dieſes das Gebrechen des
Syſtems des Dr. Clarke. Er giebt zu, tag Jeſus
Ehrifiug die unendlichen Eigenfchaften Gottes, die Ewig⸗
keit, Allmacht, Alwiffenheit, mit Einem Worte, ale Voll⸗
fommenheiten, mit Ausnahme der Suprematie befige.
Wie Eönnen aber, diefe unendlichen Eigenfchaften einem Ges
ſchoͤpfe, welches nothwendig endlich ift, mitgerheilt werden?
Man begreift nicht, daß J. C. etwas Anderes ſeyn
Sinne, als ein Gefchäpf, aus Nichts entfianden und endlich,
wie die andern, wenn Er nicht von gleichen Weſen mit |
0 Arianismus. 175
dem Vater if. Man begreift noch weniger, daß man dem
Sohne die nämliche - Chrerbiethung, mie dem Vater, fchuls
dig feyn fol, wenn Vater und Sohn nicht auf gleiche Weife
der nämlichen göttlichen Natur theilhaftig find; und doch
befiehlt ung die Schrift: Jeſu Chriſto die nämliche Vers.
ehrung wie dem Water zu erweifen 1).
Wie wird Clarke beweifen, daß bei feiner Behaup⸗
tung die Schrift keine abgoͤttiſche Verehrung vorſchreibt? —
Clarke behauptet: daß es nur einen einzigen Gegenſtand
goͤttlicher Verehrung gebe; er behauptet, daß man den
Sohn anbeten muͤſſe, der nur ein Geſchoͤpf iſt; er behaup⸗
tet, daß es nur einen. wahren Gott gebe, ber durch fich
feld ift, und gibt doch den Titel eines wahren Gottes
- dem Sohne,. der nur ein Geſchoͤpf if? — Dieſe Schwies
rigfeiten find aug den eigenen Ausdruͤcken Clark's genoms
men; enthält wohl dag Dogma der Sonfubfkantiairät aͤhn⸗
liche Schwierigkeiten?
. 2
Die gepre der Conſubſtantialität führt niot zum
Sabellianismus.
Die Perſonen der Dreieinigkeit waren, nach Sabels
lius verfchiedene Benennungen, die man der Gottheit beis
legte nach den: verfchiedenen Werhältniffen,- unter welchen
man fie befrachtete. So bieß Soft der. Vater, wenn man
fit) Ihn als das Weſen vorftellte, welches in feinen ewigen
Rathe Entfchläffe fahr, und die Menfchen zur Eeligfeit zu
berufen befchlieht. Wenn der naͤmliche Soft fich. auf die Erde
in den Schooß einer Jungfrau berniederließ, wenn Er am
Kreuze litt und farb, hieß Er der Sohn; endlich) wenn
man Gott betrachtete, wie Er feine Gnade und. Macht in -
a
4) Johannes 1, 19, 37. Markus a, 3, gulad 2, %
Hebr. 1,10. Matt h. 27, 9, 30 Pſalm. 102, 25
Badar. 11, 12. Iſai. 40, 3. Hofe. 1,7 A
+
176 Arianismus.
der Seele des Sunders zu ſeiner Belehrung enw ae,
nannfe man Ihn den hl. Geift 1)
Wenn ſonach die Lehre von der Conſubſtantialitaͤt zum
Sabellianismus fuͤhren ſoll, ſo muͤßte es unmoͤglich
ſeyn, daß in der goͤttlichen Subſtanz zwei verſchiedene Per⸗
ſonen, wovon der eine Der Vater, der andere ver Sohn.
wäre, eriftirten. Denn, wenn es möglich ift, daß in der
göttlichen Subſtanz zwei unterſchiedene Perſonen vorhanden
ſind, ſo iſt es offenbar, daß man nicht Sabellianer iſt,
wenn man annimmt, daß der Sohn dem Vater Conſubſtan⸗
tial iſt. Jetzt frage ich die neuen Arianer: ob ſie es fuͤr
unmoͤglich halten, daß mehrere Dinge, die weder Subſtan⸗
zen, noch Theile einer Subſtanz ſind, in einer einfachen
Subſtanz exiſtiren? Das iſt ein offenbarer Widerſpruch, ſich
mehrere Subſtanzen in einer einzigen, einfachen, und ums
theilbaren Subſtanz zu denken; aber eg ift fein Widerfpruch,
“in einer einfachen Subflang mehrere Dinge anzunehmen,
welche weder felbft Subflanzen noch wefentliche Theile der
göttlichen Subſtanz find. Wir miffen nicht, es iſt w der
wie diefe Perfonen in einer. einfachen Subftanz vorha
find; allein wiſſen wir, wie das Anſchauungs⸗Denk⸗ und
Willens⸗Vermoͤgen, welche eben fo viele ganz verjchiedene
Vermoͤgen ſind, dennoch in unferer Seele, welche zweifels⸗
ohne eine einfache Subflang if, vorhanden ſind?
Die Vollkommenheiten des hoͤchſten Weſens werden in
der Schrift Jeſu Chriffo fo deutlich beigelegt, dag nur
ein Widerfpruch_oder offenbare Ungereimtheit, an der Gofts
beit J. €. zu zweifeln, berechtigte; nun aber ift man weit
ertfernt, dieſen Widerfprudy oder Ungereimtheit in dem
&laubensfage von der Gottheit Jeſu wahrzmehmen. Nur
dann iff etwas Ungereimtes oder Widerjprechendes an einer
Behaupfung, wenn man Ja und Nein vereiniget, wenn _
man die nämliche Sache bejahet und verneinef; nun kann
Niemand zeigen, dag man in. der Lehre von der Gottheit
3. € das Nämliche bejahet und verneinet, dag man das
ı " ‚
4) Siehe den Artikel Sabellius.
j Arianismus. . 177...
Ya und Nein vereiniget. Die Meiften von denen, melde
mit fo flolger Miene über diefe Fragen abfprechen, brin,
gen feinen von dieſen Gedanken vor. Sie mögen. eg Daher
nicht übel nehmen, wenn man ihnen bemerklich macht: daß
die Clarke's und Wiſthon's bei Behaupfung ihrer Mei⸗
nung in DWerlegenheit waren, - und felbft fie nicht frei von
Schwierigfeiten eradhtefen. Charfe und Wifthon haben
nach einer reifen und gründlichen Prüfung der Eehre der HI.
Schrift und der erſten Jahrhunderte über die Gottheit J.
C. den groben -Arianismus aufgegeben, welcher Jeſum
zu einem bloßen Gefchöpfe machet.
. "Dr. Elarke erkennt ausdruͤcklich, daß, da die Schrift
uns nicht ſagt: wie der Sohn fein Dafeyn vom Vater ent⸗
nimmt, Niemand'das Recht babe, hierüber eine Entfcheis
dung zu wagen, und daß man gleicher Weife diejenigen ta⸗
deln. müffe, welche fagen: daß der Sohn aus Nichte ‚ges
macht fey, mie jene, welche fagen, Daß Er e ein durch fich
felbft beſtehendes Weſen ſey.
Welch ein Abſtand zwiſchen den Elarte 8 und wife
thon’s, und jenen, welche heut zu Tage fo haſtig gegen
die Gottheit 3. €. entfieiden? 1). .
\
ee
Die Sonfubflantialität des Wortes war vor dem-
Arius jederzeit eine Hauptlehre in der Kirche.
1) Die Kirche verdammte während der drei erfien
Sahrhunderte ſowohl jene, welche mehrere Gdtter annahs
‚mer, als jene, melde die Gottheit Jeſu Chriſti Idugnes
en Die chriftliche Kirche erfannte ſonach die Gottheit F.
€., jedoch fo, daß fie jene, welche, indem fie Jefum Chris
ſtum ald Gott erfannten, mehr als einen Goft annahmen, _
von ihrer Gemeinfchaft ausſchloß. Sie glaubte alfo, bei
x ’
n
4) Dan. fepe CIarke’d Lehre der Schrift Über die Dreiinige _
keit; Wifgons erneuierted Chriſtenthum. Gefhihtlihe Denke
würdigfeiten Aber das Leben de Dr. Ela efe,von Bi ſthon
Ketzer⸗Lexikon. II. J 12
178. J Arianismus.
dem Bekenntniß der Gottheit Jefu, nicht an mehrere götfs
lihe Subſtanzen. Dieſemnach glaubte die Kirche, va J. €.
confubftanfial, oder von gleichem Wefen mit dem Vater fep:
Denn es iſt unmdglich, anzuerkennen, daß J. C. eben fo
gut wie der Vater, Gott ſey, und daß es nicht mehrere -
göttliche Weſen gebe, ohne ausdrücklich zu. glauben, daß
der Vater und Sohn in dem nämlichen Wefen vorhanden
find, und folglich ohne die gleiche Wefenheit des Sohnes zu
glauben, wenn man gleich diefen Glauben nicht immer mit
dem Worte Conſubſtantialitaͤt bezeichnete.
2) Die Kirche haf während der drei Jahrhunderte
Jeſu Chriſto die nämliche Verehrung bewieſen, die man
‚dem wahren Gott fhuldig ift; ſie bat von ihrer Gemeins
ſchaft alle jene ee lee welche, wie Cerinth, Theo⸗
dot u. a. die Gottheit J. €. laͤugneten. —
Mit derſelben Strenge verdammte ſie diejenigen, welche
wie Praxeas, Noetius, Sabellius, die Gottheit des
Sohnes zwar nicht anſtritten, aber behaupteten: daß Er
eine von dem Vater nicht unterſchiedene Perſon ſey.
Die Kirche erkannte alſo, daß J. C. Gott, und unter⸗
ſchieden von dem Vater fen; dieſes konnte fie nur in ſoferne
anerfennen, als fie glaubte, daß der Vater und Sohn ents
weder zwei verfihiedene Wefen, oder zwei verfchiedene Ders
fonen in derfelben Wefenheit- feyen. Ä
Es ift ausgemacht, daß die Rirche Ale, welche meh⸗
rere unterſchiedene, und nothwendige Grundweſen annah⸗
men, verdammte, daß fie immer nur Ein ewiges, unendli⸗
ches, durch fich felbft vorhandenes Weſen anerkannte, und
daß fie gegen Marcion, Hermogenes und Alle, welde
mehrere Unendliche und nothiwendige Wefen annahmen , dag
Anathema ausfprach.
Die Kirche glaubfe alfo nicht, daß die Perfon des Soh⸗
nes eine von jener des Vaters unferfchiedene Subſtanz fen;
fie glaubte: daß der Sohn in ver nämlichen Subftanz, mie
der Vater vorhanden, und folglich, daß Er confubflans
tial fev. .
Der Irrthum des Sabellius, Noetiu 8, praxeas,
Arianismus. 4%
welche bie goͤttlichen werſonen vermiſchten, der Irrthum der
Ketzer, welche mehrere ewige, unendliche Weſen annahmen,
der Irrthum, welcher die Goftheit 3. €. angeiff, find ale
neue Irtlehren verdammt worden ; man hat feinen Augens
blick über ihre Verdammung angeflanden. Man’ glaubte das.
her beſtimmt an die Confubftanfialität des Wortes: denn,
wenn 3%. €. dem Vater nicht confubftantial ift, fo muß Er
‚entweder nicht Gott fenn, und Cerinth, Theodor u. A.
hatten Recht, feine Gottheit zu Iäugnen; oder, wenn Er
Gott ift, aber nicht confubftantial, fo muß Er eine, von
jener des Vaters unterfchiedene, Subſtanz feyn, folglich muß.
ed mehrere nothwendige Wefen geben, wie Marcion,
, Hermogenes und die Maniſch aͤ er behaupteten, ober
endlich wenn J. €. weder eine von dem. Vater unterſchie⸗
Dene, und confubftantielle Perfon, noch eine von dem Vater
verfchiedene Subftanz ift, fo muß Er, wie es Sabelliug
behauptet, der nämliche Goft unter verfchievenen Verhaͤlt⸗
niffen betrachte, und nicht eine vom Vater unterſchiedene
Perſon ſeyn.
Die Kirche konnte alſo alle dieſe erlebten fogleich bei
ihrer Entflehung und ohne Zaudern nur in foferne verdams
° men, als dag Dogma von der Confubflantialitär foͤrm⸗
lich geglaubt, und ganz beſtimmt anerkannt worden iſt, wenn
es auch nicht immer durch dieſes Wort ausgedruͤckt wurde.
Die Kirche alſo, indem fie die Conſubſtantialitaͤt des
Wortes befannte, war gleichweit entfernt von Sabellias
nismus ımd Tritheismus. Le Clerc thut einen gro»
ben Mifigriff, wenn er fagt: die Väter, welche von der
Meinung des Artus abwichen, baben drei goͤttliche Sub⸗
ſtanzen augenommen 1. |
— rneng
Dei der Eatſtehung des Arianismus lehrte die
Kirche beſttmmt die Conſubſtantialität des Wortes.
Arius beſtritt Anfangs die Ausdruͤcke, deren Al exan—
ı) Le Ciere, Biblioihek* Chois. T. 3. p. 40.
| 12*
.
—
*
180, u Arianismus
der fich bebienfe, wenn er von der Dreteinigkeit redete,
‘und wollte darthun, daß Die drei göttlichen Perſonen nicht
in einem einfachen Weſen vorhanden fenen, weil fie wie
‚Urfache und Wirkung voneinander verfchieden wären, weis
ches in einer einfachen Subftanz unmöglich fey.
Alerander behaupfefe, daß des Artus, Meinung der
Boftheit Jeſu Chrifti zu nahe sche. Arius wagte es
‚nicht, die Gottheit Jeſu zu läugnen, nahm an, daß Er
Gott fen, behauptete aber, daß Er in der Zeit erzeugt fey.
An der Borausfeßnng, Jeſus Chriſtus fey in der Zeit
erzeugt, und der Behauptung, Er fen. Gott, liegt ein offens
darer Widerfpruch; und es ift Far, daß die Grundſaͤtze des
Arius ihn zur Abläugnüng der Gottheit des Sohnes fühs
"ren mußten; er konnte fonach feine Gottheit nur anerfens
nen, weil es ihm unmsglich war, fie zu ldugnen; dem gu
Folge wurde Die Gottheit des Sohnes gelehrt, ald Artus
in feinen Irrthum verfiel. |
2) Das Concilium von Alerandrien verdammte den
Arius eben Deswegen, weil er Grundfäße aufftellte, vie
der Gottheit des Wortes entgegen waren; eine ungereimfe
. VBerdammung, wenn die Gottheit des Worfeg ein, in der
Kirche unbekannter, Lehrfag geweſen wäre.
t
3) Niemand beftritt den Ausſpruch bes Concils von
Alerandrien, alg führte er eine neue Slaubensiehre ein,
fondern die Bifchöfe, welche Anfangs die Parthei des Arius
nahmen, läugnefen die Confubftantialität des Wortes nicht,
Hlaubten aber, getäufcht duch Artiug, dag Eoncil habe
entfchieden, ver Sohn fey nicht gegeugt, und Ariug ſey
verdammt worden, weil er behauptete: daß der Sohn ers
jeugt, und Fein ohne Zeugung vorhandelies Weſen fey 1).
4) Der Artaner Verlegenheit, zu fagen, daß ber
‚Sohn dem Vater nicht confubftantial ſey, ihre Unredlichkeit,
die vielen Slaubensformeln, die fie nach und nach abfaßten,
alle ihre Raͤnke, die Unterdrücdung des Wortes Confubs
Rantial zu erwirken,, bewelfen, daß die Conſubſtantialitaͤt
1) Theodor. Hist edlen. L’r. 5,6
Arianismus. | 481
des Worte in ber Kirche gang deutlich gelehrt worden iff,
und daß bie Lehre d des Arius unbekannt, neu, und ver⸗
haßt war.
5) Die Artianer waren getheilt, die Einen wollten,
daß das Wort ein bloßes Geſchoͤpf fen, die Andern verlang⸗
ten, man foltte nicht fagen, daß das Wort nur ein Geſchoͤpf
ſey. Dieſe Theilung war unmoͤglich, wenn die Conſubſtan⸗
tialitaͤt nicht in der Kirche gelehrt worden waͤre. Denn die
Arianer waren gegen die Katholiken zu feindſelig, als daß
ſie Jeſum Chriſtum nicht unter die Geſchoͤpfe verſetzt
haben wuͤrden, wenn ſie ſich dieſes getrauet, und nicht ge⸗
fuͤrchtet haͤtten, die Glaͤubigen zu empoͤren, oder wenn ſie
nicht ſelbſt noch auf das Dogma der Conſubſtantialitaͤt ge⸗
halten haͤtten.
6) Die Geſchichte des Arianismus macht es klar, daß
man nur.-ducch viele Deuteleien und. Spitzfindigkeiten zu
diefem Irrthume gelangte, und daß er folglich weder der
Blaube des chriftlichen Volkes noch der Kirche war:
-
7
Man Kann der Kirche keinne Wandelbarfeit üßer das
. Dogma des Eonfubfkantialität vorwerfen.
Die neuen Artaner fagen, daß das Concilium von
Antiochien, welches 60 Jahre vor jenem von Nicaͤa
gehalten wurde, Das Wort confubftanttal verworfen
habe, welches das Conciltun von Nicda, als rechtgläubig
geſtempelt haͤtte. Kann mohl das nämliche Wort in einem
fo kurzen Zeitraume zwei fo vwerfhiedene Bedeutungen has
ben? fagt Le Clerc. - Kann man fagen, daß die Väter
von Nicda nicht mußten, mag fich zu: Antiochien zuge
. tragen hatte? oder, fagt Wiftbon, haben fie eine neue
. Offenbarung ‚erhalten? Diefen Eintoendungen begegnen wir -
mit: Solgendem : .
1) Der Canon des Conciliums von Antiochien, auf
welhen Wiſthon und Le Elerc ihren Triumph bauen,
fcheint unterſcheben. Wir haben die Akten des Conciliums
182° Arianismus.
von Antiochien nicht, die Verwerfung des Wortes, con⸗
ſubſtantial, durch daſſelbe wiſſen wir nur daher, daß dieſe
Thatſache in einem Schreiben des Conciliums von Ancyra
angefuͤhrt iſt. Das Concilium von Ancyra beſtand aus
Biſchoͤfen, die aus Liebe zum Frieden, und aus Gefaͤllig⸗
feit gegen Conftantiug das Dogma der Gottheit Jeſu
Chriſti erhalten, und das Wort „Conſubſtantial“ unters
drücken moliten. Sie verdammten Daher die Lehre des
Arius, und verwarfen dag Wort con ſubſtantial, benach⸗
richfigten: die Bifchöfe yon ihrer Entfcheidung, und in dem,
im Namen des Conciliums erfaffenen Schreiben. heißt eg,
das Goneilium von Antiochien hätte das Wort sonfube
ftantial verworfen,
Mir haben von dieſem Ausſpruche bes Conciliume don
Antiochien keinen Beweis, als dieſes angebliche Schrei⸗
ben, welches auf Befehl der Biſchoͤfe des Conciliums von
Ancyra abgefaßt iſt. Dieſes Schreiben beſagt, daß die
Biſchoͤfe des Conciliums von Antiochien nach ber Vers
urtheilung Paul's von Samoſata ein Schreiben erlie⸗
ßen, in welchem fie erklaͤrten: daß ſie Paul von Samo⸗
ſata verdammt haͤtten, weil er behaupte, der Sohn und
der Vater ſey der naͤmliche Bott. Dieſes iſt mach: dem
Verfaſſer des Briefes des Conciliums von Ancyhrta ber
Grund, welchen die Vaͤter des Conciliums von Antios
chien für ihre Enticheidung gegen Paul von Samos
fata angeben,
Eufebius hat ung ein großes Bruchſtuͤck von dem Schreis
ben des Conciliums von Antiochien aufbewahrt, in wels
chem die Väter defielben ſagen; Tie haften Paul von Sas
moſata verdammt, weil er behauptefe, daß der Sohn
von der Erde gefommen, und nicht von Gott ſey.
Die Heiligen, Hilarius 1) md Athanaſius hats .
ten dag Schreiben des Konciliumg von Antiochien, wıe
es in dem Briefe des Conciliums von Ancyra angeführt
\ —
—
1) Hilar, de Synod. p. 1196.
Arianismus. 183
iſt, nicht geſehen. Die Verwerfung des Wortes „conſub⸗
ſtantial“ iſt daher nur durch einen Schriftſteller angefuͤhrt,
welcher mehr als hundert Jahre nach dieſem Concilium ge⸗
lebt, und beſagtes Schreiben nicht geſehen, oder verfaͤlſcht
hat, weil er die Vaͤter von Antiochien das Gegentheil
von dem ſagen laͤßt, was ſie in dem, uns von Euſebius
aufbewahrten Bruchſtuͤcke ſagen. In dieſem Bruchſtuͤcke fin⸗
det man nichts, was der Conſubſtantialitaͤt entgegen waͤre.
Kann man glauben, daß Euſebius in jenem Schreiben
‚bes Conciliums von Antiochten die Verwerfuug des
Wortes conſubſtantial nicht ſollte gefunden haben, um defs
fen Entfernung er ſich doch ſo ſehr bemühte? oder wenn er
diefe Verwerfung in dem mehrbefagten Schreiben gefuns
ben bat, ift es glaublich, daß er fie unterdrückt hätte?
Die Arianer, welhe fih ale Mühe gaben, daß
Das Wort confubftanfial aus dem Glaubensbefenntniffe von
Nicaͤag geftrihen würde, getrauten fi) doch nie, zu fagen,
daß es verworfen worden wäre: wäre es möglich, daß fie
nicht ſollten gewußt haben „, diefes Wort fen ſechzig Jahre
vor Arius von dem Concilium zu Antiochien verdammf
worden? Es fcheint ſonach, daß dieſes Concilium in der -
what das‘ Wort conf ubflantial nicht verworfen hat. |
9 Wenn es auch wahr ift, daß das Soncilium von
Antiochien dag Wort confubftantial, verworfen hat, fo iſt
es diefes doch nicht in dem Einne, welchen das Concilium
von Nicäa demfelben beigelegt hat, weil die Arianer
ſelbſt, nach. dem Schreiben des. Conciliums von Antios
chien, von der Vermerfung dieſes Ausdrucks gegen bie
Orthodoxen feinen Gebraud gemacht haben. In der That,
wenn Paul von Samoſata fid) des Wortes „‚confubftans -
tial“ bedient hat, fo war. diefeg in einer dem Sinne, wel⸗
chen das Eoncilium von Nicda ihm beilegte, ganz entges
‚gengefeten Bedeutung. Wenn Paul von Samofata,
welcher Alles aufborb, Jeſu Ehrifto den Namen Goft,
zu entziehen, fid) des Wortes conſubſtantial bedient haf,
fo that er Diefes nur. in folgender Bedeutung: ‚Wem der
„Sohn dem Vater confubflantial ift, wie. ihr Katholiken
\
184 oo Artanismus.
„behauptet, ſo folgt daraus, daß die goͤttliche Sudan; in
zwei Theile zerfchnitten iſt, wovon der eine der Water,
„per andere der Sohn iſt, und daß eg folglich eine den
„Vater und Sohne vorhergehende göttliche Subftanz giebt,
‚weiche nachher in zwei Theile zerfchnitten worden ift. ”
Die Väter von Antiochien, welche eine folche Fol⸗
gerung verabfcheuten, und übrigens um Ausdrücke nicht
fehr befümmert waren, wenn fie nur das MWefentliche der
Lehre „aufrecht hielten, glaubten, um den Nänfen dieſes
Kegers allen Vorwand zu benehmen, müffe man den Ges
brauch) des Wortes „conſubſtantial“ verbieten, wenn von
| Jeſus Chriſtus die Rede waͤre.
Hierauf erſchienen die Arianer, laͤugneten die Cache
ſelbſt, welche durch dieſen Ausdruck bezeichnet wurde, naͤm,
lich die Gottheit des Sohnes; und die Väter von Nicda
hielten dafuͤr, daß es fachdienlich fen, den Gebrauch eineg
Wortes, deffen fich die Lehrer vor dem Concilium von Ans
tiochten bedient haften, wieder aufzunehmen, weil ſolches
nur, um den Nänfen des Paul von Samofata allen
Vorwand zu entgehen, ‚ verbannt worden war.
\ ”
———⸗
Die Väter des Eonsiliumd von Nicäa Baben ihr
Urtheil über die Lehre des Arius dentlich ausge
ſprochen, umd Über dad Wort Conſubſtanzial kei—
ner Zweidentigfeit Raum gegeben Ä
Cureelleus und Le Clerc behaupten, die Vaͤter
des Conciliums von Nicaͤa hätten über die Conſubſtan⸗
tialität des Wortes nicht fo, wie wir heut zu Tage, ges
dacht, und geglaubt: der Sohn fey dem Water confubftans
tial, weil er eine dem Wefen des Vaters ähnliche Sub⸗
ſtanz ſey 1).
⸗ *
I) Curcelleus quaternio Dissert. Le ‚Clere De
“ fense des Sentiniens des Theologiens d’Hollande,' Lett.
3. Biblioth. chois. T. 3. Art. ı.-Crit. Ep. 3. T. 3.
\
Arianismus. 185
Dieſe Meinung des Curcelleus und’ ee Clerc if
"probs und grundlog.
- Lange von dem Concilium ven Nicaͤa klagten gemeine
Glimig den heil. Dionyſtus von Alexandrien an,
daß er nicht an die Weſensgleichheit des Sohnes mit dem
Vater glaube: der Pabſt und das Concilium von Rom bes
faßten fich mit ihrer Klage, und entfchieden, dag der. Sohn
dem Vater conſubſtantial ſey.
Der hl. Dionyſins rechtfertigte fich mit der Erklaͤ⸗
rung, daß man ihn verlaͤumdet habe, und er glaube, daß
der Sohn dem Vater conſubſtantial ſey.
Dieſer Ausbruck war ſchon damals ganz dentlich, na⸗
tuͤrlich, und vollkommen geeignet, den Slauben der Kirche
anzudeuten. Euſebius ſelbſt geſtehet in einem Schreiben,
das er. nach dem Concilium von Nicaͤa erließ: dag die
alten Väter fich des Wortes confubftantial ‚bedient hätten,
und der bl. Pamphilus zeigte, dag Drigenes mit
förmlichen Worten ‚gelehrt babe, der Sohn fen dem Vater
conſubſtantial 1). Ä
Die Bemühungen der Urianer, das Work conſuſtantial,
aus dem nicaͤniſchen Symbol wegzuſchaffen, beweiſen, daß es
ganz klar und deutlich den Glauben der Kirche ausdruͤckte,
und daß die Väter des Conciliums, wenn einige Dunfels
heit in demfelben herrfchte, folche aufgehellet haben. . Wirk
lich geben fie die Erklärung: „daß diefer Ausdrud: Der
„, Sohn ifl dem Vater confuhftantial, nicht in dem
„Sinne genommen werden dürfe, melchen er bat, wenn
„von koͤrperlichen, oder thierifchen Wefen gefprochen wird,
„weil diefe Zeugung weder durch Theilung, noch durch
‚Veränderung, noch durch Verwandlung der Subftang oder
„Kraft des Vaters, noch auf eine andere Art gefchieht,
„welche irgend etwas Leidendes anzeigt, und daß nichts
„von Allem dieſen einer nicht gezeugten Natur, wie jener
des Vaters, zufemmen‘ koͤnne; Daß der Ausdruck con⸗
— v „or * -
—— Sa < “ 40 x 4 ⸗
2) Theeder. hist. eccles.. L. 1, C. 12.
. i “ J
\
186. | Arianismus.
„ſubſtantial nur andeute, daß der Eohn Gotter keine
„Aehnlichkeit mit den Geſchoͤpfen habe 4), |
Kann man das Dogma der Couſubſtantialitaͤt, wie
‚en? und iſt es nicht augenfälig, daß, wenn der Sohn
eine bon dem Vater verſchiedene Subſtanz wäre, ſo müßte
Er auf eine von jenen: Arten erzeugt worden fon, weiche
das Concilum verwirft.
Allein, fagt ke Elerc, dad Wort confubftaütlal, iſt nie an⸗
ders, als um Individuen der naͤmlichen Gattung anzuzeigen, ge⸗
braucht worden. So ſagt das Concilium von Chalcedon,
daß der Sohn dem Vater. confubftantial m nach der Gott⸗
heit, und ung nach der Menſchheit 2)
»Es iſt wahr, daß die Profans ariftſteller das 3 Wort
confurbflantial oft, brauchten, um Weſen der hämlichen Gat⸗
tung zu bezeichnen ;. aber mir haben :gefehen, daß tiefes
Wortes fi) auch die Chriften bedient haben, um verſchie⸗
dene Perſonen, die in der naͤmlichen Weſenheit da ſi ind, ans
zudeuten. |
In dieſem doppeften Sinne wurde es vom Concilium
Fr Chaleedon gebraucht; in dem zweiten, um die Con,
fubftanfialttät des Sohnes auszudruͤcken, und in dem erſten,
um anzuzeigen, daß der Leib Jeſu Chriftf von der naͤm⸗
lichen Natur, wie der unfrige war. Le Elerc müßte zeis
gen, daß das Eoneilium von Chalcedon dag Wort cons
fubftantial ne in Dem’ erſten Sinne genommen babe , wel⸗ |
ches aber falſch iſt.
Die Väter des Conciliums von Nicaͤa haben alſo die
Eonfubftantialität, fo wie wir ſie glauben, gelehrt.
Die kirchlichen Sgriftueller, welde dem Goncilium
von. Nicäa vorhergingen,. haben die Gonfuhlaniar
:r „Sität ded Wortes gelehrt,
Seit dem Eonciltum von Nicda. wurde dag Dogma
N u . 1
ı) Act. Conc. Nic. ‘Art. iv: vr ti Turn
2) Le Clerc.a «O0. |
Arianismus. 0.487
von der Conſubſtantialitaͤt des Wortes unausgefetzt in der
Kirche gelehrt.
Den Socinianern kam es ungereimt vor, einen
Glaubensſatz, der erſt in ſpaͤtern Jahrhunderten geſchmiedet
worden waͤre, als wahr zu behaupten: deshalb verſuchten
fie, ohngeachtet fie ſonſt fi) wenig aus der Tradition,
und den Tätern machen, elite Epoche aufzufinden, vor wels
het die Confubftantialität des Wortes unbekannt gemwefen
fen, und festen foldhe vor das Eoncilium von Nicda.
Sein, Sandius, Zwider wagfen daher die Behaupr
tung: die Väter der drei erſten Jahrhunderte ſeyen Aria
ner gemwefen. . s
Clarke, Wiſthon 1), um ihre Anhänger ſtimmten
dieſer Behauptung uͤber die Lehre der Vaͤter bei, und die
neuen Arianer geben an: da die Vaͤter der drei erſten
Jahrhunderte den Glaubensſatz von der Gottheit des Wor⸗
tes, wie ihn gegenwaͤrtig die Orthodoxen lehren, nicht ges
fannt hätten, fo müßte entweder auf dem Concilium von
Nicaͤa der Irrthum die Oberhand gewonnen haben, und
folglid) wären die Sachen auf den erflen Standpunkt zurüch .
zuführen; oder es müßte gewiß feyn, daß die Väter von
Nicaͤga aug einer Sache einen Glaubengartifel gemacht häfs'
ten, ohne welche ihre Vorfahren wahre Chriften und große
Heilige gewefen feyen; folglich waͤre man nicht verbunden,
fich einem Joche zu unterziehen, welches dem Concilium von
Nicka, den Gewiffen aufzulegen, gefallen hätte.
Man fieht leicht, wie wichtig eg ift, das Gewoͤlke fu
zerſtreuen, welches man über den Glauben der Väter vor
dem Concilium zu Nicäa zu giehen ſich bemuͤhet. Wie
wollen ihre Nechtfertigung aus der Gefchichte des Arias
nismus ſelbſt, und aus ihren Werken unternehmen.
— ——
Erſte Probe aus der Geſchichte des Arianismus.
Die Vaͤter des Conciliums von Alexandrien ſetzten
1) Das wiederhergeſtellte Urchriſtentzhum don Wiſthon.
N
188° Altianismus. |
den Artanern die Neuheit ihrer Meinung, und den Aus⸗
fpruch des ganzen Alterthums entgegen. Allein Arius und
ſeine Anhänger weigerten fich, fich diefem zu unterwerfen 1).
Arius fühlte. indeffen, daß es für ihn von. großer
Michtigfeit fey, daß feine Lehre nicht jene des ganzen -.
Altertdung gegen fich habe, und behauptete daher: daß
er nur die Lehre, welche er von den Alten und von ale
xander ſelbſt empfangen habe, vorfrage
Die Arianer verzichteten jedoch beld auf dieſe Be⸗
hauptung; und auf den Vorſchlag der Biſchoͤfe des nicaͤni⸗
ſchen Conciliums, Arius und deſſen Lehre nach der Tradi⸗
tion und den Vätern gu richten, verlangte Euſebius von
Nicomedien, man muͤſſe ſich auf die Schrift berufen,
. ohne fich bei ungewiffen und zweifelhaften Ueberlieferungen
aufzuhalten 2).
Euſebius war ſicher ſo gut, als unfere neuen Artas |
ner im Stande, In den Vätern der drei erften Jahrhun⸗
berfe die Meinungen des Arius aufjufinden. Temungeachs
tet verfchlägt er die Väter, und will, daß man den Ariug
allein nach der Schrift richte. Es mar alfo damals Flar,
daß die Lehre ver Väter der brei erſten Jahrhunderte dem
Artantsmus nicht guͤnſtig war.
As Thodoſius gegen dag Ende des vierten Jahr⸗
hunderts „ alle Secten, womit das Reich angefuͤllt war, vers
einigen wollte, ließ er ihre Pauptlinge sufammentommen
Ein Bertheidiger des nicänifchen Glaubens vermochte
den 'Kaifer, der. Verfammlung die- Frage vorzulegen: Ob
man bei Unterfuchung der Streitfragen anf die- Väter, wels
he dor den Spalfungen, die das Chriftenthum beunruhig⸗
ten‘, gelebt haben, Mückficht nehmen, oder ihre Fehre vers
werfen, und ihnen das Anathema fprechen wuͤrde? |
Der Rechtglaͤubige, welcher den Rath gegeben hatte,
war uͤberzeugt, daß Nieniand ed Magen wuͤrde, die Lehre
1) Theod. hist. eccles. L..ı. C. 4.
s)Sozom. L. 1. C. i.
+
v
— Arianiemus. 180
der Vaͤter zu verwerfen, und daß folglich, um die Ewig⸗
keit des Sohnes zu zeigen, nur übrige, ihre Stellen anzus
führen, welches leicht fey. 2
Ale Sertenhäuptlinge begeugten viele Achtung für die
Väter; der Kaifer, der in fie drang, fragte: Ob fie jene
zu Richtern über die flrittigen Punkte 'annehmen, wollten?
Nun zauderten fie, und gaben zu erfennen, daß fie nach
der Lehre der Väter nicht gerichtet fAyn wollten 1). °
Die Urianer, der Deuflichkeit der Schrift über dag
Dogma der Confubflantialität des Wortes ungeachtet, bes
baupteteten, das Gegentheil darin zu finden, und wollten
feine andere Glaubensregel: diefe nämlichen. Arianer vers
- werfen das Anfehen der Väter und wollen nicht, Daß man
die Frage von der Gonfubfiantialität nad) ihrer Ausfage
entfchefde. Die Arianer waren demnach fletd der Meis
nung, daß die Vaͤter der drei erfien Jahrhunderte die Con⸗
fubftantialität. geglaubt und gelehrt haben; fie find in dies
fem Punfte mit dem nicänifchen Toncilium einverftanden ;
und ihr harfnäcdiges Widerfircben, es auf ben Ausſpruch
der Väter ankommen zu laſſen, erlaubt es nicht, die nicaͤ⸗
nifchen Väter zu verdächtigen, als ob fie fich geirrt, oder
‚andere in Irrthum haben führen wollen, wenn fie erflärs
ven, daß das nicänifhe Symbol mit der Lehre des gans
zen Alterthums einftimmig ſey.
Le Elerc behauptet, die Väter von Nicda hätten
die Lehre ihrer Vorgaͤnger nicht verftanden, weil fie nur
nad) langen Streitigkeiten hätten eins werden können: die⸗
ſes bemweißt er durch das Zeugniß des Eufebiug, welcher
berichtet, dag nur. nady vielen mechfelfeitigen Gegenreden
der Ausſpruch des Conciliums zu Stande gekommen fen 2).
Bei diefer Einwendung Le Clerc's iſt erfieng ein gros
Ger Mangel an Logif und Kritif bemerkbar. Denn Eures
bins ſagt wohl, daß die Väter des Eonciliums ziemlich
ı) Socrat. L. 5, C. ıo.
2). Ensep. vita Constant: ©. 7.
“
/ '
we Arianismus.
lebhafte nnd lange Streitigkeiten gehabt ‚hätten; allein er
ſagt nicht, daß diefelben die Entfcheidung betroffen haben,
.ob die Väter vor dem nicänifchen Concilium die Conſub⸗
ſtantialitaͤt gelehrt haͤtten. Le Clerc behauptet dieſes ohne
Grund, oder vielmehr es iſt ein von ihm, zu dem Berichte
des Eufebiug gemachter Zuſatz. Zweitens iſt es gewiß,
daß die Arianer ſich nicht auf das Zeugniß der Vaͤter
einlaſſen wollten. Kognte dieſe Thatſache Le Clerc'n uns
bekannt ſeyn, und wenn er ſie wußte, konnte er verſichern,
daß die Vaͤter von Nicda lange Zeit geſtritten haben,
“ohne,zuvor felbft gewiß zu fenn, ob die Väter der drei erſten
Sahrhunderte dag Dogma ber Eonfuöfansialirät geglaubt
haben?
Ä Nach der, mit fo vieler Zuberficht gegebenen „Behaup⸗
tung, daß die Väter von Nicaͤa die Meinung ihrer Vor⸗
fahren über die Confubftantialität nicht verſtanden hätten,
fagt Le Elerc weiter: ,‚ Allein gefet, fie bäften zu einer
„zeit, wo man unzählige Merfe, die ung feblen, und _
"mehrere Hülfsquellen hatte, die wir dermalen entbehren
„müflen , fie ohne Mühe verfianden,, fo folge daraus
„keineswegs, daß es uns fogar leicht fey, die Lehre des
„, Soneiliums von Nicda nnd ihrer Vorfahren zu verftes
‚ben; Dazu müßten wir die naͤmlichen Huͤfsquellen, wie
„damals, haben“ 1).
Wenn wir, nad) dem Geſtaͤndniſſe Le Elerc’g, der
nöthigen Mittel beraubt find, die Lehre der Wäter vor dem
Concilium von Nicda deutlich zu fennen; wenn die nichts
ſchen Vaͤter dieſe Hıllfgmittel haften, wie mag Erfterer zu
entſcheiden wagen, daß die Väter von Nicda die Meinuns
gen’ jener, der brei erfien Jahrhunderte, nicht verfianden
haben ?
Wenn Sandius, Curcelleus ꝛc. der nöthigen
Duellen zum Verſtaͤndniß der Väter der drei erfien Jahr⸗ J
hunderte entbehrten, koͤnnen wir ihre Behauptungen dem
1) Deſenso des Sentimens des Theol. d’Holl. Lett. 4.
Arianismufs. | 19
Bergnife und Ausfpruche der Väter von Nicda ohne Uns
gereimtheit vorziehen, welche erklärt haben, daß ihte Vor⸗
fahre Die Conſubſtantialitaͤt des Wortes lehrten ?
Laͤßt es fich.denfen, daß die Arianer und ihre Vers
theidiger, ein Eufebiug von Nicomedien z. B. nicht
im Stande gewefen ſeyen, die Fchler der Väter von Nicaͤa,
die fie bei Erklärung-der Werke ber ‚Ihnen vorgängigen Bär
ter. begingen, zu gewähren?
Und doch wirft ihnen Euſebius nicht vor, die Väter
ſchlecht ausgelegt zu haben, fondern behauptet kur, daB
man auf ihren Ausfpruch Feine Nückficht nehmen muͤſſe, wel⸗
ches offenbar vorausſetzt, daß fih die Näter von Nicda
in Auslegung der Werke der früheren Väter über dag Dogs
ma der. Conſubſtantialitaͤt nicht irrten 9
Zweite Probe, aus den Werken der Väter ſelb t
entnommen.
Die Werke der Vaͤter der drei erſten Jahrhunderte ſind
beſtimmt, die Gläubigen zu unterrichten, die Ketzer zu wi⸗
. berlegen, und die Religion gegen Juden u und Heiden zu vers
theidigen.
Wenn fie die Gläubigen sur Tugend ermahnen, ſo ſtel⸗
len ſie ihnen einen fuͤr ſie geſtorbenen Gott vor Augen, der
einſt ihr Richter ſeyn wird, wie Er ihr Erloͤſer und Mittler
geweſen iſt.
Wenn Cerinth, Ebion, Theodot u. A. die Gott⸗
heit des Wortes anfeinden, ſo bekaͤmpfen die heiligen Ig⸗
naz, Polycarp, Irenaͤus, Juſtin und mehrere an⸗
dere Schriftſteller, unterrichtet von den Apoſteln ſelbſt, dieſe
Irrlehrer, und widerlegen ſie mit dem Anſehen Je 5 u
Chrifti und der Apoſtel m.
1) Theodoret Hist. gccles. L. ı. c. 12.
2) Euseb. Hist. L. 5. C. 20. Uyeron. adv. Helvidium
c. 9.
, !
’
120°: Mrlanigmue,
Wenn Praxeas, Moetius, Sabellius die Drei⸗
einigfeit angreifen, und behaupten: daß die getflichen Pers -
fonen nur verfchiedene Einem Wefen beigelegte Benennuns
gen feyen, fo beftreiten die Väter diefe Zꝛtlehre ‚ und die
Kirche verdammt fie.
Die Väter, welche gleicher Weife Cerinth beſtreiten,
der die Gottheit J. C. laͤugnete, und Praxeas, welcher
glaubte, daß Jefus keine vom Vater unterſchiedene Perſon
ſey, bekaͤmpfen den Hermogenes, Marcion und alle
Haͤretiker, welche mehrere Urweſen oder nothwendige Sub⸗
ſtanzen annahmen: ſie beweiſen gegen dieſe Irrlehrer, daß
es unmoͤglich mehrere nothwendige Subſtanzen, oder hoͤchſt
vollkommne Weſen geben koͤnne.
Dieſe Vaͤter nahmen alſo an, daß Fefus Chriſtus
1) wahrer Gott, 2) eine vom Vater unterſchiedene Perſon,
3) daß der Vater und Sohn in der naͤmlichen Subſtanz
vorhanden feyen. Diefe drei Grundmwahrheiten ſchwebten
ihrem Geiſte ganz deutlich vor, und wurden ganz befiimmt
in’ der. Kirche gelehrt.
Hätten fie geglaubt, daß der Vater und Sohn zwei
wahre Götter, und zwei verfchievdene Subflangen wären,
fo hätten fie gegen Hermogenes, Marcion, Apelleg
und gegen die Manichaͤer micht behaupten können: daß _
es nicht mehrere nothiwendige und hoͤchſt vollfommene Subs
ſtanzen gebe, ohne in einen Widerfpruch zu gerathen, wel⸗
cher ihren Gegnern nicht entgehen Fonnte.
Und hätten fie gegen Cerinth, gegen Theodoret
m 9. gelehrt, Daß der Sohn wahrer Gott, aber dem Bas
‘ter nicht confubftantial wäre, fo wirden Theodot, Ars
temon ꝛc. ihnen zum Vorwurfe gemacht haben, daß fie
fi) widerfprächen, und mehrere hoͤchſt vollkommne, emige
und nothwendige Grundmwefen. annähmen, welches fie jedoch
für etwas Ungereimtes angefehen hätten, da fie gegen
Hermogenes, Marcion ꝛc. gefchrieben haften.
Auf welcher Stufe von Unmiffenheit und Dunkel
muͤßte man ſich nicht die Vaͤter vorſtellen, welche in ſolche |
Ariantemus. 193
Widerſpruͤche gerathen Fonnfen, und die Haretiter, die die⸗
ſelben nicht wahrgenommen und aufgedeckt haͤtten?
Doc die Väter der drei erſten Jahrhunderte waren
gelehrte Logiker und gute Metaphyſiker; ſie verſtanden
tief zu forſchen, und mit Genauigkeit zu unterſuchen,
fo wie die Haͤretiker gewöhnlich feine mittelmäßige Köpfe -
“waren.
Diefe allgemeine ⸗ Bemerkung iſt auf alle Vaͤter ‚und
insbefondere- auf Tertulian anmendbar , welcder die.
Dreieinigfeit To gut gegen Praxeas vertheidiget, und die
Confubffantialttät des Wortes in feinen Werfen gegen Dies
fen Irrlehrer fo Deutlich dargethan, und der feine der
nöthigen Vorſichtsmaßregeln vernachläßiget hat, um jeder
Art von Mißbrauch feiner Ausdruͤcke vorzubeugen.
Man ſehe die Artikel Praxeas, Hermogenes, |
Marcion.
Die Väter der drei erſten Jahrhunderte beweiſen gegen
die Juden, daß J. C. der verheißene Meſſias, daß Er
wahrer Gott iſt. Der Hl. Juſtin, Tertulian, Orige—
nes cc. ſtellten alle die Gottheit J. C. gegen die Juden
auf 1).
Nachdem. der hl. Juſtin bewieſen hat, daß J e fu
Chriſtus alfe Merfmale des Meffias vereinigt, und F
der. Meſſias wahrer Gott iſt, iſt Tryphon nur noch
über Die Schwierigkeit verlegen, zu begreifen: wie der Meſ—⸗
fiag, Gottes Sohn, und Gott felbft, — — Menü) werden,
und für die Menfchen. fterben mochte. In diefem ganzen
Gefpräche werfen die Juden dem Juſt in nicht vor, daß er
die Einheit Gottes beſtreite. Alſo iſt es klar, daß Juſtin
zwei Stuͤcke lehrte; dag eine, Daß Jeſus wahrer Gott
- fen, das andere, daß es nicht mehrere Götter gebe. Was
wir von dem hl. Juſtin fagten, gilt aud) senau von wer
[1
Ä 1) Justin. Dial. cum Tryph. Tertul. in Ind. Ori-
gen. contra Gelsum. . |
Ketzer⸗Lexicon IJ. 13
194 Arianismus.
u. eulian, und auch ibm werfen die Juden nicht vor; daß
er mehrere Götter glaube.
Der Jude, mit welchem Drigenes disputirt, beſtrei⸗
tet die chriſtliche Religion, weil es ungereimt ſey, an einen
geſtorbenen und erniedrigten Gott zu glauben. Origenes
entgegnet den Einwendungen des Juden mit der Behaup⸗
tung: daß Jeſus Chriſtus die goͤttliche und menſchliche
Natur vereinige, ohne zu beſorgen, daß man Ihm ermwidere,
er nähme mehrere Götter an. \
Uebrigeng iſt eg Flar, daß alle Eintvendungen , welche
Celſus von der Erniedrigung. und dem Leiden J. €. bers
nimmt, wegfielen,, wenn derfelbe nicht wahrer Gott wäre;
und doch gibt Origenes dieſe fo ganz einfache Antwort
nicht, fondern, beruft fi auf das Geheimniß der Menfche
werdung. Er glaubte fonach an bie Confubftantialität des
orte.
m
Ungerehtigfeit und Unhaltbarfeit der Einwendum
sen der neuen Arianer gegen die Däter der drei ers
fien Jahrhunderte,
allle Vaͤter vor dem Concil von Nicaͤa haben gelehrt,
daß J. C. ewig, Sohn Gottes, wahrer Gott ſey; ſie be⸗
ſtehen feſt auf die Gottheit J. C. und ſeine Conſubſtantiali⸗
taͤt; ſie moͤgen entweder die Irrlehrer beſtreiten, oder \die
Religion gegen die Juden verfheidigen. Die Werehrung, die
fie Jeſu Chriſto erweifen, hat feine Gottheit und Confubs
fantialität zur Grundlage.
Die neuen Artaner erkennen diefe Thaffachen, bfe
unbeftreitbar find, an; behaupten aber, in den Vaͤtern Stels
len zu finden, welche aus J. €. ein bloßes Geſchoͤpf zu mar
chen fcheinen, und nach dem Geftänpniffe. Le Clerc's gehet
die ganze Frage über diefen Gegenftand darauf hin, zu wiſ⸗
fen: von melchen Stellen man die Meinung der Väter
fammeln müffe, und welches jene find, vie zur Erflärung
der andern dienen; ob eg die Ausdruͤcke find,’ welche zu fas
gen fcheinen, daß der Eohn Gottes nicht ewig if, auf
Artanismus. 193
welche man_firenge befichen milffe, ‚oder jene bie wi ders
- fihern ſcheinen, dag Er eg ift 1). .
Diefe Frage erhellet durch die Erflärung , weiche wir
von der Lehre der Väter gegeben haben, als entſchieden.
Denn weil die Väter in ihren Werfen gegen die Irrlehrer
die Eonfubftantialität des Wortes annehmen, weil die Ver⸗
ehrung, fo fie J. €. erweifen, folche voraugfegt, fo ift es
klar, daß das Dogma der Conſubſtantialitaͤt deutlich und
beſtimmt vor ihrer Seele ſtand. |
Wenn fie geglaubt hätten, daß J. €. ein Geſchoͤpf fen,
fo würde ihre Religion mefentlich anders geftaltet, und ihre
Bemeisführung gegen die Srrlehrer und Juden weſentlich
anders geftellt feyn; es lag fohin nicht in ihrem Sinne, daß
J. €, ein Gefchöpf fey.
Die Stellen, in welchen fie von dem Sohne oder don
J. .C., als von einem bloßen Gefchöpfe zu reden fcheinen,
enthalten fodann, buchftäblich genommen, die Meinung der
Väter nicht; man muß fie daher durch ſolche Stellen erklaͤ⸗
ren, in welchen ſie die Conſubſtantialitaͤt des Wortes lehren.
So oft Jemand einen Grundſatz aufſtellt, und dieſen
in Srundlage feiner Schriften, und zur NRichtfchnur feines
etragens nimmt, ſo ift e8 ungerecht und .ungereimt, zu
urtheilen: daß dieſer Menfch an feinen Grundfag nicht glau⸗
"be, weil ihm ein Ausdruck entwifcht ift, der frenge sgenoms
men, jenem Grundfage entgegen if. '
Die menfchliche Beſchraͤnktheit erlaubt feine fo große
Genauigkeit in Sprache und Ausdrud, daß man nicht in ei⸗
nem,. auch noch fo ſyſtematiſchen, Schriftſteller Ausdruͤcke
und Redensarten finden follte, welche buchſtaͤblich, und nad)
srammatifalifcher Strenge genommen, auf, feinen Grunds
fägen entgegenftehende, Folgerungen zu führen fcheinen.
m
3) Le Clerc Defense des Sentim. des Theolog. de Hol-
lande, Lett. 3. p. 76. Ars. erit. T. 5 Ep. 5, p. 96, Bibl.
‚univ. T. ı0. Art. 8.
13 *
196 Arianismus.
Es waͤre aber ungerecht und ungereimt, wenn man bie
Meinung des Schriftſtellers in ſolchen Ausdruͤcken ſuchen
wollte, und dieſes thun die neuen Arianer himſichtlich der
Vaͤter der drei erſten Jahrhunderte. Die Conſubſtantialitaͤt des
Wortes iſt ein Grurdpfeiler, auf welchem die Religion der
Väter ruhet; fie haben alle Irrthuͤmer, welche diefelbe ans
feinden, beftritten, fie nehmen fie in all ihren Schriften an;
und man macht fie ze Arianern, weil man in ihren
"Schriften einige Phrafen findet, die buchfläblich genommen,
befayen, daß J. C. geringer als der Vater, oder eine von
Ihm verſchiedene Subſtanz ſey.
Will man die Stellen, welche Sandius und Zwicker
geſammelt haben, pruͤfen, ſo fordere ich, daß man eine dar⸗
unter ausfindig mache, worinn die Vaͤter, wenn die Rede
vom Sohne Gottes iſt, als Grundſatz aufſtellen: daß Er
ein Geſchoͤpf, oder eine vom Vater verſchiedene Subſtanz
ſey. Alle dieſe Stellen ſind entweder Vergleichungen, zur
Erklaͤrung der ewigen Zeugung des Sohnes beſtimmt; oder
Erlaͤuterungen, ſo die Vaͤter geben, um den Schwierigkei⸗
- ten, die man ihnen macht, zu begegnen; oder endlich find
es Auslegungen einiger ſchwerer Stellen der Schrift Allein
kann man in diefen Etellen bie Lehre der Väter von der
‚Konfubftantialität fuchen? Kann man folche den Beweiſen,
“welche darthım, daß die Väter dieſen Glaubengfag gelehrt
haben , entgegen ftellen ?
Es ift hier unmöglich, eine ausführliche Rechtfertigung
der Väter der bref erfien Jahrhunderte vorzunehmen. Man
kann fie bei Bullug, Le Moine, Boffuet, und in eis
- ner vorfrefflichen Abhandlung über die Gottheit J. C.,
"welche das Werk eines gelehrten Benedictiners ift, finden 1).
Ü v
.ı) Judiciam Ecclesiae Catholica, Trinm priorum Saecn-
lorm ete. Defensio fidei Nicana in der Sammlung won
Bulls Werken, von Grabe, Fol. 1705. Varia Saura
ee. cura Steph. Le Moine 2. Vol: 4to 1685. T.ı_
Sixieme Avortisscment contre Jnrieu, par M. Bossnet,
a
Arianismus. 197
ren wird ·auch· uͤber dieſe Materie ein Werk des Herrn
Bayle gegen den Predieer Jurieu, welcher von den Vs
tern der. drei exften Jahrhunderte, wie Die Ariane y ger
- fprochen hat, mit Vergnügen lefen 1) _
Wiſthon glaubfe, feine Meinung in den apoftolifchen
Eonftitutionen zu finden; alsbald machte er aug diefen Con⸗
fitutionen das Werk J. C., weldhes den Apofteln von dens .
felben während ber 40. Tage, von feiner Auferftehung bie
zur Himmelfahrt diktirt worden ſey. Er behauptet fogar,
daß ohne diefeg Werk die chriſtliche Kirche feinen Beſtand
‚hätte haben Finnen. Dieſe Conflitutionen nun enthalten,
nach Wifthon, den Arianismus. i
Wir fehen bei Wiſthon ‚wieder die fonderbare Wirs
kung einer, .vorgefaßten Meinung. Denn erftens, ift es ges
wiß, daß die apofloliichen Conftitutionen den Arianiss
mus nicht enthalten; zweitens iſt es noch gemwiffer, daß
folche das Werk eines Verfaſſers aus dem Aten Jahrhuns
derte find. Den Beweis diefer beiden Punkte ‚findet man
‚bei Cotelier“s apoftolifchen Vätern. Ausgabe von Le
Clerc 2). \ Lo
Hinſichtlich der Briefe des Bl. Ignatius, auf de⸗
‚gen Anfehen Wiſt hon fich beruft, iſt es ausgemacht, daß
die von ihm citirten Stellen Zuſaͤtze der Arianer find,
wie alle Belehrte vor Wiſthon folches anerkannt, und
We Clerec bei Miderlegung Wiſthon's gezeigt hat 3).
Die Beſtimmung des gegenwärtigen Werkes erlaubt
es nicht, in dieſe Eroͤrterungen einugeben, Wir ber
De Ja aiviniis de J. C. par D. Maran bei Colambat
"3. Vol. ı2. 175 1. T.2. *
I) Janua coelorum reserala cunclis religionibus, a cele-
bri admodum viro D. Potro Jurieu.“
2) Cotelier' judicium de Constitutionibus apostolicis
T. 1. PP. Apostolicorum p. 194.
3) PP. Apostolici von Cotelier, Le Clerec’s Aus⸗
gabe T. 2. Bibl. ancienne ct mod. T. 22 part. 2. p.
237. Dupin. Bibi. des Aut. eccles. T. ı, p. 47.
nr
Rx
x *
. ‘
198 — Ariauismus.
merken nur, dag Le Clerc weder ein Gegner, der
Aurianer, noch ein Freund der Väter war, und felbft bes.
hauptete: daß die Väter dor dem‘ Concllium von Nicda
Arianer waren.
Schluß dieſes Artikels
So zerfaͤllt das Gebäude des neuen Arianismus,
wenn man ſeine Grundſaͤtze unterſucht, und dieſe großen
Schwierigkeiten, die man mit ſo vieler Zuverſicht den Ver⸗
theidigern der Conſubſtantialitaͤt entgegenſtellt, ſind, gegen
das Licht der Kritik gehalten, Sophismen, die ihre ganze
Staͤrke von dem Mißbrauche ‚einer vortrefflichen Maxime,
wenn fie wohl verſtanden iſt, hernehmen. Man behauptet,
man duͤrfe nichts annehmen, was man nicht deutlich be⸗
greift. Da man nun nicht deutlich ſieht, wie der Sohn
von gleicher Weſenheit mit dem Vater iſt, ſo haͤlt man ſich
fuͤr berechtigt, den Glaubensſatz von der Conſubſtantialitaͤt
zu verwerfen. Nach dieſem Grundſatze nimmt man alle
“Stellen, welche von Jeſus Chriſtus, wie von einem
Geſchoͤpfe reden, im buchſtaͤblichen Sinne, alle jene aber,
welche feine Goftheif ausdrücken, in einem bildlichen Ver⸗
ſtande, fo deutlich‘ fie auch ſeyn mögen.
Allein fieht man nicht klar ein, daß ed Dinge giebt,
die wir nicht faffen, nicht deutlich “begreifen Fönnen, und
“dennoch unmfderfprechlich wahr find?
Iſt es nicht Elar, daß wenn eine unfehlbate Autori⸗ |
. tät und gewiſſe Dinge verfichert, diefe eben fo wahr find,
ale die Autorität felbft, welche fie bezeuget ‚ fo dunkel und
ungugänglich fie auch unferm Verſtande fenn mögen?
Iſt es nach biefem Satze, den Niemand anftreiten Fann,
nicht. augenfällig, dag man die Stellen, welche von der
Conſubſtantialitaͤt des Wortes reden, buchſtaͤblich nehmen
muͤſſe, wenn dieſer Glaubensſatz offenbar in der Schrift
angegeben iſt, wenn er die Grundlage der Religion auss
-
macht, wenn er von Jeſus Chriftus aufgefielt, und
von den Apoftein als dag Fundament der chrifflichen Reli⸗
Arianismus. Armenie. 199
gion gelehrt worden iſt; wie man es bundertmal den Aria—
nern bewieſen hat?
Das ganze Syſtem der chriſtlichen Religiom iſt ganz
verſtaͤndlich, wenn man es auf die Gottheit und Conſubſtan⸗
tialitaͤt des Wortes ſtuͤtzet: der Arianismug im Gegen⸗
theile, welcher ſie laͤugnet, iſt voll Ungereimtheiten und
Widerſpruͤche, welche der Scharfſinn eines Clarke und
Wiſthon nicht beſeitigen konnte. Der Rechtglaͤubige, ges
ſtuͤtzt auf die Offenbaͤrung, die gewiß iſt, nimmt die Con⸗
ſubſtantialitaͤt an, die er nicht faßt, und nicht deutlich be⸗
greift, in welcher er aber keinen Widerſpruch ſieht; und
dieſe Glaubenslehre entfaltet ihm wunderbar das ganze
Syſtem der chriſtlichen Religion.
Der Arianer im Gegentheile laͤugnet die Gottheit
Sefu Chriſti, in welcher er, fo wenig als der Recht⸗
gläubige etwas Widerfprechendes fieht; und fällt in, Bir
derfprüche und Ungereimtheiten ohne Zahl.
Man begreift daher deutlich, nicht zwar die Confubs
ftantialität des Wortes, fondern die Wahrheit dieſes Glaus
bensfaßes , und Die Ungereimtheit des Arianismus, der
fie laͤugnet.
Möge num der billige Leſer entſcheiden, wer von Bei⸗
den, der Arianer oder der Orthodoxe, die Maxime vers
legt, welche fagt: der Menſch muß nur das als wabr an⸗
nehmen, was er deutlich begreift?
| Armeni er, ein Zweig der Eutychianer oder.
Monophpfiten, weihe tags Concilium von Chalcedon
verwarfen, und fic) gegen die Mitte deg bten Jahrhunderts
an die Jakobiten anſchloſſen.
Die chriſtliche Religion war durch Gregor, mit dem |
Bunahmen der Erleuchtete, noch vor Conftantin nach
Armenten gebracht worden, und erhielt ſich daſelbſt in
ihter ganzen Reinheit bis. zum Patriarchen Narfes, wei
cher gegen die Mitte des fechften Jahrhunderts ein Concis
lium-von ſechs Bifchöfen hielt, und fich für die Srrlehre
der Monophyſiten erflärte. Er that dDiefes entweder
*
200 ° 2 Armenien. -
aus Vorliebe file diefe Irrlehre, oder: weil er fich den Pers .
fern gefällig beweifen mollte , die die Griechen und Armes
nier, welche der gemeinfame Widerwille gegen den Goͤtzen⸗
. dienft der Perfer zufammenhielt, zu entzweien ſuchten 1).
Diefer Patriarch, welchem feine Nation bie Entſtehung
dieſes Schisma zu verdanken hat, hatte ſieben Nachfolger,
unter welchen dieſe Spaltung waͤhrend 112 Jahren fort⸗
dauerte.
Waͤhrend dieſer erſten Spaltung hatten die Armenier
von Seiten der Perfer viel zu erdulden. Nach der Nieder⸗
lage. der Perſer durch Heraklius begeigten fich erftere zur
Wiedervereinigung mit der Fatholifchen Kirche bereitwillig.
Ein zufammengerufeneg Concilium verdammte alle Hands
Jungen des Narfes, und föhnte tie Urmenier mit der
Kirche aus.
Dieſe Ausſoͤhnung dauerte 105 Jahre. Allein im Ans
fange des Sten Sjahrhunderfd erneuerte ſich dag Schisma.
Johann Agmenfis berief auf Befehl Omar's, Dbers
hauptes der Sarazenen und mit Zuthun des Aulifen
von Babylon eine Winkel⸗Synode von einigen Armenis |
fchen, und 6 Affpeifchen Biſchoͤfen, durch melche er ben
Berhluß faſſen ließ: dag In Fefus. CHriftus nur Eine
Natur, Ein Wille, und Eine Wirkſamkeit ſey. So verbans
den fie den Monothelismus mit dem. Monophys
ſismus.
Ein anderes Concilium verordnete‘, in Zukunft von
den heiligen Geheimniffen den Gebrauch des Waffers hins
wegjulafien, damit durch die Beimifchung des Waſſers zu
dem Weine nicht die zwei Naturen in J. C. angedeutet
wuͤrden.
— —
1) Oriens christianus T. 1. p. 1355. Narratio de rebus
Armeniorum, apud Conbefis auctuar Bibliot. PP.
T. 2. Assemann Bibliot. Or. T. 35. part. 2. p. 37,
-Memoircs des Missions. de la Compagnie, de Jesus
dans le Levaut. T. 3.
‘
Armenier. 201
Dieſer Patriarch, ſo verſchlagen als verſtellt, erwarb
fih den Ruf eines Heiligen, wozu es weiter nichts - bes
‚durfte, ale eine abgetoͤdtete Miene anzunehmen, und firenge
Verordnungen zu geben, deren eine an Fafttagen den Ges
‚brauch der Fifche, des Dliven + Dels und des Weines eben
fo ſtreng, als folches früher mit dem öleifche und -Eyern
der Fall war, unterfagte.
Die durch diefen Patriarchen erneuerte Epaitung bau
erte-big zum Ende des neunten Jahrhunderts. Einige Pas
triarchen verfuchten die Wiedervereinigung und wurden ges
. ächtet. Die VBerheerungen, welche die Türken in Armenien
anrichteten , vermochten Kazik, feinen Sig nach Sebaſte
zu verlegen, um fich dadurch unfer den Schuß der griechis
ſchen Kaiſer zu fielen. Um die nämliche Zeit unternahm
Kazif, Fürft von Armenien, die Wiederherſtellung des
Königreiches von Klein⸗Armenien, begte fi den. Königstitel -
bei, und eroberte Cilisien, nebft einem Theile von Kappa⸗
dozien. | . |
—
Leo, Kazi's Nachfolger, ſah ſich von Imgläubigen
umringt, welche ihn mit einem Angriffe bedrohfen. Er
ivendete ſich an die Lateiner, welche damals im ‚Drfent
mit einer Heeress Macht fanden, und, um fie auf feine
Seite zu bringen, bewarb er fi um die Gunft'des Pabs
fies, der die Seele der Heere und Bewegungen der abends
Jändifchen - Fuͤrſten war. Er bat den Pabſt Coͤleſtin II.
einen Kardinal zu ſenden, der ihm die feierliche Kroͤnung ers
theilen möchte: Diefer Fuͤrſt beginftiste die Katholiken in
Armenien ſehr, und ermımterte feine Unterthanen zur Vers
einigung mit der römifchen Kirche, welche jedoch nicht
zu Stande Fam. Das Entgegenmwirken der Patriarchen und
der Widerſtand der Schismatiker berurſachten ſogar Un⸗
ruhen.
Durch dieſe Uneinigkeiten wurde aArmenien betraͤcht⸗
lich geſchwaͤcht, und die Tartaren, welche davon Kunde
erhielten, brachen in das Reich ein, bemächtigten fich Ges
orgiens und Sroß— Armeniens, und zerſtoͤrten die Stat
202 Alrmenier.
Daun, in welchet man über taufend Rirchen‘, und mehr
als hundert taufend Familien zählte. Ä
. Die Nachfolger Leo's, nachdem fie mehrere Anfälle
der Sarazenen ausgehalfen, und, in Verbindung mit den
Tartaren, fich felbft gegen dieſe gewendet hatten, beriefen
“endlich im Anfange des 14ten Jahrhunderts ein Eoncilfum,
auf welchem man erklärte, daß J. €. zwei Naturen und
zwei Willen hätte. Diefes Concilium befand aus 26 Bis
fhöfen, 10 Vertabjets, oder Doctoren, und aus 7
Aebten. Die Schismatifer' erhoben fich gegen die Synode,
und proteflirten wider Alles daſſelbſt Worgefallene; man
behauptet fogar, daß fie Hayto “und deſſen Sohn Leo,
‚welche die Vereinigung begunftigten, nteuchelmorden ließen.
Um die Widerfeglichfeit gu befeitigen, ließ der Wachs
folger Leo IIL ein neues Concilium zufammenrufen, wels
ches: Alles, was das vorhergehende entfchieden hatte, be⸗
flätigte; ‚die Monopbyfiten festen fich Diefem gleicher
Weile, wie dem‘ vorgängigen Concilium, entgegen.
Die Vereinigung hatte daher nicht Statt; und die
-monophpfitifhen Armenier fuhren fort, die Katholi⸗
Ten gu mißhandeln „und Verfolgungen gegen fie zu erre⸗
gen. Einige Jahre nach DSeendigung des legten Cons
ciliums flarb Oſcin I, und die Schismatiker trafen
wieder in bie geiftlihen Wurden ein. Nach dem Bode
Gregor's entwendete ein Minh, Namens Ciriakus,
der Jeidenfchaftlich der Spaltung zugethan war, die Reli⸗
quie der rechten Hand des hl. Gregor, aus der Stadt
Sig, brachte fie nad) Ecemiazin, wo er die Schismati⸗
ker vermochte, ihn zum Patriarchen zu erwaͤhlen. Auf dieſe
Weiſe erneuerte ſich die Spaltung des armeniſchen Patriar⸗
‚hen, welche noch heut zu Tage fortdauert. Denn Sig hat
bis jegt feinen Patriarchen erhalten, deſſen Gerichtsbarkeit _
fih über Eilizien und Syrien erflredt: Eremiazin
aber haf einen eigenen. |
Ciriakus hielt fih nicht lange auf dem angemaßten
Patriarchen » Stuhle: er wurde zwei Sjahre nach feiner Erz
wählung, 1447, vertrieben.
N —
Armenier. 203
Nun ſetzten Mich drei Bewerber un das Patriarchat in
defien Beſitz. Einer von ihnen, Namens Zahartag, .
brachte die genannte hi. Reliquie nach der Anfel Acht
mor, wo er bereits Patriarch geweſen war, und errichtete
dafelbft einen dritten Patriarchen s Stuhl, oder erneuerte
vielmehr dDenfelben: deum dieſe Theilung des Patriarchats
war fehr alt. |
Diefe Patriarchen veramlaßten viele Unruhen und Zwi⸗
ſtigkeiten in Armenien, weil alle Die Hand des hl. Gregor
haben wollten. Da die Patriarchen dem Koͤnige von Per⸗
fien eine große Summe für ihre Einſetzung, und uͤberdieß
einen fehr beträchtlichen jährlichen Tribut zu begählen hats
fen, fo konnten fie diefe Ausgaben ohne Hülfe diefer Reli⸗
quie, die ausnehmend viel eintrug, nicht beffreiten.
Chach⸗Abas, dem die Urſache ihrer Streitigkeiten
befannt war, ließ die Reliquie nah Iſpahan bringen,
und übergab aus eigener Machtvollkommenheit dag Patriar⸗
hat an Melchiſedech, welcher ſich erbot, ihm jährlich
zwei tauſend Thaler zu zahlen. Da dieſes weit mehr war,
als der Patriarch leiſten konnte, entfloh er nach Conflans
tinopel.
Bon diefer Zeit an winfchten einige Patriarchen fich
mit der römifchen Kirche auszufshnen, ohne jedoch die Nas
tion dazu bereden zu können: Inzwiſchen haben die Miffionas
rien viele Schismatifer bekehrt, und arbeiten auch jetzt noch
mit Erfolg an der Wiedervereinigung der armenifchen Kirche
« mit der Fatholifchen 1).
Sie find heut zu Tage in Franken — und ſchis ma—⸗
tiſche — Armenier getheilt. Die Franken ſind jene,
weiche P. Bartholomaͤus, ein Dominikaner, abgeſandt
1) Auszug des Schreibens von P. Monnier Über Armes
nien T. 3. des Me&moires des Mission de la Compag,
de J. dans le Levant. Diefes Schreiben ift ſehr intereffant,
man hat nichts Beffered Über Armenien, Der P. le Quien
hat diefe Materie gut behandelt in feinem Oriens Chri-
stianus. '
204 j Armenier.
vom Pabſt Joha nn XXII. .zum katholiſchen Glauben
brachte; ſie bewohnten ſieben Doͤrfer in einer fruchtbaren
Gegend, genannt Abrenex. Es befinden ſich auch einige
in Polen unter einem Patriarchen, der fich. dem römifchen
Stuhle, 1616 unterwarf 1). Auf der Inſel St. Lazarus,
bei Venedig, beftehet feit 1717 eine Congregation armenis
fcher Mönche, von ihrem Stifter Mechitar, Mechitariften '
genannt, die hauptſaͤchlich durch Schriften unter ihrer Nas
tion. eine beſſere Bildung zu verbreiten fuchen.
Bon dem Glauben der ſhismatiſchen Armenier.
Der Hauptirrthum der Armenierift, daß fie dag
Concilium von Chalcedon nicht anerfennen. Diefen Irr⸗
thum etwa gusgenommen, weichen fie eigentlich zu reden, von
der römifchen Kirche nur in der Liturgie ab. Jedoch herr
ſchen noch unter fhnen einige Irrthuͤmer über das Ausge⸗
ben des hl. Geiftes, und den Zuftand der Seelen nach dem
Tode; indem fie glauben, daß die Seelen erft am jingften
Gerichtstage beftraft oder belohnt werden. Einige glauben
auch, Gott habe alle Eeelen am Anfange der Melt gefchafs
fen, und Jeſus Chriftug fie ale aus der Hölle gezogen;
es gebe fein Fegfeuer; Die von dem Leibe geſchiedenen See⸗
len irrten in der Luft umher.
Allein dieſe Irrthuͤmer gehoͤren nicht der Kirche von
Armenten an, ſondern es find Privat⸗Irrthuͤmer, die ſich
beiden Armentern durch ihre Verbindung mit Fremden“
eingefchlichen haben, Denn es war von ihnen nie die Rede,
“als es fich von ihrer Bereinigung mit der roͤmiſchen Kirche
handelte 2) nn |
ı) La Turquie chretienne sous Ja puisanto protection de
Leuis le Grand p, M.de la Croix, ä Paris, chcs
Herissant. 1695.
2) Sieh die Aften des Conciliums von Armenien von 1342,
T. 7 Collect. du P. Martene.
EN 4
Armenier. 203,-
uUebedieß find die aͤlteſten Gebete, Sefänge: und Hym⸗
“nen der armenifchen Kirche dieſen Irrthuͤmen entgegen 1),
man findet in ihren Ritualen und Büchern die Gebete für
die Verftorbenen, die DVerchrung der Heiligen, und Relis
quien, mit Einem Worte, den ganzen Glauben der römis
{hen Kirche, und man kann den Zeifpunft der in Diefer
Kirche vorgegangenen DVerändernngen angeben.
- Die römifche Kirche tft fohin Feiner Der Neuerungen
fehuldig, welche die SProteffanten ihr vorwerfen, weil wir
ihren Glauben in einer Kirche finden, die nicht: von bem
Pabſte abhing; auch ft diefe Uebereinffihmung dee Glaͤu⸗
bens !der armeniſchen Kirche mit der Lehre der roͤmiſchen
feine Folge deg Umganges der Armenier mit den Latei⸗
nern, oder der Beihülfe ver Mäbfte, deren fie zur Zeit der
Kreussüge bedärftig waren, wie ſolches de la Crose
glaublich machen will 2).
Diefer Glaube der -vömifchen Kirche iſt beftätiget in
den Kitualen und Gebeten der armenifchen Kirche, welche
weit älter find, Aals der Umgang der Armenter mit den
Rateinern 3). -
Indeſſen gibt es doch einige Mitrͤuche und Spuren
juͤdiſcher Meinungen bei den Armeniern; ſie beobachten
die, im moſaiſchen Geſctze vorgeſchriebene Zeit fuͤr die Rei⸗
nigung der Frauen; fie enthalten ſich aller Thiere, welche
das Geſetz für unrein erklaͤrt hat, wovon fie jedoch das
Schweinenfleiſch ausnehmen, ohne einen Grund dieſer Aus⸗
nahme angeben zu koͤnnen: ſie halten es fuͤr Suͤnde, das
Fleiſch eines in ſeinem Blute erſtickten Thieres zu eſſen.
Wie die Juden, bringen ſie Gott Thieropfer dar, welche ſie
/
1) Nouveanx Memoires daf. Schreiben des Abbe de vir
lefroie. mit einee franzöfifhen Ueberfegung ‚der armenis
ſchen Oefänge. jonrn. de Trevoux 1704.
2) Christianisme de P’Etiopie, par la Crose part, 4.
3) Nouveaux /Mem, daſ. Lett. de Y’abbe de Villeſoy daf.
| |
r N
'206 YArmenier.
vor dem Eingange ihrer Kirchen durch die Diener der Priefter
fchlachten, und machen mit dem, in das Blut der Schlacht
Opfer eingefauchten Singer , über ihre Hausthuͤren das
Kreuzzeichen.
Der Prieſter behaͤlt die Haͤlfte des Opfers fuͤr ſich,
das Uebrige verzehren die Darbringer. An allen hohen
Feſttagen bringen ſie ſolche Opfer, um Geneſung von ihren
Krankheiten, oder andere zeitliche Wohlthaten zu erlangen.
Gott, welcher den Juden ihre Ceremonien und Opfer
vorgeſchrieben, hatte ihnen fuͤr die Haltung des Geſetzes
zeitliche Guter verfprochen ; die Verheißungen Jeſu Chris
fii Hingegen bezogen ch nur auf geifllihe MWohlthaten.
Um nun die beiderfeitigen Vortheile zu genießen, verbinden
die Armenier das Bekenntniß der chriſtlichen Religion
mit Haltung des juͤdiſchen Geſetzes.
Vom Kirchen⸗Regimente der Armenier.
Die Armenier haben einen Patriarchen, deſſen Sig
zu Ecemiazin iſt. Er wird von Allen als das Oberhaupt
der armeniſchen Kirche und geiſtlichen Verwaltung aners -
kannt, und führt den Namen und Titel eines katholiſchen
und allgemeinen Hirten der ganzen Nation.
Der Patriarch wird durch die Stimmen: Mehrheit der
Biſchoͤfe, die ſich zu Ecemiazin einfinden, gemählt; der
Wahlakt wird an den perfifchen Hof gefchicft, um die Bes
Rätigung des Königs zu erhalten. Diefe Beflätigung wird
unter dem fcheinbaren Namen eines Gefchenkes fiir feine
Majeſtaͤt und deſſen Minifter erfauft. Wenn aber Ehrgeiz
und Parfheilichkeit die Stimmen theilen, und eine zwieſpal⸗
fige Mahl erfolgt‘, Yo wird das Patriarchat Sffentlich aus⸗
geboten, und dem Meiſt⸗- und Lebtbiefenden zugefchlagen.
Der König wartet nicht immer die Beendigung der Wahl
ab; er kommt ihr zuvor, wann er will, und ernennt felbft,
ohne Ruͤckſicht, nad; Gutduͤnken einen Patriarchen. _ >
Der Patriarch "Iegt fich eine unbefchränfte Gewalt über
die Bifchdfe und Erzbifchdfe bei, aber der That nad if
Armenie. 207
ſolche auf Boſtaͤtigung der Wahlen die in ben Partikular⸗
Kirchen vorgendnimen werden, und der Ernennungen, die
von Seite des Monarchen gefchehen, befchränft.
. Die, Einkünfte des Patriarchen find fehr vetedchtlic,
. amd. belaufen fich im niedrigften Anfchlage auf hunderttau⸗
fend Thaler, ohne daß er für- feinen Reichthum einen koͤſtli⸗
chen Aufwand macht. Denn er iſt gekleidet wie ein gemei⸗
ner Moͤnch; genießt nur Huͤlſenfruͤchte, trinkt Waſſer, und
lebt in einem Kloſter, wie die andern Moͤnche.
Dieſes reiche Einkommen des Patriarchen koͤmmt einer
Seits von den Laͤndereien, die zu ſeinem Kloſter gehoͤren,
anderer Seits von den Abgaben des ganzen Volkes; und
ſolches geht beinahe ganz auf, um den Schutz des Hofes
zu erkaufen, das Kloſter zu unterhalten, die Kirchen im
baulichen Stande zu erhalten und zu zieren, zu den Aus⸗
gaben der Nation beiguftenern, und den Tribut für eine
Menge Armer zu bezahlen, deren Duͤrftigkeit eine naͤchſte
Gelegenheit ſeyn wuͤrde, vom Glauben abzufallen.
Ale Biſchöfe leben, wie der Patriarch, und doch fi nd
diefe „Leute fehr ehrfüchtig; man wendet Lift und Nänfe
an, um zu den geiftlichen Aemtern zu gelangen.
Jede Partifulars Kirche hat ihren Rath von den anges
fehenften Alten beftellt. Diefer wählt den Biſchof und bes
hauptet dag Recht, folchen abzufegen, wenn er mit ihm nicht
zufrieden iſt, welches den Bifchof in fleter Furcht Hält.
Veberdieß giebt es in ber armenifchen Kirche Bertabs
jet’, oder Doctoren, bie fih ohne Umflände den Vor⸗
rang über die Bifchdfe, fo nicht Doctoren find, beimeffen.
Sie tragen den Bifchofsftab, und haben die ‚allgemeine
Sendung, wo es ihnen beliebt, zu predigen. Mehrere find
Vorſteher von Kisftern, die andern ziehen im Lande ums
ber, und halten ihre Predigten, welche dag Volt mit Ehr⸗
erbiethung anhoͤrt.
Um den Titel eines Vertabjet zu erlangen, und zu
führen, braucht es nicht mehr, als der Schüler. eines Vers
tabjet gemwefen zu ſeyn. Wer ihn einmal erworben hat,
theilf denfelben fo vielen andern feiner Schüler, mit, als
,
208, | | Armenier.
er für raͤthlich Hält, Wenn fie die Namen ber hl. Väter,
und einige Stellen aus Der KHirchengefchichfe, befonderg
. folche, die ih auf ihre irrigen Meinungen beziehen, ge⸗
lernt haben, ſo ſind ſie vollſtaͤndige Doctoren. |
Diefe Vertabjet's laffen fih große Ehrenbezeigun⸗
gen erweiſen; ſie empfangen die Perſonen, von denen ſie
beſucht werden, ſelbſt die Prieſter nicht ausgenommen, ſitzend:
man nahet ſich ihnen ehrerbietig, und reicht ihnen den Hand⸗
kuß, und nachdem man ſich drei bis vier Schritte zuruͤck⸗
gezogen hat, kniet man nieder, um ihre Auftraͤge zu ver⸗
nehmen. Die ſchoͤnen Stellen ihrer Reden ſind fabelhafte
Erzaͤhluagen, welche dahin abzielen, das Volk in einer
Menge aberglaͤubiſcher Gebraͤuche zu erhalten. |
Sie prebigen fißend; nad) Beendigung der Predigt
wird eine Kollekte für fie angeflelt. Die Biſchoͤfe, ſo keine
Vertabjet's find, muͤſſen ſtehend predigen.
Dieſe Vertabjet's halten neun Monate des Jahres.
‚bie firengfle Faften, und während ihres ganzen Lebens den
eheloſen Stand. Es find Chrgeizige, die zu‘ herrfchen fur
“chen, und dieſer Leidenfchaft Alles aufopfern. Durch diefe -
firenge Auſſenſeite beherrfchen fie den rohen Poͤbel, und ers
"halten ihn in der Unmiffenheit, welches die Grundfäße des _
Anfehens und der Macht der Bertabjer's find. Sie
ſchreien wmaufhirlih gegen die Lafeiner und Miffionäre, -
welche dad Volk aufklären koͤnnten, und erhalten, fo viel
in- ihrer Macht fieht, Volk und Geiftlichfeit in Unwiſſen⸗
heit und Aberglauben.
| Die ganze Wiffenfchaft der Priefter beſteht darin, , das
Meßbuch gelaͤufig leſen zu koͤnnen, und die Rubriken zu
verſtehen. Ihre ganze Vorbereitung zur Prieſterweihe be⸗
ſchraͤnkt ſich darauf, vierzig Tage in der Kirche zu ver⸗
weilen, an welchem Letztern ſie die Weihe erhalten. Noch
am naͤmlichen Tage leſen fie Meſſe, auf welche ein gro⸗
ßes Gaſtmahl folgt, waͤhrend deſſen die Papodie d. h. die
Frau des neuen Prieſters mit verbundenen Augen, zuge⸗
ſtopften Ohren, und geſchloſſenem Munde auf einem Sches
mel figt,. um die Zuruͤckgezogenheit anzuzeigen, Die fie von
Arminius. 2000
nun an-binfichtlich der heiligen Verrichtungen, die ihrem
Manne obliegen, zu beobachten hat. So oft ein Priefter
Meſſe zu lefen hat, bringt er die Nacht in der Kirche zu.
Werm die Kinder leſen gelernt Haben, - flelit fie ver
Schulmeiſter dem Bifchofe bor, telcher ihnen vom zehnten _
oder zwölften Fahre an die geiftliche Weihe ertheilt. Fuͤr
jede Ordination empfängt der Bifchof 12 Sous 1).
Arminius *) (Jakob) geboren zu Ondewater
in Holland 1560, dag heißt zur Zeit, wo die Reforma⸗
tion in hoͤchſtem Schwunge war, ſtudierte auf der Untverfir
taͤt zu Leyden, und wurde hierauf auf Koſten des Magie
ſtrats von Amfterdam im Jahre 1582 nad) Genf ges
fchicht, um fih in den Studien zu vervolfommmen. Er ver⸗
theidigte mit vieler Wärme die Philofophie de Namus.
Martin Lydius, Peofeffor der Theologie zu Frane⸗
fer, beauffragfe ihn, eine Schrift zu widerlegen, worin
bie Prediger von Delft die Lehre des Theodor Beza
über die Vorherbeftimmuug beftritten.
Armi nius prüfte Das befagte Werk, wog bie Grünbe
ab, und endlich nahm er dieſelben Meinungen, deren Wis
derlegung er unternommen hafte, an. Er konnte ſich Gott
nicht fo. vorſtellen, wie ihn Calvin und-Beza zu glauben
vorfchlugen, einen Bott nämlich, der die Menſchen zur
Sünde und Verdammniß, twie zur Tugend und ewigen &es
ligfeit, vorherbeſtimmt. Er behauptete „daß Gott als ges
rechter Richter und barmherziger Vater von aller Ewigkeit
her den Unterſchied unter den Menſchen gemacht habe, daß
diejenigen, die ihren Sünden enffagen,, ımd Ihe Vertrauen
“auf Jeſus Chriſtus ſetßen wuͤrden, von ihren ſuͤndhaften
Thaten losgeſprochen, das ewige Leben erlangen, die Suͤn⸗
den aber geſtraft wuͤrden: daß es Gott angenehm ſey, wenn
2) Nonveaux Mémoires dat. Schreiben des Abbe de Vil-
_ lefroi mit einer franzoͤſiſchen Meberfegung der rmenifgen
Geſange ‚Joärn. :de Toevoux 1954
*) Sechs zehntes Jahrhundert. er
Keter⸗Lexikon« II. — 14
\
210 Arminius.
‚ale Menſchen ihre Sünden erkennten, und nachdem fie zur
—
Erkenntniß der Wahrheit gelangt ſind, darin ſtandhaft ver⸗
harrten; daß er aber Niemand zwinge: — die Lehre Ber
za's und Calvin's mache Gott zum Urheber der Sünde,
und verhärfe die Menſchen in ‚ihren bifen Gewohnheiten,
indem. fie in ihnen die Vorftelung von einer unvermeidlichen
Nothwendigkeit erzeugten 1).
Go mar, Profeſſor der Theologie zu dent en, üben
nahm die Vertheidigung ber Meinungen Calvin's und
Beza's. Arminius und Gomar machten demnach zwei
Parthien in Holland.
Bei dem Artikel: Holland wird gezeigt, was file Uns
orbnungen dieſe Entzweiungen in- den vereinigten Staaten
geftiftet haben; hier wollen wir Arminius und feine Ans
haͤnger nur als eine Gefellfchaft von Theologen und Philos
ſophen in's Auge faſſen. Arminius, und ſeine Anhaͤnger
konnten alſo die Vorſtellungen von der Guͤte Gottes mit der
Vorherbeſtimmung und dem Fatum, welchem Calvin den
Menfchen unterwarf, nicht, vereinbaren ; fie lehrten: Gott
wolle, daß alle Menfchen felig werden, und daß Er ihnen
feine Gnade ertheile ‚, mit welcher fie Die Seligkeit erwerben
könnten.
Wie alle Keformirten erfannten auch Arm intug und
feine Schüler Feine unfehlbare Macht an, bei welcher die
geoffendarten Mahrheiten hinterlegt wären, und welche den
Glauben der ChHriften feftftellte; fie fahen die Schrift als
die einzige Glaubens, Negel, und jeden Privaten als Rich⸗
ter uͤber deren Sinn an.
Sie legten daher das, was die Schrift über die Gnade
und Vorherbefiimmung fagt, nach den Grumdfägen der Bil⸗
ligfeit und des Wohlwollens, die fie im-eigenen Herzen
und Charakter trugen, aus, befaßten fich nicht mit Der Lehre
ber römifchen Kirche über bie Gnade und Vorherbeſtim⸗
1) Historie de la Reforme des Payı- Ha. T. i. L. 18.
p. 1365. . oe ’
| Arminius. 211
‚mung, erkannten weder Auserwaͤhlung noch Vorherbeſtim-
mung, und gingen unvermerkt zu den Irrthuͤmern der Pe⸗
lagianer und Semipelagianer uͤber. |
Da die Urminianer jeden Gläubigen für den natuͤr⸗
lichen Richter über den Sinn der Schrift anfahen, fo biels
ten fie, vermöge ihres Charakters und Billigfeits ; Sinneg,
ſich nicht für berechtigt, Andere zu zwingen, wie fie, zu
denfen und zu reden; fie glaubten, mit ſolchen, welche die
Schrift nicht, gleich ihnen, auslegten, in Srieden leben
iu müffen. Daher fchreibt fich die allgemeine Duldung
der Arminianer gegen alle chriftliche Partheien, und
jene Sreiheif, die fie jedermann zugeflanden, Gott auf die
Weiſe zu verehrten, wie er es in ber Schrift vorgeſchrie⸗
ben glaube,
Da jeder einzelne Kichter über den Sinn der Schrift,
und Niemand verbunden ift, der Tradition zu folgen, fo
koͤmmt es der Vernunft zu, das Richteramt zu verwalten.
Der Arminianer, melher fi der Prüfung ber
‚Slaubenslehren des Chriſtenthums unterzog, hat alfo dies
felben unvermerft den Vorſtellungen genähert, welche die
Dernunft darbietet; ee hat Alles, was er nicht begriff,
als der Schrift zumwiderlaufend, verworfen, und weil jes
der Einzelne verbunden ift, der Schrift zu glauben, und fie
‚auszulegen, fo fonnte er nur das glauben, was er begrei«
fen fonnte.
Die Armininianer, indem fie fich aͤngſtlich an die
Lehre der Reformation, hinſichtlich des Nichterd in Glaus
beng Streitigkeiten, hielten, haben ſich ſonach unvermerkt,
wenigſtens zum Theile, den Socinianern angeſchloſſen.
Au der Kenntniß, die wir von dem Armianismus
gegeben haben, iſt es erſichtlich, daß derſelbe kein Symbol
und feſtes Glaubens⸗Bekenntniß haben konnte; es ſey dann
der Glaube an die Schrift, und das Haupt⸗Dogma der
Reformation: jeder Glaͤubige iſt Richter uͤber den
Sinnder Schrift.
Brandt, der uns dag Glaubens ⸗Bekenntniß der Ars
minianer gegeben bat, verfichert: I fie niemanden
1
So
212 Arminius. Arnold.
zwingen, es ſo anzunehmen, wie er es giebt, und es iſt
ſo abgefaßt, daß der Katholik und der Socini aner ihre
Glaubenslehren darin finden koͤnnten 1).
Unter den Arminianern zählte man Manner von
erſtem Range: Episcopius, Courcelleius, Grotius,
| Le Clerc.,
Die Ealviniften haben Vieles gegen die Arminianer
geſchrieben, und ihnen die Irrthuͤmer der Socinianer
vorgeworfen. Dieſer Vorwurf iſt nicht grundlos, was auch
. die Arminianer dagegen ſagen moͤgen, jedoch auch noch
keine Widerlegung, und die Argumente der Calviniſten hal⸗
ten gegen die Schwierigkeiten und Einwendungen der Ar⸗
minianer die Probe nicht aus: nur den Katholiken koͤnmt
ed zu, den Arminianer gründlich und ohne Widerrede
"zu widerlegen, indem fie ihm beweiſen: daß eg der Kirche
zuftehe, die Schrift augjulegen, und ung über dag zu bes
lehren, was Jeſus Chriſtus geoffenbaref hat. |
Wirr ſprechen bei dem Artikel: Holland, von dem ges
genwaͤrtigen Buflande der Urminianer in den Nieders
landen. Sie haben eine beträchtliche Niederlaffung in Hol⸗
ftein errichtet, wohin fich eine große Anzahl zuruͤckzog,
um der Verfolgung in Holland zu entgehen. Der Koͤnig
von Dänemark erlaubteihnen, daſelbſt eine Stadf zu bauen,
die .anfehnlich geworden, und unter bem Namen Frie de⸗
richſtadt bekannt iſt 2).
Arnold von Brescia *) kam von Italien nach
Frankreich, um unter Abaͤlard zu ſtudieren. Nach ſeiner
Ruͤckkehr nach Italien, trat er in einen Moͤnchsorden. Es
fehlte ihm nicht an Verſtand und Predigers Talent, wobei er
ein brennendes Verlangen nad) Berühmtheit befaß. Um die⸗
fe Ziel zu erreichen, mußte er fich einen beträchtlichen Ans
bang verfchaffen, eine Secte ſtiften und angeſehenen Geg⸗
1) Brandt Hist. de la Reforme T. 5.
2) Hofmann Lexicon-in voce Arminius.
) 12666 Jahrhundert. |
Ni
\ Arnold. . 213
nern zu Reibe gehen. Arnold befriegte die Monde, die
Geiftlichkeit, Priefter und Biſchoͤfe, predigte: fie duͤrften
toeder Lehen noch Grundffüce befigen, und Alle, welche
dergleichen-bejäßen, wären verdanınt. . ’
Das Volk ergriff’ begierig dieſe Lehre. Die Eierifei ges
rieth über den Erfolg in Schrecken, und der Pabſt Innos
zens II. verbannte. Arnold von Brescia aus Italien,
der auf die Machricht von feinem Nbleben -alebald wieder
‚dahin zurückkehrte. - Er traf Eugen III auf vem heiligen
Stuhle, und das Volk im Begriffe, fich gegen den Pabft
aufzulehnen. Arnold ergriff dieſe Gelegenheit, predigte
- gegen den hl. Water, hetzte das Volk auf, und ſchlug den
Römern vor, die alte Negierungsform, welde ihre Vor⸗
fahren zu Herren der Melt gemacht hätte, wieder einzufuͤh⸗
sen. Die Macht des Pabſtes, lehrte er, ſey bloß auf Res
ligionsgegenſtaͤnde zu befchränfen, und ber Senat wieder
herzuſtellen.
Das Volk, durch dieſe Vorſpieglung bethoͤrt, bes
ſchimpfte und mißhandelte die Großen und Karbinäle, und
pluͤnderte ihre Palaͤſte 1).
Pabſt Had rian IV. belegte Arnold und feine Ans
bäriger, mit dem Banne, und das Volk in folange mit
dem Interdikt, big es dieſen menterifchen Minden aus der
Stadt wilrde vertrieben haben.
Das Volk, zwifchen die Surcht vor dem Interdikt, und
die Verficherungen Arnold's geftellt, Eehrte, ohne Bes
finnen zum Gehorſame zurück, und die Arnoldiſten wur⸗
den gezwungen, Rom zu verlaſſen.
Sie zogen (J. 1155) gegen Toskana, wo fie bei dem
Volke eine gufe Aufnahme fanden,. welches Arnold von
ı
Brescia für einen Propheten hielt 2). Inzwiſchen wurde
MD) Oito frisigensis L. 2, de gestis Friderici C. 20.
2) Dupin Hist. de Controv. du douzieme Siecle C. 6.
D’Argentr& Coll. jud. de nor..error. T. ı, p- 26.
Nat. Alex. in Saec, ı2. on .
\
214 | . Arnold.
er bald darauf don dem Cardinal Gerard ergriffen, und
trog. der Bemühungen der Vicomtes von Campanien, die
ihn in Freiheit gefegt hatten, nach Rom abgeführt, und.
‚von der dorfigen Stadt » Obrigkeit verurtheilt, an einen
Pfahl gebunden, lebendig, und zwar, aus Beſorgniß, das
Volk moͤchte ſeinen Gebeinen eine aberglaͤubiſche Verehrung
erweiſen, zu Aſche verbrannt zu werden. Seine Anhänger
wurden Publikaner, oder Poplikaner genannt.
So zwang die Furcht vor dem Interdikt das Volk,
einen Mann verbrennen zu laſſen, den es als einen Heili⸗
gen verehrte. Dieſes Volk hatte Arnolden geglaubt, als
er gegen die Macht des Pabſtes predigte, und es ließ ihn
im Stiche, als der Pabſt die naͤmliche Macht gegen es ſelbſt
und gegen Arnold von Brescia gebrauchte,
Arnold von Villeneuve *), fo genannt von feis
nem Geburtsorte, Fam gegen das Ende des 13ten Jahrhun⸗
derts — nach den meiften Schriftfielern — zur Welt. Nach
Vollendung der Humanioren verlegte er fich auf die Chemie,
worin er große Fortfchritte machte, hierauf auf die Welts
weisheit und Arzneikunde.
Nachdem er die Schulen Frankreichs durchwandert hatte,
begab er ſich nach Spanien, um daſelbſt die arabiſchen Phi⸗
Iofophen zu hoͤren, die damals für die größten Naturfors
ſcher galten. Dann ging er nach Italien, um ſich mit ges
wiſſen Pythagoraͤiſchen Philoſophen zu befprechen, die in
großem Rufe ftanden. Endlich nahm er fich vor, nach Gries
chenland überzugehen, um mit den noch dort befindlichen
Gelehrten in Gemeinfchaft zu treten, woran ihn aber die
Kriege, welche diefe Gegenden unficher machten, verhinder⸗
ten. Er begab fich daher nach Paris zurück, woſelbſt er
die Arzneikunſt mit Ehren’ lehrte und ausübte 1).
. Arnold von Billeneupe, durd eine angeborne
Mifibegierde getrieben, hatte beinahe alle Wiffenfchaften ers
*) 14tes Jahrhundert.
1) Niceron, Mem. T. 34. p. 82. Fabricius Bibliothek
lat. mediae et infim, T\ 1. p. 359.
⸗
Arnold. — 215
ſchoͤpft, und ſich einen Namen erworben, der ihn auf die
Meinung brachte, zu Allem fähig zu ſeyn, er verfiel in
mehrere Srrthiimer. Seine Behauptungen find folgende:
1) Die menſchliche Natur in Jeſu Chriſto iſt in Allem
der Gottheit gleich.
4 2) Die Seele I. €. mußte alsbald nach ihrer Vereini⸗
gung Alles, was die Gottheit mußte.
3) Der Teufel hat dag ganze menſchliche Geſchlecht vers
fuͤhrt, und den Glauben zerſtoͤrt.
4) Die Moͤnche verfaͤlſchen die chriſtliche Lehre, und ohne
Naͤchſtenliebe, und werden Alle verdammt.
57 Das Studium der Philoſophie muß aus den Schulen
verbannt werden, und die Theologen haben gefeblt, ſich
ihrer zu bedienen.
6) Die dem Cyrillus ertheilte Offenbarung iſt koſtba⸗
rer, als die hl. Schrift. |
7) Die Werke der Barmherzigkeit find Gott angenehmer,
als das Opfer des Altar.
8) Die Stiftungen von Pfruͤnden und Meſſen find un⸗
nuͤtz.
9 Wer viele Armen verſorgt, Kapellen oder immerwaͤh⸗
rende Meſſen ſtiftet, zieht ſich die Verdammniß zu.
10) Der Prieſter, welcher das Meßopfer darbringt, und
der es darbringen laͤßt, bringen Gott nichts von bem |
Ihrigen dar.
11) Daß Leiden J. €. wird beffer durch Almoſen/ als
durch dag Meßopfer vorgeſtellt.
12) Gott wird in dem Meßopfer nicht durch Werke, ſon⸗
dern bloß mit dem Munde gelobt.
413) Die päbfilichen Verordnungen find nur Menſchen⸗
Werk.
14) Gott hat mit der ewigen Verwerfung nicht diejenigen
bedroht, w Ihe fündigen, fondern nur jene ‚ bie ein
böfes Beifpiel geben.
216, Arnold.
15) Das Ende ber Welt findet im Jahre 1335.
Statt 1).
Dieſe Säge find aus verſchiedenen Schriften des Ars
nold von Billeneupe gezogen, ald das Buh: Von der
Menfchheit und der Geduld Jeſu Chriſti, jenes:
von dem Ende der Welt; ven der chriſtlichen
Liebe ꝛc. 2
Wir ſehen nicht, daß dieſe verſchiedenen Saͤtze bei
Arnold in einer Verbindung ſtanden, und ein theologi⸗
ſches Syſtem bildeten; es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß er den
Moͤnchen und Geiſtlichen damit einen ſchlimmen Streich
ſpielen wollte; nichts verbindet uns, ihn fuͤr einen gruͤnd⸗
lichen Theologen zu halten; wir wollen es ſonach dem
Chaufepied nicht ſtreitig machen, daß er einer ber Bors
laͤufer der neuen Neformirten geweſen fey 3).
Arnold von Villeneve fliffete gewiſſermaſſen eine
Secte, befannt unter dem Namen dee Arnoldiften. Sie
machte, vorzüglich in Spanien, einige Hortfchritte.
Die Erfommunicationen, die Kreuzzuͤge, das ſtrenge
Verfahren. der Inquiſition, welches Alles im 13ten und
14ten Sahrhundert ſe häufig vorkoͤmmt, Tonnten weder der
‚Ausgelaffenheit im Denfen und Schreiben, noch jener der
Prediger und Scmwärmer einen. Damm ſetzen, welche in
diefem Jahrhunderte imzählige Secten, ald die Beguinen,
die Apoſtoliſchen, die Frevot's, die Lollard'e u.
ſ. w. hervorgebracht ‚haben. Eine höhere Stufe von Bils
dung würde alle. diefe Sectirer Jächerlich gemacht, und in
ihr Nichts zuruͤckgewieſen haben.
2) Nie.. Emerio Direct. inquisit. p. 282. edit. 1585: Ni-
ceron loc. tit. Cont. Magd. cent. C. 4, Hofmann Lex. \
Dupin. 14. Saec. 431. Nat. Alex. Saec. 13. d’Argentre
T. 1. p. 269.
:@) D’Argentre daſ. Trithem. Chron. Hirs. T. 2. p. 123.
Hist. prov. Catalauniae.
5) Pradeol. Elench. hist. haer. p. e8., Fabric. Biblie.
med. et inf. T.ı, p. 355.
— TAÆ
Arnold. Arteman. 217.
Die angefäßrten 15 Säge wurden gu Tarragona
son dem Inquiſitor 1317 verdammt. Arnold von Ville
neuve felbft, von dem Pabfie Clemens V. zur Verant⸗
mortung vorgeladen, flarb auf dem Schiffe, welches ihn
überbringen follte, und wurde anſtaͤndig zu Genua beer⸗
digt. (1313)
Arnold von Montanier, gebuͤrtig von Pui⸗
cerda in Katalonien, lehrte: Jeſus und feine Apoſtel
hätfen nichts Eigenthuͤmliches, oder Gemeinfchaftliches bes
feffen; Niemand, welcher das Ordenskleid des hl. Frans
ciskus trage, werde verdammf: der bl. Franciskus
ſteige jährlich einmal in das Fegfeuer hinab, erldfe ale
feine Ordenebruͤder, welche er mit fih in den Himmel
naͤhme: endlich der .Drden des hl. Franciskus werde
"ewig dauern. Er wurde vor tag Inquiſi fiong » Tribimal
gerufen, und widerrief ale feine Behauptungen. Sein
Miderruf war jedoch Micht aufrichtig, und er kam von
Neuem mit feinen tollen Phantafien zum Borfcheine.
Man ergriff ihn zum zweitenmale in der Dioͤzes von
I Urgel. Der Biſchof Eymerich verurtheilte Arnold von
Montanier zum ewigen Gefängniffe. |
Unwiſſenheit fichert nicht vor Irrthum, und macht we⸗
der. für die Wahrheit empfänglih, noch den geiftlichen
Obern unterwürfig. Wäre Arnold beffer unterrichtet ge⸗
weſen, fo würde er weder feine Schwaͤrmeretien bekannt ge⸗
macht, noch ſeinen Obern Widerſtand geleiſtet haben: er
haͤtte ſi ch ſeinen Irrthum benehmen laſſen.
Arnoldiſten. Schüler des Arnolde von Ville⸗
neuve.
Arteman oder Artemas, ein Ketzer, welcher die
Gottheit J. €. käugnete, und deffen Grundfäge mit jenen
des Theodor von Byzanz überein famen. Sieh 'dieſen
Artikel 1). j
3) Euseb. Hist. eceles L. 5- C. 28. Theodor. Haeret_ Fab«
L. 2.C. 4.
f
218 '. Artotoriten.
Artotyriten, ein Zweig von Montaniſten, fo ges
‚nannf, weil fie in ihren Myfterien Prod und Käfe opfer-
‚ten. Gie erfheilten auch Srauenzimmern die Prieſter⸗ und
Biſchofs⸗ Würde.
Da Monten fi sum Neformator aufgemorfen hatte,
fo hatten auch deffen Schüler feinen Geift eingefogen, und -
fuchten unaufhoͤrlich die Kirchendisciplig zu vervollkommnen.
Jeder Montantfl, der eine neue Art von Gottes⸗
dienſt ausgefonnen hatte, erhob. fofort diefelbe zu einem
Grunbartifel, und ftiftefe eine Secte.
Da einige Montaniften die Bemerkung machten, daß
die erften Menfchen Gott Dpfer von Feldfruͤchten und den
Erseugniffen der Schaafzücht darbrachten, glaubten fie, man
müffe fich ‘der: Gewohnheit. der erfien Patriarchen nähern,
und Gott Brod und Käfe opfern.
Montan hatte in feinem Propheten s Amte fi Pris—
eilla und Maximilla beigeſellt, hieraus ſchloſſen die Ars
totyriten, daß auch Frauenzimmer zu den Weihen koͤnn⸗
‚ten beigelaſſen werden, und crfbeilen wirklich ſolchen die
Prieſter⸗ und biſchoͤfliche Würde; fie wollten nicht, daß man
bei'm Neligiongdienfte. zwifchen beiden Gefchlechtern einen
‚Unterfchied mache, weil auch Gott in Ertheilung feiner Gas
ben und Fähigkeiten, die geeignet find, die Gläubigen zu lets
ten und die Kirche zu regieren, feinen folchen mache.
Bufe, Abtoͤdtung, Schmerz über Gottes Beleidigung,
waren nad) den Montaniften, die erſten Pflichten des
Chriften; das Mefentliche des Kirchenamtes war, dieſe Ges
fühle in dem Herzen der Chriften rege zu machen. Es fcheint,
daß die Montaniften das weibliche Gefchlecht fir geeig⸗
neter hielten, diefe Gefühle ven Männern einzuflößen, und
daß es fähiger fey, mwahrfcheinlich durch die Leichtigkeit, die
fie an felben wahrnahmen, fich in lebhafte Affekte zu vers
" feßen, oder wenigſtens den Schein davon anzunehmen, — bef
den Männern tiefe Nührungen hervorzubringen; oder auch
„teil fie bei diefen die Neigung vorausfegten, die Gefühle
"ver Srauen anzunehmen, und von dem kooſe eines trauern⸗
x
Asciten. Mtboflaner. 219
den Weihe geruͤhrt, den Schmerz von dem eg durchdrun⸗
gen ſcheint, ſelbſt zu fuͤhlen.
„Man ſah, ſagt der hl. Epiphantus, fleben weiß ge⸗
„kleidete Maͤdchen, mit Fackeln in in der Hand, in ihre
„Kirchen treten, um die Prophetinnen zu machen: da wein⸗
„ten ſie, beklagten das Elend der Menſchen, und durch
„dieſe Grimaſſen bewirkten ſie bei dem Volle eine Art von
„Buße 1).
Askiten, cin Montaniflifche Secte, welche einen
- aufgebiafenen Ball, um welchen fie tanzten, zu ihrem Als
tare ftellen. Diefer Ball follfe das Sinnbild des hl. Geis .
fies feyn, von dem fie erfült wären: denn dieſes behaups
‚ teten die Montaniften. Siehe Montan 2)
Askodrugiten, die nämlichen, wie die Askiten.
Astophiten, eine Art von Archontifer, ‚die die
heiligen Gefäße aus Haß gegen die lin der Kirche darge
brachten Opfer zerbrachen. Sie verbreiteten ihre Irrthuͤ⸗
mer gegen das Jahr 173. Sie verwarfen dad U. T., laͤug⸗
neten die Nothwendigkeit guter Werke und verachteten ſolche;
ſie behaupteten: um heilig zu ſeyn, genuͤge es, Gott zu
kennen; und ſagten, jeder Himmelskoͤrper werde von einem
Engel regiert 3).
Arthokianer, Ketzer des 13ten Jahrhunderts, welche
glaubten, daß die Seele mit dem Leibe ſterbe, und alle
Suͤnden gleich wären 4).
ı) Epiphan. Haer. 49 Aug, do, Haer. C. 28.
3) Aug. de Haer: C. 62. Autor. Praedces. C. 62. Phi-
lastr. C. 75.
3) Theod. Haeret. fab. L. 1, C. 10. Ittig. de Haer.
Sect. 2. C: 14. $. 2.
4) Cent. Magd. Cent. 13, C. 5. x
220 | Audaͤus.
Audbdaus, *) nach Theodoret, oder Audius nach
dem bi. Epiphanius, von Meſopotamien, beruͤhmt
:in feiner Provinz durch feinen Glauben und Eifer für die
Ehre Gottes. Er ſchrieb gegen die Mitte des Aten Jahr⸗
hunderts.
Wenn er in der Kirche eine Unorbnung bemerkte ‚fo
nahm er mit Uebermuth die Priefter und ſelbſt die Bifchdfe
darum ber; ſah er einen Prieſter oder Bifchof, der dag
Geld liebte, oder gemächlich Iebte, fo ſprach er davon,
klagte, und fadelte ihn bitter. 1—
Sein Tadeln und ſeine Kuͤhnheit machten ihn endlich
unertraͤglich. Man widerſprach ihm, 'ſchimpfte und mißs
bandelte ihn fogar zuweilen.
Der Eifer für das Neil des Näachften, und zwelfels⸗
„ohne fein Vergnügen gu tadeln, hielten ihn lange Zeit ges
gen dieſe üblen Behandlungen aufrecht; endlich aber frennfe
er fi) von der Kirche. _ N |
Solde Wirkungen bringe. geMeinhin ein hoher "Grab
von Eitelkeit bei Menfchen von ſchwachem Kopfe gepaart
mit großer: Sittenfirenge hervor. Würde man die Urfachen
von Audäus Spaltung zerglievert haben, fo hätte man
vielleicht gefunden, Daß er weiter nichts als ein ſchwarz⸗
gallichter ſtolzer Mann, ohne Kopf und Wiffenfchaft, mel
cher feine Obern, Die Menfchen und die Freude haßte, ges
wefen fey.
Eine verwegene Freimüthigkeit, welche die Dbern ans
taſtet, übt über fchwache Charaktere, und unruhige Gemuͤ⸗
ther ‚eine natürliche Herrſchaft aus; daher hafte Audaͤus
bei feiner Spaltung viele Nachahmer, felbft ein Bifchof bils
ligte ſolches, und erhob ihn zur bifhöflichen Würde.
Audaͤus wurde alfo Häupfling eirier Secte, deren
Hauptmerkmal in einer unüberwindlichen Abneigung gegen
Alles, was Nachgiebigkeit hieß, und der man den gehäßigen
‚Namen menfchlichen Reſpectes beilegte, beſtand.
—
) 4625 Jahrhunderts.
Aus diefem Grunde wollten fle die Oſtern mit den In⸗
den feiern, weil fie behaupteten: das Concilium von Ni—⸗
cäa habe den Gebrauch der Kirche aus Gefaͤlligkeit fuͤr
Conſtantin, dem man zu fchmeideln hoffte, wenn man
das Oſterfeſt auf ſeinen Geburtstas fallen ließ, abgeaͤn⸗
derf 1).
Die Audianer hatten hinſi lic der Binden ; Vers
gebung einen eigenen Gebrauh. Sie nahmen eine Anzahl
kanoniſcher Bücher an, überdieß aber auch eine Menge apos
gryphiſcher, welche fie noch für geheimnißvoller, als die HI.
Schriften anfahen. Diefe Bücher ſtellten fie in zwei Reihen, die
Apogryphen auf die eine, die Schriften auf die -andere
Seite. Die Büßer mußten, im Durchgehen zwiſchen ven
Heiden, ihre Sünden befennen, Worauf man -ihnen die
Losſprechung ertheilte. J
Da Audaͤus fü ſich ſtets von vielen Leuten aus dem
Volke begleiten Kieß,-fo gaben ihn die katholiſchen Biſchoͤfe
bei dem Kaiſer an, der ihn nach Scythien verbannte;
von da ging er weiter vor in das Land der Gothen,
wo er mehrere Perſonen unterrichtete, Kloͤſter ſtiftete, die
Uebung des jungfraͤulichen Standes, und die Regeln des ab⸗
geſoͤnderten Lebens einfuͤhrte.
Dieſes waͤhrte bis zum J. 372, wo alle Chriſten durch
die Verfolgungen Atha narich's ‘aus den Beſitzungen der
Gothen vertrieben wurden.
Der bl. Epiphanius ſcheint das Ableben des Aus
daͤus noch vor diefen Zeitpunkt zu ſetzen. Nach ihm wurde
feme Secte durch verfchiedene, von ihm aufgeftelte, Bi:
fchöfe geleitet; alfein nach deren noch vor dem Jahre 377
erfolstem Tode fahen fih die Audianer auf eine jeher ums
bedeutende Zahl zurückgebracht. Sie zogen ſich gegen den
Eupbrat und Mefopotamien, vorzüglich in zwei Dr
fchaften des Gebfeteg von Chaleis. Viele von denen, die
1) Epiph. haeres. 70. Theodoret haeret. fab. L. 4,
C. 19: Ä Er
222 Audaͤus.
aus den hothiſchen Ländern vertrieben waren, ließen ſich zu
Chalcis nieder, und ſelbſt jene, die in den Kloͤſtern des
Berges Taurus, in. Palaͤſtina und Arabien zerſtreut wa⸗
sen, vereinigten ſich mit den Audianern zu Chalcis.
Sie wohnten in Kloͤſtern oder unter Huͤtten auf dem
Lande und in der Naͤhe von Staͤdten, und pflogen keine
Gemeinſchaft mit den Katholiken, weil, nach ihnen, dieſe
Jafterhaft waren, oder mit ſolchen in Verbindung lebten;
dergeftalt, daß nie ein Audianer mit einem Katholiken,
‚mochte er noch fo fugendhaft und heilig feyn, redete. "Sie
entfagten fogar dem Namen der Chriften, und nannfen ſich
Audaͤaner oder Audianer 1).
Daß Audaͤus Anfangs ſeiner Trennung in keinen
Glaubens⸗Irrthum verfallen ſey, erhellet daraus, daß ſeine
Feinde damals ihm keinen ſolchen vorwarfen. In der Folge
ſcheinen die Audianer Gott Haͤnde, Augen und Ohren bei⸗
gelegt zu haben. Nach dem hl. Epiphanius behaupten
dieſes Theodoret und der hl. Auguſtin.
9 Petau glaubt, Theodoret und Auguſtin haͤt⸗
ten den hl. Epiphanius nicht recht verſtanden, weil die⸗
ſer ſagt: die Audianer haͤtten die Reinheit des Glaubens
beibehalten, wenn ſie ſich gleich uͤber einen Punkt von ge⸗
ringer Bedeutſamkeit hartnaͤckig bezeugt haͤtten, welches man
von der Irrlehre der Antropomorphiten nicht ſagen
koͤnne 2). Man kann dem P. Petau antworten, daß,
wenn gleich die Audjaner Gott eine menſchliche Geſtalt
beilegten, ſie dennoch uͤber die Dreieinigkeit orthodox wa⸗
ren, ſo daß ihr Irrthum uͤber die Stellen der Schrift,
welche Gott eine menſchliche Geſtalt beimeſſen, in ihrem
Glauben nichts geaͤndert zu haben ſcheinet. |
Der hl. Epiphantug finder fohin an ihnen nichts ta⸗
delnswerth, als ihre Kuͤhnheit, beſtimmen zu wollen: wo⸗
rin die Aehnlichkeit des Menſchen mit Gott beſtehe, nicht
1) Epiphanius Haer. 70. Theodoret Haer. Fab. L.
6. C. 10.
2) Petau, Dogm. Theol. T. ı. L. 2. 0. 1. 6.9.
—
%
u u Audaͤus. Bacularier. 223
aber das Weſentliche der Erklaͤrung ſelbſt. Denn es iſt ge⸗
wiß, daß ſelbſt in dieſer Stelle die Antropomorphiten
von dem hl. Epiphanius widerlegt werden. Vielleicht ſa⸗
ben die Audianer die Folgen ihres Irrthums über dieſen
Artikel nicht ein; vielleicht ließ fich Epiphanius wegen
ihrer firengen Sittenlehre, die er ſehr zu ſchaͤtzen ſcheint,
verleiten, die Erklärung der Audianer mit Nachſicht aus⸗
zulegen. Soviel ift gewiß, daß es ungerecht iſt, wegen die⸗
fer Nachſicht des hl. Epiphanius gegen die Audianer,
behaupten zu wollen: dieſer Vater beguͤnſtige die Ant ro⸗
pomorphiten, weil er ſie ausdruͤcklich widerlegt.
Die Audianer verfielen noch in einige Jerthumer der
Manichaͤer. Sie ſcheinen geglaubt zu haben: Gott habe
Finſterniß, Teuer und Waſſer nicht geſchaffen, ſondern dieſe
Elemente ſeyen ohne Urſache und ewig. Auch moͤgen ſie
von ihrer erſten Strenge abgewichen ſeyn, und mit der
Zeit ſehr regelloſe Sitten angenommen haben. (Dan fehe
Theodoret Haeret, fab. L. 4, C. 9.)
| B.
Bacularier *) auch Staͤbler, (Stabtraͤger) eine Secte
der Anapabtiſten, die im Jahre 1528 entſtand, und
o genannt murde,. weil fie den allgemeinen Irrthuͤmern d es
fer Secte auch den beifuͤgte: es fey Sünde, andere Wafs
fen, ald einen Stab zu fragen, und Niemanden fey ers
laubt, Gemalt mit Gewalt abzutreiben, weil Jeſus
Chrifiug feinen Schilern gebiethet, die linke Wange | dem
darzureichen, der ihn auf die rechte ſchlaͤgt.
Die Liebe zum Frieden, den Jeſ us der Welt gebracht
habe, ſollte nach dieſen Anapabtiſten, alle Uneinigkeiten |
entfernen und allen Nechtöftreiten ein Ende machen; fie
hielten eg dem Geiſte des Chriſtenthum's entgegen, jeman⸗
den vor Gericht zu belangen.
) 16tes Jahrhundert. nn
-
296 | Boſanismus.
ſophie, erhielt die Doctor⸗Wuͤrde 1550, und ward im fol⸗
genden Jahtre zum Lehrſtuhle der Hl. Schrift befoͤrdert 1).
Die Meinungen Lüther's, Calvin's und Zwing⸗
li's hatten in Flandern und den Niederlanden große. Fort⸗
ſchritte gemacht. Die Proteſtanten erkannten nur die Schrift
als Glaubens⸗Regel. Doch gab es auch Vaͤter, die bei
ihnen noch im Anſehen ſtanden; ſie behaupteten ſogar: nur
den Ausſpruͤchen des hl. Auguſtin in Anſehung der Gnade
und Vorerwaͤhlung gü folgen.
u Bajıs faßte ‚den Entſchluß, das Studium der Zheo⸗
logie baupefüchlich auf vier bl: Schrift - md die alten
Väter, welche die Irrlehrer noch in Ehren hielten, zu bes
ſchraͤnken, die Methode der Väter in Unterfuchung der ans
geftrittenen Punkte zu befolgen, und jene. der ‚Schalaftifer;
gegen welche die Proteſtanten große Abneigung batten,. i
verlaſſen.
Dieſer Goetiesgelehrte ſudlerte nun ‚nit. allem Ernfe
die Schriften des hl. Auguſtin, und nahm, weil er in
den von: ähm. bearbeiteten. Materien die groͤßte Genauigkeit
fand, ſich folchen zum: Muſter. Ver Allem beftsebfe er ſich,
deſſen behre von der Gnade wohl zu‘ verftehen.r
Denn da die Proteſtanten, wie gefagt, vorgaben uͤber
dieſen Gegenſtand der Lehre des hl. Augüſtin zu folgen,
Ä fo Fonnte man fie nicht wirkſamer, als durch die ehre die⸗
ſes Vaters ſelbſt beſtreiten. |
"Der hf. Uuguftin hatte die Nothbendigten 5 der Gnade
- gegen bie Pelagianer bemiefen; er hatte diefe Wahrheit .
bucch die Stellen der Hl. Schrift dargefhan, die uns lehren:
daß wir nichts ohne Gott. vermsgen,- daß al unfer Vermoͤ⸗
gen von Ihm komme, daß unſere Natur verdorben ſey, und
daß wir als Kinder des Zorns ‚geboren, werben.
ve e Ta x i us batte biefen Beweiſen die Freiheit des
F
5 Baiann. Michael Bay Op. ada pert in 4to p- Igr. u
Dupin Bibliot. 16. Siecle. ;
% 4 1 —
*
Bajanismus. 227
Winfihen entgegengeflellt, welche zernichtet wuͤrde, wenn
{hm die Gnade nothwendig waͤre.
2RVAuguſtuin war der Freiheit des Menſchen nicht gu
nahe getreten; aber er hatte behauptet: daß es ihm ſchlecht⸗
hin unmöglich fey, ohne Beihilfe der Gnade fein Heil zu
bemirkenz er batre gelehret, daß Adam felbft ohne dieſen
Gnndenbeiſtand nicht im Stande, feiner angefchaffenen Ges
retchtigkeit habe beharren Finnen: daß folglich feit dem Falle
des. Menſchen es nicht nur unmoͤglich fey, durch Die eigenen
Kraͤfte, welche die Erbfünde zerfiset habe, zum Heile zu
gelangen, fondern daß er auch roch einer flärfern Gnade
bedürfe, ale Adam. Diefen Gefihspunkt des Hl. Augu⸗
fin ergriff Bajus, in der Ueberzeugung, daß die durch
die Einde Adam's in dem Menfchen erftandene Veraͤnde⸗
rung den Knoken aller Schwierigfeiten über die Freiheit
des Menfchen, und die Nothiwendigkeit der Gnade Jöße 1).
“ Auguftin. hatte die Erbfünde und das Verderbniß der
menſchlichen Natur aus der Begierlichfeit, der der Menfch
vom Augenblicke feiner Geburt an unterworfen ift, aus dem
Elende, unter dem er ſeufzt, aus dem Tode und all den
Uebeln, die ſeit dem Fale Adam's das Erbtheil ver
Menſchheit ſind, bewieſen; er hatte dargethan, daß der
Menſch nicht in dem Zuſtande fen, in welchem Adanı ger
ſchaffen motden, weil der Menfch unter einem. gerechten,
weiſen, gürigen und heiligen Gott weder derdorben noch un⸗
gluͤcklich geboren werden koͤnne 2). =
Bajus ſchloß hieraus, daß der Stand ber. Unfchuld
nicht nur derjenige ſey, in welchem Gott die Menſchen zu
erſchafſen beſchloſſen habe, ſondern auch, daß die Gerechtig⸗
keit, Weisheit und Guͤte Gottes denſelben ohne die Gna⸗
"den und Vollkommenheiten des Standes der Unſchuld nicht
“babe erſchaffen koͤnnen, und daß die Gerechtigkeit Adam?
dem Aeenſchen eigentlich nicht in dem ‚Sinne weſentlich ſey,
BAAR EEE EEE EEE Ze BEE Be
4) Siehe den Artikel: Pelagius.
2) Ebendnſelbſt. Man fehe.bie Werle des bi. Am ugufie 9%
gen die Pelagianer. BEE ar TORTEN TE re
1585
228 | Bajanismus.
als waͤre fie eine Eigenthuͤmlichkeit ſeiner Natur, ſo daß
ohne fie der Menſch gar nicht vorhanden ſeyn koͤnne, fon>
dern daß fie ihm nur in fofern weſentlich fey, damit ex
nicht Iafterhaft, entartet, und zur Erreichung feiner Veſtim⸗
mung unfaͤhig waͤre.
So, ſagte Bajus, kann ein Menſch ohne gute Sch
oder Gehoͤr-Organe erifliren; wenn er aber Augen oder
Dhren hat, deren Nerven unfähig find, die Eindruͤcke der
Sarben oder Töne big zum Gehirne gelangen zu laffen , ſo
kann er die DVerrichfungen nicht machen, zu welchen der
Menſch beſtimmt iſt 1).
Gott konnte daher den Menſchen, wie er jetzt iſt, das
heißt, mit der Begierlichkeit, nicht erſchaffen, ohne
dag er eine unbefchränfte Herrſchaft über die Sinne hatte:
ohne diefe Herrfchaft iſt der Menſch der Sclave der Koͤr⸗
perwelt; welches eine Unordnung iſt, die in einem vernuͤnf⸗
tigen Geſchoͤpfe, das den Haͤnden Gottes entſproffen iſt,
nicht ſtatt haben kann 2).
Der Menſch war daher ſeit der Erbſuͤnde der urſpruͤng⸗
lichen Reinheit ſeiner Natur beraubt; er iſt Sclave der
Begierlichkeit, und hat nur noch Kraft zum Suͤndigen.
Dieſe Lehre iſt, nad) Bajus, der Freiheit nicht ent⸗
gegen. Dieſe wurde eben dieſem Gottesgelehrten zu Folge,
von drei Secten vorzüglich angefeindet, von den Stoikern,
Manichaͤern, den Schuͤlern Luther's und Calvin's.
Die erſten unterwarfen alle menſchliche Handlungen dem
BGeſchicke, von welchem Alles in der Welt herruͤhre; die
zweiten geben die menfchliche Natur für weſentlich boͤſe und
verdorben aus; Luther amd Calvin endlich lehrten: der
: Menfch fey unter der Leitung: der Vorfehung dag, was eim
-Automat unter den ‚Händen des Kuͤnſtlers ift: der
Menfch, ale unfähig zu handeln, thue nichts, Gott leite
ihn in allen feinen Handlungen burch eine unwiderſtehliche
%
-2 3) De prima hominia justitia C. 2. rs u. eier).
3) Ibidem C. 3. 4. 6. 7. Zu ” :
| Bajanismud. 229
Macht; noch mehr, er allein und unmittelbar bringe alle _
menſchliche Handlungen hervor 1).
Dieſe drei Gegner der Freiheit irrten ſich, nach Bajus,
ihre Irrthuͤmer zu widerlegen, glaubte er fein Soſtem
geeignet, welches folgendes war:
Gott ſchuf den Menſchen aus fretem Antriebe, und
ſchuf ihn mit Freiheit begabt. "Adam ſuͤndigte mit freiem
Willen, und war fohin durch das Gefeg der Nothwendig⸗
Feit nicht gezwungen. .
- Der erfte Menfch war gerecht, unfchuldig, ausgeruͤſtet
mit Tugenden, gefchaffen; fohin war die menfchliche Natur
nicht böfe, wie die Manichaͤer meinten: in dieſem Zur
Rande geböt er feinem Leibe; ale Einnens Drgane waren
feinem Willen unterthan; die fremden Eindrücke der Koͤr⸗
perwelt auf dieſe konnte er abweiſen oder hemmen.
Dieſe Herrſchaft uͤber die Sinne verlor er durch die
Suͤnde er verlor die Gnade, die ihm zum Beharren in
der Gerechtigkeit noͤthig war; durch das Gewicht der Be⸗
gierlichkeit wird er mit Gewalt zum Geſchoͤpfe hingezogen;
dieſem Hange kann er nicht mwiderfiehen 2). -
Es iſt daher nicht Gott, welcher die Suͤnde in dem
Menſchen erzeugt, wie Luther und Calvin zu behaupten
mwagten; der Menfch iſt es ſelbſt, der durc, eigene Schwere
und eigene Meigung fich zum Geſchoͤpfe hinziehen läßt: und
hierin beftehet feine Freiheit, weil er nicht Durch eine Urs
ſache auffer ihm geswungen iſt; der Wille ift nicht genoͤ⸗
thiget; der Menfch fündigef, weil er will, und er will
nicht ohne feine Einwilligung; er gehorcht feinem Hange,
und nicht einer fremden Urfache, mithin ift er frei. Der
Menſch kann felbft in Angelegenheiten viefes Lebens . mit
Ueberlegung wählen und ſich beflimmen, und auch darum
iſt Die freie Willkuͤhr nicht erloſchen 3).
m — —
4) Siehe die Artikel Luther, Calvin.
2) L. ı. de bono justitiae,
3) De libre Arbitrie C. ıı.
230 | Bajanismus.
BSajus zeſtehet ſelbſt, daß die katholiſchen Doctaren
in ihren Schriften gegen die Irrlehrer uͤber den freien Wil⸗
len anders denken, und ihn in dem Vermoͤgen: eine Sache
zu thun, oder nicht zu thun, beſtehen laſſen, d. h. in ei⸗
ner Befreiung von aller Nothwendigkeit: meint
jedoch, fie Hätten den Sinn des bl, Auguſtin perfehlt,
‚welden, dem Evangelium, folgend, die Freiheit dareinfege,
dag der Wille des Menfchen Feiner äußeren Nothwendig⸗
keit unterworfen ift, ohne daß er nothwendig das Vermoͤ⸗
gen habe, etwas nicht zu thun, mag er thut, oder jenes
zu thun, was er nicht thut 1).
So lehrten Bajus und Heffel über die Gnade, |
und ‚uber die Kräfte des Merfchen zu Loͤwen. Miele
Theologen nahmen dieſe Lehre an, |
Wirkungen der Lehre des Bajus.
Alls die Gottesgelehrten von Loͤwen, die zur Kirchens
verfammlung von Trident berufen waren, zuruͤckkamen,
wurden fie über die Meinungen des Bajus und deren
Sortfchritte, fehr unwillig. Wer ift der bife Beift, rief eis
ner diefer Gelehrten, der während unferer Abmefenheit in
unfern Schulen folche- Meinungen eingeführt hat?
Bajus Lehrmeinungen wurden nun von dem nieder ⸗
ländifchen Theologen angefochten ; vorzüglich gefchah dieſes
von den Francisfanern, welche den Ausfprüchen des S cos
tus folgten, die der Lehre des Bajus über Die Kräfte
des Menſchen geradesu mwiderfprachen,
.Scotus nahm an, daß der Menfch aus natürlichen
Kräften einige gute Werke verrichten, und Gott foldhen
einige Gnaden mittheilen koͤnne, daß aber diefe Merfe an
fich ſelbſt nicht verdienftlich wären, weil fein Verhaͤltniß
fey zwifchen Werfen, denen nur ein natuͤrliches Verdienſt
infomme, und der Gnade die einer uͤbernatuͤrlichen Ord⸗
‚nung enfquelle.
1) De libre arbitrie C. 8.
Baianiemnd: 221
Bajud Hatte ſich nicht Darauf, beſchraͤnkt, ſeine Ber
hauptung vorzulegen; er hatte, auch die gegentheiligen Meis
nungen .lebhaft angeftritten. Die Vertheidiger ver letzern
hielten ſich felbft in den Vorleſungen des Bajus.mit mes
nig Schonung herauggeforderf, ‚und. gingen ihrer Seits auch
den Behaupfungen dieſes Theologen zu Leibe. Der Ötreif
wurde higig, und Bajus Gegner ſchickten an Pie theolos
giſche Farultaͤt, zu Paris achtzehn Saͤtze, die von Bajus
oder ſeinen Schuͤlern behauptet wurden ‚ und bie. Grund⸗
züge der Lehre, die wir angeführt haben, enthielten „nebſt
einigen andern Meinungen, deren Unterſuchung hier med
- Ws iſt: z. B. daß die hl. Jungfrau der Erbſuͤnde unter⸗
worfen fey.
Die theologiſche Fakultaͤt verwarf dieſe Saͤtze: Bajus
vertheidigte die meiſten derſelben: Der Cardinal von
Granvelle, Stadthalter der Niederlande, da er ſah, daß
die Gemuͤther ſich erhitzten, und befuͤrchtend, dieſer Zwiſt
moͤchte den beiden Univerſitaͤten von Loͤwen und Paris
Unannehmlichkeiten zuziehen, erhielt vom Pabſte ein Breve,
welches ihn zu Allem, was er zu deſſen Beilegung fuͤr noͤ⸗
thig erachten moͤchte, ermaͤchtigte.
Der Cardinal legte beiden Theilen Stillſchweigen auf,
und erließ an Philipp 1. von Spanien eine Vorſtel⸗
lung, tie gefährlich für Bajus und Heffel, und zus
gleich nachtheilig für die Kirche eg fen, wenn man Durch
ein zu ftrenges Verfahren Veranlaſſung gebe; Parthei zu
ergreifen, welches ſehr verdrießliche Folgen nad) fi siehen
fönnte, ind rieth, in diefer Sache bloß den Weg der Guͤte
einzufchlagen; auch ertheilte er der Nechtgläubigfeit, Ges
Ichrfamfeif und Froͤmmigkeit des Bajus und Qeffel
große bobſpruͤche. or
Philipp, II. genehnifgte. die Vetfahrungsweiſe bos
Cardinal von Granvelle, und der Friede ſchien gu der
Univerfitaͤt wiederhergeſtellt. |
Bald erneuerfen die — des Bars die Feindſe⸗
442
—*
> 6 Bu Bajantsmus.
enthielt, und die faſt alle, als des Irrthums or der Ke⸗
tzerei verpächtig, angeklagt wurben,
Granvelle theilte diefe Säge bem Bajus mit, ber
einige davon. nicht für die feinigen anerkannte, und von
den andern behauptete: fie fenen nicht wohl verdauet, in
jiweiheufigen Ausdruͤcken abgefaßt, und einer uͤblen Ausle⸗
gung, wovon er weit entfernt fen, fähig, Der Streit wurde
nicht weiter betrichen, und Bajus mit Heffe] zur
ſirchenverſammlung von Trident abgeordnet 1),
Nach feiner Ruͤckkehr beendigte Bajus den Druck ſet⸗
ner Schriften. Die Streitigkeiten erhoben ſich von Neuem
mit mehr Hitze als je, und man zog aus feinen Buͤchern
mehrere Säge, die man nah Spanien ſchickte, um ihre
Verurtheilung zu erwirfen. Die Sraneisfgner ordneten an
ben König Philipp IL. zwei von ihren Mitprüpern ab,
deren einer Beichtvater Marten’8 von Deflreich, ver
andere fehr viel vermögend bei dem Herzog von Alba
war, um ben König mif in den Streit zu gieben,
—Ausſpretzche des Hl Stuhls in Betreff der dem Bar
juß zugeſchriebenen Reprfäge,
Man hatte aus Bajus Schriften, dann feinen oder
feinee Schüler Meden fechs. und fi ebenzig Site ausgezogen,
welche faft gaͤnzlich die Entwicklung deſſen, was wir von
ſeiner Lehre angefuͤhrt haben, enthalten, und ſich auf fol⸗
gende Gruͤndzuͤge bringen laſſen;
Der Stand der Unſchuld iſt der angeſchaffene Stand
des Menſchen; Gott konnte ihn in keinem andern erſchaffen.
Seine Verdienſte in dieſem Stande koͤnnen nicht mit Gna⸗
den genannf werben, und er konnte feiner Natur nach das
ewige Leben verpienen,‘ | |
» Bajen. p. 35, Tr Liitera Cardin. Granvelle, |
aa Veronuii in Abatia 8 Vincentii asservatur.
Balanidinug. 238
Seit der erſten Suͤnde find alle Werke der Menfchen,
die ohne die:-Snade verrichtet werden, ſuͤndhaft: fo find
‚ ale Handlungen der Ungläubigen, und felbſt der negative
Unglaube, Suͤnde.
Die Freiheit iſt, nach der hl. Schrift, Entiebigung von
der Sünde, und mit der Nothwendigkeit verträglich: bie
Negungen der Begierlichkeit, wenn gleich unfreiwillig, find
durch dag Gefeß verboten, und bei den Gefauften, wenn
fie in den Suͤndenſtand zuruͤckgefallen find, ſelbſt Sünde,
‚Die Liebe kann fich bei einem Menſchen finden, wenn
er auch noch nicht Verzeihung feiner Sünden erhalten hat.
Die Todfünde wird durch eine vollkommne Neue, verbuns
den mit dem Wunfche, die Taufe oder Losfprechung zu ers
halten, nicht nachgelaffen, wenn man dieſe nicht wirklich
empfaͤngt.
Kein Menſch wird ohne Erblünde geboren, und die
Leiden, welche die Mutter des Heilandes und andere Hei⸗
ligen erduldet haben, find Strafen der Erb⸗ oder wirkli⸗
hen Sünden. Man kann, ehe man zur Rechtfertigung ges
langt ift, das ewige Eeben verdienen: — man darf nicht fagen, -.
daß der Menfch durch Bußwerke genug thut, fondern, daß
in Anfehung diefer Handlungen die Genugthuung Jefu
E hrifti ung zugeeignet werde.
Pius V. verdammte die Säge, welche dieſe Lehre -
enthielten. „Wir verdammen biefe Säge,’ fagt er,
„ſtrenge und im. eigentlichen Wortfinne derjenigen, bie fie
v behauptet haben, genommen, wenn man gleich einige das
„von gewiffermaßen gelten laſſen könnte” d.h. in
- einem von der eigenthümlichen Wortbedeutung, und der .
Abſicht derjenigen, die fich Ihrer bedient haben, unterſchie⸗
denen Verſtande 1).
1) Die Wertpeidigee - de 8 0 ius. leſen den Eontert der
Bulle anders; und behaupten 6 müffe « gelefen werden:
Wir verdammen diefe Säge, wenn man gleih, einige von
ipnen firenge, und in dem eigenthuͤmlichen Sinne der Worte ,
derjenigen, die fie vorgebracht haben, genommen, gelten
234 Bagjanismus.
Der Cardinal Grauvelle, beauftragt mit dem Voll
zuge der Bulle, beorderte zu dieſem Geſchaͤfte (einen Gene⸗
. rals Vicar. Morilign, mit Dem Bedeuten: mit -wahrhaft
hriftlicher Liebe zu Werke zu gehen, um den Sehler des
J
laſſen kann. — Der unterſchied dieſer beiden Ledarten liegt
in einem Striche, wenn ſolcher vor oder nach dem Worte
possint geſetzt wird, wie jedermann ſich überzeugen kann,
wenn er die Bulle im Lateiniſchen ließt: Quas quidem
Sententias- Stricio coram nobis examine ponderatas
quanquam nonnulla aliquo pacto sustineri possint,
in rigore et proprio verborum sensu "ab ' autoribus
intento damnamug Es ift Mar, daß der Strich, der
‚nad intento ſteht, wenn er nah possint gefegt
"wird, einen durchaus verfhiedenen Sinn - gibt.
Die Anhänger des Bajus behaupteten, man müſſe den
—*— intento', und nicht nah possint Iefen:
Wir wollen pierliber einige Bemerfungen maden. _
a) Eine dogmatifche Verurtheilung nimmt die Sätze ſtets
in dem eigentlichen und natürlichen Verſtande; die Verur⸗
theilung des Pabſtes wäre ungerecht, ungeſetzlich und un⸗
gereimt, wenn ſie die 76 Sätze, und die Schriften, denen
ſie entnommen ſind, einzig wegen einer ungewöhnligen Des
deutung, die fie weder in der Schrift ſelbſt, no in dem
Sinne des Verfaſſers Haben, fondern die man ihnen beit
Icgen Fönnte, verwerfen wolle,
b).- Der Cardinal Granvelle, von Pius V.-in der
Sache Bajus delegiert, erflärte: daß dieſer die, in der
Bulle verhängten Cenſuren yerwirft habe, weil er die Säge
in dem Verſtande der Worte des Verfafferd behauptet Habe.
c) Gregor XII. forderte von Bajus dad Belennt⸗
niß, daß feine Säge in dem Sinne, wie er fie gelehrt
. habe, , verdammt feyen, "und befapt der Univerfität von‘ 2£ö*
wer: "das GegentHeik "von allen dieſen Sägen au. lehren
um, mit det Bulle im Eintlange zu ſeyn.
a) Urban vm. ip. die Eonfitution Fink, Y. mit
Bajanismus; 235
Bajus in Guͤte zu verbeſſern. Dieſes wuͤrde, ſagt der Car⸗
dinal, der Unfoerfiät und ihnen ſelet mehr Ehre machen,
t
. Pre w:
dem Striche nah possint, und nicht intento- “abe
druden. -
e) Der HL Stuhl verlangte von den Univerfi täten zu
eöwen und Douai die unbefchränfte und einfache An⸗
nahme der Bulle, und verlangte bei dieſer Annahme die
Erflärung: daß Feiner diefer Sätze, ſtrenge und im eigents.
lichen Wortverflande genommen, gelten Fönne,
f) Die Vertpeidiger des Bajus behaupten, daf in der
Abſchrift dee Bulle, welche von dem Pabſte felbft geſchickt,
und in den Archiven der Facultät von Löwen, um die
Stelle der Urſchrift zu vertreten niedergelegt fey, weder Un⸗
terfheidungd Beiden, noch Abſönderung der Artikel vorkaͤ⸗
men, und man die Abtheilung bloß durch die großen Ans
fangs-Buchſtaben, die am Anfange eines jeden Artifgld ers
feinen, errathen müſſe (Dissert. sur les Bulles contre
‚Bajus p- 58).
Diefes nun vorausgefeht, muß man fi ch nicht in Betreff |
des Sinned der Bulle an Urban VII und Greg o r
XIII., und an die Grundſaͤtze der Kritik halten, die es, wie
gezeigt, nicht erlauben, den Strich nach possint zu
ſetzen? |
8) Aus den Briefen, welde der Carbinal von Örans
velle wegen Vollziehung der Bulle an Morillon fihrieb,
erhellet, daß man zu Rom glaubte, und daß der Gardinal
der Meinung war „ man babe die Bücher und Meinungen
des Bajus verdammt. (unter den Werken des Bajus
T. 2. p. 59.).
Siehe Geſchichte des Bajan i mus mit hiſtoriſchen,
hhronologiſchen ꝛe. Noten und Erläuterungen von P.Jean-
Bapt. Duchesne D’ouai, in alo. 1731.
Traite historique et dogmat. ‘sur la. dactrine de
Bajus et sur l’äutorite des Papes, qui Vont con-
damnde 1739: 2% Vol. 12mo.
Li
{
236 Bajanismus.
und zum groͤßern Ruhme gereichen, als wenn ſie mit Erste
rung zu Werfe gingen.
| Morillon publicirte dem verfammelten Ausſchufte der
Facultaͤt zu Loͤwen am 16ten November 1570 die Bulle
Pius V., ohne jedoch eine Abfchrift hiervon abzugeben,
forderte die Doctoren der Theologie zur Unterfchrift auf,
‚und fragte, ob fie der Verordnung des Pabftes, die er ihr
‚nen eben Fund gethan habe, Folge leiften wollten? Sechs
Doctoren von Löwen, und Bajus felbft unterwarfen fich.
Da Bajus in der Bulle nicht genannt war, blieb er.
an der Univerfität, und wurde fogar im J. 1578 zum Kanz⸗
fer. und Schirmer ber Privilegien ber Univerfität von Loͤ⸗
wen ernannf.
m nämlichen Jahre erneuerten ſich die Zaͤnkereien, die
befchwichtiget zu feyn ſchienen. Einer Seits befchuldigte man
Bajus, auf den verworfenen Irrthuͤmern zu beharren, ans
derer Seits erregte man Zweifel über die Authenticitaͤt
„ber Bulle; Einige erklärten fie für unterfchoben, Andere
Für erfhlichen. |
Der Koͤnig von Spanien unterſtuͤtzte das Gefuch eis
- ‚niger Theologen von Löwen bef Gregor XIII., um Beis
legung diefer Streitigkeiten; und der Pabft gab eine Bulle,
worin er die ganze Bulle Piug V. einruͤckte, ohne fie aus⸗
druͤcklich zu beftätigen, oder die darin enthaltenen Artikel
von Neuem zu verwerfen, fondern er erflärte nur, dag er
dieſe Bulle in den Negiftern Pius V. gefunden habe, und
man ihr Glauben beimeffen dürfe,
Diefe Bulle wurde der Facultät von Löwen durch den
‚Sefuiten P. Tolet, Gewiſſensrath Gregor's XIII. und
mit deren Vollzuge beauftragt, bekannt gemacht. -
Bajus erklärte, daß er bie in der Bulle angegebenen
Artikel verdamme, und zwar in dem Sinne der Bulle, und
in der Art, wie diefe folche verdbamme, .
Die Doctoren von Löwen gaben die nämliche Erkla⸗
rung, Baju 8 unferzeichnete fogar eine Kundmachung,
Durch welche er bekannte, daß er mehrere von den ſechs und
flebenzig in der Bullejverdammten, ‚Sägen behauptet habe,
Bajanismus. 87
und daß fie in dent Sinne, in welchem er fie gelehrt, ver»
worfen worden ſeyen. Diefe, Akte unterzeichnete er am 24tem
Maͤrz 1580, worauf Gregor XII. ihm ein fehr verbinds
liches Breve zufchrieh, und eine von ihm verlangte Abſchrift
der Bulle Pius V. uͤbermachte.
Urban VIII beſtaͤtigte die von Pins v. ausgeſpro⸗
chene Verdammung.
Man hat uͤber die Guͤltigkeit dieler Bullen viel, gefttiti
gen,’ da dieſe Unterfuchung nicht zu. unferem Zwecke gehoͤrt,
ſo begnuͤgen wir uns, die Schrift⸗ Steller ſo hiervon ges
handelt haben, ‚ anzuzeigen 2). |
— 5
Solgen der über die Lehre des Bajus entfiandenen |
Streitigkeiten |
Der Borfichtsmaßregeln ungeachtef, bie man zur Er
ſticung des Geifted der Zwietracht unfer den niederlaͤndi⸗
ſchen Gottesgelehrten ergriffen hatte, dauerten die Streitig⸗
keiten zu Löwen noch fort, Bajus wurde ſtaͤts der Ans,
haͤnglichteit an die durch die Bulle Pius V.’ verworfenen
Meinungen verdächtiget., Man befchuldigfe ihn laut, daß
er die Candidaten den Eid der Unterwürfigfeit unter diefe
Bulle nicht leiſten laffe, und ſich vorzufchlagen, herausge⸗
nommen habe. Man möge diefen Artikel aus dem Eide, der
ihnen, wenn fie fih zum: Empfange der Gnade meldeten,
auferlegt wurde, wegſtreichen. |
Dieſe Anfchuldigungen wurden dem ni Tolet üben
1) P. Duchesne locı eit. Oinquicue Instruct. pastor.
‘de M. Lauguet. Archeve de sens p. 877; elc: Instruct.
pastor. de M. de Cambrai 1935. Oben angeführte piftes
riſche Abhandlung. Disnert. über die Bullen gegen Bajus
1737 12m0o. Dissert: sur les Bulles tontre Bajus et
sur l’6tat de la nature pure, par le P. de Gennes.
1722: 2 Vol. iamö.
t
28. = Bajanigmus. N
macht, denen man zugleich mehrere, die Lehre und das Der
tragen des Bajus befreffende Saͤtze anſchloß. Diefer Jar .
fuit übertrug die Entfcheivung den Umiverfitäten von Alcas
la md Salamanca, welde die Säpe deg Bajus cen⸗
ſurirten.
Der Biſchof von Vercelli, apoſtoliſcher Nun—
tius in Flandern, ließ, um bei der Saeultät von Loͤ⸗
wen Sriede zu fliften, einen Abriß der Glaubens » Lehre,
welcher den von Pius V. verworfenen Artifeln entgegenger
fegt war, abfaffen; und die ganze Facultaͤt von Loͤ w en
verband fich durch einen Eid, folchen als Regel’ ihrer Vor⸗
träge anzunehmen 1). . \
Von diefer Zeit an fchien der Friede an der Univerfis
taͤt zu Loͤwen ſo ſehr befeſtigt, daß in der Folge nichts
ihn zu ſtoͤren vermoͤgend ſeyn wuͤrde. Allein die Lehre, wel⸗
che zwei Gottesgelehrte der Jeſuiten — Leſſius, und Has
melius über die Gnade und Vorerwaͤhlung vortru⸗
gen, erneuerte alle dieſe Zwiſte.
Nichts war fo ſehr das Gegentheil von den. Meinungen
des Bajus, ald-die Behauptungen des Leſſius. Diefer
Gelehrte nahm an, nach der Sünde Adam's gebe Gott
jedem Menfchen hinreichende Mittel gegen bie Verſuͤndi⸗
gung, und feinen Beiftand, das emige Leben zu erlangen:
die Schrift enthalte eine Menge Gebote und Anmahnungen
gur Defehrung der Sünder, woraus Leſſius weiter fchloß,
daß Gott ihnen genügfam beiftehe, fich befehren zu könnnen,
weil Er nichts Unmägliches befiehlt. Leſſtus meinte, der.
hl. Auguſtin fcheine ihm die Worte des Briefes an Ti⸗
motheus: Gott will, daß alle Menfhen felig
werden, nicht in dem Sinne des Apoſtels ausgelegt zu
haben, weil er fast, Paulus habe verfanden: Sort
wolle, dag Ale, welche errettet find, felig werden.
Leſſius lehrte, daß alle Stellen der hl. Schrift, die
angeben: daß es gewiſſen Perfonen unmoͤglich fen, fich zu
befehren, in dem Sinne genommen werben müßten, daß
1) Bajana, ibidem. Dupin Hist. du 16. Sic.
Bajanismus. 239
das Wort unmoͤglich, ſoviel als außerſt ſchwer ber
deute. Er behauptete, daß, wer ohne ſein Verſchulden den
Glauben nicht habe, verbunden ſey, die natuͤrlichen Vor⸗
ſchriften, d. b: die gehn Gebote, zu halten: ein folder
babe genügenden moralifchen Beiſtand, dieſe Borfchriften
zu erfüllen: weil Gott Niemand zum Unmoͤglichen verbinde,
fonft würde: man in. die Srrthümer der Ketzer verfallen,
welche vorgeben, daß feit der erfien Sünde die Sreiheit
sum Guten verloren worden fey: er glaubte, die Vorers
mwählung zur Seligfeit gefchähe nicht vor der Vorher
fehung der Verdienfte, und dußerte, daß wenn der hl.
Auguftin einer enfgegengefeßten Meinung fey, daran nicht
viel gelegen waͤre.
Leſſius lehrte uͤberdieß noch Einiges in Betreff der
hl. Schrift, das gegen die Meinungen ‚der Doctoren von
Löwen mar, aber feinen Bezug auf den Bajanismus
hatte. Wir werden von dieſem Gegenſtande, woruͤber man
die. Cenſur der Facultaͤt von Loͤwen-Paris-1641 nach—⸗
leſen kann, nichts reden.
Bei der Facultaͤt von Loͤwen yab eg Theologen,
welche noch einige Anhänglichkeit an die Meinungen des
Bajus beibehielten: anderer Seits war die Verehrung für
den hl. Auguftin an Diefer Univerfität fo aroß, dag die
Lehre des Leffiug Viele empörfe, welche Stimmung Bas
jus fehr wahrſcheinlich benuͤtzte, um zur Verwerfung der
kehre des Leſſius nach Kraͤften beizutragen.
Die Facultaͤt von Löwen verdammte wirklich dreißig
aus den Schriften des Leſſius gezogene Saͤtze, als ents
hielten fie größtentheils eine Lehre, melche dem, was der
bl. Augufin m faufend Stellen feiner Werke, betreffend
die Snade, und. den freien Willen, gelehrt babe, zuwider⸗
laufe; fie: erklärte: da das Unfehen diefes bi. Waters in
Der Kirche,‘ bei. den: Eoncilien, Paͤbſten und den berühn:s
teften. kirchlichen Schriftfielfeen : immerdar hoͤchſt geachtet
geweſen wäre, fo hieße ed, die einen und die andern bes
ſchimpfen, wenn man diefem Anfehen- nicht beipflichten
wolle; endlich riefen die Saͤte bes Leſſius alle Ars
1
\
240 0 Zu Bajanismus.
huͤmer der Semtpelaslaner von Marfeille wieder
in's Leben, welche doch ſo keierlich von dem hl. Stuhle
verdammt worden ſeyen 1).
Dieſe Verwerfung wurde yon der Facultdt zu Löwen .
allen ‚Kirchen ver Niederlande zugeſchickt, und um ſoviel
möglich ihren Ausfprüchen über diefe angeftrittenen Mates
rien Beſtand zu geben, errichtete ſie zur MWiderlegung der
Meinungen des Leffing einen oͤffenlichen Lehrſtuhl der Theo⸗
logie, welche Stelle ſie dem Jakob Janſon, eifrigem
Freunde des Bajus, und Lehrer des Janſenius uͤbertrug.
Die Univerſitaͤt von Douai, die man die Tochter
ſener von Loͤwen nennen kann, aufgereitzt durch das Bei⸗
ſpiel ihrer Mutter, und vielleicht eben ſo, wie dieſe in
feindſeliger Stellung gegen die neuen Collegien der Jeſui⸗
ten, entwarf, aͤhnlich jener von Loͤwen, eine Verdam⸗
— mung ihrer Saͤtze. Erſtere (die von Loͤwen) war von den
Erzbiſchoͤfen von Cambrai und Mecheln, und dem Bis
fchöfe von Gent nad Douai gefchict worden: ber Verfaffer
dieſer noch weit kraͤftigern und ausgedehntern Verdammung
war ber von Löwen nah Douai verſetzte Doctor Wil⸗
beim Eſtius.
Die Jeſuiten fchidten Die Ldiwen’f he Verurtheilung
nach Rom, Sixtus V. der damals den Stuhl des hl.
Petrus inne hatte, beauftragte den Nuntius der Nieder⸗
lande mit Beilegung diefes Zwiſtes. Diefer begab fich nach
Loͤwen, und berief die Facultät in feine Wohnung: zwölf
Doctoren fanden fih ein, unter diefen Michael Baiug,
Heinrih Granius, mb Johann von Lenz Nach
den gewöhnlichen Formalitäten bezeigte der Nuntins den
Wunſch, die Facultät möchte die firittigen Punkte in ges
wiffe Artikel sufammenfaffen, Zen z that diefes mit Gras
nius, worauf der Nuntius beiden Partheien unterfägte,
mündlich oder fcheiftlich über dieſe Gegenflände zu dispu⸗
tiven; welchem Verbote ſich Beide unterworfen. Weiter
-2) Hit. Congregat. de Anziliis L. 156. 9.
| Bajanismus. | ‚aa
verbot er ımter Strafe der Exkommunication lan‘, die
es mit der. Facultät oder. den Jeſuiten hielten, weder oͤf⸗
fentlich, noch privat ſich hieruͤber in Streitigkeiten einzu⸗
laſſen, und die eine oder die andere Meinung, welche die
römifche Kirche, die Mutter aller andern, nicht verdammt
hätte, zu verdammen. Endlich wurden im allgemeinen Alle .
excomunicirt, welche die Lehrfäge, der einen oder andern
Parthei für verdächtig, ärgerlich; oder gefährlich ausgeben
wilrden, bevor der hi. Stuhl darüber gefprochen. hätte,
- Durch’ diefe Werfügung geſtattete der Nuntius dem
geffius und Hamelius, ihre Lehre vorzutragen, dafern
fie die gegentheilige Meinung. nicht widerlegen wuͤrden, und
“ erlaubte daffelbe auch der gegnerifchen Parthei.
In eben dieſem Jahre gab der fpanifche Jeſuit Molts
nat, früher Profeflor der Theologie an. der Univerſitaͤt E dor
ra-in Portugal, ſein Werk: Uebereinfiimmung
der. Gnade und des freien Willens ic heraus.
Die, Dominrtaner von Valladolid ließen im
Sabre 1590, in einer. Öffentlichen Disputation: dag Gegens
theit von Molina's Lehre vertheidigent von nun an ges
riethen Diefe beiten Orden in Spanien gegeneingnder in
Harniſch. Klemens VHL: kegte beiden heilen Stils
(chweigen auf durch eine Breve vom 15ten Auguſt 1544.
Philipp IL Hab für feine Staaten ähnliche Befehle. Als
t
lein dieſe Verordnungen kamen nicht zum Volzuge, und .
der Pabſt feste, auf das Andringen beider Pürtheien, zu
.
Rom eine Congregatioh nieder, welche zur Beilegung
und Verhuͤtung aller Fünftigen Streitigfeiten über ‚diefe Ma⸗
terie aburtheilen ſollte. ).
Man kann den Hergang und Erfols dieſer Congrega⸗
tionen, die nur Bezug auf die, Jeſuiten und. Dominicaner
haben, in. einer beſondern Schrift (Hister. Congrogat.
de Auxiliis, von August. Le Blanc) nachleſen.
* *
-_ Fi
— N N 2 x
* Fa Su * I on s Fear
2) Trnd. de pe gl. Kom. part. 4. p. 184. etc. |
Renersbsriten, | a 16
242 \ Bajanismus.
Die Streitigkeiten über die Gnade und Vorer waͤh⸗
fung‘ waren fo wenig zu Löwen als in Spanien bes
endiget. Die Anhänger des. Bajus behaupteten: die vers
dammten Säpe enthielten, in eittem gemiffen Sinne ges
nommen, nichts anders, als die Lehre des hl. Augüſtin;
Leſſius und feine Anhänger biffanden ihrer Seits das
"rauf, auch ihre Lehre fey dem bl. Auguſt in nicht entges
gen. Der ganze Streit der Gottesgelehrten von Löwen
drehte ſich zuletzt unvermerkt um die Frage: welches die
Meinung des hi. Auguffin fen? Janſon, mit Widers
legung des Leſſius beauftragt, beftritt daher denſelben
bloß mit den Grundfägen Auguſtin's. Ä
Leſſius nehm eine allen Menſchen verliehene Gnade
an, um ſelig zu werden, und bei allen Unglaͤubigen einen
moraliſchen Beiſtand zur Erfuͤllung des natürlichen Geſetzes:
Es war wohl vorauszuſehen, daß bei irgend einem Schuͤler
Janſon's, der die Lehrſaͤtze des Leſſius durch das An⸗
ſehen des hl. Auguſt in beſtritt, der Wunſch erwachen
werde, in dieſem Vater zu finden: Gott wolle nicht,
daß alle Menſchen felig werden, und Er gebiete
unmoͤgliche Dinge
Nach aller Wahrfcheinlichkeit las Janſenius, Bifchof
von Ypern, den bi. Auguſtin im dieſer Gemuͤthsſtimmung.
Er ſtudierte dieſen Vater mit aller Anſtrengung, zehnmal
lag er alle feine Werke, dreißigmal deſſen Schriften gegen
die Pelagianer und fand darin die Lehre, die er ver⸗
muthlich geſucht hatte 1). |
Aullein diefe Lehre nahm unfer den Händen des Sans
feniug eine ſyſtematiſche Geſtalt an, die fie bisher noch
nicht gehabt hatte, und bot ſich nur als die Entwicklung
det Wahrheiten dar, weihe Auguftih gegen die Pelas
gianer vertheidigt und beleuchtet "habe, deren Lehrſaͤtze
| Eerfius und. Rolina ernenert hatten.
3J
1) Cornelii iansenii, Episcopi Yprensis Augu-
stinus. Synopsis vitae autoris T. 1. „Lih- ‚praemial.
©. 10. P: 30. T. 2. J
T yo!
Bajanismus. 2243
Janſenius ſtarb nöch vor Bekanntmachung ſeines
Werkes, welches zu Paris 1640 erſchien. |
+ Der Cardinal Richelien, Minifter Frankreichs, |
welcher gegen Janſenius zu deſſen Lebszeiten eine Abs
neigung gefaßt hatte, wollte fein Buch widerlegen laffen,
1) und uͤbertrug diefe Arbeit Ifaaf Habert, Theologas
len zu Paris, nachmaligem Biſchofe von Vavres. |
Habert beganit diefe Wiverlegung in drei Reden, wo—
ein er fast: der hl. Auguſtin des Janſeñius fey ein
mißverſtandener, fchlecht erfläkfer, unrichtig
angeführter Auguſtin und den Janfenifken ſehr übel
mitſpielt. oo.
> Anton Arnaud unterzsg ſich der Vertheidigung deg
Biſchofs von Ppern, Habert antwortete in einer Schrift
unter dem Titel! Defense de la Foi (Verteidigung
bes Glaubens), Arnaud eriiedekte mit einer zweiten
Schutzſchrift, worauf Habert nichts entgegnete, fondern
In einet andern Echrift die Ausſpruͤche der griechiſchen
Vaͤter über die Gnaͤbe auseinander fehte.
Urban' VIII. verbot nach ſorgfaͤltiger Pruͤfung das
Buch des Janſenftus, als einige von Pius V. und
Gregor XII. bereits verdammte Saͤtze erneuernb.
Janfenius machte im Verlaufe feiner Abhandlung
oͤftere Ausfaͤlle geggen Molina, Leſſius, und Age, die,
wie dieſe dachten; zuletzt ſtellte er eine Parallele. zwiſchen
ihren Meinungen. und jenen der Semipelag iquer von
Marfeille auf:
. Lefſfius und Molina waren Mitglieder einer Gefell⸗
ſchaft, die, fruchtbar an Gelehrten und gründlichen Cheolo⸗
o.
4) Iäanfeniud. war dee Werfaffer eine Schrift: Mars
G.allieus betitelt. Er Veatpeidigte in diefem Warke, Supa⸗
nien gegen Frankreich, mit welchem erſteres damals in
Krieg verwickelt war. Dieß ſoll die Veranlaſſung des Has
bes, dieſes Cardinals gegen Janfſemtuns geweſen ſeyn.
J
Apol. des Cons. p. 144. |
| 16%
8
244 Ä Bajanismus. |
gen, die Irrthuͤmer der ‚Protefianten mit Ruhm beſtritten
hatte. Sie fanden an ihren Mitbrädern Vertheidiger, fans
den diefelben fogar unter ben Doctoren von Ed wen und
Paris. ,
Man fah daher in Frankreich damals zwei Partheien,
deren eine vorgab, die Lehre des hl. Auguſtin zu vers
theidigen, und in ihren Gegnern die Irrthuͤmer der Pelas
gianer und Semipelagianer zu beftreiten, während
- deffen die andere die Freiheit des Menfchen, und Gottes
Guͤte wider Luther's und Calvin’ 8 Irrthuͤmer zu vers
fechten behauptete.
: Die Köpfe erhitten fich in Frankreich ‚die Doctoren |
theilten fih, und der Syndicus der Sarultät, Dr. Cor⸗
net, machte bey der Verfammlung vom ten Juli 1649,
die Vorftellung: es. fchlichen fich gefährliche Meinungen bet
den Baccalaciern ein, und eg fey nothmendig, insbefondere
fieben Säge, die er ablas, zu prüfen. Die fünf erften bes
trafen bie Lehre von der Gnade, — die nämlichen, die in
der Folge fo viel Auffehen machten — die zwei letzten die
Buße.
“Han ernannte Eommiffäre, und febte ein Verwerfungs⸗
urtheil gegen die Säße auf. Sechszig Doctoren proteſtirten
gegen die Verurtheilung, als widerrechtlich. Das Parla⸗
ment Herbst die Bekanntmachung des. Verdammungss Ente
wurfes, und alles Disputiren über die darin. enthaltenen
Saͤtze, bis ver Gerichts Hof anders wuͤrde verfügt haben.
Diefe Wefordnnung: ift vom 5ten D£tober 1649.
Imgwilchen fegten die Vertheidiger, wie die Gegner des
Janfſenius Alles in Bewegung; ihrer Meinung dag Ue⸗
bergewicht zu verſchaffen. Im Srühlinge des folgenden
Jahres 1650 feßte der Bifchof von Vavres ein Schreis..
ben in Iateinifcher Sprache auf, welches die fünf Saͤtze
enthielt, und lud alle zu Paris verſammelte Praͤlaten zur
Unterſchrift ein, um es dann nach Non zn ſchicken, und
| | dm Pabſte zur Entfcheidimg vorzulegen:
Innorenz X. ließ die fünf Säbe prüfen, und gab
an Ziten Mai 1653 eine Bulle, worin er rast! daß,
X
Bajanismus. 245
da in Frankreich einige Irrungen über die Meinungen des
Janſenius entflanden feyen, fo babe man ihn gebeten,
darüber zu entſcheiden. Dieſe Saͤtze ſind:
1) Die Beobachtung einiger Gebote Gottes iſt den Ge⸗
rechten nach ihren gegenwaͤrtigen Kräften unmoͤglich, ob fie.
gleich folche zu halten münfchen und verfuchen. Ste ermans -
geln der Gnade, durch welche diefes möglich iſt.
2) In dem Zuſtande der verdorbenen Natur wider⸗
ſteht man niemals der inneren Gnade
.3) Um Belohnung oder Strafe zu verdienen, iſt in
dem Stande det verborbenen Natur die Freiheit, melde .
die Nothwendigkeit ausſchließt, bei dem Menſchen nicht er⸗
forderlich, ſondern es genuͤgt eine ſolche Freiheit, welche
den Zwang ausſchließt.
4) Die Semipelagianer nahmen die Nothwendigs -
feit einer innern zuvorkommenden Gnade für jede Handlung
insbefonbere, ſelbſt bet'm Anfange des Glaubens, an, und
waren darin Keter, daß fie behaupteten: dieſe Gnade ſey
fo befchaffen, daß der Wille die Macht habe, ihr zu wi⸗
derſtehen, oder mitzuwirken.
5) Es iſt ein Irrthum der Semtpelagianer, zu
ſagen: Jeſus Chriſtus ſey fuͤr alle Menſchen geſtorben,
und habe ſein Blut fuͤr Alle vergoſſen.
Der erſte Sag wurde verworfen als vermeſſen, gott⸗
los, gotteslaͤſteriſch, des Fluches wuͤrdig, und ketzeriſch.
Der zweite ketzeriſch. |
. Der dritte fegerifch. ' '
Der vierte falfch und Fegepifc.
Der fünfte falfch, vermeffen, Argerlih, und went er
in dem Sinne genommen wird, als wenn Jeſus Chris
ſtus alein zum Heile der Norerwählten geftorben märe,
-fo verdammt ihn der Pabſt als gottlog, gotteslaͤſteriſch,
fchimpflih, die Barmperzigfeit Gottes befehränfend und -
ketzeriſch.
Den naͤmlichen Tag, wo dieſe Bulle ausgefertigt
wurde, ſchickte fie Innocenz mit einem Breve an den
N‘ .
248 , Bejanismug,
verdammt bat, — biefes ſchwoͤre ich, fo wahr mir Got?
helfe, und fein heiliges Evangelium, Dieſes Formular
wurde durch eine Fönigliche Verordnung gufgeheifßen, vom
Parlamente befräftiget. und von allen Bifchöfen angenommen.
Jedoch muß man hievon die Bifchdfe von Alet, Par
miez, Beauvais und Angers ausnehmen. Neunzehn
Biſchoͤfe fchrieben zu Gunften obiger vier Biſchoͤfe an Clhe⸗
mens IX. und in der Solge an den König, um ihm vers
flelig zu machen: „daß in diefee Sache keineswegs die
„Mede vom Glauben, noch) von den koͤniglichen Verord⸗
mungen fenz; das ganze Vergehen der vier Bifchöfe bes
„ſtuͤnde darin, daß fie fich einer neuen und . fehädlichen
Lehre entgegenfeßten, welche allen Grundfägen. der Reli⸗
„gion, den Betbeiligungen des Königs, und der Sicher⸗
„ ‚heit des Staates zumwiderlaufe, wodurch man, was Gott
„allein zuftehe, dem Pabſte zueignen molle, indem man
„dieſen auch in Thatfachen unfehlbar machet fie bäten
„daher allerunterthänigft, Se Majeſtaͤt möchten die Vers
„antwortung der pier Bifchdfe zu hoͤren geruhen. !’
Disnys Talon, Sachwalter des Königs, fellte
deßhalb Klage bei. dem Parlamente, und brachte vor:
- man ſchmiede Mänfe, und: halte unerlaubte Zuſammen⸗
kuͤnfte, um Biſchoͤfe zur Unterſchrift eines an den Koͤnig
gerichteten Schreibens zu vermoͤgen, worin Maximen vor⸗
kaͤmen, die faͤhig waͤren, den Frieden der Kirche zu ſtoͤren,
Das Anſehen der koͤniglichen Verordnungen, und der, bei'm
Parlamente in Unfehung der Lehre des Janfenius einre⸗
giſtrirten Bullen zu ſchwaͤchen.
Auf dieſe Klage verbot das Parlament den Drua und
Verkauf dieſer und jeder anderer aͤhnlichen Schrift unter
der Strafe, als Störer der oͤffentlichen Ruhe behandelt
zu werben. "Die vier Bifchöfe legten fi) mit Clemens
IX. und Ludwig XIV, zum Ziele, und die Uuterfcheis
dung zwifchen. dem hats und Necht8sBeftande Hatte
in Frankreich nicht mehr Statt, (Man fehe Jaurmal de S;
Amon, Pièces toughant. Jes quatre Eveques)
Die Unterwerfung der: vier Biſchoͤfe ſchie die Dies
Bajanismus. 249
püfe gänzlich befchtwichtigt zu haben, als 1702 eine Drud⸗
ſchrift erſchien unter dem Titel: Der Gewiſſensfall,
entſchieden von vierzig Doctoren der. pariſer
Faecultaͤt, wovon mehrere in der Folge erklaͤrten, bei die
fer Unterfchrift überrafcht worden zu feyn. ran entfchied
vafin, daß jeder -Beichtvater fein Beichtkind losfprechen
fönne, welches die Verurtheilung des Buches und der Säge
des Janſenius gerade zu unterfchreiben. habe, ohne daß
es bei'm Untergeichuen an jene Entfcheidung über die That⸗
fache geglaubt, fondern nur im Sinne gehabt habe, bier,
uͤber ein ehrfurchtsvolles Stillſchweigen su beos
badıten.
Dieſe, Schrift wurde von Herrn von Noail les, Erp
bifhof von Paris, und dem größten Theile der Bifchöfe-
verdammt, und von Allen, welche die Entſcheidung des
Gewiffensfalles unterfchrieben hatten, widerrufen, von
einem Einzigen ausgenommen; 7 den die Sorbonne ang ihr
rer Mitte fließ. .
Endlich machte Clemeng XI. af diefen Zankereien
durch eine Conſtitution vom 15ten July 1705, ein Ende,
worin er nach Anführung der Verordnungen Innocenz
X. und Alexander's VII. erklaͤrt: daß derjenige den
Verordnungen der Paͤbſte uͤber gegenwaͤrtige
Frage den ſchuldigen Gehorſam nicht leiſte, wel⸗
her ſie nur mit ehrfurchtsvollen Stillſchweigen
aufnimmt, ſondern, daß alle Glaͤubige nicht
bloß mit dem Munde, ſondern auch mit dem Her⸗
zen den Sinn des Buches von Janſenius, wie er
in den fuͤnf Saͤtzen verdammt ſey, als ketze riſch
verdammen und verwerfen muͤſſe. —
Die päsßliche Bulle wurde auf Befehl des Königs der |
‚gerade Unter: dem Borfige des Cardina) von Noailles zu
Paris verfammejten Geiſtlichkeit überreicht, von derfelben
genehmiget, und unter dem Aten September 1705 in die.
Kegifter des Parlaments eingetragen.
Man fehe das Weitere in dem Artikel: Janfenifen.
250 Barbeſanes.
Bardefſanes *) geboren aus Edeſſa, in Sp
rien, war einer der ausgezeichneteften Vertheidiger der
hrifflichen Religion, und lebte untere Mark Aurel, der
fih 166 Mefopotanieng bemädtigte. Da diefer Fürft
den Chriftenthume abgeneigt war, wollte Apolloniug,.
deffen Ginftling, den Bardefanes bereven, feinem Glaus
ben zu entfagen. Allein dieſer antwortete: er fürchte den
Tod nicht, und werde ihm jedoch nicht entgehen können,
‚wenn er auch thäte, was der Katfer von ihm verlange..
Dieſer Mann, ſo ausgezeichnet durch feine Renntniffe
und Tugenden, fiel in die Kegerei der Valentinianer,
nahm mehrere Zeugungen der Aeonen an, und läugnete
die Auferfiehung. .
Mir Eönnen nicht wohl angeben, welche Gedanfenreihe
den Bardefaneg zu diefem Itrrthume verleitete, welchen
er in der Folge verließ, fi) aber doch nicht sang davon
Yogreißen konnte.
Lernen wir durch dieſes Beiſpiel, daß es vielleicht kei⸗
nen Irrthum gibt, der nicht eine verfuͤhreriſche Seite haͤtte,
und auch ein erleuchtetes, von Wahrheitsliebe beſeeltes, Ge⸗
muͤth, taͤuſchen koͤnnte; lernen wir ferner aus dieſem Bei⸗
ſpiele, wie groß unſere Nachſicht gegen ſolche ſeyn ſollte, die
in Irrthum gerathen, und wie wenig wir uns darauf her⸗
auszunchmen haben, ihm euͤtgangen zu ſeyn.
Bardeſanes beharrte zwar nicht in dieſem Irrthume,
fiel jedoch in andere. Wie alle Philoſophen und Theologen
feiner Zeit, ſuchte er. die Loͤſung der wichtigen Frage: Was
rum gibt es Uebel auf der Welt? wobei er folgender
Meife zu Werke ging.
-:.. Bott zum Urheber bes Uebels machen, tft ungereimt:
man muß Daher annehmen, daß. das Uebel feine Urfache aus
Ger Gott babe. Diefe Urfache war, nad) Bardeſanes der
Satan, oder bife Geiſt, welcher ein Fein d, aber kein
Seſchoͤr f Gottes Hi
\ * 2tes Jahrhundert.
. Bardefanes. 251
Bardef anes machte darum den Satan nicht au. einem
Geſchoͤpfe Gottes, damit‘ man die Uebel, melde man auf
‚ver Welt fieht, nicht auf Mechnung bes: hoͤchſten Weſens
fegen möge; auch legte er ihm feine. der göttlichen Vollkom⸗
menheiten bei, mit Ausnahme des Dafenns dur fi
felbft, ohne. gewahr zu werden, daß ein Wefen, welches
durch fich felbft vorhanden iſt, alle Bollfommenpeiten haben
muͤſſe. Er nahm fonach eine von dem hoͤchſten Weſen un⸗
terſchiedene Grundurſache des Uebels an, ohne mehr als
einem Gott anzuerkennen.
In Folge dieſer Meinung gab Bardef aneg dem Sa—
‘tan keinen Antheil an der Weltregierung , als in fofern es
nothwendig war, den Urſprung des Uebels zu erflären. "
Gott fſchuf die Welt und den Menſchen. Allein der
Menſch, den Er im Anfange gebildet hatte, war nicht mit
Fleiſch umkleidet; es war eine menſchliche Seele mit einem
ſubtilen, Ihrer Natur angemeſſenen, Körper
umgeben.
Dieſe Seele , die nach dem Bilde Gottes geſtaltet
war; uͤbertrat, durch Die Lift des boͤſen Geiſtes verfuͤhrt
das Geſetz Gottes. Deßhalb verſtieß fie der Schoͤpfer
aus dem Paradieſe, und feſſelte fie an einen fleiſch⸗
lichen Leib, der von nun an ihr Kerfer wurde ; Diefes was.
ren Die Kleider von Xhierfellen, womit ' Gott nach ver
Suͤnde Adam und Eva bedeckte. Die. Vereinigung der:
‚Seele mit einem fleifchlichen Leibe war ſonach, nach Bars
defanes, die Folge der Sünde, woraus er folgende
Scläffe jog: 1) Jeſus Ehriftus hat feinen menfclis
chen Leib angenommen. 2) Mit dent Leibe, den wir auf
Erden haben, werden wie nicht auferfiehen, fondern mit
einem feinen und bimmlifchen Körper, welcher die Wohns
fiätte einer reinen und unfchuldigen ‚Seele fenn muß (1).
Bardefanes: glaubte an die Unfterblichkeit der Seele, die
Freiheit, die Aumacht und Vorſehung Gottes (2).
() Omigenes Dial. contra Marcion, Sect. 5, p: 19, u.
| , (2) Eyseb.. de praep. Evang. ‚L- 6 O. 40.
22 Wardeſanes. Bafilides.
Dieſer Philoſoph hatte das Verhaͤngniß oder Fa⸗
tum in einem trefflichen Werke, wovon ung Euſebius
ein großes Bruchſtuͤck erhalten hat, widerlegt; er glaubte,
daß die Seelen dem Verhängniffe nicht unterworfen fcyen ;
daß aber doch in den menfchlichen Leibern Alles den. Ges
fegen des Gefchickes gehorchen müffe. 1). - "
Baſilides. *) von Alerandrien, Iebte im Au⸗
fange‘ des zweiten Jahrhunderte. Die Philofophie des Py⸗
‚ tbagoras und Plato war damals gu Alerandrien.
im’ hoͤchſten Schwunge. Die chriftlihe Religion war daſelbſt
mit Erfolg gepredigt werden; Doch. ‚hatten ſich auch die abs
truͤnnigen Secten eingefchlihen. .
Die Forſchungen der Philoſophen betrafen Jhyamalg
hauptfächlich die Entflehung der Welt, und vor allem dem
Urfprung des Uebels in derfelben. Baſilides fah diefe
zweite Frage als den die menfchliche Wißbegierde am mei
ften anziehenden Gegenftand an, und fuchte hierüber in
den Büchern. der Philofophen,, in den Schriften Sis
- mon, bei der Schule des Menanvder und felbft bei
den Epriften Aufſchluß; nirgends fand er uͤber dieſe große
Schwierigkeit Befriedigung. Um ſie zu hoͤſen, errichtete
er ſich nun ſelbſt ein Lehrgebaͤude, zuſammengefuͤgt aus den
Grundſaͤtzen des Pythagoras, und Simon, aus den.
Glaubens s ehren der Chriſten und Juden 2). |
Bafilides nahm an, dag die Welt nicht unmirtels
bar von dem hoͤchſten Wefen gefchaffen worden fey, fotts
dern: durch, von Diefem ergeugfe Intelligenzen. Diefeg
Syſtem war an der Tagesordnung, und die Schwierigkeit,
ten Urfprung bes Uebels mit der Guͤte Gottes gu verein⸗
x
—,—
| *) etes Jahrhundert.
1) Kusch. Hist, Eceles. L. 4, C. 30. "piphno, Haer.
56. Photius Bib. .cod. 235. Euseb. praup. L. 6, C.
10. Historia Bardesanis et Bardesantarum 4to 1710.
- von Strunzius, Ittig. de Haer. p. 133.
2) Fragm. L. 135. Comment. - Basilid. bei ‚GAbe Spicil,
PP. Saecul, 2. p. I9. Clom. Alex, L, 4. Strom. p. 506.
+
| Baftlided. 233
baren, hatte alle Secten, bie die Erklaͤrung der Entſtehung
Der Welt und des Uebels unternommen haften, an Diefe
Vorausfegung geheftet. Stmon Menander, Satur⸗
nin, nahmen ale ein hoͤchſtes Weſen an, welches Intels
ligengen ergeugt hatte, und ließen bag Uebel aus der Un⸗
vollfonimenheit Ddiefer unfergeorbneten - Weſen hervorgehen,
welche ein jeder auf eine Art handeln ließ, die ihm am
geeigneteften ſchien, die Schwierigkeit, fo ihm am meiſten
auffiel, zu loͤſen.
Man begnuͤgte ſich aber nicht damit, {m Allgemeinen
zu erklaͤren, wie das phyſiſche Uebel in die Welt ge⸗
kommen ſey; man mußte auch Rechenſchaft geben über Nuss
artung und das Elend der Menfchen; insbeſondere die Ge⸗
ſchichte der Unfaͤlle der Juden auseinanderſetzen; mußte be⸗
greiflich machen, wie das hoͤchſte Weſen Blicke der Erbars
mung auf das menſchliche Geſchlecht warf, und ſeinen Sohn |
zur Erlöfung der Menfchen auf. die Erde ſchickte. Die
Grunpfäße des Bafilides ı über ‚alle. diefe Segenftänpt
- waren folgende:
. Der ewige Vater hat den Nus Verſtand) gezeugt;
dieſer den Logos, (das Wort ),diefer die Phronefis ( Klugs
heit) diefe gebar die Sophia, (Weisheit) und die Dyna⸗
mis (Mraft) aus diefen kamen die Difaiofime (Gerechtig⸗
keit) und die Srene ( Sriede ). Diefe Weſen geugten die
Engel. EEE
Die Engel waren bon verfchiedener Ordnung und AB
Rufung, wovon die erfte, den erſten Himmel hervorbrachte,
und dieſes ſofort bis zu dreihundert fuͤnf und ſechzig Him⸗
meln. 1) Die Engel im letzten Himmel haben unſere Welt
und Erde gemacht; weshalb nicht zu wundern iſt, Daß man
da Gutes’ und Boͤſes ſieht. Sie theilten die Regierung -
der Welt unter fi, und. der. Fürfk! der. Engel unter deren
Himmel fich die Erde befindet, bekam die Juden zu feinem
Antheile, denen zu Gefallen er fo viele Wunder wirkte. Als
4) Die philoſophiſchen Peinzipien dieſes Syſtemo ſind in den
Artifeln: Simon, Saturnin, angegeben. 2
—
254 7 Bafilived.
lein dieſen ehrgeizigen Engel wollte alle Natlonen den Im
den unterwerfen, um über den ganzen. Erdkreis zu herr⸗
ſchen; die andern Engel verbuͤndeten fich gegen ion, und
‚alle Nationen wurden der Juden Feinde,
Diefe Ideen flimmten zum Theile mit. dem Staiben
ber alten Hebräer überein, die überzeugte waren, daß jede
der verfchiedenen Nationen unter bem Sohutze eines En⸗
gels ſtuͤnde 1).
Seitdem die Herrſchlucht der Engel die Natlonen bes
waffnet hatte, waren die Menſchen ungluͤcklich und ſeufzten
unter ihrer Tyrannei. Das hoͤchſte Weſen, von ihrem
Schickſale gerührt, ſchickte ‚feinen Erſtgebornen, den Nus
(Verftand) Jeſus oder den Ehriſtus, die Drenfchen,
die an Ihn glauben färben, der Macht der ſhaffenden En
Ri zu entreißen.
Der Heiland. hatte; na Sailides, de, Wunder
welche ‚die: Chriſten von Ihm erzählten, gewirkt: jedech
glaubte er nicht, daß Jeſus Chriſtus Menſch gewarden
fey. Wahrſcheinlich mar es die Schwierigkeit, den ‚Stand
der: Niedrigfeit und des Leidens, womit die. Erfcheiniiäg
Jeſu verknuͤpft war, zu entraͤthſeln, was den. Bafilie
Des betung „. zu behaupten: Ehr iſtus babe nur Die Schein;
geftalt, eines Menfchen- gehabt ;. ‚bei ſeinem Kreuztode habe —
Cr die Geſtalt des Simon von Cyrene angenommen,
und dieſem die ſeinige geliehen; ſo ‚hätten. die Juden den
Simon ſtatt Jeſus gekreuziget, diefer habe dabei fügefer
hen, und die Juden unbemerkt oltſpottet, endlich ſeh Chris
ſtus zu feinem Vater gen Himmel gefahren ,. ohne je, von
itgend Jemanden gekannt au“ feyn De
‚Bofflideg- glaubte, - man duͤrfe den Top. fir Yefus
Ehrißus nicht Iinen, weil: nicht Er, ſondern Simon
3* RK a ‘
’ er 7 ⸗
hr .. " D 24 ra ’ Li
! ft, & 'a * ä 24
1 Deuteron. 32, 8. Daniol 10, 26, au, —92 Im Ar
tikel Eugliſche. eo ra
2) Epiph, Haer. 24 os
—
Baſtlides. 25
von Cyrene geſtorben fen, die Martyrer ſtuͤrben alſo nicht
für Chriſtus, ſondern für diefen Simon 1). oo.
Die Abhängigkeit, unter welcher die Menfchen von den
Engeln lebten, war ein Einwurf gegen die Güte, Gottes.
Bafilkdes Idste ihn fo: Die Seelen - fündigen in einem
- der Vereinigung mit dem Leibe vorhergehenden Leben. Dieſe
Vereinigung ift ein Zuftand der Entfündigung, aus welchem
die Seele nicht eher berausgehet, als bie fie in einer anfs
einanderfolgenden Wanderung von einem Leibe in den ans
dern fö lange gereiniget wird, bis fie der göttlichen Gerech⸗
tigkeit, die feine andere Strafen auflegt, genuggethan hats
jedoch werben nur unmwilltührliche Fehler nachgelaffen 2). :
Bafilides: glaubte, nach den Fehren der Pythago⸗
raer! der Menſch habe zwei Seelen, um den Widerftreif
der Vernunft und der Leidenſchaften zu erklären 3)
Er hatte fich viel auf Magie verlegt, und. fcheint von
den Träumereien der Kabale fehr eingenommen getvefen zu
feyn. . In das Wort Abraſas oder Abraras legte er eine
‚ ausnehmend große Kraft. Der Urfprung dieſer fonderbaren
Meinung, wodurch Bafilides am meiften berühmt gemwors
x
den iff, mag folgender gemefen feyt. |
Pythagoras, deffen Grundfäge er angenommen hatte,
erfannte das Daſeyn eines hoͤchſten Vernunft ⸗Weſens von
welchem die Welt geſchaffen wurde. Diefer Philofopf, um
den legten Zweck der Erfchaffung der Welt zu erfehnen,
richtete ein aufmerkfanies Auge auf die Natur, auf daß er
die Geſetze, nach welchen ihre "Erfcheinungen vorgehen, und
den geheimen Faden, der die Ereigniffe verfnüpfet, entdecke.
Seine erfien Blicke waren nach dem Himmel gerichtet, wo
der Urheber der Natıtr ſeinen Zweck am deutlichſten zu of
fenbaren ſcheint. Hier gewahrte er. Eine bewundernswerthe
Ordnung und unwandelbare Harmonie: er urtheilte, dieſe am
1) Iracn. L. 1.0.22 0 00
'2) Clem. Alex. Sirom. S. 4. pP. Bög. L. 5. p. 308. oris.
in Math. Tract. S. | .
3) Clom. Alex. Strom. L. 2. p. 299.
f
J
— —
256 Baſtlides.
Himmel herrſchende Drönung ‚und Harmonie {onen nichts,
als die Verhältniffe, Die mar zwiſchen den Entfernungen
ben Himmelds Körper, und Ihren gegenfeitigen Bewegungen
wahrnehme.
Entfernung und Bewegung find Größen; dieſe
haben Theile, und die groͤßten find: nichts, weiter, als die
kleinſten, mit einer gemwiffen. Zahl vervielfältigt, Sonadh _
laffen ſich Abſtand und. Bewegung der Himmelskoͤrper durch
Zahlen. auspräden; und. die- böchfle Intelligenz erkannte
fie. nur vor der Weltſchoͤpfung durch bloß, erfennbare Zah⸗
len, und nach dem Verhaͤltniſſe dieſex Zahlen ward von der
Gottheit der Weltenplan entworfen und vollfuͤhret.
Die Beziehung der Zahlen aufeinander iſt nicht will⸗
kuͤhrlich. Das. Verhaͤitniß z. B. der Gleichheit zwiſchen
zweimal zwei, und vier iſt nothwendig, unabhängig,
unveraͤnderlich. Aus dieſem Grunde, und weil die Ord⸗
nung in den Erzeugungen des hoͤchſten Weſens von der Ver⸗
wandtſchaft der Zahlen untereinander abhängt, ſo tft es
klar, daß es Zahlen giebt, die mit der Ordnung und Har⸗
maonie in einer natürlichen. Beziehung ftehen, und daß dies
ſes Wefen, welches Ordnung und Harmonte liebt, in ſei⸗
ner Thätigfeit von dieſen Beziehungen geleitet wird, und
davon nicht abweichen kann.
Das Erkennen dieſer Verwandtſchaft, oder ſie ſelbſt
it das Geſetz der Gottheit in ihren Erzeugungen, und da
dieſe Verwandtſchaften ſich ſelbſt durch Zahlen ausſprechen,
fo legte man den Zahlen eine. Kraft oder Gewalt bei, wel⸗
che die Gottheit zur - Hervorbringung genifee, Wirkungen
vorzugsweiſe bewegen Eönhte, -
Nach dieſen Vorausſetzungen ſuchte man nun die Zah⸗
In auf, welche der Gottheit am wohlgefaͤlligſten ſeyn moͤch⸗
ken... Man fah 4. 3. Eine Sonne und fteben Planeten,
imd fchloß hieraus, daß dag hoͤchſte Weſen an Eins und
Sieben Wohlgefallen finde,
Dieſe pythagoreifche Philoſophemen, welche in den wei
erſten Jahrhunderten des Chriſtenthums und nach geraumer
Zeit darnech, im Morgenlande..itn Umlaufe waren, ‚hätte
\
Baſiltdes. 257
ſich auch Barilideg angeeignet, und. füchte, wie Andere,
die Zahlen, welche der Bortheit am angenehmften feyn
moͤchten. Das. Jahr beftehet aus 365 Tagen, melde von
den eben fo oft aufeinanderfolgenden Ummälzungen der Son⸗
ne um die Erde entfichen, und nad) Vollendung diefer 365
Ummälzungen beginnt- ein newer Sonnenlauf. Hieraus
ſchloß Baſilides, daß die Zahl dreihundert fünf
und ſechszig die Soft mohlgefäligfte fey,
Nach Pythagoras wohnte der Weltenfchöpfer in der
Sonne, von mo Er feine Augfläffe über Die ganze Natur
ergießt. Baſilides hielt daher nichts für mehr geeignet,
diefe wohlthätigen Ergießungen auf fich herniederzuziehen,
als den Ausdrud der Zahl 365; und da man die Zahlen
mit Buchftaben des Alphabets bezeichnete, fo wählte er aus
dem Alphabet die Buchftaben, , deren Aufeinanderfolge 365
bedeutete, und dieſe Zufammenfügung der Buchſtaben bildete
das Wort Abraras 1).
Da das Wort. Abrarag die Kraft hätte, bie Seg⸗
nungen des Schoͤpfers mit Macht herbeizuziehen, ſo grub
man ſolches in Steine, die man Abraxas nannte, und
wovon in den Kabineten Europens ſehr viele anzutreffen
ſind.
Da Pothagoras den Wohnſitz des hoͤchſten Weſens
in die Sonne verſetzte, fügte man zum Worte Abraxas
das Bild der Sonne, um die Kraft zu erflären, die man
ihm zumaß. Man war damals feht für bie Taligmane
‚ eingenommen; weshalb die Abraras fi) aller Orten vers
breiteten; flatt der Sonne grud man-auch andere charaftes
riftifhe Sinnbilder, fo die verſchiedenen Begünftigungen, die -
man von ihnen erwartete, oder zu erhalten wünfchte, bes
zeichnen follten, ein; tie man dieſes an einem Abraras
fieht, welcher einen Menfchen auf einem Stiere reitend vor ⸗
ſtellt mit der Inſchrift: Lege die Baͤhrmutter dieſes
Weibes an ihren Ort zuruͤc, der du den Lauf
*
1) —R 4, L.. ß, 2, s 100. %, 1. $, 60, 8: 1. 63
200 — 365
KeterLexikon. IL | u 17
—
258 Baſilides. Baſllidianer.
der Sonne ordnefl. — Daher koͤmmt meines Duͤnkens,
die außerordentliche Deanigfaltigkeit der Abrarag, wovon
uns P. Montfaucon die Abbildungen geliefert baf. (An-
tiquite expliquee T. 2. L. 3. p, 353.
Da die Ehriften glaubten, daß Jeſus Gott der Schoͤ⸗
pfer fen, fo, meinten diejenigen, bie Dem pythagoraͤiſchen
Syſteme anhingen „Jeſus wohne in der Sonne, und die
Abraxas koͤnnten die Gnaden Jeſu auf folche, die fie
trügen, herabziehen; um fich aber von den Bafilidias
nern und andern Cabhaliſten zu unterfcheiden, gruben
fie ihren Abraras.die Geſtalt Jeſu ein, dein die Chris
ften glaubten au) an Taligmane, und zur Zeit des hl.
Chryſoſtomus gab es welche, fo Münzen von Alerans
ber dem Großen trugen, in der Ueberzeugung: Daß fie eine
vorbeugende Kraft hätten 1). |
Die Zahl der Ummälzungen der Sonne um die Erde
fchien die Gränge, die ſich die fchaffende Allmacht felbft ger
ſteckt hatte, zu fen, und dieſes Wort fchien geeigenfchafter,
die Natur und Wefenheit des hoͤchſten Wefens zu bezeichnen,
weswegen Baſilides demſelben auch dieſen Namen bei⸗
legte, wie man anfaͤnglich die Benennungen der Menſchen
nach ihren perſoͤnlichen Eigenſchaften bildete.
Baſilides verfertigte vier und zwanzig Buͤcher über |
das Evangelium , felbft auch ein Evangelium, das feinen
Namen führte; auch von Weiffagungen war er Derfaffer,
die er einem Menfchen, der nie gelebt har, mit Namen
Bacobas oder Barcopb sufchrieb 2).
Baftlides wurde von Agrippa jugenannt Caſtor,
widerlegt, ſein Sohn Iſidor folgte ihm.
DB afilidianer, des Bafilides Schüler, Sie feier,
ten.die Taufe Jefu, als ein großes Gef. Es gab ihrer
noch zur Seit des bl. Epiphanius; 'man gab fih aber
I) Chrysost. Catech. 'secunda
) Grabe Spicileg. Saec. 2. P. 38. Euseb. L. 4. C. 7
4
Baſilidianer. Beaharden. 239
die Muͤhe nicht, fie zu widerlegen, und begegnete ihnen wie
Befeffenen 1). | u u |
Die Bafitidiamer verbreiteten fi nach Spanien
und Gallien, wohin fie ihre Abraxas brachten ; Schwach,
beit und Aberglauben nahmen fie an, und beluden fie mir
einer Menge Embleme, bie nur in der Einbilvung jener,
die fie trugen, einen Grund haften. Einige Gelehrte ſuch—
ten darin die Geheimmiffe des Chriſtenthums; ihre Muth⸗
maſſungen fanden aber nirgends Eingang, und die Kritiker
bewieſen ihre Unrichtigkeit. Man ſehe Basnagc Hist. des
Juifs. T. 2. L. 3. C. 26. Montfaucon. Antiquits ex-
pliquee T. æ.
Begharden *) oder Beguarden, Andaͤchtler
in Deutſchland zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts.
Nichts hatte die Fortſchritte der Albigenſer, Waldens
fer ‚und anderer Secten, die im swölften ‚und dreizehnten
Jahrhunderte entfianden waren, mehr begünftiget, als der
äußerlich ehrbare Wandel diefer Sectirer, und. die. Ausge⸗
laſſenheit der meiſten Katholiken, und eines Theiles der
Geiſtlichkeit. Man fühlte die Nothwendigkeit, ihnen Tu—
gendmuster entgegenzuftellen, und zu zeigen, daß diefelben
Tugenden, womit die Sectirer ſich brüfteten, auch bei den
Katholiken geuͤbt wurden; die Entäußerung von allen irbis
(hen Gütern, und dürftige Lebensweiſe, die Uebungen {m
Gebete, in Betrachtungen und Lefen der hl. Echrift, die
buchftäbliche Befolgung der evangelifchen Raͤthe — bewog auch
eifrige Katholiken, ihre Güter unter die Armen zu verthei⸗
len, durch Handarbeit ihre Lebſucht zu erwerben, die Schrift
zu leſen, gegen bie Ketzer zu predigen, Zehnden und Abga⸗
ben zu entrichten, enthaltſam zu leben ꝛc. und zu Diefem '
Ente in befondere Vereine zu fretin, wie die armen Kar
tholifen, die Demüthigen u. f. fl | —
1) Lpiph. Hacres. 34. Darhäscen. de Hier: .24. 9p u
*) 14tes Jahrhundert. idle “
nt 17 *
J te -
/
/ 2
250 Begharden.
Dieſe von den Paͤbſten gerne geſehenen Vereine legten
bald den Grund zur Stiftung neuer religioͤſer Genoßenſchaf⸗
ten, deren jede, im Stande größerer Vollkommenheit zu les
beſn, ſich rühmte: in diefem Jahrhunderte erhielten die vier
MedicanfensDrden, der Orden von Eridfung der
Gefangenen, — der von der hl. Maria, — die Orden
der Serviten, Eoeleftiner u. 9. ihr Dafeyn. Noch
‚mehrere würden zum Vorſcheine gekommen feyn, wenn dag
Concilium von Lateran nicht Einhalt gethan hätte.
Diefer Wetteifer, fich durch irgend eine außergewoͤhn⸗
liche Andachtsuͤbung auszuzeichnen, berrfchte noch im viers
zehnten Fahrhunderte, und man fah eine Menge ‚Privats
perfonen fich in Habite von verfchtedenem Zufchnitte ſtecken,
und fi) Gebräuchen unterwerfen,‘ die ihren Neigungen oder
den Vorſtellungen, die fie fi) von chriftlicher Vollkommen⸗
heit machten, anpaſſend waren.
Aus Neigung oder Klugheit traten dieſe Andaͤchtler zu⸗
ſammen, , fund bildeten in verſchiedenen Gegenden beſondere
Vereine: man ſah dergleichen in Teutſchland, Frankreich
und Italien, wo man ſie unter den Namen Begharden,
Frerots oder Fratricellen, Dulciniſten, Apoſtoli⸗
ſchen ꝛc. kannte.
Alle dieſe Secten ſtanden vereinzelt, ohne durch ein
gemeinſames Haupt verbunden zu ſeyn: die Frerots und
Dul ciniſten ſchienen zwar jede einen Oberen zu haben; die
Begharden aber -beftanden aus einem Vereine verfchies
dener Perſonen beiderlei Gefchlechteg, die eine hoͤhere Voll⸗
kommenheit, als die anderen Släubigen y iu erſtreben vor⸗
gaben.
Nach ihnen hatte die Vollkommenheit eine Stufe, die
alle Chriſten zu erſteigen ſuchen muͤßten, die aber von Nie⸗
manden uͤberſchritten werden koͤnnte; denn waͤre dieſes, ſo
muͤßte man ein Fortſchreiten in's Unendliche in der Voll⸗
kommenheit annehmen; und es koͤnnte vollkommnere Weſen
geben als Jeſus Chriſtus, deſſen Volltonmenheit als
Menſch nur beſchraͤnkt war. | us
hy
UU Sezharden. | ‚261
Mar man zu. der den Menfchen moͤglichſt hoͤchſten Stufe
der Vollkommenheit gelangt, fo brauchte man nicht mebr
weder um die Gnade zu bitten, noch Tugendwerke zu üben; .
man war unfündhaft‘ geworden, und genoß in diefem
Leben ſchon, ſo viel möglich, das Gluͤck der Seligen.
‚Die Beguarden firebend oder gelangt zur Unſuͤnd⸗
haftigkeit bildeten ‘eine Geſellſchaft, die einander mit
innigfter Liebe zugefhan maren. Sie mußten jedoch, wie
andere Menſchen, die Bemerkung machen, daß, fie in einem
Leibe wohnten, der von der Herrfchaft ſder Leidenfchaften
noch nicht frei fey und dieſe Leidenfchaften: ſtuͤrmten mit
- Heftigkeit, wie e8 immer bei fanatifchen Verbindungen der
Fall if; man mußte dem Strome weichen, und einen Ents
fhuldigimgsgrund für feine Niederlage auffuchen.
Sie unterfchieden bei ter Gefchlechtd+ Liebe die ſinn⸗
liche Luft, und das Berärfniß ; dieſes war, nach; ihnen,
Naturerfordernig, dem man unbedenklich Befriedigung ger
währen durfte, aber jenfeits dieſes Beduͤrfnißes war jedes
Vergnuͤgen im Geſchlechts⸗Umgange ein Verbrechen. So
war Unzucht eine zu belobende oder wenigſtens, beſonders,
wenn man verſucht wurde, unſchuldige Handlung;
aber ein Kuß-eine ſchwere Todfuͤnde.
Dieſe Irrthuͤmer wurden auf einem Concilium zu Bir
enne 1311 unter Clemens V. verdammt.
Man brachte ihre Lehre auf acht Artikel, die alle aus ih⸗
rem Hauptgrundſatze folgen, daß naͤmlich der Menſch in dieſem
Leben ſchon auf die, unſerm Geſchlechte moͤglichſt hoͤchſe,
Stufe von Vollkommenheit gelangen koͤnne: |
1) Der Menſch Fann in diefem Leben zu einer Voll⸗
kommenheit ſich erſchwingen, in der er des Suͤndigens
und eines Wachsthums der goͤttlichen Gnadeunfaͤhig wird.
2) Wer dieſe Stufe erreicht hat, braucht nicht mehr zu
faſten, oder zu beten, weil in dieſem Zuſtande die
Sinne dem Geiſte und der Vernunft dergeſtalt unter⸗
worfen ſind, daß der Menſch ſeinem Leibe, was ihm
immer beliebt, ungehindert geſtatten darf.
202 .. Boaegharden.
8 Welche ‚gu dieſem Grade -von . Freiheit gelangt find,
‚find nicht mehr fehuldig zu geborchen, noch an die
Gebote der Kirche gebunden.
Der Menſch kann In dieſem Leben. das Gluͤck der Ser
ligen und jene Stufe von Vollkommenheit, die er im
kuͤnftigen haben wird, ‚erreichen, .
5) Jedes geifkige Geſchoͤpf iſt ſeiner Natur nad. ſelig,
und die Seele bedarf des Lichtes der Glorie nicht. um
ſich zur Anſchauung und dem: Genuſſe Gottes hinan⸗
zuſchwingen.
6) Tugendübungen find für unbollkommene Menſchen—
der Vollkommene ſpricht ſich davon Ing,
7) Eine Frauensperſon kuͤſſen iſt eine Todſuͤnde; aber
fleiſchliche Vermiſchung mit ihr iſt gar nicht Euͤnde.
8) Bei Aufhebung des Leibes Jeſu Chrifti.ift es nicht
nothmwendig,daß die Bolfommnen aufftehen, oder irgend:
Ehrerbietung bezeigen, weil es fuͤr ſie eine Unvoll⸗
kommenheit waͤre, wenn ſie von der Reinh eit und‘
Höhe ihrer Betrachtungen ſich zu dem Gedanken an dag
Saframent der Euchariftie oder an dag Leiden Chris
fit ernfedrigten 1).
| Die Verdammung Der Beguard, en rottete ihre Seete
nicht aus: ein gewiſſer Berthold brachte ſie zu Speier
und in verſchiedenen Gegenden Teutſchlands nochmals
empor 2).
Einen Theil dieſer Irrthuͤmer hatten auch die F re⸗
roten und Dulciniſten, nicht als wenn fie ſelbe von
‚ ben. Besuarden angenommen häften, fondern weil dieſe
Arten von Secten ſtets auf Befriedigung der Sleifchestuft
hinauslaufen. Die Freroten hatten noch ihre eigenthüms“
lichen Irrthuͤmer: man ſehe dieſen Artikel. |
) Dupin, 14me Siecla p.. 566. Dargentrs Colteet, elc.
Jud. F. 1, p: 276. Nat. Alex. in, Saece. 14.
3) Trithem. in Chron. Hissau gjensi T. 2. p- az
D’argentre loc, cit, - E |
a
Berengar. | 963
Mit dleſen Beguarden muß man die Beguinen
beiderlei Geſchlechtes, die den dritten Orden des bi Frans
ciskus ausmachen, nicht vermifhen. In Fliandern, Loth⸗
ringen und der Picardie lebten, beſonders unter dieſem
Namen, fromme Frauensperſonen, die ohne Geluͤbde ge⸗
than zu haben, in einem erbaulichen gemeinſchaftlichen Le⸗
ben, ſich mit Handarbeit naͤhtten, und zwiſchen weltlichen
und Kloſterfrauen, ſo zu ſagen, einen Mittelſtand bildeten.
| Berengar. *) zu Angers gegen Ende des zehn⸗
ten Jahr hunderts geboren, geſtorben 1088. Nach beendigs
ten Studien umter Fulbert ju Chartres kam er nach
Tours, wo er eine Lehrfiche an der öffentlichen Schule’
des bi. Martin erhielt, und Scagmeifter der daſigen
Kirche, würde, in der Folge. ward er Archidiakon zu Ans
gers, ohne jedoch feine Stelle-an der Schule gu: Tourg
aufzugeben. Er griff den Glaubensſatz von der, Ver wand⸗
lung des Brod's und Wein's in den Leib und Das Blut
Hefu Chriſti (Transſubſtantiation) an, ſchwur feis
nen Irrthum ab, nahm ihn wieder-an, widerrief mehrere
Male, und ſtarb endlich im Schooße der Kirche.
Um auf die erſte Entſtehung dieſer Irrlehre zu kommen,“
muß man auf die om Ende des neunten Jahrhunderts ent⸗
ftandenen Wortftreite über die Euchariftie zuruͤckgehen. Pa⸗
ſchaſius Rodbert, Mind, fpdter Abt von Corbte ver⸗
faßte um die ‚Mitte des neunten Jahrhunderts zur Beleh⸗
rung. ben Sachſen, eme Abhandlung von dem Leibe. und:
Blute unferes. Herrn; er flelte darin die Lehre omn:
der wefentlichen ‚Gegenwart auf, und brehaupicte: daß. dent
geib, den wir in Der Euchariftie empfangen, der nimliche.
ſey, den die Jungfrau Maria zur Welt geboren habe. :
Paſchaſius war in f-inet Schrift der Lehre der’ ai
che gefolgt; alle Katholiken Bor ihm hatten geglaubt : daß
ver Leib und das Blut Jefſu Chriſti in ver Euchariſtie
wahrhaft gegenwärtig feven ; ‚ umd daß. Brod und Wein in
*) 11tes Jahehundert.
204 Berengar,
den Leib und has Blut des Herrn verwandelt wuͤrden; je⸗
doch war. man nicht gewoͤhnt, fo ausdruͤcklich su fagen, Taf
- der Leib Chriſti in der Euchariftie derfelbe fey., den Mar
ria geboren babe. 1) Diefer Ausdruck mißfiel; „er wurde
angeftritfen, von Pa ſ dafiug vertheidigt, und dieſer
Streit mochte Aufſehen. Die beruͤhmteſten Männer zu Ende
des neunten Jahrhunderts entzweiten ſich hierüber, und
man ſah viele Schriften erſcheinen, die dieſen Ausdruck des
Paſchaſius beſtritten oder vertheidigten; denn über dag
Dogma war man einig. .
Streitigkeiten, die ſich gwifchen beruͤhmten Mannern
erheben ‚ beunrubigen und beherrſchen die Koͤpfe noch lange
Zeit nach Ihrer Entſtehung. Berengar, welcher zu Tours
die Theologie lehrte, unterſuchte die Schriften des Paſcha⸗
fing, und die Einwendungen, bie man ihm gemacht hatte.
Paſchaſius fagte, wie empfinden den Leib und das
Blut Jeſu Chrifti, denfelben Leib, ven bie Jungfrau ges
boren hätte, wir genoͤßen diefen Leib; wenn auch noch
fheinbar Brob zuruͤckbliebe, {6 könnte man doc) fagen, Daß
Res der Leib und: dag Blut Ebrifti fey,' fo wir in dem
Brode empfingen; wir gendßen den Leib, der an Das Kreuz
geheftet geweſen, und tränfen in dem Kelche dag Slut,ſ fo.
aus der Seite Jeſu geflogen fey 2).
Berengar, beit die Sinne bezeugten, daß nach ges
fprochenen Einſetzungs⸗Worten Brod und Wein rioch die
Eigenthuͤmlichkeit und Beſchaffenheit, wie zuvor haben, und
noch bie nämlichen Wirkungen hervorbringen, ſchloß hier⸗
aus, daß Brod und Wein nicht der Leib und dus Blut
ſeyen; fo von der Jungfrau geboren und am Kreise. aufges
hängt worden; er lehrte daher, daß Brod und- Wein nicht
"in den Leib und das Blut Chrifki verwandelt. wiÄrben;.a
lein. die wefentlihe Gegenwart griff er nicht an; er:
gab zu, Daß Schrift und Ueberlieferung den Zweifel nicht
3) Mabillon. Praefat. in 4. Saec, Bencdict. p. 2. C. ĩ.-..
6. +
3) Trast. de Corp. Demini. Ep. ad Srodegard.
Berengar. 2685
. geflatteten;, od die Euchariſtie wahrhaft und weſent⸗
lich nen Leibrnund das Biut Jeſu Chreſti ent hatte,
oder ob fie fein wahrer Leib ſey; ſondern er glaubte:
ver Sohn Gottes vereinige fich mit .dem Brode und Weine,
und dur) dieſe Bereinigung. würden fie der. Keib und das
Blut. Je fu, ohne. ihre, Natur oder phyſiſche Weſenheit
zu serändern , ‚und ohne aufzuhoren, Brod und Wein zu
ſeyn 1).
Da Berengar dieſs in‘ der Schule iu "Tours: jehr⸗
te, gerieth Alles in Bewegung; man brachte einen Jeiner
Briefe an Lanfrank, worin er ſeine Meinung behaup⸗
tete, nah Rom. Der Brief wurde in einer von Leo IX.
im Jahre 105% gehältenen Synode nerlefen,' worauf: bie
Lehre :Berengar’g verdammt, und feine Perfon mit: Dem
Banne belegt.murde. . F
Berengar: von feiner Verurtheilung benachrichtigt,
zog ſich in die Abtei von Preaux zuruͤck, und fuchte Wil⸗
helm, Herzog der Normandie, auf'feine Seite zu brin⸗
- gen; allein dieſer Fuͤrſt ließ „die Bifchöfe der Provinz fid)
verfammeln, und Berengar ward abermals verurtheilt.
Berengar beftritt ein der Vernunft urzugaͤngliches
Gcheimniß ; dem Glauben feßte er. die Sinne und Einbils
dungskraft entgegen, — was. Wunder? wenn er Anhänger
fand. Es ift ein unbegreiflicher Verſtoß gegen die Denfges
f £e, wenn man hieraus fchließen wil, daß es damals in
der Kirche viele gab, welche die Lehre von der Transs
fubfiantiafion verwarfen. Denn fürs erfte-ift jede neue
Irrlehre, die ein. Religions » Geheimnig anfeindet, anziehend
‚ genug, um beiim erfien Anblicke unwiſſende und keichtfinnige
Menſchen zu bethören; und wenn man fagen daärfte, daß
> eine Meinung Lehre der Kirche geweſen fen,. weil derjenige, -
der fie aufgebracht hat, Anhaͤnger fand, fo müßte man auch.
fagen dürfen, daß alle Ketereien und Srrthiimer immerdar _
in der Kirche gelehrt. worden- find, weil es in. der That kei⸗
ten rthum gibt, der nicht Anhaͤnger gefunden haͤtte.
J
1) Mabill. Praef. in 6. Saee. Benedict. $. 3. p.\473-
—
266 Ä Berengar.
Fuͤrs sondere’ begemgen alle @efchichtfchreiber ; daß die Meir
mg. Berengar’s für etwas Neues gehalten wurde,
und die Gegner koͤnnen feinen alten Schriftfteller anfuͤhren;
der auf irgend eine Weiſe bezeuget, daß Berengar in der
Kirche Perfonen: angetroffen habe, die fruͤher ſeiner Mei⸗
nung. geweſen ſeyen, noch daß fein Irrihum durch irgend
Jemand, der ſolchen von. einem: andern, außer Berengar
gehoͤrt haͤtte, unterſtuͤtzt worden ſey; Alle bezeuten, daß er
den einzige ‚Urheber. ber Unruhen ſey 1).
Der Irrthum Berengar's wurde in allen Concilien,
wo dagegen Klage gefuͤhrt wurde, als in jenen zu Ver⸗
ceil, Tours und Paris, verdammt. In jenem von
Tonrs.erfchien er, -und-verwarf feinen Irrthum: aber er
handelte nicht: aufrichtig; denn auüch nachher‘ tehrte er den⸗
ſelben fort. Nicolaus Il. berief einen Kirchenvath, wo⸗
rin Berengar -feine Meinungen vertheidigte; aber von
Abbon und Fanfranf widerlegt wurde; abermals ſchwur
er ſeinen Irrthum ab, und verbrannte feine: Schriften:
Diefes Glaubens ; Befennmiß ſchien aufrichtig; allein
faum mar Berengar nad - Franfreich zuruͤckgekommen,
als er es berente, feine Schriften verbrannt und feine Meis
nung verdammf; zu haben; -er profeflirte gegen feinen letz⸗
ten Widerruf, gab vor, er fen ihm von Humbert diktirt
worden, und nur aus Furcht. habe er > unterzeichnet ; er
fuhr alfo fort, ‚thn zu. lehren. 2
Endlich hielt Gregor: VII. 1079 zu Rom ein Cons
cilium, wo Berengar noch einmal feinen. Frrthum ers
faunte und verwarf; ter Pabſt behandelte ihn mit Güte
und Nachficht, ſchrieb fogar für ihn an den Erzbischof von
Tours, und den Biſchof von Angers. Nach dieſem
Concilium zog er, ſich auf die Inſel Saint⸗Come bei der
Stadt Tours zuruͤck, wo er im Anfange des Jahtes 1088
nach Sjähriger Buße ſtarb. a
Die Widerrüfe und: Buße Berengar’s hinderten je⸗
doch nicht, daß mehrere ſeiner Schuͤler bei Ihrem Irrthume
1) Ferpéluité de laFoi. T. 1. L. 9. €. 7. p. 657.
J
—xXX
Berengar. 2uT.
uͤber diefe Materie beharrten; jedoch “waren biefe bei weis
tem nicht fo zahlreich, aldE 8 Claude, la Roque, Bass
wage behaupten; jene Gefehichtfchreider, welche Berens
gar’n eine große Zahl von Schilern geben, fi nd uͤberdießz
den gleichzeitigen Schriftſtellern entgegen.“ ee"
Guimond,-Erpbifchof von -Averfe, “ehr Beitgemöffe,
bezeugt ausdrüclic), daß Berengar nicht einmal einen
Marktflecken auf feiner Seite, and nur Unwiſſende 5B Ans
hängern gehabt habe: alle ung uͤbrigende hiftorifche Denks
male jener. Zeit flimmen- mit Dem -Zeugniffe Guimpudes
überein;. folte man diefem. einen Wilhelm: ven. Mal
mesbuͤry, der .erft 1242 lehte, und eigen Mattniud
von Beſtmaͤnſter, aus dem en, Jehrhundert vor⸗
ziehen? 1). Jg
Man findet, wahr iſt es , im Wwölften— ahthunder
Perſonen, welche die Tranfubflantiation- aͤugneten, man
kann aber nicht fagen, daß dieſe eher Schuͤler Berrn«
gar's ald der Manichder waren, die in Frankreich wie⸗
der erfchienen waren, ‚und wie Berengar, die. Trans
fubflatiafion verwarfen. Die. gefrhichtlichen Urkunden
durch welche wir diefe Seinde der Tranfubflantiatiow -
fennen, laffen ung. Letzteres vermuthen: Dean ‚man erficht:
daraus, daß dieſe Steger noch andere Irrthuͤmer hatten,
wovon zu reden, der Geſchichtſchreiber für unfchicklich haͤht;
welches aber nicht auf die Schuͤler Be rengar's paßt 2.
uUebrigens iſt das angebliche Fortbeſtehen. der Lehre
Berengaͤr's vom. neunten: Jahrhunderte an bis zur Re⸗;
formation, warum ſich Basnage ſo ſehr abmuͤhet, nicht
jenes ununterbrochene Fortbeſtehen, wie ſolches in der wah⸗
ren Kirche anzutreffen iſt, und das Kennitichen der. Babe,
heit ausmacht. einst .
Es ift nicht zu wundern, uf ein Irrthum , meter.
- don x
ı) Perpetuit& de. la. Foi. T. 1, L. 9. C. 7: p. 657. :
2) Spicil. d’Acheri, T. 2. p. 243. Leibnitz Access.
Ristor. C. 6, 8, ann. 1262.
a 4
18. Brrengar.
wie jener Berengar’s fo viel Laͤrmen machte, Beſtand ers
halten habe, und es. mag wohl keine. Irrlehre geben, für
die man nicht mittels angeflellter Nachforſchungen, Folger
rungen und Sophismen, in den, ihrer Entfichung vorher⸗
‘gehenden , Jahrhunderten Anhänger finden follte: traf nicht
Sandius in allen Jahrhunderten ber *iede Aria
ner an? 1).
Eine * Fortvauer iſt es aber nicht, welche die Lehre
. ber wahren Kirche bezeichnet. Dieſes Fortbeſtehen muß
von der Art fenn, daß man feinen Zeitpunkt angeben fan,
wo eine gewiſſe Lehre in der Kirche unbefannt geweſen ſey,
wie der Irrthum Berengar' 8, der, als man” ihm den
Widerſpruch der ganzen Kirche gegen feinen. Irrthum vor⸗
hielt, antwortete, die ganze Kirche ker su Grund
gegangen 2). '
Da ferner bie wahre Rice eine ſichtbate und katholiſche,
d. h. allgemein verbreitete Geſellſchaft iſt und ſeyn muß,
koͤnnen wohl einige namenloſe Sectirer, die ihre Irrthuͤmer
im Geheimen lehren und fortpflanzen, die allen Glaͤubigen
verhaßt, und von allen Kirchen verworfen ſind, die weder
Kirche noch Lehramt, weder Gerichtsbarkeit, noch Sendung
haben, die Kirche Jefu Chriſti vorſtellen? |
Die Berengarier waren aber auch nicht beſtaͤndig
und einhellig der Lehre ihres Meifters zugefhan, alle gas
ben zu, daß Brod und Wein nicht verwandelt werde
in den. Leib und das Blut J. C., einige aber Fonnten nicht
begreifen, daß der Sohn Gottes ſich mit Brod und Wein
verbinde, und ſchloſſen: daß dieſe nicht den Leib und
das Blur J. €. enthielten, ſondern nur bildlicher Weiſe
und weil fie den Leid und: das Blut bed Heren vorfiels
ten, fo genannt wuͤrden.
J
1) Sandins hist. Ytccles.
2) Borengarius apud Lau efraney € 23. ‚Perpet.
J de In Foi. L. 1,9.
[a
‘
Mithin laͤuggneten Berengar ımb feine Scaler die.
Verwandlung, allein erfterer glaubte, das Brod werde
der Leib des Herrn, legtere, es fey nur die Vorflels
Yung. davon. Diefe lebte Meinung wurde von den meiften
Keterhäuptlingen und Sectirern, die nah Berengar
- quffrafen, und diefen Irrthum mit alten Ketzereien in Vers
bindung - brachten, angenommen; folche. waren Peter von
Bruvs, Heinrich von Toulouſe, Arnold von
Brefcia, die Albigenfer, Amauri von Chartresg,
und lange darnach Wiclef, die gollarden, die Tha⸗
boriten, endlich erneuerten Karlſtadt. Zwingli,
Calvin bie Irrlehre der Berengarier, und Luther,
der Berengar's Meinung folgte, behauptete die Im
panafion.
Da dieſe zwei Punkte der. Ruͤclkehr der proteftantifchen —
Kirchen ein Haupthinderniß in den Weg legen, ſo halten
wir es fuͤr iweckmaͤßig, gegenwaͤrtig ſie zu 1 verpandlen. |
ð
Von der Ölaubenslchre der weſentlichen oh
wart Jeſu Chriſti im HL Abendmaple,
Es wird nicht Teiche über ‚einen Gegenſtand der Reli⸗
gionslehre ſoviel geſchrieben worden ſeyn, als uͤber dieſen.
Schon die Anfuͤhrung der hierüber etſchienen Schriften
duͤrfte einen Band ausmachen: Wir wollen die Gruͤnde
für und die Einwendungen gegen dieſen Lehrſatz auf ein⸗
fache Punkte bringen: :
— — —
Die Lehre von der weſentlichen Gegenwart ik in.
der Hl. Sqhrift enthalten.
Als Jeſus Chriſtus das hl. Abendmahl einfepte,
nahm Er Brod in die Hände und fagte: Das jſt mein .
Leid. Die Echrift redet nie vondiefem Gcheimniffe als in
Ausdrüden, welche im natürlichen und buchftäblichen Sinne
genommen, die wirkliche Gegenmart des Leibe und
Blutes des Herrn bezeichnen; und nicht, daß Brod und
-
„.
270 7 Zerengar.
- Mein eine bildlidye Vorſtellung des Leibes und Blu⸗
tes J. C. ſeyen.
Um berechtigt zu ſeyn, die Worte ber Schrift in einem
hifdlichen DVerfiande zu nehmen, und zu ‚behaupten: Daß
vie · Euchariftie. eine Vorftellung des Leibs und Bluts
Ehrifi fen, müßte und entweder Jeſus ſelbſt belehrt
haben, daß Er die von Ihm gebrauchten Ausdruͤcke nicht in
einem natürlichen Sinne nehme, oder diefer natürliche Sinn
müße eine fo handgreifliche und grobe Ungereimtheit enthals
ten, daß auch der Dümmfte fühlen müßte, Jefu habe jene
., Worte nicht in ihrem nasürlichen und buchftäblichen Ders
ſtande nehmen können,
Allein für's Erfte iſt es gewiß, dag Je ſus feine Juͤnger
nicht darauf dorbere itet hatte, die Worte, deren Er ſich bei
Einſetzung des hi. Abendmahls bediente, in einem uneigent⸗
lichen Verftande zu nehmen; im Gegentheile hatte Er vor
dieſer Einfeßung ihnen gefagt, fein Fleiſch fey wahrhaft
Speife, und fein Blut wahrhaft Trank. Wer fein
Fleiſch effe, und fein Blut trinfe, werde dag ewige Leben
haben. Er: hatte verfprochen, ihnen dieſes Brod des Lebeng
zu geben. Die Juden, die dieſes Hirten, fragten einander:
wie Er ihnen fein Fleifch zu effen geben tinne? und
Jeſus antwortete ihrer Beichwerde nur mit der Wieders
| holung,, daß fein Fleiſch wahrhaft Speife, und fein Blut
wahrhaft Trank fey; und wenn fie das Fleifch des Mens
ſchen⸗ Sohnes nicht effen, und fein Blut nicht trinken wuͤrden,
ſie das Leben nicht in ſich haͤtten.
| Bei diefer Gelegenheit verfprach Jeſus feinen Sins
gern, ihnen fein Fleifh, und zwar fein wahrhaftes
Fleiſch zu effen zu geben: alle Gegner kommen überein, dag
im fechsten Kapitel des Evangeliumd Johannes durchaug
die Mede von dem wahrhaften Fleiſche Jeſu fen. 3
Die Juͤnger erwarteten alſo, Jefus werde ihnen
wahrhaftig fein Fleiſch zu eſſen, und fein Blut zu trin⸗
ten geben; nur wußten fie ie nicht, wie Er dieſes Verſpre⸗
a erfüllen’ werde.
Bel Einſctzung des Abendmahls beftehlt ihnen Jeſus
i
Berengafi Tl
das Brod, fo Er gefegnet, zu effen, und serfichert fie, taß
dieſes fein Leib fey: mithin, weit entfernt, die Apo⸗
ftel belehrt zu haben, daß fie die Einfegungs; Worte des
Abendmahls in einem bilvlichen Verſtande zu nehmen haͤt⸗
ten, hatte Er fie darauf vorbereitet, folche im natürlichen
und buchftäblichen Sinne zu nehmen... |
Sp fonnten die Allegorien und Bilder, unter welchen
Jeſus ſich hie nnd, da norflellte, die Jünger nicht auf ven
Gedanken bringen, die Einfeßungs s Worte im uneigentlichen
Sinne auszulegen. Jeſus hatte verfprochen,. feinen Leib,
feinen wahren Leib ihnen zu effen zu geben; an den Ges
nuß diefes Leibes hatte Er dag ewige Leben geknüpft; jetzt,
da ihnen der Meiſter feinen nahen Tod angekuͤndet hatse,
ſtanden fie eben in Erwartung Der Erfüllung dieſes Ver⸗
ſprechens.
Die Wichtigkeit desſelben, ſtets ihrem Geiſte hegenwaͤr— |
fig, geflattete ihnen fohin nicht, bei Einfegung des Abend»
mahls weder die jetzt eingetretene Erfüllung der Verheißung
zu mißfennen, noch gu glauben, daß der Herr ihnen in tem
Brode des. Abendmahls die bildliche- Vorſtellung feines Feis
bes reiche; fie Fonnten Daher die EinfegungssWorte nicht
anders, als in ihrem eigenthuͤmlichen und natürlichen Sinne
nehmen, und Jeſus ſtatt fie belehrt zu haben, daß Er im
- Bilde rede, hatte fie vielmehr gewiffermaffen vorbereitet,
feine Worte im buchftäblichen. Sinne zu nehmen.
Jeſus, und die Evanheliſten fagen alfo nicht, daß die
Einſetzungs⸗Worte des Hl. Abendmahls in einem bildlichen
Sinne gu nehmen ſeyen.
Ferner kann man nicht ſagen, daß der buchſtaͤbliche und
natuͤrliche Sinn der Worte der Einſetzung einen augenfaͤlli—
gen. Widerſpruch, oder handgreifliche Ungereimfheit enthal⸗
ten, fo daß der Verſtand bei'm Vernehmen dieſer Worte
fogleich die natürliche Bedeutung verlaͤßt, und die bildliche
“annimmt: denn fonft wäre die. Blaubenslehre von ver
wefentlichen Gegenwart dey Apoſteln und Chriften
nie eingefallen, noch mehr, fie häfte nie auffommen können,
oder man hätfe wenigſtens in der hriſlichen Kirche gegen
I y
272 Berengar. |
‚diefe Lehre Widerſpruch eingelegt, und die Mehrzahl wuͤrde
den figuͤrlichen Sinn beibehalten haben.
Inzwiſchen, als Berengar die Lehre von der Bers
wandlı ng anfitift, glaubte die ganze Kirche an Die m es
fentlihe Gegenwart, und die Gegner der Katholifen
konnten bis hieher noch Feine Zeit angeben, wo fie nicht ges
glaubt wurde, noch ein Jahrhundert, in welchem die Kirche -
dafür hielt, die Euchariſtie ſey nichts, als die Vorſtel⸗
| fung des Leibes Chrifti.
Wenn der bildliche Sinn derjenige if, der ſich dem
Verſtande darbietet, ſobald man die Einſetzengs⸗Worte ver⸗
nimmt, warum wurde Karlſtadt von aller Welt verlaſſen,
als er dieſen vorbrachte? Warum brauchte Zwingli mehr
als vier Jahre, um zu finden, die Worte: Das iſt mein
Leib, fenen gleichbedeutend mit jenen: Das ſtellt mei⸗
nen feib vor? 1) Warum haben Luther und alle feine
- Schüler, fo gut wie die Katholiken, die Einfeßungemorte
unausgeſetzt in dem natürlichen und buchftäblichen Sinne
angenommen? Warum fah fih_Luther genoͤthigt, um bie,
protcftantifchen deutfchen Sürften für die vier Reichsſtaͤdte,
welche der Lehrmeinung Zwingli's zugethan waren, zu ges
winnen, für dieſe ein Glaubens s Bekenntniß abzufaſſen, wos
tin er anerkennt: daß Jeſus feinen wahren Leib und fein
wahres Blut feinen Schilern wahrhaftig zu effen und zu
trinken gab? Warum. betheuerte er in einem: Echreiben an
den Herzog von Braunſchweig⸗Luͤneburg, baßer gegen
Zwingli und Defolampad glaube, ver wahre Leib und
das mahre Blut Jeſu Chriſti ſeyen in dem Abendtahle
gegenwaͤrtig? 2)
Endlich wenn es wahr waͤre, daß die bildliche Bedeu⸗
tung ſich natuͤrlich dem Verſtande darboͤte, warum griffen
x
1) —R de vera religione p. 202 Resp. ad Lu-
ther. p- 400 Epist. ad Pomeran. p. 256. Perpet. de
la Fo’ T. 2. L. 1,02.
» ep part. 2. p. 222. Perpet, de la Foi. T. 2 .
‚X. 4 “ .
N
Berengar. 273
die Voͤlter, welchen Bucer dieſe Bedeutung vorgepredigt
hatte, alsbald wieder zur Lehre. der wirklichen Gegenwart,
ba dieſer und Cazito aus Schonung für die Lutheriſchen
aufhoͤrten, obige Bedeutung unablaͤßig in ihren Ohren er⸗
tönen zu laffen? 1)
Aber fahen denn, mender matt ein, die Apoſtel nicht
ganz deutlich, daß, Indem fie das -Brod, fo Jeſus geſegnet
hatte, genoffen, fie den Leib, den fie vor Augen hatten,
hicht genießen Eonnten? .
Die Apoftel kannten bie Allmacht und hoͤchſte Wahr⸗
haftigteit ihres Meifters; ihnen war es nicht noͤthig, die
Möglichkeit von dem, was er ihnen fagte, ju begreifen,
um feinen Werfen eine natürliche und buchftäbliche Ausle⸗
gung zu geben. Sie glaubten, daß das Brod in der That
ber Leib Jeſu geworden fen, wenn fie auch dag Wie?
nicht faßten. — Verhinderte die Unmdglichkeit , das Geheim⸗
niß der Dreieinigfeit zu. begreifen, den Glauben daran ?
Ueberdieß findet der Verſtand nur das unmöglich, was.
einen logifchen Wiverfpruch in fic) faßt, d. h. was befagt,
Daß ein Ding zu gleicher Zeit iſt, und nicht if, Diefer
Widerfpruch, ift aber in bem Lehrſatze van ber weſent⸗
lichen Gegenwart nicht zu finden.
— 4
Die Bene von ber iwefentlihen Gegenwart hatte
immer in der Kirche Beſtand.
Set dem Beginnen der Kirche machte bie Fefet bes
Abendmahle den wichtigſten Beſtandtheil des Gottesdienſtes
der Chriſten aus. Die Apoſtel feierten daſſelbe bey ihren
Zuſammenkuͤnften, und verordneten dieſe Feier fuͤr die kuͤnf⸗
tigen Zeiten der Kirche. (Apoſt. Geſch. 2, 42, 46.)
Bei dieſer Feier ſegneke man Brod und Wein mit den
Worten: Di m der Leib und das ut des Hm. Anf
o
1) Hospin. pi. 2. p. 122: Perp. de la Foi. 1: 2. 1. 1,
©: 4: u |
KenersBeriton. IL 48
! * —
274 | Berengar.
dieſer Gegenwart des Leibes Jeſu beruhte für die Chris
ſten die ganze Wichtigkeit dieſes Geheimniffes. Hierauf grins
N
dete ſich ihre tiefe Ehrfurcht gegen die Euchariflie, und
nichts war ihnen angelegener, als ben Grad von Ehrerbies
tung, die man dieſem Geheimniffe fchuldig iſt, genau zu
fennen, weil der Verluft des ewigen Lebens auf dem Spiele
„ſtand für den, der es unwuͤrdig genoß.
Unm dieſem Geheimniſſe die gebuͤhrende Ehrerdietung
zu erweiſen, und zur wuͤrdigen Genießung deſſelben, mußte
man nothwendig wiſſen: ob man Jeſum wirklich empfange,
ob man wahrhaft feinen Leib und fein Blut, oder nur
die Vorſtellung und das Symbol von beiden empfange.
Die Apoftel und erſten Chriften. fonnten daher über die
Gegenwart des Leibes Jeſu im Abendmahle nicht unges
wiß und im Zweifel bleiben; fie glaubten entweder an die
wirkliche Anweſenheit oder an die wirkliche Ab we—⸗
“fe nheit des Leibes Jeſu in der Euchariftie.
‚ diefefelbe noch heut zu Tage am. 1) Alle Katholiken glaubs .
Alle von ber römifchen Kirche getrennte chriſtliche
Vereine, vom vierten Jahrhunderte an bis zu Berengar,
glaubten an die weſentliche Gegenwart des Leibes Jeſu in
der Fuchariftie; die Neftorianer, Armenier, Jacobis
ten, Copten, Aethiopier-und Griechen erkennen eben
ten dielbe ebenfalls, als Die Berengarier fie zu befiteis
ten Anfingen.
Da dieſer Glaube zu Berengar’s Zeit unter den
Chriſten allgemein war, fo folgt nothwendig, daß er fo alt
‚als die Kirche felbft fen, eder daß alle. chriftlichen Kirchen
von dem Glauben an die wirklihe Abmerenheit zu Dem
Slauben an die wahrbafte Anweſenheit des Leibes J ef u
im Abendmahle übergegangen ſeyen.
Menn es wahr ift, daß Die Kirche von dem’ Blauben
an die wirflihe Abwefenheit zu jenem der wahren.
Gegenwart nicht übergehen konnte, fo iſt es auch ers
1) Mon fehe diefe verſhiedenen Artitei
4
: Berengar. | 95
wieſen, daß die weſentliche Gegenwart von den Zeiten
ber Apoſtel an bis zu Berengar ſtaͤts in der Kirche ges
Ichrt und befannt worden iſt. Jenes aber iſt ausgemacht,
Denn der Uebergang im Glauben der Chriften von eis
nem zum andern fonnte nur auf zweifache Weife gefchehen,
entweder plöklich, oder nach und rad).
' Die erffe Vorausſetzung iſt unmoͤglich; denn ſonſt muͤß⸗
ten alle Chriſten, nachdem ſie bis daher insgeſammt geglaubt
hatten: der Leib Jeſu ſey in dem Abendmale nicht zuge⸗
gen, mm miteinander auf einmal angefangen haben zu
glauben, daß Der darin anwefend fey, dergeffalt, daß,
wenn fie mit dem Glauben, die Euchariftie fey nur die Bors
ftellung des Leibes Fefu, fich des Abends zur Ruhe ber
. geben hätten, fie des andern Morgens alle in ber Ueber⸗
zeugung erwacht wären: fie enthalte wirklich den Leib
- und Dad Blut Jeſu Chriſti.
| Es iſt unmoͤglich, daß eine Vielheit auſſer Gemein⸗
ſchaft ſtehender Kirchen, gegen alle Himmelsgegenden hin
zerſtreut, feindſelig und ohne Verbindung untereinander,
uͤbereingekommen ſeyn ſollte, den Glauben an die we ſent⸗
liche Nichtgegenwart, der immer angenommen war,
zu verwerfen, und ihn mit jenem am die weſentliche
Gegenwart, an die bisher Niemand glaubte, zu vertaus
(hen, wie es unmoͤglich iſt, Daß man ohne gegenfeitige Vers
abredung in diefem Punfte follte übereingefroffen haben, ohne
daß diefe Veränderung in ber Lehre einen Widerſpruch er⸗
zeugt hätte. —
Der Uebertritt von dem Glauben an die Nichtanwe⸗
ſenheit zu jenem an die wirkliche Anweſenheit,
muͤßte ſonach, wenn er ſtatt gehabt. hätte, ſtufenweiſe
gefchehen ſeyn; und dann müßte zuerft, namlich bei dem
Entfiehen der Meinungs s Uenderung eine Zeit gemefen
ſeyn, wo Diefer nur fehr wenige Perfonen zugefhan waren;
in einem andern Zeitpunkte müßte. diefe Zahl ſich ſchon ſehr
vermehrt, haben, und der Zahl der Glaͤubigen, die ſich zur
Nichtgegenwart befannfen y gleichgefommen feyn; in einer
13H N
270 _ Berengar.
mweitern Periode hätte fich. diefe Meinung des großen Hau⸗
feng bemaͤchtigt, wenn gleich unter vielfaͤltigem Widerſpruche
Anderer, die der alten Lehre noch treu blieben, und endlich
müßte die Zeit gefommen ſeyn, wo dieſer Glaube friedlich
und ohne Gegenrede herrfchte, und die war, wie die Cals
piniften eingeftehen müffen, der Zufland der Chriftenheit, als
Berengar anfing, über diefe Materie Streitigkeiten zu ers .
regen. 1)
In allen diefen Fällen iſt ed unmoͤglich, daß nicht in
der Kirche zwiſchen denen, die an die Nichtanweſenheit,
und denen, die an die wirkliche Anweſenheit glaubten,
ſich ſollten Zwiſtigkeiten erhoben haben. Die kleinſten Ver⸗
aͤnderungen in der Kirchenzucht, die leiſeſten Abweichungen
von den weniger entwickelten und bekannten Glaubensſaͤtzen
erweckten ſogleich in der Kirche Widerſpruch: alle Irrthuͤ⸗
mer, alle Ketzereien wurden gleich bei ihrer Geburt ange⸗
geftri..en, wie follte der Glaube an die wahrhafte Ge
. genwart, in einer Kirche, wo die Nichtgegen waͤrt ges
glaubt wurde, ohne Widerrede haben eingeführt werden
koͤrnen? wie konnte man den ganzen Gottesdienſt und alle
Ceremonien abändern, ohne daß jemand ſich dagegen gefet
haͤtte?
Inzwiſchen findet man von den Apoſteln an bis zu Bes
rengar, wo der Glaube an die weſentliche Gegeus
wart der in der Kirche allgemein herrfchende war, feine
Epur, daß Jemand mit Verkündung der wefentlichen
Gegenwart des Leibes Jeſu in der Euchariflie dafiir ges
halten hätte, eine von dem gemeinfammen Glauben feiner
Zeit, oder der alten ‚Kirche unterſchiedene Meinung aufjus
dringen. Man findet nicht, daß irgend Jemand bei Bifchds
fen oder Coneilien angeklagt worden fey, weil er mündlich
. oder fchriftlich gelehrt Habe: Jeſus Chriſtus befinde fich
wahrhaftig im Munde desjenigen, der dag Abendmahl ems
pfange; man finder nicht, daß ein Vater, ein Bifchof, eine
Kirchenverfammlung fi fi ch die Muͤhe gegeben habe, dieſen
—N —
1) Perpstuits de la Foi. 12mo. p. 19
Berengar. Bu 977
Glauben zu widerlegen, oder zu bezeugen, daß einige aus
dem Volke in einem groben und gefährlichen Irrthume ſtuͤne
den, da fie glaubten, Jeſus fen auf Erden eben fo, wie
- im Himmel gegenwärtig. Endlich findet man nirgends, daß
ein Kirchenlehrer oder Prediger fich je beklagt Habe, daß zu
feiner Zeit ſich ein fchädlicher. und verdammlicher Goͤtzendienſt
dadurch einfchleichen wolle, daß mehrere Jefum Chriftum,
als unter den Geftalten des Brodes und Weines wahrhaft
gegenmwärfig, darin anbeteten.
Diefe Gründe, koͤnnte man etwa fagen, jeigen zwar,
daß der Glaube an die weſentliche Gegenwart nicht
durch Widerſtreite, noch durch Maͤnner, die ihre Ueberzeu⸗
gung geaͤndert, gefliſſentlich Neuerungen aufbringen, und
den Glauben der Kirche faͤlſchen wollten, eingefuͤhrt wor⸗
den ſey; hiermit iſt aber noch nicht erwieſen, daß er ſich
nicht auf eine weit unmerklichere Weiſe einſchleichen konnte,
fo naͤmlich, daß die Kirchen » Vorflände, für ihre Perſonen
in der Uebergeugung: daß der Leib Jeſu nur in der Fis
gur im Abendmahle vorhanden fey, demnach in’ ihren oͤf⸗
fentlichen Vorträgen ſich folcher gweideufigen Augdrüde
bedient hätten, daß Einfältige ihre Worte in einem ber
Wahrheit und ihrer Abſicht entgegefegten Sinne genoms
men hätten und auf die Meinung von der wirflihen Ge⸗
genwart, als wäre biefes die Lehre ihrer Seelenhirten,
verfallen wären.
Alllein, wenn auch eine ſolche Zweideutigkeit im Aus⸗
drucke, einige wenige einfaͤltige Perſonen auf Irrwege brin⸗
gen konnte, ſo waͤre es die hoͤchſte Abgeſchmacktheit, wenn
man ſich oder Andere uͤberreden wollte, daß auf dieſe Weiſe
die ganze- Chriſtenheit auf Erden in Irrthum gefuͤhrt wor⸗
den ſey.
| Denn „ kann man, ohne Tolfinn, Ä ch einbilden, daß
wenn die Worte der Kirchenvorſteher von ſehr vielen Glaͤu⸗
bigen aus allen Theilen der Welt unrichtig verſtanden wor⸗
den find, keincr von dieſen Seelenhirten eine fo grobe Täns
ſchung follte gewahrt, und erflere dem aus diefen Worten
antnommenen Irrwahn entriffen haben? Kann man fich vors
278 Berengar.
fielen, daß ‚alle Seelenhirten fo blind. und unklug ſollten
geweſen ſeyn, ſich ſolcher Ausdruͤcke zu bedienen, die die
Voͤlker irre lelten koͤnnten, ohne jemals ſo gefaͤhrlich dop⸗
peltſinnige Worte zu erklaͤren?
Wenn aber dieſe Worte nicht an ſich einer uͤblen Deu⸗
tung faͤhig waren, und nur von wenigen unwiſſenden Men⸗
ſchen unrichtig ausgelegt wurden, wie ſollten die Gebilde⸗
"teren unter den Gläubigen, die doch durch Umgang mit
den Einfältigen täglich in Berührung kamen, durch irgend
eine Thatſache oder Rede nichr auf. die Entdeckung des
ſchändlichen Irrthums, in den ſie verſtrickt waren, gekom⸗
men ſeyn? welches nothwendig zu Erlaͤuterungen gefuͤhrt,
und unfehlbar die Kirchenobern hievon in Kenntniß geſetzt
haͤtte, deren Pflicht es ſo fort ſeyn mußte, oͤffentlich kund
gu thun, daß man ihre Worte mißverſtanden, und in eis
nem böchft falfchen, ihrer Meinung durchaus zuwiderlau⸗
‚ fenden Sinne genommen habe? Wie follten endlidy _ diefe
Zweideutigkeiten erſt gegen das neunte oder zehnte Jahr:
- Hundert die Welt zu täufchen angefangen haben, wie vie
Meformirten angeben, ohngeachtet man fich bei ver Feier
diefes Gchrimniffes, und Verkündung des Wortes Gottes
‚keiner andern Ausdrücke bediente, als folcher, die man von
jeher hiebei gebraucht hatte? und mas Kann lächerlicher ers
dacht werden; ale zu fagen: Die nämlihen Worte
feyen zu einer gewiffen Zeif allgemein in vdiefem, und zu
einer andern Zeit wieder allgemein in einem andern Sinne
verftanden worden, ohne daß jemand dag Mißverſtaͤndniß
oewabt worden waͤre?
Alle Väter Haken die weſentliche rgeamart ge—
lehrt.
Da die Vaͤter ihre Lehre uͤber die Euchariſtie bon: dem
Unferrichte der Apoſtel hernahmen, fo braucht eg zur Er;
hebung ihrer Meinung über dieſen Punkt weiter nichts ale
su wiffen, ob fie die Worte: das tft mein Keib, im
buchftäplichen oder figuͤrlichen Sinne verſtanden haben? Ge⸗
Berengar. 979
wig iſt eg, daß die. eine. und andere diefer beiden Bedeu⸗
. tungen Ihre eigenthümlichen Merkmale und Kennzeichen habe,-
die fih in den Ausdruͤcken der Täter he nachdem ihnen der
eine, oder der andere Sinn vorſchwebte, veroffenbaren
mußten.
‚Wenn man glaubt, daß die Einſetzungs⸗ Worte ſagen
wollen: der Leib Jeſſu ſey wirklich gegenwaͤrtig, fo nimmt
man fie in einem nafirlichen Sinne, der ſogleich Jedermann
einteuchtet ; allein, fo genommen, drücken fie eine unbegreifs
lihe Sache aus: mithin ift der buchftäbliche, die weſentliche
Gegenwart befagende, Sinn leicht, die Sache aber, die
er bezeichnet, ſehr ſchwer zu verſtehen. Hält man aber
bie Worte: das ift mein Leib, gleichbedeutend mit: dag
ift die Vorftellung meines Leibeg, fo ift diefer Sinn
ſehr ſchwer zu entdecken, und der Verſtand firäubt fich Dages
gen ; wir innen Zwingli felbft zum Beweife hievon auffühs
ren, der 4Jahre dazu brauchte, big er herausbrachte, Die Worte,
dag ift mein Leib, feyen gleichfagend dem: das bedeutet meis
nen keib. Der figirliche Sinn der Worte Jeſu ift daher
ficher fehr fchwer und gefünftelt. Aber eben fo zuverläßig iſt
eg, daß er eine leicht begreifliche Sache bezeichnet; namlich,
daß Brod und Wein Symbole des Leibs und Bluts es
fu find, und auf dfe Seele heilfame Eindräce machen Eins
nen, welches eben fo unfchwer zu begreifen tft, als die Mit⸗
- theilung der Gnade in der Taufe. Mithin ift der Sinn der
Katholiken fehr leicht im Ausdrucke, bezeichnet aber eine
fchwer begreifliche Sache ; jener der Neformirten im Gegens
theile ift gegen die Megeln des Sprachgebrauches, und folgs
lich ſehr ſchwer zu verfichen, druͤckt aber ı eine ſehr leicht be⸗
greifliche Sache aus.
Die Vaͤter unterzogen ſich nie, die Bedeutung der
Worte: Das iſt mein Leib, zu erklaͤren, ohngeachtet ſie
ſonſt mit vieler Sorgfalt ale bildlichen Ausdruͤcke der
Schrift zu erflären flrebten; fie fchrieben nie ein Wort, um
zu verhindern, daß die Gläubigen jene Ausdrüce in dem
Einne der Katholiken nähmen; fie glaubten daher, daß die
Einfegungsworte in ihrer natürlichen und buchftäblichen Be
deutung zu verſtehen ſind. J
230 Berengar.
Zum andern {ff ed gewiß, daß affe Väter die Eucka⸗
riſtie als ein unbegreiflihes Geheimniß, ald einen Glau—⸗
benspunft angefehen baben, zu deſſen Beweiſe fie fid auf
die göttliche Allmacht beriefen, welches bei Annahme der
gegnerifchen Hedeutung unnöthig geweſen wäre Eben fo
fprachen fie fletd von dem hi. Abendmahle, ald von einem
Sacramente, welches wahrhaft den Leib und das Blut
Jefu enthält, und die Gnade mittheilt, deren Wirkſamkeit
ſte dieſer wefentlichen Gegenwart zufchreiben. Die folches
beweiſenden Stellen anzuführen, würde zu weitläufig fenn 1). -
Um die Meinungen der Vaͤter über die weſentliche Ges
genmwart Eennen zu Jernen, darf man nicht bei wenigen eins
zelnen Stellen ftehen bleiben, fondern fie_ alle, wa von Dies
fer Materie gehandelt wird, im Ganzen beräcffichtigen:
aus einer großen Menge von Stellen und Bemeifen, wels
he efne vollkommne Gewißheit gewähren, gehet aber hers
bor, daß die Väter der ſechs erſten Jahrhunderte die Eins
ſetzungs⸗ Worte in dem natürlichen und buchſtaͤblichen Sinne
nahmen, fo wie ed gewiß iſt, daß fie nie an eine kilbliche
Bedeutung dachten, fondern eine. wirkliche Verwandlung der
Weſenheit des Brods in jene_ des Leibes Jeſu glaubten,
Sollte man daher bei fhnen einige Stellen finden, wos
rin fie der Euchariflig Die Benennungen; Zeichen, Bild,
Figur, beilegten , fo berechtigt diefed nicht zu dem Schluffe,
- Daß fie nicht an Die wirkliche Gegenwart geglaubt has
ben, Denn, ba die Geftalten von Brop und Wein nad) der
Eonfecration zurück bleiben, fo fft eg nicht unmöglich, daß
die Väter auch nach der Wandlung noch die Ausdrücke,
Brod und Wein gebraucht haben, indem fie die Eucharis
ftifchen Symbole nicht mit philefophifchen fondern populären
Benennungen bezeichneten; und man fieht deutlich, daß fie
fich nur nad) der Volksſprache bequemten, wenn fie fich diefer
Alusdruͤcke bedienen, weil fie unausgeſetzt verfichern: daß Brod
und Wein in den Leib und‘ Das Blut Jefu verwandelt find.
y: Dan eehe Perpetuite de la Fei. T. 2. L. 1, C. ı. L.
35 4, 5. Natal. Alex. Dissert. in Sacc. I1. 2,
es
Berengar. | 281
Nach ausgefprochenen Segens⸗ Worten iſt das Weſen
des Brods und Weins verwandelt in dag Weſen des Leibs
und Bluts des Herrn; allein man ſieht nicht unmittelbar
den Leib, unſere Sinne gewahren nur die Geſtalten des
Brods und Weins, mithin find nach der Wandlung die Ger
ftalten die Zeichen oder der Typus des Feibeg Je ſu. Die
Vaͤter konnten daher den Euchariſtiſchen Symbolen die Be⸗
nennung Zeichen des Leibes und Blutes des Herrn beilegen,
ohne daß man daraus ſchließen darf, daß ſie nicht an die
weſentliche Gegenwart glaubten. 1)
Die Transſubſtantiation oder Verwandlung.
‚ Mit Ausfprechung der heiligen Segnungs s Worte find
Brod und Wein verwandelt in den Leib und das Bluf
Jeſu Chriſti, weil durch Diefe der Leib und das Blut
des Herrn in der Euchariftie wahrhaftig gegenmwärfig mers
den, dergeſtalt, daß Brod und Wein der keib und das
Blut Jeſu werden.
Der Leib und das Blut des Herrn, in welche Brod
und Wein umgewandelt worden find, find der naͤmliche Leib
und daffelbe Blut, welche am Kreuze dargegeben und
vergoßen wurden zur Vergebungder Sünden
Diefes aber von dem Brode zu fagen, wäre abfurd. 2)
Mithin find nach gefprochenen Einſetzungs⸗ Worten in’ _
dem heil. Abendmahle nicht mehr Brod und Wein , fie- find
umgewandelt in den Leib und dag Blut dee Herrn.
Diefe Verwandlung der Weſenheit des Brods und
eins in den Leib und dag Bluf Jeſu, heißt Transfabs
ſtantiation; und-ob man’ gleich die Berwandlung erft in
n den letzten Jahrhunderten mit dieſem Worte bezeichnet hat,
1) Perpetnits de la Foi. Ti, L. 8, C. 2, T. 5. L- 3.
C. 5. Natal. Alex. Dis. 12. in Saec, 11,
2) Matth. C. 26, 28. Marc. C. 14, 24. Lue. C. 22: 19:
20. 1. Corinth. 11, 24.
-_
282 . Berengar.
fo mar doch. dieſe Glaübenslehre in der. Kirche eben fo lange
bekannt, und ift fo alf, ale vie Lehre von der wefentlis
hen Gegenwart. Die vierte Eateranenfifhe Kir—⸗
hens VBerfammlung im Sahre 1215, die von Kons
ftang, 1414, jene von Florenz und Trident haben hiers
über entfchieden.
Alle Väter, alle Riturgien ferechen von der Verwandlung
des Brods und Weins in den Leib und dag Blut Jeſu;
alle Gebete der Mefie drücken die Bitte aus: daß Brod und
Mein der Leib und dag Bluf unferes Herrn, Jeſ u Chriſti
werden möchten. 1)
Das Wort Transſubſtantiation drück diefe Ums
wandlung volfommen aus, und man kann feinen Gebrauch
nicht deshalb. verwerfen, weil man eg nicht in ber Schrift
findet: denn die Worte Dreieinigfeit und Konſub⸗
ffanzial werden eben fo wenig in ber Schrift gelefen, und
doch Laffen fich die Proteftanten folche gefallen; der Kirchen⸗
Kath von Lateran Fonnte fonach dem Worte Transfubs
ffantiation, fo gut wie jener von Nicda dem Worte
Konſubſtanzial die Senction ertheilen. \
Die Glaubensneuerer , fo fehr fie in Hinficht . der we
fentlihen Gegenmwarf miteinander im Wivderfpruche flehen,
vereinigen fich gegen die Transfubftantiation: fie has
ben diefen Glaubensſatz durch unzählige logifche und grams
marifche Sophismen ꝛc. angeflritten, in deren Unterfuchung
einzugehen, eben fo unniß als langweilig feyn würde, und
die fie felbft fehon größtenrheild aufgegeben haben. Wir
tollen ung daher nur auf die Beleuchtung eines einzigen
Einwurfes, auf den fie als ein unüberfteiglicheg Bollwerk
pochten, einlaffen. Dan will nämlich behaupten, der Lehr⸗
faß von der Transfubflantiation untergrabe alle Srunds
lagen der Offenbarung.
Die Dffendarung, ſagt man, gründet fi ch auf Runder
und Thatiachen, die nur durch finnliche Wahrnehmungen
erkannt werden. Diefe Grundlage der Dffenbarung aber
1) Perpetuite de la Foi T. 2. L. 6.
%
| Berengae. 283
wird erfchiltterf, wenn man annimmf, daß das einſtimmige
und unausgefegte Zeugniß der Sinne täufchen könne; und . |
daß dem fo fey, müffen die Katholiken bei Annahme. der
Transſubſtantiation zugeflehen. Denn, Daß nad) der Conſec⸗
ration die Euchariftie noch Brod und Wein ift, bezeugen die
Einne einhelig und fortwährend allen Menfchen, wo hinges
gen das Dogma der Transfubflanfiation fie belehrt, dag
in der. That weder Brod noch Wein vorhanden find.
Auf diefe von den gelehrteften Proteftanten für unwi⸗
terleglich erachtete Einwendung 1) laͤßt fich Folgendes ants,
worten: Die Wahrnehmungen von Gegenfländen der aͤuße⸗
ren Sinnenmelt gefchehen nur durch Eindräce, die auf uns
fere Seele hervorgebrachg werden; folche Eindrücke Finnen
. aber auch, unabhängig von Eörperlihen Dbjecten durch uns
mittelbare Einwirfung der Gottheit auf unfere Seele ges
macht werden: es gibt daher Feine nothwendige Verbindung
zwiſchen dem Zeuaniffe ımjerer Sinne, und dem Daſeyn
-terjenigen Objecte, welches fie ung fund thım. "Die Ges -
wißheit des Sinnenzeugniffed hängt fonach von Der ung ges
wordenen Gemwißbeit ab, daß nicht Eindruͤcke, melde wir
förperlichen Objekten zufchreiben, von der Gottheit felbft,
oder, durch ihr Zulaſſen, von böheren Geiftern, auf unfere
Seele gemacht werden, folglich iſt es möglich, daß die Eindrüs
de, welche wir von Brod und Wein zu erhalten glauben,
ohngeachtet Diefe Materien nicht vorhanden find, von Gott in
unſerer Seele erzeugt werden; und derjenige, welcher dieſes
annähme, würde die Zuverläßigfeit des Sinnengeugniffes feis
neswegs ſchwaͤchen; wenn er unterftellte, daß Gott. ung bes
lehrt hätte, wir dürften in diefem Falle unferen finnlichen Ges
fühle nicht glauben : und das ift ed, was die Katholiken bes
1) Claude, Reponse au second '[Trait6 de la Perpe-
tuite de la Foi. prem. part. C. 5. p. 75. Abbadie R&
flex. sur la presence Reelle ı685. Trait6 de la Rel.
Reformee, T. ı, Sect. ı. Tillotson Serm. T. 5.
Reflexions auciennes et nouvelles sur V’Eucharistie>
1718. Geneve.
284 Berengar.
haupfen. Denn, fagen fie, da ung Soft zu erkennen gege⸗
ben hat, dag durch die Conſecration Brod und Wein in den
£eib und ‚In das Blut Jeſu Chriſti verwandelt werden,
fo bat er/ung hinreichend belehrt, diesfalls der Augfage
unfeter Sinne nicht zu frauen. Allein diefer Tal, in wels
chem ung Gott benachrichtigt, unfern Sinnen nicht zu glaus
ben, weit‘ enffernf, bie Zuverlöfigkeit ihrer Zeugniffe zu
ſchwaͤchen, dient vielmehr zur Beftätigung derfelben in Bes
ziehung auf alle Gegenftände, bei welchen die Menfchen
keine befondere göttliche Belehring haben, daß eine Sin»
nentäufchung flat finde: als da find das Dafeyn ver Koͤr⸗
‚per, die,Geburf, die Wunder, das Leiden und die Aufers
ſtehung unferes Heilandes, Gegenftände, melche, auch bei
der Lehre der "Katholiken von der Transfubflantiation, den⸗
noch den hoͤchſten Grad von Gewißheit behalten.
Terner anfmwortet man: das Zeugniß der Sinne über
die euchariflifchen Enmtole ift weder an ſich falſch, noch
das Dogma der Transjubflantiation beeinträchtigend. Die
- Sinne bezeugen ung, taß nach der Confecration fi) vor uns
feren Augen, und in unfern Händen ein Dbject befinde,
welches alle Eigenfchaften von Brod und Wein hat; allein
fie fagen und nicht, daß in der Subftang des Brodes und
Weines eine innere Ummandlung in den Leib und dag Blut
. des Heren habe -vorgehen Finnen, oder nicht wirklich vors
gegangen fey: diefe Umwandlung liegt außer Dem Bereiche der
Sinne; ihr Zeugniß befagt davon nicht, ift folglich dem Lehr⸗
fate der Transfubfluntiation nicht entgegen:- Wag fagen ung
denn nun mit Beftimmtheit die Sinne über die Euchariftie
nach der Conſecration? Nichts Anderes, als dag wir ein
Dbject vor Augen haben, weldes die KEigenfchaften von
Brod und Wein befißt; allein ift es: denn Gott unmöglich,
su machen , daß in dem Raume, welchen Brod und Wein
einnehmen, "die Lichfftrahlen eben fo nach der Confecrafion
reflectirt werden, tie vor derfelben? Iſt es unmsglich, daß
die Ausduͤnſtung jener durch die Sinne nicht wahrnehmbas
ren Theile, welche vor der Confecrafion den Geruch des
Drodes und Weines hervorbrachten, fich, ohne zu verflie⸗
gen, erhalten haben? ift eg unmsglich, daß eine um ven Leib
rw
-
> Berengar. Bernard, 285
und das Blut J. C. gezogene Repulſitionskraft den euchas
riftifchen Geftalten die Form erhält, und die Dichtigfeit,
- welche unfere Sinne gewahren, hervorbringt?
Nein, wahrlich, diefe Dinge find nicht unmdalich;
und dafern fie wirklich find, fo werden fie ein Object bils
den, mie unfere Sinne ſolches darfielen. Es iſt daher
feine Sinnentäufhung, wenn ein Object vor unſern Aus
gen ftehet, welches auf unfere Organe, wie wirkliches Brod
und Wein, einwirkt. Aber wir würden ung felbft täufchen,
wenn wir diefes Objekt für Brod hielten, weil unfere Sirme
ung nicht bezeugen Eönnten, daß es nicht auch eine andere
Sache ſeyn koͤnne.
"Durch das Dogmaq der Transfubfantiation wird daher,
- nicht unterſtellt, daß unfere Sinne über die Exiſtenz der
Dinge ung trügen; und diefer Lehrfag. beeinträchfiget die
Wahrheit ihres Zeugnißes in Berreff der Wunder und jener.
Thatfachen, welche der Religion zu Beweisgruͤnden dienen, -
auf Feine Weiſe. 1)
L wur;
Bernarb *) von Thauringen, ein Einſiedler, der
gegen Die Mitte des zehnten Jahrhunderts d das nahe bevor⸗
ſtehende Weltende ankuͤndigte.
Seine Meinung ſtuͤtzte er auf eine Stelle der Offen⸗
barung Johannis, daß nach kauſend Jahren die alte Schlange
losgelaſſen, Die Seelen der Gerechten in's Leben zuruͤckteh⸗
ren und mit Jeſus herrſchen wuͤrden.
"Bernard von Thuͤringen gab vor, dag die Schlange
der Anticheift, nach Ablauf des Jahres 960 deffen, Ans
kunft, und mithin auch das Ende der Welt nahe fey.
Um feinem Vorgeben mehr Glauben zu: verfchaffen, ums
terſtuͤtzte er es mit einem lächerlichen, Vielen aber ganz übers
jeugenden Argument; er behauptete nämlich: wenn das Feſt
.4) Mon fehe Über. die Euchariſtie Joſ. Ign. Döllinger,
Prof. zu Aſchaffenburg (jetzt Münden.) Die Lehre von der
Euchatiſtie in dent 3 seften Jahrß. Mainz 1826. bei Sten⸗
10tes Jabrhundert. | |
26 Bernard. Berillus.
Martä Verfindigung mit dem Charfreifage zufammenträfe:
fo fey dieſes ein ficheres Zeichen, dag das Ende der Welt
herannahe. Endlich betheuerte Bernard, von Gott felbft
die. Offenbarung diefes bevorſtehendeüũ Weltendes erhalten
zu haben.
Das ſchauerliche Gemaͤlde von dem Unterange der Welt;
die Stelle der Apofalypfe, die Zuverficht mit tmelcher der
Einfiedler von der - erhaltenen Offenbarung fprach , überres
defe er unzählig viele Perfonen aus allen Saͤnden von ber
Wahrheit der Sache ; die Prediger verkuͤndeten es von der
Kanzel, und beaͤngſtigten alle Gemuͤther.
Als eben um dieſe Zeit eine Sonnenfinſterniß eintrat,
glaubte alle Welt, nun ſey es um ſie geſchehen, der juͤngſte
Gerichtstag ſey angebrochen, Alles floh und ſuchte fi ſi ch zwi⸗
ſchen Felſen, in- Höhlen, Kellern Faͤſſern u. Re w. zu ver⸗ |
ſtecken.
Das wieder hervorbrechende Sonnenlicht konnte die Be
muͤther nicht beruhigen. Gerberg, Gemahlinn des Koͤnigs
von Frankreich, unwiſſend, woran ſie ſich zu halten habe,
erſuchte die Gottesgelehrten, dieſe Materie aufzuhellen; ver⸗
ſchiedene hieruͤber erſchienene Schriften zeigten, daß die Zeit,
des Antichriſt noch weit entfernt ſey.
Endblich ſah man im Anfange des eilften Jahrhunderts
die Welt noch ſtehen, wie im zehnten, und der von dem
Einſiedler Bernard. verbreitete e rrthum verſchwand von
ſelbſt. 1).
Berillus 5 Siſcho von Boſtra in Arabien, fiet,
nachdem.er eine Zeit lang feiner Kirche mit vielem Ruhme
vorgeſtanden war, in Irrthum. Er glaubte: Jeſus Chris
ſt us fen vor der Menſchwerdung nicht vorhanden geweſen,
und habe erſt angefangen, Gott. zu werden, als Er. von der
ı) Martene, ampliss. Collect. T. 4.:Abbo, Apologet ad
calcem codicis.canonum veteris Eecles. Rom. a Fran-
; cisep. Pithzo..p. 401. Hist. Lit. de France. T, 5. P. 22.
* 3ted Jahrhundert.
—
dem Irrthume, und gewannen ihn der Wahrheit.
Berillus. Bilderſtuͤrmer 287
Jungfrau geboten: ward; diefem fügte er bey, Jeſus (ev
nur Gott geweſen, weil ver Vater in ihm, wie in den Bros
pheten gewohnt habe, dieß iſt Artemon's Irrlehre. Man
lud Origenes ein, fih mit Berillug zu befprechen; jes
ner fam nad) Sofra ‚ erforfchfe im gepflogener Unterhäfs
tung feine ganze Meinung, wiederlegte fie ‚ und Berillus
durch des Origenes Gruͤnde überzeugt, entfagte auf bet
Stelle feinem Irrthume. 1)
So behauptet die Wahrheit ihre Rechte auf das menſch⸗
liche Gemuͤth: wenn ſie uns durch — rnunft, Guͤte und
Liebe dargeboten wird Mit eben diefen Waffen befiegte -
Drigenes den Irrthum per Araber, die die Unfterbs
lichkeit der Seele laͤugneten; hitziger, ungeflämmer und
blinder Eifer hätte Berillus aufgebracht; die Kenuts
niffe und fanffe Behandlung des Drigeneg entriſſen ihn
Bilderſtuͤrmer. *) Der griechifihe Kaifer, Leo
der Sfaurier, war das Haupf dieſer Secte.
Seit Eonftantin dem Großen: hatten fi fich beinahe. alle
Kaifer theils aus Staatsklugheit, theild auf Anleitung ihrer
Beamten und Verjchnittenen, in die unter den Cheiften entfinn:
denen Streitgfeiten gemifcht; man fab fie beinahe immer, je '
nachdem fie. von ihren Miniftern_oder Guͤnſtlingen geſtimmt
wurden, die Wahrheit vertheidigen, oder den Irrthum beſchuͤ⸗
Ben. Ihre Theilnahme an den Keltgiong » Streitigkeiten, die
onen von der beguͤnſtigten Parthei ertheilten Lobfprüche hatte
‚ ihnen einen Geſchmack an Befchäftiguugen diefer Art beiges
bracht. Die Höflinge, welche fie für eine Parthei gewinnen
wollten, ftellten ihnen vor, wie ſchoͤn es ſey, ihr Anfehen auch
in Religiong » Ungelegenheiten geltend zu machen, und behans
belten die Zwiſte der Gottesgelchrten als Gefchäfte vom
hoͤchſten Belange, geeignet, die Kaiſer mit unſterblichem
Nuhme zu kroͤnen, bergefalt, daß fi ch ein Kaifer Süd zu
1) Busch, L.6,C. 20, 35.
*) 8te& Jahrhundert.
288... ‚ Biderfärmer.
wiünfchen Babe, wenn unter. feiner Regierung eine Ketzerei,
oder ein theologiſcher Disput, der in der Welt Aufſehen
machte, entſtand.
Als z. B. unter der Regierung Ju ſtinian's nach
Verurtheilung des Eutiches und wiederhergeſtellter Ruhe,
Moͤnche von Jeruſalem nad Conſtantinopel zuruͤck—
kamen, welche aus den Werken des Origenes einige
Saͤtze, um ſie verdammen zu laſſen, ausgezogen hatten,
ergriff der Kaiſer ſogleich dieſe Gelegenheit den Richter in
kirchlichen Angelegenheiten zu machen, verdammte in einem
Edicte den Origenes, Theodoret und Ibas und berief
zu deſſen Beſtaͤtigung einen Kirchenrath 1).
Philippitus hatte nicht ſobald den Thron beſtiegen,
als er ſich zu den Monotheliten ſchlug, und inzwiſchen
die Laͤnder des Reich's von den Bul garen verwuͤſten
ließ.
Aunaſtaſius, ein Gelehrter, den das Volk an dle
Stelle des enthronten Philippicus erhob, miſchte ſich
nicht weniger in die kathol. kirchlichen Angelegenheiten, und
ward von Theodos der Krone beraubt.
Leo von Iſaurien, von Anaſtaſius zum oberſten
Befehlshaber der Reichsheere ernannt, widerſetzte ſich der
Anerkennung Theodoſens, ließ ſich zum Kaiſer ausrufen,
und Theodos ermorden.
Leo, von unbekannter Herkunft aus Iſaurien, war
als gemeiner Soldat in Kriegsdienſte getreten, ward am
2. Maͤrz 716 zum Kaiſer gekroͤnt, und legte in die Haͤnde
des Patriarchen von Konſtantinopel, des bl, Germanus,
ben Eid ab, die kathol. Religion zu erhalten und zu ſchuͤtzen.
£eo, der feine Erziehung genoffen hatte, war unfähig
einer Theilnahme an theologifchen Efreitfragen ; wollte jes
doch gleih ‚feinen Vorfahren fich damit befaffen, damit
man ſagen koͤnnte, er habe die Kirche geſchuͤtzt, Anordnuns
gen über die Religion getroffen, und den Glauben erhalten,
*
1) Dieſe Begebenheit iſt bekannt unter dem Namen des
Streites der drei Kapitel, und wurde in dem sten
allgemeinen Concilium beendiget. |
RR
Bilderſtuͤrmer. 2889
Leo wat mit Juden und Mahometanern in ſtarken Ver⸗
| Bindungen geffanden ‚ die beide Feinde der Bilder waren,
und ‚welche er hievon, als von einer Abgoͤtterei hatte reden
gehört. Diefe Vorſtellung, faßlicher für einen Soldaten,
als theologifche Subfilitäten, fanden bei £eo Eingang, und
er glaubte: fid) einen. Namen zu machen, wenn er die Bils
der abſchaffte. Beſtaͤtiget hierin durch die Graufamfeit eis
nes phrygiſthen Biſchafs, Namens Conftantin, mit wels
cher diefer die Bilder + Verehrer als Goͤtzendiener verfolgte,
gab er im zehnten Jahre feiner Regierung ein Edikt, worin
er die. Hinwegnahme der Bilder verordnete, 1). |
Bei Bekanntmachung dieſes Edikts erregte Das Volk von .
Conftantinopel einen Aufſtand, und der Patriarch feßte
fich gegen deffen Vollzug. Allein Leo lieh das Volk auds
einander treiben; die Bildniffe wurden zertrümmert, und
der. heil. German feines Stuhles enffegt.
Leo fchichte fein Edift nah Rom, um ed auch dort in
Vollzug zu bringen. Der Pabſt Gregor IL ſchrieb ihm
mit vieler Feſtigkeit, und verſicherte: daß die Voͤlker Den
Bildniffen keine abgättifche Verehrung ermwiefen ; e8 ſey Sache
der Bifchdfe und nicht der Kaifer, in Glaubensichren zu
richten ; wie die Bifchdfe nicht in weltliche Angelegenheiten
ſich mifchten,, ſo müßten auch Die Kaifer fich der Einmifchung
‘in Kirchenſachen enthalten. 2). |
Leo, aufgebracht über Gregor’s Widerftand, ſchickte
Meunche inorder gegen ihn nach Rom, welche aber von dem
Volke antdeckt und hingerichtet wurden. Ganz Italien er⸗
bob fi) nun gegen Leo, deſſen harte und tyranniſche Re⸗
sierung die Gemüther zum Aufruhr gereist. hatte.
Dieſe: Unruhen wegen eines Gebrauches, deſſen Verur⸗
theilung, wenn er auch verwerflich gewefen wäre, doch der
weltlichen Macht nicht zuſtand, änderten nichts im dem Ents
[U
J r
1) Gedrenus, Zonaras, Constantin Manasses.
2). Greg. Il. Ep. 1. Conc, T. 7. Baron, ad ann. 726.
n. 28 u
Ketzer-Lexikon. IH. 19
2
| 20 | u Zinerirmer
fchluffe des Kaiſers, die Bilder abzuſchaffen; alle, feine übr
rigen Lebenstage waren dem Beſtreben, fein Edikt durchzu⸗
ſetzen, gewidmet, welches ihm aber in Italien nicht gelang.
Conſtantin Copronymus, Leo's Sohn, trat in
ſeines Vaters Fußſtapfen, und berief, um ſeine Abſicht hin⸗
ſichtlich der kirchlichen Anordnungen, die er zu machen ge⸗
dachte, ſicherer zu erreichen, ein Concilium nah Conftans
nopel, % 754, fofelbft ſich mehr als dreihundert Biſchoͤfe
einfanden. 1).
Die Biſchoͤfe dieſes Conciliums anerkannten die ſechs
erſten Kirchenraͤthe, und behaupteten, daß, wer die Ver⸗
ehrung der Bilder gut heiße, das Anſehen jener Kirchen⸗
Käthe untergruͤbe. Die Bilder. ſtammten nicht aus der
Weberlieferung von Jeſus, den Apofteln, ‚oder. den Gries
chen; es gäbe in der Kirche fein Gebet, wodurch ſie geheis
liget wuͤrden, endlich wer fie. verehre, fiel in dag Heiden⸗
thum qurüd.
| Don Bernunffgriinden famen ſie zu Autoritaͤten fuͤhr⸗
ten die Schriftſtellen an, wo es heißt: Gott iſt ein Geiſt,
und die Ihn anbeten, muͤſſen Ihn anbeten im Geiſte und in
Wahrheit; Gott hat Niemand geſehen, und Er hat ſeinem
Volke verboten, geſchnitzte Bilder zu machen.
Endlich berief man ſich auf die Ausſagen der Vaͤter;
allein die von ihnen angefuͤhrten Stellen beweißen nichts
gegen den Gebrauch der Bilder, wie ihn die Ketholiten zu⸗
ofen ‚ oder find verfälfcht und geſtuͤmmelt. I
Nach dieſen Gründen und. Autoritäten verbok diefeg
Concilium Sedermann, die Bilder zu verehren, md fin den
Kirchen oder Privathäufern aufguftellen, unter der Strafe
der Abfegung, wenn eB ein Priefter oder Diacon und ver
Cyxcommunikation, wenn er ein Mönch oder Laie if. Sie.
folfen überbieß nad) der Strenge der Faiferlichen Geſetze als
Uebertreter der göttlichen Gebote und- deinde des Glaubend.
der Altvordern bebandelt werden.
1) Cone. P.
Bilderſtuͤrmer. 291
Dieſes Concillum wurde von den Mömern verworfen;
die Macht des Kaiſers aber erzwang deſſen Annahme und
Vollzug in einem großen Theile der morgenlaͤndiſchen Kir⸗
chen ; mer fich Demfelben und dem Edifte des Kaiſers gegen
‚ „bie Bilder widerſetzte, wurde vertrieben, des Landes ver
wieſen, und mif dem Tode beftraft. E
Da die Moͤnche die higigften Verfechter der Bilder,
Berehrung waren, verbot der Kaiſer in einer Verordnung;
jedem, ter es immer fey, in den Moͤnchsſtand zu treten ;
die meiften Klöfter in der Hauptſtadt wurden eingegogen;
die Mönche gezwungen, ſich zu verehlichen, ja fogar ihre
Bräute auf Sffentlichen Straſſen umberzuführen 1).
Conſtan tin ſtarb im Jahre 775; Leo IV. fein Sohn,
folgte ihm auf dem Throne. Der neue Kaiſer war anfangs
durch die Kriege mit den Sarazenen, und durch Verſchwoͤ⸗
rungen hinlaͤnglich beſchaͤftigt, ſobald es aber ruhig gewor⸗
den war, erneuerte er die Verordnungen ſeines Vaters und
Großvaters gegen die Bilder, und ließ die ſich dagegen
Verfehlenden mit der aͤußerſten Strenge beſtrafen. Der
Haß dieſes Kaiſers gegen die Dilder » Verehrer war big zur
Muth gefleigert; er unterbrach fogar die Verbindung mit
der Kaiferinn, weil er in ihrem Gemache NHeiligenbilder
gefunden hatte; er wollte wiffen, von wem fie folde erhals
ten hätte, und Diefe mußten auf der Folter ihren Geift
aufgeben 2). |
Leo farb Furz darauf und Conflantin Porphpros
geneta beflieg nach ihm den Thron; da er aber erſt zehn
Jahre alt war, ergriff feine Mutter Irene, die Zügel
der Regierung. Irene, welche ihre Andacht‘ für die Bil -
der beibehalten hatte, wuͤnſchte deren oͤffentliche Verehrung
wieder einzuführen, und lud den Pabſt Hadrian I. ein,
einen- Kirchenrath nach Nicda zu berufen. Diefer wurde
im Jahre 787 eröffnet, und beftand: aus dreihundert fieben
-
+) Theophan. Cedren. ad ann. Const. 19, 23.
2) Theophan. ad ann. & Leonis. Cedern.
, 19 *
—
292 Bilderſtuͤrmer.
und ſiebenzig Biſchoͤfen oder Erzbiſchoͤfen; ſaͤmmtlich aus
dem Gebiete des Kaiſers von Conſtantinopel.
Man verlas znerſt Die Schreiben ded Kaiſers und der
Kaiſerinn, welche erklärten: daß fie mit Zufimmung der .
Patriarchen diefen Kirchenrath verfammelt hätten, und den
Biſchoͤfen volfommme Sreiheit geftatteten, ihre Meinungen
zu eröffnen. |
Mehrere der Biſchofe, welche die Bilderverehrung ver⸗
dammt hatten, erkannten ihren Fehler, und wurden in dem
Concilium aufgenommen. Man zeigte bei dieſer Verſamm⸗
lung, daß der Gebrauch der Bildniſſe nicht religionswidrig
ſey, wie dag After s Eonciliunt von Conftantinopel ats
gegeben hatte, und dag er nuͤtzlich feyn inne. Man bes
wies dieſes Durch das Beifpiel der Cherubine an der Buns
deslade, Dusch Stellen der heiligen Gregoriug, Bafis
liug und Cyrillus, welche vorausfesten, daß die Bilder
zur Zeit dieſer Väter in der Kirche im Gebrauche waren,
daß folglich die Väter des falfchen Conciliums von Con⸗
fiantinopel die Stellen der Schrift, melde Bildniffe zu
machen verbieten, unrichtig ausgelegt haben, ment fie das
33 ſchloſſen, daß die Fertigung der Bilder verbrecheriſch
waͤre.
Nach dieſem wurde. gezeigt, daß die Ueberliefetung von
unvordenklichen Zeiten den Gebrauch der: Bilder rechtfertige,
.. und daß Die Chriften folche nicht, wie Gott, anbeten, fons
dern fie ümarmen, begrüßen, und in der, ihnen bezeugten
Verehrung nur ihre Hochachtung für die Urbilder beurfuns
den, deren Nachbilder fie wären. Ferner zeigten Die Väter
des Conciliums, dag die von dem After » Concilium zu Cons
ffantinopel angeführten Stellen der Schrift nur die ab»
söttifche Verehrung, und nicht jene, welche die chriftliche
Kirche den Bildern erweiſe verdammet; tie auch, daß die aus
den Vätern entnommenen Stellen häufig verfälfcht feyen.
Der Kirchenrath von Nicaͤa erklärte daher, daß es
erlaubt fey, in den Kirchen und Haͤuſern ſelbſt auf den
Straſſen Kreuze und Bilder, naͤmlich die Abbildungen des
Erloͤſers, der heiligen Jungfrau, der Engel. und Heiligen
Bilderfiärmer. | 293
aufsuftelen, die dazu dienten, ihr Andenken gu erneuern,
und zur Nachahmung ihrer Beifpiele aufjumuntern; daß
man fie kuͤſſen und in Ehren halten duͤrfe, ohne ihnen je⸗
‘doch die, Gott allein gebührende, Anbethung zu erweifen;
Daß es fie auszuſchmuͤcken geftattet ſey, weil die Ehre, die
man ihnen erzeigt, auf das Arbild uͤbergehe 1).-
Dieſes Conciltum, das fiebente allgemeine,
fand nicht überall gleiche ‚Aufnahme, Mir werben noch bes
fonders zeigen, wie es im Abendlande aufgenommen wurde.
Conſtantin, ber feiner Mutter die Vermählung, die
fie ihn mit: einem Srauenzimmer von niederem Stande haffe
ſchließen laſſen, nicht verzeihen Eonnte, entzog ihr allen Eins
flug, und verbot, dem Concilium bon Nicaa Gehorfam zu
leiften.
Nicephorug I, der anf Eonftanfin und Irene
folgte, war der monotheletiſchen Irrlehre ergeben; da ihm
die auswaͤrtigen Feinde vollauf zu thun gaben, vergaß er
des Bilderſtreites.
Leo V., welcher nach Nicephorus J. und Michael
J. den Thron beſtieg, hatte den Krieg mit den Bulgaren
und Sarazenen kaum beendigt, als ihn die Abſchaffung
der Bilder beſchaͤftigte, indem er verordnete, ſie aus den
Kirchen zu ſchaffen, und ihre Verehruug verbot.
Michael II., der Stammler, welcher Leo den Ars
menier enttbronte, war don Armorium, einer Stadt
Phrygiens, welche groͤßtentheils von Juden, und der Ke⸗
tzerei wegen vertriebenen Chriſten bewohnt war, abſtam⸗
mend, hatte viele von ihren irrigen Meinungen eingeſogen;
er feierte den Sabath der Juden, Iäugnefe die Auferfiehr
ung der Toden u. f. w. Dieſer mollfe neuerdings Den
Bilderfireit unterfuchen laffen, woran ihn aber die im Rei⸗
che ausgebrochenen Unruhen hinderten 2). |
Theophilug, defien Sohn, verfolgte die Wertheidis
gen der Bilder. Allein die Kaiferinn Theodora, welche
1) Cone. T. 7.
2) Cedren. in Michach-
—3
294 Bilderſtuͤrmer. —
nach deſſen Tode-mit ihrem Sohne, Michael III, regiers
te, tief, ale Freunde der Bilderverehtung zuruͤck, ‚und ver⸗
trieb dagegen die Bilderffürmer; Johann, Patriarch
von Conflantimopel, wurde des Stuhles entfeßt, und
Methodius, ein für die Bilder eifernder Mönch ,. darauf
erhoben. Das zweite Concil von Nicaͤa erhielt im ganzen
Neiche Gefegesfraft. Die Parthei der Bilderftärmer - wurde
unter ber Staiferinn Theodora, nacbem fie 120 Jahtze
beftanden batte, gänzlich erdruͤckt. 1).
Nach Ausrottung der Bilderflürmer sing die Kaiſerinn
den Manichaͤern, bie ſich außerordentlich vermehrt. hat⸗
ten, zu Leibe. Man wird bei dem Artikel Maniſch der
finden, weiche Mittel Theodora gegen biefe Ketzer an⸗
wandte, und mit ! weichem Erfolge. .
Was man im Lbendlande wäprend dieſer unruhen
im Morgenlande von der Bilder⸗Ver—⸗
ehrung hielt?
Der Gebrauch der Bilder war im Abendlande fo gut,
sie im Morgenlande eingeführt, jedoch erwies man ihnen
Seine Verehrung.
Mabillon vermuthet, die ungleiche Denfungsart iiber
biefen Punkt zwiſchen den Morgenländern und Sranzofen
rühre von der DVerfchiedenheit der Ehrenbezeugungen, die
man den Saifern und Herrſchern im Morgen s und Abend⸗
Jande erwies. 2).
Im .Drient und durchweg im römifchen Neiche beging
man $efte zu Ehren der Kaifer, die fih um das Staates
Wohl verdient gemacht hatten; das Andenken an ihre Zus
genden und Wohlthaten ermuthigte die Voͤlker. Die Dank⸗
barkeit ſchmuͤckte ihre Statien, richtete an fie Dankſagungen
und Eobpreifungen; ; umgab fie mit Beleuchfungen. _ Derglci,
1) Cedren. Zonaras, Glycas.
2) Mabillon prætat. in 4. Sac. Bened..
Bilderftürmer 295
chen Ehren erwies man jährlich der Statue Conſtaͤntin's
des Großen, welches auch Julian den Chriften ale eis
nen Akt Des Gögendienftes vorwarf. 1).
\ Nachdem alfo der Gebrauch der Bilder bei der morgens
Jändifchen Kirche eingeführt war, fo war es natürlich, dag
die Gläubigen vom Anbliche der Nachbilder zum Gefühle det .
Ehrfurcht für die Urbilder,, die fie vorfiellen, und zu aͤuße—
rer Bethaͤtigung dieſer Gefühle übergfngen. -
Im Abendlande, wo die Künfte noch in der Kindheit;
die Fürften milde Eroberer, beinahe auf gleicher Stufe mit
ihren Soldaten waren, erwies man den Gebiefern minder
Ehre; da gab eg Feine Statien, den Fürften oder Kriegs⸗
Dberften errichtet ; dieſe Huldigungsmeife war den Galliern
gänzlid) unbekannt, und die religisfen Bildniffe dienten nur
dem Volke die wichtigfien Punkte Der Neligion zu verans
fchaulichen; blog dem Kreuze erzeigte man aͤußere Ber
ehrung. 2).
Die galliſchen Biſchoͤfe konnten ſich nicht darin finden,
daß die Vaͤter des Concils von Nicaͤa eine aͤhnliche Ver⸗
ehrung fuͤr die Bilder gut hießen. Ueberdies ſtieß man ſich
"gar ſehr an dem Worte: Anbetung (Adoration) wel⸗
- ches die Väter des Concils zu Nicda zur Bezeichnung der
Verehrung, die man den Bildern erwies, gebrauchten. Dies
7) Theodoret Hist. L. 2. C. 34. Philostorg. L.2.C.ı8
2) Als Pabſt Hadrian die Beſchluſſe des zweiten Concild von
Nicäa nach Frankreich ſchickte, wurden die Biſchoſe über
die Ehrenbezeugungen, die man im Orient den S tatügn
der Kaiſer erwies, betroffen: fie fanden ed unrecht, daß
Epnftantin und Irene in ihrem Ausſchreiben zur Zus
fammenberufung des Eoncild "fi fo pomphafte Titel beilege
ten, tatelten ihren gebtauchten Ausddruck: durch den, des
mit und herrſcht, mit dem Bemerken, daß «5 von Für«
‘fien unerträgli fey, ihre Megierung mit jener _Biotted zu
vergieichen. Lib. Carolini przfat. Dupin Bibl. V. 7.
P- 472. - on J |
296, | Bilderfärmer.
ſes Wort, als Benennung des Zeichens der Unterwuͤrfigkeit
und Ehrfurcht im Orient üblih, war im Abendlande nur
alg der Ausdruck der tiefften Unterwuͤrfigkejit, die man ges
gen das hoͤchſte Wefen hat, im Brauche.
Man glaubte daher, das Wort: Anbetung; 9— in
Aunbetracht der Bilder Feiner guten Bedeutung fähig, und
das Concilium von Frankfurt am Maine vom Jahre
794, auf welchem ſich die Biſchoͤfe von Deutſchland, Gal⸗
lien, Aquitanien, und zwei paͤbſtliche Legaten einfanden, |
verwarfen jenes von Nicde nur deßhalb, weil man im
Albendlande glaubte: deffen Vaͤter ‚verftänden Inter dem
Anbeten der Bilder eine Verehrung, wie man fie Bott
erweißt, welches man aus dem zweiten Canon jenes Cons
ciliums abnehmen fann, welcher fo lautet: „Man bat die
„Frage über dag neue Coneilium der Griechen, gehalten. zu
Nicaͤa, wegen Anbetung der Bilder vorgelegt, in wel⸗
„chem gefchrieben ift: Wer den Bildern der Heiligen den
„Dienft oder die Anbethung, wie der Dreieinigfeit nicht ers
„weißt, fey Anathema. Unſere Väter bed Conciliums, feis
—„neswegs der Anbetung oder Dienftbarfeit beiftimmend,
„haben einhellig dieſes Concilium verworfen ’° 1).
Sn den Akten des Conciliums von Nicaͤa findet man
nicht, daß verordnet worden ſey, die Bilder der Heiligen .
wie bie Dreteinigfeit anzubeten; biefe Worte fcheis
nen daher in dem Concilium zu Frankfurt erflärungss
weiſe beigefügf worden zu .feyn, um gu erkennen zu geben,
daß man die in dem Concilium zu Nicaͤa gufgeheißene Vers
ehrung der Bilder nur in fo weit verwerfe, als unter dem
Worte Adoration, die der Gottheit ſchuldige Verehtung,
(Cultus latriae) verſtanden werde.
Das Loncilium von Frabekfurt ſah es daher nicht
fuͤr Goͤtzendienſt an, wenn man den Bildniſſen eine von der
gottesdienſtlichen (Cultus latriaticus ) verfchiedene Vereh⸗
Fung bejezte man ſieht auch nicht, De die galliſchen Bi⸗
5) llemundı Concil. aan a —
, Bllderſtuͤrmer. | 297
fchöfe jene von Italien und dem Morgenlande, welche die
Bilder verehrten, fuͤr Goͤtzendiener gehalten haben.
In der That ‚ ald man die Streitfrage über die Bilder
nach Gallien gebracht hatte, theilten fich hierüber. die Meis
wungen. Die Einen behaupteten, man duͤrfe ihnen | gar feine
Art von Verhrung erweifen, die Andern waren für die Ver⸗
ehrung geſtimmt 1).
Auf dem Concilium von Frankfurt hatte man noch
uͤberdies beſondere Gruͤnde, warum man der Verehrung der
Bilder, die man fuͤr eine Neuerung hielt, entgegen war.
Die Deutſchen, deren Biſchoͤfe ſich in großer Anzahl daſelbſt
befanden, waren durch den heil. Bonifaz, Erzbiſchof von
Mainz unter Fizin, Vater Carl's des Großen, erſt
zum Chriſtenthume bekehrt worden. Ihre Biſchoͤfe beſorg⸗
ten, dieſe Neubekehrten moͤchten bei'm Anblicke der Bilder,
denen man eine Verehrung erweiſe, in die Abgoͤtterei zus
rücfallen. Deßhalb begnügten fie fich, ihnen einzufchärfen,
die Bilder nicht zu entheiligen, ohne fie eben zu beren Bers
ehrung aufzumuntern.
Es iſt demnach gewiß, daß das Benehmen der Vaͤter
des Concils zu Frankfurt dem Geiſte des zweiten Wis
caͤn'ſchen nicht entgegen ift, und daß fie die Verehrung,
welche die Kirche den Bildern erweißt, nicht als einen Att
des Goͤtzendienſtes verwarfen.
Anfangs des neunten Jahrhunderts (825) hatte zu Pa⸗
zig eine Zuſammenkunft der gelehrteſten Biſchoͤfe Frank:
reiche ftatf, welche die Entfcheidung gaben: der Gebrauch
der Bilder ſey nicht su verbieten, doc feyen fie nicht zu
verehren. Diefe Entfchefdung des Koncild von Parts tft
feine unbedingte Verwerfung der Bilders Verehrung, wie
es leicht aus den: Akten zu erfehen ift; die Biſchoͤfe beſtrei⸗
ten die Entfcheidung des zweiten Concils von Nicda, wel⸗
ches die Verehrung. der Bilder verordnet, fprechen aber kei⸗
neswegs aus, daß ſolche Goͤtzendienſt ſey, wie man aus.
. 1) Mabillon Pref. in 4. Saec. Bened. ,
=.
298 5 Bilder Kärmer.
den Schreiben fieht, die den Abgeordneten an den Vabſt ge⸗
geben wurden.
Dieſes Concil beguͤnſtigte keineswegs die Bilderfilrs
mer, e8 verdammte fie vielmehr, und verwarf die Zulaffung
ber Bilder s Verehrung nur als einen Digcıplinar s Punft,
weil eg ſich von der ‚Einheit jener Kirchen, die folche ans
nahmen, nicht‘ trennte,
Die franzoͤſiſchen und deutſchen Biſchofe beherrten noch
eine Zeitlang bei dieſem Gebrauche; endlich aber, als man
ſich über die Bilder⸗Verehrung hinlaͤnglich verſtaͤndiget
hatte, und kein Goͤtzendienſt mehr zu befuͤrchten war, ward
ſie allgemein und in kurzer Zeit eingefuͤhrt.
Die Waldenſer, welche im .Anfange des zwoͤlften
Jahrhunderts die Kirche verbeſſern wollten, die Albigens
fer, imd jenes Heer von Schwärmern, fo Sranfreich übers
ſchwemmte, erneuerten die Irrthuͤmer der Bilderſtuͤrmer; nach
ihnen haben Wiclef, Calvin und die andern Reformir⸗
ten die Bilder s Verehrung angefeindet, und die roͤmiſche
‚ Kirche des Goͤtzendienſtes bezüchriget ; alle ihre Streit» Schrifs,
fen find mit diefem Vorwurfe angefüllt, und vie ausgezeichs
neteften Männer unter ihnen haben ſich bemuͤht, ihn zu
beweiſen. 1) | BL
——
1) Dan fehe: Dallacus L. 4. De Imaginibus Spanheim.
Exercitationes historicae, de orig.,et progressu con-
- troversiao Iconomachiae Sae. 8. 'opposita Maimburgio et
Natal. Alex. 1685. 4to. Forbesius institut. T. 2, L. 7.
Basnage Hist. Eccles. T. ı, L. 22, 23. Preservatif con- .
tre la reunion avec Veglise romaine, pas Lenfant T.
2. p. 3. Lettre 1. De Jidolatrie de l’eglise romaine:
ı2mo. Rival. Dissert. Hist. Dissert. 4. .
Dieſer Gegenſtand, der fürs die Proteftanten nebſt andern
ein. Beweggrund zur Abtrennung von der Kirche war, ſollte
nah Heren von Beauſobré's Behauptung. nur fpottweife
behandelt werden: dad Lächezliche meint er, ſey mehr geeigs
net, diefe Frage zu entfiheiden, ald der Ernſt. Won dielem
Grundſatze ausgehend, -gibt er uns jeme gedehnien “und
Biderfilrme. ‚289
‚> Um ben ®efer in Stand zu feßen,. über ben Grund oder
Ungrund dieſes Vorwurfes su urtheilen,; braudt man nur
tag, was wir über. den Urfprung und die Natur deg Goͤ⸗
tzendienſtes geſagt haben, mit der Beſchaffenheit und dem
Urſprunge der Verehrung, welche die roͤmiſche Kirche den
Bildern erweißt, zu vergleichen.
Aug. dem, was wir in.der erſten Abhandlung dieſes
Werkes über den Urſprung der. Abdoͤtterei geſagt haben, iſt
erſi chtlich, dag Alles auf Erden. Gegenftand der Anbetung
war, der wahre Gott ausgenommen. Die Menfchen ,. niey
dergeworfen zu den Süßen der Goͤtzen, erwarteten ihr Heil
nur von eingebildefen Mächten, die fie ihnen innetochnend
waͤhnten, und als die wahren Urfachen von Ihrem Wohl
und Wehe anſahen. Das hoͤchſte Weſen, die Urquelle alles
Guten, war ihrem Geiſte verborgen.
Das Verbrecheriſche des Goͤtzendienſtes war , daß er
die Vorſehung zernichtete, und den Aufſchwung des Men⸗
ſchen zu Gott verhinderte, die Menſchen, mit dem Gifte
des Goͤtzendienſtes angeſteckt, bezogen nicht auf Gott, als ih⸗
rer wahren Quelle die Guͤter, womit Er ſie uͤberhaͤufte,
und die Widerwaͤrtigkeiten, beſtimmt, fie zu Gott zuruͤckzu⸗
fuͤhren, warfen ſie vor den Fuͤßen der Goͤtzen nieder; nicht
Gott war ihr letztes Ziel ſondern Befriedigung der Sin
nenluſt.
Der Goͤtzendienſt hielt alfo den Menfchen. von der Vers
ehrung ab, die er Gott fchuldet, und diefer von ihm vers
langt ; zerfiörte überdies die Sittlichkeit, weil er alle Lafter
und Verbrechen diefen uͤbernatuͤrlichen Wefen,_die der Ges '
genſtand der Huldigung und Ehrfurcht des Menfhen waren,
beilegte. Sehen wir num auch den Urfprung und dag Mes
fen der Bilder» Berehrung In’ der Eatholifchen Kirche,
langweilenden Poffen von den falſchen Bildniffen Jeſu, von
der Junfrau, Königinn von Polen, zum Bellen. Die Lang⸗
weile, die fie jedem der ſich, fie zu leſen, entſchließen kann,
verurſachen werden, überhebt "und darauf zu antworten;
Man ſehe die dentiche Bidliothel. T. 18.
—3
‘300 | Biverfkirmer.
| Uefpeung und Beihaffenpeit der Verehrung, fo die
| romiſche Kirche den Bildern’ ermeißt.
Aus dem allgemeinen erderbniffe, dag auf Erden
herrfchte, erfah fich bie Gottheit ein Volk aus, beftimmt,
ihre Erfenntniß und 'rechfmäßige Berehrung zu erhalten.
Mährend deffen die Nationen in den Finfternißen der Abgoͤt⸗
terei vergraben lagen, erfannten die Juden ein allmaͤchtiges
und allweifes geiſtiges Weſen als Urheber des Weltalls;
mur diefeg einzige hoͤchſte Weſen beteten fie an; und Goͤtzen⸗
dienft war in ihren Augen der größte Gräuel.
Das Chriſtenthum gab dem menfchlichen Geiſte einen
noch höheren Schwung; es verkuͤndete eine erhabene Sit⸗
tenlehre, ſchuff eine Umwandlung in allen Vorſtellungen und
Anſichten der Menſchen, belehrte ſie mit unendlich. mehr
Klarheit und Ausdehnung über die Gottheit, und deren
höchfte Vollkommenheiten ‚und über die Beſtimmung ihres
Geſchlechtes zu einem ewig ſeligen Daſeyn; es verkuͤndete:
daß Alles nach dem Willen dieſes hoͤchſten Weſens geſchehe,
ohne ſeine Anordnung kein Haar vom Haupte falle, und
daß es alle Ereigniſſe nach efnem Ziele leite. Das Chri—⸗
ſtenthum bewies das Unnuͤtze, Thoͤrichte und Ruchloſe des
Goͤtzendienſtes, und unterrichtete die ganze Welt, daß man
Gott im Geiſte und in der Wahrheit anbeten muͤſſe. Aus
dieſem Grunde behandelten die Heiden die erſten Chriſten
als Menſchen ohne Religion, und als Atheiſten.
Inzwiſchen iſt es gewiß, daß von Zeiten der Apoſtel
an die Chriften einen fiihtbaren Gottesdienſt, und Derter
haften, mo fie ſich sum Gebete und zur Darbringung der
Euchariftie verfammelten 1). .Die Väter der drei erfien
Sahrhunderfe reden von Plägen,. wo die Chriften fich vers
fammelten, von ihren Bifchdfen oder. Aelteften, Diaconen,
_ und Kiedhen 2).
1) Act. C. 2, v. 26, 06, C: 20, v 7.. Br u
2)ignat-Ep. ad Magnes. :ad Pinladelph; C em.
Alex. Jert. de Idol, .7.. advorsus: Wäleyt, C. 2. d
'
.
Bierfilemer. 301
Wenn' Origines, Lactantius, Minuting Zu
‚Kir, Arnobius fagen: die Chriften hätten Feine Altäre,
fo meinten fie die mit den Goͤtzen der Heiten gefchmickten
Altäre , oder folche, auf welchen mie bei Heiden und Juden,
blutige Opfer dargebracht wurden.
Die alte Kirche hatte ihrer Einrichtung nach weder
Bildniffe nor Reliquien auf den Altären, wenigfiens has
ben mir hievon feine beglaubten, Proben, und das Still⸗
fchweigen der Juden und Heiden, wenn die Ehriften: das
Abgefchmackte der Gögenbilder Ihnen vorwerfen, berechfigef
zu der Annahme, daß die erſten Chriften Feine Bilder
haften.
Wirklich machen fie feinen weſentlichen Beſtandtheil der R⸗
ligion, und zu einer Zeit, wo noch Alles voll Idole war, woll⸗
ten die erſten Hirten den Glauben ihrer neubekehrten Heerde
nicht dadurch gefährden, daß fie vor ihren Augen Bildniſſe
aufftelten, und ihnen eine Werehrung bezeisten. Wohl
mochten fie auch beforgen', die Werfechter des Heidenthums
fönnten das Chriſtenthum für eine neue Art des Goͤtzen⸗
Dienfted ausgeben, und bei dem unmiffenden Volke lau
ben finden, welches leicht irre zu leiten war, zu einer Zeit,
wo die chriftlihe Religion noch nicht genug befannt war,
als daß die Verläumdungen der Heiden in dieſem Betreffe
nicht günftige Aufnahme hätren finden follen, wenn die
Chriften in jenen Orten, wo fie fich zum Gebete und zur
Darbringung bes bi, Opfers verſammelten y Bilder gehabt.
haͤtten. J
Es war ſohin eine weisheitsvolle umficht, wenn in den
erſten Jahrhunderten die Ehriften | in ihren Tempeln keine
Bildniſſe zuließen.
Die chriſtliche Religion breitete ſich ſchnell aus; ihre
Slaubenslehren wurden oͤffentlich geprediget und anerkannt;
Coron Mil. C. 5. Cyprian de Oper. et Eleem. p.
205. Ep. 54, ad Coınel Arnob 1]. 4, p. 132. Siehe
die ausführlichern Beweife bey Bing ham Antig. Eccles.
. L. 8. dei Tillemont Hist,. des Emper. T. 5, art. 6.
’
\ !
302. Bilderſtuůͤrmer.
die Vaͤter und Kirchenvorſteher belehrten die Chriſten und
die ganze Welt, daß Alles den Rathſchluͤſſen des hoͤchſten
Mefens unterworfen fen, daß die Menschen durch fih nicht
find, daß fie nichts haben, was fie.nicht empfangen hätten,
und deffen fie fih ruͤhmen Eönnten.
Man fürchtete num nicht mehr, daß die Chriſten in —
den Goͤtzendienſt verfallen und glauben koͤnnten, daß Gei⸗
ſter die Welt regierten, und der Leinwand, auf welcher
man Figuren abgezeichnet hätte, innewohnen Fönnten. Bon
jetzt an geftattefe man im den Kirchen Abbildungen von den
Kämpfen der Märtyrer, und heiligen Gefchichten zum Uns
terrichte der Unpiffenden; diefe Bilder waren gleichfam Buͤ⸗
cher, worin alle Chriften die Geſchichte des Chriftenthumg
lefen konnten; und Died war Anfangs der einzige Gebrauch,
den man von den Bildniffen in den Kirchen machte.
Die Gläubigen, von den Gegenftänden, deren Vorſtel⸗
Jungen vor ihren Augen flanden, gerährt, gaben ihre Vers
ehrung für Jene, die in den Bildniffen vorgeftelt wurden,
durch dußere Zeichen zu erkennen. Diefe Ehrfurchtsbezens
gungen wurden aber nicht allgemein gebilligt ; manche Bis
fchöfe fahen die Bilder als Keime des Aberglaubens an;
andere achteten fie zu Unterweiſung der Gläubigen. für nuͤtz⸗
lich; noch andere ‚betrachteten die den Bildern bezeigte Vers
ehrung als Ergüffe einer Iöblichen Frömmigkeit, dafern fie
fi) nur auf die Urbilder und Heiligen bessge. Der Ges
brauch und die Verehrung der Bilder war alfo anfangs nicht in
allen Kirchen uͤblich; er ward geflattet oder verboten, je
nachdem die Bifchöfe aus befonderen Gründen ihn für nuͤtz⸗
lich oder ſchaͤdlich erachteten.
Man ſieht aus dem neunten Homnus des Pruden—
tiug, aus den’ Meden des heil. Gregortus von Nyſſa,
aus dem hi. Baffiliug und aus allen in dem ten Kir -
chenrathe von Nicda angeführten Vätern, daß vom Aten
Jahrhunderte an die Bilder im Driente eingeführt waren. 1).
| 1) Bingham antiquit. Fecles. L. 8, c. 8.
Bilderſtͤmer. 303
Es iſt ſonach gewiß, daß der Gebrauch der Bilder und
ihre Verehrung im vierten Jahrhunderte in der Kirche
siemlich allgemein war, ohne für Goͤtzendtenſt gehalten zu
werden, und daß Jene, welche ihn verboten, die Anderm
ſo ihn geſtatteten, nicht verdammten.
Uebrigens iſt diefe Verehrung dem Verbote, etwas auſ⸗
ſer Gott anzubeten, nicht entgegen; denn es widerſtreitet
weder der Vernunft, noch der Froͤmmigkeit, die bildliche
Vorſtellung eines tugendhaften und achtbaren Menſchen zu
ehren, und man fuͤrchtete nicht, daß jene Chriſten, denen
man die Bilder⸗Verehrung geſtattete, ihnen abgoͤttiſche Ehre
erwieſen; man belehrte ſie, daß dieſe Heiligen nichts durch
ſich ſeyen, daß ihre Tugenden nur Wirkungen der göttlichen
Gnade gemwefen, und daß die ihnen ertpeilte Ehre ſich zu⸗
letzt nur auf Gott beziehe.
| Die Kirche lehrte nicht, daß die Geiſter der Seligen
in den Bildern eine Wohnſtaͤtte aufgefchlagen’ hätten, wie
dies Die Heiden von ihren Göttern glaubten; fie lehrte,
daß die fin den Bildern vorgeſtellten Heiligen ihre Tugen⸗
den und Verdienſte Gott verdankten, welcher allein die Urs
ſache und das Prinzip der Tugenden ſey, die wir an den
Heiligen verehren.
Die Geſtattung der BildersVerchrung- hing von der
Stufe der Eultur ab, welche die Kirchen: Obern an den
Glaubigen . gewahrten, und von der Kenntniß, die fie von
ihren befondern Gemuͤths⸗ Stimmungen, hatten.
So zerriß Serenus, Biſchof von Marfeille die
Helligen s Bilder feiner Kirche, weil er bemerft hatte, daß
rohe, erfi vor kurzem aus dem Heidenthume befehrte Sem
fchen ihnen eine abergläubifche Verehrung ermwiefen; der Kabf
. Gregorius der Große belobte feinen Eifer, tavelte ihn.
aber zugleich, weil er das Volk geaͤrgert, und den Einfaͤl⸗
tigen ein ſehr nuͤtzliches und altes Unterrichts⸗ Mittel ent⸗
zogen hätte. 1) ö
U U 0
r) Gregor. M. L. 11, Ep. 13. 0 nu
. x
304 J ‚ Bilverflärmer.
Diefe Sprache führte der heil, Gregortus am Ende
des ſechſten Jahrhunderts.
Nachdem alſo die Voͤlker uͤber die Veſchaffenheit der
Verehrung, welche die Kirche hinſichtlich der Heiligen⸗Bil⸗
der geſtattete, hinlaͤnglich unterrichtet waren, breitete ſich
dieſelbe ſeit dem zweiten Concil von Nicda faſt in der gan⸗
zen Kirche aus.
Mithin iſt die Verehrung, welche die tatholiſche Kirche
gegen die Bildniſſe hegt, richt abgoͤttiſch zu nennen. Die Ent⸗
ſcheidung des Kirchenraths von Trident, und die Sorgfalt,
womit er die Mißbraͤuche, die ſich etwa in dieſe Verehrung
konnten eingeſchlichen haben, abzuſtellen bemuͤht iſt, bewei⸗
ſen dieſes audenfaͤllig; um ſich hievon zu uͤberzeugen, werfe
man einen. Blick auf die Geſchichte des Tridentiner Kir⸗
chenraths, ſelbſt Frapaolo, und die Noten des P. Le Cou-
rayer. 1).
Da dieſe Verehrung nun eingefuͤhrt iſt, ſo iſt es eine
große Kuͤhnheit von einen Privatmann, oder ſelbſt von ei⸗
nigen Einzel⸗Kirchen, dieſem Gebrauche nicht folgen, und Jene,
welche. vie religioͤſen Bilder verehren, verdammen zu wollen,
Die Reformirten waren daher nicht berechtigt, ſich von der
roͤmiſchen Kirche zu trennen, weil ſie die Verehrung der
Bilder gut hieß, da ſie hiemit keine abgoͤttiſche Verehrung
billigte. Die Gottesgelehrten von Saum uͤr verwerfen die,
von den Katholiken angenommene, Bilder⸗-Verehrung nur
deßhalb, weil Gott jede. Abbildung verbietet, und fie be;
haupten: dieſes Verbot fey für‘ die Chriften fo gut wie fir
die Juden gegeben. Allein eg ift Har, daß dieſe Gottegges
lehrten dem, den Juden gemachten Verbote eine zu weite
Ausdehnung geben, weil folches nicht fchlechfmeg eine jede,
fondern nur die abgöttifche Bilder + Verehrung unterſagt;
die auf der Bundeslade angebrachten Cherubine und vie
ährene Schlange beweifen dieſes fattfam. Um ver Fathol.
Kirche aus der Bilder s Verehrung ein Berbrechen zu mas
hen, muß man zeigen, daß folche der Religion, der wahren
4) Londoner Audgabe T. 2. p. 635. 646, 647. Note 2.
⁊
| Bilderſtuͤrmer. | Blaſtus. 403
Gottes s Verehrung ‚oder dem Glauben enfgegen iſt, welches
man aber nicht fan. Deshalb verdammen die englifche
Kirche, die Lutheraner und berühmte Calviniften den Ges
brauch der Bilder nur ald Gefahr bringend den Einfältigen. 1)
Aber,.fagt man, wenn eine Sache weder nach. göttli»
chem noch nad) menſchlichem Geſetze nothwendig, und übers
dieß gefährlichen Mißbräuchen untermorfen- iſt, wie der Ger
brauch und die Verehrung der Bilder, fordert es dann nicht
die Vernunft, dag man diefes abfchaffe? 2)
Diefe Abfchaffung ſtehet aber, wein fie vernünftig gu
fordern wäre, nicht einem Einzelnen, fondeh der Kirche
zu, oder man müßte allen Begriff. von Hirarchie oder kirch⸗
licher Unterordnung aufheben. Dann kann man auch dem
Mißbrauche der Bilder s Verehrung leicht vorbeugen, und. .
es ift nicht-fchwer, auch dem Cinfältigften unser. den Gläus
bigen begrefflich zu. machen, was es für ein. Bewandniß
mit der, von der Kirche geflatteten Bilder Berehrung habe.
uebrigens ſchließt die katholiſche Kirche Niemand von
ihrem Schooße aus, der auch: ohne Verehrung der, in ih⸗
“ren Tempeln aufgeſtellten, bildlichen Vorſtellungen - der: hi.
Geheimniſſe oder der glorwuͤrdigen Kaͤmpfer ir die Sache
Gottes ſein Ziel zu erteichen glaubt 3).
Blaſtus, ein Jude, ging zur Secte der Valenti⸗
nianer uͤber, und fuͤgte zu dem Syſteme Valentin's
‚einige juͤdiſche Gebräuche, denen er zugethan. war, z. B.
die Beier des Oſterfeſtes auf den 14ten min 2
m
1) Hist. du vieux et du nouveau Tertam. par Rasnage.
Dissertat. Hist, pär P. Rival. Dissert. 4, P. 277.
2) Rival ibidem p. 237. .
3). Ueber die Bilder» Wereprüng Kann man nachſehen; Per-
sius.de traditionibus par. T. 5. Lindanus Panopl.
L. 3, C. 23. Alanus Copus conixa Magdeburgen-
ses; dial. 4 et 5. Bellarmin.. Natal, Alex. 5
Saec. 8 diss. 6. Hist. des Conc.:gener. .
4) Autor Append. apud tert. de s. Praescript, C. 53.
Ketzer-Lexikon. I. 2020
306 | Bogomilen.
Bogomilen. *) Dieſe Benennung iſt aus zwet
Slavoniſchen Worten zuſammengeſetzt, welche Anrufer
der. goͤttlichen Barmherzigkeit bedeuten. Man gab
fie gewiſſen bulgarifchen Kegern, Schülern eines Arztes,
Namens Bafilius, welcher unter dem Kaifer Alexis
Comnenes die Irrthuͤmer der Paulicianer erneuerte.
Die Kriege der Barbaren, und bie Berfolgungen der Bil⸗
dvderſtuͤrmer hatten im griechifchen Reiche die Leuchte der Wis
fenfchaften faft ganz ausgeldfcht; durch die Bemühungen des
Photius unter Bafilius I. dem Macedoner, unter Leo.
VI, dem Philoſophen und feinen. Nachfolgern wurde ſie
wieder etwas angefacht.
Allein der Ruͤcktritt in's wiſſenſchaftliche geben gehet
langfanter, als bie erfien Vorſchritte zur Erkenntniß; Rede
und Schrift waren beſſer, als in den vorigen Jahrhunder⸗
ten, aber Aberglaube und Wunderfucht, unzertrennlich von.
Unwiffenheit., ſpuckten beinahe in allen Köpfen; immer im.
Golge einer Vorperbedeutung wurde der. Thron befegt, oper
erlebiget; immer fand fich irgend ein, auf einem entleges -
nen Eilande, durch Siftenftrenge,. berüchtigter Caloyer,
der den Thron: einem berähmten Kriegsoberften verhieß,
den alsdann ver neue Kaiferauf einen der angeſehenſten
Biſchofsſtuͤhle erhob. Diefe vorgeblihen Propheten waren
oft große Betrüger: denn es if ſchwer für unwiſſende Mens
fchen, dieſes lange in’ Unſchuld zu ſeyn; fie werben Betruͤ⸗
ger, fobald {pr Gewerbe ihnen Ausficht zur Erhöhung ers .
. öffne.
In diefen Zeiten der Unmiffenheit und des Aberglaus
bens entiwicelten ſich einige Keime der, Irrlehre der Paus
| licfaner, die noch vorhanden waren, und vermengten fich
mit den Irrthuͤmern der Meſſalianer.
Der Arzt Bafiliug vereinbarte diefe Irrthuͤmer; er
war ein Greis mit abgelebten Geſichtszuͤgen, der im Moͤnchs⸗
kleide einherging. Anfangs waͤhlte er ſich zwoͤlf Schuͤler,
die er ſeine Apoſtel nannte, und die ſeine Lehre, jedoch mit
vieler Sorgfalt und Umſicht verbreiteten. |
rn 11tes Zahryundert. B
Sogomilen, 307
Der Katſer Alextus Comnenes begierig, ihn ken⸗
nen zu lernen, ſtellte ſich, fein, Schuͤler werden zu wollen,
und entlockte ihm feine ganze Lehre.
Alexius hatte hinter einem Morhange einen Geſchwind⸗
ſchreiber verſteckt, der Alles, was Baſilius ſagte, nies
derſchrieb. Der Kunſtgriff gelang, und Baſil ius eroͤff⸗
nete ohne Hehl feine ganze Lehrmeinung.
Der Kaifer berief nun den Senat, bie Militär s Behör
den, den Patriarchen, und die Geiftlichkeit gufammen; und
ließ ihnen die Schrift, welche des Baſilius Lehre ent⸗
hielt, vorleſen. Dieſer laͤugnete ſie nicht ab, ſondern er⸗
bot ſich zur Behauptung von Allem, was er geſattt habe,
mit der Erklaͤrung: daß er bereit. ſey, das Feuer, die graus
famften' Dualen, felbft den Tod dafür zu erdulden: er
fchmeichelte fi), die Engel wuͤrden ihm befreien. |
Mm wendete Alles an, ' ihm feinen Irrthum zu bes
nehmen‘, aber umfonft; er wurde zum Feuer verdammt.
Der Kaifer genehmigte das lirtheil, und ließ nach: neuen
vergeblichen. Werfuchen, ihn zu .geminnnen, mitten im Hyp⸗
podrom einen großen Scheiterhaufen anzuͤnden: auf der ans
dern Seite ward ein Kreuz .aufgerichtet, und. Baftliug,
die Wahl zwiſchen diefem "und dem Seheiterpaufen überlafs
fen: er wählte den legten.
Das Volk verlangte die naͤmliche Todesſtrafe fuͤr ſeine
Anhänger. Allein Alexius ließ fie einkerkern; einige ent⸗ I
ſagten ihrem Irrthume, andere konnten durch nichts son
demſeiben abgebracht werden. Es iſt wohl möglich, daß: die
gif des Kaiſers gegen Baſilius, die Strenge, womit er
verurtheilt, und hingerichtet würde, zur Halsſtaärrigkeit feis
‚ner Schälge beitrugen, und es iſt ungewiß, ob jelte, die
ihre Irrthuͤmer abſchwuren, aufrichtig hierin warrn. Ein
Profeſſor von Wittenberg hat eine Seſchichte der DB
gomtlen i. J. 1711 herausgegeden. 2 |
AN
1) Man fee” Ducang ©’ Glossar. Batymis Panopl.
p- 2. tit. 25. Anna Comnena Baronius et
Spond, ad ann. 1118. EP Se,
| 20 *
N
\
l
308... Bonofus. Bruͤder, Bößmifche.
Bonoſus, *) Biſchof von Saͤrdica, beſtritt, wie
Jov inian, die immerwaͤhrende Yungfraufchaft der Muts
fer des Herrn, indem er behauptete: daß ſie nach Jeſus
Chriſtus noch andere Kinder gehabt habe, deffen Börtheit
er fogar mie Photin läugnete, fo dag die Photinianer
‚feitdem Bonofiafen genannt wurden. Cr wurde zu Ca⸗
pua auf einem Concil, das zur Beilegung der Spaltung
von Antiochien, zufammengefommen war, verdammt.
Bromwniften. Zweig der Presbpterfaner,
Bromn’s Schüler. (Siehe Presbpterianer.)
| Brüder, arme. Diefen Namen legten ſich die Schů⸗
ler Dulcius bei, weil ſie vorgaben ſie haͤtten Allen ent⸗
ſagt, um ein apoſtoliſches Leben zu fuͤhren. | |
| Brüder, Boͤhmiſche auch Maͤhriſche Adtömm—
linge der Huſſitiſchen Caliſtiner in Boͤhmen. Nachdem
die boͤhmiſchen Huſſiten durch die mit dem Concilium von
Baſel abgeſchloſſenen ſogenannten Prager Compaktaten
vom Jahre 1433 mit der roͤmiſchen Kirche wieder: in: Vers
bindung getreten waren, fo wurde das heil. Abendmahl jes
dem, der es verlangfe, unter beiden Geftalten . mitgetheilt,
ohne dag jedoch die beigefügfe Bedingniß, dag Belt gu .bes
lehren, daß die Kommunion unter beiden Geftalten nicht zur
Geligfeit. nothwendig, und daß der ganze Chriſtus auch’ un⸗
ter einer Geſtalt zugegen ſey, duchaus eingehalten: wurde.
Die Utraquiſiten, fo nannten fich nun die vormali⸗
gen Calixtiner — beharrten immer mehr auf der, Noth⸗
org Modiehrad, einen vorzüglichen Befnäger. Yohann: |
Motefen, ein Huffitifcher Prieſter, der, an.der Spitze der
sim Concil von Bafel abgeordneten Friedeng.s Unterhänds
ler geftanden war, ein ehrgeiziger und raͤnkeſuͤchtiger Mann,
deſſen Hoffnung fehlgeſchlagen war, auf den erzbiſchoͤflichen
Stuhl von Prag, zur Vergeltung feiner. Verdienſte, erho⸗
Fin
we | J zit, a EB q
*) 4tes Jahrhundertt.
Brüder, Boͤhmiſche. | 309
ben zu werben, ſuchte fh nun dafür an der römifchen Kirche
zu vächen. Pogiebrad, der den Nänfen Rokeſan's die
Koͤnigskrone zu verdanken hırte , mußte ſich feinen herrfchs
füchtigen Planen fügen. Rokeſan erhob. fih, dem Pabſte
zum Troß, zum Erzbiſchofe von Prag, oder vielmehr zu eis
nem boͤhmiſchen Pabſte. Man fuchte den Haß .gegen die
sömifche Kirche neuerdings bei Dem Wolfe aufjuregen, und
Leute aus dem Gewerbsſtande brachten die Verbefferung der
Kirche abermals unter pur Sprache. Die Meffe, die
. Brodverwandlung, dag Geber für die Verfiorbenen, die
Merehrung der Heiligen, und vorzüglich die Gemalt des
Pabſtes waren die Gegenftände, woran fie fid) fließen. Ueber
die Calixtiner Flagten fie, dag fie in Allem, den Kelch
ansgenommen, zu fehr roͤmiſch gefinnt wären, und wende⸗
ten fi) anfangs mit ihren Verbefferungs s Anträgen an Ros
fefan. Allein von diefem Prälaten mit Uebermuth abger
wiefen, wählten fie einen Schuhmachermeifter, Keleſisky
mit Namen, einen unwiſſenden, von ſich hoͤchſt eingenom-
menen Menfchen zu ihrem Haupte. Er fette ihre Glaubens,
Punkte auf, welche man ven Kelefisty’fhen Leiſten
nannte. Weiterhin erforen fie den Mathias Conwald,
einen ungebildeten Laten zu ihrem Prediger. Endlich im
Jahre 1467 trennten fie fich Hffentlih von den Calirtis
nern, wie fich diefe von der römifchen Kirche getrennt
hatten, eine Heine Secte von einer andern Fleinen Secte,
und errichteten unfer der Benennung Brüder, einen eiges
nen religidfen Verein. Ihr kleiner Haufe, aus Leuten der
untern Volksklaſſe und einigen unwiſſenden boͤhmiſchen Prie⸗
ſtern zuſammengeſetzt, ruͤhmte ſich der Reſt von Huſſen's
Schuͤlern zu ſeyn, den ſie als ihren Meiſter und Apoſtel
Boͤhmen's, ja als einen heiligen Martyrer verehrten, deſſen
Martertod fie als ein jährliches Heft feierten, ohngeachtet
fie, in ſehr wefentlichen Punkten won feiner Lehre abmichen.
Da fie behaupteten, die wahre Kirche ſey wenigſtens
im Abendlande, außer der ihrigen, nicht mehr vorhanden,
fo .famen fie, gleich bei'm. Anfange ihrer Abfonderung, auf
den Einfall, das wahre Chriftenthum in irgend einem Lande
der Welt, in. Griechenland, Armenien, oder mo immer im
m
310 | Bruͤder, Schmifhe.
Orient, aufſuchen zu lafien. Die eben damals aus ben
Ruinen der von den Türken erſtuͤrmten Stadt Conflantis
nopel nach Boͤhmen gefluͤchteten griechiſchen Prieſter verſicher⸗
ten ſie vergebens, daß ſie in ganz Griechenland keine Chri⸗
ſten von ihrer Mache finden wuͤrden. Die Bruͤder waͤhlten
die Gewandteſten und Verſtaͤndigſten aus ihrer Mitte, von
denen einige den Orient durchwanderten, andere gegen Nor⸗
den in's Moscowitiſche, wieder andere gegen Palaͤſtina und
Aegypten zogen, um ihre Gla Ins/-Verwandten aufzu⸗
fuchen. Nach vollendeter. Wanderung in Conſtantinopel,
der Abrede gemäß, eingetroffen, Eehrten fie nad) Boͤhmen
zuruͤck mit der niederſchlagenden Antwort an die Bruͤder:
daß auf dem ganzen Erdenkreiſe Niemand ihres Glaubens
anzutreffen ſey.
Verwaiſt, und einſam ſtehend in der Welt, graute ihnen
ſelbſt vor ihrer Unfruchtbarkeit, und dem Mangel an geſetz⸗
licher Vollmacht zum Kirchenamfe, fo daß fie noch. zu Rus
ther’s Zeiten einige der Jhrigen, verſtohlener Weife zum
Empfang der Meihen bei den Katholiſchen, abfendeten.
Die boͤhmiſchen Brüder, ihrer unterwuͤrfigen und
ehrfurchtsvollen Sprache gegen die weltliche Macht ungeachs
fet, nahmen, feitvem fie in ihren Lehrmeinungen ſich dem
Lutherifchen anzufchliegen angefangen ‚hatten, auch Theil an
ihren polititiſchen Sehden; und Da. fie Ferdinand in der
Kebellion des Churfürfien von Sachſen gegen Carl V.
verwickelt fand, jagte er fie, in der Mitte des fechgzehnten
Jahrhunderts aus Böhmen, von wo aus fie ſich nach Pos
len flüchteten.
Im Jahre 1570 kam die Bereinigung der drei protes
ftantifchen Secten in Polen, der Lurherifchen, Zwingli⸗
ſchen und böhmifchen Brüder auf der Spnode zu Sendomir
‚gu Stande. Getrennt feit vierzig bis fünfzig Jahren von
der fatholifchen Kirche, gezwungen zu dem Geftänpniffe: dag
Chriſtenthum blog in dem Winkel Boͤhmens, den fie bes
wohnt haften, zu ‚finden, waren fie froh, bei'm Aufteben
bes Proteſtantismus, an diefem einen ſichern Stüßpunft zu
finden, und mußten durch gefchmeidige Nachgiebigkeit ſich
\
— nen
2 Beiden, Bbhmiſche. 311
bald die Buneigung Luther's zu verfchaffen. Bucer’g
Zweideutigkeiten haften ihnen einen fichern Ruͤckhalt eräffs '
nef, und die Eonfeffion von Sendomir war fo abgefaßt,
daß die drei verfchiedenartigen profeftantifchen Secten Dos
lens ihre Rechnung dabei fanden, daß auch die boͤhm i⸗
{hen Brüder diefelbe ohne Bedenken unferfchrieben.
ı
\
Eigentpämlige Glaubenslehre der bsohmiſchen
Brüder.
um die den boͤhmiſchen Brüdern eigenen Dogmen
auszumitteln, muß man die Zeit, in welcher ſie, von den
Calixtinern und der katholiſchen Kirche abgeſoͤndert,
allein ſtanden, von jener, wo fie ſich mit Luther und . -
feinen Anhängern in Verbindung geſetzt hatten, unter;
fcheiden. '
Man wollte die höhmifchen Brüder von den als
ten Waldenfern abftammen laffen. Diefer Ehre wies
derfprachen fie aber in der Vorrede zu Ihrem Glaubensbes
. Eenntniffe von 1572 1), auch nennen fie fi) in allen ihren
Spnoden und oͤffentlichen Acten „Boͤhmiſ che Brüder,
„faͤlſchlich Waldenſer genannt“ 2. -
Noch "mehr verabfcheuten fie den Namen Picarden,
von Nicard, der zur Zeif der Entftehung ihrer. Secte die
Schamloßgkeit der Adamifen erneuert haffe 3).
Eine ihrer auffallendften und fonderbarften Abweichuns
gen von allen andern chriftlihen Gemeinden war, daß fie
diejenigen, welche zu ihnen übertrafen, umtauften, weil
ihrem Vorgeben nad) die wahre Taufe in der ganzen Chris
I) De origine Eccles. Boh. et confese. ab iis editis,
Heidel. 1605. Joan. Camerarii de eccl. fratr. in Boh.
... et Mor. Ristor. Fleidel. 1609: p. 173.
2) In Synod. Sendomir. — Sym. Gen. T.2. p. 219
3) Rudiger de Eccl. in, Boh. et Mor. p. 248. ,
| 312 e rüber; Boͤhmiſche.
ſtenheit verloren gegangen, und nur bei den Brüdern ans
zutreffen ſey, fich feibft aber ließen fie nicht wieder taufen,
weil ihnen Niemand diefen Dienft erweiſen fönne, da die
Taufe, wo immer fie berfommen möge, gleich ungültig fey. .
Diefer Gebrauch wurde beinahe hundert Jahre lang von
der Zeit ihrer Trennung an von ihnen beibehalten 1).
Und son dieſem Fleinen Häuflein unmwiffender Leute
behaupteten die Lutheraner fn der, der Apologie der
Brüder, melde zur Zeit Luther's zu Wittenberg
erfchien, vorgedructen Vorrede: daß beivihnen die Kirche
Gottes, ie man ſchon ganz für verloren gehalten habe, no) - -
erhalten worden fey 2).. .
Die Rechtfertigung fegten fe, wie vor Luther
die ganze Kirche, in den Glauben verbunden mit den Wer⸗
fen. Um aber dem großen NMeformator fich gefällig zu ers
meifen, raͤumten fie mehr. ein, als er felbft verlangte. °
Wenn Luther fagte: wir werden ohne .unfere Mitwirkung
und Theilnahme gerechtferfiget, fo feßte fie hinzu: ſelbſt
ohne es gu wiffen, und zu fühlen, wie der Ems
brio im Mutterfhoofe allmäplig belebt wird;
wenn Erflerer wollte, daß. man feiner Rechtfertigung voͤl⸗
lig gewiß fen, fo. behaupteten fie überdieß, daß man ganz
ungezweifet der Beharrlichfeit, und bed ewigen |
Heils vwerfichert fen; ja die groͤbſten Sünden feyen nur
laͤßliche, dafern man ſie mit Widerſtreben begehe: denn von
ſolchen Suͤnden ſage der hl. Paulus: fuͤr jene, ſo in
Jeſus Chriſtus ſind, gebe es keine Verdam⸗—
mung. (Roͤm. 8, 1.) 3).
In dem Glaubensbekenntniſſe von 1504 , welches dem
Könige Ladislav eingereicht wurde, nehmen die Brüs
. der fieben Sacramente an, bei kuther mußte die Confeſ⸗
ur
1) Confes. fid. de 1558. u
2) Joh. Eisleb in orat. prachx. Apol. fratr: sub koe
-tit> Oeeonomiactz. ap. Lydium T. 2: P. 95: | u
. 83 Apoi' part .4. ap. Lid, T. 2. — 3J
Brüder, Boͤhmiſche. 313
fion verbeſſert, und nach dem Befehle des Meiſters, die
Eacramentenzahl auf zwei, die Taufe und dag Abends
mahl, berabgefeßt werden; die Losfprechung: wurde. beibes
halten, aber nicht ald Sacrament. Im %. 1504 wurde
das Sündenbefennfniß, ald im Gewiſſen verbindend: ans
erkannt: In der verbefferten Confeffion heißt es bloß: men
muͤſſe bei dem Prieſter die Losfprechung von Suͤnden ges
mäß der. Schlüffelgewalt der Kirche nachfuchen, und die
Nachlaffung kraft diefeg, von Jeſus Chriſtus u dies
ſem Ende eingeſetzten Amtes erlangen.
Die Euchariſtie anlangend, erklaͤren ſie in einem an
Rokſfan erlaffenen Schreiben, und in dem Glaubensbe⸗
kenntniſſe von 1504 ihren Glauben an die wahre und we⸗
ſentliche Gegenwart des Leibes und Blutes Jeſu Chris
Ati unter den Geftalten des Brodes und Weines, fobald die _ |
Worte ausgefprochen find, ohne einen fi guͤrlichen Sinn
zu geſtatten, haben aber dabei das Eigene, daß fie die eo -
genwart des. Leibes Jeſu von der Wuͤrdigkeit des conſe⸗
crirenden Prieſters abhaͤngig machen, eine Lehre, die ſie
aus der Schule Wiclef's, und Johann Huß heruͤber
genommen haben 1). Auch wollen ſie nicht, daß man Je⸗
ſus ehe in der Euchariftie anbete, theils weil Er eg
nicht befohlen habe, theilg weil feine Gegenwart von zwei⸗
facher Art fey, einmal perſoͤnlich, koͤrperlich und fühlbar,
welcher allein unfere Anbetung gebuͤhre, das anderemal geis
fig und facramentalifch, die keine Anbetung erfordere. Sie
fprechen immer von der Wefenheit des Leib's Chriffi im.
. Sacramente: Es ift ung nicht befohlen, fagen fie, dieſe Sub⸗
- flang-des confecrirten Leibes Jeſu Chriſti anzubeten, fons
dern die Subſtanz .deffelben , welche zur Nechten des Waters
ift; fie erkennen demnach in dem Saframente, tie in dem
Himmel die Subflanz des Leibes Jeſu Chrifti, aber ans
betungswuͤrdig im Himmel, nicht aber im Sakramente. Bis -
hieher fprechen fich die Brüder ganz beſtimmt und deut⸗
1) Apolog. 1532." ap! Lyd. T. 4, p. 297: Prof: fid. ad
Ladis. ap. Lyd. T. 2. p. 10: Apol. T. 4,’ p. 12, 296 ete.
314 .Sruͤder, Boͤhmiſche.
lich fuͤr die weſentliche Gegenwart aus, aber weiterhin ver⸗
wicein fie. ſich in Duntelheiten, und fo fonderbare Zwei⸗
deutigkeiten, daß ſie nichts ſo ſehr befuͤrchtet zu haben ſchei⸗
nen, als ein klares und unzweifelhaftes Zeugniß ihres Glau⸗
bens abzulegen. Haben ſie einmal offen ihre Ueberzeugung
ausgefprochen,, fo ſpringen fie ſogleich wieder auf verfaͤng⸗
liche Ausdruͤcke ab, ſo daß man ihnen das Schwankende
und Unſtaͤte ihres Ieenganges anſieht, wodurch ſie beide
Haupttheile der proteſtantiſchen Parthei zufrieden ſtellen zu
wollen ſcheinen. |
a“ Endlich gewinnt doch Luther's Anſi cht das Ueberg ⸗
wicht und im Jahre 1558 erklaͤren fie: man muͤſſe ans
ertennen, daß das Brod der wahre Leib J. C. ſey,
und der Kelch fein wahres Blut enchalte, nur
ſollte man feinen Worten fein.andereg beife
ben. Und doch fuͤgen fie die Worte: das Brod, wahr,
„hinzu. Endlich um zu zeigen, wie fehr es ihnen mit dem-
. Glauben an die wirflihe Gegenwart Ernft fey, verordnefen
fie: daß ihre Prediger beiim Ausfpenden des Sakraments
und bei Ausfprechung der Worfe de3 Herrn das Volk ers
mahnen ſollten zu glauben, daß die Gegenwart Sefu
Chriſti gegenwärtig. fey (ein fonderbarer Musdruck)
und daß man, fo, wenig fie der Anbetung geneigt waren,
Das Saframent fnieend empfangen fol. Diefe Erläutes
‚rungen und Milderungen fanden‘ fo ſehr Luther's Beifall,
daß er einer von ihnen herausgegebenen Confeſſion ſeine
Sutheilung vorſetzte.
Uebrigens ließen es die Proteſtanten den böbmiſchen |
‚Brüdern. ganz nachfichtig hingehen, dag fie zu gewiſſen Zeis
ten firenge fafteten, nicht nur zur Ehre des Herrn, fondern
auch der Jungfrau Maria, mit Unterfagung aller Arbeit
Feſttage beginnen, die Mutter Jeſu vor und nad) der Ges
burt Jungfrau nannten, unter Anrufung ihres und anderer
Heiligen, Namen Kirchen bauten und weihten, ihren: Prices
‚fern ‚den ehelofen Stand geboten, und die dawider Dans
delnden ihrer Stellen - entſetzten. Das Alles war unſchul⸗
Brüder Mäpr. Dr. Polniſche. Bucer. 315
dig, bei den Brüdern, m Abgötta und Gift bei den
Pabiſten! 1).
| Bruder maͤhrifch. (eich diefe in dem Artikel
Anabaptifter.)
Brüder, Polniſche. Eine Benennung, welche die
Socinianer annahmen, um zu zeigen: daß die Fiebe uns
ter. ihnen herrſche und ihre Verbruͤderung unverbruͤchuch
ſey.
Bucer, M Martin, geboren. zu u Sqleteſtadt 14,
ein Haͤuptling der Reformation des 16ten Jahrhunderis,
und proteſtantiſcher Pfarrer zu Straßburg Cr muß von
einem andern Gerfomns Bucer, einem Niederländer,
und Schüler Calvin’s, der ald Paſtor im Zeeländifchen
1631 flarb, unterfchieden werden.
Martin Bucer befaß nicht gemeine Gelehrſamkeit,
war von geſchmeidigem Weſen, fruchtbarer an Diſtinctionen
als die ſpitzfindigſten Scholaſtiker, ein angenehmer Predi⸗
ger mit: einem etwas ſchwerfaͤlligen Stile, imponirend aber _
- Durch feine Figur und angenehme Stimme Er war Domi⸗
nicaner, und hatte ſich verehelicht, wie die andern, ja, fb
gu fagen, mehr als die andern - Coryphaͤen der neuen
‚Lehre. Denn nach dem Tode feiner Frau ging er zur zwei⸗
fen und dritten Ehe über. Mit Zwingli nahm er den
figuͤrlichen Sinn in der, Eucharifie an; er und feine
Anhänger Eonnten fich in dieſem Punkte auf dem Reichstage
zu Augsburg, 1530, mit den Lutheriſchen nicht verei⸗
nigen; fie legten daher im Namen der vier Reich,
Städte. Straßburg, Memmingen, Lindau und
Conftanz, dem Kalfer ein eigenes Glaubens s Befenntnif
vor. So fah man ſchon im Anbeginne der Reformation in
Deutfchland zwei durch ihre Glaubens» Befenntniffe fichtbar
getrennte Partheien unter den Proteflanten. Auch in der
Lehre von dem Verdienflichen der guten Werfe ging Bucer
\
ı) Bossuet Hist. des Variat. T. 2. Lr 1.
v
-
x
316. Bucer. |
ganz von Luther ab, und hielt fih an den Fatholifchen
Lehrbegriff; eben fo vertheidigte cr. die Anrufung der Hei⸗
ligen, und behauptete ihre Fuͤrbitten 1).
Nach dem Neichstage zu Augsburg fannen die Pro⸗
teſtanten ernſtlich auf eine engere Verbuͤndung gegen die
Katholiken. Allein ihre Uneinigkeit in der Lehre vom Abend⸗
mahle, welche ſich auf eben dieſem Reichſtage nur zu eins
Nleuchtend dargethan hatte, ſetzte der Vereinigung aller. ein
unuͤberſteigliches Hinderniß entgegen. Luther und der
Churfuͤrſt Johann Friederich von Sachſen beſtanden da⸗
rauf, mit denen von Baſel, Zuͤrich, und Straßburg
keinen Bund einzugehen. Daher erhielt Bucer, als der
Hauptunterhaͤndler der damaligen Zeit, von dem Landgrafen
Phaͤlipp von Heſſen den Auftrag, mit Luther und
Zwingli ein Abfommen zu treffen. Wirklich traf Bucer
Luther'n bei fo guter Faune, daß er zur "Ausfshnung mit
Zwingli Hoffnung gab: un reifte fogleich: zu legterm ab.
Allein der Rrieg,der eben zwifchen den Eatholifchen und pros
teftantifchen Cantonen der Schweig ausgebrochen war, und _
worin Zwingli umkam, machte die Unterhandlung fcheis
dern. Doc ließ er fih hiedurch nicht irre machen. De -
beide Theile zur mechfelfeitigen Duldung ſich nicht entfchlies
- sen wollten, fo nahm er feine Zuflucht zu Zweideutigkeiten,
und erklaͤrte die abweichenden Anſichten der Sakramen⸗
tirer und Luther's über die Gegenwart des Leibes Jeſu
in der Euchariftie für einen bloßen, Wortftreit. Allein alle
- feine gefchichten Wendungen, und Wortfpiele fanden weder
den Beifall der Lutperifchen noch der Schweiger, die ſich
fogar. feierfich dagegen verwahren, ſo daß die Bereinigung
für diesmal unterblieb. 2) |
Im Jahre 1556 gaben die Bafler Proteffanten auf
Bucer’s Betrieb ein zweites Glaubens » Bekenntniß an's
eicht, worin fie fagten: der Leib und das Shit feven nicht
» Disp. Lips. a. 1539. Resp. ad Abrine, Confer. Re-
tisbon. d. a. 1546. | |
2) Hospin. ad ann. 3551. * —
Bucer. | 37
natärlich mit dem Brode und Weine vereinigt, ſondern
‚biefe feyen die Symbole, wodurch Jeſus Chriftug felbſt
ung feinen Leib und Blut, wahrhaft mittheilt, nicht um dem
Koͤrper eine. vergängliche Nahrung zu geben, fondern um
eine Spetfe des ewigen Lebens zu ſeyn. 1). Die Züridher,
welche von Zwingli's Lehrmeinung. nicht abmweichen wolls
sen, liegen ſich auf feinen Vergleich em; Die. Lutherifchen
* aber fanden an obiger Erklärung eben nicht viel auszuſtellen,
und da überdieß Bucer was nur in Anfehung der wirklichen,
weſentlichen, fubftantielen, felbft natürlichen Gegenwart sy
wuͤnſchen war, einrdumte, auch fich Dazy verſtand, daß vie
Gläubigen, wenn fie auch unwuͤrdig zum Abendmahle
. gingen, dennoch den wahren Leib Jeſu Chriſti empfingen,
fo both endlich der bisher. unverfShnliche Luther die Hand
zum Frieden. Noch in demſelben Fahre famen die Abgeords
nefen der Kirchen von Deuffchland aus beiden Partheien: in
Mittenberg zufammen, wo Luther ‚folgende. ſechs von
Bucer und den Seinigen abgegebene Artikel als wahren
Miderruf annahm: Art. 1.. Nach dem. Ausfpruche des HL
Srendug enthält die Euchariftie zwei Theile, einen irdifchen
und einen. himmliſchen Theil, folglich find der Leib und das
Blut Jefu wahrhaftig und mefentlich gegenwärtig, gegeben
und empfangen mit dem Brode und Weine , Art, 2. Ohne
eine Verwandlung anzunehmen, iſt auch der Leib Jeſu nicht
örtlich im Brode eingefchloffen, und feine Verbindung mit
dieſem außer dem Gebrauche des Sakraments nicht von lan⸗
ger Daiter ; doch muß man zugeben ‚daß dag Brod durch
eine ſatramentauſche Vereinigung der Leib Jer u CEhriſti iſt,
d. h. wenn das Brod dargereicht wird , fo iſt der ‚Leib zus
gleich mit gegenwärtig, und wahrhaft gegeben, Art. 3.
Auſſer dem Gebrauche des Sakraments, waͤhrend es im Ci⸗
borium aufbewahrt, oder in Progeflonen gezeigt‘ wird, iſt
es nicht der Leib Jeſu. Art.‘ 4. Die Wirkſamkeit dieſes
Satraments haͤngt nicht von der Wirvigfeit oder unwuͤr⸗
Se x a | x.
» Conf Basil. 1556, art. 22. —28 Confens: ; Hp
Part. ı, p. 70.
x
318 Bucer.
digkett des. Ausſpenders oder Empfaͤngers ab. Art. 5. Den
Unwuͤrdigen, die nach dem hl. Paulus dieſes Sakrament
-
Pr
wirklich genießen, wirb der Leib Jeſu wahrhaft mitges
theilt, fie empfangen ihn in der That, wenn die
Einfeßungs » Worte gebraucht werden. Art. 6. Aber fie efr
fen fich felbft das‘ Gericht, wie eben der bl. Paulus fagt,
weil ſie das Sakrament, wenn fie ohne Buſe und ohne
Glauben hinzugehen, entheiligen. 1).
Dieſe Artikel wurden zu Ende May's 1536 von beiden
Theilen ‘der Proteſtanten unterzeichnet, jedoch ſollte dieſe
Uebereinkunft alsdann erſt Guͤltigkeit haben, wenn ſie von
den Kirchen gutgeheißen wuͤrde. Bucer und die Seinigen
zweifelten hieran ſo wenig, daß ſie alsbald noch der Unter⸗
fertigung zum Zeichen des immerwaͤhrenden Friedens mit
Luther das Abendmahl hielten. Die Lutheriſchen ertheils
ten dieſer Uebereinkunft ſtaͤts ihren Beifall, und die Sac⸗
ramentirer betrachten’ fie als einen rechtskraͤftigen Ver⸗
krag, der alle Proteſtanten vereinigt haͤtte. Wirklich gehoͤrt
dfefem Vertrage eine der erſten Stellen unter den oͤffentli⸗
hen Akten der neuen Neformation: den er enthält die Ger
finnungen. des ganzen Profeftantifchen Deutſchland's und
bemahe der ganzen Reformation, 2). |
Nun gab ſich Bucer alle Muͤhe, die Anhänger Swing
tes gu Zürich zur Annahme dieſer Uebereinkunft zu bewegen.
Allein trotz allen Schlangenwendungen ſeiner ueberredungs⸗
Kunſt, die er zwei Jaͤhre lang an fie verfchwendete, beharr⸗
ten fie auf ber Behauptung: daß weder von einer phyſiſchen
oder natuͤrlichen, noch von einer weſentlichen Gegenwart die
Rede ſeyn koͤnne, ſondern der Leib Jeſu ſey nur durch den
Glauben und den heiligen Geiſt gegenwärtig.
Inzwifhen hielt Bucer für die Folge feft an bie
Mittenberger Uebereinfunft, fo daß er von den Augsburs
ger. Eonfeffions; Bermandten von. num an fletd für
» Cone. p. 729, Host. „port. 2; p. 145. Chyer Hist.
: Gonf, August. " t
2) Bossuct Hi.t, des Variat. L i 7, |
Bucern. | | 319
einen der Ihrigen angeſehen wurde, und durchaus im Ein⸗
klange mit ihnen handelte. Auch die Reichs⸗Etaͤdte, wels
de zu Augsburg ſich an ihn angefchloffen hatten, Fehr;
ten nun. zum Glauben an die mwefentliche Gegenwart zuruͤck.
ALS der gewandtefte Unterhaͤmdler damaliger. Zeit ers
hielt Bucer von dem Landgrafen Philipp den. Auftrag,
“bei Luther, und deffen” Mithäuptlingen die Erfaubniß zu
erwirken, fi neben feiner noc lebenden rechtmäßigen Ge
mablinn mit einer gmeiten zu verehelichen. M sit, der von Dem
Landgrafen erhaltenen ſchriftlichen Inſtruction, worin dieſer
ſelbſt die Gründe der Nothwendigkeit dieſer Erlaubniß fuͤr
®
feine Perfon angab, und momif er lockende Verheißungen,
im Falle man ſich willfaͤhrige gegen ihn begeigte, aber au
die Sache der Reformation gefaͤhrdende, ‚. Drohungen bei
einer mißliebigen Enticheidung, . verband, knuͤpfte Bucer mit
Luther'n die deßfallſigen unterhandlungen an, und erhlelt eine
foͤrmliche Lehrentſcheidung, worin nach dem Evangelium,
jedoch nur ale Dispenfe für dDiefen Fall und unter der
Bedingung, Die Sade, geheim zu halten, dem Landgra—
fen geſtattet ward, feiner hoch lebenden Gattinn eine zweite beis
zugefellen. — Das erſtemal ſeit Stiftung des Chriſtenthums,
daß man von Maͤnnern, die ſich fuͤr Lehrer der chriſtlichen
Kirche ausgaben, den Ausſpruch hoͤrte: Chriftus habe die
Polygamie nicht unterfagt ; Er, der gekommen war, das ge
fallene Menfchen s Gefchleht auf feine urſpruͤngliche Beftims
mung zuruͤckzufuͤhren, , und dem Worte des Schöpfers: Es
werden’ zwei feyn in Einem Sleifche, feine erfte Be:
deutung wieder zu geben! Das‘ in deutſcher Sprache abges
faßte, und von Melanchton eigenhändig gefchriebene Dris -
ginal diefer Urkunde ift ‚von Luther, Mela nchfon und
Bucer unterzeichnet; die lateiniſche Ugberfegung von Wit⸗
fenberg im Dezember 1539 fügt noch die Unterfchriff
zweier Doctoren, morunfer Melander, Hofprediger des
Landgrafen, bei.
Eine a von ſolcher Wchrig⸗ieit EC — —
mie) von einer Parthei, die gegen die Dispenſen des roͤ⸗ |
miſchen Hof's ihre ganze Wuth ausgelaſſen hatte, ...
,
chen ·man fm Perlaufe der vergangenen Jahrhunderte des
vorgeblichen Verderbniſſes der Kirche fein Bei’piel aufzus
weifen bat! 1)
/ *
1) Ibidem L. 6. n. 6. Die Inſtruction des Landgrafen
an Bucer, die erfolgte Lehrentſcheidung, nebſt dem In⸗
ſtrumente der Verehelichung des erſten mit Margaretha
von Saal findet man in Bossuet’s Hist. des Variat.
am Ende des 6ten Buches abgedrudt. So lange Phis
‚ Iipp, 2andgraf von Heſſen lebte, wurde dad Geheimniß
treu bewahrt. Erft im Jahre 1679 wurde die ganze Ges
ſchichte duch folgende Veranlaffung dem Publikum befannt
gemadt: Earl Ludwig, Churfürk von der Pfalz hatte
no zu Lebözeiten feiner Gemaplinn mit Frau v. Egen:
feld ein öffentlichs und Tirdfbares Liebes + Verfländnif.
Um fih in den Augen feiner ihn darüber beläftigenden Pre⸗
diger, und der Welt zu rechtfertigen, feßte ex ihnen die
weit nachſichtigere Tpeologie Luther's mit der Folgerung
entgegen, ihm, old einem Churfürften müffe wohl auch
geftattet werden, nebſt feiner Gemaplinn eine Beiſchläͤfe⸗
rinn zu haben, wenn Luther einem Landgrafen er
laubt hätte, ſich zu einer Zeit zwei rechtmäßige Ehefrauen
beizulegen. Zu dieſem Ende ließ ee durch einen feiner Räs
the, Lorenz Böger, unter dem latinifirten Namen:
Daphnaeus Arcuarius, eine Druckſhrift unter dem
Titel verfaffen: Betrachtungen, oder gewiſſen⸗
hafte Bemerkungen über die Ehe, in fo fern
fie auf dem göttliden Rechte, und auf.dem
Rechte der Natur berupet, nebft einer Beleuch⸗
tung mander dahin einfhlagenden Fragen
binfihtlih des Ehebruches, der Scheidung
und beſonders der Polygamie. Am Ende des Item
Kapitels, Aten Theils ift num die angefuͤhrte Lehrentſchei⸗
dung Luther's, Bucer's und Melanchton's, Wie
auch der Eherennng des Landgrafen deutſch und lateiniſch,
"wörtlid.. angeführt. Auch hat nicht gar lange nachher ein
Molöumling .ded Landgrafen, Prinz Ernft, von Def
Bucer. 321
Bei dem auf dem Reichsſtage zu Regensburg, 1541,
‚gehaltenen Religivns⸗Geſpraͤche zur Vereinigung der Ka—
tholiken und Proteſtanten befand ſich Bucer unter den
Theologen, welche ſelbſt auf Vorſchlag Kaiſer Karl's V.
das Wort führen folten: allein, da man ſich nur in ſehr
mwenigen Punkten, und: das nicht ohne Widerfpruch des fa,
tholifhen Theologen, Johann Eck, vereinigen Fonnte,
‚endigte fih Die ganze Verhandlung unverrichteter Dinge.
Während dem der Kaifer das Interim zu Straßburg
‚ angenommen miffen wollte, ‘brachte Bucer abermals efn
Glaubens s Bekenntniß zum Worfcheine, worin die Stadt
Straßburg erklärte: daß fie unabänderlic auf ihrem
1530 zu Augsburg abgegebenen GlaubendsBefenntniffe _
beſtehe, jedoch) auch die zu Wittenberg mit Luther’n
‚getroffene Uebereinkunft beibehalte, worin nämlich erklärt
murde, daß diejenigen, welche Eeinen Glauben hätten, und
"Das Sacramenf entheiligten, dennoch die wahre MWefenbeit
des Leib's und Blut's Jeſu Chriſti empfingen. Eine
Behauptung, bie mit der zu Augsburg binterlegten Con⸗
feffion im offentarften Widerfpruch ſtehet. Hiemit endigte
ſich Bucer’s sffentliches Leben in Teutſchland. Während
den Unruhen des Interim's fand er eine Zufluchts⸗
Stätte in England unter deit neuen Proteflanten, die das
felbft unter Eduard fich fefkfesten. Peter Martpr von
Florenz, einer von den zur Einführung der Reformation
nad) England berufenen Proteflanten, ein harmaͤckiger
Zwinglianer, ſtellte über die Euchariftie bie Behaupfung
auf: daß der Leib und das Blut Jeſu Chriſti in berfels
ben nicht Eörperlich zugegen fen (1449.)' Aller Bemuͤ⸗
hungen Bucer’s, und der hohen Achtung, in der er bei
jenem ſtand, ungeachtet , gelang: es ihm nicht, eine Aendes
‚zung im diefem Artikel zu bewirken, und er flarb daſelbſt
. gefchägt und. betrauert von feiner Parthet.
fen, nad feinem Weberteitte zur katholiſchen Kirche, ale
Driginals Urkunden diefed in feiner Ark einzigen theologie
Shen Bedenkens dem Publicum wor Augen gelegt.
Keger-teriton. II. .21
\ \ a
322 . Buddas. Eainiten. . |
’
| Buddas, auch Therebintug genannt, war ber
Lehrer des Manes: (Man fehe diefen Artikel.)
8,
Cainiten *): Neger, fo genannt wegen ber Vereh⸗
rung, die fie Cain erwiefen. Sie erfchienen gegen dag
Jahr 159. Ihr Urfprung iſt folgender:
Waͤhrend des erſten und Anfangs des imeiten Jahr⸗
hunderts gab man ſich ſehr mit Unterſuchung der Schoͤpf⸗
ungs⸗Geſchichte und Erklaͤrung, des Urſprung's des Uebel's
ab man hatte bald das Syſtem der Emanationen, bald u
das der zwei Grundweſen angenommen.
Eine Hypotheſe, auf fo ſchwachen Füßen fie auch fies
ben mag, erhebt fich unmerklic in den Köpfen derjenigen,
die fie annehmen, zu einem Principe; ohne fich weiter um
ihre Begründung oder Erprobung zu befümmern, nimmt
. man, fie unbedenklich, als eine ermwiefene Wahrheit an, um
| bamif die Erfcheinungen zu erklären.
Dag Syſtem der Emanationen, und die Annahme eis
ned guten und boͤſen Grundwefens galten bei Bielen ale
unbeftreitbare Wahrheiten, von welchen man zur Erklärung
dee Erfcheinungen ausging; jeder behauptete für fich das
echt, mehr oder weniger Geiſter, oder Grundweſen anzus
nehmen, und ihren Erzeugungen, ihrer. Macht und Hands
lungsmweife alle die Verſchiedenheit zugufchreiben, die er fir
nöthig errachfefe, um eine Erfcheinung ‚ die ihm am meiften
auffiel, oder deren. Erklärung 'man bisher vernachläffige
‚hatte, fich begreiflich zu machen.
Die meilten vor den Cainiten vorhandenen Secten
hatten den Urſpruug des Guten und Boͤſen dadurch erklaͤr⸗
bar machen wollen: daß ſie ein hoͤchſt guͤtiges Weſen an⸗
nahmen, welches glückliche und unſchuldige Geifter.aus ſeit⸗
nem Schooße ergeugfe, bie aber durch den Weltſ choͤp⸗
14
*) 2tes Söprhundent:
*
⸗
Cainiten. 2323
fer, der boͤſe iſt, in koͤrperliche Organe eingekerkert wur⸗
den. Sie hatten aber nicht auf eine Allen genuͤgende Weiſe
gezeigt, woher der Unterſchied, den man unter den geiſtigen
Anlagen der Menſchen bemerkte, kam. Unter den Anhaͤn⸗
gern der Lehre von zwei Grundweſen trat daher einer auf,
der es uͤber ſich nahm, die Verſchiedenheit der Geiſtesfaͤhig⸗
keiten und des Charakters im Menſchen zu erklaͤren. Dieſer
nahm an, Adam und Eva ſeyen von den beiden Grund⸗
wefen oder Mächten erichaffen worden ; jedes von ihnen habe
in der Folge ſich einen Leib beigelegt, und fleiſchlichen Ums
gang mit Eva. gepflogen ;. die aus diefem Umgange erzeugten
Kinder haben jedes den Charakter der Macht, dem es fein -
Dafeyn verdanfte, bekommen: auf diefe Weife erklärte man
die Verfchiedenheit in der Gemäthsart Cain's und Abel’g
und überhaupt aller Menfchen.. Da Abel dem weltfchafs
fenden Gott große Unterwuͤrfigkeit erwieß, fo fah man ihn
als die Erzeugung eines Gottes an, den man Hiſt eros hieß,
Cain hingegen, weil er Abel, der dem Weltſchoͤpfer
- diente, erfchlagen hatte, war das Werk der Weisheit und
des hoͤchſten Grundweſens; mithin war Cain der erfte uns
ser den Weifen und der Haupfgegenfland der Verehrung dies
fer Seftirer. |
Vermoͤge einer natürlichen Folge ihres Hauptgrundſa⸗
| tes erwiefen fie allen denen eine Verehrung, welche das
alte Teftament verworfen hafte, dem Cain, . Efau, Core,
Dathan, den Sodomiten, welche fie für Kinder der
Weisheit, und Feinde des weltſchaffenden Urweſens anfahen.
Aus eben diefem Grunde verehrten fie auch Judas, dem
Verraͤther. Nac den Cainiten wußte Judas allein das
Geheimniß der Erfchaffung der Menfchen, und hatte deß⸗
“halb Jeſum verrathen: fey es, fagten die Ruchlofen, daß
Judas bemerfte, daß Jeſus die Tugend und die Gefühle
des Muthes, welche den Menfchen zur Bekämpfung des
Schoͤpfers anfeuern, erſticken wollte, oder ſey es, daß Er
dem menſchlichen Geſchlechte die großen Wohlthaten, die ihm
aus dem Tode des Erloͤſers zuftoßen berſchaffen wollte, welche
Wolthaten die dem Schöpfer befreundeten Mächte hintertreiben
wollten, indem fie ſich feinem Tode-widerfegten. So erhoben
21 Ze
—
h
324. Cainiten.
dieſe Ketzer In das als einen bewunderungswuͤrdigen Wan, |
und ‚richteten an ihn Dank⸗ Gebete. 1),
Um felig zu werden, behaupteten fie, muͤſſe man’ $revel .
aller Art begehen, und fegten die Vollkommenheit der Vernunft
darein, fich keck allen erdenklichen Abſcheulichkeiten zu uͤberlaſſen;
ſie ſagten: jede ſchandbare Handlung habe einen Echugengel,
und riefen bei Veruͤbung derfelben diefen Engel an. 2).
Die Cainiten hatten apogryphiſche Hücher , wie dag
Evangelium des Judas; einige andere Schriften, verfaßt
zur Ermunterung, die Werke des Schoͤpfers zu zernichten;
ein Werk, betitelt: die Himmelfuhrt des bl. Paulug,
welches von der Entzuͤckung dieſes Apoſtels handelte, und
graͤuliche Dinge enthielt. J
Ein Weib aus dieſer Secte, Namens Quintilla, welches
zur Zeit Tertulian's nach Afrika gekommen war, verfuͤhrte
daſelbſt viele Leute, beſonders dadurch, daß es die Taufe
verwarf. Die Anhänger dieſes Weibes wurden Quintil⸗
lianiſten genannt. Dieſe Betruͤgerinn ſcheint den Schand⸗
thaten der Cainiten noch andere abſcheuliche Gebraͤuche
beigeſellt zu haben. 3).
Philaſtrius macht jene, welche Judas verehrten,
Ar einer beſondern Secte. 4).
Der Kaiſer Michael hegte eine beſondere Verehrung
fuͤr Judas, und wollte ihn unter die Heiligen verſetzen
laſſen. 5).
Hornebeck foricht von einem Anapaptiſten, welcher
wie die Cainiten über Judas dachte, 6). uud nannte
man Die Sainiten: Judaiten, 7).
1) Iraen. DL I, C. 35, alias 38.
2) Theodoret. Heret. Fab.. L. ı, C. ı5. Tertul.
de Prescript. 59. Iraen. et Epiph. L.C. August.
de Hear. C. 18. ,
3) Tertul. de’ Bapt. . .
4) De Her. C. 34, 36.
5) Theoph. Raynaud de Juda Prodit. p. 689.
6) Contrer. Hornebec, 390.
7) Ittigius de Hær. Seet, 2 $. 4,5
| Calix 7 325
— Ealirtiwer oder Utr aquiſten, ein Zweig der
Huſſitiſchen Secte in Boͤhmen, welche die Ceremonien ber
roͤmiſthen Kirche beibehielten, die Spendung des Abend⸗
mahls aber unter beiden Geſtalten, mithin die Beibehal⸗
tung des Kelches (Calix) fuͤr die Laien fuͤr nothwendig
hielten. Georg von Podiebrad, der von 1450 big
1471 die Böhmen beherrfchte, beguͤnſtigte vorzüglich diefe
Parthet, und verfchaffte ihr eine -Ueberlegenheit über die
andern Religions + Theile; unter Wladislam blieben fig °
im Beſitze ihrer Religiong » liebungen, und feit der Nefore
mafion des fechszehnten Jahrhunderts hielten fie ſich zur
Darthei der Proteflanten, mit welchen fie gleide Schickſale
erfuhren. Da fie im fchmalfaltifchen Kriege tie Waffen ges
gen ihre Gtlaubengs Brüder. zu tragen fich meigerten, sogen
fie ſich Harte Verfolgungen zu. Doc ließ fie Ferdinand lJ.
an den Mobirhaten des Neligiond s Friedens Theil nehs
men, und unter Maximilian Il. erhielten fie völlige Re⸗
Uligions⸗Freiheit; härter erging es ihnen wieder unter Mus
dolf IT, der envlich den Utraquiften,, die nun fchon größs
‚tentheilg mit den lutheriſchen und. jchweigerifchen Religions⸗
Verwandten vermifcht waren, ımd den bshmifchen Bruͤ—
dern, durch Die drohende Stellung, welche die boͤhm. Stände.
gegen: ihn genemmen hasten, gezwungen, vermittels des am
9. Juli ausgefertigten Religions s Briefe gleiche Neligiongs
Sreiheit md Mechte mit den Katholiken zuſagte, und ihre
Kirchen »s Ordnung, den Beſitz ihres Conſiſtoriums zu
Prag, die. ihnen von Alters ber zugehörige Akademie, die
freie Wahl ihrer Kirchendiener, die Beibehaltung ihrer Schw
len und Kirchen. beftättigte ; auch follte e8 ihnen unverwehrt
feyn, noch mehr Kirchen zum Goftesdienfte und Schulen '
zum Unterrichte der Jugend aufzubauen. Da indeß Mas
thias Eingriffe in die Freiheiten des Majeſtaͤts⸗Briefs
geflattete, griffen die Proteſtanten 1617 unter Anführung
des Mathras von Thurn zu ven Waffen. Diefe Ems
pörung war der Zunder Des verheerenden dreißigjährigen
Krieges ; nach einem kurzen Zriumphe unter dem von ihnen
felbft zum Stönige erwählten Friederich von der Pfalz
nnd der bei. Drag 1620 erfolgten Niederlage dieſes uͤbelbe⸗
)
326 . © Calixtiner. alpin.
rathenen Fuͤrſten mußte der Proteſtantismus in 33 5 men
sÄnzlic unterliegen.
Serdinand IT. ließ viele Galirtiner, euthera—
ner und Reformirte als Rebellen hinrichten, viele an⸗
dere wanderten aus, Unter den folgenden Regierungen wur⸗
den die Proteſtanten nicht mehr beguͤnſtiget. Endlich ge⸗
ſtattete Joſeph IT. durch ſein Toleranz⸗Edikt von 1782
den Reformirten und Lutheriſchen, unter welche ſich die Reſte
der alten Calirtiner verloren haben, wieder freie Reli⸗
gions⸗ Uebung,
Calvin Johann) ward zu Noyon im Anfange des
ſechszehnten Jahrhunderts ( 1509 den 10ten Juli) geboren,
Seine erften Studien machte.er zu Paris im ‚Collegium
La Marche, und hörte die Philofophie unfer einem Spas
nier im Collegium Montaigu. Hier mache er Befannts
fehaft mit feinem Landsmanne Olivetan, ber ihm bie
erften Keime der neuen Lehre, welche ſich in Franlreich zu
verbhreiten begann, beihrachte.
Anfangs zum geiſtlichen Stande beſtimmt, entſagt er nun
der Theologie und ſtudierte unter Peter de lEtoile
su Orleans, dann zu Bourges unter Alicat Die Rechte.
Sin leßterer Stadt erlernte er auch das Griechifche, Syri⸗
fche und Hebräifche unter Melchior DBolmar, einem
Deutfehen, und Profeffor ber griechifchen Sprache, ber,
ein geheinter Anhänger der neuen Lehre, die in Calvin
bereit8 erweckte Neigung zu derfelben noch verftätfte Der
Tod feines Vaters rief ihn nach Noyon zurück, von wo
er nach einem: kurzen Aufenthalt fich wieder nad Paris
begab, und 1532 über die beiden Bücher Senefa’g „de Cle-
mentia“ einen lafeinifchen Commentar herausgab. Bald gab
er fid) denen gy erfennen, Die im Geheim der Reformation
sugethan waren, ahmte aber ihrem umfichtigen Verhalten
nicht. nach ; fein Eifer wurde ausbruͤchig; nur Durch die
Flucht entging er der Werhaftung, und verbarg ſich eine
Zeitlang bei Dutillet, Canonicus von Angouleme Won
da begab er ih nah Nerac, zur Schweſter Franz -l. Abs.
\
\ Calvin. 327
niginn von Navarra ,' welche aus Liebe zu den Wiſſenſchaf⸗
ten mehrern ihrer Neuerungsſucht wegen aus Frankreich
flüchtigen Gelehrten eine Zufluchts⸗Staͤtte an ihrem Hofe
gewährte. Hier lernte er mehrere Männer kennen, die in
der Folge feiner Parthet großen Vorſchub leiftefen. Nach
Paris zurückgekehrt, mußte er abermals fliehen, und bes
sab ſich nach Baſel, wo er fich zum Vertheidiger der Re⸗
formation meihte.
Unter Reformatoren und Reformirten begriff man da⸗
mals jenen Schwarm von unruhigen und Neuerungsſuͤchtigen
Köpfen, Lutheranern, Karlſtadtianern, Anapaps
tiften, Zwinglianern ꝛc. wovon Deutſchland voll lief,
und die auch in Italien, Frankreich, England und die Nieder⸗
kanden ausgeſtroͤmt waren: ihte ganze Lehre beftand in Decs
Iamationen gezen Pabft und Geiftlichfeit, gegen Mißbräuche,
gegen alle weltliche und geiftlihe Gewalt. Cie hatten Feine
folgerechte Grundfäge , Fein Syſtem, fie waren ohne Diss
eiplin, ohne Symbol.
Calvin entfchloß ſich, die Reformation auf theologiihe _
©rundfäge zu bauen, und eine Neligiong s Theorie zu ent⸗
- werfen, worin alle Glaubens + Lehren, die er in feinen Ver⸗
beſſerungs⸗ Plan aufgenommen hatte, verbunden waͤren,
und wie Folges Säge aus dem allgemeinen Prinzip des Chris
ſtenthums hervorgingen, kurz er wollte fuͤr die Deformirten
ein Symbol aufſtellen.
Dieß war das einzige Mittel ‚ die Neformation zu eis
ner der Vernunft zufagenden Religion zu erheben. Diefen-
Entfhluß führte er in dem Werke: Chriftlihe Unter
weifung aug, welches’ er in Bafel-herausgab 1).
Calvin ging hierauf nach Italien, wo er bei ber
Herzoginn von Ferrara, Renata, Tochter Ludwig's
1) Diefe Schrift erfhien unter dem Zitel: Inslitutio chris-
tianae Religionis anfangs lateiniſch, dann franzöfifh, und
wurde faft alle Jahre von ihm vermehrt und verbeffert her⸗
ausgegeben, Die vollftändigfte, Ausgabe ift von R oben
tus Stephanus 1559.
u 11777 799
XIL, und. Gemahlinn Herkules von. Efte, eine gute
Aufnahme fand. . Da aber der Herzog befürchtete, Cals
vin?’s Aufenthalt an feinem Hofe möchte ihm. bei dem
Pabſte Unannchmlichkeiten zuziehen, entfernte er ihn aus
feinen Staaten, und Calvin fam um die Mitte des J.
1536 nad) Paris zurück. Bald verließ er Frankreich wies
der, um nach Bafel zugehen, nahm den Meg über Genf,
mo Farel und Viret die proteftanfiihe Neligion einges
führt hatten. Der Magiſtrat von Genf machte ihm den
Antrag, theologifchen Unterricht zu ertheilen. Zwei Jahre
darauf verfaßte Calvin eine Gläubends Formel, und einen
Catechismug, melden. er zu Genf einführen ließ, wo er
auch die Fatholifche Neligion feierlich abfchmwur:, alles Volk
ſchwur, die Glaubens; Artifel, die Calvin vorgelegt hatte,
u halten.
Die Keformation hatte in.den ſchweizeriſchen Städten
Bern, Lauſanne, Zürich, u. a, Eingang gefunden, Die
gaufanner Synode perordnefe; 1) dag man fich bei’m
Abendmahle des ungefäuerten Mrodeg ‚zu bedienen babe, 2)
daß die Taufftefne nicht aus den Kirchen gu entfernen, und
3) alle Feſttage, wie ber Epnntag ‚ 5u feyern feyen.
Der neue Neformator hatte in ſeiner chriſtlichen Unter⸗
weiſung alle Ceremonien der roͤmiſchen Kirche verworfen,
wollte gar keine Spur mehr davon beibehalten wiſſen, hatte
deshalb Das Gegentheil von dem, in der Lauſanner Sys
nore Verordneten, in der Genfer Kirche eingeführt, und
weigerte fi num auch, jener Verordnung Folge zu Heben.
Calvin's Feinde benügten diefen Anlaß, Ihn und Farel
zu ſtuͤrzen: fie fielfen dem Rathe vor, Genf habe in feiner
Perſon nicht einen Verbefferer, fondern einen Gebieter, ver
. zwar in feinen Schriften bie chriftliche Freiheit anfpreche
tn feinem Betragen aber ein unbeugfamer Despot fen.
Calvin und Farel mußten mit Ihrem Anhange in drei
Tagen Genf raͤumen.
Caloin begab ſich nad) Straßburg, wo er eine
franzoͤſiſche Kirche errichtete, die bald durch den Zufluß vie
ler aus Frankreich geflüchterer Proteſtauten, wo man ſehr
fcharf gegen fie verfuhr, ſehr bedeutend wurde. Waͤhrend
Gain. 32%
feines Aufenthalted in Straßburg verheilathefe er ſich
mit einer anabaptiftifchen Wittwe, die er befehrt hatte, .
Idelette von Burie. Calvin fland feiner Talente wer
gen in hoher Achtung gu Stragburg, und die Proteftan,
ten diefer Stadt wählten ihm zu ihrem Deputirten auf dem
-Meichstage zu Frankfurt, umd nachher bei der Berath⸗
ſchlagung zu Regensburg.
Genf war ſeit Calvin's Verbannung nicht ruhig;
eine mächtige Parthei gewann die Oberhand über feine
Feinde, und er ward drei. Fahre nach feiner Verweiſung das
bin zurücgerufen.
Jetzt legte fich Galvin eine unumfchränfte Herrſchaft
Aber die Genfer bey, die ihm bis zu feinem Tode blicke -
Er ordnete die Kirchen s Disciplin faft gang auf Die Weife,
wie fie noch heut zu Tage bei den reformirsen Kirchen ans
zutreffen ift, errichtete, Eonfiftorien, Eolloquien, Sy
noden, feste Aelteſte, Diaconen ımd Auffeher,
ordnete Die Gchets s Formen und Predigten, die Feier des
Abendmahles, die Taufs s und. Begräbnißmeife, fehte eine
Confiftorials Gerichtsbarkeit feft, welche halb aus Beiftlis
chen., halb aus Faien beftand, und über die Erhalfung. der
fogenannten reinen Lehre, und die Sıtten zu wachen hatte.
Diefe hafte dag Recht, Jedermann ohne Ausnahme über die
. geringften Handlungen und Neden zur.Nechenfchaft zu ziehen,
Kirchen s Bufen aufzulegen, felbft zu ercommuniziren, und
wo dieſes nicht Hinreichte, mit Gutachten an den Rath zu
berichten. Hierauf. verfaßte er einen Jateinifchen und franzoͤ⸗
ſiſchen Catechismug, ganz abweichend ‚von dem früher. verfers
tigten, und machte den Math und dag Volk zu deffen ummers
“ währenden Beibehaltung verbindlih. So warf fih Calvin
sum Herrn über ale Meinungen und Handlungen der Gens
fer auf.
Die Strenge, mit welcher er feine unbegraͤnzte Gewalt.
übte, wie die Uebermacht feines Confifloriums zogen ihm
viele Feinde zu, und veranlaßten einigemal Unruhen in der
Stadt ; allein fein hervorragender Geiſt und: feine Feſtigkeit
triumphirten über feine Gegner, Unbeugſam in feinen. Bes
bauptungen that er nic einen Schritt zuruͤck, und war im
—
Stande, zur Feſthaltung eines gleichgifftigen Bebraudes,
fo gut, wie zur Vertheidigung der wichtigften Wahrheiten der
Neligion, Alles aufzuopfern. Ein Mann von diefem Charaks
fer mit großen Talenten und firengen Sitten bringt Alles
zu Stande, und unterwirft fich unfehlbar den großen Haus
- fen und ſchwachen Gemüthern, die am Ende fich doch lieber
Alles gefallen laffen, um nicht ohne Unterlaß gegen eine mit
Beredſamkeit und Wiſſenſchaft bewaffnete Uebermacht an⸗
kaͤmpfen zu muͤſſen.
Jedoch genoß Calvin feine Triumphe nicht ruhig;
kaum war eine Faktion erdruͤckt, fp flanden ſchon wieder
neue Feinde auf: man machte fih an feine Lehre. Bolſec,
ein abtruͤnn iger Carmelit, befchuldigte ihn: er mache Gott
zum Urheber der Sünde, und erboth fi) zum Beweiſe.
Calvin flattete ihm einen Beſuch ab, und wendete Alles
an, ihn zu gewinnen, jedoch vergeblich; man fing an, Bols
fec gerne zu hören. Calvin, welcher einer feiner Con⸗
ferengen in's Gcheim beigewohnt hafte, frat, fobold fie ger
endigf war, hervor, nahm das Wort, um ihn zu widerle⸗
gen, führte ale Stellen der Schrift und des hl. Auguſtin
an, die feine Meinung über die Borerwählung zu begüns
ſtigen fchienen , deutete aber diefe Stellen unrichtig, und
diie Leidenſchaftlichkeit, womit er fprach, fonnte in den Ges
muͤthern der Zuhörer den Eindruck nicht erlöfchen, den die
Fefhuldigung Bolfec’8 gemacht hafte.. Der Rath mußte,
daher Bolfec verhaften, der in dem Gefängniffe unter dem
Vorwande, er habe Plergerniß gegeben, und den Frieden
der Kirche geſtoͤrt eine ſehr uͤble Behandlung erlitt.
Der Apoſtel von Genf trieb ſeine Rache oder ſeine
Vorſichts masregeln noch weiter, indem er an die Schweizer⸗
Cantone ſchrieb, man muͤſſe die Welt von dieſem gefaͤhrli⸗
chen Menſchen befreien, damit er nicht alle benachbarten
kaͤnder mit ſeinem Gifte anſtecke.
Ein Here Falais, der in großem Anſehen ſtand, und.
von Ealvin zur Annahme‘ der Reformation war verleitet
worden, mit Recht entruͤſtet über dag Betragen Calvin’g,
fegte die Cantone von ben Abfichten deſſelben in Kennmig,
a
Ealvin. 331
nnd der —— —— begnuͤgte ſich mit der Verbannung
Bolſec's, der angeblich als des Aufruhrs und des Pela—
gianismus uͤberwieſen, Genf verlaffen mußte. 1).
Sp war man ein Empoͤrer, ein Feind der oͤffentlichen
Muhe, wenn man eg wagte, Calvin gu widerfptechen ;
. man war Pelagianer, und hatte den Tod verdient, meil
man glaubte, aus. feinen Grundfägen folgern zu Finnen,
Gott fen der Urheber der Sünde. Das ift der Neformator,
der gegen die angebliche Tyrannei der roͤmiſchen ande mit
Muth loszog!
Die Verbannung Bolfec’g — Calbin's Fries
de; man fand nicht, daß er gegen die gehaͤßige Anſchuldi—
gung, als mache er Gott zum Urheber der Suͤnde, ſich
gerechtfertigt habe, man ſprach laut gegen ſeine Vorherer—
waͤhlungs⸗ Lehre; zu Bern gab es ſogar Prediger, die Ihn
dieſes Punktes halber gerichtlich Belangen wollten; Bolſec
ernenerte dafelbft feine Befchuldigungen, und Safilio, den
Calvin ebenfalls, Genf zu verlafien, N hatte,
verfchrie ihn zu Bafel. (1552) |
| Michael Server, der in einer Schrift das Geheim⸗
niß der Dreieinigkeit angegriffen- hatte, mar der gefaͤngli⸗
hen Haft aus Frankreich entflohen, und nach Genf 1553
gekommen, auf Calvin's Befehl warb er ergriffen, und
mit aͤußerſter Strenge gegen:ihn verfahren. Der Rath von
Bafel, Bern, Zuͤrich, Schafhaufen wurde um dag
gegen diefen Antitrinifarier zu faͤllende Urtheil befragt:
die einhellige Antwort, er babe den Tod verdient, mar
eben das Butachten ‚Lalvin’s „und die Genfer verurs
theilten Servet, lebendig verbrannt zu werben. |
Wie fonnten obrigfeitlihe Perfonen, die doch über den
Sinn der hl. Schrift feinen unträglichen Schiedsrichter ans
nahmen, Serdet verbrennen, weil er darin einen andern
Sinn fand, ald Calvin, oder fie felb?
ı) Spondan ad ann. 1545. Hist. de Geneve T. 2: p. 33.
Vorrede zu Ealvin’s Briefen an Falaid.
332 | Ealpin.
Man fehe bier die Logik und die Biligkeit d der erſten
Verfechter der Reformation.
Calvin, und die proteſtantiſchen Prediger, welche als
Grundlage der Reformation den Satz aufgeſtellt hatten: die
Schrift fen einzige Glaubens⸗-Norm, und jeder ſey Richter
Uüber ihren Sinn, ließen Servet verbrennen, der die
‘ Schrift durch ein anderes Glas fah, als fie, liefen Sers
vet verbrennen, der in Wahrheit ſich irrte, und zwar
groͤblich, und zwar über ein Grund s Dogma irrte, der aber
ohne Vergehen nicht auf den Ausſpruch Calvin's umd
der Prediger compromittiren konnte, weil. weder fie noch
ihre Conſiſtorien untruͤglich waren, und weil nicht ihnen
der Herr geſagt hatte: wer euch hoͤret, hoͤret mich! wie
konnten fie Serpet verbrennen, der als ein Fremder auf
der Durchreffe nicht unter ihrer Gerichtsbarkeit fand, und
fein Buch det ihnen weder gefchrieben, noch hatte drucken
laſſen?
Calovin hatte die Kuͤhnheit, ſein Benehmen gegen
Server zu rechtfertigen, und beweiſen zu wollen, daß
man die Keger mit dem Tode beftrafen müffe. 1). -
kelio Socinug und Caſtalio fchrieben gegen Cals
sin, und wurden ihrer Seltd von Theodor Seta wi⸗
derlegt. 2).
Und doch zogen dieſe Reformatoren unbändig [08 gegen
die harte Behandlung, die man ihnen in Fatholifchen Staas
ten widerfahren Tieß, mo man bie Proteftanten nur darum
ſtrafte, weil fie ‘von einer untruͤglichen Macht, der Kirche,
waren verurtheilt worden. Hierauf achten jene zu wenig, die
Calvin zu entſchuldigen glauben mit dem Angeben, er babe
nur dem Vorurtheile ſeines Zeitalters uͤber die Beſtrafung
der Ketzer gehuldigt. Uebrigens iſt es gewiß, daß Cal⸗
‚?
+
ı) Fidelis expositio errorum Mich. $erveti, et brevis eo-
rundem refutatio, ubi docetur,, jure gladii coereendos
esse Haereticos.
2) De Haereticis a Magistratu puniendie.
Calvin. 333
vin dem Bolfec dag nämliche Loos würde bereitet haben,
wenn er es hätte wagen duͤrfen; und doch dachte diefer über
die Vorermählung nicht anders, als viele Iutheritche Iheos
logen. Server’ 8 Hinrichtung feßte dem Strome des freien
Denkens zu Genf feinen Damm. Die Staliener, welche .
Calvin’s Irrlehren angenommen, und fi dayin zuruͤck
gezogen haften, gründeten da eine italienifche Kirche, mo
Gentilis, Blandrat u. A. 1558 den Arianismus ers
neuerten.
Gentilis ward verhaftet,. und wäre, umgefommen wie .
Servet, wenn er nicht widerufen hätte: er: ging von
Genf auf dag Berner Gebiet, wo er feinen Irrthum von
Neuem verbreitete, und 1566 enthauptet wurde.
Dfin erfuhr von Calvin feine beffere Behandlung,
als Gentilig; er fchien fi gegen den Artanismus zu nei⸗
gen und Calvin lich ihn von Genf wegjagen.
Calvin war nicht allein mit Befeſtigung der Neformas
tion zu Genf beſchaͤftigt; er führte auch eine ſehr ausges
breitete Correfpondenz; nach Srankreih, 3 Deutfchland,, Pos
Ien, gegen die Anabaptiften, Antitrinitarier, und
Katholiken, verfaßte zur Vertheidigung feiner Meinuns .
gen mehrere Schriften, wovon feine Commentare über
die Bibel die, mwichtigften find. Dieſes Meformationgs |
Haupt befaß eine unbefchreibliche Geiftesthätigfeit; übrigens .
war er von einer fraurigen, unbeugfamen und fprannifchen
Gemürhss Stimmung; und ein Gelehrter, deffen Schriften
- mit Methode und Correctheit abgefaßt waren; Niemand vers
fand in einem fo hohen Grade die Kunſt, die Lichtfeite eis
ner Meinung mit Scharflinn zu erfaffen und darzuftellen.
Die Vorrede feiner hrifflihden Unterweiſung ift ein
Meiſterſtuͤck von Gefchicklichkeit, 1) kurz man kann ihm große
Faͤhigkeiten ſo wenig abfprechen, ale an ihm große Fehler
"und gehäffige Charakters Züge zu verfennen find. |
1) Praefitio ad Christianissimum regem 2 qua hie ei liber
pro "soufessione fidei offertur.
34 Calvin.
Er war der erſte, der die theologiſchen Materien in
einem correcten Style mit Beſeitigung der ſcholaſtiſchen For⸗
men behandelte; er war ein trefflicher Theolog, guter Lo⸗
giker, ein großer Rechtsgelehrter und geſchickter Politiker;
ſeine Dispute gegen Servet, Gentilis, die Antitri—
nitarier und Anabaptiſten, laſſen den Mißbrauch, den
er von ſeinen Faͤhigkeiten machte, wenn Partheigeiſt ihn
blendete, bedauern. Cal vin ſtarb mitten unter Arbeiten und
Kämpfen in feinem fünf und fünfzigften Lebensjahre den 27ten
Mai 1564. Seine Werke erſchienen zu Amſterdam 1671
in 9 Folio⸗Baͤnden.
Wenn gleich Calvin in weſentlichen Punkten von
Luther abwich, ſo wurden ſeine Anhaͤnger lange Zeit doch
nicht von den Lutheranern unterſchieden. Sie ſelbſt be⸗
trachteten zwar Calvin als ihr Haupt, ohne jedoch als
verfchieden von Luther's Anhängern angefehen werden zu
wollen. Erft nach dem Colloquium von Poiffy, 1561,
wo fie nebft andern haupıfächlich den 10ten Artikel der
Augsburger Confeffion verwarfen, legten fie fih den
Namen Calvinifen bei. (Vergl. den Artikel : Zwingli.)
Calvinismus. Calvin’ Lehre. Wir wollen fie
aus feiner hrifflihen Unterweifung ausheben. Wir
haben fm vorigen Artikel gefehen, was Calvin zu Abfafs
fung dieſes Werkes bewog: eg ift in vier Bücher geheilt,
welche folgenden Inhaltes find.
Erſtes Buch der chriſtlichen Unterweifung. |
Religion fett. die Erfenntniß Gottes und des Menfchen
voraus,’ Die ganze Natur verfünder dag Dafenn, die Voll⸗
fommenheiten und Wohlthaten eines höchften Wefeng; uns
fere Schwachheiten und Beduͤrfniſſe meifen ung immer auf
Sort Hin: die Vorſtellung von Ihm iſt in unfer Herz gefchries
- ben, NRiemanden bleibt Er verborgen ; alle Voͤlker erkennen
eine Gottheit. Allein Unmwiffenheit, Leidenfchaften und Eins
bildung fchufen fih Götter, und das hoͤchſte Weſen war
faſt auf dem ganzen Erdkreiſe unbekannt.
Calvin. 335
Es bedurfte daher, um die Menſchen zu Gott zu fuͤh⸗
ren, eines zuverlaͤſſigern Mittels, als der Schauplatz der
Natur und die menſchliche Vernunft. Gottes Güte gewaͤhrte
den Menſchen dieſes Mittel: Er ſelbſt offenbarte uns, was
uns von Ihm zu wiſſen noͤthig war.
Seit langer Zeit ertheilt Gott den Menſchen keine
Offenbarungen mehr, ſeit Langem hat Er keine Propheten,
noch, von Ihm begeiſterte Maͤnner geſchickt, jedoch hat
ſeine Vorſehung die von ihm ertheilten Offenbarungen er⸗
halten, ſie ſind in der hl. Schrift aufbewahrt.
Wir haben demnach im alten und neuen Teſtamente
Alles, was zur Erkenntniß Gottes, feines Weſens, feiner _
Vollkommenheiten, der Ihm fehuldigen Verehrung, und uns
ferer Verbindlichkeiten gegen andere Menſchen nothwen⸗
dig iſt )J.
Allein wie wiſſen wir, daß Haß‘, was wir hl. Schrift
nennen, wirklich göttliche Offenbarung fen? Wie wiſſen wir,
daß ihre Inhalt nicht verfälfcht worden iſt? Wie.unterfcheis
den wir die canonifchen Bücher von den Apogenphen? Stes
het es nicht der Kirche zu, unfern Glauben über dieſe Punkte
zu fihern?
Hier geraͤth Calvin in Born. ‚und bricht in ziemlich
grobe Schmaͤhungen gegen die Kathplifen aus: diefe gottes⸗
fchänderifchen Menfchen, fagt er, wollen, daß man fich auf
fie berufe, nur darum, um der Kirche eine unbegrängte
Macht. beisulegen, und alle Menfchen, alle Fuͤrſten, ale
Gewiſſen ihr zu unferwerfen.
So fpricht der, welcher Servet ben Flammen übers
lieferte; weil er fich feinem Ausſpruche nicht unterwarf,
und auch Bolfec, wenn er hätte trauen dürfen, hätte vor ⸗
brennen laffen, weil biefer die Kühnheit hatte, zu fagen: -
Calvins Meinungen über die Vorerwaͤhlung mache Gott .
1) Damit fangen feit den Albigenfern alle Reformatoren
en. Calvin hat hierüber nicht mehr, old Diele, gefagt.
336 | Calvin.
zum Ucheber der Sünde. — Dann töͤmmt Calvin auf feine
- Einwendung zuruͤck. Das Anſehen der Kirche ift nur ein
menfchliches Zeugniß, dag irren kann, und zur Beruhigung
der Gewiſſen nicht zureichend ift: der bi. Geiſt muß dieſes
äufiere Zeugniß der Kirche durch ein inneres beftätigen ; der
nämliche Geift, ver durch vie Propheten geredet bat, muß
in unfere Herzen einfchren, um ung zu verfihern, daß die
Propheten nichts gefagt haben, als was ihnen Gott geoffens
« baret hat. Diefe ‚Art von befonderer Eingebung vergewifs
fert ung die. Wahrheif der Schrift. Diefe Inſpiration, Die
ung verfichert: daß die Schrift die göttliche‘ Offenbarung
enthalte, ift übrigeng nur für die Gläubigen. Denn Cals
vin läugnet nicht, daß die Autorität der Kirche dag eins
zige und fihere Mittel fen, dem Ungläubigen die Goͤttlich⸗
keit der Schrift darzuthun 1).
Die Beweiſe für die Goͤttlichkeit der Schrift giebt er
‚sang gut, behauptet aber, daß fie ohne das innere Zeugniß
‚des hl. Geiftes feine vonfländige Gemißheit gewähren 2).
Weil die hi. Schrift geoffenbart iſt, und der hl. Geiſt
uns unterrichtet, ihren Sinn zu erkennen, und ihre Wahr⸗
heiten zu entdecken, ſo muß man als Schwaͤrmer und Un⸗
finnige jene Sectirer anſehen, die dag Leſen der Schrift vers
werfen, und vorgeben: der hl. Geiſt habe ihnen auf unmits
telbarem und außerordentlichem Wege Alles, was man thun
und glauben muß, geoffenbaret; gleichſam "als wäre die
Schrift nicht zulänglich, und als hätten ber hl. Paulus
und die’ Apoftel dag efen ber Propheten nicht anempfoh—
len 3).
Rach Aufſtellung der Schrift als einziger Glaubens⸗
Norm ſtellt Calvin deren Lehre von Bott auf. Er findet
zuerſt, daß fie überall dem Heidengotte die wahre Gottheit
entgegenftele, und ung ihre Vollkommenheiten, die Emwigs
unten mu ‘
1) Institat- L. 1, 0.7.
2) Ibidem C. 8. Bir zeigen in dem Art. Re ormation,“
wie gefährlich, falſch und d ſhuiſtwideie dieſe Behauptung fen.
3) Ibidem C.: 9.
\. |
Calvin. | 337
keit, Gerechtigkeit, Güte, Allmacht, Barmherzigkeit, Ein
heit Iehre. Die Schrift verbieter, Sort abzubilden, Bth
der oder Idole zu machen; nichts verbietet fie firenger;
hieraus folgert Calvin, daß die Katholifen ‚ indem fie vie
Verehrung ber Bilder gutheißen, in den Goͤtzendienſt zurück,
gefallen find, weil Gott nur darum fo nachdrücklich die Bil,
ver verbannt habe, damit Er allein verehrt wiirde 1)
Obgleich die Schrift nur von der Einheit Gottes fpriche,
fo findet man dennoch darin, daß in diefem Gott drei Per⸗
ſonen, der Vater, Sohn und hl. Geiſt begriffen feyen,
welches aber nicht drei Subſtanzen find. Auch dieſen Artis
kel behandelt Calvin mit vieler Gefchicklichkeit. 2):
Dieſer Gott in drei Perfonen iſt der Schöpfer imd
Ordner der ſichtbaren Welt, der Engel und Menfchen. Cals
Bin handelte insbeſondere von dem Menfchen , feinen geiſti⸗
gen Verrichtungen, feinem urſpruͤnglichen Stande, Sale, und
dem Verluſte ver Freiheit, der er im Stande der Unſchuld
genoß, — Alle Geſchoͤpfe Eottes ſtehen unter ſeiner Vor⸗
ſehung; hier widerlegt. Calvin die Sophismen ber Epikuxr⸗
aͤer und der Anhaͤnger des Fatum's. 5. | |
Er finder in der Schrift, daß Gott Allee angeordnet
bat, daß Er in der fittlichen, wie in der phyſiſchen Melt
Alles hervorbringt, daß Er im Himmel und auf Erden, Al,
leg gemacht hat, was Er wollte; hieraus ſchließt er daß
bie Laſter, wie die Tugenden des Menſchen dag
Werk feines Willens find : würde Gott in unferen Seas
len nicht alle. unfere Entfchließungen wirken, fo würde ung
die Schrift täufchen, wenn fie ſagt: Gott nimmt die Weis⸗
‚heit den Alten, Er verkehrt die Kerzen der Fuͤrſten. Be⸗
haupten, daß Gott dieſe Uebel bloß zulaſſe, daß Er fie nicht
1) Ibidem C. 16, 11, 12. Die Bilderſtürmer vor Calvin
— befanpteten . daffelbe: die Ealviniften machten Hieraus
eine der Hauptgrundlagen ihren Reformation: fie find im
Art. Bilderſtürmer, widerlegt, u
2) C. 13, 5 Ä
3)C 14 — 19: oo
Kepers Segißon. IL. 222
338 Calvin.
will, nicht erzeugt, hieße alle Sprachtegeln, und alle BGrund⸗
ſaͤtze der Schrift / Auslegung umkehren. 1).
Zweites Bud.
Am zweiten Buche unferfucht Calvin den. Stand des
Menſchen auf der Erde. Die Schrift fagt ihm, daß Adam
der Stammvater aller Menſchen im Stande der Unfchuld
gefchaffen worden, Daß er gefündigef, und feine Sünde auf
die ganze Nachkonimenfchaft fortgeerbt habe, fo daß alle
Menfchen als Sünder und Kinder des Zorns geboren wer⸗
den; alle ihre geiftigen Kräfte find dnech diefe Suͤnde ges
ſchwaͤcht; eine lafterhafte Begierlichkeit liegt allen ihren
- Handlungen zu Grunde, und ift die Quelle ah Ihrer | Ents
fhließungen. 2).
Der Menfch iſt ohne Kraft, der Begierlichfeit Wider⸗
ſtand zu leiſten: die Freiheit „womit er prahlt, iſt eine
Hirngeburt: er verwechſelt das Freiſeyn mit der Willkuͤhr,
und glaubt frei zu waͤhlen, weil er nicht gezwungen iſt,
und das Boͤſe, was er thut, thun will. Dieſes Unvermoͤ⸗
gen zum Guten gründete Calvinaufalle Stellen der Schrift,
wo es heißt: daß der Menfch nicht zu Gott kommen kann,
als durd) Chriſtum, daß Gott es iſt, der das Gute in ihm
wirkt, daß er nichts kann, ohne Gott. 3).
Well alle geiſtige Anlagen des Menſchen verdorben find
und er Feine Kraft hat, der ſuͤndhaften Begierlichkeit, die
ihn immerdar beherrſcht, zu widerſtehen, fo iſt es klar, daß
der Menſch durch ſich ſelbſt nur fehlerhafte Handlungen und
Suͤnden hervorbringen kann: auch‘ diefe Folgerung ſucht
Calvin aus der Schrift darzuthun, welche verſichert: daß
\
) Ibidem, C. 18. Die Veidefinatine — * dieſes vor
Ealvin behauptet. nn |
2) L. 2, C. 1. | |
5) Ibidem C. 2. .
\
I -
Calbin. 306
die Menſchen ſich alle von dem Wege der Tugend verirrt
haben, daß ihr Mund voll Graͤuel iſt. 1).
Obgleich der Menſch ſchon in ſich ſelbſt den Keim des
Verderbens traͤgt, ſo hat der Teufel doch auch viel Antheil
an feinen Verirrungen. 2). So den Calvin über den Eins
flug des Teufels auf‘ unfere Handlungen; ein Jahrhundert
nach ihm ‚behauptete der Calviniſt Beder, der Teufel habe
feine Macht in der Welt, und Becker machte fo gut, wie
"Kaldin Anfpruch ‚die Schrift recht zu verſtehen. 3):
Gott ließ den Menfchen . nicht. in diefem unglücklichen
Zuflande ; fein Sohn fam auf die Erde, die Menfchen zu
erlöfen, fi fie genug zu thun. Calvin ſtellt im weitern
Verlaufe des zweiten Buches die Beweiſe auf: daß Jefus
der Mittler zwiſchen Gott und den Menfchen, daß Er Gott
und Menſch zugleich, in Ihm nur eine Perfon, und in. dies
few zwei Naturen find. Er, unterfucht, worin das Mittlers
Amt Jeſu beftehe, wie Er. ung die Grade verdient hat? er
. finder in Jeſus einen dreifachen Charakter, der ung über
dieſen wichtigen Punkt Aufſchluß gibt, den eines Propheten,
eines Könige, und eines Prieſters.
mh
Das dritte Yus handelt von den Mitteln, fi die
Verdienſte Ehriſti zuzueignen.
Die hl. Schrift belehrt uns, daß ‚um der Gnaden des
Erloͤſers theilhaftig zu werden, wir uns.mit Ihm vereinigen,
und ſeine Glieder werden miffen. Die Einwirkung des hl.
Gelftes und hauptſaͤchlich der Glaube führt ıms zu Jeſus,
und macht ung zu feinen Gliedern.‘. Um vereint zu ſeyn mit
Jeſus muß man glauben; aber nicht Fleifh und Blut
‚gibt ung diefen nothwendigen Glauben; er iſt eine Gabe des
Himmels, tie Jeſus fast: ‚Sehg sr du/ Simon! ben.
] ’ 74 ”
Be BE BE ren BEE BED EEE Berge
ı) C. 5,
2) o 4 r ⸗
3) Die bezauberte Welt. Bus En
. 349 | . Calvin.
Fleiſch und Blut hat es dir nicht geoffenbaret, wer Ich bin,
fondern der himmliſche Vater u. ſ. w. Der bi. Paulus ſagt:
die Epheſer ſeyen durch den Geiſt der Verheißung Chriſten
geworden, welches beweiſt, daß ein innerer Lehrer da iſt,
durch deſſen Einwirkung die Verheißung des Heils in unſere
Seelen dringt, und ohne welchen dieſe Verheißung nur ein
leerer Schall waͤre, der an das Ohr anſchlaͤgt, ohne unſere
Seele zu beruͤhren und zu durchdringen, der naͤmliche Apo⸗
ſtel ſagt: daß Gott die Theſſalonicher ermäßlte zur Selig
feit durch Heiligung des Geiſtes und durch den Glauhen an
die Wahrheit, woraus Calvin ſchloß: Paulus habe uns
belehren wollen, daß ver Glaube von dem hi. Geiſte kommt,
und wir durch ihn Glieder Jefu Chriſti werden; deshalb
verſprach Der Heiland den Fingern den hi, Geift zu ſchicken;
damit fie erfüllt würden mit jener göttlichen Weisheit, wel⸗
che die Welt nicht erkennen kann; Darum heißt es von Dies
ſem Geiſte: daß er die Apeſtel an Alles etinnern werde,
was Jeſus fie gelehrt hätte, 1): um des willen empfiehlt
Paulus fo ſehr das Geheimniß des hl. Geiſtes, weil die
Apoftel und Prediger wergeblich die Wahrheit verkuͤndigen
würden, wenn der bl. Geift nicht NE, die ihm von dem
Bater gegeben find, zu ſich heranzoͤge.
"Der Glaube, der und mit Jeſus vereinigt, und pr
fefnen Gliedern macht, iſt nicht ein Bloger Verſtandes⸗Be⸗
griff, wodurch wir erklaͤren: daß Gott ſich weder irren,
noch ung hinfergehen könne, und daß Alles, was Er geofs
fenbart, wahr iftz er iſt kein bloßer Ausfpruch unferer Ers
kenntniß, daß Er, gerecht fey, und das after beflrafe — eis
ne Anficht, melde ung Widerwillen gegen Gott einfloͤßen
koͤnnte. — Eben fo wenig iſt er ein Urtheil, dag wir über
die Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit Gottes fällen ;
— ſondern er iſt eine ſichere Erkenntniß des Wohlgefallens
Sottes an ung, gegtuͤndet auf die Wahrheit der unverdien⸗
ten Verheißung Chrifti, und erzeugt in unſerer Seele durch
‚den hl. Geiſt. Es gibt feinen wahren Gläubigen ohne diefe,
1) L. 3. Cr
. Calvin. N ‚34
fefte, auf die Verheißungen Chriſti gegruͤndete Uebergeugung
unferes Heiles; der. wahrhaft Gläubige muß mit Paulus
gewiß ſeyn, Daß weder Tod nod) Leben, ‚noch irgend eine
Macht ihn fcheiden Einne von der. Liebe Jeſu Ehrifi.
Dieſes ift die beftändige Lehre des Apoſtels. 1).
. Diefe Gewißheit unſeres Heil's ift nicht unverträglich
nit den Anfechtungen gegen unſern Glauben. Neemand hatte .
_ einen :lebendigern Glauben, als David, und doch erbit
N
den wir ihn in tauſend Stellen‘ wanfend, oder vielmehr wie
angefochten im Vertrauen. Diefe Verfuchungen find: feine
Zweifel, fondern eine Unruhe, die aus der Dunkelheit dee
&laubeng ſelbſt entſtehet; wir ſehen nicht helle genug, als
daß uns nicht. viele Dinge verborgen bleiben follten; allein
diefe Unmiffenheit kann die Ueberzeugung des wahren Gläus
bigen nicht ſchwaͤchen 2). |
Die letzte Ueberzeugung des Gläubigen von feinem Heile
ſtehet mit der Erkenntniß ımd dem Gebraiche der Mittel,
durch welche Gott die Seligmachung des Menfchen befchlofe
fen hat; in Verbindung: Der Gläubige alfo, welcher glaubt,
daß er ſelig werde, glaubt auch, daß ‚er Die Seltgkeit durch .
Buß sUebung erlange; die Buße iſt daher nothwendig mit.
dem Stauben , wie die MWirfung mit- ber Urfache verbun⸗
den 3).
Die Buße iſt, nach Calvin, die Küdtehr. des ‚Sin
derxs zu Gott, erzeugt: durch die heilſame Furcht. feiner Ger
richte. Diefer Beweggrund wurde von den Propheten und. °
Apofteln angegeben: die Furcht aͤndert dag Leben des Suͤn⸗
ders, macht ihn aufmerkſam auf ſeinen Wandel und ſeine Geſin⸗
nungen, erregt ein aufrichtiges Verlangen, der goͤttlichen Gerech⸗
tigkeit Genuͤge zu thun; fuͤhrt zur Abtoͤdtung des Fleiſches, zur
Liebe Gottes und des Naͤchſten — Dieſen Begriff giebt und
bie Schrift von der Buße 4)- .
1) Dieß find im Grunde die Srundfäge zutpers über die
Rechtfertgung.
2) L. 3, C. 2.
3) C. 4.
4) C. 3.
KT v Calvin,
Die Kuthobliken verfehlen weit bie Wahrheit, meint
Calvin, da. fie bie Buße in dem Suͤnden⸗Bekenntniſſe
und ber Genugthuung befichen Jaften, Die Nothwendigkeit
einer reuevollen Herzens» Zerfnirfchung, ( Contritio ſtuͤrzt
nach Diefem Meformator, den Menſchen In Derzweiflung ;
man kann nie wiſſen, ob fie Die zur Verzeihung der Sfinde
notwendigen Eigenjchaften oder Ausdehnung habe, und
man iſt deßhalb nie gewiß, ob Die Sänden wirklich nachge⸗
laſſen find; eine Ungemwißheit, welche das ganze Syſtem
Calvin's über das Prinzip ber Rechtfertigung, weiche
vor ber Buße, wie die Urfache por ber Wirtung hergehet,
umſtoͤßt,
Was die Beicht betrifft, ſo ik folde, nah Calvin,
nicht in der Schriff gegründet, und Jebiglich eine menfchs
liche Erfindung, um bie Gewiſſen zu syranntfiren 1),
Endlich fieben die Katholiken in einem gefährlichen Irr⸗
thum, wenn fie die Nachlaſſung ber Suͤnden von ber Ge⸗
nugthuung abhängig machen, weil fie dann den menfchlichen
Handlungen ein Verdienft beilegen, bag fählg wäre, ber
göttlichen Gerechtigkeit genug zu shun, welches Die freie
(unverdtente) Ertheilung der Gnade amd Barmpersigt
keit Gottes zerſtoͤrt.
Aus dieſen Grupdſaͤtzen sieht Cal vin den Schluß: daß
die Ablaͤſſe und das Fegfener, melde die Katholiken als
- Ergänzung der Genugthuung befehrter oder - gerechfertigter
Sünder anfehen, Menfehens Erfindung fen, welche in dem
Gemüthe des Chrifien den Werth der Erlöfung Jeſu auf⸗
hebt 2).
Nach Aufſtellung der Lehre von der Rechtfertigung und
ihren Wirkungen koͤmmt Calvin auf die Weiſe, wie der
Ehriſt nach feine Rechtfertigung ſich zu verhalten habe: er
1) Calvin erneuert "die Irrlehre Dfina’s. Sich die
fen Art.
2) C, s. Wiederum eine Meinung euther's. |
Celbin — | 343
- fpricht von Selbſtverleugnung, Erduldung der Leiden, und
der Nothwendigkeit, über das andere Leben nachzudenken 1).
Nod einmal kommt er in den folgenden Kapiteln auf die
Rechtfertigung, erweitert und entwickelt feine Grundſaͤtze,
antwortet auf die Einwendungen, und beſtreitet das Ver⸗
dienſtliche der Werke 2).
Inm neunzehnten Kapitel ſpricht er von der chrfftiichen
Freiheit. Die Vortheile, die ung aus dieſer ermachfen find,
Itens Entbindung von dem Joche des Geſetzes, und der
Geremonien ;. nicht als feyen -die Gebote ber Religior abzu⸗
fchaffen, fondern der Chriſt muß miffen, daß er feine Ger
wechtigfeit nicht der Haltung des Geſetzes verdankt, 2tens
Erfuͤllung des Geſetzes nicht aus Achtung für dieſes, fons
- dern aus Gehorfam gegen den Willen Gottes. Bteng In
gleichgütigen Dingen nach Gutduͤnken verfahren su können.
So z. 3. behauptet Calvin; die Chriften von der Gewalt
des Aberglaubens zu befreien, das Gewiſſen Unzaͤhliger zu
beruhigen, welche durch Scrupel uͤber einen Schwall von
Geſetzen gequaͤlt ſind, die Dinge gebiethen, oder unterſa⸗
gen, ſo an ſich weder gut noch boͤſe ſind 3).
> Fin zwangigſten Kapitel iſt die Rede von der Nothwen⸗
digkeit des Gebetes, und der hierzu erforderlichen Gemuͤths⸗
Stimmung: nur zu Gott muß man beten; die Anrufung der
Heiligen iſt eine Gottloſigkeit. 4),
: Rad) Erörterung der Hrfachen und Wirkungen der, Recht⸗
fertigung, wirft Calvin die Frage auf: warum nicht alle
Menſchen dieſen rechtfertigenden Glauben haben haben? und
findet die Antwort in der Wahl, die Gott zwiſchen den
Auserleſenen zum ewigen Leben, und den Verworfenen zur
Verdammniß getroffen hat. Bei Aufſuchung des Grundes
dieſer Wahl findet er in der Schrift, Daß Soft den Fakob
)C.6,— 10. “ Ä .
2) C. 11 — 18. Eben fo wie Luther”
3) Der Irrthum des Audäns, der in diefem Artikei wider⸗
legt iſt.
4) Man hat dieſen Zerthum be Figil antiud auſgedect.
[
344 Calvin.
geliebt, den Efau aber gehaßt habe, noch ehe fie Sutes oder
Boͤſes thun konnten, woraus er ſchließt: paß man die Ur⸗
ſache dieſes Vorzuges nicht auſſer Gott zu ſuchen habe, wel⸗
cher wollte, daß einige Menſchen ſelig, andere verdammt
werden ſollten; nicht das Vorherſehen ihrer Unbußfertigkeit
oder Adams⸗Suͤnde iſt der Grund ihrer Verwerfung.
Gott wollte, daß es Auserwaͤhlte und Verwor⸗
fene gebe, um Gegenftände gu haben, an welchem fich feine
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit veroffenbaren könne: wie
Er den Ausermählten den Glauben, der rechrfertiget, bereis
tet und gegeben hat, fo hat Er-auch Alles weranflaltet, jene,
die Er zu Opfern feiner Nahe beftimmt, von Der Theils
nahme an den Gnaden der Erloͤſung auszuſchließen; Er bat
fie verblendet und verhärtef, dergeftalt, daß die Berfüns
dung des göttlichen Wortes, welche Die Ermählten befehrre,
jene, die Er beftrafen wollte, in den Abgrund Des Laſters
hinabſtieß. Dieß iſt das Syſtem Calvin's über Das Loos
#
ber Menfchen im anderen Eeben, und nach der Aufer ſtehung/
weiche gewiß iſt. 1),
t
P2
u Bierteb Bud,
: . Die Gläubigen nehmen daher Antheil an den. Verdienſten
u Chriſti, indem fie fich mir Ihm vereinigen,. ımd Das Band
Diefer Bereinigung ift der Glaube. Die fg wit Chriſtus verr
einigten Gläubigen bilden eine Hirche, welche ale Auserleſene
als Vorerwaͤhlte, alle Glaͤubige in fich ſchließt. Diefe Kirche if _
fonach allgemein oder katholiſch; fie. if Der Verein aller
Heiligen, außer welchem Fein Heil ift, und in welchem allein
man den Glauben, der mit Chriftug einiger ,,. empfängt.
Aein alle chriſtliche Kirchen machen ausfchläßig auf Diefe
Eigenfchaft Anſpruch, wie iſt bie, in der That, wahre auss
zufcheiden? welches fi ſind ihre Meitmale, ihre Polizei, ihre
Sakramente?
) Ss bier bie großeſte Pradeſtinations ⸗ kp, ober den
wapren Manichaism. -
Calvin. 0 345.
Diefer Unterſuchung unferzicht fich Calvin im Aten Buche
feiner Unterweiſung, welches die Auffchrife führt: Bon den
‚ sußeren Mitteln, durd welde Gott ung in die
Gemeinfhaft Fefu Chrifti aufnimmt und erhält.
Der bl. Paulus fagt: Damft Jeſus Chriſtus Alles
| erfiälle, verordnete Er einige zu Apofteln, andere zu Propheten,
andere zu Evangeliften, andere zu Hirten und Lehrern, das
mit die Heiligen Die Einrichtung erhalten zur Verrichtung des
Lehramtes, zur Erbauung des Leibs Chriſti, bis wir alle ge⸗
langen zur Einheit im Glauben, und in der Erkenntniß des
Sohnes ˖Gottes zur maͤnnlichen Reife, und zum vollen er⸗
wachſenen Alter Chriſti — Gott, der durch einen inzigen
Akt ſeines Willens alle Auserwaͤhlte Heiligen konnte, wollte,
daß fie durch die Kirche und in der Kirche unterrichtet und
vervollkommnet wuͤrden, und hat deghalb eine ſichtbare Kirche
geſtiftet, welche die Verkündigung feiner Lehre, und die
ESakramente, fo Er zur Heiligung der Vorerwaͤhlten einge⸗
| geſetzt hat, bewahre. Die Elteder diefer Kirche find dem⸗
nach vereinigt durch diefelbe Lehre, und die Theilnahme an
den nämlichen Sarramenten; man fieht aus Paulus, daß
darin das Wefentliche der Kirche beſtehet: die Ausſpendung
der Sakramente, und die. Verkuͤndung des Wortes Gottes
find alſo die Kennzeichen und Merkmale der wahren Kirche.
Aus diefem, der Schrift entnommenen, Begriffe der Kirche
erhellt, ſagt Calvin, daß fie auch Sünder fir fich fchließe, und
verfchiedene Meinungen darin vorgetragen werden formen,
wenn fie nur die Lehre Chrifti und der Apoftel richt aufheben.
| Man karn ſich darum von diefer Kirche nicht tremmen
aus dem Grunde, weil man darin verfchiedene Meinungen
! behauptet, oder wer ihre Glieder nicht Heilig: und vols
fommen fin» Diefem zu Folge giebt Calvin zu verſte⸗
ben: daß die Donatiften, Katharen, Anabaptiften
ꝛc. die Einheit der Kirche zerſtuͤckeln, und gegen die chrifts
„liche Liebe fündigen , wenn fie behaupten, daß die fichtbare
Kirche bloß aus volltommmen und vorerwaͤhlten Menſchen
zuſammengeſetzt ſey 1).
») L. 4,C. 1.
— —— rn ——
341606 CLalvin.
Wenn aber eine Geſellſchaft Irrthuͤmer vortraͤgt, welche
die Fundamente der Lehre‘ Jeſu und der Apoſtel untergra⸗
ben, wenn fie die von Chriſtus angeordnete Gottesvereh⸗
rung verfäfcht, dann muß man fich von ihr trennen, fo
ausgebreitet und alt fie auch ſeyn mag, weil man in ihr die
Seligkeit verfehlt, und die von Jeſus verordneten dußern
Heilsmittel, nämlich die Verkündung des Wortes, und die
Ausfpendung der Sacramente nicht antrifft.
Nun maht Calvin den Schluß: die roͤmiſche Kirche
iſt nicht die wahre, denn fie iſt in Goͤtzendienſt verfallen;
dag Abendmahl iſt ber ihr zum Goftesraub geworden, fie
bat unter ‚einem Schwall von aberglaͤubiſchen Gebraͤuchen
den von Jeſus und ‚ben Apoſteln gefifteten Gottesdienſt
erſtickt.
Vergeblich giebt man vor, daß die katholiſche Kirche
unmittelbgre Nachfolgerinn der Apoſtel iſt: wahr iſt es; allein
ſie hat die Hinterlage des Glaubens verfaͤlſcht; jedoch hat
Gott ain eben dieſer Kirche zu allen Zeiten Perſonen erhal⸗
ten, welche jene Hinterlage in ihrer Reinheit bewahrten,
und den rechten Gebrauch der Sacramente beibehielten.
Die roͤmiſche Kirche hat dieſe aus ihrem Schooße ver⸗
ſtoßen, fie ſelbſt haben ſich von ihr getrennt, weil ſie das
Ververbniß dieſer Kirche nicht mehr dulden konnken; Die rs-
mifche Kirche hat daher Fein legitimes Hirfenamt mehr, .
Feine Ausfpendung der Sacramente, Feine Berhlupigung |
des reinen: Wortes Gottes 1).
Beim Anbeginne der Kirche wurden thre Diener von
Jeſus Chriſtus ſelbſt gewaͤhlt: die Apoſtel ſtellten Ael⸗
teſte und Diaconen auf, Riemand:frat In den Kirchendienſt,
ohne dazu berufen zu ſeyn, und die Berufung war von der
Wahl der andern Kirchendiener und der Zuſtimmung des
Volkes abhaͤngig: durch Auflegung der Haͤnde, offenbarte ſich
3) Ibidem, C. 7. Calvin fänt hier wieder in den Jrrthum
de Donatiften, Wiclef’s, Hußen’s und Zuthr’ö
über das Weſen der Kirche. Sieh den Art, Reform a⸗
tion.
Calvin. u | 347
diefer Beruf. Calvin will, daß man dieſes beibehalte,
weil er glaubte: Nichts von dem, was bei den Apoſtein
üblich war, fen gleichgültig oder unnüß 1).
Calvin unterfucht num die Veränderungen, bie in
der Art, zu Kirchenaͤmtern zu gelangen, vorgegangen find:
er entrüftet fich gegen die roͤmiſche Kirche und den Pabſt,
die nach ihm, Die ganje Ordnung der erſten Kirche verkehrt
haben. 2). i
Er beſtreitet die- Primatie des Pabſtes, und unterſucht,
wie er fufenweife zu feiner gegenwärtigen: Macht gelangt
ev. 3). ;
Nachdem er die Rothwendigkeit eines Hirkena aites in
der Kirche dargethan hat, fragt er: Worin die Gewalt des⸗
ſelben beſtehe, und bringt fie auf drei Punkte: die Lehre, die
Gerichtsbarkeit, und die Geſetzgebung. |
Das kirchliche Lehramt kann nur das vorfragen, mag
in dee Schrift enthalten iſt: die Enticheidungen. Der Concis
lien find für Niemand verbindlid, und diefe Verfammlungen
legen ſich mit unrecht Untruͤguchleit in ihren Ausſpruͤchen
bei. A)
Das Hirtenamt tann in Kirchenpolizei⸗Sachen zur Er⸗
haltung des Friedens u. ſ. w. Geſetze machen, aber im Ge⸗
wiſſen verbindliche Verordnungen uͤber Cultus oder Disci⸗
plin liegen außer ihrem Bereiche, und Calvin gibt die ge⸗
feglichen Anordnungen, melde. die Kirche im Betreff der
4 1
4) C, 3.
2) 0. 4, 5
3) 0. 6, 7. Im Grunde find es die Lehren der Griechen,
. über die Primatie des Pabſtes; nur daß Ealvin unend⸗
lich weiter gepet: mit Ausnahme der Schimpfworte, die
nur Verachtung verdienen, ‚haben wir Calvin's Irrthum
. über den Pabſt im Art, Grie hen Miderlegt.
203,9 Die Donatiften, Montaniſten, Albi:
genfer, kurz alle Ketzer brachten immer die nämlichen Ber
N
348 | Calvin.
Beicht des Gottesdienſtes und der Ceremonien trifft, fuͤr ge⸗
haͤßige Tyranei aus. 1).
Die Gerichtsbarkeit der Kirche hat daher nur die Sit⸗
ten und Handhabung der Ordnung zum Gegenſtande, ſie
kann nur bloß geiſtliche Strafen verhaͤngen, und diejenigen,
welche nad) vorgängigen Ermahnungen fich nicht beffern, die
Glaͤubigen ärgern und verführen, mit dem Kirchenbanne bes
“ Jegen. In diefem Punkte, vorzüglich in Betreff der Kles
fiergelübde, toirft Cal vin abermals der roͤmiſchen Kirche
Gewalts⸗VMißbraͤuche vor. 2).
Nachdem Calvin von Verfündigung des Wortes und
der Kirche gehandelt hat, koͤmmt er zu den Sacramenten,
als dem zweiten Merkmale der wahren Kirche:
Alte Religionen haben ihre Sacramente, d. h. äußere
- Zeichen als. Ausdruck der Verheigungen oder Wohlthaten
der Gottheit: die wahre Religion hatte ſtaͤts die ihrigen.
Ein folches war der kebensbaum fir den Stand det
Unſchuld; der Regenbogen für Noah und feine Nachkom⸗
men, die Befchneidung feit Abrahamss Berufung, und die
Zeichen, welche Gott dem jüdifchen Volke gab zur Beſtaͤtigung
dee ihnen gemachten Verheifungen und Befeſtigung ihres
Slaubeng ; ‚dergleichen waren die dem Gideon ‚gegebenen
Seihen. Der Here wollte, daß auch die Chriften ihre Zeis
chen oder Sacramente hätten, d. h. Zeichen, welche fie in
dem Glauben an Me erhaltenen Verheißungen beftärfen.
Da Calvin die Bemirkung des. Heils dem Glauben
beimißt, fo find ihm die Sacramente nur in fo fern Heils⸗
mittel, als fie zur Erweckung und Beflärfung des Glau⸗
— . , . 5.
hauptungen zum Vorſcheine. Wie geigen das Unſtatt hafte
im Art Reformation.
1) C. 10.
3) C. ır — 13. Bigilantius hatte vor Calvin die Ge⸗
lübde angegriffen; er wurde verdammt. Sieh diefen Wet.
. Calvin. 349 —
bens / beitragen. Seine Definition iſt daher folgende: die
Sacramente ſind äußere Symbole, durd welche
Gott die Berheißungen feines Wohlwollens ges-
gen uns unferm Bewußtſeyn efnprägt, um un
fern Glauben gu unterflüßen, und wodurd mir.
in Gegenwart der Engel und Menſchen unfere
kindliche Unterwerfung gegen Gott bezeugen.
Die Sacramente find weder leere und unwirkſame Zeis
chen‘, beftinmt, uns die Verheißungen Jeſu vor Augen
zw fielen, noch Zeichen, die in fich felbfl eine geheime und
verborgene Kraft enthalten, fie find um deßwillen wirkfam,
weil, wenn fie ung angeeignet werden, Gott auf unfere
Seelen einwirkt.
Calvin will hier den Mittelweg zwiſchen den Katho⸗
Utken und Luhteranern einſchlagen; er iſt aber dunkel, vers
legen, und ſcheint den katholiſchen Lehrbegriff von den Sacs
ramenfen und ihrer Wirkfamfeit nicht rechf verfianden zu
haben: bald mirft er der Farholifchen Kirche Irrthum vor,
‘weil fie, ich weiß nicht, welche gebeime Kraft, die wie ein Zaus
berſchlag wirkt, den Elementen der Sacramente zuſchreibt;
bald befchuldige er fie, ihre Wirfungen zu übertreiben, weil
:fie ſolche fchon in unfern Seelen hervorbringen , wenn wie
nur’ keine Hinderniffe entgegen fielen, eine abentheuerliche
euflifche Lehre, fagt er, melde unzählige Menſchen ins
ewige VBerderben flürzt, weil fie von einem materiellen Zeichen
das Heil erwarten läßt, welches allein von Gott koͤmmt.
Aus dem, daß die Sacramente nur Zeichen find, durch
welche Gott die Verheißungen feined Wohlmelleng unferm
Gemüthe einprägt, um unfern. Glauben zu unterftägen, und
wodurch wir unfere kindliche Unterwerfung gegen Gott be⸗
zeugen, folgert Calvin, daß die Katholiken mit Unrecht
einen Unterſchied zwiſchen den Sacramenten des alfen- und
neuen Bundes machen, als wenn jene des alten Geſetzes “oo
‚nur das verfprochen hätten, was die Sacramente des neuen
uns geben.
—
350 Ä Calvin. |
Er nimmt nur zwei Saeramente an: die Taufe und bag
Abendmahl, weil dtefe zwei allen Gläubigen allein gemein⸗
ſam umd zur Verfaffung der Kirche nothwendig find. 1)
Die Taufe ift dag Zeichen unferer Weihe und Aufnahme.
in die Kirche , oder das aͤußere Merkmal unferer Vereinis
gung mit Chriſtus. Durch dieſes Sacranient werden wir
gerechtferfiget, und ung die Verdienſte der Erloͤſung zuge⸗
eignet. Calvin verfichert daher, daß die Taufe ein Heil⸗
mittel ſey, nicht nur gegen die Erb- und ale vor Empfang
derfelben begangene Sünden, fondern auch ‚gegen alle, Die
man nach der Taufe noch begehen kann, dergeſtalt, daß bie
Erinnerung an unfere Taufe die Sünden ausloͤſcht.
- Die Kraft oder Wirkung der Taufe kann nicht durch
die Sünden, Die man nach derſelben begeher, zerſtoͤrt wer⸗
den: mithin verliert ein Menſch, der einmal durch die Taufe
gerechtfertiget ift, nimmernehr die Gerechtigkeit. 2).
Hiermit meinte Calvin fchüchterne Gewiſſen aufzurich⸗
ten, und vor. Verzweiflung zu fchügen, nicht aber dem Lafter
den Zügel zu laſſen.
Der Taufe Johannes lest er die nämliche Wirkung
bei, wie jener Jeſu und der Apoftel: Ä
Bei Ausſpendung der Taufe verwitft er alle Eroreiss
men und Geremonien der Eatholifchen Kirche, will, daß man
auch die Kisidertaufe, und widerlegt die Anabaptiſten,
insbeſondere auch Servet, die die Kinder Taufe verbo⸗
ten hoben.
Das Abendmahl iſt das zweite Sacrament, ſo Calbin |
annimt. Diefes Sacrament iſt nicht allein eingefebt, um
ung- dag Feiden und Sterben Jeſſu vorzugtellen, wie
Zwingli, Defolampad u. W behaupten, fondern um
uns wirklich, des ‚Leibes und Blutes des Herrn Fheilhaftig
Er 0 " J
D.C 14. Die Waldenfer und Albigenſer haben den
u naͤmlichen Irrthum vor Calvin und euther behauptet.
. 2) Abermals iſt Calvin nur der Widerhail der Ketzer vor
"ihm. |
6
N
Calvin. . 35l
zu machen Calvin erklärt es für-abfurd, und fchriftmids
rig, wenn man in der Euchariftie nur die Figur des Leibes
Jefu anerkennen wolle. Der Heiland verfpricht: zu augs
druͤcklich, dag Er fein Fleiſch zu effen und ſein Blut: zu grins
fen geben werde, er fchreibt diefem Genuffe Wirkungen zu,
die einer bloßen Vorſtellung nicht zufommen fünnen. Hier
mit verwirft er die Meinung Zwingli’s, und glaubt: daf-
wir wirklich den Leib oder das Fleiſch Chriſti effen, aber
nicht in dem Brode und Weine iſt der. Leib und das Blur
befindlich, ſondern wenn mir die euchariftifhen Symbole
empfangen, fo vereinigt fich | der Leib Chrifti mitung; oder
vielmehr wir werden mit feinem Geiſte vereinigt .
Diefer Lehre kann die Einmwendung nicht enfgegenges
flelt werben, mie es zu begreifen fey, daß der Leib Yes
ſu, der im Himmel ift, ſich mit ung vereiniget; laffen ſich
Gottes Merfe nach unfern Begriffen meffen ? Iſt die Macht
Gottes nicht unendlich über unfer Verſtehen?
Cal vin anerkennt alſo, daß wir wahrhaft den Leib
Jeſu eſſen, glaubt Ihn aber nicht gegenwaͤrtig im Brode
und Weine, wie Luther, auch nicht unter den Geſtalten
des Brod's nnd Wein's durch die Verwandlung vorhanden,
wie die Katholiken. Wir fehen fohin feit der Trennung ver
angeblich Reformirten. big auf Calvin drei verfchiedene Er⸗
klaͤrungs⸗ Weiſen über dag, was die Schrift ung über das
Sacrament der Euchariflie ſagt. Diefe Drei enfgegenges
fegte Erklärungen ‘werden von drei Partheihäuptern geges
ben, die alle drei nur der Schrift zu folgen behaupten, und
vorgeben: daß fie Har genug ſey, um auch gemeine Gläus
bige in den Etand zu fegen, bei fich erhebenden Fragen in
Neligiong s Sachen das Wahre oder Salfche darin aufzufinden ?
Die Katholiken zerſtoͤren dieſes Sacrament durch die
Meſſe, welche Calvin für einen Gottesfrevel ausgibt 1).
1) C. 18. Calvin iſt auch hier das Verdienſt der Neuheit
abzuſprechen. Im Art. ruther iſt der tatholiſce Lehrbe⸗
se gegeben. |
ur Calvin.
| Calvin geftehet ein, daß vor der Seformation alle
hriftlichen Kirchen nebft der Taufe und dem Abendmahle noch
fünf andere. Sacramente annahmen; erklärt aber diefe für
bloße Ceremonien menfchlicher Anordnung, weiche nicht im
der Schrift gefunden, und ale Saframente angefehen ters
den koͤnnen, weil Gott allein die Macht hat, Eacramente
als Zeichen, wodurd Er feine Verheißungen unferen Sees.
den einprägf, anzuordnen 1 ).
Im zwanzigften und legten Kapitel befämpft Calvin
die Lehre der Anabaptiften über die chriftliche Freiheit;
er zeigt, daß das Chriſtenthum der bürgerlichen Regierung
nicht entgegenftehe , daß der Chrift ein gerechter Richter, ein
mächtiger und guter Koͤnig feyn inne, daß die Chriften
der Obrigkeit Ehrerbiethung, den bürgerlichen und zeiflichen
Gewalten Gehorfam ſchuldig find; daß es feinem Privats
manne zuftehe, über ihr Betragen abzufprechen, daß fie ih⸗
nen in weltlichen Angelegenheiten, und in allen Anordnuns
gen, welche der Religion nicht entgegen find ‚ unbegränzte
Unterwuͤrfigkeit zu leiften haben ; bei religionsmwidrigen Ans
läffen’ aber nruß man der orte des hl. Petrus geden⸗
fen: man fol Gott mehr, als den Menfchen gehorchen.
Den hier ausefnandergefegten Irrthuͤmern fügt Cals
vin in feinen übrigen Werfen einige andere bei, bei denen
wir ung aufzuhalten, nicht der Mühe werth erachten.
Müslid auf Calvin's Syſtem. .
Aus der Darftellung von Calvin's Lehrgebäude und
ben beigefiigten Noten gehet hervor, daß die von Calvin
beftrittenen Lehrfäge der Fatholifchen Kirche von verfchieder
nen Secten bereitd geläugnet und angefeindet worden was
ten; alle diefe Secten waren, nach Maaßgabe ihrer Ents
fehung verdammt worden, und hatten durchaus von einans
der getrennt Vereine gebildet, ihre Irrthuͤmer waren mit
WV
1) c. 19. Sieh den Art. Luther. =
Ealoin: Celviniſten. 333
WE fechjehnte‘ gahrhundert uͤbergegangen, theils durch die
zerſtreuten Ueberbleiſel dieſer Secten, theils durch die Ur
tunden der Kirchengeſchichte. Die Zeit, melde die Irtthů⸗
net, wie die, Mührheiten; (6 zu fügen, an einander ruͤckt
und zuſainmendraͤngt, hatte alle Irrlehren der Bilder
Rürmer, der Donatiften, Berengar’g, der Pr
defftnatianer, des Vigilantius n. f. w. in den AL
bigenfern, Waldenfert, Beguwarben,Sratrivelten,
in. Wirleff, Johan Huf, ben döhmiſchen Bru⸗
bern, Lkuther, den Anabaptiſten, Karlſtadt,
Zivingli re, zuſammengeruͤckt; dabei aber mar es gedlfeben,
Luther nahm einen Theil an, den andern verwärf er, fie
waren daher weder vereinigt, noch zuſammengeknuͤpft. Cal⸗
vin erſchien; ſein methodiſcher Geiſt unternahm es, fie zu
verbinden, und aligemeine Grundſaͤtze aufzuſtellen, weraus
er die der roͤmiſchen Kirche enfgegengefcgten Irrthuͤmer
sichen konnte. Zur Grundlage feines Syſtems flellte er die
Schrift ald die einzige, Glaubens⸗ Norm auf.
Wir Gaben, ihn nach dieſem Grundfage fein ganzes Re⸗
ligionsgebaͤude aufrichten geſehen. Die Kathboliken griffen
die. einzelnen Theile defielben an, und Calvin’ Schuͤler
"Übernahmen die: Vertheidigung der verſchiedenen Meinungen
ihres Meiſters. Jeder Irrthum deſſelben wurde, ſo zu fageny
-ifoliet, ein. Heer don Kämpfern aus beiden Confeſſionen,
309 gegen einander zu Felde, imd diefe Polemik verfchlang
zwei Jahrhunderte über einen großen "Theil der Anitrengs
imgen des menſchlichen Geiftes in Europa. Nicht zu zaͤhlen
find die Schriften , fo über Die mefentlihe Gegenwart, bie
Kirche, den Richter in Glaubensſachen, über die Beidt,
das Gebet fuͤr die Verfiorbenen, über Ablaͤſſe und den Pabſt
erſchienen finds Man ſehe den Artikel Refo rwativn und
den Ar, 3wins li
Eale turen. kat ine Sqhllerne & [Hin’s Lehre
fand beinahe Ih ganz Europa Anhänger. Sie ward von den Re⸗
formirten Fraukreichs angenommen, feßte ſich in Den Niederlan⸗
den, in ber Schweis) in England und einen Theile von Deutſch⸗
land, Poten und’ ungarn feſt. Borna | in Sränfeic
Kenner: Leriton IT: |
356 . 0 Kalsiniften. . Camiſarden.
nicht erwähnen wollten. Des Preis auf die beſte —
der Frage, geſtellt zu Harlem. im Jahre 1792: „Ob im
glten Teſtamente wirklich Weiſſagungen auf Chriſtus vors
kommen?““ wurde dem Johann Kanynenburs, welcher
dieſelbe verneinend beantwortete/ zuerkaͤnnt.
Die Armintaͤner find in der Trinitaͤtslehre dem
Arianidmius oder Gociniähisinng ergeben, und naͤt,
“ern fih in der Lehre von der Erloͤſung und Verehrung bei
r
Denfchen, dem Pelagianismus. 1).
Was der. vielfältigen . Verſuche im 16ten und 17ten
Jahrhunderte ungeachtet, nicht zu Stande gebracht werden
konnte: die Vereinigung der Calviniſten mit den Lutheranern,
war dem 19ten Jahrhunderte vorbehalten, indem dieſe jetzt
ohne jedoch etwas uͤber das Dogma zu entſcheiden ‚ mithin
nur im dußerlichen Cultus, mit leichter Muͤhe unter dem
‚gemeinfchaftlichen Namens der Evangelif hen, zu Stande
kam; wobei Das Merkwuͤrdigſte iſt, daß ihre Prediger bei
Auscheilung der Euchariſtie ein noch größeres Wunder, als
Jeſus Chriſtus felbft bei'm heiligen Abendmale wirken,
da fie den Eutheranern in einer Stunde im. Brode den’
wahren feib Chriſti, und in ber andern den Calvis
niften nichts als das Symbol biefeg keibes reichen:
Camifarden. *) Bertenining von Schw aͤrmern in
den Cevennen', alſo benannt von einem leinenen Ober⸗
hemde, welches fie über den Kleidern trugen, wie ſolches
bei den Gebirgsbewohnern Languedof’s‘ üblich iſt, und
das in der Landes⸗ Mundarf Camise heißt. Sie erhoben
ſich Anfangs des achtzehnten Jahrhunderts, 1703. Seit
dem Widerrufe des Edicts von Nantes bar der Ealvis
4
4) Kirchengeſchichte des 18ten Sapepimbee?, von € sei von
. Einem.
- Dad Neuefte über die dermalige Beldaffenheit det vejormirten
- Kiche Tann man nadlefen in dem Supplemente der Seit:
ſchrift: Der Katholik von 1822. ° _ Bo
*) 18t«6. Jahrhundert. — —.
Eamifarben. 357.
atsmus in Frankreich wie erſtorben die Ueberrefte dieſer
Parthei gegen alle Provinzen Frankreichs hin zerſireut, und
gezwungen, ſich verborgen zu halten, fanden Fein menſchli⸗
ches Auskunftsmittel mehr, Ludwig XIV. zum Zugeſtaͤnd⸗
niſſe der Privilegien und Gewiſſensfreiheit, deren fie unter
feinen Vorfahren genoſſen hatten, ‘fi vernidgen. "Um dag
ſchwache Glaubensſtaͤmmchen dieſer zerſtrenten Heerde zu,
naͤhren, bedurfte es außerordentlicher Mittel der Wunder.
Wirklich wurden deren in den vier erſten auf ben Wider⸗
ruf des Nantefer Edicts folgenden Fahren unter den
. Reformirten ruchbars man vernahm, im Behtrte der Plaͤtze,
wo früher ihre Tempel geſtanden waren, Ir Beh Lüften
Pſalmen⸗Geſang, vollfommen ähnlich dem unter beit Pro⸗
teſtanten üblichen, daß man ihn fuͤr nichts anderes nehmen
konnte. In himmliſchen Melodien fangen dieſe Engelsſtimmen
die Pſalnnen nach Elemens Marot's, und Theodor
Beza's Ueberſetzung. Dieſe Geſaͤnge ließen ſich in Bearn,
den Cevennen, zu Vaſy ꝛe. vernehmen; fluͤchtig umher⸗
ixtende Prediger wanderten ug Geleite dieſer goͤttlichen
Pſalmodie, und. ſelbſt Arempetenruf verlleß fie nicht eier,
als bis ſie jenſeits der Granie im Sande ber Siqherbait nr
langt Ware un 1.
DODer reformirte Heediher Ju rieu ——* ſergfaitig
dieſe Wunder⸗Erzaͤhlungen, und "sog den Schluß hieraus:
Ba: Sott.niltten in den. Luͤften feinen Mund- geoͤffnet habe,
fo fen dieß ein: indirecter Verweis der Vorſehung: für Die
Proteſtanten, daß fie ſo feigherzig geſchwiegen haͤtten 1).
Wunder und Geſichte bei einer unterdruͤdten Parthei ind
beinahe immer die Vorläufer: von ‚Propheian „. beſtimmt den:
‚: Glauben: durch Ausfiehe auf’ eine gluͤckliche⸗ Befrecung auf
recht. gu haiten: aller Orten, wo gegen Die Reugions⸗ ue⸗
bungen ber Reformirten, und gr Verbannumg ber Wibder⸗
ſpenſtigen Geſetze erſchienen waren, ſtanden Propheten auf,
die das nabe Ende. ihrer unterdruͤcung derknpeten. , '
ar ec ws -_
341 seRd: (
1) Lettre paatoral Re J ürie a an. 1686.
358 | | Camifarben.
Juͤrieu, der eifriger als irgend ein Vroteſtant nach
tem AUntergang der roͤiniſchen Kirche verlangte, ſah in all
dieſen Schwaͤrmern von Gott begeiſterte Menſchen: das Zus
ſammentreffen dieſer neuen Propheten ließ ihn nicht zweifeln,
daß Gott die, Bernichtung des Pabſtthumes befchloffen - habe.
ur Allein, ex fand in den Prophezeihungen von diefen neuen
Propheten fo. manches Anfisgige, das nicht zur Beſtaͤrkung
feines, Glaubeng an fie diente; und befhloß daher die götts
lichen Ausſpruͤche felbft zu befragen, ob er nicht etwas Ge⸗
nayeres Huber den Triümph Der ‚protefkäntifchen Keligion .
darin ei moͤge, ſuchte ſolche Aufſchluͤſſe in den Weiſſa⸗
ur de
Untersungeg des — 1).--
"4 Diefen Meediger that‘ fodann dem ganzen Eietrehſe d Die
| gerkdung der roͤmiſchen Religſon ımd das Reich des Cals
virismug fuhdı ",‚DBald werden wir,“ fagte er, „die
. Wahrheit über deu Thron der Lüge erheben; und die Ers
bebung bes zu Boden Geworfenen wird auf eine fo glor⸗
reiche Weiſe geſchehen, daß: die, ganze. Weit darüber ſtau⸗
nat wird
Dieſe glorreiche Wiederherſtellung der NReformirten fohte, nach
Juͤwien) ahne,;oher mir mit geringem, Blutvergießen vor
ſich geben 5 ‚fie. werde fogar weder. durch Waffengewalt, noch
durch die dr Frankreich ‚gerfireusen Prediget,, ſondern durch
Ausgießung des Geiſtes Gottes Statt haben 2). ..:
Dieſe Meinungen 'wurden unter die Bewohner der
Cedbennen von. proteſtautiſchen Religionslehrern Asge⸗
ſtreut, nachdem dieſe ſich ſelbſt davon überzaugt hatten, oder
ermuthiges, ren durch ıDie Feinde Fraukreichs, welche. die
Schwer Der Calviniſten zur a esıımg aines Der.
gers. und Feliciono. arleges ‚beugen wollten.
| 8 Li CH .1n* ”.. ira | — »
ud ra Y an — .. Nie 1,47 Pr .- du wu "Zur. 9 LE Er Pe BE
.
4 u 3
I) ned des phcu.. Brüeye Kst. An
Fanat. L. I, P- 400. * —
2) Ibidem Part. 2. Vnits de ‚PEglise, pedlacn 4 i ia
«
Eantffatden. rg
IE te Ckivin iſt; Namens di Serre; waͤhlte
aus ſeiner Nachbarſchaft fuͤnfzehn Knaben, welche ihm die
Eltern: gutwerig Wetließen, und: ließ ſeinem Weibe, tel
ches er ger feiner: nm machte, eine gleiche m
— een, —
;ch
eine —— Ankage sur an ibrigeng lebton
in bet. drößlen Unwiſſenheit, eingeſchloſſen in, die Gebirge
der. Dawphine, in dichten Wäldern berſteckt, umtingf von
Feiſen und Schluͤnden. abgeſchnitten von. aller menfchlis
hen Gemeinfchäft „und erfünt mit tiefer Ehrfurcht für bu
Serre, welchen alle Proteſtanten ver Umdegend 019. einen
Der Herven ihrer Parthei verehrken. |
Duͤ Serre ſagte ihnen: Gott habe ibm feinen Geiſt
gegeben7 ver‘ er Macht habe, tmitzueheilen ,. "dem‘ er wolle ;
fie feyyert von ihm erfohren, Propheten md Yropfetiien
su werben,’ fenn fie ſich zum Empfange einer fo großen
Gabe auf bie Weile, wie Gott ihm vorgeſchrieben habe,
vorbereiten wollten Die’ Kinder, entzuͤckt über, dieſen Be⸗
ruf unterwarfen ſich Allem, was DU Serre vorſchrieb.
Die erſte Vorbereitung zum Propheten⸗Amte war ein
dreitaͤglges Faſten, nach welchem der Meiſter ſie von Er⸗
ſcheinungen, Geſichten und Eingebungen ‚unterhielt; ihre
Phantaſie fuͤllte er mit den furchtbarſten Bildern und glaͤn—
zendſten Hoffnungen; die. Stellen der Apokalypſe, worin
vom Untichriſt, dem untergange ſeines Reiches, und Be—
freiung der Kirche die Rede iſt, ließ er fie auswendig lers
sten erklaͤrte ihnen: der ——— ſey der Pabſt, dag Reich
fo zu Grunde geben müßte, a8 Pabſtthum, und die Bes
frtenng der Mircher 102 Bieperherftelung der’ Neforntätton.
' DE Serre richtete zugleich, ‚feine "Propheten; 3sglingg
ab, ihre Neden mir Gebähtdeg Mad Leiden; Sfellungen zu
begleiten‘, die die Einfaͤltigen MR mußten; ſtutzten
ritflings Nieder, ſchloſſen die Hifgen‘," blaͤhten den Leib ind‘
und Hals auf, IA im tiefen Schluminer, erwachten ploͤtz⸗
360 . i Eamifrden. W
lich, und kramten in tühnem Tone Alleg ER ‚mas ſich ib⸗
ser Einbildung darſtellte.
War einer der Propheten ⸗ Schiller zu — „Hoffe hin⸗
laͤnglich abgerichtet, ſo ließ der Meiſter die kleine Schaar
jzuſammenkommen, ſtellte den Erkohrnen in die Mitte, mit
der Erklaͤrung, daß nun die Zeit ſeiner Begeiſterung heran⸗
gekommen ſey, worauf er ihn mit ernſthafter und geheim⸗
nißvoller Miene umarmte, in den Mund hauchte und ans
kuͤndtgte, daß er den Geifl det Propheieibung empfangen
habe, während dem die andern vor Staunen ergriffen, die .
‚Geburt des neuen Propheten erwarteten; und. heimlich nach
dem Augenblicke, threr eigenen Einweihung feufzten. Bald
konnte Di Serre.die Glut, welche er in feinen Schuͤleru
entzündet hatte, nicht mehr zuruͤckhaiten; er verabfchiebete
und ſchickte fie in jene Gegenden, wo er ‚hoffte, daß ſie eis
nen größeren Glanz verbreiten wuͤrden.
Bei ihrer Abreiſe einabnte er fie, dig prophetiſche Gabe
Allen mitzutheilen, die ihrer wuͤrdig befunden. wirden;
nachdem fie. folche auf die nämliche Weiſe, wie bei ihnen
geſchah, wuͤrden vorbereitet haben, "und. wiederholte ihnen
die gemachten Verſi icherungen, daß alle ihre Wrberfagungen
unfehlbar. eintreffen wuͤrden. —
Die Leute „gu denen ‚fie fich wendeten, waren geneigt,
die neuen Propheten mir“aller Achtung anzuhdren, ihre Vor⸗
urtheile, das Leſen der Paftoral; Schreiben Jılriey’g, die
Einfamfeit worin fie lebten, die Selfen und Gebuͤrge die fie
bewohnien, ihr Haß gegen die Katholiken, und. die aͤußerſte
Strenge die man gegen fie veräbte, haften fie vorbereitet,
jeden als Propheten‘ anzuerkennen, wer immer mit Enthu⸗
ſtasmus und auf ungewoͤhnte Weiſe ihnen den ‚Untergang
ber tatholifthen Religion ‚verfünbigte,
give Schüler Di Serze’g zeichneten Ach unterane,
dern aus: Das Schäfer »Mäpchen von Erefi, genannt die
ſchoͤne tabelle, und Gabriel Aſtier von dem Dorfe
Elien n der Dauph ind, Erſtere begab ſich nah. Öres,
noßle, wo man fie, nachdem, fie eine Zeitlang. ihre, Kolle..
geſpielt hafte f berhaftefe, und bald darauf befehrte, Ihr.
2
Camiſarden⸗ 361
ot daͤmpfte jedoch: das hrophetiſche Feuer nicht. Die
andern Zoglinge Di Serre's verbreiteten ſich über das
Delphinat und das Bivardifche, und der prophetiſche
Geiſt verotelfaͤltigte ſich ſo wunderbar, daß es: Doͤrfey gab,
die nichts als Propheten zu Einwohnern Batten:!in dmer
Nacht ſah man Schaaren von zwei bis dreihundert feinem
Propheten entſtehen, die ofme-Unserlaß vor dem Volke, in
Mitte her Doͤrfer predigten, prophezeißten, und won denen
eine Menge Zuhoͤrer a den Seien, ihte ‚Dvakeipriihe
vernahmen.
Wenn unter den Berfaninelten ſch ein größerer Ein
der ald die uͤbrigen befand, fo rief der Prediger ihn zu fich,
= fogleich fiel er in furchtbare Zuckungen, bis der Brophet fih
ihm genaͤhert hatte: dann legte diefer dem Saunder
die Hände auf, ſchrie uͤber ſein Haupt: Bariüherzigs
keit und Gnade! ermahnte ihn zur Buſe, und die An⸗
weſenden ‚zum Gebete, Daß "Gott: ihm verjzeihen möge: ‚hafte:
ber Suͤnder aufeichtige Reue, fo fiel auch et zur Erde, wie’
tode, and empfand, wieder ju fi ſic gelommen— unartſotenucche
GSeligkett.
Diefe Art geffttichen "Amtes ward nicht nur von "Der '
fonen eines reifen Alters und achtungswerthen Charaktere >
geäbt., ſondern ach von Hirtenjungen von’ 15 bis 16, zu⸗
weilen von 8bis 9 Jahren, welche zuſammenkanten, Con⸗
ſiſtorien hielten, "und darin fünfzig bis ſechtig Buͤßern Wi⸗
derruf ihres Abfalls, das Heißt, ihrer: Ruͤckkehnzur roͤmt⸗
ſchen Kirche thun ließen; dieſe Kinder entledigten ſich die⸗
fer Verrichtungen mit Lehrerd:s Anfehen, forſchten die Suͤn⸗
der ‚mit „Schärfe eug ‚legten hnen Bußgebete auf, und
endigten mit · der Losſprechuns Buch: Bee vers‘
jeibe Die. ERBE
: Die prophetiichen Anfälle twechfekten: die Negei war,
hingufolleh und eingufchlafen ‚ sber..von einer Betäubung übers!
‚fallen zu werden, wozu ſich konvulſiviſche Bewegungen gefells
ten; die Ausnahme von der Regel aber war, wachend uns
ter Rarken arpe Beweg mgen, hismeilen ineriner bloßen
Entzucurga oft guch mit viztigen Kondulſionen au propheteihen .
-
\
EN
a62 Cauiſtuden,
Die: Weiſſagungen dieſer Propheten waren vermwirkt,sin
uchen Franzoͤſiſchen niedern und gemeinen. Ausdruͤchen
vorgetragen, oft ſchwer verſtaͤndlich Jedem, deſſen Ohr nicht
an. ben: veddorbenen im Oelphinate und dem Vivaräi⸗
feheh üblichen Dialekte gewöhnt war. Ihre Predigten wa⸗
mn. son gleichem⸗ Schlage, uͤber Kreuz und Quer kramten
ſie Alles aus, was ſie an Worten und: Stellen det. Bibel
im ⸗Geduͤchtmiſſe behalten hatten, und. das nannten! ihre Zue
hoͤrer heine Ermahnungen, die ihnen Thraͤnen erpreßen.
Ehe die Propheten auftraten, nahmen fie drei big vier
Tage, gar, feine Nahrung zu ſich und darauf nur fehr wer
nig.: Die. ‚Kinder waren vor dem Empfange des prephefis
ſchen Geiftes mif einer- Krankheit befallen , meßhalb:.man. ihr
nen zur Ader ließ. Die Heinen. Prophetinnen ſagten: fie
fuͤhlten ‚ehe fie in den, letharsifchen Schlaf. fielen, ‚etwas,
das ſich allmaͤhlig son.den. Füßen big an Den Hald-hinaufe .
zöge,. Nach dem Einfphlummern waren fie ganz gefuͤhllas mehr
rere Zeugen fagten ans: daß man während. der Prophezeih⸗
ung, die fo. lange als der Schlaf dauerte, ‚die; Peonheten
und Prophetinnen mit nichts ‚ weder url Stechen ‚nö Nas
are,
entbechte ig: Weile, wie man fe ‚Heinen. 3 ab⸗
richtete „..uuhsihnen zufluͤſterte. Sie wurden ſelbſt zu Genf
bes Betrugs uͤperwieſen, wo zwei Propheten aus dem
Delphinat und Viparaig. im Jahre 1089 ihre Prophe⸗
jeihungen foxtzuſetzen verſuchtenn. 2 nu ..
Diefe Propheten hatten im Delpdtnate Hd: Viva⸗
ra is Volks s Aufläufe veranlagt, welche von 'Dam Gene⸗
rat » Lieutettant. von Binodkfe, “und. ‚Dem Inendanten der
Provinz— Herrn von Basville gedaͤmpft wurden
Das · Feuer dieſer: Schwuͤrmerei wurde "jene nicht ges
—* ſondern glenute im Gehen fort u“ d mabrte Bei
Ska de Bra waaımn
9 Ein-Beepzu Senf: ——8* 1689: ——— reife
: gleusasiT.! ip: aba, grchrer Ba, Sour 1.
-
/
. Gamifarhes: er. 368
Sn
den Cal oiniften % Hoffnung . Dee. REN ihrer
Sekte. Die Bewohner dieſer Provinzen waren : meift ‚Pros,
teftanten,. roh erzogen und ‚genährt. Die Idee gaͤttlicher.
Eingebungen fpuckte immerdar im-ibpin.: Köpfen, worin fe
durch die Einfamfeit, ihre Lebensart; wohl auch durch die:
ruͤchſichtsloſe Haͤrte der Katholiken gegen fie, noch moehr bes
ſtaͤrkt wurden; dergeſtalt, daß in dieſen Gegenden Enthu⸗.
ſiasmus und, Schwaͤrmerel nur eine ſchickliche; Veraulaſſung
‚erwarteten, um zu Thaͤtlichkeiten uͤberzugehen.“ Dag angebs,
liche oder wirkliche Unvermägen, die Kopffteuer gu eutriche *
ten, war die Urſache oder Gelegenheit, wodurch die Schwärs.
merei und dag Mißvergnuͤgen dieſer Leute ſich Luft machte;
fie empoͤrten ſich, und alsbald erſchienen die Propheten auf
der Buͤhne. Die mit Frankreich im Kriege begriffenen
Mächte unterſtuͤtzten die Meuterer, und Languedok
wurde der Schaͤuplatz eines der graufamften und furchtbar,
ſten Buͤrgerkriege, die man je gefehen bat.
Dieſe neuen Propheten waren die Cami ſarden, bie,
ſich zu geſchwornen Feinden von Lilem, was den: Namen,
katholiſch trug, aufwarfen, und dieſes ſogar zu ihre.
erſten Glaubens⸗Artikel machten, in der Ueberzeugung: daß,
fie durch) Ermordung der Priefter und Eindfcherung der Kir⸗
chen fich bei ‚Gott Verdienſte fammelten:- mit. dieſen Graͤu⸗
eln verbanden ſie bad. en der en ’ PACK: und! |
Gebete. —
Der Aufruhr der — rden wurde erſ 1709 ge⸗
ſteut. Man kann in der Geſchichte der Schwärme⸗
reien unſerer Zeit von Bruͤe vs alle Ausſchweifungen
dieſer Empoͤrung ausführlicher lefen. Bei
Am Jahre 1706 famen drei Camt farden Propheten,
waren Rage, und Cavalier nad) England, wo fie,
prophegeiten: Mur iom, dee die Hauptrolle fpielte, war ernſt⸗
haft: fein treues Gedaͤchtniß befaͤhigte ihn, große Rollen
zu. fernen und gi ſpielen; Cavabfet, der jaͤngſte und mun⸗
terſte·, war Da, Wr 8 af bloße Foͤrpersgewandtheif ans
fam, befonders glücklich; weniger gefeßt ald Marion,
fonnte er fih zumeilen am. Ende feinen Begeiſterung dei’
⸗
364: Eamtfarben.: " Ehrpocratet,
Lachens nicht enthalten: Fage war ein geiſloſer Menſch.
Sobald ſte im Eondon zu prophezeien angefangen haften,
nahm fie Fatto, ein Mitglied "der koͤnigl. Societät von
London, und berühmter Mafpemofifer unter ſeinen Schutz
und ward ihr Dolmetſcher.
Marivoms Prophezelhungen wurden gedruckt; fie ent⸗
halten nichts als Schmaͤhungen gegen das Verderbniß der
Zeit, der Köche, und ihrer Diener; Drohungen gegen
Ä England, London u. d. gl.
Die Camtſarden fanden bald ſe giele. Unhänger, daß
die Regierung aufmerkſam gemacht, ſie ergreifen ließ, bei
mehrmäligem Verhoͤr geſtand Fage, daß er. lediglich aus
Antrieb des bi. Geiſtes ‚mehrere Menſchen getoͤdtet habe,
| "auch wiirde er feinen Anftand. genommen haben, feinen: eis
genen Vater zu tödfen, wenn er hiezu Befehl erhalten haͤtte.
Die Propheten mit ihrem Seckretaͤre Fatio wurden
zu einer Gelvftrafe von 20 Mark veruttheilt, und auf
vem Plage Charrin⸗ Groffe an den - Pränger geſtellt,
ben ten Dejember" 1707 : (Steh Clavis Proph. von
Marion. Dad Journal ‚des Sayans 1707; und la Re-
pub. ‚des Lettres.) '
Coarpocrates 9 gnoſtiſcher getlehrer aus iera ns
drien ‚lebte um die Zeit des Baftlides und Saturnin.
Wie fie, ſchrieb er den Urſprung der Welt Engeln zu, und
war allen Träumergien der Magie ‚ergeben; jedech unters
nahm gr es, die. Entffehung des Uebeld, die Klippe an. der-
bie ſchwache Vernunft faſt aller Haͤretiker dieſes Jahrhun⸗
derts ſcheiderte, auf eine einfachere Weiſe zu erklaͤren.
Bei, den — ſcheint er die — dieſer wich⸗
vor 4.
unterwerfen.
Nach ſatonlſthen vihre "Bam A, Wr die: menſch⸗
che, Seele in. den Körper verbannt wurde, weil ne. Son
2 1* ⸗ Tor, u e' 125 3’ ‚
u ,
8 ish EEE Er
\
beigeffen Hatte? ihrer urſptuͤnglichen Worde entſunden, hatte
fie das Vorrecht seiner. Geiſter verloren, und, ward auf die
Koͤrperwelt verfegt, die den Engeln, deren Schoͤpfern, unter⸗
than war. Alle Erfenntniffe, mit welchen die Seelen in
ihrem Urſtande ausgeruͤſtet waren, waren verſchwinden
welches nunmehr der Grund der Unwiſſenheit iſt, in wel⸗
cher alle Menſchen ‚geboren werden: die ſchwachen Einſich⸗
ten, gu denen fie ſich mit fo vieler Anſtrengung emporar
Karpotrateh " 385
. beiten, find nach Carpoc rates, Kai alg Nlkerinner
zungen:
“weniger, als die übrigen, Soft, vergeffen hatte, konnte mit
mehr Leichtigfeit fich. dee Unmiffenheit, morein. die Suͤnde
die Menfchen geſtuͤrzt hatte, entwinden: ſeine Beſtrebungen
hiezu erwarben Ihm die befondere. Gunft des hoͤchſten We⸗
fens, ‚und Gort crtheilte Ihm die Kraft, den. Engeln u
widerſtehen und ihrer ntgegentwirfung ungeachtet, fie) in
den Himmel, zurückzuerbeben.,
Ehen diefe Gnade gibt auch Gott genen, welche Jeſu
nachahmen, und auerkennen: daß fie unendlich uͤber die
Koͤrperwelt erhabene Geiſter ſind. Mit dieſer Erkenntniß
erhebt ſich der Menſch über. die Schwaͤchen ſeiner Natur;
ſein Koͤrper kann zwar beunruhiget werden, jedoch ohne zu
Die Seel⸗ Sei Chriki, de: in: dem andern Beben
-.
leiden; Die Einwirkungen, fremder, Gegenftähbe auf feine
Organe machen ihit nicht abhängig; er duldet Öhne Schwach
heit; in Mitte finnlicher Genüffe bleibt er ſich gleich, weil
fie ihm nur für Regungen: des irrdiſchen Stoffes gelten, bie
ber Beifl, überzeugt. von feiner Größe, fieht, ohne davon
abhängig ju ſetzn. Bei allen Ereigniffen, die die. Menfchen
—
— Engel gegen ſoiche Menſchen?
— In diefer Anerkennung feiiter Wuͤrde beſteht die Voll⸗
beunruhigen, unerſchuͤtterlich wie ein Fels gegen den An⸗
drang der Wogen — was vermoͤgen die weltſchaffenden
kommenheit des Menſchen. Feſus Chriſtus hatte nichts
zum Voraus, Ale, fönnen, es Ihm nachthun; ja felbft Ihm
gleich werden, und die Herrlichteit verdienen, deren Er ſich
‚erfreuen
3866 Carpocrales.
Dieſen Begriffen zu Folge ſahen Bie Carpocratlaner |
in den koͤrperlichen Handlungen, weder etwas Gutes noch
Boͤſes, Temparament oder Erziehung enffchied allein. über
das fttliche Verhalten; welches gewoͤhnlich ſehr fchlecht war,
wie dieſes bei allen Sekten der Salt iſt, welche Beine ans
dere Eittenlehre befiten.
Es gab Carpocratianer, welche die unehrbarſten
Vergnuͤgen wie einen gewiſſen, den Engeln ſchuldigen, Tris
but anfahen, den die Seele ihnen entrichten müßte, um
zur urfprünglichen Freiheit zuruͤck zu gelangen; hierdurch wur⸗
den die ehrloſeſten Thaten zu Tugendhandlungen erhoben.
ESie gaben vor, ſich hierin an eine Stelle des Evangeliums
zu halten, wo es heißt: Werteage dich. mit deinem Gegner,
wenn du noch auf dem. Wege mit ihm bift, ſonſt möchte er
dich dem Nichter und’ diefer- dem: Gerichtsdiener übergeben,
um dich in's Gefaͤngniß zu werfen: Wahrlich du wirſt nicht
Ketommen, bie du auch den legten Heller besahlt Haft.
‚ Diefe Sectirer betrachteten die fchöpferifchen Engel als
Feinde/ deren Vergnuͤgen es war, wenn fie Die Menſchen
ſinnlichen Ergoͤtzungen nachgehen, und. ſich ihnen uͤberlaſſen
ſahen. Am ſich Die Muͤhe ihren Nachſtellungen zu eutseben
ar exſparen, ergaben fie ſich allen Luͤſen. ‚
. Die Carpoctatfaner haften ihre Vejauderungen,
Geheimniſſe und Magie, wie alle Secten, welche die Ent⸗
ſtehung der Welt, und die Ereigniſſe, wobei die Menſchen
betheiliget ſind, Genien zuſchreiben, welche allen menſchli⸗
chen Leidenſchaften und Schwachheiten unterworfen find.
Ihre Anhaͤnger wurden an dem Ohre gezeichnet: ſie hatten
den Unwillen der Heiden erregt, und viele Verlaͤumdungen
gegen die Ehriſten veranlaßt, welche erſtere mit dieſen Ser,
tirern verwechfelten. 1) ’
P\
1) Dan ſehe Clem: Alex. L. 5. Stkor, 2 312. Philästr.
de Hacres. Iraen. L. 1, C. 2. "Enseb L. 4 L. 7..
Hist: Eccles, Epiph. Haer. 27!: nn J
”
l
\
Cecus Acqkban Cerdon. 3
Cecus Aoculan, ) Sterndeuter des Herzogs von
Kalabrien, behauptete: in den Himmelsraͤumen erzeugten ſich
boͤſe Geifter, Die man vermoͤge des Standes der. Geftirne
gegen einander zu Hervorbringung numberbarer Dinge win
gen koͤnne, und verficherte, die Sterne legten. den Körpern
und Geiftern auf der Erde eine unnermeibliche Nothwendig⸗
keit auf: ſolcher Geſtalt fey Jeſus nur deßhalb det ge⸗
weſen, und, eines ſchmaͤhlichen Todes geflorkenl, weil Er
unfer einer Conſtellation, die ſolches nothwendig ermwirfen
mußte, zur Welt gekommen waͤre: der Antichriſt dagegen
wuͤrde reich und maͤchtig ſeyn, weil er unter der entgegen⸗
geſetzten Einwirkung der Geſtirne geboren werden wuͤrde.
Dieſer Sterndeuter wurde 1327 verbrannt. ( Dapin. B Bibl. 14 |
Je Spondan. ad ann. 1327.):.
Cerdon. +) ein Syr er. von Geburt, hatte Au⸗
fangs die Grundſaͤtze Simon's und Saturnin's ſich
angeeignet; er erkannte, gleich ihnen das Daſeyn eines hoͤch⸗
ſten Weſens, welches minder vollkommene Geiſter hervorge⸗
bracht habe; dieſe, wie der Vater aller Dinge, fruchtbaren
Geiſter hatten ſi ch in unzaͤhligen verſchiedenen Zeugungen
fortgepflanzt, deren immmer abnehmende Macht die Welt
geſtaltet hatte , und alle Erſcheinungen auf der Erde hervor⸗
brachte. |
So fand man, aufſteigend von den Wirkungen au den |
Urfachen im hoͤchſten Wefen die Grundurfache von Allem.
‚Wären Die Erfcheinungen, die die ‚Welt. ung zeigt,
nichts, als Verſetzung der Materie, Iufammenfloß der Koͤr⸗
per, Bewegungen, fo begriffe man leicht, daß die Aus⸗
- Rüffe von der erften Urfache, Genien „ oder bewegende Kraͤf⸗
te, Alles in der Welt hervorbraͤchten; allein es ‚giebt auch
in derfelben geiflige MWefen, die ein trauriges, geplagtes
und ungluͤckliches Daſeyn haben. Weiter, da das hoͤchſte
Weſen ein unendlich volltommener, weiſer und gutiger Geiſt
1
*) zates Jahehundert. =
368 1; 7° n
iſt, wie ſoͤllte man in dieſem ben Urheber ber Uebel; die die
Menſchen befallen, auffuchen?
BSimon und Satuenin fahen Alles hieſer wohl ein,
ohne die Schwierigkeit ‘zu achten, mie. das Daſeyn boͤſer
Geiſtet mit dem: Syſteme, welches Alles auf dem Wege der
Ausfluͤſſe von dem: hoͤchſten Weſen herkommen jap, au vers
einbaren ſey.
Cordon gewährte‘ bie ſchwache Seite Saturnin’s;
und glaubte, dag er, Simon, und ale Anhänger ded
Emanation’d Snftem’8 Yeirrt haben indem fie das hoͤchſte
Weſen zum Urkeber von Allem: machten: Seiner Meinung
nach mußte. man in der Nafur zwei Grundweſen, ein gutes
und ein boͤſes annehmen: denn da es; mehr und weniger
vermögende, böfe Geiſter gäbe, fo müßte man, bei'm Zu⸗
ruͤckgehen zu dem Urſprunge nothwendig auf eine Urſache
kommen, worin man den erſten Keim des Uebels, der ſich
in der Zeiten⸗Folge eniwickelt, auffindet, welches aber im
Widerſpruche mit der Natur des hoͤchſten Weſens ſtuͤnde.
Wirtlich nahm ſich, nah Simon's und Satur—⸗
nin's Lehre, das hoͤchſte Weſen, welches fie als den Er⸗
zeuger aller Dinge anſahen, des Looſes der Menſchen ſo
ſehr an, daß es ſeinen einigen Sohn ſchickte, das Reich der
boͤſen Daͤmonen zu zerſtoͤren. Das hoͤchſte Weſen, welches
fuͤr den Urheber und die Urſache aller Dinge galt, haßte
ſphin die boͤſen Geiſter, dieſes vorausgeſetzt, wie Mech es
ſolche beſtehen, wenn eg fie zernichten konnte; wie konnke
es ihre verderblichen Einwirkungen geſtatten, wenn ihr Da⸗
ſeyn und ihre Macht nicht unabhängig bon ihm wire?
Man mußte daher, nah Cerdon zwei, nothwendig
unabhaͤngige Grundweſen in der Welt annehmen, ein gutes,
welches die guten, und ein boͤſes, das die voͤſen Geiſter
hervorgebracht hat.
Cerdon, welcher die Natur bloß unter bein Geſichts⸗
punkte der Beziehungen; ſo ihre Erſcheinungen auf dad
Schickſal der Menfchen haben, betrachtet hatte, glaubte in
dieſen zwei Grundweſen den Grund und die Erklärung vor
Allem, was man von den mancherlei Verhältniffen des Mens
-
- — — ——
* 4
ſchengeſchlechts erzaͤhlte, gefunden zu haben; denn bierauf
nahmen faft: alle Lehrgebäude, die man bisher erfunden
hatte, ihren Hanptbesug. =
Da nun dag Gute ſowohl ald das Boͤſe ihre von eis
nander verſchiedene Grundurſachen hatten, fo kam alles
Gute von dem guten’, wie alles Boͤſe von dem boͤſen Ur⸗
weſen. Die des Vergnuͤgens faͤhigen und unablaͤßig dem
Wohlbefinden entgegenſtrebenden Geiſter waren dag Werk
des wohlthaͤtigen Urgeiſtes, der Körper hingegen, mit mels
chem die menfchlihe Eeele verbunden ift, und der fie auf
taufenderlei Weiſe beunruhiget, dag Erzeugniß eines übels
wollenden Princip’s. | |
Aunch das jübifche Geſetz erſchien dem Cer don bioß als ei⸗
ne Anhaͤufung beſchwerlicher und muͤhſamer Uebungen, welche
nur von einem bösartigen Weſen angeordiret ſehn konnten.
Ein ſolches hatte dieſem Volke die grauſamen Kriege, die
es gegen Palaͤſtina's Voͤlker fuͤhrte,
Juden, ſagt bei Jſaias: Ich bin es, der dag Uebel
erſchafft.
Im Chriſtenthume dagegen athmet alles Wohlwollen,
Nachficht, Güte und Barmherzigkeit; mithin war das Ges
feß ‚der Chrifteg Das Werk eines - guten Grundweſens, und
Chriſtus, der ed verfündigte, wahrhaft deſſen Sohn.
.; Diefes mohlwollende Wefen hafte feinen Sohn den
Leiden der Menſchheit nicht bloßgeſtellt; feine Güte ‘geftats
tete dieſes nicht. Zur Belehrung der-Menfchen war eg bins
reichend, daß Er nuf einen Echeinleib annahm, und die Wirk
lichkeit der Leiden Jeſu wäre nur ein Schauſpiel gewefen,
weiches das gute Urweſen fich felbft gegeben hätte, und dies
ſes wiverfpricht ſeiner Natur. 1.. U 5
Cerdon. 369
befohlen: der Gott der
Cerdon, eingenommen für dieſe Vorfiellimgen, ver
warf dag alte Teflament, und nahm von dem Neuen nur
1
f —— —
‘
r
r —
1) Iraen. L 1. C. 28, 37. L.3, C. 4. Tertul. d$ praes-
. sefipt. C. 5ı. Philastr. de Haer. C. 44. Epiphdn. Hier.
41. Aug. de Haer. C. aı. Theodor. Haer; Fab. L. ı,
C. 24 j
Kenenz Eeriton. I . 24
!
370 Cerdon. Cerinthus.
das Evangelium von Lukas, und auch dieſes nicht ganz an,
auch laͤugnete er die Auferſtehung der Todten.
Cerdon kehrte zur Kirche zuruͤck, ſagt der heil. Ire⸗
naͤus, bat um Verzeihung fuͤr ſeine Irrthuͤmer, und brachte
ſo einige Zeit hin, indem er die Ketzerei, die er abgeſchwo⸗
ren hatte, bald heimlich wieder lehrte, bald von Neuem
abſchwur, bald des Beharrens im Irrthume uͤberfuͤhrt, aus
der Gemeinſchaft der Gläubigen vom Pabſte Hyginus aus⸗
geſchloſſen wurde. Er hatte Marcion zum Schuͤler, der
ſelbſt ein Secten⸗ Haͤuptling wurde. Man kann, wenn man
den Artikel: Marcion nachſchlagen will, die verſchiedenen
Geftalten feben, welche Cerdon's Irrlehre nahm. : Diefe
Verkettung der menfchlichen Verirrungen iſt das hauptfaͤch⸗
lich Anziehende in der Geſchichte.
Cerinthuͤs oder Kerinthos *) ein Jude von An⸗
tiodhien, der fich ſehr mit Philoſophie abgab. Zu der Apo⸗
fiel Zeiten war er in Jeruſalem.
Die damals im Morgenlande herrſchende Philoſophie
war eine Verſchmelzung der chaldaͤiſchen Lehrſaͤtze mit Pytha⸗
goraͤiſchen und Platoniſchen Ideen. Man nahm ein hoͤchſtes
‚ Wefen an, welches Genien und Mächte erzeugte, die fähig
waren, mieder andere Genien und Geifter hervorzubringen :
man bevslferte die Welt damit, und überall, wenn man efs
was erklaͤren wollte, kam ein Gott ex Machina zu Vor⸗
ſcheine. a
Cerinth vereinfachte diefe Philofopheme, um fie auf
die Gefchichte der Welt anzuwenden: er nahm ein höchftes
Weſen, als Urauelle alles Daſeyns an, welches Geiſter,
Mächte oder Genien mit verfchiedenen Stufen von Vollfoms
menbeit ‚erzeugt hatte. Unter diefen Erzeugniffen befand ſich
eine gewiſſe Macht oder Kraft, dem hoͤchſten Wefen an
Vollkommenheit unendlich nachſtehend, und - gewiffermaßen
in unermeßlichen Räumen von demfelben entfernt, und nich
einmal den Urheber ihres Seyns erkennend: wahrfcheinlich
war dieſes die letzte Zeugung des Urweſens, eine Art von
*) Iſtes Jahrhundert.
4
\ J Cerinthus. J .. 971
bewegenber Kraft, ober bildender Form faͤhig ‚.die Materie
zu ordnen, und eine Welt zu geftalten. 1). .
Lluſſer diefer Macht waren mit unferer Welt die irdi⸗
{chen Engel oder Genien entſproſſen, die die’ Meltbeherrs
(hung und Regierung der Menſchen an. fich geriffen hatten.
Einer diefer Genien hatte die Geſetze der Juden erlaffen.
- Hiermit glaubte Cerinth die ganze Geſchichte dieſer Na⸗
tion erklaͤren zu koͤnnen.
Jeſus Chriſtus verſicherte: Er ſey gekommen dag
Geſetz abzuſchaffen, und die Menſchen der Gewalt der bis .
ßen Engel zu entreißen; feine, Sendung bewieß Cr durch
Wunder, welche die- Apoftel bezeugten, und thr Zeugniß
ſelbſt durch Wunder bethaͤtigten. |
Cerinth war diefemnad) genoͤthiget, anzunehmen: daß
das hochſte Weſen ſich wirklich der Menſchen annehme, und
ſeinen einzigen Sohn Jeſus Chriſtu s, zu deren Beleb⸗
rung und Erloͤſung geſchickt habe.
Allein wie iſt es zu begreifen, daß der einzige Sohn
bes hoͤchſten Weſens, der die Völle ber Gottheit in ſich
hatte, aus Maria geboren ſey? Nichte war: den’ Philoſophe⸗
men Cerinth's mehr entgegen; ihm kam es ungereimt
vor, zu ſagen: Der einzige Sohn der Gottheit ſey geboren
| worden, habe gelitten.
Inzwiſchen hatte Jeſus verfichert, Er ſey Chriſtus,
Gottes Sohn, Um dieſen Widerſpruch zu heben, ſagte
Cerinth: Jeſus iſt gezeugt von Joſeph und Maria,
wie andere Menſchen, ragte aber in Weisheit und Gerech⸗
— tigkeit über ale hervor; bei feiner Taufe flieg ber Chris
ſtus oder der einzige Sohn Gottes in, Beftalt einer Taube
auf Ihn herab; offenbarte Ihm feinen Mater, der - bisher
noch unbekannt war, und Hierdurch machte Er Ihn auch den
Menfchen bekannt. Durch Kraft des innetwohnenden Chris
Rus wirkte Jefus feine Wunder, Als Er nachher. bon den
%
J 1a) an > eg 5
‘ı) Theudor. Hist. 42, Con —R& 23, L.
3, C. 11. Epiph. „klaes: 28. .44 PER: “ 2 |
| 24 *
*
372 Cerinthuẽ.
Juden verfolgt, und Henkers-Haͤnden uͤberliefert wurde,
erennte fih Chriſſtus von-Jhm, und fehrte zum Water zus
rück ohne zu leiden, — Jeſus aber wurde gekreuziget,
ſtarb und ſtand wieder auf. 1).
Cerinth ſchrieb zu Gunſten ſeiner Lehre Offenbarun⸗
gen, die er angeblich von einem Engel erhalten hatte: er
ertannte die Nothwendigkeit der Taufe; um felig zu wers
den, und glaubte, daß man nad) Erſtehung von dem Tode
x
genießen werde 2). |
Wir wollen über Cerinth's Irrlehre einige Bemer⸗
kungen machen: |
Ateng Cerinthus war ein großer Feind, und hefti⸗
ger Gegner der Lehre der Apoftel: ‚ale ihr Zeifgenofie mar
taufend Fahre lang auf. Erben alle finnlihe Vergnuͤgungen
“er im ‚Stande, fie des Betruges zu zeihen, wenn fie ſich
folchen bätten ‚gu Sphulden fommen Jaffen: demungeachtet
gab er zu, daß Jeſ us Wunder gethban habe; diefe hatten
fohin damals einen Grad von Gewißheit und Augenfäligs
feit; der ihre Wahrheit anzuflreiten nicht geſtattete.
Itend Um mit dem Stande der Erniedrigung, in welcher
Jefus erfchien, ‚die Vollfommenheiten des einigen Gottes
Sohnes zu vereinbaren, nahm Cexinth in, ihm zwei vers
-fchiedene Wefen an, Jeſus, den Sohn Marien’g, und
den,. dem Himmel entfliegenen, ‚Chrifius: mithin iſt es
offenbar, daß Jeſus gelehrt hat, er fey der eingeborne
Sohn ded Vaters, und dag Er diefe. Lehre durch Wunder
befräftiget hat, fo daß Cerinth weder ber Lehre, noch
den. Wundern etwas anhaben konnte, weil er zu ers
Hären verfuchte, wie Jeſus der eingeborne Sohn Got⸗
tes ſey. |
Ztens. Die Apoſtel ſchloſſen Cerinth aus der Kirchen⸗
gemeinſchaft und betrachteten thn als einen Verkaͤlſcher ber
1) Iran. L. 1, C. 26. Epiph. -Haer. 28. Aug. de Haer.
OD: 8: Text. de.praeseript. AG oO.
eg) Euseb. Hist. eoeles. L. 5..C. 28.4:
/
‘
u Cerinthus. Chaldder. 373
Lehre Jeſu; folglich fah man die Gottheit Jeſu zu Zeiten
der Apoſtel für eine Grundlehre des Chriftenthum’s an,
was auch dagegen die Socinianer, und nach ihnen Bu
Ey, Loke u. a. ſagen moͤgen 1).
Chaldaͤer *) oder Neftorianer Syrien's. Die -
ſen Namen legte man den morgenlaͤndiſchen Neftos
rianern bei, um fie von den abendlaͤndiſchen zu unters
ſcheiden, die im römifchen Reiche nur bis zum flebenten
Jahrhunderte beſtanden.
‘Der Usfprung des Neſtorianismus bei den Chals
daͤern geht bis zur Zeit des Neſtorius felbft hinauf.
Diefer Patriarch von Conftantinopgel, von ben Dis,
fchöfen des Abendlandes im Concilium von Ephefug vers
dammt, und feines Stuhles entfeßt; ward losgeſprochen
und beſchuͤtzt von den Bifchöfen des Morgenlandes, welche
den bl. Cyrillus entfegten, und feinen Anathematismen
oder Schriften gegen Neflorius das Verdammungg Urs
Rtheil fprahen. Alle morgenlaͤndiſche Kirchen, unter andern
jene von Edeſſa, folgten dem Ausſpruche des Johann von
Antiochien und jener Biſchoͤfe, welche ven bl. Cyrill vere
damint und den Frieden mit Ne ſto rius beibehalten batten.
Zu Edeſ f a beſtand eine Chriſten⸗Schule zum unterrichte
der Perſer, deren Schuͤler man einen heftigen Haß gegen
Cyrill, und guͤnſtige Gefinnungen-für Neſtorius und
‚feine Lehre einfloͤßte: ſeine urd des Theodor von Mops⸗
veftia Werke, worin Erſterer das Gift feiner Irrlehre
ausgegoſſen hatte, wurden daſelbſt vorgeleſen.
„Ibas ſelbſt Hatte durch feinen Brief an Maris uns
ter die Perfer den Saamen oder Schein des Neſt ori a⸗
nismus ausgeſtreut.
1) Bury Cluistianisme end. Loke das vernünftige Epri,
ſtentzum. Diefe Jrrthuͤmer And in dem Artilel. Ariane
ner widerlegt.
) stes Jahrhundert.
374 Chaldaͤer.
Rabulas, Biſchof von Edefſa verſoͤhnte ſich mit dem
‚Hl. Cyrillus, und vertrieb alle dem. Neſtorfus ergebene
Perſer aus Edeſſa. Barſumas, einer dieſer vertriebenen
Perſer, ward Biſchof von Niſ ibis in Perſien, und faßte
den Entſchluß, den Neſtorianis mus daſelbſt zu gruͤnden.
Zwiſchen den Koͤnigen von Perfien und den roͤmiſchen Kai⸗
fern herrfchte ein angeerbter Haß und graͤnzenloſes Miß⸗
frauen, Alles was man in einem dieſer beiden Reiche guts
hieß, mar gehäßig oder verbächtig in. dem andern, und
dieſer gegenfeitige Abfchen mar zuweilen den roͤmiſchen Rats
fern oder perfifchen Koͤnigen ſchon hinreichender Beweggrund,
eine Parthei zu beguͤnſtigen oder zu verfolgen,
Barfumas wußte diefe Stimmung ſehr gefchicht zu
benügen, die Katholifen bei Pheroſus, dem damaligen:
Beherrfcher Perfiens verbächtig und‘ verhaßt zu wachen.
„Beherrſcher! .fagte diefer dem Könige, „Du baft viele
„Chriſten in Deinen Staaten, welche den Römern und ſelbſt
‚ihrem Kaifer ſehr zugethan find. Ihre Anhaͤnglichkeit
| „an diefe bat Die Meligion. zur Quelle. Ihre Liebe für
„Fuͤrſt und Vaterland iſt nichts im Vergleiche mit den Eins
„verſtaͤndniſſen, welche bie Meligion bildet, und dem. ‚Bande,
„das ein gemeinfamer Glaube knuͤpft. Die Chriften_Deiner
„Länder find daher Fremde ver Roͤmer, ihre Späher und un⸗
„ſere Feinde. Alle wuͤnſchen fie unter einem Fuͤrſten zu le⸗
ben, ber eines Glaubens mit ihnen iſt; willſt Du Dich ih⸗
„ren Treue verſichern, allen Verband zwiſchen ihnen und den
„Römern abſchneiden, und Deinen chriſtlichen unterthanen ei⸗
„nen unverſoͤhnlichen Haß gegen die Feinde Deiner Macht 'ein⸗
„flößen, fo ſtreue Religions⸗Spaltungen unter ihnen aus,
„laß alle Chriſten Deines Reiches Neſtorianer werben,
„und ſicher wirft Du von dieſen Unterthanen weber Treu⸗
„loſigkeit noch Abfall zu den Römern zu fuͤrchten haben?
„Die Neftorianer find den perfifchen Koͤnigen ganz beſon⸗
„ders zugethan; biefer Punkt ihrer Lehre regte vorzüglich Den
ned der Römer gegen fe af, und war bie Arſache der
Fe Dr
m
.
⸗⸗
aA
Chaldder. 375
„unmenſchlichen Verfolgungen, welche die Kaiſer über ale
„Neſtorianer ihres Reiches verhänzt haben.” 1). -
Pheroſus entzuͤckt von dem Vorſchlage des Barfı us
mag, verfprach ihm alle Unterflügung.
Der Biſchof von Niſibis wählte einige Biſchoͤfe und |
feine ‚ehemaligen Studien s Genoffen zu Gefährden feineg
Unternehmens, hielt Concilien, bewirkte die Annahme deg
Neftorianismug, traf mit der Kirchenzuicht alle Abaͤn⸗
derungen, fo dem Perfer > Könige gefallen, Die Ungebuns
denheit begünftigen, und die Geiftlichfeit auf feine Seite
bringen konnten. Man geflattete den Mönchen, NPrieftern
und niederen Geifllichen fich zit fiebenmal zu verehelichen,
doch fo, daß das fiebentemal fie nur eine Wittwe ehelicdyen
koͤnnten, welche nur als eine halbe Fran angeſehen / wurde. 2).
Barſumas fand Abſtand, und viele Chriften fleif auf
- die Lehre des Concils von Epheſus beharrend, und ers
hielt deßhalb von dem Könige eine zahlreiche bewaffnete Bes
deckung, womit er aller Orts Schredien und Zerſtoͤrung
verbreitete; er ſchonte weder Biſchoͤfe, weder Prieſter und
Mönche, noh der Gläubigen aus dem Laienſtande, wenn ſie
fich feiner Lehre zu fügen meigerten: mehr als fiebentaufend j
Ehriften verloren bei Barfumas furdtbarer Sendung das
geben; Unzaͤhlige ergriffen die Flucht, umd verließen ihre
Kirchen fammt ihrem Waterlande. 3). Alle Kirchenſtellen
der Provinzen, die er durchzog, wurden mit den Creaturen
des Vaͤthelich's befegf, "
Nachdem Barſumas durch Mord und Gewalt wie
durch Umfturz der. Kirchenzucht den Neſtorianismus
eingeführt hatte, errichtete er Schulen zum Unterrichte in
| dieſer Irrlehre 1 und ſtarb.
adr
+
| 1) Asserrann. Bibl. Drient, T. 1. p. 351, T. 2. p. 405.
T. 3, p. 68. ibidem part. 2.0.3. |. 2. C. 4. C..7:
2) Assemann. T. 2. part, 2. C. 6...
R\
- 3) Derfelbe ibidem part. 7, p- 393. part. 2, C. 4. '
N
J
—
na wen
376 Chaldder.
Die Neſtorianer ſahen ſich nach einem andern An⸗
fuͤhrer um, und ſetzten Babaͤus auf den Stuhl von Se—
leucien.
Babaͤns war ein verehelichter Laie, ſchon bei Jah⸗
ren und hatte Kinder. Die Beſteigung des biſchoͤflichen
Stuhles machte er durch ein Concilium bemerklech, worin
den Prieſtern, und in der Welt lebenden Glaͤubigen die
WVerbindlichkeit aufgelegt würde, ſich zu verehelichen; daſſelbe
beſtaͤttigte die Lehre des Neſtorius, und genehmigte Als
les, was Barſumas angeordnet hatte.
Bald erſchien ein Schwarm von Schriften zur Rechts |
fertigung der Ne foriani (chen Irrlehre, und des Veneb⸗
mens ihrer erſten Apoſtel in Perſien.
Die Zeit, Betrug, Sophismen, Frechheit, Raͤnke und
das Anſehen der Neſtorianer umwoͤlkten die Wahrheit,
beſetzten alle biſchoͤlichen Stühle mit Perſonen von ihrer
Parthei, und der Neſtorianis mus breitete ſich, uͤber Sy⸗
rien, Meſopotamien, Chaldaͤen, und uͤber das ganze
Reich des Chosroes aus, der dieſe Sekte duͤldete und
alle Katholiken, die fich nicht zu derſelben befennen wollten,
graufam verfolgte. Der nämlichen Gunſt hatten ſich Die.
Neſtorianer unter den Nachfolgern dieſes Monarchen iu
erfreuen, fo daß fie fih in allen Kirchen, die fie inne hats :
ten, gaͤnzlich feftfegten. Unter Muhamed's, Dmar’g
und der Califen Herrſchaft, welche dem roͤmiſchen Meiche
‚mehrere Provinzen entriffen, waren fe nich mehr minder ”
mächtig. ö
Um die Mitte des fiebenten Sabrbunderte Hatte ſich
der Neſtorianismus nach Arabſen, Aegypten, Me⸗
dien, Lactrianien, Hircanjien und Indien erſtreckt.
Die Neſtorianer ſtifteten Kirchen ii’ allen Laͤndern, fchids '
ten Bifchdfe und Miffiondre in bie große Tartarei,
| drangen bie nad) China vor, umd dehnten fid) längs der
ganzen Käfe von Malabar aus. 2.
1) Assemann. T. 2. part. 2. p. 410.
\
. Ehaldder. 0877.
Derfien’s Biſchoͤfe waren den Patriarchen von Uns
tiochien untergeordnet; die Chaldder oder Neſtoria—
mer gaben ſich nach ihrer Spaltung einen Patriarchen, defs
fen Gerichtöbarkeit: über alle chriſtliche Kirchen der uners
meßlichen Länder, wo diefe Secte Fuß gefaßt hatte, aus⸗
gedehnt war. | |
Als die Tartaren den Thron der Califen umſtuͤrz⸗
ten, geſtatteten fie den Chriſten Freie Religions⸗Uebung,
und dem Neſtorianis mus verblieben alle feine Vorzüge
. unter der Regierung der Tartaren.
Seit der Verdrängung der Tartaren durch die Tur—
fen haben. fich die Neftorianer im Sprien, Chals
dien und Perfien. erhalten , doc aber: viche Kirchen vers
loren. Die Ummälzungen , die in den Morgenkändern durch
die Sriege dee Sarazenen, die Einfälle der Tarstaren,
und ie Eroberungen der Türken nach und nach vorgins
gen, gerfiscten ihre Schulen, umterbrachen die Verbindung
des Patriarchen mit den ihm unferworfepen Kirchen, fpals
- teten alle Neſtoria ner des Orients in vereinzelte Vereine,
verfaͤlſchten ihre Lehrſaͤtze, und veraͤnderten ihre wien
sucht. .
Da die Neftorianer ihre. Biſchoͤfe nicht andere y als
durch den Patriarchen erhalten Fonnten, fo.mußte man bei
dem Ableben des Biſchofes in einem Lande bei dem Patri⸗
archen um einen andern nachſuchen. Waͤre es nicht moͤglich,
daß bei der aͤußerſten Schwierigkeit, aus der tiefen Tartas _
rei Abgeordnete um Erlangung eineg Bifchofes nah Sys
‚zien gu fchicken, die-Nefforfanifchen Prieſter auf die
Erdichtung gelommen wären, ihr Bifchof fen unfterblich, und
Nließ ſich Hieraus nicht die Entkehung des Dalay Lama
erklaͤren? Da ferner nach dem unter: Babaͤus abgehaltenen
Concilium die Neftorianifchen Biſchoͤfe fich verheirathen
konnten, foßte nicht ein- Neftorianifcher Fuͤrſt auf den
Gedanken gekommen ſeyn: das Prieſterthum mit dem Throne zu
verbinden, und daher das Reich des Prieſters Johannes
ſeinen Urſprung genommen haben? Doc, dieß find bloß Vers
muthungen, möge Der geneigte keſer ihnen eine beitebige
Vahrſchemlichteit beilegen.
j
378 ' Chaldaͤer.
Meifende ſtießen in der großen Tartarei auf hie und
da zerſtreute Neſtorian er, welche in der tiefſten Unwiſ⸗
ſenheit leben; ſie haben weder Schulen, noch Biſchoͤfe, noch
unterrichtete Seelen⸗Hirten, werden bloß etwa von fuͤnf⸗
sig zu fünfzig Jahren von einem Biſchofe beſucht, der dann.
ganzen Familien, felbft Kindern in der Wiege, die Pries
fiermeihe ertheilt 1.
In Malabar war ihre beruͤhmteſte Kirche, welche
aber heut zu Tage zum »großen Theile unter. der Leituns
| römifch + tatholiſcher Viſchofe ſtehet 2).
—
Bepred der Eh a Idäen,
tens. Die Neſtorianer Sprien’s oder Chal⸗
daͤer laͤugnen die hypoſtatiſche Vereinigung des Wortes
mit der menſchlichen Natur, und nehmen in Chriſtus zwei
Perſoner an. Dieſer Irrthum iſt ganz deutlich in ihren Buͤ⸗
chern ausgeſprochen. Die Verfaſſer der Unveraͤnderl ichs
keit des Glaubens, und Affemann haben diefeg ers
tiefen 3). Sie führen Werfe ar, melde Simou, Geds
ves,de la Eroze nicht kannten, und bie folglich ohne: |
Grund behaupteten: daß: die Irrlehre der Neftorianer
Syrien's ein Hirngefpinnft oder bloßer Wortſtreit fey 4):
2tens. Sie glauben die Dreiefnigkeit; felgen aber Aber
das Ausgehen des bl. Geiftes dem Irrthume der Griechen, '
und glauben, dag er nur vom Vater ausgehe.
—
| , Voage, de Rubraqnis p. 60. Description de la Tarta-
rie. Hist. des Hupe. par M. de Guignes. . ..
2) La Croze Christianisme des Indes: | Bu
3) Perpetuite de la Foi, T. 4. L. 1. C. 57 Assemann
bibl. orient. T. 3, p. 2. °C. 7. $. 4: p- 210.
‚4) Simen Meberfegung der Reiſe des P.; BDaurlini. auf den
Berg Libanon, p. 382. Geddea lieberſetn der Synode vom
Diamper. Kurze Geſchichte der Kirche von Maldbar. : Die⸗
fee Schriftſteller verdient das große ßutraucn mot, wel⸗
ches ihm de la Croxe beilegt.
Chaldͤe. 379
ziens. Sie laͤugnen die. Erbſuͤnde.
Atens. Die Seelen find, nach ihnen, mit der Welt ge⸗
chaffen worden, und vereinigen ſich mit dem Koͤrper nach
Maaßgabe ſeiner Entſtehung im Mutterſchooße. |
ztens. Nach dem Tobe find die Seelen aller Empfindung
beraubt, und in dag frrdifche Paradies verbannt. Am juͤng⸗
ſten Gerichtstage kehren die Seelen der Gerechten in ihre
Leiber zurücd, und fleigen gen Himmel, während deffen die
Seelen: der Verdammten nad) Wiederannahnie hrer Leiber
auf der Erde bleiben werden.
btens. Die Seeligkeit der Heiligen beſtehet im Anblicke
ber Menſchheit Jeſu Chriſti, und in Offenbarungen, die
ihnen zu Theile werden, nicht aber in unmittelbarer An⸗
ſchauung der Gottheit.
7tens. Die Peinen ber’ verworfenen Engel un de J
Verdammten werden ein Ende nehmen 1)
Worin die ehaidaer mit der sömifgen Kieden Böck
' einfonmen?
Die N eſto rianer haben den Glauben. der römifchen
Kirche. über die Euchariftie und die. Sacramente beibehal-
ten: man findet hierüber überzeugende Bemeife in der Ins
veränderlidfeitdesßlaubens und bei Affemann?.
ta Croze hat ſich in dieſem Betreffe große Mißgriffe
zu Schulden kommen laſſen, wenn er 1teng behauptet, in der
Kirche „von Malabar eine Kirche zu finden, die obgleich
fie feit zwoͤlfhundert Jahren mit den. Kirchen von Rom,
Sonflanfinopel, Alerandrien und Antiochien in
gar feiner Gemeinfchaft mehr ffand, den größten Theil ver
von den Proteftanten ‚angenonimenen Glaubenslehren beibe⸗
“halten Habe, da doch jene der Neſtorianer ganz, oder
‚e
1) Assemann ibidem.
2) Peıpet. de la Foi. T. 4, L. 1. C. 7. L. 10, C. B, ‚Bi- |
blioth.: Oriuntalis d’Assem.. T. 3. part. 2.
\
380 Ehaldder.
zum Theile von proteflantifchen Kirchen verworfen worden
N
find. 1) Menn er tens behauptet: daß in dem ganzen Chris
ftenthume feine Secte zu finden fey, welche der Wahrheit
näher fomme, als die Neftorianifche, die nur durch die
die Umgerechtigkeit ihrer Feinde verfchrien worden fen. 2)
‚ Wenn er Itend dag Alterthiimliche der Gebräuche der protes
ſtantiſchen Kirchen hieraus darzuthun gedenkt.
In der That, alle Buͤcher und Ritualien der Chal⸗
daͤer laffen glauben, daß fie ale Bücher der hl. Schrift
für canonifch anerkennen, weldfe die römifche Kirche als
fölche annimnit: man findet darin die tefentliche Gegen⸗
wart gelehrt, und wenn einige hievon abweichen, fo iſt es
nur in der Erklärung, die fie uͤber dieſes Geheimniß geben
wollten. 3).
Wenn Übrigens 28 wahr wäre, dag die Kirche von
- Malabar bdiefen Glauben. nicht: gehabt "hätte,.:fv würde
daraus weiter nichts folgen, ale ‚daß fie die Uebergabe des
Glaubens verfälfcht habe, Meil die Bücher, die fie aufber
wahrt, biefe Lehre enthalten, und ſolche ſich bet den Chal⸗
daͤern ſeit ihrer Abſoͤnderuns von der roͤmiſchen Kirche ers
halten hat. 4). |
Diefe Bücher der Chal daͤer geben eine unwiderleg⸗
liche Probe, daß vor der Trennung der Neftorianer die
Lehre der ganzen Kirche im Einflange war. mit dem, mag
vie römifche noch heut su Tage lehrt, und daß folche ale
die Uebergabe Jeſu und der Apoftel angefehen wurde, weil
die Neftorianer hieran nichts zu aͤndern wagten.
Man kann bei Aſſemann Alles finden, was die Ge⸗
braͤuche, Ceremonien uud Liturgie der: Chaldaͤer, ihr⸗
Patriarchiſchen Metropoliten, Kloͤſter und Schulen betrifft. 5)
1) Christianism des Indes; Vorrede und / im Werle P.- 341,
342, Holländer Ausgabe, |
2) Diss. hist. sur divers Sujet, T. ı. Recherches sur la
#- religion chret. dans les Indes. So
3) Assemann Loc. cit.$. 12. EEE
4) Ibidem $. 23.
5) Asscmann T. 5. part. 8: C. 11, 12, 13. 14, etc.’
—
Chillaſten. 381
Chiliasten eder Millenarier. Man giebt die⸗
fen Namen: jenen, welche glaubten: Jeſus Chraſtus
werde auf Erden mit ſeinen Heiligen in einem neuen Jeru⸗
ſalem tauſend Jahre lang vor dem juͤngſten Gerichte
herrſchen. Folgendes gab dieſer Meinung ihre Entfichung:
| Die. Propheten hatten den Juden verheißen, Gott werde.
ſie aus allen Nationen fammeln, und nachdem Er über ihre
Feinde feine Gerichte werpe haben ergehen laſſen, fo würs
den fie auf Erden eine vollfommene Glückeligkeit genießen.
Gott kuͤndigte durch Iſaias an, dag Er einen neuen
Himmel; und eine neue Erde (haffen werde.
„Des Vorigen wird man nicht mehr gedenken noch zu
„Herzen nehmen“ ſpricht der Herr durch den Mund des
Ptopheten, ſondern ſie werden ſich ewiglich freuen und froͤh⸗
lich ſeyn uͤber dem, das Ich ſchaffe. Denn ſiehe, Ich will
Jeruſalem ſchaffen zur Wonne, und ihr Volk zur Freude.
Ich will froͤhlich ſeyn uͤber Jeruſalem und mich freuen uͤber
mein Volk, und ſoll nicht mehr darin gehoͤrt werden die
Stimme des Weinens, noch die Stimme des Klagens. —
Sie werden Haͤuſer bauen und bewohnen, ſie werden Wein⸗
berge pflanzen und derſelben Fruͤchte eſſen: ſie ſollen nicht
bauen, daß ein Anderer bewohne, und nicht pflanzen, daß
ein Anderer eſſe. Denn die Tage meines Volkes werden
ſeyn, wie die Tage eines Baumes, und das Werk ihrer
Hände wird’ alt werden bei meinen Auserwählten. - Sie
ſollen nicht umfonft arbeiten, noch mzeitige Geburt gebären,
denn fie find Der Saame der Gefegneten des Herrn, und
ihre Nachkommen mit ihnen: Und es ſoll gefchehen: ehe
fie rufen, will Ich antworten; wenn fie noch reden, will
Ich Hören. Wolf und Lamm follen meiden zugleich; der
Löwe wird Stroh effen, wie ein Rind, und die Schlange
fell Erde effen; fie werden nicht fchaden noch verderben auf
meinem ganzen heiligen Berge, fpricht der Herr 1) |
j Ezechiel gibt. nicht minder herrliche Verheißungen:
„So ſpricht der Herr: Siche Ih will eure Gräber aufs
) Isaias. 65, 17. ffl.
382 —W Ehlllaten.
„thun, und will euch mein Volk, aus denſelben herausho⸗
„len, und euch in's Land Ifrael bringen; und ihr ſollt
„erfahren, daß Ich der Herr bin. Ich will die Kinder
„Iſrael holen, aus den Heiden, dahin ſie gezogen ſind, und will
„ſie allenthalben ſammeln, und ſie wieder in ihr Land brin⸗
„gen, und fie ſollen wieder im Lande wohnen, das Ich meinem
„Knecht Jakob gegeben habe, darin eure Vaͤter gewohnt ha⸗
„ben; und mein Knecht David ſoll ewig ihr Fuͤrſt ſeyn“ 2)
Die Juden, welche Jeſum fuͤr den Meſſias erkannten,
verloren dieſe herrlichen Verheiſtungen nicht aus dem Augen,
- und glaubten, daß fie bei der zweiten Ankunft: Jeſu in
Erfüllung gehen würden. . Diefe Menfchen, halb Juden
halb Chriſten, glaubten, daß nach dem Erfcheinen des Ans
kichriſt's und dem darauf folgenden Untergange aller Voͤlker
eine erſte Auferſtehung der Todten, welche nur die Gerech⸗
ten begreife, vor ſich gehen werde, jedoch würden bie noch
J auf Erden Ueberbleibenden, Gute und. Boͤſe, am Lehen ers
holten werden, bie erfien um den erfiandenen Gerechten wie
+ ihren Fuͤrſten, gu gehorchen, bie legten, um von den Ges
u Ye befiegt und unterjocht zu werden. Alsdann wird
efus Chriſtus in feiner Herrlichkeit vom Himmel her⸗
niederkommen, die Stadt Jeruſalem wird von Neuen ers
bauet, erweitert ‚und verichönert, auch der Tempel wieder
‚hergeftelt werden. Die Chiliaften gaben beffimmt den
Platz an, wo Beide zu fliehen fommen, und den Umfang,
- den fie einnehmen würden. Die Mauern Jeruſalems wir
den von den freinden Nationen unter Leitung ihrer. Könige
aufgeführt ; Alles was verwüflet war, und vorzüglich ber
- Tempel würde mit Copreffen » Fichten s und Cedernhols vers
fleidet werben; die Thore der Stadt flünden immer offen,
und Tag und Nacht würden Reichthuͤmer aller Art dafelbft
sufammenfließen. Auf diefeg Jeruſalem wendeten fie an,
wos im 2iten Kapifel der Apokalypfe, und auf den Tem⸗
pel, was bei Ezechiel ſtehet: hier nun würde Jeſus Chri⸗
fing taufend Jahre lang als irrdiſcher König. bereichen, und
2) Ezechiel 37, 12, 21, 25.
Ehiaften. vn 383
mit hm bie Heiligen, Patriarchen und Propheten diefe tau⸗
fend Jahre hindurch im vollfommenften Vergnügen dahin
Teben: jetzt bofften fie, werde Jeſus feinen Freunden dag
hundertfältig erfeßen, was fie um feinetwillen verlaffen hats -
ten. Einige behaupteten, die: Heiligen würden dieſe Zeit
in Sreudenniahlen verleben, felbft im Genuffe von Speis
und Trank wuͤrden fie die Schranten der Mäßigung wett
überfchreiten, ja fich unglaublicheg Uebermaß erlauben; in
diefem Reiche fen es, wo Yefus von dem neuen Weine
trinken werde, wovon Er bei’m letzten Aberrdmahle fprach :
weiter behaupteten fie: es wuͤrden auch Verehelichungen
Statt finden, mwenigftens für Jene, die bei der Wiederkunft -
Jeſu noch am Leben ſeyen befunden worden, auch Kin
der würden geboren werden : ale Nationen würden Iſrael
gehorchen, alle Gefchöpfe den Gerechten: mit "größter Wills -
fährigkeit dienen; doch gäbe es auch Kriege, Triumphe, °
- Sieger und Befiegte, die den Tod würden erleiden muͤſſen.
Sie verfprachen fich in dieſem neuen Jeruſalem einen uhers
ſchoͤpflichen Ueberfluß an Gold, Silber, Thieren, Gütern
aller Art, mit einem orte Alles, was Chriſten, aͤhnlich
den Juden, die nur koͤrperliche Wolluſt fuchen, ſich erdens
fen und wünfchen koͤnnen. Dem figten fie bei, daß die Bes ..
fchneidung ein immermwährender Sabat und Schlacht s Opfer
Statt haben würden; alle Menfchen würden Gott zu Jes
rufalem anzubeten, kommen, ein Theil alle Sabate, andere
alle Monate; die enifernteften einmal des Jahres; das - ganze
Geſetz würde gehalten, und anſtatt die Juden in Ehriften,
wuͤrden dieſe ſich in Juden umwandeln. Deshalb nennt
- ber hl Hieronymus die Meinung der Chiltaffen’eine -
| jüpifche Ucberlieferung und Fabel, und die Chriften /ſo das
ran glaubten, iudaizirende Chriften und Halbjuden. Sie -
erzählten Wunderdinge von der Fruchtbarkeit der Erde, die
allerorts ihre Erzeugniffe ohne Anbau bervorbringe. Nach
Verlauf des.taufendjährigen Reiches, fagten fie, werde der
Teufel die Völker Scythimus in der Schrift unter dem Na⸗
men Gog und Magog befannt, verfammeln, welche mit
andern · ungläubigen Nationen, die an den dußerften
Grängen der Erde wohnten auf Anfliften. des boͤſen Geiſtes
384 | Zn Chiliaſten.
die Heiligen in Judaͤa bekriegen würden; Gott aber werde
fie zuruͤckhalten und durch einen Feuerregen toͤdten. Nach
Pr
allem diefen werden die Bien auferfichen.. Mit dem Ende
des taufendjährigen Reiches erfolgt daher Die allgemeine
Auferftehung und dag Weltgericht, nun wird fi das Wort
des Heilandes erwahren: „daß fie nicht mehr freyen und
„freyen laffen werden ; ‚denn fie find den ‚Engeln gleich,
„weil fie Kinder der Auferfiehung find.“ 1).
Dieſe Meinung, welche der Phantafie zu wohl thut,
um nicht Unhänger zu finden, ſcheint Cerinfhus in
Schwung gebracht zu haben: man glaubte fie. in der Offen⸗
barung Johannis zu Iefen, wo es heißt: Die Gerechten
werden faufend Jahre mit Jeſus Chriſtus auf Er
den herrichen. Diefer Apoftel, meinte man, babe nur
Ezechiel's Weiſſagung erläutert. Mehrere fchieden bag
Wohlluͤſtige, welches rohere Ehriften der Gluͤckſeligkeit ver
Heiligen beimifchen,, von dieſem Neiche aus: auf viefe Weis
fe erklärte Papias das 2Lte K. der AUpofalypfe.
Diefe von den grobfinnlichen Vorſtellungen entEleidete
Meinung wurde vom verichievenen Vätern, wie dem hl.
Juſtin, dem hl. Irenaͤus u. A. angenommen. „Die
geoße Zahl der Kirchen s Schriftfieller und Märtyrer, toels
che der Meinung der Chiltaften anhingen, erlaubte dem
bi. Hieronymus nicht, fie fchlechthfn zu verdammen, fons
- dern will die, Entfcheidung ‚hierüber dem Urtheile Gottes
an
vorbehalten, und geflatten, daß jeder feiner Uebergeugung
lebe; jedoch verwirft er fie als eine der Echrift gumiders
laufende Unmwahrheif, als eine gefährliche und Lächerliche
Maͤhre, welche für jene, Die ihr unbedingt Glauben beis
meffen, ein Stein des Anſtoßes werden fann. Philaſt ri⸗
us feßt fie fogar unter die Ketzereien. Die Morgen:
Länder, welche gegen den hi. Cyrillus fchrieben, geben bie
taufend Jahre Apollinar’s für Fabeln und Poffen aus,
und Eyrill erklärt in feiner Antwort, daß er fid) bei dem
was Apollinar geglaubt habe, gar nicht aufbalte. Die
u Tacı 20, 35, 56.
Chiliaſten. Circumcellivnen. | 385
meiſten Vaͤter, insbefondere der römifche Presbyter Cajus,
Drisgines, Dionyfiug von Alerandrien, die heilis
‚gen Baftliug, Gregorius von Nazianz, Hieronymus
und Auguſtinus haben dieſen Irrthum beſtritten, wel⸗
cher auch zur Zeit des hl. Hieronymus und Auguſti⸗
nug feine befannte Anhänger mehr hatte 1).
Diefe Meinung kam unfer den Dietifen Deutſch⸗
land's wieder zum Vorſcheine 2).
Criſtomacher. Der Gattungs⸗Name, unter welchem
der hi. Athanaſius die Ketzer begreift, ‚welche über die
Natur, und Perfon Jefu Ebriſti im Srerbume befangen
"waren 3).
Circumcellionen ®), Benennung einer unter ben _
Donatiften entfiandenen wuͤthenden Secte gegen das Jahr
‚347, alfo genannt: weil fie, ohne feften Wohnort umher
irrend an den Bauernhäufern (Circum Cellas.) ihren: Uns
halt fuchten. Der heil. P hil aſt rius nennt fie Cir⸗
cuitores. Dieſe Secte bildete ſich aus einem Haufen roher
und unwiſſender Landleute, die kaͤmpfend fuͤr ihre Parthei,
Martyrer zu werden wäahnten.: Sie waren ſtatt mit Schwer⸗
tern mit Stöcken bemafinet, weil Jefus dem Petrus das
Schwert verboten hatte. Mit dieſen Stöden fchlugen fie
einem Menfchen die Beine.entzwei, und wollten fie einem
Gnade widerfahren laſſen, fo ſireckten fie ihn mit einem
. Schlage zu Boden. Diefe Stöcke nannten fie Iſraeliten. 4).
Auf ihren Feldzuͤgen gegen die Katholiken ſangen ſie:
Gelobt ſey Gott. Dies war das Signal zum Blutver⸗
1) Man ſehe Tillemont T. 2. art. Millenaires p. 300.
und Herrm. Klec dissert. de Chiliasıno prim. Saecul.
Herbipoli. 1825.
3) Stokmann Lexicon. _
3) Athanas. 1, Decret. Synod. Nicaen,
*) Atcd Jahrhundert.
4) August. de Haer, C. 69, Theod. L. 4, C. 5, Optat
L. 5.
Ketzer⸗Lexrikon. I. 28
“
—
386 Circumcellionen.
gießen, Alles entfloh bei ihrer Annaͤherung; die Donati⸗
ſtiſchen Biſchoͤfe, unterſtuͤtzt von dieſer furchtbaren Hee⸗
resmacht, verbreiteten allſeits, wo ſie wollten, Verwuͤſtun⸗
gen, und vertrieben die Katholiken aus ihren Kirchen. 1.
Nicht allein die Katholiten waren ihren wuͤthenden
Angriffen blosgeſtellt; audy gegen die Heiden ſah man fie
Schaarenmeife bei Feier ihrer Feſte heranziehen, um von
ihnen den Tod zu erleiden; unerfchrocken flellten fie fich den
Pfeilen, die man gegen fie abdruͤckte, entgegen, tie die
Heiden ihrer Seits die Götter zu ehren glaubten, menn fie
ihnen diefe Elenden opferten. 2).
. Schite es an einer folchen Gelegenheit, fo gaben fie ol |
ihr Geld her, um getoͤdtet zu werden ; konnten fie fich Die
Ehre des Marterthums nicht erfaufen, fo ſtellten fie ſich
auf die Straßen und zwangen die Vorübergehenden, fie
niederzumeßeln. Wer ſich weigerte, ihnen diefen gräßlichen
Dienft zu erweifen, mußte es gewoͤhnlich mit dem Leben
bißen. Theodoret berichtet: daß die Katholiken eine
fromme Lift gebrauchten, um nicht gezwungen zu ſeyn, das
Blut diefer Wahnfinnigen zu vergießen; fie ſtellten ihnen
nämlich. vor, fie müßten fich vorerft binden laffen, um fo
ale Opfer defto ficherer ihren Zweck zu erreichen. Waren
fie gebunden, fo fchlugen die Katholiten fo lange auf fie,
big fie fich eines Beſſeren befinnenn, von ihrer Wuth ge⸗
heilt wurden. 3).
Manche wandten eine gewiſſe Zeit darauf, um ſich gut
zu naͤhren, worauf ſie als gemaͤſtete Schlachtopfer von hohen
Felſen ſich herabſtuͤrzten, in Fluͤſſe ſprangen, oder auf an⸗
dere Weiſe eines freiwilligen Todes ſtarben. Zuweilen,
ihrer eigenen Schwachheit mißtrauend, oder aus Furcht,
man möchte fie zwingen, mit den Katholiken in Gemeins
—
1) Ibidem,
3) August, cont, Lit. Parmen, L. 2, C. 20, in Johan.
om. LI.
3) Theod. Haeret, Fab.
—
Circumcellionen. 387
(daft zu trefen, zuͤndeten fie Scheiterhaufen an, ſtuͤrzten
ſich hinein, und ſtarben mit Freuden. Tagtaͤglich ſah man
die Erde mit dem Blute dieſer Ungluͤcklichen gefärbt; tagtäglich
erblickte man Schaaren von Männern und Weibeen, die
fleilften Berghoͤhen hinanklimmen, ‚und ſich von Felſenſpi⸗
tzen in Abgruͤnde ſtuͤrzen.
Das Volk erwies ihren entſeelten Leichnamen dieſelbe
Ehre, welche die Kirche den irdiſchen Huͤllen der Martyrer
beweiſt; das Jahrgedaͤchtniß ihres Todes wurde feſtlich
begangen.
Dieſe Verirrten ſuchten ihre Selſtentleibung durch das
Beiſpiel des Razis zu rechtfertigen 1), und ſtarben in
der Ueberzeugung, hiedurch die Krone des Martyrthum's m
“erlangen. (Siehe den Art. Donatiften.
I \
4) Rasid, ein eifernder Jude für den Glauben feiner Vaͤ⸗
tee zur Beit dee Maccabäer, wurde von Nicanor mit
500. Mann in einer Burg belagert. Da die Feinde bie
Burg. befifirmten,. und ce ohne Doffnung war, dur die
Flucht zu entfommen, wollte er lieber ehrenvoll flerben, als
den ©ottlofen in die Hände fallen, und von ihnen Hohn .
und Beſchimpfung dulden: er fiel in fein Schwert, da aber
die Wunde nicht auf der Stele tödtlih war, und die feinds
liche Schaar durch dad Thor hereinſtürmte, entfioh er mit
mannhaftem Muthe auf. die Sinne, ſtürzte fi hinab uns
ter das Volk, erflimmte, fih aufraffend, einen fleilen Fel⸗
fen, riß verblutend, das Gedärm aus feinem Leibe, warf
ed unter den Haufen, rief den Heren Über Leben und Tod
an, Er möge ipm Alles das dereinft wiedergeben und ſtarb.
2. Marcab. 14. Die Juden zählen Razis unter ipre
“ berüpmteflen Märtyrer, und wollen dur fein Beifpiel, wie
durch jenes von Saul und Samſon bemeifen, daß es
Säle gebe, wo ein freiwilliger Tod nicht nur erlaubt, fons
dern ſelbſt 10blich und verdienftlih fey, nämlih 1) gerechtes
Mißtrauen auf eigene Kräfte, und Furt der Verfolgung
zu unterliegen. 2) wenn man vorperfieht, daß die Feinde,
in deren Hände man fällt, Hieraus Vetanlaſſung nehmen
25 *
/
388 Circumcellionen.
Den Namen (Circumcelionen) legte man auch ei⸗
ner beſondern Art von Predigern bei, die ſich um die Mitte
des 13ten Jahrhunderts (1248) in Deutſchland erhoben.
Jedermann kennt die langwierigen Fehden des Kaiſers Frie⸗
derich mit den Paͤbſten, und den Bannfluch, welchen In⸗
nocenz IV. auf dem Concilium zu Lyon gegen ihn ergehen
ließ. Während der Hitze dieſer Zwiſtigkeiten entſtand in Deutſch⸗
land ein Verein, der unter dem Vorwande, die Sache des Kai⸗
ſers zu verfechten, predigte, der Pabſt, die Biſchoͤfe, und
die andern Praͤlaten ſeyen Ketzer und Simonfafer; jeder
Priefter der eine Todfünde auf fi habe, habe die Gewalt
verloren, die Euchariffie zu confecriven; und fey ein Vers
“führer ; weder der Pabſt, noch die Bifchöfe, noch fonft ein
jebender Menfch habe das Recht, den Sffentlichen Gottesdienſt gu
verbieten ; und jene fo es thären, feyen Keger und Betrüger;
die MindernsBrüder und jche des Predigers Ordens
verfehrten die Kirche durch ihre falfchen Predigten; außer
ver Gefellichaft der Circumcellionen lebe Niemand dem
Evangelium gemäß. | \
Weceaeann ſie diefe Grundſaͤtze geprediget hatten, ſo erklaͤr⸗
ten ſie ihren Zuhoͤrern, daß ſie ihnen Ablaß geben wollten,
der nicht von der Erfindung des Pabſtes und der Biſchoͤfe
fen, fondern unmittelbar von Goft komme.
—
Fönnten, Gott und feinen heiligen Namen zu laͤſtern. Eis
nige Theologen meinen den Razis mit dem Borgeben zu
rechtfertigen, daß er aus befonderer Eingebung gehandelt
Habe; und beflättigen diefed durch das Beiſpiel einiger Jung⸗
frauen, die, um ihre Ehre zu retten, fi getödtet haben.
Lyran. tirin. Serrar. in 2. Maccab. ı4. Auguftin
und Thomas fagen: da die That des Razid in
der Schrift nicht gutgeheiſen, ſondern nur angefuͤhrt ſey,
ſo koönne aus derſelben zur Rechtfertigung der Selbſtentlei⸗
bung in der Sittenlehre nichts gefolgert werden. A uguat.
ep. 21, alias 204. lb. cont. Gaud, C. 31. P. Thom. prim.
adae art. 5, ad 5.
|
‚ Eircumcelionen. Elemene. 389
Diefe Circumcellionen fügten ber Parthei Frie⸗
derich's großen Schaden zu; und machten mehrere Kar
tholifen von ihm abwendig. 1)
Clancularier. Benenung einer Secte der Anas
baptiften, welche fagten: man milffe im Deffentlichen efne
Sprache führen, wie fie gemeinhin unter den Leuten uͤb⸗
lich fey; wenn von Neligionsfachen die Rede wäre, und-
feine eigentlichen Gefinnungen geheim halten. 2), Ä
Claudius von Turin. *) verfiel zu Anfang des
neunten Stahrhunderts in die Irrlehre der Bilderfiürs
wer, und des Vigilantiug,
Gewiſſe Mißbräuche ,. die er bei der Andacht der Gläus
bigen in dieſem Betreff gewahrte,, bewogen ihn, die Vers
ehrung der Reliquien und der Bilder anzuſtreiten. j
Claudius war einer der.eifrigften Chriften feines Jahr⸗
bunderts; aber es fehlte ihm an richtiger Urtheilstraft,
. oder an Mäßigung im Punfte der Verehrung der Reliquien
und der Bilder: er wurde von Dungal und Jonas von
Drlean’g widerlegt, und in einem Concilium von Paris
verdammt, welches erklärte: die Bilder ſeyen in den Kir
chen zum Unterrichte des Volkes beizubehalten, nicht aber,
um fie anzubeten, oder ihnen eine abergläubige Verehrung
zu erweiſen. 3).
Clemens **), aus Schottland ſtammend, verwarf
die Kirchenſatzungen und Concilien, die Abhandlungen der
Vaͤter über Religions⸗Materien, und ihre Erklaͤrungen der
hl. Schrift; auch nahm er die Werke des hi. Hieronys
1) Dan ſehe Dupin 13 Siscle p 198. D’Argentre.
2) Sieh den Artifel Anabaptiften und ihre Gecten.
*) 9tes Jahrhundert.
3) Mabillon Annal.Ord Benedict. J. 29, n. 52. 60, 61,
Conc, T. 7, p. 1943, Hist, lit, de france T.4p
256, 490. | |
**), geh Jahrhundert.
390 | Elemens.
mus, Auguftinus, Gregorius u. a. nicht an; behaupte⸗
te, er koͤnne Bifchof feyn, wenn er auch zwei Kinder im Ches
bruche gezeugt hätte: ein Chrift dürfe feines Bruders Wittwe
ehelichen. Jeſus habe bei'm Abfteigen zur Hölle, alle Vers
dammte, auch Die Ungläubigen und Goͤtzendiener erlöst: übers
dieß beste er verfchiedene Irrthuͤmer über die Borerwählung.
Er wurde mit Adalbert im Concilium von Sofffong und
einem andern gu Nom gehaltenen Kirchenrafhe verdammt 1)
Die gelehrten Herausgeber der Literar s Gefchichte von
Sranfreich fcheinen diefen Clemens unfer die Zahl jener
Gelehrten zu fegen, welcher unter Carl dem Großen an
Miederberftellung der Wiffenfchaften arbeiteten, und ihn
für den Lehrer Heito's zu halten, welcher Abt des Klos
fter 8 Nihemont im Bishbume Conſtanz, in der
Solge Befandter Carl’sg des Großen zu Conffans
tinopel, und Biſchof zu Baſel gemefen mar.
Auch glaubt man, dag bie Studien des Pallaftes unter feis
ner geitung geſtanden ſeyen; im Ganzen weiß man ſehr we⸗
nig von ihm 2).
Es iſt nicht unmoͤglich, daß in einem Jahrhunderte, wo man
ſo viele Werke der Vaͤter unterſchoben und verfaͤlſcht hatte,
ein Mann, der die Theologie mit der Fackel der Kritik zu
beleuchten anfing, jene Schriften als nichts beweiſend vers
- worfen habe, und auf Abwege gerathen fey. Diefe Verir⸗
rung hätfe ihrer Natur nach den Gelft dem Studium ver
Kritif zulenken follen; allein das Sahrhundert war zu un⸗
wiffend, um dieſes zu erwirken. Der Irrthum deg Clemens
mar weder nüßlich noch gefährlich; er wurde verdammt, und
fand Feine DVertheidiger und Schüler. _ j -
Mögen die. Freunde der Unmiffenheit dieſes Beifpiel
‚nicht als Waffen gegen die Wiffenfchaft gebrauchen. In dies
>. fem ‚fo unwiffenden Zeitraume, wo Clemenf’ens Irr—⸗
- thümer nicht einmal Anhänger fanden, , mißbrauchte ein
1) Conc. 7. 4. Bonil. Ep. 135:
2, Flist. literairce de France. T. 4. p. 8, 15.
—
| Clemens. leo. — 31
Schwarm von. Belrügern das Bolt: die abgefchmackteften
Irrlehren würden von unwifienfchaftlihen Schwärmern ges .
pecdigef, und gierig aufgefaßt; das GittensVerderbniß
war fo groß, als tiefgetwurgelt die Unmwiffenheit war; Aus⸗
fchweifungen und Aberglaube mwuchfen ſtets im Verhältniffe -
mit der Abnahme des Lichfed. Man vergleiche mit diefem.
den Artikel Adalbert. Diefe beiden Maͤnner wurden von
Einem Concilium verdammt.
Eleobiug oder Eleobulug, *) ein eitgenoffe |
„Simon's, befeindefe die chriftliche Religion, und ward
Häuptling der Secte der Cleobianer.
Cleobulus verwarf das Anfchen der Propheten, die
Allmacht Gottes, und die Auferſtehung; die Schöpfung der
Walt fchrieb er Engeln zu, und Idugnete Die Geburt Jefu
von einer Jungfrau 1). . 7
So fanden die Apoſtel und erften Verfünder des Evans .
‚gelium’s in ganz Palaͤſtina Widerfäger , und dieß waren
gebildete Männer, gebt im Digputiren, ausgerüftet mit
Ueberredungg » Runft, befeelt von Syſtem's⸗Sucht, wenn
id fo ſagen darf, und von heftigem Verlangen nach Ber
rühmtheit, welches die gewöhnliche keidenſchaft der Ketzer⸗
Haͤuptlinge war.
Gegner dieſer Art legten den Apoſteln alle nur moͤgliche
Schwierigkeiten in den Weg, und unterließen nichts, fie
auffallend und obfiegend zu machen. Die Thaffachen, wel
che zur Grundlage des Chriſtenthum's dienen, wurden Das '
ber damals mit der forgfältigften Genauigkeit unterſucht,
und der ſtrengſten Pruͤfung unterworfen.
Die geringſte Untreue, deren ſich die Apoſtel ſchuldig
gemacht haͤtten, wuͤrde von ihren Feinden an's Licht ge⸗
bracht worden ſeyn, und eine ſolche wohl erwieſene Untreue
hätte unfchlbar jedes Vorſchreiten einer Religion gehemmt,
*) 166 Dahrhundert.
3). Constit. Apost. 1. 6,.C. 3. Theodor. haeret. fab.
L. 2. Praof. Euseb. Hist, Eccles, L. 4. C. at.
4
I “
392 . Cleobius. Colarbaſſus.
deren Sittenlehre die Leidenſchaften bekriegte, und die, ber
Vernunft unzugaͤngliche, Geheimniffe vortrug.
Machen wir vor unferer Zeit einen Schluß auf jene,
Wenn heut zu Tage Leidenfchaften und Vorurtheile jenen
Schwall von, fpöttifchen Ausfällen auf die Religion, jene
geſchraubten Phrafen, die ihres Schwulſtes entfeidet, der
Vernunft weiter nichts, als abgetretene und flache Poffen
darbieten, fchon für ermwiefene Wahrheiten möchten gelten
laffen,, welchen Eindruck mußten nicht die Feinde der Apo⸗
fiel auf die Gemüther machen, wenn fie ihnen mit Grund
irgend einen Trug oder eine Unrichfigfeif ihrer Angaben
häften vorwerfen Finnen.
So aber macht die chriſtliche Religion gerade zu dieſer
Zeit ihre reißendſten und ſchreiendſten Fortſchritte, wogegen
alle Secten, die ſie anfeinden, verſchwinden und zerſtaͤu⸗
ben. 1).
-Die Bewißhett der Tharfachen, welche die Apoſtel be⸗
zeugten, ſtehet daher mit den Fortſchritten des Chriſten⸗
thums, und Erloͤſchung der Secten, welche ſolches bei ſeinen
Beginnen anſtritten, im offenbarſten Zuſammenhange.
Wir haben alſo vor unſern Augen feſtſtehende Thatſa⸗
| "hen, die mit der Wahrheit des Zeugniffes der Apoſtel eben
fo nothwendig verknüpft find, als die glaubwuͤrdigſten Denks
male mit den unwiderfprechlichften Begebenheiten. Der Vers
lauf Der Zeit, und freulofe Zeugniffe Eonnten dieſe mit der
Wahrheit der Predigt der Apoſtel sufammenhängenden Thats
fachen nicht entftellen; fie halten die Probe gegen alle Eins
mendungen und Bedenklichfeiten des Eceptrusmus. Die
Gewißheit derſelben für ung gleicht jener der Zeitgenoffen
der Apoſtel. |
Colarbaffug, berühmter Balentinfaner, welcher dem
Syſteme Valentius die Grundfäße der Cabbale und
Alſtrologie angepaßt zu haben ſcheint. 2).
5) Theodoreti Ibidem. | |
5)Auter Append. ad Tert. de Prascript C. 55.
Colluthus. 393
Colluthus. *), Priefter zu Alerandrien , Pfarrer in
einer der Abtheilungen dieſer Stadt, lehrte nicht nur, daß
Gott nicht der Urheber des Uebels ſey, ſondern auch, daß
es fein Uebel gebe, welches von Gott komme.
Der HI Epiphaniug fagt: taß, waͤhrend Arius
einer Seits feine Gortlofigkeit; predigte, man andere Seelſor⸗
ger fah, die, wie Colluthus Sarmathugxc. bald dieß
bald jenes dem Wolfe vortrugen, welches in feinen Meinungen
und Lobpreifungen getheilt fi), die einen Arianer, bie
andern Colluthianer nannten. 1).
Die Begierde, fi) einen Namen zu machen, verleitete
Colluthus zur Irrlehre. Da er nur ein mittelmaͤßiger
Kopf war und in einem erleuchteten Zeitalter lebte, fand
er wenig Schuͤler.
Herrſucht iſt das gewoͤhnliche Erbtheil der Mittelmaͤßig⸗
keit, und die Halbheit bedient ſich nie anderer als kleinlich⸗
tee Mittel. Colluthus trennte ſich von Alexander, feis
nem Biſchofe, unter dem Vorwande: dieſer Patriarch zeige zu
viele Schonung gegen Artus. Hierzu bedurfte es von feis
ner Seite weder Talente, weder Kenntniffe noch Verdienſte.
Allein unmiffente Ehrgeizige willen Feinen andern Weg eins
sufchlagen, um Aufſehen zu erregen, welder fin Zeiten der
Unmiffenheit immer zum Ziele führt, in einem aufgeklaͤrten
Zeitalter aber nur lächerlich macht. Colluthus hatte fich
nach feiner Trennung von Alerander aug. eigener Macht⸗
Voͤlle zum Bifchofe erhoben. Das Concil von Alerandrien
entkleidete ihn von feiner eingebildeten Bifchofs » Würde,
und wies ihn fn den Priefterffand zurück.
Auf dieſe Weife fiel Col luthus in die Vergeſſenheit mit
allen jenen fchwachen Brauſekoͤpfen, welche die Sucht nah
einem Namen zu Sectenftiftern machte. In den finftern
Jahrhunderten hätten fie gefährliche Spaltungen veranlagt;
Adalbert, Waldo, Arnold von Brefcia, und fo
”) 4ted Jahrhundert.
ı) Epiph. Haer. 69. Rbilast, Haer, 78.
N
394 Colluthus. Cophten.
viele andere, welche die Kirche verwuͤſteten, waren um nichts
beſſer als Colluthus; allein ſie traten in einem Zeitpunkte
auf, wo ein Theil der Geiſtlichkeit Sitten⸗ und Kenntniß⸗
los Alles beherrſchen wollte, und die Religion nur durch
Machtſpruͤche vertheidigte. | |
Cophten. So heißen die Fakobitifchen ‚oder
Monophyfitifchen Chriften in Aegypten, mit Ausſchluß
-der übrigen Einwohner diefes Landes. Zur befferen Ers
fenntniß ihres Urfprunges muß man bie auf die Zeit des
Dioscorus zuräcgehen.
Dios cor, Patriarch von Alerandrien, mar der eifr
rigfte Verfechter des Euthchianismus. Das Anfehen, '
welches ihm feine Wuͤrde verlieh, feine große Freigebigkeit,
die ihm die Herzen des Volfes gewann, Der Abfcheu, den
er gegen die Gefchicklichkeit hatte, allen Aegyptiern gegen die
Feinde des Eutyches einzuflößen, welche er ald Neftos
rianer bezeichnete, ſtreuten Den Eutychianismus in ganz
Aegypten aus.
Das Concilium von Chalcedon, welches Dioscor’ n
feines Stuhles entfehte, empoͤrte ale Gemüther, und ents
uͤndete das Feuer der Schwaͤrmerei in ganz Aegypten. Die
ſtrengen Geſetze der Kaiſer gegen die Feinde des Conciliums
von Chalcedon, und die Kunſtgriffe der Anhänger Dis
cor's gaben demfelben Nahrung, und das ganze fand ward
mit Unruhe, Zmiefpalt und Aufruhr erfüllt.
| Die Faiferliche Macht verfchaffte endlich den Ausfpris
ten jenes Conciliums fn ganz Aegypten die Dberhand: man
ichicfte von Conftantinopel Patriarchen, Bifchdfe, Beamten, '
Statthalter, und die Landegeingebornen wurden von allen
bürgerlichen, mititärifchen und Firchlichen Stellen ausge⸗
ſchloſſen. Jedoch dampfte man hierdurch die Schwärmerei
nid. Ein Theil der Gegner des Concils von Chalces
don zog fich nach. Ober⸗Aegypten zurück, andere verließen die
Meichsländer, und begaben fich nach Afrifa, und zu den
Arabern, wo alle, Neligionen geduldet waren. 1).
G
5 Epiph. Haer. 79. Hist. Patriarch. Alex. p. 164.
*
Caphten. | 395
Die in Aegypten zuruͤckgebliebenen unterlagen zwar der
Gewalt, naͤhrten aber im Herzen einen unverſoͤhnlichen Haß
gegen die roͤmiſchen Kaiſer; dag harte Verfahren ver Etat
halter und kaiſerlichen Beamten, die Demuͤthigungen und
Beſchimpfungen, die man ſie fuͤhlen ließ, mehr als hundert
tauſend bei verſchiedenen Veranlaſſungen wegen Nichtannahme
des Concils von Chalcedon dargebrachte Schlachtopfer der
Ihrigen hatten ihre Gemuͤther, nebſt unausloͤſchlichem Haſſe,
mit brennender Begierde nad) Rache erfuͤllt. 1).
Die Patriarchen ihrer Secte ſchickten ihre Vicarien, ſie
in dieſer Stimmung und ein Auflehnen gegen die Geſetze
der Kaiſer zu erhalten.
Unter dem Kaiſee Heraclius ſandte der Patriarch
Benjamin aus den tiefen Wuͤſteneien Unter⸗Aegypten's
feinen Bicar Agatbo, der als Drechsler- verflefvet, den
Aegyptiern dre Satramente, und das hl. Abendmal ſpen⸗
dete.
So ſchloß nun Aegyten zwei Voͤlkerſchaften in ſich, die
ſich toͤdtlich haßten, die Griechen oder Roͤmer, die alle Stel⸗
Nlen und Würden des Staates inne hatten, und woraus der
größte Theil der Heeresmacht beftand ; und die Aegpptier,
unendlich an Zahl jenen überlegen, welche die Bürgerfchaft,
das Landvolf und die Gewerfer in fich begriff.
Während dieſes Standes der Dinge in Aegypten bes
mächtigten fi) die Sarazenen Palaͤſtinen's und Sys
rien's. Die Aegyptier riefen fie in's Land, fchloffen
Bundnig mit Amon, Omar's, Feldoberſten gegen Die Roͤ⸗
D
2 Die Statthalter, wenn ſie fpeiten, ließen ſich die Tafel
von vier Aegytiern Halten, und wiſchten ihre Hände an ih:
vem Barte, die unerträglichfte Belhimpfuug , die ihnen
widerfahren konnte, und welche noch heut zu Tage ihren
Zorn und ihre Rachgierde gegen die römifhen Kaifer aufregt.
Dad Andenken an die begangenen Gräueltpaten und der
‚ Annopme des Goncilium’s von Ealcedon Willen ſiehet
| jetzt neh vor ihren Angen.
4
-
4
396 ECophten.
mer, und ſpielten fomit Uegypten den Sar azenen in die
Haͤnde. Alle Griechen oder Roͤmer entflohen; und Aegypten
wurde von nun an bloß von Eingebornen u. Sarazenen bewehnt,
weiche erftern eine Kopffleuer auflegten, und ben Patriar⸗
chen Benjamin auf den biſchoͤflichen Stuhl von Alera ns
drien mif allen Gerechtſamen wieder einfegten. Da num.
die Jakobiten fa aus lauter eingebornen Aegyptiern bes
ftanden, fo terlor fich in kurzer Zeit der Gebrauch der gries
chifhen Sprache, und der Gottesdienft ward in der Lan⸗
des s Sprache gehalten, wie folches auch noch heut zu Tage
üblich iſt.
Die Cophte n find demnach alle: jene Aegyptier, welche
dem Glauben der Jakobiten zugethan, unter dem Pa⸗
triarchen von Alerandrien ſtehen, und den Gottesdienſt
in ägnpptifcher Sprache verrichten 1). | |
Die Cophten genoßen Anfangs aller Son Omar’s
Seldheren dem fi) Aegypten ergeben hatte, zugeftandenen
Vorrechte: uͤberdieß beforgten die Sarazenen, die Aegyp⸗
ter moͤchten, wenn ſie eine uͤble Behandlung erlitten, die
Roͤmer zuruͤck rufen. Allein kaum hatten die Sarazeniſchen
Statthalter von dem Aufſtande Leo's gegen Juſtinian
und der willkuͤhrlichen Abs und Einſetzung der Kaiſer durch
die Roͤmer Kunde erhalten, ſo verboten ſie die oͤffentliche
Uebung der chriſtlichen Religion 2). Nun mußte man die ſti⸗
pulirte Duldung erkaufen, und die Sarazenen wurden un⸗
„barmherzige Tyrannen und Verfolger ver Chriſten, welche
bloß zu dem Ende geduldet wurden, um willkuͤhrliche Auf⸗
lagen, und übermäßige Erpreſſungen von ihnen zu ziehen.
Die Cophten erhielten fi) mitten unter diefen Vers
folgungen und trog der fie entzweyenden Spaltungen: fie
rähmen fi) fogar in all dieſen Zeiten Blutzeugen, Beken⸗
ner, Heilige und Wunder gehabt zu baben, und durch diefe
1) Renaudot. Perpet. de la Foi, T. 4. L. 1, C. 9%
‚ Hist. Patriarch, Alex. part. Cont. do Bollandus, ju- I
ny p. 79 etc.
2) Hist. Patr. Alex, P. 13.
Ä
Copheen. 397
Wetrlgerrien wird noch jetzt das unwiſſende und leichtglaiu-
bige Volk in der Spaltung erhalten 1).
Die mit der Herrſchaft der Califen vorgegangenen Ver⸗
anderungen konnten das Loos der Cophten und Chriſten
nicht verbeſſern, und ſo vieler widrigen Schickſale ungeach⸗
tet, beſtehen fie noch zu unſern Tagen in Aegypten. In
dieſem Lande wird keine Nation mehr tyranniſirt, als die
Cophten, weil unter ihnen Niemand ſich befindet, der bei
den Türken durch feine Kenntniffe Achtung, oder duch
Macht Furcht erzwingen koͤnnte. Site gelten für den Aus⸗
wurf der Menſchheit. Ihre Zahl ift heutzutage fehr ger
ſchwunden, mehr ale fechgmalhundert taufend Köpfe zahlten
Tribut, als Amon Acgypten eroberte: dermalen zählt man
ihrer nur. noch fünzehntaufend. 2)
Wir wollen ven gegenwärtigen, Zuſtand dieſer Secte
in Hinſicht auf Religion etwas ‚näher in Augenſchein neh⸗
men. |
Religions: echte der ECophten.
Die Cophten verwerfen das Concil von Chalcedon, |
und das Schreiben des hl. Leo an Flavian; fie leugnen:
Die zwei Maturen in Jeſus Chriſtus, ob fie gleich aners
kennen, daß die Gottheit und. Menfchheit in feiner Perſon
nicht vermifcht find, und mit Ausnahme diefer Art ‚von
Monophyſis mus find fie feiner befondern Irrlehre zus
gethan, in allen übrigen, die Keligion betreffenden Punkten
kommen fie mit den Katholiken, wie auch den Drthodoren
und ſchismatiſchen Griechen überein. 3):
1) Ibidem. |
2) Nouvelle Relation d’un voyage fait en Eeypte par
Vausleb. p. ı5. - 288.
5) Renaudot. Hist. Patr. Alex. p. 356. part. 2. Pepét.
‘de la Foi. T. 4. L ı, C. 9. Bolland Juny T. 5.
Nonveaax M&moires de la Compagnie de Jesus, dans le
Levant T. 2. Soreiben des P. du Bernat. an P. Fleu-
ria.u
398 . . Eophten.
-Aus allen Buͤchern der Cophten, aus ihren Glaubens⸗
Bekenntniffen und Ritualen geht hervor, daß fie die wefents
liche Gegenwart in der Euchariftte annehmen, die Vereh⸗
rung der Bilder, das Gebet für die Verſtorbenen, und alle _
jene Gehraͤuche haben, die den angeblich Reformirten zum
Vorwande ihrer Trennung dienten.
Indeſſen iſt diefe cophtifche Kirche ſeit mehr als zwoͤlf
Jahrhunderten von der roͤmiſchen getrennt; alles was dieſe
Kirche heutzutage von der Euchariſtie, den Sakramenten, dem
Reinigungsorte, den Bildniſſen der Heiligen glaudt, und uͤbt,
war ſohin Lehre und in Uebung bet jener Kirche, wovon
die Cophten fo gut wie die lateiniſche Kirche vor der
Spaltung des Dioscorus einen Theil ausmachten, oder
es’müßte der Fall ſeyn, dag die fpäter coptifche und
roͤmiſche Kirche diefe Veränderung in ihrem Glauben,
ihrer Liturgie, und in dem Gottesdienſte getroffen hätten.
Es iſt unmoͤglich, daß dieſe beiden Kirchengemeinden
zugleich auf den Gedanken ſollten gekommen ſeyn, in ihrer
Lehre und ihrem Cultus gerade dieſelben Abaͤnderungen vor⸗
zunehmen über ‚fo viele Gegenſtaͤnde, woruͤber ſich zu verei⸗
nigen gar Fein nöthigender Grund vorhanden war. Es muß
daher die Fatholifche Kieche vor der Spaltung des Eutiches
daſſelbe was fie noch ‚heutzutage über die Euchariftie, bie
Sacramente, bie Heiligen s Verehrung und bag Gebet für
bie Verfiorbenen lehrt und ausübt., fchon gelehrt und in
Uebung gehabt haben : mithin ging die Abänderung im Glau⸗
ben noch vor Eutyches vor, wenn eg wahr ift, daß dasjenige,
was die Katholiken dermalen glauben, nicht jederzeit Glaube der
- Kirche gemefen fenn Toll, gewiß aber tft es, daß die ganze
Kirche vor dem Concil von Chalcedon das glaubte und
übte, was bei der römifchen Kirche über - alle dieſe Gegens
Rände in unfern Zeiten Glaubensfag und fin Uebung if.
Mir haben. bei dem Artikel: Neftoriug ertviefen,
- Daß diefer Glaube vor dem erſten Concilium von Ephefug,
felbft vor jenem von Nicda, allgemein wär, und daß
folcher. damals in der Kirche unmöglich neu feyn konnte.
. Eophten. | 399
— Der Glaube der roͤmiſchen Kirche iR fotglich Glaube der
erfien Kirche, warum alfo haben fi) die erften Refor⸗
matoren Davon gefrennt? und warum follten die getrennten
Brüder unferer Tage nicht zu efner Kirche zuruͤckkehren
tollen, welche nichts anders glaubt, -ald was die Kirche
. der erften Jahrhunderte glaubte, jener Jahrhunderte, die,
‚fo fruchtbar an Tugend⸗Wundern, fo viele Blutzeugen und
Hetlige herugrgebracht haben?
Die Proteſtanten haben . vorgegeben, der Patriarch
Macarius habe. in der Eflurgie der Cophten Abändes
rungen gemacht, und weiten durch diefe Die Moͤglichkeit bewei⸗
fen, daß ein Patriarch eine neue Lehre in der Kirche auf
geftelt habe, ohne MWiderfpruch zu finden, und folglich ohne
den Zeitpunkt hievon angeben zu koͤnnen.
Allein das Beiſpiel des Macarius iſt nicht geeignet,
ihre Angabe darzuthun. Denn da die Cophten viele Ges
bräuche hatten, die fich nicht auf die llebergabe gründeten, fo -
fand e8 in der Gewalt des Patriarchen hierin zu ändern, ohne
daß diefe Aenderung in der coptiſchen Kirche einer Schwierig,
unterlag; aber gang anders verhält es fich in Anbetracht
der Euchariftie und dee Sacramente: die Patriarchen wag⸗
ten nie, in diefen Punkten etwas abzuändern, und anmaß,
liche Veränderungen in Dingen, die nicht Lediglich bie Li⸗
turgie betrafen erregten jederzeit Unruhen 2).
Riesen: ⸗ Regiment der Cophten.
Die cophrifche Kirche hat ihre Verwaltung, wie loiche
bei deren Entſtehung war, beibehalten, und fich weniger
als jede andere, hievon entfernt.
Das Kirchen⸗ Oberhaupt iſt der Patriarch von Ale⸗
randrien, Nachfolger des bl. Markus; nach ihm kom⸗
men die Zifchöfe, eilf oder smölf an der Zahl; dann die
2) Renaudot loc. eit. p- ‚496.
400 Cophten.
Prieſter, Diaconen, niedere Geiſtlichkeit, Mönche, und end⸗
lich die Laien.
Die Biſchoͤfe, Prieſter und die Vornehmſten des Vol⸗
kes verſammeln ſich zur Wahl des Patriarchen, welche zu
Cairo vorgenommen wird: dieſer wird jederzeit aus den
Moͤnchen erwaͤhlt, weil ein Patriarch ſein ganzes Leben in
der Enthaltſamkeit zuruͤckgelegt haben muß‘
"Die Biſchoͤfe ſtehen in der größten Ahpaͤngigkeit von
dem Erzbifchofe: er wählt fie, kann fie abfegen und aug der
Kirche verftoßen; in den Provinzen find fie die Einehmer,
der erzbifchöflichen Nenten, welche in einem, zu feinem Un⸗
terhalte beſtimuten, Zehenden, beflehen. _
Wenn gleich der ehelofe Stand den Prieftern nicht zur
Pflicht gemacht ift, fo gibt es deren dennoch, die nicht vers
ehelichet find, und eg nie waren.
Die Cophten bewerben fich eben nicht ſehr um die
Prieſterwuͤrde; oft muß man ſie hiezu zwingen. Da ſie aus
dem gemeinen Stande, der von der Handarbeit lebt, ge⸗
nommen werden, ſo erwaͤgen ſie, daß dieſe neue Wuͤrde
den groͤßten Theil ihrer Zeit hinwegnehmen, und ſie an dem
Betriebe ihrer Handthierungverhindern werde, wobei fie
denn doch fuͤr den Unterhalt einer Familie ſorgen muͤſſen,
da ihnen die Kirche beinahe gar nichts abreicht.
Oft ſieht man Leute ‚von dreißig Jahren aus’ der Werks
ffatt treten, um zum Prieſterthum -erhoben gu werden.
Waren fie bisher Leinenweber, Kleidermacher, Gold»
arbeiter oder Kupferftecher, genug, innen fie nur das
coptifhe leſen, fo erhalten fie Die Weihe, weil die Meſſe
und bie Tagegzeiten in diefer Sprache gehalten werden,
welche die meilten unter ihnen nicht verſtehen. |
Die Priefter predigen nie; dennoch ſtehen fie bei dem
Bolfe in hoher Achtung; auch die Angefehenften und Ausge⸗
zeichneteften verbeugen fich vor ihnen, kuͤſſen ihre Sand, und
bitten, ihnen folche aufzulegen.
Die Faften der Eoppten.
Die Cophten hatten, wie alle Ehriften des Morgen
landes, ſehr ſtrenge uͤber das Faſten, ſie haben im Jahre
—
8*
vier Faſtenzeiten: die erſte fällt vor Oſtern, und nimmt.
neun Tage vor jener der Lateiner ihren Anfang, bei diefer
. enthalten fie ſich alles Trinkens, Effend und Tabard s Raw
thens big nach dem Gottesdienſte, der fi) gegen ein hr
endiget. Die zweite, welche vor Weihnachten eintritt,
dauerf drei und vierzig. Tage für die Geiſtlichkeit, und drei
und zwanzig für Die Hebrigen. Die dritte Faſten ift vor '
dem Feſte der Hl. Apoßel Peter und Paul üblich, fie Dauert
gegen dreisehn Tage, und fängt die Woche nach Pfingfien
an. Die vierte iſt vor dem Feſte Mariä Himmelfahrt, viers
gehn Tage dauernd.
Fuͤr das Faſten iſt Fein Alter vorgefchrichen: es iſt
nicht zu ſagen, zu welch hohem Verdienſte ſie ſich ihr Safer
anrechnen..
Einige beföndere Öchbräuge der Coppten.
1. Die Cophten ertheiln das Eacrament der legten
Delung mit der Buſe- Sie geben zwar zu, daß der hi.
Jakobus dieſes Sacrament für die Kranken angeordnet
habe, unterfcheiden aber drei Arten von Krankheit, Koͤr⸗
pers s Kranfheiten, Seelen + Krankheiten, welche die Suͤn⸗
den find, und Gemüthg s Krankheiten, welche von Truͤb⸗
falen berrühren, fie halten die Delung für alle gut. Die
Art der Ausſpendung dieſes Sacraments ift folgende:
Nachdem der Priefter dem Buͤßer die: Losfprechung ers '
theilt bat, beginnt er mit Näucherungen, fegnef dann dag
Oel in einer Lampe unter. Beiftand, eines Diacon, und zuͤn-
det deren Docht an; verrichtet bierauf fieben Gebete, und
fieben Leſe⸗ Stuͤcke ads dem Briefe des hi. Jakobus,
nimmt aus der gefegneten Lampe Del, und macht damit eis
ne Salbung auf die Stirne, mit den Worten: Gott verleihe
dir Geneſung im Namen des Vaters und des Sohnes: auf
ähnliche Weife werden alle Anmefende gefalbt, aus Beforgs
niß, der böfe Geiſt möge fonft über einen aus ihnen kommen.
2. An ihren Kirchen befinden fich große Waſſerbehaͤlter
oder Becken, welche am Tage der Erſcheinung des Herrn
Kenn: geritom II. 26
_
—
402 | Cophten. Cynifte.
mit Waſſer gefuͤllt werden, nachdem der Prieſter ſolches ge⸗
ſegnet hat, taugt er die Kinder darein, worauf ſich auch
die Erwachſenen hineinwerfen. Auf dem Lande und an den
Ufern des Nils geſchieht die Segnung uͤber den Fluß
ſelbſt, worin ſich darauf das Volk badet. Dieſer Gebrauch
findet auch bei den Abyſiniern ſtatt.
Sollte es nicht dieſe Ceremonie ſeyn, welche auf die
Meinung führte, dag die Cophten den Nil als eine Gott⸗
heit verehren?
3. Die Loͤſung des Ehebandes iſt bei den Copbten
üblich, nicht allein im Falle des Ehebruches, fondern auch
wegen langwierigen Krankheiten, wegen Widerwillen, haͤus⸗
lichen Zänfereien, oft auch aus. Ueberdruß.
Der die Ehefcheidung betreibende Theil wendet fich zus
erſt an den Patriarchen, oder feinen Bifchof ;. findet Diefer
nicht8 Dagegen einzuwenden, fo wird fie ohne Weiters vors
genommen. Verweigert der Kirchenobere die Echeidung, fo
geht man zu dem Cadi, oder dem türfifhen Nichter, läßt
die Ehe auflöfen, und gehef eine andere auf türkifche Weife
ein, welche man dann eine gerichtliche Ehe nennt.
4. Sie haben den Gebrauch der Befchneidung, welche
fie von den Mahomedanern oder Juden angenommen haben,
“aber mehr Fandes s Sitte, als eine religisfe Cermonie feyn
mag, obgleich in ihren Ritualen hiervon Meldung gefchieht ;
fie fcheinen diefe Gewohnheit bloß den Mahomedanern zu
- Gefallen fi) angeeignet zu haben. Auch enthalten ſie ſich
des Blutes und Fleiſches erſtickter Thiere. 1).
Cyniker. So nannte man die Anhänger der philos
fophifchen Secte des Antiſthenes, welche alle Gefege der
Gefittetheit und des Wohlftandes mit Füßen traten. Diefe
Henennung legte man auch den Turlupinen bei, die fi
Öffentlich und ohne Scheu ten fchandbarften Ausſchweifungen
uͤberließen.
— —
1) Nouveaux Mémoires des Missions de la Compagnie
de Jesus, dans le Lovant, T. 2, Loc. cit.
Eprenaiker, Dadoes. David. _ 403 _
Cyrenaiker, fie erſchienen gegen das Jahr 175 und
behaupteten, man brauche nicht zu beten, weil Jeſus ges
fagt Habe: Gott wiſſe Allee, was wir bedürfen. 1).
‘
D
® .
1 has
Dev oes. —2 der Meſſalianer. eich dies
je Artikel.) :
ı Dapvid.von Dinant *) hatte die Grundfäge
Amauris angenommen, und zu ihrer Rechtfertigung‘ die
Feder ergriffen.
Damalg gab eg. in Frankreich noch Reſte von Cath a⸗
zen, oder Manichaͤern, die aus Italien heruͤbergekom⸗
- men woren: fie befeindeten bag Alnfehen ver Firthlichen Bes
hoͤrden, die Ceremonien, und . Sacramenfe, läugnefen Die.
Auferftehung, den Interfchied ‚gwifchen Tugend und Lafter
ıc. Da fie in Amauris Syſtem eine Stüge für ihre Meis
nungen. fanden, eigneten fie fich folches an; fie behaupte
ten: Gott der Vater ſey Menfch geworden in Abraham,
Bott der Sohn in Jeſus Chriftug;. des Letzten Neich
.. fey vorüber, folglich die Sacramente "außer Wirkfamfeit,
“
die Kirchendiener ohne Gerichtsbarkeit, und legitime Ge⸗
walt; dafuͤr ſey nun das Reich des hl. Geiſtes eingetreten,
deſſen Religion eine ganz innerliche waͤre.
Hieraus ſchloßen dieſe Sectirer, Daß alle förperliche,
Handlungen gleichgültig feyen, ımd das chriſtliche Gefeg,
welches gewiſſe Gattungen derſelben verbiete, andere aber
anordne, nad) erfolgtem Eintritte des Reiches des hl: Geiſtes
fuͤr Niemand mehr verbindende Kraft habe; dieſem zu Folge
uͤberließen ſie ſich den groͤbſten ſinnlichen Ausſchweifungen;
eine Zeitlang trieben ſie ihr Weſen im Verborgenen, wurden
aber durch falſche Proſelyten entdeckt.
149 Hofmann Lejikon.
*) 13tes Jahrhundert.
_ 26 *
404 | David. Doketen. Donatiſten.
An der Epige. diefer Secte fland ein Goltarbeiter,
Namens Wilhelm, der fi für einen Gefandten Gottes
ausgab, und prophezeite: daß noch vor Verlauf von fünf
Jahren eine vierfahe Strafruthe die Welt züchtigen werde;
Hunger für das Volf, dag Schwert für die Fuͤrſten,
Erdbeben, welche die Städte verfchlingen, und Feuer
fuͤr die Präfaten der Kicche: den Pabft nannte er den Ans
tichriſt, Rom, Babylon, und alle Geiſtliche die Glieder
des Antichriften. Auch hatte er. vorhergefagt, daß der Koͤnig
Philipp Auguft und fein Sohn, bald alle Nationen uns
tee die Herrfchaft des hl. Geiſtes bringen werden.
Vierzehn dieſer Sectirer wurden ergriffen, und vor
das Concilium dad eben zu Parts gehalten wurde, ge
führt; man fuchte fie zu belehren; fie beharrten aber auf
ihren Sjrrthümern, und zehn wurden verbrannt ‘int Des
zember 1210. Daffelde Cöncilium“ verdammte auch die
Bücher von der Phyſik und Metaphyſik des Ariſtote⸗
les, die man als die Duelle von Amauris Irrthuͤmern
anfah. Amauris Name wurde verdammt, feine Gebeine
ausgegraben und verbrannt. Die Schriften David's von
HDinant wurden dem Feuer übergeben.
Diefe Seite war nichts ald eine Horde licherlicher
Schwaͤrmer, die auch nicht einen ehrbaren Grundſatz hatten:
da Niemand ſie fuͤr Religions-Vertheidiger oder Verbeſſe⸗
rer halten konnte, fo fah man ihre Hinrlchtung ohne Theil⸗
nahme, und ihr Anhang erloſch 1).
| Doketen. Reber, welche laͤugneten, daß Jefus eis
nen wahrhaften Leib angenommen habe. und Ihm nur eis
men Schein⸗Leib gaben 2). Ihre Benennung Rammt von
dem griechifhen Wort dom, ab. .
Donatiſten. *)Schigmatifer, die fich erſt von der
Gemeinſchaft mit Caͤ cilian, Siſchof von Carthago trenn⸗
N) D’Argentre Coll. jud, T. I.
*) ates Jahrhundert.
2) Clemens Alex. Strom. L. F Tkesdoret. L. 3.
Hlaeret iab. | win ons .
—
*1
i — —— —
— —— — — — ——— —— — ü —
Donatfien. 405
ten, weil er von Felix von Aptungum, der ihrem Ans
geben nach. während. der .Werfo'gung: die Kirchengefäe und
heiligen Schriften. an die Heiden ausgeliefert hafte, die
Weihe. erhielt, dann die Verbindung - mit Der ganzen Kirche
abbrachen, weil die ganze Kirche mit Caͤcilian, nicht aber
mit Majorin und. deffen Vachfolger Donatus in Fries
den ‚geblieben: war. -
Diefe Spaltung, entfponnen durch eine Fleinlichte Pri⸗
vat⸗Rache, zerfleiſchte uͤber ein ganzes Jahrhundert lang
den Schovs der Kirche, erfuͤllte Afrika mit, Drangſalen und
Schreden, erfchöpfte die Geduld und Strenge dreier Kai⸗
fer, und wich endlich nur der Zeit, gleich einem Vulkane,
deffen Glut, durch einen unvorfichtigen Bergmann entzündet,
nur dann erlöfcht, wenn vie Harz⸗und Schmwefelhaltige
Materie, die er in feinen Eingeweiden birgt, ausgebrannt
hat.
Es iſt wichtig, die Entſtehung und das Fortſchreiten ei⸗
ner ſolcher Spaltung zu kennen, und deren Erfolge genau
imn's Auge zu faſſen.
Entſtehung der Donatiſtiſchen Spaltuas.
Das Chriſtenthum wurde zwar nicht ven den Apoſteln
nach Afrika verpflanzet, breitete ſich aber doch im zwei⸗
ten Jahrhunderte daſelbſt aus, und ſeine Betkenner beſa⸗
ßen, der Verfolgungen ungeachtet, viele Kirchen. Dieſe
Kirchen wurden unter Diocletian, Galerius und Mas
xent ius graufam verfolgt. Während der Verfolgung wurde ,
Menfurius, Bifchof von Carthago, vor Maren
tiug berufen. Che er abreifte, vertraute er die Kirchen,
Gefäße einigen Welteften feiner Geiftlichkeit, und übergab
einer alten Matrone ein Verzeichniß Bicvon, welches fie,
wenn er auf der Reiſe flerben folte, feinem Nachfolger
einhändigen möchte.
Wirklich ftarb Menfurius (J. 311. ) waͤhrend der
Ruͤckkehr nah Carthago, und Marentiug ſtellte zu
gleicher Zeit die Chriſten⸗ Verfolgung ein 1).
1) Optat. L. 1. Augusti n. lit. Petili L. 2. €. 87.
406 Donatiften.
Die Biſchoͤfe der Provinz von Afrika verfammelten fich
su Carthago, um Menfuriug einen Nachfolger zu ges
ben. Die einfiimmige Wahl fiel auf Edcilian, Archidia⸗
con der Kirche, welcher von Selir von Aptu ngum die
Weihe erhielt 1).
Man ftelte Caͤcilian das Veizeichniß der heiligen
Gefaͤße zu, welche ſein Vorfahrer den Aelteſten uͤbergeben
hatte. Dieſe, der Meinung, Niemanden ſey etwas von dem
Afnferlegen befannt, wurden auf's dußerfle über Caͤci⸗
Lian aufgebracht 2 da er fie zur Herausgabe der Gefäße
noͤthigte.
Zwei anſehnliche Geiſtliche von Carthago, Bote
rus und Celeuſinus, die beide um die biſchoͤfliche Wuͤr⸗
de gebuhlt hatten, ergrimmt uͤber den Vorzug, den man
Caͤcil ian gegeben, geſellten ſich zu jenen geizigen Prieſtern
und verſchwaͤrzten den neuen Biſchof.
Als Caͤcilian noch Archidiacon war, pflegte eine rei⸗
che und maͤchtige Frau zu Carthago, Ramens Lucilla,
bevor fie den Leib und das Blut Jeſu empfing, den Mund
eines unbefannten Todten, den fie für einen Märtyrer
hielt, welcher ater dafür von der Kirche nicht anerfannt
war, zu kuͤſſen. Caͤcilian tadelte diefen Gebrauch, und
verwieß ihn der Frau, melde 'fih hiedurch fuͤr befchimpff
hielt, und von Ddiefer Zeit an, mie von ber Kirche ausges
ſchieden, lebte 2).
Diefe Lucilla frat mit den Feinden’ Gäcittan’ 8 in
einen Bund; die Parthei gegen ihn wuchs an, erhißte fich,
‚Cäcilian’s Untergang wurde befchloffen, und man fann
auf Mittel, feine Weihe für ungültig erklären zu laſſen.
Numidien’s Biſchoͤfe maren zu feiner Wahl nicht
‚ beigegogen worden; diefer Umftand, verbunden mit der durch
Belir von Uptungum ertheilten Weihe, welcher angebs
-sich zur Zeit der Verfolgung die heiligen Gefäße und Bus
1) Optat. ibidem.
2) Optat. ibidem August. in: Parmen.
”
Donatiken. 407
cher ausgeliefert hatte, gab feinen Feinden die Waffen ge⸗
gen ihn in die Hand.
Die Auslieferung wurde in der Kirche von Ca rthago
als eine Art von Glaubens⸗Abfall angeſehen, und die von
den fogenannten Traditoren gefpendeten Saeramente für
nichtig gehalten.
| Die Feinde Gäciliau: 8 glaubten num gu feinem Vers
derben zwei fichere Mittel aufgefuuden zu haben; fie bertes
fen die Bifchdfe von Numidien nah Carthago, wo fie
von Lucilla koͤſtlich bewirthet und mit Gefchenfen übers
häyft wurden. Cäcilian murde in ihrer Verſammlung
zu erfcheinen, vorgeladen, Das Volk geftattete dieſes feinem
Bifchofe nicht, welcher feiner Seits Den Abgeordneten, der
numidifchen Bifchdfe erklärte: menn jene, von welchen: er
die Weihe empfangen habe, Auslieferer wären, die der That
‚nach ihn nicht hätten weihen Eönnen , fo brauche es weiter
nichts, als ihn von Neuem zu weihen. |
Caͤctlian hielt wirklich den Felix nicht. fir einen
Auslieferer; er fuchte fi nur durch Diefe Antwort einen
Weg der Ausfshnung zu Sffnen, und feine Gegner zur Ruhe.
zu bringen. Allein diefe nahmen feine Antwort für ein
Eingeftänoniß des dem Selir angefäuldigten Verbrechens,
erklaͤrten den Stuhl von Carthago für erledige, ſchritten
zu einer neuen Wahl, und ernannten Majorin, einen
Hausgenoſſen Lucilien's, der in der Kirche Caͤcilian's
Borlefer gewefen war, zum Bifchofe. 1). .
Des Ausfpruches der Bifchsfe von Numidien unge
achtet, blieb die ganze Kirche in Gemeinfchaft mir Cacilian;
an ihn, nicht an Majorin murden die Anſchreiben der
Kirche jenſeits des Meeres gerichtet.
Der angreifende Theil iſt in gewiſſer Art der feindliche,
thaͤtiger und unternehmender, als der Angegriffene, der ſich
in den Schranken der Vertheidigung halt; Majorin’s Uns _
1) Opt. ibidem. August. ibidem et ın Gaud. in Prim.
—
in Crescens,
408 | oo Donatifre. =
haͤnger fchrieben gegen Caͤcilian an alle Kirchen, verldums
deten ihn, erhittten die Gemüther und veranlaßten- einige |
Volksauflaͤufe.
Conſtantin der Große, der fit der - Niederlage des
Maxentius Italien und Afrika beherrſchte, bekam
hievon Kunde; er befahl dem Proconſul dieſer Provinz, und
dem Praͤfektus Praͤdorio jenen, die den Frieden der Kirche ſtoͤr⸗
ten, nachzuforſchen, und ihnen Einhalt zu thun.
Majorin’s Parthei, von den Befehlen Conſtantin's
unterrichtet, gab eine Denkſchrift ein, worin Cäcilian
mehrerer Verbrechen angeflagt wurde,
Eonftantin, der in einer neu eroberten Hrovinz die
Folgen eines Religionsſtreites fuͤrchtete, wollte es mit Fei«
ner der beiden Partheien verderben, weigerte ſich in der
Sache zu entſcheiden, und verwies fi fie an den Richterſtuhl
der Biſchoͤfe.
Caͤcilian hegab ſich mit zehn Siſchoſen, die auf ſei⸗
. ner Seite waren, nach Rom, wohin auch Donatus von
Eafd Nigrä mit zehn andern Sifhöfen von Majorin’s
Anhange fich aufmachte.
Da dieſe letzten auch nicht eines ber dem Caͤciltan
zur Laſt gelegten Verbrechen erweiſen fonnten, ſo wurde
dieſer für unſchuldig erkannt. |
Die Freiſprechung Caͤcilkan's zog die Verurtheilung
feiner Anklaͤger keineswegs nach fi. Vielmehr erboth ſich
der Pabſt Miltiades, der auf dieſem zu Rom gehaltenen
Coneilium den Vorſitz hatte, Schreiben der Kirchen⸗Ge⸗
meinſchaft an jene, die von Major in waren geweiht wor⸗
den, zu erlaſſen, und fie als Biſchoͤfe anzuerkennen; endlich
wurde feſtgeſetzt, daß, wo immer ſich zwei Biſchoͤfe, deren
einer von Majorin, der andere von Caͤcilian geſetzt
wäre, befinden ſollten, der früher geweihte im Beſitze zu
verbleiben habe; für den legten aber andermeirig Verſorge
zu treffen ſey 1).
J —7 7 — *
3) Opt. L. ı. Collat. Carili. apud Aug. et Ep. 43.
\
Donatiſten. 4009
Diefes Concilium ' entfchied weder ber den Ausſpruch |
der numidiſchen Bifchdfe, noch ließ es ſich auf die. Sa⸗
che bes Felir von, Aptungum ein. Die Anhänger Mas
jorin’s warfen. dem Concilium vor, e8 habe mit Hebereis
lung, und ohne hinlängliche Unterfuchung gefprochen, weil
c8 von der Angelegenheit des Felir von Aptungum gar '
feine Kenntnig genommen habe, welches der Haupt⸗ Streits
‚punkt gemwefen ſey.
Conftantin berief (3. 314) ein weit zahlreicheres
Concilium nach Arles, wobei ſich Biſchoͤfe aus allen Pro⸗
vpinzen des abendlaͤndiſchen Reiches einfanden. Abermals
wurde Caͤcilian für unſchuldig, und die Anklagen feiner
Gegner fuͤr Verlaͤumdung erklaͤrt. Auch wurde uͤber die
Entſcheidung des Concilium's und die Halsſtaͤrrigkeit der
Feinde Caͤcilian's Bericht an den Kaiſer- erſtattet 1).
Dieſer befchied die dem Majorin zugethanen Biſchoͤfe
an ſein Hoflager; wo ſie bald Goͤnner fanden, welche den
Kaiſer erſuchten, in dieſer Sache ſelbſt den Ausſpruch zu
geben. Der Kaiſer entweder r aus Ueberdruß oder aus Ge⸗
faͤlligkeit fuͤr die ihn umlagernden Schmeichler, bewilligte
endlich die Uebernahme einer Reviſion dieſer Streitſache mit
dem Verſprechen: daß Caͤcilian verdammt werden ſollte,
wenn man-ein einziges der Verbrechen, deren er begzuͤchti⸗
get war, darthun koͤnnte. Und zum drittenmale wurde die
Unſchuld Caͤcilian's anerkannt, ſeine Gegner aber als
Verlaͤumder dargeſtellt. Dieſe letztern ſprengten nun aus,
der Kaiſer babe ſich von Hoſtus, Biſchof von Corduba,
hintergehen laſſen, der ihm dieſes Urtheil eingefluͤſtert haͤtte:
die Spaltung dauerte fort, bald darauf ſtarb Maforin
(3 314.)
Die Spaltung der Donatiften von Erhebung Dos
nat's auf den biſchöflichen Stuhl Bis zu feinem
Tode.
Nach Majorin's Tode ermählten die Biſchoͤfe ſeiner
Parthei Donat an ſeine Stelle; nicht den Donat von
— U
») Euseb. 1. 10, C. 5,
410 | Donatifen. .
Caſaͤ Nigrd, fondern einen andern Donat, von der
Darthei der Große genannt, der mit vielen: Kenntniffen
große Nedners Talente verband, und. ſich durch firenge Sit⸗
fen und Uneigennuͤtzigkeit empfahl; jedoch war er hichft eis
tel und ehrfüchtig. Er weihte alle feine Talente dem Schuge
feiner. Parthei, verfaßte zu deren Rechtfertigung viele Schrifs
ten, imd wußte fi) einen großen Anhang zu verfchaffen.
Der größte Theil von Afrika erkannte die von den
Ketzern und Sundern ertheilten Sacramenfe für ungültig.
Siebenzig Bifchöfe haften in einem Concilium zu Cirta
ben Felir von Aptun gum,. als der Auslieferung der Hl.
Bücher überführt, verdammt; Caͤcilian fehien felbft dieſes
anerkannt zu haben, weil er, von neuem gemweihet zu wer⸗
den , verlangt hatte; das Concilium zu Rom, welches bie
Weihe Caͤcilian's beftättigt hatte, wollte über den Aus⸗
fpruch der Bifchdfe von Numidien keine Entfcheidung ges
ben, nicht, teil e8 den Felix für unſchuldig hielt, fondern
weil die läteinifche Kirche die von Ketzern erfheilten Sacras
mente als gültig anerfannte, Die Unfchuld des Felix an
dem ihm aufgebürdefen Verbrechen konnte daher in Zwei⸗
fel gegogen werden, und Eäcilian als ein von einem Aus⸗
lieferee Geweihter erfcheinen. Nach dem oben angeführten
Wahne der Afrikaner von Unguͤltigkeit der durch Ketzer ges
fpendefen Sacramente ift e8 leicht begreiflich, daß ein ta⸗
lentvoller Dann, wie Donat, die Gründe der Parthei des
Maiorin als vollwichtig geltend machen konnte, und wirk⸗
lich ließen ſich auch Viele durch ihn verführen.
Maſorin's Anhang kraft durch feinen neuen Verfech⸗
fer gleichfam von Neuem in’s Leben, und legte fih deſſen
Namen bei; ale, die zur Parthei Donat’g gehörten,
nannten fih Donatiften.
Ueber eine Yarthei, der man feinen Namen giebt, iſt
es leicht, eine unumſchraͤnkte Herrſchaft zu erringen. In
Kurzem war Donat der Goͤtze und der Tyrann der Dona
tiſten; ſie wurden unter feinen Händen eine Art von Aus
tomaten, denen er eine willkuͤhrliche Richtung und Bewe⸗
gung gab 1).
ı) Optat. L. 3. August. in Crescent. in Parmen.
Donatiſten. u 411
Donat hegte die hoͤchſte Meinung von feiner Perſon,
und die tiefſte Verachtung gegen die Menfchen, die Obrigs
keiten, felbft gegen den Kaifer ; dieſe Geſinnungen floͤßte er
auch feinee Secte ein: die Donatiften fahen Niemand
über fih, als ihren Meifter, glaubten geboren zu ſeyn,
über alle Beifter zır herrſchen, und ber ganzen Menfchheit
Gefege vorzufchreiben.
Diefe Schismatiker, befeelt von ſelbſtſüchtiger Schwaͤr⸗
merei, die ſich hinter den Schein des Eifers, und den
Schleier der Religion barg, zogen eine Menge Menſchen
in ihr Unheil bringendes Netz, und Conſtantin ſah ſich
gezwungen, um dem Uebel Einhalt zw thun ihre Kirchen
sum Beſten des Fiskus einzuziehen.
Dieſer Gewalts⸗Akt ſetzte die Donatiſten in Wuth,
die nun weder Schranken, noch Geſetze mehr kannten; ſie
jagten die Katholiken aus mehreren Kirchen, und wollten
gar Feine Gemeinfchaft mehr mit ihnen haben. u
Conſtantin, die Folgen. feiner Strenge befürchten,
ſchrieb an die afrifanifchen Bifchdfe, fie mochten die Donas
tiften mit Güte behandeln, und die Beftrafung diefer Wüs
therige Soft anheimſtellen. Diefer Kaiſer verabfcheufe die
Donatiften, und nur die Furcht vor Unruhen in Afrifa
zwang ihn zur Einflellung feiner ſtrengen Maßregeln 1).
Donat fuͤhlte das Bedenkliche ſeiner Lage, und glaub⸗
te, ſich nur dadurch gegen den Eifer der Katholiken ſicher
zu ſtellen, wenn er ſeinen Schuͤlern eine Ueberzeugung und
Zuverſicht einfloͤßte, welche ſie gegen Gewalt, Waprpeit,
und Todes: Furcht unempfindlich machte.
Einige Gaufeleien, die er für Wunder ausgab, fanden
Glauben, und mehrere Donatiſten rühmfen fich, durch
ihr Gebet über den Gräbern der Ihrigen r. Wunderdinge
hervorgebracht zu haben.
Nicht Iange nad) diefem gab fi) jeder Bifchof für ums
truͤglich und unfündhaft aus; auch dieſes wurde geglaubt,
1) Euseb. Vit. Const. L. 1. C. 45.
—
412 . Donatiften.
und die Spaltung erweiterte fich zu, einem imbeflbaren Uebel.
- Die Donatiften waren überzeugt, daß fie ,- indem fie ih⸗
ren Biſchoͤfen folgten, ihres Heils nicht verluftig gehen koͤnn⸗
‚ten, und wenn man fie. durch die Gewalt der Wahrheit übers
führte antmworteten fie: fie feyen ihrer. Sache ganz gemiß,
weil fie als Schaafe ihren Hirten folgten, bie für fie vor
Gott Rechenfchaft ablegtem 1).
Von diefer Stufe der Zuverfiht ging man bald zu der
Uebergeugung über, daß es nothwendig ſey, die Vartbei
Donat's mit gewaffneter Hand zu verfechten. Scaarens
weiſe fab man Donntiften thre Gewerbe verlaffen, dem
Feldbaue entfagen, und- zum Schutze der ihrigen ausruͤcken:
fie nannte fi) Agoniftd, d. h. Kämpfer, meil fie, wie
fie fagten, die Soldaten Jeſſu gegen den Teufel wären:
Da fie ohne ‚bleibende MWohnflätte waren, und der Lebfucht
halber, fich bei den Häufern der Landleute aufhielten, bes
famen fie Die Benennung Cireumcellionen. 2).
Nah Conftantin’ Tode ſchickte Conſtantius,
dem Afrifa zugefallen war, Paulus und Macarius dar
bin, mit milden Gaben, und dem Ermahnen an alle Eins
wohner: fich friedlich mit einander zu vertragen... Donatug
verfchmähte des Conſtantius Gefchenfe, die Stadt Bey
gia oder Beja verfchloß vor Macarius die Thore;'bald fah
er fi von den Circumcellionen angegriffen, welche ale
Macarius Verftärfung an ſich gezogen hatte, mit aller
Erbitterung Obſtand leiſteten, big fie endlich zerftreuf, und
tie Donatiften von dem gereisten Macariug mit aller
Strenge behandelt wurden.
Sogleich erhoben die Donatiften Rlagen über Vers
folgung und fprengfen aus: Marculph fey von der Spige
eines Selfen, und Donatus in einen Brunnen geſtuͤrzt
worden. Beide wurden fofort zu Martyrer erhoben, und
die Ehre des Martyrthums wurde eine Hauptleidenſaeft
der Circumcellionen.
> \
1) Aug. in Parmen. L. 2. C. io. |
2) Die Wopnungen der Landleute hießen Cella. - Siehe das
Miprere im Art. Circumcellionen.
rL
ODonatiſten. | 413
Macar's Strenge und die faiferlichen Geſetze verfin⸗
gen nichts gegen die Circumcellionen und die Donas
tiſten, nichts Fonnte fie bewegen, mit. den Katbolifen Ges
meinfchaft zu pflegen, lieber gaben fie ſich den Tod.
Jedoch wurde die Zahl von Donat’s Anhänger durch
Macamg gewaltfame Maasregeln fehr verduͤnnt; fie behiels
ten nur noch einige Kirchen; die Bifchdfe ‚wurden zerſtreut,
Donat flarb in der kandes-Verweiſung, und Marimian
ward ſein Nachfolger.
Die Donatiſten feit Donat's Tode bis zur sanzli⸗
hHen Erloͤſchung des Schisma.
Als Julian den Thron beſtiegen hatte, rief er alle
um der Religion willen Verbannte zuruͤck, und erlaubte den
donatiſtiſchen Biſchoͤfen, ihre Stuͤhle wieder in Beſitz
zu nehmen. 1% Die Donatiſten wollten in, ihre Kirchen,
deren fich die Katholifen bemächtigt hatten, mieder einprins
gen; dieſe widerſetzten fi, man wurde handgemein, faft
ale Kirchen wurden mit zerftüchten Leichnamen, erdruͤckten
Weibern, unzeitigen Geburten, gemordeten Kindern, ange⸗
fuͤllt.
Die Donatiſten, von den Statthaltern unterſütt, |
vertrieben endlich die Katholifen, und wurden in Afcifa
allvermögend; Alles beugfe den Nacen unter diefe furchts -
bare Secte, ihre Bifchöfe hielten ein Concil von mehr als
dreihundert gehn Biſchoͤfen, und. belegten ganze Voͤlkerſchaf⸗
fen mit Rirchenbußen, weil fie ſich von den Latholiten nicht
getrennt hatten. 2).
Einige Jahre darauf trennte ſich Nogatus, Biſchof in
Mauritanien von den Donatiſten vermuthlich, weil
ihm der Unfug der. Circumcellionen mißfiel; die Dos
natiſten fahen diefe Abfönderung mit vielem Widerwillen,
ı) Opt. L. 2.
2)-1bidem.
414 Oonatiſten.
hetzten die weltliche Macht gegen die Rogatiſten ‚und ers
druͤckten dieſe Parthei..
um dieſe Zeit, und mitten unter den Verlaͤumdungen,
womit die Donatiſten die Kirche uͤberdeckten, war es,
daß Parmenian, ‚he Biichof zu Carthago, in einem
Werte in fünf Büchern bie Bertheidigung feiner Secte
uͤbernahm, worin er zu beweiſen verſuchte: daß die Taufe
der Keger ungültig, und daß die von ihnen Getauften von
der Kirche ausgefchloffen find.
Der bl. Dptatus, Bifchof von Milevis, wider
legte in einem in ſechs Bücher getbeilten. Merfe (5. ‚370. )
‚Barmenian’s Schrift.
Die Schwaͤrmerei legte fich bei deu Donatiften, und
einigen fing das Licht der Wahrheit an, aufzugehen. Ty⸗
conius bewies die Guͤltigkeit der Ketzertaufe, verwarf das
Wiedertaufen, und zeigte, daß man Mißbraͤuche und Laſter,
wenn man ſie nicht abſtellen koͤnnte, unter den Gliedern der
Kirche dulden, und deshalb die Einheit nicht brechen muͤſſe.
Parmenian beſtritt die Grundſaͤtze des Tyconius;
der hl. Au guſtin widerlegte den Brief des Parmenian.
Da nur die Nothwendigkeit, ſich gegen die Katholi⸗
ken aufrecht zu halten, die Donatiſten zuſammenhielt,
ſo ſpalteten ſie ſich, ſobald ſie einiges Anſehen erlangt hat⸗
ten, in eine Menge Secten und Zweige 1).
Primian, dem Donatus vielen Verbruß gemacht
Hhatte, wollte deshalb, als er Biſchof von Carhago ge
worden war, an dem Diacon Maximian, Donat's
Anverwandten, Rache uͤben, und verhaͤngte gegen ihn ein
Urtheil.
Maximian vertheidigte ſich, mehrere zu Carthago
verſammelte Biſchoͤfe erkannten Primian's Spruch fuͤr
unguͤltig, unterſuchten ſeine Auffuͤhrung, fanden ihn abſcheu⸗
licher Verbrechen ſchuldig, feöten ihn. ad ‚und Marimian
an feine Stelle. Ä
2). August. Ep. 48,
\
%
Donatiſten. 4135
Primian berief ein Concilium von 310 Biſchoͤfen,
das ihn fuͤr unſchuldig erklaͤrte, und Maximian nebſt als
len, die an ſeiner Einſetzung Theil hatten, verdammte.
Primian berichtete die Entſcheidung des Concilium's von‘
Beggia an die Proconfuln, trug auf Vollziehung ver
Staats⸗Geſetze gegen- die Ketzer an, ließ alle, vie in ſei—
nem Koncilium verdammt worden Maren, aus ihren Kirchen
verjagen, und zerfiözte die Kirche des Warimian. Die Stieis
figfeiten Diefer zwei Partheien dauerten durch die Verwal⸗
tungs⸗Zeit von vier Proconfuln.,
Optatus, Biſchof von Tamgad, Alles vermoͤgend
bei Gildo, dem Befehlshaber Afrika's, verwendete ſein gan⸗
zes Anſehen zur Verfolgung der Katholiken, Rogatis
ften, und Maximianiſten: gehn Jahre hindurch hieß er
die Weheklage Afrika's, feine Graufamfeiten endigten fich
nur mit Gildo's Tode, der, als er fich unabhängig mas
hen wollte, nach erliftener Niederlage, fich erdroffelte.
Der Kaiſer Honorius, dem diefe Unordnungen bins
terbracht wurden, fprad) ‘in einem Gefege dag Todes; Ur;
theil über Alte, die uͤberwieſen wuͤrden, bie "Fischen ber
Katholiken angegriffen , oder beunruhiger zu haben.
Nun fingen die Katholiken au, Concilien zu halten ‚au
ſchreiben, und gu predigen.
Der ven Katholifen bewilligte, Schug entzuͤndete neus
erdings die ganze Wurh, und 'alen Haß der Donatiften;
feine Eatholifche Kirche war vor ihren Anfällen ficher,- fie
ergriffen auf den Straßen alle Katholifen, bie ausgegangen
waren, Einigkeit und Triebe zu predigen, ihr wilder Eis
_fer achtete auch der Bifchdfe nicht; die Ci reumcellionen
die auf den Feldern umherſteiften, verübten taufend Graus
famfeiten gegen foldhe, die es wagten, Friede anzubieten,
und die Donatiften zur Ruͤckkehr einzuladen.
Das Eoncilium von Cartbago lieg den Kaifer durch)
Abgeordnete bitten: er möge die, Katholifen, welche die
Mahrheit predigten , oder zu ihrer Vertheidigung fchrieben,
gegen die Beleidigungen der Donatiften fichern.
Der hl. Auguftin und andere: Bifchofe hielten dafür,
man müffe bei dem Kaifer nicht um firenge Maaßregeln ge⸗
416 Donatiſten.
gen die Donatiſten nachſuchen. Erſterer glaubte, Nies
mand müffe-zur Vereinigung gezwungen werden; man follte
ven Weg der Unterredung einfchlagen, durch Disputtren
tämpfen, durch die Wahrheit‘ fiegen: aufferdem fey zu bes
forgen aus offenbaren Kegern verfiellte Katholifen zu machen.
Allein die Donatfften haften den Staat mit Unords
nungen erfült, waren Störer der Öffentlichen Ruhe, Meu⸗
chelmoͤrder, Brandflifter, Empsrer; der Kalfer war Dem
. Meiche firengere Gefebe gegen fo gefährliche Unterthanen
‘schuldig, man konnte weder die birgerliche noch religioͤſe
Duldung für fie anfprechen, mithin hielt fi) das Staats⸗
Oberhaupt verpflichtet, unter den haͤrteſten Beftrafungen
dieſen Schismatikern die Rückkehr zur Kirche zu gebieren 1).
Donatiſten und Katholiken frugen endlich auf eine
Conferenz an; Honorius veranffaltefe durch ein Edikt im
J. 410 eine Zufammenkunft der Biſchoͤfe beider Theile.
Die Eonferenzen wurden im folgenden jahre eröffnet,
der fatholifchen Bifchdfe waren 281, der donatiftifchen 279.
von. jeder Seite wählte man fieben Bifchdfe zum Disputiren.
Nach dreitägigem Dispüten entfchied der Comes Marces
Llinus zu Gunften der Katholiten,, und erftattete hierüber
den Bericht an den Kaifer, welcher durch ein Gefeß pom
Jahre 412 den Donatiften ſchwere Geldbuſen auflegte,
ihre Bifchäfe verbannte, und ihre Lirchengůter den Katho⸗
liken zuerkannte.
Dieſer Schlag entzuͤndete, gleich einem Blitz⸗ ⸗Strahle
der in eine Pulvertonne faͤllt, die Wuth der Do natiſten
von Neuem; fie liefen zu den Waffen, meuchelten die Ka
tholiken, tödteten fich felbft, ia fie wollten lieber Hand an
fich legen, als in die Fatholifche Kirche zurücktreten; jedoch
wurde durd) die Klugheit und Feftigkeit des Comes Mar
cellinuB das Feuer bald niedergelegt. 2).
‚ı) Aug. Ep. 50, Codex Theodos. 16, T. 6, L. 3. p. 195:
2) Collat, Carthag. an. 4tı. habit. Vid. nov. Collect.
Tone; Baluzii, apıd Aug. Brelliculus Collat. eum Do-
natislis addit. Benedict. T. 9. p: 545.
_ Donatiflen, Ä 417
"Die donatiſtiſchen Biſchoͤfe ſprengten aus: Marcel
Lin, durch große Geldſummen von den Katholiken befiochen,
habe ihnen nicht geſtattet, fich zu vertheidigen, welche Vers
‚Ikumdungen von dem hl. Auguſtin ohne Mühe widerlegt
wurden. -
Theodofiug der Jangere erneuerte die Geſetze des
Honorius gegen die Donatiſten, und verminderte ihs
ren Anhang noch mehr, Bald darauf bemiächtigfen fich die
Vandalen Afrikas, und mifhandelten Katholiken wie
Donatiften. Allmaͤhlig legte fiih ihr Fanatismus, mod
einmal zuckte er unter dem Kaifer Mauritius auf, weis.
‚cher aber die Gefeße gegen die Donatiften in Vollzug
brachte. Zerſtreut in verfchiedenen Winfeln‘ Aftila's bonn
ten ſ ie feine Parthei mehr bilden. |
Die Irespäner der Donatifen.
Spal tung iſt jederzeit das Rind oder die Mutter des
Irrthums. Die Donatiften trennten ſich von der Kirche,
weil fie die Weihe Caͤcilian's als ungültig angaben , uns
ter ver Vorausſetzung: daß Felix, Biſchof von Aptungum,
der fie ihm ertheilt hatte, ein Auslieferer ſey. Dieſes
leitete ſie natuͤrlich auf die Behauptung: die von Ketzern
und Suͤndern geſpendeten Sacramente ſind ungültig.
. Hieraus zogen fie die weiteren Folgerungen: die Kirche
beſtehet nur aus Gerehten; Käcilian, Felix, der ihn ges
weiht, der Pabft Miltiades, der ihn loggefpeochen hatte,
und mehrere ihrer Mitbrüder, mäffen, als des Verbrechens
uͤberfuͤhrt ‚ihrer Stellen entfegt, und aus der Kirche geflos
gen werden ; Da fie ihrer Verbrechen wegen aufgehört haben, -
Glieder derfelben zu ſeyn; alle, fo fie unferflügf, und mit.
ihnen Kirchen s Gemeinfchaft gepflogen haben, find durch
"Sutheißen Diefer Vergehen ihre Mirfchuldigen geworden,
mithin Haben ſich nicht nur Die Kirche von Afrika, Tons
dern auch alle Kirchen der Melt, die durch dee Band
der Einheit mit Caͤdilian und feinem Unhange. ver⸗
knuͤpft blieben, befleckt, und haben autgehont einen Theil
KetzerLexikon. IE Ä
1 x
418 Dmatiften.
der wahren. Kirche Jeſu Chrifti aussumachen, welche nur
auf die Fleine Zahl derjenigen, die feinen Theil mit den
Treulofen haben wollten, defchränft iſt, und ſich in ver
Reinheit erhalten hat. Sie glaubten fohin, die wahre Kirche
fen nur aus Gerechten zufammengefegt, und fie [even dieſe
Kirche.
Der ganze Streit der Katholiken und Donatiſten
drehet fih um die drei Fragen: Iſtens) Ob Felix des ihm
aufgebürderen Verbrechens fchuldig war? Atens) Ob er, wenn
er fhuldig war, Caͤcilian habe guͤltig weihen können?
3tens) Ob nur Heilige und Gerechte Glieder der Kirche feyn
koͤnnten, oder ob fie aus Guten und Boͤſen sufammen ges
fegt ſey?
Es erhellet aus der Gefchichte der Spaltung der Du
- natiften, daß fie gegen Felix und Caͤcilian nie eines
der Verbrechen ermweißen konnten, welche fie ihnen Schuld
- gaben. In dem Artikel: Wiedertaufe der Keger
werden wir zeigen, daß die von Kegern und Sündern ers
theilten Sackamente gültig find. Gegenwärtig wollen wir
den Irrthum der Donatiften über vie Kirche prüfen.
‚. Die Donatiften behaupteten: die Kirche beſtehe nur
aus Gerechten, und bewießen es durch die Kennzeichen,
'die die Propheten ihr geben, und die Bilder, unter welchen
ſie lie anfündigen.
| Iſaias, fagen fie, flelt ung die Kirche vor wie eine.
heilige Stadt, in welcher Fein Unreiner und Unbefchnittener
sirgelaffen wird, fie muß -ein heiliges Volk enthalten. (Isai.
‚c. 52, 1. 62, 12. .
Das hohe Lied ſchildert ſie uns under dem Bilde ei⸗
nes fleckenloſen Weibes, an dem nichts auszuſtellen if,
C(Cont. C. 4.)
Das N. T. ſpricht noch deutlicher und beſtimmter. Der
heilige Paulus ſagt ausdruͤcklich: daß Jeſus ſeine Kirche
geliebt, und geheiliget hat, daß ſie rein iſt und ohne Fehler.
(Ephes. 5, 25 - 27. 2 Cor. 11, 2) \
Man gab vor: die wahre Kirche beftehe nur aus einer
Heinen Zahl Gerechten, daß eine ‚große Ausdehung derfelben
N
Donatifien. "419
nicht weſentlich ſey, daß fie auf Abrabam, Iſaak und
Jafob befchränft, gewefen, und in der Schrift unter dem
. Gleichniffe einer engen Pforte, durch welche Wenige eingins
gen, vorgeftellt werde, m. f. mw. 1).
Sie rechtfertisten ihre Spaltung mit dem Beifpiele des
Elias und Eliſaͤus, die mit den Samaritanern Feine
Gemeinſchaft gepflogen haͤtten, und ſtuͤtzten ſich auf das,
was Gott durch den Mund des Haggaͤus ſpricht, dag Er
ein durch die Suͤnde verunreinigtes Volk verabſcheue, und
daß Alles, "was es opfert, unrein ſey. (O. 2, 14, 15.)
Die Katholiken zeigten, daß die Donatiſten uͤber
die Beſchaffenheit und Ausdehnung der Kirche im Irrthume
ſeyen. Man bewies ihnen, daß fie in der Schrift als eine
Gefenfchaft dargeftellt wird, welche Gute und Boͤſe enthalte,
daß fie Jeſus Chriſtus ſebſt unter dieſen Zuͤgen darge⸗
ſtellt habe.
Bald iſt ſie ein Netz, in das Meer geworfen, welches
alle Gattungen von Fiſchen einſchließt, bald ein Acker, auf
welchen der Feind Unkraut ausſaͤet; ein andermal eine Ten⸗
ne, auf welcher Stroh mit gutem Waizen vermiſcht liegt.
(Math. 13.)
Die alte Kirche duldete auch die Suͤnder in ihrem
Schooße: Aaron und Moſes machten keine Spaltung,
obgleich Iſrael's Kirche Goftesräuber enthielt; Saul und
David gehörten zur Kirche Juda, ed gab fchlechte' Pries
fter und fchlechfe Suden in eben der Geſellſchaft, wovon
Seremias, Iſaias, Daniel und Ezechiel Glieder -
‚Waren. 2).
Der hl. Paulus trennte ſich nicht von der Gemeinſchaft
der Suͤnder, er ſah ſie, ihrer Suͤnden ungeachtet, noch als
in der Kirche befindlich, an. Djeſen Begriff gibt und Pau⸗
lus von der Kirche, und ber, Gottesdienſt, bie Gebete, die
1) Aug. de Unitate Eecles.; 3 coua. Carthag. T. 9. edict.
Bened. Collect- Baluz.
2) Aug. cont. Ep. Parmen. L. 2. C. 7. De Unit. Eecles.
C. ı3.
27 *
—
420 . Donatiſten. |
Eeremonien, fo alt, als die Kirche ſelbſt, fehen voraus, daß
fie Sünder in fi) faßt. (Rom. 4, 34. Hebr. 9, 12. 1
Timoth. C. @.
Ale Schriftſteller, in welchen die Rirche als ein reine
Sefellfchaft vorkoͤmmt, von welcher die Suͤnder ausgefchlofs
fen find, müffen nach dem hl. Wuguftin, von der trium⸗
phirenden Kirche verflanden werden. 1) |
Auf der Erde iſt fie eine religioͤſe Geſellſchaft, beſtehend
aus Menſchen, die mit einander verbunden ſind, aͤußerlich
durch die Gemeinſchaft der naͤmlichen Sacramente, und der
Unterwuͤrfigkeit unter die rechtmaͤßigen Oberhirten; innerlich
durch den Glauben, die Hoffnung, und die Liebe.
Man kann daher in der ‚Kirche einen dußern und fichts
baren Theil, der gleichfam der geib derfelben tt, und einen
innern unfichebaren, als die Seele derfelben unterſchei⸗
den.. In Unbetracht des bloß innern Thelles ver Kirche
kann man alfo fagen: daß Ketzer und Sünder ihre nicht ans
gehören; aber hicht weniger wahr iſt es, daß ſie zum Feibe
derfelben gehören, und fo bat man die verfchiedenen Stellen,
in welchen der hl. Auguftin, und nach fhm mehrere Gots
tesgelehrte fagen, dag die Sünder eine Glieder der Kirche
ſeyen, auszulegen.
Der Eardinal Bellarnim bat die fung aller Schwie⸗
rigkeiten durch die Vergleichung mit einem Menſchen gege⸗
ben, der aus Leib und Seele beſtehet, und deſſen Arm,
wenn gleich gelaͤhmt, nicht aufhört, ein Theil von ihm zu
ſeyn.
Die Katholiken bewieſen mit nicht weniger Stärke und
einleuchtender Wahrheit, daß ein religidfer Verein, in einem
Winkel Afrika's verfteckt, Die wahre Kirche nicht ſeyn koͤnne.
Alle Propheten verkünden, daß die Kirche Jeſu fih
über den ganzen Erdfreiß verbreiten müfle. (Genes, zz,
Isai. 49, 54. Malach. ı. Ps. 2, 29. 49, 55,.7ı.)
Jeſus felbft deutet diefe Prophezeihungen auf fih, Cr
ſagt: Alfo iſt's gefchrieben, und alfo mußfe Chriftug lei⸗
ven und predigen laffen In feinem Namen Buße und Ders '
— —
(1 Aug. L. 2. Retract. C. 18
. 2) Aug. cont. Cregoent.
Donatiſten. | 421-
gebung der Sünden unfer allen Voͤlkern, anhebend. von Jes
| rufalem. (Luc. 24. 46, 47.)
Ale Väter vor den Donafiften waren der Meinung:
daß die wahre Kirche Jeſu katholiſch (allgemein) feyn
muͤſſe; durch dieſe Benennung unferfchled man fie, von dem
bl. Polycarpus am, von den Secten, die fi) im Chris
ſtenthume erhoben 1). Endlid war dieſes die Lehre der
ganzen Kirche gegen die Donatiften 2),
Sonach iſt e8 nie erlaubt, ſich von der Fatholifchen
Rirche zu trennen, weil fie die. wahre Kirche ift: man kann
ftets in ihr fein Heil erwirken; man hat folglich nie eine
‚ rechtmäßige Urſache, das Band der Einigkeit mit ihr zu
zerreißen, und alle Geſellſchaften, die fich von ihr frennen,
find Schigmatifer. Ä
. Bor den Streitigfeiten, welche die Reformatoren deg
fechszehnten Jahrhunderts im Abendlande erregfen, war die
roͤmiſche Kirche ungezweifelt die Karholifche, und Ale, wels
che die Reformation annahmen, waren in ihrem Schooße:
fie Eonnten fich daher von ihr nicht lostrennen, ohne Schi gs
matiker zu ſeyn: denn fie koͤnnen der katholiſchen Kirche
nicht vormwerfen, daß fie ein einziges Dogma lebre, welches
nichf auch, von großen Heiligen geglaubt worden ſey; folgs
li) fonnte man gu allen Zeiten in der roͤmiſchen Kirche zur
Seligkeit gelangen, und deshalb war auch zu Zeiten
Zwingli’s Luther's und Calvin’s Fein gefeklicher
Grund vorhanden, fich von der römifchen Kirche zu trennen, '
wie folches die Urheber der angeblichen Neformation thaten
Die proteftantifche Kirche iſt alfo nicht Die wahre Kirche,
und jene, die in ihre Gemeinfchaft getreten find, haben Feine
Urfache, in der Abfönderung von der römifchen Kirche zu
verbarren. Möchten biefes unfere getrennten Glaubens⸗
1) Euseb. hist. eccl. 4, Q. 15. Cyril. Catech. 18. circa
ſinem. Ang. cont. Ep. fundam. C. 7. Cypr. de unit.
eccles.
#
422 Donatiften. Dofithäus.
Brüder ruhig und leidenſchaftslos erwägen, möchten fie nicht,
ſtatt deffen die Katholiken haſſen, fie auf alle Art veruns
glimpfen und verläumden, möchten: fie den Wahn aufger
ben, als wolle man fie despotifiren, und nicht, belehren.
Die Trage über des Schisma ver Proteflanten iſt
von Heren Nicole entfchöpfend beantwortet worden 1).
Dofithäus *). war ein Zauberer aus Samarien,
der fich fir den Meſſias ausgab; man Hält. ihn fuͤr den
erſten Ketzer⸗Haͤuptling.
Die Samaritanen hatten das moſaiſche Geſetz, wie
die Juden, und erwarteten gleich dieſen den Meſſias.
Deer menſchliche Ehrgeiz kannte kein höheres Ziel, als
bie Ehre der Meſſias⸗Wuͤrde, und bei den Nationen, wel⸗
‚he Ihn erwarteten, konnte es nie an Ehrgeizigen fehlen, die
fich diefen Titel anmaßten, und defien Merkmale nachäfften.
Der Meſſias, den die Propheten vorhergefagt hatten,
ſollte feine Hoheit durch die auggegeichnieteften Wunder dars
thun: man mußte fich alfo viel mit der Kunſt, fogenannte
Munderzeichen zu wuͤrken, abgeben: diefen Anfichten, vers
bunden mit. der herrfchenden pythagoräifchen, platonifchen und
Tabbaliftifchen Philofophie, kann man vielleicht den Ges
ſchmack an Zauberei, der bei den Juden und Samaritanen
vor Entflehung des Chrifientpum’s fo ausgebreitet. war,
uuſchreiben.
Dem ſey, wie ihm wolle, gewiß iſt es: dag Dofis
thäus fich viel mit magifchen Kınften abgab, und durch
Gaukeleien, Bezauberungen und Taſchenſpieler⸗Poſſen die
Dhantafie blendete. — Er gab fich für den Meſſias aug,
‚und fand Glauben.
Da die Propheten den Meffiag unter Merkmalen,
die Je ſu allein zukommen konnten, ankuͤndigten, ſo faͤlſchte
1) Man (ehe feine Schrift: Les Preiondu Reformes con-
vaincus'de Schisme.
,*) 1tes Jahrhundert. \
. Dofithäus. 2423
Doſithaͤus die Weiſſagungen, und‘ wand fie auf fih an:
feine Schüler gaben ihn für diefen von den Propheten ver
heißenen Mefftag gus. Im Gefolge.des Betrügers mas
ren dreißig Jünger, fo viele, als Tage im Mopnate find;
mehr wollte er nicht; unter diefen befand fich auch ein Weib,
das er Luna (den Mond) ‚nannte. Er verordnefe die Ber
fchneidung, und faflete viel. Um das Volk zu überreden,
daß er gen Himmel gefahren fen, enfzog er fich-den Augen
der Welt in eine entlegene ‚Grotte, und hungerte fi) aus. -
Die Secte der Dofitbäaner hielt viel auf den jungs
fräulichen Stand, eingenommen von ihrer Keufchheit,, fah
fie .auf die übrigen Menfchen mit Verachtung herab. Ein
Dofitbäaner nahete fih Niemanden, der nicht dachte,
und lebte, wie er. Auf ihre fonverbaren Gebräuche waren
fie fehr verfeffen; fo 3. DB. beharrten fie vier und zwanzig
,‚ Stunden lang in berfelben Stellung , Die fie eingenommen
hatten, als der Sabat anbrach. Die Pflicht dieſer Unbe⸗
weglichkeit folgerten ſie aus dem Verbote, am- Sabate zu
arbeiten.
Mit dieſen Uebungen glaubten fich die Doſithaͤaner
hoch erhaben uͤber die erleuchteſten Maͤnner, uͤber die tu⸗
gendhafteſten und wohlthaͤtigſten Buͤrger; wenn ſie 24 Stun⸗
den lang mit ausgeſtreckter Rechten oder Linken, wie ein⸗
gewurzelt im Boden, ſtanden, waͤhnten ſie: Gott mebr zu
gefallen, als ein Menſch, ber zum Troſte der Bettuͤbten,
und zur Unterſtuͤtzung Unglüdlicher fih noch fo fehr in Ber .
mwegung feßte.
Diefe Secte beſtand in Aeghpten bis zum 6ten Jahr⸗
hunderte. Ein Schuͤler des Doſithaͤus beſtimmte nach
deſſen Tode Simon zu feinem Nachfolger, der feinen Mei⸗
fter bald übertraf, und Secten- Häuptling wurde: dieſer war
. Simon, der Zauberer 1).
1) Euseb. Hist. eccl. L. 5, C. 12. Origen. tract. 27. in
Matth. L. 1, cont. Cels. C. 44..L. 6, p. 282. edit.
‘ Spenceri. Photius Bibl. cod. 250, p. 466. edit. graec,
424 Dualiſten. Dulcin. Ebioniten.
Dualiſten. Die Benennung derjenigen , welche be⸗
haupten: daß es in der Welt zwei ewige und nothwendige
Grundweſen gebe, wovon dag eine Urheber alles Guten,
das andere Urheber alles Boͤſen ſey. (Man fehe die Arfis
tel: Marcion, Mannes)
Dul cin, ein Laie von Navarra in der Kompbarbie,
war Segarel’s Schüler und wurde nach dem Tode feines
Meifters das Haupt einer Secte, welche den Namen Apos
ftolifche annahm. (Sieh den Artikel Segarel.)
E.
Ebioniten. *) Dieſe hebraͤiſche Benennung, zu Deutſch
Bettler, wurde einer Ketzer⸗Sekte beigelegt, welche
die irrigen Meinungen dee Nazarder angenommen hatte,
und denen fie noch einige eigenthümliche Gebräuche und Irr⸗
thuͤmer beifügten. Die Nazarder 5.3. nahmen die ganze
hl. Schrift an, wie fie der Canon der Juden enthält: vie
Ebioniten dagegen verwarfen die Propheten, die Nas
men: David, Salomon, Jeremias, Ezechias was
ren ihnen ein Abſcheu; allein die fünf Bücher Mofeg gals
ten ihnen für goͤttliche Schrift.
Drigenes unterfcheidet zwei Sorten von Ebioniten:
. die einen glaubten, wie die Nazarder, daß Jeſus von
einer Jungfrau geboren fen, die andern legten Som eine
ganz menſchliche Herkunft bei. |
Einige Ebioniten lebten nuůͤchtern und enthaltſam,
andere nahmen Niemanden in ihre Secte auf, der nicht
ſelbſt noch vor Eintritt der mannbaren Jahre, verheirathet
war; uͤberdieß geſtatteten ſie die Eheſcheidung und Vieh
weiberei, fi fie aßen fein Thier, noch dag, was von ihm
koͤmmt, ale: vun, Eyer ıc. |
P. 321. ed. Iat. ‚Epiphan. Haer. 13. Hyeron. adv. Lu-
cifer. C. 8, Tertull. de Praeserip. c. Br Philastr.-de
Haeres. C. 4.
) aſtes Iapspundert,
Ebioniten. Elkeſaiten. 425
Sie bedienten ſich, wie die Nazarder, deg Evanges |
lium’8 des Matthäng, hatten es aber an vielen Stellen -
verftümmelt: das Gefchlechts:Negifter Jeſu, das die Nas
zaraͤer beibehalten Hatten, ließen fie ganz weg. Nebſt dem
bebräifchen Evangelium des Matthäus hatten fi e mehrere
andere Schriften unter- dem Namen Jakobus, Fohbans
nes, und anderer Apoſtel, auch machten fie Gebrauch bon
ben Reifen des bl. Petrus.
Einige Schriftfteller geben bie Ebi oniten als einen.
Zweig det Nazaraͤer an, andere .hielten fie für eine ganz
befondere Secte; biefe wenig wichfige und vieleicht ſchwer zu
enffcheidende Frage wurde von P. Le Quien in feinen Difs
ſertationen Über den hl. Johannes Damafcenus uns
terfucht. Drigenes, Joh. Damafcenug, Eufebiug,
Irenaͤus haben von der Kegerei der Ebioniten ung
Nachrichten hinterlaſſen 1).
Die Ebioniten um Nazarder, die alſo verſchie⸗
dene Secten ausmachten, und ſich im Glauben und Sitten
widerſprachen, kamen doch in einem Punkte uͤberein: beide
naͤmlich erkannten in Jeſus den Meſſias: es iſt demnach
gewiß, daß Er die Merkmale in ſich verband, unter welchen
Er angekuͤndigt war.
Eltkeſaiten. *) Sie hießen auch Ofſonianer,
md Sampſaͤaner. Es mar eine Secte von Schwaͤr⸗
mern, die mit einigen Lehren des Chriſtenthums die Irrthuͤ⸗
mer der Ebioniten, Sterndeutung, magifche Gebräuche,
Anrufung der Dämonen, Bezauberungen und Beobadytung
der jüdifchen Ceremonien, verbanden. Bei diefen Kegern
"darf man weder Zufammenhang noch Verbindung fuchen.
Sie beteten nur Einen Gott an, bildeten fich ein, durch ofts
1) Origenes cont. Cels. Epiph. Haer. 20. Iraen, L. 1,
C. 20. Euseb. Hist. ecel. L. 3, GC. 27. Unter den Neus
een frage man Le Clero hist. eccl. p. 477. an. 72.
Ittigius Dis. de haeres. Sacc. I, c. 6. P. Le Quien.
Dissert. sur S. Jean Damasc,
*) Ites Jahrhundert.
‚426 nr Ä Eikefaiten. Ä
malg des Tages wiederholtes Baden Ihn vorzuͤglich zu ver⸗
ehren, und nahmen einen Chriſtus oder Meſſias an. Es
iſt ungewiß, ob fie Jeſus für den Meſſias hielten, oder.
ob fie einen andern, der ‘noch fommen follfe, erwarteten;
fie gaben Ihm eine menfchliche doch unfichtbare Geftalt, die
gegen 33 Meilen Hoch wäre, und deſſen Gliedmaſſen viefer
Höhe anpaßten; den bl. Geiſt hielten ſie für ein Weib,
weil dag hebräifhe Wort, womit berfelbe bezeichnet wird—
weiblichen Gefchlechtes ift, villeicht auch weil der hl. Geiſt,
als er unter der Geftalt einer Taube bef der Taufe Jeſu
erfhien, die Stimme hören ließ: Dieß fen fein geliebter
Sohn, woraus: fie fhloffen, Er fei weiblichen Geſchlechts,
um Jeſu nicht zwei Vaͤter geben zu muͤſſen. 1).
Unter Trajan's Regierung verband ſich ein Jude mit
ihnen, Namens Elxai: diefer verfaßte ein Buch ‚welches
ihrem Angeben nach, Prophezeihungen und göttliche Weis⸗
heit enthielt. Die Elkeſaiten gaben vor, er ſey vom Him⸗
mel gekommen.
Dieſer Elxai wurde von ſeinen Anhaͤngern als ein,
von den Propheten geoffenbartes, Weſen höherer Art ans
geſehen, weil fen Name im Hebraͤiſchen: der Geoffen⸗
barte, bedeutef, und ermwiefen fogar allen su feinem Stam«
me Gchörigen eine an Anbetung grenzende Verehrung, ja
machten es fich zur Pflicht, für fie zu ſterben.
Noch zur Zeit des Kaiſers Valens gab es zwei
Schweſtern von Elxai's Familie, oder dem gefegneten
Gefchlechte, wie fie e8 nannten ; fie hießen Martha und
Martena. Die Elfefaiten ehrten fie wie Goͤttinnen';
‚wenn fie außgingen, ‚hatten fie ganze Schaaren von Bes
gleitern; man fammelfe den Staub ihrer Füße, und den
. Speichel, den fie ausmwarfen, verwahrte diefe Dinge in
Buͤchſen, die man bei fi frug, und als Haupt⸗ Praͤſerva⸗
tive. gegen Krankheiten anſah 2)
Sie hatten einige hebraͤiſche Gebete, die, auch ohne
verſtanden zu ſeyn; hergeſagt werden ſouten. Zasnase
1) Grab. Spicil, P. P. Ecel. T. ı.
. 2) Epiphan. Haer. 19.
=
Elteſaiten. Elipand. England. 427
hat bewieſen, daß die Elkeſaiten nicht von den Eite >
niern abſtammten 1). 1
Elipand, ein ſpaniſcher Siſchof, der mit Self; von
Urgel lehrte: Chriſtus, als Menfch, fen. nicht der nas
türliche, fondern nur der angenommene Sohn Gottes, wo⸗
durch in Ihm die Einheit der Perſon aufgehoben wuͤrde.
Encratiten oder Enthaltſame. Tatian's Schuͤ⸗
ler, welche ſich des ehelichen Standes enthielten, weil ſol⸗
cher nach der Lehre ihres Meiſters ſo verdammlich ſey, wie
der Ehebruch. Man heißt ſie auch Hydroparaſtaten, oder
Aquarier, weil fie beim Abendmahl Waſſer, ſtatt Wein
gebrauchten. Eben ſo verſagten fie fi) den Genuß des
Fleiſches. (Sieh Tatian). |
England *) (Schisma von). Die Abtrennung die⸗
ſes Koͤnigreiches von dem roͤmiſchen Stuhle, veranlaßt
durch die Scheidung Koͤnig's Heinrich' s VIII. von Ka⸗
tharina von Arragonien.
Die Wichtigkeit dieſes Artikel's fodert, zur Erleichte
rung der Ueberſicht, ihn in Abſchnitte zu theilen.
6. 1. Bermäplen g Heinrig’ $ VIII. mit Katharina
von Arragonien; deffen Bemühungen, kine.
. Trennnng diefer Ehe zu Rom zu bewirden;
und entgegenfiehende Hinderniffe
König Heinrich VI. von England hatte zwei Prin-
zen: Arthus und Heinrich. Arthus verehelichte ſich
mit Katharina von Arragonien, Tochter Fer di⸗
nand's und Iſabellen's, die auf dem. Throne von
Caftillien und Arragonien faßen.
Katharinen's ältere Schwefler war an Philipp
Herzog von Burgund, und Grafen von Flandern,
vermaͤhlt.
1) Basnage Annales eccles. T. 1.
2) 16tes Jahrhundert.
428 England.
Heinrich's VII. Plan war, durch dieſe Heirath die
mif Ferdinand, und dem Haufe Burgund gegem
Frankreich eingegangene Verbindung feſter zu Fnüpfen.
Die Vermählungs + Feier Arthus und Katharinen’s
hatte 1501, den 14ten November ' ſtatt; der Prinz aber
ſtarb etliche Monate darauf.
England's Betheiligung forderte die Aufrechthaltung
des Buͤndniſſes gegen Frankreich; uͤberdieß mußte man Ka⸗
tharinen ein anſehnliches Wittwen⸗-Gehalt ausſetzen, und
‚she zweihundert tauſend Dukaten, die fie als Brautſchatz
eingebracht hatte, zuruͤckſtellen. Heinrich VII. konnte ſich
nicht entſchließen, ſo betraͤchtliche Summen aus dem Reiche
gehen zu laſſen; und warb daher um die Hand der Prins
zeffin für Heimeich, feinen zweiten Sohn, welcher durch
den Tod Arthus, der Finderlog geftorben, Pring von Wals
lis gemorden: wär.
Heinrich und Ratharina' Überreichten ein Geſuch
um Dispenſation des Inhaltes: Katharina habe mit dem
Prinzen Arthus in der That eine eheliche Verbindung ein⸗
gegangen, und vielleicht auch vollzogen: nach erfolgtem Ab⸗
leben des Arthus aber wuͤnſchten nun Hetnrich und
fte zur feſtern Begruͤndung eines dauerhaften Friedens zwi⸗
ſchen beiden Reichen, ſich mit einander ehelich zu verbinden.
Die paͤbſtliche Dispenſe erfolgte in einer Bulle vom
- 26ten Dezember 1502, welcher auch die Beſtaͤttigung der
Ehe, im Falle fie fchon gefchloffen wäre, beigefegt war.
Heinrich, Prinz von Wallis, ehelichte fonach Ras .
tharinen. Allein fein Vater, der König, dem man
Gewiffens-Aengfllichkeiten beigebracht hatte, ließ durch feinen
Sohn eine Proteftation gegen diefe Heirath einlegen.
Die Proteſtation enthielt: da Heinrich, Bring von
Wallis, noch minderjährig, die Gattin des Arthus ger
heirathet habe, fo widerrufe er num, großjährig geworden,
diefe Heirath, und erkläre fie, ſtatt zu beftättigen, für nich⸗
tig; da er in diefer Verbindung mit Ratbarina nicht les
ben könne, fo trage er nach den Gefegen, auf ihre Auflds
x
-
erglaud. 429.
fung an; dieſe ſeine Erklaͤrung ſey nicht erzwungen, ſondern
geſchehe von ihm eigenwillig und mit voller Freiheit.
Dieſe Proteſtation wurde im Geheim eingelegt, wobei
es auch ſein Verbleiben hatte.
Nach Heinrich's VII. Tode wurde im Staatsrathe der
| Vorſchlag gemacht, die Ehe Hei nrich’s VIII. entweder aufs
zulöfen, oder zu beflätfigen; der König beſtimmte fih fir
das Lebte: ſechs Wochen nad) der Thronbeſteigung ließ fich
Heinrich feterlich mit Katharinen einfegnen, und ſechs
Wochen darauf wurden Beide gekroͤnet.
Heinrich VIII zeugte aus dieſer Ehe drei Kinder,
zwei Prinzen, die bald nach der Geburt ſtarben, und eine
Prinzeſſin, die am Leben blieb. Da die Koͤniginn nicht mehr
gefegnet wurde, und Heinrich die Hoffnung zu meiterer
Nachtommenfchaft aufgegeben hatte, ertheilte er Marien
den Titel: Prinzeffin von Wallis.
Heinrich VIII lebte mit Katbarinen im Selten
Vernehmenz alein den Zerfireuungen und Vergnuͤgungen
‚ ergeben, überlich er die Leitung der. Gefchäfte und des
Staats s Nuders den Händen des Thomas Volfey, eis
nes Mannes, der fi) von niederer Herkunft zum Erzbis⸗
thume von Dorf, und jur Cardinals⸗Wuͤrde emporgeſchwun⸗
gen hatte.
Kaifer Carl V., ber einfah, von welcher Wichtigkeit
für ihn fey, die alte Verbindung England’s mit dem Haufe
‚ Burgund. aufrecht zu halten, hatte nichts. verfäumt, ben
Cardinal Bolfey zu gewinnen: er fehrieb ihm jederzeit eis
‚genhändig, nannte fid) feinen Sohn und Vetter, endlich um
Allles von ihm erlangen zu koͤnnen, machte er ihm Hoffnung:
daß nach dem Tode Leo's X. die Stimmen der Cardinaͤle
ihn auf den paͤbſtlichen Stuhl erheben wuͤrden.
»Leodo X, ſtarb früher, als es Carl V. erwartet hatte,
und Bolfey wurde nicht Pabſt. Abermals wurde feine
Hoffnung - gefäufcht, nach ‚dem: Ableben des. Nachfolgers
Leo's X. Hadrians VI.
Nun kehrte Volſe y feinen ganzen Einfluß gegen Carl V.
ſetzte dem Beichtvater des Koͤnigs, einem ſchwachen Manne,
430 — England,
Zweifel über die Gültigkeit der Ehe mit Katharina von
Yrragonien in den Kopf; der Beicht vater beaͤngſtigte das
Gemuͤth des Koͤnigs mit dieſen Zweifeln: der Cardinal
wurde zu Rathe gezogen, welcher dieſe Bedenklichkeiten bes
ſtaͤrkte, und mit dem franzoͤſiſchen Gefandten, Biſchof vor
Tarbeg wegen Vermählung Margarethen's, Franz J.
Scwefter und Wittwe des Herzogs von- Alencon mit
Heinrich Unterhandlungen anfnüpfte. Der König bilfigte
diefen Vorſchlag, und ſchickte Wolfen als Unterhändler nad)
Frankreich, allein faum war diefer zu Calais angekommen,
fo erhielt er Befehl, die Heirat mit der NHerzoginn von
"Hlencon nicht in Vorfchlag zu bringen. Privatbriefe mels
deten ihm: der König fey in Anna von Boulen verliebt,
Tochter des Chevalier Thomas Boulen, und Ehren
Dame der Koͤniginn.
Anna von Boulen war die Geliebte des Bord Per—
.cey, Sohn des Grafen von Porthumberland: Volſey
mußte diefe Verbindung auf Befehl bes Königs hinterſtel⸗
len, und nun machte man fich ernſtlich an die Sache der
Eheſcheidung.
Die Umſtaͤnde zeigten ſi ch für Heinrich vm. günftig.
Earl V. bielt damals den Pabſt Elemeng VII. in ber
Engelsburg gefangen; der Pabſt bedurfte Hein rich's Bei⸗
ſtand, welcher ſeinen Einfluß und feine Waffen für ihn zu
verwenden fich erboth.
Der-Babft hegte weder über die Nothwendigkeit des
Beiſtandes Heinrich's, noch uͤber die Aufrichtigkeit ſeiner
Anerbiethungen einigen Zweifel, auch verkannte er die von
ihm erhaltenen Dienſte nicht; allein er kannte die Sonder
barkeiten und den ungeſtuͤmmen Charakter Heinrich's: wohl
wiſſend, daß die Leidenſchaft dieſes Fuͤrſten eine Krankheit
ſey, die die Zeit allein heilen koͤnne, hielt er fuͤr gut, dieſes
wichtige Gefchäft zwar anzuknuͤpfen, jedoch in die Laͤnge zu
iehen.
Er erlaubte daher dem Könige, , ‚eine Saftinn zu neh⸗
men, bie ihm beliebte, jedoch mit der Bedingniß: daß zur
vor entſchieden werden müfle, ob die erſte Ehe gültig fey,
d
England. 431
oder nicht. Zu diefer Unterfuchung ernannte der Pabſt Com⸗
miffäre,, deren Auswahl er dem Könige überließ: die Wahl
fit auf Wolfey, und den Gardinal Campege.
Campege wendefe Alles an, Heinrichen zur Beis
behaltung Katharinen's zu bewegen, von der andern
Seite beſchwur er die Koͤniginn, nachzugeben: das Ungläc,
welches England, und vielleicht die ganze Kirche bedrohte,
wenn fie hartnäcdig auf Behaupfung ihrer Ehe befinde,
abzuwenden. Allein von feinem Theile konnte er etwas er
langen: Heinrich, von feiner Leinenfchaft hingerfffen, drang
auf Entfcheidung, Katharina, auf ihe Recht fußend, ver
langte daſſelbe; Beide waren uͤberzeugt daß man ſie nicht
verurtheilen koͤnne 1).
Die Einleitungen des Prozeſſes wurden unter den er⸗
forderlichen Foͤrmlichkeiten getroffen, der Koͤnig und die Koͤ—
niginn vorgeladen: bei den erſten Vernehmlaſſungen legte die
Koͤniginn die Abſchrift einer Diſpenſe vor, die etwas aus⸗
gedehnter war; als jene, nad) welcher die kegaten ſprechen
wollten 2).
Der Koͤnig widerſprach gleich Anfangs der Aechtheit
dieſer Abſchrift und beſtand auf Vorzeigung des Original's;
dieſes befand ſich in Spanien, und wurde dem großbritta⸗
niſchen Botſchafter verweigert. Man brachte fuͤr und wi⸗
der die Aechtheit der Diſpenſe, juridiſche und kritiſche
Gruͤnde vor, welches die Commiſſarien in Verlegenheit ſetz⸗
te, und ihnen den Muth benahm, in einem ſo heiklen
Punkte zu entſcheiden. Sie ſchlugen daher dem Pabſte
vor, anſtatt die Streitſache vor ſeinen Richtſtuhl zu berufen,
lieber nach beigelegtem Entwurfe ein Decretale zu erlaſſen;
„ und fügten bei: daß während dem man Die Aufſuchung des
Breve niederfchlüge, man eg verfuchen wolle, die Königinn
zu bereden, den Schleier zu nehmen: vieß fen das befte
1) Alten von Rymer T. 14. Auszug diefer Alten in 4t0
p- 359. Le Grand. Hist. du Divorce de Henri VII.
Burnet. Hist. de la Refor. d’Anglet. T. ı, L. 2.
e) Hist. du Divorce. T. ı, p. 100 etc.
432 England,
eluskunftsmittel, den Prozeß in Güte beizulegen, und einen
‚großen König nicht vor den Kopf zu floßen, der feit mebs
reren Jahren fein Gemiffen von Vorwürfen zerriffen fühle,
welche noch täglich durch die Difpute der Theologen und Cas
| noniſten vermehrt wuͤrden; kurz ſie ſagten Alles, was zu
Gunſten des Koͤnig's zu ſagen war 1)
Der Pabſt „ beſorgt, fein Legat möge ſich aͤberraſchen
laſſen, ſchrieb ihm: „ob er gleich alles Moͤgliche fir den
Koͤnig thun wolle, fo könne er doch weder an feinen Ge⸗
wiſſen zum Verraͤther werden, noch die Geſetze der Gerech⸗
tigkeit offenbar verletzen; alle Foderungen des Koͤniges ſeyen
ſo ungerecht, daß man ihm nichts zugeſtehen koͤnne, ohne
der ganzen Chriſtenheit Aergerniß zu geben: der Kaiſer und
der Koͤnig von Ungarn haͤtten bereits Proteſtationen einge⸗
legt, und. verlangten die Berufung der Streitfähe vor den
roͤmiſchen Stuhl, er habe fich mit feiner Unpäßlichkeit ent
| ſchuldigt, und Beiden zu erkennen gegeben: feine Gefundheit
erlaube ihm nicht, ihr Gefuch zu prüfen, oder etwas zu um
terzeichnen; übrigens gebe er nur darum Aufichub, um das
Gemuͤth des Koͤnig's nicht zu erbittern; auch er muͤſſe die
&
Sache fo weit, als moͤglich, Hinaugfchieben
Dieß waren die Gefinnungen Clemens VII. über die
Eheſcheidungs⸗Sache Heinrich's VIIT., det er vor fein
„Gericht rief: Heinrich. hielt es nicht. für. gut, der Vorla⸗
vung Fplge zu leiften, und der Pabft beeilte fi nicht, dies
ſes Gefchäft zu beemdigen,
Zu Sam brai-mward ben Sten Auguſt 1329 der Friede
zwiſchen dem Kaiſer und Frankreich geſchloſſen, die franzoͤfi⸗
ſchen Prinzen wurden im folgenden Jahre freigegeben: der
Kaiſer begab ſich hierauf nach Bologna, wo er die Ange⸗
legenheiten Italien's ſchlichtete: Franz Sforza wurde in
Mailand wieder eingeſetzt, und das Haus Medicis ers
erhielt die Oberherrſchaft über Florenz. So ſah ſich
Heinrich mit einem Male der Huͤlfe Frankreichs beraubt,
wie der Hoffnung, die kaiſerlichen Waffen in Italien zu be⸗
4
1) Hist. da Divorce. T. ı. p. 120.
4
England. | 433
fchäftigen. Er zweifelte nicht, ber Pabſt werde ein Urteil
gegen ihn fprechen, und den Kaifer mit deffen Vollzug bes
auftragen; überdieß fah er fi ohne Freunde und Verbin |
Dete.
Anderer Seits ließen bie Bewegungen der Proteſtan⸗
ten in Deutſchland, und die Anſtalten der Tuͤrken gegen
Ungarn den Kaiſer nicht an England denken: ver Pabſt bes
folgte noch immer feinen erfien Plan, die Sache in die
Länge zu ziehen, und fchien das Gefchäft im Wege der Gifte ı
beendigen zu wollen. Heinrich ſchickte daher Gefandte an
den Pabſt und Kaifer, die fich in Bologn a befanden, um.
noch einen letzten Verſuch zu machen y welcher aber ſo un⸗
wirkſam war, als die vorigen.
$. 2. Heineich läßt ſich als Oberhaupt der Kirche
anerkennen, und feine Ehe als ungültig. er
klären. Seine Borlihtömaafregeln gegen
Kaifer und Pabfi.
Heinrich beſchloß, die Erfüllung feiner, Wuͤnſche, die
er su Nom nicht erhalten konnte, in feinen Ligenen Staa⸗
‘ten zu fuchen. Diefer Weg hatte aber feine Schwierigkeiten
und Gefahren. Der Koͤnig konnte die Nichtigmachung feiner
Che nur von der Geiſtlichkeit, die dem hi. Stuhle ſehr zus.
gethan war, erhalten. Geſetzt auch, dieſe zeige ſich ihm
willfaͤhrig, fo war zu fuͤrchten, der Pabſt werde Kirchen
firafen gegen ihn verhängen, melde wegen der Ehrfurcht
der Voͤlker für das Kirchen » Oberhaupt, und des Schre⸗
ckens, welchen feine Anatheme einfloͤßten, für ihn ſehr nach⸗
theilig ausfallen konnten: es war ihm bekannt, wie ver⸗
derblich dieſe Bannſtrahlen Heinrich IT. und Johann ges
worden waren. Er faßte daher den Entſchluß, die Grund⸗
füge der Unterwuͤrfigkeit und der Ehrfurcht für den roͤmi⸗
fchen Stuhl aus den Gemüthern zu verbannen, das Volk
zu gewinnen, ſich die Geiftlichfeit unterwärfig zu machen,
und fin die Nothwendigkeit zu feßen, feine Chefcheidung
zu genchmigen, endlidy die Verfügungen des Pabſtes und
Kaiſers gegen ihn zu vereiteln.
Kepers Lerifon. IL 28
[7 Englant.
MWiclefrs Lehre war noch nicht ganz in Ensland er⸗
loſchen; die Wichefiten und Lollarden hatten ſich in
Geheim forterhalten, ungeachtet der Strenge der Regierung
und der Bemühungen der Geiſtlichkeit. Die neuen Refor⸗
matoren haften dafelbft Proſelyten, ihre Bücher, vorzüglich
jene Luther's, maren hinuͤber gefommen.
Wie die Ehefcheidungs » Gefchichte immer Iebhafter wurs
de, griffen die Feinde Rom's den Pabft mit weniger Zu:
ruͤckhaliung an; viele Katholifen, aus Patriotismus Gegner
der päbftlichen Macht, und der Privilegien der Clerifei vers
banden fi) mif ihnen, und Der Hof unterflügfe Beide. Da
nun der König gewahrte, daß die Engländer jene den RE
nigen fo furchtbare Verehrung für den Pabſt nicht mehr
hegten, ließ er eine Proclamation verkünden, welche verbot:
irgend eine paͤbſtliche Bülle, welche den Kechten der Krone
entgegen fen, anzunehmen; hierauf ließ er feine Gründe, aus
welchen er die Anullirung feiner Ehe verlange, drucken,
und im Publifum verbreiten, berief das Parlament , theilte
ihm feine Abficht und Beweggründe mit, und fchickte fie
der verfammelten Geiftlichkeit' zu, welche entfchied , daß
die Heirath des Königs gegen dag Naturs Gefeg fey.
"Mehr wollte der König für diesmal nicht. haben.
Seit larger Zeit war das englifche Volt mißvergnüngt.
Heinric glaubte ihm, um es zu gewinnen, ein Dpfer
bringen zu muͤſſen, und dag angenehmſte, daß er ihm ge⸗
ben koͤnne, ſey Volſey.
Der koͤnigliche General⸗Procurator brachte im Ober⸗
hauſe gegen dieſen Cardinal die Anklage an, daß er ſich ha⸗
‘be beigehen laſſen, die Gewalt eines paͤbſtlichen Legaten aus⸗
zuuͤben, ohne ein koͤnigliches Patent hierüber erhalten zu
haben, wodurch er Die Statuten Provisor es und Prae-
munire verlegt habe.
Die Unterlaffung diefer fo wefentlichen Foͤrmlichkeit war
der Vorwand zu feinem befchloffenen Untergange. Der Rs
nig nahm ihm dag Staats⸗ Siegel, und auf eine mieders
holte Anklage des General s Procuratord wurde er verurs
theilt, und feine Güter für den Fiscus eingezogen: endlich
England. 435
des Hochverraths angeklagt, ſtard er, old man Ihn nach
London in den Towre abführen wollte.
- Die Ungnade Bolfey’s ‚gefiel dem Volke, und: der.
König ſah fi) in den Stand gefest, eine -wichtige Unfers
nehmung gegen die Geiſtlichkeit auszufuͤhren. Sie wurde
angeflagt, die Stafuten: Provisores und Praemu-
nire überfreten zu haben, da. fie. die..Gewalt eines. Legas
ten, welche der Cardinal Volſey, phne geſetzlichen Auftrag
des Königs ſich beigelegt, anerkannt habe. Die Geiſtlichkeit
traf das Loos Volſey's; ihre ( Güter murden dem koͤnigli⸗
chen Fiscus zuerkannt.
Der Clerus England's war damals ohne Schutz und
Stuͤtze; der Koͤnig mit dem Pabſte entzweit, hatte ſeinen
Bullen den Eingang in's Koͤnigreich verſagt, die Nation
ſelbſt war nicht geneigt, ſich einer Geiſtlichkeit anzunehmen,
mit der fie nicht zufrieden war, noch ſich den Befehlen des
Kirchen» Haupteg zu fügen, wenn ſolches ſich auch in's Mittel
gelegt haͤtte; deßhalb entſchloß ſich der Kirchenſprengel von
Cantorbury in einer Synode, dem Könige das Anerbie⸗
ten eines Gefchenfes von hundert tauſend Pfund Sterling
zu machen, und feine Einkünfte zu retten. Dem zu Folge
wurde e.n Ausſchuß niedergeſetzt, um eine Urkunde aufzus
feßen, Fraft welcher die Berfammlung der Geiſtlichkeit dem
Koͤnige 100,000 Pfund Sterling zum Geſchenke macht, Iſtens
wegen feiner großen Verdienſte, Atens aus Dankbarkeit für
die Vortheile, die er der Kirche durch ſeine Waffen und
ſeine Feder verſchafft hat, Ztens wegen ſeines Eifers gegen
die Lutheriſchen, die mit dem Umſturze der engliſchen Kirche
umgingen, als deren Oberhaupt die Geiſtlichkeit
ihn, den Koͤnig anerkennen; Atens in der Hoffnung:
der König werde dem Clerus wegen ullen Fehlern, worein
er binfichtiich‘ der Statuten Provisores und Praemu-
'nire_ gefallen wäre, allergnaͤdigſte Verzeihung angedeihen
laſſen. |
28 der. Entwurf in ber Verfammlung vorgelefen murs
de , fand er. vielen Widerfpruch, wegen. der Claufel, die
‚den König, zym Oberhaupte der - Feliſcen Kirche machte:
436. — England.
allein der Koͤnig ließ ſie wiſſen, daß er die Urkunde ver⸗
werfen werde, wenn die Clauſel von ber koͤniglichen Su⸗
prematie weggelaſſen wuͤrde; und man war gezwungen, fie |
fiehen zu laſſen.
Die Derfammlung des Sprengel von York ahmte jes
ner don Cantorburn nach, indem fie eine ähnliche Akte aus⸗
fertigte,ohme fich von der Unerfennung der kirchlichen Dbers
gewalt des Koͤnig's losſagen zu koͤnnen.
So erpreßte Heinrich VIII. von der Kirche Eng,
land'es die Anerkennung der Suprematie. Nach dieſem
Siege ging ſein Beſtreben dahin, die Koͤniginn zur Aner⸗
kennung der Unguͤltigkeit ihrer Ehe zu vermoͤgen; da aber
:alle feine Bemühungen fruchtlos waren, ſah er die Koͤni⸗
ginn nicht mehr, und wies ihr einen der föniglichen Pallaͤſte
zum Aufenfhalte am.
Diefe Vorfälle ini’ Parlamente und bei der Geiftlichfett
fachten den Eifer der Reformirten, die in England Fuß
gefaßt hatten, an; fie verbreiteten ihre Glaubensfäße mit
"mehr Freiheit; Keltgfond» Dispüte wurden häufiger und dfs
fentlicher, al8 bisher. Bei Heinrich war in feinem Glaus
ben noch Feine Aenderung vorgegangen: nur fing er an, ſich
zu überrcsen, daß die Religion, auch ohne Untermürfigfeif
der Völker unter den Pabſt, wohl beftehen koͤnne: übrigeng
follfe die Meinung nicht auffommen, als wolle er die fas
fholifche Rellkgion, und die Mahrheiten,. fo die englifche
Kirche ſtets befannt haffe, beeinträchtigen; er defahl daher
die Handhabung der’ Gefeke gegen die Keber, und im Kaufe
des nämlichen Jahres berbrannte man noch drei Proteftan
ten (15491).
Das im folgenden Jahre verfammelte Parlament übers
gab eine Addreffe an den König, um ihn um feine Eins
willigung zu bitten:- daß man an Abftellung gewiffer, in
die kirchlichen Freiheiten eingefchlichener, Mißbräuche arbeir
ten möge. Der König felbft war es, der durch feine Emifs
ſaͤre das Parlament zut Eingabe dieſer Addreſſe wermocht
hatte, wodurch er dem Clerus die Nothwendigkeit des koͤ⸗
niglichen Schuges fühlber machen wollte, damit er um fo
England. 437
weniger Schwierigkeit mache, ihm den Titel eined Ober,
hauptes der Kirche zu beftästigen. u
Auf diefe Atdreffe ließ Heinrich einige unbedeutende
Mißbräuche verbeffern, und damit die Geiſtlichkeit ſich in
ibm einen Schugheren verfprechen möge, ließ er Durch eine
Parlaments» Akte die Annaten abichaffen, und den Preis der
Bullen für Bisthilmer feſtſetzen: durch eben dieſe Acte wurde
verordnet: daß, wenn der Pabſt die weitere Ausfertigung
von Bullen verweigern wuͤrde, man daruͤber hinausgehen,
und die biſchoͤfliche Einſetzung auf andern Wegen vorgenom⸗
men werden ſollte.
Im folgenden Jahre herſammelte ſich das Parlament
im Sebruar, (1533) und verbof. durch ein Gefeg die Bes
rufungen an den römifchen Hof. Nach dieſem ließ der Ads
nig feine Vermählung mit Unna von Boulen Öffentlich .
befannt machen, obgleich feine erfte Ehe noch nicht aufges
löst war. Diefe vorzeitige Bekanntmachung war nothwen⸗
dig geworden, weil die neue Koͤniginn ſich gefegneten Leibes
fühlte. Fe
Eranmer, welcher Erzbiſchof von Cantorburry ger
worden war, ließ Catharinen vorladen vor ihm zu ers
feheinen ; da dieſe wicht gehorchte, erklärte er durch richterlichen
Ausfpeuch die erfte Ehe des Koͤnig's als nichtig, und ber
Rättigte, und durch einen anderweitigen einige Tage darauf ers
folgten, deflen zweite Ehe mit Auna von Boulen, melde
fofort am iten Juni 1533, gefrönt wurde. Dieß war dag
Benehmen Heinrich’s VIIL in der Angelegenheit feiner
Eheſcheidung. Man urtheile nach diefen gefchichtiichen Das
sen ob fie das Werf der Gewiſſens⸗ Beaͤngſtigung dieſes
Fuͤrſten war?
Sobald die erſte Ehe des Koͤnig's vernichtet war, ließ
er Catharinem hievon benachrichtigen, und verſuchte, fie
zur Unterwuͤrfigkeit gegen jenen Ausſpruch zu bewegen; aber
vergebens: Catharina wurde daher fortan bloß als ver⸗
wittwete Prinzeſſinn von Wallis anerkannt. |
438 Englanb.
5 3. Der Pabfl: Trrommmaniciet: Heinrich VIII.,
und England trennt ns bon der römifhen
Kirche. wird) *
Auf den Bericht, den der Pabſt auber Yiefe Ereigniffe ft
England erhielt, erflärte er die beiden Urtheils⸗Spruche
des Erzbiſchofs von Cantorbury fuͤr unguͤltig und er⸗
ließ eine Mahnung unter angedrohter Strafe an den Koͤnig,
wenn er in einer gewiſſen Zeitfrift, die Sachen fn ven Stand
nicht wiederherſtellen würde, in welchem fie vor den befden
Mechtsfprüchen des Erzbiſchofs geweſen Maren. Allein Der
König und der Ergbifchof appellirten an ein kuͤnftiges allge»
meines Concilium 1).
Franz I. verfuchfe eg, wiewohl· vergeblich, den Folgen
dieſes Bruches Einhalt zu thun. Heinrich wuͤnſchte nicht
aufrichtig, ſich mif dem Pabſte auszuſoͤhnen, und diefer,
welcher Heinrich's Unredlichkeit Fannte, publizierte fein Ur⸗
theil. Durch diefes wurde Heinrich's Ehe mit Cathas
titten als rechtmäßig: beftättigt, and Heinrichen unter
Androhung der härkeften Strafen befohlen, feine rechtmäßige
Gattinn wieder zu fih nehmen 2).
In der Zwiſchenzeit entzog dag Parlament den Biſchs⸗
fen die richterliche Unterſuchuig in Verbrechen der Ketzerei,
ohne jedoch die, gegen die Ketzer angeordneten, Strafen zu
mildern, eine smeite Alte verordnete: die Muſterung ver
Kirchen» Gefege, um jene, die noch noͤthig "erachtet wurden,
beizubehalten , die andern aber abzuſchaffen; zu diefem Ende
follte dee König zwei und dreißig Commiſſarien zu gleichen
Theilen aus dem Elerus und dem Parlamente ernennen. -
Endlich, ale man Nachricht von dem in.Ro m Vorgefallenen
erhielt, beftätfigte das Parlament die Abfchaffung. der Ans
naten, und machte der Gewalt des Pabfles in England ganz
und gar ein Ende: man orbnete die Weile, wie in Zufunft
die Weihe der Biſchoͤfe ohne Dazwifchenfunft des Pabfleg
vor fi geben follte, bob. den Peters⸗Pfenning, und. alle
ır —
ud
1) Auszüge aus Nymer’s Alten p. 357.
2) lbidem p. 5y2, 373.
DE SE en a ne ii re ne
x ——N ——⸗
England, | | 439
Arten von Bullen, Mandaten ıc., die don Rom audgingen,
auf: man erklärte die Che Heinrih’s mit Catharina
von Arragonien für nichtig, und feine zweite Ehe mit
Anna Boulen für giltig: endlich wurde befohlen, daß,
alle Unterthanen, ohne Ausnahme, die Defolgung diefer
Akte unter der Strafe, deg Hochverrath's ſchuldiz zu ſeyn,
beſchwoͤren ſollten.
‚Den 23ten November verſammelte ſich dag Parlament
neuerdings, und gab verſchiedene Geſetze, die dahin zielten:
alle Bande, die die Englaͤnder noch an den Pabſt knuͤpften,
vollends zu zerreißen: Dem Könige beſtaͤttigte man die Ber
nennung eines Oberhaupt's der englifhen Kirche,
und führte die Annafen, die man dem Pabfle genommen
hatte, zu feinen Gunften wieder ein 1).
Nah Aufloͤßung des Parlamens ließ der gKonig einen
öffentlichen Aufruf ergehen, daß der Name des Pabfted aus
-alien Büchern, wo er fich fände, ausgeſtrichen würde, auf
daß, wenn es möglich wäre, auch fein Andenken verfilget
werde; endlich legte er den Bifchöfen auf, dem Pabſt allen
Gehorſam aufzukuͤndigen.
——— Spaltung England's für Staat und
Kirche.
Der Loͤnig fand, dag der Zuſtand, in welcher die Res
ligion fich feit dem Bruche mit Rom befand, ihm ungebuns
‚denere Gemalt verfchaffe : Einige wuͤnſchten, daß ber Riß
noch mehr erweitert würde, Andere fuͤrchteten dieſes. Da
“ niemand fich überzeugen fonnte, daB der König Tange in
diefer Stimmung bleiben werde, fo ſuchte jede Parthet. Durch
blinde Willfaͤhrigkeit fih bei ihm in Gunſt zu fegen, wos
durch der König eine Stufe von Macht ertang, welche kei⸗
ner feiner Vorfahren fe. erreicht hatte, und die er fich unter
feinem andern Umſtand hätte anmaßen können, ohne feine
1) Ibidem p. 374.
\
440 England.
Exiſtenz auf das Spiel zu ſetzen. Allein Beide Theile taͤuſchten
ſich. Heinrich hielt ſich Die übrige Zeit ſeines Lebens ſtets
in derſelben Mitte, und ließ jedem die furchtbaren Wirkun⸗
gen einer unumſchraͤnkten Gewalt, die man ihm in die Haͤnde
geſpielt hatte, fuͤhlen. |
Die oberfte Kirchen⸗Gewalt, mit der er bekleidet war,
ſetzte ihn in den Stand, die Geiftlichfeit zu demüthigen, die
nicht mehr, wie fonft, im Pabſte eine Stüße fand. Mer
immer die Anerkennung dieſer Suprematie verweigerte, mußs
te es hart büßen, und Mönche, die es wagten, in oͤffent⸗
lichen Vorträgen die Zuneigung feiner Untertanen zu ſchwaͤ⸗
chen, mußten den Frevel mit dem Leben bezahlen.
In der Folge, (J. 1535) veranfaltete der König eine
allgemeine Unterfuchung der Klöfter, womit er Cromm el,als
feinen General: Bifar in geiftlihen Angelegenheiten beaufs
tragfe, melcher feiner Seits allein die Vifitatoren beftellte.
Diefe wollten in den Klöftern viele Unordnungen gefunden
‚haben, beredeten die Oberen und Prioren, fi der Gnade des
Koͤnig's zu unterwerfen, und ihm ihre Häufer fammt Eins
fünften zu uͤberlaſſen, wozu ſich einige verftanden.
Den Bericht uͤber dieſe Unterſuchung ließ der Koͤnig
bekannt machen, damit die Ehrerbietung, die das Volk
gegen die Religioſen hegte, ſchwände, wenn ihm das Ges
maͤhlde der Unordnungen, die man in den Kloͤſtern entdeckt
hatte, welche aber gar ſehr uͤbertrieben waren, zur Schau
ſtellte 1). Der Bericht hatte eine Verordnung zur Folge,
wodurch der König in. Gewalt eines Kirchen⸗Hauptes dem
Mönchen erlaubte, ihre Ordens⸗Haͤuſer zu verlaſſen, und
fie ihrer Geluͤbde entband.
Dieſe Verordnung hatte zwar den. gehofften Erfolg
wicht ;- inzwifchen befand fich die Geiftlichfeit ftetd vom Koͤ—⸗
nige abhängig, da dieſer mit Ernennung der Commiffarien,
welche unter den beisubehaltenden Sichen Geſetzen die Aus⸗
wahl treffen ſollten, iͤgerte.
fs z
1) Ibidem p. 575.
‚England. 441
| Die Gewalt des Pabſtes wär durch eine Parlaments,
Akte aufgehoben, Demungenchtet beftand fie noch in den Kits
chenſatzungen; dieſes feßte Die Geiftlichen in die größte Ver⸗
legenheit, weil man in mehreren Fällen entweder die kirchlichen
Statuten, oder die neuen Gefeße verlegen mußte; hiedurch
fahen fich diefe ganz der Willkuͤhr des Koͤnig's bloß geges
ben, der ihnen von der einen oder der andern Seite, wie:
es ihm gut duͤnkte, beifommen konnte.
Die Koͤniginn Catharina farb im Laufe des Jahres
- 1536, und einige Monate nad ihrem Ableben wurde Ans
na Boulen durch einen Urtheils⸗Spruch der Pair» Sans
mer zum Tode verurtheilf und enthauptet. Heinrich vers
ehelichte fich mit Johanna von Seymour’ 8; die Geiſt—
lichkeit beſtaͤttigte dieſe Ehe.
Auf Anſinnen des Koͤnig's wurden von dem Parla⸗
mente alle Kloͤſter, welche ein Einkommen von weniger als
zweihundert Pfund haften, aufgeldst, und ihre Guͤter der
Krone zuerfannt, wodurch der. König eine Einnahme von
zwei und dreißig faufend Pfund Sterling an. Silbergefchirr
und andern Wertbfchaften befam.
> Die Aufldfung der Kloͤſter wurde von vielen Engländern
mit Mißvergnuͤgen aufgenommen: die Großen und den Adel
verdroß ed, dag man die Güter diefer Kloͤſter, die doch
größtentheild von ihren Vordltern gefiiftet waren, dem Rh -
nige überließ, anderer Seits fahen fie fich des Vortheiles
- beraubt , ihre Kinder, wenn fie deren gu viel hatten, un⸗
terzubringen,, und auf ihren Neifen in folchen Häufern, wo
fie gute Bewirthung fanden, Abfteig» Duartier zu nehmen.
: Die Urmen murrten noch lauter, weil fehr viele von ihnen,
von den Almofen, die täglich daſelbſt gefpendet wurden,
lebten; endlich fahen viele Katholifen Die fe aufsßung als
einen Angriff auf die Religion ſelbſt an.
Das Mißvergnigen Fam bald zum Ausbruche; dag ers
ſte Feuer zeigte fich in der Provinz Lincoln, wo ein Docs
for der Theologie, Prior eines Klofterg, einen Volfshaufen
verſammelte, an deren Spike er ſich unter dem Namen des
Capitain Eabler d. h. Capitain Schuhflicker, ſtellte.
442 | England.
‚Anfangs ſchicten die Aufwiegler dem Koͤnige ihre Be⸗
ſchwerden in ſehr unterwuͤrfigem Tone zu: ſie erkannten
ſeine Suprematie, erklaͤrten ſich ganz, damit einyerſtanden,
daß er die Zehenden und erſten Einfinfte der Benefizien
beziehe: bafen aber, unterthänigft, ihren Beſchwerden abzu⸗
helfen, und ſeinen Adel su. Nathe zu ziehen.
Die Beſchwerden euthielten: er habe zu viele gloͤſter
aufgehoben, und ſich von dem Parlamente. ‚ohne einige Noth⸗
wenpdigfeit gu große Steuern bewilligen laffen; er habe in
feinem Staats⸗Rathe Leute von niedrigem Herkommen, Die ſtatt
des Staats⸗Wohles nur ihre Bereicherung, im Auge haͤt⸗
ten; mehrere Biſchoͤfe hätten den alten Glauben verlaffen,
und hingen neuen Lehrmeinungen an, welche. zu allen Zeiten
‚von der Kirche verdammt worden wären: nachdem die Aus⸗
plünderung fo vieler Klöfter vor ihren Augen vorgegangen,
glaubten fie mit Necht befürchten zu miffen, daß Die Kir
chen das nämliche Loos erfahren würden,
Der König ſchickte den Herzog von Suff olf mit eis
nem unbedeutenden Heerbaufen gegen die Meuterer, und
ſchlug den Aufruhr durch eine Amneſtie nieder,
Zur nänlichen Zeit gerieth auch die Provinz York in
Aufftand, welcher weis ausfehender war, ald der von Lins
coln. Diefer fchien ein. Werk des Zufall's und einer
plöglichen Aufwallung zu feyn, jener war die Folge eines
verabredeten Planes, an welchem mehrere Perſonen von Ges
wicht Theil hatten, weldhe, um offen aufzutreten, nichts
abmarteten, als eine hellere Einficht in pie allgemeine Volks⸗
Stimmung zu befommen.
Die Nachbarfchaft Schottland’s, die Entfernung des
Hofes, das Anſehen, in dem die Mönche und Geiftlichen
in dieſer Provinz ffanden, machten dieſe Empoͤrung gefährs
lid. Die Mißverguägten fammelten fi fehr zahlreich ger.
gen Ende Auguſt's; fobald fie fich ſtark genug fahen, ‚ließen
fie den Edeleuten die Freiheit nicht mehr, neutral zu bleis
ben; fie mußten entweder die Flucht ergreifen, "oder fih an
fie anfchließen und ſchwoͤren: der Sache getreu zu bleiben —
für welche fie die Bafen ergriffen hatten; dieſe Sache war
Englaue. — 443
eigentlich die Religion, welches ſie denelich dadurch teigten,
daß : fie das Bild des Gekreuzigten in. ihre Fahnen un
Standarten fegfen: aud) fegten fie in..einigen aufgeloͤßten
Kloͤſtern die Keligiofen wieder ein.
Der Koͤnig hob Truppen aus, und ſchickte den Herzog
pon No rfolk gegen die 'Empörer; alfein die koͤnigliche Macht
war nicht im Stande, ihnen die Spitze zu bieten.
Aſke, ihr Anfuͤhrer, bemeifterte ih Hull’ in
NPork's und zwang den’ ganzen Adel der ze mit ihm
gemeinſchaftliche Sache zu machen.
Die Empoͤrung im' Norden ˖wurde Daher von Tage zu Tage
ernſtlicher, und man fing’ an, zu beſorgen, dag! ganze Koͤ⸗
nigreich möchte dem Beiſpiele der nördlichen Provinzen fols
gen. AUnvorgefehene Gluͤcksfaͤlle refteten mehr als eim
mal das Hecr des Koͤnig's, und der Herzog von, Norfolk
mußte fich noch gluͤcklich ſchaͤtzen, mit den Gegnern eine Unter⸗
handlung anfnüpfen, zu können. Die Empsrer machten Vor⸗
. Schläge, die Sache zog ſich in die Fänge, und der Koͤnig
gewährte eine Amneſtie mit dem Verfprechen: ihre Beſchwer⸗
ben abzuftellen, hielt ‚aber, unter allerlei Vorwaͤnden, nicht
Mort. Kurz darauf ſtellten ſich zwei nordifche Adeliche an
die. Spige von 8000. Unzuftiedenen, und erfchienen vor
Karlisle; der Herzog von Norfolk vereitelte ihre An⸗
ſchlaͤge, nahm, ihre Anführer gefangen, und: ‚lieg fie mit u
geren Nebellen hinrichten...
' Der. König, überzeugt: daß die Rene den Mißmuth
bes Volkes ſtets in Gaͤhrung braͤchten, ließ in den noch. bes
fiehenden Klöftern eine "Unterfuchung. anftellen, den Bericht
hievon .befannt machen, und falfche Meliguien, die man in
Den Klöftern aufgefunden hatte, dem Publifum zur Schau
ausfegen ;-. das verborgene Triebwerk deſſen man fich ‘ber
diente, um den Statuen, melde Chriſtum, die heilige
Jungfrau, oder . andere Heilige norfiellen, Bewegungen zu
geben; die ſolchen, welche mit der Vorrichtung unbekannt waren,
für übernatürlich galten,’ wurde dem Volke vor Augen ge⸗
lest ;.ımd die Werkzeuge dieſer frommen ‚Täufchungen vers
brannt; felbft die Reliquien des Hl. Thomas von Cam
— wurden den Flammen ee
i
444 | England.
Der Pabſt konnte den Berirrungen Heinrich’s nicht
länger ziriehen, ohne am feiner Werpflichtung fir die Reli⸗
gion treulos zu feym.
Er machte daher die Frcommunicafion, die im Sabre
3535 aufgefegt und unterzeichnet war, der Welt befannt,
fuchte allen chriftlichen Fürften feinen Eifer gegen Heinrich
VIII. einzufloͤßen, und bot fogar dem Könige von Schott⸗
land die Krone Großbritanieng an.
Der von Paul III. gefchleuderte Bannſtrahl brachte
in England feine Veraͤnderung zuwege. Auf die Nachricht
deſſelben nahm der Kanig den Bifchöfen und Achten von
Neuem den Eid der Zreue ab, wodurch fie der Unterwuͤr⸗
figkeit des Pabſtes entfagten.
Die neuen Reformirten hatten Anhaͤnger, die Alles
thaten, den Koͤnig fuͤr ſich zu gewinnen; auch die Katholi⸗
ken ſetzten alle Springfedern in Bewegung, die Proteſtan⸗
ten gehaͤßig zu machen. Dieſe hofften, der Koͤnig werde
ſich mit dem Pabſte wieder ausſoͤhnen, jene firebten ihn zur
Annahme der Grundfäge der Keformation zu vermögen.
Keine von beiden Parfheien erreichte ihr Ziel. Heinrich
bifeb mit der Neformation auf halbem Wege fiehen, und
verföhntefich nie mit Nom: Da er unumfihränfter Here
war, wollte er feine Unterthanen niemals weiter geben lafs
fen, als er; andern Theils zwang er fie, mit ihm ſoweit
gleichen Schritt zu halten, als wo es ihm zweckmäßig
fhien, ftehen zu bleiben, gleich firenge, ‘oder vielmehr ums
darmhersig gegen jene, die ihm nicht folgen, wie gegen jes
ne, die ihm vorfchreifen wollten. Jeder Theil, in der Hoff
nung den König auf feine Seite zu bringen, begünftigte alle
feine Entwuͤrfe: fo ließ er, einiger Gegner ungeachtet, alle
Klöfter eingehen, und zog Ihre Einkünfte an ih. Er lie
Das Gericht augfprengen, als fiehe dem Reiche ein feindlis
her Anfall bevor, bereifte die, Kiffen, und erfheilte Ber
fehle: daß die Truppen auf den erſten Wink ſich marfd;fers
tig halten follten; der Zweck dieſer Kunftgriffe war,: dem
Volke begreiflich zu machen, das‘ Parlament wuͤrde vermuͤ⸗
Giger ſeyn, zur Wbtzeibung des vorgeblichen feindlichen uns
’ England. 445
griffes, große Taren aufzulegen, nun aber beduͤrfe der Koͤ⸗
nig dermalen keine Subfidien, weil durch Einziehung der
Kiöfter fein Einkommen einen beträchtlichen Zuwachs erhals
ten hätte. |
Heinrich wollte zeigen, daß en\ mit Abfchaffıng der
päbftlichen Gemalt und Zerſtoͤrung der Klöfter in feinem
Reiche in der Religion ſelbſt nichts verändert habe, deßhalb
ließ er im Jahre 1539 ein Gefeg unter dem Titel: „Die
Statuten,’ ergeben, um die Meinungs » Verfchiedenheit
über gewiffe Glaubens s Artifel zu prüfen. Es ift dies dag
Geſetz, das allgemeiner unter der Benennung des Geſetzes
Der ſechs Artifel-befannt iſt. Scheiterbaufen oder Gal⸗
gen wurden jenen zuerkannt: 1fleng). welche mündlich oder -
fchriftliih die Transſubſtantiation laugnen. 2tens) welche
die Nothivendigkeit der Communion unter beiden Geftalten
behaupten. Steng) welde vorgeben: es ſey den Prieftern
erlaubt, fic) zu verehelichen. 4tens) welche behaupten: dag
Geluͤbde der Keufihheit dürfe gebrochen werden. 5teng)
. welche fagen: die Privat» Meffen ſeyen unnuͤtz. Gtens.) wels
che die Nothwendigfeit der Hhrenbeicht laͤugnen.
Heinrich herrfchte über die britfifche Nation mit oriens
taliſchem Despotismug: nad) Laune entſetzte er Biſchoͤfe und
Beiftlihe ihres Amtes, ließ feine Ehen aufldfen und feine
Gemahlinnen auf dag Blutgeruͤſt fehleppen. Er hatte die
Prinzeſſinn von Cleve geheirathet, und ließ die Ehe vers
nichten, um fi) mit Catharina Houard gu vermählen.
&r erhielt vom Parlamente eine Afte, worin man Allem,
was der König in Sachen der Religion entfcheiden wuͤrde,
@efegestraft erfheilte; man geftattete ihm das Privilegium
der Unträglichkeit, welches man dem Pabſte abfpradı,
und legte Heinrich VIII. die Bewiffen, wie das Leben
Der Engländer, zu Füßen.
Der König ließ mehrere Bifchöfe und Gottesgelehrte
zuſammenkommen, welche die Artikel eines Glaubens⸗Be⸗
kenntniſſes abfaſſen ſollten, das als Richtſchnur für ganz
Britanien gelten ſollte: es war mit den ſechs Artikeln übers
einſtimmend, und enthielt nichts Verfaͤngliches, als die Lehre
446 England.
von der Suprematie des. Koͤnigs, und die Weigerung, ben
Pabſt ale Dberhaupt Der Kirche anzunehmen.
Die übermäßige Gewalt, mit welcher man Heinri—
chen bewaffnet hatte, wurde vielen Engländern verderblich:
er ließ mehrere Perfonen zum Tode verurtheilen und bins
richten, die einen, teil ſie Die geififiche Obergewalt des Koͤ⸗
nig's läugneten, Die:andern, weil fie dem Lehrbegriffe Lu—
ther's anhingen, einige, weil fie der Gewalt des Pabſtes
das Wort gefprochen hatten. Diefer Fürft mar einzig mit
den Mitteln boſchaͤftigt, feine bereits erworbene Macht zu
erweitern, und ſeine Wachſamkeit war ohne Unterlaß dahin
gerichtet, daß fn der Religion Feine andere Veraͤnderung
vorgenommen werde, als die er ſelbſt fuͤr nuͤtzlich und recht⸗
mäßig erachte.
Da er uͤber dieſe beiden Punkte eine unbeugſame Ent⸗
ſcheidenheit zeigte, und das Parlament ſeinen Entſchließun⸗
gen keinen Obſtand zu leiſten wagte, ſo hatte auch keiner
ſeiner Miniſter die Feſtigkeit, ihm zu widerſprechen, mithin
war er ed allein, der Alles nach feinem Sinne orinete,
während dem fein Staats’ s Math Fein anderes Geſchaͤft
hatte, als ſeine Vorſchlaͤge gut zu heißen.
Inzwiſchen gab es im Staats⸗Rathe, wie im ganzen
Koͤnigreiche im Betreffe der Religion zwei entgegenſtehende
Partheien; allein beider Augen waren immer nur auf den
Koͤnig gerichtet, um ſeine Neigung abzulauſchen, damit man
ſich ja der Gefahr nicht aüsſetze, ihr entgegen zu ſeyn.
Die Anhänger der neuen Lehre hofften immer, der neue Kds
nig werde die begonnene Verbefferung weiter treiben: in dies
fer Meinung ſchien es ihnen, der Klugheit angemeffen, ihn
nicht zu reisen. Aus gleichem Grunde getrauten fich Die Ka⸗
tholiken nicht, auf geradem Wege ſich zu widerſetzen, aus
Furcht, ihre Widerftand mochte ihn verleiten‘, die Schranken
zu überfchreiten, die er fich geſetzt zu haben ſchien; das Res
fultat hiervon war, daß man allen Tinfälen des Königs
blindlings und allgemein huldigte, und ihm eine fo gränzens
Iofe Gewalt über feine Unterthanen einräumte, von ber er
einen furchtbaren Gebrauch big zu feinem Tode machte, der
England, 447
den 28. oder 29. Januar 1547 im 36ſten Jahre ſeines
Alters erfolgte.
Heinrich VIII. hinterließ drei Kinder: Maria, Tochter
der Catharina von Arragonien; Elifabeth, Tochs
ter der Anna von Boulen, und Eduard, Sohn der
Johanna von Seymour. Die Thronfolge hatte er, zus
folge der ihm vom Parlamente eingeräumten Gewalt folgens
dermaßen feftgefeßt: den erften Rang hatte Eduard VL,
und feine Nachkommen, den zweiten Plag erhielt‘ die Prin
zeſſinn Maria, und den dritten Eliſabeth, unter dem Be⸗
dinge: daß dieſe ſich im Einverſtaͤndniſſe mit feinen Teftas
ments s Volziehern verehelichen follten. Nach feinen Toͤch⸗
fern beſtimmte er die Krone für Franziska Brandon,
älteften Tochter feiner Schwefter, und des Herzogs von Suf⸗
fol, mit Augfchluß der Kinder Margarethen's Kdnis
ginn von Schottland, feiner dltern Schwefter. 1).
Scundiäne, worauf ſich Heinrich's VIII. Sois ma
ſtützt e.
Bei Cranmer erwachte zuerſt die Idee, das Koͤnig⸗
thum mit der Wuͤrde eines Kirchenhauptes zu verſchmelzen.
Der chriſtliche Regent iſt, ſeiner Meinung nach, un⸗
mittelbar von Gott geſetzt als deſſen Verwalter, ſowohl in
den religioͤſen als buͤrgerlichen Verhaͤltniſſen; in beiden
Verwaltungs⸗Zweigen bedarf er Diener, Die er ſich unters
ordnet, als zum Beifpiele einen Kanzler, Schagmeifter, Raͤ⸗
the, Nichter und andere Beamte im Bürgerlichen; Biſchoͤfe,
Pfarrer, Hülfspriefter u. f. w. im Geiftlichen, deren Ans
ſtellung als Religion » Diener ein Ausfluß der Majeſtaͤts⸗
Kechte iſt; alle Staafds Diener von einer und der andern
Elaffe müffen auf Vorſchub und Befehl des Kegenten bes
1) Rymer’s Aften Tom. 15. Auszug daraus p. 392. Hist.
de l’Anglet. par Thoiras. T. 5. Hist. de la Reform.
T. 2.
‘
⸗
448 England.
ſtimmt, ernannt und angewieſen werden unter mannichfachen
Feierlichkeiten; die nicht fomohl als etwas MWefentliches,
fondern Wohlſtands halben eingeführt find, dergeftalt daß,
wenn diefe Stellen auch ohne diefe Eolennitäten von der
oberften. Staatd s Behörde ertheilt werben, fie Dennoch ihre .
volle Gültigkeit haben, und es iſt Fein göttliches Verſpre⸗
chen vorhanden, daß die Gnade mehr mit der Einfegung in
ein Kirchenamt, als mit jener zu einer bürgerlichen Bedie⸗
nung verfnüpft fey.
Nachdem auf biefe. Weiſe Cranmer die Religions⸗
Diener zu bloßen Delegaten der Fuͤrſten geſtempelt hatte,
ohne daß die kirchliche Einſetzung oder Weihe nothwendig
ſey, begegnet er einer Einwendung, die ſogleich in die Au⸗
gen fällt, naͤmlich: wie die Kirchen⸗ Hirten unter unglau⸗
bigen Fürften ihre Gewalt ausüben könnten? Seinen Grunds
fägen gemäß hört alsdann in der Kirche alle wirfihe Ges
walt oder Herrfchaft auf, und das Vol nimmt jene, Die
ihm von Apofleln, oder andern Männern, fo es mit Dem
göttlichen Geifte befeelt glaubet, vorgefchlagen werden, bloß
aus gutem Willen auf, und gibt ihnen, als ein gutes Volk
Gehör, mit Bereitwilligfeit ihren wohlmeinenden Rathſchlaͤ⸗
gen Folge zu leiſten.
So aͤußerte ſich Cranmer in einer Verſammlung von
Biſchoͤfen, und dieſe Vorſtellung hegte er von der goͤttli⸗
chen Sendung, welche Jeſus Chriſtus ſeinen Dienern
verliehen bat.
Es iſt unnoͤthig, eine Meinung zu widerlegen, die auch
von den Proteſtanten verworfen wird, und uͤber die ſelbſt
Burnet fuͤr Cranmer erroͤthet.
Wohl gab Cranmer zu, daß die Biſchoͤfe hoͤttlicher
Anordnung ſeyen, behauptete aber zugleich: Chriſtus habe.
feiner Kirche Hirten -gefegt, aber nur um ihre Gewalt, als
in allen Berrichtungen abhängig von dem Fuͤrſten, zu üben.
Unffreitig, fagt Boſſuet, die unerhörtefte und ärgerlichfte
Schwärmerei, die je einem Menfchen in den Sinn ges
fommen if. 1).
1) Bossuet, Histoire des Variat. L. 7. Art. "44.
England. Englifche Religion. 449.
Geſtuͤtzt auf diefe Grundfäge, ertheilte Hetnrich VIII.
den Bifchdfen die Vollmacht, ihre Kirchen » Sprengel zu vis
fitiren ; die Ausfertigung derſelben hatte einen Worbericht
an ber Spige des Inhaltes: daß alle Gerichtsbarkeit, fos
wohl geiftliche als weltliche in jedem Reiche . von der koͤnig⸗
lichen Oberherrlichkeit, als der Urquelle aller Staats s Ges
walten ausfließe. Solche Grundſaͤtze anführen, beißt fchon
‚nad Boffuet, fie widerlegen. Es ift offenbar, daß unter
diefen Vorausfegungen bie chriſtliche Neligion gar nicht göfts
lichen Urfprungg , fondern lediglich eine bürgerlihe Anftalt
iſt, deren Glaubens s Säße und Gebräuche von der Staates
Gewalt angeordnet werden.
Engliſche Religion. Die fogenannte verbefferte
Religion, wie fie heut zu Tage in der englifchen Kirche
eingeführt tft, und befennt wird, Wir wollen ihre Ents
ftehung, ihe Sortfchreiten, und ihre gegenwärtige Beſchaf⸗
fenheit durchsehen.
Die reformirte Religion in England feit der Spal⸗
tung Luther's bid auf Eduard VL Ä
Sweihundert Jahre vor Luther hatte ſchon Wiclef
die päbftlihe Gewalt und die Glaubenslehren der römifchen
- Kirche. angeftritten, und unter dem Volke, den obrigkeitlichen
Derfonen, und bei den Großen Profelyten gefunden. Der
Eifer der Geiſtlichkeit, unterftüßt von dem Anfehen der Koͤ⸗
nige hatte der Verführung Schranfen gefegt: allein Keime
des Irethums waren zuruͤcke geblieben, welche die Wachs
famfeit und Etrenge der Kirchenhirten nicht ausrotten konn⸗
ten, und durch Die Streitigfeiten Nahrung fanden, bie fich
in England über die Rechte des Pabſtes in diefem Reiche,
über die Kirchen s Güter, und die Vorrechte der Geiſtlich⸗
keit ohne Unterlaß erneuerten.
Als Luther's Spaltung ausbrach, wurden feine und
feiner Anhänger Schriften von den Wiclefiten und Lol⸗
farden, deren Gefinnungen mit jenen Luther's vielfäls
tig im Einklange flanden, gierig geleſen ſie Aberſetten ſie
Kenn: terifon. 11.
450 Englifche Religion.
in's Englifhe, und bald fah man zu Yondon, Drfortf,
Cambridge, ganze Mereine, die der neuen Lehre deipflich⸗
teten.
Die Seiſtlichkeit hielt Zuſanimenkuͤnfte, die Reformato⸗
ren wurden ſorgſam aufgeſucht, ſtrenge geſtraft, der Irr⸗
lehre aber nicht geſteuert; die Verbreiter der Neuerungen
wurden umſichtiger, mißtrauiſcher, zuruͤckhaltender und folg⸗
lich der Belehrung unzugaͤnglicher; die Vorſicht, mit der ſie
nun ihre Lehren ausſtreuten, ſicherte ihren Erfolg, ſo daß
fie viele Menſchen verfuͤhrten, und in dem Geiſte der Na
tion die Achtung und Unterwuͤrfigkeit gegen Pabſt und Ele
rus dergeftalt fchmwächten, daß eg Heinrich VIII. leicht
wurde, der Bannſtrahlen Rom ’s- zu fpotten und die Geiſt⸗
lichkeit zu unterjochen.
Dieſer Fuͤrſt hatte fich smar von den Irrthuͤmern der
Proteſtanten nicht beſtricken laſſen, da er aber ihrer gegen
ſeine Geiſtlichkeit bedurfte, ſo verfuhr er Anfangs mit
Nachſicht gegen dieſe Parthei, welche er genug erſtarken
ließ, um erſtere immer in der Beſorgniß zu erhalten: er
moͤge ſich fuͤr die Reformation erklaͤren, und wobei er durch
ſeine Eingriffe in der geiſtlichen Rechte die Hoffnung der
Proteſtanten naͤhrte, er werde ſich noch zur Annahme ihrer
Lehrmeinungen entſchließen.
Durch dieſe Politik fand ſich die britiſche Nation zwi⸗
ſchen Reformation und Katholicismus getheilt, und zwei
Partheien ſtanden einander gegenüber, welche der König uns
umfchränft beherrfchte.
Da aber die Katholifen bei weitem die Mehrzahl augs
mächfen, und dem Könige daran lag, daß Ihn feine Unter
thanen für Fatholifch anfehen follten, fo erneuerfe er bie
Geſetze gegen die Ketzer, und lic mif dußerfier Strenge
ale beftrafen, welche die ſechs Artifel nicht unterfchrieben,
und der neuen Lehre zugefhan waren. (Sieh den vorher
gehenden Artikel.)
„Allein was vermögen „ſagt Boffuet‘’ über die Ger
„wiſſen Neligiongs Decrete,, die, indem fie ihre Kraft von
„der föniglichen Gemalt ableiten, die von Gott feinen fols
„hen Auftrag erhalten hat, ‚weiter nichts als Staats Mas
—X
Engliſche Religion. 451
„ximen ſind? Waͤhrend dem Heinrich VIII. ſolche durch
„unzaͤhlige Hinrichtungen durchzuſetzen ſtrebte, waͤhrend dem
er nicht nur die Katholiken, die feine kirchliche Obergewalt
„verabſcheuten, ſondern auch die Lutheraner und Zwing⸗
„lianer, die feine Glaubens⸗Artikel beſtritten, grauſam hin⸗
„ſchlachten ließ, ſchlichen unbemerkt Irrthuͤmer aller Art in
„England umher, und die Voͤlker hatten keinen feſten Ans
„halts⸗Punkt mehr, als fie ſahen, daß der Lehrſtuhl des
bl. Petrus der. Vernichtung Preis gegeben war, von dem
‚doch, wie fie wußten, der Glaube auf ihr großes Eiland
„gekommen war.“ 1.
So war England’s Rage befchaffen, als Heinrich VII.
farb.
un
Die Reformation unter Eduard VI.
Eduard VL folgte Heinrich VII. und ber Graf
von Seymour, nacmaliger "Herzog von Sommerfet,
wurde zum Protector des ganzen Neiches und Vormund des
jungen Könige, der erft zehn Jahre alt war, ernannt.
Eduard war der Neformation nicht abgeneigt, und der
Herzog von Sommerfet, Iwinglianer im Herzen: die zwei
Erzbifchdfe, verfchiedene Bifchsfe, mehrere aus den bornehmften
Gliedern der GBeiftlichfeit, viele Großen, und ein beträchts '
licher Theil des Volkes hatten fi) auf die Seite der Re⸗
formation ‚geneigt; folglich fand fich Das gange Uebergemicht
bei der proteffantifchen Parthei. Ihr Eifer wurde in Tri
vat » Unterhaltungen und dffentlihen Vortraͤgen bald laut.
Cranmer, der feine Anhänglichfeit an die Keformation.
unter Heinwich VIII. verheimlicht hatte, verband ſich mit
dem Protector, um dieſe, da der Koͤnig nicht mehr mar,
in England einzuführen.
Das Parlament gab im Jahre 1549 ein Gefek, welches
den Verordnungen Heinrich’s. VIL. volle Gültigkeit er;
theilte, und die Raͤthe ſeines Sohnes ermaͤchtigte, waͤhrend
*
) Bossuet Hist. 5. de Variat. L. 7. Art. 71.
29%
452 Englifche Keligion,
deffen Minderjährigkeit Anordnungen zu freffen, die diefelbe
Kraft, wie jene des Vaters haben follten. Auf diefen Grund
fhlug man vor, nad) dem Beipiele Heinrich VII. im gans
zen Reiche Kirchen » Vifitatoren mit Kirchengefegen und
Glaubens s Urtifeln umbherzufenden: man .theilte zu dem
Ende ganz England In ſechs Diftrikte, in deren jedem die
Commiffiondre aus zwei Adeligen,. einem Nechtögelehrten,
einem Gottedgelehrten, und einem Sekretaͤre beftand. Der
König unterfagte während der Dauer der Vifitation den
Erzbiſchoͤfen, und allen andern die Ausübung jeder‘ geiſt⸗
lichen Gerichtsbarkeit; und da das Volk zwiſchen entgegen
gefeßten Meinungen ſchwankte, weil die Prediger widerfpres
chende Lehren bortrugen, und einander auf den Kanzeln wis
verlegten, fo verbot Eduard den Bifchdfen, auffer ihren
bifheflihen Sigen, und den übrigen Geiftlichen anderswo,
als in ihren Kirchen zu predigen, es fey denn, daß fie hie⸗
zu böchften Orts beauffragt milrden. Dieß war ein fiches
res Mittel die Prediger, dic die Reformation unterfläßten,
von ihren Gegnern zu imterfchelden, umd zu verhüten, dag
diefe Letztern auffer ihren Pferrfpielen predigten, während
dem die erfien die Freiheit, uͤberall zu predigen, leicht ers
halten konnten. 1).
Die Bifitatoren waren für verfhichene Punkte der Kirs
henzucht, und für Abfchaffung der Heiligen « Bitbniffe und
der pädfilichen Gewalt mit Kirchenverordnungen verfehen.
Die Katholiken, flatt fih für Abänderung deffen, was tms
tee Heinrfd VIII. gefchehen war, zu verwenden, bes
- fhränften ihre Anfprüce dahin, zu verhindern, daß nicht.
noch größere Eingriffe gefchähen. Deßhalb behaupteten fie,
daß während einer Minderjährigfeit in Hinfldr der Reli⸗
gion nichts Entfcheidendes vorgenommen werden fönne, weil
forches nur in Kraft der kirchlichen Obergewalt des Koͤnigs
gefchehen dürfe.
Aber die Regentſchaft huͤtete ſich, eine Maxime gelten
zur laſſen, welche auch auf die andern Regierungs⸗gZwei⸗
1) Burnet. T. 3, p. 63, 63.
Englifche Religion. | 453
ge Einfluß haben Fonnte, und erklärte: die koͤnigl. Gewalt
fey ſtets Diefelbe, der Koͤnig möge voll s oder minderjähs
rig.feyn. Unter den Biſchoͤfen waren die von London und
Wincheſter die einzigen, welche ſich den Anordnungen der
Viſitatoren entgegen ſebten, und wurden zur gefaͤnglichen
Haft gebracht.
Das Parlament, welches den 4. November 1554 er⸗
oͤffnet wurde, ging in der Reformation um einige Schritte
weiter, als Heinrich VII. Es fehaffte gewiſſe Geſetze ab,
die vor dem gegen die Lollarden ergangen waren, wis
berrief das Gefeß der ſechs Artikel, und beftätfigte die Firchs
liche Oberherrſchaft des Könige, es hob die Privat s Meflen
anf, und lieg die, Communion unter beiden Geflalten ertheis
len. Ferner wurde dem Könige das Ernennungsrecht zu
erledigten Bisthuͤmern geſtattet, und die Wahlen abgeſchafft;
auch beengte man den Wuͤrkungskreis der geiſtlichen Gerichts⸗
hoͤfe: endlich bewilligte das Parlament dem Koͤnige, die zum
Unterhalte der Kirchen⸗Muſik beſtimmten Gefaͤlle, jene, die
zur Unterhaltung der Lampen verwendet wurden, und das
Einkommen der Bruͤderſchaften u. ſ. w.
Da Koͤnig, Protektor und Parlament auf dieſe Weiſe
ihre Geneigtheit zur Einfuͤhrung der Reformation ſattſam
zu Tage gelegt hatten, ſah man die Proteſtanten in Schaa⸗
ren aus Deutſchland nad) England hinuͤber wandern, und
der Proteftor berief Theologen und Prediger, denen er Jah⸗
resgehalte und Benefizien zuerfannte: dergleichen waren P es
ter Martyr, ein Slorentiner, Bernardin Dchin, Dur
cer u, U. Alles verfchwor ſich daher zur Unterdrückung des
Katholizismus, und Einführung der neuen Lehre in England.
Da aber Eranmer, der die ganze Unternehmung leitete,
ein größereß Auffehen gerne vermieden häfte, ging damit
um, erfieren vor der Hand zu untergraben.
Man. ernannte Bifchdfe und Theologen, die die gottes⸗
dienftlichen Einrichtungen prüfen und verbeffern ſollten: dieſe \
Commiffarien entwarfen eine den Proteſtanten ähnliche Litur⸗
gie. Das Parlament, welches den 2dten November zuſam⸗
men kam , befchäftigte fich neuerdings mit der Reformationg:
.
454 | Engliſchen Religion:
Sache, , geftaftete die Prieſter⸗ Ehe, und genchmigte die neue
fiturgie 1).
Diefe gefroffenen und noch zu freffenden albänderungen,
verurſachten auf allen Seiten Mißvergnuͤgen, die Kanzeln
ertönten von Dispiten; man geftattete ven Biſchoͤfen nicht
‚mehr, Prediger aufzuftellen, und räumte diefe Gewalt unter
dem Vorwande: die Semüther zu beruhigen, dem Koͤni⸗
ge, und dem. Erzbifchofe von Kantorbury ein; jedoch
batte diefe Borficht den erwuͤnſchten Erfolg nicht. Der Hof
verbot nun allen Geifilichen das Predigen, und ließ in den
Kirchen Homilien, die man für die Viſitatoren hatte abs
faffen laffen ; verlefen 2).
Alsbald nad Kundmachung des Gefehes, wodurch Eins
förmigfeit im Gottesdienfte hergeftelt werben follte, befahl
der Koͤnig eine neue Viſitation im Reiche.
Inzwiſchen ſtieß die Reformation auf große Hinderniſſe
Die Katholiken gingen den neuen Glaubensſaͤtzen mit Nach⸗
druck zu Leibe, und vertheidigten die Lehre der katholiſchen
Kirche mit gutem Erfolge; zu dem hing noch der betraͤcht⸗
lichſte Theil der Nation dem alten Glauben an; die Refor⸗
matoren waren hinſichtlich der, zwiſchen den Katholiken
und Proteſtanten ſtrittigen, Hauptpunkte ſelbſt noch nicht im
Klaren; die letztern vertheidigten ihre Meinungen ſehr ſeicht,
ſelbſt angenommen, daß fie in ihren Dispuͤten ſich der Gruͤn⸗
de, die ihnen Burnet in den Mundlegt, bedient haben 3).
Seit Heinrich’ 8 VIII. Regierung hatte fich eine gros
Ge Anzahl Ana bapfiften nach England geflüchtet. Die
Regierung wurde hievon benachricter, und feßte eine Com⸗
miſſion nieder, ſie aufzuſuchen, und zu richten. Diefe bes
fand aus Biſchoͤfen, Rittern und Doctoren unter dem Vor⸗
ſitze Cranmer's, Erzbiſchof's von Cantorbury.
) Alten von Rymer T. 15. Auszug d. am. T. 4. Art.
4.p. 197. .
2) Buruct. T. 3. p. 203.
3) Ibidein p. 280.
ı
Euglifche Keligion. | 455
fr ergab fich, Daß viele von den Anabaptiſten die
Dreieinigkeit, die Nothwendigkeit ver Gnade, das Geheimniß
der. Menfchwerbung läugneten. Mehrere fchwuren ihre Irr⸗
thuͤmer vor den Commiſſarien ab, andere blieben unbeugs
fam, unter diefen Johanna von Kent, welde dem welts
lichen Arme übergeben wurde.
. Die Regierung bat den König, ihr Todes, Urtheil u
unterzeichnen. Der junge Prinz verweigerte es, indem er,
nad) Burnet’e Angabe, erklärte: Unglüctiche in Sachen
des Gewiſſens zum Feuer verdammen, hieße, ſich der näms
lichen Grauſamkeit ſchuldig machen, die man der roͤmiſchen
Kirche vorwerfe.
Cranmer ſtellte dem Koͤnige vor, dag im Geſetze Mor
fig die Gotteslaͤſterer ſeyen geftefnigt worden: es fey ein
großer Unterfchien unter Irrthuͤmern, welche, die in dem
apoftolifchen Glaubens s Befennsniffe enthaltenen Grundlagen
untergrüben, und ſolchen, welche nur Gegenftände der Theo⸗
logie beträfen ; wenn die legtern zu dulden wären, fo feyen
die erſten offenbare Gottlofigkeiten , die ein jeder Fuͤrſt in
der Eigenichaft eines Statthalters Gottes zu beftrafen vers
bunden fey, wie die Statthalter der Regenten die ‚Mae
fläts s Verbrecher züchtigen müßten:
Der König eingefchüchtert, aber nicht überzeugt, unters
ſchrieb das Urtheil, mit dem Beifage an Cranmer: went
en Unrecht thue, ſo habe es der Erzbifchof vor Gott zu ver‘
antworten, weil. eg auf fein Anſehen und Zureden gefchehe 1)
Dieſe Worte, fagt Burner, haben bei Cranmer cis
nen folchen Schauder erregt, dag er in Vollziehung des Tos
des sUrtheild nicht babe wilkigen koͤnnen: ein Gemiflens;
big, den man bei dieſem Manne nach feinen Gefpräche mis
dem Koͤnige' nicht haͤtte erwarten follen; ter. aber, mie ein
Blitz wieder verſchwand: denn Johanna von Kent wurde
Serdrannt. :
Wenn wir eben ſo wenig beſcheiden, wie Burnet in
den Urtheilen, die er über die geheimen Beweggründe der,
ı) Ibidem. p. 284. | cd
_
1
456 Englifche Keligion.
Katholiken faͤllt, ſeyn wolten, was ließe ſich nicht über das
Erfchaudern Cranmer's fagen, das ihn erft nach dem dus
Gerfien Sträuben des Koͤnig's, einen Befehl zu unterzeichs
nen, der ihm ungerecht und graufam fcheint, befällt?
Burner glaubt dennoh Cranmer rechtfertigen zu
koͤnnen: „Wir können enfgegnen, fagt er, daß Cranmer
fiher Peine Anlage zur Grauſamkeit hatte, und folglich,
was er that, auf Feinem fo üblen Grunde beruhte: aber
man muß auch bekennen, daß er durch einige Grundfäge
bingeriffen wurde, von welchen er fich in feinem Betragen
leiten ließ.’ 1). Eine Vertheidigung, die den Beweis von
Burnet’g Verlegenheit, und ihre Widerlegung in ſich
ſich traͤgt.
Die Beſtrafung dei Anabaptfiften hemmte hie Denk⸗
Ausgelaſſenheit nicht: Alles war in ſonderbarer Verwirrung.
Sin mehreren Drten entfianden Volks s Aufläufe, welchen die
in Religions s Sachen getroffenen Veränderungen nicht frems
de waren.
Die Unruhen legten fh, und dad Neformiren wurde
fortgefeßt; man enffeßte ‚die Biſchoͤfe , die die Abſichten der
Regierung nicht beguͤnſtigten; ohne Unterlaß wurden zu den
Liturgien und Glaubens⸗Bekenntniſſen bald Zuſaͤtze gemacht,
bald davon abgeſchnitten.
Die Ungnade des Herzog's von Sommerf et änderfe
nichts in dem Neformationd» Plane. Der Graf von Ware
wich, der 1552 die Zügel der Regierung an fih eig, und
die Religion zum Werkzeuge feined Ehrgeiges machte, hielt
‘es, um ſich zu halten, für angemeffener, wenn er ſich den
Neigungen des Koͤnig's, und den Wuͤnſchen eines: großen
Theild der Nation anfchmiegte, als wenn er denfelben Obſtand
bielt; man fuhr daher mit Entfernung der der Reformation
enfgegenftrebenden Bifchsfe fort, immer .famen neue Glau⸗
beng » Bekenntniffe zum Dorfcheine ; immer wurbe etwas von
dieſen meggenommen, oder hinzugefügt, und mif den Litur⸗
gien gewechſelt; es bedurfte nur der Anordnungen des Loͤ⸗
ı) Ibidem. - i Le
Engliſche Religion. = 457
nig’s und des Parlaments, um es zur Pflicht zu machen,
das Eine zu glauben, das Andere nicht zu glauben; um
den Ritus bei den Weihen, den Umfang der biſchoͤflichen
und prieſterlichen Gewalt vorzuſchreiben.
So weit war es mit der Reformation in England
gekommen, als Eduard VI. im Jahre 1553 ſtarb.
Das neue Glaubens⸗-Bekenntniß enthielt die Irrthuͤ⸗
mer der Proteflanten über die Rechtfertigung, die Eucha⸗
iftie, die Sacramenfe, die Kirche, vie hl. Schrift, den
einigungs + Zuftand, die Abläffe, die Verehrung der Bilds
niſſe und Reliquien, über Anrufung der Heiligen, und das
Gebet für die Verfiorbenen; man beffättigte darin bie obers -
fie Kirchengewalt des König’s, und serbammfe die Irrthuͤ⸗
mer der Anabaptiſten.
Was die Liturgie anbelangt, formte man ſie ſo viel wie
moͤglich, nach der proteſtantiſchen; man entfernte aus den
Kirchen die Altaͤre, die Bildniſſe, die zum Gottesdienſte uͤb⸗
lichen Verzierungen; man ſchaffte bei der letzten Oelung den
Gebrauch des Oels ab, u. f w. \, \
Die Refosmation in England unter der Königin
| Marin.
Nach dem Tode Eduard's VI. beſtieg Maria Tochter
Heinrich's VINL. und Katharinen's von Arragonien,
den Thron. Dieſe Fürftinn war dem heiligen Stuhle mitten-
in der Spaltung unerfchüfterlich treu geblieben, welcher die
echte ihrer Geburt mit unbeugfamer Feſtigkeit vertheidige
hatte. Unter Eduard ’s Regierung widerſetzte fie fich aus
allen Kräften den Reformatoren, deren vornehmfte Haͤupter
‘in die Eheſcheidungsſache verflochten waren. Zum Throne
gelangt, überließ fie ſich ihrem ganzen Feuer⸗Eifer zur Wir
derherſtellung des Katholizismus.
Um dieſes durchzuſetzen, mußte der von dem Parlamente
genehmigte, und von einem großen Theile der Nation an⸗
genommene Proteſtantismus geſtuͤrzt werden. |
458 Engliſche Religion.
Gardiner, Bifhof von Windefler, umd die vor⸗
nehmſten Katholiken waren der Meinung: man folte zuerſt
den Glauben auf den Standpunkt zurädfählien, auf Dem er
bei dem Tode Heinrich's VIE. war, und dann fiufenweife,
Alles, was feit dem Bruche mit Rom Beränderung erlit
ten oder. abgewuͤrdigt wurde, wiederherftellen. Die Koͤ⸗
niginn dagegen war, geneigt, vor andern. fi) mit der fathos
liſchen Kirche auszufshnen, und hielt Gardinern für eis
nen Stantsmanne, der dem Zeifgeiffe huldige. Um fich. jes
‚doch bei ihrem Vorhaben den Schein ber, Klugheit zu geben,
erklärte fie im. Staats+ Rathe: ſo fehr fie für ihre Perfon
in Hinſicht der Religion entfchieden fey, wolle fie doch Nie⸗
manden zwingen, fie überlaffe ed der Vorſehung, Die im
Irrthume Befangenen zu erleuchten, und hoffe ihre Bekeh⸗
zung, fo bald das Evangelium rein feyn und von Gottesge⸗
lehrten, die mit Froͤmmigkeit „Tugend und Kenntniſſen aus⸗
geruͤſtet waͤren, geprediget wuͤrde.
Bald darauf nahmen die entſetzten. Biſchoͤfe wieder Ne;
fig von ihren Stühlen: der Bifhof von Lon don begab fich
in feine Kathedrale, wo er die Predigt feines Kapellan’ 8
hörte. Da diefer Prediger feinen Bifchof himmelan erhob,
und über jene, die ihn mißhandelt hatten, loszog, entſtand
Unruhe unter den Zuhörern; Steine werden. nach Ihm ge⸗
morfen, und ein Dolch mit folder Gewalt gegen ihn ges
fchleudert, daß er, bei'm Aysmweichen des Predigers, ir in das
Holz der Kanzel fuhr, und ſtecken blieb.
Um den Unordnungen, die aus der Unbeſcheidenheit der
Prediger erfolgen koͤnnten, vorzubeugen, befahl: die Koͤni⸗
‚ginn GBardiner’n: Theologen, auf deren Weisheit, Eins
fichten, Klugheit und Sähigfeit, das Wort Gottes anpaffend
vorzufragen, er vertraue, Erlaubniß⸗ Scheine zu predigen,
unter Beidruͤckung des Staats s Siegefs,, ausjuftellen.
Diefe Prediger haften Das Necht, wo immer der Kanzs
ler fie hinfchickte, fey e2 in. den Haupt s oder Pfarr » Kir:
chen den Predigtſtuhl u befteigen,
Die Proteſtanten fuhren des Verbotes ungeachtet, mei
fiens fort, zu predigent' und’ Burst, der Diefen Ungehor⸗
Eagiſche Meligion: | 459
fam bey den Katholiken unter Eduard: VL tadelte ‚ vers
fest die Proteftanten unter Maria ımter die Heiligen. 1),
Die Fremden, die unter Ednard fi) nah England
geflüchtet hatten, oder die man berufen hatte, bekamen Be⸗
fehl, das Reich zu verlaſſen.
Die Koͤniginn berief hierauf das Parlament, und be⸗
hielt in dem Berufungs⸗Schreiben den Titel: Oberhaupt
der englifchen Kirche, bey. Sie ließ die Scheidung
ihres Vaters, Heinrich’s, von. Katharina von Arras
gonien für unrechtmäßig erflären (den 1. Oktober 1553.)
man widerrief die Gefege Eduard’s in Religions + Sachen,
und verordnete, daß auffer jener gottesdienftlichen Einrichs
tung, welche zu Ende der Regierung Heinrich's VIIL
gebräuchlich war, nach dem 20. Dezember jede andere iy
England einzuftellen fey. ..
Zur Sicherung des Wolzug’s dieſes Geſetzes wurde ein
anderes, welches die Reformatoren unter Eduard gegen
die Katholiſchen hatten ergehen laſſen, erneuert: man er⸗
klaͤrte als des Verrathes, folglich des Todes ſchuldig, die⸗
jenigen, welche, wenn ſie ſich in der Zahl zu zwoͤlf Koͤpfen
oder daruͤber verſammeln, um Aenderungen in der oͤffent⸗
lich eingefuͤhrten Religion zu treffen, auf die Aufforderung
der Orts⸗ Obrigkeit, oder einer von der Koͤniginn beauf⸗
tragten Perſon, nicht ſpaͤteſtens in einer Stunde auseinan⸗
der gingen.
Die Verheirathung ber Koͤniginn mit Philipp IL. von
Spanien gab dem Hofe einige Zeit Befchäftigung ‚und vers
anlaßte Bewegungen in den Provinzen. Nachdem die Ruhe
altenthalben wieder hergeftellt war, ſchickte die Koͤniginn
Befehl an die Biſchoͤfe, baldmeglichft ihre Sprengel zu bes
reifen, auf Haltung der Kirchengefeße, die zu Lebszeit ih⸗
res Vaters üblich waren, zu beſtehen, den koͤniglichen Nas
men in den Akten der geiſtlichen Gerichte auszulaſſen, den
Eid auf die oberſte Kirchengewalt des Regenten nicht mehr
abzufordern, feinem der Ketzerei Verdaͤchtigen die Weihen
—
ı) Burnet. T. 5. p. 420.
su ertheilen, und die Ketzer zu befirafen: weiter derordnete
fie, daß die verheiratheten Geiftlichen vertrieben, und von
ihren Weibern getrennt würden , endlich wollte fie, daß, da
‚die Weihen, welche Eirchlichen Verfonen nach dem Ks
> tuale Eduard’s VI. ertheilt worden, ungültig ſeyen, dit
treffende Bifchof dag Fehlende zu ergänzen babe.
- In Folge dieſer Verordnung wurden vier verehelihte
Biſchoͤfe vertrieben, Die neue Liturgie abgefchafft, und die‘
Meſſe durchgehends wieder eingeführt. 1)
Das Parlament hob alle Gefebe gegen ben roͤmiſchen
Stuhl auf, erneuerte dagegen alle jene, die unter Richard
I, und Heinrich IV. gegen die Keger ergangen waren.
Der Cardinal Polus wurde zum päbftlichen Legaten
fn England ernannt. Dafelbft angefonmenr, miderfeste er
ſich den gewaltfamen Maagregeln einiger Minifter der Rd
niginn: er wollte, die Hirten follten ein Herz voll Mitleid
felbft gegen ihre verlornen Schaafe haben, als geiftliche Vaͤ—
fer folfen fie ihre verirrten Kinder wie Kranke anfehen,
die man heilen , nicht tddten miüffe: er ſtellte vor, daß zu
‚große Strenge nur Uebel Ärger machen wuͤrde; dag man um
terfcheiden muͤſſe zwiſchen einem reinen Efaate, wo fi nut
einige Irrlehrer einfchleichen, und einem Reiche, im welchem
Beiftlihe und Laien in einen Abgrund von Irrthuͤmern der’
funfen find; ſtatt, fie gemaltthätig mit der Wurzel auszu⸗
reißen, müffe man dem Volke Zeit laſſen, ſich ihrer nad
und nach zu entfchlagen.
Dagegen behauptete ber Kanzler Bardiner, um die
Proteſtanten zuruͤckzufuͤhren , koͤnne man nur auf die Strenge
der gegen die Kollarden ergangenen Gefege rechnen.
Die Koͤniginn ſchlug zwiſchen Polus und Gardiner
den Mittelweg ein, oder vielmehr fie folgte dem einen und
dem andern nur theilweife: fie erfuchte ben Legaten, an De
Verbeſſerung der Geiftlichkeit zu arbeiten, und befahl Gar‘
diner'n, gegen bie Leter einzuſchreiten. Dieſer ließ eine
1) Burnet, T. 3. p. 105, 110.
/
Englifche Keltgion. 461
ziemliche Anzahl einferfern, wovon man einen Theil ver;
brannte.
Ganz England gerieth in Erftaunen bei dem Andlicke
ſo vieler auflodernder Feuer; die Gemuͤther wurden uͤber
dieſe furchtbaren Strafen erbittert: wer ſich der Reforma⸗
tion anneigte, bekam jetzt eine noch hoͤhere Meinung von
derſelben; der feſte Muth, mit welchem die Proteſtanten in
den Tod gingen, hauchte Verehrung fuͤr ihre Religion ein,
und Abneigung gegen die Geiſtlichen und Katholiſchen, die
ſie doch ohne Gewinnung ihres Zutrauens nicht wahrhaft
bekehren konnten.
Die rauchenden Echeiterhaufen entflammten allmaͤhlig
den Fanatismus in den Herzen der Englaͤnder; die Refor⸗
mirten bekannten ihre Religion mit mehr Freiheit, und
machten Proſelyten. |
Auf die eingeholte Kunde, dag England mit Eeßerifchen
und aufrührerifhen Büchern uͤberſchwemmt ſey, gab bie
goͤniginn ein Edikt, des Inhaltes: „wer immer im Befſitze
ſolcher Buͤcher ſey, und ſie nicht baldmoͤglichſt verbrenne, oh⸗
ne ſie zu leſen, und Jemanden zu zeigen, ſollte als Rebelle
erachtet, und auf der Stelle nach Kriegs⸗Recht gerichtet
werden; ferner verbot ſie: mit den Proteſtanten, ſo zum
Gerichte gefuͤhrt wuͤrden, zu ſprechen, fuͤr ſie zu beten, ſelbſt
nicht einmal nachzurufen: Gott habe ſie ſelig!“
Mehr als zweihundert Proteſtanten endigten in den
Flammen, mehr als ſechzig ſtarben im Kerker; viele verlie⸗
"Gen England; noch mehrere verheimlichten ihre Meinungen, um
Freiheit und Vermögen zu retten: die lebten machten fich
die graufamften Vorwürfe, und hegten toͤdtlichen Haß gegen
die Katholiken, welche fie zu diefer hoͤchſten Noth getrieben
haften.
Während dem man die Proteflanfen’ auffuchte und vers
brannte, ſchienen fich die Elemente und Seuchen gegen Engs
fand verſchworen zu haben: es erlitt Drangfale und be—
denfliche Unfälle; das Volk faßte Abneigung gegen die Res
sierung. Die Koͤniginn Tieß den Kammern die mißliche
Lage des Reiches vorftellen; allein dag Unterhaus mar auf
—
462 Englifche Religion.
das: Miniſterium fo übel zu fprechen, daß es den Auffode⸗
zungen der Königinn gar nichts bemilligte. Diefe Fürftinn,
von Schwermuth verzehrt, dem Kummer unterliegend , ſtarb
den 17ten November 1558, in einem Alter von 43 Fahren.
„Eine Negentinn, eines umnfterblichen Andenkens werth,
nah P. d'Orleans, wenn fie mehr dem Geifte der Sir
de, als jenem der Nation gefolgt wäre, wenn .fie in ei⸗
ner Revolution der Religion weniger die Härte ihrer Vor⸗
fahren in Staates Revolutionen nachgeahmt häffe, mif ei;
nem Worte, wenn fie Menfchens Blut mehr gefchont, und
fi hierin von einem Heinrih, Eduard, und einer Elis
faberh unterfchieden hätte; wenn fie endlich bedacht hätte:
daß zu gemaltfame Wege, ein Volk zur Umkehr zu lenken,
dem Irrthume zukommen, der nichts von Gnade meiß,
nicht aber dem wahren Glauben, der die nöthigen Mittel,
freiwilligen Gehorfam zu ertwirfen ; .in feinem Gefolge hat“ 1).
Die Reformation unter Elifabetg.
Nah Marien’s Tode kam tie englifche Krone auf
das Haupt Eliſabeth's, Tochter Heinrich's VII,
md Anne von Boulen. Diefe Fürfinn. war gemwiffermas
fen als Feindinn Rom's, und des Pabftes geboren. Diefe
fetndfelig Stimmung wurde durch die Antwort, welche der
Pabſt dem englifchen Reſidenten der verftorbenen Koͤniginn
zu Rom, auf deflen Anzeige von Eliſabethen's Throns
Befteigung ertheilte, noch verſtaͤrft. Paul IV., der das
mals auf dem apoftolifchen Stuhle faß, erflärte, nah Burs
net's Angabe: ‚‚England fey ein Lehen des hl. Stuhles;
Elifabeth habe, als ein unehelicher Sproffe, feinen rechts
lichen Anſpruch auf den Thron, er feiner Seits, Eönne die
Urtheild s Sprüche Clemens VII und Paul's IIL feiner
Vorfahren, nicht widerrufen, es fen von ihr eine außeror⸗
dentliche Kuͤhnheit gemefen „ ohne feine Zuftimmung nach der
Krone zu greifen, wodurch fie fich auch der mindeften Gnade
ı) Hist. des Revol. d’Anglet. T. 3, 286.
Engliſche Meligion. 463
unwuͤrdig gemacht habe; wenn fie jedoch ihren Anfprüchen
entfagen, und dem lrtheile des, heil. Stuhles fi unters
werfen würde, fo molle er ihr mit baͤterliche m Wohlwollen
zugethan ſeyn, und Alles erdenkliche Gute erweiſen, dafern
nur die Wuͤrde des Statthalters Jeſu Chriſti nicht ver⸗
letzt würde 1).
- Solche Reden waren aderdinge/ ni geeignet, eine a
niginn zu gewinnen, Ä
Indeß war Elifabeth entfehloffen, England. der Uns
terwuͤrfigkeit gegen Rom "gänzlich zu entziehen, zu welcher
Maria es zurfchgebracht: hatte. Sie wußte, daß der ge⸗
theilte Zuftand igrer Länder ihrem Vater Heinrich, umd
Eduard, ihrem Bruder, tn Ausführung ihrer. Enewuͤrfe
fehr Hinderlih war, daß an derfelben Klippe ihre Schweſter
Maria ſcheiderte, welche nie das Gluͤck hatte, zu ſehen:
daß ihr Volk zur Vertheidigung Calais ‚ und zur Wieder⸗
eroberung dieſes Platzes ihr huͤlfreiche Hand both. Die
neue Koͤniginn machte daher den Entwurf, nicht nur ſich
von Rom unabhängig zu machen, ſondern auch ein Reli⸗
gions s Spftem und einen Cultus einzuführen, ber alle ihre
Unterthanen zufrieden flelen, Und in dem Bekenntniſſe zu
Einem Glauben. vereinigen follte.
. Die Ausführung dieſes Planes machte indeß eine glor⸗
reiche Epoche in ihrer Negierung ;-fie ficherte die Ruhe ihrer
Laͤnder, und machte fich furchtbarer bei den Nachbar. Stans
ten. Zur Erreichunng ihres Zieles beſchloß fie, einen Mits
telmeg einzufchlagen , wobei jede Parthet ſo ziemlich ihre
Rechnung finden koͤnnte.
Da fie die Gefchmeidigfeit des Clerus, die Herabſetz⸗
ung des paͤbſtlichen Anſehens, und Aenderungen in der Re⸗
ligion ſich gefallen zu laſſen, kennen gelernt hatte, nahm fie
ſich vor, auf dieſer ſchon gebahnten Straße zu bleiben,
ohne jedoch zu eflig zu feyn.
Eliſabeth beforgte, der Pabft möge fie excommuni⸗
ciren , ihres Thrones entſetzen, und ganz Europa gegen ſie
1)-Burnei Tom. 4. p. 5. 50.
⸗
464 | Englifche Keligion.
bewaffnen. Es mar möglich, daß Frankreich diefe Gelegen⸗
it ergeiff, England zu beunruhigen, und Dafelbft, unters
ügt von den Schotten und Irrlaͤndern, Volks⸗Bewegun⸗
gen zu erregen, welde durch die englifhen Biſchoͤfe und
Katholiken, wenn fie Das Volk aufreizten „ hoͤchſt verderb⸗
lich für fie werden könnten.
Um diefer Gefahr vorzubeugen, fchloß die Koͤniginn mit
&ranz II, Könige von Franfreih, Frieden, leiflete den
nn dieſes Reiches heimlich Unterſtuͤtzung, nahm
Schotten, welche die Reformation wuͤnſchten, in Schutz,
endete Geld an die Großen Irrland's, unfergrub im Stils
Yen das Anfehen der vornehmſten Guͤnſtlinge Marien ’s,
ließ von dem. Parlarmente, weldyes den 25ten Januar 1559
eröffnet wurbe, ihre Anfpriche an die Krone, und fich als
rechtmäßige Koͤniginn nad) göttlichen und des Landes
Rechten ‚anertennen 1).
Hierauf beftättigte dag Parlament die unter e duard
VL hinſichtlich der Religion getroffenen Anordnungen.
Vier Tage darnach ſchlug man vor, der Königinn die Er⸗
nennung der Bifchsfe, wie ihr Bruder fie uͤbte, wieder eins
zuraͤumen, das Geſetz fiir den kirchlichen Primat ward im
Oberhauſe angenommen: den 18ten März erneuerte man bie
Gefege Heinrich's VIIL gegen bie päbftliche Gerichtsbar⸗
fett, und nahm jene Marten’s, die Dagegen waren, zus
ruͤck; man erklärte: daß dad Recht, Kirchen Bifitationen
anzuftellen, und Mißbräuche zu verbeſſern oder abzufchaffen,
für je und allzeit der Krone anhängig ſey, desgleichen, daß
es der Koͤniginn und ihren Nachfolgern frei ſtehe, diefe Ger
- walt Perſonen zu übertragen, welche fie, hiezu zu verwenden,
für gut fänden. Ueberdieß warb deſchloſſen, daß alle, welche buͤr⸗
gerliche, militärifche oder -geiftliche Stellen befleideten, ſchwoͤ⸗
ven folten: die Koͤniginn als hoͤchſte Regentinn im
‚ganzen Königreiche in allen weltlichen und geift
Jihen Sachen anguerfennen ; wer immer diefen Eid vers
Di
ı) Burnet, T. 4. p. 350,
‚
Engliſche Religion. . 465
. weigerte, ſollte feiner Stelle entſett, und unfaͤhig ſeyn,
eine andere zu begleiten.
Das Recht, welches das Parlament der Koͤniginn ge⸗
ſtattete, den kirchlichen Primat durch Abgeordnete auszuuͤben,
gab einer Viſitations-Commiſſion ihre Entſtehung.
Da die Koͤniginn ſich von dem Gehorſame gegen den
roͤmiſchen Stuhl logſagte, wollte fie doch, ſoviel wie moͤg⸗
lich, ihre Unterthanen in ainem religioͤſen und gottesdienſt⸗
lichen Vereine zuſammenhalten, und vererdnete Religions⸗
Geſpraͤche zwiſchen den katholiſchen Biſchoͤſen und reformir⸗
ten Theologen. Sie, fuͤr ſich, hatte ſchon ihren Entſchluß
gefaßt; Die Conferenzen ſollten nur Dazu dienen: die Ka⸗
$holifchen zu gemwinnen,: oder den Schein der Gerechtigkeit
auf ihre Seite zu neigen, und @ zeigen, daß fie die Wahr
heit gefucht habe,die” Katholiten ‚aber , bei Prüfung, ihres
Lehrbegriffes unterlegen ſcyen. ®
Die Conferenzen führten daher Niemanden zum Katho⸗
Jieismus zuruͤck; das Pariament aber gab in Betreff der
Einfoͤrmigkeit der Kirchen⸗Ordnung ein Geſetz.
Nach geſchloſſenen Parlaments⸗ Sitzungen erging Be⸗
fehl an die Biſchoͤfe und uͤbrige Geiſtlichkeit, den Eid uͤber
die koͤnigliche Ober⸗Kirchen⸗Herrſchaft abzulegen, d. h.
den Primat der KLoͤniginn anzuerkennen, und jenem. des
Pabſtes zu entſagen. Da ſie ſich deſſen weigerten, warden
fie eingekerkert, und entfeßt.
Elt ſabeth Heß ferner eine Kirchen s Pifitatione „Orb:
nung und Mandate ergehen , worin fe noch weiter. vor⸗
ſchritt, als Eduard VI. 1)
Aus dem Berichte, den die Lommiſire i. J. 1550
uͤber den Erfolg ihrer Viſitation abftaffeten;; ging hervor,
daß das ganze Königreich die Gefege des Parlaments’ und.
die Mandate der Koͤniginn, mit Unterwuürfigfeit genchmige,
amd daß nach gezogenem Kalkuͤl, -bei den annoch in Engs
land beftehenden geiftlichen Pfränden. in ber Zahl von 9400
# r '
. N
ı) Ibidenm p- 407.:
Ketzer-Lexikon. II 30
4606 Engliſche Religion.
llles der Reformation beipflichte, mit Ausnahme von 14
Biſchoͤfen, 6 Decanen, 12 Archidiaconen, 15 Collegien⸗
Vorſiehern, 50 Eanonifern, und 80 Pfarrern.
Alſo mittels des Parlaments ſtellte Heinrich VIII. in
Enöland eine gemifchte Religion auf, die weder ganz rds
mifch, noch ganz proteſtantiſch, fondern von beiden etwas
war: dieſer Zürft that ‚in dieſem Betreffe, was er rathſam
fand, er fegte zu, und nahm weg, und er brauchte nur
feine Gefinnungen zu erfennen zu geben, fo bewilligte fie
gleichfam, als wäre er unfehlbar, das Parlament, und gab
{hnen- gefeliche Kraft. Auf dem nämlichen Wege ließen die
Vormuͤnder Eduard's VI. die Geſetze Heinrich's mis
derrufen, welche ihnen mißfelen, und führten: die Re
formation ein.
"Maria betienfe ſich gen dieſes Mittels zur Abſchaf⸗
fung der Reformation, und Zuruͤckfuͤhrung des Katholizis⸗
mus auf den Standpunkt, wo er ſich vor der Spaltung
Heinrich's VIII. ‘befand: endlich "fand Elifaberh die
nämliche Leichtigkeit, die Reformation durch das Parlament
wieder. berguftelen. Kann man fagen, daß die Engländer
auf diefe Weife unter jedweder Regierung, wie es ihten
Beherrfchern einfiel, freiwillig Weiß im Schwarz verkehr
ten? Gewiß nicht, Tags Tholrag: allein, fährt er fort,
die Meinungen ber ‚Mehrzahl dor Abgeordneten des Unters
Baufes hatte man zu Geſetzen erhoben, die für Die Gefinnuns
gen der Nation ‚ausgegeben wurden: hiedurch waren Alle,
- ‚die fie mißbilligten, gezwungen, mit ihrer Ueberzeugung zu
ruͤckzuhalten, und unter den vier genannten Regierungen
fah man in Zeif von dreißig Jahren diefelben Perfonen ſich
zu vier einander folgenden Neligiongs Abänderungen beque
men, je nachdem es den Königen, Königinnen, und -den
KSammern gefiel.
Der groͤßte Theil von denen, die die Reformation an⸗
nahmen, blieb bei feinen Meinungen, weil man fie gezwun⸗
gen, nicht überzeugt hatte; wäre Die Negierung Elifaberh’s
nicht von einer fo langen Dauer geweſen, und ihr, noch vet
dem Ableben aller Katholiken, ein Eatholifcher Prinz auf
*
Engliſche Religion. 467
dem brittiſchen Throne gefolgt, fo. wuͤrde es leicht geweſen
fepn, die Refoͤrmation zu zerſtaͤuben. Daher entſpannen ſich
ſo viele Entwuͤrfe, England durch eine fremde Macht, et⸗
wa von Schottland aus oder ſonſt woher, anzugreifen, weil
die Urheber derfelben nicht zweifelten, die, Katholiken. Engs
lands wuͤrden mit den Fremden gemeinfhaflich Sache ma⸗
Sen. 4 —F 9
vo 4 “
‚Die vdurd Elifaserg eingefüprte und vefeſtigte
. Reformation ’
\ elir abeth um die Reformation “auf feſten Srumdlas
gen zu. bauen, beſchloß iſtens) ein Religions⸗Syſtem auf⸗
zuſtellen, wie man es ſchon unter Eduard VI. gethan
hatte, Atens) eine neue Ueberfegung der Bibel dem Volke
in die Hände zu. geben „Ztens) eine ernenerte geiſtliche Se
richte » Drönung "einzuführen. ——
. Der Lehrbegriff, mie er unter Elifabeth von im
Bischöfen entivorfen worden, mar von dem, unter Son
“rd’8 Kegierumg erfchienenen,, verfchieden. ;
= „Unter dieſen Regenten. hatten die. Bwinglianer and
Lutheraner auf die, in der Liturgie getroffenen Abändes
sangen den meiften. EinAuf; fo haften fie auch den unter
Heinrich VIII. ablichen Enltug beinahe ganz beſeitigt. F
Eliſabeth, im Haſſe gegen den Pabſt erzogen, und
vol ers für die Reformation, Itebte doch noch die von
ihrem Vater beibehaltenen Terenronien: ihre Neigung zu
äußerer Pracht dehnte fich fogar anf den! Gpttesvienft aus.
Die Miniſter ihres Bruders hatten, ihres Dafaͤrhaltens,
die Reform im Aeußerlichen des Cultus zu weit getrieben,
bie Religion zu ſehr entkleidet, und die Verzierungen Bei
hen goffegdichftlichen Verrichtungen zu ſehr beſchnitten; fie
alaible, manche Glaubens + Begriffe ſeyen zu enge begraͤmt,
— mn un.
1) Auszug aus Rymer's Alten p. 446.
30 *
468 | Engliſche Religion:
und in zit gemeffenen Ausdruͤcken aufgeſtellt; “man mage
mehr im Allgemeinen ſprechen, damit jeder Religionsthei
ſeine Rechnung finde: vorzuͤglich war ihre Abſicht, die Bild⸗
niſſe in den Kirchen beizubehalten, und die Art der Ge⸗
genmwart Jefwin der Eucariftie in etwas ſchwan⸗
kenden Ausdruͤcken abfaffen zu Taffen; fie fand
es fehr ungeeignet, daß man wegen fo ſubtilen Ertidrungen,
jene, die an.die Eörperliche Gegenwart glaubten, aus
dem Schooße der Kirche geftößen habe.
. Weiter mißfiel ihe ‚die Benennung eince titchlichen
O berhauptes ; weil. ‚Diefe Gewalt ihr zu weit greifend,
und der Macht Jeſu Ehriſti iu nahe — ‚vor
‚tom. 1). =
Inzwiſchen kam ber ganze Plan der Königin zur
Ausführung; ſie bewilligte die MWegnahme der Bildniffe aus
“ den Kirchen, und ihres anfänglichen Widerſtrebens nırgeach
tet, blieb es bei der koͤniglichen Praͤrogative in Kirchenſathen
ihrer ganzen Ausdehnung nach ; das Parlament ließ ſich die
Entſcheidung uͤber Die Euchariftie nicht nehmen, -und dieſer
Sauptpunkt der :Neformation Eduard's VL wurde vers
ändert: endlich flelite man ein Glaubens ⸗ Bekenntniß "der
engliſchen Kirche auf, welches in einer im Jahre 1562 zu
London gehaltenen Synode fanctionirt wurde:
Dieſẽs Glaubens⸗Bekenntniß enthält 39 Artikel. e
den. fünf. erften- erfennt man das Daſeyn und die Eigenfchafs
"sen. Gottes, die Dreieinigkeit, die Menfchwerdung, die Abs
sahet- Yefu Chrifti. zur Hoͤlle, feine Urftänpe, und die
— des heit. Geiftes. |
Art. 6 — 7 — 8 wird gefagt: daß Die bi. Schrift —
den Glauben und Eultus zu beftimmen, man feßt die Zahl
der canoniſchen Bücher feſt, und erfennt an das Nicaͤniſche,
Dan Atyanaistanifche, und das Apoftolifche Symbolum.
Art, 9 — 18 wird gehandelt von ver Erbfünde, dem
—* aus der m den sufen Werfen, ben
ı) Burnet. T. 4, L. 5.
Engliſche Religion. 469
freiwilligen Werken, von der nad) der Taufe begangenen
‚Sünde, vonder Vorerwaͤhlung, und der Unmöglichkeit, obs
ne Euͤnde zu ſeyn.
Bei all diefen Punkten Tehlägt die englifche Kirche zwi⸗
ſchen Proteſtantismus und Katholizismus den Mittelweg
ein; man verdammt den Pelagianismus und Halb⸗Pelagia⸗
nismus, fagt ober nicht, Daß die Begierlichfeit Suͤnde fey;
man läugner den freien Willen nicht ; verwirft auch die, gufen
Werke nicht; man fagf nicht, daß die der Merhrfertigung .
vorangehenden Handlungen Sünden feyen; doc aber auch
Gott nicht angenehm feyn, noch auf irgend eine Weiſe
die Gnade verdienen koͤnnen, weil. fie nicht durch den Glaus
ben an Jeſus gefihehen; im Gegentheile wird behauptet: -
dag diefe Handlupgen etwas von dem Wefen der Suͤnde an
fih haben, va fie nicht. ſo verrichtet werben, wie Sort es
haben will.
Man nimmt an, daß Feſus Chriſtus allein von der
Sünde ausgenommen iſt, die Menſchen aber, auch nach der
Taufe noch fündigen, und fid) wieder mit Gott verföhnen
fönnen; man vermwirft nach diefem den Lehrſatz von Der
Unverlierbarfeit der Gnade ; man lehrt die unverdiente Aus⸗
erwählung, und fpricht nicht von Euther's und Ealvin’s
Verwerfung.
Art. 10 — 24 iſt die Rede von der. Kirche, ihrer
Macht, ihren Dienern, den Kirchen s Berfammkmgen, dem
Seofeuer, und van der Nothwendigfeit, den Gottesdienſt in
der Landesiprache abzuhalten.
| Die Kirche mird angegeben als der ſichtbare Verein der
Glaͤubigen, in welchem das reine Wort Gottes gelehrt, und
die Sacramente. nach der Einſetzung Jeſu Chriſti gefpens
det werden: man nennt die Kirche nicht eine Verſammlung
von Vorerwaͤhlten, und eine unſichtbare Geſellſchaft; erklaͤrt
*aber, daß die roͤmiſche Kirche über Cultus und Dogma in
Irrthum gefallen ſey.
Dieſe ſichtbare Kirche hat das Recht nicht J Jemanden
zu verbinden, etwas zu glauben, was nicht im Worte Got⸗
tes enthalten iſt; aber bei ihr, als der Aufbewahrerin und
Schuͤtzerinn des zoͤttlichen Wortes, muß man (8 ſuchen.
—
470 Engliſche Religion.
Gelaͤugnet und verworfen werden die Unfehlbarkeit der
allgemeinen Concilien, der Reinigungsort, die Ablaͤſſe, die
Verehrung der Reliquien und Bilder, die Anrufung der
Heiligen; jedoch werden fie mir als unnuͤtz und dem Worte
Set entgegen laufend, verworfen, ohne zu ſagen, daß
diefe Gebräuche abergläubifch oder gößendienftlich ſeyen.
Hinſichtlich der Kirchendiener glaubt man, dag ihnen
nur dann diefe Eigenfchaft zufomme, wenn fie ihre. Berus
fung von Seiten jener Diener erhalten, welche Gott anges
ordnet hat, Die Prediger zu erwählen und zu unterrichten.
Durch diefen Artikel zeigt die englifhhe Kirche dag Vers
werfungssUrtheil über die Apoftel der Reformation: Denn
Luther, Calvin, ıc. wurden ficher nicht mit dem Lehr⸗
amte beauftragt von jenen Dienern der fichtbaren Kirche,
welchen es doc, zuftand fie zu berufen.
Art. 25 — 30 handeln. von den Sacramenten , ihren
Wirkungen, der Zaufe, dem Abendmahle, und dem Meß⸗
Dpfer. Die englifhe Kirhe nimmt die Sacramente nicht
als Zeichen an, beſtimmt: dußerlich gu veroffenbaren,, daß
wir Chriſten find, fondern als Eräftige Zeichen der Güte
Gottes, vermitteld welcher Er in ung wirkfam ift ‚und uns
fern Glauben. befeftiget.
Es werden nur zwei Sacramente, die Taufe unb dag’
Abendmahl; anerfannt, deren -Wirkfamkeit von dem Glau⸗
ben, oder der Froͤmmigkeit des Ausſpenders unabhängig iſt;
doch foll die Kirche wachen, daß man Die Bermwaltuug der
Sacramente nur folhen Perfonen anvertraue, deren Froͤm⸗
migkeit und Wandel ſie eines ſo heiligen Dienſtes wuͤrdig
macht.
Die engliſche Kirche erklaͤrt die Taufe nicht fuͤr ein blo⸗
ßes Zeichen der Einverleibung zum Chriſtenthume, fondern ®
als dag Zeichen, wodurd wir Kinder der Kirche werben,
und das in ung den Glauben und die Gnade hervorbringt.
Das Abendmahl nimmt man als ein wahres Sacra—⸗
ment, und ale die Gemeinfchaft des Leib's und Blut's er
fu Chriſti an! Jeſus wird geiſtlicher Weiſe darin em—⸗
pfangen, und das Mittel, wodurch wir Ihn empfangen, iſt
Engllſche Religion, 471.
der. Slaude;— man empfängt. wahrhaft den Leib und dag
Blut Jeſu Chriſti; doch mng man. darum nidt glauben,
daß das Wefen des Brodes zerſtoͤrt werde, noch die Vers
wandlung anneßmen, weil man tiefe nicht aus der Schrift
beweifen fanıt, der Natur des Sacramentes zuwider läuft,
und einen Duelle des Aberglaubens if. Man fieht. aus der
Weiſe, wie die englifhe Kirche fich erklärt, wie verlegen
"fie ift, der Behauptung der Eörperlichen "Gegenwart auszu⸗
weichen, umd mit welcher Beforgtheit fie Ausdruͤcke aufjucht,
welche diefem Lehrfage auch nicht widerfprechen 1).
Die englifhe Kirche erflärt fich für die Communion un«
ter beiden Geftalten, und. läugnet, daß die Eucharifiie ein
Opfer fey. (Art. 32 bis 39.) Man vertammt. den ehelofen
Stand der &kiftlicjen, räumt. der Kirche die Gewalt zu ers
communtjiren, ein, verwirft die Nothiwendigfeit der Erbs
lehre, und dag Unfehen, welches die Katholischen ihr beiles
gen; erflärt aber auch, daß Fein Privatmann das Recht hat, .
die durch Ueberlieferung eingeführten. Ceremonten und Culs
tus⸗ Anftalten ‚abzuändern; die befondern Kirchen‘ ‚haben
allein dieſes Necht; jedoch gilt auch: diefeg nur von ſolchen
Cexemonien, welche bloß menſchlicher Anordnung find, und
wenn die daran vorgenommene Augfchefdung zur Erbauung
der Glaͤubigen beitraͤgt. Man beſtaͤttigt die Conſecration
der Biſchoͤfe und die Prieſter⸗ vnd Diaconens Weihe nach
dem Kitual Eduard's VL; endlich‘ wird Alles befräftigt,
was binfichtlih der oberften Kirchengemalt des Regenten,
und gegen den Pabſt geſchehen iſt.
Die Anordnungen und Canonen für die Kirchen⸗ Dis⸗
ciplin kamen ſpaͤter zum Vorſcheine, einige naͤmlich 1571,
mehrere noch 1597; eine noch reichhaltigere Sammlung ward
1603 ‚zu Anfang der Regierung Jakob's J. bekannt ges
macht. Die Augeinanderfegung hievon gehört der Gefchichte
der englifchen Kirche an: wir begnügen ung mit Anführung
4) Sieh Corpus confessionum fidei. Genevae 1654. die
Aufſchrift Confessio Anglicana p. 9%, 95, und 109.
*
Fr
.
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472 Engliſche Religion.
Deffen, was 5 urnet von all diefen Anoͤrdnungen hält, ‚„Die
„Wahrheit zu fagen, haf man auf einen fo wichtigen. Zweck
„noch nicht den noͤthigen Nachdruck gelegt; die Buß⸗Cano⸗
„nen find noch nicht wieder eingeführt: die Verwaltung der
„engliſchen Kirche iſt noch nicht in den Haͤnden der Geiſtli⸗
„Sen, und die Reformation big jest noch unvollkommen
„in dem, was dag Verhalten der ‚Kirche, und die Discis
„plin betrifft“ 1).
Demungeachtet giebt ſich Burnet alle Miße, die Mes
formation als ein Werk der Erleuchtung dDarzuftellen.
Wir haben die Lehrfäge der englifchen ‚Kirche über die
tweientliche Gegenwart und Transfubfiantiation im Artikel:
Berengar, ihre Meinung über Anrufung der Heiligen,
über die Bilder und den Coͤlibat der Priefter im Art. Bis
gtlantiug widerlegt: die Widerlegung der Fehlbarkeit der
Concilien folgt im Art. Reformation :
Die Seeten, welche die Reformation in England
erzeugte,
Die Reformation, dieſes Werf der Erleuchtung, nach)
Burnet, wurde bald in England ein Werf der Verwir,
zung: Mehrere Engländer, die unter Maria ihr Land vers
laffen hatten, Famen unter. Eliſabeth, angefüllt mit pen
Ideen der Neformation in Genf, in der Schweij und
in Sranfreich, nach Haufe zuräd; konnten fich aber mit
der Reformation in. ihrem DVaterlande, welche, ihrem Duͤn⸗
fen nach, nicht weit genug mar getrieben worden, zufrie—
den geben.
Dieſe hitzigen Reformirten trennten ſich von der herr⸗
ſchenden engliſchen Kirche ab, und hielten unter ſich Pris
nat» Zufammenfünfte, denen man Anfangs den Namen:
Conventifeln beilegte. Auch nannte man die fo Abges
trennten Presbyferianer, weil fie fi ſich der Gerichtsbar—
— om
1) Burnet T. A. p. 451.
Pf,
Englifce Religion. 473
keit der Viſchoͤfe nicht unterwerfen wollten, und behaupte⸗
ten: alle Prieſter oder Prediger haͤtten eine gleiche Gewalt,
die Kirche aber muͤßte durch Presbyterien oder Con⸗
fiftorien, beſtehend aus den Predigern, und einigen Als
‚ ten. aus dem Faiens Stande, wie foldhes Calvin u Genf
eingeführt hatfe, regiert werden. .
Es bildeten fi) fonach über diefen Punkt zwei Partheien,
die, ſtatt ein friedliches Ausfommen mit einander ju treffen,
ich durch mündliche und fehriftliche Dispuͤte segenfeitig bes
unruhigfen. -
Die Anhänger der. engliſchen Kirche nahmen «€ ſehr
uͤbel, daß Privat⸗ Perſonen ſich anmaßten, was von Nas
tionals Synoden und dem Parlamente oͤffentlich eingeführt
war, reformiren zu wollen. Anderer Seits fanden es bie
Presbyterianer nicht minder befremdend , daß man fie
zur Uebung von Gebräuchen mit." Gewalt anhalten - wollte,
die der Neinheit der Religion entgegen feyen; und man
nannfe fie aus dieſem Grunde Puritaner.
Man fah demnach die Biſchoͤfe und dag Parlament: die
Reformirten, welche fid) der ‚ durch Elifaberh eingeführs
ten, Liturgie nicht fügen wollten, als Ketzer behandeln; ins
- be ein anderer Theil der englifchen Nation, wenn er eis
nen Geiftlihen im Chor» Hemde Gottesvienft hafteh fah,
nicht minder Aergerniß nahm, ale wenn er eine Ketzerei
prediger hörte, und der alle. "Ceremonien ; welche die eng⸗
liſche Kirche beibehalten hatte fir Heibnifchen Aberglauben
erachtete.
Die Anhaͤnger der Liturgie hieß man Epiſcopalen,
weil fie ſich zum Kirchen-Regimente der Biſchoͤfe oder ber
hohen Kirche hielten: auch würden fie Conformiften
- genannt, weil fie im Kultus mit den Anordnungen der Bis
fhöfe und des Parlaments übereinftamen. Die Presbyte⸗
rianer dagegen nannten fih Niht-Conformiften oder
Yuritaner. Die Hierarchie iſt der Hauptpunkt, woruͤber
ſie entzweit ſind.
Seit Trennung dieſer beiden Partheien, beeiferte ſich
jede, die Oberhand über die andere zu’ gewinnen. Die
474 Engliſ de Keligion.
verfchiedenen politifchen PartheisMeinmgen, die fi) fuͤr oder
wider Die Authorität des Koͤnig's bildeten, fuchten jene
beiden Theile’ in ihre Intereſſe zu ziehen; und da Anfang
die Presbyterianer oder Puritaner unterliegen muß⸗
ten, weil die koͤnigliche Macht mit jener der Geiſtlichkeit ges
gen fie verbindet war, fo fchlugen fih die Dresbyterias
ner zu den Gegnern der Krone, wie es die Epifcopas
fen mit ven Roy aliſten hielten. Diefe beiden Eecten
hatten großen Antheil. an den Unruhen, melde England
gerfleifchten: Die Puritaner waren die Haupt s. Urfache au
der Nevolution, welche unter Earl I. vorfiel; und feit Dies
fer Zeit machen fie den zahlreichſten Theil aus 1).
| Die Soeinianer, Anabaptiften, und Arianer
benügten die Verwirrung, welche die Reformation in Engs
land im Gefolge hatte, um ſich da feflzufegen, und machten
Profelyten; endlich gingen aus dem Schooße derfelben Res
formation die Quaͤccker hervor: alle dieſe Secten erfreuen
fi) in Grofbritanien der‘ Duldung, und werden zum Ges
genfage der herrfchenden Epifcopals Kirche Diff enter ’8 ges
nannt.
Wir werden von den Epiſcopalen und Presbyte⸗
rianern in den Artikeln: Epiſcopalen, Presbote—
rianer ein Weiteres reden. |
... Der Rationalismus ‚ zu ‚dem fndeffen: alle von dem
Mutterfiomme abgeriffene Aeſte einfchrumpfen, hatte ſich
gleichfals fchon. im Anfange des 18ten Jahrhunderts unter
vielen Predigern der hohen englifhen Kirche verbreitet, fo
daß man in ihren Kangelvorträgen weiter nichts, denn eine
trockne philofophifche Moral, ‚mit Umgehung aller pofitiven
chriftlichen Lehrfage vernahm. Dieß bewog eine Gefellfchaft
junger Theologen, fi) von der Landes s Kirche gänzlich zu
. trennen, und eine neue religidfe Secte zu fliften, die fich
die Aufrechthaltung des pofitiven .Chriftenthum’s, und Eins
1) Thoiras Hist. d’Angleterre T. 8. Regierung Carl's I.
dafelbit. Dissert. sur les Wighis et sur les Toris. Re-
volution. d’Anglet. T. 5, L. 9.
J
8
Engliſche Keligion. 0845
führung reinerer, dem Urbilde ber erſten Chriſten nachfires
benderer Sittlichkeit zum Ziele ſetzte. Dieſe Secte, die den
Namen Methodiſten, bekam, machte gegen die Mitte
des vorigen Jahrhunderts in England große Fortſchritte,
und dehnte ihre Verzweigungen bie nach Nordam erica
. und in die Schweiz aus. (Siehe. diefen Artikel. ).
Aber deffen ungeachtet nimmt. die Gleichgiltigfeit gegen
‚ das Chriftenthum, befonderd unter den hoͤhern Ständen
mit jedem Tage in Großbrifanien zu, und während dem _
die barbarifchen Geſetze gegen die Fatbolifche Religion in dies
fem Reiche noch in aller Wirffamfeit beffehen, fo daß ein ka⸗
tholiſcher Priefter, wenn er uͤberwieſen - if, oͤffentlich Meffe
gelefen zu haben, dieſes Verbrechen mit dem Leben büßen
muß, fo bilden fich unter dem Schutze eben dieſer Geſetze,
Geſellſchaften, die oͤffentlich dahin abzielen, die Grundlage
jedes Glaubens, folglich des ganzen geoffenbarten religio⸗
ſen Gebaͤudes zu zerſtoͤren.
Zum Beweiſe hievon diene nur ein einziges Beiſpiel
aus unſern Tagen:
Im November des Jahres 1824 bildete fih zu Lon⸗
don ein Verein unter dem Namen: Sefellfhaft chriſt⸗
licher Evidenz, welcher jede Woche am Dienſttage Abends |
um fieben Uhr gehalten wird.
Der von den Stiftern felbft angegebene Zweck iſt:
„den menfchlichen Geiſt von den Feſſeln des Aberglaubens
„und des Irrthum's zu befreien, und die nackte Wahrheit
„zu enthuͤllen.“ . Geiftliche -von .jeder chriftitchen Eonfeffion
find eingeladen, an den Erdrterungen Theil zu nehmen, die
Beweggründe ihres Glaubens anzugeben, die an fie geftells
. ten Fragen zu beanfmorten, und dann die Entſcheidung ab⸗
zuwarten. |
Wie es aber mit dieſen Forſchungen nach chriſtlicher
Evidenz und nackter Wahrheit gemeint iſt, erhellet aus einem
Manifeſtean alle Geiſtliche, Diener, und Pres
diger des Evangelium's, morin die Gefelfchaft das
einſtweilige Refultat ihrer Forſchungen der Weit vor Als
gen legt, welches if:
J
476 | Englifche- Religion.
„Ale Argumente, welche bisher zu Gunſten des Ehris
„ſtenthum's angeführt worden, find falſch, und fophiftifch,
„und der ehrwürdige Secretaͤr der Geſellſchaft (Robert
„Taylor) bat in Widerlegung jener Argumente und Eos
„phiſmen vollftändig erwieſen, Daß 1tens) die Echriften
„des neuen Teflaments nicht die Werfe jenet Perfonen find,
‚deren Namen fie führen; 2teng) daß fie nicht in jenen Epos
„Sen, welde fie angegeben ‚ erichicnen find; 3tens) daß
„die Perſonen, deren fie erwaͤhnen, niemals exiſtirt haben;
„Atens) daß die Thatſachen, welche ſie erzaͤhlen, ſich nie⸗
„mals zutrugen.“
Neben dieſem wird in dem Manifeſte behauptet: daß
die Prediger des Evangelium's ſelbſt nicht an daſſelbe glau⸗
ben, weil fie es nicht wagen, die Vertheidigung ihrer Reli⸗
gion anderswo, als auf den Kanzeln ihrer Kirchen zu uns
ternehmen, wo fie fiher find, keinen Widerſpruch erleiden
zu müffen, und wo fie fi) ohne Beſorgniß au jenen Theil
ihrer Zuhörer ‘wenden fönnten, die in Unwiſſenheit und
Taͤuſchung zu beharrren, für ein Gluͤck erachten.
Hierauf werden die Prediger wiederholt eingeladen, bei
den Berfammlungen zu erfcheinen, und ihre Beweiſe darzu⸗,
legen; widrigenfalls follte ihr Ausbleiben dahin gedeutet
werden: als gäben fie eine fchlechte und bife' Sache auf,
und geſtuͤnden ihre Ueberzeugung ein, daß das Evangelium
nicht durch vernuͤnftige Gruͤnde vertheidigt werden koͤnne
u. ſ. w.
unmaßgeblich duͤrfte wohl Niemanden, dem ſeine heile
Haut lieb iſt, zu rathen feyn, gegen die ſchon vollſtaͤndig
erwieſenen Praͤliminarpunkte des ehrenwerthen Herrn Tay⸗
log -aufzufreten. 1). |
Dermalige dirarguſse Ordnung der hohen oder
Epiſcopal⸗ Kirche in Großbritanien.
Die Koͤniginn EI ifabeth ernannnie ihren Lehrer, umd
vormaligen Almoſenier ihrer Mutter, Matthias Parker,
ö— — 57 Zr ,
1) Staatömann, von Dr. Pfeilfhifter. Oftoberheft 1925.
Engliſche Reigen. 2 477
zur Wiederbefetzung des erledigten erlbiſchötichen Stuhles
von Cantorbury, und ertheilte Vollmacht zu feiner Weihe
Da aber Eein Fatholifcher Bifhof fich hiezu verftehen wollte;
fo nahm die Kdniginn- ſich heraus, Eraft der ihr beimohnen-
den oberſten Kirdyengemalt, die Weihe zu firppliren , morauf
er von Barlam, einem Bifchofe der. englifchen Kirche ges
weiht wurde. Da Die Formeln des Sacraments ver
Weihe, und die Confecrirung- der’ Biſchoͤfe von der melty
lichen Macht. auf diefe: Weiſe geändert. wurde, fo.:ik die
apoftolifche Stufenfolge des‘ Prieſterthums in der, ‚Hirayr
chie der englijchen ‚Kirche, weiche mit biefer Epoche beginnt,
urterbrechen, fo wie die katholiſche Kirche ihee.,, Gnit gteit
"pie anerfennen wollte: - 4 REES E WER FRRRETI |
Die höhe Episcopal⸗ Kirche veſchet dermalen in Eng⸗
land aus zwei Erzbiſchoͤfen, dem von :Cantorburn, weh
ther Primas von England iſt, und den Rang gleich nad; dee
Föniglichen Familie hat, und dem vn Msrf, der dem Kanzı
ler von England unmittelbar nachgehet; dann Ai8:24 Br
fchöfen, die den Titel der Barone führen, und Pairs ded
Reiches find: Irland har 4 Erzbiſchoͤſe, von welchen der
von Armagh Ptimas iſt, und 18 Biſchoͤfe, Deren 4. im
Parlamente fitzen. In Schottland find :7 Bifchäfe, die
über bloß geduldet find, da «Die herrſchende Religion daſelbſt
der Calvinismus fft. Dieſer engliſchen Kirche gehsren
in England zwei Univerfitäsen, Drford und Cambrid—
ge, in Irrland eine Dublin; in Schottland haken- Die
Calviniften vier. In der englifchen Kirche gibt eg Kapitel,
Srz⸗ Diacönen, Land s Dechante , Pfarrer ober. Rectoren,
Vichende Vicarien und Amtsverweſer, ‚Pfarrer ‚genannt.
Die Kirche beſitzt die" Zehnden, md, ‚befoldet die niedere
Geiſtlichkeit aus dem Ertrage derſelben; die: Me nnigen
Geiſtlichen werden. von. ihren Pfarrgenoffen unterhalten. :-
In England koͤmmt auf die Bevoͤlkerung von eilf ER
tionen eine halbe Milton Katholiken ; in Schottland auf
. 1,800,000 Seelen, etwa 60,000 ; ımd in Irland befins
den fich ſechs Millionen Katholifen gegen eine Million Pros
teftanten. Der irländifche katholiſche Clerus wird von den
418 Englifche Religion. Englifche.
katholiſchen Pairs, 18 au der Zahl, von den Baronets
und wohlhabenden Samilien, oder durch Unterzeſchnungen |
unterhalten. |
Zu Mayonth, drei Meilen von Dublin iſt derma⸗
len eine von der Regierung gegruͤndete, und mit 100,000 fl.
Einkommens dotirte Studien⸗Anſtalt für die Katholiken. x
Die Angelegenheiten der katholiſchen Kirche in England
werden zur Zeit von vier apoſtoliſchen Vicarien, die Bis
ihöfe in -partibus infidelium find, beforgt. In Schottland
find- zwei Biſchoͤfe, der eine für Norden, der andere Fir.
Süden. In Hreland ſind vier Erzbiſchoͤfſe und achtzehn
Biſchoͤfe, welche ihre Titel und alte hirarchiſche Einrichtuus
bis auf dieſen Tag ſtandhaft behauptet haben.
In einer zu Dublin, am 26. Sehr. 1810 abgehaltenen
allgemeinen Verſammlung, ward der einmuͤthige Beſchluß ger
faßt: daß weder die Krone noch die Miniſter einigen Eins
fluß auf- die Wahl der Biſchoͤfe haben ſollten; fo wie in
der neueſten Zeit fich alle Fatholifche Neligiong + Diener ans
heiſchig machten, von der Regierung feine Beſoldung anzu;
nehmen, bis nicht ihre fchon fe. lange und dringend nachge⸗ =
farhte Emancipation erfolgt ſeyn wuͤrde. Wie es mit
der Duldung der Katholiken im. britifchen Reiche, befonders
m Irtand ſtehet, ift zu weitbefannt, ale daß wi ein
Erwaͤbnung hievon, noͤthig haͤtten.
: (&iehe den dNaliglonsfteund, 5ten Zubn Are Sans
dt Det Neo. 17. )
\ - Enstifi the *) ( Angelii ). Diefe Secte ſcheiat ſchon
zu Zeiten der Apoſtel vorhanden geweſen zu ſeyn; und auf
fie ſcheint der Apoftel Paulus gedeutet zu haben / wenn
er im Briefe an bie Koloſſer fagt: „Laſſet euch von Nies
„mand irre führen, der fich in. Demuth und Verehrung der
‚Engel gefaͤllt; der ſich mit Dingen befaßt, die er nicht ges
„ſehen hat, und vergebens fich bläpet mit Begriffen feines
„SFSleiſches? (Coloss. 2, 18° .) a
* ) ate Jahehundert.
Engliſche. | 478 J
Weder in dem ubiſa⸗ Geſetze ; noch bei den. Prophe⸗
ten, noch beiden religföfen Uebamgen .der Heiligen des ads
ten Teftaments findet man etwas, das auf Verehrung ber
Engel Bezug hätte: wahr iſt es zwar, Daß, -wenn Engel
erfhienen , und im Namen, als: Repräfentanten, der Gotte
heit fprachen ; fie eine gewiſſe Huldigung und Anbetung er
hielten ; diefe Verehrung ‘aber bezog ſich auf Gott, deſſen
Diener und. Abgefandte die Engel in diefem Momente var
ren. (Exod. 5, 4, 5. Josue 5, 26, Genes: 18,2.) :
Nach der Nüctehr aus der Gefangenfchaft forfchten'die
Juden mit mehr Vorwig nad) der Erfenntniß, den verfchtes
denen Verrichtungen und Namen der Engel, und nad) ımd
nach kam es fo weit, daß fie ihnen eine gewiſſe Verehrung
erwieſen 1).
Der menſchliche Verſtand erweitert gerne den Gegen⸗
| ſtand ſeiner Verehrung, feigent u und veredelt‘ alles dahin
En 21
1). Dan. findet sei py ilo Abhonbimgen aber de Natur,
die Obtiegenpeiten, und Über den Umerſchied zwilgen gus
ten und Höfen Engein. Jo ſophus, und nach ibm Pay .
pbyrius verſichern: daß die Ef fener in ihren Befennt-
niffen fih verbanden zur gewiſſen haften Beibehaltung der
"Bücher inter‘ Secte, wahrſcheinlich der Heiligen Schriften und
der Namen der- ‚Engel, welches muthmaßen läßt, daß ſie
Ihnen eine religidfe Verehrung erwieſen. Der Verfaffer der
Predigt des Heiligen Petrus, eines fehr Alten Buches,
welches auch der Heil. Tlemens von Alerandrien an
fuührt, fagt, daß die Juden den Engeln und Erzengeln,
ſelbſt dem Monde und den Monaten religidfe Verehrung
erwieſen. Celfus beſchuldigt die Juden, daß fie nicht
nur die Engel, ſondern auch den Himmel anbeten. Bauk
main in den Noten über die mofoifhe Geſchichte (C. 4,
Pp. 3or.) citiet ein vom Rabi Abraham Salomon.
verfaßtes Buch, worin ein unmittelbar an den Erzengel
Michael geriäteted Gebet vorkömmt. . Sieg Calmets
Commentar über Pauli Brief. an die Koloſſer K. 2, V.
‚18. und feine Differtation Über die guten, und böfen Engel,
. \
[1 Engliſche.
Bezuͤgliche: fo ſtand bei dieſen Engelsverehrern das moſaiſche
Gefetz in.hoher Achtung, weil Gott ſolches durch Vermitt⸗
lung der Engel den Menſchen gegeben hatte, und ſie hiel⸗
ten die Beobachtung deſſelben zur Erlangung der Seligkeit
fuͤr unumgaͤnglich nothwendig: endlich glaubten ſie, da Gott
durch Dazwiſchenkunft dee Engel den Menſchen feinen Wil⸗
len kund gethan habe, ſo muͤßten dieſe durch daſſelbe Or⸗
gan ihre Bitten zu der Gottheit gelangen laſſen, deren Ma⸗
jeſtaͤt unſichtbar ſey, und. unzugaͤnglich den Sterblichen;
wir haͤtten keine vermoͤgendere Fuͤrſprecher, ja, ſie ſeyen
mehr, als Jeſus Chriſtus geeigenſchaftet, uns mit Gott
auszuſoͤhnen. 1).
Unter der Kepierung des Kaiſers Severus * big
zum Jahre 260 fand man’ noch Anhänger diefer Secte; aber
zur Zeit dee hl. Epiphanius waren deren feine mehr
vorhander. Der Heilige kannte nur Den Namen dieſer Haͤ⸗
retiker, ohne angeben zu koͤnnen, worinn ihre Ketzerei bes
ſtehe, oder wovon ihre Benennung abſtamme. >’
„ Der heil. Auguftin iſt ver Meinung, daß dieſe Sec;
tirer ſich die Engliſchen nannten, weil fie ‚einen engel
reinen Wandel - zu führen. vorgaben. 3).
Theodoret führt an, der Engeldienf ‚von den fal⸗
ſchen Propheten in Phrygien und Piſ udien eingefuͤhrt,
habe ſo tiefe Wurzeln geſchlagen, daß das Concilium von
Laodicea, gehalten im Jahre 366 oder 367, ausdruͤck⸗
lih verbot, Gebete unmittelbar an die Engel zu richten;
und heute noch, fuͤgt Theodoret ‚bey, finder man bei ih⸗
nen Bethäufer, die dem bh "Michael. geweiht find. Je⸗
doch ſagt dieſes Concilium nichts weiter, denn daß die
| PlAUDOEN bie Kirche ‚Gottes nicht — und But in
1) Teodorär J—— EN Menoch. Chry-
sost. Tom. 7. ad Col, 2. Stockmann ‚Lexicon
.2) Epiphan. Haer. 60. | —
- 5) Aug. Hacr. C. .59. u en
|
\ _ Eon ‚de: l’Etaile. 481
Winkel: Werſammlangen, zur Aurufuns der Engel zuſam⸗ |
nen fommen ſollen. 1).
Eon de l’Etoile *). Ein Edelmann aus Bre⸗
tagne im. 12te Jahrhunderte. Man pflegte das Lateiniſche
damals ſehr ſchlecht auszuſprechen z. B. eum wie eon. Da
nun Eon de l’Etoile in der Kirche die Stelle aus dem
Glaubens + Bekenntniß: per eum, qui veniurus est, judi-
care Vivos et mortnos, wie per eon, qui etc. fingen
börte, fegte er fich in den Kopf, er fey in dem Symbo⸗
lum angedeutet ald Derjenige, der da kommen foll, zu rich⸗
ten die Ledendigen und die Todten: dieſe Grille gefiel ihm,
ſeine Phantaſie ward erhitzt; endlich uͤberredete er ſich, wirk⸗
lich der Richter der Lebendigen und Todten, mithin der
Sohn Gottes zu feyn. Er brachte es unter die Leute; der
Poͤbel glaubte ihm, rottete ſich zuſammen, und durchzog mit
ihm ſchaarenweis verſchiedene Provinzen Frankreich's, wo er
die Haͤuſer, und haupfſaͤchlich die AKloͤſter pluͤnderte.
Seinen Schuͤlern enfbeilte er verfgichene Wuͤrden,
einige waren Engel, andere Apoſtel. Der Eine hieß das
Gericht, der Andere die Weisbeit; ein Anderer bie
Herrſchaft oder die Wiffenfchaft u. dgl.
Mehrere Großen wollten ſich feiner Perfon bemächtis
gen; da er aber die gegen ihn Auggefandten gut bewiethete,
ihnen Geld ſchenkte, wollte Niemand "Hand an ihn legen,
fondern man fprengte aus‘, Eom fey ein Zauberer, der die
Leute banne, fo daß Niemand feiner habhaft werden koͤnne.
Dieſer Spuck wurde allgemein geglaubt, und als endlich
doch der Erzbiſchof von Rheims ihn einſetzen ließ, meinte
man, bet -böfe Feind habe ’iän damals im Stiche gelaſſen.
Der Erzbiſchof ſtellte ihn vor das Concillum, welches zu
Rheims von Eugen FIT. gegen die Jtrthuͤmer Gilbert's
vor Porde verſammelt war. In dem mit Eon angeſtell⸗
ı) Calmet loc: citı .
*) 12tes Jahrhundert .
Ketzer⸗Lexikon IL 31
482 Eon de PEtoile,
ten Verhoͤre fand man, daß: er weiter nichts ale ein Wahns
finniger war, nnd verurtheilte ihn zur lebenslänglichen Eins
fperrung, dag Gericht aber, die Wiffenfhaft, und
einige andere feiner Schüler , welche die Salfchheit der An⸗
gäben Eon's nicht annehmen wollten, wurden verbrannt. 1).
In eben biefem Jahrhunderte, mo ein Theil des Volkes
fi) von Eon de l’Etoile bethoͤren ließ, freuten Peter
von Bruy, Tanchelin, Heinrich und andere Fanatiker
imancherlei Irrthuͤmer unter dem Volke aus, und beßten
es gegen die Geiftlichkeit auf: anderer Seits entzweiten fich
die Theologen in den Schulen, warfen die fubtilften Fra⸗
gen über Glaubensfäge auf, und ſtellten ſich feindfelig eins
ander gegenüber, woran jedoch die Laien ihrer zu großen
nwiſſen heit wegen, keinen Antheil nahmen.
Da Aufklärung oder Unwiſſenheit eines Volkes gemein⸗
hin mit der Bildung und Unwiſſenheit ſeiner geiſtlichen Fuͤh⸗
rer gleichen Schritt zu halten pflegt, ſo konnte dieſes in
Religionsſachen ſo vernachlaͤßigte Volk an den theologiſchen
Zaͤnkereien feinen, Geſchmack finden, ließ ſich aber von dem
nächften beſten Betrüger, der ſich nur die Muͤhe geben wolls
te, e8 zum Beften zu haben, entzuͤnden und verführen, und
nie fehlte es in den: Aufern —— an ſolchen Volks⸗
Verfuͤhre.
Epiphanes, des Carpocrates Sohn, unterwie⸗
fen in der Platoniſchen Plloſophie, glaubte er durch deren
Grundſaͤtze die Entſtehung des Uebels erklären und die Sit
tenlehre feines Waters rechtfertigen zu koͤnnen.
Er nahm ein ewiges, unendliches, unbegreiflihes Urs
mwefen an, mit welchem er das Syſtem des Valentin
verſchmolz. Um die Entitehung des Uebels begreiflich zu
machen, ging er bis zu.den urfprünglichen Begriffen von
Gut und Big, Necht und, Unrecht zuruͤck, und ſchloß, daß
die Guͤte des hoͤchſten Weſcit von ſeiner Gerechtigkeit nicht
des 9 —
1) D’Argentre Coll. Jud. Nat. Alex... in Sae. 12 Da-
pin Bibl. 12mo. Siecle. -
x « 3 a Vor Zn.
x —— —
Epiphanes. 42
unterſchieden ſey. Das. Weltall, aus dieſem Geſichtspunkte
befenchtet , bot dem Epiphbaneg nichts dar, das mit
Gottes Büte ſtreite. Die Sonne gehet für alle, lebende
Mefen auf, die Erde fpendet Aus ihrem Schooße fuͤr
Alle auf gleiche Weiſe ihre Erzeugniſſe und Wohlthaten;
Alle koͤnnen ihre Beduͤrfniſſe befriedigen, folglich bietet die
Natur Allen einen gleichen Stoff von Gluͤckſeligkeit dar;
Alles, was athmet auf Erden, iſt gleichſam eine große Fa⸗
milie, fuͤr deren Beduͤrfniſſe der Urheber der Natur im
Ueberfluſſe Vorſorge trifft. Unwiſſenheit und Leidenſchaft
find es, die, indem fie das Band dieſer Gleichheit und urs
ſpruͤnglichen Gemeinſchaft der Natur s Güter jerreißen, dag
Uebel in der Welt zum Vorſcheine Bringen.
"Sobald die Menſchen Gefeße aufbrachten,, find fie ang
biefem Natur s Stande herausgefreten, um zurüdzufehren,
müffen dieſe Gefege abgefchafft,. und der Stand ber Gleich
heit, in welchem die Welt ‚gefchaffen worden, wieder herge⸗
ſtellt werden.
Hieraus ſchloß Epiphanes: daß in der Gemeinſchaft
der Weiber, wie in jener der Erd⸗Erzeugniſſe die Wieder⸗
herftellung der Ordnung zu finden fey: die von der Natur
ung eingepflanzten Triebe find unfere Rechte und Unfprüche,
gegen welche feine Verjährung gelten kann. Diefe Behaups
befagen: daß vor dem Geſetze die Sünde unbekannt gewe⸗
fen ſey, und daß es ohne Geſetz Feine Sünde gebe:
Nach dieſem rechtfertigte Epiphanes Die Sittenlehre
der € Carpocrationes, und verwarf jene der Kirche,
Er ſtarb in der Blüthe feiner. Jahre, und ward tie
wind Gottheit verehrt; zu Samä auf Cephalonien ers
baute man ihm einen. Tempel, weihte ihm Wltäte, und- flifs
tete anf feinen Namen eine Akademie. Am erfien Tage jes
den Monats verfammelten fih die Cephalnnier zur Feier
feiner Apstheofe: in 'feinem Tempel, "brachten ihm: ——
hielten Feſtmahlzeiten und ſangen Lobhomnen. 1).
1) Theod. Haer. Fab. L.1,C,5. Epiph. Haer. 52: Iraen.
tungen vehärtete er durch die Stellen des hl. Paulus, die
*
L I, C. 11. Clem. Alex. Strom. L. 3. Grab, Spic, P. P. |
31 *
484 Episcopalen. Eunomius.
Epifcopalen nennt man jenen -Meligiond + Theil der
Meformirten in England, welche der unter der Königinn
Slifabeth eingefährten Aturgie daſelbſt zugethan ſind.
(Eich Presbyterianer.)
Esquiniſten, Secte der Montaniſten, die die
Perſonen der Dreieinigkeit vermiſchten. (Sieh den Art.
Montan.) Dieſe Meinung wurde durch Sabellius be⸗
ruͤhmt. (Man ſehe dieſen Attikel.)
Euchiten oder Eutichiten, Schiller Simons,
weiche Tehrten: die Seele ſey mit dem Leibe vereinigt, um
fih darin in alen Arten von Wolluͤſten zu uͤberlaſſen. Diefe
Meinung fam mit Jener der Untitacten und Kainiten
überein. (Sieh diefe Artikel.)
Eunomtus. *) Dieſer Irrlehrer ſtammte aus Ban
padocien, und befaß viel natuͤrlichen Scharffin. E ws
doxius, arianifcher Patriarch) von Antiocien- haffe ihn
zum Diacon geweiht; er ward eifriger Artaner, und ſtand
bei diefer Parthei in noch höherem Anſehen, als Aetius,
deffen Schüler er gewefen war. Um den Arianismug
zu vertheidigen, fiel er in den Sabellianismus, woge⸗
gen doch Artus. fih nicht ficherer verwahren zu Finnen
glaubte, als wenn er die Gottheit des Wortes Idugnete.
Diefer nämlich, um nicht in die Ketzerei des Sabel⸗
lius zu fallen, welcher die Perſonen der Dreieinigkeit ver⸗
miſchte, machte aus Vater und Sohn zwet verfchietene We⸗
fen, und behauptete: der Sohn fey ein Geſchoͤpf.
Die Gottheit Jeſu mar demnach die Are geworben,
um die fie die Streitigkeiten der Katholiken und Arianer
drehten.
Die Katholiken nahmen in dem goͤttlichen Weſen einen
Vater an, der nicht gezeugt, und einen Sohn, der, wenn
ſchon gezeugt, gleichweſenheitlich und ewig mit dem Vater iſt.
**,Ates Jahrhundert.
Eunomius: i 485
Die Sottheit Jeſu iſt fo augenfälig in der Schrift
angegeben, daß die Artaner das Bılndige der ihnen von
den Katholiken vorgehaltenen N nicht abwei⸗
fen konnten.
Eunomiug meinte, man muͤſſe diefen Beprfag für ſich
allein betrachten, und ſehen, ob man wirklich in der gött⸗
lichen Subſtanz zwei Grundweſen annehmen tkoͤnne, deren
eines gezeugt, das andere unerzeugt waͤre. |
Zur Entſcheidung dieſer Frage ging er bon einem bei
Katholiken und Arianern angenommenen Punkte aus,
naͤmlich von der Einfachheit Gottes. - In einem einfachen
Dinge ließen fi), feines Dafuͤrhaltens, nicht zwei Grund⸗
Dinge annehmen, deren eineg gezeugt, das andere. zeugend
wäre; das Einfache koͤnne zwar verfchiedene Beziehungen,
aber nicht perfchiedene Grundurfachen haben.
Aug diefem Srunde hatte Arius gefchloffen, um dem
Sabellignigmus ausjumeichen, baß der Vater umd
Sohn zwei verſchiedene Weſen ſeyen; da man aber eine
Mehrheit. der Götter nicht annehmen koͤnne, ſo müffe das
Wort pder ber Sohn nicht Gott, ſondern ein vom Vater
arzeugtes Geſchoͤpf · eyy.
Llus eben dieſem Grunde folgerte Eu AT, ‚ daß
man in dem goͤttlichen Weſen nicht nur keinen Vater und
Sohn, ſondern auch nicht einmal mehrere Vollkommenheiten
annehmen koͤnne; daß die Weisheit, Wahrhaftigkeit, Ges
rechtigkeit nichts ſeyen, als das Weſen der Gottheit, aus
verſchiedenen Geſichts⸗Punkten betrachtet, und nur beſondere
Benennungen, die einem und bemfelben‘ Dinge nad) den
Beziehungen, die eg zu äußern Gegenftänden habe, beige
legt puͤrden. 1)
Dieſen Irrthum fuͤgte Eunomius dem Arianismus
bei; er beruhte aber auf einer falſchen Vorausſetzung.
Denn eine einfache Subſtanz kann zwar nicht mehrere Prin⸗
zipien enthalten, welche Gubſtanzen oder theile davon ſind.
1) Greg. Nyss; Orat. 12.
486 oo Eunomius. |
Diefed behaupten u wollen, wäre ein offenbarer Wis
derfpruch — ober man fiehf nicht ab, Daß eine einfache Sub⸗
flang ‚nicht mehrere Dinge in fich. ſchließen inne, welche we⸗
der Subflanzen, noch Theile derfelben find, Da bie göttliche
Weſenheit unendlich iſt, welcher Wenſch duͤrfte ſagen, daß
fie in der That nicht verſchiedene —*3** enthalte, die
weder Subflangen, noch deren Xheile find? Um. diefes fas
gen zu dürfen, müßte man nicht die Natur der Gottheit
deutlich. anfchauen, fie vollfommen begreifen, J und Gott fo,
wie Er ſich felbft, erkennen?
Deßhalb ſetzten die Väter, die Eun omigs widerlegten
wie der hl. Baſilius, der bl. Chryſoſtomus, um vie
Unbegreiſlichteit der Gottheit entgegen. .
Eunomius erfanrife einen Vater, einen ESehn, und
einen heiligen Geiſt, wie die Katholiſchen; allein den Sohn
und den hi. Geift fah er für Geſchoͤpfe, und diefen, den Hl.
Geift, alg eine Erzeugung des Sohnes an: diefen Glauben
drückte er in feiner Taufe aus, die er Allen, fo gu ihm uͤber⸗
gingen, erheilte im Namen des unerfchaffenen "Waters , des
Sohnes, der .erihaffn ift, und Des heiligenden Geiſtes,
der von dem Sohne erſchaffen worden. Das dreimalige Nm
dertauchen ſchaffte er ab, eine Folge ſeiner Meinung von '
den drei göttlichen Perſonen; nur das Haupf.und die Bruf
jener, die er taufte, lieh ee in das Waſſer tauchen, weil
er die untern Theile des Körpers als ſchandlich, und der
Taufe unwuͤrdig betrachtete. Eur
Des Eunomiu.g Irrlehre war eine Speculation, ,we⸗
nig geignet, den großen Haufen zu intereſſiren. Um Proſeli⸗
ten zu werben, glaubte er irgend eine gemaͤchtliche Sitten⸗
lehre ſeinen Irrthuͤmern beifügen zu muͤſſen. Deßhalb lehrte
er, daß, wer ſeiner Lehre treulich nachkommen würde,
/
ı) Basil. Epis, 166. Chrysost. de incomprehens.
Dei natura, Bafilius gab gegen Eunomius ein eis
genes Wert in 5 Büchern heraus, a. .Basil. per. T. ı.
Eunomius. Eunuchen. 487
die Gnade wicht verlieren. ioͤnne, was @ ‚auch. immer für
eine Sünde begehen möchte. 1)... _ |
Diefer Kunftgriff, von deu Secten⸗ Häuptlingen fo oft
gebraucht, gluͤckte nicht immer. Eunomius murde von
dem Kaiſer Theodoſius nah Halmyride, in Moͤ⸗
fien an der Donau, verbannt, von, wo er jedoch nad) Caͤ⸗
ſarea in Kappadocien zuruͤckkehren durfte, er farb auf. eir
‚nem Lanbgute in dem Dorfe. Dacora J. 393, und mit ion
‚feine Secte, J er |
Eunomianer, Schüler des Eunomius; —
auch An omaͤer, vom Griechiſchen Anomion, Ungleich, weil
ſie ſagten: der Sohn und hl. Geiſt ſeyen in Allem vom
Vater verſchieden auch X roglod iten wurden fie genannt.
Eunomtoeupſychtaner, ein Zweig der Eunomias
ner „ die ſich wegen der Frage’ über‘ ‘die Erkenntniß oder
das Wiſſen Jeſſu trennten: doch waren ihnen die Haupt⸗
Irrthuͤmer des Eunomfwsg- eigen. - Ste hatten nah Nis
cephoru s, einen gewiſſen Eupſyches zum Verfechter 2).
Dieſe Eunomioeupſychianer find’ dieſelben, "welche
Sozomenus Eutihaner nennt, und welchen er einen Eus
tyches zum Haupte giebt; gewiß iſt indeſſen, daß Nices
pborus und Sozom enus von derfelben Secte fprechen,
weil erſterer letztern nachgefchrieben; über den Namen dee
Haͤuptling's det Serte — ein 0 , der noch) uns
entſchteden iſt 3).
ECEunuchen.*) oder Balerlaner Ketzer, die ſich
entmannten, und ihren Schuͤlern nicht erlaubten, etwas,
was Leben hat, zu genießen, ehe ſie ſich in dem die
Zuſtande befanden.
» Theod. haer. fab. L. 4, C. 3. August. de Haeren
‚Epiphan, Haer, 76. Baron. ad ann. 556.
2) Niesphor. L. 22, ©. 30.
3) Sozom. L. 7, €: ıy.
*) gtes Jahrhundert. .
\
488 Eunuchen.
DOrtgenes, un bie Berfdumdimg zu beſchwichtigen,
welche ihm nachtheilige Gerüchte verbreitete, daß er jun
gen Frauenztmmern den Zutrut zu feiner Schule geſtattete,
entmannte ſich, ad entfernte er jede‘, feine Zugend
befledtende, Nachrede.
Diefes Zartgefühl des Origenes für feine Ehre wur⸗
de von Einigen ale beroffcher Tugend Akt bewundert z von
Andern als ein Anfall eines umgehdrigen und ausgkfallenen
Eifers get@delt. Die Unbefcholtenheit feined Wandels umd
das Ueberragende feiner Derbienfte waren die Urſache
diefer getheilten Meinungen. Demetriu s, Patriarch von
Alexandrien bewunderte die That des Origenes, und
der Vatriarch von Jeruſalem ertheéilte Ihm die Prieſter⸗
Weihe. — Andere bezuͤchtigten dieſe Handlung als etwas
Barbariſches, und mißbilligten, daß man einen Kann zur
Priefters Würde erhoben habe, den die Verſtuͤnmlung bfezu
unfähig mohe . . .
Valeſius, mit einem Fasten. Hange zum andern Ge
fehhlechte geboren, und unter dem brennenden Himmel. Aras
bieng, lebend, kannte feinen größern Feind feines. Heilg,
als fein Temperament , uud, fein angemeffeneres Mittel zur
Erhaltung feiner Tugend - und Sicherung feines Heils, ald
jenes, welches Drigenes zur. Deſchwichtiguns der Der
läumdung anwendete.
Valeſius entmaͤnnte fich daher, ‚ und Schauptete: daß
eine ſolche kluge, um der Tugend willen unternommene
Handlung nicht von den kirchlichen Wuͤrden ausſchließen
koͤnne. Anfangs hegte man gegen dieſe Verirrung Nachſicht:
als ſie aber um ſich griff, verſtieß die Kirche Valeſius
und ſeine Schuͤler, die ſich in eine bet Steppen Arabiens
zuruͤckzogen.
Valeſius hatte nur, Menſchen von heftigem Tempe⸗
ramente und lebhafter Einbildungs + Kraft gu Schuͤlern, web
che ohne Unterlaß mit dem Verſucher im Kampfe, die Ent⸗
mannung fuͤr das ſicherſte Mittel hielten, dem Laſter zu ent⸗
rinnen, und ihre Seligkeit zu ſichern; Menſchen von einer
gewaltſamen Leidenſchaft beſeelt, oder von Temperaments⸗
Eunuchen. 469
Ungeſtlmm⸗e beherrſcht, legen den Abrigen feine andere Grund⸗
fäße oder Gefühle bei, als folche, welche fie felbft zum Hans
Dein beffimmen. Deshalb glaubten die Valeſtaner, daß
Alle, die ihrer Mannheit nicht beraubt wären, auf der Stra⸗
Be des Laſters, und in den Armen des Verbrechens wars |
delten.
Da das Evangelium beflehle, daß alle Chriſten an dem |
Seelen s Heile des Nächften arbeiten folten, fo gab es in
den Augen ber Valefianer Fein unfehlbareres Mittel zur
Erfülung diefer Pflicht, als den Naͤchſten, ſo viel ihnen
möglich, fn einen ihnen gleichen Zuſtand zu verfegen: zu bem
Ende wendete fie Alles an, ihre Mitmenſchen von der
Nothwendigkeit der Selbſtſtuůmmelung zu überzeugen, : gelang
ihnen die Ueberredung nicht, fo galten ihnen folche, als Kins
der, oder Fieber» Kranke, und deren. Widerfeglichkeit gegen
ein umteigliches, wenn gleich umangenehmes Heilmittel zu .
achten, Grauſamkeit wäre. Darum bielten fie es für un⸗
abweisliche Pflicht chriftlicher Mächftens Liebe, alle Manns⸗
perfonen, deren fie habhaft werden konnten, zu .enfmannen,
und fie ermangelten nicht, diefe Operation mit allen vorzu⸗
nehmen, die ſich auf ihrem Gebiete betreten ließen, welches
das Schrecken der Wanderer wurde, die nichts ſo ſehr fuͤrcht
teten, als ſich unter die Valeſian er zu verirren.
Aus dieſer Urſache vermuthlich ſprach man haͤufig son
dieſen Ketzern, nach. dem hi. Epiphantus ohne viel os
ihnen bekannt zu ſeyn.
Dieſe Ketzer veranlaßten auch den Yten Canon des Gene
eil’8 von Nicaͤa, welcher für jene, die fich felbft: entman⸗
nen, die Aufnahme in den geiftlichen. Stand verbietet.
‚Wie fonderbar doch der Menfch iſt! Das Conkil, wel
ches diefen Canon gegen die Balefianer abfaßte, machte
einen andern gegen folche Priefter, welche vermöge geiftlis
her Verwandtſchafts⸗ Vertraͤge eine Wittwe oder Jung⸗
frau, unter dem Namen geiſtlicher Schweſter, oder: Nichte,
zu ſich in's Haus nahmen. Die Einführung diefer geiſtli⸗
hen Familien war auf das Beifpiel Jeſu gegründet, der
von Zeit zu Zeit bei Martha und Marta Einkehr. nahm,
‚AN Eunuchen. Euphrates.
und auf jenes des hl. Paulus, der eine Schweſterfrau mit
fich führte, und in den. erſten Jahrhunderten der Kirche
aufgekommen. Es war nichts felteneg, zu fehen, daß junge
Perſonen beiderlei Geſchlechtes zufammen lebten, und, um
glorreicher über das Fleiſch gi fiegen,; fi in. die hoͤchſte Ger
fahr ſtuͤrzten, indeß Die Valeſtaner fih nur dann rets
ten: zu können glaubten, wenn fe fi die Voͤglichteit der
Verſuchung raubten. |
Mit Recht zeihen wir dieſe beiden Seeten des Unſin⸗
nes; was ſollen wie. aber von der Duldung denken, die un⸗
ſere Zeiten gegen eine weit barbariſchere und veraͤchtlicher⸗
Gattung von Baleftanern hegen, die bei der Stuͤmmelung
bloß die Vervollkommnung der "Stimme der PIE: tpwes
Bes beabfictigen. E Er
ey Euphrates von Hera in Eilicien, — in
der Gottheit "eine Dreiheit an, und war einen breifachen
Bater, Sohn, ımd Hl. Geiſt. |
Unter den Philoſophen, welche uͤber das Weſen der
Welt nachforſchten, hatten einige dieſelbe als ein großes
Ganze, deren Theile in einander gefuͤgt ſeyen, ſich vorge⸗
ſtellt; ſo daß nur eine, wie Ocellus von Lucanien
lehrte, und nicht mehrere Welten, wie Leuzipp, Epicur,
und andere Philoſophen behaupteten, anzunehmen ſey. Eu⸗
phrates folgte in dem Hauptſaͤchlichen dieſem Syſteme,
wovon er jene Reihenfolge von Welten, auf die ſich die mei⸗
ſten Secten⸗ Stifter, um die Philoſophie mit der Religion
zu paaren, beworfen hatten, aus ſchloß. Er dachte ſich eine
einzige. Welt, und unterſchied darin drei Theile, welche
drei ganz und gar verfühiebene ‚Ordnungen von Wefen in.
fich begriffen. = :
: Der erſte Theil ber Welt umfchloß dag ie |
und ımerfchaffene Wefen, das er fich als einen großen Born
vorſtellte, aus deffen Tiefe drei Väter, drei Söhne ‚und drei
heilige Geifter ——
tes ra A RD
l 2ted Jahrhundert. — 2 .
Euphrates. 401
Da Jeſus, als der: Sohn Gottes Menſch war, fo was
ren nach Euphrau die drei Soͤhne auch Drei Menſchen.
Der zweite Theil der Welt begriff eine eee —
se verſchiedener mächtiger Geifter in ſich.
—z3um deitfen Theile. bes Alls endfich gehörte das, was
die Menfchen gemeinhin die Melt nennen. | =
Alle diefe Theile des Weltganzen waren durchaus ohne
Verkehr und. von einander abgeſchieden: allein die Geiſter
der dritten Weltabtheilung haften jene der zweiten im ihre
Sphäre herabgezogen, und angefchmieder.
... Aut Zeit des Herodes war der Sohn Gottes von
dem Aufenthalte der Dreiheif herabgeftiegen , um die in die
Schlingen des dritten Weltthells gefallenen Geiſter zu erle—
digen. Diefer vom Himmel auf die Erde herabgefommene
Gottes s Sohn war ein Menfch mit dreifacher Natur, drei⸗
fachem Leibe, und dreifacher Gewalt begabt.
Vermuthlich glaubte Euphrat: der Sohn Gottes
muͤſſe dieſe drei Weſenheiten oder Naturen haben, um das
Ymt eines Erldſers der gefallenen Geiſter zu übernehmen;
vieleicht meinte er auch hieburch zır erklären, warum dei
Sohn Jeſus Chriſtus vor den andern Perfonen der goͤtt⸗
lichen Dreiheit zum Etloͤfer ber gefallenen Geiſter erforen
worden iſt.
Nachdem bie Geiſter der zweiten Welts Abthellung ſi ch
in ihr Vaterland wieder werden emporgeſchwungen haben,
ſo muß nach Euphrat, was wir unſere Welt nemen, zu
Grunde gehen 15. ' |
P. Harduin iſt dere Meinung: daß der Adfte unter
den apoftolifchen Canonen gegen die Schuler Euphrat' 8
gerichtet fen, und daß dag Athanaſſaniſche Symbolum dfefe
Ketzer im Auge habe in dem Derfe, daß es einen Vater
und nicht drei — einen eh um u drei a.
w..gebe 2).
⸗
1) Theodoret. Haeret. fab. L. 1,6: 18. Philastr.
2) Harduin de triplici Baptismo.
492 Euphrated. Euſtathius.
Unfered Dafärhältend nahmen Ehyhrat’s und Ada
mas bag, philofophtfche Syſtem des Dcellug an, und
ſuchten ſolches mit den Lehrfägen- von der Dreieinigkeit,
der Gottheit Jefu, und deffen Mittletamte zu vereinbaren,
deshalb fügten fie auch den allgemeinen Grundfägen des
Ocel lus einige Pothagoraͤiſche Ideen son ber Wirkſan⸗
Seit. den Zahlen bei 1); .
Woie ausgemacht: mußten biefe @laubend s kehren bei den
Chriſten ſeyn, weil man ſogar verſuchte, ſie dem Syſteme
“eines Ocellus anzupaſſen, mit dem fie in feiner Analogie,
ja ſogar im Widerſpruche ſtehen. Was werden dieſer Fol⸗
gerung jene antworten, welche die Dogmen des Chriſten⸗
thum's für ein Machwerk der Platoniker ausgeben ?
Eupbrates hatte Schüler, welche die Secte der Per
raͤer oder Pergtiker von dem Namen ber Stadt Pera,
wo dieſer lehrte ſtifteten. —
7
Eu p 5: con omiene r *), Roger des Aten Jahrhundercs,
welche die Irrthuͤner des Eunomiud und Theophron
miteinander verbanden... Socrates fagt: Der Unterfchied
zwiſchen Thepphron und. Eunomiug: ſey fo unbedeus
send, daß er faum erwähnt gu. werden verdiene 2).
Euſtathius. *) Baronius meint, dieß fen der
Name, eines Moͤnches den der. hl. Epiphanius Ew
tactus nennt. Er lebte im vierten Jahrhunderte 3). |
Diefer Mind) war ſo naͤrriſch fuͤr ſeinen Stand einge⸗
nommen, daß er jeden andern verdammte. Zu dieſer =
hauptung gefellte er noch andere Irrthuͤmer. itens) Er
verwarf den Eheftand und frennte die Weiber von ihren
Männern, weil berbeiratbete Perfonen nicht felig werden
9 ueber die den HZahlen beigelegte Kraft, ſehe man die Art,
Baſilides, Maned. |
2) Socrat. L. 5, C. 24.
*) Ates Jahrhundert.
3) Baron. ad ann. 319.
\
Cuſtathius. Eutyche.. 463
koͤnnten; 2tens) verbot feinen Anhaͤngern in den Haͤuſern
zu beten; Ztens) begte ihnen bie Verbindlichkeit auf, ihre
- Güter als unverträglich. mit der Hoffnung des Himmels, zu
verlaffen; Atens) hielt fie von der Verfammlung der andern
Glaͤubigen ab, um fie zu geheimen Zuſammenkuͤnften zu bes
rufen ,. und ließ. fie ausgezeichnete Kleidung tragen; 3tens)
am Sonntage ſollte man faſten, die in der Kirche uͤblichen
Faſten ſeyen unnuͤtz, ſobald man zu einem gewiſſen, von ihm
erfundenen, Grade von Reinheit gelangt ſey; 6tens) er hatte
einen Abſcheu gegen. die: zu Ehren der Martprer erbauten
Kapellen, und in folchen ſtatthahenden Zufammenfünfte,
Mehrere Frauen durd) feine Reden verführt, verließen
ihre Männer, und viele Schaven entliefen Ihren Herren,
Des Euftathiug Lehre, bei dem Eoncil von Gang⸗
res angebracht, wurde von demſelben im Jahre 342 ver⸗
dammt. 1).
Nichts iſt dem. Seife ber Neligion mehr enfgegen, nichts
wirkt der unterwuͤrfigkeit der Gläubigen unter ihre geſetz⸗
mäßigen Hirten fidrender entgegen, als Zuſammenkuͤnfte,
wie jene des Euſtathius; und Menſchen, wie diefer
Mönch, verdienen in gleichem Maaße die Aufmerkſamkeit
der Regierungen ind der kirchlichen Oberhirten.
Euſtathianer. Dieſe Benennung gab man den an—
haͤngern des Moͤnchs Euſtakhius, von dem im vorigen
Artikel die Rede war.
Eutyches, *) ‚Abt eines Kloſters bei Cenftanti
nopel. ‚Ex lehrte, daß Die goͤttliche und menſchliche
Natur in Ehriſtus ſich vermiſcht hätten, und
nach der Menſchwerdung nur eine Natur aus—⸗
machten, wie ein Waffertropfen in den Ocean sefallen,
ſich mit Meeres⸗ Woen vermiſche.
4
l
. N Epipban. } Haeres. gar Socrat. Li 2, C. 23, Sozom.
L. 3, C. 3. Basil. Ep: 74., 8 Niceph, L. 9. C. 16.
| 2: sted Jahrhundert.
\
| -
494 Eurtyches.
Das Concliiium von Ephefu 8, und des Johannes
von Ankiochien, nach ſeiner Ausſoͤhnung mit dem heil.
Eyrillus, Anſtrengungen, dieſem Concilium Aufnahme
zu verſchaffen, hatten den Neftortanfsmug nicht vertilgt.
Die Abferungen und Landes » Vermeifingen hatten im
Driente eine Menge geheimer Neftortaner hervorgebracht,
die bloß dem Ungewitter auswichen, und glühende Rach⸗
gierde gegen den hi. Cyrill und feine Freunde im Buſen
hährten ;. wogegen bie Vertheidiger des Concils von Ephe⸗
fus die Neftorianer-und jene, die noch einige Nachficht
gegen: biefe Parthet hegten ‚nicht wenig haften. _
Es beftanden demnach nach dem Concilium von Epbes
ſus in der That pi Religions s» Partheien, wovon Die
eine als bie unterliegende, dem Meineide auszuweichen, und
fich gegen die Gewaltthaͤtigkeiten der Hrthodereni durch "der:
faͤngliche, zweibeutige und jenen bes hl. Cyrillus wider
fprechende Glaubens » Formeln zu ſchuͤtzen ſuchte, die andere
als vbfiegend, den Neftorianern in allen ihren Schlan⸗
gen s. Wendungen folgte» und fie aus all ihren Verſchanzun⸗
gen. su vertreiben. fich bemühte, J
uUebertriebener Eifer und blindes Mißtrauen mußten
daher, um ſich der Aufrichtigkeit derjenigen, denen man das
Eoneilium von Epheſus aufdrang, zu verfichern, verſchie⸗
bene Manieren, fie auszuforſchen, ‚erfinden, und in ihren
Unterredungen Ausdruͤcke gebrauchen ‚- die dem Unterfähicde,
den Neftorius zwiſchen der göttlichen und menfchlichen
Perſon machte, ſchnurgerade entgegen waren; fit mußten
natuͤrlich auf Ausdruͤcke verfallen, welche nit nur die Eh
nigung der beiden Naturen in einer Perſen, fondern auch
bie Vermiſchung beider Naturen bezeichnen konnten.
' Mebrigens ift.die Vereinigung ber göttlichen und menſch⸗
lichen Natur, welche in Jeſus Chrikug nur eine Petr
fon ausmacht, ein Religions⸗Geheimniß; und wird das
Dogma , welches ung belehrt: daß die göttliche und menfch,
. Be Natur dergeflalt bereinigt fi nd, tag fie nur eine Pers
fon bilden, nur um eine Linie uͤberſchritten, fo iſt es Teicht,
die Naturs Einheit für Perſon / Einheit zu nehmen, und die
| Eutyches. 498
beiden Naturen in eine zu verſchmelzen, damit man ihre Ei⸗
nigung ja nicht verfehle, und in Chriſtus nur eine, nicht
sivei Perfonen, wie Neſtorius, anerkenne.
Anderer Seits blickten die Neſtorianer und ihre
Schiger mit Unwillen auf Eyrili’s und "feiner Anhänger
Triumph; fie befcehuldigten ihn, daß er den- Apollinaris⸗
mug erneuere, und in Chriſtus nur eine Natur annehme.
Es konnte daher nicht fehlen, daß fie alle Ausdrücke ihrer
Gegner abwogen und firenge richteten, gegen fie Josbrachen
und fie als Apollinar iſt en verfchrien, fobald, wenn von
der Vereinigung der zwei Naturen die Rede war, in ihren
Morten nicht die genaueſte Beſtimmtheit aufzufinden war,
Auf. diefe Weiſe mar nach Verdammung des Ne ft os
rianismus, Mlled zu einer entgegengefehten Ketze⸗
rei, und zur Entftehung einer hartnädigen, ſchwaͤrmeriſchen
und gefährlichen Secte in der Kirche vorbereitet; fie bes
durfte nur, um zum Ausbruche zu kommen, eines Mannes,
der: eifernd Yegen den Neftorianismug,' mit wenig
Kenntniſſen, Sittenftrenge, eigenfinniges Beſtehen auf feine
Meinungen, und einigen Ruf verband. -
Eutyches mwar-diefer Mann! er hatte, wie alle Moͤn⸗
che, Parthei gegen Neſtorius genommen. Da er im Rufe
der Heiligkeit ſtand, und am Hofe Gewicht hatte, ſo hatte
ihm Cyrillus geſchmeichelt, und ihn gebeten, fein gan⸗
zes Anſehen bei der Kaiſerinn sum Dienſte der. Wahrheit
zu verwenden 1).
Eutyches ward eben dadurch zum Haſſe gegen die
Neftorianer entflammt, und er ſcheint ſogar der erſte
Urheber der Haͤrte, die man gegen ſie im Morgenlande
veruͤbdte, geweſen zu ſeyn 2).
Das Alter hatte feinen Eifer nicht geinaͤßigt, und gebeugt
unter dem Drucke der Jahre ſah diefer Abt uͤberall nichts
n Synod. Can. Cap ‚20. Balutz, nova Collect, Cone.
P. 909.
2) 'Tillemont. T. 15. p. 482.
Y..0»
496 | Eutaches:
old Nefierianismns, betrachtete als Feinde der Wahr⸗
beit alle, die irgend eine Schonung oder Nachficht gegen die
Neſtorianer besigten, und ‚rebte den Eifer, von dem
er befeelt war, allen Perfonen Bon Einfluß, einzuhauchen 1).
Er bediente ſich zur Beſtreitung DEN efloriani 8 mug
der ſtaͤrkſter Ausprücde, und um nicht in⸗dieſen Irrthum zu
faßen, weicher Chriſtus zwei Perfonen, wie zwei Natu⸗
ren beilegt, fo behauptete et: die zwei Naturen ſeyen fe
vereinigt, daß fie nur eine ausmachten, und verſtchmolz die
zwei Naturen zu einer einzigen, um nur ganz gewiß zu
ſeyn, Jeſus Chriſtus nicht zwei Perfonen, wie Neftor
rius, einzuräumen. Leidenfchaft mit Immiffenheit gepaart,
eht nue Extreme; die Mitte, welche fie trennt, und wo
die Wahrheit liegt, iſt nur einem unferrichteten, fcharffichs
tigen und gemäßigten Geiſte erfichtlich.
Eutyches lehrte daher feine Mönche, in Chriftug
fen nur eine Natur; ee wollte nicht, bag man fage: Je⸗
fus fen der ‚göttlichen Natur nach mit dem Vater, und nach
der menfchlichen mit ung gleiches Weſens; die menfchliche
Natur fey von der göttlichen verfchlungen worden, wie ein
Wafler s Tropfen vom Meere, oder der brennbare Stoff
im Seuers Dfen von der Flamme verfchlungen wird; fo daß
nichts Menſchliches mehr in Chriſtus ſey, und die menſch⸗
liche Ratur gewiſſermaſſen in die göttliche verwandelt märe2).
Der Irrthum des Eut yches, war demnach, wie Neu⸗
ere behaupten wollten, mehr als ein Wortſtreit. |
Denn die Behauptung des Cutyches daß bie menfchs
liche Natur von der göttlidien verfchlungen , und hergeftalt
fn fie verwebt fen, daß fie mit erfierer nur eine Natur aus
mache, beraubt Jeſum der Eigenfchaft eines Mittlere,
und gernichtet Die Wahrheit feiner Leiden, feines Todes,
feiner Auferftehung, weil alle diefe Dinge der menfchlichen
Natur, und dem wirklichen Vorhandenſeyn einer menſchli⸗
*
3) Leo Ep. 19: Theodor. Ep: 82.
4) Theodor.: Dial, in sonfus, Conc. Constant. act. 3.
Euthches. 497
chen Seele und eines menſchlichen Leibes vereinigt mit der
VPerſon des Wortes, nicht aber dem Worte zukommen.
Wenn das Wort unfere Natur nicht angenommen haf, fo
. find alle Siege über Tod und Hoͤlle nicht, als Suͤhne fifr
ung, errungen. 1). ER
Mit einem Worte, wenn die menfchliche Natur vom
der görtlihen dermaßen verfchlungen iſt, daß in Jeſus
Chriſtus nur die goͤttliche Natur vorhanden iſt, fo, faͤllt
Eutyches in die Irrlehre des Cerinth „Baſilides,
Saturnin, und der Gnoſtiker zuruͤck, nach Deren Bes
hauptung Jeſus Chriſtus nicht Menſch geworden, fonx
dern nur mit einem Scheinleibe umkleidet war..
Eutych es fireute feinen Irrthum anfangs unter: den
‚drei hundert Mönchen , deren Vorſteher er war, dann Bef
Auswärtigen, die auf Befuch zu ihm kamen, aus, und ſteckfe
viele unwiſſende Perfonen damit an: er. verbreitete: ſich in
Aegypten und in jenen Gegenden des Morgenlandes;- we
die Neftorianer.noc Gönner Hatten, und wo des Eutys
ches Eifer ihn, felbft unter folchen, die dem. Somilium von
Ephefus zugethan waren, Feindſchaft erregt Hatte, - Die
Biſchoͤfe des Deientd waren die erfien, ‚welche den Irrthum
bes Eutyches anſtritten, und über dieſe new. entſtehen⸗
J
de Ketzerei an den Kaiſer Bericht erſtatteten. J.
Euſebiuns, Biſchof von Dorylaͤum, der einer.der
Erſten war, die fich gegen Eutyches erhoben, friiher fein .
Freund, fuchte ihn zu belehren, aber umſonſt. Um alſo
ben Umgriffen des Irrthums zu feuern, reichte er. dem Das
mals, zus Sthlichfung eines zwifhen Florenti us, Die
tropoliten von Lydien, und zwei feiner Süffragane entſtan⸗
denen Zwiſtes zu Confiantinopel verfammelten Biſchafen
eine Klagefchrift gegen Eutyches ein. (3.448.)
In diefer befihuldigte er letztern, jedoch ohne beſtimmte
Angabe der Ketzerei, mit dem Erbieten, ſolches zu erwei⸗
—) Leo Ep. 25, C. 1, 2. Theod. Zi 29023..
2) Isidor. Polus. L. ı. Ep. 419 — Come. T. 4. Facund-
Le, C. 5.. Zee EEE PER Por EEE EEE
Kegere Rerifon U 32
-
488 | Eutyches.
‚fen, und beſchwor den hl. Flavian, Erzbiſchof von Con
ffantinopel und das Concilium auf dag dringendſte, man
möge dieſe Sache nicht zu leicht nehmen, fondern Eutyces
vorrufen, und zur Rebe ſtellen. |
Eutyches weigerte zu cefcheinen, unter dem or
wande eines Geluͤbdes, das ihm fein Kloſter zu berlaffen
‚nicht geſtatte. Unter der Hand ſchickte er zwei von feinen
Mönchen in verfchtedene Kloͤſter Conſtantinopels, um
fie. gegen Fla vian aufzuwiegeln. Die Abgeordneten ſtellten
dieſen Moͤnchen vor: fie wuͤrden bald von dem Erzbifchofe
unterdrückt werden, wenn. fie fich nicht mit Eut yches ge
gen ihn verbänden ; auch legten fie ihnen ein Schreiben zur
Unterfchrift vor, deffen Inhalt eine Art Glaubens⸗Bekennt⸗
sig war. Diefe aber fchickten die Schrift ohne Unterzeich⸗
nung u |
Nach nochmaliger Norladung drohte das Concilium mit
‚Abfegung. : Nun lieh Eutyches fagen: er ſey frank, und
koͤnne nicht ausgehen. Nach taufenderlei Lügen erſchien er
endlich, aber in Begleitung zweier Hofbeamten, und einer
Schaar Soldaten, und wurde übermwicfen, dag er nut eine
Natur in Chriſto anerfenne Da man ihm weder feinem
Irrthume entreißen, noch feine Hartnaͤckigkeit befiegen Font
te, entfegte ihn das Eoncilium feiner geiftlichen Würde
nebft der Leitung feines Klofters, und ſprach den Bannfluch
‚über ihn aus, .
Die Verurtheilung des Eutyches Marb von zwei und
dteißig Biſchoͤfen und acht und zwanzig Achten unterſchrieben.
Nach gefaͤlltem Urtheile ſagte Eut ych es leiſe zu feinen Ve⸗
gleitern, daß er ſich auf die Biſchoſe von Nom, Jeruf®
Tem und Alexandrien berufe. Zu gleicher Zeit ſchrieb
er an den hl. Leo. von Rom, um ihn gegen dag Concilum
von Eonftanstinopel einzunehmen, welches aber nicht ge⸗
hang. BEBERE ——
Eutyches, der am Hofe wich galt, und beſondert
den Eunuchen Chryſaphas, Kämmerer T heodofin®
des Juͤngern, zum Freunde harte, ;gab bei dem Kalt
eine Klagſchrift, vol Verläumdungen gegen dad Conciliun
c
‘
'
Eutyches. 499
das ihn verdammt hatte, ein, und feug darauf an, daß er
von einem andern Concilium gerichtet werden moͤchte. In
einer des folgenden Jahres auf Befehl des Kaiferd gehals
tenen Synode; worauf Thalaffius von Cdfarea den
Vorſitz hatte, wurden die Akten gegen Eutyches durchge⸗
fehen, und der Ausfpruch des im vorigen Jahre unter las
vius DVorfige gehaltenen Concils beſtaͤttigt. Endlich auf
wiederholfes Andringen des Eutyches und feiner Goͤnner
ward von Theodog ein Concilium nach Epheſus berus
fen, und deffen ganze Leitung dem Dioscorus, Patriars
chen von Alerandrien, einem flürmifchen und gewalttpäs
tigen Manne, der zum Voraus von Ebrvſap as war
gewonnen worden, uͤbergeben. |
Die Bischöfe, am der Zahl ein hundert dreißig aus Aer
gypten und dem Drien*e, und zwei Legaten des Pabſtes
Leo, (der dritte war unter Wegs geftorben) fanden. ſich
zu Epbefus ein; auch Eutyches erfchien mit zwei kai⸗
ferlihen Befehlshabern und einer Schaar Bewaffneter.
Als das Eoncilium den 8. Auguft.449 eröffnet wurde,
wollte man die päbfllichen Legaten gar nicht annehmen, uns‘
ter dem Borwande: daß fie auf ihrer Meife bei Flavian,
des Eutyches Gegner, eingekehrt ſeyen: auch geflattete
man ihnen nicht, die mitgebrachten Briefe abzulefen, fo wie
man den Eufebiug von Dorpldum zu vernehmen vers
weigerte; fondern man fing das Eoncilium mit Ablefung der
Alten jenes von Eonflantinopel an.
Als man bei’m Ablefen an die Stelle fam, wo Eufe e⸗
bius in Eutyches drang: zwei Naturen auch mach der
Menfchwerdung in Chriſtus anzuerkennen, ricfen die Bis
(höfe, man. müfe Euſebius lebendig verbrennen, und
in Stüde zerreißen, weil er Jeſum Chrifium zerreiße.
« Dioscorug, der den Vorſitz hatte, nicht zufrieden
mit dieſem Gefchrei, verlangte: wer feine Stimme nicht
koͤnne hören laſſen, fole die Hände emporheben, um feine
Zuftimmung zur Verwerfung der zwei Naturen zu erfennen
zu geben; aliobald fchrien Alle mit emporgehobenen Hdns
ven: Wer Jeſus Chriftus zwei Natııren gibt, fey Ana⸗
500 j Eutyches.
thema, man verjage, man zerreiße. man ermügge Alle, die
jwei Nafuren wollen. 1)
Nach diefem wurde Eutyches für rechtglaͤubig erklaͤrt,
in die Prieſter⸗ Würde und keitung ſeines Kloſters wieder
eingeſetzt und beſtaͤttigt.
Dios corus lad den Entwurf cities Synodal s Ber
ſchluſſes ab, worin geboten wurde: Tein anderes, als Das
Nicaͤniſche Symbolum zu gebrauchen, und bat die Bis
ſchoͤfe, zu erflären: ob derjenige, welcher darüber hinaus⸗
‘ginge, nicht in die von dem Conchium zu Epheſus ver;
bängte Strafe verfallen fey. Da’ Niemand widerfprach, bes
nuͤtzte er dieſen Augenblick der Stille, und ließ das Ent
ſetzungs⸗ Urtheil gegen. Flavian und Eufebiugvon Do
rylaͤum verlefen.
Die Legaten des hl. Leo thaten Einrede gegen biefen
Spruch; einer davon Hilarius, rief mit lauter Stimme:
Uontradicitur (wir widerfprechen.) Mehrere Bifchöfe warfen
ſich Dioscorus gu Füßen, und befchworen ihn, das Urs
theil zurückzunehmen, Er aber anftwortete ::und ſollte man
ihm die Zunge abfchneiden, fo werde er das Befagte nicht
zuruͤcknehmen, und da fie noch immer auf den Knien blieben,
erheb er fich von feinem Eike, und rief den Proconfeil
Proklus mit einer Abtheilung Soldaten, die mit Ketten,
Schwertern und Stoͤcken erfchienen, fn vie Kirche. Die
meiften. Bifchdfe, in Schrecken geſetzt, unterfchrieben Alles,
was Dioscorus und feine Anhänger verlangten. Der
Tumult war allgemein, man fprach von nichts ale von Abs
ſctzung und Verbannung aller, die Dioscorus nit ge
horchen würden; man fchloß die Kirchenthiiren, man drohfe
und fchlug jene, welche Fla vian's Verdammung nicht uns
terzeichnen, oder gelindere Maasregeln gebrauchen wollten:
einer ſogar von den Biſchoͤfen erklaͤrte: daß Flavi an und
Euſebius nicht nur entſetzt werden müßten, ſondern vcr
urteilte fie förmlich, den Kopf zu verlieren... 2).
5 Conc. T. 4. Conc. Const. - 4
3) Ibidem.
Eutyches. | | sol
Die Legaten des Pabſtes blieben allein unerfchäfterlich
auf ihrem Widerſpruche gegen all diefe Gewaltthaͤtigkeiten;
und reisten: noch in der Nacht, um Freiheit und Leben zu
retten, mit Hinterlaſſung alles Gepaͤckes, von Epheſus ab.
Flavian berief fich auf Das Urtheil des heil. Stuhls,
und übergab den Legaten eine fchriftliche Erklärung. Die
oscorus ward darüber fo müthig, daß er "mit dem. Abte
. Barfumas und andern feiner Parthei, Fla vian zu Bo⸗
den warf, mit Füßen trat, und durch Schläge fo graufam
mißhandelte, daß er kurze Zeit darauf zu Epyrus in Ly⸗
dien auf dem Wege zu feinem: Verbannngsorte fiarb. 1).
Hierauf entſetzte Dioscorus die ehrwuͤrdigſten und
erleuchteteften Bifchdfe ihrer Stuͤhle, und ſetzte die früher
abgewuͤrdigſten Nichtswuͤrdigen wieder ein. Theodoret
von Cyrus wurde ale ein Ketzer verdammt, und verboten,
ihm Lebensmittel und Aufenthalt zu geftatten.
Sp endigte fi) das zweite Concil von Ephefug, in
der Sefchichte mit dem Namen: Räuber » Concilium's
gebrandmarkt.
Theodos, durch Chryſaphas, ſeinen Gunftling
mißleitet, belobte und beſtaͤttigte durch ein Geſetz dieſe Af⸗
ter⸗ Synode.
"Der hl. Leo verwendete umfonft fein Anfehen und feine
Talente, den Kaifer zu bewegen, ein allgemeines Concilium
nad) Italien zu berufen, mo die Cadıe Flavian's und Eu⸗
‚tycheg unterſucht werden ſollte; Theodos antwortete: er
habe ein Concil zu Epheſus halten laſſen, wo Alles ſchon
unferfücht worden fen; eg fey unnuͤtz, ja felbft unmöglich,
eine ſchon abgeurtheilte Sache noch einmal vorzunehmen.
Marcian, Theodoſen's Nachfolger, (J. 450) hegte
beſſere Geſinnungen, weil Pulcheria, die mit ihrer Hand
ihm auch den Purpur gegeben hatte, mit hoher Achtung
gegen den hi. Bifchof von Rom erfüllt war. Die verbanns
ten Bifchsfe wurden zuruͤckgerufen, Eutyches aus Con⸗
fkantinopel verwiefen, und der Fatholifche Lehrbegriff in
ı)L. Evagoras_L. 8, C. 11. Conc. Chalced. Ari. 4.
502 Euthches.
Syrien und dem ganzen Oriente ohne Beſchraͤnkung q gepre⸗
diget. Der Brief Des hl. Leo, noch vor Eroͤffnung der
Epheſiniſchen Raͤuber⸗ Synode an den hl. Flav ian uͤber
die Menſchwerdung geſchrieben, worin der allgemeine Vater
der Gläubigen- Die entgegengeſctzten Irrthuͤmer des- Neflos
eius und Eutyches widerlegt, und dad Geheimniß der
Menfhwerdung Des ewigen Wortes aus dem Evans
gelium und der Lehre der Apoftel mit entſchoͤpfender Gruͤnd⸗
lichkeit darthuf, wurde im Morgen s und Abendlande vers
breitet, und mit Ehrfurcht aufgenommen. In Gallien vers
ehrte man ihn, nach Tilemont’s Berichte, wie ein Glau⸗
bens⸗ Symbol Über die Menfchwerdung ; Ale, melde big
daher über dieſes Geheimniß noch gründlicher Belehrung er+
mangelten, fahen ihn ale eine Leuchte an, die alle Dunkel
‚beiten erhellte ; man las ihn oͤffentlich in den Kirchen vor,
verbreitete eine Menge Abfchriften,. Manche lernten ihn ſo⸗
gar auswendig.
Da indeſſen der hi. Leo, um die Wunder der Kirche
von Grund aus zu heilen, fortwaͤhrend auf ein oͤkumeniſches
Concilium beſtand, ließ Marcian ein ſolches nah Nicaͤa
ausſchreiben, mit dem Verſprechen: in eigener Perſon ſich
dabei einzufinden. Allein, die in Illyrien ausgebrochenen
Unruhen geſtatteten dem Kaiſer nicht, ſich von Conſtanti⸗
nopel zu entfernen, und der Verſammlungs⸗Ort des Con⸗
cil's wurde nach Chalcedon verlegt, welches von der
Hauptſtadt bloß durch den Bosphorus getrennt war.
Wirklich kamen die Biſchoͤfe gegen Ende Septembers des
Jahres 451 daſelbſt an, und zwar in großer Zahl: denn
man zaͤhlt gewoͤhnlich deren, außer den paͤbſtlichen Legaten,
gegen ſechs hundert und dreißig. Dieſes Concilium, unter
dem Namen des vierten Allgemeinen bekannt, wurde in
der großen St. Euphemien⸗Kirche, in Gegenwart den vor⸗
nehmſten faiferlichen Staats s Beamten, und unter dem
Vorſitze der päbftlichen Legaten, am Sten Dftober eröffnet.
Alles, was zu Epheſus befchloffen worden war, murde
als nichtig verworfen, alle entfeßten Bifchdfe wurden ihren
Kirchen wieder gegeben, Dioscorus verbannt, der
fm Drte feiner Verbannung zu Gangres in Paplagonien,
e
}
Eutyches. 503
454, ohne die Irrthuͤmer des Eutyches widerrufen zu
haben, ſtarb.
Endlich verfaßten die zu Chal cedon verſammelten
Vaͤter eine Glaubensformel, die Menſchwerdung betreffend,
folgenden Inhalts: „Wir erklaͤren einſtimmig, daß man
„rekennen muͤſſe, einen und denſelben Jeſus Chriſtus,
„unſern Herrn, vollkommen in der Gottheit, und vollkommen
„in der Menſchheit, beſtehend aus einer vernuͤnftigen
„Seele, und ejnem Leibe; gleiches Weſens mit dem Va⸗
„ter nach der Gottheit, und gleiches Weſens mit uns nach
„der Menſchheit; in Allem uns gleich, . die Ende augges
„mommen; erzeugt von dem Water von Emigfeit nach der
„Gottheit, und in der Zeiten «- Fülle,geboren von Marta,
‚rer Jungfrau, Mutter Gottes nach der Menfchheit, für
„uns und zu unferem Seile, denfelben und einzigen $ es
„ſus Chriftug, einigen Sohn, Herrn in zwei Nas
„turen, ohne DVermifchung, ohne Weränderung, ohne
„Theilung, ohne Trennung, ohne daß die Vereinigung Den
‚‚Anterfchied der Naturen aufhebt; im Gegentheile das Eis
„‚genthümliche einer jeden erhält, und fich vereinigt in eis
‚mer Paar und in einer Hypoſtaſe, fo daß er nicht ges
—e— iſt in zwei Perſonen, ſondern da iſt
„ein einziger und derſelbe einige Sohn, Sort, Wort, unfer
„Herr Jeſus Chriftu 8.
Diefe Formel enspält nebft dem bie Genehmhaltung
der Symbole von Nicaͤa und Conſtantinopel, die Sys
nodal s Schreiben des bi. Eyrillus an Neftoriug und
die Drientalen, und des Briefes des HI. Leoz alle
diefe wurden einmüthig angenommen. . |
Auf folche Weiſe lehrte die Kirche: dag in Jeſus.
Chriſtus nur eine Perfon fey, gegen Neſtorius, und
daß er zwei Naturen habe, gegen Eutyches.
Nach Beendigung des Conciliums von Ehalcedon
am 1iften November 451, verorbnete Marcian, daß jes
dermann die Befchläffe des Concils zu befolgen habe, wels
chen Befehl er durch ein zweites Edikt erneuerte und bes
yättigte; auch erging ein fehr ſtrenges Geſetz gegen die Ans
504 Eutyches. Eutychianer.
haͤnger des Eutyches, und die Moͤnche, welche faſt allein
Schuld an allen Berwirrungen hatten. |
Dieſes Coneil beftättigte Alles, was das Conſtant i⸗
nopolitanifche gegen Eutyches verhängt hatte, und
tiefer Reber» Häuptling entfegt, aus feinem Klofter vertries
ben, und geächtet, vertheidigte noch eine Weile feinen Irr⸗
thum, bie er endlich in die Wergeffenheit und das Dunkel
zuruͤckſank, woraus er ohne feine fanatiſche Wuth nie ges
freten wäre. Die Gefchichte thut feit 454 Feine Erwähnung
mehr von ihm. Tod oder verfchollen fand er doch noch Ans
bänger, die neue Unruhen ſtifteten. Wir werden bievon
unter dem Namen Eutychianer reden. 1).
Eutychtanismus. Irrlehre des Eutyches, wels
che darin beſtand, daß in Jeſus Chriſtus nicht zwei
Naturen, ſondern die menſchliche Natur von der goͤttlichen
verſchlungen ſey. (Sieh vorigen Art.)
Eutychianer. Anhänger der Irrlehre des Eut y⸗
ches. Das Concilium von Chalcedon ſtellte den Frie⸗
den der Kirche nicht fo dauerhaft her, dag nicht noch Arts
hänger des Eutyches übrig geblichen wären, melde in
Palaͤſtina große Unruhen und Verwirrung anrichteten.
Ein Minh, Namens Theodofius, welder dem
Soncilium von Ehalced on. beigewohnt hatte, wollte ſich
deſſen Ausſpruͤchen nicht unterwerfen, und zog noch einige
andere Mönche, zur Theilnahme an feine Widerfeglichkeit,
mit denen er Paldftina gegen das Concilium aufwiegelte.
Theodofius und feine Anhänger fprengten aus: dag
Goncilium babe Verrath an der Wahrheit. begangen, indem
es bie gottloſe Lehre des Neftortug genehmige, fie in der
Kirche wieder einführe, und den Glauben von Nicda vers
letze: eg made zur Pflicht, durch Aufftellung des Glaubens
an zwei Daturen in Jeſus zwei Söhne, zwei Chriſtus,
und zwei Perſonen anzubeten. Um dieſen Verlaͤumdungen
Eingang zu verſchaffen, ſchmie dete Theodoſins zwei fal⸗
2) Tillemont T. 15, p. 71.
—
Eurychianer. 505
ſche Conciliar⸗Akten worin ſeine Sehauptung gegen das
Concilium zu leſen war.
Eudoxia, Wittwe des Kaiſers Theodoſius II.,
hatte ihren Auffenthalt in Palaͤſtina genommen, intereffitte
‚fich lebhaft fir den von dem Concilium entfeßten Dioscos
rug, und blieb der Parthei des Eut yches noch immer ges
neigt, welcher auch der Kaiſer Theodoſtus big an fein
Ende zugethan- war. Ste nahm den Mönchen Theodor
fiug in ihrem Palafte auf, und unterfiigte ihn in feinen
Entwürfen gegen das Eoncilium: mit ihm verband fich ein
- Haufe von Mönchen, welcher von der Kaiferinn Wobltha⸗
ten lebte.
Einfaͤltige und ſchlecht unterrichtete Perſonen glaubten
Theodoſens Verlaͤumdungen, und bald ſah man gang
Paläftina gegen das Concilium von Ehalcedon im Aufs
ffante, ımd zur Wertheidigung des meuterifchen Moͤnches
unter Waffen, der das Aufwallen des Volkes benuͤtzend,
ſich auf den biſchoͤflichen Stuhl von Jeruſalem ſetzte, von
welchem er den legitimen Bifchof Juvenalis ſtieß.
Die neue Wuͤrde fammelte um Theodofius. alles
Kaubgefindel Palaͤſtinens, und mit dem Beiftande einer fol
chen Leibwache verfolgte, entfegfe, verbannte der neue Apo⸗
fiel alle Bifchöfe, die feine Ausfchweifungen nicht guthießen.
Ein Schwarm Mönche, in allen Häufern umherziehend,
kuͤndete an: der Kaiſer wolle ven Neſtorianismus mie
deraufbringen. Durch dieſe Lift verführt, erregte das Volk
an ganz Paldftina Aufkände: man. pluͤnderte, und. vers
brannte die Häufer jener, welche den Glauben von Chalces
don vertheikigten, und mit Theodoftug in Gemeinfchaft
su.trefen, verweigerten: e8 war, ale wäre ein Heer von
Barbaren in diefe Provinz des Neiches eingebrochen. .
Der Schandthaten ungeachtet , die Diefer Mond in Pas
läftina veräbte, waren die Völker von dem falfchen Eifer
Diefed Betruͤgers doch fo unglaublich) verblendet, daß viele
Städte aus eigenem ‚Antriebe bei ihm um Siſchoͤfe nach⸗
ſuchten. |
506 Eutychianer.
Dorothäus, Statthalter von Palaäſtina, der eben
auf einer friegerifchen Unternehmung in Arabien ſtand, eilte
auf die Nachricht von dieſen Graͤueln herbei, fand aber Die
Shore Ferufalem’s auf Befehl der Eudoria vers
fchloffen, die fi) ihm erſt, nad abgelegtem Berfprechen,
öffneten: daß er fih der Parthei, welche alle Mönche und
die Einwohner der Stadt ergriffen haften, anfchließen wolle.
Der Kaifer Marcian aber legte eine flarfe Befagung
in die Stadt; vertsieb den Minh Theodoſius, und
fchaffte Frieden, die bei den Mönchen einquartirten Soldas
- sen mißhandelten diefe. Die Mönche gaben eine Klagfchrift
bei der Raiferinn Pulderia ein, worin fie, minder als
Bittende, denn als Meuterer, und Feinde der Gefeße Gots
tes und des Staates fich Darthaten. Denn flatt in Flöfterlis
cher Zuruͤckgezogenheit und als demüthige Schüler der Bi⸗
ſchoͤfe zu leben, marfen fie fih zu Herrn und Meiftern der
Kirche und ihrer Lehre auf, und erfrechten fich fogar, alle
Schuld an den vorgefallenen Unthafen von fi abzuwaͤlzen.
Der Kaiſer behandelte dieſe nichtswuͤrdigen Moͤnche
mit fchonender Milde, ließ das Volk dem Irrthume, wo⸗
rein es von ihnen geſtuͤrzt worden, entreißen, und ſtellte
die Ruhe wieder ber 1).
In Aegypten entſtand nicht minder große Verwir⸗
rung. An die Stelle des entſetzte Dioscorus war der
bi. Proteriug gewählt werden. War gleich feine Wahl
ganz nach canonifchen Regeln vor fich gegangen, fo hatte fie
doch große Unruhen zur Folge.
Das Bolt von Alerandrien empoͤrte fich gegen die
Obrigkeit, und da die bewaffnefe Macht den Aufſtand fitls
len wollte, wurde der Poͤbel wuͤthend, zog gegen bie Sol
Daten aus, fehlug fie in die Flucht, verfolgte fie bis in die
‚Kirche des hl. Johannes des Täufers, welche es erſtuͤrm⸗
te, und die Befagung lebendig verbrannte 2).
.3) Concil. T. 4. Leo Ep. 87. Cotelier Monum. Eccles.
Graec.
2) Evagr. L. 2,0.5.L. 3. c. 31. Leo Ep. 93.
Eutychianer. 507
Marcian verhängte ein ſtrenges Etrafgericht uͤber die
Alerandriner, und Die Meuterer mußten fich zur Ruhe
geben: allein bie Einwohner diefer Hauptſtadt beharrten fo
harnäcig in den Srrthümern des Eutyches, daß der
Kaifer jene: fcharfen Maagregeln, die er vor drei Jahren
- gegen diefe Secte hatte ergehen laſſen ‚om lten Auguſt
455 erneuerte.
Dieſe Geſetze brachten indeß die Anhaͤnger des Dios⸗
corus nicht auf andere Geſinnungen: dieſer mit allen Ver⸗
brechen befleckte Biſchof war von ſeiner Parthei waͤhrend
ſeines Lebens angebetet, und ward nach ſeinem Tode: alg
ein großer Heiliger verehrt 1).
Der Kaifer beftand ingwifchen auf die Annahme des
Conciliumss von: Chalcedon, und Alles ſchien ſich ihm
unterworfen zu haben.
Timotheus, mit dem Beinamen Eburus fammt
vier oder fuͤnf Biſchoͤfen und einer kleinen Anzahl
Apollinariſten und Eutychianer blieben der Parthei
des Dioscorus noch getreu. Dieſe Schismatiker, von
Der Kirche verdammt und von Marcian geächtet, reiz⸗
fen nach dieſes Kaiferd Tode das Volt von Aleranpdrien
zum abermaligen Aufſtande. Eluru® hieß den hl. Pros
terius meucheln, fich zum Patriarchen ernennen, weihte
Driefter,, erfüllte Aegypten mit. Gewaltthaͤtigkeiten, gewann
den Patrisier Afpar, und erbielt fih fo eine Zeitlang 2).
Endlich oͤffnete der hl. Gennadius Dem Kaifer Leo
J., der auf Marcian folgte, die Augen, erwirkte ein
Edict gegen Elurus, der aus Alexandrien vertrieben,
nach Gangres verwieſen, dann in den Cherſones
abgeführt wurde, weil er auch zu Gangres ſchismatiſche
Zuſammkuͤnfte gehalten hatte.
Nach Leo's J. Tode fam Elurus aus der Verban⸗
zung gzuruͤck, und drang bei dem Kaifer Zeno, wiewohi
-DEvagr. L. 2, C. 5. L. 3, C.-3r, Leo Ep.. 93
2) Cotelier Monum. Eccles. Grace. T. 5. Baluz. Apend.
Cone. P. 4. P. 894.
3
. 508 Eutmchianer.
umfonft, auf Einberufung eines Conciliums ‚ um jenes von
Ealcedon zn verurtheilen.
Baſiliskus, der Zeno enthronte, und ſich des Yun
purs bemächtigte, war dem Elurug günftiger: durch ein
Edift ward Alles zu Chalcedon Verhandelte für ungültig
erklärt, und dag Unathema gegen den Brief des hl. Leo
zu fprechen verordnet: wer immer den Gehorfam verfagte,
litt Verbannung, Entfegung und Verfolgung; mehr ale fuͤnf⸗
hundert Perfonen unterfchrieben die Verwerfung des Cons
cilium's von Chalcedon 1).
Acacius, Patriarch) von Conſtantinopel fehte fich
der. Verfolgung entgegen, die Einwohner wurden rührig,
und drohten Confiantinopel anzuzünden, wenn ihrem
Partriarchen ein Leid gefchähe. Bafiliug, eingefchüchtert,
widerrief fein Edift, fette durch ein anderes die vertriebes
nen oder verbannten Biſchoͤfe wieder ein, und verdammte
Neftorins und Eutyches.
Baſiliskus blieb nicht lange an der Negierung. Nach
wieder beftiegenem Throne vernichtete Zeno Alles, was uns
ter dem vorigen Kaifer geſchehen war, und die Unruhen
begannen von Neuem. Jede Parthei feste Biftöfe ab und
ein, und die angefehenften Stähle wurden die Beute der
Frechheit, oder die Frucht der Vaͤnke, der Niedertraͤchtiglett,
und des Meineid's 2)
Zeno, mit Erbrädung der politifchen Baciionen ind
dem Dbftande gegen die Feinde des Reich's befchäftigt, wollte
an den Zwiftigfeiten der Katholifen und Eutychianer
nicht Parthei nehmen, fondern verfuchte vielmehr, einen
friedlichen Vergleich zu Fliften. Beide Theile waren haupt⸗
fächlich wegen des Conciliums von Chalcedon entzweit.
Die Eutpihianer vermarfen ed als unregelmäßig, und
den Irrthum des Neſtorius ernenernd; die Katholiken
dagegen beftanden unverweigerlich darauf, daß es von Allen
1) Lab. Conc. T. 5, p. 1081.
a) Evagr. L.3.C.8
Eutychiauer. | 509
unterzeichnet, und ale nothwendig gehen Den Eutogia
nis mus aufrecht erhalten werden müßte.
Beide Partheien fchienen demnach zu münfchen: daß die
Vereinigung der zwei Naturen, ohne ihre WVermifchung ans
zunehmen, Helehrt würde. Die Katholifen nahmen das
Concilium von, Chalcedon, als nothwendig zur- Entfers
nung des Eutyhianismug, in Schuß; die. Eutycht a⸗
ner wollten es zur Abhaltung des Neſto rianismug vers
| worfen wiſſen. |
Zeno glaubte, wenn er dem Neſtorius und Euty—
ch es das Anathema ſpraͤche, den Anſpruͤchen jeder Parthei Ge⸗
nuͤge zu thun, fo daß alsdann dag Concilium von Chalces
don den Katholiken nicht mehr nothwendig erfcheinen, und fie
‚folglich. geneigt würden, die Unterdrückung deffelben fich ges
fallen zu laffen, und durch dDiefes Mittel beide Partheien
zu vereinigen. Dieſes verfuchte er in feinem Henotifon
d. i. Eintgungs-Edikt. Ein Edift, welches feine Irr⸗
lehre enthielt PR indem eg den Glauben des Concillum's von
Chalcedon beflättigte, umd in der That den Nefkorias
nis,mus und Eutychianismus verdammte 1).
Zeno's Henotikon ſchaffte keinen Frieden. Von
einigen, unterfchrieben, ward es durchweg von Eutichia
nern und Katholiken, als dag Sortfchreiten des Irrthum's
‚nicht bemmend, verworfen. Diefe wollten von der Noth⸗
wendigkeit das Concilium von Chalcedon zu unterzeich⸗
nen, nicht abgehen, jene wollten in der Forderung um Vers
werfung dDeffelben nichts nachgeben, und beſtanden darauf
bei dem Kaiſer 2).
Der Kaiſer befahl die Annahme feines Edikts, und
entſetzte viele Metropoliten und. Biſchoͤfe , die ihre Unter⸗
ſchrift verweigerten 3).
Nun entſtanden drei Parkheien, die gegeneinander ſehr
ereifen waren,. als. Anaſtaſius dem sene auf dem .
1) Evagr. L. 2. c 10. Leo Byzant. act. 5. 6.
2) Cone. T. 4. |
3) Ibidem.
Ketzer-Lexikon. 1. 33
510 | Eutrtyhchianer.
Throne folgte. Um ſie zu beſchwichtigen, beſtrafte dieſer
ſowohl jene, welche da, wo das Coͤncilium von Chalce⸗⸗
don noch) feine Aufnahme gefunden hatte, folches angenoms
men wiffen wollten, ale jene, welche es verwarfen, und feine
Annerfennung als unndthig erklärten 1).
Anaftafiug gehörte daher zur dritten Parthei, die
man bie unſchluͤßigen nannte.
Von diefen drei maͤchtigen Partheien im Reiche wollte
eine jede die beiden andern niederdruͤcken. Anaſtaſius,
von Furchtbaren Feinden umringt, behandelte alle drei, bes
fonders die Katholiken, deren Eifer er (heute, mit Glimpf:
aber die Beforsniß ging bald in Haß über, und nach geens
digtem Perfers Kriege erflärte er fich unverholener zu Guns
fien der Eutychianer: feine Leibwache, und alle, die er
der Anhänglichfeit an das Koncilium von Chalcedon vers
vächtigte, mußten das Einigungss Edift des Kaiſers
Zeno annehmen, und alle Beamten wurden aus den Eus
tychianern gewählt.
Macedonius, Patriarch von Conftantinopel, firebte
aug allen Kräften den Abfichten des Kaifers entgegen: das
Volk betefe feinen Bifchof an; der Kaifer glaubte feine
Sicherheit in der Hauptſtadt gefährdet, lief Macedoniug
enffernen, eften gewiffen Timotheus an feine Gtelfe
feßen, die eifrigften Anhänger des Patrtiarchen verbannen,
und die Aften des Concilium's von Chalcedon in's Feuer
werfen.
Wenn der Prieſtet zur Entkichtung des hl. Opfers den
Altar befrat, fang das Volk nach Brauch der morgenlaͤn⸗
difchen Kirche: Heiliger Bott, ſtarker Gott, um
ſterblicher Gott! welches man dag Trishagion (drei⸗
mal heilig ) nannte.
- Peter Gnapheus, genannt Fullo, ein Euty chia—
ner, der ſich auf den Patriarchen⸗ Stuhl von Antiochien
eingedrungen hatte, fügte dem Tris hagion die Worte bei:
. er
ı) Evagr. L. 3, C. 30.
Eutychianer. 511
„der Du fir ung. bift gefreugiget worden, er
„barme Did unſer“.
Diefer Zufaß, der eine gute Bereutung haben konnte,
mißfiel den Katholiken, welche der Meinung waren: er ents
halte die Lehre der theopaschitiſchen Eutpchianer,
welche vorgaben, bie Gottheit habe gelitten. 0
Spimothens hatte nicht fohald den Stuhl von Con
Kantinopel beftiegen, alg er befahl: das Trishagion
mit dem befagten Zufage zu fingen. Diefe Neuerung mißs
‚ fiel zwar den Gläubigen zu Eonftanfinopel, jedoch) lie«
Ben fie ſich es, aus Furcht, den Kaiſer vor den Kopf zu
ſtoßen, gefallen.
Allein, als eines Tages Moͤnche in die Kirche traten,
und anſtatt jenes Zuſatzes einen Vers aus dem Pſalter ab⸗
ſangen, rief das Volk ſogleich: "Die Orthodoxen kommen
eben recht und alle Anhaͤnger des Concclium's von Chal⸗
cedon fangen mit den Mönchen den Vers des Pfalmen..
Die Eutychianer nahmen diefeg übel auf; der Gottes⸗
dienft ward unterbrochen, und fchon fin der Kirche wurde
man bandgemein; Faum aber hatte das Wolf diefe verlaffen,
als es zu den Waffen griff, Mord und Feuer über die Stadt
‘ - verbreitete, und fich nicht eher zur Ruhe gab, ale bis es
über zehn taufend Meenfchen feiner Wuth zum Opfer 96
bracht hatte. 1).
Nach diefem Aufruhre dachte nun Anaftafiug eruſ—
licher als je, an Unterdruͤckung einer ſo furchtbaren Parthei,
und beſchloß, das Concilium von Chalcedon verdammen
zu laſſen: er bot Alles auf, zum Ziele zu gelangen; er ſchmei⸗
chelte, drohte, verfolgte, und vermochte endlich viele Bi⸗
ſchoͤfe zur bezielten Verwerfung. Nachdem er durch. dieſe
Mittel ſich ihrer verſichert hatte, berief er eine Verſamm⸗
lung von SO Biſchoͤfen nah Sidon in Palaͤſtina (3.
511.) welche das Concil von Chalcedon verdammten, und
das Henotikon unterſchrieben, mit Ausnahme des Patri⸗
ı) Evagr. L. 5. C. 35, Vita Theodos.
33 *
512 Eutychianer.
archen Flavian von Antiochien, und noch eines Bi⸗
ſchof's, welche den Beſchluß verwarfen, und entſetzt wurden.
Flavian wich indeſſen nicht von Antiochien; man
- fandte Mönche, um ihm die Unterfchrift des Concil's von
Sidon, — felbft mit Gewalt — abzundthigen; orthodore
Moͤnche eilten zum Beiftande Flavian’s herbei, zu dieſen
ſchlug ſich Das Wolf, vertheidigte feinen Bifchof, fiel über
die eut ychianiſchen Moͤnche her, und richtete unter ihnen
ein ſchreckliches Blutbad an. 1).-
Der Kaifer, deffen Umgebung lediglich aus Eutychias
nern beſtand, vertrieb Flavian, und fehte Severus,
einen heftigen und berühmten Eutychianer, auf Antios
chien's Stuhl; unter diefem Eingedrungenen wurden die
Katholiſchen im ganzen: ergbisthümlichen Sprengel verfolgt.
Während dem Anaſtaſtus fein ganzes Anſehen aufs
bot, die Katholiken zur Verwerfung des Conci’8 von Chal⸗
cedon zu zwingen, warf ſich einer ſeiner Heerfuͤhrer zum
Beſchuͤtzer der Katholiken auf. Vitalian, fo hieß er, hatte
in drei Tagen ein furchtbares Heer auf den Beinen, be⸗
maͤchtigte ſich auf Verweigerung des Kaiſers, die von ihm
vertriebenen Biſchoͤfe der Katholiſchen auf ihre Stuͤhle wie⸗
der einzuſetzen, Moͤſtens und Thraziens, ſchlug die
kaiſerlichen Truppen, und rückte „mit ſiegendem Heere vor
Conſtantinopel's Mauern.
Anaſtaſius ſaͤnftigte Vitalian mit einer großen
Geldfumme, verſprach Die verbannten Biſchoͤfe zuruͤckzuru⸗
fen, und in einem Concil die Religions s Zwifte beilegen zu
laſſen, worauf Vitalian von Eonflantinppel abzog,
und fein Heer verabfchiedete.
Eine Zeit lang gab der Kaifer Hoffnung zw, Erfüllung
feiner Verheißungen, beftrebte fih, die Volks s Neigung zu
gewinnen, erhob Vitalian zu Ehrenſtellen, und als er
von dieſem nichts mehr zu befahren. zu haben glaubte, erneus
erte er die Berfuche, das Anfehen des Concil's von Chalces
don zu vernichten, ſiarb aber, ohne zum Ziele zu kommen. 2).
ı) Ibidem.
3) Ibidem.
4‘
Eufychianer. ' _ 513
Juſtin, Präfeftus Pretorio, ward von dem Heere
Anaftafius zum Nachfolger gegeben. Der neue Kaifer .
ftieß die Eutychianer von den bifchäflichen Stühlen, auf
die fie fich eingedrungen haften, ſetzte die Rechtglaͤubigen
wieder ein, und befahl die Anhahme des Concil's von Chal⸗
cedon im ganzen Reiche. Die Fatholifchen Bifchöfe beeis
ferten fih, die Wunden, der Kirche zu heilen, man hielt
Verfammlungen, und ſetzte die Eutychianer ab, ſie
wurden vertrieben, verbannt, beſtraft, gerade wie es den
Katholiken unter An aſt aſius ergangen war.
Juſtinian, ſeines Oheim's, Juſtin, Nachfolger,
erklaͤrte ſich fuͤr die Rechtglaͤubigen; die Kaiſerinn dagegen
beguͤnſtigte die Eutychtaner, und brachte es bei dem Kai⸗
ſer dahin: daß Unterredungen angeſtellt wurden, wodurch,
ſo viel moͤglich, beide Partheien vereiniget werden ſollten,
welches aber fehlſchlug, und ein weiteres aͤußerſt ſtrenges
Geſetz gegen die Eutychianer zur Folge’ hatte, die von
nun an hloß noch geduldet wurden.
Inzwiſchen waren dieſe noch ſehr zahlreich. Seberus,
der unter Anaftafius Patriarch von Antiochien gewe—
fen war, hatte daſelbſt die Eutychianer, oder Akepha⸗
len, Hauptloſe, weil ſie ohne Haͤuptling waren, welche das
Concil von Chalcedon verwarfen, vermehrt: er hatte
den Jakob Barodaeus oder Zanzalus auf den biſchoͤf⸗
lichen Stuhl von Edeffa erhoben, der von den römifchen
Kaifern, vertrieben, ſich in dag perfifche Gebiet zuruͤckzog, ganz
Orient durchwanderte, Prieſter weihte, Biſchoͤfe einſetzte,
. und die Secte der Jacobiten ſtiftete. Severus, aus
Antiochien vertrieben, und gezwungen, ſich verborgen zu
halten, ordnete von feiner Zufluchts⸗ Stätte aus Ser⸗
gius zu feinem Nachfolger, und die Eutychianer hafs
ten ſtaͤts insgeheim einen Patriarchen von, Antiochien.
Endlich, nach dem Tode Theodofen’s, Patriarch von
Alerandrien, den ver Kaifer exilirt hatte, weihfen drei
eutychianifche Bilchsfe, die in den Steppen Aegyptens
verftecht waren, den Peter Zejagesan feine Stelle, und
514 Cutychianer.
pflanzten ſo, ganz im Stillen, ihre Patriarchen biszu An—
fang des ſiebenten Jahrhunderts fort.
Neue theologiſche Zaͤnkereien erhoben ſich unter den
aͤgyptiſchen Moͤnchen über die Lehre des Origines. Ju⸗
ſtinian, ſei es Gewohnheit oder Neigung, miſchte ſich da⸗
rein, und gab ein Edikt gegen den Lehrbegriff des Orige⸗
nes: feine Anhänger, welche eigentlich dem Eoncilium von
Chalcedon entgegen waren, das die Feinde des Driges
nes in Schutz nahm, überredeten den Kaifer: daß, wenn
er den Theodor von Mopsveſtia, Theodoret und
Ibas, eben fo wie den Drigenes verdammte, alle Eut y⸗
hianer fich mit der Kirche verföhnen würden, welche dag
Concilium von Chalcedon nur deßhalb verwürfen, weil
es die Schriften diefer drei Bifchdfe gutgeheißen babe.
Suftinian, dem nichts licher war, als verbammen,
erließ gegen dieſe drei, wenn gleich verftorbenen Biſchoͤſe,
ein Edikt.
Dieſes Edikt veranlaßte einen langwierigen Streit, in⸗
dem man glaubte, es werde dadurch dem Anſehen des Con⸗
cilium’8 von Chalcedon zu nahe getreten: eine neue Kir⸗
chen Berfammlung wurde erfoderf,, dieſe Angelegenheit zu
beendigen; und dieſes geſchah in dem Sten allgemeinen Con⸗
cilium der Kirche und dem zweiten allgemeinen von Con ſtan⸗
tinopel im Jahre 553.
Auf dieſer Kirchen» Verfammlung wurden die Schriften _
des Theodor von Mopgveftia, der Brief des Ibas
on Marig, den Perſer, und dag Werk Theodoret’g
gegen die zwölf Anathematismen des bi. Eyrils
lus, alle drei befannt unfer dem Namen der drei Kapis
tel, verdammt.
Auftinian, der auf Anfliften des Theodor von
Cäfarea, welcher im Herzen Eutychianer war, die
dret Kapztel verworfen hatte, fiel enplich felbft in den
Eutychia niſchen Irrthum der SIncoruptibeln, wel
. he behaupteten: Jeſus Chriftus habe einen unnerleglis
chen Keib, der den Gebrechlichkeiten der menfchlichen Natur
nicht unterworfen fey, angenommen.
9
Eutychianer. | 515.
- Um diefem Irrthume Eingang zu berfchaffen, wendete
er Alle jeng Mittel an,:deren er fi, um die Annahme des
Concillums von Chalcedon zu erzwingen, bedient hatte:
allein der Tod vereitelte feine Entwürfe. 1).
Die Eutychianer twurden demnach zu Ende ber Res
gierung Juftinian’s und unter feinen Nachfolgern etwas
mehr begünftigef, melche fie mit den Zatholifen aus zuſoͤhnen
ſtrebten: allein dieſe Ausgleichungs-Verſuche, erzeugten
eine nee: Ketzerei, welche man für eine Sproſſe des Eu⸗
tychia dismus anfehen faun, fie fegte alle Köpfe in Ber
mwegung, und fie ifE der Monotheismus.
Der Eutychianismus ſchien in allen Prodinzen des
roͤmiſchen Reiches gänzlich erlofchen, als er durch die Eros
derungen der Sarazenen im Morgenlande und Aegypten
wieder neu auflebte, von wo aus er fih nach) Armenien
und Abyſſinten zog. |
(Man fehe die Art. Cophten, Zacobiten, Ar⸗
menier, Abyffinier.) -
Die Eutyihianer warfen mitten unfer den Bedraͤng⸗
niſſen, worein ſie das Reich verſetzten, tauſend kleinliche
Fragen auf, ſpalteten ſich uͤber deren Beantwortung, und
verfolgten einander auf das Grauſamſte. Hieher gehoͤrt die
Frage von der Unverleglichkeit des Leibes Jeſu vor feiner
Auferfiehung: (das Volf von Alerandrien empoͤrte ſich
‚gegen feinen Bifchof, welcher fie bejahet hatte). Die Ake⸗
phaler, welche zwei Naturen in Jeſus annahmen, aber
das Condilium von Chalcedon nicht unterfchreiben wollten ;
die Theopaschiten, welche glaubten: die Gottheit fen ger
- Freuzigt worden, und Peter. Fullo zum Haupte hatten.
(Sieh Nicephorus Hist. eccles L. 18, C. 5% Le-
ontius de Sectis Eutych.)
Der Eutyihlanigmug wurde widerlegt ı von Theos
doret, Biſchof von Cyrus in 27 Büchern, wovon man
—
1) Evagr. L. 4, C. 359, 40, 4ı, Baron. ad ann.
563, Fasi, ad ann. 5653.
—8 -
-
516 Euthchianer. .
in der Bibliothek des Photius (Cod. 46.) elllen Aus⸗
zug findet, und in 3 Geſpraͤchen, betitelt: der Ungerdy
Derliche, der Unvermifchte, der keidensunfähige;
von Gelafiug in einem Buche: von den zwei Natıw.
ren; von Vigiliug, der fünf Bücher gegen Neftorius
und Eutyhes fchrieb, von Märentiug, Ferrand und
vielen Andern, welche Leontius in feinem Werke gegen
die Eutychianer ı2.d Neftortaner anführf.
(Sich die Sammlung von Canifius, Ausgabe
des Basnage, und die Bibliothet des Photius Cod.
29, 30.)
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