KLEINERE SCHRIFTEN
VON
WILHEL3I GRI3I3I
V, 3 li'3^^
HERAUSGEGEBEN
VON
GUSTAV HINRICHS
ZWEITER BAND
BERLIN
FERD. DÜMMLERS VERLAGSBUCHHANDLUNG
HARRWITZ TNO fiOSsMAVX
1882
VORWORT.
JL/er vorliegende zweite Band der Kleineren Schriften ent-
hält alle Recensionen, soweit sie sich auffinden liessen und nicht
etwa schon in den ersten Band aufgenommen worden sind, mit
Ausnahme der Anzeige von Herzog Ernst und der für das
Litterarische Centralblatt geschriebenen, zehn bis zwölf an der
Zahl. Mit ihnen verbinden sich die Antikritiken, welche einige
interessante Züge zu dem Bilde von Wilhelm Grimms wissen-
schaftlichem Charakter hinzuliefern. Dieses sich zu vergegen-
wärtigen bietet der herannahende hundertjährige Geburtstag
Jacobs sowohl als Wilhelms eine vorzügliche Veranlassung.
Da die überwiegende Anonymität der Kritiken zur nothwendigen
Folge hatte, dass das Meiste von dem hier Zusammengestellten
mehr und mehr in.ycrgessenheit gerathen ist, so verdient dieser
Kecensionenband besondere Beachtung. Finden sich doch hier
die treffenden, geistvollen Bemerkungen und feinsinnigen Beob-
achtungen, welche W. Grimm hie und da über das Wesen des
Epos gemacht hat, zusammen; es genügt an die historisch ge-
wordene, S. 10 durch den Druck hervorgehobene Stelle über
das Volkslied zu erinnern.
Über die zu erweisende Verfasserschaft der anonymen Re-
censionen aus der Leipziger Litteraturzeitung und den Göttingischen
gelehrten Anzeigen ist im Vorwort zum ersten Band das Nöthige
gesagt. Für die Heidelbergischen Jahrbücher der Litteratur ist
es mir trotz mehrfacher Anfragen, durch deren freundliche Be-
antwortung mich die Herren Prof. Dr K, Zangemeister, Verlags-
buchhändler Gustav Koester in Heidelberg, Heinrich Zimmer in
Homburg v. d. Höhe, Paul Siebeck in Freiburg im Br. zu Dank
verpflichtet haben, nicht gelungen-, irgend welche genaue Aus-
kunft über den Antheil W. Grimms zu erhalten. Nicht zu be-
legen ist die Autorschaft von den folgenden vier Recensionen:
Aage ogElse von Rahbek, Arius Multiscius vonWerlauff, Büschings
IV
VORWORT.
Wöchentliche Nachrichten und Nyerups Morskabsläsning. Dass
W. Grimm nach der ersten Ankündigungsschrift der dänischen
Kämpeviser: Axel Thordsen og Skjön Valborg auch die zweite:
Aage og Else angezeigt hat, obwohl diese Besprechung vor
jener abgedruckt worden ist, ist an sich und aus ihrem Inhalt
(vgl, besonders Palnatoke) so wahrscheinlich, dass beide in der
Sammlung der Kl. Sehr, auseinanderzureissen nicht rathsam
schien. Die drei übrigen Recensionen sind in den Anhang ver-
■ wiesen worden. Die erste ist W. Grimm allerdings nur aus
Conjectur zuzuschreiben. Bei der zweiten und dritten, welche
J. Grimm in einem seiner Ausschnittsbändchen ebenfalls ge-
sammelt hat, freilich ohne wie sonst den Verfasser zu nennen,
bleibt kaum ein Zweifel übrig. Aus seinem Schweigen folgt
nichts mit Gewissheit gegen diese Annahme; denn einmal ist
das Inhaltsverzeichnis auf den Umschlägen jener Bändchen nicht
fehlerfrei, was sich aus der Notiz über die Kritik von Simrocks
Walther voij der Vogelweide ergibt, noch ist es vollständig, da
er z. B. seine eingeheftete Anzeige von Goethes Briefwechsel
mit einem Kinde selbst nicht aufgeführt hat. W. Grimm hat
bei der Recension über Büschings Zeitschrift eigenhändig etwas
nachgetragen, wie sonst öfter bei Stücken, die von ihm her-
rühren. Das unterzeichnete <p halte ich für verdruckt statt 7
oder Yp., wie die Anzeige von Arnims Kronenwächtern aus dem
Jahre 1818 (s. Bd I, S. 310) mit ßy (Bettina. Grimm) unter-
schrieben ist. Sachlich weisen* in beiden Stücken, wie Herr Pro-
fessor Dr Scherer durch eine gütig vorgenommene Prüfung fest-
stellte, ohne selbst ein bestimmtes Urtheil abzugeben, das Interesse
an den Zeugnissen zur Pleldensage und die Erwähnung der
Boisseree'schen Sammlung, eines Aufenthalts zu Leipzig, der
Thiersage, Eilharts von Hobergen u. a. auf W. Grimm hin. Aber
auch im Einzelnen lassen bestimmte Wendungen, wie die beliebte
„Eins und das Andere", seine Hand vermuthen, so dass die Auf-
nahme dieser Recensionen in den Anhang wohl gerechtfertigt er-
scheinen darf. Derselbe enthält ausserdem Ankündigungen und
kürzere Erklärungen, für welche sich ein anderer Platz nicht fand.
Wien, tleii 1. Octoltor 1881.
Gustav H i n r i c h s.
INHALTSVERZEICHNIS.
Seite
Vorwort IH— IV .
Nyerap, Axel Thordsen og Skjön Valborg 1 — 12
Rahbek, Aage og Else 12 — 13
P. E. Müller, Über die Echtheit der Asalehre und den Werth der \
Snorroischen Edda ( i j
Nyerup, Om Edda (*
Nverop, Edda eller skandinavemes hedenske gudeläre . . . . '
J. Müller, Heldengesang vom Zuge gegen die Polowzer, des Fürsten
vom sewerischen Nowgorod Igor Swätslawlitsch SS — 41
V. d. Hagen, Der Helden Buch 41 — 51
V. d. Hagen, Narrenbuch 52 — 77
Eschenburg. Boners Edelstein 77 — 80
Kühs, Die Edda 88— 99
Antwort des Recensent«n, Epikritik gegen Rühs 100 — 103
Sendschreiben an Gräter 104—136
Rühs, Über den Ursprung der isländischen Poesie aus der angel-
sächsischen 137 — 154
Bemerkung 154 — 156
Antikritik gegen A. W. von Schlegel 156 — 161
Göttling, Nibelungen und Gibelinen 161 — 175
Lachmann, Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der
Nibelungen Noth 176—195
Wandergeschichten und Legenden der Deutschen 195 — 197
Mailäth und Köffinger, Koloczaer Codex altdeutscher Gedichte 198 — 206
Reineke Fuchs 206 — 207
IL Schubart, Schottische Lieder und Balladen von W. Scott . . 208—210
Mone, Einleitung in das Nibelungenlied 210 — 220
Rhode. Ossians Gedichte 220—221
V.Schmidt, Märchensaal 221 — 225
Sturlünga-Saga 226—227
Busching, Hans Sachs. Erstes Bach 227 — 232
Furchau, Hans Sachs 233—234
Frau Holle 234—235
Köpke, Barlaam. und Benecke, Wigalois 235 — 249
Edda Saemundar. Pars II 250—265
Dorow, Opferstätte and Grabbügel der Germanen and Römer
am Rhein 265—273
Fürst Wladimir und dessen Tafelrande 274—275
VI INHALTSVERZEICHNIS.
Seite
Büsching, Hans Sachs. Zweites Buch 276 — 277
J. Wolff, Runakefli le runic rim-stoc ou calendrier runique . . 278 — 279
P. E. Müller, Undersögelse om Snorros kilder og trovärdighed . 279 — 283
Anzeige der Schlesischen Bemühungen 284 — 285
Correspondenz der Schlesischen Gesellschaft 286
V. Schmidt, Rolands Abenteuer nach Bojardo 286—289
V. Schmidt, Beiträge zur Geschichte der romantischen Poesie . 289
F.Magnussen, Bidrag til nordisk archäologie 290 — 294
P.E.Müller, Undersögelse af Danmarks- og Norges sagnliistorie
eller om trovärdigheden af Saxos og Snorros kilder .... 294 — 302
Werlauff, Symbolae ad geographiam nicdii aevi 302^ — 305
Westendorp, Hunehedden 306 — 323
Bredsdorff, Om runeskriftens oprindelse ) „,,
Brynjulfsen, Periculum runologicum ) "
Lyngb<ye, Färöiske qüäder om Sigurd Fofnersbane og Hans At 338 — 347
Varnhagen, Biographische Denkmale 348—350
F.Magnussen, Den aeldre Edda 350—353
Bilder.dijk, Van het letterschrift 353 — 365
Nyerup, Verzeichnis der in Dänemark 1824 noch vorhandenen
Runensteine 365 — 370
Fairy legends and traditions of tlie South of Ireland 370 — 373
The populär superstitions and festive amusements of the highlanders
of Scotland 373—375
Liljegreen och Brunius, Nordiska fornlemningar 376 — 379
V. Schmidt, Petri Alfonsi disciplina dericalis 380 — 383
Heiberg, Nordische Mythologie 384—385
Lach mann, Die Gedichte Walthers von der Vogelweide . . . 385 — 395
Edda Saemundar. Pars HI 396—397
Sjöborg, Samlingar för Nordens fornälskare 398 — 415
Klüwer, Norske niindesmaerker 415 — 416
W. Grimm, Die deutsche Heldensage 416 — 423
W. Grimm, De Hildebrando antiquissimi carminis teutonici frag-
mentum 423 — 426
Simrock, Der arme Heinrich 426 — 427
Echtermeyer, Henschel, Simrock, Quellen des Shakespeare
in Novellen, Märchen und Sagen . . .* 427 — 430
0. L. B. Wolff, Sammlung historischer Volkslieder 430—432
P.E.Müller, Critisk undersögelse af Saxos histories syv sidste böger 432 — 435
Dubois, Le Pantcha-Tantra 435 — 438
Liljegren, Run-Lära 439 — 440
Bäumlein, Untersuchungen über die ursprüngliche Beschafifonheit
und weiteren Entwickclungen des griechischen und über die
Entstehung des gothischen Alphabets 440—447
Schulze, llarzgcdichte 447—449
W. Grimm, Vridankes Bescheidenheit 449 — 468
San-Marte, Loben und Dichten Wolframs von Eschenbach . . 468 — 469
\V. Grimm, Der Rosengarte 470—471
INHALTSVERZEICHNIS. VII
Seite
Brüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen 471 — 472
Michel, La chanson de Roland ou de Roncevaux . . . . . . 472 — 479
W.Grimm, Ruolandes Liet 479—481
Vilmar, Die zwei Recensionen und die Handschriftenfamilien der
Weltchronik Rudolfs von Ems 481—483
Kemble, The Runes of Anglo-Saxons 483 — 490
Anhang 493—525
Ankündigung einer Sammlung altnordischer Sagen 493 — 495
Ankündigung der Herausgabe der Edda Saemundar und des
Reineke Fuchs 495—496
Über die Edda 496—501
Ankündigung der Altdeutschen Wälder 501 — 502
Litterarische Anzeige 502 — 503
Aufruf. Pränumeration zum Besten der hessischen Freiwilligen . 504
Vorrede zum Armen Heinrich 505
Anzeige 506
Erklärung 506
Zu den Kinder- und Hausmärchen 506 — 508
Über Bernhard Freidank 508 — 509
Zurechtweisung 509—510
Werlauff, Arius midtiscius primus Islandorum historicus . . . 511 — 512
Bü sc hing, Wöchentliche Nachrichten für Freunde der Geschichte.
Kunst und Gelehrsamkeit des Mittelalters 512—520
Nyerup, Almindelig morskahsläsning i Danmark ogNorge igjennem
Aarhundreder 520 — 525
AXEL THORDSEX OG SKJÖN VALBORG,
en norsk Ballade, med Anniärkninger af R. Nyerup; som Pröve paa den ny
Skikkelse hvori Abrahamson, Rahbek og Xverup agte at udgive den saa
kaldte Kjempe Visebog. Kjöbenhavn 1809. 63 S. 8.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang R' (1811) Bd I, Xo. 24.
S. 369—381.
_LJiese kleine Schrift hat den Zweck, eine neue Ausgabe r.69
des sogenannten Kjempevisebogs (Kämpferliederbuchs) an-
zukündigen. Drei bekannte dänische Gelehrte haben sich dazu
vereinigt: sie wollen einen berichtisTten Text liefern, eine andere
höchst seltene Sammlung, unter dem Titel Elskovs Viser
(Liebeslieder) pder Tragi ca gekannt, aber nur noch in einem
einzigen gedruckten Exemplar vorhanden, hinzufügen, endlieh
Sorge tragen, die noch unter dem Volk ganorbaren Melodieen
aufzufassen, um auch in dieser Hinsicht die Wünsche zu be-
friedigen. Wir haben, wie sich ergeben wird, Ursache uns für
diese Unternehmung des Auslandes zu interessiren, die auch mit
vmserer Litteratur in einem äusserlichen Zusammenhang zu stehen
scheint, wenn wir uns nicht darin täuschen, dass die eben bei
uns begonnenen Untersuchungen über altdeutsche Poesie auch
den Norden wieder angeregt und auf seine Schätze aufmerksam
gemacht haben. Um so eher aber dürfen wir das vermuthen,
da einer von jenen Gelehrten, dem wir vielleicht den Entschluss
zu verdanken haben und von welchem diese Probeschrift herrührt,
Herr Professor Nyerup, als Kenner und Würdiger der alt-
deutschen Litteratur bekannt ist, ja der selbst durch die Heraus-
gabe der Symbolae ad literaturam Teutonicam einen nicht un-
bedeutenden Beitrag dazu geliefert hat.
Die dänische Litteratur mit ihrem eigenen Charakter kann
kaum einen wichtigeren Gegenstand zur Bearbeitung darbieten.
W. GRIMM, KL. SCHRirrKX. II. 1
2 AXEL THORDSEN OG SKJÖN VALBORG UDG. AF NYERUP.
In der früheren Zeit darf sie als ein Theil der einen nordischen
870 betrachtet werden , die allen dreien Reichen gemeinschaftlich
war und die wir reich nennen müssen, da in mannigfaltigen
Liedern, Sagen, selbst in einem grossen Geschichtbuch, in der
Heimskringla (gegen welche wir Deutsche nichts aufzuweisen
haben), das Leben des ganzen Volks sich tief, wahr, oft herr-
lich ausgesprochen: späterhin, etwa mit dem Ende des fünf-
zehnten Jahrhunderts, wo auch wir unsere neue Zeit anfangen,
zeigt sich die Trennung auch in ihr, und es erscheint abgesondert
eine eigene dänische Litteratur, aber in einer unbeschreiblichen
Leere und Unfruchtbarkeit. Ein Zeitraum von beinahe vier-
hundert Jahren, der also noch gar nicht lang geendigt hat, weiss,
fast unglaublich, keinen einzigen Dichter von Belang zu nennen.
Der erste namhafte Poet ist Peter Laale, der in der zweiten
Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts lebte, von dem eine Samm-
lung Sprüchwörter existirt, die ihr Verdienst haben, das ihm
aber nicht zugehört; der folgende ist der Bruder Niels von
Soroe, der eine Reimchronik geschrieben: von dieser Art sind
die meisten folgenden Dichtungen, zuweilen Übersetzungen aus
dem Deutschen, nirgends aber ist darin ein lebendiges Regen.
Jede Litteratur hat eine solche Periode des Stillstandes nach
ihrem ersten lebendigsten Aufblühen, eine Ermüdung nach einer
grossen That, welche die erste unbewusste Jugendkraft voll-
bracht hat: wo sie gleichsam ruht, um nachzusinnen, worauf sie
bauen dürfe, wie sie mit Bewusstsein fortlebe und sich feststelle.
Man kann auch sagen, es sei das Erkennen der Sünde, der
Leere, da die Unschuld der ersten Dichtung die ganze Welt
entzündet glaubt und von keiner Unpoesie weiss. In Deutsch-
land hat diese Zeit auch nicht gefehlt, allein an den Stützen,
die ein allseitiges Streben, die Bekanntschaft mit den Alten
namentlich, die sich in Hans Sachs so trefflich wirkend zeigt,
darbot, hat sie sich stets wieder aufgerichtet: in so manchem
schönen Lied der schlesischen Periode z. B. hat die Kenntnis
der italienischen und spanischen Dichtung (wie wir sie bei
Opitz und Ilarsdörfer finden) Früchte getragen. Eben diesem
871 auf einander sich folgenden Erkennen des Einzelnen, das sich
immer zwar als etwas Lebendiges, aber nicht als zureichend aus-
AXEL TEIORDSEN OG SKJÖN VALBORG UDG. AF SYERCP. 3
wies, haben wir es zu verdanken, dass wir immer mehr zu dem
Ganzen hingelenkt wurden, wie es nun in unseren Meistern
leuchtet, nachdem einzelne Strahlen erst über die Erde hin-
streiften. In Dänemark verhinderte eine solche Aufbauung und
Bildung die Abgeschlossenheit der Nation, die durch ein immer
weiteres Vergraben in sich die Scheidewand immer höher auf-
warf, die Ungeneigtheit derselben gegen Deutschland (die, wie
man richtig bemerkt hat, jedes schwächere Volk gegen das
mächtigere empfindet und die darum nicht gegenseitig ist) und
die daraus entspringende Geringschätzung der deutschen Litte-
ratur, ohne sie zu kennen, die auch jetzt noch bei den Un-
wissenden herrschen soll.
In dieser langen unbeweglichen Zeit aber, in welcher kein
Dichter gelebt hat und keine poetische Kunst geübt WTirde, ist
eine Ader von Gold, aus der Mitte der alten Zeit entsprungen,
durch das Volk durchgelaufen: wenn es keinen Poeten gab, so
hat es doch Poesie gegeben, und das Leben hat sich ausgedrückt,
bei wem es gewesen. Ausser den Volksbüchern nämlich, die
aus dem Deutschen fast sämmtlich übersetzt worden, hat es
eine Menge trefflicher Lieder gehabt, zum Theil aus dem Alter-
thum erhalten, zum Theil später entstanden, und diese sind es,
welche wir in dem Kjempe Visebog finden. Wir halten
diese schon im sechzehnten Jahrhundert durch einen glück-
lichen Zufall entstandene Sammlung für einen der reichsten
Schätze der Poesie. Die spanischen Lieder von Cid, die wir
sehr hoch achten, werden von diesen an Tiefe und Bedeutsam-
keit übertrofien; den echt deutschen, vor allen den englischen,
sind sie im Geiste verwandt, nur vollständiger, als das, was
dort gesammelt worden und zu uns gelangt, auch, da sie früher auf-
bewahrt wurden, reiner und gediegener. Die Darstellung darin
ist vortrefflich, weil allzeit die innere Noth wendigkeit spricht,
nicht ein äusseres Gesetz; eine Hinneigung zum Dramatischen,
wie in allen Volksliedern, erscheint darin sehr kenntlich, und
es ist wenig Sorge an eine runde, an einander sich schliessende 372
Erzählung gewendet, vielmehr wird alles streng neben einander
aufgestellt, nur angedeutet, aber oft liegt in diesen wenigen
Worten eine grosse Gewalt. Denn das ist das Eigenthümliche
4 AXEL THORDSEN OG SKJÖX VALROHG UDG. AF NYERÜP.
der Poesie, dass sie mehr als andere Künste der Mittel ent-
behren kann und eine grosse Empfindung in unbeholfenen
Worten sich rührender und mächtiger ausspricht, als die be-
redteste Kunst. Sagen aus den frühsten Zeiten, die sonst die
Scalden besangen und die als grössere Gedichte nur aus den
Handschriften bekannt sind, leben hier in einzelnen Liedern
fort, in denen die erhabene Wildheit jener Jahrhunderte noch
kenntlich ist und deren Entstehung weit in die heidnische Zeit
zurückgeführt werden darf. Diese Heldenlieder machen einen
Theil der Sammlung aus; den andern und grössern: Balladen
und Märchen, die später und in der christlichen Zeit ent-
standen sind. Es ist verwunderungswürdig, wie sich alle, auch
die heimlichsten Neigungen und Richtungen des Lebens, aller
Schmerz und alle Freude, die es einmal berührt, darin ofien-
bart haben, und wie wir uns davon betroflPen und gerührt fühlen,
weil es die innere Lust war, die sich aufthat, diese eigentliche
Morgensonne der Poesie, vor der ihre Blüthen sich öffnen.
Während sie alle in einer gewissen Nationalähnlichkeit überein-
stimmen, in einem geheimnisreichen Wesen, das dunkel und
still ist gegen den Glanz manches südlichen Liedes, doch voll
verschlossener Glut, die desto gewaltiger ausbricht, und womit
sie den Himmel anerkennen, unter welchem sie aufgewachsen
sind, so zeigt sich wiederum die grösste Mannigfaltigkeit in
ihnen. Die tiefste Trauer, das höchste Leiden, wie das Glück
der Liebe, des Muthes, der Humor bis zum leichtfertigen Scherz
ist darin besungen. Wie rührend ist in vielen Liedern das
Unglück der Liebe erzählt. Wie der Held hingeht, in silbernem
Schuh Wasser zu holen für seine Geliebte, und ihm die Nachti-
gallen am Brunnen wahrsagen, er werde sie todt finden mit
zwei Kindern in ihrem Schooss, und wie er, nachdem er alle
373 drei begraben, glaubt, die Kinder unter der Erde weinen zu
hören, und sich das Schwert ins Herz sticht; oder wie er den
Tod aus der Liebsten Mund empfangen muss, da sie seinen
Namen nennt im Kampf und ihm ruft ihres jüngsten Bruders
zu schonen; denn alsbald wird er todwund geschlagen. Auch
von der Gewalt nächtlich tanzender Elfen wird erzählt, die den
halb träumenden Jüngling in ihre Reihen locken wollen, oder
AXEL THORDSEX OG SKJuX V'ALBORG UDO. AF NYERUP. 5
den widerstrebenden ans Herz schlagen, dass ihn am Morgen
seine Braut todt unterm Scharlach findet. Anmuthig sind die
Kindermärchen von der Prinzessin, welche der Wassermann ge-
stohlen und die ihr Bruder aus dem unterirdischen Haus be-
freit, und von dem Nachtraben, an den die Königin ihr Kind
verkauft hat. Doch wir dürfen nicht weiter vom Einzelnen
reden, weil das zu weit führen würde.
Zu diesem Interesse eines poetischen Buchs kommt noch
ein anderes, das uns die Kjempeviser merkwürdig macht. Näm-
lich der älteste Theil desselben, die Heldenlieder, greifen in die
Fabel und den Cyklus des Nibelungenlieds und Heldenbuchs
ein. Jeder, den die Geschichte dieses grossen Epos und der
altdeutschen Poesie überhaupt interessirt, wird ihre Wichtigkeit
aus dieser blossen Bemerkung schon anerkennen; noch mehr
aber, wenn wir hinzufügen, dass sie, von der dem Norden
eigenthümlichen Gestalt der Sage verschieden, sich zum Theil
der deutschen nähern, ohne dass man bestimmt behaupten könne,
sie seien aus dieser entstanden oder orar übersetzt. Eine eigene
Ausführung des Gesagten müsste ihr Interesse haben, gehört
aber nicht hierher, und Rec. wird an einem anderen Ort Ge-
legenheit haben sie zu liefern.
Die Elskovs viser (von denen Rec. eine Abschrift be-
sitzt) sind eine kleine Sammlung von dreissig Liedern, die alle
einen tragischen Ausgang haben (daher der andere Name: Tra-
gica), wovon die meisten an Werth den Kjempeviser nicht
nachstehn. Ausgezeichnet darin ist das Kind von Hafbur und
Signild, eine alte Sage, worauf schon die Edda hindeutet und
welche auch Saxo Grammaticus erzählt: Hafbur, als Jungfrau
verkleidet, geniesst die Gunst seiner Geliebten, wird verrathenaii
und überwältigt: alle Stricke reisst er entzwei, bis sie ihn mit
zwei Haaren von Signilde binden, die er nicht zerreisst, aus
grosser Liebe, selbst als sie ihn darum bittet; sie hat ihm ver-
sprochen, sich zu verbrennen, wenn sie ihn aufgehängt sehe,
er weiss sie einige Augenblicke früher zu täuschen, indem er
erst seinen Mantel hat hinaufziehen lassen, und nun stirbt er
mit der Lust, ihre Kammer in Flammen stehen zu sehen. Ein
merkwürdiges Lied enthält Sigurds mordlichen Tod, von dem
6 AXEL THORDSEN OG SKJÖN VALBOKG UDO. AF NYERUP.
Nibelungenlied, auch von der Wolsungasaga wieder abweichend,
mit eigenen aber herrlichen Motiven.
Bei so mannigfachem Interesse verdient eine neue Aussrabe
dieser beiden Sammlungen unsere ganze Aufmerksamkeit. Sie
konnte in keine bessern Hände fallen: die Gelehrten, die sich
dieser Arbeit unterziehen wollen, sind sämmtlich durch ihre
Bemühungen für ihre vaterländische Litteratur bekannt, und
wir sind berechtigt, etwas Vorzügliches und sorgfältig Bearbeitetes
zu erwarten. An Zeit dazu wird es auch nicht fehlen, da die
Erscheinung des Buchs von dem Frieden abhängen soll. Herr
Prof. Nyerup hat als Probe das Lied von Axel und Wald-
borg geliefert. Es ist das grösste der ganzen Sammlung (in
den Kjempeviser enthält es gerade 200 Strophen) und gehört
unserm ürtheil nach nicht zu den ersten, wiewohl es immer
vorzüglich bleibt und sehr schöne Stellen hat. Es neigt sich
in der Darstellung zu der späteren Manier, die ausführlicher ist,
und hat etwas von dem Charakter mehr historischer Meldung,
wie es auch durch sein verschlungenes Silbenmass von den
andern abweicht und fast das einzige ist. Veranlassung dieses
auszuwählen war dem Verf. das neue Öhlenschlägerische Drama,
welches auf dieses Lied gebaut ist; vielleicht auch die Möglich-
keit, so viele interessante Volkssagen über das sogenannte
Historische der Erzählung zu sammeln, welches bei anderen
schwerer fallen dürfte. Die Volksmelodie ist hinzuo^egreben,
auch Wort- und Sacherklärung. Durch die Betrachtung dieser
Probearbeit sind wir zu folgenden Wünschen veranlasst worden.
375 Erstlich: das Lied hat in den Kjempeviser 200 Verse, hier
sind nur 175 mitgetheilt, also gerade 25 ausgelassen. Der Verf.
sagt deshalb, es sei doch lang genug: das ist wahr, es ist lang,
allein bei der Poesie erkennen wir keinen Uberdruss, der aus
dem Allzulangen entsteht, und ausserdem, wer ihn bei 200 Strophen
empfindet, wird damit nicht bis zur 175sten warten, also wäre
für einen solchen nichts gewonnen; andere aber, die von dem
Uberdruss nichts wissen, hätten verloren. Betrachten wir die
fehlenden Strophen, so müssen wir es zwar bei mehreren, weil
sie unnöthige Wiederholungen enthielten, recht sein lassen, dass
sie übergangen sind. Wir bemerken aber gleich, dass wir nur
AXEL THORDSEN 03 SKJOX VALBORG UDG. AF XYERUP. 7
bei diesem einzigen Lied, weil es sich, wie schon erwähnt, durch
seine breitere Manier bestimmt von den anderen unterscheidet,
dies Recht gelten lassen, nicht aber bei irgend einem anderen
der Sammlung. Andere Strophen hätten wir lieber stehen
gelassen und andere dafür gegeben, die uns ein matter später
Zusatz scheinen, wie die drei letzten (hier 173 — 175). Doch
darüber wollen wir so streng nicht richten; was wir aber
bestimmt tadeln müssen, das ist die Auslassung folgender schöner
Verse und die Idee, welche wir als Grund davon einzusehen
glauben. Erstlich des achtzehnten, wo erzählt wird, Axel habe
geträumt, wie er seine Liebste in Sammt gekleidet gesehen und
Haagen der Königssohn neben ihr gesessen und sie begehrt;
dann des 162., wo Axels Schild beschrieben wird: weiss und
blau und zwei rothe Herzen darin; endlich aber des 140.
Wir wollen, um diesen Vers im Zusammenhang lesen zu können,
die dabei stehenden mitn hersetzen : man wird zugleich eine
Probe von dem rührenden Gedicht haben, dessen beste Stelle
diese grade nicht ist. Axel und Waldborg, nachdem sie in der
Kirche geschieden worden, sitzen bei dem Fest des Königssohns
zusammen und reden über ihr Unglück:
Sagt mir, Waldborg, Herzliebste mein.
dieweil allein wir beide:
welcher Rath mag uns der beste sein,
dass seh winden misre Leiden?
„Fah' ich den König, wenn das geschieht, 376
ist's gegen meinen Willen:
und lebt' ich tausend Jahre hier,
es kam mir nicht aus den Sinnen."
„Ich will sitzen in dem Saale weit
und wirken das Gold in die Haube,
so sorglich leben meine Zeit,
recht wie die Turteltaulie.'^
140. „Ruht nimmer auf grünem Ästelein,
als wenn ihre Bein sind müde:
trinkt nimmermehr das Wasser so rein,
sie rührt's erst mit ihren Füssen.**
„Mein Herr, Ihr reitet so lustiglich,
zu jagen die wilden Rehe:
8 AXEL THORDSEN OG SKJÖN VALBORG ÜDG. AF NYERUP.
und alle Gedanken, die kommen um mich,
die lasset geschwind fortgehen."
„Mein Herr, Ihr reitet so lustiglich,
zu jagen die Hasen wilde:
und alle Gedanken, die kommen um mich,
die lasset fortgehn geschwinde.*
Und wenn ich auch in den Rosenwald reit,
die wilden Thiere zu jagen:
was soll ich Nächtens thun, zu der Zeit,
wenn ich kann gar nicht schlafen?
Wir hätten dies schöne Bild der Taube, die von Schmerz
getrieben nicht ruht, bis sie vor Müdigkeit nicht mehr fliegen
kann, und die das Wasser anrührt, wenn sie trinkt, damit sie
ihr Bild nicht sehe, unmöglich auslassen können. Schlegel
(Vorles. über dramat. Kunst II, 148) nennt sehr treffend die
Furcht vor dem Lächerlichen das Gewissen der französischen
Schriftsteller, die ihre Flügel beschnitten und ihren Schwung
gelähmt: wir wünschen, dass die Herausgeber diese Furcht nicht
in diese Lieder hineintragen, die sie nicht kennen und die ihrer
Natur ganz und gar zuwider ist. Man darf ihrer Wahrheit
immer vertrauen und nicht besorgen, dass eine Volksdichtung
lächerlich sein könne, das ist nur das Leere und Taube; hegen
wir doch vor allem im Leben Achtung, was aus innerer Über-
377 Zeugung gesagt oder gethan wird, selbst bei offenbarem Irr-
thum. Wir bitten daher, keinem andern Lied, das aufgenommen
wird, etwas Ahnliches zu entziehen, überhaupt nichts, und nur
ein Vers könnte Ausnahme machen, der zweimal etwa ganz
unsinnig angehängt ist und die Nachricht von einer Verheirathung
enthaltend einen Schluss machen soll: bei dem Lied von dem
Held Vonved (S. 90) und von Marsk Stigs Töchtern (S. 240).
Sind wir so streng für Lieder, die aufgenommen worden,
so wollen wir recht viel nachgeben, wenn andere sollen ganz
ausgelassen werden: ja die Herausgeber werden dadurch unseren
zweiten Wunsch erfüllen. Es findet sich in den Kjempeviser eine
Anzahl sogenannter historischer Lieder (hauptsächlich S. 281 ff".)'
d. h. solche, die nach Art gereimter Chroniken Begebenheiten
erzählen, ohne sie poetisch aufgefasst zu haben, die wohl einen
historischen Werth haben und deshalb eine eigene Sammlung
AXEL THORDSEN OG SKJÜN VALBORG UDG. AF NYERUP. 9
verdienen, die aber hier nicht berücksichtigt werden dürfen. Sie
gleichen den historischen Liedern in unseren Chroniken und ver-
dienen keinen Platz neben den anderen. Zu übergehen wären
auch poetisch unbedeutende Lieder, deren Motive schon einmal
und besser da gewesen sind, oder die zweite oder gar dritte
Recension desselben Liedes, insofern sie wenig abweicht; es
wird hinlänglich sein, was etwa davon interessiren könnte, in
der Note anzumerken. Beispiele sind gleich das 15. und 19. Lied
in der ersten Abtheilung, das dritte Lied von dem Meermann
(S. 157), das Lied von Kragelild, das S. 400 und 601 wenig
verändert wieder vorkommt u. a. m. Ungrehörior sind ferner
die Modernisirungen alter Scaldenlieder, die zu Anfang des
vierten Theils eingerückt worden, wie Bialkemaal hin gamle,
Ragnar Lodbrocks Lied, auch einige Lieder, die keine echten
Volkslieder sind, wie z. B. das letzte.
Drittens wünschen wir, dass die Herausgeber sparsamer
mit den Noten umgehen möchten, als es hier bei dieser Probe
geschehen. So sehr wir es billigen, dass sie Anmerkungen
liefern wollen, auch, was zum Verständnis beim Lesen erfor-
derlich, gleich auf der Stelle in Noten mittheilen und es nicht,
einer unbequemen modernen Eleganz zu gefallen, in einen An-37S
hang verweisen, wo es niemand, der mit Lust Hest, nachsieht,
weil er sich unterbrechen muss, so wünschen wir doch auch
nicht, dass sie über andere Dinge sich ausbreiten möchten, wie
etwa S. 28, 42, 49, 50, 62 geschehen. Es ist nichts lästiger,
als Noten, die sich nicht streng an die Sache halten und die
die Gedanken ableiten oder etwas mittheilen ^ das weiter von
keinem Belang ist: wenn in einigen von den citirten Stellen ge-
sagt wird, dieser Zug sei recht schön, oder diese Cereraonien
passend, so ist das wahr, allein es bleibt besser der eigenen
Betrachtung des Lesers selber überlassen, dies zu bemerken.
In der Einleitung zu dieser Ballade sind mehrere Volks-
sagen von dem Ort, wo die Geschichte sich soll zugetragen
haben, zusammengestellt, welche in Norwegen von Reisenden
sind gehört worden. Jede Gegend gibt einen anderen Ort an,
und es ist interessant zu sehen, wie sich die Sage an so manches
angeknüpft hat: an einen mit Steinen umkreisten Platz, wo die
10 AXEL THORDSEN OG SKJÖN VALBORG UDG. AF NYERÜP.
Schlacht soll vorgefallen sein, in welcher Haagen und Axel
fielen; an grosse Bautasteine (pyramidenförmig aufgerichtete Ge-
dächtnissteine), worunter die Helden liegen sollen ; an ein weisses
Marniorgrab, in welchem sie Waldborg ruhen lässt. Dieses ist
die Natur der Sage, die überall, wo sie lebt, auch ihr Haus
hat und daheim ist. Es ist daher recht schätzbar und ver-
dienstlich, wenn die Herausgeber solche Volkssaoren sammeln,
nur wünschen wir nicht, dass sie gerade kritisch bestimmen
wollten und aufsuchen, welche die echte sei, um die anderen
als Unwahrheit abweisen zu können. Man wird mit dieser An-
sicht, da sie sich fast alle widersprechen und eine an sich so
viel Glauben verdient, wie die andere, schwerlich zu einem
anderen Resultat gelangen, als dass keiner zu trauen und nichts
auszumachen sei, welches auch hier angegeben worden. Es
wird genug sein, diese mannigfaltigen Sagen zusammenzustellen,
um die Wahrheit, die in allen erscheint, zu finden: wie alles
in der Natur von derselben Art neben einer stetigen indivi-
duellen Verschiedenheit immer auch denselben Grundtypus in
379 sich trägt. Auch die Recherchen über die Verfasser der Lieder
rathen wir aufzuoreben, weil sie doch keinen Erfolg haben
können: das Volkslied dichtet sich selbst und springt
als Blüthe aus der That hervor.
Endlich hofien wir, die Herausgeber werden nicht bloss
die beiden gedruckten Sammlungen benutzen, und etwa noch
vorhandene Manuscripte, sondern auch eine dritte Quelle, welche
für das Wunderhorn sehr reichlich geflossen: wir meinen die
fliegenden Blätter und das Auffassen aus dem Munde des Volks
selbst. Da sie gesonnen, die Melodieen als eine sehr will-
kommene Zugabe auf die letztere Weise zu sammeln, so werden
sie Gelegenheit haben, manches neue Lied zu hören, und ohne
Zweifel sichern und aufzeichnen.
Dies sind unsere Wünsche für die neue Ausgabe der Kjem-
peviser, die wir geäussert, um unser Interesse für diese Unter-
nehmung darzuthun. Erfreulich wird es sein, wenn es sich
bestätigt, was wir gehört, dass auch in Schweden jetzt eine
Sammlung von Volksliedern veranstaltet werde. Möchten sich
dort auch Männer, wie hier, dazu vereinigen, und nicht unge-
AXEL THORDSEX OG SKJÖN VALBORG UDO. AF NYERUP. H
schickte Hände darüber gerathenl Vieles Interessante müsste
aus der Vergleichung der Lieder beider Nationen hervorgehen,
wahrscheinlich auch Aufklärungen, gegenseitige Ergänzungen
und Übereinstimmungen, die es darthun würden, was wir
glauben, dass es eine Zeit gegeben, wo die Volkspoesie beider
Länder nicht getheilt, sondern ein Gemeingut war.
Wir können diese Anzeige nicht beschliessen, ohne Gelegen-
heit zu nehmen, noch eine litterarische Bitte an die dänischen
Gelehrten zu thun. Sie betriflPt die baldige Herausgabe des
zweiten Theils der Sämundinischen Edda. Wir erklären,
dass wir unter allen noch vorhandenen Manuscripten dieses un-
bedingt für das wichtigste halten, und es ist unbegreiflich, wie
man einen solchen Schatz so lange unbenutzt liegen lässt. Das
!\Iagnäische Institut, das sich in den Jahren 1773 — 1787 eifrig
für die Herausgabe der isländischen Manuscripte zeigte, hat in
mehr als zwanzig Jahren nichts edirt als eine Übersetzung der 380
Nialssaga, welche eben erschienen und wovon der Original-
text schon 1 787 gedruckt wurde. Wir wissen nicht, ob Hinder-
nisse entgegenstanden, aber wir glauben, dass solche nicht
schwer zu besiegen waren, wenn man ernstlich wollte. Es be-
stätigt sich auch hier, was man bei gelehrten Akademieen er-
fahren, dass nichts litterarischen Arbeiten nachtheiliger, als wenn
man sie allzubequem gemacht. Würden nicht zw^ei gelehrte
Isländer zur Bearbeitung der Manuscripte jährlich von dem
Legat besoldet und gehalten, so würde es dem Eifer eines Ein-
zelnen schon gelungen sein, zu dieser reichen Sammlung zu
gelangen, und er würde ohne solche Unterstützung mehr bewirkt
haben. Wir dürfen als Beispiel die Schweden Peringskiöld und
Biörner nennen, ja die Sammlung altdeutscher Gedichte, sowohl
die Müller veranstaltete, als die jetzt erscheint, gewiss nicht in
günstigen Zeiten. Der Enthusiasmus für eine Sache thut doch
stets am meisten, und es stände noch zu fragen, was ohne
Suhm durch das Magnäische Institut geschehen wäre. Auch
das Princip, wornach man den Vorzug der zu edirenden Codd.
bestimmt, können wir nicht billigen. Man gibt den Sagen,
die mehr historisch scheinen, oder mit anderen Worten, den un-
poetischen (darum, wie wir glauben, jüngeren) den Vorzug. So
12 AAGE OG ELSE UDGIVET AF RAHBEK.
ist es gekommen, dass man, um einige historische Data, deren
Werth wir übrigens anerkennen, zu erhalten, die ahen Gedichte
hintangesetzt hat, in denen sieh der Geist der altnordischen
Dichtung am grössten ausspricht und die nicht weniger eine
historische Wahrheit, nur eine noch höhere und wichtigere haben.
Es ist keinem Zweifel mehr unterworfen, dass die Sage der
Nibelungen, und diese ist in den meisten noch ungedruckten
Liedern der Edda Sämundar (wie in der Blomsturwalla- und
wahrscheinlich auch in der Jarl-Magus-Saga) enthalten, ge-
schichtlich begründet sei, und wir wollen versichern, dass, wenn
sich der Norden nicht für diese herrlichen Gesänge (wovon wir
eins ganz, andere nur aus Bruchstücken bei Bartholin und Tor-
381 fäus kennen) interessirt, sie von uns Deutschen mit Dankbarkeit
und Freude sollen aufgenommen werden.
[Anonym; im Verz. von W. C. Grimm.]
143 AAGE OG ELSE,
en gammel Ballade, udgivet af Professor og Ridder af Dannebrog K. L. Rahbek,
som Pröve No. 2 paa den ny Skikkelse hvori Abrahamson , Nyerup og Rahbek
agte at udgive den saa kaldte Kjempevisebog. Kjöbenhavn. 1810. 15 S. 8.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang IV (1811) Bd I, No. 9,
S. 143—144.
AJiese Probeschrift enthält ein kurzes Lied von dreizehn
Strophen, welches Sandvig in einer Papierhandschrift des sech-
144 zehnten Jahrhunderts in der Suhmischen Bibliothek fand und
in seinen Levninger af Middelalderens Digtekunst, forste Hafte
1780, bekannt machte. Ohlenschläger benutzte es neuerdings in
dem Trauerspiel Axel und Waldborg, und dieser Umstand ver-
anlasste den Herausgeber, nachdem schon in der ersten Probe-
schrift Rücksicht auf diese Dichtung genommen war, es als
zweite Ankündigung der neuen Ausgabe der Kämpeviser nach
Sandvigs Recension abdrucken zu lassen, mit den Varianten
von Ohlenschläger, der einer mündlichen Überlieferung gefolgt
zu sein scheint. Das Lied weicht in etwas von der Manier
AAGE OG ELSE UDGIVET AF RAHBEK. 13
der Kämpeviser ab, indem es runder und fliessender ist; es
drückt eigenthümlich schön jene Sage aus, dass der Bräutigam
im Grab die Klage seiner Braut gehört, aufgestanden in der
Nacht, zu ihr gekommen und sie mit sich gezogen; tief und
wunderbar ist der Zug, dass er sagt, er fühle ihre Gedanken:
wenn sie sich freue, sei sein Sarg mit Rosenblättern angefüllt,
wann sie traure, aber ganz mit geronnenem Blut. Auch hier
endigt, wie immer in nordischen Sagen, der Hahnenschrei das
Geisterreich. Auf die Ähnlichkeit mit Bürgers Lenore wird in
der Einleitung aufmerksam gemacht, auch dass diesem einzelne
Laute eines deutschen Volkslieds vorsceschwebt : wir füo-en hinzu,
dass das ganze in dem Wunderhorn II, 19 mitgetheilt worden.
Es ist gleichfalls bemerkt, dass die Engländer ähnliche Volks-
lieder hätten, wovon eins bei Percy stehe (III, 126. Herder 298),
eines anderen im Monthly Magazine 1796 Sept. gedacht werde.
Ganz richtig wird der Schluss abgewehrt, dass eins von diesen
Liedern Original, die anderen von diesem entlehnt seien; allen
drei Völkern gehört diese Sage zu, als ein Zeugnis ihrer Ver-
wandtschaft, jedes hat sie eigenthümlich behandelt, und schon
dieses würde eine solche Behauptung abweisen. Von einem
anderen dänischen Liede werden drei Zeilen aus Öhlenschläofers
Palnatoke angeführt:
Mond scheinet,
todte Mann greinet:
wird dir nicht Angst?
Wir erinnern uns einiger Zeilen aus einem deutschen Liede,
die ähnlich damit lauteten. Dass eine Melodie von Öhlen-
schläger mitgetheilt worden, sehen wir als eine Artigkeit gegen
diesen an; bei allem Werth, den sie haben kann, grehört sie
nicht in eine Sammlung alter Volksmelodieen, und wir zweifeln
nicht, dass künftig nur auf diese wird Rücksicht genommen
werden. Von der Herausgabe der Kämpeviser theilt diese
Schrift die angenehme Nachricht mit, dass sie nicht länger auf-
geschoben, sondern begonnen werden soll.
[anonym.]
14 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
774 1. ÜBER DIE ÄCHTHEIT DER ASALEHRE UND DEN
WERTE DER SNORROISCHEN EDDA.
Von P. E. Müller, Prof. der Theologie in Kopenhagen. Aus der dänischen
Handschrift übersetzt Ton L. C. Sander, Prof. Kopenhagen bei Fried. Brummer.
1811. 92 S. 8. (Das Original wird in den Schriften der Scandinavischen
Litteraturgesellsch aft erscheinen.)
2. OM EDDA.
Von Nyorup, Prof. (det skandinaviske Litteraturselskabs Skrifter. 1807. III,
113—191. Geschrieben im Februar 1808.)
3. EDDA ELLER SKANDINAVERNES HEDENSKE
GUDELÄRE.
Oversat Ted R, Nyerup. Kjöbenhaven, bei Andr. Seidelin. 1808. 127 S. 8.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang IV (1811) BdH, No. 49, 50,
S. 774—794.
Von Zeit zu Zeit gibt es Gelegenheit zu einer kleinen
Schrift in Dänemark, die uns bewährt, dass man die alte
Mythologie des Nordens allerdings hochachte und dass das
Interesse für die Denkmäler derselben, die in schätzbaren Samm-
lungen aufbewahrt werden, fortdauernd sich erhalte. Weniger
zeigt sich dieser Eifer in der wirklichen Bearbeitung und Her-
ausgabe der alten Manuscripte selbst, wodurch das Studium
eigentlich erst belebt werden würde. Denn wenn wir schon
behaupten, dass eine besondere Angelegenheit einer besondern
Nation doch der allgemeinen Erforschungslust aller gebildeten
Völker müsse mitgetheilt werden, weil alles in einem grossen
Zusammenhange steht und gegenseitig sich dienen und erläutern
muss, so wie in der Naturwissenschaft die fleissige Betrachtung,
man kann sagen, einer einzigen Pflanze das Ganze unerwartet
gefördert hat, mehr, als eine abermals neue Bearbeitung und
Ansicht des Ganzen, die aus solchem Fleiss nicht entstanden,
so muss dies noch mehr gelten, wenn von einem Gegenstand
die Rede ist, welcher ein so durchaus allgemeines Interesse hat.
Die Völker germanischer Abkunft sehen aber in der altnordischen
Mythologie und der damit verknüpften Sagengeschichte die
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 15
Monumente einer Zeit, wo sie alle noch zu Einem Gott beteten
und in Einer Zunge sprachen; und wie sie sich im Fortgang
getrennt und entfernt, so werden sie doch bei dem Nachdenken
über ihre Schicksale dahin zurückgeführt, und dort laufen die 775
Fäden zusammen und in einander. Darum scheint die Forderung
gerecht, dass diejenigen, welchen diese Denkmäler zugekommen,
sorgsam seien, sie dem gemeinsamen Studium zu übergeben;
dann werden für einen so ernsten Gegenstand Theilnehmer und
Mithelfer nicht ausbleiben. Einige*) Klage zu führen wird uns
um so eher erlaubt sein, als wir die Worte des Verf. der ersten
Schrift dazu nehmen S. 91: «Sehr vieles von dem Zustand
der scandinavischen Heidenzeit bedarf noch einer weiteren Auf-
klärung. Viele von den Denkmälern, die dazu benutzt werden
könnten, sind noch nicht ans Licht hervorgezogen. Die Meinung
derer, die da geglaubt haben, das Beste von den Arnämagnäa-
nischen Manuscripten sei bereits durch den Druck bekannt ge-
macht, ist folglich ganz ungegründet. Vor kurzem sind zwei
der wichtigsten, Eigla (1809) und Niala (von der letzteren nur
die Übersetzung, der Text des Originals war schon vor dreissig
Jahren gedruckt) herausgegeben. Allein zurück sind noch
Sturlungasaga, Kormakssaga, Laxdjila, Vatsdala, Swarfdäla, Reick-
däla, Grettissaga, Olufs des Heiligen Sage, Hakon-Hakonsens-
Saga und mehrere andere, besonders von den halbmythischen
Sagen, sowie alle alten Gesetze. Für die eigentlich my-
thische Litteratur ist bis jetzt nur noch das Wenigste
gethan. Ausser der einen Hälfte der Sämundischen Edda hat
man noch das Wichtigste (?) von Snorros Edda herausgegeben."
Die Gründe dieser Nachlässigkeit oder, ist Absicht dabei, dieser
Zögerung dürfen wir nicht in dem Mangel eines theilnehmenden
Publicums suchen, weil das Magnäanische Legat die Herausgabe
der alten Sagen ganz unabhängig davon gemacht hat, und wir
kommen auf eine schon einmal geäusserte Behauptung zurück,
dass gelehrte Untersuchungen durchaus nicht befördert werden,
wenn sie dem Eifer eines Einzelnen, der früher oder später
endlich doch alle Schwierigkeiten überwindet, entzogen, unter
*) [Änderung im Handexemplar für: Diese.]
16 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
eine Gesellschaft vertheilt werden, die nichts zu überwinden hat.
als eben den Mangel an Eifer und Enthusiasmus für die Sache.
Dass diese Schwierigkeit aber die grösste sei, beweisen im AU-
776 gemeinen die geringen Resultate aller Akademieen gegen ihre
grossen Anstalten, hier aber der Umstand, dass dreissig Jahre
lange nichts von den Arbeiten des Magnäanischen Instituts bekannt
wurde, während in den Jahren 1776—1783, wohl durch Suhms Ein-
fluss und uneigennützigen Eifer, in kurzen Zwischenräumen die
wichtiorsten Werke herausgeofeben wurden. Bis wir das Institut
wieder zu jener Thätigkeit erwacht sehen, wollen wir alles dankbar
annehmen, was sonst für die alte Litteratur dort geschieht, und
wir freuen uns über die Versicherung, welche die Vorrede des
ersten Buches enthält, dass ein isländisches Wörterbuch unter
der Presse sei (eine Grammatik ist so eben erschienen, aber
Rec. noch nicht zugekommen) und eine Reihe von Sagen durch
die Unterstützung wohlhabender Freunde der Wissenschaft zum
Druck befördert werden solle. Indes können wir uns nicht mit
dieser Empfindung zu den genannten Schriften wenden, ohne
zu bemerken, welch ein Vorwurf durch ihre Erscheinung allein
stillschweigend gemacht werde. Eine in aller Hinsicht voll-
ständige Bearbeitung der jüngeren Edda, indem der Text kritisch
nach allen vorhandenen Manuscripten (das Upsalische aus-
genommen) verglichen, übersetzt und erläutert ist von dem Is-
länder Johannes Olavius, liegt beinah schon ein halbes Jahr-
hundert vollendet in der Universitätsbibliothek, welche die
Magnäanische Sammlung aufbewahrt (Not. 1 S. 24), so dass sie
bei dem Abdruck etwa nur dürfte abgekürzt werden (S. 92).
Die beiden ersteren Schriften beruhen auf dieser Arbeit, die
dritte verdankt ihr vieles; nun fragen wir, wie es möglich ist,
dass man mit Eifer für die Sache ein solches Werk, welches
zu den ersten Quellen gehört, so lange hat liegen lassen können,
währenddem die Ausgabe von Resenius einffeständlich erstlich
incomplet (Göranssons Edition hat nicht einmal die Dämesagen
vollständig) und fehlerhaft, sodann aber höchst selten ist (Vor-
rede zu No. 3); und dass man noch keine Hoffnung zur Heraus-
gabe desselben macht?
Doch wir wollen erkenntlich annehmen, was unsere Veif.
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 17
hier mitgetheilt. Die erste Schrift macht den Versuch, aus der
Snorroischen Edda die Echtheit der Asalehre darzuthun, die 777
zweite theilt für solche Untersuchungen einige interessante Stellen
aus dem Saxo Grammaticus mit, sonst ist sie grösstentheils
bibliographischen Inhalts und beschreibt genau und mit Sach-
kenntnis die vorhandenen Manuscripte der jüngeren Edda. Die
Hauptcodices sind der Wormische, der königliche und der
Upsalische. Der erste, aus der Mitte des fünfzehnten Jahr-
hunderts, ist der vollständigste und reichste, der zweite älter,
aber es fehlt einiges (jetzt gänzlich verloren, doch in dem er-
wähnten Werk des Olavius vollständig benutzt, ausserdem aber
besitzt Thorlacius eine sehr correcte Abschrift davon) ; der dritte,
aus der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, ist der kürzeste
und als ein Auszug zu betrachten (eine Abschrift davon hat die
Universitätsbibliothek zu Kopenhagen). Ausserdem besitzt die
Magn. Sammlunoj noch zwei andere Membranen aus dem Anfansf
des vierzehnten Jahrhunderts (No.757 und 748 in 4), welcheBruch-
stücke aus den Kenningar und dem letzten Theil der Edda ent-
halten , und mehrere jüngere Papierhandschriften (zwei Codices
zu Oxford und Paris, ehemals zu Wolfenbüttel, sind spätere
Copieen). Merkwürdig ist das Verhältnis dieser Manuscripte
unter sich: sie weichen sämmtlich von einander ab, eins ist in
besonderer Hinsicht vollständiger, als das andere, und keins
kann als Copie des anderen betrachtet werden (Müller S. 52).
Diese Snorroische Edda besteht in allen vollständigren Manu-
Scripten aus drei Theilen: 1) aus den Dämesagen oder mythischen
Erzählungen, die unter dem Namen Gylfeginning (Gylfes
Täuschung) und Bragaradur (Bragas Rede) begrifien werden
und die man bei Resenius gedruckt findet ; 2) aus den Kenningar,
poetischen Umschreibungen, wovon Resenius nur einen sehr
unvollständigen, Olaffsen om Nordens gamle Digtekonst (§ 34 ff.)
einen besseren Auszug gegeben ; 3) aus einer isländischen Prosodie,
clavis raetrica, Hattatal (auch Hattalykil) genannt und hundert
Versarten in drei Lobhedern enthaltend. Dazu kommen im
Worm. und Upsal. Codex Abhandlungen über Buchstaben und
Tropen; Olaflfsen in dem genannten Buch handelt § 85 ff. davon. 778
Aus diesem Inhalt lässt sich die Frage, was die Edda sei, leicht
W. (jRIMM, KL. SCIIRIl'TKX. 11. 2
18 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLO.GIE.
beantworten: eine Unterweisung zur Poesie, wobei zuerst von
der Materie, dann von der Form gehandelt wird, und es gilt
ganz, wie es in dem ersten Capitel der Vorrede bei Resenius
heisst: „sie lehrt die nordische Scalldschaft erkennen aus den
Dämesagen und aus den üblichen poetischen Umschreibungen",
endlich aus der metrischen Beispielsammlung. Ein Buch muss
nothwendig nach der ihm zum Grund liegenden Ansicht ge-
fasst werden, nicht aber nach dem Namen, der sehr zufälhg
sein kann, und Nyerup irrt, wenn er bloss Gylfeginning und
Bragarfidr zur Edda rechnet: offenbar ist in den Theilen des
Werks ein Zusammenhang, und sie werden von einer Idee zu-
sammengehalten. Die Stelle, welche er als Beweis (S. 177) an-
führt, sagt ebenfalls nur, wie auch Müller bemerkt (S. 62), dass
man Bragarädr mit zur Edda gezählt habe, nicht aber zugleich,
dass die Kenningar und Hattatal davon ausgeschlossen seien,
also nichts für seine Ansicht. Überhaupt genommen, scheint
es schon misslich, den Namen Edda auf Einen von den drei
Theilen des Ganzen ausschliesslich zu beziehen, weil jeder dieser
Theile einen eigenen sehr passenden Namen schon hat, und es
ist wohl das Natürlichste anzunehmen, dass man das Ganze
damit habe bezeichnen wollen; sehen wir ferner, dass dieser
Name für dieses auch sehr schicklich sei, wie gleich wird be-
merkt werden, so erscheint dies Argument bedeutend genug.
Dass aber die Eine Idee, die Dichtkunst zu lehren, durch das
Ganze hingehe, ergibt sich auch daraus, dass in dem ersten
Theil die Mythologie bloss abgehandelt wird, insofern sie Gegen-
stand der Poesie sein kann, nicht insofern sie die Religion
enthält, weshalb auch von dem Cultus eigentlich nichts vor-
kommt. Ein klarer Beweis ist ferner, dass ausser den religiösen
Mythen auch der Cyklus der Wolsungensage dargestellt ist,
welcher höchst wahrscheinlich nächst jenen, an welche er sich
doch auch wieder anknüpft, der wichtigste war, ja in dem königl.
Codex heisst es ausdrücklich, dass die meisten Scalden nach
779 8igurdur Fofnisbane gedichtet. In den Kenningar ist dasselbe
Verhältnis sichtbar, indem neben den Benennungen und Um-
schreibungen der Götter auch viele aus dieser Sage sich finden,
die wir hernach anführen werden. Wenn man daher sagt, dieser
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 19
Cyklus gehöre nicht zur religiösen Mythe, so hat man grössten-
theils Recht; behauptet man aber, er gehöre nicht zur Edda,
so ist es falsch, und wir können es darum nicht billiffen. dass
Nyerup in der Übersetzung auch diese Fabeln übergangen. Dass
man das System nicht genau befolgte und sie, wie noch andere,
an den unrechten Ort, in die Kenningar, stellte, darf man nicht
übel nehmen: es ist der Zeit, wo alles noch im Herzen lebendig
und der innere Zusammenhang sowohl als Unterschied gefühlt
wird, eigenthümlich, das äussere Gerüst nicht sehr zu achten;
die spätere macht es umgekehrt. Freilich aus kritischen Gründen,
wie Ihre glaubt, hat man sie nicht dahin gebracht. Müller ver-
wirft gleichfalls Nyerups Einschränkung (S. ^^) und will, dass
edda nach Magnäus in Sämunds Leben als weibliche Form von
othr soviel als Poesie bedeute, oder noch wahrscheinlicher nach
Olavs handschriftlichem isländischen Wörterbuch soviel als
aedada, Particip von dem ungebräuchlichen Verbum eg aedi, ich
unterrichte, mithin Scaldenkunst heisse und damit genau den
Inhalt des Buchs bezeichne. Darin aber kann ßec, nicht bei-
stimmen, dass die Bedeutung von Edda als Ältermutter, un-
streitig die ungezwungenste des Worts, für die ganze Sammlung
unpassend sei, weil die Dämesagen das Frühere wie das Spätere
umfassten, denn an eine solche Unterscheidung ward gewiss
nicht gedacht, und es scheint sehr einfach, die Anweisung zur
Dichtkunst bildlich Mutter der Poesie zu nennen, ebenso die
Sammlung alter Lieder in Sämunds Edda ; vielleicht dachte man
auch gar nicht an solche oder irgend eine bildliche Bedeutung
und gebrauchte das Wort nur als gleichbedeutend mit Poesie
im Allgemeinen, wie es in Schriften des vierzehnten Jahrhunderts
vorkommt (S. 67). Da die Edda des Snorro ein Handbuch für
Dichter war, und wahrscheinlich ein viel gebrauchtes, so scheint 780
es natürlich, dass bald Zusätze dazu gemacht wurden und das
Buch mit seinem Alter immer mehr zunahm. Daher kommt es,
dass alle Handschriften abweichen und eine mehr als die andere
enthält. Müller hat es gut dargethan, wie in den Kenningar
verschiedene Verf. zu unterscheiden sind, die nach einander
müssen gelebt haben (S. 47. 48. 53). Der königl. Codex hat
noch eine spätere Unterscheidung in Kenningar (Umschreibungen)
20 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
und Heiti (poetische Benennungen), die im Worm. Codex fehlt.
Zu Hattatal ist noch ein Commentar von einem späteren ge-
kommen (S. 45). Ebenso ist es unzweifelhaft, dass die Ab-
handlungen des dritten Theils über Buchstaben und Tropen
von mehreren, auch der Zeit nach verschiedenen Verfassern
herrühren (S. 31^ — 38); und wahrscheinlich waren sie von ihrem
Urheber auch noch nicht in verschiedene getheilt (S. 36). Rec.
vermuthet, dass auch der erste Theil eine Veränderung erlitten,
wovon hernach mehr vorkommen wird. Als ein solcher später
unschuldiger Zusatz erklärt sich, nach des Rec. Ansicht, auch
die verrufene Vorrede. Der Verf. derselben hat hinzugeschrieben,
was er eben gewusst hat von griechisch-römischer, christlicher
Mythologie, von römischer Geschichte und was ihm nützlich
zu poetischem Gebrauch schien. Nichts ist daher abgeschmackter,
als aus dieser die Beweise der Unechtheit der Edda zu nehmen ;
seltsam aber, dass man eins besonders als Ungereimtheit ansieht
und heraushebt, was nach unserer Meinung doch auf alter Tra-
dition beruht, nämlich die Hinweisung auf Troja, wie wir an
einem andern Ort gezeigt haben*). Es ist leicht möglich, dass
jeder Dichter, der die Poesie nun einmal als Kunst zu erlernen
angewiesen wurde, sich Zusätze in seinem Buch gemacht. So
ist stets das Ganze, gleichsam unwillkürlich, überarbeitet worden,
und so ist alles Spätere, wie etwa auch die Kenningar von
Christus, hineingekommen. An dem Ende des Worm. Codex
finden sich sogar einige Blätter loser Excerpte, vor diesen ein
Blatt mit dem interessanten Fragment von Rigsmal, und er
schliesst mit einem Lobgesang auf die Jungfrau Maria. Hier
781 ist jedoch der Ort zu erklären, dass wir es durchaus für un-
statthaft halten, wenn diese Ansicht von der Entstehung der
Edda Einfluss auf die Bearbeitung des Textes selber haben
sollte; wir behaupten ausdrücklich, dass alles, was in den
Manuscripten enthalten, es sei offenbar Späteres darin, mit-
getheilt werden muss. Darum erstlich, weil doch immer
eine Grenze da sein wird, wo es zweifelhaft ist, dann aber,
weil niemand so kühn sein darf zu bestimmen, es sei durchaus
kein Gewinn und keine Aufklärung mehr daher zu nehmen;
*), Vgl. jetzt Kl. Sehr. I, 211.
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 21
der Scharfsinn und die Ansichten des menschlichen Geistes
müssen als unendlich geehrt werden. Eine kritische Unter-
suchung wird aber daneben an ihrer Stelle sein, nur dass die
Quelle selbst nicht angerührt werde. In dieser Hinsicht sind
die bisherigen Ausgaben sehr zu tadeln, es ist schon bemerkt
worden, dass sie nicht vollständig sind. Resenius hat die
Kenningar nur auszugsweise mitgetheilt, und doch sind eben
diese eine ungemein interessante Sammlung, voll wunderbarer,
oft herrlicher poetischer Bilder und Namen; von ihrer Wichtig-
keit für die Geschichte der Poesie nicht zu reden. Wenn man
bedenkt, dass die Mythen und Sagen, auf welche sie hindeuten,
allgemein unter dem Volk bekannt waren, so fallt die Dunkel-
heit, die man ihnen vorgeworfen, grösstentheils weg, aber ihre
poetische Bedeutsamkeit bleibt.
Es fragt sich, wie alt die Edda sei; soll die Frage eine
Bedeutung haben, so darf sie nur auf dasjenige bezogen werden,
was als das Alteste darin anzuerkennen. Sie wird am besten
durch die weitere, wer der erste Verf. sei, beantwortet werden.
Nyerup sagt, dass er aus dem dreizehnten Jahrhundert, sei ge-
wiss, aber wer es gewesen, wisse man nicht (S. 178), doch
nach der Aussage einer Membrane könne ein Theil der Kenningar
von Snorro Sturleson gesammelt sein (S. 182). Dass dieser
jedoch der Verf. von Hattatal sei, darin stimmen beide überein
(N. S. 150, M. S. 45); ferner aber beweist Müller, dass von einem
Theil der Abhandlungen über Buchstaben und Tropen Olaf
Thordsen, der weisse Scalde (Hvitaskald), der in der ersten
Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts lebte, ein Bruderssohn des 7^2
Snorro Sturleson, der Urheber gewesen (S. 32 — 37), von den
Kenningar aber unwidersprechlich wiederum Snorro Sturleson
selbst (obgleich er in der zweiten Abtheilung derselben im Worm.
Codex selbst wieder citirt wird und andere, die nach ihm
lebten, S. 53 — 58); auf die Zeugnisse werden wir gleich her-
nach zurückkommen, da sie für uns noch mehr enthalten. Hier
nur das eine: ein Bearbeiter der Abhandlung des Olaf Hvita-
skald über die Buchstaben gibt den Rath, die Kenningar und
Heiti nur so weit zu gebrauchen, als es Snorro erlaubt; nun
findet sich wirklich im ersten Theil der Kenningar eine solche
Warnung für junge Dichter, in neugebildeten Kenningar nicht
22 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
ZU weit zu gehen. Dagegen spricht ihm Müller den ersten Theil,
Gylfeginning und Bragarädr, ab, der von einem Unbekannten
herrühren müsse. Er führt für diese Meinung folgende Gründe
an: 1) wäre Snorro Urheber des ersten Theils, warum hat er
die Mythen von Thors Reise zur Geirrod, von der Iduna, Sifs
Haare usw. nicht dahin genommen (wohin sie Resen in seiner
Ausgabe auch gestellt hat), sondern in die Kenningar gebracht?
Sodann 2) warum wird Gylfeginning und Bragarädr nicht ein-
mal in den Kenningar erwähnt und vorausgesetzt? 3) Auch ist
in beiden die Behandlungsart verschieden, dort werden keine
namhafte Dichter angeführt, wie hier fast immer; endlich 4) es
war zu Snorros Zeiten eine Mythensammlung nicht nöthig, wo
sie noch in frischem Andenken lebten. Wir müssen gestehen,
dass uns diese Gründe nicht überzeugt haben und wir dennoch
geneigt sind, Snorro auch für den Verf. von Gylfeginning und
Bragarädr zu halten. Ganz einfach erstlich darum, weil diese
Stücke nothwendig in die Idee und den innern Zusammenhang
des Buchs gehören. Sollte es ein Handbuch für Dichter sein,
so war es natürlich, zuerst von dem Vorwurf der Poesie, welches
die Mythe und Sage ist (als das Überlieferte, dazu kommt, was
die Gegenwart gewährt, welche die Scalden gleichfeUs besangen),
zu handeln; darnach kam es an die üblichen poetischen Um-
783 Schreibungen und zuletzt an das Metrische. So weit möglich
ist zurückzugehen, wird der erste Theil als ein zum Ganzen
nothwendiger betrachtet, und schon im vierzehnten Jahrhundert.
Das gibt der Verf. (S. 60) selbst zu, und das beweist die Stelle
aus der alten Membrane 757, die Bragarädr zur Edda zählt
(bei Nyerup S. 181. 182, bei Müller S. 61), auf jeden Fall. Ist
nun Snorro unbezweifelt Urheber der Kenningar und des Hattatal,
so muss ihm auch der damit verbundene erste Theil zuge-
schrieben werden. Hierzu kommt eine Reihe von äusseren Be-
weisen. Zuerst die isländischen Annalen sagen ganz klar von
Snorro: „er setzte die Edda zusammen" (han samsetti Edda).
Der Verf. führt diese Stelle da an (S. 37. 38), wo er allein von
den Kenningar redet und beweisen will, dass sie von Snorro
herrühren, das beweist sie freilich, aber was mehr darin liegt,
das lässt er leicht fallen, indem es hier zu seinem Zweck genug
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 23
ist, wenn doch „mindestens" die Kenningar unter dieser Edda
begriffen sein müssten. Doch kommt es ihm zu, darzuthun,
dass bloss diese darunter verstanden sind; davon aber haben
wir nirgends den Beweis gefunden. Er geht unstatthaft über
die Schwierigkeit hinaus mit den Worten: „was die Edda um-
fasse, lassen wir unentschieden" und: -entweder die Kenningar
für sich bestehend oder mit etwas Mehrerem verbunden haben
die Edda ausgemacht". Ausserdem ist es nicht ganz aufrichtig
ausgedrückt, da er späterhin annimmt, dass alle drei Theile dazu
o-ehören und die Bedeutunor des Worts Edda selber das Ganze
tichicklich bezeichne. Also ist diese Stelle nicht widerlegt,
welches auch, nach unserer Meinung, nicht leicht fallen dürfte.
Mit ihr trifft zusammen, was nach Arngrim Jonas Brief an Ole
Worm (S. 72) ein isländischer Annalist enthält, nur dass noch
die Lieder der Sämundischen Edda als frühere Sammlung dort
orenannt werden. Hierauf folgt die Stelle aus der Membrane
748 CS. 35), woraus zwar zuvörderst auch sich ergibt, dass
Snorro die Kenningar verfasst, keineswegs aber dieses allein,
und es wird eben so schicklich auf das Ganze bezogen. So-
dann mit den isländischen Annalen stimmt wieder überein die
Überschrift des Upsal. Codex: „dieses Buch heisst Edda, sie 784
hat zusammengesetzt Snorro Sturleson nach der Weise, wie
sie hier geordnet ist", d. h. in drei Abtheilungen (S. 56). Wir
finden es nicht erwiesen, dass diese Überschrift später sei, aus
dem Grunde, weil man keinen Raum dazu gelassen. Allein
wäre es auch erwiesen, so ist die darin enthaltene Behauptung
nicht damit widerlegt. Warum ist hier der Verf. so streng?
Gleich vorher lässt er das Zeugnis eines Bearbeiters von Olaf
Hvitaskalds Tractat, dass Snorro Urheber der Kenningar sei,
der ein Jahrhundert später gelebt hat, als der Upsalische Codex
geschrieben wurde, ohne Schwierigkeit und mit Recht gelten.
Endlich ist der Umstand, dass beide Genealogieen in dem
Upsalischen Codex mit Snorro schliessen, allerdings von Gewicht.
Wir können noch manches hinzufügen und auch darauf785
antworten, wenn der Verf. etwa behaupten wollte, weil Snorro
die Kenningar gesammelt, habe man ihn auch als Urheber des
ersten Theils betrachtet, wir wollen es aber nicht thun, weil
24 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
wir solche feinzugespitzte Kritik nicht lieben, die am ersten von
der einfachen Wahrheit, welche jene Aussagen enthalten, sich
entfernt und in eine endlose Nichtigkeit sich verliert. Lieber
wollen wir noch einiges gegen seine Gründe anführen, wo wir
zugleich Gelegenheit haben werden, unsere Ansicht weiter zu
entwickeln. 1) Snorro kann die Mythen in die Kenningar ein-
gerückt haben, weil sie nirgends in Gylfeginning und Bragaradr
passen, insofern scheint uns Ihre ganz richtig zu urtheilen.
Dort wird in einer strengen und doch sehr einfachen und ge-
schickten Folge die Mythologie entwickelt; diese Fabeln weichen
merklich ab, es ist des Poetischen in ihnen mehr und des Be-
deutenden weniger; während dort fast nur der blosse Kern ge-
zeigt wird, hat er hier in dichterischer Ausschmückung schon
Blätter und Ranken getrieben. Deshalb sind wir auch geneigt,
sie für den Zusatz eines anderen zu halten, und es scheint dieses
aus der Bemerkung hervorzugehen, die sich in dem Worm. und
königl. Codex vor diesen Mythen findet und die sonst noch
wichtig ist. 2) Die Stelle steht bei Nyerup S. 157: „nu skal en-
segia daemi af, hveriu thear Kenningar eru, er nu voru ritadar,
ok adr voru aigi daemi tilsögd", d. h.: nun sollen die Fabeln
786 gesagt werden, woraus die Kenningar sind, die nun {zu den
andern, als Zusatz) aufgeschrieben sind, und eher waren keine
Fabeln dazu gesagt. Das heisst: in dem vorhergehenden Theile
Gylfeginning und Bragaradr finden sich keine Mythen zu diesen
Kenningar. Diese Erklärung, die auch Nyerup gibt, ist den
Worten nach die natürlichste, und es wird dadurch bewiesen,
dass wirklich in dem ersten Theil keine Dämesagen sind, woraus
diese Kenningar genommen. Wir begreifen nicht, wie der Verf.
diese Stelle hat übersehen können. Glaubt er, wie es scheint
(S. 62), dass sie von Snorro herrühre, so kann er, um consequent
zu bleiben, da der erste Theil nun offenbar in den Kenningar
vorausgesetzt wird, nur noch annehmen, dieser sei von einem
früheren Urheber als Snorro. Das ist aber bestimmt seine
Meinung nicht, sondern er hält ihn für später (S. 65). (Übrigens
wenn Skidbladner schon in Gylfeginning erwähnt wird, so kann
doch eine Mythe, die den Erwerb dieses Schatzes ausführlich
beschreibt, leicht später sein.) 3) Der erste Theil wird zwar
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 25
in dem zweiten nicht namentlich angeführt, doch Bragas Reden;
allein, wie wir eben gesehen, ausdrücklich vorausgesetzt und
der That nach sehr häufig, denn wie viele Kenningar sind aus
der ersten Sammlung genommen ; weil Resenius dies schon nach-
gewiesen, so brauchen wir keine Beispiele zu geben. Setzen
aber die Kenningar nicht Gylfeginning und Bragaradr voraus,
warum ist keine Mythe aus diesen als Beweis erzählt? Was
sollte Snorro bewogen haben, grade diese zu übergehen? Es
wäre noch die Frage, ob die Kenningar nicht ursprünglich mit
dem Inhalt der Dämesagen parallel gelaufen sind: jene Be-
merkung vor den Mythen in den Kenningar sieht es wenigstens
für nothwendig an, dass die poetischen Umschreibungen stets
durch eine Mythe beglaubigt werden ; ein neuer Beweis für den
inneren Zusammenhang beider Theile. 4) Dass die Behandlungs-
art in beiden Theilen verschieden, ergibt sich vollkommen aus
der ><atur der Sache. Für die Mythen selbst, insofern sie ein
Allgemeingut waren und nicht von einem Dichter gegeben
wurden, konnte begreiflich kein Dichter als Gewährsmann ge-787
nannt werden. Da in alten Zeiten die Dichter sich nur für den
Mund ansahen, durch welchen die Poesie sprach, so trat ihre
Persönlichkeit fast immer zurück, und das, beiläufig, ist der
einfache Grund, warum sich zu den Liedern der Sämundischen
Edda keine Verfasser genannt. Für die Kenningar aber, die
eine besondere menschliche Erfindung sind, musste er nach-
gewiesen werden; in den frühsten Gedichten werden sich die
wenigsten Umschreibungen finden, den Bilderreichthum erzeugt
erst die zunehmende Kunstcultur wieder. Ebenso, wo der
Mythus eine besondere eigenthümliche Ausbildung erhalten, wie
in Thors und Hrungers Kampf, in Idunas Entführung, da ist
auch der Bearbeiter, der Thiodolfr von Hvine, genannt. 5) Auf
den letzten Grund wird der Verf. selbst kein besonderes Ge-
wicht legen. Wer kann behaupten, dass die damahge Zeit eine
Mythensammlung nicht nöthig gehabt, hundertundfünfzig Jahre
nach Einführung des Christenthums, dreissig oder vierzig Jahre
später aber allerdings? Wenigstens hätte er dann nicht sagen
dürfen, es sei möglich, dass ein älterer Dichter schon eine solche
Behandlungsart gewählt, um viele Mythen in einen Rahmen zu
26 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
fassen, von dessen Arbeit der Urheber des ersten Theils der
Edda nur eine vermehrte prosaische Paraphrase gegeben : eine
Vermuthung, die uns an sich sehr gut scheint. Ja, wir gehen
noch weiter und erklären, dass wir sehr geneigt sind zu glauben,
auch der Urheber (nach Rec. Snorro) von Gylfeginning und
Bragarädr habe eine zwar vermehrte, aber gleichfalls poetische
Sammlung von Mythen gegeben und die prosaische Auflösung
rühre von einem späteren her. Nimmt man das an, so wird
jene Stelle aus den isländischen Annalisten, die Arngrim Jonas
citirt (S. 72), erst recht klar, worin es heisst, dass Snorro
Sämunds Sammlung von Liedern fortsetzte und vermehrte in
der Edda. Ein zweiter Beweis dafür liegt in dem merkwürdigen
Umstand, dass die alte Membrane 748 diese alten Gesänge mit
den Kenningar verbindet und sie als ersten Theil vorangehen
788lässt (S. 77); und gerade diejenigen finden sich, worin sich eben-
falls, wie der Verf. an einem anderen Ort bemerkt (S. 6Q), die
Absicht zeigt, mehrere Mythen zusammenzufassen, wie Vafthrud-
nismal, Grimmismal, Harbardslied. Endlich könnten wir nun
gut erklären, warum in den Kenningar Bragas Reden zu Agir
zweimal citirt werden (S. 63), ohne dass das Citat passt, indem
der, welcher die Gedichte in Prosa auflöste, etwas verwirrte
oder ausliess. Weiter sagt der Verf., die Mythe lebte noch in
frischem Andenken und eine Sammlung derselben war nicht
nöthig: warum aber sollten die Gedichte darüber vergessen sein,
also die Kenningar der Scalden? War es bequem für die Dichter,
diese gesammelt zu haben, so musste es auch bequem sein, die
üblichen Gegenstände der Poesie zu übersehen. Überdies er-
innert sich der Verf. hier nicht, was er sonst anerkannt (S. 90),
dass die Edda gar nicht direct die Mythologie darstellte. Fand
sich Snorro bewogen, die Historie, wie aus der Vorrede der
Heimskringla erhellt, auch nach den alten Sagenliedern (epter
soguliodum) zu verzeichnen, die noch nicht vergessen waren,
denn er sagt ausdrücklich, dass bei Harald Harfager Scalden
waren, deren Lieder man noch kenne, wie aller Könige Lieder,
die seitdem in Norwegen gewesen (med Harald! vorn Skalld, og
kunna menn enn kuaede theirra, og allra konunga quaedi,
theirra er sidann hafa verit at Norige); warum sollte er nicht
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 27
die Mythen aufbewahrt und sie, wo es schicklich, einem Buch
einverleibt haben? Seine Bemühungen darum sind aus dem er-
wähnten Brief des Arngrim Jonas doch ganz unzweifelhaft, ja
schon als Geschichtschreiber, der die Geschichte lebendig be-
trachtete und den keine geistlose Kritik beschränkte, musste er
auch zu dieser Quelle gehen.
So haben wir den Glauben, dass die drei Theile der Edda
als ein Ganzes zusammengehören und von Snorro herrühren,
der überall besreffnet und darum schon so leicht nicht dürfte
hintangesetzt werden, zu vertheidigen gesucht und dargethan,
dass die gewiss nicht ohne Mühe aufgesuchten Gründe nicht
haltbar sind. Damit haben wir die Untersuchungen der beiden 7S9
Verf. über das Äusserliche der Edda betrachtet und nach unserer
Weise geordnet: wir sind schuldig hier zu bemerken, dass wir
Fleiss mancherlei Art, Belesenheit und aufmerksame Betrachtung
bei ihnen gefunden. Wir gelangen nun zu der wichtigsten
Frage, wie nämlich die Echtheit der Asalehre könne dargethan
werden. Manche Gegenstände menschlicher Forschungen haben
das Schicksal, dass sich der Fleiss zuvörderst nicht grade auf
die Hauptsache wendet, sondern auf mancherlei andere Dinge,
die freilich dazu dienen können, sie aufzuklären und zu be-
fördern, die aber ihr Gewicht und rechte Bedeutung erst er-
halten, wenn jene entschieden ist. Wird dies eifiig getrieben,
so häufen sich diese Nebenuntersuchungen an, es werden na-
türlich Irrthümer begangen, diese zu widerlegen macht sich ein
anderer ein besonderes Geschäft, und so findet man sich, wenn
man die Sache selbst nach ihren Quellen einfach zu betrachten
gedenkt, von mancherlei Umgebungen gehindert imd gedrängt,
die man nicht gradezu abweisen will, weil sich manches Nütz-
liche darin findet. An diese Bemerkung, die allgemein ist,
wurden wir durch die Untersuchungen, was zur Edda gehöre
und wer der Urheber sei, wieder erinnert.
Jene Frage könnte auf doppelte Art beantwortet werden.
Erstlich aus inneren Gründen, aus Erforschung und Betrachtung
der Quellen selber, ihrer Natur und ihres .Geistes ; sodann aus
äusserlichen, indem man die Quellen vorerst in Zweifel stellte
und aus den Zeugnissen anderer ihre Echtheit darzuthun suchte.
28 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
Nyerup hat des ersteren Wegs nicht erwähnt, wie er überhaupt
die Frage nicht ausführlich behandelt, sondern führt nur (S. 125)
einige, allerdings interessante Stellen aus dem Saxo Grammaticus
an, woraus klar hervorgeht, dass dieser die Mythen der Edda
gekannt und verschiedene seinem Werk, manchmal modificirt,
einverleibt habe. Müller hingegen verwirft den ersten ausdrück-
lich: „die Voluspa, an sich selbst betrachtet, ist überall keine
sichere Quelle" (S. 11). „Dass die Mythen etwas mehr sind,
als eine Erdichtung isländischer Mönche zum Zeitvertreib in
790 langen Winterabenden, beweist man nicht so leicht mit wenigen
Versen aus der Voluspa, Hyndlas Gesänge, Grimmismal, Agis-
dreka, Skirners Fahrt und Vafthrudnismal, die in Gylfeginning
citirt werden. Denn das hohe Alter dürfte sich schwerlich aus
inneren Gründen allein mit Sicherheit darthun lassen" (S. 78).
Was den zweiten Weg betrifft, so könne er auf verschiedene
Weise eingeschlagen werden, mit Vorbeigehung anderer wähle
er die, bloss aus Snorros Edda das Nöthige darzuthun (S. 22).
Dieser Beweis der Echtheit wird nun (S. 78 ff.) folgendermassen
geführt: die Sammlung der Kenningar enthält gegen jichtzig
Namen von Dichtern, die (S. 79 — 82) aufgezählt werden und
deren Lebzeit grösstentheils aus der Heimskringla, den isländischen
Annalen, dem Saxo G. u. a. bekannt ist, einige verlieren sich in
die frühste Zeit, wie Biarke und Brage, die anderen haben von
Harald Haarfager an bis auf Hagen den Vierten gelebt. Unter
dieser Reihe aber liest man fünfhundert Bruchstücke, jedes von
vier bis acht Zeilen, etliche aus mehreren Strophen bestehend
und voll von mythischen Anspielungen. Mithin hat die
Mythologie durch diese Jahrhunderte Kraft und Leben gehabt.
Wir haben an sich nichts gegen diesen Beweis und wir glauben
daran, weil wir schon aus anderen Gründen von der Echtheit
der Edda überzeugt sind; ob aber der Verf. solche Kritiker,
gegen welche er geschrieben, damit überzeugt, das bezweifeln
wir. Wie leicht haben sie das Argument abgewendet! Da
einige unseres Wissens gar nicht die alte Othinslehre leugnen,
weil ihr Dasein frülue Historiker bezeugen (die Stellen sind bei
Delius gesammelt), und nur die Darstellung und Ausbildung
derselben in der rhythmischen und prosaischen Edda für Er-
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 29
findimcr auscreben. so dürfen sie bloss anfuhren, dass durch
solche Anspielungen die Echtheit dieser noch nicht dargethan
sei. Wir nehmen dabei an, dass sie das Verzeichnis der
Kenningar fiir echt halten, da aber der Verf. in ihrem Sinn gar
wohl die Möglichkeit einer Erdichtung, wenn man bloss die
Quellen hätte ohne dies Verzeichnis, vorausgesetzt, so werden
sie, weil bei ihnen gerade ein grosses Verdienst in dem höchsten
Grad des historischen Unglaubens besteht und nach ihrem Prin- 791
cip vorerst alles verworfen werden muss, gern glauben, auch
das sei gänzlich eine Erdichtung. In der That kann sie nicht
allzuschwer geworden sein, und wie leicht ist, in solche kurze
Bruchstücke Verschiedenheit zu bringen: sie werden nicht mehr
zweifeln, wenn sie bemerkt sehen, dass die meisten die einzigen
noch übrig gebliebenen Denkmäler jener Zeiten sind, wären sie
echt, warum finden sich nicht mehrere in der Heimskringla?
Es ist uns eigen zuwider in dieser Gesinnung weiter zu reden,
und wir müssen daran gedenken, wie stark immer der Einfluss
der Zeitansicht ist , wenn wir begreifen wollen , wie der \ erf.
sich den Einwurf machen konnte, ob nicht diese 500 Bruch-
stücke im zwölften Jahrhundert alle unter den alten Namen
könnten von verschiedenen gedichtet sein, und ihn damit wider-
legen, dass doch unmöglich eine Gesellschaft von so vielen Be-
trücrem dazumal könne crelebt haben. Es gibt eine gewisse un-
selige Kritik, die kein Leben und kein wirkhches Dasein begreifen
kann, und sie gleicht in ihrer Angst jenen unglückhchen
Menschen, die in der einfachsten und gesundesten Speise Gift
fürchteten und sie darum nicht anders als mit Gegengift ver-
zehren wollten. Gegen diese sollte man nicht reden und sie
nicht überzeugen wollen. Unter allen aber, die verneinen, sind
uns diejenigen noch am wenigsten verhasst, die recht unum-
wunden und bestimmt es thun, am meisten dagegen diejenigen,
welche mit halben Behauptungen, die in der That doch nichts
zugeben, sich durchschleichen wollen. Wer wie Rühs die Echt-
heit der Mythen zugibt, aber ihre Bedeutung in aller Hinsicht
leugnet, der kann nicht mehr übertroffen werden. Wie weit
wir durch eine falsche Ansicht von dem AUereinfachsten und Na-
türlichsten uns entfernen können, zeigt sich auch hier: der Verf.
30 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
hält diesen durch die Kenningar geführten Beweis für den allein
unumstösslichen der Echtheit, und so wäre nichts einzuwenden
gewesen, wenn ein unglücklicher Zufall diese Sammlung von
poetischen Ausdrücken hätte verloren gehen lassen, und so hätten
wir Deutsche, die nur einen Auszug davon einsehen können,
792 dem gerade das fehlt, worauf es hier ankommt, überhaupt an
eine Erdichtung glauben müssen; scheint doch das Unbefangenste,
die Quelle selbst zu prüfen und zu versuchen, ob wir sie falsch
befinden. Wer kann aber von einer Erfindung der Mythologie
reden, wo noch die Spuren von dem Cultus der alten Götter
sichtbar sind , wo in so vielen Sagen sie uns entgegentreten
und wo deren Regierung in so manchen herrlichen Gedichten
besungen ist. Niemals hat eine Lüge in der Zeit Wurzel ge-
fasst, sie ist stets in ihre innere Leerheit zurückgefallen, niemals
haben Dichter von dem göttlichsten Geist an eiiier bodenlosen
Erfindung sich entzündet, und nur das kann zum Herzen
sprechen, was aus dem Herzen gekommen ist. Die Mythologie
ist etwas Organisches, durch die Macht Gottes Gewordenes, in
ihm Begründetes. Keines Menschen Kunst reicht dahin, sie zu
erschaffen und zu erfinden; anerkennen und empfinden kann er
sie. Wie es immer eine Partie geben wird, die alle Begeisterung,
alle Poesie und jede höhere Idee des Lebens ableugnet, weil
sie nur mit geistigen Augen kann angeschaut werden und kein
Diplom sie beweist, weil es nur die Überzeugung unseres Herzens
kann, so wird auch stets eine Partie die Bedeutung, die Wahr-
heit und Echtheit der alten Mythe verwerfen, wie Schlözer,
Adelung und alle, gegen die der Verf. in dem Eingang seiner
Schrift und Nyerup in einer besonderen Abhandlung (Skandin.
Museum 1802 H) polemisirt hat.
Wir setzen unsere Ansicht dem Verf. entgegen. Der innere
Beweis ist uns der erste und wichtigste, und ohne dieses Ge-
fühl für das Leben der alten Mythen würde uns ein äusserlicher
nicht überzeugen können. Also gerade an sich selbst, kraft des
ihnen innewohnenden Geistes, sind die Voluspa, die Gesänge
der älteren Edda und die Dämesagen der jüngeren die ältesten
und sichersten Quellen. Es ist uns eine höhere Kritik, diesen
Geist anzuerkennen. Wäre uns daher aufgegeben, die Echtheit
SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE. 31
der alten Lehre darzuthun, so würden wir vorerst keine Rück-
sicht nehmen auf das Geschrei einer modernen Zweifelsucht, die
wie stechende Nesseln an den alten Ruinen aufwächst, und aus
allen Quellen mit Glauben an eine treue Zeit und mit dem79S
besten Fleiss alles zusammenstellen. Es würden sich wohl die
einzelnen Theile, wie die aufgeftmdenen und gesammelten Stücke
einer verschütteten Statue, zu einem Ganzen fügen, wenigstens
es erkennen lassen und so sich einander verbürgen; dann würden
wir äusserliche Beweise berücksichtigen und sie aufsuchen, auch
sie, wie billig, achten, und nun dürften alle kritischen Zweifel
erwägt werden, denn es würde sich leicht zeigen, wie viel sie
dem Ganzen anhaben könnten : Berichtigungen für das Einzelne
aber würden immer stattfinden. Für diese Nachweisung des
inneren Zusammenhangs ist bisher im Norden wenig geschehen,
von der älteren Edda in ihrem Verhältnis zu der jüngeren, wo
diese unstreitig als ein Auszug aus jener zu betrachten, ein so
wichtiger und beweisender Umstand, ist so wie hier in beiden
Abhandlungen so im Ganzen wenig Gebrauch gemacht worden;
die fleissigste und gelehrteste Arbeit, Suhms Buch om Odin,
kann doch nur als eine Materialiensammlunsr anscesehen werden.
Müller macht in der Vorrede den deutschen Gelehrten den Vor-
wurf, dass sie den nordischen Denkmälern weniger Aufmerk-
samkeit geschenkt, als den Schätzen anderer Litteraturen ; dieser
ist gewiss ungerecht. Wir getrauen uns eine beträchtliche An-
zahl von Gelehrten zu nennen, die sich mit der skandinavischen
Mythologie beschäftigt: wir fragen, wer mit allen Mitteln, die
dort zu Gebote stehen, etwas so Durchdringendes und Gehalt-
volles darüber gesagt, als ganz kürzlich Görres in seiner Mythen-
geschichte? Es ist bewainderungswürdig, wie er bei den wenigen
Quellen, zu welchen ein Deutscher ohne Schwierigkeit gelangt,
und bei der Möglichkeit der Irrthümer im Einzelnen (wie ihm
z. B. entgangen, dass die mit Runen geschriebene Hialmarsaga
ein Betrug ist) vorahndend gleichsam den Geist des Ganzen
ergriffen: wir wissen nichts, das wir dagegensetzen könnten.
Ist einmal die Echtheit der alten Lehre ausser Zweifel ge-
setzt, dann fällt es auch leicht, anderweitige Fragen zu beant-
worten: welche Bedeutung nämlich den Mythen vergönnt werden
t
32 SCHRIFTEN ÜBER DIE NORDISCHE MYTHOLOGIE.
794 könne, vor allem, ob sie historisch zu berücksichtigen. Wer
dies verneint, selbst wenn ihm ein gelehrtes Blatt so sehr bei-
gestimmt, dass nach seinem Ausspruch weiter von dem Einfluss
der alten Sagen auf die nordische Geschichte keine Rede sein
könne, der wird beweisen müssen, dass überhaupt der Mythe
das historische Element fehle, welches eben so schwer fallen
wird, als wenn man das Physikalische und Göttliche darin ab-
leugnen wollte. Dann lässt sich auch der Zusammenhang der
nordischen Religion mit der indischen nachweisen, worauf der
Verf. hindeutet und welchen Görres gleichfalls gezeigt hat.
Es ist übrig, von dem dritten Werk, Nyerups Übersetzung
des ersten Theils der jüngeren Edda, zu reden, allein wir müssen
eine ausführliche Recension davon ablehnen. Das Buch ist
eigentlich nicht für den gelehrten Gebrauch bestimmt und soll
Dilettanten bloss die Bequemlichkeit verschaffen, die Werke
neuerer dänischer Dichter, namentlich Öhlenschlägers , die sich
auf die alte Mythologie gründen, besser zu verstehen. Und so
entschuldigt sich, was wir schon gelegentlich daran ausgesetzt,
dass die anderen Theile der Edda ausgelassen sind, und was wir
sonst tadeln würden, dass der Verf., wie es sich bei einer so
wichtigen Quelle geziemt, wo es auf jeden Ausdruck ankommt,
sich nicht genau genug an den Text gehalten, manchmal einen
Fehler moderner Übersetzer, die gern die Farben erhöhen, bis
zum Entgegengesetzten vermeidend ; wer einen Beweis verlangt,
kann den etwas derben , aber ausgezeichneten Mythus von
Suttungs Meth mit dem Resenischen Text vergleichen (S. 1 19—123,
bei Resen Fabel 61. 62). Was indessen doch die Übersetzung
dem Gelehrten nothwendig und schätzbar macht, ist der Um-
stand, dass sie nach dem berichtigten Text der handschriftlichen
Bearbeitung des Olavius verfertigt ist. Wir schliessen mit dem
Wunsche, dass dieses Werk nicht länger mehr liegen bleibe
und vor allen denjenigen empfohlen werde, welche die vater-
ländische Litteratur zu unterstützen gedenken.
W. C. Grimm.
ALTRUSSISCHER HELDEXGESAXG VON J. MÜLLER. 33
HELDENGESAXG tos
VOM ZUGE GEGEX DIE POLOAYZER. DES FÜRSTEN
VOM SEWERISCHEX NOWGOROD IGOR
SWÄTSLAWLITSCH,
geschrieben in altrassischer Sprache gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts.
In die deutsche Sprache treu übertragen, mit einer Vorrede und kurzen phil'>
logischen und historischen Noten begleitet von Joseph Müller, der Philosophie
Doctor und ehem. Prof. am Gymnasium zu Heiligenstadt. Prag bev Franz
Sommer 1811. 82 S. in 12.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang V (1812), Bd TL, No. 45.
S. 705—713.
Ln diesem kleinen Buche wird uns etwas Schätzbares und
Interessantes mitgetheilt. Das altrussische Igorlied ward im
Jahr 1795 entdeckt und 1800 zu Moskwa in 4^ mit einer Über-
setzung ins Neurussische gedruckt, dasselbe wiederholt in den
Abhandlungen der russischen Akademie (für Philologie I 1805).
Eine Cbersetzune: ins Deutsche befindet sich in den Russischen
Miscellen (1803 St. 3), sie ist aber fast ganz nach der neu-
russischen gemacht, ohne Rücksicht auf den Rhythmus, hin und
wieder frei und oft fehlerhaft. Hr. Müller, bei dem man diese
litterarischen Notizen ausfuhrlich findet, liefert hier zuerst eine
sorgfaltige Übersetzung ins Deutsche nach dem Originaltext
mit einer Einleitung und den nöthigen Erläuterungen. Wir
müssen seine Arbeit recht sehr loben ; von der Übersetzung als
solcher können wir nicht urtheilen, doch sehen wir wohl, dass
sie urkundlich abgefasst ist ; dazu kommt die Versicherung, dass
der gelehrte Dobrowsky dabei hilfreiche Hand geleistet, was
ims den Werth des Gelieferten zusichert. Sodann ist die Ein-
leitung mit Einsicht und nicht ohne Sorgfalt geschrieben, der
Verf. hat nach verschiedenen Rücksichten darin das Gedicht
betrachtet und manches Gute bemerkt; was wir im Einzelnen
dagegen einwenden, werden wir hernach zu sagen Gelegenheit
linden.
Um von dem Gedicht selbst zu reden, so ist es ein Stück
reiner lebendiger Nationaldichtung, das dem slawischen Stamme,
W. GBIM.M, KL. SCJIIIUTEN. II. 3
34 ALTRUSSISCHER HELDENGESANG VON J. MLLLER.
70(; der sonst in geistigen Äusserungen dem germanischen nicht
verglichen werden kann, zugehört. Der Lobgesang der Menschen,
dem die Gottheit so gern zuhören mag, um Goethes Worte zu
gebrauchen, ist auch hier nicht verstummt, und vernehmliche
Töne dringen davon in diesem Liede zu uns. Ein alter Dichter
der Vorzeit, dem wahrscheinlich der spätere hier folgte, wird
nicht ohne Verehrung erwähnt: Boy an, Nachtigall der alten
Zeit. Auf die Vorzeit wird öfter hingedeutet: „Lasst uns in
alten Worten anfangen" (der Herausgeber erklärt es gewiss un-
richtig: im alten Stil), „die Sage gedenkt der Fehden alter
Zeit"; so heisst es in unserem Nibelungenlied: „In alten Mären
ist uns das gesagt" und die Eddaischen Lieder heben an: „Ehmals
war's in den Urtagen (ar var i ardaga)". Des allgemein ver-
breiteten Gesangs wird gleichfalls gedacht: „Da singen Deutsche
und Venetianer, Griechen und Mähren den Ruhm Swätslaws
und betrauern den Fürsten Igor" (S. 48). Wir zweifeln nicht,
dass wir hier nur einen Theil der grossen Dichtung haben,
schon die Analogie ist dafür, ausserdem heisst es ausdrücklich
(S. 33): „Lasst uns nun, Brüder, diese Sage von dem alten
Wladimir bis auf den jetzigen Igor beginnen", während das
Lied allein von Igor spricht. Der Übersetzer erklärt es in der
Note dergestalt, als sei hernach in umgekehrter Folge von
Wladimir die Rede, allein das ist erzwungen: Wladimir wird
dort bloss bei den Erinnerungen an die Vorzeit erwähnt. Dieser
Boy an scheint der Sänger eines grossen Epos gewesen zu sein^
welches untergegangen ist, welches aber wieder aufzufinden man
die Hoffnung nicht hingeben darf. Er, „ein göttlicher", „Enkel
des Herdengottes Weles", „der begeisterte Dichter, der, wenn
er singen wollte, in Gedanken durch die W^älder lief, wie der
graue Wolf auf Erden oder der bläuliche Adler unter den
Wolken", er ist, wie Homer und Ossian, jene mythische Ge-
stalt, das Organ, durch welches das Lied einer ganzen Nation
am reinsten geklungen. Schon die wenigen Züge, die von ihm
angegeben werden, deuten auf überirdische göttliche Kraft:
wüssten wir mehr von ihm, so würde vielleicht auch gesagt
sein, dass, wie jenen, das weltliche Auge ihm verschlossen ge-
wesen.
ALTRUSSISCHER HELDENGESANG VON J. MÜLLER. 35
Das Lied ist aus der Zeit, wo die einzelnen Fürsten, 707
Lehensträger des Grossfürsten von Kiew, sich unabhängig zu
machen strebten, so dass sie theils gegen diesen, theils unter
einander Krieg; führen und sich durch eiarene Kräfte erhalten
mussten; dazu kamen die Einfälle der Polowzer, tatarisch-
heidnischer Horden, von aussen. Also in den Zeiten einer
lebendigen Bewegung, ähnlich denen des Cid in Spanien, hat
die Nationaldichtung geblüht. Der Herausgeber hat in der Ein-
leitung (S. 4 — 13) eine Parallele des Lieds mit der Geschichte
gezogen, es ergibt sich daraus, dass es sehr" nah mit ihr über-
einstimmt, und aufs neue bestätigt sich, wenn es noch bezweifelt
werden sollte, dass nur aus wirklicher frischer That die Poesie
geboren werde. Merkwürdig und freilich nur dem Lied eigen-
thümlich ist die Erwähnung von Trojans Zeitalter (S. 41. 46. 58);
wir zweifeln nicht, auch hier der so allgemein verbreiteten Sage
von der trojanischen Abkunft der Völker wieder zu begegnen.
Die Fabel — wir verbinden mit diesem Worte nicht auch den
Begrifi' der Erdichtung, so wie er ursprünglich nicht darin lag —
des Igorlieds , ist sehr einfach : Igor zieht gegen die Polowzer
aus ; anfänglich glücklich, erliegt er dann in einem grossen drei-
tägigen Kampf, wird gefangen fortgeführt, und Russland klagt;
doch er entflieht heimlich und wird mit Freude von den Seinio-en
empfangen. Der Werth des Gedichts beruht in der Ausführung,
sie ist gründlich und durchaus eigenthümlich; wir schätzen das
Ganze noch mehr als der Übersetzer, welcher (S. 2. 19) „einem
schön formenden Geist nur ein treues Material" liefern will.
Wir glauben nicht, dass es durch die zierlichste Form gewinnen
werde, es sei nun der Octavreim oder Hexameter. Was aus
der inneren Nothwendigkeit bei einem Volk organisch erwachsen
ist, das kann auf andere W^eise, besonders von einem einsam
betrachtenden Geist, schwerlich besser gesagt werden; es hat
dort seine Gestalt, die ihm gebührt, wie aus einem Kern keine
andere Pflanze aufgehen kann, in dieser Gestalt aber stets einen
eigenen Reiz, für welchen Rec. sehr empfänglich ist, den er
hier auch wohl fühlt und den er nicht hingeben möchte, man
könnte sagen, für einen weltlichen Gewinn. Der Herausgeber
macht die Bemerkung, dieses Lied könne ein Mittelglied zwischcui 708
3*
36 ALTRUSSISCHER HELDENGESANG VON J. MÜLLER.
Homer und Ossian abgeben, es ist etwas Richtiges darin, weil
alles Epos eine gewisse Ahnliclikeit hat, doch steht es von dem
ganz sinnlich vollendeten Homer weiter ab und neigt sich mehr
zum Ossian. Hätte der Herausgeber die Lieder der alten Edda
gekannt, so würde er noch passender es zwischen diese und
den Ossian gestellt haben, es ist mehr körperlich als dieser und
weniger als jene. Manches ist hier ganz volksmässig und ver-
traulich, was dem Ossian, der in so später Zeit erst gefasst
wurde, wiewohl er ursprünglich älter, geradezu fehlt; so z. B,
die Klage der russischen Weiber (S. 17): „nun können wir an
unsern lieben Gatten nicht einmal mit demGemüthe denken,
weder in Gedanken nachsinnen, noch mit den Augen sehen."
Späterhin erscheint das als unnöthiger Überfluss, was es doch
gar nicht ist, sondern lebendiger Ausdruck, der den Gedanken
bei der Wurzel anfassen möchte; die Kunst kommt endlich wieder
dahin, nur feiner und witziger und weniger naiv, wie Wolfram von
Eschilbach im Parcival [364, 26] sagt: „Zwei Augen und ein
Herz sprach, die Lypaot mit ihm brachte dar, dass der Gast
wäre wohlgevar". Auch viele Bilder sind ganz episch einfach, so
das häufige: „Wie graue, wie barfüssige Wölfe sprangen sie ins
Gefild" — im Nibelungenlied [917, 3]: „Wie zwei wilde Panther
liefen sie durch den Klee"; — ferner: „Zwei Falken flogen vom
väterlichen Sitz" S. 50 — im König Laurin: „Auf einander sie
da flogen, als zwei Falken die da zogen." — Ein Gleichnis
hat dem Übersetzer nicht recht einleuchten wollen: ,,Es quicken
die Wagen um Mitternacht, man möchte sagen (wie) zerstreute
Schwäne" ; uns scheint es passend und eigenthümlich : zerstreute
Schwäne sind verjagte, die wieder zu ihrem Nest wollen, und
der eigene flüsternde Ton, mit welchem Schwäne, zum Ufer
heranschwimmend, Futter suchen, kann gar wohl mit dem
Rauschen der Räder in der Nacht verglichen werden. Ahnlich
ist das Gleichnis in der Wolsungasaga (c. 36): „Brynhilldur
sprach, wie ein Schwan von dem Sturmwind (getrieben)"-
Darin aber geht das russische Lied weiter, als die Edda und
die Nibelungen, die nur wenige schöne einfache, gleichsam fest-
stehende Gleichnisse haben, und nähert sich dem Ossian, dass
709 68 die Bilder nun weiter ausführt. So heisst es: „Unfug hob
ALTRÜSSTSCHER HELDENGESÄNG VON J. MÜLLER. 37
sich in den Mächten des Enkels Daschbogs. Er (der Unfug)
stieg als Jungfrau in Trojans Land, er plätscherte mit Schwanen-
fittigen auf dem blauen Meere beim Don sich schwingend,
weckte gefrässige Zeiten." Oder: „Schwarze Erde unter den
Hufen ward mit Knochen besäet, mit Blut begossen, zum Elend
giengen sie empor in russischer Erde." Ferner:
„Unter Trompeten eingewindelt.
unter Helmen eingewiegt,
an Lanzenspitzen genährt."
Dazu kommt, dass mau sich im Krieg der Lanzenspitzen wirk-
ich bei dem Essen bediente. Zart, wie von einem lyrischen
Dichter, ist der Ausdruck: „Er hauchte aus die perlene Seele
aus dem tapfern Leibe durch den goldenen Halskragen.- AVie
beim Ossian immer, sind hier meist die Bilder aus der um-
gebenden Natur genommen, und schön ist der Zusammenhang
damit ausgedrückt, „indem die Blüthe verblich vor Klage und
das Gehölz sich neigte vor Kummer zur Erde." Dies tiefe Ge-
fühl für das Mitleben der Natur zeichnet überhaupt alle Volks-
dichtung aus. ,
Das Schönste indes ist die Ausführung der einzelneu Si-
tuationen. Zwar auch der Thaten geschieht Erwähnung und
nicht so flüchtig, wie beim Ossian, der an der Geschichte fast
immer mit wenig Worten vorüberstreift und nur soviel, als zum
Verständnis nöthig, erwähnt ; aber dort verweilt doch die Dichtung
am längsten und liebsten. Die Probe, die wir hernach mit-
theilen wollen, kann ein Beweis davon sein. Da ist auch Ossian
so wunderbar und redet aus den geheimsten Tiefen des Herzens
und der Natur, dass ihm ein unbefangenes Herz nicht leicht
widerstreben kann. Ganz anders ist es in dem Nibelungenlied,
wo alles von dem frischesten Leben durchdrungen in That und
Handlung sich bewegt und keine einzelne ruhende Situation
oder Betrachtung heraustritt. Die Edda steht in der Mitte, und
wenn sie gleich in der Darstellung nicht die Ruhe und Aus-
führlichkeit des Nibelungenlieds hat und in erhabener gross-
artiger Bewegung über den Zusammenhang hinspringt, wie ein
kühner, sonnenglänzender Bergstrom auf Felsenspitzen, so ist 710
der Fabel doch ihr Recht angethan, ja sie ist gewaltig im
38 ALTRUSSrSCHER HELDENGESANG VON J. MÜLLER.
Ganzen. — Wo die Geschichte zurückgesetzt wird, da geht der
individuelle Charakter auch meist verloren, vv^ie die Helden im
Ossian fast nur der allgemeine Gegensatz zwischen edel und
unedel, hell und finster unterscheidet und Finjal fast überirdisch,
wie ein Geist, dessen Schwert stets vernichtet, wenn er in den
Kampf geht, erscheint, so zeigt sich auch in diesem Igorlied
nicht jenes sinnlich Vollendete, Charakteristische, was das
Nibelungenlied so ansprechend macht. Nur der Bruder Igors,
Wsewolod, unterscheidet sich durch einen noch kühneren Muth,
er, „der Auerochs, der die Wolga mit Rudern zersprengen und
den Don mit Helmen ausgiessen kann." Wie werden diejenigen,
welche die Poesie bloss im Charakteristischen finden, das wir
freilich auch ungemein schätzen, wo es sich findet, sich wundern,
wenn es ausserdem noch eine Poesie gibt (denn mit der Un-
echtheit kann auch der Ossian nicht mehr abgewiesen werden),
die wirklich ist, weil sie aus der Mitte des Lebens hervor-
gegangen, und die dennoch in einer ganz anderen Richtung lebt
und sich herrlich darin zeigt. Die Poesie hat ein grosses Reich,
das nicht umschifiit werden kann, alles aber, worüber die Sonne
scheint, dass es uns sichtbar geworden, das sollen wir anerkennen.
Wenn man den massigen Witz nachahmen und ein Inventarium,
wie von den Minneliedern, von dem Ossian und diesem Igor-
lied machen wollte, es würde gleichfalls wenig Hausgeräth auf-
zufinden sein, und doch kann eine zarte Poesie nicht abgeleugnet
werden. Wir geben nun zur Probe die Klage der Jaro.slawna
über ihren Gemahl Igor S. 63. 64 ;
„Jaroslawna weint früh in Putiwl auf dem Geländer der
Stadt und sagt: o Wind, Weher! wozu, Herr, wehst du so
gewaltig? wozu trägst du chanische Pfeilchen auf deinen mühe-
losen Flügelchen gegen die Heere meines Geliebten? war es
dir zu wenig, unter den Wolken über die Berge zu wehen,
wogend Schiffe auf dem blauen Meere? Warum, Herr, ver-
wehst du meine Freude über Pfriemengras?"
„ Jaroslawna weint früh auf dem Geländer der Stadt Putiwl :
o hochberühmter Dnepr, du hast durchbrochen die steinigen
711 Berge durch das Polowzer Land, du wogtest auf dir die Swäts-
lawlischen Fahrzeuge in Kowaks Schar. Trage in sanfter Be-
ALTRCSSISCIIER HELDENGESAXG VON J. MÜLLER. 39
Avegung, Herr, zu mir mein Liebchen, damit ich nicht ins Meer
früh Thränen zu ihm sende."
_ Jaroslawna weint früh auf dem Geländer der Stadt Putiwl
und sagt: helle und dreimal helle Sonne I allen bist du warm
und schön. Wozu, Herrscherin, breitest du aus deinen brennen-
den Strahl über die Heere meines Gatten? Im wasserlosen Ge-
fild hat sie ihre Bogen durch Durst ausgetrocknet und vor
Kummer ihnen die Köcher verschlossen."
Für die altslawische Religion wird sich einige Aufklärung
in diesem Lied finden lassen. Am merkwürdigsten ist der
Spruch, welcher dem Boyan zugeschrieben wird (S. 60. 61):
„Weder der kluge, noch der glückliche Vogel kann dem Schick-
sal Gottes entgehen." Alt erscheint demnach auch hier der
Glauben an ein unabänderliches Urgesetz. Der Unglücks vogel
Diw zeigt sich und schreit am Wipfel des Baums (S. 37); Vor-
bedeutungen erschrecken : wie Igor in den goldenen Bügel tritt
und auszieht aus Nowgorod, „da vertrat ihm die Sonne den
Pfad durch Finsternis, die stöhnende Nacht erweckt ihm durch
Grauen die Vögel, das Heulen des Wilds in ihrem Stand". Am
Tage des Kampfs verkündigt sehr früh blutige Morgenröthe das
Licht, schwarze Hagelwolken entsteigen dem Meer, Wolken be-
decken die vier Sonnen (Heerführer); aus ihnen zittern hervor
bläuliche Blitze, es entstand ein heftiger Donnerschlag, es regnete
Pfeile vom grossen Don (S. 40). Ausser jenem Gott Weles,
dessen Enkel Boyan war (40), wird auch Stribog, Gott der
Winde (40), und Das ch bog, von dem Glück und Segen kam
und der besonders zu Kiew verehrt wurde (43), angeführt. Die
Polowzer werden Dämonskinder genannt (41).
Wir sind noch einige Bemerkungen zu der Einleitung des
Herrn Müller schuldig. Worüber wir verschieden von ihm
denken, haben wir zum Theil schon bei der Betrachtung des
Gedichts angedeutet: wir glauben nicht, dass hier an einen be-
sonderen Dichter, am wenigsten bei der lebendigen Anschauung
darin an einen Geistlichen gedacht werden könne, der absicht-
lich hier verfahren und aus der einheimischen Geschichte seinem
Volk hat ein Gedicht von nationalem Interesse liefern wollen: 7i2
es hat sich dieses Lied, wie alles Epos, unwillkürlich gedichtet.
40 ALTRUSSISCHER HELDENGESANG VON J. MÜLLER.
Wenn der Verf. genauer die epischen Dichtungen der Völker
betrachtet und über ihre Natur nachforscht, wird ihm die Wahr-
heit jener Behauptung einleuchten. Darum kann auch dem
Dichter kein Vorwurf gemacht werden, dass ein unbehilflich
oratorisch- poetisch -rhythmischer Gang in dem Lied sei; wir
sind versichert, dass diese Form der Zeit nothwendig und darum
die rechte war. Wir hätten gewünscht, dass der Verf. sich ge-
nauer über das Metrum geäussert und seine Gesetze angegeben,
namentlich wünschten wir zu wissen, ob sich keine Spur von
der in den altnordischen Gedichten herrschenden Alliteration
fände. Wir glauben noch nicht recht daran, dass nur zuweilen
ein Rhythmus sichtbar und vieles blosse Prosa sei; die Ab-
theilungen, die in Jaroslawnas Klage so sichtbar sind, beruhen
gewiss auf einem metrischen Gesetz. Der Vorwurf gilt auch
nicht, dass der Homer nicht benutzt und kein reiner Begriff
des Epos in dem Lied sei. Das Epos zeigt sich bei jedem
Volk sowohl ähnlich als unähnlich, das heisst, eigenthümlich ;
es würde ungerecht sein, eins als Norm aufzustellen, um das
andere darnach zu messen. Auch dem müssen wir geradezu
widersprechen, dass das Gedicht keine Haltung habe, es scheint
uns alles in einem Geiste ergriffen.
Man entschuldige es, dass wir so ausführlich über dies
kleine Gedicht gewesen. Mancher vielleicht, den unsere An-
zeige bewegt, das Buch zur Hand zu nehmen, wird sich wundern
über die wenigen Blätter, die er findet, und wenn er es gar
liest, wird es ihm seltsam vorkommen, dass man auf diese
wenigen poetischen Reize Werth legt, während Dichter der Zeit,
von welchen nicht einmal viel [die] Rede ist, ihm auf leichtere
Art viel Ansprechenderes darbieten. Wir halten das aber für
den grössten Gewinn der historischen Betrachtung der Poesie,
dass sie uns lehrt auf das Ursprüngliche in derselben zurück-
zugehen und es von dem herauszuschneiden, was, durch welt-
liche Künste entstanden, in falschem Glänze täuscht und mehr
als jenes zu sein scheint. Es soll vor den Alpen zweierlei
Wasser fliessen, das aus geschmolzenem Schnee sich gesammelt
und das aus echten Quellen aus der Erde Schooss gestiegen;
auch jenes schimmert in der Sonne und scheint ein guter
DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 41
Trank, aber nur dieses ist heilsam und erquickend. Kundige 713
Wanderer wissen es allein zu unterscheiden. Auch ein Botaniker
wird uns verstehen, wenn wir ihm sagen, dass uns dieses Ge-
dicht wie eine neu entdeckte Pflanze vorkommt; wir kennen andere,
die schöner sind und süsser duften, aber diese macht uns mit
ihren einfachen in sich vollkommenen Formen einen Eindruck,
den wir nie so empfunden und der uns aufs neue die unerschöpf-
liche Bildungskraft der Natur bewundern lässt.
W. C. G.
DER HELDEN BUCH.
Herausgegeben durch Fried. Heinr. von der Hagen. Erster Band. Berlin bei
J. F. Unger 1811. gr. 8. Vorrede XIV S. Hörnen Siegfried. 28 S. Etzels
Hofhaltung. 57 S. Das Rosengarten - Lied oder der Rosengarten zu Worms.
71 S. Alpharts Tod. 69 S. Ecken Ausfahrt. 191 S. Riese Siegenot. 70 S.
Anhang. 13 S. (2 Rthlr. 18 Gr.)
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang V (1812), BdH, No. 53.
S. 833—843.
-L/as Glück hat sich günstig gezeigt und eine Handschrift
auffinden lassen, welche in den grossen Cykliis der altdeutschen
Nationaldichtung ein lebendiges Glied wieder aufstellt: das Lied
von Alpharts Tod. In dem Vaterländischen Museum theilte
Hr. Prof. V. d. Hagen Nachricht davon und ein Bruchstück mit,
welches schon die ungemeine Treflflichkeit des Gedichts bewährte.
Keins unter allen anderen noch übrigen schliesst sich im Geist
so nahe an das Nibelungenlied, derselbe Odem, der jenes be-
lebt, weht auch hier, es ist eine Frucht in derselben Sonne ge-
reift, die jenem geschienen; wenn noch mehrere solcher Gedichte
sich entdecken, so dass der Cyklus wenigstens in seinen Haupt-
theilen wieder aufsteht, wozu wir die Hoflfnung hegen dürfen,
da sie ohne Zweifel existirt haben, so wird selbst die feind-
seligste Gesinnung den grossen Umfang und die reiche Herrlich-
keit der deutschen Dichtung anerkennen müssen.
Dieses, wie die anderen Gedichte, welche dieser Band ent-
hält und die alle zu dem Cyklus gehören, hat uns der Heraus-
8.33
42 DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
geber nicht in sorgfältigem Originaltext wie das Nibelungenlied,
sondern in einer modernisirten Überarbeitung mitgetheilt. Da
wir mit ihm glauben, dass das Leben der alten Dichtungen aus
der ursprünglichen Form am besten erkannt werden könne und
dass die Forderung an einen reinen Text die erste sei, so dürfen
wir es nicht billigen, dass er sie zurückgesetzt und dadurch
diejenigen, welche ein Recht haben, sie zu machen, gezwungen,
834 gleichsam von unten herauf zu dienen. Man hat die alten Sta-
tuen, als sie aufgefunden worden, erst aufgestellt, ehe man
daran gedacht. Gipsabdrücke für Akademieen zu nehmen. Wir
haben schon mehrmals erklärt, dass wir eine solche Arbeit an
sich für recht halten, wenn sie an dem rechten Ort geschieht,
ja für nothwendig, da auf alles, was vorhanden, die Gegenwart
mit ihren Tugenden und Mängeln einen begründeten Anspruch
hat, den sie auch durch alle Zeiten geltend gemacht. Jenes
Verständnis der ursprünglichen Form erfordert ein besonderes
Studium, darum ist es etwas Abgeschlossenes und wirkt nur
langsam, aber es ist der Kern, aus welchem alles für die Gegen-
wart Bearbeitete hervorgehen muss, sonst würde es ohne Ver-
stand geschehen und wieder zusammenfallen. Es ist damit, wie
mit einem ausgezeichneten Menschen, sein Geist überflügelt
seine Zeit und steht einsam auf seinen Höhen, aber lässt sich
mild und lieblich in die Nähe herab, weil die Einsamkeit kalt
ist, wie die Region, wo nichts mehr wächst, und nur in der Mit-
theilung und Gemeinschaft die rechte Liebe. So denken wir
über die Zulässigkeit einer Modernisirung, sie soll frisch und
unmittelbar lebendig sein, das ist ihr Ziel, wornach um jeden
Preis zu streben ; wer seiner Zeit etwas geben will, der soll sie
nicht erst meistern, auf welche bessere Art sie es zu empfangen
habe.
Wenden wir uns zu der hier gelieferten Arbeit, so können
wir eines ausführlichen Urtheils überhoben sein, es ist genau
dieselbe Manier, die der Herausgeber bei der Modernisirung
des Nibelungenlieds befolgt hat, über die wir uns in diesen
Jahrbüchern hinlänglich geäussert. Wie dort sind mit Con-
sequenz und Fleiss die alten Gedichte in eine Sprache über-
tragen worden, die weder alt noch neu ist; so gehören sie nach
DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 43
Wartein weil, das zwischen Himmel und Hölle liegt und wohin
die Landsknechte wegen ihres ehrbaren Fluchens und sonstiger
frommer Gottlosigkeit verwiesen sind. Der Herausgeber hat in
der Vorrede einiges zu seiner Vertheidigung gesagt, was er
überhaupt über die Nothwendigkeit der Erneuerung vorbringt,
ist auch unsere Meinung; die Neigung dazu hat sich durch
alle Jahrhunderte gezeigt, nur allzeit unschuldiger: aber gegen
das, was er zur Vertheidigung der seinigen anführt, haben wir
vieles einzuwenden. Er sagt, es gelte bei der Sprache, die noch soö
fortlebe, kein Alt und Neu; der Satz ist ungeheuer; insofern er
bedeutet, dass der Geist, der redet, ebenso die Idee der Poesie
keine Geschichte habe, können wir ihn gern zugeben, aber die
Äusserungen und Formen des Geistes, wovon die Sprache eine
ist, Jiaben ein Alt und Neu, sonst würde auch eine Erneuung
überflüssig sein; die Sprache der früheren Jahrhunderte ist be-
stimmt untergegangen, wiewolü aus ihr die jetzige entstanden
und sie mithin in Beziehung darauf keine todte heissen kann. In-
soweit passt das Gleichnis von dem Palmbaum, dessen Blätter an
dem früheren Ring standen, wie an dem späteren jetzt, recht gut,
und jede Pflanze drückt es aus, die wieder aufwächst, gleich der,
welche den Kern zu ihr gab. Wir glauben bestimmt an eine Tra-
dition, an einen Zusammenhang aller Zeiten, an das Sittliche. Soli
aber das Gleichnis beweisen, dass, wie die jetzigen Palmblätter
dieselben, die an dem früheren Ring, so auch die jetzige Sprache
im Grund dieselbe, so passt es nicht mehr. Eben, weil die
Pflanze keine Geschichte hat, so keimt sie wieder in unseren Treib-
häusej'n, wie sie vor tausend Jahren in Indien aufgegangen ist.
Aber der menschliche Geist offenbart sich in jeder Zeit anders
j und verlässt eine Form, in die er nie wieder zurückkehrt. Kein
heiligeres Princip, sagt Görres in der Mythengeschichte, hat die
Geschichte zu vertheidigen, als jenes von ihrem stetigen Wachs-
thum ohne Beschränkung in der schrankenlosen Zeit. Auch an
der Religion mögen Tod und Vergänglichkeit ihre Macht wohl
üben, wie der Zerstörer Schiwa vieler Gestorbenen Brahmas
Schädel trägt, also sind auch viele religiöse Formen vor dem
Ewigen schon zerfallen und ihre Mumien nur noch in der Er-
innerung der Geschichte aufbewahrt. Um von unserem Fall zu
44 DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
reden, so gilt kein Mischen der untergegangenen Formen ue
der neuen, welches absichtlich ist; unbewusst allerdings wii
sich die Sprache aus ihren alten Schätzen erweitern könne:
weil wir am wenigsten eine historische Stärkung ihr wegnehme
möchten; wie der Geist das neue Wort im Moment der Not]
wendigkeit erfindet, so wird er in Gleichem das alte wieder ai
wenden, aber äusserlich nach einem System, führt den Tod
sich. Richtig bemerkt der Herausgeber, dass, je näher si(
836 seine Erneuung an das alte anschhesse, desto schreiender d
Misston werde, es zeigt sich da, dass es nur eine Abweichun
nichts für sich Wohlklingendes sei. Es ist hier eine Mischun
die in keinem Punkt der Vergangenheit war und in keine
der Zukunft sein kann, weil sie ausser der Seele der Spracl
liegt; dass ein mittlerer Verstand als Vorsatz irgendwo rec
sein könne, ist uns undenkbar, unwillkürlich wird die Beschränk
heit weltlicher Kräfte stets eine Grenze setzen, aber alles, w
würdig lebt, strebt nach dem Höchsten; es liegt nicht in de
Willen, wenn zwei zu einander Redende sich nicht ganz v€
ständlich machen können, sondern in der Dürftigkeit der Spracl
worüber alle Dichter klagen. — Einige der hier mitgetheilt
Gedichte sind in der Form, in welcher sie auf uns gekomrae
bedeutend jünger als das Nibelungenlied und eine Anzahl Wort
ausgenommen bald verständlich. Hier ist nun das Schreien^
weit weniger hörbar, als in der Bearbeitung des Nibelunge
lieds, aber wie leicht hätte der Herausgeber darum beide Rüc
sichten befriedigen können, wenn er gleich unter dem Text d
Unverständliche erklärt hätte, ein Verfahren, das uns das Ei
fachste und Natürlichste scheint. Wir wissen nichts, was d
gegen sein könnte, als die Parade des Drucks, dessen Schö
heit und Luxus wir darum tadeln und an sich rühmen. — I
aller Sorgfalt, sich so leicht als möglich bei den Schwierigkeit
zu helfen, sind die Hände so sehr gebunden bei dieser Mani(
dass ein geringer Zusatz sich leicht als imschicklich zeigt;
heisst es z. B. in dem Original des Rosengarten:
Str. 254. Chriemhilt die Königin (weise) de nit viel lenger beyt,
mit Ernst vnd mit Fleise sy sich gar schon bereit.
bei Hagen :
DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEX. 45
Str. 236. Chriemhild die Königinne nicht länger sie da weilte,
mit Ernst imd mit Fleisse sie sich bereitet" und eilte.
Hier ist der Zusatz durchaus dem Sinn entgegen, das Eilen dem
ernsthaften Bereiten. Es versteht sich, dass der Herausgeber die
Formen, zu denen er eine gewisse Vorliebe hegt und deren
Verlust wir allerdings beklagen müssen (wiewohl wir uns damit
trösten können, dass jede Sprache etwas Ahnliches verloren imd
dieser Untergang nothwendig ist), obgleich ganz veraltet, dennoch
beibehalten, wie: gesegenot (Siegenot Str. 19), da der Druckss?
schon (Str. 20): gesegnet liest; ebenso heute ganz im ver-
ständliche Wörter, wie: verschlinden (Etzels Hofh. Str. 120),
fährlingen (Alpharts Tod Str. 177. 288), rieh ftr räch (Rosen-
garten Str. 263).
Wie in der Recension des veränderten Nibelungenlieds er-
kennen wir auch hier die Arbeit, die zum Grimde liegt, und
wissen sie von der Modemisirung zu scheiden. Als Beweis
unserer Aufmerksamkeit mögen hier die Bemerkungen stehen,
welche wir bei der Vergleichung mit dem Originaltext gemacht.
— Etzels Hofhaltung wäre richtiger der Wunderer zu be-
nennen, der die Hauptperson im Gedicht ist. — Es liegt hier
bloss die Dresdner Handschrift zum Grunde. Str. 21 liest der
Herausgeber:
Des Hat's der wilden Meere war er ein König reich.
Wir lesen: dieshalb, diesseits der wilden Meere, unstreitig
richtiger, da der seltsame Pleonasmus wegfallt, ohnehin müsste
es der Haf heissen. da im Altdeutschen Haf stets ein Femininum
ist. Str. 38 im letzten Vers möchten wir lieber fiir dich er-
gänzen. Das Rosengartenlied. Die im alten Heldenbuch
gedruckte Recension hat der Herausgeber nach dem Mflnch.
und Dresd. Codex, die beide genau mit einander übereinstimmen,
wieder hergestellt. Das Ganze hat dadurch ungemein an Rein-
heit und Lesbarkeit gewonnen, da die Umarbeitung in Strophen
manches schlechte Flickwort hinzugesetzt hatte. Indessen war
der Druck auch als Quelle anzusehen, weil er in mancher Hin-
sicht reicher ist und jene Mspte ergänzt, sodann auch, weil er
einzelne bessere Lesarten hat. Dass der Herausgeber die
22 Strophen, welche die L^berfahrt der Helden beschreiben, aus-
46 DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
gelassen, ist zu billigen, weil ganz deutlich sie aus einer anderen
Recension eingerückt sind, dagegen sehen wir keinen rechten
Grund, warum nach Str. 173 vier Strophen aus dem Druck über-
gangen sind und in den Anhang gebracht, da sie gar wohl in
den Zusammenhang passen und an sich nicht schlecht sind.
Auch manche Lesart im Druck hätten wir vorgezogen; man
kann nicht immer mit Gewissheit auf Verdorbenheit des Texts
schliessen, wenn der Reim verschlungen ist, da sich bekanntlich
838 dieses nicht gar selten schon im Nibelungenlied findet, und der
innere Werth einer Lesart würde am meisten bei uns entscheiden.
Ohnehin haben oft mehrere Verse (wie in Str. 344. 345, im Druck
362. 363) aus dem Druck müssen genommen werden, wie die
ganze Str. 339 (Dr. 357), welche offenbar keine Zusätze des
Bearbeiters sind. Wir wollen hier einiges bemerken, was uns
besser geschienen, wiewohl wir gern zugeben, dass bei einer
solchen Auswahl es auf individuelle Ansicht und augenblickliche
Stimmung ankomme.
Hagen 174. Da verkehrte sich die Farbe an dem viel grimmen Mann.
Gehle und auch grüne ward seine Farbe gethan.
Druck 170. Da verkehrte sich die Farbe (syn) an dem viel grimmen
mann,
gel vnd grün ward syn sch}ni, das er's musst sehen an.
H. 223. Da ward gar wohl gezieret viel manche schöne Magd
und manche schöne Fraue, als man uns von ihr sagt.
D. 241. Da ward gar wohl gezieret viel manche schöne maid.
die do ihr Haar aufschnieret, als uns die Wahrheit sait.
H. 251. Da kam die Königinne und gab ihm ein Kränzelein,
ein Halsen und ein Küssen, das müsst sein eigen sein.
D. 269. Da kam die Chriemhilt die kunigin und bracht ihm ein
rosenkranz :
ein halsen und ein küssen macht ihm sin freude ganz.
H. 266. Da spradi der Held Heime: „ich will ihn nicht bestan .
er ist so ungefüge und auch so freisam."
D. 284, Do sprach Heime, der recke: „ich will sin nit bestan,
er hat dreimal mein- stärke, dann ich nie gewann."
DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 47
H. 340. Da sprach der von Berne: -ihr habt wohl gestritten,
in dem Rosengarten nach ehrlichen Sitten;
der Anger ist gekleidet mit euer beider Blut:
Chriemhild die Königinne ist des bass gemuth.''
D. 358. Do sprach von Bern Dieterich: -ihr band manlich gestritten,
streich und schlag kräftigklich. die hatten ihr nit vermitten;
der Anger ist geferbet mit euerm rothen blut:
Chriemhilt sich nit erbarmet, sie ist dess bass gemuth."
H. 355. Den Schild begunnte er sassen, der getreue Mann, 839
er säumte sich nicht länger, er sprang hin auf
den Plan.
D. 372. Sin Schild er zu ihm schwang und auch sin stehelin heim
er durch den Garten sprang, das von ihm stub das melm.
H. 386. Da stritten sie gegen einander, die zwene weisen Mann,
da ward ritterlich gestritten auf dem Plan.
D. 403. Sie stritten mit einander, die zwen kühne mann,
recht als der Salamander in hitzen auf dem plan.
H. 387. Ich sag' euch das fürwahre, die zwene alten Mann,
sie stritten witzigliche auf dem weiten Plan.
D. 414. Ich sag euch das furwahre, die zwen alte Mann,
sie schlugen durch graue haare, dass das blut von ihn'n rann.
Ecken Ausfahrt. Aus den verschiedenen Drucken und
der Dresd. Handschrift hat der Herausgeber hier einen ergänzten
und besser geordneten Text geliefert; der HS. folgt er im
Ganzen wohl mehr bis dahin, wo sie gänzlich abweicht vom
Druck. Das Silbenmass hat er durchgehends berichtigt, wo-
gegen wir hier gar nichts einzuwenden haben, da eine fest be-
stimmte Form zum Grund liegt. Wenn er in der Vorrede aber
diese Überarbeitung eine meistersängerische nennt, so wider-
sprechen wir ihm bestimmt, die Form rührt gewiss von den
Meistersängern her, die Arbeit selbst ebenso gewiss nicht. Die
Auswahl des Herausgebers gefällt uns fast immer, es sind die
Vorzüge der verschiedenen Kecensionen vereinigt, nur in folgen-
dem Beispiel scheint die einfache Wortstellung dadurch verloren
gegangen zu sein:
48 DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
Dres. Hs. Str. 144. Du fichtes sam dein weren zwen,
vnd sich doch nur ein vor mir sten.
Druck. Ich sich nit mehr, denn einen schein,
und mein nit, dass dein seyen zwen.
Hagen. Du flehtest, als wären zween dein,
und doch seh ich nur einen Schein.
Riese Siegenot ist auf dieselbe Weise behandelt. Über
Alpharts Tod, wo wir die Erneuung am meisten beklagen,
können wir, da uns das Mspt. nicht zu Gebot steht, nur
840 folgende Bemerkungen mittheilen: Str. 54 heisst der letzte Vers:
Achtzig Helden kühne mit dem Herzog Wolfing reit't.
Dieser Gebrauch des Singularis ist uns noch nicht vorgekommen,
und es wäre wohl besser zu lesen: mit denen. Str. 115 steht:
also dass für: das. Str. 139. Er sprach mit Gewalt gibt
keinen Sinn; sollte es heissen: genote und auf Spotte reimen?
Auch die beiden vorhergehenden Verse haben innere Reime.
Str. 203 der herzen Leide, dies Adjectiv kennen wir gar nicht,
es muss unstreitig: der Herzenleide heissen. Ebenso Str. 339
statt der alte, greise der Altgreise, wie sich immer die
Zusammensetzung findet. Auch für den Hörnen Siegfried be-
sitzen wir keinen von den zwei höchst seltenen Drucken, deren
Dasein freilich ausser Zweifel war.
Wir haben noch von dem poetischen Werth dieser Ge-
dichte zu reden. Der Treftlichkeit von Alpharts Tod ist
schon oben Erwähnung gethan. Wenn wir dieses dem Nibelungen-
lied nicht ganz gleichstellen, so liegt es wohl bloss daran, dass
uns dort beständig der grosse Zusammenhang vor Augen steht,
der jedem einzelneu noch die eigene Bedeutung gibt, sonst ist
hier derselbe Geist, das kleinste, jedes Wort ebenso von dem
frischesten Dasein durchdrungen, dieselbe Ausführlichkeit, Ruhe
und Gewalt der Darstellung; es wird sich hiermit am besten
die Meinung von einem besonderen Dichter des Nibelungenlieds,
die ohnehin auf nichts beruht, wenn noch jemand darauf be-
stehen sollte, widerlegen. Die Fabel ist einfach : ein Held, der,
so jung er ist, doch schon sein Geschlecht fühlt, der nicht
seine Stärke befragt, wenn er zum Kampf soll gehen und dem
DER HELDEN BUCH VON F. H. TON DER HAGEN. 49
die weltliche Meisterschaft des alten Hildebrand unterliesren
muss, fällt, von dem ersten Morgenroth seines Lebens beschienen,
unter blutdurstigen Händen; wir können das Interesse nicht
von ihm abwenden, so schön ist er in allen Beweorungen und
in allen Reden. — Ist in dem Rosengarten die Idee des
Ganzen nicht von gar tiefer Bedeutung, denn der Cyklus will
auch sein weltliches Theil haben, so ist sie doch ungemein er-
götzlich und sehr wohl ausgeführt. Die Kämpfe sind alle nach
dem individuellen Charakter der Helden verschieden, ausserdem 841
ist dem Gedicht ein heiterer Scherz und Humor eigen, wodurch
besonders der Mönch Ylsan belebend hervortritt. Will der ge-
treue Eckart keine ungetreue Magd küssen und ruft der alte
Hildebrand aus: das alte Hurenwerk lasst sein! so reibt er die
zarte Königin wund mit seinem rauhen Bart, und die erworbenen
Rosenkränze drückt er seinen lieben Brüdern daheim auf die
Stirne, dass das Blut herabläuft. Hierauf ist Ecken Aus-
fahrt zu nennen, neben den vorigen Gedichten, namentlich
neben Alphart, darf man sagen, dass eine gewisse Breite darin
sei, die hin und wieder ermüde ; das Belebtsein des Epos durch
alle Glieder, das Eindringliche ist in der Manier einer späteren
Bearbeitung schon untergegangen, bei allem dem ist noch viel
Poetisches in diesem Gedicht. Schön ist der Auszug des Eck:
aus dem Geschlecht der Riesen reitet er nicht, er würde das
Pferd erdrücken, aber gerüstet in Ottnits Stahlrüstung mit
goldenen Ringen, die gewirkt sind von Zwergen aus arabischem
Golde und gehärtet in Drachenblut, tritt er wie ein Leu in den
Tann; fern hört man es aus dem Wald klingen wie Glocken,
wenn die Aste seinen Helm berühren, bei dem Hall wacht das
Gewild auf mit mannigfachen Stimmen und flieht, doch von
manchem wilden Thiere wird ihm nachgesehen. In der Nach*
findet er Dieterich, der kampfmüde ist, beide legen sich nach-
einander zum Schlaf nieder, einer bewacht den anderen. Wie
die Vögel den Tag ansingen, beginnt der Kampf, das Feuer
aus den Helmen springend, entzündet rings die Äste, dass ein
Rauch über den Streitenden aufsteigt. Die Gewandtheit des
christlichen Helden siegt endlich über den ungefügen Riesen,
der, heidnisch gesinnt, den Teufel zum Helfer haben will und
W. GRIMM, KL. SCHRUTEX. II. 4
50 DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
der doch auch wieder eine schöne treuherzige Gesinnung zeigt^
ja, er sagt selber dem Dieterich, auf welche Weise allein er ge-
troffen werden könne: dahin müsse er hauen, wo sein Panzer
zusammenhafte, dass jener, wie er ihn getödtet, ausruft: ich
hab mehr verloren zu dieser Stund denn gewonnen. Riese
Siegenot ist in derselben Manier gearbeitet, nur ist die Fabel
darin weniger werth. Es sind Beschreibungen der Kämpfe
Dieterichs und Hildebrands mit einem Riesen, die an sich
manches Gute haben, aber eben wie die Beschreibungen von
842 Landschaften ihrer Natur nach keine zu grosse Ausführlichkeit
erlauben, selbst nicht die beste. Das Epos hält darin das rechte
und schöne Mass. Erheitert wird das Gedicht und die Er-
zählung von den Kämpfen unterbrochen durch die guten Scherz-
reden, die Wolfhart mit der Herzogin Ute treibt, wie sie ihren
Herrn, den alten Hildebrand, zum Auszug rüstet: er meint, es
sei um den Riesen geschehen, wenn dieser an den Kuss denke,
den sie ihm beim Abschied gegeben. In Siegenot wie in Ecken
Ausfahrt leuchtet der alte gute Grund immer noch durch, und
würden wir die Originale aus früherer Zeit haben, sie würden sich
vortrefflich zeigen. Hierauf folgt der Hörnen Siegfried. Die
Fabel kennt man aus dem Volksbuch, die Form ist der des
Nibelungenlieds nachgeahmt, nur fehlt meist die charakteristische
Länge der vierten Zeile in der Strophe, aber von dem Geist
desselben ist wenig übergangen. Während jenes bis ins kleinste
Detail belebt und ansprechend, ist hier bei keinem einzigen
Moment verweilt, sondern alles in einer allgemeinen Oberfläch-
lichkeit gehalten ; das Gleichmässige darin macht das Verdienst
dieser Bearbeitung aus, nebenbei hat sich noch manches gute
Wort erhalten. Endlich Etzels Hofhaltung ist uns ganz
ohne poetischen Werth. Es ist keinem Zweifel unterworfen,
dass sich in jenen Zeiten, et^a wo die Dresd. Handschrift com-
pilirt wurde, eine eigene Manier in Bearbeitung der deutschen
Heldensagen gebildet hatte, der wir zwar die Erhaltung manches
Einzelnen verdanken, in welcher aber jene immer mehr oder
weniger von ihrer alten Bedeutung und Höhe herabgezogen
wurden. In dieser Schule, und zwar von einem ihrer geringsten
Glieder, ist dieses Gedicht zusammengesetzt, aus entlehnten, auch
DER HELDEN BUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 51
wohl aus eigenen Gedanken. Vielleicht ist eine allegorische
Absicht dabei, die Jungfrau nennt sich Frau Seide am Ende,
und die allegorischen Gedichte jener Zeit pflegen mit einer
solchen Hofhaltung anzuheben.
Hieran schliesst sich noch ein bestimmter Tadel des vor-
liegenden Buchs. Nichts soll verabsäumt oder gering geachtet
werden, was der Wissenschaft dienen und die altdeutsche Litteratur
aufklären kann, das Kleinste verdient aufbewahrt und berück-
sichtigt zu werden; aber dem, der sich bloss an der Poesie
dieser alten Gedichte erfreuen will, dem soll man nur das Kost- 8*3
lichste und Reinste darreichen. Alle Poesie, ja alles Grosse
auf der Welt, hat seine Nachfolger und Nachahmer gehabt,
die sich daran gedrängt und angeschlossen, bis der Gipfel, der
einsam steht und die Sterne grüsst, durch sie mit dem Thale
verbunden worden. Diese Verbindung, die an sich etwas Noth-
wendiges und darum Rechtes hat, weil ein jeder nach seinen
Kräften Theil nehmen will, gilt nur für ihre Zeit; wenn die
Nacht der Jahrhunderte kommt, bleibt nur die Spitze in un-
vergänglichem Glänze stehen, und auf diese sollen wir deuten,
wenn jemand das Herrlichste jener Zeiten, das alles andere doch
in sich fasst, ansehen möchte. Nicht jeder kann sich mit dem
Studium der alten Zeit, dem es auferlegt ist, allem Zusammen-
hang durch die Dunkelheit nachzuspüren, beschäftigen, noch
wäre es wünschenswerth, aber auf die Ausbeute hat jeder ein
Recht. Des äusserlichen Nachtheils, der durch solche unbe-
schränkte, alles Urtheils sich begebende Mittheilung entsteht,
indem einer entgegenarbeitenden Gesinnung, die glaubt, man
dürfe nur Eines lieben und ehren, das in die Hände gibt, was
sie überall hier gern fände, gedenken wir nicht, weil er uns
niemals bedeutend vorgekommen ist.
W. C. Grimm.
52 NARRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
1281 NARRENBÜGH.
Herausgegeben durch Friedrich Heinrich von der Hagen. Halle in der
Rengerschen Buchhandlung, 1811. VI und 541 S. in 8. (1 Thlr. 12 Gr.)
Leipziger Litteratur-Zeitung für das Jahr 1812. Zweites Halbjahr. Leipzig, bei
Breitkopf und Haertel. No. 161—163, am 1.— 3. Juh 1812. S. 1281—1301.
[Mit Jacob Grimm.]
Wenn einer den Witz alter Zeiten zusammenzustellen
und als einen nothwendigen Theil der ganzen Poesie geschicht-
lich zu untersuchen gedächte, wird niemand ein solches Unter-
nehmen tadeln wollen: der poetisch Geniessende, der historisch
Betrachtende, oder der beides zugleich ist, müsste dafür dankbar
sein. Es ist eine eigene Freude und ein fester Grund in jenen
Scherzen, besonders in jener Ironie, die mit sicherer Hand ein
ganzes bürgermeisterliches Regiment gefasst und aufgehoben,
das sie langsam nun dem Licht zudreht und mit unerschöpf-
licher Lust betrachtet. Etwa zu der Zeit, wo das uralte Helden-
gedicht bis auf wenige Laute verschollen, tritt diese neue Bil-
dung hervor: das Feuer, das dort gleichsam auf Bergen ernst
und reinflammend gestanden, brennt hier in den Thälern, wohin
die Menschen hinabgezogen sind, tiefer und niedriger, aber lustig
und prasselnd fort. Hell sind die Gestalten, die es anleuchtet,
keine tragische geheimnisreiche Macht lenkt das Schicksal, alles
lässt sich leicht übersehen, wäre nicht der Geist, der dort in
ernsthaftem Aufschauen so gross erscheint, hier um sich wen-
dend und der Welt zugekehrt, derselbe und darum doch unaus-
messbar. Nicht ganz aber ist das Feuer verlöscht, so gut war
es entzündet, und noch heute lebt dieser Scherz und diese Ironie
fort; war demnach bei der Erweckung des alten Lieds uner-
lässlich, die Gedanken in eine verschwundene Zeit zurückzu-
lenken, so kann eine Erneuerung dieser alten Bürgerlust geradezu
begehrenden Händen gereicht werden.
Über die Forderungen, die bei einem solchen Unternehmen
gerecht sind, verständigt man sich leicht. Diese Gedichte, die
sämmtlich über den Punkt, wo sie uns in solcher Gestalt sind
NARRENBCCH VON F. H. VON DER HAGEN. 53
überliefert worden, hinausgehen und einen mythischen Cha-
rakter haben, müssen bis zu ihren Quellen verfolgt und ihre
Entwickelung und Ausbildung, so weit es möglich ist, vor unsere
Augen gelegt werden. Nichts darf für diesen Zweck versäumt
werden; es ist nöthig, dass die Geschichte der Poesie gewinne
und das Gedicht selbst reicher, reiner und irischer der leben- 1282
digen Lust übergeben werde, welcher die Wissenschaft sich
doch nimmer entziehen darf. Wir zweifeln, dass dem Hrn.
V. d. Hascen diese Forderimcren entgancren sind, sollen wir aber
das Resultat unserer Betrachtung seiner Arbeit gleich voran-
stellen, so müssen wir sagen, dass er keine davon erfüllt, was
noch schlimmer, dass er nicht einmal den Vorsatz gehabt, sie
zu erfüllen. Haben wir ihm dafiir gedankt, dass er die beiden
Kalenberger, die selten sind, wieder hat abdrucken lassen, was
doch immer ein massiges Verdienst ist, so wissen wir nicht,
was wir an dem ganzen Buch noch zu loben hätten. So sorg-
faltig und übergenau der Verf. in dem ist, was den altdeutschen
Nationalcyklus betrifft, so nachlässig erscheint er in den Prosa-
büchem; man hat dem Buch der Liebe schon vieles mit Recht
zur Last legen können, dennoch ist es mit einer gewissen
äusseren Sorgfalt behandelt, da hingegen dieses Werk kaum
leichtsinniger konnte angefasst werden. Der Anhang, welcher
historische Untersuchungen und litterarische Notizen enthalten
soll, liefert nur, was dem Verf. in der Eile unter die Hände
kam, und gewinnt endlich durch mancherlei Nachsätze das An-
sehen von blossen Collectaneen ; dazu kommt, dass bei einem
fremden Corrector sich in diesem Theil eine Menge böser Druck-
fehler eingeschlichen haben.
Wir verlangen von jeder Arbeit, dass sie ernstlich gemeint
und wirklich förderlich sei. Das ist dieses Buch aber auf keine
Weise, und man sieht nicht ab, wozu es eigentlich in dieser
Gestalt unternommen worden. Das Laienbuch wird gesen-
wärtig noch in einigen Gegenden Deutschlands als Volksbuch
verkauft, wohl nicht mehr der Morolf, aber dieses Gedicht ist
in der älteren poetischen Bearbeitung, welche der Prosa nicht
nachsteht, schon dem Publicum von dem Herausgeber mitge-
theilt; was die beiden Kalenberger betrifit, so ist es zwar, wie
54 NARRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
gesagt, gut, dass sie wieder abgedruckt sind, indessen hat Flögel
in der Geschichte der Hofnarren einen ausführlichen Auszug
gegeben, mit welchem man sich gern begnügt hätte, bis sie
sorgfältiger erschienen wären. Dass diese Gedichte übersehen
würden, war bei der Art, womit das Studium der altdeutschen
Litteratur überhaupt getrieben wird, nicht zu befürchten, und
eben darum eine solche Hast unnöthig, bei welcher dem Verf.
selbst nicht wohl kann geworden sein.
Wäre ein ordentliches Studium vorangegangen, so würden
128:5 mehrere ganz bestimmte, feststehende Charaktere begegnet sein,
wie der Prahler, Schwaben, Schneider. Diese nebeneinander
aufgestellt hätten, gegenseitig sich erläuternd und erklärend,
erst den Reichthum und die eigentliche Natur dieser Seite der
altdeutschen Poesie erkennen lassen. Eine solche mannigfach
sich ausbreitende Untersuchung müsste der Geschichte der Poesie
nicht gering zu achtende Resultate gewähren. Gerade diese
Ruhe und helle Besonnenheit des Humors, diese ausdauernde
und sicherlebende Ironie ist etwas den Deutschen ganz Eigen-
thümliches, die leicht an leichtspringendem Witz von anderen
Völkern übertroflfen werden.
Wissenschaftlicher Ernst hätte hier noch einen anderen Vor-
theil gebracht: das Buch wäre dann nur in die Hände derer
gekommen, denen es gebührte. Wir wissen auch, dass Derb-
heiten dieser Dichtung zugehören und noth wendig sind, und
verlangen so wenig, dass sie wegbleiben sollen, als wir den
Aristophanes castrirt sehen möchten, allein unsere Zeit hat eine
Zucht und Sitte, die geachtet werden muss, vor deren Augen
man solche Dinge nicht hinstellen soll. Das Volk mag sie ver-
tragen, aber ein feiner schamhafter Sinn der Frauen, der etwas
Edles ist, hätte hier gewarnt werden sollen, und ein Zusatz:
„für Männer gedruckt" scheint so statthaft als das bekannte:
Manuscript für Freunde.
Dieses im Allgemeinen über das vorhegende Buch ausge-
sprochene Urtheil halten wir uns schuldig im Einzelnen zu
bewähren, wodurch wir zugleich in den Stand gesetzt werden,
der Recension einiges Interesse zu verleihen.
I. Die Schildbürger. Wie dieses Werk das Vollen-
NARRENBCCH VON F. H. VON DER HAGEN. 55
detste und Gediegenste in der alten komischen Litteratur ist:
so erscheint eine sorgfaltige Bearbeitung hier am nothwendigsten.
Was den Text betriift, so ist der erste Theil nach den Aus-
gaben von 1605 und 161-4 gemacht, die frühere von 1598 hat
der Herausgeber nicht gehabt, da sie doch bestimmt existirt und
billig hätte benutzt werden sollen; zweifelhafter ist freilich die
von 1597, weil man überhaupt Drauds Angaben*) nicht für zu-
verlässig nehmen kann. Indessen wollen wir hierüber nicht
lange rechten; da das Laienbuch, wahrscheinlich wegen der in
Perioden geschlossenen Rede, die nicht so leicht zu zerreissen
war, überhaupt wenigere Veränderungen erlitten und selbst in
den heutioren Volksbüchern noch ziemlich rein erscheint, so mag
hier nicht so viel auf die ersten Ausgaben ankommen, wie bei
den Romanen im Buch der Liebe. Diese Nachlässigkeit ver-
schwindet gegen eine viel bedeutendere und geradezu unver-
zeihliche, indem Hr. v. d. Hagen den zweiten Theil des Buchs
nicht mitherausgegeben hat. Dieser, wenn er gleich nicht
völlig den ersten erreicht, ist dennoch ungemein witzig und in
vielen einzelnen Zügen ganz vortrefflich. Statt ihn im Text
mit abzudrucken, gibt er im Anhang einen dürftigen Auszug
davon, dem aller Scherz und alles poetische Interesse entzogen
ist. Eben so ist die abweichende Erzählung des Grillenver- 1284
treibers von den allzuderben Capiteln des ersten Theils, die
man ganz zugegeben wünscht, nur im Inhalt geliefert; wie wenig
aufmerksam auch dieser gemacht ist, sieht man daraus, dass
das eine Gedicht (S. 453 ff.) in zehn (nicht einmal in neun)
Verse abgetheilt worden , während es offenbar ein ganz regel-
mässiger Meistergesang von zwei Stollen und Abgesang in drei
Gesätzen ist. Auch die Litteratur des Laienbuchs ist nicht voll-
ständig: der Katalog der Ungerischen Bibliothek führt S. 125
eine Ausgabe des Grillenvertreibers Frankf. 1670. 8^ an. Eine
andere erschien: Nürnberg 1678. Die Ausgabe s. 1. et a., welche
in der Romanenbibliothek benutzt und hier S. 491 bezweifelt
wird, existirt unstreitig, der Titel ist ganz richtig, nur etwas
abgekürzt ansjegeben. Sie stimmt dem Inhalt nach treu mit der
Ausgabe von 1598 überein, und nur die Orthographie ist erneuert.
*) [Vgl. Briefwechsel zwischen J. und W. Grimm, Anm. S. 509.]
56 NARRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
Hat der Herausgeber auf diese Weise die Quellen vernach-
lässigt, so fehlen ihm weiter die besten und wichtigsten Hilfs-
mittel zur Erläuterung des Gedichts. Die dänische Sammlung:
Molboers Bedrifter, die interessante Vergleich ungen an die
Hand gibt, hat er nicht gehabt und nur aus Nyerups Abhand-
lung in einer Zeitschrift angeführt. Aus dieser nimmt er weiter
auch Nachweisungen über Freys Gartengesellschaft und das Roll-
wagenbüchlein. Dass sie nur sehr unvollständig sind, ist na-
türlich, da man in Dänemark nicht über seltene altdeutsche
Bücher Untersuchungen anstellen kann ; so erscheinen denn
diese Notizen hier falsch und dürftig. Das Rollwagenbüch-
lein ist ursprünglich nicht ein zweiter Theil der Gartengesell-
schaft, sondern ein eigenes Buch, das den bekannten Jörg
Wickram, Stadtschreiber zu Burkhaim, zum Verfasser hat.
(Hieraus erklärt sich nun die Stelle bei Fischart in der Ge-
schichtsklitterung S. 437, und Burkhaim ist nicht der Verfasser
eines Buchs, s. Note 438, was Hr. Prof. v. d. H. ohnehin hätte
wissen können, schon wenn er den Fischart aufmerksamer ge-
lesen. Eben so rührt die Gartengesellschaft von Jacob Frey,
Stadtschreiber zu Maursmünster, her.) Die Ausgabe, die Rec.
vor sich hat, ist von 1557 in 8*^, indessen existirt wahrscheinlich
eine frühere, da in der Vorrede von Freys Gartengesellschaft
von demselben Jahr schon des Rollwagenbüchleins gedacht wird
und auf dem Titel dieser Ausgabe steht: „wiederum erneuwert
und gemert." Die Ausgabe Magdeburg s. a., welche Draud
bemerkt, ist später, sie ist bei Johann Franken gedruckt, heisst
der Rollwagen und auf dem auch sonst abgeänderten Titel
steht: jetzt von neuem übersehen und gemehret. Eine andere
Ausgabe: Rollwagenbüchlein Mühlhausen s. a. (dieselbe
welche Nyerup meint) ist auch später, als die von 1557, weil
die Gartengesellschaft als zweiter Theil damit verbunden, in
dem Katalog der Adelung. Bibliothek No. 2549 angeführt wird;
ein dritter Theil wird dem Montanus zugeschrieben, unstreitig
dessen Weg kürzer. (Wir kennen von demselben ein Lust-
1285 spiel: der ungetrewe Knecht. Strassb. bei Messerschmidt s. a.
in 8®) Einer anderen Ausgabe von 1568 Rollwagen von
Schimpf und Ernst gedenkt Cless bibHoth. p. 247. Ausser
XARREXBÜCH VON F. H. VON DER HAGEX. 57
diesen beiden gäbt es noch ein drittes hier auch wichtiges und
dem H. v. d. Hagen nicht einmal dem Namen nach bekanntes
Buch: WendUnmuth durch Hans Wilhelm Kirchhof, einen
Hessen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der erste und
beste Band erschien Frankf. 1565 8^ (jedoch ist die Vorrede
Cassel 1562 datirt) und ist in zwei, aber ungleiche Theile ge-
theilt, der grösste enthält die weltlichen, der andere die geist-
lichen Erzählungen. In der Fortsetzung nennt Kirchhof sein
Buch eine erweiterte und vermehrte Übersetzung von Bebeis
facetiis. Von diesem ersten Theü führt Strieder (hessische
Gelehrt. - Gesch. VII, 79) noch eine andere Ausgabe Frankf.
1587 8^ an. Mehr, als Strieder gefunden, kann man aus dem
Buch selbst von Kirchhofs Leben erfahren : als Soldat war er
in Franken, Norddeutschland, Flandern gewesen, überall ist der
Erwerb der Weltbekanntschaft, eine recht lebendige Anschauung
sichtbar, und er übertriffi in der Erzählung Frey und Wickram.
Den dritten Theil hat Rec. noch nicht gefunden, einen vierten
und fünften aber, den Kirchhof späterhin als Burggraf von
Spangenberg (Frankf. 1602) herausgab, auf der königl. Biblio-
thek zu Berlin gesehen; beide enthalten meist Auszüge aus der
alten Geschichte und gehören nicht eigentlich hierher. Wie
beliebt das Werk gewesen, zeigt die Nachahmung des Titels
in späteren Sammlungen. Es folgt auf diese Bücher eine ziem-
lich lange Reihe ähnlicher, in diesem Geschmack ausgearbeiteter,
sie sind wohl alle selten zu nennen, aber dass Hr. v. d. H. auch
nicht ein einziges davon erwähnt, zeigt, wie wenig er nach
dieser Litteratur sich umgesehen. Sie können hier nicht ange-
führt werden, weil sie eine besondere Abhandlung nöthig machten ;
wir nennen nur daraus Katzipori 1558 8*^. Der Verfasser unter-
schreibt sich bei der Dedication: Hans, Compan von Schleu-
singen — und: Rastbüchlein durch Michael Lindner, weil
dadurch die Stelle in der Vorrede von Fischarts Geschichts-
klittenmg vollkommen erklärt sein wird, wo ofienbar zwei Bücher
in eins zusammengeworfen sind. Aus der späteren Zeit ist der
Neugebutzte kurzweilige Zeitvertreiber, welcher den
bekannten Dichter Simon Dach zum Verfasser hat, anzuführen.
Koch (Compend. H, 327) citirt eine Ausgabe s. 1. 1668 12%
58 NARRENBÜCH VON F. H. VON DER HAGEN.
eine andere von 1700 aber, die Reo. vor sich hat, zeigt, dass
das Buch fünfmal aufgelegt worden. Es ist eine gar nicht
dürftige Sammlung, die nur in der Darstellung der älteren
weichen muss.
Wir haben diese litterarischen Nachweisungen nicht zurück-
legen wollen, weil die kleinen Bücher in dem lustigen Schwaben,
Elsass und Breisgau zuerst entstanden, dann aller Orten nach-
geahmt, bestimmt auf Reisen, vor Traurigen oder an kühlen
Brunnen gelesen zu werden, sich auf die rechte Art fast ganz
1286 vergriffen und verblättert haben und sehr selten geworden sind ;
zudem ist für die Bestimmung des Alters der Schildbürger eine
genaue Angabe wichtig.
Der Verfasser theilt in einigen Worten die Bemerkung mit,
dass das ganze Gedicht aus Volkstradition wahrscheinlich zu-
sammengestellt sei und seinen Ursprung Dunkel umhülle, was
eben so leicht als sicher im Allgemeinen zu treffen war. Ein
Dunkel ruht freilich auf der Entstehung eines jeden Gedichts,
das wir nicht aufhellen werden, wie bei der Betrachtung einer
jeden wahrhaftigen Dichtung, auch unserer Zeit, wir endlich
auf etwas Unergründliches gelangen.
Überall aber, wo wir Poesie finden, sehen wir sie auch
angeknüpft an ein Früheres, eine Tradition geht durch alle Zeit,
und Jahrhunderte, die auf die auffallendste Weise von einander
geschieden, hängen doch mit tausend Fäden zusammen und
mögen sich nicht verläugnen *). Wiederum aber stehen wir auch
immer, wo die Dichtung frisch strömt, vor ihrer unversiegbaren
Quelle, denn darin ruht das Geheimnis ihrer ergreifenden Macht,
dass ihre Gegenwart in der Vorzeit begründet, die Vorzeit in
ihrer Gegenwart lebendig und unvergangen ist. Wurde oben
behauptet, dass nach dem Untergang des alten Heldenepos dieses
Gedicht als neue Bildung hervorgetreten, so müssen doch die
Keime und Adern dazu in früherer Zeit schon dagewesen sein,
und nur das Herrschende können wir durch einen Gegensatz
bezeichnen. Hernach hat das Ganze sich gesammelt, gleichsam
auf einen Ruf, wie das gediegene Silber eine Zusammenhäufung
einzelner Theile ist, nach unbekannten Gesetzen chemischer Ver-
*) [So habe ich für „verlängern" geschrieben.]
NARRENBUCH VON F. H. TON DER HAGEN. 59
wandtschaft bewirkt. Solche einzelne Spur finden wir schon im
13. Jahrhundert in dem Gedicht von Reinfried von Braun-
schweig, S. 37*^ des Hanöv. Manuscripts heisst es nämlich:
mit nassen schöben (Fackeln) lachtet
man e vnd vasset manes schin
in s ecken, e vch iemer min
hiilde werde ze teile.
Hier erscheint dieselbe Idee, die wir bei den Schildbürgern
weiter ausgeführt sehen, indem sie das Sonnenlicht in Säcken
für ihr Rathhaus einfangen; wahrscheinlich bezieht sich das
vorhergehende: „mit nassen Fackeln leuchten" gleichfalls auf
eine hierhergehörige Sage, die jetzt verloren ist. Die folgenden
Jahrhunderte zeigten die Neigung des menschlichen Geistes zum
Scherz, das freiwillige Begeben in eine fröhliche Narrheit in
ihrer Entwickelung, wie die Griechen auf eine Tragödie ein
Lustspiel folgen Hessen, oder wie der Scherz uns wieder Luft
macht und die Fesseln löst, mit denen der Ernst uns umgeben,
so sehen wir diesen Gegensatz im Grossen erscheinen und diese
Zeiten auf jene der Heldengesänge folgen, die einen durchaus
tragischen Charakter hatten. Die Weihnachtspossen, das Oster-
gelächter, das Narrenfest sind Zeichen dieser Zeit, alle früher
entsprungen gelangten sie dazumal zu rechter Ausbildung. Nicht i287
im Ernst, wie die theologische Facultät zu Paris zur Vertheidigung
dieser Feste in einem Circularschreiben von 1441 anführt, son-
dern bloss zum Scherz werden sie nach alter Sitte gefeiert, damit
die Narrheit, die uns natürlich ist und uns angeboren scheint,
wenigstens alle Jahr einmal ausdünste und die Fässer mit dem
Wein der Weisheit nicht zerplatzen. Man sieht hieraus, dass
diese Ansicht der Narrheit, wie sie auch in dem Eingang des
Laienbuchs aufgestellt ist, eine allgemein verbreitete Volksidee
war. Die clevische Geckengesellschaft, gestiftet im Jahr 1381,
spricht sie gleichfalls deutlich aus. Endlich haben die berühm-
testen Hofnarren, Kunz von Rosen, Claus Narr und der Eulen-
spiegel, der eine ganze Klasse repräsentirt , in diesen Zeiten
gelebt.
Die vorhin genannten Sammlungen, fast alle in dem Laufe
des 16. Jahrhunderts entstanden, haben uns eine Reihe sehr fröh-
licher und in der That trefilicher Volkssagen erhalten. Dass
60 NAKRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
sie eigenthümlich deutsch (wiewohl man allerdings auch früher
schon Übersetzungen, z. B. des Boccaccio antrifft) und das*
sie unmittelbar dem Munde des Volks, unter dem sie lebten,
entnommen sind, leidet keinen Zweifel, sobald man sie näher
betrachtet. Es zeigt sich in ihnen alles, was wir an der Sage
charakteristisch erkannt haben: eine Grundübereinstimmung, die
durch alles geht, dann Abweichungen in Geschlechter und
Stämme, die sich wieder in Äste und Zweige vertheilen, so
dass jedem Einzelnen bei seinem unleugbaren Zusammenhang
mit dem Ganzen sein individuelles Leben bleibt und jeder kleine
Bezirk in einem anderen Dialekt redet.
Wir kommen hier auf den Punkt unserer Forderungen
zurück. Dieser Charakter der Schildbürger, der vor den übrigen?
die gleichwohl ihr eigenes Lob verlangen, unstreitig den Vor-
zug verdient, war aus den bemerkten Quellen zu erläutern.
Wäre nicht schon der poetische Werth, so würde die merk-
würdige Ausbreitung desselben, indem wir ihn nicht nur bei
den Deutschen (in mehr als dreissig Gegenden) und den ver-
wandten Stämmen, sondern auch bei den Slaven und Ungarn,
in Frankreich und England finden, eine besonders aufmerksame
Betrachtung fordern. Es waren die einzelnen Sagen aufzu-
suchen, zu vergleichen und zusammenzustellen. Das wird man
im Voraus schon nicht abstreiten, dass sich aus einer solchen
Arbeit mannigfache interessante Resultate ergeben müssen. So
ist es auf der einen Seite gewiss merkwürdig, dass der Ver-
fasser des Laienbuchs, wiewohl ein ganzer Guss in seinem Werk
ohne Zweifel sichtbar, doch die älteren Quellen oft wörtlich
benutzt hat, z. B. die Geschichte von dem Bauer, der meint er
schlafe (C. 37), ist im Rollwagenbüchlein fast mit denselben
Worten erzählt und nur dort mit einigen Zusätzen verbessert.
Es ist dies nichts anderes als ein Lob für ihn, da es beweist,
wie sicher er den Charakter des Nationalgedichts getroffen.
288 Auf der anderen Seite aber hat er auch manche einzelne Sage
nicht so gut und innerlich vollkommen gefasst, wie sie uns
anderwärts begegnet (von den ganz fehlenden reden wir nicht),
und wenn zwar der Zusammenhang keineswegs vermisst wird,
so sind sie doch eigentlich lückenhaft dargestellt; das Beispiel,
NARRENBÜCH VON F. H. VON DER HAGEN. 61
das wir unten geben, wird auch dieses beweisen. Es liegt aber
in der Natur der Sache, dass ein Einzelner nicht im Stande
war, überall das Beste zu gewinnen, und die Arbeit ist dem-
ungeachtet in sehr geschickte Hände gerathen. Freilich wird
die allgemeinere Bemerkung auch hier gelten, dass eben ein
solches Zusammenfassen und Verknüpfen einer nach allen Seiten
hin ausgebreiteten und lebendigen Sage schon einen Punkt der
beginnenden Abnahme bezeichne und das Bedürfnis damit ge-
fühlt werde, den Verlust abzuwenden. Uns liegt es ob, nach-
zuholen, so weit es möglich ist, und daher scheint ein solches
ins Einzelne gehende Untersuchen hier allein förderlich: ein
Ansehen der Sache gewährt wohl Ansichten, aber keine eigent-
liche Erkenntnis. Endlich war bei der noch lebendigen Tra-
dition, einer nicht ganz armen Quelle, zu schöpfen und ihr Zu-
sammenhang mit dem alten Gedicht nachzuweisen.
Halten wir dagegen , was Hr. v. d. Hagen geleistet , so 1289
besteht es darin, dass er erstlich den Bebel, einen der Dürftig-
sten, nach der lateinischen Ausgabe (wo sich diese Scherze
schlecht ausnehmen, besser liest sich die deutsche Übersetzung)
mit dem Laienbuch verglichen: einige hierher gehörige Sagen
hat er wieder gefunden und angeführt. Wie flüchtig indessen
diese Vergleichung angestellt sei, ergibt sich daraus, dass er
eine Sage, die Bebel (S. 57. 58) neben den anderen erzählt^
übersehen hat: der Schultheiss nämlich im Bade zu Minsingen
(Einsingen) sagt seinem ehemaligen Gesellen im Pferdehüten :
wer hätte damals geglaubt, dass ich noch Schultheiss werden
würde, was in den Schildbürgern Cap. 18 erzählt wird. Ja, es
wird überhaupt zweifelhaft, ob der Herausgeber wirklich die
Ausgabe des Bebel, die er citirt, vor sich gehabt, und die Rec.
eben auch besitzt, er würde sonst die vorangehenden facetiae
Frischlini durchgesehen haben, dass dieses aber nicht geschehen,
ist offenbar, denn S. 8 findet sich nicht nur eine Redensart,
womit der Schultheiss dem Kaiser die ausgesuchte Braut (Cap. 23,
S. 143) lobt, in einer Erzählung erläutert, sondern S. 13 und 14
zum Theil der Schwank von der Braut (Schildb. Cap. 31), die
dem Bräutigam vergilt, wieder. Auch, war die Zeit von der
Abfassung der Bebel. Sammlung zu bestimmen, so musste nicht
62 NARRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
das Jahr 1506 erwähnt werden, sondern 1509, das Bebel (S. 198)
als ein vorlängst verflossenes bezeichnet, ausserdem gedenkt er
(S. 93) seines 1508 gestorbenen Vaters, welches Jahr noch
einmal (S. 232) erwähnt wird. Selbst die ausbündigen guten
Possen 1610 8^, die nach dem Panzer. Catalog 16212'* mit dem
Laienbuch in einem Band waren, welchen der Herausgeber er-
standen hat, und die No. 35 die Geschichte von dem Schultheiss
im Bade enthalten, sind nicht einmal nachgesehen worden. Auf
den Bebel sodann lässt der Herausgeber die Anspielungen folgen,
die sich bei Fischart auf das Gedicht finden. Es wird ge-
schlossen, [dass,] weil er das Laienbuch oder die Schildbürger nir-
gends als ein besonderes Werk citirt, dieses vor 1591 nicht da-
gewesen sei ; dagegen ist nichts zu erinnern, und da wir in jener
1290 früheren scherzhaften Sammlung ebenfalls keine Spur seines Da-
seins gefunden, so mag leicht die Ausgabe von 1597 die erste und
das Buch in diesem Jahr entstanden sein. — Indessen ist hier ein
Irrthum zu berichtigen, den Hr. v. d. Hagen freilich mit vielen
anderen theilt: eine Ausgabe der Fischartischen Geschichts-
klitterung, nämlich vom Jahr 1552, existirt nicht, betrachtet
man die Ziffer genau, so wird man leichter 1582 lesen können,
diese aber als die rechte Jahrzahl ergibt sich nicht nur daraus,
dass Fischart überhaupt erst seit 1570 zu schreiben angefangen
und sonst ein grosser Zeitraum zwischen diesem und seinen
übrigen Werken liegen würde, sondern auch aus dem ent-
scheidenden Umstand, dass die Gartengesellschaft, Katzipori-
gestech darin citirt werden, welche sämmtlich nach 1552 zum
ersten Mal erschienen sind, und dass Rabelais, dessen Grabschrift
Fischart darin dichtet, erst 1553 gestorben ist.
Das ist alles, was Hr. v. d. Hagen für die Erklärung der
alten Dichtung gethan. Zwei Bücher hat er benutzt, nicht
einmal, wie sich's gebührt; alle anderen bestimmt hierher ge-
hörenden Hilfsmittel, die ein reichliches Licht geben, waren
ihm fremd. Wir schweigen von entfernteren Anspielungen, die
sich in anderen gleichzeitigen Büchern finden, da Hans Sachs,
der so nahe lag, nicht einmal zu Rathe gezogen worden ; ausser-
dem gibt es Romane, die, in dem Geist dieser Dichtung ge-
schrieben, Aufklärungen, selbst neue Sagen gewähren. Der
NARRESBUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 65
noch lebenden Sage ist es nicht besser ergangen, denn dass die
Paar Zeilen, die S. 496 ihrer Erwähnung thun, hier för etwas
gelten sollen, wird er selbst nicht behaupten. Mehr Sorgfalt
und Mühe hat er nicht an eine Dichtung wenden wollen, von
der er selbst sagt, dass Görres sie mit Recht dem unsterblichen
Don Quixote verglichen. Die Ehre, zuerst wieder auf diese
Art eine Ausgabe veranstaltet zu haben, dürfte ihm nicht leicht
missgönnt werden. Die Fragen nach der Entstehung, Ausbil-
dung, nach dem sagenmässigen, allgemein verbreiteten Leben
des Ganzen werden gleich anfangs mit einer leichten Con-
versationswendimg: ,.die Namen werden nicht gern gehört, ein
jeder kennt seine Heimath" abgewiesen. Da sie gleich vor
trockenen Auszügen steht, so bedenken wir uns gar nicht, viel-
leicht etwas linkisch, darauf zu antworten: sie würden recht
gern gehört, und der Verf. sei nicht zu loben, dass er absicht-
lich zu verschweigen sich anstelle, was ohne Zweifel von Inter-
esse sei.
Wir sind nicht verpflichtet, des Verfassers Schuld hier abzu- 1291
tragen, die einzelnen Sagen nachzuweisen und in ihrer Ver-
schiedenheit und Übereinstimmung aufzustellen, ohnehin würden
die Grenzen einer Recension uns von dieser Pflicht befreien.
Leser, denen die Quellen zur Hand sind, mögen etwa nur die
Fabel vom Krebs Cap. 41 mit Bebel S. 184, mit einem Meister-
gesang, vermuthlich H. Sachsens von 1545, mit der Erzählung
im Ovum paschale Th. 2, S. 250 — 254 und einer wiederum ganz
verschiedenen in der Fortsetzung dieses Werks S. 64 — 66, so
wie endlich mit der Sage vom Hering gleich Eingangs der
Malboers Bedrifter vergleichen.
Wir irren schwerlich, wenn wir meinen, man könne erst
von einer alle und jede Verschiedenheit der Fabel verfolgenden,
fi-eilich mühsameren Bearbeitung des Ganzen sagen, dass etwas
für die Erklärung desselben geleistet worden. Es würde dann
klar vor Augen stehen, wie das Gedicht, aus der Mitte mannig-
facher Traditionen aufwärts getrieben, die Idee, die durch jene
hingegangen, gefunden und ausgesprochen habe. Das ist Pflicht
der historischen Untersuchung, das Geflecht und die Adern des
Blattes, das frei in der Luft spielt, zu betrachten und den Zu-
€4 NARRENBÜCH VON F. H. VON DER HAGEN.
sammenhang darin zu entdecken. Zugleich, da dies auf seinen
Stamm zurückführt, muss dadurch die Kraft, die es hervorge-
trieben, in ihrem grösseren Umfange sichtbar werden, und so
würde in diesem Fall eine nicht zu verachtende Zahl hierher-
gehöriger, im Zusammenfassen ausgefallener Fabeln als Ergän-
zungen sich dargeboten haben.
II. Markolf und Salomon. Wir brauchen hier nicht
lang zu verweilen, da die eigentliche historische Untersuchung
über dieses Gedicht zu der älteren poetischen Bearbeitung ge-
hört, wohin denn auch der Verf. verwiesen und wozu er ein
Paar Nachträge geliefert hat. Was den Text betrifft, so ist der
Neuberische Druck zu Grund gelegt; hätten wir eine Ausgabe
dieses Gedichts, welches bei allem Schmutz und obgleich weit
unter den Schildbürgern, doch durch seinen kecken, festen
Charakter und nicht gemeinen Witz seinen Werth behaupten
kann, zu besorgen, so würden wir ein Manuscript dieser Prosa
aus dem 15. Jahrhundert zu Grunde legen. Wir können dem
Hrn. v. d. Hagen weiter keinen Vorwurf darüber machen, dass
er es nicht gekannt, allein es ist dadurch unstreitig Nachtheil
erwachsen, da im Verhältnis zum Druck die Sprache im Manu-
script durchaus naiver und einfacher ist; manchmal ist es in
der Sache ausführlicher, auch dass einzelnes darin besser vor-
kommt, wird man leicht zugeben, da die Nachlässigkeit des
Drucks fast immer etwas zu Grunde gerichtet hat. Wir führen
eine kurze Stelle aus dem Anfang zur Vergleichung an: (Mo-
rolf) „hat Haar, das was grob und stach als Igelsborsten, und
sein Schuh waren aus der Massen buers (bäurisch), und sin
Gürtel was von einer Eichenwied, und die Scheiden was fast
1292 zurissen. Sein Gugel was gemacht von rieden und was ge-
ftittert mit einer Hirshut und sin Gewand hat die allersnodeste
Farbe." So auch z. B., wenn es hernach heisst: „wer Spreu
säet, der schneidet Armuth", so scheint uns das besser als im
Druck : der mähet bös Getraide. — S. 504 wird Morolf für eine
Art Wein ausgegeben, es wäre erst zu fragen, ob das nicht
eine Fischartische Abänderung für Moras ist. Über einige Aus-
gaben des lateinischen und deutschen Buchs vergleiche man eine
NARRENBUCH TON F. H. VON DER HAGEN. 65
Anzeige des Recensenten im Neuen lit. Anz. 1807, No. 50
[= Kl. Sehr. I, 45 — 47], die dem Herausgeber entgangen zu sein
scheint.
III. Der Pfarrherr vom Kaienberg und Peter Leu.
Beide Gedichte haben einen sehr ähnlichen Charakter, gute
Spässe, etwas feiner, als sie Eulenspiegel geliefert, wiewohl
dieser charakteristischer und originaler bleibt; hier in der Dar-
stellung mögen sie auch schon etwas verloren haben. Die Über-
einstimmung beider zeigt sich nicht nur in der Benennung, indem
Peter Leu der zweite Kalenberger heisst, sondern auch darin,
dass in beiden eine ziemlich gleichlautende Predigt vorkommt,
wodurch der Herausgeber eine Nachahmung beweisen will, die
indes weder in der Vorrede eingestanden noch in diesem Sinn
vorhanden ist.
Für die historische Erklärung beider Gedichte ist nichts
geschehen, selbst Flögeis so brauchbares Buch über die Hof-
narren [Leipzig 1789], wenn gleich angeführt, doch nicht benutzt,
wahrscheinlich nicht einmal nachgesehen. Denn schwerlich würde
der Herausgeber es unterlassen haben, anzumerken, was sich aus
S. 178. 179. 255 bei Flögel ergibt, dass die Sage, worin der
Kalenberger den Thürhüter, der mit ihm theilen will, betrügt und
ihm Schläge zuwendet, mit geringer Abweichung von dem tür-
kischen Hofharren Nasureddin Chodscha erzählt wird, femer
dass sie bei Sacchetti in der 195. Novelle von einem Bauer
vorkommt, der dem König Philipp von Valois seinen verlorenen
Sperber wieder bringt.
Diese Übereinstimmungen aber sind hier ungemein merk-
würdig; würden mehrere dieser Art auch nur in verwandten
Gedichten sich finden, so würde die Frage, wie sie zu erklären,
zunächst ein Zweifel, ob die Personen, die in diesen Gedichten
leben, auch ausser denselben gelebt haben, sehr natürlich und
vor allem zur L'ntersuchung interessant sein. Ohne sich auf
diese einzulassen, behauptet Hr. v, d. Hagen (S. 515): „es ist
nicht zu zweifeln, dass der Kalenberger wirklich gelebt habe
und alles oder doch das meiste so geschehen sei, wie wir es
hier lesen"; hernach etwas Ähnliches vom Peter Leu. Die
Stütze der Behauptung ist das Gedicht selber, in welchem die
W. GRIMM, KL. SCHRIFTEN. II. 5
6Q NARRENBÜCH VON F. H. VON DER HAGEN.
äusseren Verhältnisse der Kalenberger vorkommen, und beson-
ders gehört folgende Stelle hierher (S. 307):
Darum hielt er (Otto der Fröhliche) die zween Mann,
den Neithard und den Capellan.
Dies führt auf die Frage, ob der Neithart, der hier als Genosse
1293 des Kalenbergers genannt wird, der bekannte Meistersänger sei.
Da Hr. v. d, Hagen sich im Anhang (S. 520 — 525) auch auf
diesen einlässt und ohnehin Hr. A. W. Schlegel in der Re-
cension von Docens Titurel (Heidelberger Jahrbücher 1811,
No. 69, S. 1097. 1098) der Schwierigkeiten in Bestimmung des
Zeitalters dieses Dichters gedenkt, so wird man es billigen,
wenn wir bei ihm erst verweilen, ehe wir zu jenen Fragen
zurückkehren, deren Beantwortung dann auch erleichtert sein
wird.
Wir fangen mit der Behauptung an, dass alle Gedichte,
die unter Nitharts Namen auf uns gekommen sind, sowohl die-
jenigen, die man in der Bodmerischen Sammlung abgedruckt
findet, als die, welche das Brentanoische Manuscript, das
Rec. vor sich liegen hat, enthält (auch das einzelne Lied, das
Benecke in seinen Beiträgen wieder hat abdrucken lassen, ge-
hört hierher), von einem und demselben Individuum herrühren.
Man braucht nur leichthin zu lesen, um dieselbe charakteristische
Manier in der Darstellung und im Ausdruck zu erkennen; eben
so treten dieselben Personen wieder auf. Soll nun Nitharts
Zeitalter bestimmt werden, so müssen uns vor allen die An-
gaben in seinen Gedichten leiten. Er sagt aber folgendes von
sich aus: er sei mit Kaiser Friedrich über das Meer in der
Heiden Land gezogen, grosse Noth habe er da gelitten, da die
Schwerter der Feinde scharf geschnitten; ein heidnischer Pfeil
habe ihn getroflPen, da sei er zurück nach Haus gesendet worden,
als er aber seine Gesundheit wieder erhalten, sei seine Noth
mit den Torpern (Tölpeln) wieder angegangen." — «Die ihn
Nithart genannt, die hätten sein zu gut gedacht, dass er in
seinem Muthe nie einen Biedermann (d. h. hier: einen Vor-
nehmen, indem er sich gleich entgegen setzt) sich, dem Bauer,
geneigt gehalten, ihrer Üppigkeit halber, die ihn zu Schaden
gebracht, gegen die Herzogin von Baiern" — „diese habe sein
NARRESBUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 67
zum ersten erdacht" — „zwölf Jahre sei er in Baiern ge-
wesen, eh" er dem Fürsten von Oestreich gegeben worden, da
habe sich allererst sein Leben getheuert". — Einmal erzählt er,
wie er Bauern als Mönche geschoren zum Herzog Otto nach
Wien gebracht. Alle diese Anoraben enthält das Brentan. Manu-
Script. Aus der Bodmerischen Sammlung (S. 72'"') ist hinzu-
zufügen, dass Fürst Friedrich dem Nithart einen silbervollen
Schrein gegeben.
Der Hauptpunkt ist ohne Zweifel die Erwähnung des Kreuz-
zuges unter Kaiser Friedrich und geradezu entscheidend. Unter
dem Kaiser ist wohl nicht Barbarossa gemeint, dieser konnte
nach Zinkgräfs Behauptung (Apophthegmata I, 32) keine Schalks-
narren leiden, auch wäre seiner bekannten Todesart in dem
.Kreuzzug von 1190 wohl Erwähnung geschehen; darum und
weil Nithart von einer Seefahrt redet, die eigentlich nicht auf
diesen Zug passt, ist wahrscheinlich von Barbarossas Enkel
Friedrich ll. und dem Kreuzzug die Rede, den er 1228 unter-
nahm, nachdem er ihn bei seiner Vermählung mit Jolanta von 1294
Brienne fünf Jahre vorher schon gelobt und wegen Verzögerung
desselben von Gregor IX. in den Bann gethan war. (Ausge-
macht ist es indes noch nicht, und nur so viel ausser Zweifel,
dass auf keinen anderen als auf einen von diesen beiden Kreuz-
zügen die Stelle bezogen werden kann. Ist Nithart bei Bar-
barossa und Friedrich dem Katholischen von Oestreich gewesen,
so ist er einer der ältesten Dichter.) Nach unserer Annahme
können wir ein männliches Alter voraussetzen, als Nithart mit
dem Kaiser auszog, und so irrt man schwerlich bedeutend, wenn
man annimmt, dass seine Jahre mit denen des 13. Jahrhunderts
zu zählen sind ; eher indessen dürfte er etwas älter als jünger sein,
da er schon 12 Jahre in Baiern gewesen, als er nach Oestreich
kam, und dort wenigstens ein jugendliches Alter hatte. Der
Fürst von Oestreich, dem er gegeben wurde, dessen Gunst er
80 sehr rühmt, kann nicht leicht ein anderer als Friedrich der
Streitbare, der letzte Bamberger, gewesen sein: ein frischer
Herr, wie ihn Aventin nennt, der wohl seine Lust an dem Nit-
hart gehabt hat; auch passt das Loblied auf den allein muthigen
Fürsten von Osterland (Bodmer 76-^) recht wohl auf diesen.
68 NARRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
Friedrich, geb. 1211, starb bekanntlich schon 1246. Der Herzog
Otto, dessen Nithart einmal gedenkt, muss nach ihm gelebt
haben; wir werden hernach auf ihn zurückkommen. Obiger
Annahme fügen sich auch die Erwähnungen des Nitharts bei
den Dichtem des 13. Jahrhunderts. Eschenbach gedenkt seiner
nicht nur im Titurel, sondern auch in einer bisher übersehenen
Stelle des Wilhelm von Oranse (S. 140") [312, 12—14]:
hett iz (das Schwert Rennwarts) her nithart gesehen
oter sinen gobowel tragen
her begund iz sinen vrounden clagen.
Als Theilnehmer an dem Wartburger Krieg dürfen wir diesem
um 1207 ein männliches Alter zuschreiben, und es ist ohne
Zweifel, dass er noch in dem 12. Jahrhundert geboren, und wahr-
scheinlich, dass er in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts viel-
leicht um 1230 gestorben ist. Lässt ihn Hr. Büsching (Altdeutsches
Museum I, 6) nur bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts leben,
so ist es ungleich irriger und geradezu unbegreiflich, wie Hr.
v. d. Hagen S. 526 Note behaupten kann, Wolfram müsse bis
tief ins 13. Jahrhundert gelebt haben. Eschenbach war noch des
Nitharts Zeitgenosse, nur älter. Heinrich von Vriberc, den wir
als Nachfolger des Gottfried von Strassburg nicht weit hinter
die Mitte des 13. Jahrhunderts setzen, erwähnt der Lieder Nitharts,
aber nichts ausdrücklich von seinem Tod. Robin und Marner
dagegen beklagen schon den todten Nithart, dass beide aber
auch gegen das Ende des 13. Jahrhunderts schon gestorben waren,
ist wiederum aus der Klage des Herman Damen (hinter dem
Iwain der Müller. Sammlung V, 310) über den todten Nithart,
Robin und Marner nicht zu bezweifeln: eine deshalb merkwürdige
1295 Stelle, die Hr. v. d. Hagen nicht angeführt hat. Herman Damen
aber als Zeitgenosse des Conrad von Wirzburg und des Meisners
oder Frauenlobs gehört auch noch in das 13. Jahrhundert. Mar-
ners Zeit wird noch deutlicher, wenn wir bemerken, dass Ru-
melant aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts des Alters jenes
Dichters spottet (Altd. Museum II, 154). (Übrigens könnten
die Stellen, die über Nithart in späteren Gedichten sich finden
und die hier weiter von keinem Einfluss sind, leicht vermehrt
NARREXBUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 69
werden. In dem Apollonius von Tyrland heisst es nach der
Gothaischen HS. V. 7833:
er was ir meister worden sa,
als engelmair in dem gew.
In dem Manuscript eines allegorischen Gedichts über die Strafe
der Untreue p. m. 43.
— Zeiselmure,
da manichen ^•ilzgebur
her nithard hat gesungen.
Auch in der Mörin kommt noch eine Stelle vor, die der eilige
Verf. übersehen, ed. 1512, f. 42 ^
ich sprach: nein, eckart. das lass ston,
als neithart sang zu einem mal.
dann bei Hans Sachs.)
Es geht aus allem diesem ohne Widerrede hervor, dass
Nithart auf keine Weise in Diensten oder in der Gesellschaft
Otto des Fröhlichen von Oestreich hat leben können, der ganz
dem 14. Jahrhundert angehört. Selbst zwischen dessen Geburt
(1301) und Nitharts Tod liegt einige Zeit. Da wir nun den Kalen-
berger bestimmt als Ottos Zeitgenossen sehen, so ist ferner ein-
fache Folge, dass beide Lustigmacher sich nicht gekannt und
mit einander Verkehr gehabt haben. Es wäre schon ein wich-
tiger Grund dagegen, dass in des Kalenbergers Streichen nicht
eine Beziehung auf den Nithart vorkommt, während doch bei
einem Zusammenleben sich ihre Schwanke mannigfach müssten
gekreuzt haben; es wundert uns, dass dem Hrn. v. d. Hagen
dieses nicht aufgefallen ist; kommt dazu, was wir aus dem
Manuscript vollständig versichern können, dass auch bei Nit-
hart keine Spur von dem Kalenberger sich findet, so würde
dies allein jene Behauptung sehr zweifelhaft machen.
Die Hauptstelle dafür ist die aus dem Gedicht selber vorhin
angeführte. Unter den übrigen Schriftstellern, die sie enthalten,
hätte der zuerst reden müssen, welcher der älteste ist, Aventin
(den aber Hr. v. d. H. bloss citirt), er sagt (Bair. Chronik Hft.
1580, f. 390''): „bey diesem Herzog Otto (dem Fröhlichen) aus
Oestreich und seinem Gemahl, Frauen Elsen aus Niederbayern,
seind am Hof gewesen: Neithart Fuchs, ein Franke und Hans
70 NARRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
PfaflF, Pfarrherr zu Kaienberg, von dem man so viel singet und
1296 saget." — Hier finden wir zuerst die neue Bestiinmung, dass
Nithart auch Fuchs geheissen und ein Franke gewesen. Fugger
sagt dasselbe von Nithart, nur setzt er hinzu, dass er der
Bauern feind genannt worden (auch den Kalenberger nennt er
abweichend vom Aventin Weigand von Theben). Die anderen,
Fischart, Roo usw., die der Verf. anführt, schreiben ofienbar
dem Fugger nach und verdienen hier weiter keine Berück-
sichtigung, eben dies ist mit Ludwig in germania princeps der
Fall (Koch hat falsch citirt, die hierhergehörige Stelle findet
sich nach der Ausgabe von 1725 S. 15 in der östreichischen
Genealogie). Spangenberg führt noch das Jahr 1290 an, wo
Nithart an Ottos Hof soll gelebt haben.
Wir erklären diese Angaben geradezu für falsch : es ist ein
überlieferter Irrthum darin, den wahrscheinlich der Verf. des
Kalenbergers zuerst aufgebracht hat. Weitere Beweise sind
nach dem oben Ausgeführten nicht nöthig, sonst könnte einer
aus Spangenbergs Angabe der Zeit geführt werden, da Otto
der Fröhliche erst im 14. Jahrhundert geboren wurde; wir wissen
nicht, wie sogar dieser Widerspruch dem Hrn. v. d. Hagen ent-
gangen ist. Wollte man die Entstehung des Irrthums erklären,
so könnte man annehmen, dass der Herzog Otto, den Nithart
in einem Gedicht anführt, von dem Dichter des Kalenbergers
für Otto den Fröhlichen, nicht sonderlich um chronologische Wider-
sprüche bekümmert, auf gut Glück angenommen worden. In-
dessen bleibt es immer schwierig zu bestimmen, wer unter diesem
H. Otto gemeint ist, und nur die Hauptsache gewiss, dass an
Otto den Fröhlichen nicht kann gedacht werden. Nach Frie-
drichs des Streitbaren Tod entstanden bekanntlich Uneinigkeiten
über die Erbfolge in die östreichischen Länder; obgleich Kaiser
Friedrich II. sie schon für ein erledigtes, ihm anheimgefallenes
Reichslehen erklärte, so gelangte doch erst Rudolf von Habs-
burg in den ruhigen Besitz derselben, der sie dem Ottokar von
Böhmen abgewinnen musste. Rudolf gab seine Tochter Catha-
rina einem Herzog Otto von Baiern zur Gemahlin und ihr zur
Ausstattung das Land ob der Ens. Dieser Otto müsste sich
zu Wien befunden und Nithart ihm die Lust mit den be-
NARREXBUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 71
trogenen Bauern gemacht haben, nur werden dann seine Lebens-
jahre in die siebziger Jahre weit hinaufgerückt, was sich immer
noch mit den obigen Angaben vereinigen lässt, wiewohl er nicht
viel länger kann gelebt haben. Friedrich II. hatte nach des
Bambergers Tod und auch früher einmal, als dieser in die Acht
erklärt war, einen Grafen Otto von Eberstein nach Wien zum
Reichsverweser gesetzt, nur darf man nicht annehmen, dass er
lang sein Amt behauptet, und das macht es schwierig, wenn
man diesen darunter verstehen will.
Indessen hat der Irrthum, der den Nithart und den Kaien- 1297
bersrer zusammenscestellt , noch eine andere Seite, die wir be-
rücksichtigen wollen. Offenbar nämlich liegt der Gedanke zum
Grund, dass beide eine gewisse Ähnlichkeit im Charakter ver-
bindet. Es scheint wirklich, dass Nithart wie der Kalenberger
ein Lustigmacher von Profession gewesen. Vielleicht war er
in Meissen zu Haus, denn nach einem Lied des Brentanoischen
Manuscripts zog er durch stolzen Muth und durch seine Frau
aus Meissen in das Elend, in ein fremdes Land. (Es ist darum
wahrscheinlich, dass Gottsched dies Manuscript gekannt, denn
er nennt den Nithart einen Meissnischen Edelmann, was Flögel
sich nicht erklären konnte und was er auch wohl nicht war,
vermuthlich ein Bürger.) Er kam mit guter Zuversicht, ohne
Mangel an Ross und Gewand nach Nürnberg, dort wollte er
sich dem Reichsvogt (Otto IV?) bekannt machen. Einer fragte
ihn, ob er ihm halb geben wolle, was der Fürst an ihm thue
(hierin liegt eine Ähnlichkeit mit des Kalenbergers erstem
Streich), so wolle er ihn vor ihn bringen; Nithart aber besann
sich auf einen Schwank. Er gab hundert oder mehr Bürgern
jedem einen Regensburger (beiläufig: auch dieses bestimmt in
etwas Nitharts Zeitalter, indem Herzog Otto von Baiem, der
1253 gestorben, diese Münze während seiner Regierung unter-
drückt hatte, nach Aventin S. 377''), ihm ein Paar Hosen kaufen
zu helfen, die überhaupt nur 18 Regensburger kosten sollten,
wodurch ein Zusammenlauf und ein schimpfliches Spotten ent-
stand. Der Fürst, der aufmerksam darauf geworden war, liess
ihn holen, und er ward nun vor ihn und die Herzogin geführt.
Es scheint, dass er einmal mit einigen Edeln Streit gehabt,
72 NARRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
ihrer Üppigkeit halber, und sie aus Rache es bei der Herzogin
dahin brachten, dass er genöthigt ward, das Amt eines Lustig-
machers zu übernehmen; so legen wir wenigstens die Worte
aus: „die (Herzogin) mein zum ersten erdachte." Die tölpische
Verschlagenheit und fast unbeholfene Lust, Streiche zu spielen,
überhaupt diese Mischung von Klugheit und Dummheit, die ihn
charakterisirt, machten ihn ganz passend zu diesem Handwerk.
Die Dichtkunst hatte er schon getrieben, denn er sagt bei seinem
1298 Einzug in Nürnberg: „ich sang aus meines Dichtes Werk"
(Brent. Ms.); und dass er nicht eigentlich aus dem Bauernstand,
ist wahrscheinlich, da er deutsche Bücher lesen konnte (Bodmer
79'^). In Baiern, scheint es, hat man ihn hart gehalten, denn
als er hernach dem Fürsten von Oestreich gegeben wurde, hat
sich erst, wie er sagt, sein Leben getheuert. Aus Oestreich
muss er nun den Kreuzzug 1228 mitgemacht haben, vielleicht
doch um sich seiner Lage zu entziehen ; als er zurückgekommen,
klagt er, sei seine Notli mit den Torpern wieder angegangen,
er habe gedacht, sie hätten sich geändert, aber sie hätten noch
in der alten Haut gesteckt. Merkwürdig ist auch, dass er S. 79^
die Marke verwünscht, wo er und mancher Flemink un-
sanfte leben müssen, was vielleicht daraus erläutert wird, dass
Fr. des Str. Vater Leopold (f 1230) flandrische Münzmeister
berief. S. Hormayrs T.-B. f. vaterl. Gesch. 1811, S. 212. Eines
Zugs, den er nach Baiern gemacht, gedenkt Nithart auch (Bod-
mer 79*^) und eines Bischofs Eberhard, welches der Bischof E,
von Salzburg sein könnte, der zwischen Friedrich dem Streit-
baren und Otto von Baiern einen Waffenstillstand vermitteln
half. (S. Hormayr am angef. O. S. 256.) Reuenthal, das nach
mehreren Stellen ihm eigen (Ms. und Bodmer 80**. 83^), nach
einer Stelle im B. Mspt. ihm und seinem Bruder, ist wahr-
scheinlich ein allegorischer Name. Einmal ergibt sich von ihm
im B. Mspt., dass er zu den „Singern in Wien" gehört, und
von Wien aus trieb er auf dem Mark- und Tulnerfeld und zu
Zeiselmauer seine Streiche mit Engelmair und den Bauern.
Der Kalenberger mit Nithart verglichen ist behender und
besser in seinen Listen. Nitharts Gedichte bei aller mühsamen
Ausführung sind doch nicht fein und mit den Minneliedern gar
NARRESBUCH VON F. H. VON DER HAGEN. 73^
nicht in eine Reihe zu setzen. Manchmal klingt's in dem Ton
derselben, aber dann bricht's ab und zart und leichtschwebend
ist kein einziges Lied wie dort. Viele sind derb unzüchtig:
die Gedichte heben fast alle in dem ersten Vers mit einem Lob
des Frühlings oder mit der Klage über den Winter an, oft ohne
weiteren Zusammenhang. Das Metrum, obgleich auf der einen
Seite schwer und gar nicht volksmässig, ist doch wieder eigen-
thümlich und hat manchmal die Bewegung der Bauerntänze.
Übereinstimmung in den Schwanken bei Nithart und dem
Kalenberger findet sich eigentlich nicht, dagegen sehen wir
mehrere Scherze, die Nithart ausgeführt, auch anderen zuge- 1299^
schrieben. Einmal (nach dem Mscpt.) wiU der Herzog Nit-
harts Frau besuchen, Nithart sagt ihm, seine Frau sei zwar
schön, aber leider taub, dasselbe sagt er ihr vom Herzog und
sie müsse laut reden; wie dieser kommt, umfasst ihn die Frau
und schreit ihm in die Ohren, dass ihm das Haupt erklingt und
er erschrocken zurückkehrt; denselben Schwank finden wir bei
Gonella, einem der berühmtesten Hofharren des 15. Jahrhunderts am
Hofe zu Ferrara (Flögel 307); auch von Brusquet, einem Fran-
zosen aus dem 16. Jahrhundert, wird er erzählt (Flögel 358, der noch
andere Citate hat). Durch diesen Gonella wird Nithart mit dem
Eulenspiegel verbunden, indem diese in mehreren Streichen über-
einstimmen. Beide nämlich, als sie des Landes verwiesen sind,
helfen sich auf ähnliche Weise: Gonella kommt auf einem mit
seiner Erde angefüllten Wagen gefahren, Eulenspiegel schlitzt
sein Pferd auf und stellt sich hinein, als wäre er zwischen seinen
vier Pfählen (Flögel 206); Brusquet gehört auch hierher, denn
er trägt fremde Erde in seinen Schuhen, und Pape Theun, der
Hofnarr Carls V., der es wie Gonella machte (Flögel 374. 206).
Beide sagen mehreren Blinden, sie hätten einem unter ihnen
etwas gegeben, so dass jeder meint, der andere habe das Ge-
schenk, und sie Zank darum anfangen (Flögel 308). Der Schwank
mit der Viole, die Nithart der Herzogin zeigt, der übrigens
nicht im B. Mscpt. wie bei Hans Sachs mit dem von der vor-
geblichen Taubheit verbunden ist, knüpft den Nithart an den
Taubmann, dem er gleichfalls zugeschrieben wird.
Scheint auf diese Art das Eigenthumsrecht oft der am besten
74 NARRENBUCH VON F. H VON DER HAGEN.
erfundenen Scherze zweifelhaft zu werden, indem wir sie überall
doch wiederum so eigenthümlich angeknüpft und verschieden
sehen, dass ein Hinzutragen von irgend einem Sammler der-
selben kaum denkbar ist, so kommen wir damit auf die früher
geäusserte und noch zurückgeschobene Frage zurück, ob die
Personen, denen sie zugeschrieben werden, auch wirklich gelebt
und sich alles auf diese Weise zugetragen habe. Man kann
darauf mit ja und nein antworten, wenigstens hat das ja hier
einen anderen Sinn, als in welchem es der Verf. ausgesprochen.
Diese Personen sind nämlich durchaus mythische. Schon
wenn man das, was Flögel gesammelt, durchliest, so muss es
der leichtesten Betrachtung auffallen, wie sich die Scherze
wiederholen in den verschiedensten Individuen, welche Jahr-
hunderte oder Länder so trennen, dass an ein äusserliches zu-
fälliges Mittheilen oder Abborgen nicht kann geglaubt werden.
Ohnehin aber ist oft nicht von einer Handlung, die bloss von
dem Einzelnen, sondern die von mehreren abhängig ist, die
Rede; wiederum von einer solchen, die einen entscheidenden
Einfluss auf das Leben des Einzelnen gehabt. Wenn wir von
Gonella lesen, dass er vor Schrecken über eine bloss fingirte
Todesstrafe, da sein Herr ihm bloss einen Eimer Wasser auf
den Kopf schütten liess, starb, so wird man ohne weiteres
1300 glauben, dass Claus Hinze am Hofe des Herzogs von Pommern,
wenn dasselbe von ihm erzählt wird, nicht aus Nachahmung so
gestorben sei; so wenig wie der Thürhüter, der mit dem Kalen-
berger die Gabe getheilt, den an Tamerlans Hofe sich wird
zum Muster genommen haben. So zeigt es sich auch hier, dass
ein Mythus lebt, der keinem Individuum zugehört, sondern all-
gemein ist, der sich freilich aber immer in einem Individuum
äussern muss. Derjenige aber war berufen, den Mythus oder
die Sage besonders aufzufassen, in dessen Natur dazu eine eigene
Empfänglichkeit gelegt war. In ihm ward wieder lebendig, was
die Tradition verliehen, und was wir bei der ernsthaften Sage
schon mannigfach beobachtet, das vermissen wir auch hier bei
der scherzhaften nicht; sodann aber was das Individuum nicht
gethan oder in ihm nicht zur Äusserung gelangen konnte, ward
ihm dennoch hinzugegeben aus dem alten Schatz. Dazu kam
KAERENBUGH VON F. H. TON DER HAGEN. 75
endlich das, worin das eigenthümliche Leben des Einzelnen sich
kund gegeben, wodurch die Tradition besonders gefärbt und
ausgedehnt wurde. Den Unterschied zeigt die Geschichte, dass
früher der mythische Charakter bestimmter und reiner hervor-
tritt, der später von der Anmassung des Einzelnen zurückge-
drängt wird.
Es ist hier nicht der Ort, diesen wichtigen Gegenstand
weiter auszuführen, nur soviel musste erwähnt werden, um
diesen Gedichten ihren mythischen Charakter zu erwerben.
Können wir also auf der einen Seite behaupten, Nithart, der
Kalenberger haben wirklich in einem solchen Kreise und in
solchen Äusserungen gelebt, so ist es auf der anderen wahr,
dass sie mit Gonella, Brusquet, Eulenspiegel nur eine und die-
selbe Person sind, nach ihrer Natur wieder im Einzelnen ver-
schieden, und dass die Erfindung dieser Scherze keinem zuge-
hört oder auch jeder ein gleiches Recht darauf hat. Manches
wird sich aus dieser Ansicht erklären, eben weil mit den Men-
schen nicht die Dichtung starb, so sind die Angaben von ihrer
Lebenszeit so verschieden und oft geradezu gegen die Chrono-
logie; wie wir dieses bei Nithart bemerkt, so findet sich bei
dem Eulenspiegel ein Gleiches, Flögel (461) wusste kein anderes
Auskunftsmittel als zwei Eulenspiegel anzunehmen, welches, nur
recht verstanden, auf den rechten Weg geführt hätte.
Was die Namen betriflPt, so ist der des Nitharts unstreitig
ein mythischer, er bedeutet einen neidischen, schadenfrohen, der-
gleichen Nithart in Beziehung auf die Torper war. Er sagt
selbst von ihnen, Brent. Manusc. ;
so ist mein gedenken,
wie ich s' mocht krenken
vnd geschenken
in' do mit,
das sie alle wurden krank:
darnach so stet mein Gedank;
so ist ir springen ATid ir sprank
gar geleich den pocken (Böcken).
Gayler von Kaisersperg braucht das Wort in dieser allgemeinen 1301
Bedeutung, und wir besitzen eine kleine Fabel in Handschrift,
de nythardo überschrieben, welche, als Gleichnis von einer nei-
76 NARRENBUCH VON F. H. VON DER HAGEN.
dischen Frau, von einem neidischen Hund handelt. Das Wort
kommt überein mit dem nordischen, auch altdeutschen Niding
und Nidingswerk. Wenn in den altdänischen Kämpeviser der
Niflungenschatz auch einmal Nidingsskat genannt wird, so ist
diese Verfälschung, darf man anders so sagen, des ursprüng-
lichen Namens gewiss entstanden, weil sie einen passenden Sinn
gab: beneideter Schatz, denn er wurde immer dem Besitzer
missgönnt. Hierzu kommt endlich, dass Nithart selbst (im Brent.
MS.) erzählt, wie er den Namen erhalten: als er, wie erwähnt
ist, der Herzogin vorgestellt wurde, sagte der, welcher ihn an
des Fürsten Hof zu bringen versprochen, dem es Nithart aber
nicht verdanken wollte:
ir seyt ein geitig man,
ir seit mein gewartet han.
wie lang seit ich eur warten?
Sye schrihen all: er heist neythard;
der nom mir da beruffet ward,
der muss mir do beleyben;
vil manig zeit vnd manig tag
kund ich in nie uertreiben.
Der Beiname Fuchs und Bauernfeind, den Aventin und die
anderen noch anführen, mag von diesen selbst oder aus Volks-
sagen herrühren, es ist nicht unwahrscheinlich, dass der erstere
von dem ziemlich gleichlautenden ß einhart Fuchs genommen
ist; aus Nitharts Gedichten erhellt nicht, dass er ihn bei seinen
Lebzeiten geführt. Viele von den bäurischen Namen in den
Gedichten scheinen gleichfalls bedeutende und von ihm gebildete
zu sein, z. B. Holenschwamm, Bolzmann, Pachenpaws (Paus-
backen), Snabelraws, Lobenspot (im B. Ms.), Rumpholz, Krump-
holz (Bodmer 79''). Dass Eulenspiegel ein symbolischer Name
sei, hat Kanne neuerdings vortrefflich gezeigt. Der Pfarrherr
vom Kaienberg ist zwar kein solcher, aber dass man nicht einig
über den seinigen, beweisen die verschiedenen Angaben bei
Aventin und Fugger.
Damit schliessen wir diese Recension ; wir hoflfen den darin
vergönnten Raum nicht unnütz angewendet zu haben und bitten
nur noch den Hrn. v. d. Hagen, wenn er dieses Buch fortzu-
BOXERS EDELSTEIN VOX J. J. ESCHEXBURG. 77
setzen gedenkt, keins zu liefern, das dem vorliegenden gleich
sei, in welchem das allein nicht schlecht ist, was nicht von ihm
herrührt.
[anonym.]
BOXERS EDELSTEIN, 2485
in hundert Fabeln. Mit Varianten und Worterklämngen herausge?eben von
Johann Joachim Eschenburg. Berlin, bey Unger. 1810. 325 S. 8.
ä Thlr. 12 Gr.)
Leipziger Litteratur-Zeitung für das Jahr 1812. Zweites Halbjahr. No. 311, am
14. December 1812. S. 2485—2487.
JL/er um die deutsche Litteratur verdiente Herausgeber
theilt uns hier wieder einiores von seinen Bemühunoren im Fache
der altdeutschen mit. Im Besitz mancher litterarischen Hilfs-
mittel hätte er uns nur öfter mit seinen Arbeiten beschenken
sollen, und wir müssen die Umstände bedauern, die ihn bis
daher abgehalten. Hier liefert er Boners Fabeln in einer neuen
Auflage, ein an sich verdienstliches Unternehmen, da die Zürcher
Ausgabe schwer zu haben und ausserdem nicht ganz vollständig
ist. Die Fabeln selbst verdienen alle kritische Sorgfalt; sind
einige für den poetischen Eindruck zu kurz, so haben andere
und nicht gerade wenige eine angenehme, gar nicht leere Aus-
führlichkeit. Sein ansehnlicher Apparat musste es dem Heraus-
geber erleichtern, der vorliegenden Ausgabe bedeutende kritische
Vorzüge vor der Bodmerischen zu geben. Es fehlt daher nicht,
dass in manchem der Text gewählter ist, ausserdem ist er durch
die Interpunction, die bei Bodmer fehlt, erläutert, die wichtigsten
Varianten der benutzten Quellen sind gesammelt, endlich aber,
was dieser Ausgabe einen bestimmteren Werth gibt, es sind
noch sieben neue Fabeln, nämlich 1, 95 — 100 (da bei Bodmer
24 und 25 durch Verzählen fehlen und 23 bei Eschenburg in 2486
2 Nummern abgetheilt ist, so laufen mit 26 die Nummern in
beiden Ausgaben wieder beisammen), endhch Eingang und
Schlussrede hinzugegeben. Wir haben den neuen mit dem
Bodmerischen Text verglichen und mehrere Stellen gefunden,
78 BONERS EDELSTEIN VON J. J. ESCHENBURG.
WO wir diesen lieber beibehalten gesehen hätten; einige davon
vrollen wir zum Beweis unserer Aufmerksamkeit anführen.
S, 9. der wäre lustiglich und gut,
Bodmer: suesslich
besser und nothwendig, weil sich Bitterkeit und Süssigkeit V. 17
und 18 darauf beziehen. S. 28 spricht das Schaf zu dem Wolf:
du hast um ein Jahr unrecht gezahlt
ich bin nicht sieben Jahr alt.
Bodmer: du hast mir min jar unrecht gezalt
ich bin nit siben monat alt
scheint uns treflfender, den Widerspruch besser hervorhebender;
unmittelbar darauf heisst es:
du sprichst, dass ich den Bach trübe dir,
das ist nicht wahr, du trübst ihn mir
Bodmer: darzuo sprichst du, ich tröwe (draüe) dir
das ist nit war, du tröwest mir
hier ist die alte Lesart unstreitig die allein richtige, und die
andere blos aus Miss Verständnis von tröwen entstanden, denn
der Vorwurf des Wassertrübens ist schon vorher dagewesen
und widerlegt worden, der Wolf hat aber so eben gesagt: was
drohst du mir an den Leib? Warum fehlt gerade hier An-
gabe der Variante, wenn eine wirklich vorhanden ist?
S. 39. ein Thor bewährt sein Thorheit wol,
wann er ist der Narrheit voll;
mit den Weisen er schimpfen will;
Rec. liest den Bodm. Text also interpungirt :
ein tor bewart sin torheit wol;
wenn der, der narrekeit ist vol,
mit den wisen schimpfen wil,
daselbst ist das Schimpfwort meke, womit der Esel den Löwen
anredet, mit dem schlechteren, aus Unverständnis herrührenden
gek des Bamb. Drucks vertauscht. Alle Mss. haben jenes oder
ein verwandtes Wort, das vielleicht mit dem schwed. meker,
nach Ihre: ein weichlicher Mensch, der unmännlich redet, gleich-
bedeutend ist und mit dem Island, meka unmännlich fein
reden, womit glaublich m ackern und mäkern der Ziege zu-
sammenhängt. S. 42 ist ziger Käsematte etwa ausgefallen.
BONERS EDELSTEIN VON J. J. ESCHENBÜRG. 79
S. 43. darum musst du sie alleine haben
Bodmer besser:
davon solt du die vorcht aUeine haben.
S. 45. ohn Erbarmde war der Aar,
dess nahmen seine Kinder auch wahr,
wie die jungen Fuchs nimmer waren froh
in des Aaren Hand also
bei Bodmer offenbar zusammenhängender und fliessender:
an erbermde was der ar 248T
noch minr sin kint; nemet war,
wie der jemer muige werden fro,
der in des argen band also
kunt (d. i. kommt), da kein erbermde ist!
S. 49 mit einem Käs kam er geflogen, den er geraubt hatte,
das Strasb. imd vatik. Ms. lesen detaillirter und besser: den er
gezogen von einem Speicher hatte, S, 55 ist t reuten durch
treten erklärt, es kommt aber von truten, wie auch Bodmer
liest, und heisst hier: Liebkosungen machen, was auch besseren.
Sinn gibt, S. 105 so kommen sie geflogen als die Brem.
Bodmer: russent summend. S. 107 an Wonn an Freuden
bin ich reich. Bodmer sprichwörtlicher und alliterirend bessert
an wonn an weide, S, 108 du bist voller aller Bosheit, Bod-
mer: vol aller. S, 124 und er zerbrach, Bodm, uns bis.
S. 227 dass es uns beiden freuen soll, wohl nur ein Druck-
fehler für beide,
S, 229. die Schalkheit ihnen sehr zerbrach
der gute man sich selten räch
Bodmer hat: zu sttre brach, zur Säure, zum Bösen, ohne Zweifel
richtiger, selten für selben blosser Druckfehler.
Ausserdem müssen wir recht sehr beklagen, dass Herr
Eschenburg die Vorzüge seiner Arbeit wieder vermindert hat,
indem er sich zu Gefallen einer gewissen KJasse von Lesern [hat]
bestimmen lassen, von seiner früheren, in den Denkmälern alt-
deutscher Dichtkunst befolgten Weise abzuweichen und den
Text zu modernisiren, nämlich die alte Mundart und (wie es
heisst) unbehilfliche Orthographie in die neuere umzusetzen.
Ein anderer Grund, der ihn nach der Vorrede dazu bewogen
haben soll, ist offenbar unbedeutend, da man sich einige In-
80 DIE EDDA VON FR. RÜHS.
consequenz in den Varianten lieber hätte gefallen lassen. Jemehr
wir es auf der einen Seite loben könnten, dass der Herausgeber
sich weniger als andere bei solchen Arbeiten erlaubt, nament-
lich kein altes Wort ausgestrichen, sondern unten in Noten er-
klärt hat, um so eher wird auf der anderen Seite ein Tadel
daraus, weil er theils jenen Lesern sich zu weit entfernt ge-
halten, theils durch einen so geringen Vortheil sich verleiten
lassen, von dem rechten Wege abzuweichen. Selbst das Ab-
ändern der alten Orthographie und der blossen x\ussprache ist
meistentheils misslich und nachtheilig. Hier mag noch eine
rechte Kleinigkeit als Beispiel stehen, wie bloss die moderne
Physiognomie den Sinn verrenken kann. S. 104 spricht das
Ross zur Bremse: du Schwalbenaas, was ist dein Zier? Da
das Wort aas sich jetzt auf eine speciellere Bedeutung einge-
schränkt hat, so muss jeder ohne Kenntnis der alten Sprache
dies hier für ein gemeines Schimpfwort nehmen, was nur
Schwalbenspeise heisst und ein poetischer Ausdruck für
Bremse ist.
Dass die Zürcher Ausgabe etc. durch die gegenwärtige
überflüssig geworden, kann man also nicht behaupten, ohnehin
hat jene durch einige andere Zugaben ihren eigenen Werth.
[anonym.]
961 DIE EDDA,
nebst einer Einleitung über nordische Poesie und Mythologie und einem
Anhang über die historische Litteratur der Isländer. Von Friedrich Rühs.
Berlin in der Realschulbachhandlung. 1812.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang V (1812) Bdll, No. 61.62.
S. 962—981.
j\.\s die eigenthümlichste und auch am sorgfältigsten be-
arbeitete Idee der ganzen vorliegenden Schrift, insoweit sie der
Untersuchung gewidmet ist, wird Hr. Prof. Rühs wahrscheinlich
selbst diejenige nennen, wornach, was wir unter nordischer
Poesie verstehen, für weiter nichts als eine Nachahmung der
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 81
angelsächsischen gelten kann. Man wird es dem Rec. erlauben,
diese Idee herauszunehmen, um an sie zuerst eine nähere Be-
trachtung zu wenden. Die Ansicht wird aber folgendermassen
aufgestellt: über die alte Poesie des Nordens lasse sich aus
Mangel an Nachrichten nichts, kaum das Allgemeine sagen, dass
sie einmal müsse vorhanden gewesen sein, weil selbst noch
rohere Völker ihrer nicht entbehrt. Die angelsächsische habe
sich schon frühe, zwar nicht aus sich selbst, sondern nach den
Mustern der welschen Barden gebildet, und aus ihr sei durch
Mittheilung die isländische entsprossen, eine aus fremdem Lande
geholte Blume nur von den Gelehrteren gehegt; und wie diese
Dichtung dem Geiste des Volkes entfremdet, so habe sich selbst
die Sprache darin von der einheimischen losgerissen. Norwegen
und Dänemark, an sich ohne Lieder, haben erst von Island aus
einiges erhalten.
Grosse Übereinstimmung zwischen der angelsächsischen und
nordischen Poesie, wie in der Sprache, ist nicht zu verkennen,
und schon längst auch in jener Hinsicht, besonders von dem
gelehrten Olafsen bemerkt worden. Begreiflich kann diese
allein das Erborgen durchaus nicht beweisen, weil man mit
gleichem Recht die Behauptung umdrehen und die angelsächsische
für eine Nachahmung der nordischen ausgeben könnte, und es
sind noch andere besondere Gründe nöthig. Diese gibt auch 962
Hr. Rühs als die eigentlich entscheidenden S. 113 ff, an. Erst-
lich nämlich zeige sich in der angelsächsischen Poesie eine ge-
wisseTechnik, namentlich die Alliteration, als ein charakteristisches
Zeichen; dass diese aber in der nordischen, wo sie gleichfalls
erscheint, ein fremdes Element, mithin von dort erborgt sei,
folge daraus, dass sie nicht weiter bei dem germanischen Stamm,
selbst nicht in altdänischen und altschwedischen Gedichten vor-
komme. Zweitens: ein gleiches Verhältnis sei in der Sprache
selbst sichtbar, „die isländische Dichtkunst habe eine Menge von
Wörtern, die nicht in der gewöhnlichen" (altnordischen und
heutig isländischen) „Sprache, viel weniger in den übrigen
Dialecten vorkommen, diese Wörter seien meistentheils angel-
sächsisch".
Beide Behauptungen sind wichtig, und wenn sie als wahr
\V. GKIMM, KL. SCHRIFTE.N. II. 6
82 DIE EDDA VON FR. RÜHS.
anerkannt werden müssen, geben sie Anlass zu bedeutenden
Folgerungen, daher wir sie so genau als möglich prüfen müssen.
Man wird zugeben, dass die Beweiskraft des ersten Satzes
lediglich darin beruht, dass sich das Gesetz der Alliteration
nirgends weiter findet und also etwas dem Angelsächsischen
Eigenthümliches ausmacht. Sie wird demnach schon in etwas
geschwächt, wenn wir bemerken, dass dieser Buchstabenreim
in der finnischen (wie in den vorangehenden Paragraphen aus-
geführt worden, hier aber vergessen scheint), dann auch in der
celtischen Poesie vorkommt. Indessen die übrige ganz eigene
alte Form, nämlich Fornyrdalag, worin die Alliteration im Angel-
sächsischen erscheint (denn in der finnischen Poesie bleibt die
Alliteration in einer Zeile und verbindet nicht, wie im Nordischen,
zwei Theile oder Abschnitte mit einander, in der celtischen ist
sie nach Olafsens Probe S. 204 auf eine ganz von der nordischen
verschiedene Weise angewendet) und die sich in der nordischen
Poesie ebenso wieder zeigt, möge den Gedanken, dem wir
ohnehin nicht Beifall geben könnten, entfernen, als sei dieses
Gesetz von jenen Völkern eines anderen Stammes erborgt. Aber
etwas anderes wirft sogleich die ganze Behauptung nieder, der
Umstand, dass sich diese Alliteration im Fornyrdalag der angel-
sächsischen und nordischen Poesie auch in den beiden ersten
963 Denkmälern altsächsischer Dichtkunst zeigt, in den Evangelien
und in dem Fragment von Hildebrand und Hadubrand. Dieser
wichtigen Wahrheit gedenkt Hr. Kühs hier, wo sie hingehört,
nicht, sondern hat sie lieber an einen anderen Ort (S. 80) ge-
bracht und, so gut es gehen wollte, abgethan. Seinethalben
bringt er die Hypothese auf, die Sachsen hätten gewiss eine
sehr rohe Dichtkunst mit nach England gebracht, wovon der
Beweis bloss in dem unterstrichenen Ausdruck liegt, und erst
durch die welschen Barden sich gebildet, was durchaus un-
gegründet ist; dann führt er die Thatsache selbst mit den Worten
ein, dass man noch keine „frühere" Spur habe, wonach die
Alliteration als ein „allgemeines" Gesetz in Deutschland könne
betrachtet werden und dass es „scheine", sie sei in jenen alt-
sächsischen Gedichten vorhanden. Wir versichern dagegen so
bestimmt als möglich, dass es keine genauere Spuren geben
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 83
könne, dass es hier ganz gleichgültig, ob die Alliteration ein
allgemeines Gesetz in Deutschland gewesen, es spreche noch
mehr gegen ihn, wenn es bloss bei den Sachsen gegolten, was
übrigens zu leugnen ist, und dass in diesen Gedichten nicht
bloss dem Namen nach, sondern unzweifelhaft das angelsächsisch-
nordische Metrum vollständig vorhanden sei. Wie in dem Bam-
berger Manuscript der Evangelien, ist in dem Casselischen die
Alliteration sogar durch Punkte angedeutet, und es fällt gar
nicht schwer, das Gedicht darnach abzusetzen. Eine weitere
Hypothese des Hrn. Rühs, diese Gedichte „möchten vielleicht"
von einem Geistlichen verfasst sein, der sich das Muster bei
den Angelsachsen geholt, verdient keine Antwort. Endlich aber
ist in einem dritten und zwar fränkischen alten Gedicht die
Alliteration eben entdeckt und in der neuen Ausgabe jenes
Casselischen Fragments entwickelt worden. Ausser dieser alt-
deutschen Alliteration zeigen sich auch in den faröischen Kämpe-
viser oder Rimur hin und wieder kenntliche Spuren davon, was
Hr. Rühs aus Olafsen (S. 200 § 20) hätte lernen können, falls
er es nicht absichtlich hintangesetzt. Er bringt auch noch für
seine Meinung vor, in England habe sich die Alliteration, nach-
dem der Reim schon eingeführt, noch bis ins 16. Jahrhundert er-
halten; in den altdänischen, schwedischen und norwegischen, so-
wie in den dänischen Kämpeviser herrsche aber nur der Reim.
Es ist auch hier das ganze wahre Verhältnis übersehen : wie in 964
England findet sich im Norden, und noch später, Alliteration,
auch in Verbindung mit dem Reim (worauf Runhend beruht),
selbst in ganz späteren deutschen Gedichten, beides ajs Spielerei
vereinigt. Was sich gereimt zeigt, nämlich in dem einfachen
unmetrischen Reimpaar, sind Übersetzungen und Umarbeitungen
solcher Gegenstände, z. B. des Gesetzbuches, die aus innerer
Nothwendigkeit kein Metrum hatten. Diese Art von Ab-
messung war allgemein verbreitet, und man kann sie eher wie
den Anfang der Prosa, da man auf diese Weise sich bequem
gebunden fand, denn als zur Poesie gehörend betrachten, und
sie hat überall fast als Gegensatz zu dieser bestanden. In
diesen altdänischen Gedichten verhält es sich zu der ursprüng-
lichen Alliteration, wie etwa das Versmass der altdeutschen
84 DIE EDDA VON ER. RÜHS.
aus dem Welschen übersetzten zu der epischen Strophe des
Nibelungenlieds. Indessen was wieder auf den ersten Blick die
Sache entscheidet und was wir Hrn. Rühs als ein unredliches
Verschweigen anrechnen, da es ihm nicht konnte unbekannt
geblieben sein, ist der Umstand, dass sich in der englischen
Poesie genau dasselbe Verhältnis wieder findet, wie in der
nordischen; die alten Gedichte: Hörn Child and Maid Ry-
menild, Übersetzungen wie Ywaine and Gawin, Chronicle of
England usw. (bei Ritson metrical Romances), so alt und
noch älter, wie jene altdänischen und altschwedischen, sind
sämmtlich in diesem Reimpaar gemessen; ausserdem aber exi-
stiren noch frühere Gedichte, besonders in dem normannisch-
sächsischen Dialekt, nicht aber in kurzen unmittelbar reimenden
Zeilen, sondern auch in längeren, jener epischen Strophe ähn-
lichen; selbst das Fragment von Judith enthält einmal einige
Reime; dies alles war bei Hickes zu finden. Endlich das
Silbenmass der altdänischen Kämpeviser stimmt aufs genaueste
überein mit dem der altenglischen und altschottischen Balladen
bei Percy und Scott. Man wird sehen, ob Hr. Rühs den
Dänen deshalb das Eigenthumsrecht an ihrem schönsten Volks-
buch streitig macht; er hat nun auch die Frage für England
zu beantworten, wie es sich denken lasse, dass man eine ein-
heimische und gewohnte Versart mit einer fremden und schwie-
rigen vertauscht? Sie führt vielleicht auf gute Gedanken über
das Wesen der Alliteration.
965 Mag diese eine Stütze nichts aufrecht erhalten, so kann
vielleicht die andere mehr tragen. Es kommt hier darauf an,
zu beweisen, dass eine grosse Anzahl Wörter, die in der nor-
dischen Poesie vorkommen, sich weder in der nordischen Prosa,
noch in einem anderen Dialekt der germanischen Sprache finden,
sondern lediglich in der angelsächsischen. Hr. Rühs führt zwei
Seiten (116. 117) solcher Wörter an, und zwar als die wich-
tigsten, welche zu reichen würden, diesen Beweis zu führen.
Rec. darf es sich nicht erlassen, sie einzeln durchzugehen, da
alles auf ihre als der Repräsentanten Richtigkeit ankommt.
Es macht einen schlimmen Eindruck, dass die beiden ersten
schon übel gewählt sind: Bart und Bior: Bart und Bier,
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 85
denn es findet sich in denselben deutschen Wörtern sogleich
der Beweis, dass ein anderer Zweig der Sprache sie noch hat,
und darum allein schon gehören sie nicht hierher. Will man,
wie unser Verf., schliessen, so dürfte man sich eben so gut die
Behauptung erlauben, dass aus dem Deutschen und nicht aus
dem Angelsächsischen das Wort nach dem Norden gekommen.
Weiter sind beide Wörter durch viele Sprachen verbreitet, lat.
barba, slav. mit umgekehrten Buchstaben: brada, s. Adelung;
Bier franz. biere, engl, beer, ital. bira. Endlich wird das
Unglückliche der Wahl durch den Zufall vollendet, dass das
Wort, was die Dänen und Schweden für Bart gebrauchen?
Skegg. Skiäg, nicht nur ausserdem den Isländern eigen ist
(s. Gudmund Andrea), sondern auch den Angelsachsen: Sceaga
und sceacged, isl. skeggiadr bartig, comatus. — Biolla
kommt von baula, belja, schwed. bälla, deutsch: bellen;
bei den Minnesängern und in Gerhards von Schueren Teutonista
kommt noch Belle für Schelle, Glocke vor; wie bei uns hat
das Verbum die Bedeutung von sonorem Klingen jetzt verloren.
Klocke und, das schwed. Klocka, das Hr. Rühs dagegen-
stellt, ist aber wiederum nicht nur isl. Klocka, sondern auch
angels. Clok. — Blota bezieht sieh auf das heidnische Opfer
und heisst wörtlich: bluten, Ulphilas und andere haben noch
blotan für opfern. — Blika hat in der nordischen Sprache
eine doppelte Bedeutung: eine transitive, anblicken, und
intransitive, deutsch: blinken, schwedisch: blinka; welche 966
auf diese Weise in den anderen Dialekten mit richtigem Gefiihl
unterschieden ist, offenbar ist blinka dasselbe Wort, ausserdem
aber ist die intransitive Form auch im Altdeutschen durch
blicken ausgedrückt, denn das Junius. Gloss. hat pleckazzan
micare und blic fulgur. — Dyna; erstlich ist das deutsche
tönen dasselbe, dann aber das Wort auch schwedisch dona
und im Gedicht vom Heil. Anno diunan vorhanden. — Erja
pflügen, schwed. äria, altdeutsch: eren. Man sieht, wie
schnell Hr. R. sich entschieden, wenn das Glossar nicht gleich
unter demselben Buchstaben das Wort gab. — Färth Kriegs-
zug, altdeutsch: Färd, Kämpe viser S. 91. Deutsch: Fahrt. —
Faxi Mähne, Cotton. Evangelien: Fahs (b. Nyerup Sjmb. ad
86 DIE EDDA VON FR. RÜHS.
litt. teut. p. 135), altfriesisch: Fax (Asegabuch S. 186), "Willeram
und Junius. Gl. Vahs, im heutigen Deutsch: der Fahsen. —
Fiadrhamr Federgewand, Fragm. von Hildebrand: garutun
se iro guthamun, bereiteten sich ihre Kriegskleider; altdänisch:
Harn, Kärapeviser und schwedisch eben so. — Fiör Leben,
vi gor, schwed. Fior. — Freah soll heissen: isl. Frekr, Herr,
ist das dänische frek, fräk, das deutsche frech, was eine edle
Bedeutung hatte, daher Herr. — Frega soll heissen: isl. fregna,
das Wort hat im Nordischen eine transitive Bedeutung: inter-
rogare und intransitive: percipere, interrogando percipere, s.
• Gudmund. Im Schwedischen sind beide vorhanden und durch das
eingeschobene n unterschieden: fräga interrogare und frag na
percipere; wir Deutsche haben das Wort nur noch in der tran-
sitiven Bedeutung: fragen. Ähnlich ist es mit dem dänischen
spörge, das sonst auch noch vernehmen hiess, wie es Kämpe-
viser S. 241 V. 21 gebraucht wird, jetzt bloss fragen. — Galldr
Zauberei (durch Schrei, Gesang), wörtlich: Gegälle, von
gellen, schwed. gälla, dän. gale. — Geta anschaffen, aber
auch erinnern, verbinden in Gedanken, daher das isl.: Geta
Räthsel, dän. Gaade. — *Grey Jagdhund, altdeutsch: greit
begierig, und das glossar. Eddae Säm. bemerkt schon Ver-
wandtschaft mit dem belgischen gray, vorax. — Grithi,
gratia, friesisch: great; auch sehr wahrscheinlich mit Friede
967 ein Wort, nur durch eine nicht ungewöhnliche Verwechslung
der Buchstaben F und G unterschieden. — Hildi Krieg, alt-
deutsch in dem Fragment von Hildebrand: to dero Hiltu zu
ihrem Kampf; das Wort kommt von hialla, hallen, ist in
dem verwandten Held und noch näher in vielen Eigen-
namen, z.B. Hildegunde, Hildebrand vorhanden. — Hlustan
soll heissen isl. hlusta, das deutsche lauschen ist dasselbe,
altdeutsch: laussen. — Hräf, eigentlich Hrä, Leichnam,
angels. Hreaw, findet sich auch altdeutsch: bi Hrahanen am
Leichnam, Fragment von Hildebrand; ferner: Reue (bei Ott-
fried) und Re (s. Oberlin), hernach ist es mit dem deutschen
Reff, Riff in seinen mannigfachen Bedeutungen verwandt,
ferner mit dem schwedischen Röf. Eines der unglücklichsten Bei-
spiele, da das Wort durch die ganze germanische Sprache sich
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 87
ausbreitet. — Kiölr Schiff, dänisch: Kiöl, deutsch: Kiel. —
Klökgua seufzen, dänisch: klukke, deutsch: glucken.
Hätte Hr. Rühs nur Olafsen S. 75 angesehen, so würde er dies
AVort schon haben streichen müssen. — Kne cognatus, alt-
deutsch: Cnuosl Geschlecht, Fragment von Hildebrand, dann
ebenso: Kne auch altfriesisch Asegabuch 36. 116, ferner
deutsch: Knän. s. Roman vom Simplicissimus aus dem
17. Jahrhundert. Verwandt ist das altdeutsche Kunne, Kynne
genus, dän. Kiön. — Lid Getränk, Ottfried und Notker: Lid
Getränk, Ulphilas: Leithus Obstwein. — Lokr Säge, isl. und
schwed. luka, lösen, auflösen, deutsch: lockern, locker
machen, welches mit sägen zusammenkommt, ferner ist Lücke,
Loch und löchern damit verwandt. — * Mäkir, Degen, mit
dem griech. und lat. machaera verwandt. — Mala femina,
angels. Mevola, Ulph. Mavi und diminut. Mavilo, deutsch-
Magd, Maid, dän. und schwed. Mö, s. Adelung. — Meith-
mar Gut, Geschenk; Ulphilas: Maithms, altdeutsch: Miete.
— Mögr Sohn, cognatus, schwed. Make, altdeutsch: Mage.
— Mund, Hand, in der Bedeutung von Hand, Mass (über-
einkommend mit palma) in lege Ostrogothorum , s. Ihre h. v.,
auch altdeutsch, s. Munti, Docen Miscellen I, S. 226. —
Nagli Schlüssel, dän. Nögl; aber Nagli heisst isländ. auch
clavus und ist das deutsche und schwed. Nagel und dän.
Nagle (das dän. Nögl und Nagle verhält sich zusammen, wie 968
das lat. clavis und clavus); Spik, was Hr. Rühs für den
einzigen schwedischen Ausdruck zu halten scheint, heisst ebenso
erst clavus, Spitze, Speiche und dann auch clavis. —
*Nar Leiche. Ulph. Naus der Todte. — Oedlingr nobilis»
altdänisch: Aedeling, s. Elsko vs viser , deutsch: Edler, alt-
deutsch: Edeling. — Ossi unsere, im deutschen und dän.
pronom. person. os, uns. — * Räsir Fürst, eigentlich Ge-
waltiger, altdeutsch: Raser, Rässer, muthiger, von ras, räss
acer, s. Oberlin. Peringskiold in den Noten zu Cochlaei vita
Theodorici p. 263 führt die Inschrift ressmadr, tapferer Mann,
auf einer westgothischen Münze an, sie steht unter dem Bild-
nis des Königs. — Reke Held, auch altschwedisch in Bei-
spielen gezeigt von Ihre, altdeutsch: Reche. — Rönd Schild,
88 DIE EDDA VON FR. RÜHS.
der Theil steht hier nur für das Ganze, so viel als Schildes-
Rand, wie häufig in den altdeutschen Gedichten. — Sefi
Gemüth, in mannigfache Worte übergegangen und verwandt
mit dem schwed. Sef, Sefe, Ruhe, und als Adject. pacatus,
der sanftes Gemüthes ist. — Seggr heisst eigentlich: qui gladio
utitur, dann vir und poetisch; Kämpfer; es kommt aber von
sega, schwed. säga, deutsch: sägen und entspricht dem
deutschen Säger. — Skirr, schwed. skir und skär. —
Snotr klug, Ulph. snutrs, noch heute in Smäland: snoter. —
Spor, dänisch: Spor, Spör, schwed. Sporr, altdeutsch:
Spur. — Sunna, Sonne, Ulph. Sunna; dass das Wort
auch sonst in Schweden und Dänemark bekannt, beweist Sun-
dag und Söndag für Sonntag. — *Thengil, Herr; wahr-
scheinlich so viel, als Redner, der Recht spricht, von Thinga
Recht sprechen, welches Wort in Thing durch alle nordische
Dialekte geht. — Thylr soll heissen isl. Thulr, Redner, deutsch:
Erzähler, dänisch: Taler (s. Olafsen S. 7 und 72), dann im
dänischen tale reden, im niedersächsischen teilen; verwandt
auch mit dahlen. — Thverra, verderben, kommt von quer^
was quer geht, dies Wort aber ist in allen germanischen Dia-
lekten: über twär als contrarius s. Ihre. — Tungl (Himin-
969 tungl) Gestirn, schwed. Tungel, s. Ihre, der die Allgemeinheit
des Worts und die Abstammungen bemerkt, z. B. tunglsiukr,
mondsüchtig. Aber merkwürdiger Weise kommt derselbe Aus-
druck Hebentungal schon in den altsächsischen Evangelien
vor (s. Docen Miscellen 11, 13), und es ist noch zu entscheiden,,
ob nicht das Wort mit unserem Zünglein übereinkommt und
ursprünglich Himmelszunge, ein sehr poetisches Gleichnis für
Stern*), ist. — Vang formirt von Anger durch vorgesetztes V,
dänisch: Eng, Wiese. — Verja, umgeben, dänisch: värge,
deutsch: wehren.
Ein Wort ist übrig, das wir in keinem anderen Dialekt al&
in dem angelsächsischen wieder finden , mithin das einzige,
welches Probe hält: Sigli das Halsband, und hier klärt es sich
vielleicht noch auf, dass es mit unserem: Siegel zusammen-
hängt, welches sich schon bei Ulphilas findet. Nimmt man
*) [S. Briefwechsel zwischen J. und W. Grimm, S. 140.]
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 89
auch die fünf einigermassen zweifelhaften (darum mit einem
Stern bezeichneten) dazu, so wird doch niemand glauben, dass
eine so kühne Behauptung, wie die des Herrn Rühs, darauf
ruhen könne. Davon wünscht nur Rec. durch diese Wider-
legung überzeugt zu haben, dass Hr. Rühs nicht im Stande
ist, ausserdem ein langes Register von Wörtern, die seine An-
sicht erhalten können, aufzustellen, und dass es mit den übrigen
sich nicht besser, eher wo möglich noch schlechter verhalten
wird ; da er es indessen zuversichtlich behauptet, mag ausdrück-
lich gesagt werden, dass eine in der That zu oberflächliche
Kenntnis der altnordischen und neueren Sprachen sich hier ge-
zeigt, ja es bleibt unbegreiflich, wie bei der geringsten Auf-
merksamkeit Wörter, wie erja, Färth, Fior, skirr, Spor,
snotr, haben können aufgeführt werden. — Was die Sache
selbst betrifft, abgesehen von der Hypothese des Herrn Rühs,
die freilich zu Grund gehen musste, so ist es an und für sich
nicht so schlimm damit, wie es hier aussieht, und es mag sich
leicht mehr als ein Wort im Nordischen finden, das sich im
Angelsächsischen nur noch erhalten hat: ein Paar Betrachtungen
darüber gehören zur Vollständigkeit unseres TJrtheils.
Es ist gewiss, dass, als die tiefe Quelle der germanischen.
Sprache in ihre Ströme ausgieng, diese Ströme eben durch einen
Trieb nach einer besonderen Richtung, der in ihnen vorherrschte,
geworden sind, denn alles verlangt bei dem Zusammenhang mit 970
dem Grossen und Einen wieder sein eigenthümliches, ihm allein
zugehöriges Leben ; ferner , dass dieser Trieb durch seine Kraft,
die Ströme, die anfangs noch neben einander flössen, mit der
Zeit immer weiter von einander trennte. Dieses Verhältnis ist
ohne Widerrede in der Geschichte eines jeden Sprachstammes
sichtbar; je weiter wir zurückgehen, desto mehr nähern sich
die Dialekte. Die einfache Folge davon ist, dass jeder Dialekt
etwas besitze, das ihm ganz allein zugehöre, derjenige aber der
erste zu nennen, der das Meiste in seinem Bett zusammenfassen
und behalten konnte, oder, um ein anderes Gleichnis zu ge-
brauchen, der, wenn er zur Vergleichung neben die anderen
gestellt wird, am wenigsten Schulden hätte (borgen müsste),
ebenso auch auf der anderen Seite, dass kein einziger bloss
Passiva ohne Activa habe. Die zweite Folge ist, dass in jedem
•90 DIE EDDA VON FR. RÜHS.
Dialekt sich jedes denkbare Verhältnis zu den übrigen finden
kann, in einigen reichen auch wird, welches nur allzeit in sich,
und oft ungemein verschieden sein mag; also wird jeder etwas
besitzen, was er nur noch allein hat, anderes, was er nur mit
einem einzigen theilt, bis auf das, was nur einem einzigen fehlt,
in allen möglichen Abstufungen. Es würde leicht sein, Bei-
spiele von Wörtern zu geben, die sich nur noch allein im Alt-
deutschen, von solchen, die sich nur noch in der altdeutschen und
altnordischen [Mundart] finden, usw. Diese Verhältnisse beziehen
sich aber nicht bloss auf Wörter, sondern auf alles, wodurch
ein Dialekt besteht, jede grammatikalische Eigenthümlichkeit,
Umlaut, Erweiterung oder Zusammenziehung gehört hierher.
Es ist beiläufig daraus klar, dass das Ganze nur aus dem Zu-
sammenfassen einer jeden Äussserung der ursprünglichen Idee,
mithin aller Dialekte, verstanden und durch dieses Verständnis,
das wiederum verbindet, was die Zeit getrennt, eine historische
Stärkung, freilich aber keine absolute Gesetzgebung gewonnen
werden kann, die sich überhaupt die Zukunft verbittet. Nehmen
wir dieses Verhältnis grösser und betrachten den germanischen
Stamm wieder nur als einen Zweig eines anderen (wem dies
entgegen ist, der sehe hier, wo nichts darauf ankommt, nur ein
Gleichnis, welches das unleugbare Factum von der Überein-
stimmung der germanischen Sprache mit der indischen, per-
971 sischen , griechischen und römischen auf diese Art aufstellen
will); so folgt daraus, dass in jedem Dialekt auch wieder ein
besonderes Verhältnis der Annäherung und Entfernung zu jenen
grösseren Zweigen sich finden muss und darin nur durch diese
erläutert werden kann. — Diese Sätze, die freilich einer aus-
führlicheren Entwickelung fähig sind, auf unseren Fall ange-
wendet, ist es eines Theils bei der überhaupt schon bemerkten
Ähnlichkeit der nordischen und angelsächsischen Poesie und bei
ihrem Alter zu erwarten, dass ei;ie gewisse Anzahl Wörter nur
noch in beiden sich erhalten und darum diese Anzahl vorzugs-
weise beträchtlicher sein müsse, als bei der Übereinstimmung
mit anderen Dialekten und Sprachen, wo eine solche Annäherung
nicht statt gefunden. Auf der anderen Seite ist es eben so klar,
dass nichts verkehrter sein würde, als der Schluss auf ein Er-
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 91
borgen von irgend einem Theil, denn man müsste sogleich die
mit anderen Sprachen übereinkommenden Wörter für fremdes
Eigenthum erklären. (Überhaupt sollte man mit der Meinung
von zufäUigem Erborgen, wodurch alle in sich nothwendige Ent-
wickelung, die zumal im Alterthum nichts hat abhalten können,
ausgeschlossen wird, vorsichtig sein; uns wäre, wenn wir den
Reichthum der altnordischen Mythe und Sagendichtung be-
trachtet, schon der Gedanken niemals möglich gewesen, das
alles für die Folge eines fremden, todten Abborgens zu be-
trachten ; viel kann eine Lüge vernichten, aber nichts aufbauen,
und diese Bemerkung allein wäre dem Rec. genug gewesen,
die Ansicht des Herrn Rühs für ungegründet zu halten; Rec.
möchte aber gern andere davon überzeugen — wenn er auch
nicht hoffen darf, diesen Gelehrten selbst — und darum muss
er ausführlich sein.) Eine solche Ansicht geben schon allge-
meinere Gründe, indessen sehen wir glücklicher Weise die
Sache durch eine genaue Untersuchung eben so entschieden
in der mehrmals genannten, fleissigen und gelehrten Preisschrift
von Olafsen. Er betrachtet darin unter anderen die Sprache
der altnordischen Dichtung erstlich in dem Verhältnis zu ihrer
«igenen Prosa; nachdem er (S. 74 — 80) in recht genauem und
schätzbarem Detail mitgetheilt, was sich bloss in der nordischen
Poesie, nicht in der gewöhnlichen Sprache findet, dennoch aber
aus dem Kern der Sprache gewachsen ist, kommt er auf die
Wörter, die fremden Ursprungs sind, solche, die man für Über- 972
bleibsel einer vorgothischen Sprache gehalten, wovon er aber
meint, sie seien von allen Seiten von Slaven, Finnen usw.
gekommen, dann die griechischen Ursprungs, lateinischen, hie-
nach angelsächsischen, doch sind es hier nur solche Wörter,
welche die angelsächsische Prosa und nordische Poesie gemein
haben, unten (S. 233) theilt er dann die W^örter mit, die sich
in der angelsächsischen und nordischen Poesie allein finden,
nicht in der Prosa beider Völker, ferner (S. 236) diejenigen,
welche die angelsächsische Poesie bloss mit der isländischen
Prosa (der umgekehrte Fall von der Behauptung des Herrn
Rühs), nicht mit ihrer eigenen gemein hat. Oben werden end-
lich noch Wörter aus der wallisischen und finnischen Sprache
92 DTE EDDA VON FR. RÜHS.
ZU erläutern gegeben (Herr Rühs bemerkt S. 115 in der Note^
dass von den letzteren die meisten müssten gestrichen werden,
wir bedauern, dass gerade bei diesen willkommenen Berichti-
gungen der Raum gespart worden).
Eine solche ausführliche Darlegung des wahren Verhält-
nisses, wobei die besondere Übereinstimmung der nordischen und
angelsächsischen Poesie in ihr richtiges und gemildertes Licht
kommt, scheint den Gedanken an eine so übertriebene Hypothese
kaum möglich werden zu lassen, und wir können den Anlass
dazu nur in der Unbefangenheit suchen, welche die Vorrede
an dem Verfasser rühmt. Der einzige Tadel, der Olafsen triffi, ist,
dass er nicht genug Rücksicht auf die deutsche Sprache ge-
nommen, sei es aus Unkenntnis, oder weil er nur Scandinavien
im Sinn hatte. Es lassen sich überall, wo er das Nordische nur
noch im Angelsächsischen oder umgekehrt findet, viele Wörter
aus dem Deutschen erklären. Zum Theil ist es schon vorhin
bei den Proben des Herrn Rühs geschehen, da wir eine gute
Anzahl seiner Wörter auch bei Olafsen antreffen; hier mögen
als Beispiel noch ein Paar andere folgen: Renn Fluss, angel-
sächsisch Rin, deutsch: Rhein, von rinnen; wir bemerken
dies Wort zuerst, weil Hr. Rühs daraus abnehmen kann, dass
es an sich nicht die deutsche Abkunft des Wolsungencyklus
beweist, wie er (S. 102) glaubt. — Nefi Schwestersohn, angel-
sächsisch Nefa, deutsch: Neffe. — Nift Schwestertochter,
angels. Nift, altdeutsch: Niftel. — Vagr fluctus, angels.
973 Väg, altdeutsch: Vag. — Heimir domesticus, angels. ho-
mora, deutsch: heimisches. — Litr vultus, angels. Ulite,
deutsch: Antlitz. — Fria amare, angels. frion, altdeutsch:
Friedel Geliebter, dann auch frien. — Feigr todtwund,
angels. fäg, altdeutsch: vaig, veig usw. Die Wörter,
die vorerst übrig bleiben, werden sich gleichstehen, und die
angelsächsische Poesie eben so viel aus der nordischen Prosa,
als die nordische Poesie aus der angelsächsischen Prosa ent-
halten, und daher jede Meinung von dem Erborgen der Poesie,
welche Seite man nun zum Original macht, augenblicklich ab-
weisen.
Wir nehmen gleich eine andere Ansicht aus dem Abschnitt
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 93
über Mythologie zur Betrachtung hierher, da sie gleichfalls eine
Folge der bis jetzt besprochenen Hypothese ist. Hr. Rühs be-
hauptet nämlich (S. 137), wo er griechisch-römische Mythologie
in der nordischen entdeckt hat, erstlich, die Angelsachsen hätten
viele Namen der römischen Mythologie übersetzt und von diesen
die Isländer sie wieder angenommen; zweitens, die Isländer
hätten andere mythische Ausdrücke aus der angelsächsischen
Sprache geborgt, die sich weder in ihrem noch verwandten
Dialekten wiederfänden. Schon sicher durch die obige ent-
scheidende Beweisführung, geht er hier leicht an der zur Be-
gründung der neuen Sätze nöthigen vorüber. Was den ersten
betrifft, so wird zuerst Walkyre (Todten Wählerin, wir haben
bekanntlich die Worte noch in Wahl platz und kühren) für
eine Übersetzung von Bellona ausgegeben; hätte er gesagt,
es sei etwa dieselbe Idee, so wäre ein Sinn vorhanden, so aber
könnte man eben so richtig Walhall für eine wörtliche Über-
setzung von Elysium ausgeben; die folgenden Beispiele sind
nicht schlechter und mögen nachgelesen werden. Die zweite
Behauptung setzt unseren vorhin ausführlich behandelten Fall
voraus, und wir müssen uns wohl wieder darauf einlassen.
Othin heisst nicht Tir (was einmal richtig eins von den Wörtern
ist, das wir bis jetzt nur im Nordischen und Angelsächsischen
finden), nur in einigen Beinamen kommt ein ähnliches Wort
vor, dahin gehört Vera-tyrr, wo es aber Helfer heisst und
sich von ek tiai ich helfe ableitet: bloss in Farma-tyrr und
Hanga-tyrr will das gloss. Eddae Säm. das Wort von Tir
(dieses von tyrannus) abstammen lassen, weil es sonst keine 974
Bedeutung herauszubringen weiss. — Im Angelsächsischen heisst
nicht Thundr, sondern Thunor der Donner, sollte daher
Jupiter der Donnerer genannt werden, so war natürlich kein
anderes Wort als dieses zu gebrauchen. Hr. Rühs möchte den
Satz erzwingen, Othin habe seinen Beinamen Thundr durch
die Angelsachsen von Jupiter erhalten. Entweder bedeutet aber
Thundr hier wirklich Donner, so ist das Wort nicht entlehnt,
da es im Deutschen und in dem noch heute üblichen schwe-
dischen Dünn er allgemein für jedes Geräusch vorkommt;
indes ist dies nicht wahrscheinlich, da man im Norden das
94 rJlE EDDA VON FR. RCHS.
besondere Geräusch beim Gewitter, des (Donnergottes) Thors
Ton, schwed. Tordön, dän. Torden nannte; — oder es heisst
Thundr so viel als Bogen, wie das Wort wirklich im Islän-
dischen üblich und von thenia spannen abzuleiten ist (s. gloss.
Eddae Säm.) — Hrimfaxi und Skinfaxi: da oben schon ge-
zeigt ist, dass Faxi auch in anderen Dialekten vorhanden, fällt
die hier gemachte Behauptung von selbst. — Dass Mimir
kein aus dem Angelsächsischen erborgtes und dem Norden
fremdes Wort sei (wiewohl wir gern zugeben, dass das angel-
sächsische meomor peritus damit übereinkommt, wie auch
das gloss. Eddae S. bemerkt), geht schon daraus hervor, dass es
in anderen offenbar verwandten Namen erscheint: Mim er ein
kluger Schmied, Wilkina-Saga, Mimmering ein kluger zwerg-
hafter Kämpfer, altdänische Kämpeviser. Dann ist die Ähn-
lichkeit mit dem latein. und griech. Mimas zu erwägen; end-
lich glaubt Rec. , dass es zu einem Geschlecht gehört mit
schwed. Minne Andenken, dän. Min de und dem latein.
memor und memini. — Ist die Benennung der Nornen noch
nicht aus dem Scandinavischen erklärt, so ist es ihr anderer
Namen: Disir noch weniger, und zu diesem wird Hr. Rühs
nicht einmal eine so erzwungene Erläuterung aus dem Angel-
sächsischen wie zu jenem aufbringen; endlich aber wird die
Behauptung dadurch abgewiesen, dass der dritte Name der
Nornen Fylgior die Folgenden (die den Menschen geleiten)
sehr wohl aus dem Nordischen, wie aus allen germanischen
Dialekten zu erklären und allgemein gebräuchlich ist in den
Denkmälern. Es begreift sich übrigens, dass in den Namen,
975 zumal in den mythischen, sich die ältesten Wörter erhalten
mussten; haben wir doch noch einen W ig and, aber vig
Kampf und vigen ist längst untergegangen, während es im
Nordischen fortgedauert. — Niflheim heisst Nebelheim,
und ist an ein Erborgen nicht zu denken. — Die unglaublichste
Anmassung ist indessen die letzte, wo geradezu behauptet wird,
es sei „ohne allen Grund", die drei Nornen Urd (urdu es ward
von Verda werden), Verdandi (regelmässiges Participium von
Verda das Werdende) und Skuld (Schuld, was soll, wird, von
skulu, womit bekanntlich noch heute im Isländischen, Dänischen
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 95
und Schwedischen das Futurum formirt wird) durch Vergangen-
heit, Gegenwart und Zukunft zu erklären. Dafür gibt Hr.
Rühs folgenden Aufschluss: Urd sei Wyrd, das Schicksal^
fatum, aber dasselbe AVort, das auch im Angelsächsischen (word)
und Altdeutschen (uyrd, wurt) existirt, heisst im Isländischen
orth. Verdandi soll das Bewachende heissen, aber das
nordische und angelsächsiche Wort, das Hr. Riihs im Sinn hat,
heisst verja wehren und müsste verjandi bilden. Skuld
soll von skyldan beschützen herkommen, und demnach wäre
die dritte Norne nur eine unnütze Wiederholung der zweiten^
aber im Nordischen lautet dasselbe Wort Schilden skiola [skyla]
und das Substantivum Skioldr Schild und nicht Skuld.
Die Widerlegung solcher allzu leichtsinniger Behauptungen
führt etwas Unangenehmes mit sich, weil man die Mühe zu
etwas Fruchtbarerem möchte angewendet haben. Indessen hat
sich Rec. nichts erlassen wollen und er glaubt, was hier neu
oder vielmehr in dieser Zusammenstellung neu erscheint, hinläng-
lich betrachtet zu haben, so dass er sich einen Gegenbeweis
eben so genau ausbitten darf. Diese Hypothese von der angel-
sächsischen Abkunfl der nordischen Poesie macht die Haupt-
sache des zweiten hier gelieferten Abschnittes aus, der von der
Poesie handeln soll, ausserdem geht noch voran ein Abschnitt
über nordische Geschichte und Cultur und folgt einer über
nordische Mythologie. Da, wie Eingangs gesagt worden, die
recensirte Idee noch die sorgfältigste Ausführung erhalten, so
wird man hier keine eigentlichen Untersuchungen und neue
Resultate erwarten. Hr. Rühs hat gute, auch wohl seltene
Bücher benutzen können, aber von eigenem Quellenstudium 97^.
und genauem Arbeiten, um es gerade herauszusagen, haben wir
keine Spur gefunden. Es scheint auch kaum möglich, in einem
so beschränkten Raum sie mitzutheilen. Der Zusammenstellung
des Glaubens über Elfen und Zwerge wollen wir, weil wir
auch etwas Geringes nicht verschmähen, dankbar erwähnen,
wiewohl sie so wenig genau und vollständig ist, dass Rec. allein
sie zu einem eigenen Buche vermehren könnte. Für die Nach-
richten über finnische Poesie haben wir dem Verf schon bei
seinem Werk über Finnland gedankt, wo sie ausfuhrlicher und
96 DIE EDDA VON FR. RÜHS.
darum besser stehen ; dieser Auszug gehört nicht hierher. Was
auch sonst vorgetragen wird, ist von anderen schon so ziemlich
gesagt oder geglaubt worden, das Ganze ist auf jene widerlegte
Hypothese zugeschnitten, daher wird die Anordnung bei der
nächsten Wiederholung anders ausfallen müssen, selbst wenn
Hr. Rühs neue Gründe für seine Meinungen entdeckt.
977 Man wird daher dem Rec. nichts vorwerfen können, wenn
er die beiden anderen Abschnitte weder betrachten noch wider-
legen will. Gegen die darin herrschende Ansicht hat er sich
aus Gründen und bestimmt in einer anderen Recension dieser
Jahrbücher (Schriften über nordische Mythologie 1811. No. 49. 50)
[= oben S. 14 — 32] erklärt und kann darauf verweisen i) ; es wird
genug sein, wenn er sich hier eben so bestimmt als Gegner des
Hrn. Rühs zu fast allen in dieser Schrift aufgestellten Behauptungen
nennt und keine einzige bedeutende für erwiesen erklärt. Was soll
man auch dazu sagen, wenn es in dem Eingang der Abhandlung
über die Mythologie heisst, sie sei nicht als alter heidnischer
Glauben des Volks, sondern als Hilfsmittel zur Dichtkunst,
978 d.h. vorsätzliche, leere Erdichtung auf uns gekommen, darauf
müsse man halten, wenn des Verf Meinung bestehen sollte?
Kann es, wo wir nur Christen darüber sprechen hören, anders
sein, als dass jeder versichert, dies sei die wahrhaftige und
glaubwürdige Religion nicht, sie dürfe man nicht für das Leben,
nur für die Dichtkunst noch benutzen; nur den Glauben selbst
nannte man irrig, niemand hat das frühe Dasein desselben ge-
leugnet. Zeigt sich in den Gedichten selbst eine Spur, dass
1) Wir können auch wegen der hier gelieferten Übersetzung der jüngeren
Edda dorthin verweisen, da sie aus der dänischen, nicht aus dem Original
entstanden ist. Hr. Rühs gibt sie noch, nachdem er die Edda schon ver-
niciitet zu haben glaubt, zu grösserer Bekräftigung ; diese Beweisführung könnte
uns die liebste sein, denn wir brauchten nur zu bitten, das alte Denkmal mit
den Behauptungen des Hrn. Rühs zusammenzuhalten. Indessen geht dies
nicht ganz , .weil zum Studium diese Übersetzung nicht zu empfehlen ist und
dazu das Original nöthig bleibt. Das Ganze ist nicht urkundlich abgefasst;
einem schwierigen Ausdruck wird durch einen allgemeineren ausgewichen,
gleich Refels Steig in der ersten Fabel durch fernen Weg übersetzt. Für
Dilettanten und das ungefähre Verständnis mag diese Arbeit ihren Werth
haben, den wir ihr gern lassen; jenen wird gerade die das Eigonthümliche
verwischende Umstellung der Worte in die übliche Folge angenehm sein.
DIE EDDA VON FR. RÜHS. 97
man in Lügen sich herumtreibe, und sind sie nicht ernstlich
überall gemeint? Odersoll man Gründe widerlegen, wie folgenden
(S. 31): es werde niemand sich einbilden, dass so rauhe Krieger
ein weitläuftiges System religiöser Ideen gehabt, eine vollständige
Genealogie ihrer Gottheiten? als ob nicht bei allen, selbst den
ausgebildetsten Völkern nur eine besondere Klasse die heiligen
Gesetze und Geheimlehren der Religion allein hätte bewahren
und lehren dürfen und können, niemals der gemeine Haufen.
Baare Unwahrheiten, wie z. B. , dass in allen Gedichten die
Sprache gleich sei und alle Individualität in den künstlichen
Silbenmassen untergehe, welche die ältesten Dichter schon ge-
braucht (S. 98) (die alten Lieder, besonders die epischen noch
ungedruckten der Edda sind einfach und un verkünstelt) , oder
dass Saxo seine Gedichte selbst verfertigt und nichts darin
übersetzt habe (ohngeachtet Nyerup in einer Abhandlung, die
Hr. Rühs selbst citirt, das Gegentheil klar in Beispielen gezeigt),
werden Leser, welche irgend von der Sache etwas wissen, von
selbst finden; wir sind darauf gefasst, nächstens den ganzen
Saxo von Hrn. Rühs vernichtet zu sehen, da es ohnehin mit
den Handschriften verdächtig aussehen soll.
Nur einige besonders charakteristische Sätze mögen heraus-
gehoben werden: S. 4. „Norwegens frühste Geschichte ist blosse
Dichtung", d.h. bei Hrn. Rühs: späterhin erfundene leere Un-
wahrheit. S. 17. Auch der Namen der Äsen ist erst entstanden,
als Mönche ein System über die Bevölkerung [des] Nordens aus
Asien bildeten. S. 51. Selbst Snorro theilt mit seinen Zeit-
genossen den „allerrohsten Aberglauben, in seiner Chronik
kommen die unsinnigsten Geschichten von Hexereien vor"^.
S. 99. „Die Vermuthung ist so unwahrscheinlich nicht, dass
Snorro die in seinem Buch angeführten Gedichte selbst ver-
fertigt" (solche schleichende Wendungen liebt Hr. Rühs, in 979
derselben Art sagt er vom Skaldatal: es habe „nur leichtes
Gewicht auf der Wage der Kritik" ; nachher, wenn es zum
Schliessen kommt, gelten solche Annahmen für voll). S. 29.
Der Cultus war äusserst roh, die Sitten barbarisch, „die
wildeste Grausamkeit, empörender als bei den Irokesen, war
die erste Freude der Helden". S. 88. Alle Cultur kam erst
W. GRIMM, KL. SCIIRltTES. II. 7
98 DIE EDDA VON FR. KÜHS.
vom Christenthum , dieses zunächst aus England. Runen sind
dann erst aus dem lateinischen Alphabet entstanden. — Von
den mythischen Büchern wird behauptet S. 121, sie seien von
Christen verfertigt, S. 129 das ganze System ein blosses Spiel
der Phantasie der Mönche, zusammengesetzt aus einem ge-
ringen Theil Volksglauben und aus griechisch-römischer Mythe i),
eben so augenscheinlich sei Christenthum darin, das meiste aber
„freie, unmittelbare Erfindung". S. 141. Der Versuch,
Zusammenhang in die Mythologie zu bringen, habe immer den
traurigsten Erfolg gehabt.
So wenig als auf das Vorhergehende sind wir gesonnen,
auf das zu antworten, was Hr. Rühs über den Cyklus der
Wolsungasaga vorbringt, und auf die Behauptung, es sei
diese Fabel ganz aus Deutschland gekommen. Wenn Hr. Rühs
einmal näher und gründlich über diesen Gegenstand sich unter-
richtet hat, wird er gern zurücknehmen, was er hier darüber
gesagt.
Es steht nun zu erwarten, was diese aufs neue und gar
nicht zweifelnd hingestellte absprechende Ansicht für Eindruck
machen wird; sonst trug sie ohne Weiteres das Lob einer sehr
gelehrten Scharfsinnigkeit davon, denn es ist allerdings über-
raschend, wenn ein Einzelner den Betrug entdeckt, der Jahr-
980 hunderte täuschte, doch ist diese Zeit vorüber, und man scheint
jetzt mehr zu verlangen, üb die entgegengesetzte, die an das
Dasein wahrhaftiger Theomythieen einer ursprünglichen, in dem
Leben und der Wahrheit begründeten Dichtung, au eine Tra-
dition, in der sich alle Lehre und würdige Erinnerung der
Geschichte fortgepflanzt, an ein edles Heldenthum, überhaupt
an eine aus innen gekommene Entfaltung glaubt, wornach alles
Grosse, was geschehen, nicht ein schlechtes Spiel zweckloser
Kunstgriffe wird, ob eine solche sich erhält, wird die Zeit lehren.
') Wir können es doch nicht unterlassen, hier eine Note zu machen. Um
den römischen Antheil in den Mythen zu beweisen, führt Hr. Rühs S. 129
zwei Wörter an, die dem Lateinischen nachgebildet seien, nämlich Töflr tabulae
und Kai kr calix; fiel es ihm denn nicht ein, als er die deutschen Tafel und
Kelch daneben schrieb, dass es durchaus dieselben seien? Beide sind uralt
im Deutschen mit dem Lateinischen verwandt, aber nicht aus ihnen formirt.
DIE EDDA VON FE. RÜHS. 99
Merkwürdig und erfreulich bleibt es, dass noch alle, welche die
Mythologie zu ihrem Studium machten, ihr zugethan waren.
Es sei noch erlaubt, seitdem anderwärts hergekommener
Äusserungen wegen aus der vorigen Recension die Behauptung
wieder herzunehmen und noch deutlicher aufzustellen, dass es
bloss darauf ankomme, zu entscheiden, ob diese nordischen
Denkmäler echt, d. h. aus alter Zeit herstammen und keine
spätere Erfindung und Lügen sind, wie z. B. in dieser Schrift
hier behauptet wird. Ist für jenes entschieden, dann wird sich
bestimmen lassen, inwiefern sie historisch berücksichtigt werden
müssen, nämlich insoweit die Mythen aller Völker historisch
sind. Zu dieser Bestimmung aber müssen die Resultate derer,
welche die Mythen und epischen Gedichte der Völker über-
haupt untersucht haben, und die der Historiker zusammenge-
nommen werden; nicht aber dürfen letztere allein entscheiden.
Durchaus ungerecht ist es, an den nordischen Mythen und
Sagen den alten Streit ausfechten und sie damit prüfen zu
wollen, dass man nachsieht, ob sie genau historisch wahr sind,
und jeden Zweifel, den man aufbringt, sogleich als einen Be-
weis ihrer Unechtheit wichtig macht. Wir wollten, wenn es
darauf ankäme, solcher Zweifel mit leichter Mühe weit mehrere
darlegen. Wer die Wahrheit der modernen Geschichte in den
alten Sagen finden will, der irrt sehr, noch mehr aber, wer die
eigenthümliche Wahrheit derselben für Lüge und Verfälschung
ausgibt, wie derjenige, der sie für geringer hält, als jene: im
edlen und rechten Sinne grenzen Wahrheit und Dichtung nahe
an einander. Wie dies unserer Zeit noch eben in einem herr-
lichen Beispiel gezeigt worden, so ist es auch in jenen alten iisi
Denkmälern. Wir meinen nicht, dass diese Ansicht der Kritik
und Geschichte Hohn spreche, ja wir nehmen für sie jede Art
von Scharfsinn und Kritik in Anspruch; die Geschichte selbst
wird durch sie erweitert, während die andere sie in ihren
schönsten Punkten zernichtet.
W. C. Grimm.
100 EPIKRITIK GEGEN RÜHS.
10 ANTWORT DES RECENSENTEN
auf die Antikritik *) des Hrn. Prof. D. Fr. Rühs in der Hallischen Allgem.
Lit. Zeit. 1812. No. 318 [Dienstag, den 22. Dezember 1812, BdHI, S. 849—851]
gegen die Recension seines Buchs über die Edda in den Heidelbergischen
Jahrb. 1812. Oct. No. 61. 62 [S. 961—976. 977—981 = oben S. 80-99].
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang VI (1813). Intelligenz-
blatt II, S. 10— 13.
J-ch verspreche aus grosser Neigung zur Sache, mich
darauf einzulassen, wenn Herr Prof. Rühs in seiner zukünftigen
Antwort auf meine Recension seines Buchs, was weder dieses
noch sein Ton, den er für sich behalten mag, verdient, wirk-
lich etwas vorbringt, sei es auch das Geringste, die gegen-
wärtige enthält gar nichts und singt bloss um eine Note zu hoch.
Vielleicht geben indessen noch andere, welche von der Sache
wissen, ihre Stimmen ab (die in der Leipziger Lit. Zeit. 1812.
No.287. 288 [17. 18. Nov. Bdll, S. 2289— 2299 von Jacob Grimm]
streitet offenbar nicht für Hrn. Rühs), wie man mir eben schreibt,
dass zwei dänische Gelehrte sich die Mühe nehmen wollen, sein
Buch zu beleuchten. Nur zweierlei halt' ich mir aus: erstlich,
dass er nicht fordert, ich solle seine Worte anders nehmen, als
wie sie einen Sinn geben, und ich nicht verbunden bin bei
meinen Ausdrücken mich nach seinen Hypothesen zu richten;
wenn er z. B. sein Werk gut nennt, ich schlecht, so meinen
wir beide ganz gewiss dasselbe ohnbeschadet des grossen Unter-
schiedes unserer Worte, ebenso meint er unter isländischer, ich
(alt-)nordischer Poesie dieselben JVionumente, von denen
und deren Sprache die Rede ist^). Zweitens, dass er
*) Erklärung. Über Herrn C. W. Grimms Ausfall gegen meine Bear-
beitung der Edda in den H. J. October 1812, No. 61. 62. F. Rühs, Dr.
■ 0 Für diejenigen, welche sich die Mühe nehmen wollen, herabzusehen,
steht hier noch eine vergleichende Tabelle:
Herr Rühs, „der Forscher" (Anti- Der Recensent.
kritik S. 851). S.962[obcn S.81]. Hr. R. behauptet,
S. 115. „Die isländische Dichtkunst „die isländische Dichtkunst habe eine
hat eine Menge von Wörtern, die Menge von Wörtern, die nicht in der
nicht in der gewöhnlichen Sprache, gewöhnlichen (altnordischen und
EPIKRITIK GEGEN RÜHS.
101
mehr als ein Paar rothe Schuhe mit zum Tanz bringt undii
dann etwas Besseres weiss, als dass Straa (sprich aus: Stro)
nicht Stroh, sondern Halm, spaed „nicht dünn, sondern
zart" (tauschen die Worte nur ihre Stelle, so macht die Anti-
kritik schon den Unterschied zwischen beiden sichtbar genug),
viel weniger in den übrigen Dialekten
vorkommen : diese Wörter sind meisten-
theils angelsächsisch". Antikritik
S. 850. -S. 962 [81] scheint es sogar,
als wenn Hr, W. C. Grimm selbst mich
verstanden,
aber nun, da es ans Widerlegen gehen
soll, schiebt er mir folgende unsinnige
Stelle unter:
S.965[S4]. Es kommt hier darauf
an, zu beweisen, dass einegrosse
Anzahl Wörter, die in der nor-
dischen (ich sage: isländischen)
Poesie vorkommen, sich weder
in der nordischen (ich sage: islän-
dischen) Prosa, noch in einem
anderen Dialekt der germani-
schen (ich sage: nordischen) Sprache
heutig isländischen) Sprache, viel
weniger in den übrigen Dialekten vor-
kommen, diese Wörter seien meist
angelsächsisch".
Zusatz. Nach meiner Ansicht sind
die alten Denkmäler (die Edden,
Scaldenb'eder etc.) keine besondere
isländische, sondern allgemein nor-
dische Poesie, dies habe ich klar aus-
gedrückt, indem ich die -gewöhnliche
Sprache", worunter Hr. Rühs offenbar
die isländische versteht, durch die alt-
nordische und heutig isländische er-
klärte (die letztere kam hinzu, weil
sich bekanntlich auf Island die alt-
nordische Sprache mit geringen Ab-
weichungen erhalten), um nicht das-
selbe zweimal hinter einander zu sagen,
und weil es sich von selbst verstand,
ich auch überall von nordischer
Poesie sprach, ist vorher bei ,. islän-
discher Dichtkunst ■* nicht auch in
Parenthese, d. h. altnordische ge-
setzt worden. Bei der Widerlegung
daher, wo ich nicht mit dem Forscher
die nach allen Seiten unsinnige Hypo-
these von der freien, unmittelbaren
Erfindung der altnordischen Poesie
auf Island annehmen wollte, musste
ich mich durchaus also ausdrücken:
S. 965 [84]. Es kommt hier nur darauf
an, zu beweisen, dass eine grosse An-
zahl Wörter, die in der nordischen
(Zusatz: versteht sich nach dem
Obigen von selbst: bei Hm. R. islän-
dischen) Poesie vorkommen, sich
weder in der nordischen (Zusatz:
versteht sich von selbst: bei Hrn. R.
isländischen) Prosa, noch in einem
102 EPIKRITIK GEGEN RÜHS.
12 Sang*) nicht Fang, sondern Sang (welches letztere wahr-
scheinlich wir alle drei: der Forscher, der Corrector und ich
gewusst haben, desto strafbarer der zweite, dass er es hat
stehen lassen, desto witziger der erste, der es dem dritten zur
Last legt) heisst, und dass in einem nach dem Dänischen (vor
finden, sondern lediglich im anderen Dialekt der germanischen
Angelsächsischen". Sprache (Zusatz, d. h. der nor-
dischen und deutschen, denn die
letztere darf nicht übergangen werden,
falls der Satz des Forschers einigen
Sinn haben soll, wenn sich im Angel-
sächsischen nicht allein die Wörter
wiederfinden, sondern noch bei einem
anderen GHed der Familie, wie kann
das Borgen dorther daraus gefolgert
werden?) wiederfinden, sondern ledig-
lich im Angelsächsischen.
Anmerk. Dass ich meine Worte
anführte, ist auch daraus klar, dass
ich sie nicht mit Häkchen bezeichnete,
welches bei des Forschers seinen ge-
schehen ist.
Wer nun Lust hat, etwas Gemeines zu lesen, der sehe in der Antikritik
nach, wie der Forscher weiter spricht, über Verfälschung und dergl. mehr,
welche so gewiss nicht da ist, als sie da ist, wenn er z. B. angibt, ich halte
seine Hypothese vom angelsächsischen Ursprung für die Hauptidee, während
ch sie nur als das einzige Neue und Eigenthümliche angegeben: die Haupt-
sache ist das Alte, von Schlötzer und Adelung schon übrig Bekannte, hier mit
einer schnarrenden Rede bloss neu aufgesteift usw. Übrigens ist dem Rec.
(will er zu seiner Schande bekennen, aber wer kann eine so gründliche For-
schung auslernen?) doch noch ein neuer und eigenthümlicher Gedanke ent-
schlüpft, auf den ihn der Leipziger Rec. erst wieder aufmerksam gemacht.
Thors Bilde setzte man täglich vier Brote und darnach im Verhältnis Fleisch
vor; als aber das Idol niedergestürzt wurde, wimmelte das Innere von Mäusen 7
Eidechsen und anderen Thieren, „die", setzt der Forscher und mit Bedacht
hinzu, „sich die Opferspendungen vermuthlich zueigneten" s. p. 12 seines
Werkes. Was ist wahrscheinlicher als diese Vermuthung! wie mögen sich die
Thiere über die guten Bissen hergemacht haben, die man doch gewöhnlich
zum Opfer bringt! auch hierin zeigt sich das Feine der Idee auffallend. Hätte
uns das Glück gelächelt und Hr. R. selber etwa den Hergang belauschen und
mit eigenen Augen den Betrug der unverschämten Thiere entdecken können,
so wäre alles unnütze Geschwätz über die Echtheit der nordischen Mythologie
*) [Dies bezieht sich auf das Öhlenschläger'sche Lied Maria, Kl. Sehr. I,
S. 246.]
EPIKRITIK GEGEN RÜHS. 103
4 Jahren oder länger aus Gefälligkeit) übersetzten Lied, das
ohne mein Wissen dort abgedruckt worden, wiewohl ich nichts
dagegen habe, eine absichtliche Freiheit unerlaubt sei, denn
übersetzt er nach seinem Verstand;
legt ihn an ihre volle Brust.
Vogelfang ist ihre Stimme
und nicht: ist ihre Lust, so kommt er zu jenem Poeten, der
es vor allen zu treffen hoflfte, wenn er sprach:
Ich bin genannt der Hänslein Stolz
imd fuhr' einen Wagen mit Scheiter.
Wo er ist, will ich nicht verrathen, sonst trägt ihm Hr, Prof. 13
Rühs seiner Forschungen wegen, die Zeit kosten, die Aus-
arbeitung der Antikritiken auf, und ich muss gegen vereinigten
Scharfsinn kämpfen.
Damit hab' ich auf das geantwortet (welches ich als Rec.
dem Institut schuldig bin, sonst würden mich die Paar Tropfen
guter Tinte dauern, die ich daran wenden müsste), was gewiss
noch den meisten Schein hat in der Antikritik; wer unseren
Forscher versteht, weiss, dass es stark auf die Sache eingeht,
wie das Übrige. Ich benutze diese Gelegenheit, einen wirk-
lichen Fehler in meiner L'bersetzung der Kämpeviser anzuzeigen,
Slaa nämlich im Lied von dem Helden Vonved [No. 57] V. 42
und 46 heisst nicht (wie sonst) Riegel, sondern Schlehe, was
auch in dem Zusammenhang einen besseren Sinn gibt; ich
verdanke diese Bemerkung meinem Bruder.
Cassel im Januar 1813. W. C. Grimm.
längst abgeschnitten. Denn Rec. muss es nur gestehen, dass er in einigen
schwachen Minuten daran gedacht, ob der hölzerne Klotz, denn das Opfer
war doch einmal fort, nicht etwa am Ende aus Übermuth oder wer weiss
aus welchem anderen Grund, Lust bekommen und sich auf irgend eine Art
darüber erbarmt. Zu des Rec. Entschuldigung dient höchstens, dass das Holz
doch unter gewissen Umständen kracht, knallt, als war' es ordentlich bei Leben
und Verstand (z.B. wenn es verbrannt wird), und sodann eine gewisse Ideen-
verbindung mit einem oben im Text hernach vorkommenden Vers, in welchem
er den kunstreich versteckten Reim entdeckt, in den zwei Zeilen, was einem
ja wohl widerfährt, verwechselt und dadurch aus dem Holz eine lebendige
Person bekommen. Aber wie wird das alles von jener so scharfsinnigen und
doch höchst einfachen Erklärung des Forschers niedergeschlagen!
104 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
17 SENDSCHREIBEN
AN HERRN FRIEDRICH DAVID GRÄTER,
DER W. W. DOCTOR, RECTOR UND PROFESSOR.
Drei altschottische Lieder in Original und Übersetzung aus zwei neuen Samm-
lungen. Nebst einem Sendschreiben an Herrn Professor F. D. Gräter von
W. C. Grimm. Heidelberg, bey Mohr und Zimmer. 1813. 8. S. 17—50.
Vergönnen Sie einer kleinen kritischen Arbeit vor Ihre
Augen zu treten, in welcher wenigstens das Bestreben, unver-
ständige und ungerechte Angriffe abzuwehren, auf Ihren Beifall
hoffen darf. Wer aber könnte besser urtheilen als Sie und wer
vor Ihnen? Sie waren ja der Erste, der uns Deutsche in die
Herrlichkeit altnordischer Dichtung einführte, indem eine Über-
setzung der zwar schon erläuterten Edda gleichsam die ver-
steinernde Decke abzog oder das Eis losschlug; nicht weniger
der Erste, der uns aus dem zweiten Theil der Sämund. Edda
9 Strophen, „noch nie gedruckt und nie erklärt", in dem Urtext
sammt lateinischer Übersetzung („mirabuntur viri eruditi et
mirentur licet — at periclitandum est!") mittheilte*); endlich
waren Sie (ich irre gern) auch der Erste, der das reiche Kämpe-
visebog öffnete und in einigen (unübertroffenen) Übersetzungen,
auf die ich mir in der Schrift selbst einmal zurückzukommen die
Freude mache, gleichsam einen Vorschmack gab. Ich weiss nichts,
was ich von Bedeutung dagegenstellen könnte, und dürfte ich
vielleicht mit einigem Vortheil anführen, dass mich meine Corre-
spondenz an Porto Geld genug kostet, so wüsste ich doch nicht
zu sagen, dass sie bis zum Ebro oder gar der ungrischen Sau
sich erstreckt. Wichtigere Arbeiten hatten Ihren Geist gefesselt,
*) [ Helga -Quida haddingia scata, h. e. camien de Helgio, Haddingorum
heroe, Sectio I. Specimen eddicum codicis Vidaliani, nunquam antea typis
impressum nee interpretatione illustratum. Quod programmatis loco in Anni-
versariis Majestatis Regiae Cal. Jan. MDCCCXI celebrandis publice erudi-
torum examini subjicit Frid. Dav. Gräter, Halae Suevor. 1811 = Odina und
Teutona (s. folg. Ä.) S. 211 — 224.]
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 105
sonst wäre vielleicht aus ihm und Ihrer Feder eine volle Über-
setzung der Kämpeviser uns zugeflossen, und mir waren in Hin-
sicht des Wenigen, was ich dem Geist nach zu leisten vermogte *),
im voraus die Hände in den Schooss gelegt ; statt arbeiten zu is
müssen, hätte ich Ihr Buch vor mich nehmen und mich poetisch
erquicken und erbauen können. Freilich dann war ungeboren,
womit uns jetzt das neue Magazin Odina und Teutona herrlich
beschenkt. Ich nenne zuerst die Übersetzung eines eddischen
Lieds ins Griechische**), wäre diese Arbeit vollendet oder gar
über das Ganze ausgebreitet, so könnten wir hoffen, in einer
geschickten Zurückübersetzung ins Deutsche (gut war s, könnten
sie auch noch durch das Arabische etwa laufen) den eigentlichen
Kern dieser Gesänge aufgebissen zu sehen, wie Salzwasser erst
durch so viele Dornen tröpfeln muss, um gehaltiger zu werden,
oder der Wein in gleicher Absicht die Linie verschiedentlich
passiren. Doch auch dieses wird von anderem noch übertroffen:
mögte es Ihnen gefallen, uns weiter aus den öffentlichen allbe-
kannten Denkmälern geheime Memoiren über das Einwandern
jener asiatischen Heimtücker***) scharfsinnig auszuziehen, so dass
herauskommt, was eben kein anderer sieht. Wie deutlich wird
alles, wie greif lieh und verständlich! Man glaubt sich in der
Nähe der Hofintrigue und sie wie mit eigenen Augen anzu-
sehen; sollte man die Hoffnung aufgeben, etwa das Tagebuch
des Listigen aufzufinden, in welchem er offenherzig von seinen
gebrauchten Mitteln und Ränken spricht, oder, was noch mehr
überzeugen könnte, die Schneiderrechnungen für die prächtigen
Kleider, in welchen sie ein albernes Hirtenvolk täuschten? Ich
muss noch einmal sagen, wie greiflich wird alles, und denke
*) [Über diese Orthographie s. S. 121.]
**) [Odina und Teutona. Ein Neues literarisches Magazin der Teutschen
und Nordischen Vorzeit. Von F. D. Gräter. Erster Band. Breslau 1812.
Bei Carl Friedrich Barth. S. 23 — 45: Über eine griechische Nachbildung in
homerischer Sprache und Versen der nordischen Göttergeschichte: Skirners
Fahrt oder die Brautwerbung des Gottes Frey. Ein Programm, geschrieben
von Friedrich David Gräter.]
***) [Ebenda S. 1—22: Der Donnergott und der Asiate Thor. Ein Bruch-
stück aus Werdomars Jugendträumen. Geschrieben im Jahr 1793. Vergl.
S. XXV : Ein Versuch, den widersprechenden Charakter des Gottes Thor aus
der geheimen Geschichte der eingewanderten Asiaten zu erklären.]
106 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
dabei an eine Ansicht, die alle Veränderung und Epoche in der
Religion als ein von einem ewigen Weltgeiste rührendes Fort-
leben und Bewegen ansieht, das naturnoth wendig ist und so
wieder über allen Menschen steht, und welche darum der Zeit
und den Menschen, in welchen es sich offenbarte, eine gewisse
göttliche Natur beilegt, die ihnen unbewusst auf ihrem Haupt
geruht, wie nur auf des schlafenden Servius Tullius Haupt eine
Flamme brannte, die bei seinem Erwachen verlosch. Was diese
Ansicht, zumal roh wie hier ausgesprochen, für einen Namen
verdiene, das wissen wir wohl, Sie haben sie selbst gelegentlich
19 an sonst gar nicht so übelen Schriftstellern zu tadeln nicht ver-
fehlt oder einen Stein auf die jungen Titanen geworfen : Schade,
dass Jupiter Berge dazu nahm, sonst war kein Unterschied.
Allein das wollte ich eigentlich bemerken, dass wie man bei
ihr des Fadens keinen rechten Anfang auf der cultivirten Erde
finden kann, sondern immer, wenn man sich nasführen lässt,
wie nicht recht gescheidt hinterherläuft, so ist doch bei der-
jenigen, welche Sie aufstellen, gar wohl das möglich : das fremde
wunderbare Element, will man sagen, Göttlichkeit, fallt heraus,
die Menschen handeln bloss irdischer Zwecke halber, denen man
auf den Zahn fühlt, weil man sie aus Erfahrung kennt ; ja man
sieht hinter die Coulissen und weiss, was daselbst die Jahr-
hunderte darnach verehrten Götter für Creaturen waren. Vettern
und Basen waren darunter, wie Sie uns mittheilen.
Ich komme aber ab und wollte von der Recension *) reden,
deren Antikritik vor Ihnen hier erscheint, nicht ohne einiges
Gefühl solcher Kühnheit. Als ich diese Recension zuerst er-
blickte und ihre Ausführlichkeit, die in dem Schein von Gründ-
lichkeit sich zu gefallen schien, so glaubte ich nicht, dass ich
am Ende mit der besten Empfänglichkeit fiir Belehrung mich
nicht zu Abänderung eines Jotas in meiner Arbeit bewogen
sehen würde. Ich hoffte einige Minuten lang eine Recension
zu finden, welche alle Irrthümer scharf und genau angegeben
hätte, wäre dann noch etwas übrig geblieben, an dem der
*) [Der Altdänischen Heldenlieder in den Heidelbergisclien Jahrbüchern
der Litteratur. Jalirgang VI (1813) Bdl, No. 11 — 13, S. 161 — 198. unter/.: T.]
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 107
Recensent nichts auszusetzen wusste, so wären mir drei Worte
Anerkennung davon das liebste Lob und gerade so viel, als
nöthig gewesen und ich verdient hätte. Denn ein blosses fades
Lob ist mir noch mehr zuwider als elender Tadel, und ich
wüsste nicht, wie der Rec. sich anders übertreflPen könnte, als
durch ein Umsatteln zu jener Manier. Die Recension, die ich
mir als gute vorstelle, vereinigt grosse Schärfe und grosse Milde,
und ihr steht nichts mehr gegenüber als eine, wie vorliegende,
die gesuchten, falschen Tadel wie einen Iltis durch einiges Lob
wohlriechend zu machen denkt, aber der stinkt bekanntlich par-
fümirt nur ärger ; wären die Beschuldigungen, die er aufzustellen
sucht, nur halb begründet, es war seine Pflicht ganz anders zu 20
reden.
Hätte der Recensent sich begnügt, seine Wahrheitsliebe zu
loben und meine Arbeit eilfertig, ungeschickt, fehlerhaft und
geistlos zu nennen, würde ich einen Rath, den Ihre nur leis
auftretende Gesinnung mir gewiss gibt, von selbst befolgt haben,
nämlich kein Wort geantwortet, den Rec, so hoch er sich
macht, übersehen und aus meiner Kindheit mich erinnert, dass
ja des schrecklichen Knecht Ruprechts Haupt nur ein einfaltiger
Staubbesen war, mit einem weissen Tuche behängt. Auch der
Trost, den Sie mir gleichfalls geben würden, fallt mir schon
ein, dass, weil der Beweis dieser Behauptungen nicht geführt
sei, ja in ihnen selbst A\ idersprüche sich darthun, die Schande
am Ende doppelt auf ihn zurückfalle. Die Freude an den
Druckfehlern hätte ich ihm auch gern gelassen, man freut sich
selber, einen Menschen einmal so wohlfeil in herzlicher und
wahrhaft unschuldiger Lust zu sehen. Allein zweierlei machte
es doch nöthig, einmal (zum zweiten Mal natürlich nicht wieder)
darauf zu antworten. Erstlich die verschiedentlich durch-
brechende Begierde, meine Kenntnis des Isländischen verdächtig
zu machen (die, wie ich selber überzeugt bin, noch gar sehr
wachsen kann und muss); diese Begierde sticht ihn so sehr,
dass er eine der verzeihlichsten Nachlässigkeiten, die, wie das
Buch selbst beweist, in vielen durchaus gleichen Fällen nur
einmal vorkommt, zur Stütze seiner Behauptungen macht. Ich
wünsche bei dieser Gelegenheit zu meinem Besten, dass mir
108 SENDSCHREIBEN AN GRXTER.
niemals eine grössere kann vorgeworfen werden, es verhält sich
damit, wie mit Druckfehlern, die, wie ich aus Erfahrung weiss,
bei der schärfsten Aufmerksamkeit in der Correctur unseren
Augen entgehen, weil man das Rechte im Sinn hat, und ich
behaupte, nur der darf hoflfen, vor dergleichen sicher zu sein,
der sich bewusst ist, innerlich ganz leer zu sein, wann er sich
zum Schriftstellern hinsetzt. Zu dieser Begierde konnte ich
nicht länger still sein, aus Gründen, die Sie wissen, aber auch
ohne diese, und glaubt das Publikum, es sei hier die erste An-
21 reizung, die dieser Recensent ausgehen lässt, wird man es na-
türlich finden, dass ich darauf antworte. Nicht jeder geniesst
des Vortheils, wie Sie, dass man auf den freilich noch empfind-
licheren Vorwurf, der in Ihren Worten [Idunna 1812 No. 17
S. 65]: Sie hoffien, es sei ein „edler" Wettstreit bei der Heraus-
gabe der Edda liegt, denn ein jeder versteht wohl, was darunter
verstanden war; dass man, sage ich, eine Zeit lang still zu
schweigen sich bewogen sieht. Der andere Grund, warum ich
antworten muss, liegt in dem Vorwurf des Reo., es sei meine
Absicht, ausgezeichnetes Verdienst herabzusetzen; man sehe her-
nach selbst, mit welchen ungezähmten Worten er diese Unwahr-
heit ausspricht.
Es entgeht mir nicht, dass ich einiges wage, wenn ich den
Streit vor Ihr Richtschwert stelle, indem mein Gegner offenbar
ein Schüler von Ihnen ist, was Sie zu einiger Parteilichkeit be-
wegen könnte. Nicht nur aus den häufigen Berufungen auf
Sie und sehr richtigen und genauen Citaten Ihrer Werke ver-
muthe ich dieses, sondern er hat auch Ihnen mehrmals bestimmt
nachgeahmt, ich komme in der Antikritik darauf, einiges ist
ganz plump (was Sie zu meinem Vortheil auch wieder gegen
ihn entrüsten könnte), aber gleich den Eingang mit den Gleich-
nissen von den Palästen, Häusern, Hütten, die auf seinen Grund
(versteht sich in Einbildung) ein anderer gebaut, hat er Ihnen
in Geistesarmuth aus Ihrer Vorrede zu Odina und Teutona
8. XIII abgesehen, ebenso hat er aus Ihrer Beleuchtung unserer
Ankündigung der Edda*) einige Sätze ziemlich ausgeschrieben,
0 Man findet sie in den ersten Blättern der Alterthumszeitung Idunna
von 1812. [Jahrgang I, No. 17. 18, den 25. April und 2. Mai 1812, S. 65—68.
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 109
und die Welt kauft und liest auch wohl zum zweiten Mal, was
sie in der Alterthumszeitung schon, und versteht sich in seiner
Art besser, besass, denn wie wir beide, Sie und ich, wissen,
enthält es des Falschen mehr, als uns beiden lieb ist. Der
erste Stich ist doch immer noch schärfer, als solch ein weiterer
Nach stich.
Übrigens, damit der Recensent die Käufer nicht zu sehr
hinters Licht führt, thue ich selber, was seines Amtes war, und 22
theile in dem Anhang [S. 51 — 56, hier natürlich übergangen]
71 — 72: -Über den Aufsatz: Die Lieder der alten Edda. Eine nähere An-
kündigung der Herausgabe des 2ten Theils der sämundinischen Edda von den
Herrn Gebrüdem Grimm zu Cassel. Im Morgenblatt 1812. Xo. 65. 66. 67 und
68- (= Kl. Sehr. I, S. 212 — 227. 587). No. 69 fehlte also.] Der Herr Yerf.
war so eifrig für die gute Sache, dass er den Schlnss jener Ankündigung
nicht einmal abwarten wollte, sondern lieber gleich Hand ans Werk legte.
Vielleicht wird zu anderer Zeit das Nöthige nachgeUefert. So ward auch das
attische Salz, das anfangs fehlte, durch ein Paar Antikritiken im Anzeiger
F. T. d. Hagens Ausfall Tom 12. März 1812: -Wie es in den Wald hinein
schallt, so schallt es wieder heraus" im Anzeiger No. 13, den 4. Juli 1812,
und -Zur Weisung" vom 15. August im Anzeiger No. 15, den 22. August 1812]
herbeigeschafft. Ein anderer Mitarbeiter, der. wo ich nicht irre, einmal ein
Register zu einem Buch gemacht hat. wnsste zn sagen, dass er überzeugt sei.
wir würden halten, was wir versprochen, als deutsche Männer, und das hat
uns freilich hinlänglich wohlgethan. [Ich weiss nicht, wer gemeint ist.] Ein
dritter gieng an einem anderen Ort als Leipziger Recensent [anonjm in der
Leipziger Litteraturzeitung . No. 255. den 14. October 1812, S. 2039], wo ich
ihn nur an der Löwentatze erkannt habe, noch kühner heraus und meinte,
Hm. Gräters Aufsatz gegen uns enthalte viel Wahres, ,.nur zu mild aus-
gesprochen", ein süsser Tadel, sollte man meinen, der aber dennoch dem-
jenigen, welchen er traf, kann heiss gemacht haben, als müsste er einen Ehren-
pelz in der Sonnenhitze tragen. Dieser arme Recensent fällt mir wieder ein,
weil er in der Recension von Weckherlins Beiträgen (Hall. Lit. Ztg. No. 59)
[März 1813. I, S. 472] zweideutig und fein unserer -lobpreisenden" An-
kündigungen des Reinhart Fuchs gedenkt. Da nach einer Behauptung seines
Geistes, die wir mit Vergnügen in der Recension von Schlegels Deutschem
Museum in den Jen. Ergänz. Bl. [1813. No. 41, I, S. 326, unterz. a. ß. 7.] ge-
lesen. -Dichtung zeitUche Dinge so darzustellen hat, dass aus ihnen ein
Gedanke hervorgehe", so bitten wir ihn auch hier seinen Gedanken her-
vorgehen zu lassen und entweder massig erstaunt zu versichern, dass er es so
nicht gemeint, oder eine einzige Stelle, ja ein Wort nur anzugeben, wo wir
etwas anderes als das treffliche Gedicht selbst in der Ankündigung und Probe
daraus gerühmt. An unsere Arbeit dabei haben wir nicht gedacht, da wir
uns nicht einmal gern citiren, wie dieser Rec. sich mit allen E^nöpfen, die er
an seinem Rock und über blinden Taschen trägt.
110 SENDSCHREIBEN AN GRÄTEK.
verschiedene Zusätze und Verbesserungen mit, es ist nicht viel,
aber doch etwas, und hätte mein Rec. nur gleich so viel ge-
geben, so wäre immer einiges in der Sache gewonnen. Dass
ich diese besser verstehe, als er, werden Sie mir darum selbst
gern zugeben, zumal da solch ein Lobspruch mich schwerlich
stolz machen kann.
Endlich, sollte einiges gegen alles Bestreben in diesen
Blättern dunkel, mystisch oder nicht scharf genug ausgedrückt
sein, so schreiben Sie es in gütiger Nachsicht einer Zeit zu,
die zum Schaden der Kunst, Litteratur, der Vorzeit und des
guten Geschmacks auf Abwegen sich befindet, denen man mit
aller Mühe nicht ganz entfliehen kann.
33 ANTIKRITIK,
gegen die Recension der altdänischen Lieder in den Heidelbergischcn Jahrbüchern
No. 11. 12. 13 von 1813 [S. 161 — 198].
Ein zweiter Daniel, ein Daniel, Jude!
ungläubiger, ich hab dich bei der Hüfte.
Graziano in Shakespears Kaufmann von Venedig. [IV, 1.]
§ 1.
Die Übersetzung der Kämpe -Viser wurde zu einer Zeit
angefangen, wo ich von der neuen Ausgabe Nyerups noch
nichts wusste, denn was eine Ankündigung vor 10 — 12 Jahren
betriJÖft, so wird mir jeder Litterator Recht geben, dass sie nach
der Wahrscheinlichkeit vor den ersten 24 Jahren nicht erscheine,
und so lang wollte ich aus allerlei Gründen nicht warten. Als
ich von dem neuen Vorhaben hörte, war ich schon (1809) mit
Hrn. Zimmer verbunden, und ich konnte nicht mehr zurück-
gehen. Ich würde dennoch zu zögern gesucht haben, da ich
in der Thal es für Unrecht angesehen, solche Hilfsmittel nicht
abzuwarten, allein Nyerup setzte in der Ankündigung (Axel
und Waldburg S. 4) den Druck noch in die Weite; dass jetzt
[1812] dennoch zwei Theile erschienen (noch 2 — 3 sind übrig, Gott
weiss, wann die können gedruckt werden, schreibt mir Nyerup),
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. Hl
ist unerwartet und durch besondere Unterstützung gekommen.
Ausserdem ist noch zweierlei zu beachten. Nyerup wird natür-
lich eine Auswahl treflfen, und nach seiner Ansicht bleiben
solche übertreibende Stücke (wie No. XIV bei mir) zurück,
dies ist gewiss, da er (Nyerup) in der Recension meines Buches
meint, es würden mir wenige für diese Mittheilung Dank wissen.
Mir sind aber diese in den Nibelungencyklus fallende Stücke
vor allen wichtig, ich habe sogar vorher bei Nyerup angefragt,
ob er neue dieser Art geben würde, er hat es aber verneint;
mithin wird meine Ausgabe für diejenigen, die nicht mit Nyerup
stimmen, einigen Vorzug behalten, aber es wird auch sonst in
der neuen Edition manches gestrichen sein, was ich nicht aus- 24
lassen kann. (S. die Reo. von Axel und Waldburg in den
Heidelb. Jahrb.) [= oben S. 1—12]. Sodann, verfliessen zwischen
meiner Arbeit und der neuen vollständigen dänischen Ausgabe
6 — 7 Jahre, was höchst wahrscheinlich ist, so war ja bei der
inneren TreflFlichkeit der Lieder die Hoffnung auf eine zweite
Auflage nicht so eitel und dann leicht, wenn versäumt war,
nachzuholen. Das konnte der Rec. überlegen, ich will ihm
aber keinen Vorwurf darüber machen, dass er es nicht gethan?
da er auf den ersten Augenblick Recht zu haben scheint, aber
darüber mach' ich ihm einen Vorwurf, dass er mir nicht nach-
gewiesen, wo mich der unkritische Text zu Fehlern verleitet,
was doch leicht möglich gewesen: dies würde ihn darauf ge-
führt haben, den Text zu vergleichen, und da würde er ge-
funden haben, dass ich ihn an manchen Orten verbessert, wovon
hernach einige Beispiele vorkommen. Habe ich hier gefehlt,
so gab ihm das Gelegenheit an die Hand, mich zu corrigiren,
dergleichen wäre etwas werth gewesen.
§ 2.
Der Rec. übereilt sich sehr und spricht von Eile bei diesem
Buch, ohne zu wissen, wie lang und anhaltend ich daran ge-
arbeitet. Wer die Zeit nicht verzettelt und vor allem wer
nach Methode arbeitet, kann manches ausrichten, während ein
anderer in litterarischer Eitelkeit Räder schlagend auf- und nieder-
schreitet (beim Wind sieht's am lächerlichsten aus, denn der
112 SENDSCHREIBEN AN GRItER.
fängt sich in der grossen und leichten Maschine, dreht sie auf
die Seite und herum). Sogar lässt er sich verleiten zu sagen,
dass ich in Jahresfrist, in welcher ein anderer, der das nonum
prematur in annum vor Augen hat, kaum ein Lied zu be-
friedigender Vollendung bringe, ihrer hundert auf einmal druck-
gerecht zu machen verstehe; ich schlage ihm daher vor, die
Übersetzung der 122 Lieder jenem reisenden Schwaben zu über-
tragen, der bekanntlich 200 Städte gesehen und in jeder ein
Jahr gelebt. Gut indessen, jedoch stillschweigend, widerlegt
der Rec. den Vorwurf selber, indem er keinen einzigen Fehler
25 gegen das Original aufzubringen weiss (s. § 4), auch von Fleiss
spricht; denn dass Übereilung mit genauer Richtigkeit nicht
bestehen könne, begreift er nöthigenfalls selber. Ihm gegenüber
will ich thun, was ich kann und darf, aber aus freien Stücken
nicht gern thue, mich meiner Aufmerksamkeit, Arbeit und Mühe
rühmen, deren ich keine gespart. Alte Ausdrücke, die kein
dänisches Lexikon erklärt, habe ich in verwandten Sprachen,
namentlich im Nordischen gesucht und daraus manchmal, wie
ich hofi'en darf, genügend erklärt. Ich habe mit einem gelehrten
Dänen [Steffens] über manchen Ausdruck zu sprechen Gelegen-
heit gehabt, über die schwierigen ein Register gehalten und
bin mir bewusst, keine leichtsinnige Arbeit gegeben zu haben.
Dennoch habe ich mir nie eingebildet, dass sie ganz fehlerfrei
sei, was schwerlich eine Arbeit dieser Art, die so gut als gar
keine Vorarbeiten benutzen konnte, sein kann, ich selber theile
im Anhang einige Verbesserungen mit, die ich theils Freunden
verdanke, theils rühren sie von mir. Nur dieser Rec. hat nichts
finden können, und ich fordere ihn auf, wo er etwas weiss, es
öffentlich anzuzeigen, ich habe aber ein Gefühl, als wisse er
nichts, und er habe den Ausdruck: „hin und wieder sei der
Sinn sonderbar verfehle [S. 176] nur auf gut Glück gebraucht.
Hoffl er jetzt noch zu finden und macht sich ans Suchen, so
rath' ich ihm, sich genau vorzusehen, ehe er losschlägt, denn
bei schweren Fällen habe ich, so gut ich konnte, die Sache
überlegt, und einigen Grund wird die Übersetzung immer haben.
Findet er wirklich etwas, soll mirs lieb sein, ich würd' ihn auf-
muntern zu der Arbeit, hätte ich mehr Vertrauen zu ihm.
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 113
§ 3.
Auf zwei Seiten [178 — 180] verbraucht der Rec. Geist
und Geschick, um mich zu tadeln, dass ich nicht genau citire i),
und ich traue ihm doch zu, dass er die Titel der Bücher, diese
er besser citirt verlangt, auswendig weiss. Mir sind nur Citate
fatal, welche zeigen, dass man nicht selber oder nicht genau
und ordentlich nachgesehen; richtige findet, wer von der Sache
weiss, doch gar bald. Ich freue mich auf Hrn. Gräters Miss-
billigung, wenn er bemerkt, dass der Rec. (kalter, prüfender
Ansicht wegen, die sich Eingangs rühmt), wie es scheint, sehr
genau citirt und berechnet, die Kämpe- Viser enthielten 190 Lieder,
ich habe nur 122 mitgetheilt, also seien noch 68 zurück, und
damit den unglaublichsten Leichtsinn bewährt. In der Vorrede
der Übersetzung steht sehr bestimmt und ausführlich, dass ich
der Sammlung auch die Elskovs -Viser oder Tragica einverleibt
und alle unter der Überschrift mit einem T. bezeichneten daraus
genommen seien, ich kann mir nicht gut vorstellen, dass diese
Stelle (S. IX) [= Kl. Sehr. I, S. 179] zu den dunkeln und
mystischen gehöre. Freunde, die ich sie zu meiner Beruhigung
lesen lassen, versicherten mich, sie verständen sie vollkommen bis
auf den Titel des Buchs, weil der nämlich dänisch ist. Das hat
aber der Rec. gänzlich übersehen, erwähnt dieser Sammlung,
deren Mittheilung ich der Güte Nyerups verdanke, von der er
schwerlich das Original vor Augen gehabt, mit keinem Wort (so
dass ein anderer diese noch besonders recensiren könnte), und
der Gute glaubt nach der Berechnung offenbar, die Originale
stünden alle in seinem Kämpevisebog. Rec. besitzt dieses Werk
gewiss, hat aber wegen Ausarbeitung der Recension nicht Müsse,
') Er zeigt auf diesen zwei Seiten nur. indem er ohngefähr eine Buch-
händleranzeige macht, wie man Suhms Fabelzeit (d. h. Hm. Gräters Über-
setzung, sonst wäre der Titel dänisch) citiren müsse. Bloss zufällig habe ich
ein paarmal die genauere Bezeichnung ausgelassen, gewöhnlich ist sie dabei
(wie S. 491. 493. 495. 509): gefehlt konnte nicht leicht werden, da bei anderen
Werken Suhms der Titel auch angegeben ist, wie z. B. om Odin. Das ist
das einzige Citat, was er eigentlich als undeutlich tadelt; übrigens, meine
Sünde liegt bloss darin, dass ich den Übersetzer nicht citirt habe; der Rec.
thut zwanzigfache Busse für mich, wo er aufspringt, regt sich all sein Gut.
W. GKIMM, KL. SC;HK1I-TES. II. 8
114 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER,
es noch einmal durchzulesen, und kann sich ja nähere Prüfung
vorbehalten.
Offenbar also sind noch mehr als 68 Lieder unübersetzt
zurück, die nicht mitgerechnet, die ich aus den Elskovsviser
27 nicht aufnahm. Recensent mögte gern diese Auslassung tadeln,
seine Pflicht war (da die Nothwendigkeit an meiner Stelle eine
Auswahl zu treffen jeder einsieht, der die Sache versteht) i), die
übergangenen Stücke nachzulesen, dass er dies nicht gethan,
ist aus der Berechnung sichtbar, und so tadelt er vergnügt ins
Blaue hinein. Ich will dagegen Nyerups Urtheil aus seiner
Recension (Dansk Litteratur - Tidende 1811, No. 15) anführen:
„at han ikke forfode har oversat hele Peder Syv, forstaaer
sig selv; han har gjort et Udvalg af de bedste Stykker, og
et Valg, som man for det meste (nämlich etwas hängt vom
individuellen Urtheil ab; und wenn ein anderer eins noch auf-
nähme, würde ich ihn gewiss nicht tadeln) ikke kan andet
end billige.'*
§4.
Das Vorangehende war allgemein, ich komme jetzt zu dem
Besonderen. Der Werth einer Übersetzung besteht vor allem
in ihrer Treue, d. h. in einem genauen und richtigen Verständnis
des Originals. Hier steht es mit mir leidlich, der Rec. will
mir keineswegs genaue Kenntnis des Dänischen absprechen,
doch sei, wie schon erwähnt, der Sinn „hie und da sonderbar
verfehlt". Das Beste vergisst er, die Beweise, das Einzige,
was er [S. 176] anführt, ist falsch, ich habe faurt unrecht
übersetzt; in meiner Ausgabe, Kopenh. 1787 (man mache mir
keinen Vorwurf, dass ich keine andere verglichen, die einzige,
deren ich hätte habhaft werden können, war eine zu Göttingen,
diese kam Hrn. Prof. v. der Hagen abhanden und erst wieder
zum Vorschein, als mein Buch gedruckt war), steht saa snart
over alle Quinde, d. h. so schnell; dies beziehe ich auf das
Singen des Weibes und jetzt auch wohl auf den entzückenden,
*) Biarkamal habe ich absichtlich ausgelassen, weil es nicht in diese Reihe
gehört und kein Volkslied ist, nichts wäre unkritischer und ungeschickter ge-
wesen, als dieses darunter zu mischen.
SENDSCHREIBEN AN CxRÄTER. 115
sinnverwirrenden nordischen Hulderslot und ziehe die Lesart
(leshalb der anderen: faurt vor. Falsch nenne ich in einem
etwas anderen Sinn die Angabe des Rec, weil er selbst gesteht,
dass ich das allbekannte faurt hundertmal im Buche, sogar in -2^
demselben Liede, richtig übersetzt; ja die Belehrung, was es
lieisse, kann er nicht zurückhalten. Jeder andere hätte sich
besonnen hier zu tadeln und einen anderen Grund vermuthet.
Kniv übersetzte ich mit Bedacht durch Messerlein, weil das
deutsche Knief, Kneip und das französische canif, dasselbe Wort,
auf ein kleines Messer leiten.
Der Recensent stellt meiner Übersetzung von der Elfen-
höh drei andere [S. 165 — 169: von Gerstenberg (1766), Herder
(1778) IV, 11, Hang (1805)] als besser entgegen. Es ist nichts
widriger, als zu zeigen, wie man etwas verstanden und wie genau
man gewesen, hier muss ich aber daran. Elvershöhe heisst Elfen-
höhe (Jamieson übersetzt auch Elferhill), jenes dänische Wort
versteht der Deutsche nicht ^), und doch lassen es alle drei un-
übersetzt. Die Idee des Liedes ist diese: Die Elfen- Jungfrauen
finden den halbschlafenden Knaben, denn wunderbar ist
Träumen und Wachen hier vereinigt, und von seiner Schönheit,
') Und darüber geht der Recensent leichtfüssig, während es ihn gewaltsam
im Genuss der altdänischen Reliquien stört, dass ich die dänischen Namen
dänisch geschrieben: es war eine zu grosse Genauigkeit, die ich hätte ablegen
können und was vielleicht in Zukunft geschieht. Das ist die einzige Bemer-
kung des Recensenten, die ich brauchen kann, und die allerleichteste, die man
machen konnte. Dennoch will ich hier gern, wo Gelegenheit da ist, in einer
Alliteration Geist, Genie und Geschmack an meinem Rec, so weit sich das
alles in seiner Bemerkung zeigt, stark und viel rühmen. Es ist kein Scherz,
denn man erkenne das feine Gefühl eines Kritikers, den, wie wir gleich sehen
werden, die ärgsten Verstösse gegen das Original an anderen Übersetzungen
nicht hindern, den Vorzug derselben vor den meinigen so tief zu empfinden,
dass er sie als weit trefflicher gegenüberstellt, und den hernach [S. 176] doch
ein dänisches V (er weiss wohl, es wird wie ein \V ausgesprochen, hat aber
hier wirklich das Reclit. unwissend zu sein) so sehr irrt, dass er vielleicht
deshalb vor Widerwillen das Buch zuschlagen niusste. Nicht ganz unähnlich
sind überhaupt solche Geister einem Springglastropfen: man behandele die
Hauptsache ohne Ängstlichkeit, stosse nach Kräften, der Tropf bleibt stark
und fühlt nichts, aber man berühre das kleine Schwänzchen an der Spitze
nur mit einem Druckfehler oder einer ungenauen Orthographie, so ist das
Gemüth verletzt, und alles springt krachend vor Schmerz auseinander.
8*
116 SEXDSCIlRKIBIiN AN GKÄTER.
29 entzückt, wollen sie ihn verführen, aber er gehört ihnen erst in dem
Augenblick, wo er das erste Wort mit ihnen spricht, wo
er auf sie achtet (dies bestätigt auch die jetzt bekannte
Volkssage vom Hahnenberg, s. die Zusätze), sie versuchen nun
alles, ihn zu bewegen: Schmeicheleien, Gesang, der die ganze
Natur bewegt und wie in ihrem Herzen ergreift; sie versprechen
Weisheit und Gold, sie tanzen vor ihm, sie drohen mit blinken-
dem Messer, der Knabe hält sich noch, er stützt sich in der
Angst auf sein Schwert und klammert sich fest daran, doch
die Augen kann er nicht von dieser überirdischen Schönheit
abwenden, schon wankt sein Geist, halbverwirrt, er will sich
zu ihnen neigen, da kräht zum Glück der Hahn, er erwacht,
und für diesmal ist er gerettet. Ich führte darum die merk-
würdige Stelle aus dem Hüon an i), wo der elfenartige Oberon
auch nur immer ein einziges Wort verlangt. — Str. 1 heisst es
nun: mine Öyne de finge en Dvale, wörtlich: meine Augen
empfingen einen Schlaf. Meine Augenlider sanken, Gerstenberg,
ist zu vornehm und gesucht für das Volkslied. Meine Augen
begannen zu sinken, Herder, ist besser; ich habe übersetzt
meine Augen begannen zu schlafen, scheint mir einfacher
und kindlicher, wie man sagt, meine Ohren hören statt: ich
höre, was nur Unverständigen ein Pleonasmus sein kann. Med
mig tale, wörtlich reden, dahlen: unterreden Gst. ist ganz
unpassend, wie man fühlt, Herders Freiheit: lieblich winken
entstellt ganz den Sinn und nimmt dem Lied die Bedeu-
tung; oJöfenbar hat sich Herder dazu verleiten lassen, um einen
Reim zu haben. Ich sah den Nachdruck, der auf dem reden
liegt, und habe nach diesem Gefühl übersetzt, das Dänische ist
freilich besser, weiss es jemand leichter auszudrücken, so will
ich es gern annehmen, nur komm mir keiner mit lispeln, säuseln,
wo einfach reden steht. Den Refrain lassen alle sehr zum Nach-
theil aus. — Str. 2 Kinn für Backen bei H. falsch. — Str. 4:
30 striden ström den stilles derved, soin förre var van at rinde,
den letzten Halbvers hat weder Gst. noch H. verstanden, der
') Franz. Volksbuch heisst bei mir: wird in Frankreich auf den Märkten
verkauft. Jenes ist mystischer Ausdruck [S. 187].
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 117
erste übergeht ihn ganz, der zweite übersetzt ihn aus dem
Kopf, indem er etwas dazu setzt: und horcht den süssen
Tönen, wovon keine Silbe da steht, van freihch findet man
nicht im dänischen Wörterbuch , aber es ist das isländische
vanr, englisch wont, deutsch gewohnt, und kommt noch
einmal in den Kämpe -Viser S. 110, V. 32 vor, wo es gleichfalls
nicht anders kann erklärt werden. — Str. 5:
Striaen ström den stilles derved, som forre var van at rinde.
de liden smaa fiske i floden svani. legte med deres finde.
Die erste Zeile, wie vorher falsch, die zweite übersetzen beide
gleichfalls mit einem argen Fehler: spielten mit ihren Feinden,
da Feind doch dreisilbig fiende heisst und finde hier ofiTenbar
durch finne Flossfeder muss erklärt werden. — Str. 6 in
meiner Ausgabe fugle i floden, hier muss i lüften emendirt
werden, wie ich übersetzt habe: aus Jamieson I, 226 sehe ich,
dass eine andere Ausgabe i skofven liest, wie Gst. und H.
haben. — Str. 8 hasse, beide lassen das Wort aus, das sich
aus dem isländ. bassi, aper, s. Gudm. Andr. erklärt. Jetzt hat
man im Dänischen Vildbasse. Übrigens sehe ich aus Hallager,
dass basse in Norwegen auch ein Bär heisst. Str. 9 alt i den
elver faerd, Gst. lässt es aus, H. versteht es nicht und setzt
dafür: zu buhlen ihr Herz begehrt; es heisst auf dem Elfen-
zug, auf der Fahrt oder auch Fährte, wie man am Morgen
noch ihre Spuren in dem bethauten Gras zu sehen glaubt. Alt
sad fauren unger svend. H. übersetzt: der muntere
Jüngling, frei, ohngeachtet er hier gewiss die Worte verstand,
aber ganz zerstörend den Sinn des Lieds, wo ein Träumender,
Herzbeklemmter da sitzt. Str. 10 wird von beiden statt
scharfes Messerlein nur Messer gesagt. Str. 11 at hauen
havde slaget sin vinge: dass der Hahn hätte geschlagen 3i
seinen Fittich. Gst. und H. übersetzen auch wohl aus Miss-
verständnis: dass der Hahn krähte, denn dass es so etwas
sein musste, darauf führt der Zusammenhang nothwendig, und
dass das Krähen zuletzt durch das Schlagen der Fittiche soll
angedeutet werden, glaub" ich selber; allein wie viel lebendiger
und poetischer daher ist es, wenn die Bewegung dabei ausge-
drückt wird. War hier ein Flickwort erlaubt, so war es: so-
118 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
fort, weil es ofl'enbar dem Sinn nach heisst: in diesem Augen-
blick krähte der Hahn, und ich daher höchstens nur etwas
bestimmter ausgedrückt habe.
Mein Rec. fragt viel, erstaunt, ruft (wie süss schwärmend)
aus: nein} so darf es nicht sein, sonst geht der Geist verloren!
Ich will hier auch einmal fragen, wie ein Recensent würdig
gelobt werden könne, ob man auskomme mit: redlicher, wahr-
heitsliebender, aufrichtiger, der wie dieser solche ganz fehler-
hafte sinnentstellende Übersetzungen i), ohne dies mit einem
Wort zu bemerken, öffentlich vorhält als bessere, dem
Original näher kommende?
Nach demselben Rec. habe ich nirgends poetisch über-
setzt und von dem Zauber dieses Liedes jede Spur getödtet.
Worin besteht aber die Poesie? In dem Ergreifen des Innersten
des Gedankens, in dem Gefühl desselben, die Worte mögen
dann fallen, wie sie wollen, kommen sie aus dem Herzen, so
wird es ihnen nicht an Gewalt und Eindringlichem fehlen, sind
sie noch zierlich gesetzt, so ist es gut, aber Worte ohne jenen
festen Sinn, noch so gut an einander gereiht, sind ein gemeines
Spiel elender aufgedunsener Eitelkeit, das der Sprache Gewalt
und Wahrheit unwiederbringlich raubt und sie in ihrem Herzen
vergiftet, und das einer, der es nicht verachtet, wie alles Schlechte
32 gar bald lernt. Eine jede Übersetzung steht hinter dem Original,
das weiss man, nur wo man den Abzug machen will, darüber
ist man nicht einig. Gegen den Zeitgeschmack, der lieber alles
drauf gibt, wenn er nur die Form wieder erhält, ich lieber an
dem Äusserlichen, so hab' ich lieber gewollt, dass meine Worte
holpriger wären gegen die des Originals, als der Sinn gegen
den Sinn des Originals, und eine blosse Assonanz, wozu andere
Stellen mich genug berechtigten '^), war mir lieber als ein Reim,
1) Ich hatte bei meiner Übersetzung wohl Herders Fehler gesehen, aber
dieser Mann, vor dem ich gern mit Ehrfurcht zurücktrete, gesteht selbst seine
geringe Bekanntschaft mit nordischen Sprachen, und es wäre mir nie ein-
gefallen, ihrer zu gedenken.
^) Um nur ein Beispiel zu geben, in dem ersten Lied von der Frau
Grimild sind in den Str. 22 bis 43, also unter 21, an zwölf unvollkommene
oder nicht ganz reine Reime, darunter folgende: Maend Hielm, Lön Born,
stang frem, mindste finde.
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 119
der den Sinn entstellte. Leichtigkeit der Worte bei Leichtig-
keit gegen den Sinn macht sich freihch gar leicht. (Es war
daher Grundsatz geradeso zu übersetzen, den ich auch in Zu-
kunft befolgen werde.) Ich will hier kein L'rtheil über meine
Arbeit haben, aber das kann ich nicht anerkennen, dass das
mir Gegenübergestellte besser sein soll, da es den Sinn des
Originals wenigstens nicht ganz begriffen hat. Gerstenbergs
Übersetzung ist ganz unbedeutend und nicht zu gebrauchen,
Herders so gut als sie es sein kann, und es fehlt ihr nicht das
Eigenthümlich-angenehme, was alles bekam, das er anrührte;
was soll ich von der dritten, der von Hang sagen? Hier ist
der ganze Ernst und die Bedeutung des Originals in dünnen,
wohlriechenden, süssen Reden aufgegangen : hohle, leichte Zucker-
bäckerei, die nach nichts schmeckt, nicht sättigt und nicht er-
nährt, vor der einem, der das Alterthum mit seinem ernsten
Blick liebt, widert; eine solche Bearbeitung ist wie ein ge-
schändetes altes Bild, worin die Hauptfiguren übermalt und
alles neu und gleissend angestrichen. Der wunderbaren nor-
dischen Elfe ist ein Mvrthenkranz aufo^esetzt, den irgend eine
Operntänzerin verloren. Ich weiss, dass dem innerlich leeren,
aber in Worten fühlenden ästhetischen Pöbel ^) dergleichen ge-
fallt, ich missgönne es ihm nicht, mag es aber nicht lesen. 33
Lässt sich Geist und Poesie auf diese Art erreichen, so entsag'
ich beiden gem.
Wer Lust hat, mag ungescheut alle Schüsseln des Lobes,
die ihm vorgesetzt werden, von der grössten bis zur kleinsten
nicht nur. und wär's ein blosses Schaugericht oder Einladung
von einer Standesperson zu einem Diner, wieder aufzählen,
sondern auch, was schwarz auf weiss sich zeigt, selbst aus
einem längst abgestandenen esprit gar in eigenen Schriften
wieder abdrucken lassen, mir ist's wahrhaftig nicht möglich,
meinem Recensenten eine Stelle aus Njerups Kritik mitzu-
theilen, worin dieser gewiss zu gütig über den poetischen
Werth meiner Übersetzung spricht. Noch mag ich sagen, wie
^) Diese poetischen Moschnsratten machen, wie die auf Ceylon, den reinen
^^ ein der Dichtung ungeniessbar, wenn sie nur in den Keller kommen, wo er
liegt, wie fest er auch vor ihnen zugestopft ist, es schützt ihn nicht.
120 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
Männer, deren Urtheil mir etwas werth ist, sich geäussert, weil
ich es höher halte, als das allzulaute, unnöthig wachsame Wesen
dieses Recensenten damit schweigen zu machen. Haben mich
diese Urtheile nicht stolz gemacht, so schlägt mich des Recen-
senten seins nicht nieder i).
Ich habe fast zu lebhaft gesprochen und trete einmal
heraus, um mich an Sie zu wenden und „meinen gerechten
Unwillen über seine unbescheidene Art zu urtheilen (ich borge
diesen Ausdruck von ihm [S. 183]) in eine mildere Empfindung
aufzulösen". Sie nämlich waren, wie fast in allem so auch hier,
der Erste, welcher durch echtpoetische Übersetzungen von zwei
oder drei Liedern der Kämpe -Viser die Bahn gebrochen, auf
welcher ich („vielleicht nur durch eine falsche Voraussetzung
verführt!") zu meinem sichtlichen Nachtheil nicht fortgewandelt
bin. Nun erlaube ich mir die Frage, ob ich nicht mit einigen
34 Ehren hätte auch wohl ganz viereckige Fehler (es ist nicht ge-
schehen, aber doch ist die Frage nicht unnütz) begehen können,
da selbst Ihrem scharfen Blick manches entgangen, was, sollte
man meinen, einem anderen Mühe kosten würde nicht zu sehen?
Sie sagen gewiss ja, und zur Beschämung des Recensenten
erlauben Sie mir gern einige Beweise. Bei Kleinigkeiten wollen
wir uns nicht aufhalten, sondern lieber gleich mit der Thüre
ins Haus fallen. Hedebys Gespenst. Str. 1 und 2: ieg lagde
min best udi beide, Sie übersetzen: ich legte mein Ross auf
die Wiese grün, es hätte einen schon stutzig gemacht, wie
das anzufangen gewesen, wenn es nicht klar hiess: in Schlingen,
beide, hälde, das altdeutsche halde, bilde, retinaculum.
Dem Pferd wurden die Füsse mit einem kurzen Strick gebunden.
Str. 2: til tue, Sie: an einen Baum, heisst an einen kleinen
Hügel, Rain. Str. 15: han beder de vilde diur i lunde,
■ ^) Noch eins will ich in einer Note bemerken. Rec. sagt gelegentlich
[S. 178. 187], Syvs Einleitungen seien durch meinen Anhang nicht ersetzt.
Ich verlange von ihm, dass er etwas Wichtiges, das zugleich zur Sache gehört,
als übergangen bemerke, vorausgesetzt, dass es an sich richtig ist. Ich habe
nicht Zeit und Raum daran wenden wollen, Syvs Irrthümer zu widerlegen,
so wenig als ich mit dem vielen Unbedeutenden, das er mittbeilt, mein Buch
füllen wollte.
SENDSCHREIBEN .A>r GKÄTER. 121
Sie: er bietet die wilden Thier* im Holz; es gibt trübe Tage,
wo ich das gar nicht einmal verstehe (wie Rec. mein mögt
nicht versteht, imperf. von mögen, vielleicht richtiger so als
mocht geschrieben), es heisst aber, erjagt; bede genau: jagen,
incitare, schwed. beta. Ihre. h. v. — Weitere Hilfe leistet
uns der Bär auf der Dalby Heide. Str. 2: saa laed (für leed),
Sie: so gut, ist zu gut, es heisst: so hässlich, wo nicht
wiederum, was ich bei dem bekannten Wort glauben muss,
wenn man poetisch übersetzen will. Umkehrung des Sinns
nöthig ist. Str. 5: paa braaden, Sie: auf der Lauer, heisst:
bei der Speise, beim Fressen, braad, isländ. bräth, deutsch
Braten, und zum Uberfluss vornen noch von Syv erklärt. —
Endlich Dieterich von Bern und Olger der Däne. Str. 1 :
atten, Sie: acht, sind aber achtzehn, doch zehn mehr oder
weniger verschlägt der Poesie auch nichts. Str. 2: de red des
ikke for deres liv, Sie: die sind verloren, heisst etwa das
Gegentheil: sie fürchten nicht um ihr Leben, da hier nur
räddes kann gelesen werden; das hätten Sie, wenn die neue
Ausgabe erscheint, gewiss auch gefunden. Str. 6: en flue,:s5
Sie: ein Floh, heisst aber eine Fliege, ich weiss also, wie
sich diese poetisch benennt. Das Beste zuletzt zweimal Str. 12
und 18 i hu (eine der häufigsten Redensarten in den Kämpe-
viser), Sie: im Nu, heisst aber: im Herzen, Gemüth, hu,
mens, schwed. hug, hog, isländ. hugr, altdeutsch huge.
Man sieht, wie selbst das nonum prematur in annum, das bei
Ihnen gewiss nicht fehlte, nicht schützt und man im Nu auf
dem fahlen Pferd reitet ^).
*) Weniger aas Schonung, die hier unnöthig war, als aus Furcht, zu einer
Vergleichnng mit meiner Arbeit zu reizen, in der eine solche Kraft und Kühn-
heit poetischen Gefühls sich nicht erhebt, schwieg ich früher von diesem durch
die schlimmsten Verstösse gegen Sprache und Sinn fein aufgefassten Geist.
FreiUch, begreife ich allmählich, ist es schwerer auf diese Weise zu übersetzen,
da man sich zu entschliessen hat und sattsam zu überlegen, wo aufs Beste
der Sbn des Originals hintangesetzt, verkehrt und entstellt werde. Ich bin
gewiss am schlimmsten daran, denn wo mir so etwas begegnet wäre, merkte
man gleich, es sei Menschlichkeit, keiner würde auf den Gedanken verfallen,
mir deshalb Geist zuzuschreiben, und ich gehe leer aus, wie ich mich auch
anstelle.
122 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
§ 5.
Was den Rhythmus betrifit, behauptet der Rec. [S. 175],
ich habe nicht immer die gefälhge Treue beachtet, der Aus-
druck ist schwankend und mag vorbeilaufen. In einem hat er
Recht, wenn er nämlich sagt, ich irre sehr, wenn ich etwas
Falsches, was er S. 173 ausführt, glaube, nur darin hat er Un-
recht, wenn er sich einbildet, ich glaube es, ich habe das
Gegentheil ausdrücklich in der Vorrede angedeutet, hier setz'
ich hinzu, dass ich Volkslieder genug singen gehört und zwar
vortrefflich (ein Freund [August v. Haxthausen] wird eine
schöne Sammlung solcher Volksmelodieen einmal herausgeben)*),
und dass nichts natürlicher ist, als dabei zu bemerken, wie um
mehrerer Accente willen, die beim Lesen deutlich sind und den
Vers offenbar erweitern, doch die Melodie sich nicht darum
wesentlich ändere, sondern die Worte wieder zusammenfasse,
„der Gesang hat den los zusammengehaltenen Rhythmus durch sein
-?6 Darüberschweben wieder verbunden", so drück' ich mich S. XXXV
[Kl. Sehr. I, S.196] in der Vorrede aus, deutlich genug für jeden, der
nur irgend weiss, wovon die Rede ist; aber es wird auch wieder
eine dunkele Stelle sein, wobei der Rec. glaubt, sich eine Ehre
zu erzeigen, wenn er sagt, er verstehe sie nicht, es war' aber
auch anders auszulegen. Um ein Beispiel zu geben, führt er
an, in Marstigs erstem Lied erkenne man das Silbenmass des
Originals nicht wieder, ich kann geradezu antworten, dass es
nicht wahr ist, Beweise brauch' ich nicht zu widerlegen, weil
er keine anführt; ich verspreche aber, wenn er mir Freiheiten
zeigt, darzuthun, dass sie sich, wo nicht immer an derselben,
doch an anderen Orten finden, da ich vor der Übersetzung das
Silbenmass untersucht. Was er speciell aus dem Lied von
der Elfenhöh anführt, vergleiche er einmal mit dem Original,
er wird finden, dass es sogar bis auf einige Kleinigkeiten mit
diesem übereinstimmt und ihm nachgebildet ist; z. B. du steh
auf, du stat op. Dass ich bei Str. 5 einen Accent mehr habe,
als das Original, ist richtig, allein wenn er nur einige Blätter
umschlägt, wird er an anderen Orten in einem Halbvers auch
fünf, in einem anderen nur drei (z. B. det var iomfru Gloriant)
*) [Vgl. Westfälische Volkslieder in Wort und Weise, hgg. von Alex. Reiffer-
scheid, Heilbronn 1879.]
SKNDSCHKEIliEX AN GKÄTF.R. 123
finden: also muss der Gesang auch ausdehnen, und das gibt
ihm die Verschiedenheit, wovon ich S. XXXVII [= Kl. Sehr. I,
S. 197 f.] in der Vorrede gesprochen, während die Melodie im
Ganzen dieselbe bleibt. Wenn der Rec. [S. 172] sagt, meine Ein-
theilung in zweifachen Hauptrhythraus sei verunglückte Kunst-
regelung, so muss ich ihm hier kurz antworten: er versteht davon
nichts, was dort angedeutet, ist eine Ansicht, die sich auf die Be-
trachtung der epischen Gedichte vieler Völker gründet, nächstens
wird der ßec. auch spanische Romanzen in langen Zeilen zu
sehen bekommen, selbst die eddaischen Lieder lassen wir nach
diesem System in langen Zeilen abdrucken, und eine Erläuterung
wird er im Commentar finden.*) Hier würde sie zu weit führen.
§ 6-
Eine Hauptabsicht des wackeren Deutschen in dieser Re-
oension [S. 187 f.] ist, meine Kenntnis des Isländischen zweifel-
haft und achselzuckend zu betrachten, er sucht jede Gelegen- 37
heit dazu auf, und der Gedanke daran regt sich ihm bei jeder
Bewegung, wie der Klang der Schellen an einem Judenschlaf-
rock. Hierin zeigt sich eine offenbare Nachahmung des Hrn.
Gräter, der fast auf dieselbe Weise unsere Ankündigung be-
trachtete. Es ist dies eine Weise, die wir allen empfehlen
können, die gern sich sicher stellen wollen, geräth die Sache
nicht, wie man nicht wünscht, doch erwartet, so h^t man
Winke gegeben, wo auch nicht, wie man sagt, mit einem
Scheuerthor, doch deutlich genug, sollte aber einer sein Spiel
haben und es fiele so aus, dass man nicht darüber herfallen
könnte, so ist dann Stille für den Vernünftigen gut, und das
vorausgeschickte Lob des schönen Enthusiasmus (ist auch an
mir vornen gerühmt) sichert und deckt wieder alles. Ich prophe-
zeie unserer Ausgabe der Edda diese Stille, nicht in einem
eitlen Wahn, als könne sie fehlerfrei sein, aber weil der Fleiss,
den wir uns daran zu wenden bewusst sind, nicht ganz vergeb-
lich sein und, was einem Deutschen möglich ist, ihr etwas
Eigenthümliches geben wird.
Ich will hier etwas ganz aufrichtig erzählen. Als ich
Isländisch zu lernen anfieng, hatte ich ausser dem Lexikon des
*) [S. Kl. Sehr. I, S. 587.]
124 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
Gudmund Andrea (die Glossarien bei den Ausgaben des In-
stituts bekam ich erst nach und nach eigen) kein anderes Hilfs-
mittel als die Grammatik von Runolf Jonson, sie ist aber so
dürftig und verwirrt, dass man mit dem besten Willen nicht
fortkommt. Die erste Regel war, an den Quellen selbst zu
lernen, so schrieben wir uns vor sieben Jahren, als wir die
jüngere Edda noch nicht besassen, den blossen isländischen
Text von dem Göttingischen Exemplare und späterhin Biörners
Kampa -Dater ab. Bei einer Sprache, die so einfach in dem
Periodenbau (der Prosa) und so viele Worte noch ohne Zu-
sammensetzungen klar erhalten, bringt man es wohl zu einem
Verständnis, in welchem man Prosa bald und dann, was nicht
allzuschwer und verwickelt ist in den Gesängen, liest. Es gibt
aber ein genaueres Verständnis, welches bei einzelnen zweifel-
haften Fällen und im Detail sicher ist, weil es nach bestimmten
38 Regeln die Schwierigkeiten (alle niemals) zu lösen weiss. Dieses
genauere Verständnis verdanke ich erst der trefflichen Gram-
matik von Rask i), worin namentlich die verwickelte Declination
der Subst. Adject. und Pronomina klar sich zeigt, und welche
ich nun schon zwei Jahre gebrauchen kann 2). Als wir die
Edda bestimmt anzeigten, befanden wir uns durch die liberalste
Güte in dem Besitz der wünschenswerthesten Hilfsmittel, wovon
wir am gehörigen Ort reden werden, die uns ein Gelingen ver-
bürgten, soweit es Eifer und Liebe zur Sache, Entferntheit von
reichen Sammlungen und selbst von dem Land, wohin jene
Länder gehören und dessen Anschauunof auch das Verständnis
^) Was ich früher daher aus dem Isländischen übersetzte, kann solche
einzelne Fehler in sich tragen, manche Arbeit zur Übung, die zum Nachtheil
des Rec. nie für den Druck bestimmt war, wie z. B. eine Übersetzung der
ganzen Hervararsage nach dem Originaltext, darum, was gelegentlich gedruckt
ist [s. Kl. Sehr. I, S. 171], einzelnes aus der Edda bloss nach dem isländischen
Text, verwerfe ich selbst jetzt als unrichtig oder ungenau; ich glaube gegen
mich strenger zu sein als gegen andere.
^ Wer besseres Talent, als ich, zur Erlernung der Sprachen hat, kann in
solcher Zeit ganz andere Dinge thun. Hören wir Hrn. Gräter, was er von sich
in seiner Alterthumszeitung 1812, No. 6 sagt: „in weniger als zwei Jahren
hatte ich mich der dänischen, schwedischen, isländischen, englischen und
holländischen Sprache so weit bemächtigt, dass ich die Lieder der Scalden
in ihrer Ursprache lesen, die sämmtlichen Commentare derselben vergleichen
und gründliche Resultate aus beiden zu ziehen vennogte".
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 125
seiner Poesie fördern muss, möglich machen. Theilnahme, die
uns entgegengekommen wäre, fanden wir hier so wenig, dass
selbst solche, die für diese Litteratur enthusiastische Gaukel-
sprünge aller Art gethan, lieber sich das Gegentheil offen und
versteckt zur Pflicht machten. Jetzt bitten wir diese zu
schweigen, bis das Werk erschienen ist, von dem ich ungern
noch öffentlich rede, dann aber, wo sie nicht ebenso auf
Schweigen bestehen, mit jeder Art von Schärfe zu kritisiren,
wozu Anlass nicht fehlen wird.
Dies frei zu sagen, dazu hat mich bloss die Gelegenheit,
nicht mein Recensent bewogen , der leicht abzufertigen ist. 39
Wollte er ohne Bedacht reden, so hat er es getroffen. Er
rechnet nämlich, dass ein Fehler gegen das Isländische, der
sieh im Buch befindet, zeige, ich habe erst bei Erscheinung
des Buchs 1811 angefangen, die skandinavischen Sprachen zu
lernen. Und doch, was war natürlicher zu denken, als dass
bei einem so starken Buch der Druck ein halb Jahr wegnahm,
dass das Manuscript noch früher musste abgeschickt, endlich
noch früher ausgearbeitet werden und demnach anders zu
rechnen wäre; ausserdem aber will ich ihm noch sagen, natür-
lich ohne es ihm anzurechnen, dass das Manuscript beinah ein
Jahr früher zum Druck nach Sachsen abgeschickt war, erst bei
einem anderen Buchhändler lag i) und im Winter 180D — 1810
eigentlich fertig gearbeitet worden, nur ein Paar Noten und
Einzelheiten sind nachgesendet. Ich habe damals in dem An-
hang ein bedeutendes Stück aus der Wilkinasaga, wenn der
Rec. vergleichen will, kann er sich leicht überzeugen, nach dem
nordischen Original, nicht nach der schwedischen Übersetzung
verdeutscht, das lässt er ruhig, aber in einer metrischen Strophe
der Hervararsage , die ich gleichfalls darin übersetzt, hat er
einen Fehler entdeckt. Dass, wie er selber gesteht, ich mich
wieder ans Original gehalten, aus Grundsatz, um an die Quelle
zu gehen, und, weil ich mich überzeugt, dass die schwedische
Übersetzung an einigen Orten frei und ungenau war (ich habe
wirklich in derselben Strophe eine Stelle schon genauer über-
') Rec. kann sich immer in portofreien Briefen bei Herrn Zimmer dar-
nach erkundigen.
126 SENDSCHREIBEN AN GRÄTEK.
setzt, als der Schwede), nichts aufzunehmen, was ich nicht als
richtig einsah, ferner dass ich damals sichtbar nur die Vereh
Ausgabe hatte, dieses hätte ihn wohl zu einer anderen Folgerung
bringen können, als die, welche er ohne Scheu aufstellt und
von welcher hernach die Rede sein wird.
Indessen, wie dem allem sei, einen Fehler hat ein Rec.
Recht und Pflicht mir vorzuhalten: worin besteht er aber hier?
40 Ich habe das pronom. sd, der, für sva, so (wie es auch vor-
kommt) so angesehen. Der Fehler an sich ist richtig, als ein
blosses Übersehen nicht schwer und sehr verzeihlich. In den
Manuscripten findet ersieh oft als Schreibfehler, in der Verel. Aus-
gabe ist sd das Pronomen noch nicht mit dem Accent bezeichnet,
wodurch es sogleich in die Augen fällt, sodann hat dieser
Fehler hier auf den Sinn gerade gar keinen Einfluss, endlich
sind im Deutschen beide Bedeutungen in einem Wort, welches
offenbar äusserlich dasselbe ist, vereinigt (denn wir können
richtig sagen, wiewohl es nicht angenehm klingt : die Anmassung,
so (quae) hier sich zeigt, ist zehnmal so gross als der Fehler).
Der Rec. konnte diesen Fehler bemerken (ich verlange nicht,
dass er ihn entschuldigte), es war mir lieb, ich hätte ihn bei
einer Durchsicht auch gefunden; er konnte auch meintwegen
sagen, ihm begegne dergleichen nicht, denn er hätte es zu ver-
antworten gehabt und sich zu hüten; allein es sticht ihn etwas
stark, ausser jenem allgemeinen, vorhin angeführten Schluss,
der sich auf einen Rechnungsfehler stützt, hier noch zu folgern:
„Hr. Grimm kannte das Pronomen sa, su, that noch nicht"
[S. 188]. Einerlei war es ihm, dass dieses Pronomen natürlich
überall, häufig in den Dämesagen der Edda, die man vor allem
liest, vorkommt und es wohl das Erste ist, was man wissen
kann, er war gewiss selbst überzeugt, dass ich es wusste, allein
desto schmählicher war der Vorwurf, und ein Mittel, wie ich
ihn abwenden könne , sah er nicht gleich. Allein es fehlt mir
nicht, und ich kann unwiderleglich das Gegentheil von der
elenden Behauptung beweisen, wodurch der Recensent auch in
sein rechtes Licht kommt. In den Stellen nämlich aus der
Wilkinasaga, die in dem Anhang gleichfalls übersetzt sind,
kommt das Pronomen häufig vor und ist da richtig über-
I
SENDSCHREIBEN AS GRÄTEK. 127
setzt, ffleich vomen heisst es c. 170: hvad manna mundi sd
vera, was für ein Mann mag der sein. C. 174: ^ä heitir Et-
geir, der Etgeir heisst, -*« madr, der Mann, und noch mehr,
hieran mag es genug sein. So weiss der Recensent, wie oben
bei faurt, alles zu übersehen, um argHstigen und ftilsehen4L
Tadel zu gewinnen i). Hätte er etwas über meine kleine Ent-
deckung gesagt, die mächtige alte Hervararsaga in diesem \ olks-
lied wieder zu sehen, versteht sich zweifelnd oder untersuchend,
da Abrahamson, wie ich weiss, sie auch nicht für wahr hielt,
so war das besser gewesen, allein da ist alles still.
Das war der Hauptvorwurf des Recensenten, und der
unterstrichene, ausserdem gibt er an, ich habe in den Worten
theim gef ek emi
e/stum bradir
den Ausdruck e/gtum nicht verstanden, doch macht er nicht
gross Wesens davon, darum, weil er, wie es höchst wahrschein-
lich ist, selbst ihn gegenwärtig noch nicht recht versteht. Die
Stelle macht einigen Anstoss: efstum auf Adler zu beziehen,
wie Verel. thut^ ist gezwungen, äfstr heisst eigentlich ultimus,^
und nur indem man die Bedeutung ausdehnt und hochfliegend
darunter versteht, ergibt sich ein immer etwas gezwungener
Sinn, und ich halte die Erklärung wirklich für falsch. Weil
ich das Wort damals mir nicht recht auslegen konnte, liess ich
es aus, da der Sinn dennoch klar war. Diese Schuld hoff* ich
gegenwärtig abzubüssen, indem ich eine Erklärung versuche,
die ich nirgends her borge. Indem ich nämlich nachsehen will,
wie es mit des Recensenten Weisheit stehe und die Ausgabe
des Instituts aufschlage, finde ich, dass er sie daselbst p. 40,
Note 65 geliehen. Aber das ist das Schlimmste, er hat sie (ich
erlaube mir nur zu sagen, wie es scheint) nicht recht verstanden,
denn er übersetzt mir vor:
Diesem Adler geb ich
die letzte der Speisen.
') Er weiss sich auch zu hüten. Ebendaselbst S. 523 steht hin widforli,
rnuss aber hinn heissen, da jenes das Femininam ist, allein der (auch nicht an-
gezeigte) Druckfehler ist klar, da zwei Zeilen vorher hinn hugfolli steht. Hier-
schweigt der Recensent und wirft nichts vor. Der Grund wird vielleicht her-
nach deutlich.
128 SENDSCHREIBEN AN GRXTER.
Ich muss hier, wo von genauem Verständnis die Rede ist,
4-2 annehmen, dass er wörtlich übersetzt, demnach wäre efstum der
acc. sing. fem. eines Adject., denn bräth ist ein Fem., und
hrüdir wäre der gen. pl. Beides ist ganz unmöglich, und ein
Isländer müsste über dergleichen Zumuthungen lachen, aber
wenn er hernach v. Hogna sehen wird, was der Reo. von den
Declinationen weiss, würde er mich vielleicht dazu berechtigt
halten, dennoch will ich es nicht und nur an eine Übereilung
glauben. Versteht der Rec. wirklich (wenn er es erklärt, will
ich es gelten lassen) wie die Ausgabe des Instituts den acc.
pl., so begreift man durchaus nicht, warum er nicht einfach sagt :
Die letzten Speisen.
ein Druckfehler ist nicht denkbar, und dass jenes poetischer
sein soll, kann ich mir noch weniger einbilden. Dass er die
Form efstum nicht verstand, das ist jedoch auf jeden Fall ge-
wiss und gibt den Ausschlag. Es ist ein abl. (dat.), wie ist
der mit dem offenbaren acc. pl. brädir zu vereinigen? Stephanus
Biörnsen greift durch und sagt, es stehe geradezu für efstar.
Nahm Rec, wie es scheint, diesen Ausweg an, so musste er
sich darüber äussern, auf keinen Fall aber war er berechtigt,
zu übersetzen, wie er gethan hat. Ich glaube, efstum steht hier
adverbialiter, wie sonst häufig fornum, laungom, fordum, es ist
der abl. (dat.) pl. und dagum, timum ausgelassen, so in Oddru-
nar-grätr. Str. 1 :
heyrda ek segia i sauge fornom
hörte ich sagen in der Sage in alten Tagen,
demnach heissen die zwei Zeilen wörtlich:
diesem Aar geb ich
in den letzten Stunden Braten,
mit diesem kommt auch die lateinische Übersetzung: isti do
aquilae ultimo pabulum überein gegen die Erklärung der Note.
Noch besser zeigt sich der Rec. in folgender Bemerkung
[S. 186] : „Hr. Grimm wird im Verfolg seiner Studien statt Hogna
Hogni oder Hogne sagen, Hogna ist die weibliche Form,
und Rec. hat es sonst auch gebraucht." Ich muss hier
zweierlei voran bemerken: erstlich, ich konnte die Correctur
43 nicht selbst besorgen (wenn man dies bedenkt, wird man das
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 129
Buch recht correct finden) und schrieb daher jeden etwas
schwierigen Namen noch einmal mit lateinischen Buchstaben
besonders auf oder neben bei. Sodann bei der Übersetzung
aus dem Isländischen wollte ich aus übergrosser Genauigkeit
die Declination, wie sie im Isländischen vorkommt, stehen
lassen, wie man ja auch wohl Jovis usw. sagt, was freilich
nicht nöthig war. Ich sagte daher, wo der nom. war, Hogni
(S. 427. 432) und im gen. (S. 482 AT.) Heimis Hornboga, Hogna.
Bei dem Fragment aus der Hervararsage war es ebenso: zu
Ingibiorg (den nom. hatte ich cap. 4 schon vor mir und in
Hrafnborg S. 320 der Rec. vor sich), als der dat. vorkam:
Ingibiorgu den Ring zu bringen, schrieb ich zufallig noch mit
lateinischen Buchstaben den Namen neben an; der Corrector
glaubte sich daher verpflichtet, überall dahin abzuändern, und
so kommt jetzt Ingibiorgu als nom. und acc. vor. Ich habe
es bei den Druckfehlern nicht bemerkt, in meinem Exemplar
war längst alles corrigirt. Was thut nun mein Recensent, dass
anderwärts ich im nom. Hogni geschrieben, übersieht er nach
seiner ehrlichen Sitte wieder, meint, der offenbare gen.
masc. sei die weibliche Form, und gesteht, dass er in
ähnlichem Fall selbst so geschrieben Wohlklangs wegen. Da-
bei ist ferner, dass, spricht er bloss von Namen, es auch männ-
liche gibt, die auf a ausgehen, z. B. Sifka Vidga in der Wil-
kinasaga und weibliche auf /, wie: Signi Skadi, spricht er
aber allgemein, dass a nicht ausschliesslich das fem. anzeigt,
da auch neutra auf a ausgehen (wie hiarta, auga^ Rask. S. 30),
so wie umgekehrt i nicht ausschliessend das masc. anzeigt, da
es auch fem. auf i gibt (z. B. bi/nU, heidi, Rask. S. 50). Nun
borg* ich mit einer vernünftigen Abänderung die Redensart des
Rec. [S. 188]: „ein wahrer Beweis, wie es scheint, dass der
Rec. wenigstens zur Zeit der Abfassung der Recension die
scandinavische Sprache erst zu lernen angefangen hat und be-
sonders die Declinationen noch nicht verstand".
W. (iRIMM, KL. SClIRirrKN. 11.
130 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
44 Ich sag: ein Daniel! ein zweiter Daniel!
Dank, Jude, dass du mich das Wort gelehrt!
Kaufmann von Venedig. S. 125. [IV, l.J
Ich springe wieder ab, um bei Ihnen anzufragen, wie Sie
von einem solchen Recensenten denken; sollte er aufgeklärte
Lehrer haben nachahmen wollen, die Zöglingen vorwerfen, was
sie nicht verdienen, bloss um die Einbildung ihnen zu nehmen,
als seien sie schon so klug, wie sie selber? Darin aber geben
Sie mir unbesehens Recht, dass ich das schmähende Urtheil
auf ihn, der es verdient, zurückgeworfen, da er breit (gleichsam
mit grossen Rosinen in der Tasche) eine falsche Lehre gibt
und mit Vorsatz sich in Unwissenheit zeigt. Übrigens aber,
und das ist mir am meisten werth, was meine Übereilung und
meinen Fehler mehr als entschuldigt, was mich sichert und mir
gleichsam Ehre daraus bereitet, ich kann mich zu Ihnen, einem
Veteranen in dieser Litteratur, der schon so lange den scandi-
navischen Sprachen sich weihte, wogegen die Jahre, die ich
aufwenden konnte, in der That recht armselig erscheinen, ich
kann mich, sage ich, zu Ihnen flüchten. In Ihrem nämlich so
treflPlichen neuen litterarischen Magazin i), denn frühere Arbeiten,
dergleichen meine doch ist, wollen wir lieber nicht untersuchen,
steht in der Abhandlung von dem Königstitel Folgendes:
liod ek than kann, er kannat
thiodans kona ok manskis mögiir.
45 Nun ist aber liod ein neutr. pl. und verlangt daher thauj
wie auch im Runacap. steht; wollten Sie sich meiner schämen
und durch einen Druckfehler entspringen, so halt' ich Sie fest,
denn Sie übersetzen munter: dieses Lied kann ich, Sie müssten
0 Ich citire einmal genau: Odina und Teutona, ein neues literarisches
Magazin der Teutschen und Nordischen Vorzeit von F. D. Gräter. Mit einer
Titelvignette, darunter runisch Thor. Erster Band. Breslau bei Carl Friedr.
Barth. 1812. Dieser Titel in Kupfer darauf noch einmal gedruckt, gleich-
lautend. Braga und Hermode, oder neues Magazin für die Vaterländischen
Alterthümer, der Sprache, Kunst und Sitten, herausgegeben von F. D. Gräter.
Fünfter Band. Breslau bei Carl Friedr. Barth. 1812. Bragur, ein literarisches
Magazin der deutschen und nordischen Vorzeit. Herausgegeben von F. D.
Gräter. Achter Band. Breslau bei Carl Friedrich Barth. 1812. Vorrede
XXXin und 418 Seiten, auch 2 Seiten Verbesserungen in 8. Alles in einem
Band.
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 131
aber gesagt haben: diese Lieder, da liod thau der acc. p].
ist, nach Ihrer Übersetzung aber liod that stehen müsste, was
aber den Worten entsjegenlaufend auch unerlaubt wäre. Denkt
man eine Minute, Sie hätten than für acc. s. masc. gehalten,
so müsste es thann heissen; wie man sieh wendet, kommt man
nicht heraus. Nun müsst" ich mir ein Gewissen daraus machen,
wenn ich, ohngeachtet die lateinische Übersetzung dabei klar
und richtig hat: carmina illa, Ihnen vorwürfe, Sie wüssten den
acc. s. und pl. von dem pronom. demonstrat. sä, su, that nicht:
einmal in so vielen Jahren, hätte der beschränkteste Rec. ge-
dacht, war' er Ihnen vorgekommen. Auf derselben Seite zeigt
sich noch etwas zwar nicht in der Art, aber immer verdriess-
lich, nämlich Sie führen daselbst eine Stelle aus der Hervarar-
sage an, im Original steht:
lier er Hlödr kominn,
Sie theilen aber mit:
her er Hlödr komin.
Hier muss ich anderer halben, Ihnen ist es gewiss nur zu gut
bekannt, bemerken, dass durch die Weglassung des einen n das
Particip zu einem fem. wird, was natürlich auf keine Weise
passt. Sie könnten sich leicht, und werden es auch thun, durch
einen Druckfehler entschuldigen, aber da ist der weitere unbe-
queme Zufall, dass gleich dahinter derselbe noch einmal er-
scheint, nämlich im Original: brodr thinn heisst bei Ihnen:
brödr thiw. Wenn nun einer sich berechticrt erlaubte zu recen-
siren: „Sie hätten den Unterschied noch nicht gewusst und
gemeint, die Orthographie durch zierliche Auslassung zu ver-
bessern", so hätte er (scheinbar) Recht gehabt, doch mit ganz
anderem Recht von Ihnen hören können, man werfe Ihnen,
einem Manne, der hier zum ersten Mal diese Stellen ins Deutsche
übertrage und bekannte Verdienste habe, dergleichen nicht
schicklich vor.
Bringt mir, dem es nicht zukommt, sich mit der langen 46
Ehle zu messen, nun mein Übersehen nicht Ehre, da es offen-
bar geringer ist, als Ihre beiden Fehler (ich rühme mich nicht,
dass mir vor Jahren nicht auch dergleichen hätte passiren
können), und niemand verlangen könnte, Sie zu übertreffen?
132 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
§ 7.
Ist kurz und handelt von der Sprache. Rec. sagt, meine
Vorrede sei ihm dunkel hin und wieder, das ist mir wieder
dunkel. Er tadelt [S. 192] den Ausdruck Recension bei den
Volksliedern, wünscht Abdruck dafür, was aber nicht passt, da
die abweichendsten Lieder leben und entstehen können, die
nicht gedruckt sind, er mag Goethe auch tadeln, der in der Be-
urtheilung des Wunderhorns sich desselben Ausdrucks bediente.
Er tadelt mordlicher Tod, das Wort solle gewogen werden,
ich will hier meine Wagschale füllen, der Rec. mag zu seinem
eigenen Besten die Gewichte auf der anderen Seite auflegen,
sein Resultat ist mir gleichgültig.
Nibel. 3990 [935, 2]: Het ich an ach erkennet den m ortlichen sit,
Ottokar V. Horneck (b. Pez) S. 675.
Do das ni ort 1 eich Leid an Künig Latisla ergie
und als Adverb häufig. Er fragt auch [S. 178], was ein
Waffen sei; wie es scheint, weiss er nicht, dass das Wort im
Altdeutschen ein Neutrum ist, wie im Isländischen.
§8.
Ich komme endlich zu einem Paragraphen, auf den ich
mich lange gefreut, da die anderen immer etwas Widerwärtiges
mit sich führten, nämlich zu den Druckfehlern. Hier ist der
Recensent ganz in seinem Element, schnalzt und tanzt ordent-
lich vor Lust in dem Wasser und weiss nicht, wo er anfangen
soll [S. 178]. Wie ein raffinirter Liebhaber benutzt er sie auf
die verschiedenste Art, und der gute Quintus Fixlein würde
gewiss mit seiner Sammlung schlecht gegen ihn fahren. In
47 Höhle werfen für in die Höhle werfen (der Ausdruck kommt
sogar sonst noch richtig vor) weiss er mir schön als Streben
nach seltsamer Originalität aufzurücken. Ohngeachtet da steht
Aquitanus, Scholasticus, Gamblacensis hält er mir Otto Fri-
singens (im Mscr. stand Otto Frisingens.) als bizarre Schreibart
vor, schreibt mir auch zur Belehrung das Wort vollends aus.
Was ist Gläsirvallr, Hedinsflied usw. ruft er in listiger
Dummheit aus. Dann florirt sein Glück, als protopolin sich
zeigt; jeder, der nicht glaubt, mir ins Gesicht sagen zu dürfen, j
i
SENDSCHREIBEN AN GRÄTER. 133
ich wisse nicht, wie es im nom. hat. wird sich bescheiden, es,
wenn er will, als einen Druckfehler anzugeben. Was thut aber
die Schulmeisterei? Ich citirte den Stephanius zum Saxo, wo
man den ganzen Streit finden könne, mithin auch die Nachricht
von dem Buche des Messenius; der Rec. schlägt die Stelle
nach, drückt sich so aus, dass man beinah glauben kann, als
habe ich gesagt, die Schrift desselben sei von mir eingesehen,
holt (still) den Jöcher, erzählt, was dort steht und hierher
nicht passt, schreibt dann die 'ganze Stelle ab und corrigirt
endlich weitläuftijr, was jeder auf den ersten Blick sieht. Noch
wohler wird es ihm, wenn er [S. 163] einen anderen Druck-
fehler, der im Buche sogar hinten angegeben ist, color für colos,
noch einmal als einen solchen nennen kann. Laben wird es
ihn, dass in der Recension wieder die besten Sorten und viel
ärgere vorkommen, z. B. statt infelici vena infelici vera, quaende
für quaede, thal für that usw.: mir ists widrig, davon zu
reden. AVill er sich schriftlich und portofrei an mich wenden,
will ich ihm die Liste der von ihm dennoch übersehenen mit-
theilen. Der beste Spass aber kommt zuletzt, wo die Hoflfart
einmal recht den Schwanz übers Nest hinausstreckt. Man
weiss vielleicht, als unsere Ankündigung der Edda erschien,
schrieb Hr. Gräter in seiner Alterthumszeitung eine Kritik [s.
oben S. 1 08 f.] darüber, unter anderem war ein Stern verrückt und
die Note an einen unrechten Platz gekommen. Die Sache war
so klar, dass wir, als wir Druckfehler anzeigten*), davon schwiegen,
weil es sich ganz von selbst verstand, wo er hingehöre. Dieser 48
Gelehrte schenkte dennoch diesem Umstand seine besondere
Aufmerksamkeit, versuchte hin und wieder scharfsinnig, wie
dieser Unsinn zu erklären sei, aber freilich vergebens, hinten-
drein bekannte er der Wahrheit zur Steuer, dass uns das Ridi-
küle nicht zur Last falle, vermuthete so etwas wie Schuld des
Setzers und kam dem Ding ziemlich auf die Spur. Dieses
ahmt nun mein Recensent nach, glaubte ich anfangs, doch bin
ich zweifelhaft geworden, da die Nachahmung doch gar zu
plump wäre, und wahrscheinlicher hat ihn die Druckfehler-
freude ganz blind gemacht. Man schlage nämlich S. 440
*) [In der Leipziger Litteraturzeitung 1812, S. 864 = Kl. Sehr. I, S.587.J
134 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
meines Buchs [= Kl. Sehr. I, S. 211] auf, da wird man zwei Noten
finden, die *, welche Pasquiers Urtheil über die trojanische Ab-
kunft der Franken enthält (in meiner kleinen Abhandlung darüber
findet Reo. nichts Neues, was« ich auch sehr wohl begreife, da
der Druckfehler, den er in der Nähe vermuthete, ihn geblendet
haben wird, überhaupt: wäre nicht zu vermuthen, dass die ganze
unverständige Recension in der betäubenden Freude über erwartete
Druckfehler entstanden sei?), und eine andere ** zu der im
Text erwähnten Blomsturwallasaga, der Trunkene sieht (vgl.
Recension S. 186) nur die zweite **, hängt sie dem Text zu
Note * an und fragt nun vergnügt, was ich für tolles, dunkeles
Zeug schreibe, und ob Meister Biörn die Sage von der tro-
janischen Abkunft der Franken nach Norwegen gebracht.
§ 9-
Bei allem Vorangehenden war immer noch ein Spass übrig,
es war als hätte die Eitelkeit den Recensenten benebelt und
zu so wunderlichen Übertreibungen verleitet, die er einmal,
wenn er noch einige Zeit fleissig ist und lernt, bei ruhiger
Prüfung, die hier nur als eine Redensart vorkommt, fühlen
würde: nur muss er sich noch besonders abgewöhnen, zu
glauben, ihm komme in diesen Sachen die erste Stimme zu.
Bei dem Folgenden aber ist es anders, und ich muss leider ernst-
haft endigen.
Es gibt eine doppelte Verehrung der Verdienste, selbst der
grössten, eine solche, die mit Bewusstsein achtet und weiss,
warum sie achtet, und die kein menschlicher Fehler irr macht,
49 und eine andere, die blind ist und unfähig einen Fehler zu
sehen; jene ist allein dauerhaft und fruchtbar, diese ist fast
immer eine, taube Schale, die sich um den Kern drängt und
selbst nichts hervorbringt, ausserdem ist sie der Gefahr ausge-
setzt, umzuschlagen, sobald Persönlichkeit, gereizte Eitelkeit
oder dergleichen ins Spiel kommt; sie fällt dann in Hass und
Widerwillen, der wieder so blind wird, dass er alles freie Ur-
theil zernichtet, Recensenten mit solcher Gesinnung sind in
der ersten Periode die Liebreichen, AUes-Gutmacher, die Zu-
duttler. Erstauner, in der zweiten diejenigen, die unter irgend
SENDSCHREIBEN AX GRÄTER. 135
einem Schein Parteilichkeit und Ungerechtigkeit jeder Art sich
erlauben. Wenn die Gegenwart vorüber ist, die eine Macht
übt, in welcher wir selber noch befangen nur einzelne Stimmen
haben, die kein allgemeines Urtheil ausmachen können, dann
dürfen wir, was Geist und Ansicht betriffi, (über Kenntnisse
natürlich gleich) frei sprechen; niemand geschieht weh, und
indem wir zur Wahrheit streben, wird diese gefordert.
Hrn. Gräters Urtheil z. B. über Suhm [S. 181] ist ein
solches aus ungemessener Verehrung gekommenes, welche nur
in Verhältnissen, die aus den Gesetzen der Natur entspringen,
wie zwischen Eltern und Kindern, schön und rührend ist; er
geht so weit, dass er uns einmal gerathen, zu dessen Füssen
zu sitzen, wo dieser in einem erweislichen Irrthum war, nur
zu den Quellen soll man sich beugen und aus ihnen schöpfen.
Ich habe Suhms Gelehrsamkeit, der meine geringe nicht bei-
kommt, seine Verdienste um die nordische Litteratur niemals
vei-kannt. in eben diesen Heidelb. Jahrb. (1811. S. 776) [== oben
S. 16] habe ich Suhms Einfluss und uneigennützigen Eifer ge-
rühmt, sein Buch Om Odin die fleissigste und gelehrteste Ar-
beit über die Mythologie genannt, freilich nur als Materialien-
sammlung brauchbar. In der Übersetzung der Lieder habe ich
seineu Stil, was er wirklich ist, matt und breit genannt (möo-e
jeder die Proben vergleichen), wer es noch nicht glaubt, lese
seine Kämpferromane. Es war dies meine Überzeugung, und
die habe ich ausgesprochen, ich will noch mehr thun und hier
sagen, dass ich Suhms Fabelzeit, so schätzbar die Sammlung 50
und Arbeit an sich, in ihrer Ansicht durchaus für verfehlt halte,
indem sie die alte Mythengeschichte nur von einer Seite erkannt,
sonst aber unwürdig betrachtet.
Der Rec, darf ich mit Sicherheit vermuthen, hat jene
Stellen gelesen, dennoch bildet er sich das Recht ein, mir mit
den Worten entgegenzutreten [S. 181]: „mit welcher Ein-
bildung ich müsse gestraft sein, um einen solchen Übermuth
zu zeigen''. Ich will mir vorstellen, der Rec. habe persönliche
Gründe, fiir Suhm so zu eifern, und vergesse in der Hitze,
dass diese keine allgemeinen sind und bloss ihn verpflichten, aber
das Folgende weiss ich auf keine Weise zu entschuldigen.
136 SENDSCHREIBEN AN GRÄTER.
S. 431 liest man in einer Note meines Buchs: Thomas
Bartholin in seinen mit eben so viel Belesenheit als Ge-
schmacklosigkeit geschriebenen antiquitates danicae fallt ein
(und das muss der Rec. selbst eingestehen) geschmackloses
Urtheil. Ich fordere jeden auf, der den Bartholin wie ich auf-
merksam und mehrmals gelesen, ob dieses Urtheil nicht durch-
aus gerecht ist. Gelehrte Sammlungen sind an einen Gedanken
ganz locker gereiht, der nirgends als die eigentliche und leitende
Idee heraustritt, kurz es ist, wie man sich ausdrückt, kein Buch^
nur ein Haufen Collectaneen, sehr wunderlich registrirt. Hier
nun schämt sich mein Rec. nicht der offenbaren Verdrehung
und Unredlichkeit und spricht [S. 181]: „Hr. Grimm kann
nicht umhin, dasselbe zum ersten Mal unter allen Dänen,
Schweden, Isländern, Engländern und Deutschen, die seiner
gedenken, mit dem Namen eines geschmacklos geschriebenen
Buchs der Verachtung preisgeben zu wollen". So'
nimmt er von dem Schwarz und Weissen, das gleich gross in
meinem Urtheil steht, das Schwarze allein heraus und legt
ihm eine gemeine Absicht unter, oder er leert in der Wage
die schwere gute Hälfte ganz, lässt die andere darin, wirft noch
zu und ruft nun meine Gerechtigkeit aus.
Damit schliesse ich und bitte nur den Recensenten, falls
er noch einmal etwas von mir recensirt, die Paar Silbergroschen,
die er in scheinbarer Grossmuth und Unparteilichkeit unter
den Schmutz wirft, zurückzuhalten; ich mag sie nicht aufheben,
sie würden mich nicht reich machen noch für meine Schulden
ausreichen, vielleicht auch sind sie des Scheins wegen bloss
weiss gesotten und sonst falsch. Ich meine die eingestreuten
lobenden Worte.
Cassel im Februar 1813.
W. C. Grimm.
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS. 137
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE 209
AUS DER ANGELSÄCHSISCHEN.
Nebst vermischten Bemerkungen über die nordische Dichtkunst und Mythologie.
Ein nothwendiger Nachtrag zu seinen neuesten Ilntei-suchungen von Fr. Rühs.
(Ohne Druckort und Verleger.) 1813. 8.
(Hinzugefügt sind der Recension Bemerkungen zu der Rühsischen Übersetzung
der Edda.)
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur, Jahrgang YH (1814) Bd I, No. 14. 15.
S. 209—223. 225—228.
Vor noch nicht zwei Jahren gab Herr Professor Rühs in
Berlin eine Übersetzung der prosaischen oder jüngeren Edda
und eine Einleitung über nordische Poesie und Mythologie heraus.
Die letztere, eigentlich die Hauptsache, hat die Absicht darzu-
thun, dass es keine nordische, nur eine isländische Dichtkunst
gebe und dass der grösste Theil der Mythologie freie unmittel-
bare Erfindung sei, in welche Zusammenhang zu bringen immer
den traurigsten Erfolg gehabt; Christen hätten die mythischen
Bücher verfasst, ja überhaupt sei durch das Christenthum alle
Cultur erst nach dem rohen Norden gekommen.
Diese Ansicht, schon durch Schlözer und Adelung bekannt,
ist der Überzeugung des Rec. gerade entgegengesetzt, und
früher, als das Buch des Hrn. Rühs erschien, hat er in diesen
Jahrbüchern (1811. No. 49. 50. [S. 774—794, oben S. 14—32])
sich darüber erklärt. Da er keine neuen Gründe von Hrn. Rühs
entwickelt fand, glaubte er alles Weitere von seiner Seite über-
flüssig, verwies dorthin, und indem er nur einige charakteristische
Sätze mit den eigenen Worten des Verf. anführte, stellte er anheim,
was diese Ansicht, wiederum so sicher und vornehm ausge-
sprochen, für einen Eindruck machen werde, ob sie vielleicht
durchdringe oder ob die entgegengesetzte, welche an Wahrheit
und Echtheit der nordischen Mythen und der alten Sagenge-
schichte glaubt, sich begründe.
Auch an der Übersetzung der Edda selbst konnte er vor-
beigehen, sie war eingeständlich nach der dänischen von
138 ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS.
2ioNyerup und Rask abgefasst; kann schon diese bei dem Studium
das Original nicht ersetzen, obwohl sie vieles Schätzbare hat,
denn man sieht bald, dass geschickte Hände daran gearbeitet,
so war von der weiteren deutschen dies noch weniger zu er-
warten. Sie konnte höchstens für Liebhaber und zur Unter-
haltung dienen. Rec. empfahl also jenes und zeigte sie bloss
an, da eine Prüfung derselben eine eigene undankbare Arbeit
gewesen wäre; einige Bemerkungen will Rec. jetzt zu Gunsten
der gegenwärtigen Recension weiter mittheilen, sie werden auf
die folgenden Untersuchungen ein grosses Licht werfen.
Nyerup : hvorledes blev Verden til og hvad var der tilforn ?
wie ward die Welt geschaffen und was war da zuvor? Hr.
Rühs S. 166: „wie ward die Welt und was war sie vorher?" —
N. med feige maends liv, mit todter Männer Leib. Hr. R.
S. 173: „mit feiger Männer Leben". N. hvad Gud, welcher
Gott. Hr. R. S. 175: „ob Gott". — N. alt veed jeg, schon
weiss ich. Hr. R. S. 177: „alles weiss ich". — N. ilsindet,
jähzornig. Hr. R. „übelgesinnt^. — N. klaede, Tuch, Taschen-
tuch. Hr. R. S. 206: „Kleid". — N. i en Hule, in eine
Höhle. Hr. R. „in ein Loch". (Das Loch heisst dänisch:
et Hui.)
Zu der Übersetzung der mehr historischen Mythen, welche
Nyerup ausliess, und wo Hr. Rühs bloss den Resen vor sich
hatte. Folgendes: Text: Litlu Werdur Wöggur Feigenn (litlu
verdr Vöggur feiginn), mit wenigem wird Vöggur vergnügt.
Hr. R. S. 252: „über wenig wird Werdur froh". Dieser
verdr (wie man sieht, 3. pers. praes. von verda) wird auch im
Register S. 276 ganz ordentlich als ein mythischer Mann auf-
geführt. — Text: their steffndu orrustu, sie bestimmten, verab-
redeten eine Schlacht. Hr. R. „sie führten Krieg". — Adils
verlangt von Kraki Hülfe: thä sendi hann Berserki sina tölf
steht im Text; hinter hann ist eine Note und wird unten die
Variante angeführt: Adilsi; d. h. er sandte (v. dem Adils) seine
zwölf Berserker. Hr. R. dagegen führt diesen dat. Adilsi als
einen besonderen Namen auf und setzt ihn als einen neuen
Berserker vornen an. — Bei den Namen der Berserker
211 werden auch Zunamen angeführt, hinter Hialti in der Note e:
hugprudi. Daraus macht Hr. R. ein nom. propr. und führt
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS. 139
den Berserker Hugprudi an; ebenso aus Hvitserker (hinn)
hvati wird bei ihm: „Hvitserkr und Hvati". — Text: bera i
haufuth sier thad vatn, bringen, giessen aufs Haupt sich das
Wasser. Hr. R. S. 263: „tragen auf ihrem Haupt das
Wasser". — Text: their vorn svo reidir mödur sinne, sie
waren so zornig auf ihre Mutter. Hr. R. S. 266: „sie waren
so unwillig über das Gemüth ihrer Mutter".
Es war aber in der Schrift des Hrn. Rühs eine wenigstens
in ihrer Ausführung neue Idee. Darnach war die nordische
Poesie (Hr. R. bedient sich nach seiner Meinung, es gebe keine
nordische, des Ausdrucks: isländische) nichts weiter, als eine
Nachahmung der angelsächsischen; Norwegen und Dänemark,
an sich ohne Lieder, haben erst durch Island etwas erhalten.
Dies zu beweisen, hatten allgemeine historische Paragraphen,
die vorangiengen , gleichfalls die Absicht. Es ward erst darin
die Volkspoesie der zu einem anderen Sprachstamme gehörigen
Finnen als lebendiges, sehr erläuterndes Beispiel dargestellt.
Es folgten mit historischen Zwischenblicken Beschreibungen
der wälschen (die Barden sollen auch erst die Angelsachsen
gebildet haben), angelsächsischen und nordischen Dichtung; die
Ähnlichkeit der beiden letzteren ward bemerkt und ist ganz
unbestritten; einen einzigen treffenden Beweis aber, dass die
nordische aus der angelsächsischen Poesie geborgt sei, hat Reo.
darin nicht gefunden; es wird bloss gesagt, und man sieht in
der Aufstellung und im Zuschnitt bekannter Dinge, dass es
Hrn. Rühs Meinung ist. Was den Werth solcher Umrisse
überhaupt betrifft, so sind vielleicht andere empfänglicher, als
der Rec. , der wenig Geschmack daran hat. Indessen kamen
auch hernach zwei besondere Beweise vor, „welche völlig ent-
scheiden" sollten. 1) Die Alliteration, ein charakteristisches
Zeichen, hätten die Isländer von den Angelsachsen entlehnt, da
in Norwegen, Schweden und Dänemark „keine Spur" davon
sei. 2) Die nordische Dichtkunst habe „eine Menge von
Wörtern, die nicht in der gewöhnlichen Sprache, viel weniger 212
in den übrigen Dialekten vorkämen; diese Wörter seien meisten-
theils angelsächsisch". Von solchen wurden zwei Seiten Bei-
spiele gegeben.
Die Herabwürdigungen und Schmähungen der Edda konnte
140 ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS.
der Rec. der Zeit überlassen, aber beide Sätze, waren sie be-
gründet, gaben Anlass zu wichtigen Folgerungen; er glaubte
daher, sie herausheben zu dürfen und sorgfältig prüfen zu
müssen. Rec. hat diese kleine Untersuchung noch einmal durch-
gelesen, ob irgend ein Wort darin sei, das nicht auf die Sache
selber gehe oder Hrn. Rühs beleidigen könne, aber keins ge-
funden. Vielleicht könnte es missdeutet werden, wenn er sich
[S. 964 = oben S. 84] des Ausdrucks „unredliches Verschweigen"
bedient hat; es bezieht sich darauf, dass Hr. Rühs einen ihm gewiss
bekannten Umstand in der englischen Poesie, der die Ansicht so-
gleich veränderte, übergieng, und heisst (wie könnte man es nur
anders verstehen?) nichts anderes, als ein absichtliches Ver-
schweigen, Inconsequenz aus Behauptungssucht. Hr. Rühs scheint
sich S. 158 seiner Edda selbst zu den „redlich Zweifelnden" zu
zählen, es wird daher erlaubt sein, das Gegentheil, wenn man
es findet, zu bemerken.
Hr. Rühs nahm Widerlegungen und Einwendungen folgender-
massen auf. Zuerst erliess er in der Hallischen L.-Ztg. 1812.
No.318 [S. 849 — 851] eine Antikritik, worin er über Verfälschung
klagte; wie es sich damit verhalte, hat Rec. in dem Intelligenz-
blatt der Jahrbücher 1813. H, S. 10-13 [= oben S. 100-103]
bündig genug gezeigt. Sodann erschien gegenwärtige dort
schon angekündigte Schrift. Hr. Rühs fängt damit an, dem
Rec. oder Jacob Grimm die Recension seines Buchs in der
Jenaer L.-Ztg. 1813 Januar [S. 169—173 von XYZ]*), und zwar
mit gewohnter Sicherheit zuzuschreiben, so dass er diese Be-
hauptung, man mag selber sehen, in welchen Reden, ganz durch-
führt. Rec. gibt hier öffentlich sein Wort, dass er so wenig,
als Jacob Grimm den allerentferntesten Antheil an dieser Jenaer
Kritik gehabt und durch den Druck sie ihnen zuerst bekannt
geworden. Die Redaction der Jenaer L.-Ztg. wird dies leicht
auch noch bezeugen, und der Verf. derselben nennt sich wohl
selber. Ohnehin unterschreibt der Rec. jene Kritik nicht in
allem Einzelnen ; richtig ist, dass Hr. Müller in der Schrift über
213 die Asalehre sich nicht mit der Hypothese vom angelsächsischen
Ursprung der nordischen Poesie abgegeben, sie also auch nicht
*) [D. h. von Gräter, s. Briefwechsel zwischen J. und W. Grimm S. 260.]
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS. 141
widerlegt hat: Rec. wunderte sich selbst, als er diese Behauptung
dort fand.
Hr. Rühs äussert sich darauf für jene Sätze. Gegen den
ersten, dass die Alliteration sich sonst nicht finde (die Hall. L.-
Ztg. No. 318 [S. 849] behauptete noch: „die Alliteration sei unter
den germanischen Völkern nur bei den Ags. und Isländern das
metrische Grundgesetz gewesen"), hatte Rec. hauptsächlich ein-
gewendet, es scheine nicht, es sei ganz gewiss, dass in zweien
altdeutschen Gedichten nicht nur, sondern auch in einem dritten
sie vorkomme, mithin bei anderen Völkern desselben Stammes,
so dass sie nicht als eine Eigenthümlichkeit der Angelsachsen
gelten könne; ferner in den faröischen Rimur. Hr. Rühs, der
in dem Buch nur mit einem vielleicht die Vermuthung ein-
leitete, die beiden, denn das dritte kannte er noch nicht, seien
von Geistlichen in England oder nach angelsächsischen Mustern
gebildet, fahrt jetzt leichter fort: kein Geschichtsforscher, der
den Einfluss der Ags. auf deutsche Cultur nur zu würdigen
wisse (er selbst verspricht etwas eigenes Forschendes darüber
in Schlegels Museum), könne es bezweifeln, dass diese Ge-
dichte sämmtlich von Angelsachsen herrührten, wodurch im
voraus jedes unserer alten Gedichte, in welchen sich noch
Alliteration entdecken sollte, hinlänglich abgewiesen wird (was
die faröischen Rimur betrifft, so gibt schon die Hall. L.-Ztg.
die Antwort: es. müsse erst bewiesen werden, dass sie nicht
unmittelbar aus Island dahin gebracht: natürlicher scheint es
dem Rec, erst den Beweis zu verlangen, dass sie erborsrt
seien). Er lässt es um so eher dabei bewenden und anderen
die Entscheidung, da noch nicht lang ein ausgezeichneter Ge-
lehrter, dem vor allen hier ein Urtheil zukommt, öffentlich be-
hauptet hat, es sei durch jene Gedichte das frühe Dasein und
allgemeine Verbreitung der Alliteration in Deutschland schlagend
bewiesen. — Übrigens, hatte früherhin Hr. Rühs doch die mög-
liche altdeutsche Alliteration etwas gescheut und damit (ausser
dem ags. Ursprung derselben, der freilich überall am besten
aushilft) abgewendet S. 80 s. Edda, „es seien einzelne Spuren,
die sich zu bald verlören, um annehmen zu können, es sei all-
gemeine Regel", so ist er jetzt S. 25 viel fester und fürchtet 2U
die allgemeineVerbreitung gar nicht in den germanischen Stämmen,
142 ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS.
sein Satz bleibe doch wahr; ja noch mehr, selbst einzelne Bei-
spiele, die etwa in Norwegen, Schweden oder Dänemark nach-
gewiesen würden (nach dem Buch S. 114 war „keine Spur"
dort zu finden), verschlagen ihm nichts, diese „können nur als
Nachahmung gelten." Er verlangt jetzt alliterirende Gedichte
in Norwegen, Schweden und Dänemark „in bedeutender An-
zahl" nachgewiesen, ehe er entkräftet werde. Wenn Hr. Rühs
erst dahin 'gebracht wird, zu sagen, wie er es eigentlich meint,
weiss er sich zu sichern.
Was den zweiten Satz betrifft, so sieht man aus den vorhin
angezogenen, S. 115 der Rühsischen Edda befindlichen Worten,,
wie er aufgestellt war. Die als Beispiel gegebenen 50 Wörter
sollten sich weder in der nordischen (d. h. bei Hrn. R. is-
ländischen) Prosa noch sonst in den übrigen Dialekten finden.
Auch andere Äusserungen — z. B. diese Worte seien der ge-
wöhnlichen nordischen (isländischen) Sprache und den nor-
dischen Dialekten „ganz fremd und niemals ins Leben
übergegangen" S. 91. 118; ferner: „dass die Ags. sie von den
nordischen Völkern geborgt haben, kann man nicht annehmen,
weil — sich nicht begreifen lässt, warum sie in den übrigen
skandinavischen Mundarten ausgestorben sind und sich
nur im Isländischen erhalten haben" S. 119 — , meint Rec.^
lassen am wenigsten eine mildere Ansicht hinter jenem Aus-
spruch vermuthen. Allein jetzt erklärt Hr. Rühs den Satz erst
recht in seiner wahren Bedeutung und weiss es dem Rec. an-
zurechnen, dass er sie nicht gefunden, während dieser sich vor
der Anklage einer Verfälschung gefürchtet, wenn er sie hinein-
gelegt hätte. Nämlich Hallische L.-Ztg. 1812. No. 318 [S. 850]:
„das Treffende und Bindende meines Beweises liegt gar nicht
in der Identität der Wurzel in anderen germanischen Dialekten,
sondern in der Form" (Form ist hier in der Schrift S. 22
auch noch erklärt durch: „Schreibung"); „ganz in derselben
Form und Bedeutung müssen die Wörter in der isländischen
Prosa oder in den übrigen nordischen Dialekten nachgewiesen
werden." Ferner hier S. 17 und 18: „beide Sprachen (Ags. und
Isl.) gehören zu einem Stamme; es ist daher natürlich, dass die
215 Wurzeln der Wörter oft vorhanden sein müssen, aber eben die
Ausbildung und genaue Bestimmung bildet den Dialekt; da-^
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS. 14^
her sindWörter, die auch in anderer Bedeutung sonst vor-
kommen, hier aber eine bestimmte Nuance haben, am meisten
zum Beweise geeignet." — «Ganz nothwendig müssen die ags.
Wörter ihre Verwandtschaft in anderen germanischen Sprachen
haben, wenn sie nicht etwa aus anderen Zungen entlehnt sind,
was wohl bisweilen der Fall sein mag, aber diese Verwandt-
schaft ist meist sehr entfernt, sie deutet bestimmt auf die
eigene Ausbildung.'* Die neuen Worte, „am meisten zum Be-
weise geeignet", sind merkwürdig, sie sollen mit zudecken helfen;
denn gäbe man zu (was ßec. leugnet), dass auf diesem Wege
etwas könnte bewiesen werden, so wären doch ganz offenbar
solche W örter, die in keinen Nuancen mehr sich finden, welche
ganz fremd und gleichsam sonst ausgestorben oder wie
niemals ins Leben übergegangen dastehen, kurz wie etwas
Geborgtes, was sie sein sollen, zum Beweis der Hypothese viel
geschickter. Allein, gerade auf die Sache eingegangen, diese
Modificationen heben den alten Satz auf, einmal können
blosse Übereinstimmungen in Nuancen noch viel weniger be-
weisen, dass die ganze ausgebreitete Poesie erborgt sei (dabei
muss man nicht vergessen, dass die Ähnlichkeit derselben bei
beiden Völkern durchaus nicht bestritten wird und sich sehr
wohl sonsther erklärt); dann aber, auch ohne das, ist es jetzt
ein endloser Schlupfwinkel, um in jedem einzelnen Falle sich
zurückzuziehen und zu behaupten, das passe nicht hierher, so-
dass alle weitere Bestreitung völlig fruchtlos ist. Beispiele
werden dies klar machen ; in dem neugelieferten Verzeichnis
S. 22 steht hier isl. b öl, ags. beal, Verderben, Übel. Bemerkte
jemand, es sei auch altdeutsch: symb. p. 22 palo, Teutonista:
bail, so würde geantwortet, es sei zwar die Wurzel, aber die
Schreibung verschieden, dort ein p für b, hier ein ai für au.
Ebenso wird es bei folgendem ergehen. Hr. Kühs stellt auf:
«isl. flug, ags. flyge Flucht." Im Ags. ist die doppelte Form:
f^ygß? flyht: fuga und volatus; in der nord. Prosa: flug
volatus, Niäla c. 128 und im Schwed. flygt volatus und auch
flykt fuga. — Ferner: isl. gunn, guth, ags. guth Krieg,
das Wort war aber auch im Altdeutschen, Hildebr.-Lied V. 4 2i&
guthamum, acc. pl. Kriegskleider, und in den Namen Gunnarr,
Gundachar, Gundobald durch die skandinavischen sowohl, als
144 ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜIiS.
deutschen Mundarten verbreitet, und es fühlt wohl jeder, wie
unpassend und falsch es ist, zu behaupten, es sei durch die angel-
sächsische erst in die nordische (isl.) Poesie gekommen; Hr. Rühs
aber kann einwenden, es seien Nuancen wegen der Zusammen-
setzungen.— Thiodan, Theodan Herr, biodr, beode Tisch,
hat auch Ulphilas: thiudans und biuds, da wird aber das
fehlende s die Widerlegung entkräften und „auf eigene Ausbildung
bei den Angelsachsen deuten."
Damit wäre eigentlich die Sache beendigt und einerlei, ob
jene Beispielsammlung richtig oder nicht, weil das, was sie
nach der neuen Erklärung beweisen soll, gar nichts beweist;
allein Rec. will sich nichts erlassen. Er hatte gezeigt, dass von
jenen 50 aufgestellten Wörtern 44 in anderen Dialekten der
germanischen Sprachen sich wiederfänden ; die deutsche, nament-
lich die altdeutsche, Ulphilas und die Glossen, gehörte dazu als
ein Zweig des Stammes; wer mag sagen, was bei dem gothischen
Ulphilas schon sich findet, hätten die nordischen (isl.) Dichter
«rst durch die Ags. erhalten? Sollte Hr. Rühs das sagen, so hält
Rec. jedes Wort dagegen für unnöthig. (Ein Glück nur, dass
den Ulphilas die Zeitrechnung vor einer Behauptung, auch er
habe von den Ags. geborgt, schützt.J Fünf jener Wörter waren
als zweifelhaft bezeichnet, eins blieb zurück. Hr. Rühs ant-
wortet hier: „jenes Verzeichnis habe er bloss nach erster Er-
innerung gemacht, ohne den Ihre nachzuschlagen" (und so fiel
es ihm natürlich nicht bei, dass ein grosser Theil der aufge-
stellten ags. und altnord. Wörter auch schwedisch war). Zehn
wolle er als nichts beweisend zurücknehmen; jedoch nur zu
etwa neun (worunter aber drei von den fünf zweifelhaften sind
und das eine, das zurückblieb) macht er Gegenbemerkungen.
1. Bioila Schelle, altd. Belle, wird in der Rec. von
bellen, schwed. bäla, isl. baula, belia, abgeleitet. Hr.
Rühs: „nichts ist unglücklicher, als die Herleitung aus
dieser Wurzel." Sie ist aber so unzweifelhaft, dass jedes Wort
^17 überflüssig wäre ; man vergl. Adelung v. Bellen, welcher gleicher
Meinung: ausgeführt hat und dessen Scharfsinn in diesem Fach,
ob er ihn hier gleich nicht aufzuwenden brauchte, niemand be-
zweifeln wird.
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RUHS. 145
2. Rec. : frega soll heissen fregna. Hr. Rühs wendet ein,
es finde sieh diese Form als poetische bei Olafsen. — Das ist
wahr, allein nur im Register; schlägt man die dabei citirten
Stellen nach, so findet sie sich nicht, so wie sie Rec. in keinem
nordischen Buch und keinem Glossar gefunden (wiewohl sie mög-
lich wäre), sondern allzeit fregna. Also bleibt es fürs erste bei
seiner obigen Behauptung. (Dabei vergisst Hr. Rühs gänzlich,
dass Rec. ihm die schwedischen Formen fraega und fraegna
vorhielt, die ihn so ganz widerlegen.)
3. Rec: freah soll heissen frekr. Nämlich freah ist
durchaus nicht nordisch und musste verbessert werden. Hr.
Rühs sagt, 1) „ob sich die Form freah im Isländischen wirklich
finde oder durch einen Schreib- oder Druckfehler sich ein-
geschlichen habe, muss ich dahingestellt sein lassen."
Unverständlich, da es sich nirgends findet und über seinen
eigenen Schreibfehler Hr. Rühs ohne Zweifel entscheiden kann.
2) „Kein vernünftiger Mensch wird freah und frekr ver-
gleichen — das isländische Wort heisst (sollte heissen) freyr." —
Die Zusammenstellung des ags. freah (liber und daher dominus,
übrigens müsste es in letzterer Bedeutung genauer von Hrn. R.
frea geschrieben sein) mit frekr macht gar keine Schwierig-
keit, wenn man nur das hinlänglich Bekannte weiss, dass frech
und frei dasselbe Wort ist, nur durch die Aussprache ver-
schieden; man sehe Adelung darüber. Im Trojanischen Krieo-
V. 21419. 25228 [21546. 25380 Keller] die vermittelnde Form.,
fr ei eh.
Schlimm ist es dagegen, weil es einen wirklichen Fehler
veranlasst, wenn Hr. Rühs hilmir Fürst und hiälmr Helm
verwechselt und engla heim, das dem nord. ein gl a hilmir
angelorum rex entspricht, S. 85 seiner Edda durch: der Engel
Helm übersetzt, so wie aethelinga heim der Edlen Fürst:
der Edlen Helm. Beide Worte sind zwar verwandt, aber doch
viel entfernter.
4. Rec: kne cognatio (es steht der völlig unbedeutende 218
Druckf. cognatus in der Rec. [=oben S.87]), altdeutsch cnuosl im
Hildebr.-Lied, und ebenso: kne (Zusatz: und zwar häufig, s.
Oberlin) auch altfries. Asegab. 36. 1 1 6. Ferner deutsch : k n an im
W. GRIMM, KL. SCIIUII-TES. II. 10
146 ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS.
Simplicissimus. Verwandt istkunne,kynue genus, das dänische
kiön. — Hr. Rühs: „seine Wurzel ist knie (Glied) und cyn,
kind, kön lässt sich gar nicht damit zusammenstellen,
es gehört zu einem ganz anderen Stamm."
Die Hauptsache, dass das Wort in anderen Dialekten, sogar
auch im Altfriesischen sich findet, ist wiederum übergangen und
nur eine andere Ableitung mitgetheilt, die man auch bei Ober-
lin, Adelung findet. Es kommt knae, knie (genu) im Schwed.
und Dithmars. in der Bedeutung von Verwandtschaftsgrad und
Geschlechtsfolge vor, und da hat gerade Adelung die gute Ver-
muthung, es sei aus dem alten kunne Geschlecht zusammen-
gezogen. Die Verwandtschaft zwischen kynne, kunne, kiön
und kne, knän ist ganz ausser Zweifel.
5. Rec. : lokr Säge, isl. und schwed. lüka lösen, auf-
lösen, deutsch: lockern locker machen, welches mit Sägen
zusammenkommt; ferner ist Lücke, Loch und löchern damit
verwandt. Hr. Rühs: „lukan lösen, auflösen, und davon soll
locer die Säge kommen!! Es bedeutet gerade das Gegen-
theil, li'ika isl., luka altschw., belucan ags. heisst claudere,
obserare, verschliessen. Hat Hrn. Grimm vielleicht Ihres: ut
latini solvere debitum dicunt verführt? Das wäre fast
zu arg!"
An dieser eifriijen Erklärung des Hrn. Prof. Rühs ist die
Meinung des Rec. Schuld , dass es unnöthig sei , Bekanntes und
was sich von selbst verstehe anzuführen, also 1) dass lüka
auch schliessen, claudere heisse, denn es steht in allen isländ.
und schwed. Glossarien, 2) was alle Sprachforscher wissen, dass
häufig ein und dasselbe Wort die beiden entgegengesetzten Be-
deutungen in sich fasse, weil sie sich berühren (der Grund liegt
tief, dasselbe Verhältnis erscheint auch in den Mythen); um
nur etwas Allbekanntes anzuführen, so hat schlecht die Be-
2i9deutung von bös und gut, obgleich die erste und nicht die
ursprünglichere jetzt vorherrscht, während eine andere ganz
nahliegende Form schlicht bloss die letztere hat. Mit h'ika
verhält es sich ebenso; das Wort an sich betrachtet hängt
ohne allen Zweifel mit lochen, löchern, lockern ganz nahe
zusammen. Die Lücke ist im Haus nicht nur die Öffiumg,
I
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS. 147
die verschlossen wird, sondern auch das Verschliessende selbst,
wie Thür und Fenster, darum heisst in der Schweiz (s. Stal-
ders Idiotikon) die schliessende Gatterthüre : Lücke, Lügge.
Ferner: lyklar die Schlüssel schliessen sowohl als sie öffnen;
der Begriff von Schliessen geht mit dem von Auflösen oft zu-
sammen, das Ende schliesst und löst auf: so hat das gloss.
synt. lok, operculum (und auch Ende, Auflösung, z. B. aldr-
lok Lebensschluss oder Auflösung), hoc haud dubie affine -<a
ger. lochforamen, apertura. Lüka upp und liika allein, also
gerade, hält man claudere für die eigentliche Bedeutung, die
Gegensätze werden in der Bedeutung von: sententiam ferre^
decidere ganz gleich gebraucht, s. Niäla isl. Text S. 77, lat-
Übers. S. 415 Note f. — Daselbst steht c. 117 lauk upp
schloss auf, aber auch c. 61 tak thü nü vid kistu lyklum minum?
thuiat ek mun theim eigi lüka optarr, welches in der lat. Übers.
richtig heisst: accipe claves scriniorum meorum, haec enim non
amplius reserabo. (Unnöthig ist das Bedenken, welches das
Glossar hernach äussert und claudere übersetzen will, vix enim
recte capitur lüka simpliciter pro reserare.) Das schwed.
skuld lüka, debitum solvere entspricht dem deutschen: von
einer Schuld sich lösen, so heisst ferner im Nord, lüka fyrir
sik, multam solvere, s. Niäla, sich lösen. Endlich steht
Folgendes in den Glossarien, die Hrn. R. selbst zur Hand waren,
und was den Rec. aller Ausführung überhob. Olafsen: lüka,
solvere, expedire. — Gloss. synt. lyk, claudo, it. absolvo. —
Gl. edd. ek lyk, solvo, rependo, reddo, est sensus translatus
verbi at lüka claudere, finire.
Rec. sagt gern nur das Nöthigste, Hr. Rübs liebt aber die
Bequemlichkeit — alles, was über das ganz Gewöhnliche hin-
ausgeht, gut genug und kurz durch eine „unbegreifliche Un-220
wissenheit" sich deutlich zu machen. Dies passt, wie man
sieht, auf alle seine Bemerkungen; zuweilen mildert er wohl
den Ausdruck und sagt wie oben bei frekr: „kein vernünftiger
Mensch" könne dergleichen behaupten oder auch: „nur die
grösste Unkunde", wie bei maugr; es ist aber eigentlich immer
dasselbe. Ja gleich Eingangs S. 4 hat er nicht ohne Gross-
muth dem Rec. und Jacob Grimm einen ganzen Folianten
10*
148 ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS.
Fehler nachgesehen und geschenkt; wäre nur anzunehmen, dass
das lauter nicht ganz gewöhnliche Dinge gewesen, könnten sie
stolz auf das gelehrte Werk sein, das sie schon in die Welt
geschickt.
6, Rec. : mäkir Degen mit dem lat. und griech. ma-
chaera verwandt. Hr. Rühs: ^das ist ungefähr so viel, als
wenn Gudm. Andrea in seiner Unschuld seger von sag um
ableitet und dabei schreibt sag, Persis canis. — Rec. setzt bloss
hinzu, dass mäkir mit machaera, dem böhm. mec, dem
wend. mecz, dem finn. micka und dem deutschen Messer
(es ist ein Wort, k und s haben sich bloss vertauscht, wie
ülph. kukjan küssen hat) nach längst begründeten Ansichten
(s. Adelung, ja auch der von Hrn. Rühs gerühmte Ihre, als
welcher den rechten Takt habe, bemerkt das griechische Wort)
ohne Zweifel verwandt ist und an ein Erborgen von den Angel-
sachsen nicht zu denken. Indessen kann sich Hr. Rühs jetzt nach
der neuen Erklärung leicht an die Verschiedenheit in der Form
und Schreibung (denn Stechmesser heisst im Altdeutschen auch
Degen) halten, wiewohl zwischen dem nord. mäkir und dem
ags. meca, mece auch eine kleine wäre.
7. Rec: mala femina, ags. mevola, Ulph. mavi und
diminut. mavilo, deutsch: Magd, Maid, dän. und schwed.
Mö, S.Adelung. Hr. Rühs: „mala und meavla (jenes sprich
maula und fast so dieses) wird mit Meid, Magd zusammenge-
stellt, aber höchst unglücklich, denn die Isländer haben
ebenfalls das Wort mey." — Die Erklärung des Rec. ist aber
ganz sicher und alles Weitere darüber unnöthig; man vergleiche
nur die Ausführung bei dem citirten Adelung. Im Altdeutschen
haben wir auch die Formen Meid, Magd und Maget zugleich.
221 8. Rec: Meithmar Gut, Geschenk. Ulph. Maithms, alt-
deutsch: Miete. Hr. Rühs: „Mathmas, Meithmar lassen sich
durchaus nicht mit dem altdeutschen Miete, unserem Miethe,
zusammenstellen, das stets Lohn, Gewinn bedeutet." Es ist
aber überflüssig bekannt, dass Miete in der Bedeutung von Gut,
Geschenk im Altdeutschen vorkommt und Lohn da eine grund-
falsche Erklärung wäre, z. B. im armen Heinrich 844, s. Ober-
lin. h. V.
9. Rec: mögr Sohn, cognatus, schwed. make, altdeutsch:
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE TON RÜHS. 149
Mage. — Hr. Rühs; „das schwed. make bedeutet einen Ge-
nossen — nur die grösste ünkunde konnte auf dieses Wort
fallen: unserem altdeutschen Magen entspricht das schwed. mag."
Gleichwohl ist make socius nichts anders, als eine dem
mag ganz nah verwandte Form eines Worts; ein Verwandter
ist ein Hausgenosse, affinis. Man vergleiche das gloss. synt. s.
voce maki. Ausserdem heisst das nord. maugr auch socius
s. Gl. edd. Adelung führt es recht gut aus: ^das Zeitwort
machen, im Aleman. gimachon, beim Kero kimachon be-
deutete ehedem auch vereinigen, verbinden, vermischen; daher
ist gimach beim Ottfr. und anderen Oberdeutschen ein Paar:
zua dubono gimacho. ein Paar Tauben, und kimachida in Bocks-
horns Glossen contubernium. Eben um deswillen bedeutet auch
make im Schwed. einen Gehülfen, Gesellen, mage im Ober-
deutschen einen Verwandten." Rec. drückt sich also nur voll-
ständiger so aus: „mögr, schwed. make und mag, altdeutsch
Mage" (auch gehen die Formen in einander über, z. B. von
sipschaft sin mauc. Troj. Krieg 6863 [6870 K.]); Rec. wollte so
bekannte und hinlänglich ausgeführte Dinge nicht wiederholen.
10. Hr. Rühs hatte aufgestellt: _isl. naorli a^s. naeeel,
Nagel (spik)." Also glaubte er, was ganz klar ist, in den nor-
dischen Dialekten finde sich das Wort sonst nicht (und das hinzu-
gefügte spik clavus sollte wohl anzeigen, die Schweden hätten
dafür diesen Ausdruck, doch war das einerlei). Rec. hielt ihm
nun entgegen, was ihn ganz einfach widerlegt (so dass Rec.
nicht einmal absieht, wie jetzt die Nuancen durchhelfen wollen), 222
nämlich das schwed. nagel und dän. nagle, ganz in derselben
Bedeutung von clavus. Rec. hatte [oben S. 87] geglaubt, das nor-
dische nagli und spik heisse ausser clavus auch noch clavis, das
war ein Irrthum, den er hier bekennt, er scheint ihm nicht gross
bei den nahe liegenden Begriffen, clavis ist das Schliessende, Ver-
bindende, wie clavus (a claudendo), und die Verwandtschaft des
nord. nagli clavus mit dem dän. nögl clavis ist so wahrschein-
lich, als die zwischen den beiden lateinischen Worten. Hr. Rühs
konnte diesen Irrthum, der zur Sache gar nichts that, bemerken,
Rec, wäre ihm dankbar gewesen; sehr billig hätte er dagegen
gestehen müssen, dass er widerlegt und das Wort im Verzeichnis
zu streichen sei. Hr. Rühs thut aber Folgendes: 1) er stellt
150 ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS.
die Sache so auf, dass jeder meint, der Rec. habe bloss ge-
sagt, nagli und spik heisse Schlüssel, und habe clavus mit
clavis verwechselt, was ihm nie einfallen konnte; zu spik clavus
bemerkte er sogar die verwandten deutschen Ausdrücke: Spitze,
Speiche, wozu noch näher Spiecker kann gefügt werden. —
2) Er verschweigt, dass Rec. ihn ganz widerlegt hat; ja er trägt
kein Bedenken, jetzt, was ihm dort vom Rec. bemerkt war,
als müsse er ihn hierin belehren, wieder vorsagen zu wollen:
S. 7 „nagli isl. , naegl ags. , na gel schwed. und negl
dän. heisst clavus und unguis." Dabei sind aber zwei Irrthümer
eingeflossen, denn das nord. nagli clavus heisst nicht auch
unguis, sondern nagl, nögl ist das Wort dafür; und umge-
kehrt das dän. negl heisst, soviel Rec. weiss, bloss unguis,
nicht clavus, wofür das oben bemerkte nagle vorhanden ist;
nur das ags. vmd schwed. Wort haben beide Bedeutungen
zugleich. Rec. sähe demnach seine Fehler nach anderen Seiten
hier von Hrn. Rühs zweifach begangen. —
11. Rec: Sefi Gemüth, in mannigfache Worte über-
gegangen (Zusatz: d. h. Wurzel derselben) und verwandt
mit dem schwed. Sef, Sefe Ruhe. Hr. Rühs führt diese
Worte des Rec. also an: „Sefi, Sefa soll das schwed. Sefe
sein. Das ist nun wieder durch einen etymologischen salto
mortale herbeigeholt, aber zum Unglück ist auch im Ags. syb,
223Sybbe Ruhe" (Bemerkung des Rec, als gebe es nicht ver-
schiedene Formen, Ihre hat aber bei sef auch das ags. syb),
„Ihre führt es nur als Wurzel einiger Ableitungen an." Man
sieht, dass Rec. nichts anderes gesagt hat: säf werlig tran-
quillus, säflighet animi moderatio sind schwedische Wörter.
12 — 17. Was nun folgt, Bemerkungen des Hrn. Rühs zu
seggr (er sieht verächtlich auf das gl. edd., dem Rec. bei-
stimmte, dessen Werth Hr. Rühs nicht kennt), snotr, sunna,
thengil, thulr, vang, angr ist bloss eine andere Form (vergl.
Ihre V. aeng), enthalten gar nichts, was nur den Schein eines
Beweises für seine Behauptungen hätte, oder wo er da ist, be-
darf es zum Urtheil nur der leichtesten Kenntnis, z. B. bei
thulr (die gewöhnliche Form aller Glossarien, der Edda, Niäla,
Olafsens). Da meint Hr. Rühs, es komme zwar beim Gud-
ÜBER DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS. ]51
mund thvlia vor in der Bedeutung von reden, aber Ihre be-
hauptet, es heisse nugari. Das soll also widerlegen. Nicht
einmal das deutsche dahlen, thalen, das Rec. als entsprechend
bemerkte, brachte ihn darauf, einzusehen, dass das Wort beide
nahliegende Begriffe zugleich enthalte (überdies hatte das gl.
edd.: thylia fabulari, sermoncs fundere und das treffliche der
NicUa: thylia perlegere, perorare, thulr lector, orator). So
bleibt ihm denn auch der ganz klare Zusammenhang mit dem
provinziellen tule ein Possenmacher, nugator unbegreiflich,
er aber dabei, „das Wort möchte doch wohl aus Ags. ge-
borgt sein", während es eins seiner unglücklichsten Beispiele
ist. Rec. kann in nichts von seinen Erklärungen abweichen
und bittet bloss, was er gesagt, dagegenzuhalten.
18. 19. Ganz nothwendig ist eine Vergleichung mit des
Rec. Worten bei dem, was Hr. Rühs zu tungl und sigli (auch
bei Mi mir) anführt. Blosse Vermuthungen des Rec, denen
er noch jetzt beistimmt, werden ohne Weiteres als Gewissheit
und mit anderen Worten vorgetragen.
Auf das , was nun folgt und was Hr. Rühs gegen die An- 225
sieht des Rec. sagt, antwortet er nicht, wie in der vorigen Re-
cension; selbst wenn er wollte, würde es nicht angehen, weil
die eigenen Worte des Hrn. Rühs, die er doch anführen müsste,
den Anstand beleidigen. Folgendes lässt sich noch herausheben.
Rec. sagte: -das nord. und ags. Wort, das Hr. Rühs im
Sinn hat (Zusatz: oder haben sollte), heisst veria und müsste
veriandi bilden." Hr. Rühs übersieht, dass beim Rec., falls
er die ags. Form hätte anführen wollen, werjan dastehen
müsste, und schreibt ihm kurz die Worte zu: „das angel-
sächsische Wort, das Hr. Rühs im Sinne hat, heisst veria",
hilft sich auch leicht, indem er wiederholt, was schon im Buche
steht, dass die Ags. auch weardan hätten, und was zu be-
zweifeln dem Rec. gar nicht einfiel: nur citirt er sein ags.
Lexikon. Die Norne Verdandi vom nord. varda, welches
dem ags. weardan entspricht, abzuleiten ist auch unstattbar,
weil es ja vardandi heissen müsste. — Den Bemerkungen des
Rec. über Urd ist es nicht besser ergangen; Hr. Rühs lässt
ihn bloss behaupten: „das isländ. Wort für Schicksal sei orth.''
152 L'ßEK DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS.
Er hat aber durchaus nichts anderes gesagt als: dem ags.
wyrd (und der anderen Form: word) verbum und fatum ent-
spreche das altdeutsche (schon in der gl. rhab.) uyrd, wurt
und das isländ. orth, was wohl alles keinen Zweifel leidet und
Hrn. Rühs vollständig widerlegt. Denn wollte die nordische
Poesie fatum, verbum (die Begriffe gehen in einander über) durch
eine Walkyrie andeuten, so lag ihr das einheimische orth näher,
226 als die ags. Form wyrd, die ja ohnehin auch von Urd^) viel
mehr äusserlich abweicht. Hätten die nordischen Dichter die
NorneWyrd genannt, während daneben ihre eigene Sprache
orth 2:e währte, dann verdiente der Umstand Berücksichtiguno:.
— Das schlimmste Schicksal in der Art hat ein kleiner Wunsch
des Rec. Er bedauerte nämlich (s. 972 der Kecension [= oben
S. 92]), dass die finnischen Wörter, welche in einer Unter-
suchung von Olafsen nach dem Ausspruch des Hrn. Rühs auch
müssten gestrichen werden, nicht namentlich angegeben wären;
natürlich, weil eine solche Berichtigung angenehm und der Re-
censent, welcher nicht, wie Hr. Rühs, ein Kenner der finnischen
Sprache ist, selbst nicht geschickt dazu war. Was nun höch-
stens ein Wunsch ist, sieht Hr. Rühs als eine Forderung nach
einer Erklärung an, warum die Hälfte aller von Olafsen
aus verschiedenen Sprachen hierbei zusammengestellter (das ist
die Meinung des Hrn. Rühs, die Rec. ganz in ihrer Ruhe lässt)
müssten gestrichen werden. Er thut's wirklich und erklärt sich
darüber, man sehe, was er S. 14 und 15 recht gut beibringt
(Rec. hält's nur für falsch), und wie er jene Forderung, mithin
0 Hierbei eine Note. Die Worte des Rec. waren: Urd (urdii es ward
von verda werden)." Hr. Rühs gibt aber an S. 22, ., Urda soll das Im-
perfectuin sein statt wart." Dabei ist zweierlei zu bemerken: 1) die Norne
heisst nicht Urda, sondern Urd oder Urdu r. 2) Nicht statt vart, sondern
vard soll Urd stehen; der Plural, urdu ward hinzugesetzt, um zu zeiyfen,
dass das u für va hier noch hervortrete und keinen Einwurf mache. Wir
haben ja auch im Deutschen die doppelte Form ward und wurde, was wieder
für jene Auslegung spricht. Hr. Rühs führt kurz vorher auch den Nom.
Urdu an; es sollte Rec. leid tiiun, wenn jener Plural von Hrn. Rühs als eine
andere Form angesehen iind gebraucht wäre. Vielleicht ist es blosser Druck-
fehler für das falsche Urda. — Noch eine Kleinigkeit. Hr. Rühs bringt aus
der Edda bei: „Urthar orthi Schicksals-Worte." Es ist aber orthi kein Nom.
Plur., sondern der Dat. Sing.
LBEIi DEN URSPRUNG DER ISLÄNDISCHEN POESIE VON RÜHS. 153
auch den gelehrten Olafsen, wacker in die Schule nimmt, der
demnach «die Elemente der richtigen und gründlichen Wort-
forschung nicht begriflPen hat."
Folgendes ist vor dem Schluss gewissenhaft zu bemerken.
Zu den Worten in der Rec. S. 974 [= oben S. 93] „im Ags,
heisst nicht Thundr, sondern Thunor der Donner", setze man2-27
hinter nicht: „oder ganz ungewöhnlich". Es hat auf das Re-
sultat natürlich keinen Einfluss und wird bloss der Vollständig-
keit wegen bemerkt; auf jeden Fall ist die Inconsequenz des
Hrn. Rühs zu berichtigen, womit er gleich neben thundr den
Gen. thunres modur nach der gewöhnlichen Form anführt.
Dass Hr. Rühs jene Form erdichtet, davon steht auch nicht ein
Wort in der Recension, wiewohl er hier S. 10 in schöner Sicher-
heit behauptet, es werde ihm „geradezu vorgeworfen"; auf keinen
Fall hätte er es absichtlich gethan, sondern unschuldig, wie
bei der Person Werdur, bei Urda und oben bei freah, wo
er jetzt noch nicht weiss, wie er dazu gekommen. — S. 968
[= oben S. 87] ist bei räsir wegen eines kleinen, wahrhaftig
unschuldigen Versehens um Verzeihung zu bitten. In seinen
Collectaneen fand Rec, dass Peringskjöld in den Noten zu
Cochlaei vita Theodorici anführte, auf einer westgothischen
Münze unter dem Bilde des Königs stehe ressmadr tapferer
Mann, und das sei noch jetzt üblicher Ausdruck. Rec. besitzt
das Buch nicht selber; weil hier nun gar nichts dadurch ent-
schieden werden sollte, sondern es nur eine Bestätigung der
vorangehenden Meinung war, so fügte er, ohne nachzusehen,
die Anmerkung hinzu. Hr. Rühs, der das Buch besitzt, hat
so gut, wie jeder, der es nachsieht, gemerkt, was Schuld an
dem unrichtigen Citat war, es auch redlich gesagt, doch aber,
um sich selber nicht zu verkürzen, einen anderen Fall S. 37
und 38 mit mehr Lust und Anhänglichkeit, auch mit reicheren
Folgerungen durchgeführt. Rec, nun aufmerksam gemacht,
erkennt freilich bei genauer Betrachtung selber deutlich genug,
dass nicht unter dem Königskopf, sondern unter dem Reuter
eine Inschrift steht, die sehr unleserlich, und dass jenes eine
blosse Conjectur ist. Man streiche also diese zweifelhafte Be-
merkung; wie gesagt, in der Sache ändert sich dadurch nichts,
154 BEMERKUNG.
und Rec. hat damit bloss sich, nicht Hrn. Rühs geschadet. —
Skiola S. 975 [= oben S. 95] für skyla hat wahrscheinlich
der Corrector gelesen, weil er skioldr daneben sah, es ist hin-
länglich bekannt. — S. 979 [= oben S. 98] Note ist tabulae
für tabula zu setzen.
Rec. hat sonst keinen Irrthum zu bekennen und nimmt
nichts zurück. Leicht hat er sich aller Folgerungren enthalten,
228 denn sie können niemanden entgehen, und überhaupt ungern
diese Bemerkungen aufgeschrieben, aber seine Pflicht als Re-
censent nöthigten ihn und sein früheres Versprechen; auch musste
er sich wegen der Jenaer Kritik erklären.
Gar über die Weise, worin Hr. Rühs sich gefasst hat, zu
reden, wird kein Ehrliebender zumuthen. Wer wollte den
Schmutz auch nur anrühren, in welchem diese Blätter einer
gemeinen und besinnungslosen Wuth, die längst über den Grad,
der beleidigt, hinaus ist, schwimmen.
\Y. C. Grimm.
55 BEMERKUNG
zu der Recension der altdänischen Lieder in der Hall. Allg.Lit.-Ztg.No.95 und 96.
[Bdl, S. 753— 756. 761—767.]
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang VIII (1815) Bd H,
Intelligenzblatt No. VI, S. 55 — 57.
i.1 yerup hat sich in der neuen Ausgabe der Kämpeviser
günstig genug über meine Übersetzung geäussert, andere haben
es auch gethan, jene Recension in der Hall. Lit.-Ztg. sucht ein
entgegengesetztes Urtheil in den Gang zu bringen, wornach sie
eine blosse Travestirung ist, und ich verkenne den bösen W^illen
sowohl im Eingang als Schluss der einzelnen Bemerkungen [S. 756.
767] nicht. Dagegen bin ich gleichgültig geworden, zumal seit ich
das Rasen und Treiben zweier und dreier namenloser Recensenten
kenne, wovon mir immer einer so lieb ist als der andere. Aber
die Bemerkungen selbst enthalten einiges W^ahre, und das scheide
ich von jener edlen Gesinnung. Will sich der Verfasser der-
selben (ein anderer ist leicht der Einsender der Recension und
BEMERKUNG. 155
jener bekannte Forscher, der es der Redaction der L.-Z. dringend
genug muss gemacht haben, da das Buch daselbst schon im
Jahr 1813 No. 171 [S. 535 — 536] ruhig recensirt ist) nennen,
so könnte ich ihm ausführlich mittheilen, warum sein Tadel
mich wenig triflft. Hier einige Bemerkungen mit wenigen Bei-
spielen. Erstlich hat er mir alle Ubersetzungs- Freiheiten als
Fehler angerechnet und begeht bei scheinbarem Recht ein zwei-
faches Unrecht. Ob er sich dessen bewusst war, mag gleich
sein erstes Beispiel zeigen, im Text steht „er wusste zu kriegen
und streiten", ich lasse den Helden selbst reden: „ich weiss
dir Krieg und Streit" ; das wirft er mir nun vor. Manches ist
unglaublich: bert, vornen von Syv durch praestans erklärt,
ist das isl. biartr, altdeutsch bert, pert weiss, herrlich,
ein allgemein verstärkendes Beiwort, bei einem Löwen über-
setze ich es ganz richtig durch kühn, und das tadelt er als Un-
wissenheit. Ich komme auf die Vermuthung, dass er besser
Dänisch als Deutsch versteht, sonst hätte er, wenn er gesehen,
dass ich bald überall, z. B. S. 128, richtig durch Felsen über-
setzt, einmal aber der Assonanz wegen das Wort beibehalten,
wohl aus Adelung gewusst, dass Halde auch deutsch ist; ferner
nicht geglaubt, Algraf sei verständlich. Zweitens habe ich
einen Theil des von ihm Gerügten selber schon gerügt in dem
Sendschreiben an Hrn. Gräter [S. 51 — 56], und er hätte alles,
z. B. was er über Hafbur und Signild vorbringt, ersparen können.
Drittens war" einiges weggefallen, wenn er die Ausgabe der K.-V.
von 1787, die ich vor mir hatte, einsah, daselbst steht z. B. og.
vognet af forste Sövn, erwacht aus dem ersten Schlaf; das
gilt nun für einen Fehler, weil er liest först af Sövn. Was
übrig bleibt und worin er Recht gegen mich hat, sind einige
gute Bemerkungen über verderbte Stellen, wie sie mir bei der
neuen Ausgabe der Urschrift auch nicht schwer fallen, einige
wirkliche Fehler und einige blosse Versehen, z. B. ich habe ein-
mal et Kind durch en Kind, wo es guten Sinn gibt, übersetzt,
19 mal green durch Zweig, einmal durch grön, grün u. dgl.
Überhaupt hat meine Übersetzung immer Sinn, auch wo ich
geirrt, wenn ihn der Rec. nicht eingesehen, ist's nicht meine
Schuld. Ich würde jetzt nach fünf Jahren bei einem neuen
156 ANTIKRITIK GEGEN A. W. VON SCHLEGEL.
kritischen Text und mit besseren, schwer zu erlangenden Hilfs-
mittehi (ich hatte das Dansk Ordbog, soweit es heraus ist, noch
nicht, und ein Däne [Steffens] konnte mir nicht sagen, was Ageruld
sei, dort finde ich es erklärt) das alles und wohl noch mehr ge-
funden haben, dennoch aber danke ich dem Verf. Ich kann
das um so unbefangener, da ich selbst längst öffentlich zuVer-
57besserungen eingeladen und erklärt, dass ich eine Arbeit von
solchem Umfang, ohne irgend eine frühere Vorarbeit zuerst
übernommen, im voraus nicht für fehlerfrei gehalten.
W. C. Grimm.
ANTIKRITIK GEGEN A. W. VON SCHLEGEL.
Altdeutsche Wälder herausgegeben durch die Brüder Grimm. Dritter Band.
Frankfurt, bei Bernhard Körner. 1816. 8. S. 270—277.
270 lliine Recension des ersten Bandes der altdeutschen Wälder
von Herrn A.W. von Schlegel befindet sich in den Heidelbergischen
Jahrbüchern von 1815, Stück 46. 47 und 48. [S. 721 — 766 =
Werke XII, S. 383 — 426, Leipzig 1847]. Ich schätze die
Freimüthigkeit darin, so wie den Fleiss und die Liebe, mit
271 welcher ein so ausgezeichneter Gelehrter eine Zeitschrift über
die altdeutsche Litteratur selbst im Auslande betrachtet. Was
uns berichtigt und eines Besseren belehrt hat, nehmen wir dank-
bar an; das Tadelnswürdige darin, womit ich nicht Unrichtig-
keiten und Irrthümer meine, welche man in diesem Fache leicht
entschuldigt, sondern den niederdrückenden Ton gegen ganz
gute und wahre Dinge, deren Betrachtung am Ende dem ge-
scheidtesten Manne wird angemuthet werden, und der zumeist
an jemand befremdet, der selbst über das freie Leben jeglicher
Ansicht gekämpft; ferner ein hin und wieder etwas unbilliger
Ausdruck: dieses Tadelnswürdige schadet uns nicht, sondern der
Recensent, der sich, wie es bei allen scharfen Beurtheilungen
sein sollte, genannt, hätte es nöthigen Falls zu verantworten.
In dem Eingang [721 — 730] stellt er aus gelegentlichen Äusse-
rungen unsere Ansicht von der Sage, Entstehung und Aus-
breitung der Poesie auf und scheint sie so ziemlich zu ver-
ANTIKRITIK GEGEN A. W. VON SCHLEGEL. 157
werfen; wo wir im Zusammenhange dargelegt, würde sie nicht
wie dort lauten: indessen können wir der von Hrn. v. Schlegel
dagegengestellten kaum in ein Paar gelegentlichen Bemerkungen
beistimmen. Wir glauben nicht, dass, was man an Zeitaltern
und Völkern rühmt, sich bei näherer Betrachtung in die Eigen-
schaften und Handlungen einzelner Menschen auflöse, auch
nicht, dass die Poesie durch solche Einzelmenschen erfunden,
noch dass die, welche das Epos den Völkern verkündigten, wie
es hier in gewähltem Ausdrucke heisst: bei absichtlichen Ver-
schönerunsren ihre eio^enen Vertrauten waren. Doch ist dies
auszuführen hier nicht der Ort. Fast noch stärker erklärt sich
Hr. von Schlegel gegen einige etymologische Versuche. Diese
haben überhaupt das Eigene, dass eine gewagte Behauptung, 272
die dabei nicht ganz zu vermeiden ist und der man oft nicht
ansieht, wie vielfach sie überlegt worden, seltener vorkommt, als
von solchen, welche sich gerade nicht damit beschäftigen, ein
leichtes und vorschnelles Absprechen, dem ein jeder von Haus
aus gewachsen zu sein ohne Anstand glaubt. Ich sehe es daher
in einem milderen Lichte, wenn Hr. von Schlegel [S. 755] sagt:
Etymologie sei eine Klippe, die wir „niemals" berührten, ohne
zu scheitern. Wie es in solchen Dingen geht, eben auf die
Kenner berufen wir uns, wie Hr. von Schlegel, und ich will
für diese nur ein Beispiel bemerken. Da es gerade das
schlimmste ist, das unser Gegner weiss, wird er mich nicht
tadeln dürfen, dass ich es wiederum als das beste für uns aus-
wähle. Von J. G. waren S. 81 und 82 einige Worte über
Teut und Mann gesagt; dass Hr. v. Schlegel [S. 738] in dem, was
augenscheinlich eine blosse Anregung (nach dem eigenthüm-
lichen Recht der Zeitschriften) ist, ein „tumultuarisches Abthun"
der Sache bemerkt, hätte weiter nichts auf sich, aber es wird
daselbst nebenbei erinnert, dass in ho-mo die zweite Silbe mit
unserem Mann übereinkomme, indem ho der alte morgen-
ländische Artikel ist, der in ne-mo wieder weggefallen. Eine
bekannte Sache, welche Sprachforscher, wie Morhof, Ihre,
Adelung, ausführlich gezeigt: die Vermuthung an sich hat einen
hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, ihre Statthaftigkeit aber
ist ausser allem Zweifel. Indes behauptet Hr. von Schlegel,
158 ANTIKRITIK GEGEN A. W. VON SCHLEGEL.
die wahre Ableitung finde sich bei Varro (homo dictus ab
humo); das könnte dahingestellt sein und dem Gegner überlassen
bleiben, darauf zu antworten, aber wenn Hr. von Schlegel noch
273 hinzusetzt: „darüber werden alle Kenner einverstanden sein,
dass, wer solche Etymologieen an das Licht bringt, noch in den
ersten Grundsätzen der Sprachforschung ein Fremdling ist", —
so fühlt man das harte Urtheil gegen ausgezeichnete Männer,
und wir dürfen wenigstens von Hrn. von Schlegel die Billigkeit
verlangen, ein Paar etymologische Irrthümer, wenn er sie fände,
Stillschweigens hingehen zu lassen.
Soviel nur, weil ich die übrige Recension nicht ganz über-
gehen wollte, wenn ich es nöthig glaubte, auf die ausführlichen
Bemerkungen des Hrn. von Schlegel gegen die Zeugnisse über
die deutsche Heldensage [S. 747 — 766] zu antworten und mich zu
rechtfertigen, dass ich nicht mehr daraus in den vorangehenden
Zusätzen benutzt habe. Diese Abhandlung enthält, wie man aus
der Überschrift und den deutlichen Worten der Einleitung: sieht,
bloss gesammelte Zeugnisse über die deutsche Heldensage, die ich
in einer meist chronologischen Ordnung, nach welcher sie am
leichtesten zu finden waren, aufstellte. Dass diese Absicht un-
klar ausgedrückt sei, kann ich nicht finden (ja ich halte die
Klage über Unverständlichkeit überhaupt hier nur für einen bei
Recensionen üblichen Zierat), wohl aber das Gegentheil durch den
Göttinger Recensenten [Benecke, 1813, Bd HI, 1713 — 1719] sogar
bewiesen, der mich zu einer Bearbeituno^ dieser Zeugnisse auf-
foderte. Demnach hatte ich bloss zu zeigen, dass eine mitgetheilte
Stelle sich auf die Sage beziehe, und dies, wo es dunkel war, aus-
einanderzusetzen. Ganz ausser meinem Gesichtspunkt aber lagen
Untersuchungen, wozu diese Zeugnisse veranlassen können, nament-
lich eine Darstellung des Verhältnisses der Geschichte zur Sage, die
274 gewiss ein anderes grosses Werk erfodert und nicht in solchen
einzelnen Sätzen abzuthun ist. Dies verstand sich ganz von selbst,
ausserdem sagte ich noch [S. 196] ausdrücklich: jenes Verhältnis
werde „zum Theil" dargelegt, nämlich wo die urkundliche, un-
bezweifelte Geschichte mit der Sage übereinstimme, wo es aber
„der eigentliche Gegenstand der Untersuchung" sei, müsse der
Gesichtspunkt erweitert werden. Hr. von Schlegel indessen
ANTIKRITIK GEGEN A. W. VON SCHLEGEL. 159
scheint eine solche Darstellung zu erblicken und entdeckt darum
in der Handhabung und Auslegung der Stellen leicht Mängel. Ein
Beispiel wird die Sache ganz deutlich machen. Bei Jemandes
findet sich eine Erzählung von dem Tode des Ermanrich, die
mit der Sage Übereinstimmung hat ; diese ward angeführt und
die Übereinstimmung gezeigt. Ammian. Marcellin hat eine
andere Angabe, der Mascov folgt, da sie aber auf die Sage
keinen Bezug hat (wenigstens sehe ich keinen darin), so ist
klar, dass sie nicht durfte angefiihrt werden. Es geht mich
hier weder an, wer mehr Glauben verdiene, der von Hrn. von
Schlegel zu sehr verachtete und für die Sagengeschichte wichtige
Jornandes oder Ammian. Marcellin, noch ob sich beide ver-
einigen lassen. Dennoch erhalte ich [S. 753] den Vorwurf, dass
ich letzteren übersehen.
Aus diesem MissgriflP sind viele Blätter mit überflüssigem
Tadel gefüllt. Das Wichtigste daraus will ich bemerken. Natur,
lieh wird mir zuerst [S. 748] im Allgemeinen vorgehalten, dass
ich die Zeugnisse nicht nach Graden der Gültigkeit geordnet
oder CS an Kritik fehlen lassen, d. h. dass ich hier keine Rücksicht
darauf nahm, wo das Zeugnis stand, bei einem beglaubigten
Geschichtschreiber oder einem [aus] der Sage und Mythe aufge-
nommenen. Im Einzelnen wird dann [S. 749 f.] behauptet, ich 275
hätte untersuchen müssen, ob des Paulus Diac. Angabe von dem
Untergang Günthers durch Attila auch in Wahrheit begründet
sei, und dem Sidonius Apollin, den ich nicht einmal genannt (die
Stelle des Hrn. von Schlegel steht bei Mascov), Glauben bei-
messen, wornach vielmehr die Burgunden damals mit dem Attila
gestritten. Weil ich nun den Paulus Diac. u. a., die mir mit
der Sage zu stimmen scheinen (worin ich mich hätte irren
können), anführe, so behauptet auch Hr. von Schlegel, dass ich
ihre Angabe für ausgemacht halte. Was ferner die geschicht-
liche Deutung Dieterichs von Bern betrifft, so scheine ich meinem
Gegner [S.751] nicht im Klaren; eigentlich habe ich nichts darüber
gesagt. Ich sehe allerdings eine Beziehung des sagenmässigen
Dieterichs von Bern auf Theodorich den Grossen, ja, ich habe
selbst S. 228. 229 den Zusammenhang der Amaler mit den
Amelungen unter den Zeugnissen angeführt und konnte daher
160 ANTIKRITIK GEGEN A. W. VON SCHLEGEL.
unmöglich denken, dass dieser von meinem Gegner S. 752
wiederum angeführt werden würde als ein Beweis, dass ich
Unrecht hätte, eben diesen Zusammenhang leugnen zu wollen.
(Nebenbei: wenn Otto von Freysingen und Gottfried von
Viterbo nicht an der Einerleiheit des epischen Dieterichs von
Bern und des geschichtlichen Theodorichs zweifeln, so könnte
das erst Gewicht haben, wenn sie genaue Kenntnis der alten
Sagen zeigten, wornach sie sich die Frage beantwortet: sehr
wahrscheinlich ist jene Kenntnis bei ihnen nicht, sonst würden
sie nicht nur dies eine Mal an den Tag gekommen sein.) S. 224
hatte ich angedeutet, dass man über Hermanfried Nachricht bei
Gregor von Tours und Wittechind finde. Hr. von Schlegel
276 äussert [S. 754], dass ich beide Zeugen „in einem Athem nenne",
als ob sie gleiches Ansehen hätten. Das ist nun grundfalsch: ich
wollte bloss noch ein Paar Zeugen nennen, die den Hermanfried
in der ohnehin bis in spätere Zeiten so eigenthümlich mythischen
Geschichte Thüringens als eine geschichtliche Gestalt sichern.
Seine weitere Geschichte, da ich „kein ganz bestimmtes Zeugnis,
das sich auf unsere Sage bezieht" (dies sind meine Worte in
der Einleitung), darin gefunden, gehörte gewiss nicht hierher
und war darum nicht berührt. Wenn ich sage: Hermanfried
entspricht dem mythischen Irnfrit, so heisst das natürlich nichts
anders, als er verhält sich zu ihm wie eine geschichtliche Ge-
stalt zu einer in der Sage lebenden. Es kommt freilich auf die
Ansicht von diesem Verhältnis überhaupt au; wer eine andere
hat, darf doch darnach nicht für mich jenen Ausdruck erklären.
Was die von Hrn. von Schlegel [S. 753] angedeutete eigen-
thümliche Ansicht von den Nibelungen betrifft, wornach sie und
die damit verwandten Kreise aus gothischen, burgundischen, frän-
kischen, longobardischen , thüringischen u. a. Sagen zusammen-
geflossen und in Attilas und der Völkerwanderung Zeit zurück-
geschoben worden, so müsste sie näher ausgedrückt sein, um
etwas dagegen zu sagen, weil man ihr sonst leicht Unrecht
thun konnte. Hoffentlich wird uns das ganze diesem Gegen-
stand bestimmte Werk des Hrn. von Schlegel*) bald erfreuen.
Wie die Ansicht hier steht, bin ich ihr geradezu abgeneigt und
. . . ±
*) [Seine Ausgabe des Nibelungenliedes, welche nicht erschienen ist.] 9
^'IBELUNGEN UND GIBELIKEN VON GÖTTLING. 161
^'ollte etwas, das man in orewissem Sinne das Gesjentheil nennen
könnte, lieber vertheidigen. Auch auf die Frage [S. 755], war
Attila ein wirklicher Mensch oder haben wir ihn für eine alle-
gorische (sagenmässige) Person zu halten ? welche mich schlagen 277
soll, bin ich um eine Antwort wirklich nicht verlegen. Es scheint
mir ein neuer Beweis, wie richtig es war, dass ich die Zeug-
nisse, ohne sie (wie es doch nicht anders möglich gewesen)
nach meiner Ansicht zu verarbeiten, zu eines jeden Gebrauch
bloss aufstellte; je mehr lebendige Verschiedenheit der Ansicht,
desto mehr Gewinn für die Sache. Ganz ohne Einfluss ist in-
dessen meine Ansicht doch nicht gewesen, wie ich aus der
Frage des Hrn. von Schlegel [S. 748] sehe: „was in aller Welt
haben die Nibelungen mit der Catalaunischen Schlacht gemein?
Der letzte Theil des Gedichts schildert ja nicht einen Eroberungs-
krieg, sondern eine [Fehde] zwischen den Hunnen und einem be-
freundeten Volke, in dem Königssitze des Attila selbst, mitten im
Frieden durch geheime Leidenschaften angeregt", welches frei-
lich alles richtig ist. Eine Antwort auf eine solche Frage, die
schwerlich jemand nicht einfallen kann, muss ich gehabt haben,
und sie ist auch wohl angedeutet, indem ich sogar den Bruder-
strit der ungarischen Sage, der erst nach Attilas Tod vorfiel,
auf die grosse Niblungen-Schlacht wiederum bezogen. Übrigens,
da Hrn. von Schlegel die Chronologie zur Seite steht, ist es
freilich natürlich, dass er es für falsch hält, wenn man glaubt,
die Niblungen-Sage sei schon in heidnischer Zeit vorhanden
gewesen.
[Schlags der Nachträge zu den Zeugnissen über die deutsche Heldensage.]
NIBELUNGEN UND GIBELINEN.
Von D. Carl Wilhelm Göttling. Rudolstadt 1816. 104 S. in 8.
Leipziger Litteratur-Zeitung für das Jahr 1817. Erstes Halbjahr.
No.86.87, 1. und 2. April 1817. S. 681—688. 693-696.
Uiese Schrift hat die Absicht, eine innere Bildung des
Nibelungenliedes darzulegen, obgleich sie nicht darauf hinaus-
geht, die ursprüngliche oder erste Gestalt desselben zu ent-
W. GRIMM, KL. SCHKUTEX. II. 1 1
681
162 NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GuTTLING.
decken. Sie will einen Schleier wegziehen, worunter die eigent-
liche Bedeutung des Gedichts, wie es auf uns gekommen ist,,
liege, oder auch einen zeigen, der darüber gezogen worden
und den man bisher noch nicht gesehen. Voran stehe, dass
sie mit einer schönen Liebe zur Sache, mit Lebendigkeit und
Geist geschrieben ist, woraus, man mag beistimmen oder nicht,,
dem aufrichtigen Leser eine Freude erwächst, so dass nichts
unwürdiger sein kann, als sie höhnend anzufahren, wie ihr dieses
neuerlich, und wie sich denken lässt, von einer gründlichen
Unwissenheit begegnet ist.
Die Entstehung des Liedes aus Sagen des Volks bezweifelt
der Verf. nicht, spricht auch von einem älteren Liedergeschlecht,,
welches keinen anderen Dichter als das Volk hatte und sich
noch in den Gesängen der Edda darstellt; aber das ganze Werk
rührt nach seiner Ansicht doch von einem einzigen Dichter
oder, wie er sich ausdrückt, es ist in einem Geist und Sinn zu
einer Zeit entstanden (vgl. S. 40. 41). Diese Umschreibung ist
darum nicht recht passend, weil jener Geist und Sinn, den
andere in dem Liede walten lassen, auch einer ist imd auch
wohl zu einer Zeit aufgefasst sein kann. Doch das ist nicht
der Gegenstand der Untersuchung, der Verf. will darthun, d ass-
in den Nibelungen und Wölfingen hernach die Gibe-
linen und Weifen seien ausgedrückt worden. Nämlich
so, dass wie dieser Gegensatz in die Geschichte getreten, man
ihn nun auch auf die alten Helden der Sagen angewendet und
ihre Thaten darnach vertheilt habe, wodurch sie eine neue Be-
deutung erhalten, während sie vorher ihre eigene, man kann
sagen, natürliche hatten.
Der Beweis hebt mit einigen allgemeinen, wie man auch
spricht, philosophischen Sätzen an. Dergleichen ist gewöhnlich
an sich recht gut, aber der Irrthum liegt in der Anwendung.
682 Der erste Satz ist dieser: die deutsche poetische Kraft zeigt
sich in drei Gestaltungen, in der Reckenzeit, wo noch Götter
mit jugendlicher Kraft in Verbindung mit den Menschen stehen,
in der Heldenzeit, wo bloss menschliche Kraft übrig geblieben,
die sichtbaren Götter verschwunden sind, endlich in der Ritter-
zeit, wo der wahre Gott durch die Kämpfe verherrlicht wird
NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GuTTLING. 163
und der Held für das wahre Ziel streitet. Den Unteroranor
erster und zweiter Zeit bezeichnet das Nibelungenlied, die
dritte ist in dem heiligen Gral vorgestellt. Keins von beiden
Liedern kann sich der Verf. ohne das andere denken, sie be-
dingen ihr gegenseitiges Leben,
Gegen diesen Satz von den drei Perioden an sich hat der
Reo., wie gesagt, weiter nichts, aber hier ist er für die Ge-
schichte der Poesie falsch angewendet und gar nicht wahr.
Denn Rec. kann schon die drei Stufen in dem Nibelungen-
liede allein, wenn es gefordert würde, herausfinden. Brunhild
mit ihrer übernatürlichen Kraft, die Nibelungsrecken, der Zwerg-
könig Alberich, die Schwanenjungfrauen, ganz den nordischen
Wahlküren ähnlich, kennen eine Welt, in der heidnische Götter
.sichtbar wandeln. Siegfried ist dann der rein menschliche Held,
Hagen die wilde, trotzige Naturkraft: in Dieterich und Hilde-
brand stehen die Streiter für das Sittliche, das Recht. In den
Gedichten von Carl dem Grossen sollten sich auch ähnliche
Stufen nachweisen lassen. Aber weiter: den Einwurf, dass das
Gedicht vom^ Gral ein nicht ursprünglich deutsches, sondern
herübergekommenes Werk sei, hat der Verf. zwar abgewiesen,
indem er die Wahrheit als etwas Einheimisches betrachtet und
das Christenthum sonst auch für etwas Ausländisches gelten
müsse ; doch dieses reisst gar zu viel nieder und nimmt uns die
in der Geschichte der deutschen Poesie so nöthisfe L'nter-
Scheidung zwischen dem, was auf einheimischem Boden ge-
wachsen und von fremdem dahin verpflanzt wurde, gänzlich weg,
ob wir gleich in beiden Theilen an wahre Poesie glauben.
Übergehen wir auch diese unstatthafte Aushilfe, so hat uns der
Verf. doch noch zu erklären, wie die Südfranzosen und die
Völker, bei denen die Sage vom Gral zu Hause war, zu dieser
dritten Stufe unserer Dichtung gelangen konnten, ohne unsere
beiden ersten zu haben, durch welche doch jene nach dem Verf.
bedingt ist; denn dass das Nibelungenlied bei ihnen nicht be-6S3
kannt war, dürfen wir mit einiger Gewissheit annehmen. Folgten
die Bildungsperioden der Völker regelmässig, so zu sagen, nach
Vorschrift, so könnte man eher darauf verfallen, sie in dem
Vorhandenen zu suchen und durchzusetzen, was es koste. Aber
11*
164 NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING.
das ist die Wirkung geistiger Berührung der Völker, dass ein
Licht früher schon einbricht und sich ein neuer Entwickhings-
gang in eigenen Verhältnissen bildet; ob zum Vortheil, hängt
von der Kraft der eigenen Natur ab. Nun kommt noch ein
dritter Umstand: die Gedichte von Artus und dem Gral waren
in dieser Gestalt und für uns nicht volksmässig (gewiss ihrem
Ursprünge nach), wie können sie als Fortbildung der Nibelungen
betrachtet werden? Hier wendet sich der Verf. so: jene Dich-
tungen, von einem höheren Streben ausgegangen, konnten nicht
dem ganzen Volke eigen sein, da sie eine besondere Weihe er-
forderten. Nun zweifeln wir aber nicht, dass sie ursprünglich
vom Volke ausgegangen sind, wenn wir aber überhaupt von
diesem reden, denken wir es nicht anders, als dass alles, was
in einem Einzelnen hervorbrechen kann, in ihm begründet ist
und ihm zugehört, denn jener stellt es nur dar, und es gibt
kein höheres Streben, das dem Volk fremd sein kann, oder es
wäre gar kein Volk.
Der zweite allgemeine Satz des Verf. ist dieser: Geschichte
drückt sich noth wendig in der Poesie aus, beide sind nicht zu
scheiden. Das gefallt uns sehr wohl, besonders wenn wir an
das Wesen der Sage denken, aber wenn daraus folgen soll, dass
die Gibellinen und Weifen sich in die Nibelungensage ein-
drücken mussten, so leugnen wir ihn. Nämlich das Leben, das
Poetische der gegenwärtigen Geschichte fällt nicht sogleich mit
der überlieferten Poesie zusammen, jenes nimmt leicht etwas
von dieser auf und verjüngt es wieder, aber dass umgekehrt
die überlieferte auch die neue Geschichte in sich aufnehme, die
alte Form beibehalte, aber die alte Bedeutung aufgebe und eine
neue hineinlege, ist etwas ganz anderes, das wir wenigstens
in unserem Fall hier durchaus nicht zugeben. Dass es die
lebensreichen Griechen nicht auf diese Weise mit ihrem Homer
gepiacht, ist wohl ziemlich gewiss, oder glaubt der Verf. auch,
dass in diesem Epos sich jedesmal die neue Bewegung der Zeit
vorgestellt habe und von den Dichtern hineingelegt worden sei,
gleichsam die alte Münze mit ihrem Bilde gelassen, aber eine
neue Lischrift darum gesetzt?
NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING. 165
Bevor wir ins Einzelne übergehen, bemerken wir Folgendes.
Ob der Gegensatz der Gibellinen und Weifen in der Geschichte
einer war, der als Kampf des Weltlichen und Geistlichen das
Mark des Volks durchdrang und deshalb poetisch sich äussern
musste, können wir unberührt lassen, da ihn der Verf. selbst
als einen solchen nur voraussetzt, nicht dargestellt hat, wie auch
Lachmann schon tadelt; aber was wäre denn natürlicher undesi
dem Volkssinne angemessener gewesen, als diesen Kampf, wie
ihn die poetisch lebendige Geschichte gab, darzustellen? Wo
ist dieses Epos? Wo findet sich eine Spur, eine leise Anspielung
davon? Blieb nichts übrig, als nur die alten Volksdichtungen,
an deren Wahrheit und Ehrwürdigkeit man glaubte, in diesen
Gegensatz zu theilen und darauf hindeuten zu lassen? Was fiir
Hindeutungen es sind, werden wir nun sehen, wenn wir die
Schrift des Verf. näher betrachten.
Natürlich musste er zuerst, zeigen, dass der Name Nibe-
lung, der mit Gibellin eins sein soll, deutsch ist und nicht aus
dem Nordischen abzuleiten. Das erste gibt einer leicht zu, der
auch das andere nicht behaupten will, weil die Sprachen so
verwandt sind. Die S. 20 bemerkten Unwahrscheinlichkeiten
der nordischen Geschlechtstafel in gewissen Beziehungen wird
jemand, der die Natur derselben kennt, gar nicht leugnen, aber
sie nicht darum zum Machwerk machen wollen; der Näfil, von
dem die Niflungen abstammen, bleibt uns immer in der Volks-
sage begründet und kein erfundener Held. Der Verf. muss
aber noch weiter gehen: nicht bloss deutsch, aus dem Nordischen
nicht entlehnt, muss der Name sein, der Norden muss ihn auch,
weil er dort die Bedeutung nach des Verf. eigener Meinung
nicht haben kann, im 12. Jahrhundert von Deutschland aus be-
deutungslos erhalten haben. Überhaupt fahrt der Norden
schlimm; erst hat er die Lieder selber, die in jenen eddaischen
Gesängen mit nordischem Leben und Land genau zusammen-
hängen, von Deutschland bekommen, dann auch noch den Namen
Niflung, der, man erräth nicht wozu und wem zum Besten,
gleichsam in die Sage eingetragen wurde. (Auch sonst
findet sich der Name Niflung noch in den Kenningar
166 NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING.
in Fundin Norreg und im alten Biarkamal. S. Sagabiblio-
thek S. 124 und 352.)*) Wie ist er aber hinüber gelangt,
nämlich der blosse Name? Es thut uns leid, dass der Verf.
niemand anders dazu hat, als reisende Nordländer,
die ihn in Deutschland hörten. Wahrscheinlich haben sie
ihn zufällig vernommen, sich nicht weiter um seine Bedeu-
tung und um die Sage selbst bekümmert und hernach daheim
in ihre Lieder einführen lassen. Rec. hat immer eine Scheu
vor diesen Unbekannten, wenn sie den Knoten lösen und das
Volksmässige veranlassen müssen. An einen Beweis der An-
nahme ist ohnehin nicht zu denken, und hier gleich steht die
Sache des Verf. auf schwachen Beinen.
Ehe nun soll dargethan werden, dass Nibelungen so viel
heissen soll als Gibellinen, gibt der Verf. einige historische Be-
merkungen über letztere. Dass sie nach der gewöhnlichen
Meinung von Waiblingen herrühren, leugnet er vorerst und
nimmt an, von einem schwäbischen Herzog, der Nebi und Webi
geschrieben wird, mit Carl dem Grossen durch dessen Gemahlin
Hildegard verwandt, sei der Name gekommen, indem alle
685 Schwaben, die mit jenem Fürsten bei den Karolingern ge-
halten, Webilinger oder Nebilinger genannt worden, sich von
denen, die auf der Seite der Merovinger waren, zu unterscheiden.
Wir lassen die hier gemachten Behauptungen auf sich ruhen,
da sie unsere Sache nicht näher angehen; einiges auf jeden
Fall ist scharfsinnig angemerkt. Aber wenn es heisst: ganz
sprachgemäss ist die Veränderung der Waiblinger in Nibelungen,
wie des Webi und Nebi, und Nibelung ist die ältere Form, so
könnten wir Vertauschungen von W und N zugeben (übrigens
Schwaben und Waiblinger für eins zu halten, wird man durch
das Beispiel swenn und swas für wenn und was nicht berechtigt,
wie der Verf wohl jetzt selbst einsieht), aber damit wird die
Sache selbst noch nicht festgestellt: wir verlangen, und das ist
nicht unbillig, für den vorliegenden Fall, vermischten Gebrauch
der beiden angeblich gleichen Formen Nibelung und Gibelin,
da sie doch zusammen sollen gültig gewesen sein, deutlich nach-
*) [Das Eingeklammerte ist Zusatz aus dem Handexemplar.]
:^^BELUNGEN USD GIBELIXEN VON GÖTTLING. 167
gewiesen. Wo steht aber Nibelung für Gibelin? Vielleicht in
einer immer merkenswerthen Stelle, die S. 30 angeführt wird?
Sie findet sich in den Annalen der Dominicaner zu Colmar
(bei Urstisius 11, 24) und enthält, dass Kaiser Rudolf im Jahre
1289 elsassische Krieger, die sich Nebelringe genannt, vorge-
fodert. Hier, behauptet der Verf., könnten nur jene Unruhe-
stifter sremeint sein, welche nach Kaiser Friedrichs, des letzten
Oibellinen, Tod im Elsass entstanden; mehrere gaben sich für
den gestorbenen Kaiser aus, und diese GibeUinen würden hier,
als im Elsass zu Haus, mit dem älteren Namen der Nibelungen
belegt. Uns dünkt, wären jene Unruhestifter gemeint, so wäre
das dabei gesagt, und nimmt man an, dass unter jenem Namen
Nibelungen verstanden werden, so gaben sich ihn die Krieger
entweder in Beziehung auf die alten Helden der Volksdichtung
oder sie gehörten zu dem Geschlecht der Nibelungen, das im
Elsass (Schoepflin Als. illustr. H, 660) zu Haus war. Viel-
leicht aber geht der Name auf ihre Kleidung, wenigstens scheint
das nach dem Zusammenhange: milites Alsatiae, qui parem
vestem tribus annis paene tulerant et se Nebelringin
nominaverant. Nämlich sie trugen graue Panzer, ringe steht
bekanntlich im Altdeutschen oft für Ringpanzer (vgl. Nibel. 872.
1842 [213, 4. 463, 2]), und Nebel bedeutet grau, wie in Nebel-
krähe, Aschkrähe, und hat in Nacht wahrscheinlich seine Wurzel
(vgl. Adelung h. v.)*). Ob diese eine so in aller Hinsicht zweifel-
hafte Stelle etwas fiir des Verf. Meinung beweisen kann, lassen
wir jeden beurtheilen. Aber wie viele natürliche Fragen drängen
sich auf! Warum gebrauchten die Dichter nicht den gewöhnlichen
Namen Gibel, wie wir ihn aus der S. 63 angeführten Stelle des
Lohengrin kennen? Was wollte der Dichter des Nibelungenheds,
der ja nach dem Verf. recht gut die Bedeutung des Namens
wusste, mit den alten eigentlichen Nibelungsrecken, die Sieg-
fried schlug? (wäre dieser also der erste Weife?) mit Nibelungen- 686
land, dem König Nibelung? Warum spricht er von ihnen so
dunkel und unverständlich? Liegt das Kaiserthum demnach im
*) Vgl. Grotta Saunffi*. V. 98 gräfer kiat lib. [Zusatz im Hand-
■xemplar.]
168 NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING.
tiefen Norden? Wie ist der nicht selten vorkommende 6e^
schlechtsname Nibelung zu verstehen, den doch auch wohl
Weifen geführt haben? In späterer Zeit soll das förmliche Be-
wusstsein von der Einerleiheit beider Namen untergegangen sein ;
Herrmann von Sachsenheim redet, wie es der Verf. auslegt^
von einem Nöbling-Hort, der aus Gold-Nobeln bestehe, welches
wir gar nicht aus dieser Veränderung des Namens schliessen.
Nachdem der Verf. nun alles, was den Namen selbst be-
trifft, berichtigt und seine Meinung bewiesen glaubt, begegnet
er selbst einem sich darbietenden Einwui-f Die nordischen
Lieder der Edda enthalten gleichfalls die deutsche Mythe, und
darin ist doch der Gegensatz des Weltlichen und Geistlichen
der Gibellinen und Weifen nicht ausgedrückt! Wir wollen nicht
zufügen, dass ihnen die dritte nothwendige Stufe fehlt, vielleicht
erklärt es der Verf. daraus, dass sie die Lieder von Deutsch-
land aus bekamen und, wie wir gleich sehen werden, nicht in
ihrer Reinheit erhielten. Der Verf. hilft sich nämlich auf fol-
gende Weise: er zeigt, dass die nordische Mythe Ähnlichkeit
mit der griechischen von Jason und Medea hat. Diese Über-
einstimmung ist nicht unbegründet, wird aber nicht die einzige
sein, welche Sagen entfernter Völker auf eine wunderbare Weise
haben. Aber was fängt der Verf. damit für seine Sache an?
Er sagt (S. 50): gleichwie die Wäringer auf dem Hippo-
dromus zu Constantinopel ihre einheimischen Sagen von den
Äsen und Wolsungen vorstellten, so mögen sie auch die grie-
chische von Jason in freundlichem Umtausch von ihren Kriegs-
gefährten erhalten haben. Diese Kenntnis gab Veranlassung,
die nordische Sage nach der griechischen umzubilden. Die
deutsche erhielt also die ursprüngliche Reinheit.
Hier wissen wir zwar, wer die reisenden Nordländer sind,
aber dass sie die griechische Fabel von Jason vernommen, be-
halten, heimgebracht und dass die fremde Fabel daselbst mit
der einheimischen verarbeitet worden, ja diese so überwältigt
hat, dass nach des Verf. Meinung jetzt nur noch weniges, nur
das Allgemeine mit der deutschen gemeinschaftlich blieb, das
alles müssen wir dem Verf seiner Hypothese zu Lieb glauben.
Was trieb aber zu einer solchen Verarbeitung? Wird, was einem
NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING. 169
einzelnen Dichter wahrscheinlich sein konnte, nun auch zum
lebendigen Gefühl des Volks? Wo lebt nicht, so lange diese
Poesie selbst nicht untergegangen, grosse Achtung und Glauben
an die Wahrheit der Überlieferung? Kann man dem Volk auf
diese Weise Altes wegnehmen und Neues dafür hinreichen?
Wo fand sich der Dichter, der mit Bewusstsein und Vorsatz
so künstlich verschmelzen und übertragen konnte, dass ein gross- 687
artiges Gedicht im alten, strengen Stil daraus hervorgieng, in
allen Zügen jene Einfachheit und im Gegensatz zu den ausge-
bildeten Nibelungen von offenbar grösserer Ursprünglichkeit?
Endlich wie kamen die deutschen Sagen in den noch lebenden
Hausmärchen, welche offenbar Zusammenhang mit der nor-
dischen Dichtung haben, wieder herüber? Diese Annahme des
Verf. gehört mit zu dem Unwahrscheinlichsten der ganzen Ab-
handlung.
Wir gelangen zur näheren xlusführung der Ansicht; es
werden von S. 62 bis zum Schluss die Gedichte des Fabel-
kreises in Gibellinische und Weifische, weltliche und geistliche
geschieden. Es gab nach dem Verf. Dichter für diese und jene
Partei, welche die Helden und ihre Thaten nach ihrer Gesinnung
vertheilten. Nun ist wahr und in die Auofen fallend, dass sich
ein Gegensatz zwischen den Helden im Epos zeigt, die Nibe-
lungen, Burgunden stehen dem Dieterich von Bern und seinen
Mannen, den Wölfingen, zu welchen auch Etzel gehört, ent-
gegen. Niemand wird dieses leugnen und jemand, der die Natur
anderer epischen Dichtungen betrachtet, sehr nothwendig glauben-
Der ungedruckte Rosengarten ist in gewissem Sinne eine Ab-
spiegelung des Nibelungenlieds und ein merkwürdiges Gedicht.
Also einen Gegensatz, den genau nachzuweisen eine nützliche
Arbeit wäre, geben wir dem Verf. ohne Widerrede zu, er hat
nur darzuthun, und das ist das Schwere des Beweises, dass
damit Gibellinen und Weifen gemeint sind, und das werden wir
in dem Folgenden auch allein beachten.
Das Nibelungenlied soll ein Gibellinisches sein. Der
einzige Beweis ist: der bairische Gelfrat und Else unterliege
den Nibelungen, Gelfrat aber sei soviel als Weif. Reo. glaubt,
über diesen nichtssagenden Beweis hinausgehen zu dürfen. In
170 NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING.
der früheren Schrift über das Geschichtliche im Nibehingen-
liede gab der Verf. noch ein anderes GibeUinisches Zeichen an,
das doch näher auf die Sache eingieng. Volker steckt, wie er
Baiern, das Land Gelfrats (des Weifen), betritt, auf seinen Schaft
ein rothes Zeichen (Nibel. 6395 [1535, 3J), das bezeichne die
rothe Lilie der Gibellinen. Rec. weiss nicht, ob Hr. Götthng
indessen diesen Beweis selbst zurückgenommen, da aber Hr.
Lachmann S. 20 davon spricht und in der Anmerk. 11 Sieg-
frieds rothe Fahne aus der Rabenschlacht anführt, als weiter
beweisend, so will Rec. nur dagegen bemerken, dass in dem
ungedruckten Rosengarten Dietlieb von Steier, der doch nach
dem Verf. ein Weife ist, gleichfalls ein rothes Banner führt,
Ermenrich dagegen, der angebliche Gibellin, im Alphart ein
grünes, gar Hagen in dem ebenangeführten Rosengarten ein
silberweisses. Wir sagten vorhin, jener bairische Weif Gelphrat
sei das Einzige, was der V^erf. für seine Sache anführt, aber es
€88 folgt noch etwas. Nämlich wie die Gibellinen nie Weif aus-
sprachen, die Weifen nicht Gibellin aus grossem Hasse, so
komme der Name Nibelung nur in den Gibellinischen Gedichten
vor, Wölfing bloss in den W^elfischen. Dies ist an sich für des
Verf. Hypothese fein bemerkt, so wie späterhin, dass Gelphrat
gesagt sei für Weifrat, um zugleich etwas Tadelndes hineinzu-
legen (gelf, vergl. Nibel. 2707 [621, 3]), so wie in gleichem
Sinne „Franci Nebulones" im Walther von Aquitanien, aber
gewiss ungegründet. Mit dem Namen Nibelung hat es ohnehin
seine Bewandtnis, ausser dem Liede kommt er eigentlich in
keinem Gedichte vor, als in Nibelungenhort, wovon das Gedicht
vom Siegfried spricht, und in dem Parcifal [421, 7], wo die be-
kannte Anspielung gemacht wird (war der bairische Wolfram von
Eschilbach darum auch ein Gibellin, weil er den Namen nennt?
oder umgekehrt: war er ein Weif, weil er über die Nibelungen
spottet und heisst er deshalb Wolfram?). Wenn die Wölfinge
in dem Nibelungenlied nicht genannt werden, so wird doch
Wolf hart, Wolfbrand, Wolf wein ohne Scheu ausgesprochen.
Das Lied vom hörnen Siegfried und Ecken Ausfahrt
werden, das letztere bloss als wahrscheinlich, zu den Gibellini-
schen Gedichten gezählt ohne weitere Nachweisungen. Über
NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING. 171
König Er enteile sind Zweifel geäussert, wohin er zu schlagen
sei. Eine beigebrachte geschichtliche Beziehung wird der Verf.,
nachdem er das Gedicht gelesen, vielleicht selbst zurücknehmen,
wir können sie ohnehin übergehen. (Nebenbei, dass der Name
Erntelle und Aldrian mit weniger Veränderung zusammenfalle,
müssen wir leugnen, sie haben verschiedene Wurzel. Vgl. Altd.
Wälder 11, 28 Anm. 64.) — Hier sind wir schon mit den Gi-
bellinischen Dichtungen zu Ende, eigentlich ist das Nibelungen-
lied das einzige, da man das Lied von Siegfried seinem In-
halte nach als eine Einzelheit daraus betrachten könnte. Rec.
weiss nicht, ob dem Verf. nicht die Frage eingefallen ist, warum
kein Weifendichter darauf gerathen, die Sage in dem Lichte
seiner Partei darzustellen, wozu sie, da der Untergang der Nibe-
lungen besungen ist, ganz gemacht scheint. Dann hätten wir
zwei Gedichte, jedes in die Farbe seiner Meinung gekleidet, und
wäre uns etwa das Gibellinische verloren, den ganzen Gegen-
satz nicht kennen gelernt.
Jetzt kommt die Reihe an die Weifischen Gedichte,
d. h. alle übrigen des Fabelkreises; den Siegenot sehen wir
nicht namentlich angeführt. Verwundem muss es, dass mitten
unter den Weifen, die für das Heilige kämpfen, der Heide Etzel
sich befindet, Saul unter den Propheten, ja das Weifenhaupt,
Dietrich von Bern, ist gar sein Mann. Welch ein Miss-
griff von den fein anlegenden, bis ins Einzelne durchführenden
Dichtern !
Zuerst das Heldenbuch und eine historische Deutung des 698
Ottnit als Othenat, Gemahls der Zenobia. In dem Wolf-
dieterich wird Attenus als Papst bezeichnet. Warum wird er
nicht so von den Dichtern genannt? Vielleicht, was für ihn nicht
gut lauten würde, weil er einen Sohn und Nachkommen hat, aber
diese sind ja nach dem Verf. (S. 78) Sinnbilder von der Fort-
pflanzung geistlicher Macht. Wolfdieterichs Kreuzzug soU ein
Zeichen seines Welfenthums sein, wenn nun jemand ausführte,
dass dieser Zug so viel Ähnlichkeit mit den Fahrten des Odysseus
hat, selbst eine Circe darin vorkomme, so wären wir wieder
weit vom Geistlichen verschlagen. Aber die Erzählung von der
Kindheit des Wolfdieterich, der ausgesetzt und von einer Wölfin
if^ NIBELUNGEN UND GiÖELINEN VON GÖTTLING.
gesäugt und erhalten wurde, hat doch Ähnlichkeit mit der Sage,
die der Anonymus Wingartensis vom Geschlecht der Weifen
erzählt? Wir glauben nicht, dass einer vom anderen geborsftv
am wenigsten das Gedicht aus der Chronik, und können schon
deshalb den Wolfdieterich nicht zum Weifen machen, die Sage
selbst ist uralt, oder wir müssten nichts vom Romulus wissen,
— Mit der Anhänglichkeit der Weifen an den Papst vergleicht
der Verf. die Anhäno-lichkeit der Wölfinge an dessen sinnbild-
liehe Gewalt, an das Geschlecht des Attenus. Es ist die natür-
liche in der Sage liegende Treue des Geschlechts der Meister
an ihren Herrn; wie aber der alte Hildebrand (späterhin lässt
der Verf. diesen Weifen selbst Gregor VH. darstellen) mit seinem
Herrn Dieterich im Rosengarten umgeht, dem er, um Zorn und
Kampflust in ihm zu erwecken, mit der Faust ins Gesicht
schlägt, das wird sich nicht gut mit dem Verhalten der Weifen
zum heil. Vater vergleichen lassen. Und doch haben die Dichter,
wie der Verf. glaubt, das Einzelne gar wohl bestimmt! In der
nordischen Sage finden wir ähnliche Verhältnisse, z. B. des
alten Starkathers zu seinem Herrn. Die Verwandtschaft der
Wölfinge mit den Bernern ist übrigens nach dem Dresdner
Wolfdieterich ausser Zweifel: Puntung wird darin zweimal
(Str. 2 und 72, wie auch Altd. Wälder I, 206 angegeben ist)
Potelung genannt und seine Schwester ist Hugdieterichs Weib.
Für die Harlunge wird S. 85 eine geschichtliche Beziehung an-
gegeben; vielleicht ist hier einiger Zusammenhang.
694 Ein Paar Gedichte zeichnet der Verf. aus, als die wichtigsten
für seine Behauptung, ja in dem Rosengarten soll ein klarer
und starker Beweis gegeben sein. Was soll in dem hier ganz
deutlichen Gegenüberstellen der Helden das Gibellinische und
Weifische dabei beweisen? Die Helden am Rhein werden als
Riesen dargestellt, um einen Gegensatz zu den Wölfingen zu
machen, und das bezeichnet diese nun als Weifen, die für das
Geistliche kämpfen. Für das Geistliche kämpfen sie hier aber
nicht, sondern um ein Halsen und Küssen, wahrscheinlich in
den älteren Gedichten um noch mehr. An dem Hofe der Wöl-
finge geht es nicht allzu züchtig her, die Herzogin bietet dem
Wolf hart ihr Magdthura, wenn er die Gäste wohl behandeln
will; dieser aber ist so ungeschlacht, wie irgend ein Kämpfer
NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING. 173
am Rhein, und an dem Mönch ist gar wenig Geistliches, son-
dern ein völlig riesenhaftes Wesen, grosse Kampflust und guter
Humor. In dem ungedruckten Rosengarten, einem wahrschein-
lich älteren und besseren Gedicht, befindet sich auch der Heide
Etzel unter diesen sogenannten geistlichen Kämpfern. Weiter:
nach dem Verf. ist dieser Ilsan der Else des Nibelungenlieds,
dessen Ferge den Hagen überführen sollte und von ihm er-
schlagen ward; hier schlage nun Ilsan, das heisse Else, den
rheinischen Fergen. Diese Gegenüberstellung könnte ihren Grund
haben und entspränge aus der Natur der Sage, aber wo zeigt
sich das Weifische und Gibellinische darin? Zudem, in dem un-
gedruckten Rosengarten, den Hr. Göttling zu lesen wahrschein-
lich nicht Gelegenheit hatte, geht die Fahrt über den Rhein
viel friedlicher ab, der Ferge ist ein Freund des alten Hilde-
brands und lässt darum den Cberschifienden den Zoll nach, der
in einem Fuss und einer Hand besteht, wird dafür aber von
dem Meister mit 44 Mark beschenkt. — Vielleicht findet sich
in der Rabenschlacht ein deutliches Wort für des Verf.
Hypothese? Die Verwebung des Ermanrich mit Kaiser Hein-
rich IV., den der alte Hildebrand als Papst Gregor VII. be-
siegt, kann nicht dafür angesehen werden, und wir dürfen sie
wohl übergehen. Aber Dieterich von Bern springt in Ermrichs
Heer mit dem Ausruf: „aht schevelin Berne!" Das erklärt
nun der Verf.: „Bern (nom.) strafe Schevelin!" Schevelin
aber sei das ausländisch oder Weifisch gesprochene Gibelin oder
Gibeling. Endlich hätte ein Dichter den Mund geöffnet und
in der Verwünschungsformel den wahren Namen des Feindes
genannt, der sonst nicht über seine Lippen kommt. Wir haben
in der Rabenschlacht gelesen: hetschevalir berne und schreiben
he tschevalir Berne (oder nach jener Lesart ah tschevalir),
damit ist auch die Erklärung gegeben, der angebliche Schevelin
ist ein chevalier und tsch nach der romanischen Aussprache
geschrieben, wie tschionatulander u. a. Diese Stütze des Verf.
müssen wir also wegnehmen. — Beim Walther von Aqui-
tanien wird bloss erörtert, dass er zu den Gegnern der Nibe-
lungenhelden gehöre. Endlich wird man überrascht, ein Ge-695
dicht aus dem Kreis Carls des Grossen herzugenommen zu
sehen. In Carl soll das Gibellinische und Weltliche, im Mala-
174 NIBELUNGEN UND GIBELINEN VON GÖTTLING.
giss und den vier Haimonskindern das Weifische, Geistliche
angedeutet sein. In der verabscheuten schwarzen Kunst des
Zauberers Mälagiss also liegt ein Heiliges, gar der Papst selbst?
Nimmermehr. Wir vermuthen, bloss weil im Nibelungenlied
[2218. 1, 2260, 2] ein Eitschart und Wichart (nicht Witschart)
mit den Dieterichshelden kämpfen, ist das ganze Gedicht hier
berührt und werden zwei von den Haimonskindern, die beinahe
so heissen, daraus gemacht. Namenreihen können sagenmässig
auf andere übergehen, aber hier müssten, wenn man so etwas
behaupten wollte, alle vier Haimonskinder genannt sein, und der
erste darunter, Reinolt, dürfte in keinem Falle vermisst werden,
und doch wäre es fürs Erste nur eine Übertragung von Namen.
Zum Schluss ein Paar Bemerkungen über die Ansicht des
Verf. im Ganzen. Wir können zugeben, dass, wenn eine neue
bewegende Zeit kommt, das Volk auch seine alten Lieder und
Sagen in dem Scheine dieser Zeit zu betrachten und aufzu-
stellen geneigt wird. Also wäre der Kampf der Gibellinen und
Weifen so etwas Volksmässiges gewesen, nicht bloss als welt-
licher auch als geistlicher Streit, so lässt sich denken, dass er
in die Sagen eingegangen, auch wohl der alte Gegensatz der
Berner und Nibelungen, der ja auch in der alten Geschichte
seine Abspiegelung haben wird, sich dem neuen genähert. Was
sich von selbst gemacht, würde sich dann auch in den Ge-
dichten ausgedrückt und bildend eingewirkt haben; es wäre ein
neuer Ansatz erfolgt, wie etwa Rüdiger von Bechelar eingetreten
ist, den die nordischen Lieder nicht kennen. Dass, was denkbar
ist, nicht wirklich geschah, zeigt wenigstens, dass es nicht noth-
wendig war. So aber will es der Verf. auch nicht, nein, er
lässt die alten Gestalten stehen: Attila, jene burgundischen
Könige, von deren Leben, Zeitalter und Verhältnisse man ge-
wiss noch wusste, und lässt die Dichter bei ihnen ein unver-
ständliches Zeichen machen, dass ihr Treiben von etwas anderem,
was jetzt in der Gegenwart die Welt anrege, zu verstehen sei.
Sie geben ihre Absicht nur heimlich und vorsichtig kund, sie
haben sich alles bis ins Einzelne ausgelegt, aber sie sagen es
nicht heraus. Die festen, leiblichen Gestalten schwanken, bald
sind sie es wirklich, bald Andeutungen und Sinnbilder geist-
licher Macht. Insofern liegt etwas wesentlich Todtes in der
^"IDELUNGL:N UND GIBELINEN VON GÜTTLING. 175
Ansicht des Verf. Die erhabene, reine Dichtung, die wie ein
ruhiger Himmel über der Erde steht, soll recht gut wissen, was
die Nibelungen aussagen, aber sie nicht beim bekannten Namen
nennen, nicht der gegenwärtigen Thaten der Gibellinen und
Weifen gedenken! In den Wölfingen die edelsten Menschen
darstellen und doch den gemeinen Hass theilen, der den Namen
des Feindes nicht in den Mund nehmen willl Nur in dem 696
Schlachtruf hätte sich einmal die Gesinnung kund gethan! —
Die Geschichte der Poesie wird durch diese Ansicht gewaltsam
behandelt; dem Norden die Ursprünglichkeit seiner eddischen
Lieder in zwiefacher Hinsicht abgesprochen ; erst von den Deut-
schen entlehnt, dann mit griechischer Sage vermischt und end-
lich mit einem gleichfalls erborgten, dort unverständlichen Namen
wohl nicht geziert! Der Cyklus von Carl dem Grossen, in
welchem so klar auch die Begründung des Christenthums gegen
die Heiden dargestellt wird, muss fast ganz zurückgeschoben
werden und hat in dem Gegensatz von Gibellinen und Weifen
keinen Platz. Freilich wäre es arg gewesen, die Sarazenen zu
Nibelungen zu machen ; vielleicht wird der Verf. doch nicht ab-
geneigt, wenn er sieht, dass nach einer Lesart wirklich ein
Gy beilin unter ihnen vorkommt (Rhythmus de exped. Caroli
M. in Hisp. pag. 78^); aber unglücklicher Weise kämpft unter
den Christen auch ein Held Nevelin (pag. 119''), und Stricker
war wenigstens nicht von dem Zeitgeist ergrifien, als er die
beiden gegenüberstellte. Alles, was der Verf. anzuführen hat,
besteht darin, dass zwei von den Haimonskindern beinahe dem
Namen nach vorkommen und für seine Weifen fechten.
Wir wünschen, dass der Verf., den wir hoch schätzen und
der unsere Liebe zur Sache in dieser Beurtheilung anerkennen
wird, noch einmal ohne Vorurtheil seine Hypothese prüfe; will
er sie auch nicht aufgeben, so wird er vielleicht durch unsere
Bemerkungen veranlasst, manches anders darin zu bestimmen,
und die Wahrheit wird immer gefördert werden.*)
[anonym.]
*) [Gegen diese Recension erschien in der Isis 1818, Heft 2, S. 338—344
von K. Göttling eine Entgegnung unter dem Titel: Über eine Ansicht vom.
altteutschen Epos.]
176 DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN.
-lAb a\RL LACHMANN
ÜBER DIE URSPRÜNGLICHE GESTALT DES GE-
DICHTS VON DER NIBELUNGEN NOTH.
Berlin, bey Dümmler, 1816. 111 S. in 8. [= Kleinere Schriften I, 1876,
S. 1—80.]
Leipziger Litteratur-Zeitung für das Jahr 1817. Erstes Halbjahr. No. 94. 95,
9. und 10. April 1817, S. 745—760.
J-iine Einheit des Nibelungenlieds erkennt unser Verf. an,
einen Guss des Werks. Wer könnte auch den ebenmässiffen
Gang, das stets mitschreitende Gefühl für das Ganze, welches
iein Vordringen des Einzelnen gestattet, jenen Geist, der am
Anfang wie am Ende lebt und webt, verkennen, selbst wenn
man das äussere Zeichen der einer bestimmten Zeit zugehörigen
Sprache nicht beachten wollte? Diesem Gefühl, das sich jedem
aufdringt, der nur von der Poesie der mächtigen Dichtung er-
füllt ist, thut es, wie hier gesagt wird, weh, das Phantasiebild
eines einzigen Schöpfers aufzugeben. Aber, nachdem ihm der
Verf. sein Recht angethan, zeigt er die Absicht der Schrift,
dennoch eine entgegengesetzte Behauptung durchzufahren. Er
stellt auf, dass das grosse aus einzelnen kleineren Liedern zu-
sammengesetzt sei und dieses Verhältnis sich noch in der Ge-
stalt, in welcher wir es Vjesitzen, nachweisen lasse. Dafür könnte
schon hinlänglich scheinen, die Zusammenfügungen anzugeben
und zu erweisen, da aber überhaupt die ursprüngliche Gestalt
des Liedes, wie schon der Titel der Abhandlung sagt, ergründet
werden soll, so sind ferner auch Zufügungen, die sich gar wohl
bei einem, aus einer einzigen Arbeit entstandenen Gedicht denken
lassen und auch z. B. beim armen Heinrich in der Vatican.
Handschrift vorkommen, wie sie der Verf. gefunden, angemerkt.
Dass durch diese Untersuchungen ein bedeutender Schritt in
<3er Erkenntnis des Liedes vorwärts gethan wird, leuchtet ein,
und sie sind eine schätzbare, mit Dank aufzunehmende Gabe.
Wir wollen die Beweisführung des Verf näher betrachten.
Er fangt aus guten Gründen nach der Lage der Dinge, die
DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN. 177
er überhaupt mit einer gewandten und sicheren Hand ergreift,
bei der zweiten Hälfte des Gedichts an. § 3 werden später
eingeschobene Personen bezeichnet. Markgraf Rüdiger von
Bechelar ist zweifelhaft, da er zu sehr in die Sage verwebt
worden. Später bleibt er demohngeachtet immer, auch einge-746
schoben kann man noch sagen, nur meint der Verf., wenn er
ihn frei gibt, eigentlich wohl, dass er nicht vorsätzlich ein-
gerückt sei. Von dem Bischof Pilgrin wird es dagegen be-
stimmt behauptet und ausgeführt. Als Chriemhild auf dem Zug
nach Hunnenland Rüdigers Gemahlin Gotelinde erblickt, reitet
sie näher und lässt sich vom Pferde heben; gleichwohl heisst
es hernach [1252, 1.2]:
den bischof sach man wisen siner swester kint
in und Eckewarten zu Gotelinde sint,
worauf sie sich grüssen und, wie dies beim Empfang Sitte war,
küssen. Sollte wisen nun an dieser Stelle in dem heutigen
Sinn weisen, zeigen heissen, so wäre gewiss eine Unschick-
lichkeit und Widerspruch mit dem Vorhergehenden darin nur
aus plumper Einfügung des Bischofs zu erklären, allein es heisst
hier zu Gotelinde wisen nichts anderes als sie hinführen,
der Bischof und Eckewart nahmen Chriemhild in die Mitte, um
sie als eine Königin zu geleiten. Über diesen Gebrauch des
Worts vergl. den Schwanritter (Altdeutsche Wälder IH, 59).
203. die arke hatte do der swan
gewiset zu der feste dan.
§ 4 — 7. Von Volker sind bis dahin, wo er näheren An-
theil an den Begebenheiten nimmt, die Stellen eingeschoben
oder überflüssig. Die Vergleichung mit der Wilkinasaga
hätte dieser Behauptung viel genutzt, Volker kommt da auch
nicht bei der Überfahrt der Nibelungen vor und wird früher
nur einmal genannt. Der Widerspruch in der Zählung von
den Recken, die Hagen und Dankwart und Volker zu den
tausend ausgewählten Helden zuführen, wird gut bemerkt. Sehr
bestätigend ist in der Wilkinasaga nur von tausend Günthers-
Helden die Rede, nämlich Cap. 337 werden sie angeführt, und
Cap. 387, S. 484 heisst es übereinstimmend: siebenhundert lebten
noch, dreihundert waren todt. Hagens Probe an dem Capellan
W.GRIMM, KL.SCHRIFTKN.il. 12
178 DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN.
scheint auch verdächtig, merkwürdig, dass sie in einer anderen
Recension des Nibehingenliedes (wir behalten den allgemeinen
Namen, auch weil er schon eingeführt ist, bei, wiewohl unser
Gedicht richtiger mit Hrn. Lachmann der Nibelungen Noth
heissen sollte) noch weiter ausgeführt wird (nämlich in dem
747 Bruchstück, das Docen mittheilte, aber wahrscheinlich zu der
Hohen-Emser Hs. zu Wien gehörte. Vergl. Altd. Wälder III,
244). — § 8 wird untersucht, ob sich Spuren von Überarbeitung
finden, indem das spätere Wien im Gedicht vorkommt. Sie
lassen sich nicht bestimmt angeben, wiewohl ohne Zweifel muss
angenommen werden, dass einiges eingefügt sei. An den Stellen
aber, die sich aufs Christenthum beziehen, kann der Verf. nichts
davon entdecken, obgleich er es zugibt, dass es nirgends her-
vortrete, dies aber lediglich aus der Beschafi^enheit der Fabel
erklärt. Anzumerken ist nur, dass in den Sagen aus christlicher
Zeit von Carl dem Grossen an das Christenthum immer einen
bedeutenden und bewegenden Theil ausmache, da wo es nicht
geradezu der Mittelpunkt ist. — § 9 werden bestimmte Anfänge
einzelner Lieder nachgewiesen, dabei des Abgebrochenen
in der Erwähnung des Eckewart gedacht (S, 26). Auffallend
ist es dem Verf., dass jener die Burgunden warne und ihnen
sage: 6555 [1575, 3] ^nian ist in hie gehäz, während erst
hernach Dieterich dem Günther und Gernot den Verrath ent-
decke; aber Eckwart sagt es nicht allen Burgunden, sondern
dem Hagen, und gibt ihm auch die Ursache an: weil er Sieg-
fried erschlagen. Dann müsste auch die Weissagung der Meer-
weiber in dem Gedicht unstatthaft sein, die schon vorangegangen
und worin dem Hagen noch deutlicher gesagt war: er sei be-
trogen, komme er zu den Hunnen, und alle müssten dort sterben.
Ohnehin hatte Hagen recht gut die Absicht der Chriemhild
schon bei der Einladung gemerkt, sie war ihm „grimme leit"
(5847 [1398, 3]), und er sagt deutlich: wie können wir wagen,
nach der Chriemhild zu reiten, da ich ihren Mann erschlagen?
Er geht nur mit, weil er keine Furcht will über sich kommen
lassen; vergl. Nibel. 5869 [1404, 4] ff. Daraus konnten die
Burgunden so viel ahnen, als aus Eckewarts Worten, hätten
sie diese auch vernommen, und Hagen selbst erfuhr nichts Neues.
DER NIBELUNGEN XOTH VON LACHMANN. 179
Wenn der Verf. nicht begreift, wie Eckewart, der noch kurz
vorher Kämmerer der Chriemhild bei Etzel war, nun als
Wächter an die Grenze kommt, so könnte er meinen, man hätte
vorher hören müssen, dass er zu diesem Amte bestellt worden;
aber wir geben nicht zu, dass der Geist des Liedes, wessen er
nun sei, solche Breite und Umständlichkeit verlange. Verwundert
sich aber der Verf. über dieses Amt des Eckewart und hält das
für einen Zusatz, so müssen wir ihm aus inneren Gründen
widersprechen. Eckewart folgte erst der Chriemhild in Sieg-
frieds Reich, dann auch mit zu Etzel und sprach:
5146 [1223. 2 — 4]. sit daz ich allerste iuwer gesinde wart.
so han ich iu mit triuwen gedienet
und wil unz an minen ende desselben immer bi
iu pflegen.
Er ist ein getreuer Eckhart (in dem ungedruckten Rosengarten
heisst dieser auch Ecke wart und in der Hohen-Emser Hs. zu 748
München steht, wenn es kein Schreibfehler bei Müller ist,
V. 2810 wirklich einmal Eckhart) und hängt mit dem in den
anderen Gedichten vorkommenden treuen Eckhart von Breisach
zusammen, wie der Verf. selbst Anmerk. 21 annimmt: darum
steht er am Eingang zu dem Verderben bringenden Land
und warnt. — Es folgen § 10 Widersprüche, die sich im
Nibelungenliede finden, mit die wichtigsten Stützpunkte der
Behauptung. Angemerkt wird, dass Chriemhild durch ihre
Boten den Hagen einladen lasse, diese aber bei ihrer Ankunft
von der Ladung nichts sagen, damit nun, nicht aber mit dem
Vorhergehenden, stimme es, dass die Königin dann den Hagen
frage: „wie durftet Ihr hierher? wärt Ihr vernünftig, Ihr hättet
es gelassen", so wie seine Antwort: -ich nicht, nur drei Degen
waren eingeladen, aber diese sind meine Herren, die ich nir-
gend verlasse." Ein eigentlicher Widerspruch liegt nicht darin,
Chriemhild lädt Hagen nicht geradezu ein, sie will nur veran-
lassen, dass er, ihr erster Feind, auf den es zumeist abge-
sehen war, mitkomme, und lässt ihren Brüdern sagen, „wenn
Hagen etwa dort zurückbleibe, wer sie dann die unkunden
Wege führen wolle." Noch ausdrücklich steht dabei: die Boten
wussten nicht, warum sie den Hagen nicht zurücklassen sollten.
12*
180 I^ER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN.
Es ist wahr, die Boten sagen im Burgimdenland nichts von
dieser Vorsorge der Chriemhilde für die Fahrt, wie überhaupt
nicht genau folgt, was vorgezeichnet war: an Gernot wird kein
Wort von dem gerichtet, was Chriemhilde für ihn bestellt, Ute
dagegen fast eingeladen, für welche die Boten doch nur die
Worte: „sagt och miner muter diu ere, diu ich han" (V. 5689)
[1359, 1] mitnahmen; aber für jenen Auftrag war doch erst
Zeit, wenn die Boten vernahmen, dass Hagen etwa zurück-
bleiben wolle. Als sie wieder nach Haus kommen, fragt sie
Chriemhild gleich nach ihm, und wie sie aus der Antwort ab-
nehmen kann (wiewohl es auch nicht ausdrücklich gesagt wird),
dass er nicht ausbleiben wird, auch von Volker hört, verstellt
sie sich sogleich und spricht: „diesen könnte ich entbehren,
aber dem Hagen bin ich gewogen, das ist ein guter Held." —
§ 11 stellt mancherlei Erscheinungen zusammen. Etwas zwar
nicht Unverständliches, wie es der Verf. nennt, was der alte
Bischof spricht (6054 ff.) [1448, 3], aber wohl Abgebrochenes;
überhaupt sieht der Verf. hier den Nachklang eines halb-
verlorenen Liedes. In der Erzählung von Hagens Gespräch
mit den Meerweibern entdeckt er Lückenhaftes, weil Hagen
das Begehren Weissagung zu vernehmen nicht wirklich aus-
gesprochen, auf das sich doch bezogen wird. Uns scheint diese
Anführung gerade nicht nöthig, weil sie sich von selbst ver-
steht, die Weiber bieten ihm ja vorher die Weissagung an;
viel könnte auf keinen Fall ausgelassen sein, in der Wilkina-
saga (Cap. 388) erklärt Hagen kürzlich, er gebe eher das Ge-
wand nicht. So verhält es sich auch, wenn es im Nibelungen-
749lied von Hagen nicht ausdrücklich gesagt wird, dass er ins
Schiff gestiegen sei, wie es in der Wilkinasaga geschieht. Ob
dergleichen der epischen Breite wegen noth wendig ist, wird
sich nicht entscheiden lassen; Rec. glaubt, dass die Natur des
Gedichts solche Freiheiten erlaubt. Bedeutender dagegen ist
es schon, dass nichts von dem Leib des getödteten Fährmanns
gesagt wird, zumal die dänischen Lieder davon nach ihrer Art
ausführlich reden. Die Wilkinasaga erzählt bloss, dass Hagen
ihm den Kopf abgehauen.
Es folgt jetzt eine Untersuchung (§ 12 — 26) über das Ver-
DER XIBELUXGEX XOTH VON LACHMANN. Igl
hältnis der KJage zum Nibelungenlied. Der Verf. stellt auf,
dass dem Dichter der Abenteure von der Klage bekannt war:
erstlich ein von unserer Nibelungennoth abweichendes Gedicht,
welches zugleich das Märe von der Klage enthielt; zweitens
daneben auch ein Theil von unserem Lied. Von dem ersten
Satz ist der Rec. überzeugt, von dem zweiten nicht. Denn er
hat nirgends den Beweis gefunden, dass dasjenige, worin die
Klage mit unserem Nibelungenliede stimmt, nicht auch in jener
vorauszusetzenden sonst unbekannten Gestaltung habe stehen
können, er denkt sie sich eben theil weise recht überein-
stimmend, selbst bis zu einzelnen Worten. Dieser Punkt aber
ist nicht unwichtig.
Streng genommen gehört also nach des Kec. Ansicht diese
Abhandlung nicht hierher, doch bleibt ihre Ausführung schätz-
bar und hellt immer die ja auch allgemeiner zu fassende Frage
nach dem Ursprünge oder, wie Rec. lieber spricht, nach der
Geschichte des Liedes auf. § 14 kommen die Übereinstimmungen
der Klage mit unserer Nibelungennoth vor, deren Beweiskraft
Rec. soeben geleugnet. Hr. Lachmann legt auch selbst im Er-
folg (§ 15) nicht viel Gewicht darauf, will aber in den weiteren
Untersuchunoren einstweilen seinen Satz als ausgcemacht ansehen,
übrigens, wollte der Rec. auch zugeben, diese Überein-
stimmungen bewiesen, was sie nach dem Verf. sollen, so könnte
er doch das Einzelne anfechten. Dass zwölf Könige dem Etzel
dienen, ist ein sagenmässiger Zug (Carl der Grosse hat ja be-
kanntlich auch seine zwölf Helden), der sich auch in dem Ge-
dicht von Etzels Hofhaltung gleich Eingangs findet. Ferner
nach der Klage (681 [313—316]) jammert Etzel laut:
als ob man hört ein wisenthorn;
dein edeln fürsten wolgeborn
diu stimme uz sime munde
erdoz in der stunde,
do er so sere klage te,
daz davon erwagete
beidiu tiume unt palas.
Das lässt nun Hr. Lachmann aus folgender Stelle unserer Nibe-
lungennoth genommen sein, wo es von Dieterich heisst:
182 DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN.
750 8025 [1924, 1 — 3]. mit clirapft begonde rufen der degen uzerchorn,
daz sin stimme erlute, alsam ein wisentes-horn ,
unt daz diu burch vil wite von siner chrapft erdoz.
Auffallender wäre dem Rec. schon die Abweichung, etwas auf
Etzel zu beziehen, was im Nibelungenlied von Dieterich gesagt
wird, zumal die Stelle, worauf sich die Klage eher zu beziehen
hätte, im Ausdruck stark genug ist, nämlich:
9045 [2171, 1 — 3]. der Etzelen iamer wart also groz,
als' eines leuwen stimme der riebe chünig erdoz
mit herzeleidem wuffe — —
9049 [2172, 1 — 2]. do bort man allenthalben iamer also groz
daz palas iinde turne von wuffe erdoz.
Zum Überfluss aber kommt jenes Gleichnis als ein episches
Gemeingut auch im ungedruckten Rosengarten vor:
do sprenget in die rosen, der degen uzerchorn,
im erlute sine stimme reht als ein wisant-horn.
Mit § 15 hebt nun eine, wie gesagt, für jeden Fall verdienst-
liche Vergleichung von den Angaben der Klage mit unserer
Nibelungennoth an. Wir wollen gleichfalls einiges dazu be-
merken, im Allgemeinen Folgendes: wenn die Klage irgend
einen Umstand oder ein Paar übergeht, bei ihrem ohnehin aus-
zugsmässigen Wesen, und wenn sie auch an anderen Orten
wieder genau nachspricht, so gilt doch nicht gleich der Schluss,
dass sie darum jene Abenteure, worin das Ausgelassene vor-
kommt, nicht gekannt habe. Z. B. des hiedergebrannten Saales
geschieht nur einmal (V. 641 [294]) Erwähnung und wird nichts
ausführlich erzählt; nun nimmt Hr. Lachmann an, der Verfasser
der Klage habe nichts davon gewusst und diese aus seiner
Quelle herübergenommene Angabe selbst nicht verstanden. Wir
glauben schwerlich, dass in irgend einer Gestaltung des Nibe-
lungenliedes dieser Umstand gefehlt hat. Was weiss ein Dichter,
wie jener, viel von Gleichmass und Genauigkeit. S. 48 wird
eine Stelle des Nibelungenlieds angegrifien. Iring, von Giselher,
doch ohne Wunde, niedergeschlagen, springt auf:
8295 [1987, 1 — 2]. do lief er uz dem huse, da er aber Hagen vant,
und slug im siege grimm mit siner elleuthafter hant.
DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN. 183
Nun sagt Hr. Lachmanu: „hier verräth sich die Überarbeitung,
denn Hagen war ja im Hause oder doch auf der Treppe."
Freihch, aber in jenen Worten liegt nicht gerade, dass er schon
wirklich aus dem Haus herausgekommen war; im Laufe stiess
er abermals gegen Hagen, und es beginnt der zweite Kampf,
worin er diesem eine Wunde beibringt. Ausdrücklich heisst es
ja hernach, erst 8303 [1998, 4], dass Iring endlich doch die
Stiege hinab fliehen musste. Es folgt der dritte Kampf mit
Hagen, worin Iring bleibt. In der Wilkinasaga fehlt (Cap. 360)
der erste und Iring verwundet gleich Anfangs den Hagen, springt 751
zurück und geht, von Chriemhild gereizt, zum zweiten Mal auf
ihn los, wo er von dessen Ger niedergestossen wird. Dass er
einmal glücklich entkommt, hat schwerlich in irgend einer Ge-
' staltung des I^iedes gefehlt, weil aber die Klage nichts davon
sagt, schliesst Hr. Lachmann, wie es uns scheint, wieder zu
schnell, es sei das ein Zug des Uberarbeiters. — S. 49 heisst
es, Etzel habe man nach der Klage (V. 1224 [564]) mit dreissig
seiner Mannen, die doch nach der Nibelungennoth erst später
erschlagen wurden, vor dem Hause gefunden, wo ihn Hagen
erschoss. Die angeführte Stelle aber sagt nicht, dass Iring
grade vor dem Hause gelegen, sondern: vor dem Hause lag
manich werther Todte; nun kam Etzel auch dahin, wo Iring
lag, den Hagen erschossen. Damit kann die weitere Ausführung
doch wohl bestehen: weit wird der Todwunde nicht zu den
Dänen zurückgeflohen sein. — S. 52 steht eine starke Behaup-
tung. Hagen klagt über den Tod von Gernot und Rüdiger,
die einander erschlagen, und dann folgt:
9001 [2160]. ^O we min es bruder, der tot ist hie gefrumt!
was mir leiden maere z'allen ziteii chiimt!
Öh muz mich immer riuwen der edel Rüdeger:
der schade ist beidenthalben unt diu vil grözHchen Her."
Hr. Lachmann behauptet nun, weil Dankwart bekanntlich in
dem Nibelungenliede Hagens Bruder ist, so werde hier dessen
Tod, nicht Gernots beklagt; obgleich dieser Dankwart eben
vorher (V. 8963 [2151, 3]) mit Giselher vorkommt und gleich
nach jener Todtenklage auch wieder auftritt (V. 9010 [2162, 2]),
ja hernach ausdrücklich gesagt wird, dass er durch eines anderen,
184 DER NIBELUNGEN NOTE! VON LACHMAXN.
des Helferich, Hand gefallen. Aber diese grossen Wider-
sprüche räumt Hr. Lachmann damit aus dem Wege, dass er
annimmt, nach jenen Worten Hagens fange ein neues Lied an,
das sich um das vorhergehende nicht kümmere, während dieses
den Tod Dankwarts voraussetze. Nun ist aber an sich schon
ganz klar, dass in jener Strophe Gernot und kein anderer ge-
meint wird, das zeigt der darin ausgedrückte Gegensatz: auch
•Küdigers Tod sei zu beklagen und beidenthalben der Schaden
gross. Will man diese Strophe dem Hagen zuschreiben, wie
sie ihm nach unserem Text zuzugehören scheint, so müsste
man annehmen, Bruder bezeichne hier allgemein Geselle, Stall-
bruder, und so nenne Hagen den Gernot, oder es sei eine dann
merkwürdige Spur von jener Gestaltung, wornach Hagen wirk-
lich ein Bruder des Gernot ist, wie in der Wilkinasaga und
Edda. Allein viel wahrscheinlicher ist eine andere dem Rec.
mitgetheilte Meinung, wornach jene Strophe ursprünglich dem
Günther zugehört und zwischen ihr und Hagens Klage
(8993—96 [2159, 1—2]) eine Lücke sich befindet, in welche
jetzt die Hohen-Emser Handschrift zu Wien eine ohnehin wenig
passende Strophe einrückt (dieser Umstand ist merkwürdig,
752 Natur und Entstehung jener Handschrift zu erklären; absicht-
licher Zusatz kann es kaum sein, er wäre allzu ungeschickt)
und worin der Name Günthers und der Zusammenhang ent-
halten war. — S. 52. 53. 54. Manches von dem hier An-
gegriflfenen lässt sich ohne Zwang vertheidigen. Warum muss
der todte Rüdiger aus dem Hause getragen sein, wann er vor
den König getragen wird, und im Blut der Wunden lag er immer,
auch floss es überall. Was das Übrige betrifft, so ist es aller-
dings merkenswerth, dass Hildebrand Rüdigers Leiche nach
einem Auftrag seines Herrn, von dem man aber vorher nichts
gehört hat, den Burgunden abfodert; aber das Verbot, gegen
diese nicht zu kämpfen, braucht nicht ausdrücklich gegeben zu
sein, es versteht sich daraus, dass Dieterich bisher nicht hat
kämpfen wollen (V. 8044 [1929, 1]); er will mit seinem Ge-
sinde bei dem Streit in Friede bleiben, heisst es, und Wolfhart
wird (V. 8052 [1930, 4]) schweigen geheissen, als er sich streit-
lustig zeigt. V. 9112 und 9116 [2187, 4 und 2188, 4] gehen ohne
DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN. 185
Zweifel auf Hildebrand. — S. 54 die Worte der Klage von
Giselhers Leid über Rüdigers Tod könnten sich doch wohl auf
das beziehen, was im Nibelungenlied 9005. 9008. 9012 — 13
[2161, 1, 4. 2162, 4. 2163, 1.] gesagt wird.
Nachdem die Abhandlung über die Klage zu Ende ist,
wird jetzt § 27 bis 34 auch die erste Hälfte des Nibelungen-
lieds zu demselben Zwecke, wie zuvor die zweite, untersucht.
§ 28 wird angemerkt, dass die ersten Strophen des Gedichts
sich sogleich als eine besonders für die jetzige Gestalt der
Nibelungennoth verfertigte Einleitung kund gäben, weil gerade
alle späterhin vorkommenden Personen und keine mehr noch
weniger darin verzeichnet wären. Es sollte natürlich bloss
heissen „keine weniger"; dort werden die Burgunden mit
ihren Mannen genannt. Ist nun auch die erste Strophe der
nächsten Abenteure ein (nicht noth wendiger , absichtlicher) Zu-
satz, worin Siegfried mit den Seinigen aufgeführt wird? Solche
Namenreihen und noch viel grössere haben auch die dänischen
Heldenlieder und werden in einem Epos nicht leicht fehlen. —
S. 82. Siegfried war zwischen den Schultern verwundbar,
Chriemhild nähte ihm, als die Scheinfahrt beschlossen war, auf
das Kriegsgewand aussen ein kleines Kreuz an jene Stelle, da-
mit sie Hagen sich merken und ihn, wenn man ihn dorthin
stossen wolle, schützen sollte. Hernach, als beide vor dem Mord
in die Wette laufen, legen sie die Kleider ab und sind in weissen
Hemden, wie nun Siegfried zum Trinken gebückt liegt, sieht
Hagen nach dem Zeichen (bilde steht in der St. Galler, chrüze
in der Hohen -Emser Handschrift zu Wien) auf dem Gewand
und schiesst den Helden dadurch. Da nun Siegfried auf keinen
Fall jenes Heergewand anhatte, so scheint hier oöenbar ein
Vergessen oder ein Widerspruch.
Indessen Hess sich noch folgende Vermuthung aufstellen : 753
Siegfried trug auf seinen Hemden dieses Zeichen zum Schutz
der verwundbaren Stelle (sei es nun das christliche Kreuz oder
ein altes aus der Heidenzeit herrührendes ähnliches, gleichfalls
schützendes Zeichen von Thors Hammer, vgl. Thorlacius om
Thor og hans Hammer p. 46. 47), und Chriemhild nähte es
damals nur auf das äussere Gewand, damit es für Hagen sieht-
186 DER NIBELUNGEX NOTH VON LACHMANN.
bar würde; bedeutend wenigstens scheint die Kreuzform in
jedem Fall. Freilich wäre dann ein Stück aus der alten Sage
vergessen (auch die Wilkinasaga weiss nichts davon), und es
bliebe für das Gedicht immer ein gewisser Widerspruch. — Da,
wo die Verschiedenheit der Geographie auseinandergesetzt wird,
kommt auch S. 78 vor, dass, als die Nibelungen den König
Siegmund heimgeleiteten, doch dabei gesagt wäre:
4409 [1039. 1]. wie si nu gefüren, des chan ich nicht gesagen.
und Hr. Lachmann scheint die Stelle so zu verstehen: der
Dichter wisse nicht zu sagen, welchen Weg sie gen Niederland
genommen, während dieser doch sonst näher angegeben ist.
Eigentlich werden nicht die Nibelungen genannt, sondern Giselher:
4406 [1038, 2 — 4]. er brahte sorgende uz dem lande sint
den chünich mit sinen rechen heim ze Niderlant:
M'ie lützel man der mage darinne vrölichen vant!
Rec. versteht dies so, dass Giselher wirklich den Siegmund heim
brachte, ohne dass des dabei eingeschlagenen Wegs gedacht wird.
Mit jener bemerkten Zeile 4409 [1039, 1] fangt, wie eine neue
Strophe, so auch ein neuer Sinn an, und Rec. legt sie folgender-
gestalt aus : Was sie (die Burgunden) darauf für Fahrten unter-
nahmen, was jetzt für Abenteuer folgten, weiss ich (die Sage)
nicht; es trat eine Zeit der Ruhe ein, Brunhild war Übermut hig,
Chriemhild beweinte ihren Mann. Erst nach viertehalben Jahren
(vgl. V. 4438 [1046,2]) regt Hagen die Begierde nach dem
Hort an.
754: Damit hatte Rec. die Untersuchung des Verf., deren Eigen-
thümlichkeit , Verstand und Scharfsinn er mit Vergnügen an-
erkennt, durchgegangen. Ihre Ergebnisse an sich lässt er sich,
im Ganzen genommen, wohl gefallen, und seine Gegenbemerkungen
betreffen bloss das Einzelne darin. Nur dass das grosse Ge-
dicht aus einzelnen Liedern zusammengesetzt sei, kann er nicht
so geradezu annehmen. Nicht als wollte er ihr Dasein leugnen,
aber eben so früh, glaubt er, ist auch ein Ganzes schon da-
gewesen, und er mögte den Satz so ausdrücken: es lässt sich
eine Zusammenfügung einzelner Abschnitte erkennen, wovon
aber jeder gewiss in dem Bewusstsein vom Ganzen sein Leben
hatte, wenn es auch einzeln verständlich war. Übrigens wünscht.
DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN. 187
Rec. die Arbeit erweitert und vom Verf. eine neue Schrift, in
welcher die verschiedenen Gestaltungen des Nibelungenlieds,
soweit sie sich erkennen lassen, aufgestellt, in ihrer Eigenthüm-
lichkeit erläutert und unter einander verglichen sind: also 1) der
einen Hohen-Emser, der St. Galler und Münchener Handschrift,
die im Ganzen als eine hierbei könnten betrachtet werden, 2) der-
jenigen, «welche der Verf. der Klage vor sich gehabt, so viel
sich davon herausbringen lässt, 3) der Wilkinasaga, deren Zu-
rücksetzung gegenwärtiger Abhandlung doch weniger Vortheil
als Nachtheil gebracht, 4) der Hohen-Emser zu Wien. Sie
kann jetzt, nachdem achtund vierzig neue Strophen daraus in
dem dritten Band der Altdeutschen Wälder mitgetheilt sind,
welche in der neuesten Hacjenschen Ausgabe noch fehlen
mnssten, ziemlich vollständig beurtheilt werden. Dann wären
5) die dänischen Lieder, so kurz sie sind, anzuführen. Kommt
indessen noch die Hundehagische Handschrift zum Vorschein,
die dem Vernehmen nach vom Jahre 1426 ist und neue Dinge
enthält, so müsste sie auch berücksichtiget werden. Nur wäre
vorerst, wenigstens abgesondert, blosse Untersuchung zu geben,
welche die Erscheinungen aufstellt, nicht aber eine Ansicht
über die Entstehunor derselben gleich einzumischen.
Diese Ansicht muss eigentlich als der andere Theil be-
trachtet werden, welcher in gegenwärtiger Schrift enthalten ist,
ohne besonders auseinandergesetzt zu sein. Die natürlichste
Frage ist hier, von wem die bemerkten Eigenschaften des Liedes
herrühren, ob sie im Ganzen als Folge unwillkürlicher Fort-
bildung (versteht sich, insoweit überhaupt die schöpferische 755
Kraft, aus der Dichtung hervorgeht, unwillkürlich zu nennen
ist), wozu die wachsende, sich ändernde Gesinnung des Volks
gewirkt hat, zu betrachten sind, oder ob sie aus Willkür und
Absicht, die bloss Einzelnen zugehört, entstanden sind; mit
anderen Worten, ob das Nibelungenlied ein Volkslied oder
ein kunstgemässes, nach Plan verfertigtes sei? Wer das erstere
annimmt, kann dabei immer glauben, dass, wenn durch die
Schrift das Gedicht einmal gefasst worden, dann Zusätze und
Veränderungen Einzelner wohl möglich sind, doch werden sie,
sobald sie auf das Ganze Einfluss haben oder einen Zug der
188 DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN.
Sage selbst angreifen wollen, leicht zu erkennen sein. Ferner
kann man gern zugeben, dass das Lied einer gewissen Klasse,
solchen, welche die alten Gedichte sangen und sagten (unter
denen man sich natürlich keine Bänkelsänger an den Ecken
denken darf, wie ein Gelehrter zu leichter Widerlegung einer
von niemand gehegten Ansicht gut genug annimmt), überliefert
worden. Nur muss als wesentliche Eigenthümlichkeit dabei
festgestellt werden, dass ihnen durchaus die Absicht und Will-
kür zu einer Veränderung oder Umarbeitung fremd war. Hr.
Lachmann berührt jene Frage, weist sie aber anfangs ab, ja,
wenn er überhaupt jenen Unterschied anführt, will er damit
nach einer besonderen Anmerkung eine seit mehreren Jahren
in Schwang gekommene wunderliche Vorstellung von Volks-
liedern und ihrer Entstehung keineswegs theilen, über welche
Hr. A. W. von Schlegel neulich klar und scharf gesprochen.
Rec. stimmt gern in dieses Lob der klaren Schärfe und hat
sich selbst über die zum Theil wunderlichen Vorstellungen ge-
wundert, die durch dieses Atzmittel wegzubeizen waren. In-
dessen beantwortet die Abhandlung selbst die Frage und schreibt
Dichtern, Ordnern, Diaskeuasten , wie sie verschiedentlich ge-
nannt werden, die bemerkten Eigenschaften, Abänderungen usw.
des Nibelungenliedes zu.
Diese Ansicht ist sehr verschieden von derjenigen, welche
überhaupt nur einen einzigen Dichter des Ganzen annimmt, ja,
den Vertheidigern derselben, die sogar seinen Namen schon
errathen, wird durch diese Untersuchungen ein harter Stand
bereitet. Was soll man sagen, wenn er bei seinen schönge-
schmückten Lügen solche Widersprüche, Mängel an Umsicht,
Un Verständlichkeiten sich erlaubte? Die Sassen sind nach dieser
Meinung bekanntlich zurecht und rückwärts gestellt, wie es
der Plan verlangte; also aus Achtung vor der Überlieferung
kann jenes unmöglich stehen gebHeben sein.
Hrn. Lachmanns Ansicht ist es zuträglich, dass die ver-
schiedenen Gestaltungen des Nibelungenliedes in seiner Schrift
nicht besonders ins Auge genommen sind. Für die Abweichung
der Wilkinasaga, zweifeln wir nicht, wird er eine scharfsinnige
Erklärung in Bereitschaft haben. Nur der S. 32 geäusserte
DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN. 189
Zweifel , es könne vielleicht auch keine neue Gestalt der Sage. 756
sondern eine Bildung der noch vorhandenen sein, ist nach
unserer Meinung^ unstatthaft. Was das Neue in der Hohen-
Emser Hs. zu Wien betrifiit, so ist es möglich, dass eins und
das andere von einer bloss erweiternden und näher ausführenden
Hand herrührt, wenn sie aber auch in die Fabel eingeht und
sich darin Dinge finden, die sich nach der Klage nothwendig
in dem Gedicht befinden mussten, aber anderwärts fehlen, so
sollte man doch denken dürfen, es seien dies nicht erst später
eingebundene, sondern natürlich gewachsene Früchte, die in den
anderen Gestaltungen nicht zum Vorschein gekommen sind oder
abgefallen. Denn nicht nur findet sich in jener Hohen-Eraser,
was S. 60 vom Verf. bemerkt wird, dass Chriemhilde den Hagen
gern ausgeschieden hätte, um an ihm allein sich zu rächen,
sondern auch, was der Verf. noch nicht bemerken konnte, dass
Frau Ute nach dem Kloster Lorse gegangen und Etzel einmal
sich zum Christenthum bekehrt hatte, aber wieder abgefallen
war (vgl. Altd. Wälder HI, 10. 11). Ganz mit den Angaben
der Klagen über,einstimmend.
Doch wir übergehen das und fragen, ob Hr. Lachmann
für die abweichende Gestaltung, die der Verfasser der Klage
vor sich hatte, einen neuen Dichter und ein neues ursprüng-
liches Gedicht, selbst mit einem anderen Mittelpunkt, annimmt?
Er kann es bejahen und das wäre seinem System gemäss; aber
diese Annahme bekommt Schwierigkeiten oder vielmehr sie wird
ganz unhaltbar, wenn man nicht zugleich, wie allerdings Hr.
Lachmann recht klug thut, annimmt, dass der Verfasser der Klage
zugleich nebenbei unsere Gestaltung, die Nibelungennoth ge-
kannt und daraus geschöpft. Rec. hat schon vorhin bemerkt,
dass er nirgends von dieser Behauptung ist überzeugt worden,
ausserdem hat er noch dagegen anzuführen, dass es ihm nach
Art und Natur, die der Dichter der Klage überall zeigt, un-
glaublich scheint, er sollte beide so abweichende Gestaltungen
nicht genannt, ihre Abweichungen, Widersprüche, ihr Verhältnis
nicht angegeben (da er der verschiedenen Sagen von Etzels
Tod gedenkt) haben imd stillschweigend bald hier, bald dort
etwas her geholt. Dass endlich dasjenige, was er nach Hrn.
190 DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN.
Lachmanns Ansicht aus unserer Nibelungennoth gezogen, ge-
rade in jenem anderen Gedicht gefehlt oder nur habe fehlen
können, wird Rec. sich nicht leicht vorstellen. Es bleibt also,
bis stärkerer Beweis geführt wird, jenes Gedicht eine andere
Darstellung der Sage, in einigen Stücken sehr übereinstimmend,
selbst wörtlich, in anderen abweichend. Dafür aber einen
neuen Dichter und eine neue ursprüngliche Gestalt, wie Hr.
Lachmann thun muss, anzunehmen ist, wie gesagt, ein schwie-
riger Entschluss, weil man nämlich damit einen, welchen man
^ nun zum jüngsten machen will, des Plagiats beschuldigt. Einer
anderen Ansicht ist dagegen dieses Verhältnis ganz willkommen :
Übereinstimmung selbst bis in das Einzelne, Abweichung da-
757 neben in unzählbaren Stufen bis zu grossen anders angeschauten
und verstandenen Theilen der Sage; darin besteht ja die nach-
zuweisende Eigenthümlichkeit aller Volksdichtung. Das ist die
rechte Einzelheit, die für sich lebt und doch stets auf das
Ganze weiset und von ihm das Leben hat: über allem Einzelnen
schwebt eine unergreif bare Einheit und verbindet sie. Ist doch
merkwürdig und nicht zu übersehen, dass selbst jene drei zu
einem Stamme gehörigen Hss. der Nibelungen, so von einander
unabhängig sind, dass keine von der anderen unmittelbar kann
hergenommen sein, sondern jede ihr Eignes hat.
Wir wollen nun ohne Rücksicht auf diese Einwürfe Hrn.
Lachmanns Vorstellung an sich betrachten. Er nimmt eine
ursprüngliche Gestalt des Ganzen an als eine wirklich
dagewesene. Die erste Frage lautet: wo und bei wem ist diese
zu suchen? Eine unmittelbare Antwort findet Rec. in der
Schrift nicht und muss demnach jene Frage anders stellen: von
wem rühren die mannigfachen Abänderungen, überhaupt die
durch die Untersuchung aufgedeckten Eigenschaften des Liedes?
Wir finden überall die Auskunft: von Dichtern, Ordnern, Dia-
skeuasten, Kritikern. Nirgends aber wird bemerkt, also wohl
geleugnet, dass sich etwas volksmässig in dem oben bemerkten
Sinne ohne einwirkende Absicht anders gestaltet hätte.
Jene Eigenschaften, wie sie in dieser Schrift dargelegt
worden, sind verschiedener Art und wohl zu unterscheiden.
Ein Theil betrifil das Ganze, z. B. die noch sichtbaren Nähte
DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN. 191
bei der Zusammenfügung, das Einschieben neuer Personen in
die Fabel. Im Gegensatz zu der Gestaltung, die der Verfasser
der Klage vor sich hatte, ist auch anzunehmen, dass die Grund-
ansicht, die Angel, um die sich das Ganze dreht, bei unserer
Nibelungennoth Zuthat des Dichters ist. Andere aber be-
treffen das Einzelne und sind jenen gegenüber geringfügiger
Art; die Spitze wäre etwa, dass der Verf. nachweist, die Worte:
„do sprach der küne Dancwart" wären Überarbeitung.
Grösstentheils gehört hierher, was von Überflüssigem, Einge-
schobenem, Verworrenem usw. angemerkt ist.
Jene erstgenannten, die wir, ohne dass man weiter etwas
daraus folgern soll, innere Eigenschaften nennen wollen, müssen
natürlich dem Dichter des Ganzen zugeschrieben werden: von
ihm also kommt jene ursprüngliche Gestalt der Nibelungen-
noth, die wir in der auf uns gelangten so ziemlich vor uns
haben sollen, denn jene war nach des Verf. Worten (S. 5)
^eine der jetzigen sehr ähnliche". Sie ist etwa noch durch die
Hände eines oder zweier Ordner gegangen. Die äusseren Ab-
änderungen dagegen müssen grösstentheils schon ihrer Natur
nach, z. B. das Unverständliche, Nachklänge halb verlorener
Gesänge, Widersprüche in den verschiedenen Abenteuern von
den Dichtern, Ordnern der einzelnen Lieder herrühren. Ihrer 758
werden mehrere für ein Lied gar wohl angenommen; eins und
das andere ist schon durch ein Paar, ja drei bis vier Hände
gegangen (vgl. S. QQ}-, eh' es zu dem Dichter des Ganzen ge-
langte. Einen ersten Dichter der einzelnen Lieder, also auch
eine ursprüngliche Gestalt derselben, von welcher dann die
ursprüngliche Gestalt des Ganzen abhängen musste, nimmt der
Verf. nun noch an (vgl. S. 14. 19).
Hierbei wäre Folgendes zu erinnern. Die Einheit des
Nibelungenliedes als Folge der Einheit eines Geistes, der es
geschaffen, leugnet der Verf. nicht (vgl. Anmerkung 1). Glaubt
er auch, dass eine gewisse epische Weise verbreitet war, da
wir das grosse Heldenbuch (nach dem Bruchstück einer Perga-
menthandschrift), den Alphart in einer so sehr ähnlichen Art
gedichtet besitzen, die nicht wohl sämmtlich von einem Meister
herrühren können, so ist damit noch nicht die Frage beant-
192 RER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN.
wortet: wie hat der Dichter des Ganzen die Einzelnheiten der
verschiedenen Dichter und weitere Überarbeitungen in einen so
gleichmässigen Guss gebracht? Wir müssen ihm nun auch in
der Form grosse Freiheiten zugestehen, dem Stoft' nach ver-
stehen sie sich von selbst, da ihm jene bedeutende Einwirkung
auf das Gedicht durch Einrücken ganzer Personen, wie vielleicht
Rüdigers, anheimfällt; dem Dankwart gelingt es nicht recht,
sich in die Fabel einzufügen (Note 38); in dem Abschnitt von
Siegfrieds Jugend und Fahrt rührt auch vieles von ihm (S. 72).
Sogar eigene Erfindungen des Dichters denkt sich der Verf
auch, wie wir daraus abnehmen, dass er sie beim Traume der
Chriemhilde aus anderen Ursachen ableugnet. Von diesem
Traum heisst es (S. 70), er sei so zart gehalten in jeder Zeile,
dass er nur von diesem Dichter des Ganzen herrühren könne,
wenn er auch aus einem älteren Liede hergenommen sei. Dieses
^wenn" ist aber hernach Anmerkung 71 der einzige Grund,
warum dieses Lied so schön ist, denn ein anderes, von ihm,
wie Hr. Lachmann vorstellt, eingerücktes, worin Günther und
die übrigen Siegfrieds Tod schwören, ist mangelhaft, und zwar
deshalb, weil es nicht nach der Sage, sondern aus eigenen
Mitteln hinzugedichtet ist. (Also das Frischlebendige hätte
doch nur in der Sage seinen Ursprung, und dieser Dichter, den
Hr. Lachmann, nach dem, was er ihn thun lässt, einen herr-
lichen nennen sollte, wird matt, wo er selbst reden muss.) Wir
lassen das ruhen, aber wenn diesem Dichter so viel Freiheit
für StoflF und Form muss zugeschrieben werden, wie wird es
begreiflich, dass er das Verworrene, die Nähte der Zusammen-
fügungen, ja den Widerspruch, von dem doch Hr. Lachmann
einige starker Art, z. B. die Klage Hagens über Dankwarts
Tod, während dieser noch lebt, annimmt, nicht bemerkt, sondern
aus den einzelnen Liedern aufgenommen, gleichsam gebilligt
759 hat? Dem flüchtigsten Übersetzer wird man heut zu Tag der-
gleichen nicht zu gut halten; auf der anderen Seite ist jener
Dichter so geschickt, dass man bei unzweifelhaften Zusätzen,
wie die Stadt Wien ist, die Einfügung nicht erkennen kann.
Auch Achtung oder Rücksicht für die Überlieferung kann ihm
Hr. Lachmann nicht beilegen, eben der Freiheit wegen, die er
i
DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN. 193
ihm gegeben. Dagegen aber, warum sollte ein anderer, der
nicht nach unseres Verf. Hypothese die Erscheinungen des
Nibelungenliedes sich erklärt, nicht darin eine Achtung vor
der Überlieferung erkennen, dass selbst die St. Galler und die
Hohen-Emser zu Wien nichts anzutasten wagten und alle
wiederum jene seltsamen Dinge beibehielten? Ja, ganz Beweg-
liches, wie Ziffern sind, ändern sie nicht einmal, z. B. die
achtzig oder sechszig Recken Hagens und Dankwarts. Selbst
nicht die immer etwas unglaubliche Zählung (die Hr. Lach-
mann nicht anmerkt), wornach Chriemhilde im geringsten Fall
schon 48 Jahre alt ist, sehr leicht 54 zur Zeit, wo sie dem
Etzel ein Kind gebiert; je nachdem wir nämlich 18 oder 24
Jahre bei ihrer Verheirathung mit Siegfried voraussetzen, denn
die übrigen Angaben hat das Lied: 10 Jahre lebt sie mit Sieg-
fried (V. 2874 [659, 2]), 13 Jahre nach seinem Tod (V. 4582
[1082, 2], die Hohen-E. Hs. hat 12 J.) als Wittwe, 7 Jahre mit
Etzel, bis sie einen Sohn zur AYelt bringt (V. 5564 [1327, 2]).
Ihre Rache fällt noch 6 Jahre später, also in das 54ste oder
60ste. — Auf einen späteren Ordner kann Hr. Lachmann die
Schuld auch nicht wälzen: wozu zwecklose und unsinnige Ver-
derbnis? Überdiess sind ja jene Erscheinungen als natürliche,
aus der Lage der Dinge hervorgehende eben zugleich Zeugnisse
von der früheren Bildung des Ganzen in besonderen Ab-
schnitten.
Es bleibt noch etwas über die Dichter, Ordner der einzelnen,
unabhängigen Lieder zu sagen. Ihnen müssen die äusseren
Veränderungen zugeschrieben werden. Auch hier glaubt Hr
Lachmann, wie schon bemerkt, an einen ersten Dichter, von
dem die ursprüngliche Gestalt herrühren musste. Dass dieser
aus der lebendigen Sage geschöpft, nimmt er allerdings an,
aber über das Verhältnis seiner Arbeit zu jener Quelle, worauf
so viel ankommt, finden wir nichts gesagt, und es ist nicht klar,
wie es von ihm gedacht wird. War die Sage roh, ohne Form,
ohne Spur der schönen Ausfüllung, die wir jetzt bewundern,
war sie prosaisch in der Art, die wir noch heute bei Volks-
sagen finden? Dann müsste man von Rechtswegen von einem
ursprünglichen Dichter reden, wurden aber jene Fragen ver-
W. GHIMM, KL. SCHRIFTEN. II. 13
194 DER NIBELUNGEN NOTH VON LACHMANN.
neint, so hieng es von dem Verhältnis ab, das man zu jener
schon vorhandenen Dichtung für die neue behauptet, ob er ein
blosser Aufzeichner oder auch ein noch immer selbst schöpfe-
rischer Dichter zu nennen wäre. Wenn wir bemerken, dass
der Verf. von einem solchen Diaskeuasten den Versuch her-
760 rühren lässt, Folker den Spielmann einzuführen, so können wir
sehen, wohin er sich neigt und dass er an keinen Aufzeichner
und Bewahrer der Sage denkt. Übrigens, nimmt man hier
selbstschaflPende Dichter an, so sind wir überzeugt, dass es nur
ein Paar solcher Hände bedurfte, um ein ganz anderes, von
jenen Volkssagen völlig nach Inhalt und Form verschiedenes
Gedicht zu haben.
Für welchen Fall sich aber der Verf. entscheiden wird, so
kann doch immer gefragt werden: wie erklären sich die nach
ihm von den auf einander folgenden Diaskeuasten herrührenden
Eigenschaften der Lieder, da sie grösstentheils wie Ver-
schlechterungen aussehen; es erscheint darin ein allmähliches
Herabsinken von ursprünglicher Reinheit, nur eins und das
andere wäre ein lobenswürdiger Zusatz gewesen, etwa Hagens
Probe an dem Capellan, wenn er ihnen vom Verf. zugeschrieben
wird. Das durch unvollständige Überlieferung (mündliche oder
schriftliche?), deren auch (S. 59) bei Gelegenheit gedacht wird,
eins und das andere sich einschleichen konnte, mag man zu-
geben, aber dann wäre der Dichter des Ganzen immer zu
tadeln gewesen, dass er nicht nach vollständigerer getrachtet;
aber von dem Eingeschobenen, Ausmalenden, Unnöthigen darf
das doch nicht angenommen werden. Je freier die Diaskeuasten
und ohne Rücksicht auf das Überlieferte gedacht werden, desto
mehr ist sich über das Verwirrte, Unverständliche, die blossen
Nachklänge zu verwundern. Wie aber, wenn sich in den
Dingen, die nicht aus dem Ursprünglichen sollen geschöpft sein,
Spuren von einem grösseren Zusammenhang, der auch dieses
umfasste, aufthäten oder eine mythische Bedeutung darin sich
zeigte, die den Vorwurf einer gewöhnlichen Zuthat wegnähme?
Wir sind ausführlich gewesen, weil es gewiss wichtig ist,
zu erforschen , wie das Epos bei den Völkern sich gebildet,
aus welchen Händen es hervorgegangen, welche es in dem Lauf
WUNDERGESCHICHTEN UND LEGENDEN DER DEUTSCHEN. 195
der Jahrhunderte gehalten und getragen und wessen Geist in
ihm lebt. Überall aber begegnet uns dasselbe : ein mächtiges
Ganzes, niemals vollständig ausgesprochen, neben dem Herr-
lichsten einzelnes Lückenhaftes, Unverständliches, Widerspre-
chendes, es scheint sich nur hier mehr, dort weniger heraus-
gearbeitet zu haben, um einem Vollkommenen, aber Unsicht-
baren, niemals Wirklichen immer näher entgegenzudringen.
Fehler hangen mit der VortrefFlichkeit zusammen, es ist jedes-
mal ein Widerschein darin von den Eigenthümlichkeiten der
Zeit, und die verschiedenen Gestaltungen können nicht gegen
einander abgewogen oder zusammengeschmolzen werden, damit
man ein einziges Vollkommenes erhalte. Dasselbe zeigt sich
schon in unserem Hildebrandslied, in den eddischen Gesängen,
wie in den noch heute lebenden Volkssagen und Hausmärchen.*)
[anonym.]
WÜNDERGESCHICHTEN UND LEGENDEN DER 12%
DEUTSCHEN.
Erstes Bändchen. Quedlinburg 1816. 175 S. Zweites Bändchen, das.
176 S. 8.
Leipziger Litteratur- Zeitung für das Jahr 1817. Erstes Halbjahr.
No. 151, am 11. Juni 1817. S. 1206—1207.
JUer A^erfasser theilt ein Paar wahrscheinlich aus münd^
lieber Überlieferung aufgefasste Sagen mit, an sich löblich, aber
in einer Bearbeitung, die wir, wenn sie auch besser als hier
gerathen wäre, nicht loben könnten. Knecht Ruprecht, wo-
mit der zweite Band anfängt, ist eine artige Geschichte von dem
neckenden boshaften Geist, der daneben wie Rübezahl einen
gutmüthigen Zug hat. Eine Erzählung von eben diesem, wie
er einer jungen Wittwe, die durch die schlesisch- böhmischen
Gebirge fährt, in einem Zauberschloss eine eigentliche Vorge-
*) [Vgl. hierzu den von Zacher herausgegebenen Briefwechsel über das
Nibelungenlied von C. Lachmann und Wilhelm Grimm und den Brief an Jacob
Grimm in der Zeitschrift für Deutsche Philologie II, 1870. S. 193—215. 343—365.
515—528.]
196 WUNDERGESCHICHTEN UND LEGENDEN DER DEUTSCHEN.
schichte von dem erleben lässt, was ihr hernach in Carlsbad
in der Wirklichkeit begegnet, ist gut, und beide Stücke sind
bei weitem am besten, d. h. am einfachsten und natürlichsten
vorgetragen, so dass sie einem anderen Verf. zuzugehören
scheinen. Der Erzählung von dem Graumännlein liegt auch
vielleicht Wahres zu Grund, und die Sage von den Zwergen
im Schwalberg hat an sich ihren Werth, aber sie ist wirk-
lich gar zu unerträglich dramatisch dargestellt. Die Zwerge
werden, wie das in anderen Sagen vorkommt, gebeten, ihr
Küchengeschirr Menschen zu leihen, die ihnen dafür als ver-
sprochenen Lohn nach dem Gebrauch darauf Leckerbissen
hinstellen. Ein Schäfer nimmt diese Speise den „Bergesalten"
(Volksausdruck für Zwerge?) weg und besudelt ihnen die
Schüsseln, wofür sie ihn dann strafen. Den zweiten Band
nannten wir zuerst, weil er der beste ist; im ersten steht das
bekannte Märchen Aschenputtel voran, aber es ist dem In-
halte nach so kahl und ohne alle die vielen schönen Züge,
z. B. nichts kommt von dem Baum vor, der auf der Mutter
Grab steht, von den Tauben, die geflogen kommen und Hilfe
leisten, nur am Schluss werden sie kurz erwähnt, dass man es
ohne alles Vergnügen liest. Auch die Erzählung ist ungefähr
in der unleidlichen Art, die der Bibliothekar des Romantisch-
Wunderbaren*) aufgebracht hat, und wobei stark mit Rauschgold
besetzt wird. Z. B. gleich S. 16: „die Haut der Dirne glänzte
wie Lilien in der Morgenröthe, ihr Busen schwoll wie Knospen
am Frühlingsgesträuche, die Arme blühten, wie Ranken voll
Frucht und Leben, und die zarten Füsse waren so zierlich,
als hätte der Grossultan sie aus China verschrieben". Und
S. 21: „als aber auch Drell und Wolle die blendende Schönheit
des lieben Mägdleins nicht mehr bergen konnten und die
1207 liebe Sonne ihnen die frische Blüthe der Jugend in der
holden Magd einst beim Frühstück in der Laube von Geis-
blatt und Jasmin in ihrem lieblichsten Glänze zeigte: da Hess
sie Satan den duftenden Brautkranz in dem köst-
lichsten Haarschmucke der jungen Nymphe erblicken
*) [Vulpius.]
WUNDERGESCHICHTEN UND LEGENDEN DER DEUTSCHEN. 197
und entzündete ihren Verdruss zur wilden Flamme des Zorns
und der Grausamkeit." Wahrscheinlich hat der Verf. zur Zeit
der romantischen Dichtungen der Vorzeit starke Lieferungen in
Ritterromanen übernommen und versucht sich jetzt in Sagen
und Märchen. — Die drei Johanniter gründen sich wohl
auf eine noch gangbare Volkssage. Drei Geister haben keine
Ruhe, weil unter dem Haupte des einen das Archiv der Grafen
von Mansfeld liegt, das durch ihre Erscheinung endlich an den
Tag kommt. Merkwürdig ist der Eingang von den beiden Seen,
die, durch einen schmalen Strich Landes getrennt, feindselig
gegen einander erscheinen; der eine hat süsses, der andere
salziges Wasser, sie strömen immer entgegengesetzt und be-
rühren sich niemals. Wer denkt nicht an die Sage von jenen
Flammen, die sich von einander abwendeten, weil, was das
Feuer verzehrte, im Leben sich gehasst hatte? Im Ross trapp,
so wie in der Fortsetzung Ilsenburg ist die bekannte Sage
stark überarbeitet, mit allerlei Zuthaten versetzt und, wie jemand,
der die treuen Überlieferungen in der Sammlung deutscher
Sagen von 4en Brüdern Grimm damit vergleichen will, leicht
erfahren kann, sehr verschlechtert.
Hätte der Verf. auf ein Paar Bogen die Sagen, wie er sie
gehört hatte, ohne etwas auszulassen, aber auch ohne die Zu-
that von falschem Gewürz gerad und schlicht erzählt, so wären
wir ihm für den wenn auch kleinen Beitrag dankbar gewesen.
Denn der Werth dieser Überlieferungen, worin sich bei den
Deutschen so gut, wie bei anderen Völkern, Sitten, Charakter
und Bildung vergangener Zeiten darstellen, wird kein Ver-
ständiger mehr ableugnen und sie so gut zu schätzen wissen,
als etwa die griechischen bei Herodot oder die römischen bei
Livius oder die nordischen bei Saxo Grammaticus. Haben
doch auch bei uns nicht bloss Dichter, sondern auch Geschicht-
schreiber, die Sinn für das Lebendige haben, wie z. B. Johannes
Müller sie der Betrachtung und Achtung werthgehalten, und
dabei kann man leicht überhören, was eine Eintagsfliege darüber
brummt oder ein litterarischer Thurmwärter etwa darüber ausruft.
[anonym.]
198 KOLOCZAER CODEX ALTDEUTSCHER GEDICHTE.
1369KOLOCZAER (KOLOZER) CODEX ALTDEUTSCHER
GEDICHTE.
Herausgegeben von Johann Nep. Grafen Mailätb und Johann Paul Köffinger.
Pesth, 1817 bey Konrad Adolph Hartleben. 464 S. in 8.
Leipziger Litteratur-Zeitung für das Jahr 1818. Zweites Halbjahr. No. 172,
am 8. Juli 1818. S. 1369— 1375.
-L/er würdige ungrische Gelehrte, Martin Georg von Kova-
chich, fand im Jahre 1811 auf der Capitular-Bibliothek zu Ko-
locza, tief in Ungarn, eine starke Handschrift altdeutscher Ge-
dichte, welche, bis jetzo grösstentheils unbekannt oder doch un-
gedruckt geblieben waren. Er liess in Schlegels Museum IV,
402 — 440 unter dem sonderbar gewählten unrichtigfen Titel :
„Konrads von Würzburg Gesammtabentheuer" eine umständ-
liche Inhaltsanzeige einrücken, und seitdem haben wohl mehrere
Freunde der altdeutschen Poesie die Benutzung und Ver-
gleichung dieser Handschrift gewünscht. Wir sehen gegen-
wärtig, und vermuthlich auf Unkosten des zuerst genannten
Herausgebers, des Grafen Mailath, nicht die ganze Handschrift,
sondern einen guten Theil, etwa ein Viertel des gesammten
Inhalts rasch im Druck herausgegeben. Ein Unternehmen, das
zwar wegen der guten Absicht und darauf verwandten Mühe
Lob, hingegen auch den Tadel verdient, dass es sich nicht um
die Vergleichung älterer und besserer oder doch aushelfender
Abschriften bekümmert, sondern den Text ganz roh, bloss mit
hinzugefügter Interpunktion aufgestellt hat. Nun aber befand
sich zu Rom, wie man längst wusste, und befindet sich jetzt
zu Heidelberg ein sehr zugänglicher und noch vollständigerer
Pergament -Codex derselben Sammlung (Cod. palat. 341, s.
Wilkens Verzeichnis S. 417 — 428). Ferner bewahrt die kais.
Bibliothek zu Wien eine kleinere, aber ältere Sammlung, in
welcher viele der in jenem grösseren befindlichen Gedichte an-
getroflFen werden. Dies hätte freilich der Kritik des Textes
mannigfaltigen Stoff dargeboten. Wenn inzwischen Kec. über-
legt, wie unsicher, schwankend und fehlerhaft die bisherigen
KOLOCZAER CODEX ALTDEUTSCHER GEDICHTE. 199
Grundsätze, besonders der altdeutschen Grammatik beschaffen
gewesen sind, und dass dazu von einem Anfänger in diesem
Fache, wie Herr Köffinger zu sein scheint, keine eigentlich
kritische Ausgabe, sondern eine blosse Durcheinanderwerfung
verschiedener Lesarten zu erwarten gewesen sein dürfte, so
steht er gern von jener Forderung ab und nimmt mit dem ge- 1370
gebenen Abdruck vorlieb. Tadelnswerth in jedem Sinne scheint
ihm aber die Aufnahme solcher Stücke, die bereits und zwar
besser gedruckt herausgegeben waren, wohin das Gedicht von
der goldenen Schmiede S. 1 — 51 und der arme Heinrich
S. 421 — 464 gehören; diese Bogen hätten füglicher mit anderen
Erzählungen gefüllt werden sollen.
Die übrigen Stücke sind dem Inhalt nach nicht übel aus-
gewählt, und besonders gehören: die Wiener Meerfahrt und
Pf äff Amis zu den besseren und lebendigeren Erzeus^nissen
des 13. Jahrhunderts. Von Reinhart Fuchs haben die Gebrüder
Grimm längst eine Ausgabe angekündigt, welche hoffentlich die
Lücke der Kolotzer Handschrift (Vorrede S. X) zu ergänzen
vermag oder über die auch in der pfalzer Handschrift zum
Theil anders erscheinende Auslassung Auskunft gewähren wird.
Das schöne Gedicht: Crescentia S. 241 ff. ist zum Theil
wörtlich nach der früheren Dichtung, welche sich in der un-
gedruckten Reimchronik aus der Mitte des 12. Jahrhunderts
findet, behandelt. Es ist höchst anziehend zu vergleichen, worin
der ältere Reimer dem späteren nicht nach-, sondern überall
beinahe, die Sprödigkeit des Versbaues abgerechnet, vorsteht.
Die schönsten Gedanken und den frischesten Ausdruck hat der
frühere Dichter bei aller seiner Herbheit.
Wir wollen aus dieser Crescentia einige Proben heben, wie
es um die Correctheit der hier gelieferten Abdrücke stehe. So-
genannte Kleinigkeiten, wie mochte st. mohte, untz st. unz,
die st. diu (Nom. Sing. Fem. und Nom. PI. Neutr.) mögen,
weil sich die Fehler zu ofl wiederholen, dabei übergangcen
werden. Zeile 5 lese man Wunsches statt wunschez, — 30.
<wert st. Schwert, — 37. streiche man die falsche Conjectur
want, — 55. lese man: Lateran, — 58. romere st. romer,
— 59. 60. mere, here st. mer, her, — 68. sie sprachen st.
200 KOLOCZAER CODEX ALTDEUTSCHER GEDICHTE.
sie sprach, — 74. sus st. sust, — 76. kuniginne st. kuni-
ginnen, — 77. umbe-vienc st. umbe vienc, — 91. ratgebe
st. Rathgebe, — 107. Hb es st. liebes, — 126. wort sie st.
wort, — 129. benige soll so viel sein als winie (amica, uxor),
der neue Dichter schrieb aber winige, dem Reim aufmenige
zu Gefallen, — 130. ervreischet st. er vreischet, — 141. du
enwandels mir st. du wandest, — 142. statt: so bist du, diu
1371 die schände hat, wäre besser: diu den schaden hat, — 156.
gefrei scheut st. ge frischent, 175. wundern -schire, — 189.
stehet:
daz wir an unser veine
unser stunden meine
rügen usw.
man lese: daz wir an unser venie (oder venige)
unser sunden menie (menige) usw.
201. 1. empor-lanc, — 210. statt des vermutheten im ist zw
lesen ich, — 222. der werlde spot st. tot, — 223. zwene
st. zween, — 229. nu sich st. ru sich, — 231. schonez bette-
gewete st. bette, gewete, — 246. das fehlerhafte gesungen
hätte gar nicht gedruckt werden dürfen, — 260. wie ist iv st.
ich uch, — 262. hui de st. holde, — 269. 377. mit- alle st.
mit alle, — 279. 281. 1. verlurst, verholn st. ver lurst, ver
holn, — 304. sahen st. Sachen, — 312. ist das Komma hinter
brewen (bruwen) zu löschen und 312 hinter vrowen zu setzen,
— 330. iungest st. Jungest, 349. störte st. stoerte, 352. 359.
iv st. ivch, — 358. Rome, — 362. willen st. wille, — 370.
haben st. hohen, — 371. diese Zeile ist getrost ganz zu
tilgen, — 379. ist das Komma hinter hunt zu streichen, —
382. tiefe st. tieflfe, — 390. er-beizten st. er beizten, —
392. daz st. das, — 395. kneht' st. kneht, — 404. ir vrowen
st. vrowe, — mit sne-wizer hende st. sine wizer, — 419.
wäzzer st. wasser, — 433. kucket' ist ganz recht und heisst:
erquickte, brachte wieder zum Leben; der Reim sin zu heim
dagegen bedenklich, — 447. swes st. swez, — 445. durch-
recken, — 456 ist das Komma hinter sie zu tilgen, — 457.
unscult st. unsult, wie das Wort von sollen stammt, — 464.
in st. im, — 490. daz st. ditz, — 500. herren st. herre.
KOLOCZAER CODEX ALTDEUTSCHER GEDICHTE. 201
Dies ist es, was Rec. in 500 ganz zufällig zu der näheren
Durchsicht genommenen Zeilen anzumerken findet. Das Meiste
darunter mag der Handschrift selbst zur Last fallen, die ver-
muthlich sehr leserlich geschrieben und von dem Herausgeber
sorcrfaltior ("was immer rühmlich anerkannt werden muss) in dem
Abdruck corrigirt worden ist. Rein und richtig aber darf ein
solcher Text nicht genannt werden. Da die heidelberger Hand-
schrift selbst in kleinlichen Fehlern mit der Kolotzer überein-
kommt, so möchte man fast vermuthen, dass die letztere eine
Afterabschrift der ersteren sei. Um ungefähr zu erkennen zu
geben, wie das Gedicht ursprünglich gelautet haben möge,
wollen wir nicht nur die Zeilen 594 — 688 in einem gereinigten
Texte hersetzen, sondern auch die Parallelstelle aus der Quelle
des späteren Dichters, nämlich der obenerwähnten um hundert
Jahre älteren, noch völlig ungedruckten Reimchronik hinzufügen.
Es möchten sich in der ganzen altdeutschen Poesie wenig so
merkwürdige Vergleichungen darbieten.
dii rede was dem \nztuom zorn,
' ein eit von im was gesworn,
daz er ir mit valscher kunst
erwürbe des herren Ungunst.
mit grimme gie er in den sal. 1372
da die meide sazen uberal;
de er die vrowen an sach,
disii wort er zorniclichen sprach:
„o we. du unholde,
sizzestu hie mit golde
gezieret unt behangen?
ez ist dir wol ergangen,
ich wil des wesen sicher;
du soltest billicher
da ze holze varn,
danne meide hie bewarn!
ich kan nicht wizzen, nmbe waz
ich mich gegen dir so vergaz,
daz ich des je geruchte
vnde zu dir besuchte
deheinen minen willen;
man solde dich mit besemen villen!'* —
„ich enruche nicht, waz ir spreht,
202 KOLOCZAER CODEX ALTDEUTSCHER GEDICHTE.
ir tuot mir niichel vnreht,
wan ich ü iniiien dienst bot,
daz ir mich liezet an not;
ich en bin kein vnholde." —
der viztuom sie wolde
mit den fiizen stozen,
vf-sprungen ir genozen
vnt werten, daz ez niht gescach.
do er sich an ir niht gerach,
dannen schiet er vnvro,
michel was sin dro.
do want sie ir hende:
„nu bin ich eilende,
luzel mir daz frume was,
daz ich des wages genas,
nu miioz ich mit itwizzen sin;
daz erbarme dich, herre trehtin!" —
do rieten dii magetin
daz sie ir weinen lieze sin
vnt ir herren klagete,
nimmer er irz versagete:
„er rilltet dir wot mit eren."
sie wolt sich dran niht keren:
„ich wil mime herren guot
niht betrüben sinen muot
durch dehein ungemach;
daz mir der viztuom übel sprach
vnt swaz er hat an mir getan,
daz wil ich allez lazen stan
immer ungerochen;
ia hat er mich besprochen,
er wolt mich gerne s wachen!" —
der viztuom liez im machen
einen slüzzel zu der kamern;
des muoz min herze iamern,
daz er sie bracht in arebeit
vnt in so groze herzeleit!
der hunt, der vngetrtlwe man
huop sich zu der kamern san;
als er sie lise ufsloz,
do wart ein michel wintstoz.
i in dem selben winde
sneit er ab dem kinde
KOLOCZAER CODEX ALTDEUTSCHER GEDICHTE. 203
daz houbl mit dem »werte,
als sin bosheit gerte,
do was sunde \nit schade groz.
der ^Towen leget" erz in die schoz,
sam ob sie'z selbe hete getan,
sa ze hant huop er sich dan
vor sines herren bette,
ez duht' in aUez wette,
waz im von ir was geschehen,
dem herzogen begunde er iehen:
„ez wer ein teil ze spate
nach der hanen krate,
er solde balde utstan
zu der metten gan. '
ez schine der tagesterne."*
„ich slief noch viel gerne;
mit der metten du mich mit!
min meisterin weiz wol die zit,
nu ervar mir, waz daz mache
daz sie nicht enwache:
ich sich wol, ez ist tag." —
er gie, da du vrowe lag
vor allem meine bloz.
der tür tet er einen stoz
daz sie brast enzwei.
eia, wie lute er schrei:
„woluf alle die hie sint!
ja hat du morderin daz kint
ermordet an dem arme etc.
Diese kleine Stelle, auf die wir uns des Raumes wegen
beschränken müssen, lautet in der älteren Bearbeitung folgender-
gestalt :
mit zorne gie er in den sal,
dar sazen die megede vberal,
er sprach: „waz huotes duo dase,
vbele horn-blase!
duo Soldes billecher da ze holze varn,
dan die megede hie bewarn:
duo bist ein \niholde
vnde sizzest hie behangen mit golde!"
sie sprach: „goteweiz her guot kneht,
ir tuot mir michel unreht;
wände ich iu min dienest enpot
204 KOLOCZAER CODEX ALTDEUTSCHER GEDICHTE.
daz ir mich liezet ane not;
got weiz wol die scuolde
ob ich bin ein unholde,
oder ie deheines zouberes gephlac".
er wolde ir tuon einen slac,
stozen mit den füzen,
die megede in enliezen;
dannen schiet er unvro,
vil michel was sin dro.
do want sie ir hende,
sie sprach: „ach mich endende!
daz ich des wages genas,
luzzel hiefet mich daz.
1374 nu muoz ich mit itewizzen sin,
daz irbarme dich, herre trechtin,
durch dine guote
ia sint die mine note
noch vil ungeslizzen,
er hat mir manige hoende verwizzen!" —
do rieten ir diu magetin,
daz sie ir weinen lieze sin,
vnd clagete iz ir herren,
der rihtet iz nach dinen eren;
wir megede sprechen alle darzuo;
unmere ist uns sin dro,
er sol es sere intgelden,
daz er dich ie torste geschelden".
si sprach: „ich enwil in niht truoric gesezzen,
er mac mich es wol irgezzen;
daz er mir ze leide hat getan
daz wil ich also lazen stan
immer ungerochen;
er hat mir an scuolde vil leides gesprochen.
Ein smit mit sinem hamere
der worhte zuo der kamere
einen sluzzel vil veste,
daz iz nieman ne weste,
wan der gote- leide,
der swuor im zwene eide,
daz er in daz wol hele,
daz er sich in der vrowen kemenaten verstele,
des abendes so spate
KOLOCZAER CODEX ALTDEUTSCHER GEDICHTE. 205
er gienc zuo der vrowen keuienaten,
alse er die kamenaten vf entsloz,
do wart ein michel wintstoz;
in dem selben winde.
do sneit er dem kinde
daz houbet abe mit dem swerte,
sam ez diu "VTOwe ermordet bete.
er leget' ez ir an die scoze.
do tet er scaden grozen
der goteleide vizetuom
der verloz sin rehtez hertuom.
der vizetuom gie so drate
zuo sines herren kemenaten.
er sprach: ^herre. ir solt ufstan
zuo der mettene gan.
ja schinet der tagesteme,
ir ne sliefet nie neheines morgenes so gerne".
der herre im antwuorte
mit susgetanen worten:
^der mettene du dich virmit.
biz iz mine meisterinne dunke zit:
ez enist noch niht ze spete.
ich wene dehein hane noh krete
hinaht bi dirre naht;
ich ne weiz, warumbe du mich irwekit hast;
nu irvar, waz daz mache,
daz min meisterinne selbe nin'erwache*.
do gienc er also drate
zuo der vrowen kemenaten.
uf huop er den fuoz,
er tet der ture einen stoz
daz sie al ce brast en-ein. 1375
vil luote er ir zuo screi:
-uf. nf. alle die hie sin!
ia hat diu valendin
daz kint ermordet an dem arme etc.
Kennern der altdeutschen Litteratur braucht es nicht erörtert
zu werden, dass die Redensarten der zuletzt mitgetheilten Re-
cension der altepischen Sprache merklich näher liegen. — Wir
ermuntern schliesslich die Herausgeber dieser Sammlung, in
ihrem Eifer nicht zu erkalten, sondern namentlich in den übrigen
206 REINECKE FUCHS.
Bibliotheken, Klöstern und Archiven Ungerns, Siebenbürgens
und Croatiens zu forschen, ob nicht in ihnen andere und viel-
leicht wichtigere Denkmäler der deutschen Sprache aus älteren
Jahrhunderten noch verborgen liegen.
[anonym.]
1375 REINECKE FUCHS.
Ein Volksbuch. Aus den plattdeutschen Reimen in hochdeutsche Prose aufs
neue getreu übergetragen. Mit vielen Kupfern. Tübingen,
bey C. F. Oslander. 1817. 209 S. in Queroctav.
Leipziger Litteratur- Zeitung für das Jahr 1818. Zweites Halbjahr,
No. 172, am 8. Juli 1818. S. 1375 — 1376.
Uie Kupferstiche, um derentwillen die vorliegende Bear-
beitung des berühmten Gedichtes unternommen worden sein
mag, sind im Ganzen nicht missrathen und besser in das Wesen
der Thierfabel eingedrungen, als die Bilder der Gottschedischen
Ausgabe. Es kommt nämlich nicht darauf an, den Löwen,
Bären, Fuchs etc. naturgeschichtlich treu vorzustellen, sondern
wie diese Geschöpfe von der Fabel mit der menschlichen Rede
begabt worden sind, so soll auch der Künstler ihre Gestalt,
Haltung und Gesichtszüge aus dem bloss Thierischen heraus-
arbeiten und ihnen den feineren Ausdruck des Menschen zu
leihen wissen. Auf solcher Verschmelzung und Idealisirung
thierischer Formen beruht allein das Ergötzliche von dergleichen
Bildern, ja die Natur der Fabeln insgemein. Wir finden daher
die Holzschnitte der älteren Ausgaben des sechszehnten und
siebzehnten Jahrhunderts doch noch mehr im Geiste des Gedichts,
einige darunter sind vortreflflich zu nennen, und nach ihnen
sollten neuere Künstler studiren, wenn sie die Sache noch
weiter zu bringen gedächten. Auf den gegenwärtigen Zeich-
nungen sind uns viele Thiere zu natürlich und zu kalt darge-
stellt, namentlich scheint der Löwe, die Löwin, der Bär, Affe
und, was noch mehr zu bedauern, der Hahn nirgends gelungen
und der Thierfabel gemäss. Lob hingegen verdient, dass die
Hauptgestalt, Reineke selbst, auf allen Bildern am besten ge-
troffen worden ist, besonders haben uns seine Stellungen S. 149.
117 und 49 gefallen. Das Pferd mit dem Füllen S. 117 durfte
REINECKE FUCHS. 207
auch wie in der Fabel selbst natürlich genommen werden.
Wo aber der Künstler die Hofversammlung darstellen will (S. 1.
10. 58), zeigt sich das Mangelhafte seiner Manier am deut- 1376
liebsten: es fehlt an aller lebendigen Composition und Ver-
theilung.
Die Bearbeitung des Textes ist ganz lesbar, wiewohl sie
weit hinter der Gefügigkeit und feinen Wendung des platt-
deutschen Verses zurücksteht. Besonderen Fleiss hat der Verf.
der Übersetzung nicht darauf verwendet, noch weniger ein
gründliches Studium des Originals verrathen. Dies beweist
schon die ungleiche Behandlung der Eigennamen. Denn wenn
z. B. das niederdeutsche Brune, Plückebüdel, Krassefoet in
Braun, Pflückebeutel (plücken ist lieber das hochdeutsche
rupfen, zausen), Kratzfuss verändert wird, so hätte auch die
Krähe nicht Scharfenebbe, sondern Scharfschnabel, die
Ente nicht Alheit, sondern Adelheit benannt werden sollen.
(Man kann aus Schützes Idiotikon sehen, dass Alheit oder Alke
im Niederdeutschen eine dumme Gans oder Ente .bezeichnet.)
Dieselbe Bemerkung triflft die Übersetzung oder Beibehaltung
der Bauernamen, z. B. Kückelrei S. 23 ist ganz plattdeutsch,
im Hochdeutschen : Gaukelrey, Gückelrey : so gebraucht der alte
Dichter Walther von der Vogelweide (Manessische Sammlung
Th. 1, S. 105 [82, 21]) Guggaldei und Meister Frauenlob (das. 2,
S. 218) Guggelgiege von dummen, bäurischen Leuten. Einige-
mal sind dem neuen Bearbeiter nicht so wohl Schwierigkeiten,
sondern andere Bedenklichkeiten bei seiner Übersetzung in den
Weg getreten, z. B. S. 38, und er hat dann lieber sein Original
ganz bei Seite gesetzt. Der feinen Welt mag freilich mancherlei
unanständig scheinen, was man im fünfzehnten Jahrhundert und
noch heutiges Tags bei unverdorbenen Landleuten naiv heraus-
sagt. Diese Unschuld selbst in Indecenzen hat unsere gebildete
Zeit längst eingebüsst, darum kann sie auch die Lust der Thier-
fabel eigentlich nicht mehr vertragen, und der alte Schalk von
Dichter, wenn ihm angemuthet worden wäre, sein Werk so ein-
ziu*ichten, dass es unseren Damen auf den Putztisch gelegt
werden könnte, hätte sicher die Hand davon abgelassen.
[anonym.]
208 SCHOTTISCHE LIEDER UND BALLADEN VON WALTER SCOTT.
1502 SCHOTTISCHE LIEDER UND BALLADEN VON
WALTER SCOTT.
Uebersetzt von Henriette Sclmbart. Leipzig und Altenburg bey Brockhaus.
1817. LH und 259 S. 8.
Leipziger Litteratur- Zeitung für das Jahr 1818. Zweites Halbjahr,
No. 188, am 27. Juli 1818. S. 1502—1504.
Vt ir müssen uns bei der Anzeige dieses Buchs kurz fassen,
da wir es weder viel loben können noch besonders tadeln
mögen. Nach dem Titel sollte man meinen, als sei Walter
Scott, der beliebte Dichter des heutigen Englands, Verfasser dieser
Lieder; so gern wir sein Talent achten, würde ihm doch damit
zu viel Ehre geschehen. Er ist blosser Sammler und Heraus-
geber, hat sich aber im Stil der Volkspoesie genug geübt und
wo nicht ganze Arien, mitunter doch einzelne Töne und Wen-
dungen in die Unschuld dieser herrlichen Gesänge eingelegt.
Des Echten bleibt freilich genug, und es lässt sich Gottlob auch
nicht machen. Noch viel weniger lässt es sich übersetzen.
Rec. hat es gleichwohl über sich genommen und einige dieser
Verdeutschungen mit den Originalen verglichen, da findet sich
1503 denn nun alles, was sich aus der verwandten schottischen
Sprache gleichsam von selber auch im Deutschen ausdrückt
und reimt, ganz gut übergetragen, z. B.
the youngest stude upon a stane,
the eldest came and pushed her in
S. 24. Die jüngste stand auf einem Stein,
Die älteste kam und stiess sie hinein;
allein wo man sich nicht so helfen kann, da gerathen sogleich
vornehme und steife Wörter unter diese rührenden, einfachen
Volksweisen, als wenn eine geputzte Dame sich unter natür-
liche Landmädchen mengen wollte. Z. B. im Lied heisst es:
but how can I gang maiden like,
when maiden I am nane,
have I not born seven sons to thee,
and am with child jigain ?
und in der Übersetzung S. 116:
SCHOTTISCHE LIEDER UND BALLADEN VON WALTER SCOTT. 209
Doch wie kann ich gehn Mädchen gleich,
Da ich kein Mädchen frey?
Gebahr ich dir nicht sieben Söhn'
und trag ein Pfand aufs neu?
Da ist schon in der zweiten Zeile das „Mädchen frey" viel
schlechter, aber in der vierten das: ein Pfand tragen statt:
wieder mit einem Kinde gehn unerträglich. Wenn in dem
herrlichen Lied von den zwei Schwestern steht:
he made a harp of her breast -hone
whose Sounds would melt a heart of stone,
the strings he framed of her yellow hair,
whose notes made sad the listening ear
und in der Übersetzung S. 137:
er macht eine Harf aus ihrem Brustbein,
deren Ton könnt' schmelzen ein Herz von Stein,
die Saiten aus ihrem gelben Haar er erkohr,
deren Klang macht traurig das lauschende Ohr.
so ist das vornehme „er erkohr" unserem Gefühl höchst widrig,
überdem der nicht bloss einfache, sondern bedeutende Satz, dass
in der Volkspoesie das zweite Mal Gedanken und Wörter wie
das erste Mal folgen müssen, ganz aufgehoben; das yellow hair
musste eben so wie das breast -bone die Zeile schliessen und
den Reim haben.
Da eine jede Übersetzung von Volksliedern misslingen
muss, so wollen wir nicht mit der Verfasserin, die vermuthlich
die Schönheit der Originale hinreichend empfindet, über einzelne
Ausdrücke rechten, die sie der Sprache nach verfehlt hat (z. ß.
wenn sie the bonny milldams durch: den muntern Mühl-
damm wiedergibt), noch ihre getroffene Auswahl tadeln (denn
es sind drei Viertel der Lieder unübersetzt geblieben) noch ihr
vorhalten, dass ausser Scotts Minstrel andere Sammlungen,
namentlich die von Jamieson zu berücksichtigen gewesen. In
dieser steht das gedachte Lied von der bösen Schwester mit
merkwürdigen Abweichungen S. 48 — 58 unter dem Titel the
twa sisters. Rec. will bei dieser Gelegenheit einer trefflichen
Sammlung schwedischer Volkslieder Erwähnung thun (Swenska
Folkwisor utgifne af Geyer och Afzelius. Stokholm 1814),
worin man S. 87 — 91 dieselbe Sage von der aus dem Brust- 1504
W. GRIMM, KL. SCHRIFTEN. II. 14
210 EINLEITUNG IN DAS NIBELUNGENLIED VON MONE.
bein der Ersäuften gebauten wunderbaren Harfe, deren Stränge
aus dem goldgelben Haar und deren Schrauben aus den Fingern
der Unglücklichen bestanden, eigentlich noch ergreifender, wie
im schottischen Lied, in zwei abweichenden Recensionen, einer
westgothländischen und einer faröischen, lesen kann. Die Harfe
wird in den Hochzeitssaal getragen, auf den ersten Schlag sitzt
die Braut (die neidische Schwester) im Brautstuhl und lacht,
auf den zweiten Schlag werden ihr die Kleider abgenommen
(d. h. sie soll zu Bett), auf den dritten Schlag liegt sie todt
im Brautbett, An solchen Beispielen kann man sehen, wie die
Sagen und Lieder bei allen verwandten Stämmen des germa-
nischen Volks umhergehen, aber nicht auf dem vermittelnden
Wege von Übersetzung und Erborgung, sondern auf dem viel
wunderbareren, wonach Gott jedem Land sein Theil als etwas
Ursprüngliches und lebendig in sei^ae Besonderheit Verwachsenes
beschieden hat.
[anonym.]
1867 EINLEITUNG IN DAS NIBELUNGENLIED;
zum Schul- und Selbstgebrauch bearbeitet von D. F . J. Mone. Heidelberg, in
Aug. Oswalds Univers. Buchhandlung, 1818. 89 S. in 8.
Leipziger Litteratur - Zeitung für das Jahr 1818. Zweites Halbjahr.
No. 233, am 17. September 1818. S. 1857 — 1864.
JL/rei Abschnitte dieser Schrift (§1 — 53) nehmen eine mit
Kenntnis und sichtbarer Neigung zur Sache abgefasste Zu-
sammenstellung der bis dahin gelieferten Arbeiten und ver-
schiedenen Ansichten über das Nibelungenlied ein. Bei der
gegenwärtigen Lage der Dinge wird sie vielen nützlich und
solchen, die davon schon unterrichtet sind angenehm und
brauchbar sein, zumal da es nicht an eingemischten eigenen
kritischen Bemerkungen fehlt. Hat das Studium erst tiefer
Wurzel geschlagen, so kann man eine solche Ausführlichkeit
wohl aufgeben; vielleicht wäre schon jetzt einer und der andere
ohne Nachtheil übergangen, dem es mehr um eine gelegentliche
Äusserung, als eine gründliche Erforschung zu thun war. Zu
EINLEITUNG IX DAS NIBELUNGENLIED VON MONE. 211
den Litterarnotizen § 2 bemerkt Rec. , dass es keine Pariser
Handschrift des Nibelungenliedes gibt und nur durch ein
Missverständnis, wie er von Hrn. Prof. Göttling selbst erfahren,
davon die Rede gewesen. Eine Nachricht von der Hundes-
hagischen Handschrift, wornach sie vom Jahre 1426 sein soll,
wiederholt Rec. auch hier, damit sie bestätigt oder berichtigt
werden kann. § 8 wird die Sprache des Nibelungenliedes die
altschwäbische genannt; dabei wäre nicht zu vergessen, dass
dies von den Haupthandschriften zwar gilt, sonst aber die
Sprache sich nach der Gegend des Schreibers richtet oder
auch desjenigen , aus dessen Munde die Dichtung aufgefasst
wurde. Wenigstens in den beiden Bruchstücken von Görres
finden sich unleugbar niederrheinische Formen (Altd. Wälder
HI, 251). Es ist nöthig, in solchen Behauptungen vorsichtig
zu sein, weil man sonst die Entstehung oder Erhaltung des
Liedes gewissen Gegenden zuzueignen geneigt werden könnte:
wir halten es aber noch mit der Yilkinasage, welche nicht nur
deutlich (auch) Norddeutschland bezeichnet als den Ort, wo
die Lieder seien vernommen worden, sondern bis zum grie-
chischen (mittelländischen) Meer die Verbreitung der Sage be-
hauptet. Wer möchte also wohl sagen, dass in niedersächsischer
Sprache das Lied nie sei gehört worden? — § 21 wird Nobling- 1858
hört bei Hermann von Sachsenheim nach Göttling von den
Nobeln (Goldstücken) hergeleitet : Rec. hält das für ungegründet
schon darum, weil es sonst Nobelnhort heissen müsste: es sind
gewiss die Nibelungen gemeint. — Bei der Frage nach dem
Dichter des Liedes werden die Meinungen in zwei Parteien
getheilt, je nachdem ein oder mehrere Dichter vorausgesetzt
sind. Lachmann gehört eigentlich zu beiden, denn er nimmt
einen einzigen Dichter und auch viele Ordner, Diaskeuasten an;
schätzbar bleiben seine Untersuchungen an sich, doch glaubt
Rec, dass jene Annahme in grosse Schwierigkeiten verwickele,
aus denen er sich wenigstens nicht herauszuhelfen wüsste, und
verweist deshalb auf die Leipz. Litt. -Zeit. (1817, No. 94. 95.
[S. 745-760 = oben S. 176-195]), wo er sich ausführlich darüber
erkläret hat. — § 26 heisst es, dass nichts darauf ankomme,
ob man die Nibelungen als Volkslied betrachte oder nicht, da
14*
212 EINLEITUNG IN DAS NIBELUNGENLIED VON MONE.
man am Ende doch zugestehen müsse, dass jedes alte Helden-
gedicht eine geschichtliche Umwandlung des alten Glaubens
sei. Es ist wahrscheinlich, dass, wer das letztere zugibt, auch
das erstere nicht geradezu verneinen wird, allein, dass man jene
Behauptungen so ohne Widerspruch durchsetzen könne, dünkt
uns sehr zweifelhaft. Z. B. Hr. von Schlegel muss bei seiner
Ansicht, wornach das Gedicht aus allerlei Sagen, fränkischen,
burgundischen etc. nach vorsetzlichem Plane zusammengearbeitet
und mit holden Lügen ausgeschmückt ist, eben so stark sich
dagegen äussern, als über die Zusammenstellung des Atlas mit
Attila, deren doch hier in Ehren gedacht wird. — Wenn § 34
drei Perioden für die Bildung des Nibelungenliedes festgesetzt
werden, so ist dabei nicht zu vergessen, dass dies mehr aus
allgemeinen abgezogenen Grundsätzen geschieht, als dass deut-
lich redende Zeugnisse dazu auffordern. Stellt man sich das
Nibelungenlied vor in einer stets lebendigen Bewegung und
darum auch Fortbildung, glaubt man ferner, dass, sobald es
poetischen Leib und Dasein erhalten, es schon in Mannig-
faltigkeit sich äusserte und den Keim der verschiedenen Bil-
dungen in sich trug, so wird man eine solche Annahme erst
ohne Gefahr für die Wahrheit sich erlauben dürfen. Es ist
nicht mehr als eine Handhabe, um die Veränderungen zusammen-
zufassen, wie mau etwa das Menschenalter zu 30 Jahren an-
nimmt, während es meist darüber oder darunter endigt. Einen
1859 Zweifel gegen die erste Periode werden wir hernach vorbringen.
Bei der geschichtlichen Erklärung, nachdem besonders auch
das neben der aufgefundenen Übereinstimmung zwischen Sage
und Geschichte Hervorspringende, Abweichende und Wider-
sprechende aufmerksam gemacht ist, tritt die Meinung des Ver-
fassers (§52) bestimmt hervor. Nämlich: es liegt dem Nibe-
lungenlied keine Geschichte zu Grunde, vielmehr be-
ruht es auf der alten deutschen Glaubenssage und ist seinem
Ursprünge nach ein heidnisch - religiöses Werk. Als mit dem
Untergang der alten Götter die Sage ihren eigentlichen Inhalt
verlor, wurde ihm aus innerem Bedürfnis jener geschichtliche
Anschein gegeben, und die Thaten aus der Zeit der Völker-
wanderung machten jetzt den Hintergrund der alten Sage aus.
EINLEITUNG IN DAS NIBELUNGENLIED VON MONE. 213
Dieser Meinung ist Kec. im Ganzen zugethan und hat sie schon
verschiedentlich, zuletzt noch im Gegensatz zu der von Hrn.
von Schlegel aufgestellten Hypothese vertheidigt. Es springt
ja bei unbefangener Betrachtung so vielfach in die Augen, dass
die geschichtlichen Helden nicht die Urheber und Vorbilder
der in der Dichtung lebenden sein können; z. B. an dem nor-
dischen Atli, der mit dem historischen Attila weiter keine Ge-
meinschaft hat. Indes hat Rec. Folgendes näher zu bestimmen,
vras manche Verschiedenheit in der Anwendung und in den
Folgerungen herbeiführt. Wenn man nämlich sagt, die alten
Götter nahmen die Gestalt geschichtlicher. Helden an, weil sie
in ihrer ursprünglichen zusammensinken mussten, so darf man
nicht vergessen, dass man damit nur das Vorherrschende be-
zeichnet, den Gang der Entwickelung in einem Resultat scharf
ausspricht. Rec. glaubt, dass, sobald jene Uranschauungen
Ahndungen über göttliche Dinge irdisch und leiblich in einer
Mythologie sich gestalteten, auch das historische Element
wenigstens schon vorhanden war und ausgedrückt werden
musste. Die Helden und Menschen sind alsbald zur Ver-
sammlung der Götter gezogen, oder wenn man will : die Götter
neigten sich zu den Menschen herab und traten unter sie; ja,
der Lichtstrahl ist durch die sranze Natur ausgetheilt worden.
Im Fortgang, bei weiterer Entfernung von dem Ursprünglichen
und dem I^bergewicht, das die mannigfach hervorbrechenden
schönen und furchtbaren Kräfte des Menschen erhalten, wird
die Bedeutung (bis zur reinen Wiederkehr) zurückgedrängt,
und das bloss Sinnlich-Menschliche, das epische Element gewinnt
die Oberhand. Bei dieser Ansicht zeis^t sich gleich eine Ver-
schiedenheit in den Folcreruncren. Der Verf. nimmt an, dass
durch das eindringende Christenthum die alte Nibelungensage
in ihrer eigentlichen Bedeutung erloschen sei (vgl. § 34) und:
„die christlich gewordene im Verlauf der Zeiten mit ähnlichen
geschichtlichen Namen die leeren Göttersagen ausfiillte, um so
mehr, wenn diese geschichtlichen Namen auf Attila, die Hunnen
etc. Bezug hatten". Dagegen glaubt Rec, dass vor dem Ein-
brüche des Christenthums oder ohne Einfluss desselben die 1860
Sage bereits einen geschichtlichen Charakter gehabt. Beweis
214 EINLEITUNG IN DAS NIBELUNGENLIED VON MONE.
sind allein schon die Lieder der alten Edda, die in unseren
Kreis fallen, wo er ganz entschieden vorwaltet, obgleich diese
noch keinen Einfluss des Christenthums erfahren, im Gegentheil
sichtbar unter der Herrschaft der heidnischen Götter stehen.
Deutlich spricht auch ein Zeugnis bei Jornandes von Erman-
rich und seinem Untergang durch Saurle und Hamder, welches
Rec. in den AM. Wäldern I, 223 — 227 angeführt hat. Wir
sehen hier ein Stück aus der Mythe schon in der Mitte des
6. Jahrhunderts völlig als eine historische Begebenheit behandelt.
Auch scheint dem Rec. die Weise, in welcher sich der
Verf. den Eintritt der geschichtlichen Namen und Thatsachen
in die früheren vorstellt, zu äusserlich und roh. Gewiss ist er
„aus dem inneren Bedürfnis menschlicher Natur" erfolgt, nicht
aber, „um dem Liede geschichtlichen Anschein und Glauben
zu geben", sondern ohne alle Absicht, dämm, weil theils eine
gewisse innere Verwandtschaft der Geschichte mit der Sage,
welche Verwandtschaft man immerhin aus dem ewig zu sich
zurückkehrenden menschlichen Geiste erklären kann, dazu
nöthigte, theils aber, weil man einen Einfluss der Sage auf das
Leben selbst nicht ableugnen darf, wie er z. B. bei jener von
von Teil dem Schützen sichtbar ist.
Der letzte dem Verf. ganz eigenthümliche Abschnitt ist
nun der Ausführung jener Behauptung bestimmt und enthält
nach seiner Überschrift eine mythologische Erklärung
der Sage. Er stellt gleich voran: eine heilige Urkunde ist
für uns das Nibelungenlied. Eine Wahrheit liegt gewiss darin,
wenn man nur glaubt, dass das Lied aus dem ursprünglichen
Geiste des deutschen Volks hervorgegangen, denn es gewährt
alsdann ein Abbild desselben und ist mit Recht hochzuhalten.
Glaubt man aber auch, wie Rec, dass schon früh, und so weit
irgend Zeugnisse reichen, das Lied von dem geschichtlichen
Charakter durchdrungen war, so würde es zuträglicher und ge-
winnreicher sein, die Behauptung so zu stellen: der Fabelkreis
der Nibelungen hat mit der Götterlehre der Deutschen in Zu-
sammenhang und Verbindung gestanden. Diese Verbindung
hat ein Beispiel in jener der nordischen Wolsungensaga mit
der Asalehre. Ob und inwiefern in unserem Falle ein solches
EINLEITUNG IX DAS NIBELUNGENLIED VON MONE. 215
Herabsinken von dem Rein -Göttlichen in das Menschlich - Um-
hüllte später aus blossem Bedürfnis poetisch - sinnHcher An-
schauung stattgefunden, oder ob es gleich als ein solches ver-
mittelndes, nur halb sichtbares Abbild ein noth wendiges Glied
in dem Kreise gewesen? Diese Frage kann so lange ruhen, bis
sie einmal mit Nutzen zu beantworten neue, doch kaum zu
hoffende Hilfsmittel möglich machen; jetzt würde man sich
mit allgemeinen Schlüssen nach der Analogie zu begnügen
haben. Die Aufgabe ist fürs erste wohl nur diese: die im
Ganzen sowohl, als in den Einzelnen ruhende Idee aufzuhellen
und die Spur der ihnen ohne Zweifel innewohnenden Göttlich- i86l
keit so hoch als möglich zu verfolgen. Dabei ist es unumgäng-
lich nöthig, die Sage in allen ihren Äusserungen zu übersehen,
namentlich kann die nordische, in dieser Beziehung viel reinere
auf keine Weise bei Seite gesetzt werden; selbst an die noch
gangbaren Überlieferungen (Hausmärchen H, Stück 4 — 8) muss
Rec. erinnern.
Der Verf. dagegen schlägt einen anderen, eigentlich ent-
gegengesetzten Weg ein, der von der Spitze anhebt. Nachdem
im Allgemeinen (§ 59 — 63) die Hilfsmittel richtig angegeben
sind, durch welche der alte Glaube noch zu erforschen ist,
kommt der Verf. auf die Einheit der Grundanschauungen aller
Völker als nothwendige Folge der Einheit des Menschengeistes
und merkt an, dass die tiefsten und allgemeinsten Ideen in der
Anschauung des planetarischen Lebens gelegen. Darauf ge-
denkt er jener verbreiteten Mythe von dem Tode eines guten
Gottes durch einen arglistigen Feind, wodurch die ganze Welt
bewegt und in Trauer versetzt wird; weil aber der Gott ewig
und unvergänglich ist, erscheint er zu seiner Zeit aufs neue
und wird wiedergeboren. Bekanntlich : Kommen und Scheiden
des Lichts, Tag und Nacht, Sommer und Winter, Ab- und Zu-
nahme des Mondes. Diesen Mythus, schliesst der Verf., müssen
die heidnischen Deutschen auch gehabt haben, und er sucht ihn
nun in der Sage von Siegfried. Seine Aufgabe ist, jene drei
angedeuteten Momente: Tod, Trauer und Wiedergeburt
nachzuweisen, wir wollen ihm dabei näher folgen.
Siegfried wird sogleich (§ 68) für den Sonnengott der
216 EINLEITUNG IN DAS NIBELUNGENLIED VON MONE.
alten Deutschen erklärt und zwar schon seines Namens wegen,
denn auch Othin, der skandinavische Lichtgott, heisse Sigga
(Sige) und es zeige sich einerlei Namenswurzel; so auch liege
in der Erwähnung des Odenwaldes und Odenheims eine leise
Erinnerung von Othin s Namen. Allein Sige heisst Othin
selbst nicht, sondern nur einer seiner Söhne (s. die Kenrungar
im 4. Abschnitt), und zwar ist dieser eben nur aus der Wol-
sungasaga bekannt als ein Ahnherr Sigurds. Käme es also
. auf die Verwandtschaft des Helden mit Othin an, so würde sie
hier viel leichter gefunden. Ferner hat Sige schwerlich mit
Siegfried eine Wurzel, das glossar. eddic. h. v. erklärt es durch
homo lentus, tardigradus, bringt es also mit siga, altdeutsch
eigen, sinken in Verbindung. Dagegen führt Othins hierher
gehöriger Name Sigarr victor nach Angabe der Kenuingar
auf die in unserem Fabelkreise fremden Siklinger. In dem
Namen Odenwalde, Odenheim etwas anderes zu finden als die
ganz natürliche Bedeutung: öder, grosser Wald, Ort (vgl. od hin
bei Isidor) scheint dem Rec. äusserst gewagt. — Doch deut-
licher vielleicht als der Name spricht die Sache? Keineswegs,
eine Übereinstimmung zwischen Siegfried und Othin dem All-
1862 vater ist nicht zu finden, darum erkennt nun der Verf., auf
die mythische Einheit zwischen Vater und Sohn sich stützend,
jenen in Othins geliebtem Sohne Baidur, hauptsächlich weil
dessen Tod mit unserem Mythus zusammenzuhängen scheint.
Erlaubt wird diese Zusammenstellung erst dann, wenn sich von
Siegfrieds Tode dasselbe mit Gewissheit sagen lässt (der nor-
dische Sigurd müsste aber nun auch als eine Wiederholung von
Baidur betrachtet werden). Noch ist anzumerken, dass, wenn
der Verf. es für möglich hält, Sie^ried (Sigurd) sei einer der
Hauptnamen Othins gewesen, die Edda und die Kenningar, die
das nicht übersehen hätten, davon nichts wissen und diese Be-
hauptung mit ziemlicher Gewissheit zu verneinen ist.
Doch Siegfried wird nun (§ 69) dem Inhalt der Sage nach
betrachtet: seine Ermordung durch den feindlichen Hagen ist
der Tod des Sonnengottes. Jene nämlich, behauptet der Verf.,
falle bedeutend in die Zeit der Sommersonnenwende, und
damit bringt er in Verbindung, dass auf diesen Tag (24. Juni)
der Tag Johannes des Täufers gelegt worden, der Tag nämlich
EINLEITUNG IN DAS NIBELUNGENLIED VON MONE. 217
seiner Enthauptung, welche daher heidnisch die Ermordung
Siegfrieds gewesen. Das Alter und die Bedeutung des Johannes-
feuers, eines durch Deutschland nicht bloss, sondern auch in
Schweden und Finnland, im südlichen Frankreich, selbst im
Archipelagus üblichen Festes, ist nicht zu verkennen, und es
kann kaum auf etwas anderes, als einen Sonnendienst Bezug
haben; schwer aber wird es schon anzunehmen, die Enthauptung
des Johannes sei deshalb auf diesen Tag verlest:, weil an ihm
der Tod des Sonnengottes ursprünglich gefeiert worden. Es
ist ein dünner, sehr zweifelhafter Faden, der die grossen Hansen
(vgl. Adelung h. v.) an den christlichen Johannes knüpft; sie
selbst sollen wohl erst wieder die Anses. Halbgötter der Gothen.
nach Jemandes (c. 13) sein, diese Halbgötter aber die höchsten,
die Äsen, die nordischen Lehrer, und endlich müsste durch
Ase auch der oberste Lichtgott noch besonders angedeutet
werden. Auf die Untersuchungen von Regnitzsch (über Trübten
und Truhtensteine , Gotha 1802) ist sich nicht zu verlassen, er
hat mancherlei gesammelt, aber bei ein Paar unbefangenen,
natürlichen Ansichten alles wild unter einander geworfen. Doch
zugegeben einmal, das Fest habe in heidnischer Zeit den Tod,
das Heruntersinken des geliebten Sonnengottes feiern wollen
(während es vielleicht seinen höchsten Glanz freudig begrüsste,
darum wurden alle Geschäfte auf diesen glücklichen Tag ver-
legt), so verbietet doch ein Umstand den Tod dieses Sonnen-
gottes in Siegfrieds Ermordung wiederzufinden, nämlich dass
diese gar nicht auf die Sonnenwende fällt. Die beiden
Stellen des Nibelungenliedes, von denen die erste nur vom Verf.
angeführt ist, sind folgende:
2955 [678, 3 — 4]. (Günther spricht): vor disen sunne wenden sei
er (Siegfried) unt sine man
sehen hie vil manigen, der im vil grozzer ere gan.
was die folgende noch deutlicher macht. Der Bote Gere spricht 1863
zu Siegfried:
3015 [693, 3-694, 3]. si ladent iiich ze Rine zeiner hochgezit,
sie sähen iuch vil gerne, daz ir des ane zwivel sit;
unt bittent mine frouwen. si sul mit iu dar kernen
swenne daz der winder ein ende habe genomen
vor disen sunnewenden, so wolden si iuch sehen.
218 EINLEITUNG IN DAS NIBELUNGENLIED VON MONE.
Ohne Zweifel war also die Hochzeit, auf welcher Siegfried um-
kam, nicht im Hochsonmer, sondern genau den Worten nach
vor den Sonnenwenden, in der Frühlingszeit, im Mai, in den
Pfingsttagen, ganz nach der alten, sonst noch im Nibelungen-
lied vorkommenden Sitte, vgl. V. 1097. 5473 [294, 1. 1305, 1].
Schliesst der Verf aber, Siegfried sei im Mai an den Rhein ge-
kommen, habe aber dort einige Zeit zugebracht, so dass sein
Mord ungefähr auf die Sonnenwende könne gesetzt werden, so
scheint uns, werde dem Umstände alle hier nöthige Beweis-
kraft entzogen. Es muss eine deutliche Beziehung auf jenen
Tag vorkommen.
Die Ausstellung der Leiche und die Trauer über den
Mord ist nun freilich in der Sage ausgedrückt, aber wie ist sie
mit unserem Mythus, wo die ganze Natur in Trauer versinkt,
in Beziehung zu bringen? Der Verf führt das Frohnleichnams-
fest an und setzt voraus, diesem christlichen Sommerfeste liege
auch ein (nicht bekanntes) heidnisches, auf Siegfrieds Aussetzung
Bezug habendes zum Grunde. Wäre die Sache sonst gewiss,
so möchte dies als eine Vermuthung gelten, so aber kann Rec.
in der Ausstellung von Siegfrieds Leiche nur eine Ausübung
des Barrechts erkennen, wie denn auch bei Annäherung des
Mörders die Wunden wieder zu fliessen anfangen (4191 [985, 3]).
Wenn Kriemhilde den Leichnam drei Tage in der Kirche aus-
gestellt und Gottesdienst bei ihm verrichten lässt, um ihn würdig
zu betrauern, so scheint das bloss eine christliche Umwandlung
dessen, was ein Lied der alten Edda (das erste Lied von Gu-
drun) noch enthält und worin fürs Erste ein rein menschliches
Gefühl herrlich ausgedrückt wird. Die Wittwe sitzt in starrem,
herzzerreissendem Gram thränenlos bei der Leiche, die Frauen
suchen sie vergeblich mit Worten zu trösten, bis eine die Decke
von dem Todten wegzieht und der Schmerz bei dem Anblick
sich in Thränen löst. An sich will Rec. gar nicht leugnen,
dass diese Trauer eine mythische Beziehung haben könne, so
wie die den Nibelungen angehängte Klage gewiss nicht unbe-
deutend ist.
Für den dritten wesentlichen Moment des Mythus, die
Wiedergeburt des Sonnengottes, lässt sich in der alten Sage
EINLEITUNG TN DAS NIBELUNGENLIED VON MONE. 219
von Siegfried durchaus nichts nachweisen. Das erkennt der
Verf. selbst, aber er sagt, aus einer Volkssage des 17. Jahr-
hunderts gehe jene Wiedergeburt unleugbar hervor. Ohne
Zweifel meint er die vom Rec. selbst in den Altd. Wäldern
(I, 322) aus den Gedichten des Philander von Sittewald ange- is&4
führte Stelle, worin es heisst, wann grosse Noth komme, würden
die deutschen Helden wieder aufstehen und gesehen werden,
unter welchen auch Siegfried namentlich angeführt ist. Aber
diese Stelle beweist nach des Rec. Überzeugung für den Verf.
gar nichts, sie berührt bloss jene verbreitete Sage von der Un-
sterblichkeit der an einem verborgenen Orte schlafenden Helden
(wie z. B. die Dänen von Olger Danske glauben; vgl. die drei
Teile in den deutschen Sagen I. No. 297) und ist mit jener von
den Siebenschläfern verwandt. — Ausserdem schlägt der Verf.
noch einen anderen Weg ein, um zu seinem Ziele zu gelangen.
Er schliesst nämlich stark (§ 69) : weil in dem Johannestag und
Frohnieich namsfest Siegfried als Sonnengott erscheine, so stehe
nichts im Wege, auch in anderen Beziehungen ihn dafür an-
zusehen, wo das Lied weiter keinen Aufschluss gebe. Also:
was der Mythus einmal fordert, muss als vorhanden angenommen
werden, wenn sich auch keine Spur davon zeigt. Es werden
nun Versuche gemacht, den Michelstag (21. September) und
Weihnachten als alte heidnische Sonnenfeste in Beziehung auf
jenen Mythus darzustellen. An sich verdient der Gedanke
Rücksicht, denn es ist nichts natürlicher, als einen Zusammen-
hang der christlichen Festtage mit altbeidnischen zu vermuthen;
wir brauchen aber dabei nicht zu verweilen, da wir gegen die
Stützen des Schlusses schon zu viel einzuwenden haben.
Rec. fasst das Resultat seiner Beurtheiluug noch einmal
zusammen. Er ist mit dem Verf. gleicher Meinung, dass das
Nibelungenlied nicht aus der Geschichte entsprungen, sondern
in der heidnischen Zeit der Deutschen schon vorhanden ge-
wesen. Rec. glaubt ferner, dass es eine lebendige epische Ent-
wickelung uralter Grundanschauungen enthalte; in dieser Be-
stimmung aber trennt er sich von dem Verfasser, der weiter
geht und es geradezu für eine durch das eindringende Christen-
thum erst umgewandelte Glaubenssage hält und eine heilige Ur-
220 OSSIANS GEDICHTE VON J. G. RHODE.
künde nennt. In der Sage von Siegfried sieht er die alte
Mythe von dem Tode und der Wiedergeburt eines Sonnen-
gottes, Rec. aber kann gerade in diesen Hauptmomenten keine
Übereinstimmung finden. Er hält nicht nur diese Anwendung
für unstatthaft, sondern überhaupt die Methode des Verfassers
für unzuträglich. Eine eigene Ansicht von Siegfried und seiner
Sage gehört nicht in die Grenzen einer Recension.
Dem Verfasser, dem es um Wahrheit zu thun ist, wird
diß Freiheit unseres Urtheils willkommen sein und er überzeugt,
dass wir das Gute seiner Schrift zu achten wissen. Mit Ver-
gnügen theilen wir noch aus der Vorrede die Nachricht mit,
dass wir eine Ausgabe von des Pfaffen Kunrads Rolandslied
aus der Pfälzer Handschrift No. 112 sammt den Handzeich-
nungen von ihm zu erwarten haben.
[anonym.]
632
OSSIANS GEDICHTE.
Rhythmisch übersetzt von J. G. Rhode. Zweyte verbesserte Ausgabe.
Drei Theile mit Vignetten und Kupfern. Berlin. Bey Duncker und Humblot.
1817. 1818. Erster Theil 280. Zweyter TheU 272. Dritter Theil 277 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I. 63. Stück, den 18. April 1818. S. 632.
Vorliegende Übersetzung hält sich, wie alle übrigen seit-
her erschienenen (die Ahlwardtische ausgenommen, die es mit
dem Urtext zu thun hat und deshalb andere Rücksichten ver-
dient), an die englische Bearbeitung von Macpherson. Sie ist
lesbar und ansprechend und hat diesem Umstände auch wohl
eine zweite Auflage (die erste erschien 1800J zu verdanken.
Die Stollbergische scheint uns, soweit wir sie verglichen, wür-
diger und edler, doch auch, weil man den Übersetzer aus dem
Griechischen darin merkt, für die Lesewelt fremder. Die Vor-
rede enthält eine Einleitung aus dem Report of the Committee
of the Highland Society; etwas Neues über Ossian muss man
hier also nicht erwarten, und wir haben nur Gelegenheit zu der
erfreulichen Bemerkung, dass trotz der vielfachen absprechenden
MÄRCHENSAAL VON VALENTIN SCHMIDT. 221
Urtheile doch die Liebe für diese eben so herrlichen als merk-
würdigen Gesänge fortdauert. Wer könnte den Ossian über-
gehen und das Wesen des Epos erforschen wollen?
[anonym.]
MARCHENSAAL. esi
Sammlung alter Märchen etc. mit Anmerkungen; herausgegeben von
Dr. Friedr. Wilh. Yal. Schmidt. Erster Band. Die Märchen des Stra-
parola. (Mit dem zweiten Titel: die Märchen des Straparola.) Berlin. Bey
Duncker und Humblot. 1817. XIII und 361 Seiten klein Octav.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bdl. 69.Stück, den 30. April 1818. S. 681— 686.
JL/er Verf. hat die Absicht, wie es in der Vorrede heisst,
„ein verjüngtes und veredeltes Cabinet des fees mit sorgsamer
Wahl aus den wahrhaft classischen Erzeugnissen dieser Art zu
veranstalten". Ein Unternehmen, das um so mehr Beifall ver-
dient, als man anfängt, diese Dichtungen nicht bloss wegen
ihres grösseren oder geringeren poetischen Werthes, sondern
auch in Beziehung auf die Geschichte der Tradition und Er-
findung, wofür noch so viel zu thun übrig ist, zu beachten.
Eine Thatsache ist hier nicht abzuleugnen, nämlich, dass
Deutsche, Italiener, Franzosen, Engländer, Dänen und Schweden,
schon entferntere Völker nicht zu nennen , dieselben Märchen 682
besitzen, eines Theils im Grund und in der Häuptsache oft so
übereinstimmend, dass ein Zusammenhang nicht wohl abge-
leugnet werden kann, anderen Theils auch jedesmal so eigenthüm-
lich, dass ein Abborgen und Herübernehmen auch höchst un-
wahrscheinlich wird, zumal da sie nicht in Büchern, sondern
in den Überlieferungen des Volkes leben und fortdauern. Diese
Erscheinungen, deren Interesse noch dadurch gesteigert wird,
dass sie in anderen wichtigen Punkten, z. B. in der dunkeln
Sagengeschichte der Völker sehr ähnlich sich wiederholen, werden
nicht besser als auf dem historischen, ohnehin immer Gewinn
mit sich führenden Wege aufgeklärt werden. Die deutschen
Traditionen dieser Art sind in den Hausmärchen der Brüder
Grimm (Berlin, Realschulb. 1812 und 1815) gesammelt, und die
Anmerkungen dazu enthalten mancherlei Beiträge zur Geschichte
222 MÄRCHENSAAL VON VALENTIN SCHMIDT.
ihrer Entstehung und Fortpflanzung. Wenn einmal, was dort
nur fragmentarisch konnte mitgetheilt [werden], vervollständigt ist,
so wird man so ziemlich den Reichthum und Werth der ein-
heimischen Volksmärchen beurtheilen können; schon jetzt lassen
sich mancherlei Bilder und Gestalten erkennen, die man nicht
ganz mit Unrecht einer deutschen Mythologie zueignen würde. An
die genannte Sammlung schliesst sich sowohl seiner Idee nach, als
auch in der äusserlichen Einrichtung gegenwärtiges Buch, indem
es die Märchen des Auslands zusammenzustellen denkt. Mit
einem Auszug derselben aus Straparolas Nächten wird hier
nun der Anfang gemacht; ohne Zweifel hätte der Pentamerone
des Basile den Vorzug verdient wegen grösseren Reichthums
und frischerer Lebendigkeit der Darstellung, indessen wollte
Hr. Schmidt anderen, die eine Übersetzung davon längst ver-
sprochen, nicht vorgreifen. Dagegen ist nichts einzuwenden,
nur hat es das Ansehen, als ob Hr. Schmidt den Pentamerone
683 aus eigener Ansicht (was bei der Seltenheit des Buchs in Deutsch-
land leicht möglich ist) noch nicht gekannt habe; er würde ihn
sonst in den Anmerkungen fleissiger benutzt haben. Achtzehn
Stück sind ausgehoben, nur eins, meint Hr. S., würde man ver-
missen (Notte V. fab. 2), dessen Inhalt sich aber gegen jeden
Übersetzungsversuch gesträubt. Davon überzeugt man sich
leicht und, insofern das Buch unserer Lesewelt bestimmt ist,
wird man nichts zu tadeln haben, obgleich dieses Märchen nur
zu den sehr kecken und freien gehört, an sich ist es doch
merkwürdig, besonders da die wunderliche Puppe, welche darin
die Hauptrolle spielt, ofi'enbar mit den deutschen Alraunen ver-
wandt ist. Das Original bleibt also unentbehrlich, und hier
zeigt sich überhaupt eine bedeutende Schwierigkeit des ganzen
Unternehmens, welche vielleicht auch eine Übersetzung des
Basile zurückhalten wird. Bei den freieren Sitten jener Zeit,
überhaupt der noch jetzt oft bemerkten Natürlichkeit der Ita-
liener in gewissen Dingen konnte manches erzählt werden, was
bei uns mit Recht Anstoss macht, nicht einmal der wirklich
unsittlichen, bei Straparola manchmal schamlosen Erzählungen
und Räthsel zu gedenken. Sollten wir einen Rath geben, so
wäre wohl das Beste, dergleichen Märchen im Anhang und nur
MÄRCHEXSAAL VON VALENTIN SCHMIDT. 223
im Auszuge zu liefern, diesen aber überhaupt als eine Zugabe
besonders zu verkaufen. Das zweite Märchen der ersten Nacht
von den listigen Diebsstreichen des Cassandrino hätte Hr. Schmidt
nicht übergehen sollen: doch viel bestimmter müssen wir ihn
tadeln, dass er sich nicht sorscfaltiojer um die Litteratur seines
Originals bekümmert und keine andere Ausgabe als die, aus
welcher er übersetzte (Venetia 1608), nachgesehen. Eine leichte
Vergleichung mit der gewiss nicht seltenen altfranzösischen
Übersetzung (die vor uns liegende, von Hrn. Schmidt nicht
bemerkte erschien zu Lyon 1611) hätte ihn schon überzeugt,
wie nöthig das gewesen wäre. In seiner Ausgabe fehlt die esi
kurze Vorrede des Straparola zum zweiten Bande (vor der
sechsten Nacht), in welcher aber eine sehr merkenswerthe Stelle
vorkommt: dass nämlich diese Märchen nicht sein Eigenthum
seien, sondern er sie nach den mündlichen Überlieferungen
zehn junger Fräulein aufgeschrieben, weshalb ihn niemand des
Stils wegen anklagen dürfe. Ferner enthält die französische Über-
setzung mehr: Nacht 1, Erz. 2 einen dritten Streich des Cas-
sandrino, wie er als Engel verkleidet einen Sack der Herrlich-
keit darbietet und einen überredet, hineinzukriechen, gerade wie
in dem Märchen, welches aus einer lateinischen Handschrift in der
Grimmischen Sammlung (H, 60 Anm. XLVI) bekannt gemacht
ist. — N. 8, Erz. 5 steht in der italienischen Ausgabe von 1608 ein
unbedeutender Schwank von zwei Ärzten (hier in der Über-
setzung St. 12), dafür in der französischen ein sehr schönes Märchen
von einem Zauberer und dessen Lehrling, welches um so merk-
würdiger ist, weil es deutliche Übereinstimmung mit einer Er-
zählung der (damals noch unbekannten) 1001 Nacht hat. — In
der eilften Nacht zwei Erzählungen mehr: Fab. 2 und 5, die
erste ist ein ganz artiges Märchen. — In der 12ten Nacht ist
Fab. 4 verschieden, Fab. 5 fehlt im Italienischen ganz. In der
13. Nacht sind zwei Erzählungen mehr, einige verschieden. Rec.
hat gerade auch keine andere italienische Ausgabe des Straparola
als die von 1608 zur Hand und kann daher nicht bestimmen, ob
sich diese Verschiedenheiten sämmtlich auf ein italienisches Orisrinal
gründen oder ob sie vielleicht zum Theil von dem französischen
Übersetzer herrühren; doch ist ihm das Letztere sehr unwahr-
224 MÄRCHENSAAL VON VALENTIN: SCHMIDT.
scheinlich, weil dieser in der Vorrede seiner Abänderungen
würde gedacht haben. Und da Dunlop in seiner history of
fiction (wie Hr. Schmidt selbst, ohne dadurch aufmerksam ge-
685 worden zu sein, bemerkt) neun Erzählungen mehr angibt, als
in der genannten Ausgabe stehen, diese ferner in einzelnen
schlüpfrigen Stellen gegen die französische abgekürzt erscheint,
so leidet es fast keinen Zweifel, dass es eine absichtlich castrirte
ist. Wir bitten Hrn. Schmidt, diesen Punkt näher zu erörtern
und bei der Fortsetzung des Werks, welche wir wünschen,
einen Nachtrag für den Straparola zu liefern. Zur Erweiterung
der etwas dürftigen Litterarnotizen in der Vorrede empfehlen
wir ihm eine Übersetzung im Auszug, welche zu Wien (die
Nächte des Strapparola von Caravaggio, zwei Theile 1791) er-
schienen ist und ihm gleichfalls muss unbekannt geblieben zu
sein. Sie hat zwar an sich wenig Werth und ist schwerfällig
genug, aber sie theilt aus dem handschriftlichen Nachlasse des
Giambattista Rodella aus Brescia einen ausführlichen Artikel
über Straparola und dessen Schriften mit. Die Übersetzung
des Hrn. Schmidt lieset sich gut, eine genaue Prüfung derselben
können wir hier nicht anstellen.
Die reichlichen Anmerkungen, bei welchen dem Verf. „die
Sachbemerkungen der Philologen zu den griechischen und
römischen Schriftstellern vorschwebten^ zeigen von Fleiss und
Liebe zur Sache und sind schätzbar. Wir wollen dabei nur
vor dem Abweg der zu grossen Ausführlichkeit warnen, nach
welchem sich der Verf. ein paarmal hinwendet. Nicht zwar in
wichtigen Dingen ist Ausführlichkeit zu tadeln, sondern in dem,
was allgemeiner, nicht dem engeren Kreis der Märchen anheim-
fällt; da ist eine Hindeutung genug, sonst entsteht eine unver-
hältnismässige Breite, wie z. B. in der Erörterung der Zauber-
pferde. Auch ist an dem, was spätere Dichter willkürlich er-
weiternd dichtet-en, z. B. Ariost, wenig gelegen, und es wird
dann nur mit Nutzen angeführt werden, wenn das ursprüng-
liche Element sichtbar durchschimmert. In der Anmerkung zum
686 dritten Märchen hat der Verf. Gelegenheit gehabt , seine An-
sicht über die Ausbreitung der Märchen überhaupt mitzutheilen.
Er nimmt an, dass diese nur „bei den genialen Erzeugnissen
MÄKCHENSAAL VON VALENTIN SCHMIDT. 225
einzelner schöpferischer Geister" stattfinde. Das eigentlich
Volksmässige (von keinem bestimmten Dichter Erzeugte?) wird
daher nach seiner Meinung niemals Eigenthum eines fremden
Volks und bezeichnet sich durch „eine gewisse Einseitigkeit
und bewusstlose Dürftigkeit bei innerer Vollendung". Jene
Dichtung eines schöpferischen Geistes aber „macht sich gewalt-
sam Bahn, weil es in jedes Menschen Brust einen Anklang
findet, und wie der Handel die getrennten Völker und ihre Er-
zeugnisse in Verkehr setzt und mit der Befriedigung das Be-
dürfnis schnell wächst, so ist es mit dem geistigen Bande, das
besonders im Mittelalter die europäischen Völker verknüpfte
und nicht bloss die weniaren Gelehrten in Berührunor brachte.
Das wahrhaft lebendige, harmonisch geformte Erzeugnis der
Phantasie in der Gestalt des Märchens, der Novelle, der Fabel,
des Schwanks ergriff den Hörer und pflanzte sich mit reissender
Schnelligkeit von Mund zu Mund fort; das Äussere erlitt Ver-
änderung, aber das Wesentliche der Sache blieb". Diese An-
sicht hat ihre grossen Schwierigkeiten; eine solche ausserordent-
liche, reissend schnelle Fortpflanzung von Munde zu Munde
bis in die einsamsten Berggegenden bleibt immer eine Art
Wunder. Durch so verschiedenartige Sprachen gehen ja die
Sagen hindurch, selbst hinüber zu geographisch getrennten
Völkern ; auch lässt sich nicht gut die an verschiedenen Orten
sich findende, sehr abweichende und doch ursprünglich er-
scheinende Bildung derselben Sage erklären, so auch, dass
manchmal gerade das Wesentliche in Sache und Form die Ver-
änderung erleidet. — Wir empfehlen dem Verf. zunächst die
unter dem Titel gesta Romanorum bekannte Sammlung vorzu-
nehmen, welche zu mancherlei Untersuchungen Anlass gibt.
[anonym.]
AV. GKIMM. KL. SCIlRIhTKN. II.
226 STÜRLÜNGA-SAGA.
1229 STÜRLUNGA-SAGA
edr Islendinga-Saga hin mikla. Nii litgengin ä prent ad tilhlutun hins islenska
bökmentafelags eptir famanburd hinna merkilegulta handarrita er fengift gätu.
Fyrra bindini. Kopenhagen 1817. 227 S. in 4 und XIX S. Vorrede. Fyrra
bindinis fidari deild. 1818. 260 S. in 4. (d. h. Geschichte von dem Geschlecht
der Sturlungen oder die grosse Geschichte der Isländer. Auf Veranstaltung
der Isländischen Litteraturgesellschaft nach den vorzüglichsten Handschriften
jetzt in Druck gegeben. Des ersten Bandes erster und zweiter Theil.)
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd II, 123. St., den 2. August 1819.
S. 1229—1230.
Xi/igentlich Jahrbücher der isländischen Geschichte, welche
in einem gewissen Zusammenhang die Zwistigkeiten und Be-
fehdungen der ersten Geschlechter unter einander darstellen. Sie
begreifen einen Zeitraum von ungefähr 150 Jahren, indem sie
mit dem Jahr 1116 anfangen und mit der freiwilligen Unter-
werfung der Insel unter den König von Norwegen Hagen
Hagensen im Jahr 1261 endigen. Da diese inneren Unruhen
über die ganze Insel sich ausbreiteten, ja sie verwüsteten, so
heisst die Sage mit Recht die grosse isländische Ge-
schichte; indessen kommt ihr auch der Name der Sturlungen-
Sage zu, weil dieses Geschlecht als das herrschende und
mächtigste eine Hauptrolle darin spielt. Auch an äusserem
Umfang ist es eine der grössten, und dieser starke Band ent-
1230 hält nur die erste Hälfte. Da sie zunächst für Isländer be-
stimmt ist und die Ausgabe sonst zu kostbar würde, ist man
von der gewöhnlichen Sitte abgegangen und hat ohne Begleitung
einer lateinischen oder deutschen Übersetzung bloss den Original-
text, aber diesen mit der gewöhnlichen Sorgfalt geliefert. Was
den inneren Werth betrifft, so darf man an der historischen
Wahrheit der Erzählung in modernem Sinne nicht zweifeln,
und in dieser Rücksicht wird gegenwärtige Sage über alle
anderen zu stellen sein ; dagegen fehlt ihr, was die älteren, von
einer poetischen Anschauung durchdrungenen auszeichnet: jene
Frische und Lebendigkeit der Darstellung. Man lieset diese
Annalen der ganzen Insel mit weniger Theilnahme, als jene
HANS SACHS VON BÜSCHING. I. 227
Lebensbeschreibungen Einzelner; doch damit soll die einer
anderen Zeit nothwendig gewordene Richtung nicht herab-
gewfirdigt werden, der rechte Gebrauch wird das Gute auch
hier finden. Der Verfasser des späteren Theils ist Sturle
Thordson, ein Brudersohn des berühmten Snorre Sturleson
und bei dem König Hagen Hagensen wohlgelitten, der ihm
auch deshalb das Amt eines Laugmann in Island ertheilte. Der
erste Theil bis zum Jahr 1201 wird hier zwar in der von
B. Thorsteinson aborefassten Vorrede dem Bischof Brand
Sämundson auf Holum nach einer von den meisten nordischen
Gelehrten angenommenen Meinung zugeschrieben, allein P. F.
Müller hat in der Sagenbibliothek (Originalausg. I, 245. 246)
dafirearen wohlbecfründete Einwendunoren oremacht. Der Stil ist
sehr ungleich, überhaupt keinem Zweifel unterworfen, dass
spätere Zusätze eingeschoben sind; auch geht keine der Hand-
schriften, welche bei dieser Ausgabe benutzt wurden, über das
17. Jahrhundert zurück.
[anonym.]
HANS SACHS 01
(entweder: Sachs's oder besser: Sachsens) ernstliche Trauerspiele, liebliche
Schauspiele, seltsame Fastnachtsspiele, kurzweilige Gespräch', sehnliche Klag-
reden, wunderbarliche Fabeln, samnit andern lächerlichen Schwänken und
Possen. Bearbeitet und herausge'ieben von Dr. Joh. Gustav Büsching. Erstes
Buch. Mit dem Bildnis des Hans Sachs und mehrern kleinen Kupfern zwi-
schen den einzelnen Gedichten. Nürnberg, bei Schräg 1S16. 355 S. 8.
Leipziger Litteratur- Zeitung für das Jahr 1819. Erstes Halbjahr.
No. 7, am 8. Januar 1819. S. 51 — 55.
±Jev Herausgeber, welcher sein Ungeschick zu Erneuerungen
(wofern dergleichen überhaupt statthaft sind) durch einen miss-
rathenen Versuch an den Nibelungen*) hinlänghch erwiesen hat,
macht sich nun gar hinter die W^erke des ehrlichen Meister-
sängers. Das Unternehmen, wenn es nicht bei diesem oder
dem zweiten Bande stecken bliebe, sondern sich zu fünfen aus-
dehnte, würde dem Geschmack und der Kritik Deutschlands
*) [Das Lied der Mbelungen. Metrisch übersetzt von Dr Joh. Gust. Bü-
sching. Altenburg und Leipzig: F. A. Brockhaus. 1815.]
15*
228 HANS SACHS VON BÜSCHING. I.
keine Ehre bringen und bezeugen müssen, wie wir die Hinter-
lassenschaft unserer alten Dichter hochzuachten pflegen. Wäre
Hans Sachs ein Eigenthum Englands, so würde seit 1612 gewiss
mehr als ein vollständiger Wiederabdruck dieser Gedichte
52 sorgfältig und schön veranstaltet worden sein. Bei uns hin-
gegen, nachdem über ein Jahrhundert lang ein so reichbegabter,
wahrhafter Dichter verkannt und vergessen, endlich aber von
Goethe und Wieland wieder eingeführt worden war, was ist nun
seit fünfzig Jahren zu seiner Verbreitung geschehen? Bertuch
fasste den Vorsatz zu einer neuen Ausgabe sämmtlicher Werke,
wollte aber Subscribenten haben, die sich natürlich nicht fanden;
Häslein lieferte im Jahre 1781 einen Auszug aus dem ersten
Buche, der inzwischen des rechten Eindrucks verfehlte. Theils
ist die getrofiene Auswahl nicht ganz zu billigen, theils sind
die beigefügten Worterklärungen, obschon fleissig, jedoch bei
weitem nicht von der Art, wie sie ein tüchtiger Herausgeber,
der nur seinen Autor mehrmals und vollständior durchgelesen
hat, ohne besondere Mühe hätte liefern können. Häufig aber
waren die Erklärunoren unnöthior oder schief: wir beffnüoren uns
auf die „Mägdchen und Buben" zu verweisen, die S. 283 aus
dem „meiden und sehnen" entsprungen sind. Mit der Correct-
heit des Textes hat man mehr Ursache zufrieden zu sein.
Der Bearbeiter des vorliegenden Versuchs liefert absichtlich
gar keinen correcten Text, sondern eine klägliche Moderni-
sirung, die es den heutigen Lesern leichter machen soll, den
alten Dichter zu verstehen. Dieses in sich selbst nichtige und
immerwährend schwankende Verfahren bestehet nun haupt-
sächlich darin, dass neben Umsetzung der Orthographie und
Aussprache einige veraltete Wörter und Formen durch ähnliche
neue (mitunter schlecht passende) ersetzt oder auch nach Be-
lieben beibehalten und in Randanmerkungen erklärt werden.
Zumeist betriift die Veränderung den Keim, der sich bald anders
drehen, bald ein elendes Flickwort gefallen lassen muss; Hans
Sachs selbst nimmt es mit diesen Dingen nicht zu genau, würde
aber schwerlich so läppische, sinuverstellende Reime gebraucht
haben, wie man hier zu lesen bekommt: S. 149 „das thu gern
ich" (st. das thu ich gern), S. 352 „die Geiss war frölich und
HANS SACHS VON BÜSCHING. I. 229
mutig und in der Nähe hielt nicht sich" (H. Sachs: die geisz
war mutig iung und frech und blibe gar nit in der
nech), S. 6 „dass er nichts könn' und vermag auch" (das
er nichts könn und vermüg), woselbst die indicative Form
„vermag" mit der conjunctiven „könne" verbunden ist. S. 288
„ich hatt viel Fried' nit, sehr grossen Hunger ich erlitt", warum
nicht: „ich hett viel Unfried, s. gr. H. i. erlitt", wie bei Hans
Sachs steht ? Wie leicht insgemein über das Original hinge-
fahren werde, mögen folgende hin und wieder verglichene Be-
lege darthun. S. 149 y,\ye\\ er sich wolt der Straf" nie geben."
Das versteht gewiss niemand, H. S. schrieb: „weil er wolt
vmb kein straf nie geben", d. h. weil er auf keine Strafe
achtete, nicht durch sie gebessert wurde. — S. 283 „niemand
dich füllen kann, du glaubst das Erdreich wird zerrinnen",
welches ein heutiger Leser nicht anders nehmen wird als : das 58
Erdreich wird zerfallen, zerfliessen, auseinandergehen. Der
Dichter sagt: „des gantzeu erdrichs will dir zrinnen",
d. h. du thust, als werde es dir an Erde gebrechen, die Erde
Dir ausgehen, in Bezug auf die habgierige Kröte, die nach
einem alten Volksglauben nichts als schlechte Erde frisst und
nicht daran genug haben kann. Das dir musste noth wendig
ausgedrückt werden. Fischart im Gargantua Bl. 213" (ed.
1594): „vnd fressest erd wie ein krott, die sorgt die
erd werd ihr entgehn, vnnd meint sie hab die Erd im
Sündflut in ihrem bauch erhalten vnnd wöUs noc
thun." — S. 290. „Da die Alten bey ihn'n sagen, ich thu die
bösen Dämpf einnagen." Wer hat je die Spinne zu den Nage-
thieren gerechnet! Im Text stehet: wie wol die alten bei
ihn jähen (also: sagten, nicht: sagen), ich thu die bösen
dempff auffahen. —- S. 120 „wollt ihr mir erst ein Tränk-
lein lassen" (H. S. solt ich erst nit ein tränklein mügen,
d. h. da ich so viel getrunken, sollt' ich nicht ein solches Tränk-
lein, als eure Arznei, zu schlucken vermögen.) — S. 133 wird
zwar garteten durch „bettelten" richtig, aber gleich darauf,
als S. Peter von den Landsknechten vor dem Himmelsthor er-
zählt: „sie wollen geren hinnen garten" dies ganz falsch
übersetzt: „gern schweiften sie herum im Garten" (!) und die
230 HANS SACHS VON BÜSCHING. I.
noth wendig festzuhaltende Idee, dass sie auch im Himmel ihre
Lebensweise fortsetzen, verwischt.
Dergleichen, wo nicht Missverständnisse, auf jeden Fall
Entstellungen des ursprünglichen Textes lassen sich fast auf
allen Blättern nachweisen. Dafür werden andere Hilfsmittel
zum Verständnis des Alterthümlichen dem Leser gleichsam als
Entschädigung geboten. Er findet S. 150 schmecken durch:
riechen erklärt, S. 148 allesannt durch: allzusammen,
S. 121 räumen durch: räumen, S. 285 holf durch hülfe,
S. 288 gemachsam verschlechtert in: gewachsam, S. 285 wo
im Text stehet: „nährest dich der schelmenstück vnnd
darzu aller bösen Tück", in der Erneuerung: „nährest dich
von Schelmenstück und dazu aller bösen Tück." Er findet
den Ausdruck „dest bass" (desto besser) bald beibehalten, wie
S. 124 und 148, bald übersetzt in „was bass" S. 121; — S. 123
„vor zuletzt" nicht übersetzt in den heutigen Sprachgebrauch:
für zuletzt; — unerklärt gelassen aber: S. 124 geudisch;
S. 121 Rosselwurst; S. 130 Wunderer; S. 285 „du bist mir
nicht eben"; S. 146 hartselig; S. 9 „ umrevieren "; S. 138
^unterdrungen'^; S. 170 „dir soll die Schmach thun billig
Zorn" u. dgl. m. Dem Liebhaber der Hans Sachsischen Poesieen,
der an dergleichen Dingen keinen Anstoss nimmt, ist sicherlich
nicht der mindeste Vorschub geschehen, wenn „sieht" in „sieht",
ruben in Rüben usw. verwandelt wird, oder das besser
lautende „auff ein Tag" S. 288 verändert in: auf nem Tag.
In solchen Virgeln beruht oft der Geist der ganzen Erneuerung,
z. B. S. 282 „ein's Tag's in einem alten Fuchs gross' Reu' von
64 seiner Sund erwuchs" (H. S. eins tages in eim alten Fuchs
gross rew der seinen' sünd erwuchs). Es müsste aber
ebenso gut auch gesetzt werden „Sünd'" statt „Sünd'^ und
S. 287 ^grün', blüh' und wachs'" statt: grün, blüh und
wachs; oder: S. 118 „'nen guten Abend" statt: ein guten
Abend." Übrigens wird die jedesmalige Subscription um das
„Anno Salutis" und das Wort „Tag" gekürzt, den einzelnen
Stücken aber eine Randbeziff'eruug zugegeben, welches den un-
verhofifentlichen Fall voraussetzt, dass H. S. Werke verloren
HASS SACHS VON bCSCHISG. I. 231
giengen und man gezwungen wäre, das gegenwärtige Bruchstück
einer Erneuerung zu citiren.
Als Bruchstück nämlich würde es auch dann unbefriedigend
bleiben, wenn es besseren Text, d. h. unschuldigen Abdruck
des Urtextes lieferte. Hält man die 355 einspaltigen Octav-
seiten zu dem starken Folianten der Nürnberger und dem dicken
Quartanten der Kemptener Ausgabe des ersten Buchs, so ent-
fällt einem völlig der Muth, an dergleichen modernen Arbeiten
€twas Nützliches aufzufinden. Was frommt eine so willkürliche,
gleichgültige Auslese? Schon das erste Stück von der Erschaf-
fung gehört zu des Dichters geringeren Hervorbringungen;
awar ist das Spiel von Evas ungleichen Kindern viel besser,
aber derselbe Stoff in einem Schwank des zweiten Buchs bei
weitem dichterischer und lebendiger aufgefasst und aus2eführt.
Statt der Kinderlehre und der daran gereihten Ermordung Abels
durch Cain wird der Ursprung und Gegensatz der edeln und
bäurischen Geschlechter höchst anschaulich aus der Fabel ent-
wickelt.
Was sqll und kann nun in unserer Zeit, die den Wieder-
abdruck sämmtlicher, allmählich so selten gewordenen Werke
unseres Dichters (d. h. also der früher schon gedruckten, nicht
der ungedruckten, weit schlechteren Meisterlieder) kaimi zu be-
i^treiten vermag, am löblichsten geschehen? Guter Kath scheint
hier gar nicht theuer. Man nehme aus jedem Buch die letzte,
Fabeln und Schwanke enthaltende Abtheilung und drucke sie
Aollständig genau und getreu nach der ältesten Ausgabe und
mit der in das Wesen der damaligen Sprache eingreifenden,
alterthümlichen Schreibung ab. In diesen Foesieen liegt un-
leugbar die grösste Kraft des vielgewandten, unerschöpflichen,
bürgerlichen, derben Meisters; hier bewegt er sich am freisten
und vollkommensten und hier stecken zugleich mehr Aufschlüsse
über Volkssage, Fabel und Volkssprache, als in allen übrigen
Theilen zusammen. Verständig zeigt er sich zwar überall, je-
doch in den geistlichen und weltlichen Geschichten zu sehr von
dem gegebenen, nicht aus eigener Lebenserfahrung entsprun-
genen Stoff gebunden. Die dramatischen Spiele ernster Art
232 HANS SACHS VON BÜSCHING. I.
leiden nach dem damaligen Stand der Bühne (grossentheils zu
wirklicher Aufführung bestimmt und auch aufgeführt) bei der
raschesten Handlung mitunter an Weitschweifigkeit und Dürre.
Vielleicht wäre mit kluger Auswahl eine, jedoch nicht starke
55 Zahl verschiedenartiger Stücke aus den übrigen Abtheilungen
beizufügen. Das Ganze würde sämmtliche Schwanke imd Fabeln
unverkümmert enthalten und, im Einzelnen nach der Zeit ihrer
Abfassung geordnet (was noch nie ein anderer Dichter so leicht
gemacht hat), einen guten Quartanten oder zwei starke Octav-
bände fassen. Ein, aber fleissig imd grammatisch zu bearbei-
tendes gedrängtes Wörterbuch am Ende muss dem Leser, der
mit ernster Lust an den nicht viel als Luthers Bibel alterthüm-
lieberen Dichter geht, alles Nöthige gewähren und jedes Dunkel
heben, dagegen Randglossen und böse Verdrehungen des durch-
weg ungezwungen frischen Ausdrucks ersparen, zugleich auch
den Herausgeber über Bedenklichkeiten setzen, denen kein Er-
neuerer, weil er mit seinem eigenen Stil auftritt, ausweicht,
oder er muss z. B. wie der gegenwärtige S. 123 den Teufel
beissen lassen. Es wäre doch schön, wenn die Stadt Nürn-
berg, in welcher es nocli viel gute, der alten Zeiten eingedenke
Leute geben wird, nachdem ihr das letzte Mal, vor so lange
schon, Kempten und Augsburg zuvorgekommen, für ihren
eigenthümlichsten, wir zaudern gar nicht zu sagen: grössten
Dichter etwas thuu und ihn wieder in wahrer Gestalt unter
die Leute bringen wollte. Der Aufwand wäre so unbedeutend,
dass eine der kleinen Pegnitzbrükkern, wenn sie eingebrochen,
mehr kosten würde. Im Hans Sachs ist aber auch eine vater-
ländische, dem gesammten Deutschland auferbauliche Gesinnung,
und viele würden sich sein Buch gern kaufen. Will Hr. Dr
Büsching, dessen Arbeitsamkeit und guter Meinung man alle
gebührende Gerechtigkeit widerfahren lässt, zu solcher wahrer
Herstellung des von ihm verehrten Dichters mitwirken, so wollen
wir so gern aus seinen Händen als aus denen jedes anderen ein
£uch empfangen, an dem man sich doch einmal freuen kann.
Auch das hübsche Bildchen, welches des Meisters Haus vor-
stellt, darf dann nicht wegbleiben.
[anonym.]
HANS SACHS VON FURCHAU. 233
HANS SACHS, VON F. FURCHAU. i83i
In zwey Abtheilungen. Erste Abtheilung, die Wanderschaft. Leipzig, bey
Brockhaus. 1818. (1 Thk. 8 Gr.)
Leipziger Litteratur- Zeitung für .das Jahr 1819. Zweites Halbjahr. No. 229,
am 15. September 1819. S. 1831 — 1832.
jliin Roman in der jetzt schon ablebenden, bei Nach-
ahmern vollends unerträglichen und über die Massen lang-
weiligen Fouqueschen Manier, ob sie gleich ein gewisses Talent,
eine Schreib- und Denkfertigkeit voraussetzt, über deren Miss-
brauch man sich betrübt. Die wohlbekannten Gesinnungen und
Lobpreisungen des altdeutschen Lebens sind hier an des (als
zehn solcher Romanschreiber unendlich kräftigeren und poetisch
rührigeren) Hans Sachsens Geschichte, wie wir sie aus den
Gedichten und anderen Nachrichten her wissen, gesetzt und
mannigfaltig verblümt. Der ehrliche Meister würde auflachen,
wenn er gewusst hätte, was ihm hier für Feinheiten und ge-
müthliches Zeug untergeschoben werden; gescheidter nicht, aber
gelehrter ist er gemacht, z. ß. S. 104. 105 urtheilt er über die
Nibelungen, die er ohne Zweifel niemals gelesen hatte. Bei
einem „Herrn und Büchermeister" wird die altdeutsche Poesie
durchgemustert und bekommt gewaltiges Lob, versteht sich.
Da heisst es S. 100: „ein herrlich überaus vorzügliches Gedicht"
und S. 98: „ein vorzüglich merkwürdiges und überaus ange-
nehmes altes Gedicht , genannt der Krieg auf der Wartburg" ;
wahrscheinlich hat Hr. Furchau dieses dunkle, verworrene und
nichts weniger als angenehme Lied niemals mit Augen erblickt,
er lese es gelegentlich in der überaus zierlichen und bequemen 1832
Jenaer Handschrift einmal nach. Wörter wie: Völliorkeit, herzigr,
herzinnig, minniglich, gar arg, gar anmuthig, allerabenteuerlichst,
allerunseligst, herzig, friedlicher und fröhlicher Herr, und hundert
dergleichen schmelzen diese Poesie auf allen Blättern, — Jean
Paul in der Vorrede zur dritten Auflage des Hesperus S. 10
bezeichnet den Missbrauch der Beiwörter treÖ'end als schrift-
stellerische Austrommelsucht oder Vorsprecherei der Empfin-
dungen, welche der Gegenstand haben und zeigen soll, aber
nicht der Dichter,
234 FRAU HOLLE.
Bei einem Romanschreiber des 18. Jahrhunderts (die zehn-
mal übelgerathene und einmal wohlgetroffene Heirath eines
Mannes, Leipzig 1735, und die siebenmal übelgerathene und
einmal sehr wohl ausgeschlagene Ehe eine Weibes, ebendas.)
findet Rec. dieselbe Sünde in gleichem ünmass, nur dass die
damals modigen Beiwörter etwas dünner und prosaischer sind,
es heisst nie anders als: meine unvergleichliche Caroline, ihre
wenige Gestalt, meiner liebsten Gemahlin erstaunens würdige
Anmuth, in sehr tiefen Gedanken sitzen, kurz, es steht kein
Hauptwort ohne solche Zuthat.
Die Fortsetzung dieses histofischen Romans von Hans
Sachs wird im Messkatalog bereits verkündigt; Hr. Brockhaus
hätte die bekannte Schrift von Ranisch (Altenburg 1765) um-
arbeiten und aus den Gedichten ergänzen lassen sollen, so wäre
ein Buch von bleibenderem Werth entstanden.
[anonym.]
1830 FRAU HOLLE.
Ein hessisches Volksmährchen vom Meisnerberge. Kassel, bey Bohne. 1819.
72 S. 8.
Leipziger Litteratur- Zeitung für das Jahr 1819. Zweites Halbjahr, No. 229,
am 15. September 1819. S. 1830.
VVir zeigen diese übrigens leicht und gewandt geschriebenen
Erzählungen an, um dem (am Schkisse des Vorberichts Dr.
K. Chr. Schmieder unterzeichneten) Verf. geradezu zu wider-
sprechen, wenn er versichert, sie „theils auf dem Berge, theils
in den Orten umher" gesammelt zu haben. Rec. ist auf dem
bekannten merkwürdigen Meisnergebirge selbst gewesen und hat
sich sorgfältig so wie in den umliegenden Dörfern nach vor-
handenen Volkssagen erkundigt, aber keine erfragen noch durch
andere darum bemüht gewesene Reisende erfahren können, das
Wenige abgerechnet, was man (aber fast in ganz Hessen und
Thüringen) von Frau Holle zu erzählen weiss und das in vielen
Büchern gedruckt steht. Die hier gelieferten Erdichtungen
haben auch gar nicht das Ansehen, als ob ihnen lebendige
BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BEXECKE. 235
Volkstraditiou unterläge, sondern sie sind auf Namen und Auto-
rität der Frau Holle bin aus spielenden Deutungen der örtlichen
Namen erzeugt worden. Die Kutz- oder Kitzkamraer wird hier
mit Katzen bevölkert; der Sache und der hessischen Volks-
mundart angemessener wären aber wohl Eulen (Käuze). Der-
gleichen im Erfola: uothwendig schale und dünne Erzählunoren
mag nun schreiben und lesen, wer dazu Lust hat, allein man
sollte sie nicht als wirkliche Sagen ausbreiten, auf deren sehr
viel höheren poetischen und historischen AA erth die Aufmerk-
samkeit unserer Zeit wieder gelenkt worden ist. Solche falschen
Nachrichten können einmal in Zukunft schaden und verwirren.
Münchhausens Abhandlung über den Meisner in Hinsicht auf
mythisches Alterthum (Hess. Denkwürdigkeiten 2, S. 161 — 202)
bleibt sehr unbefriedigend und trägt nordisches System (wie es
denn auch in vorliegenden Erzählungen spukt) ohne Weiteres
auf das deutsche Alterthum über, das in einem ganz anderen
Zusammenhang zu jenem steht; man gefallt sich in unerwiesenen
Namendeutuugen und macht z. B. aus dem Schlagrasen (wo
Holz geschlagen worden) alsbald einen Schlachtrasen, um den
heidnischen Anstrich zu erhöhen. — Wer baare. unverfälschte
Volkssagen dieser Gegend (wo sie gewiss vor Zeiten geblüht
haben) noch ausspüren könnte und mittheilen wollte, darf des
Dankes der Kenner und Liebhaber des vaterländischen Alter-
thums gewiss sein. [anonym.]
BARLAAM UND JOSAPHAT 2081
von Rudolph Ton Montfort herausgegeben und mit einem Wörterbuche ver-
sehen von Fr. Carl Köpke. Königsberg, bey Fr. Nicolovius. 1818. XÜ und
527 S. (wovon aber 1—402 nur Spalten sind). 8. (8.421—436 finden sich
kritische Verbesserungen von Dr Lachmann), (1 Thlr. 12 Gr.)
WIGALOIS DER RITTER AUT DEM RADE
getihtet von Wirnt von Gravenberch, herausg. von George Friedrich Benecke.
Erster Druck. Berlin, bey Reimer. 1819. LXIV und 767 S. 8.
Leipziger Litteratur-Zeitung für das Jahr 1819. Zweites Halbjahr. No. 261,
am 20. October 1819. S. 2081—2092.
-LJie Beurtheilimg dieser beiden für die altdeutsche Litteratur
sehr erfreulichen Erscheinungen wird hier zusammenorefasst.
236 BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE.
theils weil die abgedruckten Dichtungen aus der besten Zeit
des 13. Jahrhunderts herrühren, theils aber auch weil auf ihre
Herausgabe ein ähnliches sorgfältiges, von der seitherigen nach-
lässigen Behandlung anderer nicht minder wichtiger Denkmäler
desselben Zeitalters vortheilhaft abstechendes Verfahren ange-
wendet worden ist.
Barlaam und Wigalois waren noch nicht bekannt gemacht,
keiner ihrer Verfasser findet sich unter der Zahl der auf die
Nachwelt gekommenen Minnesänger. Rudolf (von Montfort
benannt, weil er ein Dienstmann des Grafen von Montfort ge-
wesen) gehört gleichwohl unter die fruchtbarsten und begabtesten
Dichter jener Zeit ; den vorliegenden Barlaam abgerechnet sind
noch vier andere beträchtliche Werke von ihm erhalten, ein
sechstes (die Legende des heiligen Eustachius) scheint hin-
gegen verloren, unter jenen vieren ist eins von grossem Um-
fang, die sogenannte Welt ehr onik, in vielen, wiewohl äusserst
ungleichen und überarbeiteten Handschriften vorhanden, eine
Art Weltgeschichte nach dem Plan des Gottfried von Viterbo.
Über Rudolfs Alexandreis vermag Rec. nicht zu urtheilen,
weil er noch keine der davon vorfindlichen Handschriften ein-
zusehen Gelegenheit gehabt hat; dagegen steht er nicht an, den
ihm bekannten Wilhelm von Orlenz für eine anmuthige,
des vollständigen Abdrucks vollkommen würdige Dichtung zu
erklären. Das sechste Gedicht, den guten Gerhard nämlich,
2082 welchen noch Hr. Köpke für gänzlich unbekannt hält und
dessen auch die seitherigen litterarischen Hilfsmittel geschweigen,
wollen wir hier wenigstens in einer Handschrift nachweisen.
Sie liegt zu Wien No. 44 und wird als: poema heroicum
anonymi de Ottone rufo aufgeführt, Hauptheld ist aber der
gute Gerhard zu Cöln, wiewohl auch Kaiser Otto darin auftritt.
Dieser Dichtung erwähnt Rudolf selbst im Wilhelm von Orlenz:
der iu daz buoch getihtet hat,
wie dar iinsers schepheres rat
der guote Gerhart loste
von grozeme untroste
ein edele kiimberliafte diet.
und hier im Barlaam 402, 6 ff.
BÄRLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE. 237
ich hatte mich vermezzen e.
do ich daz maere enbarte
von dem guoten Gerharte,
hatte ich mich daran versumet iht
daz lihte tumbem man geschiht,
daz ich ze buoze wolde stan,
ob mir wurde kunt getan
ein ander maere. dast geschehen.
Die Wiener Handschrift ist freilich auf Papier und aus dem
15. Jahrhundert: wenn wir ihren baldigen Abdruck wünschen,
so geschieht es dem für die deutsche Sagengeschichte merk-
würdigen Inhalt zu Gefallen; wer inzwischen die plane, ver-
ständige Schreibart des Dichters aus seinen übrigen Werken
studirt. wird so ziemlich im Stande sein, den wahren Text über-
all herzustellen. Hier ist einmal (leider der seltenere Fall)
Stoff aus der mythischen deutschen Geschichte geschöpft i),
während Wilhelm von Orlenz der französischen Quelle nach-
gedichtet wurde, freilich veredelnd. Gleichwohl stellen wir nicht
bloss diesen letzteren, sondern auch die Weltchronik unter den
altdeutschen Gedichten, die sich demnächst zur Herausgabe
eicrnen, oben an. Rudolf von Montfort ist kein orlänzender
Dichter, wie Wolfram von Eschenbach, kein lieblicher, wie
Gottfried von Strassburor, auch nicht so eindringlich, wie Hart-
mann von der Aue, allein Stil und Gedanke haben bei ihm
eine bescheidene Natürlichkeit und sehr gleichmässige Haltung. 2083
Sein heller Verstand neigt sich zur ernsthaften, frommen Be-
trachtung, daher auch zu geistlichen Stoffen. Die Legende von
Barlaam ist eine stillbegeisterte Lobrede auf die Würde und
Reinheit des innerlichen Christenthums im Gegensatz zur heid-
nischen Weltlichkeit. Den Inhalt dieser edelen. durch die
passendsten Gleichnisse und Beispiele erläuterten Sage hat der
deutsche Dichter höchst angemessen behandelt und wirklich
nirgends weder zu viel noch zu wenig gethan. Man darf auf
den Verfasser und seine Gabe selbst die schönen W^orte an-
wenden, die er einer genügsamen Armen in den Mund legt
(137, 38):
') Einen vorläufigen Auszug der Fabel vom guten Gerhart vermisst man
ungern im zweiten Bande der Grimm'schen Sammlung deutscher Sagen.
238 BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE.
got hat nach gotlichem site
daz groste mir geteilet mite,
den notdürftigen rehten teil;
daz ist daz menscheliche heil,
seine Dichtungen lassen in dem Leser einen befriedigenden
Eindruck zurück. In den Reimen sucht Rudolf keine Künste,
aber sie strömen ihm zu ohne allen Zwang, Er ahmt nie-
manden nach, sondern steht auch in manchen Wendungen seiner
Sprache eigenthümlich für sich allein.
Ein verschiedener Geist spricht aus Wirnt von Grafen-
berg, von dem nichts als dieser Wigalois übrig ist, doch ver-
muthlich hat er auch weiter nichts gedichtet. Der Ritter er-
scheint weltlicher, zierlicher und höfisch gebildeter, als der gute
Dienstmann, er übertriflft diesen an Lebenserfahrung und weiss
daraus manche feine Bemerkung anzubringen, die jenem bei
einem ruhigeren und in sich gekehrteren Wandel schwerlich
eingefallen sein würde, obschon Rudolf kein Geistlicher war
und die Freuden der Welt nicht verschmähte (vgl. 305, 33 flP.).
Für die Sitten des 13. Jahrhunderts liefert daher Barlaam gar
keine, Wigalois aber manche wichtige Erläuterung. Der Stoff
ist in beiden fremd und im Wigalois sogar ein altbritannisches,
aber durch mehrfache Bearbeitungen i) von der ursprünglichen
bis zu der welschen und deutschen ziemlich verwässertes Mär-
chen. Die Fabel vom goldnen Glücksrad (1047 ff. 1865),
das sich unaufhörlich umdreht und seinem Besitzer Glück und
Friede bringt (eine merkwürdige Erinnerung an das eddische
Mühlenlied und an die nur etwas anders gewendete Idee des
Mittelalters von den hier auf dem Glücksrade sitzenden Men-
schen; vgl. auch Grimm deutsche Sagen No. 209 und 337),
vermuthlich der Mittelpunkt der eigentlichen Sage, tritt hier
2084 völlig zurück und wird bloss nebenbei erwähnt. Diese Aus-
lassung oder Verdünnung einfacher Bestandtheile des alten
•) Wirents Grundlage zum Wigalois war vermuthlich eine nordfranzosischfr
Dichtung, wie schon aus dem kleinen Umstand hervorgeht, dass die Namen
Iwein, Gavein auf ein (altfranzösisch Ivain, Gauvain) endigen. Dasselbe
gilt von Hartmanns Quelle. EschenVjach aber, der einem Provenzalen folgte,
setzt die Formen Iwan, Gawan (provenzalisch Ivans, Gavans).
BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE. 239
Märchens und ihrer Verbindungen unter einander bewirkt, dass
die vielen schweren Abenteuer, welche der Held auszurichten
hat, ihm doch zu wenig Mühe machen und der für ihn günstige
Ausgang beinahe jedesmal vorauszusehen ist. Der Dichter hat
indessen den (in unseren Augen wenigstens) undankbaren Stoff
mit seltener Geschicklichkeit zu behandeln verstanden und ihm
so viel abgewonnen und von anderen Seiten her vergütet, dass
gewiss, wer nur dieser alten Sprache kundig ist, das Ganze
von Anfang bis zu Ende mit besonderem Wohlgefallen durch-
lesen wird.
Der Herausgeber des Wigalois bringt es durch die geschickte
Zusammenstellung mehrerer Umstände (Vorrede VIH — XIV)
zur höchsten Wahrscheinlichkeit, dass Wirnt (die ältere Form.
dieses Eigennamens Wirant ersehen wir aus einem Diplom
bei Neugart No. 585 vom Jahre 889) von Grafen berg im
ersten Viertel des 13. Jahrhunderts gedichtet hat, ungefähr um
1212 oder einige Jahre später. Gebürtig war er aus Franken,
aus dem noch bestehenHen, unweit Nürnberg und Erlangen
liegenden Städtchen Grafenberg, damals wohl unter meranischer
Botmässigkeit. Sehr gut wird gezeigt, dass eine merkwürdige
Stelle des Gedichts (Z. 8061 ff.) von dem Tode des Fürsten
von Meran, wobei der Dichter zugegen gewesen, auf Herzog
Berthold IV. (f 1206) bezogen werden muss, also mit der Volks-
sa^e von der Gräfin von Orlamünde (bei Grimm No. 579)
oder einer anderen von dem Mörder Hager zu Plassenburg
nicht zusammengestellt werden kann, wie denn auch das Ge-
dicht nirgends auf einen Mord anspielt, sondern nur der klagen-
den Frauen gedenkt. Hiernach berichtigt sich Docens Ver-
muthung in den Marginalien zu Koch (Aretius Beiträge Bd VH,
S. 316) und im altdeutschen Museum I, S. 165. Über Wirents
weitere Lebensumstände ist nichts bekannt, ausser dass ihn der
freilich weit spätere Conrad von Würzburg in eine sagenmässige
(Beilage S. LV bis LXIV mit Recht hier abgedruckte) Er-
zählung verflicht. Die Geringfügigkeit der Nachrichten von des
Dichters äusserem Leben (wir besitzen keine alten Biographieen
der Minnesänger, wie die der provenzalischen Troubadours sind)
vergiitet Herr Prof. Benecke durch einen wichtigen Aufschluss
240 BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE.
über sein inneres Wesen; Wirent hat sich sichtbar in Stil und
Sprache den Hartmann von der Aue zum Muster genommen,
man vergleiche nur Z. 126 ff. des Wigalois mit dem armen
Heinrich Z. 10, Z. 151 mit Iwein Z. 40—58, Z. 445 mit Iwein
4622, Z. 557 mit Iwein Z. 7091 usw., er möge nun persönlichen
Umgang mit Hartmann gepflogen haben (nach einem Lied der
Man. Samml. 1, 183 b scheint letzterer auch in Franken zu leben)
oder durch öfteres Lesen und Anhören des Iwein und anderer
berühmter Dichtungen Hartmanns mit dem Geist und der
Weise derselben vertraut geworden sein. Dergleichen auffallende
2085 Familienähnlichkeit findet sich auch sonst zwischen anderen
alten Dichtern; in demselben Sinn, wie wir Wirent einen Nach-
eiferer und Schüler Hartmanns, dürfen wir auch Reinbot von
Doren einen Schüler Wolframs (vgl. S. Georg 4916 mit Parcifal
2045 [69, 16] und Wörter wie hamit, phandes sten etc.), den
unbekannten Verfasser des Wigamur einen Schüler Gottfrieds
nennen (vgl. Wigamur 1195 mit einer leicht aufzufindenden
Parallelstelle im Tristan). Mehrere Stellen beweisen indessen,
dass Wirent auch ausserdem Wolframs Parcifal in einzelnen
Wendungen nachgeahmt habe. Der dreifache Reim, mit
welchem seine Absätze schliessen, findet sich auch in Turlins
Wilhelm dem Heiligen, doch so, dass in letzterem regelmässig
31 Zeilen zum Satz gehören, Wirent aber in diesem Stück
keine Zahl hält; neben kleinen Abschnitten von 15, 13, 11 und
selbst 9 Zeilen (S. 62. 69. 82. 104. 134. 97) finden sich viel
längere, z. B. S. 66 — 68 einer von 77 Zeilen.
Das, wodurch sich die vorliegenden Ausgaben des Barlaam
und Wigalois gemeinschaftlich auszeichnen, ist die kritische Be-
handlung des Textes. Es macht Freude und berechtigt zu Er-
wartungen für die Zukunft, wenn wir ein Verfahren, das bei
der griechischen und römischen Philologie allgemein gültig ist,
vielleicht noch mit glücklicher Vermeidung einiger hierbei wohl
betretener Abwege, endlich auch auf die Denkmäler unserer
einheimischen Litteratur angewendet sehen. Freilich geht es
leichter und schneller, den merkwürdigen Inhalt altdeutscher
Poesieen oberflächlich zu erfassen und ihre Schönheiten heraus-
zufühlen; aber gründlich geschehen kann dieses doch niemals
BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VOX BEXECKE. 241
ohne die innigste Bekanntschaft mit dem Buchstaben, d. h. mit
allen ihren äusseren Formen. Erst dadurch gewinnt die Aus-
legung im Einzelnen gehörige Sicherheit, und aus dieser scharfen
Betrachtung des Einzelnen gehen gleichwohl Lichtstrahlen aus,
die dem Ganzen zu statten kommen. Was hier überall wün-
schenswerth scheint, führt sich hauptsächlich auf folgende Punkte
zurück. Man strebe jeder Herausgabe eines bedeutenden Ge-
dichts eine alte gleichzeitige oder dem Zeitalter des Dichters
möglichst nahe kommende Abschrift zum Grunde zu legten;
billicr sollte keine, die über hundert Jahre iünofer wäre, zusre-
lassen werden. Spätere Handschriften dienen bloss nebenher
zu Ausfüllung einzelner Lücken oder zu Muthmassungen über
schwierige Stellen: ihre übrige Abweichung hat keinen Werth,
d. h. für die Feststellung des herauszugebenden Textes. Für
jemand, der die Sprache geschichtlich verfolgt, kann natürlich
ihre Vergleichung sehr nützlich werden, aber um dieses Zweckes
willen soll man keine solche Lesarten wirklich drucken lassen;
auch versteht sich von selbst, dass bei offenbar fluctuirendeu,
mehr volksmässigen Dichtungen, wie die Nibelungen oder Theile
des Heldenbuchs sind, spätere Abschriften ungleich bedeutender
werden und vielleicht der vollständige Abdruck aller Varianten 20^6
wünschenswerth ist. Hat nun glücklicherweise der Herausgeber
eine gute Handschrift aufgetrieben und stimmt diese hochdeutsch
(denn es gibt auch sehr frühe im 13. Jahrhundert von nieder-
deutschen und halbniederdeutschen Copisten geschriebene, die
man nicht zum Grund legen darf, obwohl sie sonst besondere
Rücksicht verdienen), so muss er den Text nach den Regeln
der damaligen Sprache prüfen und sichten, wird aber damit im
Allgemeinen noch nicht ausreichen, sondern seine zweite Sorge
muss dahin gerichtet sein, dass er die Eigenthümlichkeit des
Dichters in Mundart und Stil theils aus dem vorliegenden
Werke selbst, theils aus anderen vorhandenen Werken desselben
zu erfassen und darnach den Text zu stellen suche. Ein treff-
liches und die grosse Mühe reichlich (auch in anderen Absichten)
lohnendes Mittel sind hierbei umständliche und ins Kleinste
gehende Wörterbücher, die sich der Herausgeber noch genauer
für sich anlegen muss, als er sie etwa dem Publikum mitzu-
W. GEIMM, KL. SCHRIFTEN. U. 16
242 BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE.
theilen denkt. Auf diesem einzigen Wege werden wir allmählich
dahin gelangen, die Werke unserer ausgezeichneten Dichter des
13. Jahrhunderts in ihre wahre, ursprüngliche Gestalt kritisch
herzustellen und demnächst sogar die Bekanntmachung einzelner^
die sich nur in späteren schlechten Handschriften erhalten haben,
sobald der Dichter aus anderen Quellen studirt werden kann,
mit sicherem Erfolge zu versuchen. Einen Fall letzterer Art
haben wir oben bei Rudolfs gutem Gerhart bezeichnet. Wie
erwünscht und förderlich wäre eine Ausgabe der operum
omni um dieses Dichters, und wie musterhaft könnte sie ein-
gerichtet sein! Gelehrte Gesellschaften und Regierungen Deutsch-
lands müssen aber die Erscheinung von 4 bis 5 Bänden unter-
stützen, wenn einzelne Verleger sich kaum zu einem Bande be-
wegen lassen.
Nach guten kritischen Grundsätzen ist inzwischen bei dem
Barlaam und vornehmlich bei dem Wigalois verfahren, und wir
sagen nicht ein vollkommener, aber ein ziemlich und beinahe
vollkommener Text geliefert worden. Dem Barlaam hat Hr.
Köpke eine Königsberger Handschrift zum Grund gelegt, eine
zweite Königsberger und eine Berliner zugezogen. Genauere
Untersuchungen über das wahrscheinliche Zeitalter der Hand-
schriften mangeln, beide Königsberger scheinen schon aus dem
14. Jahrhundert, die Berliner ist noch später und schlechter.
Allein auch die bessere Königsberger verdient keineswegs den
Namen einer trefflichen (vgl. Lachmanhs Bemerkung S. 428);
unter solchen Umständen hat der Text, zumal in grammatischen
Verhältnissen, nach den bisher erkannten Regeln der hoch-
deutschen Sprache des 13. Jahrhunderts inj Allgemeinen be-
richtigt werden müssen, was zwar mit grossem Fleisse, jedoch
keineswegs genügend geleistet worden ist. Dass sich der Heraus-
geber weder um die Hohenemser noch um die Münchener Hand-
2087 Schrift (letztere von 1284 und in bairische Mundart umge-
schrieben, jene wohl auch aus dem 13. Jahrhundert) bemühet
hat, bleibt zu bedauern. — Dem Herausgeber des Wigalois
stand eine Kölner, beinahe gleichzeitige aus dem Beginn des
13. Jahrhunderts, eine Leidener von 1392 (auf welche Hrn.
Beneckes Auszüge in der Vorrede zu dem holländischen Abdruck
BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE. O43
des Teutonista führten ; noch häufigere hätte er schon in
Huydecopers Erläuterungen des Melis Stoke finden können),
eine Bremer von 1376 und eine Hamburger von 1451 (ausser
anderen Bruchstücken) zu Gebote. Hier ist mithin alles besser
bestellt und die Kölner natürlich zum Grund geleoft. Auch sind
keine anderen guten Handschriften des Wigalois sonst entdeckt
worden.
In Absicht auf äussere Einrichtung des Abdrucks bemerken
wii-, dass sie bei Barlaam ungleich gedrängter und sparsamer
ist; 16060 Zeilen sind auf 402 Spalten, folglich 201 Blattseiten
abgredruckt worden, während die 11708 Zeilen des Wioralois
429 Seiten (etwas kleineren Formats) einnehmen. Dieses erhöht
freilich die Kosten des Verlags, wenn indessen nur lauter solche
gediecrene Arbeiten im Fache der altdeutschen Litteratur er-
schienen und die unreifen hinterblieben, so würde man doch
sparen, und die Form des Wigalois gereicht zur Bequemlich-
keit beim Gebrauch. Auch die neue Art von Bezifferung,
welche beim Barlaam versucht worden ist, so dass nicht fort-
laufend die Zeilen des Ganzen, sondern für jede Spalte bezeichnet
werden, will uns nicht gefallen. Sie hat etwas Unsinnliches
und erspart beim Citiren nichts. (Sp. 147 — 150 sind richtig
beziffert, allein im Satz verrückt, man lese auf Sp. 146 die
rechte Seite des folgenden und dann erst die linke des vor-
stehenden Blattes: auf die Worte: der tohter was er vil
bereit folgt: diu wart im sa gegeben.)
Was wir grammatisch und orthographisch an den beiden
Texten (am Wigalois fast bloss in letzterer Rücksicht) auszu-
setzen hätten, das theilen wir hier nicht mit, weil die Litteratur-
zeitungen dergleichen ins Einzelne und Umständliche gehenden
Bemerkungen ungern den gebührenden Kaum gestatten, überdem
die Druckereien nicht mit den nöthigen Schrif\zeichen versehen
sind, und was das Schlimmste ist, der Abdruck nicht unter
den Augen des Rec. geschehen kann, also unvermeidliche Druck-
fehler zu befürchten sind, die den Werth der Kritik schmälern.
Vielleicht gehören auch dergleichen Dinge besser für die Heraus-
geber, als für ein gemischtes, sie leicht missdeutendes Publikum,
und Rec. (um nicht in den S. 436 von Hrn. Lachmann aus-
16*
244 BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE.
gesprochenen Vorwurf zu fallen) begnügt sich, zu bemerken,
dass er eine ausführliche grammatische Durchsicht vorgenommen,
auch dem Herausgeber des Wigalois besonders mitgetheilt hat
und Hrn. Prof. Köpke ebenfalls mitzutheilen bereit ist.
2088 Ein Gleiches gilt in Ansehung der Bemerkungen, welche
wir der Natur der Sache nach etwas häufiger zu den beiden
Ausgaben beigefügten Wörterbüchern zu machen hätten. Denn
im Text stellen sich die einzelnen grammatischen Formen
meistens von selbst richtig auf; in dem Wörterbuche hat die
Angabe der vollständigen Verhältnisse jedes Worts schon grössere
Schwierigkeit. Dem Publikum muss aber gesagt werden, dass,
wiewohl beide Glossare sehr fleissiff gearbeitet sind und dem
Studium der alten Sprache gewiss förderlich sein werden, das
Beneckische (auch mit dem besonderen Titel: Anmerkungen
und Wörterbuch zum Wigalois S. 430 — 476 ausgecrebene)
vorzüglicher Auszeichnung werth ist. Rec. erinnert sich
keiner gleich treflflichen Arbeit im ganzen Fache altdeutscher
Litteratur. Die wahren Stämme und Ableitungen dunkler
Wörter zu finden und anzugeben ist öfters sehr schwer; aber
noch ungleich schwerer scheint es, Wörtern, deren Wurzel und
Bildung durchaus klar ist, den Begriff nachzuweisen, den sie
in einer verflossenen Zeit, häufig ganz verschieden von dem
einer früheren oder späteren, gerade gehabt haben. Nicht bloss
die Formen und Endungen der Wörter sind einem unaufhör-
lichen Wechsel unterworfen; auch ihre Bedeutung und das,
was ihre Seele heissen kann, ändert sich und hat Übergänge.
Z. B. unsere heutigen Ausdrücke: fromm, klein, krank, mögen,
können usw. finden sich auch in der alten Sprache, bedeuten
aber ganz etwas anderes, und wörtliche Übersetzungen der ver-
alteten Form in die neue würden den Sinn am meisten ge-
fährden. Den damaligen Begriff äusserlich leicht aussehender,
innerlich sehr verschiedener Wörter aufzuspüren scheint uns
ein löbliches Ziel Hrn. Prof. B., und er ist darin ungemein
glücklich. Man sehe die Wörter: aventiure, besch renken,
buhurt, poinder und viele andere, deren Erläuterung einen
dem Wörterbuch vorgesetzten Spruch (plus habet operis, quam
ostentationis) reichlich bewährt. Eine schöne Ausführung der
BARLAAM TON KuPKE UND WIGALOIS VON BENFXKE. 945
mehrfachen und schwankenden Bedeutungen liest man bei dem
Worte palas, das zwar von palatium abstammt, alllein mit
dem Beorriflf unseres heutigen Palast ffar nicht zu verwechseln
ist. Rec. will hier Einiges über die Geschichte dieses Aus-
drucks, sowie über ähnliche für das Bauwesen im Mittelalter
gültige Benennungen zufügen. Der Name palas wurde, scheint
es, erst im 12. und 13. Jahrhundert aus dem französischen
palas (palaz, später palais) eingeführt und statt der früheren
echtdeutschen Ausdrücke: sal, hof, halle, auch wohl hus und
bürg gebraucht. Allein unsere Sprache hatte schon viele Jahr-
hunderte früher das Wort palatium in sich und zwar aus der
Griechischen Form -a/.XavTiov aufgrenommen.
Bereits vom 7. Jahrhundert an findet sich das Femininum 2089
phalanza, phalinza, falanza, späterhin phalenze in mehr-
fachem Sinn, bald für basilica(gl. Mons. 331. 382), praetorium
(daselbst 398), bald für aula, gleichbedeutend mit Hof und
phorzih (Symbolae 194). Ottfried nennt Marias Wohnung
palinza (I, 5, 17) und Pilatus Prätorium palinz-hus (IV, 20, 6),
es unterliegt ' keinem Zweifel, dass man ein jedes ansehnliche
öffentliche Gebäude, voraus Kirchen und Königswohnungen mit
diesem Namen beleo^te. In encrerem Sinn oralt er vorzüglich
von dem Hofe des Königs, es bildeten sich Dienste und Ge-
wohnheiten der Pfalenz (Pfalz), leges palatinae (Lamb.
schafhab. ed. Krause S. 159. 220. 245) und die Würde der
Pfalzgrafen. Eine Glossensammlung des 12. Jahrhunderts (Sym-
bolae 303), nachdem sie palas und p alenze als zweierlei
Ausdrücke aufgestellt hat, fügt hinzu: sed Francorum lingua
eodem verbo significatur et aedificium et officium, cum dicitur
p alenze. Da man in neueren Zeiten die Geschichte unserer
Architektur mit verdienter Aufmerksamkeit betrachtet, so ist der
frühere Gebrauch der aus dem Byzantinischen mit der Bau-
kunst selbst (seit dem 5. und 6. Jahrhundert?) eingeführten Be-
nennungen palanza und kirihha (■/.•joiotzT-, dominica) sicher
zu beachten. Eben dahin gehört das gleichfalls alte phorzih
(Masc, im Plur. phorzihha), angelsächsisch portic, aus dem
lateinischen porticus stammend und zuweilen mit phalanza
gleichbedeutend (Symbolae 194), gewöhnlich aber den Vorhof der
246 BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOTS VON BENECKE.
Kirche oder des Palastes (aula, atrium, vestibulum, peri-
bolus, pastophorium, doma) bezeichnend (gl. mons 337.
341. 361. 362, Symb. 202. 231. 234). In diesem Sinn spricht
Lamb. schafnab. (p. 128) von einem atrium palatii. Es war
natürlich, dass in der Kirchenbaukunst die altdeutschen, viel-
leicht an das abgeschworene Heidenthum mahnenden Ausdrucke
den fremden weichen mussten; einen solchen mag selbst hof
(atrium bei Notker 95, 7) gehabt haben. Eine sorgfältige
Untersuchung der deutschen Bauwörter nach Zeiten und Völker-
schaften wäre gewiss fruchtbar; dergleichen sind alh, gothisch
2090templum, altsächsisch alah; rohsn, gothisch atrium; razn
gothisch domus, isländisch rann; hochdeutsch folgende:
gadam (Gaden), flezzi (atrium, isländisch flet), zimbar
(Zimmer, timbr) und andere. Keminate ist weit jünger und
entweder lateinischen Ursprungs (der Heizbarkeit wegen von
camin us), oder slavischen (polnisch kamienica, steinernes
Haus); seine damalige Bedeutung und Identität mit gadem
setzt der Herausgeber des Wigalois ins Klare.
Zu den S. 433 — 510 enthaltenen, wichtige Varianten mit-
theilenden und besonders dunkele Stellen beleuchtenden An-
merkungen ist uns beim Durchlesen ein und das andere ein-
gefallen, was wir hier mittheilen wollen. Z. 57 „sit ich mich
guotes alrerst versan" wiederholt sich 976. 6855 und heisst
soviel als: von Kindesbeinen auf, sobald ich unterscheiden lernte,
was Gut und Bös sei. Liechtenstein (Man. 2, 26a) „sit daz
ich verstuont beidiu übel und guot." — Z. 341 „biderbe
und frumech" steht ebenso zusammen in Wernhers Maria 4133
und Wigamur 2517. — Z. 788. Bedenklich scheint die Aus-
legung der Worte: „geworht ane zungen" durch: Dichter-
gebilde abgerechnet. Von einem Abrechnen, Ausnehmen hat
der Text nichts, denn ane steht nicht vor geworht, sondern
vor Zungen, ane kann aber auch nicht soviel wie an und der
Satz: gedichtet mit der Zunge, d. h. Poesie, Sprache bedeuten
sollen, denn in dieser Construction wird mit erfordert (Z. 782.
4471). Entweder also müssen die Worte „geworht ane
Zungen" aussagen: nicht mit der Zunge (durch die Zunge,
nämlich Sprache, Poesie) geschaffen, folghch: wirklich lebend,
BARLAAM VON KÖPKE UxND WIGALOIS VON BENECKE. 247
oder zungenlos erschaffen, d. h. als Bildsäule oder Gemälde,
denen der Schein der Oberfläche, kein inneres Leben zusteht,
folglich: sprachlos, unlebend. In keinem Fall dürfen die
Worte eingeklammert werden. — Zu Z. 1605 wird die alte
Bedeutung des Wortes rede: ratio, Rechenschaft angemerkt.
In früherer Zeit galt redihaft für rationabilis, und noch
im heutigen Holländisch steht redene für Rechenschaft. Dies
alles ist in der Philosophie der Sprache tief gegründet, die Be-
griffe, welche sich im lateinischen ratio, oratio, numerus usw.
begegnen, erscheinen auch im gothischen rathjo (Rechenschaft
und Zahl), im althochdeutschen redia; Zahl (zala, tala)
drückt numerus, lingua und solertia aus. — Z. 2319 — 24
klagt der Dichter über die Sitte seiner Zeit, den besiegten
Ritter der Rüstung zu berauben; ebenso Reinmar von Zweter209l
(Man. 2, 129b) „do hete man umbe eine deke un gerne
erwürget guoten man." Allein dies Lob der besseren alten
Zeit ist hier, wie so häufig, ungegründet, und das spolium
(re-roup Parc. 1414L 14176 [473, 29. 475, 5], sonst auch
wala-rauba, val-rän) war uralte Gewohnheit aller frühen
Völker; vgl. Waltharius 1187: Caesos spoliarier armis, 205
tum super occisos ruit et spoliaverat omnes; Hildebrands-
lied Z. 50 und das homerische -su/sa a-jXav. Z. 2358 ff", wird
wiederum Alt und Neu gegeneinandergestellt : eine Jungfrau dürfe
nicht mehr allein reisen, ohne in Gefahr und übelen Ruf zu fallen.
Man vgl. dazu Wigamur 5389 und Reinmar von Zweter (2, 152 b).
— Die Anmerkung zu Z. 2861 über Hoyer von Mansfeld dient
zur Ergänzung von Grimm deutsche Sagen No. 487; man vgl.
auch Helmoid. chron. slav, S. 36. — Z. 3522 bei der Redensart
„gan lan" (gehen lassen) ist zu verstehen: diu ors oder daz
ors, und mit dem Streitross ablenken oder herzureiten wird
durch: von einander oder zuo einander gan lan (1993)
ausgedrückt. Auf ähnliche Weise: He hine gan (ritt fort)
Tristan 8995. 9049. 9080. 15912. 16048 und: lie naher strichen
Parc. 20308 [679, 25], Oranse 2, 146a [Will. 324, 20]. Zu-
weilen sind aber auch andere Substantive bei dergleichen
Redensarten zu subintelligiren. — Aus Z. 6145 wird bewiesen,
dass diese Gedichte für Zuhörer, nicht für stumme Leser be-
248 BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE.
stimmt waren. Darum heisst es häufig in Beziehung auf das
laute Vorlesen: munt nie gelasZ. 11569 und Parc. 9394 [315,
14], S. Georg 4993, Orlenz 16—20. Ein stilles Für-sich-Lesen
kommt indessen auch vor, z. B. in Conrads Erzählung von
Wirnt Z. 55 — 62. — Den sorgfältigen Nachweisungen der
Fabel vom Salamander und Samanirit zu Z. 7435 wüssten wir
gegenwärtig nur eine Stelle im Laurin (Symb. 68. 69) beizu-
fügen. — Z. 7462. Die Wortfügung, welche den Nominativ
vorausschickt und dann das Pronomen im nöthigen Casus folgen
lässt, kommt überall in der altdeutschen Sprache vor und schon
in Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts. Auch die zu Z. 8660
bemerkte Unterbrechung der Rede durch Fragen lässt sich durch
eine Menge von Beispielen erläutern. Aber so vergessen ist
die alte Syntax unserer Sprache, dass dergleichen Dinge den
Grammatikern unerhört und neu dünken werden! — Z. 8920
wird gelac (endigte) von dem blossen lac (lag) richtigi unter-
schieden. Der Nachdruck beruht auf der Vorsilbe ge- (xcz-a-),
und gelag kommt unserem heutigen „lag dahin, danieder" bei.
Man muss daher sagen: „daz her lac uf dem velde", aber;
„er gelac tot oder sigelos" — Z. 9089 „sper von angeran,
angran" heisst im Parcifal 10000. 11479. 21027 [335, 20. 384,
29. 703, 24] an gram (im Reim auf: nam). Es ist der Name
eines Ortes, wo besonders starke Speere verfertigt werden
mussten, wie man aus sper von troys (Troyes in Campagne)
Parc. 8586 [288, 16] entnehmen kann. Vermuthlich wird Agram
in Croatien gemeint. — Z. 9525 „die sines ortes waren geil'*
2092 kann sines schwerlich auf die Fürsten bezogen werden , weil
es sonst nach der Grammatik heissen müsste: ir ortes, und
ieslicher schwerlich als ausgelassen hinzugedacht werden darf.
Hr. Benecke versteht unter Ort das Land, womit einer belehnt
wird. — Sollte es nicht vielmehr die Spitze des Speers,
Scepters oder der Fahne bedeuten, welche symbolisch von dem
Lehnsherrn gegen den Vasall bei der Übergabe des Lehns ge-
senkt wurde? Sines ortes gienge alsdann auf den belehnenden
König, die belehnten Fürsten waren seines Scepters oder seiner
Belehnung froh, standen gern unter einem so mächtigen Ober-
herrn. Die ganze Stelle hat Wirent von Grafenberg aus dem
BARLAAM VON KÖPKE UND WIGALOIS VON BENECKE. 249
Parcifal 1527 [51,28] entlehnt, wo auch 1528 [51, 29] folgt: doch
beleip der bezzer teil gamurete, wie hier 9524 iedoch
beleip im der beste teil. — Z. 10494 steht: ouch lagen
im geliche zwey richiu kunechriche, welches erklärt
wird: zwei mächtige Reiche grenzten an sein Land. Dieses
Grenzen ist zu bezweifeln. Geliche (Adv.) ligen oder auch
stehen heisst wohl nichts als: aequipollere, aequiparari(Nibel. 449
[113, 1]. Parcif. 13423 [449, 28]), in unserem Zusammenhang:
sie kamen ihm gleich an Macht, und er wusste sich ihrer doch
zu erwehren. Die Redensart: gelich (Adj.) sin (auch mit
dem Dativ) findet sich bei den alten Dichtern weit häufiger
und muss auf mancherlei Weise verstanden werden.
Der Herausgeber des Barlaam hätte dunkele oder merk-
würdige Stellen seines Textes mit ähnlichen Erläuterungen aus-
statten sollen, z. B. Spalte 79 die jüdische Fabel von dem un-
geheueren Fisch Leviathan, dessen Wange Christi Tod mit der
Angel durchbohrte, eine merkwürdige Anspielung auf die mid-
gardische Schlange, welche in Thors Angel biss und dann wieder
ins Meer versank (s. Hymisquida). Die Stelle von den fünf
Kasteiungen Sp. 377 — 380 kann mit Notkers Auslegung der
Psalmen 9, 1 verglichen werden, die lateinische Erzählung von
Barlaam und Josaphat, wie sie in der legenda aurea steht, ent-
hält nichts davon. Dergleichen wäre vieles anzubringen.
Die Namen der Orter und Personen (die man im Wigalois
lieber in einem besonderen Verzeichnis, nicht unter den anderen
Wörtern läse) hat Hr. Köpke gar nicht mit ins Glossar ge-
bracht; es sind ihrer freilich nur wenige. Aber eine das Nach-
schlagen erleichternde Inhaltsanzeige ist dem Barlaam vorgesetzt,
die wir beim Wigalois vermissen. [anonym.]
250 EDDA SAEMUNDAR II.
116 EDDA SAEMUNDAR HINNS FRODA.
Edda rhythmica seu antiquior, vulgo Saemundina dicta. Pars 11. Odas mythico-
historicas continens. Ex codice bibliothecae regiae havniensis pergameno nee
non diversis legati ama-magnaeani et aliorum membraneis chartaceisque
melioris notae manuscriptis. Cum interpretatione latina, lectlonibus Tariis,
notis, glossario vocuni, indice nominum propriorum et rerum, conspectu argumenti
caiTuinum et IV appendicibus. Hav. 1818 in 4to. XXXFV et 1010 pag.
Hermes oder kritisches Jahrbuch der Literatur. [Zweiter Jahrgang.] Erstes
Stück für das Jahr 1 820* Nr. V. der ganzen Folge. Amsterdam in der Ver-
lags-Expedition des Hermes. 1820. (Leipzig in Commission in der Bach-
handlung Brockhaus.) gr. 8. pag. 116 — 129.*)
xAuf die mythischen Lieder, welche der erste Band,
dessen Beurtheilung nicht hierher gehört, enthält, folgen in
natürlicher Ordnung die epischen oder, wie sie nach der An-
sicht der Herausgeber genannt sind, die mythisch-histori-
schen. Sie sind auf folgende Weise eingetheilt: 1) Das Lied
von Wölund. 2) Lied von Helge dem Haddingenheld
(dem Sohne Hiorvards) oder das erste Lied von Helge.
3) Lied von Helge dem Hundingstödter oder das zweite
li7Lied von Helge. 4) Das andere Lied von Helge dem
Hundingstödter oder das dritte Lied von Helge. 5) Von
dem Tode Sinfiötles. 6) Gripers Weissagung oder das
ersteLied von Sigurd dem Schlangentödter. 7) Zweites
Lied von Sigurd, erste Abtheilung. 8) Zweites Lied
von Sigurd, andere Abtheilung. 9) Das erste Lied von
Brynhild oder Sigurdrifas Lied. 10) Drittes Lied
von Sigurd. 11) Bruchstück aus dem zweiten Liede von
Brynhild. 12) Todesfahrt von Brynhild. 13) Das erste
Lied von Gudrun. 14) Mord der Niflungen. 15) Das
zweite Lied von Gudrun. 16) Das dritte Lied von
Gudrun. 17) Klage der Oddrun. 18) Das grönländische
*) [Die Red. bemerkt hierzu: „Aus Unachtsamkeit des Setzers erscheint
■diese Beurtheilung an dieser Stelle. Sie sollte unmittelbar dem ersten Auf-
satze in diesem Stück über die altnordische Litteratur folgen, da sie
mit diesem gewissermassen ein Ganzes ausmacht." Letzterer wird den
dritten Band der Kleineren Schriften eröffnen.]
EDDA SAEMUXDAR II. 251
Liied von Atli. 19) Die grönländischen Lieder von
Atli. 20) Das Lied von Hamdir. 21) Der Gudrun Auf-
reizung. Hierbei ist zu bemerken, dass Nr. 5 und 14 nur
kurze prosaische Stücke enthalten und nicht mehr die Lieder
selbst, so dass deren in der That nur 19 sind. Dagegen ist
noch zugefiigt 22) Grou Galdr, Zauberruf der Groa, der aber
nicht hierher gehört, sondern als eine Zugabe zu den mythischen
Liedern des ersten Bandes zu betrachten ist. Als Anhang ist
Gunnars-Slagr (fidicinium Gunnaris), eine neuere, aber ge-
schickte Nachahmung, mitojetheilt. — Das erste Lied von
AVölund steht hier nur in einer entfernteren Beziehung auf den
Fabelkreis, hätte aber, zumal da sich die nähere Verflechtung
damit aus der Wilkinasaora ergribt, nicht fehlen dürfen. Die
drei Helgenlieder und das Bruchstück von Sinfiötles Tod sind
gleichsam die Vorgeschichte der Fabel, deren engeren Ring die
sechszehn oder, nach obiger Bemerkung Nr. 14 nicht mitgezählt,
die fünfzehn Rhapsodieen Nr. 6 bis 21 bilden. Bei den Über-
schriften scheint uns das Zusammenfassen und die daher ent-
standenen L^riterabtheilunoren in Ziflern nicht orünstior: so ver-
^virrt man leicht Nr. 6. 7. 8 und 10, und es ist viel natürlicher,
Nr. 6 bloss Gripisspä und Nr. 8 Fafnismal zu nennen.
Was zuerst den Text betrifft, so liegt die beste Handschrift
von Pergamen auf der königl. Bibliothek zu Grund, eine noch
vorzüglichere auf der Universitätsbibliothek besteht leider nur
aus sieben Blättern; unter den papiernen, welche benutzt sind,
ist die Suhmische anzumerken, weil sie eine andere Recension
als die königliche enthält, wenigstens nach der Meinung des
Gudmund Magnäus; man vergleiche deshalb S. 326 N. d. —
Die Feststelluncr und Vero'leichuncr des Textes und Ausarbeitunsr
der Noten war zwei Stipendiaten des Arnamagnäanischen Instituts,
Gudmund Magnäus, der schon am ersten Bande gearbeitet 118
hatte, und John Johnson, dessen schon oben [Hermes S. 7]
bei der Niäla-Saga rühmlich gedacht ist und der gleichfalls beim
ersten Bande thätig gewesen, aufgetragen; beide waren Isländer,
um des grossen Vortheils, welche diesen die Muttersprache bei Er-
klärung der alten Gedichte gewährt, nicht zu entbehren. Jetzt
zeigte sich jenes Schicksal, das die Herausgabe der altnordischen
252 EDDA SAEMÜNDAR II.
Denkmäler auf eine so eigene Weise begleitet. Die langsam
vorrückende Arbeit war im Anfange des Jahres 1793, also vor
25 Jahren beendigt, doch bei genauer Prüfung sahen sich die
Ephoren des Instituts damit nicht völlig zufrieden gestellt;
Gudmund war hin und wieder zu weitläuftig, in der Kritik
aber und dem Commentar zu eilfertig gewesen. John Olafs en
(von Svefnöe, Hypnonesiensis, von dem es in der Vorrede
heisst : in poesi septentrionali facile princeps), einer der Ephoren,
übernahm eine Durchsicht und Überarbeitung, so wie beim
ersten Bande durch Gunnar Paulsons Commentar die Über-
setzung des Gudmund Magnäus berichtigt war. Mancherlei
Hindernisse, endlich Altersschwäche waren Schuld, dass er die
Arbeit nur bis etwas über die Hälfte vollenden konnte. Das
Unternehmen stockte jetzt lange Zeit. Als man endlich, nachdem
John Olafsen und Gudm. Magnäus gestorben waren, John
Johnson aber nach Island zur Verwaltung eines Amts zurück-
gekehrt, mit dem Drucke des einmal Vorhandenen beginnen
Avollte, zeigte sich eine neue Widerwärtigkeit: von den zwölf
durch Olafsen zum Drucke ausgearbeiteten Liedern waren zwei,
die beiden Lieder von Helge dem Hundingstödter , abhanden
gekommen. Diesen Verlust zu ersetzen, die Indices und ein
noch ganz fehlendes Glossarium abzufassen, wurde der durch
gelehrte Arbeiten schon bekannte und im Herbst 1812 aus
Island nach einem elfjährigen Aufenthalte zurückgekommene
Finn Magnussen ausgewählt. Eine andere, aufs Neue von
Hallgrim Scheving auf Island unternommene Bearbeitung
der beiden Helgenlieder kam zu spät und konnte nur im Glossar
und bei den Indicibus benutzt werden. Fünf Jahre waren zu
dem Drucke nöthig.
Von einem Texte, an welchem vier und zumal darunter
ausgezeichnete Kenner der altnordischen Sprache und Dichtung
gearbeitet, lässt sich schon etwas Vorzügliches erwarten. Die
Vortheile einer solchen Gemeinschaft sind so überwiegend, dass
der Nachtheil derselben, wohin man die immer etwas verschiedene
zu Grunde gelegte Ansicht von kritischer Behandlung rechnen
kann, nicht in Betracht kommt. G. Magnäus scheint am ge-
neigtesten zu Conjecturen gewesen zu sein. Im Ganzen also
EDDA SAEMUNDAR II. 253
betrachtet , haben wir einen sorgfaltigen und lobenswürdigen 119
Text und eine fleissige und genaue Übersetzung erhalten,
gleichfalls ist in den Anmerkungen viel Schätzbares, zum Ver-
ständnisse des Einzelnen Führendes enthalten. Eine auf diese
Vorarbeiten sich stützende, aus einem Gusse gearbeitete, reinere
Recension (welcher dann auch manches geringerer Art,
z. B. eine folgerechte Orthographie von selbst zuföllt) wird
nicht ausbleiben. Manches für die höhere Kritik wird sich,
wenn man Zeit und Stil der verschiedenen Lieder genauer zu
unterscheiden orelemt hat. auch die Weise ihrer Auffassung
näher kennt, ergeben; ferner muss die beständige Rücksicht
aufs Metrum noch Verbesserungen herbeifuhren. So hätten
wir bei dem Wölundshed nach erster Durchsicht etwa folgende
Anmerkungen zu machen, die, zumal da sie in dem manches
Vortheils beraubten Auslande entstanden sind, auf Nachsicht
Anspruch machen. Str. 1 und 3 orlog drvgia, ut fata con-
stituerunt, orlog hat aber hier gewiss die nähere Bedeutung
von Krieg, wie auch im contextus p. 964 vermuthet wird;
die AVahlküren wollten in den Krieg ziehen, das Schicksal der
Schlacht zu bestimmen. Str. 2 svanfiadrar drö, hier scheint,
wie wir schon bemerkt, eine Zeile zu fehlen, etwa: er Slagfinni
hendur um sleyngdi. Str. 3 thrädo, desiderio tenebantur
(Note 9 ist der zwar richtige Infinit, threya angegeben, aber
thrä kommt nur im Glossar vor), dieses Wort scheint eigen-
thümlich das Treibende, die Unruhe der Wahlkflren zu be-
zeichnen, daher heisst es auch in Hrafnagalldr (Edda I, p. 206):
ihra walkyrior. — naudr um skildi, uecessitas rem mu-
tavit; Finn Magnussen erklärt uecessitas hernach noch durch
fatum, da aber die Wahlküren selbst das Schicksal bestimmen
und von sonst einer Nothwendigkeit nicht die Rede sein kann,
so empfiehlt sich eine andere Erklärung von naudr durch ne-
cessitudo, Verwandtschaft (wie in Atlamiü naudmadr homo
necessarius vorkommt). Band, Ehe: skildi wäre dann passive
zu nehmen; auch ist in der Niäla von skil und skilit bemerkt,
dass dieser Ausdruck bei Ehescheidungen gebraucht wird.
Der Sinn der Stelle also wäre: ihre Ehe ward aufgelöst.
Str. 5 ist der Alliteration wegen statt liüsar quanar zu lesen:
254 EDDA SAEMUNDAR IL
biartar. Str. 6 vegreigr und Str. 8 vedreygr, da jedesmal
der Zustand des von der Jagd zurückkehrenden Schützen be-
schrieben wird, auch der vorangehende Halbvers derselbe ist,
so müssen beide Worte wohl in Übereinstimmung gebracht
werden, was auch dem epischen Stile nach nothwendig ist.
120 Periculis strenuus scheint aber hier passender als eundo alacer.
Str. 6 negldar bryniar, dazu ist eine Stelle aus dem Nibe-
lungenlied anzuführen „von genagelten riehen pfellen vil
der Schilde breit" (Hohen-Ems. Hs. zu Wien 5189 [1234, 2 C]).
Vgl. auch Wigalois von Benecke v. genagelt. — Str. 14 die letzte
Zeile: era sa nu hyrr, er or holti ferr bezieht G. Magn.
auf Wölund, der in die Gefangenschaft abgeführt werde, das
geht nun wohl den Worten nach (ob es gleich natürlicher hiesse:
der aus dem Hause weggeführt wird), aber dann stehen die
vorangehenden Zeilen ganz abgerissen. Finn Magnussen be-
zieht es daher auf Nidud und legt dem Wölund die Worte
in den Mund, allein Nidud fährt ja nicht eben aus dem Holze^
den Wölund zu besuchen, er ist längst da, war versteckt und
Wölund weiss nicht, wo er herkommt. Der Sinn der ganzen
Strophe bleibt also dunkel, wahrscheinlich ist sie verderbt, und
sie nach der dritten zu setzen scheint doch noch das beste Aus-
kunftsmittel. Wie sollte Wölund, der sich beklagen will, an-
fangen, dem Nidud von seiner Familie vorzuerzählen? Über-
haupt lässt das Lied hin und wieder verderbte und zerstückelte
Stellen vermuthen, z.B. bei der Wiederholung Str. 4 und 8:
kom thar usw. Man sieht wenigstens nicht, warum Str. 4 nicht
auch Wölund bei den von der Jagd Zurückkehrenden genannt
wird, da er doch musste mit den beiden anderen ausgezogen
sein. Str. 20 yccr lät für iJitc. Str. 22 seldi ist wohl, wie
Str. 23 und 33, in sendi abzuändern, der epischen Einförmigkeit
wegen. In Str. 24 fehlt wahrscheinlich eine Zeile, worin es
heisst, dass Baudvild den Ring zerbrach. Str. 26 das schwere
Wort ividgiarn ist* hier durch ividgrannr, welche Leseart
aucli vorkommt, neutiquam tenuis erklärt (im Glossar fehlt es
ganz). Olafsen schlägt in der Note vor i vid giör, im Walde
vollbracht, und bezieht es auf jenen dem Wölund im Walde
geraubten Ring; das ist scharfsinnig, allein die Übereinstimmung
EDDA SAEMUNDAR II. 255
mit dem invidies-gern, fraudulentus , in der altsächsischen
Evangelienharmonie ist zu wichtig, um das Wort nicht zu er-
halten; ivid ist altdeutsch: fraus, dolus malus, angelsächsisch
inwit. Str. 27 wünscht Wölund, dass ihm seine Sehnen nicht
zerschnitten wären und er noch auf seinen Füssen stehe, dann
heisst es unmittelbar: lachend hob er sich in die Höhe. Dabei
steht die unpassende Anmerkung: poeta Volundum mira quadam
et supernaturali ratione voti compotem factum esse praedicat.
Wir wissen aber aus der Wilkinasaga Cap. 20 bestimmt, dass
er durch Hilfe eines kunstreich verfertigten Federkleides ent-
fliegt; die Strophe, die dies erzählt, ist wiederum untergegangen.
Str. 35 Nidud sagt, niemand sei so gross, dass er den Wölund 121
vom Pferde ziehen könne, d. h. dieser schwebt in der Luft,
sein Pferd ist die Luft. Str. 39 bei augurstund, hora molesta,
wäre doch wohl die andere Lesart angurstund. Angststunde,
vorzuziehen, wie angrliod vorkommt. Str. 39 steht Nidadr
wie sonst auch, dagegen Str. 29 Nidudur, diese Form aber,
welche auch die bessere scheint, ist nur in den Index der Eigen-
namen aufgenpmmen.
Auf diese Weise fortzufahren, würde hier zu weit führen,
wir heben daher aus den anderen Liedern nur einiges aus. S. 43
Str. 28 mund heisst Hand und threnuar mundir meyia
heisst: dreierlei Jungfrauen. S. 51 Str. 40 hug skalltu deila,
weder die Erklärung von G. Magnäus: animi affectum moderare
passt zu den Worten, noch die von Olafsen: animi aflectum
dividas (inter me et fratrem) in den Zusammenhang. Theile
meine Gedanken heisst hier : höre mich an, habe Acht auf meine
Worte, was in der folgenden Strophe heisst: ef thu vill mino
mali hlyda. S. 90 Str. 4 hvar her megir heyia eigudi, es ist
ohne Zweifel wegen der in der folgenden Strophe entsprechenden
Antwort zu lesen: heima eigudi. — S. 108 at lithi lofdüngs,
super populum regis; es scheint aber dem Zusammenhang an-
gemessener zu verstehen: at hlithi, an dem Grabhügel, wo
der Verstorbene leuchtend erscheint. — S. 172 Anm. 13 soll
api, Affe, als ein neueres Wort in den Text nicht passen, dennoch
kommt es ganz auf diese Art und mit demselben Beiworte osvidr
in Hävamäl und Grimnismal vor. — S. 234 soltnar thyar hat
256 EDDA SAEMUNDAR II.
in dem Zusammenhange die alte Bedeutung: todte Mägde.
Sie sagen: genug sind todt (werden mitverbrannt), wir wollen
leben; vergl. Str. 65. — S. 243 miotudr ist hier bedeutender
(wie es auch S. 347 Str. 14 vorkommt) der Weltschöpfer, das
Schicksal, obgleich auch Schwert einen natürlichen Sinn gibt.
— S. 300 Str. 13 heisst es, sie stickte: sali suthrAna ok svani
danska, deutsche Häuser und dänische Schwäne; hier scheint
aber svanr für Frau zu stehen, was einen natürlichen Gegen-
satz zu den Häusern und einen besseren Sinn an sich gewährt.
In Hrafnag kommt svanni für femina vor. — S. 334 Str. 10
ist sva übersetzt durch ita und angenommen, dass bot fehlt,
sva bot Gudrun sinna harma, so rächte Gudrun ihre Leiden;
es scheint aber sva hier von einem Verbum herzuleiten, das
wie sväfa (unser altdeutsches entschweben) besänftigen, sopire
bedeutet. So stillte sie ihren Kummer, freilich: indem sie sich
122 rächte. — S. 358 Str. 30 ist eine merkwürdige Stelle; es wird
darin erzählt, dass Gunnar in der Höhle alle Schlangen durch
sein Spiel eingeschläfert, nur eine sei nicht zu besänftigen gewesen.
Sie drang zu Gunnars Herz, dies war die Mutter Atlis, mothir
Atla. In der Note heisst es: nimirum in anguem transformata.
Diese Mutter Atlis wird weder in den Liedern noch in anderen
hierhergehörigen Sagen ein einziges Mal genannt oder nur auf
ihr Dasein angespielt; eben so ist es auffallend, dass sie, ohne
dass dieser Umwandlung gedacht wäre, gleich als eine Schlange
erscheint. Es ist daher wahrscheinlich, dass sie bloss durch ein
Missverständnis oder einen Schreibfehler entstanden und modir
nadra, Mutter der Nattern, zu lesen ist, d. h. die grösste, mächtigste
Schlange. Beweisend ist, dass die Wolsungasaga, die doch
eine andere Recension vor sich hatte, ganz in Sinn und Wort
damit übereinstimmend liest: ein nadra mikil ok illeleg
(Cap. 46). Dass alle Handschriften Atla lesen, ist nicht zu
verwundern, da wir durch die gemeinschaftliche grosse Lücke
wissen, dass sie alle zu einer Familie gehören. Noch sonst ist
diese Stelle wichtig, weil sie dann die Neuheit von Gunnarsslagr,
wo diese Mutter Atlis eingeführt ist, unwidersprechlich dar-
thäte. — S. 377 Str. 14 Bicca greppar, feroces viri, sind ohne
Zweifel treulose Männer in Beziehung auf den treulosen Bicci.
EDDA SAEMUNDAR II. 257
Der Ausdruck ist vorausgenommen, da der Verrath Biccis erst
später in der Sage vorkommt, aber sehr passend, denn auch
Atli hatte Verrath im Sinne. S. 382 ist der Alliteration wegen
statt folginn zu lesen getinn. — S. 386 Str. 25. Die allein
richtige Erklärunsr von Kumblasmidr ist im Glossar nach-
getragen: tumulorum auctor. — S. 399 Str. 35 ut geck-at
reifagiold raugnir, exiit exhibitum officia regi debita; giold
ist aber hier natürlicher in der Bedeutung von poena zu nehmen.
Gudrun gieng, um den Fürsten, d. h. Gunnar zu rächen. Statt
bratha barnäsku brt\dor inn kapp-svinna ist zu lesen:
brä tha barn-äsku brudur in kapp-svinna: da richtete die
Kinder zu Grunde das listige Weib.
Das Glossar ist von Finn Magnussen mit Sorgfalt und
Gelehrsamkeit ausgearbeitet und zeichnet sich durch grössere
Vollständigkeit vor dem des ersten Bandes aus. Auch ist hier
im Etymologisiren weiter gegangen, namentlich sind die orien-
talischen Sprachen mehr herzugezogen. Die Vergleichung damit
wird ihren Vortheil erst bei genauerer Kenntnis der Grammatik
und Formen bewähren, bis jetzt kann man noch immer miss-
trauisch sein, da ein blosses Suchen nach der Wurzel leicht
täuscht. Wir können bei nahe liegenden Sprachen die Beispiele
dafür nehmen: ohne Zweifel ist der Verf. mit der deutschen recht 123
gut bekannt, dennoch bleibt es uns unverständlich, wie er bei
kära, klagen, unser kehren hat anführen können, bei sar, vulnus,
unser Geschwür und die Partikel zer (wir haben altdeutsch
diu sere und noch heute versehrt); bei sättr, reconciliatus,
unser sanft, was gar nichts damit zu schafi'en hat; sich setzen
brauchen wir dagegen noch von dem Beilegen eines Streits oder
bei Anordnung eines verwickelten Verhältnisses. Dagegen war
unser sanft igen bei sefa, sefia anzuführen. Bei vath lag
unser altdeutsches wat viel näher als das heutige Gewand,
welches sollte angeführt werden, es steht aber wahrscheinlich
durch einen Schreibfehler Wand da, was nur paries bezeichnet.
Bei vöxtr ist Wuchs nicht angegeben, sondern Wach st hu m,
was etwas anderes aussagt, und Wachsung, welches eine bei uns
nicht übliche, sichtbar von einem Fremden gebildete Form ist.
Bei thy, serva, lag Dieb völlig ab, Diener konnte zur Ver-
W. GKIMM, KL. SCHRIFTEN. 11. 17
258 EDDA SAEMUNDAR II.
gleichung daneben gestellt werden, wenn wir nicht dasselbe
Wort im Altdeutschen auch hätten: diu. Ebendaher war zu
slod, via trita, unser sla zu bemerken, zu sim, simi aber Sime,
was die Vogelsteller nock heute von ihren Seilen gebrauchen.
Zu gagl, pullus avis, gehört unser Küchlein. Fehlende Wörter
sind uns bisher nicht viel aufgestossen, es gehört dahin: acka
ek AM. 13; angurliod H. II, 44; angurlauss H. II, 45;
haufdi halda O. 20; halfo fremr HM. 2; koma in der Be-
deutung von berühren; hefir hiorr komit hiarta H. I, 40; rünar
o-spiltar und o-vill tar B. I, 19; sprutto HM. I; thrimr
Gh. 10. Das Zeitwort bregda verdient eine genauere Erläuterung
seiner verschiedenen Bedeutungen. Bei dem schwierigen Worte
hypia ist die ganz entsprechende Stelle tottrug hypia in
Rigsmäl Str. 16 übersehen, auch wäre heppa ein Bettlerweib
in der Wilk. S. anzuführen. Bei as-kunnr fehlt Aq. 28, bei
heyia H. II, 4, bei Kaikar S. III, 37., bei Jarknasteinn
Vq. 23. 33. Wahrscheinlich ist unter Jarkna-steinn ein schwarzer
Achat zu verstehen, und zwar, da er Augen, welche Wölund
daraus macht, ähnlich sein muss, eiförmig, da Gudrun gleich-
falls einen solchen Stein aus dem Kessel holt, hat er schon
deshalb diese Gestalt haben müssen, denn nach dem Schwaben-
spiegel Cap. 37 musste der Stein beim KesselgriflPe die Form
eines Hühnereis haben. Er ist also wohl der Kabenstein, von
dem in der Hervararsage ein Räthsel steht. Auch darf man
124 an die in altheidnischen Grabhügeln bei uns nicht selten ge-
fundenen ganz eiförmigen glatten Steine erinnern.
Nach dem Glossar kommt ein Index nominum propriorum,
zuweilen mit etymologischen Erklärungen, die hier besonders
schwierig sind und zu sehr gewagten Vermuthungen führen.
(Heinrich z. B. stammt gewiss nicht von Heidrekr, wir haben
noch denselben Namen: Heiden reich.) . Es scheint gleich-
falls vollständig (nur Sporvitnir aus H. I, 47 haben wir nicht
darin gefunden). Der Anfang zu diesem Index liefert eine
Übersicht der Sprachen, welche zur Vergleichung in dem
Glossar gedient haben. Darauf folgt ein Contextus carminum,
ein Index rerum memorabilium, endlich noch eine Aufzählung
der einzelnen schwierigen Stellen. Sämmtlich Arbeiten von
EDDA SAEMUNDAR II. 259
Finn Magnussen, welche zeigen, dass dieser Band reichlicher
als der erste ausgestattet worden, wo von allen diesen Stücken
nur das vorletzte sich befindet. Von besonderem Nutzen, zu-
mal bei dem epischen Charakter dieser Lieder, ist die genaue
Übersicht des Inhalts, deren Werth noch dadurch erhöht wird,
dass in den Anmerkungen zur Vergleichung manches Ent-
sprechende aus den Sitten des Orients beigebracht ist. Die
rechte Bedeutung davon wird sich gleichfalls erst oflFenbaren,
wenn das ganze Verhältnis zu jenen Ländern, wo die Que.len
liegen, die auch in unserer Poesie strömen, genau erörtert und
bestimmt ist, eine grössere Arbeit, an welcher seinen Theil zu
liefern der Verf. ohne Zweifel Beruf hat. übrigens hat er in
diesen Beilagen bei schicklicher Gelegenheit einzelne Stellen
des Textes nach seiner Ansicht verbessert und anders ausgelegt;
gewöhnlich ist dies angezeigt, doch nicht immer, namentlich bei
kleineren Dingen, so dass man wohl im Contextus eine andere
Erklärung als in der Übersetzung finden kann. Z. B. Aq. 28
heisst der Hort der den Göttern bekannte, dagegen im
Contextus und' Glossar wird der Fluss Rhein der göttliche
genannt, je nachdem man nämlich as-kunnr auf arfi oder Rin
bezieht: diese letztere Ausleguncr scheint den Worten nach vor-
zuziehen, macht aber das Beiwort ohne Zweifel wichtig. Es
gehört also schon genauere Bekanntschaft mit dem Buche dazu,
um es nach seinem eigentlichen Werthe benutzen zu können.
Die wohl abgefasste Vorrede rührt wahrscheinlich von
Birger Thorlacius. Sie gibt ausser den Nachrichten über
die Entstehung und Einrichtung des Buchs auch einige Winke
über die Natur dieser Lieder, wobei die aus P. E. Müllers
Untersuchungen genommenen Resultate, deren wir bei dem
zweiten Bande der Sagenbibliothek [Hermes S. 12 — 17] gedacht
haben, zu Grunde liegen. Es leidet keinen Zweifel, dass wir diese 125
Lieder nicht sämmtlich besitzen, so auch konnten die bei der Ver-
schiedenheit ihres Geistes, den Wiederholungen, den Abweichungen
im Einzelnen, selbst Widersprüchen unmöglich einen und den-
selben Verfasser haben. Die Atli-Lieder, nach einer norwegischen
Provinz die grönländischen genannt, zeigen innerlich und äusser-
lich eine andere Gestaltung der Saga und, wie schon bei den
17*
260 EDDA SAEMÜNDAR II.
dänischen Heldenliedern bemerkt ist, in verschiedenen Zügen
eine Annäherung zu der deutschen ; dennoch sind beide Ge-
dichte in ihrer Grundlage wieder verschieden (vgl. auch das
Glossar V. rynendr). — S. 489. Anm. 5 ist eine sehr wunder-
liche und ganz gewiss unbegründete Vermuthung (denn sie stützt
sich auf eine falsche Erklärung von halfo fremr) vorgetragen:
dass Eyvind Skaldaspiller Verfasser von Hamdismäl und
anderen eddischen Liedern sei. Der Text ist nicht selten ver-
wirrt und verderbt, und manches Unvollständige, Abgebrochene,
selbst das Einrücken prosaischer Zwischensätze, wo die Er-
innerung nur noch dürftig den Zusammenhang behalten hatte,
lässt sich durch die Auffassung aus mündlichen Überlieferungen
erklären. Als später, wenn auch nicht verdächtig, wird das
dritte Gudrunenlied und die Atlaquida bezeichnet. Zu
der Wolsungasaga und der jüngeren Edda ergibt sich das merk-
würdige Verhältnis, dass diese beiden mehr und weniger von
diesen eddischen Liedern vor sich hatten, nämlich jetzt ganz
verlorene gleich alte oder noch ältere; dagegen ist die Wolsunga-
saga an anderen Stellen kürzer oder hat den rechten Sinn nicht
verstanden. Genau also dieselbe Natur und Eigenthümlichkeit,
welche alle epischen Dichtungen zeigen. Die Mythologie ist
(wie beim Homer) zurückgedrängt, blickt aber doch verschiedent-
lich durch; S. HI der Vorrede ist einiges darüber zusammen-
gestellt.
Eine eigentliche Erklärung der alten Saga ist nicht ge-
geben, konnte auch nicht wohl als eine zu weit führende Unter-
suchung in dem Plane liegen. Insofern hat der erste Band
der Edda einen bestimmten Vorzug, wo Skule Thorlacius
die Hauptpunkte der nordischen Mythologie berührt und erörtert
hat; diese Abhandlung, wenngleich nicht erschöpfend, gehört
doch mit zu dem Besten, was über diesen Gegenstand bis jetzt
geschrieben ist, und man fühlt überall, selbst in der gar nicht
leichten Schreibart den scharfsinnigen und gedankenreichen
Geist. Hier ist bloss die vorhin besprochene Müller'sche Hypo-
these angeführt, dass die gemeinschaftliche, aus den asiatischen
Stammsitzen mitgebrachte Grundlage in dem Norden sowohl als
in Deutschland unabhängig sich ausgebildet; dort habe man
EDDA SAEMDNDAR II. 261
die Sage von Helge, bei uns die von Dieterich hinzugemiseht.
Man müsste also weiter schliessen : während im Norden der 126
Rhein und der Atli für nichts anderes als die asiatischen Namen
(Rha und Atel) der Wolga gelten, wären dieselben bei uns in
Deutschland auf einen bestimmten einzelnen Fluss und auf den
historischen Hunnenkönig Attila angewendet worden.
Es ist schon oben bemerkt, was aus inneren Gründen gegen
jene Hypothese streitet und warum sie uns an sich unzulässig
erscheint. Wäre bei einem so vorurtheilsfreien Gelehrten, als
P. E. Müller ist, so etwas erlaubt, so könnte man vermuthen,
bei ihrer Erfindung habe der Wunsch Einfluss gehabt, die
Originalität dieser Lieder recht sicher zu stellen, namentlich
den Gedanken abzuwehren, sie hätten Einwirkungen deutscher
Dichtungen erfahren. Dennoch ist bei unbefangener Betrachtung
der Zusammenhang mit Deutschland nicht zu verkennen (übrigens
nicht zu verschweigen, dass in der Vorrede bei der Atlaquida
auf die Möglichkeit einer Übersetzung hingedeutet wird). Wir
wollen nur einiges berühren. Vorerst ist ganz gewiss, dass
unter dem Rhein in den Liedern (merkwürdiger Weise ist Rin
ein Femininum, vielleicht in Rücksicht auf die Meergöttin Ran?)
nichts anderes als unser deutscher, goldführender Strom ver-
standen wird, unter Atli aber Etzel unserer Lieder mit der-
selben Beziehung auf den historischen Hunnenkönig Attila.
Das Letztere kann gar nicht abgeleugnet werden und ist auch
hier Vorrede S. VUI anerkannt, selbst in Rücksicht auf Atlis
Ehe und Tod stimmt die nordische Sage noch näher mit der
Geschichte als die deutsche. Zwar ist ein Ausweg angegeben,
nämlich die Vermuthung, dass durch die Gothen die Sagen von
Attila zu den Deutschen sowohl als zu den Nordländern ge-
kommen seien, allein anzunehmen, dass beide Völker unabhängig
darauf verfallen seien, Athel, den Flussnamen, auf eine so
analoge Weise in ein und derselben Sage zu einer historischen
Gestalt umzuschaffen, das ist unter allen möglichen Fällen der
unwahrscheinlichste. Aber auch manches andere in diesen
eddischen Liedern weist auf Deutschland hin. Während ein
Theil der Fabel auf dem nordischen Boden Wurzel gefasst hat,
werden Atli und die Giukungen, wie ein altes Zeugnis in
2G2 " EDDA SAEMUNDAR IL
der Heimskringia beweist, ausserhalb Skandinaviens in südliche
Länder, d. h. nach Deutschland versetzt; überhaupt wo
der Ausdruck südlich vorkommt, scheint er nichts anderes als
deutsch zu bedeuten. Frankenland, die Berge des Rheins,
Weinberg, Burgunden sind deutsche Namen. Die Rechts-
gebräuche der hier in die Fabel selbst tief eingreifenden
127 Mordsühne und des Kesselgriffs sind deutsch, d. h. kommen in
dem von Deutschland getrennten Norden nicht vor. Der merk-
würdige Umstand, dass in Gudrunarsvaut (S. 526) Haugni
allein der Mörder Sigurds genannt wird, kann nur auf eine
der deutschen ähnliche Gestaltung der Sage sich beziehen.
Selbst die Einmischung des Dieterich von Bern, wes-
halb das dritte Gudrunenlied angefochten wird, ist, wenngleich
später, doch nicht durch einen Zufall erfolgt; wer irgend einige
Kenntnis der deutschen Sage gehabt hätte, würde den alten
Hildebrand nicht neben jenem vergessen haben. Selbst einzelne
Ausdrücke sind hier merkwürdig: berfiall, Bärinfell, ist in
Hinsicht beider Wurzeln in den nordischen Sprachen nicht vor-
handen (man hat zwar biörn, aber berr oder beri findet sich
nicht), wohl aber bei uns, und zeugt nicht bloss, wie das
Glossar anmerkt, von der frühen Verwandtschaft der Sprache,
sondern hier auch wohl der Sage; ebenso ist habeinn, hoch-
bein, eine ganz deutsche Zusammensetzung, während bein in
der Bedeutung von pes wohl in der nordischen Sprache nicht
vorkommt. Auch das vorhin schon berührte ividgiarn scheint
hierher zu gehören. Eine genauere Ausführung dieses Ver-
hältnisses erfordert eine eigene Arbeit, die man am natürlichsten
von einem Deutschen erwartet. Wir würden dabei keineswegs
dahin streben, diese eddischen Lieder etwa als freie Über-
tragungen aus dem Deutschen oder irgend abhängig davon dar-
zustellen, sondern nach einer noch grösseren Bestätigung der
Ansicht, welche sie als ein Gemeingut beider Völker betrachtet,
und zwar nicht bloss aus dem asiatischen Mutterlande her,
sondern auch noch aus der Zeit, welche wir die germanische
nennen. Dann steht das Hildebrandslied nicht mehr allein, und
es wird begreiflich, dass man noch im 11. Jahrhundert in
Deutschland die Sage von Hamdir Saurli und Erpur (s. die
EDDA SAEMCNDAR II, 263
Stelle aus dem chronicon quedlinburgense in den Altd. Wäldern
in, 261) kannte.
Über die Wichtigkeit der eddischen Lieder fiir das Studium
des Alterthums kann kein Zweifel sein, sie sind die reinste
Quelle, um die Sage, Sprache, die Sitten und Anschauungen,
überhaupt die Lebensweise der Vorzeit kennen zu lernen, man
kann behaupten, sie sind in dieser Hinsicht so gut unerschöpf-
lich, als es der Homer für das griechische Alterthum ist. Ihr
unabhängiger, geistiger Werth wird denen einleuchten, welche
iahig sind, das Ursprüngliche darin, die Reinheit des Ausdruckes,
das Gewaltige und Grossartige der Gesinnung, auf dessen Höhe
auch das Zarte wie eine Blüthe ausbricht, zu erkennen. Es 128
wird wohl niemand eine Zeit, die so etwas hervorgebracht, roh
und barbarisch nennen wollen. Durch das Ganze geht die
Trauer über den Untergang eines Heldengeschlechts und jene
Schwermuth, von der das Heidenthum, das überall im Hinter-
grunde ein eisernes unabwendbares Schicksal erblickt, musste
niedergedrückt werden. Ton und Farbe dieser Lieder, obgleich
im Ganzen übereinstimmend und ein gewisses Zeitalter be-
zeichnend, unterscheidet sich doch wieder in verschiedenen Ab-
stufunsen. Die Helgenlieder sind von einem eiorenen Geiste
durchdrungen. Mächtiger, wie in den Gedanken so im Aus-
drucke, scheint eine höhere Bedeutung mehr als bei den übrigen
durchzublicken, und sichtbar neigen sie sich zu dem Über-
natürlichen und Märchenhaften. Sie verweilen auch mehr
bei der inneren Gesinnung und lassen die Handlung zurück-
treten, die Gleichnisse sind ausgeführter, so dass eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem Ossian sich zeigt. In den Gesprächen der
Swawa mit Helge, den Verwünschungen der Sigrun, ihrer L'nter-
redung mit dem Todten herrscht ein gesteigerter, veredelter
Ausdruck, wozu der Zank zwischen Atla und dem Riesen weib
Sinfiötle und Gudmund den Gegensatz bildet. Bei der inneren
Verwandtschaft der beiden Helge mit Sigurd, die, gleichsam
dessen Vorbilder, ihre ursprünglich innewohnende Göttlichkeit
noch heller durchleuchten lassen, erhalten diese Lieder noch
eine besondere Wichtigkeit: es ist möglich, dass wir darin den
Grund einer noch älteren Bildung der Sage besitzen. Die
264 EDDA SAEMÜNDAR II.
Lieder von Sigurd, von Brynhild, vom Hamder, Gudrunen»
Aufreizung, auch das Wölundslied haben völHg den epischen
Charakter; sie erzählen schUcht, manchmal abgerissen, ohne be-
sonderen Schmuck, aber mit eindringlicher Wahrheit. Nicht
selten fallt die Rede der Handelnden ein, aber ein einzelner
Moment wird nicht veeiter hervorgehoben. Hier darf man am
ersten Lücken und Verderbnis des Textes muthmassen, sowie
auf der anderen Seite Wiederholungen und Abschweifungen.
Deutlich unterscheiden sich davon die beiden grönländischen
Lieder von Atle, sie sind schwerer und gewichtiger im Aus-
drucke, feiner und gesuchter in den Gedanken und Wendungen
und die ganze Darstellung fliesst nicht so schlicht und ruhig.
Es gehörte schon grössere Sorgfalt dazu, sie im Gedächtnisse
aufzubewahren, und es ist darum merkenswerth, dass das grösste
von allen diesen eddischen Gedichten, die Atlamäl, von 103
Strophen am vollständigsten sich erhalten ohne aushelfende
prosaische Zwischensätze. Dagegen die zwei ersten Lieder von
129 Gudrun (denn das dritte ist unbedeutender) zeigen wieder den
rein epischen Geist in vorzüglicher Ausbildung und sind durch
den rührenden und zarten Ausdruck des Menschlichen vor allen
ansprechend. Auch die Klage der Oddrun kann hierher ge-
zählt werden. Die Erzählung geht gleichfalls einen einfachen,,
ruhigen Gang, hebt aber einzelne Punkte mehr hervor und ent-
faltet sie in besonderer Schönheit. — Gripers Weissagung unter-
scheidet sich durch die regelmässig durchgeführte dialogische
Form, das Lied ist gleichfalls ohne prosaische Zwischensätze
und eins der vollständigsten. Das Epische weicht darin zurück
und die Betrachtung und Lehre tritt hervor; die Sage wird
nur angedeutet, um das daraus entspringende Unheil und Ver-
derben zu verkündigen. Auch kommt Griper selbst weiter nicht
vor. Sollte man deshalb geneigt sein, das Lied für später zu
halten, so ist zu bedenken, dass gerade diese Form, die Fragen
eines Schülers und Antworten eines Sehers, für Darstellung von
Geheimlehren eine der ältesten und natürlichsten ist, wie sie
sich auch z. B. in Vafthrudnismal und Vegtamsquida findet.
In ähnlichem Geiste ist auch das Lied von Fafner und Sigurd-
rifa gedichtet, in welchen geheime und prophetische Aussprüche,
OPFERSTÄTTE UND GRABHÜGEL VON DOROW. 265
Deutung der Runen und Sittenlehren vorkommen. Man könnte
daher die Lieder überhaupt so eintheilen, dass in ihnen ent-
weder das mythische, das epische oder das ethische Colorit vor-
herrsche.
Der dritte Band der Edda, welcher in 3 — 4 Jahren er-
scheinen soll, wird die von Resen bereits bekannt gemachten
Lieder Voluspä und Hävamäl enthalten, aber, wie sich von
selbst versteht, in einer neuen kritischen Bearbeitung, wozu
verschiedene schon vorhandene Commentare benutzt werden
sollen. Hoffentlich wird auch Rigsmal dazu genommen und
der Grotta-Sauns:r nach der Bearbeitung von Sk. Thorlacius
wieder abgedruckt. Versprochen ist ein Nachtrag zu dem
Glossar des ersten Bandes und, was ohne Zweifel ein sehr
schätzbares Hilfsmittel sein wird, ein Lexicon integrum veteris
Eddae mythologicum. W. C. Grimm.
OPFERSTÄTTE UXD GRABHÜGEL DER GERMANEN 369
UND RÖMER AM RHEIN,
untersucht und dargestellt durch Dorow, Königlich-Preussischen Hofinth.
Erstes Heft Amt Wiesbaden. Mit 22 Steindrucken und einer Karte. Wies-
baden. Bey L. Schellenbei^. 1819. G6 S. in Quart.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 38. Stück, den 4. März 1820.
S. 369—379.
Lx her die Eröffnung altdeutscher Grabhügel, die manchmal
dem Zufall zu verdanken war, manchmal Liebhabern, welche
oft nur die Absicht dabei hatten, Aschenkrüge in ihren Samm-
lungen als eine Zierde aufzustellen, gibt es seit der Mitte des
17. Jahrhunderts eine Anzahl kleiner Schriften, die man noch am
vollständigsten in dem Handbuch von Lawätz verzeichnet findet.
Ausser der jedesmaligen Beschreibung und Abbildung, deren
Werth von ihrer Genauigkeit abhängt, liefern sie fast immer
auch weithin treibende, oft sehr wunderliche Hypothesen; eine
der ältesten, die man Scherzes halber wohl erwähnen darf, wor-
nach die alten Urnen als Naturerzeugnisse in der Erde ge-
266 OPFERSTÄTTE UND GRABHÜGEL VON DOROW.
370 wachsen sind, ist doch eine der unschädlichsten. Zu einer Nach-
grahung von Umfang und Betrachtung dieser Alterthümer im
Ganzen war es nicht gekommen, und auch hierin standen wir
dem Norden nach, wo Sjöborg in seiner Nomenclatur der Alter-
thümer schon eine fruchtbare Übersicht der gewonnenen Re-
sultate liefern konnte. Jenen Mangel an Grundlage sieht man
auch der Abhandlung von Hirt an: sur les monumens sepul-
craux des anciens peuples du Nord (Mem. de lacad. de Berlin
1798). Je mehr Lücken da sind, desto geneigter wird man
zu ausfüllenden Vermuthungen ; so ist darin die gewiss unhalt-
bare Hypothese durchgeführt, dass slavische Völker solche Grab-
hügel nicht gehabt, während sie eben dadurch eine besondere
Wichtigkeit und Bedeutung erhalten, dass sich in ihnen eine
uralte, jenem grossen durch verwandte Sprache verbundenen
Völkerstamm, zu welchem auch die Slaven gehören, gemein-
schaftliche, bis in das tiefe Asien ausgebreitete Sitte zeigt. Den
Griechen (Ilias 24, 786 flf.) und alten Etruscern war sie nicht
fremd, dagegen in Ägypten, wo das Mumienwesen herrschte,
in ganz Africa und America zeigt sich, so viel Rec. weiss, keine
Spur davon. Die ernstlichere Bearbeitung der einheimischen
Alterthümer scheint auch hier nachhelfen zu wollen, und neuer-
dings sind Nachgrabungen von Umfang angestellt worden: in
Schlesien, worüber Friedrich Kruse in seinem Budorgis (Leipzig
1819) genaue Auskunft gibt, in Thüringen, wo schon Dalberg
früher den Anfang gemacht und worüber Goethe bereits einiges
Theilnahme Erregendes in dem neuesten Heft seiner Zeitschrift
über Kunst und Alterthum angemerkt, verschiedentlich am
Rhein und dem Vernehmen nach auch in dem benachbarten
Hessen.
In vorliegendem Werk wird nun der Anfang gemacht, dem
371 Publikum den Gewinn mitzutheilen , den der umsichtige und
mit sichtbarer Liebe zur Sache arbeitende Verfasser aus seinen
Nachgrabungen in den Rheingegenden gezogen. Dieses erste
Heft umfasst das Amt Wiesbaden, und eine beigefügte auch
sonst schätzbare Karte dieser Gegend zeigt genau die Orte,
wo unter seinen Augen und nach seiner Anleitung ist nachge-
graben worden. Die Hügel sind dort und wahrscheinlich überall
OPFERSTÄTTE UND GRABHÜGEL VON DOROW. 267
der Form nach nmd, nur in Höhe und Umfang verschieden,
-von 4 Fuss Höhe und 10 Schritten Umfang bis zu 24 Fuss
Höhe und 160 Schritte Umfang. Im Dec. 1817 öffnete Hr.
Hofr. Dorow den ersten Grabhügel, da er die Winterzeit in
mancherlei Hinsicht dafür am zuträglichsten hält, er empfiehlt
zugleich die Methode, von der Spitze des Hügels beginnend
ihn nach allen Richtungen bis zum äussersten Rande abzutragen,
denn oft fanden sich da noch merkwürdige Gegenstände, viel-
leicht Nachbegräbnisse. Man hat sich gewöhnlich begnügt, den
Hügel in einer Richtung zu durchschneiden. Der auf dem
sogenannten Hebenkies und in der Geishecke geöffnete sind die
beiden merkwürdigsten. Bei diesem, von 160 Fuss Umfang
und 10 Fuss Höhe, stiess man anfangs auf sehr harte Brand-
erde mit Holzkohlen vermischt; von Urnen und Knochen war
noch keine Spur zu sehen, aber es zeigte sich eine Menge rein
erhaltener Asche. Darin lagen Reste eines verrosteten Schwertes
(die noch erhaltenen stahlblauen Massen waren so stark, dass
kein Instrument, selbst eine Uhrmachersäge sie nicht angreifen
wollte), Ringe, darunter spiralförmig gewundene, zwei Heft-
nadeln, Stücke Speis, dem altrömischen Sandmörtel ähnlich, und
noch ein Sporn. Als man mit dem Abräumen der Erdmassen
beinahe zu Ende war, traf man am äussersten Rande der Erd-
erhöhung nordostwärts auf einen platten, breiten Stein von 2 Fuss 372
10 Zoll Länge, 2 Fuss 8 Zoll Breite, welcher wie ein Tisch auf
vier Feldsteinen ruhte. Er war tafelförmig zugerichtet und be-
hauen, und auf der Oberfläche zeigte sich eine unförmliche Ver-
tiefung, welche in zwei Hauptrinnen auf verschiedenen Seiten
auslief. Auf der einen Seite der Tafel steckte ein eisernes
Schwert, welches zerfiel, auf der anderen aber lagen Scherben
eines zerdrückten Gefässes von der rohesten Arbeit und gröbsten
Masse. In der Nähe aber befanden sich zwei zum Dreieck
behauene Feldsteine, so wie noch andere mehr oder weniger
in diese Form gebrachte, nicht über ein Pfund schwere Steine.
Diese Tafel, wovon das Titelkupfer eine Ansicht liefert, hält
Hr. Dorow für einen einfachen germanischen Opfer-Altar
(das dabei eingeklammerte: Druiden -Altar könnte Irrthümer
erregen, da bekanntlich die Druiden den Galliern zugehören)
268 OPFERSTÄTTE UND GRABHÜGEL VON DOROW.
mit dem umher gestreuten Schmuck und Waffen gefangener
und vielleicht geopferter Römer und Gallier. Und zwar vor
Drusus Zeit sei er errichtet worden, weil nachher die Macht
der Römer in dieser Gegend zu stark gewesen und Opfer und
Priester in das tiefere Germanien getrieben. Vielleicht bei einem
Vorrücken des Julius Cäsar, sagt der Verf., und der- dadurch
herannahenden Kriegsgefahr wurde diese Opferstätte, um sie
zu erhalten und zu schützen, grabhügelmässig überschüttet, da
den Römern die Gräber der Feinde heilig waren. — Der Hügel
auf dem Hebenkies war nach der Volkssage das Grab eines
vor der Römerzeit beerdigten Fürsten und lag einsam. Man
fand darin Scherben von Urnen, die sich zusammensetzen Hessen
und eine besonders schöne Form mit geschmackvoller Ver-
zierung zeigten. Sie sind Tafel I abgebildet. Ferner: viel
Asche, verwitterte Knochen von einem Menschengerippe, die
373 auf kleinen Quarzkrystallen , welche mehr oder weniger vom
Feuer gelitten hatten, lagen, Knochen von der oberen und
unteren Kinnlade eines Pferdes (dies Beispiel ist nicht einzig,
so hat man z. B. in einem Grabhügel bei Calbe Überbleibsel
von den verbrannten Knochen eines Pferdes gefunden), endlich
eine Streitaxt von Serpentinstein, deren Politur noch spiegelte.
Die genaue Besichtigung der Grabstätte führte auf die Ansicht,
dass solche in Form eines Kessels von 7 Fuss im Durchmesser
und 5 Fuss Höhe in den Erdhügel mit keilförmig gesetzten
Feldsteinen erbaut war, so dass von Abend her eine horizontale
Öffnung blieb, welche zuletzt mit Steinen ausgefüllt wurde.
Dann scheint auf diesem Kessel, der keine Spur vou Uber-
wölbung zeigte, ein 7 Fuss hoher Kegel von eben solchen Feld-
steinen errichtet, das Ganze aber einige Fuss dick mit Erde
überdeckt worden zu sein, in der gleich oben eine Menge zum
Theil ganz zu Grünspan gewordener Metallringe gefunden wurden.
Der Verf. glaubt, dass zuerst der Kessel gebaut worden, um
darauf den Holzstoss zur Verbrennung des Todten mit Waffen
und Streitross aufzuführen. Der horizontale Gang darin habe
als Zugloch zur Beförderung des Brandes gedient. Die zum
Schmuck um den Rand gestellten Urnen seien mit dem ver-
brannten Holzstoss in den Kessel hinabgestürzt und von der
OPFERSTÄTTE UND GRABHÜGEL VON DOROW. 269
Last des Steinkegels, der hernach das Ganze überdeckte, zer-
drückt worden. Die übrigen in ziemlicher Anzahl geöffneten,
hier sämmtlich einzeln und ausfuhrlich beschriebenen Hügel
zeigen keine verschiedene Construction, nur ist, wie es scheint,
nach dem Range des Verstorbenen mehr oder weniger Sorgfalt
dabei angewendet worden. Im Norden wenigstens, wo wir über-
haupt alte, gemeinschaftliche Sitte reiner und deutlicher ausge-
drückt finden, hatte man darüber bestimmte Unterscheidungen 374
und eigene Benennungen dafür: Haugr war für Edle, Kuml für
Freie, beide oft mit Denksteinen geziert. Dys für Sklaven und
Gefangene. Meist fand man hier verbrannte Knochen und
Asche, doch auch unverbrannte Gerippe, beides oft sehr nahe
zusammen (S. VIII), so dass die Meinung immer mehr Kraft
erhält, wonach die verschiedene Sitte schon damals zu gleicher
Zeit in Ausübung kam. Wo sich Pferdeknochen finden, kann
man wohl auf das Grab eines Vornehmeren oder Heerführers
schliessen, von anderen Thieren hat man, so viel wir wissen,
noch keine Überbleibsel gefunden, obgleich (nach der Edda)
Hunde und Habichte auch mit verbrannt wurden : doch können
diese als schwächere vom Feuer ganz verzehrt sein, oder was
sich erhalten, ist nicht mehr zu unterscheiden. — Die Tafeln
aus der Müllerischen Steindruckerei in Carlsruhe nach Zeich-
nungen von Metzger und Hundeshagen liefern in schönen und
sorgfaltigen Abbildungen, die viel Lob verdienen, was sich sonst
Merkwürdiges in den Hügeln gefunden. Man kann es in fol-
gender Übersicht zusammenfassen. 1. Urnen von verschieden-
artiger sowohl zierlicher als unbehilflicher, roher Form. Die
vorzüglichsten sind die in dem Hebenkies -Hügel gefundenen
Taf. I abgebildeten, obgleich die Masse und Arbeit selbst grob
ist. Sie sind mit eingezeichneten gefalligen Zieraten, wovon
einige Tannenzapfen vorzustellen scheinen, versehen. (Eine in
Korddeutschland gefundene Urne zeigt die bekannte Verzierung
aus Linien, die im Viereck verschlungen sind (ä la grecque), und
ist in Meyers Darstellungen aus Norddeutschland S. 302 abge-
bildet.) Der Verf. wirft daher die Frage auf, ob die schöne
Form noch Überbleibsel einer hohen Ausbildung asiatischer
Colonisten sei? Die Masse an den deutschen Grabumen ist 375
270 OPFERSTÄTTE UND GRABHÜGEL VON DOROW.
überhaupt verschieden, manchmal sehr fein, gewöhnlich bricht
der Thon schwarz oder gräulich und flimmernd, aber auch röth-
lich und ganz braun oder erdfarben. Die Urnen sind entweder
mit den Überresten der verbrannten Knochen angefüllt oder
mussten bloss als Zierde um das Grab gestellt sein, wo sie dann
gewöhnlich nur Erde oder Sand enthalten. 2. Waffen. Die
auf Taf. IX abgebildeten sind wohl die ältesten ; Exemplare aus
anderen Hügeln, die Rec. gesehen, waren diesen vollkommen
ähnlich und von sehr feinem Kupfer. Vielleicht ist Fig. 3 die
framea des Tacitus. Auffallend ist der Sporn in dem Hügel
über der Opferstätte, an dessen Alter und Gleichzeitigkeit nicht
darf gezweifelt werden. Der Verf bemerkt, dass er wegen
seiner langen Schenkel nur an Sandalen oder Stiefeln und
Schuhen, wie sie im Mittelalter gebräuchlich gewesen, habe be-
festigt werden können. Im Mittelalter war die Fussbekleidung
(bei den Vornehmen), nach den Bildern in Handschriften zu
urtheilen, nicht plump, sondern anschliessend; doch wozu über-
haupt jene Bemerkung, da hier von der Zeit, die wir unter dem
Mittelalter begreifen, nicht die Rede sein kann. Der Sporn ist
ganz gewiss nicht deutschen Ursprungs, sondern war eine Beute,
auch würde sich sonst der zweite dabei gefunden haben.
3. Schmuck, Zieraten, die der Verstorbene wahrscheinlich
getragen hatte. Allerlei Ringe von Bronze, oft nicht ge-
schlossen, Fibeln, Armringe (Rec. sah gedrehte Ringe aus Grab-
hügeln, die für den stärksten Arm zu gross waren und an dem
Schenkel hätten müssen getragen werden), Haarnadeln (ähn-
liche werden noch jetzt am Rhein getragen, in Sachsen hat
man sie ganz von derselben Form ausgegraben, wie sie Taf. X
abgebildet sind), Bernsteincorallen ; beide Zieraten mögen eine
376 weibliche Leiche anzeigen. Hierher gehören auch wohl die
verschiedenartigen kleinen Bronzeverzierungen, deren Zweck
man nicht einsieht. (Vergl. S. 27 und S. 15.) Man hat in
vielen Grabhügeln solche räthselhafte Dinge gefunden, z. B.
durchbohrte, regelmässig geformte, kleine Steine, Thonkügelchen.
4. Andere Dinge, die man für schätzbar hielt. Dahin
zählen wir die S. 16 beschriebene und Taf 5 abgebildete Kanne
und Schale aus Kupferblech von geschmackvoller, aber ohne
OPFERSTÄTTE UND GRx\BHÜGEL VON DOROW. 271
Zweifel römischer Arbeit; beide waren innen mit einem kork-
ähnlichen Stoff überkleidet; der Verf. sieht darin eine Opfer-
kanne und Opferschale. Wo steht aber Nachricht, das»
solche Geräthe beim Opfer sind gebraucht worden? Im Norden
hatte man einen Blutkessel (hlautbolli), in welchem das Blut
des Opfers aufgefangen und aus dessen Tröpfeln geweissagt
wurde. Und ferner: warum sollten diese Geräthe, wenn sie zu
dem Opferdienst nöthig waren, in einen Grabhügel gelegt worden
sein? Man gab sonst das Kostbarste dem Todten mit; wie es
in nordischen Denkmälern ausdrücklich heisst, wurden deshalb
Sklaven, Ross und Jagdthiere mit verbrannt, damit der Ver-
storbene nicht ohne Begleitung in Valhaul eintrete und das
Thor ihm hinter den Fersen zuschlage. Deshalb wurden jene
Gefässe, wahrscheinlich durch Tausch oder Beute erworben,
mit in den Grabhügel gestellt; so ist auch wohl das vorgefundene
prächtige Exemplar einer versteinerten Venusmuschel (S. 23)
hineingekommen. Hierher gehörten auch römische Münzen,
allein in allen hier beschriebenen deutschen Hügeln haben sich
keine gefunden, eben so sind sie in den Grabstätten von Nord-
deutschland höchst selten vorgekommen. Da andere Bronze-
arbeiten sichtbar römische Arbeit sind, so scheint der Umstand
auf ein hohes Alter der Gräber zu deuten , wo die römischen 377
Münzen bei den Deutschen noch nicht in Werth waren. Die,
welche man findet (in der Abhandlung von Hirt werden ein
Paar unbezweifelte Fälle angegeben), sind gewöhnlich Kaiser-
münzen aus den ersten Jahrhunderten. 5. Symbole. Wir
nennen hier zuerst die steinernen Streithämmer, Steinpfeile und
sogenannten Opfermesser, die nicht selten ausgegraben werden.
Eine Streitaxt von Serpentinstein mit noch glänzender Politur
fand sich im Hebenkies und ist Taf. I abgebildet. Von der Axt
bemerkt der Verf. selbst, dass sie nicht zum Gebrauch habe
dienen können, indem die Öffnung für einen hölzernen Stiel zu
klein sei. Ein ähnlicher keilförmiger Stein, ganz undurchbohrt,
dem blassen Serpentinstein nicht unähnlich, ist S. 30. 31 be-
schrieben und Taf. II abgebildet. Ein Stück von einem soge-
nannten Opfermesser scheint Taf. 2, Fig. 6 abgebildet, man kann
es nicht wohl, wie der Verf. thut, für eine Säge halten. Die
272 OPFERSTÄTTE UND GRABHÜGEL VON DOROW.
sogenannten Steinpfeile haben sich in diesen Gräbern nicht ge-
funden. Nach der von Sk. Th. Thorlacius besonders ausge-
führten Meinung sind diese drei auch im Norden häufigen
Stücke blosse simulacra armorum und Symbole von der drei-
fachen Kraft des Blitzes oder Thors Hammer, welche dem
Todten zum Schutz gegen die bösen Geister mit ins Grab ge-
legt wurden. Darnach ist zu berichtigen, wenn der Verf. S. 3
bemerkt: die Streitaxt sei Symbol von Thor, „um den Todten
als einen Helden zu bezeichnen." — Merkwürdig sind die ver-
schiedentlich gefundenen Dreiecksteine (vergl. S. 11. 19. 29),
die als Symbole einer Trimurti angesprochen werden. Auch
finden sich die Gerippe in ein Dreieck gelegt, in dessen Mitte
die vorhin angeführten sogenannten Opfergeräthe standen; zu
378 den Füssen des einen lag ein asbestartiger Stein. Man müsste
die noch häufiger gefundenen oft länglichen Kiesel von Milch-
quarz (S. 5. 10. 14. 16. 18. 24. 31. 32. 33. 34) damit in Ver-
bindung bringen als ein Symbol der Einheit oder des Alls. In den
bei Maden in Hessen [gefundenen], von Schminke beschriebenen
Gräbern, so wie in einem schlesischen, wovon Kruse Nachricht
gibt, hat man wenigstens völlig eiförmige Steine gefunden,
die man sich auf keine Art zu erklären wusste. Bei einem an
den Flächen abgeriebenen Quarzstück äussert der Verf. die
Vermuthung, es könne zum Anzünden des Opferfeuers gebraucht
sein, und durch jene Quarzstücke überhaupt würde der Hügel
eines Priesters bezeichnet. — Von Inschriften hat sich keine
Spur gezeigt, obgleich ein behauener Deckstein (S. 20) dazu
Gelegenheit gegeben hätte.
Nach der Beschreibung germanischer folgt S. 35 fi". Nach-
richt von muthmasslich römischen Grabstätten in Wiesbaden.
Man hat ganze Menschengerippe mit darauf liegendem Schmuck
und Wafien, so wie mit Backsteinen gemauerte Gräber, in denen
mehrere flaschenförmige Krüge mit Asche und Knochen, Lam-
pen usw. standen, einige Fuss tief im Marschlande, als die
Fundamente zum neuen Schloss gegraben wurden, gefunden.
Der Verf. ist im Besitz aller Überreste eines solchen römischen
Grabes und liefert genaue Beschreibung und Abbildung der-
selben. Eine grosse Glasvase zeichnet sich aus. In dem söge-
OPFERSTÄTTE UND GRABHÜGEL VON DOROW. 273
nannten heidnischen Berge vor Wiesbaden fand sich ein grosser
Plattziegel mit der Inschrift: LEG XXII. PRPF, der wahr-
scheinlich zu einem Grabziegel gedient hat, da dabei eine Menge
Asche und Kohlen war. Ein anderer war mit einem Stempel
verziert und enthielt dieselbe Inschrift LEGXII P. P. F. Näm-
lich die zweiundzwanzigste Legion stand 250 Jahre zu Mainz, 379
wohin sie 80 Jahre vor Christi Geburt gelegt war, sie hiess
primigenia, weil sie von Anfang ihrer Aufrichtung unvertheilt
bestanden, ferner pia und fidelis, woraus obige Buchstaben zu
erklären sind. — In einem Grabhügel auf der sogenannten Wein-
hohl lag der ganze Kessel, mit Scherben zusammengedrückter
Urnen angefüllt, darunter ein sogenannter Donnerkeil. Ein Weg
von zwei Stunden durch den Wald von einem römischen Lager
in der Nähe des bekannten Pfahlgrabens bis nach dem Feld-
berg heisst noch jetzt der Hermannsweg. — Der Anhang
liefert Nachricht von zwei römischen Bädern, wozu Grundriss
und Durchschnittzeichnung gehört, und von dem benachbarten
Nerosberg.
Wir wünschen eine günstige Aufnahme und baldige Fort-
setzung dieses gewiss nicht ohne mehrfache Aufopferung zu
Stand gebrachten Werkes. Sie wird uns wahrscheinlich auch
Auskunft über die öfi'entlichen Nachrichten zufolge beim
Festungsbau zwischen Ehrenbreitstein und dem Dorfe Rothen-
bahn gefundenen Gräber geben. Schliesslich müssen wir es
noch ausdrücklich rühmend anerkennen, dass der Verf. seine
Beschreibungen von jenen leicht aufzubringenden, oft nur auf
einem flüchtigen Gedanken ruhenden Hypothesen freigehalten;
nur hier und da ist eine Bemerkung, die sich natürlich darge-
boten hatte, beigefügt.
[anonym.]
W. GRIMM, KL. SCHRIFTEK. II. 18
274 FÜRST WLADIMIR UND DESSEN TAFELRUNDE.
619 FÜRST WLADIMIR UND DESSEN TAFELRUNDE.
Alt-Russische Heldenlieder. Leipzig bey F. A. Brockhaus. 1819. 160 S. 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 62. Stück, den 15. April 1820, S. 619— 621.
Ziwar nur eine kleine, aber echte Sammlung russischer
Sagen, aus dem Munde des Volks, wie es scheint, in der Nähe
von Moskwa selbst, aufgefasst und darum sehr willkommen. Auch
620 mit der Bearbeitung, die der ungenannte Verfasser [von Busse]
einer deutschen Fürstin bei ihrem Aufenthalt in Moskwa schicklich
zugeeignet, hat man Ursache zufrieden zu sein; er hat sich, wie
man sogleich fühlt (denn die Originale zu einer etwaigen Ver-
gleichung sind noch nicht gedruckt), keine Zusätze erlaubt, nur
ausgelassen, was ihm moderne Zuthat schien, und dabei ist, wie er
versichert, nichts Eigenthümliches untergegangen. Das gewählte
Mass, die vom Assonanzenzwang befreiten spanischen Redondillas,
wie sie Herder in seinem Cid gebraucht, ist auch ganz passend,
nöthigt wenigstens nicht zu Veränderungen und Verdrehungen.
Auch hier, wie in allem echten Epos, kein Bilderschmuck,
aber passende, naive Gleichnisse (z. B. S. 96. Leichter ist's in
wollnen Säcken heisse Kohlen zu verwahren, als zwei Liebenden
verwehren, sich zu begegnen), keine Pracht und Künstelei
des Ausdrucks, alles schlicht, aber zutraulich und ansprechend,
wenn man überhaupt nur für ruhige Naturdichtung zugänglich
geblieben ist. In der Ausstattung der Sage ist eine gewisse,
aus den serbischen Liedern schon bekannte Eigenthümlichkeit
sichtbar; überhaupt zeigt sich darin die slavische Nationalität.
Es fehlt jene zarte Frauenliebe und Achtung der Deutschen,
und „die Sitte des abendländischen Ritterthums, WaflPen wacht
und Ritterschlag, die Wafienschilder und Sporendienste sucht
man vergebens." Dagegen der Inhalt der Sagen selbst verkündet
im Ganzen, wie in einzelnen Zügen jene merkwürdige Gemeinschaft.
Es sind zwölf Stücke, ganz eigentliche Märchen, deren jedes
für sich besteht, die aber in Wladimir dem Grossen, dem Gründer
des christlichen Russlands, der hier den Beinamen „helle Sonne"
führt, ihren Mittelpunkt haben, wie andere Sagenkreise in
Artus, Carl d. G. und Dietrich von Bern. Eben so erhalten
FÜRST WLADIMIR UXD DESSEN TAFELRCSDE. 275
sie dadurch einen gewissen Anflug und Schein von wirkhcher62i
Geschichte. In dem ersten Lied will der Bolgare Tugarin,
Schlangensohn, AVladimirs Gattin Lepa mit Gewalt holen und
kann von niemand besiegt werden, als von einem, der lebt, ohne
geboren zu sein. Das Räthsel wird gelöset, wie in der Sage
von Macbeth, Rodgai ist aus der Mutter Leib geschnitten und
tödtet den Riesen. Uja in dem 3. und ß. Lied ist der Dummling
deutscher Märchen, eine verborgene, gewaltige Kraft, die erst
spät zum Durchbruch kommt; dreissig Jahre sitzt er unthätig
und unbehilflich, da erhebt er sich, tödtet den von allen ge-
furchteten Feind mit einem Pfeilschuss, der durch neun Baumäste
schlägt, trinkt den TTein aus einem Eimer oder fasst seinen
Gegner um die Hüften, wirft ihn in die Luft und fängt ihn
wieder. Er ist im Charakter mit dem Siegfiied des Nibelungenliedes
verwandt, so auch der trotzige Knabe Wassily, der die Vögte,
die ihn greifen wollen, fortjagt. In dem achten Liede kämpft
der Sohn Mstislaw gegen Wladimir, seinen Vater, ohne ihn zu
kennen, wie im Hildebrandslied. Tschurilo im dritten Liede
gleicht einem jungen Riesen in dem deutschen Märchen (Grimm,
Sammlung Nr. 90), er zerreisst sechs Häute, wie morsches Linnen,
und bricht wie jener einen Eichbaum sammt den Wurzeln aus
der Erde, um damit zu kämpfen. Sein Ross duldet ihn allein,
wie das Ross Grane den Sigurd. Rodgai wirft mit solcher
Kraft einen Stein, dass er wie ein Vogel fliegt und gar nicht
wieder herabkommt, gerade wie dort in den deutschen Er-
zählungen (Nr. 20) prahlerisch einer dasselbe thun will, aber
heimlich wirklich einen Vogel statt des Steins dazu nimmt. Für
die Verwandtschaft der epischen Dichtung sind solche einzelne
Züge auch von Werth.
[anonym.]
18^
276 HANS SACHS VON BÜSCHING. IL
1876 HANS SACHS ERNSTLICHE TRAUERSPIELE,
liebliche Schauspiele, kurzweilige Gespräche, sehnliche Klagreden, wunderbar.
^ liehe Fabeln sammt andern lächerlichen Schwänken und Possen. Heraus-
gegeben von Dr. Johann Gustav Büsching. Zweytes Buch. Nürnberg 1819,
bey Schräg. 347 S. 8. (2 Thlr.)
Leipziger Litteratur-Zeitung für das Jahr 1821. Zweites Halbjahr. No. 235,
am 21. September 1821. S. 1876 — 1877.
Jtvec. bezieht sich auf das Urtheil, das er Jahrg. 1819,
No. 7 [= oben S. 227 — 232] über den ersten Band dieser unver-
dienstlichen Bearbeitung der Hans Sachsichen Gedichte abgegeben
hat. Die gegenwärtige Fortsetzung des Werks ist noch dazu un-
gleich, indem sie sich etwas strenger an den Text hält; für den
Schluss des Ganzen werden sogar wörtlich abgedruckte, noch
unherausgegebene Gedichte verheissen. Soll nun, wer diese zu
schätzen weiss, den ganzen Mischmasch mitkaufen? Viel Mühe
und Studium kann weder die Auswahl noch die Zurichtung
dem Herausgeber verursacht haben, er versteht nicht einmal
seinen Autor gründlich, wo dieser zuweilen schwierig wird, und
wer sich Register über Hans Sachsens Sprache aufsetzen will,
kann Hrn B. missverstandene, unklar gefasste Stellen genug
nachweisen. Seite 32 stehet vom redenden Gulden:
dieselb (Bäuerin) mich unter die Erde grab
und legt auf mich 'nen grossen Stein,
in Sorg um mich, die war nicht klein.
Rec, ohne das Original nachzuschlagen, wettet, dass es
heisse :
ihr Sorg um mich die war nicht klein.
mit ganz gewöhnlicher Sprachwendung; wozu die nichts er-
leichternde, sprach verderbende Änderung? Der Sinn geht frei-
lich nicht ganz verloren, aber was Hans Sachs natürlich und
fliessend erzählt, stockt und hapert in den Sätzen des nach-
erzählenden Erneuerers. Dafür bekommen die Augen unzählige
ihr'r, ihn'n, Apostrophen und ähnliche Hilfsmittel zur Über-
windung von Schwierigkeiten dargereicht, welche von zehn
Lesern, denen wirklich an dem alten Dichter liegt, zehn sicher
HAXS SACHS VON BÜSCHING. II. 277
nach der ersten Viertelstunde besiegt hätten. S. 139 reimt der 1877
Dichter Tag auf Hafj; zu irgend einer eingebildeten Erleichte-
rung verfölscht Hr. B. den Reim und schreibt Haag; Seite 141
aber ausser dem Reim belässt er Hag ; heisst das nun unnöthig
oder leichtsinnig mit seinem Text umgesprungen ? Auf derselben
S. 139:
die lichte Sonn' thut blicken.
des Mondes Schein thut sich verdrücken
mit der Note zu verdrücken: verstecken. H. Sachs sagt aber:
sie verdrücken, die Sonne (das reine Evangelium) verdrängt
den Mondschein der papistischen Lehre; sich selbst zu ver-
stecken hat diese keine Lust. Die Noten behandeln oft das
Klarste; zuweilen irren sie; nach S. 264 soll „entwicht" bedeuten:
entwichen! es bedeutet: inane, nichtig, und hat mit ent-
weichen durchaus nichts zu schaffen. Solche Fehler sind kaum
Anfangern in der altdeutschen Sprache verzeihlich. S. 150 der
Reim „erklärten" (erklärt ihnen, hier wäre einmal der Apo-
stroph erklärt'en am Platz) auf „Schriftgelehrten". Die Note
gibt aber: erklärte, als sei erklärten dafür eigenthümliche Form
H. Sachsens. S. 147 wird die Redensart „mit Lichten
(warum nicht erleichternd: Lichtern?) verschiessen" zwar
richtig durch excommuniciren ausgelegt (vgl. Frisch v. ver-
schiessen und Häsleins Auszug p. 228), aber verdiente hier nicht
der unberathene Leser eine wörtliche Deutung? Kurz Rec.
sieht nicht ab, wem mit einer Modernisirung gedient ist, die
unter drei Fällen im ersten wirklich hilft, im zweiten unnöthig,
im dritten falsch. Obige Verstösse sind nicht herausgesucht,
sondern zufällig aufgegriffen mit dem Gefühle, dass ihrer der
ganze Band allenthalben und weit ärgere darbietet.
[anonym.]
278 RÜNAKEFLI PAR JENS WOLFF.
887RUNAKEFL1 LE RUNIC RIM-STOC, OU CALENDRIER
RUNIQÜE,
avec l'explication des divers caracteres, fetes etc., qui sont graves sui- ces
anciens bätons, auquel est ajoutee une ode tiree de Edda saemundar, appelee
Thryms-quida ou le rapt du marteau de Thor, composee dans le 1 1'' siecle;
traduit en franpais de la langue islandaise, suivi de quelques remarques sur
la mythologie du Nord. — On y a Joint quelques Planches representant des
monumens runiques dont on donne l'explication. Par Jens Wolff, cidevant
consul de Danemark et de Norwege ä Londres, membre de la societe de la
litt. d'Island ä Copenhague. Paris 1820. De rimprimerie de Nouzou. 59 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd II, 89. Stück, den 4. Juni 1821. S. 887—888.
Voran geht die prosaische Übersetzung der Thryms-
quida, dann kommen die Anmerkungen, die Urschrift zuletzt.
Wer in der Vorrede schon die Genit. Sturla, Froda, Sä-
mundar für die Nominat. Sturli, Frödi, Sämundur und
Skaldartal für Skaldatal bemerkt hat, auch den Dichter
Olafr Hvitaskald als eine doppelte Person: Olaf und Hinta-
skald gefunden, der ist schon im Voraus überzeugt, was sich
auch bald ausweiset, dass der Verfasser bloss nach der lateini-
schen Übersetzung in der Kopenhag. Ausgabe der Edda die
seinige verfertigt hat. Die zugefügten Anmerkungen sind ohne
Sachkenntnis aufgelesen und völlig werthlos. Bei Heimdallr
(es steht Heimdallar da) wird bemerkt: „litteralement le plus
blanc des Asi" (so findet man auch Alfi, Thurssi, Birkibeini),
das bedeuten aber im Text die Worte „Hvitastr Asa" und
Heimdallr heisst vielleicht so viel als Weltlicht, Weltbestrahler.
Die einzige Note unter dem Text: „dazumal scheine das Silber
mehr Werth gehabt zu haben als das Gold", wozu nur die
888 oberflächlichste Ansicht verleiten konnte, würde ein anderer auch
ohne Kenntnis der Edda weggelassen haben. Die Hauptsache
kommt S. 30: Erklärung und Abbildung eines runischen Ka-
lenders auf einem Holzstab, welcher dann das rünakefli sein
soll. Man findet alles besser, genauer, reichhaltiger, mit Ab-
bildungen der verschiedenartigen Runen-Kalender in einem be-
sonderen Werk des Olaus Worm, Fasti Danici (Hafniae 1643),
welches hier nicht einmal genannt wird. Zum Schluss sind
OM SNOEROS KILDER OG TROVÄRDIGHED. 279
fünf Runensteine aus Ol. \Yorms monim. dan. wiederholt, und
bei einem macht der Verf. sogar den Versuch, die Auslegung
von Worm zu bessern. Wir können versichern, dass alles, was
er vorbringt, völlig grundlos ist, und wollen uns nicht mit einer
Widerlegung aufhalten. Die ganze Schrift wäre ohne Nach-
theil ungedruckt geblieben, in keinem Falle aber hätte der Verf.
Ciceros Worte auf den Titel setzen sollen: haec studia — per-
noctant uobiscum, peregrinantur, rusticantur.
[anonym.]
UNDERSÖGELSE OM SNORROS KILDER isei
OG TROVÄRDIGHED.
Disquisitio de Snononis fontibus et aactoritate. Scripsit P. E. Müller.
Latine vertit B. Thorlacius. Kopenhagen 1820. 24 S. in Folio.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 157. Stück, den 1. October 1821.
S. 1561-1566.
JL/ie Geschichte der norwegischen Könige in der Heims-
kringla des Snorre Sturleson gilt mit Recht für ein ausgezeich-
netes Werk. Die Darstellung ist natürlich, dabei doch eindring-
lich und lebendig und hält eine glückliche Mitte zwischen zu
grosser Ausführlichkeit und trockner Allgemeinheit; die Sprache
aus dem goldenen Zeitalter ist würdig und angemessen, so dass
man sich, wenn man diese Geschichte liest, etwa wie bei dem
Herodot, den man auch insofern damit verglichen hat, immer
auf irgend eine Art angezogen fühlt. Neben Snorre zu nennen
ist nur die der Zeitfolge nach sich anschliessende Sverres-Sage
von Carl Abt, die an Geist und Gehalt nicht nachsteht; die
späteren dagegen verfallen schon in die unfruchtbare Trocken-
heit der Annalisten. Die Frage, wie Snorre sein Werk zu
Stande gebracht, was für Quellen imd wie er sie benutzt, war
bis jetzt noch nicht genügend beantwortet. Dass er Skalden- 1562
gesänge, welche die Thaten der Könige überlieferten, vor sich
gehabt, war, da er sie theils wörtlich, theils dem Inhalte nach
anführt, gewiss; auch dass er Vorarbeiten anderer benutzt, ver-
schiedentlich geschlossen, allein so lange dies Verhältnis nicht
280 OM SNORROS KILDER OG TROVÄRDIGHED.
deutlich aufgeklärt und auseinandergesetzt wurde, konnte man
aus jenen Bemerkungen nicht den rechten Nutzen ziehen. Und
doch war es wichtig, für die Kritik der norwegischen Geschichte
und für die Geschichte der menschlichen Bildung überhaupt
zu wissen, wie ein bedeutendes historisches Werk, das nicht
bloss seine Zeit befriedigte, sondern auch noch in der Folge
als ausgezeichnet anerkannt wurde, entstanden war. Die nöthige
Untersuchung hat Prof. P. E. Müller vorgenommen, dem die
altnordische Litteratur schon so vieles verdankt, und die Auf-
gabe mit Fleiss, Gründlichkeit und Gelehrsamkeit, kurz auf eine
durchaus tüchtige Art gelöst. Diese Arbeit sollte ursprünglich
einen Abschnitt in dem dritten Bande in der so verdienstlichen,
nach ihrem Werth noch nicht hinlänglich bekannten Sagen-
bibliothek ausmachen, allein da dort nicht Raum genug war,
so entschloss sich der Verf., sie besonders in dem Format der
grossen Ausgabe der Heimskringla herauszugeben, und Birger
Thorlacius hat sie durch eine fliessende lateinische Übersetzung
auch für die zugänglich gemacht, welche die dänische Sprache
nicht verstehen. Nur in Copenhagen selbst konnte übrigens
diese Untersuchung angestellt werden, da sie sich vorzüglich
auf die gleichzeitigen handschriftlichen Sagen von den nor-
wegischen Königen, worunter die Sammlungen im Flatobuch
und in der Handschrift, Fagurskinna genannt, die hauptsäch-
lichsten sind, stützen musste. Der Verf. schlägt dabei folgenden
Weg ein, er nimmt die Sagen, aus welchen die Heimskringla
besteht, einzeln vor, untersucht erst die Glaubwürdigkeit aus
inneren Gründen, forscht dann nach den Quellen und bestimmt
das Verhältnis derselben zu Snorres Arbeit.
1663 Die Ynglinga-Saga von Cap. 14 an war schon früher vor-
handen, wie aus Snorres eigenen Worten folgt, dieser hat bloss
eins und das andere zugefügt, namentlich aus den Gesängen
Thiodolfs, die dort nicht wörtlich mochten angeführt sein. Die
Sage selbst war entstanden eben aus Thiodolfs Gedichten und
anderer ausdrücklich genannten Skalden, endlich aus den Nach-
trägen kenntnisreicher Männer. Die dreizehn ersten Capitel,
die von der Einwanderung der Äsen handeln, sind Snorres
eigene Arbeit. Sie enthalten einmal Erzählungen, die sich in
OM SNORROS KILDER OG TROVÄEDIGHED. 28l
den Edden wiederfinden. Wenn sich hier Verschiedenheiten
zeigen, so rühren diese von Snorren, und dort ist das Ursprüng-
liche, denn Snorre legte das Mythische nach seiner Ansicht
historisch aus: eben darum aber konnte er auch nicht die Skal-
den als seine Gewährsmänner anführen, weil sie niemals auf
diese historische Weise von den alten Göttern geredet hatten.
W^as wir demnach in der Heimskringla lesen, sind nichts, als
falsche Erklärungen der Mythen und ein Beitrag zu der Be-
handlung der nordischen Mythologie. Sodann enthalten die
dreizehn Capitel Erzählungen, die ein mythisches Gepräge haben,
sich aber nicht mehr nachweisen lassen, von ihnen gilt dasselbe.
Endlich Nachrichten von der Zeit, in welcher Odin einwanderte^
und den Gegenden, aus welchen er kam. Snorre sagt nämlich,
es sei etwa 1 300 Jahr vor seiner Lebenszeit geschehen und ge-
kommen sei er aus den Gegenden des Tanais. Der Verf.
leugnet nun, dass so bestimmte historische Nachrichten bis da-
hin im Munde des Volks sich hätten erhalten können, und er-
klärt die Abkunft aus Asien für eine blosse Conjectur, veran-
lasst durch die Namen Äsen und Asgard und durch die Nach-
richten bei Jornandes und Paulus Diaconus, die Snorre wahr-
scheinlich gekannt habe. Die Zeitbestimmung sei aber theils
eine theologische Meinung, theils genealogische Combination.
Das alles lässt sich wohl hören, da aber die Abkunft aus x\sien,
wie der Verf. selbst anmerkt, aus anderen Gründen sich be-
stätigt, so wäre die Frage, ob nicht Snorre in noch unentdeckten I56t
Quellen eine deutliche Hinweisung auf jenen Zug gefunden.
Der Verf. schliesst diesen Abschnitt mit der Bemerkung, dass
auch damals schon eine Mischunof der eigenen Meinuncren mit
der überlieferten Sage ftir Geschichte sei ausgegeben worden.
— Halfdan Svartes Saga. Auch hier war Snorre kaum der
erste, der sie aufschrieb, vielmehr bestätigen es innere und
äussere Gründe, dass er eine ältere vor sich gehabt. Sie ist
immer Einleitung zu der folgenden gewesen. — Harald Haar-
fagers-Saga. Snorre hat das Wunderbare in der Jugendge-
schichte Haralds etwas gemindert, aber dadurch nur unver-
ständlicher gemacht. Es wird des Gelübdes gedacht, das Harald
gethan, sich nicht eher das Haar zu kämmen und zu schneiden.
282 OM SNORROS KILDER OG TROVÄRDIGHED.
bis er sich ganz Norwegen unterworfen; dies ist wohl nicht so
unwahrscheinlich, als der Verf. glaubt, da es in einer uralten
germanischen Sitte begründet scheint. (Schon in der Völuspä
wäscht sich Balders Rächer nicht die Hand und kämmt sich
nicht das Haar, bis er Balders Feind in die Flammen getragen,
und Tacitus Germ. 31 erzählt von den Gatten, dass sie erst,
wenn sie einen Feind getödtet, Bart- und Haupthaar geschnitten.)
Übrigens kann auch Snorre nicht der Erste gewesen sein, der
die zerstreuten Nachrichten von Harald gesammelt hat; in Fagur-
skinna und im Flatobuch finden sich schon Sagen von diesem
König, die älter sind und wovon die letztere mehr enthält als
Snorre und doch manchmal wörtlich mit ihm übereinstimmt.
— Hakon des Guten Sage. In Fagurskinna eine Darstellung,
die bald abweicht, bald wörtlich mit Snorre zusammenfällt und
deren Verfasser entweder Snorres Quelle selbst gewesen ist
oder sie benutzt hat. Die Erzählung im Flatobuch enthält da-
gegen einen Auszug aus Snorre. — Sage von Harald Graafeld
und Hakon Jarl. Eine besondere Sage gab es kaum unter diesem
Namen, sie ist aus dem Inhalt von Skaldengesängen zusammen-
1565 gefügt. — Oluf Tryggvesens Saga. Diese haben auch der Mönch
Gunlaug und Mönch Oddur ausführlich behandelt; sie stimmen
meist mit Snorre. Der Verf. in Fagurskinna ist kürzer, zeigt
aber, dass er von Snorre unabhängig ist. Dieser hat ausser
jenen Werken und was Are und Sämuud gewährten eine oder
mehrere zusammenhängende Erzählungen von Oluf gehabt, wie
etwa jene in Fagurskinna. Am Ende der Schrift liefert der
Verf. noch eine tabellarische, sehr nützliche Übersicht von dem
Verhältnis Gunlaugs, Snorres und Oddurs unter sich. — Sage
von Oluf Harald oder dem Heiligen. Snorres Quellen könnten
wohl, ausser Are und Sämund, auch eine Erzählung in Fagur-
skinna, die jedoch im Ganzen kürzer ist, gewesen sein. Eine
andere im Flatobuch ist weitläuftiger, aber aus verschiedenen
Gründen unabhängig von Snorre, und da sie wiederum nicht
selten wörtlich mit diesem stimmt, so kann man annehmen, dass
er sie vor sich gehabt und dann seine Arbeit bloss im Aus-
streichen bestanden hat. — Sage von Magnus dem Guten. Ein
mit Urtheil und Geschick gemachter Auszug aus anderen Er-
zählungen, dem einiges zugefügt ist. Was Snorre ausliess, waren
OM SXORROS KILDER OG TROVÄRDIGHED. 283
bis auf zwei Begebenheiten Fabeln. — Sage von Harald Haar-
draade. Manches in dieser Sage ist ungewiss, Snorre hat mit
Vorsicht aus dem Vorhandenen ausgewählt. — Oluf Kyrre. Die
Darstellungen in Fagurskinna, Morkinskinna und Hrockinskinna
sind weitläuftiger und haben mehr Wunderbares. — Magnus
Barfuss, Sigurd der Jerusalemfahrer, Eistein und Oluf — Harald
Gille und seine Söhne — Hakon Herdebred und Magnus Er-
lingsen. Diese zuletzt genannten Sagen gehören schon in das
Ende des 1 1. Jahrhunderts, wo die isländischen Geschichtschreiber
selbst lebten, so dass es nicht nöthig ist, ihren Quellen nach-
zuforschen. Die Darstellungen in den Handschriften stimmen
oft wörtlich mit Snorre überein.
Wie uns scheint, ergibt sich aus diesen Untersuchungen
Folgendes. Snorre hat die vorhandenen Quellen der norwegischen
Geschichte mit Sorgfalt gesammelt und mit umsichtiger Be- iö66
nutzung daraus das grössere Werk zusammengesetzt. Er hat
sich erkundigt und umgesehen, wo etwas für seinen Zweck zu
finden war, auch mündliche Überlieferung wohl benutzt, doch
im Ganzen daher wenig genommen; meist stützt er sich auf
schriftliche Denkmäler. Das Vorhandene hat er theils ausge-
zogen, theils erweitert, er hat es aber auch wörtlich beibehalten
und bloss abgeschrieben. Ihm bleibt also nur das Verdienst
einer verständigen Redaction, man muss aber jener Zeit dies
höher anschlagen, wo es nämlich bei dem Reiz der lebendigen
Erzählung schwerer war, das rechte Mass zu treflfen. Snorre
hat seinen Gegenstand übersehen und beherrscht und dem
Ganzen eine gewisse Eigenthümlichkeit, der Darstellung eine
gleiche Farbe und Haltung gegeben. In einer anderen, späteren
Zeit würde eine solche Zusammenstellung bunter aussehen; die
Bildung aber pflegt in jenen frühen Perioden ebenmässiger und
übereinstimmender zu sein, so dass ein gemeinschaftliches Werk,
auch ohne Verabredung, wohl zu Stande kommen kann. Wäre
nicht jenes frische Gefühl da, das sich in diesen Erzählungen
ausspricht, so würde auch ein solches historisches Werk nicht
möglich sein; späterhin drücken es die Zweifel und Bedenk-
lichkeiten der Kritik nieder oder es wird mit tadelnswürdigem
Leichtsinn unternommen. [anonym.]
284 SCHLESISCHE BEMÜHUNGEN.
1566 ANZEIGE DER SCHLESISCHEN BEMÜHUNGEN
für Sammlung und Kunde einheimischer Alterthümer.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 157. Stück, den 1. October 1821.
S. 1566 — 1568.
XJie germanischen und slavischen Alterthümer Deutsch-
lands und seiner einzelnen Provinzen sind im vorigen Jahr-
hundert öfter im Einzelnen und Ganzen betrachtet worden, doch
schien der Eifer allmählich erkaltet. Jetzt fängt man aufs Neue
an, Nachforschungen anzustellen, und erkennt auch in den
ältesten Denkmalen unseres Vaterlandes eine gewisse eigenthüm-
liche Cultur, die nicht auf der untersten Stufe des Bedürfnisses
steht. Aus geöffneten Gräbern oder Sandlagern gehen Urnen
und Gefässe hervor, die von einem nicht verwahrloseten Ge-
1667 schmack zeigen, und eine Menge kleiner Anticaglien reizen die
Forschbegierde nicht minder als die Lust zu sammeln, obgleich
freilich die kritische Untersuchung auf keinem Felde weniger
sicheren Grund findet als hier.
Unter den deutschen Ländern, in denen der Eifer für ihr
Alterthum erwacht ist — am meisten an den beiden Enden in
Osten und Westen — dürfen wir Schlesien mit Auszeichnung
nennen. Von jeher bemerkte man unter den Einwohnern eine
Lust, Urnen, Münzen und andere Denkmale ihrer Provinz zu
sammeln: allein das in Privatsammlungen Zerstreute wirkte nie
kräftig zusammen und wurde auch leicht wieder versplittert,
indem nur zu oft den Erben des Sammlers die stille Beschäfti-
gung des Alten als lächerliche Thorheit erschien. Daher es ein
erfreuliches Ereignis war, als das Ministerium des öffentlichen
Unterrichts auf Ansuchen des Hrn. Prof. und Archivar Büsching
zu Breslau Erlaubnis und Unterstützung zu einer Alterthums-
sammlung für Schlesien verwilligte, — Überdies hat sich auf
die Aufforderung desselben Gelehrten ein Verein von schlesischen
Alterthumsfreunden zusammengefunden, die durch einen jähr-
lichen Beitrag den Abdruck der wichtigsten Urkunden und
Chroniken, so wie die Bekanntmachung der bedeutendsten Alter-
SCHLESISCHE BEMÜHUNGEN. 285
thümer ermöglichen, und deren Zahl sich auf erfreuliche Weise
fortwährend vermehrt.
Auf Kosten dieser Gesellschaft sind nun schon im Druck
erschienen :
1. Budorgis, oder etwas über das alte Schlesien vor Ein-
führung der christl. Religion von Fr. Kruse, nebst zwey Ab-
bildungen und einer Charte. Leipzig 1819, bei Hartknoch.
S. 179. Budorgis ist nämlich der Ort, wo — wenn man
Ptolemäus Angaben in Reiserouten auflöst, sich zwei Strassen
durchschneiden — also ein alter Hauptort Schlesiens, den man
im briegschen Kreise beim Dorfe Laskowitz, wo noch gepflasterte
Strassen und grosse Steinhaufen im Walde zu sehen sind, auf-
gefunden zu haben glaubt. In dieser Schrift führt der Verf.
den Gedanken durch, dass durch Combination der Ptolemäischen
Angaben mit der Lage der Orte, wo besonders viel Urnen auf-
gegraben worden sind, sich bedeutendes für die alte Geographie 1568
Schlesiens ergeben müsse: ein Gedanke, der allerdings von
fruchtbarer Anwendung sein muss, obgleich sich freilich gegen
Methode und Einzelnes der Forschung manches Gegründete
einwenden lässt.
2. Der noch ungedruckte Theil der Jahrbücher Pols, der
die Geschichte Breslaus im 16. Jahrhundert erzählt. Nächstens
soll auch die für Schlesiens ältere Geschichte höchst wichtigre
Chronik von Eschenloer, die auf der Elisabethbibliothek in
Breslau liegt, an die Reihe kommen.
3. Die Alterthümer der heydnischen Zeit Schlesiens. Her-
ausgegeben von Büsching, Bd I. Breslau 182(b Heft 1.
Dies enthält 3 grosse Steindrucktafeln von guter und gewissen-
hafter Ausführung. Auf der ersten 1 2 verschiedenartige kleinere
Gefässe. Die Formen sind zum Theil (z. B. von No. 9) gefallig
und ansprechend. Die Verzierungen bestehen in Strichen, welche
man eingrub, da die Masse noch weich war, und welche theils
die beliebte Dreieckverzierung ä la grecque, theils Palmschnüre,
theils eine Art Zweige darstellen.
[anonym.]
286 CORRESPONDENZ DER SCHLESISCHEN GESELLSCHAFT.
1568 CORRESPONDENZ
der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Bd 1. Mit 7 Stein-
drücken und 7 Tab. Breslau bey W. G. Korn. 1820.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 157. Stück, den 1. October 1821. S. 1568.
TT ir fiigen der obigen Anzeige sogleich die einer anderen
Sammlung bei, die zwar einen weit grösseren Umfang hat, aber
die einheimischen Alterthümer doch ebenfalls als ein Haupt-
augenmerk betrachtet. Die seit 16 Jahren bestehende Schles.
Gesellschaft für vaterländische Cultur hatte vorzüglich durch
von ihr bewirkte Ausstellungen der vaterländischen Kunst- und
Handelserzeugnisse und durch die Eröffnung eines umfassenden
Briefwechsels durch die ganze Provinz über alles, was in den
Bereich der Gesellschaft gehört, eine neue Epoche eifriger und
lebhafter Thätigkeit begonnen. — Aus den Briefnachrichten und
Arbeiten der einzelnen ordentlichen und correspondirenden Mit-
glieder ist das vorliegende Werk zusammengesetzt: und wie
mancherlei Verfasser dafür und daran gearbeitet haben, so
können auch mancherlei Leser, was ihnen anmuthet, daraus
entnehmen. Für die Alterthümer Schlesiens sind die Aufsätze
S. 109. 125. 168. 191. 234. 246 schätzbare Beiträge.
[anonym.]
1596 ROLANDS ABENTHEÜER
in hundert romantischen Bildern. Nach dem Italiäuischen des Grafen Bojardo.
Herausgegeben von Dr. Fr. Wilh. Val. Schmidt. Erster Theil. Berlin und
Leipzig bey G. C. Nauck. 1819. Zweyter Theil. 1820. Dritter Theil. 1820.
Dieser hat noch den besonderen Titel: Über die itahänischen Helden- Gedichte
aus dem Sagenkreis Karls des Grossen. Von Fr. Wilh. Val. Schmidt.
Ein Beytrag zur Geschichte der romantischen Poesie.
Göttingische-gelchrte Anzeigen. Bd III, 160. Stück, den 6. October 1821.
S. 1596—1599.
JUie Übersetzung des Orlando innamorato rührt nicht von
Hrn Schmidt her, der sie nur in das Publikum einführt, son-
dern von einer Ungenannten, welche er insofern mit der ver-
storbenen Frau Naubert vergleicht, als auch diese ihr erstes
ROLAXDS ABEXTEUER. 287
Werk von ähnlichem Inhalt ohne ihren Namen erscheinen liess.
Das Andenken an das Gedicht des Bojardo, welches durch
Ariosts Fortsetzung unbilliger Weise zurückgedrängt ist, ver-
dient wohl wieder aufgefrischt zu werden, und bei uns kann es
leicht mit mehr Erfolg geschehen, als bei den Italienern selbst.
Diese werden dem Ariost, der ihren Forderungen auf das Geist-
reichste Genüge thut, nicht den ersten Platz entziehen wollen,
während wir gegen die gewöhnliche Meinung ohne Bedenken 1597
dem Bojardo den Vorzug geben, weil er mit Ernst und Treue
sich an die alte Überlieferung hält; die Ironie des Ariosts, eben .
weil sie grundlos ist und auf keinen Ernst und ein wirkliches
Leben zurückdeutet, kann ein natürliches Gemüth nicht auf die
Dauer erfreuen. Wie leicht es sein mag, ein zierliches, reizendes,
mit den leuchtendsten Farben ausgeschmücktes Stück heraus-
zuheben, diese Bravourarie mit ihren künstlichen Läufen und
Trillern in sechsundvierzig Variationen anzuhören, bleibt immer
ein starker Entschluss. Bojardo hat Phantasie, Behendigkeit
und Geschick in Verflechtung der Begebenheiten und weiss
lieblich auszumalen, indessen ein vollkommenes Gedicht würde
er, auch wenn er es vollendet hätte, nicht geliefert haben: man
fühlt zu bald, dass dem Ganzen ein Mittelpunkt, ein durch-
gehender Faden fehlt, und man hat ungefähr, die Empfindung,
als würde ein reiches Gemälde in der Nacht mit der Blend-
laterne gezeigt, die jedesmal nur einen kleinen Theil hell er-
leuchtete, das andere aber in der Dunkelheit zurückliess. Da-
gegen diese einzelnen Bilder sind oft ausgezeichnet schön, völlig
märchenhaft und verdienen grosses Lob. Die vorliegende Bear-
beitung in Prosa liest sich leicht und angenehm, doch verträgt
diese Art von Poesie weniger als eine andere eine solche Auf-
lösung, da sie zu feingespitzten Wendungen sich hinneigt und
zwar Ausführlichkeit genug bis ins Geschwätzige, aber nicht
die epische Breite und Rnndung hat, die in der Prosa nun
vollends nicht kann entbehrt werden.
Der dritte Band, ganz zu litterarischen Untersuchungen be-
stimmt, enthält einen Beitrag zur Geschichte der romantischen
Poesie, der für uns mehr A\'erth hat, als manche philosophisch-
ästhetische Erörterung, und mit einer dem Verfasser eigenen.
288 ROLANDS ABENTEUER.
auch in seinen übrigen Arbeiten sichtbaren Treue und Fleiss
ausgeführt ist. Der erste Abschnitt als Eingang enthält die
alte Sage von der Königin Bertha und König Pipin nach einer
(leider lückenhaften) altfranzösischen Handschrift der könig-
lichen Bibliothek zu Berlin, dann eine Darstellung aus dem
;1598 Turpin und den Reali di Franza. Jedesmal, wie auch im Fol-
genden, sind geschichtliche, kritische, ästhetische und litterarische
Untersuchungen angefügt. Der zweite Abschnitt begreift die
älteren Gedichte aus diesem Sagenkreis. Buovo d'Antona, von
einem ungenannten Dichter nach 1313 verfasst. La Spagna
wird gegen die Schmähungen der neueren italienischen Kritiker
in Schutz genommen und ein altes volksmässiges Gedicht darin
erkannt. La regina Anchroja, gleichzeitig mit den beiden vor-
hergenannten; so selten, dass sich der Verf. hier nur an Gin-
guenes flüchtigen Auszug halten musste. Leandra, beinahe un-
bekannt und nur von Quadrio erwähnt, doch dieser Vergessen-
heit würdig. Dama Rovenza dal Martello, völlig werthlos. In
dem letzten Abschnitt wird von den späteren Gedichten ge-
handelt. Morgante maggiore von Pulci, Orlando innamorato
von Bojardo, Mambrino von Francesco cieco (der Blinde) da
Ferrara, Orlando Furioso von Ariost, Rinaldo von Torquato
Tasso, Ricciardetto *von Nie. Fortiguerra. Die zugefügten litte-
rarischen Notizen sind genau und von Werth, weil sie nicht das
Bekannte wiederholen, sondern Neues enthalten. In der kriti-
schen und ästhetischen Beurtheilung der Gedichte äussert sich
,ein richtiges, natürliches Gefühl, auch wir sind der Meinung,
dass man in Ariost nicht die höchste Vollkommenheit, sondern
.den Anfang des einbrechenden Verderbens erkennen müsse; er
hat, wie hier völlig wahr gesagt wird, „die Poesie zu einem
Amüsement gemacht". Auf den eigentlichen Kern gesehen,
nicht auf die Nebendinge, kann er kein grosser Dichter heissen.
. — Auch der Anhang ist mit Dank anzunehmen: ein Verzeichnis
italienischer Gedichte in achtzeiligen Stanzen aus dem Sagen-
kreis Karls des Grossen, welche im Obigen nicht ausführlich
behandelt worden. Der Zusatz gibt den Inhalt eines Calda-
d*onischen Schauspiels (und zwar des letzten dieses fruchtbaren
Pichters), d^^s j^em Fabelkreis sich anschliesst, es heisst: hado
ZUR GESCHICHTE DER ROMANTISCHEN POESIE VON VAL. SCHMIDT. 289
y divisa de Leonido j de Marfisa (Loos und Spruch von Leo-
nido und Marfisa); sogar Verbesserungen des gebrauchten spa-
nischen Textes hat der sorgsame Verf. noch zugefügt.
Wir benutzen diese Gelegenheit, um eine verspätete An- 1599
zeige von einem ähnlichen AVerk des Verfassers nachzuliefern:
BEYTRAGE zur GESCHICHTE DER
ROMAXTISCHEX POESIE
Ton Dr. Fried. Wilh. Val. Schmidt. Berlin 18 IS. In der Maurerschen
Buchhandlung.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 160.Stück, den G.October 1821. S. 1599.
JL/ie erste Abhandluns: ist die wichtigste: über den De-
cameron des Boccac[c]io. Untersuchungen über das Geschicht-
liche darin, über Quellen und Nachahmungen, besonders in Be-
ziehung auf Dante, Hans Sachs und das altenglische Theater.
Der Verf. benutzte dabei das Werk von Manni (Istoria del
Decamerone) und noch mehr John Dunlop (the history of
fiction), die beide noch nicht ins Deutsche übersetzt sind, doch
über die Hälfte der Arbeit ist sein Eigenthum. Bei Ginoruene
fand er nichts Neues. Hierauf folgt das fünfte Beispiel der
Kaiserin aus den sieben weisen Meistern, dabei eine müh-
same und dankenswerthe Zusammenstellung der Sagen vom
mythischen Virgil. Die Abhandlung des Theophrastus Para-
celsus von Undinen, Sylphen, Gnomen und Salaman-
dern scheint uns nicht so wichtig, als Hrn. Schmidt. Es ist
hier ohne Zweifel der Glauben verschiedener Völker unterein-
andergeworfen und auch wohl manches aus eigener Phantasie
eingemischt. Den Schluss machen einige vermischte Bemer-
kungen im Gebiete der romantischen Poesie.
[anonym.]
I
W. GRIMM. KL. SCHRItTEX. II. 19
290 NORDISK ARCHÄOLOGIE VED FINN MAGNUSSEN.
1659 BIDRAG TIL NORDISK ARCHÄOLOGIE
MEDDEELTE I FORELÄSNIXGER
ved Finn Magnussen. Kopenhagen 1820. Trykt paa Hofboghandler Beekeus
Forlag. 208 S. 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 166. 1G7. Stück, den 18. October 1S21..
S. 1659— 1664.
Xn den Schriften der skandinavischen Litteratur-Gesellschaft
hatte Werlauff eine Übersicht von der Geschichte der nor-
dischen Archäologie bis auf Ol. Worm geliefert; reichhaltiger
lind weiter ausgeführt ist Nyerups Übersicht von den vater-
ländischen Denkmälern der Vorzeit (Oversyn over Fädernelandets
Mindesmärker fra Oldtiden. Kjöbenh. 1806, zugleich der 4te
Band von der historisch - statistischen Schilderung von Däne-
mark und Norwegen). Schweden besitzt die geschätzten Ar-
beiten Sjöborgs in diesem Fache: eine Einleitung und eine
Nomenclatur der nordischen Alterthümer. Der Verf der vor-
liegenden Schrift erhielt vom Könige den Auftrag, Vorlesungen
über die altnordische Mythologie bei der Akademie der schönen
Künste in Kopenhagen zu halten, und es schien ihm f*flicht,
bei dieser Gelegenheit die ziemlich verbreiteten falschen Mei-
nungen über die Cultur, Kenntnisse und Denkungsweise der
1660 alten Nordbewohner zu berichtigen ; hauptsächlich war es ihm
darum zu thun, den Vorwurf abzuwenden, dass sie ohne alle
Kunstfertigkeit und allen Kunstgeschmack gewesen. Diese
wirklich gehaltenen (doch hier ohne Abtheihmg in Einem fort-
laufenden) Vorlesungen, welche auf jene Grundlagen von Nyerup,
Sjöborg u. a., aber auch auf die eigenen Untersuchungen des
Verf. sich stützen, werden nun hier dem grösseren Publikum
zu weiterer Belebung der Alterthumswissenschaft mitgetheilt.
Zuerst allgemeine Betrachtungen und Blicke auf die älteste
Geschichte, die Abkunft, die gemeinschaftliche Sprache der
Skandinavier (1 — 16). Wie von den kleinen Königen sich die
Gewalt auf Einen gesammelt, in Dänemark Gorm der Alte, in
Norwegen Harald Haarfager (19). Der Ackerbau nach Saxos
Zeugnis im alten Dänemark blühend (22). Die ältesten Woh-
NORDISK ARCHÄOLOGIE VED FIXN MAGNUSSEN. 291
nunoren, zwar gewöhnlich Rauchstuben, waren doch auch von
Stein und hiessen dann hallir, sie bestanden auch wohl aus
mehreren Etagen (darüber wären deutliche Zeugnisse erwünscht).
Die Tempel werden in den alten Denkmälern prächtig be-
schrieben; sie waren gross, weil sie zugleich zu Versammlungs-
örtern dienten (25). Nicht minder prächtig die Wohnungen
der Grossen : sie waren den Beschreibungen nach mit Gemälden
und Bildhauerarbeit geziert. Als Beispiel das Haus des Olaf
Höskuldsen, wegen seiner Prachtliebe Pfauvogel genannt (26 — 36).
Ein Hof (gardr) bestand aus lauter einzelnen, zu verschiedenen
Zwecken eingerichteten Gebäuden (so wie wir es in altdeutschen
Gedichten beschrieben finden). Einige hatten Herd mit Rauch-
fang in der Mitte, andere waren zum Schlafen bestimmt, selbst
Badhäuser befanden sich darunter (37 — 41). Von den soge-
nannten Riesenkammern, in denen sich eine rohe, aber gewaltige,
ungeheure Kräfte erfordernde Bauart zeigt. In ähnlichem Stil
die Steinkreise, Bautasteine, Grabstätten (42 — 66). Unterirdische
Gebäude, deren Bestimmung man nicht kennt; dabei, wie auch
anderwärts,, nimmt der Verf. Rücksicht auf Schottland. Ver- 1661
glaste Mauern , Glasburgen, vitrified forts (71 — 73). Rokke-
steine, die sonst mit der druidischen Lehre zusammenhängen,
in Norwegen und Schweden (74). Jetzt die schwierige Frage:
warum haben sich von jenen prächtigen Tempeln und Gebäuden
gar keine Überreste erhalten? Unter anderen wird auch die
Vermuthung angeführt, es könnten christliche Kirchen darauf
gebaut worden sein (82).
Der Verf kommt auf die Kunstfertigkeiten der alten Skan-
dinavier. Die Malerei sei ja auch in Deutschland alt, wird be-
hauptet und auf eine Stelle über eine kölnische Schule im
„Heldenbuch" (es ist die bekannte Stelle im Parcifal gemeint)
hingewiesen. Sogar die Malerei auf den Schildern bei Tacitus
wird mit aufgeführt (89. 90). Beschreibungen von Gemälden
aus den alten schriftlichen Denkmälern (93 — 96); darnach wären
sogar die Wohnungen mit historischen Malereien geziert ge-
wesen (97). Bildhauerei (99). Zeugnisse darüber. Beschrei-
bungen von fünf Bildsäulen Thors nach den Sagen (11 3 — 129).
Von weiblichen Bildsäulen weiss man wenig (130). Resultate:
19*
292 NORDISK ARCHÄOLOGIE VED FINN MAGNUSSEN.
die Bildsäulen waren nicht colossal, doch auch von mensch-
licher Grösse, aus Holz gehauen, innen hohl, zusammengesetzt
oder durch mechanische Kunst so eingerichtet, dass ihre Glieder
sich bewegen Hessen, der Kopf hin- und herzudrehen. In die
Statue eines Freyr, die sich in Schweden befand, konnte sich
ein Mensch stecken und ihre Glieder bewegen. Die von mensch-
licher Grösse waren, hatten Gesicht und Hände bemalt und
wirkliche Kleider an. Andere scheinen mit Silber oder Gold
überzogen gewesen zu sein (132 — 134). Thors Bildsäulen nach
den Beschreibungen späterer Schriftsteller, Adams von Bremen
u. a. Götterbilder benachbarter Völker, der Russen und Wenden
(139 — 141). Von anderen Kunsterzeugnissen, den Goldhörnern
(143). SchifFbaukunst. Kriegsschiflfe von ansehnlicher Grösse;
die alten Skandinavier waren ausgezeichnete SchiflPahrer (145
1662 — 148). Nidstange. Banner. Freyers Eber. Spuren von Por-
traitzeichnung. Kivike Monument von Munter als Opferung
gefangener Feinde erklärt (156 — 160). Eingegrabene Figuren
auf Felsenwänden, Runensteinen (161). Stickereien mit der be-
kannten Stelle aus der Gudrünarquida (163). Waffen; eiserne
sind in der Erde verrostet, von Kupfer und Metall werden sie
gefunden, auch vom feinsten Stahl (174). Aber woher kam all
dieser Reichthum in den Norden? Es wird geantwortet: durch
Handel, Fischfang, Kriegsbeute und fremden Sold (176 — 186).
Zuletzt ein Auszug aus dem alteddischen Rigsmäl, worin die
Entstehung der drei Stände im Norden beschrieben wird.
Wie schon bemerkt ist, der Verf. hat vorzugsweise die Ab-
sicht gehabt darzuthun, dass auch die Kunst im Norden be-
kannt gewesen. Es ist recht und löblich, das Einheimische
gegen Herabwürdigungen in Schutz zu nehmen; dagegen fruchtet
es auch nicht, wenn man über die Linie hinausgeht, zu viel
thut und, was sich nur irgend erhaschen lässt, so aufstellt, dass
es mehr scheint, als es wirklich ist. Den grössten Gewinn von
dem Studium des Alterthums wird man haben, wenn man es
unbefangen nach seiner Natur und seinem Wesen zu erläutern
und aufzustellen sucht ohne irgend eine Nebenabsicht. Es wird
genug übrig bleiben, welches unsere Achtung, selbst unser Er-
staunen erregt. Reo. gehört gewiss nicht zu denen, die in eitler
b
XORDISK ARCHÄOLOGIE VED FINX MAGNUSSEN. 293
Vornehmthuerei den alten Norden gering sehätzen, aber eine
eigentliche Kunst, versteht man darunter eine freie und schöne
Entwickelung und ein leichtes und lebendiges Bewegen in den
natürlichen Gesetzen derselben, muss er doch dem Norden ab-
sprechen; eine Fähigkeit oder ein Streben, einen Trieb zur
Kunst will er gern zugeben. Die edle Natur des Volks wird
sich auch hierin nicht verleugnet haben, stumpfsinnnig hat es
sich niemals gezeigt. Die alten Steinbauten sind merkwürdig
und charakteristisch, sie deuten auf jenen gewaltigen Geist,
welchen die Denkmäler der Poesie so tief und herrlich aus- 1663
sprechen ; was aber von Tempeln und anderen Gebäuden in den
Sagen beschrieben und gerühmt wird, wir wollen es nicht ver-
werfen noch weniger unbeachtet lassen, doch zweifeln wir, dass
es so wörtlich für wahr dürfe gehalten werden. Wir denken
dabei nicht an ein absichtliches Lügen, aber es gehört ein Auge
dazu, welches Vergleich ungen hat anstellen können, um über
die Pracht eines Gebäudes ein wirkliches Urtheil zu fallen, sonst
hilft die Phantasie das Unbedeutendste als das Grösste aus-
malen. Wer ist nicht schon auf diese Art getäuscht worden
oder hat sich selbst getäuscht? Es mttsste noch etwas übrig
geblieben sein, um uns durch eigenen Anblick zu überzeugen,
und da ja unbezweifelt alte Bauten sich erhalten haben, so sieht
man. dass die von dem Verf. angegebenen Gründe, unter welchen
auch die eigene Beschaffenheit des Bodens in Dänemark vor-
kommt, nicht hinreichend sind, um diesen gänzlichen Mangel
zu erklären. Nicht günstiger urtheilen wir über die Zeugnisse
von Werken der Bildhauerkunst und Malerei, schon die Be-
weglichkeit der Holzbilder verräth den geringen künstlerischen
Werth ; es mögen rohe Arbeiten gewesen sein , welche gleich-
wohl einen gewissen Geist kund gegeben oder angeborene Fertig-
keit offenbart haben, aber schwerlich war von einer wirklich
gebildeten, überlieferten Kunst eine Spur darin. Was sich von
Zeichnungen auf Felsenwänden, Runensteinen usw. erhalten,
zeigt in den besten Fällen von einer gewissen Fertigkeit, aber
durchaus keine Kenntnis der ersten Kegeln. Sind die Gold-
' hörner, wie am Ende doch das Wahrscheinlichste ist, nordische
Arbeit, so können sie den besten Beweis davon abgeben; das
294 AF SAXOS OG SNORROS KILDER VED MÜLLER.
kostbare Material forderte gewiss die Anwendung der grössten
Geschicklichkeit, und doch wie roh, im höchsten Grade elend
ist die Zeichnung aller darauf vorkommenden Figuren ohne
Ausnahme. Dagegen wo eine wirkliche gebildete Kunst vor-
handen ist, da deutet auch die gemeinste Pfuscherei noch darauf
hin und zeigt, dass man von etwas Besserem weiss.
1664 Um über das vorliegende Buch bilhg zu urtheilen, muss
man nicht vergessen, dass es bloss anregende Vorlesungen sein
sollen; an eine irgend ausführliche oder gründliche Behandlung
des Gegenstandes ist daher nicht zu denken. Der sonst durch
fleissige und gelehrte Arbeiten bekannte Verfasser will dies auch
wohl selbst sagen, indem er S. 74 manches als zu weitläuftig
abweist und S. 86 verspricht, eine ausführliche Übersicht über
die nordische Archäologie zu liefern.
[anonym.]
401 CRITISK UNDERSÖGELSE
af Danmarks og Norges Sagnhistorie eller om Trovaerdigheden af Saxos og
Snorros Kilder. Ved Peter Erasmus Müller. Saerskilt aftrykt af det kongelige
danske Videnskabers Selskabs Skrifter. Kopenhagen 1823. In Commission in
der Gyldendalischen Buchhandlung. 314 Seiten in Quart.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 41. 42. Stück, den 11. März 1824.
S. 401—410.
JL^ie zweite von den beiden vorliegenden Abhandlungen,
welche Snorres Quellen und Glaubwürdigkeit untersucht, haben
wir bereits im Jahre 1821 Stück 157 [= oben S. 279 — 283] an-
gezeigt und nach Verdienst gerühmt. Sie ist auf Beschluss der
königlichen Akademie der Wissenschaften zu Kopenhagen neu
abgedruckt, weil sie in jenem Format und mit einer lateinischen
Übersetzung versehen, die hier natürlich fehlt, bestimmt war, in
die grosse Ausgabe der Heimskringla eingerückt zu werden,
und dieses Werk seiner BeschaflPenheit nach nicht in jedermanns
Hände gelangen kann.
Wir haben also hier nur über die erste, aber später ge-
402 schriebene Abhandlung Bericht zu erstatten. Gleichfalls eine
Frucht von des Verf. Studium über die altnordische Sagenge-
schichte, erörtert sie Glaubwürdigkeit und Quellen der ersten
AF SÄXOS OG SNORROS KILDER VED MÜLLER. 295
neun Bücher des Saxo Grammaticus, welche nämlich die
dänische Fabelzeit, wie Snorre die norwegische, begreifen.
So ähnlich die Arbeit mit der vorigen ihrer Idee nach ist, so
musste doch die Ausführung sehr verschieden werden, da Snorres
Quellen, denen er oft wörtlich gefolgt ist, sich so ziemlich nach-
weisen lassen und eigentlich nur die vierzehn ersten Bücher
sein Eigenthum sind; dagegen über Saxos Grundlage konnten
nur mehr oder minder gewisse Vermuthungen stattfinden, ausser-
dem rührt Anordnung und Einkleidung ganz von ihm her, hat
nichts mit anderen Gemeinsames und zeigt vielmehr eine scharf
bestimmte Eigenthümlichkeit.
Im Ganzen betrachtet ist die historia danica des Saxo
sowohl in Beziehung auf die Zeit, in welcher sie geschrieben
wurde, als auf ihren Inhalt und ihre Sprache eine ausgezeich-
nete Erscheinung. Diejenigen, welche sich dem ersten und
natürlichen Eindruck überliessen, wurden ebenso von dem freien,
ungewöhnlich aussrebildeten Geist als von dem reichen Inhalt
xmd der lebendigen Anschauung überrascht, die sich in einer
fremden, damals noch nicht so leicht zugänglichen Sprache mit
solcher Eindringlichkeit und zierlichen Kunst ausdrückte, und
legten dem Werk einen grossen Werth bei, ohne sich mit
kritischen Sorgen über den Inhalt zu belästigen. Dieses Ge-
fühl veranlasste schon ziemlich früh die dänische Übersetzung
von Wedel (1575), und vor kurzem (1818) hat Grundtvig das
A\ erk neu und, wie uns scheint, nach jenem Gesichtspunkt sehr
glücklich ins Dänische übertragen, dabei mit dem ihm eigenen
Eifer in einer sonst auch lesenswerthen Vorrede seinen Lands-
leulen empfohlen. Den schwierigen Punkt der Glaubwürdigkeit
übergeht er zwar nicht ganz, berührt ihn aber nur und wendet
ihn, wie es im Sinne jener Ansicht wohl zulässig ist, mit der403
Bemerkung ab, dass der Grund von Saxos Erzählungen ohne
Zweifel Wahrheit enthalte, da aber die Überlieferung schon un-
vollständig und verwirrt zu ihm gekommen sei, er nichts mehr
habe thun können, als sie nach seiner besten Einsicht benutzen;
was nicht geschichtliche Wahrheit enthalte, erfreue sich doch
einer geistigen, weil es aus dem Leben selbst geschöpft sei. Bei
dieser oder einer ähnlichen Erklärung kann sich aber die Kritik,
296 AF SAXOS OG SNORROS KILDER VED MÜLLER.
die auch ihr Recht hat, nicht beruhigen; die Zeit des vollen
Glaubens an die Sagengeschichte geht bei den Völkern wie bei
einzelnen Menschen vorüber, und es ist ein Glück, wenn der
Gegensatz nicht allzuscharf schneidend auftritt, alles Gute und
Achtungswürdige der früheren Periode zernichtend. Jeder, der
die Quellen der altnordischen Geschichte selbst nachsah, musste
bei der Betrachtung des Saxo zu Bedenklichkeiten und Zweifeln
noth wendig angeregt werden: manches konnte mit der be-
glaubigten Geschichte sichtbar nicht bestehen, anderes war an
sich nicht wohl möglich oder stand mit weiteren Behauptungen
im Widerspruch. Von diesem Standpunkt aus gab es aber
sehr verschiedenartige Lrtheile. Suhm in seiner dänischen Ge-
schichte betrat die erste Stufe der Kritik, die gleichwohl auf
den verderblichsten Weg führt (man darf dies sagen und kann
doch seine Gelehrsamkeit und seine grossen Verdienste hoch-
achten), indem er die Wahrheit der alten Sagen, die er in der
That fühlte, zu entdecken, gleichsam als Gold aus dem Sande
herauszuwaschen glaubte, wenn er den Erzählungen ihren
Schmuck, den Begebenheiten selbst ihr Wunderbares abnähme.
Er übersetzte also nur die Poesie des Saxo in Prosa, Gegen
diese in der That viel zu gläubige Ansicht hatte die über-
kritische Schule, deren Häupter wir nicht zu nennen brauchen,^
404 gewonnen Spiel ; was ist leichter zu zeigen, als dass keine wahr-
hafte Geschichte entsteht, wenn man z. B. den Odin als einen
gewöhnlichen Menschen, etwa nur als einen Betrüger handeln
lässt? Von ihr ward im schärfsten Gegensatz Saxo so gut
wie jede andere Sagengeschichte in Bausch und Bogen ver-
worfen; von ihm sollte nicht die Rede sein, und man beschuldigte
ihn noch dazu absichtlicher und muth williger Verfälschung, ja
man bedauerte die Mühe, die man auf die Betrachtung leerer
Träumereien und gehaltloser Märchen wendete. Frei von dieser
Starrheit, mit einem besseren und belebten Geist ist die neueste
deutsche Abhandlung von D ah 1 mann (Einleitung in die Kritik
der Geschichte von Altdänemark, in den Forschungen auf dem
Gebiete der Geschichte, 1. Band 1822) geschrieben. Er hat
eigene Untersuchungen über den Saxo angestellt*) und ist weit
*) [Dieses Wort ist im Handexemplar zugesetzt.]
AF SAXOS OG SNORROS KILDER VED MÜLLER. 297
davon entfernt, dessen geistige Kraft und poetischen Werth zu
verkennen, gleichwohl ist auch er zum Verneinen geneigt und
ocelangt zu einem Resultat, welches den acht ersten Büchern
des Saxo allen geschichtlichen Werth raubt. Er nimmt an,.
Saxo habe echte, schriftliche Quellen nicht nur nicht gesucht,
sondern sogar von sich gestossen, seine Quellen seien alte Aben-
teuer und Gedichte gewesen, die er von Dichtern und vom
Volk geborgt und nach Sage und Volksmeinung und, wo diese
schwiegen, nach Gutdünken und Willkür zusammengesetzt- habe.
Quellen dieser Art hält er aber in Beziehung auf die Geschichte
für völlig werthlos. Recht charakteristisch ist der Ausspruch,
dass der Untergang jener von Carl dem Grossen gesammelten
deutschen Gedichte, wenn auch ein grosser Verlust für die
Poesie, als ein Gewinn für die Geschichte zu betrachten sei.
Hr. P. E. Müller gehört zu keiner von beiden Parteien; mit
anderen Worten: er erkennt in jeder Richtung das Wahre neben
dem Falschen. Er gibt zu, dass die Quellen, aus welchen Saxo
schöpfte, durch Zusätze und Veränderungen von Jahrhunderten 405
bereits getrübt waren und mehr oder weniger ihre Wahrheit
von der geschichtlichen sich entfernt hatte; ihm ist daher das
Dasein mancher dänischen Könige, die Saxo anführt, zweifel-
haft oder völlig unbegründet, so wie er Ordnung und Folge
derselben nicht anerkennt. Er nimmt ferner an, Saxo habe die
Sagen nach seiner nothwendig beschränkten Ansicht einge-
theilt und zusammengestellt und diese Ansicht könne leicht
falsch und unstatthaft gewesen sein. Dagegen behauptet er auf
der anderen Seite, dass Saxos Quellen nicht durchaus eines ge-
schichtlichen Grundes entbehrten und, weil nicht alles, was er
aus der heidnischen Zeit erzähle, wahr sein könne, man deshalb
nicht*) einer jeden seiner Angaben den Glauben absprechen
müsse. Er leugnet eine absichtliche und willkürliche Ver-
fälschung und erkennt sogar Spuren von Kritik, zwar einer an
sich schwachen und haltungslosen, die aber Zeugnis von einem
redlichen Willen gibt. Er sieht in Saxos AVerk eine Anzahl
echter altdänischer Sagen erhalten, deren Zeitalter gewisslich
nicht kann angegeben werden, die aber aus inneren Gründen
*) [Zusatz im Handexemplar.]
298 AF SAXOS OG SNORROS KILDER VED MÜLLER.
sich in verschiedene, immer erkennbare Epochen der heidnischen
Heldenzeit ordnen und zusammenstellen lassen. Diese Quellen
hält er zum Theil für glaubwürdig und spricht ihnen damit
einen geschichtlichen Werth und einen wahrhaften Inhalt zu.
Eine solche Ansicht kann ihre rechte Bedeutung erst durch
die Ausführung gewinnen, und diese erhält sie in vorliegender
Abhandlung nach einem einfachen und natürlichen Plane.
Schritt für Schritt untersucht der Verf. die einzelnen Erzäh-
lungen in den neun ersten Büchern des Saxo, jede für sich
nach ihrer inneren BeschaflFenheit und nach den äusseren Zeug-
nissen, und bringt die Arbeit ebenmässig zu Ende mit der ihm
eigenthümlichen Klarheit und dem schon früher gewonnenen
406 Geschick in der Handhabung dieser immer vorsichtig zu be-
rührenden Gegenstände. Ein Auszug scheint uns etwas Un-
fruchtbares, wir laden zum Lesen, vielmehr zum Studium der
Schrift selbst ein, denn es versteht sich, dass über manchen
einzelnen Punkt weitere Untersuchungen zulässig, sogar noth-
wendig sind und abweichende Resultate sich ergeben können.
Vielleicht ist Eins und das Andere mythisch bedeutender und
älter, als es hier dargestellt wird, dagegen auch manches My-
thische in Beziehung auf Geschichte von geringerem Werth.
Wir wollen einiges berühren, um Beispiele von dem Verfahren
des Verfassers und dem Vortheil zu geben, den solche Unter-
suchungen der Wissenschaft gewähren. Gleich im ersten Buche
wird nachgewiesen, dass ein Wechselgesang zwischen Hadding
und seinem Weibe derselbe ist, wovon Snorres Edda den An-
fang enthält und welchen sie den Göttern Niord und Skade zu-
schreibt; hier hatte also Saxo ein sehr altes Lied aufgenommen.
In der Sage von Frode zeigt sich gerade das Fabelhafte älter
und mehr gegründet, als das historische Element, da das eddische
Mühlenlied sich schon auf Frode und die goldene, saturnische
Zeit, die unter ihm soll geblüht haben, bezieht. Dass die
deutschen Dichter des Mittelalters den milden König Fruote
von Dänemark, und gewiss nicht aus dem Saxo, gekannt haben,
scheint dem Verf. entgangen zu sein. Die Stellen, die sich
darauf beziehen, sind gesammelt in der Zeitschrift Askania von
Wilhelm Müller 1820 S. 156. 157. Bei Helge dem Hundings-
tödter gibt das Zeugnis der beiden Eddalieder, deren ganzen
AF SAXOS OG SNORROS KILDER VED MÜLLER. 299
Inhalt doch Saxo nicht benutzte, eine ahe Sage unzweifelhaft
kund. Zu der Erzählung von Hrolf, Helges Sohn, lässt sich
eine isländische Sage vergleichen; worin beide übereinstimmen,
das gehört zu dem uralten Inhalt, sonst aber ist die isländische
Sage theils älter, theils jünger als Saxo. Sehr merkwürdig ist
der Beweis , dass das alte Biarkamäl hier in einer Paraphrase 407
sich erhalten hat. Von diesem berühmten, durch den ganzen
Norden verbreiteten Gesang lässt sich das Zeitalter mit einiger
Sicherheit ausmitteln. schon im 11. Jahrhundert hiess es ein
altes Lied und rührt leicht aus dem 7., spätestens aus dem
9. Jahrhundert. Zugleich werden die Dunkelheiten der latei-
nischen Bearbeitung glücklich erläutert durch die Bemerkung,
dass Saxo zwei verschiedene dialogisirte Gesänge unrichtig ver-
mischt hat. In Snorres Heimskrinorla sind einige Bruchstücke
des alten Liedes erhalten, die sich nun mit Saxos Worten ver-
gleichen lassen. Wir wollen hier nur eine Strophe anführen
(Olaf des Heil. Sage S. 348):
vekat ek ydor at vini Nicht weck' ich euch zum Wein,
ne at vifs runom, nicht zum Gespräch mit Jungfrauen;
helldr vek ek ydor at hördom ich wecke euch zum harten
Hiildar leiki. Spiele der Hilldur (Kriegsgöttin).
Bei Saxo:
non ego virgineos jubeo cognoscere ludos,
nee teneras tractare genas aut dulcia nuptis
oscula conferre, et tenues adstringere mammas.
Non hquidum captare merum, tenerumque fricare
femen et in niveos oculum jactare lacertos;
evoco vos ad amara magis certamina Martis.
Welch ein Contrast zwischen der schlichten alten Sprache und
Saxos zierlichen Gedanken und kunstreichen Worten! Nichts
kann uns lebhafter eine Anschauung von seiner Behandlung
der Sagen und Lieder gewähren. Hothers Streit mit Balder
enthält eine der ältesten Mythen von Baldurs Tod durch Hödur,
welche die Edda in ihrer Bedeutung und in richtigem Zu-
sammenhang erzählt, die von Saxo aber ohne Sinn und un-
geschickt als eine historische Begebenheit dargestellt ist. Da-
gegen was von Amleth erzählt wird, scheint nicht alt und eine
Dichtimg des Isländers Arnold, der sie dem Saxo geliefert haben 408
300 AF SAXOS OG SNORROS KILDER VED MÜLLER.
mag. Bei Dan Mikillati wird gezeigt, dass Saxo unter drei
austheilt, was Snorre einem Einzigen zulegt; Suhm hat mehr
von ihm, aber das beruht auf späteren, unbegründeten Zusätzen
und kann als völlig unhistorisch verworfen werden. Die Ge-
schichte von Erik Ragners Sohn ist eine Reihe von Unwahr-
scheinlichkeiten und ungereimten Dingen und sieht ganz aus,
als sei sie zu blosser Unterhaltung gedichtet worden; hingegen
gehört die Sage von Hogne und Hethin abermals ganz erweislich
zu den ältesten Denkmälern: die alten Skalden spielen darauf
an, und Snorres Edda erzählt sie, nur einfacher und darum
besser. Bei der Geschichte von Stärkodder, einer der schönsten
voll Kraft und Leben, wird die Vermuthung geäussert, dass
deutsche (freilich ganz spurlos verschwundene) Gedichte könnten
benutzt worden sein; es ist nur die Frage, ob im 11. Jahr-
hundert schon deutsche Gesänge in Dänemark bekannt waren?
Späterhin gewiss, wie durch Zeugnisse kann bewiesen werden.
In dem 7. Buche wird eine neue Quelle Saxos entdeckt, indem
er sehr wahrscheinlich vier epische Volkslieder oder Balladen,
dergleichen die Kjämpeviser enthalten, und gerade bei den an-
ziehendsten Geschichten zu Grunde gelegt hat, unter diesen
auch das über den ganzen Norden verbreitete Lied von Signe
und Habor. Da diese Lieder aus alter Überlieferung stammten,
gleichwohl keine Zeitbestimmungen enthielten, so glaubte Saxo
klug zu thun oder nach seiner Weise kritisch zu verfahren,
wenn er sie an das Ende der mythischen Zeit setzte. Im
8. Buch wird das Alter des Gedichts von der Brawallaschlacht
vertheidigt, auf welches sich Saxos Beschreibung derselben
gründet. Ein schlagender Beweis liegt in dem Umstand, dass
die Namenliste noch den alten Reimbuchstaben gemäss geordnet
ist. Ausserdem stimmt Saxo mit einem von ihm unabhängigen
409 isländischen Denkmal, Sogubrot genannt, und das Gedicht,
welches er benutzte, rührte aus der heidnischen Zeit, wiewohl
es mit der Brawallaschlacht selbst nicht gleichzeitig ist, die in
die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts fallt; Saxo, durch falsche
Voraussetzungen verleitet, schob sie in das 6. Jahrhundert zu-
rück. Die Geschichte von Jarmerich und Bicke, glaubt der
Verf., sei nicht aus isländischen Denkmälern, sondern aus Volks-
AF SAXOS OG SNORROS KILDER VED MÜLLER. 301
sagen genommen, die in dem 12. Jahrhundert aus einer Mischung
von deutschen Gedichten und alten dänischen Erinnerungen
sich gebildet hätten; das Ganze aber sei dem Norden fremd
gewesen. Eine Angabe, die genauere Prüfung und weitere
Untersuchung erfordert, weil sie nicht ohne Einfiuss auf die An-
sicht von der Originalität der eddischen Lieder, die den deut-
schen Fabelkreis und eben auch diese Sage von Jormunrekr
berühren, bleiben kann. Eine Sage von König Snio, die andere
Chroniken doch erzählen, hat Saxo nicht, war sie ihm bekannt,
so hat er sie aus einer Art von kritischem Gefühl ausgeschlossen.
Was die Auswanderung der Longobarden betrifiit, so hält der
Verf. Saxos Beschreibung davon, obgleich Paulus Diaconus,
selbst ein Longobarde, etwas Ahnliches berührt, insoweit für
pnbegründet, als sie nicht aus echten nordischen Quellen ge-
schöpft sei ; dagegen scheint es ihm auch nicht ausgemacht, was
zumal deutsche Schriftsteller behaupten, dass man den Auszug
der Longobarden aus Scandinavien, namentlich aus dem nörd-
lichen Jütland bestimmt leugnen müsse. Da in dieser Angabe
an sich selbst nichts Ungereimtes liege, so dürfe sie nicht ver-
worfen werden. Saxo , glaubt der Verf , habe die Nachricht
aus deutschen, eben durch Paulus Diaconus veranlassten Sagen
erhalten, die im 11. oder 12. Jahrhundert nach Dänemark ein-
gedrungen wären. Thorkills Reisen nennt der Verf. ein wahres
Gegenstück zu den Reisen des Arabers Sindbad ; indem er darin
theils eine moralische, theils eine religiöse Absicht erblickt, be- 4io
trachtet er sie als eine Dichtung, aus welcher auch nicht ein
Zug für die Geschichte zu gewinnen sei. Bei Ragnar Lodbrok
wird gezeigt, dass Saxo aus vier verschiedenen Quellen seine
Erzählung zusammengesetzt, die er vergeblich zu einem Ganzen
hat verbinden wollen. — Wir haben nur ausgehoben, was am
deutlichsten das V^ erfahren erkennen lässt, welches der Verf
angewendet hat. Sowohl die bejahende als verneinende Partei
wird manches für sich finden, ebensoviel gegen sich; möchten
beide durch diese Schrift zur Einsicht geführt werden, dass
man Saxos Werk nicht beurtheilen kann, wenn man sich nicht
genau die Lage vorstellt, in welcher er schrieb. Fast jede der
Sagen, woraus es zusammengewebt ist, hat ihr eigenthümliches
302 SYMBOL AE AD GEOGRAPHIAM VON WERLAUFF.
Wesen und verlangt nach besonderen Gesetzen beurtheilt zu
werden; unter einen Hut, wie man sagt, lassen sie sich nicht
bringen. So viel ist gewiss, man wird den Saxo, wenn man
die altdänische Vorzeit zu untersuchen gedenkt, nicht bei Seite
legen dürfen; wer ihn aber gebrauchen will, muss ausser der
Unbefangenheit und dem Scharfsinn auch die reiche Kenntnis
von den übrigen Denkmälern des nordischen Alterthums be-
sitzen, die Hrn. P. E. Müller eigen ist.
[anonym.]
öisSYMBOLAE AD GEOGRAPHIAM MEDH AEVI EX
MONUMENTIS ISLANDICIS SCR. E. CHR. WERLAUFF.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 52. Stück, den 29. März 1824. S. 513 — 517.
Wir holen noch die Anzeige eines akademischen Pro-
gramms des Hrn. Prof, Erich Christian WerlauflP nach, welches
bereits im Jahr 1821 erschienen ist und symbolas ad geo-
graphiam medii aevi ex monumentis islandicis 61 S. in 4 enthält.
Die historischen und mythisch-poetischen Werke des alten
Nordens sind vorzugsweise, wie sie es verdienen, bearbeitet und
durch den Druck bekannt gemacht worden; jetzt ist es wohl
an der Zeit, die übrigen aufgesammelten isländischen Hand-
schriften, welche anderen Wissenschaften angehören, genauer
zu untersuchen, mögen sie auch von geringerem Gehalt sein.
Einiges ist dort für die lateinischen Classiker und die Geschichte
des Studiums der griechischen und römischen Litteratur zu
holen, reichere Ausbeute für die Theologie zu erwarten und
manches für die Geschichte der Poesie aus den isländischen Über-
setzungen romantischer Dichtungen zu gewinnen, wovon uns Pf.
Müllerin dem S.Bande der Sagenbibliothek S. 480— 484 wenigstens
614 ein Register geliefert hat. Ein geographischer Tractat veran-
lasste Hrn. Prof. Werlauff' zu einer Untersuchung über die
Kenntnisse des Nordens in diesem Fache. Die Geographie
konnte bei ihrer Verbindung mit der Geschichte nicht vernach-
lässigt werden; wirklich finden sich auch in den historischen
SYMBOLAE AD GEOGRAPHIAM VON WERLAUFF. 303-
Werken, wo sich Gelegenheit ergab, und um die Begebenheiten
selbst besser zu erläutern, mehr oder minder ausführliche geo-
graphische Beschreibungen, z. B. von Schweden, Norwegen und
Russland, worüber der Verf. genauere Angaben liefert. Es lässt
sich nachweisen, dass die Isländer verschiedene geographische
Werke des Mittelalters benutzten; sie hatten ausserdem be-
sondere Gelegenheit, entfernte Völker und Länder kennen zu
lernen. Als Dichter besuchten sie die nordischen und eng-
lischen Königshöfe, als Kaufleute Britannien und Frankreich, als,
Seefahrer drangen sie nach den Polargegenden, als Krieger
giengen sie nach Russland und Griechenland, der Wissenschaften
wegen nach Erfurt, Cöln und Paris, als Geistliche nach Rom
und als Wallfahrer noch weiter bis in das heilige Land. Es
waren auch besondere Reisebeschreibungen von namhaften Ver-
fassern vorhanden, worüber man hier nähere Nachricht findet.
Leider sind sie verloren gegangen, doch haben sich einige
Tractate mit einer Beschreibung der drei Welttheile erhalten,
worin das Geographische, wie sich aus mehreren Gründen
schliessen läs^t, der Ertrag wirklich unternommener Reisen sein
mag. Proben daraus sind schon in den Scr. Rer. Dan. II, 25
und in der Rymbegla S. 340 bekannt gemacht. Reichhaltiger
sowohl für die fabelhafte als wahre Geographie sind aber ver-
schiedene in der Arnamagnäanischen Sammlung aufbewahrte,
bis jetzt noch ungedruckte Pergamentcodices, welche der Verf.
hier äusserlich und nach ihrem Inhalt genau beschreibt ; einer
darunter, von reinlicher Hand, gehört in das 13. Jahrhundert.
Das ganze Werk besteht aus drei Theilen: der erste enthält öiä
eine Geographie der damals bekannten Welt; der zweite, welcher
den meisten Werth hat, eine Reisebeschreibung von Dänemark
aus durch Deutschland, die Schweiz, Italien nach Rom, von
da nach ünteritalien und Griechenland bis nach Palästina.
Die Stationen der Reisenden werden aufgezählt, die Städte, wo
sich ein bischöflicher Sitz oder Reliquien eines Heiligen be-
finden, Klöster und sonst irgend eine Merkwürdigkeit; dabei
ist die Entfernunor der Orte von einander angreoreben. Als Ver-
fasser, das heisst als derjenige, nach dessen mündlichem Be-
richt dieses Itinerarium aufgeschrieben ist, wird Abt Nicolaua
304 SYMBOLAE AD GEOGRAPHIAM VON WERLAUFF.
genannt. Es wird wahrscheinlich gemacht, dass er der in den
isländischen Annalen erwähnte Abt Nico laus, ein Sohn Sä-
munds, ist, der im Jahr 1154 von einer Reise zurückkam und
hald darauf 1159 starb. In jedem Fall aber gehört diese Schrift
in die Mitte des zwölften Jahrhunderts. Der dritte Theil ist
^m wenigsten wichtig und enthält allerlei historische und geo-
graphische Nachrichten, z. B. eine Beschreibung der Kirchen
zu Rom, Aufzählung der Städte in Italien, Spanien, Frankreich
und dergleichen.
Den zweiten Theil hat Hr. Prof. Werlauff vollständig nach
der besten Handschrift abdrucken lassen, aus dem ersten nur,
was Europa betrifft, und aus dem übrigen, was zur Ergänzung
des Ausgewählten dienen konnte. Für diejenigen, welche den
isländischen Text nicht verstehen, ist eine lateinische Über-
setzung danebengestellt; unter dem Text sind abweichende
Lesearten oder Zusätze der anderen Handschriften angegeben,
und alles ist mit der Sorgfalt behandelt, an die wir bei der
Herausgabe altnordischer Denkmäler gewöhnt sind. Wir hätten
also hier eine Übersicht von dem, was die Isländer von der
Geographie im Mittelalter wussten, und da diese an und für sich
:5l6noch dunkel genug ist, wir auch aus dieser Abhandlung nähere
Einsicht von der Art, wie sie ihre Reisen einrichteten, und von
ihrem Verkehr mit entfernten Völkern erlangen, so hat uns
Hr. Prof. Werlauff gewiss ein annehmbares Geschenk gemacht.
Nach Rom gab es damals aus dem Norden zwei Wege,
einen westlichen und einen östlichen ; ebenso werden von Stade
bis nach Mainz zwei Strassen bezeichnet. Die eine gieng über
Verden, Minden und Paderborn. Bei Minden wird die An-
merkung gemacht: „nü skiptaz tüngur", hier verändern oder
scheiden sich die Sprachen. Es könnte nur von der hoch-
deutschen und niederdeutschen Sprache die Rede sein, aber die
Augabe befremdet, da sie völlig unbegründet ist. Merkenswerth
ist folgende Stelle: „Thar imilli (zwischen Paderborn und
Mainz, deren Entfernung auf vier Tagereisen angegeben wird)
er thorp er Horus heitir, annat heitir Kiliandr, ok thar er
Gnitaheidr (? Gnitaheidi), er Sigurdur va Fafni." Das Dorf
Horus und Kiliandur ist völlig unbekannt, auch klingen die
SYMBOLAE AD GEOGRAPHIAM VON WERLAUFF. 305
Namen seltsam; wenn Suhm in seiner kritischen Geschichte
"darunter Herborn und Dillenburg vermuthet, so hat das nichts
für sich, als die sehr entfernte Ähnlichkeit im Klang und den
Umstand, dass beide Orte nicht weit von einander zwischen
Paderborn und Mainz liegen. Die Gnita beide, wo Sigurd
den Fafner tödtete, ist aus den Liedern der Edda hinlänglich
bekannt, aber nicht wo sie lag und was der Name an sich be-
deutet, denn Nussheide, wie die grosse Kopenhagener Ausgabe
der Edda (II, 871) erklärt, ist gewiss falsch. An sich mag
jene Stelle, der alten Fabel nach, richtiger sein, als bei der
Stadt Luna in Italien (S. 20) die Bemerkung: „I Lunu söndum
kalla sumir menn ormgard er Gunarr var i settr." In dem
Sand bei Luna, sagen einige, sei die Schlangenhöhle gewesen,
' in welche Gunarr gesetzt wurde. Gleichwohl ist weder diese öi7
Beziehung auf den Untergang des Helden, wie er in der Edda
erzählt wird, noch der Umstand zu übersehen, dass schon im
12. Jahrhundert Isländer die alte Sage ins Ausland und selbst
in die weite Ferne versetzten. — Der andere Weg von Stade
nach Mainz hält sich östlich. Valfoburg ist dunkel, und Hana-
bruinburg kann seiner Lage nach sehr wohl Hanover sein: aber
wie ist das Wort selbst zu verstehen? Der Verf. macht aus der
Erklärung von Hanover (in den Urkunden Hanovere) durch
hohes Ufer alta ripa den isländischen Namen deutlich, als eine
blosse Übersetzung: Hanabruinburg, nimmt er an, bestehe aus
här, altus, und brün, crepido, was immer eine scharfsinnige
Vermuthung bleibt. Soviel als Beispiel, was aus der Schrift
zu lernen ist, und dass auch nach den zahlreichen und s:e-
lehrten Erläuterungen des Hrn. Prof Werlauff, welche S. 32—34
«innehmen, noch Dunkeles zurückbleibt. Als Anhang folgt eine
alte Ichnographie von Jerusalem nach dem Original sauber in
Kupfer gestochen ; dabei eine Beschreibung einiger Merkwürdig-
keiten des heiligen Landes, dergleichen Meusel bibl. bist. I,
P. II, S. 174 JÖf. anführt. Sie steht in zweien der oben angre-
führten Handschriften. In den Anmerkungen kommen auch
noch Auszüge aus der Kyrialaxsage vor.
[anonym.
\V. GICIMM, KL. .SCIIUIFTKX. II. 20
306 WESTENDORP, HUNEBEDDEN.
689 VERHANDELING
ter beantwoording der Vrage: welke Volkeren hebben de zoogenoemde Hunc-
bedden gesticht? in welke tyden kan men onderstellen, dat zy deze oorden
hebben bewoond? door Nicolaus Westendorp, Predikant by de Hervormde
Gemeente te Losdorp, en Lid der Commissie van onderwys in de Provincie
Groningen, an wien, door de algemeene jaarlyksche Vergadering van de
Hollandsche Maatschapy der Wetenschappen te Haarlem, op den 20. Mei 1815,
de gouden eerprys benevens eene premie van vyf en twintig gouden dukaten
is toegewezen. Tweede druk. Groningen. Bei J. Oomkens 1822. XVI und
326 S. Text. 49 S. Anm. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bdll, 70.71.Stück, den I.Mai 1824. S.689-71L
-Ciine holländische Preisschrift über die Hünenbetten,
von einer gelehrten Gesellschaft in Haarlem gekrönt und von
dem Publikum so günstig aufgenommen, dass hier schon eine
zweite Auflage mit mannigfachen Verbesserungen dargereicht
■wird, verdient gewiss Aufmerksamkeit; um so mehr, da eine
690 nahverwandte Frage bei uns zur Beantwortung öffentlich ist
gestellt worden. Uralte Denkmäler eines unbekannten, vielleicht
untergegangenen Volkes, welche die Vorzeit schon mit Verehrung
betrachtete und in denen das Volk noch heute Wundersames,
wie etwa den versteinten Hochzeitzug einer in den Tod be-
trübten Braut oder nächtliche Wohnungen der Geister erblickt r
sie regen jeden sinnenden Menschen an. Beides, ihre Rohheit
und ihre Grossartigkeit, überraschen und fesseln unser Auge,
sie scheinen halb wie Naturwerke und aus einer Zeit herüber-
gekommen, von der wir uns schwer ein Bild zusammensetzen
und gleichwohl durch eine solche Beschauung eine Ahnung ge-
winnen. Diese gelehrte, mit sichtbarer Liebe zur Sache unter-
nommene Nachforschung leitet vielleicht einen zwar feinen und
dünnen, aber doch hellen Strahl in die Finsternis unserer
ältesten Geschichte, der uns, wenn auch nicht deutlich zu sehen,
doch Manches zu unterscheiden gestattet. Eine ..olche Arbeit
trägt schon in sich Belohnung und bleibt höchst achtungswerth,
wenn auch der Gewinn nicht mit Händen zu greifen wäre.
Der Verf. hat die Hünenbetten von ähnlichen Denkmälern
getrennt, und diese scharfe Sonderung, während sie für die
WESTENDORP, HUNEBEDDEN. 307
Untersuchung selbst vortheilhaft ist, kann bei dem Abschluss
und für die Resultate nachtheilige Folgen haben. Wissen wir
nicht, von welchem Volk jene anderen Denkmäler herrühren,
ob von demselben, einem nahverwandten oder ganz fremden,
welches später daselbst seinen Sitz hatte, kurz, kennen wir nicht
das gegenseitige Verhalten, so wird unsere Einsicht nicht recht
wahr und lebendig werden können. Dies soll kein Vorwurf
gegen den Verf. sein, der seine Aufgabe sehr wohl bearbeitet
hat; wir wollen nur damit sagen, dass eine jede Art dieser
Alterthümer erst muss gründlich untersucht sein, ehe es vor-
theilhaft sein kann, für die Geschichte allgemeine Schlüsse zu 691
ziehen oder Hypothesen zu begründen.
Also sondert Hr. Westendorp ab: die aufgeworfenen Grab-
hügel, die bei uns, d. h. im nördlichen Deutschland so häufig
sind und gleichfalls Hünenbetten genannt werden; die Grab-
kammern, die eine Art Übergang machen; die Dolmens in
Frankreich; die Altäre und dergleichen Denkmäler, die der
skandinavische Norden in der mannigfaltigsten Abwechselung
zeigt. Ihre Betrachtung und Untersuchung schiebt er ganz zur
Seite und hält sich bloss an die eigentlichen Hünenbetten. So
aber nennt er jene über der Erde zwar freistehenden, aber doch
niedrigen Felsenblöcke, die in ein längliches, am Westende
etwas breiteres Viereck von verschiedener Grösse geordnet und
von gleichen Felsenstücken oben bedeckt sind, neben [?] freie
Zwischenräume haben, aussen von einem jetzt nur selten noch
sichtbaren Steinkreis umgeben sind. Der einzige Unterschied
besteht in der grösseren und geringeren Anzahl der Felsenstücke
und der daraus folgenden verschiedenen Grösse des Ganzen,
das sich von 18—60, 80 Fuss Länge und 5 — 10, 11 Fuss Breite
findet; ebenso ist auch die Grösse und Schwere der Felsen-
blöcke selbst verschieden; sonst sind sich die Hünenbetten
überall vollkommen gleich. Ihre Richtung ist gewöhnlich von
Osten nach Westen (bis auf einige feinere Unterscheidungen,
die in den Anmerkungen S. 33 angegeben werden). Innen
findet man, wenn man aufgräbt, gewisse Dinge, von welchen
hernach die Rede sein wird und die überall dieselben sind.
Mit Recht wird zuerst das Bereich der Hünenbetten aus-
20*
308 WESTENDORP, HUNEBEDDEN.
gemittelt. Zieht man von dem schwedischen Lappland aus-
gehend eine Linie über den bothnischen Meerbusen, die Ostsee,
die Mündung der Oder durch Böhmen, Baiern, Savoyen bis
692 zum Ausfluss der Rhone in Frankreich , so liegen die Länder
alle westlich, in welchen sie vorkommen. Also im skandina-
vischen Norden, den brittischen Inseln, Norddeutschland, Holland
und Frankreich; in Gallicien sind sie vielleicht noch vorhanden,
in Portugal waren sie ehedem, sind aber jetzt zerstört. Hierzu
einige nähere Bestimmungen: geht man in Frankreich von dem
Ursprung der Garonne zu dem der Loire über Nevers und Sens
bis an die Seine, so hat man zur linken Hand die Gegenden,
welche allein im Besitz dieser Alterthümer sind; von Deutsch-
land aber gehört nur hierher, was nördlich über der Linie liegt,
die an der Oder herab über Berlin, Dessau, Cassel und Wesel
läuft. Südlicher hinunter findet sich kein Hünenbett mehr, und
die Cap. 6 angeführten Spuren eines solchen am Rhein können
getrost ganz gelöscht werden. Das Denkmal, dessen Johannes
Müller in einem Brief gedenkt, hat nichts mit einem Hünenbett
gemein, sondern ist der bekannte, jetzt verwüstete Königsstuhl
zu Rense oder Rees in der Nähe von Coblenz, worüber man
schon in Büschings Geographie Auskunft finden kann. — Der
Verf. hat sich noch weiter umgesehen, aber sonst nirgends,
auch nicht in anderen Welttheilen, kommen solche Hünenbetten
vor; am meisten Verwandtschaft zeigen noch jene durch Pallas
bekannt gewordenen Denkmäler am Jeniseistrom in Sibirien,
zugleich aber auch wesentliche Verschiedenheiten.
Die Beschreibung der Hünenbetten in den vorhin genannten
Gegenden füllt 10 Capitel (S. 13 — 81), sie ist sehr schätzbar,
indem die Nachrichten darüber mit Fleiss und grosser Belesen-
heit zusammengetragen sind. Daselbst ist auch der Bericht
einer Reise eingerückt, die Hr. Westendorp unternommen hatte,
um die Alterthümer in seiner Nähe zu untersuchen. Dort, in
Drenthe nämlich und den Grenzen von Ober-Yssel, befinden
sich Hünenbetten in vorzüglicher Menge und noch am meisten
693 erhalten, ja eins zu Tinarlo, wovon die erste Kupfertafel eine
willkommene Abbildung liefert, steht noch bis auf den äusseren
WESTENDORP, HÜNEBEDDEN. 309
Steinkreis, der verschwunden ist, ganz in seinem ursprünglichen,
wahrscheinlich Jahrtausende alten Zustand.
Die in den aufgegrabenen Hünenbetten vorkommenden
Dinge betrachten wir wohl am besten an den Exemplaren, die
in Drenthe ausgegraben sind, eben weil sie hier am genausten
und vollständigsten aufgezählt werden. Zuerst kleine Urnen,
worin die Asche des Verstorbenen aufbewahrt wurde; wir wün-
schen, der Verf. hätte ausdrücklich gesagt, dass er oder andere
glaubwürdige Zeugen die Asche und verbrannten Knochen noch
selbst darin gesehen; in den deutschen Grabhügeln wenigstens
hat man Urnen gefunden, die mit nichts als reinem Sand an-
gefüllt waren. Sie sind von gelbbrauner oder aschgrauer Farbe,
theils mit, theils ohne Henkel, sowohl mit engem als weitem
Hals. Einige haben gerade und gekrümmte, rings um die
Urne laufende Striche, bei anderen fehlen sie. Sie sind allzeit
nicht nur kleiner (denn die grösste ist nicht über einen halben
Fuss), als die, welche man in den Grabhügeln findet, sondern
auch feiner und besser gearbeitet. Fälschlich hat man geglaubt,
sie seien in dem Wind oder der Sonne getrocknet, sie sind ge-
brannt; ferner sagt Hr. Westendorp , sie seien in einer Form
gemacht (?) und nicht aus freier Hand, dagegen fehlt ihnen
Glasur. Sodann runde, glatte Steine, in der Mitte durch-
löchert und mit einigen Kreuzen bezeichnet. Sie sind aus ge-
branntem Thon, der manchmal schwarz ist, glimmernd und zer-
brechlich: Waffen können es deshalb unmöglich gewesen sein,
und der Verf. scheint der Meinung den Vorzug zu geben,
welche darin ein Bild der Sonnenscheibe erblickt. Femer runde
Steine in der Grösse eines Hühnereis, doch nicht oval,
darauf zwei oder drei Kreuze in einem Cirkel, sehr sauber ein-
gegraben. Ohne Zweifel haben sie eine religiöse Bedeutung 694
gehabt, der Verf. sieht Talismane darin und äussert die Ver-
muthung, dass jenes Kreuz im Ring ein celtiberischer Buch-
stabe sei, mit dem griechischen 6 verwandt und eine Hiero-
glyphe der Gottheit, welches wir dahingestellt sein lassen.
Endlich Äxte, Streithämmer und Keile von Stein. Die
beiden ersten sind beständig aus einem schwärzlichen Stein ge-
310 WESTENDORP, HÜNEBEDDEN.
arbeitet, der in Drenthe nicht vorkommt, jedoch in Savoyen
und den Schweizer Bergen gefunden wird. Einige Streitäxte
sind breiter und ohne Öffnung. Die Keile von verschiedener
Grösse und Steinart sind manchmal glatt und geschliffen. Ein-
mal ist ein Wetzstein ausgegraben worden. In deutschen Hünen-
betten hat sich, wie aus dem Bericht in den Anmerkungen
S. 23 erhellt, auch Bernstein von verschiedener Grösse und
Gestalt, in der Mitte gewöhnlich durchlöchert, gefunden. Ausser-
dem zeigten sie noch eine Eigenthümlichkeit: ausserhalb des
Denkmals, rundherum (wahrscheinlich doch immer noch inner-
halb des ehemaligen Steinkreises), grub man noch eine grosse
Menge zerbrochene Urnen aus der Erde. Wir vermissen von
allen diesen Dingen Abbildungen; sind sie auch in anderen
Werken vorhanden, so würde es doch sehr bequem und nütz-
lich sein, jeden dieser Gegenstände, wenn auch nur in einem
Umriss und in seiner häufigsten Gestalt, beim Gebrauch dieses
Werkes ansehen zu können. Noch ist anzumerken, dass der
Stein an den Felsenblöcken selbst in Drenthe, wie fast überall,
grober Granit ist und in der Nähe angetroffen wird.
Die Hünenbetten sind nach Hrn. Westendorps Meinung
nichts Anderes als Grabstätten. Dies zeigt der unregel-
mässige Bau der Steinblöcke, die zu Altären nicht können ge-
dient haben, und die innen ausgegrabenen Aschenkrüge und
Steingeräthe. Sie sind aber verwüstet; zu der Zeit, wo das
695 Christenthum eingeführt werden sollte, wurden sie absichtlich,
wo nicht völlig zerstört, welches zu viel Mühe erfordert hätte,
doch beschädigt, um einer fortdauernden und abergläubischen
Verehrung derselben entgegenzuwirken. Staubsand scheint das
einzige zu Tinarloo geschützt zu haben. Man schreibt dem
Bonifacius diese Verwüstung in Holland zu, die, wenn sie auch
damals einen löblichen Zweck hatte, jetzt nur einen rohen und
barbarischen Sinn zeigen würde, weshalb auch die Regierung
in den Niederlanden diese Alterthümer ausdrücklich in Schutz
genommen und jede Beschädigung derselben streng verboten hat.
In welchem Zustand lebte das Volk, das diese Geräthe in
seine Gräber legte, welche Folgerungen lassen sich aus der Be-
trachtung derselben ziehen? Diese Fragen werden zunächst
WESTENDORP, HUNEBEDDEN. 311
(S. 99 ff.) erörtert. Das Brennen des irdenen Geschirres war
zu der Zeit, wo die Hünenbetten errichtet wurden, schon be-
kannt, eine Kunst, von der viele Stämme in Amerika noch jetzt
nichts wissen, und diese Urnen scheinen, die Glasur ausge-
nommen, nicht schlechter, als unser heutiges Küchengeschirr.
Die Striche und Linien darauf sind sauber gezogen. Metall
war noch nicht bekannt, kein Stückchen Kupfer (so häufig in
den deutschen Grabhügeln), noch weniger Eisen ist je zum
Vorschein gekommen. Die Waffen sind von Stein und geben
Anlass zu der auffallenden Bemerkung, dass sie vollkommen
den Steinwaffen der neuen AVeit gleichen, also überall dieselben
sind. Es ist kein Grund vorhanden, zu glauben, dass diese
Steingeräthe seien nicht wirklich gebraucht worden. Das Volk,
dem sie angehören, schliesst Hr. Westendorp, verstand demnach
einen irdenen Topf zu brennen, einen Stein zu einer Waffe
zurecht zu schleifen und allenfalls mit bewunderungswürdiser
und anhaltender Arbeit zu durchbohren, eine Hütte zu bauen
und schwere Felsenstflcke mit Menschenkraft fortzuschaffen;
dabei möge es Jagd und Fischfang getrieben haben, Landbau 696
aber sei ihm fremd gewesen. Im Ganzen weist er ihm keine
höhere Stufe von Cultur an, als jene der Hottentotten und
herumziehenden amerikanischen Stämme. Etwas mildert er
diesen Ausspruch und lässt das Volk wieder einige Grade hin-
aufsteigen, indem er ihm eine grössere gesellschaftliche Ver-
bindung und eine religiöse Vereinigung zuschreibt. Ohne Priester
und höher stehende Geschlechter lässt sich die Errichtung
solcher Grabstätten, Felsendenkmäler nicht wohl denken, daher
dürfen wir uns keine eigentlichen Nomaden vorstellen. Tausch-
handel muss schon stattgefunden haben, eben der Steinwaffen
wegen, die aus entfernten Gegenden kamen. Die Verbrennung
der Todten (denn unverbrannte Knochen und Gerippe fanden
sich unter den Hünenbetten nicht) ist an sich ein religiöser,
geheimsinniger Gebrauch, der ohne die Leitung von Priestern
nicht ausgeübt werden konnte. Hr. Westendorp glaubt, man
habe wohl die Idee einer Reinigung damit verbunden, einer
Scheidung des Nichtigen und des Unvergänglichen, um dadurch
zur Vereinigung mit einem höheren Wesen zu gelangen. Eben
312 WESTENDORP, HUNEBEDDEN.
deshalb dürfe man nicht den Glauben an Seelenwanderung ver-
muthen, wohl aber an Unsterblichkeit der Seele, indem man
Sorge für einen glücklichen Zustand nach dem Tod getragen,
habe. Nicht bloss arm und bedürftig muss aber das Volk ge-
wesen sein, auch gewohnt in Krieg und Streit zu leben, da&-
beweisen die WaflPen, die dem Todten noch mit ins Grab ge-
geben wurden und ein Zeugnis von seiner wichtigsten Be-
schäftigung im Leben sind.
Diese Resultate hat der Verf. durch aufmerksame Betrach-
tung gewonnen. Rec. wünscht, er hätte jede Vergleichung mit
Nomaden, den Hottentotten und wilden amerikanischen Stämmen,,
auf die er öfter zurückkommt, aufgegeben.
697 Mögen Nomaden, Hottentotten und wilde amerikanische
Stämme ihre Leichen eine Zeit lang bewahren und dabei von
religiösen Ansichten und Gebräuchen geleitet werden, diese
grossen, mühsam vollbrachten Steinbauten über der Asche eines
geehrten Todten zeigen einen ganz anderen geschichtlichen Sinn,.
der nur Völkern einer höheren Bildung eigen zu sein pflegt.
Wie sie der Nachwelt das Andenken ihrer Helden, Anführer
oder Priester zu erhalten gedachten, ebenso war von ihnen die
Vergangenheit in Denkmälern geachtet und in Sagen und Liedern-
bewahrt. Welcher Schluss ist natürlicher, als dass dies Volky
welches die Hünenbetten errichtete, einer eben so geistigen
Ausbildung sich erfreute, als jenes, dessen Thaten Ossian be-
singt und dessen Denkmäler und Grabstätten, wenigstens nach
seiner Beschreibung, an rauher Einfachheit diesen gleich standen.
Spricht nicht das berühmte Stonehenge in England gegen des
698 Verf. Ansicht, indem es zu viel Bildung und Verstand in An-
lage und Ausführung zeigt, als dass man es einem wilden und
rohen Volke zuschreiben dürfte? Es mag leicht einer etwas
späteren Zeit angehören (denn man glaubt, die Steine seien mit
dem Meissel bearbeitet, und noch jetzt fühlbar sind die Zapfen
auf den aufrechtstehenden Felsen, in welche die Decksteine von
oben, gewiss mit künstlichen Vorkehrungen, eingesenkt wurden),
aber ganz sichtbar ist es in dem Stil der Hünenbetten und von
demselben Volk erbaut, wiewohl viel prächtiger und grossartiger^
und diese Verwandtschaft erkennt Hr. Westendorp auch an.
WESTENDORP, IIUXEBEDDEN. 313:
Hier wäre eine nähere Vergleichung gewiss vortheilhaft gewesen.
Auch der Norden leitet auf andere Folgerungen, seine Altäre
und Riesengräber sind auf gleich rohe Weise mit unbear-
beiteten Felsenstflcken erbaut, dennoch lassen die ältesten Ge-
sänore einen Geist erkennen, der auch nicht die entfernteste
Verwandtschaft mit der abgestumpften und ins Thierische herab-
gesunkenen Seele der amerikanischen Wilden zeigt. Freilich
muss die Bilduno^ solcher Zeitalter mit ihrem eigenen Massstabe
gemessen werden, ganz nah bei edlen und erhabenen Gefühlen
hat oft grosse Härte und Grausamkeit gestanden. Was die Ge-
räthe von gebrannter Erde betrifft, so wünschen wir eine genaue
Untersuchung, ob sie nicht den Gebrauch der Töpferscheibe
verratheu: Rec. ist es wahrscheinlich, denn aus freier Hand,
roh geformt sind sie nicht, wie ausdrücklich angemerkt wird,
und wie sollen runde, enghalsige Gefässe -in einer Form" ge-
macht sein. Es ist nicht wohl möglich; die Anwendung der
Töpferscheibe aber würde gleichfalls ein in festen Wohnsitzen
lebendes, mit bestimmter Handarbeit sich beschäftigendes Volk
vermuthen lassen.
Warum das Verbrennen der Leiche den Glauben an Seelen-
wanderung ausschliessen solle, sehen wir nicht ein. Im Wider-
spruch damit berichtet Cäsar (de B. G. VI, 14) von den Druiden, 699»
sie hätten jene Lehre den Galliern vorgetragen (non interire
animas, sed ab aliis post mortem transire ad alios), und bald
darauf (VI, 19) beschreibt er die Feierlichkeiten beim Ver-
brennen der Leichen. Diese Folgerung würde also besser ganz
unterdrückt.
Die Frage, wie brachte man die schweren Felsenblöcke,-
die über die anderen als Decke gelegt wurden, ohne künstliche
Maschinen in die Höhe? beantwortet der Verf., wie uns scheint,,
befriedigend. Man füllte den Grund mit Erde und arbeitete
dann mit Hebebäumen ohne andere Werkzeuge durch die blosse
Kraft von Menschenarmen den Abhang hinauf. Freilich war
eine erstaunlich grosse Anzahl von Menschen dazu nöthig; eben
darum scheinen solche Denkmäler auch nur Auszeichnungen für
den höheren Stand gewesen zu sein. Die Richtung der Hünen-
betten von Osten nach Westen wird durch eine Verehrung der
fc
314 WESTENDORP, HUNEBEDDEN.
Sonne erklärt. Die Höhe von dem Deckstein bis auf den
Grund ist nach einer festen Regel zu bestimmen; fügt man
nämlich noch den Raum von dem Grunde bis zu dem untersten
Steinboden hinzu, so erhält man gerade Menschenhöhe.
Die zweite Abtheilung des Buchs (S. 109 — 156) beschäftigt
sich lediglich damit, die Völker nach der Reihe vorzuführen,
von welchen die Hünenbetten nicht herrühren können. Es ist
zugleich eine Geschichte der verschiedenen Meinungen; denn
welchem alten Volke sollte sie nicht dieser oder jener nach
einem augenblicklichen Einfall oder aus Liebhaberei an einer
Hypothese aufgebürdet haben! Wir begnügen uns hier, diesen
Abschnitt anzuzeigen, der an sich so sorgfältig ausgearbeitet ist,
als das ganze Buch. Würde bei dieser Gelegenheit jemand zu
viel Umständlichkeit und Breite überhaupt tadeln, so müsste er
auch die aufgewandte Gelehrsamkeit und reiche Belesenheit,
die oft da Früchte trägt, wo man sie nicht erwartet, dankbar
anerkennen.
700 Regelmässig schreitet die Untersuchung in der dritten und
ausführlichsten Abtheilung weiter: nachdem die Völker sämmt-
lich abgewiesen sind, welchen die Hünenbetten nicht dürfen
zugeschrieben werden, so muss endlich dasjenige übrig bleiben,
welchem sie in der That zugehören. Ehe dies aber genannt
und sein Recht erörtert wird, sucht eine vorbereitende Ab-
handlung (S. 160 — 197) das hohe Alter der Denkmäler an sich
zu begründen. Das Resultat lautet: die Hünenbetten gehören
in die allerälteste Zeit, ja in die Kinderjahre der Menschheit;
sie sind von den ersten Bewohnern Europas errichtet, als sie
noch abgeschieden von allen gebildeten Völkern lebten. Ref.
darf hier, wo alles sorgfältig zusammengetragen, selbst ungewisse
Spuren nicht übergangen sind, nur die Hauptsätze berühren,
worauf jener Ausspruch ruht. Dass die Stellen der Alten, die
sich hierher deuten lassen, zuerst angeführt und erläutert werden,
versteht sich von selbst; am merkwürdigsten sind die bei Tacitus
und Strabo (aus dem Ephorus), welche von Denkmälern reden,
welche den Dolmens oder den Hünenbetten scheinen ähnlich
gewesen zu sein; dabei denken beide an ein Heiligthum des
Herkules. Seine Behauptung aber ferner zu begründen, führt
WESTENDORP. flUNEREDDEN. 315
Hr. Westendorp folgende Punkte aus. 1 . Die von jeher herrschende
Ansicht, welche die Hünenbetten als Werke undenklicher Zeiten
betrachtet, auch in der Volksmeinung ausgesprochen, wornach
Riesen die Erbauer derselben waren. (In der S. 168 angeführten
Stelle aus dem Otnit heisst ris in keinem Falle gigas, und in
der aus Melis Stocke ebendaselbst heisst ries nichts Anderes
als stultus; beide gehören also durchaus nicht hierher.) 2. Die
Roheit der Arbeit, es sind rauhe unbewerkte Felsenblöcke;
nirgends Spur einer Inschrift. 3. Die äussere Form gibt Zeug-
nis von hohem Alter. Die Hünenbetten, glaubt der Verf., seien
Häuser, dem abgeschiedenen Geist erbaut, weshalb das Volk 70i
noch jetzt wähne, sie würden Nachts von Geistern bewohnt.
Die meisten Völker hätten ein solches Haus für den Geist als
etwas sehr Nothwendiges betrachtet, und so gelangt er zu dem
Satz, dass alle Völker, die sich einigermassen aus der Wildheit
herausgearbeitet, die Grabstätten ihren Wohnungen nachgebildet
hätten. Dieser Satz wird viel Anfechtung erleiden, und es ist
schwer darauf bauen, weil man nicht weiss, bei welchem Grad
von Cultur diese Eigenthümlichkeit aufhört, den Verf. aber
leitet er zu dem weiteren Ausspruch, dass sich in den Hünen-
betten eine Nachahmung fremder und seltsamer Bauart kund
gebe. Indem sie nämlich die platten Dächer Asiens und Afrikas
zeigten, fielen sie dem grauen Alterthum anheim, das in die
ersten Zeiten von Europas Bevölkerung hinaufsteige. Wie ge-
neigt Rec. überhaupt ist, den Hünenbetten ein hohes Alter zu-
zugestehen, so scheinen ihm diese Schlüsse doch sehr gewagt
und zu bedenklich, als dass er etwas darauf stützen möchte.
Die Idee, einen verbindenden Stein als Decke über zwei andere
aufrechtstehende zu legen, bietet sich so natürlich dar, dass wir
deshalb nicht an die platten Dächer südlicher Himmelsstriche
zu denken brauchen. Auch kommt hier einiger Widerspruch
mit früheren Behauptungen vor: baute das Volk den Geistern
Wohnungen den seinigen ähnlich, so lebte es auch selbst in
festen, solid gebauten Häusern und war kein nomadisch-wildes.
4. Die Vergleichung mit anderen alten Denkmälern dieser Art
verleiht den Hünenbetten das höhere Alter. Einleuchtend scheint
uns in den Drenthischen Monumenten die Unterscheidung: von
316 WESTENDORP, HUNEBEDDEN,
vier Zeitaltern. Die jüngsten sind die gemauerten und eben
gepflasterten Keller mit unverbrannten Leichen, wobei sich
einige Ähnlichkeit mit christlichen Gebräuchen zeigt. Älter als
diese eine grosse Menge runder Grabhügel von Erde und Steinen,
702 die von der Zeit der Einführung des Christenthums bis in den
früheren Zeitraum zurückgehen. Kennzeichen von noch höherem
Alter tragen die Grabkammern von grossen Steinen an sich,
die in runden Hügeln angelegt sind. Am allerältesten sind end-
lich die Hünenbetten. 5. Einen Hauptgrund gibt die Armselig-
keit der ausgegrabenen Geräthe ab, die gleichwohl das Kost-
barste scheinen gewesen zu sein, das man besass. Hier kommt
der Verf. wieder auf seine Lieblingsansicht: ^zekerlyk zyn de
Hunebedden van de Wilden in Europa" und lässt sie noch un-
stät in ganzen Landstrecken herumschwärmen. Wir glauben
nicht, dass es jemals in dem mit Asien stets in Verbindung ge-
bliebenen Europa Wilde gegeben hat, wie sie in dem isolirten,
geistig versunkenen Amerika sind gefunden worden. Der grössten
Aufmerksamkeit werth ist gewisslich der Umstand, dass man
unter den Hünenbetten noch nie ein Stückchen Kupfer ange-
troffen hat, und der Schluss des Verf , dass das westliche Europa
damals noch kein Metall kannte, ist, wo nicht ganz sicher, doch
sehr wahrscheinlich. Weniger ist es die weitere Folgerung,
dass die Errichter der Hünenbetten mit keinem anderen ge-
bildeten Volke in Verbindung gestanden hätten; muss doch
gleich der Steinwaffen wegen, die aus den Gegenden her-
stammten, wo die besondere Streitaxt zu Hause war, eine Aus-
nahme gemacht werden. Da bereits vor der christlichen Zeit-
rechnung Bergwerke in Spanien und Gallien geöffnet waren,
so musste eine des Metalls unkundige Periode viel früher ge-
setzt werden, dagegen lässt sich nichts einwenden; der Verf.
behauptet aber, sie sei noch früher, als die Zeit, wo Gelten und
Iberier in der persischen Reiterei dienten, welches bereits im
4. Jahrhundert vor Christus geschah. Es gibt einen Einwurf
gegen die Schlüsse des Verf., nämlich dass man gar wohl andere
Waffen, vielleicht selbst von Metall, gekannt, aber diese von
703 Stein in die Grabstätten gelegt habe , als blosse simulacra ar-
morum, böse Geister abzuwehren. Wiewohl dem Rec. dieser
WESTENDORP, HÜNEBEDDEN. 317
Einwurf nicht genügend scheint, weil sich doch einmal ein Bei-
spiel von Metallwafien würde gezeigt haben, so wird er doch von
Hrn. Westendorp zu schnell und hart abgewiesen; wahrschein-
lich kennt er des fein und scharf blickenden Sk. Th. Thorlacius
Abhandlung, die er anführt, weiter nicht, sonst würde er ein-
gesehen haben, dass sie eine genaue Widerlegung wohl verdient.
Viele in den nordischen Gräbern gefundene Steinwaffen konnten
weder im Kampf noch beim Opfer gebraucht werden; das ist
wenigstens Thatsache. 6. Als letzter Stützpunkt dient die grosse
Ähnlichkeit der Steinwaffen mit denen der wilden Völker anderer
Welttheile; so merkwürdig dieser Umstand an sich ist, so führt
er doch zu sehr ins Weite, wenn der Verf. fragt: wird man
nicht orenöthiort anzunehmen, dass man dergleichen Waffen da-
mals gebrauchte, als die Väter aller dieser Völker noch in Asien
lebten? haben sie diese Kunst nicht mit aus der Wiege gebracht?
Diese Ähnlichkeit müsste erst genau untersucht und davon ab-
gezogen werden, was sich ohne Überlieferung aus der Natur
der Sache selbst ergibt; ein Hammer scheint in seiner ersten
und rohen Form überall sich gleichen zu müssen.
Nachdem der Verf. bis dahin sich den Weg gebahnt, glaubt
er das Volk nennen zu dürfen, welchem nach seiner Meinung
die Hünenbetten allein müssen zugeschrieben werden. Es sind,
wie zu erwarten stand, die Gelten, die einzigen, die bis jetzt
noch nicht vorgeführt waren. Hierin folgt er der gewöhnlichen,
sich leicht darbietenden Meinung, weil in den anerkannten
Sitzen der Gelten, zwischen der Seine und Garonne in Frank-
reich und in den brittischen Inseln, die meisten Hünenbetten
gefunden werden. Es ist aber zu erklären, wie diese Monu-
mente in Gegenden kommen, welche nach bisheriger Ansicht 704
niemals von "Gelten bewohnt wurden, also in das nördliche
Deutschland und noch weiter hinauf in den skandinavischen
Norden. Deshalb entwickelt der Verf. (S. 202 — 309) eine neue
Hypothese. Neben den Liguriern oder römischen Galliern
nimmt er als einen besonderen Volksstamm die Gelten an,
welche das ganze westliche Europa vom Süden bis zum Norden
bewohnt hätten. Von Gadix an durch Portugall und dann
nach Unterbrechung durch die Gantabrier wieder von der Ga-
318 WESTENDORP, HUNEBEDDEN.
rönne die Seeküsten entlang bis nach dem Norden sollen sie
sich ausgestreckt, kurz in allen den Ländern Sitze gehabt haben,
in welchen wir die Hünenbetten antreffen oder sie ehemals vor-
handen waren. Diese Gelten, wozu ausdrücklich die Cimbern
gezählt werden, hält Hr. Westendorp für die Urbewohner
jener Gegenden: in Deutschland hätten sie sich bis zum Harz
herab verbreitet und wären dann später hier und im skandi-
navischen Norden von den Germanen überwunden und unter-
jocht worden. Sie sind ihm „die Wilden von Europa", welche
vor Ankunft der Römer schon besiegt waren, und mögen, wenn
man alles erwägt, schon zu Moses Zeit in Deutschland herum-
geschwärmt sein; machte doch bereits im 6. Jahrhundert vor
Christus die Übervölkerung den Auszug des Belloves und Si-
goves nöthig. Sie also, die celtischen Cimbern, haben in Deutsch-
land die Hünenbetten errichtet, und die runden Grabhügel
rühren von ihren Feinden her, von den Germanen, die später
ihre Sitze einnahmen und Verehrer Odins waren.
Die Sorgfalt und Gelehrsamkeit, womit diese Hypothese
ausgeführt ist, verdient schon Anerkennung, wäre auch nicht
nebenbei manches Beifallswürdige bemerkt und Manches scharf-
sinnig unterschieden. Günstig ist ihr allerdings das hohe Alter
705 und die anfänglich weite Verbreitung des celtischen Stammes,
und wie er in Gallien und auf den brittischen Inseln unter-
drückt und westlich in einen kleinen Raum zurückgedrängt
wurde, so hätte ein ähnliches Schicksal ihn in Germanien und
dem Norden treffen oder dort sein Missgeschick anfangen
können, falls er diese Gegenden ursprünglich bewohnte. Ferner
spricht dafür (freilich die Veranlassung) das Dasein der Hünen-
betten, so eigenthümlicher und überall vollkommen ähnlicher
Denkmäler, in den genannten Ländern. Endlich konnten noch
angeführt werden (was Hr. Westendorp nicht thut) jene Rokke-
steine, welche mit druidischer Lehre zusammenhangen und
nicht bloss in Frankreich, sondern, gewiss sehr merkwürdig,
auch im Norden, am häufigsten auf der Insel Bornholm vor-
kommen, aber freilich noch nirgends in Deutschland entdeckt
sind. Nachzusehen ist darüber Münters Abhandlung im zweiten
Bande der antiquarischen Annalen und Finn Magnussen nor-
WESTENDORP, HUXEBEDDEX. 319
dische Archäologie S. 74. 75. Die allgemeinen und ungewissen
Bemerkuncren der Alten, die einmal Gelten und Gallier unter-
scheiden, dann bloss den Ausdruck Gelten anwenden, die Cim-
bern bald Gelten, bald Kimmerier, bald Gallier, bald Germanen
nennen, gestatten die verschiedenartigsten Auslegungen, und
man kann es dem Verf. nicht verdenken, wenn er herausnimmt,
was seiner Meinung zuträglich ist. Allein in der Hauptsache
sieht es doch, wie uns deucht, bedenklich aus; wir glauben
nämlich, dass der eigentliche Beweis durch die Sprache müsse
geführt werden. Mangelt dieser, so bleibt das Ganze nur eine
Vermuthung. Der Verf. behauptet zwar folgerichtig, in den
von den Germanen unterjochten, ursprünglich celtischen Gegenden
habe sich ein Misch volk und eine gemischte Sprache gebildet;
allein diese Behauptungen sind durch nichts begründet. Solche
entgegengesetzte Elemente müssten noch jetzt in der nieder-
deutschen und in den nordischen Sprachen können nachgewiesen 706
werden, eine Forderung, die an sich natürlich und um so billiger
ist, als das Geltische noch in Wallis sowohl als der Bretagne
fortlebt, also eine Vergleichung sich gar wohl anstellen lässt.
Wie es scheint, hat Hr. Westendorp die Untersuchung über
den Ursprung der altnordischen Sprache von Rask nicht ge-
kannt, er würde sonst gerade, was er vernachlässigt, eine Er-
örterung des Verhältnisses der celtischen und germanischen
Sprache daselbst gefunden haben. Eine Einmischung des Ger-
manischen auf das Geltische ist schon früher bemerkt und an-
erkannt, sie betrifft aber nur den Wortvorrath und hat keinen
Einfluss auf den inneren organischen Bau der Sprache, der
doch eigentlich die Hauptsache ist; im Gegentheil darin sind
beide grundverschieden. Jene Berührung erklärt sich hinläng-
lich aus der alten Vermischung der Germanen (Gimbern) und
Gelten in Belgien, ausserdem ist sie hier, d. h. für das System
des Verf., ohne Einfluss, wo der umgekehrte Fall zu beweisen
steht, dass die germanische Sprache Elemente aus der celtischen
empfangen habe. Wird aber dieser Beweis nicht geführt, so
offenbart sich gleich eine sehr schwache Seite des ganzen Ge-
bäudes. Es hätte können dafür gesagt werden, was Adelung
(Alteste Geschichte der Deutschen S. 114) vorbringt, dass die
320 WESTENDORP, HUNEBEDDEN.
Namen der cirabrischen Heerführer gallisch klängen, aber das
ist etwas an sich sehr Schwankendes und könnte in keinem
Fall eine Stütze des Systems werden. Näher steht schon die
Bemerkung bei Rask (S. 188): „einige Wörter" aus der celtischen
Sprache seien in die germanische übergegangen, ja er äussert
dabei (auch S. 82) den übereinstimmenden Gedanken, die Ur-
sache könne darin liegen, dass der germanische Stamm nach dem
celtischen in den Besitz einiger Länder gelangt sei, wiewohl
er auch einen anderen sehr natürlichen Weg zeigt, nämlich
'.707 diese einzelnen Wörter seien durch die Kriege der Nordbewohner
mit den Gelten herübergekommen. Rask hat das Verzeichnis
dieser Wörter nicht geliefert, und wollte jemand zu Gunsten des
Westendorpischen Systems es aufstellen, so müsste er bedenken,
dass, wenn es etwas beweisen soll, zugleich diese celtisch-ger-
manischen Wörter lediglich in der niederdeutschen und nor-
dischen Sprache, nicht auch zugleich in einer süddeutschen oder
der gothischen vorkommen dürften. Was Hr. Westendorp selbst
für die vorausgesetzte Mischsprache anführt, ist ohne Gewicht
und enthält nur Andeutungen, wo etwa Beweise aufzufinden
seien. Er sagt S. 231 und kommt S. 289 darauf zurück: die
Namen von Bergen, Flüssen, Landschaften, Wäldern, Bächen
und Dörfern in Germanien Hessen sich aus dem Celtischen er-
klären, aber die in der Note als Gewährsmänner angemerkten
Schriftsteller beweisen von diesem Satz nicht das Geringste.
Der neueste darunter, Barth in Deutschlands Urgeschichte, hat
auch nicht entfernt so etwas im Sinn gehabt, wie man sich aus
dessen angeführten Worten überzeugen wird; Adelung, den Rec.
-nachgeschlagen, sagt eher das Gegentheil oder etwas durchaus
nicht hierher Gehöriges und ganz Triviales, nämlich dass man
an der Übereinstimmung des ältesten Deutsche» mit dem neueren
nicht zweifeln dürfe, und im Bragur endlich sind bloss Adelungs
Worte wiederholt. — Die nordische Edda spricht von einem
Volk, welches die Äsen bei ihrer Ankunft vorgefunden hätten
-und von ihnen besiegt und verdrängt worden sei; es sind die
Riesen, Joten, Feinde der Götter. Ob eine historische Wahr-
heit in dieser Angabe liegt, wollen wir dahingestellt sein lassen
"oder auch einmal als wahrscheinlich annehmen, wo fände sich
WESTEKDORP, HCNEBEDDEN. 321
aber der Beweis, dass diese Joten nichts Anderes als Gelten ge-
wesen wären, wie der Verf. seinem System gemäss annimmt?
Wenn er (S. 254) fragt, ob die dänische, schwedische und
friesische Sprache nicht einen fremdartigen Bestandtheil er- 708
kennen lasse, und wenn er (S. 245) geradezu annimmt, es
schimmere im Skandinavischen und Niederdeutschen viel Cel-
tisches durch, so müssen wir beides ganz entschieden verneinen.
Das Höchste wären ein Paar einzelne (erst noch zu erweisende)
celtische Wörter, die gar nicht in Betracht kommen könnten,
da ja die reinste und eigenthümlichste Sprache aus einer anderen
einzelne Wörter erhalten hat; und gerade der altnordischen,
von der doch als Mutter der schwedischen, dänischen und nor-
wegischen allein die Rede sein sollte, kann man Reinheit, so-
weit diese einen Sinn hat, gewiss zuschreiben. Hr. Westen-
dorp hat nicht wohl gethan, dass er (S. 296) die gelegentliche,
■ohne Zweifel flüchticre Bemerkung eines deutschen Gelehrten:
das Altnordische zeige eine höhere Ausbildung der Formen,
als das Gothische des Ulfilas, die an sich völlig ungegründet
ist, für wahr angenommen und nun darauf bauend sich diese
höhere Ausbildung durch den Einfluss des Celtischen, das über-
haupt eine höhere Geistesbildung erkennen lasse, erklärt. Wäre
jener Satz auch wahr, so würde er gerade die Abwesenheit
eines jeden fremden Einflusses beweisen, da die Geschichte der
Sprachen hinlänglich darthut, dass bei einer jeden Mischung
eben die Formen Schaden leiden und sich abstumpfen.
Überhaupt ist der Verf. da nicht am glücklichsten, wo er
Sprachdenkmäler in seinen Vortheil ziehen will. Er theilt
(S. 207) ein Gelübde mit, das die Sachsen zu Carls des Grossen
Zeit dem Wodan sollen abgelegt haben, und zwar als „ein
echtes"' Beispiel der celtisch-deutschen Sprache in jener Mischung,
die er sich denkt. Allein dieses angeblich alte Stück ist als
ein moderner Betrug anerkannt und verräth sich sogleich durch
die elende Nachahmung der alten Sprache; schon Kinderling
(Geschichte der niedersächsischen Sprache S. 196) hat es sehr
verdächtig gemacht. Gewisslich hat der Verf. desselben kein 709
Wort Celtisch verstanden. Dao:e(jen gibt es ein echtes und
sehr ausgezeichnetes Denkmal der altsächsischen Sprache, die
\V. UIUMM, KL. üCIlKirrKX. II. 21
322 WESTENDORP, HUNEBEDDEN.
Evangelienharmonie, welches, da bis jetzt nur Bruchstücke da-
von gedruckt sind, wahrscheinlich Hrn. Westendorp noch nicht
bekannt geworden ist, in welchem er indessen nicht das ge-
ringste Celtische wird entdecken können. — S. 255 macht er
die an sich richtige Bemerkung, man müsse die Sprache Isidors,
Otfrieds usw. nicht die fränkische nennen, es ist die althoch-
deutsche, wenn er aber die bekannten Malbergischen Glossen als
das Einzige erklärt, was Licht über die eigentliche fränkische
Sprache gebe, und eine Anzahl daraus gezogener Wörter anführt
zur Überzeugung, dass es weder Niederdeutsch noch Hochdeutsch
noch Niedersächsisch sei, so muthet er den Lesern zu viel zu,
da aus diesen völlig entstellten, vereinzelten Wörtern schwer-
lich jemand einen Sinn bringen, noch weniger einen Begriff
von einer Sprache bekommen wird. Muss die deutsche Gram-
matik diese Malbergischen Glossen ganz aufgeben, so werden
sie schwerlich für historische Untersuchungen ein Resultat liefern
können.
W'^ir schliessen mit einem Einwurf gegen des Verf Hypo-
these, der uns äusserst natürlich vorkommt. Sollen die runden
Grabhügel von einem ganz anderen Volk, das den Odin ver-
ehrte, herrühren und einen Gegensatz zu den Hünenbetten
bilden, was wäre einfacher als der Schluss, dass sie sich über-
all, wo wir Sitze der Germanen mit Sicherheit annehmen, vor-
finden müssten? Davon zeigt sich aber gerade das Gegentheil
und eine sehr merkwürdige Analogie mit den Hünenbetten, in-
dem die Grabhügel etwa innerhalb derselben Linie in Nord-
deutschland vorkommen, dagegen in Süddeutschland (in den
Anmerkungen S. 19 steht, ohne Zweifel durch einen Schreib-
710 fehler, der aber durchaus verbessert werden muss, nördlich für
südlich) selten und die Paar Beispiele noch ungewiss sind.
Wäre nun die Vermuthung nicht viel ansprechender, dass beides,^
Hünenbetten und Grabhügel, von einem und demselben oder
einem verwandten Volke herrührte und einen Unterschied der
Zeit oder des Standes anzeigte? wie ja auch im Norden an-
erkannt nach Verschiedenheit des Standes die Grabstätten ver-
schieden eingerichtet wurden ; nur für Höhere z. B. waren aus-
gemauerte Grabkammern. Noch mehr Gewicht erhält die Ver-
WESTENDORP, HUKEBEDDEN. 323
muthung durch den Umstand, dass viele geöffnete Grabhügel
ebenso wenig ein Stückchen Metall geliefert haben, als die Httnen-
betten, dagegen gleichfalls Steinwaffen, einen runden Eistein
und die Aschenkrüge, nur, wie es scheint, roher und grösser.
Würde ein späteres, feindlich gesinntes Volk eine so gleiche
Sitte bei seinen Todten angewendet haben? Nach dem S. 23
in den Anmerkungen mitgetheilten Bericht waren die Urnen in
deutschen Hünenbetten zum Theil „sehr elegant", den etrurischen
Vasen ähnlich; warum sollen die gröberen imd unförmlicheren
in den Grabhügeln jünger sein? Übrigens wollen wir ausdrück-
lich anerkennen, wie viel Schwierigkeiten sich beiden Ansichten
entgegenstellen, der einen, welche die Hünenbetten aller Gegen-
den einem und demselben Volke zuschreibt, das sich durch das
ganze westliche Europa von Süden bis in den tiefen Norden
müsste ausgestreckt haben, oder der anderen, welche diese
überall ganz ähnlichen Denkmäler verschiedenen Völkern zu-
theilen möchte. Sollte es unter diesen Umständen nicht ge-
rathener sein, vorerst sämmtliche alten Monumente und Grab-
stätten sorgfältig zu untersuchen und nach ihren Eigenthüm-
lichkeiten und Verschiedenheiten genau zu beschreiben, ehe wir
daran gehen, Hypothesen über ihr Alter, ihre Bedeutung und
die Völker, die sie errichtet haben, auszuarbeiten und mit allen 711
Kräften zu unterstützen? Der freie Blick und die Unbefangen-
heit der Betrachtung wird dadurch nur gefesselt; nach den
nöthigen Vorarbeiten würde die Zeit der Entscheidung auch
kommen.
Der Anhang enthält einen Bericht von Hrn. P. Hofstede
über eine bei Emmen in Drenthe im Jahr 1809 geöffnete Grab-
kammer, in welcher man eine Anzahl zerscherbter Urnen und
drei kleine graue und rothe Gefasse ausgegraben hat. Da man
die Wandsteine inwendig behauen fand, so wird auf ein jüngeres
Denkmal geschlossen. Die zweite Kupfertafel, die davon eine
Abbildung liefert, fehlt in unserem Exemplar.
[anonym.]
2V
324 BRYNJULFSEN, PERICULÜM RUNOLOGICÜM.
1017 OM RÜNESKRIFTENS OPRINDELSE.
Af Jakob Homemann Bredsdorflf. Kopenhagen. Bei Andreas Seidelin 1822.
19 S. in 4. Mit einer Kupfertafel.
PERICULÜM RUNOLOGICÜM.
Dissertatio inauguralis quam pro summis in philosophia honoribus rite impe-
trandis publicae disquisitioni subjicit Gislius Brynjulfi fil. Isl. Pastor ecclesiae
Holmensis in Islandia orientali, respondente Thorleifo Gudmundi Repp Islando.
Kopenhagen. Hei Hartw. Friedr. Popp. 1823. 147 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd II, 103. Stück, den 26. Juni 1824.
S. 1017-1032.
A,
uch für die Runen scheint sich im Norden ein frischer
Eifer zu regen. Wir zeigen hier zwei Schriften darüber an,
die kurz hinter einander erschienen sind, eine dritte von Lilje-
gren zuLund, für die wir ein günstiges Vorurth eil hegen müssen,
da sie von der königl. Akademie zu Stockholm ist gekrönt
worden, haben wir uns noch nicht verschaffen können und wir
behalten uns vor, darüber demnächst zu berichten. Wie er-
schwert muss der Bücherverkehr in Schweden überhaupt sein, da
1018 diese Preisschrift noch nicht einmal in das benachbarte Däne-
mark gedrungen war, wie wir hier ausdrücklich angemerkt finden.
Man kann es dem Verfasser der letztgenannten Schrift,
Hrn. Brynjulfsen, nicht vorwerfen, dass er von der Wichtigkeit
der Runen zu gering denke oder mit einer allzukühlen Kritik
seinen Gegenstand behandle. Während auf der einen Seite die
Meinung noch ihre Anhänger hat, welche in den Runen nichts An-
deres als verderbte lateinische Buchstaben erblickt (eine Meinung,
der Rec. zwar nicht zugethan ist, die aber gewiss Rücksicht
verdiente, wenn sie mit Scharfsinn und Gelehrsamkeit vertheidigt
würde und nicht wie von vielen nur aus Bequemlichkeit bei-
behalten, um die Sache schnell abzuthun), äussert sich auf der
anderen Seite, um hohes Alter und Originalität behaupten zu
können, Hr. Brynjulfsen mit einer Kühnheit, die seit Rudbeck
in der altnordischen Litteratur schwerlich ist gehört worden.
Nicht genug, dass man zugibt, das runische Alphabet zeige mit
dem phönicischen, altgriechischen, celtiberischen, gothischcn und
BRYNJULFSEN, PERICULUM RUNOLOGICÜM. 325
anderen eine gewisse Verwandtschaft, welche ihm gleichwohl
etwas Eifjenthüraliches und Unabhängiges lasse und auf einen
früheren gemeinschaftlichen Ursprung hindeute; nein, er will
die Bande dieser Verwandtschaft genau angeben und nichts Ge-
ringeres beweisen, als dass die Runen bei einem über alle Ge-
schichte hinausgehenden Alter als die Grundlage aller übrigen
Buchstabenschrift von Europa und Asia, mithin als der wich-
tigste Theil der Paläographie beider Welttheile zu betrachten
seien. Hier kann es nun nicht ohne eine Musterung der
menschlichen Racen und ihrer Verbreitung auf der Erde ab-
gehen. Demnach besteht die Untersuchung eigentlich aus zwei
Theilen: in dem einen, den wir den phantastischen nennen
wollen, wird Erfindung und Ursprung der Schrift und ihre
Vertheilung auf der Welt abgehandelt; erst in dem anderen,
wo von den wirklichen Runen die Rede ist , gelangen wir zu ioi9
unserem Gegenstand.
Rec. will sich bei der ersten, gleichwohl den meisten Raum
wegnehmenden Abtheilung (denn die beiden Abschnitte: de
comparatione inter Runas et alia alphabeta und de Runarum
origine et prima propagatione gehören hierher) kurz fassen;
dies ist nicht leicht, da eine Behauptung die andere drängt.
Hr. Brynjulfsen nimmt drei Menschenracen an: Neger, Mongolen
und Caucasier. Die Neger, als die geringste, besitzen keinerlei
Art Schrift; die etwas höher stehenden Mongolen, unter welchen
die Chinesen die vornehmsten sind, haben Bilderschrift (kyrio-
logische), aber keine Buchstaben, diese wurden erst von der
edelsten Race, den Caucasiern, und zwar durch Verwandlung
der Bilderschrift erfunden. Dabei werden vorübergehende,
nicht dauernde Völker vorausgesetzt, wie die Finnen, Gelten
und Semiten. Auf den Höhen des Caucasus bildete sich aus
den beiden letztgenannten, den Gelten und Semiten, der gothisch-
caucasische Stamm, welcher, bestimmt zum Herrn der Welt,
auszog, Besitz von seinem Eigenthum zu nehmen. Nun ent-
standen „asiatische und europäische Gothen". Jene zertheilten
sich abermals mannigfach (indem sie sich mit früher vor-
handenen, von ihnen besiegten Nationen mischten) in Chal-
däer, Ägypter und Indier; und aus der caucasisch-gothischen
326 BRYNJULFSEN, PERICULUM RUNOLOGICUM.
und semitischen Vereinigung bildeten sich Mischsprachen, der-
gleichen die ägyptische und das Sanskrit sollen gewesen sein.
Die nach Europa gewanderten caucasischen Gothen aber werden
in drei Völker getheilt: in die Gothen (die der Verf. die eigent-
lichen nennt), welche den skandinavischen Norden in Besitz
nahmen, in die Germanen und in die Thracier, aus welchen dann
die Hellenen, Etrusker, Pelasger hervorgiengen. Noch andere
Völker, wie die Slaven, sind aus gothischem Zusammenfluss (ex
colluvie gothica) aufgewachsen.
1020 Die Erfindung der Buchstaben, die der Verf. überhaupt
Runen nennt, ist bei den gothischen Caucasiern durch einen
scharfsinnigen Geist, wohl in einer glücklichen Stunde, gemacht
worden. Dieser Übergang aus der rohen Bilder- in die Buch-
stabenschrift (der anderen fast unbegreiflich ist) dünkt dem
Verf. natürlich und ziemlich leicht; man kann § 23 nachsehen,
wie er sich den Hergang der Sache vorstellt. Er scheint den
Unterschied zwischen einer Tonschrift, die auch wohl eine un-
regelmässige Silbenschrift werden kann und leicht aus Zeichen
oder Bildern entspringt, und einer Buchstabenschrift, die ein
organisch gegliedertes Alphabet voraussetzt, nicht bedacht zu
haben. Auffallend ist die Behauptung, die S. 58 vorkommt,
dass gleich anfangs verschiedene Namen und Zeichen für einen
und denselben Laut vorhanden gewesen wären. Wozu dieser
zwecklose und verirrende Uberfluss? und zwar bei einem Geist,
der Scharfsinn genug besass, die Sprachlaute, die sich der
ersten Beobachtung in einer beinahe unerfasslichen Verschieden-
heit darstellen müssen, in ihren Grundelementen richtig aufzu-
finden? der ferner im Stande war, die kyriologischen Zeichen,
deren wir doch eine verhältnismässig grosse Anzahl voraussetzen
dürfen, auf 16 oder wie der Verf. will gar auf 14 zu redu-
cieren? Ort und Zeit der Erfindung sind freilich nicht zu be-
stimmen, aber in der allerältesten Periode muss sie doch ge-
macht sein, bevor die Caucasier sich in die Welt vertheilten,
noch in ihren ersten Wohnsitzen.
Man sollte meinen, wo diese Caucasier sich ausgebreitet
hätten, sei es im Orient oder Occident, immer müsste die
Grundlage der von ihnen erfundenen Buchstaben sichtbar sein.
BRYNJDLFSEN, PERICULDM RÜXOLOGICUM. 327
Da dies bei den meisten semitischen Alphabeten augenscheinlich
nicht der Fall ist, so nimmt Hr. Brynjulfsen an, diese seien durch
Zusätze und Veränderungen so sehr entstellt worden, dass man
den runischen Ursprung nicht mehr entdecken könne : mit anderen 1021
Worten, es sind Runen, die nichts mehr mit den Runen gemein
haben. Diese Bemerkung beschränkt gar sehr die Anwendung der
Hypothese. Die übrigen aber, also das phönicische, persische,
armenische, die nicht semitischen : das altgriechiscbe, celtiberische,
lateinische usw. sind in dem ersten Abschnitt aufgeführt und
mit den Runen verorlichen. Hier o-ibt es abermals Bedenken :
warum stimmen nicht wenigstens jene Buchstaben aller Orten
tiberein, bei deren Lauten Übergänge und Veränderungen nicht
stattfinden? Dies zu erklären, hat der Verf. den vorhin er-
wähnten seltsamen Satz von einer ursprünglichen Verschieden-
Leit der Zeichen für denselben Laut nöthig, ausserdem ändert
er auch seine Meinung von einer einzigen Grundlage dahin ab,
■dass er behauptet, man müsse die verschiedenen Alphabete be-
trachten als Flüsse, zwar aus einer einzigen, aber chaotischen
Quelle entsprungen.
Wir haben wohl über diesen Bestandtheil des Buchs schon
unsere Meinung geäussert, indem wir ihn vorhin den phan-
tastischen nannten. Was ist hier nicht zusammengesponnen,
welche verschiedene Fäden sind nicht in einander gedreht I Gleicht
das System des Verf. nicht einer illuminirten Landkarte, die
nass geworden ist und deren Farben aus einer Gegend in die
andere, aus einem Welttheil in den anderen geflossen sind? An
eigentliche Beweise konnte nicht gedacht werden, sondern alles
ist, wie es der Verf. für seinen Zweck nöthig fand, dogmatisch
vorgetragen. Damit Rec, der an solchen Arbeiten seiner Na-
tur nach keine Freude hat, nicht ungerecht werde, wiU er gern
zugeben, dass Eins und das Andere witzig ausgedacht und
manche Bemerkung sinnreich ist. Überhaupt fehlt es Hrn.
Brynjulfsen weder an gelehrter Belesenheit noch an Leichtigkeit
in der Behandlung seines Gegenstandes. Rec. ist an sich gar nicht 1022
abgeneigt, Verwandtschaft und Zusammenhang aller wirklichen
Buchstabenschrift anzunehmen, denn schwerlich ist die Erfindung
auf der Welt zweimal gemacht worden; sollen wir aber auf
328 BRYNJULFSEN, PERICULÜM RUNOLOGICUM.
eine fruchtbare Art zur Einsicht davon gelangen, so würde er
lieber den fast entgegengesetzten Weg anrathen : von dem
Sicheren und Einzelnen ausgehend langsam und mit Mühe auf-
wärts Bahn zu brechen. Eine allseitige und genaue Erklärung
eines einzigen Denkmals, die im Dunkel lässt, was sie nicht
aufhellen kann, wird dennoch mehr Licht in die Vorzeit werfen,
als hundert einander ablösende Vermuthungen und sinnreiche
Ideen über den Mittelpunkt, von welchem man alles überschauen
könne. Was sollen nun die allgemeinen und oberflächlichen
Vergleichungen, die im ersten Abschnitte angestellt sind? Es
kommt hier alles darauf an, Mittelglieder und Übergänge aus
Denkmälern darzuthun, Rec. zweifelt gar nicht, dass die ver-
schiedensten Zeichen eines Buchstaben dennoch von einander
abstammen können, es muss nur auf jenem Wege bewiesen
werden, wie es der gelehrte Paläograph Kopp bei den semitischen
Alphabeten gethan hat. Kein Mensch kann bis jetzt, soviel
Rec. weiss, eine einzige Inschrift der celtiberischen Münzen mit
einiger Sicherheit lesen, warum ein unzuverlässiges Alphabet
neben das runische aufstellen? Mehr als den längst erkannten,
in die Augen leuchtenden Satz von Verwandtschaft der Züge
gewinnt niemand dadurch; dasselbe gilt von dem § 18 ange-
führten sogenannten phrygischen Alphabet. Wem nützt es^
dass das sichtbar erfundene ogumitische, bloss der Möglichkeit
wegen, etwas Echtes darin noch zu entdecken, herbeigeholt wird?
Irgendwo steht ein Alphabet, das ein saracenisches genannt ist,
dem Verf. fällt es nicht schwer, damit fertig zu werden: „viel-
leicht irre ich gar nicht, sagt er, wenn ich es für ein hunisches
oder alanisches halte", und bringt es § 12 zu erbaulicher Ver-
1023 gleichung neben das runische; dabei gibt er die angelsächsisch-
deutsche Rune M für B aus. Das russische Tscherf wird S. 32
mit dem runischen S zusammengestellt, und bald darauf kann
man dasselbe Zeichen als phönicisches K neben dem runischen
Kann erblicken. Wer vermag auch nur einige Ähnlichkeit
zwischen dem persischen und runischen A und N (S. 40) auf-
zufinden, und wenn nun gar noch ein Zeichen aus der perse-
politanischen Keilschrift (S. 41) und Figuren aus den Hiero-
BRYXJULFSEN, PERICULUM RUNOLOGICUM. 329
p-lvphen herzugetragen und mit Runen verglichen werden, so
verliert man alle Geduld.
Erst § 35 kommen wir auf Grund und Boden zu stehen^
wo die Untersuchung bei den eigentlichen Runen anlangt. Die
nordischen stellen nach des Verf. Meinung unter allen asiatischen
und europäischen Alphabeten am reinsten, wiewohl auch nicht
ohne Veränderung, die alte gothisch-caucasische Erfindung dar.
Wir begegnen gleich einer Hypothese über die ursprüngliche
Zahl derselben. Zuffesetzt sollen sein: das dem lateinischen
ähnliche Zeichen für R und ursprünglich echt nur das andere
R-Zeichen, welches jetzt das R finale anzeigt und von den Is-
ländern auch für Y gebraucht wird; sodann die Osrune als ein
zweimal gestrichenes runisches A, denn wie der spätere Vocal
-E kein runisches Zeichen habe, so müsse dasselbe auch von
dem späteren Vocal O gelten. Wir wollen dies als Vermuthung
bestehen lassen, weiter ist aber damit nichts anzufangen, da in
den ältesten Denkmälern, wie Hr. Brynjulfsen selbst bemerkt,
beide Runen schon o-ebraucht werden. Sonst möchte er ijerne
noch den Satz- durchführen (wovon auch § 25 und 26 die Rede
ist), dass in dem Runenalphabet kein überflüssiger Buchstabe
und ausser den Vocalen und Liquiden für jede andere Reihe
nur ein einziges Zeichen vorkomme, dies ist aber insoweit nicht
richtig, als die Linguallaute zwei Zeichen haben: T und TH;
denn dass in der nordischen Sprache allein die aspirata TH
sich finde, ist theils nicht wahr, theils bleibt es immer ein 1024
Linguallaut. Eine andere Hypothese betrifft die hieroglyphische
Gestalt der Runen, welche § 36 abgehandelt wird. Da die
Runen aus Bilderschrift sich sollen entwickelt haben und der ur-
sprünglichen Erfindung noch ziemlich nahe stehen, so muss sich
das Bildliche darin wohl deutlich erkennen lassen. Man denkt,
diese Folgerung aus seinem System setze den Verf. in Verlegen-
heit, weil die Runen sich als die einfachsten Zeichen von der
Welt darstellen, aber dies ist der Fall nicht, er geht frisch ans
Werk. Einige Beispiele wollen wir anführen, wie er das, was
der Name der Rune aussagt, auch in der Gestalt wieder findet.
Das runische F bedeutet ein Stück Vieh, mit den zwei Quer-
330 BRYNJULFSEN, PERICULUM RUNOLOGICUM.
strichen werden die Vorder- und Hinterfüsse bezeichnet. N ist
«in Seil mit einem Knoten und erinnert an die Quippus der
Peruaner, und diese sind § 22 zu den Anfängen der Zeichen-
schrift gerechnet worden. Die Yr-Rune ein Mann, der zu Pferde
sitzt, dagegen das M (dasselbe Zeichen umgekehrt) einer, der
die Hände gen Himmel streckt. B (dem lateinischen gleich)
ein Birnbaum; I ein Eiszapfen; L Meer, in das ein Fluss sich
ergiesst. Ahnliches, zum Theil dasselbe schon bei Ol. Worm.
Reo. glaubt weder an hieroglyphische Entstehung der Runen,
noch von allen hier gegebenen Erklärungen ein Wort; er wüsste
kaum etwas, das man auf diese Art nicht in den Paar Strichen
finden könnte.
Bei dem angelsächsischen und deutschen Runenalphabet
stellt der Verf. die Behauptung auf (S. 99, vgl. 103 Note 2),
es sei nach dem lateinischen aus Liebe zur Neuerung ver-
ändert und die Buchstaben, die es mehr habe als das nordische,
seien dorther entlehnt, ihnen jedoch dabei etwas Runisches bei-
gemischt worden. Beides ist völlig ungegründet, wie sich jeder,
der eine Vergleichung anstellen will, überzeugen kann (sie sind
1025 bloss zierlicher auf Pergament geschrieben , als sie in Stein
konnten gehauen werden) ; die Runen aber, die es mehr besitzt,
sind ganz in dem Charakter der übrigen. Bloss sein System
verführte Hrn. Brynjulfsen zu der Behauptung, da die Caucasier
von diesen dem Norden fehlenden Runen nichts können ge-
wusst haben. Das E soll ein umgekehrtes lateinisches E
sein, wollte sich der Verf. bloss an das Zeichen halten, so
' hätte er gesagt: ein umgekehrtes griechisches ^. Allein, will
man doch eine Vermuthung wagen, das Zeichen ist eher aus
einem doppelten, gegen einander gestellten nordischen A ent-
standen; wenn man sich dort zur Bildung neuer Buchstaben
des Punkts bediente, so scheint man hier Verdoppelung der
Zeichen gewählt zu haben. Die Tag -Rune ist z. B. sichtbar
aus zwei gegeneinander gestellten Dorn -Runen entstanden, so
wie auch in der Gibu-Rune sich eine Verdoppelung kund gibt.
An dieser Stelle wollen wir einen besonderen Tadel ein-
rücken. Nämlich der Verf. hat in der Ausarbeitung seiner
Schrift nicht die Genauigkeit gezeigt, wozu ein solcher Gegen-
BRYNJULFSEN, PERICULUM RUNOLOGICUM. 331
stand doppelt anmahnt. Beispiele zu geben, sehen wir nur
einige Blätter durch. S. 104 wird den Deutschen ein Verbum
gewriten zugeschrieben, was sie niemals gehabt und Hr. Bryn-
julfsen aus Verwechselung mit dem angelsächsischen writan mag
gebildet haben ; das Richtige wäre rizan gewesen. Auf derselben
Seite in der Note fehlen in der Stelle des Hraban. Maurus die
Worte „infra scriptas habemus". S. 105 zweifelt der Verf. gar
nicht, dass die Zeichen auf dem Klingenberger Thurm in
Böhmen zu den deutschen Runen gehören ; Rec. meint, das Gegen-
theil falle ziemlich klar in die Augen. Es ist ferner von einer
Abzeichnung Mi Hins die Rede; die Sache ist, dass Grossigs
Abbildung und Beschreibung durch eine Übersetzung von Kraft
in Millins annales encyclopediques gekommen ist, der weiter
nichts dabei gethan hat. Ausserdem befand sich ja, wie wiri026
aus den Antiquarischen Annalen III, 392 wissen, eine berichtigte
Abzeichnung von Hammer zu Kopenhagen, die Hr. B. billig
hätte nachsehen sollen. S. 106 wird von der Urne bei Bayer
gesprochen, da die Zeichen rund um den Bauch laufen, so sind
sie, damit man sie im Zusammenhang betrachten könne, auf
einem Ring neben dem Gefäss besonders abgebildet. Hr. Bryn-
julfsen hat nur den flüchtigsten Blick darauf geworfen, sonst
würde er nicht von zwei Dingen, einer Urne und einem Ring,
reden und die Identität der Zeichen sogleich erkannt haben.
§ 42 wird die Inschrift auf dem einen der beiden bei Galle-
huus gefundenen Goldhörner vorgenommen; hier haben wir es
also mit einem wirklichen Denkmal zu thun. Darin stimmt
Rec. mit Hrn. B. überein, dass die Buchstaben darauf Runen
und zwar angelsächsisch - deutsche sind und die Hypothese von
dem celtiberischen Ursprung dieser Hörner, die P. E. Müller
gelehrt ausgeführt hat, sich nicht erhalten kann. Bis jetzt
kennen wir sieben Erklärungen dieser Inschrift, jede völlig ver-
schieden und jede mühsam herbeigeholt und wenig ansprechend.
Die achte hier ist gleichfalls ganz neu: Tovido ek (ok) Hlevo
gortim hol tisom horno (Tovidus et Hlevur fecimus tumulum
bis cornibus). Wir übergehen der Kürze wegen ein Paar Ab-
weichungen, die der Verf. noch vorschlägt. Das S wird nach
einer blossen Vermuthung gelesen. Die Formen der Worte sind
332 BRYNJÜLFSEN, PERICULUM RUXOLOGICUM.
bis auf hol (den Accus, von holl) unrichtig oder ungewöhnlich:
horno müsste hornom lauten, indessen finden sich in den Runen-
inschriften nicht selten Beispiele, wo das M am Ende ausge-
lassen ist, das wäre also wohl statthaft, ebenso gördim für
gördum ; aber wo sind Belege dafür, dass auch das R am Ende
fehlen dürfe, also Tovido und Hlevo für Thorvidur und Leifur
stehen könne? Rec. weiss keine, finden sie sich irgendwo, so
sollten sie von Rechtswegen beigebracht sein. Und nun der
1027 Sinn des Ganzen : mit zwei Hörnern einen Hügel errichten !
Wenn es noch hiesse, sie wären in einen Hügel gelegt worden.
Es gehört aber, damit der Sinn verständlich werde, noch eine
Erzählung dazu: wahrscheinlich waren diese kostbaren Gold-
hörner ehemals Eigenthum eines kleinen jütländischen Königs;
bei einer herannahenden Gefahr oder aus irgend einem anderen
Grund verbarg er sie in einen Hügel und fügte zum Andenken
auf eins die Inschrift hinzu. Woraus denn folgt, dass die
Hörner selbst viel älter sind. Dem Rec. deucht nicht nur diese
ganze Voraussetzung äusserst gezwungen, sondern er meint, es
sei noch ein Anhang zu der Erzählung nöthig: der Eigenthümer
der Hörner müsse nämlich hernach mit all den Seinigen in der
Gefahr umgekommen sein, so dass niemand etwas mehr von
den vergrabenen Kostbarkeiten habe wissen können, sonst wären
sie wahrscheinlich wieder hervorgeholt worden. Wollte man
nun alles zugeben, so bleibt immer unwahrscheinlich, dass bei
einer bevorstehenden grossen Gefahr noch Lust und Zeit zu
einer Inschrift übrig gewesen wäre. Endlich widerlegt die Art,
wie die Goldhörner sind gefunden worden, den Verf. völlig, und
man begreift nicht, wie er das hat übersehen können. Keines-
wegs in einem Hügel haben sie gelegen, sondern auf flachem
Boden und nicht beisammen, sondern 25 Schritte von einander.
Das erste konnte kaum unentdeckt bleiben, denn die Finderin
hat zwei Mal mit dem Fuss daran gestossen, ehe sie es auf-
hob: und das zweite lag nur einen halben Schuh tief in dem
Lehm. — Warum ist Hr. Brynjulfsen nicht auf den einfachen
Gedanken gekommen, die Inschriften anderer Hörner nachzu-
lesen und zu vergleichen? Dass nicht jede verschieden war,
sondern man dabei einer gewissen Sitte und Überlieferung folgte,
BRYNJULFSEX. PKRICULUM RUNOLOGICUM. 333
scheint eine sehr natürliche Vermuthung. So findet mau den
Spruch: o mater Dei, memento meil nicht bloss auf dem be-
kannten Oldenburger, sondern auch auf einem anderen Hörn,
welches bei Ol. Worm monum. dan. p. 395 abgebildet ist. In 1028
den Antiquar. Annalen III, 279 wird eins beschrieben, worauf
in nordischer Sprache steht: „trinket mit Frieden, vergesset
nicht des lebendigen Gottes!^ Dazu bemerkt Nyerup aus
Humboldts Reise eine deutsche Inschrift mit alten Buchstaben,
die dieser auf einem irdenen, nach Quito gekommenen und dort
in einem Kloster aufbewahrten Topfe las: „wer aus mir trinkt,
vergesse seines Gottes nicht I" Also beinah wörtlich mit jener
nordischen übereinstimmend. Darf man nun nicht muthmassen,
auch die Inschrift des Tondernschen Hornes beziehe sich am
wahrscheinlichsten auf den Gebrauch desselben? Wenn nun
darauf stände: „ich bin die Lust der Gäste" oder dergleichen
und dann eine Ermahnung zum Trinken? Das wäre doch ein
sehr passender Sinn. Ausser Zweifel ist uns nur das Wort
hörne, das Hr. Brynjulfsen fälschlich horno liest, die letzte
Rune ist hier- (wie in dem schleswigischen Stein und anderen
Denkmälern) kein O, sondern ein E. Damit aber Rec. nicht
ganz mit leeren Händen erscheine, will er eine Vermuthung
über das letzte oder, wie man abtheilt, das erste Wort äussern,
dessen feinere oder dünnere Buchstaben (vgl. die Abbildung bei
P. E. Müller), wodurch es sich von dem Übrigen auszeichnet,
vielleicht einen geschlossenen Sinn andeuten und welches Hr. B.
Tovido oder auch tovimo liest. Rec. hält die zweite Rune für
ein E, die dritte für ein TH und bekommt demnach das Wort
tethimo ; darin, glaubt er aber, habe eine Versetzung der Runen
stattgefunden , eine Annahme, die nur dem zu gewagt und kühn
erscheinen wird, welcher nicht weiss, wie häufig sie bei der
Runenschrift stattfindet und wie verschieden z. B. die Buch-
staben von dem einfachen Wort steinn gestellt sind. Er liest
ohne Veränderung eines Buchstaben temitho, nach genauer
Orthographie toemi thü! welches bedeutet: leer' aus! trink aus!
der Imperat. toemi für das gewöhnliche toem ist ein Archais- 1029
mus, den man in der alten Edda (II, 316, Note 1-22) angemerkt
und durch weitere Beispiele erläutert findet. Toema, evacuare.
334 BRYNJCLFSEN, PERICULUM RUNOLOGICUM.
steht bei Biörn Haldorson (nicht ganz genau taema geschrieben),
und die Anwendung des Ausdrucks beim Leeren des Bechers
verbürgt das noch heute übHche dänische toemme glasset. Und
so wäre zugleich eine bestätigende Übereinstimmung mit den
vorhin angeführten Inschriften und am nächsten mit den auf
dem Oldenburger Hörn gleichfalls vorkommenden Worten : drinc
al uit! gefunden.
§ 45 soll durch die Geschichte des Amleth bei Saxo Gram-
maticus das hohe Alter von dem Gebrauch der Runenschrift
bewiesen werden, indem Amleth im 5. oder 6. Jahrhundert ge-
lebt habe. Wir glauben, ein solches Zeugnis beweise fürs erste
nur Saxos Kenntnis der Runen und daher eigentlich nichts.
Wer wie dieser Geschichtschreiber das Einzelne ausschmückt,
wird kein Bedenken tragen, die Verfälschung eines runischen
Briefs hinzuzudichten. Zum Uberfluss hat P. E. Müller soeben
in seinen Untersuchungen über Saxos Quellen die ganze Er-
zählung vom Amleth als eine spätere Dichtung dargestellt.
Bei Betrachtung der nordischen Runen theilt der Verf.
einiges Neue und Merkwürdige aus isländischen, sonst noch nicht
benutzten Handschriften mit, wofür wir ihm Dank wissen. Da-
hin gehört S. 134. 135 die Anmerkung über künstliche Runen,
deren es dreissig und mehrere Arten gab. Das runische Alpha-
bet wurde in drei Theile getheilt (daher thrideilur), nämlich in
die Fe-Reihe oder Geschlecht, welche die Buchstaben F U TH
O R K, in die Hagal-Reihe, welche H N I A S, und in die
Tyr-Reihe, welche T B L M R enthielt. Sollte nun ein Buch-
stabe bestimmt werden, so wurde immer nur F geschrieben,
aber durch vor- und nachgesetzte Zahl bestimmt, aus welcher
Reihe er war und welchen Platz er darin einnahm. Si-
gurdr hätte also folgendergestalt müsssen geschrieben werden:
1030 2F* (S) 2F1 (I) IF'^ (K für G) IPi (U) IF* (R) IF'^ (D) 3F4 (uR).
Das Merkwürdigste dabei ist, dass diese freilich äusserst un-
beholfene Geheimschrift schon geradeso in einem St. Galler
Codex des 10. Jahrhunderts vorkommt, woraus sie in dem
Grimmischen Buche über Runen S. 110. 111 mitgetheilt ist.
Eine andere schätzbare Anmerkung über die magischen
Charaktere der Isländer steht S. 140. 141 und S. 125 die Nach-
OM RUNESKRIFTEXS OPRINDELSE AF BREDSDORFF. 335
rieht, dass zwei Steine mit angelsächsisch -deutschen Runen
neuerdings in Norwegen entdeckt sind und nächstens von Klüwer
sollen bekannt gemacht werden.
Was in der anderen Schrift Hr. Bredsdorff über Abstammung
der Runen vorbringt, ist nicht von Bedeutung. Er macht den
unglücklichen Versuch, sie aus der gothischen Schrift des UI-
filas abzuleiten. Dass über die Verwandtschaft beider Alpha-
bete bereits ist verhandelt worden, mag ihm unbekannt ge-
blieben sein, wie er überhaupt seines Gegenstandes noch nicht
hinlänglich mächtig erscheint. Selbst die nöthigste Grundlage
zu einer solchen Arbeit hat er entbehrt, indem er sich an die
schlechte und völlig unbrauchbare Abbildung der gothischen
Urkunden zu Neapel, welche in Hrn. Gräters Bragur vorkommt,
hält; darin gleicht z. B. das A der umgekehrten Ziffer 4, wäh-
rend in der genauen und schönen Nachbildung von Sierakowskj^
es eine ganz andere, der altgriechischen, wie wir sie etwa in
der Sigeischen Inschrift sehen können, sehr ähnliche Gestalt
zeigt, wodurch denn Hrn. Bredsdorffs Vergleichung des gothi-
schen A mit der Arrune sogleich zerfällt. Wie gezwungen und
unnatürlich er das runische H L M N und die Osrune aus den
gothischen Buchstaben entstehen lässt, mag man in der Schrift;
nachsehen. Angenommen einmal, die Abstammung habe Grund,
so gäbe es zur Überzeugung keinen anderen (als den hier ver-
schlossenen) Weg, Übergänge in Denkmälern selbst nachzu-
weisen. Hr. Bredsdorff sucht sich noch auf eine andere Weise
zu schützen; er sagt: wenn nun auch diese Buchstaben aus
dem Gothischen nicht abzuleiten wären, so bewiese dies in Be- I03l
Ziehung auf die übrigen (übereinstimmenden) nichts. Rec. denkt,
es beweise genug, um die UnStatthaftigkeit der ganzen Hypo-
these darzuthun; sonst dürfte man ja die Runen von jedem
Alphabet, mit dem es Buchstaben gemein hat, abstammen lassen.
Der Grund für den obigen Schluss ist auffallend: das griechische
Alphabet enthalte Zeichen, die nicht in dem phönicischen vor-
kämen, und doch falle es niemand ein, die Herkunft von daher
zu leugnen. Als wenn man dafür keine anderen Gründe hätte,
als eine theilweise Übereinstimmung und Abweichung, keine
ausdrücklichen Zeugnisse. Dann hat der Verf. noch den Einfall:
336 OM RUNESKRIFTENS OPRINDELSE AF BREDSDORFF.
das gothische H und O habe man deshalb nicht beibehalten
können, weil es für die nordische Art zu schreiben nicht wohl
möglich gewesen wäre, sie nachzubilden, ohne dass eine grosse
Ähnlichkeit mit anderen Buchstaben entstanden wäre, weshalb
man ihnen habe eine andere Gestalt geben müssen. Dass in
den Buchstaben U und TH das gothische und runische Alphabet
gegen das griechische und lateinische übereinstimmen, ist von
anderen schon dargethan; auch sonst haben wir unter den
richtigen Bemerkungen des Hrn. Bredsdorff keine neue gefunden.
Die Verwandtschaft aber des gothischen O und V mit der
deutschen Othil- oder Wänrune hat er nicht gekannt, überhaupt
nichts von den angelsächsisch - deutschen Runen. — Einen
schlagenden Beweis gegen seine Hypothese, welcher in der
grösseren Vollständigkeit des gothischen Alphabets liegt, be-
rührt Hr. Bredsdorff kaum und hält es für unnöthig, dabei
weitläuftig zu sein. Man habe fortgeworfen, was man nicht
gebraucht, und die unvollkommene Art zu schreiben (das Ein-
schneiden der Buchstaben in Holz) nur mit wenigen Zeichen
sich zu befassen erlaubt. Als hätte man sich nicht das E G P V,
wofür doch Ulfilas Zeichen liefern konnte, durch punktirte
Runen, die bereits auf einem der ältesten Steine vorkommen,
verschafft! Und dann, warum unter den Runen für das R sogar
zwei Zeichen? Das zweite R, die Yrrune, meint Hr. Breds-
dorff, habe man deshalb neu hinzu erfunden, weil das andere, die
Reidrune, dem B zu ähnlich gesehen vmd sonst leicht eine Ver-
wechselungc vorfallen können. Beide werden aber neben einander
1032 gebraucht und sind in der Bedeutung nicht völlig gleich; auch
glaubt der nicht an solch eine Sorgfalt, Miss Verständnisse ab-
zuwenden, der sich erinnert, wie nachlässig so mancher Runen-
stein geschrieben ist. An die eigenthümliche Ordnung der
Runen, von welcher das gothische Alphabet nichts weiss, wird
nirgends gedacht.
Hat also vor Ulfilas der Norden keine Schrift gehabt? Das
möchte Hr. Bredsdorff nicht gerne annehmen, auch nicht gerne
die Tradition Verstössen, wornach Odin die Runen selbst mit-
brachte. Den Odin erst zu des Ulfilas Zeit, am Schluss des
4. Jahrhunderts, ankommen zu lassen, ist abermals bedenklich;
OM RÜNESKRIFTENS OPRINDELSE AF BREDSDORFF. 337
also entschliesst er sich zu dem Ausweg, dass Odin zwar
Runen könne mitgebracht haben, aber nicht diese, von welchen
hier die Rede ist, sondern andere von unbekannter Art, wie
z. B. jene auf dem Leerager und Tuner Steine. Holten sich
also die Nordländer ein Alphabet beim Ulfilas, während sie
schon längst eins besassen? während das frühere vollständiger
war und in seiner Grundlage dem anderen ähnlich? Denn auf
den beiden genannten Denkmälern ist gerade das angelsächsisch- .
deutsche Alphabet zu erkennen, wie in der Schrift über deutsche
Runen ausofeführt ist. Wir wollen es bei diesen Einwänden
gegen des Verf. Hypothese bewenden lassen.
Möchte bald ein umfassendes Werk über die Runen er-
scheinen, welches die Forderungen befriedigte, die man heut
-ZU Tage machen darf. Seit Ol. Worm, dessen monumenta da-
nica und litteratura runica sich ebenso selten gemacht haben,
als Göranssons Bautil und andere schwedische Schriften jener
Periode, sind eine Anzahl Runensteine und darunter sehr merk-
würdige neu entdeckt und im Einzelnen gelehrte und schätz-
bare Untersuchungen angestellt worden. Skule Theodor Thor-
lacius hatte eine Abhandlung über Runen mehrmals angekündigt,
aber sie ist nicht erschienen, und von einer, wie es scheint, sehr
inhaltsreichen und ausführlichen, aber auch nicht vollendeten
Arbeit des John Olaf sen von Grunnevik erhalten wir hier erst
durch Hrn. Brynjulfsen Nachricht. Die Handschrift davon,
welche auf der königl. Bibliothek aufbewahrt wird, hat dieser
bei seiner Abhandlung benutzt, wo er auch (S. 10. 11) ältere
isländische Manuscripte anzeigt, aus denen mancherlei zu
schöpfen ist. Es wäre also wohl an der Zeit, dass dieser
Theil der altnordischen liitteratur mit den anderen, die bereits
weit fortgeschritten sind, in eine Linie vorrückte: die dänische
Regierung, die ohne Prunk, aber auf eine grossartige und edle
Weise die AVissenschaften befördert, würde auch einem solchen
Werke die nöthige Unterstützung nicht versagen.
[anonym.]
W. <;KI>I.M, KL. SCHmt-lK>. 11. 22
338 FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYXGBYE.
1417FÄRÖISKE QUADER OM SIGURD FOFNERSBANE
OG HANS AT.
Med et Anhang. Samlede og oversatte af Hans Christian Lyngbye, Sognepräst
i Gjesing. Med en Indledning af P. E. Müller, Dr, og Prof. i Theol. Udgivne
ved kgl. allernaadigst Understöttelse. Randers. Bei Elmenhof 1822. XXII S.
Vorrede und 592 S. in Octav.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 143. Stück, den 4. September 1824^
S. 1417—1428.
VLiwischen dem 61. und 62. Grad nördlicher Breite liegert
die Färöer, von den schetländischen Inseln 45 Meilen, von
der nächsten norwegischen Küste 84 Meilen entfernt. Der
Mangel an Holz erlaubt nicht Schiffe zu bauen, und die geringen
Erzeugnisse des Landes locken keine Fremde herbei; somit
leben auf 23 Quadratmeilen etwa 5000 Menschen wie in völliger
Abgeschiedenheit, und an manchen Orten wird oft in Jahr-
zehnten kein fremdes Gesicht erblickt.
In der Heidenzeit waren diese Inseln ein bequemer Aufent-
halt für Seeräuber. Als dieser Erwerbzweig in Abnahme gerieth,.
blieb Viehzucht und Fischerei das Wichtigste, denn Kornbau
war immer unbedeutend. Unter einem warmen Himmel trennen
1418 diese Beschäftigungen die Menschen, hier, wo es so kalt ist,
dass an einigen Orten der Schnee manchmal den ganzen Som-
mer über nicht völlig wegthaut, sind sie ein Mittel der Ver-
einigung. Seefischerei kann so hoch im Norden, wenn sie
Vortheil bringen soll, nur in Gesellschaft getrieben werden;
Viehzucht leitet zum Ackerbau, denn um hinlänglich Futter zu
schaffen, muss das Land sorgfältig bebaut, das Heu in Scheunen
eingesammelt werden. Die Schafe, welche den grössten Reich-
thum der Bewohner ausmachen (daher ohne Zweifel der Name
Färöer, Schaf inseln) suchen sich selbst im Winter wie im
Sommer ihre Nahrung; aber die Verarbeitung der Wolle zu
Kleidungsstücken beschäftigt die Bewohner in den Winter-
monaten und hält sie in den Häusern, wo ganze Familien in
den Rauchstuben oder den allgemeinen Arbeitsstuben vereinigt
FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYNGBYE. 339
sind. Hier so wenig, als ehemals in den Trinkstuben der
alten Nordbewohner findet sich ein Ofen oder eine Zimmer-
decke, sondern der Rauch steigt durch eine ÖflPnung des Dachs
hinaus. Auf diesen westlichen Endpunkten des Nordens mögen
Lebensweise und Sitten aus alter Zeit sich erhalten haben, wie
auch die Sprache, über welche Rask in der dänischen Ausgabe
seiner Grammatik einen besonderen Abschnitt geliefert hat, der
altnordischen sehr nahe steht. Das Stammland, fremden Ein-
flüssen zugänglich und Ton den Begebenheiten der Jahrhunderte
bewegt, veränderte nach und nach Sitten und Sprache; wo
aber ein Volk ohne Geschichte und ohne Berührung mit der
Welt fortdauert, da sind oft ein Paar Menschenleben nöthig,
um die geringste Veränderung einzuführen.
Das grösste Vergnügen auf den Färöer besteht im Tanz.
Alt und Jung nimmt Theil daran, denn bei der stillsitzenden
Arbeit und dem feuchten Wetter ist er eine Nothwendigkeit.
Von W'^eihnachten bis Ostern ist eigentliche Tanzzeit, allein
auch sonst, an Feiertagen und auf Hochzeiten, wird getanzt.
Bald ist der eine, bald der andere Vorsinger, aber alle, die 1419
singen können, stimmen bei dem Refrain mit ein. Der Tanz
besteht darin, dass Männer und Frauen gemischt einander bei
den Händen fassen und drei Schritte taktmässig voran und zur
Seite thun, worauf sie entweder etwas balanciren oder einen
Augenblick still stehen. Wer dabei nicht Acht gibt, verwirrt
den ganzen Tanz. Der Gesang aber dient nicht bloss, wie
Tanzmusik, die Schritte zu ordnen, sondern auch durch seinen
Inhalt den Geist anzuregen. Man kann es den Tanzenden an-
sehen, dass sie nicht gleichgültig dabei bleiben, sie bemühen
sich vielmehr in ihren Mienen den verschiedenen Inhalt des
Liedes auszudrücken. Dies bringt in den Tanz, so einförmig
er an sich ist, eine eigene Lebendigkeit; Jung und Alt bleibt
den ganzen Abend, fast ohne Unterbrechung, in den Reihen.
Bei den Hochzeiten werden bestimmte Lieder gesungen, wovon
die beiden ersten so langsam sind und der Tanz selbst so an-
ständig und ernsthaft ist, dass sogar die älteren Prediger ihn
in ihrer Amtskleidung mitzutanzen pflegten. Die Beschreibung
davon, sowie eine anschauliche Darstellung der alten und
22*
340 FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYNGBYE.
merkwürdigen Hochzeitsgebräuclie von Hrn. Lyngbye befindet
sich in Nyerups Reisejagttagelser I, 202 — 221.
Die Zahl der Tanzlieder ist so ansehnlich, dass in den
grösseren Bauernhöfen derselbe Gesang in einem Winter kaum
wiederholt wird. Die meisten sind von sehr bedeutendem Um-
fang, demohngeachtet ist auch nicht ein einziges je auf den
Inseln aufgezeichnet worden, sondern sie werden lediglich im
Gedächtnis aufbewahrt. Natürlich weiss nicht jeder alle Ge-
sänge, an dem einen Ort hat man Vorliebe für diese, an dem
anderen für jene.
Es gibt ein schon hundertundfunfzig Jahre altes Zeugnis
von dem Dasein dieser Lieder, ihrer gedenkt nämlich Lucas
i42oDebes in seiner Faeroa reserata Kopenhagen 1673. Ein noch
jetzt lebender Färöbewohner, Jens Chr. Svabo, war der Erste,
welcher im Jahre 1781 und 1782 einen Theil derselben auf-
zeichnete. Von seiner in der Königl. Bibliothek zu Kopenhagen
aufbewahrten Sammlung wird hier S. 10. 11 das Verzeichnis
mitgetheilt: zum Theil alte, zum Theil neuere Lieder, im Ganzen
52 Stück. Im Jahre 1817 unternahm Hr. Pf. Lyngbye eine
Reise nach den Inseln, in der Absicht, Beiträge zu seiner
Hydrophytologia danica zu sammeln. Er fand Svabos Besorg-
nis über den Untergang der alten Lieder ungegründet, sie
waren noch so frisch im Andenken und Gebrauch, dass er
nicht zweifelte, Svabos Handschrift würde sich noch jetzt aus
der mündlichen Überlieferung ergänzen lassen. Bei Regen-
wetter, welches botanische Excurse nicht gestattete, na'.im Hr.
Lyngbye aus dem Munde eines alten Mannes, der dafür Tage-
lohn empfieng, die Lieder von Sigurd Fofnerstödter auf,
denn diese schienen bei ganz richtigem Takt ihm besonders
merkwürdig und befanden sich nicht in der Svaboischen Samm-
lung. Sie sind wie die ältesten, so den Einwohnern die liebsten,
und keine werden so häufig gesungen, ja nicht selten hört man
Redensarten, welche daraus in das tägliche Leben übergegangen
sind; z. B. „Du bist nicht besser, als Reigin!" Mit einer
Übersetzung ins Dänische ausgestattet, kamen sie hernach in
die Hände des Hrn. Prof. P. F. Müller, der davon bereits in
der trefflichen Sagenbibliothek (II, S. 420 — 430) Gebrauch
FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYNGBYE. 341
machen konnte. Da er den Werth dieser Überlieferungen
wohl erkannte, bemühte er sich deshalb noch weiter und, um
die Lieder, deren jener Alte sich nicht mehr vollständig erin-
nerte, vervollständigen zu können, wendete er sich mit schrift-
licher Bitte an Hrn. Pfarrer Schröter auf Süderö und Hm
Amtsprobst Hentze. Beide ergänzten nicht nur bereitwillig das 1^21
Fehlende, sondern schickten auch ganz neu Aufgefasstes und
endlich ein Verzeichnis aller noch jetzt gangbaren, aus alter
Zeit herrührenden Lieder. Dieses ist hier S. 16 — 20 abgedruckt
und besteht, wenn man die einzelnen Stücke, aus welchen ein
Fabelkreis zusammengesetzt ist, wie billig mitzählt, aus 178 Lie-
dern. Welch ein Reichthum von Poesie lebt hier auf engem
Raum unter einem kleinen Volkl Wie thut sich das natürliche
Verlangen des Menschen darnach kund! Dabei muss man
bedenken, dass einige von grossem Umfang sind, wie z. B. das
Lied von Brjnhild allein 220 vierzeilige Strophen enthält.
Auch neue Lieder dichten die Bewohner der Färöer auf
Begebenheiten, die ihnen merkwürdig scheinen, besonders
Spottlieder. Soll ein solches Lied öflPentlich gemacht, d. h. als
Tanzmelodie eingeführt werden, so richtet man es ein, dass der
Held davon, ohne es zu wissen, gegenwärtig ist. Zwei hand-
feste Bursche fassen ihn dann, wenn der Tanz anhebt, bei den
Händen, und so muss er das ganze Lied, er mag wollen oder
nicht, durchmachen. Findet es Beifall, so wird es dann allere-
mein aufgenommen. Die alten Lieder heissen Qveäir (Quader),
die neuen Taattir, welches von dem isländischen Thättr, Bruch-
stück, abstammend ein kürzeres Lied bedeutet.
Gewiss wäre ein Abdruck sämmtlicher bereits aufgefasster
Lieder erwünscht, indes erkennen wir es dankbar an, dass
königliche Unterstützung es möglich gemacht, das Wichtigste
vorerst durch den Druck zu sichern und zu verbreiten. Dem-
nach erhalten wir die Lieder von Sigurd und dessen Geschlecht,
einen Theil nach Hrn. Lyngbyes, einen anderen nach Hrn.
Schröters Aufzeichnungen; doch die von letzterem nachgesen-
deten Stücke hat Hr. Lyngbye erst sorgfaltig und nicht ohne
Mühe geordnet und gereinigt. Von ihm allein rührt auch
überall die dänische Übersetzung, die ohne Zweifel ein bedeu-
342 FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYNGBYE.
1422 tendes Hilfsmittel zum Verständnis des Originals ist. Über-
setzungen dieses Art haben mehr Schwierigkeit, als man
glaubt, da es gerade nicht leicht ist, bei dem schlichten und
ganz kunstlosen Ausdruck ohne Zwang die Reime herbeizu-
schaffen. Der Verf. hätte wohl besser gethan, diesen ganz
aufzugeben und sich auf wörtliche Treue zu beschränken, doch
hat er vielleicht billige Rücksicht auf Leser genommen, die
sich mit dem Original gerade nicht befassen wollen oder können.
Im Ganzen hat er sich ziemlich rein gehalten von fremdartigen
und modern zierlichen Ausdrücken; Beispiele davon wären
folgende: S. 49 „jeder sank in des Todes Arm", wo im Original
steht: keiner kam von dem Kampf zurück. S. 136 „so lautet
des Skalden Gesang" für: so ist mir gesagt. Dies stört, weil
man gleich fühlt, dass es dem natürlichen Ton und der eigen-
thümlichen und reinen Farbe der Lieder widersteht.
Ganz vollständig besitzen wir indessen den Sagenkreis von
Sigurd, zugleich den grössten unter allen auf den Färöern, noch
nicht, denn Rec. findet in dem Schröter'schen Verzeichnis
S. 16 als hierhergehörig noch angemerkt: Angankaari, Grujms
Rujma und Dvörgamoijnar, das letztere besteht aus vier ein-
zelnen Liedern und handelt von Zwergenmädchen, welche dem
Sigurd Geschenke gegeben haben, in dem Riesen von Letraberg
S. 470, V. 93 kommt sogar eine Beziehung darauf vor. Diese
Lieder (wovon das erstere, so viel sich aus der Ferne schliessen
lässt, schon in der Svaboischen Sammlung Th. 11, Stück 7
vorzukommen scheint) sollte Hr. Lyngbye noch als einen
Nachtrag zu liefern suchen, damit seinen Verdiensten um die
Poesie nicht das Geringste abgienge.
In der wohlgeschriebenen Einleitung verweilt die Betrach-
tung bei dem, was eine solche Überlieferung Merkenswerthes
darbietet. Hier wird auch, wie sich von Hrn. P. E. Müller
erwarten Hess, das Verhältnis derselben zu der nordischen und
1423 deutschen Sage berücksichtigt. Letztere ist in ihrer besonderen
Bildung (wir sehen dabei nicht auf das Gemeinsame, auch
nicht auf einzelne Züge, wie z. B. der ist, dass Sigurd in der
Edda schon inn sudraeni der Südliche, d. i. der Deutsche heisst)
schon früh in den Norden gedrungen, ausgemacht schon im
FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYXGBYE. 343
zwölften Jahrhundert; der Sammler der Eddalieder gedenkt
ihrer ausdrücklich. In diesen färöischen Gesängen zeigt sich
zuvörderst ein offenbarer Zusammenhang mit der nordischen
Sage, daraus erklären sich allein die jetzt unverstandenen
Namen Malmaring fiir Rinar mälmr, Väoluo für Vafurlogi und
andere, die man in der Vorrede S. XVI Anm. zusammengestellt
ündet. Nur ist überall ein Restreben sichtbar, das Heidnische
rmd Mythische zu unterdrücken. Die Fabel selbst hat anfangs,
in den Liedern von Reigin und Brynhild bis zu Sigurds Mord,
im Ganzen ziemliche Übereinstimmung mit der Volsungasaga,
aber auch manches ihr allein Zugehörige. Dies bezieht sich nicht
bloss auf einzelne Züge, sehr merkwürdig trifft man hier eine
Episode, die sonst nicht bekannt ist, gleichwohl in den Kreis
der Begebenheiten passt und welcher, wie P. E. Müller anmerkt,
^in eddisches, jetzt verlorenes Lied gar wohl zu Grunde liegen
kann. Es ist der Gesang von Ismal, aus 61 Strophen be-
stehend, welcher die Hochzeit zwischen Ismal uud einer
Schwester Sigurds, die den Namen Schwanhild Sonnenblume
führt, beschreibt; Sigurd sieht hier zum ersten Mal die Brynhild
imd betroffen von ihrem Anblick zerbricht er den goldenen
Becher in seinen Händen. Ahnliche Züge, Erstaunen und
Selbstvergessen anzudeuten, könnten aus anderen Sagen daneben
aufgestellt werden. Um so eher aber darf man hier ein eddisches
Lied vermuthen, als das, welches in der Edda diese Stelle
einnehmen sollte, verloren ist, die Volsungasaga aber in der
Art, wie Sigurd die Brynhild kennen lernt, einen Widerspruch
•enthält. Schwanhild ist zwar nicht als Sigurds Schwester in ii24
der Edda bekannt, wohl aber als seine Tochter, und einen
Zusammenhang zwischen beiden scheint dem Rec. der Name
Sonnenblume anzudeuten, denn von der Schwanhild heisst es
zweimal ausdrücklich in der Edda: „sie war weisser als der
klare Tag und den Sonnenstrahlen gleich" (Kopenh. Aus-
gabe II, S. 236, Str. 52 und S. 532, Str. 14); auch in der
Volsungasaga wird sie mit der Sonne verglichen. Der Brynhild
Mutter wird hier Gunild genannt (S. 118 und 360), welcher
Name sich in der Edda nicht findet.
Bei der Erzählung von Sigurds Tod folgen die färöischen
344 FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYNGBYE.
Lieder dagegen der deutschen Sage, und zwar wie sie die Vil-
kinasaga enthält. Ebenso im Fortgange der Geschichte, von
der Vermählung der Gudrun mit Atle, dem Zuge der Giukungen,
Hagens Gespräch mit dem Meerweib bis zu dem letzten
Kampfe. Auch Dieterich von Bern tritt auf, und sein Feuer-
athem ist in Gift verwandelt, das er als Drache ausspeit.
Die Giukungen rächt Aldrian, gleichfalls der deutschen Sage
gemäss, aber die That selbst wird hier mit Umständen erzählt,
die Ähnlichkeit haben mit der Darstellung der hvenischen
Chronik, welches beweiset, dass auch diese keine willkürliche
Umdichtung enthält. Abermals der nordischen Sage folgen die
Lieder von Ragnar und Aslaug. Mit diesen endigt der
zusammenhängende Kreis und die letzten drei Stücke: der
Riese von Holmgard, das Lied von Quörfin und der Riese von
Letraberg erzählen besondere Begebenheiten von Sigurd, Wittig
und Dieterich, von welchem sonst nichts bekannt ist. Wittig
zieht hier in Gesellschaft mit Siegfried auf Abenteuer aus.
Besondere Rücksicht verdient ein Zug in dem Liede von
Quörfin: Dieterich nämlich ist furchtsam und flieht vor dem
Kampf nach Haus. Gerade so erscheint er mehr als einmal
in den deutschen Gedichten. Hildebrand muss ihn erst auf-
1425 muntern, ausschelten, selbst mit ihm kämpfen, ehe er einen
Entschluss fasst und einen gewissen natürlichen Widerwillen
vor der Gefahr überwindet, ja im Rosengarten gebraucht der
Alte die List, sich für todt ausgeben zu lassen, um seinen
Herrn in Zorn und Eifer zu bringen, in welchem er dann
alles besiegt; „mir ist erwärmet nü daz bluot!" ruft er selbst
im Biterolf (V. 8159) aus, als er sich zum Kampf mit Siegfried
entschlossen hat. Ohne lebendige Kenntnis von der deutschen
Sage wäre dieses färöische Lied nicht entstanden, denn eine
solche Übereinstimmung im Charakter beweiset nicht weniger
als Übereinstimmung in der Fabel.
Aber wir müssen etwas von Art und Weise dieser Lieder
reden. Äussere Form, Gang der Erzählung haben sie mit den
dänischen Kjämpeviser gemein, sonst aber sind sie diesen an
poetischem Werth und innerem Gehalt nicht gleichzustellen.
Sie haben nicht jene Tiefe der Anschauung, die Freiheit und
FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYNGBYE. 345
Kühnheit der Gedanken und das Überraschende der \Yendungen.
Die Erzähhmg ergiesst sich hier in einem ruhigen, gleich-
massigen, etwas breiten Fluss, und man scheint so sehr des
Eindrucks der Fabel selbst auf die Gemüther sicher zu sein,
dass man auch nirgends das Bestreben bemerkt, zu überraschen
oder die Neugierde zu spannen; jedoch ist die Darstellung
überall natürlich und angemessen. Das Lied von Quörfin
unterscheidet sich von den übrigen durch eine gewisse Leb-
haftigkeit, und wahrhaft poetisch ist darin die Beschreibung der
nächtlichen Wirthschaft der Riesen und Zwerge. Auch manche
epischen Anklänge haben sie mit den Kjämpeviser gemein.
Z. B. die Jungfrau lächelt unter dem weissen Linnen ; ehe dte
Helden eingehen, ziehen sie ihr Kleid über die Schulter; der
Trauernde wird schwarz wie die Erde; die Berufung: „das ist
mir in Wahrheit gesagt!" oder ^so geht die Sage!* Auch der
Name Sjürur sneare (S. 139) ist das dänische Sivard suaren-i42&
svend. Eddisch ist der Spruch (S. 32): „die Nornen (Nodnar)
haben mir das bestimmt!", „niemand kann dem Tod entfliehen!"
und der tiefpoetische Ausdruck (S. 464): „die Zwergensprache
(das Echo, in den Kenningar) sang bei den Schwertschlägen
in jedem Berg". Überraschend dabei eine Übereinstimmung in
unserem deutschen Gedicht von Ecken Ausfahrt, wo es Str. 149
heisst: „ihr Schlagen war so stark, dass es Berg und Thal
Stimme gab". Jene Warnung: „der junge Wolf (Rächer des
getödteten Vaters) wächst auf mit scharfem Zahn im Munde!"
scheint im ganzen Norden verständlich gewesen zu sein, nicht
nur hier (S. 62^ und häufig in den Kjämpeviser, auch in der
alten Edda (II, 217) und in der Volsungasaga (Cap. 30) kommt
sie vor. — S. 458, Str. 63 heisst es von Sigurds Mannen: «sie
wussten nicht, wo sie waren, im Himmel oder auf Erden";
ähnlicher Weise sagt Sigurd zu Reigin (Volsungasaga, Cap. 28) :
„du wusstest (vor Schrecken) nicht, was Himmel oder Erde
war". In dem entsprechenden Eddalied fehlen diese Worte.
Das Gleichnis: „froh, wie der Vogel beim hellen Tag" (S. 122)
haben wir gerade so in der Vilkinasaga (Cap. 39) auf Vidga
angewendet wiedergefunden, aber auch einer unserer Minne-
sänger des 13. Jahrhunderts kennt es: „vröuwet sich min
346 FÄRÖISKE QUADER, OVERSATTE AF LYNGBYE.
gemuete sam diu kleinen vogellin so sie sehent des tages schin*
(Man. S. II, 102'*). Dagegen gewiss eigenthümlich färöisch
ist Folgendes: „Ismal hatte Wangen roth wie eine Hummer-
scheere und Augen wie eine Taube", d. h. blaue, erklärt Hr.
Lyngbye, denn die wilden Tauben auf den Färöer sind blau,
wenn nicht wirklich das sanftblickende Taubenauge gemeint
ist. Der Ausdruck: „ein Kind schön, wie ein Tropfen Blut im
Schnee" (S. 128 Anmerkung) lässt das Dasein jener alten Sage
1427 vermuthen, die im Parcifäl so bedeutend wirkt und noch in
deutschen Märchen fortdauert.
Auch über die Herkunft dieser Lieder hat P, E. Müller
Untersuchungen angestellt. Schon Svabo bemerkte in der Ein-
leitung zu seiner Sammlung und Hentze bestätigte eine auf
den Färöer umgehende Sage, wornach diese Lieder aus einem
Buche herrühren, welches durch ein gestrandetes isländisches
Schiff nach Sandö gekommen und so gross gewesen sei , dass
ein Saumross es nicht habe auf einer Seite tragen können.
Von einem solchen Buche findet sich aber keine Spur, weder
auf den Inseln noch in Kopenhagen, wohin es soll gekommen
sein und wo es unmöglich der Aufmerksamkeit der Sammler
entgangen wäre. Mit Recht nimmt Hr. P. E. Müller an und
führt es aus, dass die Färöbewohner gerade diese Lieder von
Sigurd weder von Dänemark aus durch die Kjämpeviser, die
von sehr abweichendem Inhalte sind, noch von den Isländern
haben erhalten können, sondern sie aus dem Norden, wo von
den ältesten Zeiten her diese Sage der Hauptgegenstand der
Dichtung gewesen ist, mitgebracht haben. Sie zeigen auch
überall Selbständigkeit, und während sie die altnordische Dar-
stellung in der Hauptsache beibehalten, haben sie sich aus sich
selbst erweitert. Die deutsche Sage ist hier so gut, wie in den
Kjämpeviser und der hvenischen Chronik, mit der nordischen
lebendig vereinigt, und es kann gar wohl sein, dass sich hier
noch Züge aus jener erhalten haben, die bei uns verloren sind.
Überall hat hier die Schrift nichts gewirkt, sondern lediglich
mündliche Überlieferung,
Noch eine einzelne Spur von hohem Alter hat der scharf-
sichtige Herausgeber entdeckt. Einige Mal kommt hier eine
FÄRÖISKK QUADER, OVERSATTE AF LYXGBYE. 347
Beziehung vor auf ein Lied, welches Bragdar Thaat genannt
wird und worin Schicksale der Gudrun und eine von ihr aus-
geübte List müssen erzählt worden sein, welches aber die
jetzigen Bewohner nicht mehr kennen. Wir besitzen auch kein 1428
eddisches Lied darüber, aber in der Nornagestssage wird er-
zählt, dass Nornagest vor Oluf Tryggvason gesungen habe
Gunnarsslagr und Gudrünar brögd in fornu, das alte Lied von
der List der Gudrun. Ohne Zweifel wird an beiden Orten
dasselbe verlorene Lied gemeint. Wahrscheinlich ist es dem-
nach, dass diese Gesänge über Sigurd schon ein Jahrtausend
durch mündliche Überlieferung sich erhalten haben, wenn auch
mannigfach Inhalt und Sprache nach verändert, ein für die
Geschichte der Poesie wichtiger Satz, der ohne die abgeschie-
dene Lage der Färöer schwerlich so einleuchtend sich darthun
liesse.
In dem Anhang S. 480 — 564 wird aus der Sammlung der
übrigen Lieder noch eine Auswahl und dann eine Anzahl von
Refrains mitgetheilt. Diese Stücke sind sämmtlich von dich-
terischem Werth, den Vorzug verdienen aber die beiden ersten
von Skrymner uud Loke. Besonders das letztere ist ausge-
zeichnet schön und an sich merkwürdig genug, da die drei
Götter Odin, Häner und Loke, die wir schon in der Edda in
Gesellschaft finden, hier gemeinschaftlich einen Riesen überlisten.
Wahrscheinlich haben wir eine alte Dämisaga vor uns, denn
selbst der Umstand, dass dieses Lied sonst zu singen verboten
war, beweiset die Abstammung aus der Heidenzeit. Ein anderes
Beispiel fortdauernder Erinnerungen von Loke gibt eine An-
merkung in der Einleitung S. 21. Als Beilage erhalten wir von
Hrn. Lyngbye, der für die Liebe und Sorgfalt, womit er dieses
Buch gepflegt hat, den grössten Dank verdient, noch ein Ver-
zeichnis jütländischer Wörter und eine faröische Melodie zu
Sigurds Lied.
[anonym.]
348 BIOGRAPHISCHE DENKMALE VON VARNHAGEN VON ENSE.
1428 BIOGRAPHISCHE DENKMALE.
Von K. A. Varnhagen von Ense. Berlin. Bey G. Eeimer 1824. 408 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen, Bdlll, 143. Stück, den 4. September 1824.
S. 1428-1431.
1429 JL/rei Cabinetsstücke von der besten Arbeit. Der Held,
der uns entgegentritt, weiss unsere Augen gleich zu fesseln,
seine Züge sind gemässigt und aufgeheitert, seine Haltung ist
gefallig und ungezwungen, während die mit Sorgsamkeit und
versteckter Kunst um ihn her geordneten Gruppen den vor-
theilhaften Eindruck des Ganzen erhöhen. Der Verf. hat zu
reinen Geschmack, um durch gesteigerte Farben, künstliche
Beleuchtung, unverhältnismässig ausgeführte Beiwerke, und was
es sonst noch für Mittel gibt, Eindruck machen oder gewöhn-
liche Beschauer blenden zu wollen. Alles ist in gleichmässiger
Behandlung wohl temperirt und lädt zu einer ungestörten Be-
trachtung ein. In dieser Ausbildung steht er höher als andere
Schriftsteller seines Fachs, z. B. der französische Lacretelle, der
seinen Gegenstand schon mehr brillantirt, glänzende Gegensätze,
Sentenzen, überraschende Wendungen sucht und manchmal
glücklich findet. Dies kleine Buch scheint dem Rec, um nicht
zu sagen, ganz vollkommen (weil das ein gar zu grosses Lob
sein würde), doch ganz fertig gearbeitet: vielleicht ist der Verf.
im Stand, von jeder Zeile Rechenschaft zvi geben. Ein Urtheil,
das an dieser glatten Oberfläche hier und da nagen wollte,
würde etwas Unpassendes und Ungeschicktes sein, lieber will
Rec. eines Unterschiedes gedenken, der auch sonst, doch vor-
züglich bei Werken dieser Gattung zum Vorschein kommt, die
neben dem nicht mühelosen Studium des Materials zugleich
einen schaffenden Geist fordern, der, was in der Seele sich
gebildet hat, vor unsere Blicke heraufzuheben Stärke genug
besitzt. Es gibt Schriftsteller, welche in steter Übung nach und
nach ihrer sämmtlichen Kräfte und Gaben sich bewusst werden
und sie endlich völlig in ihre Gewalt bekommen. Dagegen
andere können den Genius, der ihnen verliehen ist, nur zum
BIOGBAPHISCHE DENKMALE VON VARNHAGEN VON ENSE. 349
Theil bezwingen: halb leiten sie ihn, halb werden sie von ihm 14.30
gelenkt und getrieben. Gelingt jenen die Arbeit, so verdient
sie gewiss grosses Lob, aUes, wohl durchdacht, wohl geordnet,
gestattet ein vollkommenes Verständnis, und ohne Anstoss zu
fühlen oder durch etwas Widerstrebendes aufgehalten zu werden,
eilen wir mit Vergnügen hindurch. Die Werke der anderen
sind nicht so zugänglich, vielleicht fallen gleich Unvollkommen-
heiten und Missverhältnisse in die Augen, oder uns hemmt
etwas Unverständliches, wenigstens Befremdendes; dagegen das
Herrliche, das unerwartet uns begegnet, der frische Hauch des
Lebens, der auf uns einströmt, erfreut uns auf das Höchste und
versetzt uns in eine Stimmung, in welcher wir das Übrige gern
verzeihen, selbst geneigt sind, es als etwas Noth wendiges und
dem Menschenwerk Anklebendes zu betrachten. Jene erfüllen
im besten Fall jede billige Erwartung, diese gewähren etwas
über aller Erwartung Liegendes. Auch darin zeigt sich der
Unterschied, dass wir zu einem verstandenen und überschauten
Werk, das fiir den ersten Eindruck alles gesammelt zu haben
scheint, nicht leicht zurückkehren, wie uns ein gelöstes Räthsel
nicht weiter reizt und die Wiederholung eines Witzes fast ver-
driesst. Wo aber der Genius mit eingesprochen hat, vielleicht
zur Überraschung des Verfassers selbst, da fühlen wir uns zu
wiederholter Betrachtung angetrieben und kehren niemals zurück,
ohne einen neuen Blick in die Tiefe des menschlichen Daseins
gethau zu haben; solche Werke haben wie die Natur etwas
Unerschöpfliches.
Ob die Manier des Hrn. Varnhagen der Geschichte nach-
theilig werden könne, mögen andere beurtheilen, uns kommt
es fast undankbar vor, diese Frage in Anregung zu bringen,
gleich nach der Unterhaltung, die uns das Buch gewährt hat
Auch ist in keinem Falle die Gefahr gross, denn solche kunst-
geübten Hände bilden sich so schnell nicht aus. Ein geistreicher
Mann hat dem Verfasser vorgeworfen , er sei schalkhaft und I43i
sage Eins und das Andere mit ernster Miene, was er selbst
nicht glaube. Das sollte niemand irre führen und ist nur eine
List, der Tadler ist der Schalk und weiss recht gut, dass es
für einzelne Punkte keine Ausnahme gibt und Eins so wahr
350 DEN AELDRE EDDA, OVERSAT VED FINN MAGNUSSEN.
sein muss, als das Andere. Haben doch Maler längst bei ihren
historischen Compositionen die Erlaubnis gehabt, das Wider-
strebende und Widerwärtige in den Schatten zu stellen oder
auf eine ungezwungene Art zu bedecken und dem Auge zu
entziehen. Dergleichen und wäre es ein Klumpfuss kann ge-
schickt weggeschafft werden, ohne dass man es, wenn darnach
gefragt würde, ableugnen wollte; auch in guter Gesellschaft
spricht man ja nicht davon oder nur mit mildernder Wendung.
Kommt es denn hier auf etwas Anderes an, als die eigenthüm-
liche Lebendigkeit oder kecke Beweglicheit einer nicht gemeinen
Natur, so ansprechend als möglich zu schildern? Auf ein ürtheil
ist es gewiss nicht abgesehen. Auch den Diplomaten thut
jener Mann Unrecht, wenn er ihnen noch eine besondere, der
geäusserten etwa entgegengesetzte Meinung zuschreibt; wir
denken besser von ihnen und halten sie für vollkommen von
derjenigen überzeugt, welche zu äussern sie sich veranlasst
fühlen. Der Grundton, den sie etwa aus sich selbst mitbringen,
ist jenes sanfte Grau, von dem schon Goethe in der Farbenlehre
behauptet hat, dass es die schreiendsten Farben vermittle.
Wir müssen aber nicht vergessen anzuzeigen, dass dieser
Band das Leben des Grafen Wilhelm zur Lippe, des
Grafen Matthias von der Schulenburg und des Königs
Theodor von Corsica enthält. Dass es unser Ernst sei,
wenn wir um die in der Vorrede angedeutete Fortsetzung bitten,
wird der talentvolle Verf. selbst nicht bezweifeln.
[anonym.]
36 DEN AELDRE EDDA.
En Sämling af de nordiske Folks aeldste Sagn og Sänge, ved Saemund
Sigfussön kaldet hin Frode. Oversat og forklaret ved Finn Magnusen.
Kopenhagen. In der Gyldendalischen Buchhandlung. Erster Band 1821.
LI und 274 S. in 8. Zweyter Band 1822. VI und 319 S. Dritter Band 1822.
VI und 312 S. Vierter Band 1823. IX und 349 S.
GÖttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 3. und 4. Stück, den 6. Januar 1825.
S. 36-39.
-Ciiner schwedischen, gleichfalls die ganze Säraun-
discheEdda begreifenden Übersetzung von Afzelius, welche
DEN AELDRE EDDA, OVERSAT YED FIXN MAGNUSSEN. 35J
im Jahr 1818 bereits erschienen ist, haben diese Blätter schon.
(1820, S. 1443 — 1445) Erwähnung gethan. Gegenwärtige
dänische ist in ähnlichem Sinne ausgearbeitet, das heisst, sie
trachtet vor allen Dingen nach einem genauen , selbst feinen
Verständnis des Originals. Nachdem in der Vorrede die ver-
schiedenen Übersetzungen berührt sind, sagt der Verfasser:
„jeg har straebt efter, at min bliver saa nöjagtig og oplysende,
fom det nu er mueligt." Mit Recht hat er deshalb auch
keinen Werth auf regelmässige Beibehaltung der Alliteration
gelegt, noch auch ist er von dem schlichten und doch so
poetisch gewaltigen und kraftvollen Ausdruck des Originals
abgewichen. Beruf zu einer solchen Arbeit wird ihm niemand
abstreiten, da er durch seine Theilnahme an der grossen Kopen- 37
-hagener Ausgabe (denn von ihm rührt, die lateinische Über-
setzung und Vorrede ausgenommen, der sämmtliche gelehrte
Apparat des zweiten Theils) Bekanntschaft und vertrauten Um-
gang mit der Edda hinlänglich bewährt hat. Das Geringste
also, was w^ir hier erwarten dürfen, ist ein eben so genaues
Verständnis des Textes, als dort; aber bei einem so eifrigen
Gelehrten versteht sich von selbst, dass er Berichtigungen und
neuerworbene Aufklärungen einzutragen hatte.
Einen bedeutenden Vorzug vor der schwedischen Über-
setzung (die freilich auch nur einen einzigen Band, nicht
stärker als einer von diesen vieren, ausmacht) gewähren reich-
liche Zugaben. Erstlich die einleitende Vorrede, welche eine
kurze, aber klare Auskunft über die beiden Edden gibt, worin
unter anderen wahrscheinlich gemacht wird, dass Snorre die
jüngere Edda nur nach Sämunds Sammlungen redigiert, nicht
eigentlich verfasst habe (so wie ihn P. E. Müller in Beziehung
auf die Heimskringla darstellt); ferner zu jedem Lied eine be-
sondere Einleitung und genaue Inhaltsanzeige (die man ungern
an der grossen Ausgabe vermisst); endlich am Schluss ein
dreifaches Register, dessen Nützlichkeit wir nicht weiter rühmen
wollen, da sie in die Augen leuchtet. Das alles ist mit lobens-
würdiger Sorgsamkeit und sichtbarer Neigung ausgeführt und
verdient dankbar anerkannt zu werden. Nur hätten wir dem
Verfasser hier und da etwas mehr Enthaltsamkeit gewünscht,
352 DEN AELDRE EDDA, OVERSAT VRD FINN MAGNUSSEN.
er schweift gern nach verschiedenen Richtunoren aus und kann
einer blossen Vermuthung oder einem wenn auch sinnreichen
Gedanken, wozu besonders die mythischen Lieder bei ihrer
dunkelen Bedeutsamkeit leicht Anlass geben, nicht widerstehen.
Hätte er den Kreis der Betrachtung enger abgeschlossen, so
würde das Ganze gleichförmiger und reinlicher ausgefallen sein,
gewiss auch ansprechender, zumal für das Publikum, das Hr.
38 Finn Magnussen im Sinne hat. Mehr als eine schwache Ver-
muthung ist es zum Beispiel nicht, wenn er annimmt, dass die
Völuspä bei dem Sonnenfest und Johannisfeuer sei vorgesungen
worden, oder dass Vidar eine Wasserhose, Typhon, bedeute,
bei welcher Gelegenheit drei enggedruckte Seiten mit Beschrei-
bungen dieses Meteors angefüllt sind. Zu Grimnismäl wird ein
poetischer Kalender der Heidenzeit aufgestellt, und Rünacapituli
begleitet eine 20 Seiten lange Abhandlung, welche des Ver-
fassers Ansicht über Entstehung und älteste Bildung der Runen
vorträtrt. Am meisten und liebsten verweilt er bei Verglei-
«hungen der Edda mit asiatischen Mythen und Sitten, und
wiewohl das alles viel Raum einnimmt, muss er doch über
Mangel daran klagen und auf ein besonderes Werk verweisen,
welches, als Seitenstück zu vorliegendem, die Eddalehre in
ihren mannigfaltigen Beziehungen darstellen soll. Hätte er
nicht besser gethan, alles dafür zurückzuhalten, dagegen aber
die beiden Lieder Rigsmäl und Grottasaungr , welche ganz
eigentlich zur Edda gehören, aufzunehmen? Wir müssen die
Auslassung derselben tadeln und wissen sie nicht zu erklären.
Die Anmerkung in der Vorrede des ersten Bandes S, XVHI
gibt doch eigentlich keine Auskunft darüber, auch steht Rigsmäl
in der schwedischen Übersetzung.
Werth und Einfluss gegenwärtiger Arbeit erkennen wir
in dem Nutzen, den sie dem Studium des Originals gewähren
wird. Es sind Stufen in den Felsen gehauen, auf welchen wir
zu der reinen Quelle mit mehr Sicherheit und Bequemlichkeit
hinabsteigen können. Ein allgemeineres Eindringen dieser
Poesie und eine Theilnahme des grösseren Publikums erwarten
wir nicht. Wir denken gewiss nicht geringer über ihren
inneren Gehalt, als Hr. Finn Magnussen, einige dieser Edda-
VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK. 353
lieder dürfen sich kühn mit dem Besten vergleichen, was andere
Völker aus ihrem Alterthum besitzen ; aber Sinn und Gefühl 39
dafür, wie sollte es unsere Zeit erlangt haben? Diese Lieder
können nur historisch verstanden und gewürdigt werden, Sie
gleichen einer Alpenpflanze, die in den Thälern nicht gedeiht,
in welchen das jetzige Geschlecht seine Wohnungen aufgeschlagen
hat. Ebenso wenig können an sich immerhin wohl ausgeführte
Werke der Malerei und Bildhauerkunst, die dorther ihren Stoff
genommen, verständlich werden und Eingang finden, auf
welche Lieblingsidee Hr, Finn Magnussen auch hier, in der
Vorrede zum vierten Bande, zurückkehrt.
Wird der dritte Theil der Kopenhagener Ausgabe, woran
nach der Versicherung des dabei thätigen Verfassers bereits
gearbeitet wird, vollendet sein*), so bleiben für die Edda keine
grossen Wünsche mehr übrig. [anonym.]
VAX HET LETTERSCHRIFT, 49
door Mr. Willem Bilderdijk. Rotterdam. Bei J. Immerzeel dem jung. 1820.
X und 208 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 6. Stück, den 8. Januar 1825. S. -19 — 64.
Jtlerr Bilderdijk, als Dichter und Gelehrter seinem Vater-
lande ein Stern erster Grösse, macht hier durch den Druck
zwei Abhandlungen**) einem weiteren Kreise bekannt, die er in
den Sitzungen des holländischen Instituts vorgelesen hatte. Sie
betreffen einen schwierigen schon mehrmals, man kann aber
nicht sagen, mit Glück berührten Gegenstand. Der in seinen
Ansichten und seinem Urtheil immer unabhäuoricre Verf. ver-
spricht dagegen die Frage so zu beantworten, dass für Gelehrte
und Ungelehrte sie als völlig gelöst könne betrachtet werden.
^Schlagen wir einen ganz anderen Weg ein," ruft er, „verlassen
wir alle Vermuthungen und Voraussetzungen, von welchen unsere
Vorgänger ausgegangen sind!" Es ist wahr, eigen ist dem Verf.
alles, was er vorbringt, und das Meiste ist zugleich originell.
*) [Vgl. uDten S. 39ti f.]
**) [Änderung für ..Vorlesungen" im Handexemplar.]
>v. GKIMM, KL. SCHBIKTEN. H. 23
354 VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK,
50 Die erste Abhandlung betrifft die Gestalt der Buch-
staben. Zuvorderst werden die bisherigen Meinungen abge-
fertigt: verderbte und entstellte Hieroglyphen können sie nicht
sein, denn dies setzt die falsche Ansicht voraus, dass den
Hieroglyphen ein höheres Alter zukomme, als der Buchstaben-
schrift. Einen Zufall darf man bei ihrer Bildung nicht annehmen,
denn es gibt keinen Zufall, und die Berufung darauf ist, nach
Leibnitzens Ausdruck, nichts Anderes als ein argumentum
" pigritiae. Deutet man auf einen mystischen Grund, so sagt
man eigentlich nichts, was diese Sache näher angeht, denn
alles, was ist, hat einen mystischen Grund. Abbildung der
Gegenstände, von welchen sie den Namen führen, sind es
endlich auch nicht, wiewohl es bei einigen allerdings den Schein
hat, vielmehr, um uns am Eingang zu überraschen, behauptet
Herr Bilderdijk, „die Gegenstände seien nach der Gestalt der
Buchstaben genannt und nicht umgekehrt diese nach den
Gegenständen."
Von diesen vier Abwegen, auf welchen die zahlreichen
Vorgänger sämmtlich wandelten, will der Verf. keinen betreten.
Man kennt Helmonts Einfall, welcher in den Muskeln der
Wange und des Mundes die Gestalt der Buchstaben fand; man
hat darüber gelacht, „und in der That", sagt Hr. Bilderdijk,
„wenn man seine Abbildungen ansieht, kann man sich kaum
des Lächelns enthalten." Dennoch ist er der Einzige, an den
sich Hr. Bilderdijk gewissermassen anschliesst: „Helmont hat
von der Wahrheit etwas gesehen, aber umnebelt, und eben
dieser Nebel hat ihn falsch geleitet."
Nach diesem Wink stellt er nun die eigene Behauptung
auf, von deren Wahrheit er vollkommen überzeugt ist: nämlich
die Buchstaben seien nichts Anderes, als Abbildungen der
Sprach Werkzeuge ; was den Sprachlaut hervorbringe, diene
51 zugleich ihn sichtlich zu bezeichnen. Die Labiallaute werden
also durch die Lippen, die Gutturallaute Jurch die Kehle und
die Linguallaute durch die Zunge angedeutet; und diese Unter-
scheidung musste dem Alphabet vorangegangen sein. Für die
Vocale, da bei ihrer Bildung die Sprachwerkzeuge nicht thätig
sind und sie in einem blossen Aushauchen bestehen, kann es
VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK. 355
nach dieser Ansicht eigentlich keine Buchstaben geben, weshalb
denn auch der Verfasser jener (historisch unbegründeten) Ansicht
zugethan ist, welche die ältesten Alphabete nur aus Consonanten
bestehen lässt. Natürlich nimmt er nur ein einziges Alphabet
an, von welchem alle übrigen abzuleiten sind. Diese aber haben
häufig das Ursprüngliche entstellt, woran theils die Flüchtigkeit
der Schreiber, die, von einem Zug zum anderen fibergehend,
die Feder nicht absetzen wollten, theils die Neigung zur Ver-
zierung Schuld hat. Die Keilschrift z. B. betrachtet der Verf. .
als aus einem solchen Streben nach Gleichförmigkeit entstanden.
Die Behauptung selbst wird an zwei Alphabeten, dem
hebräischen und lateinischen, ausgeführt, weil sie Hrn. Bilderdijk
die ältesten und ursprünglichsten scheineö. Das lateinische
stelle das altgriechische reiner und vollkommener dar, als das
griechische, wie wir es kennen. Mit den Gutturalbuchstaben
wird der Anfang gemacht. Da die Kehle eine Höhlung ist, so
bildet das C am einfachsten das Sprachwerkzeug ab, das
hebräische r kehrt das Zeichen nur um, so wie das K dadurch
entsteht, dass der Stab (Standarte sagt der Verf. im Hollän-
dischen) vor das C gestellt wird. Gleichfalls ist p dasselbe
Bild der Kehle, jedoch mit zugefügtem Stab. Bei dem
G wird nur die Wurzel der Zunge angehängt, und das hebräische
;; besteht aus einem r, mit welchem ein kleines "7 als Zeichen
der Zunge verbunden ist.
Es folgen die Zungenbuchstaben. Hier ist T die Grund- 52
gestalt und bildet die Zunge ab, als einen langen, biegsamen,
sich schlängelnden Körper; nur oben und unten ist der Strich
etwas stärker gezogen. Mit dem lateinischen L wird Hr. Bil-
derdijk auch fertig: unten der Querstrich ist die Hauptsache
und natürlich nichts Anderes, als die Zunge selbst, oben der
Strich gilt nichts und ist bloss der zugesetzte Stab. Bei dem
R krümmt sich die Zunge, das stellt Kesch vor: "1, wozu im
lateinischen Buchstaben nur die Standarte kommt. Späterhin
wird noch angemerkt, dass L und R eigentlich nur ein Buch-
stabe seien. Durch den Stoss der Zunge gegen die Zähne
entstehen die Zahnlaute, die Abbildung davon ist deutlich in
dem lateinischen T, dem hebräischen Daleth ~ und dem kleinen
23*
356 VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK.
griechischen x; bei dem D, einer blossen Nuance des Lautes,
ist der Strich nur, ohne die Feder abzusetzen, herumgezogen;
dieselbe Erscheinung im hebräischen 12. Das S zeigt die beim
Zischen gekrümmte Zunge nicht bloss in dem lateinischen und
griechischen s, auch im hebräischen D, wovon das griechische a
nur die umgekehrte Figur ist. Das spätere griechische ^ ist
durch Zufügung, das griechische C durch Auslassung eines
Theiles des ursprünglichen Zeichens entstanden, als man in
den Buchstaben die Bedeutung nicht mehr sah. Das Z ist
nichts als ein umgekehrtes S. Das hebräische 1 und ü abermals
dieselbe Figur.
Endlich die Labiallaute. Das B Abbild beider Lippen, die
Unterlippe dicker, nur der Stab ist hinzugefügt. Ein Holz-
schnitt, die Lippen in groben Umrissen darstellend, macht alles
noch viel anschaulicher. Das hebräische 2 soll dieselbe Ab-
bildung liefern, nur ohne Stab und ausgefüllt. Das P schliesst
die Lippen zusammen, vielleicht ist es auch nur eine Verschie-
denheit von F. Was aber das F betrifft, so bildet es ab (und
53 ein Holzschnitt versinnlicht das abermals noch mehr) die Aus-
blasung, wobei die Unterlippe eingezogen wird; das hebräische
r] stellt dasselbe nur umgekehrt vor, und gibt man das zu, darf
man sich auch nicht weigern, im arabischen J> wieder den
blasenden Mund zu erkennen. Das M zeigt die Lippe von
vorne, nämlich die Stäbe von beiden Seiten fallen weg, und was
in der Mitte bleibt, der Winkel, wird sanft gekrümmt; damit
soll man den althebräischen Buchstaben vergleichen. Bei dem
N gilt auch nur der Querstrich, welchen man sich gekrümmt
vorstellen muss, der dann ein Bild der Zunge ist, wie sie gegen
den Gaumen drückt.
Vocale können, wie schon vorhin bemerkt ist, nach diesem
System nicht bezeichnet werden, weil bei einem blossen Aus-
hauch die Sprachwerkzeuge nicht thätig sind. Indessen zeigt
uns Hr. Bilderdijk einen Ausweg, den man gefunden habe.
Ein Strich bezeichnet die Ausathmung, und zwei Striche, ent-
weder parallel laufend oder sich mehr und weniger erweiternd,
bilden den allgemeinen Vocal. Bei dem A zeigt sich dies
deutlich, noch mehr, wenn man an die liegende Gestalt im
VAX HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK. 357
phönicischen Alphabet denkt, das H liefert die beiden gerad
auslaufenden Linien, welche bei dem V (denn beide gehören
als Spiranten zu den Vocalen) von einem Punkt ausgehen. Das
scheinbar dieser Ansicht so sehr widerstrebende hebräische N
beseitigt Hr. Bilderdijk auf folgende Art: die beiden krummen
Züge gelten allein und sind ursprünglich die beiden geraden,
der Querstrich drückt nur die Verbindung aus. Auf ähnliche
Art wird denn auch das griechische r, erklärt.
Dies wäre das Zeichen für den allgemeinen Vocal; zwar
kann nun durch verschiedene diakritische Zusätze, Vocalpunkte
genannt, das E I O U angedeutet werden, aber es gibt noch
eine sinnlichere und weniger willkürliche Art : es wird nämlich M
die Vorbereitung, die Beschafienheit der Röhre, durch welche
der Laut des Vocals geht, dargestellt. Man merkt hier schon,
welche Hilfe Hr. Bilderdijk gefunden hat. A bezeichnet dem-
nach die einfache Ausathmung; E das platt gegen einander
gestellte Ober- und Untertheil des Mundes; I den dünnen,
schlichten Laut; O den gerundeten Mund; U hat etwas vom
0 und I wie im Laut, so auch in der Gestalt. Im Y ist das
1 unter das IT gestellt. — Das W wird zwar angesehen als
diakritische Verdoppelung von V, aber mehr in Übereinstimmung
mit dem Übrigen als Abbildung der Lippen, welche die um-
gekehrte Gestalt von M haben. — Was noch Ober die doppelten
Buchstaben gesagt wird, mag man im Buche selbst nachsehen,
wir dürfen es hier übergehen, indem dabei keine Nachbildung
von Sprach Werkzeugen vorkommt, die wir nicht schon bei den
einfachen Buchstaben kennen gelernt hätten. Es kam uns nur
darauf an, die Hypothese des Hrn. Bilderdijk so deutlich dar-
zustellen, als es ohne die vielen Holzschnitte möglich ist; an
diese scbliesst sich die am Ende zugegebene Kupfertafel, worauf
das ursprüngliche Alphabet des Hrn. Bilderdijk mit den ältesten,
wirklichen Alphabeten zusammengestellt ist.
Wer etwa Hm, Bilderdijk vollen Beifall geben sollte, wird
doch, wenn er unbefangen ist, eingestehen müssen, dass Manches
sehr widerstrebt und nur mit Noth und starkem Zwang in
Übereinstimmung gebracht wird. Bei dem L z. B. wird der
Stab für unbedeutend gehalten, um in dem Querstrich unten
358 VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK.
die Zunge zu erkennen (der eben so deutlich noch tausend
• andere Dinge bezeichnen könnte), während jener in allen semi-
tischen Alphabeten, wie wir aus der vergleichenden Tafel bei
Kopp (Bilder und Schrift II, 388) ersehen, vorhanden ist und
55 offenbar zum wesentlichen Charakter des Buchstaben gehört ; ja
gerade in der ältesten babylonischen Schrift ist der Haken
unten ganz klein. Dagegen beim T gilt dem Verf. der Stab
viel, weil das gerade zu seiner Meinung passt. Wie kann man
auf diesem Wege erkennen, dass das lateinische B und hebrä-
ische 2 nur eine und dieselbe Figur sind! Bei dem A und H
machen die Stäbe wieder die Hauptsache aus, dagegen beim
^< wird der Querstrich für Nebensache gehalten, wiewohl er
offenbar einer von jenen Hauptstrichen ist.
Ob nun, ungeachtet solcher der einfachsten Betrachtung
in die Augen fallender Bedenklichkeiten, diese neue Ansicht
von der Gestalt der Buchstaben vielen ansprechend und ein-
leuchtend (wir wollen nicht sagen überzeugend, wie Hr. Bilder-
dijk selbst glaubt) sein wird, mag dahin gestellt bleiben. Soll
Rec, der diesen Erfolg gar sehr bezweifelt, seine Stimme ab-
geben, so scheint ihm wohl Rücksicht zu verdienen, was in
einer so dunklen, ungewissen Sache ein geistreicher und ge-
lehrter Mann für eine Meinung hegt, aber diese Meinung selbst
hat so wenig Ansprechendes für ihn, deucht ihm so fremd und
seltsam, ja unnatürlich, dass er das Ganze für nichts als etwa
einen artig und witzig durchgeführten Einfall halten kann.
Man muss sich aber verwundern, wenn man sieht, wie Hr.
Bilderdijk als ausgemachte, zweifellose Wahrheit vorträgt, was
ihm höchstens eine wahrscheinliche Vermuthung sein sollte,
zumal wenn man sich an die heftigen, fast bitteren Äusserungen
in der Vorrede erinnert. Nur etwas davon, was er gleich im
Eingang sagt, wollen wir anführen: „in einer Zeit, wo die all-
gemeine Sucht, in den Wissenschaften zu glänzen, die alles
verdüsternde und betäubende Schwärme von Halbwissern und
ihren Nachbetern nothwendig ins Unendliche und in allerlei
Gestalten vervielfältigen muss, sah ich es von Jugend auf für
eine Pflicht an, der Benebelung eines blinden Eigendünkels
66 und ihres abgeschmackten Anhangs entgegenzuarbeiten, und all
VAX HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK. 359
mein Bestreben gieng dahin, die Wahrheit aufzudecken, die rein
und unparteiisch ist und sich mit keinen Hirngespinsten und
Willkürlichkeiten vereinigen lässt." Er allein scheint sich
gleichsam aus einer Sündfluth gerettet zu haben.
Der Verf. ist unerschöpflich im Lobe der von ihm ent-
deckten Erfindung und betrachtet sie in jeder Hinsicht als
vollkommen. Diese Buchstaben thun alles, sagt er: sie belehren,
«ie zeigen, bilden ab, drücken aus. Das R spricht zu dem
Lesenden: lass deine Zunge beim Ausathmen erzittern! das
S: lass sie gegen die Zähne zischen! das T: stosse sie gegen
die Zähne! das F: ziehe bei dem Ausgang des Lauts die
Unterlippe ein! das B: schliess die Lippen! usw., ordentlich
ein militärisches Exercitium. Eine Erfindung, sagt er weiter,
die, einmal verloren, jeder richtig und hell sehende menschliche
Kopf wieder erfinden musste. Wie lange hat die blinde Welt
einen solchen entbehrt! Denn Hr. Bilderdijk hätte doch daran
-denken sollen, dass ein Paar tausend Jahre und länger, so lange
wir mit Sicherheit den Gebrauch der Schrift annehmen dürfen,
«ie verloren gewesen und wahrscheinlich gleich nach ihrer
Oeburt auch wieder abgestorben ist. Wo findet sich nur der
leiseste Wink, dass man die Buchstaben je anders als blosse
Zeichen betrachtet und ein einziger Mensch den Befehlen
gemäss gelesen hätte, die nach Hrn. Bilderdijk das Alphabet
beständig ergehen lässt? Sind nicht auf den ältesten Inschriften,
die wir kennen, die Züge so gestaltet, dass man sicher sein
kann, der, welcher sie eingehauen oder eingeritzt, habe auch
nicht entfernt daran gedacht, sie als Abbildung der Sprach-
werkzeuge zu betrachten. Diese neue Ansicht erläutert uns
daher nichts und wird auch jetzt bei niemand, der sich der
Schrift bedient, den geringsten Einfluss haben. Man hat durch
sorgfältige Beobachtung gefunden, dass bei Bildung einiger 57
Buchstaben die Kehle, bei anderen Zunge und Lippe einwirken,
imd darnach sie eingetheilt, aber das gilt doch nur von vor-
züglicher Thätigkeit; alle Sprachwerkzeuge nehmen auf eine
lebendige und schwerlich ganz genau nachzuweisende Art Theil.
Warum ist es so schwer, oft völlig unmöglich, gewisse Laute
fremder Sprachen zu erlernen, obgleich die Werkzeuge überall
360 VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK.
dieselben sind? Ist dem Erfinder des Alphabets ausser der
Einsicht in die Sprachlaute zugleich eine genaue Einsicht in
die Art und Weise, wie sie hervorgebracht werden, zuzuschreiben,
so vergrössert sich das Wunderbare der Erfindung noch mehr.
Und wie soll man sich denken, dass auf diese Weise jemand
das Lesen lerne? Erst müsste ihm die Theilnahme der Sprach-
werkzeuge deutlich gemacht und die ganze Organisation der
Kehle, Zunge, Zähne in anatomischen Vorlesungen auseinander-
gesetzt werden. Und das würde der Lernende doch sogleich
wieder vergessen; er würde sich gewöhnen mit einem be-
stimmten Zeichen ein&n bestimmten Sprachlaut zu verbinde»
und gewiss nicht der Abbildunfj und dem Commando des^
Buchstaben gemäss seine Werkzeuge in Thätigkeit setzen. Das
ist der Grund, warum dem Rec. die Erfindung des Hrn. Bilder-
dijk, als eine überflüssige und unpraktische, auch so unnatürlich
erscheint.
Endlich die Stützen der ganzen Hypothese, wie gebrechlich
sind sie! Die hebräische Quadratschrift, welche Hr. Bilderdijk
als die älteste ansieht, ist, wie Kopp in der semitischen Paläo-
graphie (Bilder und Schrift H, 177) bewiesen hat, sehr jung^
und etwa erst im vierten Jahrhundert nach Chr. aufgekommen.
Also mit dem phönicischen Alphabet hätte von Rechtswegen
der Beweis geführt werden müssen. Das lateinische aber
behandelt der Verf. ganz willkürlich, indem er, wie es ihm gut-
58 dünkt, den Stab bald gelten lässt, bald da wegnimmt, wo er
sichtlich einen wesentlichen Theil des Lautzeichens ausmacht,
und das alles nach blossen Voraussetzungen, ohne den geringsten,
geschichtlichen Beweis.
Die andere Abhandlung hat es mit der Ordnung der
Buchstaben zu thun. Warum fängt gerade A, B an, warum
folgt r, A oder C, D usw.? Noch niemand hat bis jetzt
den Grund davon eingesehen, und dadurch, dass die Alphabete,
welche von dem phönicischen abstammen, wenn sie auch im
Ganzen dieselbe Ordnung beibehalten, doch mehr oder weniger
im Einzelnen abweichen und Veränderungen eingeführt haben,
wird jede Untersuchung sehr erschwert. Hr. Bilderdijk glaubt
indessen die Regel der Folge entdeckt zu haben und zeigt sie
VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BTLDERDIJK. 361
an dem hebräischen Alphabet als dem vollständigsten und
ursprünglichsten, da auch schon im griechischen und latei-
nischen Buchstaben fehlen. Er theilt es in sechs Reihen:
1)
^ 2
(b)
"1
'-i)
n 1
n
CO
3)
2<
(w)
-^
b
■i)
ü
D
5)
(;*) 2
«*
>
ü
6)
2
F
-1
n
Hier, behauptet er nun, herrsche folgende Ordnung: Der
Vocal gehe jedes Mal voraus, und ihm folge ein
Labial-, dann ein Guttural-, endlich ein Lingual-
buch Stabe, so dass immer viere mit einander verbunden
seien. Die erste Reihe passt vollkommen zu der Regel. In
der zweiten wird .~ als Vocal betrachtet, und gewaltsame Hilfe
ist es, wenn Sajin, welches hinter "l seinen Platz hat, ganz
herausgeworfen und, weil es in das System nicht passt, als ein 59
später eingefügter Buchstabe betrachtet wird. In der dritten
Reihe wird Beth wiederholt und als W hinter Jod eingerückt,
dafür hat es als B in der ersten Reihe einen Punkt erhalten.
In der vierten fehlt der Vocal, doch Hr. Bilderdijk betrachtet
dies nicht als einen Mangel. Die Buchstaben dieser Reihe,
sagt er, erfordern einen geschlossenen Mund, und ein solcher
kann keinen Vocal hervorbringen. Ferner wird Nun Z unter
die Gutturallaute, als ein ng, gebracht, obgleich die hebräischen
und griechischen Grammatiken den Buchstaben unter die
Linguallaute stellen. In der fünften Reihe wird > als Vocal O
betrachtet, dann noch einmal als Consonant hinter C unter den
Gutturalen wiederholt. In der sechsten Reihe, iur welche es
nun keinen Vocal mehr gibt, muss der fehlende Labialbuchstabe
durch ein punktirtes C der vorigen Reihe angeschaffi werden.
Endlich r und n sind als Varietäten der Lingualbuchstaben
angehänort.
362 VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK. •
Das griechische (sonst aber der Regel ausser in der ersten
Reihe sich nicht fügende) Alphabet hat eine Reihe mehr:
T <D X *r
Sodann gibt Hr. Bilderdijk auch noch die Gründe an,
warum jedes Mal diese und keine anderen Buchstaben in einer
Reihe zusammengestellt seien wodurch der Platz, den jeder
«innimmt, so nothwendig erscheint, dass auch die geringste
Versetzung unzulässig wäre und ursprünglich alles müsste aufs
Genaueste bestimmt worden sein. In der ersten Reihe nämlich
zeige sich die einfache Wirkung der Stimme und Sprachwerk-
zeuge, in der zweiten die blasende, in der dritten die fliessende,
€0 in der vierten die schliessende und klemmende , in der fünften
die stark angesetzte, in der sechsten die stossende.
Von den übrigen Alphabeten, die aus dem hebräischen
(sollte heissen phönicischen) sich entwickelt, bemerkt der Verf.
nur, dass, hauptsächlich weil sie nicht alle Buchstaben aufge-
nommen hätten, ihre Regelmässigkeit verloren gegangen sei.
Rec. setzt mehr Werth in diese Abhandlung, als in die
vorige, gleichwohl scheint ihm, wenn man die Sache kühl und
ohne Vorliebe betrachtet, noch sehr wenig gewonnen. Eigentlich
nur die er^te Reihe passt ordentlich zu der Regel, bei den
übrigen gibt es grössere oder geringere Schwierigkeiten, die
auf allerlei Art aus dem Wege geschaflft werden. Der V^ocal
fehlt dreimal, und diese Noth wird einmal als eine Tugend
ausgelegt, zweimal wird er durch Consonanten ersetzt. Ganz
ausgeworfen wird der Buchstabe T. Drei werden verdoppelt:
2, D und y, und einer wird aus einem Lingual- zu einem
Gutturallaut gemacht, das j. Wie bedenklich ist aber das
Vertilgen von Sajin, da nun auch das griechische Z muss weg-
genommen werden, so wie das Einrücken eines Buchstaben nach
Jod und Lamed, da im Griechischen und Lateinischen dieselben
Lücken vorauszusetzen wären. Endlich zwei Buchstaben bleiben
übrig, "{V und n, und müssen als ein Anhang sich mit fort-
schleppen.
So höchst ungewiss durch dies alles, wenigstens nach
unserer Meinung, die Entdeckung des Hrn. Bilderdijk wird, so
müssen wir doch anerkennen, dass sein Scharfsinn uns gestattet,
VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK. 363
eine gewisse Ordnung in dem Alphabet, die an sich nicht*
unnatürlich scheint (die freilich abermals das Wunder der ersten
Erfindung steigern würde), wenigstens zu ahnen oder durch-
schimmern zu sehen. Die Beobachtimg, dass in der 1., 2., 3.
und 6. Reihe jedes Mal ein Lingual- nach einem Gutturalbuch- Gl
Stäben kommt, wollen wir immer mit Dank annehmen, wenn
wir sie stets fürs erste auch noch nicht zu gebrauchen wüssten.
Ebenso verdient Berücksichtigung, dass das griechische V, O,
X, U' der aufgestellten Regel folgt.
Weiter ausführende Anmerkungen sind den beiden Ab-
handlungen reichlich zugegeben (S. 135 — 194); den Schluss
macht ein Anhang über die signa diacritica. Man findet hier
auch eine Untersuchung über die Charaktere in der Sternkunde
.und (S. 179 — 183) ein ausftihrliches Urtheil über das Alphabet
raisonne von Mdussaud, welches 1803 erschienen ist und nach
Hrn. Bilderdijks Meinung einiges Gute enthalten soll, wovon
Rec. aber nicht überzeugt ist. S. 142 — 145 wird jene im Text
schon berührte, dem Verf. gewiss ganz allein zugehörige Be-
hauptung sog^r durch Beispiele auseinandergesetzt, wornach von
der Gestalt der Buchstaben selbst viele Benennungen und zwar
in allen Sprachen sollen entlehnt sein, die dann zugleich den
Laut des Buchstaben in der Wurzel haben müssen. Man
denkt immer falsch gelesen zu haben oder Hrn. Bilderdijk nicht
zu verstehen, aber es ist nicht anders; von dem runden 0 hat
z. B. den Namen erhalten: Ohr, Hof, hortus, oculus; von dem
P die birnfbrmige Perle; von Q das holländische Kolf (Keule)
und französische queue usw. Wer hätte sich so etwas, wie
man sagt, auch nur im Traume vorgestellt, aber es gehört
Phantasie dazu oder vielmehr Phantasterei (dweepery auf
Holländisch), um solche Ableitungen zu erfinden. Und welch
ein Glück, dass (wie wir daraus abnehmen) das fertige Alphabet
schon gleich zur Hand war, so vielen Dingen ihren Namen zu
geben, die sonst lange darauf hätten warten können oder (man
erlaube den Ausdruck) namenlos herumgelaufen wären. Gleich-
wohl mögen einige nach dem O benannte ein solches Schicksal 62
gehabt haben, als dieser höchst wahrscheinlich spätere Vocal
noch nicht existirte und in dem U schlummerte.
364 VAN HET LETTERSCHRIFT DOOR MR. W. BILDERDIJK.
Wenn man in vorliegenden Untersuchungen den Gedanken
und Ansichten des Hrn. Bilderdijk aufmerksam nachgefolgt ist,
mit welchem Erstaunen liest man eine zu gleicher Zeit ausge-
gebene Abhandlung über Dweepery i). Er macht anderen darin
schonungslos die härtesten und ungerechtesten Vorwürfe, er will
nichts als die einzige, unwandelbare Wahrheit und sonnenklare
Vernunft, ja er schreit gleichsam darnach, wie ein heftig
Durstender, und dann labt er sich selbst mit Einfällen, so selt-
sam und phantastisch als möglich, die zu keiner Wahrheit
werden, wenn sie mit Gelehrsamkeit und einem gewissen un-
fruchtbaren Scharfsinn ausgeziert erscheinen. W^as würde von
seiner Arbeit übrig bleiben, wenn jemand Lust hätte, ihn nach-
zuahmen und sie mit jener ärgerlichen Heftigkeit und dem
vornehmen Blick von oben zu beurtheilen? Uns gefallen in
dem Munde eines jeden, wenn er auch nicht Homer wäre, die
Worte: ouxot £-,'«>YS % Yatrj? ouvajiai YXuxspwTspov oKko tSeoöai [t, 27],
und Hr. Bilderdijk mag mit Recht das alte Holland preisen;
wir haben mit Theilnahme gelesen, was er gelegentlich über
die echte Aussprache der Amsterdamer und ihren allmählichen
Untergang sagt, und wenn er erzählt, dass ihm das Herz auf-
gegangen sei, als er einen Alten im reinen Klang noch einmal
habe reden hören. Aber die Herabwürdigung eines nahver-
wandten Volkes ist nicht ein Theil jenes vaterländischen Gefühls.
6.S Gewiss, das Urtheil geistvoller, frei und lebendig beobachtender
Fremden hat besonderen Werth, ihr Auge ist nicht durch
Gewohnheit abgestumpft, die Betrachtung nicht gehemmt von
Zuneigung und Abneigung, die sich auf dem Boden, dem wir
einmal angehören, für die nächsten Umgebungen und Verhält-
nisse zu entwickeln pflegt; ein Fremder belehrt immer, selbst
wo er irrt, wenn er nur wohlwollend und gerecht ist. Allein
was soll man zu der Weise sagen, womit Hr. Bilderdijk
Deutschland, seine Gelehrten und Dichter beurtheilt? Welcher
Deutsche möchte durch Beantwortung und nähere Beleuchtung
Vorwürfe und Schmähungen ehren, die Hr. Bilderdijk ganz in
') Sie steht in dem ersten Bande seiner Taai-en dichtkundige Yerscheiden-
heden, Rotterdam 1820. Eine Samnihmg philosophischer und geschichtlicher
Untersuchungen über Sprache und Poesie. Der vierte Band erschien 1823.
VERZEICHNIS DÄNISCHER RUNENSTEINE VON NYERüP. 365
dem gemeinen Ton gereizter Parteilichkeit vorbringt? Wir
wollen nur einige Stellen ausheben und zwar in der Original-
sprache, damit sie nicht sogleich von den Tagesblättern zu
ihren pikanten, leerer Unterhaltung dienenden Artikeln wegge-
rafft werden. „Duitschland, dat — in zieh al de gruwelen
vereenigde, die het laagste gebrek aan de eene, en de dartelste
uitsporigste weelde an de andere zjide wist uit te broeden ; men
zond dar zjine kindren ter opvoeding, en men kreeg hen te rüg,
dom als Duitschers, onwetend als zwijnen." — „Schiller, wiens
beste bladzijde hem en plaats in het dolhuis verdienen zou, en
wiens slechtste dan verdraaglijk is, als zy hem, zonder aan't
gene hy schreef te denken, ontslipte." Am deutlichsten spricht
sich wohl die Ansicht in dem Urtheil über die Verehrung^ aus,
die Shakspear bei uns findet. Nachdem es ihm eingefallen ist,
zu behaupten, bei den phantastischen Deutschen sei Homer ver-
achtet, Sophokles unverstanden oder verworfen, fährt er fort:
„Shakespear is hun held: maar alleen voor zoo verr' hy beneden
alle ordeelkunde, en de tegenvoeteling van waarheid en goeden
smaak is. Zijn onzijn alleen, zijn belachlyke wildzang, en zijn 64
tegendruischen tegen al wat gezond verstand heet is hun wel-
kom; 't is het onkruid op den akker der poezy (dat het koren
verstikt), waar zy prijs op stellen."
Dergleichen zu beschönigen oder dem Verf., der unter uns
gelebt hat, liebreich nachzusehen, finden wir durchaus keinen
Grund. [anonym.]
VERZEICHNISS DER IN DÄNEMARK 1824 NOCH 825
VORHANDENEN RUNENSTEINE.
Von R. Nyerup. Nach dem dänischen Manuscripte des Verfassers übersetzt.
Kopenhagen, bey Brummer 1824. 52 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd II, 83. Stück, den 23. Mai 1825.
S. 825—830.
xjlIs Rec. vor noch nicHt lange bei Gelegenheit der Bryn-
julfischen Schrift über Runen (s. Jahrg. 1824, St. 103, S. 1032 [oben
S. 337] ) den Wunsch äusserte, dass bald ein umfassendes Werk
366 VERZEICHNIS DÄNISCHER IIUNENSTEINE VON NYERUP.
über diesen Gegenstand erscheinen möchte, dachte er nicht,
dass eine Erfüllung desselben, wenn auch nur eine theilweise,
bereits nahe wäre. Es wird uns hier die bevorstehende Er-
scheinung eines Werkes angekündigt, welches von allen in
Dänemark noch vorhandenen Runensteinen genaue Abbil-
dungen sammt Erklärungen liefern soll. Ist die Abbildung
eines Denkmals, die hier beiliegt, zugleich ein Probeblatt, so
verdient es alles Lob: Charakter des Steins und der Schrift
scheint getroffen, jede überflüssige und bei diesen rohen Felsen-
stücken zumal lächerliche Eleganz der Ausführung vermieden,
und da wir nicht zweifeln, dass für die Hauptsache, nämlich
823 für ein treues und richtiges Lesen der Runenschrift selbst, hin-
längliche Sorge wird getragen werden (das verbürgen schon
die Namen der Gelehrten, welche an dieser Ankündigungsschrift
Theil haben), so glauben wir iria voraus die Befriedigung jeder
billigen Erwartung versprechen zu dürfen. Die Runensteine,
die Ol. Worms bekannte Sammlung enthält, können leider nicht
sämmtlich, nicht einmal dem grösseren Theile nach, wieder vor-
kommen; denn nicht blos fallen, was sich von selbst versteht,
nach dem Verlust der dänischen Provinzen in Schweden und
der politischen Ablösung Norwegens von Dänemark alle dort
vorhandenen Denkmäler weg, sondern es sind auch viele seitdem
verschwunden, und zwar sind sie im seltensten Falle verwittert,
meistentheils absichtlich zerstört. So ist. von den fünfen, die
sich auf Fühuen zu Worms Zeiten befanden, auch nicht ein
einziges mehr übrig. Unter Aufsicht können sie kaum gestellt
werden, da sie meist auf dem Felde liegen und der gemeine
Mann einen Runenstein nur darauf ansieht, wie er gespalten
oder zersprengt etwa in eine Mauer oder Gartenhecke zu ver-
wenden sei. Einer Sammlung dagegen und Anhäufung auf
einen Platz, die immer kostbar ist, drohen andere Gefahren;
davon haben die Runensteine, die bei der Trinitatis- Kirche in
der Hauptstadt lagen, ein betrübtes Beispiel gegeben: der
Küster Hess von den zwölfen nicht weniger als nenne spalten
und in sein Haus verbauen; um ihn nur einigermassen zu ent-
schuldigen, nimmt man an, sie seien vorher durch das Feuer,
welches im Jahre 1728 die Kirche verzehrte, schon beschädigt
VERZEICHNIS DÄNISCHER RUNENSTEINE VON NTERUP. 367
worden. Man sieht also, wie sehr es an der Zeit ist (das soll
hier S. 6 der einem Deutschen unverständliche Ausdruck: „die
Fülle der Zeit scheint jetzt gekommen zu sein" sagen), die
noch vorhandenen Runensteine durch treue Nachbildungen dem
Studium zu erhalten. Ihrer sind ungefähr fünfzig, und da hierin
die seit Ol. Worm, d. h. seit etwa 200 Jahren entdeckten mit82T
begriffen sind, so kann man berechnen, wie sich die neue Aus-
gabe der Monumenta Danica zu der alten verhalten wird, in
welcher etwa hundertundfunfzig abgebildet sind, wiewohl man
zum Vortheil jener auch in Anschlag bringen muss, dass sich
unter den neuentdeckten verhältnismässig viel mehr wichtigere
befinden. Diese fünfzig Runensteine werden von dem überall
thätigen und das Studium des Alterthums fördernden Nyerup
in treorenwärtificer Schrift nach den Geocenden, wo sie sich
befinden, aufgezählt; die zu Kopenhagen vor dem Museum der
nordischen Alterthttmer mit nöthiger Sorgfalt aufgestellten gehen
billig voran. Die Steine auf der Insel Bornholm beschreibt
Thomsen und die auf Island Finn Magnussen; diese letzteren
darf man um < so weniger übersehen , als noch vor wenigen
Jahren (1812) in Deutschland behauptet und wiederholt wurde,
es seien gar keine mit Runen beschriebene Denkmäler auf
Island vorhanden. Finn Magnussen zählt vierzehn her und
glaubt zwei davon mit Sicherheit in die heidnische Zeit stellen
zu dürfen. Nebenbei theilt er die Nachricht mit, dass Klüwer
jene norwegischen, von Brynjulf schon erwähnten Runensteine
in Grabhügeln über Todtenurnen gefunden habe, eine^
so viel wir wissen, ganz neue Erscheinung, die vielleicht mehr
zur Aufklärung der für die Geschichte der Runen wichtigen
Fragen beiträgt, als ein neulich in dem fremden Grönland ent-
deckter Stein.
Mögen die Schweden der Aufforderung, welche in der
Herausgabe der dänischen Denkmäler liegen wird, nicht allzu-
spät Folge leisten I Dort ist die Heimath der Runensteine, und
im Bautil allein sind 1173 abgebildet. Norwegen hat wenigstens
eben so viel als jetzt Dänemark zu bearbeiten.
Der Anhang rührt von Rask und bespricht den schon oft
abgezeichneten, erklärten und jetzt nach Kopenhagen geschafften 828-
368 VERZEICHNIS DÄNISCHER RUNENSTEINE VON NYERUP.
Thirstedstein, wovon eine neue und genauere Abbildung bei-
gegeben ist. Diese Inschrift, die zu den schwierigsten gehört,
besteht aus sieben langen Zeilen, welche von unten nach oben
zu lesen sind und von der linken zur rechten Hand laufen; es
wird, wahrscheinlich durch einen Schreibfehler, das Gegentheil
behauptet: sie liefen von der rechten zur linken. Eine kurze
Zeile von vier oder fünf Buchstaben ist jetzt erst zum Vorschein
gekommen und fehlt in den früheren Abschriften. Die dritte
und vierte Zeile liest Rask:
aeft Frotha fraendi sin
sinian . han vas thä fäink,
sinian erklärt er oder vielmehr stellt er hin als den acc. sing.
eines mit dem vorhergehenden Frotha in Apposition stehenden
Adjectivs, das ihm übrigens unbekannt sei und soviel als den
theuern, unvergesslichen bedeuten müsse. Auch fäink, faeink,
faeing, wie man lesen will, bleibt ihm unverständlich. Sollte
aber sinian nicht zu trennen und sin ian zu lesen sein? Das
letztere Wort ian stände dann, gerade wie es in der nächsten
Langzeile vorkommt, für die Partikel enn; sin wäre durch Ver-
sehen des Runenschreibers aus der letzten Zeile wiederholt und
zweimal, unmittelbar hinter einander geschrieben; mithin nicht
mehr zu berücksichtigen, als 'der Zusatz eines überflüssigen und
unnöthigen Buchstaben oder Verdoppelung eines anderen, welche
beide Fälle in den Runeninschriften bekanntlich nichts Seltenes
sind. Um fäing zu erklären, nimmt Rec, was gleichfalls öfter
vorkommt, die Umstellung einer Rune an und bringt das i aus
der Mitte ans Ende, wodurch er das Subst. fängi, captus, er-
hält. Wenigstens wird man zugeben, dass diese Erklärung an
sich einen guten Sinn liefert und in den Zusammenhang wohl
passt: „Asrath und Hilde errichtete diesen Stein für (Rask
übersetzt das nordische aeft wörtlich durch nach, aber man kann
«29 im Deutschen unmöglich sagen, nach jemand einen Stein
errichten) Frode, ihren Verwandten. Und er war Gefangener
(soll durch die Runen der kleinen Zeile eine Jahrzahl ausgedrückt
werden, wie Rask von dem unverständlichen Wort behauptet?
Es fügte sich ganz gut, dann würden die Jahre der Gefangen-
schaft angedeutet), aber er starb (ian han varth dauthr)." Das
VERZEICHNIS DÄNISCHER RUNENSTEINE VON NYERUP. 369
zunächst folgende asuaethiauthu hat man erklärt: ä Svithjodu,
in Schweden. Die Bemerkung von Rask dagegen: man habe
thiauthu und nicht thjödu geschrieben, während es vorher richtig
Frotha, nicht Frautha heisse, scheint nicht erheblich, da an
Consequenz in der Orthographie bei den Runen nicht zu denken
ist; und wenn z. B. gewöhnlich stain raisti und stin risti
beisammen sich finden, so wüsste doch Rec. Beispiele genug
aus dem Bautil, wo risti stän, resa stin und resa stän neben
einander steht. Rask indessen weicht ab und liest: ä sväthi
authu, auf dem wüsten Svode, versteht aber selbst dies Sub-
stantiv weiter nicht und nimmt es für einen jetzt unbekannten
Ortsnamen. Also Dunkelheiten bleiben auch in diesem neuesten
Erklärungsversuch, in welchem sich gleichwohl des Verf. natür-
licher Scharfsinn nicht verleugnet, genug übrig. Vielleicht
gewährt der Runenstein No. 23 im Bautil, wenn er neu unter-
sucht wird, Aufklärung für den Thirstedstein; jetzt liest Rec.
darin Folgendes: han var thauthr i huitauathum. Am willkom-
mensten ist die Bemerkung, dass das Wort vikingar, welches
am Schlüsse ganz deutlich steht, dem Stein ein hohes Alter
zusichere und man bei ihm deshalb bis 1060 — 1050 zurück-
gehen müsse. Rask meint, er könne leicht noch älter sein,
wenigstens in dem Jahr 1160, in welches ihn Liliegren setzt,
habe man von den alten Vikingen aus der Heidenzeit nichts
mehr gewusst. Rec, der sonst wohl gegen eine allzugrosse
Verehrunar des hohen Alters der Runen Einwendungen macht,
will dergleichen Zeugnisse jetzt denjenigen zu Gemüth führen,
welche es für erlaubt oder gar für scharfsinnig halten, alle 830
Runendenkmäler in das 13. und 14. Jahrhundert zu setzen, und
die Sache schnell abzufertigen denken, wenn sie annehmen, erst
durch das Christenthum habe der Norden die Schrift empfangen
— vas für var hat übrigens Rec. auch auf Steinen aus christ-
licher Zeit gefunden. Hier ist wohl der rechte Ort, den Wunsch
zu äussern, dass dem neuen Runen werk ein vollständiges Ver-
zeichnis aller auf den Steinen vorkommenden Wörter, zugleich
in ihren verschiedenen Formen, beigefügt werde.
Vor dem Schluss besinnt sich Rec. noch auf eine Pflicht
und rügt die Fehler der Übersetzung (ohne Zweifel von jemand.
\V. GRIMM, KL. SC'HKIKTEN. II. 24
370 ' FAIRY LEGENDS OF IRELAND.
verfertigt, deren Muttersprache die deutsche nicht ist), deren
mehr sind, als man nachsehen darf. Einige Beispiele: Ver-
zeichnis der Runenmonumenten; Beschreibung des Stein; der
Hypothes; auf Räthseln stossen; unleidlich lautet: „das For-
schen eines Paar S ekeln, ein halbes Stieg Runen" u. dgl.
[anonym.]
49 FAIRY LEGENDS AND TRADITIONS OF THE SOUTH
OF IRELAND.
London, bei John Murray. 1825. 363 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 6. Stück, den 12. Januar 1826. S. 49—53.
JL'ieses kleine Buch verdient einige Aufmerksamkeit. Schon
das Äussere ist einladend, womit wir nicht so wohl das glatte
Papier und den eleganten Druck meinen, weil wir daran bei
englischen Werken gewöhnt sind, als geistreich gedachte,
äusserst reinlich ausgeführte, auf den Inhalt bezügliche Vignetten
von Brooke, welche überhaupt für Bücher die passendsten
Zieraten sind und die wir bei dieser Gelegenheit für gefällige
Ausgaben deutscher Werke wieder empfehlen wollen. Die
Engländer kehren auch hierin zu dem Festen und Charakte-
ristischen zurück und geben die verblasenen, unbestimmten
Nebelgestalten auf. Etwas Manier können sie kaum los werden,
und diese schadet auch den jetzt so berühmten Bildchen von
Cruikschank, die sonst an das in den kleinen Formaten unter-
gegangene, an sich bewunderungswürdige Talent unseres Chodo-
wiecki erinnern.
50 Wer blosse Unterhaltung sucht, wird sie hier so gut finden^
wie etwa in der 1001 Nacht; freilich sind es nur 27, jedoch
Sehr verschiedenartige Stücke, wovon jedes auf eigene Weise
die Theilnahme anregt. Aber noch in anderer Hinsicht lassen
sie sich mit den arabischen Erzählungen vergleichen: sie schil-
dern nämlich mit vollkommener Wahrheit den häuslichen Zu-
stand, Denkungsart, Lebensweise und Sitten eines gerade nicht
sehr bekannten Landes. Irländer werden die dargestellten
FAIRY LEGENDS OF IRELAND. 371
Scenen, einzelne Züge, sprichwörtliche Redensarten, dem Volk
zucrehörige Scherze und Gleichnisse, unübersetzbare Bulls
schneller und mit einem besonderen Vergnügen wiedererkennen,
doch auch Fremde pflegen dergleichen zu fühlen und zu
schätzen. Was man an Geisteswerken oft vermisst, ein neuer
und eigenthümlicher Beigeschmack findet sich bei diesem Gegen-
stande von selbst ein. Dem Irländer ist eine gewisse Be-
schränkung des Verstandes, aber innerhalb dieser Grenzen viel
List und Gewandtheit angeboren: er ist nicht offenherzig, aber
seine Verstellung ohne Bosheit.
Sämmtliche Märchen beziehen sich auf die Elfen und
stellen oft anmuthig, lebendig und überraschend die Sagen dar,
welche in Irland darüber bis zu dieser Stunde gehört werden.
Wunderbare, halb geisthafte, halb menschliche Wesen von
entgegengesetzten Eigenschaften, beides schön und hässlich,
mild und boshaft, zeigen sie sich den Menschen bald wohlthätig,
bald verderblich. Sie locken sie in ihre Gesellschaft oder fliehen
vor ihnen in Einöden zurück. Immer aber wird ihnen grosser
Einfluss zugestanden, und sie wirken auf die wichtigsten Ereig-
nisse des Lebens bedeutend ein. Dieser Aberglaube erweitert
bald die Seele des Irländers und treibt ihn zu guten Handlungen,
welche den Unterirdischen gefallen, bald beschränkt und um-
klammert er ihn mit Angst vor ihrem Zorn, den er zu erregen 51
sorgfältig vermeidet. Der ungenannte Verfasser [T.CroftonCroker]
hat die Überlieferungen an Ort und Stelle mit sichtbarer Treue
erfasst und auf die Darstellung nicht gewöhnliche Sorgfalt ver-
wendet; es sind kleine wohlgearbeitete Bilder, auf welchen auch
die Beiwerke mit Fleiss ausgemalt sind. Der erste Abschnitt
enthält Sagen von dem guten Volk (Shefro), so nennt man die
Elfen, die gesellig das Innere von Bergen, Felsenklüften, Riesen-
gräbern bewohnen und ein grosses, weit ausgedehntes Reich
bilden. Sie sind von einer Pracht und einem Glanz umgeben, mit
dem alles, was man auf der Oberwelt sieht, keinen Vergleich
aushalten kann. Begünstigte haben sie zuweilen dort oder bei
ihren nächtlichen Tänzen im Mondschein erblickt oder die
Musik gehört, die zu einem endlosen Taumel der Lust erschallt ;
anderen ist es gefahrlich gewesen, mit ihnen in Berührung zu
24*
372 FAIRY LEGENDS OF IRELAND.
kommen. Gleichwohl scheint das Reich der Elfen nur ein
Abbild des menschlichen zu* sein, sie haben die Sterblichen
unter sich getheilt und feiern ihren Tod wie ein Fest, weil
sie einen der Ihrigen dann in ihre Gesellschaft aufnehmen.
Auch keine seligen Geister sind sie, von Leidenschaften und
Begierden frei; schönen Kindern und Jünglingen stellen sie
nach, ja, sie theilen sich selbst in Parteien und bekriegen sich
auf das Heftigste. — In dem zweiten Abschnitt wird von dem
Hausgeist (Cluricaune) erzählt, der einsam lebt, oft sich an
einen Menschen anschliesst und geschenktes Vertrauen mit den
eifrigsten Dienstleistungen belohnt. Der Elfe ist hier körper-
licher geworden und empfindet menschlichere Bedürfnisse, gleich-
wohl stehen ihm alle Kräfte eines Geistes zu Gebot. Artig
und ergötzlich ist der Contrast, welchen in den Märchen von
ihm die kleine, winzige Gestalt, eine gewisse Abhängigkeit und
Furcht vor dem Menschen, seine Beschäftigung mit kleinlichen
52 Dingen und auf der anderen Seite die Macht, womit er Felsen
erschüttern und in einem Augenblick über Länder hineilen
kann, beständig bildet. — Die Banshi im dritten Abschnitt
entspricht der bei uns bekannten weissen Frau; an gewisse,
edle Familien gebunden, erscheint sie bei bevorstehenden Todes-
föllen traurig und klagend. Phuka heisst ein nächtliches
Traumgespenst, das die Menschen zu abenteuerlichen, wilden
Fahrten verlockt. Ausgezeichnet ist hier das Märchen von dem
Mann im Monde und auf eine alte, weitverbreitete Idee ge-
gründet; es lässt sich den besten Sagen an die Seite setzen,
welche andere Völker von wunderbaren unglaublichen Fahrten
besitzen. Der letzte Abschnitt beschreibt das Leben der Geister
in der Tiefe der Seen und das orlückselinfe und reizende Land,
welches sie dort bewohnen.
Wer Lust hätte, Shackespeares Elfen weit mit dieser zu
vergleichen, würde der Geschichte der Poesie einen nicht sehr
schwierigen, gewiss angenehmen Dienst erzeigen. Sie ist in
allen Hauptzügen darauf gebaut, und mau könnte sehen, wie
ein Dichter die vorhandene Sage (wir nehmen hier an, dass in
England dieselbe herrschte) nach seinem Bedürfnis verändert,
umgebildet und weiter geführt hat. Wichtiger würde eine
THE POPULÄR SUPERSTITIONS OF SCOTLAND. 373
Untersuchung sein, welche den Glauben an Elfen überhaupt
zum Gegenstand hätte und seine frühesten Spuren so wie sein
Bereich auszumitteln suchte. Er ist fast über ganz Europa in
nicht abzuleugnender Übereinstimmung verbreitet und ohne
Zweifel früher als das Christenthum vorhanden gewesen ; es käme
darauf an, dies in fruchtbarer Ausführlichkeit darzuthun, dann
hätten wir ein Zeugnis mehr von jenem eigenthüralichen Zu-
sammenhang der Völker. Es würde nicht weiter überraschen,
wenn man in diesen irischen Überlieferungen mehrere fände,
welche in den einsamsten Gegenden anderer entfernten und
durch Meere getrennten Länder gleichfalls zu Hause sind. Das
Christenthum verdrängte diesen Glauben nicht, wie hätte es 53
auch die vielfachen darauf gegründeten Sagen vernichten wollen!
Es erniedrigte ihn nur und stellte ihn als einen heidnischen in
Schatten. Man näherte sich von nun an mit einer gewissen
Scheu, und die weissen und schwarzen Elfen, welche die Edda
noch kennt und die ursprünglich dem Tag und der Nacht, dem
Sonnenlicht und der Finsternis angehörten, wurden als gute
und böse unterschieden; da man jedoch einen Theil ihrer WoW-
thaten fortwährend anerkannte, so fand man eine Ver^nttelung
und hielt sie für gefallene, aus dem Himmel verst'jgsene Engel,
die ungewiss über ihre Zukunft und ob sie Verzeihung erhalten
auf der Erde rastlos umherschweifen: eiuQ cjaffe, die nicht bloss -
hier, sondern auch in Schottland, Dänemark und Schweden
vorkommt. [anonym.]
THE POPULÄR SüPERSTITIONS ÄND FESTIVE. 5^-
AMÜSEMENTS OF THE HIGtU.AXDERS
OF SCOTLAND.
Edinburg bei Archibald Constable und Comp, and London bei Hurst
Robinson und Comp. 1823. XVIIT und 293 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 6. Stück, deö 12. Januar 1826.
S. 53 — öü.
Wäre dieses Buch in dem Geist und Sinne des vorigen
abgefasst, so würde es vielleicht wegen eines reich hajtigeiea
374 THE POPULÄR SUPERSTITIONS OF SCOTLAND.
und vielseitigeren Inhalts den Vorzug verdienen. So v^ie es
ist, lässt es sich nicht vergleichen. Ein gewisser halberzwun-
gener Humor mit einer beständigen Anstrengung zum Witz, der
in England weniger auffallen mag, weil er mit einem längst
dort üblichen, gleichsam nationalen Stil Zusammenhang hat,
stört, zumal in diesen Dingen, deutsche Leser vielleicht mehr
als billig ist. Wie sehr würde das Buch durch ruhige, unge-
suchte Darstellung und einfache Erzählung gewinnen, sollte es
54 auch die Hälfte seines Umfangs verlieren. Gleichwohl hat es
auch in dieser Gestalt einen Werth, den wir nicht verkennen,
im Gegentheil rühmend anerkennen wollen. Der Verfasser
(W. Grant Stewart) hat mit Fleiss und Sorgfalt gesammelt.
Verbindet man damit, was Walter Scotts auch in dieser Hinsicht
reichhaltige Dichtungen und David Stewarts schon mehrmals
aufgelegtes Werk: Sketches of the character, manners and preseut
State of the Highlanders of Scotland gewähren, so sind wir
im Stande, uns einen anschaulichen und lebendigen Begriff von
dem Leben eines der merkwürdigsten Gebirgsvölker zu machen.
Der erste Abschnitt redet von dem Geist, der jeden
Menschen nach dem Glauben der Hochländer begleitet, gleiche
Gestalt hat, dieselbe Kleidung trägt, sich mit ihm ins Grab legt
und gleichwohl auch gesondert sich zeigt und handelt, mächtiger
als der Mensch und zugleich ihm dienend. Man hört, wie
unsichtbare Hände Hammer und Säge gebrauchen, einen Sarg
für den Geist zu verfertigen. Wenige Tage, ehe der Mensch
begraben wird, hält jener seinen Leichenzug. Wer diesen
nächtlich erblickt, kann hernach dasselbe noch einmal wieder-
holt sehen, denn alle Geister ziehen mit, deren sterbliche Ge-
nossen hernach die menschliche Leiche begleiten. Es ist
eine vollkommene grausenhafte Vorgeschichte: nicht bloss die
Gestalten, auch die Reden und Bewegungen sind dieselben,
und überhaupt scheint in dem Dasein des Menschen nichts, das
nicht in einem aus einer übersinnlichen Welt herübergehaltenen
Spiegel seinen Widerschein und Abglanz habe. Nach dem
Tode ist der Geist mit dem Menschen noch inniger verbunden,
er bringt seine irdischen Geschäfte zu Ende, doch zu reden
vermag er nicht, bevor er in die Höhe gehoben wird, dass der
THE POPULÄR SÜPERSTITIONS OF SCOTLAND. 375
Wind unter seinen Fusssohlen herstreichen kann; seine Stimme
klingt aber dumpf, als komme sie aus dem Grabe. — Die zweite
Abhandlung über die Elfen ist nicht weniger reichhaltig und 55
vielleicht die werthvollste. Sie stellt den Glauben an diese
Wesen, wenn auch in seltsamer und gesuchter Ordnung, doch
jnit grosser Vollständigkeit dar, und das muss für den Mangel
^iner natürlichen und lebendigen Erzählung der an sich mannig-
faltigen Sagen entschädigen. Grosse Übereinstimmung zeigt
sich, wie zu erwarten, zwischen den irischen und schottischen
Elfen, und nimmt man dazu, was dänische und schwedische
Werke über diesen Gegenstand enthalten, so kann man zu
«iner ziemlich klaren Einsicht über diesen Glauben gelangen. —
Dann folgen kleine Abschnitte über einzelne Geister: Brownies,
Waterkelpies, Spunkies. Hierauf ein grösserer über Zauberei
und Hexen wesen. Man sieht durch, wie ein milderer Glaube
entstellt worden ist und eine an sich gute Absicht erst ein
Keich des Teufels gestiftet hat, das ursprünglich nicht vorhanden
war. Das Entsetzliche, das sich daraus aller Orten entwickelte,
zeigt sich auch hier in der rührenden Sage von einem unschul-
digen Kinde, das sein Vater durch einen gewaltsamen Tod von
dem ewigen Verderben glaubt retten zu müssen. — Den
letzten Abschnitt über Sitte und Gebräuche an feierlichen
Tagen nehmen wir gleichfalls dankbar an, wiewohl er uns
weniger reichhaltig als die vorigen scheint. Merkwürdig, dass
von den Hochländern zu W^eihnachten das hölzerne Bild einer
alten Frau in das Feuer geworfen wird, ohne Zweifel in dem-
selben Sinne, in welchem man in Deutschland hier und da am
L/ätare-Sonntag den Tod in einem Strohbild ins Wasser wirft
oder in Spanien die allerälteste Frau entzwei sägen will. Es
soll damit der besiegte Winter und die neuaufsteigende Sonne
angedeutet werden.
[anonym.]
376 NORDISKA FORNLEMNINGAR AF LILJEGREEN OCH BRUNIUS.
361 NORDISKA FORNLEMNINGAR, UTGIFNE AF
J. G. LILJEGREEN OCH C. G. BRüNIÜS.
Stockholm, bei Zacharias Häggström. 1823. Zwei Bände. 8.
GÖttingische gelehrte Anzeigen. Bdl, 37. Stück, den 6. März 1826.
S. 361—366.
JCiin lobenswerthes Unternehmen. Die Herausgeber haben
sich vereinigt, unbekannte nordische Alterthümer theils aua
Sammlungen, theils wie sie neu entdeckt und ausgegraben
werden oder sonst zum Vorschein kommen, in einfachen, un-
verschönerten , zugleich wenig kostbaren Abbildungen mitzu-
theilen, wozu der gewählte Steindruck in jeder Hinsicht bequem
und dienlich ist. Daher enthalten die hundert Tafeln, welche
in 12 Heften von 1819 — 1823 erschienen sind (eine wahr-
scheinlich vorhandene Fortsetzung ist noch nicht angelangt),
die Hauptsache, und der zugegebene, nicht einmal paginirte
Text gibt nur Nachricht, wo das abgebildete Stück gefunden
ist oder aufbewahrt wird, sodann die nöthigsten Erläuterungen,
damit Liebhaber und Sammler wenigstens einen Begriff von
362 der Sache bekommen. Lobenswerth deucht den Rec. das
Unternehmen, weil auf diese Art ein dem Studium nützliches
Magazin gebildet und der festere Gang der künftigen For-
schungen nicht durch voreilige Hypothesen und Vermuthungen
gestört wird. Ein Register bei dem Schlüsse des Werks würde
den Gebrauch sehr erleichtern. Man findet in diesen beiden
Bänden schon Gegenstände der verschiedensten Art, wichtige
und merkwürdige ebensowohl als unbedeutende. Was jene
eigenthümlichen und seltsamen Steinsetzungen und Steinlagen
in runder, schiffförmiger und viereckiger Form (z. B. No. 25, 26.
27. 61. 65. 68) betriflft, so werden hier schon genauere Abbil-
dungen nöthig, und sie sind auch viel besser geliefert in einem
demnächst anzuzeigenden Werk von Sjöborg. Eine Anzahl neu
entdeckter oder noch nicht abgebildeter Runensteine (No. 3. 4.
31. 32. 40. 54. 64. 72. 79. 87. 88. 94. 98. 99) würde allein dieser
Sammlung schon Werth verleihen. Sie sind meist aus späterer
NORDISKA FöRNLEMNINGAR AF LILJEGREEN OCH BRüNIüS. 377
Zeit, einige in ungewöhnlicher Gestalt. Auf No. 4 findet man
eine Glocke und ein Taufbecken mit Runen. Auf No. 32 neben
lateinischer Inschrift mit sogenannter Mönchsschrift von 1350
eine runische Zeile, die denselben Inhalt kurz ausdrückt. Auf
No. 87 sogar dieselben Worte, an der einen Seite des Steins
mit Runen, an der anderen mit Mönchsschrift, wovon schon
ein Paar andere Beispiele im Bautil vorkommen; die Runen
sollen ohne Zweifel das Lesen der unbekannten Mönchsschrift
erleichtern und sie waren die allgemein verständlichen Zeichen.
Am wichtigsten ist No. 45 ein in Bohuslän gefundener Stein
mit jenen merkwürdigen angelsächsischen Runen: er ist
wie fast alle die übrigen wenigen Denkmäler dieser Schrift von
der rechten zur linken beschrieben und um so schwerer zu
enträthseln, als wahrscheinlich ein Theil der Inschrift zu Grunde
gegangen ist. Die Herausgeber sind also wohl zu entschuldigen, 363
wenn sie ihnen unverständlich geblieben, dagegen darf man
auch behaupten, dass, was sie darüber vermuthen, gewiss falsch
ist. — Unter den übrigen Stücken merken wir noch die Ab-
bildung eines Halsbandes und einer Spange von Silber an
(No. 7), sowie eines Schmuckes, der wahrscheinlich vergoldet
war (No. 71). Würfel von Knochen, ganz wie die heutigen
gezeichnet, sind in einem norwegischen Grabhügel gefunden
worden. Alte Schilde auf No. 63 und eine auf einen Schild
gehörige, aber abgelöste ziemlich grosse ^buckel". — Endlich
an Abbildungen von Waffen aller Art, theils aus Stein, theils
aus Metall, ist kein Mangel; man findet Hämmer, Schwerter,
Spitzen von Pfeilen und Lanzen und dergleichen. Angehängt
ist eine kleine Abhandlung über das Schleifen und Schärfen
der Waffen bei den alten Nordbewohnern. Möge in Deutsch-
land bald ein ähnliches, anspruchloses Magazin, von dem man
hoffen darf, dass es nicht stecken bleibt, weil kein unnöthiger
Luxus es theuer macht, zu Stande kommen; an Materialien
fehlt es gewiss nicht.
Ich benutze die Gelegenheit dieser Anzeige zu einer in
dieses Fach einschlagenden Mittheilung.
Bekanntlich werden in Hessen an verschiedenen Orten
alte Grabhügel gefunden. Genauere Nachrichten darüber habe
378 NORDISKA FORNLEMNINGAR AF LILJEGREEN OCH BRUNIUS.
ich in dem Anhange zu der Schrift über deutsche Runen
gegeben. Seitdem sind südöstlich bei Cassel auf dem soge-
nannten Forst bei zufälliger Aufgrabung des flachen Bodens
gleichfalls Scherben einer zerbrochenen Urne und zwar in
geringer Tiefe zum Vorschein gekommen. Merkenswerther ist
ein anderer Fund. Durch die Güte des Herrn von Schwertzell
«rhalte ich eben aus einem bei Willingshausen geöffneten Hügel
einen Hammer, welcher folgende Gestalt hat;
364
4 Zoll lang und unten 21/2 Zoll breit ist. Dergleichen hat man
siebene bei eben so viel Urnen gefunden. Nähere Umstände
kann ich nicht angeben. Das an dem spitzen Ende flach ein-
gedrückte Kreuz habe ich sonst noch nicht bemerkt, und es
könnte eben so wohl bedeutend, als ein blosser Zierat sein,
das Letztere ist insofern wahrscheinlicher, als es sich nicht auf
allen befindet. Aber, und das ist das Auffallendste, dieser Ham-
mer besteht nicht aus Stein oder etwa einer harten Masse,
sondern aus blossem, an der Luft getrocknetem, durch Wasser
auflösbarem, feinem Lehm oder Letten. Gebraucht ist er
niemals worden, weder als Waffe noch als Geräth, davon über-
zeugt man sich leicht, denn nicht nur ist die Öffnung so enge,
dass sich höchstens die Spitze eines kleinen Fingers hinein-
zwängen lässt und der Stiel nur aus einem Stäbchen hätte
bestehen können, sondern er würde auch bei dem geringsten
Widerstände in tausend Stücke zersprungen und selbst fiir
einen hölzernen Pflock zu kraftlos gewesen sein.
So viel, glaube ich, darf man mit einiger Gewissheit
schliessen: er repräsentirt nur einen Hammer, und der Um-
stand, dass man sonst, namentlich in nordischen Gräbern, Stein-
waffen und Hämmer gefunden hat, deren Tauglichkeit zu wirk-
lichem Gebrauch aus verschiedenen Gründen zweifelhaft ist,
z. B. weil sie zu klein sind, könnte durch diese neue Erschei-
NORDISKA FORNLEMXIXGÄR AF LILJEGREEN OCH BRUNIUS. 379
nunff unerwartetes Licht erhalten. Entweder man besass keinen
echten Hammer oder wollte ihn nicht gern verlieren, und da 365
man sich scheute, die herkömmliche Sitte zu verletzen, so legte
man ein blosses Bild davon zu der Urne des Todten.
Aus der heidnischen Zeit mögen diese Hämmer von Lehm
sein, gleichwohl scheinen sie mir verhältnismässig nicht sehr
alt. Sorgfaltige Beachtung der Sitten und Ceremonieen geht der
Vernachlässigung derselben voran, und in den Hflnenbetten,
welche die ältesten Gräber zu sein scheinen, findet man die
schönsten Waffen j die in ihrer Zeit ohne Zweifel von dem
höchsten Werth waren. Als man dieser plumpen, roh geformten,
an sich widersinniocen Nachbildungen sich bediente, war die
Achtung vor der Feierlichkeit des Begräbnisses schon sehr ver-
mindert, und während man früher alles Kostbare, was der Todte
besessen hatte, mit ihm verschwinden liess, hat man späterhin
immer mehr davon zurückbehalten, und am Ende sollte ein
blosser Schein genügen.
Doch das ist nur Eine Vermuthung, auf weitere will ich
mich nicht einlassen, da es bei Gegenständen dieser Art eben
so leicht ist, eine nach der anderen aufzubringen, als schwer,
eine einzige zu beweisen. Ich wollte nur diese seltsame Er-
scheinung, von der ich wenigstens kein anderes Beispiel weiss,
sogleich bekannt machen, weil gerade eben jetzt zu Nachfor-
schungen über die Grabhügel Veranlassung gegeben ist.
Ich merke bei dieser Gelegenheit an, dass bei keinem
Dichter des Mittelalters, so weit ich sie kenne, eine Anspielung
auf diese Denkmäler vorkommt; der Zufall wird doch damals,
so gut wie jetzt, dann und wann eine Urne an den Tag ge-
bracht haben, denn des Begräbnisses, des Sarges gedenken sie.
Vridanc sagt:
ein hüs von siben vuezen,
da kan man suhte buezen;
der vrithof ist ein saelic wirt,
dem manic gast zeteile wirt.
Und ganz ähnlich, so dass man sieht, es ist sprichwörtliche 366
Redensart, ein Minnesänger (I, 98''):
unt enwirt mir danne niht wan siben vueze lanc.
Wilh. Grimm.
38Ö PETRI ALFONSI DISCIPLINA CLERICALJS VON SCHMIDT.
1642 PETRI ALFONSI DISCIPLINA CLERICALIS.
Zum ersten Mal herausgegeben mit Einleitung und Anmerkungen von Fr.
Wilh. Val. Schmidt. Ein Beytrag zur Geschichte der romantischen Literatur.
Berlin, bey Theod. Christ. Enslin. 1827. 172 S. in 4.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 165 Stück, den 15. October 1827^
S. 1642—1647.
jyj-Oses,ein spanischer Jude ausHuesca in Aragonien, empfieng
1106, in einem Alter von 44 Jahren, die Taufe und den christ-
lichen Namen Petrus mit dem Beinamen Alfonsi, weil der
König Alfons, dessen Arzt er war, Pathenstelle bei ihm ver-
trat. Er schrieb hierauf dialogi contra Judaeos, welche bekannt
und mehrmals, auch in der bibl. max. patr. abgedruckt sind.
Ein zweites Werk, disciplina clericalis genannt, enthält etwas
ganz Anderes, als der Titel vermuthen lässt, nämlich eine Samm-
lung von Sprüchen, Fabeln und kleinen Erzählungen. Obgleich
im Mittelalter viel gelesen, ins Französische übersetzt (Chastoie-
ment du pere au fils), in den Gestis Romanorum, dem Steinhöwel-
schen Aesop und anderwärts benutzt, gerieth es doch hernach
in Vergessenheit und wird hier zum ersten Mal abgedruckt.
Gewiss eine dankenswerthe Gabe, denn ob wir gleich dem In-
halt nach wenig Neues erfahren, da diese Apologe in andere
mehr oder minder bekannte Sammlungen übergegangen sind,
so ist es doch nicht bloss angenehm, sondern kann in einzelnen
Fällen wichtig sein, zu wissen, woher sie genommen sind, und
1643 dies um so mehr, als wir zugleich die Quelle erfahren, aus
welcher Petrus schöpfte. Er übersetzte nach seinem Geständnis
aus dem Arabischen, und man erkennt auch leicht, wie der
Herausgeber bemerkt, den orientalischen Ursprung an der Ein-
kleidung. Ein Vater ertheilt seinem Sohn vor dem Eintritt in
die Welt Ermahnungen und gute Lehren und flicht, um sie
desto eindringlicher zu machen, Beispiele und Fabeln ein. Ohne
gerade ausgezeichnet zu sein, ist die Darstellung doch schlicht
und angemessen. Orientalisten mögen nun untersuchen, aus
welchen noch älteren Quellen der arabische Verfasser seinen
PETRI ALFONSI DISCIPLINA CLERICALIS VON SCHMIDT. 381
StoflF holte; uur sehr unbefriedigend ist, was selbst Sylvester de
Sacy darüber zu sagen weiss.
Hr. Prof. Schmidt hat eine von ihm selbst in Breslau ent-
deckte Handschrift zu Grund gelegt, von einer zu Paris in der
königl. Bibliothek befindlichen durch Vermittelung der Preuss.
Regierung Abschrift, aus einer anderen in der Bibliothek St.
Germain durch die Güte des Hrn. Hase Vergleichunoren schwieri-
ger Stellen erhalten. Er hat die ganze Ausgabe mit dem löb-
lichen Fleiss, den man an ihm gewohnt ist, behandelt, mit einer
sorgföltigen und ausftihrlichen Einleitung über den Petrus Alf.
und reichlichen Anmerkungen (S. 89 — 169) ausgestattet, die eine
Menge willkommener Nach Weisungen und Aufklärungen enthal-
ten, so wie sie von grosser Belesenheit und unermüdlicher Auf-
merksamkeit zeugen. Wir hegen nur den "Wunsch, dass der
Verfasser die Masse durch Hervorhebung des Wichtigeren und
Scheidung von dem Geringfügigeren mehr belebt hätte. Nicht
bloss wäre dadurch an Raum gewonnen, sondern, was wir noch
höher anschlagen, eine schnellere Übersicht würde den Gebrauch
des Buchs au-ch sehr erleichtert haben. Doch am besten ma-
chen wir unseren Wunsch an einem Beispiel deutlich. Das fünfte ism
Capitel enthält § 4 die artige Fabel von dem Maulthier, das,
vom Fuchs über Vater und Mutter befragt , keine gerade Ant-
wort gibt, sondern nur sagt: mein Oheim ist das edle Ross.
Statt die Untersuchung gleich auf den Punkt zu richten, wel-
cher der wichtigste ist, nämlich wo wir die Fabel früher finden
und wo nach Petrus zuerst wieder, führt uns der Herausoreber
zu Abraham a St. Clara, dessen Bearbeitung, so artig sie sonst
sein mag (was uns eigentlich hier gar nichts angeht), doch wie
fast alle spätere wenig Aufschluss geben kann; dann wird der
Renner und die altfranzösische Übersetzung im Chastoiement
citirt und nun erst behauptet, Aesop sei die erste Quelle; hierauf
folgt eine Stelle aus Lafontaine und den Schluss macht Hans
Sachs. Rec. hätte an die Spitze die Frage gestellt, ob Aesop
wirklich als Quelle gelten könne? Er erzählt bloss, dass der
Maulesel, als er fett geworden, sich an seine Mutter, das Pferd
erinnert habe, als er aber laufen sollen, an seinen Vater, den
Esel. Die Fabel hat Verwandtschaft, könnte aber auch ganz
382 PETRI ALFONSI DISCIPLINA CLERICALIS VON SCHMIDT,
unabhängig von der unsrigen bestehen, die offenbar eine andere
eigenthümliche Wendung hat; die Abstammung bleibt also nur
Vermuthung. Der indische Bidpai gewährt nichts Ähnliches,
wenigstens hat ihn Rec. vergeblich nachgesehen. Jetzt waren
die verwandten Werke des Mittelalters zu beachten, den Frei-
dank hat Hr. Prof. Schmidt vernachlässigt, sonst hätte er ge-
wiss folgende Stelle darin gefunden: Wer den mül wil vrägen
von sinen höhesten mägen. So nennet er e den ohein Dann vatter
oder friunde dehein 2585 — 2588. W^oher hat er die Fabel? Aus
dem Aesop gewiss nicht, denn mit ihm stimmt er nicht, sondera
mit dem Petrus Alfonsi. Also aus diesem? Es wäre möglich,
1645 denn Freidank ist über ein Jahrhundert jünger, aber er ist
selbst in Palästina gewesen, er könnte die Fabel dort gehört
haben. Die wörtliche Mittheilung einer hierher gehörigen Stelle
aus dem Renner lässt sich, da das Buch selten ist, rechtfertigen,,
nicht aber eines schlechten Zusatzes, den Lafontaine der Fabel
gegeben, weil wir ihn gar nicht zu wissen brauchen und jeder-
mann, der darnach Lust trägt, ihn nachschlagen kann. Auch
Hans Sachs ist so selten nicht, um eine halbe Seite zu füllen,
zumal reichte die Bemerkung hin, dass er nichts Neues enthalte
und eine andere Fabel damit verbinde. Spätere, deren Quelle
man mit Sicherheit angeben kann, sind unwichtig. So hätten
wir in wenig Zeilen den Ertrag zusammengefasst, den sich der
Leser aus beinahe zwei Seiten heraussuchen muss. — Aber
Freidank hat noch einen Spruch mit der disciplina clericalis
gemein. Es heisst darin H, 7: Fili, ne sit gallus fortior tc,
qui decem uxores suas justificat, tu autem solam non pote&
castigare, wozu Hr. Prof. Schmidt ohne Noth und Gewinn eine
Stelle aus dem Forschmeuseler abdrucken lässt. Bei dem deut-
schen Dichter heisst es 2812: So stolzen muot nieman getruoc,.
Ern hete an einem wibe gnuoc: So wilz der haue bezzer hän.
Dem sint zwelf hennen undertän. Daz er der zweifer meister
ist, Daz gät vür Sälomones list. Geradezu aus der discipl. der.
entlehnt ist diese Stelle schwerlich, das zeigt die abweichende
Aufnahme und Wendung, aber durch welche Vermittelung hat sie
Freidank empfangen? Dieser Punkt wäre einer Aufkärung werth.
Wir heben noch Cap. 24 heraus. Erst die aus Aesop und
Avian herzuleitende Fabel von dem Bauer, der seinen Ochsen,
PETRT ALFONSI DISCIPLIXA CLERICALIS VON SCHMIDT. 383
weil sie nicht recht am Pflug ziehen wollen, zuruft, die Wölfe 164S
sollten sie fressen, einem Wolf aber, der das gehört hat und
darauf Ansprüche gründet, nicht Wort halten will. Der Fuchs,
zum Richter erwählt, spricht heimlich zum Bauer: gib mir und
meiner Frau zwei Heunen, so sollst du deine Ochsen behalten;
zum Wolf aber: der Bauer verspricht dir einen Käs, gross wie
ein Schild, wenn du auf die Ochsen verzichtest. Er lässt den
Wolf hin- und herlaufen, bis die Nacht eingebrochen ist, da
führt er ihn zu einem tiefen Brunnen, zeigt ihm den Mond auf
dem Spiegel des Wassers und ruft: das ist der Käse, steige
hinab und sättige dich. Der Wolf aber heisst ihn zuerst hinab-
steigen. Es hängen zwei Eimer an dem Brunnen, der Fuchs
gehorcht und lässt sich in dem einen hinab. Nun folgt die be-
kannte Entwickelung: der Fuchs klagt, der Käse sei zu schwer,
der Wolf setzt sich hierauf in den anderen Eimer und hebt
durch seine Schwere den Fuchs in die Höhe, der entspringt.
Diese Fabel zeigt Zusammenhang mit der grossen Sage von
Reinhart Fuchs, welchen auch der Herausgeber angemerkt hat,
der nur statt des deutschen Gedichtes des Glichsener die ältere
und vollständigere Quelle, den altfranzösischen Roman du Re-
nard, zu Rathe hätte ziehen sollen, wo I, 240 ff. nach der Aus-
gabe von Meon, welche S. 19 in der Anmerkung citirt wird,
das Hierhergehörige vorkommt. Der Zufall fiihrt hier den Wolf
zu dem Brunnen, in welchem Reinhart steckt, und er glaubt ihn
unten in Gesellschaft der Wölfin zu erblicken. Der Fuchs aber
macht ihm weiss, er sei gestorben und befinde sich da unten
im Paradies, und reizt ihn durch Schilderungen von den Herr-
lichkeiten desselben so sehr, dass er auch Verlangen nach dem
glückseligen Aufenthalt fühlt, in dem leeren Eimer hinabfährt und
den Fuchs in dem anderen Eimer in die Höhe hebt. Obgleich auch 1647
diese Erzählung über hundert Jahre jünger ist, als die disc. der.,
denn Zeugnisse vom Jahre 1233 reden von dem allgemein be-
liebten Roman du Renard, so lautet sie darin doch besser und
vollständiger, und es liegt an dem Tage, dass sie nicht dorther
geborgt ist. Merkenswerth bleibt die Thatsache, dass im An-
fang des 12. Jahrhunderts Spuren jener Sage sich im Arabischen
finden. [anonym.]
384 NORDISCHE MYTHOLOGIE VON J. L. HEIBERG.
1647 NORDISCHE MYTHOLOGIE
Aus der Edda und Oehlenschlägers mythischen Dichtungen dargestellt von
Johann Ludwig Heiberg. Mit Kupfern. Schleswig, gedruckt und verlegt im
königl. Taubstummen -Institut. 1827. VI und 332 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd 111, 165 Stück, den 15. October 1827.
S. 1647—1648.
XJen litterarischen Handlangern, welche Artikel in die zahl-
reichen Encyclopädieen, Conversationsblätter und Real Wörterbuch er
unserer Zeit zu liefern haben, den Decorationsmalern, bei wel-
chen Arabesken aus der nordischen Mythologie bestellt werden,
angehenden Poeten, welche einiger Anspielungen auf Thor,
Odin, Baidur etc. bedürfen, allen diesen empfehlen wir so an-
gelegentlich, als wir an ihren Bemühungen Theil nehmen, oben-
genanntes Buch. Sie werden darin leicht nachschlagen können
und was sie suchen mit Sicherheit und dem Lächeln des Ken-
ners vorgetragen finden. Die Vergangenheit ist hier, wie sie
nach einer geistreichen Note S. 16 wohl muss, bereits zur Gegen-
wart geworden, und wie wird sich der alte olympische Jupiter,
den wir auf dem Titelkupfer als Othin erblicken, freuen, einen
so raschen Sprung vorwärts gethan zu haben ! Nur noch etwa
zweitausend Jahre und nicht einmal so viel (denn wir hören
von Gelehrten, dass Othin mit Beginn der christlichen Zeit-
rechnung soll eingewandert sein), so steht er mitten unter uns,
1648 wie Apollo schon ganz in der Nähe ist und unserem Verfasser
bereits die Feder geschnitten hat. Für einen ernsten, wissen-
schaftlichen Zweck dagegen ist dieses Buch völlig unbrauchbar,
es müssten denn Philosophen in der Einleitung mehr finden, als
der Rec, der sie vorzüglich auf S. 8 und 9 aufmerksam macht
und auf „den kühneu Sprung, den wir in unserer Sehnsucht,
in unserer Ungeduld wagen, um die allgemeine Freude, die wir
nicht erleben werden, durch Anticipation zu gemessen"; denn
dieser Sprung ist nichts Anderes als die Kunst. Schade nur,
dass bei dem kurzen Leben, das unser Verfasser mit Recht
bejammert, keine Hofiiiung da ist, die Früchte jener Anticipation
per subsequens matrimonium legitimirt zu sehen. — Der Ver-
GEDICHTE WALTHERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN. 385
fasser sagt auf dem Titel und im Eingang, er habe aus der
Edda und Oeblenschläger geschöpft, aber wir haben nirgends
eine Spur von Studium der Quellen oder Kenntnis der nordischen
Sprache gefunden (Oeblenschläger fallt nicht einmal '\ alhalla*
zur Last), gar wohl aber das Gegentheil. Wie dürfte sich auch
jemand, der so klug ist zu behaupten, es gebe nichts Einför-
migeres und Langweiligeres, von aller Poesie mehr Entblösstes,
als die nordischen Sagen, darauf einlassen. Die Mythologie
aus einem modernen Dichter darstellen heisst etwa so viel als
Alexanders Geschichte aus Lebrüns Gemälden entnehmen. So
sehr wir den Dichter achten, so glauben wir doch nicht, dass
er wohl thut, alte Mythen, an deren Erklärung Scharfsinn und
Gelehrsamkeit arbeiten sollen, mit frischen Farben und nach
seiner Manier zu übermalen; es mögen leidliche, selbst artige
Einzelheiten zum Vorschein kommen, das Ganze bleibt ein miss-
lungenes Unternehmen und unleidliches Zwitterding, und er thut
besser, seine Kraft an Gegenständen zu üben, welche fähig sind,
seine und des Lesers Seele ganz zu erfüllen. [anonym.]
DIE GEDICHTE WALTHERS VON DER 2025
VOGELWEIDE.
Herausgegeben von Karl Lachmann. Berlin, bey C. Reimer. 1S27.
Xn und 227 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd HI, 204. Stück, den 22. December 1827.
S. 2025-2038.
Walthers Werke laden zu einer besonderen Bearbeitung
ein. Unter den Dichtern dieser Periode einer der ersten, hat
er sich bloss auf lyrische Ergüsse seines Geistes beschränkt,
dessen grosse Beweglichkeit ihm wie es scheint die Ruhe zu
erzählenden Dichtungen versagte. Dazu überall, man kann
sagen, in jedem Gedanken, eine leicht erkennbare, scharf aus-
gesprochene Eigenthümlichkeit, eine schöne Sprache, endlich die
Fähigkeit, uns sogleich zu reizen und, was noch mehr ist, fest-
zuhalten; wir wenigstens haben bei dieser Veranlassung sämmt-
liche Gedichte abermals mit dauernder, gleich starker Theilnahme
W. GRIMM, KL. SCHIUFTES. II. 25
386 GEDICHTE WALTHERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN.
gelesen. Er hat auch jene Oflfenheit und Sicherheit des
Geistes, die dem Dichter geziemt, und äussert sich unverhohlen
über alles, was ihn eben bewegt, sei es sein innerer Zustand,
2026 seine Lage zur Welt, seine trübe oder heitere Stimmung oder
beider Streit in seiner Seele. Mag es sein, dass er durch diese
Einmischung der Wirklichkeit den Anfang zum Verderben der
Poesie gegeben, wie man ihm vorgeworfen hat, denn er zehrt
das Kapital auf, von dessen Zinsen sie leben soll, so thut man
doch wohl, eine solche Betrachtung hier noch bei Seite zu
setzen und erst da geltend zu machen, wo Nachahmer oder Dich-
ter von geringeren Gaben sich durch ein solches Beispiel be-
rechtigt glauben, den falschen Weg einzuschlagen. Ursprüng-
liche Dichter haben so zu sagen das Vorrecht, zu irren und das
Mangelhafte der menschlichen Natur neben dem Herrlichsten,
was sie gewährt, zu offenbaren. — Ein anderer Antrieb, Wal-
thers Gedichte in reinerem Text herzustellen, lag in der ver-
dienstvollen Schrift ühlands, der durch ein mit Sorgfalt und
feinem Sinn zusammengestelltes Leben des Dichters die Auf-
merksamkeit für ihn geweckt hatte und den besten Lohn für
seine Bemühung hier empfängt, wo ein genauer und kritischer
Text ihm die Möglichkeit gewährt, seine verdienstvolle Arbeit
nochmals mit sicherem Erfolge vorzunehmen und ihr eine feste
Grundlage zu geben. Sei er schönstens dazu eingeladen !
Schon vor elf Jahren hatte Hr. Prof. Lachmann den Vor-
satz zu cregenwärtigrem Buch orefasst, und bereits waren Proben
seiner Arbeit erschienen. Ein Mitarbeiter, Hr. Prof. Köpke,
ist abgetreten, und er selbst wohl durch die Entwickelung der
deutschen Philologie, an der er den thätigsten Antheil genom-
men, in seinem Vorhaben ebensowohl aufgehalten, als gefördert
worden. Während dieser Zeit haben sich auch die Quellen
erweitert, und dass Hr. Prof. Lachmann nicht versäumt hat,
sich den Zugang zu verschaffen, beweist das in der Vorrede
2027 gelieferte ziemlich ansehnliche Verzeichnis. An uns wäre es
jetzt, auseinanderzusetzen, wie der Verfasser diese Quellen be-
nutzt und überhaupt seine Aufgabe gelöst hat; allein Rec. fühlt
seine Ungeschicklichkeit im Loben, die um so grösser ist, als er
gerade sehr viel zu loben hätte. Er würde auch nur denen
GEDICHTE WALTHERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN. 387
verständlich werden, welche in die Sache einzudringen Lust
haben, und diese zu überzeugen hält er für unnöthig, sie wer-
den längst die Trefflichkeit dieser Arbeit einsresehen haben.
Zudem gehört Reo. zu jenen, welche einen Einfluss der eigen-
thümlichen Natur eines Schriftstellers auf sein Werk gerne
sehen, einen gewissen Beigeschmack lieben oder wenigstens,
wo dies nicht überall angeht, zu sehr achten, als dass sie darin
Ursache zu einem Tadel fänden. Mag jemand Recht haben, der
sich den Verfasser etwas mittheilender wünscht, etwas weniger
künstlich oder versteckt in seinen Äusserungen (beide Ausdrücke
sind nicht ganz treffend und tadeln mehr, als sie sollen, aber
etwas davon ist wahr: der Verfasser liebt es, von seinen Ent-
deckungen oft nur die Segelspitze zu zeigen, und zumal, wer
am Ufer steht, muss genau Acht geben und scharf sehen), etwas
mehr gerade heraus und weniger neckend; Rec. und wenn er
selbst einen solchen Wunsch hegte, will ihm daraus keinen
Vorwurf machen, obgleich er sich erinnert, dass er hier Rich-
ter sein soll. Muss denn alles herausgesagt werden oder jede
dunkele Stelle erklärt? Ist ircjend ein Herausgeber dazu ver-
pflichtet und kann er sich nicht gut mit der Hoffnung ent-
schuldigen, ein späterer werde auf seiner Grundlage weiter
schreiten? Wir empfangen hier den besten, reinlichsten und
bescheidensten Text, der unter den Umständen möglich war;
in der That, diese Sicherheit, mit der wir ein so vorzügliches
Denkmal durchlesen können, ist ein höchst angenehmes Gefühl. 2028
Genauigkeit, Gründlichkeit, Erwägung verschiedenartiger Rück-
sichten, sorgsame und gleichförmige Ausführung, das konnte
man auch von anderen erwarten, aber wir finden ausserdem ein
eigenthümliches, angeborenes Geschick zur Beobachtung, das
oft da, wo wir sie nicht erwarten, zu neuen und scharfen Be-
merkungen Anlass gibt, Bemerkungen, die nicht selten in der
Folge grössere Bedeutung erhalten, als der Augenblick einzu-
sehen gestattet. Wer würde z. B. eine Abänderung gegen alle
Handschriften, wie 40, 30, vorschlagen, der nicht in einem
scharfsinnig entdeckten metrischen Gesetz dazu eine Nöthigung
sähe? Der Verfasser hat nicht dahin gestrebt, durch einen Text,
der keinen Anstoss gewährt, uns zu blenden und sorglos zu
25*
388 GEDICHTE WALTHERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN.
machen, sein Bestreben war, den besten Text, nicht wie er
etwa sein könnte, sondern so weit er sich erkennen Hess, her-
zustellen. Es könnte jemand, der sich mit dem bereits Erlern-
ten und der daraus gebildeten Theorie vertraut gemacht hätte,
was die Handschriften gewähren, als eine rohe Masse betrach-
ten, in die er kritisch einzuschneiden und die regelrechte Form
herauszubilden befugt sei. Ein solches Verfahren würde eine
gewisse Befriedigung gewähren und im besten Falle ein wohl-
gerathenes Exercitium aufstellen; aber auf solche Weise behan-
delte Denkmäler hören auf, Quelle des Sprachstudiums zu sein;
wir reden nicht von einem anderen Falle, wo ungefähre, für den
Nothbehelf dienende Kenntnis der Grammatik so etwas unter-
nimmt und unter dem Schein einer kritischen eine für den
lebendigen Gebrauch völlig werthlose Fabrikarbeit liefert.
Nach diesem Grundsatz verschmäht L. jede Verbesserung,
selbst die glänzendste, von der nicht zu erweisen steht, dass sie
zugleich die wahre ist, und bloss wahrscheinliche Vermuthungen
2029 haben niemals im Text selbst , nur in den Anmerkungen einen
Platz erhalten ; er lässt lieber das Unverständliche und Verderbte
stehen, bis sich einmal bessere Auskunft fiudet. Hier also ist
noch immer zu lernen, Fehler werden an den Tag kommen,
wo wir noch keine erblicken, und scheinbar Fehlerhaftes wird
sich rechtfertigen; kurz die Quelle für weitere Forschungen ist
uns erhalten. Auf der anderen Seite setzt er entschieden durch,
was er als sichere Regel anerkannt hat, er ändert die Ortho-
graphie, um Gleichheit im Auftakt zu erlangen, führt z. B. deich
ein, wo die Handschriften daz ich haben, tilgt die spätere Form
beschehen, die alemannische in kilche; und aus diesem Grunde
erscheint in seiner Behandlung des Textes eine eigene Mischung
von Kühnheit und Furchtsamkeit, welche dem, der die Lage
der Dinge nicht jedes Mal genau kennt, noch mehr auffallen
muss. Überlegt hat es der Verfasser gewiss, wo er ändert
und wo er stehen lässt; glaube niemand, dass flüchtige Keck-
heit oder Nachlässigkeit dabei wirkten. Aber wie leicht jeder
Verständige in Ansehung des Grundsatzes selbst übereinstimmt,
und wie trefi'lich er sich hier bewährt hat, denn man braucht
nur das erste beste Lied der Bodmer'schen Ausgabe mit der
GEDICHTE WALTHERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN. 389
gegenwärtigen zu vergleichen, um davon überzeugt zu sein, so
wird doch bei der Frage nach der Grenze, wo man anfangen
dürfe und aufhören müsse, eine Regel einzuführen, eine natür-
liche Verschiedenheit der Ansicht sich äussern. Wiederum gilt
dies am meisten von orthographischen Kleinigkeiten, wo es kaum
Einer dem Anderen ganz zu Dank machen wird. Der Verfasser,
allem pedantischen Gleichmachen entgegen, glaubt wohl nur die
lebendige, der Natur gemässe Verschiedenheit zu erhalten
oder will nicht entscheiden, was für Walther das Richtige sei,
wenn er aus den Handschriften beides jamerlich und jämmerlich, 2030
werlt und weit, tiutschen und tiuschen, tievels und tiefeis, rugge
und rügge, vogellin und vogelin beibehält, wenn er ein gg in
egge, gloggen, muggen, linggen oder statt öu ein öi statuiert,
ein osterrich und osterrich, ein ö in frömde neben fremede.
Reo. würde hier, ohne Gewissensbisse zu empfinden, das, wofür
sich die Grammatik entscheidet, vorgezogen haben, freilich auch
ohne zu glauben, etwas Besonderes gethan zu haben. L. wagt
es, nicht das -ent der 2**'* pl. praes. in -et zu ändern (S. 134),
wenn nicht eine Handschrift Veranlassung gibt, sollte aber der
häufige Gebrauch beider Formen neben einander, wie er nun
hier erscheint, dem Dichter, überhaupt jemand, der die Sprache
lebendig gebrauchte, eigen gewesen sein? Rec. glaubt es nicht,
und eine Mischung dieser Art bleibt etwas Unnatürliches. Wa-
rum tritt die eine Form niemals im Reime hervor, die an-
dere mehrmals? Warum soll geruochet im Reim auf das part.
praet. vervluochet (11, 4) nicht auch gegen das daneben stehende
bedenckent entscheiden? Wo es bei anderen Dichtern ein Reim
schützt, erscheint es nur als Ausnahme, als eine entschlüpfte
Kachlässigkeit. Manigem für mengem zu setzen, getraut er sich
ebenfalls nicht (S. 132), wenn nicht eine Handschrift dazu be-
rechtigt; wie gering ist die Hoffnung, in solchen Dingen das
Ursprüngliche in einer Handschrift erhalten zu sehen! Weiter
kann man die Sorgfalt nicht treiben, und mehr wurde gewagt,
wenn ein wunderlicher Zufall (s. Anm. zu 45, 27) im Text
keinen Platz erhielt, Rec. glaubt mit Recht, obgleich er an
einem anderen Ort gerade denselben beobachtet hat. Dagegen
hätte Rec, weil doch einmal von Kleinigkeiten die Rede ist.
390 GEDICHTE WALTHERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN.
2031 wan vindet (107, 4), wie nach Rec. Abschrift dieser Stelle A liest,
nicht in man vindet verändert; er hätte überhaupt nicht ein üe,
dessen Aussprache doch bedenklich ist und wozu die Hss. keinen
Anlass geben, eingeführt, vielleicht das e in den sicheren Fällen,
gewiss aber die beiden z unterschieden.
Die Varianten stehen nicht unter dem Text, sondern in den
Anmerkungen, was auch seinen Vortheil hat. Alles ist bequem
geordnet und mit Nachweisungen versehen, wornach man sich
in den Quellen leicht zurecht finden kann, auch für ein äusserst
nützliches Verzeichnis der Strophenanfänge und eine Verglei-
chung der Seitenzahlen bei Bodmer haben wir Ursache dank-
bar zu sein. Rec. muss der Sitte gemäss einen kleinen Nach-
-trag zu den Anmerkungen als Zeugnis seiner Aufmerksamkeit
liefern. In dem schönen Lied (8, 4), worin Walther den trauri-
gen Zustand des Reichs bedenkt und in der ganzen Natur Hass
und Zwietracht erblickt, beschreibt er am Eingange seinen
eigenen Zustand: Ich saz üf einem steine: do dahte ich bein
mit beine, darüf sazt ich den ellenbogen: ich hete in mine haut
gesmogen daz kinne und ein min wange. In dieser Beschrei-
bung folgt er einer herkömmlichen Überlieferung, auch der
Dichter des welschen Gastes sagt 135b: so sitzet er mit bein
über bein In einem winkel altersein, und die Bilder im Cod.
Pal. dieses Gedichts zeigen den Sorgenden und Leidtragenden
mehrmals in ähnlicher Stellung, die eine Wange in der Hand
ruhend; aber schon in einem früheren Gedicht, im Cod. Pal.
des Pfaffen Konrad aus dem 12. Jahrhundert, ist der Kaiser
ebenso abgebildet (fol. 84 a), wie er über Rolands Schicksal be-
kümmert nachdenkt. Ein anderer Zeitgenosse W^althers, Hart-
mann, sagt im Gregor 287: er begunde sere weinen, daz lioubet
2032 underleinen so riuwecliche mit der haut; und dann bei Späteren,
Konrad von Würzburg im Trojanischen Krieg (137 c), im Amur
und Titurel findet man noch dieselbe Redensart. — 26, 5. die
Worte: Vil wol gelobter got — wie getar ich so gefrevein un-
der dime rise? versteht Rec: wie darf ich sündigen unter
deiner Herrschaft, deinem Scepter? und bemerkt dazu die
Stelle aus dem Otnit 44, 2: herre, ich sitze in dinem gewalte
(so ist mit Hs. B und 0 zu lesen, nicht wie im Text steht:
GEDICHTE AVALTHERS TON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN. 391
im gewilde), du bist min oberstez ris. Ein Reis als Symbol
bei der Cxüterübergabe (worüber eine Stelle bei Haltaus nach-
zusehen ist) scheint gleichfalls die höchste Gewalt zu bezeichnen.
— 29, 13. 14: Sin wolkenlosez lachen bringet scharpfen hagel.
Swä man daz spürt, ez kert sin haut und wirt ein swalwen
zagel: merkt man, dass hinter seiner Freundlichkeit die Bosheit
verborgen liegt, so hebt das Ungeheuer die Hand, kehrt sie
aufwärts und macht einen Schwalbenschwanz, d. h. der Böse
schwört, dass er nichts Böses im Schilde führe. In der Volks-
sprache heisst nämlich noch jetzt einen Schwalbenschwanz*)
machen so viel als die beiden Finger ausstrecken, einen Eid
ablegen. Walther beschreibt einen Heuchler, dessen Freundlich-
keit auf dem Probierstein der Treue das falsche Metall zeigre
und gegen den er sich 30, 12. 13 nochmals äussert. Ein sol-
cher spricht mit zwei Zungen, und da diese anderwärts (13, 4)
den Pfajäen vorgeworfen werden, so mögen sie auch wohl hier
gemeint sein, und der Dichter drückt sich nur in einer Art
Käthsel darüber aus. — 32, 27. Zu der Strophe lehn weiz
wem ich geliöhen muoz die hovebellen liefert eine Stelle im
A. Meisterg. - B. 34'' weitere Aufklärung: Ich wolde, daz den
argen hienge ein schelle vür an der nasen, diu da klunge 2033
helle, da man sie bi erkente: seht, daz wasre ir reht. Und
im welschen Gast S. 30: Swer dem weife (al. wolf) zem zagel
bint Ein schellen, er loufet unde wint Sich hin und her und
enweiz niut Daz er da treit daz er da fliuht. Dem Bösen als
Warnungszeichen bindet man eine Schelle an oder, wo dies
nicht geht, wünscht man, dass sie an ihm hänge. — 33, 3. liest
Rec. folgendermassen : Saget ihr uns daz er sant Peters slflzzel
habe, so saget warumbe er sine lere von den buochen schabe,
daz man gotes gäbe iht koufe oder verkoufe; daz wart uns
verboten bi der toufe. Sagt ihr uns, dass er St. Peters
Schlüssel habe, binden und lösen könnte, so sagt, warum er des
Apostels (sine) Lehre in der heiligen Schrift auslösche (von den
buochen schabe, vergleiche unten 100, 27 und Freidank 3891.
4139), wornach man Vergebung der Sünden (gotes gäbe) nicht
*) gabeln, Schm[eller] 2, 10. [Anmerkung Jacobs im Handexemplar.]
392 GEDICHTE WALTHERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN.
kaufe und verkaufe. Das ward schon bei der Taufe verboten,
wo wir in die Lehre des Evangeliums eingeweiht wurden. Nu
leretz in sin swarzez buoch, solche unchristliche Dinge lehrt in
sein Zauberbuch — und üz im leset siniu rör, ir kardenäle, ir
decket — und aus diesem schwarzen Buch müsst ihr, Kardinäle,
lesen, erklären seine, des Papstes, Schrift, Briefe. Die Er-
klärung von rör durch Schrift ist freilich nur eine Vermuthung,
aber Rec. kann dafür eine Stelle aus Carpentier suppl. ad Du
Gange anführen: arundo scripturam significat, quae eadem sie
scribitur, sicut sonus vocis lingua. Gloss. vet. ex cod. reg. 7613.
Walther braucht das ungewöhnliche Wort, die Zaubercharaktere
damit anzuzeigen, vielleicht wäre auch besser: und üz im list
er siniu rör: ir kardenäle. — Diu ror (schon der PI. wäre
2034 auffallend) auf den stoc, truncus in ecclesia, zu beziehen, scheint
deshalb unpassend, weil dieser gar nicht ein schwankes, dünnes
Rohr war (in diesem gewöhnlichen Sinn braucht Walther das
Wort 8, 31), sondern nothwendig stark, da er so viele Gaben
fassen sollte. Gleich hernach (34, 14) kommt er vor, er heisst
her stoc, und von Zauberei ist dabei keine Rede. In der darauf
bezüglichen Stelle aus dem welschen Gast S. 257 ist, V. 66
statt tuon zu lesen nuo nach dem Dresdner Codex. — Die
schwierige Strophe an Leopold von Ostreich 35, 17 erklärt
Rec. abermals auf andere Art. Der Herzog hat dem Dichter
ein Lehen zugedacht, vielleicht im Scherz, mitten im Walde,
das solle er anbauen und urbar machen. Walther will aber
dort nicht in der Einsamkeit wohnen, sondern unter Menschen,
wo der Boden also schon angebaut ist (ze velde). Wald und
Heide sei zu preisen für den Herzog, wenn er da jage. Jedem
nach seiner Lebensweise. Als Dichter rühmt er doch den
Wald in einem anderen Lied (64, 14) über alles. — 82, 9.
10. Die Worte: minn ist ze himel so gefuege, daz ich si dar
geleites bite, glaubt Rec, sind ein Nachklang von Wolframs
Titurel 46, 2: minne hat üf erde unde üf himele vür got ge-
leite. Dadurch würde Lachmanns Vermuthung, dass Walther
seinen berühmten Zeitgenossen in einem Liede nachgeahmt habe
(S. 199), eine äussere Bestätigung erhalten. — 106, 15. 16.
Das Sprichwort hat auch Vriberg im Tristan (36") sammt der
GEDICHTE WALTHERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN. 393
Erklärung: Wan manch dinc verdirbet Des man niht enwirbet,
Daz niemer verdürbe Der ez mit vlize würbe. Er ahmt Frei-
dank 1225 nach.
Wir haben noch die Bemerkung nachzuholen, dass sämmt-
liche Gedichte in vier Bücher abgetheilt sind, einigermassen
nach dem Inhalt, doch nicht mit strenger, an sich weder ange- sos*
nehmer noch natürlicher Absonderung. Das erste Buch enthält
meist die politischen oder geschichtlichen und die moralischen
oder wenn man lieber will philosophischen Gedichte; ein geist-
licher Deich eröffnet die Sammlung. Das zweite und dritte
Buch begreift vorzugsweise Minnelieder, in dem vierten stehen
die äusserlich unbeglaubigten, es dürfte auch wohl Einiges dar-
unter sein, was nicht von Walther herrührt: mögen es die mit
Sicherheit herausfinden, die mehr Vertrauen auf ihren Scharf-
sinn haben I Anderes Ungewisse ist an schicklichen Stellen in
den Anmerkungen eingerückt, das Übergangene in der Vorrede
angezeigt. Auf eine vollständige Sammlung konnte es, so lange
noch nicht alles wiedergefunden ist, nicht abgesehen sein.
Dürfen wir noch einmal auf den Dichter zurückkommen?
Wir vernehmen ihn am liebsten, wenn er die Welt und ihre
Geschicke betrachtet und über das Wunder des menschlichen
Daseins nachsinnt. Der Blick ist frei und kühn, es liegt etwas
Grossartiges in seiner Betrachtung und das Gefühl einer edlen
und vornehmen Natur, die jeden Schein verschmäht. Er zeigt
nirgends Lust, sich in ein günstiges Licht zu stellen oder
Schwächen zu verbero;en, obgleich er sich seines Werthes wohl
bewusst ist. Dieser feste, männliche Sinn macht die Eigen-
thümlichkeit seiner Natur aus, und seine Minnelieder entbehren
daher jenes schwärmerische, sehnsüchtige, oft weiche, manchmal
überzarte Gefühl anderer Dichter, aber sie sind naiv, höchst
anmuthig, überraschend und glücklich in den Wendungen und
auch da, wo sie an das Sinnliche streifen, voll Grazie. Er
ist ein Mann, dem es auf der W^elt wohl gefallen könnte, weil
er es versteht, ihre Freuden zu gemessen, aber er fühlt sich
gedrungen, in die Tiefe und Höhe, in die Vergangenheit und 203&
Zukunft zu schauen : liezen mich gedanke fri, son wiste ich niht
umb Ungemach, ruft er selbst aus. Eine grosse Anhänglichkeit
394 GEDICHTE WALTIIERS VON DER VOGELWEIDE VON LACHMANN.
an das Vaterland bricht überall durch: Ich hän lande vil ge-
sehen unde nam der besten gerne war: übel mueze mir ge-
schehen, künde ich ie min herze bringen dar, daz im wol ge-
vallen wolde fremeder site. nü, waz hülfe mich, ob ich un-
rehte strite? tiuschiu zuht gät vor in allen. Von der Elbe
unz an den Rin und her wider unz an Ungerlant, so mugen
wol die besten sin, die ich in der werlte hän erkant. Und:
tugent und reine minne, swer die suochen will, der sol koraen
in unser lant: da ist wünne vil: lange mueze ich leben dar inne!
Die politischen, vielfach wechselnden Verhältnisse jener Zeit
beurtheilt er frei und ohne Zurückhaltung; Unwille, Vorliebe
äussert er nach jedesmaliger Stimmung, doch bitter zeigt er sich
iiur, wenn er auf die Missbräuche der Geistlichkeit zu reden
kommt. — Die Gedanken sind überall reinlich und vollständig
Ausgedrückt, die Rede klar, wo sie nicht etwa absichtlich dunkel
gestellt ist; und wie zierlich weiss er sich zu fassen! Als das
Widerwärtige ihm unerwartet begegnet, sagt er: des min fröide
erschrocken ist, min trüren worden munder, als schlafe der
Schmerz in einem freudigen Gemüth, erwache aber und richte
sich auf, wenn das Böse zu nahe herantritt. Sich selbst er-
mahnt er: diu meiste menege enruochet wies erwirbet guot.
Sol ichz also gewinnen, so gang släfen, hoher muot! Die
schöne Gestalt einer Frau vergleicht er mit einem köstlichen
Kleide, das sie angethan habe, und fügt hinzu: getragene Kleider
nahm ich nie (als Sängerlohn) zum Geschenk, dieses aber nahm'
^037 ich ums Leben gerne, und dafür möchte ein Kaiser Spielmann
werden. Wer Sittensprüche ebenso trefflich ausgedrückt als
gedacht lesen will, dem empfehlen wir das Lied 37, 24: tumbiu
werlt, ziuch dinen zoum, wart umbe, sich.
Wir würden es dem Leser selbst überlassen haben, die
Vorzüge Walthers aufzufinden oder auf die Ausführung in
Uhlands Schrift verweisen, wenn wir nicht noch eine Bemer-
kung daran knüpfen wollten. Das Talent Walthers erregt unsere
Theilnahme nicht bloss als merkwürdige Erscheinung einer ge-
wissen Periode oder als Hilfsmittel, uns über den geistigen
Zustand seiner Zeit aufzuklären; es ist an sich so ausgezeichnet,
dass wir Vortheil für uns selbst, unmittelbar Genuss und Be-
GEDICHTE WALTHERS YOX DER VOGELWEIDE VON LACHMANN. 395
friedigung daraus schöpfen können. Er ist Dichter in vollem
Sinne des Wortes. Seine Stimme tönt mit in jenem grossen
Chor, der aus allen Zeiten uns entgegenschallt und niemals
verstummen wird. Neben jener ursprünglichen Gabe, die, an
keine Bildungsstufe gebunden, sich als ein freies Geschenk des
Himmels äussert, finden wir bei Walther jenen Scharfsinn und
jene Feinheit der Gedanken, jenes Selbstbewusstsein , welches
den vorzügrlichsten Dichtern des 13. Jahrhunderts eigen ist und
über den geistigen Zustand desselben das wahrste und sicherste
Zeuarnis ablesrt. Es war kein erborgter Glanz, keine für wenig:
Augenblicke hervorgelockte Blüthe, sondern eine auf breiter
Grundlage ruhende, in allen Verhältnissen jener merkwürdigen
Zeit begründete Bildunsr, die ohne Zweifel ihre Irrthümer und
Einseitigkeit mit sich trug, aber selbständig auftrat und der
Achtung nicht bloss werth ist, sondern sie fordert. Freilich mit
einer ungefähren Kenntnis der Sprache kommt man nicht fort,
und wer etwa hier und da eine Strophe lesen und den äusseren 2038
Zusammenhang errathen kann, versteht gerade am wenigsten.
Wer aber das Ganze wirklich versteht, kann unmöglich auf die
Behauptung gerathen, die wir mit Erstaunen in einer vor kur-
zem öflentlich gehaltenen, an sich wohlmeinenden Rede gelesen:
dass die Dichtungen dieser Zeit nur für die Geschichte der
Sprache und poetischen Entwickelung Werth hätten, nicht aber,
wie die Erzeugnisse des klassischen Alterthums, an und für
sich selbst den Geist reizen und beschäftigen könnten. Ver-
glichen werden mit jenen unsterblichen Werken sollen sie nicht,
das würde auf beiden Seiten keinen rechten Vortheil bringen,
aber an einer Stelle dürfen sie sich wie jene aufrichten und
ihren Werth geltend machen. Und um nicht mit bloss all-
gemeinen Betrachtungen zu schliessen, so fragen wir ohne
lange Wahl, ob wohl das griechische Alterthum ein Lied von
der innigen und grossartigen Gesinnung wie das letzte hier in
Walthers Sammlung: owe war sint verswunden alliu miniu jär!
von sich weisen würde? ob Epimenides Klage edler lauten
könne? und ob die römische Litteratur etwas dagegen zustellen
habe? WUh. Grimm.
396 EDDA SAEMUNDAR III.
1557 EDDA SAEMUNDAR HINS FRODA.
Edda rhythmica seu antiquior vulgo Saemundina dicta. Pars III. continens
carmina Völuspa, Hävamäl et Ri'gsmäl. ex codice bibliothecae regiae Hafniensis
pergameno, necnon diversis legati Amaemagnaeani et alionim membraneis
chartaceisque melioris notae manuscriptis. cum interpretatione latina, lectioni-
bus variis, notis, glossario etc. accedit locupletissimum priscorum borealium
theosophiae , mythologiae lexicon addito denique eorundem gentili calendario,
jam primum indagato ac exposito. Hafniae. Sumtibus legati Amaemagnaeani
et librariae Gyldendalianae. 182S. 1146 S. in 4.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 156. Stück, den 26. September 1829.
S. 1.557 — 1559.*)
Jl/ndlich ist mit vorliegendem dritten Bande, der dem
zweiten im Jahr 1817 herausgekommenen schneller gefolgt ist, als
dieser dem ersten, welcher 1787 erschien, die grosse Ausgabe
der alten Edda vollendet. Ein Werk, das die dänische Litte-
ratur ehrt und in Verbindung mit der den blossen Text in einer
eigenthümlichen Recension liefernden Handausgabe von Rask
keinen billigen Wunsch unerfüllt lässt. Ref. begnügt sich die
Erscheinung dieses Bandes mit der Versicherung anzuzeigen,
dass er ganz in dem Geiste des vorigen ausgearbeitet ist. Auch
von dem Werthe dieser ältesten Denkmäler der nordischen
Vorzeit, die mit der deutschen so vieles gemeinschaftlich hatte,
braucht nicht die Rede zu sein, er wird von niemand, der in
die Sache selbst Einsicht hat, bezweifelt. Möchten nun die
endlich gehobenen Schätze, so wie sie es verdienen, benutzt
werden! Wir meinen, mit gesunder Kritik, ohne künstliche
1558 Zweifelsucht, mit Anerkennung des lebendigen und höchst eigen-
thümlichen Geistes des Alterthums, der hier glücklich erhalten
ist und unverkennbar zu uns spricht, aber ohne Träumereien
über einen geheimen und verborgenen Sinn, welche dann am
verderblichsten wirken, wenn sie nicht zugleich abgeschmackt
und lächerlich sind. Es bleibt des Bedeutenden und Geheimnis-
vollen noch genug neben dem Klaren und Verständlichen zurück,
an dessen Erklärung sich der Scharfsinn üben kann.
*) [Vgl. hierzu tlie Anzeige des zweiten Theils = oben S. 250—265.]
EDDA SAEMUNDAR III. 397
Dieser Band enthält die noch übrigen drei eddischen Lieder:
Völuspa, Havamal und Rigsmal, die gerade zu den
wichtigsten gehören. Der Text ist mit Sorgfalt behandelt und
mit einem reichlichen kritischen Apparat ausgestattet : vor jedem
einzelnen Liede steht eine gelehrte Einleitung und am Schluss,
wie in den vorhergehenden Bauden, ein specimen glossarii und
noch ein besonderer index onomasticus für Rigsmal. Überall
thut sich die glückliche Lage des Verfassers kund, dem die
reichsten Sammlungen zugänglich sind; nur als Beispiel nennen
wir die merkwürdige Stelle aus einer noch ungedruckten Sage
über die Art und Weise, wie eine Vola ihre Kunst ausübte,
die in der Einleitung zu Völuspa mitgetheilt ist. — Hierauf
folgt, was den grössten Raum dieses Baudes einnimmt (S. 275
—^996), ein lexicon mythologicum in vetusta septentrionalium
carmina, quae in Edda Saemundina continentur. Es ist sehr
ausführlich und liefert auf jeder Seite Proben von dem Fleiss
und der Belesenheit des Verfassers. Das Bequeme und Ver-
dienstliche einer solchen alphabetischen Aufstellung springt in
die Augen, aber auch der Nachtheil, wenn, wie hier, der ganze
Inhalt der Mythen darin aufgenommen wird. — Den Schluss
macht noch eine Zugabe: specimen calendarii gentilis veterum 1559
Gothorum, Danorum aut Scandinavorum ex Asia oriundi, ductu
carminis Grimeciani ac antiquissimorum reipublicae Islandicae
breviter adumbratum. Die Überschrift zeigt schon die Richtung
des Verfassers und dass man auf Vermuthungen und kühne
Combinationen gefasst sein müsse; jeder aber wird die reich-
haltige Zusammenstellung dankbar empfangen.
Die ganze Ausarbeitung auch dieses Bandes rührt von Hrn.
Prof. Finn Magnussen, den wir jetzt unter den Ephoren des
Arnämagnäanischen Legats finden; eine gerechte Anerkennung
seines Eifers und seiner Gelehrsamkeit,
[anonym.]
398 SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖ80RG.
1817 SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE,
innehallande Inskrifter, Figurer, Ruiner, Verktyg, Högar och Stensättningar i
Sverige och Norrige, med Plancher, Tomen I. Pa Archäologiska Sällskapets
kostnad och Förlag af N. H. Sjöborg, Professor och i näder förordnad att
hafva inseende og vard öfver Rikets Antiqviteter etc. Stockholm, bei Fr. B.
Nestius 1822. 140 S. in 4. — Das. 1824: Andra Tomen 204 S. in 4.
GÖttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 183. 184. Stück, den 14. November 1829.
S. 1817— 1839.
Werth und Bedeutung des nordischen Alterthums an sich
und in Beziehung auf Erklärung des nah verwandten ein-
heimischen setzen wir als anerkannt voraus. Das Studium der
Denkmäler, von welchen in dieser Sammlung die Rede ist, war
bisher erschwert; es fehlte an Abbildungen. In den Anti-
quarischen Annalen, die in Kopenhagen erscheinen, war Einiges
zu finden, hier und da in anderen Werken Einzelnes; das alles
1818 blieb aber unzureichend, und blosse Beschreibungen , auch die
ausführlichsten, genügen nicht. Hier erhalten wir nun auf
41 Platten des ersten und 60 Platten des zweiten Theils Ab-
bildungcen von nahe vierhundert Denkmälern aus Schweden und
Norwegen. Dass sie der verschiedensten Art sind, lehrt schon
der Titel, nicht ist gesagt, dass sie auch aus den verschiedensten
Zeiten rühren und bis in das 18. Jahrhundert herabgehen. Neben
den wichtigsten kommen auch unbedeutende Dinge vor ; wir
wollen das vorerst nicht tadeln, wo die Urtheile über den Werth
noch nicht ganz sicher sind, in keinem Falle uns dadurch ab-
halten lassen, das grosse Verdienst dieser Abbildungen anzu-
erkennen. Wir empfehlen sie den deutschen Alterthumsforschern
angelegentlich. Gleich in einem Punkt, bei den eben ange-
regten Untersuchungen über Grabhügel, haben sie Gelegenheit
sich zu überzeugen, dass sich die Denkmäler dort ungleich
vollständiger und reichlicher erhalten haben als bei uns und
erst durch jene eine genaue Einsicht und durchgreifendes Ver-
ständnis zu erlangen steht. Auch für die Runeninschriften ist
durch Bekanntmachung einer nicht geringen Anzahl neuent-
deckter Steine etwas geschehen. Überhaupt scheint uns das
p, SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG. 399
Verdienst des Hrn. Sjöborg in dem Aufspeichern und Zusammen-
stellen (ganz seinem Beruf als Vorstand der Sammlung der
Alterthümer zu Stockholm gemäss) noch grösser, als in der
Erklärung der Denkmäler, wiewohl sich von selbst versteht,
dass einem so einsichtsvollen Manne, der sich in der vortheil-
haftesten Lage befindet, vieles selbst gesehen und alles mit un-
ermüdlicher Aufmerksamkeit berücksichtigt hat, manche schöne
Bemerkunor von selbst zufallen musste und er Nachweisunsfen
geben konnte, wozu ein Anderer nicht leicht im Stande war.
Den ersten Band eröflFnet und füllt grösstenheils eine 1819^
Klassification der nordischen Alterthümer, bei welcher wir, da
die Resultate der Untersuchungen des Verfassers darin nieder-
gelegt sind, vorzugsweise verweilen müssen. Er hat alles zu-
sammenfassend sieben Klassen angenommen. Die erste be-
greift: die schriftlichen Denkmäler. Die Litteratur der
beiden Edden, sowie der nordischen Sagen, da sie an anderen
Orten und zumal besser vorkommt, hätte füorlich wegrbleiben
können. Eine Aufzählung der Unterstützungen, welche dieser
Theil der Alterthümer in Schweden erfahren, würde in einer
Litteraturgeschichte mehr an ihrem Platz gewesen sein. Es
wird anerkannt , dass Dänemark voraus geeilt sei , und dieser
Vorzug aus der Unterstützunac, welche die Regierung dem
Studium angedeihen lassen, und dem Umstände abgeleitet, dass
geborne Isländer dort thätig gewesen seien. Die altschwe-
dischen Gesetze werden in Landes-, Stadt- imd Provinzial-
gesetze eingetheilt. Die letzteren, zwar in christlicher Zeit ab-
gefasst, werden ihrem L^rsprunge nach in das 6. Jahrhundert
gesetzt. Wiger der Weise, der das Uplandische Gesetzbuch
sammelte, soll unter Ingiald gelebt haben, wenigstens 600 Jahre
früher als König Birger, der es 1296 in der Gestalt, in welcher
wir es besitzen, bekannt machte. Über das Alter von Lumber^
Lagmann in Westgothland und Urheber des westgothischen
Gesetzbuches, wird gestritten, Burmann setzt ihn ins achte Jahr-
hundert, aber Tidgren hat dargethan, dass er in den Anfang
des 6. Jahrhunderts gehört. Die übrigen Litterarnotizen über-
gehen wir, da sie nur das Bekannte enthalten. Seitdem ist
(Stockholm 1827) der erste Band eines Corpus juris Sveo-goto-
400 SAMLIKGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG.
rum von H. S. Collin und C. J. Schlyter erschienen, welcher
1820 das westgothische Gesetzbuch enthält. Die alten Reim-
chroniken verdienen Berücksichtigung und sind in einigen
Theilen glaubwürdig. Es entsteht dabei die Frage nicht nach
einem, sondern nach mehreren Verfassern, welche zu verschie-
denen Zeiten geschrieben haben, wenigstens lässt sich das Zeit-
alter des letzten, der daran gearbeitet hat, bestimmen, wenn
man annimmt, dass er unter der Regierung des Königs gelebt
hat, die zuletzt beschrieben wird. Die kürzere Reimchronik
enthält die Geschichte von 62 Königen, beginnt mit Erich, der
für einen Sohn Odins Heimdaller ausgegeben wird, und schliesst
mit Karl Knutson. Die grössere hebt an mit einem Lobliede
auf Schwedens Herrlichkeit und beschreibt dann die Thaten
von 22 Königen, Erich Läspe (Stammler) macht den Anfang,
Christian Tyrann, der hier Christiern Klipping heisst, den
Schluss. Eine wichtige Sammlung von Urkunden aus dem
Mittelalter, königliche Briefe, Verträge, Lehnbriefe und dergl.
enthalten die Handlingar rörande Skandinaviens Historia, wo-
von der erste Theil im Jahre 1816 erschien und die gegen-
wärtig von einer Gesellschaft in Stockholm fortgesetzt wird.
Das beigefügte Verzeichnis der bereits gedruckten Urkunden
in chronologischer Ordnung ist von Fant trefflich und voll-
ständig ausgearbeitet, und es wäre ein grosser Verlust, wenn
es nicht fortgesetzt würde. Urkunden, die sich auf kirch-
liche Angelegenheiten vor der Reformation beziehen,
päpstliche Bullen, Concilienschlüsse, Ritualen, Legenden, findet
man in Er. Benzelii monum. veteris eccles. Sveog. Die aus
2200 Bänden bestehende Sammlung des Bischofs Nordin besitzt
gegenwärtig die Universitätsbibliothek zu Upsala. Fant hat
einen Plan zur Herausgabe der Urkunden gemacht, aber von
1821 seinen scriptores rerum suecicarum ist nur der erste Band er-
schienen. — Unter den allgemeinen paläographischen Bemer-
kungen, welche diesen Abschnitt schliessen, hat Rec. sich ge-
wundert, die Behauptung zu finden, dass die beiden Gesetz-
bücher Wigars flockar und Lumbs lag wahrscheinlich auf
hölzerne Tafeln mit Runen seien eingeschnitten worden. Dieser
Einfall Burmanns, für den sich nicht der geringste Beweis findet,
SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG. 401
hätte in einem solchen Buch nicht sollen wiederholt werden. —
Das älteste Document auf Lumpenpapier, das man kennt, ist
vom Jahre 1445, die Buchdruckerkunst wurde 1482 von Sten
Sture dem Älteren in Schweden eingeführt.
Zweite Klasse: Inschriften mit Runen und im
Mönchsstil. Rec. übergeht, was über die Abstammung der
Runen aus dem phönicischen Alphabet gesagt wird, ebenso die
durchgeführte Yergleichung der einzelnen Zeichen; man findet
sie in Brynjulfsens Schrift vollständiger. Rec. mag auch nicht
gern einen Streit berühren, der das Schicksal hat, fast immer
mit einer Art Heftigkeit und Bitterkeit geführt zu werden. Er
sieht in der Angabe, dass Odin die Runen in den Norden ge-
bracht habe, schon deshalb keine historische Wahrheit, weil er
den Odin für keine historische Person hält, er bezweifelt auch
nicht den Zusammenhang und die Verwandtschaft der Runen
mit dem griechisch -lateinischen Alphabet, aber er kann nicht
glauben, dass das runische Alphabet ohne alle Selbstständigkeit
nichts als eine Anhäufung entstellter lateinischer Buchstaben
sei, denn das müsste bewiesen werden, geschieht aber nicht,
wenn man aus der unendlichen Menge lateinischer Inschriften
ähnliche Zeichen einzeln heraussucht, was durchaus nicht schwer
sein kann. Eine solche Zusammenstellung blendet nur bei dem
ersten Anblick, wer erklärt aber den Zufall, dass diese un- 1822
gewöhnlichen, zerstreuten Zeichen sich gerade in dem Runen-
alphabet versammeln und obendrein festsetzen mussten, so dass
das Gewöhnliche dort gar nicht zum Vorschein kam? Das Alter
der Runenschrift beweist die bekannte Stelle des Venantius
Fortunatus unwidersprechlich, und sie kann nur durch künst-
liche Verdrehung entfernt werden. Die Frage, wann die Runen
nach Skandinavien gekommen seien, wird hier mit Recht als
eine solche betrachtet, die nicht mit Sicherheit könne beant-
wortet werden. Ganz anders verhält es sich mit der P'rage
nach dem Alter der mit Runen beschriebenen Steine. Hr. Sjö-
borg ist der Meinung, dass sie als eine Nachahmung der In-
schriften auf Gräbern bei den Römern und anderen Völkern
entstanden seien; man habe eingesehen, dass die Schrift länger
als ein blosser Bautastein das Andenken bewahre, und die
\V. (illlMM, KL.. SCIlltlKlK.N. II. 26
402 SAMLTNGAR FÖR NORDENS, FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG.
Runenzeichen, als jedermann im Lande bekannt, dazu gebraucht.
Leicht möglich, dass man die aus heidnischer Zeit rührenden
Bautasteine vorzugsweise wählte, um darauf die Runen einzu-
hauen. Nach dem Verf. (der darin den dänischen Gelehrten
widerspricht) findet man keinen einzigen Runenstein, von dem
zu erweisen stände, dass er von einem Heiden sei errichtet
worden oder vor dem Christenthum, welches um das Jahr 830
zuerst in Schweden gepredigt und, nachdem es immer mehr
Anhänger gewonnen, im Jahre 1008 von dem schwedischen
Könige angenommen wurde. Die Runensteine entstanden in
der ersten christlichen Zeit, als die neue Lehre mit der alten
gemischt um die Herrschaft kämpfte, und ihre Periode geht mit
dem 12. Jahrhundert zu Ende. Höchst selten sind die Personen
bekannt, deren Andenken der Runenstein bewahren soll. Ein
Beispiel ist der Erzbischof Absalon, der auf einem Stein in
1823 Schonen vorkommt. Zufiillig können die alten Wäringer oder
Griechenlandsfahrer genannt sein, die aus Schweden haupt-
sächlich um das Jahr 1070 dorthin zogen. Reisen nach Westen
werden gleichfalls erwähnt, die sich auf die Wikingsfahrten
beziehen; diese fiengen im 8. Jahrhundert von Norwegen und
Dänemark aus an und kamen in dem folgenden Jahrhundert
in vollen Gang, wo auch Schweden bedeutenden Antheil nahm.
Ein Uppländischer Runenstein gedenkt der Pilgerfahrt einer Frau
nach Jerusalem. Christliche Gesinnung beweisen folgende Aus-
drücke: Christus, Gottes Mutter, Jesus, Gott helfe seiner Seele
und seinem Geist, Himmelreich, Pater noster. Brücke bauen
für seine Seele (denn man gab es bei dem Volk für ein die
Seligkeit verdienendes Werk aus. Brücken zu bauen), er starb
in weissen Gewändern, womit nämlich die weissen Taufkleider
gemeint sind, welche man bewahrte, um die Bekehrten bei
ihrem Tode hinein zu kleiden. Auf einem Runenstein in Laland
wird St. Michael genannt. — Figuren verrathen bisweilen das
Alter eines Denkmals. Auf einem Uppländischen Runenstein
(Bautil 558) sieht man einen Kirchendiener, der die Glocke läutet.
Das häufig vorkommende Kreuz ist um so gewisser das christ-
liche, als es sich auf einer Menge unbezweifelt christlicher
Steine befindet. Zwar kann es der Gestalt nach mit Thors
SAMLIXGAR FÖR NORDENS FOENÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG. 403
Hammer verglichen werden, man weiss aber nichts davon, dass
die Heiden das Hammerzeichen als ein beschützendes ansresehen,
am allerwenigsten bei den Todten, die mit Odin, aber nicht
mit Thor in Verbindunoj kamen. Die Grabhügel von Gorm
dem Alten und seiner Gemahlin Tyra Danabot in Jütland ge-
hören ohne Zweifel zu den letzten aus der heidnischen Zeit,
dagegen enthalten die darauf gesetzten Bautasteine, auf welche
Harald Blätand zum Andenken an seine Voreltern eine Inschrift iS2i
hauen liess, die älteste Runeninschrift, wenigstens die älteste,
deren Zeit man bestimmen kann, denn sie fallt in den Schluss
des 9. Jahrhunderts, gehört indessen zu den unbezweifelt christ-
lichen Denkmälern. Frösöstein in Jämtland (Bautil 1112) kann
als einer der ältesten betrachtet werden , denn er spricht von
einem Gudfastsson aus Osten, der Jämtland bekehrte. Von
hohem Alter ist der Edsvärastein in Westgothland, worauf von
einem tapferen Jüngling die Rede ist, welcher zog: västrvägum
i vikingu, und ein anderer in Südermannland, worauf steht,
dass er auf einem Dingplatze zum Andenken an einen Wächter
der Weststrasse sei gesetzt worden. Merkenswerth ist, dass
der genannte Dinghügef sich ganz in der Nähe befindet und
beide Steine keine Spur der christlichen Zeit enthalten; gleich-
wohl kann man sie nicht weiter zurücksetzen, als etwa in das
Jahr 1000. Aus dieser Zeit sind auch die vorhin erwähnten
Steine, welche der Wikingsfahrten gedenken. Ein isländischer
Stein nennt Kjartan Olofson in Borg, der ein bekannter Mann
war und um das Jahr 1003 lebte. Nach Celsius Berechnunor
lebten die berühmtesten Uppländischen Runenhauer, die man
kennt, Ubbe und Bale, am Schlüsse des 9., dagegen nach Broc-
inann im 11. Jahrhundert. Nimmt man ein Mittel an, so fallen
sie in das 10. Jahrhundert; so viel ist gewiss, sie waren Christen.
Der Karlevistein in Oland, für Sibbe Udsson errichtet, ist wahr-
scheinlich ein Denkstein auf des dänischen König Erik Ejegods
Kriegszug nach Oland am Schlüsse des 10. Jahrhunderts.
Aus dem 12. Jahrhundert gibt es viele Runensteine. Eineri825
darunter verdient ausgezeichnet zu werden: Atark, ein Christ,
errichtete diesen Stein für Thora seine Ehefrau. Sie starb in
Akit (Akre), während wir alle, auch die geliebte Frau, die
26*
404 SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG.
Türken (Tiraka) bekämpften. Es ist die Schlacht bei Akre im
Jahre 1190 gemeint, woran, wie man weiss, mehrere Schweden
nicht bloss Theil nahmen, sondern wo sie sich auch auszeichneten.
Aus dem 13. Jahrhundert gibt es verschiedene Runensteine,
deren Alter sich bestimmen lässt. Der Stein bei Christianstad
in Schonen nennt den Erzbischof Absalon und Esbjörn Mule,
jener starb 1201 (es steht hier, wahrscheinlich durch einen
Druckfehler, 1204, vergl. Worm monim. Dan. p. 172) und dieser
1232, und früher kann die Inschrift nicht verfertigt sein. Runen
auf der Glocke zu Saleby in Westgothland geben das Jahr 1228,
1826 auf der Glocke zu Burseryd in Smäland das Jahr 1238 an.
Aus diesem Jahrhundert ist auch ein kupferner Löwe aus Island,
zwölf Zoll lang, ebenso hoch, auf dessen Kopf sich eine Öffnung
und in dessen Zunge sich zwei Löcher befinden, um daraus
Wasser zu spritzen. Er hat als Gefäss für Weihwasser ge-
dient, und die Runen auf der Brust enthalten, dass Thorwald
(Einar Thorwaldsson) und Thordis diesen Löwen Gott und dem
heiligen Olof zu Ehren schenkten. Er hat der Wassfjords-
kirche in Island gehört, welche dem heiligen Olof geweiht war.
Dieser Thorwaldsson besass Wassfjord und ward 1224 mit der
Thordis, einer Tochter des berühmten Snorre Sturlespn, ver-
heirathet. Der jüngste Runenstein ist wohl der Aspöstein am
Mälar vom Jahre 1330; darauf der Ausdruck gjarva sentier,
welches wahrscheinlich das französische Wort ist; auch findet
sich in der Nähe wirklich ein Fusssteig. Zwar findet man
noch spätere Runeninschriften auf Grabsteinen, die in Kirch-
höfen von Gothland liegen, z. B. vom Jahr 1444 und 1449,
indessen gehören diese nicht zu den eigentlichen Runensteinen,
welche von dem ersten Anfange bis zu dem letzten Gebrauch
etwa vier Jahrhunderte (950 — 1350) lang üblich waren. Schon
im 11. Jahrhundert begann die sogenannte Mönchsschrift, und
späterhin gebrauchte man sie zugleich mit den Runen. Eine
solche doppelte Inschrift sieht man z. B. auf einem Sarkophag,
von dem Kirchhof der Botkyrka in Südermannland nach Stock-
holm gebracht. Ein Runenstein, der imbezweifelt in die heid-
nische Zeit gehörte, würde freilich ein merkwürdiger Fund sein.
Es müsste darin von Personen die Rede sein, die vor oder
SAMLIXGAR FÜR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG. 405
wenigstens während des 8. Jahrhunderts gelebt haben, oder von
Begebenheiten aus dieser Zeit, oder es müssten Ausdrücke vor-
kommen, die heidnische Sitten und religiöse Begriffe bezeugten, 1827
oder bildliche Darstellungen, nur aus der nordischen Mythologie
erklärbar. Statt Gott und Gottes Mutter müsste Thor, Odin,
Freyr oder ein anderer von den Äsen angerufen sein. Statt
des Himmelreichs müsste Walhall genannt sein, statt der weissen
Gewänder, des Pater noster und der Bitte für die Seele Altäre,
Haine, blothof ued blötmenn (Tempel und Götzendiener), Geirs
oddr (womit Sterbende sich ritzten, um sich dem Odin zu
weihen). Es ist unmöglich Zufall, dass man unter den vielen
Runensteinen, die man kennt, nicht einen hat entdecken können,
auf welchem sich eins jener Merkmale gefunden hätte, während
eine bedeutende Anzahl unbezweifelt christlich ist. Was man
in guter Absicht für heidnisch gehalten, kann man zu längst
ausser Credit gesetzten, ungereimten Einbildungen oder zu
neueren, ungecrründeten Vermuthungen rechnen. In Dänemark
glaubt man einen Runenstein aus heidnischer Zeit gefunden
zu haben , auf dem man nach Abrahamsons Erklärung liest :
Thor vigi thisi runor, Thor weihe diese Runen I Aber Thor
war kein Gott der Todten, sondern ein Schrecken der Leben-
digen, und uggi oder iggi heisst nichts weiter, als: grub ein.
Also bedeuten diese Worte nichts als: Thor grub diese Runen
ein. (Rec. bemerkt, dass auch dänische Gelehrte eine gleiche
Vermuthung geäussert, sie aber aus anderen Gründen nicht für
statthaft gehalten.) Da Hr. Sjöborg die Sitte Runensteine zu
errichten im Zusammenhang mit der christlichen Zeit betrachtet,
so hält er es für sehr unwahrscheinlich, dass jemals eine In-
schrift aus dem Heidenthum entdeckt werde. Über Medalpad
hinaus findet man keine Runensteine, mithin keine in Lappland
und, seltsam genug, keinen in Finnland. Dagegen in Schweden
gegen 1300, wovon 700 auf Uppland kommen, 50 in Norwegen, 1328
30 auf den dänischen Inseln (davon 10 auf Bomholm, 4 in
Jütland, 2 in Schleswig). Auf der Insel Mann erblickt man
mehrere Grabsteine in Kreuzgestalt mit Runen. Dagegen sind
die beiden Runensteine auf dem Museum zu Oxford von
Schweden dorthin gebracht. Am Schluss befremdet es, den
406 SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKAUE AF N. H. SJÖBORG.
längst widerlegten Irrthum zu finden, wornach die Buchstaben
auf den eben nicht so seltenen celtiberischen Münzen, die frei-
lich bis jetzt noch niemand hat lesen können, für Runen aus
der westgothischen Zeit angesehen werden.
Inschriften im Mönchsstil sind mit lateinischen oder deutschen
Buchstaben geschrieben. Auf Glocken haben sie früher ange-
fangen und später aufgehört, als auf Grabsteinen: mit den
Runensteinen haben sie das gemein, dass sie je älter, desto
besser und richtiger sind. Dergleichen Glocken hat man von
den Jahren 1107. 1130. 1199. Der Verf. hat an hundert
solcher Inschriften gesammelt.. Wenige sind aus dem 13. Jahr-
hundert, die meisten aus dem 14., einige aus dem 15. Die
jüngste in der Peterskirche zu Malmö vom Jahre 1675 ist
schlecht gemacht, doch aber der Sinn herauszubringen. Unter
den Mönchsinschriften auf Grabsteinen ist die von Bischof Her-
man in der Kraftskirche zu Lund die älteste. Er war Bischof
in Schleswig und leistete dem Erzbischof Eskil Beistand bei der
Einweihung der Domkirche im Jahre 1145 oder doch bald dar-
nach. Der Stein hat das Eigene, dass sich einige kleine Buch-
staben unter den grösseren befinden, die mitgelesen werden
sollen. Aus dem 13. 14. und 15. Jahrhundert rühren die vielen
Grabsteine mit Mönchsinschriften, die man in der Wadstena-
klosterkirche und in den Domkirchen zu Upsala, Lund und
Trondheim findet. Ein Grabstein der Isabella von Joigny, der
1829 jetzt in Christiania aufbewahrt wird, mag ins Jahr 1295, und
ein anderer des Bischof Jon ins Jahr 1385 gehören; beide sind
hier No. 100 und 111 angebildet. Grossentheils sind diese In-
schriften, sowohl mit lateinischen als deutschen Buchstaben ge-
schrieben, lateinisch abgefasst, manchmal in Versen und Reimen.
Plattdeutsche findet man in Lund bei und in der Domkirche,
besonders in der unterirdischen Kraftskirche und auch auf den
Glocken. Mischung von Lateinisch und Plattdeutsch auf einigen
Glocken in Schonen. Schwedische unter anderen in Uppland
und dänische in Schonen. Auch gibt es Glocken mit slavischen
oder russischen Inschriften , die wahrscheinlich unter Carl IX
als Beute aus Russland mitgebracht wurden. Auf einer solchen
in Dörarp in Smäland erblickt man zwischen den Worten Thier-
SÄMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG. 407
gestalten, Männer und Frauen, welche die Arme über den Kopf
ausstrecken. In Uppland zwei Glocken mit russischen In-
schriften, eine in Solina, die andere in Ryd. Die letztere ist
vom Jahre 1567, und darauf wird genannt Ivan Wasiljewitz.
Russlands Selbstbeherrscher, seine Söhne Ivan und Feodor.
ferner der heilige Metropolitan Philipp und Erzbischof Pimin.
Novoo-orods und Plescovs Vorbitter bei Gott. Es ist Ivan I^ ,
der Eroberer Siberiens, der 1585 ein Mönch ward. Auch auf
anderen Kirchengeräthen, Taufsteinen, Kelchen kommen manch-
mal Mönchsinschriften vor.
Die alten Inschriften tragen völlig das Gepräge ihrer Zeit
an sich. Sie gewähren neue Aufklärungen oder bekräftigen
schon Bekanntes, doch darf man sich nicht wundern, wenn man
sie manchmal unbedeutend oder unrichtig, manchmal unbegreif-
lich, ja völlig unlesbar findet. Man dachte am wenigsten daran,
als sie verfasst wurden, dass sie in die Hände der Antiquare
kommen, die Neugierde der zukünftigen Jahrhunderte rege
machen und der Gegenstand historischer Forschungen werden i8.so
sollten. Die Jahreszahl anzugeben oder den König zu nennen,
unter dessen Regierung sich die Begebenheit zugetragen, schien
dem Runenschreiber ein hochmüthiger Uberfluss, sich deutlicher
auszudrücken, als in dem Augenblick nöthig war, ein lächer-
licher Einfall. Der Mönchsstil ist mehrentheils ausführlicher,
aber im Allgemeinen betrachtet waren es besondere Zuföllior-
keiten und eigene Empfindungen, die man ausdrücken woUte,
selten dass jemand daran dachte, Witz an den Tag zu legen.
Manchmal hat man in späteren Inschriften dieser Art einen
.satyrischen Zug bemerkt.
Dritte Klasse: Bilder und Figuren ohne alle In-
schrift. Dahin Bildhauerarbeiten, Zeichnungen in Felsenwände,
Schildzeichen, Siegel und dergl. Von Bildhauerarbeit ist aus der
Heidenzeit nichts mehr übrig. Der Holzklotz in der Domkirche
zu Upsal, welcher in der Suecia antiqua et hodierna abgebildet
ist und den man für Thors Bild aus dem alten heidnischen
Tempel zu Upsala ausgegeben, verdient keine Rücksicht. An
den alten Schiffen waren Drachen und andere Thiere ausge-
hauen, womach sie benannt wurden. Die zwei Ritterbilder aus
408 SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG.
Holz auf dem Kirchendach zu Kimstad zum Andenken an die
zwei Eriche, die sich nach König Stenkils Tod im Jahre 1066
um die Herrschaft stritten, sind in späterer Zeit zerstört und
an ihre Stelle andere aus Eisenblech gesetzt worden. Desto
grösser ist die Anzahl der aus katholischer Zeit erhaltenen
Bildhauerarbeiten: Bilder von Heiligen, Darstellungen aus Le-
genden und der biblischen Geschichte, Statuen von Rittern und
Bischöfen. Der Verf. will nur Bilder anführen, welche in den
ersten christlichen Jahrhunderten schon eine bestimmte Be-
deutung hatten.
1831 Christus wird dargestellt als der gute Hirte , indem er auf
den Schultern ein Lamm trägt oder eins oder mehrere zur
Seite hat, als Weinstock, Leuchter, als Felsen, an welchen
Moses mit seinem Stab schlägt und aus dem Wasser springt,
endlich auch als Lamm, oft mit dem Kreuz. Lauter bekannte
biblische Darstellungen. Das Kreuzzeichen auf den Runen-
steinen gleicht oft völlig dem Kreuz der Kreuzfahrer und
Tempelherrn, und dieselbe Gestalt hat auch das Kreuz, welches
in den Mönchsstilinschriften die einzelnen Wörter trennt oder
den Schluss des Sinnes anzeigt. Die von einem dänischen
Gelehrten in den Antiquarischen Annalen ausgeführte Meinung,
wonach die Kreuzzeichen auf den Runensteinen ins Kreuz ge-
legte Donnerkeile Thors sein sollen, bedarf nach dem Verf.
keiner besonderen Widerlegung. Er bemerkt noch, dass das
Kreuz auf den Münzen des Mittelalters dem Kreuz auf den
Runensteinen sehr ähnlich sehe. Ebenso wenig als das Kreuz
auf Münzen, Schilden, Gräbern usw. Thors Hammer be-
deutet, ebenso wenig' findet sich ein Kreuz auf einem Runen-
stein, das damit in Zusammenhang stände. Das Kreuz auf dem
sogenannten, jetzt zerstörten Odinsgrab auf der Axwallaheide
(Abbildung davon liefert Taf. 7), obgleich über 1000 Jahre
älter als irgend ein Runenstein, kann doch nicht auf Thor be-
zogen werden. Es würde Aufmerksamkeit verdienen, wenn es
an einem in der verschlossenen Grabkammer aufgerichteten
Stein sich gezeigt hätte, aber da man nur auf einem kleinen,
aussen liegenden (angenommen, dass dieser gleichzeitig sei) als
eine Art Zierat zwei Linien eingehauen findet, welche sich
SAMLINGAR FÜR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG. 409
zufällig in rechten Winkeln schneiden, so ist es ebenso passend,
darin Thors Hammerzeichen zu sehen, als zu glauben, dass
jeder Cirkel, wo nicht die Ewigkeit, doch zum wenigsten die
Sonne, das llad an Phöbus Wagen oder Thors Gürtel bedeuten 1832
solle. Die in Kreuzform gearbeiteten Platten , die an den in
Smäland ausgegrabenen Urnen befestigt sind, haben keine sym-
bolische Bedeutung und sind nichts als ein gleichgültiger
Zierat.
Eine Taube bedeutet Unschuld und Einfalt, Fische Christen,
welche die Lehre des Evangeliums annehmen; dagegen sollen
zwei Fische und zwei Tauben christliche Eheleute bedeuten.
Die vier Evangelisten werden dargestellt mit vier Büchern, mit
vier Quellen, die aus einem Berge springen, mit vier Schafen,
am meisten -aber mit den vier Thieren, welche Hesekiel I, 5, 10
und Offenb. Job. 4, 7 genannt, jedoch von den Kirchenvätern
nicht gleich gedeutet werden. Schiff in der Sündfluth bedeutet
die christliche Versammlung, ebenso ein Haus, Krone Macht
und Stärke, Sieg und Freude, Ochsen Priester und verordnete
Lehrer. Manchmal findet mau einen Kelch auf den Gräbern
der Priester. . Ein Anker zeigt die Hoffnung der Christen an,
ein Hirsch das innerliche Verlangen nach Vereinigung mit
Gott, ein oder mehrere Füsse, dass man in Christi Fussstapfen
wandelt. Pferde bedeuten Menschen, die zum Ziele eilen,
Wagen einen zu Ende gebrachten Lebenslauf; doch ein Wagen
mit einem Weinfass, von zwei Ochsen gezogen, soll Eintracht
und gegenseitige christliche Liebe darstellen. Hahn, Symbol
der Wachsamkeit, steht in einer gewissen Verbindung mit dem
Apostel Petrus und befindet sich vielleicht in dieser Eigenschaft
oben auf dem Kirchthurm, ihm nämlich gehören die Schlüssel
der Kirche wie des Himmelreichs. Zwei streitende Hähne
werden als geistlicher Streit gedeutet. Ölbaum bezeichnet
immer den Frieden, wie Palme den Sieg. Ein Pfau, glaubt
man, stelle die Unsterblichkeit dar, weil Augustin sagt, dass
sein Fleisch nicht verwese. Münters Programm (Symbola 183:;
veteris ecclesiae artis operibus expressa) über diesen Gegenstand
ist bekannt.
Figuren en basrelief mit oder ohne Inschriften sieht man
410 SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG.
auf Trinkhörnern und anderen Alterthümern. Eingeliauene
Zeichnungen findet man nicht bloss auf Felsenwänden, sondern
auch auf Runensteinen. Figuren auf Felsen kommen meist am
Strand und in der Nähe des Meers vor, in Bohuslän und Ble-
king, sie mögen von Seeräubern herrühren, denn man sieht
SchiflFe, ja ganze Flotten, zugleich Menschen und Thiere, die
ans Land geführt vrerden. Unter den Figuren auf Runensteinen
befindet sich auch ein Troll (Bautil No. 1157), er hat einen
Pfeil in der Hand und einen im Mund, v^^ährend er auf einem
AVolf reitet, den er mit einem gekrümmten Zweig statt eines
Zaumes lenkt. Auf einem anderen Stein ein Mann, der auf
der Schulter eine Axt trägt, in derselben Rüstung, in welcher
man die alten Wäringer in Constantinopel und die Engländer
und Dänen beschreibt, welche den Kreuzzügen beiwohnten. In
Schonen befindet sich ein Runenstein, auf welchem man einen
Wolf sieht und darunter ein SchiiSf mit Ruder und in dem
Schiffe vierzehn Menschen. Der Wolf deutet an, dass der
Todte ein Seeräuber war. Das merkwürdigste von allen in
Stein gehauenen Bildern ist in einem Hünenbett in Schonen
gefunden und unter dem Namen Kivike Monument bekannt.
Hier sieht man Schiffe, Pferde, Streitäxte, Spiesse, Siegeswagen,
Siegeszug von Kriegern, Gefangenen, Hornbläsern, Triumph-
bogen, Altäre mit Opferpriester. Es ist die Darstellung eines
wirklichen Ereignisses. Eine Flotte ist gelandet, hat Waffen,
Pferde und Wagen mit sich geführt; man hat gesiegt und den
Sieg mit Opfer gefeiert. An hieroglyphische Bilderschrift ist
1834 dabei nicht zu denken. — Spuren von Menschenfüssen hat man,
glaubt der Verf., eingehauen, entweder um das Mass der
eigenen Füsse zu zeigen oder um mit Riesenstärke zu prahlen.
In Blekingen sieht man die Spuren von Menschenfüssen und
Rosshufen und dabei geht die Sage, zu der Zeit, wo der Stein
noch weich gewesen, hätten zwei Riesen an dieser Stelle mit
einander gekämpft, der eine zu Pferd, der andere zu Fuss.
Vierte Klasse: Ruinen von alten Tempeln, Städten,
Schlössern, Kirchen, Klöstern. Aus den Ruinen des alten
heidnischen Tempels zu Upsala hat man die noch jetzt dort
stehende Kirche aufgebaut, in deren Mauer man die uralten
SAMLIXGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF X. H. SJÖBORG. 411
Überbleibsel erkennt. Man hat nach genauer Untersuchung
des Denkmals selbst mit Hilfe der ältesten Beschreibung einen
Versuch gemacht, diesen Tempel in seiner ursprünglichen Gestalt
darzustellen: die Abbildung davon auf Taf. 25. — Die alten
Klöster in Schweden hat der Bischof Rjzelius in seiner Mona-
steriologia sviogothica beschrieben, so wie die alten Schlösser
imd Burgen in der Sviogothia munita. Man sieht in diesem
Werke verschiedene Abbildungen von alten Schlössern und
Wikinffsraubnestem. Übrigens sind neben der Darstellunsc des
ehemaligen Tempels zu Upsala auch Ruinen bei Sigtuna ab-
gebildet.
Fünfte Klasse: Bracteaten und Münzen. Ein Theil
der alten Münzen sind nicht zweiseitig, sondern bestehen aus
einer dünnen Platte, die meist von Silber ist und in welche
Ficfuren eingedrückt sind. Ob man orleich auf einioren der alten
Münzen Runen sieht, so kann mau doch mit Sicherheit nicht
behaupten, dass vor König Olof Schosskönig Münzen in Schweden
seien geschlagen worden, und die man ihm gewöhnlich zu-
schreibt, scheinen englische zu sein. Merkwürdigkeiten dieser 1S35
Art findet man beschrieben in Berchs thesaurus numm. sviogoth.
Sechste Klasse: Werkzeuge, Waffen und Schmuck,
Opfergeräthe, Heiligthümer, Trinkhörner, Urnen.
Der Verf. übergeht diese Klasse hier und verweist auf seine
früheren Werke, die Einleitung in die Kenntnis der vater-
ländischen Alterthümer und die Nomenclatur nordischer Alter-
thümer.
Siebente Klasse. Sie befasst die Alterthümer, die in
Museen nicht aufstellbar sind und deren Kenntnis nur durch
eine Reise in das Innere des Landes kann erlangt werden. Die
Wenigsten haben sie mit eigenen Augen zu sehen Gelegenheit
Gcehabt, und sorgfaltige Abbildungen sind hier vorzüglich ein
Bedürfnis. Der Verf. hatte sie früher in Hügel und Stein-
setzungen eingetheilt, da aber beide Manches gemein haben und
die Steinsetzungen oft nur zur Verzierung der Hügel dienen,
so trennt er hier beiderlei Denkmäler nicht und nimmt Rück-
sicht auf den Zweck ihrer Errichtung. Zuerst also betrachtet
er die Denkmäler, welche auf den Gottesdienst Bezug haben.
412 SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG.
Wer aus Altersschwäche zum Kriegsdienst untauglich sich und
anderen zur Last fiel, weihte sich dem Odin, indem er sich
von einer bedeutenden Höhe herabstürzte. Ein solcher Platz
hiess in der altnordischen Sprache ätternistapi. Die Rede da-
von ist in der Gotr. und Rolf'ssage, und in vielen schwedischen
Provinzen gibt es Orte, welchen uralte und beständige Tradition
eine solche Bestimmung beilegt. Ein besonderer Gang führte
zu einer Fläche, von welcher man sich herabstürzte. Häufig
findet man ein Wasser in der Nähe, welches zur Abwaschung
der Leiche diente. Obgleich der Verf. mehrere solcher Felsen
nachweist, so scheint doch ein solcher religiöser Gebrauch noch
1836 zweifelhaft und die Annahme sich bloss auf mündliche Über-
lieferung zu stützen. Seltsam, dass sich diese Felsen, wie der
Verf. dänischen Gelehrten nachgibt, nur in Schweden be-
finden. — Sodann gehören zu den Alterthümern dieser Art:
Tempel, Altarhügel, Opferhügel, Opferfelsen, Schutzfelsen (nicht
sowohl der Stein, als der darin wohnende Elfe ward verehrt,
ebenso verhält es sich mit den Schutzpfeilern), Andachtsorte
verschiedener Art. Gründe zu diesen Benennungen findet der
Verf. auch hier oft in der Volkssage. Rücksicht darauf ist
nicht zu verwerfen, im Gegentheil anzuempfehlen, allein sie
bleibt immer ungewiss, und Rec. gesteht, dass ihm bei dieser
Eintheilung und Bestimmung der Denkmäler Manches gewagt
und höchst zweifelhaft vorkommt. Zweitens: Denkmäler in
Beziehung auf das Kriegswesen. Hier werden abgehandelt
die besonderen Plätze, wo man sich in dem Gebrauch der
WaflPen übte, gymnastische Bahnen, wie der Verf. sie nennt,
Kreise für Zweikämpfe, grosse Kampfplätze. Es versteht sich
von selbst, dass jedes Mal durch Abbildungen die Beschreibung
deutlich gemacht wird. Drittens: Denkmäler in Bezug auf die
Verwaltung des Reichs und Rechtspflege. Hier werden die
Dingstätten und Dinghügel in ihren verschiedenen Arten und
Formen abgehandelt, und da man bei diesem Gegenstand schon
mit mehr Sicherheit auftreten kann, so sind die Nachweisungen
des Verf. über die verschiedene Grösse dieser Gerichtsplätze
und die dabei aufgerichteten Steine von besonderem Werth.
Viertens: Gräber. Die ältesten sind in Gestalt eines halben
SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJUBORG. 41-3
Kreuzes (Halfkorsgrafvar), dann folgen Stammhügel (ätthogar),
welche indessen auch aus der spätesten heidnischen Zeit sein
können, also zu den ältesten und jüngsten Denkmälern dieser
Art gehören; sie sind sehr häufig und noch jetzt zu tauseiiden
vorhanden. Die grössteu können dreihundert Ellen im Umkreis isiT
haben und dreissig Ellen Höhe, sie sind fast immer rund und
von Erde aufgeworfen. Die kleinsten heissen ättkullar, bestehen
aus Erde, Stein oder Gries und haben eine Höhe von 1 bis
3 Ellen und 3 bis 6 Ellen im Umfang. Zu den äusseren Be-
standtheileu eines vollständigen Stammhügels gehört: 1) der
Stammfelsen (ätthäll) oder Bautastein, auf der Spitze des Hügels
errichtet, 2) das Diadem, ganz oben auf den Hügel gestellte
Steine, 3) die Krone, ein Kreis von Bautasteinen, welcher den
obersten Theil des Hügels umgibt, 4) der Gürtel, ein solcher
Steinkreis in der Mitte, 5) die Fusskette, ein solches am Fuss
des Hügels. Ein Grabaltar findet sich manchmal auch am
Fusse des Hügels, auf welchem zu Ehren des Todten Opfer
gebracht wurden. Endlich 6) die Einfriedigung, eine Stein-
setzung, die den Hügel umgibt. Die inneren Bestandtheile
eines Grabhügels sind folgende: 1) der innere Steinhaufen, der
vier Ellen von der Spitze des Hügels anfängt und in dessen
Mitte sich 2) der Behälter befindet, worin die Urne steht.
Diese ist in der Regel von Thon, manchmal von Kupfer, Eisen,
Holz, in höchst seltenen Fällen von Gold und Krystall. Sie
hat einen Deckel von gleicher Art, oder statt dessen liefet ein
flacher Stein darauf, oder sie ist auch unbedeckt. In der Urne
findet man Asche, verbrannte Knochen, manchmal Perlen, Bern-
stein, Weihrauch, Steinmesser, Stücke von Kupfer oder Eisen,
Schmuck und dergl. In einigen Gräbern hat man zwei über
die Urnen kreuzweis gelegte Steinmesser gefunden. Aschen-
behälter und Urne weisen auf einen Zeitraum, der mit Odin
beginnt und etwa mit dem 7. Jahrhundert endigt. HüW mit
unverbrannten Leichen können bis zum 11. Jahrhundert herab-
gehen, aber möglicherweise bis zum 1. Jahrhundert hinauf, in
der Regel jedoch sind sie jünger, als die mit verbrannten 1S38
Leichen. Zu den unverbrannten gehört eigentlich 3) die Stein-
kiste, die länglich ist, viereckig und an allen Seiten eben. Der
414 SAMLINGAR FÖR NORDENS FORNÄLSKARE AF N. H. SJÖBORG.
Boden wird meist aus Felsengrund gebildet, oben liegen mehrere
Decksteine. Sie enthält die unverbrannte Leiche, Waffen,
Schmuck, manchmal aber zugleich Asche und verbrannte Ge-
beine, doch meist ohne Urnen. Eine solche Mischung beider
Gebräuche deutet eine Übergangszeit an. — Je vollständiger
die äusseren Zieraten eines Hügels, je kostbarer die Urne,
desto älter der Hügel. Die Thonurnen sind demnach jünger
als die seltneren aus Metall. Endlich kann noch 4) zu den
inneren Verzierungen gezählt werden ein Kreis von Steinen,
welcher der äusseren, Fusskette genannt, entspricht und Drak-
ring heisst. — Die meisten Grabhügel findet man in Schweden,
die ältesten in der Nähe von Upsala. In Norwegen hat sich
der Gebrauch rein erhalten, in Dänemark dagegen ist er aus-
geartet. In Island sind nur wenige und können, als aus
späterer Zeit rührend, nicht klassisch sein. Noch geschieht
Erwähnung der Gräber, Hügel, in Gestalt eines Schiffs (Skepps-
högar), der Grab wälle in Form eines rechten Winkels oder
einer Gabel oder in einer geraden Linie und anderer eigen-
thümlicher Erscheinungen dieser Art.
Auf diese Klassification der sämmtlichen Alterthümer folgt
nun eine den dort entwickelten Ansichten gemässe Beschreibung
der einzelnen hier abgebildeten Denkmäler, welche den übrigen
Theil des Werkes füllt. Sie ist ausführlich, beurkundet die
vertraute Bekanntschaft des Verf. mit seinem Gegenstande und
enthält eine Menge schätzbarer Nachweisungen, freilich auch
Manches, was blosse, mehr oder minder scharfsinnige Vermuthung
ist. Der zweite Band beschreibt gleicherweise eine Anzahl
Denkmäler, die jedoch im Ganzen betrachtet meist aus späterer
1839 Zeit und von geringerem Belang sind. Doch werden die Auf-
klärungen, welche die auch in Deutschland besprochenen Tauf-
becken durch Abbildungen noch unbekannter Exemplare er-
halten, willkommen sein. Dem zweiten Bande ist eine chrono-
logische Einleitung vorangestellt mit einzelnen, den Kalender
betreffenden Abhandlungen. Auch ein Versuch ist (S. 48) ge-
macht, die nordischen Denkmäler nach der Zeit, so weit sie
sich bestimmen lässt, zu ordnen. Für die ältere Zeit kann nur
von Wahrscheinlichkeit die Rede sein, und Manches deucht
NORSKE MINDESMAERKEK AF L. D. KLÜWER. 415
dem Rec. sehr bedenklich; wer z. B. würde das Grab, das die
Sage dem Wittich, Wielands Sohn, [zuschreibt], für das wirkliche
Grab des Helden, der freilich schon sehr früh in der Dichtunor
vorkommt, ernstlich zu halten und es in das 5. Jahrhundert zu
setzen den Muth haben? Demungeachtet bleibt der Versuch ver-
dienstlich, weil er diesen schwierigen Gegenstand wenigstens an-
zurühren wagt und ohne Zweifel zu weiteren Untersuchungen
reizen wird. Schliesslich empfiehlt Rec. nochmals den deutschen
Alterthumsforsehern dieses Werk, welche ähnliche Denkmäler
der deutschen Vorzeit zum Gegenstand ihrer Untersuchungen ge-
macht haben, und warnt nur, die Vermuthungen des Verf.
nicht zur Grundlage noch gewagterer Behauptungen und leerer
Phantasieen zu missbrauchen.
[anonym.]
NORSKE MINDESMAERKER, 1839
aftegnede paa en Reise igjennem en Deel af det Nordenfjeldske, og beskreme
af Lorentz Diderich Klüwer. Udgivne af det kongelige Norske Widenskabers
Selskab i Trondhjem. Med 35 Steentryk. Christiania. Trykt i det Wulfs-
bergske Bogtrykkerie, af R. Hviid. 1823. 152 Seiten in Quart.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III, 184. Stück, den 14. November 1829.
S. 1839-1840.
JL/ieses Werk kann als ein Anhang des vorhergehenden isio
betrachtet werden. Die Beschreibung der norwegischen Alter-
thümer ist umständlich, die Zeichnungen, wie aus allem hervor-
geht, sind höchst sorgfaltig und genau, und sollte eine solche
Ausführlichkeit nicht überall möglich oder auch nur wünschens-
werth sein, so verdient sie doch hier Lob und erhöht den Werth
der Arbeit. Zu dem Merkwürdigsten gehört ein neuentdeckter
Runenstein (Taf. 12), schwer zu lesen und ebenso schwer zu er-
klären. Finn Magnussen findet darin eine Anrede an einen Berg-
geist und Beziehung auf den Glauben, dass neun Ellen tief unter
der Erde ein Schatz liege. Diese Deutung ist scharfsinnig, wenn
auch nicht gewiss. Sodann werden hier (Taf 10 und 29) die beiden
schon früher verkündigten Steine mit angelsächsischen Runen be-
kannt gemacht, die, wovon sonst kein Beispiel vorhanden ist,
416 DIE DEUTSCHE HELDENSAGE VON WILHELM GRIMM.
unter der Erde in einem Grabe, das verbrannte Knochen enthielt,
gefunden worden sind. Leider sind es jedes Mal nur einige an
sich deutliche Buchstaben, über deren Sinn man zwar Ver-
muthungen haben kann, wie die hier niitgetheilten, aber keine
Gewissheit, so dass kein eigentliches Resultat gewonnen wird.
Alt sind diese Runen, da sie ofi'enbar noch in die Periode
fallen, wo man die Leichen verbrannte, welche, wie wir vorhin
gesehen, Sjöborg mit dem 7. Jahrhundert zu Ende gehen lässt.
Ein Drache von Messing (Taf. 11), der einen geharnischten
Ritter im Rachen hält und als Schenkgefäss diente, erinnert an
so manche Erzählung in den Heldengedichten des Mittelalters.
Zwei hübsche, aus mündlicher Überlieferung gewonnene Volks-
lieder sammt den Melodieen sind eine dankenswerthe Zugfabe.
[anonym.]
49 DIE DEUTSCHE HELDENSAGE
von Wilhelm Grimm. Göttingen, in der Dieterich'schen Buchhandlung. 1829.
VI und 425 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 6. 7. Stück, den 14. Januar 1830.
S. 49 — 58.
Untersuchungen über die Entstehung und Fortbildung
des deutschen Epos sind für die Geschichte des menschlichen
Geistes so wichtig, als ähnliche über den Homer. Es würde
unbillig sein, allgemeine Anerkennung dieser Behauptung schon
jetzt zu fordern; wir begnügen uns einstweilen damit, dass
griechische Philologen, und darunter gerade die geistreichsten,
Theilnahme an Untersuchungen dieser Art zeigen, wenigstens
auf Resultate derselben zu hören geneigt sind. Gegenwärtiges
Buch besteht aus zwei Abhandlungen, wovon die erste bei
weitem den grössten Raum einnimmt, Sie enthält Zeugnisse
über die deutsche Heldensage durch einen Zeitraum von mehr
als tausend Jahren. Dieser geschichtliche Überblick ist ein
Vortheil, dessen sich das deutsche Alterthum allein in diesem
^0 Grade erfreut, und niemand wird zweifeln, dass die Beob-
achtung der Veränderungen, welche die Sage auf diesem langen
DIE DEUTSCHE HELDENSAGE VON WILHELM GRIMM. 4.] 7
Wege erlitten, zu überraschenden Resultaten führen muss. Die
Zeugnisse, meist, doch nicht streng, chronologisch geordnet,
sind in drei Perioden eingetheilt. Die erste fängt mit Jomandes
an, die zweite mit den Gedichten des Mittelalters im 12. Jahr-
hundert, die dritte mit dem 16. Jahrhundert; sie verfolgt die
letzten Spuren der allmählich schwindenden Sage. Die Zeug-
nisse sind theils äussere, theils innere. Diese sind aus Be-
trachtung der Natur und des Wesens der Dichtungen selbst
gewonnen, jene hatte der Verf. schon früher in den altdeutschen
Wäldern zusammengestellt, sie sind aber hier nicht bloss neu
bearbeitet und berichtigt, sondern auch sehr vermehrt. Die
Reihe eröfiiiet Jornandes, in dessen Erzählungen wir bis zu
einem gewissen Punkt in der gothischen Geschichte durchaus
keine Historie, sondern nur Dichtung erblicken dürfen. Unbe-
zweifelt bezieht er sich in einigen Stellen über Ermanarich auf
unseren Fabelkreis, und glücklicherweise zeigt die wahrhafte
Geschichte bei Ammian den Gecrensatz. Die scharfsinniofen
Vermuthungen derer, welche die Entstehung der Heldensage
in das 11. Jahrhundert verlegen, werden nicht bloss durch Jor-
nandes, sondern noch durch eine ganze Reihe anderer Zeugnisse,
unter denen sich wichtige, durch Conybeare jetzt erst bekannt
gewordene angelsächsische befinden, vernichtet. Merkwürdig
sind die hier gleichfalls zum ersten Mal mitgetheilten Stellen
aus altfranzösischen noch ungedruckten Gedichten, über die
Verbreitung der Wielandssage in dem alten Karlingen.
Die inneren Zeugnisse hefern Untersuchungen über sämmt-
liche zu dem Fabelkreise gehörige Dichtungen. Hier stehen 51
die eddischen Lieder obenan. Man findet nicht die Ver-
muthung, sondern die Behauptung ausgesprochen, dass sie eine
Übersetzung ursprünglich deutscher Gedichte enthalten; und
der Beweis wird zunächst aus den geographischen Angaben
geführt. Bei dem Hildebrandslied wird der Versuch ge-
macht, eine schwierige Stelle durch Hilfe angelsächsischer Ge-
dichte aufzuhellen. Waltharius manu fortis ist jetzt ent-
schieden dem sonsther bekannten Eckehard I. zu St. Gallen
beigelegt, fällt demnach in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts.
Bei dem Könige Ruth er, wo wegen des unzuverlässigen Ab-
W. GRJMM, KL. SCHRIFTEN. U. 27
418 l^IE DEUTSCHE HELDENSAGE VON WILHELM GRIMM.
druckes, den wir besitzen, der cod. Palat. zum Grunde liegt,
sind Quelle und Verknüpfungen mit anderen Sagen erörtert.
Am ausführlichsten abgehandelt sind Nibelunge Noth, Klage
und Biterolf, welche bloss zum Vortheil der Untersuchung in
dieser Ordnung folgen; es soll nicht behauptet werden, dass
darnach auch ihr Alter zu bestimmen sei. Bei der Nibelunge
Noth wird die von Lachmann schon begründete Ansicht durch-
geführt, dass sie nicht das Werk eines Einzigen sein könne
und in zwei Theile zerfalle, die in mehr als einer Rücksicht
von einander sich unterscheiden. Bei der Klage war vorerst
zu erläutern, was sie selbst über ihre Quelle und verschiedene,
vorangegangene Bearbeitungen aussagt. Dann wird, gestützt
auf Lachmanns Untersuchungen, ausgeführt, dass der Verf.
dieses Gedichts unsere Nibelunge Noth nicht vor sich hatte.
Biterolf erscheint durch seine Beziehungen als eins der wich-
tigsten Denkmäler. Zuerst über die Quelle, insoweit der Dichter
selbst sich darüber äussert; hierauf wird die Behauptung auf-
gestellt, dieses Werk als Ganzes betrachtet liefere keine echte
52 Sage , sondern sein an sich ziemlich unbedeutender Inhalt sei
als eigenmächtige Erfindung in den Fabelkreis eingezwängt.
Allein da der Dichter seine Personen dorther genommen hat
und häufig ihre anderweitigen Verhältnisse einmischt, wovon
er eine ziemlich vollständige Kenntnis mag besessen haben, so
erhalten wir gewissermassen eine Übersicht jenes Kreises, welche
hier ausgezogen und zusammengestellt ist. Wir finden An-
deutungen über mehr als ein verlorenes Gedicht. Angehängt
ist eine Untersuchung über den Dichter, deren Resultat die
höchst wahrscheinliche Vermuthung gewährt, dass er und der
Dichter der Klage eine und dieselbe Person sei. Bei der
Überarbeitung des Nibelungeliedes und der Klage
sind die wenigen Zusätze, die den Inhalt der Sage selbst be-
rühren, aufgesucht, und über die Stelle, wo Siegfried ermordet
wurde, ist eine Vermuthung geäussert. Die Vilkinasaga
liefert reichliche Aufschlüsse; die seitdem aufgefundene alt-
schwedische Abfassung ist benutzt, gleicherweise, was P. E.
Müllers Sagenbibliothek Neues mittheilte. Neben einander ge-
stellt sind Dieterichs Flucht, die Rabenschlacht und
DIE DEUTSCHE HELDENSAGE VON WILHELM GRIMM. 419
Alp hart und ihre Quellen und zugleich die Veränderungen
angegeben, welche die Sage in den Punkten, auf welche hier
Rücksicht genommen ist, erfahren bat. Bei Otnit und Wolf-
dieterich ist die Frankfurter Handschrift benutzt, aber zur
Erörterung der Stelle, welche von der Quelle redet, konnte
auch die Heidelberger und Strassburger zu Rath gezogen wer-
den. Dagegen bei Wolfdieterich und Sahen war dem Verf.
nur die Bearbeitung Caspars von der Röhn zugänglich; die
Wiener, von Hormayr angezeigte Handschrift wird ohne Zweifel
neue Aufschlüsse liefern. Vier abweichende Darstellungen des
Rosengarten werden unterschieden und von einer, gerade 53
der reinsten, aus einer Frankfurter Handschrift wird Nachricht
gegeben. Das spätere Hildebrandslied folgt und das
Lied von Siegfried, bei welchem zwei alte, bisher unbe-
kannte I>rucke, wovon einer eine plattdeutsche Übersetzung
enthält, benutzt werden konnten. Bei der Blomsturvalla-
saga wird wahrscheinlich gemacht, dass sie ihre Kenntnis der
Fabel aus der Vilkinasaga geschöpft habe. Der Cod. pal. von
Dieterichs Drachenkämpfen liefert eine wichtige Stelle,
wodurch eiüe sonst nicht vorkommende Angabe der Vilkina-
saga bestätigt wird. Caspars von der Röhn Bearbeitung des-
selben Gegenstandes setzt eine andere Quelle voraus. Siege not,
Laurin und Etzels Hofhaltung folgen, und den Schluss
der zweiten Periode macht die dem Heldenbuch zugrefüsTte
Übersicht der Sage. In der dritten Periode sind die späterhin
in den Norden eingedrungenen Darstellungen der Sage, also
die Hvenische Chronik, die dänischen Kjämpeviser und
Färöischen Lieder betrachtet. Als Zugabe sind die Zeug-
nisse über das Gedicht von Gudrun zusammengestellt, das
durch seinen hohen Werth den besten Gedichten des Fabel-
kreises so nahe steht. Sie gehen im Norden bis in die Mitte
des 9. Jahrhunderts zurück, eine in einem angelsächsischen
Gedicht vorkommende Stelle möchte leicht noch älter sein; die
deutschen Zeugnisse beginnen in dem 12. und verschwinden
im 14. Jahrhundert.
Der Verfasser hatte bei Erklärung der Zeugnisse ander-
weitige Betrachtungen zurückgewiesen, weil er nicht vorgreifen
27*
420 DIE DEUTSCHE HELDENSAGE VON WILHELM GRIMM.
und zukünftigen Forschungen eine reine Grundlage liefern
54 wollte. Indessen konnte er sich, als der ziemlich lange, mit-
unter unbequeme Weg zurückgelegt war, nicht versagen, eine
Übersicht der Resultate, die er glaubte gewonnen zu haben,
anzufügen. Andere werden weiter gehen, glücklicher und
scharfsinniger beobachten. Die zweite Abhandlung beschäftigt
sich also mit dem Ursprünge imd der Fortbildung des
deutschen Epos. Sie enthält sich des überwiegenden Vor-
theils wegen, den eine solche scharf begrenzte Untersuchung in
der gegenwärtigen Lage der Dinge gewähren musste, aller Ver-
gleichung mit ähnlichen Erscheinungen bei anderen Völkern.
Der Verf. unterscheidet zuvorderst die Heldensage von der
Göttersage, der bildlichen Darstellung des Übersinnlichen, und
berührt die zwei verschiedenen Ansichten, die sich über die
ersten bemerklich gemacht haben. Die eine sieht in det Helden-
sage abermals eine nur noch tiefer verhüllte Göttersage, die
andere völlig entgegengesetzte nimmt eine rein geschichtliche,
nur poetisch ausgeschmückte Grundlage an. Nachdem die Ver-
legenheit, in welche jede dieser Meinungen sehr bald geräth,
angedeutet ist, bezeichnet der Verf. den Weg, den er einzu-
schlagen gedenkt. Er setzt die Entscheidung noch aus und
legt eine Reihe von Beobachtungen vor, in der HoflFnung, dass
diese uns dem noch verborgenen Ziele näher bringen. Eine
Übersicht der ganzen Sage, wie sie sich in den erhaltenen
Denkmälern darstellt, musste vorangehen. Die nordischen
Dichtungen, denen ein deutscher Ursprung beigelegt wird,
treten dabei nur in die Lücken ein. Jetzt wird die historische
Anlehnung betrachtet, und hier ergibt sich das Resultat, dass
die Sage das Frühere ist, die Einmischung der Geschichte das
Spätere. Sodann werden Beispiele von Anknüpfung und Ver-
55 Schmelzung verschiedener Sagen nachgewiesen. Manchmal ist
die Scheidung in das Ursprüngliche leicht, manchmal dringt
die aus einer solchen Verknüpfung erwachsene Veränderung
bis zu der ersten Grundlage, zerstört den alten Zusammenhang,
schafft aber einen neuen. Verschieden hiervon sind Erweite-
rungen der Sage ohne Einmischung einer anderen. Sie stellen
sich meist als spätere Zusätze dar, aber es gibt auch Fälle,
DIE DEUTSCHE HELDENSAGE VON WILHELM GRIMM. 421
WO ein anderwärts lange vergessener Zug der ältesten Dichtung
plötzlich wieder hervordringt. Dass blosse Einkleidungen in
das Gewand des Epos stattgefunden, wird behauptet und
mehreren Gedichten, wie Laurin, Siegenot, Etzels Hofhaltung,
Dieterichs Drachenkämpfen ein solcher Ursprung beigelegt.
Aber auch innerhalb des Kreises selbst finden wir Übertragung
einer und derselben Fabel in andere äussere Verhältnisse, wo-
von König Ruther das merkwürdigste Beispiel gibt. Die Partei-
lichkeit, die sich für einen Helden der Sage zu entwickeln
pflegt, zumal wenn eine unfreie Ansicht erst die Kraft der
Poesie hemmt, hat einen grossen Einfluss auf die Dieterichssage
ausgeübt und durch das Bestreben, alles, was seinem Ruhm
schaden konnte, zu entfernen, den inneren Zusammenhang und
Verstand der Sage gestört. Dass Veränderung der Sitten be-
deutend eingewirkt, ist ein Satz, der erst durch Nachweisung
merkwürdiger Beispiele Interesse erhält. Wie dadurch die
Grundlage des Nibelungeliedes sich völlig umgewandelt, ist
dargethan, aber eine noch genauere und lehrreichere Durch-
führung des Satzes machten die aus verschiedenen Zeiten
rührenden Recensionen des Liedes von Hildebrand möglich.
Auch der poetische Werth der Dichtungen musste berücksichtigt
werden, insoweit nämlich die verschiedene Auffassung den Geist
eines jeden Zeitalters kund gibt. Die eddischen Lieder werden 56
erhaben genannt und ihre dramatische, bei einzelnen Momenten
beharrende, den Zusammenhang nur in grossartigen Andeu-
tunoren bewahrende Darstellunsr der des Nibelunoreliedes ent-
gegengesetzt, wo wir einer ruhigen, gleichförmigen, an epischer
Breite und Ausführlichkeit Wohlgefallen tragenden Erzählung
begegnen. Dem Nibelungeliede an die Seite gestellt wird
Gudrun, ein, wie es scheint, bis jetzt ziemlich unbeachtet ge-
bliebenes Gedicht von seltener Trefi'lichkeit, das längst alle
Freunde der Poesie würde entzückt haben, wenn es in einer
anderen als der einheimischen Sprache gedichtet wäre. Der
Geist des jSibelungeliedes herrscht noch in Otnit, Wolfdieterich,
Rosengarten und- Alphart, ist aber schon einige Stufen herab-
gestiegen. In der Rabenschlacht und Eckenausfahrt ist die Dar-
stellung wortreich, hier und da kraftlos, doch eine Ader von
422 DIE DEUTSCHE HELDENSAGE VON WILHELM GRIMM.
edlerem Metall aus früherer Zeit läuft noch hindurch. In dem
• Liede von Siegfried ist jener alte Geist erstarrt, ohne lebendige
Bewegung, dem Erlöschen nah, endlich in der Bearbeitung
Caspars von der Röhn die Poesie völlig abgestorben. Das elfte
Kapitel behandelt einen schwierigen Gegenstand, die Erhaltung
und Portbildung des Epos durch die Sänger und durch die
Schrift. Der Verf. hat zusammengestellt, was er darüber auf-
finden konnte, ohne Zweifel werden sich in der Folge noch
weitere Aufklärungen ergeben. Hieran schliesst sich eine ge-
schichtliche Übersicht des Verhältnisses, in welchem das Epos
zu der jedesmaligen Bildung der Zeit stand. Es genoss frühe
und lange Zeit hindurch der höchsten Achtung, begann mit
dem Aufkommen der höfischen Dichter zu sinken und fiel zu-
letzt noch in die Hände der geistesarmen Meistersänger, In
57 dem dreizehnten Kapitel wird eine wichtige, bis dahin aufge--
schobene Untersuchung über das Wunderbare in dem Epos vor-
genommen. Das Übernatürliche scheint allerdings in früherer
Zeit mächtiger gewesen zu sein und sich allmählich zurückgezogen
zu haben , obgleich es nicht ganz entbehrt werden konnte und
sogar in einigen Stücken auf eine gröbere Weise wieder ein-
geführt wurde. Einige allgemeine Bemerkungen machen den
Schluss. Hier wird die Frage über den Ursprung der Sage
wieder aufgenommen. Die Entwickelung aus der Geschichte,
auf welche Beziehungen vorkommen, wird bestimmt geleugnet,
dagegen nicht in Abrede gestellt, dass wirkliche Ereignisse, in-
sofern sich in ihnen der Geist des Lebens oder, wem dies deut-
licher ist, das ideale Dasein kund gab, Anlässe der Dichtung
mögen gewesen sein. Nur an das, was wir historische That-
sachen nennen, kann dabei nicht gedacht werden. Ausser die-
sem geschichtlichen, gleichsam leiblichen Element wird aber
auch ein geistiges anerkannt. Das Epos hat den Glauben an
das Wunderbare, die bildlichen Ausdrücke für das Übersinnliche,
in sich aufgenommen. Beides einigt sich in dem Begriffe des
vollen Lebens, welches abzuspiegeln zu allen Zeiten und bei
allen Völkern der Beruf der Poesie war, welche eben deshalb
niemals ohne innere Bedeutung, einen geistigen Mittelpunkt be-
stehen konnte. Vorerst also nimmt der Verf. einen rein poe-
DE HILDEBRANDO CARMINIS FRAGMENTUM EDIDIT GU. GRIMM. 423
tischen Ursprung des Epos an und sieht keine Veranlassung, zu
glauben, dass es eine Umbildung der Göttersage sei. Eine merk-
würdige Stelle bei Ammian zeigt, dass bei den Galliern die poe-
tische Darstellung der Heldenzeit von der Betrachtung göttlicher
Dinge sehr bestimmt geschieden war. Ob es sich mit dem Epos
anderer Völker ebenso verhalte, möge von Unbefangenen mit aller
Freiheit der Meinung imtersucht w^erden.
Dass ein vollständiges Register angehängt ist, scheut sich
der Verf. selbst nicht zu loben. ^Y. g.
DE HILDEBRANDO ANTIQUISSIMl CARMINIS 465
TEUTONICI FRAGMENTUM
edidit Guilelmus Grimm. Sumtibus editoris. Göttingen MDCCCXXX.
Fünf Blätter in Fol.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bdl, 48. Stück, den 27. März 1830. S.4G5— 469.
Jjevor der Herausgeber von der Casseler Bibliothek Ab-
schied nahm, glaubte er eins ihrer Kleinode noch einmal auf
das Sorgfältigste untersuchen und, da es eiuigermassen in seinen
Kräften stand, für dessen Erhaltung sorgen zu müssen. Das
Bruchstück von Hildebrand ist der einzige Überrest epischer
Gedichte aus der Carolingischen Zeit und er ist nur in dieser
einzigen Handschrift vorhanden. Da die grösste Vorsicht nicht
jeden möglichen Zufall abwendet (im Jahre 1813 schlug eine
russische Granate in den Bibliothekssaal), so würde mit diesem
Codex eins der merkwürdigsten Denkmäler des einheimischen
Alterthums untergehen. Der Abdruck in der Ausgabe von 1812
(selbst wenn er nicht an drei Stellen berichtigt werden müsste)
reicht nicht aus , weil einige , und darunter wichtige Wörter 466
verblasst oder verwischt, mithin zweifelhaft sind und durch
den Druck unmöglich können dargestellt werden. Wer eine
kritische Ausgabe liefern will, muss nothwendig die Handschrift
selbst ansehen. Ausserdem aber hat die Diplomatik gerechte
Ansprüche auf ein Denkmal, das seines gleichen nicht findet
und schon eine Stelle in einem Lehrbuche dieser Wissenschaft
verdient, selbst wenn nur das Wichtigste sollte ausgehoben
424 DE HILDEBRANDO CARMINIS FRAGMENTUM EDIDIT GU. GRIMM.
werden. Das Facsimile, welches Eckhart in der Francia orientalis
von den 14 ersten Zeilen lieferte, scheint flüchtig und aus freier
Hand gemacht: nicht bloss hat die Schrift darin ihren eigen-
thümlichen Charakter verloren, und ist genau genommen kein
einziger Buchstabe richtig, sondern es finden sich auch in
diesem kleinen Stücke nicht weniger als fünf grobe Fehler.
Z, 5 steht rrtun für ritun, Z. 8 firet für fireo, Z. 10 chunine
für chunine, Z. 14 herttu für heittu, und oftar für ostar. Mit
Hilfe des trefflichen Pariser Pflanzenpapiers verfertigte der
Herausgeber eine Durchzeichnung des Ganzen, bei welcher er
sich keine Mühe verdriessen liess und von welcher er glaubt
ohne Anmassung behaupten zu dürfen, dass sie im Stande sei,
das Original völlig zu vertreten. Jede Zeile, jeder Buchstabe
hat seinen richtigen Platz, kein Strich fehlt, keine verwischte
oder abgesprungene Stelle ist ausgefüllt, und blasse und schwarze
Dinte unterscheiden sich wie im Original. In der Übertragung
der Zeichnung auf den Stein ist geschehen , was möglich war,
und schwerlich würde ein Kupferstich dieser so nahe gekommen
sein, der leichter auf den Abweg geräth, die Formen der Buch-
staben eleganter und dem Auge gefälliger zu machen. Der
467 Herausgeber empfiehlt hier das lithographische Institut des
Herrn Arnold in Cassel, welches eine für Arbeiten dieser Art
geschickte Hand besitzt. Um den Eindruck des Originals noch
vollkommener zu erreichen, wurde durch eine zweite sogenannte
Tonplatte die Farbe des alten, gebräunten Pergaments wieder
gegeben. Die Löcher darin sind durch Striche angedeutet und
können zu völliger Täuschung ausgeschnitten werden. Nur die
Ziffern sind zugesetzt.
Das Reagens ist an zwei Stellen angewendet worden: vor
den Zeilen 10 — 12 und am Ende bei der Glosse von Christus;
die letztere, schon früher richtig gelesen, ward nur deutlicher,
dort, wo sich eine schwache, kaum sichtbare Spur von Schrift
zeigte, traten ein Paar Buchstaben hervor, die man in dieser
Abbildung erblickt, die jedoch ohne Bedeutung zu sein scheinen.
Eine so genaue Betrachtung der alten Handschrift, wie sie
hier nöthig war, verdiente wohl, etwas bisher Übersehenes zu
finden. Die acht ersten Zeilen der zweiten Seite rühren von
DE HILDEBRANDO CARMINIS FRAGMENTÜM EDIDIT Gü. GRIMM. 425
einer anderen Hand. Diese zweite Hand ist weniger fest, die
Buchstaben sind ungleicher und krauser, und als eine Ver-
schiedenheit in der Gestalt derselben kann noch angemerkt
werden, dass der Kopf von g allzeit völlig geschlossen erscheint,
während der erste Schreiber daneben noch ein anderes g ge-
braucht, dessen Kopf unten nicht ganz zugezogen ist. Mit dem
Worte inwit Z. 32 hat dieser wieder die Feder genommen.
Ausser Zweifel gesetzt wird die Behauptung durch die Ver-
schiedenheit der Orthographie in jenen acht Zeilen, wovon die
Beweise in der Vorrede zusammengestellt sind.
Diese Entdeckung scheint vielleicht auf den ersten Anblick
ziemlich unwichtig, indessen ergeben sich daraus einige nicht 46*
gleichgültige Folgerungen. Erstlich wird es unwahrscheinlich,
dass das Lied aus einem Codex abgeschrieben sei: warum sonst
eine Veränderung in der Orthographie? Dies ist auch deshalb
nicht zu vermuthen, weil man sonst hätte voraussehen müssen,
dass der übrige Raum nicht genüge; ein grosser Theil des
Liedes scheint noch zurück, denn es fehlt die ganze Entwicke-
lung der Erzählung. Zweitens kann man sich nicht vorstellen,
dass der Schreiber aus eigener Erinnerung das Lied aufge-
schrieben habe, denn sollte er mitten in der Arbeit aufgestanden
sein und einem anderen einige Zeilen dictiert haben? Der Fall,
dass beide Schreiber das Lied auswendig gewusst und daher
der zweite, als der erste gestört worden, habe fortfahren können,
ist bloss möglich, aber schon an sich nicht sehr wahrscheinlich
und wird völlig abgewiesen durch die Übereinstimmung beider
in einer auffallenden Eigenthümlichkeit. Beide gebrauchen näm-
lich — braht und — brant in der Zusammensetzung der Eigen-
namen Hiltibrant und Hadubrant als völlig gleich. Darf man
nach den späteren Gedichten urtheilen, so verdient — brant den
Vorzug.
Auf eine und dieselbe Quelle werden wir also hingewiesen,
und die kann nicht leicht etwas Anderes als mündliche Über-
heferung gewesen sein. Das wird auch wohl durch eine
kritische Untersuchung bestätigt werden, welche die Eigen-
thümlichkeit solcher Auffassungen nachweist, ich meine eben
so wohl Lücken des Textes, als überflüssige Zusätze. Ob es
426 DER ARME HEINRICH ÜBERSETZT VON SIMROCK.
aber ein Sänger von Gewerbe war, der sein Lied vortrug, oder
nicht, wer wollte das entscheiden?
Es ist nur eine geringe Anzahl von Exemplaren abgezogen,
469 welche die Dieterich'sche Buchhandlung übernommen hat; nach
Verlauf eines Jahres wird der Stein abgeschlijöfen. w. Gr.
967 DER ARME HEINRICH, .
ein erzählendes Gedicht des Hai-tmann von Aue, metrisch übersetzt von Karl
Simrock. Nebst der Sage von 'Amieus und Amelius' und verwandten Ge-
dichten des Übersetzers. Berlin, in der Laue'schen Buchhandlung, 1830.
XXXII und HOS. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd II, 97. Stück, den 20. Juni 1831.
S. 967—968.
968 JjLartmanns Gedichte von dem armen Heinrich kann nicht
leicht ein anderes von gleichem Werthe aus der doch auch in
kleinen Erzählungen reichhaltigen Litteratur des Mittelalters an
die Seite gesetzt werden. Es schildert eine rührende Begeben-
heit aus dem häuslichen Leben, in welche das Wunderbare und
Unglaubliche auf eine überraschende Weise eintritt, und ist mit
einer Innigkeit und Wärme, zugleich mit einer leichten und
ungesuchten Anmuth erzählt, wie es in solcher Verbindung nur
einem Dichter von entschiedenem Talente möglich ist. Kein
Wunder also, dass hier der dritte Versuch gemacht wird, auch
diejenigen zum Genüsse einzuladen, denen das Original ver-
schlossen ist. Hr. Simrock versteht die alte Sprache, hat Sinn,
Geschmack und Takt, wie er das alles schon bei Übersetzung
des Nibelungeliedes bewiesen, und uns deucht, er habe auch
hier seine Sache so gut gemacht, als möglich ist, wenn man in
die heutige Sprache übersetzen, dabei die ursprüngliche Dar-
stellungsweise, die kurzen Reime, überhaupt das beibehalten will,
w:as den, der mit der Kunst jener Zeit unbekannt ist, zumeist
befremdet und geniert. Was der Verfasser sonst hinzugethan
hat: die Einleitung über die Verbreitung, das Alter und den
Gehalt der Sage, die eigenen poetischen Auffassungen derselben,
endlich die Abhandlung eines Freundes über Charakter und
QUELLEN D. SHAKESPEARE V. ECHTERMEYER, HENSCHEL, SIMROCK. 427
Bedeutung des Hartmann'schen Gedichtes, das ist alles ange-
messen, nicht oberflächlich, nicht abschreckend durch trockene
Gelehrsamkeit, kurz, es hält sich in einer gefälligen Mitte.
Wohlan, wir empfehlen das artige Büchlein; vielleicht findet es
bei dem mächtigen Herrn, den wir das grosse Publikum nennen,
eine gute Stunde, in welcher ihm 1522 Verse dieser Art ehr-
lich durchzulesen keine zu starke Anstrengung scheint.
[anonym.]
QUELLEN DES SHAKESPEARE 252
IN NOVELLEN, MÄRCHEN UND SAGE^\
Herausgegeben von Dr Theodor Echternieyer, Ludwig Henschel und Karl
Simrock. Berlin, in der Fincke'schen Buchhandlung, 1831. Erster Theil,
YIII und 266 S. Zweiter Theil, YI und 268 S. Dritter Theil, VEI und 288 S.
Göttingische gelehrte Anzeigen, Bd I, 26 Stück, den 16. Februar 1832.
S. 252—255.
-LJas Eigenthümliche dieses Buches besteht nicht darin,
dass die Quellen, Shakespeares, d. h. die Erzählungen und Sagen,
die ihn zu seinen dramatischen Dichtungen veranlassten, auf-
gesucht sind, denn das haben schon Engländer und Deutsche
von der Mistress Lennor und Eschenburg an bis auf Douce
und Dunlop gethan, obgleich auch hier Einiges nachzutragen
und zu berichtigen war und eine solche Zusammenstellung in
eleganten Übersetzungen, wie die hier gelieferten sind, fehlte.
Es besteht vielmehr darin, dass die tiefer liegende Quelle, näm-
lich die in jenen Erzählungen enthaltene allgemeine Volkssage,
zum Gegenstande der Untersuchung gemacht ist. Veranlassung
dazu fanden die Verfasser oder vielmehr Herr Simrock, der in
dieser Hinsicht die Arbeit allein übernommen, so wie er bei
den Übersetzungen das Meiste gethan, in den Fortschritten,
welche die Erklärung der Sagen und Mythen in Deutschland
gemacht hat; allerdings ist der Gesichtspunkt erweitert und die
Zusammenstellung des Ahnlichen und Verwandten etwas Besseres
geworden, als ein unfruchtbares Verzeichnis. Was Herr Simrock
in den Anmerkungen, welche die ganze Hälfte des dritten Theiles
428 QUELLEN D.SHAKESPEARE V. ECHTERMEYER, HENSCHEL, SIMROCK.
253 füllen, geleistet hat, ist in der That dankenswerth. Er hat
mit Sinn und Geist, mit sichtbarem Fleiss und Liebe zur Sache
Inhalt und Zusammenhang der alten Überlieferungen erörtert
und die ursprüngliche Idee darin aufgesucht. Das Interesse,
das dadurch erregt wird, gleicht dem, welches grammatischen
Untersuchungen eigen ist, die die Wurzel eines vielfach umge-
stalteten Wortes zu entdecken streben; denn die Sage ist wie
die Sprache etwas Lebendiges, das sich zwar die Willkür der
Menschen muss gefallen lassen, aber doch niemals ganz von ihr
unterjocht werden kann. Herr Simrock hat manches Neue,
einiges Überraschende und Glückliche vorgebracht, und zwar
in einer belebten und anziehenden Darstellungsweise. Wir
können in das Einzelne nicht eingehen; als das Vorzüglichste
nennen wir die Anmerkungen zu Julie und Romeo, Hamlet und
dem Kaufmanne von Venedig; bei dem Letzteren ist die Ansicht
ausgeführt, dass durch die Sage von dem Ausschneiden des
verpfändeten Fleisches, der Gegensatz zwischen dem alten, strik-
ten und dem mildernden prätorischen Rechte ursprünglich sei
dargelegt worden. Diese Idee ist mit Scharfsinn und Gewandt-
heit entwickelt, wir haben nur dabei zu bemerken, dass, da die
gelehrte Kenntnis der römischen Rechtsgeschichte und jenes
Unterschieds, der allerdings den Hauptinhalt derselben ausmacht,
schwerlich eine wahre Volkssage (und eine solche haben wir
gewiss vor uns) veranlasst hat, der Ursprung derselben in eine
Zeit fallen müsste, wo jener Unterschied lebendig gefühlt wurde,
ihr also ein ausserordentliches Alter zukäme, wofür einige ältere
Zeugnisse noth wendig sind, wenn die Hypothese nicht allzu
254 gewagt sein soll. Rec. ist also geneigt, vorerst noch für das
Wahrscheinlichste zu halten, dass bei der Entstehung dieser
Sage der jüdische Glaube an die reinigende Kraft des Christen-
blutes, der jüdische Christenhass , endlich auch das Bestreben,
die jüdische List und Verschlagenheit als eine niedrige darzu-
. stellen, die vor der höheren Klugheit der Christen zu Schanden
werde, gewirkt habe.
Noch eine Bemerkung über das ganze Buch. Man liest
in Beziehung auf Shakespeare diese Sammlung mit einem eigenen
Gefühle von Bewunderung und Erstaunen. Das Verschieden-
QUELLEN D. SHAKESPEARE V. ECHTERMEYER, HENSCHEL, SIMROCK. 429
artigste hat ihm Stoff dargeboten, und nur ein Geist von solcher
dichterischer Kraft und solchem Umfange war fähig, auf einem
scheinbar oft flachen und unfruchtbaren Boden Wurzel zu
schlaffen und zu solcher Herrlichkeit sich zu entfalten. Er hat
den Samen manchmal zwischen Steine geworfen, und ein mächti-
ger Baum ist aufgewachsen. Wie hat er z. B. die Geschichte
von Julie und Romeo, die hier ziemlich unbedeutend erscheint,
mit dem höchsten Leben zu durchdringen gewusst. Der Sage
von Amleth, die Saxo nicht ohne Kunst erzählt, die aber doch
etwas Steinernes oder Metallenes an sich trägt, hat er gleichsam
die Fesseln gesprengt, freie, reiche und edle Bewegung gegeben.
Immer hat er das Überlieferte für seinen Zweck mit sicherem
Takt gefasst, abgeändert oder fortgebildet; er ist ihm manchmal
mit Treue bis in das Einzelne gefolgt, ein ander Mal hat er es
ganz aufgegeben und ist seinen eigenen Weg gegangen. Aber
jeder bedeutende Mensch, sagt Goethe, muss auch gesetzgeberisch
verfahren, und wir sind verbunden, den Dichter anzuerkennen,
wenn wir auch sein Eingreifen nicht überall billigen. Kein 255
Zweifel also, dass alle, welche in diesem Sinne die vorliegende,
wohlausgestattete Sammlung benutzen, dankbar sie aufnehmen
werden; dagegen als ein blosses Unterhaltungsbuch (und deren
gibt es ohnehin genug) wissen wir es nicht zu empfehlen. Die
meisten dieser Novellen gehen kaum über das Mittelmässige
hinaus, einige verletzen den Anstand nach den Sitten unserer
Zeit, welchen wir Achtung schuldig sind, und die Erzählung
Bandellos von den Zwillingsgeschwistern gefällt sich in scham-
loser Lüsternheit, die durch die Bemerkung nicht getilgt wird,
dass man über die Freiheit italienischer Sitte, die dem Verfasser
(der noch obendrein Bischof war) solche Schilderung erlaubte,
erschrecken werde. In der Vorrede zu dem ersten Theile steht,
dass dieses Werk, bloss für die Unterhaltung und das Vergnügen
der Leser bestimmt, ihre Belehrung niemals zum Zweck, wenn
auch mittelbar zur Folge habe. Vielleicht ist gerade das Gegen-
theil wahr, und die wissenschaftliche Zugabe, die als Neben-
sache gelten soll, dem Verfasser der Hauptzweck gewesen.
Wir loben das so sehr, dass wir ihm rathen, bei der Fortsetzung,
welche die Vorrede und der zweite Titel des Buchs: Bibliothek
430 SAMMLUNG HISTORISCHER VOLKSLIEDER VON WOLFF,
der Novellen, Märchen und Sagen verheisst, entschieden auf
diese Seite überzugehen. [anonym.]
301 SAMMLUNG HISTORISCHER VOLKSLIEDER UND
GEDICHTE DER DEUTSCHEN.
Aus Chroniken, fliegenden Blättern und Handschriften zusammengetragen von
Dr 0. L. B. Wolff. Stuttgart und Tübingen, bei J. G. Cotta, 1830,
769 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 30. 31. Stück, den 23. Februar 1832.
S. 301—304.
JCiine Sammlung, wie der Titel des vorliegenden Buches
sie ankündigt, wird weder der Geschichtsforscher noch der
Geschichtschreiber von sich weisen. Diesem gewährt sie hier
und da einen lebendigen Blick, wo es die gewöhnlichen Quellen
nicht vermögen, jenem manche sonsther nicht bekannte Einzeln-
heiten, genauere Angaben, Berichtigungen. Mit Vorsicht und
Geschick wollen freilich solche Lieder immer benutzt sein, und
302 kommt es auf die darin herrschende Gesinnung an, so wird
man bedenken müssen, dass es fast immer eine Partei ist, welche
spricht und in der poetischen Form keinen Anlass zur Mässi-
gung findet. Einen epischen Charakter trägt nicht leicht eins,
das ein wirklich historisches Factum erzählt; auch den poeti-
schen Werth darf man in der Regel nicht hoch anschlagen,
wiewohl man nicht selten einem frischen, kräftigen Ausdrucke
begegnet und gleich in dieser Sammlung Mehreres der Art
vorkommt, so ist z. B. S. 102 die Ermahnung an kaiserliche
Majestät des Evangelium halben in seinen Erblanden mit wohl-
meinendem Sinne lebendig ausgesprochen, wie überhaupt die
aus dem Religionskriege stammenden Lieder in dieser Hinsicht
den Vorzug verdienen. Aufzusuchen waren sie in allgemeinen
Sammlungen, in Chroniken, die man nicht überall findet, end-
lich in den sehr seltenen, in alten Bibliotheken meist versteck-
ten fliegenden Blättern. Wäre dem Recensenten die Aufgabe
gestellt, ein Buch dieser Art zu verfertigen, so würde er vorerst
sich ein Verzeichnis alles bisher schon Bekannten und in neuerer
SAMMLUNG HISTORISCHER VOLKSLIEDER VON WOLFF. 431
Zeit Gedruckten mit aller Genauigkeit, welche Arbeiten dieser
Art erfordern , gemacht und dann aus den seltenen und selten-
sten Quellen das Unbekannte aufgesucht und gesammelt haben.
Ohne Benutzung grosser Bibliotheken, nicht bloss einer oder
zweier, würde das Resultat nicht bedeutend ausfallen, denn
solche Kleinigkeiten verstecken sich und wollen aufgesucht sein;
allein wo sich handschriftliche Chroniken oder Sammlungen der
im 17. Jahrhunderte, namentlich zur Zeit des dreissigjährigen
Krieges häufigen fliegenden Blätter und kurzer Berichte, wie
z. B. in Dresden und Cassel vorfinden, da dürfte man auf eine 30S
gute Ernte und auch wohl auf manche überraschende Ent-
deckung hoffen. Ein solches Unternehmen erfordert Zeit und
ein behagliches Fortführen, und da nicht leicht ein Zweiter so-
bald wieder daran geht, so hat der, welcher sich ihm unterzieht,
die Pflicht, ohne einen gewissen Grad von Vollständigkeit nicht
hervorzutreten, sehr accurat bei der Ausarbeitung zu sein und
das Werk dem Gebrauche so bequem als möglich zu überliefen.
Litterarische Nachweisungen, historische Erörterungen, sorgfaltige
Resrister sind hier mehr als irfjendwo an ihrem Platze. Freilich
eine mühsame Arbeit wird es sein, aber die Lust zur Sache
muss dabei helfen, ohne welche sie niemand anfangen sollte.
Was die äussere Anordnung betrifft, so räth Rec. zu der chrono-
logischen, die freilich nicht so streng und pedantisch zu sein
braucht, dass nicht das Zusammengehörige neben einander
dürfte aufgestellt werden. Sodann hätte das Verzeichnis des
bereits in leicht zugänglichen Sammlungen oder Büchern Vor-
handenen vorangeschickt, in das Werk selbst aber nur das
Seltene oder völlig Unbekannte aufgenommen werden müssen,
also nur was aus Handschriften, alten Chroniken, fliegenden
Blättern usw. geholt war.
Herr Wolff" zeigt Eifer und Liebe für seine Arbeit, was
wir gerne und rühmend anerkennen wollen; hätte er seine
Sache nur etwas besser gemacht! Von allem, was Rec. filr
ine solche Sammlung empfehlen zu müssen glaubte, hat er
ao viel als nichts gethan. Sein Verdienst beschränkt sich darauf,
zum Abdrucke gegeben zu haben, was er in einer gewissen
Zeit zusammengebracht hatte; darunter befindet sich einiges
432 AF SAXOS HISTORIES SYV SIDSTE BÖGER VED MÜLLER.
30i Schätzbare, aber viel mehr noch, was in allbekannten Büchern
steht. Wie wenig er sich um litterarische Untersuchungen
und bessere Einsicht bemüht hat, beweist gleich der Eingang,
wo sechs Seiten mit einer schlechten, irgendwoher erborgten
Übersetzung einiger historischen Lieder Walthers von der
Vogelweide angefüllt sind, deren Verfasser Herr Wolff nicht
kannte und die er vornen in dem Inhaltsverzeichnisse frisch
weg um hundert Jahre wenigstens jünger macht, als sie wirk-
lich sind. Andere Lieder Walthers in ähnlicher kläglicher
Bearbeitung stehen unter S. 596 — 599. In ihrer Nähe findet
man auch das Ludwigslied aus dem 9. Jahrhundert, man kann
sich denken, in welchem erbaulichen Texte; da kommt thananaa
vor und fanonuf zusammengedruckt; er scheint neuere Bemü-
hungen um diesen Text nicht gekannt zu haben. Wer soll das
nun gebrauchen? Das Hildebrandslied ist S. 688 — 693 als ein
historisches, Gott weiss warum, aufgeführt, versteht sich aus
dem entstellten Texte des Wunderhorns (das zeigt das unerhörte
schriemenschlag) ; von dem alten Bruchstück mag der Verfasser
nichts wissen. Eine weitere Kritik wäre überflüssig. Werth
verleiht dem Buche der Abdruck fliegender Blätter aus der
Grossherzoglichen Bibliothek zu Weimar, nur leider ist der
Text nicht bloss in der Quelle selbst sehr verderbt, es kommen
auch noch Druckfehler in solchem Überflüsse hinzu, dass man
oft keine sechs Zeilen lesen kann, ohne auf ganz unverständ-
liche Worte zu stossen.
[anonym.]
724 CRITISK UNDERSÖGELSE
AF SAXOS HISTORIES SYV SIDSTE BÖGER.
Ved D. Peter Erasmus Müller, Biskop i Siälland. Saerskilt aftrykt af det
kongelige danske Videnskabernes Selskabs Skrifter. Copenhagen. 1830.
260 S. in 4.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd II, 73. Stück, den 7. Mai 1832. S. 724—728.
JL/en ersten Theil dieses Werkes, welcher die neun ersten
Bücher Saxos untersucht, hat Rec. im Jahre 1824 St. 41. 42
AF SAXOS HISTORIES SYV SIDSTE BÖGER VED MÜLLER. 433
[oben S. 294 — 302] und zwar mit gebührendem Lobe angezeigt,
der georeuwärtiffe zweite befasst nun die sieben letzten Bücher
dieses vielbesprochenen Geschichtscbreibers. Dort war die Sagen-
zeit mit dem ersten dämmernden Lichte der historischen Wahr-
heit der Gegenstand der Abhandlung , hier bricht dieses Licht 720
immer heller ein, so dass die letzten Bücher als eine unbe-
zweifelt echte und wichtige Quelle der Geschichte zu betrachten
sind. Die Kritik also, die es dort nur mit der Echtheit der
Sage zu thun hatte, ist hier auf die Wahrheit der erzählten
Begebenheiten selbst gerichtet und geht festen Schrittes, da sie
gleichzeitige Zeugen, wie Adam von Bremen, Helmold und nicht
viel spätere, wie Snorre Sturleson, die Knytlingasaga und
andere anhören kann. Unser Verfasser, der, wie sich von selbst
versteht, seine Arbeit mit gleicher Unbefangenheit, Wahrheits-
liebe und feinem Takte, der sich nicht erlernen lässt, fortge-
führt, hat doch mitunter Gelegenheit gehabt, Saxos Genauigkeit
und Unparteilichkeit in der Darstellung der Begebenheiten zu
bemerken. Kec. begnügt sich anzuzeigen, dass in dieser zweiten
Abtheilung die dänische Geschichte von Harald Gormsen bis
auf Waldemar I, also bis auf Saxos Lebenszeit abgehandelt
wird und Aufklärungen gewonnen sind, welche auch der deut-
schen Geschichte in den merkwürdigen Verhältnissen Waide-
mars zu Friedrich I und Heinrich dem Löwen zu gut kommen.
Rec. meint, dass wir uns jetzt auf dem Standpunkte befinden,
wo ein schliessliches Urtheil über Saxo möglich ist. Dahlmann,
der in seiner Kritik der altdänischen Geschichte trefflich auf-
geräumt hat, thut unserem Saxo, obgleich er ihn ironisch genug
behandelt, von seinem Standpunkte aus kein Unrecht an, am
wenigsten denkt er daran, das lebensvolle und geistreiche Werk
in seinem natürlichen Werthe zu kränken. Denn Rec. gesteht,
dass er diejenigen, welche, Bedeutung und Gehalt der Sage
leugnend, nur einen abgeschmackten Tand darin erblicken und 726
die Ratten, welche die schon gedruckte Knytlingasaga gleich-
sam ibit kritischem Instinkte völlig auffrassen, als die ver-
nünftigsten Beurtheiler geltend machen möchten, dass er diese
für nicht besser hält, sondern für schlechter, als die anderen,
welche ohne Kritik sich dem Glauben an eine unverwüstliche
W. GRl.MM. KL. SCHRIFTEN. II. 28
434 AF SAXOS HISTORIES SYV SIDSTE BÖGER VED MÜLLER.
historische Wahrheit darin überlassen; denn diesen kann doch
Gemüth, Sinn und Gefühl für die nach freien Gesetzen wirkende
poetische Kraft des menschlichen Geistes eigen sein. Dass der,
welcher nach den Forderungen unserer Zeit Geschichte schreibt,
von der Sage, da wo keine Vergleichung mit historischen
Denkmälern möglich ist, wenig Gebrauch machen könne, darf
man zugeben, ohne dass man damit behauptet, es sei ganz und
gar nichts Geschichtliches darin enthalten. Mag auch das
historische Element, das, wie man doch wohl annehmen muss,
bei ihrer Entstehung mitwirkte, sich sehr bald verflüchtigt
haben und völlig unkenntlich geworden sein, so ist doch nicht
einzusehen, warum sie bei ihrer Fortdauer und weiteren Ent-
faltung, eben weil sie allem, was das menschliche Leben be-
rührte, offen stand, nicht auch geschichtliche Ereignisse wie-
derum habe aufnehmen können. Ein Beispiel gewährt unsere
Nibelungensage. Sie kennt den Hunnenkönig Attila als einen
mächtigen, aber halbbarbarischen Herrscher, wie ihn sein Zeit-
genosse Priscus beschreibt, und erzählt den Untergang des bur-
gundischen Königs Gundichari und seines ganzen Geschlechts
durch die Hunnen, was als historisches Factum hinlänglich ver-
bürgt ist; von allem dem aber weiss die ältere Sage in den
727 eddischen Liedern noch nichts, und dass es nicht auf gelehrtem
Wege in das deutsche Gedicht gekommen sei, glaubt Rec. aus
mehr als einem Grunde. Auf diese Weise mögen in Saxos [Werke],
wie in den altnordischen Sagen, selbst in den verachteten Stamm-
tafeln des Langfedgatal , wirkliche Helden und ihre Thaten so
gut wie mythische einen Platz gefunden haben, und es ist ein
Irrthum, wenn man glaubt, eine erweislich spätere Einmischung
habe eine gleichmässige Umwandlung des Ganzen zur Folge
gehabt. Und dass sie in diesem Zustande, in welchem Altes
und Neues noch neben einander stehen können, dennoch über
andere Dinge, die keine Geschichte sind, z. B. Privatleben,
innere Verhältnisse, Rechtszustand überraschende Aufschlüsse
geben können, wenn man sich von Ungläubigkeit ebenso wie
von einer schwächlichen Gläubigkeit frei hält, davon ist Rec.
überzeugt.
Die Vorrede enthält die erfreuliche Nachricht, dass der
LE PANTCHA-TANTRA PAR J. A. DüBOIS. 435
Verf. ernstlich daran denkt, eine neue Ausgabe des Saxo zu
besorgen, wozu er gegenwärtiges Werk als eine Vorarbeit be-
trachtet. Der Commentar, der sie begleiten wird, soll für unsere
Zeit das sein, was Stephanius der seinigen gewährte. Schon
Dahlmann hatte das Bedürfnis einer solchen Ausgabe auseinander-
gesetzt; da keine Handschrift mehr existirt, so muss die princeps
Ascensiana zu Grund gelegt werden; Klotz hatte sogar die
Druckfehler aus Stephanius beibehalten. Möge es dem Verf.,
dem nach Münters Tode der Bischofstuhl von Seeland zu Theil
geworden ist, nicht an der Müsse fehlen, die nöthig ist, ein
solches Unternehmen zu Ende zu führen. Zu den grossen Ver-
diensten, die sich Herr P. E. Müller um die nordische Vorzeit 728
bereits erworben hat, wird sich ein neues gesellen, das die
deutschen Alterthumsforscher ebenso bereitwillig und dankbar
anerkennen werden. [anonym.]
LE PANTCHA-TANTRA, 755
ou les cinq ruses, fables du Brahme Vichnou-Sarma: aventures de Paramarta
et autres contes, 'le tout traduit pour la prämiere fois sur les originaux Indiens;
par M. l'abbe J. A. Dubois. Paris, bei J. S. Merlin, 1826. 415 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd II, 76. Stück, den 12. Mai 1832.
S. 756—760.
n
'er durch sein Werk über die Sitten und Gebräuche
der Indier bekannte Verfasser erfüllt ein dort gegebenes Ver-
sprechen, indem er eine Sammlung von Fabeln und Erzählungen,
wie sie noch heutzutage unter den Indiern umgehen, und die
er aus drei in verschiedenen Mundarten abgefassten Originalen
übersetzt hat, mittheilt. Die erste Abtheilung, le Pantcha-Tantra,
d. h. die fünf Listen, nimmt den grössten Raum ein und ent-
hält nichts Anderes, als eine Übertragung oder vielmehr er-
weiternde Überarbeitung der alten und berühmten, unter dem
Namen Hitopadesa bekannten Fabelsammlung in Sanskrit, die
nach der Meinung des Verfassers in der Absicht unternommen
worden ist, um dem Volke, welches kein Sanskrit versteht, das
Buch zugänglich zu machen; denn diese Fabeln gehören zu
28*
436 LE PANTCHA-TANTRA PAR J. A. DUBOIS.
den wenigen Werken, deren Leetüre von den Brahminen all-
gemein erlaubt wird. Von den fünf Abschnitten, in welche das
757 Ganze abgetheilt ist, findet sich der fünfte nicht in Hitopadesa
und gibt sich auch durch den verschiedenen Stil als Zusatz zu
erkennen. Die dritte Abtheilung liefert sechs Erzählungen, die,
wie der Übersetzer sagt, durch ganz Indien bekannt sind und
in welchen man nur eine Einkleidung wirklicher Begebenheiten
erblickt. Darin irrt man wohl, aber die Erz'ählungen sind sehr
artig, und gleich die erste, wo vier Taube in die schönste Ver-
wirrung gerathen, hat wahrhaft komische Kraft; alle werden
ohne Zweifel auf mannigfache Weise in Europa wuchern. Es
fällt auf, dass die meisten dazu dienen, die Brahminen zu ver-
spotten, und in einer, gerade nicht der schlechtesten, wird die
Verehrung der büssenden Heiligen als eine lächerliche Täu-
schung dargestellt. Von der mittelsten Abtheilung redet Rec.
zuletzt, weil sie ihm gerade die wichtigste ist. Sie führt den
Titel: aventures de gourou Paramarta und ist in acht Aben-
teuer eingetheilt. Ein Missionär, P. Beschie, hatte sie in tamu-
lischer Sprache geschrieben und, wie einige vermutheten, bloss
in der Absicht, die Brahminen und ihre Gebräuche lächer-
lich zu machen, selbst erfunden. Allein diese Voraussetzung
ist falsch, Abbe Dubois hat selbst Gelegenheit gehabt, sich zu
überzeugen, dass in Gegenden Indiens, wohin der Name und
die Schriften des P. Be[s]chie niemals gedrungen waren, der
Grund dieser Erzählungen verbreitet war. Wir haben also eine
allgemeine indische Volkssage vor uns, und als solche erweist
sie sich auch so sehr, dass, wer mit der Natur solcher Über-
lieferungen bekannt ist, keinen Augenblick an ihrer Echtheit
zweifelt. Es tritt darin ein Meister oder Priester Paramarta,
758 d. h. Einfaltspinsel auf, von fünf Schülern umgeben, deren alle-
gorische Namen (Stupide, Idiot, Hebete, Badaud, Lourdaud)
schon hinlänglich ihre Natur andeuten. Sie erzeigen ihm eine
ungemessene Verehrung und folgen seinen Lehren mit einem
blinden Gehorsam; die Abenteuer, die sie gemeinschaftlich be-
stehen und die mit seinem tragikomischen Tode endigen, machen
den Gegenstand des kleinen, wohlgeordneten Epos aus. Das
Charakteristische besteht darin, dass unter dem Scheine der
LE PANTCHA-TANTRA PAR J. A. DUBOIS. 437
höchsten Weisheit, die mit besonnenem Ernste und mit reicher
Erfahrung den Weltereignissen begegnet, die unbeschreiblichsten
Albernheiten ausgeführt werden. Betrachtet man es als eine
humoristische Liebhaberei an der Dummheit, so wird man das
Ganze höchst ergötzlich, die Ausführung trefflich finden ; um die-
ses Urtheil zu rechtfertigen und einen deutlichen Begriff von dem
Wesen dieser Poesie zu geben, müssen wir eine kleine Probe
ausheben. Meister Paramarta befindet sich mit seinen Schülern
auf einer Reise und gelangt zur Mittagszeit zu einem kleinen
Flusse, wo sie eine seichte Stelle aufsuchen. Als sie glücklich
gefunden ist und die ganze Gesellschaft eben im Begriffe steht
durchzuwaten, wird der Meister bedenklich, und indem er sich
der Tücken erinnert, die das Wasser schon oft ausgeübt, er-
theilt er den weisen Rath, nur dann erst in den Fluss zu treten,
wenn er sich in dem Zustande des Schlafes befinde. Dumm-
kopf wird ausgeschickt, darüber Nachforschungen anzustellen,
ihm aber dabei die grösste Vorsicht empfohlen. Er nähert sich
also sachte und berührt endlich mit einem Stückchen brennen-
den Holz die Oberfläche des Wassers. Da das Feuer sogleich
mit Zischen verlischt und der Rauch ihm ins Gesicht steigt, so 759
läuft er erschreckt zurück und meldet dem Meister, das Wasser
sei in heftigen Zorn gerathen: als er es nur leise berührt, habe
es um sich gesprüht und gleich einer Schlange gezischt, ihn
selbst habe es durch einen gewaltigen Rauch ersticken wollen,
und nur durch ein Wunder sei er entronnen. Ohne Lebens-
gefahr könnten sie in diesem Augenblicke den Fluss nicht pas-
sieren. Paramarta ergibt sich in die Fügung des Schicksals,
iässt sich mit seinem Gefolge an dem Ufer nieder, um geduldig
den Zeitpunkt zu erwarten, wo der Fluss in Schlaf fallen werde.
Erst als sie sehen, dass ein anderer Reisender mit seinem Pferde
ruhig durchreitet, fassen sie neuen Muth, und nach abermaligen .
weisen Reden und Berathungen wird Dummkopf zum zweiten
Male abgesendet, den Zustand des Flusses zu erforschen. Mit
zitternder Hand hält er das ausgelöschte Holz an den Spiegel
des Wassers, der sich jetzt nicht regt. Er wiederholt die Probe
noch einige Mal und läuft dann voll Freude zu seinem Meister,
um ihm anzukündigen, dass das Wasser in tiefem Schlafe liege.
438 LE PANTCHA-TANTRA PAR J. A. DUßOIS.
Auf diese günstige Nachricht wagen sie endlich, jedoch nur,
wie der Meister vorsichtig empfiehlt, unter tiefem Schweigen,
um den Schlaf nicht zu stören, hindurchzugehen. An die
Abderiten denkt hier jeder, aber wem die deutsche Sage nicht
fremd ist, der wird sich an die Bürger von Schiida und, wer
die Litteratur des sechzehnten Jahrhunderts kennt, an das Laien-
buch und seine meisterhafte Darstellung einer solchen selbst-
zufriedenen, glückseligen Albernheit erinnern. Es ist in der
760 That unserem indischen Gedicht nicht bloss verwandt, sondern
es beruht völlig auf derselben Grundlage, und so verschieden
die Ausführung der Idee hier ist, so kommen doch auch mehr
oder minder übereinstimmende Züge vor, z. B. der eine Schüler
Paramartas setzt sich auf den Ast, den er abhauen will, und
wundert sich, als er mit herabfällt. Auch die wohlgefällige
Breite der Darstellung ist dieselbe. Allein Rec. ist im Stande,
ein noch viel höher hinaufgehendes Alter der deutschen Sage
nachzuweisen. Freidank, der im Jahr 1229 sein gnomologisches
Werk beendigte, spielt ohne Zweifel darauf an, wenn er sagt:
wisiu wort unt tumbiu werc, diu habent die von Gouchesberc,
womit der Inhalt der Sage vollkommen bezeichnet wird. Also
ein abermaliges Beispiel von dem Alter und der Gemeinschaft
der Sage bei den verschiedensten Völkern; es versteht sich da-
bei von selbst, dass sie zu Freidanks Zeit nicht erst erfunden
wurde. Nirgends aber ist sie auf persönliche Satyre angelegt,
sondern verdankt der freien poetischen Lust ihr Dasein.
Die Angabe des Titels, dass die Abenteuer Paramartas hier
zum ersten Mal übersetzt seien, ist unrichtig. Schon im Jahre
1822 war in London erschienen: the adventures of the Gooroo
Paromarton, a tale in the tamul language by B. Babington,
wovon der französische Übersetzer billigerweise hätte Kenntnis
haben sollen.
[anonym.]
RÜN-LÄRA AF JOH. G. LILJEGREN. 439
RüN-LÄRA AF JOH. G. LILJEGREN. ns
Stockholm. Trjkt hos P. A. Xorstedt et Söner. 1832. 220 S. in Octav,
mit 12 Steindrücken.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 18. Stück, den 31. Januar 1833.
S. 175—176.
-l-is ist lobenswerth, dass von Zeit zu Zeit Bücher er-
scheinen, welche die in einem bestimmten Gebiete der Wissen-
schaft bis dahin gewonnenen Resultate verständig und fleissig
zusammenstellen. Bei einer leichten Übersicht des Ganzen
schreitet man mit mehr Sicherheit und Bequemlichkeit weiter,
bis wieder ein Ruhepunkt kommt, wo jene Arbeit aufs Neue
muss vorgenommen werden. Ein solches Buch ist das vor-
liegende, welches von der Königl. Akademie der Wissenschaften
zu Stockholm im Jahre 1821 den Preis erhielt, jedoch, seines 17G
Umfangs wegen und weil es durch spätere Zusätze und Um-
arbeitungen Veränderungen erlitten hatte, nicht in die Schriften
der Akademie konnte aufgenommen werden. Jetzt erscheint es
auf Veranlassung und mit Unterstützung der Akademie beson-
ders gedruckt. Die Einleitung erörtert den Begriff der Runen;
der erste von den beiden Hauptabschnitten stellt das runische
Alphabet dar, der zweite zählt die Runendenkmäler auf und
erklärt sie. Hr. Liljegren, dessen Thätigkeit für das nordische
Alterthum wir schon früher in diesen Blättern (1826. St. 37
[oben S. 376 — 379]) rühmend anerkannt, hat mit Fleiss und
Sorgfalt seine Aufgabe gelöst, auch nicht versäumt, die zum
Verständnis nöthigen Denkmäler auf den hinzugegebenen Tafeln
abbilden zu lassen. Neue Forschungen und Entdeckungen darf
man hier nicht suchen, eine belebtere Darstellung, freiere Auf-
fassung und etwas mehr Kritik hätten wir gewünscht, indessen
wird jeder, der sich mit diesem Gegenstande beschäftigt, dieses
neue Hilfsmittel dankbar zur Hand nehmen, welches schon
seines praktischen Nutzens wegen keiner besonderen Empfehlung
bedarf. Wahrscheinlich ist das vorliegende Exemplar das ein-
zige, welches bis jetzt aus Schweden herübergekommen ist;
440 BÄUMLEIN, DAS GRIECHISCHE UND DAS GOTHISCHE ALPHABET.
wir verdanken die Mittheilung desselben Hrn. E. F. Mooyer in
Minden, der selbst nordische Alterthümer eifrig sammelt und
den antiquarischen Nachlass des bekannten Arendt an sich ge-
kauft hat. Wir haben einen Theil seiner Papiere durchgesehen,
sie enthalten meist die Originalzeichnungen von den in ver-
schiedenen älteren Werken abgebildeten Runensteinen, sind
mithin von Werth; wie gross dieser sei, wird sich freilich erst
bei einer Beschäftigung mit dem Einzelnen ergeben.
[anonym.]
569 UNTERSUCHUNGEN
über die ursprüngliche Beschaffenheit und weiteren Entwickelungen des grie-
chischen und über die Entstehung des gothischen Alphabets. Von W. Bäum-
lein, Prof., Lehrer an der lat. Schule zu Biberach. Mit zwei vergleichenden
Schrifttafeln. Tübingen. Bey H. Laupp. 1833. IIG S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 58. 59. Stück, den 10. April 1834.
S. 569—578.
-L/as Resultat der ersten Abhandlung gibt der Verf. selbst
am Schlüsse derselben folgendergestalt an (S. 54. 55):
„Durch eine phönizische, wahrscheinlich unter ägyptischem
Einfluss gestandene Kolonie wurde das semitische Alphabet in
das (nachherige) Böotien gebracht. Nachdem es bereits einige
Änderungen erfahren hatte, nahmen die benachbarten Pelasger,
lonier (d. h. Attiker) wahrscheinlich geraume Zeit nach der
Verdrängung der ägialischen Pelasger (lonier) aus dem Pelo-
ponnes dieses semitische Alphabet im Ganzen vollständig, mit
570 denselben Namen und in derselben Folge der Buchstaben, von
den Phöniziern an. Einige Zeichen giengen den Griechen ent-
weder gleich anfangs, wie etwa das T, oder allmählich, wie aav,
ßau, xoTTTra für den Schriftgebrauch verloren, andere änderten
ihre Bedeutung und mit dieser ihre Namen gleich anfangs, wie
n und Vi welche von den Griechen bei Annahme des phö-
nizischen Alphabets in die Vocale E und O mit den Namen sT
und ou verwandelt wurden, oder allmählich durch die Fortbildung
und Erweichung der griechischen Sprache, wie 1, % n, D und
BÄÜMLEIN, DAS GRIECHISCHE UND DAS GOTHISCHE ALPHABET. 441
wohl auch die Zischlaute. Die mit den letzten vorgegangenen
Veränderungen zogen auch eine Veränderung in ihrer Stellung
nach sich.
Zu dem ursprünglichen Alphabet kam sehr frühe das aus
dem ßaij hervorgegangene 1* oder V, darauf q,i in der Figur
eines Kreuzes im italischen Griechenland, yX in der Figur eines
'l) im äolisch-dorischen Dialekte, yl in gewöhnlicher Gestalt bei
den übrigen Griechen und o im eigentlichen Hellas. Zuletzt
fügte dem griechischen Alphabete Simonides aus Keos um das
Jahr 500 noch Z (mit dem mitten herabgezogenen Verticalstrich),
^V (für ^i) und ß bei und gab dem H die Bedeutung eines e.
Dieses von Simonides erweiterte und veränderte Alphabet brachte
zur Zeit des peloponnesischen Krieges unter dem Archonten
Euklides im 2. Jahre der 94. Olympiade (= 403 vor Chr.) der
Samier Kallistratos nach Athen, worauf dann das alte, ein-
heimische Alphabet, dp/aia, TrotXaia, s-iy^tupiot, nach seinem ersten
Ursprünge OoivixT^iot, KotStxr/ia, nach den griechischen Stämmen,
die es zuerst annahmen, Attixa, Iwvix«, UsXaa'^v/.a -ypajxfAa-a ge-
nannt, gegen das bequemere neuere ( Icuvtxä -(pd^iiioL-a, weil diese 571
Stammesbenennung nur dem nach Asien ausgewanderten Theile
geblieben war) vertauscht ward."
Nachdem wir noch angemerkt haben, dass Hr. Prof. Bäumlein
einer der geschichtlichen Betrachtung sich empfehlenden, neuer-
dings von Bopp (vergleichende Grammatik S. 3) angenommenen
Behauptung Jac. Grimms, die Vocale E und O seien späteren
Ursprungs, entschieden und mit der Äusserung entgegentritt
(S. 43. 44): „diese Annahme sei von dem Standpunkte der
reinen Sprachlehre" (das heisst doch wohl der philosophischen?)
„betrachtet so sonderbar und setze eine so wunderliche Vor-
stellung von dem Leben der Sprachen voraus, dass er nicht
umhin könne, sich zu verwundern, wie denkende, mit dem or-
ganischen Leben der Sprache vertraute Forscher sie aufstellen
oder annehmen möchten" : so überlassen wir die Beurtheilung
dieses Abschnittes anderen und wenden uns zu dem zweiten,
der den Rec. näher angeht, über die Entstehung der gothischen
Schrift (S. 56—116).
Hr. Prof. Bäumlein stimmt mit dem Rec, der in seinem
442 BÄÜMLEIN, DAS GRIECHISCHE UND DAS GOTHISCHE ALPHABET.
Buche über deutsche Runen diesen Gegenstand behandelt hatte,
darin überein, dass er das gothische Alphabet nicht als eine
Erfindung und eigenmächtige Composition des berühmten gothi-
schen Bischofs ansieht, sondern als ein eigenthümliches, bereits
vorhandenes Alphabet, dessen sich Ulfilas sehr natürlich be-
diente. Er erkennt ferner eine Übereinstimmung des gothischen
Alphabets mit dem griechischen, lateinischen und runischen [an],
weicht jedoch von dem Rec. insofern ab, als er einige Buch-
staben bloss aus dem lateinischen abstammen lässt. Runische
572 Zeichen nimmt er nur drei an, Th, U, O; das gothische V er-
klärt er für das griechische T, mit dem es im Cod. arg. gleiche
Gestalt hat, näher kommt es in den neapolitanischen Urkunden
der angelsächsischen Rune Wen, mit vrelcher es Rec. für iden-
tisch hält.
Rec. hatte sich begnügt, die Übereinstimmung des gothischen
mit den drei genannten Alphabeten als eine Eigenthümlichkeit
desselben nachzuweisen. Hr. Prof. B. geht weiter und erklärt
diese Erscheinung theils durch Annahme eines alten gemeinsam
germanischen Alphabets, theils durch eine ausgebildete Hypo-
these von der geschichtlichen Entwickelung des gothischen Al-
phabets. Darnach haben mehrere Jahrhunderte vor Christus
die Griechen ihr (ursprünglich aus Hieroglyphen entsprungenes)
Alphabet den germanischen Völkern mitgetheilt. Ulfilas hat
dieses vorgefundene Alphabet, da es zum genaueren Ausdrucke
der gothischen Laute ungenügend erschien, theilweise umge-
staltet und den Buchstaben ihre Reihenfolge und ihren Zahlen-
werth gegeben. Das Umgestalten wird dahin erklärt, dass er
diejenigen Buchstaben, deren Verwandtschaft mit den griechischen
und lateinischen deutlich war, zu grösserer Ähnlichkeit damit
abgeändert habe. Die drei runischen Buchstaben behielt aber
Ulfilas nur aus dem Grunde bei, „weil er ihren Zusammenhang
mit den griechischen nicht mehr ahnte'^.
Die Voraussetzung eines alten gemeinsam germanischen
Alphabets, insofern sie sich auf den wahrscheinlichen Gebrauch
der Runen in Deutschland stützt, will Rec. gelten lassen, doch
nur als eine Vermuthung, da wir nirgends vorsichtiger als hier
vorschreiten sollten. Dagegen von allen übrigen Behauptungen
BÄUMLEIX. DAS GRIECHISCHE UND DAS GOTHISCHE ALPHABET. 4,43
des Verf. dünkt den Rec. keine auch nur wahrscheinlich. Er
glaubt weder, dass die Germanen das Alphabet von den Griechen 573
in früheren Jahrhunderten vor Christus empfangen, noch dass
es nachher der gothische Bischof wieder umgearbeitet und
gleichsam zurückübersetzt habe. Wo ist nur ein Schein von
Beweis für die Behauptung, dass ülfilas dem gothischen Alpha-
bet erst diese Reihenfolge und den davon abhängenden Zahlen-
werth beigelegt habe? Es ist blosse Voraussetzunsj des Verf.,
damit seine Hypothese nicht sogleich zusammenfalle. Gieng
Ulfilas auf diese VTeise zu Werk, so schuf er in der That etwas
Neues, denn er warf die alte runische Reihenfolge, die von der
scriechischen völlig abweicht, über den Haufen: wir beerreifen
aber nicht, wie ihm der Gedanke zu einer solchen Gewalt-
thätigkeit kommen konnte, oder wie sie praktisch durchzusetzen
war, denn warum sollen wir glauben, dass er jetzt erst die
Gothen den Gebrauch der Buchstaben als Zahlen gelehrt habe,
der an sich so natürlich ist? Auch gewährt für die Verwendung
der Runen in diesem Sinne der runische Kalender ein Beispiel,
wo die sieben Wochentage mit den sieben ersten Buchstaben
des runischen Alphabets bezeichnet werden, versteht sich nach
ihrer eigenthümlichen Ordnung, welche F den ersten Platz zu-
theilt. Man begreift ferner nicht, was Ulfilas habe bewegen
können, bei seiner vorgeblichen Umarbeitung des Alphabets mit
den Paar Runenbuchstaben eine Ausnahme zu machen: nichts
natürlicher, wenn er das germanische Alphabet dem griechischen
näher bringen wollte, als auch hier consequent zu bleiben. Der
Grund, er habe den Zusammenhang nicht mehr geahnt, ist an
sich schwach und gesucht, aber, wenn man ihn auch wollte
gelten lassen, hier ganz unanwendbar. Die Thorrune konnte
ohne grosse Veränderung in das griechische 0 übergehen, Othil 574
lag dem ß noch näher, und die Ähnlichkeit der Gestalt ist kaum
zu übersehen, die Urrune umzuändern war sogar gerechte Ver-
anlassung da, weil sie mit dem 11 so leicht konnte verwechselt
werden. Die angebliche Erweiterung des gothischen Alphabets
müsste bloss in dem Zeichen für HV bestanden haben, welches
uns bis jetzt noch geradezu überflüssig erscheint, dessen Grund
wir vielleicht noch einsehen lernen. Rec. ist ganz entgegen-
444 BÄUMLEIN, DAS GRIECHISCHE UND DAS GOTHISCHE ALPHABET.
gesetzter Meinung und glaubt, dass Ulfilas in dem vorhandenen
gothischen Alphabet gar nichts änderte, sondern alles so, wie
er es vorfand, beibehielt, womit er natürlich nicht leugnet, dass
das griechische Alphabet schon längst Einfluss auf das gothische
ausgeübt habe.
Hr. B. baut auf den Ursprung des Alphabets aus hiero-
glyphischen Zeichen allzuviel, wenn er annimmt, die semitischen
Buchstabennamen seien in dem runischen Alphabet mit natio-
nalen vertauscht, dabei aber der alte auf den hieroglyphischen
Ursprung zurückweisende Grundsatz festgehalten worden, dass
der Laut des zu benennenden Buchstaben im Anlaute des Buch-
stabennamens müsse enthalten sein. Eine wunderbare, unbe-
greifliche Erhaltung des Bewusstseins von der ersten Ent-
stehung! Rec. kann keinen so tiefliegenden Grund darin er-
blicken, sondern nichts als eine ganz natürliche Andeutung des
Zusammenhangs des Namens mit dem Zeichen: wer es für
nöthig hält, den Buchstaben Namen beizulegen, wird wahr-
scheinlich immer auf diese Weise verfahren. Übrigens ist Rec.
im vollen Ernste der Meinung, dass der Ursprung des Alpha-
bets vorgeschichtlich sei. Es ist eine sinnreiche, aber immer
575 noch zweifelhafte Vermuthung, dass hieroglyphische Bilder auf
die Gestalt der Buchstaben eingewirkt haben: doch einmal das
Factum zugegeben, so ist eine solche Einwirkung Nebensache,
die Hauptsache bei dem Alphabet ist die Scheidung der Laute
in ihre wahre und natürliche Bestandtheile, welche nicht eine
stückweise, durch Zufall zu erlangende, sondern vollkommene
und tiefe Einsicht in den Organismus der Sj^achlaute voraus-
setzt. Welchem Jahrhundert der bekannten Geschichte denkt
man wohl eine so ungemeine, durch blosses Nachsinnen und
grammatische Forschung gewonnene Einsicht beizulegen?
Aus dem Bisherigen ergibt sich, wie sehr die allgemeinen
Ansichten des Rec. von denen des Verf. abweichen. Jetzt
wäre Rec. wohl verpflichtet, dem gelehrten Detail der Abhand-
lung zu folgen, den einzelnen Behauptungen beizustimmen oder
zu widersprechen: bei aller Bereitwilligkeit indessen vermag er
es nicht: die Grundlage ist leider ungenügend, die Acten zur
Schlichtung des Streits sind unvollständig, ein Stück darunter
BÄÜMLEIN. DAS GRIECHISCHE UND DAS GOTHISCHE ALPHABET. 445
ist sogar falsch. Erstlich hat Hr. B. einer im litterarischen An-
zeiger von 1806 durch Aretin bekannt gemachten Urkunde, die
ein Fragment eines lateinischen mit gothischen Buchstaben ge-
schriebenen Sendschreibens des Kaisers Glycerius an den ost-
gothischen Feldherrn Widemir vom Jahre 473 enthalten soll,
Vertrauen geschenkt, und die Echtheit derselben scheint ihm
durch die ,. vielseitige und gründliche" Prüfung Aretins hin-
reichend erwiesen. Weitläuftig ist allerdings der genannte Com-
mentar, aber so ungründlich, dass eine oberflächliche Betrach-
tung der vorgeblichen Urkunde, der Gebrauch des U in der
Gestalt des lateinischen Buchstaben, des J als G usw. schon 576
das erbärmliche Machwerk darthut. Indessen ist der Schade,
der daraus der Abhandlung erwächst, nicht bedeutend: diese
vielleicht noch kein Jahrhundert alten gothischen Buchstaben
figuriren fast nur in der einen Tabelle, und es ist nichts von
Belang daraus geschlossen. Folgenreicher ist der zweite Fehl-
griff des Verf. Er hat sich bei den neapolitanischen Urkunden
der ganz elenden Nachbildung in Gräters Bragur bedient, von
welcher man ohne Übertreibung behaupten kann, dass sie nicht
einen einzigen Buchstaben genau und richtig darstelle. Da das
schöne Facsimile von Sierakowsky nicht in den Buchhandel
gekommen und schwer zu erlangen ist, so kann die Vernach-
lässigung davon Hrn. Prof B. nicht eigentlich zum Vorwurf
gereichen; allein Rec. meint, dass Hr. Prof B. das Alphabet,
das Rec. daraus in der vergleichenden Tabelle zu seinem Buche
über die Runen zusammengestellt, nicht so gänzlich durfte un-
berücksichtigt lassen: der Widerspruch mit der früheren Nach-
bildung konnte ihm nicht entgangen sein. Natürlich irrt der
Verf. fast in allen Behauptungen, die sich auf die Gestalt der
Buchstaben in den neapolitanischen Urkunden gründen. Nur
einige Beispiele. In den neapolitanischen Urkunden kommt
nicht weniger als viermal und ganz deutlich das Wort SKIL-
LIGGANS vor, der acc. pl. von SKILLIGGS (Schüling).
Weil das anlautende S umgewendet steht, so ist es in der alten
Nachbildung entweder ganz ausgelassen oder ein blosser sinn-
loser Streich abgesondert hingestellt. Auf diesem Wege er-
wächst ein unerhörtes Zeichen für S und das abenteuerliche
446 BÄÜMLEIN, DAS GRIECHISCHE UND DAS GOTHISCHE ALPHABET.
Wort Killiggans (im Bragur steht obendrein, weil das aus-
577 lautende S dem lateinischen E gleicht, Killiggane), das unser
Verfasser mit einem abermaligen Fehler „Killigans" schreibt.
Man könnte zur Entschuldigung anführen, dass in der Urkunde
von Arezzo nach der Abbildung bei Knittel das Wort ebenfalls
in dieser Form vorkomme, aber auch diese Abbildung ist so
schlecht, dass kein Zweifel übrig bleibt, in dem Original stehe
das Richtige. Das zweite Beispiel ist noch wichtiger. Das U,
gerade einer der merkwürdigsten Buchstaben des gothischen
Alphabets, weil er unveränderlich in der Gestalt der unten
oflfenen Urrune erscheint, ist im Bragur geradezu wie das U
der lateinischen Uncialschrift, d. h. unten geschlossen, darge-
stellt: davon weiss das Sierak. Facsimile nichts, wo nur häufig
die beiden Striche oben nicht verbunden, unten aber immer
offen sind. Hr. B., seiner trüben Quelle folgend, sieht sich ge-
nöthigt, ein zweites gothisches, dem lateinischen gleiches U an-
zunehmen, und zieht daraus S. 88 — 90 Folgerungen, die natür-
lich ohne allen Grund sind. — Der letzte Vorwurf, den wir dem
Verf. machen, hätte eigentlich der erste sein sollen: ihm sind
gothische Denkmäler, die gerade für seine Untersuchungen
wichtig, ja unentbehrlich waren, unbekannt geblieben. Wir
meinen drei verschiedene, sehr eigenthümliche gothische Alpha-
bete mit besonderen Benennungen der Buchstaben, gothische
Fragmente, gothische Zahlen, und endlich noch ein gothisches
Alphabet mit beigesetzten Ziffern, welche merkwürdigen Über-
reste aus Wiener und einer vaticanischen Handschrift Rec. schon
im Jahre 1828 in den Wiener Jahrbüchern der Litteratur, einer
allgemein zugänglichen Zeitschrift*), in sorgfältigen Nachbildungen
578 bekannt gemacht und erläutert hat. Es gibt kaum einen Satz
dieser Abhandlung, den der Verf nicht selbst, wenn er mit
diesen Quellen bekannt gewesen wäre, anders aufgestellt oder
völlig umgeändert hätte. Man wird dies an sich schon so na-
türlich finden, dass es genügt, wenn wir ein einziges weiter
nicht ausgesuchtes Beispiel anführen. Der Verfasser legt Ge-
wicht darauf, dass sich die griechische Form des S zu Ulfilas
Zeit (nämlich C) in dem gothischen Alphabet nicht finde, welches
*) [Vgl. den zweiten Aufsatz im dritten Band der Kl. Sehr.]
HARZGEDICHTE VON G. SCHULZE. 447
also, schliesst er, in Beziehung auf diesen Buchstaben nur mit
dem römischen und altgriechischen im Zusammenhange stehe:
indessen kommt diese Form in dem einen Wiener Alphabet
nur eckig, wie sie aber auch im griechischen bekannt war, vor.
Wir können nicht umhin, am Schlüsse dieser Anzeige unser
Bedauern auszudrücken, dass die Gelehrsamkeit des Verfassers
und die sichtbare Liebe zur Sache nicht den Erfolg aehabt
haben, den sie verdienen.
Wilh. Grimm.
HARZGEDICHTE. 575
Nach einer bessern Orthographie geschrieben und mit einem Wortregister
versehen von G. Schulze. Clausthal, bey Schweiger 1833. VI und 90 S. in 12.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 58. 59. Stück, den 10. April 1834.
S. 578— 581. .
JL/ie Bewohner des Harzes gehören bekanntlich nicht zu
dem niedersächsischen Stamme, der sie umgibt, sondern sind
zu Betreibung des Bergbaues aus anderen Gegenden Deutsch-
lands herbeigezogen. Sie halten fest an den überlieferten
Sitten und Gebräuchen, wie an der eigenthümlichen Mundart-
weiche entschieden zu den oberdeutschen gehört. Die gelegent,
lieh darin abgefassten Gedichte hat Herr Schulze gesammelt 57»
und macht hier eine Auswahl bekannt, deren Orthographie er
geregelt und deren Verständnis er durch das beigefügte Wörter-
buch erleichtert hat. Für deutsche Sprachforscher ist also zu-
nächst dieses Büchlein bestimmt, denen es ohne Zweifel will-
kommen sein wird. Aber auch die Poesie, die darin herrscht,
wenn sie gleich nicht sehr tief geht, ist gar nicht zu verachten:
zwar sind auch blosse Gelegenheitsgedichte darunter, die meisten
jedoch enthalten idyllische Gemälde von dem häuslichen Leben
der Harzer, und Manches davon, wie z. B. das Sonnabends-
vergnügen wird auch jemand, der die Wahrheit davon nicht
aus Erfahrung kennt, gerne lesen und sich daraus ein Bild von
einem lustigen Abend der Bergleute zusammensetzen können.
Die Mundart weist entschieden nach Thüringen, Franken
und den Maingegenden. Wir wollen Einiges anführen, a wird
448 HARZGEDICHTE VON G. SCHULZE.
durch o ausgedrückt: voter, tohk (Tag), beklohng (beklagen);
ebenso ä: schlof, host, blosen. e durch a: lader, barcmann,
assen, baten, harr, flahn (pflegen), farn, besahn, e durch ie:
beschtiehn (bestehen), giehn. ei durch ä: an, käns, bade, nä,
häm, äer (Eier), mäster, ränklich. o und 6 durch u: gruss,
stuss, hulen; luhn, lus, tud. oe durch ie in bies, durch ä in
hären, schänste, und durch e in heh. ou durch ä: fra, bahm.
öu durch ae: frähd. u vor r durch o: storm, dorscht, worscht,
forsch (fürs), ü vor r durch e: ferst; das alte u ist in dunner
erhalten, ü sonst durch ie und i: biegel, miehl, kienig; mitz,
ösokich, hibsch, glicklich. üe durch ie: fiehren, frieh. Bei den
Consonanten ist anzumerken, dass die med. d, b, g härter aus-
gesprochen werden, aber doch nicht wie tenues: nur das an-
lautende g klingt vor einer liq. fast wie k. Ebenso zischt s
stärker, doch nicht wie z; geschrieben ist zaldat, zallat.
Auf jene oberdeutschen Mundarten deuten die Kürzungen
arpt (Arbeit), braung (brauchen), darkleing (dergleichen), flahng
(pflegen); rimmer (umher), rob (herab); die Zusammenziehungen
merbleim (wir bleiben), hamersch (haben wirs), gahremer (gebe
er mir), merwolln; die Ausdrücke ebs, iwest (irgend nur),
itzuner; nn für nd: hannein, anner, kinnskinner; die Partikel
ter- vor dem Verbum statt er-: terlaubt, terwischt (vgl. Grimm
Gr. 2, 819). Auch der Infinitiv auf a zeigt sich: schreia.
Gewandlich ist eine fränkische Diminutivform (Gramm. 3, 674);
zusrleich aber erscheint merkwürdigerweise auch eine meklen-
burgische und pommersche (Gr. 3, 683) in breiting (Bräutigam),
Rosining, Katrining. Sonst die oberdeutschen Diminutive Dor-
tel, Gretel, Kunradsel, hemmel (Hemdlein), kriekel (Krüglein),
liehnel (kleiner Lohn), miesel (Mäuslein), presel (Bröslein, nicht
Prieschen, wie der Herausgeber übersetzt); guschle Küsscheu,
wörtlich Mäulchen: gusche, guschel ist in Franken, im Hanaui-
schen in vertraulicher Rede sehr gebräuchlich. Der Ausruf
kranket, plattd. krankt, oberdeutsch kränk heisst nichts Anderes
als die fallende Sucht. Alle riet wird auch im Hennebergischen
gesagt (Reinwald Idiotikon 2, 104). Seltsam ist die Redensart
namm dei geripp, wohlan, triff" Anstalten, besorge das Nöthige.
581 Sollte sie aus dem Plattdeutschen, wo man sagt: ik hebbe mien
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 449
geriev, ich habe was ich brauche, das Nöthige, ein einge-
drungen sein?
Es würde löbhch sein, wenn Herr Schulze sich weiter mit
den Dialekten des Harzes beschäftigen, dabei Sagen, Sitten und
Gebräuche, wie sie dort herrschen, sammeln wollte: die eigen-
thümliche Beschäftigung wie die grossartige Natur muss auf die
Gedanken und das geistige Leben des Menschen entschiedenen
Einfluss ausüben. [anonym.]
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT 402
von Wilhelm Grimm. Göttingen. In der Dieterich'sclien Buchhandlung.
CXXX und 438 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 41. 42. 43. 4.5. Stück,
den 16. 19. 23. März 1835. S. 402—424. 445—448.
xxls Kaiser Friedrich II nach langem Zaudern endlich
gegen den Willen des Papstes im Jahre 1228 den kurzen aber
merkwürdigen Kreuzzug unternahm, befand sich unter seinem
Gefolge ein höfischer Dichter, den die Sehnsucht, das heilige
Grab zu sehen, vielleicht auch Vasallenpflicht bewogen hatte,
sich anzuschliessen. Nachdem der Kaiser, bei an sich geringen
Mitteln und durch den Bannstrahl des erzürnten Papstes
gelähmt, einen in jedem Falle günstigen, nur durch die seltsam
verwickelten Umstände erklärbaren Frieden schnell und uner-
wartet abgeschlossen hatte, eilte er nach Jerusalem, wo er die
neu erworbene Krone sich selbst aufs Haupt setzte. Während
dieser Abwesenheit des Kaisers verfasste der zu Ackers oder
Ptolemais zurückgebliebene Dichter, der sich selbst VRIDANC
nennt, ein Gedicht, dem er den Titel BESCHEIDENHEIT
gab. Dieses Wort bezeichnete damals so viel als richtige Ein-
sicht und Beurtheilung der Dinge, also etwas ganz Anderes als
was wir heutzutage darunter verstehen, so dass unsere modestia
dabei nicht ins Spiel kam, obgleich man einsieht, wie sie aus
jenem Begriffe sich entwickelte, indem sie bilHgerweise immer
die Folge davon sein sollte. Freidank gedenkt der historischen
Ereignisse, von denen er Zeuge war, und sein Gedicht ist auch
W. GRIMM, KL. SCIiniFTES. II. 29
450 VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VOX WILHELM GRIMM.
in dieser Beziehung dem Geschichtsforscher von Werth: er
schildert Syrien und spricht über Rom auf eine Weise, dass
man glauben muss, er habe auf der Hinfahrt dort verweilt, denn
403 seine Äusserungen verrathen eigene Anschauung. Indessen
macht den eigentlichen Haupttheil seines Gedichtes, das von
massigem Umfange ist (es beträgt in gegenwärtiger Gestalt
noch nicht 5000 Verse), eine Betrachtung von dem geistigen
Zustande seiner Zeit aus, ein Weltspiegel, in welchem die
verschiedenen Stände von dem Papste und Kaiser bis herab zu
den Knechten, die öffentlichen und häuslichen Verhältnisse, der
religiöse Glaube, Tugenden und Laster in mannigfaltiger Ab-
wechselung berührt und dargestellt werden. Allein es sind nicht
Aussprüche individueller und einseitiger Betrachtung (die wir
von diesem Dichter auch mit Dank hinnehmen würden), sondern
die Ausfüllung des Werkes besteht grossentheils aus den dem
ganzen Volke zugehörigen Sprichwörtern, die frisch und lebendig,
frei und geistreich, häufig mit Anmuth und Zierlichkeit ausge-
drückt werden. Wir besitzen also zugleich eine Blumenlese von
Sprichwörtern, wie sie im Anfange des 13. Jahrhunderts vor-
züglich im südlichen Deutschland gäng und gäbe waren, oder,
wenn man will, eine Popularphilosophie, die freilich ohne
System und wissenschaftliche Consequenz ist, aber doch von der
Einheit zusammengehalten wird, die in der eigenthümlichen und
lebensvollen Bildung jenes Zeitalters lag. In der Einleitung
habe ich untersucht, ob und in wie weit Freidank etwas von
dem Seinigen hinzugethan habe. Meiner Ansicht nach ist er
auch in dieser Hinsicht auf die beste und natürlichste Weise,
gerade so wie ein Dichter muss, zu Werke gegangen, ich meine,
wir besitzen zwar alte und älteste Überlieferung, allein der
Dichter hat sie als freies Eigenthum betrachtet und dem em-
pfangenen Gedanken das Siegel des eigenen Geistes aufgedrückt.
Ein Gedicht dieses Art musste bei der verschiedensten
404 Gesinnung Anklang finden, und die Zeugnisse, die ich zusam-
mengestellt habe, bewähren, in welchem Ansehen es durch das
ganze 13. Jahrhundert stand. Es wurde nicht bloss gepriesen,
auch einzelne Sprüche wurden dorther geholt. Hugo von Trim-
berg am Schlüsse des Jahrhunderts rühmt es dankbar; Boner
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 45 1
im 14. Jahrhundert verschweigt die Quelle. Fortdauer durch
die folgende Zeit beweisen die vorhandenen Papierhandschriften.
In dem 16. Jahrhundert ward es durch eine trocken moralische
Überarbeitung von Sebastian Brant der herrschenden Gesinnung
näher gebracht und in dieser Gestalt in einem Zeitraum von
75 Jahren nicht weniger als siebenmal aufgelegt. In dem
nächstvergangenen Jahrhundert erkannten Lessing und Herder
seinen Werth, und der Abdruck in der Müllerschen Sammlung
half zwar dem nächsten Bedürfnis ab, erschwerte aber durch
den schlechten, häufig verderbten Text die Einsicht in die
wahre Gestalt und den wahren Werth des Werkes. Dass die
gegenwärtige Ausgabe dazu beitrage, es wieder in seine alte
Würde einzusetzen, darf ich wünschen, ohne dieses Erfolges
gewiss zu sein. Zwar bei den Kennern der altdeutschen
Litteratur wird es an Theilnahme dafür nicht fehlen, und dies
genügt einstweilen, ob aber auch andere, welche das Mittelalter
zum Gegenstande ihrer Studien gemacht haben und wohl zu
thun glauben, wenn sie an seinen Denkmälern vorübergehen,
sich mit einiger Geneigtheit zu dieser Quelle herablassen wollen,
mag dahin gestellt bleiben und lässt sich ruhig erwarten. Zu
akademischen Vorlesungen scheint mir Freidank, eben weil er
so unmittelbar zur Anschauung seiner Zeit hinleitet, besonders
geeignet.
Es ist kein grosses Verdienst, wenn meine Bearbeitung des
Textes leidlich ausgefallen ist, es würde aber ein grosser Vor-
wurf daraus erwachsen, wenn sie ohne Werth wäre, denn ich
hatte bis auf zwei unbedeutende Handschriften alle bekannt 405
gewordenen Quellen und Hilfsmittel nach und nach zusammen-
gebracht, nämlich ausser den wichtigsten gedruckten Ausgaben
des IG. Jahrhunderts achtzehn Codices, von welchen freilich
einige blosse Bruchstücke enthielten. Es waren gute und sehr
brauchbare darunter, aber leider kein einziger ausgezeichnet
treflflicher, und in der glücklichen Lage, der sich Lachmann
bei der Herausgabe des Parzival, die in aller Hinsicht ein
Muster bleiben wird, erfreute, befand ich mich nicht. Die
Handschriften theilten sich in vier Klassen, wovon jede eine
besondere Ordnung in der Folge der einzelnen Sprüche zeigte.
29.
452 VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM.
Die Untersuchung lehrte, dass keine die echte und ursprüng-
liche Folge des Dichters bewahrt hatte und alle zusammen-
genommen noch nicht alles enthielten, was von dem Dichter
ausgegangen war (wenn auch nichts Bedeutendes fehlen sollte),
dagegen hier und da Einmischungen sich erkennen Hessen, auf
welche der Dichter keine Ansprüche würde gemacht haben.
Es ergibt sich also schon hieraus, dass mit mancherlei Schwie-
rigkeiten und Bedenklichkeiten zu kämpfen und doch das letzte
Ziel nicht zu erreichen war. Die Arbeit habe ich mehrmals
gegen meinen Willen unterbrechen und Jahre lang liegen lassen
müssen ; hoffentlich nicht zu ihrem Nachtheil. Sie kostete mehr
Mühe und zeitraubende Vorarbeiten, als vorauszusehen war:
machte doch oft die Vergleichung von zwei Zeilen in allen
diesen verschieden geordneten Handschriften mehr Umstände
als bei anderen Werken von einer Seite. Die Lesarten habe
ich so vollständig als nöthig war aufgezeichnet, es versteht sich
von selbst, nicht blosse gleichgültige Abweichungen. In der
Einleitung glaube ich keine der Hauptfragen, wozu der Inhalt
des Gedichtes Veranlassung gibt, übersehen, überhaupt nichts
406 versäumt zu haben , um es zugänglich zu machen , denn auch
das Einzelne ist in den Anmerkungen besprochen, und das
hinzugegebene Reimregister wird unter andern auch dazu dienen
können, neue Quellen, die in Zukunft entdeckt werden, bequemer
und sicherer zu benutzen.
Widerspruch erregen wird die freilich auffallende Ver-
muthung, dass unter dem Namen Freidank sich der bekannte
und berühmte Walther von der Vogelweide verborgen habe.
Die Gründe dafür scheinen mir von Gewicht, es fragt sich, ob
nicht noch stärkere Gegengründe sich finden, welche die Wage
auf die andere Seite herabziehen? Zur Gewissheit wird man,
ohne ein neues entscheidendes Zeugnis zu entdecken, kaum
gelangen; mir ist natürlich nur daran gelegen, dass die Wahr-
heit an den Tag komme, nicht dass ich Recht behalte. Die
Sache selbst, wenn sie sich ausser Zweifel setzen Hesse, wäre
in mehr als einer Beziehung merkwürdig. Bereits habe ich
eine öffentliche Stimme darüber vernommen und zwar in einem
durch geistreiche Behandlung und unbefangenes Urtheil ausge-
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 453
zeichneten Buche, in der Geschichte der poetischen National-
litteratur der Deutschen von Dr G. G. Gervinus (Leipzig 1835).
Der Verf. erklärt sich sehr entschieden gegen meine Vermuthung;
ich will die Stelle aus der Vorrede hierhersetzen, weil es mir
angemessen scheint sie näher zu beleuchten. „Der Meinung,
dass Walther der Dichter dieser Sprüche sei, hätte ich mich
nicht anofeschlossen. Dieser Dichter ist ein Sammler und
borgt; jene Zeit aber fängt gerade jetzt an sehr unverschämt
zu borgen; Sprüche dazu und spruchähnliche Ansprüche lassen
sich nicht so vom Worte trennen, dass ein freieres Borgen
leicht möglich sei. Wie sehr aber Walther von allen Dichtern
benutzt und ausgeschrieben ward, liegt am Tage : keinem lag
er aber näher als dem Freidank. Eine allgemeine Ähnlichkeit 407
der Beurtheilung setzte auch ich zwischen Freidank imd Walther
voraus, man nehme hinzu, dass beide in gleicher Zeit lebten
und gleiche Schicksale theilten, dass der Eine ein ganz pro-
ductiver Kopf, der Andere ein ganz leidendes Talent ist, so ist
das übergenug, um die grossen und kleinen Ähnlichkeiten zu
erklären. Wie könnte sich ein solcher feuriger, unruhis-thätiger
Geist wie Walther, der voll von Bildern einer rastlosen Phan-
tasie ist, je in die platte Form solcher Lehrdistichen haben
zwängen lassen! Zwischen dem, was ein genialer Dichter in
seiner besten Zeit und was er in Alter und Abnahme vorbringt,
ist freilich oft ein himmelweiter Unterschied. Allein wir be-
sitzen doch unstreitig manches unter Walthers Gedichten, was
aus seinem hohen Alter ist und was immer toto coelo von
diesem Freidank absteht. Auch das Urtheil des Herausgebers
über Thomasin wird niemand theilen mögen, der das Grosse
eines schöpferischen Kopfes der bloss passiven Empfänglichkeit
vorzuziehen weiss."
Dies alles, befürchte ich, hält nicht Stich. Gleich die ein-
leitende Bemerkung, dass man zu Freidanks Zeit angefangen
habe zu borgen und zwar unverschämt zu borgen, ist ohne
Grund. Nachgeahmt hat man zu allen Zeiten; Wirnt hatte
früherhin sich den Hartmann von der Aue zum Muster ge-
nommen, und unter Wolframs Lieder hat sich eins eingedrängt,
das aus lauter von ihm erborgten Gedanken und Redensarten
454 VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM.
zusammengesetzt ist. Dergleichen könnte auch in Freidanks
Zeit geschehen sein, müsste aber doch erst nachgewiesen werden.
Unverschämt war eigentlich erst hundert Jahre später Boner,
der, ohne seine Quelle zu nennen, eine gute Anzahl Sprüche
aus Freidank in seine Fabeln einfügte. Mehr Gewicht legt
aber Hr. Dr Gervinus wohl selbst auf die Behauptung, dass
408 gerade Walther von allen nachfolgenden Dichtern sei ausge-
schrieben und benutzt worden. Was Wunder, wenn Freidank
es nicht besser machte als die anderen alle! Wie ungeschickt,
daraus für einen Einzelnen etwas zu folgern! Allein was so
deutlich am Tage liegen soll, ich kann es nicht entdecken.
Wer hat Walther (ich will das in jedem Falle hier unpassende
Wort beibehalten) ausgeschrieben? Etwa Neidhart, Bruder
Wernher, der Marner, Rumland, Boppo oder späterhin Konrad
von Würzburg, die fürstlichen Dichter oder endlich Hadloub?
Ich finde es nicht. Hr. Gervinus nennt in dem Buche selbst
den Reinmar von Zweter, aber ich behaupte, mit Unrecht;
Reinmar hat in seinem Urtheile und in seinen Ansichten über
die Zeit Übereinstimmung mit Walther, wie ich selbst bemerkt
habe, aber als Dichter eine ganz andere Farbe. Er neigt sich
schon herab zu dem trockenen und bloss verständigen Ausdruck
der späteren Zeit, steht aber sonst auf eigenen Füssen und hat
nichts aus Walther ausgeschrieben: er soll die Bitterkeit gegen
den Papst jenem abgelernt haben, als wenn wir sie nicht auch
bei anderen Dichtern, noch heftiger bei den Troubadours,
überhaupt bei der gibellinischen Partei fanden. Die Anklage
bleibt also bloss auf Singenberg, dem Truchsess von St. Gallen,
den Hr. Gervinus nicht nennt, haften: von ihm ist es bekannt,
dass er Walther nachahmte (Uhland 60. 111. 155, Lachmann
108. 149, Wackernagel zu Simrock 1, 181. 2, 156. 198), aber,
wie es einem Schüler, der seinen Meister anerkennt, wohl
erlaubt ist, mit Geschick, keineswegs unverschämt ausschreibend.
Was soll dies eine Beispiel, oder, wenn Hr. Gervinus bei seiner
Ansicht von Reinmar beharren will, was sollen zwei für seine
Behauptung beweisen?
409 Weiter erklärt sich mein Gegner die grossen und kleinen
Ähnlichkeiten zwischen Walther und Freidank durch ihre
VRIDAXKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRI»rM. 455
Gleichzeitigkeit und gleiche Schicksale. Sind es zwei verschie-
dene Dichter, so sind sie in dem Verhältnis, von welchem hier
nur die Rede sein kann, nicht als s^leichzeitige zu betrachten,
denn Freidank hat erst gedichtet, als Walther an dem Ende
seiner Laufbahn war, oder man müsste dann auch Heinrich
von Veldeke oder gar den Pfaffen Konrad für einen Zeitgenossen
von Walther erklären. Von einem gleichen Schicksal aber weiss
niemand etwas. Wer sagt uns, dass Freidank wie Walther an
den Höfen der Fürsten umhergezogen sei und das Leben eines
wandernden Sänsrers geftihrt habe, das von so crrossem Einfluss
auf seine Gedichte sein musste? Das einzige Gemeinschaftliche,
die Anwesenheit Walthers bei dem Kreuzzuge, wird von Lach- 410
mann sogar bezweifelt. Die Behauptung, dass Freidank der
Natur der Sache nach wörthch habe borgen müssen, beweist,
.dass Hr. Gervinus die Ähnlichkeit mit Walther selbst nicht
näher berücksichtigt hat. Warum sollte Freidank, der bei
bibUschen Stellen sogar Zusätze und Änderungen sich erlaubte,
bei einem anderen Dichter sich dieses Rechts begeben haben?
Gibt es doch eine nicht geringe Anzahl Sprichwörter bei
anderen, mit welchen Freidank völlig dem Inhalte aber nicht
den Worten nach übereinkommt; zudem, und das ist ein
Hauptpunkt, besteht ein grosser Theil der Übereinstimmung mit
Walther gar nicht in Sprichwörtern, sondern in zufälligen
Redensarten und Ausdrücken, welche ebenso gut durch andere
konnten ersetzt werden. Vor einem blossen Hauche von oben,
glaube ich, schmelzen meine Gründe nicht gleich zusammen.
Allein Walthers Geist, wie wir ihn aus seinen Liedern kennen,
zeigt er sich auch in Freidanks Werk? Ich lasse den Ein-
wurf gelten, ich habe mir ihn selbst gemacht, aber durch die
Bemerkung beseitigt, dass strophische Gedichte mit reicher
Bewegung keinen Schluss auf ein Gedicht in kurzen einfachen
Reimen erlauben. Der Unterschied zwischen Walther und
Freidank ist verhältnismässig nicht grösser als zwischen den
Liedern von Heinrich von Veldeke, Wolfram, Gotfried von
Strassburg und ihren erzählenden Gedichten; in Lichtensteins
Frauendienst ist der Gegensatz sogar noch stärker. Mein
Gegner hält es für unmöglich , dass ein feurig - thätiger Geist
456 VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM.
wie Walther sich in die platte Form von Lehrdistichen habe
zwängen lassen. Platt ist eine ungewöhnliche und seltsame
Bezeichnung für die Einfachheit, wie sie Sprüchen angemessen
411 und natürlich ist, in welchen gleichwohl grosse Geister sich
auszudrücken nicht verschmähten. Bei Walther selbst findet
sich ein Spruchgedicht (87. 88), wovon ein Paar Zeilen bei
Freidank wieder erscheinen, welches mit einer etvs^as mühsamen
Künstelei auszuzieren der Geist, so feurig er sonst war, gerade
hier Gefallen trug. Aber auch bei Dichtern, denen man wohl
eine noch grössere Glut der Phantasie beilegen darf, begegnet
man gnomologischen Stellen, die ohne Abänderung einen Platz
in Freidanks Werk einnehmen könnten, z. B. die Lehren, die
Parzifal von seiner Mutter (127, 15 — 128, 2) und Gurnemanz
(170, 15 — 173, 6) oder die Tristan von Marke (8400 — 8431
Groote) empfangt; auch in der Eneide steht (9711 — 28) Einiges
der Art. Allein, wird Hr. Gervinus erwidern, diese Dichter
brachten gelegentlich bei schicklicher Veranlassung Sprichwörter
vor, dagegen ist Freidank nichts als ein Sammler, dessen ganz
leidendes Talent aller Productionskraft ermangelt. Dieser Ein-
wurf gründet sich auf eine irrige Voraussetzung. Freidank hat
nicht daran gedacht, Sprichwörter zu sammeln: das wäre eine
dürftige Sammlung zu nennen, die bei der geringsten Sorgfalt
leicht zehnfach grösser hätte ausfallen können; beträgt doch,
was ich bloss bei anderen Dichtern jener Zeit gefunden habe
und bei Freidank fehlt, leicht ebenso viel als was in seinem
Werke vorkommt; endlich, wie ungeschickt wäre die Ein-
mischung religiöser und historischer Betrachtungen, die gar
nichts mit Sprichwörtern gemein haben, in eine solche Samm-
lung gewesen. Seinem Werke lag, ich glaube das bewiesen zu
haben, ein Plan zu Grunde, zu dessen geistreicher Ausführung
er die ihm bekannten Sprichwörter verwendete. Er hatte sie
412 gesammelt und erworben, nicht anders als man etwa Rechts-
sprüche, Sagen, Volkspoesie, ja den Reichthum der Mutter-
sprache überhaupt erwirbt: ich meine, wer dafür empfanglich
ist, dem fallen diese Dinge im Leben von selbst zu. Er war
also zunächst seine eigene Quelle, und was er vorbringt, darf
als sein Eigenthum gelten. Wie viel oder wie wenig selbst-
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 457
schöpferische Kraft man dem Dichter in diesem Verhältnisse
beilegen will, lasse ich dahingestellt sein.
Was Hr. Gervinus dem Freidank abspricht, Geist und Ori-
ginalität, das ertheilt er mit vollen Händen einem anderen, etwas
früheren Dichter, dem Thomasin aus Friaul, der ein ähnliches,
nur viel grösseres Werk schrieb. Sein welscher Gast ist einer
von den vorragenden Lichtpunkten, an welchen Hr. Gervinus die
Geschichte der deutschen Poesie entwickelt. Da ich in der
Einleitung zu Freidank CXVH ein abstechendes, meinem Gegner
sehr missfälliges Urtheil über Thomasin geäussert habe, so will
ich mich zur Begründung desselben über diesen noch wenig
gekannten Dichter hier etwas ausführlicher äussern. Thomasin
ist ein unterrichteter, für seine Zeit sogar gelehrter Mann, der
an der Betrachtung der Vergangenheit und Gegenwart Gefallen
findet. Ihm ist die griechische und römische, überhaupt die
alte Geschichte nicht fremd: er weiss nicht bloss von Plato,
Aristoteles und Socrates, er nennt auch andere griechische Phi-
losophen (Bl. JOO, ich eitlere nach der pfälz. Pergamenthand-
schrift No. 389, von der ich eine Abschrift genommen habe),
ja er liefert ein Register von den griechischen Schriftstellern
(Bl. 139), die sich in den bekannten sieben Künsten ausgezeichnet
haben. Vielleicht hat er ausserdem juristische Kenntnisse be-
sessen, denn er sagt (Bl. 142*): daz wir decret und leges hören,
kumt dick da von daz wir die tören mugen effen deste baz. 413
Kenntnisse sich zu erwerben sieht er bei Männern für ebenso
noth wendig au, als bei Frauen feine Sitten (IS"*. lA"). Alexander
hat seine Erfolge bloss dem Unterricht des Aristoteles zu danken
(101''), er was der schrift gelert, wie Julius Caesar, der das
römische Reich sich unterwarf (143). Deshalb sieht auch Tho-
masin auf die Ungelehrten herab: gern möchte er ihnen das
Verhältnis der Wissenschaften auseinandersetzen (143''), ez möht
ave niht gezemen, den diez niht kunnen vememen; tc-et ichz
min rede wajr unwert, die der buoche sint ungelert. Sein
oberistez guot (89'') ist eine Übersetzung von summum bonum:
ein Deutscher würde, glaube ich, hoehstez guot gesagt haben;
die vier Kräfte, welchen alle Weisheit und Tugend dient, haben
noch ihre lateinische Benennung beibehalten, imaginatio, ratio,
458 VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM.
memoria, intellectus. War Freidank ein Mann wie Walther
oder war er Walther selbst, so hat er wenig Müsse gehabt in
Büchern zu lesen, wenn er überhaupt lesen konnte: er suchte
seine Weisheit im Leben und bei dem Volke; ich finde nicht,
dass er sagt: ich hän gelesen, aber wohl: jehent diu kint, wie
andere: jehent die wisen oder min vater sagete mir daz. Tho-
masin dagegen rühmt sich oft seiner Leetüre, ich hän gelesen
unt vernomen (11 7\ 120'\ 130\ 162^ 210"), oder ich' hän ge-
hoeret und gelesen (3*. 49*. 12P). Man weiss, dass die Dichter
jener Zeit mit der Feder umzugehen nicht verstanden, Thomasin
dagegen hält am Eingange des 9. Buches (187 — 189) eine lange
Unterredung mit der seinigen, die ihn bittet, ihr von der An-
strengung acht Monate hindurch Tag und Nacht einige Ruhe
und Erholung zu gönnen. Was man von dem Werke zu er-
4ld warten hat, lässt sich aus dem Gesagten schon abnehmen, es ist
der Ertrag seiner Studien. Er sagt das zum Überfluss selbst
am Eingange mit klaren und deutlichen Worten: Swaz er (der
Dichter) spricht, er hat ez niht genomen von weihischer schrift,
doch ist der ein guoter zimberman, der in sime werke kan stein
und holz legen wol da erz von rehte legen sol. daz ist un-
tugende niht, ob ouch mir lihte geschiht daz ich in mins ge-
tihtes want ein holz, daz ein ander haut gemeistert habe, lege
mit dem list, daz ez gelich dem andern ist. Da von sprach ein
wise man: „swer gevüegelichen kan setzen in sime getihte ein
rede, dier machet nihte, der hat also vil getan (da zwtvelt nihts
niht an) als der vor im erste vant; der funt ist worden sin
zehant." Ez ist in minem willen wol, daz man sin rede stsetigen
sol mit ander frumer liute lere: niemen versmäher; daz ist ere.
Zu dem, was er aus anderen geschöpft hat, fügt er eigene Be-
trachtungen, Beziehungen auf die Ereignisse seiner Zeit, man-
cherlei Redensarten und Sprichwörter aus dem Volke: was er
mit Freidank gemein hat, habe ich in der Einleitung und in
den Anmerkungen angeführt, die Abfassung ist bei Freidank
immer verschieden, und er hat.Thomasins Werk, das dreizehn
Jahre früher beendigt wurde, offenbar nicht gekannt. Ohne
Zweifel ist der welsche Gast in mehr als einer Beziehung für
die Kenntnis jener Zeit, vielleicht auch für die Geschichte der
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 459
Philosophie von Werth und verdiente gedruckt zu werden, nur
hat eine kritische Ausgabe grosse Schwierigkeiten i). Was aber 415
den inneren unabhängigen Werth betriffi, so muss ich meinem
früheren Urtheile treu bleiben: Thomasin ist ein verständiger,
wohlmeinender, praktischer Mann, der nur einmal bei dem un-
barmherzigen Spott über die grausamen Strafen der Ketzer
strauchelt, sonst überall eine ehrenwerthe menschliche Gesinnung
zeigt: aber ich kann bei ihm weder besondere Tiefe der Be-
trachtung noch Originalität der Gedanken oder frische und be-
lebte Rede finden. Spräche ein genialer Geist zu uns, irgend-
wo müsste er durchbrechen, wenn ich auch zugebe, dass man,
von dem Gitterwerk eines Systems befangen oder von dem Ge-
wicht sittlicher Ideen bewegt, wenig um den Ausdruck sich be-
kümmert. Mich weht Stubenluft aus dem Gedichte an: wo es
etwas lebendiorer wird, hat es sicher volksmässisre Grundlaore.
Die Gedanken wollen nicht fortschreiten: Thomasin hat eine
eigene Liebhaberei an der Wiederholung und kann, was er ein-
mal gefasst hat, nicht wieder los werden, z. B. den sehr massigen
Witz über den halben Adler Ottos (das Schildzeichen der
sächsischen Herzöge), welcher nicht fliegen könne, holt er, nach-
dem er in aller Breite ist abgehandelt worden, im vorletzten
Buche nochmals herbei. Besonders geschickt ist er mit geringer 4i6
Veränderung des Standpunktes, das eben Gesagte noch einmal,
ohne uns das Geringste zu schenken, vorüberziehen zu lassen.
Er gehört zu den Schriftstellern, die sich in einem Auszuge,
der das Beste auswählt und zusammendrängt, viel erträglicher
ausnehmen als in dem Original. Wie ganz anders weiss Ber-
*) Es ist nur eine Handschrift aus dem 13. Jahrhundert bekannt, die
pfälzische No. 389; sie ist alt und deshalb der Berücksichtigung werth, aber
man kann sie durchaus nicht eine gute nennen. Die Sprachformen sind durch
Einführung einer Mundart entstellt, und die häufige Verwilderung des Metrums
erweckt geringes Vertrauen. Ich besitze ein Blatt aus einer etwas jüngeren
Handschrift, die häufig und fast immer, wo sie abweicht, bessere Lesarten
zeigt. Die pfälzische ist ausserdem unvollständig, es fehlen mehrmals kleinere
und grössere Stellen von 50 — 80 Zeilen. Wie weit man mit den nicht seltenen
Papierhandschriften kommt, weiss jeder; die, welche unsere Bibliothek besitzt,
enthält einen schon überarbeiteten Text; brauchbarer ist eine zu Dresden aus
Gottscheds Nachlass, die ich verglichen habe.
460 VRIDANKES BESCUEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM.
thold in seinen Predigten, wenn er Tugenden und Laster
schildert, mit feuriger Rede die Zuhörer zu ergreifen und zu
bewegen.
Das Ganze besteht aus zehn Büchern. Das erste enthält
gleichsam als Einleitung allerlei Regeln für das gesellige Leben,
wie man zu Pferde sitzen soll, bei Tische sich betragen, handelt
dann von der Minne und gibt sehr vernünftige Lehren, wo-
durch wir manche willkommene Aufklärung über die Sitten der
Zeit gewinnen. Buch 9 und 10 enthalten ähnlicherweise nach
Beendigung des Hauptwerks einen Anhang; in dem 9. Buche
wird zumeist über das Richteramt, weltliches und geistliches
Gericht, geredet. Ich will hier, wo Thomasin gewiss eigene Be-
trachtungen anstellt, ein kurzes Beispiel seiner Art und Weise
zu philosophieren geben. Indem er einen Herrn belehren will,
wie man guten Rath beachte, empfiehlt er ihm dreierlei zur
Berücksichtigung und führt aus erstlich, dass er vernehme, was
man ihm rathe ; zweitens, dass er beurtheile, wer ihm am besten
gerathen habe; drittens, dass er schnell einen Entschluss fasse,
was er nun thun wolle. Zu diesen sehr gewöhnlichen Gedanken
fügt er ein ungewöhnliches, aber nicht glückliches Gleichnis.
Auf diese Weise nämlich solle der Herr den Löwen nachahmen,
der nach seiner Geburt drei Tage schlafe, am dritten aber er-
417 wache. Das letzte Buch enthält in ähnlichem breitem Stil wohl-
gemeinte Lehren über Freigebigkeit und Geiz (das heisst näm-
lich milde und erge, nicht Milde und Argheit, wie Hr. Gervinus
übersetzt), obgleich dieser Gegenstand schon früher zur Genüge
erörtert war. Das eigentliche System, wenn man es so nennen
will, erfüllt Buch 2 — 8. Es ist bekanntlich kein grosses Kunst-
stück, aus einer Tugend alle übrigen abzuleiten, aber den Ge-
danken, die Beharrlichkeit (staete, staetekeit) oben hinzustellen
und die Unveränderlichkeit in dem Leben der Thiere und
Pflanzen und den Bewegungen der Planeten der sündhaften
Veränderlichkeit des menschlichen Geistes entgegenzusetzen, wie
Thomasin thut, kann man weder glücklich noch tiefsinnig nennen.
Ich lasse unerörtert, ob das eigene Erfindung von ihm ist oder
er dieses höchste Princip von anderen angenommen hat. Adam
fiel durch unstsetekeit (^O*"), und so ist es weiter nicht schwer,
VEIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 461
alle übrigen Untugenden davon ausgehen zu lassen und an
diesen Faden jeden Einfall und jede moralische Bemerkung zu
knüpfen: umgekehrt ist dann (68) die staste aller tugende rät-
webinne, aller grüete ervollunge. Hr. Gervinus sieht freilich in
dieser Anmahuung zur Beharrlichkeit einen nothwendig durch
die Zeit hervorgerufenen Gegensatz zu der Zerfahrenheit in der
Lebensansicht, welche in den Gedichten der höfischen Dichter
sich darthut. Ich kann aber nirgends eine nähere Beziehung
darauf entdecken: Thomasin handelt die abstracten Tugenden
und Laster ab, die in jedem Compendium der Moral ihren
Platz haben, und nimmt die Beispiele zu letzteren nicht aus
jenen Gedichten, wohl aber öfter aus der alten Geschichte und
aus dem Leben aller Stände, der Fürsten, Geistlichen, Ritter, 418
Handwerksleute, Bauern, an welche insgesammt seine löblichen
Ermahnungen auch gerichtet sind; zudem glaube ich, dass die
Philosophie, welche die höfischen Dichter entwickeln, zumal bei
der grossen Verschiedenheit unter sich, nicht als etwas Gemein-
gültiges oder nur einigermassen in der Nation Verbreitetes kann
betrachtet werden: ist doch das volksmässige Epos, selbst in
seinen in der Mitte des 13. Jahrhunderts erst entstandenen Bil-
dungen, niemals davon berührt worden. Hr. Gervinus möchte
dem Thomasin deshalb auch gerne einige Abneigung gegen
ihre Werke beilegen, allein wir finden bei ihm nur die zu allen
Zeiten und gewiss auch damals nicht seltene, blosser Ver-
ständigkeit so natürliche Ansicht, wonach die Poesie nichts als
eine herausgeputzte Lüge ist. Er ertheilt daher den guten
Rath, wenn man zu Verstand gekommen sei, sich nicht weiter
mit den Abenteuern der Dichter zu befassen, welche durch ihre
Einkleidung der Wahrheit in Lüge nur dienlich seien, den Geist
vorzubereiten, und bloss ein Abbild des Menschen, nicht den
Menschen selbst darstellten. Ich glaube, diese nüchterne An-
sicht hat der gute Thomasin nicht bloss von den höfischen
Dichtern seiner Zeit, sondern von allen epischen Dichtern über-
haupt gehegt, deren Werke er etwa nicht für historische Wahr-
heit nahm. Ihr eigentlicher Gegner aus einem tieferen Grunde
ist er nicht, so wenig als Freidank ein Gegner von Marolts
Parodie der Salomonischen Weisheit, dessen Worte Hr. Gervinus
462 VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM.
unrichtig verstanden hat: Freidank sagt nichts Anderes als: Marolt
verwandelte (verkerte) die Weisheit Salomons in das Entgegen-
gesetzte, d. h. parodierte sie, ohne im Geringsten sein Missfallen
darüber zu äussern.
419 Wäre Thomasins welscher Gast ein solches leuchtendes,
Epoche machendes Gedicht, wie Hr. Dr Gervinus glaubt, so
bleibt es unbegreiflich, wie das 13. Jahrhundert so gleichgültig
daran vorübergehen oder vielmehr gar keine Notiz davon nehmen
konnte. Freidank, der es doch billig hätte kennen sollen, weiss,
wie schon gesagt, nichts von ihm, aber ich erinnere mich auch
nicht, bei einem einzigen Dichter jenes Zeitraums eine Er-
wähnung oder Hindeutung gefunden zu haben. Nicht einmal
der belesene Hugo von Trimberg am Ende des Jahrhunderts
hat es gekannt, wenigstens nicht nach den Handschriften, die ich
eingesehen habe. Selbst der Mangel an Codd. des welschen
Gastes aus jener Zeit scheint mir daher nicht zufallig. Wir
sollen uns zwar von dem damaligen Urtheile nicht imponieren,
es aber auch nicht unbeachtet lassen; nicht leicht hat ein aus
der Mitte der Gesinnung eines Volkes hervorgegangenes Werk,
wie Hr. Gervinus den welschen Gast charakterisiert, völlige
Gleichgültigkeit erfahren. Die vorhandenen Papierhandschriften
zeigen, zu welcher Zeit man es hervorgesucht hatte. Püterich
also kennt es und Diebold Louber, der in der Mitte des 15. Jahr-
hunderts zu Hagenau Abschriften von Gedichten verfertigte,
nennt es unter denen, die käuflich bei ihm zu haben sind („item
diu himelsträze genant der welsche gast" ; dieser Titel ist passend,
ich weiss nicht, ob er alt ist). Mit Freidank war es anders,
und die Achtung, in welcher er stand und welche durchaus
nicht von dem Bürgerthum abhieng, beweist auch für jemand,
der ihn weniger schätzt, dass es an Sinn für Gedichte dieser
Art nicht fehlte. Kann ich also in Hrn. Dr Gervinus Urtheil
420 über beide Dichter nur einen Missgriff sehen, so fällt mir doch
nicht ein, ihm deshalb die Fähigkeit abzusprechen, ein originelles,
frisch aus dem Leben geschöpftes Werk von einem durch Studium
und Leetüre erworbenen zu unterscheiden.
Ebenso kann ich einer allgemeinen geschichtlichen Be-
merkung, die er in Beziehung auf beide Dichter macht, nicht
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 463
beitreten. Er findet bei ihnen das eben auftauchende bürger-
liche Element. Indessen besorge ich, muss er sich dabei bloss
auf die Nothwendigkeit stützen, die aus seiner Ansicht hervor-
geht; die Denkmäler selbst fügen sich dieser Annahme nicht.
Dass moralische Gedichte schon dem 12. Jahrhundert nicht
fremd waren, beweist ein Bruchstück, welches Docen in Mass-
manns Denkmälern bekannt gemacht hat, ferner das noch un-
gedruckte (nach 1173 verfasste) Gedicht von der heiligen Veronica,
das meist aus sittlichen Betrachtungen besteht. Da ich die
Stellen, worin Freidank sich zu Gunsten des Adels äussert, in
der Einleitung zusammengestellt habe und, wenn er Walther
ist, gar über seinen Stand kein Zweifel sein kann, so habe ich
nur zu zeigen, dass auch Thomasin kein Gegner des Adels
war. Es ist nicht zu erwarten, da er selbst dazu gehörte. Be-
SHSsen wir sein welsches Buch über höfisches Leben und höfische
Sitten, so würden wir wohl aus den Belehrungen, die es ent-
hielt, seine Anhänglichkeit an das Ritterthum abnehmen können.
Allein sie spricht sich schon hinlänglich im welschen Gaste
aus. „Wenn die unadelichen Jünglinge (die unedelen kint), sagt
er (Bl. 6*^), auch an Höfe kommen, so lernen sie doch nicht
feine Sitten: sie achten nur auf das Böse, nicht auf das Gute",
und das bekräftigt er mit einem sehr deutschen Sprichwort: 421
ich wil iu sagen daz der ber wirt nieraer guot singer. Weiter
sagt er : ich wil ouch daz miniu kint, diu von adel komen sint,
handeln ir gesellen wol. ein ieglich edel kint sol mit werken
unt mit muote sime gesellen tuon ze guote. Anderwärts beklagt
er sich über einen Ritter (173), im sult hern Keii volgen niht,
von dem mir vil unwirde geschiht, der tuot mir allenthalben
not. ja ist Keii noh niht tot, und hat darzuo erben vil. Auf
die Ansicht und das Sprichwort, dass der Adel in der Tüchtig-
keit bestehe, bei Thomasin wie bei Freidank, sollte mein Gegner
kein Gewicht legen, dem geringsten unbefangenen Nachdenken
kann diese Betrachtung nicht entgehen; sie findet sich schon
bei Juvenal, aber auch bei dem ganz ritterlichen Winsbeke und
anderen Dichtern des 13. Jahrhunderts (vgl. Einl. z. Freidank
XCII. XCIII. CV'I) und erlaubt durchaus keinen Schluss auf
eine besondere Stimmung oder irgend einen Gegensatz.
464 VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM.
Endlich gibt Freidank Hrn. Gervinus Veranlassung zu all-
gemeinen Bemerkungen über das deutsche Sprichwort. Er stellt
es dem griechischen gegenüber, als dessen Grundzug er Selbst-
erkenntnis, Mass und Besonnenheit im Wandel bezeichnet,
während der Deutsche, der sich bloss durch die Menschen
durchschlagen wolle, nur daran denke, in dem Sprichwort
Lebensklugheit zu lehren. Ein solcher Gegensatz, der mit der
Nadelspitze den Punkt bezeichnet, aus welchem sich das Ver-
ständnis eröflfnet, ist freilich willkommen, weil man damit so
leicht die Masse bewältigt. Könnte ich nur mehr als einen
422 blossen Einfall darin sehen. Lebensklugheit wird freilich auch
in deutschen Sprichwörtern gelehrt, wiewohl bei allen Völkern,
die Griechen nicht ausgeschlossen, aber es ist in keiner Weise
das Eigenthümliche derselben, ja sie scheint mir insofern gar
nicht im deutschen Charakter zu liegen, als man Behendigkeit
den Augenblick zu benutzen darunter versteht: eher dürfte man
sie in französischen Sprichwörtern erwarten. Sollte der Deutsche
die ihm eigene Beschaulichkeit, den Trieb zur Erkenntnis, die
Neigung, die Tiefe der Seele zu erforschen, gerade hier, wo
sich die angeborene Natur am unbefanorensten äussert, verleugnen?
Die lebensfrohe Heiterkeit der Griechen scheint sogar noch
weniger dahin zu neigen. Freidanks Werk widerlegt nicht bloss
durch den deutlich ausgesprochenen Zweck, sondern auch im
Einzelnen, wo man es aufschlägt, jene Behauptung, ja der
Dichter spricht ausdrücklich den Wunsch aus, dass Gott ihm
Selbsterkenntnis verleihen -möge. Hier ist nicht einmal ein
Grund vorhanden, die Griechen auf Kosten der Deutschen zu
erheben. Eine geistige Verwandtschaft scheint mir sogar in
dieser Hinsicht unverkennbar: ich habe dies schon in der Ein-
leitung bemerkt und will hier nur hinzufügen, dass auch histo-
rische Beziehungen im deutschen Sprichwort nicht ganz unbekannt
sind, wenn auch aus begreiflichen Ursachen nicht so häufig
als bei einem kleinen Volke; ich erinnere an Karies 16t und
keiser Otte, der den widerslac nicht verbieten kann.
Die Natur des Sprichworts verlangt Stätigkeit der Form,
ohne welche es sich selbst aufgeben würde. Herr Dr Gervinus
aber sagt: „das Sprichwort ist bei uns im Ganzen nicht zu einer
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 465
festen Form gediehen ; wir bevorzugen für den Ausdruck dieses 423
oder jenes Gedankens nicht das eine Sprichwort, sondern wir
freuen uns der Veränderung und des Neuen: wir begnügen
uns an der sprichwörtlichen Redensart und am figürlichen Aus-
druck, schafien deren noch jeden Tag neue, wie andere Natio-
nen oder Städte ihre Modewitze haben, und es ist vielleicht
bezeichnend, dass wir jene Redensarten oft mit dem Sprichworte
selbst verwechseln." Mir scheinen die in der Einleitung
zusammengestellten Sprichwörter aus dem 12. und 13. Jahr-
hundert, die sich bei Freidank wiederfinden, sodann die bedeu-
tende Anzahl derer, die bei Seb. Frank [Brant?] und anderen im
16. und 17. Jahrhundert imd in den Sammlungen von Sailer
und Kirchhofer noch heutzutage und zwar so genau, als es in
solchen Dingen nur möglich ist, mit ihm übereinstimmen, jene
Behauptung so vollkommen zu widerlegen, dass ich nichts
weiter hinzufügen will.
Da ich glaube, dass die vorangegangenen, durch das Werk
des Herrn Dr Gervinus veranlassten Erörterungen für das Ver-
ständnis Freidanks Einiges beitragen, so will ich mich nicht
weiter entschuldigen, dass ich die Grenzen einer Selbstanzeige
überschritten habe. Ich kehre zu dieser zurück, indem ich
noch Einiges mitzutheilen habe. In der Anmerkung zu 39, 10
wird gefragt, was das für ein vierfacher Lohn sei? Es scheint,
die Stelle ist unvollständig oder verderbt. Herr Hofrath Benecke
hat eine kühne, aber zugleich eine schöne Erklärung gewäh-
rende Herstellung versucht, die darauf beruht, dass V^. 39, 6 — 15
als ursprünglich zusammengehörig, in ihrer richtigen Folge
aber durch Abschreiber verwirrt betrachtet werden. Ich mache
sie hier mit seiner Erlaubnis bekannt.
Vier groze loene almuosen hat: 424
vro ist derz git als derz enpfät;
als vil sin ist des man da git,
als dürft sin ist in hungers zit;
wazzer laschet fiures gluot
alsam almuosen sünde tuet;
almuosen bitet vür den man,
der selbe niht gebiten kan:
W. GRIMM, KL. SCHRII'TEN. II. 80
466 VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM.
swerz git mit guotem willem dar,
dem werdent die vier loene gar. •
Das Schwierige dieser Emendation beruht darin, dass die
erste Ordnung der Handschriften V. 10 — 17 gar nicht kennt
und der allerdings selbständige Satz V. 6 — 9 auch nur in a
vorkommt: sodann dass in der zweiten Ordnung, in BCbcde,
dieser Satz 6 — 9 von dem folgenden weit getrennt steht. Nur
die dritte Ordnung zeigt die Verbindung von 6 — 9 mit 10 — 17,
allein diese dritte Ordnung weiss nichts von dem vierfachen
Lohn, sondern sagt bloss gröz Ion. — 53, 15. 16 kann ich jetzt
nach einer Stelle aus dem welschen Gast genauer erklären: der
lewe enpfindet wol s wanne man in jagen sol, so verstreichet er
sin spor gar mit dem zagel; daz ist war. da mite wil er daz
erwinden, daz in nin müg der jeger vinden (198 b). Der Aus-
druck eren besme bei Freidank bezieht sich also zugleich auf
den Büschel an des Löwen Schweif. — XCII, 1 1 ist Heinrich
V. Veldeke zu streichen, vgl. Lachmann über Singen und Sagen
p. 12 [Kl. Sehr. I, 472]. — 20, 2 ist und einzuklammern.
M5 In dem Archiv für die Geschichtskunde des Preussischen
Staates von Ledebur Bd 14, S. 174 wird Nachricht gegeben
von hölzernen Scheiben, jede mit einem Brustbilde und einer
Umschrift, die sich auf dem Rathhause zu Erfurt befinden.
Möglich dass sie noch in das 13. Jahrhundert gehören, die
Sprachformen lassen das wohl zu. Die Umschriften enthalten,
so weit sie lesbar sind, und das gilt von etwa der Hälfte (es
sind im Ganzen mehr als 30 Scheiben), jedes Mal einen Spruch
von zwei Zeilen aus dem Freidank und beweisen abermals, wie
446 verbreitet das Gedicht war. Unter den mitgetheilten 19 Sprüchen
findet sich nichts Neues, wohl aber 175, 16. 17 ein Spruch, der
in der ersten und zweiten Ordnung der Hss. unbekannt ist
und nur in aABrant sich zeigt; die Lesarten stimmen sehr
unabhängig bald mit dieser, bald mit jener Ordnung, in 48, 9
nur mit '(, in 164, 3 nur mit B und in 63, 23 abweichend
von allen.
In dem Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit von
Mone 1835 gibt der Herausgeber S. 57 — 60 Nachricht von der
Karlsruher, aus Ettenheim - Münster stammenden Handschrift
VRIDANKES BESCHEIDENHEIT VON WILHELM GRIMM. 467
des Freidank, welche ich nicht eingesehen habe. Sie ist im
15. Jahrhundert auf Papier in Folio geschrieben und gewährt
nur 981 Verse, würde aber, wenn der Schluss auch nicht fehlte,
doch nicht über 1200 enthalten haben. Also nur ein Auszug.
Nach den mitgeth eilten Proben zu urtheilen, gehört sie weder
zu der ersten noch der zweiten Ordnung, sondern scheint einen
mit der Berliner Handschrift a verwandten Auszug zu liefern,
und zwar so, dass sie wie n aus einem unbekannten Text, der
seine eigene Ordnung hatte, abstammt, aber in ihrer Auswahl
nicht a gefolgt, sondern ihren eigenen Weg gegangen ist, d. h.
sie hat Anderes, und mehr als a, ausgelassen. Anderes beibehalten.
Sie enthält 75, 22. 23, was sonst nur aus a, 97, 26. 27, was
sonst nur aus Ab, und 35, 4. 5, was sonst nur aus aABBrant
bekannt war: sie folgt 58, 12. 13 der Lesart von A gegen die
übrigen, zeigt aber auch 47, 10. 11 die verderbte Lesart der
zweiten Ordnung. Mone hat über 100 Verse ausgehoben, ein-
zelne Sprüche, die in meiner Ausgabe fehlen sollen, allein er
irrt, sie stehen bis auf zwanzig sämmtlich darin, nur hat er sie
bei der grossen Verderbnis dieses Textes in dem Reimregister 427
nicht auffinden können. Von den acht Sprüchen, welche jene
zwanzig Zeilen ausmachen, scheinen mir aber nur ein Paar echt
zu sein. V. 23. 24 (nach Mones Zählung) wird schon durch
das abgekürzte Adv. reht für rehte, das sich Freidank im Reim
nicht würde erlaubt haben, verdächtigt, ebenso 933. 934, wo
ausserdem die erste Zeile ohne Metrum ist. V. 311. 312 scheint
mir nichts als eine Entstellung von 34, 15. 16. V. 315 — 319
und 321. 322 sind unklar im Ausdruck und trivial in den Ge-
danken. V. 493. 494 sind wohl aus 135, 20 und 94, 2 zusam-
mengeflickt. Also möchten nur zwei Sprüche von Freidank
herrühren und einen echten Nachtrag enthalten. V. 155. 156.
Gedanc, beeren unde sehen
diu wellent (den wil?) nieman stfete jehen.
Und V. 249—252.
Driu dinc sint al eine
aller manne gemeine,
pfaffen wip, unt spiler win,
begozzen brot magz dritte sin.
80*
468 WOLFRAM VON ESCHENBACH VON SAN-MARTE.
Unter pfaflFen wip wird wohl meretrix, unter spiler win der
gewöhnliche Wein verstanden; begozzen brot ist mit Fett
beträufeltes Weissbrot, eine, wie es scheint, häufige Näscherei.
MS. 2, 191 so der haven walle, unt daz veizte drinne swimme,
so begiuz in wiziu brot. Fragm. 30 a betröifete wecke.
Mone hat ebendaselbst S. 56. 57 ein von ihm in Köln
gefundenes Fragment von zwei Pergamentblättern in Duodez
aus dem 14. Jahrhundert abdrucken lassen. Es enthält 290 —
337 Müller (nur 303 ist weggeschnitten), aber darunter ist
nichts Neues, denn die vier Zeilen, die der Herausgeber dafür
ansieht und besternt hat, finden sich in meiner Ausgabe 50, 16. 17
448 und 78, 13. 14, ja auch bei Müller, wo nur 78, 14 ganz
entstellt ist.
Druckfehler habe ich im Buche nicht anzeigen können und
hole es hier nach.*) W. Grimm.
647 LEBEN UND DICHTEN
WOLFRAMS VON ESCHENBACH.
Herausgegeben von San-Marte. Erster Band. Parcival. Mit dem zweiten
Titel: Parcival, Rittergedicht von Wolfram von Eschenbach. Aus dem Mittel-
hochdeutschen zum ersten Male übersetzt. Magdeburg, Verlag der Creutz'schen
Buchhandlung 1836. LIX und 672 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, Stück 65, den 25. April 1836.
S. 647-648.
i.M achdem man das Nibelungelied von sehr verschieden-
artigen Gesichtspunkten aus übersetzt und Walthers Lieder in
einer ansprechenden Bearbeitung dem grossen Publikum vorge-
führt hat, kommt nun auch die Reihe an Wolfram von Eschen-
bach. Lachmanns treffliche Ausgabe hat freilich den Gedanken
erst möglich gemacht, allein die Aufgabe ist doch hier viel
schwieriger. Das Verständnis des Textes eröffnet sich nicht so
leicht, und selbst wenn der Übersetzer glücklich dazu gelangt
ist;, hat er zu befürchten, dass der gewöhnliche, poetischen
Genuss ohne Mühe suchende Leser ihm nicht treu bleibt, weil
er sich schon etwas anstrengen muss, wenn er dem sinnreichen
*) [Sie sind weggelassen worden.]
WOLFRAM VON ESCHEXBACH VON SAN-MARTE. 469
und tiefdenkenden Dichter folgen und das verschlungene Gewebe
der Fabel gegenwärtig behalten will. Am dankbarsten werden
diejenigen eine t^ersetzung aufnehmen, welche sich mit der 648
alten Sprache nicht gerne befassen wollen, aber Einsicht in den
Inhalt und Geist von Wolframs Gedichten zu erlangen wünschen.
Hier empfangen sie vorerst sein grösstes, mit einer Fülle von
poetischem Leben ausgestattetes Gedicht, den Parcival. Herr
San-Marte (wie sich der Übersetzer nennt) hat mit Takt und
Geschick die Sache angegriffen : er hat sehr richtig eingesehen,
dass eine wörtliche, dem Inhalte und Sinn streng folgende
Übersetzung gar nicht möglich sei , und sich daher mit vollem
Rechte die Freiheit genommen, das alte Gedicht Form und
Inhalt nach, darf ich so sagen? mundrecht zu machen. Es kann
jetzt mit viel grösserer Bequemlichkeit genossen werden. Wolf-
ram sucht einsame, von anderen noch niemals betretene Pfade,
hier ist der Weg gebahnt, auf welchem man, ohne aufgehalten
zu werden, fortschreiten kann. Ob im Einzelnen der Sinn
jedes Mal genau getroffen sei, würde eine überflüssige Unter-
suchung nöthig machen : wir vertrauen, dass der Übersetzer im
Ganzen sein Original verstanden hat; und da er, wo er es
angemessen findet, eine Reihe von Versen auslässt oder umstellt,
um den Gang der Erzählung, den Wolfram so gerne unterbricht,
regelmässiger zu machen, so kommt es auf den grammatischen
Sinn von ein Paar Zeilen oder eines Satzes gerade nicht an.
Da eine mit Einsicht und sichtbarer Liebe zur Sache ausge-
führte Einleitung den Geist jener Zeit in allgemeinen Umrissen
darstellt, für das Verständnis im Einzelnen ausserdem Anmer-
kungen hinzugefügt sind, endlich durch Abtheilungen und kurze
Angabe des Inhalts die Übersicht des Ganzen erleichtert wird,
so ist es kaum nöthig das Buch zu empfehlen: es wird sich
denen, deren Bedürfnis es mit Sinn und Geschmack befriedigt,
von selbst empfehlen.
W. Grimm.
470 DER ROSENGARTE VON WILHELM GRIMM.
405 DER ROSENGARTE VON WILHELM GRIMM.
Göttingen in der Dieterich'schen Buchhandlung. 1836. LXXXIV und 94 S. in 8.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, Stück 41, den 13. März 1837.
S. 405—407.
Ochon lange in dem Besitze eines noch unbekannten Textes
des Rosengartenliedes, habe ich doch mit der Herausgabe
desselben gezögert, weil ich auf Entdeckung einer älteren
Handschrift hoflFte. Da das in dem Munde der Überlieferung
beständig sich umwandelnde Epos keine Zurückführung auf
einen ursprünglichen Text gestattet und jede eigenthümliche
Auffassung Berücksichtigung verdient, so wäre gegenwärtige in
das 15. Jahrhundert fallende Handschrift auch neben einer
früheren und besseren der Bekanntmachung immer noch werth
gewesen; allein ich wollte die Untersuchung über die Fabel
406 nicht übergehen, und diese würde durch einen älteren Text
ohne Zweifel sehr gefördert worden sein. Indessen schwand
jene Hoffnung nach so manchen vergeblichen Nachforschungen
immer mehr, und da überdies die Handschrift, von welcher ich
Abschrift genommen hatte, nach England gewandert war, so
entschloss ich mich, die mehrmals zurückgelegte Arbeit wieder
vorzunehmen und zu beendigen. Ob meine in der vorange-
stellten Abhandlung dargelegte Ansicht von der Entstehung und
Fortbildung des Liedes, das poetischen Werth hat und sich
Form und Inhalt nach näher als ein anderes an das Nibelunge-
lied anschliesst, die richtige ist, muss ich freilich anderen zu
beurtheilen überlassen; indessen kann die Vergleichung der
verschiedenen Darstellungen der Fabel und was ich sonst zu
ihrem Verständnis beigebracht habe auch dem, der eine von
der meinigen ganz verschiedene Vorstellung hat, noch immer
brauchbar sein. Ein Text, wie der vorliegende, erlaubte keine
kritische Behandlung, wie das Werk eines bekannten Dichters;
ich habe also nur Einiges verbessert und ergänzt, und im Übrigen
mich begnügt, die schlechten Sprachformen des 15. Jahrhunderts
zu beseitigen, jedoch beibehalten, was der geschichtlichen
Grammatik von Nutzen sein konnte.
BRÜDER GRIMM, KINDER- UND HAUSMÄRCHEN. 471
V. 567 und 570 lies daz für das. V. 569 waz für was.
V. 881 trütgesellen. V. 956. 957 diu für die. V. 1725 anderz
für anders. Der Eigenname Versähe 49. 55, obgleich in Aa
Bersähe vorkommt, ist doch wohl nur Entstellung von ver
(vrou) Sähe, und Ab enthält das Richtige, ze sunnegihten
(Einleit. XXX) heisst nicht vor Sonnenuntergang, sondern zu
Johanni , wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat 407
und wieder zu sinken beginnt; mithin fallt auch die Folgerung
S. LXVI weg. Wilh. Grimm.
KIXDER- UXD HAÜSMÄRCHEN. 1342
Gesammelt durch die Brüder Grimm. Grosse Ausgabe. Mit zwev Kupfern.
Dritt« vermehrte und verbesserte Auflage. Göttingen, bey Dieterich, 1837.
Erster Band XXVIII und 513 Seiten. Zweiter Band 385 Seiten in Duodez.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd III. Stück 185, den 20. November 1837.
S. 1842— 1&44.
XJieses Buch enthält eine Sammlung mündlicher, grossen-
theils von uns selbst aufofefasster Überlieferungen, welche zu
vervollständigen wir seit "25 Jahren keine Gelegenheit versäumt
haben. Gegenwärtige Ausgabe ist nicht nur durch eine Anzahl
neuer Märchen (unter welchen sich einige in Schweizer Dialekt
durch Sprache und Inhalt auszeichnen) vermehrt, sondern viele
der schon bekannten sind umgearbeitet und durch einzelne
Züge verbessert oder vervollständigt worden. Was noch jetzt 1*43
von Dichtungen dieser Art in Deutschland sich erhalten hat,
davon hoflfen wir das Wichtigste und Beste zusammenorebracht
zu haben. Wir glauben der Sammlung auch in diesen gelehrten
Anzeigen Erwähnung thun zu dürfen, da sich der wissenschaft-
liche Werth derselben in mancher überraschenden Verwandt-
schaft mit alten Sagen bewährt hat und die deutsche Mythologie
sie nicht unberücksichtigt lassen konnte.
Der dritte Theil, dessen Inhalt sich lediglich auf den
gelehrten Gebrauch der Sammlung bezieht und daher nur in
einem viel engeren Kreis Eingang finden konnte, ist dies Mal
nicht mit abgedruckt worden, weil noch Exemplare in der
Reimer'schen Buchhandlung in Berlin vorräthig sind. In der
472 LA CHANSON DE ROLAND PAR FRANCISQUE MICHEL.
Folge soll dieser Theil als ein für sich bestehendes Werk
erscheinen, in welchem auch die der vorigen Ausgabe voran-
gesetzten Einleitungen von dem Wesen der Märchen und von
Kindersitten einen Platz finden werden.
Eine Auswahl als kleinere Ausgabe in einem Bändchen
ward 1825 veranstaltet, neue Auflagen davon sind 1833 und
1836 in Berlin erschienen.
Die Sammlung ist auch im Auslande beachtet und in
mehrere Sprachen übersetzt worden, am besten und vollstän-
digsten ins Englische. Die französische Übersetzung von Gerard
enthält nur eine Auswahl, eine andere so eben angekündigte
von Theil scheint, da sie aus zwei Bänden bestehen soll, das
Ganze zu umfassen.
Auf die Correctur ist Sorgfalt verwendet, nur Theil 1,
S. XXIV, Zeile 5 von oben lies „für Kinder" und Zeile 5 von
unten „enthielt"; Zeile 4 von unten ist „eisernen" statt „armen"
zu setzen.
Die beiden Stahlstiche und die Titelblätter in farbigem
Steindruck mit goldenen Arabesken werden hoffentlich gefallen,
1844 überhaupt gereicht die äussere Ausstattung der Dieterich'schen
Buchhandlung, auf welche der Verlag dieser grösseren Ausgabe
übergegangen ist, zur Ehre. W. Gr.
489 LA CHANSON DE ROLAND OU DE RONCEVAUX
du XIP siecle publiee pour la premiere fois d'apres le manuscrit de la
bibliotheque Bodleienne ä Oxford par Francisque Michel. Paris, bei Silvestre
1837. LXIX und 317 Seiten in gross Octav.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 50. 51. Stück, den 29. März 1838.
S. 489-498.
TT ir halten es für ein gutes Zeichen, dass auch in Frank-
reich ein neuer Eifer für Erforschung des Mittelalters und
seiner Dichtungen sich regt. Vielleicht lenkt auch dort die
endlose Bewegung der Gegenwart den Geist auf die Betrachtung
früherer Jahrhunderte, denn eine Zeit, die mit der einen Hand
immer wieder nimmt, was sie mit der anderen gegeben hatte,
LA CHANSON DE ROLAND PAR FRANCISQUE MICHEL. 473
sucht von selbst, im Gefühle ihres Mangels, ein Bild dauernder
naturgemässer Zustände. Möge sie daraus eine Stärkung em-
pfangen. In Deutschland war es der Druck fremder Gewalt,
der dem Studium des Mittelalters neue Kraft gab, und der
damals gelegte Keim ist herangewachsen und trägt schon jetzt 490
nicht verächtliche Früchte. Mit den Gesängen der Troubadours
war man, wie etwa in Deutschland mit den Minneliedern,
immer in einiger Bekanntschaft geblieben; an sie knüpfte sich
in der Ausgabe von Raynouard (Paris 1816 — 1821) das neu
beginnende Studium, an welchem auch Deutschland in den
gelehrten, aus den Quellen geschöpften Werken von Diez den
würdigsten Antheil nahm. Zunächst kam an die Fabliaux, von
welchen Meon eine neue Ausgabe lieferte, an die Poesieen der
Marie de France, an den von den Franzosen überschätzten
Roman von der Rose und kleinere Gedichte, die, weil sie keck,
witzig, heiter und frivol sind, dem französischen Geiste besonders
zusagen, die Reihe. Der Roman du Renard verdankt viel-
leicht seine Herausgabe durch Meon (1826) der so verbreiteten
Ansicht, dass er eine politische Satyre enthalte, die auf alle
Zeiten anwendbar sei. Nicht eigentlich der Sagenpoesie zuge-
hörig ist der Roman de Rou et des ducs de Normandie von
Robert Wace, den Pluquet (Ronen 1827 in zwei Bänden) heraus-
gab. Die Geschichte des Chatelain de Coucy und der Dame
Fayel hat Crapelet (1829) bekannt gemacht. Auch die Anfange
der dramatischen Kunst, die Mysterien, sind so eben bedacht
worden. Die erste epische Dichtung ward am längsten zurück-
geschoben. Der grosse Umfang der vorhandenen Denkmäler
und die daraus entspringende Schwierigkeit, sich des materiellen
Inhalts zu bemächtigen, die ein anhaltendes Studium und ein
volles Hingeben an den Gegenstand verlangt, mögen die
Ursache gewesen sein. Und doch waren hier Schätze an das
Licht zu ziehen, die durch ihren inneren Werth ebenso wie
durch ihre Wichtigkeit für die Geschichte der Sage sich aus-
zeichnen. Wenn die rein lyrische Dichtung, menschliche Gefühle 491
und Empfindungen offenbarend, nach-Jahrhunderten noch wahr
und eindringlich bleibt und sogar der Gesang eines in Wäldern
hausenden Wilden dem zusagen kann, der an die feinsten
474 LA CHANSON DE ROLAND PAR FRANCISQUE MICHEL.
Früchte langer Cultur gewöhnt ist, so hängt das Epos dagegen
mit der geschichtlichen Entwickelung des Volkes und der
äusseren Erscheinung seines Lebens zusammen und kann erst
durch Einsicht in die Umgebvmgen, in welchen es aufwuchs,
vollständig und in seinem Werthe erkannt werden. Fauriels
Vorlesungen (de l'origine de l'epopee chevaleresque du moyen
age. Paris 1832), denen Uhlands schöne Abhandlung über das
altfranzösische Epos (1812) vorangegangen war, gewähren eine
passende Einleitung in dies Studium. Fauriel geht von gesunden
Ansichten aus und hat sie auf eine geistreiche Weise mit der
seiner Nation eigenthümlichen Behendigkeit dargelegt. Hat er
auch die Quellen nicht mit der Genauigkeit und Gründlichkeit,
an welche wir Deutsche gewöhnt sind, untersucht, so hat er
doch mit natürlichem Takt und einem scharfen Auge das
Bedeutende glücklich herauszufinden gewusst. Für mehr als
eine einladende Vorarbeit kann das Buch freilich nicht gelten.
Indessen ist auch die histoire litteraire de France in ihrem
18. Bande (1835) bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts fort-
gerückt. Da die Wege also abgesteckt sind, so war es Zeit,
die eigentliche Arbeit zu beginnen, und schon jetzt haben wir
Ursache, uns des Fortschritts darin zu erfreuen. In wenigen
Jahren sind wichtige Quellen der epischen Poesie bekannt
gemacht worden. Paulin Paris hat Berte aus grans pies (Paris
1832) und Garin le Loherain (2 Bände, Paris 1833. 1835),
492 Francisque Michel, der sich besonders thätig zeigt, the poetical
Romances of Tristan (2 Bände, London 1835) und Charlemagne
(London 1837) herausgegeben, wozu die oben genannte chanson
de Roland kommt ^). Auch in dieser Richtung hat Deutschland
seine Theilnahme durch von J. Bekker besorgten provenzalischen
Fierabras, dessen Werth von französischen Gelehrten anerkannt
wird, bethätigt. Wird es dort jemand übernehmen, uns ein
altdeutsches Gedicht zuzuführen?
Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich das Rolands-
lied als das wichtigste unter allen bisher bekannten altfran-
1) Die hiesige Bibliothek hat nicht gesäumt, sich mit diesen Schätzen,
die meist nur in einer geringen Anzahl von Exemplaren abgedruckt sind, zu
bereichern.
LA CHA.XSOX DE ROLAND PAR FRANCISQIJE MICHEL. 475
zösischen Denkmälern der epischen Dichtung betrachte, ja ich
bezweifle, dass sich unter den ungedruckten, so wünschenswerth
die Bekanntmachung mancher anderen, z. B. Gerhards von
Roussillon, wäre, sich noch eins befindet, das ihm an die Seite
gesetzt zu werden verdient. Es ist, wie verschieden im Geiste,
das Nibekingehed der welschen Sage: es besingt die Thaten,
die fränkische Helden unter Karl dem Grossen vollbrachten,
mit der Kraft, dem Ernste, der Einfachheit und Unschuld des
ursprünglichen Volksepos. Weit ab liegt es im Geiste von
jenem mit der Leichtfertigkeit französischer Galanterie reichlich
ausgestatteten Gedichte von Charlemagne, das Karls mit den
zwölf Pairs unternommenen Zug nach Jerusalem beschreibt.
Es befinden sich in Frankreich mehrere, darunter auch
alte Handschriften des Rolandsliedes, aus welchen Monin in
seiner Dissertation (sur le roman de Roncevaux, Paris 1832,
wozu Michels examen critique, das in demselben Jahre erschien,
gehört) einen Auszug mit eingerückten Stellen geliefert hat ; im
auch wurde schon damals der Abdruck einer Handschrift durch
Bourdillon angekündigt, der aber nicht zu Stande kam. Ein
älterer und, schon nach dem Auszuge in der bist. litt, de
France 18, 714 — 720 zu urtheilen, besserer Codex wurde in
der Bodleianischen Bibliothek zu Oxford aufbewahrt. Durch
die dankbar anzuerkennende Unterstützung des französischen
Ministeriums, an dessen Spitze Guizot stand, ward es Hrn. Michel
möglich gemacht, nach England zu reisen und eine auch äusser-
lich würdig ausgestattete Ausgabe zu liefern. Wir erhalten hier
seine eigenhändige Abschrift des Bodleianischen Manuscripts,
dem ein Facsimile beiliegt. Auf eine kritische Behandlung des
Textes hat sich der Herausgeber, wohl mit Recht, nicht einge-
lassen: es ist ein einfacher Abdruck, dem er einige Anmer-
kuncren und ein brauchbares Glossar mit eingemischten anti-
quarischen Erläuterungen zugegeben hat. Die Vorrede enthält
litterarische Nachweisungen und eine durch reichliche Mittheilung
einzelner Stellen schätzbare Übersicht aller bis dahin bekannt
gewordenen Handschriften des Liedes. Endlich gibt der Heraus-
geber, unterstützt von anderen Gelehrten, in einem Anhange
Auskunft über alle ihm bekannt gewordenen Darstellungen der
476 LA CHANSON DE KOLAND PAR FRANCISQDE MICHEL.
Sage, unter welchen der Abdruck eines lateinischen Gedichts
aus einer Cotton. Handschrift und ein Auszug aus einem alt-
englischen Gedichte als bisher unbekannt die wichtigsten sind.
Fleiss und Thätigkeit des Hrn. Michel verdienen rühmliche
Anerkennung.
Der Text dieser Oxforder Handschrift entfernt sich von
dem der anderen vielfach und in verschiedenen Abstufungen.
Im Ganzen ist er älter, einfacher und kürzer. Zuweilen stimmt
494 er mit den übrigen wörtlich, öfter dem Sinne nach, nicht selten
weicht er ab, indem jene nicht bloss ausführlicher und umständ-
licher erzählen, sondern den Inhalt der Sage selbst erweitern,
sei es durch Fortbildung des Einzelnen, oder durch ganz neue
Zusätze. Ein ziemlich ähnliches Verhältnis gewähren auch
Gedichte der deutschen Heldensage, aber eine ganz eigenthüm-
liche Erscheinung, und zwar, so weit sich urtheilen lässt, aller
älteren Handschriften ist hier, dass bedeutende, vorragende
Stellen nicht bloss in einer, sondern manchmal in mehrfach
abweichender Erzählung vorkommen und diese verschiedenen
Auffassunoen ohne Verbinduno^ hinter einander folgen.
Diese innere Beschaffenheit der verschiedenen Texte an
sich, wie die bemerkte Übereinstimmung im Grossen, neben der
auffallendsten Verschiedenheit im Einzelnen, machen es unmöglich,
das Rolandslied als das Werk eines und desselben Dichters
anzusehen. In dem Oxforder Codex wird zwar am Schlüsse
ein Turold genannt, und die hist. litt, de France trägt kein
Bedenken, ihn als den Dichter aufzuführen, allein die undeut-
lichen Worte berechtigen an sich noch nicht zu einer solchen
Annahme; welchen Antheil aber auch dieser Turold an der
Auffassung des Gedichtes mag gehabt haben (vielleicht war er
sehr gering und unbedeutend), in keinem Falle darf er als der
Urheber der in sich so verschiedenen Darstellungen betrachtet
werden. Zudem beruft sich das Gedicht selbst nicht bloss auf
die Sage (90 dist la geste), sondern auch schon auf eine schrift-
liche Quelle (il est escrit en l'ancienne geste 272, 19). Wir
können also hier nichts Anderes annehmen, als was wir bei dem
Volksepos schon so oft bemerkt haben, ein Urheber ist nicht
bekannt, es lebt nur in der Überlieferung der Sänger.
LA CHANSON DE ROLAND PAR FRANCISQUE MICHEL. 477
Zeugnisse von dem lebendigen Dasein der Dichtung fangen 495
mit dem 12. Jahrhundert an, und schon um 1100 geschieht der
Lieder der Volkssänger von Roland Erwähnung. Reichlich sind
die Anspielungen darauf bei den Troubadours jener Zeit, und
man kann ohne Gefahr eines bedeutenden Irrthums die älteste
erhaltene Darstellung des Gedichts in die Mitte des zwölften
Jahrhunderts setzen. Die eigene Erscheinung, dass es nur in
nordfranzösischer Sprache sich vorfindet, will man dahin er-
klären, dass es ursprünglich provenzalisch abgefasst, hernach in
jene Mundart sei übertragen worden, gewiss unrichtig, wie
schon die Mannigfaltigkeit der Auffassungen beweist.
Von dem Ursprünge und der allmählichen Fortbildung der
Sage habe ich Gelegenheit bei der bevorstehenden Herausgabe
des deutschen Rolandsliedes zu reden, das den Geistlichen
Konrad zum Verfasser hat, der schon in der zweiten Hälfte
des zwölften Jahrhunderts ein französisches Original übersetzte
und dessen Arbeit die Grundlage einer späteren Überarbeitung
durch Stricker ward. Dort wird sich auch das Verhältnis der
deutschen Gedichte zu den erhaltenen altfranzösischen darleo^en
lassen.
Ich habe schon vorhin den poetischen Werth des Liedes
gerühmt, man wird ihn am besten erkennen, wenn ich ein für
sich verständliches Bruchstück heraushebe und in einer einfachen
und ungekünstelten Übersetzung mittheile. Man wird hier
schon die Unschuld und Reinheit der Gedanken, die niemals
von ihrem Gegenstande abschweifen, wie die einfache Schönheit
und Eindringlichkeit des Ausdrucks erkennen. Zur Einleitung
dient Folgendes.
Kaiser Karl, im Begriflfe nach Frankreich heimzukehren, 496
war durch den weittönenden Schall von Rolands Hörn zurück-
gerufen. Als er mit seinem Heere in Runzival anlangt, ist
Roland mit allen Franken todt imd das Feld mit den Leichen
der Christen und Heiden bedeckt. Er ruft seine Helden, die
zwölf Pairs, mit Namen, aber keiner antwortet. Gross ist seine
Trauer. Herzog Naimes sagt ihm, in einer Entfernung von
zwei Meilen könne man den Staub auf dem Wege der Heiden
sehen, die bei -seiner Ankunft geflohen waren. Karl lässt eine
478 LA CHANSON DE ROLAND PAR FRANCISQUE MICHEL.
Wache bei den Todten und eilt den Feinden nach. Als er
sieht, dass der Abend herannaht, steigt er ab, kniet auf die
Erde und bittet Gott, die Sonne stehen zu lassen. Ein Engel
erscheint ihm und heisst ihm weiter reiten : es werde ihm nicht
an Tageshelle fehlen, Gott wisse, dass die Blüthe von Frank-
reich verloren sei, er solle an dem verbrecherischen Volke
Rache nehmen. Die Sonne bleibt stehen. Die Feinde fliehen, die
Franken erreichen sie vor dem Ebro. Die Sarazenen, ihren Gott
Tervagant anrufend, springen in den Fluss und ertrinken alle.
Als Karl nun todt die Heiden alle sieht,
erschlagen viel, doch mehr im Fluss ertränkt,
(gross war die Beute, die die Franken fanden),
so steigt vom Ross herab der edle Kaiser,
wirft nieder sich zur Erde, dankt dem Herrn:
und als der aufsteht, sinkt die Sonne erst hinab.
Der Kaiser spricht: „jetzt ist es Zeit zu rasten,
wir können nicht nach Runzival zurück:
die Rosse sind ermüdet und erschöpft,
hebt ab die Sättel, zieht vom Kopf die Zügel
und lasst sie auf den Wiesen sich erkühlen. "
Die Franken sagen: „Herr, wie ihr befehlt."
Der Kaiser nimmt da seine Lagerstätte,
497 auf das zerstampfte Feld zerstreuen sich die Franken,^
den Rossen haben sie die Sättel abgezogen,
die goldenen Zügel, dass den Kopf sie senken
und auf den Wiesen frisches Gras sich suchen.
Sie können hier nicht bessre Pflege finden.
Wer müd ist, legt zur Erde sich und schläft,
und unbewacht sind sie in dieser Nacht.
Der Kaiser legt sich nieder auf die Wiese,
bei seinem Haupte ruht sein mächt'ger Speer:
in dieser Nacht will er sich nicht entwaffnen.
Er trägt am Leib den schön gezierten Panzer,
den goldnen Helm, den reich gesteinten, auf dem Haupt„
umgürtet mit Joiuse: seines gleichen gibt es nicht,
ihm muss an Glanz der Strahl der Sonne weichen.
Wir wissen Sagen viel von jener Lanze,
womit der Herr am Kreuze ward verwundet:
Karl hat den Stahl, sei Gott dafür gedankt,
an einen Griff von Gold hat er ihn setzen lassen.
RUOLANDES LIET VON WILHELM GRIMM. 479
Ob solcher Ehr und solcher Herrlichkeit
ward dieses Schwert Joiuse dann geheissen.
Die fränk'schen Ritter diirfen"s nicht vergessen,
dass Munjoi ihr Ruf ist in der Schlacht.
Kein Volk kann ihnen darum widerstehn.
Klar ist die Nacht, der Mond ist leuchtend. "
Karl legt sich, aber Roland macht ihm Qual,
um 01i\'ier ist er in tiefen Schmerzen,
um die zwölf Pairs. um all die Franken,
die er hat todt in Runzival gelassen.
Da hebt er an zu weinen und zu jammern,
er bittet Gott um Gnade für die Seelen. 49*
Müd ist der Kaiser, denn der Schmerz ist gross.
Da schläft er ein, nichts konnte er weiter thun.
Auf allen Feldern schlafen rings die Franken:
kein Ross, das länger aufrecht bliebe;
das Gras verlangt, das frisst im Liegen.
Viel hat gelernt, wer recht erkennt die Noth.
Karl schläft als ein erschöpfter Mann,
Sanct Gabriel hat Gott herabgesendet
mit dem Geheiss. den Kaiser zu bewachen.
Der Engel steht die Nacht an seinem Haupt,
und ein Gesicht zeigt ihm im Bild voraus
die grosse Schlacht, die ihn am Tag erwartet.
Wilhelm Grimm.
RUOLANDES LIET VON WILHELM GRIMM. 1129
Mit einem Facsimile und den Bildern der pfälzischen Handschrift. Göttingen
In der Dieterich'schen Buchhandlung. 1838. CXXVIU und 346 Seiten
in gr. 8. Die Steindrucktafeln besonders in Folio.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd II, 114. 115. Stück, den 19. JuH 1838.
S. 1129—1131.
-Cindlich erscheint das lange versprochene Rolandslied,
wovon bisher nur die Hälfte und auch diese nur in den Bruch-
stücken, aus welchen die Strassburger Handschrift besteht,
bekannt geworden war. Der aus Rom zurückgekehrte pfäl-
zische Codex enthält allein das Ganze, freilich noch immer mit
480 RUOLANDES LIET VON WILHELM GRIMM.
einer Lücke von zwei Blättern, welche auch ein Schweriner
und ein Stuttgarter Bruchstück, wie sich doch glücklicherweise
hätte treffen können, nicht ausfüllen. Ich liefere hier einen
sorgfältigen Abdruck die Pfälzer Handschrift mit den Lesarten
der übrigen; zu einer durchgreifenden kritischen Bearbeitung
reichten die vorhandenen Hilfsmittel nicht aus: was ich dafür
1130 thun konnte, habe ich in den Anmerkungen zusammengestellt.
Die Bilder der pfälzischen Handschrift waren in mehr als einer
Beziehung zu wichtig, als dass ich sie hätte zurücklassen
dürfen; ihre Nachbildung ist treu und durchaus nicht verschönert.
Auch eine Schriftprobe von zwei Handschriften hielt ich für
nöthig, weil es schwierig ist, genau ihr Alter zu bestimmen,
wiewohl ich der Meinung bin, dass sie noch ins zwölfte Jahr-
hundert gehören ; und dahin sind auch, wie es scheint, die zwei
anderen zu setzen, von welchen ich ein Facsimile zu liefern
nicht im Stande war.
• Das Gedicht ist dem Epilog zufolge durch einen Geistlichen
(pfaffen), Namens Konrad, aus dem Französischen übersetzt;
der Herzog Heinrich, dessen Gemahlin die Übersetzung veran-
lasste, war, wie ich glaube überzeugend dargethan zu haben,
Heinrich der Löwe. Die Zeit der Abfassung fällt nach meiner
Meinung in das Jahr 1173—77.
Die Fragen, zu welchen die Natur des Gedichts Veran-
lassung gab, habe ich in der Einleitung zu beantworten gesucht.
Dass ich dabei noch das vor kurzem in Paris bekannt gemachte
altfranzösische Lied von Roland, von dem ich in diesen Anzeigen
■ No. 50. 51. (oben S. 472 — 479) gesprochen habe, benutzen
konnte, war mir sehr förderlich. Ich habe also das Verhältnis
des deutschen Gedichts zu diesem und den übrigen bekannt
gewordenen Darstellungen des Mittelalters untersucht, wobei ich
Strickers im 13. Jahrhundert unternommene Überarbeitung am
ausführlichsten behandeln musste; sodann habe ich über Ent-
stehung, Fortdauer, ursprüngliche Gestalt und poetische Auf-
fassung der Sage meine Ansicht geäussert.
Die Erklärung eines Bildes ist ausgefallen und daher
1131 S. XXVIII zuzufügen: „16. König Cursable bittet den König
Marsilie, ihm den Kampf mit Roland zu gestatten".
WELTCHRONIK RUDOLFS VON EMS VON A. F. C. VILMAR. 481
Wenn ich mich über den inneren Werth und die Wichtig-
keit dieses Denkmals für die Geschichte d6r epischen Poesie
nicht täusche, so habe ich doppelte Ursache zu wünschen, dass
Kenner mit meiner Arbeit nicht unzufrieden sein mögen.
Wilh. Grimm.
DIE ZWEI RECENSIONEN UND DIE HAND- 645
SCHRIFTEXFAMILIEN DER WELTGHROXIK
. RUDOLFS VON EMS
mit Auszügen aus den noch ungedruckten Theilen beider Bearbeitungen. Von
Dr A. F. C. Vilmar, Gymnasialdirector. Marburg, 1839. 80 S. in 4.
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd I, 65. Stück, den 22. April 1839.
S. 645-648.
D.
'em diesjährigen Programme, welches zu der öffentlichen
Prüfung der Schüler des kurfürstlichen Gymnasiums einlädt,
hat Herr Gymnasialdirector Dr A. F. C. Vilmar eine Abhand-
luncr beisceofeben. welche den Titel führt: Die zwei Recensionen
und die Handschriftenfamilien der Weltchronik Rudolfs von
Ems mit Auszügen aus den noch unojedruckten Theilen beider 646
Bearbeitungen, 80 Seiten in Quart, und einen erfreulichen Be-
weis liefert, wie solche Gelegenheitsschriften zum Vortheile der
Wissenschaft können verwendet werden.
Mit Rudolfs Weltchronik hatte sich bisher nur Herr Pro-
fessor Massmann, den die längst verkündigte, immer noch nicht
zu Stande gekommene Herausgabe der Kaiserchronik darauf
führte, beschäftigt und sich durch Nachweisung der zahlreichen
Handschriften bereits ein Verdienst erworben. Er hatte die
Meinung geäussert, dass nur eine Recension vorhanden sei,
aber ein doppelter Prolog. Herr Gymnasialdirector Vilmar be-
weist, dass diese Ansicht unrichtig ist und zwei gänzlich ver-
schiedene Bearbeitungen desselben Gegenstandes auf uns ge-
kommen sind. Die ältere Recension umfasst die Bücher des
alten Testaments bis auf Salomons Tod, die jüngere nur den
Pentateuch, das Buch Josua und das Buch der Richter, doch
dieses nur zum geringsten Theile, und weicht nicht bloss im
W. GRIMM, KL. SCHRIFTEN. II. 3 1
482 WELTCHRONIK RUDOLFS VON EMS VON A. F. C. VILMAR.
Prologe, sondern auch in den gemeinschaftlichen Stücken, so-
wohl dem Inhalte als der Darstellung nach, gänzlich von der
älteren ab. Die ältere Bearbeitung rührt ohne Zweifel von
Rudolf von Ems her, wie schon der akrostichische Anfang seines
Prologs beweist. Ich bemerke hier, dass in der ersten Zeile,
obgleich alle nachgesehenen Handschriften Richter got herre
über alle kraft lesen, doch, da sich der Vers nicht scandieren
lässt, ein Fehler stecken muss; wahrscheinlich ist Richtasre über
alle kraft zu bessern. Rudolfs Prolog ist dem König Konrad IV
gewidmet. Die jüngere Bearbeitung dagegen, deren Prolog mit
Christ herre anfängt, ist ausschliesslich dem Landgrafen Hein-
rich von Thüringen zugeeignet, und ihr Verfasser nennt sich
nicht, auch nicht seinen Vorgänger, obgleich er ihn gekannt
647 hat. Endlich ist Rudolfs Werk abermals von anderen fortge-
setzt und auch durch Zusätze im Innern erweitert worden.
Die bis jetzt aufgefundenen 42 Handschriften, wozu noch einige
Bruchstücke kommen, enthalten entweder eine von den beiden
Bearbeitungen rein oder einen aus beiden verschiedentlich ge-
mischten Text; sie sind nach ihren Bestandtheilen in Klassen
abgetheilt und näher beschrieben. Die aus den Handschriften
mitgetheilten Stellen sind mit Einsicht gewählt und lesbar her-
gestellt, wenn auch, besonders durch sorgfältigere Beachtung
der metrischen Gesetze, noch Manches zu bessern wäre. So
ist z. B. 60, 10 zu lesen unde hört; 61, 75 von erst mit diner
kraft; 63a, 211 der umbejage geschuof got; 69, 73 eigenliches;
7Jb, 11 bevant; 72b, 42 ist „wol" zu streichen; 73b, 15 als;
73b, 20 wahrscheinlich al ze kurz; 74b, 38 der dühte sich an
sailden; 77a, 182 des ern baete. Noch Eins und das Andere
wäre anzumerken, z. B. S. 22 ist gegen den Reim lande: viande
nichts einzuwenden; S. 25 ist namen (namon) als Infinitiv von
genamet zu setzen. Die öfter mangelnde Bezeichnung der
langen Vocale ist leicht nachzuholen.
Die ganze, schon durch Herbeischaffung der wichtigeren
Handschriften schwierige Untersuchung ist gründlich, mit Scharf-
sinn und Geschick geführt und gewährt klare Ergebnisse. Es
ist hier wieder ein Beispiel, wie genaue, keine Einzelnheit ver-
schmähende Arbeit erst zur wahren Erkenntnis auch der all-
THE RUNES OF ANGLO-SAXONS BY JOHN M. KEMBLE. 483
gemeineren Verhältnisse leitet. Mit Geist und freiem Blick be-
zeichnet der Verf. die Stelle, welche dem einen festen Plan ver-
folgenden Gedichte in der Geschichte der Poesie zukommt, und
siegreich bekämpft er das ungerechte, zum Theil auf falschen Vor-
aussetzungen beruhende ürtheil, das Gervinus über den nicht
ausgezeichneten, aber sinnvollen und achtungswerthen Dichter &48
ausgesprochen hat.
Eine Ausgabe von Rudolfs reinem Text wäre jetzt an
der Zeit.
"Wilhelm Grimm.
THE RUNES OF ANGLO-SAXOXS. 1129
By John M. Kemble. From the Archaeologia vol. XXYIH, pp. 327 — 372.
London. Printed by J. B. Nichols and son. 1840. 46 Seiten in Quart mit
sechs Steindrucktafehi. ^)
Göttingische gelehrte Anzeigen. Bd 11, 114. 115. Stück, den 22. Juli 1841.
S. 1129—1138.
-LJndlich eine Schrift über die angelsächsischen Runen, wie
sie schon längst ein jeder, der an diesem Gegenstande Antheil
nimmt, gewünscht hatte. Nur ein in England einheimischer
Gelehrter, dem die angelsächsischen Handschriften nicht fern
lagen, der die angelsächsischen Denkmäler und Alterthümer mit
eiorenen Augen betrachten oder leicht darüber Auskunft erlangen
konnte, war im Stande, eine genügende Arbeit zu liefern. Er
musste aber neben gründlicher Kenntnis der angelsächsischen
Sprache auch Takt und Scharfsinn, neben Eifer und Behendig-
keit des Geistes auch ruhige Besonnenheit besitzen, um sich
nicht in luftigen, gewagten Vermuthungen zu verlieren. Allen ii30
diesen Anforderungen genügt Kemble in vollem Masse; wohl
hat er ein Recht, sich zu freuen, dass die Ehre, in dieser An-
gelegenheit die rechte Bahn gezeigt und so wichtige Aufklärungen
gegeben zu haben, keinem Ausländer zu Theil geworden ist.
Ich will Bericht über die treffliche Schrift abstatten.
0 Die besonderen Abdrücke kommen nicht in den Buchhandel, und ich
verdanke mein Exemplar dem Verf.
31*
4g4 THE RUNES OF ANGLO-SAXONS BY JOHN M. KEMBLE.
Zuerst eine Einleitung. Nachdem der Verf. die ursprüng-
liche Bedeutung des Wortes Rune angemerkt hat, berührt er
die Frage, in welcher Zeit die Deutscheii das Runenalphabet
mögen empfangen haben, und weist ihre Beantwortung mit
Recht als unfruchtbar zurück. Es genüge zu wissen, dass die
Deutschen diese Schrift schon besessen hätten, als sie den
Römern bekannt wurden. Er führt dafür die Aurinia, die
weise Frau, aus Tacitus an und ^^erklärt sie nach Vorgang
der deutschen Mythologie (S. 227) durch Aliruna. Auch mir
ist es aus inneren Gründen höchst wahrscheinlich, um nicht zu
sagen gewiss, dass die Deutschen zu jener Zeit schon die
runische Schrift besassen, allein streng beweisen lässt es sich
durch jenen Eigennamen noch nicht, zu dessen Erklärung der
ursprüngliche BegriflF von rüna ausreicht, ohne dass man Bezug
auf die Schrift zu nehmen braucht: es war eine weise, mit den
religiösen Geheimnissen bekannte Frau. Indem der Verf. be-
merkt, dass man zu der Zeit, wo man weder Feder und Tinte
noch Pergament kannte, die Buchstaben auf Holz oder Stein
einschnitt, gedenkt er neben den hölzernen Tafeln auch der
Reiser, auf welche man sie ritzte, wenn man das Los damit
werfen wollte. Dies beruht indessen nur auf einer muthmass-
lichen Auslegung einer Stelle bei Tacitus, über welche ich einen
Excurs in meiner Schrift über deutsche Runen (1821) geliefert
1131 habe. Die Grundidee bei dieser Auslegung gehört Hrn. Prof.
Finn Magnussen, ich erkläre dies hier um so lieber, als ich
dessen nachher (1822) in der dänischen Übersetzung der alten
Edda 3, 76 — 96 gedruckte Abhandlung, die mir damals schon
zugänglich war, nicht angeführt habe, weil vor mir in diesen
Anzeigen (1819, St. 143) von einem anderen und zwar von dem-
selben Gelehrten, der mir die dänische Abhandlung mitgetheilt
hatte, diese Idee bereits bekannt gemacht war. Was ich sonst
Hrn. Finn Magnussen verdanke, wird man bei einer Ver-
gleichung herausfinden. Wichtig für das Alter der Runen ist
die Nachweisung Kembles, dass, wie die Edda dem Odin die
Erfindung der Runen beilegt, so auch ein angelsächsisches
Denkmal sagt, dass Wodan zuerst Runen geschrieben habe:
eine den Germanen also wie den Scandinaviern gemeinschaft-
THE RÜNES OF AXGLO-SAXONS BT JOHN M. KEMBLE. . 435
liehe und daher gewiss uralte Überlieferung, die nur ausdrucken
will, dass die Erfindung des Alphabets menschliche Kräfte zu
übersteigen scheine. Es ist überhaupt bei dem hohen Alter
des Alphabets schwer, eine Zeit ausfindig zu machen, in welche
man mit einiger Wahrscheinlichkeit eine Erfindung setzen könnte,
die mit der inneren Natur und dem Organismus der Sprach-
laute nothwendig schon musste bekannt gewesen sein, ehe sie
auf den Gedanken kommen konnte, diesen Organismus durch
Zeichen darzustellen. Etwas wesentlich Verschiedenes sind
Zeichen für Begriffe, selbst Silbenschrift ist gar nicht damit zu
vergleichen und fordert eben keine grosse Anstrengunor des
Geistes.
Lässt sich nicht bezweifeln, dass Runen in heidnischer Zeit
vorhanden waren, so wurden sie doch wahrscheinlich nur selten
in Anwendung gebracht und immer nur von einzelnen, welche
Kenntnis davon besassen. Allgemein verbreitet war die Schrift 11.32
in jener Zeit gewiss nicht. Heidnische Inschriften auf Steinen
sind noch nicht gefunden, man darf zweifeln, ob sie überhaupt
jemals dagewesen sind. Die Holztafeln, auf welche man die
Runen einschnitt, haben sich nicht erhalten können, allein auch
sie gestatteten ihrer Natur nach nur einen eingeschränkten Ge-
brauch. Dass man den Runen übernatürliche Kräfte beilegte
und Zaubereien damit vollbrachte, ist an sich schon glaublich
genug, aber Kemble bringt auch willkommene Zeugnisse aus
Beda und Beowulf bei. Wenn er ferner meint, das Christen-
thum habe sich feindselig gefjen die Runen verhalten, so ver-
steht sich das von selbst, insofern man sie bei heidnischen Ge-
bräuchen in Anwendung brachte und man dadurch übernatür-
liche Dinge bewirken zu können glaubte, aber den äusseren
Zeichen, den Buchstaben selbst teuflischen Ursprung beizulegen,
so weit ist schwerlich der Widerwillen gegangen ; man durfte
es schon deshalb nicht, weil bei aller Verschiedenheit die Runen
immer noch Ähnlichkeiten genug mit dem lateinischen Alphabete
hatten und man dieses zugleich mit würde verdächtigt haben.
Wie hätte man das runische FIASTBR verdammen und das
lateinische, das die Züge abrundete, weil man sie mit der Feder
auf Pergament leicht hinschrieb, während die eckige Form der
486 THE RUNES OF AXGLO-SAXOXS BY JOHN M. KEMBLE.
Runen für das Einritzen in Stein und Holz viel bequemer war,
daneben gebrauchen können? Dann aber, wie will man den
Umstand erklären, dass alle Runen, die wir besitzen, in Scan-
dinavien wie in Deutschland und England, unbezweifelt aus
christlicher Zeit herrühren? Konnte man Runen und lateinische
Schrift auf einem und demselben Denkmale anwenden? Durfte
man, was ganz christlichen Inhalt hatte, mit Runen schreiben?
1133 Kemble, dem diese Einwürfe nicht alle entgehen konnten, ant-
wortet, man müsse annehmen, die am frühesten zum Christen-
thum Bekehrten seien gerade Priester, mithin im Stande ge-
wesen, die eigentliche Natur der heidnischen Zeichen zu be-
urtheilen : diese hätten kein Bedenken getragen, sich der Runen
allein oder in Verbindung mit lateinischer Schrift zu bedienen.
Ich will das gern eine scharfsinnige Vermuthung nennen, aber
wie ist sie zu beweisen? Diese Priester schrieben nicht für sich
allein die Runen nieder, mussten sie nicht bei allen, die nicht,
wie sie. Neubekehrte waren, damit Anstoss erregen? Kann man
in den Jahrhunderten, in welchen Runen eingegraben und ge-
schrieben wurden, jedes Mal neubekehrte Priester voraussetzen?
Dazu kommt, dass kein einziges altes Zeugnis von dem Wider-
willen der christlichen Zeit gegen die runischen Buchstaben
anzuführen ist. Was der Bischof Brynolf, der nach der Re-
formationszeit lebte, sagt, ist nichts als eine spätere Vermuthung,
auf die ich kein Gewicht legen kann. Das Natürlichste ist
doch, anzunehmen, dass man gegen die Runen als blosse Buch-
staben nicht das Geringste einzuwenden hatte, sondern dass
man sie aus keinem anderen Grunde zurücksetzte, als weil
mit dem Christenthume zugleich Kenntnis der lateinischen
Sprache und Schrift eindrang. Diese, wie vorhin bemerkt, be-
quemere Schrift breitete sich aus und wurde auch bei der ein-
heimischen Sprache neben den alten Runen angewendet. Die
angelsächsischen Runeninschriften gehören, wie K. bemerkt, fast
alle nach Northumberland (das Wort in der angelsächsischen
Bedeutung genommen), weil dort vor Ende des 8. Jahrhunderts
die Bildung weiter als in irgend einem Theile von Germanien
vorgerückt war.
1134 Die Untersuchung gelangt jetzt zu den mit angelsächsischen
THE RÜXES OF ANGLO-SAXONS BY JOHX M. KEMBLE. 487
Runen geschriebenen Überbleibseln. Kemble gibt zunächst ein
Verzeichnis von den verschiedenen Darstellungen des marko-
mannischen, mit dem angelsächsischen im Ganzen überein-
stimmenden Alphabets; die schon früher in Abbildungen be-
kannt gemachten sind durch einige von dem Verf. selbst in
Handschriften gefundene vermehrt. Dann theilt er das angrel-
sächsische Gedicht iiber Runen mit, welches, obgleich zu den
späteren Denkmälern dieser Sprache gehörig, doch durch seinen
Inhalt von Wichtigkeit ist. Der Codex, in dem es stand, ist
leider verloren, Kemble konnte sich also nur des Abdrucks bei
Hickes bedienen. Dass hier Text und Übersetzung besser ist,
als ich beides vor 20 Jahren liefern konnte, versteht sich
von selbst.
Von den sieben mit angelsächsischen Runen in angel-
sächsischer Sprache (denn Kemble lässt sich nicht auf das ein,
was mit diesem Alphabete in anderer Sprache geschrieben ist)
abgefassten Inschriften konnte ich in meiner Schrift nur zwei
anführen, die eine zu Bewcastle, die andere auf dem Kreuz zu
Ruthwell. Jene hatte ich richtig gelesen, aber Kembles Er-
klärung verdient den Vorzug, diese, die ich nur aus der Ab-
bildung bei Hickes kannte, hatte ich unerklärt lassen müssen.
Zu diesen zweien kommen vier Inschriften, die seitdem in der
Archaeologia Brittanica sind bekannt gemacht worden und hier
ebenfalls von Kemble besser als von seinen Vorgängern erklärt
werden, endlich noch eine, die in Whi tackers history of Rich-
mondshire abgebildet ist, über welche Kemble hinweggeht, weil
es vielleicht keine angelsächsische Inschrift ist und weil ihre
Genauigkeit zweifelhaft scheint; es muss vor allen Dingen erst
eine bessere Abschrift vorliegen.
Die Erklärung der Inschrift zu Ruthwell (an der schottischen
Grenze) ist der eigentliche Glanzpunkt dieser Schrift. Sie be- 1135
findet sich auf einem etwa 17 Fuss hohen steinernen Kreuz,
welches im Jahre 1642 von den bilderstürmenden Presbyterianem
in der Kirche, wo es stand, umgestürzt wurde, wobei es in
mehrere Stücke zerbrach und die Inschrift Schaden nahm.
Diese Stücke blieben in der Kirche liegen und dienten als Sitze,
bis sie im Jahre 1772 auf den Kirchhof geschafft und dadurch
488 THE RÜNES OF ANGLO-SAXONS BY JOHN M. KEMBLE.
der Zerstörung noch mehr ausgesetzt wurden. In dem Jahre
1802 liess Duncan den Stein wieder aufrichten und die beiden
verlorenen Querarme des Kreuzes ergänzen. Leider ist vor der
Zerstörung keine Abbildung des Denkmals gemacht worden.
Die älteste, die man besitzt, ist die bei Hickes vom Jahre 1702;
eine zweite lieferte zwanzig Jahre später Gordon in seinem
itinerarium septentrionale. Die letzte genaue und sorgfältige
von Duncan erschien, prächtig in Kupfer gestochen, in der
Archäologie 1834. Alle vier Seiten des Steines enthalten In-
schriften und Bildwerke. Auf den zwei breiteren Seiten erblickt
man basreliefartige Darstellungen aus der heiligen Geschichte
und auf den Rändern, welche die Bilder einfassen, lateinische
Inschriften mit lateinischen Buchstaben: die zwei schmäleren
Seiten sind mit ausgehauenen Blumenranken, zwischen welchen
Vögel und andere halbphantastische Thiere sitzen, ausgeziert,
gleichfalls auf den Rändern stehen die Runen. Auf die Er-
klärung der Runen kommt es aber allein an, da die lateinische,
die biblischen Bilder erklärende Inschrift, so weit sie lesbar
ist, keine Schwierigkeit macht. Kemble zeigt, dass die Sprache
keine andere ist, als die angelsächsische, und zwar wie sie in
Northumberland in dem achten und neunten Jahrhundert ge-
sprochen wurde, und dass die lesbaren Stücke Zeilen eines
1136 alliterierenden Gedichtes enthalten, welches sich ebenfalls auf
die bildlichen Darstellungen der anderen beiden Seiten bezieht,
nämlich auf die Fusswaschung des Heilands durch Maria Magda-
lena und auf die Verherrlichung Christi durch seine Leiden.
Das Wenige, was ich damals im Allgemeinen über das Denk-
mal sagen konnte, war demnach nicht unrichtig. Man hat so-
gleich bei Kembles Erklärung das Gefühl, dass er auf dem
rechten Wege ist, geht man genauer ein, so wird man bald
überzeugt, dass, wenn man auch über eine Einzelheit hier und
da noch streiten könnte, im Ganzen sich nichts dagegen wird
aufbringen lassen ; diese Erklärung erfreut ebenso durch ge-
sunden Sinn und Gewandtheit des Geistes, als durch feine
Kenntnis der angelsächsischen Sprache und der hier erscheinen-
den eigenthümlichen Sprachformen. Kemble äussert sich zu-
gleich, nicht ohne polemische Schärfe, gegen die Auslegungen
TUE RUNES OF ANGLO-SAXONS BY JOHN M. KEMBLE. 489
zweier dänischen Gelehrten, welche allerdings Seltsames und
Befremdendes genug haben und bei welchen besonders das Be-
streben,, die altnordische Sprache hier wieder zu finden, nach-
theilig wirkte; es lässt sich davon nichts mehr aufrecht erhalten.
Indessen bedarf doch ein Umstand noch der Aufklärung. Nach
Kemble ist die Abbildung des Denkmals bei Hickes die erste,
Finn Magrnussen stützt sich aber in seiner ausführlichen Er-
klärung desselben (Annaler for nordisk oldkyndighed, Kiöbenhavn
1836—1837, p. 243—337) auf eine ältere. Er kennt sie durch
einen Kupferstich in Folioformat, den er von Thorkelin empfangen
und den dieser bei seinem Aufenthalte in Grossbritannien, er
wusste nicht von wem, erhalten und mitgebracht hatte. Weder
Kemble noch sonst jemand in Grossbritannien weiss etwas von
diesem Kupferstich. Das Merkwürdigste aber ist, dass diese
Abbildung noch die Inschrift neben den beiden Bildern auf der ii37
Spitze des Kreuzes enthält, die man sonsther nicht kennt und
von welcher Duncan sagt, sie sei unlesbar. Finn Magnussen
liefert eine Nachbildung von diesem unbekannten Theile jenes
Kupferstichs, was um so nöthiger war, als er gerade darauf
seine Erklärung des Denkmals hauptsächlich stützt. Auf der
einen Seite zeigen sich, nach meiner Meinung, deutlich lateinische
Buchstaben, und das lateinische VERBUM kann kaum bezweifelt
werden.
Der Verf. bespricht jetzt die angelsächsischen Runen, die
in angelsächsischen Handschriften vorkommen. Sie erscheinen
zumeist in Handschriften der späteren Zeit. Zuerst dienten sie
als eine Art von Abbreviatur, indem nämlich die Rune statt
des Wortes geschrieben ward, aus welchem ihr Name besteht.
So wird z. B. die Rune M gesetzt, um man, im Beowulf E , um
edel auszudrücken, denn so heissen beide Runen. Dies geschah
nicht in der Absicht, etwas Geheimes anzudeuten, sondern bloss
aus Bequemlichkeit. Sodann wird aus drei Handschriften (eine
Stelle davon ist seitdem auch in Andreas und Elene S. 88 ge-
druckt; vgl. das. S. 167) ein Beispiel angeführt, wo ein solcher
Gebrauch der Runen den bestimmten Zweck hatte, den Namen
des Dichters auszudrücken, denn sie bilden, wenn man sie an-
einanderreiht, den Eigennamen CYNEWULF. Hier hat doch
490 THE RUNES OF ANGLO-SAXONS BY JOHN M. KEMBLE.
wohl die Ansicht gewirkt, dass es schicklich sei, den Dichter
nur nebenbei und halb versteckt zu nennen. Ferner finden sich
Runen bei Räthseln angewendet, indem das Wort des Räthsels
umgekehrt geschrieben ward, z. B. SROH für HORS, DNÜH
für HUND. Endlich kommt es vor, dass Runen bloss zur Er-
haltung, vielleicht auch zur Übung in der wenig gebrauchten
1138 Schrift niedergeschrieben wurden, ohne dass ein Sinn darin
läge: manchmal ist es eine blosse Anhäufung von Consonanten
ohne Vocale oder von Vocalen ohne Consonanten. Den Schluss
macht ein Stück aus einem noch ungedruckten angelsächsischen
Gedichte von Salomon und Saturn, in welchem die Kraft des
Pater noster beschrieben und worin jedem Buchstaben, aus
welchem das Gebet zusammengesetzt ist, eine gewisse Wirkung
beigelegt wird. Die Runen, mit welchen das ganze Gebet kann
ausgedrückt werden, sind eingerückt.
Man sieht, wie reichhaltig diese Schrift ist und wie grossen
Dank wir dem Verf für den Fortschritt schuldig sind, den wir
dadurch in der Kenntnis der angelsächsischen Runen gemacht
haben. Wilhelm Grimm.
ANHANG.
ANKÜNDIGUNG. 57
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang IV (1811) Intelligenz-
blatt No. Vni, S. 57—58.
[Mit Jacob Grimm.]
J. m Vertrauen auf die Neigung, mit welcher die Einsichts-
vollen den Denkmälern altdeutscher Poesie begegnen, und be-
stimmt von unserer eigenen Lust an dem Studium derselben,
kündigen wir eine Sammlung altnordischer Sagen an. Wer
eine leichte Kenntnis der Sache hat, dem wird es nicht ent-
gangen sein, wie zwischen einheimischer und nordischer National-
dichtung ein Zusammensang gewesen und wie wir, wenn wir
die Geschichte jener erforschen wollen, auf diese angewiesen
werden. Den Fabelkreis der Nibelungen finden wir nicht nur
in einer eigenthümlichen Gestalt im Norden wieder, sondern
auch, was uns einst zugehört hat, was aber in der Unachtsam-
keit einer übermüthigen Zeit verloren gegangen, in Übersetzungen
aus dem 13. Jahrhundert erhalten. So müssen wir die nor-
dischen Sagen einer sorgfältigen Untersuchung unterwerfen,
theils um auf die erste Entstehung des grossen Epos, auf den
Keim desselben, zu gelangen, theils um so soviel, als es ver-
stattet ist, unser verlorenes Eigenthum wieder zu gewinnen.
Nach dieser doppelten Rücksicht wird die Sammlung geordnet
werden. Die Quelle derselben wird erstlich die in Deutschland
äusserst seltene und soviel uns bekannt nur auf der Göttingischen
Bibliothek vorhandene gedruckte Sammlung von Biorner (Nor-
diska Kampa Dater. Stockholm 1737. Fol.) sein; wir wer-
den daraus die vor allen wichtige Wolsunga, Norna Gestur
und Ragnar Lodbroks Saga entnehmen. Sodann befinden
wir uns in der glücklichen Lage, Abschriften von nordischen
Manuscripten erhalten zu können, so wie uns der Katalog von
494 ANKÜNDIGUNG EINER SAMMLUNG ALTNORDISCHER SAGEN.
den Schätzen des Magnäischen Instituts in Kopenhagen zuge-
kommen ist. Schon ist eine vollständige Abschrift von der
Blomsturwalla Saga in unseren Händen, einem merkwürdigen
Gedicht, welches im 13. Jahrhundert von einem norwegischen
58 Meister Biorn nach einem deutschen Gedicht, das er lesen
hörte, aufgeschrieben ist. Eine Abschrift der Magus Jarl
Saga, die gleichfalls in den Cyklus des Nibelungenlieds ge-
hört, wird eben besorgt. Und so glauben wir, dass unsere
Sammlung reichlich könne ausgestattet werden. Wird sie be-
günstigt, so soll auch die Wilkina Saga, die immer selten
ist, ihr einverleibt werden.
*)Wir geben den nordischen Text und eine ganz treue
Übersetzung ins Deutsche, weil jene Sprache ihre Schwierig-
keiten hat und die Hilfsmittel zu ihrer Erlernung äusserst be-
schränkt sind, wir aber diese Gedichte jedem Freund der alten
Poesie zugänglich zu machen wünschen. Zu einer jeder diesen
Sagen werden wir eine historische Abhandlung schreiben, die
alles erläutert, was für die Geschichte der Poesie von Bedeu-
tung ist. Indem wir hierdurch erklären, dass das Buch ganz
eigentlich Gelehrten bestimmt sei, so müssen wir doch be-
merken, dass unabhängig von ihrer wissenschaftlichen Bedeu-
tung in diesen Sagen, namentlich in der Wolsunga und Ragnar
Lodbrok Saga, eine Poesie eingeschlossen sei, die wir, ohne zu
zweifeln, zu der grössten rechnen, welche eine gewaltige thaten-
reiche Zeit erzeugt hat, denn aus dieser ist sie entsprungen,
nicht das Werk eines Menschen.
Jeder Band wird zwei Sagen mit der deutschen Übersetzung,
die besonders gedruckt wird , begreifen. Der erste Band wird
in diesem Sommer erscheinen und wahrscheinlich mit der Wol-
sunga und Blomsturwalla Saga beginnen.
*) [Die zwei nächsten Abschnitte hat Gräter im Anzeiger zu Idunna und
Hermode, No. 2, den 18. Januar 1812, Seite B unter dem Titel: „Von einer Samm-
lung altnordischer Sagen" mit Grimms Unterschriften allein abgedrucict nach den
Worten: „Nachdem die Verfasser die Veranlassung, den Nutzen und die
Quellen ihrer Arbeit angegeben haben, fahren sie fort": — Auf demselben
Blatt werden: Lieder der älteren Edda, zum erstenmal aus der kopenhagener
Handschrift herausgegeben durch Friedr. Heinr. von der Hagen, als näclistens
erscheinend angezeigt.]
ANKÜNDIGUNG DER EDDA UND DES REINERE FUCHS. 495
Wir können diese Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen,
ohne die Hoffnung mitzutheilen, die wir haben, in sehr kurzer
Zeit eine vollständige Abschrift der noch ungedruckten Lieder
der älteren rhythmischen oder Edda Saemundar zu besitzen,
welche unstreitig die wichtiarsten Denkmäler der altnordischen
Poesie sind, und die wir, sobald es die schwierige Arbeit er-
laubt, mit einer Übersetzung bekannt machen wollen.
Cassel, am 11. Februar 1811.
Wilhelm Carl Grimm. Jacob Grimm.
ANKÜNDIGUNG DER HERAUSGABE DER EDDA 85»
SAEMUNDAR UND DES REINEKE FUCHS.
[Hallisclie] Allgemeine Litteraturzeitung vom Jahre 1811. Halle. Bell, No. 107.
Donnerstags, den 18. April 1811. S. 853 — 854 =^ Anzeiger zu Iclunna und
Hermode. Herausgegeben von Gräter. No. 2, den 18. Januar 1812, S. A.
[Mit Jacob Grimm.]
^
T
ir verbinden hier die Anzeige zweier von einander
selbst unabhängiger und nur an ihrer Wichtigkeit gleicher
Werke, welche wir uns freuen baldigst herausgeben und bear-
beiten zu können.
Erstens des zweiten ungednickten Theils der Edda Sae-
mundar, eines der kostbarsten Liedercyklus aller Zeiten.
Wir haben den nordischen Text bereits vollständig in Händen
und werden ihn, als die Hauptsache, sorgfältig abdrucken,
commentiren und mit einer treuen deutschen Übersetzung be-
gleiten. Welches Licht durch diese ebenso einfacher als wahrer
Poesie vollen Gesänge auf den Nibelungen- und altdeutschen
Heldenkreis geworfen wird, bedarf vielleicht weniger angemerkt Söi
zu werden, als dass sie uns eben dieser Beziehung wegen, so
auch in Rücksicht der Sprache, näher und leichter liegen, wie
der bereits gedruckte erste Theil der saemundischen Edda.
Es sind diese Lieder Stücke aus dem uralten Epos des Nordens,
noch in der Gestalt früher Jahrhunderte auf uns gekommen
und an innerem Werth durchaus dem Homer zu vergleichen»
496 ÜBER DIE EDDA.
Zweitens des in Rom glücklich aufgefundenen altdeutschen
Iteinhart Fuchs, wovon wir die von Glöckle genommene
Abschrift ebenfalls schon besitzen. Erst durch dieses von dem
plattdeutschen in Form und Inhalt gänzlich abweichende Ge-
rücht wird eine historische Kritik dieser herrlichen, selbst noch
in deutscher Volkssage stückweise und bisher unerkannt fort-
lebenden Fabel möglich gemacht; wir hoflfen aber, um diesen
Zweck noch genauer zu erreichen, zugleich die altfranzösischen
•Gedichte mit abdrucken lassen zu können, zu deren Hand-
schriften uns der Zugang gemacht worden ist. Das deutsche
Publikum, welches diesen Sagencyklus seit Goethes neuer
Bearbeitung von neuem gewürdigt hat, wird ohne Zweifel der
viel älteren und ganz neue Seiten aufweisenden Quelle Beifall
und Unterstützung angedeihen lassen. Ein ausführlicher Com-
mentar ist unerlässlich.
Cassel, im März 1811. Gebrüder Grimm.
59 ÜBER DIE EDDA.
Erklärung, die Collision in der Herausgabe der alten Edda und der altnor-
dischen Sagen betreffend.
Morgenblatt für gebildete Stände. Sechster Jahrgang. 1812. Tübingen.
J. G. Cotta. 4. No. 221. Montag, 14. September 1812. Übersicht der
neuesten Litteratur. 1812. No. 10. S. 39—40.
[Mit Jacob Grimm.]
Xlerr Professor von der Hagen zu Breslau behauptet in
^ier Vorrede zu seinem (schon in der Ostermesse als fertig
angekündigten, jetzt erst ausgegebenen) Abdruck der eddaischen
Lieder, ihm falle bei der Collision mit uns nichts zur Last.
Wenn damit die Schuld auf uns gewälzt wird, sind wir ge-
nöthigt, sie öffentlich abzuwenden. Die Sache ist klar und
leicht abzuthun.
I. In Hinsicht der eddaischen Lieder.
Das öffentliche Vorrecht zu einer litterarischen Unterneh-
mung hängt nach der Sitte von der früheren Ankündigung ab.
ÜBER DIE EDDA. 497
Wir haben unsere Ausgabe im März 1811 (S. Hallische Lit.-Z.
1811, No. 107 [= oben S. 495]) bestimmt angekündigt, gleich
darauf in einer Nachschrift zu der Übersetzung der altdänischen
Heldenlieder [= Bd I, S. 203]. Das Buch des Hrn. v. d. Hagen
ist erst kurz vor der Ostermesse 1812, also ein Jahr später, in
Gräters Alterthumszeitung [s. oben S. -1 94] angezeigt worden ; von
einer blossen Übersetzung der eddaischen Lieder war in der
Vorrede des im Herbst 1811 erschienenen Heldenbuchs [S. IX f.]
als einer zukünftigen Arbeit die Rede; mithin ist vor unserer
Ankündigung kein Wort des Hrn. v. d. Hagen, das von einem
solchen Vorhaben spräche, gedruckt worden, und dies ent-
scheidet; irren wir, so ist es leicht, uns durch Nachweisung
zu berichtigen, bis dahin ist es erlaubt zu zweifeln, dass es
möglich sei. Was briefliche Mittheilung betrifil, so haben wir
von Hrn. v. d. Hagen nichts empfangen, als ein Mal die kurzen
Worte, er habe die eddaischen Lieder aus dem Nibelungen-
cyklus erhalten und werde „nächstens einige davon (also
nicht einmal alle aus diesem Cyklus) bekannt machen", wo-
von sich auf keine Ausgabe, etwa nur auf Auszug oder Über-
setzung schliessen lässt. Die Worte enthalten, wie man zu-
geben wird, nichts als eine vage Äusserung, auf die weiter
nichts erfolgte. Noch ist das zu bemerken, dass im Sommer
dieses Jahres, also ein Jahr nach unserer Ankündigung, ein
kurzer Brief anlangte, worin Hr. v. d. Hagen eines anderen
ausführlichen gedenkt, den die Unger'sche Buchhandlung etwa
im Herbst 1811 habe besorgen sollen, und dieser habe von der
Ausgabe der Edda geredet. Da er selbst hinzusetzt, er halte
ihn für verloren, so wird man uns nicht zumuthen, ihn em-
pfangen zu haben, zumal Hr. Professor v. d. Hagen das Unglück
oder Glück hat, dass ihm viele Briefe und Pakete verloren oder
sonst zu Grunde gehen, eh sie am rechten Ort eintreffen.
Ohnehin später, als unsere Ankündigung, war es durchaus
einerlei, ob er geschrieben wurde oder nicht, und wir erwähnen
des Umstands nur der Vollständigkeit halber und um des Hrn.
V. d. Hagen Behauptung in etwas zu entschuldigen.
Was die von dem Hrn. v. d. Hagen erwähnte theilweise
Mittheilung betriffit, so verhält es sich damit, wie folgt. Herr
W. GUIMM, KL. SCHRIFTEN. 11. 32
498 ÜBER DIE EDDA.
Professor Nyerup in Kopenhagen machte, wie ein Brief desselben
bezeugen könnte, der leichteren Communikation wegen (denn
schon im Sommer 1809 hatte ein Freund*) für uns in Kopenhagen
die eddaischen Lieder verlangt), dem Hrn. v. d. Hagen die Be-
dingung, uns eine Copie der Lieder mitzutheilen. Als Er-
füllung kam nach mehreren Monaten erst, so dringend vielfache
Bitten waren, um bei der Übersetzung der Kämpeviser diese
Lieder benutzen zu können, die verstümmelte Abschrift von
zwei herausgewählten, worauf wir uns natürlich die Fortsetzung
dieser Abschrift verbaten, da wir zudem durch den Grafen
von Hammerstein eine andere erlangt hatten, so dass wir
Hrn. V. d. Hagen wahrhaftig auch keinen Buchstaben verdanken.
Eher können wir mit ihm übereinstimmen, wenn er be-
hauptet, es sei eigentlich keine Collision vorhanden, nur haben
wir dazu eigene Gründe i). Wir behaupten, die Schwierigkeit
und ganze Arbeit der Sache beruhe in einer wörtlichen Über-
setzung als der besten Erklärung, in einem reinen und inter-
punktirten Text, in Feststellung der Alliteration und in einem
hinzugefügten Glossar, das ein jedes der vielen Wörter erläutert,
die sich in keinem, geschweige leicht zugänglichen Hilfsmittel
finden. Das sind wir nach unserer Ankündigung zu leisten
gesonnen. Was Hr. Professor v. d. Hagen hier gibt, ist nichts
als ein blosser Abdruck seiner Abschrift mit deren wenigen
metrischen Punkten, aber sonst ohne alle gewöhnliche Inter-
punktion, festgestellte Abtheilung und Bezifferung in Strophen,
und offenbar haben Setzer und Corrector die schwerste und
eigentliche Arbeit gehabt; wie schlecht aber auch diese ihr Amt
versehen, wird sich gleich zeigen. Wäre die Einleitung (über
*) [Steffens. Man vgl. Wilhelms Brief aus Halle vom 28. August 1809 in
den Jugendbriefen S. 158, 159 und ausserdem den Brief Jacobs an v. d. Hagen
im Anzeiger für Deutsches Alterthum und Deutsche Litteratur VH (1881),
Heft 4, wo diese Erklärung für die Einleitung zu wenig benutzt ist.]
1) In einem früheren Aufsatze, gerichtet gegen einige Bemerkungen des
Hrn. Professor Gräter, womit er unsere Abhandlung über die Edda im
Morgenblatt begleitet hat, haben wir schon auf diese Weise uns über die
Collision OTklärt. Es ist schon am 18. Mai in den Händen des Hrn. Gräter
gewesen, der versprochen, ihn in derselben Zeitschrift erscheinen zu lassen,
bisher aber noch immer zurückgehalten worden.
ÜBER DIE EDDA. 499
welche wir hier nicht urtheilen wollen, obgleich es jedem Kenner
auffallen muss, dass das Verhältnis der nordischen und deutschen
M}-the nicht nach den hinten folgenden eddaischen Liedern
selbst, die so viele feine Punkte an die Hand bieten, sondern
nach der Wolsungasaga , Torfäus und Suhm im Allgemeinen
angegeben ist), schon bei zwei Büchern versprochen und zurück-
irezosen, hier auch gewiss an ihrem vortheilhaftesten Platz, wäre
diese nicht dabei, so würden kaum mehr als drei oder vier
Exemplare an wirkliche Leser in ganz Deutschland abgesetzt
werden können. Dass Hr. v. d. Hagen die Übersetzung selbst
als Hauptsache anerkennt, ist klar, weil er sie erst in Zukunft
geben will. Wenn er daran geht, hat er wohl Gelegenheit, aus
anderen mittlerweile erwarteten Hilfsmitteln die Interpunktion
nachzuliefern, so wie den von Fehlern wimmelnden Text zu
-verbessern. Wie er hier geliefert worden, ist er ganz un-
brauchbar; es klingt vielleicht in unserem Munde parteiisch:
indes wünschen wir, dass jemand, der nur die Sache versteht,
darüber entscheiden möge. Als Beweis wollen wir gleich von
dem ersten, dem leichtesten und schon einmal übersetzten Lied
die Fehler angeben: Pag. 1 og. annar. their qvamo i Ulfdali,
daetur Landves enn Slagfithur Svanhvitar alvitrar, mehr-
mals auch p. 3 dyr lin spunno. — P^vg- 2 Svanfiathrar dro. 40
ouondar. enn en niunda. sian hündroth. vithr enn van-
thurri (?I) — Paj5- 3 oc mic brude (ebenfalls ganz ohne Sinn)
enn längan sal. toc af bastim. gorsimar. or hann Baul-
hvildar bang umthenir (?I) sem es hagazt kvuina. Pag. 4
Fecca er than Volundi. Wie käme die Alliteration heraus?
Nithathur beständig, bithia ec thes bot. ger laet ec that
gidl. Pag. 5 i vith giarnra (giaura, giaura). Wir wünschen
die Übersetzung davon zu hören. Kell mic i haufut. gen or
eyio. oc hon inn um gen endlangan sal. eth iöth ei ginn.
Pag. 6 Senda ec Bauthvildr. at thic af hefti taca. er mic mei
er tregi. upristu thacrathr. gange fagr warith. eina augur
stund. So sind sechs Seiten allein schon voll von den gröbsten
und sinnzerstörendsten Fehlern; von geringeren Dingen, dass
die Substantiva in den Prosazeilen bald gross bald klein gedruckt
sind, reden wir nicht; auch haben wir uns bloss auf die Ver-
32«
500 ÜBER DIE EDDA.
gleichung mit derselben Kopenhagener Handschrift eingelassen,
wiewohl das darin vorkommende und hier wiederholte: nottom
voro segir negldar voro brynior p. 2 keinen Sinn gibt und
einer Emendation bedarf. Bei dem folgenden Lied fra Hiorvarthi
geht es so weiter, gleich nach pag, 6 ist gar eine Zeile aus-
gelassen.
Von einem Theil dieser Fehler können wir kaum anders
glauben, als dass es Druckfehler sind (bei den sonst so correct
gedruckten Büchern des Hrn. v. d. Hagen, und während die
Einleitung voll ausländischer Wörter und Namen ohne allen
Vergleich genauer ist, sind sie, seltsam genug, nur so unmässig auf
die Hauptsache herabgeregnet), aber wenn auch Hr. Professor
V. d. Hagen gesonnen wäre, sie sämmtlich als solche einmal
anzugeben, so wird doch dies Verzeichnis allzugross- ausfallen,
und er sich entschliessen müssen, einen ganz neuen Text zu
liefern, dies wird dem gegenwärtigen zwar nicht das Recht der
Erstgeburt nehmen, aber doch die Ehre davon.
Sollte indes unsere Ausgabe dazwischen erscheinen (wir
wollen uns mit dem Ruhm begnügen, die erste treue Über-
setzung und den ersten reinen Text geliefert zu haben), so
bitten wir Hrn. v. d. Hagen die Hilfe nicht zu verschmähen,
die sie vielleicht in einigen zweifelhaften Fällen liefert, sowohl
für den Text, als für die elegante Übersetzung im Silbenmasse
des Originals. Zu beklagen aber bleibt es immer und den
nordischen Gelehrten ein Stein des Anstosses, dass diese Lieder,
eins, der herrlichsten und ältesten Denkmäler des germanischen
Stammes, zum ersten Male auf eine solche unerlaubt leicht-
sinnige und unwürdige Weise in Deutschland gedruckt sind.
IL In Hinsicht der altnordischen Sagen.
Unsere Ankündigung erschien gleich Anfangs des Jahres
1811 in dem Intelligenzblatt der Heidelberger Jahrbücher [= oben
S.493 — 495]. Deutlich wurde darin genannt die Blomsturwalla
JarlMagus, ebenso die Wolsungasaga. Die Manuscripte von
beiden erstereu^ hat Hr. Prof. v. d. Hagen bei der Ausarbeitung
des gegenwärtigen Buchs noch nicht gehabt, also sind sie, wenn
er doch darauf Gewicht legt, anderthalb Jahr früher in unseren
ANKÜNDIGUNG DER ALTDEUTSCHEN WÄLDER. 501
Händen gewesen, indes soll nur die Ankündigung entscheiden.
Von seiner Seite haben wir keine gelesen, als vor ganz kurzem
in diesem Jahr, und demnach ist auch hier alles Recht auf
unserer Seite. Lässt Hr. v. d. Hagen wirklich diese Sagen
drucken und übersetzt sie, was freilich viel leichtere Arbeit ist,
als bei der Edda, so tritt eine Collision ein, die wir ihm hier-
mit förmlich zur Last legfen. Ein solches illiberales Betraoren
wird uns berechtigen, irgend eins von den Gedichten, das er
zuerst hat drucken lassen, in einer verbesserten Gestalt heraus-
zugeben, wie wir in Betracht des von ihm etwas gemisshandelten
König Rother und Morolf gar keine üble Lust hätten.
Bloss in Ansehung der Jarl Magus-Sage machen wir in
etwas eine Ausnahme. Wir werden nur ein Stück daraus
mittheilen, die Versicherung des Hrn. v. d. Hagen, sie ganz
abdrucken zu lassen, macht uns doch zweifelhaft, ob er sie so
eben erhalten, wie eine Note versichert; wahrscheinlich hat er
sie noch nicht gelesen.
Schliesslich bitten wir Hrn. Dr Cotta, zu bezeugen i),
dass allein sein Wunsch, das Werk in einer äusserlich gün-
stigeren Zeit erscheinen zu lassen, Schuld an der Verzögerung
der Herausgabe gewesen und dass wir ihn schon mehrmals
gebeten, nur die Zeit zu bestimmen, wo der Druck anfangen
könne.
Kassel, am 27. August 1812.
Brüder Grimm.
ANKÜNDIGUNG.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang VI (1813) Intelligenz-
blatt No. II, S. 16.
[Mit Jacob Grimm.]
iTiit Anfang des Jahres 1813 erscheint in dem Verlage
des Unterzeichneten eine Zeitschrift unter dem Titel: Alt-
deutsche Wälder durch die Brüder Grimm. Sie hat
den Zweck, das Studium und den Geist des deutschen Alter-
') Die Wahrheit dieser Angabe bezeugt Cotta.
502 LITTERARISCHE ANZEIGE.
thums, dessen Werth jetzt von mehr als einer Seite scheint
anerkannt zu werden, beleben zu helfen. Es ist dabei nicht
die Absicht, leichte Bemerkungen, trockene litterarische Notizen
mit ein Paar irgendwo aufgefundenen Zeilen oder was an sich
geringfügig mit einigen zur Unterhaltung zugerichteten Stücken
zusammenzuwerfen, sondern es sollen allein Quellen, bedeutend
in ihrem Verhältnis zur Geschichte der Poesie, herrlich in ihrem
unabhängigen Werth; Untersuchungen über den Zusam-
menhang jener Dichtungen untereinander, welche
Forderungen an wissenschaftliche Strenge und Gründlichkeit
gern befriedigen möchten; Erläuterungen über den deut-
schen und nordischen Heldenmythus der Nibelungen;
Mittheilungen aus nicht armen Sammlungen noch
lebendiger Volkssage den Inhalt dieses Werks ausmachen.
Wie die devitschen Poesieen jener Zeiten mit denen nordischer
und südlicher Völker in Verbindung gestanden, so werden auch
die letzteren nicht ausgeschlossen sein. Glück und günstige
Verhältnisse haben den Herausgebern manches Schätzbare aus
den verschiedensten Gegenden zugeführt, wovon sie hier mitzu-
th eilen gedenken. Möchten darum Freunde des Alterthums,
seiner Sprache, Dichtung und Sitten dieses Unternehmen
unterstützen, wozu wir sie hiermit einladen.
Was die äussere Einrichtung betrifft, so wird alle Monat
regelmässig ein Heft von 2^ o oder 3 Bogen versendet werden,
jedes zu 8 Groschen, so dass der ganze Jahrgang 4 Thaler
beträgt. Sechs Hefte machen halbjährig einen Band (2 Thlr.),
zu welchem man sich verpflichtet. Alle guten Buchhandlungen
nehmen Bestellungen an.
Thurneissen in Cassel.
LITTERARISCHE ANZEIGE.
Einzelnes Blatt.
[Mit Jacob Grimm.]
Di,
ie Altdeutschen Wälder durch die Gebrüder
Grimm sind durch die Zeitereignisse gestört worden. Mit
Anfang des folgenden Jahres 1815 werden sie wieder regelmässig
LITTERARISCHE ANZEIGE. 503
bei Bernhard Körner in Frankfurt a. M. fortgesetzt und mit
dem zweiten Band angefangen werden. Das 1. Heft vom 2. Bd
oder das 7. des Ganzen ist bereits fertig und enthält: 1) Vier
Fabeln aus Strikers Fabelbuch, von Docen. 2) Trage-
mundes-Li ed. 3) Lateinische Heldenlieder der Fran-
ken. 4) Ospirn, die Herben und Hagenon. 5) Zwei
holländische Volkslieder.
Das 2. Heft erscheint noch in diesem Jahr.
Die Gebrüder Grimm.
Von den Herren Gebrüder Grimm habe ich die Fortsetzung
der Altdeutschen Wälder übernommen, so dass noch im Laufe
dieses Jahres das 8. Stück erscheint und die übrigen 4 Hefte
schnell nachgeliefert werden sollen.
Die Theilnahme der Freunde alter Litteratur und vorzüglich
älter Poesie wird dann bestimmen, ob auch die anderen
12 Hefte im Laufe des Jahres 1815 pünktlich erscheinen sollen
Die Einrichtung bleibt wie solche bereits bekannt — so auch
der Preis.
Ich bin zwar im Besitz der Fortsetzungsliste, allein so
vieles ist seit Jahr und Tag (und Gott sei dafür gedankt!)
vom alten Standpunkt verrückt worden, dass mir manche Adresse
unsicher vorkommt — ich würde daher auch gerne unfrankirte
Briefe zur Bestellung des 2. Bandes bei mir ankommen sehen.
Schliesslich erinnere ich noch, dass auch die ersten 6 Hefte
oder der I. Band ä 2 Rthlr. oder 3. fl. 36 kr. so wie in Com-
mission :
Die beiden ältesten deutscheu Gedichte aus dem achten
Jahrhundert :
Das Lied von Hildebrand und Hadubrand.
Das Weissenbrunner Gebet, zum erstenmal in ihrem Metrum
dargestellt und herausgegeben durch die Gebrüder Grimm,
gr. 4. 1812. 1 Rthlr. oder 1 £1. 48 kr.
bei mir zu haben sind.
Frankfurt a. M., im November 1814.
Bernhard Körner.
504 AUFRUF.
105 AUFRUF.
Pränumeration zum Besten der Hessischen Freiwilligen.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang VI (1813) Intelligenz-
blatt XII, S. 105. 106.
[Mit Jacob Grimm.]
J.n der glücklichen Zeit, wo jeder dem Vaterlande Opfer
bringt, wollen wir das altdeutsche schlichte, tiefsinnige und
herzliche Buch vom armen Heinrich, worin dargestellt ist:
wie kindliche Treue und Liebe Blut und Leben ihrem
Herrn hingibt und dafür herrlich von Gott belohnt
wird, neu herausgeben. Ihro Königlichen Hoheiten, die Kur-
fürstin und Kurprinzessin, haben erlaubt, dass es ihnen zugeeignet
werde, und der Ertrag ist zur Ausrüstung der Freiwilligen
bestimmt. Man zahlt 1 Rthlr. für das Exemplar auf ordinair
und 2 Rthlr. für das auf Velinpapier; die Namen der Pränu-
meranten werden vorgedruckt. Eine noch zu bestimmende
Buchhandlung wird das Buch in Commission nehmen.
Eine Übertragung in die heutige Sprache wird diese alt-
deutsche Sage zu einem allgemein lesbaren Volksbuch machen.
106 Für Gelehrte dieses Fachs aber bemerken wir, dass der fehler-
hafte Originaltext (auch mit Beihilfe einer vor kurzem zu
Rom gefundenen Handschrift) neu recensirt und kritisch erläutert,
endlich der zum Grund liegende Mythus untersucht werden soll.
Wir vertrauen zu den braven Hessen und allen Deutschen,
dass sie unsere Absicht bereitwillig aufnehmen und unterstützen
werden. Die sämmtlichen Prediger des Landes bitten wir be-
sonders die Ankündigung zu verbreiten und sich der Mühe des
Sammlens zu unterziehen. Hier geschieht die Vorausbezahlung
an uns selbst.
Cassel, am 10. December [1813].
J. Grimm. W. C. Grimm.
Johannesstrasse bei Simon Wille.
Mohr und Zimmers Buchhandlung nimmt Pränumeration an.
[Dazu stehe hier noch folgende Vorrede.]
VORREDE ZUM ARMEN HEINRICH. 505
VORREDE.
Der Anne Heinrich von Hartmann von der Aue. Aus der Strassburgischen
imd Vatikanischen Handschrift herausgegeben und erklärt durch die Brüder
Grimm. Berlin. 1815. In der Realschulbuchhandlimg. 8. 2 Seiten.
[Mit Jacob Grimm.]
I. I. königlichen Hoheiten der Kurfürstin und Kurprinzessin von
Hessen in tiefster Ehrerbietung zugeeignet.
-t\.ls Gott und deutsche Tapferkeit unsere Fürsten wieder
vor das Stadtthor von Kassel geführt, da spannte das Volk die
Pferde aus und rief: „Hessenblut soll sie hereinziehen, das lebt
immerdar!'' Und als die Männer hinauszogen, hielten sie das
Schwert in der Hand, im Herzen den Gedanken fest: „Hessen-
Blut soU fürs Vaterland kämpfen, das lebt immerdar!" So hat
sich Liebe und Treue, selbst unter dem Schutt, den fremde
Gewalt darüber geworfen, wie Gold in der Erde, unverringert
und unversehrt erhalten.
In dieser Zeit, deren Freude zu erleben sieben Jahre Leid
uns reinigten, ward die Bearbeitung eines alten, in sich deut-
schen Gedichts als ein geringes Opfer dargebracht. Jetzt hat
sich unser gesammtes Vaterland in seinem Blut von dem fran-
zösischen Aussatz wieder geheilt und zu Jugendleben gestärkt.
L^m diesen Preis gebe nun fortan jeder Deutsche alles Andere
hin und sei stets bereit, als ein freudig Opfer zu fallen. Und
keiner stehe von der Gefahr ab, sondern denen, die aus Furcht
oder Liebe ihn zurückhalten wollen, antworte er mit den
schönsten Vv'orten der reinen Jungfrau: „nun gönnet mir's, denn
es muss sein!"
506 ANZEIGE. ERKLÄRUNG. ZU DEN KINDER- UND HAUSMÄRCHEN.
ANZEIGE.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang IX (1816) Intelligenz-
blatt Nr. V, S. 45.
JLjine Antwort auf die Schlegel'sche Recension des ersten
Bandes der Altdeutschen Wälder in den Heidelbergischen Jahr-
büchern 1815 Stück 46, 47 und 48 finden die Freunde dieser
Litteratur in dem neuesten Stück (Bd III, Heft 6) jener Zeit-
schrift [= oben S. 156—161].
Cassel, am 12. August 1816.
W. C. Grimm.
ERKLÄRUNG.
Zeitschrift für Deutsches Alterthum. Herausgegeben von Moriz Haupt.
Neunter Band. Leipzig, Weidmann'sche Buchhandlung. 1853. S. 192.
Xrrthümlich habe ich in meiner Schrift über Freidank S. 22
eine Bemerkung über Helbling Herrn Professor Moriz Haupt,
in dessen Zeitschrift 4, 246 sie steht, beigelegt: sie ist volles
Eigenthum des Herrn Professors Theodor Georg von Karajan.
Berlin im März 1851.
Wilhelm Grimm.
ZU DEN KINDER- UND HAUSMÄRGHEN.
Literarisches Centralblatt für Deutschland. Herausgegeben von Friedrich
Zarncke. Leipzig, Eduard Avenarius. 4. No. 21. 23. Mai 1857.
S. 335 — 336.
-Oerr Professor Felix Liebrecht hat in dem 2. Bande der
Germania von Franz Pfeiffer eine Beurtheilung von dem 3. Bande
der Kinder- und Hausmärchen geliefert, die einiger Aufklärungen
bedarf. Die erste, gemeinschaftliche Ausgabe des Buches er-
schien in zwei Bänden 1812, 1815. Die zweite (1819) besorgte
ich, wie die folgenden, allein. Diesmal waren die Anmerkungen
zurückgelassen, ich nahm sie aber in einen dritten Band (1822)
zu DEN KINDER- UND HAÜSMÄRCHEN. 507
auf, wovon eben (1856) eine neue Auflage erschienen ist. Die
erste Ausgabe enthielt 155 Märchen, die letzte (1850) 210,
ausserdem habe ich von den 155 eine beträchtliche Anzahl
durch neue oder bessere ersetzt, andere vervollständigt; auch
in der nächsten Auflage werden einige neue vorkommen. Die
Sammlung ist also beständig gewachsen. Die Anmerkungen
nahmen in der ersten Ausgabe 130 Seiten ein, die gegenwärtige,
in welcher ich auch Nachträge meines Bruders benutzt habe,
enthält 418 Seiten; hätte ich nicht einen bedeutenden Theil der
vorigen (S. 280 — 369) auslassen können, so wäre der Band noch
viel stärker geworden.
Hm. Liebrecht danke ich für schätzbare Nachträge zu den
einzelnen Anmerkungen; solche werden sich immer noch ergeben,
wie ich sie selbst schon zu den spanischen Märchen [s. Bd III]
geliefert habe; ein gänzlicher Abschluss ist nicht zu erwarten.
Hr. Liebrecht gibt aber auch ein Urtheil über das Buch
ab, wofür ich ihm nicht danken kann, so gütig er sich dabei
über mich äussert. Er meint, das Buch habe ein ganz anderes
Aussehen annehmen müssen, ja er geht so weit, zu sagen, „ich
selbst würde es mit Recht jemand verargen, der behaupte, ich
hätte hier alles geleistet, was ich hätte leisten können. Das
Buch mache den Eindruck, als seien nur Randbemerkungen,
hier und da einzelne Zusätze zugefügt worden'*. Ein jeder
muss glauben, es sei nichts als ein Abdruck der vorigen Aus-
gabe mit ein Paar gelegentlichen, nicht sehr bedeutenden Ver-
besserungen. Das ist nicht der Fall. Kleine Zusätze und
weitere Citate, die wenig Raum einnehmen und doch Mühe
machen, sind nicht alles. Ich hatte früher in einem Abschnitte
über die Litteratur jedes einzelne Märchen erläutert; das war,
nach so ausserordentlichem Zuwachs, in dieser Weise nicht
mehr durchzuführen. Ich hal)e daher eine Übersicht gegeben,
die das neu Erschienene bespricht, das Wichtigere hervorhebt
und auf das Verwandte hinweist. Diese Arbeit, die ohne ge-
naue Forschung nicht möglich war und die mir nicht misslungen
scheint, beweist hinlänglich, dass ich mich fortwährend mit dem
3. Bande beschäftigt habe; ich musste, wenn ich sie nicht ganz
zurückbehalten wollte, sie vorerst als Zugabe zum ersten Bande
508 ÜBER BERNHARD FREIDANK.
(1850) abdrucken lassen; jetzt erscheint sie an ihrem rechten
Platze (S. 352 — 414) und abermals nicht bloss mit einzelnen
Zusätzen, sondern auch mit einer ausführlichen Nachricht von
den Negermärchen (S. 361 — 379) vermehrt. Hr. Liebrecht
übersieht das alles, wie er auch die mitgegebenen Erläuterungen
zu den neuen Märchen (S. 243 — 262) übersieht, die doch keine
Randbemerkungen sind. Ich begreife nicht, wie er bei der
flüchtigsten Vergleichung mit der vorigen Ausgabe zu einem
solchen Urtheile hat gelangen können. Wie ganz anders, billig
und gerecht, urtheilt A. Kuhn im Centralblatt 1856, No. 52,
Ich habe gethan, was in meinen Kräften stand, und zwar mit
Sorgfalt, ja, neben anderen drängenden Arbeiten, mit An-
strengung.
Doch eine Ausstellung ist begründet, ich habe die Deutsche
Mythologie nicht citiert. Ich bin zu entschuldigen; bei der
Abfassung des Buches (1822) konnte ich nicht darauf verweisen,
da sie erst 16 Jahre später erschien. Ich hatte dem 1. Bande
(1819) eine Abhandlung über die Spuren des heidnischen
Glaubens beigegeben, die ich wegliess, weil die Deutsche My-
thologie vorhanden ist und gewiss jeder bei Untersuchungen
dieser Art zuerst nach dem treflFlichen Buche greift, wo er die
nöthigen Hinweisungen auf die Märchen findet.
Wilhelm Grimm.
ÜBER BERNHARD FREIDANK.
Literarisches Centralblatt für Deutschland. Herausgegeben von Friedrich
Zarncke. Leipzig, Eduard Avenarius. 4. No. 26. 27. Juni 1857.
S. 413 — 414.
U ber Bernhard Freidank ist der Titel einer gegen mich
gerichteten Abhandlung von Franz Pfeiffer in der Germania 2,
129 — 163. Es ist nicht nöthig, etwas darauf zu erwidern; ich
muss nur Einiges abwehren.
In einer Grabschrift, die nach meiner Überzeugung in das
15. Jahrhundert gehört und der schon alweg ihre Zeit anweist,
ZUKECHTWEISUSG. 509
kommt ein Vers ohne Senkungen vor. Ich sagte, das sei Roh-
heit, nicht alte Kunst, d. h. Rohheit für diese Zeit, nicht alte,
längst vergessene Kunst, wo solche Zeilen bekanntlich zulässig
waren. So wird es ein jeder verstehen; aber mein Gegner,
der hier ein Recht hätte, seine Kurzsichtigkeit zu beklagen,
meint, ich hätte die alte Kunst selbst für Rohheit erklärt. Er
belehrt mich nun über das, was ich schon zum Grafen Rudolf
(1844, S. 12) mit reichlichen Beispielen nachgewiesen habe.
Der unglückliche Gedanke, dass Freidank den Walther
ausgeschrieben, ja sich selbst bestohlen habe, scheint bei Seite
gelegt, aber der scharfsinnige Mann hat eine Entdeckung ge-
macht, wonach sich die Übereinstimmung mit Leichtigkeit er-
klären lässt: Freidank hat Walthers Lieder auswendig gewusst.
Diese Entdeckung ist nicht neu. Ich selbst (obgleich mein
Gegner sich verwundert, dass ich nicht darauf verfallen bin)
habe sie nicht bloss vorgebracht (zweiter Nachtrag S. 16. 17),
sondern auch die Gründe angegeben, warum sie nicht anwend-
bar ist.
Wilhelm Grimm.
ZURECHTWEISUNG.
Literarisches Centralblatt für Deutschland. Herausgegeben von Friedrich
Zaincke. Leipzig, Eduai-d Avenarius. 4. Xo. 4S. 27. ^'ovember 1858.
S. 771—772.
XXr. Prof. Franz Pfeiffer hat eine Stelle in der Germania
(2, 155. 156), worin meine Ansicht erweitert und übertrieben
ist, in solchem Zusammenhange vorgebracht, dass ein jeder
glauben muss, sie rühre in dieser Fassung von mir. Ich be-
klagte mich deshalb, und jetzt erklärt er (Germ. 3, 367. 368),
dass sie aus Wackernagels Litterat Urgeschichte genommen sei.
Warum hatte er das verschwiegen? Warum nicht meine eigenen
Worte angeführt, denen nichts anzuhaben ist? Sollte die Be-
merkung: „es gehöre ein Muth dazu, den man bewundern dürfe,
wenn man so etwas behaupte", nicht mir, sondern Wackernao-el
510 ZURECHTWEISUNG.
gelten? Alle Schuld fällt-''iauf ihn. Damit wäre die Sache ab-
gethan, aber er fügt noch etwas hinzu, das ich nicht übergehen
darf, so gerne ich auch gleich Abschied von ihm nehmen
möchte. Er behauptet, ich hätte, wohl wissend, von wem die
Stelle herrühre, sie dennoch ihm zugeschoben. Ich soll hinter-
listig eine Unwahrheit gesagt haben, ihm gegenüber, der sie
sogleich aufdecken konnte? Und zu welchem Zwecke? bloss
um ein Paar unaufmerksame Leser hinters Licht zu führen.
Jemand, den die Unwahrheit nicht anwidert, wie mich, würde
doch so unklug nicht gewesen sein. Ich war vollkommen in
bona fide und dachte dabei nicht an Wackernagel, denn ich
behalte nicht jede Äusserung eines Werkes, auch wenn ich es
hochschätze. Hrn. Prof. F. Pfeiffer war es möglich zu sagen.
„ich streue minder aufmerksamen Lesern Sand in die Augen".
Die Redensart muss bei ihm beliebt sein, denn er hat sie schon
einmal und eben so würdig vorgebracht.
Wilhelm Grimm.
DREI NICHT SICHER BELEGTE
RECEXSIONEN.
ARIUS MÜLTISCIüS PRIMUS ISLANDORÜM
HISTORICUS.
Monographia auctore Mag. Erico Christiano "Werlaaff. Bibl. r^. ab epistolis
etc. Ha&iae 1808. Tjpis Andr. SeidelinL 106 S. kl. 8.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratxir. Jahrgang IQ (1810). Fünfte
Abtheilung, Philologie, Historie, schöne Litteratnr und Kunst. I. Bd, 6 Heft.
TT ir erhalten in dieser kleinen Schrift eine recht fleissige
und srelehrte Litterärnotiz über Ari inn frode, d. i. vielkundia:
(vornehmlich in der Geschichte), geboren im Jahre 1067 auf
dem westlichen Viertel von Island, und über seine verlorenen
und vorhandenen Schriften, über die Werke, welche unstreitig
ihn zum Verfasser haben, und über solche, welche ihm ohne
hinreichenden Grund zugeschrieben werden. Die beiden ver-
lorenen Werke: grössere Geschichte von Island und Geschichte
der Könige von Norwegen hält der Verf. für ein Werk und
belecrt seine Meinung mit sehr triftioren Gründen. Bei dem
ö o o
vorhandenen Werke: Schedae s. libellus de Islandia verweilt
der Verf. am längsten; die Ausgaben und Handschriften werden
beurtheilt, mit kritischen Anmerkungen über einzelne Stellen.
Über die Sprache Aris, seine Glaubwürdigkeit, seine Quellen,
über die Anfuhrung seiner Schriften bei alten nordischen Schrift-
stellern wird viel Nützliches beigebracht. Die Untersuchung
über die Schriftzüge, deren sich Ari bediente, fiihrt zu einer
Untersuchung über Runen (welche, wie hier uns mit einer Stelle
der unedirten Skalda bewiesen wird, eine Verbesserung, wahr-
scheinlich durch eine dem lateinischen Alphabet nachgeahmte
Anordnung und Bestimmung der Buchstaben, eben diesem
512 BÜSCHING, WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN.
Geschichtsschreiber verdankten) und über Einführung der römi-
schen Schrift. Der Verf. entscheidet für die Meinung, Ari habe
seine Werke in der verdorbenen römischen oder angelsächsischen
Schrift niedergeschrieben. Die Fabel von der Chronik des
Isleifi, welche nach einigen den historischen Werken Aris vor-
angegangen sein soll, wird verworfen und ihrer Entstehung
nachgespürt. Zuletzt als Anhang eine kurze Nachricht über die
•Jbe.iden mit Ari gleichzeitigen Schriftsteller Kolskegg und Sämund.
[anonym. Von W. Grimm?]
657 WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN
für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelehrsamkeit des Mittelalters von
Dr Joh. Gustav BüSthing. Erster Band (mit einem ausgemalten und fünf
schwarzen Kupferstichen). Breslau 1816. VIII und 424 S. in 8. Zweiter
Band. Das. 1816.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang V (1812) Bd II, No. 45.
S. 657—665.
Wenn zwei Bände einer Zeitschrift fertig geworden, so
pflegt sich ihr Charakter ziemlich festgesetzt zu haben, und es
ist ein Urtheil darüber schon zulässig. Der rühmliche Eifer des
Hrn. Büsching für das deutsche Alterthum ist auch hier nicht
zu verkennen und mit Lob zu erwähnen, doch scheint es uns,
habe er sich die Sache etwas zu leicht scemacht, wenigstens
gibt es nach unserer Meinung keine altdeutsche Zeitschrift oder
Sammlung, wo die Halmen so dünn ständen und welche so
arm an bleibendem Inhalt wäre, wie diese; selbst der vor
zwanzig Jahren herausgekommene Bragur des Hrn. Gräter war
zugleich reichhaltiger und sorgfaltiger redigirt und mit dem
altdeutschen Museum, das Hr. Büsching mit Hrn. von der
Hagen und Docen vor einigen Jahren herausgab, lässt sich
diese neueste, leicht heranschwellende Zeitschrift nicht verglei-
chen. Es ist gewiss gut. Eins und das Andere bloss anzuregen,
aber hier und dort nach Bequemlichkeit ein Stückchen oder
Läppchen aus dem Fache herauszuholen, das längst angeregt
ist, ja ordentlich bearbeitet wird, ist kein Verdienst oder ein
BÜSCHING, WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN. 513
sehr kleines: es ist ferner löblich, auch die allgemeine Theil-
nahme, nicht bloss die Gelehrten von Profession zu berücksich-
tigen und, um jene zu gewinnen, auf etwas jeden Ansprechendes,
auch wohl auf etwas bloss Unterhaltendes zu denken, zumal für
den, der zu dieser vermittelnden Arbeit so viel Neigung hat,
wie Hr. Büsching, welcher ihr seine hauptsächlichsten Bemü-
hungen widmet (man denke nur an sein erneuertes Nibelungen-
lied, seinen erneuerten Hans Sachs, seine Erzählungen, Dichtun-
gen, Fastnachtsspiele und Schwanke des Mittelalters), aber ein 658
gewisses Mass muss doch darin gehalten werden. Wenn nun
jemand, welcher nach dem die Wissenschaft wirklich Erweitern-
den fragt, in den vielen bedruckten Blättern so gar wenig ftir
sich findet, so ist ihm die Klage wohl nicht zu verargen, dass,
während in der deutschen Alterthumswissenschaft die nöthigsten
-Arbeiten von allen Seiten drängen, er hier antrifil: Über-
setzungen von englischen Büchern, von schottischen Balladen,
Bücheranzeigen mit trockener Angabe des Inhalts (z. B. Th. I,
S. 364 — 366), AViederabdruck aus ganz neuen oder leicht zu-
sränülichen Büchern (z. B. aus der Sander sehen Ubersetzuncr
dänischer Balladen Th. H, S. 124, aus Lucas David Preussischer
Chronik, aus Thomas Platers Leben) und dergleichen. Wir
können nicht sagen, dass sich der zweite Band gebessert hätte ;
im Gegentheil, die Körner sind noch sparsamer gesäet, und
gleich der ausführliche Inhalt des Trauerspiels Chriemhilden-
rache sammt Proben daraus nehmen so ungebührlich viel
Raum weg, dass ihn wahrscheinlich schon die Zeitung für die
elegante Welt dafür versagt hätte.
Der Plan geht auf Geschichte, Kunst und wie es heisst:
Gelahrtheit des Mittelalters, ist also von dem grössten Umfang.
In solchen Fällen pflegt sich bei der wirklichen Ausfuhrung
eine Beschränkung von selbst einzufinden, so ist denn auch die
Geschichte einstweilen bei Seite gesetzt, wenigstens ganz
unbedeutend, was darüber vorkommt. Dagegen für die Kunst
etwas zu thun, ist guter Wille sichtbar, aber hier, scheint es
uns, liegt das Hindernis in den von den Denkmalen derselben
so sehr entblössten Gegenden des Nordostens; auch scheint uns
die Manier des Verfassers, die bloss eine jede Einzelheit mit-
W. GRIMM, KL. SCHRIl-TEX. II. 83
514 BÜSCHING, WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN.
nehmende, übergenaue Angabe von dem Inhalt eines Bildes
wie ein Inventarium liefert, nicht geeignet, lebendige Anschau-
ung in dem Leser zu erwecken. Was diese Zeitschrift mit-
theilt, wird ohne Zweifel von dem übertrofFen, was irgend eine
Stadt am Rhein besitzt. Die Kunstwerke im Dom zu Breslau,
worunter so viel Mittelmässiges sich befindet (nach dem bei-
gefügten Umriss begreift man das Lob nicht, das einem
albasternen Grabmahl beigelegt wird, Erfindung und Anordnung
659 des Ganzen deuten auf eine geschmacklose Zeit) , Bilder aus
Handschriften, wie der heilige Lucas (II, 49), zu beschreiben
und bekannt zu machen, wollen wir an sich nicht tadeln, aber
wer das Grosse und Herrliche, das Merkwürdige der altdeutschen
Kunst gesehen und weiss, dass noch die ersten und noth wen-
digsten Arbeiten in diesem Fache zu thun sind, wird uns Recht
geben, wenn wir glauben, dass zur Zeit wenig Aufklärung und
Gewinn aus jenen Bemühungen erwachsen kann. Es ist ge-
rade, als wollte man sich damit beschäftigen, einzelne beschrie-
bene Pergaraentblätter und Stückchen von bekannten und nicht
sehr bedeutenden Gedichten herauszugeben, während vollstän-
dige Codices noch unbekannter und wichtiger dringend eine
Herausgabe und Bearbeitung fordern. Herr Büsching indessen
ist insofern zu entschuldigen, als er wahrscheinlich noch nichts
Bedeutendes von der altdeutschen Kunst selbst zu sehen Gelegen-
heit gehabt. Der Lucas Cranach im zweiten Bande scheint
(so viel man nach dem schlecht gemachten Umriss urtheilen
kann) nicht zu den guten Werken dieses Meisters zu gehören
oder vielmehr ist er Schülern oder Gehilfen beizuschreiben,
denn so etwas muss man annehmen, wenn man sich die fast
unglaubliche Verschiedenheit in den Bildern dieses Meisters
erklären will; schon an den in Leipzig entdeckten kann man
sie beobachten. Übrigens ist auch in dem Trefflichsten, wenig-
stens das wir von ihm gesehen, jene Vollendung und Reinheit
der Gedanken und Ausführung, die wir an Eyh und Hämmling
bewundern, schon verschwunden, und wie seine Farbe gegen
jene gedämpft und getrübt, so ist der Ausdruck bei dem Suchen
nach einem Ideal manchmal geziert und unnatürlich. Was
nun die altdeutsche Litteratur betrifft, so sind verschiedene
BÜSCHIXG, WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN. 515
Nachrichten von Handschriften, namentlich die, welche Herr
V. d. Hasren und Primisser über die zu Wien befindlichen sje-
liefert haben, mit Dank anzunehmen; jene von einer altschlesi-
schen Liedersammlung, die von Hrn. Büsching rührt, ist, wenn
wir den inneren Werth der Gedichte betrachten, doch etwas zu
ausführlich. Was die übrigen Aufsätze Gutes enthalten, wollen
wir gern anerkennen, nur ist dessen wirklich nicht viel, und
dann müssen wir gestehen, dass wir im Ganzen weder etwas-
besonders Merkwürdiges aus unbekannten Quellen noch weni-
ger etwas gefunden , das eine bisher nicht beachtete Seite der 660
deutschen Alterthumswissenschaft oreistreich anoreregt hätte. Wir
müssen als Recensent die hauptsächlichsten näher angeben.
Seite 34 und 35 ein Paar Strophen aus dem Titurel zur Er-
klärung des Bildes von der klagenden Sigune in einer Wiener
Handschrift. — „Wolt ir gemaches vil durch wirde ge-
schaffet han" heisst nicht mit Würde, sondern ihrer Würde
gemäss, weil es ihre Würde, ihr edler Stand erforderte. Das
ist nicht bedeutend, aber gleich darauf hätte Hr. Büsching eine
schöne Zeile durch eine Erklärung nicht dunkel machen sollen,
zumal wenn ,er sich noch später S. 61 über ein fremdes, ge-
ringeres Miss Verständnis auslassen wollte. Es ist von einem
Mund die Rede:
der nach den rosen stund mit strite ze vare.
d. h. der mit Rosen den Kampf nicht scheute, der sie im
Streit zu Schanden machte; vergleiche über ze vare Docens
Titurel No. 160, sonst steht das Wort auch wohl pleonastisch,
wie in folgender Stelle:
es hat mit strittes var
bi nacht den beiden angesigt,
(vergl. Nibelungen 413*) [102, 6]). Hr. Büsching erklärt aber
ze vare durch gefärbt! S. 51 — 55 macht Hr. v. d. Hagen
eine merkwürdige Stelle aus Staricii Heldenschatz bekannt. —
S. 56 — 60 Thierfabeln in Prosa aus einer Handschrift des
15. Jahrhunderts. Wären doch erst die älteren, der Sache und
Sprache nach besseren gedruckt! Man weiss, wie späterhin der
•) [Zusatz von Wilhelm Grimm im Handexemplar.]
33*
516 BÜSCHING, WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN.
Inhalt auch zu Grunde gieng. Die nähere Nachricht davon,
welche die Anmerkung verspricht, ist noch nicht gegeben, zw
plikch (Anm. 28) heisst nicht zum Anblick, sondern: zum
Glanz. Vgl. Eneidt 6682: den Helm sah man „blichen" und
Docens Titurel No. 100 die „blichlichen" Blumen. S. 59.
Anm. 49. wird mest bellisch durch übel (?) bellisch erklärt,
es ist aber ein Wort und nichts Anderes als mistb ellisch,
■wahrscheinlich auf dem Miste bellend, d. h. hündisch; vgl. gl.
lindenbrog 996. (das übrigens schwierige) onstbella, lycisca,
Hündin (lies mistbella licisca, Gisbert 1 Th. v. 66)*). S. 60.
Anm. 64. der Pilgrim gieng „verret" heisst nicht ferner, son-
dern: weiter. S. 61 wird eine schwierige Stelle im Parcifal
661 nach der Hamburger Handschrift mitgetheilt. Die erste Zeile,
worauf es hauptsächlich ankommt, heisst im Müller. Druck 8988
(durch einen Druckfehler bei Hrn. B. 9888) [301, 28]:
eine seilen ruches von Salin
und dort ganz anders, vielleicht richtiger:
ein valen tuches von Surin.
Hr. Büsching, indem er die Vermuthung, die Hr. J. Grimm
darüber in den altdeutschen Wäldern äusserte, doch mild und
nicht mit störrischem Besserwissenwollen abweist, hat jene Va-
riante des Drucks mit angeführt; diese Genauigkeit ist gewiss
nicht überflüssig, weil sonst jemand durch die Stellung der
Worte veranlasst werden könnte, zu glauben, es sei dort ohne
Ursache, aus einem blossen grausamen Missverständnis von dem
Geruch einer Blume gesprochen worden. Der weitere Grund
gegen jene Vermuthung, den Hr. Büsching aus der Sache selbst
nimmt, dass nämlich das Pflücken eines Veilchen auf dem
Schnee wirklich wunderbar sei, zeigt jedoch nur Scharfsinn bei
jemand, der den Parcifal nicht selbst gelesen, denn darin heisst
es ausdrücklich:
8372 [281, 13]. ez en-was iedoch niht snewes zit
und
8376 [281, 17 — 19]. swaz man ie von dem (Artus) gesprach,
zeinem pfinxten daz gescach,
oder in des nieien blunien-zit.
*) [Zusatz von Wilhelm Grimm im Handexemplar.]
BÜSCHIXG, WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN. 517
Dass nach der Leseart des Drucks von 1477 dort auch schon
eingesehen wurde, es könne von einem Tuche die Rede sein,
das auf die Bhitstropfen geworfen worden, hat Hr. Büsching
gleichfalls anzumerken nicht vergessen, und so befolgt er selbst
jene löbliche Gesinnung, die ohne Parteilichkeit nur die Sache
selbst im Auge hat und die er verschiedentlich so sehr schön
empfiehlt. Übrigens ist bei der eigenthflmlichen Vermuthung
dieses Gelehrten, wornach vale, faile einen Waffenschurz
bedeuten soll, zu erwägen, dass solch ein grosses, den ganzen
Unterleib eines Gepanzerten bedeckendes Stück der Rüstung
nicht wohl passend, nämlich zu ungefflg war. um über drei
Blutstropfen geworfen zu werden; Parcifal hätte alsbald sehen
müssen, was man da vor ihm hingeworfen, und doch fragt er
gleich, wie es zugegangen, und wer ihm den Anblick benommen. 662
Am natürlichsten ist wohl, sich unter faile ein kleines Tüchlein
zu denken, aussen vielleicht weiss, um die rothen Tropfen da-
mit gleichsam wieder zuzuschneien. Auch konnte ein Waflen-
schurz schwerlich wie eine Weiberschürze leicht abgebunden
werden. — S. 92 — 96 der Nibelungenhort im Reinecke Fuchs
von Hrn. v. d. Hagen. Die hier bemerkten Stellen sind schon
früher in den altdeutschen Wäldern I, 293 und den Zeugnissen
über die Heldensage angeführt worden, selbst die Verbesserung
von heimeliken in Ermelink in dem flammländischen Ge-
dicht; zuzufügen wäre, dass in dem Reinhart Fuchs des
Gleichsener folgende Stelle vorkommt:
wir manche sprechen niht ein wort
umbe der nybelunge hört.
Zwei Gleichnisse aus dem Barlaam und Josaphat; das erste
ist grösstentheils schon in den altdeutschen Wäldern abgedruckt,
doch können ein Paar Stellen aus dieser Handschrift dort be-
richtiort werden. Zu den Erklärungen des Hrn. Büschinor ist
anzumerken: in dem ersten Gleichnis V. 23 heisst habit nicht
hebet (?) hob, sondern: hielt, so auch V. 103. V. 49 strich
heisst gewiss nicht Augenblick oder Zeitpunkt, wie es auch in
den altdeutschen Wäldern erklärt wird, sondern Umstrickung,
vgl. hernach 115. „die weite — diu mit so grozer arbeit uns ir
518 BÜSCHING, WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN.
strich hat geleit." Auch kommt in einer anderen Stelle des
Barlaam vor:
der stric, der da van im geleit
was und van der heidenschaft,
da was er inne behaft.
V. 86 war es noth wendig ein slang'e zu lesen, weil der folgt
und das Wort oft als Masc. gebraucht wird, vielleicht nach
dem lateinischen anguis. V. 88. leb indez, gewiss ein
Wort: lebindez. S. 239, V. 179. gesiht heisst nicht Ge-
sicht, Umsicht, sondern das Schauen, Sehen. — Band II,
S. 64. Die Sage von Attilas Schwert aus dem Lambert
von Aschaffenburg findet man schon in den altdeutschen Wäl-
dern I, 212. Dort ist auch angegeben, dass die Erzählung von
jenem Fund des Schwerts durch einen Hirten aus dem Priscus
663 genommen sei, ferner S. 319. die merkwürdige Erneuerung
der Sage bei Fischart. — Die Bemerkungen zur deutschen
Bildungsgeschichte aus den Minnesängern von Hrn. Pescheck
S. 218 ff., S. 269 ff*, und 393 ff. sind eine nützliche Arbeit;
freilich würde es besser sein, sich nicht bloss dabei auf das eine
Werk zu beschränken, sondern die anderen Gedichte auch zu Hilfe
zu nehmen, so Manches würde sich dann ergänzen und ver-
ständlicher sein; indessen behält auch das Gelieferte immer
seinen Werth. Auffallend ist, dass, wenn Rumslant Man. II, 225.
von '„lieben, süssen, milden" — von „getreuen — Herren"
spricht und schliesst: mehr als Sonnenschein freue ihn:
„ein genoz von eines süzen herren munde",
Hr. Pescheck diesen Ausdruck unerwartet findet und darin die
süssen Herrn der heutigen Zeit zu erkennen scheint. Es ist
von milden gütigen Herrn die Rede. Auch S. 270 das Frag-
zeichen hinter unbewollen erfodert ein weiteres oder eigent-
lich zwei; was es hinter dem bekannten und richtigen Wort
solle und warum es die Redaction habe stehen lassen? Würde
übrigens zu solchen oder ähnlichen Vorarbeiten die Zeitschrift
benutzt und mit einem genauen Register versehen, so könnte
sie eine schätzbare Materialiensammlung werden, während sie
jetzt nach allen Seiten umspringt. — S. 320 wird bekannt ge-
macht, dass Hr. v. d. Hagen auf seiner Reise den Verfasser
BÜSCHING, WÖCHENTLICHE NACHRICHTEN. 519
des AValther von Aquitanien entdeckt. Bis das Nähere kommt,
will Recensent einstweilen mittheilen, was er darüber anzuführen
hätte*). Ekkehardus Monachus (f 1071) sagt bei Goldast (script.
rer. ger. I, 39.): ,.Ekkehardus Decanus scripsit et in scolis
metrico magistro vacillanter quidem, quia in affectione nou in
habitu orat puer, vitam Waltherii manuforis (1. manufortis)
quam Magontiae positi, pro posse et nosse nostra correximus
(i. e. ego Ekkehardus junior). Barbaries enim et idiomata ejus
teutonem adhuc affectantem repente latinum fieri non patiuntur
— quae deceptio Ekkehardum in opere illo adhuc puerum fe-
fellit." Bei Leyser bist, poetar. med. aevi p. 310 steht: „Ekke-
hardus sangallensis floruit circa 1040. scripsit gesta Walt-
harii metro heroico"; und dasselbe bei Jöcher I, 275. Von 664
diesen Angaben weicht nun der merkwürdiore noch unbekannte
Prolog in einer Pergamenthandschrift des Gedichts ab. welchen
Recensent hier folgen lässt:
omnipotens geuitor, summae virtutis amator,
jure pari natusque ambornm Spiritus almus.
personis trinus vera deitate sed luius,
qui vita vivens cuncta et- sine fine tenebis,
pontificem summum tu salva nunc et in aevuni
claro erkambaldum fulgentem nomine dignum:
crescat ut interius sancto spiramine plenus,
multis ut infictum quo sit medicamen in aevuni.
Presul sancte dei. nunc accipe munera servi,
quae tibi decrevit de larga promere cura
peccator fragihs Geraldus, nomine vilis.
qui tibi nam certus fidus cordeque fidelis alumnus,
quod precibus dominum jugiter precor omnipotentem,
ut nanciscaris factis quae promo loquelis,
det pater ex summis caelum terramque gubernans.
Serve dei summi, ne despice verba libelli.
non canit alma dei, resonat sed mira tironis.
nomine uualtharius per praelia multa resectus (sie)
ludendum magis est dominum quam sit (rogitandum?)
per leclus [?] longeui stringit in ampla diei.
Sis felix. sanetus per tempora plura sacerdos!
sit tibi mente tua Geraldus carus adolfus!
*) [Am Rand steht im Handexemplar von Wilhelm Grimms Hand: cfr.
Arx I, 179. Eckeh. IV f 1070. J
520 NYERUP, ALMINDELIG MORSKABSLÄSNING.
Die Beschreibungen von Gebräuchen, die Sagen und Mär-
chen, welc)ie hier vorkommen, rühren meist von ebendiesem
Hrn. Pescheck, die Lieder mit Melodien von Hrn. Dr Hohen-
baum; dies ist nach unserem Urtheil das Schätzbarste in der
ganzen Sammlung," obgleich der Titel davon eigentlich nicht
spricht. Gut sind die Sagen von den Querxen, das Märchen von
den fleissigen Spinnerinnen im ersten Band, noch schöner das
vom Einäuglein im zweiten; wir hoflFen, in der Folge noch mehr
dieser Art zu finden. — Was die Litteratur betriflFt, so ist sie
nicht vollständig angeführt, wie es doch ein Verdienst solcher
Zeitschriften sein sollte; aber man erfährt bei vorkommender
665 Gelegenheit weder was in Deutschland in diesem Fache ge-
schehen, noch auch was neu erschienen ist. Zum Theil mag
Schuld haben, dass Hr. Büsching regelmässig nur die Werke
seiner Freunde citirt und ankündigt, dazu wird er seine Gründe
haben, und es kann ihm vortheilhaft sein, so dass wir ihn
nicht davon abmahnen wollen, aber anderen, welchen bloss die
Sache nah liegt und die etwa jene Bd H, S. 176 so edel darge-
stellte Gesinnung hegen, wird unmöglich dadurch ein Gefallen
geschehen; es könnte aus dem Übergangenen doch Eins und
das Andere zu lernen sein. So ist z. B. Lachmanns seit einem
Jahr herausgekommene kleine Schrift (obgleich nur ein Paar
Worte gegen Hrn. v. d. Hagen darin vorkommen) bis jetzt noch
nicht in diesen wöchentlichen Nachrichten erschienen; doch das
wird auf unsere Erinnerung vielleicht noch nachgeholt.
o [y oder yp •'' = W. Grimm?]
665 ALMINDELIG MORSKABSLÄSNING
i Danmark og Norge igjennem Aarhundreder. Beskreven af Rasmus
Nyerup. Kjöbenhavn 1816.
Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur. Jahrgang X (1817) Bd II, No. 42,
S. 665—670.
Xlr. Professor Nyerup war zum Mitglied der im Jahr
1793 zu Copenhagen gestifteten Gesellschaft für die Nachwelt
(Efterslägtselskab) gewählt worden. Da es unter anderem in
dem Plan derselben lag, die Ausgaben von Volksbüchern zu
NTERüP, ALMINDELIG MORSKABSLÄSNING. 521
leiten und zu besorgen, so verfertigte er sich, um ein Urtheil
über das Vorhandene zu erlangen, ein Verzeichnis von den bis-
herigen, in den beiden Reichen umgehenden Büchern solcher
Art und theilte diese Vorarbeit, mit mancherlei schätzbaren
Nach Weisungen ausgestattet, in der Monatsschrift Iris Jahrgang
1795 und 1796 mit. Der späterhin in Deutschland erwachende
Eifer für die alte einheimische Litteratur, so wie das Gefühl
von dem Werthe des Lebendigen in dem Volk brachte ein
diesem Gegenstande ausschliesslich gewidmetes Buch, Görres'
geistreiche Schrift über die deutschen Volksbücher, hervor;
ausserdem ergaben sich hier und da einzelne Aufklärungen und
Beiträge.
Dies veranlasste den unermüdet thätigen Nyerup, jetzt nach 666
länger als zwanzig Jahren seine Sammlungen über diese Litte-
ratur wieder vorzunehmen. Wie viel ansehnlicher diese neue
Umarbeitung ausgefallen, kann man sich leicht durch Verglei-
chung überzeugen: ausser der 28 Seiten Einleitung enthält das
Buch 313 enggedruckte Seiten, mit zweien den Gebrauch sehr
erleichternden Registern. Die Volksbücher erregen nicht bloss
bei einem einzelnen Volke Theilnahme, ihr Gegenstand ist, wie
die Einleitung richtig voranstellt, ein allgemein europäischer;
uns Deutschen lieort das Volksthümliche des verwandten nor-
dischen Stammes ohnehin noch näher. Was aber so viele
Völker durch sein Gemeinsames verbindet, verdient gewiss jede
Aufmerksamkeit und kann von mehr als einer Seite betrachtet
und aufgehellt werden. Eine Würdigung des inneren Gehaltes
und poetischen Werthes, wie sie Görres in jener Schrift lebendig
und eindringlich gegeben, lag nicht in der Absicht des Ver-
fassers; er wollte bloss das Litterargeschichtliche und
Bibliographische bearbeiten, und so muss gegenwärtiges
Buch als eine gelehrte, leicht übersehbare Zusammenstellung
des bisher in diesem Fache Geleisteten, woran der Verfasser
selbst einen grossen Antheil hat, betrachtet werden. Aus den
Büchern selbst sind erstlich Auszüge ohne Kargheit gegeben;
dann ist nicht leicht ein einzelnes Urtheil, eine Nachweisung,
ja eine blosse Anspielung vergessen; die Hauptstellen von Gör-
res, die Ansichten von Bouterweck, Schlegel u. a. sind übersetzt
522 NYEIiüP, ALMINDELIG MORSKABSLÄSNING.
und entgegenstehende Meinungen sind unparteiisch angeführt,
indem der Verfasser sich zu einer gemässigten, friedlichen Mitte
bekennt. In dieser Gesinnung stellt gleich die Einleitung die
verschiedenen Ansichten von dem poetischen Werth dieser
Dichtungen gegen einander, erst die neueren günstigen, und schon
hier zeigt sich die genauere Bekanntschaft mit der deutschen
Litteratur, hernach auch ein Paar ältere ungünstige, deren Ein-
druck jedoch der Verfasser selbst nicht zu fürchten scheint.
Da der Umkreis der Schrift bestimmt abgesteckt ist, so
dass z. B. der Ursprung eines Gedichts meist nur anzudeuten,
nicht eigentlich zu untersuchen war, so kann es nicht die Ab-
sicht dieser Anzeige sein, durch weiter gehende Fragen ihn zu
vergrössern ; Nachträge . werden sich nicht gar viele bei dem
€67 Sammlerfleiss des Verfassers finden. Die Abtheilungen, unter
welchen das Ganze aufgestellt worden, sind folgende. I. Fa-
beln, drei Stücke. Wenn der Verfasser S. 17 den Reinhart
Fuchs für alt, aber doch nicht so alt, als den Pilpai hält, so
darf behauptet werden, dass das von dem Grundstoff nicht gilt;
die Thiersagen haben sämmtlich einen gemeinschaftlichen Ur-
sprung und inneren Zusammenhang. Dagegen lässt sich, was
äussere Abfassung betrifft, von früher und später reden. II. Ro-
mane. 1) Antike, historische: zwei Stücke, der Tro-
janische Krieg und Alexander der Grosse. Bei jenem wird
S. 37 ff. schätzbare Nachricht gegeben von der in Handschrift
vorhandenen isländischen Trojamanna-Saga, welche merk-
würdiger Weise sich an die Bertasögur anknüpft, nämlich an
die Niederlassung des Brutus in Brittannien; die Quelle dieser
Bearbeitung ist zur Zeit noch nicht ausgemittelt. Das dänische
Buch von Alexander dem Grossen ist eine Übersetzung des
Curtius; es wird aber zugleich Nachricht von einer handschrift-
lichen isländischen Sage nach der Alexandreis des Walter Iri-
sulanus mitgetheilt. 2) Ritterromane. Neun Stücke. Die
zu dem Fabelkreis der Nibelungen gehörigen Gedichte stehen
voran, und es findet sich hier ein vollständiger Abdruck von
dem Hildebrandslied und dem kleinen Laurin. Beide sind aus
Deutschland hinübergekommen. Kaiser Karls Chronik, eins
der merkwürdigsten dänischen Volksbücher (seines Inhalts
NTERCP, ALMINDELIG MORSKABSLÄSNING. 523
wegen, denn die Erzählung ist gar zu kurz und auszugsmässig),
ist nicht, wie der Verfasser in der Iris vermuthete, aus dem
Französischen, sondern sehr wahrscheinlich aus dem Isländischen
übersetzt: zugleich wird eine Probe aus dem letzteren, in Hs.
einer [?] vorfindlichen, gegeben; es kommt darin gleichfalls die
Geschichte von dem Dieb Alegast vor. Dagegen rührt das am
meisten verbreitete Volksbuch Olger Danske ohne Zweifel aus
dem französischen; die deutsche Übersetzung nach dem Däni-
schen hat den Conrad Es^enberorer von Werthheim zum Ver-
fasser und befindet sich auf der Göttingischen Bibliothek. Bei
dem Tristan ist die deutsche noch ungedruckte Bearbeitung von
Eilhart von Hobergen nicht angemerkt. 3) Liebesromane,
acht Stücke. 4) Novellen, sechs Stücke. Zu der Sage von
Amicus und Amelius S. 156. 157 würden sich mancherlei Zu-
sätze in der Ausgabe des armen Heinrichs von den Brüdern 668
Grimm finden. 5) Biblische Geschichten, fünf Stücke.
6) Zauberbücher und moralische Schriften, acht Stücke.
S. 196 Nachricht von dem bloss handschriftlichen dänischen
Cjprianus; Zauberformeln, darunter einige kräftig und poetisch
ausscedrückt . sind. Hier kommen auch Übersetzungen nach
Hans Sachs vor. 7) Robinsonaden, zehn Nummern. lU. Mär-
chen. Zwölf Stücke, darunter die meisten Originale. Bei
dem Bruder Rus ist eine holländische Ausgrabe zu bemerken.
(Een schoon Historie vom Broeder Ruyssche, die een Koc was
in een klooster ende een Duyvel di hem in menschelyker Ghe-
daente verschapen hadde. T Hantwerpen by Jan von Ghelen
1596. in 4. Auf der Göttingischen Bibliothek.) — Merkwürdig
ist das letzte, Höibergs Gubbe, aus dem Schwedischen
übersetzt und durchaus dem Norden eigenthümlich. Das alte
Heidenthum erscheint hier mit dem Christenthum im Gegen-
satz und Streit; es ist eine echte Volkssage voll natürlicher,
lustiger und guter Züge, so dass wir dem Verfasser für seinen
ausführlichen Auszug Dank wissen. Ein Bauer will bei dem
Kindelbier (Barseigilde) den alten Bergriesen nicht gerne über-
gehen und scheut doch den ungefügen, nicht zu ersättigen-
den. Da befreit ihn sein Knecht listig davon, indem er jenen
zwar zum Schmaus einlädt, aber auch nebenbei erzählt, dass
524 NYERUP, ALMINDELIG MORSKABSLÄSNING.
Unser Herr, der Apostel Petrus und die Jungfrau Maria kom-
men würden, ferner Spielleute, deren Trommel den Trold an
Thors Donner erinnert, so dass er gerne absagt. IV. Scherze
und Possen, neunzehn Stücke. Das merkwürdigste ist das
dänische Laienbuch, Molboernes Bedrifter, sie enthalten bekannt-
lich eigenthümliche, in Deutschland zum Theil unbekannte Sa-
gen, die aber nicht geringeren Werth haben. Nicht zu über-
sehen, S. 274, dass dieses Volksbuch allein in Jütland ein-
heimisch zu sein scheint und in Copenhagen lange Zeit eine
grosse Seltenheit war, weil keine von den dort gedruckten
Exemplaren herüberkamen. Was weiss man in Norwegen und
Schweden davon?
Zu dieser Übersicht des Buchs wollen wir ein Paar Be-
merkungen fügen. Von den 86 Stücken, die es etwa enthält,
wird ohngefähr die Hälfte als Übersetzuno; aus dem Deutschen
669 ausdrücklich angegeben, man kann aber annehmen, dass noch
mehr dorther gekommen, beinahe zwei Drittel. Das Übrige
sind zum Theil Übersetzungen aus dem Welschen, Lateinischen
und Isländischen; unter den Originalen sind die Thaten der
Molboer das wichtigste. Das aus dem Schwedischen übersetzte
Stück, Höibergs Gubbe, sehen wir insofern auch wie ein
Original an, als in Schweden ohngefähr dieselben Volksbücher,
wenigstens keine anderen von Bedeutung bekannt sind. Wir
nehmen dies nach den Bemerkungen unseres Verfassers an, der
auch auf dieses Reich Rücksicht genommen; das Hierhergehörige
ist in dem Register zusammengestellt und kann darnach leicht
herausgesucht werden. Merkenswerth ist, dass einige der be-
liebtesten deutschen fehlen, wie die Haimonskinder, Genoveva,
Siegfried; wenn aber hier beinah noch einmal so viel Stücke
vorkommen, als bei Görres, so kann deshalb doch die dänische
Volkslitteratur nicht als reicher angesehen, vielmehr ohne
Parteilichkeit das Gegentheil behauptet werden. Görres be-
schränkte sich auf das jetzt noch Gangbare und hat, da hier
die verschiedenen Gegenden Deutschlands schon einigen Unter-
schied machen, wohl Eins und das Andere mit Unrecht, z. B.
den Reinecke Fuchs, übergangen. Bei seinem Zweck indessen
war eine solche Grenze natürlich, bei unserem Verfasser aber,
XTERUP, ALMINDELTG MORSKABSLÄSSIXG. 525
dem es auf das Litterarische zumeist ankam, ist im Gegentheil
Manches angeführt, was wohl jetzt als Volksbuch nicht mehr im
Gebrauch ist oder es eigentlich nie recht war. In den ersten
Zeiten der Druckerei war der Unterschied noch gar nicht oder
lange nicht so scharf, wie späterhin, und was überhaupt da-
mals von poetischen Werken gedruckt wurde, kann in gewissem
Sinne als ein Volksbuch betrachtet werden, an sich unstreitig
ein grosser Vorzug jener Zeit. So verhält es sich z. B. mit
dem deutschen Heldenbuch, dessen verschiedene Ausgaben so
vergriffen sind, dass sie. jetzt mehr oder weniger zu den Selten-
heiten gezählt werden. Daher findet man mit Recht bei Görres
nicht den Iwain, Wigolais, Euriolus imd Lucretia, welche hier,
und doch nur als Übersetzungen aus dem Deutschen, vor-
kommen. Der Roman von Persenober ist seit 1572 nicht
wieder in Dänemark aufgelegt worden, der Liebe Gefangen-
schaft seit 1687, Besättelsen i Tisted seit 1699. Die Robin- 670
sonaden, aus dem Deutschen übersetzt, sind auch keine eigent-
lichen Volksbücher; wollten wir die im 16. und 17. Jahrhundert
herausgekommenen Romane dazu zählen, so wird Kochs Com-
pendium allein schon zeigen, was sich dann fiir ein grosses
Werk darüber schreiben Hess. Der Verfasser könnte leicht
das Register neu zuliefern und darin das noch Gangbare mit
einem Stern bezeichnen, um auch davon eine Übersicht zu
geben.
[anonvm. Von W. Grimm?]
A.W. Schade's Bucbdruckerei (L. Schade) in Berlin, Stallschreiberstr. 45/46^
In deinselben Verlage sind ferner erschienen :
Grimm, Jacob, Deutsche Grammatik. Neuer vermehrter Abdruck,
besorgt durch Wilhelm Scherer. Erster und zweiter Theil.
1869—78. gr. 8. geh. JC 36.—
Grimm, Jacob, Deutsche Mythologie. Vierte Ausgabe, besorgt von
• Elard Hugo Meyer. 3 Bände. 1875—78. gr. 8. geh. JC "iQ. —
Grimm, Jacob, Rede auf Wilhelm Grimm und Rede über das Alter.
Gehalten in der K. Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Herausgegeben von Her man Grimm. Dritte Auflage. 1865.
gr. 8. geh. Jt 1.—
Grimm, Jacob, Rede auf Schiller. Gehalten in der feierlichen Sitzung
der K. Akademie der Wissenschaften am 10. November 1859.
Vierter Abdruck. 1871. gr. 8. geh. 60 Pf.
Grimm, Jacob, Ueber den Personenwechsel in der rede. Aus den
abhandlungen der k. akademie der Wissenschaften zu Berlin.
1856. gr. 4. cart. M 2.20
Grimm, Jacob, Ueber den Ursprung der spräche. Aus den abhand-
lungen der k. akademie der Wissenschaften vom jähr 1851.
Siebente und unveränderte Auflage. 1879. gr. 8. geh. JC 1. —
Grimm, Jacob, Ueber einige fälle der attraction. Aus den abhand-
lungen der k. akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1858.
gr. 4. geh. JC 1.20
Grimm, Jacob, Von Vertretung männlicher durch weibliche namens-
formen. Aus den abhandlungen der k. akademie der Wissen-
schaften zu Berlin. 1858» gr. 4. cart. JC 2. —
Grimm, Jacob und Adolph Pictet, Ueber die Marcellischen Formeln.
Aus den Abhandlungen der K. Akademie der Wissenschaften zu
Berlin. 1855. gr. 4. geh. 80 Pf.
Grimm, Wilhelm, Bruchstücke aus einem unbekannten gedieht vom
rosengarten mitgetheilt. Aus den abhandlungen der k. akademie
der Wissenschaften zu Berlin 1859. 1860. gr. 4. geh. 80 Pf.
Grimm, Wilhelm, Die deutsche Heldensage. Zweite vermehrte und
verbesserte Ausgabe. 1867. gr. 8. geh. JC 8. —
Grimmi, Wilhelm, Die sage vom Polyphem. Aus den abhandlungen
der k. akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1857. gr. 4r
geh. JC \. —
Grimm, Wilhelm, Thierfabeln bei den meistersängern. Aus den ab-
handlungen der k. akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1855.
gr. 4. cart. JC 1.20
Ferd. Dümmlers Verlagsbuclihandlnng
(Ilarrwitz und Gossmann) in Berlin.
In demselben Verlage sind ferner erschienen:
Jacob Grimm, Kleinere Sclirifteii.
Band I— V. gr. 8. geheftet. 45 Jt.
Erster Band. Reden und Abhandlungen. Zweite Auf-
lage. 1879. Jt 9
Inhalt: Selbstbiographie. — lieber meine entlassung. — *Ita!ienische und
skandinavische eindrücke. — Frau Aventiure klopft an Beneckes thür. — Das
■wort des besitzes (jubelschrift zu Savigny's doctorjubiläum). — Rede auf
Lachmann. — Rede auf Wilhelm Grimm. — Rede über das alter, — Ueber
schule, Universität, akademie. — Ueber den Ursprung der spräche. — f Ueber
etymologie und Sprachvergleichung. — * Ueber das pedantische in der deutschen
spräche. — Rede auf Schiller. — Anhang von kleineren aufsätzen.
Zweiter Band. Abhandlungen zur Mythologie und
Sittenkunde. Mit 1 photolithographirten Tafel. 1865. JC%. —
Inhalt: *Ueber zwei entdeckte gedichte aus der zeit des deutschen hei-
denthums. — * Deutsche grenzalterthümer. — Ueber das finnische epos. —
Ueber Marcellus Burdigaiensis. — Ueber die Marcellischen formein. — * Ueber
schenken und geben. — Ueber das verbrennen der leichen. — Ueber den
liebesgott. — *Ueber eine Urkunde des X. Jahrhunderts. — Ueber frauennamen
aus blumen. — Ueber die namen des donuers. — Ueber das gebet.
Dritter Band. Abhandlungen zur Litteratur und
Orainraatik. Mit einer photolithographirten Tafel. 1866. Jt^. —
Inhalt: Gedichte des mittelalters auf könig Friedrich I. den Stauten und
aus seiner sowie der nächstfolgenden zeit. — Ueber diphtongen nach wegge-
fallnen consonanten. — * Ueber Jemandes und die Geten. — Ueber den Per-
sonenwechsel in der rede. — Ueber einige fälle der attraction. — Von Vertretung
männlicher durch weibliche namensformen. — f Der träum von dem schätz
auf der brücke.
Die mit einem * bezeichneten Abhandlungen sind nur in den Schriften
der Akademie veröffentlicht worden, die mit ©inem f bezeichneten waren bisher
ungedruckt; die übrigen Abhandlungen sind gröfstentbeils nur in einer sehr
kleinen Zahl von Einzelabdrücken in den Buchhandel gekommen.
Vierter und fünfter Band. Recensionen und ver-
mischte Aufsätze. 2 Bde. 1869. 1871. ./^ 19.50
(Band VI ist unter der Presse.)
Jacob Grimm, Auswahl aus den kleineren Schriften.
Zweite Ausgabe, 1874. Velinpapier, gr. 8. geh. Jt 4. —
In Leinwand gebunden Jt 5. —
Inhalt: Selbstbiographie. — Ueber meine Entlassung, — Italienische
und scandinavische Eindrücke. — Das Wort des Besitzes. — Rede auf Lachmann.
— Rede auf Wilhelm Grimm. — Rede über das Alter, — Ueber Schule, Uni-
■versität, Akademie. — Ueber den Ursprung der Sprache. — Ueber das Pe-
dantische in der deutschen Sprache. — Die Sprachpedanten. — Rede auf
Schiller. — Anhang: Reden bei der Frankfurter Germanisten-Versammlung,
— Wesen der Thierfabel, — Anzeige, — Widmung an Wilhelm Grimm, —
"Widmung an Gervinus. — Vorwort.
Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung
(Ilarrwitz und Gossmann) in Berlin.
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